PRIMS Full-text transcription (HTML)
Ahnung und Gegenwart.
Ein Roman
Mit einem Vorwort von de la Motte Fouque´.
Nürnberg,bei Johann Leonhard Schrag. 1815.

Vorwort.

Der Verfaſſer hatte dieſen Roman vollendet, ehe noch die Franzoſen im letzten Kriege Ru߬ land betraten. Eine nothwendig fortlaufende Berührung des Buches mit den öffentlichen Begebenheiten verhinderte damals den Druck deſſelben. Später faßte die gewaltige Zeit den Dichter ſelbſt, er focht in den Reihen der Vaterlandsretter rühmlich mit, und alle ſeine Muſſe, Gedanken und Kräfte wandten ſich auf den gemeinſchaftlichen Zweck. Nach¬ her meinte er, es ſeye der Zeitpunkt einer allgemeinen Theilnahme für dieſen Roman vielleicht inzwiſchen verſtrichen.

1 *IVVorwort.

Ich war und bin nicht dieſer Meinung; auch ſchien es mii nicht wohlgethan, die Fä¬ den dieſer Geſchichte in die neueſten Ereigniſſe herüber zu ſpinnen, oder auch prophetiſche Ausſichten auf die erfolgte Weltbefreyung mit Abſichtlichkeit darin aufzuſtellen. Die Ganzheit der ſo ächt lebendigen und wahr¬ haften Dichtung hätte darunter gelitten; ſie wäre nicht geblieben, was ſie iſt: ein ge¬ treues Bild jener gewitterſchwülen Zeit, der Erwartung, der Sehnſucht und Verwir¬ rung.

Der Verfaſſer gieng in meine Anſichten ein, und giebt den Roman daher wörtlich und ohne die geringſte Aenderung ſo, wie er ihn damals aufgeſchrieben hatte. In ſeinen Mittheilungen hierüber an mich finden ſich unter Anderm folgende denkwürdige Worte:

Es lieben edle Gemüther, ſich mitten aus der Freude nach den überſtandenen Drangſalen zurückzuwenden, nicht um hoch¬VVorwort. müthig über ſich ſelbſt zu erſtaunen, wie ſie ſeitdem ſo Großes vollbracht, ſondern um ſich noch einmal mit jenem heiligen Zürnen, jenem gerüſteten Ernſte der Bedrängniß zu erfüllen, der uns im Glücke eben ſo noth thut, als im Unglück. Dieſen weihe ich das Buch als ein Denkmal der ſchuldgedrückten Vergangenheit.

Alle Kräfte, die in uns aufgewacht, ſchlummerten oder träumten ſchon damals. Aber Roſt frißt das Eiſen. Die Sehnſucht hätte ſich langſam ſelbſt verzehrt, und die Weisheit nichts ausgeſonnen, hätte ſich der Herr nicht endlich erbarmt, und in dem Brande von Moskau die Morgenröthe eines großen herrlichen Tages der Erlöſung ange¬ zündet. Und ſo laßt uns Gott preiſen, Je¬ der nach ſeiner Art! Ihm gebührt die Ehre, uns ziemet Demuth, Wachſamkeit und from¬ mer, treuer Fleiß.

VIVorwort.

Dieſen Kernworten, wie aus dem In¬ nerſten und Beſten meiner Seele geſprochen, weiß ich nichts hinzuzufügen, als den herzli¬ chen Wunſch: möchten ſie und das ganze ju¬ gendlich friſche Dichterwerk unſern theuern Landsleuten nach Verdienſt lieb werden und bekannt.

Geſchrieben am 6. Januar, 1815.

La Motte Fouque´.

Erſtes Buch.

Erſtes Kapitel.

Die Sonne war eben prächtig aufgegangen, da fuhr ein Schiff zwiſchen den grünen Bergen und Wäldern auf der Donau herunter. Auf dem Schif¬ fe befand ſich ein luſtiges Häufchen Studenten. Sie begleiteten einige Tagereiſen weit den jungen Grafen Friedrich, welcher ſo eben die Univerſi¬ tät verlaſſen hatte, um ſich auf Reiſen zu begeben. Einige von ihnen hatten ſich auf dem Verdecke auf ihre ausgebreitete Mäntel hingeſtreckt und würfel¬ ten. Andere hatten alle Augenblick neue Burgen zu ſalutiren, neue Echo's zu verſuchen, und waren daher ohne Unterlaß beſchäftigt, ihre Gewehre zu laden und abzufeuern. Wieder andere übten ihren Witz an allen, die das Unglück hatten am Ufer vorüberzugehen, und dieſe aus der Luft gegriffene Unterhaltung endigte dann gewöhnlich mit luſtigen Schimpfreden, welche wechſelſeitig ſo lange fortge¬ ſezt wurden, bis beide Partheyen einander längſt nicht mehr verſtanden. Mitten unter ihnen ſtand Graf Friedrich in ſtiller, beſchaulicher Freude. Er war größer als die andern, und zeichnete ſich durch ein einfaches, freyes, faſt altritterliches An¬ ſehen aus. Er ſelbſt ſprach wenig, ſondern ergözte10 ſich vielmehr ſtill in ſich an den den Ausgelaſſenhei¬ ten der luſtigen Geſellen; ein gemeiner Menſchen¬ ſinn hätte ihn leicht für einfältig gehalten. Von beiden Seiten ſangen die Vögel aus dem Walde, der Wiederhall von dem Rufen und Schießen irrte weit in den Bergen umher, ein friſcher Wind ſtrich über das Waſſer, und ſo fuhren die Studenten in ihren bunten, phantaſtiſchen Trachten wie das Schiff der Argonauten. Und ſo fahre denn, friſche Ju¬ gend! Glaube es nicht, daß es einmal anders wird auf Erden. Unſere freudigen Gedanken wer¬ den niemals alt und die Jugend iſt ewig.

Wer von Regensburg her auf der Donau hin¬ abgefahren iſt, der kennt die herrliche Stelle, wel¬ che der Wirbel genannt wird. Hohe Bergſchluften umgeben den wunderbaren Ort. In der Mitte des Stromes ſteht ein ſeltſam geformter Fels, von dem ein hohes Kreutz Troſt - und Friedenreich in den Sturz und Streit der empörten Wogen hinab¬ ſchaut. Kein Menſch iſt hier zu ſehen, kein Vogel ſingt, nur der Wald von den Bergen und der furchtbare Kreis, der alles Leben in ſeinen uner¬ gründlichen Schlund hinabzieht, rauſchen hier ſeit Jahrhunderten gleichförmig fort. Der Mund des Wirbels öffnet ſich von Zeit zu Zeit dunkelblickend, wie das Auge des Todes. Der Menſch fühlt ſich auf einmal verlaſſen in der Gewalt des feindſeli¬ gen, unbekannten Elements, und das Kreutz auf dem Felſen tritt hier in ſeiner heiligſten und grö߬ ten Bedeutung hervor. Alle wurden bey dieſem11 Anblicke ſtill und athmeten tief über dem Wellen¬ rauſchen. Hier bog plötzlich ein anderes fremdes Schiff, daß ſie lange in weiter Entfernung verfolgt hatte, hinter ihnen um die Felſenecke. Eine hohe, junge, weibliche Geſtalt ſtand ganz vorn auf dem Verdecke und ſah unverwandt in den Wirbel hinab. Die Studenten waren von der plötzlichen Erſcheinung in dieſer dunkelgrünen Oede überraſcht und brachen einmüthig in ein freudiges Hurrah aus, daß es weit an den Bergen hinunterſchallte. Da ſah das Mädchen auf einmal auf, und ihre Augen begegne¬ ten Friedrichs Blicken. Er fuhr innerlichſt zu¬ ſammen. Denn es war, als deckten ihre Blicke plötzlich eine neue Welt von blühender Wunder¬ pracht, uralten Erinnerungen und niegekannten Wünſchen in ſeinem Herzen auf. Er ſtand lange in ihrem Anblick verſunken, und bemerkte kaum, wie indeß der Strom nun wieder ruhiger geworden war und zu beiden Seiten ſchöne Schlöſſer, Dör¬ fer und Wieſen vorüberflogen, aus denen der Wind das Geläute weidender Heerden herüber¬ wehte.

Sie fuhren ſo eben an einer kleinen Stadt vorüber. Hart am Ufer war eine Promenade mit Alleen. Herren und Damen giengen im Sonntags¬ putze ſpazieren, führten einander, lachten, grüßten und verbeugten ſich hin und wieder, und eine luſti¬ ge Muſik ſchallte aus dem bunten, fröhlichen Schwalle. Das Schiff, worauf die ſchöne Unbe¬ kannte ſtand, folgte unſeren Reiſenden immerfort12 in einiger Entfernung nach. Der Strom war hier ſo breit und ſpiegelglatt wie ein See. Da ergriff einer von den Studenten ſeine Guitarre, und ſang der Schönen auf dem andern Schiffe drüben luſtig zu:

Die Jäger zieh'n in grünen Wald
Und Reiter blitzend über's Feld,
Studenten durch die ganze Welt,
So weit der blaue Himmel wallt.
Der Frühling iſt der Fleudenſaal,
Viel tauſend Vöglein ſpielen auf,
Da ſchallt's im Wald bergab, bergauf:
Grüß 'dich, mein Schatz, viel tauſendmal!

Sie bemerkten wohl, daß die Schöne allezeit zu ihnen herüberſah, und alle Herzen und Augen waren wie friſche junge Seegel nach ihr gerichtet. Das Schiff näherte ſich ihnen hier ganz dicht. Wahrhaftig, ein ſchönes Mädchen! riefen einige, und der Student ſang weiter:

Viel rüſt'ge Burſche ritterlich,
Die fahren hier in Stromes Mitt ',
Wie wilde ſie auch ſtellen ſich,
Trau' mir, mein Kind, und fürcht 'dich nit!
Querüber über's Waſſer glatt
Laß werben deine Aeugelein,
Und der dir wohlgefallen hat,
Der ſoll dein lieber Buhle ſeyn.

Hier näherten ſich wieder die Schiffe einander. Die Schöne ſaß vorn, wagte es aber in dieſer Nähe nicht aufzublicken. Sie hatte das Geſicht auf13 die andere Seite gewendet, und zeichnete mit ihrem Finger auf dem Boden. Der Wind wehte die Töne zu ihr herüber, und ſie verſtand wohl alles, als der Student wieder weiter ſang:

Durch Nacht und Nebel ſchleich 'ich ſacht',
Kein Lichtlein brennt, kalt weht der Wind,
Riegl 'auf, riegl' auf bey ſtiller Nacht,
Weil wir ſo jung beyſammen ſind!
Ade nun, Kind, und nicht geweint!
Schon gehen Stimmen da und dort,
Hoch über'n Wald Aurora ſcheint,
Und die Studenten reiſen fort.

So war es endlich Abend geworden, und die Schiffer lenkten an's Ufer. Alles ſtieg aus, und begab ſich in ein Wirthshaus, das auf einer An¬ höhe an der Donau ſtand. Dieſen Ort hatten die Studenten zum Ziele ihrer Begleitung beſtimmt. Hier wollten ſie morgen früh den Grafen verlaſſen und wieder zurückreiſen. Sie nahmen ſogleich Be¬ ſchlag von einem geräumigen Zimmer, deſſen Fen¬ ſter auf die Donau hinausgiengen. Friedrich folgte ihnen erſt etwas ſpäter von den Schiffen nach. Als er die Stiege hinauf gieng, öffnete ſih ſeitwärts eine Thüre, und die unbekannte Schöne, die auch hier eingekehrt war, trat eben aus dem erleuchteten Zimmer. Beyde ſchienen über einander erſchrocken. Friedrich grüßte ſie, ſie ſchlug die Augen nieder und kehrte ſchnell wieder in das Zim¬ mer zurück.

14

Unterdeß hatten ſich die luſtigen Geſellen in ihrer Stube ſchon ausgebreitet. Da lagen Jacken, Hüte, Federbüſche, Tabackspfeifen und blanke Schwerdter in der bunteſten Verwirrung umher, und die Aufwärterinn trat mit heimlicher Furcht unter die wilden Gäſte, die halbentkleidet auf Bet¬ ten, Tiſchen und Stühlen, wie Soldaten nach ei¬ ner blutigen Schlacht, gelagert waren. Es wurde bald Wein angeſchaft, man ſezte ſich in die Run¬ de, ſang und trank des Grafen Geſundheit. Friedrich'n war heute dabey ſonderbar zu Mu¬ the. Er war ſeit mehreren Jahren dieſe Lebens¬ weiſe gewohnt, und das Herz war ihm jedesmal aufgegangen, wie dieſe freye Jugend ihm ſo keck und muthig in's Geſicht ſah. Nun, da er von dem allem auf immer Abſchied nehmen ſollte, war ihm wie einem, der von einem luſtigen Maskenballe auf die Gaſſe hinaustritt, wo ſich alles nüchtern fortbewegt wie vorher. Er ſchlich ſich unbemerkt aus dem Zimmer und trat hinaus auf den Balkon, der von dem Mittelgange des Hauſes über die Do¬ nau hinausgieng. Der Geſang der Studenten, zu¬ weilen von dem Geklirre der Hieber unterbrochen, ſchallte aus den Fenſtern, die einen langen Schein in das Thal hinaus warfen. Die Nacht war ſehr finſter. Als er ſich über das Geländer hinauslehn¬ te, glaubte er neben ſich athmen zu hören. Er langte nach der Seite hin und ergriff eine kleine, zarte Hand. Er zog den weichen Arm näher an ſich, da funkelten ihn zwey Augen durch die Nacht an. Er erkannte an der hohen Geſtalt ſogleich das15 ſchöne Mädchen von dem andern Schiffe. Er ſtand ſo dicht vor ihr, daß ihn ihr Athem berührte. Sie litt es gern, daß er ſie noch näher an ſich zog, und ihre Lippen kamen zuſammen. Wie hei¬ ßen Sie? fragte Friedrich endlich. Roſa, ſagte ſie leiſe und bedeckte ihr Geſicht mit beyden Hän¬ den. In dieſem Augenblicke gieng die Stubenthür auf, ein verworrener Schwall von Licht, Tabacks¬ dampf und verſchiedenen toſenden Stimmen quoll heraus, und das Mädchen war verſchwunden, ohne daß Friedrich ſie halten konnte.

Erſt lange Zeit nachher gieng auch er wieder in ſein Zimmer zurück. Aber da war indeß alles ſtill geworden. Das Licht war bis an den Leuchter ausgebrannt, und warf, manchmal noch aufflackernd, einen flüchtigen Schein über das Zimmer und die Studenten, die zwiſchen Trümmern von Tabacks¬ pfeiffen, wie Todte, umherlagen und ſchliefen. Friedrich machte daher die Thüre leiſe zu, und begab ſich wieder auf den Balkon hinaus, wo er die Nacht zuzubringen beſchloß. Entzückt in allen ſeinen Sinnen, ſchaute er da in die ſtille Gegend hinaus. Fliegt nur, ihr Wolken, rief er aus, rauſcht nur und rührt euch recht, ihr Wälder! Und wenn alles auf Erden ſchläft, ich bin ſo wach, daß ich tanzen möchte! Er warf ſich auf die ſteinerne Bank hin, wo das Mädchen geſeſſen hatte, lehnte die Stirn an's Geländer und ſang ſtill in ſich ver¬ ſchiedene alte Lieder, und jedes gefiel ihm heut beſſer und rührte ihn neu. Das Rauſchen des16 Stromes und die ziehenden Wolken ſchifften in ſeine fröhlichen Gedanken hinein; im Hauſe waren längſt alle Lichter verlöſcht. Die Wellen plätſcherten im¬ merfort ſo einförmig unten an den Steinen, und ſo ſchlummerte er endlich träumend ein.

Zweites Kapitel.

Als die erſten Strahlen der Sonne in die Fenſter ſchienen, erhob ſich ein Student nach dem andern von ſeinem harten Lager, riß das Fenſter auf und dehnte ſich in den friſchen Morgen hinaus. Auch Friedrich befand ſich wieder unter ihnen; denn eine Nachtigall, welche die ganze Nacht uner¬ müdlich vor dem Hauſe ſang, hatte ihn drauſſen geweckt, und die kühle, der Morgenröthe voraus¬ fliegende, Luft in die wärmere Stube getrieben. Singen, Lachen und muntere Reden erfüllten nun bald wieder das Zimmer. Friedrich überdachte ſeine Begebenheit in der Nacht. Es war ihm, als erwachte er aus einem Rauſche, als wäre die ſchö¬ ne Roſa, ihr Kuß und alles nur ein Traum ge¬ weſen.

Der Wirth trat mit der Rechnung herein. Wer iſt das Frauenzimmer, fragte Friedrich, die geſtern Abends mit uns angekommen iſt? Ichkenne17kenne ſie nicht, antwortete der Wirth, aber eine vornehme Dame muß ſie ſeyn, denn ein Wagen mit vier Pferden und Bedienten hat ſie noch lange vor Tagesanbruch von hier abgeholt. Friedrich blickte bey dieſen Worten durch s offene Fenſter auf den Strom und die Berge drüben, welche heute Nacht ſtille Zeugen ſeiner Glückſeligkeit geweſen waren. Jezt ſah da draußen alles anders aus, und eine unbeſchreibliche Bangigkeit flog durch ſein Herz.

Die Pferde, welche die Studenten hierher be¬ ſtellt hatten, um darauf wieder zurückzureiten, harr¬ ten ihrer ſchon ſeit geſtern unten. Auch Frie¬ drich hatte ſich ein ſchönes, munteres Pferd ge¬ kauft, auf dem er nun ganz allein ſeine Reiſe fort¬ ſetzen wollte. Die Reiſebundel daher nun ſchnell zuſammengeſchnürt, die langen Sporen umgeſchnallt und alles ſchwang ſich auf die rüſtigen Klepper. Die Studenten beſchloßen, den Grafen noch eine kleine Stre[c][k]e landeinwärts zu geleiten, und ſo ritt denn der ganze bunte Trupp in den heitern Morgen hinein. An einem Kreuzwege hielten ſie endlich ſtill und nahmen Abſchied. Lebe wohl, ſag¬ te einer von den Studenten zu Friedrich'n, du kommſt nun in fremde Länder, unter fremde Men¬ ſchen, und wir ſehen einander vielleicht nie mehr wieder. Vergiß uns nicht! Und wenn du einmal auf deinen Schlöſſern hauſeſt, werde nicht wie alle andere, werde niemals ein trauriger, vornehmer, ſchmunzelnder, bequemer Philiſter! Denn, bey218meiner Seele, du warſt doch der beſte und bravſte Kerl unter uns allen. Reiſe mit Gott! Hier ſchüttelte jeder dem Grafen vom Pferde noch ein¬ mal die Hand und ſie und Friedrich ſprengten dann in entgegengeſezten Richtungen von einander. Als er ſo eine Weile fortgeritten war, ſah er ſie noch einmal, wie ſie eben, ſchon fern, mit ihren bunten Federbüſchen über einen Bergrücken fortzo¬ gen. Sie ſangen ein bekanntes Studentenlied, deſſen Schlußchor:

In's Horn, in's Horn, in's Jägerhorn!

der Wind zu ihm herüber brachte. Ade, ihr rüſti¬ gen Geſellen, rief er gerührt; Ade, du ſchöne, freye Zeit! Der herrliche Morgen ſtand flammend vor ihm. Er gab ſeinem Pferde die Sporen, um den Tönen zu entkommen, und ritt, daß der friſche Wind an ſeinem Hute pfiff.

Wer Studenten auf ihren Wanderungen ſah, wie ſie frühmorgens aus dem dunkeln Thore aus¬ ziehen und den Hut ſchwenken in der friſchen Luft, wie ſie wohlgemuth und ohne Sorgen über die grüne Erde reiſen, und die unbegränzten Augen an blauem Himmel, Wald und Fels ſich noch er¬ quicken, der mag gern unſern Grafen auf ſeinem Zuge durch das Gebirge begleiten. Er ritt jezt langſam weiter. Bauern ackerten, Hirten trieben ihre Heerden vorüber. Die Frühlingsſonne ſchien warm über die dampfende Erde, Bäume, Gras und Blumen äugelten dazwiſchen mit blitzenden Tropfen, unzählige Lerchen[ſchwirrten] durch die laue Luft. 19Ihm war recht innerlichſt fröhlich zu Muthe. Tau¬ ſend Erinnerungen, Entwürfe und Hoffnungen zo¬ gen wie ein Schattenſpiel durch ſeine bewegte Bruſt. Das Bild der ſchönen Roſa ſtand wieder ganz lebendig in ihm auf, mit aller Farbenpracht des Morgens gemahlt und geſchmückt. Der Son¬ nenſchein, der laue Wind und Lerchenſang verwirr¬ te ſich in das Bild, und ſo entſtand in ſeinem glücklichen Herzen folgendes Liedchen, das er im¬ merfort laut vor ſich herſang:

Grüß 'euch aus Herzensgrund:
Zwey Augen hell und rein,
Zwey Röslein auf dem Mund,
Kleid blank aus Sonnenſchein!
Nachtigall klagt und weint,
Wollüſtig rauſcht der Hain,
Alles die Liebſte meynt:
Wo weilt ſie ſo allein?
Weil's draußen finſter war,
Sah ich viel hellern Schein,
Jezt iſt es licht und klar,
Ich muß im Dunkeln ſeyn.
Sonne nicht ſteigen mag,
Sieht ſo verſchlafen drein,
Wünſchet den ganzen Tag,
Daß wieder Nacht möcht 'ſeyn.
Liebe geht durch die Luft,
Holt fern die Liebſte ein;
Fort über Berg und Kluft!
Und Sie wird doch noch mein!
2 *20

Das Liedchen gefiel ihm ſo wohl, daß er ſeine Schreibtafel herauszog um es aufzuſchreiben. Da er aber die flüchtigen Worte anfieng bedächtig auf¬ zuzeichnen und nicht mehr ſang, mußte er über ſich ſelber lachen und löſchte alles wieder aus.

Der Mittag war unterdeß durch die kühlen Waldſchluften faſt unvermerkt vorübergezogen. Da erblickte Friedrich mit Vergnügen einen hohen, bepflanzten Berg, der ihm als ein berühmter Be¬ luſtigungsort dieſer Gegend anempfohlen worden war. Farbige Luſthäuſer blickten von dem ſchattigen Gipfel ins Thal herab. Rings um den Berg her¬ um wand ſich ein Pfad hinauf, auf dem man vie¬ le Frauenzimmer mit ihren bunten Tüchern in der Grüne wallfahrten ſah. Der Anblick war ſehr freundlich und einladend. Friedrich lenkte daher ſein Pferd um, und ritt mit dem fröhlichen Zuge hinan, ſich erfreuend, wie bey jedem Schritte der Kreis der Ausſicht ringsum ſich erweiterte. Noch angenehmer wurde er überraſcht, als er endlich den Gipfel erreichte. Da war ein weiter, ſchöner und kühler Raſenplatz. An kleinen Tiſchchen faſſen im Freyen verſchiedene Geſellſchaften umher und ſpei߬ ten in luſtigem Geſpräch. Kinder ſpielten auf dem Raſen, ein alter Mann ſpielte die Harfe und ſang. Friedrich ließ ſich ſein Mittagmahl ganz allein in einem Sommerhäuschen bereiten, das am Abhange des Berges ſtand. Er machte alle Fenſter weit auf. ſo daß die Luft überall durchſtrich, und er von al¬ len Seiten die Landſchaft und den blauen Himmel ſah. Kühler Wein und hellgeſchliffene Gläſer blink¬21 ten von dem Tiſche. Er trank ſeinen fernen Freun¬ den und ſeiner Roſa in Gedanken zu. Dann ſtell¬ te er ſich an's Fenſter. Man ſah von dort weit in das Gebirge. Ein Strom gieng in der Tiefe, an welchem eine hellglänzende Landſtraße hinablief. Die heißen Sonnenſtrahlen ſchillerten über dem Thale, die ganze Gegend lag unten in ſchwüler Ruhe. Drauſſen vor der offenen Thüre ſpielte und ſang der Harfeniſt immerfort. Friedrich ſah den Wolken nach, die nach jenen Gegenden hinausſegel¬ ten, die er ſelber auch bald begrüßen ſollte. O Le¬ ben und Reiſen, wie biſt du ſchön! rief er freu¬ dig, zog dann ſeinen Diamant vom Finger und zeichnete den Nahmen Roſa in die Fenſterſcheibe. Bald darauf wurde er unten mehrere Reuter ge¬ wahr, die auf der Landſtraße ſchnell dem Gebirge zu vorüberflogen. Er verwandte keinen Blick da¬ von. Ein Mädchen hoch und ſchlank, ritt den an¬ dern voraus und ſah flüchtig mit den friſchen Au¬ gen den Berg hinan, gerade auf den Fleck, wo Friedrich ſtand. Der Berg war hoch, die Ent¬ fernung und Schnelligkeit groß; doch glaubte ſie Friedrich mit Einem Blicke zu erkennen, es war Roſa. Wie ein plötzlicher Morgenblick blizte ihm dieſer Gedanke fröhlich über die ganze Erde. Er bezahlte eiligſt ſeine Zeche, ſchwang ſich auf ſein Pferd, und ſtolperte ſo ſchnell als möglich den ſich ewig windenden Bergpfad hinab; ſeine Blicke und Gedanken flogen wie Adler von der Höhe voraus. Als er ſich endlich bis auf die Straße hinausgear¬ beitet hatte und freyer Athem ſchöpfte, war die22 Reuterinn ſchon nicht mehr zu ſehen. Er ſezte die Sporen tapfer ein und ſprengte weiter fort. Ein Weg gieng links von der Straße ab in den Wald hinein. Er erkannte an der friſchen Spur der Roßeshufe, daß ihn die Reuter eingeſchlagen hat¬ ten. Er folgte ihm daher auch. Als er aber eine große Strecke ſo fortgeritten war, theilten ſich auf einmal wieder drey Wege nach verſchiedenen Rich¬ tungen und keine Spur war weiter auf dem härte¬ ren Boden zu bemerken. Fluchend und lachend zu¬ gleich vor Ungeduld, blieb er nun hier eine Weile ſtillſtehen, wählte dann gelaſſener den Pfad, der ihm der anmuthigſte dünkte, und zog langſam weiter.

Der Wald wurde indeß immer dunkler und dichter, der Pfad enger und wilder. Er kam end¬ lich an einen dunkelgrünen, kühlen Platz, der rings von Felſen und hohen Bäumen umgeben war. Der einſame Ort gefiel ihm ſo wohl, daß er vom Pfer¬ de ſtieg, um hier etwas auszuruhen. Er ſtreichelte ihm den gebogenen Hals, zäumte es ab und ließ es frey weiden. Er ſelbſt legte ſich auf den Rü¬ cken und ſah dem Wolkenzuge zu. Die Sonne neig¬ te ſich ſchon und funkelte ſchräge durch die dunkeln Wipfeln, die ſich leiſerauſchend hin und her beweg¬ ten. Unzählige Waldvögel zwitſcherten in luſtiger Verwirrung durcheinander. Er war ſo müde, er konnte ſich nicht halten, die Augen ſanken ihm zu. Mitten im Schlummer kam es ihm manchmal vor, als höre er Hörner aus der Ferne. Er hörte den Klang oft ganz deutlich und näher, aber er konnte23 ſich nicht beſinnen und ſchlummerte immer wieder von neuem ein.

Als er endlich erwachte, erſchrack er nicht we¬ nig, da es ſchon finſtere Nacht und alles um ihn her ſtill und öde war. Er ſprang erſtaunt auf. Da hörte er über ſich auf dem Felſen zwey Männer¬ ſtimmen, die ganz in der Nähe ſchienen. Er rief ſie an, aber niemand gab Antwort und alles war auf einmal wieder ſtill. Nun nahm er ſein Pferd beym Zügel und ſetzte ſo ſeine Reiſe auf gut Glück weiter fort. Mit Mühe arbeitete er ſich durch die Rabennacht des Waldes hindurch und kam endlich auf einen weiten und freyen Bergrücken, der nur mit kleinem Geſträuch bewachſen war. Der Mond ſchien ſehr hell, und der plötzliche Anblick des freyen, gränzenloſen Himmels erfreute und ſtärkte recht ſein Herz. Die Ebne mußte ſehr hoch liegen, denn er ſah ringsumher eine dunkle Runde von Bergen unter ſich ruhen. Von der einen Seite kam der einförmige Schlag von Eiſenhämmern aus der Ferne herüber. Er nahm daher ſeine Richtung dorthin. Sein und ſeines Pferdes Schatten, wie er ſo fortſchritt, ſtrichen wie dunkle Rieſen über die Haide vor ihm her und das Pferd fuhr oft ſchnau¬ bend und ſträubig zuſammen. So, ſagte Frie¬ drich, deſſen Herz recht weit und vergnügt war, ſo muß vor vielen hundert Jahren den Rittern zu Muthe geweſen ſeyn, wenn ſie bey ſtiller, nächtli¬ cher Weile über dieſe Berge zogen und auf Ruhm und große Thaten ſannen. So voll adelicher Ge¬ danken und Geſinnungen mag mancher auf dieſe24 Wälder und Berge hinuntergeſehen haben, die noch immer daſtehen, wie damals. Was müh'n wir uns doch ab in unſeren beſten Jahren, lernen, polieren und feilen, um uns zu rechten Leuten zu machen, als furchteten oder ſchämten wir uns vor uns ſelbſt, und wollten uns daher hinter Geſchick¬ lichkeiten verbergen und zerſtreuen, anſtatt daß es darauf ankäme, ſich innerlichſt nur recht zuſammen¬ zunehmen zu hohen Entſchließungen und einem tu¬ gendhaften Wandel. Denn wahrhaftig, ein ruhi¬ ges, tapferes, tüchtiges und ritterliches Leben iſt jezt jedem Manne, wie damals, vonnöthen. Jedes Weltkind ſollte wenigſtens jeden Monat Eine Nacht im Freyen einſam durchwachen, um einmal ſeine eitlen Mühen und Künſte abzuſtreifen und ſich im Glauben zu ſtärken und zu erbauen. Wie bin ich ſo fröhlich und erquickt! Gebe mir Gott nur die Gnade, daß dieſer Arm einmal was Rech¬ tes in der Welt vollbringe!

Unter ſolchen Gedanken ſchritt er immer fort. Der Fußſteg hatte ſich indeß immer mehr und mehr geſenkt, und er erblickte endlich ein Licht, das aus dem Thale heraufſchimmerte. Er eilte darauf los und kam an eine elende, einſame Waldſchenke. Er ſah durch das kleine Fenſter in die Stube hinein. Da ſaß ein Haufen zerlumpter Kerls mit bärtigen Spitzbubengeſichtern um einen Tiſch und trank. In allen Winkeln ſtanden Gewehre angelehnt. An dem hellen Kaminfeuer, das einen gräßlichen Schein über den Menſchenklumpen warf, ſaß ein altes25 Weib gebückt, und zerrte, wie es ſchien, blutige Därme an den Flammen auseinander. Ein Grau¬ ſen überfiel den Grafen bey dem ſcheußlichen An¬ blick, er ſezte ſich raſch auf ſein Pferd und ſpreng¬ te querfeldein.

Das Rauſchen und Klappen einer Waſſermühle beſtimmte ſeine Richtung. Ein ungeheurer Hund empfieng ihn dort an dem Hofe der Mühle. Friedrich und ſein Pferd waren zu ermattet, um noch weiter zu reiſen. Er pochte daher an die Hausthüre. Eine rauhe Stimme antwortete von innen, bald darauf gieng die Thüre auf, und ein langer, hagerer Mann trat heraus. Er ſah Frie¬ drich'n, der ihn um Herberge bath, von oben bis unten an, nahm dann ſein Pferd und führte es ſtillſchweigend nach dem Stalle. Friedrich gieng nun in die Stube hinein. Ein Frauenzimmer ſtand drinnen und pickte Feuer. Er bemerkte bey den Blitzen der Funken ein junges und ſchönes Mäd¬ chengeſicht. Als ſie das Licht angezündet hatte, be¬ trachtete ſie den Grafen mit einem freudigen Er¬ ſtaunen, das ihr faſt den Athem zu verhalten ſchien. Darauf ergriff ſie das Licht und führte ihn, ohne ein Wort zu ſagen, die Stiege hinauf in ein geräumiges Zimmer mit mehreren Betten. Sie war barfuß und Friedrich bemerkte, als ſie ſo vor ihm hergieng, daß ſie nur im Hemde war und den Buſen faſt ganz bloß hatte. Er ärgerte ſich über die Frechheit bey ſolcher zarten Jugend. Als ſie oben in der Stube waren, blieb das Mädchen26 flehen und ſah den Grafen furchtſam an. Er hielt ſie für ein verliebtes Ding. Geh, ſagte er gut¬ müthig, geh ſchlafen, liebes Kind. Sie ſah ſich nach der Thüre um, dann wieder nach Frie¬ drich'n. Ach, Gott! ſagte ſie endlich, legte die Hand aufs Herz und gieng zaudernd fort. Frie¬ drich'n kam ihr Benehmen ſehr ſonderbar vor, denn es war ihm nicht entgangen, daß ſie beym Hinaus¬ gehen an allen Gliedern zitterte.

Mitternacht war ſchon vorbey. Friedrich war überwacht und von den verſchiedenen Begeg¬ niſſen viel zu ſehr aufgeregt, um ſchlafen zu kön¬ nen. Er ſetzte ſich an's offene Fenſter. Das Waſ¬ ſer rauſchte unten über ein Wehr. Der Mond blickte ſeltſam und unheimlich aus dunkeln Wolken, die ſchnell über den Himmel flogen. Er ſang:

Er reitet Nachts auf einem braunen Roß,
Er reitet vorüber an manchem Schloß:
Schlaf 'droben, mein Kind, bis der Tag erſcheint,
Die finſtre Nacht iſt des Menſchen Feind!
Er reitet vorüber an einem Teich,
Da ſtehet ein ſchönes Mädchen bleich
Und ſingt, ihr Hemdlein flattert im Wind,
Vorüber, vorüber, mir graut vor dem Kind!
Er reitet vorüber an einem Fluß,
Da ruft ihm der Waſſermann ſeinen Gruß,
Taucht wieder unter dann mit Geſaus,
Und ſtille wird's über dem kühlen Haus.
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Wann Tag und Nacht in verworrenem Streit,
Schon Hähne krähen in Dörfern weit,
Da ſchauert ſein Roß und wühlet hinab,
Scharret ihm ſchnaubend ſein eigenes Grab.

Er mochte ohngefähr eine Stunde ſo geſeſſen haben, als der große Hund unten im Hofe ein Paarmal anſchlug. Bald darauf kam es ihm vor, als hörte er drauſſen mehrere Stimmen. Er horch¬ te hinaus, aber alles war wieder ſtill. Eine Un¬ ruhe bemächtigte ſich ſeiner, er ſtand vom Fenſter auf, unterſuchte ſeine geladenen Taſchenpiſtolen und legte ſeinen Reiſeſäbel auf den Tiſch. In dieſem Augenblicke gieng auch die Thüre auf, und mehrere wilde Männer traten herein. Sie blieben erſchro¬ cken ſtehen, da ſie den Grafen wach fanden. Er erkannte ſogleich die fürchterlichen Geſichter aus der Waldſchenke und ſeinen Hauswirth, den langen Müller, mitten unter ihnen. Dieſer faßte ſich zu¬ erſt und drückte unverſehens eine Piſtol nach ihm ab. Die Kugel prellte neben ſeinem Kopfe an die Mauer. Falſch gezielt, heimtükiſcher Hund! ſchrie der Graf auſſer ſich vor Zorn und ſchoß den Kerl durch's Hirn. Darauf ergriff er ſeinen Säbel, ſtürzte ſich in den Haufen hinein und warf die Räuber, rechts und links mit in die Augen gedrück¬ tem Hute um ſich herumhauend, die Stiege hinun¬ ter. Mitten in dem Gemetzel glaubte er das ſchö¬ ne Müllermädchen wieder zu ſehen. Sie hatte ſel¬ ber ein Schwerdt in der Hand, mit dem ſie ſich hochherzig, den Grafen vertheidigend, zwiſchen die Verräther warf. Unten an der Stiege endlich, da28 alles, was noch laufen konnte, Reißaus genommen hatte, ſank er, von vielen Wunden und Blutverlu¬ ſte ermattet, ohne Bewußtſeyn nieder.

Drittes Kapitel.

Als Friedrich wieder das erſtemal die Augen aufſchlug und mit geſunden Sinnen in der Welt umherſchauen konnte, erblickte er ſich in einem un¬ bekannten, ſchönen und reichen Zimmer. Die Mor¬ genſonne ſchien auf die ſeidenen Vorhänge ſeines Bettes; ſein Kopf war verbunden. Zu den Füßen des Bettes kniete ein ſchöner Knabe, der den Kopf auf beyde Arme an das Bett gelehnt hatte und ſchlief.

Friedrich wußte ſich in dieſe Verwandlungen nicht zu finden. Er ſann nach, was mit ihm vor¬ gegangen war. Aber nur die fürchterliche Nacht in der Waldmühle mit ihren Mordgeſichtern ſtand leb¬ haft vor ihm, alles übrige ſchien wie ein ſchwerer Traum. Verſchiedene fremde Geſtalten aus dieſer lezten Zeit waren ihm wohl dunkel erinnerlich, aber er konnte keine unterſcheiden. Nur eine einzige un¬ gewiſſe Vorſtellung blieb ihm lieblich getreu. Es war ihm nemlich immer vorgekommen, als hätte ſich ein wunderſchönes Engelsbild über ihn geneigt, ſo daß ihn die langen, reichen Locken rings umga¬29 gaben, und die Worte, die es ſprach, flogen wie Muſik über ihn weg.

Da er ſich nun recht leicht und neugeſtärkt ſpürte, ſtieg er aus dem Bette und trat ans Fen¬ ſter. Er ſah da, daß er ſich in einem großen Schloſſe befand. Unten lag ein ſchöner Garten; alles war noch ſtill, nur Vögel flatterten auf den einſamen, kühlen Gängen, der Morgen war über¬ aus heiter.

Der Knabe an dem Bette war indeß auch auf¬ gewacht. Gott ſey Dank! rief er aus Herzens¬ grunde, als er die Augen aufſchlug und den Gra¬ fen aufgeſtanden und munter erblickte. Friedrich glaubte, ſein Geſicht zu kennen, doch konnte er ſich durchaus nicht beſinnen, wo er es geſehen hatte. Wo bin ich? fragte er endlich erſtaunt. Gott ſey Dank! wiederholte der Knabe nur, und ſah ihn mit ſeinen großen, fröhlichen Augen noch immer un¬ verwandt an, als könnte er ſich gar nicht in die Freude finden, ihn wirklich wieder hergeſtellt zu ſehen. Friedrich drang nun in ihn, ihm den Zuſammen¬ hang dieſer ganzen ſeltſamen Begebenheit zu ent¬ wirren. Der Knabe beſann ſich einen Augenblick und erzählte dann: Geſtern früh, da ich eben in den Wald gieng, ſah ich Dich blutig und ohne Le¬ ben am Wege liegen. Das Blut floß über den Kopf, ich verband die Wunde mit meinem Tuche ſo gut ich konnte. Aber das Blut drang durch und floß immerfort, und ich verſuchte alles vergebens, um es zu ſtillen. Ich lief und rief nun in meiner30 Angſt rings im Walde umher und betete und wein¬ te dann wieder dazwiſchen, da ich mir gar nicht mehr zu helfen wußte. Da kam auf einmal ein Wagen die Straße gefahren. Eine Dame erblickte uns aus demſelben und ließ ſogleich ſtillhalten. Die Bedienten verbanden die Wunde ſehr geſchickt. Die Dame ſchien ſehr verwundert und erſchrocken über den Umſtand. Darauf nahm ſie uns beyde mit in den Wagen und führte uns hierher auf ihr Schloß. Die Gräfinn hat beynahe die ganze Nacht hindurch hier am Bette gewacht. Friedrich dachte an das Engelsbild, das ſich wie im Traume über ſein Geſicht geneigt hatte, und war noch ver¬ wirrter, als vorher. Aber wer biſt denn Du? fragte er darauf den Knaben wieder. Ich habe keine Aeltern mehr, anwortete dieſer, und ſchlug verwirrt die Augen nieder, ich gieng eben über Land, um Dienſte zu ſuchen. Friedrich faßte den Furchtſamen bey beyden Händen: willſt du bey mir bleiben? Ewig, mein Herr! ſagte der Knabe mit auffallender Heftigkeit.

Friedrich kleidete ſich nun völlig an und ver¬ ließ ſeine Stube, um ſich hier umzuſehen und über ſein Verhältniß in dieſem Schloſſe auf irgend eine Art Gewißheit zu erlangen. Er erſtaunte über das Altfränkiſche der Bauart und der Einrichtung. Die Gänge waren gewölbt, die Fenſter in der dicken, dunkeln Mauer alle oben in einen Bogen zugeſpizt und mit kleinen, runden Scheiben verſehen. Wun¬ derſchöne Bilder von Glas füllten oben die Fenſter¬31 bogen, die von der Morgenſonne in den bunteſten Farben brannten. Alles im ganzen Hauſe war ſtill. Er ſah zum Fenſter hinaus. Das alte Schloß ſtand von dieſer Seite an dem Abhange eines hohen Berges, der, ſo wie das Thal, unten mit Schwarz¬ wald bedeckt war, aus welchem die Klänge einſa¬ mer Holzhauer heraufſchallten. Gleich am Fenſter über der ſchwindlichten Tiefe war ein Ritter, der ſein Schwerdt in den gefalteten Händen hielt, in Rieſengröße, wie der ſteinerne Roland, in die Mauer gehauen. Friedrich glaubte jeden Augen¬ blick, das Burgfräulein, den hohen Spitzenkragen um daß ſchöne Geſicht, werde in einem der Gänge heraufkommen. In der ſonderbarſten Laune gieng er nun die Stiege hinab und über eine Zugbrücke in den Garten hinaus.

Hier ſtanden auf einem weiten Platze die ſon¬ derbarſten, fremden Blumenarten in phantaſtiſchem Schmucke. Künſtliche Brunnen ſprangen, im Mor¬ genſcheine funkelnd, kühle hin und wieder. Da¬ zwiſchen ſah man Pfauen in der Grüne weiden und ſtolz ihre tauſendfarbigen Räder ſchlagen. Im Hintergrunde ſaß ein Storch auf einem Beine und ſah melankoliſch in die weite Gegend hinaus. Als ſich Friedrich an dem Anblicke, den der friſche Morgen prächtig machte, ſo ergözte, erblickte er in einiger Entfernung vor ſich einen Mann, der hin¬ ter einem Spaliere an einem Tiſchchen ſaß, das voll Papiere lag. Er ſchrieb, blickte manchmal in die Gegend hinaus, und ſchrieb dann wieder emſig32 fort. Friedrich wollte ausweichen, um ihn nicht zu ſtören, aber es war nur der einzige Weg und der Unbekannte hatte ihn auch ſchon erblickt. Er gieng daher auf ihn zu und grüßte ihn. Der Schreiber mochte eine lange Unterhaltung befürch¬ ten. Ich kenne Sie wahrhaftig nicht, ſagte er halb ärgerlich, halb lachend, aber wenn Sie ſelbſt Alexander der Große wären, ſo müßt 'ich Sie für jezt nur bitten, mir aus der Sonne zu gehen. Friedrich verwunderte ſich höchlichſt über dieſen unhöflichen Diogenes und ließ den wunderlichen Ge¬ ſellen ſitzen, der ſogleich wieder anfieng zu ſchrei¬ ben.

Er kam nun an den Ausgang des Gartens, an den ein luſtiges Wäldchen von Laubholz ſtieß. An dem Saume des Waldes ſtand ein Jägerhaus, das ringsum mit Hirſchgeweihen ausgeziert war. Auf einer kleinen Wieſe, welche vor dem Hauſe mitten zwiſchen dem Walde lag, ſaß ein ſchönes, kaum fünfzehnjähriges Mädchen auf einen, wie es ſchien, ſo eben erlegtem Rehe, ſtreichelte das todte Thierchen und ſang:

Wär 'ich ein muntres Hirſchlein ſchlank,
Wollt' ich im grünen Walde geh'n,
Spazieren geh'n bey Hörnerklang,
Nach meinem Liebſten mich umſeh'n.

Ein junger Jäger, der ſeitwärts an einem Baume gelehnt ſtand und ihren Geſang mit dem Waldhorne begleitete, antwortete ihr ſogleich nach derſelben Melodie:

Nach33
Nach meiner Liebſten mich umſeh'n
Thu 'ich wohl, zieh' ich früh von hier,
Doch Sie mag niemals zu mir geh'n
Im dunkelgrünen Waldrevier.

Sie ſang weiter:

Im dunkelgrünen Waldrevier,
Da blizt der Liebſte roſenroth,
Gefällt ſo ſehr dem armen Thier,
Das Hirſchlein wünſcht, es läge todt.

Der Jäger antwortete wieder:

Und wär 'das ſchöne Hirſchlein todt,
So möcht' ich länger jagen nicht;
Scheint über'n Wald der Morgenroth:
Hüt ', ſchönes Hirſchlein, hüte dich!

Sie.

Hüt 'ſchönes Hirſchlein, hüte dich!
Spricht's Hirſchlein ſelbſt in ſeinem Sinn,
Wie ſoll ich, ſoll ich hüten mich,
Wenn ich ſo ſehr verliebet bin?

Er.

Weil ich ſo ſehr verliebet bin,
Wollt 'ich das Hirſchlein, ſchön und wild,
Aufſuchen tief im Walde d'rinn
Und ſtreicheln, bis es ſtille hielt.

Sie.

Ja, ſtreicheln bis es ſtille hielt,
Falſch locken ſo in Stall und Haus!
Zum Wald ſpringt's Hirſchlein frey und wild
Und lacht verliebte Narren aus.
334

Hiebey ſprang ſie von ihrem Rehe auf, denn Pferde, Hunde, Jäger und Waldhornsklänge ſtürzten auf einmal mit einem verworrenen Getöſe, aus dem Walde heraus und verbreiteten ſich bunt über die Wieſe. Ein ſehr ſchöner, junger Mann in Jägerkleidung, und das Halstuch in einer un¬ ordentlichen Schleife herabhängend, ſchwang ſich vom Pferde und eine Menge großer Hunde ſpran¬ gen von allen Seiten freundlich an ihm herauf. Friedrich erſtaunte beym erſten Blick über die große Aehnlichkeit, die derſelbe mit einem älteren Bruder hatte, den er ſeit ſeiner Kindheit nicht mehr geſehen, nur daß der Unbekannte hier friſcher und freudiger anzuſehen war. Dieſer kam ſogleich auf ihn zu. Es freut mich, ſagte er, Sie ſo munter wieder zu finden. Meine Schweſter hat Sie unterwegs in einem ſchlimmen Zuſtande getrof¬ fen und geſtern Abends zu mir auf mein Schloß gebracht. Sie iſt heute noch vor Tagesanbruch wie¬ der fort. Laſſen Sie es ſich bey uns gefallen, Sie werden luſtige Leute finden. Während ihm nun Friedrich eben noch für ſeine Güte dankte, brach¬ te auf einmal der Wind aus dem Garten oben mehrere Blätter Papier, die hoch über ihre Köpfe weg nach einem nahe gelegenen Waſſer zuflatterten. Hinterdrein hörte man von oben eine Stimme: halt, halt, halt auf! rufen, und der Menſch, den Friedrich im Garten ſchreibend angetroffen hatte, kam eilends nachgelaufen. Leontin, ſo hieß der junge Graf, dem dieſes Schloß gehörte, legte ſchnell ſeine Büchſe an und ſchoß das unbändige35 Papier aus der Luft herab. Das iſt doch dumm, ſagte der Nachſetzende, der unterdeß athemlos an¬ gelangt war, da er die Blätter, auf welche Verſe geſchrieben waren, von den Schroten ganz durch¬ löchert erblickte. Das ſchöne Mädchen, das vorher auf der Wieſe geſungen hatte, ſtand hinter ihm und kikkerte. Er drehte ſich geſchwind herum und woll¬ te ſie küſſen, aber ſie entſprang in das Jägerhaus und guckte lachend hinter der halbgeöffneten Thüre hervor. Das iſt der Dichter Faber, ſagte Leontin, dem Grafen den Nachſetzenden vorſtellend. Friedrich erſchrack recht über den Nahmen. Er hatte viel von Faber geleſen; manches hatte ihm gar nicht gefallen, vieles andere aber wieder ſo ergriffen, daß er oft nicht begreifen konnte, wie derſelbe Menſch ſo etwas Schönes erfinden könne. Und nun, da der wunderbare Menſch leibhaftig vor ihm ſtand, betrachtete er ihn mit allen Sinnen, als wollte er alle die Gedichte von ihm, die ihm am beſten gefallen, in ſeinem Geſichte ableſen. Aber da war keine Spur davon zu finden.

Friedrich hatte ſich ihn ganz anders vorge¬ ſtellt, und hätte viel darum gegeben, wenn es Leontin geweſen wäre, bey deſſen lebendigem, erquicklichen Weſen ihm das Herz aufgieng. Herr Faber erzählte nun lachend, wie ihn Friedrich in ſeiner Werkſtatt überraſcht habe. Da ſind Sie ſchön angekommen, ſagte Leontin zu Frie¬ drich'n, denn da ſizt Herr Faber wie die Löwinn3 *36über ihren Jungen, und ſchlägt grimmig um ſich. So ſollte jeder Dichter dichten, meynte Frie¬ drich, am frühen Morgen, unter freyem Himmel, in einer ſchönen Gegend. Da iſt die Seele rüſtig, und ſo wie dann die Bäume rauſchen, die Vögel ſingen und der Jäger vor Luſt in ſein Horn ſtößt, ſo muß der Dichter dichten. Sie ſind ein Natu¬ raliſt in der Poeſie, entgegnete Faber mit einer etwas zweydeutigen Miene. Ich wünſchte, fiel ihm Leontin ins Wort, Sie ritten lieber alle Morgen mit mir auf die Jagd, lieber Faber. Der Morgen glüht Sie wie eine reizende Geliebte an, und Sie klecken ihr mit Dinte in das ſchöne Geſicht. Faber lachte, zog eine kleine Flöte her¬ vor und fieng an darauf zu blaſen. Friedrich fand ihn in dieſem Augenblicke ſehr liebenswürdig.

Leontin trug dem Grafen an, mit ihm zu ſeiner Schweſter hinüberzureiten, wenn er ſich ſchon ſtark genug dazu fühlte. Friedrich willigte mit Freuden ein, und bald darauf ſaßen beyde zu Pfer¬ de. Die Gegend war ſehr heiter. Sie ritten eben über einen weiten grünen Anger. Friedrich fühl¬ te ſich bey dem ſchönen Morgen recht in allen Sin¬ nen geneſen, und freute ſich über den anmuthigen Leontin, wie das Pferd unter ihm mit geboge¬ nem Halſe über die Ebne hintanzte. Meine Schwe¬ ſter, ſagte Leontin unterweges, und ſah den Gra¬ fen mit verſtecktem Lachen immerfort an, meine Schweſter iſt viel älter als ich, und, ich muß es nur im Voraus ſagen, recht häßlich. So! ſagte37 Friedrich, langſam und gedehnt, denn er hatte heimlich andere Erwartungen und Hoffnungen ge¬ hegt. Er ſchwieg darauf ſtill; Leontin lachte und pfiff ein luſtiges Liedchen. Endlich ſah man ein ſchönes, neues Schloß ſich aus einem großen Park luftig erheben. Es war das Schloß von Leontins Schweſter.

Sie ſtiegen unten am Eingange des Parkes ab und giengen zu Fuß hinauf. Der Garten war ganz im neueſten Geſchmacke angelegt. Kleine, ſich ſchlängelnde Gänge, dichte Gebüſche von[ausländi¬ ſchen] Sträuchern, dazwiſchen leichte Brücken von weiſſem Birkenholze luftig geſchwungen, waren recht artig anzuſchauen. Zwiſchen mehreren ſchlan¬ ken Säulen traten ſie in das Schloß. Es war ein großes, gemahltes Zimmer mit hellglänzendem Fu߬ boden; ein kryſtallener Luſter hieng an der Decke und Ottomannen von reichen Stoffen ſtanden an den Wänden umher. Durch die hohe Glasthüre überſah man den Garten. Niemand, da es noch früh, war in der ganzen Reihe von prachtvollen Gemächern, die ſich an dieſes anſchloſſen, zu ſehen. Die Mor¬ genſonne, die durch die Glasthüre ſchien, erfüllte das ſchöne Zimmer mit einem geheimnißvollen Hell¬ dunkel und beleuchtete eben eine Guitarre, die in der Mitte auf einem Tiſchchen lag. Leontin nahm dieſelbe und begab ſich damit wieder hinaus. Friedrich blieb in der Thür ſtehen, während Leontin ſich draußen unter die Fenſter ſtellte, in die Saiten griff und ſang:

38
Frühmorgens durch die Winde kühl
Zwey Ritter hergeritten ſind,
Im Garten klingt ihr Saitenſpiel,
Wach 'auf, wach' auf, mein ſchönes Kind!
Ringsum viel 'Schlöſſer ſchimmernd ſteh'n,
So ſilbern geht der Ströme Lauf,
Hoch, weit rings Lerchenlieder weh'n,
Schließ' Fenſter, Herz und Aeuglein auf!

Friedrich war gar nicht begierig, die alte Schöne kennen zu lernen, und blieb ruhig in der Thüre ſtehen. Da hörte er oben ein Fenſter ſich öffnen. Guten Morgen, lieber Bruder! ſagte eine liebliche Stimme. Leontin ſang:

So wie du biſt, verſchlafen heiß,
Laß allen Putz und Zier zu Haus,
Tritt nur herfür im Hemdlein weiß,
Siehſt ſo gar ſchön verliebet aus.

Wenn du ſo garſtig ſingſt, ſagte oben die lieb¬ liche Stimme, ſo leg 'ich mich gleich wieder ſchlafen. Friedrich erblickte einen ſchneeweißen, vollen Arm im Fenſter und Leontin ſang wieder:

Ich hab 'einen Fremden wohl bey mir,
Der lauert unten auf der Wacht,
Der bittet ſchön dich um Quartier,
Verſchlafnes Kind, nimm dich in Acht!

Friedrich trat nun aus ſeinem Hinterhalte hervor und ſah mit Erſtaunen ſeine Roſa im Fenſter. Sie war in einem leichten Nachtkleide und dehnte ſich eben mit aufgehobenen Armen in den friſchen Morgen hinaus. Als ſie ſo unverhofft39 Friedrich'n erblickte, ließ ſie mit einem Schrey die Arme ſinken, ſchlug das Fenſter zu und war verſchwunden.

Leontin gieng nun fort, um ein neues Pferd der Schweſter im Hofe herumzutummeln und Friedrich blieb allein im Garten zurück.

Bald darauf kam die Gräfin Roſa in einem weißen Morgenkleide herab. Sie hieß den Grafen mit einer Schaam willkommen, die ihr unwiderſteh¬ lich ſchön ſtand. Lange, dunkle Locken fielen zu beyden Seiten bis auf die Schultern und den blen¬ dendweißen Buſen hinab. Die ſchönſte Reihe von Zähnen ſah man manchmal zwiſchen den vollen ro¬ then Lippen hervorſchimmern. Sie athmete noch warm von der Nacht; es war die prächtigſte Schönheit, die Friedrich jemals geſehen hatte. Sie giengen nebeneinander in den Garten hinein. Der Morgen blizte herrlich über die ganze Gegend, aus allen Zweigen jubelten unzählige Vögel. Sie ſezten ſich in einer dichten Laube auf eine Raſen¬ bank. Friedrich dankte ihr für ihr hülfreiches Mitleid und ſprach dann von ſeiner ſchönen Donau - Reiſe. Die Gräfin ſaß, während er davon erzähl¬ te, beſchämt und ſtill, hatte die langen Augen¬ wimper niedergeſchlagen, und wagte kaum zu ath¬ men. Als er endlich auch ſeiner Wunde erwähnte, ſchlug ſie auf einmal die großen ſchönen Augen auf, um die Wunde zu betrachten. Ihre Augen, Locken und Buſen kamen ihm dabey ſo nahe, daß ſich ihre Lippen faſt berührten. Er küßte ſie auf den rothen40 Mund und ſie gab ihm den Kuß wieder. Da nahm er ſie in beyde Arme und küßte ſie unzähligemal und alle Freuden der Welt verwirrten ſich in dieſen einen Augenblick, der niemals zum zweytenmale wiederkehrt. Roſa machte ſich endlich los, ſprang auf und lief nach dem Schloſſe zu. Leontin kam ihr eben von der anderen Seite entgegen, ſie rann¬ te in der Verwirrung gerade in ſeine ausgebreiteten Arme hinein. Er gab ihr ſchnell einen Kuß und kam zu Friedrich'n, um mit ihm wieder nach Hauſe zu reiten.

Als Friedrich wieder drauſſen im Freyen zu Pferde ſaß, beſann er ſich erſt recht auf ſein gan¬ zes Glück. Mit unbeſchreiblichem Entzücken betrach¬ tete er Himmel und Erde, die im reichſten Mor¬ genſchmucke vor ihm lagen. Sie iſt mein! rief er immerfort ſtill in ſich, ſie iſt mein! Leontin wie¬ derholte lachend die Beſchreibung von der Häßlich¬ keit ſeiner Schweſter, die er vorhin beym Herritt dem Grafen gemacht hatte, jagte dann weit vor¬ aus, ſezte mit bewunderungswürdiger Leichtigkeit und Kühnheit über Zäune und Gräben und trieb allerley Schwänke.

Als ſie bey Leontins Schloſſe ankamen, hör¬ ten ſie ſchon von ferne ein unbegreifliches, verwor¬ renes Getös. Ein Waldhorn raßte in den unbän¬ digſten, falſcheſten Tönen, dazwiſchen hörte man ei¬ ne Stimme, die unaufhörlich fortſchimpfte. Da hat gewiß wieder Faber was angeſtellt, ſagte Leon¬ tin. Und es fand ſich wirklich ſo. Herr Faber47 hatte ſich nemlich in ihrer Abweſenheit niedergeſezt, um ein Waldhornecho zu dichten. Zum Unglück fiel es zu gleicher Zeit einem von Leontins Jägern ein, nicht weit davon wirklich auf dem Waldhorn zu blaſen. Faber ſtörte die nahe Muſik, er rief daher ungeduldig dem Jäger zu, ſtille zu ſeyn. Dieſer aber, der ſich, wie faſt alle Leute Leon¬ tins, über Herrn Faber von jeher ärgerte, weil er immer mit der Feder hinter'm Ohr ſo erbärmlich ausſah, gehorchte nicht. Da ſprang Faber auf und überhäufte ihn mit Schimpfreden. Der Jäger, um ihn zu übertäuben, ſchüttelte nun ſtatt allen Antwort einen ganzen Schwall von verworrenen und falſchen Tönen aus ſeinem Horne, während Fa¬ ber, im Geſichte überroth vor Zorn, vor ihm ſtand und geſtikulirte. Als der Jäger jezt ſeinen Herrn erblickte, endigte er ſeinen Spaß und gieng fort. Faber'n aber hatte indeß, ſo boshaft er auch aus¬ ſah, ſchon längſt der Zorn verlaſſen; denn es wa¬ ren ihm mitten in der Wuth eine Menge witziger Schimpfwörter und komiſcher Grobheiten in den Sinn gekommen, und er ſchimpfte tapfer fort, ohne mehr an den Jäger zu denken, und brach end¬ lich in ein lautes Gelächter aus, in das Leontin und Friedrich von Herzen mit einſtimmten.

Am Abend ſaſſen Leontin, Friedrich und Faber zuſammen an einem Feldtiſche auf der Wie¬ ſe am Jägerhauſe und aßen und tranken. Das Abendroth ſchaute glühend durch die Wipfel des Tannenwaldes, welcher die Wieſe ringsumher ein¬42 ſchloß. Der Wein erweiterte ihre Herzen und ſie waren alle drey wie alte Bekannte mit einander. Das iſt wohl ein rechtes Dichterleben, Herr Fa¬ ber, ſagte Friedrich vergnügt. Immer doch, hub Faber ziemlich pathetiſch an, höre ich das Leben und Dichten verwechſeln. Aber, aber, be¬ ſter Herr Faber, fiel ihm Leontin ſchnell ins Wort, dem jeder ernſthafte Diſkurs über Poeſie die Bruſt zuſammenſchnürte, weil er ſelber nie ein Urtheil hatte. Er pflegte daher immer mit Witzen, Radottements, dazwiſchen zu fahren, und fuhr auch jezt, geſchwind unterbrechend, fort: ihr verwechſelt mit euren Wortwechſeleyen alles ſo, daß man am Ende ſeiner ſelbſt nicht ſicher bleibt. Glaubte ich doch einmal in allem Ernſte, ich ſey die Weltſeele, und wußte vor lauter Welt nicht, ob ich eine See¬ le hatte oder umgekehrt. Das Leben aber, mein beſter Herr Faber, mit ſeinen bunten Bildern, verhält ſich zum Dichter, wie ein unüberſehbar weitläufiges Hyerogliphenbuch von einer unbekannten, lange untergegangenen Urſprache zum Leſer. Da ſitzen von Ewigkeit zu Ewigkeit die redlichſten, gut¬ müthigſten Weltnarren, die Dichter, und leſen und leſen. Aber die alten, wunderbaren Worte der Zeichen ſind unbekannt und der Wind weht die Blät¬ ter des großen Buches ſo ſchnell und verworren durcheinander, daß einem die Augen übergeh'n. Friedrich ſah Leontin groß an, es war etwas in ſeinen Worten, das ihn ernſthaft machte. Fa¬ ber aber, dem Leontin zu ſchnell geſprochen zu haben ſchien, ſpann gelaſſen ſeinen vorigen Diſkurs43 wieder an: Ihr haltet das Dichten für eine gar ſo leichte Sache, weil es flüchtig aus der Feder fließt, aber keiner bedenkt, wie das Kind, vielleicht vor vie¬ len Jahren ſchon in Luſt empfangen, dann wie in Mutterleibe mit Freuden und Schmerzen ernährt und gebildet wird, ehe es aus ſeinem ſtillen Hauſe das fröhliche Licht des Tages begrüßt. Das iſt ein langweiliges Kind, unterbrach ihn Leontin munter, wäre ich ſo eine ſchwangere Frau, als Sie da ſagen, da lacht 'ich mich gewiß, wie Philine, vor dem Spiegel über mich ſelber zu Tode, eh' ich mit dem erſten Verſe niederkäme. Hier erblickte er ein Paket Papiere, das aus Fabers Rocktaſche hervorragte; eines davon war: an die Deut¬ ſchen, überſchrieben. Er bat ihn, es ihnen vor¬ zuleſen. Faber zog es heraus und las es. Das Gedicht enthielt die Herausforderung eines bis zum Tode verwundeten Ritters an alle Feinde der deut¬ ſchen Ehre. Leontin ſowohl als Friedrich er¬ ſtaunten über die Gediegenheit und männliche Tiefe der Romanze und fühlten ſich wahrhaft erbaut. Wer ſollte es glauben, ſagte Leontin, daß Herr Faber dieſe Romanze zu eben der Zeit verfertiget hat, als er Reißaus nahm, um nicht mit gegen die Franzoſen zu Felde zieh'n zu dürfen. Faber nahm darauf ein anderes Blatt zur Hand und las ihnen ein Gedicht vor, in welchem er ſich ſelber mit höchſt komiſcher Laune in dieſem ſeinen feigherzigen Widerſpruche darſtellte, worin aber mitten durch die luſtigen Scherze ein tiefer Ernſt wie mit gro¬ ßen, frommen Augen ruhend und ergreifend hin¬44 durchſchaute. Friedrich'n gieng jeder Vers die¬ ſes Gedichtes ſchneidend durch's Herz. Jezt wurde es ihm auf einmal klar, warum ihm ſo viele Stel¬ len und Einrichtungen in Fabers Schriften durch¬ aus fremd blieben und mißfielen.

Dem einen iſt zu thun, zu ſchreiben mir gegeben,

ſagte Faber, als er ausgeleſen hatte. Poetiſch ſeyn und Poet ſeyn, fuhr er fort, das ſind zwey ſehr verſchiedene Dinge, man mag dagegen ſagen, was man will. Bey dem lezteren iſt, wie ſelbſt unſer großer Meiſter Göthe eingeſteht, immer et¬ was Taſchenſpielerey, Seiltänzerey u. ſ. w. mit im Spiele. Das iſt nicht ſo, ſagte Friedrich ernſt und ſicher, und wäre es, ſo möchte ich niemals dichten. Wie wollt ihr, daß die Menſchen eure Werke hochachten, ſich daran erquicken und erbauen ſollen, wenn ihr euch ſelber nicht glaubt, was ihr ſchreibt und durch ſchöne Worte und künſtliche Ge¬ danken Gott und Menſchen zu überliſten trachtet? Das iſt ein eitles, nichtsnutziges Spiel, und es hilft euch doch nichts, denn es iſt nichts groß, als was aus einem einfältigen Herzen kommt. Das heißt recht dem Teufel der Gemeinheit, der immer in der Menge wach und auf der Lauer iſt, den Dolch ſelbſt in die Hand geben gegen die göttliche Poeſie. Wo ſoll die rechte, ſchlichte Sitte, das treue Thun, das ſchöne Lieben, die deutſche Ehre und alle die alte herrliche Schönheit ſich hinflüchten, wenn es ihre angebohrnen Ritter, die Dichter, nicht wahr¬45 haft ehrlich, aufrichtig und ritterlich mit ihr mey¬ nen? Bis in den Tod verhaßt ſind mir beſonders jene ewigen Klagen, die mit weinerlichen Sonetten die alte ſchöne Zeit zurückwinſeln wollen, und, wie ein Strohfeuer, weder die Schlechten verbrennen, noch die Guten erleuchten und erwärmen. Denn wie wenigen möchte doch das Herz zerſpringen, wenn alles ſo dumm geht, und habe ich nicht den Muth, beſſer zu ſeyn, als meine Zeit, ſo mag ich zerknirſcht das Schimpfen laſſen, denn keine Zeit iſt durchaus ſchlecht. Die heiligen Märtyrer, wie ſie, laut ihren Erlöſer bekennend, mit aufgehobenen Ar¬ men in die Todesflammen ſprangen das ſind des Dichters ächte Brüder und er ſoll eben ſo fürſtlich denken von ſich, denn ſo wie ſie den ewigen Geiſt Gottes auf Erden durch Thaten ausdrückten, ſo ſoll er ihn aufrichtig in einer verwitterten, feindſeligen Zeit durch rechte Worte und göttliche Erfindungen verkünden und verherrlichen. Die Menge, nur auf weltliche Dinge erpicht, zerſtreut und träge, ſizt gebückt und blind drauſſen im warmen Sonnenſchei¬ ne und langt rührend nach dem ewigen Lichte, das ſie niemals erblickt. Der Dichter hat einſam die ſchönen Augen offen; mit Demuth und Freudigkeit betrachtet er, ſelber erſtaunt, Himmel und Erde, und das Herz geht ihm auf bey der überſchwengli¬ chen Ausſicht, und ſo beſingt er die Welt, die, wie Memnons Bild, voll ſtummer Bedeutung, nur dann durch und durch erklingt wenn ſie die Aurora eines dichteriſchen Gemüthes mit ihren verwandten Strahlen berührt. Leontin fiel hier dem Gra¬46 fen freudig um den Hals. Schön, beſonders zulezt ſehr ſchön geſagt, ſagte Faber, und drückte ihm herzlich die Hand. Sie meynen es doch alle beyde nicht ſo, wie ich, fühlte und dachte Friedrich betrübt.

Es war unterdeß ſchon dunkel geworden und der Abendſtern funkelte vom heiteren Himmel über den Wald herüber. Da wurde ihr Geſpräch auf eine luſtige Art unterbrochen. Die kleine Marie, die am Morgen mit dem Jäger auf der Wieſe ge¬ ſungen, hatte ſich nemlich als Jägerburſche angezo¬ gen. Die Jäger jagten ſie auf der Wieſe herum, ſie ließ ſich aber nicht erhaſchen, weil ſie, wie ſie ſagte, nach Tabaksrauch röchen. Wie ein geſcheuch¬ tes Reh kam ſie endlich an dem Tiſche vorüber. Leontin fieng ſie auf und ſezte ſie vor ſich auf ſeinen Schooß. Er ſtrich ihr die Haare aus den munteren Augen und gab ihr aus ſeinem Glaſe zu trinken. Sie trank viel und wurde bald ungewöhn¬ lich beredt, daß ſich alle über ihre liebenswürdige Lebhaftigkeit erfreuten. Leontin fieng an, von ihrer Schlafkammer zu ſprechen und andere leicht¬ fertige Reden vorzubringen, und als er ſie endlich auch küßte, umklammerte ſie mit beyden Armen heftig ſeinen Hals. Friedrich'n ſchmerzte das ganze loſe Spiel, ſo ſehr es auch Faber'n gefiel, und er ſprach laut von Verführen. Marie hüpf¬ te von Leontins Schooß, wünſchte allen mit ver¬ ſchmizten Augen eine gute Nacht und ſprang fort ins Jägerhaus. Leontin reichte Friedrich'n47 lächelnd die Hand und alle drey ſchieden von einan¬ der, um ſich zur Ruhe zu begeben. Faber ſagte im Weggehen: ſeine Seele ſey heut ſo wach, daß er noch tief in die Nacht hinein an einem angefan¬ genen, großen Gedichte fortarbeiten wolle.

Als Friedrich in ſein Schlafzimmer kam, ſtellte er ſich noch eine Weile ans offene Fenſter. Von der andern Seite des Schloſſes ſchimmerte aus Fabers Zimmer ein einſames Licht in die ſtille Gegend hinaus. Fabers Fleiß rührte den Grafen, und er kam ihm in dieſem Augenblicke als ein höheres Weſen vor. Es iſt wohl groß, ſagte er, ſo mit göttlichen Gedanken über dem weiten, ſtillen Kreis der Erde zu ſchweben. Wache, ſinne und bilde nur fleiſſig fort, fröhliche Seele, wenn alle die anderen Menſchen ſchlafen! Gott iſt mit dir in deiner Einſamkeit und Er weiß es allein, was ein Dichter treulich will, wenn auch kein Menſch ſich um dich bekümmert. Der Mond ſtand eben über dem alterthümlichen Thurme des Schloſ¬ ſes, unten lag der ſchwarze Waldgrund in ſtum¬ mer Ruhe. Die Fenſter giengen nach der Gegend hinaus, wo die Gräfin Roſa hinter dem Walde wohnte. Friedrich hatte Leontins Guitarre mit hinaufgenommen. Er nahm ſie in den Arm und ſang:

Die Welt ruht ſtill im Hafen,
Mein Liebchen, gute Nacht!
Wann Wald und Berge ſchlafen,
Treu 'Liebe einſam wacht.
48
Ich bin ſo wach und luſtig,
Die Seele iſt ſo licht,
Und eh 'ich liebt', da wußt 'ich
Von ſolcher Freude nicht.
Ich fühl 'mich ſo befreyet
Von eitlem Trieb und Streit,
Nichts mehr das Herz zerſtreuet
In ſeiner Fröhlichkeit.
Mir iſt, als müßt 'ich ſingen
So recht aus tiefſter Luſt
Von wunderbaren Dingen,
Was niemand ſonſt bewußt.
O könnt 'ich alles ſagen!
O wär' ich recht geſchickt!
So muß ich ſtill ertragen,
Was mich ſo hoch beglückt.

Viertes Kapitel.

Friedrich gab Leontins Bitten, noch län¬ ger auf ſeinem Schloſſe zu verweilen, gern nach. Leontin hatte nach ſeiner raſchen, fröhlichen Art bald eine wahre Freundſchaft zu ihm gefaßt, und ſie verabredeten miteinander, einen Streifzug durch das nahe Gebirge zu machen, das manches Sehens¬ werthe enthielt. Die Ausführung dieſes Planes blieb indeß von Tage zu Tage verſchoben. Bald war das Wetter zu nebligt, bald waren die Pferdenicht49nicht zu entbehren oder ſonſt etwas Nothwendiges zu verrichten, und ſie mußten ſich am Ende ſelber eingeſtehen, daß es ihnen beyden eigentlich ſchwer fiel, ſich, auch nur auf wenige Tage, von ihrer hieſigen Nachbarſchaft zu trennen. Leontin hatte hier ſeine eignen Geheimniſſe. Er ritt oft ganz ab¬ gelegene Wege in den Wald hinein, wo er nicht ſelten halbe Tage lang ausblieb. Niemand wußte, was er dort vorhabe, und er ſelber ſprach nie da¬ von. Friedrich dagegen beſuchte Roſa faſt täg¬ lich. Drüben in ihrem ſchönen Garten hatte die Liebe ihr tauſendfarbiges Zelt aufgeſchlagen, ihre wunderreichen Fernen ausgeſpannt, ihre Regenbo¬ gen und goldenen Brücken durch die blaue Luft ge¬ ſchwungen, und rings die Berge und Wälder, wie einen Zauberkreis, um ihr morgenrothes Reich gezo¬ gen. Er war unausſprechlich glücklich. Leontin be¬ gleitete ihn ſehr ſelten, weil ihm, wie er immer zu ſagen pflegte, ſeine Schweſter wie ein gemahlter Frühling vorkäme. Friedrich glaubte von jeher bemerkt zu haben, daß Leontin bey aller ſeiner Leb¬ haftigkeit doch eigentlich kalt ſey, und dachte dabey: was hilft dir der ſchönſte gemahlte oder natürliche Frühling! Aus dir ſelber muß doch die Sonne das Bild beſcheinen, um es zu beleben.

Zu Hauſe auf Leontins Schloſſe wurde Frie¬ drichs poetiſcher Rauſch durch nichts geſtört; denn was hier Faber Herrliches erſann und fleiſſig auf¬ ſchrieb, ſuchte Leontin auf ſeine freye, wunderliche Weiſe in's Leben einzuführen. Seine Leute moch¬450ten alle fortleben, wie es ihnen ihr friſcher, guter Sinn eingab; das Waldhorn irrte faſt Tag und Nacht in dem Walde hin und her, dazwiſchen ſpuckte die eben erwachende Sinnlichkeit der kleinen Marie wie ein reizender Kobold, und ſo machte dieſer ſeltſame, bunte Haushalt dieſen ganzen Auf¬ enthalt zu einer wahren Feenburg. Mitten in dem ſchönen Feſte blieb nur ein einziges Weſen einſam und Antheillos. Das war Erwin, der ſchöne Kna¬ be, der mit Friedrich auf das Schloß gekommen war. Er war allen unbegreiflich. Sein einziges Ziel und Augenmerk ſchien es, ſeinen Herrn, den Grafen Friedrich, zu bedienen, welches er bis zur geringſten Kleinigkeit aufmerkſam, emſig und gewiſſenhaft that. Sonſt miſchte er ſich in keine Geſchäfte oder Luſt der anderen, erſchien zerſtreut, immer fremd, verſchloſſen und faſt hart, ſo lieblich weich auch ſeine helle Stimme klang. Nur manch¬ mal bey Veranlaſſungen, die oft allen gleichgültig waren, ſprach er auf einmal viel und bewegt, und jedem fiel dann ſein ſchönes, ſeelenvolles Geſicht auf. Unter ſeine Seltſamkeiten gehörte auch, daß er niemals zu bewegen war, eine Nacht in der Stube zuzubringen. Wenn alles im Schloſſe ſchlief und drauſſen die Sterne am Himmel prangten, gieng er vielmehr mit der Guitarre aus, ſezte ſich gewöhnlich auf die alte Schloßmauer über dem Waldgrunde und übte ſich dort heimlich auf dem Inſtrumente. Wie oft, wenn Friedrich manch¬ mal in der Nacht erwachte, brachte der Wind ein¬ zelne Töne ſeines Geſanges über den ſtillen Hof zu51 ihm herüber, oder er fand ihn frühmorgens auf der Mauer über der Guitarre eingeſchlafen. Leon¬ tin nannte den Knaben eine wunderbare Laute aus alter Zeit, die jezt niemand mehr zu ſpielen ver¬ ſtehe.

Eines Abends, da Leontin wieder auf einem ſeiner geheimnißvollen Ausflüge ungewöhnlich lange ausblieb, ſaſſen Friedrich und Faber, der ſich nach geſchehener Tagesarbeit einen fröhlichen Feyer¬ abend nicht nehmen ließ, auf der Wieſe um den runden Tiſch. Der Mond ſtand ſchon über dem dunkeln Thurme des Schloſſes. Da hörten ſie plötz¬ lich ein Geräuſch durch das Dickicht brechen und Leontin ſtürzte auf ſeinem Pferde, wie ein gejagtes Wild, aus dem Walde hervor. Todtenbleich, athemlos, und hin und wieder von den Aeſten blu¬ tig geriſſen, kam er ſogleich zu ihnen an den Tiſch und trank haſtig mehrere Gläſer Wein nacheinander aus. Friedrich'n erſchütterte die ſchöne, wüſte Geſtalt. Leontin lachte laut auf, da er bemerkte, daß ihn alle ſo verwundert anſahen. Faber drang neugierig in ihn, ihnen zu erzählen, was ihm be¬ gegnet ſey. Er erzählte aber nichts, ſondern ſagte ſtatt aller Antwort: ich reiſe fort in's Gebirge, wollt ihr mit? Faber ſagte überraſcht und un¬ entſchloſſen, daß ihm jezt jede Störung unwillkom¬ men ſey, da er ſo eben an dem angefangenen gro¬ ßen Gedichte arbeite, ſchlug aber endlich ein. Frie¬ drich ſchwieg ſtill. Leontin, der ihm wohl anſah, was er meyne, entband ihn ſeines alten Verſpre¬4 *52hens ihn zu begleiten; er mußte ihm aber dagegen geloben, ihn auf ſeinem Schloſſe zu erwarten. Sie blieben nun noch einige Zeit beyeinander. Aber Leontin blieb nachdenklich und ſtill. Seine beyden Gäſte begaben ſich daher bald zur Ruhe, ohne zu wiſſen, was ſie von ſeiner Veränderung und ra¬ ſchem Entſchluſſe denken ſollten. Noch im Weggeh'n hörten ſie ihn ſingen:

Hinaus, o Menſch, weit in die Welt,
Bangt dir das Herz in krankem Muth!
Nichts iſt ſo trüb in Nacht geſtellt,
Der Morgen leicht macht's wieder gut.

Am Morgen frühzeitig blickte Friedrich aus ſeinem Fenſter. Da ſah er Leontin ſchon unten auf der Waldſtraſſe auf das Schloß ſeiner Schweſter zureiten. Er eilte ſchnell hinab und ritt ihm nach.

Als er auf Roſa's Schloſſe ankam, fand er Leontin im Garten in einem lauten Wortwechſel mit ſeiner Schweſter. Leontin war nemlich hergekom¬ men, um Abſchied von ihr zu nehmen. Roſa hat¬ te aber kaum von ſeinem Vorhaben gehört, als ſie ſogleich mit aller Heftigkeit den Gedanken ergriff mitzureiſen. Das laß ich wohl bleiben, ſagte Leon¬ tin, da ſchnüre ich noch heut mein Bündel und reit 'euch ganz allein davon. Ich will eben als ein Ver¬ zweifelter weit in die Welt hinaus, will mich, wie Don Quixote, im Gebirge auf den Kopf ſtellen und einmal recht verrückt ſeyn, und da fällt's euch ge¬ rade ein, hinter mir drein zu zotteln, als reisten wir nach Karlsbad oder Pyrmont, um mich jedes¬53 mal fein natürlich wieder auf die Beine zu bringen und zurecht zu rücken. Kommt mir doch jezt meine ganze Reiſe vor, wie eine Armee, wo man vorn blitzende Schwerter und wehende Fahnen, hinter¬ drein aber einen langen Schwanz von Wägen und Weibern ſieht, die auf alten Stühlen, Betten und anderem Hausgeräth ſitzen und plaudern, kochen, handeln und zanken, als wäre da vorn eben alles nichts, daß einem alle Luſt zur Kourage vergeht. Wahrhaftig, wenn du mitziehſt, meine weltliche Roſa, ſo laſſe ich das ganze herrliche, tauſendfar¬ bige Rad meiner Reiſevorſätze fallen, wie der Pfau, wenn er ſeine proſaiſchen Füße beſieht. Roſa, die ſein Wort von allem verſtanden hatte, was ihr Bruder geſagt, ließ ſich nichts ausreden, ſondern beharrte ruhig und feſt ihrem Entſchluſſe, denn ſie gefiel ſich ſchon im Voraus zu ſehr als Amazone zu Pferde und freute ſich auf neue Spek¬ takel. Friedrich, der eben hier dazu kam, ſchüt¬ telte den Kopf über ihr hartes Köpfchen, das ihm unter allen Untugenden der Mädchen die unleidlich¬ ſte war. Noch tiefer aber ſchmerzte ihn ihre Hart¬ näckigkeit, da ſie doch wußte, daß er nicht mitrei¬ ſe, daß er es nur um Ihretwillen ausgeſchlagen habe, und ihn wandelte heimlich die Luſt an, ſel¬ ber allein in alle Welt zu gehen. Leontin, der, wie auf etwas ſinnend, unterdeß die beyden ver¬ liebten Geſichter angeſehen hatte, lachte auf einmal auf. Nein, rief er, wahrhaftig, der Spaß iſt ſo größer! Roſa, du ſollſt mitreiſen, und Faber und Marie und Erwin und Haus und Hof. Wir wollen54 ſanft über die grünen Hügel wallen, wie Schäfer, die Jäger ſollen die ungeſchlachten Hörner zu Hauſe laſſen und Flöte blaſen. Ich will mit bloßem Hal¬ ſe geh'n, die Haare blond färben und ringeln, ich will zahm ſeyn, auf den Zehen gehen und immer mit zugeſpiztem Munde leiſe liſpeln: o theuerſte, ſchöne Seele, o mein Leben, o mein Schaf! Ihr ſollt ſehen, ich will mich bemühen, recht mit An¬ ſtand luſtig zu ſeyn. Dem Herrn Faber wollen wir einen Strohhut mit Lillabänder auf das dicke Ge¬ ſicht ſezen und einen langen Stab in die Hand ge¬ ben, er ſoll den Zug anführen. Wir andern wer¬ den uns zuweilen zum Spaß im grünen Hayne ver¬ irren, und dann über unſer hartes Trennungsloos aus unſeren ſpaßhaften Schmerzen ernſthafte Sonet¬ te machen. Roſa, die von allem wieder nur ge¬ hört hatte, daß ſie mitreiſen dürfe, fiel hier ihrem Bruder unterbrechend um den Hals und that ſo ſchön in ihrer Freude, daß Friedrich wieder ganz mit ihr ausgeſöhnt war. Es wurde nun verabre¬ det, daß ſie ſich noch heute Abend auf Leontins Schloſſe einfinden ſollen, damit ſie alle Morgen frühzeitig aufbrechen könnten, und ſie ſprang fröh¬ lich fort, um ihre Anſtalten zu treffen.

Als Friedrich und Leontin wieder nach Hauſe kamen, begann lezterer, der ſeinen geſtrigen Schreck faſt ſchon, ganz wieder vergeſſen zu haben ſchien, ſogleich mit vieler Luſtigkeit zuſammenzurufen, Be¬ fehle auszutheilen und überall Allarm zu ſchlagen, um, wie er ſagte, das Zigeunerleben bald von allen Seiten aufzurühren. Roſa traf, wie ſie es ver¬55 ſprochen hatte, gegen Abend ein und fand auf der Wieſe bey Mondenſchein bereits alles in der bun¬ teſten Bewegung. Die Jäger putzten ſingend ihre Büchſen und Sattelzeug, andere verſuchten ihre Hörner, Faber band ganze Ballen Papier zuſam¬ men, die kleine Marie ſprang zwiſchen allen leicht¬ fertig herum.

Alle begaben ſich heute etwas früher als ge¬ wöhnlich zur Ruhe. Als Friedrich eben einſchlum¬ merte, hörte er drauſſen einige volle Akkorde auf der Laute anſchlagen. Bald darauf vernahm er Erwins Stimme. Das Lied, das er ſang, rührte ihn wun¬ derbar, denn es war eine alte, einfache Melodie, die er in ſeiner Kindheit ſehr oft, und ſeitdem nie¬ mals wieder gehört hatte. Er ſprang erſtaunt an's Fenſter, aber Erwin hatte ſo eben wieder aufgehört. Das Licht aus Roſa's Schlafzimmer am anderen Flügel des Schloſſes war erloſchen, der Wind dreh¬ te knarrend die Wetterfahne auf dem Thurme, der Mond ſchien außerordentlich hell. Friedrich ſah Erwin wieder wie ſonſt mit der Guitarre auf der Mauer ſitzen. Bald darauf hörte er den Knaben ſprechen; eine durchaus unbekannte, männliche Stim¬ me ſchien ihm von Zeit zu Zeit Antwort zu geben. Friedrich verdoppelte ſeine Aufmerkſamkeit, aber er konnte nichts verſtehen, auch ſah er niemand auſ¬ ſer Erwin. Nur manchmal kam es ihm vor, als lange ein langer Arm über die Mauer herüber nach dem Knaben. Zulezt ſah er einen Schatten von dem Knaben fort längſt der Mauer hinuntergehen. Der Schatten wuchs beym Mondenſchein mit jedem56 Schritte immer höher und länger, bis er ſich end¬ lich in Rieſengröße in den Wald hinein verlohr. Friedrich lehnte ſich ganz zum Fenſter hinaus, aber er konnte nichts unterſcheiden. Erwin ſprach nun auch nicht mehr und die ganze Gegend war todtenſtill. Ein Schauer überlief ihn dabey. Sollte dieſe Erſcheinung, dachte er, Zuſammenhang haben mit Leontins Begebenheiten? Weiß vielleicht dieſer Knabe um ſeine Geheimniſſe? Ihm fiel dabey ein, daß ſich ſein ganzes Geſicht lebheft verändert hat¬ te, als Faber heute noch einmal Leontins geſtrigen unbekannten Begegniſſes erwähnte. Beynahe hätte er alles für einen überwachten Traum gehalten, ſo ſeltſam kam es ihm vor, und er ſchlief endlich mit ſonderbaren und abentheuerlichen Gedanken ein.

Fuͤnftes Kapitel.

Als draußen Berg und Thal wieder licht wa¬ ren, war der ganze bunte Trupp ſchon eine Stunde weit von Leontins Schloſſe entfernt. Der ſonder¬ bare Zug gewährte einen luſtigen Anblick. Leontin ritt ein unbändiges Pferd allen voraus. Er war leicht und nachläſſig angezogen, und ſeine ganze Geſtalt hatte etwas Ausländiſches. Friedrich ſah durchaus deutſch aus. Faber dagegen machte den allerſeltſamſten und abentheuerlichſten Aufzug. Er57 hatte einen runden Hut mit ungeheuer breiten Krempen, der ihn, wie ein Schirm, gegen die Son¬ ne und Regen zugleich ſchüzen ſollte. An ſeiner Seite hieng eine dickangeſchwollene Taſche mit Schreibtafeln, Büchern und anderem Reiſegeräth herab. Er war wie ein fahrender Skolaft anzuſehen. Roſa ritt mitten unter ihnen ein ſchönes, frommes Pferd auf einem weiblichen engliſchen Sattel. Ein langes grünes Reitkleid, von einem goldenen Gürtel zuſammengehalten, ſchmiegte ſich an ihre vollen Glieder, ein blendendweiſſer Spitzkragen umſchloß das ſchöne Köpfchen, von dem hohe Federn in die Morgenluft nickten. Zu ihrer Begleitung hatte man die kleine Marie beſtimmt, die ihr als Jägerknabe folgte. Auch Erwin ritt mit und hatte die Guitar¬ re an einem himmelblauen Bande umgehangen. Hinterdrein kamen mehrere Jäger mit wohlbepackten Pferden.

Sie zogen eben über einen freyen Berggrücken weg. Die Morgenſonne funkelte ihnen fröhlich ent¬ gegen. Roſa blickte Friedrich aus ihren großen Augen ſo friſch und freudig an, daß es ihm durch die Seele gieng. Als ſie auf den Gipfel kamen, lag auf einmal ein unüberſehbar weites Thal im Morgenſchimmer unter ihnen. Viktoria! rief Leon¬ tin fröhlich und ſchwang ſeinen Hut. Es geht doch nichts über's Reiſen, wenn man nicht dahin oder dorthin reist, ſondern in die weite Welt hinein, wie es Gott gefällt! Wie uns aus Wäldern, Bergen, aus blühenden Mädchengeſichtern, die von lichten Schlöſſern grüßen, aus Strömen und alten58 Burgen das noch unbekannte, überſchwengliche Le¬ ben ernſt und fröhlich anſieht! Das Reiſen, ſag¬ te Faber, iſt dem Leben vergleichſam. Das Leben der Meiſten iſt eine immerwährende Geſchäftsreiſe vom Buttermarkt zum Käſemarkt; das Leben der Poe¬ tiſchen dagegen ein freyes, unendliches Reiſen nach dem Himmelreich. Leontin, deſſen Widerſpruchsgeiſt Faber jederzeit unwiderſtehlich anregte, ſagte dar¬ auf: Dieſe reiſenden Poetiſchen ſind wieder den Paradießvögeln zu vergleichen, von denen man fälſchlich glaubt, daß ſie keine Füße haben. Sie müſſen doch auch herunter und in Wirthshäuſern einkehren, und Vettern und Baſen beſuchen, und, was ſie ſich auch für Zeug einbilden, das Fräulein auf dem lichten Schloſſe iſt doch nur ein dummes, höchſtens verliebtes, Ding, das die Liebe mit ihrem bischen brennbaren Stoffe eine Weile in die Lufte treibt, um dann deſto jämmerlicher, wie ein aus¬ geblaſener Dudelſack, wieder zur Erde zu fallen, auf der alten, ſchönen, trozigen Burg findet ſich auch am Ende nur noch ein kahler Landkavalier u. ſ. w. Alles iſt Einbildung. Du ſollteſt nicht ſo reden, entgegnete Friedrich. Wenn wir von einer inneren Freudigkeit erfüllt ſind, welche, wie die Morgenſonne, die Welt überſcheint und alle Begebenheiten, Verhältniſſe und Kreaturen zur ei¬ genthumlichen Bedeutung erhebt, ſo iſt dieſes freu¬ dige Licht vielmehr die wahre göttliche Gnade, in der allein alle Tugenden und große Gedanken ge¬ deihen, und die Welt iſt wirklich ſo bedeutſam, jung und ſchön, wie ſie unſer Gemüth in ſich ſelber an¬59 ſchaut. Der Mißmuth aber, die träge Niederge¬ ſchlagenheit und alle dieſe Entzauberungen, das iſt die wahre Einbildung, die wir durch Gebeth und Muth zu überwinden trachten ſollen, denn dieſe verdirbt die urſprüngliche Schönheit der Welt. Iſt mir auch recht, erwiederte Leontin luſtig. Graf Friedrich, ſagte Faber, hat eine Unſchuld in ſeinen Betrachtungen, eine Unſchuld. Ihr Dichter, fiel ihm Leontin haſtig ins Wort, ſeyd alle euerer Unſchuld über den Kopf gewachſen, und, wie ihr eure Gedichte ausſpendet, ſagt ihr immer: da iſt ein prächtiges Kunſtſtück von meiner Kindlich¬ keit, da iſt ein beſonders wohleingerichtetes Stück von meinem Patriotismus oder von meiner Ehre! Friedrich erſtaunte, da Leontin ſo keck und hart ausſprach, was er, als eine Läſterung aller Poeſie, ſich ſelber zu denken niemals erlauben mochte.

Roſa hatte unterdeß über dem Geſpräche meh¬ reremal gegähnt. Faber bemerkte es und da er ſich jederzeit als ein galanter Verehrer des ſchönen Ge¬ ſchlechtes auszeichnete, ſo trug er ſich an, zu allge¬ meiner Unterhaltung eine Erzählung zum Beſten zu geben. Nur nicht in Verſen, rief Roſa, denn da verſteht man doch alles nur halb. Man rückte da¬ her näher zuſammen, Fabern in die Mitte neh¬ mend, und er erzählte folgende Geſchichte, während ſie zwiſchen den waldigten Bergen langſam fort¬ zogen:

Es war einmal ein Ritter. Das fängt ja an, wie ein Mährchen, unterbrach ihn Roſa. 60 Faber ſezte von friſchem an: Es war einmal ein Ritter, der lebte tief im Walde auf ſeiner alten Burg in geiſtlichen Betrachtungen und ſtrengen Bu߬ übungen. Kein Fremder beſuchte den frommen Rit¬ ter, alle Wege zu ſeiner Burg waren lange mit hohem Graſe überwachſen und nur das Glöcklein, das er bey ſeinen Gebethen von Zeit zu Zeit zog, unterbrach die Stille und klang in hellen Nächten weit über die Wälder weg. Der Ritter hatte ein junges Töchterlein, die machte ihm viel Kummer, denn ſie war ganz anderer Sinnesart als ihr Va¬ ter und all ihr Trachten gieng nur auf weltliche Dinge. Wenn ſie Abends am Spinnrocken ſaß, und er ihr aus ſeinen alten Büchern die wunderba¬ ren Geſchichten von den heiligen Märtyrern vorlas, dachte ſie immer heimlich bey ſich: das waren wohl rechte Thoren, und hielt ſich für weit klüger, als ihr alter Vater, der alle die Wunder glaubte. Oft, wenn ihr Vater weg war, blätterte ſie in den Bü¬ chern und mahlte den Heiligen, die darin abgebil¬ det waren, große Schnurrbärte Roſa lachte hierbey laut auf. Was lachſt du? fragte Leontin ſpitzig und Faber fuhr in ſeiner Erzählung fort: Sie war ſehr ſchön und klüger als alle die anderen Kinder in ihrem Alter, weswegen ſie ſich auch im¬ mer mit ihnen zu ſpielen ſchämte, und wer mit ihr ſprach, glaubte eine erwachſene Perſon reden zu hören, ſo geſcheid und künſtlich waren alle ihre Worte geſezt. Dabey gieng ſie bey Tag und Nacht ganz allein im Walde herum, ohne ſich zu fürch¬ ten, und lachte immer den alten Burgvogt aus,61 der ihr ſchauerliche Geſchichten vom Waſſermann er¬ zählte. Gar oft ſtand ſie dann an dem blauen Fluſſe im Walde und rief mit lachendem Munde: Waſſermann ſoll mein Bräutigam ſeyn! Waſſermann ſoll mein Bräutigam ſeyn!

Als nun der Vater zum ſterben kam, rief er die Tochter zu ſeinem Bette und übergab ihr einen großen Ring, der war ſehr ſchwer von purem Golde gearbeitet. Er ſagte dabey zu ihr: Dieſer Ring iſt vor uralten Zeiten von einer kunſtreichen Hand verfertiget. Einer deiner Vorfahren hat ihn in Paläſtina, mitten im Getümmel der Schlacht erfochten. Dort lag er unter Blut und Staub auf dem Boden, aber er blieb unbefleckt und glänzte ſo hell und durchdringlich, daß ſich alle Roſſe davor bäumten und keines ihn mit ſeinem Hufe zertreten wollte. Alle deine Mütter haben den Ring getra¬ gen und Gott hat ihren frommen Eheſtand geſegnet. Nimm du ihn nun auch hin und betrachte ihn alle Morgen mit rechten Sinnen, ſo wird ſein Glanz dein Herz erquicken und ſtärken. Wenden ſich aber deine Gedanken und Neigungen zum Böſen, ſo ver¬ löſcht ſein Glanz mit der Klarheit deiner Seele und wird dir gar trübe erſcheinen. Bewahre ihn treu an deinem Finger, bis du einen tugendhaften Mann gefunden. Denn welcher Mann ihn einmal an ſei¬ ner Hand trügt, der kann nicht mehr von Dir laſſen, und wird dein Bräutigam. Bey dieſen Worten verſchied der alte Ritter.

62

Ida blieb nun allein zurück. Ihr war längſt angſt und bange auf dem alten Schloſſe geweſen, und da ſie jezt ungeheure Schäze in den Kellern ihres Vaters vorfand, ſo veränderte ſie ſogleich ihre ganze Lebensweiſe. Gott ſey Dank, ſagte Roſa, denn bis jezt war ſie wahrhaftig ziemlich langwei¬ lig. Faber fuhr wieder fort: Die dunkeln Bo¬ gen, Thore und Höfe der alten Burg wurden nie¬ dergeriſſen und ein neues, lichtes Schloß mit blen¬ dendweiſſen Mauern und kleinern, luftigen Thürm¬ chen erhob ſich bald über den alten Steinen. Ein großer, ſchöner Garten wurde daneben angelegt, durch den der blaue Fluß vorüberfloß. Da ſtanden tauſenderley hohe, bunte Blumen, Waſſerkünſte ſprangen dazwiſchen und zahme Rehe giengen darin ſpazieren. Der Schloßhof wimmelte von Roſſen und reichgeſchmückten Edelknaben, die luſtige Lieder auf ihr ſchönes Fräulein ſangen. Sie ſelber war nun ſchon groß und außerordentlich ſchön geworden. Von Oſt und Weſt kamen daher nun reiche und junge Freyer angezogen, und die Straſſen, die zu dem Schloſſe führten, blizten von blanken Reitern, Hel¬ men und Federbüſchen.

Das gefiel dem Fräulein gar wohl, aber ſo gern ſie auch alle Männer hatte, ſo mochte ſie doch mit keinem Einzelnen ihren Ring auswechſeln; denn jeder Gedanke an die Ehe war ihr lächerlich und verhaßt. Was ſoll ich, ſagte ſie zu ſich ſelbſt, mei¬ ne ſchöne Jugend verkümmern, um in abgeſchiede¬ ner, langweiliger Einſamkeit eine armſelige Haus¬ mutter abzugeben, anſtatt daß ich jezt ſo frey bin,63 wie der Vogel in der Luft. Dabey kamen ihr alle Männer gar dummlich vor, weil ſie entweder zu unbehülflich waren, ihrem müſſigen Witze nachzu¬ kommen, oder auf andre, hohe Dinge ſtolz thaten, an die ſie nicht glaubte. Und ſo betrachtete ſie ſich in ihrer Verblendung als eine reizende Fee unter verzauberten Bären und Affen, die nach ihrem Win¬ ke tanzen und aufwarten mußten. Der Ring wur¬ de indeß von Tag zu Tage trüber.

Eines Tages gab ſie ein glänzendes Banket. Unter einem prächtigen Zelte, daß im Garten auf¬ geſchlagen war, ſaſſen die jungen Ritter und Frauen um die Tafel, in ihrer Mitte das ſtolze Fräulein, gleich einer Königin, und ihre witzigen Redensarten überſtrahlten den Glanz der Perlen und Edelgeſteine, womit ihr Hals und Buſen geſchmückt war. Recht wie ein wurmſtichiger Apfel, ſo ſchön roth und be¬ trüglich, war ſie anzuſehen. Der goldene Wein kreißte fröhlich herum, die Ritter ſchauten kühner, üppig lockende Lieder zogen hin und wieder im Gar¬ ten durch die ſommerlaue Luft. Da fielen Ida's Blicke zufällig auf ihren Ring. Der war auf ein¬ mal finſter geworden, und ſein verlöſchender Glanz that nur eben noch einen ſeltſamen, dunkelglühen¬ den Blick auf ſie. Sie ſtand ſchnell auf und gieng an den Abhang des Gartens. Du einfältiger Stein, ſollſt mich nicht länger mehr ſtören! ſagte ſie in ihrem Uebermuthe lachend, zog den Ring vom Fin¬ ger und warf ihn in den Strom hinunter. Er be¬ ſchrieb im Fluge einen hellſchimmernden Bogen und tauchte ſogleich in den tiefſten Abgrund hinab. 64Darauf kehrte ſie wieder in den Garten zurück, aus dem die Töne wollüſtig nach ihr zu langen ſchienen.

Am andern Tage ſaß Ida allein im Garten und ſah in den Fluß hinunter. Es war gerade um die Mittagszeit. Alle Gäſte waren fortgezogen, die ganze Gegend lag ſtill und ſchwüle. Einzelne, ſelt¬ ſamgeſtaltete Wolken zogen langſam über den dun¬ kelblauen Himmel; manchmal flog ein plötzlicher Wind über die Gegend, und dann war es, als ob die Felſen und die alten Bäume ſich über den Fluß unten neigten und miteinander über ſie beſprächen. Ein Schauder überlief Ida. Da ſah ſie auf einmal einen ſchönen, hohen Ritter, der auf einem ſchneeweiſſen Roße die Straſſe hergeritten kam. Seine Rüſtung und ſein Helm war waſſer¬ blau, eine waſſerblaue Binde flatterte in der Luft, ſeine Sporen waren von Kryſtall. Er grüßte ſie freundlich, ſtieg ab und kam zu ihr. Ida ſchrie laut auf vor Schreck, denn ſie erblickte den alten wun¬ derthätigen Ring, den ſie geſtern in den Fluß ge¬ worfen hatte, an ſeinem Finger, und dachte ſo¬ gleich daran, was ihr ihr Vater auf dem Todtbet¬ te prophezeiht hatte. Der ſchöne Ritter zog ſogleich eine dreyfache Schnur von Perlen hervor und hieng ſie dem Fräulein um den Hals; dabey küßte er ſie auf den Mund, nannte ſie ſeine Braut und ver¬ ſprach, ſie heute Abend heimzuholen. Ida konnte nichts antworten, denn es kam ihr vor, als läge ſie in einem tiefen Schlafe, und doch vernahm ſieden65den Ritter, der in gar lieblichen Worten zu ihr ſprach, ganz deutlich, und hörte dazwiſchen auch den Strom, wie über ihr, immerfort verworren drein¬ rauſchen. Darauf ſah ſie den Ritter ſich wieder auf ſeinen Schimmel ſchwingen und ſo ſchnell in den Wald zurückſpringen, daß der Wind hinter ihm dreinpfiff.

Als es gegen Abend kam, ſtand ſie in ihrem Schloſſe am Fenſter und ſchaute in das Gebirge hin¬ aus, das ſchon die graue Dämmerung zu überziehen anfieng. Sie ſann hin und her, wer der ſchöne Ritter ſeyn möge, aber ſie konnte nichts heraus¬ bringen. Eine niegefühlte Unruhe und Aengſtlichkeit überfiel dabey ihre Seele, die immer mehr zunahm, je dunkler draußen die Gegend wurde. Sie nahm die Zitter, um ſich zu zerſtreuen. Es fiel ihr ein altes Lied ein, das ſie als Kind oft ihren Vater in der Nacht, wenn ſie manchmal erwachte, hatte ſingen hören. Sie fieng an zu ſingen:

Obſchon iſt hin der Sonnenſchein
Und wir im Finſtern müſſen ſeyn,
So können wir doch ſingen
Von Gottes Güt 'und ſeiner Macht,
Weil uns kann hindern keine Nacht,
Sein Lobe zu vollbringen.

Die Thränen brachen ihr hiebey aus den Augen, und ſie mußte die Zitter weglegen, ſo weh war ihr zu Muthe.

566

Endlich, da es draußen ſchon ganz finſter ge¬ worden, hörte ſie auf einmal ein großes Getös von Roßeshufen und fremden Stimmen. Der Schloßhof füllte ſich mit Windlichtern, bey deren Scheine ſie ein wildes Gewimmel von Wagen, Pferden, Rit¬ tern und Frauen erblickte. Die Hochzeitsgäſte ver¬ breiteten ſich bald in der ganzen Burg, und ſie er¬ kannte alle ihre alten Bekannten, die auch lezthin auf dem Banket bey ihr geweſen waren. Der ſchö¬ ne Bräutigam, wieder ganz in waſſerblaue Seide gekleidet, trat zu ihr und erheiterte gar bald ihr Herz durch ſeine anmuthigen und ſüſſen Reden. Muſikanten ſpielten luſtig, Edelknaben ſchenkten Wein herum und alles tanzte und ſchmaußte in freudenreichem Schalle.

Während dem Feſte trat Ida mit ihrem Bräu¬ tigam ans offene Fenſter. Die Gegend war unten weit und breit ſtill, wie ein Grab, nur der Fluß rauſchte aus dem finſteren Grunde herauf. Was ſind das für ſchwarze Vögel, fragte Ida, die da in langen Schaaren ſo langſam über den Himmel zieh'n? Sie ziehen die ganze Nacht fort, ſagte der Bräutigam, ſie bedeuten deine Hochzeit. Was ſind das für fremde Leute, fragte Ida wie¬ der, die dort drunten am Fluſſe auf den Steinen ſitzen und ſich nicht rühren? Das ſind meine Diener, ſagte der Bräutigam, die auf uns war¬ ten. Unterdeß fiengen ſchon lichte Streifen an, ſich am Himmel aufzurichten und aus den Thälern hörte man von ferne Hähne krähen. Es wird ſo kühl, ſagte Ida und ſchloß das Fenſter. In mei¬67 nem Hauſe iſt es noch viel kühler, erwiederte der Bräutigam, und Ida ſchauderte unwillkührlich zu¬ ſammen.

Darauf faßte er ſie beym Arme und führte ſie mitten unter den luſtigen Schwarm zum Tanze. Der Morgen rückte indeß immer näher, die Kerzen im Saale flackerten nur noch matt und löſchten zum Theil gar aus. Während Ida mit ihrem Bräuti¬ gam herumwalzte, bemerkte ſie mit Grauſen, daß er immer bläſſer ward, je lichter es wurde. Drauſ¬ ſen vor den Fenſtern ſah ſie lange Männer mit ſeltſamen Geſichtern ankommen, die in den Saal hereinſchauten. Auch die Geſichter der übrigen Gä¬ ſte und Bekannten veränderten ſich nach und nach, und ſie ſahen alle aus wie Leichen. Mein Gott, mit wem habe ich ſo lange Zeit gelebt! rief ſie aus. Sie konnte vor Ermattung nicht mehr fort und wollte ſich loswinden, aber der Bräutigam hielt ſie feſt um den Leib und tanzte immerfort, bis ſie athemlos auf die Erde hinſtürzte.

Frühmorgens, als die Sonne fröhlich über das Gebirge ſchien, ſah man den Schloßgarten auf dem Berge verwüſtet, im Schloſſe war kein Menſch zu finden, und alle Fenſter ſtanden weit offen. Die Reiſenden, die bey hellem Mondenſchein oder um die Mittagszeit an dem Fluſſe vorübergiengen, ſa¬ hen oft ein junges Mädchen ſich mitten im Strome mit halbem Leibe über das Waſſer emporheben. Sie war ſehr ſchön, aber todtenblaß.

5 *68

So endigte Faber ſeine Erzählung. Erſchreck¬ lich! rief Leontin, ſich, wie vor Froſt, ſchüttelnd. Roſa ſchwieg ſtill. Auf Friedrich hatte das Mährchen einen tiefen und ganz beſonderen Eindruck gemacht. Er konnte ſich nicht enthalten, während der ganzen Erzählung, mit einem unbeſtimmten, ſchmerzlichen Gefühle an Roſa zu denken, und es kam ihm vor, als hätte Faber ſelber nicht ohne heimliche Abſicht gerade dieſe Erfindung gewählt.

Fabers Mährchen gab Veranlaſſung, daß auch Friedrich und Leontin mehrere Geſchichten erzähl¬ ten, woran aber Roſa immer nur einen entfern¬ ten Antheil nahm. So vergieng dieſer Tag unter fröhlichen Geſprächen, ehe ſie es ſelber bemerkten, und der Abend überraſchte ſie mitten im Walde in einer unbekannten Gegend. Sie ſchlugen daher den erſten Weg ein, der ſich ihnen darboth, und ka¬ men ſchon in der Dunkelheit bey einem Bauernhau¬ ſe an, das ganz allein im Walde ſtand, und wo ſie zu übernachten beſchloſſen. Die Hauswirthinn, ein junges, rüſtiges Weib, wußte nicht, was ſie aus dem ganzen unerwarteten Beſuche machen ſollte und maaß ſie mit Blicken, die eben nicht das beſte Zutrauen verriethen. Die luſtigen Reden und Schwänke Leontins und ſeiner Jäger aber brachten ſie bald in die beſte Laune, und ſie bereitete alles recht mit Luſt zu ihrer Aufnahme.

Nach einem flüchtig eingenommenen Abendeſſen ergriffen Leontin, Faber und die Jäger ihre Flinten und giengen noch in den Wald hinaus auf den An¬69 ſtand, da ihnen die gefällige Bäuerinn mit einer gewiſſen verſtohlenen Vertraulichkeit den Platz ver¬ rathen hatte, wo das Wild gewöhnlich zu wechſeln pflegte. Roſa fürchtete ſich nun hier allein zurück¬ zubleiben, und bath daher Friedrich, ihr Geſell¬ ſchaft zu leiſten, welches dieſer mit Freuden an¬ nahm. Beyde ſezten ſich, als alles fort war, auf die Bank an der Hausthüre vor den weiten Kreis der Wälder. Friedrich hatte die Guitarre bey ſich und griff einige volle Akkorde, welche ſich in der heiteren, ſtillen Nacht herrlich ausnahmen. Roſa war in dieſer ungewohnten Lage ganz verän¬ dert. Sie war einmal ohne alle kleine Launen, hingebend, ungewöhnlich vertraulich und liebens¬ würdig ermattet. Friedrich glaubte ſie noch nie¬ mals ſo angenehm geſehen zu haben. Er hatte ihr ſchon längſt verſprechen müſſen, ſeine ganze Ju¬ gendgeſchichte einmal ausführlich zu erzählen. Sie bath ihn nun, ſein Verſprechen zu erfüllen, bis die andern zurückkämen. Er war gerade auch aufgelegt dazu und begann daher, während ſie, mit dem ei¬ nen Arme auf ſeine Achſel gelehnt, ſo nahe als möglich an ihn rückte, folgendermaſſen zu erzählen:

Meine früheſten Erinnerungen verlieren ſich in einem großen, ſchönen Garten. Lange, hohe Gän¬ ge von gradbeſchnittenen Baumwänden laufen nach allen Richtungen zwiſchen großen Blumenfeldern hin, Waſſerkünſte rauſchen einſam dazwiſchen, die Wolken ziehen hoch über die dunkeln Gänge weg, ein wunderſchönes kleines Mädchen, älter als ich, ſizt an der Waſſerkunſt und ſingt welſche Lieder,70 während ich oft Stundenlang an den eiſernen Stä¬ ben des Gartenthors ſtehe, das an die Straſſe ſtößt, und ſehe, wie drauſſen der Sonnenſchein wech¬ ſelnd über Wälder und Wieſen fliegt, und Wa¬ gen, Reuter und Fußgänger am Thore vorüber in die glänzende Ferne hinausziehen. Dieſe ganze ſtil¬ le Zeit liegt weit hinter alle dem Schwalle der ſeitdem durchlebten Tage, wie ein uraltes, wehemü¬ thig ſüßes Lied, und wenn mich oft nur ein einzel¬ ner Ton davon wieder berührt, faßt mich ein un¬ beſchreibliches Heimweh, nicht nur nach jenen Gär¬ ten und Bergen, ſondern nach einer viel ferneren und tieferen Heimath, von welcher jene nur ein lieblicher Wiederſchein zu ſeyn ſcheint. Ach, warum müſſen wir jene unſchuldige Betrachtung der Welt, jene wundervolle Sehnſucht, jenen geheimnißvollen, unbeſchreiblichen Schimmer der Natur verlieren, in dem wir nur manchmal noch im Traume unbekann¬ te, ſeltſame Gegenden wieder ſehen!

Und wie war es denn nun weiter? fiel ihm Roſa ins Wort.

Meinen Vater und meine Mutter, fuhr Frie¬ drich fort, habe ich niemals geſehen. Ich lebte auf dem Schloſſe eines Vormunds. Aber eines äl¬ teren Bruders erinnere ich mich ſehr deutlich. Er war ſchön, wild, witzig, keck und dabey ſtörriſch, tiefſinnig und menſchenſcheu. Dein Bruder Leontin ſieht ihm ſehr ähnlich und iſt mir darum um deſto theurer. Am beſten kann ich mir ihn vorſtellen, wenn ich an einen Umſtand zurückdenke. An unſerm71 alterthümlichen Schloſſe lief nemlich eine große ſtei¬ nerne Gallerie rings herum. Dort pflegten wir bey¬ de gewöhnlich des Abends zu ſizen, und ich erinnere mich noch immer an den eignen, ſehnſuchtsvollen Schauer, mit dem ich hinunterſah, wie der Abend blutroth hinter den ſchwarzen Wäldern verſank und dann nach und nach alles dunkel wurde. Unſere alte Wärterin erzählte uns dann gewöhnlich das Mährchen von dem Kinde, dem die Mutter mit dem Kaſten den Kopf abſchlug und das darauf als ein ſchöner Vogel drauſſen auf den Bäumen ſang. Rudolph, ſo hieß mein Bruder, lief oder ritt un¬ terdeß auf dem ſteinernen Geländer der Gallerie herum, daß mir vor Schwindel alle Sinne vergien¬ gen. Und in dieſer Stellung ſchwebt mir ſein Bild noch immer vor, das ich von dem Mährchen, den ſchwarzen Wäldern unten und den ſeltſamen Abend¬ lichtern gar nicht trennen kann. Da er wenig lern¬ te und noch weniger gehorchte, wurde er kalt und übel behandelt. Oft wurde ich ihm als Muſter vor¬ geſtellt, und dieß war mein größter und tiefſter Schmerz, den ich damals hatte, denn ich liebte ihn unausſprechlich. Aber er achtete wenig darauf. Das ſchöne italiäniſche Mädchen fürchtete ſich vor ihm, ſo oft ſie mit ihm zuſammen kam, und doch ſchien ſie ihn immer wieder von neuem aufzuſuchen. Mit mir dagegen war ſie ſehr vertraulich und oft ausgelaſſen luſtig. Alle Morgen, wenn es ſchön war, gieng ſie in den Garten hinunter und wuſch ſich an der Waſſerkunſt die hellen Augen und den kleinen, weißen Hals, und ich mußte ihr während¬72 deß die zierlichen Zöpfchen flechten helfen, die ſie dann in einen Kranz über dem Scheitel zuſammen¬ heftete. Dabey ſang ſie immer folgendes Liedchen, das mir mit ſeiner ganz eignen Melodie noch im¬ mer ſehr deutlich vorſchwebt:

Zwiſchen Bergen, liebe Mutter,
Weit den Wald entlang,
Reiten da drey junge Jäger
Auf drey Rößlein blank,
lieb 'Mutter,
Auf drey Rößlein blank.
Ihr könn't fröhlich ſeyn, lieb 'Mutter,
Wird es drauſſen ſtill:
Kommt der Vater heim vom Walde,
Küßt Euch wie er will,
lieb' Mutter,
Küßt Euch wie er will.
Und ich werfe mich im Bettchen
Nachts ohn 'Unterlaß,
Kehr' mich links und kehr 'mich rechtshin,
Nirgends hab' ich was,
lieb 'Mutter,
Nirgends hab' ich was.
Bin ich eine Frau erſt einmal,
In der Nacht dann ſtill
Wend 'ich mich nach allen Seiten,
Küß', ſo viel ich will,
lieb 'Mutter,
Küß', ſo viel ich will.

Sie ſang das Liedchen ganz allerliebſt. Das arme Kind wußte wohl damals ſelbſt noch nicht deutlich, was ſie ſang. Aber einmal fuhren die73 Alten, die ſie darüber belauſcht hatten, gar tüppiſch mit harten Verweiſen drein, und ſeitdem, erinnere ich mich, ſang ſie daß Lied heimlich noch viel lieber.

So lebten wir lange Zeit in Frieden nebenein¬ ander, und es fiel mir gar nicht ein, daß es je¬ mals anders werden könnte, nur daß Rudolph im¬ mer finſterer wurde, je mehr er heranwuchs. Um dieſe Zeit hatte ich mehreremale ſehr ſchwere und furchtbare Träume. Ich ſah nemlich immer meinen Bruder Rudolph in einer Rüſtung, wie ſie ſich auf einem alten Ritterbilde auf unſerem Vorſaale be¬ fand, durch ein Meer von durcheinanderwogenden ungeheuren Wolken ſchreiten, wobey er ſich mit ei¬ nem langen Schwerte rechts und links Bahn zu hauen ſchien. So oft er mit dem Schwerte die Wolken berührte, gab es eine Menge Funken, die mich mit ihren vielfarbigen Lichtern blendeten, und bey jedem ſolchen Leuchten kam mir auch Rudolphs Geſicht plötzlich blaß und ganz verändert vor. Wäh¬ rend ich mich nun mit den Augen ſo recht in den Wolkenzug vertiefte, bemerkte ich mit Verwunde¬ rung, daß es eigentlich keine Wolken waren, ſon¬ dern ſich alles nach und nach in ein langes, dunk¬ les, ſeltſamgeformtes Gebirg verwandelte, vor dem mir ſchauderte, und ich konnte gar nicht begreifen, wie ſich Rudolph dort ſo allein nicht fürchtete. Seitwärts von dem Gebirge ſah ich eine weite Landſchaft, deren unbeſchreibliche Schönheit und wunderbaren Farbenſchimmer ich niemals vergeſſen habe. Ein großer Strom gieng mitten hindurch bis in eine unabſehbare duftige Ferne, wo er ſich mit74 Geſang zu verlieren ſchien. Auf einem ſanftgrünen Hügel über dem Strome ſaß Angelina, das italiä¬ niſche Mädchen, und zog mit ihrem kleinen, roſi¬ gen Finger zu meinem Erſtaunen einen Regenbogen über den blauen Himmel. Unterdeß ſah ich, daß ſich das Gebirge anfieng, wunderſam zu regen; die Bäu¬ me ſtreckten lange Arme aus, die ſich wie Schlan¬ gen ineinander ſchlungen, die Felſen dehnten ſich zu ungeheuren Drachengeſtalten aus, andre zogen Geſichter mit langen Naſen, die ganze wunderſchö¬ ne Gegend überzog und verdeckte dabey ein qual¬ mender Nebel. Zwiſchen den Felſenſpalten ſtreckte Rudolph den Kopf hervor, der auf einmal viel äl¬ ter und ſelber wie von Stein ausſah, und lachte übermäſſig mit ſeltſamen Geberden. Alles verwirr¬ te ſich zulezt und ich ſah nur die entfliehende Ange¬ lina mit ängſtlich zurückgewandtem Geſicht und weißem, flatterndem Gewande, wie ein Bild über einen grauen Vorhang, vorüberſchweben. Eine große Furcht überfiel mich da jedesmal und ich wachte vor Schreck und Entſezen auf.

Dieſe Träume, die ſich, wie geſagt, mehreremal wiederholten, machten einen ſo tiefen Eindruck auf mein kindiſches Gemüth, daß ich nun meinen Bru¬ der oft heimlich mit einer Art von Furcht betrachte¬ te, auch die ſeltſame Geſtaltung des Gebirges nie wieder vergaß.

Eines Abends, da ich eben im Garten herum¬ gieng und zuſah, wie es in der Ferne an den Ber¬ gen gewitterte, trat auf einmal an dem Ende eines75 Bogenganges Rudolph zu mir. Er war finſterer als gewöhnlich. Siehſt du das Gebirge dort? ſag¬ te er, auf die fernen Berge deutend. Drüben liegt ein viel ſchöneres Land, ich habe ein einzigesmal hinuntergeblickt. Er ſezte ſich ins Gras hin, dann ſagte er in einer Weile wieder: hörſt du, wie jezt in der weiten Stille unten die Ströme und Bäche rauſchen und wunderbarlich locken? Wenn ich ſo hinunterſtiege in das Gebirge hinein, ich gienge fort und immer fort, du würdeſt unterdeß alt, das Schloß wäre auch verfallen und der Garten hier lange einſam und wüſte. Mir fiel bey dieſen Worten mein Traum wieder ein, ich ſah ihn an, und auch ſein Geſicht kam mir in dem Augenblicke gerade ſo vor, wie es mir im Traume immer er¬ ſchien. Eine niegefühlte Angſt überwältigte mich und ich fieng an zu weinen. Weine nur nicht! ſagte er hart und wollte mich ſchlagen. Unterdeß kam Angelina mit neuem Spielzeuge luſtig auf uns zugeſprungen und Rudolph entfernte ſich wieder in den dunkeln Bogengang. Ich ſpielte nun mit dem munteren Mädchen auf dem Raſenplatze vor dem Schloſſe und vergaß darüber alles das vorhergegan¬ gene. Endlich trieb uns der Hofmeiſter zu Bette. Ich erinnere mich nicht, daß mir als Kind irgend etwas widerwärtiger geweſen wäre, als das zeitige Schlafengehen, wenn alles drauſſen noch ſchallte und ſchwärmte und meine ganze Seele noch ſo wach war. Dieſer Abend war beſonders ſchön und ſchwül. Ich legte mich unruhig nieder. Die Bäu¬ me rauſchten durch das offene Fenſter herein, die76 Nachtigall ſchlug tief aus dem Garten, dazwiſchen hörte ich noch manchmal Stimmen unter dem Fen¬ ſter ſprechen, bis ich endlich nach langer Zeit ein¬ ſchlummerte. Da kam es mir auf einmal vor, als ſchiene der Mond ſehr hell durch die Stube, mein Bruder erhöbe ſich aus ſeinem Bett und gienge verſchiedentlich im Zimmer herum, neige ſich dann über mein Bett und küſſe mich. Aber ich konnte mich durchaus nicht beſinnen.

Den folgenden Morgen wachte ich ſpäter auf, als gewöhnlich. Ich blickte ſogleich nach dem Bet¬ te meines Bruders, und ſah, nicht ohne Ahnung und Schreck, daß es leer war. Ich lief ſchnell in den Garten hinaus, da ſaß Angelina am Spring¬ brunnen und weinte heftig. Meine Pflegeältern und alle im ganzen Hauſe waren heimlich, verwirrt und verſtört, und ſo erfuhr ich erſt nach und nach, daß Rudolph in dieſer Nacht entflohen ſey. Man ſchickte Boten nach allen Seiten aus, aber keiner brachte ihn mehr wieder.

Und habt ihr denn ſeitdem niemals wieder et¬ was von ihm gehört? fragte Roſa.

Es kam wohl die Nachricht, ſagte Friedrich, daß er ſich bey einem Freykorps habe anwerben laſ¬ ſen, nachher gar, daß er in einem Treffen geblie¬ ben ſey. Aber aus ſpäteren, einzelnen, abgebro¬ chenen Reden meiner Pflegeältern gelangte ich wohl zu der Gewißheit, daß er noch am Leben ſeyn müſ¬ ſe. Doch thaten ſie ſehr heimlich damit und hörten ſogleich auf zu ſprechen, wenn ich hinzutrat; und77 ſeitdem habe ich von ihm nichts mehr ſehen, noch erfahren können.

Bald darauf verließ auch Angelina mit ihrem Vater, der weitläufig mit uns verwandt war, un¬ ſer Schloß und reiste nach Italien zurück. Es iſt ſonderbar, daß ich mich auf die Züge des Kindes nie wieder beſinnen konnte. Nur ein leiſes, freund¬ liches Bild ihrer Geſtalt und ganzen lieblichen Ge¬ genwart blieb mir übrig. Und ſo war denn nun das Kleeblatt meiner Kindheit zerriſſen und Gott weiß, ob wir uns jemals wiederſehen. Mir war zum Sterben bange, mein Spielzeug freute mich nicht mehr, der Garten kam mir unausſprechlich einſam vor. Es war, als müßte ich hinter jedem Baume, an jedem Bogengange noch Angelina oder meinem Bruder begegnen, das einförmige Plät¬ ſchern der Waſſerkünſte Tag und Nacht hindurch vermehrte nur meine tiefe Bangſamkeit. Mir war es unbegreiflich, wie es meine Pflegeältern hier noch aushalten konnten, wie alles um mich herum ſeinen alten Gang fortgieng, als wäre eben alles noch, wie zuvor.

Damals gieng ich oft heimlich und ganz allein nach dem Gebirge, das mir Rudolph an jenem lez¬ ten Abend gezeigt hatte, und hoffte in meinem kin¬ diſchen Sinne zuverſichtlich, ihn dort noch wiederzu¬ finden. Wie oft überfiel mich dort ein Grauſen vor den Bergen, wenn ich mich manchmal droben ver¬ ſpätet hatte und nur noch die Schläge einſamer Holzhauer durch die dunkelgrünen Bogen herauf¬78 ſchallten, während tief unten ſchon hin und her Lich¬ ter in den Dörfern erſchienen, aus denen die Hun¬ de fern bellten. Auf einem dieſer Streifzüge ver¬ fehlte ich beym Herunterſteigen den rechten Weg und konnte ihn durchaus nicht wiederfinden. Es war ſchon dunkel geworden und meine Angſt nahm mit jeder Minute zu. Da erblickte ich ſeitwärts ein Licht; ich gieng darauf los und kam an ein kleines Häuschen. Ich guckte furchtſam durch das erleuch¬ tete Fenſter hinein und ſah darin in einer freundli¬ chen Stube eine ganze Familie friedlich um ein lu¬ ſtigflackerndes Heerdfeuer gelagert. Der Vater, wie es ſchien, hatte ein Büchelchen in der Hand und las vor. Mehrere ſehr hübſche Kinder faſſen im Kreiſe um ihn herum und hörten, die Köpfchen in beyde Arme aufgeſtüzt, mit der größten Aufmerk¬ ſamkeit zu, während eine junge Frau daneben ſpann und von Zeit zu Zeit Holz an das Feuer legte. Der Anblick machte mir wieder Muth, ich trat in die Stube hinein. Die Leute waren ſehr erſtaunt, mich bey ihnen zu ſehen, denn ſie kannten mich wohl, und ein junger Burſche wurde ſogleich fort¬ geſandt, ſich anzukleiden, um mich auf das Schloß zurück zu geleiten. Der Vater ſezte unterdeß, da ich ihn darum bat, ſeine Vorleſung wieder fort. Die Geſchichte wollte mich bald ſehr anmuthig und wundervoll bedünken. Mein Begleiter ſtand ſchon lange fertig an der Thüre. Aber ich vertiefte mich immer mehr in die Wunder; ich wagte kaum zu athmen und hörte zu und immer zu und wäre die ganze Nacht geblieben, wenn mich nicht der Mann79 endlich erinnert hätte, daß meine Aeltern in Angſt kommen würden, wenn ich nicht bald nach Hauſe gienge. Es war der gehörnte Siegfried, den er las.

Roſa lachte. Friedrich fuhr, etwas ge¬ ſtört, fort:

Ich konnte dieſe ganze Nacht nicht ſchlafen, ich dachte immerfort an die ſchöne Geſchichte. Ich be¬ ſuchte nun das kleine Häuschen faſt täglich und der gute Mann gab mir von den erſehnten Büchern mit nach Hauſe, ſo viel ich nur wollte. Es war gerade in den erſten Frühlingstagen. Da ſaß ich denn ein¬ ſam im Garten und las die Magelone, Genovefa, die Heymonskinder und viele andere unermüdet der Reihe nach durch. Am liebſten wählte ich dazu meinen Sitz in dem Wipfel eines hohen Birnbau¬ mes, der am Abhange des Gartens ſtand, von wo ich dann über das Blüthenmeer der niederen Bäu¬ me weit ins Land ſchauen konnte, oder an ſchwü¬ len Nachmittagen die dunklen Wetterwolken über den Rand des Waldes langſam auf mich zukommen ſah.

Roſa lachte wieder. Friedrich ſchwieg eine Weile unwillig ſtill. Denn die Erinnerungen aus der Kindheit ſind deſto empfindlicher und verſchäm¬ ter, je tiefer und unverſtändlicher ſie werden, und fürchten ſich vor großgewordenen, altklugen Men¬ ſchen, die ſich in ihr wunderbares Spielzeug nicht mehr zu finden wiſſen. Dann erzählte er weiter:

80

Ich weiß nicht, ob der Frühling mit ſeinen. Zauberlichtern in dieſe Geſchichten hineinſpielte, oder ob ſie den Lenz mit ihren rührenden Wunderſchei¬ nen überglänzten, aber Blumen, Wald und Wieſen erſchienen mir damals anders und ſchöner. Es war, als hätten mir dieſe Bücher die goldenen Schlüſſel zu den Wunderſchäzen und der verborge¬ nen Pracht der Natur gegeben. Mir war noch nie ſo fromm und fröhlich zu Muthe geweſen. Selbſt die ungeſchickten Holzſtiche dabey waren mir lieb, ja überaus werth. Ich erinnere mich noch jezt mit Vergnügen, wie ich mich in das Bild, wo der Rit¬ ter Peter von ſeinen Aeltern zieht, vertiefen konn¬ te, wie ich mir den einen Berg im Hintergrunde mit Burgen, Wäldern, Städten und Morgenglanz ausſchmückte, und in das Meer dahinter, aus we¬ nigen groben Strichen beſtehend, und die Wolken drüber mit ganzer Seele hineinſegelte. Ja, ich glaube wahrhaftig, wenn einmal bey Gedichten Bil¬ der ſeyn ſollen, ſo ſind ſolche die beſten. Jene feinern, ſauberen Kupferſtiche mit ihren modernen Geſichtern und ihrer, bis zum kleinſten Strauche, ausgeführten und feſtbegränzten Umgebung verder¬ ben und beengen alle Einbildung, anſtatt daß dieſe Holzſtiche mit ihren verworrenen Strichen und un¬ kenntlichen Geſichtern der Phantaſie, ohne die doch niemand leſen ſollte, einen friſchen, unendlichen Spielraum eröffnen, ja, ſie gleichſam herausfor¬ dern.

Alle81

Alle dieſe Herrlichkeit dauerte nicht lange. Mein Hofmeiſter, ein aufgeklärter Mann, kam hinter mei¬ ne heimlichen Studien und nahm mir die geliebten Bücher weg. Ich war untröſtlich. Aber Gott ſey Dank, das Wegnehmen kam zu ſpät. Meine Phan¬ taſie hatte auf den waldgrünen Bergen, unter den Wundern und Helden jener Geſchichten geſunde, freye Luft genug eingeſogen, um ſich des Anfalls einer ganzen nüchternen Welt zu erwehren. Ich bekam nun dafür Kampe's Kinderbibliothek. Da er¬ fuhr ich denn, wie man Bohnen ſteckt, ſich ſelber Regenſchirme macht, wenn man etwa einmal wie Robinſon auf eine wüſte Inſel verſchlagen werden ſollte, nebſtbey mehrere zuckergebackene, edle Hand¬ lungen, einige Aelternliebe und kindliche Liebe in Charaden. Mitten aus dieſer pädagogiſchen Fabrik ſchlugen mir einige kleine Lieder von Mathias Clau¬ dius rührend und lockend ans Herz. Sie ſahen mich in meiner proſaiſchen Niedergeſchlagenheit mit ſchlich¬ ten, ernſten, treuen Augen an, als wollten ſie freundlichtröſtend ſagen: Laſſet die Kleinen zu mir kommen! Dieſe Blumen machten mir den Far¬ ben - und Geruchsloſen, zur Menſchheitsſaat umge¬ pflügten, Boden, in welchen ſie ſeltſam genug ver¬ pflanzt waren, einigermaſſen heimathlich. Ich ent¬ ſinne mich, daß ich in dieſer Zeit verſchiedene Plä¬ ze im Garten hatte, welche Hamburg, Braun¬ ſchweig und Wandsbeck vorſtellten. Da eilte ich denn von einem zum andern und brachte dem guten682Claudius, mit dem ich mich beſonders gerne und lange unterhielt, immer viele Grüße mit. Es war damals mein größter, innigſter Wunſch, ihn einmal in meinem Leben zu ſehen.

Bald aber machte eine neue Epoche, die ent¬ ſcheidende für mein ganzes Leben, dieſer Spielerey ein Ende. Mein Hofmeiſter fieng nemlich an, mir alle Sonntage aus der Leidensgeſchichte Jeſu vorzu¬ leſen. Ich hörte ſehr aufmerkſam zu. Bald wurde mir das periodiſche, immer wieder abgebrochene Vor¬ leſen zu langweilig. Ich nahm das Buch und las es für mich ganz aus. Ich kann es nicht mit Wor¬ ten beſchreiben, was ich dabey empfand. Ich wein¬ te aus Herzensgrunde, daß ich ſchluchzte. Mein ganzes Weſen war davon erfüllt und durchdrungen, und ich begriff nicht, wie mein Hofmeiſter und alle Leute im Hauſe, die doch das alles ſchon lange wußten, nicht eben ſo gerührt waren und auf ihre alte Weiſe ſo ruhig fortleben konnten.

Hier brach Friedrich plözlich ab, denn er be¬ merkte, daß Roſa feſt eingeſchlafen war. Eine ſchmerzliche Unluſt flog ihn bey dieſem Anblicke an. Was thu ich hier, ſagte er zu ſich ſelber, als alles ſo ſtill um ihn geworden war, ſind das meine Ent¬ ſchlüſſe, meine großen Hoffnungen und Erwartun¬ gen, von denen meine Seele ſo voll war, als ich ausreißte? Was zerſchlage ich den beſten Theil meines Lebens in unnütze Abentheuer ohne allen Zweck, ohne alle rechte Thätigkeit? Dieſer Leon¬83 tin, Faber und Roſa, ſie werden mir doch ewig fremd bleiben. Auch zwiſchen dieſen Menſchen rei¬ ſen meine eigentlichſten Gedanken und Empfindungen hindurch, wie ein Deutſcher durch Frankreich. Sind dir denn die Flügel gebrochen, guter, muthiger, Geiſt, der in die Welt hinausſchaute, wie in ſein angebohrenes Reich? Das Auge hat in ſich Raum genug für eine ganze Welt, und nun ſollte es eine kleine Mädchenhand bedecken und zudrücken können? Der Eindruck, den Roſa's Lachen während ſei¬ ner Erzählung auf ihn gemacht hatte, war noch nicht vergangen. Sie ſchlummerte rückwärts auf ihren Arm gelehnt, ihr Buſen, in den ſich die dunklen Locken herabringelten, gieng im Schlafe ru¬ hig auf und nieder, ſo ruhte ſie neben ihm in un¬ beſchreiblicher Schönheit. Ihm fiel dabey ein Lied ein. Er ſtand auf und ſang zur Guitarre:

Ich hab 'manch Lied geſchrieben,
Die Seele war voll Luſt,
Von treuem Thun und Lieben,
Das beſte, was ich wußt'.
Was mir das Herz bewogen,
Das ſagte treu mein Mund,
Und das iſt nicht erlogen,
Was kommt aus Herzensgrund.
Liebchen wußt's nicht zu deuten
Und lacht mir ins Geſicht,
Dreht ſich zu andern Leuten
Und achtet's weiter nicht.
6 *84
Und ſpielt mit manchem Tropfe,
Weil ich ſo tief betrübt.
Mir iſt ſo dumm im Kopfe,
Als wär 'ich nicht verliebt.
Ach Gott, wem ſoll ich trauen?
Will Sie mich nicht verſteh'n,
Thun all' ſo fremde ſchauen,
Und alles muß vergeh'n.
Und alles irrt zerſtreuet
Sie iſt ſo ſchön und roth
Ich hab 'nichts, was mich freuet,
Wär' ich viel lieber todt!

Roſa ſchlug die Augen auf, denn das Wald¬ horn erſchallte in dem Thale und man hörte Leon¬ tin und die Jäger, die ſo eben von ihrem Streif¬ zuge zurückkehrten, im Walde rufen und ſchreyen. Sie hatten gar keine Beute gemacht und waren alle der Ruhe höchſtbedürftig. Die Wirthin wurde da¬ her eiligſt in Thätigkeit geſezt, um jedem ſein La¬ ger anzuweiſen, ſo gut es die Umſtände zuließen. Es wurde nun von allen Seiten Stroh herbeyge¬ ſchafft und in der Stube ausgebreitet, die für Roſa, Leontin, Friedrich und Faber beſtimmt war; die übrigen ſoll[e]en ſonſt im Hauſe unterge¬ bracht werden. Da alles mithalf, gieng es bey den Zubereitungen ziemlich tumultuariſch her. Beſonders aber zeigte ſich die kleine Marie, welcher die Jä¬ ger tapfer zugetrunken hatten, ungewöhnlich ausge¬ laſſen. Jeder behandelte ſie aus Gewohnheit als ein halberwachſenes Kind, fieng ſie auf und küßte85 sie. Friedrich aber ſah wohl, daß ſie ſich dabey gar künſtlich ſträubte, um nur immer feſter gehal¬ ten zu werden, und daß ihre Küſſe nicht mehr kin¬ diſch waren. Dem Herrn Faber ſchien ſie heute ganz beſonders wohlzubehagen, und Friedrich glaubte zu bemerken, daß ſie ſich einigemal verſtoh¬ len und wie im Fluge mit ihm beſprach.

Endlich hatte ſich nach und nach alles verlohren und die Herrſchaften blicken allem im Zimmer zu¬ rück. Faber meinte: ſein Kopf ſey ſo voll guter Gedanken, daß er ſich jezt nicht niederlegen könne. Das Wetter ſey ſo ſchön und die Stube ſo ſchwül, er wolle daher die Nacht im Freyen zubringen. Damit nahm er Abſchied und gieng hinaus. Leon¬ tin lachte ihm ausgelaſſen nach. Roſa war unter¬ deß in üble Laune gerathen. Die Stube war ihr zu ſchmutzig und enge, das Stroh zu hart. Sie erklärte, ſie könne ſo unmöglich ſchlafen, und ſetzte ſich ſchmollend auf eine Bank hin. Leontin warf ſich, ohne ein Wort darauf zu erwiedern, auf das Stroh und war gleich eingeſchlafen. Endlich über¬ wand auch bey Roſa die Müdigkeit den Eigen¬ ſinn. Sie verließ ihre harte Bank, lachte über ſich ſelbſt und legte ſich neben ihren Bruder hin.

Friedrich ruhte noch lange wach, den Kopf in die Hand geſtützt. Der Mond ſchien durch das kleine Fenſter herein, die Wanduhr pickte einförmig immerfort. Da vernahm er auf einmal draußen, folgenden Geſang:

86
Ach, von dem weichen Pfühle
Was treibt dich irr 'umher?
Bey meinem Saitenſpiele
Schlafe, was willſt du mehr?
Bey meinem Saitenſpiele
Heben dich allzuſehr
Die ewigen Gefühle;
Schlafe, was willſt du mehr?
Die ewigen Gefühle,
Schnupfen und Huſten ſchwer,
Zieh'n durch die nächt'ge Kühle;
Schlafe, was willſt du mehr?
Zieh'n durch die nächt'ge Kühle
Mir den Verliebten her
Hoch auf ſchwindliche Pfühle;
Schlafe, was willſt du mehr?
Hoch auf ſchwindlichem Pfühle
Zähle der Sterne Heer;
Und ſo dir das mißfiele:
Schlafe, was willſt du mehr?

Friedrich konnte die Stimme nicht erkennen; ſie ſchien ihm mit Fleiß verändert und verſtellt. Mit beſonders komiſchem Ausdruck wurde jedesmal das: Schlafe, was willſt du mehr? wiederholt. Er ſprang auf und trat ans Fenſter. Da ſah er einen dunkeln Schatten ſchnell über den mondhellen Platz vor dem Hauſe vorüberlaufen und zwiſchen den Bäumen verſchwinden. Er horchte noch lange Zeit dort hinaus, aber alles blieb ſtill die ganze Nacht hindurch.

87

Sechstes Kapitel.

Ein Hüfthorn draußen im Hofe weckte am Morgen die Neugeſtärkten. Leontin ſprang ſchnell vom Lager. Auch Roſa richtete ſich auf. Die Morgenſonne ſchien ihr durch das Fenſter gerade in's Geſicht. Die Locken noch verwirrt vom nächt¬ lichen Lager, ſah ſie ſo blühend und reizend ver¬ ſchlafen aus, daß ſich Friedrich nicht enthalten konnte, ihr einen Kuß auf die friſchen Lippen zu drücken. Alles rüſtete ſich nun fröhlich wieder zur Weiterreiſe. Aber nun bemerkten ſie erſt, daß Fa¬ ber fehle. Er hatte ſich, wie wir wiſſen, Abends hinausbegeben, und war ſeitdem nicht mehr wieder in die Stube zurückgekehrt. Leontin befragte daher die Jäger, und dieſe ſagten denn zu allgemeiner Verwunderung Folgendes aus:

Als ſie, noch vor Tagesanbruch, hinausgien¬ gen, um nach den Pferden zu ſehen, hörten ſie jemand hoch über ihnen, wie aus der Luft, zu wie¬ derholtenmalen rufen. Sie ſahen ringsherum und erblickten endlich mit Erſtaunen Herrn Faber, der mitten auf dem Dache des Hauſes an dem feſtver¬ ſchloſſenen Dachfenſter ſaß und ſchimpfend mit bey¬ den Armen, wie eine Windmühle, in der Morgen¬ dämmerung focht. Sie ſezten ihm nun auf ſein88 Begehren die Leiter an, die vor dem Hauſe auf der Erde lag, und erlöſten ihn ſo von ſeinem luf¬ tigen Throne. Er aber forderte, ſobald er unten war, ohne ſich weiter in Erklärungen einzulaſſen, ſogleich ſein Pferd und ſeinen Mantelſack heraus. Da er ſehr heftig und wunderlich zu ſeyn ſchien, thaten ſie, was er verlangte. Als er ſein Pferd beſtiegen hatte, ſagte er nur noch zu ihnen: ſie möchten ihren Herrn, den fremden Grafen und die Gräfin Roſa von ihm auf das beſte grüßen, und für die langerwieſene Freundſchaft in ſeinem Nahmen danken; er für ſeinen Theil reiſe in die Reſidenz, wo er ſie früher oder ſpäter wiederzuſe¬ hen hoffe. Darauf habe er dem Pferde die Sporen gegeben und ſey in den Wald hineingeritten.

Lebe wohl, guter, unruhiger Freund! rief Leontin bey dieſer Nachricht aus, ich könnte wahr¬ haftig in dieſem Augenblick recht aus Herzensgrun¬ de traurig ſeyn, ſo gewohnt war ich an dein wun¬ derliches Weſen. Fahre wohl, und Gott gebe, daß wir bald wieder zuſammenkommen! Amen, fiel Roſa ein; aber was in aller Welt hat ihn denn auf das Dach hinaufgetrieben und bewogen, uns dann ſo plötzlich zu verlaſſen? Niemand wußte ſich das Räthſel zu löſen. Aber die kleine Marie hörte während der ganzen Zeit nicht auf, geheim¬ nißvoll zu kikkern, Friedrich erinnerte ſich auch an das geſtrige, ſonderbare Nachtlied vor dem Fenſter, und nun überſahen ſie nach und nach den ganzen Zuſammenhang.

89

Faber hatte nemlich geſtern Abend mit Marie eine heimliche Zuſammenkunft in der Dachkammer, wo ſie ſchliefe, verabredet. Das ſchlaue Mädchen aber hatte, ſtatt Wort zu halten, das Dachfenſter von innen feſt verſperrt und ſich, ehe noch Faber ſo künſtlich von ihnen weggeſchlichen, in den Wald hinausbegeben, wo ſie abwartete, bis der Verlieb¬ te, der Verabredung gemäß, auf der Leiter das Dach erſtiegen hatte. Dann ſprang, ſie ſchnell her¬ vor, nahm die Leiter weg und ſang ihm unten das luſtige Ständchen, das Friedrich geſtern be¬ lauſcht, während Faber, ſtumm vor Zorn und Scham, zwiſchen Himmel und Erde hieng.

Leontin und Roſa lachten unmäſſig und fan¬ den den Einfall überaus herrlich. Friedrich aber fand ihn anders und ſchüttelte unwillig den Kopf über das vierzehnjährige Mädchen.

Sie ſezten nun alſo ihre Reiſe allein weiter fort. Der Morgen war ſehr heiter, die Gegend wunderſchön; demohngeachtet konnten ſie heute gar nicht recht in die alte Luſt und gewohnte Geſprächs¬ weiſe hineinkommen. Faber fehlte ihnen und wurde von allen vermißt, beſonders von Leontin, der fort¬ während einen Ableiter ſeines überflüſſigen Witzes brauchte. Dazu taugte ihm aber gerade niemand beſſer als Faber, der komiſch genug war, um Witz zu erzeugen, und ſelber witzig genug, ihn zu ver¬ ſteh'n. Friedrich nannte daher auch alle Geſpräche zwiſchen Leontin und Faber egoiſtiſche Monologe,90 wo jeder nur ſich ſelbſt reden hört und beantwor¬ tet, anſtatt daß er bey jeder Unterhaltung mit red¬ lichem Eifer für die Sache ſelbſt in den anderen überzeugend einzudringen ſuchte. Am ſichtbarſten unter allen aber war Roſa verſtimmt. Sie hatte ſich ganz beſondere, unerhörte Ereigniſſe und Wun¬ derdinge von der Reiſe verſprochen, und da dieſe nun nicht erſcheinen wollten und auch der Schimmer der Neuheit von ihren Augen gefallen war, fieng ſie nach und nach an zu bemerken, daß es ſich doch eigentlich für ſie nicht ſchicke, ſo allein mit den Männern in der Welt herumzuſtreifen, und ſie hat¬ te keine Ruhe und keine Luſt mehr an den ewigen, langweiligen Steinen und Bäumen.

So waren ſie an einen freygrünen Platz auf dem Gipfel einer Anhöhe gekommen und beſchloſſen, hier den Mittag abzuwarten. Ringsum lagen nie¬ drigere Berge mit Schwarzwald bedeckt, von der einen Seite aber hatte man eine weite Ausſicht in's ebene Land, wo man die blauen Thürme der Re¬ ſidenz an einem blitzenden Strome ſich ausbreiten ſah. Der mitgenommene Mundvorrath wurde nun abgepackt, ein Feldtiſchchen mitten in der Aue auf¬ gepflanzt, und alle lagerten ſich in einem Kreiſe auf dem Raſen herum und aßen und tranken. Roſa mochte launiſch nichts genießen, ſondern zog, zu Leontins großem Aergerniß, ihre Strickerey her¬ vor, ſezte ſich allein ſeitwärts und arbeitete, bis ſie am Ende darüber einſchlief. Friedrich und Leon¬ tin nahmen daher ihre Flinten und giengen in den91 Wald, um Vögel zu ſchießen. Die luſtigen, bun¬ ten Sänger, die von einem Wipfel zum andern vor ihnen herflogen, lockten ſie immer weiter zwiſchen den dunkelgrünen Hallen fort, ſo daß ſie erſt nach langer Zeit wieder auf dem Lagerplatze anlangten.

Hier kam ihnen Erwin mit auffallender Lebhaf¬ tigkeit und Freude entgegengeſprungen und ſagte, daß Roſa fort ſey. Ein Wagen, erzählte der Knabe, ſey bald, nachdem ſie fortgegangen wären, die Straße hergefahren. Eine ſchöne junge Dame ſah aus dem Wagen heraus, ließ ſogleich ſtillhal¬ ten, und kam auf die Gräfin Roſa zu, mit der ſie ſich dann lange ſehr lebhaft und mit vielen Freu¬ den beſprach. Zulezt bat ſie dieſelbe, mit ihr zu fahren. Roſa wollte Anfangs nicht, aber die fremde Dame ſtreichelte und küßte ſie und ſchob ſie endlich halb mit Gewalt in den Wagen. Die klei¬ ne Marie mußte auch mit einſitzen, und ſo hatten ſie den Weg nach der Reſidenz eingeſchlagen. Friedrich kränkte bey dieſer unerwarteten Nach¬ richt die Leichtfertigkeit, mit der ihn Roſa ſo ſchnell verlaſſen konnte, in tiefſter Seele. Als ſie an den Feldtiſch in der Mitte der Aue kamen, fanden ſie dort ein Papier, worauf mit Bleyſtift geſchrie¬ ben ſtand: Die Gräfin Romana.

Das dacht 'ich gleich, rief Leontin, das iſt ſo ihre Weiſe. Wer iſt die Dame? fragte Frie¬ drich. Eine junge reiche Wittwe, antwortete Leontin, die nicht weiß, was ſie mit ihrer Schön¬92 heit und ihrem Geiſte anfangen ſoll, eine Freundin meiner Schweſter, weil ſie mit ihr ſpielen kann wie ſie will, eine tollgewordene Genialität, die in die Männlichkeit hineinpfuſcht. Hiebey wandte er ſich ärgerlich zu ſeinen Jägern, die ihre Pferde ſchon wieder aufgezäumt hatten, und befahl ihnen, nach ſeinem Schloße zurückzukehren, um die Reiſe freyer und bequemer, bloß in Friedrichs und Erwins Begleitung weiter fortzuſetzen.

Die Jäger brachen bald auf und die beyden Grafen blieben nun allein auf dem grünen Platze zurück, wo es ſo auf einmal ſtill und leer geworden war. Da kam Erwin wieder geſprungen und ſag¬ te, daß man den Wagen ſo eben noch in der Fer¬ ne ſehen könne. Sie blickten hinab und ſahen, wie er in der glänzenden Ebne fortrollte, bis er zwi¬ ſchen den blühenden Hügeln und Gärten in den Abendſchimmer verſchwand, der ſich eben weit über die Thäler legte. Von der andern Seite hörte man noch die Hörner der heimziehenden Jäger über die Berge. Siehſt du dort, ſagte Friedrich, die dunklen Thürme der Reſidenz? Sie ſtehen wie Lei¬ chenſteine des verſunkenen Tages. Anders ſind die Menſchen dort, unter welche Roſa nun kommt; treue Sitte, Frömmigkeit und Einfalt gilt nicht unter ihnen. Ich möchte ſie lieber todt, als ſo wiederſeh'n. Iſt mir doch, als ſtiege ſie, wie eine Todesbraut, in ein flimmernd aufgeſchmücktes, gro¬ ßes Grab, und wir wendeten uns treulos von ihr93 und ließen ſie gehen. Leontin fuhr luſtig über die Saiten der Guitarre und ſang:

Der Liebende ſteht träge auf,
Zieht ein Herr Jemine-Geſicht,
Und wünſcht, er wäre todt.
Der Morgen thut ſich prächtig auf,
So ſilbern geht der Ströme Lauf,
Die Vöglein ſchwingen hell ſich auf:
Bad ', Menſchlein, dich im Morgenroth,
Dein Sorgen iſt ein Wicht!

Darauf beſtiegen ſie beyde ihre Pferde und ritten in das Gebirge hinein.

Nachdem ſie ſo mehrere Tage herumgeirrt, und die merkwürdigſten Orte des Gebirges in Augen¬ ſchein genommen hatten, kamen ſie eines Abends ſchon in der Dunkelheit in einem Dorfe an, wo ſie im Wirthshauſe einkehrten. Dort aber war alles leer und nur von einer alten Frau, die allein in der Stube ſaß, erfuhren ſie, daß der Pächter des Ortes heute einen Ball gebe, wobey auch ſeine Grundherrſchaft ſich befände, und daß daher alles aus dem Hauſe gelaufen ſey, um dem Tanze zuzu¬ ſehen.

Da es zum Schlafengehen noch zu zeitig und die Nacht ſehr ſchön war, ſo entſchloſſen ſich auch die beyden Grafen, noch einen Spaziergang zu ma¬ chen. Sie ſtrichen durch's Dorf und kamen bald darauf am andern Ende deſſelben an einen Garten, hinter welchem ſich die Wohnung des Pächters be¬94 fand, aus deren erleuchteten Fenſtern die Tanzmu¬ ſik zu ihnen herüberſchallte. Leontin, den dieſe gan¬ ze, unverhoffte Begebenheit in die luſtigſte Laune verſetzt hatte, ſchwang ſich ſogleich über den Gar¬ tenzaun und überredete auch Friedrich, ihm zu folgen. Der Garten war ganz ſtill, ſie giengen daher durch die verſchiedenen Gänge bis an das Wohnhaus. Die Fenſter des Zimmers, wo getanzt wurde, giengen auf den Garten hinaus, aber es war hoch oben im zweyten Stockwerke. Ein großer, dichtbelaubter Baum ſtand da am Hauſe und brei¬ tete ſeine Aeſte grade vor den Fenſtern aus. Der Baum iſt eine wahre Jakobsleiter, ſagte Leontin, und war im Augenblicke droben. Friedrich wollte durchaus nicht mit hinauf. Das Belauſchen, ſagte er, beſonders fröhlicher Menſchen in ihrer Luſt, hat immer etwas Schlechtes im Hinterhalte. Wenn du Umſtände machſt, rief Leontin von oben, ſo fan¬ ge ich hier ſo ein Geſchrey an, daß alle zuſammen¬ laufen und uns als Narren auffangen oder tüchtig durchprügeln. So eben knarrte auch wirklich die Hausthüre unten und Friedrich beſtieg daher ebenfalls eilfertig den luftigen Sitz.

Oben aus der weiten, dichten Krone des Bau¬ mes konnten ſie die ganze Geſellſchaft überſehen. Es wurde eben ein Walzer getanzt, und ein Paar nach dem andern flog an dem Fenſter vorüber. Junge, flüchtige Oekonomen, wie es ſchien, in knappen und engzugeſpitzten Fracken fegten tapfer mit tüchtigen Mädchen, die vor Geſundheit und95 Freude über und über roth waren. Hin und wie¬ der zogen fröhliche, dicke Geſichter, wie Vollmon¬ de, durch dieſen Sternenhimmel. Mitten in dem Gewimmel tanzte eine hagere Figur, wie ein Sa¬ tyr, in den abentheuerlichſten, übertriebenſten Wendungen und Kapriolen, als wollte er alles Affektirte, Lächerliche und Eckle jedes Einzelnen der Geſellſchaft in eine einzige Karrikatur zuſammendrän¬ gen. Bald darauf ſah man ihn auch unter den Muſikanten eben ſo mit Leib und Seele die Geige ſtreichen. Das iſt ein höchſt ſeltſamer Geſell, ſagte Leontin, und verwendete kein Auge von ihm. Es iſt doch ein ſonderbares Gefühl, erwiederte Frie¬ drich nach einer Weile, ſo draußen aus der wei¬ ten, ſtillen Einſamkeit auf einmal in die bunte Luſt der Menſchen hineinzuſehen, ohne ihren inneren Zuſammenhang zu kennen; wie ſie ſich, gleich Ma¬ rionetten, voreinander verneigen und beugen, lachen und die Lippen bewegen, ohne daß wir hören, was ſie ſprechen. O, ich könnte mir, ſagte Leontin, kein ſchauerlicheres und lächerlicheres Schauſpiel zu¬ gleich wünſchen, als eine Bande Muſikanten, die recht eifrig und in den ſchwierigſten Paſſagen ſpiel¬ ten, und einen Saal voll Tanzender dazu, ohne daß ich einen Laut von der Muſik vernähme. Und haſt du dieſes Schauſpiel nicht im Grunde täg¬ lich? entgegnete Friedrich. Geſtikuliren, quälen und mühen ſich nicht überhaupt alle Menſchen ab, die eigenthümliche Grundmelodie äußerlich zu geſtal¬ ten, die jedem in tiefſter Seele mitgegeben iſt,96 und die der eine mehr, der andere weniger und kei¬ ner ganz auszudrücken vermag, wie ſie ihm vor¬ ſchwebt? Wie weniges verſtehen wir von den Tha¬ ten, ja, ſelbſt von den Worten eines Menſchen! Ja, wenn ſie erſt Muſik im Leibe hätten! fiel ihm Leontin lachend in's Wort. Aber die meiſten fin¬ gern wirklich ganz ernſthaft auf Hölzchen ohne Sai¬ ten, weil es einmal ſo hergebracht iſt und das vor¬ liegende Blatt heruntergeſpielt werden muß; aber das, was das ganze Handthieren eigentlich vorſtel¬ len ſoll, die Muſik ſelbſt und Bedeutung des Le¬ bens, haben die närriſchgewordenen Muſikanten darüber vergeſſen und verlohren.

In dieſem Augenblicke kam ein neues Paar bey dem Fenſter angeflogen, alles machte ehrerbietig Platz und ſie erblickten ein wunderſchönes Mädchen, das ſich durch ſeinen Anſtand vor allen den anderen auszeichnete. Sie lehnte lächelnd die zarte, glü¬ hende Wange an die Fenſterſcheibe, um ſie abzu¬ kühlen. Darauf öffnete ſie gar das Fenſter, theil¬ te zierlich ihre Haare, durch die ein Roſenkranz ge¬ ſtochten war, nach beyden Seiten über die Stirne, und ſchaute, ſo, wie in Gedanken verſunken, lange, in die Nacht hinaus. Leontin und Friedrich waren ihr dabey ſo nahe, daß ſie ihren Athem hö¬ ren konnten; ihre ſtillen, großen Augen, in deren feuchtem Spiegel der Mond widerglänzte, ſtanden grade vor ihnen. Wo iſt das Fräulein? rief auf einmal eine Stimme von innen, und das Mädchenwendete97wendete ſich um und verlohr ſich unter den Men¬ ſchen. Leontin ſagte: Ich möchte den Baum ſchütteln, daß er bis in die Wurzeln vor Freude beben ſollte, ich möchte hier in's offene Fenſter hin¬ einſpringen und tanzen, bis die Sonne aufgienge, ich möchte wie ein Vogel von dem Baume fliegen über Berge und Wälder! Zwey ältliche Herren unterbrachen dieſe Ausrufungen, indem ſie ſich zum Fenſter hinauslehnten. Ihr Geſpräch, ſo ruhig wie ihre Geſichter, ergoß ſich wie ein einförmiger, aber klarer Strom über die neueſten politiſchen Zeitbege¬ benheiten, von denen ſie bald auf ihre Landwirth¬ ſchaft ablenkten, und aus den Blitzen, die man in der Ferne am wolkenloſen Himmel erblickte, ein günſtiges Aerndtewetter prophezeiten.

Unterdeß hatte die Muſik aufgehört, das Zim¬ mer oben wurde leerer. Man hörte unten die Thü¬ re auf - und zugehen, verſchiedene Partheyen gien¬ gen bey dem ſchönen Mondſcheine im Garten auf und nieder, und auch die beyden alten Herren ver¬ ſchwanden von dem Fenſter. Da kam ein junges Paar, ganz getrennt von den übrigen, langſam auf den Baum zugewandelt. Gott ſteh 'uns bey, ſag¬ te Leontin, da kommen gewiß Sentimentaliſche, denn ſie wandeln ſo ſchwebend auf den Zehen, wie einer, der gern fliegen möchte und nicht kann. Sie waren indeß ſchon ſo nahe gekommen, daß man verſtehen konnte, was ſie ſprachen. Haben Sie, fragte der junge Mann, das neueſte Werk von La¬798fontaine geleſen? Ja, antwortete das Mädchen, in einer ziemlich bäueriſchen Mundart, ich habe es geleſen, mein ädler Freund! und es hat mir Thrä¬ nen entlockt, Thränen, wie ſie jeder Fühlende gern weint. Ich bin ſo froh, fuhr ſie nach einer kleinen Pauſe fort, daß wir aus dem Schwarm, von den lärmenden, unempfindlichen Menſchen fort ſind; die rauſchenden Vergnügungen ſind gar nicht meine Sache, es iſt da gar nichts für das Herz. Er. O, daran erkenne ich ganz die ſchöne Seele! Aber Sie ſollten ſich der ſüßen Melankolie nicht ſo ſtark ergeben, die edlen Empfindungen greifen den Men¬ ſchen zu ſehr an. Sie ſieht aber doch, flüſterte Friedrich, blitzgeſund aus und voll zum Aufſprin¬ gen. Das kommt eben von dem angreifen, meynte Leontin. Er. Ach, in wenigen Stunden ſcheidet uns das eiſerne Schickſal wieder, und Berge und Thäler liegen zwiſchen zwey gebrochnen Herzen. Sie. Ja, und in dem einen Thale iſt der Weg immer ſo kothig und kaum zum durchkommen. Er. Und an meinem neuen ſchönen Parutſch grade auch ein Rad gebrochen. Aber genießen wir doch die ſchöne Natur! An ihrem Buſen werd 'ich ſo warm! Sie. O ja. Er. Es geht doch nichts über die Ein¬ ſamkeit für ein ſanftes, überfließendes Herz. Ach! die kalten Menſchen verſtehen mich gar nicht! Sie. Auch Sie ſind der einzige, mein ädler Freund, der mich ganz verſteht. Schon lange habe ich Sie im Stillen bewundert, dieſen wie ſoll ich ſagen? dieſen ädlen Charakter, dieſe ſchönen Sentimentre 99 Sentiments wollen Sie ſagen, fiel Er ihr in's Wort, und rückte ſich mit eitler Wichtigkeit zuſam¬ men.

O Jemine! flüſterte Leontin wieder, mir juckt der Aedelmuth ſchon in allen Fingern, ich dächte, wir prügeln ihn durch.

Die beyden Sentimentaliſchen hatten einander indeß mit den Armen umſchlungen, und ſahen lange ſtumm in den Mond. Nun ſizt die Unterhaltung auf dem Sande, ſagte Leontin, der Witz iſt im ab¬ nehmenden Monde. Aber zu ſeiner Verwunderung hub Er von neuem an: O heilige Melankolie! du ſympathetiſche Harmonie gleichgeſtimmter Seelen! So rein, wie der Mond dort oben, iſt unſere Lie¬ be! Während deß fieng er an, heftig an dem Bu¬ ſenbande des Mädchens zu arbeiten, die ſich nur wenig ſträubte. Nun, ſagte Leontin, ſind ſie in ihre eigentliche Natur zurückgefallen, der Teufel hat die Poeſie geholt. Das iſt ja ein verwetterter Schuft, rief Friedrich, und fieng oben auf ſeinem Baume an ganz laut zu ſingen. Die Sentimentali¬ ſchen ſahen ſich eine Weile erſchrocken nach allen Seiten um, dann nahmen ſie in der größten Verwirrung Reißaus. Leontin ſchwang ſich lachend, wie ein Wet¬ terkeil, vom Baume hinter ihnen drein und verdop¬ pelte ihren Schreck und ihre Flucht.

Unſere Reiſenden waren nun wahrſcheinlich ver¬ rathen und mußten alſo auf einen klugen Rückzug7 *100bedacht ſeyn. Sie zogen ſich daher auf den leeren Gängen des Gartens an den Spazierengehenden vorüber, und wurden ſo, vom Dunkel begünſtigt, von allen entweder überſehen, oder für Ballgäſte ge¬ halten.

Als ſie, ſchon nahe am Ausgange, eben um die Ecke eines Ganges umbeugen wollten, ſtand auf einmal das ſchöne Fräulein, die mit einer Beglei¬ terin von der anderen Seite kam, dicht vor ihnen. Der Mondſchein fiel grade ſehr hell durch eine Oeff¬ nung der Bäume und beleuchtete die beyden ſchönen Männer. Das Fräulein blieb mit ſichtbarer Ver¬ wirrung vor ihnen ſtehen. Sie grüßten ſie ehrer¬ bietig. Sie dankte verlegen mit einer tiefen, zier¬ lichen Verbeugung, und eilte dann ſchnell wieder weiter. Aber ſie bemerkten wohl, daß ſie ſich in einiger Entfernung noch einmal flüchtig nach ihnen umſah.

Sie kehrten nun wieder in ihr Wirthshaus zu¬ rück, wo ſie bereits alles zu einer guten Nacht vor¬ bereitet fanden. Leontin war unterwegs voller Ge¬ danken und ſtiller als gewöhnlich. Friedrich ſtellte ſich oben noch an das offene Fenſter, von dem man das ſtille Dorf und den geſtirnten Himmel überſah, verrichtete ſein Abendgebeth und legte ſich ſchlafen. Leontin aber nahm die Guitarre und ſchlenderte langſam durch das nächtliche Dorf. Nach verſchie¬ denen Umwegen kam er wieder an den Garten. Da war unterdeß alles leer geworden und todten¬101 ſtill, in der Wohnung des Pächters alle Lichter verlöſcht und die ganze laute, fröhliche Erſcheinung verſunken. Ein leichter Wind gieng rauſchend durch die Wipfel des einſamen Gartens, hin und wieder nur bellten Hunde aus entferntern Dörfern über das ſtille Feld. Leontin ſezte ſich auf den Gartenzaun hinauf und ſang:

Der Tanz, der iſt zerſtoben,
Die Muſik iſt verhallt,
Nun kreiſen Sterne droben,
Zum Reigen ſingt der Wald.
Sind alle fortgezogen,
Wie iſt's nun leer und todt!
Du rufſt vom Fenſterbogen:
Wann kommt der Morgenroth!
Mein Herz möcht 'mir zerſpringen,
Darum ſo wein' ich nicht,
Darum ſo muß ich ſingen
Bis daß der Tag anbricht.
Eh 'es beginnt zu tagen:
Der Strom geht ſtill und breit,
Die Nachtigallen ſchlagen,
Mein Herz wird mir ſo weit!
Du trägſt ſo rothe Roſen,
Du ſchauſt ſo Freudenreich,
Du kannſt ſo fröhlich koſen,
Was ſtehſt Du ſtill und bleich?
Und laß ſie geh'n und treiben
Und wieder nüchtern ſeyn,
Ich will wohl bey Dir bleiben!
Ich will Dein Liebſter ſeyn!
102

Das ſchöne Fräulein war in dem Hauſe des Pächters über Nacht geblieben. Sie ſtand halbent¬ kleidet an dem offenen Fenſter, das auf den Gar¬ ten hinausgieng. Wer mögen wohl die beyden Fremden ſeyn? ſagte ſie gleichgültigſcheinend zu ihrer Jungfer. Ich weiß es nicht, aber ich möch¬ te mich gleich fortſchleichen und noch heute im Wirthshauſe nachfragen. Um Gotteswillen, thu 'das nicht, ſagte das Fräulein erſchrocken, und hielt ſie ängſtlich am Arme feſt. Morgen iſt es zu ſpät. Wenn die Sonne aufgeht, ſind ſie gewiß längſt wieder über alle Berge. Ich will ſchlafen geh'n, ſagte das Fräulein, ganz in Gedanken ver¬ ſunken. Gott weiß, wie es kommt, ich bin heut ſo müde und doch ſo munter. Sie ließ ſich darauf entkleiden und legte ſich nieder. Aber ſie ſchlief nicht, denn das Fenſter blieb offen und Leontins verführeriſche Töne ſtiegen die ganze Nacht wie auf goldenen Leitern in die Schlafkammer des Mädchens ein und aus.

Siebentes Kapitel.

Stand ein Mädchen an dem Fenſter,
Da es draußen Morgen war,
Kämmte ſich die langen Haare,
Wuſch ſich ihre Aeuglein klar.
103
Sangen Vöglein aller Arten,
Sonnenſchein ſpielt 'vor dem Haus,
Draußen über'n ſchönen Garten
Flogen Wolken weit hinaus.
Und ſie dehnt 'ſich in den Morgen,
Als ob ſie noch ſchläfrig ſey,
Ach, ſie war ſo voller Sorgen,
Flocht ihr Haar und ſang dabey:
Wie ein Vöglein hell und reine,
Ziehet draußen muntre Lieb ',
Lockt hinaus zum Sonnenſcheine,
Ach, wer da zu Hauſe blieb'!

Die Morgenſonne traf unſere Reiſende ſchon wieder draußen zu Pferde, und das Dorf, wo ſie übernachtet, lag dampfend hinter ihnen. Leontin hatte bereits im Wirthshauſe erfahren, daß das ſchöne Fräulein die Tochter eines in der Nähe reich¬ begüterten Edelmannes ſey, welcher, wie er ſich ſehr wohl erinnerte, mit ſeinem Vater in ganz be¬ ſonders freundſchaftlichen Verhältniſſen geſtanden hatte. Es wurde daher beſchloſſen, bey ihm einzu¬ ſprechen.

Gegen Abend erblickten ſie das Schloß des Herrn v. A., das aus einem freundlichreichen Chaos von Gärten und hohen Bäumen friedlich hervorragte. Sie ritten langſam zwiſchen hohen Kornfeldern hin. Die Sonne, die ſich eben zum Untergange neigte, warf ihre Strahlen ſchief über die Fläche und ſpiel¬ te luſtig in den nickenden Aehren. Ein fröhliches104 Singen und Wirren verſchiedener Stimmen lenkte bald die Augen der beyden Reiter von der ruhigen Landſchaft vor ihnen ab, und ſie erblickten ſeitwärts in einiger Entfernung vom Wege ein weites Feld, wo man ſo eben mit der Erndte begriffen war. Eine lange Reihe von Arbeitern wimmelte luſtig durcheinander, der laute Ruf der Merker erſchallte von Zeit zu Zeit dazwiſchen, und ſchwerbeladene Wagen zogen langſam und knarrend dem Dorfe zu. Im Hintergrunde dieſes Gewimmels ſah man eine bunte Gruppe von vornehmeren Perſonen gelagert, die den Arbeitern zuſahen und unter denen Leontin ſogleich das ſchöne Fräulein wieder erkannte. Mit¬ ten unter ihnen ragte eine höchſtſeltſame Figur her¬ vor. Ein hagerer Mann nemlich, in einem langen, weißen Mantel ſaß auf einem hochbeinigten Schim¬ mel, der den Kopf faſt auf die Erde hängen ließ. Von dieſer ſeiner Roſinante theilte die abentheuer¬ liche Geſtalt, im Tone einer Predigt, Befehle an die Bauern aus, worauf jedesmal ein lautes Ge¬ lächter erfolgte.

Leontin und Friedrich zweifelten nicht, daß jene Zuſchauer die Herrſchaft des Ortes ſeyen, und da ſie bemerkten, daß bereits alle Augen auf ſie gerichtet waren, ſo übergaben ſie ihre Pferde an Erwin und eilten, ſich ſelber der Geſellſchaft vor¬ zuſtellen. Herr v. A. und ſeine Schweſter, die ſich ſeit dem Tode ihres Mannes beym Bruder auf¬ hielt, erinnerten ſich ſogleich der ehemaligen freund¬ ſchaftlichen Verhältniſſe, zwiſchen den beyden Häu¬105 ſern, und drückten ihre Freude, Leontin und ſeinen Freund bey ſich zu ſehen, mit den aufrichtigſten Worten aus. Das Fräulein wurde bey ihrer An¬ kunft über und über roth und wagte nicht, die Au¬ gen aufzuſchlagen, denn ſie erkannte beyde recht gut wieder. Neben ihr ſtand ein ziemlich junger, blei¬ cher Mann, in dem ſie ſogleich dieſelbe Geſtalt wie¬ dererkannten, die geſtern mit ſo einer ironiſchen Wuth getanzt und muſiziert hatte. Seine auffal¬ lenden Geſichtszüge hatten ſich tief in Leontins Ge¬ dächtniß gedrückt. Aber es war heut gar keine Spur von Geſtern an ihm, er ſchien ein ganz an¬ derer Menſch. Er ſah ſchlicht, ſtill und traurig und war verlegen im Geſpräche. Es war ein Theolog, der, zu arm, ſeine Studien zu vollenden, auf dem Schloſſe des Herrn v. A. Unterhalt, Freunde und Heymath gefunden und dafür die Leitung des Schul¬ weſens auf den ſämmtlichen Gütern übernommen hatte. Der Ritter von der traurigen Geſtalt dage¬ gen ſchaute von ſeinem Schimmel während dem Empfange und der erſten Unterhaltung ſo unheim¬ lich und komiſch darein, daß Leontin gar nicht von ihm wegſeh'n konnte. Jeder Bauer, den ſeine Ar¬ beit an ihm vorüberführte, geſegnete die Geſtalt mit einem tüchtigen Witze, wobey ſich jener immer heftig vertheidigte. Leontin erhielt ſich nur noch mit vieler Mühe, ſich mit darein zu miſchen, als die Tante endlich die Geſellſchaft aufforderte, ſich nach Hauſe zu begeben, und alles aufbrach. Die ſonderbare Geſtalt ſezte ſich nun voraus im Galopp. 106Er ſchlug dabey mit beyden Füßen unaufhörlich in die Rippen des Kleppers und ſein weißer Mantel rauſchte in ſeiner ganzen Länge in den Lüften hin¬ ter ihm drein. Die Bauern riefen ihm ſämmtlich ein freudiges Hurrah nach. Herr v. A., der die Verwunderung der beyden Gäſte bemerkte, ſagte lachend: das iſt ein armer Edelmann, der vom Stegreif lebt, ein irrender Ritter, der von Schloß zu Schloß zieht und uns beſonders oft heimſucht, ein Hofnarr für alle, die ihn ertragen können, halb närriſch und halb geſcheid.

Als ſie durch's Dorf giengen, wurden ſie von allen Seiten nicht nur mit dem Hute, ſondern auch mit freundlichen Worten und Mienen begrüßt, wel¬ ches immer ein gutmüthiges und natürliches Ver¬ hältniß zwiſchen der Herrſchaft und ihren Bauern verräth. Sie kamen endlich an das Schloß und überſahen auf einmal einen weiten, freundlichen und fröhlich wimmelnden Hof. Alles war geſchäftig, nett und ordentlich und beurkundete eine thätige Hauswirthin. Friedrich äußerte dieſe Bemerkung, wodurch ſich die Tante ungemein geſchmeichelt zu finden ſchien. Sie konnte ihre Freude darüber ſo wenig verbergen, daß ſie ſogleich anfieng, ſich mit einer Art von Wohlbehagen über ihre häuslichen Einrichtung und die Vergnügungen der Landwirth¬ ſchaft auszubreiten. Das Schloß ſelbſt war neu, ſehr heiter, licht und angenehm, das Hausgeräth in den gemüthlichen Zimmern ohne beſondere Wahl107 gemiſcht und ſämmtlich wie aus einer unlängſt ver¬ gangenen Zeit.

Der Tiſch in dem großen, geräumigen Tafel¬ zimmer wurde gedeckt und man ſezte ſich bald fröh¬ lich zum Abendeſſen. Die Unterhaltung blieb an¬ fangs ziemlich ſtockend, ſteif und gezwungen, wie dieß jederzeit in ſolchen Häuſern der Fall iſt, wo, aus Mangel an vielſeitigen, allgemeinen Berüh¬ rungen mit der Auswelt, eine gewiſſe feſte, unge¬ lenke Gewohnheit des Lebens Wurzel geſchlagen hat, die durch das plötzliche Eindringen wildfrem¬ der Erſcheinungen, auf die ihr ewig gleichförmiger Gang nicht berechnet iſt, immer eher verſtimmt als umgeſtimmt wird. Herr v. A., ein langer, ernſter Mann, in ſeiner Kleidung faſt pedantiſch, ſprach wenig. Deſto mehr führte ſeine Schweſter das hohe Wort. Sie war eine lebhafte, regſame Frau, wie man zu ſagen pflegt, in den beſten Jahren, eigentlich aber grade in den ſchlimmſten. Denn ihre Geſtalt und unverkennbar ſchönen Geſichtszüge fiengen ſo eben an, auf ein vergangenes Reich zu deuten. In dieſer gefährlichen Sonnenwende ſteigt die Schönheit mürriſch, launiſch und zankend von ihrem irdiſchen Throne, wo ſie ein halbes Leben lang geherrſcht, in die öde, Freudenloſe Zukunft, wie in's Grab. Wohl denen ſeltenen größeren Frauen, welche die Zeit nicht verſäumten, ſondern im ruhigen, geſammelten Gemüthe ſich eine andere Welt der Religion und Sanftmuth erbauten! Sie verwechſeln nur die Thronen und werden ewig lie¬ ben und geliebt werden.

108

Das Geſpräch fiel während der Tafel auch auf die Erziehung der Kinder, ein Kapitel, von dem faſt alle Weiber am liebſten ſprechen und am wenigſten verſtehen. Die Tante, die nur auf eine Gelegen¬ heit gepaßt hatte, ihren Geiſt vor den beyden Fremden glänzen zu laſſen, verbreitete ſich darüber in dem gewöhnlichen Tone von Aufklärung, Bil¬ dung, feiner Sitten u. ſ. w. Zu ihrem Unglück aber fiel es dem irrenden Ritter, der unterdeß ganz unten an der Tafel mit Leib und Seele gegeſſen hatte, ein, ſich mit in das Geſpräch zu miſchen. Gerade als ſie ſich in ihren Redensarten eben am wohlſten gefiel, fuhr er höchſtkomiſch mit Wahrhei¬ ten darein, die aber alle ſo ungewöhnlich und aben¬ theuerlich ausgedrückt waren, daß Friedrich und Leontin nicht wußten, ob ſie mehr über die Schärfe ſeines Geiſtes oder über ſeine Verrücktheit erſtaunen ſollten. Beſonders brach Leontin in ein ſchadenfrohes Gelächter aus. Die Tante, der es nicht an vielſeitigen Talenten gebrach, um ſeine Verrücktheiten nicht ohne Salz zu finden, warf ihm unwillige Blicke zu, worauf ſich jener in einem phi¬ loſophiſchen Bombaſt von Unſinn vertheidigte und endlich ſelber in ein albernes Lachen ausbrach. Sie hatte aber doch das Spiel verſpielt; denn beyde Gäſte, beſonders Leontin, ſpürten bereits eine ge¬ wiſſe Kammeradſchaft mit dem räthſelhaften irrenden Ritter in ſich.

109

Als endlich die Tafel aufgehoben wurde, mu߬ te Fräulein Julie noch ihre Geſchicklichkeit auf dem Klaviere zeigen, welches ſie ziemlich fertig ſpielte. Während deß hatte die Tante Friedrich'n bey Seite genommen, und erzählte ihm, wie ſehr ſie bedaure, ihre Nichte nicht frühzeitig in die Reſidenz in irgend ein Erziehungshaus geſchickt zu haben, wo allein junge Frauenzimmer das gewiſſe Etwas erlernten, welches zum geſelligen Leben ſo unent¬ behrlich ſey. Ich bin der Meynung, antwortete ihr Friedrich, daß jungen Fräulein grade das Land¬ leben am beſten fromme. In jenen berühmten Inſtituten wird durch Eitelkeit und heilloſe Nach¬ ahmungsſucht die kindliche Eigenthümlichkeit jedes Mädchens nur verallgemeinert und verdorben. Die arme Seele wird nach einem Modelle, das für alle paſſen ſoll, ſo lange dreſſirt und gemodelt, bis am Ende davon nichts übrig bleibt, als das leere Mo¬ dell. Ich verſichere, ich will alle Mädchen aus ſol¬ chen Inſtituten ſogleich an ihrer Wohlerzogenheit er¬ kennen, und wenn ich ſie anrede, weiß ich ſchon im Voraus, was ſie mir antworten werden, was für ein Schlag von Witz oder Spaß erfolgen muß, was ſie für kleine Lieblingslaunen haben u. ſ. w. Die Tante lachte, ohne jedoch eigentlich zu wiſſen, was Friedrich mit alle dem meyne.

Unterdeß hatte das Fräulein ein Volkslied an¬ gefangen. Die Tante unterbrach ſie ſchnell und er¬ mahnte ſie, doch lieber etwas vernünftiges und ſanftes zu ſingen. Leontin aber, den dabey ſeine110 Laune überwältigte, ſezte ſich ſtatt des Fräuleins hin und ſang ſogleich aus dem Stegreif ein zärtli¬ ches Lied ſo übertrieben und ſüßlich, daß Frie¬ drich'n faſt übel wurde. Fräulein Julie ſah ihn groß an und war dann wahrend ſeines ganzen Ge¬ ſanges in tiefe Gedanken verſunken. Erſt ſpät begab man ſich zur Ruhe.

Das Schlafzimmer der beyden Gäſte war ſehr nett und ſauber zubereitet, die Fenſter giengen auf den Garten hinaus. Eine geheimnißvolle Ausſicht eröffnete ſich dort über den Garten weg in ein wei¬ tes Thal, das in ſtiller, nächtlicher Runde vor ihnen lag. In einiger Ferne ſchien ein Strom zu gehen, Nachtigallen ſchlugen überall aus den Thä¬ lern herauf. Das muß hier eine ſchöne Gegend ſeyn, ſagte Leontin, indem er ſich zum Fenſter hin¬ auslehnte. Sie kommt mir vor, wie die Menſchen hier im Hauſe, entgegnete Friedrich. Wenn ich in einen ſolchen abgeſchloſſenen Kreis von fremden Menſchen hineintrete, iſt es mir immer, als ſähe ich von einem Berge in ein unbekanntes, weites, nächtliches Land. Da gehen ſtille breite Ströme, und tauſend verborgene Wunder liegen ſeltſam zer¬ ſtreut und die fröhliche Seele dichtet bunte, lichte, glückliche Tage in die verworrene Dämmerung hin¬ ein. Ich habe oft gewünſcht, daß ich die meiſten Menſchen niemals zum zweytenmale wiederſehen und näher kennen lernen dürfte, oder daß ich im¬ mer aufgeſchrieben hätte, wie mir jeder zum erſten¬ male vorkam. Wahrhaftig, fiel ihm Leontin la¬111 chend in's Wort, ſprichſt du doch, als wärſt du von neuem verliebt. Aber du haſt ganz recht, mir iſt eben ſo zu Muthe, und es iſt nur ſchade um ein redliches Herz, das durch eine immerwährende Täuſchung ſo entherzt wird. Denn wenn in jene ſchöne, ungewiſſe Nacht der erſten Bekanntſchaft nach und nach der Tag anfängt herüberzuſchielen und die nüchternen Hähne krähen, da ſchleicht ein wunderbarer Geiſt nach dem anderen abſeits; was in der Nacht wie ein dunkler Rieſe daſtand, wird ein krummer Baum, das Thal, das ausſah wie eine umgeworfene, uralte römiſche Stadt, wird ein ge¬ meines Ackerfeld und das ganze Mährchen nimmt ein ſchaales Ende. Ich konnte ſo fromm ſeyn, wie ein Lämmchen und niemals eine Anwandlung von Witz verſpüren, wenn nicht alles ſo dumm gienge. Friedrich ſagte darauf: Nimm dich in Acht mit deinem Uebermuthe! Es iſt leicht und ange¬ nehm, zu verſpotten, aber mitten in der Täuſchung den großen, herrlichen Glauben an das Beſſere feſt zu halten, und die anderen mit feurigen Armen em¬ porzuheben, das gab Gott nur ſeinen liebſten Söh¬ nen. Ich ſage dir in vollem Ernſt, erwiederte Leontin ungemein liebenswürdig, du wirſt mich noch einmal ganz belehren, du ſeltſamer Menſch. Gott weiß es wohl, mir fehlt noch viel, daß ich gut wäre.

Am Morgen ſtrahlte die Gegend in einem zau¬ beriſchen Glanze in ihre Fenſter herauf. Sie eilten in den Garten hinab, wo ſie nicht wenig über die112 Schönheit der Landſchaft erſtaunten. Der Garten ſelbſt ſtand auf einer Reihe von Hügeln, wie eine friſche Blumenkrone über der grünen Gegend. Von jedem Punkte deſſelben hatte man die erheiternde Ausſicht in das Land, das wie in einem Panorama ringsherum ausgebreitet lag. Nirgends bemerkte man weder eine franzöſiſche noch engliſche durchgrei¬ fende Regel, aber das Ganze war ungemein er¬ quicklich, als hätte die Natur aus fröhlichem Ueber¬ muthe ſich ſelber aufſchmücken wollen.

Herr o. A. und ſeine Schweſter, leztere, wie wir ſpäter ſehen werden, wohl nicht ohne beſondere Abſicht, baten ihre Gäſte recht herzlich und drin¬ gend, längere Zeit bey ihnen zu verweilen, und beyde willigten gern in den angenehmen Aufenthalt. Doch erſt, als die allmählige Gewohnheit des Zu¬ ſammenlebens ihnen das Bürgerrecht des Hauſes er¬ theilt hatte, empfanden ſie die Wohlthat des ſtillen, gleichförmigen häuslichen Lebens und labten ſich an dieſem immer neu erfreulichen Schauſpiele, das über gutgeartete Gemüther eine Ruhe und einen gewiſſen feſten Frieden verbreitet, den viele ein Leben lang in der bunten Weltluſt oder in der Wiſſenſchaft ſelber vergebens ſuchen.

Wenn die Sonne über den Gärten, Bergen und Thälern aufgieng, flog auch ſchon alles aus dem Schloſſe nach allen Seiten aus. Herr v. A. fuhr auf die Felder, ſeine Schweſter und das Fräu¬lein113lein hatten im Hofe zu thun und wurden gewöhnlich erſt gegen Mittag in reinlichen, weiſſen Kleidern ſichtbar. Friedrich und Leontin wohnten ei¬ gentlich den ganzen Vormittag drauſſen in dem ſchönen Garten. Auf Friedrich hatte das ſtille Leben den wohlthätigſten Einfluß. Seine Seele be¬ fand ſich in einer kräftigen Ruhe, in welcher allein ſie, gleich dem unbewegten Spiegel eines Sees, im Stande iſt, den Himmel in ſich aufzunehmen. Das Rauſchen des Waldes, der Vogelſang rings um ihn her, dieſe ſeit ſeiner Kindheit entbehrte grüne Abgeſchiedenheit, alles rief in ſeiner Bruſt jenes ewige Gefühl wieder hervor, das uns wie in den Mittelpunkt alles Lebens verſenkt, wo alle die Farbenſtrahlen, gleich Radien, ausgeh'n und ſich an der wechſelnden Oberfläche zu dem ſchmerzlich¬ ſchönen Spiele der Erſcheinung geſtalten. Alles Durchlebte und Vergangene geht noch einmal ern¬ ſter und würdiger an uns vorüber, eine über¬ ſchwengliche Zukunft legt ſich, wie ein Morgenroth, blühend über die Bilder und ſo entſteht aus Ah¬ nung und Erinnerung eine neue Welt in uns und wir erkennen wohl alle die Gegenden und Geſtalten wieder, aber ſie ſind größer, ſchöner und gewalti¬ ger und wandeln in einem anderen, wunderbaren Lichte. Und ſo dichtete hier Friedrich unzählige Lieder und wunderbare Geſchichten aus tiefſter Her¬ zensluſt, und es waren faſt die glücklichſten Stun¬ den ſeines Lebens.

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Oft beſuchte ihn dort Herr v. A. in ſeiner Werk¬ ſtatt, doch immer nur auf kurze Zeit, um ihn nicht zu ſtören; denn er ſchien eine heilige Scheu vor al¬ lem zu haben, womit es einem Menſchen Ernſt war, obſchon er, wie Friedrich aus mehreren Aeuſſerungen bemerkt hatte, insbeſondere von der Dichtkunſt gar nichts hielt. Er war einer von je¬ nen, die, durch einſeitige Erziehung und eine Reihe ſchmerzlicher Erfahrungen ermüdet, den lebendigen Glauben an Poeſie, Liebe, Heldenmuth und alles Große und Ungewöhnliche im Leben aufgegeben ha¬ ben, weil es ſich ſo ungefüge gebährdet und nir¬ gends mehr in die Zeit hineinpaſſen will. Zu über¬ drüßig, um ſich dieſe Räthſel zu löſen, und doch zu großmüthig, um ſich in das wichtigthuende Nichts der anderen einzulaſſen, ziehen ſich ſolche Menſchen nach und nach kalt in ſich ſelbſt zurück und erklären zulezt alles für eitel und Affektation. Daher liebte er die beyden Gäſte, welche ſeine meiſt ſehr genia¬ len Bemerkungen, mit denen er das Erbärmliche aller Affektation auf die höchſte Spitze des Lächerli¬ chen zu ſtellen pflegte, immer ſogleich verſtanden und würdigten. Ueberhaupt waren ihm dieſe bey¬ den eine ganz neue Erſcheinung, die ihn oft in ſei¬ ner Apathie irre machte, und er gewann während ihres Auffenthaltes auf dem Schloſſe eine unge¬ wöhnliche Heiterkeit und Luſt an ſich ſelber. Uebri¬ gens war er bis zur Sonderbarkeit einfach, redlich und gutmüthig und Friedrich liebte ihn unaus¬ ſprechlich.

115

Fräulein Julie fuhr fort, ihre Tante in den häuslichen Geſchäften mit der ſtrengſten Ordnung zu unterſtützen. Sonſt war ſie ſtill und wußte ſich eben ſo wenig wie ihr Vater in die gewöhnliche Unterhaltung zu finden, worüber ſie oft von der Tante Vorwürfe anhören mußte. Doch verbreitete die beſtändige Heiterkeit und Klarheit ihres Gemü¬ thes einen unwiderſtehlichen Frühling über ihr gan¬ zes Weſen. Leontin, den ihre Schönheit vom er¬ ſten Augenblicke an heftig ergriffen hatte, beſchäf¬ tigte ſich viel mit ihr, ſang ihr ſeine phantaſtiſchen Lieder vor oder zeichnete ihr Landſchaften voll aben¬ theuerlicher Karrikaturen und Bäumen und Felſen, die immer ausſahen, wie Träume. Aber er fand, daß ſie gewöhnlich nicht wußte, was ſie mit alle dem anfangen ſollte, daß ſie grade bey Dingen, die ihn beſonders erfaßten, faſt kalt blieb. Er be¬ griff nicht, daß das heiligſte Weſen des weiblichen Gemüthes in der Sitte und dem Anſtande beſtehe, daß ihm in der Kunſt, wie im Leben, alles Zügel¬ loſe ewig fremd bliebe. Er wurde daher gewöhn¬ lich ungeduldig und brach dann in ſeiner ſeltſamen Art in Witze und Wortſpiele aus. Da aber das Fräulein wieder viel zu unbeleſen war, um dieſe Sprünge ſeines Geiſtes zu verfolgen und zu verſte¬ hen, ſo führte er, ſtatt zu belehren, einen immer¬ währenden Krieg in die Luft mit einem Mädchen, deſſen Seele war wie das Himmelblau, in dem jeder fremde Schall verfliegt, das aber in ungeſtör¬8 *116ter Ruhe aus ſich ſelber den reichen Frühling aus¬ brütet.

Deſto beſſer ſchien das Fräulein mit Friedrich zu ſtehen. Dieſem erzählte ſie zutraulich mit einer wohlthuenden Beſtimmtheit und Umſicht von ihrem Hausweſen, ihrer beſchränkten Lebensweiſe, zeigte ihm ihre bisherige Lektüre aus der Bibliothek ihres Vaters, die meiſtentheils aus fabelhaften Reiſebe¬ ſchreibungen und alten Romanen aus dem Engli¬ ſchen beſtand, und that dabey unbewußt mit ein¬ zelnen, abgeriſſenen, ihr ganz eignen Worten oft Aeuſſerungen, die eine ſolche Tiefe und Fülle des Gemüthes aufdeckten, und ſo ſeltſam weit über den beſchränkten Kreis ihres Lebens hinausreichten, daß Friedrich oft erſtaunt vor ihr ſtand und durch ihre großen, blauen Augen in ein Wunderreich hin¬ unterzublicken glaubte. Leontin ſah ſie oft Stun¬ denlang ſo zuſammen im Garten gehen und war dann gewöhnlich den ganzen Tag über ausgelaſſen, welches bey ihm immer ein ſchlimmes Zeichen war.

Der ſchöne Knabe Erwin, der mit einer un¬ beſchreiblichen Treue an Friedrich hieng, behielt indeß auch hier ſeine Sonderbarkeiten bey. Er hat¬ te ebenfalls ſeinen Wohnplatz in dem Garten aufge¬ ſchlagen und war noch immer nicht dahin zu brin¬ gen, eine Nacht im Hauſe zu ſchlafen. Leontin hatte für ihn eine eigne phantaſtiſche Tracht ausge¬ ſonnen, ſo viel auch die Tante, die es ſehr unge¬ reimt fand, dagegen hatte. Eine Art von ſpani¬117 ſchem Wams nemlich, himmelblau mit goldenen Kettchen, umſchloß den ſchlanken Körper des Knaben. Den weißen Hals trug er bloß, ein zierlicher Kra¬ gen umgab den ſchönen Kopf, der mit ſeinen dunk¬ len Locken und ſchwarzen Augen wie eine Blume über dem bunten Schmucke ruhte. Da Friedrich hier weniger zerſtreut war, als ſonſt, ſo widmete er auch dem Knaben eine beſondere Aufmerkſamkeit. Er entdeckte in wenigen Geſprächen bald an Schär¬ fe und Tiefe eine auffallende Aehnlichkeit ſeines Ge¬ müthes mit Julien. Nur mangelte bey Erwin das ruhige Gleichgewicht der Kräfte, die alles beleuch¬ tende Klarheit ganz und gar. Im verborgenſten Grunde der Seele ſchien vielmehr eine geheimni߬ volle Leidenſchaftlichkeit zu ruhen, die alles ver¬ wirrte und am Ende zu zerſtören drohte. Mit Er¬ ſtaunen bemerkte Friedrich zugleich, daß es dem Knaben durchaus an allem Unterrichte in der Reli¬ gion gebreche. Er ſuchte daher ſeine früheſten Le¬ bensumſtände zu erforſchen, aber der Knabe be¬ harrte mit unbegreiflicher Hartnäckigkeit, ja mit ei¬ ner Art von Todesangſt auf ſeinem Stillſchweigen über dieſen Punkt. Friedrich ließ es ſich nun ernſtlich angelegen ſeyn, ihn im Chriſtenthume zu unterrichten. Alle Morgen, wenn die Natur in ihrer Pracht vor ihnen ausgebreitet lag, ſaß er mit ihm im Garten, und machte ihn mit dem großen Wunderreichen Lebenswandel des Erlöſers bekannt, und fand, ganz dem Gange der Zeit zuwider, das Gemüth des Knaben weit empfänglicher für das118 Verſtändniß des Wunderbaren als des Alltäglichen und Gewöhnlichen. Seit dieſer Zeit ſchien Erwin innerlich ſtiller, ruhiger und ſelbſt geſelliger zu wer¬ den.

In Juliens Weſen war indeß, ſeit die Frem¬ den hier angekommen waren, eine unverkennbare Veränderung vorgegangen. Sie ſchien ſeitdem ge¬ wachſen und ſichtbar ſchöner geworden zu ſeyn. Auch fieng ſie an, ſich mehrere Stunden des Tages auf ihrem Zimmer zu beſchäftigen. Aus dieſem Zimmer gieng eine Glasthüre auf den Garten hinaus; vor derſelben ſtanden auf einem Balkon eine Menge hoher, ausländiſcher Blumen, mitten in dieſem Wunderreiche von Duft und Glanz ſaß ein bunter Papagey hinter goldenen Stäben. Hier befand ſich Julie, wenn alles ausgegangen war, und las oder ſchrieb, während Erwin, drauſſen vor dem Balkon ſitzend, auf der Guitarre ſpielte und ſang. So fand ſie Friedrich einmal, als er ſie zu einem Spa¬ ziergange abholte, eben über einem Gemählde be¬ griffen. Es war, wie er mit dem erſten Blicke flüch¬ tig unterſcheiden konnte, ein halbvollendetes Portrait eines jungen Mannes. Sie verdeckte es ſchnell, als er hereintrat, und ſah ihn mit einem durchdringen¬ den, räthſelhaften Blicke an. Sollte ſie lieben? dachte Friedrich, und wußte nicht, was er davon halten ſollte.

119

Achtes Kapitel.

Es war feſtgeſezt worden, daß die ganze Fa¬ milie eine kleine Reiſe auf ein Jagdgut des Herrn v. A. unternehmen ſollte, das einige Meilen von dem Schloſſe entfernt war. Am Morgen des be¬ ſtimmten Tages wachte Friedrich ſehr zeitig auf. Er ſtellte ſich an's Fenſter. Der Hof und die gan¬ ze Gegend lag noch ruhig, am fernen Horizonte fieng bereits an, der Tag zu grauen. Nur zwey Jäger waren auch ſchon munter und putzten unten im Hofe die Gewehre. Sie bemerkten den Grafen nicht und ſchwatzten und lachten miteinander. Frie¬ drich hörte dabey mit Verwunderung mehreremal Fräulein Julien nennen. Der eine Jäger, ein ſchö¬ ner junger Burſch, ſang darauf mit heller Stimme ein altes Lied, wovon Friedrich immer nur die letz¬ ten Verſe, womit ſich jede Strophe ſchloß, vorſtand:

Das Fräulein iſt ein ſchönes Kind,
Sie hat ſo munt're Augen,
Die Augen ſo verliebet ſind,
Zu ſonſt ſie gar nichts taugen.

Friedrich erſchrack, denn er zweifelte nicht, daß das Lied Julien gelten ſollte. Er überdachte das Benehmen des Fräuleins in der lezten Zeit, das Verſtecken des Bildes und verſchiedene hingeworfe¬ ne Reden, und konnte ſich ſelbſt der Meynung nicht120 erwehren, daß ſie verliebt ſey; aber wen ſie mey¬ ne, blieb ihm noch immer dunkel.

Unterdeß hatte ſich der Tag immer mehr und mehr erhoben, hin und wieder im Schloſſe giengen ſchon Thüren auf und zu, bis es endlich nach und nach lebendig wurde. Wer es weiß, was es heißt, ein ſo ſchwerfälliges Haus flott zu machen, der wird ſich von dem Rumpelmorgen einen Begriff ma¬ chen können, der nun begann. Wie auf einem Schiffe, das ſich zu einer nahen Schlacht bereitet, verbreitete ſich langſam wachſend ein dunkles Getöſe von Eile und Geſchäftigkeit durch's ganze Schloß, Betten, Koffer und Schachteln flogen aus einer Ecke in die andere, nur noch ſelten hörte man die Kom¬ mando-Trompete der Tante dazwiſchen tönen. Für Leontin waren dieſe feyerlichen Vorbereitun¬ gen, die Wichtigkeit, mit der jeder ſein Geſchäft be¬ trieb, ein wahres Feſt. Unermüdlich befand er ſich überall mitten im Gewühle und ſuchte unter dem Scheine der Hülfleiſtung die Verwirrung immer größer zu machen, bis er endlich durch ſeine zwey¬ deutigen Mienen den Zorn des geſammten Frauen¬ zimmers dergeſtalt gegen ſich empört hatte, daß er es für das räthlichſte hielt, Reißaus zu nehmen.

Er ſezte ſich daher mit Friedrich und Viktor, ſo hieß der Theolog, zu Pferde und ſie ritten auf das Gut hinaus. Viktor, der nun mit den beyden ſchon vertrauter und geſprächiger geworden war, ſchien alle Trübniß dahinten gelaſſen zu haben, als121 ſie über die Berge ritten. Er war auf einmal aus¬ gelaſſen luſtig, und ſie konnten nicht umhin, über den ſonderbar wechſelnden Menſchen zu erſtaunen, der beſonders ganz nach Leontins Geſchmack war. Unterweges ſahen ſie den ſeltſamen irrenden Rit¬ ter, der ſchon lange wieder das Schloß verlaſſen hatte, in der Ferne auf ſeinem Gaule über ein Ackerfeld hinwegſtolpern. Viktor'n brachte dieſer Anblick ganz außer ſich vor Freude. Er rief ihm ſogleich mit geſchwenktem Hute zu. Da aber jener, ſtatt ſtill zu halten, ſeinen Gaul vielmehr in Trab ſezte, um ihnen zu entkommen, ſo druckte er ſo¬ gleich die Sporen ein und machte Jagd auf ihn. Er hatte ihn bald eingeholt und brachte ihn unter einem heftigen und lauten Wortwechſel mit ſich zu¬ rück. Um dieſe[Eroberung] vermehrt, zogen ſie nun fröhlich weiter und erblickten nach einigen Stunden endlich das Gut des Herrn v. A. als ſie auf einer Anhöhe plötzlich aus dem Walde herauskamen. Das kleine Schloß mit ſeinem netten Hofe lag mit¬ ten in einem einſamen Thale, rings umher von Tannenwäldern umſchloſſen. Leontin, den dieſe tie¬ fe Einſamkeit überraſchte, blieb in Gedanken ſtehen und ſagte: Wie fürchterlich ſchön, hier mit einem geliebten Weibe ein ganzes Leben lang zu wohnen! Ich möchte mich um alle Welt nicht verlieben.

Als ſie unten in das Thal hinabzogen, bog auch ſchon auf der Höhe der Wagen des Herr v. A. mit ſeinen vier Rappen um die Waldesecke herum und der Kutſcher knallte luſtig mit der Peitſche, daß es122 weit in die Wälder hineinſchallte. Das Fräulein lehnte ſich zum Wagen hinaus. Da reitet Er! rief ſie auf einmal haſtig. Zum Glücke rollte der Wa¬ gen zu ſchnell hinab, und die Tante hatte es nicht gehört.

Am folgenden Morgen, da die Geſellſchaft zur Jagd aufbrach, war Leontin ſchon lange drauſſen im Walde. Er hatte ſich von den Jägern im allge¬ meinen die Gegend bezeichnen laſſen, wo die Jagd gehalten werden ſollte, und war noch vor Tages¬ anbruch allein vorausgeritten. Denn ihm waren alle die weitläufigen und ſchulgerechten Zurüſtungen, die einer ſolchen allgemeinen Jagd immer vorherzugehen pflegen, in den Tod verhaßt. Er durchſtrich daher an dem friſchen Morgen allein die einſame Heyde, wo ihn oft plötzlich durch eine Lichtung des Waldes die herrlichſten Ausſichten überraſchten und Stunden¬ lang feſtbannten. So folgte er dem luſtigen Jagd¬ gewirre immer von weitem nach. Und wie unter ihm die Wälder rauchten, hin und wieder Schüße fielen und zwiſchen dem Gebell der Hunde die Hör¬ ner von Zeit zu Zeit ertönten, da dichtete ſeine fri¬ ſche Seele unaufhörlich ſeltſame Lieder, die er ſo¬ gleich ſang, ohne jemals ein einziges aufzuzeichnen. Denn was er aufſchrieb, daran verlohr er ſogleich die freye, unbeſtimmte Luſt. Es war, als bräche das Wort unter ſeiner Hand die luftigen Schwin¬ gen. Er beherrſchte nicht, wie der beſonnene Dich¬ ter, das gewaltige Element der Poeſie, der Glück¬ liche wurde von ihr beherrſcht.

123

Unterdeß war die Sonne ſchon hoch über die Wipfel des Waldes geſtiegen, nur noch hin und her gaben die Hunde einzelne Laute, kein Schuß fiel mehr und der Wald wurde auf einmal wieder ſtill. Die Jäger durchſtrichen das Revier und rie¬ fen mit ihren Hüfthörnern die zerſtreuten Schützen von allen Seiten zuſammen. So hatte ſich nach und nach die Geſellſchaft, auſſer Leontin, zuſammen¬ gefunden und auf einer großen, ſchönen Wieſe ge¬ lagert, die kühl und luftig zwiſchen den Waldber¬ gen ſich hinſtreckte. Mehrere benachbarte Edelleute waren ſchon frühmorgens mit ihren Söhnen und Töchtern im Walde zur Jagd geſtoſſen und ver¬ mehrten nun den Trupp anſehnlich. Die Mädchen ſaßen, wie Blumen in einen Teppich gewirkt, mit ihren bunten Tüchern luſtig im Grünen, reinlich gedeckte Tiſche mit Eßwaren und Wein ſtanden ſchimmernd unter den kühlen Schatten, die Tante gieng, alles fleißig und mit gutem Sinne ordnend, umher. Julie hatte, während Friedrichs und Leon¬ tins Aufenthalte auf dem Schloſſe, den benachbar¬ ten Fräulein ſchon manches von den beyden Fremden geſchrieben, vielerley ſeltſame Dinge hatte der Ruf, der auf dem Lande alles Fremde um deſto hungriger ergreift, je ſeltener es ihm kommt, zu ihnen getra¬ gen. Friedrich'n hatten ſie nun kennen gelernt, aber ſeine ruhige, einfache Sitte befriedigte die jun¬ gen, neugierigen Seelen keineswegs. Und doch hatte ihnen Julie immer nur von ihm mit ſo vieler Wärme und Ausführlichkeit geſchrieben, Leontinen124 aber bloß mit einigen flüchtigen Worten berührt, aus denen ſie niemals recht klug werden konnten. Auf einmal trat auch dieſer gegenüber auf der Höhe aus dem Walde, und alle die jungen, ſchönen Au¬ gen flogen der hohen, ſchlanken Geſtalt zu. Er konnte ſich nicht enthalten, als er unter ſich das bunte Luſtlager erblickte, ſeinen Hut überm Kopfe zu ſchwenken. Man erwiederte von unten ſeine Begrüßung, wobey ſich insbeſondere Viktor wieder auszeichnete. Er warf ſeinen Hut mit fröhlicher Wuth hoch in die Luft, ergriff ſchnell ſeine Büchſe und ſchoß ihn ſo im Fluge, zu nicht geringem Schreck des ſämmtlichen Frauenzimmers, wieder herab.

Leontin war indeß hinabgeſtiegen, und alles rückte ſich nun um die reichbedeckten Tiſche zuſam¬ men. Die Jäger lagen, ihre Weinflaſchen in der Hand, hin und her zerſtreut, ihre Hunde lechzend neben ihnen auf den Boden hingeſtreckt. Der freye Himmel machte alle Herzen weit, der Wein blickte golden aus den hellgeſchliffenen Gläſern, wie die Luſt aus den glänzenden Augen, und ein fröhliches Durcheinanderſprechen erfüllte bald die Luft. Unter den fremden Fräulein befand ſich auch eine Braut, ein hübſches, junges, ſehr munteres Mädchen. Ihr Bräutigam war ein ſchöner, ſchlanker Landjunker mit einem bedeutenden Geſicht voll Leben, um das es jammerſchade war, daß es durch einige rohe Züge entſtellt wurde. Er mußte ſich auf das tu¬ multuariſche Andringen ſämmtlicher Alten feyerlich125 neben ſeine Braut ſetzen, welches er auch ohne weiteres that. Könnte ich's nur ein einzigesmal in meinem Leben ſo weit bringen, ſagte Leontin zu Friedrich, ſo einen ſtattlichen, engelrechten Bräuti¬ gam vorzuſtellen! So eine öffentliche Brautſchaft iſt wie ein Wirthshaus mit einem abgeſchabten Cu¬ pido am Aushängeſchilde, wo jedermann aus - und eingehen und ſein bischen Witz blicken laſſen darf.

Wehe der Braut, die unter luſtige Trinker ge¬ räth! So wurde auch hier nach rechter deutſcher Weiſe dem Brautpaare bald von allen Seiten mit kernigen Anhängen zugetrunken, wofür ſich die jun¬ ge Braut immer zierlich und erröthend bedankte, indem ſie jedesmal ebenfalls das Glas an den Mund ſezte. Auch Leontin, der ſich an dem allgemeinen Getümmel von guten und ſchlechten Einfällen ergöz¬ te, und dem die feinen Lippen der Braut roſiger vorkamen, wenn ſie ſie in den goldenen Rand des Weines tauchte, ſezte ihr tapfer zu und trank mehr als gewöhnlich.

Die alten Herren hatten ſich indeß in einen weitläufigen Diſkurs über die Begebenheiten und Heldenthaten der heutigen Jagd verwickelt, und konnten nicht aufhören zu erzählen, wie jener Haſe ſo herrlich zu Schuß gekommen, wie jener Hund angeſchlagen, der andere die Jagd dreymal gewen¬ det u. ſ. w. Leontin, der auch mit in das Geſpräch hineingezogen wurde, ſagte: ich liebe an der Jagd nur den friſchen Morgen, den Wald, die luſtigen126 Hörner, und das gefährliche, freye, ſoldatiſche Le¬ ben. Alle nahmen ſogleich Parthey gegen dieſen kezeriſchen Satz und überſchrieen ihn heftig mit einem verworrenen Schwall von Widerſprüchen. Die ei¬ gentlichen Jäger von Handwerk, fuhr Leontin lu¬ ſtig fort, ſind die eigentlichen Pfuſcher in der edlen Jägerey, Narren des Waldes, Pedanten, die den Waldgeiſt nicht verſtehen; man ſollte ſie gar nicht zulaſſen, uns anderen gehört das ſchöne Waldre¬ vier! Dieſe offenbare Kriegserklärung brachte nun vollends alles in Harniſch. Von allen Seiten fiel man laut über ihn her. Leontin, den der viele Wein und die allgemeine Fehde erſt recht in ſeine Luſtigkeit hineingeſetzt hatte, wußte ſich nicht mehr anders zu retten: er ergriff die Guitarre, die Ju¬ lie mitgebracht, ſprang auf ſeinen Stuhl hinauf und überſang die Kämpfenden mit folgendem Liede:

Was wollt ihr in dem Walde haben,
Mag ſich die arme Menſchenbruſt
Am Waldesgruße nicht erlaben,
Am Morgenroth und grüner Luſt?
Was tragt ihr Hörner an der Seite,
Wenn ihr des Hornes Sinn vergaßt,
Wenn's euch nicht ſelbſt lockt in die Weite,
Wie ihr vom Berg 'frühmorgens blast?
Ihr werd't doch nicht die Luſt erjagen,
Ihr mög't durch alle Wälder geh'n;
Nur müde Füß 'und leere Magen
Mir möcht' die Jägerey vergeh'n!
127
O nehmet doch die Schneiderelle,
Guckt in der Küche in den Topf!
Sonntags dann auf des Hauſes Schwelle,
Krau 'euch die Ehefrau auf dem Kopf!
Die Thierlein ſelber: Hirſch und Rehen,
Was luſtig haußt im grünen Haus,
Sie flieh'n auf ihre freyen Höhen,
Und lachen arme Wichte aus.
Doch, kommt ein Jäger wohlgebohren,
Das Horn irrt, er blizt roſenroth,
Da iſt das Hirſchlein wohl verlohren,
Stellt ſelber ſich zum luſt'gen Tod.
Vor allen aber die Verliebten,
Die lad 'ich ein zur Jägerluſt,
Nur nicht die weinerlich Betrübten,
Die recht von friſch' und ſtarker Bruſt.
Mein Schatz iſt Königinn im Walde,
Ich ſtoß 'ins Horn, in's Jägerhorn!
Sie hört mich fern und naht wohl balde,
Und was ich blaſ', iſt nicht verlohr'n!

Ich glaube, ich blaſe gar ſchon aus des Kna¬ ben Wunderhorn, unterbrach er ſich hier ſelber und ſprang ſchnell von ſeinem Stuhle. Die ganze Ge¬ ſellſchaft war durch das luſtige Lied wieder mit ihm ausgeſöhnt, der Streit war vergeſſen und von allen Seiten wurde auf die Geſundheit des Sängers ge¬ trunken.

Unterdeß zog der ſeltſame Viktor, der ſich während Leontins Geſang fortgeſchlichen hatte, weil er kein Lied vertragen konnte, wo er nicht ſelbſt128 mitſingen durfte, aller Augen auf ein neues Schau¬ ſpiel. Er warf nemlich im Hintergrunde, um nicht bemerkt zu werden, zu ſeiner eignen Herzensluſt die leeren Weinfäßchen in die Luft, während die Jä¬ ger alle nach denſelben ſchießen mußten, welches nicht ohne daß größte Geſchrey ablief. Die Tante, welche keinen Rauſch an Männern ertragen konnte, befürchtete eine allgemeine Anarchie und lud die Ge¬ ſellſchaft, um die erhizten Gemüther zu zerſtreuen, noch auf einige Stunden zu ſich auf das Jagdſchloß. Alles brach daher auf und beſtieg den Wagen. Friedrich, Leontin und Viktor ritten wieder dem langen Zuge voran, den Ritter von der traurigen Geſtalt in ihrer Mitte, deſſen baufälliges Pferd die Jäger mit einem Baldachin von grünen Zwei¬ gen und jungen Bäumchen beſteckt hatten, ſo daß er, gleich Münchhauſen, wie unter einer Laube ritt.

Als ſie auf dem Schloſſe angekommen waren, wurden geſchwind noch einige Muſikanten, ſo gut ſie hier zu bekommen waren, zuſammengebracht, und man tanzte bis zur einbrechenden Nacht. Für Friedrich und Leontin, die, frühzeitig in die Welt hinausgeſtoſſen, gewohnt waren, das Leben immer nur in großen, vollendeten Maßen, gleichſam wie im Fluge, zu berühren, gewährte dieſer kleine Kreis, wo faſt alle mit einander verwandt nur Eine Familie bildeten, eine neue Erſcheinung. Die er¬ quickliche Art, wie die jungen Landfräulein immermit129mit Mund, Händen und den munteren Augen zu¬ gleich erzählten, ihre kleinen Manieren und un¬ ſchuldige Koketterie, die Sorgfalt, mit welcher die Mütter nach jedem Tanze herumgiengen und ihren artigen Kätzchen die Haare aus der heißen Stirne ſtrichen und ſie ermahnten, nicht kalt zu trinken, das lächelnde Wohlbehagen, mit dem eine jede alle Mienen Leontins und Friedrichs verfolgten, wenn ſie ſich mit ihren Töchtern gut zu unterhalten ſchie¬ nen, alles dieß machte auf die beyden Fremden den ſonderbarſten Eindruck, und ſie hätten mit ihrem neuen und ungewöhnlichen Weſen heut viele Herzen erobern können, wenn der eine nicht zu großmü¬ thig, der andere nicht zu wild geweſen wäre.

Leontin walzte mit der niedlichen Braut. Sie tanzte außerordentlich leicht und ſchön, und, wie er ſo den ſchlanken, vollen Leib im Arme hatte, ſah ſie ſo unbeſchreiblich friſch und reizend aus, daß er ſich nicht enthalten konnte, das ſchöne Kind ei¬ nigemal an ſich zu drücken. Sie blickte heimlich lächelnd mit liſtigfragenden Augen unter die langen Wimpern zu ihm herauf. Sie konnten endlich bey¬ de vor Müdigkeit nicht mehr weiter fort und er tanzte daher mit ihr bis in die nächſte Fenſterni¬ ſche, wo ſie zuſammen auf die Stühle ſanken.

Nach einiger Zeit ſah er ſie an einem anderen Fenſter neben Fräulein Julien in ruhigem Geſpräche ſitzen. Er lehnte ſich hinter ihnen an die Wand, ohne von ihnen bemerkt zu werden. Sie erzählte9130Julien, wann ihre Hochzeit ſeyn werde, wieviel ſeine Wäſche ſie mitbekomme, wie ſie ihren kleinen Garten einrichten wollten u. ſ. w. Dort in dem Schlößchen unten, fuhr ſie fort, werden wir woh¬ nen. Leontin warf einen Blick durch das offene Fenſter und ſah das Dach des Schlößchens, ſo eben vom Abendroth beleuchtet, unbeſchreiblich einſam und verlaſſen aus den Wäldern hervorragen. Eine große Bangſamkeit überflog da ſein Herz und er verſank in tiefe Gedanken. Die Braut, die unter¬ deß auf einmal gewahr wurde, daß er alles mit angehört, ſchämte ſich und verdeckte ihr Geſicht mit beyden Händchen.

In dieſem Augenblick hörte man ein verworre¬ nes Getöſe auf der Stiege, die Thüre gähnte und ſpie einen ganzen Knäuel der ſeltſamſten und aben¬ theuerlichſten Zerrbilder und Mißgeſtalten aus, wie ſie nur eine fürchterlichreiche, dunkel in ſich ſelber arbeitende Phantaſie erſinnen konnte. Viktor! riefen Leontin und Friedrich zugleich, und ſie hat¬ ten es errathen. Dieſer hatte nemlich in möglich¬ ſter Haſt alles Altmodiſche, Lächerliche und Zer¬ lumpte von Kleidungsſtücken, deſſen er habhaft wer¬ den konnte, zuſammengerafft und damit die Bedien¬ ten und Jäger des Herrn v. A. aufgeputzt. Mit einem unübertrefflich raſchen und glücklichen Witze hatte er, da er alle genau kannte, jedem zuge¬ theilt, was ihm zukam, und ſo durch eine unge¬ wöhnliche Verbindung des Gewöhnlichſten den Phan¬ taſiereichſten Charakterzug erſchaffen. Da keine Lar¬131 ven vorhanden waren, ſo hatte er ſelber in aller Schnelligkeit die Geſichter gemahlt, und man mu߬ te zugeben, jedes war ein wahrer Triumph der freyſten und ſchärfſten Laune, denn eines Jeden verborgenſte, innerſte Narrheit lachte erlöst aus den Zügen. Beſonders zeichnete ſich eine über alle Maaßen dünne und Schneiderartige Figur aus mit einem unbeſchreiblich albern lächelnden Geſichte, dem er alle Haare rückwärts aus der glatten Stirne ge¬ kämmt hatte. Der Leib des alten Rockes war um eben ſo viel zu lang, als die knappen Aermel zu kurz erſchienen. Recht oben auf dem Wirbel ſchweb¬ te ein winziges Hütchen, in der Hand trug er einen kleinen Sonnenſchirm. Viktor ſelbſt führte in einem umgekehrten Rocke mit einer verſtimmten Geige den Zug an, und war recht das Salz und die Seele des Abentheuers. Mit einer Wuth von Luſt wußte er einem jeden ſeinen eigenthümlichen Spielraum zu verſchaffen, und ſelbſt die Eitelſten dahin zu brin¬ gen, daß ſie ſich einmal über ſich ſelbſt erheben und ihre eigne Narrheit zum Narren hatten. Und ſo ge¬ bährdeten ſich denn auch die Ungeſchickteſten meiſter¬ lich, ſo wie die Plumpheit ſelber komiſch wird, wenn ſie über ihre eigene Füße fällt. Herr v. A. ſtand ganz ſtill in einer Ecke und lachte, daß ihm die Au¬ gen übergiengen. Die Tante, die, wie faſt alle Damen, keinen unmittelbaren Spaß verſtand, lä¬ chelte gezwungen. Manche andere ſchämten ſich zu lachen, und thaten ſich Gewalt an, ernſthaft auszu¬ ſehen. Den irrenden Ritter aber hatte, ſeltſam ge¬9 *132nug, gleich beym Eintritte des Maſkenzuges eine ſonderbare Furcht überfallen; er nahm Reißaus und ließ ſich nicht mehr wiederſehen.

Viktor führte daher, als die Ergötzung an dem Spektakel anfieng lau zu werden, endlich die Ban¬ de wieder fort, um den flüchtigen Ritter aufzuſu¬ chen. Sie fanden ihn in einem finſteren Winkel des Hofes verſteckt. Er war äußerſt aufgebracht und wehrte ſich mit Händen und Füßen, als ſie ihn aufſpürten. Viktor nahm ihn beym Arme und walz¬ te mit ihm, wie wahnſinnig, im Hofe um den Brunnen herum. Ein alter, dicker Gerichtsverwal¬ ter, dem ſie unvermerkt die Doſe mit Kienruß ge¬ füllt, und der daher, da er ſich bey jeder Prieſe das Geſicht bemahlte, wider ſein Wiſſen und Wil¬ len eine Hauptfigur in dem Luſtſpiele abgab, mu߬ te ebenfalls an einer allgemeinen Menuett Theil nehmen, die ſich jezt in dem Hofe entſpann. Ein einziges Licht ſtand auf einem Pfahle und warf im Winde einen flatternden Schein über die ſeltſame Verwirrung. Leontin, der ſich bald Anfangs mit Leib und Seele mit hineingemiſcht hatte, ſaß hoch oben auf dem Gartenzaune und ſtrich die verſtimm¬ te Geige dazu. Den irrenden Ritter, der ſich in¬ deß voll Angſt und Zorn mit Gewalt wieder losge¬ macht hatte, ſah man auf ſeinem Pferde mitten in der mondhellen Nacht über die Felder entfliehen.

Wie haben Ihnen die Streiche gefallen? frag¬ te die Tante den Grafen Friedrich, von dem ſie133 ganz zuverſichtlich erwartete, daß er den Spaß für unanſtändig hielt. In meinem Leben, ſagte Frie¬ drich, habe ich keine Pantomime geſehen, wo mit ſo einfachen Mitteln ſo Vollkommenes erreicht wor¬ den wäre. Es wäre zu wünſchen, man könnte die weltberühmten Mimiker, Grotesktänzer und wie ſie ſich immer nennen, auf einen Augenblick zu ihrer Belehrung unter dieſen Trupp verſetzen. Wie arm¬ ſelig, nüchtern und albern würden ſie ſich unter die¬ ſen tüchtigen Geſellen ausnehmen, die nicht bloß dieſe oder jene einzelne Richtung des Komiſchen ängſtlich herausheben, ſondern Sprache, Witz und den ganzen Menſchen in Anſpruch nehmen. Jene ermatten uns recht mit allgemeinen Späßchen, ohne alle Individualität, mit hergebrachten, längſtab¬ genuzten Mienen und Sprüngen, und vor lauter künſtlichen Anſtalten zum Lachen kommen wir nie¬ mals zum Lachen ſelber. Hier erfindet jeder ſelbſt, wie es ihm die Luſt des Augenblickes eingiebt, und die Thorheit lacht uns unmittelbar und keck in's Geſicht, daß uns recht das Herz vor Freyheit auf¬ geht. Das iſt wahr, ſagte die Tante, über die¬ ſes Urtheil erſtaunt, unſer Viktor iſt ein pudelnärri¬ ſcher, luſtiger Menſch. Das glaube ich kaum, erwiederte Friedrich, ein Menſch muß ſehr kalt oder ſehr unglücklich ſeyn, um ſo zu phantaſiren. Viktor kommt mir vor, wie jener Prinz in Sicilien, der in ſeinem Garten und Schloße alles ſchief baute, ſo daß ſein Herz das einzige Gerade in der phanta¬ ſtiſchen Verkehrung war.

134

Es war unterdeß ſchon ſpät geworden, die fremden Wagen fuhren unten vor und die Geſell¬ ſchaft fieng an Abſchied zu nehmen und aufzuſtei¬ gen. In dem allgemeinen Getümmel der Bekom¬ plimentirungen hatte die niedliche Braut noch ein Tuch vergeſſen. Sie lief daher mit Julien noch ein¬ mal in das Zimmer zurück. Es war niemand mehr darin, nur Leontin, der endlich auch die Maſken¬ bande verlaſſen hatte, kam ſo eben von der ande¬ ren Seite herein. Das luſtige Mädchen verſteckte ſich ſchnell, da ſie ihn erblickte, hinter die lange Fenſter-Gardine und wickelte ſich ganz darein, ſo daß nur die munteren Augen lüſtern auffordernd aus dem Schleyer hervorblitzten. Leontin zog das ſchöne muthwillige Kind heraus und küßte ſie auf den rothen Mund. Sie gab ihm ſchnell einen herz¬ haften Kuß wieder und rannte eiligſt zu dem Wa¬ gen zurück, wo man ihrer ſchon harrte. Ade, Ade! ſagte ſie noch am Schlage zu Julien, eigentlich aber mehr zu Leontin hingewendet, ihr ſeht mich nun ſo bald nicht wieder, gewiß nicht. Und ſie hielt Wort.

Die Gäſte waren nun fort, Herr v. A. und ſeine Schweſter ſchlafen gegangen, und alles im Schloſſe leer und ſtill. Leontin ſaß oben im Vor¬ ſaale im offenen Fenſter. Drauſſen zogen Gewitter, man ſah es am fernen Horizonte blitzen. Fräulein Julie gieng ſo eben mit einem Lichte in der Hand über den Hausflur nach ihrer Schlafkammer. Er rief ihr eine gute Nacht zu. Sie war unentſchloſ¬135 ſen, ob ſie bleiben oder weitergehen ſollte. Endlich kehrte ſie zögernd um, und trat zu ihm an's Fen¬ ſter. Da bemerkte er Thränen in ihren großen Au¬ gen; ſie war ihm noch nie ſo wunderſchön vorge¬ kommen. Liebe Julie! ſagte er, und faßte ihre klei¬ ne Hand, die ſie gern in der ſeinigen ließ. Der Wind, der zum Fenſter hereinkam, löſchte ihr plötz¬ lich das Licht aus. Mit abgewendetem Geſicht ſprach ſie da einige Worte in die Nacht hinaus, aber ſo leiſe und, wie es ihm ſchien, von verhalte¬ nem Weinen erſtickt, daß er nichts verſtehen konn¬ te. Er wollte ſie fragen, aber ſie zog ihre Hand weg und gieng ſchnell in ihr Schlafzimmer.

Ohne zu wiſſen, was er davon halten ſollte, ſchaute er voller Gedanken in den finſteren Hof hin¬ unter. Dort ſah er Viktor'n auf einem großen Steine ſitzen, den Kopf in beyde Hände geſtützt; er ſchien eingeſchlafen. Er eilte daher ſelber in den Hof hinab und nahm die Guitarre mit, die er un¬ ten im Fenſter liegend fand. Wir wollen dieſe Nacht auf dem Teiche herumfahren, ſagte er zu Viktor, der indeß aufgewacht war. Dieſer war ſo¬ gleich mit voller Luſt von der Parthie, und ſo zυ¬ gen ſie zuſammen hinaus.

Sie beſtiegen den kleinen Kahn, der unweit vom Schloſſe im Schilfe angebunden lag, und ru¬ derten bis in die Mitte des Sees. Die ganze Runde war todtenſtill, nur einige Nachtvögel pfiffen von Zeit zu Zeit aus dem Walde herüber. 136Es ſchien, als wollte das Wetter heraufkommen, das man von ferne ſah, denn ein kühler Wind flog über den Teich voran und kräuſelte die ruhige Fläche. Sie glaubten Fräulein Julie an dem Fen¬ ſter zu bemerken. Da ſang Leontin, der vorn im Kahne aufrecht ſtand, folgendes Lied zur Guitarre, während der ewig rege und unruhige Viktor bald tollkühn mit dem Kahne ſchaukelte, bald wieder in den Wald hinausrief, daß hin und her die Hunde an den nächſten Häuſern wach wurden:

Schlafe, Liebchen, weil's auf Erden
Nun ſo ſtill und ſeltſam wird!
Oben geht die goldne Heerde,
Für uns alle wacht der Hirt.
In der Ferne zieh'n Gewitter;
Einſam auf dem Schifflein ſchwank
Greiff 'ich drauſſen in die Zitter,
Weil mir gar ſo ſchwül und bang.
Schlingend ſich an Bäum 'und Zweigen,
In Dein ſtilles Kämmerlein,
Wie auf goldnen Leitern, ſteigen
Dieſe Töne aus und ein.
Und ein wunderſchöner Knabe
Schifft hoch über Thal und Kluft,
Rührt mit ſeinem goldnen Stabe
Säuſelnd in der lauen Luft.
Und in wunderbaren Weiſen,
Singt er ein uraltes Lied,
Das in linden Zauberkreiſen
Hinter ſeinem Schifflein zieht.
137
Ach, den ſüßen Klang verführet
Weit der buhleriſche Wind,
Und durch Schloß und Wand ihn ſpüret
Träumend jedes ſchöne Kind.

Es fieng ſtärker an zu blitzen, das Gewitter ſtieg herauf. Viktor ſchaukelte heftiger mit dem Kahne; Leontin ſang:

Es waren zwey junge Grafen
Verliebt bis in den Tod,
Die konnten nicht ruh'n noch ſchlafen
Bis an den Morgen roth.
O trau 'den zwey Geſellen,
Mein Liebchen, nimmermehr,
Die geh'n wie Wind und Wellen,
Gott weiß: wohin, woher.
Wir grüßen Land und Sterne
Mit wunderbarem Klang,
Und wer uns ſpürt von ferne,
Dem wird ſo wohl und bang.
Wir haben wohl hienieden
Kein Haus an keinem Ort,
Es reiſen die Gedanken
Zur Heymath ewig fort.
Wie eines Stromes Dringen
Geht unſer Lebenslauf,
Geſanges Macht und Ringen
Thut helle Augen auf.
Und Ufer, Wolkenflügel,
Die Liebe hoch und mild
Es wird in dieſem Spiegel
Die ganze Welt zum Bild.
138
Dich rührt die friſche Helle,
Das Rauſchen heimlich kühl,
Das lockt Dich zu der Welle,
Weil's drauſſen leer und ſchwül.
Doch wolle nie Dir halten
Der Bilder Wunderfeſt,
Todt wird ihr freyes Walten,
Hältſt Du es weltlich feſt.
Kein Bett darf er hier finden.
Wohl in den Thälern ſchön
Siehſt Du ſein Gold ſich winden,
Dann plötzlich Meerwärts dreh'n.

Viktor, der unterdeß, ohne auf das Lied zu achten, immerfort das Echo verſuchte, zwang ihn hier, durch ſein übermäßiges Rufen und Schreyen, abzubrechen. Julie hatte auch ſchon lange das Fen¬ ſter geſchloſſen und alles im Schloſſe war finſter und ſtill. Das Gewitter zog indeß grade über ihnen hin, die Wälder rauſchten von allen Seiten. Leon¬ tin griff ſtärker und frömmer in die Saiten:

Schlag 'mit den flamm'gen Flügeln!
Wenn Blitz aus Blitz ſich reißt:
Steht wie in Roßesbügeln
So ritterlich mein Geiſt.
Waldesrauſchen, Wetterblicken
Mach't recht die Seele los,
Da grüß't ſie mit Entzücken,
Was wahrhaft, ernſt und groß.
Es ſchiffen die Gedanken
Fern wie auf weitem Meer,
Wie auch die Wogen ſchwanken:
Die Seegel ſchwellen mehr.
139
Herr Gott, es wacht Dein Wille!
Wie Tag und Luſt verweh'n,
Mein Herz wird mir ſo ſtille
Und wird nicht untergeh'n.

Sie bemerkten nun einen rothen Schein, der über dem Schloßhofe zu ſteh'n ſchien. Sie hielten es für einen Feuermann; denn die ganze Zeit hin¬ durch hatten ſie rings in der Runde ſolche Erſchei¬ nungen, wie Wachtfeuer lodern geſehen: theils bläuliche Irrlichter, die im Winde über die Wieſen ſtreiften, theils gröſſere Feuergeſtalten, mit zweifel¬ haftem Glanze durch die Nacht wandelnd. Als ſie aber wieder hinblickten, ſahen ſie den Feuermann über dem Schloſſe ſich langſam dehnen und Rieſen¬ groß wachſen, und ein langer Blitz, der ſo eben die ganze Gegend beleuchtete, zeigte ihnen, daß der Schein grade vom Dache ausgieng. Um Gotteswil¬ len, das iſt Feuer im Schloß! rief Viktor erblaſ¬ ſend, und ſie ruderten, ohne ein Wort zu ſprechen, eiligſt auf das Ufer zu.

Als ſie ans Land kamen, ſahen ſie bereits ei¬ nen röthlichen Qualm zum Dachfenſter hervordringen und ſich in fürchterlichen Kreiſen in die Nacht hin¬ auswälzen. Alles im Hauſe und im Hofe ſchlief noch in tiefſter Ruhe. Viktor machte Lärm an al¬ len Thüren und Fenſtern. Leontin eilte in die Kir¬ che und zog die Sturmglocke, deren abgebrochene, dumpfe Klänge, die weit über die ſtillen Berge hinzogen, ihn ſelber im Innerſten erſchütterten. Der Nachtwächter gieng durch die Gaſſen des Dor¬140 fes und erfüllte die Luft mit den gräßlichen Jam¬ mertönen ſeines Hornes. Und ſo wurde endlich nach und nach alles lebendig, und rannte mit blei¬ chen Todtengeſichtern, gleich Geſpenſtern, beſtürzt und verſtört durcheinander. Die heftige Tante hat¬ te bald der erſte Schreck überwältigt. Sie lag be¬ wußtlos in Krämpfen und vermehrte ſo die allge¬ meine Verwirrung noch mehr.

Schon ſchlug die helle Flamme oben aus dem Dache, das Hinterhaus ſtand noch ruhig und un¬ verſehrt. Niemanden fiel es in der erſten Beſtür¬ zung ein, daß Fräulein Julie im Hinterhauſe ſchlafe und ohne Rettung verlohren ſey, wenn die Flamme die einzige Stiege, die dort hinauf führte, ergrif¬ fe. Leontin dachte daran und ſtürzte ſich ſogleich in die Gluth.

Als er in ihr Schlafzimmer trat, ſah er das ſchöne Mädchen, den Kopf auf den vollen, weißen Arm geſenkt, in ungeſtörtem Schlafe ruhen. Alles in dem Zimmer lag noch ſtill und friedlich umher, wie ſie es beym Entkleiden hingelegt; ein aufge¬ ſchlagenes Gebethbuch lag an ihrer Seite. Es war ihm in dieſem Augenblicke, als ſähe er einen ſchö¬ nen, goldgelockten Engel neben ihrem Bette ſitzen, der ſchaute mit den ſtillen, himmliſchen Augen in das wilde Element, das ſich vor Kinderaugen fürch¬ tet. Das Fräulein ſchlug verwundert fragend die großen Augen auf, als er zu ihr trat, und erblick¬ te bald die ungewöhnliche, ſchreckliche Helle durch das ganze Haus. Leontin ſchlug ſchnell das Bett¬141 tuch um ſie herum und nahm ſie auf den Arm. Ohne ein Wort zu ſprechen, umklammerte ſie ihn in ſtummem Schrecken. Ein heftiger Wind, der aus dem Brande ſelbſt auszugehen ſchien, faltete indeß die Flammen-Fahnen immer mehr auseinander, der ſchreckliche Feuermann griff mit ſeinen Rieſenar¬ men rechts und links in die dunkle Nacht und hat¬ te bereits auch ſchon das Hinterhaus erfaßt. Da ſah Leontin auf einmal, mitten zwiſchen den Flam¬ men, eine unbekannte weibliche Geſtalt in weißem Gewande erſcheinen, die ruhig in dem Getümmel auf - und nieder gieng. Gott ſey Dank! hörte er zugleich draußen die Bauern rufen, wenn die da iſt, wird's bald beſſer geh'n. Wer iſt die weiße Frau? fragte Leontin, der nicht ohne innerlichen Schauder auf ſie hinblicken konnte. Julie, die ihr Geſicht feſt an ihn gedrückt hatte, überhörte in der Verwirrung die Frage, und ſo trug er ſie hoch durch das Feuer hindurch, ohne die Augen von der fremden Geſtalt zu wenden. Kaum hatte er aber das Fräulein im Hofe niedergeſezt, als er ſelber, von dem Rauche, der Hitze und Anſtrengung ganz erſchöpft, bewußtlos auf den Boden hinſank.

Jene ſeltſame Erſcheinung hatte während deß alle mit friſchem Muthe beſeelt, und ſo war es der ver¬ doppelten Anſtrengung gelungen, die Flammen end¬ lich zu zwingen. Als Leontin die Augen wieder aufſchlug, ſah er mit Erſtaunen alles ringsumher ſchon leer und ruhig. Die weiße Frau aber war mit dem Feuer verſchwunden, wie ſie gekommen142 war. Er ſelber lag neben der Brandſtätte auf ei¬ nem Kaſten zwiſchen einer Menge geretteter Ge¬ räthſchaften, die unordentlich übereinander lagen. Julie ſaß neben ihm und hatte ſeinen Kopf auf ihrem Schooße. Alle anderen hatten ſich, von der Arbeit ermattet, nach und nach zerſtreut, Herr v. A. und ſeine Schweſter noch auf einige Stunden zur Ruhe begeben. Nur Viktor'n, der während dem Brande mehreremal bis in die innerſten Zimmer gedrungen, und immer mitten zwiſchen dem zuſam¬ menſtürzenden Gebälk erſchienen war, ſah er hoch auf einem halbabgebrannten Pfeiler eingeſchlafen. Das prächtige Feuerwerk war indeß nun in ſich ſel¬ ber zuſammengeſunken, nur hin und wieder flackerte noch zuweilen ein Flämmchen auf, während einige dunkle Wachen an dem verwüſteten Platze auf und ab giengen, um das Feuer zu hüten. Leontin hat¬ te den einen Arm um Julien geſchlungen, die ſtille neben ihm ſaß. Ihr Herz war ſo voll, wie noch niemals in ihrem ganzen Leben. Im Innerſten aufgeregt von den raſchen Begebenheiten dieſer Nacht, war es ihr, als hätte ſie in den wenigen Stunden Jahre überlebt; was lange im Stillen ge¬ glommen, war auf einmal in helle Flammen aus¬ gebrochen. Müde lehnte ſie ihr Geſicht an ſeine Bruſt und ſagte, ohne aufzuſehen: Sie haben mir mein Leben gerettet. Ich kann es nicht beſchreiben, wie mir damals zu Muthe war. Ich möchte Ihnen nun ſo gern aus ganzer Seele danken, aber ich könnte es doch nicht ausdrücken, wenn ich es auch ſagen wollte. Es iſt auch eigentlich nicht das, daß143 Sie mich aus dem Feuer getragen haben. Hier hielt ſie eine Weile inne, dann fuhr ſie wieder fort: Die Flamme iſt nun verloſchen. Wenn der Tag kommt, iſt alles wieder gut und ruhig, wie ſonſt. Jeder geht wieder gelaſſen an ſeine alte Ar¬ beit und denkt nicht mehr daran. Ich werde dieſe Nacht niemals vergeſſen.

Sie ſah bey dieſen Worten Gedankenvoll vor ſich hin. Leontin hielt ſich nicht länger, er zog ſie an ſich und wollte ſie küſſen. Sie aber wehrte ihn ab und ſah ihn ſonderbar an. So ſaßen ſie noch lange, wenig ſprechend, nebeneinander, bis endlich Julien die Augen zuſanken. Er fühlte ihr ruhiges, gleichförmiges Athmen an ſeiner Bruſt. Er hielt ſie feſt im Arme und ſaß ſo träumeriſch die übrige Nacht hindurch.

Die Gewitter hatten ſich indeß ringsum verzo¬ gen, ein labender Duft ſtieg aus den erquickten Feldern, Kräutern und Bäumen. Aurora ſtand ſchon hoch über den Wäldern. Da weckte der kühle Morgenwind Julien aus dem Schlummer. Der Rauſch der Nacht war verflogen; ſie erſchrack über ihre Stellung in Leontins Armen und bemerkte nun, da es überall licht war, mit Erröthen, daß ſie halb bloß war. Leontin hob das ſchöne, ver¬ ſchlafene Kind hoch vor ſich in den friſchen Morgen hinein, während ſie ihr Geſicht mit beyden Händen bedeckte. Darauf ſprang ſie fort von ihm und eilte ins Haus, wo ſo eben alles anfieng, ſich zu er¬ muntern.

144

Neuntes Kapitel.

Am Morgen ſaßen alle in der Stube des Jä¬ gers beym Frühſtück verſammelt, die unruhigen Ereigniſſe dieſer Nacht beſprechend. Julie ſah blaß aus, und Leontin bemerkte, daß ſie oft heimlich über die Taße weg nach ihm hinblickte, und ſchnell wieder wegſah, wenn ſein Auge ihr begegnete.

Alle unterſuchten darauf noch einmal die Brand¬ ſtätte, die noch immer fortrauchte. Man war all¬ gemein der Meynung, daß ein Blitz gezündet ha¬ ben müſſe, ſo viel Mühe ſich auch der dicke Ge¬ richtsverwalter gab, darzuthun, daß es boshafter¬ weiſe angelegt ſey, und daß man daher mit aller Strenge unterſuchen und verfahren müſſe. Herr v. A. verſchmerzte den Verluſt ſehr leicht, da er ohnedieß ſchon lange Willens war, das alte Schlö߬ chen niederreißen zu laſſen, um ein neues, beque¬ meres hinzubauen.

Leontin fragte endlich wieder um die weiße Frau. Es iſt eine reiche Witwe, ſagte Herr o. A., die vor einigen Jahren plötzlich in dieſe Gegend kam, und mehrere Güther ankaufte. Sie iſt im Stillen ſehr wohlthätig, und, ſeltſam genug, bey Tag und bey Nacht, wo immer ein Feuer aus¬bricht,145bricht, ſogleich bey der Hand, wobey ſie dann die armen Verunglückten mit anſehnlichen Summen un¬ terſtüzt. Die Bauern glauben nun ganz zuverſicht¬ lich, ſobald ſie nur erſcheint, müſſe das Feuer ſich legen, wie beym Anblick einer Heiligen. Uebrigens empfängt und erwiedert ſie keine Beſuche, und nie¬ mand weiß eigentlich recht, wie ſie heißt, und wo¬ her ſie gekommen; denn ſie ſelber ſpricht niemals von ihrem vergangenen Leben. Ja wohl, ſagte der Gerichtsverwalter, mit einer wichtigen Miene, es geht dort überaus geheimnißvoll zu. Aber es giebt auch noch Leute hinter'm Berge. Man weiß wohl, wie es zugeht in der Welt. Mein Gott! die liebe Jugend junges Blut thut nicht gut . Ich bitte, mahlen Sie uns keinen Schnurrbart an das Heiligenbild! unterbrach ihn Leontin, der ſich ſeine Phantaſie von der wunderbaren Erſcheinung nicht verderben laſſen wollte.

Es war unterdeß ſchon wieder aufgepackt wor¬ den, um auf das Schloß des Herrn v. A. zurück¬ zukehren. Leontin konnte der Begierde nicht wider¬ ſtehen, die weiße Frau näher kennen zu lernen. Er beredete daher Friedrich, mit ihm einen Streif¬ zug nach dem nahgelegenen Guthe derſelben zu ma¬ chen. Sie verſprachen, beyde noch vor Abend wie¬ der bey der Geſellſchaft einzutreffen.

Gegen Mittag kamen ſie auf dem Landſitze der Unbekannten an. Sie fanden ein neu erbautes Schloß, das, ohne eben groß zu ſeyn, durch ſeine10146große, einfache Erfindung auf das angenehmſte überraſchte. Eine Reihe hoher, ſchlanker Säulen bildete oben den Vordertheil des Schloſſes. Eine ſchöne, ſteinerne Stiege, welche die ganze Breite des Hauſes einnahm, führte zu dieſem Säulen - Eingange hinauf. Die Stiege erhob ſich nur all¬ mählig und terraſſenförmig und war mit Orangen, Citronenbäumen und verſchiedenen hohen Blumen beſetzt. Vor dieſer blühenden Terraſſe lag ein wei¬ ter, Schattenreicher Garten ausgebreitet.

Alles war ſtill, es ſchien niemand zu Hauſe zu ſeyn. Auf der Stiege lag ein ſchönes, etwa zehn¬ jähriges Mädchen über einem Tambourin, auf das ſie das zierliche Köpfchen gelehnt hatte, eingeſchlum¬ mert. Oben hörte man eine Flötenuhr ſpielen. Das Mädchen wachte auf, als ſie an ſie heranka¬ men, und ſchüttelte erſtaunt die ſchwarzen Locken aus den munteren Augen. Dann ſprang ſie ſcheu auf und in den Garten fort, während die Schellen des Tambourins, das ſie hoch in die Luft hielt, hell erklangen.

Die beyden Grafen giengen nun in den Garten hinab, deſſen ganze Anlage ſie nicht weniger anzog, als das Aeußere des Schloſſes. Wie wahr iſt es, ſagte Friedrich, daß jede Gegend ſchon von Natur ihre eigenthümliche Schönheit, ihre eigene Idee hat, die ſie mit ihren Bächen, Bäumen und Ber¬ gen, wie mit abgebrochenen Worten, auszuſprechen ſucht. Wen dieſe einzelnen Laute rühren, der ſezt mit wenigen Mitteln die ganze Rede zuſammen. 147Und darin beſteht doch eigentlich die ganze Kunſt und Luſt, daß wir uns mit dem Garten recht ver¬ ſtehen. Leontin war indeß mehreremal verwundert ſtehen geblieben. Höchſtſeltſam! ſagte er endlich, als ſie den Gipfel eines Hügels erreicht hatten, dieſe Baumgruppen, Wäldchen, Hügel und Ausſich¬ ten, erinnern mich ganz deutlich an gewiſſe Gegen¬ den, die ich in Italien geſehen, und an manchen, glücklich durchſchwärmten Abend. Es iſt wahrhaftig mehr als eine zufällige Täuſchung.

Der Abend fieng bereits an einzubrechen, als ſie wieder bey den Stufen der großen Stiege an¬ langten. Sie wurden beyde von dem herrlichen An¬ blicke überraſcht, der ſich ihnen dort von oben dar¬ bot. Die Gegend lag in der abendrothen Däm¬ merung wie ein verworrenes Zaubermeer von Bäu¬ men, Strömen, Gärten und Bergen, auf dem Nachtigallenlieder, gleich Syrenen, ſchifften. Wie glücklich, ſagte Friedrich, iſt eine beruhigte, ſtille Seele, die im Stande iſt, ſo beſonnen und gleich¬ förmig nach allen Seiten hin zu wirken und zu ſchaffen, die, von keiner beſonderen Leidenſchaft mehr geſtört, auf der ſchönen Erde, wie in der Vorhalle des gröſſeren Tempels, wohnt!

Er wurde hier durch einige Saiten-Akkorde unterbrochen, die aus dem Garten herauftönten. Bald darauf hörten ſie einen Geſang. Friedrich horchte voll Erſtaunen, denn es war daſſelbe ſon¬ derbare Lied aus ſeiner Kindheit, das manchmal10 *148auch Erwin in der Nacht geſungen, und das er ſonſt nirgends wieder gehört hatte.

Leontin war indeß in das erſte Zimmer hinein¬ getreten, deſſen Thüre halb geöffnet ſtand. Er warf einen flüchtigen Blick durch das Gemach. Ein al¬ tes, auf Holz gemahltes Ritterbild hing dort an der Wand, über welche der Abend zuckend die lez¬ ten ungewiſſen Strahlen warf. Leontin trat erſchüt¬ tert zurück, denn er erkannte auf einmal das be¬ leuchtete Geſicht des Bildes. In demſelben Augen¬ blick trat ein alter Bediente von der anderen Sei¬ te in das Zimmer und ſchien heftig zu erſchrecken, als er Leontin anſah. Um Gotteswillen, rief Leon¬ tin ihm zu, ſagen Sie mir, wer iſt der Ritter dort? Der Alte entfärbte ſich und ſah ihn lange ernſthaft und forſchend an. Das Bild iſt vor meh¬ reren hundert Jahren gemahlt, eine zufällige Aehn¬ lichkeit muß Sie täuſchen, ſagte er darauf wieder geſammelt und ruhig. Wo iſt die Frau vom Hau¬ ſe? fragte Leontin wieder. Sie iſt heut noch vor Tagesanbruch ſchnell fortgereist und kommt ſo bald nicht zurück, antwortete der Bediente und entfernte ſich mit einer eiligen Verbeugung, als wollte er allen ferneren Fragen ausweichen.

Unruhig kehrte nun Leontin wieder zu Friedrich zurück, gegen den er von dem ganzen lezten Vor¬ falle nichts erwähnte. Weder der Bediente, noch auch das zierliche, ſcheue Mädchen, das ſie vorhin ſchlummernd angetroffen, zeigte ſich mehr, und ſo149 ritten beyde endlich Gedankenvoll auf das Schloß des Herrn v. A. zurück, wo ſie ſpät in der Nacht anlangten.

Zehntes Kapitel.

Die alte, gleichförmige Ordnung der Lebens¬ weiſe kehrte nun wieder auf dem Schloſſe zurück. Die beyden Gäſte hatten auf vieles Bitten noch ei¬ nige Zeit zugeben müſſen und lebten jeder auf ſei¬ ne Weiſe fort. Friedrich dichtete wieder fleißig im Garten oder dem daran ſtoſſenden angenehmen Wäldchen. Meiſt war dabey irgend ein Buch aus der Bibliothek des Herrn v. A., wie es ihm grade in die Hände fiel, ſein Begleiter. Seine Seele war dort ſo ungeſtört und heiter, daß er die ge¬ wöhnlichſten Romane mit jener Andacht und Friſch¬ heit der Phantaſie ergriff, mit welcher wir in un¬ ſerer Kindheit ſolche Sachen leſen. Wer denkt nicht mit Vergnügen daran zurück, wie ihm zu Muthe war, als er den erſten Robinſon oder Ritterroman las, aus dem ihm das frühſte lüſterne Vorgefühl, die wunderbare Ahnung des ganzen, künftigen, reichen Lebens anwehte; wie zauberiſch da alles ausſah und jeder Buchſtabe auf dem Papiere leben¬ dig wurde? Wenn ihm dann nach vielen Jahren ein ſolches Buch wieder in die Hand kommt, ſucht150 er begierig die alte Freude wieder auf darin, aber der friſche, kindiſche Glanz, der damals das Buch und die ganze Erde überſchien, iſt verſchwunden, die Geſtalten, mit denen er ſo innig vertraut war, ſind unterdeß fremde und anders geworden und ſe¬ hen ihn an, wie ein ſchlechter Holzſtich, daß er weinen und lachen möchte zugleich. Mit ſo munte¬ ren, mahleriſchen Kindes-Augen durchflog denn auch Friedrich dieſe Bücher. Wenn er dazwiſchen dann vom Blatte aufſah, glänzte von allen Seiten der ſchöne Kreis der Landſchaft in die Geſchichten hinein, die Figuren, wie der Wind durch die Blät¬ ter des Buches rührte, erhoben ſich vor ihm in der gränzenloſen, grünen Stille und traten lebendig in die ſchimmernde Ferne hinaus; und ſo war eigent¬ lich kein Buch ſo ſchlecht erfunden, daß er es nicht erquickt und belehrt aus der Hand gelegt hätte. Und das ſind die rechten Leſer, die mit und über dem Buche dichten. Denn kein Dichter giebt einen fertigen Himmel; er ſtellt nur die Himmelsleiter auf von der ſchönen Erde. Wer, zu träge un¬ luſtig, nicht den Muth verſpürt, die goldenen, lo¬ ſen Sproſſen zu beſteigen, dem bleibt der geheim¬ nißvolle Buchſtabe ewig todt, und er thäte beſſer, zu graben oder zu pflügen, als ſo mit unnützem Leſen müſſig zu geh'n.

Leontin dagegen durchſtrich alle Morgen, wenn er es etwa nicht verſchlief, welches gar oft geſchah, mit der Flinte auf dem Rücken Felder und Wäl¬ der, ſchwamm einigemal des Tages über die rei¬151 ßendſten Stellen des Fluſſes, der im Thale vorbey¬ gieng, und kannte bereits alle Pfade und Geſichter der Gegend. Auch auf das Schloß der unbekannten Dame war er ſchon einigemal wieder hinübergerit¬ ten, fand aber immer niemanden zu Hauſe. Alle Tage beſuchte er gewiſſenhaft ein Paar wunderliche altkluge Geſellen auf dem Felde, die er auf ſeinen Streifereyen ausgeſpürt hatte, gab ihnen Tabak zu ſchnupfen, den er bloß ihrentwillen bey ſich führte, und führte Stundenlang eine tolle Unterhaltung mit ihnen. Er las wenig, beſonders von neuen Schrif¬ ten, gegen die er eine Art von Widerwillen hatte. Demohngeachtet kannte er doch die ganze Literatur ziemlich vollſtändig. Denn ſein wunderliches Leben führte ihn von ſelbſt und wider Willen in Berüh¬ rung mit allen ausgezeichneten Männern, und was er ſo bey Gelegenheit kennen lernte, faßte er ſchnell und ganz auf.

Sowohl er als Friedrich beſuchten faſt alle Nachmittage den einſamen Viktor, deſſen kleines Wohnhaus, von einem noch kleineren Gärtchen um¬ geben, hart am Kirchhofe lag. Dort unter den hohen Linden, die den ſchönberaſeten Kirchhof be¬ ſchatteten, fanden ſie den ſeltſamen Menſchen ver¬ graben in eine Werkſtatt von Meißeln, Bohrern, Drehſcheiben und anderem unzähligen Handwerks¬ zeuge, als wollte er ſich ſelber ſein Grab bauen. Hier arbeitete und künſtelte derſelbe täglich, ſo viel es ihm ſeine Berufsgeſchäfte zuließen, mit einem unbegreiflichen Eifer und Fleiße, ohne um die an¬152 dere Welt drauſſen zu fragen. Ohne jemals eine Anleitung genoſſen zu haben, verfertigte er Spiel¬ uhren, künſtliche Schlöſſer, neue, ſonderbare In¬ ſtrumente, und ſein, bey der Stille nach Außen, ewig unruhiger und reger Geiſt verfiel dabey auf die ſeltſamſten Erfindungen, die oft alle in Erſtau¬ nen ſetzten. Seine Lieblingsidee war, ein Luftſchiff zu erfinden, mit dem man dieſes loſe Element eben ſo bezwingen könnte wie das Waſſer, und er wäre beynahe ein Gelehrter geworden, ſo hartnäckig und unermüdlich verfolgte er dieſen Gedanken. Für Poeſie hatte er, ſonderbar genug, durchaus keinen Sinn, ſo willig, ja neugierig er auch aufhorchte, wenn Leontin oder Friedrich darüber ſprachen. Nur Abraham von St. Clara, jener geniale Schalk, der mit einer ernſthaften Amtsmiene die Narren auslacht, denen er zu predigen vorgiebt, war ſeine einzige und liebſte Unterhaltung, und niemand ver¬ ſtand wohl, die Werke dieſes Schriftſtellers zu durchdringen und ſich aus Herzensgrunde daran zu ergötzen, als er. In dieſem unförmlichen Ge¬ miſch-Gemaſch von Spott, Witz und Humor fand ſein ſehr nahe verwandter Geiſt den rechten Tum¬ melplatz.

Uebrigens hatte ſich Friedrich gleich Anfangs in ſeinem Urtheile über ihn keineswegs geirrt. Seine Gemüthsart war wirklich durchaus dunkel und melankoliſch. Die eine Hälfte ſeines Lebens hindurch war er bis zum Tode betrübt, mürriſch und unbehülflich, die andere Hälfte luſtig bis zur153 Ausgelaſſenheit, witzig, ſinnreich und geſchickt, ſo daß die meiſten, die ſich mit einer gewöhnlichen Betrachtung der menſchlichen Natur begnügen, ihn für einen zweyfachen Menſchen hielten. Es war aber eben die Tiefe ſeines Weſens, daß er ſich nie¬ mals zu dem ordentlichen, immer gleichförmigen Spiele der anderen, an der Oberfläche bequemen konnte, und ſelbſt ſeine Luſtigkeit, wenn ſie oft plötzlich losbrach, war durchaus ironiſch und faſt ſchauerlich. Dabey waren alle Schmeichelkünſte und alltäglichen Handgriffe, ſich durch die Welt zu hel¬ fen, ſeiner ſpröden Natur ſo zuwider, daß er ſelbſt die unſchuldigſten, gebräuchlichſten Gunſtbewerbun¬ gen, ja ſogar unter Freunden alle äuſſere Zeichen der Freundſchaft verſchmähte. Vor allen ſogenann¬ ten klugen, gemachten Leuten war er beſonders ver¬ ſchloſſen, weil ſie niemals weder ſeine Betrübniß noch ſeine Luſt verſtanden und ihn mit ihrer ange¬ bildeten Afterweisheit von allen Seiten beengten. Die beyden Grafen waren die erſten in ſeinem Le¬ ben, die bey allen ſeinen Aeuſſerungen wußten, was er meyne. Denn es iſt das Beſondere aus¬ gezeichneter Menſchen, daß jede Erſcheinung in ihrer reinen Bruſt ſich in ihrer urſprünglichen Ei¬ genthümlichkeit beſpiegelt, ohne daß ſie dieſelbe durch einen Beyſchmack ihres eigenen Selbſt ver¬ derben. Er liebte ſie daher auch mit unerſchütterli¬ cher Treue bis zu ſeinem Tode.

So oft ſie Nachmittags zu ihm kamen, warf er ſogleich alle Inſtrumente und Geräthſchaften154 weit von ſich und war aus Herzensgrunde luſtig. Sie muſizierten dann in ſeiner kleinen Stube ent¬ weder auf alten, halbbeſpannten Inſtrumenten, oder Friedrich mußte einige wilde Burſchenlieder auf die Bahn bringen, die Viktor ſchnell auswendig wußte, und mit gewaltiger Stimme mitſang. Fräu¬ lein Julie, die nebſt ihrem Vater von jeher Vik¬ tors beſte und einzige Freundin im Hauſe war, ſtand dann gar oft Stundenlang gegenüber am Zau¬ ne des Schloßgartens, ſtrickte und unterhielt ſich mit ihnen, war aber niemals zu bereden, ſelber zu ihnen herüberzukommen. Die Tante und die mei¬ ſten anderen konnten gar nicht begreifen, wie die beyden Grafen einen ſolchen Geſchmack an dem un¬ gebildeten Viktor und ſeinen lärmenden Vergnügun¬ gen finden konnten.

Und Du ſeltſamer, guter, geprüfter Freund, ich brauche Dich und mich nicht zu nennen; aber Du wirſt uns beyde in tiefſter Seele erkennen, wenn Dir dieſe Blätter vielleicht einmal zufällig in die Hände kommen. Dein Leben iſt mir immer vor¬ gekommen, wie ein uraltes, dunkel verbautes Gemach mit vielen rauhen Ecken, das unbeſchreiblich einſam und hoch ſteht über den gewöhnlichen Handthierun¬ gen der Menſchen. Eine alte verſtimmte Laute, die niemand mehr zu ſpielen verſteht, liegt verſtaubt auf dem Boden. Aus dem finſteren Erker ſiehſt Du durch bunt und phantaſtiſch gemahlte Scheiben, über daß niedere, emſig wimmelnde Land unten weg in ein anderes, ruhiges, wunderbares, ewig freyes155 Land. Alle die wenigen, die Dich kennen und lie¬ ben, ſiehſt Du dort im Sonnenſcheine wandeln und das Heimweh befällt auch Dich. Aber Dir fehlen Flügel und Seegel und Du reiſſeſt in verzweifelter Luſtigkeit an den Saiten der alten Laute, daß es mir oft das Herz zerreiſſen wollte. Die Leute ge¬ hen unten vorüber und verlachen Dein wildes Ge¬ klimper, aber ich ſage Dir, es iſt mehr göttlicher Klang darin, als in ihrem ordentlichen, allgeprie¬ ſenen Geleyre.

An einem ſchwülen Nachmittage ſaß Leontin im Garten an dem Abhange, der in das Land hinaus¬ gieng. Kein Menſch war draußen, alle Vögel hiel¬ ten ſich im dichteſten Laube verſteckt, es war ſo ſtill und einſam auf den Gängen und in der ganzen Gegend umher, als ob die Natur ihren Athem an ſich hielte. Er verſuchte einzuſchlummern. Aber wie über ihm die Gräſer zwiſchen dem unaufhörlichen, einförmigen Geſumme der Bienen ſich hin und wie¬ der neigten, und rings am fernen Horizonte ſchwe¬ re Gewitterwolken, gleich phantaſtiſchen Gebirgen mit großen, einſamen Seen und himmelhohen Fel¬ ſenzacken, die ganze Welt enge und immer enger einzuſchlieſſen ſchienen, preßte eine ſolche Bangigkeit ſein Herz zuſammen, daß er ſchnell wieder auf¬ ſprang. Er beſtieg einen hohen, am Abhange ſte¬ henden Baum, in deſſen ſchwankem Wipfel er ſich in das ſchwüle Thal hinauswiegte, um nur die fürchterliche Stille in und um ihn los zu werden.

156

Er hatte noch nicht lange oben geſeſſen, als er den Herrn v. A. und ſeine Schweſter aus dem Bo¬ gengange hervorbeugen und langſam auf den Baum zukommen ſah. Sie waren in einem lauten und lebhaften Geſpräche begriffen, er hörte, daß von ihm die Rede war. Du magſt ſprechen, was du willſt, ſagte die Tante, er iſt bis über die Ohren verliebt in unſer Mädchen. Da müßt 'ich keine Menſchenkenntniß haben! Und Julie kann keine beſſere Parthie finden. Ich habe ſchon lange, ohne dir etwas zu ſagen, nähere Erkundigungen über ihn eingezogen. Er ſteht ſehr gut. Er verthut zwar viel Geld auf Reiſen und verſchiedenes unnützes Zeug, und ſoll zu Hauſe ein etwas unordentliches und auffallendes Leben führen; aber er iſt noch ein junger Menſch, und unſer Kind wird ihn ſchon kirre machen. Glaube mir, mein Schatz, ein kluges Weib kann durch vernünftiges Zureden ſehr viel be¬ wirken. Sind ſie nur erſt verheyrathet und ſitzen ruhig auf ihrem Gütchen, ſo wird er ſchon ſein ſonderbares Weſen und ſeine überſpannten Ideen fahren laſſen, und werden wie alle andre. Höre, mein Schatz, fange doch recht bald an, ihn ſo von weitem näher zu ſondiren. Das thue ich nicht, erwiederte Herr v. A. ruhig, ich habe mich um nichts erkundigt, ich habe nichts bemerkt und nichts erfah¬ ren. Ihr Weiber verlegt euch alle auf's Spionieren und Heyrathsſtiften und ſehet zu weit. Wirbt er um ſie, und ſie iſt ihm gut, ſo ſoll er ſie haben; denn er gefällt mir ſehr. Aber ich menge mich in157 nichts. Mit deiner ewigen Gelaſſenheit, fiel ihm hier die Schweſter heftig in's Wort, wirſt du noch alles verderben. Dich rührt das Glück deines eig¬ nen Kindes nicht. Und ich ſage dir, ich ruhe und raſte nicht, bis ſie ein Paar werden! Sie wa¬ ren unterdeß ſchon wieder von der anderen Seite hinter den Bäumen verſchwunden, und er konnte nichts mehr verſteh'n.

Er ſtieg raſch vom Baume herab. Noch bin ich frey und ledig! rief er aus und ſchüttelte alle Glieder. Rückt mir nicht auf den Hals mit eurem ſoliden, häuslichen, langweiligen Glück, mit eurer abgeſtandenen Tugend im Schlafrock! Wohl hat die Liebe zwey Geſichter wie Janus. Mit dem ei¬ nen buhlt dieſe ungetreue, reitzende Fortuna auf ihrer farbigen Kugel mit der friſchen Jugend um flüchtige Küſſe; doch willſt du ſie plump haſchen und feſthalten, kehrt ſie dir plötzlich das andere, alte, verſchrumpfte Geſicht zu, das dich unbarmherzig zu Tode ſchmatzt. Heyrathen und fett werden, mit der Schlafmütze auf dem Kopfe hinausſehen, wie drauſſen Aurora ſcheint, Wälder und Ströme noch immer ohne Ruhe fortrauſchen müſſen, Soldaten über die Berge zieh'n und raufen, und dann auf den Bauch ſchlagen und: Gott ſey Dank! rufen können, das iſt freylich ein Glück! Und doch noch tauſendmal widerlicher ſind mir die Faun - Geſichter von Hageſtolzen, wie ſie ſich um die Mauern ſtreichen, ein bischen Rammeley und Diebs¬158 gelüſt im Herzen, wenn ſie noch eins haben. Pfuy! Pfuy!

So jagten ſich die Gedanken in ſeinem Kopfe ärgerlich durcheinander, und er war, ohne daß er es ſelbſt bemerkte, ins Schloß gekommen. Die Thüre zu Juliens Zimmer ſtand nur halb ange¬ lehnt, er gieng hinein, fand ſie aber nicht darin. Sie ſchien es eben verlaſſen zu haben; denn Far¬ ben, Pinſel und andere Mahlergeräthſchaften lagen noch umher. Auf dem Tiſche ſtand ein Bild auf¬ gerichtet. Er betrachtete es voll Erſtaunen: es war ſein eignes Portrait, an welchem Julie lange heim¬ lich gearbeitet. Er war in derſelben Jägerkleidung gemahlt, in der ſie ihn zum erſtenmale geſehen hatte. Mit Verwunderung glaubte er auch die Ge¬ gend, die den Hintergrund des Bildes ausfüllte, zu erkennen. Er erinnerte ſich endlich, daß er Ju¬ lien manchmal von ſeinem Schloſſe, ſeinem Gar¬ ten, den Bergen und Wäldern, die es umgeben, erzählt hatte, und ihr reiches Gemüth hatte ſich nun aus den wenigen Zügen ein ganz anderes, wunderbares Zauberland, als ihre neue Heymath, zuſammengeſezt.

Er ſtand lange voller Gedanken am Fenſter. Ihre Guitarre lag dort; er nahm ſie und wollte ſingen, aber es gieng nicht. Er lehnte ſich mit der Stirn ans Fenſter und wollte ſie durchaus hier er¬ warten, aber ſie kam nicht.

Endlich ſtieg er herab, gieng in den Hof und ſattelte und zäumte ſich ſelber ſein Pferd. Als er159 eben zum Thore hinausritt, kam Julie eilfertig aus der Gartenthüre. Sie ſchien ein Geſchäft vor¬ zuhaben, ſie grüßte ihn nur flüchtig mit freundli¬ chen Augen und lief ins Schloß. Er gab ſeinem Pferde die Sporen und ſprengte ins Feld hinaus.

Ohne einen beſtimmten Weg einzuſchlagen, war er ſchon lange herumgeritten, als er mitten im Walde auf einen hochgelegenen, ausgehauenen Fleck kam. Er hörte jemanden luſtig ein Liedchen pfeiffen und ritt darauf los. Es war zu ſeiner nicht geringen Freude der bekannte Ritter, den er ſchon lange einmal auf ſeinen Irrzügen zu erwiſchen, ſich gewünſcht hatte. Er ſaß auf einem Baumſturze und ließ ſeinen Klepper neben ſich weiden. Roman¬ tiſche, goldne Zeit des alten, freyen Schweiffens, wo die ganze ſchöne Erde unſer Luſtrevier, der grü¬ ne Wald unſer Haus und Burg, dich ſchimpft man närriſch dachte Leontin bey dieſem Anblick, und rief dem Ritter aus Herzensgrunde ſein Hurrah zu. Er ſtieg darauf ſelbſt vom Pferde und ſetzte ſich zu ihm hin. Der Tag fieng eben an, ſich zum Ende zu neigen, die Waldvögel zwitſcherten von allen Wipfeln in der Runde. Von der einen Seite ſah man in einer Vertiefung unter der Haide ein Schlö߬ chen mit ſtillem Hofe und Garten ganz in die Wald¬ einſamkeit verſenkt. Die Wolken flogen ſo niedrig über das Dach weg, als ſollte ſich die bedrängte Seele daran hängen, um jenſeits ins Weite, Freye zu gelangen. Mit einem innerlichen Schauder von Bangigkeit erfuhr Leontin von dem Ritter, daß dieß160 daſſelbe Schloß ſey, wo jezt die muntere Braut, die er auf jener Jagd kennen gelernt, ſeit lange ſchon mit ihrem jungen Manne ruhig wohne, wirth¬ ſchafte und hauſe.

Aber, ſagte er endlich zu dem Ritter, wird Euch denn niemals bange auf Euren einſamen Zü¬ gen? Was macht und ſinnt Ihr denn den ganzen langen Tag? Ich ſuche den Stein der Weiſen, erwiederte der Ritter ruhig. Leontin mußte über dieſe fertige, unerwartete Antwort laut auflachen. Ihr ſeyd irriſch in Eurem Verſtande, daß Ihr ſo lacht, ſagte der Ritter etwas aufgebracht. Eben weil die Leute wohl wiſſen, daß ich den Stein der Weiſen wittere, ſo trachten die Phariſäer und Schriftgelehrten darnach, mir durch Reden und Bli¬ cke meine Majeſtät von allen Seiten auszuſaugen, auszuwalzen und auszudreſchen. Aber ich halte mich an das Prinzipium: an Eſſen und Trinken; denn wer nicht ißt, der lebt nicht, wer nicht lebt, der ſtudiert nicht, und wer nicht ſtudiert, der wird kein Weltweiſer, und das iſt das Fundament der Phi¬ loſophie. So ſprach der tolle Ritter eifrig fort und gab durch Mienen und Hände ſeinen Worten den Nachdruck der ernſthafteſten Ueberzeugung. Leontin, den ſeine heutige Stimmung beſonders auf¬ gelegt machte zu ausſchweifenden Reden, ſtimmte nach ſeiner Art in denſelben Ton mit ein, und ſo führten die beyden dort über die ganze Welt das allerſeltſamſte und unförmlichſte Geſpräch, das je¬mals161mals gehört wurde, während es ringsumher ſchon lange finſter geworden war. Der Ritter, dem ein ſo aufmerkſamer Zuhörer etwas Seltenes war, hielt tapfer Stich, und focht nach allen Seiten in einem wunderlichen Chaos von Sinn und Unſinn, das oft die herrlichſten Gedanken durchblizten. Leontin erſtaunte über die ſcharfen, ganz ſelbſterſchaffenen Ausdrücke und die entſchiedene Anlage zum Tiefſinn. Aber alles ſchien, wie eine üppige Wildniß, durch den lebenslangen Müßiggang zerrüttet und faſt bis zum Wahnwitz verworren.

Zuletzt ſprach der Ritter noch von einem Phi¬ loſophen, den er jährlich einmal beſuche. Leontin war mit ganzer Seele geſpannt, denn die Beſchrei¬ bung von demſelben ſtimmte auffallend mit dem al¬ ten Ritterbilde überein, deſſen Anblick ihn auf dem Schloſſe der weißen Frau ſo ſehr erſchüttert hatte. Er fragte näher nach, aber der Ritter antwortete jedesmal ſo toll und abſchweifend, daß er alle wei¬ tere Erkundigungen aufgeben mußte.

Endlich brach der Ritter auf, da er heute noch auf dem Schloſſe der niedlichen Braut Herberg ſuchen wollte. Leontin trug ihm an dieſelbe ſeine ſchönſten Grüße auf. Der Ritter ſtolperte nun auf ſeinem Roſinante langſam über die Haide hinab und unterhielt ſich noch immerfort mit Leontin mit gro¬ ßem Geſchrey über die Philoſophie, während er ſchon längſt in der Nacht verſchwunden war.

11162

Leontin ſah ſich, nun allein, nach allen Seiten um. Alle Wälder und Berge lagen ſtill und dun¬ kel ringsumher. Unten in der Tiefe ſchimmerten Lichter hin und her aus den zerſtreuten Dörfern, Hunde bellten ferne in den einſamen Höfen. Auch in dem Schloſſe des Herrn v. A. ſah er noch meh¬ rere Fenſter erleuchtet. So blieb er noch lange oben auf der Haide ſtehen.

Am folgenden Morgen frühzeitig erhielt Frie¬ drich einen Brief. Er erkannte ſogleich die Züge wieder: er war von Roſa. So lange ſchon hatte er ſich von Tag zu Tag vergebens darauf gefreut, und erbrach ihn nun mit haſtiger Ungeduld. Der Brief war folgenden Inhalts:

Wo bleibſt Du ſo lange, mein innig ge¬ liebter Freund? Haſt Du denn gar kein Mit¬ leid mehr mit Deiner armen Roſa, die ſich ſo ſehr nach Dir ſehnt?

Als ich auf der Höhe im Gebirge von Euch entführt wurde, hatte ich mir feſt vorge¬ nommen, gleich nach meiner Ankunft in der Reſidenz an Dich zu ſchreiben. Aber Du weißt ſelbſt, wieviel man die erſte Zeit an einem ſol¬ chen Orte mit Einrichtungen, Beſuchen und Gegenbeſuchen zu thun hat. Ich konnte da¬ mals durchaus nicht dazu kommen, obſchon ich immer und überall an Dich gedacht habe. Und ſo vergieng die erſte Woche, und ich wußte dann nicht mehr, wohin ich meinen Brief ad¬163 dreſſiren ſollte. Vor einigen Tagen endlich kam hier der junge Marquis von P. an, der woll¬ te beſtimmt wiſſen, daß ſich mein Bruder mit einem fremden Herrn auf dem Guthe des Hrn. v. A. aufhalte. Ich eilte alſo, ſogleich an Dich dorthin zu ſchreiben. Der Marquis verwun¬ derte ſich zugleich, wie ihr es dort ſo lange aushalten könntet. Er ſagte, es wäre ein Séjour zum melancholiſchwerden. Mit der gan¬ zen Familie wäre in der Welt nichts anzufan¬ gen. Der Baron ſey wie ein Holzſtich in den alten Rittergeſchichten: gedruckt in dieſem Jahr, die Tante wiſſe von nichts zu ſprechen, als von ihrer Wirthſchaft, und das Fräulein vom Haus ſey ein halbreifes Gänſeblümchen, ein rechtes Bild ohne Gnaden. Sind das nicht recht närriſche Einfälle? Wahrhaftig, man muß dem Marquis gut ſeyn mit ſeinem loſen Maule. Siehſt Du, es iſt Dein Glück, denn ich hatte ſchon große Luſt eiferſüchtig zu wer¬ den. Aber ich kenne ſchon meinen Bruder, ſol¬ che Bekanntſchaften ſind ihm immer die liebſten; er läßt ſich nichts einreden. Ich bitte Dich aber, ſage ihm nichts von alle dieſem. Denn er kann ſich ohnedieß von jeher mit dem Mar¬ quis nicht vertragen. Er hat ſich ſchon einige¬ mal mit ihm geſchlagen und der Marquis hat über der lezten Wunde über ein Vierteljahr zubringen müſſen. Er fängt immer ſelber ohne allen Anlaß Händel mit ihm an. Ich weiß gar11 *164nicht, was er wider ihn hat. Der Marquis iſt hier in allen gebildeten Geſellſchaften beliebt und ein geiſtreicher Mann. Ich weiß gewiß, Du und der Marquis werdet die beſten Freun¬ de werden. Denn er macht auch Verſe, und von der Muſik iſt er ein großer Kenner. Ue¬ brigens lebe ich hier recht glücklich, ſo gut es Deine Roſa ohne Dich ſeyn kann. Ich bekom¬ me und erwiedere Beſuche, mache Landparthien u. ſ. w. Dabey fällt mir immer ein, wie ganz anders Du doch eigentlich biſt, als alle dieſe Leute, und dann wird mir mitten in dem Schwarme ſo bange, daß ich mich oft heimlich wegſchleichen muß, um mich recht auszuweinen. Die junge, ſchöne Gräfin Romana, die mich alle Morgen an der Toilette beſucht, ſagt mir immer, wenn ich mich anziehe, daß meine Au¬ gen ſo ſchön wären, und wickelt ſich meine Haare um ihren Arm und küßt mich. Ich denke dann immer an Dich. Du haſt das auch geſagt und gethan, und nun bleibſt Du auf einmal ſo lange aus. Ich bitte Dich, wenn Du mir gut biſt, laß mich nicht ſo allein; es iſt nicht gut ſo.

Ich hatte mich geſtern ſo eben erſt recht eingeſchrieben und hatte Dir noch ſo viel zu ſa¬ gen, da wurde ich zu meinem Verdruße durch einen Beſuch unterbrochen. Jezt iſt es ſchon zu ſpät, da die Poſt ſogleich abgeh'n wird. Ich ſchließe alſo ſchnell in der Hoffnung, Dich bald an mein liebendes Herz zu drücken. 165Dieſen Winter wird es hier beſonders brillant werden. Wie ſchön wäre es, wenn wir ihn hier zuſammen zubrächten! Komm, komm, gewiß!

Friedrich legte den Brief ſtill wieder zuſammen. Unwillkührlich ſummte ihm der Gaſſenhauer: Freut euch des Lebens u. ſ. w. , den Leontin gewöhn¬ lich abzuleyern pflegte, wenn ſeine Schweſter et¬ was nach ihrer Art Wichtiges vorbrachte, durch den Kopf. Der ganze Brief, wie von einem von Luſt¬ barkeiten Athemloſen im Fluge abgeworfen, war wie eine Lücke in ſeinem Leben, durch die ihn ein fremdartiger, ſtaubiger Wind anblies. Hab 'ich's oben auf der Höhe nicht geſagt, daß Du in Dein Grab hinabſteigſt? Wenn die Schönheit mit ihren friſchen Augen, mit den jugendlichen Gedanken und Wünſchen unter euch tritt, und, wie ſie, die eigene, größere Lebensluſt treibt, ſorglos und lüſtern in das liebewarme Leben hinauslangt und ſproßt, ſich an die feinen Spitzen, die zum Himmel ſtreben, giftig anzuſaugen und zur Erde hinabzuzerren, bis die ganze, prächtige Schönheit, fahl und ihres himmliſchen Schmuckes beraubt, unter euch daſteht, wie eueres Gleichen die Hallunken!

Er öffnete das Fenſter. Der herrliche Morgen lag drauſſen wie eine Verklärung über dem Lande, und wußte nichts von den menſchlichen Wirrungen, nur von rüſtigem Thun, Freudigkeit und Frieden. Friedrich ſpürte ſich durch den Anblick innerlichſt ge¬166 neſen, und der Glaube an die ewige Gewalt der Wahrheit und des feſten religiöſen Willens wurde wieder ſtark in ihm. Der Gedanke, zu retten, was noch zu retten war, erhob ſeine Seele, und er be¬ ſchloß, nach der Reſidenz abzureiſen.

Er gieng mit dieſer Nachricht zu Leontin, aber er fand ſeine Schlafſtube leer und das Bett noch von Geſtern in Ordnung. Er gieng daher zu Ju¬ lien hinüber, da er hörte, daß ſie ſchon auf war. Das ſchöne Mädchen ſtand in ihrer weiſſen Mor¬ genkleidung eben am Fenſter. Sie kehrte ſich ſchnell zu ihm herum, als er hereintrat. Er iſt fort! ſag¬ te ſie leiſe mit unterdrückter Stimme, zeigte mit dem Finger auf das Fenſter und ſtellte ſich wieder mit abgewendetem Geſicht abſeits an das andere. Der erſtaunte Friedrich erkannte Leontins Schrift auf der Scheibe, die er wahrſcheinlich geſtern, als er hier allein war, mit ſeinem Ringe aufgezeichnet hatte. Er las:

Der fleiſſigen Wirthin von dem Haus
Dank 'ich von Herzen für Trank und Schmauß,
Und was beym Mahl den Gaſt erfreut:
Für heitre Mien' und Freundlichkeit.
Dem Herrn von Haus ſey Lob und Preiß!
Seinen Segen wünſch 'ich mir auf die Reiſ',
Nach ſeiner Lieb 'mich ſehr begehrt,
Wie ich ihn halte Ehrenwerth.
Herr Viktor ſoll bethen und fleiſſig ſeyn,
Denn der Teufel lauert, wo Einer allein
Soll luſtig auf dem Kopfe ſteh'n,
Wenn alle ſo dumm auf den Beinen geh'n.
167
Und wenn mein Weg über Berge hoch geht,
Aurora ſich aufthut, das Poſthorn weht,
Da will ich Ihm rufen von Herzen voll,
Daß er's in der Ferne ſpüren ſoll.
Ade! Schloß, heiter über'm Thal,
Ihr ſchwülen Thäler allzumal,
Du blauer Fluß ums Schloß herum,
Ihr Dörfer, Wälder um und um!
Wohl ſah ich dort eine Zaub'rinn geh'n,
Nach Ihr nur alle Blumen und Wälder ſeh'n,
Mit hellen Augen Ströme und Seen,
In ſtillem Schau'n, wie verzaubert, ſteh'n.
Ein jeder Strom wohl find't ſein Meer,
Ein jeglich Schiff kehrt endlich her,
Nur ich treibe und ſehne mich immerzu,
O wilder Trieb! wann läßſt du einmal Ruh?

Darunter ſtand, kaum leſerlich, gekrizzelt:

Herr Friedrich, der ſchläft in der Ruhe Schooß,
Ich wünſch 'ihm viel Unglück, daß er ſich erboſ',
In's Horn, zum Schwerdt, friſch dran und drauf!
Philiſter über Dir, wach ', Simſon, wach' auf!

Friedrich ſtutzte über dieſe lezten Zeilen, die ihn unerwartet trafen. Er erkannte tief das Schwerfällige ſeiner Natur und verſank auf einen Augenblick ſinnend in ſich ſelbſt.

Julie ſtand noch immerfort am Fenſter, ſah durch die Scheiben und weinte heimlich. Er faßte ihre Hand. Da hielt ſie ſich nicht länger, ſie ſez¬ te ſich auf ihr Bett und ſchluchzte laut. Friedrich wußte wohl, wie untröſtlich ein liebendes Mädchen168 iſt. Er verabſcheute alle jene erbärmlichen Spital¬ tröſter voll Wiederſehens, unverhofften Windungen des Schickſals u. ſ. w. Lieb 'ihn nur recht, ſagte er zu Julien, ſo iſt er ewig Dein, und wenn die ganze Welt dazwiſchen läge. Glaube nur niemals den falſchen Verführern: daß die Männer eurer Liebe nicht werth ſind. Die Schufte freylich nicht, die das ſagen; aber es giebt nichts Herrlicheres auf Erden, als der Mann, und nichts Schöneres, als das Weib, das ihm treu ergeben bis zum Tode. Er küßte das weinende Mädchen und gieng darauf zu ihren Aeltern, um ihnen ſeine eigene, baldige Abreiſe anzukündigen.

Er fand die Tante höchſtbeſtürzt über Leontins unerklärliche Flucht, die ſie auf einmal ganz irre an ihm und allen ihren Planen machte. Sie war an¬ fangs böſe, dann ſtill und wie vernichtet. Herr v. A. äußerte weniger mit Worten, als durch ein ungewöhnlich haſtiges und zerſtreutes Thun und Laſ¬ ſen, das Friedrich'n unbeſchreiblich rührte, wir ſchwer es ihm falle, ſich von Leontin getrennt zu ſehen, und die Thränen traten ihm in die Augen, als nun auch Friedrich erklärte, ſchon morgen ab¬ reiſen zu müſſen. So vergieng dieſer noch übrige Tag zerſtreut, geſtört und Freudenlos.

Am anderen Morgen hatte Erwin frühzeitig die Reiſebündel geſchnürt, die Pferde ſtanden be¬ reit und ſcharrten ungeduldig unten im Hofe. Frie¬ drich machte noch eilig einen Streifzug durch den169 Garten und ſah noch einmal von dem Berge in die herrlichen Thäler hinaus. Auch das ſtille, kühle Plätzchen, wo er ſo oft gedichtet und glücklich ge¬ weſen, beſuchte er. Wie im Fluge ſchrieb er dort folgende Verse in ſeine Schreibtafel:

O Thäler weit, o Höhen,
O ſchöner, grüner Wald,
Du meiner Luſt und Wehen
Andächt'ger Aufenthalt!
Da drauſſen, ſtets betrogen,
Saust die geſchäft'ge Welt,
Schlag 'noch einmal die Bogen
Um mich, du grünes Zelt!
Wann es beginnt zu tagen,
Die Erde dampft und blinkt,
Die Vögel luſtig ſchlagen,
Daß dir dein Herz erklingt:
Da mag vergeh'n, verwehen
Das trübe Erdenleid
Da ſollſt du auferſtehen
In junger Herrlichkeit.
Da ſteht im Wald geſchrieben
Ein ſtilles, ernſtes Wort,
Von rechtem Thun und Lieben,
Und was des Menſchen Hort.
Ich habe treu geleſen
Die Worte ſchlicht und wahr,
Und durch mein ganzes Weſen
Ward's unausſprechlich klar.
170
Bald werd 'ich dich verlaſſen,
Fremd, in der Fremde geh'n,
Auf buntbewegten Gaſſen,
Des Lebens Schauſpiel ſeh'n,
Und mitten in dem Leben
Wird deines Ernſt's Gewalt,
Mich Einſamen erheben,
So wird mein Herz nicht alt.

Als der junge Tag ſich aus den Morgenwolken hervorgearbeitet hatte, war Friedrich ſchon drauſſen zu Pferde. Julie winkte noch weit mit ihrem wei¬ ßen Tuche aus dem Fenſter nach.

Zweytes Buch.

Eilftes Kapitel.

Es war ſchon Abend, als Friedrich in der Reſi¬ denz ankam. Er war ſehr ſchnell geritten, ſo daß Erwin faſt nicht mehr nach konnte. Je einſamer drauſſen der Kreis der Felder ins Dunkel verſank, je höher nach und nach die Thürme der Stadt, wie Rieſen, ſich aus der Finſterniß auflichteten, deſto lichter war es in ſeiner Seele geworden vor Freude und Erwartung. Er ſtieg im Wirthshauſe ab und eilte ſogleich zu Roſa's Wohnung. Wie ſchlug ſein Herz, als er durch die dunklen Straſſen ſchritt, als er endlich die hellbeleuchtete Treppe in ihrem Hauſe hinaufſtieg. Er mochte keinen Bedienten fragen, er öffnete haſtig die erſte Thür. Das gro¬ ße, getäfelte Zimmer war leer, nur im Hintergrun¬ de ſaß eine weibliche Geſtalt in vornehmer Klei¬ dung. Er glaubte ſich verirrt zu haben und wollte ſich entſchuldigen. Aber das Mädchen vom Fenſter kam ſogleich auf ihn zu, führte ſich ſelbſt als Ro¬ ſa's Kammermädchen auf und verſicherte ſehr gleich¬ gültig, die Gräfin ſey auf den Maſkenball gefah¬ ren. Dieſe Nachricht fiel wie ein Mayfroſt in ſeine Luſt. Es war ihm vor Freude gar nicht eingefal¬ len, daß er ſie verfehlen könnte, und er hatte bey¬174 nahe Luſt zu zürnen, daß ſie ihn nicht zu Hauſe er¬ wartet habe. Wo iſt denn die kleine Marie? frug er nach einer Weile wieder. O, die iſt lange aus den Dienſten der Gräfin, ſagte das Mädchen mit gerümpftem Näschen und betrachtete ihn von oben bis unten mit einer ſchnippiſchen Miene. Friedrich glaubte, es gälte ſeine ſtaubige Reiſekleidung; alles ärgerte ihn, er ließ den Affen ſteh'n und gieng, ohne ſeinen Nahmen zu hinterlaſſen, wieder fort.

Verdrüßlich nahm er den Weg zu den Redou¬ tenſälen. Die Muſik ſchallte lockend aus den hohen Bogenfenſtern, die ihre Scheine weit unten über den einſamen Platz warfen. Ein alter Springbrun¬ nen ſtand in der Mitte des Platzes, über den nur noch einzelne dunkle Geſtalten hin und her irrten. Friedrich blieb lange an dem Brunnen ſtehen, der ſeltſam zwiſchen den Tönen von oben fortrauſchte. Aber ein Polizeydiener, der, in ſeinen Mantel ge¬ hüllt, an der Ecke lauerte, verjagte ihn endlich durch die Aufmerkſamkeit, mit der er ihn zu beob¬ achten ſchien.

Er gieng in's Haus hinein, verſah ſich mit ei¬ nem Domino und einer Larve, und hoffte ſeine Roſa noch heute in dem Getümmel herauszufinden. Ge¬ blendet trat er aus der ſtillen Nacht in den plötz¬ lichen Schwall von Tönen, Lichtern und Stimmen, der wie ein Zaubermeer mit raſtlos beweglichen, klingenden Wogen über ihm zuſammenſchlug. Zwey große, hohe Säle, nur leicht von einander geſchie¬ den, eröffneten die unermeßlichſte Ausſicht. Er ſtell¬175 te ſich in das Bogenthor zwiſchen beyde, wo die doppelten Muſikchöre aus beyden Sälen verworren ineinander klangen. Zu beyden Seiten toſte der ſeltſame, luſtige Markt, fröhliche, reitzende und ernſte Bilder des Lebens zogen wechſelnd vorüber, Guirlanden von Lampen ſchmückten die Wände, unzählige Spiegel dazwiſchen ſpielten das Leben ins Unendliche, ſo daß man die Geſtalten mit ihrem Wiederſpiel verwechſelte, und das Auge verwirrt in der gränzenloſen Ferne dieſer Ausſicht ſich verlohr. Ihn ſchauderte mitten unter dieſen Larven. Er ſtürzte ſich ſelber mit in das Gewimmel, wo es am dichteſten war.

Gewöhnliches Volk, Karaktermaſken ohne Ka¬ rakter, vertraten auch hier, wie drauſſen im Le¬ ben, überall den Weg: geſpreitzte Spanier, pa¬ pierne Ritter, Taminos, die über ihre Flöte ſtol¬ perten, hin und wieder ein behender Harlekin, der ſich durch die unbehülflichen Züge hindurchwand und nach allen Seiten peitſchte. Eine höchſtſeltſame Maſke zog indeß ſeine Aufmerkſamkeit auf ſich. Es war ein Ritter in ſchwarzer, altdeutſcher Tracht, die ſo genau und ſtreng gehalten war, daß man glaubte, irgend ein altes Bild ſey aus ſeinem Rah¬ men ins Leben hinausgetreten. Die Geſtalt war hoch und ſchlank, ſein Wams reich mit Gold, der Hut mit hohen Federn geſchmückt, die ganze Pracht doch ſo uralt, fremd und faſt geſpenſtiſch, daß je¬ dem unheimlich zu Muthe ward, an dem er vor¬ überſtreifte. Er war übrigens galant und wußte zu176 leben. Friedrich ſah ihn faſt mit allen Schönen buhlen. Doch alle machten ſich gleich nach den er¬ ſten Worten ſchnell wieder von ihm los, denn unter den Spitzen der Ritterärmel langten die Knochen¬ hände eines Todtengerippes hervor.

Friedrich wollte eben den ſonderbaren Gaſt wei¬ ter verfolgen, als ſich die Bahn mit einem Janha¬ gel junger Männer verſtopfte, die auf einer Jagd begriffen ſchienen. Bald erblickte er auch das flüch¬ tige Reh. Es war eine kleine, junge Zigeunerin, ſehr nachläſſig verhüllt, das ſchöne ſchwarze Haar mit bunten Bändern in lange Zöpfe geflochten. Sie hatte ein Tambourin, mit dem ſie die Zu¬ dringlichſten ſo ſchalkiſch abzuwehren wußte, daß ihr alles nur um deſto lieber nachfolgte. Jede ihrer Bewegungen war zierlich, es war das niedlichſte Figürchen, daß Friedrich jemals geſehen.

In dieſem Augenblicke ſtreiften zwey ſchöne, hohe weibliche Geſtalten an ihm vorbey. Zwey männliche Maſken drängten ſich nach. Es iſt ganz ſicher die Gräfin Roſa, ſagte die eine Maſke mit düſterer Stimme. Friedrich traute ſeinen Ohren kaum. Er drängte ſich ihnen ſchnell nach, aber das Gewimmel war zu groß, und ſie blieben ihm im¬ mer eine Strecke voraus. Er ſah, daß der ſchwar¬ ze Ritter den beyden weiblichen Maſken begegnete, und der einen im Vorbeygehen etwas ins Ohr raunte, worüber ſie höchſtbeſtürzt ſchien, und ihm eine Weile nachſah, während er längſt ſchon wie¬der177der im Gedränge verſchwunden war. Mehrere Par¬ theyen durchkreuzten ſich unterdeß von neuem, und Friedrich hatte Roſa aus dem Geſichte verlohren.

Ermüdet flüchtete er ſich endlich an ein abgele¬ genes Fenſter, um auszuruhen. Er hatte noch nicht lange dort geſtanden, als die eine von den weibli¬ chen Maſken eiligſt ebenfalls auf das Fenſter zukam. Er erkannte ſogleich ſeine Roſa an der Geſtalt. Die eine männliche Maſke folgte ihr auf dem Fuße nach, ſie ſchienen beyde den Grafen nicht zu bemer¬ ken. Nur einen einzigen Blick! bat die Maſke dringend. Roſa zog ihre Larve weg und ſah den Bittenden mit den wunderſchönen Augen lächelnd an. Sie ſchien unruhig. Ihre Blicke durchſchweif¬ ten den ganzen Saal und begegneten ſchon wieder dem ſchwarzen Ritter, der wie eine Todtenfahne durch die bunten Reihen drang. Ich will nach Hau¬ ſe ſagte ſie darauf ängſtlich bittend, und Frie¬ drich glaubte Thränen in ihren Augen zu bemerken. Sie bedeckte ihr Geſicht ſchnell wieder mit der Lar¬ ve. Ihr unbekannter Begleiter bot ihr ſeinen Arm, drängte Friedrich, der gerade vor ihr ſtand, ſtolz aus dem Wege und bald hatten ſich beyde in dem Gewirre verlohren.

Der ſchwarze Ritter war indeß bey dem Fen¬ ſter angelangt. Er blieb vor Friedrich ſtehen und ſah ihm ſcharf in's Geſicht. Dem Grafen graußte, ſo allein mit der wunderbaren Erſcheinung zu ſteh'n, denn hinter der Larve des Ritters ſchien alles hohl12178und dunkel, man ſah keine Augen. Wer biſt Du? fragte ihn Friedrich. Der Tod von Baſel, antwor¬ tete der Ritter und wandte ſich ſchnell fort. Die Stimme hatte etwas ſo altbekanntes und anklin¬ gendes aus längſtvergangener Zeit, daß Friedrich lange ſinnend ſteh'n blieb. Er wollte ihm endlich nach, aber er ſah ihn ſchon wieder im dickſten Hau¬ fen mit einer Schönen wie toll herumwalzen.

Ein Getümmel von Lichtern drauſſen unter den Fenſtern lenkte ſeine Aufmerkſamkeit ab. Er blick¬ te hinaus und ſah bey dem Scheine einer Fackel, wie die männliche Maſke Roſa'n nebſt noch einer anderen Dame in den Wagen hob. Der Wagen rollte darauf ſchnell fort, die Lichter verſchwanden, und der Platz unten war auf einmal wieder ſtill und finſter.

Er warf das Fenſter zu und wandte ſich in den glänzenden Saal zurück, um ſich ebenfalls fortzu¬ begeben. Der ſchwarze Ritter war nirgends mehr zu ſehen. Nach einigem Herumſchweifen traf er in der mit Blumen geſchmückten Kredenz noch einmal auf die nur allzugefällige Zigeunerin. Sie hatte die Larve abgenommen, trank Wein und blickte mit den munteren Augen reitzend über das Glas weg. Friedrich erſchrack, denn es war die kleine Marie. Er drückte ſeine Larve feſter ins Geſicht und faßte das niedliche Mädchen bey der Hand. Sie zog ſie verwundert zurück und zeichnete mit ihrem Finger rathend eine Menge Buchſtaben in179 ſeine flache Hand, aber keiner paßte auf ſeinen Nahmen.

Er zog ſie an ein Tiſchchen und kaufte ihr Zu¬ cker und Naſchwerk. Mit ungemeiner Zierlichkeit wußte das liebliche Kind alles mit ihm zu theilen und blinzelte ihm dazwiſchen oft neugierig in die Augen. Unbeſorgt um die Reize, die ſie dabey enthüllte, riß ſie einen Blumenſtrauß von ihrem Bu¬ ſen und überreichte ihn lächelnd ihrem unbekannten, ſonderbaren Wirth, der immerfort ſo ſtumm und kalt neben ihr ſaß. Die Blumen ſind ja alle ſchon verwelkt, ſagte Friedrich, zerzupfte den Strauß und warf die Stücke auf die Erde. Mario ſchlug ihn lachend auf die Hand und riß ihm die noch übrigen Blumen aus. Er bat endlich um die Erlaubniß, ſie nach Hauſe begleiten zu dürfen, und ſie willig¬ te mit einem freudigen Händedruck ein.

Als er ſie nun durch den Saal fortführte, war unterdeß alles leer geworden. Die Lampen waren größtentheils verlöſcht und warfen nur noch zucken¬ de, falbe Scheine durch den Qualm und Staub, in welchen das ganze bunte Leben verraucht ſchien. Die Muſikanten ſpielten wohl fort aber nur noch einzelne Geſtalten wankten auf und ab, demaſkirt, nüchtern und überſatt. Mitten in dieſer Zerſtörung glaubte Friedrich mit einem flüchtigen Blicke Leon¬ tin todtenblaß und mit verwirrtem Haar in einem fernen Winkel ſchlafen zu ſehen. Er blieb erſtaunt ſtehen, alles kam ihm wie ein Traum vor. Aber12 *180Marie drängte ihn ſchnell und ängſtlich fort, als wäre es unheimlich, länger an dem Orte zu hau¬ ſen.

Als ſie unten zuſammen im Wagen ſaßen, ſag¬ te Marie zu Friedrich: Ihre Stimme hat eine ſon¬ derbare Aehnlichkeit mit der eines Herrn, den ich ſonſt gekannt habe. Friedrich antwortete nichts dar¬ auf. Ach Gott! ſagte ſie bald nachher, die Nacht iſt heut gar ſo ſchwül und finſter! Sie öffnete das Kutſchenfenſter, und er ſah bey dem matten Schim¬ mer einer Laterne, an der ſie vorüberflogen, daß ſie ernſthaft und in Gedanken verſunken war. Sie fuhren lange durch eine Menge enger und finſterer Gäßchen, endlich rief Marie dem Kutſcher zu, und ſie hielten vor einem abgelegenen, kleinen Hauſe. Sie ſprang ſchnell aus dem Wagen und in das Haus hinein. Ein Mädchen, das in Mariens Dienſten zu ſeyn ſchien, empfieng ſie an der Hausthüre. Er iſt mein, er iſt mein! rief Marie kaum hörbar, aber aus Herzensgrunde, dem Mädchen im Vorübergehen zu und ſchlüpfte in ein Zimmer.

Das Mädchen führte den Grafen mit prüfen¬ den Blicken über ein kleines Treppchen zu einer an¬ deren Thüre. Warum, ſagte ſie, ſind Sie geſtern Abends nicht ſchon zu uns gekommen, da ſie vor¬ beyritten, und ſo freundlich heraufgrüßten? Ich ſollte wohl nichts ſagen, aber ſeit acht Tagen ſpricht und träumt die arme Marie von nichts, als von Ihnen, und wenn es länger gedauert hätte, wäre ſie gewiß bald geſtorben. Friedrich wollte fragen,181 aber ſie ſchob die Thüre hinter ihm zu und war verſchwunden.

Er trat in eine fortlaufende Reihe ſchöner, ge¬ ſchmackvoller Zimmer. Ein prächtiges Ruhebett ſtand im Hintergrunde, der Fußboden war mit rei¬ chen Teppichen geſchmückt, eine alabaſterne Lampe erleuchtete das Ganze nur dämmernd. In dem letzten Zimmer ſah er die niedliche Zigeunerin vor einem großen Wandſpiegel ſtehen und ihre Haare flüchtig in Ordnung bringen. Als ſie ihn in dem vorderen Zimmer erblickte, kam ſie ſogleich herbey¬ geſprungen und ſtürzte mit einer Hingebung in ſeine Arme, die keine Verſtellung mit ihren gemeinen Künſten jemals erreicht. Der erſtaunte Friedrich riß in dieſem Augenblicke ſeinen Mantel und die Larve von ſich. Wie vom Blitze berührt, ſprang Marie bey dieſem Anblicke auf, ſtürzte mit einem lauten Schrey auf das Ruhebett und drückte ihr, mit bey¬ den Händen bedecktes, Geſicht tief in die Kißen.

Was iſt das! ſagte Friedrich, ſind deine Freun¬ de Geſpenſter geworden? Warum haſt du mich ge¬ liebt, eh 'du mich kannteſt, und fürchteſt dich nun vor mir? Marie blieb in ihrer Stellung und ließ die eine Hand, die er gefaßt hatte, matt in der ſeinigen; ſie ſchien ganz vernichtet. Mit noch im¬ mer verſtecktem Geſichte ſagte ſie leiſe und gepreßt: Er war auf dem Balle dieſelbe Geſtalt die¬ ſelbe Maſke . Du haſt dich in mir geirrt, ſag¬ te Friedrich, und ſetzte ſich neben ihr auf das Bett, viel ſchwerer und furchtbarer irrſt du dich am Le¬182 ben, leichtſinniges Mädchen! Wie der ſchwarze Ritter heute auf dem Balle, tritt überall ein freyer, wilder Gaſt ungeladen in das Feſt. Er iſt ſo luſtig aufgeſchmückt und ein rüſtiger Tänzer, aber ſeine Augen ſind leer und hohl und ſeine Hände todtenkalt, und du mußt ſterben, wenn er dich in die Arme nimmt, denn dein Buhle iſt der Teufel. Marie, ſeltſam erſchüttert von dieſen Worten, die ſie nur halb vernahm, richtete ſich auf. Er hob ſie auf ſeinen Schooß, wo ſie ſtill ſitzen blieb während er ſprach. Ihre Augen und Mienen ka¬ men ihm in dieſem Augenblicke wieder ſo unſchuldig und kindiſch vor, wie ehemals. Was iſt aus dir geworden, arme Marie! fuhr er gerührt fort. Als ich das erſtemal auf die ſchöne grüne Waldes¬ wieſe hinunterkam, wo dein ſtilles Jägerhaus ſtand, wie du fröhlich auf dem Rehe ſaſſeſt und ſangſt der Himmel war ſo heiter, der Wald ſtand friſch und rauſchte im Winde, von allen Bergen blieſen die Jäger auf ihren Hörnern das war eine ſchö¬ ne Zeit! Ich habe einmal an einem kalten, ſtürmiſchen Herbſttage ein Frauenzimmer drauſſen im Felde ſitzen geſehen, die war verrückt geworden, weil ſie ihr Liebhaber, der ſich lange mit ihr her¬ umgeherzt, verlaſſen hatte. Er hatte ihr verſpro¬ chen, noch an demſelben Tage wiederzukommen. Sie gieng nun ſeit vielen Jahren alle Tage auf das Feld und ſah immerfort auf die Landſtraſſe hinaus. Sie hatte noch immer das Kleid an, das ſie da¬ mals getragen hatte, das war ſchon zerriſſen und183 ſeitdem ganz altmodiſch geworden. Sie zupfte im¬ mer an dem Aermel und ſang ein altes Lied zum raſend werden. Marie ſtand bey dieſen Worten ſchnell auf und gieng an den Tiſch. Friedrich ſah auf einmal Blut über ihre Hand hervorrinnen. Al¬ les dieſes geſchah in Einem Augenblick.

Was haſt du vor? rief Friedrich, der unter¬ deß herbeygeſprungen war. Was ſoll mir das Le¬ ben! antwortete ſie mit verhaltener, troſtloſer Stim¬ me. Er ſah, daß ſie ſich mit einem Federmeſſer grade am gefährlichſten Fleck unterhalb der Hand verwundet hatte. Pfuy, ſagte Friedrich, wie biſt du ſeitdem unbändig geworden! Das Mädchen wurde blaß, als ſie das Blut erblickte, das häufig über den weißen Arm floß. Er zog ſie an das Bett hin und riß ſchnell ein Band aus ihren Haa¬ ren. Sie kniete vor ihm hin und ließ ſich gutwillig von ihm das Blut ſtillen und die Wunde verbin¬ den. Das heftige Mädchen war während deß ruhi¬ ger geworden. Sie lehnte den Kopf an ſeine Kniee und brach in einen Strom von Thränen aus.

Da wurden ſie durch Marie's Kammermädchen unterbrochen, die plötzlich in die Stube ſtürzte und mit Verwirrung vorbrachte, daß ſo eben der Herr auf dem Wege hieher ſey. O Gott! rief Marie ſich aufraffend, wie unglücklich bin ich! Das Mäd¬ chen aber ſchob den Grafen, ohne ſich weiter auf Erklärungen einzulaſſen, eiligſt aus dem Zimmer und dem Hauſe, und ſchloß die Thüre hinter ihm ab.

184

Drauſſen auf der Straſſe, die leer und öde war, begegnete er bald zwey männlichen, in dunk¬ le Mäntel dichtverhüllten Geſtalten, die durch die neblichte Nacht an den Häuſern vorbeyſtrichen. Der eine von ihnen zog einen Schlüſſel hervor, er¬ öffnete leiſe Marie's Hausthüre und ſchlüpfte hin¬ ein. Deſſelben Stimme, die er jezt im Vorbeyge¬ hen flüchtig gehört hatte, glaubte er vom heutigen Maſkenballe auffallend wieder zu erkennen.

Da hierauf alles auf der Gaſſe ruhig wurde, eilte er endlich voller Gedanken ſeiner Wohnung zu. Oben in ſeiner Stube fand er Erwin, den Kopf auf den Arm geſtützt, eingeſchlummert. Die Lampe auf dem Tiſche war faſt ausgebrannt und dämmer¬ te nur noch ſchwach über das Zimmer. Der gute Junge hatte durchaus ſeinen Herrn erwarten wol¬ len, und ſprang verwirrt auf, als Friedrich herein¬ trat. Drauſſen raſſelten die Wagen noch immer¬ fort, Läufer ſchweiften mit ihren Windlichtern an den dunklen Häuſern vorüber, in Oſten ſtanden ſchon Morgenſtreifen am Himmel. Erwin ſagte, daß er ſich in der großen Stadt fürchte; das Ge¬ raſſel der Wagen wäre ihm vorgekommen, wie ein unaufhörlicher Sturmwind, die nächtliche Stadt, wie ein dunkler eingeſchlafener Rieſe. Er hat wohl recht, es iſt manchmal fürchterlich, dachte Friedrich, denn ihm war bey dieſen Worten, als hätte dieſer Rieſe Marie und ſeine Roſa erdrückt, und der Sturmwind gienge über ihre Gräber. Bete, ſagte er zu dem Knaben, und lege dich ruhig ſchlafen! 185Erwin gehorchte, Friedrich aber blieb noch auf. Seine Seele war von den buntwechſelnden Erſchei¬ nungen dieſer Nacht mit einer unbeſchreiblichen Wehmuth erfüllt, und er ſchrieb heute noch folgen¬ des Gedicht auf:

Der armen Schönheit Lebenslauf.

Die arme Schönheit irrt auf Erden,
So lieblich Wetter drauſſen iſt,
Möcht 'gern recht viel geſehen werden,
Weil jeder ſie ſo freundlich grüßt.
Und wer die arme Schönheit ſchauet,
Sich wie auf großes Glück beſinnt,
Die Seele fühlt ſich recht erbauet,
Wie wenn der Frühling neu beginnt.
Da ſieht ſie viele ſchöne Knaben,
Die reiten unten durch den Wind,
Möcht 'manchen gern im Arme haben,
Hüt' dich, hüt 'dich, du armes Kind!
Da zieh'n manch 'redliche Geſellen,
Die ſagen: Haſt nicht Geld noch Haus,
Wir fürchten deine Augen helle,
Wir haben nichts zum Hochzeitsſchmauß.
Von andern thut ſie ſich wegdrehen,
Weil keiner ihr ſo wohlgefällt,
Die müſſen traurig weiter gehen,
Und zögen gern an's End der Welt.
Da ſagt ſie: Was hilft mir mein Sehen,
Ich wünſcht ', ich wäre lieber blind,
Da alle furchtſam von mir gehen,
Weil gar ſo ſchön mein' Augen ſind.
186
Nun ſitzt ſie hoch auf lichtem Schloſſe,
In ſchöne Kleider putzt ſie ſich,
Die Fenſter glüh'n, ſie winkt vom Schloſſe,
Die Sonne blinkt, das blendet dich.
Die Augen, die ſo furchtſam waren,
Die haben jezt ſo freyen Lauf,
Fort iſt das Kränzlein aus den Haaren,
Und hohe Federn ſteh'n darauf.
Das Kränzlein iſt herausgeriſſen,
Ganz ohne Scheu ſie mich anlacht;
Geh 'Du vorbey: ſie wird Dich grüſſen,
Winkt Dir zu einer ſchönen Nacht.
Da ſieht ſie die Geſellen wieder,
Die fahren unten auf dem Fluß,
Es ſingen laut die luſt'gen Brüder,
So furchtbar ſchallt des Einen Gruß:
Was biſt du für'ne ſchöne Leiche!
So wüſte iſt mir meine Bruſt,
Wie biſt du nun ſo arm, du Reiche,
Ich hab 'an dir nicht weiter Luſt!
Der wilde hat ihr ſo gefallen,
Laut ſchrie ſie auf bey ſeinem Gruß,
Vom Schloß möcht 'ſie hinunterfallen,
Und unten ruh'n im kühlen Fluß.
Sie blieb nicht länger mehr da oben,
Weil alles anders worden war,
Vor Schmerz iſt ihr das Herz erhoben,
Da ward's ſo kalt, doch himmliſchklar.
Da legt ſie ab die goldnen Spangen,
Den falſchen Putz und Ziererey,
Aus dem verſtockten Herzen drangen
Die alten Thränen wieder frey.
187
Kein Stern wollt 'nicht die Nacht erhellen,
Da mußte die Verliebte geh'n,
Wie rauſcht der Fluß! die Hunde bellen,
Die Fenſter fern erleuchtet ſteh'n.
Nun biſt du frey von deinen Sünden,
Die Lieb zog triumphirend ein,
Du wirſt noch hohe Gnade finden,
Die Seele geht in Hafen ein.
Der Liebſte war ein Jäger worden,
Der Morgen ſchien ſo roſenroth,
Da bließ er luſtig auf dem Horne,
Bließ immerfort in ſeiner Noth.

Zwoͤlftes Kapitel.

Roſa ſaß des Morgens an der Toilette; ihr Kammermädchen mußte ihr weitläufig von dem frem¬ den Herrn erzählen, der geſtern nach ihr gefragt hatte. Sie zerbrach ſich vergebens den Kopf, wer es wohl geweſen ſeyn möchte, denn Friedrich'n er¬ wartete ſie nicht ſo ſchnell. Vielmehr glaubte ſie, er werde darauf beſtehen, daß ſie die Reſidenz ver¬ laſſe, und das machte ihr manchen Kummer. Die junge Gräfin Romana, eine Verwandte von ihr, in deren Hauſe ſie wohnte, ſaß neben ihr am Flü¬ gel und ſchwelgte toſend in den Tänzen von der ge¬ ſtrigen Redoute. Wie ihr anderen nur, ſagte ſie, alle Luſt ſo gelaſſen ertragen und aus dem Tanz188 ſchnurſtracks ins Bett ſpringen könnt und der ſchö¬ nen Welt ſo auf einmal ein Ende machen! Ich bin immer ſo ganz durchklungen, als ſollte die Muſik niemals aufhören.

Bald darauf fand ſie Roſa's Augen ſo ſüß ver¬ ſchlafen, daß ſie ſchnell zu ihr hinſprang und ſie küß[t]e. Sie ſezte ſich neben ihr hin und half ſie von allen Seiten ſchmücken, ſetzte ihr bald einen Hut, bald Blumen auf und riß eben ſo oft alles wieder herunter, wie ein verliebter Knabe, der nicht weiß, wie er ſich ſein Liebchen würdig genug aufputzen ſoll. Ich weiß gar nicht, was wir uns putzen, ſagte das ſchöne Weib endlich und lehnte den ſchwarzgelockten Kopf ſchwermüthig auf den blen¬ dendweißen Arm, was wir uns kümmern und noch Herzweh haben nach den Männern: ſolches ſchmu¬ tziges, abgearbeitetes, unverſchämtes Volk, ſteiflei¬ nene Helden, die ſich ſpreitzen und in allem Ernſte glauben, daß ſie uns beherrſchen, während wir ſie auslachen, fleiſſige Staatsbürger und eheliche Ehe¬ ſtandskandidaten, die, ganz beſchwitzt von der Be¬ rufsarbeit und das Schurzfell noch um den Leib, mit aller Wuth ihrer Inbrunſt von der Werkſtatt zum Gar¬ ten der Liebe ſpringen, und denen die Liebe anſteht, wie eine umgekehrt aufgeſetzte Perücke. Roſa beſah ſich im Spiegel und lachte. Wenn ich mir bedenke, fuhr die Gräfin fort, wie ich mir ſonſt als kleines Mädchen einen Liebhaber vorgeſtellt habe: wunderſchön, ſtark, voll Tapferkeit, wild, und doch wieder ſo milde, wenn er bey mir war.

189

Ich weiß noch, unſer Schloß lag ſehr hoch zwiſchen einſamen Wäldern, ein ſchöner Garten war daneben, unten gieng ein Strom vorüber. Alle Morgen, wenn ich in den Garten kam, hörte ich drauſſen in den Bergen ein Waldhorn blaſen, bald nahe, bald weit, dazwiſchen ſah ich oft einen Rei¬ ter plötzlich fern zwiſchen den Bäumen erſcheinen und ſchnell wieder verſchwinden. Gott! mit welchen Augen ſchaute ich da in die Wälder und den blauen weiten Himmel hinaus! Aber ich durfte, ſo lange meine Mutter lebte, niemals allein aus dem Gar¬ ten. Ein einzigesmal, an einem prächtigen Abende, da der Jäger drauſſen wieder bließ, wagte ich es und ſchlich unbemerkt in den Wald hinaus. Ich gieng nun zum erſtenmale allein durch die dunkel¬ grünen Gänge, zwiſchen Felſen und über eingeſchloſ¬ ſene Wieſen voll bunter Blumen, alte, ſeltſame Ge¬ ſchichten, die mir die Amme oft erzählte, fielen mir dabey ein; viele Vögel ſangen ringsumher, das Waldhorn rufte immerfort, noch niemals hatte ich ſo große Luſt empfunden. Doch, wie ich im Be¬ ſchauen ſo verſunken, gieng und ſtaunte, hatt 'ich den rechten Weg verlohren, auch wurde es ſchon dunkel. Ich irrt und rief, doch niemand gab mir Antwort. Die Nacht bedeckte indeß Wälder und Berge, die nun wie dunkle Rieſen auf mich ſahen, nur die Bäume rührten ſich ſo ſchaurig, ſonſt war es ſtill im großen Walde. Iſt das nicht recht romantiſch? unterbrach ſich hier die Gräfin ſelbſt laut auflachend. Ermüdet, fuhr ſie wieder weiter190 fort, ſetzte ich mich endlich auf die Erde nieder und weinte bitterlich. Da hör' ich plötzlich hinter mir ein Geräuſch, ein Reh bricht aus dem Dickicht her¬ vor und hinterdrein der Reiter. Es war ein wilder Knabe, der Mond ſchien ihm hell ins Ge¬ ſicht; wie ſchön und herrlich er anzuſehen war, kann ich mit Worten nicht beſchreiben. Er ſtutzte, als er mich erblickte, und ſtaunend ſtanden wir ſo vorein¬ ander. Erſt lange darauf frug er mich, wie ich hieher gekommen und wohin ich wollte? Ich konn¬ te vor Verwirrung nicht antworten, ſondern ſtand ſtill vor ihm und ſah ihn an. Da hob er mich ſchnell vor ſich auf ſein Roß, umſchlang mich feſt mit ei¬ nem Arme, und ritt ſo mit mir davon. Ich fragte nicht: wohin? denn Luſt und Furcht war ſo ge¬ miſcht in ſeinem wunderbaren Anblick, daß ich we¬ der wünſchte noch wagte, von ihm zu ſcheiden. Un¬ terweges bat er mich freundlich um ein Andenken. Ich zog ſtillſchweigend meinen Ring vom Finger und gab ihn ihm. So waren wir nach kurzem Rei¬ ten auf unbekannten Wegen, zu meiner Verwun¬ derung, auf einmal vor unſer Schloß gekommen. Der Jäger ſetzte mich hier ab, küßte mich und kehr¬ te ſchnell wieder in den Wald zurück.

Aber mir ſcheint gar, Du glaubſt mir wirklich alles das Zeug da, ſagte hier die Gräfin, da ſie Roſa'n über der Erzählung ihren ganzen Putz ver¬ geſſen und mit großen Augen zuhorchen ſah. Und iſt es denn nicht wahr? fragte Roſa. So, ſo, erwiederte die Gräfin, es iſt eigentlich mein Lebens¬191 lauf in der Knoſpe. Willſt Du weiter hören, mein Püppchen?

Der Sommer, die bunten Vögel und die Waldhornsklänge zogen nun fort, aber das Bild des ſchönen Jägers blieb heimlich bey mir den lan¬ gen Winter hindurch. Es war an einem von je¬ nen wundervollen Vorfrühlingstagen, wo die erſten Lerchen wieder in der lauen Luft ſchwirren, ich ſtand mit meiner Mutter an dem Abhange des Gartens, der Fluß unten war von dem geſchmolzenen Schnee ausgetreten und die Gegend weit und breit wie ein großer See zu ſehen. Da erblickte ich plötzlich mei¬ nen Jäger wieder gegenüber auf der Höhe. Ich erſchrack vor Freude, daß ich am ganzen Leibe zit¬ terte. Er bemerkte mich und hielt meinen Ring an ſeiner Hand grade auf mich zu, daß der Stein, im Sonnenſcheine funkelnd, wunderbar über das Thal herüberblizte. Er ſchien zu uns herüber zu wol¬ len, aber das Waſſer hinderte ihn. So ritt er auf verſchiedenen Umwegen und kam auf einen tie¬ fen Schlund, vor dem das Pferd ſich zögernd bäumte. Endlich wagte es den Sprung, ſprang zu kurz und er ſtürzte in den Abgrund. Als ich das ſahe, ſprang ich, ohne mich zu beſinnen, mit einem Schrey vom Abhange aus dem Garten hinunter. Man trug mich ohnmächtig ins Schloß, und ich ſah ihn niemals mehr wieder; aber der Ring blitzt wohl noch jeden Frühling aus der Grüne farbig¬ flammend in mein Herz, und ich werde die Zaube¬ rey nicht los. Was ſagte denn aber die Mutter192 dazu? fragte Roſa. Sie erinnerte ſich ſehr oft daran. Noch den letzten Tag vor ihrem Tode, da ſie ſchon zuweilen irre ſprach, fiel es ihr ein und ſie ſagte in einer Art von Verzuckung zu mir: Sprin¬ ge nicht aus dem Garten! Er iſt ſo fromm und zierlich umzäunt mit Roſen, Lilien und Roſmarin. Die Sonne ſcheint gar lieblich darauf und lichtglän¬ zende Kinder ſehen Dir von ferne zu und wollen dort zwiſchen den Blumenbeeten mit Dir ſpazieren¬ gehen. Denn Du ſollſt mehr Gnade erfahren und mehr göttliche Pracht überſchauen, als andere. Und eben, weil Du oft fröhlich und kühn ſeyn wirſt und Flügel haben, ſo bitte ich Dich: ſpringe niemals aus dem ſtillen Garten! Was wollte ſie denn aber damit ſagen? fiel ihr Roſa ins Wort, ver¬ ſtehſt Du's? Manchmal, erwiederte die Gräfin, an nebligen Herbſttagen. Sie nahm die Guitar¬ te, trat an das offene Fenſter und ſang:

Laue Luft kommt blau gefloſſen,
Frühling, Frühling ſoll es ſeyn!
Waldwärts Hörnerklang geſchoſſen,
Muth'ger Augen lichter Schein,
Und das Wirren bunt und bunter
Wird ein magiſch wilder Fluß,
In die ſchöne Welt hinunter
Lockt dich dieſes Stromes Gruß.
Und ich mag mich nicht bewahren!
Weit von Euch treibt mich der Wind,
Auf dem Strome will ich fahren,
Von dem Glanze ſelig blind!
Tauſend193
Tauſend Stimmen lockend ſchlagen,
Hoch Aurora flammend weht,
Fahre zu! ich mag nicht fragen,
Wo die Farth zu Ende geht!

Was macht dein Bruder Leontin? fragte ſie ſchnellabbrechend und legte die Guitarre, in Gedan¬ ken verſunken, hin. Wie kommſt du jetzt auf den? fragte Roſa verwundert. Er ſagt von mir, antwor¬ tete die Gräfin, ich ſey wie eine Flöte, in der viel himmliſcher Klang, aber das friſche Holz habe ſich geworfen, habe einen genialiſchen Sprung, und ſo tauge doch am Ende das ganze Inſtrument nichts. Das fiel mir eben jezt ein.

Roſa war froh, daß grade der Bediente her¬ eintrat und meldete, daß die Pferde zum Spa¬ zierritte bereit ſeyen. Denn die Reden der Grä¬ fin hatten ſie heute mehr gepreßt und beängſtigt, als ſie zeigte, und wäre Friedrich, nach deſſen immer beruhigenden Geſprächen ſie hier gar oft eine aufrichtige Sehnſucht fühlte, in dieſem Augen¬ blicke hereingetreten, ſie wäre ihm gewiß mit einer Leidenſchaft um den Hals gefallen, die ihn in Ver¬ wunderung geſezt hätte.

Friedrich hatte bis weit in den Tag hineinge¬ ſchlafen oder vielmehr geträumt und ſtand unerquickt und nüchtern auf. Die alte, ſchöne Gewohnheit, beym erſten Erwachen in die rüſtige, freye Morgen¬ pracht hinauszutreten, und auf hohem Berge oder im Walde die Weihe großer Gedanken für den Tag13194zu emfangen, mußte er nun ablegen. Troſtlos blickte er aus dem Fenſter in das verwirrende Trei¬ ben der mühſeligdrängenden, ſchwankenden Menge, und es war ihm, als könnte er hier nicht beten. In ſolchen verlaſſenen Stunden wenden wir uns mit doppelter Liebe nach den Augen der Geliebten, aus denen uns die Natur wieder wunderbar begrüßt, wo wir Ruhe, Troſt und Freude wieder zu finden wähnen. Auch Friedrich eilte, ſeine Roſa endlich wieder zu ſehen. Aber ſeine Erwartung ſollte noch einmal getäuſcht werden. Sie war, wie wir ge¬ hört haben, eben fortgeritten, als er hinkam.

Ungeduldig verließ er von neuem das Haus, und es fehlte wenig, daß er in einer Aufwallung nicht ſogleich gar wieder fortreiste. Müßig und unluſtig ſchlenderte er durch die Gaſſen zwiſchen den fremden Menſchengeſichtern, ohne zu wiſſen, wohin. Die erſten Stunden und Tage, die wir in einer großen, unbekannten Stadt verbringen, gehören meiſtens unter die verdrießlichſten unſeres Lebens. Ueberall von aller organiſchen Theilnahme ausge¬ ſchloſſen, ſind wir wie ein überflüſſiges, ſtillſtehendes Rad an dem großen Uhrwerke des allgemeinen Trei¬ bens. Neutral hängen wir gleichſam unſer ganzes Weſen ſchlaff zu Boden und haſchen, da wir inner¬ lich nicht zu Hauſe ſind, auswärts nach einem fe¬ ſten, ſicheren Halt. Solche Augenblicke ſind es, wo wir darauf verfallen, Viſiten zu machen und nach Bekanntſchaften zu jagen, da uns ſonſt der un¬ geſtörte Zug eines friſchen, bewegten Lebens in195 Liebe und Haß mit Gleichen und Widrigen von ſelbſt kräftiger und ſicherer zuſammenführt.

So erinnerte ſich auch Friedrich, daß er ein Empfehlungsſchreiben an den hieſigen Miniſter P., den er von einſichtsvollen Männern als ein Wunder von tüchtiger Thätigkeit rühmen gehört, bey ſich ha¬ be. Er zog es hervor und überlas bey dieſer Ge¬ legenheit wieder einmal den weitläufigen Reiſeplan, den er bey ſeinem Auszuge von der Univerſität ſorg¬ fältig in ſeine Schreibtafel aufgezeichnet hatte. Es rührte ihn, wie da alle Wege ſo genau vorausbe¬ ſtimmt waren, und wie nachher alles anders ge¬ kommen war, wie das innere Leben überall durch¬ dringt und, ſich an keine vorberechneten Pläne keh¬ rend, gleich einem Baume aus freyer, geheimni߬ voller Werkſtatt ſeine Aeſte nach allen Richtungen hinſtreckt und treibt und erſt als Ganzes einen Plan und Ordnung erweißt.

Unter ſolchen Gedanken erreichte er des Mini¬ ſters Haus. Ein Kammerdiener meldete ihn an und führte ihn bald darauf durch eine lange Reihe von Zimmern, die alle faſt bis zur Einförmigkeit einfach und ſchmucklos waren. Erſtaunt blieb er ſtehen, als ihm endlich an der letzten Thüre der Miniſter ſelbſt entgegenkam. Er hatte ſich nach alle dem Er¬ hebenden, was er von ſeinem großen Streben ge¬ hört, einen lebenskräftigen, heldenähnlichen, freudi¬ gen Mann vorgeſtellt, und fand eine lange, hage¬ re, ſchwarzgekleidete Geſtalt, die ihn mit unhöflicher13 *196Höflichkeit empfieng. Denn ſo möchte man jene Höflichkeit nennen, die nichts weiter bedeuten will, und keinen Zug mehr ihres Urſprungs, der wohl¬ wollenden Güte, an ſich hat. Der Miniſter las das Schreiben ſchnell durch und erkundigte ſich um die Familienverhältniſſe des Grafen mit wenigen ſonderbaren Fragen, aus denen Friedrich zu ſeiner höchſten Verwunderung erſah, daß der Miniſter in die Geheimniſſe ſeiner Familie eingeweihter ſeyn müſſe, als er ſelber, und er betrachtete den kalten Mann einige Augenblicke mit einer Art von heiliger Scheu.

Während dieſer Unterredung kam unten ein junger Mann in ſoldatiſcher Kleidung die Straſſe herabgeritten. Wie wenn ein Ritter, noch ein hei¬ liges Bild voriger rechter Jugend, deſſen Anblick unſer Auge längſt entwöhnt iſt, uns plötzlich begeg¬ nete, ſo ragte der herrliche Reiter über die verwor¬ rene, falbe Menge, die ſein wildes Roß auseinan¬ derſprengte. Alles zog ehrerbietig den Hut, er nickte freundlich in das Fenſter hinauf, der Miniſter verneigte ſich tief; es war der Erbprinz.

Auf Friedrich'n hatte die wahrhaft fürſtliche Schönheit des Reiters einen wunderbaren Eindruck gemacht, den er, ſo lange er lebte, nie wieder aus¬ zulöſchen vermochte. Er ſagte es dem Miniſter. Der Miniſter lächelte. Friedrich n ärgerte das brit¬ tiſirende, eingefrorene Weſen, das er aus Jean Pauls Romanen bis zum Eckel kannte, und jeder¬ zeit für die allerſchändlichſte Prahlerey hielt. Auf197 die Wahrhaftigkeit ſeines Herzens vertrauend, ſprach er daher, als ſich bald nachher die Unter¬ haltung zu den neueſten Zeitbegebenheiten wandte, über Staat, öffentliche Verhandlungen und Patrio¬ tiſmus mit einer ſorgloſen, ſieghaften Ergreiffung, die vielleicht manchmal um deſto eher an Uebertrei¬ bung gränzte, je mehr ihn der unüberwindlich kal¬ te Gegenſatz des Miniſters erhitzte. Der Miniſter hörte ihn ſtillſchweigend an. Als er geendigt hatte, ſagte er ruhig: Ich bitte Sie, verlegen Sie ſich doch einige Zeit mit ausſchließlichem Fleiße auf das Studium der Jurisprudenz und der kammeraliſtiſchen Wiſſenſchaften. Friedrich griff ſchnell nach ſeinem Hute. Der Miniſter überreichte ihm eine Einla¬ dungskarte zu einem ſogenannten Tableau, welches heute Abend bey einer Dame, die durch gelehrte Zirkel berüchtigt war, von mehreren jungen Da¬ men aufgeführt werden ſollte, und Friedrich eilte aus dem Hauſe fort. Er hatte ſich oben in der Ge¬ genwart des Miniſters wie von einer unſichtbaren Uebermacht bedrückt gefühlt, es kam ihm vor, als gienge alles anders auf der Welt, als er es ſich in guten Tagen vorgeſtellt.

Es war ſchon Abend geworden, als ſich Frie¬ drich endlich entſchloß, von der Einladungskarte, die er vom Miniſter bekommen hatte, Gebrauch zu ma¬ chen. Er machte ſich ſchnell auf den Weg; aber das Haus der Dame, wohin die Addreſſe gerichtet war, lag weit in dem anderen Theile der Stadt, und ſo langte er ziemlich ſpät dort an.

198

Er wurde bey Vorweiſung der Karte in einen Saal gewieſen, der, wie es ſchien, mit Fleiß, nur durch einen einzigen Kronleuchter ſehr matt beleuch¬ tet wurde. In dieſer ſonderbaren Dämmerung fand er eine zahlreiche Geſellſchaft, die lebhaft durchein¬ anderſprechend in einzelne Parthieen zerſtreut umher¬ ſaß. Er kannte niemand und wurde auch nicht be¬ merkt; er blieb daher im Hintergrunde und erwar¬ tete, an einen Pfeiler gelehnt, den Ausgang der Sache.

Bald darauf wurde zu ſeinem Erſtaunen auch der einzige Kronleuchter hinaufgezogen. Eine un¬ durchdringliche Finſterniß erfüllte nun plötzlich den Raum und er horte ein quickerndes, leichtfertiges Gelächter unter den jungen Frauenzimmern über den ganzen Saal. Wie ſehr aber fühlte er ſich überraſcht, als auf einmal ein Vorhang im Vor¬ dergrunde niederſank und eine unerwartete Erſchei¬ nung von der ſeltſamſten Erfindung ſich den Augen darbot.

Man ſah nemlich ſehr überraſchend ins Freye, überſchaute ſtatt eines Theaters die große, wunder¬ bare Bühne der Nacht ſelber, die vom Monde be¬ leuchtet drauſſen ruhte. Schräge über die Gegend hin ſtreckte ſich ein ungeheurer Rieſenſchatten weit hinaus, auf deſſen Rücken eine hohe weibliche Ge¬ ſtalt erhoben ſtand. Ihr langes weites Gewand war durchaus blendendweiß, die eine Hand hatte ſie ans Herz gelegt, mit der anderen hielt ſie ein Kreutz zum Himmel empor. Das Gewand ſchien199 ganz und gar von Licht durchdrungen und ſtrömte von allen Seiten einen milden Glanz aus, der eine himmliſche Glorie um die ganze Geſtalt bildete und ſich ins Firmament zu verloren ſchien, wo oben an ſeinem Ausgange einzelne wirkliche Sterne hindurch¬ ſchimmerten. Rings unter dieſer Geſtalt war ein dunkler Kreis hoher, traumhafter, phantaſtiſch in¬ einanderverſchlungener Pflanzen, unter denen, un¬ kenntlich verworrene Geſtalten zerſtreut lagen und ſchliefen, als wäre ihr wunderbarer Traum über ihnen abgebildet. Nur hin und her endigten ſich die höchſten dieſer Pflanzengewinde in einzelne Li¬ lien und Roſen, die von der Glorie, der ſie ſich zuwandten, berührt, und verklärt wurden und in de¬ ren Kelchen goldene Kanarienvögel ſaſſen und in dem Glanze mit den Flügeln ſchlugen. Unter den dunk¬ len Geſtalten des unteren Kreiſes war nur eine kenntlich. Es war ein Ritter, der ſich, der glän¬ zenden Erſcheinung zugekehrt, auf beyde Kniee aufgerichtet hatte und auf ein Schwert ſtützte, und deſſen goldene Rüſtung von der Glorie hell beleuch¬ tet wurde. Von der anderen Seite ſtand eine ſchö¬ ne weibliche Geſtalt in griechiſcher Kleidung, wie die Alten ihre Göttinnen abbildeten. Sie war mit bunten, vollen Blumengewinden umhangen und hielt mit beyden aufgehobenen Armen eine Zymbel, wie zum Tanze, hoch in die Höh ', ſo daß die ganze regelmäſſige Fülle und Pracht der Glieder ſichtbar wurde. Das Geſicht erſchrocken von der Glorie abgewendet, war ſie nur zur Hälfte erleuch¬200 tet; aber es war die deutlichſte und vollendetſte Figur. Es ſchien, als wäre die irdiſche, lebens¬ luſtige Schönheit, von dem Glanze jener himmli¬ ſchen berührt, in ihrer bachantiſchen Stellung plötz¬ lich ſo erſtarrt. Je länger man das Ganze betrach¬ tete, je mehr und mehr wurde das Zauberbild von allen Seiten lebendig. Die Glorie der mittelſten Figur ſpielte in den Pflanzengewinden und den zitternden Blätterſpitzen der nächſtſtehenden Bäume. Im Hintergrunde ſah man noch einige Streifen des Abendroths am Himmel ſtehen, fernes dunkel¬ blaues Gebirg und hin und wieder den Strom aus der weiten Tiefe wie Silber aufblickend. Die gan¬ ze Gegend ſchien in erwartungsvoller Stille zu feyern, wie vor einem großen Morgen, der das geheimnißvoll gebundene Leben in herrlicher Pracht löſen ſoll.

Friedrich war freudig zuſammengefahren, als der Vorhang ſich plötzlich eröffnete, denn er hatte in der mittelſten Figur mit dem Kreutze ſogleich ſei¬ ne Roſa erkannt. Wie wir einen geliebten köſtli¬ chen Stein mit dem Koſtbarſten ſorgfältig umfaſ¬ ſen, ſo ſchien auch ihm der herrliche Kreis der ge¬ ſtirnten Nacht drauſſen nur eine Folie um das ſchö¬ ne Bild der Geliebten, zu welcher Aller Augen un¬ widerſtehlich hingezogen wurden. An ihren großen, ſinnigen Augen entzündete ſich in ſeiner Bruſt die Macht hoher, freudiger Entſchlüſſe und Gedanken, das Abendroth drauſſen war ihm die Aurora eines künftigen, weiten, herrlichen Lebens und ſeine ganze201 Seele flog wie mit großen Flügeln in die wunder¬ bare Ausſicht hinein.

Mitten in dieſer Entzückung fiel der Vorhang plötzlich wieder, das Ganze verdeckend, herab, der Kronleuchter wurde heruntergelaſſen und ein ſchnat¬ terndes Gewühle und Lachen erfüllte auf einmal wieder den Saal. Der größte Theil der Geſellſchaft brach nun von allen Sitzen auf und verlohr ſich. Nur ein kleiner Theil von Auserwählten, wie es ſchien, blieb im Saale zurück. Friedrich wurde während deß vom Miniſter, der auch zugegen war, bemerkt und ſogleich der Frau vom Hauſe vorge¬ ſtellt. Es war eine faſt durchſichtigſchlanke, ſchmäch¬ tige Geſtalt, gleichſam im Nachſommer ihrer Blü¬ the und Schönheit. Sie bat ihn mit ſo überaus ſanften, leiſen, liſpelnden Worten, daß er Mühe hatte ſie zu verſtehen, ihre künſtleriſchen Abendan¬ dachten, wie ſie ſich ausdrückte, mit ſeiner Gegen¬ wart zu beehren, und ſah ihn dabey mit blinzeln¬ den, faſt zugedrückten Augen an, von denen er zweifelhaft war, ob ſie ausforſchend, gelehrt, ſanft, verliebt oder nur intereſſant ſeyn ſollten.

Die Geſellſchaft zog ſich indeß in eine kleinere Stube zuſammen. Die Zimmer waren durchaus prachtvoll und im neueſten Geſchmack dekorirt; nur hin und wieder bemerkte man einige auffallende Be¬ ſonderheiten und Nachläſſigkeiten, unſymetriſche Spiegel, Guitarren, aufgeſchlagene Muſikalien und Bücher, die auf den Ottomanen zerſtreut umherla¬ gen. Friedrich'n kam es vor, als hätte es der202 Frau vom Hauſe vorher einige Stunden mühſamen Studiums gekoſtet, um in das Ganze eine gewiſſe unordentliche Genialität hineinzubringen.

Endlich erſchien auch Roſa mit der jungen Gräfin Romana, welche in dem Tableau die grie¬ chiſche Figur, die lebensluſtige, vor dem Glanz des Chriſtenthums zu Stein gewordene Religion der Phantaſie ſo meiſterhaft dargeſtellt hatte. Roſa's erſter Blick traf grade auf Friedrich. Erſtaunt und mit innigſter Herzensfreude rief ſie laut ſeinen Nah¬ men. Er wäre ihr um den Hals gefallen, aber der Miniſter ſtand eben wie eine Statue neben ihm, und manche Augen hatte ihr unvorſichtiger Ausruf auf ihn gerichtet. Er hätte ſich vor dieſen Leuten eben ſo gern wie Don Quixote in der Wildniß vor ſeinem Sancho Panſa in Burzelbäumen produzieren wollen, als ſeine Liebe ihren Augen Preis geben. Aber ſo nahe als möglich hielt er ſich zu ihr, es war ihm eine unbeſchreibliche Luſt, ſie anzurühren, er ſprach wieder mit ihr, als wäre er nie von ihr entfernt geweſen und hielt oft Minutenlang ihre Hand in der ſeinigen. Raſa'n that dieſe langent¬ behrte, ungekünſtelte, unwiderſtehliche Freude an ihr im Innerſten wohl.

Es hatte ſich unterdeß ein niedliches, etwa zehnjähriges Mädchen eingefunden, die in einer rei¬ tzenden Kleidung mit langen Beinkleidern und kurzem ſchleyernen Röckchen darüber keck im Zimmer herum¬ ſprang. Es war die Tochter vom Hauſe. Ein Herr aus der Geſellſchaft reichte ihr ein Tambourin, das203 in einer Ecke auf dem Fußboden gelegen hatte. Alle ſchloſſen bald einen Kreis um ſie und das zierliche Mädchen tanzte mit einer wirklich bewunderungs¬ würdigen Anmuth und Geſchicklichkeit, während ſie das Tambourin auf mannigfache Weiſe ſchwang und berührte und ein niedliches italiäniſches Liedchen da¬ zu ſang. Jeder war begeiſtert, erſchöpfte ſich in Lobſprüchen und wünſchte der Mutter Glück, die ſehr zufrieden lächelte. Nur Friedrich ſchwieg ſtill. Denn einmal war ihm ſchon die moderne Jungen¬ tracht bey Mädchen zuwider, ganz abſcheulich aber war ihm dieſe gottloſe Art, unſchuldige Kinder durch Eitelkeit zu dreſſiren. Er fühlte vielmehr ein tiefes Mitleid mit der ſchönen kleinen Bajadere. Sein Aerger und das Lobpreiſen der anderen ſtieg, als nachher das Wunderkind ſich unter die Geſell¬ ſchaft miſchte, nach allen Seiten hin in fertigem Franzöſiſch ſchnippiſche Antworten ertheilte, die eine Klugheit weit über ihr Alter zeigten, und über¬ haupt jede Ungezogenheit als genial genommen wurde.

Die Damen, welche ſämmtlich ſehr äſthetiſche Mienen machten, ſetzten ſich darauf nebſt mehreren Herren unter dem Vorſitze der Frau vom Haus, die mit vieler Grazie den Thee einzuſchenken wu߬ te, förmlich in Schlachtordnung und fiengen an von Ohrenſchmäußen zu reden. Der Miniſter entfernte ſich in die Nebenſtube, um zu ſpielen. Friedrich erſtaunte, wie dieſe Weiber geläufig mit den neue¬ ſten Erſcheinungen der Literatur umzuſpringen wu߬204 ten, von denen er ſelber manche kaum dem Nahmen nach kannte, wie leicht ſie mit Nahmen herumwar¬ fen, die er nie ohne heilige, tiefe Ehrfurcht auszu¬ ſprechen gewohnt war. Unter ihnen ſchien beſonders ein junger Mann mit einer verachtenden Miene in einem gewiſſen Glauben und Anſeh'n zu ſtehen. Die Frauenzimmer ſahen ihn beſtändig an, wenn es darauf ankam, ein Urtheil zu ſagen, und ſuch¬ ten in ſeinem Geſichte ſeinen Beyfall oder Tadel im voraus herauszuleſen, um ſich nicht etwa mit etwas Abgeſchmacktem zu proſtituiren. Er hatte viele ge¬ nialiſche Reiſen gemacht, in den meiſten Hauptſtäd¬ ten auf öffentlicher Straſſe auf ſeine eigne Fauſt Ball geſpielt, Kotzebue'n einmal in einer Geſell¬ ſchaft in den Sack geſprochen, faſt mit allen be¬ rühmten Schriftſtellern zu Mittag geſpeißt oder klei¬ ne Fußreiſen gemacht. Uebrigens gehörte er eigent¬ lich zu keiner Parthey; er überſah alle weit und belächelte die entgegengeſetzten Geſinnungen und Beſtrebungen, den eifrigen Streit unter den Phi¬ loſophen oder Dichtern: Er war ſich der Lichtpunkt dieſer verſchiedenen Reflexe. Seine Urtheile waren alle nur wie zum Spiele flüchtig hingeworfen mit einem nachläſſig myſtiſchen Anſtrich, und die Frauen¬ zimmer erſtaunten nicht über das, was er ſagte, ſondern was er, in der Ueberzeugung nicht verſtan¬ den zu werden, zu verſchweigen ſchien.

Wenn dieſer heimlich die Meynung zu regieren ſchien, ſo führte dagegen ein anderer faſt einzig das hohe Wort. Es war ein junger, voller Menſch205 mit ſtrotzender Geſundheit, ein Antlitz, das vor wohlbehaglicher Selbſtgefälligkeit glänzte und ſtrahl¬ te. Er wußte für jedes Ding ein hohes Schwung¬ wort, lobte und tadelte ohne Maaß und ſprach ha¬ ſtig mit einer durchdringenden, gellenden Stimme. Er ſchien ein wüthendbegeiſterter von Profeſſion und ließ ſich von den Frauenzimmern, denen er ſehr gewogen ſchien, gern den heiligen Thyrſus¬ ſchwinger nennen. Es fehlte ihm dabey nicht an ei¬ ner gewiſſen ſchlauen Miene, womit er niederern, nicht ſo ſaftige Naturen ſeiner Ironie Preis zu ge¬ ben pflegte. Friedrich wußte gar nicht, wohin die¬ ſer während ſeiner Deklamationen ſo viel Liebesblicke verſchwende, bis er endlich ihm gerade gegenüber einen großen Spiegel entdeckte.

Der Begeiſterte ließ ſich nicht lange bitten, et¬ was von ſeinen Poeſien mitzutheilen. Er las eine lange Dythirambe von Gott, Himmel, Hölle, Er¬ de und dem Karfunkelſtein mit angeſtrengteſter Hef¬ tigkeit vor, und ſchloß mit ſolchem Schrey und Nachdruck, daß er ganz blau im Geſichte wurde. Die Damen waren ganz auſſer ſich über die heroi¬ ſche Kraft des Gedichts, ſo wie des Vortrages.

Ein anderer junger Dichter von mehr ſchmach¬ tendem Anſeh'n, der neben der Frau vom Hauſe ſeinen Wohnſitz aufgeſchlagen hatte, lobte zwar auch mit, warf aber dabey einige durchbohrende neidiſche Blicke auf den Begeiſterten, vom Leſen ganz erſchöpften. Ueberhaupt war dieſer Friedrich'n ſchon von Anfang durch ſeinen großen Unterſchied206 von jenen beyden Flauſenmachern aufgefallen. Er hatte ſich während der ganzen Zeit, ohne ſich um die Verhandlungen der anderen zu bekümmern, aus¬ ſchließlich mit der Frau vom Haus unterhalten, mit der er Eine Seele zu ſeyn ſchien. Ihre Unterhal¬ tung mußte ſehr zart ſeyn, wie man von dem ſü¬ ßen, zugeſpitzten Munde beyder abnehmen konnte, und Friedrich hörte nur manchmal einzelne Laute, wie: mein ganzes Leben wird zum Roman überſchwenglichreiches Gemüth Prieſterle¬ ben herüberſchallen. Endlich zog auch dieſer ein ungeheueres Paket Papiere aus der Taſche und begann vorzuleſen, unter anderen folgendes Aſſo¬ nanzenlied:

Hat nun Lenz die ſilbern'n Brounen
Losgebunden:
Knie 'ich nieder, ſüßbeklommen,
In die Wunder.
Himmelreich, ſo kommt geſchwommen
Auf die Wunden!
Haſt Du einzig mich erkohren
Zu den Wundern?
In die Ferne ſüß verlohren,
Lieder fluthen,
Daß ſie, rückwärts ſanft erſchollen,
Bringen Kunde.
Was die andern ſorgen wollen,
Iſt mir dunkel,
Mir will ew'ger Durſt nur frommen
Nach dem Durſte.
207
Was ich liebte und vernommen,
Was geklungen,
Iſt den eignen, tiefen Wonnen
Selig Wunder!

Weiter folgendes Sonett:

Ein Wunderland iſt oben aufgeſchlagen,
Wo goldne Ströme geh'n und dunkel ſchallen
Und durch ihr Rauſchen tief 'Geſänge hallen,
Die möchten gern ein hohes Wort uns ſagen.
Viel goldne Brücken ſind dort kühn geſchlagen,
Darüber alte Brüder ſinnend wallen
Und ſeltſam 'Töne oft herunterfallen
Da will tief Sehnen uns von hinnen tragen.
Wen einmal ſo berührt die heil'gen Lieder:
Sein Leben taucht in die Muſik der Sterne,
Ein ewig Zieh'n in wunderbare Ferne.
Wie bald liegt da tief unten alles Trübe!
Er kniet ewig bethend einſam nieder,
Verklärt im heil'gen Morgenroth der Liebe.

Er las noch einen Haufen Sonette mit einer Art von prieſterlicher Feyerlichkeit. Keinem derſel¬ ben fehlte es an irgend einem wirklich aufrichtigen kleinen Gefühlchen, an großen Ausdrücken und lieblichen Bildern. Alle hatten einen einzigen, bis ins Unendliche breit auseinandergeſchlagenen Gedan¬ ken, ſie bezogen ſich alle auf den Beruf des Dich¬ ters und die Göttlichkeit der Poeſie, aber die Poe¬ ſie ſelber, das urſprüngliche, freye, tüchtige Leben, das uns ergreift, ehe wir darüber ſprachen, kam nicht zum Vorſchein vor lauter Komplimenten davor208 und Anſtalten dazu. Friedrich'n kamen dieſe Poe¬ ſierer in ihrer durchaus polirten, glänzenden, wohl¬ erzogenen Weichlichkeit wie der fade, unerquickliche Theedampf, die zierliche Theekanne mit ihrem lo¬ dernden Spiritus auf dem Tiſche wie der Opferal¬ tar dieſer Muſen vor. Er erinnerte ſich bey dieſem eßtheetiſchen Geſchwätz der ſchönen Abende im Wal¬ de bey Leontins Schloß, wie da Leontin manchmal ſo ſeltſame Geſpräche über Poeſie und Kunſt hielt, wie ſeine Worte, je finſterer es nach und nach ringsumher wurde, zulezt Eins wurden mit dem Rauſchen des Waldes und der Ströme und dem großen Geheimniſſe des Lebens und weniger belehr¬ ten als erquickten, ſtärkten und erhoben.

Er erholte ſich recht an der erfriſchenden Schön¬ heit Roſa's, in deren Geſicht und Geſtalt unver¬ kennbar der herrliche, wilde, oft ungenießbare Berg - und Waldgeiſt ihres Bruders zur ruhige¬ ren, großen, ſchönen Form geworden war. Sie kam ihm dieſen Abend viel ſchöner und unſchuldiger vor, da ſie ſich faſt gar nicht in die gelehrten Un¬ terhaltungen mit einmiſchte. Höchſtanziehend und zurückſtoßend zugleich erſchien ihm dagegen ihre Nachbarinn, die junge Gräfin Romana, welche er ſogleich für die griechiſche Figur in dem Tableau erkannte, und die daher heute allgemein die ſchöne Heydinn genannt wurde. Ihre Schönheit war durchaus verſchwenderiſchreich, ſüdlich und blendend und überſtrahlte Roſa's mehr deutſche Bildungweit,209weit, ohne eigentlich vollendeter zu ſeyn. Ihre Bewegungen waren feurig, ihre großen, brennen¬ den, durchdringenden Augen, denen es nicht an Strenge fehlte, beſtrichen Friedrich'n wie ein Mag¬ net. Als endlich der Schmachtende ſeine Vorleſung geendigt hatte, wurde ſie ziemlich unerwartet um ihr Urtheil darüber befragt. Sie antwortete ſehr kurz und verworren, denn ſie wußte faſt kein Wort davon; ſie hatte während deß heimlich ein ausfallend getroffenes Portrait Friedrichs geſchnitzt, das ſie ſchnell Roſa'n zuſteckte. Bald darauf wurde auch ſie aufgefordert, etwas von ihren Poeſieen zum Beſten zu geben. Sie verſicherte vergebens, daß ſie nichts bey ſich habe, man drang von allen Sei¬ ten, beſonders die Weiber mit wahren Judasge¬ ſichtern, in ſie, und ſo begann ſie, ohne ſich lange zu beſinnen, folgende Verſe, die ſie zum Theil aus der Erinnerung herſagte, größtentheils im Augen¬ blick erfand und durch ihre muſikaliſchen Mienen wunderbar belebte:

Weit in einem Walde droben
Zwiſchen hoher Felſen Zinnen,
Steht ein altes Schloß erhoben,
Wohnet eine Zaub'rin drinne.
Von dem Schloß, der Zaub'rin Schöne
Gehen wunderbare Sagen,
Lockend ſchweifen fremde Töne
Plötzlich her oft aus dem Walde.
Wem ſie recht das Herz getroffen,
Der muß nach dem Walde gehen,
14210
Ewig dieſen Klängen folgend,
Und wird nimmer mehr geſehen.
Tief in wunderſamer Grüne
Steht das Schloß, ſchon halbverfallen,
Hell die goldnen Zinnen glühen,
Einſam ſind die weiten Hallen.
Auf des Hofes ſtein'gem Raſen
Sitzen von der Tafelrunde
All' die Helden dort gelagert,
Ueberdeckt mit Staub und Wunden.
Heinrich liegt auf ſeinem Löwen,
Gottfried auch, Siegfried der Scharfe,
König Alfred, eingeſchlafen
Ueber ſeiner goldnen Harfe.
Don Quixot hoch auf der Mauer
Sinnend tief in nächt'ger Stunde,
Steht gerüſtet auf der Lauer
Und bewacht die heil'ge Runde.
Unter fremdes Volk verſchlagen,
Arm und ausgehöhnt, verrathen,
Hat er treu ſich durchgeſchlagen,
Eingedenk der Heldenthaten
Und der großen alten Zeiten,
Bis er, ganz von Wahnſinn trunken,
Endlich ſo nach langem Streiten
Seine Brüder hat gefunden.
Einen wunderbaren Hofſtaat
Die Prinzeſſin dorthin führet,
Hat ein'n wunderlichen Alten,
Der das ganze Haus regieret.
Einen Mantel trägt der Alte,
Schillernd bunt in allen Farben
Mit unzähligen Zierrathen,
Spielzeug hat er in den Falten.
211
Scheint der Monden helle drauſſen,
Wolken fliegen über'm Grunde:
Fängt er drauſſen an zu hauſen,
Kramt ſein Spielzeug aus zur Stunde.
Und das Spielzeug um den Alten
Rührt ſich bald beym Mondenſcheine,
Zupfet ihn beym langen Barte,
Schlingt um ihn die bunten Kreiſe
Auch die Blümlein nach ihm langen,
Möchten doch ſich ſittſam zeigen,
Zieh'n verſtohlen ihn beym Mantel,
Lachen dann in ſich gar heimlich.
Und ringsum die ganze Runde
Zieht Geſichter ihm und rauſchet,
Unterhält aus dunklem Grunde
Sich mit ihm als wie im Traume.
Und er ſpricht und ſinnt und ſinnet,
Bunt verwirrend alle Zeiten,
Weinet bitterlich und lachet,
Seine Seele iſt ſo heiter.
Bey ihm ſitzt dann die Prinzeſſin,
Spielt mit ſeinen Seltſamkeiten,
Immer neue Wunder blinkend
Muß er aus dem Mantel breiten.
Und der wunderliche Alte
Hielt ſie ſich bey ſeinen Bildern
Neidiſch immerfort gefangen,
Weit von aller Welt geſchieden.
Aber der Prinzeſſin wurde
Mitten in dem Spiele bange
Unter dieſen Zauberblumen,
Zwiſchen dieſer Quellen Rauſchen.
14 *212
Friſches Morgenroth im Herzen
Und voll freudiger Gedanken,
Sind die Augen wie zwey Kerzen,
Schön die Welt dran zu entflammen.
Und die wunderſchöne Erde,
Wie Aurora ſie berühret,
Will mit ird'ſcher Luſt und Schmerzen
Ewig neu ſie ſtets verführen.
Denn aus dem bewegten Leben
Spüret ſie ein Hochzeitsgrüßen,
Mitten zwiſchen ihren Spielen
Muß ſie ſich bezwungen fühlen.
Und es hebt die ewig Schöne,
Da der Morgen herrlich ſchiene,
In den Augen große Thränen,
Hell die jugendlichen Glieder.
Wie ſo anders war es damals,
Da mich, bräutlich Ausgeſchmückte,
Aus dem heymathlichen Garten
Hier herab der Vater ſchickte!
Wie die Erde friſch und jung noch
Von Geſängen rings erklingend,
Schauernd in Erinnerungen,
Helle in das Herz mir blickte,
Daß ich, ſchamhaft mich verhüllend,
Meinen Ring, von Glanz geblendet,
Schleudert 'in die prächt'ge Fülle,
Als die ew'ge Braut der Erde.
Wo iſt nun die Pracht geblieben,
Treuer Ernſt im rüſt'gen Treiben,
Rechtes Thun und rechtes Lieben
Und die Schönheit und die Freude?
Ach! ringsum die Helden alle,
Die ſonſt ſchön und helle ſchauten,
213
Um mich in den lichten Tagen
Durch die Welt ſich fröhlich hauten,
Strecken ſteinern nun die Glieder,
Eingehüllt in ihre Fahnen,
Sind ſeitdem ſo alt geworden,
Nur ich bin ſo jung wie damals.
Von der Welt kann ich nicht laſſen,
Liebeln nicht von fern mit Reden,
In den Arm lebendig faſſen!
Laß mich lieben, laß mich leben!
Nun verliebt die Augen gehen
Ueber ihres Gartens Mauer,
War ſo einſam dort zu ſehen
Schimmernd Land und Ström 'und Auen.
Und wo ihre Augen giengen:
Quellen aus der Grüne ſprangen,
Berg und Wald verzaubert ſtanden
Tauſend Vögel ſchwirrend ſangen.
Golden blitzt es über'm Grunde,
Seltne Farben irrend ſchweiffen,
Wie zu lang entbehrtem Feſte
Will die Erde ſich bereiten.
Und nun kamen angezogen
Freyer bald von allen Seiten,
Federn bunt im Winde flogen,
Jäger ſchmuck im Walde reiten.
Hörner munter drein erſchallen
Auf und munter durch das Grüne,
Pilger fromm dazwiſchen wallen,
Die das Heymathsfieber ſpüren.
Auf vielſonn'gen Wieſen flöten
Schäfer bey Schneeflock'gen Schafen,
Ritter in der Abendröthe
Knien auf des Berges Hange,
214
Und die Nächte von Guitarren
Und Geſängen weich erſchallen,
Daß der wunderliche Alte
Wie verrückt beginnt zu tanzen.
Die Prinzeſſin ſchmückt mit Kränzen
Wieder ſich die ſchönen Haare,
Und die vollen Kränze glänzen
Und ſie blickt verlangend nieder.
Doch die alten Helden alle,
Drauſſen vor der Burg gelagert,
Saßen dort im Morgenglanze,
Die das ſchöne Kind bewachten.
An das Thor die Freyer kamen
Nun geſprengt, gehüpft, gelaufen,
Ritter, Jäger, Provenzalen,
Bunte, helle, lichte Haufen.
Und vor allen junge Recken
Stolzen Blicks den Berg berannten,
Die die alten Helden weckten,
Sie vertraulich Brüder nannten.
Doch wie dieſe uralt blicken,
An die Eiſenbruſt geſchloſſen,
Brüderlich die Jungen drücken,
Fallen die erdrückt zu Boden.
Andre lagern ſich zum Alten,
Graust ihn'n gleich bey ſeinen Mienen,
Ordnen ſein verworrenes Walten,
Daß es jedem wohlgefiele;
Doch ſie fühlen ſchauernd balde,
Daß ſie ihn nicht können zwingen,
Selbſt zu Spielzeug ſich verwandelt,
Und der Alte ſpielt mit ihnen.
Und ſie müſſen thöricht tanzen,
Manche mit der Kron 'geſchmücket
215
Und im purpurnem Talare
Feyerlich den Reigen führen.
Andre ſchweben liſpelnd loſe,
Andre müſſen männlich lärmen,
Rittern reiſſen aus die Roße
Und die ſchreyen gar erbärmlich.
Bis ſie endlich alle müde
Wieder kommen zu Verſtande,
Mit der ganzen Welt im Frieden,
Legen ab die Maſkerade.
Jäger ſind wir nicht, noch Ritter,
Hört man ſie von fern noch ſummen,
Spiel nur war das wir ſind Dichter!
So vertoſt der ganze Plunder,
Nüchtern liegt die Welt wie ehe,
Und die Zaub'rin bey dem Alten
Spielt die vor'gen Spiele wieder
Einſam wohl noch lange Jahre.

Die Gräfin, die zuletzt mit ihrem ſchönen, be¬ geiſterten Geſicht einer welſchen Improviſatorin glich, unterbrach ſich hier plötzlich ſelber, indem ſie laut auflachte, ohne daß jemand wußte, warum? Ver¬ wundert fragte alles durcheinander: Was lachen Sie? Iſt die Allegorie ſchon geſchloſſen? Iſt das nicht die Poeſie? Ich weiß nicht, ich weiß nicht, ich weiß nicht, ſagte die Gräfin luſtig und ſprang auf.

Von allen Seiten wurden nun die flüchtigen Verſe beſprochen. Einige hielten die Prinzeſſin im Gedicht für die Venus, andere nannten ſie die Schönheit, andere nannten ſie die Poeſie des Le¬ bens. Es mag wohl die Gräfin ſelber ſeyn,216 dachte Friedrich. Es iſt die Jungfrau Maria, als die große Welt-Liebe, ſagte der genialiſche Reiſende, der wenig Acht gegeben hatte, mit vor¬ nehmer Nachläſſigkeit. Ey, daß Gott behüte! brach Friedrich, dem das Gedicht der Gräfin heydniſch und übermüthig vorgekommen war wie ihre ganze Schönheit, halb lachend und halb unwillig aus: Sind wir doch kaum des Vernünftelns in der Re¬ ligion los, und fangen dagegen ſchon wieder an, ihre feſten Glaubensſätze, Wunder und Wahrheiten zu verpoetiſiren und zu verflüchtigen. In wem die Religion zum Leben gelangt, wer in allem Thun und Laſſen von der Gnade wahrhaft durchdrungen iſt, deſſen Seele mag ſich auch in Liedern ihrer Entzückung und des himmliſchen Glanzes erfreuen. Wer aber hochmüthig und ſchlau dieſe Geheimniſſe und einfältigen Wahrheiten als beliebigen Dich¬ tungsſtoff zu überſchauen glaubt, wer die Religion, die nicht dem Glauben, dem Verſtande oder der Poeſie allein, ſondern allen dreyen, dem ganzen Menſchen, angehört, bloß mit der Phantaſie in ihren einzelnen Schönheiten willkührlich zuſammen¬ rafft, der wird eben ſo gern an den griechiſchen Olymp glauben, als an das Chriſtenthum, und eins mit dem andern verwechſeln und verſetzen, bis der ganze Himmel furchtbar öde und leer wird. Friedrich bemerkte, daß er von mehreren ſehr weiſe belächelt wurde, als könne er ſie nicht zu ihrer freyen Anſicht erheben.

217

Man hatte indeß an dem Tiſche die Geſchichte der Gräfin Dolores aufgeſchlagen und blätterte darin hin und her. Die mannigfaltigſten Urtheile darüber durchkreuzten ſich bald. Die Frau vom Haus und ihr Nachbar, der Schmachtende, ſprachen vor allen anderen bitter und mit einer auffallend gekränk¬ ten Empfindlichkeit und Heftigkeit darüber. Sie ſchienen das Buch aus tiefſter Seele zu haſſen. Friedrich errieth wohl die Urſache und ſchwieg. Ich muß geſtehen, ſagte eine junge Dame, ich kann mich darein nicht verſtehen, ich wußte niemals, was ich aus dieſer Geſchichte mit den tauſend Ge¬ ſchichten machen ſoll. Sie haben ſehr recht, fiel ihr einer von den Männern, der ſonſt unter allen immer am richtigſten geurtheilet hatte, ins Wort, es iſt mir immer vorgekommen, als ſollte dieſer Dichter noch einige Jahre pauſiren, um dichten zu lernen. Welche Sonderbarkeiten, Verrenkungen und ſchreyende Uebertreibungen! Grade das Gegen¬ theil, unterbrach ihn ein anderer, ich finde das Ganze nur allzu proſaiſch, ohne die himmliſche Ue¬ berſchwenglichkeit der Phantaſie. Wenn wir noch viele ſolche Romane erhalten, ſo wird unſere Poe¬ ſie wieder eine bloße allegoriſche Perſon der Moral.

Hier hielt ſich Friedrich, der dieſes Buch hoch in Ehren hielt, nicht länger. Alles ringsumher, ſagte er, iſt proſaiſch und gemein, oder groß und herrlich, wie wir es verdroſſen und träge oder be¬ geiſtert ergreifen. Die größte Sünde aber unſerer jetzigen Poeſie iſt meines Wiſſens die gänzliche Ab¬218 ſtraktion, das abgeſtandene Leben, die leere, will¬ kührliche, ſich ſelbſt zerſtörende Schwelgerey in Bil¬ dern. Die Poeſie liegt vielmehr in einer fortwäh¬ rend begeiſterten Anſchauung und Betrachtung der Welt und der menſchlichen Dinge, ſie liegt eben ſo ſehr in der Geſinnung, als in den lieblichen Ta¬ lenten, die erſt durch die Art ihres Gebrauches groß werden. Wenn in einem ſinnreichen, einfach¬ ſtrengen, männlichen Gemüth auf ſolche Weiſe die Poeſie wahrhaft lebendig wird, da verſchwindet al¬ ler Zwieſpalt: Moral, Schönheit, Tugend und Poeſie wird alles Eins in den adelichen Gedanken, in der göttlichen ſinnigen Luſt und Freude und dann mag freylich das Gedicht erſcheinen, wie ein in der Erde wohlgegründeter, tüchtiger, ſchlanker, hoher Baum, wo Grob und Fein erquicklich durcheinan¬ derwächſt und rauſcht und ſich rührt zu Gottes Lobe. Und ſo iſt mir auch dieſes Buch jedesmal vorgekommen, obgleich ich gern zugebe, daß der Autor in ſtolzer Sorgloſigkeit ſehr unbekümmert mit den Worten ſchaltet, und ſich nur zu oft daran er¬ götzt, die kleinen Zauberdinger kurios auf den Kopf zu ſtellen.

Die Frauenzimmer machten große Augen, als Friedrich unerwartet ſo ſprach. Was er geſagt, hatte wenigſtens den gewiſſen guten Klang, der ihnen bey allen ſolchen Dingen die Hauptſache war. Romana, die es von weitem flüchtig mit angehört, fieng an, ihn mit ihren dunkelglühenden Augen be¬ deutender anzuſehen. Friedrich aber dachte: in Euch219 wird doch alles Wort nur wieder Wort, und wand¬ te ſich zu einem ſchlichten Manne, der vom Lande war, und weniger mit der Literatur als mit dieſer Art ſie zu behandeln unbekannt zu ſeyn ſchien.

Dieſer erzählte ihm, wie er jenem Romane eine ſeltſame Verwandlung ſeines ganzen Lebens zu verdanken habe. Auf dem Lande ausſchließlich zur Oekonomie erzogen, hatte er nemlich, von früheſter Kindheit an nie Neigung zum Leſen und beſonders einen gewiſſen Widerwillen gegen alle Poeſie, als einem unnützen Zeitvertreib. Seine Kinder dagegen ließen ſeit ihrem zarteſten Alter einen unüberwind¬ lichen Hang und Geſchicklichkeit zum Dichten und zur Kunſt verſpüren, und alle Mittel, die er an¬ wandte, waren nicht im Stande, ſie davon abzu¬ bringen und ſie zu thätigen, ordentlichen Landwir¬ then zu machen. Vielmehr lief ihm der älteſte Sohn fort und wurde wider ſeinen Willen Mahler. Dadurch wurde er immer verſchloſſener und ſeine Abneigung gegen die Kunſt verwandelte ſich immer bitterer in entſchiedenen Haß gegen alles, was ihr nur anhieng. Der Mahler hatte indeß eine unglück¬ ſelige Liebe zu einem jungen, ſeltſamen Mädchen gefaßt. Es war gewiß das talentvollſte, heftigſte, beſte und ſchlechteſte Mädchen zugleich, das man nur finden konnte. Eine Menge unordentlicher Lieb¬ ſchaften, in die ſie ſich auch jezt noch immerfort einließ, brachte den Mahler oft auf das äuſſerſte, ſo daß es in Anfällen von Wuth oft zwiſchen bey¬ den zu Auftritten kam, die eben ſo furchtbar als220 komiſch waren. Ihre unbeſchreibliche Schönheit zog ihn aber immer wieder unbezwinglich zu ihr hin, und ſo theilte er ſein unruhvolles Leben zwiſchen Haß und Liebe und allen den heftigſten Leidenſchaf¬ ten, während er immerfort in den übrigen Stun¬ den unermüdet und nur um deſto eifriger an ſeinen großen Gemälden fortarbeitete. Ich machte mich endlich einmal nach der weitentlegenen Stadt auf den Weg, fuhr der Mann in ſeiner Erzählung fort, um die ſeltſame Wirthſchaft meines Sohnes, von der ich ſchon ſo viel gehört hatte, mit eignen Augen anzuſeh'n. Schon unterweges hörte ich von einem ſeiner beſten Freunde, daß ſich manches ver¬ ändert habe. Das Mädchen oder Weib meines Sohnes habe nemlich von Ohngefähr ein Buch in die Hände bekommen, worin ſie mehrere Tage unausgeſetzt und tiefſinnig geleſen. Keiner ihrer Liebhaber habe ſie ſeitdem zu ſehen bekommen und ſie ſey endlich darüber in eine ſchwere Krankheit verfallen. Das Buch war kein anderes, als eben dieſe Geſchichte von der Gräfin Dolores. Als ich in die Stadt ankomme, eile ich ſogleich nach der Wohnung meines Sohnes. Ich finde niemanden im ganzen Hauſe, die Thüren offen, alles öde. Ich trete in die Stube: das Mädchen lag auf einem Bette blaß und wie vor Mattigkeit eingeſchlafen. Ich habe niemals etwas Schöneres geſehen. In dem Zimmer ſtanden fertige und halbvollendete Ge¬ mälde auf Staffeleyen umher, Mahlergeräthſchaf¬ ten, Bücher, Kleider, halbbezogene Guitarren,221 alles ſehr unordentlich durcheinander. Durch das Fenſter, welches offen ſtand, hatte man über die Stadt weg eine entzückende Ausſicht auf den weit¬ gewundenen Strom und die Gebirge. In der Stu¬ be fand ich auf einem Tiſche ein Buch aufgeſchla¬ gen, es war die Dolores. Ich wollte die Kranke nicht wecken, ſetzte mich hin und fieng an in dem Buche zu leſen. Ich las und las, vieles Dunkle zog mich immer mehr an, vieles kam mir ſo wahr¬ haft vor wie meine verborgene innerſte Meynung oder wie alte, lange wieder verlohrne und unter¬ gegangene Gedanken, und ich vertiefte mich immer mehr. Ich las bis es finſter wurde. Die Sonne war drauſſen untergegangen und nur noch einzelne Scheine des Abendrothes fielen ſeltſam auf die Ge¬ mälde, die ſo ſtill auf ihren Staffeleyen umherſtan¬ den. Ich betrachtete ſie aufmerkſamer, es war als fiengen ſie an lebendig zu werden, und mir kam in dieſem Augenblick die Kunſt, der unüberwindliche Hang und das Leben meines Sohnes begreiflich vor. Ich kann überhaupt nicht beſchreiben, wie mir damals zu Muthe war; es war das erſtemal in meinem Leben, daß ich die wunderbare Gewalt der Poeſie im Innerſten fühlte, und ich erſchrack ordent¬ lich vor mir ſelber. Es wär mir unterdeß aufge¬ fallen, daß ſich das Mädchen auf dem Bette noch immer nicht rühre, ich trat zu ihr, ſchüttelte ſie und rief. Sie gab keine Antwort mehr, ſie war todt. Ich hörte nachher, daß mein Sohn heute, ſo wie ſie geſtorben war, fortgereist ſey, und alles in ſeiner Stube ſo ſteh'n gelaſſen habe.

222

Hier hielt der Mann ernſthaft inne. Ich leſe ſeitdem fleiſſig, fuhr er nach einer kleinen Pauſe geſammelt fort; vieles in den Dichtern bleibt mir durchaus unverſtändlich, aber ich lerne täglich in mir und in den Menſchen und Dingen um mich vie¬ les einſeh'n und löſen, was mir ſonſt wohl unbe¬ greiflich war und mich unbeſchreiblich bedrückte. Ich befinde mich jezt viel wohler.

Friedrich'n hatte dieſe einfache Erzählung ge¬ rührt. Er ſah den Mann aufmerkſam an und be¬ merkte in ſeinem ſtarkgezeichneten Geſicht einen ein¬ zigen ſonderbar dunklen Zug, der ausſah wie Un¬ glück und vor dem ihn ſchauderte. Er wollte ihn eben noch um einiges fragen, das in der Geſchichte beſonders ſeine Aufmerkſamkeit erregt hatte, aber der dythirambiſche Thyrſusſchwinger, der unterdeß bey den Damen ſeinen Witz unermüdet hatte leuch¬ ten laſſen, lenkte ihn davon ab, indem er ſich plötz¬ lich mit ſehr heftigen Bitten zu dem guten Schmach¬ tenden wandte, ihnen noch einige ſeiner vortreffli¬ chen Sonette vorzuleſen, obſchon er, wie Friedrich gar wohl gehört, die ganze Zeit über grade dieſe Gedichte vor den Damen zum Stichpunkt ſeines Witzes und Spottes gemacht hatte. Friedrich'n empörte dieſe herzloſe, doppelzüngige Teufeley; er kehrte ſich ſchnell zu dem Schmachtenden, der neben ihm ſtand, und ſagte: Ihre Gedichte gefallen mir ganz und gar nicht. Der Schmachtende machte gro¬ ße Augen, und niemand von der Geſellſchaft ver¬ ſtand Friedrichs großmüthige Meynung. Der Dy¬223 thirambiſt aber fühlte die Schwere der Beſchämung wohl, er wagte nicht weiter mit ſeinen Bitten in den Schmachtenden zu dringen und fürchtete Frie¬ drich'n ſeitdem wie ein richtendes Gewiſſen. Frie¬ drich wandte ſich darauf wieder zu dem Landmanne und ſagte zu ihm laut genug, daß es der Thyrſus¬ ſchwinger hören konnte: Fahren Sie nur fort, ſich ruhig an den Werken der Dichter zu ergötzen, mit ſchlichtem Sinne und redlichen Willen wird Ihnen nach und nach alles in denſelben klar werden. Es iſt in unſeren Tagen das größte Hinderniß für das wahrhafte Verſtändniß aller Dichterwerke, daß je¬ der, ſtatt ſich recht und auf ſein ganzes Leben da¬ von durchdringen zu laſſen, ſogleich ein unruhiges, krankenartiges Jucken verſpürt, ſelber zu dichten und etwas Dergleichen zu liefern. Adler werden ſogleich hochgebohren und ſchwingen ſich ſchon vom Neſte in die Luft, der Strauß aber wird oft als König der Vögel geſprieſen, weil er mit großem Getös ſeinen Anlauf nimmt, aber er kann nicht fliegen.

Es iſt nichts künſtlicher und luſtiger, als die Unterhaltung einer ſolchen Geſellſchaft. Was das Ganze noch ſo leidlich zuſammenhält, ſind tauſend feine, faſt unſichtbare Fäden von Eitelkeit, Lob und Gegenlob u. ſ. w., und ſie nennen es denn gar zu gern ein goldenes Liebesnetz. Arbeitet dann unver¬ hofft einmal einer, der davon nichts weiß, tüchtig darin herum, geht die ganze Spinnwebe von ewi¬ ger Freundſchaft und heiligem Bunde auseinander.

224

So hatte auch heute Friedrich den ganzen Thee verſalzen. Keiner konnte das künſtleriſche Weber¬ ſchiffchen, das ſonſt, fein im Takte, ſo zarte äſthe¬ tiſche Abende wob, wieder in Gang bringen. Die meiſten wurden mißlauniſch, keiner konnte oder mochte, wie beym babyloniſchen Baue, des ande¬ ren Wortgepräng verſtehen, und ſo beleidigte ei¬ ner den andern in der gänzlichen Verwirrung. Mehrere Herren nahmen endlich unwillig Abſchied, die Geſellſchaft wurde kleiner und vereinzelter. Die Damen gruppirten ſich hin und wieder auf den Ot¬ tomannen in maleriſchen und ziemlich unanſtändigen Stellungen. Friedrich bemerkte bald ein heimliches Verſtändniß zwiſchen der Frau vom Haus und dem Schmachtenden. Doch glaubte er zugleich an ihr ein feines Liebäugeln zu entdecken, d[a]s ihn ſelber zu gelten ſchien. Er fand ſie überhaupt viel ſchlauer, als man anfänglich ihrer liſpelnden Sanftmuth hät¬ te zutrauen mögen; ſie ſchien ihren ſchmachtenden Liebhaber bey weitem zu überſehen, und, ſehr auf¬ geklärt, ſelber nicht ſo viel von ihm zu halten, als ſie vorgab und er aus ganzer Seele glaubte.

Wie ein rüſtiger Jäger in friſcher Morgen¬ ſchönheit ſtand Friedrich unter dieſen verwiſchten Le¬ bensbildern. Nur die einzige Gräfin Romana zog ihn an. Schon das Gedicht, das ſie rezitirt, hat¬ te ihn auf ſie aufmerkſam gemacht und auf die ei¬ genthümliche, von allen den andern verſchiedene Richtung ihres Geiſtes. Er glaubte ſchon damalseine225eine tiefe Verachtung und ein ſcharfes Ueberſchauen der ganzen Theegeſellſchaft in demſelben zu bemer¬ ken, und ſeine jetzigen Geſpräche mit ihr beſtättig¬ ten ſeine Meynung. Er erſtaunte über die Freyheit ihres Blicks, und die Keckheit, womit ſie alle Menſchen aufzufaſſen und zu behandeln wußte. Sie hatte ſich im Augenblick in alle Ideen, die Friedrich in ſeinen vorigen Aeuſſerungen berührt, mit einer unbegreiflichen Lebhaftigkeit hineinverſtanden und kam ihm nun in allen ſeinen Gedanken entgegen. Es war in ihrem Geiſte, wie in ihrem ſchönen Kör¬ per, ein zauberiſcher Reichthum; nichts ſchien zu groß in der Welt für ihr Herz, ſie zeigte eine tie¬ fe, begeiſterte Einſicht ins Leben wie in alle Kün¬ ſte, und Friedrich unterhielt ſich daher lange Zeit ausſchließlich mit ihr, die übrige Geſellſchaft ver¬ geſſend. Die Damen fiengen unterdeß ſchon an zu flüſtern und über die neue Eroberung der Gräfin die Naſen zu rümpfen.

Das Geſpräch der beyden wurde endlich durch Roſa unterbrochen, die zu der Gräfin trat und ver¬ drüßlich nach Hauſe zu fahren begehrte. Friedrich, der eine große Betrübniß in ihrem Geſichte bemerk¬ te, faßte ihre Hand. Sie wandte ſich aber ſchnell weg und eilte in ein abgelegenes Fenſter. Er gieng ihr nach. Sie ſah mit abgewendetem Geſicht in den ſtillen Garten hinaus, er hörte, daß ſie ſchluchzte. Eiferſucht vielleicht und daß ſchmerzlichſte Gefühl ihres Unvermögens, in allen dieſen Dingen mit15226der Gräfin zu wetteifern, arbeitete in ihrer Seele. Friedrich drückte das ſchöne troſtloſe Mädchen an ſich. Da fiel ſie ihm ſchnell und heftig um den Hals und ſagte aus Grund der Seele: mein lieber Mann! Es war das erſtemal in ſeinem Leben, daß ſie ihn ſo genannt hatte.

Es kamen ſo eben mehrere andere hinzu und alles fieng an Abſchied zu nehmen und auseinander zu geh'n; er konnte nichts mehr mit ihr ſprechen. Noch im Weggeh'n trat der Miniſter zu ihm und fragte ihn, wie es ihm hier gefallen habe? Er antwortete mit einer zweydeutigen Höflichkeit. Der Miniſter ſah ihn ernſthaft und ausforſchend an und gieng fort. Friedrich aber eilte durch die nächtliche Stadt ſeiner Wohnung zu. Ein rauher Wind gieng durch die Straſſen. Er hatte ſich noch nie ſo unbe¬ haglich, leer und müde gefühlt.

Dreyzehntes Kapitel.

Es war ein ſchöner Herbſtmorgen, da ritt Frie¬ drich eine von den langen Straſſen-Alleen hinun¬ ter, die von der Reſidenz ins Land hinausführten. Er hatte es ſchon längſt der ſchönen Gräfin Roma¬ na verſprechen müſſen, ſie auf ihrem Landguthe, das einige Meilen von der Stadt entfernt lag, zu beſuchen, und der blaue Himmel hatte ihn heute227 hinausgelockt. Sie war ſeit ſeiner Trennung von Leontinen die einzige, zu der er von allem reden konnte, was er dachte, wußte und wollte, die Un¬ terhaltung mit ihr war ihm faſt ſchon zum Bedürf¬ niß geworden.

Der Weg war eben ſo anmuthig als der Mor¬ gen. Er kam bald an einen, von beyden Seiten eng von Bergen eingeſchloſſenen, Fluß, an dem die Straſſe hinablief. Die Wälder, welche die ſchönen Berge bedeckten, waren ſchon überall mit gelben und rothen Blättern bunt geſchmückt, Vögel reisten hoch über ihn weg dem Strome nach und erfüllten die Luft mit ihren abgebrochenen Abſchieds¬ tönen, die Friedrich 'n jedesmal wunderbar an ſeine Kindheit erinnerten, wo er, der Natur noch nicht entwachſen, einzig von ihren Blicken und Gaben lebte.

Einige Stunden war er ſo zwiſchen den einſa¬ men Bergſchluchten hingeritten, als er am jenſeiti¬ gen Ufer eine Stimme rufen hörte, die ihn immer¬ fort zu begleiten ſchien, und vom Echo in den grü¬ nen Windungen unaufhörlich wiederholt wurde. Je länger er nachhorchte, je mehr kam es ihm vor, als kenne er die Stimme. Plötzlich hörte das Ru¬ fen wieder auf und Friedrich fieng nun an zu be¬ merken, daß er einen unrechten Weg eingeſchlagen haben müſſe, denn die grünen Bergesgänge wollten kein Ende nehmen. Er verdoppelte daher ſeine Eile und kam bald darauf an den Ausgang des Gebir¬15 *228ges an ein Dorf, das auf einmal ſehr reitzend im Freyen vor ihm lag.

Das erſte, was ihm in die Augen fiel, war ein Wirthshaus, vor welchem ſich ein ſchöner grü¬ ner Platz bis an den Fluß ausbreitete. Auf dem Platze ſah er einen, mit ungewöhnlichem und räth¬ ſelhaften Geräth ſchwerbepackten Wagen ſtehen und mehrere ſonderbare Geſtalten, die wunderlich mit der Luft zu fechten ſchienen. Wie erſtaunte er aber, als er näher kam, und mitten unter ihnen Leontin und Fabern erkannte. Leontin, der ihn ſchon von weitem über den Hügel kommen ſah, rief ihm ſogleich entgegen: Kommſt du auch angezogen, neumodiſcher Don Quixote, Lamm Gottes, du ſanf¬ ter Vogel, der immer voll ſchöner Weiſen iſt, ha¬ ben ſie dir noch nicht die Flügel gebrochen? Mir war ſchon lange zum ſterben bange nach dir! Frie¬ drich ſprang ſchnell vom Pferde und fiel ihm um den Hals. Er hielt Leontins Hand mit ſeinen bey¬ den Händen und ſah ihm mit gränzenloſer Freude in das lebhafte Geſicht; es war, als entzünde ſich ſein innerſtes Leben jedesmal neu an ſeinen ſchwar¬ zen Augen.

Er bemerkte indeß, daß die Menſchen ringsum, die ihm ſchon von weitem aufgefallen waren, auf das abentheuerlichſte in lange ſpaniſche Mäntel ge¬ hüllt waren und ſich immerfort, ohne ſich von ihm ſtören zu laſſen, wie Verrückte mit einander unter¬ hielten. Ha, verzweifelte Sonne! rief einer von ihnen, der eine Art von Turban auf dem Kopfe229 und ein gewiſſes tyranniſches Anſeh'n hatte, willſt du mich ewig beſcheinen? Die Fliegen ſpielen in deinem Licht, die Käfer im ruhen ſelig in dei¬ nem Schooße, Natur! Und ich und ich , warum bin ich nicht ein Käfer geworden, uner¬ forſchlich waltendes Schickſal? Was iſt der Menſch? Ein Schaum. Was iſt das Leben? Ein nichtswürdiger Wurm. Umgekehrt, grade umgekehrt, wollen Sie wohl ſagen, rief eine ande¬ re Stimme. Was iſt die Welt? fuhr jener fort, ohne ſich ſtören zu laſſen, was iſt die Welt? Hier hielt er inne und lachte grinſend und Weltver¬ achtend wie Abellino unter ſeinem Mantel hervor, wendete ſich darauf ſchnell um und faßte unvermu¬ thet Herrn Faber, der eben neben ihm ſtand, bey der Bruſt. Ich verbitte mir das, ſagte Faber är¬ gerlich, wie oft ſoll ich noch erklären, daß ich durchaus nicht mit in den Plan gehöre! Laß dich's nicht wundern, ſagte endlich Leontin zu Frie¬ drich, der aus dem allen nicht geſcheid werden konnte, das iſt eine Bande Schauſpieler, mit de¬ nen ich auf der Straſſe zuſammengetroffen, und ſeit geſtern reiſe. Wir probieren ſo eben eine Komödie aus dem Stegreif, zu der ich die Lineamente un¬ terwegs entworfen habe. Sie heißt: Bürgerlicher Seelenadel und Menſchheitsgröße, oder der tugend¬ hafte Böſewicht, ein pſychologiſches Trauerſpiel in fünf Verwirrungen der menſchlichen Leidenſchaften, und wird heute Abend in dem nächſten Städtchen gegeben werden, wo der gebildete Magiſtrat zum230 Anfang durchaus ein ſchillerndes Stück verlangt hat. Ich werde der Vorſtellung mit beywohnen und ha¬ be alle Folgen über mich genommen.

Ja, wahrhaftig, ſagte Faber, wenn das noch lange ſo fortgeht, ſo ſage ich aller gebildeten Welt Lebewohl und fange an auf dem Seile zu tanzen oder die Zigeunerſprache zu ſtudieren. Ich bin des Herumziehens in der That von Herzen ſatt. Verſtellen Sie ſich nur nicht immer ſo, fiel ihm Leontin ins Wort, Sie können doch am Ende nicht weg von mir. Wir zanken uns immer, und tref¬ fen doch immer wieder auf einerley Wegen zuſam¬ men. Uebrigens ſind dieſe Schauſpieler ein gar vor¬ trefflicher Künſtlerverein; ſie wollen nicht geprieſen, ſondern geſpeißt ſeyn, und geh'n daher in der Ver¬ zweiflung der Natur noch keck und beherzt auf den Leib.

Es war unterdeß an einen jungen Menſchen von der Truppe, der auch eine Rolle in dem Stü¬ cke übernommen hatte, die Reihe gekommen, eben¬ falls ſeinen Theil vorzuſtellen. Er benahm ſich aber ſehr ungeſchickt und war durchaus nicht im Stande, etwas zu erfinden und vorzubringen. Ein ſchönes Mädchen, mit welcher er eben die Szene ſpielen ſollte, wurde ungeduldig, erklärte, ſie wolle hier nicht länger einen Narren abgeben, und ſprang lachend fort. Der andere, ältere Schauſpieler lief ihr nach, um ſie zurückzuholen, und ſo war die ganze Probe geſtört.

231

Der junge Mann war indeß näher getreten. Friedrich ſah ihm genauer ins Geſicht, er traute ſeinen Augen kaum, es war einer von den Stu¬ denten, die ihm bey ſeinem Abzuge von der Univer¬ ſität das Geleit gegeben hatten. Mein Gott! wie kommſt du unter dieſe Leute? rief Friedrich voll Erſtaunen, denn er hatte ihn damals als einen ſtil¬ len und fleiſſigen Menſchen gekannt, der vor den Ausgelaſſenheiten der anderen jederzeit einen heim¬ lichen Widerwillen hegte. Der Student geſtand, daß er den Grafen ſogleich wieder erkannte, aber gehofft habe, von ihm überſehen zu werden. Er ſchien ſehr verlegen.

Friedrich, der ſich an ſeinem Geſichte aller alten Freuden und Leiden erinnerte, zog ihn erfreut und vertraulich an den Tiſch und der Student erzählte ihnen endlich den ganzen Hergang ſeiner Geſchichte. Nicht lange nach Friedrichs Abreiſe hatte ſich nem¬ lich auf der Univerſität eine reiſende Geſellſchaft von Seiltänzern eingefunden, worunter beſonders eine Springerin durch ihre Schönheit alle Augen auf ſich zog. Viele Studenten verſuchten und fanden ihr Glück. Er aber mit ſeiner ſtillen und tieferen Gemüthsart verliebte ſich im Ernſte in das Mäd¬ chen, und wie ihr Herz bisher in ihrer tollen Le¬ bensweiſe von der Gewalt der Liebe ungerührt ge¬ blieben war, wurde ſie von ſeiner zarten, unge¬ wohnten Art, ſie zu behandeln und zu gewinnen, überraſcht und gefangen. Sie beredeten ſich, ein¬ ander zu heyrathen, ſie verließ die Bande und er232 arbeitete von nun an Tag und Nacht, um ſeine Stu¬ dien zu vollenden und ſich ein Einkommen zu er¬ werben. Es vergieng indeß längere Zeit, als er geglaubt hatte, das Mädchen fieng an, von Zeit zu Zeit launiſch zu werden, bekam häufige Anfälle von Langerweile und eh 'er ſich's verſah, war ſie verſchwunden. Mein mühſam erſpartes Geld, fuhr der Student weiter fort, hatte ich indeß im¬ mer wieder auf verſchiedene Einfälle und Launen des Mädchens zerſplittert, meine Aeltern wollten nichts von mir wiſſen, mein innerſtes Leben hatte mich auf einmal betrogen, die Studenten lachten entſetz¬ lich, es war der ſchmerzlichſte und unglücklichſte Au¬ genblick meines Lebens. Ich ließ alles und reiste dem Mädchen nach. Nach langem Irren fand ich ſie endlich bey dieſen Komödianten wieder, denn es iſt dieſelbe, die vorhin hier weggegangen. Sie kam ſehr freudig auf mich zugeſprungen, als ſie mich erblickte, doch ohne ihre Flucht zu entſchuldi¬ gen oder im geringſten unnatürlich zu finden. Meine Mutter iſt ſeitdem aus Gram geſtorben. Ich weiß, daß ich ein Narr bin und kann doch nicht anders.

Die Thränen ſtanden ihm in den Augen, als er das ſagte. Friedrich, der wohl einſah, daß der gute Menſch ſein Herz und ſein Leben nur weg¬ werfe, rieth ihm mit Wärme, ſich ernſtlich zuſam¬ menzunehmen und das Mädchen zu verlaſſen, er wolle für ſein Auskommen ſorgen. Der Verlieb¬ te ſchwieg ſtill. Laß doch die Jugend fahren!233 ſagte Leontin, jeder Schiffmann hat ſeine Sterne und das Alter treibt uns zeitig genug auf den Sand. Du brichſt dem tollen Nachtwandler doch den Hals, wenn du ihn bey ſeinem proſaiſchen, bürgerlichen Nahmen rufſt. Aber härter müſſen Sie ſeyn, ſagte er zu dem Studenten, denn die Welt iſt hart und drückt Sie ſonſt zu Schanden.

Das Mädchen kam unterdeß wieder und trel¬ lerte ein Liedchen. Ihre Geſtalt war herrlich, aber ihr ſchönes Geſicht hatte etwas Verwildertes. Sie antwortete auf alle Fragen ſehr unterwürfig und keck zugleich, und ſchien nicht üble Luſt zu haben, noch länger bey den beyden Grafen zurückzubleiben, als der Theaterprinzipal kam und ankündigte, daß alles zur Abreiſe fertig ſey.

Der Student drückte Friedrich'n herzlich die Hand und eilte zu dem aufbrechenden Haufen. Der mit allerhand Decorationen ſchwerbepackte Wagen, von deſſen ſchwankender Höhe der Prinzipal noch immerfort aus der Ferne ſeine unterthänigſte Bitte an Leontin wiederholte, heut Abend mit ſeiner höchſtnöthigen Protektion nicht auszubleiben, wa¬ ckelte indeß langſam fort, nebenher gieng die ganze übrige Geſellſchaft bunt zerſtreut und luſtig einher, der Student war zu Pferde, neben ihm ritt ſein Mädchen auch auf einem Klepper und warf Leonti¬ nen noch einige Blicke zu, die ziemlich vertraulich ausſahen, und ſo zog die bunte Karawane wie ein Schattenſpiel in die grüne Schluft hinein. Wie234 glücklich, ſagte Leontin, als alles verſchwunden war, könnte der Student ſeyn, ſo frank und frey mit ſeiner Liebſten durch die Welt zu zieh'n! wenn er nur Talent fürs Glück hätte, aber er hat eine einförmige Niedergeſchlagenheit in ſich, die er nicht niederſchlagen kann, und die ihn durchs Leben nur ſo hinſchleppt.

Sie ſetzten ſich nun auf dem ſchönen grünen Platz um einen Tiſch zuſammen, der Fluß flog lu¬ ſtig an ihnen vorüber, die Herbſtſonne wärmte ſehr angenehm. Leontin erzählte, wie er den Morgen nach ſeiner Flucht vom Schloſſe des Herrn v. A. bey Anbruch des Tages auf den Gipfel eines hohen Berges gekommen ſey, von dem er von der einen Seite die fernen Thürme der Reſidenz, von der anderen die friedlichreiche Gegend des Herrn v. A. überſah, über welcher ſo eben die Sonne aufgieng. Lange habe er vor dieſer gränzenloſen Ausſicht nicht gewußt, wohin er ſich wenden ſolle, als er auf einmal unten im Thale Fabern die Straſſe herauf¬ wandern ſah, den, wie er wohl wußte, wieder ein¬ mal die Albernheiten der Stadt auf einige Zeit in alle Welt getrieben hatten. Wie die Stimme in der Wüſte habe er ihn daher, da er grade eben in einem ziemlich ähnlichen Humor geweſen, mit einer langen Anrede über die Vergänglichkeit aller irdi¬ ſchen Dinge empfangen, ohne von ihm geſehen werden zu können, und ſo zu ſich hinaufgelockt. Leontin verſank dabey in Gedanken. Wahrhaftig, ſagte er, wenn ich mich in jenen Sonnenaufgang235 auf dem Berge recht hineindenke, iſt mir zu Muthe, als könnt 'es mir manchmal auch ſo geh'n, wie dem Studenten.

Faber war unterdeß fortgegangen, um etwas zu eſſen und zu trinken zu beſtellen, und Friedrich bemerkte dabey mit Verwunderung, daß die Leute, wenn er mit ihnen ſprach oder etwas forderte, ihm ins Geſicht lachten oder einander heimlich zuwinkten und die neugierigen Kinder furchtſam zurückzogen, wenn er ſich ihnen näherte. Leontin geſtand, daß er manchmal, wenn ſie in einem Dorfe einkehrten, vorauszueilen pflege und die Wirthsleute überrede, daß der gute Mann, den er bey ſich habe, nicht recht bey Verſtande ſey, ſie ſollten nur recht auf ſeine Worte und Bewegungen Acht haben, wenn er nachkäme. Dieß gebe dann zu vielerley Luſt und Mißverſtändniſſe Anlaß, denn wenn ſich Faber ei¬ nige Zeit mit den Geſichtern abgebe, die ihn alle ſo heimlich, furchtſam und bedauernd anſähen, hielten ſie ſich am Ende wechſelſeitig alle für verrückt. Leontin brach ſchnell ab, denn Faber kam eben zu ihnen zurück und ſchimpfte über die Dummheit des Landvolks.

Friedrich mußte nun von ſeinem Abſchiede auf dem Schloſſe des Herrn v. A. und ſeinen Aben¬ theuern in der Reſidenz erzählen. Er kam bald auch auf die äſthetiſche Theegeſellſchaft und verſicher¬ te, er habe ſich dabey recht ohne alle Männlichkeit gefühlt, etwa wie bey einem Spaziergange durch die Lüneburger Ebne mit Ausſicht auf Heydekraut. 236Leontin lachte helllaut, Du nimmſt ſolche Sachen viel zu ernſthaft und wichtiger als ſie ſind, ſagte er. Alle Figuren dieſes Schauſpiels ſind übrigens auch von meiner Bekanntſchaft, ich möchte aber nur wiſſen, was ſie ſeit der Zeit, daß ich ſie nicht ge¬ ſehen, angefangen haben, denn wie ich ſo eben hö¬ re, hat ſich ſeitdem, auch nicht das mindeſte in ihnen verändert. Dieſe Leute ſchreiten fleiſſig von einem Meßkatalog zum andern mit der Zeit fort, aber man ſpürt nicht, daß die Zeit auch nur um einen Zoll durch ſie weiter fortrückte. Ich kann dir jedoch im Gegentheil verſichern, daß ich nicht bald ſo luſtig war, als an jenem Abend, da ich zum erſtenmale in dieſe Theetaufe oder Traufe gerieth. Aller Au¬ gen waren prüfend und in erwartungsvoller Stille auf mich neuen Jünger gerichtet. Da ich die ganze heilige Synode gleich den Freymaurern mit Schurz und Kelle, ſo feyerlich mit poetiſchem Ornate ange¬ than daſitzen ſah, konnt 'ich mich nicht enthalten, deſpektirlich von der Poeſie zu ſprechen und mit un¬ ermüdlichem Eifer ein Geſpräch von der Landwirth¬ ſchaft, von den Runkelrüben u. ſ. w. anzuſpinnen, ſo daß die Damen wie über den Dampf von Kuh¬ miſt die Naſen rümpften und mich bald für verloh¬ ren hielten. Mit dem Schmachtenden unterhielt ich mich beſonders viel. Er iſt ein guter Kerl, aber er hat keine Mannsmuſkel im Leibe. Ich weiß nicht, was er grade damals für eine fixe Idee von der Dichtkunſt im Kopfe hatte, aber er las ein Gedicht vor, wovon ich trotz der größten Anſtrengung nichts237 verſtand und wobey mir unaufhörlich des ſimplicia¬ niſch-teutſchen Michels verſtümmeltes Sprach-Ge¬ präng im Sinne lag. Denn es waren deutſche Worte, ſpaniſche Konſtrukzionen, wälſche Bilder, altdeutſche Redensarten, doch alles mit überaus feinem Firniß von Sanftmuth verſchmiert. Ich gab ihm ernſthaft den Rath, alle Morgen gepfefferten Schnapps zu nehmen, denn der ewige Necktar er¬ ſchlaffe nur den Magen, worüber er ſich entrüſtet von mir wandte. Mit dem vom Hochmuthsteufel beſeſſenen Dythirambiſten aber beſtand ich den ſchön¬ ſten Strauß. Er hatte mit pfiffiger Miene alle Seegel ſeines Witzes aufgeſpannt und kam mit vol¬ lem Winde der Eitelkeit auf mich losgefahren, um mich Unpoetiſchen vor den Augen der Damen in den Grund zu bugſiren. Um mich zu retten, fieng ich zum Beweiſe meiner poetiſchen Beleſenheit an, aus Shackſpears: Was ihr wollt, wo Junker To¬ bias den Malvolio peinigt, zu rezitiren: Und be¬ ſäſſe ihn eine Legion ſelbſt, ſo will ich ihn doch an¬ reden. Er ſtutzte und fragte mich mit herablaſ¬ ſender Genügſamkeit und kniffigem Geſichte, ob viel¬ leicht gar Shakſpear mein Lieblingsautor ſey? Ich ließ mich aber nicht ſtören, ſondern fuhr mit Junker Tobias fort: Ey, Freund, leiſtet dem Teu¬ fel Widerſtand, er iſt der Erbfeind der Menſchen¬ kinder. Er fieng nun an ſehr ſalbungsvolle, ge¬ nialiſche Worte über Shakeſpeare ergehen zu laſſen, ich aber, da ich ihn ſich ſo aufblaſen ſah, ſagte wei¬ ter: Sanftmüthig, ſanftmüthig! Ey, was machſt238 du, mein Täubchen? Wie geht's, mein Puthühn¬ chen? Ey, ſieh doch, komm, tucktuck! Er ſchien nun mit Malvolio zu bemerken, daß er nicht in meine Sphäre gehöre, und kehrte ſich mit einem unſäglichſtolzen Blick, wie von einem unerhört Tollen, von mir. O Jemine! fiel die Gräfin Ro¬ mana hier mit ein. Sie ſagte dieß ſo richtig und ſchön, daß ich ſie dafür hätte küſſen mögen Das Schlimmſte war aber nun, daß ich dadurch demaſkirt war, ich konnte nicht länger für einen Ignoranten gelten; und die Frauenzimmer merkten dieß nicht ſo bald, als ſie mit allerhand Phraſen, die ſie hin und wieder ernaſcht, über mich herfielen. In der Angſt fieng ich daher nun an, wüthend mit gelehr¬ ten Redensarten und poetiſchen Paradoxen nach al¬ len Seiten um mich herumzuwerfen, bis ſie mich, ich ſie, und ich mich ſelber nicht mehr verſtand und alles verwirrt wurde. Seit dieſer Zeit haßt mich der ganze Zirkel und hat mich als eine Peſt der Poe¬ ſie förmlich exkommunizirt.

Friedrich, der Leontin ruhig und mit Vergnü¬ gen angehört hatte, ſagte: So habe ich dich am liebſten, ſo biſt du in deinem eigentlichen Leben. Du ſiehſt ſo friſch in die Welt hinein, daß alles un¬ ter deinen Augen bunt und lebendig wird. Ja wohl, antwortete Leontin, ſo buntſchäckig, daß ich manchmal ſelber zum Narren darüber werden könnte.

Die Sonne fieng indeß ſchon an, ſich zu ſenken, und ſowohl Friedrich als Leontin gedachten ihrer239 Weiterreiſe und verſprachen einander nächſtens in der Reſidenz wieder zu treffen. Herr Faber bat Friedrich'n, ihn der Gräfin Romana beſtens zu empfehlen. Die Gräfin, ſagte er, hat ſchöne Ta¬ lente und ſich durch mehrere Arbeiten, die ich ken¬ ne, als Dichterin erwieſen. Nur macht ſie ſich freylich alles etwas gar zu leicht. Leontin, den im¬ mer ſogleich ein ſeltſamer Humor befiel, wenn er die Gräfin nennen hörte, ſang luſtig:

Luſtig auf den Kopf, mein Liebchen,
Stell 'dich, in die Luft die Bein'!
Heißa! ich will ſeyn dein Bübchen,
Heute Nacht ſoll Hochzeit ſeyn!
Wenn du Shakeſpear kannſt vertragen,
O du liebe Unſchuld du!
Wirſt du mich wohl auch ertragen
Und noch Jedermann dazu.

Er ſprach noch allerhand wild und unzüchtig von der Gräfin und trug Friedrich'n noch einen zü¬ gelloſen Gruß an Sie auf, als ſie endlich von ent¬ gegengeſetzten Seiten auseinanderritten. Friedrich wußte nicht, was er aus dieſen wilden Reden ma¬ chen ſollte. Sie ärgerten ihn, denn er hielt die Gräfin hoch, und er konnte ſich dabey der Beſorg¬ niß nicht enthalten, daß Leontins lebhafter Geiſt in ſolcher Art von Renommiſterey am Ende ſich ſelber aufreiben werde.

In ſolchen Gedanken war er einige Zeit fort¬ geritten, als er bey einer Beugung um eine Feldecke plötzlich das Schloß der Gräfin vor ſich ſah. Es240 ſtand wie eine Zauberey hoch über einem weiten, unbeſchreiblichen Chaos von Gärten, Weinbergen, Bäumen und Flüſſen, der Schloßberg ſelber war Ein großer Garten, wo unzählige Waſſerkünſte aus dem Grün hervorſprangen. Die Sonne gieng eben hinter dem Berge unter und bedeckte das prächtige Bild mit Glanz und Schimmer, ſo daß man nichts deutlich unterſcheiden konnte.

Ueberraſcht und geblendet gab Friedrich ſeinem Pferde die Sporen und ritt die Höhe hinan. Er erſtaunte über die ſeltſame Bauart des Schloſſes, das durch eine faſt barocke Pracht auffiel. Es war niemand zu ſehen. Er trat in die weite, mit bun¬ tem Marmor getäfelte Vorhalle, durch deren Säu¬ lenreihen man von der anderen Seite in den Gar¬ ten hinausſah. Dort ſtanden die ſeltſamſten aus¬ ländiſchen Bäume und Pflanzen, wie halbausgeſpro¬ chene, verzauberte Gedanken, ſchimmernde Waſſer¬ ſtrahlen durchkreuzten ſich in kryſtallenen Bogen hoch über ihnen, ausländiſche Vögel ſaßen ſinnend und traumhaft zwiſchen den dunkelgrünen Schatten um¬ her.

Ein wunderſchöner Knabe ſprang indeß ſo eben drauſſen im Hofe vom Pferde, ſtutzte, als er im Vorbeylaufen Friedrich'n erblickte, ſah ihn einen Augenblick mit den großen, ſchönen Augen trotzig an, eilte ſogleich wieder durch die Vorhalle weiter in den Garten hinaus. Friedrich ſah, wie er dort mit bewunderungswürdiger Fertigkeit eine hohe, amAbhange241Abhange des Gartens ſtehende Tanne beſtieg, und aus dem höchſten Gipfel ſich in die Gegend hinaus¬ legte, als ſuche er fern etwas mit den Augen.

Da immer noch niemand kam, ſtellte ſich Frie¬ drich an ein hohes Bogenfenſter, aus dem man die prächtigſte Ausſicht auf das Thal und die Gebirge hatte. Noch niemals hatte er eine ſo üppige Na¬ tur geſehen. Mehrere Ströme blickten wie Silber hin und her aus dem Grunde, freundliche Land¬ ſtraſſen, von hohen Nußbäumen reich beſchattet, zogen ſich bis in die weiteſte Ferne nach allen Rich¬ tungen hin, der Abend lag warm und ſchallend über der Gegend, weit über die Gärten und Hügel hin hörte man ringsum das Jauchzen der Winzer. Friedrich'n wurde bey dieſer Ausſicht unſäglich ban¬ ge in dem einſamen Schloſſe, es war ihm, als wäre alles zu einem großen Feſte hinausgezogen, und er konnte kaum mehr widerſtehen, ſelber wie¬ der hinunter zu reiten, als er auf einmal die Grä¬ fin erblickte, die in einem langen grünen Jagdkleide in dem erquickenden Hauche des Abends auf der glänzenden Landſtraſſe aus dem Thale heraufgerit¬ ten kam. Sie war allein, er erkannte ſie ſogleich an ihrer hohen, ſchönen Geſtalt.

Als ſie vor dem Schloſſe vom Pferde ſtieg, kam der ſchöne Knabe, der vorhin auf der Tanne gelauert hatte, ſchnell herbeygeſprungen, fiel ihr ſtürmiſch um den Hals und küßte ſie. Kleiner Un¬ geſtümm! ſagte ſie halb böſe und wiſchte ſich den16242Mund. Sie ſchien einen Augenblick verlegen, als ſie ſo unvermuthet Friedrich'n erblickte, und bemerk¬ te, daß er dieſen ſonderbaren Empfang geſehen hatte. Sie ſchüttelte aber die flüchtige Scham bald wieder von ſich und bewillkommte Friedrich'n mit ei¬ ner Heftigkeit, die ihm auffiel. Ich bedauere nur, ſagte ſie, daß ich Sie nicht ſo bewirthen kann, wie ich wünſchte, alle meine Leute ſchwärmen ſchon den ganzen Tag bey der Weinleſe, ich ſelbſt bin ſeit frühem Morgen in der Gegend herumgeritten.

Sie nahm ihn bey der Hand und führte ihn in das Innere des Schloſſes. Friedrich verwunderte ſich, denn faſt in allen Zimmern ſtanden Thüren und Fenſter offen. Die hochgewölbten Zimmer ſelbſt waren ein ſeltſames Gemiſch von alter und neuer Zeit, einige ſtanden leer und wüſte, wie ausge¬ plündert, in anderen ſah er alte Gemählde an der Wand herumhängen, die wie aus ſchändlichem Muthwillen mit Säbelhieben zerhauen ſchienen. Sie kamen in der Gräfin Schlafgemach. Das gro¬ ße Himmelbett war noch unzugerichtet, wie ſie es frühmorgens verlaſſen, Strümpfe, Halstücher und allerley Geräth lag bunt auf allen Stühlen umher. In dem einen Winkel hieng ein Portrait, und er glaubte, ſoviel es die Dämmerung zuließ, zu ſei¬ nem Erſtaunen die Züge des Erbprinzen zu erken¬ nen, deſſen Schönheit in der Reſidenz einen ſo tie¬ fen Eindruck auf ihn gemacht hatte.

Die Gräfin nahm den ſchönen Knaben, der ihnen immerfort gefolgt war, bey Seite und trug243 ihm heimlich etwas auf. Der Knabe ſchien durch¬ aus nicht gehorchen zu wollen, er wurde immer lauter und ungebährdiger, ſtampfte endlich zornig mit dem Fuße, rannte hinaus und warf die Thüre hinter ſich zu, daß es durch das weite Haus er¬ ſchallte. Er iſt doch in einer Stunde wieder da, ſagte Romana ihm nachſehend, nahm die Guitarre, die in einer Ecke auf der Erde lag, während ſie Friedrich'n ein Körbchen mit Obſt und Wein über¬ gab, und führte ihn wieder weiter eine Stiege auf¬ wärts.

Wie einem Nachtwandler, der plötzlich auf un¬ gewohntem Ort aus ſchweren, unglaublichen Träu¬ men erwacht, war Friedrich'n zu Muthe, als er mit ihr die letzten Stufen erreichte, und ſich auf einmal unter der weiten, freyen, geſtirnten Wölbung des Himmels erblickte. Es war nemlich eine große Ter¬ raſſe, die nach italiäniſcher Art über das Dach des Schloſſes gieng. Ringsum an der Gallerie ſtanden Orangenbäume und hohe ausländiſche Blumen, welche den himmliſchen Platz mit Düften erfüllten.

Hier auf dem Dache, ſagte Romana, iſt mein liebſter Aufenthalt. In den warmen Sommernäch¬ ten ſchlafe ich oft hier oben. Sie ſetzte ſich zu ihm, reichte ihm die Früchte und trank ihm von dem mit¬ genommenen Weine ſelber zu. Sie wohnen hier ſo ſchwindlich hoch, ſagte Friedrich, daß Sie die ganze Welt mit Füßen treten. Romana, die ſogleich begriff, was er meynte, antwortete ſtolz und keck:16 *244die Welt, der große Tölpel, der niemals geſcheider wird, wäre freylich der Mühe werth, daß man ihm höflich und voll Ehrfurcht das Geſicht ſtreichelte, damit er einen wohlwollend und voll Applaus an¬ lächle. Es iſt ja doch nichts, als Magen und Kopf, und noch dazu ein recht breiter, übermüthi¬ ger, ſelbſtgefälliger, eitler, unerträglicher, den es eine rechte Götterluſt iſt aufs Maul zu ſchlagen. Sie brach hierbey ſchnell ab und lenkte das Ge¬ ſpräch auf andere Gegenſtände.

Friedrich mußte dabey mehr als einmal die faſt unweidliche Kühnheit ihrer Gedanken bewundern, ihr Geiſt ſchien heut von allen Banden los. Sie ergriff endlich die Guitarre und ſang einige Lieder, die ſie ſelbſt gedichtet und komponirt hatte. Die Muſik war durchaus wunderbar, unbegreiflich und oft beynahe wild, aber es war eine unwiderſtehli¬ che Gewalt in ihrem Zuſammenklange. Der weite, ſtille Kreis von Strömen, Seen, Wäldern und Ber¬ gen, die in großen, halbkenntlichen Maßen über¬ einander ruhten, rauſchten dabey feenhaft zwiſchen die hinausſchiffenden Töne hinein. Die Zauberey dieſes Abende ergriff auch Friedrichs Herz, und in dieſem ſinnenverwirrenden Rauſche fand er das ſchöne Weib an ſeiner Seite zum erſtenmale ver¬ führeriſch. Wahrhaftig, ſagte ſie endlich aus tief¬ ſter Seele, wenn ich mich einmal recht verliebte, es würde mich gewiß das Leben koſten! Es reiste einmal, fuhr ſie fort, ein Student hier in der Nacht beym Schloſſe vorbey, als ich eben auf dem Dache eingeſchlummert war, der ſang:

245
Wenn die Sonne lieblich ſchiene
Wie in Wälſchland lau und blau,
Gieng 'ich mit der Mandoline
Durch die überglänzte Au.
In der Nacht dann Liebchen lauſchte
An dem Fenſter ſüßverwacht,
Wünſchte mir und ihr uns beyden.
Heimlich eine ſchöne Nacht.
Wenn die Sonne lieblich ſchiene
Wie in Wälſchland lau und blau,
Gieng 'ich mit der Mandoline
Durch die überglänzte Au.

Aber die Sonne ſcheint nicht wie in Wälſchland und der Student zog weiter und es iſt eben alles nichts. Geh'n wir ſchlafen, geh'n wir ſchlafen, ſetzte ſie langweiliggähnend hinzu, nahm Friedrich'n bey der Hand und führte ihn wieder die Stiege hinab.

Er bemerkte, als ſie wieder in den Zimmern angekommen waren, eine ungewöhnliche Unruhe an ihr, ſie hieng bewegt an ſeinem Arme. Sie ſchien ihm bey dem Mondenſchimmer, der durch das offe¬ ne Fenſter auf ihr Geſicht fiel, todtenblaß, eine Art von ſeltſamer Furcht befiel ihn da auf einmal vor Ihr und dem ganzen Feenſchloſſe, er gab ihr ſchnell eine gute Nacht und eilte in das ihm ange¬ wieſene Zimmer, wo er ſich angekleidet auf das Bett hinwarf.

Das Gemach war nur um einige Zimmer von dem Schlafgemach der Gräfin entfernt. Die Thü¬246 ren dazwiſchen fehlten ganz und gar. Eine Lampe, die der Gräfin Zimmer matt erhellte, warf durch die offenen Thüren ihren Schein grade auf einen großen, altmodiſchen Spiegel, der vor Friedrichs Bett an der Wand hieng, ſo daß er in demſelben faſt ihr ganzes Schlafzimmer überſehen konnte. Er ſah, wie der ſchöne Knabe, der ſich unterdeß wie¬ der eingeſchlichen haben mußte, quer über einigen Stühlen vor ihrem Bette eingeſchlafen lag. Die Gräfin entkleidete ſich nach und nach und ſtieg ſo über den Knaben weg ins Bett. Alles im Schloſſe wurde nun todtenſtill und er wendete das Geſicht auf die andere Seite dem offenen Fenſter zu. Die Bäume rauſchten vor demſelben, aus dem Thale kam von Zeit zu Zeit ein fröhliches Jauchzen, bald näher, bald wieder in weiter Ferne, dazwiſchen hörte er ausländiſche Vögel drauſſen im Garten in wunderlichen Tönen immerfort wie im Traume ſpre¬ chen, das ſeltſame bleiche Geſicht der Gräfin, wie ſie ihm zuletzt vorgekommen, ſtellte ſich ihm dabey unaufhörlich vor die Augen, und ſo ſchlummerte er erſt ſpät unter verworrenen Phantaſieen ein.

Mitten in der Nacht wachte er plötzlich auf, es war ihm, als hätte er Geſang gehört. Der Mond ſchien hell drauſſen über der Gegend und durch das Fenſter herein. Mit Erſtaunen hörte er neben ſich athmen. Er ſah umher und erblickte Ro¬ mana, unangekleidet wie ſie war, an dem Fuße ſeines Bettes eingeſchlafen. Sie ruhte auf dem Boden, mit dem einen Arme und dem halben Leibe247 auf das Bett gelehnt. Die langen ſchwarzen Haa¬ re hiengen aufgelöſt über den weißen Nacken und Buſen herab. Er betrachtete die wunderſchöne Ge¬ ſtalt lange voll Verwunderung halbaufgerichtet. Da hörte er auf einmal die Töne wieder, die er ſchon im Schlummer vernommen hatte. Er horchte hinaus; das Singen kam jenſeits von den Bergen über die ſtille Gegend herüber, er konnte folgende Worte verſtehen:

Vergangen iſt der lichte Tag,
Von ferne kommt der Glocken Schlag
So reist die Zeit die ganze Nacht,
Nimmt manchen mit, der's nicht gedacht.
Wo iſt nun hin die bunte Luſt,
Des Freundes Troſt und treue Bruſt,
Des Weibes ſüßer Augenſchein?
Will keiner mit mir munter ſeyn?
Da's nun ſo ſtille auf der Welt,
Zieh'n Wolken einſam übers Feld,
Und Feld und Baum beſprechen ſich,
O Menſchenkind! was ſchauert dich?
Wie weit die falſche Welt auch ſey,
Bleibt mir doch Einer nur getreu,
Der mit mir weint, der mit mir wacht,
Wenn ich nur recht an Ihn gedacht.
Friſchauf denn, liebe Nachtigall,
Du Waſſerfall mit hellem Schall!
Gott loben wollen wir vereint,
Bis daß der lichte Morgen ſcheint!
248

Friedrich erkannte die Weiſe, es war Leontins Stimme. Ich komme, herrlicher Geſell! rief er bewegt in ſich und raffte ſich ſchnell auf, ohne die Gräfin zu wecken. Nicht ohne Schauer gieng er durch die todtenſtillen, weitöden Gemächer, zäum¬ te ſich im Hofe ſelber ſein Pferd und ſprengte den Schloßberg hinab.

Er athmete tief auf, als er drauſſen in die herrliche Nacht hineinritt, ſeine Seele war wie von tauſend Ketten frey. Es war ihm, als ob er aus fieberhaften Träumen oder aus einem langen, wü¬ ſten, lüderlichen Luſtleben zurückkehre. Das hohe Bild der Gräfin, das er mit hergebracht, war in ſeiner Seele durch dieſe ſonderbare Nacht phanta¬ ſtiſch verzerrt und zerriſſen, und er verſtand nun Leontins wilde Reden an dem Wirthshauſe.

Leontins Geſang war indeß verſchollen, er hat¬ te nichts mehr gehört und ſchlug voller Gedanken den Weg nach der Reſidenz ein. Das Feenſchloß hinter ihm war lange verſunken, die Bäume an der Straſſe fiengen ſchon an lange Schatten über das glänzende Feld zu werfen, Vögel wirbelten ſchon hin und her hoch in der Luft, die Reſidenz lag mit ihren Feuerſäulen wie ein brennender Wald im Morgenglanze vor ihm.

249

Vierzehntes Kapitel.

Drauſſen über das Land jagten zerriſſene Wol¬ ken, die Meluſina ſang an ſeufzenden Wäldern, Gärten und Zäunen ihr unergründlich einförmiges Lied, die Dörfer lagen ſelig verſchneyt. In der Reſidenz zog der Winter prächtig ein mit Schellenge¬ klingel, friſchen Mädchengeſichtern, die vom Lande flüchteten, mit Bällen, Opern und Conzerten, wie eine luſtige Hochzeit. Friedrich ſtand gegen Abend einſam an ſeinem Fenſter, Leontin und Faber ließen noch immer nichts von ſich hören, Roſa hatte ihn letzthin ausgelacht, als er voller Freuden zu ihr lief, um ihr eine politiſche Neuigkeit zu erzählen, die ihn ganz ergriffen hatte, an der Gräfin Roma¬ na hatte er ſeit jener Nacht keine Luſt weiter, er hatte beyde ſeitdem nicht wiedergeſehen; vor den Fenſtern fiel der Schnee langſam und bedächtig in großen Flocken, als wollte der graue Himmel die Welt verſchütten. Da ſah er unten zwey Reiter in langen Mänteln langſam die Straſſe zieh'n. Der eine ſah ſich um, Friedrich rief: Viktoria! es war Leontin und Faber, die ſo eben einzogen.

Friedrich ſprang, ohne ſich zu beſinnen, zur Thüre hinaus und die Stiege hinunter. Als er aber auf die Straſſe kam, waren ſie ſchon verſchwunden. 250Er ſchlenderte einige Gaſſen in dem Schneegeſtöber auf und ab. Da ſtieß der Marquis, den wir ſchon aus Roſa's Briefe kennen, die hervorragenden Stei¬ ne mit den Zehen zierlich ſuchend, auf ihn. Er hieng ſich ihm ſogleich, wie ein guter Bruder, in den Arm, und erzählte ihm in Einem Redeſtrome tauſend Späße zum Todtlachen, wie er meynte, die ſich heut und geſtern in der Stadt zugetragen, wel¬ che Damen heut vom Lande angekommen, wer ver¬ liebt ſey und nicht wieder geliebt werde u. ſ. w. Friedrich'n war die flache Luſtigkeit des Wichtes heut entſetzlich, und er ließ ſich daher, da ihm dieſer nur die Wahl ließ, ihn entweder zu ſich nach Hauſe, oder in die Geſellſchaft zum Miniſter zu begleiten, gern zu dem letzteren mit fortſchleppen. Denn beſ¬ ſer mit einem Haufen Narren, dachte er übellauniſch, als mit einem allein.

Er fand einen zahlreichen und glänzenden Zir¬ kel. Die vielen Lichter, die prächtigen Kleider, der glatte Fußboden, die zierlichen Reden, die hin und wieder flogen, alles glänzte. Er wäre faſt wieder umgekehrt, ſo ganz ohne Schein kam er ſich da auf einmal vor. Vor allen erblickte er ſeine Roſa. Sie hatte ein Roſa-ſammtenes Kleid, ihre ſchwarzen Locken ringelten ſich in den weißen Buſen hinab. Der Erbprinz unterhielt ſich lebhaft mit ihr. Sie ſah inzwiſchen mehreremal mit einer Art von trium¬ phirenden Blicken ſeitwärts auf Friedrich; ſie wußte wohl, wie ſchön ſie war. Friedrich unterhielt ſich Gedankenvoll zerſtreut rechts und links. Jene Frau251 vom Haus, bey der er die Theegeſellſchaft verlebt, war auch da und ſchien wieder an ihren äſthetiſchen Krämpfen zu leiden. Sie unterhielt ſich ſehr leben¬ dig mit mehreren hübſchen jungen Männern über die Kunſt, und Friedrich verſtand nur, wie ſie zuletzt ausrief: O, ich möchte Millionen glücklich machen! Da hörte man plötzlich ein lautes Lachen aus ei¬ nem anderen abgelegenen Winkel des Zimmers er¬ ſchallen. Friedrich erkannte mit Erſtaunen ſogleich Leontins Stimme. Die Männer biſſen ſich heimlich in die Lippen über dieſes Lachen zu rechter Zeit, obſchon keiner vermuthete, daß es wirklich jenem Ausruf gelten ſollte, da der Lacher fern in eine ganz andere Unterhaltung vertieft ſchien. Friedrich aber wußte gar wohl, wie es Leontin meynte. Er eilte ſogleich auf ihn los und fand ihn zwiſchen zwey alten Herren mit Perücken und altfränkiſchen Ge¬ ſichtern, mit denen ſich niemand abgeben mochte, mit denen er ſich aber kindlich beſprach und gut zu vertragen ſchien. Er erzählte ihnen von ſeiner Ge¬ birgsreiſe die wunderbarſten Geſchichten vor, und lachte herzlich mit den beyden guten Alten, wenn ſie ihn dabey über offenbaren, gar zu tollen Lügen ertappten. Er freute ſich ſehr, Friedrich'n noch heut zu ſeh'n, und ſagte, wie es ihm eine gar wunder¬ lichſchauerliche Luſt ſey, ſo aus der Grabesſtille der verſchneyten Felder mitten in die glänzendſten Stadt¬ zirkel hineinzureiten und umgekehrt.

Sie ſprachen noch manches zuſammen, als der Prinz hinzutrat und Friedrich'n in ein Fenſter führ¬252 te. Der Miniſter, ſagte er zu ihm als ſie allein waren, hat Sie mir ſehr warm, ja ich kann wohl ſagen, mit Leidenſchaft empfohlen. Es iſt etwas auſſerordentliches, denn er empfiehlt ſonſt keinen Menſchen auf dieſe Art. Friedrich äuſſerte darüber ſeine große Verwunderung, da er von dem Miniſter grade das Gegentheil erwartete. Der Miniſter, fuhr der Prinz fort, läßt ſein Urtheil nicht fangen und ich vertraue Ihnen daher. Unſere Zeit iſt ſo gewaltig, daß die Tugend nichts gilt ohne Stärke. Die wenigen Muthigen aus aller Welt ſollten ſich daher treu zuſammenhalten, als ein rechter Damm gegen das Böſe. Es wäre nicht ſchön, lieber Graf, wenn Sie ſich von der gemeinen Noth abſonderten. Gott behüte mich vor ſolcher Schande! erwiederte Friedrich halb betroffen, mein Leben gehört Gott und meinem rechtmäßigen Herrn. Es iſt groß, ſich ſelber, von aller Welt losgeſagt, fromm und fleiſ¬ ſig auszubilden, ſagte darauf der Prinz begeiſtert, aber es iſt größer, alle Freuden, alle eignen Wün¬ ſche und Beſtrebungen wegzuwerfen für das Recht, alles hier ſtrich ſo eben die Gräfin Romana an ihnen vorüber. Der Prinz ergriff ihre Hand und ſagte: So lange von uns wegzubleiben! Sie zog langſam ihre Hand aus der ſeinigen und ſah nur Friedrich'n groß an, als ſähe ſie ihn wieder zum erſtenmale. Der Prinz lachte unerklärlich, drückte Friedrich'n flüchtig die Hand und wandte ſich wieder in den Saal zurück.

253

Friedrich folgte der Gräfin mit ihren heraus¬ fordernden Augen. Sie war ſchwarz angezogen und faſt furchtbarſchön anzuſehen. Von der Nacht auf dem Schloſſe erwähnte ſie kein Wort.

Leontin kam auf ſie zu und erzählte ihr, wie er erſt geſtern bey ihrem Schloſſe vorbeygezogen. Es war ſchon Nacht, ſagte er, ich war ſo frey, mit Fabern und einer Flaſche ächten Rheinweins, die wir bey uns hatten das oberſte Dach des Schloſſes zu beſteigen. Der Garten, die Gegend und die Gallerie oben war tief verſchneyt, eine Thüre im Hauſe mußte offen ſteh'n, denn der Wind warf ſie immerfort einförmig auf und zu, über der verſtarrten Verwüſtung hielt die Windsbraut einen luſtigen Hexentanz, daß uns der Schnee ins Geſicht wirbelte, es war eine wahre Brockennacht. Ich trank dabey dem Dauernden im Wechſel ein Glas nach dem andern zu und rezitirte mehrere Stellen aus Göthe's Fauſt, die mir mit den Schneewirbeln alle auf einmal eiskalt auf Kopf und Herz zuflogen. Verfluchte Verſe! rief Faber, ſchweig, oder ich wer¬ fe dich wahrhaftig über die Gallerie hinunter! Ich habe ihn niemals ſo entrüſtet geſeh'n. Ich warf die Flaſche ins Thal hinaus, denn mich fror, daß mir die Zähne klapperten. Romana antwortete nichts, ſondern ſetzte ſich an den Flügel und ſang ein wildes Lied, das nur aus dem tiefſten Jammer einer zerriſſenen Seele kommen konnte. Iſt das nicht ſchön? fragte ſie einigemal dazwiſchen, ſich mit Thränen in den Augen zu Friedrich'n herumwen¬254 dend, und lachte abſcheulich dabey. Ah Pah! rief Leontin zornig, das iſt nichts, es muß noch beſſer kommen! Er ſetzte ſich hin und ſang ein al¬ tes Lied aus dem dreyßigjährigen Kriege, deſſen fürchterliche Klänge wie blutige Schwerter durch Mark und Bein giengen. Friedrich bemerkte, daß Romana zitterte. Leontin war indeß wieder aufge¬ ſtanden und hatte ſich aus der Geſellſchaft fortge¬ ſchlichen, wie immer wenn er gerührt war.

Wir aber wenden uns ebenfalls von dieſen Blaſen der Phantaſie, die, wie die Blaſen auf dem Rheine, nahes Gewitter bedeuten, zu der Einſamkeit Friedrichs, wie er nun oft Nächtelang voller Ge¬ danken unter Büchern ſaß und arbeitete. Wohl iſt der Weltmarkt großer Städte eine rechte Schule des Ernſtes für beſſere, beſchauliche Gemüther, als der getreueſte Spiegel ihrer Zeit. Da haben ſie den alten gewaltigen Strom in ihre Maſchienen und Räder aufgefangen, daß er nur immer ſchneller und ſchneller fließe, bis er gar abfließt, da ſpreitet denn das arme Fabrikenleben in dem ausgetrockneten Bett ſeine hochmüthigen Teppiche aus, deren inwendige Kehrſeite eckle, kahle, farbloſe Fäden ſind, ver¬ ſchämt hängen dazwiſchen wenige Bilder in uralter Schönheit verſtaubt, die niemand betrachtet, das Gemeinſte und das Größte, heftig aneinander ge¬ worfen, wird hier zu Wort und Schlag, die Schwäche wird dreiſt durch den Haufen, das Hohe ficht allein. Friedrich ſah zum erſtenmale ſo recht in den großen Spiegel, da ſchnitt ihm ein unbe¬255 ſchreiblicher Jammer durch die Bruſt, und die Schön¬ heit und Hohheit und das heilige Recht, daß ſie ſo allein waren, und wie er ſich ſelber in dem Spie¬ gel ſo winzig und verloren in dem Ganzen erblickte, ſchien es ihm herrlich, ſich ſelber vergeſſend, dem Ganzen treulich zu helfen mit Geiſt, Mund und Arm. Er erſtaunte, wie er noch ſo gar nichts ge¬ than, wie es ihn noch niemals lebendig erbarmet um die Welt. So ſchien das große Schauſpiel des Lebens, manche beſondere äuſſere Anregung, vor al¬ lem aber der furchtbare Gang der Zeit, der wohl keines der beſſeren Gemüther unberührt ließ, auf einmal alle die hellen Quellen in ſeinem Inneren, die ſonſt zum Zeitvertreibe wir luſtige Springbrun¬ nen ſpielten, in Einen großen Strom vereinigt zu haben. Ihn eckelten die falſchen Dichter an mit ihren Taubenherzen, die, uneingedenk der Himmel¬ ſchreyenden Mahnung der Zeit, ihre Nationalkraft in müſſigem Spiele verliederten. Die unbeſtimmte Knaben-Sehnſucht, jener wunderbare Spielmann vom Venusberge, verwandelte ſich in eine heilige Liebe und Begeiſterung für den beſtimmten und fe¬ ſten Zweck. Gar vieles, was ihn ſonſt beängſtigte, wurde zu Schanden, er wurde reifer, klar, ſelbſt¬ ſtändig und ruhig über das Urtheil der Welt. Es genügte ihm nicht mehr, ſich an ſich allein zu er¬ götzen, er wollte lebendig eindringen. Deſto tiefer und ſchmerzlicher mußte er ſich überzeugen, wie ſchwer es ſey, nützlich zu ſeyn. Mit gränzenloſer Aufopferung warf er ſich daher auf das Studium256 der Staaten, ein neuer Welttheil für ihn, oder vielmehr die ganze Welt und was der ewige Geiſt des Menſchen ſtrebte, dachte und wollte, in weni¬ gen großen Umriſſen, vor deſſen unermeßner Aus¬ ſicht ſein Innerſtes aufjauchzte.

Ihm träumte einmal, als er in der Nacht einſt ſo über ſeinen alten Büchern eingeſchlummert, als weckte ihn ein glänzendes Kind aus langen lieblichen Träumen. Er konnte kaum die Augen aufthun vor Licht, von ſo wunderbarer Hohheit und Schönheit war des Kindes Angeſicht. Es wieß mit ſeinem klei¬ nen Roſenfinger von dem hohen Berge in die Ge¬ gend hinaus, da ſah er ringsum eine unbegränzte Runde, Meer, Ströme und Länder, ungeheuere, umgeworfene Städte mit zerbrochenen Rieſenſäulen, das alte Schloß ſeiner Kinderjahre ſeltſam verfallen, einige Schiffe zogen hinten nach dem Meere, auf dem einen ſtand ſein verſtorbener Vater, wie er ihn oft auf Bildern geſehen, und ſah ungewöhnlich ernſthaft, alles doch wie in Dämmerung aufar¬ beitend, zweifelhaft und unkenntlich, wie ein ver¬ wiſchtes großes Bild, denn ein dunkler Sturm gieng über die ganze Ausſicht, als wäre die Welt verbrannt, und der ungeheure Rauch davon lege ſich nun über die Verwüſtung. Dort, wo des Vaters Schiff hinzog, brach darauf plötzlich ein Abendroth durch den Qualm hervor, die Sonne ſenkte ſich fern nach dem Meere hinab. Als er ihr ſo nachſah, ſah er daſſelbe wunderſchöne Kind, das vorhin neben ihmgeweſen,257geweſen, recht mitten in der Sonne zwiſchen den ſpielenden Farbenlichtern traurig an ein großes Kreutz gelehnt, ſtehen. Eine unbeſchreibliche Sehn¬ ſucht befiel ihn da, und Angſt zugleich, daß die Sonne für immer in das Meer verſinken werde. Da war ihm, als ſagte das wunderſchöne Kind, doch ohne den Mund zu bewegen oder aus ſeiner traurigen Stellung aufzublicken: Liebſt du mich recht, ſo gehe mit mir unter, als Sonne wirſt du dann wieder aufgeh'n, und die Welt iſt frey! Vor Luſt und Schwindel wachte er auf. Drauſſen funkelte der heitere Wintermorgen ſchon über die Dächer, das Licht war herabgebrannt, Erwin ſaß bereits angekleidet ihm gegenüber und ſah ihn mit den großen, ſchönen Augen ſtill und ernſthaft an.

Zu ſolcher Lebensweiſe kam ein ſchöner Kreis neuer, rüſtiger Freunde, die auf Reiſen, an gleicher Geſinnung ſich erkennend, aus verſchiedenen deut¬ ſchen Zonen ſich nach und nach hier zuſammengefun¬ den hatten. Der Erbprinz, der mit einer faſt grän¬ zenloſen Leidenſchaft an Friedrich'n hieng, wußte den Bund durch ſeine hinreiſſende Gluth und Be¬ redſamkeit immer friſch zu ſtärken, ſo auch, obgleich auf ganz verſchiedene Weiſe, der ältere, beſonnene Miniſter, der nach einer herumſchweifenden und wüſt durchlebten Jugend, ſpäter, ſeiner gröſſeren Entwürfe und ſeiner Kraft und Berufes vor allen andern, ſie auszuführen, ſich klar bewußt, auf einmal mehrere brave aber ſchwächere Männer ge¬17258waltſam unterdrückt, ja, ſelbſt ſeinen eigenſten Wunſch, eine Liebe aus früherer Zeit aufgegeben und dafür eine freudenloſe Ehe mit einem der vor¬ nehmſten Mädchen gewählt hatte, einzig um das Steuer des Staates in ſeine feſtere und ſichere Hand zu erhalten. Eine gleiche Geſinnung ſchien alle Glieder dieſes Kreiſes zu verbrüdern. Sie ar¬ beiteten fleiſſig, hoffend und glaubend, dem alten Recht in der engen Zeit Luft zu machen, auf Tod und Leben bereit.

Ganz anders, abgeſondert und ohne alle Be¬ rührung mit dieſem Kreiſe lebte Leontin in einem abgelegenen Quartiere der Reſidenz mit der Aus¬ ſicht auf die beſchneyten Berge über die weiten Vorſtädte weg, wo er, mit Fabern zuſammenwoh¬ nend, einen wunderlichen Haushalt fuhrte. Alle die Begeiſterungen, Freuden und Schmerzen, die ſich Friedrich'n, deſſen Bildung langſam aber ſiche¬ rer fortſchritt, erſt jezt neu aufdeckten, hatte er längſt im Innerſten empfunden. Ihn jammerte ſei¬ ne Zeit vielleicht wie keinen, aber er haßte es, da¬ von zu ſprechen. Mit der größten Geiſteskraft hat¬ te er ſchon oft redlich alles verſucht, wo es etwas nützen konnte, aber immer überwieſen, wie die Menge reich an Wünſchen, aber innerlich dumpf und gleichgültig ſey, wo es gilt, und wie ſeine Gedanken jederzeit weiter reichten als die Kräfte der Zeit, warf er ſich in einer Art von Verzweiflung immer wieder auf die Poeſie zurück und dichtete oft Nächtelang ein wunderbares Leben, meiſt Tragö¬259 dien, die er am Morgen wieder verbrannte. Seine alles verſpottende Luſtigkeit war im Grunde nichts, als dieſe Verzweiflung, wie ſie ſich an den bunten Bildern der Erde in tauſend Farben brach und be¬ ſpiegelte.

Friedrich beſuchte ihn täglich, ſie blieben ein¬ ander wechſelſeitig noch immer durchaus unentbehr¬ liche Freunde, wenn gleich Leontin auf keine Weiſe zu bereden war, an den Beſtrebungen jenes Krei¬ ſes Antheil zu nehmen. Er nannte unverholen das Ganze eine leidliche Komödie, und den Miniſter den unleidlichen Theaterprinzipal, der gewiß noch am Ende des Stückes herausgerufen werden würde, wenn nur darin das Wort: deutſch recht fleißig vorkäme, denn das mache in der undeutſchen Zeit den beſten Effekt. Beſonders aber war er ein rech¬ ter Feind des Erbprinzen. Er ſagte oft, er wünſch¬ te ihn mit einem großen Schwerte ſeiner Ahnherren aus Barmherzigkeit recht in der Mitte entzweyhauen zu können, damit die eine ordinäre Hälfte vor der anderen närriſchen, begeiſterten einmal Ruhe hätte. Dergleichen Reden verſtand Friedrich zwar da¬ mals nicht recht, denn ſeine beſte Natur ſträubte ſich gegen ihr Verſtändniß, aber ſie machten ihn ſtutzig. Faber dagegen, welcher, der Dichtkunſt treu ergeben, immer fleiſſig fortarbeitete, empfieng ihn alle Tage gelaſſen mit derſelben Frage: ob er noch immer weltbürgerlich ſey? Gott ſey Dank, ant¬ wortete Friedrich ärgerlich, ich verkaufte mein Le¬17 *260ben an den erſten beſten Buchhändler, wenn es eng genug wäre, ſich in einigen hundert Verſen ausfin¬ gern zu laſſen. Sehr gut, erwiederte Faber mit jener Ruhe, welche das Bewußtſeyn eines redli¬ chen, ernſthaften Strebens giebt, wir alle ſollen nach allgemeiner Ausbildung und Thätigkeit, nach dem Verein aller Dinge mit Gott ſtreben; aber wer von ſeinem Einzelnen, wenn es überhaupt ein ſol¬ ches giebt, es ſey Staats - Dicht - oder Kriegs - Kunſt, recht wahrhaft und innig, d. h. chriſtlich durchdrungen ward, der iſt ja eben dadurch allge¬ mein. Denn nimm du einen einzelnen Ring aus der Kette, ſo iſt es die Kette nicht mehr, folglich iſt eben der Ring auch die Kette. Friedrich ſagte: Um aber ein Ring in der Kette zu ſeyn, mußt du eben¬ falls tüchtig von Eiſen und aus Einem Guſſe mit dem Ganzen ſeyn, und das meynte ich. Leontin verwickelte ſie hier durch ein vielfaches Wortſpiel der¬ geſtalt in ihre Kette, daß ſie beyde nicht weiter konnten.

Dieſe ſtrebende webende Lebensart ſchien Frie¬ drich'n einigermaſſen von Roſa zu entfernen, denn jede große innerliche Thätigkeit macht äuſſerlich ſtill. Es ſchien aber auch nur ſo, denn eigentlich hatte ſeine Liebe zu Roſa, ohne daß er ſelbſt es wußte, einen großen Antheil an ſeinem Ringen nach dem Höchſten. So wie die Erde in tauſend Stämmen, Strömen und Blüthen treibt und ſingt, wenn ſie der alles belebenden Sonne zugewendet, ſo iſt auch das menſchliche Gemüth zu allem Großen freudig in261 der Sonnenſeite der Liebe. Roſa nahm Friedrichs nur ſeltenen Beſuche nicht in dieſem Sinne, denn wenige Weiber begreifen der Männer Liebe in ihrem Umfange, ſondern meſſen ungeſchickt das Un¬ ermeßliche nach Küſſen und eitlen Verſicherungen. Es iſt, als wären ihre Augen zu blöde, frey in die göttliche Flamme zu ſchauen, ſie ſpielen nur mit ihrem ſpielenden Widerſcheine. Friedrich fand ſie überhaupt ſeit einiger Zeit etwas verändert. Sie war oft einſylbig, oft wieder bis zur Leichtfertig¬ keit munter, beydes ſchien Manier. Sie miſchte oft in ihre beſten Unterhaltungen ſo Fremdartiges, als hätte ihr innerſtes Leben ſein altes Gleichgewicht verloren. Ueber ſeine ſeltenen Beſuche machte ſie ihm nie den kleinſten Vorwurf. Er war weit ent¬ fernt, den wahren Grund von allem dieſen auch nur zu ahnden. Denn die rechte Liebe iſt einfältig und ſorglos.

Eines Tages kam er gegen Abend zu ihr. Das Zimmer war ſchon dunkel, ſie war allein. Sie ſchien ganz athemlos vor Verlegenheit, als er ſo plötzlich in das Zimmer trat, und ſah ſich ängſtlich einigemal nach der anderen Thüre um. Friedrich be¬ merkte ihre Unruhe nicht, oder mochte ſie nicht be¬ merken. Er hatte heute den ganzen Tag gearbei¬ tet, geſchrieben und geſonnen. Auf ſeiner unbeküm¬ mert unordentlichen Kleidung, auf dem verwachten, etwas bleichen Geſichte und den ſinnigen Augen ruh¬ te noch der Nachſommer der Begeiſterung. Er bat ſie, kein Licht zu machen, ſetzte ſich, nach ſeiner262 Gewohnheit, mit der Guitarre ans Fenſter und ſang fröhlich ein altes Lied, das er Roſa'n oft im Garten bey ihrem Schloſſe geſungen. Roſa ſaß dicht vor ihm, voll Gedanken, es war, je länger er ſang, als müßte ſie ihm etwas vertrauen und könne ſich nicht dazu entſchlieſſen. Sie ſah ihn im¬ merfort an. Nein, es iſt mir nicht möglich! rief ſie endlich und ſprang auf. Er legte die Laute weg; ſie war ſchnell durch die andere Thüre verſchwunden. Er ſtand noch einige Zeit nachdenkend, da aber nie¬ mand kam, gieng er verwundert fort.

Es war ihm von jeher eine eigne Freude, wenn er ſo Abends durch die Gaſſen ſtrich, in die unte¬ ren erleuchteten Fenſter hineinzublicken, wie da al¬ les, während es drauſſen ſtob und ſtürmte, ge¬ müthlich um den warmen Ofen ſaß, oder an reinlich¬ gedeckten Tiſchen ſchmaußte, des Tages Arbeit und Mühen vergeſſend, wie eine bunte Gallerie von Weihnachtsbildern. Er ſchlug heute einen anderen, ungewohnten Weg ein, durch kleine, unbeſuchte Gäßchen, da glaubte er auf einmal in dem einen Fenſter den Prinzen zu ſehen. Er blieb erſtaunt ſtehen. Er war es wirklich. Er ſaß in einem ſchlech¬ ten Ueberrocke, den er noch niemals bey ihm geſe¬ hen, im Hintergrunde auf einem hölzernen Stuhle. Vor ihm ſaß ein junges Mädchen in bürgerlicher Kleidung auf einem Schämel, beyde Arme auf ſei¬ ne Kniee geſtützt, und ſah zu ihm herauf, während er etwas zu erzählen ſchien und ihr die Haare von beyden Seiten aus der heiteren Stirn ſtrich. Ein263 flackerndes Heerdfeuer, an welchem eine alte Frau etwas zubereitete, warf ſeine gemüthlichen Scheine über die Stube. Teller und Schüſſeln waren in ihren Geländern ringsum an den Wänden blank und in zierlicher Ordnung aufgeſtellt, ein Kätzchen ſaß auf einem Großvaterſtuhle am Ofen und putzte ſich, im Hintergrunde hieng ein Muttergottesbild, vom Kamine hellbeleuchtet. Es ſchien ein ſtilles, ordent¬ liches Haus. Das Mädchen ſprang fröhlich von ihrem Sitze auf, kam ans Fenſter und ſah einen Augenblick durch die Scheiben. Friedrich erſtaunte über ihre Schönheit. Sie ſchüttelte ſich darauf mun¬ ter und ungemein lieblich, als fröre ſie bey dem flüchtigen Blick in die ſtürmiſche Nacht drauſſen, ſtieg auf einen Stuhl und ſchloß die Fenſterladen zu.

Den folgenden Morgen, als Friedrich mit dem Prinzen zuſammenkam, ſagte er ihm ſogleich, was er geſtern geſehen. Der Prinz ſchien betroffen, be¬ ſann ſich darauf einen Augenblick, und bat Frie¬ drich'n, die ganze Begebenheit zu verſchweigen. Er beſuche, ſagte er, das Mädchen ſchon ſeit langer Zeit und gebe ſich für einen armen Studenten aus. Die Mutter und die Tochter, die wenig auskämen, hielten ihn wirklich dafür. Friedrich ſagte ihm offen und ernſthaft, wie dieß ein gefährliches Spiel ſey, wobey das Mädchen verſpielen müſſe, er ſolle lie¬ ber alles aufgeben, ehe es zu weit käme, vor allem großmüthig das Mädchen ſchonen, das ihm noch unſchuldig ſchiene. Der Prinz war gerührt, drückte264 Friedrich'n die Hand und ſchwur, daß er das Mäd¬ chen zu ſehr liebe, um ſie unglücklich zu machen. Er nannte ſie nur ſein hohes Mädchen.

Später, an einem von jenen wunderbaren Ta¬ gen, wo die Bäche wieder ihre klaren Augen auf¬ ſchlagen und einzelne Lerchen ſchon hoch in dem blauen Himmel ſingen, hatte Friedrich alle ſeine Fenſter offen, die auf einen einſamen Spaziergang hinausgiengen, den zu dieſer Jahreszeit faſt nie¬ mand beſuchte. Es war ein Sonntag, unzählige Glocken ſchallten durch die ſtille, heitre Luft. Da ſah er den Prinzen, wieder verkleidet, in der Ferne vorübergeh'n, neben ihm ſein Bürgermäd¬ chen, im ſonntäglichen Putze zierlich ausgeſchmückt. Sie ſchien ſehr zufrieden und glücklich und drückte ſich oft fröhlich an ſeinen Arm. Friedlich nahm die Guitarre, ſetzte ſich auf das Fenſter und ſang:

Wann der kalte Schnee zergangen,
Stehſt du drauſſen in der Thür,
Kommt ein Knabe ſchön gegangen,
Stellt ſich freundlich da zu dir,
Lobet deine friſchen Wangen,
Dunkle Locken, Augen licht,
Wann der kalte Schnee zergangen,
Glaub 'dem falſchen Herzen nicht!
Wann die lauen Winde wehen,
Scheint die Sonne lieblich warm:
Wirſt du wohl ſpazieren gehen,
Und Er führet dich am Arm,
265
Thränen dir im Auge ſtehen,
Denn ſo ſchön klingt, was er ſpricht,
Wann die lauen Winde wehen,
Glaub 'dem falſchen Herzen nicht!
Wann die Lerchen wieder ſchwirren,
Trittſt du drauſſen vor das Haus,
Doch Er mag nicht mit dir irren,
Zog weit in das Land hinaus;
Die Gedanken ſich verwirren,
Wie du ſiehſt den Morgen roth,
Wann die Lerchen wieder ſchwirren,
Armes Kind, ach, wärſt du todt!

Das Lied rührte Friedrich'n ſelbſt mit einer un¬ beſchreiblichen Gewalt. Die Glücklichen hatten ihn nicht bemerkt, er hörte das Mädchen noch munter lachen, als ſie ſchon beyde wieder verſchwunden wa¬ ren.

Der Winter neckte bald darauf noch einmal durch ſeine ſpäten Züge. Es war ein unfreundlicher Abend, der Wind jagte den Schnee durch die Gaſ¬ ſen, da gieng Friedrich, in ſeinem Mantel feſt ein¬ gewickelt, zu Roſa. Sie hatte ihm, da ſie über¬ haupt jetzt mehr als ſonſt ſich in Geſellſchaften ein¬ ließ, feyerlich verſprochen, ihn heute zu Hauſe zu erwarten. Er hatte eine Sammlung alter Bilder unter dem Mantel, die er erſt unlängſt aufgekauft, und an denen ſie ſich heute ergötzen wollten. Er freute ſich unbeſchreiblich darauf, ihr die Bedeutung und die alten Geſchichten dazu zu erzählen. Wie groß war aber ſein Erſtaunen, als er alles im Hauſe ſtill fand. Er konnte es noch nicht glauben,266 er ſtieg hinauf. Ihr Wohnzimmer war auch leer und kein Menſch zur Auskunft. Der Spiegel auf der Toilette ſtand noch aufgeſtellt, künſtliche Blu¬ men, goldene Kämme und Kleider lagen auf den Stühlen umher; ſie mußte das Zimmer unlängſt verlaſſen haben. Er ſetzte ſich an den Tiſch und ſchlug einſam ſeine Bilder auf. Die treue Farben¬ pracht, die noch ſo friſch aus den alten Bildern ſchaute, als wären ſie heut gemahlt, rührte ihn; wie da die Genovefa arm und bloß im Walde ſtand, das Reh vor ihr niederſtürzt und hinterdrein der Landgraf mit Roſſen, Jägern und Hörnern, wie da ſo bunte Blumen ſtehen, unzählige Vögel in den Zweigen mit den glänzenden Flügeln ſchlagen, wie die Genovefa ſo ſchön iſt und die Sonne präch¬ tig ſcheint, alles grün und golden muſizierend, und Himmel und Erde voller Freude und Entzückung. Mein Gott, mein Gott, ſagte Friedrich, warum iſt alles auf der Welt ſo anders geworden! Er fand ein Blatt auf dem Tiſche, worauf Roſa die Zeichnung einer Roſe angefangen. Er ſchrieb, ohne ſelbſt recht zu wiſſen, was er that: Lebe wohl auf das Blatt. Darauf gieng er fort.

Drauſſen auf der Straſſe fiel ihm ein, daß heu¬ te Ball beym Miniſter ſey. Nun überſah er den ganzen Zuſammenhang, und gieng ſogleich hin, um ſich näher zu überzeugen. Dicht und unkenntlich in ſeinen Mantel gehüllt, ſtellte er ſich in die Thüre unter die zuſehenden Bedienten. Er mußte lachen, wie der Marquis ſo eben in feſtlichem Staate einzog267 und mit einer vornehmen Geckenhaftigkeit ihn mit den anderen Leuten auf die Seite ſchob. Er be¬ merkte wohl, wie die Bedienten heimlich lachten. Gott ſteh 'dem Adel bey, dachte er dabey, wenn dieß noch ſeine einzige Unterſcheidung und Halt ſeyn ſoll in der gewaltſam drängenden Zeit, wo unterge¬ hen muß, was ſich nicht ernſtlich rafft!

Die Tanzmuſik ſchallte luſtig über den Saal, wie ein wogendes Meer, wo unzählige Sterne glänzend auf - und untergiengen. Da ſah er Roſa mit dem Prinzen walzen. Alle ſahen hin und machten willig Platz, ſo ſchön war das Paar. Sie langte im Fluge ohnweit der Thüre an und warf ſich athemlos in ein Sopha. Ihre Wangen glüh¬ ten, ihr Buſen, deſſen Weiſſe die ſchwarz herabge¬ ringelten Locken noch blendender machten, hob ſich heftig auf und nieder; ſie war überaus reitzend. Er konnte ſehen, wie ſie dem Prinzen, der lange mit Bitten in ſie zu dringen ſchien, tändelnd etwas reichte, das er ſchnell zu ſich ſteckte. Der Prinz ſagte ihr darauf etwas ins Ohr, worauf ſie ſo leicht¬ fertig lachte, daß es Friedrich'n durch die Seele ſchnitt.

Höchſtſonderbar, erſt hier, in dieſem Taumel, in dieſer Umgebung glaubte Friedrich auf einmal in des Prinzen Reden dieſelbe Stimme wiederzuerken¬ nen, die er auf dem Maſkenballe, da er Roſa zum erſtenmale wiedergeſehen, bey ihrem Begleiter, und dann in dem dunklen Gäßchen, als er von der klei¬ nen Marie herauskam, bey dem einen von den268 zwey verhüllten Männern gehört hatte. Er er¬ ſchrack innerlichſt über dieſe Entdeckung. Er dachte an das arme Bürgermädchen, an Leontins Haß gegen den Prinzen, an die verlorene Marie, an alle die ſchönen auf immer vergangenen Zeiten und ſtürzte ſich wieder hinunter in das luſtige Schneege¬ ſtöber.

Als er nach Hauſe kam, fand er Erwin auf dem Sopha eingeſchlummert. Schreibzeug lag um¬ her, er ſchien geſchrieben zu haben. Er lag auf dem Rücken, in der rechten Hand, die auf dem Herzen ruhte, hielt er ein zuſammengelegtes Papier loſe zwiſchen den Fingern. Friedrich hielt es für einen Brief, da es immer Erwins liebſtes Geſchäft war, ihn mit den neuangekommenen Briefen bey ſeiner Nachhauſekunft ſelbſt zu überraſchen. Er zog es dem Knaben leiſe aus der Hand und machte es, ohne es näher zu betrachten, ſchnell auf.

Er las: Die Wolken zieh'n immerfort, die Nacht iſt ſo finſter. Wo führſt du mich hin, wun¬ derbarer Schiffer? Die Wolken und das Meer ha¬ ben kein Ende, die Welt iſt ſo groß und ſtill, es iſt entſetzlich, allein zu ſeyn. Weiter unten ſtand: Liebe Julie, denkſt du noch daran, wie wir im Garten unter den hohen Blumen ſaſſen und ſpielten und ſangen, die Sonne ſchien warm, Du warſt ſo gut. Seitdem hat niemand mehr Mitleid mit mir. Wieder weiter: Ich kann nicht länger ſchweigen, der Neid drückt mir das Herz ab. Friedrich bemerkte erſt jezt, daß das Pa¬269 pier nur wie ein Brief zuſammengelegt und ohne alle Aufſchrift war. Voll Erſtaunen legte er es wieder neben Erwin hin und ſah den lieblichathmen¬ den Knaben nachdenklich an.

Da wachte Erwin auf, verwunderte ſich, Frie¬ drich'n und den Brief neben ſich zu ſehen, ſteckte das Papier haſtig zu ſich und ſprang auf. Friedrich faßte ſeine beyden Hände und zog ihn vor ſich hin. Was fehlt Dir? fragte er ihn unwiderſtehlich gut¬ müthig. Erwin ſah ihn mit den großen, ſchönen Augen lange an, ohne zu antworten, dann ſagte er auf einmal ſchnell, und eine lebhafte Fröhlich¬ keit flog dabey über ſein ſeelenvolles Geſicht: Reiſen wir aus der Stadt und weit fort von den Men¬ ſchen, ich führ 'Dich in den großen Wald. Von einem großen Walde darauf und einem kühlen Strome und einem Thurm darüber, wo ein Ver¬ ſtorbener wohne, ſprach er wunderbar wie aus dunklen, verworrenen Erinnerungen, oft alte Aus¬ ſichten aus Friedrichs eigner Kindheit plötzlich auf¬ deckend. Friedrich küßte den begeiſterten Knaben auf die Stirn. Da fiel er ihm um den Hals und küßte ihn heftig, mit beyden Armen feſt umklam¬ mernd. Voll Erſtaunen machte ſich Friedrich nur mit Mühe aus ſeinen Armen los, es war etwas ungewöhnlich Verändertes in ſeinem Geſicht, eine ſeltſame Luſt in ſeinen Küſſen, ſeine Lippen brann¬ ten, das Herz ſchlug faſt hörbar, er hatte ihn noch niemals ſo geſehen.

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Der Bediente trat eben ein, um Friedrich'n auszukleiden. Erwin war verſchwunden. Friedrich hörte, wie er darauf in ſeiner Stube ſang:

Es weiß und räth es doch keiner,
Wie mir ſo wohl iſt, ſo wohl!
Ach, wüßt 'es nur Einer, nur Einer,
Kein Menſch ſonſt es wiſſen ſollt'!
So ſtill iſt's nicht drauſſen im Schnee,
So ſtumm und verſchwiegen ſind
Die Sterne nicht in der Höhe,
Als meine Gedanken ſind.
Ich wünſcht ', es wäre ſchon Morgen,
Da fliegen zwey Lerchen auf,
Die überfliegen einander,
Mein Herze folgt ihrem Lauf.
Ich wünſcht ', ich wäre ein Vöglein
Und zöge über das Meer,
Wohl über das Meer und weiter,
Bis daß ich im Himmel wär'!

Fuͤnfzehntes Kapitel.

Schwül und erwartungsvoll ſchauen wir in den dunkelblauen Himmel, ſchwere Gewitter ſteigen ringsum herauf, die über manche liebe Gegend und Freunde ergehen ſollen, der Strom ſchießt dunkel¬ glatt und ſchneller vorbey, als wollte er ſeinem Geſchick entfliehen, die ganze Gegend verwandelt271 plötzlich ſeltſam ihre Miene. Keine Glockenklänge wehen mehr fromm über die Felder, die Wolken zu zertheilen, der Glaube iſt todt, die Welt liegt ſtumm und viel Theures wird untergehen, eh 'die Bruſt wieder frey aufathmet.

Friedrich fühlte dieſen gewitternden Druck der Luft und waffnete ſich nur deſto frömmer mit jenem Ernſt und Muthe, den ein großer Zweck der Seele giebt. Er warf ſich mit doppeltem Eifer wieder auf ſeine Studien, ſein ganzes Sinnen und Trachten war endlich auf ſein Vaterland gerichtet. Dieß mochte ihn abhalten, Erwin damals genauer zu be¬ obachten, der ſeit jenem Abend ſtiller als je gewor¬ den und ſich an einem wunderbaren Triebe nach freyer Luft und Freyheit langſam zu verzehren ſchien. Roſa'n mochte er ſeitdem nicht wieder beſu¬ chen. Romana hatte ſich ſeit einiger Zeit ſeltſam von allen gröſſeren Geſellſchaften entfernt. Wir aber ſtürzen uns lieber in die Wirbel der Geſchich¬ te, denn es wird der Seele wohler und weiter im Sturm und Blitzen, als in dieſer feindlichlauern¬ den Stille.

Es war ein Feyertag im März, da ritt Frie¬ drich mit dem Prinzen auf einem der beſuchteſten Spaziergänge. Nach allen Richtungen hin zogen unzählige bunte Schwärme zu den dunklen Thoren aus und zerſtreuten ſich luſtig in die neue, warme, ſchallende Welt. Schaukeln und Ringelſpiele dreh¬ ten ſich auf den offenen Raſenplätzen, Muſiken klangen von allen Seiten ineinander, eine unüber¬272 ſehbare Reihe prächtiger Wagen bewegte ſich ſchim¬ mernd die Allee hinunter. Romana theilte die Menge raſch zu Pferde wie eine Amazone. Frie¬ drich hatte ſie nie ſo ſchön und wild geſehen. Roſa war nirgends zu ſehen. Als ſie an das Ende der Allee kamen, hörten ſie plötzlich einen Schrey. Sie ſahen ſich um und erblickten mehrere Menſchen, die bemüht ſchienen, jemanden Hülfe zu leiſten. Der Prinz ritt ſogleich hinzu; alles machte ehrerbietig Platz und er erblickte ſein Bürgermädchen, die ohn¬ mächtig in den Armen ihrer Mutter lag. Wie ver¬ ſteinert ſchaute er in das todtenbleiche Geſicht des Mädchens. Er bat Friedrich'n, für ſie Sorge zu tragen, wandte ſein Pferd und ſprengte davon. Er hatte ſie zum letztenmale geſehen.

Die Mutter, welche ſich ſelbſt von Staunen und Schreck nicht erholen konnte, erzählte Frie¬ drich'n, nachdem er alle unnöthige Gaffer zu entfer¬ nen gewußt, wie ſie heut mit ihrer Tochter hieher ſpazieren gegangen, um einmal den Hof zu ſehen, der, wie ſie gehört, an dieſem Tage gewöhnlich hier zu erſcheinen pflege. Ihr Kind ſey beſonders fröh¬ lich geweſen und habe noch oft geſagt: Wenn Er doch mit uns wäre, ſo könnte er uns alle die Herrſchaften nennen! Auf einmal hörten ſie hinter ſich: der Prinz! der Prinz! Alles blieb ſtehen und zog den Hut. So wie ihre Tochter den Prinzen nur erblickte, ſey ſie ſogleich umgefallen. Frie¬ drich'n rührte die ſtille Schönheit des Mädchens mitihren273ihren geſchloſſenen Augen tief. Er ließ ſie ſicher nach Hauſe bringen; er ſelbſt wollte ſie nicht be¬ gleiten, um alles Aufſeh'n zu vermeiden.

Noch denſelben Abend ſpät ſprach er den Prin¬ zen über dieſe Begebenheit. Dieſer war ſehr be¬ wegt. Er hatte das Mädchen des Abends beſucht. Sie aber wollte ihn durchaus nicht wiederſehen, und hatte eben ſo hartnäckig ein fürſtliches Geſchenk, das er ihr anbot, ausgeſchlagen. Uebrigens ſchiene ſie, wie er hörte, ganz geſund.

Erwin fieng um dieſe Zeit an zu kränkeln, es war als erdrückte ihn die Stadtluft. Seine ſeltſa¬ me Gewohnheit, die Nächte im Freyen zuzubrin¬ gen, hatte er hier ablegen müſſen. Es ſchien ſeit früheſter Kindheit eine wunderbare Freundſchaft zwi¬ ſchen ihm und der Natur mit ihren Wäldern, Strö¬ men und Felſen. Jetzt, da dieſer Bund durch das beengte Leben zerſtört war, ſchien er, wie ein er¬ wachter Nachtwandler, auf einmal allein in der Welt.

So verſank er mitten in der Stadt immer tie¬ fer in Einſamkeit. Nur um Roſa bekümmerte er ſich viel und mit einer auffallenden Leidenſchaftlich¬ keit. Uebrigens erlernte er noch immer nichts, ob¬ ſchon es nicht an gutem Willen fehlte. Eben ſo las er auch ſehr wenig und ungern, deſto mehr, ja faſt unaufhörlich, ſchrieb er, ſeit er es beym Grafen gelernt, ſo oft er allein geweſen. Friedrich fand18274manchmal dergleichen Zettel. Es waren einzelne Gedanken, ſo ſeltſam weit abſchweifend von der Sinnes - und Ausdrucksart unſerer Zeit, daß ſie oft unverſtändlich wurden, abgebrochene Bemerkun¬ gen über ſeine Umgebungen und das Leben, wie fahrende Blitze auf durchaus nächtlichem, melankoli¬ ſchen Grunde, wunderſchöne Bilder aus der Erin¬ nerung an eine früher verlebte Zeit und Anreden an Perſonen, die Friedrich gar nicht kannte, da¬ zwiſchen Gebethe wie aus der tiefſten Seelenverwir¬ rung eines geängſtigten Verbrechers, immerwäh¬ rende Beziehung auf eine unſelige verdeckte Leiden¬ ſchaft, die ſich ſelber nie deutlich ſchien, kein einzi¬ ger Vers, keine Ruhe, keine Klarheit überall.

Friedrich verſuchte unermüdlich ſeine frühere Le¬ bensgeſchichte auszuſpüren, um nach ſo erkannter Wurzel des Uebels vielleicht das aufrühreriſche Ge¬ müth des Knaben ſicherer zu beruhigen und ins Gleichgewicht zu bringen. Aber vergebens. Wir wiſſen, mit welcher Furcht er das Geheimniß ſeiner Kindheit hüthete. Ich muß ſterben, wenn es je¬ mand erfährt, war dann jedesmal ſeine Antwort. Eine eben ſo unbegreifliche Angſt hatte er auch vor allen Aerzten.

Sein Zuſtand wurde indeß immer bedenklicher. Friedrich hatte daher alles einem verſtändigen Arzte von ſeiner Bekanntſchaft anvertraut und bat denſel¬ ben, ihn, ohne ſeine Abſicht merken zu laſſen, des Abends zu beſuchen, wann Erwin bey ihm wäre.

275

Als Friedrich des Abends an Erwins Thüre kam, hörte er ihn d'rinn nach einer rührenden Me¬ lodie ohne alle Begleitung eines Inſtruments fol¬ gende Worte ſingen:

Ich kann wohl manchmal ſingen,
Als ob ich fröhlich ſey,
Doch heimlich Thränen dringen,
Da wird das Herz mir frey.
So laſſen Nachtigallen,
Spielt drauſſen Frühlingsluft,
Der Sehnſucht Lied erſchallen,
Aus ihres Käfigts Gruft.
Da lauſchen alle Herzen,
Und alles iſt erfreut,
Doch keiner fühlt die Schmerzen,
Im Lied das tiefe Leid.

Friedrich trat während der letzten Strophe un¬ bemerkt in die Stube. Der Knabe ruhte auf dem Bett und ſang ſo liegend mit geſchloſſenen Augen.

Er richtete ſich ſchnell auf, als er Friedrich'n erblickte. Ich bin nicht krank, ſagte er, gewiß nicht! damit ſprang er auf. Er war ſehr blaß. Er zwang ſich, munter zu ſcheinen, lachte und ſprach mehr und luſtiger als gewöhnlich. Dann klagte er über Kopfweh. Friedrich ſtrich ihm die nußbraunen Locken aus den Augen. Thu 'mir nicht ſchön, ich bitte Dich! ſagte der Knabe da ſon¬ derbar und wie mit verhaltenen Thränen.

18 *276

Der Arzt trat eben in das Zimmer. Erwin ſprang auf. Er errieth ahnend ſogleich, was der fremde Mann wolle, und machte Miene zu entſprin¬ gen. Er wollte ſich durchaus nicht von ihm berüh¬ ren laſſen und zitterte am ganzen Leibe. Der Arzt ſchüttelte den Kopf. Hier wird meine Kunſt nicht ausreichen, ſagte er zu Friedrich'n, und verließ das Zimmer bald wieder, um den Knaben in dieſem Augenblick zu ſchonen. Da ſank Erwin ermattet zu Friedrichs Füßen. Friedrich hob ihn freundlich auf ſeine Knie und küßte ihn. Er aber küßte und um¬ armte ihn nicht wieder wie damals, ſondern ſaß ſtill und ſah, in Gedanken verloren, vor ſich hin.

Schon ſpannen wärmere Sommernächte drauſ¬ ſen ihre Zaubereyen über Berge und Thäler, da war es Friedrich'n einmal mitten in der Nacht, als riefe ihn ein Freund, auf den er ſich nicht beſinnen könnte, wie aus weiter Ferne. Er wachte auf, da ſtand eine lange Geſtalt mitten in dem finſteren Zimmer. Er erkannte Leontinen an der Stimme. Friſch auf, Herzbruder! ſagte dieſer, die eine Halbkugel rührt ſich hellbeleuchtet, die andere träumt; mir war nicht wohl, ich will den Rhein einmal wiederſehen, komm 'mit! Er hatte die Fen¬ ſter aufgemacht, einzelne graue Streifen langten ſchon über den Himmel, unten auf der Gaſſe blies der Poſtillon luſtig auf dem Horne.

Da galt kein Staunen und kein Zögern, Frie¬ drich mußte mit ihm hinunter in den Wagen. Auch277 Erwin war mit unbegreiflicher Schnelligkeit reiſefer¬ tig. Friedrich erſtaunte, ihn auf einmal ganz mun¬ ter und geſund zu ſehen. Mit funkelnden Augen ſprang er mit in den Wagen, und ſo raſſelten ſie durch das ſtille Thor ins Freye hinaus.

Sie fuhren ſchnell, durch unüberſehbar ſtille Felder, durch einen dunkeldichten Wald, ſpäter zwi¬ ſchen engen hohen Bergen, an deren Fuß manch Städtlein zu liegen ſchien, ein Fluß, den ſie nicht ſahen, rauſchte immerfort ſeitwärts unter der Stra¬ ße, alles feenhaft verworren. Leontin erzählte ein Mährchen, mit den wechſelnden Wundern der Nacht, wie ſie ſich die Seele ausmahlte, in Worten kühle ſpielend. Friedrich ſchaute ſtill in die Nacht, Erwin ihm gegenüber hatte die Augen weit offen, die un¬ ausgeſetzt, ſo lange es dunkel war, auf ihn gehef¬ tet ſchienen, der Poſtillon blies oft dazwiſchen. Der Tag fieng indeß an von der einen Seite zu hellen, ſie erkannten nach und nach ihre Geſichter wieder, einzelne zu früh erwachte Lerchen ſchwirr¬ ten ſchon, wie halb im Schlafe, hoch in den Lüf¬ ten ihr endloſes Lied, es wurde herrlich kühl.

Bald darauf langten ſie an dem Gebirgsſtädt¬ chen an, wohin ſie wollten. Das Thor war noch geſchloſſen. Der Thorwächter trat ſchlaftrunken her¬ aus, wünſchte ihnen einen guten Morgen und prieß die Reiſenden glückſelig und beneidenswerth in die¬ ſer Jahrszeit. In dem Städtchen war noch alles leer und ſtill. Nur einzelne Nachtigallen von den Fenſtern und unzählige von den Bergen über dem278 Städtchen ſchlugen um die Wette. Mehrere alte Brunnen mit zierlichem Gitterwerk rauſchten einför¬ mig auf den Gaſſen. In dem Wirthshauſe, wo ſie abſtiegen, war auch noch niemand auf. Der Poſtil¬ lon blies daher, um ſie zu wecken, mehrere Stücke, daß es über die ſtillen Straſſen weg in die Berge hineinſchallte. Erwin ſaß indeß auf einem Spring¬ brunnen auf dem Platze und wuſch ſich die Augen klar.

Friedrich und Leontin ließen Erwin bey dem Wagen zurück und giengen von der anderen Seite ins Gebirge. Als ſie aus dem Walde auf einen hervorragenden Felſen heraustraten, ſahen ſie auf einmal aus wunderreicher Ferne von alten Burgen und ewigen Wäldern kommend den Strom vergan¬ gener Zeiten und unvergänglicher Begeiſterung, den königlichen Rhein. Leontin ſah lange ſtill in Ge¬ danken in die grüne Kühle hinunter, dann fieng er ſich ſchnell an auszukleiden. Einige Fiſcher fuhren auf dem Rheine vorüber und ſangen ihr Morgen¬ lied, die Sonne gieng eben prächtig auf, da ſprang er mit ausgebreiteten Armen in die kühlen Flam¬ men hinab. Friedrich folgte ſeinem[Beiſpiel] und, beyde rüſtige Schwimmer, rangen ſich lange jubelnd mit den vom Morgenglanze trunkenen, eiſigen Wo¬ gen. Unbeſchreiblich leicht und heiter kehrten ſie nach dem Morgenbade wieder in das Städtchen zurück, wo unterdeß alles ſchon munter geworden. Es war die Weihe der Kraft für lange Kämpfe, die ihrer harrten.

279

Als die Sonne ſchon hoch war, beſtiegen ſie die alte wohlerhaltene Burg, die wie eine Ehren¬ krone über der altdeutſchen Gegend ſtand. Des Wirths Tochter gieng ihnen mit einigen Flaſchen Wein luſtig die dunklen, mit Epheu überwachſenen Mauerpfade voran, ihr junges, blühendes Geſicht nahm ſich gar zierlich zwiſchen dem alten Gemäuer und Bilderwerk aus. Sie legte vor der Sonne die Hand über die Augen und nannte ihnen die zer¬ ſtreuten Städte und Flüſſe in der unermeßlichen Ausſicht, die ſich unten aufthat. Leontin ſchenkte Wein ein, ſie that ihnen Beſcheid und gab jedem willig zum Abſchiede einen Kuß.

Sie ſtieg nun wieder den Berg hinab, die bey¬ den ſchauten fröhlich in das Land hinaus. Da ſa¬ hen ſie, wie jenſeits des Rheins zwey Jägerbur¬ ſchen aus dem Walde kamen und einen Kahn be¬ ſtiegen, der am Ufer lag. Sie kamen quer über den Rhein auf das Städtchen zugefahren. Der eine ſaß tiefſinnig im Kahne, der andere that mehrere Schüſſe, die vielfach in den Bergen wiederhallten. Erwin hatte ſich in ein ausgebrochenes Bogenfenſter der Burg geſetzt, das unmittelbar über dem Ab¬ grunde ſtand. Ohne allen Schwindel ſaß er dort oben, ſeine ganze Seele ſchien aus den ſinnigen Augen in die wunderbare Ausſicht hinauszuſehen. Er ſagte voller Freuden, er erblicke ganz im Hin¬ tergrunde einen Berg und einen hervorragenden Wald, den er gar wohl kenne. Leontin ließ ſich die Gegend zeigen und ſchien ſie ebenfalls zu erken¬280 nen. Er ſah darauf den Knaben ernſthaft und ver¬ wundert an, der es nicht bemerkte.

Erwin blieb in dem Fenſterbogen ſitzen, ſie aber durchzogen das Schloß und den Berg in die Run¬ de. Junge grüne Zweige und wildbunte Blumen beugten ſich überall über die dunklen Trümmer der Burg, der Wald rauſchte kühl, Quellen ſprangen in hellen, friſchlichen Bogen von den Steinen, un¬ zählige Vögel ſangen, von allen Seiten die uner¬ meßliche Ausſicht, die Sonne ſchien warm über der Fläche in tauſend Strömen ſich ſpiegelnd, es war, als ſey die Natur hier rüſtiger und lebendiger vor Erinnerung im Angeſicht des Rheins und der alten Zeit. Wo ein Begeiſterter ſteht, iſt der Gipfel der Welt, rief Leontin fröhlich aus.

Willkommen, Freund, Bruder! ſagte da auf einmal eine Stimme mit Pathos, und ein fremder junger Mann, den ſie vorher nicht bemerkt hatten, faßte Leontin'n feſt bey der Hand. Ach, was Bru¬ der! fuhr Leontin heraus ärgerlich über die uner¬ wartete Störung. Der Fremde ließ ſich nicht ab¬ ſchrecken, ſondern ſagte: Jene Worte logen nicht, Sie ſind ein Verehrer der Natur, ich bin auch ſtolz auf dieſen Nahmen. Wahrhaftig, mein Herr, er¬ wiederte Leontin geſchwind ſich komiſch erwehrend, Sie irren ſich entſetzlich, ich bin weder biederher¬ zig, wie Sie ſich vorſtellen, noch begeiſtert, noch ein Verehrer der Natur, noch . Der Fremde fuhr ganz blinderpicht fort: Laſſen Sie die Gewöhn¬ lichen ſich ewig ſuchen und verfehlen, die Seltenen281 wirft ein magnetiſcher Zug einander an die männ¬ liche Bruſt, und der ewige Bund iſt ohne Wort geſchloſſen in des Eichwalds heiligen Schatten, wenn die Orgel des Weltbaues gewaltig dahinbraust. Bey dieſen Worten fiel ihm ein Buch aus der Taſche. Sie verlieren ihre Noten, ſagte Leontin, Schillers Don Karlos erkennend. Warum Noten? fragte der Fremde. Darum, ſagte Leontin, weil euch die ganze Natur nur der Text dazu iſt, den ihr nach den Dingern da aborgelt, und je ſchwieriger und würgender die Koleraturen ſind, daß ihr davon ganz roth und blau im Geſicht werdet, und die Thränen ſammt den Augen heraustreten, je begei¬ ſterter und gerührter ſeyd ihr. Macht doch die Au¬ gen feſt zu in der Muſik und im Sauſen des Wal¬ des, daß ihr die ganze Welt vergeßt und Euch vor allem!

Der Fremde wußte nicht recht, was er darauf antworten ſollte. Leontin fand ihn zuletzt gar poſ¬ ſierlich; ſie giengen und ſprachen noch viel zuſammen und es fand ſich am Ende, daß er ein abgedankter Liebhaber der Schmachtenden in der Reſidenz ſey, den er früher manchmal bey ihr geſehen. Der Ein¬ klang der Seelen hatte ſie zuſammen, und ich weiß nicht was wieder auseinander geführt. Er rühmte viel, wie dieſes Seelenvolle Weib mit Geſchmack, treu und tugendhaft liebe. Treu? ſie iſt ja verhey¬ rathet, ſagte Friedrich unſchuldig. Ey, was! fiel ihm Leontin ins Wort, dieſe Alwina's, dieſe neuen Heloiſen, dieſe Erbſchleicherinnen der Tugend ſind282 pfiffiger als Gottes Wort. Nicht wahr, der Teufel ſtinkt nicht und hat keine Hörner, und Ehebrechen und Ehebrechen iſt zweyerley? Der Fremde war verlegen wie ein Schulknabe.

Es neigte ſich indeß zum Abend, aber die Luft war ſchwül geworden und man hörte von ferne donnern. Das letztere war dem Fremden eben recht; der Donner, den er nicht anders als rollend nannte, ſchien ihn mit einem neuen Anfalle von Genialität aufzublähen. Er verſicherte, er müſſe im Gewitter einſam und im Freyen ſeyn, das wäre von jeher ſo ſeine Art, und nahm Abſchied von ihnen. Leontin klopfte ihn beym Weggeh'n tüchtig auf die Achſel: beten und faſten Sie fleiſſig und dann ſchauen Sie wieder in Gottes Welt hinaus, wie da der Herr genialiſch iſt. Es iſt doch nichts lächerli¬ cher, ſagte er, als jener fort war, als eine aus der Mode gekommene Genialität. Man weiß dann gar nicht, was die Kerls eigentlich haben wollen.

Es gewitterte indeß immer ſtärker und näher. Leontin beſtieg ſchnell eine hohe Tanne, die am Abhange ſtand, um das Wetter zu beſchauen. Der Wind, der dem Gewitter vorausflog, rauſchte durch die dunklen Aeſte des Baumes und neigte den Wi¬ pfel über den Abgrund hinaus. Ich ſehe das Städtchen in alle Straſſen hinab, rief Leontin von oben, wie die Leute eilig hin und her laufen und die Fenſter und Thüren ſchließen und mit den Laden klappern vor dem heranziehenden Wetter, es achtet ihrer doch nicht und zieht über ſie weg. Unſeren283 Don Karlos ſehe ich auf einer Felſenſpitze den Bat¬ terien des Gewitters gegenüber, er ſteht die Arme über der Bruſt verſchränkt, den Hut tief in die Au¬ gen gedrückt, den einen Fuß trotzig vorwärts, pfuy, pfuy, über den Hochmuth! Den Rhein ſeh 'ich kom¬ men, zu dem alle Flüſſe des Landes flüchten, lang¬ ſam und dunkelgrün, Schiffe rudern eilig ans Ufer, eines ſeh' ich mit Gott gradaus fahren, fahre, herr¬ licher Strom! Wie Gottes Flügel rauſchen und die Wälder ſich neigen, und die Welt ſtill wird, wenn der Herr mit ihr ſpricht. Wo iſt dein Witz, deine Pracht, deine Genialität? Warum wird unten auf den Flächen alles Eins und unkenntlich wie ein Meer, und nur die Burgen ſtehen einzeln und un¬ terſchieden zwiſchen den wehenden Glockenklängen und ſchweifenden Blitzen. Du könnteſt mich wahn¬ witzig machen unten erſchreckliches Bild meiner Zeit, wo das zertrümmerte Alte in einſamer Höhe ſteht, wo nur das Einzelne gilt und ſich, ſchroff und ſcharf im Sonnenlichte abgezeichnet, hervorhebt, während das Ganze in farbloſen Maſſen Geſtaltlos liegt, wie ein ungeheuerer, grauer Vorhang, an dem unſere Gedanken, gleich Rieſenſchatten aus ei¬ ner anderen Welt, ſich abarbeiten. Der Wind verwehte ſeine Worte in die gränzenloſe Luft. Es regnete ſchon lange. Der Regen und der Sturm wurden endlich ſo heftig, daß er ſich nicht mehr auf dem Baume erhalten konnte. Er ſtieg herab und ſie kehrten zu der Burg zurück.

284

Als das Wetter ſich nach einiger Zeit wieder verzogen hatte, brachen ſie aus ihrem Schlupfwin¬ kel auf, um ſich in das Städtchen hinunterzubege¬ ben. Da trafen ſie an dem Ausgange der Burg mit den zwey Jägern zuſammen, die ſie frühmor¬ gens über den Rhein fahren geſehen, und die eben¬ falls das Gewitter in der Burg belagert gehalten hatte. Es war ſchon dunkel geworden, ſo daß ſie einander nicht wohl erkennen konnten. Die Bäume hiengen voll heller Tropfen, der enge Fußſteig war durch den Regen äuſſerſt glatt geworden. Die bey¬ den Jäger, giengen ſehr, vorſichtig und furchtſam, hielten ſich an alle Sträucher und glitten mehrere¬ mal bald Friedrich'n, bald Leontin in die Arme, woruber ſie vom letzteren viel Gelächter ausſteh'n mußten, der ihnen durchaus nicht helfen wollte. Erwin ſprang mit einer ihm ſonſt nie gewöhnlichen Wildheit allen weit voraus wie ein Gems den Berg hinab.

Allen wurde wohl, als ſie nach der langen Einſamkeit in das Städtchen hinunterkamen, wo es recht patriarchaliſch ausſah. Auf den Gaſſen gieng Jung und Alt ſprechend und lachend nach dem Re¬ gen ſpazieren, die Mädchen des Städtchens ſaſſen drauſſen vor ihren Thüren unter den Weinlauben. Der Abend war herrlich, alles erquickt nach dem Gewitter, das nur noch von ferne nachhallte, Nach¬ tigallen ſchlugen wieder von den Bergen, vor ihren Augen rauſchte der Rhein an dem Städtchen vorüber. Leontin zog mit ſeiner Guitarre wie ein285 reiſender Spielmann aus alter Zeit von Haus zu Haus und erzählte den Mädchen Mährchen, oder ſang ihnen neue Melodieen auf ihre alten Lieder, wobey ſie ſtill mit ihren ſinnigen Augen um ihn herumſaſſen. Friedrich ſaß neben ihm auf der Bank, den Kopf in beyde Arme auf die Kniee geſtützt, und erholte ſich recht an den altfränkiſchen Klängen.

Die zwey Jäger hatten ſich nicht weit von ihnen um einen Tiſch gelagert, der auf dem grünen Pla¬ tze zwiſchen den Häuſern und dem Rheine aufge¬ ſchlagen war, und ſchäkerten mit den Mädchen, denen ſie gar wohl zu gefallen ſchienen. Die Mäd¬ chen verfertigten ſchnell einen fröhlichen, übervollen Kranz von hellrothen Roſen, den ſie dem einen, welcher der luſtigſte ſchien, auf die Stirn drückten. Leontin, der wenig darauf Acht gab, begann fol¬ gendes Lied über ein am Rheine bekanntes Mähr¬ chen:

Es iſt ſchon ſpät, es wird ſchon kalt,
Was reit'ſt Du einſam durch den Wald?
Der Wald iſt lang, Du biſt allein,
Du ſchöne Braut! ich führ 'Dich heim!

Da antwortete der Bekränzte drüben vom an¬ deren Tiſche mit der folgenden Strophe des Lie¬ des:

Groß iſt der Männer Trug und Liſt,
Vor Schmerz mein Herz gebrochen iſt,
Wohl irrt das Waldhorn her und hin,
O flieh '! Du weißt nicht, wer ich bin.
286

Leontin ſtutzte und ſang weiter:

So reich geſchmückt iſt Roß und Weib,
So[wunderſchön] der junge Leib,
Jetzt kenn 'ich Dich Gott ſteh' mil bey!
Du biſt die Hexe Lorelay.

Der Jäger antwortete wieder:

Du kennſt mich wohl von hohem Stein,
Schaut ſtill mein Schloß tief in den Rhein.
Es iſt ſchon ſpät, es wird ſchon kalt,
Kommſt nimmermehr aus dieſem Wald!

Der Jäger nahm nun ein Glas, kam auf ſie los und trank Friedrich'n keck zu: Unſere Schönen ſollen leben! Friedrich ſtieß mit an. Da zerſprang der Römer des Jägers klingend an dem ſeinigen. Der Jäger erblaßte und ſchleuderte das Glas in den Rhein.

Es war unterdeß ſchon ſpät geworden, die Mädchen fiengen an einzunicken, die Alten trieben ihre Kinder zu Bett und ſo verlohr ſich nach und nach eines nach dem andern, bis ſich unſere Rei¬ ſende allein auf dem Platze ſahen. Die Nacht war ſehr warm, Leontin ſchlug daher vor, die ganze Nacht über auf dem Rheine nach der Reſidenz hin¬ unterzufahren, er ſey ein guter Steuermann und. kenne jede Klippe auswendig. Alle willigten ſogleich ein, der eine Jäger nur mit Zaudern, und ſo be¬ ſtiegen ſie einen Kahn, der am Ufer angebunden war. Den Knaben Erwin, der während Leontins Liedern zu Friedrichs Füſſen eingeſchlafen, hatten287 ſie, da er durchaus nicht zu ermuntern war, in den Kahn hineintragen müſſen, wo er auch nach einem kurzen, halbwachen Taumel ſogleich wieder in Schlaf verſank. Friedrich ſaß vorn, die beyden Jä¬ ger in der Mitte, Leontin am Steuerruder lenkte keck grade auf die Mitte los, die Gewalt des Stro¬ mes faßte recht das Schiffchen, zu beyden Seiten flogen Weingärten, einſame Schlünde und Felſen¬ rieſen mit ausgeſpreiteten Eichen-Armen, wechſelnd vorüber, als giengen die alten Helden unſichtbar durch den Himmel und würfen ſo ihre ſtreiffenden Schatten über die ſtille Erde.

Der Himmel hatte ſich indeß von neuem über¬ zogen, die Gewitter ſchienen wieder näher zu kom¬ men. Der eine von den Jägern, der überhaupt faſt noch gar nicht geſprochen, blieb fortwährend ſtill. Der andere mit dem Roſenkranze dagegen ſaß ſchaukelnd und gefährlich auf dem Rande des Kah¬ nes und hatte beyde Beine darüber heruntergehan¬ gen, die bey jeder Schwankung die Wellen berühr¬ ten. Er ſah in das Waſſer hinab, wie die flüchti¬ gen Wirbel kühle aufrauſchend, dann wieder ſtill, wunderbar hinunterlockten. Leontin hieß ihn die Beine einſtecken. Was ſchadt's, ſagte der Jäger innerlich heftig, ich tauge doch nichts auf der Welt, ich bin ſchlecht, wär 'ich da unten, wäre auf ein¬ mal alles ſtill. Oho! rief Leontin, ihr ſeyd verliebt, das ſind verliebte Sprüche. Sag' an, wie ſieht Dein Liebchen aus? Iſt's ſchlank, ſtolz, kühn, voll hohem Graus, iſt's Hirſch, Pfau, oder eine288 kleine ſüſſe Maus? Der Jäger ſagte: Mein Schatz iſt ein Hirſch, der wandelt in einer prächti¬ gen Wildniß, die liegt ſo unbeſchreiblich hoch und einſam und die ganze Welt überſieht man von dort, wie ſich die Sonne ringsum in Seen und Flüſſen und allen Kreaturen wunderbar beſpiegelt. Es iſt des Jägers dunkelwüſte Luſt, das Schönſte, was ihn rührt, zu verderben. So nahm er Abſchied von ſeinem alten Leben und folgte dem Hirſche im¬ mer höher mühſam hinauf. Als die Sonne auf¬ gieng, legte er oben in der klaren Stille lauernd an. Da wandte ſich der Hirſch plötzlich und ſah ihn keck und fromm an wie den Herzog Hubertus. Da verließen den Jäger auf einmal ſeine Künſte und ſeine ganze Welt, aber er konnte nicht nieder¬ knieen wie jener, denn ihm ſchwindelte vor dem Blick und der Höhe und es faßte ihn ein ſeltſamer Geluſt, die dunkle Mündung auf ſeine eigne ausge¬ ſtorbene Bruſt zu kehren.

Die beyden Grafen überhörten bey dem Win¬ de der ſich nach und nach zu erheben anfieng, dieſe ſonderbaren Worte des Verliebten. Fahrende Bli¬ tze erhellten inzwiſchen von Zeit zu Zeit die Gegend und ihr Schein fiel auf die Geſichter der beyden Jäger. Sie waren gar lieblich anzuſehen, ſchienen beyde noch Knaben. Der eine hatte ein ſilbernes Horn an der Seite hängen. Leontin ſagte, er ſolle eins blaſen; er verſicherte aber, daß er es nicht könne. Leontin lachte ihn aus, was ſie für Jägerwären,289wären, nahm das Horn und blies ſehr geſchickt ein altes ſchönes Lied. Der eine geſprächige Jäger ſag¬ te, es fiele ihm dabey eben ein Lied ein, und ſang zu den beyden Grafen mit einer angenehmen Stimme:

Wir ſind ſo tief betrübt, wenn wir auch ſcherzen,
Die armen Menſchen müh'n ſich ab und reiſen,
Die Welt zieht ernſt und ſtreng in ihren Gleiſen,
Ein feuchter Wind verlöſcht die luſt'gen Kerzen.
Du haſt ſo ſchöne Worte tief im Herzen,
Du weiſt ſo wunderbare alte Weiſen,
Und wie die Stern 'am Firmamente kreiſen,
Zieh'n durch die Bruſt Dir ewig Luſt und Schmerzen.
So laſſ 'Dein' Stimme hell im Wald erſcheinen!
Das Waldhorn fromm wird auf und nieder wehen,
Die Waſſer geh'n und Rehe einſam weiden.
Wir wollen ſtille ſitzen und nicht weinen,
Wir wollen in den Rhein hinunterſehen,
Und, wird es finſter auf der Welt, nicht ſcheiden.

Kaum hatte er die letzten Worte ausgeſungen, als Erwin, der durch den Geſang aufgewacht war, und bey einem langen Blitze das Geſicht des ande¬ ren ſtillen Jägers plötzlich dicht vor ſich erblickte, mit einem lauten Schrey aufſprang und ſich in dem¬ ſelben Augenblicke über den Kahn in den Rhein ſtürzte. Die beyden Jäger ſchrieen entſetzlich, der Knabe aber ſchwamm wie ein Fiſch durch den Strom und war ſchnell hinter dem Geſträuch am Ufer ver¬ ſchwunden. Leontin lenkte ſogleich ihm nach an's19290Ufer und alle eilten verwundert und beſtürzt an's Land. Sie fanden ſein Tuch zerriſſen an den Sträu¬ chen hängen; es war faſt unbegreiflich, wie er durch dieſes Dickicht ſich hindurchgearbeitet.

Friedrich und Leontin begaben ſich in verſchie¬ denen Richtungen ins Gebirge, ſie durchkletterten alle Felſen und Schluften und riefen nach allen Seiten hin. Aber alles blieb nächtlich ſtill, nur der Wald rauſchte einförmig fort. Nach langem Suchen kamen ſie endlich müde beyde wie der auf der Höhe über ihrem Landungsplätze zuſammen. Der Kahn ſtand noch am Ufer, die beyden Jäger aber unten waren verſchwunden. Der Rhein rauſchte prächtig funkelnd in der Morgenſonne zwiſchen den Bergen hin. Erwin kehrte nicht mehr zurück.

Sechszehntes Kapitel.

Die heftige Romana liebte Friedrich'n vom er¬ ſten Blicke an mit der ihr eigenthümlichen Gewalt. Seitdem er aber in jener Nacht auf dem Schloſſe von ihr fortgeritten, als ſie bemerkte, wie ihre Schönheit, ihre vielſeitigen Talente, die ganze Phantaſterey ihres künſtlich geſteigerten Lebens alle Bedeutung verlohr und zu Schanden wurde an ſei¬ ner höheren Ruhe, da fühlte ſie zum erſtenmale die entſetzliche Lücke in ihrem Leben und daß alle291 Talente Tugend werden müſſen oder nichts ſind und ſchauderte vor der Lügenhaftigkeit ihres ganzen We¬ ſens. Friedrich's Verachtung war ihr durchaus un¬ erträglich, obgleich ſie ſonſt die Männer verachtete. Da raffte ſie ſich innerlichſt zuſammen, zerriß alle ihre alten Verbindungen und begrub ſich in die Ein¬ ſamkeit ihres Schloſſes. Daher ihr plötzliches Ver¬ ſchwinden aus der Reſidenz.

Sie mochte ſich nicht Stückweis beſſern, ein ganz neues Leben der Wahrheit wollte ſie anfan¬ gen. Vor allem beſtrebte ſie ſich mit ehrlichem Ei¬ fer, den ſchönen verwilderten Knaben, den wir dort kennen gelernt, zu Gott zurückzuführen, und er übertraf mit ſeiner Kraft eines unabgenüzten Ge¬ müthes gar bald ſeine Lehrerin. Sie knüpfte Be¬ kanntſchaften an mit einigen häuslichen Frauen der Nachbarſchaft, die ſie ſonſt unſäglich verachtet, und mußte beſchämt vor mancher Trefflichkeit ſtehen, von der ſie ſich ehedem nichts träumen ließ. Die Fen¬ ſter und Thüren ihres Schloſſes, die ſonſt Tag und Nacht offen ſtanden, wurden nun geſchloſſen, ſie wirkte ſtill und fleiſſig nach allen Seiten und führte eine ſtrenge Hauszucht. Friedrich ſollte Ihrentwe¬ gen von alle dem nichts wiſſen, das war ihr, wie ſie meynte, einerley.

Es war ihr redlicher Ernſt, anders zu werden, und noch nie hatte ſich ihre Seele ſo reintriumphie¬ rend und frey gefühlt, als in dieſer Zeit. Aber es war auch nur ein Rauſch, obgleich der ſchönſte in19 *292ihrem Leben. Es giebt nichts erbarmungswürdige¬ res, als ein reiches, verwildertes Gemüth, das in verzweifelter Erinnerung an ſeine urſprüngliche alte Güte, ſich lüderlich an dem Beßten und Schlechte¬ ſten berauſcht, um nur jenes Andenkens los zu werden, bis es, ſo ausgehölt, zu Grunde geht. Wenn uns der Wandel tugendhafter Frauen wie die Sonne erſcheint, die in gleichverbreiteter Klar¬ heit, ſtill und erwärmend, täglich die vorgeſchriebe¬ nen Kreiſe beſchreibt, ſo möchten wir dagegen Ro¬ mana's raſches Leben einer Rackete vergleichen, die ſich mit ſchimmerndem Gepraſſel zum Himmel auf¬ reißt und oben unter dem Beyfallsgeklatſch der ſtau¬ nenden Menge in tauſend funkelnde Sterne ohne Licht und Wärme prächtig zerplatzt.

Sie hatte die Einfalt, dieſe Grundkraft aller Tugend, leichtſinnig verſpielt; ſie kannte gleichſam alle Schliche und Kniffe der Beſſerung. Sie moch¬ te ſich ſtellen, wie ſie wollte, ſie konnte, gleich ei¬ nem Somnambuliſten, ihre ganze Bekehrungsge¬ ſchichte wie ein wohlgeſchriebenes Gedicht Vers vor Vers inwendig vorausleſen und der Teufel ſaß ge¬ genüber und lachte ihr dabey immerfort ins Geſicht. In ſolcher Seelenangſt dichtete ſie oft die herrlich¬ ſten Sachen, aber mitten im Schreiben fiel es ihr ein, wie doch das alles eigentlich nicht wahr ſey wenn ſie bethete, kreutzten ihr häufig unkeuſche Ge¬ danken durch den Sinn, daß ſie erſchrocken auf¬ ſprang.

293

Ein alter frommer Geiſtlicher vom Dorfe be¬ ſuchte die ſchöne Büßerin fleiſſig. Sie erſtaunte, wie der Mann ſo eigentlich ohne alle Bildung und doch ſo hochgebildet war. Er ſprach ihr oft Stun¬ denlang von den tiefſinnigſten Wahrheiten ſeiner Religion und war dabey immer ſo herzlich heiter, ja, oft voll luſtiger Schwänke, während Sie dabey jedesmal in eine peinliche, gedankenvolle Traurig¬ keit verſank. Er fand manchmal geiſtliche Lieder und Legenden bey ihr, die ſie ſo eben gedichtet. Nichts glich dann ſeiner Freude darüber; er nannte ſie ſein liebes Lämmchen, las die Lieder viermal ſehr aufmerkſam und legte ſie in ſein Gebethbuch. Mein Gott! ſagte da Romana, in Gedanken verlohren, oft zu ſich ſelbſt, wie iſt der gute Mann doch un¬ ſchuldig!

In dieſer Zeit ſchrieb ſie, weniger aus Freund¬ ſchaft als aus Laune und Bedürfniß ſich auszu¬ ſprechen, mehrere Briefe an die Schmachtende in der Reſidenz, im tiefſten Jammer ihrer Seele ver¬ faßt. Sie erſtaunte über ſich ſelbſt, wie moraliſch ſie zu ſchreiben wußte, wie ganz klar ihr ihr Zu¬ ſtand vor Augen lag, und ſie es doch nicht ändern konnte. Die Schmachtende konnte ſich nicht enthal¬ ten, dieſe intereſſanten Briefe ihrem Abendzirkel mitzutheilen. Man nahm dieſelben dort für Grund¬ riſſe zu einem Romane, und bewunderte die feine Anlage und den Geiſt der Gräfin.

Romana hielt es endlich nicht länger aus, ſie mußte ihren hohen Feind und Freund, den Grafen294 Friedrich, wiederſehen. Kaum hatte ſie ſich dieſen Wunſch einmal erlaubt, als ſie auch ſchon auf dem Pferde ſaß und der Reſidenz zuflog. Dieß war da¬ mals, als ſie Friedrich an dem warmen Märzfeſte ſo wild die Menge theilend vorüberreiten ſah. Als ſie nun ihren Geliebten wieder vor ſich ſah, noch immer unverändert ruhig und ſtreng wie vorher, während eine ganz neue Welt in ihr auf - und untergegangen war, da ſchien es ihr unmöglich, ſeine Tugend und Größe zu erreichen. Die beyden vor ihr Leben geſpannten, unbändigen Roſſe, das ſchwarze und das weiße, giengen bey dem Anblick von neuem durch mit ihr, alle ihre ſchönen Pläne lagen unter den heißen Rädern des Wagens zer¬ ſchlagen, ſie ließ die Zügel ſchießen und gab ſich ſelber auf.

Friedrich war indeß noch mehrere Tage lang mit Leontin in dem Gebirge herumgeſtrichen, um Erwin wiederzufinden. Aber alle Nachforſchungen blieben vergebens. Es blieb ihm nichts übrig, als auf immer Abſchied zu nehmen von dem lieben We¬ ſen, deſſen wunderbare Nähe ihm durch die lange Gewohnheit faſt unentbehrlich geworden war.

Rüſtig und neugeſtärkt durch die kühle Wald - und Bergluft, die wieder einmal ſein ganzes Leben angeweht, kehrte er in die Reſidenz zurück und gieng freudiger als jemals wieder an ſeine Studien, Hoffnungen und Pläne. Aber wie vieles hatte ſich gar bald verändert. Die braven Geſellen, welche der Winter tüchtig zuſammengehalten, zerſtreute295 und erſchlaffte die warme Jahrszeit. Der eine hatte eine ſchöne reiche Braut gefunden und rechne¬ te die gemeinſame Noth ſeiner Zeit gegen ſein eig¬ nes einzelnes Glück zufrieden ab, ſeine Rolle war ausgeſpielt. Andere fiengen an auf öffentlichen Promenaden zu paradiren, zu ſpielen und zu lie¬ beln und wurden nach und nach kalt und beynahe ganz Geiſtlos. Mehrere rief der Sommer in ihre Heimath zurück. Aller Ernſt war verwittert, und Friedrich ſtand faſt allein. Mehr jedoch als dieſe Treuloſigkeit Einzelner, auf die er doch nie gebaut, kränkte ihn die allgemeine Willenloſigkeit, von der er ſich immer deutlicher überzeugen mußte. So bemerkte er, unter vielen anderen Zeichen der Zeit, oft an Einem Abend und in Einer Geſellſchaft zwey Arten von Religionsnarren. Die einen prahlten da, daß ſie das ganze Jahr nicht in die Kirche giengen, verſpotteten freygeiſteriſch alles Heilige und hiengen auf alle Weiſe, die, Gott ſey Dank, be¬ reits abgenutzte und ſchäbigte Paradedecke der Auf¬ klärung aus. Aber es war nicht wahr, denn ſie ſchlichen heimlich vor Tagesanbruch, wenn der Kü¬ ſter aufſchloß, zum Hinterpförtchen in die Kirchen hinein und betheten fleiſſig. Die anderen fielen da¬ gegen gar waidlich über dieſe her, verfochten die Religion und begeiſterten ſich durch ihre eignen ſchönen Redensarten. Aber es war auch nicht wahr, denn ſie giengen in keine Kirche und glaub¬ ten heimlich ſelber nicht, was ſie ſagten. Das war es, was Friedrich'n empörte, die überhandnehmen¬296 de Desorganiſation grade unter den Beſſeren, daß niemand mehr wußte, wo er iſt, die landesübliche Abgötterey unmoraliſcher Exaltation, die eine allge¬ meine Auflöſung nach ſich führen mußte.

Um dieſe Zeit erhielt Friedrich nach ſo vielen Monathen unerwartet einen Brief von dem Guthe des Herrn v. A. An den langen Drudenfüßen ſo¬ wohl, als an dem faſt komiſch falſch geſetzten Titel erkannte er ſogleich den halbvergeſſenen Viktor. Er erbrach ſchnell und voll Freude das Siegel. Der Brief war folgenden Inhalts:

Es wird uns alle ſehr freuen, wenn wir hören, daß Sie und der Herr Graf Leontin ſich wohl befinden, wir ſind hier alle, Gott ſey Dank, geſund. Als Sie beyde weggereist ſind, war's hier ſo ſtill, als wenn ein Kriegs¬ lager aufgebrochen wäre und die Felder nun einſam und verlaſſen ſtünden, im ganzen Schloſ¬ ſe ſieht's aus, wie in einer alten Rumpelkam¬ mer. Ich mußte Anfangs an den langen Aben¬ den auf dem Schloſſe aus dem Abraham a St. Klara vorleſen. Aber es gieng gar nicht recht. Der Herr v. A. ſagte: Ja, wenn der Leontin dabey wäre! Die gnädige Frau ſagte: es wä¬ re doch alles gar zu dummes Gewäſch durch¬ einander, und Fräulein Julie dachte Gott weiß an was, und paßte gar nicht auf. Es iſt gar nichts mehr auf der Welt anzufangen. Ich kann das verdammte traurige Weſen nicht lei¬ den! Ich bin daher ſchon über einen Monath297 weder auf's Schloß noch ſonſt wohin ausgekom¬ men. Sie ſind doch recht glücklich! Sie ſehen immer neue Gegenden und neue Menſchen. Ich weiß die vier Wände in meiner Kammer ſchon auswendig. Ich habe meine zwey klei¬ nen Fenſter mit Stroh verhangen, denn der Wind bläſt ſchon infam kalt durch die Löcher herein, auch alle meine Wanduhren habe ich ablaufen laſſen, denn daß ewige Picken möcht 'einen toll machen, wenn man ſo allein iſt. Ich denke mir dann gar oft, wie Sie jetzt auf einem Balle mit ſchönen, vornehmen Damen tanzen oder weit von hier am Rheine fahren und reiten, und rauche Tabak, daß das Licht auf dem Tiſche oft ausliſcht. Geſtern hat es zum erſtenmale den ganzen Tag wie aus einem Sa¬ cke geſchneyt. Das iſt meine größte Luſt. Ich gieng noch ſpät Abends, in Mantel gehüllt, auf den Berg hinaus, wo wir immer Nach¬ mittags im Sommer zuſammen gelegen haben. Das Rauchthal und die ganze ſchöne Gegend war verſchneyt und ſah kurios aus. Es ſchney¬ te immerfort tapfer zu. Ich tanzte, um mich zu erwärmen, über eine Stunde in dem Schneege¬ ſtöber herum.

Dieß hab 'ich ſchon vor einigen Mona¬ then geſchrieben. Gleich nach jener Nacht, da ich drauſſen getanzt, verfiel ich in eine lang¬ wierige Krankheit. Alle Leute fürchteten ſich vor mir, weil es ein hitziges Fieber war, und298 ich hatte wie ein Hund umkommen müſſen; aber Fräulein Julie beſuchte mich alle Tage und ſorg¬ te für Medizin und alles, wofür ſie Gott be¬ lohnen wird. Ich wußte nichts von mir. Sie ſagt mir aber, ich hätte immerfort von Ihnen beyden phantaſiert und oft auch gar in Reimen geſprochen. Ich muß mir, das Zeug durch die Erkältung zugezogen haben. Jetzt bin ich, Gott ſey Dank, wieder hergeſtellt und mache wieder fleißig Uhren. Neues weiß ich weiter nichte, als daß ſeit mehreren Wochen ein frem¬ der Kavalier, der in der Nachbarſchaft große Herrſchaften gekauft, zu uns auf das Schloß kommt. Er ſoll viele Sprachen kennen und, ſehr gelehrt und bereist ſeyn und will unſer Fräu¬ lein Julie haben. Die gnädige Frau möchte es gern ſehen, aber dem Fräulein gefällt er gar nicht. Wenn ſie Nachmittags oben im Garten beym Luſthauſe ſitzt und ihn von weitem unten um die Ecke heran reiten ſieht, klettert ſie ge¬ ſchwinde über den Gartenzaun und kommt zu mir. Was will ich thun? Ich muß ſie in mei¬ ner Kammer einſperren und gehe unterdeß ſpazieren. Neulich, als ich ſchon ziemlich ſpät wieder zurückkam und meine Thüre aufſchloß, fand ich ſie ganz blaß und am ganzen Leibe zitternd. Sie war noch völlig athemlos vor Schreck und fragte mich ſchnell, ob ich Ihn nicht geſehen? Dann erzählte ſie mir: Als es angefangen finſter zu werden, habe ſie auf299 meinem Bett in Gedanken geſeſſen, da habe auf einmal etwas an das Fenſter geklopft. Sie hätte den Athem eingehalten und unbeweg¬ lich geſeſſen, da wäre plötzlich das Fenſter aufgegangen und Ihr leibhaftiger Page, der Erwin, habe mit todtenblaſſem Geſicht und ver¬ wirrten Haaren in die Stube hineingeguckt. Als er ſich überall umgeſehen, und ſie auf dem Bette erblickt, habe er ihr mit dem Finger ge¬ droht und ſey wieder verſchwunden. Ich ſagte ihr, ſie ſollte ſich ſolches dummes Zeug nicht in den Kopf ſetzen. Sie aber hat es ſich ſehr zu Herzen genommen, und iſt ſeitdem etwas traurig. Die Tante ſoll nichts davon wiſſen. Was giebt's denn mit dem guten Jungen, iſt er nicht mehr bey Ihnen? So eben wie ich dieß ſchreibe, ſieht Fräulein Julie drüben über'n Gartenzaun. Wie ich ſagte, daß ich an Sie ſchriebe, kam ſie ſchnell aus dem Gar¬ ten zu mir herüber und ich mußte ihr eine Fe¬ der ſchneiden; ſie wollte ſelber etwas dazu¬ ſchreiben. Dann wollte ſie wieder nicht und lief davon. Sie ſagte mir, ich ſoll Sie von ihr grüßen und bitten, Sie möchten auch den Herrn Grafen Leontin von ihr grüßen, wenn er bey Ihnen wäre. Kommen Sie beyde doch bald wieder einmal zu uns! Es iſt jetzt wie¬ der ſehr ſchön im Garten und auf den Feldern. Ich gehe wieder, wie damals, alle Morgen vor Tagesanbruch auf den Berg, wo Sie und300 Leontin mich immer auf meinem Sitze beſucht haben. Die Sonne geht grade in der Gegend auf, wo Sie mir immer an den ſchwülen Nach¬ mittagen beſchrieben haben, daß die Reſidenz liegt und der Rhein geht. Ich rufe dann mein Hurrah und werfe meinen Hut und Pfeiffe hoch in die Luft.

P. S. Die niedliche Braut, auf die Sie ſich vielleicht noch von dem Tanze auf dem Jagdschloſſe erinnern, beſucht uns jetzt oft und empfiehlt ſich. Sie leben recht gut in ihrer Wildniß, ſie hat ſchon ein Kind und iſt noch ſchöner geworden und ſehr luſtig. Adieu!

Friedrich legte das Papier ſtillſchweigend zu¬ ſammen. Ihn befiel eine unbeſchreibliche Wehmuth bey der lebhaften Erinnerung an jene Zeiten. Er dachte ſich, wie ſie alle dort noch immer wie damals, ſeit hundert Jahren und immerfort, zwi¬ ſchen ihren Bergen und Wäldern friedlich wohnen, im ewiggleichen Wechſel einförmiger Tage friſch und arbeitſam Gott loben und glücklich ſind und nichts wiſſen von der anderen Welt, die ſeitdem mit tau¬ ſend Freuden und Schmerzen durch ſeine Seele ge¬ gangen. Warum konnte er, und, wie er wohl be¬ merkte, auch Viktor nicht eben ſo glücklich und ru¬ hig ſeyn?

Dabey hatte ihn die Nachricht von Erwins un¬ erklärlicher, flüchtiger Erſcheinung heftig bewegt. Er gieng ſogleich mit dem Briefe zu Leontin. Aber301 er fand weder ihn noch Fabern zu Hauſe. Er ſah durch das offene Fenſter, der reine Himmel lag blau und unbegränzt über den fernen Dächern und Kup¬ peln bis in die neblige Weite. Er konnt 'es nicht aushalten; er nahm Hut und Stock und wanderte durch die Vorſtädte ins Freye hinaus. Unzählige Lerchen ſchwirrten hoch in der warmen Luft, die neugeſchmückte Frühlingsbühne ſah ihn wie eine alte Geliebte an, als wollte ihn alles fragen: Wo biſt du ſo lange geweſen? Haſt du uns vergeſſen? Ihm war ſo wohl zum Weinen. Da blies neben ihm ein Poſtillon luſtig auf dem Horne. Eine ſchöne Reiſekutſche mit einem Herrn und einem jun¬ gen Frauenzimmer fuhr ſchnell an ihm vorüber. Das Frauenzimmer ſah lachend aus dem Wagen nach ihm zurück. Er täuſchte ſich nicht, es war Marie. Verwundert ſah Friedrich dem Wagen nach, bis er weit in der heiteren Luft verſchwunden war. Die Straße gieng nach Italien hinunter.

Da es ſich zum Abend neigte, wandte er ſich wieder heimwärts. In den Vorſtädten war überall ein ſommerabendliches Leben und Weben, wie in den kleinen Landſtädtchen. Die Kinder ſpielten mit wirrendem Geſchrey vor den Häuſern, junge Bur¬ ſche und Mädchen giengen ſpazieren, der Abend wehte von drauſſen fröhlich durch alle Gaſſen. Da bemerkte Friedrich ſeitwärts eine alte abgelegene Kirche, die er ſonſt noch niemals geſehen hatte. Er fand ſie offen und gieng hinein.

302

Es ſchauderte ihn, wie er aus der warmen, fröhlichbunten Wirrung ſo auf einmal in dieſe ewig¬ ſtille Kühle hineintrat. Es war alles leer und dunkel drinnen, nur die ewige Lampe brannte wie ein farbiger Stern in der Mitte vor dem Hochal¬ tare; die Abendſonne ſchimmerte durch die gemahl¬ ten gothiſchen Fenſter. Er kniete in eine Bank hin. Bald darauf bemerkte er in einem Winkel eine weibliche Geſtalt, die vor einem Seitenaltare, im Gebeth verſunken, auf den Knieen lag. Sie erhob ſich nach einer Weile und ſah ihn an. Da kam es ihm vor, als wäre es das Bürgermädchen, die un¬ glückliche Geliebte des Prinzen. Doch konnte er ſich gar nicht recht in die Geſtalt finden; ſie ſchien ihm weit größer und ganz verändert ſeitdem. Sie war ganz weiß angezogen und ſah ſehr blaß und ſeltſam. Sie ſchien weder erfreut noch verwundert über ſeinen Anblick, ſondern gieng, ohne ein Wort zu ſprechen, tief in einen dunklen Seitengang hin¬ ein auf den Ausgang der Kirche zu. Friedrich gieng ihr nach, er wollte mit ihr ſprechen. Aber drauſ¬ ſen fuhren und giengen die Menſchen bunt durchein¬ ander, und er hatte ſie verlohren.

Als er nach Hauſe kam, fand er den Prinzen bey ſich, der, den Kopf in die Hand geſtützt, am Fenſter ſaß und ihn erwartete. Mein hohes Mäd¬ chen iſt todt! rief er aufſpringend, als Friedrich hereintrat. Friedrich fuhr zuſammen: Wann iſt ſie geſtorben? Vorgeſtern. Friedrich ſtand in tie¬ fen Gedanken und hörte kaum, wie der Prinz er¬303 zählte, was er von der alten Mutter der Verſchie¬ denen gehört: wie das Mädchen anfangs nach der Ohnmacht in allen Kirchen herumgezogen und Gott innbrünſtig gebeten, daß Er ſie doch noch einmal glücklich in der Welt machen möchte. Nach und nach aber fieng ſie an zu kränkeln und wurde me¬ lankoliſch. Sie ſprach ſehr zuverſichtlich, daß ſie bald ſterben würde, und von einer großen Sünde, die ſie abzubüßen hätte, und fragte die Mutter oft ängſtlich, ob ſie denn noch in den Himmel kommen könnte? Den Prinzen wollte ſie noch immer nicht wiederſehen. Die letzten Tage vor ihrem Tode wur¬ de ſie merklich beſſer und heiter. Noch den letzten Tag kam ſie ſehr fröhlich nach Hauſe und ſagte mit leuchtenden Augen, ſie habe den Prinzen wiederge¬ ſehen; er ſey, ohne ſie zu bemerken, an ihr vor¬ beygeritten. Den Abend darauf ſtarb ſie. Der Prinz zog hiebey ein Papier heraus und las Frie¬ drich'n ein Todtenopfer vor, welches er heute in ei¬ ner Reihe von Sonetten auf den Tod des Mäd¬ chens gedichtet hatte. Die erſten Sonetten enthielten eine wunderfeine Beſchreibung, wie der Prinz das Mädchen verführt. Friedrich'n graute, wie ſchön ſich da die Sünde ausnahm. Das letzte Sonett ſchloß:

Einſiedler will ich ſeyn und einſam ſtehen,
Nicht klagen, weinen, ſondern büßend beten,
Du bitt 'für mich dort, daß ich beſſer werde!
Nur einmal, ſchönes Bild, laß Dich mir ſehen,
Nachts, wenn all' Bilder weit zurücketreten,
Und nimm 'mich mit Dir von der dunklen Erde!
304

Wie gefällt Ihnen das Gedicht? Geh'n Sie in jene Kirche, die dort ſo dunkel herſieht, ſagte Friedrich erſchüttert, und wenn der Teufel mit meinen geſunden Augen nicht ſein Spiel treibt, ſo werden Sie Sie dort wiederſehen. Dort iſt ſie begraben, antwortete der Prinz und wurde blaß und immer bläſſer, als ihm Friedrich erzählte, was ihm begegnet. Warum fürchten Sie ſich? ſagte Friedrich haſtig, denn ihm war, als ſähe ihn das ſtille weiße Bild wie in der Kirche wieder an, wenn Sie den Muth hatten, das hinzuſchreiben, warum erſchrecken Sie, wenn es auf einmal Ernſt wird und die Wor¬ te ſich rühren und lebendig werden? Ich möchte nicht dichten, wenn es nur Spaß wäre, denn wo dürfen wir jetzt noch redlich und wahrhaft ſeyn, wenn es nicht im Gedichte iſt? Haben Sie den rechten Muth, beſſer zu werden, ſo geh'n Sie in die Kirche und bitten Sie Gott inbrünſtig um ſeine Kraft und Gnade. Iſt aber das Beten und alle unſere ſchönen Gedanken um des Reimes Willen auf dem Papiere, ſo hol 'der Teufel auf ewig den Reim ſammt den Gedanken!

Hier fiel der Prinz Friedrich'n ungeſtümm um den Hals. Ich bin durch und durch ſchlecht, rief er, Sie wiſſen gar nicht und niemand weiß es, wie ſchlecht ich bin! Die Gräfin Romana hat mich zu¬ erſt verdorben vor langer Zeit, das verſtorbene Mädchen habe ich ſehr künſtlich verführt, der da¬ mals in der Nacht zu Marien bey Ihnen vorbey¬ſchlich,305ſchlich, das war ich, der auf jener Redoute hier hielt er inne. Betrügeriſch, verbuhlt, falſch und erbärmlich bin ich ganz, fuhr er weiter fort. Der Mäßigung, der Gerechtigkeit, der großen, ſchönen Entwürfe und was wir da zuſammen beſchloſſen, geſchrieben und beſprochen, dem bin ich nicht ge¬ wachſen, ſondern im Innerſten voller Neid, daß ich's nicht bin. Es war mir nie Ernſt damit und mit nichts in der Welt. Ach, daß Gott ſich mei¬ ner erbarme! Hiebey zerriß er ſein Gedicht in kleine Stückchen wie ein Kind, und weinte faſt. Friedrich, wie aus den Wolken gefallen, ſprach kein einziges Wort der Liebe und Tröſtung, ſondern, die Bruſt voll Schmerzen und kalt wandte er ſich zum offenen Fenſter von dem gefallenen Fürſten, der nicht einmal ein Mann ſeyn konnte.

Siebenzehntes Kapitel.

Roſa ſaß frühmorgens am Putztiſche und er¬ zählte ihrem Kammermädchen folgenden Traum, den ſie heut Nacht gehabt: Ich ſtand zu Hauſe in mei¬ ner Heymath im Garten. Der Garten war noch ganz ſo, wie er ehedem geweſen, ich erinnere mich wohl, mit allen den Alleen, Gängen und Figuren aus Buxbaum. Ich ſelber war klein wie damals,20306da ich als Kind in dem Garten geſpielt. Ich ver¬ wunderte mich ſehr darüber, und mußte auch wie¬ der lachen, wenn ich mich ſo anſah, und fürchtete mich vor den ſeltſamen Baumfiguren. Dabey war es mir, als wäre mein vergangenes Leben, und, daß ich ſchon einmal groß geweſen, nur ein Traum. Ich ſang immerfort ein altes Lied, das ich damals als Kind alle Tage geſungen, und ſeitdem wieder vergeſſen habe. Es iſt doch ſeltſam, wie ich es in der Nacht ganz auswendig wußte! Ich habe heut ſchon viel nachgeſonnen, aber es fällt mir nicht wieder ein. Meine Mutter lebte auch noch. Sie ſtand ſeitwärts vom Garten an einem Teiche. Ich rief ihr zu, Sie ſollte herüberkommen. Aber ſie antwortete mir nicht, ſondern ſtand ſtill und unbe¬ weglich, vom Kopf bis zu den Füßen in ein langes, weißes Tuch gehüllt. Da trat auf einmal Graf Friedrich zu mir. Es war mir, als ſähe ich ihn zum erſtenmale, und doch war er mir wie längſt bekannt. Wir waren wieder gute Freunde wie ſonſt ich habe ihn niemals ſo gut und freundlich geſe¬ hen. Ein ſchöner Vogel ſaß mitten im Garten auf einer hohen Blume und ſang, daß es mir durch die Seele gieng, meinen Bruder ſah ich unten über das glänzende Land reiten, er hatte die kleine Marie vor ſich auf dein Roß, die eine Zymbel hoch in die Luft hielt, die Sonne ſchien prächtig. Reiſen wir nach Italien! ſagte da Friedrich zu mir. Ich folgte ihm gleich und wir giengen ſehr ſchnell durch viele ſchöne Gegenden immer nebeneinander fort. 307So oft ich mich rückwärts umſah, ſah ich hinten nichts als ein gränzenloſes Abendroth und in dem Abendroth meiner Mutter Bild, die unterdeß ſehr groß geworden war, in der Ferne wie eine Statue ſtehen, immerfort ſo ſtill nach uns zugewendet, daß ich vor Grauen davon wegſehen mußte. Es war unterdeß Nacht geworden und ich ſah vor uns un¬ zählige Schlöſſer auf den Bergen brennen. Jenſeits wanderten in dem Scheine, der von den brennenden Schlöſſern kam, viele Leute mit Weib und Kindern wie Vertriebene, ſie waren alle in ſeltſamer, uralter Tracht; es kam mir vor, als ſäh 'ich auch meinen Vater und meine Mutter unter ihnen, und mir war unbeſchreiblich bange. Wie wir ſo fortgien¬ gen, ſchien es mir, als würde Friedrich ſelbſt nach und nach immer größer und größer. Er war ſtill und ſeine Mienen veränderten ſich ſeltſam, ſo daß ich mich vor ihm fürchtete. Er hatte ein langes, blankes Schwert in der Hand, mit dem er vor uns her den Weg aushaute; ſo oft er es ſchwang, warf es einen weitblitzenden Schein über den Himmel und über die Gegend unten. Vor ihm gieng ſein langer Schatten, wie ein Rieſe, weit über alle Thäler geſtreckt. Die Gegend wurde indeß immer ſeltſamer und wilder, wir giengen zwiſchen himmel¬ hohen, zackigen Gebirgen. Wenn wir an einen Strom kamen, giengen wir auf unſeren eigenen Schatten, wie auf einer Brücke, darüber. Wir ka¬ men ſo auf eine weite Haide, wo ungeheuere Stei¬20 *308ne zerſtreut umherlagen. Mich befiel eine niegefühl¬ te Angſt, denn je mehr ich die zerſtreuten Steine betrachtete, je mehr kamen ſie mir wie eingeſchlafe¬ ne Männer vor. Die Gegend lag unbeſchreiblich hoch die Luft war kalt und ſcharf. Da ſagte Frie¬ drich: Wir ſind zu Hauſe! Ich ſah ihn erſchrocken an und erkannte ihn nicht wieder, er war völlig ge¬ harniſcht, wie ein Ritter. Sonderbar! es hieng ein altes Ritterbild ſonſt in einem Zimmer unſeres Schloſſes, vor dem ich oft als Kind geſtanden. Ich hatte längſt alle Züge davon vergeſſen, und grade ſo ſah jetzt Friedrich auf einmal aus. Ich fror entſetzlich. Da gieng die Sonne plötzlich auf und Friedrich nahm mich in beyde Arme und preßte mich ſo feſt an ſeine Bruſt, daß ich vor Schmerz mit ei¬ nem lauten Schrey erwachte.

Glaubſt du an Träume? ſagte Roſa nach einer Weile in Gedanken zu dem Kammermädchen. Das Mädchen antwortete nicht. Wo mag nun wohl Marie ſeyn, die ärmſte? ſagte Roſa unruhig wie¬ der. Dann ſtand ſie auf und trat ans Fenſter. Es war ein Gartenhaus der Gräfin Romana, das ſie bewohnte; der Morgen blitzte unten über den kühlen Garten, weiterhin überſah man die Stadt mit ihren duftigen Kuppeln, die Luft war friſch und klar. Da warf ſie plötzlich alle Schminkbüchschen, die auf dem Fenſter ſtanden, heimlich hinaus und zwang ſich, zu lächeln, als es das Mädchen be¬ merkte.

309

Denſelben Tag Abends erhielt ſie einen Brief von Romana, die wieder ſeit einiger Zeit auf einem ihrer entfernteſten Landgüther im Gebirge ſich auf¬ hielt. Es war eine ſehr dringende Einladung zu ei¬ ner Gemſenjagd, die in wenigen Tagen dort gehal¬ ten werden ſollte. Der Brief beſtand nur in eini¬ gen Zeilen und war auffallend verwirrt und ſelt¬ ſam geſchrieben, ſelbſt Züge ſchienen verändert und hatten etwas Fremdes und Verwildertes. Ganz unten ſtand noch: Letzthin, als Du auf dem Balle beym Miniſter warſt, war Friedrich unbe¬ merkt auch dort und hat Dich geſehen.

Roſa verſank über dieſer Stelle tief in Gedan¬ ken. Sie erinnerte ſich aller Umſtände jenes Abends auf einmal ſehr deutlich, wie ſie Friedrich'n ver¬ ſprochen hatte, ihn zu Hauſe zu erwarten, und wie er ſeitdem nicht wieder bey ihr geweſen. Ein Schmerz, wie ſie ihn noch nie gefühlt, durchdrang ihre Seele. Sie gieng unruhig im Zimmer auf und ab. Sie konnte es endlich nicht länger aushalten, ſie wollte alle Mädchenſcheu abwerfen, ſie wollte Friedrich'n, auf welche Art es immer ſey, noch heute ſeh'n und ſprechen. Sie war eben allein, drauſſen war es ſchon finſter. Mehreremal nahm ſie ihren Mantel um, und legte ihn zaudernd wieder hin. Endlich faßte ſie ein Herz, ſchlich unbemerkt aus dem Hauſe und über die dunklen Gaſſen fort zu Friedrichs Wohnung. Athemlos und mit klopfendem Herzen flog ſie die Stiegen hinauf, um, ſo ganz ſein und um alle Welt nichts fragend, an ſeine Bruſt310 zu fallen. Aber das Unglück wollte, daß er eben nicht zu Hauſe war. Da ſtand ſie im Vorhaus und weinte bitterlich. Mehrere Thüren giengen indeß im Hauſe auf und zu, Bediente eilten hin und her über die Gänge. Sie konnte nicht länger weilen, ohne verrathen zu werden.

Die Furcht, ſo allein und zu dieſer Zeit auf der Gaſſe erkannt zu werden, trieb ſie ſchnell durch die Gaſſen zurück, das Geſicht tief in den ſeidenen Mantel gehüllt. Aber das Geſchick war in ſeiner teufliſchen Laune. Als ſie eben um eine Ecke bog, ſtand der Prinz plötzlich vor ihr. Eine Laterne ſchien ihr grade ins Geſicht, er hatte ſie erkannt. Ohne irgend ein Erſtaunen zu äuſſern, bot er ihr den Arm, um ſie nach Hauſe zu begleiten. Sie ſagte nichts, ſondern hieng kraftlos und vernichtet vor Schaam an ſeinem Arm. Er wunderte ſich nicht, er lächelte nicht, er fragte um nichts, ſon¬ dern ſprach artig von gewöhnlichen Dingen. Als ſie an ihr Haus kamen, bat er ſie ſcherzend um ei¬ nen Kuß. Sie willigte verwirrt ein, er umſchlang ſie heftig und küßte ſie zum erſtenmal. Eine lange Geſtalt ſtand indeß unbemerkt gegenüber an der Mauer und kam plötzlich auf den Prinzen los. Der Prinz, der ſich nichts Gutes verſah, ſprang ſchnell in ein Nebenhaus und ſchloß die Thüre hinter ſich zu. Es war Friedrich, den der Zufall eben hier vorbeygeführt hatte. Sie hatten beyde einander nicht erkannt. Er ſaß noch die halbe Nacht dort auf der Schwelle des Hauſes und lauerte auf den311 unbekannten Gaſt. Die wildeſten Gedanken, wie er ſie ſein Lebelang nicht gehabt, durchkreuzten ſei¬ ne Seele. Aber der Prinz kam nicht wieder her¬ aus. Roſa hatte von der ganzen letzten Bege¬ benheit nichts mehr geſehen. Der Prinz hatte ſie überraſcht. Noch niemals war er ihr ſo beſcheiden, ſo gut, ſo ſchön und liebenswürdig vorgekommen, und ſein Kuß brannte die ganze Nacht verführeriſch auf ihren ſchönen Lippen fort.

Es war ein herrlicher Morgen, als Friedrich und Leontin in den ewigen Zwinger der Alpen ein¬ ritten, wohin auch ſie von der Gräfin Romana zur Jagd geladen waren. Als ſie um die letzte Ber¬ gesecke herumkamen, fanden ſie ſchon die Geſellſchaft auf einer ſchönen Wieſe zwiſchen grünen Bergen bunt und ſchallend zerſtreut. Einzelne Gruppen von Pferden und gekoppelten Hunden ſtanden rings in der ſchönen Wildniß umher, im Hintergrunde erhob ſich luſtig ein farbiges Zelt. Mitten auf der glän¬ zenden Wieſe ſtand die zauberiſche Romana in einer grünen Jagdkleidung, ſehr geſchmückt, faſt phanta¬ ſtiſch, wie eine Waldfee anzuſeh'n. Neben ihr auf ihre Achſel gelehnt ſtand Roſa in männlichen Jä¬ gerkleidern und verſteckte ihr Geſicht an der Gräfin, da der Prinz eben zu ihr ſprach, als ſie Friedrich'n mit ihrem Bruder von der anderen Seite ankommen ſah. Von allen Seiten vom Gebirge herab blieſen die Jäger auf ihren Hörnern, als bewillkommten ſie die beyden neuangekommenen Gäſte. Friedrich hatte Roſa'n noch nie in dieſer Verkleidung geſehen312 und betrachtete lange ernſthaft das wunderſchöne Mädchen.

Romana kam auf die beyden los und empfieng ſie mit einer auffallenden Heftigkeit. Nun entlud ſich auch das Zelt auf einmal eines ganzen Haufens von Gäſten und Leontin war in dem Gewirre gar bald in ſeine launigſte Ausgelaſſenheit hineingeär¬ gert, und ſpielte in kecken, barocken Worten, die ihm wie von den hellen Schneehäuptern der Alpen zuzufliegen ſchienen, mit dieſem Jagdgeſindel, das Ein einziger Auerochs verjagt hätte. Auch hier war die innerliche Antipathie zwiſchen ihm und dem Prinzen bemerkbar. Der Prinz wurde ſtill und vermied ihn, wo er konnte, wie ein Feuer, das überall mit ſeinen Flammenſpitzen nach ihm griff und ihn im Innerſten verſengte. Nur Romana war heute auf keine Weiſe aus dem Felde zu ſchlagen, ſie ſchien ſich vielmehr an ſeiner eignen Weiſe nur immer mehr zu berauſchen. Er konnte ſich, wie immer, wenn er ſie ſah, nicht enthalten, mit zwey¬ deutigen Witzen und Wortſpielen ihre innerſte Na¬ tur herauszukitzeln, und ſie hielt ihm heute tapfer Stich, ſo daß Roſa mehreremal roth wurde und endlich fortgeh'n mußte. Gott ſegne uns alle, ſagte er zuletzt zu einem vornehmen Männlein, das eben ſehr komiſch bey ihm ſtand, daß wir heute dort oben an einem ſchmalen Felſenabhange nicht etwa einem von unſeren Ahnherren begegnen, denn die verſteh'n keinen Spaß, und wir ſind ſchwindli¬ che Leute.

313

Hier wurde er durch das Jagdgeſchrey unter¬ brochen, das nun plötzlich von allen Seiten los¬ brach. Die Hörner forderten wie zum Kriege, die Hunde wurden losgelaſſen und alles griff nach den Gewehren. Leontin war bey dem erſten Signal mitten in ſeiner Rede fortgeſprungen, er war der erſte unter dem Haufen der anführenden Jäger. Mit einer ſchwindelerregenden Kühnheit ſah man ihn ſich, an die Sträucher haltend, geſchickt von Fels zu Fels über die Abgründe immer höher hinauf¬ ſchwingen; er hatte bald alle Jäger weit unter ſich und verſchwand in der Wildniß. Mehrere von der Geſellſchaft ſchrieen dabey ängſtlich auf. Romana ſah ihm furchtlos mit unverwandten Blicken nach; wie ſind die Männer beneidenswerth! ſagte ſie, als er ſich verlohren hatte.

Die Geſellſchaft hatte ſich unterdeß nach allen Richtungen hin zerſtreut und die Jagd gieng wie ein Krieg durch das Gebirge. In tiefſter Abge¬ ſchiedenheit, wo Bäche in hellen Bogen von den Höhen ſprangen, ſah man die Gemſen ſchwindlich von Spitze zu Spitze hüpfen, einſame Jäger da¬ zwiſchen auf den Klippen erſcheinen und wieder ver¬ ſchwinden, einzelne Schüße fielen hin und her, das Hüfthorn verkündigte von Zeit zu Zeit den Tod eines jeden Thieres. Da ſah Friedrich auf einem einſamen Fleck nach mehreren Stunden ſeinen Leon¬ tin waghalſig auf der höchſten von allen den Fel¬ ſenſpitzen ſtehen, daß das Auge den Anblick kaum ertragen konnte. Er erblickte Friedrich'n und rief314 zu ihm hinab: Das Pack da unten iſt mir uner¬ träglich; wie ſie hinter mir drein quickerten, als ich vorher hinaufſtieg! Ich bleibe in den Bergen oben, lebe wohl, Bruder! Hierauf wandte er ſich wieder weiter und kam nicht mehr zum Vorſchein.

Der Abend rückte heran, in den Thälern wur¬ de es ſchon dunkel. Die Jagd ſchien geendigt, nur einzelne kühne Schützen ſah man noch hin und wieder an den Klippen hängen, von den letzten Wider¬ ſcheinen der Abendſonne ſcharf beleuchtet. Friedrich ſtand eben in höchſter Einſamkeit an ſeine Flinte ge¬ lehnt, als er in einiger Entfernung im Walde ſin¬ gen hörte:

Dämm'rung will die Flügel ſpreiten,
Schaurig rühren ſich die Bäume,
Wolken zieh'n wie ſchwere Träume
Was will dieſes Grau'n bedeuten?
Haſt ein Reh Du, lieb vor andern,
Laß es nicht alleine graſen,
Jäger zieh'n im Wald 'und blaſen,
Stimmen hin und wieder wandern.
Haſt Du einen Freund hienieden,
Trau 'ihm nicht zu dieſer Stunde,
Freundlich wohl mit Aug' und Munde,
Sinnt er Krieg im tück'ſchen Frieden.
Was heut müde gehet unter,
Hebt ſich morgen neugebohren.
Manches bleibt in Nacht verlohren
Hüte Dich, bleib 'wach und munter!
315

Es wurde wieder ſtill. Friedrich erſchrack, denn es kam ihm nicht anders vor, als ſey er ſelber mit dem Liede gemeynt. Die Stimme war ihm durch¬ aus unbekannt. Er eilte auf den Ort zu, woher der Geſang gekommen war, aber kein Laut ließ ſich weiter vernehmen.

Als er eben ſo um eine Felſenecke bog, ſtand plötzlich Roſa in ihrer Jägertracht vor ihm. Sie konnte der Sänger nicht geweſen ſeyn, denn der Geſang hatte ſich nach einer ganz anderen Richtung hin verlohren. Sie ſchien heftig erſchrocken über den unerwarteten Anblick Friedrichs. Hochroth im Geſicht, ängſtlich und verwirrt, wandte ſie ſich ſchnell und ſprang wie ein aufgeſcheuchtes Reh, ohne der Gefahr zu achten, von Klippe zu Klippe die Höhe hinab, bis ſie ſich unten im Walde ver¬ lohr. Friedrich ſah ihr lange verwundert nach. Später ſtieg auch er in's Thal hinab.

Dort fand er die Geſellſchaft auf der ſchönen Wieſe ſchon größtentheils verſammelt. Das Zelt in der Mitte derſelben ſchien von den vielen Lichtern wie in farbigen Flammen zu ſteh'n, eine Tafel mit Wein und allerhand Erfriſchungen ſchimmerte lü¬ ſternlockend zwiſchen den buntgewirkten Teppichen hervor, Männer und Frauen waren in freyen Scherzen ringsumher gelagert. Die vielen wan¬ delnden Windlichter der Jäger, deren Scheine an den Felſenwänden und dem Walde auf und nieder ſchweiften, gewährten einen zauberiſchen Anblick. Mitten unter den Fröhlichgelagerten und den magi¬316 ſchen Lichtern gieng Romana für ſich allein, eine Guitarre im Arme, auf der Wieſe auf und ab. Friedrich glaubte eine auffallende Spannung in ihrem Geſichte und ganzem Weſen zu bemerken. Sie ſang:

In goldner Morgenſtunde,
Weil alles freudig ſtand,
Da ritt im heitern Grunde
Ein Ritter über Land.
Rings ſangen auf das Beſte
Die Vöglein mannigfalt,
Es ſchüttelte die Aeſte,
Vor Luſt der grüne Wald.
Den Nacken ſtolz gebogen,
Klopft er dem Rößelein
So iſt er hingezogen
Tief in den Wald hinein.
Sein Roß hat er getrieben,
Ihn trieb der friſche Muth:
Iſt alles fern geblieben,
So iſt mir wohl und gut!

Sie gieng während dem Liede immerfort unru¬ hig auf und ab und ſah mehreremal ſeitwärts in den Wald hinein, als erwartete ſie jemanden. Auch ſprach ſie einmal heimlich mit einem Jäger, worauf dieſer ſogleich forteilte. Friedrich glaubte manchmal eine plötzliche, aber eben ſo ſchnell wie¬ der verſchwindende Aehnlichkeit ihres Geſanges mit jener Stimme auf dem Berge zu bemerken, da ſie wieder weiter ſang:

317
Mit Freuden mußt 'er ſehen
Im Wald' ein 'grüne Au,
Wo Brünnlein kühle gehen,
Von Blumen roth und blau.
Vom Roß iſt er geſprungen,
Legt ſich zum kühlen Bach,
Die Wellen lieblich klungen,
Das ganze Herz zog nach.
So grüne war der Raſen,
Es rauſchte Bach und Baum,
Sein Roß thät ſtille graſen
Und alles wie ein Traum.
Die Wolken ſah er gehen,
Die ſchifften immerzu,
Er konnt 'nicht widerſtehen,
Die Augen ſank'n ihm zu.
Nun hört 'er Stimmen rinnen,
Als wie der Liebſten Gruß,
Er konnt' ſich nicht beſinnen
Bis ihn erweckt ein Kuß.
Wie prächtig glänzt die Aue!
Wie Gold der Quell nun floß,
Und einer ſüſſen Fraue,
Lag er im weichen Schooß.
Herr Ritter! wollt Ihr wohnen
Bey mir im grünen Haus:
Aus allen Blumenkronen
Wind 'ich Euch einen Strauß!
318
Der Wald ringsum wird wachen,
Wie wir beyſammen ſeyn,
Der Kukuk ſchelmiſch lachen,
Und alles fröhlich ſeyn.
Es bog ihr Angeſichte
Auf ihn den ſüſſen Leib,
Schaut mit den Augen lichte
Das wunderſchöne Weib.
Sie nahm ſein'n Helm herunter,
Löſt 'Krauſe ihm und Bund,
Spielt' mit den Locken munter,
Küßt ihm den rothen Mund.
Und ſpielt 'viel' ſüſſe Spiele
Wohl in geheimer Luſt,
Es flog ſo kühl und ſchwüle
Ihm um die offne Bruſt.

Friedrichs Jäger trat hier eiligſt zu ſeinem Herrn und zog ihn abſeits in den Wald, wo er ſehr bewegt mit ihm zu ſprechen ſchien. Romana hatte es bemerkt. Sie verwandte geſpannt kein Auge von Friedrich und folgte ihm in einiger Ent¬ fernung langſam in den Wald nach, während ſie dabey weiter ſang:

Um ihn nun thät ſie ſchlagen
Die Arme weich und bloß,
Er konnte nichts mehr ſagen,
Sie ließ ihn nicht mehr los.
319
Und dieſe Au 'zur Stunde
Ward ein kryſtallnes Schloß,
Der Bach: ein Strom gewunden
Ringsum gewaltig floß.
Auf dieſem Strome giengen
Viel 'Schiffe wohl vorbey,
Es konnt' ihn keines bringen
Aus böſer Zauberey.

Sie hatte kaum noch die letzten Worte ausge¬ ſungen, als Friedrich plötzlich auf ſie zukam, daß ſie innerlichſt zuſammenfuhr. Wo iſt Roſa? fragte er raſch und ſtreng. Ich weiß es nicht, antwortete Romana ſchnell wieder gefaßt, und ſuchte mit er¬ zwungener Gleichgültigkeit auf ihrer Guitarre die alte Melodie wiederzufinden. Friedrich wiederholte die Frage noch einmal dringender. Da hielt ſie ſich nicht länger. Als wäre ihr innerſtes Weſen auf einmal losgebunden, brach ſie ſchnell und mit faſt ſchreckhaften Mienen aus: Du kennſt mich noch nicht und jene unbezwingliche Gewalt der Liebe, die wie ein Feuer alles verzehrt, um ſich an dem freyen Spiel der eigenen Flammen zu weiden und ſelber zu verzehren, wo Luſt und Entſetzen in wildem Wahnſinn einander berühren. Auch die grünblitzen¬ den Augen des buntſchillernden, blutleckenden Dra¬ chen im Liebeszauber ſind keine Fabel, ich kenne ſie wohl und ſie machen mich noch raſend. O, hät¬ te ich Helm und Schwert wie Armida! Roſa kann mich nicht hindern, denn ihre Schönheit iſt blöde und Dein nicht werth. Ja, gegen Dich ſel¬ ber will ich um Dich kämpfen. Ich liebe Dich un¬ ausſprechlich, bleibe bey mir, wie ich nicht mehr von Dir fort kann! Sie hatte ihn bey den letz¬ ten Worten feſt umſchlungen. Friedrich fuhr auf einmal aus tiefen Gedanken auf, ſtreifte ſchnell die blanken Arme von ſich ab, und eilte, ohne ein Wort zu ſagen, tief in den Wald, wo er ſein Pferd be¬ ſtieg, mit dem ihn der Jäger ſchon erwartete, und fort hinausſprengte.

Romana war auf den Boden niedergeſunken, das Geſicht mit beyden Händen verdeckt. Das fröhliche Lachen, Singen und Gläſerklirren von der Wieſe her ſchallte ihr wie ein hölliſches Hohnge¬ lächter.

Roſa war, als ſich Tag und Jagd zu Ende neigten, von Romana und aller Begleitung, wie durch Zufall, verlaſſen worden. Der Prinz hatte ſie den ganzen Tag über beobachtet, war ihr über¬ all im Grünen begegnet und wieder verſchwunden. Sie hatte ſich endlich halbzögernd entſchloſſen, ihn zu fliehen und höher in's Gebirge hinaufzuſteigen. Sein blühendes Bild heimlich im Herzen, das die Waldhornsklänge immer wieder von neuem weckten, unſchlüſſig, träumend und halbverirrt, zuletzt noch von dem Liede des Unbekannten, das auch ſie hörte, ſeltſam getroffen und verwirrt, ſo war ſie damals bis zu dem Flecke hinaufgekommen, wo ſie ſo aufeinmal321einmal Friedrich'n vor ſich ſah. Der Ort lag ſehr hoch und wie von aller Welt geſchieden, ſie dachte an ihren neulichen Traum und eine unbeſchreibliche Furcht befiel ſie vor dem Grafen, die ſie ſchnell von dem Berge herabtrieb.

Unten, fern von der Jagd, ſaß der Prinz auf einem ungeheueren Baume. Da hörte er das Ge¬ räuſch hinter ſich durch das Dickicht brechen. Er ſprang auf und Roſa fiel athemlos in ſeine ausge¬ ſpreiteten Arme. Ihr geſtörtes Verhältniß zu Frie¬ drich, das Lied oben und tauſend alte Erinnerun¬ gen, die in der grünen Einſamkeit wieder wach ge¬ worden, hatten das reizende Mädchen heftig be¬ wegt. Ihr Schmerz machte ſich hier endlich in ei¬ nem Strom von Thränen Luft. Ich Herz war zu voll, ſie konnte nicht ſchweigen. Sie erzählte dem Prinzen alles aus tiefſter, gerührter Seele.

Es iſt gefährlich für ein junges Mädchen, ei¬ nen ſchönen Vertrauten zu haben. Der Prinz ſetz¬ te ſich neben ihr auf den Raſen hin. Sie ließ ſich willig von ihm in den Arm nehmen und lehnte ihr Geſicht müde an ſeine Bruſt. Die Abendſcheine ſpielten ſchon zuckend durch die Wipfel, unzählige Vögel ſangen von allen Seiten, die Waldhörner klangen wollüſtig durch den warmen Abend aus der Ferne herüber. Der Prinz hatte ihre langen Haa¬ re, die aufgegangen waren, um ſeinen Arm ge¬ wickelt und ſprach in einemfort ſo wunderliebliche, zauberiſche Worte, gleich ſanfter Quellen Rauſchen21322kühlelockend und Sinnenverwirrend, wie Töne alter Lieder aus der Ferne verführend herüberſpielen. Roſa bemerkte endlich mit Schrecken, daß es indeß ſchon finſter geworden war, und drang ängſtlich in den Prinzen, ſie zu der Geſellſchaft zurückzuführen. Der Prinz ſprang ſogleich ſeitwärts in den Wald und brachte zu ihrem Erſtaunen zwey geſattelte Pferde mit hervor. Er hob ſie ſchnell auf das eine hinauf, und ſie ritten nun, ſo geſchwind als es die Dunkelheit zuließ, durch den Wald fort.

Sie waren ſchon weit auf verſchiedenen ſich durchkreuzenden Wegen fortgetrabt, aber die Wieſe mit dem Zelte wollte noch immer nicht erſcheinen. Die Waldhornsklänge, die ſie vorher gehört hat¬ ten, waren ſchon lange verſtummt, der Mond trat ſchon zwiſchen den Wolken hervor. Roſa wurde im¬ mer ängſtlicher, aber der Prinz wußte ſie jedesmal wieder zu beruhigen.

Endlich hörten ſie die Hörner von neuem aus der Ferne vor ſich. Sie verdoppelten ihre Eile, die Klänge kamen immer näher. Doch wie groß war Roſa's Schreck, als ſie auf einmal aus dem Walde herauskam, und ein ganz fremdes, unbe¬ kanntes Schloß vor ſich auf dem Berge liegen ſah. Entrüſtet wollte ſie umkehren und machte dem Prin¬ zen weinend die bitterſten Vorwürfe. Nun legte der Prinz die Maſke ab. Er entſchuldigte ſeine Kühnheit mit der unwiderſtehlichen Gewalt ſeiner lange heimlich genährten Sehnſucht, umſchlang und323 küßte die Weinende und beſchwor alle Teufel ſeiner Liebe herauf. Die Hörner klangen lockend immer¬ fort, und zitternd, halb gezwungen und halb ver¬ führt, folgte ſie ihm endlich den Berg hinauf. Es war ein abgelegenes Jagdſchloß des Prinzen. Nur wenige verſchwiegene Diener hatten dort alles zu ihrem Empfange bereitet.

Friedrich ritt indeß zwiſchen den Bergen fort. Sein Jäger, der gegen Abend weit von der Jagd abgekommen war, hatte zufällig Roſa mit dem Prinzen auf ihrer Flucht durch den Wald fortjagen geſehen, und war ſogleich zu ſeinem Herrn zurück¬ geeilt, um ihm dieſe Entdeckung mitzutheilen. Dieß war es, was Friedrich'n ſo ſchnell auf ſein Pferd getrieben hatte.

Als er eben nach manchem Umwege an die letzten Felſen kam, welche die Wieſe umſchloſſen, erblickte er plötzlich ſeitwärts im Walde eine weiße Figur, die, eine Flinte im Arm, grade auf ſeine Bruſt zielte. Ein flüchtiger Mondesblick beleuchtete die unbewegliche Geſtalt und Friedrich glaubte mit Entſetzen Romana zu erkennen. Sie ließ erſchro¬ cken die Flinte ſinken, als er ſich nach ihr umwand¬ te, und war im Augenblicke im Walde verſchwun¬ den. Ein ſeltſames Grau'n befiel dabey den Gra¬ fen. Er ſetzte die Sporen ein, bis er das ganze furchtbare Jagdrevier weit hinter ſich hatte.

21 *324

Unermüdet durchſtreifte er nun den Wald nach allen Richtungen, denn jede Minute ſchien ihm koſtbar, um der Ausführung dieſer Verrätherey zu¬ vorzukommen. Aber kein Laut und kein Licht rühr¬ te ſich weit und breit. So ritt er ohne Bahn fort und immerfort, und der Wald und die Nacht nah¬ men kein Ende.

Drittes Buch.

Achtzehntes Kapitel.

Wir finden Friedrich'n fern von dem wirrenden Leben, das ihn gereizt und betrogen, in der tief¬ ſten Einſamkeit eines Gebirges wieder. Ein unauf¬ hörlicher Regen war lange wie eine Sundfluth her¬ abgeſtürzt, die Wälder wogten wie Aehrenfelder im feuchten Sturme. Als er endlich eines Abends auf die letzte Ringmauer von Deutſchland kam, wo man nach Wälſchland hinunterſieht, fieng das Wet¬ ter auf einmal an ſich auszuklären und die Sonne brach warm durch den Qualm. Die Bäume trö¬ pfelten in tauſend Farben blitzend, unzählige Vö¬ gel begannen zu ſingen, das liebreizende, vielge¬ prieſene Land unten ſchlug die Schleyer zurück und blickte ihm wie eine Geliebte in's Herz.

Da er eben in die weite Tiefe zu den aufge¬ henden Gärten hinablenken wollte, ſah er auf einer der Klippen einen jungen, ſchlanken Gemſenjäger keck und trotzig ihm gegenüber ſteh'n und ſeinen Stutz auf ihn anlegen. Er wandte ſchnell um und ritt auf den Jäger los. Das ſchien dieſem zu ge¬ fallen, er kam ſchnell zu Friedrich'n herabgeſprun¬ gen und ſah ihn von Kopf bis Fuß groß an, während er dem Pferde deſſelben, das ungeduldig328 ſtampfte, mit vieler Freude den gebogenen Hals ſtreichelte. Wer giebt Dir das Recht Reiſende auf¬ zuhalten? fuhr ihn Friedrich an. Du ſprichſt ja deutſch, ſagte der Jäger ihn ruhig auslachend, du könnteſt jetzt auch was beſſeres thun als reiſen! Komm nur mit mir! Friedrich'n erfriſchte recht das kecke, freye Weſen, daß feine Geſicht voll Ehre, die gelenke, tapfere Geſtalt; er hatte nie einen ſchöneren Jäger geſehen. Er zweifelte nicht, daß er einer von jenen ſey, um derentwillen er ſchon ſeit mehreren Tagen das verlaſſene Gebirge verge¬ bens durchſchweift hatte, und trug daher keinen Augenblick Bedenken, dem Abentheuer zu folgen. Der Jäger gieng ſingend voraus, Friedrich ritt in einiger Entfernung nach.

So zogen ſie immer tiefer in das Gebirge hin¬ ein. Die Sonne war lange untergegangen, der Mond ſchien hell über die Wälder. Als ſie ohnge¬ fähr eine halbe Stunde ſo gewandert waren, blieb der Jäger in einiger Entfernung plötzlich ſtehen, nahm ſein Hüfthorn und ſtieß dreymal darein. So¬ gleich gaben unzählige Hörner nacheinander weit in das Gebirge hinein Antwort. Friedrich ſtutzte und wurde einen Augenblick an dem ehrlichen Geſichte irre. Er hielt ſein Pferd an, zog ſein Piſtol her¬ aus und hielt es, gefaßt gegen alles, was daraus werden dürfte, auf ſeinen Führer. Der Jäger bemerkte es. Lauter Landsleute! rief er lachend, und ſchritt ruhig weiter. Aller Argwohn war ver¬ ſchwunden, und Friedrich ritt wieder nach.

329

So kamen ſie endlich ſchon bey finſterer Nacht auf einem hochgelegenen, freyen Platze an. Ein Kreis bärtiger Schützen war dort um ein Wacht¬ feuer gelagert, grüne Reiſer auf den Hüten und ihre Gewehre neben ſich auf dem Boden. Friedrichs Führer war ſchon voraus mitten unter ihnen und hatte den Fremden angemeldet. Mehrere von den Schützen ſprangen ſogleich auf, umringten Frie¬ drich'n bey ſeiner Ankunft und fragten ihn um Neuigkeiten aus dem flachen Lande. Friedrich wu߬ te ſie wenig zu befriedigen, aber ſeine Freude war unbeſchreiblich, ſich endlich am Ziele ſeiner Irrfarth zu ſehen. Denn dieſer Trupp war, wie er gleich beym erſten Anblick vermuthet, wirklich eine Par¬ they des Landſturmes, den das Gebirgsvolk bey dem unlängſt ausgebrochenen Kriege gebildet hatte.

Die Flamme warf einen ſeltſamen Schein über den ſoldatiſchen Kreis von Geſtalten, die ringsum¬ her lagen. Die Nacht war ſtill und ſternhell. Ei¬ ner von den Jägern, die drauſſen auf den Felſen auf der Lauer lagen, kam und meldete, wie in dem Thale nach Deutſchland zu ein großes Feuer zu ſehen ſey. Alles richtete ſich auf und lief wei¬ ter an den Bergesrand. Man ſah unten die Flam¬ men aus der ſtillen Nacht ſich erheben, und konnte ungeachtet der Entfernung die ſtürzenden Gebälke der Häuſer deutlich unterſcheiden. Die meiſten kannten die Gegend, einige nannten ſogar die Dör¬ fer, welche brennen müßten. Alle aber waren ſehr verwundert über die unerwartete Nähe des Fein¬330 des, denn dieſem ſchrieben ſie den Brand zu. Man erwartete mit Ungeduld die Zurückkunft eines Trupps, der ſchon geſtern in die Thäler auf Kund¬ ſchaft ausgezogen war.

Einige Stunden nach Mitternacht ohngefähr hörte man in einiger Entfernung im Walde von mehreren Wachen das Loſungswort erſchallen; bald darauf erſchienen einige Männer, die man ſogleich für die auf Kundſchaft ausgeſchickten erkannte und begrüßte. Sie hatten einen jungen fremden Mann bey ſich, der aber über der üblen Zeitung, welche die Kundſchafter mitbrachten, anfangs von allen überſehen wurde. Sie ſagten nemlich aus: Eine anſehnliche feindliche Abtheilung habe ihre heimli¬ chen Schlupfwinkel entdeckt und ſie durch einen raſt¬ loſen mühſamen Marſch umgangen. Der Feind ſtehe nun auf dem Gebirge ſelbſt mitten zwiſchen ihren einzelnen auf den Höhen zerſtreuten Haufen, um ſie mit Tagesanbruch ſo einzeln aufzureiben. Ein allgemeines Gelächter erſcholl bey den letzten Worten im ganzen Trupp. Wir wollen ſeh'n, wer härter iſt, ſagte einer von den Jägern, unſere Stei¬ ne oder ihre Köpfe! Die Jüngſten warfen ihre Hüte in die Luft, alles freute ſich, daß es endlich zum Schlagen kommen ſollte.

Man berathſchlagte nun eifrig, was unter die¬ ſen Umſtänden das Klügſte ſey. Zum Ueberlegen war indeß nicht lange Zeit, es mußte für den im¬ mer mehr herannahenden Morgen ein raſcher Ent¬ ſchluß gefaßt werden. Friedrich, der allen wohlbe¬331 hagte, gab den Rath: ſie ſollten ſich heimlich auf Umwegen neben den feindlichen Poſten hin vor Ta¬ gesanbruch mit allen den anderen zerſtreuten Hau¬ fen auf Einem feſten Fleck zu vereinigen ſuchen. Dieß wurde einmüthig angenommen und der älteſte unter ihnen theilte hiemit alſogleich den ganzen Haufen in viele kleine Truppe und gab jedem einen jungen, rüſtigen Führer zu, der alle Stege des Gebirges am beſten kannte, lieber die einſamſten und gefährlichſten Felſenpfade wollten ſie heimlich mitten durch ihre Feinde gehen, alle ihre anderen Haufen, auf die ſie unterwegs ſtoſſen mußten, an ſich zieh'n und auf dem höchſten Gipfel, wo ſie wußten, daß ihr Hauptſtamm ſich befände, wieder zuſammenkommen, um ſich bey Anbruch des Tages von dort mit der Sonne auf den Feind zu ſtürzen.

Das Unternehmen war gefährlich und gewagt, doch nahmen ſie ſehr vergnügt Abſchied von einan¬ der. Friedrich hatte ſich auch ein grünes Reis auf den Hut geſteckt und auf das beſte bewaffnet. Ihm war der junge Jäger, den er zuerſt auf der Straſ¬ ſe nach Italien getroffen, zum Führer beſtimmt worden, zu ſeinen Begleitern hatte er noch zwey Schützen und den jungen Menſchen, den die Kund¬ ſchafter vorhin mitgebracht. Dieſer hatte die ganze Zeit über, ohne einigen Antheil an der Begeben¬ heit verſpüren zu laſſen, ſeitwärts auf einem Baum¬ ſturz geſeſſen, den Kopf in beyde Hände geſtützt, als ſchliefe er. Sie rüttelten ihn nun auf. Wie erſtaunte da Friedrich, als er ſich aufrichtete, und332 er in ihm denſelben Studenten wiedererkannte, den er damals auf der Wieſe unter den herumziehenden Komödianten getroffen hatte, als er auf Romanas Schloß zum Beſuche ritt. Doch hatte er ſich ſeitdem ſehr verändert, er ſah blaß aus, ſeine Kleidung war abgeriſſen, er ſchien ganz herunter. Sie ſetz¬ ten ſich ſogleich in Marſch, und da es zum Geſetz gemacht worden war, den ganzen Weg nichts mit¬ einander zu ſprechen, ſo konnte Friedrich nicht er¬ fahren, wie derſelbe aufs Gebirge und in dieſen Zuſtand gerathen war.

Sie giengen nun zwiſchen Wäldern, Felſen¬ wänden und unabſehbaren Abgründen immerfort; der ganze Kreis der Berge lag ſtill, nur die Wäl¬ der rauſchten von unten herauf, ein ſcharfer Wind gieng auf der Höhe. Der Gemſenjäger ſchritt friſch voran, ſie ſprachen kein Wort. Als ſie einige Zeit ſo fortgezogen waren, hörten ſie plötzlich über ſich mehrere Stimmen in ausländiſcher Sprache. Sie blieben ſtehen und drückten ſich alle hart an die Felſenwand an. Die Stimmen kamen auf ſie los und ſchienen auf einmal dicht bey ihnen; dann lenk¬ ten ſie wieder ſeitwärts und verlohren ſich ſchnell. Dieß bewog den Führer, einen anderen mehr thal¬ wärts führenden Umweg einzuſchlagen, wo ſie ſiche¬ rer zu ſeyn hofften.

Sie hatten aber kaum die untere Region er¬ langt, als ihnen ein Gewirre von Reden, Lachen und Singen durcheinander entgegenſcholl. Zum Umkehren war keine Zeit mehr, ſeitwärts von dem333 Platze, wo das Schallen ſich verbreitet, führte nur ein einziger Steg über den Strom, der dort in das Thal hinauskam. Als ſie an den Bach kamen, ſa¬ hen ſie zwey feindliche Reiter auf dem Stege, die beſchäftigt waren, Waſſer zu ſchöpfen. Sie ſtreck¬ ten ſich daher ſchnell unter die Sträucher auf den Boden nieder, um nicht bemerkt zu werden. Da konnten ſie zwiſchen den Zweigen hindurch die vom Monde hell beleuchtete Wieſe überſehen. Ringsum an dem Rande des Waldes ſtand dort ein Kreis von Pferden angebunden, eine Schaar von Reitern war luſtig über die Aue verbreitet. Einige putzten ſingend ihre Gewehre, andere lagen auf dem Ra¬ ſen und würfelten auf ihren ausgebreiteten Män¬ teln, mehrere Offiziere ſaſſen vorn um ein Feld¬ tiſchchen und tranken. Der eine von ihnen hatte ein Mädchen auf dem Schooß, das ihn mit dem einen Arme umſchlungen hielt. Friedrich erſchrack im In¬ nerſten, denn der Offizier war einer ſeiner Bekann¬ ten aus der Reſidenz, das Mädchen die verlorene Marie. Es war einer von jenen leichten, halbbär¬ tigen Brüdern, die im Winter zu ſeinem Kreiſe ge¬ hört, und bey anbrechendem Frühling Ernſt, Ehr¬ lichkeit und ihre gemeinſchaftlichen Beſtrebungen mit den Bällen und anderen Winterunterhaltungen ver¬ gaſſen.

Ihn empörte dieſes Elend ohne Treue und Ge¬ ſinnung, wie er mit vornehmer Zufriedenheit ſeinen Schnautzbart ſtrich und auf ſeinen Säbel ſchlug, gleichviel für was oder gegen wen er ihn zog. Der334 Lauf ſeines Gewehres war zufällig grade auf ihn gerichtet; er hatte es in dieſem Augenblicke auf ihn losgedrückt, wenn ihn nicht die Furcht, alle zu ver¬ rathen, davon abgehalten hätte.

Der Offizier ſtand auf, hob ſein Glas in die Höh 'und fieng an Schillers Reiterlied zu ſingen, die andern ſtimmten mit vollen Kehlen ein. Noch niemals hatte Friedrich'n das fürchterliche Lied ſo widerlich und hölliſchgurgelnd geklungen. Ein ande¬ rer Offizier mit einem feuerrothen Geſichte, in dem alle menſchliche Bildung zerfetzt war, trat dazu, ſchlug mit dem Säbel auf den Tiſch, daß die Gläſer klirrten, und pfiff durchdringend den Deßauer Marſch drein. Ein allgemeines wildes Gelächter belohnte ſeine Zote.

Unterdeß hatten die beyden Reiter den Steg wieder verlaſſen. Friedrich und ſeine Geſellen raff¬ ten ſich daher ſchnell vom Boden auf und eilten über den Bach von der anderen Seite wieder ins Gebirge hinauf. Je höher ſie kamen, je ſtiller wurde es ringsumher. Nach einer Stunde endlich wurden ſie von den erſten Poſten der Ihrigen an¬ gerufen. Hier erfuhren ſie auch, daß faſt alle die übrigen Abtheilungen, die ſich theils durchgeſchli¬ chen, theils mit vielem Muthe durchgeſchlagen hat¬ ten, bereits oben angekommen wären. Es war ein Freudenreicher Anblick, als ſie bald darauf den weiten, freyen Platz auf der letzten Höhe glücklich erreicht hatten. Die ganze unüberſehbare Schaar ſaß dort an ihre Waffen geſtützt auf den Zinnen335 ihrer ewigen Burg, die großen Augen gedankenvoll nach der Seite hingerichtet, wo die Sonne auf¬ geh'n ſollte. Friedrich lagerte ſich vorn auf einem Felſen, der in das Thal hinausragte. Unten rings um den Horizont war bereits ein heller Morgen¬ ſtreifen ſichtbar, kühle Winde kamen als Vorbothen des Morgens angeflogen. Eine feyerliche, erwar¬ tungsvolle Stille war über die Schaar verbreitet, einzelne Wachen nur hörte man von Zeit zu Zeit weit über das Gebirge rufen. Ein Jäger vorn auf dem Felſen begann folgendes Lied, in das immer zuletzt alle die anderen mit einfielen:

In ſtiller Bucht, bey finſt'rer Nacht,
Schläft tief die Welt im Grunde,
Die Berge rings ſteh'n auf der Wacht,
Der Himmel macht die Runde,
Geht um und um
Ums Land herum
Mit ſeinen goldnen Schaaren
Die Frommen zu bewahren.
Kommt nur heran mit Eurer Liſt,
Mit Leitern, Strick und Banden,
Der Herr doch noch viel ſtärker iſt,
Macht Euern Witz zu Schanden.
Wie war't Ihr klug!
Nun ſchwindelt Trug
Hinab vom Felſenrande
Wie ſeyd Ihr dumm! o Schande!
Gleichwie die Stämme in dem Wald
Woll'n wir zuſammenhalten,
Ein 'feſte Burg, Trutz der Gewalt,
Verbleiben treu die alten.
336
Steig', Sonne, ſchön!
Wirf von den Höh'n
Nacht und die mit ihr kamen,
Hinab in Gottes Nahmen!

Friedrich'n ärgerte es recht, daß der Student immerfort ſo traurig dabey ſaß. Seine Komödian¬ tin, wie er Friedrich'n hier endlich entdeckte, hatte ihn von neuem verlaſſen und dießmal auch alle ſeine Baarſchaft mitgenommen. Arm und bloß, und zum Tode verliebt, war er nun dem aufrühreriſchen Ge¬ birge zugeeilt, um im Kriege ſein Ende zu finden. Aber ſo ſeyd nur nicht gar ſo talket! ſagte ein Jä¬ ger, der ſeine Erzählung mit angehört hatte. Mein Schatz, ſang ein anderer neben ihm:

Mein Schatz, das iſt ein kluges Kind,
Die ſpricht: Willſt du nicht fechten:
Wir zwey geſchiedne Leute ſind,
Erſchlagen dich die Schlechten:
Auch keins von beyden dran gewinnt.
Mein Schatz, das iſt ein kluges Kind,
Für die will ich leb'n und fechten!

Was iſt das für eine Liebe, die ſo wehmüthi¬ ge, weichliche Tapferkeit erzeugt? ſagte Friedrich zum Studenten, denn ihm kam ſeine Melankolie in dieſer Zeit, auf dieſen Bergen und unter dieſen Leuten unbeſchreiblich albern vor. Glaubt mir, das Sterben iſt viel zu ernſthaft für einen ſentimentali¬ ſchen Spaß. Wer den Tod fürchtet und wer ihn ſucht, ſind beydes ſchlechte Soldaten, wer aber einſchlechter337ſchlechter Soldat iſt, der iſt auch kein rechter Mann.

Sie wurden hier unterbrochen, denn ſo eben fielen von mehreren Seiten Schüſſe tiefer unten im Walde. Es war das verabredete Zeichen zum Auf¬ bruch. Sie wollten den Feind nicht erwarten, ſon¬ dern ihn von dieſer Seite, wo er es nicht vermu¬ thete, ſelber angreifen. Alles ſprang fröhlich auf und griff nach den herumliegenden Waffen. In kurzer Zeit hatten ſie den Feind im Angeſicht. Wie ein heller Strom brachen ſie aus ihren Schlüften gegen den blinkenden Damm der feindlichen Glieder, die auf der halben Höhe des Berges ſteif geſpreitzt ſtanden. Die erſten Reihen waren bald gebrochen, und das Gefecht zerſchlug ſich in ſo viele einzelne Zweykämpfe, als es Ehrenfeſte Herzen gab, die es auf Tod und Leben meynten. Es kommandirte, wem Beſonnenheit oder Begeiſterung die Uebermacht gab. Friedrich war überall zu ſehen, wo es am gefähr¬ lichſten hergieng, ſelber mit Blut überdeckt. Ein¬ zelne rangen da auf ſchwindlichten Klippen, bis beyde einander umklammernd in den Abgrund ſtürz¬ ten. Blutroth ſtieg die Sonne auf die Höhen, ein wilder Sturm wüthete durch die alten Wälder, Felſenſtücke ſtürzten zermalmend auf den Feind. Es ſchien das ganze Gebirge ſelbſt wie ein Rieſe die ſteinernen Glieder zu bewegen, um die fremden Menſchlein abzuſchütteln, die ihn dreiſt geweckt hatten und an ihm heraufklettern wollten. Mit22338gränzenloſer Unordnung entfloh endlich der Feind nach allen Seiten weit in die Thäler hinaus.

Nur auf einem einzigen Fleck wurde noch im¬ mer fortgefochten. Friedrich eilte hinzu und erkann¬ te immitten jenen Offizier wieder, der in der Reſi¬ denz zu ſeinen Genoſſen gehörte. Dieſer hatte ſich, von den Seinigen getrennt, ſchon einmal gefangen gegeben, als er zufällig um den Anführer ſei¬ ner Sieger fragte. Mehrere nannten einſtimmig Friedrich’n. Bey dieſem Nahmen hatte er plötzlich einem ſeiner Führer den Säbel entriſſen und ver¬ ſuchte wüthend noch einmal ſich durchzuſchlagen. Als er nun Friedrich'n ſelber erblickte, verdoppelte er ſeine faſt ſchon erſchöpften Kräfte von neuem, und hieb in Wuth blind um ſich, bis er endlich von der Menge entwaffnet wurde. Stillſchweigend folg¬ te er nun, wohin ſie ihn führten und wollte durch¬ aus kein Wort ſprechen. Friedrich mochte ihn in dieſem Augenblicke nicht anreden.

Das Verfolgen des flüchtigen Feindes dauerte bis gegen Abend. Da langte Friedrich mit den Seinigen ermüdet auf einem altfränkiſchen Schloſſe an, das am Abhange des Gebirges ſtand. Hof und Schloß ſtand leer; alle Bewohner hatten es aus Furcht vor Freund und Feind feigherzig verlaſſen. Der Trupp lagerte ſich ſogleich auf dem geräumigen Hofe, deſſen Pflaſter ſchon hin und wieder mit Gras überwachſen war. Rings um das Schloß wurden Wachen ausgeſtellt.

339

Friedrich fand eine Thüre offen und gieng in das Schloß. Er ſchritt durch mehrere leere Gänge und Zimmer und kam zuletzt in eine Kapelle. Ein einfacher Altar war dort aufgerichtet, mehrere alte Heiligenbilder auf Holz hiengen an den Wänden umher, auf dem Altare ſtand ein Kruzifix. Er knieete vor dem Altar nieder und dankte Gott aus Grund der Seele für den heutigen Tag. Darauf ſtand er neugeſtärkt auf und fühlte die vielen Wunden kaum, die er in dem Gefechte erhalten. Er erinnerte ſich nicht, daß ihm jemals in ſeinem Leben ſo wohl geweſen. Es war das erſtemal, daß es ihm genügte, was er hier trieb und vorhatte. Er war völlig überzeugt, daß er das Rechte wolle und ſein ganzes voriges Leben, was er ſonſt ein¬ zeln verſucht, geſtrebt und geübt hatte, kam ihm nun nur wie eine lange Vorſchule vor zu der ſiche¬ ren, klaren und großen Geſinnung, die jetzt ſein Thun und Denken regierte.

Er gieng nun durch das Schloß, wo faſt alle Thüren geöffnet waren. In dem einen Gemache fand er ein altes Sopha. Er ſtreckte ſich darauf; aber er konnte nicht ſchlafen, ſo müde er auch war. Denn tauſenderley Gedanken zogen wechſelnd durch ſeine Seele, während er dort von der einen Seite durch die offene Thüre den Schloßhof überſah, wo die Schützen um ein Feuer lagen, das die alten Gemäuer ſeltſam beleuchtete, von der anderen Seite durchs Fenſter die Wolkenzüge über den ſtillen,22 *340ſchwarzen Wäldern. Er gedachte ſeines vergange¬ nen ruhigen Lebens, wie er noch mit ſeiner Poeſie zufrieden und glücklich war, an ſeinen Leontin, an Roſa, an den ſtillen Garten beym Herrn v. A., wie das alles ſo weit von hier hinter den Bergen jetzt in ruhigem Schlafe ruhte.

Das Feuer aus dem Hofe warf indeß einen hellen Widerſchein über die eine Wand der Stube. Da wurde er auf ein großes, altes Bild auf¬ merkſam, daß dort hieng. Es ſtellte die heilige Mutter Anna vor, wie ſie die kleine Maria leſen lehrte. Sie hatte ein großes Buch vor ſich auf dem Schooße. An ihren Knieen ſtand die kleine Maria mit vor der Bruſt gefalteten Händchen, die Augen fleiſſig auf das Buch niedergeſchlagen. Eine wun¬ derbare Unſchuld und Frömmigkeit, wie die de¬ müthige Ahnung einer künftigen unbeſchreiblichen Schönheit und Herrlichkeit, ruhte auf dem Geſichte des Kindes. Es war, als müßte ſie jeden Augen¬ blick die ſchönen, klaren Kindesaugen aufſchlagen, um der Welt Troſt und himmliſchen Frieden zu ge¬ ben. Friedrich war erſtaunt; denn je länger er das ſtille Köpfchen anſah, je deutlicher ſchienen al¬ le Züge deſſelben in ein ihm wohlbekanntes Geſicht zu verſchwimmen. Doch verlohr ſich dieſe Erinne¬ rung in ſeine früheſte Kindheit und er konnte ſich durchaus nicht genau beſinnen. Er ſprang auf und unterſuchte das Bild von allen Seiten, aber nir¬ gends war irgend ein Nahme oder beſonderes Zei¬ chen zu ſehen.

341

Verwundert gieng er in den Hof hinaus und fragte nach den Bewohnern des Schloſſes. Nur einige wußten Beſcheid und ſagten aus, das Schloß werde gewöhnlich, bloß von einem Vogte bewohnt und gehöre eigentlich einer Edelfrau im Auslande, die alle Jahre immer nur auf wenige Tage herkom¬ me. Sonſt konnte er nichts erfahren. Ihm fiel da¬ bey unwillkührlich die weiße Frau ein, die er ſchon faſt wieder vergeſſen hatte.

Sein Schlaf war vorbey er begab ſich da¬ her auf die alte ſteinerne Gallerie, die auf der Waldſeite über eine tiefe Schluft hinausgieng, um dort den Morgen abzuwarten. Dort fand er auch den gefangenen Offizier, der in einem dunklen Win¬ kel zuſammengekrümmt lag. Er ſetzte ſich zu ihm auf das halbabgebrochene Geländer.

Das Unglück macht vieles wieder gut, ſagte er, und reichte ihm die Hand. Der Offizier wickelte ſich feſter in ſeinen Mantel, und antwortete nicht. Haſt Du denn alles vergeſſen, fuhr Friedrich fort, was wir in der guten Zeit vorbereitet? Mir war es Ernſt mit dem, was ich vorhatte. Ich war ein ehrlicher Narr, und ich will es lieber ſeyn, als klug ohne Ehre. Der Offizier fuhr auf, ſchlug ſeinen Mantel auseinander und rief: Schlag 'mich todt wie einen Hund! Laß dieſe weibiſche Wuth, wenn Du nichts beſſeres kannſt, ſagte Friedrich ru¬ hig. Du ſiehſt ſo wüſt und dunkel aus, ich kenne Dein Geſicht nicht mehr wieder. Ich liebte Dich ſonſt, ſo biſt Du mir gar nichts werth. Bey342 dieſen Worten ſprang der Offizier, der Friedrichs ruhige Züge nicht länger ertragen konnte, auf, packte ihn bey der Bruſt und wollte ihn über die Gallerie in den Abgrund ſtürzen. Sie rangen ei¬ nige Zeit miteinander; Friedrich war von vielem Blutverluſt ermattet und taumelte nach dem ſchwind¬ lichen Rande zu. Da fiel ein Schuß aus einem Fenſter des Schloſſes; ein Schütze hatte alles mit angeſehen. Jeſus Maria! rief der Offizier ge¬ troffen und ſtürzte über das Geländer in den Ab¬ grund hinunter. Da wurde es auf einmal ſtill, nur der Wald rauſchte finſter von unten herauf. Friedrich wandte ſich ſchaudernd von dem unheimli¬ chen Orte.

Die Schützen hatten unterdeß ausgeraſtet; das Morgenroth begann bereits ſich zu erheben. Neue Nachrichten, die ſo eben eingelaufen waren, be¬ ſtimmten die Truppe, ſogleich von ihrem Schloſſe auf¬ zubrechen, um ſich mit den anderen tiefer im Lande zu vereinigen.

Eine ſeltſame Erſcheinung zog jedoch bald dar¬ auf Aller Augen auf ſich. Als ſie nemlich auf der einen Seite des Schloſſes herauskamen, ſahen ſie jenſeits zwiſchen den Bäumen auf einer hohen Klippe eine weibliche Geſtalt ſtehen, welche zwey von den ihrigen, die ihr nachſtiegen, mit dem De¬ gen abwehrte. Friedrich wurde hinzugerufen. Er erfuhr, das Mädchen ſey gegen Morgen allein mit verwirrtem Haar und einem Degen in der Hand an dem Schloſſe herumgeirrt, als ſuche ſie etwas. 343Als ſie dann auf den erſchoſſenen Offizier geſtoſſen, habe ſie ihn ſchnell in die Arme genommen und den Leichnam mit einer bewunderungswürdigen Kraft und Geduld in das Gebirge hinaufgeſchleppt. Zwey Schützen, denen ihr Herumſchleichen verdächtig wur¬ de, waren ihr bis zu dieſem Felſen gefolgt, den ſie nun wie ihre Burg vertheidigte.

Als Friedrich näher kam, erkannte er in dem wunderbaren Mädchen ſogleich Marie, ſie kam ihm heute viel größer und ſchöner vor. Ihre langen, ſchwarzen Locken waren auseinandergerollt, ſie hieb nach allen Seiten um ſich, ſo daß keiner, ohne ſie zu verletzen, die ſteile Klippe erſteigen konnte. Als ſie Friedrich'n unter den fremden Männern erblick¬ te, ließ ſie plötzlich den Degen fallen, ſank auf die Kniee und verbarg ihr Geſicht an der kalten Bruſt ihres Geliebten. Die bärtigen Männer blieben er¬ ſtaunt ſteh n. Iſt in Dir eine ſolche Gewalt wahr¬ hafter Liebe, ſagte Friedrich gerührt zu ihr, ſo wende ſie zu Gott, und Du wirſt noch große Gna¬ de erfahren!

Die Umſtände nöthigten indeß immer dringen¬ der zum Aufbruch. Friedrich ließ daher einen des Weges kundigen Jäger bey Marien zurück, der ſie in Sicherheit bringen ſollte. Das Mädchen richtete ſich halb auf und ſah ſtill dem Grafen nach; ſie aber zogen ſingend über die Berge weiter, über de¬ nen ſo eben die Sonne aufgieng.

344

Neunzehntes Kapitel.

Der Krieg wüthete noch lange fort. Friedrich hatte im Laufe deſſelben den Ruhm ſeines alten Nahmens durch alte Tugend wieder angefriſcht. Der Fürſt, dem er angehörte, war unter den Feinden. Friedrichs Güter wurden daher eingezo¬ gen. Das Kriegsglück wandte ſich, die Seinigen wurden immer geringer und ſchwächer, alles gieng ſchlecht: Er blieb allein deſto hartnäckiger gut und wich nicht. Endlich wurde der Friede geſchloſſen. Da nahm er, zurückgedrängt auf die höchſten Zin¬ nen des Gebirges, Abſchied von ſeinen Hochländern und ritt Güterlos und geächtet hinab. Ueber das platte Land verbreitete ſich der Friede weit und breit in ſchallender Freude; er allein zog einſam hindurch, und ſeine Gedanken kann niemand be¬ ſchreiben, als er die letzten Gipfel des Gebirges hinter ſich verſinken ſah. Er gedachte wenig ſeiner eigenen Gefahr, da rings in dem Lande die feindli¬ chen Truppen noch zerſtreut lagen, von denen er wohl wußte, daß ſie ſeiner habhaft zu werden trachteten. Er achtete ſein Leben nicht, es ſchien ihm nun zu nichts mehr nütz.

So langte er an einem unfreundlichen, ſtürmi¬ ſchen Abende in einem abgelegenen Dorfe an. Die Gärten waren alle verwüſtet, die Häuſer niederge¬345 brannt, die wenigen übriggebliebenen ſchienen von den Bewohnern verlaſſen; es war ein trauriges Denkmal des kaum geendigten Krieges, der an die¬ ſen Gegenden beſonders ſeine Wuth recht ausgelaſ¬ ſen hatte. An dem anderen Ende des Dorfes fand Friedrich endlich einen Mann, der auf einem ſchwarzgebrannten Balken ſeines umgeriſſenen Hau¬ ſes ſaß und an einem Stück trockener Brodrinde nagte. Friedrich fragte um Unterkommen für ſich und ſein Pferd. Der Mann lachte ihm widerlich ins Geſicht und zeigte auf das abgebrannte Dorf.

Ermüdet band Friedrich ſein Pferd an und ſetz¬ te ſich zu dem Manne hin. Er befragte ihn, wie ſo großes Unglück inſonderheit dieſes Dorf getrof¬ fen? Der Mann ſagte gleichgültig und wort¬ karg: Wir haben uns den Feinden widerſetzt, wor¬ auf unſer Dorf abgebrannt und mancher von uns erſchoſſen wurde. Was kümmert mich aber das und das Land und die ganze Welt, fuhr er nach einer Weile fort, mir thut's nur leid um mich, denn zu freſſen muß man doch haben! Friedrich ſah ihn von der Seite an, wie er ſo an ſeinem Brode käute, ſein Geſicht war hager und bleichgelb und ſah nach nichts Gutem aus.

Eine luſtige Tanzmuſik ſchallte inzwiſchen im¬ merfort durch die Nacht zu ihnen herüber. Sie kam aus einem alterthümlichen Schloſſe, das dem Dorfe gegenüber auf einer Anhöhe ſtand. Die Fen¬ ſter waren alle hellerleuchtet. Inwendig ſah man346 eine Menge Leute ſich dreh'n und wirren, manches Paar lehnte ſich in die offenen Fenſter, und ſah in die regneriſche Gegend hinaus.

Wem gehört das Schloß da droben, wo es ſo luſtig hergeht? fragte Friedrich. Der Gräfin Ro¬ mana, war die Antwort. Unwillkührlich ſchauderte er bey dieſer unerwarteten Antwort zuſammen. Er¬ ſtaunt drang er nun mit Fragen in den Mann und hörte mit den ſeltſamſten Empfindungen zu, als die¬ ſer erzählte: Als die letzte Schlacht verlohren war und alles recht drunter und drüber gieng, heißa! da wurde unſere Gräfin ſo luſtig! Ihr Vermö¬ gen war verlohren, ihre Güter und Schlöſſer ver¬ wüſtet, und, als unſer Dorf in Flammen aufgieng, ſahen wir ſie mit einem feindlichen Offiziere an dem Brande vorbeyreiten, der hatte ſie vorn vor ſich auf ſeinem Pferde, und ſo gieng es fort in alle Welt. Seit einigen Tagen hatte der Feind dort unten auf den Feldern ſein Lager aufgeſchlagen; da war ein Trommeln, Jubeln, Muſizieren, Sauffen und Lachen Tag und Nacht, und unſere Gräfin mitten unter ihnen, wie eine Marketenderin. Ge¬ ſtern iſt das Lager aufgebrochen und die Gräfin giebt den Offizieren, die heut auch noch nachziehen, droben den Abſchiedsſchmauß. Friedrich war über dieſer Erzählung in Nachdenken verſunken. Ich ſehe den Offizier noch immer vor mir, fuhr der Mann bald darauf wieder fort, der den Befehl gab, unſere Häuſer anzuſtecken. Ich lag eben hin¬ ter einem Zaune, ganz zuſammengehauen. Er ſaß347 ſeitwärts nicht weit von mir auf ſeinem Pferde, der Widerſchein von den Flammen fiel ihm durch die dunkle Nacht grade auf ſein wohlgenährtes, glattes Geſicht. Ich würde das Geſicht in hundert Jahren noch wieder erkennen.

Die Lichter in dem Schloſſe, während ſie ſo ſprachen, fiengen indeß an zu verlöſchen, die Muſik hörte auf und es wurde nach und nach immer ſtil¬ ler. Der Mann wurde ſeltſam unruhig. Jetzt werden die Offiziere auch fortzieh'n, wollen wir ihnen nicht ſicheres Geleit geben? ſagte er, ab¬ ſcheulich lachend, und ſtand auf. Friedrich bemerk¬ te dabey, daß er etwas blitzendes, wie ein Gewehr, unter ſeinem Kittel verborgen hatte. Eh 'er ſich aber beſann, war der Mann ſchon hinter den Häu¬ ſern in der Finſterniß verſchwunden. Friedrich trau¬ te ihm nicht recht, er zweifelte nicht, daß er et¬ was Gräßliches vorhabe. Er eilte ihm daher nach, um ihn auf alle Fälle zu verhindern. Tief im Wal¬ de ſah er ihn noch einmal von weitem, wie er eben eilig um eine Felſenecke herumbog; darauf ver¬ ſchwand er ihm für immer, und er hatte ſich ver¬ gebens ziemlich weit vom Dorfe in dem Gebirge verſtiegen.

Als er eben auf einer Höhe ankam, um ſich von dort wieder zurechtzufinden, ſtand ſehr uner¬ wartet die Gräfin Romana plötzlich vor ihm. Sie hatte eine kurze Flinte auf dem Rücken, und die¬ ſelbe feenhafte Jägerkleidung, in welcher er ſie zum letztenmale auf der Gemſenjagd geſehen hatte. 348Verſteinert wie eine Bildſäule blieb ſie ſteh'n, als ſie Friedrich'n ſo unverhofft erblickte. Dann ſah ſie rings herum und ſagte: ich habe mich hier oben verirrt, ich weiß den Weg nicht mehr nach Hauſe , führe mich, wohin Du willſt, es iſt alles einerley! Friedrich'n fiel das ungewohnte Du auf, auch bemerkte er in ihrem Geſichte jene leidenſchaftliche Bläſſe, die ihn ſonſt ſchon oft an ihr geſtört hatte. Die Nacht überdeckte ſchon unten die ſtillen Wäl¬ der. der Mond gieng von der anderen Seite über den Bergen auf. Er fuhrte ſie an Klippen und ſchwindlichten Abhängen vorüber den hohen, langen Berg hinab, ſie ſprachen kein Wort miteinander.

So kamen ſie endlich nach einem mühſamen Wege zu dem Schloſſe der Gräfin zuruck. Es war eine alte Burg, mitten in der Wildniß, halb ver¬ fallen, kein Menſch war d rinn zu ſehen. Das iſt mein Stammſchloß, ſagte Romana, und ich bin die letzte des alten, beruhmten Geſchlechts.

Sie führte ihn durch die hohen, gewölbten Gemächer. In dem einen Zimmer lag alles vom Feſte noch unordentlich umher, zerbrochene Wein¬ flaſchen und umgeworfene Stühle; durch das zer¬ ſchlagene Fenſter pfiff der Wind herein und flackerte mit dem einzigen Lichte, das, faſt ſchon bis an den Leuchter herabgebrannt, in der Mitte auf einem Tiſche ſtand und ſpielende Scheine auf eine Reihe altväteriſcher Ahnenbilder warf, die rings an den Wänden umherhiengen.

349

Sie ſind alle ſchon morſch, die guten Geſellen, ſagte Romana in einem Anfalle von geſpannter, unmenſchlicher Luſtigkeit, als ſie die Verwüſtung betrat, die noch vor ſo kurzer Zeit von Getümmel und freudenreichem Schalle belebt war, nahm ihre Stutzflinte vom Rücken und ſtieß ein Bild nach dem andern von der Wand, daß ſie zertrümmert auf die Erde fielen. Dazwiſchen kehrte ſie ſich auf ein¬ mal zu Friedrich und ſagte: Als ich mich vorhin im Gebirge umwandte, um wieder zum Schloß zu¬ rückzukehren, ſah ich plötzlich auf einer Klippe mir gegenüber einen langen, wilden Mann ſtehen, den ich ſonſt in meinem Leben nicht geſeh'n, der hatte in der einſamen Stille ſeine Flinte unbeweglich an¬ gelegt, mit der Mündung grade auf mich. Ich ſprang fort, denn mir kam es vor, als ſtünde der Mann ſeit tauſend Jahren immer und ewig ſo dort oben. Friedrich bemerkte bey dieſen verwirrten Worten, die ihn an den Halbverrückten erinnerten, dem er vorhin gefolgt, daß der Hahn an ihrer Flinte, die ſie unbekümmert in der Hand hielt und häufig gegen ſich kehrte, noch geſpannt ſey. Er verwieß es ihr. Sie ſah in die Mündung hinein und lachte wild auf. Schweigen Sie ſtill, ſagte Friedrich ernſt und ſtreng und faßte ſie unſanft an.

Er trat an das eine Fenſter, ſetzte ſich in den Fenſterbogen und ſah in die vom Monde beſchiene¬ nen Grunde hinab. Romana ſetzte ſich zu ihm. Sie ſah noch immer blaß, aber auch in der Ver¬350 wüſtung noch ſchön aus, ihr Buſen war unanſtän¬ dig faſt ganz entblößt; ſie hielt ſeine Hand, er bemerkte, daß die ihrige bisweilen zuckte.

Heftiges, unbändiges Weib, ſagte Friedrich, der ſich nicht länger mehr hielt, ſehr ernſthaft, geh'n Sie beten! Beſchauen Sie recht den Wun¬ derbau der hundertjährigen Stämme da unten, die alten Felſenrieſen drüber und den ewigen Himmel, wie da die Elemente, ſonſt wechſelſeitig vernichtende Feinde gegeneinander, ſelber ihre rauhen, verwit¬ terten Rieſennacken und angebohrene Wildheit vor ihrem Herrn beugend, Freundſchaft ſchlieſſen und in weiſer Ordnung und Frommheit die Welt tragen und erhalten. Und ſo ſoll auch der Menſch die wil¬ den Elemente, die in ſeiner eignen dunklen Bruſt nach der alten Willkühr lauren und an ihren Ketten reißen und beißen, mit göttlichem Sinne beſprechen und zu einem ſchönen, lichten Leben die Ehre, Tu¬ gend und Gottſeligkeit in Eintracht verbinden und formieren. Denn es giebt etwas Feſteres und Größeres, als der kleine Menſch in ſeinem Hoch¬ muth, das der Scharfſinn nicht begreift und die Begeiſterung nicht erfindet und macht, die, einmal abtrünnig, in frecher, muthwilliger, verwilderter Willkühr wie das Feuer alles ringsum zerſtört und verzehrt, bis ſie über dem Schutte in ſich ſelber ausbrennt Sie glauben nicht an Gott!

Friedrich ſprach noch viel. Romana ſaß ſtill und ſchien ganz ruhig geworden zu ſeyn, nur manchmal, wenn die Wälder heraufrauſchten,351 ſchauerte ſie, als ob ſie der Froſt ſchüttelte. Sie ſah Friedrich'n mit ihren großen Augen unverwandt an, denn ſie wußte alles, was er in der letzten Zeit gethan und aufgeopfert, und es war im tief¬ ſten Grunde nur ihre unbezwingliche Leidenſchaft zu ihm im zerknirſchenden Gefühl, ihn nie erreichen zu können, was das heftige Weib nach und nach bis zu dieſem ſchwindlichen Abgrund verwildert hatte. Es war, als gienge bey ſeinem neuen Anblick die Erinnerung an ihre eigne urſprüngliche, zerſtörte Größe noch einmal ſchneidend durch ihre Seele. Sie ſtand auf und gieng, ohne ein Wort zu ſagen, nach der einen Seite fort.

Friedrich blieb noch lange dort ſitzen, denn ſein Herz war noch nie ſo bekümmert und gepreßt, als dieſe Nacht. Da fiel plötzlich ganz nahe im Schloſſe ein Schuß. Er ſprang, wie vom Blitze gerührt, auf, eine entſetzliche Ahnung flog durch ſeine Bruſt. Er eilte durch mehrere Gemächer, die leer und offen ſtanden, das letzte war feſt verſchloſ¬ ſen. Er riß die Thüre mit Gewalt ein: welch 'ein erſchrecklicher Anblick verſteinerte da alle ſeine Sin¬ ne! Ueber den Trümmern ihrer Ahnenbilder lag dort Romana in ihrem Blute hingeſtreckt, das Ge¬ wehr, wie ihren letzten Freund, noch feſt in der Hand.

Ihn überfiel im erſten Augenblick ein ſeltſamer Zorn, er faßte ſie in beyde Arme, als mußte er ſie mit Gewalt noch dem Teufel entreiſſen. Aber das wilde Spiel war für immer verſpielt, ſie hatte352 ſich grade ins Herz geſchoſſen. Der müde Leib ruhte ſchön und fromm, da ihn die heydniſche See¬ le nicht mehr regierte. Er kniete neben ihr hin und betete für ſie aus Herzensgrunde.

Da ſah er auf einmal helle Flammen zu den Fenſtern hereinſchlagen, durch die offene Thür er¬ blickte er auch ſchon die anderen Gemächer in vollem Brande. Kein Menſch war da, die Nacht auch Gewitterſtill, ſie mußte das Schloß in ihrer Raſe¬ rey ſelber angeſteckt haben, vielleicht um Friedrich'n zugleich mit ihr zu verderben. Er nahm den Leich¬ nam und trug ihn durch das brennende Thor ins Freye hinaus. Dort legte er ſie unter eine Eiche und bedeckte ſie mit Zweigen, damit ſie die Raben nicht fräßen, bis er im nächſten Dorfe die nöthigen Vorkehrungen zu ihrem Begräbniß getroffen. Dann eilte er den Berg hinab und ſchwang ſich auf ſein Pferd.

Hinter ihm ſtieg die Flamme auf die höchſte Zinne der Burg und warf gräßliche Scheine weit zwiſchen den Bäumen. Das Schloß ſank wie ein dunkler Rieſe in dem feurigen Ofen zuſammen, über der alten, guten Zeit hielt das Flammenſpiel im Winde ſeinen wilden Tanz; es war, als gieng der Geiſt ihrer Herrinn noch einmal durch die Lohen.

Zwanzig¬353

Zwanzigſtes Kapitel.

Es war Friedrich'n ſeltſam zu Muthe, als er den anderen Tag am Saume des Waldes heraus¬ kam, und den wirthlichen, zierlichbepflanzten Berg mit ſeinen bunten Luſthäuſern und dunklen Lauben dort auf einmal vor ſich ſah, auf dem er bey An¬ tritt ſeiner Reiſe die erſten einſamen fröhlichen Stunden nach der Trennung von ſeinen Univerſi¬ täts-Freunden zugebracht hatte. Ueberraſcht blieb er eine Weile vor der weiten, von der Sonne hell¬ beſchienenen Gegend ſtehen, die ihm wie ein Traum, wie eine liebliche Zauberey vorkam; denn eine Ge¬ gend aus unſerem erſten, friſchen Jugendglanze bleibt uns wie das Bild der erſten Geliebten, ewig erinnerlich und reitzend. Dann lenkte er langſam den luſtigen Berg hinan.

Dort oben war alles noch wie damals, die Ti¬ ſche und Bänke im Grünen ſtanden noch immer an derſelben Stelle, mehrere Geſellſchaften waren wie¬ der bunt und fröhlich über den grünen Platz zer¬ ſtreut und ſchmaußten und lachten, aller kaum ver¬ gangenen Noth vergeſſend. Auch der alte Harfeniſt lebte noch und ſang drauſſen ſeine vorigen Lieder. Friedrich ſuchte das luftige Sommerhaus auf, wo er damals geſpeißt und den eben verlaſſenen Geſel¬23354len friſch zugetrunken hatte. Dort fand er den Nahmen Roſa wieder, den er an jenem ſchwülen Nachmittage mit ſeinem Ringe in die Fenſterſcheibe gezeichnet. Er hielt beyde Hände vor die Augen, ſo tief überfiel ihn die Gewalt dieſer Erinnerung. Die treuen Züge blitzten noch friſch in der Sonne, aber die Züge jenes wunderſchönen Bildes, das er damals in der Seele hatte, waren unterdeß im Le¬ ben verworren und verlohren für immer.

Er lehnte ſich zum Fenſter hinaus und überſah die ſchöne, noch gar wohl bekannte Gegend und ſein ganzer damaliger Zuſtand wurde ihm dabey ſo deutlich, wie wenn man ein langvergeſſenes, frühes Gedicht nach vielen Jahren wiederliest, wo alles vergangen iſt, was einen zu dem Liede verführt. Wie anders war ſeitdem alles in ihm geworden! Damals ſegelten ſeine Gedanken und Wünſche mit den Wolken ins Blaue über das Gebirge fort, hin¬ ter dem ihm das Leben mit ſeinen Reiſe-Wundern wie ein ſchönes, überſchwenglichreiches Geheimniß lag. Jetzt ſtand er an demſelben Orte, wo er be¬ gonnen, wie nach einem mühſam beſchriebenen Zir¬ kel, frühzeitig an dem anderen, ernſteren und ſtille¬ ren Ende ſeiner Reiſe und hatte keine Sehnſucht mehr nach dem Plunder hinter den Bergen und weiter. Die Poeſie, ſeine damalige ſüße Reiſege¬ fährtin, genügte ihm nicht mehr, alle ſeine ernſte¬ ſten, herzlichſten Pläne waren an dem Neide ſeiner Zeit geſcheitert, ſeine Mädchenliebe mußte, ohne daß er es ſelbſt bemerkte, einer höheren Liebe wei¬355 chen, und jenes große, reiche Geheimniß des Le¬ bens hatte ſich ihm endlich in Gott gelöst.

Während er dieß alles ſo überdachte, fiel ihm ein, wie Leontins Schloß ganz in der Nähe von hier ſey. Er fühlte ein recht herzliches Verlangen, dieſen ſeinen Bruder und jene Waldberge wieder¬ zuſehen. Der Gedanke bewegte ihn ſo, daß er ſo¬ gleich ſein Pferd beſtieg und von dem Berge hinab die ſchattigte Landſtraſſe wieder einſchlug.

Die Sonne ſtand noch hoch, er hoffte den Wald noch vor Anbruch der Nacht zurückzulegen. Nach einiger Zeit erlangte er einen hohen Bergrücken. Die Lage der Wälder, der Kreis von niederern Ber¬ gen ringsumher, alles kam ihm ſo bekannt vor. Er ritt langſam und ſinnend fort, bis er ſich endlich erinnerte, daß es dieſelbe Hayde ſey, über welche er in jener Nacht, da er ſich verirrt und das ſelt¬ ſame Abentheuer in der Mühle beſtanden, ſein Pferd am Zügel geführt hatte. Der Schlag der Eiſenhämmer kam nur ſchwach und verworren durch das Singen der Vögel und den ſchallenden Tag aus der fernen Tiefe herauf. Es war ihm, als rückte ſein ganzes Leben Bild vor Bild ſo wieder rück¬ wärts, wie ein Schiff nach langer Farth, die wohlbekannten Ufer wieder begrüßend, endlich dem alten, heymathlichen Hafen bereichert zufährt.

Ein Gebirgsbach fand ſich dort in der Einſam¬ keit mit ſeiner plauderhaften Emſigkeit neben ihm23 *356ein. Er wußte, daß es der nemliche ſey, der die ſchöne Wieſe vor Leontins Schloſſe durchſchnitt, und folgte ihm daher auf einem Fußſtege die Höhen hin¬ ab. Da erblickte er nach einem langen Wege uner¬ wartet auch die berüchtigte Waldmühle im Grunde wieder. Wie anders, Geſpenſterhaft und voll wun¬ derbarer Schrecken hatte ihm damals die phantaſti¬ ſche Nacht dieſe Gegend ausgebildet, die heut recht behaglich im Sonnenſcheine vor ihm lag. Der Bach rauſchte melankoliſch an der alten Mühle vorüber, die halbverfallen daſtand, und ſchon lange verlaſſen zu ſeyn ſchien; das Rad war zerbrochen und ſtand ſtill.

Auf der einen Seite der Mühle war ein ſchö¬ ner, lichtgrüner Grund, über welchem friſche Eichen ihre kühlen Hallen woben. Dort ſah Friedrich ein Mädchen in einem reinlichen, weißen Kleide auf dem Boden ſitzen, halb mit dem Rücken nach ihm gekehrt. Er hörte das Mädchen ſingen und konnte deutlich folgende Worte verſtehen:

In einem kühlen Grunde,
Da geht ein Mühlenrad,
Mein 'Liebſte iſt verſchwunden,
Die dort gewohnet hat.
Sie hat mir Treu 'verſprochen,
Gab mir ein'n Ring dabey,
Sie hat die Treu' gebrochen,
Mein Ringlein ſprang entzwey.
357
Ich möcht 'als Spielmann reifen
Weit in die Welt hinaus,
Und ſingen meine Weiſen
Und geh'n von Haus zu Haus.
Ich möcht 'als Reiter fliegen,
Wohl in die blut'ge Schlacht,
Um ſtille Feuer liegen,
Im Feld bey dunkler Nacht.
Hör 'ich das Mühlrad gehen,
Ich weiß nicht, was ich will
Ich möcht' am liebſten ſterben,
Da wär's auf einmal ſtill.

Dieſe Worte, ſo aus tiefſter Seele herausge¬ ſungen, kamen Friedrich'n in dem Munde eines Mädchens ſehr ſeltſam vor. Wie erſtaunt, ja wun¬ derbar erſchüttert aber war er, als ſich das Mäd¬ chen, während des Geſanges, ohne ihn zu bemer¬ ken, einmal flüchtig umwandte, und er bey dem Sonnenſtreif, der durch die Zweige grade auf ihr Geſicht fiel, nicht nur eine auffallende Aehnlichkeit mit dem Mädchen, das ihm damals in der Mühle hinaufgeleuchtet, bemerkte, ſondern in dieſer Klei¬ dung und Umgebung vielmehr jenes wunderſchöne Kind aus längſtverklungener Zeit wiederzuſehen glaubte, mit der er als kleiner Knabe ſo oft zu Hauſe im, Garten geſpielt, und die er ſeitdem nie wiedergeſehen hatte. Jetzt fiel es ihm auch plötzlich wie Schuppen von den Augen, daß dieß dieſelben Züge ſeyen, die ihm in dem verlaſſenen Gebirgs¬ ſchloſſe auf dem Bilde der heiligen Anna in dem358 Geſichte des Kindes Maria ſo ſehr aufgefallen wa¬ ren.

Verwirrt durch ſo viele ſich durchkreutzende, uralte Erinnerungen, ritt er auf das Mädchen zu, da ſie eben ihr Lied geendigt hatte. Sie aber, von dem Geräuſche aufgeſchreckt, ſprang, ohne ſich weiter umzuſehen, fort, und war bald in dem Walde ver¬ ſchwunden.

Da ſah er auf der Anhöhe, wohin ſich das Mädchen geflüchtet, eine andere weibliche Geſtalt zwiſchen den Bäumen erſcheinen, groß, ſchön und herrlich. Es war Friedrich'n, als begrüſſe ihn ſein ganzes vergangenes Leben hier, wie in einem Traume, noch einmal in tauſend ſchönwirrenden Verwandlungen; denn je näher er dem Berge kam, je deutlicher glaubte er in jener Geſtalt Ju¬ lien wieder zu erkennen. Er ſtieg vom Pferde und eilte die Anhöhe hinauf, wo unterdeß die liebliche Erſcheinung ſich wieder verlohren hatte.

Oben fand er ſie ruhig auf dem Boden ſitzend, es war wirklich Julie. Stille, ſtille! ſagte ſie, als er näher trat, nicht weniger überraſcht, als er, und wies auf Leontin, der, neben ihr an einem Baume angelehnt, eingeſchlummert lag. Er war auffallend blaß, ſein linker Arm ruhte in einer Binde. Frie¬ drich betrachtete verwundert bald Leontin bald Ju¬ lien. Julien ſchien dabey das Unſchickliche ihrer einſamen Lage mit Leontin einzufallen, und ſie ſah erröthend in den Schooß.

359

Leontin war indeß erwacht und machte die Au¬ gen groß auf, da er neben der Geliebten auch noch den Freund vor ſich ſah. Da mag ſchlafen, wer Luſt hat, wenn es wieder ſo luſtig auf der Welt ausſieht, ſagte er, und ſprang raſch auf. Frie¬ drich erſtaunte, wie männlicher ſeitdem ſein ganzes Weſen geworden. Aber ſage, wie hat Dich der Himmel wieder hiehergebracht? fuhr er fort, ich dachte, dieſe Zeit wurde uns beyde mit verſchlin¬ gen; aber ich glaube, ſie fürchtet ſich, uns nicht verdauen zu können. Friedrich kam nun vor lau¬ ter Fragen nicht ſelber zum fragen, ſo ſehr es ihm auch am Herzen lag, er mußte ſich bequemen, die Geſchichte ſeines Lebens ſeit ihrer Trennung zu er¬ zählen. Als er auf den Tod der Gräfin Romana kam, wurde Leontin nachdenklich. Julie, die auch ſonſt ſchon viel von ihr gehört, konnte ſich in dieſe ihre ſeltſame Verwilderung durchaus nicht finden und verdammte ihr ſchimpfliches Ende ohne Erbar¬ men, ja mit einer ihr ſonſt ungewöhnlichen Art von Haß.

Nach vielem Hin - und Herreden, das jedes Wiederſehen mit ſich zu bringen pflegt, bat endlich auch Friedrich die beyden, ſeinen Bericht mit einer ausfuhrlichen Erzählung ihrer ſeitherigen Begeben¬ heiten zu erwiedern, da er aus ihren kurzen, un¬ zuſammenhängenden Antworten noch immer nicht klug werden konnte. Vor allem erkundigte er ſich um das Mädchen, das, wie er meynte, zu ihnen geflüchtet ſeyn müſſe. Julie ſah dabey Leontinen360 unentſchloſſen an. Laſſen wir das jetzt! ſagte dieſer, die Gegend und meine Seele iſt ſo klar und heiter wie nach einem Gewitter, es iſt mir grade alles recht lebhaft erinnerlich, ich will Dir erzählen, wie wir hier zuſammengekommen.

Er nahm hieben eine Flaſche Wein aus einem Körbchen, das neben Julien ſtand, und ſetzte ſich damit an den Abhang mit der Ausſicht in die grü¬ ne Waldſchluft bey der Mühle; Friedrich und Ju¬ lie ſetzten ſich zu beyden Seiten neben ihn. Sie wollte ihm durchaus die Flaſche wieder entreiſſen, da ſie wohl wußte, daß er mehr trinken werde, als ſeinen Wunden noch zuträglich war. Aber er hielt ſie feſt in beyden Händen. Wo es, ſagte er, wie¬ der ſo gut friſch Leben giebt, wer fragt da, wie lange es dauert! Und Julie mußte ſich am Ende ſelber bequemen mitzutrinken. Sie hatte ſich mit beyden Armen auf ſeine Kniee geſtützt, um die Ge¬ ſchichte, die ſie beynah ſchon auswendig wußte, noch einmal recht aufmerkſam anzuhören. Friedrich, der ſie nun ruhiger betrachten konnte, bemerkte dabey, wie ſich ihre ganze Geſtalt ſeitdem entwickelt hatte. Alle ihre Züge waren entſchiedener und Geiſtreich. So begann nun Leontin folgendermaßen:

Als ich auf jener Alpe während der Gemſen¬ jagd von Dir Abſchied nahm, wurde mir ſehr ban¬ ge, denn ich wußte wahrhaftig nicht, was ich in der Welt eigentlich wollte und anfangen ſollte. Was recht Tüchtiges war eben nicht zu thun, und meine Thätigkeit, gleichviel, ob am Guten oder361 Schlechten, blos um der Thätigkeit willen abzuar¬ beiten, wie man etwa ſpazieren geht, um ſich Mo¬ tion zu machen, war von jeher meine größte Wi¬ derwärtigkeit. Wäre ich recht arm geweſen, ich hätte aus lauterer Langeweile arbeiten können, um mir Geld zu erwerben, und hinterdrein die Leute überredet, es geſchehe alles um des Staates wil¬ len, wie die anderen thun. Unter ſolchen morali¬ ſchen Betrachtungen ritt ich über das Gebirge fort, und es that mir recht ohne allen Hochmuth leid, wie da alle die Städte und Dörfer, gleich Ameiſen¬ haufen und Maulwurfshügeln, ſo tief unter mir lagen; denn ich habe nie mehr Menſchenliebe, als wenn ich weit von den Menſchen bin. Da wurde es nach und nach ſchwül und immer ſchwüler unten über dem deutſchen Reiche, die Donau ſah ich wie eine ſilberne Schlange durch das unendliche, blau¬ ſchwüle Land geh'n, zwey Gewitter, dunkel, ſchwer und langſam ſtanden am äuſſerſten Horizonte gegen¬ einander auf; ſie blizten und donnerten noch nicht, es war eine erſchreckliche Stille. Ich erinnere mich, wie frey mir zu Muthe wurde, als ich end¬ lich die erſten Soldaten unten über die Hügel kom¬ men und hin und wiederreiten, wirren und blitzen ſah.

Ich zog in den Krieg hinunter. Was da ge¬ ſchah, iſt Dir bekannt. Nach der großen Schlacht, die wir verlohren, war das Korps, zu dem ich ge¬ hörte, erſchlagen und zerſprengt, ich ſelber von den Meinigen getrennt. Ich ſuchte durch verſchiedene362 Umwege mich wieder zu vereinigen, aber je länger ich ritt, je tiefer verirrte ich mich in dem verteufel¬ ten Walde. Es regnet und ſtürmte in einem fort, aber ich mochte nirgends einkehren, denn ich war innerlichſt ſo zornig, daß ich mich in dem Wetter noch am leidlichſten befand.

Am Abend des anderen Tages fiengen endlich die Wolken an ſich zu zertheilen, die Sonne brach wieder hindurch und ſchien warm und dampfend auf den Erdboden, da kam ich auf einer Höhe plötzlich aus dem Walde und ſtand vor Juliens Gegend. Ich kann es nicht beſchreiben, mit welcher Empfin¬ dung ich aus der kriegeriſchen Wildniß meines em¬ pörten Gemüths ſo auf einmal in die Friedens - und Segensreiche Gegend voll alter Erinnerungen und Anklänge hinausſah, die, wie Du wiſſen wirſt, zwi¬ ſchen ihren einſamen Bergen und Wäldern mitten im Kriege in tiefſter Stille lag.

Überraſcht blieb ich oben ſtehen. Da ſah ich den blauen Strom unten wieder gehn und Segel fahren, das freundliche Schloß am Hügel und den wohlbekannten Garten ringsumher, alles in alter Ruhe, wie damals. Den Herrn v. A. ſah ich auf dem mittelſten Gange des Gartens hinab ruhig ſpa¬ zieren gehen. Auf den weiten Plänen jenſeits des Stromes, über welche die eben untergehende Sonne ſchräge ihre letzten Strahlen warf, kam ein Reiter auf daß Schloß zugezogen, ich konnte ihn nicht er¬ kennen. Julien erblickte ich nirgends.

363

Es ließ mir da oben nicht länger Ruh; ich eilte den Berg hinunter, ich wollte Julien, ihren Vater, den Viktor wiederſehen, die ganze Vergan¬ genheit noch einmal in Einem ſchnellen Zuge durch¬ leben und genießen. Tiefer unten am Abhange er¬ blickte ich den Reiter plötzlich wieder. Es war eine junge, hagere, verlebte Figur, durchaus modern, einer von den gang und gäben alten Jungen mit der Brille auf der Naſe. Mich überlief ein Aerger, daß dieſes modiſche, mir nur zu ſehr bekannte Ge¬ zücht auch ſchon bis in dieſe glücklichverborgenen Thäler gedrungen war. Er aber ſah mich flüchtig vornehm an, lenkte auf einen bequemeren, aber weiteren Umweg nach dem Schloß, und verſchwand bald wieder.

Ein Bauer aus dem Dorfe des Herrn v. A., der auch von der Arbeit nach Hauſe gieng, hatte ſich indeß neben mir eingefunden. Ich erinnerte mich ſeines Geſichts ſogleich wieder, er aber kannte mich nicht mehr. Von dieſem erfuhr ich nach einem ſchnell angeknüpften Geſpräche, daß die Tante ſchon ſeit längerer Zeit todt ſey. Ich fragte ihn darauf, wer der fremde Herr ſey, der eben vorbey geritten. Er antwortete mir mit heimlicher Miene: Fräulein Juliens Bräutigam.

Hier ſchüttelte Julie lächelnd den Kopf und wollte Leontins Erzählung unterbrechen. Leontin fuhr aber ſogleich wieder fort:

364

Es war inzwiſchen völlig Nacht geworden, als ich das Dorf erreichte. Ich mochte nach jener Nach¬ richt nun niemanden aus dem Hauſe ſprechen noch ſehen nur einen flüchtigen Streifzug durch den alten, ſchuldloſen Garten wollt 'ich machen, und ſo¬ gleich wieder fort.

Ich band mein Pferd an einem Baume an und ſtieg übern Zaun in den Garten. Dort war jeder Gang, jede Bank, ja, jedes Blumenbeet noch immer auf dem alten Platze, ſo daß die See¬ le nach ſo viel inzwiſchen durchlebten Gedanken und Veränderungen dieſen gemüthlichen Stillſtand kaum faſſen konnte. Der Sturm wüthete indeß noch im¬ mer heftig fort, und riß ein Heer von Wolken nebſt vielen verſpäteten Abendvögeln, die kreiſchend dazwiſchenruderten, in einer unabſehbaren Flucht über den Garten hinaus, während unten die Bäu¬ me ſich neigten und einzelne Nachtigallentöne aus den Thälern durch den Wind heraufklagten; es war eine rechte dunkelſchwüle Geſpenſternacht.

Ein ungewöhnlich ſtarkes Licht, das aus dem einen Fenſter in den Garten hinausſchien, zog mich zum Schloſſe hin. Ich ſtellte mich grade vor das Fenſter und konnte das ganze Zimmer überſehen, das von einem Kaminfeuer ſo hell erleuchtet wurde. Der Herr v. A. ſaß in einem Lehnſtuhle und las Zeitungen, Julie ſaß am Kamine und ſang, hatte aber den Rücken gegen das Fenſter gekehrt, ſo daß ich ihr Geſicht nicht ſehen konnte. Was ſie ſang,365 war eine alte Romanze, die mir ſchon als Kind be¬ kannt war. Sie iſt mir noch erinnerlich:

Hoch über den ſtillen Höhen
Stand in dem Wald ein Haus,
Dort war's ſo einſam zu ſehen
Weit über'n Wald hinaus.
D'rin ſaß ein Mädchen am Rocken,
Den ganzen Abend lang,
Der wurden die Augen nicht trocken,
Sie ſpann und ſann und ſang:
Mein Liebſter der war ein Reiter,
Dem ſchwur ich Treu 'bis in Tod,
Der zog über Land und weiter,
Zu Krieges-Luſt und Noth.
Und als ein Jahr war vergangen,
Und wieder blühte das Land,
Da ſtand ich voller Verlangen,
Hoch an des Waldes Rand.
Und zwiſchen den Bergesbogen,
Wohl über den grünen Plan,
Kam mancher Reiter gezogen,
Der Meine kam nicht mit an.
Und zwiſchen den Bergesbogen,
Wohl über den grünen Plan,
Ein Jägersmann kam geflogen,
Der ſah mich ſo muthig an.
So lieblich die Sonne ſchiene,
Das Waldhorn ſcholl weit und breit,
Da führt 'er mich in das Grüne,
Das war eine ſchöne Zeit!
366
Der hat ſo lieblich gelogen
Mich aus der Treue heraus,
Der Falſche hat mich betrogen,
Zog weit in die Welt hinaus.
Sie konnte nicht weiter ſingen,
Vor bitteren Schmerz und Leid,
Die Augen ihr übergiengen
In ihrer Einſamkeit.

Julien gieng es wohl nicht beſſer, denn ſie ſtand plötzlich auf, öffnete das Fenſter und lehnte ſich in die Nacht hinaus. Ueberhaupt glaubte ich während dem Singen eine große Unruhe an ihr be¬ merkt zu haben. Was iſt das für ein erſchrecklicher Sturm! hört 'ich den Herrn v. A. d'rinn ſagen, der bedeutet noch Krieg, Gott ſteh' unſeren Leuten bey, die ſchlagen ſich wohl jetzt wieder. Und ich muß hier ſitzen! ſagte Julie aus tiefſter Seele. Ich ſtand ſeitwärts an einen Pfeiler gelehnt und die Töne giengen in dem raſenden Winde gar ſelt¬ ſam wehmüthig über den Garten hinaus, in dem ich mir nun wie ein lange Verbannter vorkam, da Julie bald darauf in ihrem Geſange am offenen Fenſter wieder alſo fortfuhr:

Die Muhme, die ſaß beym Feuer
Und wärmet ſich am Kamin,
Es flackert und ſprüht das Feuer,
Hell über die Stnb 'es ſchien.
Sie ſprach: Ein Kränzlein in Haaren,
Das ſtünde dir heut gar ſchön,
Willſt drauſſen auf dem See nicht fahren?
Hohe Blumen am Ufer dort ſteh'n.
367
Ich kann nicht holen die Blumen,
Im Hemdlein weiß am Teich
Ein Mädchen hütet die Blumen,
Die ſieht ſo todtenbleich.
Und hoch auf des Sees Weite,
Wenn alles finſter und ſtill,
Da rudern zwey ſtille Leute,
Der Eine dich haben will.
Sie ſchauen wie alte Bekannte,
Still, ewig ſtille ſie ſind,
Doch einmal der Eine ſich wandte,
Da faßt 'mich ein eiskalter Wind.
Mir iſt zu wehe zum Weinen
Die Uhr ſo gleichförmig pickt,
Das Rädlein, das ſchnurrt ſo in einem,
Mir iſt, als wär 'ich verrückt.
Ach Gott! wann wird ſich doch röthen,
Die fröhliche Morgenſtund!
Ich möchte hinausgeh'n und bethen,
Und bethen aus Herzensgrund!
So bleich ſchon werden die Sterne,
Es rührt ſich ſtärker der Wald,
Schon krähen die Hähne von Ferne,
Mich friert, es wird ſo kalt!
Ach, Muhme! was iſt Euch geſchehen?
Die Naſe wird Euch ſo lang,
Die Augen ſich ſeltſam verdrehen
Wie wird mir vor Euch ſo bang!
Und wie ſie ſo grauenvoll klagte,
Klopft's drauſſen ans Fenſterlein,
Ein Mann aus der Finſterniß ragte,
Schaut ſtill in die Stube herein.
368
Die Haare wild umgehangen,
Von blutigen Tropfen naß,
Zwey blutige Streiffen ſich ſchlangen,
Wie Kränzlein, um's Antlitz blaß.
Er grüßt 'ſie ſo fürchterlich heiter,
Er heißt ſie ſein' liebliche Braut,
Da kannt 'ſie mit Schaudern den Reiter,
Fällt nieder auf ihre Knie.
Er zielt 'mit dem Rohre durchs Gitter,
Auf die ſchneeweiße Bruſt hin;
Ach, wie iſt das Sterben ſo bitter,
Erbarm' dich, weil ich ſo jung noch bin!
Stumm blieb ſein ſteinerner Wille,
Es blitzte ſo roſenroth,
Da wurd 'es auf einmal ſtille
Im Walde und Haus und Hof.
Frühmorgens da lag ſo ſchaurig,
Verfallen im Walde das Haus,
Ein Waldvöglein ſang ſo traurig,
Flog fort über den See hinaus.

Gegen das Ende ihres Geſanges hatte Julie von ohngefähr meinen Schatten bemerkt, den das Licht vom Zimmer lang und unbeweglich in den Garten warf. Sie ſah ſich ſtutzend um, und da ſie nichts erblicken konnte, ſchloß ſie nachdenklich und ſchweigend das Fenſter. In dieſem Augenblick klopfte es d'rinn an die Stubenthür. Sie fuhr er¬ ſchrocken zuſammen und vom Fenſter auf. Ich blick¬ te noch einmal hinein und ſah jenen gehäßigen Rei¬ ter, dem ich vorhin begegnet, eilfertig eintreten. Er369Er lebt! rief Julie auſſer ſich vor Freude und ſtürz¬ te dem Manne um den Hals.

Hatt 'ich ſchon vorher drauſſen in dem Frem¬ den ſogleich einen von jenen poetiſchen Jüngern er¬ kannt, die's niemals zum Meiſter oder überhaupt zu einem Manne bringen, ſo kam mir jetzt der hagere, blaſſe Poet neben der geſunden Julie, die unterdeß ſo wunderbar hoch geworden war, und deren große Augen in dieſem Augenblicke vor Freu¬ de ordentliche Strahlen warfen, gar erbärmlich vor. Mir kamen die Verſe aus Göthe's Fiſcherin zwiſchen die Zähne:

Wer ſoll Bräutigam ſeyn?
Zaunkönig ſoll Bräutigam ſeyn!
Zaunkönig ſprach zu ihnen
Hinwieder den Beyden:
Ich bin ein ſehr kleiner Kerl,
Kann nicht Bräutigam ſeyn,
Ich kann nicht der Bräutigam ſeyn!

Ich ſchwang mich ſogleich wieder über den Gartenzaun, band mein Pferd los und gieng, es hinter mir herführend, aus dem Dorfe hinaus.

Da kam ich am anderen Ende deſſelben an dem kleinen Häuschen Viktors vorüber. Ich guckte ihm ins Fenſter hinein, das, wie Du weißt, im Som¬ mer Tag und Nacht offen ſteht. Er ſaß eben, mit dem Rücken gegen das Fenſter, über einem alten dicken Buche, den Kopf in die Hand geſtützt. Das Licht auf dem Tiſche flackerte ungewiß umher, die24370vielen Uhren an den Wänden pickten einförmig im¬ merfort, es war eine unendliche Einſamkeit drinnen. Ich begrüßte ihn endlich mit dem Vers, der ihm im ganzen Fauſt der liebſte war: Ich guckte der Eule in ihr Neſt, Hu! die macht 'ein Paar Au¬ gen! Er wandte ſich ſchnell um und als er mein Geſicht völlig erkannte, ſprang er auf, warf die Bücher und alles, was auf dem Tiſche lag, auf die Erde und tanzte wie unſinnig in der Stube herum. Ich kletterte ſogleich durchs Fenſter zu ihm hinein, ergriff eine halbbeſpannte Geige, die an der Wand hieng, und ſo walzten wir beyde mit den ſeltſam¬ ſten Geberden und großem Getös nebeneinander in der kleinen Stube auf und ab, bis er endlich er¬ ſchöpft vor Lachen auf den Boden hinſank. Es dauerte lange, ehe wir zu einem vernünftigen Diſ¬ kurs kamen, während welchem er einen ungeheue¬ ren Krug voll Wein anſchleppte. Er iſt noch immer der alte, noch immer nicht fetter, nicht ruhiger, nicht klüger, und, wie ſonſt, wüthend kriegeriſch gegen alle Sentimentalität, die er ordentlich mi߬ handelt.

Gegen Mitternacht endlich, ſoviel er auch dage¬ gen hatte, zog ich wieder von dannen, das gelobte Land in ruhigem Schlafe hinter mir, und die weite Stille ringsumher geſegnend, während Viktor, der mich ein Stück begleitet hatte, auf der letzten Höhe mir wie eine Windmühle in der Dunkelheit mit dem Hute nachſchwenkte und nachrief, bis alles in den großen, grauen Schooß verſunken war.

371

In den Krieg denn von neuem in Gottes Nahmen hinaus! rief ich drauſſen und nahm die Richtung auf mein Schloß, da ich indeß erfahren hatte, daß der Tummelplatz jetzt dort in der Nähe ſey. Bey Sonnenaufgang ſah ich die unſrigen in dem weiten Thale bunt und blitzend zerſtreut wie¬ der und das Herz gieng mir auf bey dem Anblick. Die luſtige Bewegung, die mir von weitem ſo mu¬ thig entgegenblitzte, war aber nichts anderes, als eine verworrene, gränzenloſe Flucht. Der Feind war noch ziemlich weit, ich ritt daher an den zer¬ ſtreuten Trupps langſam vorüber. Da ſah ich den Haufen in dumpfer Reſignation herumtaumeln, Mehrere weiſe Mienen achſelzuckend zur Schau tragen, als ſteckten wohl ganz andere Plane dahin¬ ter keinem hätte das Herz im Leibe zerſpringen mögen. Da fiel mir ein, was mir Viktor oft in ſeinen melankoliſchſten Stunden geſagt: beſſer Uhren machen, als Soldaten ſpielen.

Ich meines Theils war feſt entſchloſſen, da alles, was mir ehrwürdig und lieb auf Erden war, zu Grunde gehen ſollte, lieber fechtend ſelber mit unterzugeh'n, als gefangen in der gemeinen Schande zurückzubleiben. Ich ſprengte eilig auf mein Schloß und bot alle meine Jäger und Diener auf, deren Geſinnung und Treue ich kannte, viele Freywillige von der Armee geſellten ſich wacker da¬ zu und ſo verſchanzten und beſetzten wir mein Schloß und Garten, da ich wohl wußte, daß der24 *372Feind bey ſeiner Verfolgung dieſen Weg nehmen und demſelben an dieſer vortheilhaften Höhe beſon¬ ders viel gelegen ſeyn mußte. Wir wehrten uns verzweifelt oder vielmehr tollkühn gegen die Ueber¬ macht. Die feindlichen Kugeln hatten mein Schloß fürchterlich zerriſſen, die Geſimſe brannten, ein Burgthor nach dem anderen ſtürzte in den Lohen zuſammen, alles war verlohren, und ich fiel der letzte nieder. Als ich die Augen wieder auf¬ ſchlug, lag ich im Sonnenſcheine in dem ſchönen Garten des Herrn v. A. vor der großen Ausſicht, und Julie ſtand ſtill neben mir.

Hier hielt Leontin inne, denn Julie, die ſich ſchon einige Zeit mit ängſtlicher Unruhe umgeſehen hatte, ſagte ihm etwas ins Ohr, ſtand ſchnell auf und gieng in den Wald hinein, worauf Leontin, nachdem er ihr eine Weile nachgeſehen, folgender¬ maßen wieder fortfuhr:

Es war mir wie im Traume, als ich ſo wie¬ der meinen erſten Blick in die Welt that, alles auf einmal ſo ſtille um mich, und Julie neben mir, die mich ſchweigend und ernſthaft betrachtete. Sie ſagte mir damals nichts, aber ſpäter erfuhr und errieth ich Folgendes: Der moderne Junge, dem ich damals in der Nacht auf dem Schloſſe des Herrn v. A. begegnet, war ein Edelmann aus der Nach¬ barſchaft, der erſt unlängſt von Univerſitäten auf ſeine Güter zurückgekehrt war. Seine faſt täglichen Beſuche bey Julien, ſeine ungebundene Art mit ihr umzugehen, und die voreilig geſchwätzigen Andeu¬373 tungen der anfangs noch lebenden Tante veranla߬ ten, daß er binnen kurzer Zeit allgemein für Ju¬ liens Bräutigam gehalten wurde. Er war nach ſei¬ ner Art verliebt in Julien, aber ein Mädchen im Ernſte zu lieben oder gar zu heirathen, hielt er für lächerlich, denn er war zum Dichter beru¬ fen. Als nachher der Krieg ausbrach und das Ge¬ rücht mein Benehmen dabey auch bis dorthin trug, prieß er mit gränzenloſem Enthuſiasmus, doch im¬ mer mit der vornehmen Miene eines eigenen, hö¬ heren Standpunktes, ſolche erzgediegene, Lebens¬ kräftige Naturen, ewig zuſammenhaltende Granit¬ blöcke des Gemeinweſens u. ſ. w., aber ſelbſt mit dreinſchlagen konnt 'er nicht, denn er war zum Dichter berufen. Uebrigens hat er ein ganz or¬ dinär ſogenanntes gutes Herz. Daher ritt er, als mich allerhand widerſprechende Gerüchte bald für todt, bald für verwundet ausgaben, aus Mitleid für Julien auf Kundſchaft aus, und kehrte eben in jener Nacht, da ich ihm begegnete, mit der ge¬ wiſſen Bothſchaft meines Lebens zurück, und Ju¬ liens: Er lebt! das mich damals ſo ſchnell vom Fenſter und übern Zaun und aus dem Dorfe trieb, galt mir.

Erſtaunt erfuhr Julie am Morgen von Viktor meinen ſchnellen Durchzug und bald nachher auch das Loos meiner Burg. Ohne Verwirrung im Schreck wie in der Freude, ſattelte ſie noch in der Nacht, wo ſie die Nachricht erhalten, ihr Pferd, und ritt, ohne ihren Vater zu wecken, mit einem374 Bedienten nach meinem Schloß. Der vermeynte Bräutigam, der noch dort war, ließ es ſich durch¬ aus nicht nehmen, die Romanze, wie er es nann¬ te, mitzumachen. Er ſchmückte ſich in aller Eile ſehr phantaſtiſch und abentheuerlich aus, bewaffne¬ te ſich mit einem Schwerdt, einer Flinte und meh¬ reren Piſtolen, obſchon die Feinde mein Schloß längſt wieder verlaſſen hatten, da es ihnen jetzt, bey dem großen Vorſprunge der Unſrigen, ganz unnütz geworden war. Julie ſuchte unermüdlich zwiſchen den zuſammengefallenen Steinen, erkann¬ te mich endlich und trug mich ſelbſt aus den dam¬ pfenden Trümmern. Der Bräutigam machte ein Sonett darauf und Julie heilte mich zu Hauſe aus.

Da aber meine Vertheidigung des Schloſſes als unberufen, und, in einem bereits eroberten Lande, als rebelliſch angeſehen wird, ſo wurde mir vom Feinde nachgeſtellt und ich befand mich auf dem Schloſſe des Herrn v. A. nicht mehr ſicher. Man brachte mich daher auf dieſe abgelegene Mühle hier, wo mich Julie täglich beſucht, bis ich endlich jetzt wieder ganz hergeſtellt bin.

So endigte Leontin ſeine Erzählung. Und wohin willſt Du nun? fragte Friedrich. Jetzt weiß ich nichts mehr in der Welt, ſagte Leontin unmu¬ thig. Sie mußten abbrechen, denn eben kam Julie wieder zurück und winkte Leontinen heimlich mit den Augen, als ſey etwas Bewußtes glücklich vollbracht.

375

Sie hatten indeß über dieſen Unterhaltungen alle nicht bemerkt, daß es bereits anfieng dunkel zu werden. Julie wurde es zuerſt gewahr, und zwar nicht ohne ſichtbare Verlegenheit, denn jetzt in der Nacht nach Hauſe zu reiten, war, wegen den noch immer herumſtreifenden Soldaten, für ihr Geheim¬ niß höchſtbedenklich, andrerſeits überfiel ſie ein mäd¬ chenhafter Schauer bey dem Gedanken, ſo alleine mit zwey Männern im Walde über Nacht zu blei¬ ben. Am Ende mußte ſie ſich doch zu dem letzteren bequemen, und ſo lagerten ſie ſich dann, ſo gut ſie konnten, vergnüglich in das hohe Gras auf der An¬ höhe.

Die Nacht dehnte langſam die ungeheueren Drachenflügel über den Kreis der Wildniß unter ihnen, die Wälder rauſchten dunkel aus der grän¬ zenloſen Stille herauf. Julie war ohne alle Furcht. Leontin aber, der noch matt war, fieng endlich an, ſich nach kräftigerer Ruhe zu ſehnen, und auch Julien wurde die zunehmende Friſche der Nacht nach und nach empfindlich. Sie brachen daher auf und begaben ſich zu der nahen, alten, verlaſſenen Müh¬ le, wo Leontin, wie geſagt, ſchon ſeit einigen Ta¬ gen heimlich ſein Quartier hatte. Friedrich wollte drauſſen auf der Schwelle bleiben und als ein wa¬ ckerer Ritter die Jungfrau im Kaſtell bewachen, Julie bat ihn aber erröthend mit hineinzugehen, und er willigte lächelnd ein, während einem Be¬ dienten, den Julie mitgebracht, aufgetragen wurde, vor der Thür Haus und Pferde zu bewachen.

376

Das Stübchen, das ſie in Beſchlag nahmen, war eng und nur zur Noth vor dem Wetter ver¬ wahrt. Ein Bett, das Julie für Leontin mitge¬ bracht hatte, wurde vertheilt und nebſt einigem Stroh auf dem Fußboden ausgebreitet, ſo daß es für alle drey hinreichte; Licht wagte man nicht zu brennen. Die beyden Grafen nahmen das Fräulein in ihre Mitte, Leontin war vor Müdigkeit bald entſchlafen. Friedrich bemerkte, wie Julie ſich feſt aufs Ohr legte und that als ob ſie ſchliefe, wäh¬ rend ſie beyde Augen lauſchend weit offen hatte und Leontinen in einemfort ungeſtört betrachtete, bis ſie endlich auch mit einſchlummerte.

Friedrich hatte ſich mit halbem Leibe aufgerich¬ tet und ſah ſich, auf den einen Arm geſtützt, ringsum. Ein Schauder überlief ihn, ſich wieder an demſelben Orte zu erblicken, wo er damals die grauſige Nacht verlebt. Er gedachte des jungen Mädchens wieder, das ihm damals in dieſer Stube hier Feuer gepickt hatte, ihm fiel dabey die räth¬ ſelhafte Geſtalt ein, die er heut bey ſeiner Ankunft vor der Mühle getroffen, und ihre flüchtige Aehn¬ lichkeit mit jener, und er verſank in ein Meer von Erinnerungen und Verwirrung. Julien hörte er leiſe neben ſich athmen, es war eine unendlich ſtille, mondhelle Nacht.

Da erhob ſich auf einmal drauſſen ein Geſang, von einer Zitter begleitet, zuerſt vom Walde, dann wie aus der Ferne melodiſch ſchallend, das Haus mit wunderſchönen Weiſen erfüllend, dann wieder377 weiter verhallend. Friedrich wagte kaum zu ath¬ men, um die Zauberey nicht zu ſtören. Doch, je länger er den leiſe, verſchwindenden Tönen lauſchte, je unruhiger wurde er nach und nach; denn es war wieder jenes alte Lied aus ſeiner Kindheit, das er einmal in der Nacht auf Leontins Schloſſe von Er¬ win auf der Mauer ſingen gehört; auch ſchien es dieſelbe Stimme. Er raffte ſich endlich auf und trat leiſe vor die Thüre hinaus. Da lag und ſchlief der Bediente quer über der Schwelle wie ein Tod¬ ter. Drauſſen ſah er den Sänger im hellen Mond¬ ſcheine unter den hohen Eichen wandeln. Er lief freudig auf ihn zu es war Erwin! Der Kna¬ be wandte ſich ſchnell, und als er Friedrich'n er¬ blickte, ſtürzte er mit einem durchdringenden Schrey zu Boden, unter ihm lag ſeine Zitter zerbrochen.

Der Bediente auf der Schwelle fuhr über dem Schrey taumelnd auf. Verrückt! verrückt! rief er, ſich aufmunternd, Friedrich'n zu, und eilte ſehr ängſtlich in das Haus hinein, um ſeine Herrſchaft zu wecken. Friedrich'n ſchnitt dieſer Ausruf wie Schwerdter durchs Herz, denn er hatte es aus des Knaben unbegreiflicher Flucht längſt gefürchtet.

Erwin ſah indeß wie aus einem langen Traume mit ungewißſchweifenden Blicken rings um ſich her und dann Friedrich'n an, während ſehr heftige innerliche Zuckungen, die ſich immer mehr dem Her¬ zen zu nähern ſchienen, durch ſeinen Körper fuh¬ ren. Abgebrochen durch den Schmerz, aber ohne ſein ſchönes Geſicht zu verziehen, ſagte er zu Frie¬378 drich: Es war ein tiefes, weites, roſenrothes Meer, Dich ſah ich darin auf dem Grunde immer¬ fort über hohe Gebirge gehen, ich ſang die beſten alten Lieder, die ich wußte, aber Du erinnerteſt Dich nicht mehr daran, und ich konnte Dich niemals erjagen, und unten ſtand der Alte tief im Mee¬ re, ich fürchtete mich vor ſeinen Augen. Manchmal ruhteſt Du, auf mich zugewendet, aus, da ſaß ich ſtill Dir gegenüber und ſah Dich viel hundert Jah¬ re an ach, ich war Dir ſo gut, ſo gut! Die Leute ſagten, ich ſey verrückt, ich hörte es wohl und hörte auch drauſſen die Uhren ſchlagen und die Welt ordentlich gehen und ſchallen wie durch Glas, aber ich konnte nicht mit hinein. Da¬ mals war mir wohl, jetzt bin ich wieder krank. Glaube nur nicht, daß ich jetzt irre ſpreche, jetzt weiß ich wohl recht gut, was ich rede und wo ich bin daß iſt ja der Eichgrund, das iſt die alte Mühle bey dieſen Worten verſank er in ein ſtar¬ res Nachſinnen. Dann fuhr er unter immerwähren¬ den Krämpfen wieder fort: Dort, wo die Sonne aufgeh'n wird, iſt ein großer Wald, in dem Walde wohnt ein Mann mit dunklen Augen und einer lan¬ gen Schramme über dem rechten Auge, der kennt mich und Euch alle, er hier nahmen die Zu¬ ckungen in immer engeren Kreiſen auf einmal ſehr heftig zu. Der Knabe nahm Friedrichs Hand, drück¬ te ſie feſt an ſeine Lippen und ſagte: mein lieber Herr! Ein plötzlicher Krampf ſtreckte noch einmal ſeinen ganzen Leib und er hörte auf zu athmen.

379

Friedrich, auſſer ſich, ſtürzte über ihn her und öffnete oben ſchnell ſein Wamms, denn es war die¬ ſelbe phantaſtiſche Kleidung, die der Knabe ſonſt auf dem Schloſſe des Herrn v. A. getragen hatte. Wie ſehr erſchrack und erſtaunte er, als ihm da der ſchönſte Mädchenbuſen entgegenſchwoll, noch warm, aber nicht mehr ſchlagend. Er blieb wie eingewurzelt auf ſeinen Knieen und ſtarrte dem Mädchen in das ſtille Geſicht, als hätte er es noch nie vorher geſehen.

Leontin und Julie waren unterdeß auch aus der Mühle herbeygeeilt. Sie ſchienen gar nicht er¬ ſtaunt, Erwin hier zu ſehen, noch weniger über die Entdeckung ſeines Geſchlechts, ſondern nur be¬ ſtürzt über ſeinen jetzigen, unerwarteten Zuſtand. In ſtummer Geſchäftigkeit, ohne ſich, wechſelſeitig zu erklären, waren alle nur bemüht, ihn ins Le¬ ben zurückzurufen aber alles blieb vergebens, das ſchöne, ſeltſame Mädchen war todt.

Julie hatte ſie troſtlos vor ſich auf dem Schoo¬ ße liegen. Sie ruhte wie ein Engel ſtill und ſchön. Kein Athem wehte mehr ſäuſelnd durch die zarten, rothen Lippen, die ſonſt zu ſo wunderſchö¬ nen Tönen ſich aufthaten, ihre großen Augen, ſo lieblichwild, waren auf ewig verſchloſſen, nur eine einſame Nachtluft bewegte noch ihre Locken hin und her. Leontin und Friedrich ſaſſen ſtillſchweigend ge¬ genüber. Friedrich, dem jetzt auf einmal viele Son¬ derbarkeiten des Mädchens nur zu klar wurden, klagte ſich in tiefem, ſtummen Schmerze bey ſich380 ſelber an, daß er ihre zerſtörende, verhaltene Liebe zu ihm ſo ſchlecht belohnt, daß er ſie bey größerer Achtſamkeit hätte ſchonen und retten können.

Während deß fieng jenſeits über dem Walde der Morgen an zu dämmern und beleuchtete die ſeltſame Gruppe. Da kam plötzlich ein Bediente von dem Schloſſe des Herrn v. A. angeſprengt und brachte athemlos die Nachricht, daß ein feindlicher Offizier mit ſeinem Trupp in der Nähe herumſtrei¬ fe, und ihnen, wie er eben von Bauern erfahren, auf der Spur ſey. Die Beſtürzung Aller über dieſe unerwartete Begebenheit war nicht gering. Leontin und Friedrich, die Ein Schickſal verfolgte, waren in dieſem Augenblick noch ohne weiteren Plan; ſo viel war gewiß, daß Julie zum Vater zurückkehren, und das todte Mädchen mitnehmen mußte. Die Leiche wurde daher eiligſt auf ein ledi¬ ges Handpferd gehoben. Dabey entdeckte Julie ein reichgefaßtes Medaillon, welches das Mädchen auf dem bloſſen Leibe hängen hatte und das ſonſt nie¬ mand jemals bey ihr bemerkt. Es war das Por¬ trait eines ſehr ſchönen, etwa neunjährigen Mäd¬ chens. Sie nahm es ab und überreichte es Frie¬ drich'n.

Sein Geſicht veränderte ſich, als er den erſten Blick darauf warf; denn es waren die Züge der kleinen Angelina, mit der er als Kind ſo oft im Garten geſpielt, und welcher, wie es ihm nun ganz klar wurde, das Kind Maria auf dem Heiligenbilde des verlaſſenen Gebirgsſchloſſes ſo auffallend ähnlich381 ſah. Er betrachtete es lange gerührt und ſtill¬ ſchweigend. Da fielen ihm die räthſelhaften Worte wieder ein, die Erwin ſterbend von dem Alten im Walde geſagt hatte. Er zweifelte nicht, daß dieſer um Vieles wiſſen müſſe, was ihnen Licht über das ſonderbare Leben der Verſtorbenen und ihrem Zu¬ ſammenhang mit ſeiner eignen Kindheit geben kön¬ ne. Er erzählte es Leontinen. Dieſer erſchrack dar¬ über und wurde bey jedem Worte aufmerkſamer; er ſchien den Alten ſelber ſchon geſehen zu haben, doch ſagte er nicht, wann und wo.

Die beyden Freunde beſchloſſen nun, jenen Winken Erwins zufolge, die Richtung nach dem be¬ ſchriebenen Walde hinzunehmen, um dort vielleicht eine erwünſchte Auflöſung zu erhalten, da überdieß jene Wildniß von Feinden rein, und der Weg Leontinen ziemlich bekannt war. Es wurde ſchnell alles vorbereitet. Sie nahmen herzlichen Abſchied von Julien, mit dem Verſprechen, einander ſo bald als möglich wiederzuſehen, und Julie ritt nun mit ihrer ſüſſen, traurigen Laſt, die ſie in ihrer bunten Kleidung wie eine abgebrochene Blume auf einem Pferde neben ſich herführte, von der einen Seite nach Hauſe, während ſie von der anderen gegen Sonnenaufgang in den großen Wald fortzogen.

382

Einundzwanzigſtes Kapitel.

Der Morgen ſtieg dampfend aus den Wäldern, als die beyden Grafen ſchon ferne über einen ein¬ ſamen Wieſengrund hinritten, der ſeltſamen Ereig¬ niſſe dieſer Nacht gedenkend. Der Weg war für jeden Fremdling faſt ungangbar, die Entfernung, die ſie in den wenigen Stunden zurückgelegt, ziem¬ lich beträchtlich, ſie konnten ſchon langſamer und gemächlicher zieh'n. Da erzählte Leontin Friedrich'n Folgendes:

Es war ein ſchöner Sommermorgen, da Julie in ihrem Schlafzimmer, das, wie Du weißt, auf den Garten hinausgeht, noch ſchlummerte, als ſie drauſſen von einer bekannten Stimme mit einem be¬ kannten Liede geweckt wurde. Sie trat in den Garten hinaus und ſah Erwin, der wieder auf der Blumenterraſſe ſaß und in das glänzende Land hin¬ ausſang. Mit pochendem Herzen flog ſie zu ihm und fragte ihn nach ſeinen Herren. Der Knabe ſah ſie aber ſtarr an, er war blaß und ſeltſam verwil¬ dert im Geſichte, und aus ſeinen verwirrten Ant¬ worten bemerkte ſie bald mit Schrecken, daß er verrückt ſey. In ſolchem Gemüthszuſtande hatte er uns nemlich in jener Nacht auf dem Rheine ſo unbegreiflich verlaſſen, und auf unzähligen Umwe¬383 gen zu dem Schloſſe des Herrn v. A. ſich geflüch¬ tet, wahrſcheinlich aus Eiferſucht, denn die beyden Jäger, die wir damals in der alten Burg trafen, und die dann mit uns auf dem Rheine fuhren, waren, wie ich nachher erfuhr, niemand anders als Romana und meine Schweſter Roſa, welche Erwin bey dem ſchnellen Lichte des Blitzes, gleichwie mit ſchärferen Sinnen, plötzlich erkannt hatte. Frie¬ drich verwunderte ſich hier über die gewagte Klei¬ dung der beyden Weiber und beklagte das unglück¬ liche Ohngefähr, indem ihm dabey alles, was in jener Nacht vorgegangen, wieder erinnerlich ward. Leontin fuhr fort: Erwin verrieth durch ſeine jetzige verwirrte Unachtſamkeit gar bald ſein Ge¬ ſchlecht und ſeine tiefe und unüberwindliche Neigung zu Dir. Das unglückliche Mädchen ſang ſehr viel und ihre Lieder zeigten oft eine zeitig aufgereitzte und heimlich genährte heftige Sinnlichkeit. Von ihrem früheſten Leben war auch jetzt nicht das min¬ deſte herauszukriegen. Julie bot alles auf, ſie zu retten. Sie nannte ſie Erwin, gab ihr Frauenzim¬ merkleider, ſuchte überhaupt alles erinnernde Phan¬ taſtiſche aus ihrer Lebensweiſe zu entfernen und taufte ſie ſo, nach dem gewöhnlichen Verfahren in ſolchen Fällen, in gemeingültige Proſa. Das Mäd¬ chen wurde dadurch auch ſtiller, aber es war eine wahre Grabesſtille, von der ſie ſich nur manchmal im Geſange wieder zu erholen ſchien.

So traf ich ſie, als ich verwundet auf dem Schloſſe ankam. Mein erſter Anblick verdarb auf384 einmal wieder viel an ihr, doch nur vorübergehend. Viel heftiger, und uns allen unerklärlich aber er¬ ſchütterte ſie der Anblick der alten Mühle, wohin wir ſie mitnahmen, als ich hingebracht wurde; ſie zitterte am ganzen Leibe. Julie nahm ſie daher künftig niemals mehr mit dorthin. Geſtern aber war ſie Ihr heimlich nachgeſchlichen, und ſie war es, die Du im weißen Gewande ſingend vor der Mühle trafſt. Wir waren in nicht geringer Be¬ ſorgniß, daß ſie Dich nicht ſo plötzlich wiederſähe, und Julie ſchickte ſie daher heimlich mit dem Be¬ dienten ſogleich wieder auf das Schloß zurück. Dort muß ſie aber in der Nacht ihrer alten Knabentracht habhaft geworden und noch einmal entwichen ſeyn.

Der Schluß von Leontins Erzählung beſtättigte Friedrichs Ahnung, daß Erwin wirklich daſſelbe Mädchen ſeyn müſſe, das ihm damals in jener fürchterlichen Nacht in der Mühle Feuer gemacht und hinaufgeleuchtet hatte, womit auch ihre ſchon bemerkte Aehnlichkeit vollkommen übereinſtimmte. Er verſank darüber in Gedanken und ſie beſchleunigten beyde ſtillſchweigend wieder ihre Reiſe.

Gegen Abend erblickten ſie auf einmal von ei¬ ner Höhe fern unten die Kuppeln der Reſidenz. Ein von plötzlichem Regen angeſchwollener Gebirgs¬ bach hinderte ſie zugleich, ihren Weg in der bishe¬ rigen Richtung fortzuſetzen. Sie blieben eine Weile unentſchloſſen ſtehen. Die Dämmerung fieng indeß an, ſich niederzuſenken, da bemerkten ſie mit Ver¬wun¬385wunderung Feuerblicke und ſchnell entſtehende und wieder verſchwindende Sterne in der Gegend der Reſidenz, die ſie für Raketen hielten. Das ſieht recht luſtig aus, ſagte Leontin. Hier können wir ohnedieß nicht weiter, laß uns einen Streifzug dorthinaus wagen und ſehen, was es in der Stadt giebt. Wir kommen wohl in der Dunkelheit uner¬ kannt durch und ſind, ehe der Tag anbricht, wieder im Gebirge. Friedrich willigte ein, und ſo zogen ſie in's Thal hinunter.

Noch vor Mitternacht langten ſie vor der Re¬ ſidenz an. Der ganze Kreis der Stadt war bis zu den höchſten Thurmſpitzen hinauf erleuchtet und lag mit ſeinen unzähligen Fenſtern wie eine Feeninſel in der ſtillen Nacht vor ihnen. Sie hatten die Kühn¬ heit bis ins Thor hineinzureiten. Ein verworrener Schwall von Muſik und Lichtern quoll ihnen da ent¬ gegen. Herren und Damen wandelten, wie am Tage, geputzt durch die Gaſſen, unzählige Wagen mit Fackeln tosten dazwiſchen, ſich mannigfaltig durchkreuzend, eine fröhliche Menge ſchwärmte hin und her. Nun, was giebt's denn hier noch für eine raſende Freude? fragte Leontin endlich einen Handwerksmann, der, ein Schurzfell um den Leib, und ein Glas Brandtwein hoch in der Hand, un¬ aufhörlich Vivat rief. Der Mann machte eine ver¬ teufelt pfiffige Miene und hätte gern die Unwiſſen¬ heit der beyden Fremden tüchtig abgeführt, wenn ihm nicht eben ſein Witz verſagt hätte. Endlich25386ſagte er: der Erbprinz hält heute Hochzeit mit der ſchönen Gräfin Roſa. Wer will mir da den Brandt¬ wein verbieten! Mag der Gräfin voriger Bräuti¬ gam Waſſer ſauffen, denn er iſt lange todt, und Ihr Bruder mit den Engeln Milch und Honig trin¬ ken, denn er treibt ſich in allen Wäldern herum. Hol 'der Teufel alle Ruheſtörer! Friede! Friede! Es leben alle Patrioten, Vivat hoch! So tau¬ melte der Brandtweinzapf wieder weiter.

Die beyden Grafen ſahen einander verwundert an. An Friedrichs Bruſt ſchallte die Neuigkeit ziemlich gleichgültig vorüber. Er hatte Roſa'n längſt aufgegeben. Seine Phantaſie, die Liebes¬ kupplerin, war ſeitdem von gröſſeren Bildern durch¬ drungen, alle die hellen Quellen ſeiner irdiſchen Lie¬ be waren in Einen groſſen, ruhigen Strom geſam¬ melt, der andere Wünſche und Hoffnungen zu einem anderen Geliebten trug.

Ein Bürger, der ihr Geſpräch mit dem Be¬ trunkenen mit angehört hatte, war unterdeß zu ihnen getreten und ſagte: Es iſt alles wahr, was der Kerl da ſo konfus vorgebracht. Die Gräfin Roſa hatte wirklich vorher ſchon einen Grafen zum Liebhaber. Der iſt aber im Kriege geblieben, und es iſt gut für ihn, denn er iſt mit Lehn und Habe dem Staate verfallen. Der Bruder der Gräfin ebenfalls, aber wir wiſſen von ſicherer Hand, daß man gegen dieſen nicht ſtreng verfahren wird und ihm gern verzeihen möchte, wenn er nur zurückkä¬387 me und Reue und Beſſerung verſpüren laſſen woll¬ te.

Leontin lachte bey dieſen Worten laut auf und gab ſeinem Pferde die Sporen. Friſchauf! ſagte er zu Friedrich, ich ziehe mit den Todten, da die Lebendigen ſo abgeſtanden ſind! Ich mag keinen von ihnen mehr wiederſehen, kommen wir wieder zurück auf unſere grünen Freiheitsburgen!

Sie waren indeß an das fürſtliche Schloß ge¬ kommen. Tanzmuſik ſchallte aus den hellen Fen¬ ſtern. Eine Menge Volks war unten verſammelt und gebährdete ſich wie unſinnig vor Entzücken. Denn Roſa zeigte ſich eben an der Seite ihres Bräutigams am Fenſter. Man konnte ſie deutlich ſehen. Ihre blendende Schönheit, mit einem reichen Diadem von Edelſteinen geſchmückt, funkelte und blitzte bey den vielen Lichtern manches Herz unten zu Aſche. So hatte ſie ihr höchſtes Ziel, die weltliche Pracht und Herrlichkeit erreicht. Sie taugte niemals viel, Weltfutter, nichts als Welt¬ futter! ſchimpfte Leontin ärgerlich immerfort. Frie¬ drich drückte den Hut tief in die Augen und ſo zo¬ gen die beyden dunklen Geſtalten einſam durch den Jubel hindurch, zum Thore hinaus und wieder in die Berge zurück.

Nach mehreren einſamen Tagereiſen, wobey auch die ſchönen Nächte zu Hülfe genommen wur¬ den, kamen ſie endlich immer höher auf das Ge¬ birge. Die Gegend wurde immer größer und ern¬25 *388ſter, kaum noch lagen mehr einzelne Hirtenhütten in den tiefen dunkelgrünen Schluften hin und her zerſtreut, es war eine gränzenloſe Einſamkeit, ne¬ benaus oft Streifen von unermeßlicher Ausſicht. Ihre Herzen wurden wieder ſtark und weit und voll kühler Freudenquellen.

Da erblickten ſie ſehr unerwartet mitten in der Wildniß einen niedrigen, zierlichen Zaun von wei¬ ßem Birkenholz, dem es ordentlich Mühe zu koſten ſchien, die wilde Freyheit der Natur, die überall ihre grünen, feſten Arme, wie zum Spotte, unge¬ zogen durchſtreckte, im Zaum zu halten. Sie lach¬ ten einander beyde bey dem erſten Anblicke an, denn überraſchender konnte ihnen nichts kommen, als gar eine moderne engliſche Anlage in dieſer menſchenleeren Gegend. Sie ritten längs des Zau¬ nes hin, aber nirgends war die geringſte Spur ei¬ nes Einganges. Sie wußten wohl, daß ſie bereits in dem großen Walde ſeyn mußten, den Erwine ſterbend meynte, auch waren ſie nach der langen Tagereiſe begierig, endlich einmal Menſchen, Speiß und Trank wiederzufinden, ſie banden daher ihre Pferde an und ſprengten über den Zaun hinein.

Ein niedlicher Schlangenpfad, mit weißem Sande ausgeſtreut, führte ſie dort bis an ein gro¬ ßes, dichtes Gebüſch von meiſt ausländiſchen Sträu¬ chern, wo er ſich plötzlich in zwey Arme theilte. Sie ſchlugen nun jeder für ſich allein einen derſel¬ ben ein, um ſo deſto eher zu einer erwünſchten Entdeckung zu gelangen. Doch dieſe ſchmalen Pfa¬389 de giengen ſeltſam genug in einem ewigen Kreiſe immerfort um ſich ſelber herum, ſo daß die beyden Grafen, je emſiger ſie zuſchritten, zwar immer ganz nahe blieben, aber einander niemals erjagen oder zuſammenkommen konnten. Einigemal, wo die Gänge ſich plötzlich durchkreuzten, ſtießen ſie un¬ verhofft aneinander, trennten ſich von neuem, und ſtanden endlich, nachdem ſie ſich beynah müde ge¬ irrt, auf einmal wieder vor dem Zaune, an dem¬ ſelben Orte, wo ſie ausgelaufen waren.

Sie lachten und ärgerten ſich zugleich über den ſinnreichen Einfall. Doch machte ſie dieſe kleine Probe aufmerkſam und neugieriger auf die ganze ſonderbare Anlage. Sie nahmen daher noch einmal einen beherzten Anlauf und drangen nun mitten durch das dicke Gehege grad hindurch. Da kamen ſie bald auf einen freyen Platz zu einem Gebäude. Ihre Augen konnten ſich bey dem erſten verwirren¬ den Anblick durchaus nicht aus dem labyrinthiſchen, höchſtabentheuerlichen Gemiſch dieſes Tempels her¬ ausfinden, ſo unförmlich, obgleich klein, war alles über - und durcheinander gebaut. Den Hauptein¬ gang nemlich bildete ein griechiſcher Tempel mit zierlichem Säulenportal, welches ſehr komiſch aus¬ ſah, da alles überaus niedlich und nur aus ange¬ ſtrichenem Holze war. Sie traten hinein und fan¬ den in der Halle einen hölzernen Apollo, der die Geige ſtrich und dem der Kopf fehlte, weil nicht mehr Raum genug dazu übriggeblieben war. Gleich aus dem Tempel trat man in einen geſchmackvollen390 Kuhſtall nebſt einer vollſtändigen holländiſchen Mayerey in der neueſten Manier, aber alles leer. Ueber der Mayerey hieng wie ein Bienenkorb eine Art von ſchwebender Einſiedeley. Den zweiten Ein¬ gang bildete ein viereckiger Thurm, wie bey den al¬ ten Burgen, der eine Ruine vorſtellen ſollte, und auf deſſen Mauer hin und her Blumentöpfe mit Moos umherſtanden. Ueber das ganze Gemiſch hinweg endlich erhob ſich ein feingeſchnitztes, bun¬ tes, chineſiſches Thürmchen, an welchem unzählige Glöcklein im Winde muſizirten. Unter dieſem Thürmchen in dem innerſten Gemache ſaß immitten des getäfelten Bodens ein unförmlicher, kleiner Chineſe von Porzellain mit untergeſchlagenen Bei¬ nen und dickem Bauche und wackelte einſam fort mit dem breiten Kahlkopfe, als der einzige Bewoh¬ ner ſeines unſinnigen Pallaſtes.

Nein, das iſt zu toll! ſagte Leontin, was gäb 'ich d'rum, wenn wir den Phantaſten von Baumei¬ ſter noch ſelber in ſeinem Zauberneſte überraſchten! Das iſt ja ein wahrer Surrogat-Tempel für alle Geſchmäcke auf Erden.

Während deß waren ſie endlich in dem letzten Gemache des Gebäudes angekommen, welches mit großen goldenen Buchſtaben: Geſellſchafts-Saal überſchrieben war. Sie erſtaunten auch wirklich beym Eintritt nicht wenig über die ungeheuere Geſellſchaft, denn Wände und Decke beſtanden daſelbſt aus künſtlich-geſchliffenen Spiegeln, die ihre Geſtalten auf einmal ins Unendliche vervielfältigten. Ihr391 Kopf war ganz überfüllt und verwirrt von dem Geſehenen. Kein Menſch war in der weiten Run¬ de zu hören, es grauste ihnen faſt, länger in die¬ ſer Verrückung ſo einſam zu verweilen und ſie be¬ gaben ſich daher ſchnell wieder ins Freye.

Sie durchſtrichen darauf noch den anderen Theil des Parks, der auf die alltäglichſte Art mit Trauerweiden, Baumgruppchen, Brückchen u. ſ. w. angefüllt war. Auch die üblichen Aushängetafeln mit Inſchriften waren im Ueberfluß vorhanden, nur mit dem Unterſchiede, daß hier alle von einer unge¬ heueren Länge und Breite waren, ſo daß ſie die jungen Bäume, an denen ſie befeſtiget, faſt bis auf die Erde herunterzogen. Unſere Reiſenden ver¬ weilten verwundert hin und wieder, und laſen un¬ ter andern: Wachſen, Blühen, Staubwerden. Gleich daneben ſtand auf einer anderen Tafel die erſte Strophe von: Freut euch des Lebens! u. ſ. w., nebſt einigen Zotten.

So von groben Bäumen verfolgt, waren ſie endlich am anderen Ende des ſonderbaren Parks angekommen, wo derſelbe wieder durch ein niedli¬ ches Zäunchen von dem Walde geſchieden war. Noch eine ungeheuere Inſchrift begrüßte ſie dort folgendermaßen: Gefühlvoller Wanderer! ſtehe ſtill und vergieße einige Thränen über deine Narr¬ heit! Darunter ſtand nur noch halbleſerlich mit Bleyſtift geſchrieben: und dann kehre wieder um, denn mir biſt du doch nur langweilig. Nicht ohne Bedeutung, wie es ſchien, ſtieß dieſe letzte Partie392 des Gartens, welche beſonders kleinlich aus aller¬ ley Zwergbäumchen nebſt einem kaum bemerkbaren Waſſerfalle beſtand, auf einmal an den dunkelgrü¬ nen Saum des Hochwaldes. Zwiſchen Felſen ſtürz¬ te dort ein einſamer Strom grad hinab, als wollte er den ganzen Garten vernichten, wandte ſich dann am Fuß der Höhe plötzlich, wie aus Verachtung, wieder ſeitwärts in den Wald zurück, deſſen ern¬ ſtes, ewiggleiches Rauſchen gegen die unruhig phan¬ taſtiſche Spielerey der Gartenanlage faſt ſchmerzlich abſtach, ſo daß die beyden Freunde überraſcht ſtill ſtanden. Sie ſehnten ſich recht in die große, ruhi¬ ge, kühle Pracht hinaus und athmeten erſt frey, als ſie wirklich endlich wieder zu Pferde ſaſſen.

Während ſie ſich ſo über das Geſehene beſpra¬ chen, verwundert, keine menſchliche Wohnung rings¬ um zu erblicken, fieng indeß die Gegend an etwas lieblicher und milder zu werden. Vor ihnen erhob ſich ein freundlicher, bis an den Gipfel mit Laub¬ wald bedeckter Berg aus dem dunkelzackigen Chaos von Gebirgen. Hinter dem Berge ſchien es nach der einen Seite hin auf einmal freyer zu werden und verſprach eine große Ausſicht. Sie zogen lang¬ ſam ihres Weges fort, der Himmel war unbe¬ ſchreiblich heiter, der Abend ſank ſchon hernieder und ſpielte mit ſeinen letzten Strahlen luſtig in dem lichten Grün des Berges vor ihnen. Friedrich hat¬ te lange unverwandt in die Gegend vor ſich hinaus¬ geſehen, dann hielt er plötzlich an und ſagte: Ich weiß nicht, wie mir iſt, dieſe Ausſicht iſt mir ſo393 altbekannt, und doch war ich ſo lange ich lebe nicht hier.

Je weiter ſie kamen, je erinnernder und ſehn¬ ſüchtiger ſprach jede Stelle zu ihm; oft verwan¬ delte ſich auf einmal alles wieder, ein Baum, ein Hügel legte ſich fremd vor ſeine Ausſicht wie in eine uralte, wehmüthige Zeit, doch konnte er ſich durchaus nicht beſinnen.

So hatten ſie nach und nach den Gipfel des Berges erreicht. Freudig überraſcht ſtanden ſie bey¬ de ſtill, denn eine überſchwengliche Ausſicht über Städte, Ströme und Wälder, ſo weit die Blicke in das fröhlichbunte Reich hinauslangten, lag un¬ ermeßlich unter ihnen. Da erinnerte ſich Friedrich auf einmal; das iſt ja meine Heimath! rief er, mit ganzer Seele in die Ausſicht verſenkt. Was ich ſehe, hier und in die Runde, alles gemahnt mich wie ein Zauberſpiegel an den Ort, wo ich als Kind aufwuchs! Derſelbe Wald, dieſelbe Gänge nur das ſchöne alterthümliche Schloß finde ich nicht wieder auf dem Berge.

Sie ſtiegen weiter und erblickten wirklich auf dem Gipfel im Gebüſche die Ruinen eines alten, verfallenen Schloſſes. Sie kletterten über die um¬ hergeworfenen Steine hinein, und erſtaunten nicht wenig, als ſie dort ein ſteinernes Grabmal fanden, das ihnen durch ſeine Schönheit ſowohl, als durch ſeine mannigfaltige Bedeutſamkeit auffiel. Es ſtell¬ te nemlich eine junge, ſchöne, faſt wollüſtiggebaute394 weibliche Figur vor, die todt über den Steinen lag. Ihre Arme waren mit künſtlichen Spangen, ihr Haupt mit Pfauenfedern geſchmückt. Eine gro¬ ße Schlange, mit einem Krönlein auf dem Kopfe, hatte ſich ihr dreymal um den Leib geſchlungen. Neben und zum Theil über dem ſchönen Leichnam lag ein altgeformtes Schwerdt, in der Mitte ent¬ zweygeſprungen und ein zerbrochenes Wappen. Aus dieſer Gruppe erhob ſich ein hohes, einfaches Kreutz, mit ſeinem Fuße die Schlange erdrückend.

Friedrich traute ſeinen Augen kaum, da er bey genauerer Betrachtung auf dem zerbrochenen Schil¬ de ſein eigenes Familien-Wappen erkannte. Seine Augen fielen dabey noch einmal aufmerkſamer auf die weibliche Geſtalt, deren Geſicht ſo eben von einem glühenden Abendſtrahle hell beleuchtet wurde. Er erſchrack und wußte doch nicht, warum ihn die¬ ſe Mienen ſo wunderbar anzogen. Endlich nahm er das kleine Portrait hervor, das ſie auf Erwi¬ nens Bruſt gefunden hatten. Es waren dieſelben Züge, es war das ſchöne Kind, mit dem er da¬ mals in dem Blumengarten ſeiner Heimath geſpielt; nur das Leben ſchien ſeitdem viele Züge verwiſcht und ſeltſam entfremdet zu haben. Ein wehmüthiger Strom von Erinnerung zog da durch ſeine Seele, dem er kaum mehr in jenes frühſte, helldunkle Wunderland nachzufolgen vermochte. Er fühlte ſchaudernd ſeinen eignen Lebenslauf in den geheim¬ nißvollen Kreis dieſer Berge mit hineingezogen.

395

Er ſetzte ſich voller Gedanken auf das ſteinerne Grabmal und ſah in die Thäler hinunter, wie die Welt da nur noch in einzelnen, großen Farbenmaſ¬ ſen durcheinanderarbeitete, in welche Thürme und Dörfer langſam verſanken, bis es dann ſtille wurde wie über einem beruhigten Meere. Nur das Kreutz auf ihrem Berge oben funkelte noch lange golden fort.

Da hörten ſie auf einmal hinter ihnen eine Schalmey über die Berge wehen; die Töne blie¬ ben oft in weiter Ferne aus, dann brachen ſie auf einmal wieder mit neuer Gewalt durch die ziehen¬ den Wolken herüber. Sie ſprangen freudig auf. Sie zweifelten längſt nicht mehr, daß ſie ſich in dem Gebiete des ſonderbaren Mannes befänden, zu dem ſie von Erwin hingewieſen worden. Um deſto willkommener war es ihnen, endlich einen Menſchen zu finden, der ihnen aus dieſem wunderbaren La¬ byrinthe heraushälfe, in dem ihre Augen ſo wie Gedanken verwirrt und verlohren waren. Sie be¬ ſtiegen daher ſchnell ihre Pferde und ritten jenen Klängen nach.

Die Töne führten ſie immerfort bergan zu ei¬ ner ungeheueren Höhe, die immer öder und ver¬ laſſener wurde. Ganz oben erblickten ſie endlich ei¬ nen Hirten, welcher, auf der Schalmey blaſend, ſeine Heerde in der Dämmerung vor ſich her nach Hauſe trieb. Sie grüßten ihn, er dankte und ſah ſie ruhig und lange von oben bis unten an. Wem dient ihr? fragte Leontin Dem Grafen. Wo396 wohnt der Graf? Dort rechts auf dem letzten Berge in ſeinem Schloſſe. Wer liegt dort, fuhr Leontin fort, auf der grünen Höhe unter den ſtei¬ nernen Figuren begraben? Der Hirt ſah ihn an und antwortete nicht; er wußte nichts davon und war noch niemals dort hinabgekommen. Sie rit¬ ten langſam neben ihm her, da erzählte er ihnen, wie auch er weit von hier in den Thälern geboh¬ ren und aufgewachſen ſey, aber das iſt lange her, ſagte er, und weiß nicht mehr, wie es unten aus¬ ſieht. Darauf wünſchte er ihnen eine gute Nacht, nahm ſeine Schalmey wieder vor und lenkte links in das Gebirge hinein. Sie blickten rings um ſich, es war eine weite, kahle Haide und die Aus¬ ſicht zwiſchen den einzelnen Fichten, die hin und her zerſtreut ſtanden, unbeſchreiblich einſam, als wäre die Welt zu Ende. Es wurde ihnen Angſt und weh an dem Orte. Sie gaben ihren Pferden die Sporen und ſchlugen rechts den Weg ein, den ihnen der einſylbige Hirt zu dem Schloſſe des Gra¬ fen angezeigt hatte.

Es war indeß völlig dunkel geworden. Die Gegend wurde noch immer höher, die Luft ſchär¬ fer; ſie wickelten ſich feſt in ihre Mäntel ein und ritten ſchnell fort. Da erblickten ſie endlich auf dem höchſten Gipfel des Gebirges das verheiſſene Schloß. Es war, ſoviel ſie in der Dunkelheit unterſcheiden konnten, weitläuftig gebaut und alt. Der Weg führte ſie von ſelbſt durch ein dunkles Bogenthor in den alterthümlichen, gepflaſterten Hof, in deſſen397 Mitte ſich ein großer Baum über einem ſteinernen Springbrunnen wölbte.

Das erſte, das ihnen dort auffiel, war ein ſeltſamer Menſch, mit einem langen, breiten Talar über den Achſeln, einer Art von Krone, die etwas ſchief auf dem Kopfe ſaß, und einem langen Hir¬ tenſtabe in der Hand. Er näherte ſich ihnen ein wenig, kehrte ſich dann ſtolz wieder um und gieng mit einem feyerlich abgemeſſenen Schwebetritt lang¬ ſam über den Hof, wobey der breite Mantel, wie der Schweif eines ſich aufblähenden kalekuttiſchen Hahnes, hinter ihm dreinrauſchte. Ein alter Mann war unterdeß heruntergekommen, und ſagte den beyden Gäſten, ſein Graf ſey nicht zu Hauſe, bat ſie aber abzuſteigen. Sie hatten die Augen noch auf jene vorüberſchwebende Figur gerichtet, und fragten erſtaunt, was das zu bedeuten habe? Er ſucht den Karfunkelſtein, ſagte der Alte trocken und führte ihre Pferde ab.

Ein junger Menſch, der ſich inzwiſchen mit ei¬ nem Lichte eingefunden hatte, bat ſie, ihm zu fol¬ gen, und führte ſie ſtillſchweigend über verſchiedene Wendeltreppen und einen langen Bogengang in ein großes, gothiſchgewölbtes Gemach mit zwey Him¬ melbetten, ein Paar großen, altmodiſchen Stühlen und einem ungeheueren runden Tiſche in der Mitte. Sie bemerkten mit Verwunderung, daß er ein le¬ dernes Reiterwamms trug und ſeine ganze Tracht überhaupt altdeutſch ſey. Seine blonden Haare hat¬398 te er über der Stirne geſcheitelt und in ſchönen Lo¬ cken über die Schultern herabhängend.

Er ſetzte das Licht auf den Tiſch und fragte ſie, wann ſie wieder weiter zu ziehen gedächten? Ach, fügte er hinzu, ohne erſt ihre Antwort abzu¬ warten, ach, könnt 'ich mitzieh'n! Und wer hält Euch denn hier? fragte Leontin. Es iſt meine eigne Unwürdigkeit, entgegnete jener wieder, wohl fehlt mir noch viel zu der ehrenfeſten Geſin¬ nung, zu der Andacht und der beſtändigen Begei¬ ſterung, um der Welt wieder einmal Luft zum Himmel zu hauen. Ich bin geringe und noch kein Ritter, aber ich hoffe es durch fleiſſige Tugendübung mit Gottes Gnade zu werden und gegen die Hey¬ den hinauszuzieh'n. Denn die Welt wimmelt wie¬ der von Heyden. Die Burgen ſind geſchleift, die Wälder ausgehauen, alle Wunder haben Abſchied genommen, und die Erde ſchämt ſich recht in ihrer fahlen, leeren Nacktheit vor dem Kruzifixe, wo noch eines einſam auf dem Felde ſteht; aber die Heyden handthieren und gehen hochmüthig vorüber und ſchämen ſich nicht. Er ſprach dieß mit einer wirk¬ lich rührenden Demuth, doch ſelbſt in der ſteigen¬ den Begeiſterung, in die er ſich bey den letzten Worten hineingeſprochen hatte, blieb etwas modern fades in ſeinen Zügen zurück. Leontin faßte ihn bey der Hand und wußte nicht, was er aus ihm machen ſollte, denn für einen Menſchen, der ſeine ordentliche Vernunft beſitzt, hatte er ihm doch bey¬ nah zu geſcheid geſprochen.

399

Unterdeß hatte ſich der Ritter nachläſſig in ei¬ nen Stuhl geworfen, zog eine Lorgnette unter dem Wamms hervor, betrachtete die beyden Grafen flüchtig und ſagte, ſeine letzten Worte wohlgefällig wiederholend: aber die Heyden gehen vorüber und ſchämen ſich nicht . Recht gut geſagt, nicht wahr, recht gut? Beyde ſahen ihn erſtaunt an. Er lorgnirte ſie von neuem. Aber ihr ſeyd doch recht einfältig, fuhr er darauf lachend fort, daß ihr das alles eigentlich ſo für baaren Ernſt nehmt! Ihr ſeyd wohl noch niemals in Berlin ge¬ weſen? Seht, ich möchte wohl eigentlich ein Rit¬ ter ſeyn, aber, aufrichtig geſprochen, das iſt doch im Grunde alles närriſches Zeug, welcher geſcheide Menſch wird im Ernſte an ſo etwas glauben! Ue¬ berdieß wäre es auch ſchrecklich langweilig, ſo ſtren¬ ge auf Tugend und Ehre zu halten. Ich verſichere Euch aber, ich bin wohl eigentlich ein Ritter, aber ihr faßt das nur nicht, ihr anderen Leute, ich hal¬ te aus ganzer Seele gleichſam auf die alte Ehre, aber ſeht, das iſt ganz anders zu verſtehen das iſt aber ihr verſteht mich doch nicht das iſt hiebey ſchien er verwirrt und zerſtreut zu werden. Er zog ſein Ritterwamms vom Leibe und erſchien auf einmal in einem überaus modernen Neglig: vom feinſten, weißen Perkal, von dem er mit vie¬ ler Grazie hin und wieder die Staubfleckchen abzu¬ klopfen und wegzublaſen bemüht war.

Nach einer Weile nahm er das Augenglas wieder vor und muſterte die beyden Fremden, ſi[c]h400 vornehm auf dem Seſſel hin und herſchaukelnd. Bey welchem Schneider laſſen Sie arbeiten? ſagte er endlich. Dann ſtand er auf und befühlte ihre Hemden an der Bruſt. Aber, mein Gott! wie kann man ſo etwas tragen? ſagte er, bon soir, bon soir, mes amis! Hiemit gieng er, laut ein fran¬ zöſiſches Liedchen trellernd, ab. In der Thüre be¬ gegnete er einem Mädchen, das eben mit einem Korb voll Erfriſchungen heraufkam. Er nahm ſie ſogleich in den Arm und wollte ſie küſſen. Sie ſchien aber keinen Spaß zu verſtehen und warf den Ritter, wie ſie an dem Gepolter wahrnehmen konn¬ ten, ziemlich unſanft die Stiege hinab.

Nun wahrhaftig, ſagte Friedrich, hier geht es luſtig zu, ich ſehe nur, wann wir beyde ſelber an¬ fangen, mit verrückt zu werden. Mir war bey dem Kerl zu Muthe, meynte Leontin, als ſollten wir ihn hundemäſſig durchprügeln.

Das Mädchen hatte unterdeß, ohne ein Wort zu ſprechen, mit unglaublicher Geſchwindigkeit den Tiſch gedeckt und Eſſen aufgetragen. Ihre Haſt fiel ihnen auf, ſie betrachteten ſie genauer und er¬ ſchracken beyde, als ſie in ihr die verlohrene Marie erkannten. Sie war Leichenblaß, ihr ſchönes Haar war ſeltſam aufgeputzt und phantaſtiſch mit bunten Federn und Flitter geſchmückt. Der überraſchte Leontin nahm ſie ſanftſtreichelnd bey dem weichen, vollen Arme und ſah ihr in die ſonſt ſo friſchen Au¬ gen, die er ſeit ihrem Abſchiede auf der Gebirgs¬reiſe401reiſe nicht wiedergeſehen hatte. Sie aber wand die Hand los, legte den Finger geheimnißvoll auf den Mund und war ſo im Augenblicke zur Thür hinaus. Vergebens eilten und riefen ſie ihr nach, ſie war gleich einer Lazerte zwiſchen dem alten Gemäuer verſchwunden.

Beyde hatte dieſes unerwartete Begegniß ſehr bewegt. Sie lehnten ſich in das Fenſter und ſahen über die Wälder hinaus, die der Mond herrlich be¬ leuchtete. Leontin wurde immer ſtiller. Endlich ſagte er: es iſt doch ſeltſam, wie gegenwärtig mir hier eine Begebenheit wird, die mich einſt heftig erſchütterte; und ich täuſche mich nicht, daß ich hier endlich eine Auflöſung darüber erhalten werde. Frie¬ drich bat ihn, ſie ihm mitzutheilen, und Leontin erzählte:

Ich hatte einſt ein Liebchen hinter dem Walde bey meinem Schloſſe, ein gutes, herziges, verlieb¬ tes Ding. Ich ritt gewöhnlich ſpät Abends zu ihr, und ſie litt mich wohl manchmal über Nacht. Ei¬ nes Abends, da ich eben auch hinkomme, ſieht ſie ungewöhnlich blaß und ernſthaft und empfängt mich faſt feyerlich, ohne mir wie ſonſt um den Hals zu fallen. Doch ſchien ſie mehr traurig als ſchmollend. Wir giengen an dem Teiche ſpazieren, der bey ihrem Häuschen lag, wo ſie mit ihrer Mutter ein¬ ſam wohnte; da ſagte ſie mir: ich ſey ja geſtern Abends noch ſehr ſpät bey ihr geweſen, und da ſie mich küſſen wollen, hätte ich ſie ermahnt, lieber26402Gott als die Männer zu lieben, darauf hätte ich noch eine Weile ſehr ſtreng und ernſthaft mit ihr geſprochen, wovon ſie aber nur wenig verſtanden, und wäre dann ohne Abſchied fortgegangen.

Ich erſchrack nicht wenig über dieſe Rede, denn ich war jenen Abend nicht von meinem Schloſſe weggekommen. Während ſie noch ſo erzählte, be¬ merkte ich, daß ſie plötzlich blaß wurde und ſtarr auf einen Fleck im Walde hinſah. Ich konnte nir¬ gends etwas erblicken, aber Sie fiel auf einmal für todt auf die Erde.

Als ſie ſich zu Hauſe, wohin ich ſie gebracht, nach einiger Zeit wieder erholt hatte, ſchien ſie ſich ordentlich vor mir zu fürchten und bat mich in ei¬ ner ſonderbaren Gemüthsbewegung, niemals mehr wieder kommen. Ich mußt 'es ihr verſprechen, um ſie einigermaſſen zu beruhigen. Demohngeachtet trieb mich die Beſorgniß um das Mädchen und die Neugierde den folgenden Abend wieder hinaus, um wenigſtens von der Mutter etwas zu erfahren.

Es war ſchon ziemlich ſpät, der Mond ſchien wie heute. Als ich in dem Walde, durch den ich hindurch mußte, eben auf einem etwas freyen, mondhellen Platz herumbeuge, ſteigt auf einmal mein Pferd und mein eignes Haar vom Kopf in die Höh '. Denn einige Schritt' vor mir, lang und unbeweglich an einem Baume, ſtehe Ich ſelber leib¬ haftig. Mir fiel dabey ein, was das Mädchen ge¬ ſtern ſagte; mir grauſte durch Mark und Bein bey403 dem gräßlichen Anblick. Darauf faßte mich, ich weiß ſelbſt nicht wie, ein ſeltſamer Zorn, das Phantom zu vernichten, das immer unbeweglich auf mich ſah. Ich ſpornte mein Pferd, aber es ſtieg ſchnaubend in die Höh und wollte nicht d'ran. Die Angſt ſteckte mich am Ende mit an, ich konnte es nicht aushalten, länger hinzuſeh'n, mein Pferd kehr¬ te unaufhaltſam um, eine unbeſchreibliche Furcht be¬ mächtigte ſich ſeiner und meiner, und ſo gieng es Windſchnell durch Sträucher und Hecken, daß die Aeſte mich hin und her blutig ſchlugen, bis wir beyde athemlos wieder bey dem Schloſſe anlangten. Das war jener Abend vor unſerer Gebirgsreiſe, da ich ſo wild und ungebährdet that, als Du mit Fa¬ ber ruhig am Tiſch auf der Wieſe ſaſſeſt. Spä¬ ter erfuhr ich, daß das Mädchen denſelben Abend um dieſelbe Stunde geſtorben ſey. Und ſo wolle Gott jeden Schnapphan kuriren, denn ich habe mich ſeitdem gebeſſert, das kann ich redlich ſagen!

Friedrich erinnerte ſich bey dieſer wunderlichen Geſchichte an eine Nacht auf Leontins Schloſſe, wie er Erwinen einmal von der Mauer ſich mit einem fremden Manne unterhalten gehört, und dann ei¬ nen langen, dunklen Schatten von ihm in den Wald hineingeh'n geſehen hatte. Allerdings, ſag¬ te Leontin, habe ich ſelber einmal dergleichen be¬ merkt, und es kam mir zu meinem Erſtaunen vor, als wäre es dieſelbe Geſtalt, die mir im Walde er¬ ſchienen. Aber Du weißt, wie geheimnißvoll Erwi¬26 *404ne immer war und blieb; doch ſoviel wird mir, nach verſchiedenen flüchtigen Aeuſſerungen von ihr, immer wahrſcheinlicher, daß dieſes Bild hier in die¬ ſem Walde ſpucke oder lebe, es ſey nun, was es wolle. Ich weiß nicht, ob Du noch unſeres Be¬ ſuches auf dem Schloſſe der Frau v. A. gedenkeſt. Dort ſah ich ein altes Ritterbild, vor dem ich au¬ genblicklich zurückfuhr. Denn es war offenbar ſein Portrait. Es waren meine eignen Züge nur et¬ was älter und einen fremden Zug auf der Stirne über den Augen.

Während Leontin noch ſo ſprach, hörten ſie auf einmal ein Geräuſch auf dem Hofe unten und ein Reiter ſprengte durch das Thor herein; mehre¬ re Windlichter füllten ſogleich den Platz, in deren über die Mauern hinſchweifenden Scheinen ſich alle Figuren nur noch dunkler ausnahmen. Er iſt's! rief Leontin. Der Reiter, welcher der Herr des Schloſſes zu ſeyn ſchien, ſtieg ſchnell ab und gieng hinein, die Windlichter verſchwanden mit ihm und es war plötzlich wieder dunkel und ſtille wie vorher.

Leontin war ſehr bewegt, ſie beyde blieben noch lange voll Erwartung am Fenſter, aber es rührte ſich nichts im Schloſſe. Ermüdet warfen ſie ſich endlich auf die großen, altmodiſchen Betten, um den Tag zu erwarten, aber ſie konnten nicht einſchlafen, denn der Wind knarrte und pfiff unauf¬ hörlich an den Wetterhähnen und Pfeilern des al¬ ten, weitläufigen Schloſſes, und ein ſeltſames Sau¬405 ſen, das nicht vom Walde herzukommen ſchien, ſon¬ dern wie ferner Wellenſchlag tönte, brauste die ganze Nacht hindurch.

Zweyundzwanzigſtes Kapitel.

Kaum fieng der Morgen drauſſen an zu däm¬ mern, ſo ſprangen die Beyden ſchon von ihrem La¬ ger auf und eilten aus ihrem Zimmer auf den Gang hinaus. Aber kein Menſch war noch da zu ſehen, die Gänge und Stiegen ſtanden leer, der ſteinerne Brunnen im Hofe rauſchte einförmig fort. Sie giengen unruhig auf und ab; nirgends bemerk¬ ten ſie einen neuen Bau oder Verzierung an dem Schloſſe, es ſchien nur das Alte grade zur Noth¬ durft zuſammengehalten. Bunte Blumen und kleine grüne Bäumchen wuchſen hin und wieder auf dem hohen Dache, zwiſchen denen Vögel luſtig ſangen. Sie kamen endlich über mehrere Gänge in dem ab¬ gelegenſten und verfallenſten Theile des Schloſſes in ein offenes, hochgelegenes Gemach, deſſen Wände ſie mit Kohle bemahlt fanden. Es waren meiſt flüchtige Umriſſe von mehr als lebensgroßen Figu¬ ren, Felſen und Bäumen, zum Theil halbverwiſcht und unkenntlich. Gleich an der Thüre war eine ſeltſame Figur, die ſie ſogleich für den Eulenſpiegel erkannten. Auf der anderen Wand erkannte Frie¬406 drich höchſtbetroffen einen großen, ziemlich weitläu¬ figen Umriß ſeiner Heimath, das große alte Schloß und den Garten auf dem Berge, den Strom un¬ ten, den Wald und die ganze Gegend. Aber es war unbeſchreiblich einſam anzuſehen, denn ein un¬ geheuerer Sturm ſchien über die winterliche Gegend zu gehen, und beugte die entlaubten Bäume alle nach einer Seite, ſo wie auch eine wilde Flammen¬ krone, die aus dem Dache des Schloſſes hervor¬ brach, welches zum Theil ſchon in der Feuersbrunſt zuſammenſtürzte.

Friedrich konnte die Augen von dieſen Zügen kaum wegwenden, als Leontin einen Haufen von Zeichnungen und Skizzen hervorzog, die ganz ver¬ ſtaubt und vermodert in einem Winkel des Zimmers lagen. Sie ſetzten ſich beyde auf den Fußboden hin und rollten eine nach der anderen auf. Die meiſten Blätter waren komiſchen Inhalts, faſt alle von ei¬ nem ungewöhnlichen Umfang. Die Züge waren durchaus keck und oft bis zur Härte ſtreng, aber keine der Darſtellungen machte einen angenehmen, viele ſogar einen widrigen Eindruck. Unter den ko¬ miſchen Geſichtern glaubte Friedrich zu ſeiner höch¬ ſten Verwunderung manche alte Bekannte aus ſei¬ ner Kindheit wiederzufinden.

Der erſte Morgenſchein fiel indeß ſo eben durch die hohen Bogenfenſter und ſpielte gar ſeltſam an den Wänden der Polterkammer und in die wunder¬ liche Welt der Gedanken und Geſtalten hinein, die rings um ſie her auf dem Boden zerſtreut lagen. 407Es war ihnen dabey wie in einem Traume zu Mu¬ the. Sie ſchoben endlich alle die Bilder wieder in den Winkel zuſammen und lehnten ſich zum Fen¬ ſter hinaus.

Alles war noch nächtlich und gränzenlos ſtill, nur einige frühe Vögel zogen pfeiffend hin und her über den Wald und begrüßten die erſten Morgen¬ ſtrahlen, die durch die Wipfel funkelten. Da hör¬ ten ſie auf einmal drauſſen in einiger Entfernung folgendes Lied ſingen:

Ein Stern ſtill nach dem andern fällt
Tief in des Himmels Kluft,
Schon zucken Strahlen durch die Welt,
Ich wittre Morgenluſt.
In Qualmen ſteigt und ſinkt das Thal;
Verödet noch vom Feſt
Liegt ſtill der weite Freudenſaal,
Und todt noch alle Gäſt '.
Da hebt die Sonne aus dem Meer
Erathmend ihren Lauf:
Zur Erde geht, was feucht und ſchwer,
Was klar, zu ihr hinauf.
Hebt grüner Wälder Trieb und Macht
Neurauſchend in die Luft,
Zieht hinten Städte, eitel Pracht,
Blau 'Berge durch den Duft.
Spannt aus die grünen Tepp'che weich,
Von Strömen hell durchrankt,
Und ſchallend glänzt das friſche Reich,
So weit das Auge langt.
408
Der Menſch nun aus der tiefen Welt
Der Träume tritt heraus,
Freut ſich, daß alles noch ſo hält,
Daß noch das Spiel nicht aus.
Und nun geht's an ein Fleiſſigſeyn!
Umſumſend Berg und Thal,
Agiret luſtig Groß und Klein,
Den Plunder allzumal.
Die Sonne ſteiget einſam auf,
Ernſt über Luſt und Weh,
Lenkt ſie den ungeſtörten Lauf,
In ſtiller Glorie.
Und wie er dehnt die Flügel aus,
Und wie er auch ſich ſtellt:
Der Menſch kann nimmermehr hinaus,
Aus dieſer Narrenwelt.

Die beyden Freunde eilten ſogleich auf das ſon¬ derbare Lied hinunter und aus dem Schloſſe hin¬ aus. Die Wälder rauchten ringsum aus den Thä¬ lern, eine kühle Morgenluft griff ſtärkend an alle Glieder. Der Geſang hatte unterdeß aufgehört, doch erblickten ſie in jener Gegend, wo er herge¬ kommen war, einen großen, ſchönen, ziemlich jun¬ gen Mann an dem Eingange des Waldes. Er ſtand auf und ſchien weggeh'n zu wollen, als er ſie ge¬ wahr wurde; dann blieb er ſtehen und ſah ſie noch einmal an, kam darauf auf ſie zu, faßte Frie¬ drich'n bey der Hand und ſagte ſehr gleichgültig: Willkommen Bruder!

409

Wie dem Schweizer in der Fremde, wenn plötz¬ lich ein Alphorn ertönt, alle Berge und Thäler, die ihn von der Heimath ſcheiden, in dem Klange verſinken, und er ſieht die Gletſcher wieder und den alten, ſtillen Garten am Bergeshange und al¬ le die morgenfriſche Ausſicht in das Wunderreich der Kindheit, ſo fiel auch Friedrich'n bey dem Tone dieſer Stimme die mühſame Wand eines langen, verworrenen Lebens von der Seele nieder: er erkannte ſeinen wilden Bruder Rudolph, der als Knabe fortgelaufen war, und von dem er ſeitdem nie wieder etwas gehört hatte.

Keine ruhige, ſegensreiche Vergangenheit ſchien aus dieſen dunkelglühenden Blicken hervorzuſehen, eine Narbe über dem rechten Auge entſtellte ihn ſeltſam. Leontin ſtand ſtill dabey und betrachtete ihn aufmerkſam, denn es war wirklich daſſelbe Bild, das ihm mitten im bunten Leben oft ſo ſchau¬ rig begegnet. O, mein lieber Bruder, ſagte Frie¬ drich, ſo habe ich dich denn wirklich wieder! Ich habe dich immer geliebt. Und als ich dann größer wurde und die Welt immer kleiner und enger, und alles ſo Wunderlos und zahm, wie oft hab 'ich da an dich zurückgedacht und mich nach deinem wunder¬ baren härteren Weſen geſehnt! Rudolph ſchien wenig auf dieſe Worte zu achten, ſondern wandte ſich zu Leontinen um und ſagte: Wie geht es Euch, mein Signor Amoroſo? Durch dieſen Wald geht kein Weg zum Liebchen. Und keiner in der Welt mehr, fiel ihm Leontin, der wohl wußte, was er410 meyne, empfindlich ins Wort, denn Euere Poſſen haben das Mädchen ins Grab gebracht. Beſſer todt, als eine H ſagte Rudolph gelaſſen. Aber, fuhr er fort, was treibt euch aus der Welt hier zu mir herauf? Sucht Ihr Ruhe: ich habe ſelber keine, ſucht Ihr Liebe: ich liebe keinen Menſchen, oder wollt Ihr mich liſtig ausſondiren, zerſtreuen und luſtig machen: ſo zieht nur in Frieden wieder hinunter, eßt, trinkt, arbeitet fleiſſig, ſchlaft bey eueren Weibern oder Mädchen, ſeyd luſtig und lacht, daß ihr euch krähend die Seiten halten müßt, und danket Gott, daß er euch weiße Lebern, einen ordentlichen Verſtand, keinen überflüſſigen Witz, geſellige Sitten und ein langes, wohlgefälli¬ ges Leben beſcheret hat denn mir iſt das alles zuwider. Friedrich ſah den Bruder ſtaunend an, dann ſagte er: Wie iſt dein Gemüth ſo feindſelig und wüſt geworden! Hat dich die Liebe Nein, ſagte Rudolph, Ihr ſeyd gar verliebt, da lebt recht wohl!

Hiemit gieng er wirklich mit großen Schritten in den Wald hinein und war bald hinter den Bäu¬ men verſchwunden. Leontin lief ihm einige Schrit¬ te nach, aber vergebens. Nein, rief er endlich aus, er ſoll mich nicht ſo verachten, der wunderliche Ge¬ ſell! Ich bin ſo reich und ſo verrückt wie Er! Friedrich ſagte: Ich kann es nicht mit Worten aus¬ drücken, wie es mich rührt, den tapferen, gerech¬ ten, rüſtigen Knaben, der mir immer vorgeſchwebt, wenn ich Dich anſah, ſo verwildert wiederzuſehen. 411Aber ich bleibe nun gewiß, auch wider ſeinen Wil¬ len, hier, ich will keine Mühe ſparen, ſein reines Gold, denn ſolches war in ihm, aus dem wüſtver¬ fallenen Schacht wieder ans Tageslicht zu fördern. O, fiel ihm Leontin ins Wort, das Meer iſt nicht ſo tief, als der Hochmüthige in ſich ſelber verſunken iſt! Nimm dich in Acht! er zieht dich eher ſchwindelnd zu ſich hinunter, ehe du ihn zu dir hin¬ auf.

Friedrich'n hatte der Anblick ſeines Bruders auf das heftigſte bewegt. Er gieng ſchnell von Leon¬ tinen fort und allein tief in den Wald hinein. Er brauchte der ſtillen, vollen Einſamkeit, um die neuen Erſcheinungen, die auf einmal ſo gewaltſam auf ihn eindrangen, zu verarbeiten, und ſeine ſeltſam auf¬ geregten Geiſter zu beruhigen.

Lange war er ſo im Walde herumgeſchweift, als auch Leontin wieder zu ihm ſtieß. Dieſer hatte während deß wieder jene Bilderſtube beſtiegen, und die Zeit unter den Zeichnungen geſeſſen. Dabey waren ihm in dieſer Einſamkeit die Figuren oft wie lebendiggeworden vorgekommen und verſchiedene Lie¬ der eines Wahnſinnigen eingefallen, die er, wie Sprüche auf die alten Bilder, den Geſtalten aus dem Munde auf die Wand aufgeſchrieben hatte.

Die Sonne fieng ſchon wieder an ſich von der Mittagshöhe herabzuneigen. Weder Leontin noch Friedrich wußten recht, wo ſie ſich befanden, denn kein ordentlicher Weg führte vom Schloſſe hieher. 412Sie ſchlugen daher die ohngefähre Richtung ein, ſich über den melankoliſchen Rudolph beſprechend. Als ſie nach langem Irren eben auf einer Höhe angelangt waren, hörten ſie plötzlich mehrere leb¬ hafte Stimmen vor ſich. Ein undurchdringliches Dickicht, durch welches von dieſer Seite kein Ein¬ gang möglich war, trennte ſie von den Sprechen¬ den. Leontin bog die oberſten Zweige mit Gewalt auseinander: da eröffnete ſich ihnen auf einmal das ſeltſamſte Geſicht. Mehrere auffallende Figuren nemlich, worunter ſie ſogleich Marie'n, den Kar¬ funkelſteinſpäher und den Ritter von Geſtern er¬ kannten, lagen und ſaſſen dort auf einer grünen Wieſe zerſtreut umher. Die große Einſamkeit, die fremdartigen, zum Theil ritterlichen Trachten, wo¬ mit die meiſten angethan, gaben der Gruppe ein überraſchendes, buntes und wunderſames Anſeh'n, als ob ein Zug von Rittern und Frauen aus alter Zeit hier ausraſte.

Marie war ihnen beſonders nahe, doch ohne ſie zu bemerken. Sie war mit langen Kränzen von Gras behangen und hatte eine Guitarre vor ſich auf dem Schooße. Auf dieſer ſpielte ſie und ſang das Lied, das ſie damals auf dem Rehe geſungen, als ſie Friedrich zum erſtenmale auf der Wieſe bey Leontins Schloſſe traf. Nach der erſten Strophe hielt ſie, in Gedanken verlohren, inne, als wollte ſie ſich auf das weitere beſinnen, und fieng dann das Lied immer wieder von Anfang an.

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Mitten unter den Narren ſaß Rudolph auf er¬ nem umgefallenen Baumſtamme, den Kopf vornhin in beyde Arme auf die Kniee geſtützt. Er war ohne Hut und ſah ſehr blaß. Mit Verwunderung hörten ſie, wie er mit ihnen allen in ein lebhaftes Geſpräch vertieft war. Er wußte dem Wahnſinn eines jeden eine Tiefe und Bedeutung zu geben, über welche ſie erſtaunten, und je verrückter die Narren ſprachen, je witziger und ausgelaſſener wur¬ de er in ſeinem wunderlichen Humor. Aber ſein Witz war ſcharf ohne Heiterkeit, wie Diſſonanzen einer großen, zerſtörten Muſik, die keinen Einklang finden können oder mögen.

Leontin, der aufmerkſam zugehört hatte, war es durchaus unmöglich, das wilde Spiel länger zu ertragen. Er hielt ſich nicht mehr, riß mit Gewalt durch das Dickicht und eilte auf Rudolphen zu Rudolph, durch ſein Geſpräch exaltirt, ſprang über der plötzlichen, unerwarteten Erſcheinung raſch auf und riß dem verrückten Ritter, der neben ihm ſaß, den Degen aus der Scheide. So mit dem Degen aufgerichtet, ſah der lange Mann mit ſeinen ver¬ worrenen Haaren und bleichem Geſichte faſt Geſpen¬ ſterartig aus. Beyde hieben in demſelben Augen¬ blicke wüthend aufeinander ein, denn Leontin gieng unter dieſen Verrückten nicht unbewaffnet aus. Ein Strom von Blut drang plötzlich aus Rudolphs Arme und machte der ſeltſamen Verblendung ein Ende. Alles dieſes war das Wert eines Augen¬ blicks.

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Friedrich war indeß auch herbeygeeilt, und bey¬ de Freunde waren bemüht, das Blut des verwun¬ deten Rudolphs mit ihren Tüchern zu ſtillen, wor¬ auf ſie ihn näher an ſein Schloß führten.

Als er ſich nach einiger Zeit wieder erholt hat¬ te, und die Gemüther beruhigt waren, äuſſerte Friedrich ſeine Verwunderung, wie er ſo einſam in dieſer Geſellſchaft aushalten könne.

Und was iſt es denn mehr und anders, ſagte Rudolph, als in der anderen geſcheiden Welt? Da ſteht auch jeder mit ſeinen beſonderen, eignen Empfindungen, Gedanken, Anſichten und Wünſchen neben dem anderen wieder mit ſeinem beſonderen Weſen, und, wie ſie ſich auch, gleichwie mit Po¬ lypenarmen, künſtlich betaſten und einander recht aus dem Grunde herauszufühlen trachten, es weiß ja doch am Ende keiner, was er ſelber iſt oder was der andere eigentlich meynt und haben will, und ſo muß jeder dem anderen verrückt ſeyn, wenn es übri¬ gens Narren ſind, die überhaupt noch etwas meynen oder wollen. Das einzige Tolle bey jenen Verrück¬ ten von Profeſſion aber iſt nur, daß ſie dabey noch glücklich ſind.

Bey dieſen Worten erblickte er das vielerwähn¬ te Medaillon von Erwin, das Friedrich nur halb¬ verborgen unter dem Rocke trug. Er gieng ſchnell auf Friedrich'n zu. Woher haſt du das? fragte er, und nahm das Bild zu ſich. Er ſchien bewegt, als ſie ihm erzählten, von wem ſie es hatten, und daß Erwin geſtorben ſey, doch konnte man nicht unter¬415 ſcheiden, ob es Zorn oder Rührung war. Er ſah darauf das Bild lange Zeit an und ſagte kein Wort.

Durch die Ermattung von dem Blutverluſte, ſo wie durch den unerwarteten Anblick des Portraits ſchien ſeine Wildheit einigermaſſen gebändiget. Die beyden Freunde drangen daher in ihn, ihnen end¬ lich Aufſchluß über das alles zu geben, und, wo möglich, ſeine Lebensgeſchichte zu erzählen, auf welche ſie beyde ſehr begierig waren, da ſie wohl bemerkten, daß er mit dieſem Mädchen und vielen anderen Räthſeln in einem nahen Zuſammenhange ſtehen müſſe. Er war heut wirklich ruhig genug dazu. Er ſetzte ſich, ohne ſich weiter nöthigen zu laſſen, neben ihnen auf den Raſen, und begann ſogleich folgendermaſſen:

Dreyundzwanzigſtes Kapitel.

Wenn ich mein Leben überdenke, iſt mir ſo todtenſtill und nüchtern, wie nach einem Balle, wenn der Saal noch wüſt und ſchwüle qualmt und ein Licht nach dem anderen verlöſcht, weil andere Lichter durch die zerſchlagenen Fenſter hineinſchielen, und man reißt die Kleider von der Bruſt und ſteigt drauſſen auf den höchſten Berg und ſieht der Son¬416 ne entgegen, ob ſie nicht bald aufgeh'n will Doch ich will ruhig erzählen:

Die erſte Begebenheit meines Lebens, auf die ich mich wie auf einen Traum erinnere, war eine große Feuersbrunſt. Es war in der Nacht, die Mutter fuhr mit uns und noch einigen fremden Leuten, auf die ich mich nicht mehr beſinne, im Kahne über einen großen See. Mehrere Schlöſſer und Dörfer brannten ringsumher an den Ufern und der Widerſchein von den Flammen ſpiegelte ſich bis weit in den See hinein. Meine Wärterin hob mich aus dem Kahne hoch in die Höhe, und ich langte mit beyden Armen nach dem Feuer. Alle die frem¬ den Leute im Kahne waren ſtill, meine Mutter weinte ſehr; man ſagte mir, mein Vater ſey todt.

Noch eines Umſtandes muß ich dabey gedenken, weil er ſeltſam mit meinem übrigen Leben zuſam¬ menhängt. Als wir nemlich, ſoviel ich mich erinne¬ re, gleichſam aus Flammen in den Kahn einſtiegen, erblickte ich einen Knaben etwa von meinem Alter, den ich ſonſt nie geſehen hatte. Der lachte uns aus, tanzte an dem Feuer mit höhnenden Gebehr¬ den und ſchnitt mir Geſichter. Ich nahm ſchnell ei¬ nen Stein und warf ihn ihm mit einer für mein Alter ungewöhnlichen Kraft an den Kopf, daß er umfiel. Sein Geſicht iſt mir noch jetzt ganz deut¬ lich und ich wurde des widrigen Eindrucks dieſer Begebenheit niemals wieder los. Das iſt alles,was417was mir von jener merkwürdigen Nacht übrigblieb, deren Stille, Wunderbilder und feurige Widerſchei¬ ne ſich meinem kindiſchen Gemüthe unverlöſchlich ein¬ prägten. In dieſer Nacht ſah ich meine Mutter zum letztenmale.

Nachher erinnere ich mich wieder auf nichts, als Berge und Wälder, große Haufen von Sol¬ daten und blitzenden Reitern, die mit klingendem Spiele über Brücken zogen, unbekannte Thäler und Gegenden, die wie ein Schattenſpiel ſchnell an mei¬ ner Seele vorüberflogen.

Als ich mich endlich zum erſtenmale mit Beſin¬ nung in der Welt umzuſchauen anfieng, befand ich mich allein mit Dir in einem fremden ſchönen Schloß und Garten unter fremden Leuten. Es war, wie Du weißt, unſer Vormund, und das Schloß, ob¬ ſchon unſer Eigenthum, doch nicht unſer Geburts¬ ort. Wir beyde ſind am Rheine gebohren. Es mochte mir hier bald nicht behagen. Beſonders ſtach mir gegen das niemals in meiner Erinnerung erlo¬ ſchene Bild meiner Mutter, die ernſt, hoch und ſchlank war, die neue, kleine, wirthſchaftliche und dickliche Mutter zu ſehr ab. Ich wollte ihr niemals die Hand küſſen. Ich mußte viel ſitzen und lernen, aber ich konnte nichts erlernen, beſonders keine fremde Sprache. Am wenigſten aber wollte mir das ſogenannte gewiſſe Etwas in Geſellſchaften an¬ paſſen, wobey ich mich denn immer ſehr ſchlecht und zu allgemeiner Unzufriedenheit präſentirte. Mir27418war dabey das Verſtellen und das zierliche Nied¬ lichthun der Vormünderin und des Hofmeiſters un¬ begreiflich, die immer auf einmal ganz andere Leute waren, wenn Gäſte kamen. Ja, ich erinnere mich, daß ich den letzteren einigemal, wenn er ſo auſſer dem gewöhnlichen Wege beſonders klug ſprach, hinten am Rocke zupfte und laut auflachte, worauf ich denn jedesmal mit drohenden Blicken aus dem Zimmer verwieſen wurde. Mit Prügeln war bey mir nichts auszurichten, denn ich vertheidigte mich bis zum Tode gegen den Hofmeiſter und jedermann, der mich ſchlagen wollte. So kam es denn endlich, daß ich bey jeder Gelegenheit hintangeſetzt wurde. Man hielt mich für einen trübſeligen Einfaltspinſel, von dem weder etwas zu hoffen noch zu fürchten ſey. Ich wurde dadurch nur noch immer tiefſinni¬ ger und einſamer und träumte unaufhörlich von ei¬ ner geheimen Verſchwörung Aller gegen mich, ſelbſt Dich nicht ausgenommen, weil Du mit den meiſten im Hauſe gut ſtandſt.

Ein einziges liebes Bild gieng in dieſer dunk¬ len, ſchwerer Träume vollen, Zeit an mir vorüber. Es war die kleine Angelina, die Tochter eines verwandten italieniſchen Marcheſe, der ſich auch vor den Unruhen in Italien zu uns geflüchtet hatte und lange Zeit dort blieb. Du wirſt Dich des lieb¬ lichen, wunderſchönen Kindes erinnern, wie ſie von uns Deutſch lernte und ſo ſchöne, welſche Lieder wußte. Ich hatte damals Tag und Nacht keine Seelensruh vor dieſem ſchönen Bilde. Inzwiſchen419 glaubte ich zu bemerken, daß ſie überall Dich mehr begünſtige, als mich; ich war ihr zu wild, ſie ſchien ſich vor mir zu fürchten. Mein alter Argwohn, Haß und Bangigkeit nahm täglich zu, ich ſaß, wie in mir ſelbſt gefangen, bis endlich ein ſeltſamer Umſtand alle die Engel und Teufel, die damals noch dunkel in mir rangen, auf einmal losmachte.

Ich war nemlich eines Abends eben mit An¬ gelina im Garten an dem eiſernen Gitter, durch das man auf die Straſſe hinausſah. Angelina ſtand am Springbrunnen und ſpielte mit den goldenen Kugeln, welche die Waſſerkunſt glänzend auf und nieder warf. Da kam eine alte Zigeunerin am Gitter vorbey und verlangte, als ſie uns d'rinnen erblickte, auf die gewöhnliche ungeſtümme Art uns zu prophezeyen. Ich ſtreckte ſogleich meine Hand hinaus. Sie las lange Zeit darin. Während deß ritt ein junger Menſch, der ein Reiſender ſchien, drauſſen die Straſſe vorbey und grüßte uns höflich. Die Zigeunerin ſah erſtaunt mich, Angelina und den vorüberziehenden Fremden wechſelſeitig an, endlich ſagte ſie, auf uns und ihn deutend: Eines von Euch dreyen wird den anderen ermorden. Ich blickte dem Reiter ſcharf nach, er ſah ſich noch ein¬ mal um, und ich erkannte, erſchrocken und zornig, ſogleich das Geſicht deſſelben unbekannten Knaben wieder, der uns bey unſerem Auszuge aus der Hei¬ math an dem Feuer ſo verhöhnt hatte. Die Zigeunerin war unterdeß verſchwunden, Angelina27 *420furchtſam fortgelaufen, und ich blieb allein in dem großen, dämmernden Garten und glaubte feſt, nun, als Mörder, auch ſogar von Gott verlaſſen zu ſeyn; niemals fühlt 'ich mich ſo finſter und leer.

In der Nacht konnt 'ich nicht ſchlafen, ich ſtand auf und zog mich völlig an. Es war alles ſtill, nur die Wetterhähne knarrten im Hofe, der Mond ſchien ſehr hell. Du ſchliefſt ſtill neben mir, das Gebethbuch lag noch halbaufgeſchlagen bey Dir, ich wußte nicht, wie Du ſo ruhig ſeyn könnteſt. Ich küßte Dich auf den Mund, gieng dann ſchnell aus dem Hauſe, durch den Garten, und kehrte niemals mehr wieder.

Von nun an geht mein Leben raſch, bunt, ungenügſamwechſelnd und in allem Wechſel doch un¬ befriedigt. Ich will nur einige Augenblicke aushe¬ ben, die mich, wie einſamerleuchtete Berggipfel über dem dunkelwühlenden Gewirre, noch immer von weitem anſeh'n.

Als ich zu Ende jener Nacht die letzte Höhe er¬ reicht hatte, gieng eben die Sonne prächtig auf. Die Gegend unten, ſo weit die Blicke langten, war mit bunten Zelten, unermeßlich blitzenden Reihen und Luſt und Schallen überdeckt. Einzelne bunte Reiter flogen in allen Richtungen über den grünen Anger, einzelne Schüſſe fielen bis in die tiefſte Fer¬ ne hin und her im Walde. Ich ſtand wie einge¬ wurzelt vor Luſt bey dem Anblick. Ich glaubte, es nun auf einmal gefunden zu haben, was mir fehlte421 und was ich eigentlich wollte. Ich eilte daher ſchnell hinunter und ließ mich anwerben.

Wir brachen noch denſelben Tag von dem Orte auf, aber ſchon da auf dem Marſche fieng ich an zu bemerken, daß dieſes nicht das Leben war, das ich erwartete. Der platte Leichtſinn, das Prahlen und der geſchäftige Müſſiggang eckelte mich an, be¬ ſonders unerträglich aber war mir, daß ein einzi¬ ger, unbeſchreiblicher Wille das Ganze, wie ein dunkles Fatum, regieren ſollte, daß ich im Grun¬ de nicht mehr werth ſeyn ſollte, als mein Pferd und ſo verſenkten mich dieſe Betrachtungen in eine fürchterliche Langeweile, aus der mich kaum die Signale, welche die Schlacht ankündigten, aufzurüt¬ teln vermochten.

Damals bekam mein Oberſt von meinem Vor¬ mund, der mich aufgeſpürt hatte, einen Brief, worin er ihn bat mich auszuliefern. Aber es war zu ſpät, denn das Treffen war eben losgegangen. Mitten im blitzenden Dampfe und Todeswühlen er¬ blickt 'ich plötzlich das bleiche Geſicht des Unbekann¬ ten wieder mir feindlich gegenüber. Wüthend, daß das Geſpenſt mich überall verfolge, ſtürzte ich auf ihn ein. Er focht ſo gut wie ich. Endlich ſah ich ſein Pferd ſtürzen, während ich ſelbſt, leicht verwundet, vor Ermattung bewußtlos hinſank. Als ich wieder erwachte, war alles ringsum finſter und todtenſtill über der weiten Ebne, die mit Leichen bedeckt war. Mehrere Dörfer brannten in der Runde, und nur einzelne Figuren, wie am jüng¬422 ſten Gericht, erhoben ſich hin und her und wandel¬ ten dunkel durch die Stille. Ein unbeſchreibliches Grauſen überfiel mich vor dem wahnwitzigen Jam¬ merſpiel, ich raffte mich ſchnell auf und lief bis es Tag wurde.

In einem Städtchen las ich in der Zeitung die Bekanntmachung meines Vormunds, daß ich in dem Treffen geblieben ſey, auch hörte ich, daß der Marcheſe mit ſeiner Tochter unſer Schloß wieder verlaſſen habe. Ich war zu ſtolz und aufgeregt, um nach Hauſe zurückzukehren. Indeß erwachte das Bild der kleinen Angelina von neuem in meinem Herzen. Ich bildete mir die liebliche Erinnerung mit allen Kräften meiner Seele aus und ſo mahlte ich damals jenes Engelsköpfchen, das Du hier zu meinem Erſtaunen mitgebracht haſt. Es iſt Angeli¬ nen's Portrait.

Mein unruhiges und doch immer in ſich ſelbſt verſchloſſenes Gemüth bekam nun auf einmal die erſte entſchiedene Richtung nach Auſſen. Ich warf mich mit einem unerhörten Fleiſſe auf die Mahlerey und ſtreifte mit dem Gelde, das ich mir dadurch erwarb, in Italien herum. Ich glaubte damals, die Kunſt werde mein Gemüth ganz befriedigen und ausfüllen. Aber es war nicht ſo. Es blieb immer ein dunkler, harter Fleck in mir, der keine Farben annahm, und doch mein eigentlicher, innerſter Kern war. Ich glaube, wenn ich in meiner Angſt einen neuen Münſter hätte aus mir herausbauen können, mir wäre wohler geworden, ſo felſengroß423 lag immer meine Entzückung auf mir. Meine Skiz¬ zen waren immer beſſer als die Gemählde, weil ihre Ausführung meiſtens unmöglich war. Gar oft in guten Stunden iſt mir wohl eine ſolche Glorie von niegeſehenen Farben und unbeſchreiblich himm¬ liſcher Schönheit vorgekommen, daß ich mich kaum zu faſſen wußte. Aber dann war's auch wieder aus, und ich konnte ſie niemals ausdrücken. So ſchmückt ſich wohl jede tüchtige Seele einmal ihren Kerker mit Künſten aus, ohne deßwegen zum Künſtler berufen zu ſeyn. Und überhaupt iſt es am Ende doch nur Putz und eitel Spielerey. Oder würdet ihr den nicht für thöricht halten, der ſich im Wirthshaus, wo er übernachtet, eifrig auszie¬ ren wollte? Und wir machen ſoviel Umſtände mit dem Leben und wiſſen nicht, ob wir noch eine Stunde bleiben!

An einem ſchönen Sommerabende fuhr ich ein¬ mal in Venedig auf dem Golf ſpazieren. Der Halbkreis von Palläſten mit ihren ſtillerleuchteten Fenſtern gewährte einen prächtigen Anblick. Unzäh¬ lige Gondeln glitten aneinander vorüber über das ruhige Waſſer, Guitarren und tauſend weiche Ge¬ ſänge zogen durch die laue Nacht. Ich ruderte voll Gedanken fort und immerfort, bis nach und nach die Lieder verhallten und alles um mich her ſtill und einſam geworden war. Ich dachte an die ferne Heimath und ſang ein altes deutſches Lied, eines von denen, die ich noch als Knabe Angelinen gelehrt hatte. Wie ſehr erſtaunte ich, als mir da auf ein¬424 mal eine wunderſchöne weibliche Stimme von dem Altan eines Hauſes mit der nächſtfolgenden Strophe deſſelben Liedes antwortete. Ich ſprang ſogleich ans Ufer und eilte auf das Haus zu, von dem der Geſang herkam. Eine weiße Mädchengeſtalt neigte ſich zwiſchen den Orangenbäumen und Blumen über den Balkon herab und ſagte flüſternd: Rudolph! Ich erkannte bey dem hellen Mondſcheine ſogleich Angelinen. Sie ſchien noch mehr ſprechen zu wollen, aber die Thüre auf dem Balkon öffnete ſich von innen, und ſie war verſchwunden.

Verwundert und entzückt in allen meinen Sin¬ nen, ſetzt 'ich mich an einen ſteinernen Springbrun¬ nen, der auf dem weitſtillen Platze vor dem Hauſe ſtand. Ich mochte ohngefähr eine Stunde dort ge¬ ſeſſen haben, als ich die Glasthüre oben leiſe wie¬ der öffnen hörte. Angelina trat, ſich furchtſam auf den Platz umſehend, noch einmal auf den Balkon heraus. Ihre ſchönen Locken fielen auf den ſchnee¬ weißen, nur halbverhüllten Buſen herab, ſie war baarfuß und im leichteſten Nachtkleide. Sie erſchrack, als ſie mich wirklich noch unten erblickte. Sie legte den Finger auf den Mund, während ſie mit der anderen Hand auf die Thüre deutete, lehnte ſich ſtillſchweigend über das Geländer und ſah mich ſo lange Zeit unbeſchreiblich lieblich an. Darauf zog ſie ein Papierchen hervor, warf es mir hinab, liſpelte kaum hörbar: gute Nacht! und gieng zau¬ dernd wieder hinein. Auf dem Zettel ſtand mit Bleyſtift der Nahme einer Kirche aufgeſchrieben.

425

Ich begab mich am Morgen zu der benannten Kirche und ſah das Mädchen wirklich zur beſtimm¬ ten Stunde mit einer ältlichen Frau, die ihre Ver¬ traute ſchien, ſchon von weitem die Straſſe herauf¬ kommen. Ich erſchrack faſt vor Freuden, ſo über¬ aus ſchön war ſie geworden. Als ſie mich ebenfalls erblickte, wurde ſie roth vor Schaam über die ver¬ gangene Nacht und ſchlug den Schleyer feſt über das Geſicht. Auf dem Wege und in der Kirche er¬ zählte ſie mir nun ungeſtört, daß ſie ſchon lange wieder in Italien zurückſeyen, daß ihr Vater, da ihre Mutter bey ihrer Geburt in Todesnoth war, das feyerliche Gelübde gethan, ſie, Angelina, als Kloſterjungfrau dem Himmel zu weihen, und daß der dazu beſtimmte Tag nicht mehr fern ſey. Das verliebte Mädchen ſagte dieß mit Thränen in den Augen.

Wir kamen darauf noch oft, bald in der Kirche, bald in der Nacht am Balkone zuſammen; der Tag, wo Angelina aus dem väterlichen Hauſe fort ins Kloſter ſollte, rückte immer näher heran, und wir verabredeten endlich mit einander zu entfliehen.

In der Nacht, die wir zur Flucht beſtimmt hat¬ ten, trat ſie, mit dem Nothwendigſten verſehen und reichgeſchmückt, wie eine Braut, hervor. Die hefti¬ ge Bewegung, in der ihr Gemüth war, machte ihr Geſicht wunderſchön, und ich ſehe ſie in dieſem Zu¬ ſtande und dieſem Kleide noch wie heute vor mir ſtehen. Sie war noch in ihrem Leben nicht um die¬ ſe Zeit allein auf der Gaſſe geweſen, ſie wurde da¬426 her noch im letzten Augenblick von neuem ſchüchtern und halbunſchlüſſig; ſie weinte und fiel mir um den Hals. Ich faßte ſie endlich um den Leib und trug ſie in den Kahn, den ich im Golf bereit hielt. Ich ſtieß ſchnell vom Ufer ab, das Seegel ſchwoll im lauen Winde, der Halbkreis der erleuchteten Fenſter verſank allmählig hinter uns und wir befanden uns allein auf der ſtillen, unermeßlichen Fläche.

Die Liebe hatte ſie nun ganz in meine Gewalt gegeben. Sie wurde nun ruhig. Innerlichſt fröh¬ lich, aber ſtill, ſaß ſie feſt an mich gedrückt und ſah mit den weitoffnen, ſinnigen Augen unverwandt ins Meer hinaus. Ich bemerkte, daß ſie oft heimlich zuſammenſchauerte, bis ſie, endlich ermüdet ein¬ ſchlummerte.

Da rauſchte plötzlich ein Kahn mit mehreren Leuten und Fackelſchein vorüber nach Venedig zu. Der eine von ihnen ſchwang eben ſeine Fackel und ich erblickte bey dem flüchtigen Scheine den unbe¬ kannten, wunderbar mit mir verknüpften Fremden wieder, der mitten im Kahne aufrecht ſtand. Ich fuhr unwillkührlich bey dem Anblick zuſammen, und höchſtſeltſam, obſchon die ganze Erſcheinung ohne das mindeſte Geräuſch vorübergeglitten war, ſo wachte doch Angelina in demſelben Augenblicke von ſelber auf und ſagte mir erſchrocken, es habe ihr etwas fürchterliches geträumt, ſie wiſſe ſich nun aber nicht mehr darauf zu beſinnen. Ich beruhigte ſie, und ſagte ihr nichts von dem Begegniß, worauf ſie denn bald von neuem einſchlief.

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Ein lauter Freudenſchrey entfuhr ihrer Bruſt, als ſie nach einigen Stunden die hellen Augen auf¬ ſchlug, denn die Sonne gieng eben prächtig über der Küſte von Italien auf, die in duftigem Wun¬ derglanze vor uns da lag. Es war der erſte über¬ ſchwengliche Blick des jungen Gemüthes in das freye, lüſternlockende, reiche, noch ungewiſſe Leben. Wir ſtiegen nun ans Land und ſetzten unſere Reiſe zu Pferde gen Rom fort. Dieſes Ziehen in den blauen, lieblichen Tagen über grüne Berge, Thäler und Flüſſe, rollt ſich noch jetzt blendend vor meiner Erinnerung auf, wie ein mit prächtigglänzenden, wunderbaren Blumen geſtickter Teppich, auf dem ich mich ſelbſt als luſtige Figur mit buntgeflickter Narrenjacke erblicke.

In Rom niſteten wir uns in einem entlegenen Quartiere der Stadt ein, wo uns niemand bemerkte. Wir führten einen gar wunderlichen, ziemlich unor¬ dentlichen Haushalt miteinander, denn Angelina ge¬ wöhnte ſich ſehr bald auch an das freye, ſorgloſe Künſtler-Weſen. Sie hatte, gleich, als wir ans Land ſtiegen, Mannskleider anlegen müſſen, um nicht erkannt zu werden, und ich gab ſie ſo für meinen Vetter aus. Die Tracht, in der ſie mich nun auch frey auf allen Spaziergängen begleitete, ſtand ihr ſehr niedlich; ſie ſah oft aus wie Correg¬ gio's Bogenſchütz. Sie mußte mir oft zum Modell ſitzen, und ſie that es gern, denn ſie wußte wohl, wie ſchön ſie war. Damals wurden meine Gemähl¬428 de weniger hart, angenehmer und ſinnreicher in der Ausführung.

Indeß entgieng es mir nicht, daß Angelina anfieng, mit der Mädchentracht nach und nach auch ihr voriges mädchenhaftes, bey aller Liebe verſchäm¬ tes, Weſen abzulegen, ſie wurde in Worten und Gebehrden kecker, und ihre ſonſt ſo ſchüchternen Augen ſchweiften lüſtern rechts und links. Ja, es geſchah wohl manchmal, wenn ich ſie unter luſtige Geſellen mitnahm, mit denen wir in einem Garten oft die Nacht durchſchwärmten, daß ſie ſich berauſch¬ te, wo ſie dann mit den furchtſam dreiſten Mienen und glänzendſchmachtenden Augen ein ungemeim rei¬ tzendes Spiel der Sinnlichkeit gab.

Weiber ertragen ſolche kühnere Lebensweiſe nicht. Ein Jahr hatten wir ſo zuſammengelebt, als mir Angelina eine Tochter gebahr. Ich hatte ſie einige Zeit vorher auf einem Landhauſe bey Rom vor aller Welt Augen verborgen, und auf ihr eignes Verlangen, welches meiner Eiferſucht auffiel, blieb ſie nun auch noch lange nach ihrer Nie¬ derkunft mit dem Kinde dort.

Eines Morgens, als ich eben von Rom hin¬ komme, find 'ich alles leer. Das alte Weib, welches das Haus hütete, erzählt mir zitternd: Angelina habe ſich geſtern Abend ſehr zierlich als Jäger angezogen, ſie habe darauf, da der Abend ſehr warm war, lange Zeit bey ihr vor der Thür auf der Bank geſeſſen und angefangen ſo betrübt429 und melankoliſch zu ſprechen, daß es ihr durch die Seele gieng, wobey ſie öfters ausrief: wär' ich doch lieber ins Kloſter gegangen! Dann ſagte ſie wieder luſtig: bin ich nicht ein ſchöner Jäger? Dar¬ auf ſey ſie hinaufgegangen, habe, während ſchon alles ſchlief, noch immerfort Licht gebrannt und am offnen Fenſter allerley zur Laute geſungen. Beſon¬ ders habe ſie folgendes Liedchen zum öftern wie¬ derholt, welches auch mir gar wohl bekannt war, da es Angelina von mir gelernt hatte:

Ich hab 'geſeh'n ein Hirſchlein ſchlank
Im Waldesgrunde ſteh'n,
Nun iſt mir drauſſen weh' und bang,
Muß ewig nach ihm geh'n.
Friſchauf, ihr Waldgeſellen mein!
Ins Horn, ins Horn friſchauf!
Das lockt ſo hell, das lockt ſo fein,
Aurora thut ſich auf.
Das Hirſchlein führt den Jägersmann,
In grüner Waldesnacht,
Thalunter ſchwindelnd und bergan
Zu niegeſeh'ner Pracht.
Wie rauſcht ſchon abendlich der Wald,
Die Bruſt mir ſchaurig ſchwellt!
Die Freunde fern, der Wind ſo kalt,
So tief und weit die Welt!
Es lockt ſo tief, es lockt ſo fein
Durch's dunkelgrüne Haus,
Der Jäger irrt und irrt allein,
Find't nimmermehr heraus.
430

Gegen Mitternacht ohngefähr, fuhr die Alte fort, hörte ich ein leiſes Händeklatſchen vor dem Hauſe. Ich öffnete leiſe die Lade meines Guckfen¬ ſters und ſah einen großen Mann, bewaffnet und in einen langen Mantel vermummt, unter Angeli¬ nen's Fenſter ſteh'n, ſeitwärts im Gebüſch hielt ein Wagen mit Bedienten und vier Pferden. In dem¬ ſelben Augenblicke kam auch Angelina, ihr Kind auf dem Arme, unten zum Hauſe heraus. Der fremde Herr küßte ſie und hob ſie geſchwind in den Wagen, der pfeilſchnell davonrollte. Eh 'ich mich beſann, herauslief und ſchrie, war alles in der di¬ cken Finſterniß verſchwunden.

Auf dieſen verzweifelten Bericht der Alten ſtürzte ich in das Zimmer hinauf. Alles lag noch wie ſonſt umher, ſie hatte nichts mitgenommen als ihr Kind. Ein Bild, das nach ihr kopirt war, ſtand noch ruhig auf der Staffeley, wie ich es ver¬ laſſen. Auf dem Tiſche daneben lag ein ungeheue¬ rer Haufen von Goldſtücken. Wüthend und auſſer mir, warf ich alle das Gold, das Bild und alle andere Bilder und Zeichnungen hinterdrein zum Fenſter hinaus. Die Alte tanzte unten mit widrig vor Staunen und Gier verzerrten Gebehrden wie eine Hexe zwiſchen dem Goldregen herum, und ich glaubte da auf einmal in ihren Zügen dieſelbe Zi¬ geunerin zu erkennen, die mir damals an dem Gar¬ tengitter prophezeit hatte. Ich eilte zu ihr hin¬ ab, aber ſie hatte ſich bereits mit dem Golde ver¬ lohren. Ich lud nun meine Piſtolen, warf mich431 auf mein Pferd und jagte der Spur des Wagens nach, die noch deutlich zu kennen war. Ich war vollkommen entſchloſſen, Angelina und ihren Ent¬ führer todtzuſchießen. So erbärmliches Zeug iſt die Liebe, dieſe liederliche Anſpannung der Seele!

So durchſtreifte ich faſt ganz Italien nach allen Richtungen, ich fand ſie nimmermehr. Als ich end¬ lich, erſchöpft von den vielen Zügen, auf den letz¬ ten Gipfeln der Schweitz ankam, ſchauderte mir, als ich da auf einmal aus dem italieniſchen Glanze nach Deutſchland hinab ſah, wie das ſo ganz an¬ ders, ſtill und ernſthaft mit ſeinen dunklen Wäl¬ dern, Bergen und dem königlichen Rheine da lag. Ich hatte keine Sehnſucht mehr nach der Ferne und verſank in eine öde Einſamkeit. Mit meiner Kunſt war es aus.

Dagegen lockte mich nun bald die Philoſophie unwiderſtehlich in ihre wunderbaren Tiefen. Die Welt lag wie ein großes Räthſel vor mir, die vollen Ströme des Lebens rauſchten geheimnißvoll, aber vernehmlich, an mir vorüber, mich dürſtete un¬ endlich nach ihren heiligen, unbekannten Quellen. Der kühnere Hang zum Tiefſinn war eigentlich mein angebohrnes Naturell. Schon als Kind hatte ich oft meinen Hofmeiſter durch ſeltſame, ungewöhnliche Fragen in Verwirrung gebracht, und ſelbſt meine ganze Mahlerey war im Grunde nur ein falſches Streben, das Unausſprechliche auszuſprechen, das Undarſtellbare darzuſtellen. Beſonders verſpürte ich ſchon damals dieſes Gelüſt vor manchen Bildern432 des großen Albrecht Dürers und Michel Angelo's. Ich ſtudierte nun mit eiſernem, unausgeſetztem Fleiß faſt alle Philoſopheme, was die Alten ahndeten und Neuen grübelten oder phantaſirten. Aber alle Syſteme führten mich entweder von Gott ab, oder zu einem falſchen Gott.

Alles aufgebend und verzweifelt, daß ich auf keine Weiſe die Schranken durchbrechen und aus mir ſelber herauskommen konnte, ſtürzt 'ich mich nun wüthend, mit wenigen lichten Augenblicken ſchrecklicher Reue, in den flimmernden Abgrund al¬ ler ſinnlichen Ausſchweifungen und Gräuel, als wollt' ich mein eignes Bild aus meinem Andenken verwiſchen. Dabey wurde ich niemals fröhlich, denn mitten im Genuß mußte ich die Menſchen ver¬ höhnen, die, als wären ſie meines Gleichen, halb ſchlecht und halb furchtſam, nach der Weltluſt haſchten, und dabey wirklich und in allem Ernſt zu¬ frieden und glücklich waren. Niemals iſt mir das Handthieren und Treiben der Welt ſo erbärmlich vorgekommen, als damals, da ich mich ſelber darin untertauchte.

Eines Abends ſitz 'ich am Pharotiſch, ohne aufzublicken und mich um die Geſellſchaft zu beküm¬ mern. Ich ſpielte dieſen Abend, wider alle ſonſti¬ ge Gewohnheit, immerfort unglücklich, und wagte immer toller, je mehr ich verlohr. Zuletzt ſetzte ich mein noch übriges Vermögen auf die Karte. Verlohren! hört' ich den Bankhalter am anderenEnde433Ende der Tafel rufen. Ich ſpringe auf und erblicke den geheimnißvollen Unbekannten, den ich faſt ſchon vergeſſen hatte. Er wurde ſichtbar bleich, als er mich erkannte. Ich weiß nicht, mit welcher Me¬ duſengewalt grade in dieſem Augenblicke ſein Bild auf meine Seele wirkte. In der Verblendung die¬ ſes Anblicks warf ich alle Karten nach dem Orte, wo die Erſcheinung geſtanden, aber er war ſchon fort und ſchnell aus der Stube verſchwunden. Alle ſahen mich erſtaunt an, einige murrten, ich ſtürzte zur Thüre hinaus auf die Straſſe.

Ich gieng eilig durch die Gaſſen und blickte rechts und links in die erleuchteten Fenſter hinein, wie da einige ſo eben ruhig und vollauf zu Abend ſchmaußten, dort andere ein Lomberchen ſpielten, an¬ derswo wieder luſtige Paare ſich drehten und jubel¬ ten, und allen ſo philiſterhaft wohl war. Mich hungerte gewaltig. Betteln mocht 'ich nicht. Schmaußt, jubelt und dreht euch nur, ihr Narren! rief ich und gieng mit ſtarken Schritten aus dem Thore aufs Feld hinaus. Es war eine ſtockfinſtere Nacht, der Wind jagte mir den Regen ins Geſicht.

Als ich eben an den Saum eines Waldes kam, erblickte ich plötzlich hart vor mir zwey lange Män¬ ner, heimlich lauernd an eine Eiche gelehnt, die ich ſogleich für Schnapphähne erkannte. Ich gieng im Augenblick auf ſie los, und packte den einen bey der Bruſt. Gebt mir was zu eſſen, ihr elenden Kerls! ſchrie ich ſie an, und mußte auch gleich darauf laut28434auflachen, was ſie über dieſe unerwartete Wendung der Sache für Geſichter ſchnitten. Doch ſchien ihnen das zu gefallen, ſie betrachteten mich als einen wür¬ digen Kumpan, und fuhrten mich freundſchaftlich tiefer in den Wald hinein.

Wir kamen bald auf einen freyen, einſamen Platz, wo bärtige Männer, Weiber und Kinder um ein Feldfeuer herumlagen, und ich bemerkte nun wohl, daß ich unter einen Zigeunerhaufen gerathen war. Da wurde geſchlachtet, geſchunden, gekocht und geſchmort, alle ſprachen und ſangen ihr Kau¬ derwelſch verworren durcheinander, dabey regnete und ſtürmte es immerfort; es war eine wahre Wal¬ burgisnacht. Mir war recht kannibaliſch wohl. Ue¬ brigens war es, auſſer daß ſie alle ausgemachte Spitzbuben waren, eine recht gute, unterhaltende Geſellſchaft. Sie gaben mir zu eſſen, Brandtwein zu trinken, tanzten, muſizirten und kümmerten ſich um die ganze Welt nicht.

Mitten in dem Haufen bemerkte ich bald dar¬ auf ein altes Weib, die ich bey dem Widerſcheine der Flamme nicht ohne Schreck für dieſelbe Zigeu¬ nerin wieder erkannte, die mir als Kind ſo fürch¬ terlich geweiſſagt hatte. Ich gieng zu ihr hin, ſie kannte mich nicht mehr. Von unſerem letzten Zu¬ ſammentreffen bey Rom wußte, oder mochte ſie nichts wiſſen. Ich reichte ihr noch einmal die Hand hin. Sie betrachtete alle Linien ſehr genau, dann ſah ſie mir ſcharf in die Augen, und ſagte, während ſie mit ſeltſamen Gebehrden nach allen435 Weltgegenden in die Luft focht: Es iſt hoch an der Zeit, der Feind iſt nicht mehr weit, hüte dich, hüte dich! Darauf verlohr ſie ſich augenblicklich unter dem Haufen und ich ſah ſie nicht mehr wie¬ der. Mir wurde dabey nicht wohl zu Muthe und die abentheuerlichen Worte giengen mir wunderlich im Kopfe herum.

Indeß brachten mich die anderen Geſellen wie¬ der auf andere Gedanken. Denn ſie drängten ſich immer vertraulicher um mich und erzählten mir ihre verübten Schwänke und Schalksthaten, worunter eine beſonders meine Aufmerkſamkeit auf ſich zog. Ein junger Burſch erzählte mir nemlich, wie ſeine Großmutter vor vielen Jahren einmal einer reiſenden welſchen Dame, die mit einem Herrn im Wirthshau¬ ſe übernachtete, ihr kleines Kind geſtohlen habe, weil es ſo wunderſchön ausſah. Er beſchrieb mir dabey alle Nebenumſtände ſo genau, daß ich faſt nicht zweifeln konnte, die reiſende welſche Dame ſey nie¬ mand anders als Angelina ſelbſt geweſen. Ich ſprang auf und drang in ihn, mir die Geraubte ſo¬ gleich zu zeigen. Beſtürzt über meinen unerklärli¬ chen Ungeſtümm, antwortete er mir: das geraubte Fräulein wuchs theils unter uns, theils unter un¬ ſeren Brüdern in einer Waldmühle auf, wo ſie vor einigen Tagen plötzlich mit Mann und Maus ver¬ ſchwunden iſt, ohne daß wir wiſſen, wohin?

So war alſo Erwine deine Tochter! fiel hier Friedrich ſeinem Bruder erſtaunt ins Wort. Seit28 *436ich dieſes kleine Bild hier geſehen, ſagte dieſer, und ihre weitere Geſchichte und Nahmen von Euch gehört, iſt es mir gewiß. Ich habe ſie ſpäter, nachdem ich ſchon von der Welt geſchieden war, manchmal von der Mauer geſehen und geſprochen, wenn ich des Nachts an Leontins Schloſſe vorbey¬ ſtreifte. Aber mir war der Knabe, für den ich ſie hielt, wie Ihr, nur reitzend als eine beſondere neue Art von Narren, als von welcher mir noch keiner vorgekommen war. Denn auch ich konnte und moch¬ te niemals etwas von ihrem früheren Leben aus ihr herauskriegen. Das gute Kind fürchtete wahrſchein¬ lich noch immer Strafe für die unwillkührliche, ſchändliche Verbindung, in der ſie ihre Kindheit zu¬ gebracht. Doch, hört nun meine Geſchichte völlig aus, denn das viele Plaudern iſt mir ſchon zuwi¬ der:

Noch vor Tagesanbruch alſo, als wir ſo lagen und erzählten, kam ein junger Kerl von der Ban¬ de, der auf Kundſchaft ausgeſchickt worden war, mit fröhlicher Bothſchaft zurück, die ſogleich den ganzen Haufen in Allarm brachte. Der reiche Graf, ſagte er nemlich aus, wird heute Abend auf dem Schloſſe ſeinen Geburtstag feyern, da giebt's was zu ſchmauſſen und zu verdienen! Es wurde ſogleich beſchloſſen, dem Feſte auf was immer für eine Art ungeladen beyzuwohnen. Das Wetter hatte ſich aufgeklärt, wir brachen daher alle ſchnell auf und zogen luſtig über das Gebirge fort.

437

Gegen Abend lagerten wir uns auf einem ſchö¬ nen, waldigen Berge, dem gräflichen Schloſſe ge¬ genüber, das jenſeits eines Stromes ebenfalls auf einer Anhöhe mit ſeinen Säulenportälen und italie¬ niſchem Dache ſich recht luftig ausnahm. Wir wollten hier die Dunkelheit abwarten. Der letzte Widerſchein der untergehenden Sonne flog eben wie ein Schattenſpiel über die Gegend. Unten auf dem Fluſſe zogen mehrere aufgeſchmückte Schiffe voll Herren und Damen mit bunten Tüchern und Federn luſtig auf das Schloß zu, während von beyden Seiten Waldhörner weit in die Berge hinein ver¬ hallten.

Als es endlich ringsumher ſtill und finſter wur¬ de, ſahen wir, wie im Schloſſe drüben ein Fenſter nach dem anderen erleuchtet wurde und Kronleuchter mit ihren Kreiſen von Lichtern ſich langſam zu dre¬ hen anfiengen. Auch im Garten entſtand ein Licht nach dem andern, bis auf einmal der ganze Berg, mit Sternen, Bogengängen und Guirlanden von buntfarbigen Glaskugeln erleuchtet, ſich wie eine Feeninſel aus der Nacht hervorhob. Ich überließ meine Begleiter ihren Berathſchlagungen und Kunſt¬ griffen und begab mich allein hinüber zu dem Feſte, ohne eigentlich ſelber zu wiſſen, was ich dort wollte.

Von der Seite, wo ich auf dem Berge hinan¬ gekommen, war kein Eingang. Ich ſchwang mich daher auf die Mauer und ſah, ſo da droben ſitzend, in den Zaubergarten hinein, aus dem mir überall438 Muſik entgegenſchwoll. Herren und Frauen ſpazier¬ ten da in zierlicher Fröhlichkeit zwiſchen den magi¬ ſchen Lichtern, Klängen und ſchimmernden Waſſer¬ künſten prächtig durcheinander. Auch mehrere Maſ¬ ken ſah ich, wie Geiſter, durch den lebendigen Ju¬ bel auf und ab wandeln.

Mich faßte bey dem Anblick auf meiner Mauer oben ein blindes, wildes, unglückſeliges Gelüſt, mich mit hineinzumiſchen. Aber meine von Regen und Wind zerzauste Kleidung war wenig zu einem ſolchen Abentheuer eingerichtet. Da erblickte ich ſeit¬ wärts durch ein offnes Fenſter eine Menge verſchie¬ dener Maſken in der Vorhalle des Schloſſes um¬ herliegen. Ohne mich zu beſinnen, ſprang ich von der Mauer herab und in das Vorhaus hinein. Eine Menge Bedienter, halb berauſcht, rannten dort mit Gläſern und Tellern durcheinander, ohne mich zu bemerken oder doch weiter zu beachten. Ich zettelte daher den bunten Plunder von Maſken ungeſtört auseinander und zog zufällig eine ſchwarze Ritter¬ tracht nebſt Schwerdt und allem Zubehör hervor. Ich legte ſie ſchnell an, nahm eine danebenliegende Larve vor und begab mich ſo mitten unter das Ge¬ wirre in den Glanz hinaus.

Ich kam mir in der Fröhlichkeit vor wie der Böſe, denn mir war nicht anders zu Muthe, als dem Zigeunerhauptmann auf dem Jahrmarkt zu Plundersweilen. Am Ende eines erleuchteten Bo¬ genganges hörte ich auf einmal einige Damen aus¬ rufen: Sieh da, die Frau vom Hauſe! Welche439 Perlen! Welche Juwelen! Ich ſehe mich ſchnell um und erblicke Angelina, die in voller Pracht ihrer Schönheit die Allee heraufkommt. Mein mörderiſcher Zorn, der mich damals durch ganz Italien hin und her gehetzt hatte, war längſt vor¬ über, denn ich war nicht mehr verliebt. Es war mir eben alles Einerley auf der Welt. Ich wand¬ te mich daher und wollte, ohne ſie zu ſprechen, in einen anderen Gang herumbeugen. Wie ſehr er¬ ſtaunte ich aber, als Angelina mir ſchnell nach¬ hüpfte und ſich vertraulich in meinen Arm hieng. Kennſt Du mich? rief ich ganz entrüſtet. Wie ſollt 'ich doch nicht, ſagte ſie ſcherzend, hab' ich Dir denn nicht ſelber die Halskrauſe zu der Maſke ge¬ näht? Ich bemerkte nun wohl, daß ſie mich ver¬ kannte, konnte aber nicht wiſſen, für wen ſie mich hielt, und gieng daher ſtillſchweigend neben ihr her.

Wir waren unterdeß von der Geſellſchaft abge¬ kommen, die Muſik ſchallte nur noch ſchwach nach, die Beleuchtung gieng gar aus, von Ferne gewit¬ terte es hin und wieder. Warum biſt Du ſo ſtill? ſagte ſie wieder. Ich weiß nicht, fuhr ſie fort, ich bin heut traurig bey aller Luſt, und ich könnte es auch nicht beſchreiben, wie mir zu Muthe iſt. Aber ihr harten Männer achtet gar wenig darauf. Wir kamen an eine Laube, in deren Mitte eine Guitarre auf einem Tiſchchen lag. Sie nahm die¬ ſelbe und fieng an, ein italieniſches Liedchen zu ſin¬ gen. Mitten im Liede brach ſie aber wieder ab. 440Ach, in Italien war es doch ſchöner! ſagte ſie, und lehnte die Stirn an meine Bruſt. Angelina! rief ich, um ſie zu ermuntern. Sie richtete ſich ſchnell auf und lauſchte dem Rufe, wie einem alten, wohlbekannten Tone, auf den ſie ſich nicht recht beſinnen konnte. Dann ſagte ſie: Ich bitte Dich, ſinge etwas, denn mir iſt zum ſterben bange! Ich nahm die Guitarre und ſang folgende Romanze, die mir in dieſem Augenblick eben ſehr deutlich durch den Sinn gieng:

Nachts durch die ſtille Runde
Rauſchte des Rheines Lauf,
Ein Schifflein zog im Grunde,
Ein Ritter ſtand darauf.
Die Blicke irre ſchweifen
Von ſeines Schiffes Rand,
Ein blutigrother Streifen
Sich um das Haupt ihm wand.
Der ſprach: Da oben ſtehet
Ein Schlößlein über'm Rhein,
Die an dem Fenſter ſtehet:
Das wird die Liebſte mein.
Sie hat mir Treu 'verſprochen,
Bis ich gekommen ſey,
Sie hat die Treu' gebrochen,
Und alles iſt vorbey.

Ich bemerkte hier bey dem Scheine eines Bli¬ tzes, daß Angelina heftig geweint hatte und noch fortweinte. Ich ſang weiter:

441
Viel 'Hochzeitleute drehen
Da oben laut und bunt,
Sie bleibet einſam ſtehen,
Und lauſchet in den Grund.
Und wie ſie tanzten munter,
Und Schiff und Schiffer ſchwand,
Stieg ſie vom Schloß hinunter,
Bis ſie im Garten ſtand.
Die Spielleut 'muſizirten,
Sie ſann gar mancherley,
Die Töne ſie ſo rührten,
Als müßt' das Herz entzwey.
Da trat ihr Bräut'gam ſüſſe
Zu ihr aus ſtiller Nacht,
So freundlich er ſie grüßte,
Daß ihr das Herze lacht.
Er ſprach: Was willſt Du weinen,
Weil alle fröhlich ſey'n?
Die Stern 'ſo helle ſcheinen,
So luſtig geht der Rhein.
Das Kränzlein in den Haaren,
Steht Dir ſo wunderfein,
Wir wollen etwas fahren,
Hinunter auf dem Rhein.
Zum Kahn 'folgt' ſie behende,
Setzt 'ſich ganz vorne hin,
Er ſetzt' ſich an das Ende
Und ließ das Schifflein zieh'n.
Sie ſprach: Die Töne kommen
Verworren durch den Wind,
Die Fenſter ſind verglommen,
Wir fahren ſo geſchwind.
442
Was ſind das für ſo lange
Gebirge weit und breit?
Mir wird auf einmal bange
In dieſer Einſamkeit!
Und fremde Leute ſtehen,
Auf mancher Felſenwand
Und ſtehen ſtill und ſehen
So ſchwindlich über'n Rand.
Der Bräut'gam ſchien ſo traurig
Und ſprach kein einzig Wort,
Schaut in die Wellen ſchaurig
Und rudert immerfort.
Sie ſprach: Schon ſeh 'ich Streifen,
So roth im Morgen ſteh'n,
Und Stimmen hör' ich ſchweifen,
Am Ufer Hähne kräh'n.
Du ſiehſt ſo ſtill und wilde,
So bleich wird Dein Geſicht,
Mir graut vor Deinem Bilde
Du biſt mein Bräut'gam nicht!

Ich bitte Dich um Gotteswillen, unterbrach mich hier Angelina dringend, nimm die Larve ab, ich fürchte mich vor Dir. Laß das, ſagte ich ab¬ wehrend, es giebt fürchterliche Geſichter, die das Herz in Stein verwandeln, wie das Haupt der Meduſa. Ich hatte faſt zu viel geſagt und griff raſch wieder in die Saiten:

Da ſtand er auf das Sauſen
Hielt an in Fluth und Wald
Es rührt mit Luſt und Grauſen,
Das Herz Ihr die Geſtalt.
443
Und wie mit ſteinern'n Armen
Hob er ſie auf voll Luſt,
Drückt ihren ſchönen, warmen
Leib an die eiſ'ge Bruſt.
Licht wurden Wald und Höhen,
Der Morgen ſchien blutroth,
Das Schifflein ſah man gehen,
Die ſchöne Braut d'rin todt.

Kaum hatte ich noch die letzte Strophe ge¬ endiget, als Angelina mit einem lauten Schrey neben mir zu Boden fiel. Ich ſchaue ringsum und erblicke mein eignes, leibhaftiges Konterfey im Ein¬ gange des Boſkets: dieſelbe ſchwarze Rittermaſke, die nemliche Größe und Geſtalt. Laß mein Weib, verführeriſches Blendwerk der Hölle! rief die Maſke, auſſer ſich, und ſtürzte mit blankem Schwerdte ſo wüthend auf mich ein, daß ich kaum Zeit genug hatte, meinen eigenen Degen zu zieh'n. Ich erſtaunte über die Aehnlichkeit ſeiner Stimme mit der meinigen, und begriff nun, daß mich Ange¬ lina für dieſen ihren Mann, den Grafen ſelber, gehalten hatte. In der Bewegung des Gefechts war ihm indeß die Larve vom Geſicht gefallen, und ich erkannte mit Grauſen den fürchterlichen Unbe¬ kannten wieder, deſſen Schreckbild mich durchs ganze Leben verfolgt. Mir fiel die Prophezeyung ein. Ich wich entſetzt zurück, denn er focht unbe¬ ſonnen in blinder Eiferſucht und ich war im Vor¬ theil. Aber es war zu ſpät, denn in demſelben Augenblicke rannte er ſich wüthend ſelber meine Degenſpitze in die Bruſt und ſank todt nieder.

444

Mein dunkler, wilder, halbunwillkührlicher Trieb war nun erfüllt. Finſterer, als die Nacht um mich, eilte ich den Garten hinab. Ein Kahn ſtand unten am Ufer des Stromes angebunden. Ich ſtieg hinein und ließ ihn den Strom hinabfah¬ ren. Die Nacht vergieng, die Sonne gierig auf und wieder unter, ich ſaß und fuhr noch immer¬ fort.

Den anderen Morgen verlohr ſich der Strom zwiſchen wilden, einſamen Wäldern und Schluften. Der Hunger trieb mich ans Land. Es war dieſe Gegend hier. Ich fand nach einigem Herumirren das Schloß, das ihr geſehen. Ein alter, verrück¬ ter Einſiedler wohnte damals dann, von deſſen früherem Lebenslaufe ich nie etwas erfahren konn¬ te. Es gefiel nur gar wohl in dieſer Wuſte und ich blieb bey ihm. Kurze Zeit darauf ſtarb der Alte und hinterließ mir ſeine alten Bücher, ſein verfallenes Schloß und eine Menge Goldes in den Kellern. Ich hätte nun wieder in die Welt zuruck¬ kehren können mit dem Schatze, zum allgemeinen Nutzen und Vergnügen. Aber ich paſſe nirgends mehr in die Welt hinein. Die Welt iſt ein gro¬ ßer, unermeßlicher Magen und braucht leichte, weiche, bewegliche Menſchen, die ſie in ihren viel¬ fach-verſchlungenen, langweiligen Kanälen verar¬ beiten kann. Ich tauge nicht dazu, und ſie wirft ſolche Geſellen wieder aus, wie unverdauliches Ei¬ ſen, feſt, kalt, formlos und ewig unfruchtbar.

445

So endigte Rudolph ſeine Erzählung, welche die beyden Grafen in eine nachdenkliche Stille ver¬ ſenkt hatte. Leontin hatte ſich, als Rudolph das Schloß der Angelina beſchrieb, an jenen kurzen Be¬ ſuch erinnert, den er nach dem Brande mit Frie¬ drich'n auf dem Schloſſe der weißen Frau abgelegt, und konnte ſich der Vermuthung nicht erwehren, daß dieſe vielleicht Angelina ſelber war. Es war unterdeß dunkel geworden, der Mond trat eben über den einſamen Bergen hervor. Ihr wißt nun alles, gute Nacht! ſagte Rudolph ſchnell und gieng von ihnen fort. Sie ſahen ihm lange nach, wie ſein langer, dunkler Schatten ſich zwiſchen den ho¬ hen Bäumen verlohr.

Als ſie wieder oben in ihrem Zimmer waren, ergriff Leontin Mariens Guitarre, die ſie dort ver¬ geſſen hatte, und ſang über den ſtillen Kreis der Wälder hinaus:

Nächtlich dehnen ſich die Stunden,
Unſchuld ſchläft in ſtiller Bucht,
Fernab iſt die Welt verſchwunden,
Die das Herz in Träumen ſucht.
Und der Geiſt tritt auf die Zinne,
Und noch ſtiller wird's umher,
Schauet mit dem ſtarren Sinne
In das Weſenloſe Meer.
Wer ihn ſah bey Wetterblicken
Steh'n in ſeiner Rüſtung blank:
Den mag nimmermehr erquicken
Reichen Lebens friſcher Drang.
446
Fröhlich an den öden Mauern
Schweift der Morgenſonne Blick,
Da verſinkt das Bild mit Schauern,
Einſam in ſich ſelbſt zurück.

Vierundzwanzigſtes Kapitel.

Friedrich und Leontin vermehrten nun auch den wunderlichen Haushalt auf dem alten Waldſchloſſe. Der unglückſelige Rudolph lag gegen beyde und al¬ le Welt mit Witz zu Felde, ſo oft er mit ihnen zuſammenkam. Doch geſchah dieß nur ſelten, denn er ſchweifte oft Tagelang allein im Walde umher, wo er ſich mit ſich ſelber oder den Rehen, die er ſehr zahm zu machen gewußt, in lange Unterredun¬ gen einzulaſſen pflegte. Ja, es geſchah gar oft, daß ſie ihn in einem lebhaften und höchſtkomiſchen Geſpräche mit irgend einem Felſen oder Steine überraſchten, der etwa durch eine Mundähnliche Oeffnung oder weiſe vorſtehende Naſe eine eigne, wunderliche Phiſiognomie machte. Dabey bildeten die Narren, welche er auf ſeinen Streifzügen, die er noch bisweilen ins Land hinab machte, zuſam¬ mengerafft, eine ſeltſame Akademie um ihn, alle ernſthaften Thorheiten der Welt in faſt ſchauerlicher und tragiſcher Karikatur traveſtirend. Jeder derſel¬ ben hatte ſeine beſtimmte Tagesarbeit im Hauswe¬447 ſen. Durch dieſe fortlaufende Beſchäftigung, die Einſamkeit und reine Bergluft kamen viele von ihnen nach und nach wieder zur Vernunft, wo ſie dann Rudolph wieder in die Welt hinausſandte und gerührt auf immer von ihnen Abſchied nahm.

In Friedrich'n entwickelte dieſe Abgeſchiedenheit endlich die urſprüngliche religiöſe Kraft ſeiner See¬ le, die ſchon im Weltleben, durch gutmüthiges Staunen geblendet, durch den Drang der Zeiten oft verſchlagen und falſche Bahnen ſuchend, aus al¬ len ſeinen Beſtrebungen, Thaten, Poeſieen und Irrthümern hervorleuchtete. Jetzt hatte er alle ſei¬ ne Pläne, Talentchen, Künſte und Wiſſenſchaften unten zurückgelaſſen, und las wieder die Bibel, wie er ſchon einmal als Kind angefangen. Da fand er Troſt über die Verwirrung der Zeit und das ein¬ zige Recht und Heil auf Erden in dem heiligen Kreutze. Er hatte endlich den phantaſtiſchen, tau¬ ſendfarbigen Pilgermantel abgeworfen und ſtand nun in blanker Rüſtung als Kämpfer Gottes gleich¬ ſam an der Gränze zweyer Welten. Wie oft, wenn er da über die Thäler hinausſah, fiel er auf ſeine Kniee und betete inbrünſtig zu Gott, ihm Kraft zu verleihen, was er in der Erleuchtung er¬ fahren, durch Wort und That ſeinen Brüdern mitzutheilen. Leontin dagegen wurde hier oben ganz melankoliſch und wehmüthig, wie ihn Friedrich noch niemals geſehen. Es fehlte ihm hier alle Handhabe, das Leben anzugreifen.

448

Eines Tages, da ſie beyde zuſammen einen, ihnen bis jetzt noch unbekannten Weg eingeſchlagen und ſich weiter als gewöhnlich von dem Schloſſe verirrt hatten, kamen ſie auf einmal auf einer An¬ höhe zwiſchen den Bäumen heraus zu einer wun¬ dervollen Ausſicht, die ſie innigſt überraſchte. Mit¬ ten in der Waldeseinſamkeit ſtand nemlich ein Klo¬ ſter auf einem Berge; hinter dem Berge lag plötz¬ lich das Meer in ſeiner ſchauerlichen Unermeßlich¬ keit, von der anderen Seite ſah man weit in das ebene Land hinaus. Es ſchien eben ein Feſt in dem Kloſter geweſen zu ſeyn, denn lange bunte Züge von Wallfahrern wallten durch das Grün den Berg hinab und ſangen geiſtliche Lieder, deren rührende Weiſe ſich gar anmuthig mit den Klängen der Abendglocken vermiſchte, die ihnen von dem Kloſter nachhallten.

Leontin ſah ihnen ſtillſchweigend nach, bis ihr Geſang in der Ferne verhallte und die Gegend in dämmernde Stille verſank. Dann nahm er die Guitarre, die hier überall ſeine Begleiterin war, und ſang folgendes Lied:

Laß, mein Herz, das bange Trauern,
Um vergang'nes Erdenglück,
Ach, von dieſer Felſen Mauern
Schweifet nur umſonſt dem Blick!
Sind denn alle fortgegangen:
Jugend, Sang und Frühlingsluſt?
Laſſen, ſcheidend, nur Verlangen
Einſam mir in meiner Bruſt?
Vöglein449
Vöglein hoch in Lüften reiſen,
Schiffe fahren auf der See,
Ihre Segel, ihre Weiſen
Mehren nur des Herzens Weh.
Iſt vorbey das bunte Ziehen,
Luſtig über Berg und Kluft,
Wenn die Bilder wechſelnd fliehen,
Waldhorn immer weiter ruft?
Soll die Lieb 'auf ſonn'gen Matten,
Nicht mehr bau'n ihr prächtig Zelt,
Uebergolden Wald und Schatten,
Und die weite, ſchöne Welt?
Laß das Bangen, laß das Trauern,
Helle wieder nur den Blick!
Fern von dieſer Felſen Mauern,
Blüht dir noch gar manches Glück!

Beyde Freunde wurden ſtill nach dem Liede und giengen ſchweigend nebeneinander wieder nach dem Schloſſe zurück. Die abgefallenen Blätter ra¬ ſchelten ſchon unter ihren Tritten auf dem Boden, ein herbſtlicher Wind durchſtrich den ſeufzenden Wald und verkündigte, daß die fröhliche Sommers¬ zeit bald Abſchied nehmen wolle. Sie ſchienen bey¬ de beſonderen Gedanken und Entſchlüſſen nachzuhän¬ gen, die ſie an jenem Platze gefaßt hatten.

Als der Mond die alten Zinnen des Schloſſes beleuchtete, trat Leontin auf einmal reiſefertig vor Friedrich. Ich ziehe fort, ſagte er, der Winter kommt bald, mir iſt als läge das ganze Leben wie29450dieſe Felſen hier auf meiner Bruſt, und ein Strom von Thränen möchte aus dem tiefſten Herzen aus¬ brechen, um die Berge wegzuwälzen; ich muß fort, ziehe Du auch mit! Friedrich ſchüttelte lächelnd den Kopf, aber im Innerſten war er trau¬ rig, denn er fühlte, daß ſich ihr Lebenslauf nun bedeutend und vielleicht auf immer ſcheiden werde.

Leontin zog endlich ſein Pferd hervor und führ¬ te es langſam am Zügel hinter ſich her, während ihm Friedrich noch eine Strecke weit das Geleite gab. Der volle Mond gieng eben über dem ſtillen Erdkreiſe auf, man konnte in der Tiefe weit hin¬ aus den Lauf der Ströme deutlich unterſcheiden. Leontin war ungewöhnlich gerührt und drang noch¬ mals in Friedrich’n, mit hinunterzuzieh’n. Du weißt nicht, was Du forderſt, ſagte dieſer ernſt, locke mich nicht noch einmal hinab in die Welt, mir iſt hier oben unbeſchreiblich wohl, und ich bin kaum erſt ruhig geworden. Dich will ich nicht halten, denn das muß von Innen kommen, ſonſt thut es nicht gut. Und alſo ziehe mit Gott! Die beyden Freun¬ de umarmten einander noch einmal herzlich, und Leontin war bald in der Dunkelheit verſchwunden.

Ihm zogen nun bald auch Vögel, Laub, Blu¬ men und alle Farben nach. Der alte grämliche Winter ſaß melankoliſch mit ſeiner ſpitzen Schnee¬ haube auf dem Gipfel des Gebirges, zog die bun¬ ten Gardinen weg, ſtellte wunderlich nach allen Seiten die Kuliſſen der luſtigen Bühne, wie in ei¬ ner Rumpelkammer, auseinander und durcheinander,451 baute ſich phantaſtiſch blitzende Eispalläſte und zer¬ ſtörte ſie wieder und ſchüttelte unaufhörlich eiſige Flocken aus ſeinem weiten Mantel darüber. Der ſtumme Wald ſah aus wie die Säulen eines umge¬ fallenen Tempels, die Erde war weiß, ſo weit die Blicke reichten, das Meer dunkel; es war eine un¬ beſchreibliche Einſamkeit da droben.

Rudolphs ſeltſam verwildertem Gemüth war dieſe Zeit eben recht. Er ſtreifte oft halbe Tage lang mitten im Sturm und Schneegeſtöber auf al¬ len den alten Plätzen umher. Abends pflegte er häufig bis tief in die Nacht auf ſeiner Sternwarte zu ſitzen und die Konjunkturen der Geſtirne zu be¬ obachten. Eine Menge alter aſtrologiſcher Bücher lag dabey um ihn her, aus denen er verſchiedenes auszeichnete und geheimnißvolle Figuren bildete.

Nach ſolchen Perioden machte er dann gewöhn¬ lich wieder größere Streifzüge, manchmal bis ans Meer, wo es ihm eine eigne Luſt war, ganz al¬ lein auf einem Kahne mit Lebensgefahr in die wil¬ de, unermeßliche Einöde hinauszufahren. Bisweilen verirrte er ſich auch wohl in den Thälern zu man¬ chem einſamen Landſchloſſe, wenn er in der Fa¬ ſchingszeit die Fenſter hellerleuchtet ſah. Er be¬ trachtete dann gewöhnlich drauſſen die Tanzenden durchs Fenſter, wurde aber immer bald von dem raſenden Trompeten und Geigen wieder vertrieben.

29 *452

Als er einmal von ſo einem Zuge zurückkam, erzählte er Friedrich'n, er habe unten weit von hier einen großen Leichenzug geſehen, der ſich bey Fa¬ ckelſchein und mit ſchwarzbehängten Pferden lang¬ ſam über die beſchneyten Felder hinbewegte. Er habe weder die Gegend, noch die Perſonen ge¬ kannt, die der Leiche im Wagen folgten. Aber Leontin ſey bey dem Zuge, ohne ihn zu bemer¬ ken, an ihm vorübergeſprengt. Friedrich erſchrack über dieſe düſtere Bothſchaft. Aber er konnte nicht errathen, welchem alten Bekannten der Zug gegol¬ ten, da ſich Rudolph weiter um nichts bekümmert hatte.

Friedrich ſetzte indeß noch immer ſeine geiſtli¬ chen Betrachtungen fort. Er beſuchte, ſo oft es nur das Wetter erlaubte, das nahgelegene Kloſter, das er an Leontins Abſchiedstage zum erſtenmal geſehen, und blieb oft Wochenlang dort. Rudol¬ phen konnte er niemals bewegen, ihn zu begleiten, oder auch nur ein einzigesmal die Kirche zu beſu¬ chen. Er fand in dem Prior des Kloſters einen frommen, erleuchteten Mann, der beſonders auf der Kanzel in ſeiner Begeiſterung, gleich einem Apoſtel, wunderbar und alterthümlich erſchien. Frie¬ drich ſchied nie ohne Belehrung und himmliſche Be¬ ruhigung von ihm und mochte ſich bald gar nicht mehr von ihm trennen. Und ſo bildete ſich denn ſein Entſchluß, ſelber ins Kloſter zu gehen, im¬ mer mehr zur Reife.

453

Der Winter war vergangen, die ſchöne Früh¬ lingszeit ließ die Ströme los und ſchlug weit und breit ihr liebliches Reich wieder auf, da erblickte Friedrich eines Morgens, da er eben von der Höhe ſchaute, unten in der Ferne zwey Reiter, die über die grünen Matten hinzogen. Sie verſchwanden bald hinter den Bäumen, bald erſchienen ſie wieder auf einen Augenblick, bis ſie Friedrich endlich in dem Walde völlig aus dem Geſichte verlohr.

Er wollte nach einiger Zeit eben wieder in das Schloß zurückkehren, als die beyden Reiter plötzlich vor ihm aus dem Walde den Berg heraufkamen. Er erkannte ſogleich ſeinen Leontin. Sein Beglei¬ ter, ein feiner, junger Jäger, ſprang ebenfalls vom Pferde und kam auf ihn zu.

Setzen wir uns, ſagte Leontin gleich nach der erſten Begrüſſung munter; ich habe Dir viel zu ſagen. Vor allem: kennſt Du den? Hiebey hob er dem Jäger den Hut aus der Stirne, und Frie¬ drich erkannte mit Erſtaunen die ſchöne Julie, die in dieſer Verkleidung mit niedergeſchlagenen Augen vor ihm ſtand. Wir ſind auf einer großen Reiſe begriffen, ſagte er darauf. Die Jungfrau Europa, die ſo hochherzig mit ihren ausgebreiteten Armen daſtand, als wolle ſie die ganze Welt umſpan¬ nen, hat die alten, ſinnreichen, frommen, ſchönen Sitten abgelegt[und] iſt eine Metze geworden. Sie buhlt frey mit dem geſunden Menſchenverſtande,454 dem Unglauben, Gewalt und Verrath, und ihr Herz iſt dabey beſonders eingeſchrumpft. Pfuy, ich habe keine Luſt mehr an der Philiſterin! Ich reiſe weit fort von hier, in einen anderen Welt¬ theil, und Julie begleitet mich. Friedrich ſah ihn bey dieſen Worten groß an. Es iſt mein voller Ernſt, fuhr Leontin fort, Juliens Vater iſt auch geſtorben, und ich kann hier nicht länger mehr le¬ ben, wie ich nicht mag und darf.

Friedrich erfuhr nun auch, daß ſie Land und alles, was ſie hier beſeſſen, zu Gelde gemacht, und ein eigenes Schiff bereits in der abgelegenen Bucht, die an das erwähnte Kloſter ſtieß, bereit liege, um ſie zu jeder Stunde aufzunehmen. Er konnte, un¬ geachtet der ſchmerzlichen Trennung, nicht umhin, ſich über dieſes Vorhaben zu freuen, denn er wu߬ te wohl, daß nur ein friſches, weites Leben ſeinen Freund erhalten könne, der hier in der allgemei¬ nen Miſere durch fruchtloſe Unruhe und Beſtrebung nur ſich ſelber vernichtet hätte.

Sie ſprachen dort noch lange darüber. Julie ſaß unterdeß ſtill mit dem einen Arme auf Leontins Kniee geſtützt und ſah überaus reitzend aus. Seit ihr denn getraut? fragte Friedrich Leontinen leiſe. Julie hatte es demohngeachtet gehört, und wurde über und über roth.

Es wurde nun ſogleich beſchloſſen, die Trauung noch heute in dem Kloſter zu vollziehen. Man be¬ gab ſich daher in das alte Schloß, die Felleiſen455 wurden abgeſchnallt und Julie mußte ſich umziehen. Friedrich bereitete unterdeß fröhlich alles, was ſich hier ſchaffen ließ, zu einem luſtigen Hochzeitsfeſte, während Leontin, der ſich in dieſer Lage als feyer¬ licher Bräutigam gar komiſch vorkam, allerhand Poſſen machte, und die ſeltſamſten Anſtalten traf, um das Feſt recht phantaſtiſch auszuſchmücken.

Endlich erſchien Julie wieder. Sie hatte ein weiſſes Kleid, die ſchönen goldenen Haare fielen in langen Locken über den Nacken und die Schultern, man konnte ſie nicht anſehen, ohne ſich an irgend ein ſchönes altdeutſches Bild zu erinnern. Sie be¬ ſtiegen nun alle ihre Pferde und zogen ſo, Julie'n in die Mitte nehmend, auf das Kloſter zu. Als ſie die letzte Höhe vor demſelben erreichten, wo auf einmal das Meer durch die Wälder und Hügel ſei¬ nen furchtbargroßen Geiſterblick hinaufſandte, that. Julie einen Freudenſchrey über den unerwarteten, noch nie gehabten Anblick, und ſah dann den gan¬ zen Weg über mit den großen, ſinnigen Augen ſtumm in das wunderbare Reich, wie in eine unbe¬ kannte, gewaltige Zukunft. Die Glockenklänge von dem Kloſterthurme kamen ihnen wunderbartröſtend aus der unermeßlichen Ausſicht entgegen.

In dem Kloſter ſelbſt war eben das Wall¬ farthsfeſt, das alle Jahr einigemal gefeyert wur¬ de, wiedergekehrt. Die Einſamkeit ringsherum war wieder bunt belebt, eine Menge Pilger war, als ſie dort ankamen, in kleinen Haufen unter den grü¬ nen Bäumen vor der Kirche gelagert, die Kirche456 ſelbſt mit Blumen und grünen Reiſern freundlich geſchückt. Friedrich hatte ſchon früher den Prior von ihrer Ankunft benachrichtigen laſſen, und ſo wurden denn Leontin und Julie noch dieſen Vor¬ mittag in der Kirche feyerlich zuſammengegeben.

Die Menge fremder Pilger freute ſich über das fremde Paar. Nur eine hohe, junge Dame, die einen dichten Schleyer über das Geſicht geſchlagen hatte, lag ſeitwärts vor einem einſamen Altare voll Andacht auf den Knieen und ſchien von allem, was hinter ihr in der Kirche vorgieng, nichts zu bemerken. Friedrich ſah ſie; ſie kam ihm bekannt vor. Dieſe einſame Geſtalt, das unaufhörliche Ringen und Brauſen der Orgeltöne, der fröhliche Sonnenſchein, der drauſſen vor der offenen Thüre auf dem grünen Platze ſpielte, alles drang ſo ſelt¬ ſam rührend auf ihn ein, als wollte das ganze vergangene Leben noch einmal mit den älteſten Er¬ innerungen und langvergeſſenen Klängen an ihm vorübergehen, um auf immer Abſchied zu nehmen. Ihm fiel dabey recht ein, wie nun auch Leontin fortreiſe und wahrſcheinlich nie mehr wiederkomme, und eine unbeſchreibliche Wehmuth bemächtigte ſich ſeiner, ſo daß er ins Freye hinaus mußte. Er gieng drauſſen unter den hohen Bäumen vor der Kirche auf und ab und weinte ſich herzlich aus.

Die Zeremonie war unterdeß geendigt, und ſie ritten wieder nach dem alten Schloſſe zurück. Auf dem grünen Platze vor demſelben empfieng ſie un¬457 ter den hohen Bäumen ein reinlich gedeckter Tiſch; große Blumenſträuße und vielfarbiges Obſt ſtand in ſilbernen Gefäßen zwiſchen dem goldenblickenden Wein und hellgeſchliffenen Gläſern, alle das fröh¬ lichbunte Gemiſch von Farben gab in dem Grün und unter blauheiterm Himmel einen friſcherlocken¬ den Schein. Man hatte, was in dem Schloſſe nicht zu finden war, ſchnell aus dem Kloſter herbeyge¬ ſchafft. Rudolph ließ ſich nirgends ſehen.

Sie aſſen und tranken nun in der grünen Ein¬ ſamkeit, während der Kreis der Wälder in ihre Geſpräche hineinrauſchte. Julie ſaß ſtill in die Zu¬ kunft verſenkt und ſchien innerlich entzückt, daß nun endlich ihr ganzes Leben in des Geliebten Gewalt gegeben ſey.

So kam der Abend heran. Da ſahen ſie zwey Männer, die in einem lebhaften Geſpräche mitein¬ ander begriffen ſchienen, aus dem Walde zu ihnen heraufkommen. Sie erkannten Rudolphen an der Stimme. Kaum hatte ihn Julie, die ſchon von dem vielen Weine erhitzt war, erblickt, als ſie laut auf¬ ſchrie und ſich furchtſam an Leontin andrückte. Es war dieſelbe dunkle Geſtalt, die ſie bey dem Lei¬ chenzuge ihres Vaters aus dem Wagen einſam auf dem beſchneyten Felde hatte ſtehen ſehen.

O ſeht, was ich da habe, rief ihnen Rudolph ſchon von weitem entgegen, ich habe im Walde ei¬ nen Poeten gefunden, wahrhaftig, einen Poeten! Er ſaß unter einem Baume und ſchmälte laut auf458 die ganze Welt in ſchönen gereimten Verſen, daß ich bis zu Thränen lachen mußte. Gieb dich zufrie¬ den, Gevatter! ſagte ich ſo gelinde als möglich zu ihm, aber er nimmt keine Vernunft an, und ſchimpft immerfort. Rudolph lachte hiebey ſo übermäſſig und aus Herzensgrund, wie ſie ihn noch niemals geſehen.

Sie hatten indeß in ſeinem Begleiter mit Freu¬ den den langentbehrten Herrn Faber erkannt. Leontin ſprang ſogleich auf, ergriff ihn und walzte mit ihm auf der Wieſe herum, bis ſie beyde nicht mehr weiter konnten. Et tu Brute? rief end¬ lich Faber aus, als er wieder zu Athem gekommen war, nein, das iſt zu toll, der Berg muß verzau¬ bert ſeyn! Unten begegne ich der kleinen Marie, ich will ſie aus alter Bekanntſchaft haſchen und küſ¬ ſen, und bekomme eine Ohrfeige, weiter oben ſitzt auf einer Felſenſpitze eine Figur mit breitem Man¬ tel und Krone auf dem Haupt, wie der Metall¬ fürſt, und will mir grämlich nicht den Weg wei¬ ſen, ein als Ritter verkappter Phantaſt rennt mich faſt um, dann falle ich jenem Melankolikus da in die Hände, der nicht weiß, warum er lacht, und nachdem ich mich endlich mit Lebensgefahr hinaufge¬ arbeitet habe, ſeyd ihr hier oben am Ende auch noch verrückt. Das kann wohl ſeyn, ſagte Leon¬ tin luſtig, denn ich bin verheyrathet (hiebey küßte er Julien, die ihm die Hand auf den Mund legte) und Friedrich da, fuhr er fort, will ins Kloſter geh'n. Aber Du weißt ja den alten Spruch: ſie459 haben ſich zu Thoren gemacht vor der Welt. Und nun ſage mir nur, wie in aller Welt Du uns hier aufgefunden haſt?

Faber erzählte nun, daß er auf einer Wall¬ farth zu dem Kloſter begriffen geweſen, von deſſen ſchöner Lage er ſchon viel gehört. Unterwegs habe er am Meere von Schiffsleuten vernommen, daß ſich Leontin hier oben aufhalte, und daher den Berg beſtiegen. Rudolph verwandte unterdeß mit komiſcher Aufmerkſamkeit kein Auge von dem kurzen, runden, wohllebigen Manne, der mit ſo lebhaften Gebehrden ſprach. Faber ſetzte ſich zu ihnen und ſie theilten ihm nun zu ſeiner Verwunderung ihre Plane mit. Rudolph war indeß auch wieder ſtill geworden, und ſaß wie der ſteinerne Gaſt unter ihnen am Tiſche. Julie blickte ihn oft ſeitwärts an und konnte ſich noch immer einer heimlichen Furcht vor ihm nicht erwehren, denn es war ihr, als ver¬ gienge dieſem kalten und klugen Geſichte gegenüber ihre Liebe und alles Glück ihres Lebens zu nichts.

Die Nacht war indeß angebrochen, die Sterne prangten an dem heiteren Himmel. Da erklang auf einmal Muſik aus dem nächſten Gebüſche. Es wa¬ ren Spielleute aus dem Kloſter, die Leontin beſtellt hatte. Rudolph ſtand bey den erſten Klängen auf, ſah ſich ärgerlich um und gieng fort.

Leontin, von den plötzlichen Tönen wie im in¬ nerſten Herzen erweckt, hob ſein Glas hoch in die Höhe und rief: Es lebe die Freyheit! Wo? 460 fragte Faber, indem er ſelbſt langſam ſein Glas aufhob. Nur nicht etwa in der Bruſt des Phi¬ loſophen allein, erwiederte Leontin, unangenehm geſtört. Dieſe allgemeine, natürliche, philoſophiſche Freyheit, der jede Welt gut genug iſt, um ſich in ihrem Hochmuthe frey zu fühlen, iſt mir eben ſo in der Seele zuwider, als jene natürliche Religion, welcher alle Religionen einerley ſind. Ich meyne jene uralte, lebendige Freyheit, die uns in großen Wäldern wie mit wehmüthigen Erinnerungen an¬ weht, oder bey alten Burgen ſich wie ein Geiſt auf die verfallene Zinne ſtellt, der das Menſchenſchiff¬ lein unten wohl zufahren heißt, jene friſche, ewig¬ junge Waldesbraut, nach welcher der Jäger früh¬ morgens aus den Dörfern und Städten hinauszieht und ſie mit ſeinem Horne lockt und ruft, jener rei¬ ne, kühle Lebensathem, den die Gebirgsvölker auf ihren Alpen einſaugen, daß ſie nicht anders leben können, als wie es der Ehre geziemt. Aber da¬ mit iſt es nun aus. Wenn unſerer Altvordern Herzen wohl mit dreyfachem Erz gewappnet waren, das vor dem rechten Strahle erklang, wie das Erz von Dodona, ſo ſind die unſrigen nun mit ſechsfa¬ cher Butter des häuslichen Glückes, des guten Ge¬ ſchmacks, zarter Empfindungen und edelmüthiger Handlungen umgeben, durch die kein Wunderlaut bis zu der Talggrube hindurchdringt. Zieht dann von Zeit zu Zeit einmal ein wunderbarer, altfrän¬ kiſcher Geſell, der es noch ehrlich und ernſthaft meynt, wie Don Quixote, vorüber, ſo ſehen Her¬461 ren und Damen nach der Tafel, gebildet und ge¬ mächlich, zu den Fenſtern hinaus, ſtochern ſich die Zähne und ergötzen ſich an ſeinen wunderlichen Kapriolen, oder machen wohl gar auch Sonette auf ihn, und meynen, er ſey eine recht intereſſante Erſcheinung, wenn er nur nicht eigentlich verrückt wäre. Das alte große Rache-Schwerdt haben ſie ſorglich vergraben und verſchüttet, und keiner weiß den Fleck mehr, und darüber auf dem lockeren Schutt bauen ſie nun ihre Villen, Parks, Eremi¬ tagen und Wohnſtuben, und meynen in ihrer ver¬ nünftigen Dummheit, der Plunder könne ſo fortbe¬ ſteh'n. Die Wälder haben ſie ausgehauen, denn ſie fürchten ſich vor ihnen, weil ſie von der alten Zeit zu ihnen ſprechen und am Ende den Ort noch verrathen könnten, wo das Schwerdt vergraben liegt. Leontin ergriff hiebey haſtig die Guitarre, die neben ihm auf dem Raſen lag, und ſang:

O könnt 'ich mich niederlegen
Weit in den tiefſten Wald,
Zum Haupte den guten Degen,
Der noch von den Väteru alt!
Und dürft 'von allem nichts ſpüren
In dieſer dummen Zeit,
Was ſie da unten handthieren,
Von Gott verlaſſen, zerſtreut;
Von fürſtlichen Thaten und Werken,
Von alter Ehre und Pracht,
Und was die Seele mag ſtärken,
Verträumend die lange Nacht!
462
Denn eine Zeit wird kommen,
Da macht der Herr ein End ',
Da wird den Falſchen genommen
Ihr unächtes Regiment.
Denn, wie die Erze vom Hammer,
So wird das lock're Geſchlecht,
Gehau'n ſeyn von Noth und Jammer,
Zu feſtem Eiſen recht.
Da wird Aurora tagen,
Hoch über den Wald hinauf,
Da giebt's was zu ſiegen und ſchlagen,
Da wacht, ihr Getreuen, auf!

Und ſo, ſagte er, will ich denn in dem noch unberührten Waldesgrün eines anderen Welttheils Herz und Augen ſtärken, und mir die Ehre und die Erinnerung an die vergangene große Zeit, ſo wie den tiefen Schmerz über die gegenwärtige hei¬ lig bewahren, damit ich der künftigen beſſeren, die wir alle hoffen, würdig bleibe, und ſie mich wach und rüſtig finde. Und Du, fuhr er zu Julien ge¬ wendet fort, wirſt Du ganz ein Weib ſeyn, und, wie Shakeſpear ſagt, dich dem Triebe hingeben, der dich zügellos ergreift und dahin oder dorthin reißt, oder wirſt du immer Muth genug haben, dein Leben etwas Höherem unterzuordnen? Und dämmert endlich die Zeit heran, die mich Gott er¬ leben laſſe! wirſt du fröhlich ſagen können: Ziehe hin! denn was du willſt und ſollſt, iſt mehr werth, als dein und mein Leben? Julie nahm ihm fröh¬ lich die Guitarre aus der Hand und antwortete mit folgender Romanze:

463
Von der deutſchen Jungfrau.
Es ſtand ein Fräulein auf dem Schloß,
Erſchlagen war im Streit ihr Roß,
Schnob wie ein See die finſtre Nacht,
Wollt 'überſchrey'n die wilde Schlacht.
Im Thal die Brüder lagen todt,
Es brannt 'die Burg ſo blutigroth,
In Lohen ſtand ſie auf der Wand,
Hielt hoch die Fahne in der Hand.
Da kam ein röm'ſcher Rittersmann,
Der ritt keck an die Burg hinan,
Es blitzt ſein Helm gar mannigfach,
Der ſchöne Ritter alſo ſprach:
Jungfrau, komm 'in die Arme mein!
Sollſt deines Siegers Herrinn ſeyn.
Will bau'n dir einen Pallaſt ſchön,
In prächt'gen Kleidern ſollſt du geh'n.
Es thun dein 'Augen mir Gewalt,
Kann nicht mehr fort aus dieſem Wald.
Aus wilder Flammen Spiel und Graus,
Trag' ich mir meine Braut nach Haus!
Der Ritter ließ ſein weißes Roß,
Stieg durch den Brand hinauf ins Schloß,
Viel Knecht 'ihm waren da zur Hand,
Zu holen das Fräulein von der Wand.
Das Fräulein ſtieß die Knecht 'hinab,
Den Liebſten auch ins heiße Grab,
Sie ſelbſt dann in die Flammen ſprang,
Ueber ihnen die Burg zuſammenſank.
464

Faber brach, als ſie geendigt hatte, einen Ei¬ chenzweig von einem herabhängenden Aſte, bog ihn ſchnell zu einem Kranze zuſammen und überreichte ihr denſelben, indem er mit altritterlicher Galanterie vor ihr hinkniete. Julie drückte den Kranz mit ſei¬ nen friſchgrünen, vollen Blättern lächelnd in ihre blonden Locken über die ernſten, großen Augen, und ſah ſo wirklich dem Bilde nicht unähnlich, das ſie beſungen.

Es iſt ſeltſam, ſagte Faber darauf, wie ſich unſer Geſpräch nach und nach beynah in einen Wechſelgeſang aufgelöst hat. Der weite, geſtirnte Himmel, das Rauſchen der Wälder ringsumher, der innere Reichthum und die überſchwengliche Wonne, mit welcher neue Entſchlüſſe uns jederzeit erfüllen, alles kommt zuſammen; es iſt, als hörte die Seele in der Ferne unaufhörlich eine große, himmliſche Melodie, wie von einem unbekannten Strome, der durch die Welt zieht, und ſo werden am Ende auch die Worte unwillkührlich melodiſch, als wollten ſie jenen wunderbaren Strom erreichen und mitzieh'n. So fällt auch mir jetzt ein Sonett ein, das Euch am beſten erklären mag, was ich von Leontins Vorhaben halte. Er ſprach:

In Wind verfliegen ſah ich, was wir klagen,
Erbärmlich Volk um falſcher Götzen Thronen,
Wen'ger Gedanken, deutſchen Landes Kronen,
Wie Felſen, aus dem Jammer einſam ragen.
Da465
Da mocht 'ich länger nicht nach Euch mehr fragen,
Der Wald empfieng, wie rauſchend! den Entfloh'¬ nen,
In Burgen alt, an Stromeskühle wohnen,
Wollt' ich auf Bergen bey den alten Sagen.
Da hört 'ich Strom und Wald dort ſo mich tadeln:
Was willſt, Lebend'ger du, hier über'm Leben,
Einſam verwildernd in den eignen Tönen?
Es ſoll im Kampf der rechte Schmerz ſich adeln,
Den deutſchen Ruhm aus der Verwüſtung heben,
Das will der alte Gott von ſeinen Söhnen!

Friedrich ſagte: Es iſt ſehr wahr, wovon Ihr Sonett da ſpricht, und doch billige ich Leontins Plan vollkommen. Denn wer, von Natur unge¬ ſtümm, ſich berufen fühlt, in das Räderwerk des Weltganges unmittelbar mit einzugreifen, der mag von hier flüchten ſo weit er kann. Es iſt noch nicht an der Zeit zu bauen, ſo lange die Backſtei¬ ne, noch weich und unreif, unter den Händen zer¬ fließen. Mir ſcheint in dieſem Elend, wie immer, keine andere Hülfe, als die Religion. Denn wo iſt in dem Schwalle von Poeſie, Andacht, Deutſch¬ heit, Tugend und Vaterländerey, die jetzt, wie bey der babyloniſchen Sprachverwirrung, ſchwankend hin und herſummen, ein ſicherer Mittelpunkt, aus wel¬ chem alles dieſes zu einem klaren Verſtändniß, zu einem lebendigen Ganzen gelangen könnte? Wenn das Geſchlecht vor der Hand einmal alle ſeine irdi¬ ſchen Sorgen, Mühen und fruchtloſen Verſuche,30466der Zeit wieder auf die Beine zu helfen, vergeſſen und wie ein Kleid abſtreifen, und ſich dafür mit voller, ſiegreicher Gewalt zu Gott wenden wollte, wenn die Gemüther auf ſolche Weiſe von den gött¬ lichen Wahrheiten der Religion lange vorbereitet, erweitert, gereinigt und wahrhaft durchdrungen würden, daß der Geiſt Gottes und das Große im öffentlichen Leben wieder Raum in ihnen gewönne, dann erſt wird es Zeit ſeyn, unmittelbar zu han¬ deln, und das alte Recht, die alte Freyheit, Ehre und Ruhm in das wiedereroberte Reich zurückzufüh¬ ren. Und in dieſer Geſinnung bleibe ich in Deutſch¬ land und wähle nur das Kreutz zum Schwerdte. Denn wahrlich, wie man ſonſt Miſſionnarien unter Kannibalen ausſandte, ſo thut es jetzt viel mehr Noth in Europa, dem ausgebildeten Heyden¬ ſitze.

Faber kam aus tiefen Gedanken zurück, als Friedrich ausgeredet hatte. Wie ihr da ſo ſprecht, ſagte er, iſt mir gar ſeltſam zu Muthe. War mir doch, als verſchwände dabey die Poeſie und alle Kunſt wie in der fernſten Ferne, und ich hätte mein Leben an eine reitzende Spielerey verlohren. Denn das Haſchen der Poeſie nach Auſſen, das geiſtige Verarbeiten und Bekümmern um das, was eben vorgeht, das Ringen und Abarbeiten an der Zeit, ſo groß und lobenswerth als Geſinnung, iſt doch im¬ mer unkünſtleriſch. Die Poeſie mag wohl Wurzel ſchla¬ gen in demſelben Boden der Religion und Nationa¬ lität, aber unbekümmert, bloß um ihrer himmliſchen467 Schönheit willen, als Wunderblume zu uns her¬ aufwachſen. Sie will und ſoll zu nichts brauch¬ bar ſeyn. Aber das verſteht ihr nicht, und macht mich nur irre. Ein fröhlicher Künſtler mag ſich vor Euch hüten. Denn wer die Gegenwart aufgiebt, wie Friedrich, wem die friſche Luſt am Leben und ſeinem überſchwenglichen Reichthume gebrochen iſt, mit deſſen Poeſie iſt es aus. Er iſt wie ein Mah¬ ler ohne Farben.

Friedrich, den die Zurückrufung der großen Bilder ſeiner Hoffnungen innerlichſt fröhlich gemacht hatte, nahm ſtatt aller Antwort die Guitarre, und ſang nach einer alten, ſchlichten Melodie:

Wo treues Wollen, redlich Streben
Und rechter Sinn der Rechte ſpürt,
Da muß die Seele ihm erheben,
Das hat mich jedesmal gerührt.
Das Reich des Glaubens iſt geendet,
Zerſtört die alte Herrlichkeit,
Die Schönheit weinend abgewendet,
So Gnadenlos iſt unſre Zeit.
O Einfalt gut in frommen Herzen,
Du züchtig ſchöne Gottesbraut!
Dich ſchlugen ſie mit frechen Scherzen,
Weil Dir vor ihrer Klugheit graut.
Wo find'ſt Du nun ein Haus, vertrieben,
Wo man Dir deine Wunder läßt,
Das treue Thun, das ſchöne Lieben,
Des Lebens fromm vergnüglich Feſt?
30 *468
Wo find'ſt Du Deinen alten Garten,
Dein Spielzeug, wunderbares Kind,
Der Sterne heil'ge Redensarten,
Das Morgenroth, den friſchen Wind?
Wie hat die Sonne ſchön geſchienen!
Nun iſt ſo alt und ſchwach die Zeit,
Wie ſtehſt ſo jung Du unter ihnen,
Wie wird mein Herz mir ſtark und weit!
Der Dichter kann nicht mit verarmen;
Wenn alles um ihn her zerfällt,
Hebt ihn ein göttliches Erbarmen,
Der Dichter iſt das Herz der Welt.
Den blöden Willen aller Weſen,
Im Irdiſchen des Herren Spur,
Soll er durch Liebeskraft erlöſen,
Der ſchöne Liebling der Natur.
D'rum hat ihm Gott das Wort gegeben,
Das kühn das Dunkelſte benennt,
Den frommen Ernſt im reichen Leben,
Die Freudigkeit, die keiner kennt.
Da ſoll er ſingen frey auf Erden,
In Luſt und Noth auf Gott vertrau'n,
Daß alle Herzen freyer werden,
Erathmend in die Klänge ſchau'n.
Der Ehre ſey er recht zum Horte,
Der Schande leucht 'er ins Geſicht!
Viel Wunderkraft iſt in dem Worte,
Das hell aus reinem Herzen bricht.
469
Vor Eitelkeit ſoll er vor allen
Streng hüten ſein unſchuld'ges Herz,
Im Falſchen nimmer ſich gefallen,
Um eitel Witz und blanken Scherz.
O laßt unedle Mühe fahren,
O klingelt, gleißt und ſpielet nicht
Mit Licht und Gnad ', ſo ihr erfahren,
Zur Sünde macht ihr das Gedicht!
Den lieben Gott laß in dir walten,
Aus friſcher Bruſt nur treulich ſing '!
Was wahr in dir, wird ſich geſtalten,
Das andre iſt erbärmlich Ding.
Den Morgen ſeh 'ich ferne ſcheinen,
Die Ströme zieh'n im grünen Grund,
Mir iſt ſo wohl! die's ehrlich meynen,
Die grüß' ich all' aus Herzensgrund!

Faber reichte Friedrich'n, der die Guitarre wie¬ der weglegte, die Hand zur Verſöhnung. Der Morgen warf unterdeß wirklich ſchon, vom Meere her ungewiſſe Scheine über den dämmernden Him¬ mel, hin und wieder erwachten ſchon frühe Vögel im Walde, alle Wipfel fiengen an ſich friſcher zu rühren. Da ſprang Leontin fröhlich mitten auf den Tiſch, hob ſein Glas hoch in die Höh 'und ſang:

Kühle auf dem ſchönen Rheine,
Fuhren wir vereinte Brüder,
Tranken von dem goldnen Weine,
Singend gute deutſche Lieder.
470
Was uns dort erfüllt die Bruſt,
Sollen wir halten,
Niemals erkalten
Und vollbringen treu mit Luſt!
Und ſo wollen wir uns theilen,
Eines Fels verſchiedne Quellen,
Bleiben ſo auf hundert Meilen
Ewig redliche Geſellen!

Alle ſtießen freudig mit ihren Gläſern an, und Leontin ſprang wieder vom Tiſche herab. Denn ſo eben ſahen ſie Rudolphen, unter beyden Armen ſchwer bepackt, aus der Burg auf ſie zukommen. Luſtig! luſtig! rief er, als er den Gläſerklirrenden Jubel ſah, friſch, ſpielt auf, Flöten und Geigen! Da habt ihr Gold! Hiebey warf er zwey große Geldſäcke vor ihnen auf die Erde, daß die Gold¬ ſtücke nach allen Seiten in das Gras hervorrollten. Das iſt ein luſtiges Metall, fuhr er fort, wie es in die fröhliche, unſchuldige Welt hinaushüpft und rollt, mit den verwunderten Gräſern funkelnd ſpielt und mit dunkelrothen, irren Flammen zuckt, liebäugelnd, klingend und lockend! Verfluchter, unterirdiſcher, rothäugiger Lügengeiſt, der niemals hält, was er verſpricht! Da nehmt alles, greift zu! Kauft Ehre, kauft Liebe, kauft Ruhm, Luſt und alles Ergötzen der Erde, ſeyd immer ſatt und471 immer wieder durſtiger bis ans Grab, und wenn ihr dabey einmal fröhlich und zufrieden werdet, ſo mögt ihr mir danken.

Alle ſahen ihn erſtaunt an. Faber ſagte: ich achte das Geld nur, wenn ich es brauche. Aber Dichter brauchen immer Geld. Und hiemit packte er ruhig alle ſeine Taſchen voll, ſo daß er mit dem aufgeſchwollenen Rocke ſehr lächerlich anzuſehen war.

Rudolph nahm hierauf kurzen Abſchied von al¬ len und wandte ſich wieder nach ſeinem Schloſſe zurück. Friedrich eilte ihm nach, er wollte ihn ſo nicht geh'n laſſen. Da kehrte er ſich noch einmal zu ihm. Du willſt ins Kloſter? fragte er ihn, und blieb ſtehen. Ja, ſagte Friedrich, und hielt ſeine Hand feſt, und was willſt Du nun künftig begin¬ nen? Nichts , war Rudolphs Antwort. Ich bitte Dich, ſagte Friedrich, verſenke Dich nicht ſo fürchterlich in Dich ſelbſt. Dort findeſt Du nim¬ mermehr Troſt. Du gehſt niemals in die Kirche. In mir, erwiederte Rudolph, iſt es wie ein unabſehbarer Abgrund und alles ſtill. Friedrich glaubte dabey zu bemerken, daß er heimlich im Innerſten bewegt war. O könnt 'ich alles Große472 wecken, fuhr er dringender fort, was in Dir ver¬ zweifelt und gebunden ringt! Haſt Du doch ſelber erzählt, daß Dich alle wiſſenſchaftliche Philoſophie nicht befriedigte, daß Du darin Gott und Dich nie erkannteſt. So wende Dich denn zur Religion zu¬ rück, wo Gott ſelber unmittelbar zu Dir ſpricht, Dich ſtärkt, belehrt und tröſtet! Du meynſt es gut, ſagte Rudolph finſter, aber das iſt es eben in mir: ich kann nicht glauben. Und da mich denn der Himmel nicht mag, ſo will ich mich der Ma¬ gie ergeben. Ich gehe nach Aegypten, dem Lande der alten Wunder. Hiemit drückte er ſeinem Bruder ſchnell die Hand und gieng mit großen Schritten in den Wald hinein. Sie ſahen ihn nicht mehr wieder.

Lange blickten ſie ihm nach und bedauerten den unglücklich verwirrten, als ein Schiffer ankam, um Leontinen an die Abfarth zu mahnen, indem ſo eben ein günſtiger Wind vom Lande trieb. Alle ſahen einander ſtillſchweigend an und ſchienen er¬ ſchrocken, da nun der Augenblick wirklich da war, den ſie ſelber lange vorbereitet hatten.

Der Schiffer übernahm das wenige Gepäck, und ſie machten ſich ſogleich auf den Weg nach dem473 Meere. Friedrich begleitete ſie. Langſam rückten, Berge und Wälder bey jedem Schritte immer wei¬ ter hinter ihnen zurück, das Meer rollte ſich vor ihren Blicken auseinander.

Friedrich ſagte unterwegs: Mir gleicht unſere Zeit dieſer weiten, ungewiſſen Dämmerung! Licht und Schatten ringen noch ungeſchieden in wunder¬ baren Maſſen gewaltig miteinander, dunkle Wolken zieh'n Verhängnißſchwer dazwiſchen, ungewiß, ob ſie Tod oder Segen führen, die Welt liegt unten in weiter, dumpfſtiller Erwartung. Cometen und wunderbare Himmelszeichen zeigen ſich wieder, Ge¬ ſpenſter wandeln wieder durch unſere Nächte, fabel¬ hafte Syrenen ſelber tauchen, wie vor nahen Ge¬ wittern, von neuem über den Meeresſpiegel und ſingen, alles weißt wie mit blutigem Finger war¬ nend auf ein großes, unvermeidliches Unglück hin. Unſere Jugend erfreut kein ſorglos leichtes Spiel, keine fröhliche Ruhe, wie unſere Väter, uns hat frühe der Ernſt des Lebens gefaßt. Im Kampfe ſind wir gebohren, und im Kampfe werden wir, überwunden oder triumphirend, untergeh'n. Denn aus dem Zauberrauche unſerer Bildung wird ſich ein Kriegs-Geſpenſt geſtalten, geharniſcht, mit474 bleichem Todtengeſicht und blutigen Haaren; weſſen Auge in der Einſamkeit geübt, der ſieht ſchon jetzt in den wunderbaren Verſchlingungen des Dampfes die Lineamente dazu aufringen und ſich leiſe formi¬ ren. Verlohren iſt, wen die Zeit unvorbereitet und ungewaffnet trifft; und wie mancher, der weich und aufgelegt zu Luſt und fröhlichem Dichten, ſich ſo gern mit der Welt vertrüge, wird, wie Prinz Hamlet, zu ſich ſelber ſagen: Weh ', daß ich zur Welt, ſie einzurichten, kam! Denn aus ihren Fu¬ gen wird ſie noch einmal kommen, ein unerhörter Kampf zwiſchen Altem und Neuem beginnen, die Leidenſchaften, die jetzt verkappt ſchleichen, werden die Larven wegwerfen und flammender Wahnſinn ſich mit Brandfackeln in die Verwirrung ſtürzen, als wäre die Hölle losgelaſſen, Recht und Unrecht, beyde Partheyen, in blinder Wuth einander ver¬ wechſeln, Wunder werden zuletzt geſchehen um der Gerechten willen, bis endlich die neue und doch ewig alte Sonne durch die Gräuel bricht, die Don¬ ner rollen nur noch fernab an den Bergen, die weiße Taube kommt durch die blaue Luft geflogen und die Erde hebt ſich verweint, wie eine befreyte Schöne, in neuer Glorie empor. O Leontin! wer von uns wird das erleben!

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Sie waren unterdeß ans Geſtade gekommen. Leontin umarmte hierauf noch einmal die Freunde, Friedrich küßte Julien auf die Stirne, und die drey beſtiegen ihr Schiff. Faber ritt landeinwärts fort. Friedrich kehrte ins Kloſter zurück, um es niemals mehr zu verlaſſen.

Als er in die Kirche eintrat, fand er dort noch alles leer und ſtille. Nur einige fromme Pilger waren noch hin und her in den Bänken zerſtreut. Auch die hohe, verſchleyerte Dame von Geſtern be¬ merkte er wieder unter ihnen. Er kniete vor ein Altar und betete. Als er wieder aufſtand und ſich umwandte, wobey ihm durch ein offnes Fenſter die Morgenhelle grade auf Bruſt und Geſicht fiel, ſank plötzlich die Dame ohnmächtig auf den Boden nie¬ der. Mehrere Bediente ſprangen herbey und brach¬ ten ſie vor die Thüre, wo ein Wagen ihrer zu warten ſchien. Es war Roſa.

Friedrich hatte nichts mehr davon bemerkt. Beruhigt und glückſelig war er in den ſtillen Klo¬ ſtergarten hinausgetreten. Da ſah er noch, wie von der einen Seite Faber zwiſchen Strömen, Weinbergen und blühenden Gärten in das blitzen¬ de, buntbewegte Leben hinauszog, von der ande¬476 ren Seite ſah er Leontins Schiff mit ſeinem weißen Segel auf der fernſten Höhe des Meeres zwiſchen Himmel und Waſſer verſchwinden. Die Sonne gieng eben prächtig auf.

Ende.

About this transcription

TextAhnung und Gegenwart
Author Joseph von Eichendorff
Extent487 images; 98509 tokens; 13572 types; 663069 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

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EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationAhnung und Gegenwart Ein Roman Mit einem Vorwort von de la Motte Foqué Joseph von Eichendorff. . VI, 476 S., [2] Bl. SchragNürnberg1815.

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Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz SBB-PK, 19 ZZ 3070http://stabikat.de/DB=1/SET=12/TTL=1/CMD?ACT=SRCHA&IKT=1016&SRT=YOP&TRM=602453127

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Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Roman; Belletristik; Roman; core; ready; ocr

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  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-10T09:32:14Z
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Holding LibraryStaatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
ShelfmarkSBB-PK, 19 ZZ 3070
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