Rudolph Leuckart zu seinem siebzigsten Geburtstag in alter Verehrung gewidmet.
Eine ausgeführte Theorie der Vererbung heute schon geben zu wollen, mag Vielen fast als ein vermessenes Unternehmen erscheinen, und ich gestehe, dass es mir selbst mehr als ein Mal so erschienen ist, wenn ich nach langer Arbeit wieder auf unüberwindliche Hindernisse in der Durchführung der zu Grunde gelegten Principien stiess und einsah, dass ich wieder von vorne anfangen musste. Dennoch konnte ich dem Reiz nicht widerstehen, den Versuch zu wagen, in diese überaus wunder - bare und verwickelte Erscheinung des Lebens so tief einzu - dringen, als es bei den heute vorliegenden Thatsachen meinen Kräften möglich war.
Ich bin auch nicht der Ansicht, dass es ein verfrühter Versuch ist, möchte er auch noch so schwach und lückenvoll sein, denn einmal haben die letzten zwanzig Jahre eine so bedeutende Zunahme unserer Kenntnisse gebracht, dass es nicht mehr ganz aussichtslos scheinen kann, den wirklichen Vor - gängen, die der Vererbung zu Grunde liegen, nachzuspüren, und dann scheint es mir durchaus nothwendig, eine durch - gearbeitete Vererbungstheorie zu haben, damit von deren Boden aus neue Fragen gestellt und ihre Beantwortung versucht werden kann.
Die bisherigen Theorien entsprachen gerade diesem Be - dürfniss nur wenig, weil sie — etwa mit Ausnahme der Pan - genesis Darwin’s — nur Andeutungen einer Theorie waren,X Aufstellungen eines Erklärungsprincips, aber keine Durch - führungen. Die Tragweite eines Princips lässt sich aber erst erkennen, wenn seine Durchführung wirklich versucht wird; erst dann treten die Schwierigkeiten hervor, und erst dann erheben sich neue Fragestellungen von allen Seiten. Aber auch der geniale Entwurf Darwin’s konnte hierin nicht genügen, weil er — entsprechend dem Wissen der Zeit, in welcher er entstand — eine „ ideale “Theorie war, d. h. weil er auf Erklärungs-Principien gegründet war, deren Realität zunächst gar nicht in Frage kam, weil es fürs Erste sich nur darum handelte, die Gesammtmasse der Er - scheinungen unter irgend einem gemeinsamen Gesichtspunkte zusammenzufassen, irgend eine Erklärung für sie zu geben, ohne Rücksicht darauf, ob sie richtig oder auch nur möglich war. Die Bedeutung solcher Theorien liegt nach einer andern Seite; zur Leitung der weiteren Forschung dienen sie aber aus dem Grunde weniger, weil sie schon Alles erklären, sobald man einmal das Princip zugiebt; sie bieten, so zu sagen, dem Zweifel keinen Ansatzpunkt.
Wenn ich annehme, im Keim seien Millionen von „ Anlagen “der kleinsten Körpertheile enthalten und diese befänden sich bei der Entwickelung eines Organismus stets in der richtigen Zusammenstellung an demjenigen Ort, an welchem ein bestimmtes Organ entstehen soll, so ist das zwar eine Erklärung, aber eine solche, gegen die sich entweder Nichts oder Alles einwenden lässt; neue Fragen aber gehen aus ihr erst dann hervor, wenn sie sich vertieft, wenn sie den Beweis antritt, dass wirklich vorgebildete „ Anlagen “den Keim zusammensetzen müssen, wenn sie versucht, die Mittel und Wege aufzuzeigen, durch welche diese Anlagen in der erforderlichen Zusammenstellung gerade an jene Stelle gelangen, an der sie nöthig sind, und in welcher Weise sie dann zur Organbildung führen können. XINun wird es möglich, alle diese Punkte an den verschiedensten Erscheinungen zu prüfen, und Versuche auszudenken, welche die Theorie stützen, widerlegen oder auch einfach weiterführen sollen.
Gewiss macht sich jeder Beobachter seine theoretischen Gedanken, aus welchen heraus er Fragen an die Natur stellt, aber es ist ein Anderes, ob er dabei nur von den ihm augen - blicklich gerade gegenwärtigen und besonders eindrucksvollen Erscheinungen allein geleitet wird, oder ob er auf Grund einer durchgearbeiteten Theorie operirt, der die Haupt-Erscheinungen des betreffenden Gebietes als Grundlage dienen. Ich wenigstens habe mancherlei Vererbungsversuche begonnen und dann wieder fallen lassen, weil ich einsah, dass man ohne die Leitung einer durchgeführten, auf realem Boden gewachsenen Theorie völlig im Dunkeln umhertappt. Der Werth einer solchen liegt wesentlich darin, ein heuristisches Princip zu sein. Die wahre und voll - kommene Theorie kann nur aus unvollkommneren Anfängen her - vorgehen; diese bilden die Stufen, welche zu jener emporführen.
Nur sehr allmählich ist dieses Buch entstanden. Als ich vor etwa zehn Jahren anfing, mich ernstlicher dem Vererbungs - problem zuzuwenden, war es zuerst die Existenz einer besondern Vererbungssubstanz, die sich mir aufdrängte, einer organi - sirten, lebenden Substanz, welche von einer Generation der andern überliefert wird, im Gegensatz stehend zu derjenigen Substanz, welche den vergänglichen Körper des Einzelwesens ausmacht. So entstanden die Schriften über das Keimplasma und die Continuität des Keimplasma’s. Dies leitete zugleich dazu hin, die bisher angenommene Vererbung der vom Körper erworbenen Abänderungen in Zweifel zu ziehen, und ge - naueres Eingehen, verbunden mit dem Experiment, befestigte mehr und mehr die Überzeugung, dass eine derartige Vererbung in der That nicht besteht. Gleichzeitig führten die Unter -XII suchungen so mancher ausgezeichneter Forscher über den Vor - gang der Befruchtung und der Conjugation — an welchen auch mir einigen Antheil zu nehmen vergönnt war — zu einer voll - kommenen Umwälzung der bisherigen Ansicht vom Wesen dieser Vorgänge und leiteten mich zu der Erkenntniss einer Zusammensetzung des Keimplasma’s aus gleichwerthigen Lebens - einheiten, von welchen jede einzelne die sämmtlichen Anlagen zu einem Individuum in sich einschliesst, die sich aber indi - viduell von einander unterscheiden. In diesen „ Ahnen - plasmen “, wie ich sie zuerst nannte, oder „ Iden “, wie ich sie jetzt nenne, waren somit weitere Bausteine zur Aufrichtung einer Vererbungstheorie gewonnen, aber es fehlte noch viel zum vollständigen Aufbau einer solchen, und wenn auch in der letzten meiner Schriften1)„ Amphimixis, oder die Vermischung der Individuen “. Jena 1891. schon angedeutet ist, in welcher Weise ich hoffte, gerade eines der schwierigsten Probleme der Vererbung — das Zusammenwirken der elterlichen Vererbungs - Substanzen — mit Hülfe dieser Ide bis zu einem gewissen Grade lösen zu können, so war ich doch weit entfernt zu glauben, damit schon eine ganze und durchgearbeitete Ver - erbungstheorie gegeben zu haben, wie Manche meinten. Daran fehlte noch viel. Nicht nur hatte ich diejenigen Erscheinungen, welche unabhängig von geschlechtlicher Fortpflanzung sind, noch ganz bei Seite gelassen, sondern ich hatte es auch ver - mieden, mich über die letzte materielle Grundlage meiner Theorie auszusprechen, über die Zusammensetzung der Ide. Wohl war angedeutet worden, dass sie einen verwickelten Bau besitzen müssen, und dass dieser sich während der Entwickelung des Individuums aus der Eizelle allmählich und gesetzmässig ver - ändere, aber ich unterliess es, genauer auf diesen Bau einzu - gehen, weil es mir durchaus unsicher schien, ob die Vorstellung,XIII welche ich mir — gewissermassen provisorisch — davon ge - bildet hatte, sich der ganzen Fülle von Erscheinungen gegenüber als durchführbar erweisen werde; erst mussten diese alle im Einzelnen durchgeprüft sein, ehe ich mich für einen bestimmten Aufbau der Ide entscheiden konnte.
So war Alles, was ich bisher über Vererbung geschrieben habe, nur Vorarbeit für eine Theorie, noch keine Theorie selbst. Gerade über die letzten Principien einer solchen bin ich am längsten im Zweifel geblieben. Darwin’s Keimchenlehre schien mir allzu weit von der Wirklichkeit entfernt zu bleiben, und ich glaube auch heute noch, dass ein wesentlicher Theil derselben, nämlich die ganze Lehre von der Erzeugung der „ Keimchen “in den Körperzellen, von ihrer Abwerfung, ihrer Circulation im Blut und ihrer Sammlung in den Fortpflanzungs - zellen, also gerade das, was ihr den Namen der „ Pangenesis “eingetragen hat, der Wirklichkeit nicht entspricht. Nach meiner Auffassung kann nicht „ Alles “das Ganze wieder von Neuem hervorbringen, sondern nur eine gewisse, eigens dazu bestimmte und in verwickeltster Weise gebaute Substanz, das Keim - plasma, und diese setzt sich nie wieder neu zusammen, sondern sie wächst nur, vermehrt sich und überträgt sich von einer Generation auf die andere. Man könnte deshalb wohl meine Theorie als „ Blastogenesis “oder Entstehung von der Keimsubstanz aus der „ Pangenesis “oder Entstehung von allen Theilen aus gegenüberstellen.
Lange Zeit hindurch aber erstreckten sich meine Zweifel nicht nur auf diese Seite der „ Pangenesis “, sondern auch auf ihre allgemeinste Grundlage. Die Annahme vorgebildeter „ Anlagen “schien mir eine allzu leichte Lösung des Räthsels. Eine ganz unglaubliche Masse von „ Anlagen “schien mir durch sie im Keim angehäuft zu werden, und ich versuchte deshalb einen Bau der Keimsubstanz auszudenken, der minder verwickelt sei,XIV indem er sich erst während der Entwickelung complicirte. Mit andern Worten, ich suchte nach einer Keimsubstanz, die durch Epigenese und nicht durch Evolution den Organismus aus sich hervorgehen lasse. Mancher Versuch nach dieser Richtung wurde gemacht, mehr wie ein Mal glaubte ich ihn gelungen, aber bei weiterer Prüfung an den Thatsachen sah ich ihn jedes - mal doch schliesslich scheitern, und so kam ich zuletzt zu der Einsicht, dass es eine epigenetische Entwickelung überhaupt nicht geben kann. Im ersten Capitel dieses Buches wird man einen förmlichen Beweis für die Wirklichkeit der Evolution finden, und zwar einen so einfachen und nahe - liegenden, dass ich heute kaum begreife, wie ich so lange an ihm vorübergehen konnte.
So freue ich mich, wenigstens in der allgemeinsten Grund - lage meiner theoretischen Vorstellungen wieder mit dem grossen englischen Naturforscher zusammengetroffen zu sein, und inso - weit wenigstens auf der von ihm gelegten Grundlage weiter zu bauen. Aber auch mit einigen andern Forschern wird man mich in wesentlichen Punkten in Übereinstimmung finden, so vor Allem mit de Vries und mit Wiesner. Ich sehe in diesem Zusammentreffen ein Zeichen, dass es doch auch auf diesem Gebiete möglich sein muss, das Richtige vom Falschen zu scheiden, dass auch das scheinbar der willkürlichsten Specu - lation preisgegebene Problem der Vererbung dennoch lösbar ist; dass es immer mehr gelingen wird, unter den Möglich - keiten das Wahrscheinliche herauszuerkennen, und später auch unter den Wahrscheinlichkeiten diejenige, welche zugleich wirklich ist. Freilich wird dies noch lange Zeit erfordern, und nur sehr allmählich werden wir uns der Wahrheit nähern; aber der Weg dahin ist vorgezeichnet, er liegt in der Ver - einigung von Beobachten und Denken. Die Thatsachen führen uns zu einer Ansicht über ihren Zusammenhang, undXV diese Ansicht stellt neue Fragen und ruft neue Beobachtungen hervor, welche wieder zu neuer Deutung führen.
Auf diesem Wege ist erst in jüngster Zeit eine biologische Erscheinung zu relativer Klarheit gebracht worden, welche bis dahin ganz unverständlich gewesen war, ich meine die ge - schlechtliche Fortpflanzung. So wird es auch gelingen, immer sicherer Fuss zu fassen auf dem noch vor Kurzem so überaus unzugänglichen Gebiet der Vererbung. Besonders aussichts - reich scheint mir gerade bei diesem Problem, dass wir ihm gewissermassen von zwei Seiten her beikommen können, einmal durch die Beobachtung der Vererbungs-Erscheinungen und dann durch die Beobachtung der uns jetzt ja bekannten Ver - erbungs-Substanz. Wir können jetzt abwägen, ob die Er - klärung einer Erscheinung der Vererbung realen Werth hat, weil wir bis zu einem gewissen Grade wenigstens beurtheilen können, ob sie mit dem Verhalten der Vererbungs-Substanz vereinbar ist. Das war bisher nicht möglich, und darum schwebten die früheren Erklärungs-Principien einigermassen in der Luft, die „ Keimchen “Darwin’s sowohl, als die „ Units “Herbert Spencer’s. Heute sind wir in dieser Hinsicht besser daran, und ich zweifle nicht, dass die Forschung noch weit tiefer in die verwickelten Vorgänge an den Kernsubstanzen eindringen wird, wenn sie es nicht verschmäht, den Gedanken mit der blossen Beobachtung zu verbinden, und jeden weiteren Schritt auf dem Gebiete der Theorie zu neuer Fragestellung in Bezug auf das Verhalten der geheimnissvollen Kernsubstanzen zu verwerthen.
Wenn wir aber auch heute noch weit von voller Einsicht entfernt sind, so hoffe ich doch, in der Theorie, welche ich hier vorlege, kein blosses Phantasie-Gebäude gegeben zu haben; ich möchte glauben, dass die Zukunft vielleicht doch einige feste Punkte darin erkennen wird, um welche sich die blossenXVI Möglichkeiten schaaren. Nichtsdestoweniger aber kann Niemand mehr empfinden, als ich selbst, wie sehr es nur ein erster Versuch ist, dem bessere folgen müssen, und ich habe ihm deshalb auch so wenig als möglich die Form eines Lehrgebäudes gegeben, sondern mehr die einer Untersuchung; nicht Axiome sollten verkündet, sondern Fragen sollten gestellt, und entweder mehr oder weniger sicher beantwortet, oder auch der Zukunft zur Lösung zugeschoben werden. Ich betrachte meine Theorie nicht als ein Unveränderbares und Abgeschlossenes, sondern als ein der Verbesserung sehr Bedürftiges und hoffentlich auch Fähiges.
Es war mein Bestreben, einfach und verständlich zu schreiben, nicht wie Einer, der nur für Fachmänner schreibt, sondern wie Einer, der wünscht, seine Sache Allen nahe zu legen, die sich für biologische Probleme interessiren, vor Allem dem Mediciner und dem Philosophen. Aus diesem Grunde habe ich auch eine Anzahl von Figuren beigegeben, von denen viele dem Zoologen oder Botaniker überflüssig scheinen werden, die aber dem ferner Stehenden eine deutlichere Vorstellung der besprochenen Dinge vermitteln sollen.
Dass mir als Zoologen zunächst die Erscheinungen bei den Thieren, einschliesslich des Menschen vor Augen schwebten, war unvermeidlich; Jeder bildet seine Anschauungen nach dem ihm geläufigsten Kreis von Thatsachen. Ich habe mich aber bemüht, auch den Thatsachen gerecht zu werden, welche uns die Pflanzen an die Hand geben, und den Ansichten der Botaniker Rechnung zu tragen, soweit mir dies nur irgend möglich war. Es wird sich zeigen, dass gerade gewisse Ver - erbungs-Erscheinungen bei Pflanzen fundamentalen Annahmen meiner Theorie sehr günstig sind, und dass auch scheinbar ihr widerstreitende Thatsachen sich ihr einordnen lassen.
Manche werden vielleicht ein genaueres und vielseitigeresXVII Eingehen auf die Vererbung von Krankheiten vermissen. Wohl liegt darüber ein reiches Material an Beobachtungen vor, und ich habe davon benutzt, was mir zur Begründung einer Theorie werthvoll zu sein schien, man darf aber nicht vergessen, dass die Übertragung von Krankheiten durchaus nicht allein auf wirklicher Vererbung, d. h. auf einer individuellen Variation des Keimes beruht, sondern zum Theil sicherlich auch auf Infection des Keimes, und dass diese beiden von Grund aus verschiedenen Ursachen erblicher Übertragung heute keineswegs immer schon von einander unterschieden werden können. Im zwölften Capitel findet man Genaueres darüber.
Das Erscheinen des Buches hat sich um mehrere Monate dadurch verzögert, dass es gleichzeitig in englischer Über - setzung veröffentlicht wird. Das deutsche Manuskript lag schon Ende April soweit fertig vor, dass es nur kleine Abänderungen und Zusätze noch zuliess. Damit möge es entschuldigt sein, wenn neueste literarische Erscheinungen keine oder nur kurze Erwähnung noch finden konnten.
Zum Schluss spreche ich der Grossherzoglich Badischen Regierung warmen Dank aus für die kräftige Unterstützung, welche sie meiner Arbeit dadurch gewährte, dass sie mich auf längere Zeit von meinen akademischen Verpflichtungen entband. Auch meinen Freunden und Collegen, den Professoren Bau - mann, Lüroth, Wiedersheim und Ziegler in Frei - burg, sowie Herrn Professor Göbel in München sei hiermit herzlicher Dank gesagt für die mannigfache Auskunft und Anregung, die sie mir gespendet haben. Nicht minder bin ich Fräulein Else Diestel zu Dank verpflichtet, welche sich ausser vielfacher technischer Beihülfe der grossen Mühe unterzog, einen alphabetischen Index auszuarbeiten.
So möge denn diese Frucht langer Arbeit und vielenXVIII Zweifels sich ans Licht wagen. Sollten auch nur wenige meiner theoretischen Aufstellungen unveränderten Bestand behalten gegenüber den Ergebnissen zukünftiger Forschung, so würde ich doch nicht glauben, vergeblich gearbeitet zu haben; denn auch der Irrthum, wofern er nur auf richtigen Schlüssen beruht, muss zur Wahrheit führen.
Freiburg im Breisgau, 19. Mai 1892.
August Weismann.
[1]Den ersten Versuch unserer Zeit, die Vererbung theoretisch zu erklären, hat wohl Herbert Spencer1)Herbert Spencer: „ Die Principien der Biologie “, übersetzt von Vetter. Stuttgart 1876. gemacht, indem er seine „ physiologischen Einheiten “aufstellte. Die Regeneration verloren gegangener Theile, z. B. eines Beines oder Schwanzes des Salamanders führt ihn zu der Vorstellung dieser Einheiten, „ in welchen allen das Vermögen schlummert, sich in die Form dieser Art umzugestalten, gerade wie in den Molekülen eines Salzes die innere Fähigkeit schlummert, nach einem bestimmten System zu krystallisiren “. Er bezeichnet dieses Vermögen als „ Polarität der organischen Einheiten “und bestimmt diese selbst als die Mitte haltend zwischen den chemischen Einheiten, den Molekülen und den „ morphologischen “Einheiten, den Zellen; es müssen „ Einheiten unendlich viel complicirterer Art sein, als die chemischen Einheiten “, also Molekül-Gruppen. Es ist sehr interessant, sich heute, wo wir in der Theorie der Vererbung doch schon etwas weiter vorgedrungen sind, sich darüber Rechen - schaft zu geben, welche Fähigkeiten und Kräfte Herbert Spencer seinen „ physiologischen Einheiten “zuschreiben zu müssen glaubte, um die Erscheinungen erklären zu können. Obgleich der Abschnitt über Vererbung und Regeneration ja nur ein kleiner Theil seines grossen Werkes über die „ Prin -Weismann, Das Keimplasma. 12cipien der Biologie “ist und deshalb eine ins Einzelne gehende Durcharbeitung der Vererbungs-Erscheinungen nicht enthalten kann, so lässt sich doch seine Meinung darüber klar erkennen.
Einmal setzt sich der ganze Organismus aus diesen Ein - heiten zusammen, die alle untereinander gleich sind, dann aber enthalten auch die Keimzellen „ kleine Gruppen “derselben. Das Erstere befähigt jeden hinreichend grossen Theil des Körpers zur Regeneration, das Letztere giebt der Keimzelle die Kraft, das Ganze aus sich hervorzubringen, Beides dadurch, dass die „ Ein - heiten “mittelst ihrer „ Polarität “bestrebt sind, sich so anzu - ordnen, dass dadurch der ganze Krystall — der Organismus — entweder blos wieder hergestellt, oder neu gebildet wird. Die blosse verschiedene Anordnung der in ihrem Wesen gleichen Einheiten also bedingt die Verschiedenheit der Körpertheile, die Verschiedenheit der Arten aber und auch die der In - dividuen wird auf eine Verschiedenheit in der Zusammen - setzung der „ Einheiten “bezogen.
Die Einheiten des Individuums sind also gewissermassen in physiologischem Sinne proteusartig; sie können sich in un - endlich vielfältiger Weise zusammenordnen und bilden so die verschiedenartigsten Zellen, Gewebe, Organe und Körpertheile; sie thun dies aber immer nur unter dem dirigirenden Einfluss des Ganzen, so zwar, dass das Ganze den Einheiten eines Theiles die Nothwendigkeit aufzwingt, sich gerade so anzuordnen, wie es zum Zustandekommen des für die Harmonie des Ganzen noch erforderlichen Theiles nöthig ist. Spencer sagt darüber: „ es scheint zunächst schwierig, sich vorzustellen, dass sich dies so verhalten könne; allein wir sehen, dass es so ist. Gruppen von Einheiten, die wir aus einem Organismus herausnehmen, besitzen in der That dieses Vermögen, das Ganze von Neuem aufzubauen, und wir sind somit genöthigt, anzuerkennen, dass allen Theilen des Organismus das Streben innewohne, die3 specifische Form anzunehmen. “ Die „ Einheiten “sind also physiologisch veränderliche Grössen, welche immer so thätig sind, wie es das Ganze vorschreibt.
Zur Erklärung der Vererbung reicht die Annahme dieser „ physiologischen Einheiten “nicht aus; sie erweist sich schon bei der einfachen Ontogenese, der Differenzirung der Organe als unzureichend, geschweige denn bei der Hinzuziehung der zweielterlichen Vererbung. Aber sie hat das Verdienst, kleinste Lebens-Einheiten als Bausteine des Organismus aufgestellt und darauf den Versuch einer theoretischen Erklärung der Vererbung gegründet zu haben.
Der Erste, der solche kleinste Lebenstheilchen angenommen und mit zwingenden Gründen ihre Existenz erhärtet hatte, war Ernst Brücke gewesen. Wenn er sie auch in seinem bahn - brechenden Aufsatz „ Elementarorganismen “1)Wiener Sitzungsberichte vom 10. Okt. 1861. Bd. 44, II, p. 381. nicht mit einem besonderen Namen belegte, so trat er doch zuerst gegen das alte Schema der Zelle auf, vor Allem gegen den „ flüssigen “Zelleninhalt und zeigte, dass der Körper der Zelle „ abgesehen von der Molekülarstruction der organischen Verbindungen “noch eine andere Structur besitzen müsse: „ Organisation “.
Schon wenige Jahre nach H. Spencer’s Principien der Biologie erschien Ch. Darwin’s „ Pangenesis “, als Schluss - capitel seines grossen Werkes über das Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication. Schon allein der enorme Reichthum an Thatsachen der Vererbung, welcher in diesem Buche angehäuft ist, zeigt, wie sein genialer Verfasser bestrebt war, von allen Seiten her in das zu bewältigende, ver - wickelte Problem einzudringen. Wenn Darwin selbst auch seinen theoretischen Aufstellungen den bescheidenen Titel einer „ provisorischen Hypothese “gab, so liegt doch jedenfalls hier1*4der erste umfassende Versuch vor, alle bekannten Erscheinungen der Vererbung von einem gemeinsamen Princip aus zu erklären. Die Theorie ist so oft besprochen worden und so allgemein bekannt, dass es genügen wird, nur kurz an das Wesentliche derselben zu erinnern.
Der aus Zellen zusammengesetzte Organismus der Pflanzen und Thiere baut sich zwar durch Zelltheilung auf, allein diese Vermehrungsweise derselben — so wird angenommen — ist nicht die einzige. Vielmehr besitzt jede dieser Zellen auf jeder Stufe ihrer Entwickelung die Fähigkeit, unsichtbar kleine „ Körnchen oder Atome “abzugeben, welche sich später und unter gewissen Bedingungen wieder zu solchen Zellen entwickeln können, wie diejenigen waren, von welchen sie herrühren. Diese „ gemmules “oder „ Keimchen “von Zellen werden zu jeder Zeit von allen Zellen des Körpers in Masse abgeworfen und in das Blut gebracht. Dort circuliren sie, um sich schliesslich irgendwo im Körper festzusetzen, hauptsächlich an solchen Stellen, von welchen später die Entwickelung eines Sprösslings ausgeht, also in Knospen und in Keimzellen. Indem nun in solchen Zellen sich die Keimchen von allen Zellen des ganzen Körpers zusammenfinden, verleihen sie diesen die Möglichkeit, sich zu einem neuen vollständigen Bion, einem Sprössling zu entwickeln. Dies aber geschieht derart, dass jedes Keimchen seine Zelle, von der es herstammt, wieder hervorbringt, und dass die Keimchen der verschiedenen Zellen in derselben Reihenfolge in Thätigkeit gerathen, in welcher die ihnen entsprechenden Zellen in der Onto - genese des Elters sich folgten.
Der Keim setzt sich aber keineswegs blos aus den „ gem - mules “zusammen, welche von dem aktuellen Bion selbst ab - geworfen und der Keimzelle zugeführt werden, sondern zugleich aus einer sehr grossen Masse von Zellenkeimchen, welche von den Eltern und Voreltern bis in weit zurückliegende Genera -5 tionen hin herstammen, und in jeder Ontogenese spielen also viel mehr Keimchen mit, als Zellen gebildet werden; jede Zelle und jeder Theil ist durch zahlreiche und verschiedenartige Keimchen vertreten, so dass eine Auswahl stattfinden muss, da nur je ein Keimchen die erforderliche Zelle wirklich bilden kann, die übrigen aber latent bleiben müssen. So wird von einer Generation zur andern eine Menge von bisher latenten Keimchen übertragen, die unter Umständen zur Thätigkeit ge - langen können und dann Charaktere der Voreltern, die bei den Eltern verschwunden waren, wieder ins Leben zu rufen.
Dies in Kürze die Theorie der Pangenesis. Auf die phy - sische Beschaffenheit der gemmules wird nicht eingegangen; dieselben können sich vermehren und thun dies fortwährend, aber ob und wie sie etwa gegenseitig angeordnet sind und durch welche Ursachen, welchen Mechanismus es kommt, dass sie stets an der rechten Stelle vorhanden sind und sich zur rechten Zeit zur Zelle entwickeln, wird nicht berührt.
Ich sage dies keineswegs im Sinne eines Tadels, sondern nur um den fictionellen Charakter der ganzen Hypothese klar zu legen. Darwin fragte nicht weiter, wie sind alle diese Annahmen möglich, er fragte nur, was ist nöthig anzunehmen, um diese oder jene Vererbungserscheinung zu erklären, unbe - kümmert, ob diese Annahme irgend einen realen Boden unter den Füssen hat oder nicht. Er hatte Recht, dies zu thun, denn zu der Zeit, als er seine Hypothese ausdachte, war ein Anschluss einer Vererbungstheorie an den realen Boden der feinsten Zellen-Organisation noch nicht möglich. Ich habe aber früher schon dargelegt, wie überaus wichtig und erfolgreich für die Wissenschaft seine Pangenesis gewesen ist, weil sie zum ersten Male zeigte, welche Erscheinungen alle zu erklären seien, und welche Annahmen man machen müsse, wollte man sie er - klären. Es wird sich auch später herausstellen, dass, trotzdem6 ein wesentlicher Theil der Annahmen der Pangenesis nicht haltbar ist, doch ein anderer Theil übrig bleibt, der nicht nur heute, sondern, wie ich glaube, für alle Zukunft wenigstens im Princip als richtig und grundlegend beibehalten werden wird. Allerdings ist dies nur der allgemeinste Inhalt dieser Annahmen, nämlich die Existenz materieller Theilchen im Keim, welche die Eigenschaften des Lebendigen besitzen und von denen jedes als Anlage eines Theils des Organismus anzu - sehen ist. Ich gestehe offen, dass ich mich lange Zeit gegen diese Grundanschauung der Darwin’schen Lehre innerlich gewehrt habe. Es kam mir fast unmöglich vor, dass in dem Minimum von Substanz, welche wir, wie nachher gezeigt werden soll, als materiellen Träger der Vererbung zu betrachten haben, eine so überaus grosse Anzahl von Einzel-Anlagen ent - halten sein könne, wie wir sie nach Darwin’s Vorstellung an - nehmen müssten. Ich versuchte in verschiedener Weise, zu einer befriedigenden epigenetischen Theorie zu gelangen1)Die Andeutung einer solchen ist z. B. in der Schrift „ Die Conti - nuität des Keimplasmas “, Jena 1885, p. 38 und folgenden enthalten., welche von einer verhältnissmässig einfachen Structur der Keimsubstanz aus - ginge und durch gesetzmässige, mit Theilung verbundenen Ver - änderungen dieser primären Structur zu der so mannigfaltigen Differenzirung des Organismus hinführte. Je tiefer ich aber im Laufe der Jahre in das Problem eindrang, um so mehr musste ich mich überzeugen, dass eine solche Lösung nicht möglich ist, und in diesem Buche glaube ich den förmlichen Beweis dafür geben zu können, dass nur eine Evolutionstheorie im Sinne Darwin’s, d. h. die Annahme kleinster Anlagen im Keim den Thatsachen gerecht zu werden vermag, und dass der Ein - wurf, der mich selbst lange Zeit gehindert hat, diese einfachste Annahme als der Wirklichkeit entsprechend anzunehmen, hin -7 fällig wird durch die Erkenntniss, dass das scheinbar Unmögliche eben wirklich ist.
Allerdings halte ich auch heute noch dafür, dass Darwin in seiner Theorie mehr eine Fragestellung, als eine Lösung des Problems der Vererbung gegeben hat und wohl auch geben wollte. Seine Annahmen enthalten nicht eigentlich schon eine Erklärung der Erscheinungen, sondern sind gewissermassen nur eine Umschreibung der Thatsachen, eine Erklärung rein for - maler Natur, basirt auf fictive Annahmen, welche nicht ge - macht wurden, weil sie in sich möglich oder gar wahrscheinlich erschienen wären, sondern weil sie eine formale Erklärung aller Erscheinungen von einem Princip aus zuliessen. Wenn man annimmt, dass jede Zelle aus einem besonderen Keimchen her - vorgeht, und dass diese Keimchen überall da vorhanden sind, wo man sie gerade braucht, so kann man überall das entstehen lassen, dessen Entstehung erklärt werden soll, und wenn eine grosse Menge Zellen aus der einen Eizelle in gesetzmässiger Folge hervorgehen soll, und man nimmt an, dass die vor - handenen Keimchen eben nur successive und zwar in der er - forderlichen Reihenfolge thätig werden, so muss freilich die verlangte Folge von Zellen sich einstellen, aber eine wirkliche Erklärung liegt nicht in dieser Vorstellung. Nun sind auch heute unsere Erklärungen noch unvollkommen genug und weit davon entfernt, bis auf den Grund zu gehen, aber sie unter - scheiden sich doch von der „ provisorischen “Hypothese Darwin’s dadurch, dass sie danach streben, der Wirklichkeit der Vor - gänge auf die Spur zu kommen, zu einer realen, nicht einer blos formalen Lösung des Problems zu gelangen. Das Ver - dienst des grossen Forschers, gleich die richtige Grundlage für eine reale Lösung gefunden zu haben, kann nicht dadurch geschmälert werden, dass er eben in dem Streben nach einer zunächst blos formalen Lösung weniger durch die Consequenzen8 seiner „ Keimchen “- Hypothese zurückgeschreckt wurde, als wenn er versucht hätte, sie der Wirklichkeit anzupassen. So, wie die Hypothese von ihm aufgestellt war, konnte sie nicht als Versuch einer realen Lösung des Vererbungsproblems gelten, schon allein wegen der „ Abgabe “von Keimchen an das Blut, dem Circuliren derselben durch den Körper und ihrem Ein - dringen in die Keim - und andere Zellen — lauter Annahmen, für die eine thatsächliche Unterlage fehlt. Darin liegt auch offenbar die Ursache, warum sehr bald und wiederholt Um - gestaltungen der „ Pangenesis “versucht wurden.
Bevor ich diese ins Auge fasse, möchte ich noch das Ver - hältniss der „ physiologischen Einheiten “Herbert Spencer’s zu den „ Keimchen “Darwin’s klarlegen. Darwin selbst hielt die Ersteren für seinen Keimchen nahe verwandt, ja er würde „ die Ansichten Mr. Spencer’s für fundamental die gleichen “mit den seinigen gehalten haben, wären ihm nicht „ mehrere Stellen “bei Spencer vorgekommen, die „ etwas völlig Ver - schiedenes “anzuzeigen scheinen. 1)Ch. Darwin, „ Das Variiren der Thiere und Pflanzen “, Stutt - gart 1873, 2. deutsche Auflage, p. 425, Anm.
Ich glaube nun, aus dem bisher Gesagten geht schon her - vor, dass diese beiden Annahmen völlig verschieden sind. Ge - meinsam sind allerdings Beiden kleinste lebendige, durch Thei - lung sich fortpflanzende Einheiten, aber schon der Antheil, den dieselben am Aufbau des Körpers nehmen, ist ein ganz verschiedener; Spencer’s Einheiten sind die Elemente, welche den lebenden Körper ausschliesslich zusammensetzen, während Darwin’s Zellenkeimchen nur Zellen hervorbringen, d. h. Ele - mente sind, welche speciell zur Bewirkung der Vererbung vor - handen sind, ohne dass über ihren Antheil an der Zusammen - setzung der lebendigen Masse Etwas ausgesagt wird. Hier ist —9 wie sich später noch deutlicher zeigen wird — die Spencer - sche Annahme der Darwin’schen überlegen. Auf der andern Seite sind die gleichartigen Einheiten Spencer’s Träger der gesammten Artcharaktere durch die Art und Weise ihres compli - cirten Molekülarbaues, die Darwin’schen „ Keimchen “aber sind Anlagen einzelner Zellen, die untereinander entsprechend ver - schieden zu denken sind. Die Theorie Spencer’s ist eine epi - genetische, die Darwin’s eine evolutionistische, und hierin ist Darwin — nach meiner Ansicht — Spencer überlegen.
Der Erste, der den Versuch einer Verbesserung der Pan - genesis machte, war Galton1)Francis Galton, „ A theory of Heredity “, Journ. Anthropolog. Institute, 1875.. In einem kurzen, aber gedanken - reichen Aufsatz schliesst er sich zwar der Annahme der „ Keim - chen “an, verwirft aber die freie Circulation derselben durch das Blut und somit auch die Wiederansammlung der von den Zellen des Körpers abgegebenen Keimchen in den Keimzellen. Da nun diejenigen Keimchen, welche sich in die Zellen des Körpers verwandelt haben, verbraucht sind, so folgt daraus, dass die Keimzellen nur den übrig gebliebenen Rest von Keim - chen enthalten können, diejenigen von der ungeheuren Schaar der in einer Keimzelle enthaltenen Keimchen, welche nicht zur Entwickelung gelangten. Denn jede Keimzelle enthält — wie Galton mit Darwin annimmt — jede Art von Keimchen in vielen Modificationen, herrührend von den verschiedenen Ver - fahren des Bion. Man hat diese Annahme der Entstehung der Keimzellen aus dem bei der Ontogenese unverbraucht gebliebenen Überrest der Keimchenmasse (the residue of the stirp) der von mir viel später in die Wissenschaft eingeführten Vorstellung von der Continuität des Keimplasmas verglichen und in ihr den Vorläufer derselben gesehen. Eine gewisse Ähnlichkeit10 beider Vorstellungen ist auch gewiss vorhanden, aber es wird sich in dem Abschnitt über die Continuität des Keimplasmas zeigen, dass dieselbe doch nur eine ganz äusserliche ist.
Herbert Spencer definirt die Vererbung als die Fähig - keit jeder Pflanze und jeden Thieres, neue Individuen von gleicher Art zu erzeugen und betont besonders, dass in dieser Thatsache, die uns völlig vertraut ist und die uns deshalb leicht als selbstverständlich erscheint, gerade das eigentliche Wesen und die Hauptsache der Vererbung verborgen liegt, „ während die gewöhnlich auf dieselbe bezogenen Thatsachen eigentlich nur ganz untergeordnete Kundgebungen derselben sind “. In der That hat man meistens die Mischung der individuellen elterlichen Eigenschaften bei den Kindern in den Vorder - grund der Vererbung gestellt und übersehen, dass dies doch nur eine ganz sekundäre Vererbungserscheinung ist, wichtig ganz gewiss in vieler Hinsicht und interessant in hohem Grade, aber doch nur die Folge einer gewissen Fortpflanzungsform, der geschlechtlichen und keineswegs eine Fundamentalerscheinung der Vererbung. Darwin hat dies sehr gut erkannt und seine erste Sorge war: die theoretische Erklärung der Einzel-Ent - wickelung (Ontogenese). Aber die Meisten, welche über Ver - erbung geschrieben haben, und so auch Galton, haben ihre ganze Aufmerksamkeit der Mischung der elterlichen Eigen - schaften in den Kindern zugewandt, einem Problem, welches ohne Zweifel in hohem Grade der Untersuchung werth ist, welches aber doch nur einen Seitenzweig der Vererbungs - vorgänge darstellt. Wie wenig ich die Bedeutung der zwei - elterlichen Vererbung auch in theoretischer Beziehung unter - schätze, wird gleich im folgenden Abschnitt klar werden, in welchem ich aus den Erscheinungen dieser Vererbung die Existenz des Keimplasma’s abzuleiten suche, allein es scheint mir eine Gefahr, die Vererbung ausschliesslich unter der Vor -11 stellung zwei-elterlicher Abstammung theoretisch zu untersuchen, weil man dabei gerade mit den verwickeltsten Erscheinungen zu thun hat und die Hauptsache leicht über der Masse ver - wirrender Nebensachen übersieht. Auch Galton hat sich allzu stark, wie ich glaube, von dieser Seite der Vererbungserschei - nungen beeinflussen lassen. So Vortreffliches seine späteren Untersuchungen über die Gesetze der Mischung elterlicher Eigen - schaften in den Kindern gebracht haben, so halte ich doch seine theoretischen Vorstellungen gerade über die grundlegenden That - sachen der Vererbung für nicht zutreffend. Das Wenige, was er über die Ursachen der Ontogenese andeutet, scheint mir gegen die einfachen, aber im Grunde durchschlagenden und richtigen Aufstellungen Darwin’s weit zurückzustehen. Es ist begreiflich, dass dem Statistiker und Anthropologen Galton gerade die Erscheinungen der Mischung der elterlichen Eigen - schaften die interessantesten waren, aber sie haben ihn fest - gehalten in dem speciellen Kreis dieser Erscheinungen und ihn verhindert, zu wirklich allgemeinen Principien und zu einer eigentlichen Vererbungstheorie im allgemeineren Sinne zu ge - langen.
Galton hat aber das Verdienst, zuerst die „ Circulation der Keimchen “bestritten und im Zusammenhang damit, die allgemeine Gültigkeit einer Vererbung erworbener Eigenschaften bezweifelt zu haben. Allerdings hält er an einer „ schwachen “Vererbbarkeit derselben fest und nimmt zu ihrer Erklärung an, dass zwar keine allgemeine „ Circulation der Keimchen “statt - finde, dass aber jede Zelle einige Keimchen abwerfe, die in Circulation kommen und gelegentlich in die „ Sexual-Elemente “eindringen.
Galton’s Aufsatz ist zwar schon sehr früh, nämlich wenige Jahre nach dem Erscheinen der Pangenesis veröffentlicht worden, aber es kann wohl nicht behauptet werden, dass er einen Ein -12 fluss auf die Weiterentwickelung der Vererbungstheorie ge - habt habe; er wurde selbst in England — wie es scheint — nicht sehr beachtet und ist im Ausland lange Zeit unbekannt geblieben. Damit darf ich es wohl entschuldigen, wenn ich in meinen, fast ein Jahrzehnt später erschienenen Schriften von seinem eben besprochenen Aufsatz keine Kenntniss hatte und also auch keinen Bezug darauf nehmen konnte. 1)Diese Arbeiten sind zuerst einzeln erschienen in den Jahren 1881 — 1891; in vollständiger gesammelter Ausgabe bisher nur in eng - lischer Übersetzung als „ Essays upon Heredity and kindred biological Problems “edited by Poulton, Schönland and Shipley, Oxford 1889, Bd. I, enthaltend Aufsatz I — VIII, in zweiter Auflage 1891 erschienen. Die Aufsätze IX — XII werden in diesem Jahre als Bd. II nachfolgen. — In französischer Übersetzung sind die Aufsätze mit Ausnahme des letzten von ihnen („ über Amphimixis “) unter dem Titel: „ Essais sur l’Hérédité et la sélection naturelle “traduit par Henry de Varigny, Paris 1892, veröffentlicht worden. Eine deutsche Gesammtausgabe ist im Erscheinen begriffen.In einer dieser Schriften, betitelt „ über die Vererbung “(1883), bestritt ich zuerst ganz allgemein nicht nur die Existenz, sondern auch die theoretische Möglichkeit einer Vererbung erworbener (soma - togener) Eigenschaften und suchte so die Theorie von der Last einer Erklärungspflicht zu befreien, die ihr jede weitere freie Entwickelung abschnitt. In dieser Schrift auch nahm ich zu - erst eine Vererbungssubstanz an, das Keimplasma, welches in den Keimzellen enthalten ist und welches nie neu gebildet werden kann, sondern sich immer nur von der Keimzelle, aus der ein Bion entsteht, in direkter Continuität auf die Keim - zellen der folgenden Generation überträgt. Ein Gegensatz von „ Körper “im engeren Sinne (Soma) und Fortpflanzungszellen wurde hervorgehoben, und die Auffassung vertheidigt, dass allein die Keimzellen die Vererbungssubstanz, das Keimplasma, in ununterbrochener Folge von einer zur andern Generation weitergeben, während die Körper (Somata) gewissermassen13 nur Auswüchse je einer Keimzelle, zugleich aber ihre Träger und Ernährer sind.
Es muss hier noch eines zweiten Versuches, die Pange - nesis-Theorie zu verbessern gedacht werden. Ich habe schon früher einmal über das interessante und geistreiche Buch1)W. K. Brooks „ The law of heredity, a study of the cause of variation and the origin of living organisms “. Baltimore 1883. von W. K. Brooks berichtet2)A. Weismann „ Die Bedeutung der sexuellen Fortpflanzung für die Selectionstheorie “. Jena 1886. p. 119., betitelt „ the Law of Heredity “. Der Verfasser behält die ganze Grundlage der Pangenesis bei, die Erzeugung von „ Keimchen “durch alle Zellen des Körpers, ihre Circulation im Körper und ihre Ansammlung in den Keim - zellen oder Knospen; er weicht aber darin hauptsächlich von Darwin ab, dass er der männlichen Keimzelle eine besonders starke Anziehungskraft auf die Keimchen zuschreibt, so dass diese sich in besonderer Menge in ihnen sammeln und auf - speichern. Da diese Annahme vor Allem zur Erklärung der Variation gemacht wird, so will ich eine genauere Besprechung derselben auf den Abschnitt über Variation verschieben.
Ein Jahr später erschien Nägeli’s „ mechanisch-physio - logische Theorie der Abstammungslehre “3)C. von Nägeli „ Mechanisch-physiologische Theorie der Ab - stammungslehre “. München-Leipzig 1884., ein Buch reich an scharfsinnigen Deductionen und anregenden Betrachtungen, welche unzweifelhaft einen grossen Einfluss ausgeübt und ent - schieden in die Gedanken-Arbeit der Zeit eingegriffen haben. Man wird diesem Werke auch dann seine Bedeutung nicht ab - sprechen dürfen, wenn nur Weniges von seinen theoretischen Aufstellungen Bestand haben sollte, und ich glaube, es darf schon jetzt gesagt werden, dass dies der Fall sein wird. So viele richtige Gedanken, ja sogar hinterher bestätigte Voraus -14 sagen von Thatsachen wir Nägeli auch verdanken, seine eigne Vererbungstheorie hat sich heute schon als unhaltbar erwiesen. Aus diesem Grunde und weil sie ohnehin Allen bekannt ist, möchte ich sie hier nicht ausführlich besprechen und mich lieber auf die Beurtheilung derselben beziehen, die ich vor Jahren schon gegeben habe1)Siehe „ Die Continuität des Keimplasma’s “. Jena 1885, p. 39 und folgende, p. 52 u. s. w., sowie auch auf die von Wiesner2)Julius Wiesner „ Die Elementarstructur und das Wachsthum der lebenden Substanz “. Wien 1892. vor Kurzem gegebene ausführliche Kritik. Wenn ich aber auch nicht glaube, dass die Nägeli’sche Theorie auf dem Weg zur richtigen Vererbungstheorie liegt, so enthält sie doch jedenfalls einen wichtigen, und für die Weiterentwickelung unserer Einsicht bedeutsamen Gedanken, den des Idioplasma’s. Wie ich selbst schon eine besondere Vererbungssubstanz, das Keimplasma angenommen hatte, von dessen Veränderungen die Entwickelung abhängt, und von dessen Übertragung von einer Generation auf die andere die Vererbung, so postulirte jetzt — ganz unabhängig von mir — Nägeli eine besondere Ver - erbungssubstanz, ein „ Anlagenplasma “oder „ Idioplasma “, wel - ches an Masse viel geringer sei, als die übrige lebende Substanz des Körpers, das „ Ernährungsplasma “, welches aber dieses in seinem feinsten Bau bestimme. Die Richtigkeit dieses Gedankens ist — soweit ich sehe — bisher von Niemanden bestritten worden, wenn es sich auch bald zeigte, dass die Form, in welcher sich Nägeli dieses Idioplasma vorstellte, der Wirklich - keit nicht entsprach. Er dachte sich dasselbe als feinste parallele Stränge, welche zu Bündeln vereinigt und netzförmig sich kreuzend die Zellensubstanz durchziehen und von einer Zelle zur andern sich fortsetzend den ganzen Körper als ein zu - sammenhängendes Netz durchsetzen.
15Schon zur Zeit aber des Erscheinens von Nägeli’s Buch konnte man ahnen, dass die Vererbungssubstanz nicht im Zell - körper, sondern im Zellkern enthalten ist, und sehr bald folgten sich verschiedene Entdeckungen, welche es zur Gewiss - heit erhoben, dass das „ Idioplasma “in den „ Chromosomen “der Kerne zu sehen sei, in jenen stäbchen -, schleifen - oder körner - förmigen Gebilden, welche sich durch ihre auffallend starke Färbbarkeit mit verschiedensten Farbstoffen auszeichnen. Auf den Beweis dafür werde ich in dem folgenden Abschnitt zurück - kommen.
Damit war jeder weiteren Vererbungstheorie ein sicherer, realer Boden angewiesen, man wusste nun nicht nur, dass die Vererbungserscheinungen der höheren Lebewesen an eine Sub - stanz gebunden sind, sondern auch wo dieselbe ihren Sitz hat. Auf diese sichere Grundlage übertrug ich denn nun auch meine Keimplasma-Theorie, wenn man der damals noch sehr unvoll - kommenen Form derselben diese Bezeichnung gönnen will; ich lokalisirte das Keimplasma in die Kernsubstanz der Keimzelle und leitete die Ontogenese aus einer „ qualitativen Veränderung “desselben ab, welche durch das Mittel der Kern - und Zelltheilung das Idioplasma von einer Zellgeneration auf die folgende über - trägt. Ich ging aber bald weiter und folgerte aus der ge - schlechtlichen Fortpflanzung, welche bei jeder Befruchtung gleiche Mengen von väterlichem und mütterlichem Keimplasma zusammenführt, die Zusammensetzung des Keimplasma’s aus einer Anzahl von Einheiten, den „ Ahnenplasmen “und weiter die Nothwendigkeit einer jedesmaligen Reduction des Keim - plasma’s auf die Hälfte seiner Masse und der Zahl der darin enthaltenen Ahnenplasmen. 1)August Weismann „ Über die Zahl der Richtungskörper u. s. w. “ Jena 1887.Das theoretische Postulat von „ Reductionstheilungen der Keimzellen ist seither durch die16 Beobachtung aufs schönste bestätigt worden, ja es hat sich gezeigt, dass dieselbe in vielen Fällen genau so abläuft, wie ich es im Voraus erschlossen und in einer schematischen Zeich - nung dargestellt hatte, nämlich durch Unterbleiben der bei gewöhnlicher Kerntheilung eintretenden Längstheilung der Chro - mosomen und Vertheilung derselben auf die Tochterkerne. Dies gilt sowohl für das Ei als auch die Samenzelle der Thiere und soweit man es kennt, auch der Pflanzen. Überall muss die Keimzelle, um befruchtungsfähig zu werden, durch Theilung die Hälfte ihrer Kernstäbchen, d. h. ihres Keimplasma’s, ab - geben, eine Thatsache, durch welche nun auch die andere An - nahme einer Zusammensetzung des Keimplasma’s aus Ahnen - plasmen eine reale Basis gewonnen hat. In dem Abschnitt über amphigone Vererbung wird davon genauer die Rede sein; hier möchte ich nur hervorheben, dass diese Ahnenplasmen nicht etwa kleinste Lebenstheilchen, die Analoga der „ physio - logischen Einheiten “H. Spencer’s sein sollten, vielmehr Körper von äusserst verwickelter Zusammensetzung, jeder für sich die sämmtlichen Anlagen, welche zum Aufbau eines Bion erforder - lich sind enthaltend. Jedes Ahnenplasma war mir „ eine be - sondere Art von Keimplasma “und mit der Reductionstheilung werden „ ebenso viele verschiedene Idioplasma-Arten aus dem Ei entfernt, als nachher durch den Spermakern “bei der Befruch - tung wieder „ in dasselbe eingeführt werden “. Man wird sehen, dass ich auch in der jetzt vorgelegten Ausführung der Keimplasma Theorie diese ihre Grundlage vollkommen beibehalte, und ich glaube, es sollte mir nun gelungen sein, die Einwände, welche gegen die „ Ahnenplasmen “, oder wie ich sie jetzt nenne, die „ Ide “vorgebracht worden sind, zu entkräften. Jedenfalls wird man ihnen eine bedeutende Erklärungskraft nicht absprechen können.
Wohl der gewichtigste Gegner derselben war bisher de Vries, aber sein Widerspruch gründet sich auf das eben an -17 gedeutete Missverständniss, dass er in meinen „ Ahnenplasmen “kleinste Lebenstheilchen zu sehen glaubt, eine Vorstellung, die mir von Anfang an fremd war. Ich beklage mich indessen nicht darüber, da ich damals gerade den Punkt des Baues der Ahnen - plasmen offen gelassen hatte. 1)De Vries irrt auch, wenn er mir die Meinung zuschreibt, „ es gebe für jedes Individuum nur eine Vererbungssubstanz, nur einen materiellen Träger der Vererbungstendenzen “. Die von ihm citirte Stelle („ Über die Zahl der Richtungskörper “, p. 29) handelt nicht davon, sondern sie heisst: aus verschiednen, vorher angeführten Gründen „ geht jedenfalls das Eine mit Sicherheit hervor, dass es eine Vererbungs - substanz giebt, d. h. einen materiellen Träger der Vererbungstendenzen, und dass dieser in der Kernsubstanz der Keimzellen enthalten ist “u. s. w.In vorliegendem Buche soll diese Lücke ausgefüllt werden und es wird sich zeigen, dass mir zwar wohl jedes „ Ahnenplasma “Träger der sämmtlichen, zum Aufbau eines Bion erforderlichen Anlagen ist, dass diese Annahme aber nicht eine Zusammensetzung desselben aus eben diesen „ Anlagen “in Form kleinster Lebenstheilchen ausschliesst. Das „ Ahnenplasma “ist eine Einheit, aber eine solche höherer Ordnung. Es hat schon deshalb nichts mit den Spencer’schen „ physiologischen Einheiten “zu thun, weil diese als kleinste Lebenstheilchen den ganzen Körper zusammensetzen, während die „ Ahnenplasmen “nur die Kernsubstanz ausmachen und ledig - lich dem Mechanismus der Vererbungs-Vorgänge dienen.
De Vries selbst hat in bedeutungsvoller Weise in die Weiterentwickelung einer Vererbungstheorie eingegriffen durch seine Schrift „ intracellulare Pangenesis “. 2)Hugo de Vries: „ Intracellulare Pangenesis “, Jena 1889.Die darin nieder - gelegten Ansichten widersprechen zwar eigentlich dem Titel, insofern Pangenesis bei Darwin doch die Überall-Entstehung von Keimchen bedeuten sollte, die Zusammensetzung der Ver - erbungssubstanz aus Keimchen, welche von allen Zellen des Körpers abstammen; de Vries aber beseitigt gerade diesenWeismann, Das Keimplasma. 218Theil der Darwin’schen Hypothese vollkommen. Das Charak - teristischste derselben wird hinweggenommen und was bleibt, ist mehr allgemeiner Natur, Principien, von denen in dieser oder jener Form heute wenigstens jede Vererbungstheorie aus - gehen muss. Dazu kommen dann aber noch eigne Ideen, die dem ganzen Vorstellungskreis erst den Stempel aufdrücken. Will man — wie es de Vries thut — seine Theorie als eine Um - gestaltung der Darwin’schen Pangenesis betrachten, so ist sie jedenfalls eine radikale und eine solche, die mit einem Schlage die unhaltbar gewordene Pangenesis von Neuem lebensfähig macht.
De Vries unterscheidet in der Darwin’schen Pangenesis zwei Hälften, deren eine er verwirft, während er die andere beibehält. Die erste nennt er die „ Transport-Hypothese “und versteht darunter die Annahme von der Entstehung von Keim - chen in allen Zellen des Körpers, ihrem „ Abwerfen “, ihrer Cir - culation im Blut und ihrer endlichen Ansammlung in den Keimzellen. Er stützt sich dabei auf meine Verwerfung einer Vererbung „ somatogener “Eigenschaften, wodurch ja allerdings die Annahme eines Transports von Keimchen aus den Zellen des Körpers nach den Keimzellen hin überflüssig wird. So beseitigt er denjenigen Theil der Pangenesis, der dieselbe für die Meisten unannehmbar machte, und stellt die Theorie auf einen neuen realen Boden, von welchem aus sie entwickelungs - fähig wird.
Übrigens geht er doch wohl zu weit, wenn er die Trans - port-Hypothese lediglich aus dem Bedürfniss einer Erklärung für die Vererbung somatogener Eigenschaften herleitet. Man darf nicht vergessen, dass der Gedanke einer „ Continuität des Keimplasma’s “zu Darwin’s Zeiten noch nicht zur Geltung gelangt war. Wie sollten denn die Keimchen sämmtlicher Zellen eines Bion in seine Keimzellen kommen, wenn sie nicht eben in den Körperzellen sich bilden, dann auswandern, circuliren19 und sich in den Keimzellen alle zusammenfinden? Ein direkter Zusammenhang der befruchteten Eizelle mit den Keimzellen des daraus sich entwickelnden Bion’s war weder damals von Jemand behauptet worden, noch besteht er überhaupt, mit Ausnahme ganz vereinzelter Fälle. Die Transport-Hypothese war also nothwendig auch für die Erklärung der Hervorbringung von Keimzellen jeder Art, die die Keimchen der Eltern wieder in sich enthalten mussten. Galton, der ja auch die „ Transport - Hypothese “verwarf, kam dadurch in die sonderbare Lage, die Keimzellen, die das Bion hervorbringt, nur mit dem unver - brauchten Rest von Keimchen und deren Nachkommen füllen zu können, also mit den Keimchen, welche selbst keinen Antheil hatten nehmen können, den latent gebliebenen und individuell anders gearteten Keimchen. Er benutzte dies, um daraus die Verschiedenheit der Kinder eines Elternpaares zu erklären, sah sich aber genöthigt, für die in erster Linie zu erklärende Ähnlichkeit solcher Kinder mit den Eltern zu sehr künst - lichen Erklärungen zu greifen.
Was de Vries von Darwin’s Pangenesis beibehält, ist eine Vererbungssubstanz, welche sich aus „ Keimchen “zusammen - setzt, die kleinste Lebenstheilchen sind, wachsen und sich durch Theilung vermehren können, die successive bei der Ontogenese in Thätigkeit gerathen und so den Organismus aufbauen. Die Theorie wird dadurch der rein fictiven Elemente ganz entkleidet und indem nun noch die „ Keimchen “entsprechend den Resul - taten der neuesten Zeit in die Kernsubstanz verlegt werden, welche, wie wir wissen, durch die Theilungen von Zelle zu Zelle weiter gegeben wird, erhält die Pangenesis vollends festen Grund unter die Füsse.
De Vries begnügte sich aber nicht damit, die Darwin’sche Pangenesis gewissermassen bloss negativ umzugestalten, indem er die eine und fast die grössere Hälfte von ihr abtrennt, son -2*20dern er reformirt sie auch positiv, indem er den „ Keimchen “einen andern Begriff unterlegt. Diese „ Keimchen “, oder wie sie de Vries nennt, „ Pangene “unterscheiden sich dadurch sehr wesentlich von den Darwin’schen „ gemmules “, dass sie keine Zellen-Keimchen sind, sondern vielmehr Keimchen für viel kleinere Elemente, nämlich für die kleinsten Theilchen, aus welchen sich die einzelne Zelle aufbaut. Die Pangene sind Träger der einzelnen „ Eigenschaften “der Zelle.
Der Gedankengang, der de Vries zu der Vorstellung der Zusammensetzung der Vererbungssubstanz aus solchen „ Eigen - schafts-Trägern “der Zellen führte, ist zu interessant, um über - gangen zu werden. Er fusst dabei auf der Annahme einer „ gegenseitigen Unabhängigkeit der erblichen Eigen - schaften “. Nach seiner Ansicht bestehen die Arten aus einer Summe „ erblicher Eigenschaften “, von denen die wenigsten oder auch gar keine der einzelnen Art allein eigen sind, deren Combination aber den Charakter der Art ausmacht.
Dieselbe Eigenschaft wiederholt sich bei vielen Arten, aber in anderer Verbindung mit andern „ Eigenschaften “. „ Überall sehen wir, wie eine und dieselbe erbliche Eigenschaft, oder wie eine bestimmte kleine Gruppe von solchen mit den verschieden - sten andern erblichen Eigenschaften verbunden werden kann, und wie durch diese äusserst variirten Verbindungen die ein - zelnen Artcharaktere zu Stande kommen. “ Ähnlich wie die Arten sich in dieser Beziehung zu einander verhalten, thun es auch die verschiedenen Organe derselben Art, auch sie setzen sich aus denselben Eigenschaften zusammen, nur in anderer Combination. Die einzelnen „ Eigenschaften “nun, welche die Art zusammensetzen, können „ fast jede unabhängig von den andern “variiren und können deshalb auch durch künstliche Züchtung je nach dem Gefallen des Züchters gesteigert werden, ohne dass deshalb die übrigen „ Eigenschaften “der Art eben -21 falls verändert zu werden brauchten. Die „ Eigenschaften “sind aber auch „ fast in jedem Verhältniss mit einander mischbar “, wie besonders die Versuche über Bastardirung und Kreuzung lehren sollen; „ nirgendwo tritt so klar wie hier das Bild der Art gegenüber seiner Zusammensetzung aus selbständigen Fak - toren in den Hintergrund “. Die Eigenschaften, oder vielmehr ihr materielles Substrat, sind also selbständig und fast beliebig mischbar.
Die Träger nun dieser die Art zusammensetzenden „ Eigen - schaften “sind eben jene „ Pangene “, jene kleinsten Lebens-Ein - heiten, welche de Vries an Stelle der Darwin’schen „ Zellen - keimchen “setzt.
Der Grundgedanke der ganzen Deduction ist gewiss voll - kommen richtig; als ich vor einem Jahrzehnt zuerst anfing, mich in das Problem der Vererbung zu vertiefen, glaubte ich noch an die Möglichkeit einer epigenetischen Theorie, habe sie aber auch längst als unmöglich erkannt, wie man im Verlauf dieses Buches sehen wird. Auch ich denke mir die Vererbungs - substanz aus „ Anlagen “zusammengesetzt und glaube sogar, diese Annahme als unvermeidlich und als eine völlig gesicherte nachweisen zu können. Aber ich meine nicht, dass wir mit „ Pangenen “ausreichen zur Erklärung der Vererbungserschei - nungen. De Vries lässt die Keimsubstanz aus einer Menge verschiedener Arten von Pangenen bestehen, von denen so viele vorhanden sein müssen, als „ Eigenschaften “bei der Art vor - kommen. Diese Pangene denkt sich nun de Vries nicht in festem geordneten Verband, sondern frei mischbar, wie es der angenommenen „ freien Mischbarkeit der Eigenschaften “entspricht. Höhere Einheiten, die etwa eine bestimmte Zahl Pangene ge - ordnet zusammenhielten, bekämpft er als eine überflüssige An - nahme und darin scheint mir der schwache Punkt seiner Auf - stellungen zu liegen.
22In dem Abschnitt über die Beherrschung der Zelle durch die Kernsubstanz werde ich mich dem — wie ich glaube — sehr glücklichen Gedanken von de Vries anschliessen, nach welchem materielle Theilchen aus dem Kern austreten und in den Bau des Zellkörpers eingreifen. Diese Theilchen entsprechen den „ Pangenen “, sie sind die „ Eigenschaftsträger “der Zelle; durch ihre Natur, durch ihre verschiedenen Arten und durch die Verhältnisszahl derselben wird auch nach meiner Ansicht der Zelle ihr specifischer Stempel aufgedrückt.
Aber beruht denn der Charakter einer Art blos auf diesen primären „ Eigenschaften “der Zellen? Giebt es nicht „ Eigen - schaften “sehr verschiedner Ordnung? primäre, sekundäre u. s. w.? Die „ Pangene “sind primäre Eigenschaftsträger, ihre blosse Anwesenheit in der Vererbungssubstanz sagt noch gar Nichts oder doch sehr Wenig über den Charakter einer Art aus. Wenn z. B. in der Eizelle einer Pflanze „ Chlorophyll-Pangene “ent - halten sind, so können wir daraus keinen weiteren Schluss auf ihre Artcharaktere machen, als dass sie irgend welche grüne Zellen besitzen wird; wo dieselben liegen, welche Theile der Pflanze grün, welche etwa „ panaschirt “sein werden, ob grüne, ob weisse oder anderswie gefärbte Blüthen an ihr entstehen werden, lässt sich daraus nicht entnehmen. Erst wenn wir in der Keimsubstanz Gruppen von Pangenen entdeckten, von welchen die einen für Blätter, die andern für Blüthen bestimmt wären, könnten wir sagen, ob die Letzteren grün oder anders - wie ausfallen werden.
De Vries erwähnt einmal die Zebrastreifung. Wie soll ein Charakter, wie dieser vererbbar sein, wenn im Keim blos verschiedene Arten von Pangenen lose nebeneinander liegen, ohne zu festen und als solche vererbbaren Gruppen ver - bunden zu sein? Zebrapangene kann es nicht geben, weil die Zebrastreifung keine Zellen-Eigenschaft ist; es kann vielleicht23 kurz gesagt „ schwarze “und „ weisse “Pangene geben, deren Anwesenheit die schwarze oder weisse Färbung einer Zelle be - dingen. Aber die Zebrastreifung beruht nicht auf Entwickelung von Schwarz und Weiss innerhalb einer Zelle, sondern auf der regelmässigen Abwechselung von Tausenden streifenweise angeordneten schwarzen oder weissen Zellen.
De Vries bezieht sich auch einmal auf die zuweilen durch Rückschlag auf eine weit zurückliegende Stammform entstehende langstengelige Abart der alpinen Primula acaulis. Auch hier kann der Charakter der Langstengeligkeit nicht auf „ Langstengel - Pangenen “beruhen, denn die Langstengeligkeit ist keine intra - celluläre Eigenschaft. Ebensowenig die specifische Form der Blätter u. s. w. Der gesägte Rand eines Blattes kann nicht auf der Anwesenheit von „ Säge-Pangenen “beruhen, sondern er beruht auf eigenthümlicher Anordnung der Zellen des Blatt - randes. Ebenso verhält es sich fast bei allen Charakteren, die wir als sichtbare „ Eigenschaften “der Art, Gattung, Familie u. s. w. bezeichnen, so bei der Grösse, Structur, Be - filzung, Gestalt eines Blattes, den charakteristischen und oft so durchaus constanten Farbenflecken auf Blumenblättern (Orchi - deen) u. s. w. Alle diese „ Eigenschaften “kommen nur durch das ordnungsmässige Zusammenwirken vieler Zellen zu Stande. Oder denke man an „ Eigenschaften “des Menschen, an seine Schädel -, seine Nasenform u. s. w. Alle diese so charakteristischen „ Eigen - schaften “können nicht einfach nur auf der blossen Anwesen - heit der Pangene im Keim beruhen, welche die Hunderte und Tausende verschiedener Zellen bilden sollen, die die betreffende „ Eigenschaft “zusammensetzen, sondern sie müssen auf einer festen und von Generation auf Generation übertrag - baren Gruppenbildung der „ Pangene “oder irgend welcher andern primärer Elemente des Keimes beruhen.
Das Charakteristische der Art kann nicht blos auf Anzahl24 und Verhältniss der Pangene im Keim beruhen. Es liessen sich ganz wohl zwei recht verschieden gebaute Arten denken, deren Pangen-Material des Keimes nach Art und Zahl gleich wäre; der Unterschied würde dann lediglich in einer Gruppen - bildung von Pangenen im Keim liegen. Allerdings führt de Vries „ die systematische Differenz auf den Besitz ver - schiedener Arten von Pangenen “zurück und meint „ die An - zahl der gleichartigen Pangene in zwei Species sei das wirkliche Maass ihrer Verwandtschaft “1)A. a. O. p. 73., allein dieser Ausspruch scheint mir nicht ganz zu stimmen mit der Grundanschauung, von welcher ausgegangen wird, und nach welcher „ der Charakter jeder einzelnen Art aus zahlreichen erblichen Eigenschaften zu - sammengesetzt ist, von denen weitaus die meisten bei fast unzähligen andern Arten wiederkehren “. Wird doch ausdrücklich hervorgehoben, dass die grosse Anzahl ver - schiedener Pangene, welche, „ zum Aufbau einer einzelnen Art “schon gehört, doch nicht zu einer ganz unfassbaren Menge ver - schiedener Pangene in der gesammten Organismenwelt führt, weil zum Aufbau dieser „ eine im Verhältniss zur Artenzahl geringe Anzahl von einheitlichen erblichen Eigenschaften aus - reicht. Jede Art erscheint uns als ein äusserst complicirtes Bild, die ganze Organismenwelt aber als das Ergebniss un - zähliger verschiedener Combinationen und Permutationen von relativ wenigen Faktoren “.
Der hier so klar und bestimmt ausgesprochene Gedanke des Aufbaues zahlloser Arten aus verschiedenen Zusammenstellungen relativ weniger Pangene zeigt, dass auch vom de Vries’schen Standpunkt aus nicht das den Keim zusammensetzende Mate - rial an Pangenen in erster Linie das Bestimmende für den Charakter der Art sein kann, sondern in viel höherem Grade2)A. a. O. p. 9.25 die Anordnung desselben, oder wie ich es später bezeichnen werde: die Architektur des Keimplasma’s.
Wohl spricht auch de Vries an verschiedenen Stellen von „ Gruppen “von Pangenen, aber er streift den Gedanken nur, und verweist seine Ausführung auf die noch zu erwartenden weiteren Aufschlüsse über den Mechanismus der Kerntheilung. So wichtig aber ohne allen Zweifel die von de Vries ver - tretene Grundanschauung einer Zusammensetzung der Keim - substanz aus primären Anlagen ist, so täuscht sie doch leicht über die Tragweite ihres Erklärungsvermögens; ohne die An - nahme einer Bildung vieler, einander umfassenden Ordnungen von Gruppen solcher primärer Anlagen kommt man nicht zur Erklärung auch nur der einfachsten Ontogenese, geschweige denn der verwickelten Erscheinungen des Rückschlags und der amphigonen Vererbung überhaupt. Die Darwin’sche Pangenesis leistet hier noch mehr, als die de Vries’sche Abänderung der - selben, insofern sie doch wenigstens mit Zellen-Anlagen operirt, während die blosse Anwesenheit einer bestimmten Pangen-Gesell - schaft im Keim nicht einmal Sicherheit dafür gewährt, dass die gleichen Zellen beim Kind zu Stande kommen, wie sie beim Elter vorhanden waren; denn der Charakter der einzelnen Zelle wird durch eine bestimme Auswahl von Pangenen bestimmt. Wenn freilich angenommen wird, dass die erforderlichen Pangene überall da beisammen liegen und zur Verfügung stehen, wo man sie zur Erklärung einer Vererbungserscheinung braucht, dann ist die Erklärung nicht mehr schwer, aber mir scheint, dass es eben gerade darauf ankäme, zu zeigen, wieso die Be - schaffenheit des Keims es bedingen kann, dass die rechten An - lagen immer am rechten Ort sein müssen.
De Vries spricht, wie gesagt, gelegentlich von Pangen - Gruppen, auf der andern Seite aber verwahrt er sich gegen jede „ höhere Einheiten “im Keim als überflüssig. Ich kann26 diesen Widerspruch nur daraus verstehen, dass er die „ Eigen - schaften “für selbständig und völlig frei mischbar hält, somit eines Keim-Mechanismus bedarf, der ihre Trennung in beliebiger Weise gestattet. Verhielte sich dies wirklich so, wären die Anlagen nicht im Keim schon zu festen Gruppen verbunden, wie könnten jemals complicirte, aus vielen verschiedenartigen Zellen in bestimmter Anordnung zusammengesetzte Charaktere, z. B. ein Augenfleck auf einer bestimmten Feder eines Vogels zum festen Artcharakter geworden sein? Ich bin der Ansicht, dass die Selbständigkeit und freie Mischbarkeit der Eigenschaften eine Täuschung ist, hervorgerufen durch die amphigone Fort - pflanzung. Der Abschnitt über amphigone Vererbung, Rück - schlag u. s. w. wird zeigen, wie ich mir das Zustandekommen dieses Scheins einer freien Mischbarkeit der vereinzelten Eigen - schaften vorstelle.
Es wird im Verlauf dieses Buches noch vielfach hervor - treten, in wie vielen und gerade den wichtigsten Punkten ich mit dem holländischen Botaniker auf dem gleichen Boden stehe, ich glaube aber allerdings, dass seine „ Pangene “, oder ähnliche kleinste Lebenstheilchen allein zum Aufbau einer Vererbungs - theorie noch nicht genügen, dass noch Einiges hinzugefügt werden muss, um die Erscheinungen im Princip wenigstens begreifbar zu machen.
Das Manuskript des vorliegenden Buches war bereits längst niedergeschrieben, als das Werk von J. Wiesner über „ die Elementarstructur und das Wachsthum der lebenden Substanz “erschien. Wenn dasselbe auch nicht eine Vererbungstheorie ent - hält oder zu geben beabsichtigt, so ist es doch von grosser Bedeutung auch für die Theorie der Vererbung, weil es die Grundlage einer solchen behandelt: die Zusammensetzung der lebenden Substanz aus kleinsten Einheiten. Wiesner bemerkt, dass die bisherigen Vererbungstheorien stets besondere,27 ad hoc erfundene Einheiten angenommen hätten, während doch dieselben Einheiten, welche Leben überhaupt ermöglichen, welche der Assimilation und dem Wachsthum vorstehen, zugleich auch die Vererbung vermitteln müssten. In der That sind die „ phy - siologischen Einheiten “Herbert Spencer’s, die „ Keimchen “Darwin’s, die „ Plastidule “Häckel’s und meine Ahnenplasmen solche speciell zur Erklärung der Vererbung angenommenen Elemente. Nur de Vries lässt aus seinen „ Pangenen “zugleich alle lebende Substanz zusammengesetzt sein, und ich habe schon angedeutet, dass auch meine „ Ahnenplasmen “sich aus ähnlichen primären Einheiten zusammensetzen, welche nicht blos in ihnen vorkommen. Die von Wiesner nach Brücke’s Vorgang an - genommenen kleinsten Lebenstheilchen, seine „ Plasome “1)Julius Wiesner, „ Die Elementarstructur und das Wachsthum der lebenden Substanz “. Wien 1892. ent - sprechen in allem Wesentlichen den von mir angenommenen „ Biophoren “oder Lebensträgern.
Unter Vererbung versteht man schlechthin die Erfahrungs - Thatsache, dass lebende Organismen Ihresgleichen wieder her - vorbringen können und dass diese „ Gleichheit “von Kind und Elter, wenn sie auch niemals eine vollständige ist, sich doch bis in sehr geringfügige Einzelheiten des Baues und der Funk - tion erstrecken kann.
Die Grunderscheinungen der Vererbung sind von allen leben - den Wesen bekannt: die Übertragung des Artcharakters vom Elter auf das Kind, sei es, dass die Vermehrung durch Zweitheilung eines einzelligen Wesens erfolgt, sei es, dass es sich um die28 Wiederholung eines vielzelligen Organismus handelt, der nur durch eine verwickelte Aufeinanderfolge immer mehr anwachsen - der Zellgruppen, d. h. durch Entwickelung entstehen kann. Diese Grunderscheinungen der Vererbung compliciren sich aber bei allen höheren Organismen durch die Verbindung der Fort - pflanzung mit jenem Vorgang, den man als Amphimixis1)August Weismann, „ Amphimixis oder die Vermischung der Individuen “. Jena 1891., als Vermischung zweier Individuen oder ihrer Keime bezeichnen kann und welchen man in seiner bei Vielzelligen constanten Verbindung mit Fortpflanzung als „ geschlechtliche Fortpflanzung “zu bezeichnen gewohnt ist. Die Erscheinungen der Mischung der elterlichen Charaktere, des Rückschlags und andere mehr beruhen ausschliesslich auf dem Eingreifen der Amphimixis in das Leben der Arten, wie später genauer zu zeigen sein wird. Bei den Einzelligen, bei welchen Amphimixis in der Form der Conjugation sehr verbreitet, wenn nicht allgemein vorkommt, also nicht direkt mit Fortpflanzung verknüpft, müssen ähnliche Vererbungserscheinungen vorkommen; wir kennen sie aber noch nicht und sind also in Bezug auf diese Seite der Vererbung ganz auf die Vielzelligen angewiesen. Genauer beobachtet sind diese Vererbungserscheinungen überhaupt nur bei höheren Pflanzen und Thieren und von den Letzteren am genauesten beim Menschen. Bei diesen höheren Lebensformen steht ein grosses Arsenal von Thatsachen der theoretischen Analyse zur Verfügung.
Obgleich nun durch Amphimixis eine sehr bedeutende Ver - wickelung der Vererbungserscheinungen verursacht wird, so gestattet uns doch gerade die Vermischung zweier elterlichen Vererbungstendenzen und die Vorgänge der geschlechtlichen Fortpflanzung selbst, welche diese herbeiführen, einen wesentlich tieferen Einblick in die Vererbungsvorgänge selbst, als wir ihn29 auf andere Weise wohl jemals hätten erhalten können, und wir dürfen hoffen, durch immer genauere Untersuchungen gerade dieser Erscheinungen mit der Zeit noch tiefer in das Wesen derselben einzudringen.
Um aber dieses Ziel zu erreichen, werden wir nie vergessen dürfen, dass diese Form der Fortpflanzung weder die einzige, noch die ursprüngliche ist, dass auch bei den Vielzelligen nicht jede Fortpflanzung mit Amphimixis verbunden ist, dass vielmehr die sogenannte „ ungeschlechtliche “, d. h. einelterliche Fort - pflanzung die Wurzel der zweielterlichen sein muss. Die Grund - erscheinungen der Vererbung haben aber auch vor Einführung der Amphimixis in die Lebewelt ihren Ablauf genommen, und sie haben also Nichts mit der zweielterlichen Abstammung und der aus dieser resultirenden Complicirung der Vererbung zu thun. Das ist oft übersehen oder doch nicht berücksichtigt worden und man hat sich dadurch die Lösung des Vererbungs-Problems ungemein erschwert. Eine ganze Reihe von Vererbungserschei - nungen können theoretisch untersucht werden, ohne Rücksicht zu nehmen auf ihre Complication durch die thatsächlich überall hineinspielende Amphimixis, und die zu lösende Aufgabe ver - einfacht sich dadurch recht beträchtlich.
Der natürliche Gang der Untersuchung würde vom Ein - fachen zum Zusammengesetzten leiten, aber es empfiehlt sich, heute noch nicht mit der Vererbung der Urwesen zu beginnen und durch die Einzelligen zu den Vielzelligen aufzusteigen. Nicht blos deshalb, weil wir über die Einzelerscheinungen, z. B. über die Vererbung individueller Charaktere bei niederen Lebensformen so gut wie Nichts wissen, sondern vor Allem aus dem Grund, weil gerade die zweielterliche Fortpflanzung der Vielzelligen, der Befruchtungsprocess und die complicirte Ent - wickelung derselben uns — wie schon gesagt wurde — einen tiefen Blick in das Wesen des Vererbungsvorgangs thun lassen. 30Es geht hier, wie bei fast allen physiologischen Vorgängen: Die Forschung kann nicht den regulären Weg vom Einfachen zum Verwickelten gehen, unbekümmert darum, welche Objekte und Vorgänge ihr dabei zuerst entgegentreten; sie muss viel - mehr auf den dicht verwachsenen, geraden Weg verzichten und die Dornenhecke umkreisen, welche das verzauberte Schloss des Naturgeheimnisses umgiebt, um zu sehen, ob nicht irgendwo eine Lücke geblieben ist, durch welche sie eindringen und innerhalb festen Fuss fassen kann.
Eine solche Lücke in der Dornenhecke, welche das Ge - heimniss der Vererbung einschliesst, dürfen wir in dem Be - fruchtungsvorgang sehen, wenn wir ihn zusammenhalten mit den Thatsachen der Vererbung, wie wir sie bei den Organismen mit geschlechtlicher Fortpflanzung beobachten.
Solange man noch in der irrigen Vorstellung befangen war, die Befruchtung des Eies durch den Samen beruhe auf einer Aura seminalis, welche dem Ei den Anstoss zu seiner Entwickelung ertheile, konnte man die Vererbungsthatsache, dass nicht nur die Mutter, sondern auch der Vater seine Eigen - schaften auf die Kinder übertragen könne, nur dadurch halb - wegs verständlich machen, dass man einen Spiritus Rector an - nahm, der in der Aura seminalis enthalten sich auf das Ei übertrug und dort mit dem im Ei schon enthaltenen vereinigte, um gemeinsam die Entwickelung zu leiten. Erst die Ent - deckung, dass materielle Substanztheilchen des Samens die Be - fruchtung bewirken, die Samenzellen, welche ins Ei eindringen, eröffnete einer richtigeren Auffassung die Bahn. Heute wissen wir, dass die Befruchtung nichts Anderes ist, als die theilweise oder völlige Verschmelzung zweier Zellen, der Samenzelle und der Eizelle, und dass normalerweise stets nur eine Samenzelle sich mit einer Eizelle vereinigt. Demnach beruht die Be - fruchtung in der Vereinigung zweier protoplasmatischer Sub -31 stanzen, und da nun einerseits die männliche Keimzelle stets sehr viel kleiner und geringer an Masse ist, als die weibliche, andrerseits aber die Vererbungskraft des Vaters erfahrungs - gemäss ebenso gross sein kann, wie die der Mutter, so muss daraus der wichtige Schluss gezogen werden, dass jedenfalls nur ein kleiner Theil der Substanz des Eies eigentliche Ver - erbungssubstanz sein kann. Pflüger und Nägeli haben diesen Gedankengang zuerst geltend gemacht, und der Letztere genauer ausgeführt, dass man der Annahme nicht ausweichen kann, es sei in der weiblichen Keimzelle, dem Ei, nicht mehr Vererbungssubstanz enthalten, als in der männlichen, folglich nur eine ganz minimale Menge. Denn die Samenzelle ist in den meisten Fällen hundert und tausend Mal kleiner als die Eizelle.
Es ist aber durch die zahlreichen und wichtigen Ergeb - nisse der Forschung so vieler ausgezeichneter Beobachter über den Befruchtungsvorgang nahezu, oder — wie ich glaube — ganz sichergestellt worden, dass nicht nur der bei Weitem grösste Theil der Eizelle keine Vererbungssubstanz ist, sondern dass auch nur ein kleiner Theil der Spermazelle aus dieser be - steht. Schon O. Hertwig hatte nach seinen Beobachtungen am Seestern-Ei das Wesentliche des Befruchtungsvorganges in der Vereinigung der Kerne der Ei - und Samenzelle vermuthet und diese Auffassung hat sich wenigstens insoweit als richtig bestätigt, als die Vererbungssubstanz zweifellos im Kern ent - halten ist. Allerdings wird in keinem Falle lediglich der Kern ohne jede Zugabe von Zellkörper bei der Befruchtung von Seiten des männlichen Theiles übertragen, wie man nach früheren Beobachtungen von Strasburger an höheren Pflanzen eine Zeit lang glauben musste. Jetzt wissen wir durch die Unter - suchungen von Guignard, dass auch bei den Phanerogamen ein kleiner Zellkörper den befruchtenden Kern umgiebt und32 dass in ihm ein eigenthümliches Organ enthalten ist, das Cen - trosoma, welches für den Eintritt der Entwickelung unentbehr - lich ist. Ich werde später noch auf dasselbe näher zu sprechen kommen; soviel aber möchte ich hier schon sagen, dass dieses Centrosoma mit seiner sog. „ Attractionssphäre “in jedem Falle keine Vererbungssubstanz sein kann, sondern dass es blos der „ Theilungsapparat “der Zelle und des Kerns ist.
Was aber im Kern der Samenzelle enthalten ist, ist nicht nur bei allen Pflanzen, sondern auch bei allen Thieren im Wesentlichen dasselbe, nämlich die Vererbungssubstanz der betreffenden Art, dasselbe, was auch im Kern der Eizelle ent - halten ist, denn es kann heute kein Zweifel mehr darüber sein, dass die von Strasburger und mir schon seit Jahren ver - tretene Auffassung die richtige ist, nach welcher auch die Kerne der männlichen und die der weiblichen Ge - schlechtszellen im Wesentlichen gleich sind, d. h. bei ein und derselben Art dieselbe Vererbungssubstanz der Species enthalten.
Die vortrefflichen Untersuchungen von Auerbach, Bütschli, Flemming und so vielen Andern über die intimen Vorgänge bei der Kerntheilung im Allgemeinen und anderseits besonders die wichtigen Beobachtungen von Beneden’s, Boveri’s und Andern über die Befruchtung des Ascariden-Eies, haben uns die Mittel an die Hand gegeben, mit Sicherheit noch genauer zu bestimmen, welcher Theil des Kerns die Substanz ist, an der die Vererbung hängt. Wie oben schon erwähnt, sind es jene „ Chromosomen “, stark mit Farbstoffen färbbare Körperchen im Innern des Kerns von Stäbchen -, Schleifen - oder Kügelchen - Gestalt.
Sobald es erst gelungen war, zu schliessen, dass nicht der Zellkörper, sondern nur der Kern die Vererbungssubstanz ent - halten müsse, war es auch gegeben, dass weder die Membran33 des Kerns, noch dessen flüssiger Inhalt, noch die die Auf - merksamkeit zuerst auf sich ablenkenden Kernkörperchen (Nuc - leolen) als solche angesehen werden können, sondern einzig und allein jene „ Chromatinkörner “. In der That haben denn auch kurz nach einander und auf denselben Daten fussend, mehrere Forscher diesen Schluss gezogen, so Strasburger, O. Hertwig, ich selbst und Kölliker.
Es ist nicht uninteressant und nicht überflüssig, sich die Gründe, welche zu diesem Schluss drängen und damit zugleich die zwingende Kraft, welche ihnen inne wohnt, hier vorzu - führen, denn es leuchtet ein, dass es für eine Theorie der Ver - erbung von fundamentaler Bedeutung sein muss, darüber Sicher - heit zu haben, welches die Substanz ist, von der die zu er - klärenden Erscheinungen ausgehen.
Die Sicherheit, mit welcher wir gerade die sog. „ Chroma - tinkörper “des Zellkerns als Vererbungssubstanz in Anspruch nehmen können, beruht einmal auf dem Vorgang der Amphi - mixis und zweitens auf dem der Kerntheilung. Wir wissen, dass der Befruchtungsvorgang wesentlich darin besteht, dass Chromatinstäbchen in gleicher Zahl von Seiten der väterlichen und der mütterlichen Keimzelle zusammentreten und einen neuen Kern bilden, von welchem nun die Bildung des kindlichen Organismus ausgeht. Wir wissen auch, dass jede Keimzelle, um zur Befruchtung geeignet zu werden, zuerst der Hälfte seiner Kernstäbchen sich entäussern muss, ein Vorgang, der durch sehr eigenthümliche Theilungen zu Stande kommt. Ohne hier schon näher darauf einzugehen, kann doch die Amphi - mixis als ein Vorgang charakterisirt werden, durch welchen die halbe Zahl der Kernstäbchen einer Keimzelle (der männlichen) entfernt und durch die gleiche Zahl von Kernstäbchen einer andern Keimzelle (der weiblichen) ersetzt wird.
Weismann, Das Keimplasma. 334Aber auch die Art und Weise, wie die Chromatinsubstanz bei der Kerntheilung getheilt wird, bestärkt die Ansicht von ihrer fundamentalen Natur. Dieser Theilungsmodus lässt keinen Zweifel darüber, dass es sich um eine Substanz von der aller - grössten Wichtigkeit handelt. Ich will nur kurz an die Haupt - momente des wunderbar complicirten und bis ins Feinste hinein regulirten Vorgangs der sog. mitotischen Kerntheilung erinnern.
Wenn der Kern einer Zelle zur Theilung schreitet, so sammeln sich zunächst die bisher zerstreuten Chromatinkörnchen, indem sie sich aneinanderreihen und einen langen Faden bilden, der in unregelmässigen Spiralwindungen den Kernraum durch - zieht und der sich dann in ziemlich gleich lange Stücke theilt: die Chromosomen. Diese erscheinen meist zuerst in Form langer Bänder oder Schleifen, verkürzen sich aber dann und werden so zu kurzen Schleifen, oder auch zu geraden Stäbchen oder kugeligen Körnern. Die Zahl der auf diese Weise her - vortretenden Chromosomen ist bei einer Thier - oder Pflanzen - art immer dieselbe, später zu erwähnende Ausnahmen abge - rechnet, und ist also auch die gleiche, die sie nach der Ent - stehung der gerade beobachteten Zelle gewesen ist.
Wenn der Vorgang soweit vorgeschritten ist, so hat sich bereits ein besonderer, grossentheils im Zellkörper bisher verborgen gewesener Apparat entfaltet, der dazu bestimmt ist, die eben be - zeichneten Chromatin-Elemente in zwei gleiche Hälften zu theilen und diese Hälften in gesetzmässiger Weise von einander zu ent - fernen und zu lagern. Es werden nämlich an den beiden ent - gegengesetzten Polen der Längsachse des Kernes zwei früher schon vorhandene helle Körperchen sichtbar, die „ Centrosomen “, um - geben von einer hellen Zone, der sogen. „ Attractionssphäre “, die in ihrer Bedeutung von Fol, van Beneden und Boveri zuerst erkannt wurden. Sie entwickeln zu Zeiten eine An - ziehungskraft auf die Lebenstheilchen der Zelle, so dass diese35
Schema der Kerntheilung. A Zelle mit Kern n und Centrosoma cs in Vorbereitung zur Theilung; die chromatische Sub - stanz hat sich zu einem spiralig verschlungenen Faden verdichtet chr. B. Die Kernmembran hat sich aufgelöst; von den Centrosomen strahlen blasse Fäden aus und bilden die sogen. „ Spindelfigur “, in deren Äquator acht Chromosomen oder Kernschleifen chr liegen, die sich durch Theilung des spiraligen Chromatinfadens von Figur A gebildet haben. C. Die Chromosomen haben sich verdoppelt durch Längsspaltung und werden jetzt durch die Spindelfäden auseinander gezogen (es sind nur vier von den acht sich spaltenden Schleifen der Deutlichkeit halber eingezeichnet). D. Die Tochterschleifen rücken gegen die Pole der Spindelfigur. E. Der Zellkörper hat sich getheilt; jeder enthält ein Centrosoma und acht Kernschleifen.
3*36sich wie die Strahlen einer Sonne um sie anordnen. Auf einem bestimmten Stadium der Theilungs-Vorbereitung formt sich sogar die weiche protoplasmatische Substanz des Zellkörpers, wie des Kernes zu wirklichen feinen Fäden. Diese Fäden sind beweglich und ergreifen nach Auflösung der Kernmembran mit wunderbarer Sicherheit und Regelmässigkeit die Chromo - somen, seien sie nun Schleifen, Stäbchen oder kugelige Körner, und zwar so, dass ein jedes Element von beiden Polen und von jeder Seite her durch mehrere Fäden gefasst wird. Zu - gleich ordnen sie die Chromatin-Elemente in einer ganz be - stimmten, gesetzmässigen Weise an, nämlich so, dass sie alle in die Äquatorial-Ebene des kugelig gedachten Kernes zu liegen kommen, und nun verdoppeln sich — wie Flemming zuerst gezeigt hat — die Chromatin-Elemente, indem sie sich der Länge nach spalten. Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass diese Spaltung nicht etwa durch einen Zug der von beiden Seiten her sich an das Chromatinstäbchen ansetzenden Spindel - fäden hervorgerufen wird. Die Spaltung erfolgt vielmehr aus innern, im Stäbchen selbst wirkenden Kräften, wie daraus her - vorgeht, dass sie oft schon viel früher sich vorbereitet oder auch wirklich schon erfolgt, als die äquatoriale Anordnung der Ele - mente durch jene Fäden zu Stande kommt.
Die Spaltung vollendet sich, indem die Spalthälften immer weiter auseinander gezogen werden gegen die entgegengesetzten Pole der Kernspindel hin, bis sie schliesslich in die Nähe des Anziehungsmittelpunktes kommen, jenes Centrosoma, welches nun für diesmal seine Rolle ausgespielt hat und in das Dunkel des Zellkörpers, aus dem es hervorgetaucht war, zurücktritt, um erst bei der nächsten Kerntheilung wieder in Thätigkeit zu treten. Die Spalthälften der Chromatin-Elemente aber con - stituiren nun einen Tochterkern, in welchem sie sich alsbald auflösen, d. h. in feinste Körnchen getrennt in jenem zarten37 Netzwerk blasser Fäden zerstreuen, so dass zuletzt wieder ein Kern von ganz ähnlichem Bau zu Stande kommt, wie der war, von dem wir ausgegangen sind. Der Zerstreuungsprocess durch - läuft auch dieselben Phasen, welche der Verdichtungsprocess der Chromatinsubstanz1)Das „ Chromatin “hat seinen Namen von seiner leichten Färb - barkeit mit allen möglichen Farbstoffen; wir wissen aber durchaus nicht, ob diese Färbbarkeit an der chemischen Zusammensetzung dieses Stoffes hängt, oder etwa blos an seiner gewöhnlichen mikroskopischen Structur. Manches spricht für die letztere Ansicht; überhaupt soll mit „ Chromatin “nicht eine einheitliche chemische Verbindung gemeint sein, sondern ein Gemenge chemisch unbekannter Substanzen, von deren Gesammtheit wir nur soviel sicher wissen, dass sie die Vererbungssubstanz ausmachen. im Mutterkern durchlief, als er sich zur Theilung anschickte, nur in umgekehrter Reihenfolge.
Man sieht: der ganze verwickelte, aber höchst präcis ar - beitende Theilungsapparat des Kernes ist lediglich dazu da, die Chromatinsubstanz in einer bestimmten und gesetzmässigen Weise zu theilen, wie Wilhelm Roux zuerst dargethan hat, und zwar nicht nur der Masse nach, sondern nach den in ihm vorauszusetzenden verschiedenen Qualitäten; zu einer blossen Massentheilung wäre ein so verwickelter Apparat nicht nöthig gewesen, wenn aber das Chromatin nicht gleichmässig, sondern aus mehreren oder vielen verschiedenen Qualitäten zusammen - gesetzt ist, von denen jede möglichst genau halbirt oder über - haupt gesetzmässig vertheilt werden sollte, dann könnte ein besserer Apparat dafür nicht ersonnen werden. Wir werden also schon allein durch die Erkenntniss des Theilungsapparates auf die Vorstellung geleitet, dass die Vererbungssubstanz aus verschiedenen Qualitäten zusammengesetzt ist. Zu derselben Vorstellung kommen wir auch von rein theoretischer Seite her, wie später gezeigt werden soll, wenn wir den Vor - gang der Amphimixis in seine Consequenzen verfolgen.
Für jetzt kam es nur darauf an, zu zeigen, dass die com -38 plicirte Theilungsmaschine der Zelle wesentlich nur wegen der Theilung der Chromatinsubstanz des Kernes vorhanden ist, dass diese also unzweifelhaft der wichtigste Theil des Kernes ist. Da nun die Vererbungssubstanz im Kern enthalten ist, so muss das Chromatin die Vererbungssubstanz sein.
Den Widerspruch, welchen de Vries gegen diese Meinung erhoben hat, halte ich nur für einen scheinbaren. Denn es ist nicht behauptet worden, „ dass nur der Kern Träger der erblichen Eigenschaften sei “, wie de Vries meint, sondern, dass nur der Kern die Vererbungssubstanz enthalte, d. h. diejenige Substanz, welche im Stande ist, nicht nur den Charakter der betreffenden Zelle, sondern auch den ihrer Nachkommen zu bestimmen. Diese Substanz aber ist bei Vielzelligen und wohl auch bei Einzelligen niemals im Zell - körper, sondern immer im Kern enthalten. Es mag sein, dass bei gewissen niederen Algen einzelne Zellorgane (Vacuolen, Chlorophyllkörper) direkt von der mütterlichen Eizelle auf ihre Tochterzellen übergehen, obwohl auch dieses keineswegs als erwiesen anzusehen ist. Jedenfalls spielt aber diese direkte Vererbung auch bei Pflanzen nur eine sehr geringfügige Rolle, und bei Thieren wohl gar keine. Denn specifische Organe oder Structuren kommen bei der thierischen Eizelle nicht vor, höchstens Ablagerungen von Nährstoffen. Diese aber sind keine lebendigen Zellorgane, sondern passive chemische Substanzen. De Vries bestreitet auch nicht, dass der Kern die Vererbungssubstanz enthalte, er baut vielmehr seine ganze Theorie auf dieser Basis auf, die in der That auch nicht mehr zu bestreiten ist. Den letzten Zweifel daran mussten die Ver - suche Boveri’s1)Boveri, „ Ein geschlechtlich erzeugter Organismus ohne mütter - liche Eigenschaften “. Gesellsch. f. Morph. u. Physiol. München, 16. Juli 1883. beseitigen, der künstlich kernlos gemachte39 Eier einer Seeigel-Art A mit Samen einer andern Art B über - goss und darauf diese Eier sich zu Larven der Art B entwickeln sah. Hier verhielt sich also der Zellkörper der mütterlichen Keimzelle lediglich als Nährmaterial, welchem die väterliche Keimzelle den Artcharakter aufprägte. Nichts von mütterlichen Art-Merkmalen wurde hier übertragen und eine „ Erblichkeit ausserhalb der Zellkerne “ist für diesen Fall wenigstens aus - geschlossen.
Man hat kürzlich meiner Ansicht vom Sitz der Vererbungs - substanz im Kern Mancherlei entgegengehalten. So wiederholt Verworn1)Max Verworn, „ Die physiologische Bedeutung des Zellkerns “. Bonn 1891. (Arch. f. ges. Phys. Bd. 51.) die früher von Whitman geäusserte Ansicht, nach welcher nicht nur der Kern, sondern ebensosehr der Zellkörper als Vererbungssubstanz zu betrachten wäre, weil der Kern nicht allein für sich leben kann, sondern des Zellkörpers bedarf und weil nach seiner unzweifelhaft richtigen Ansicht das Leben der Zelle auf einer steten Wechselwirkung, einem Stoffaustausch zwischen Zelle und Kern besteht. Ist denn aber die Frage, ob Zelle und Kern in intimsten physiologischen Beziehungen stehen, so dass Eines ohne das Andere nicht leben kann, gleichbedeutend mit der Frage, ob die Vererbungssubstanz im Kern oder im Zellkörper enthalten ist? Zum Mindesten wird also doch wohl die Hypothese erlaubt sein, dass das „ Anlagen-Magazin “der Vererbungssubstanz im Kern eingeschlossen und verwahrt sei, denn an zwei verschiedenen Stätten wird dasselbe schwerlich aufgespeichert sein, da seine richtige Vertheilung — wie wir sehen werden und wie ja schon angedeutet wurde — einen sehr complicirten Theilungs-Apparat voraussetzt, der sicherlich nicht doppelt von der Natur gebildet wurde. Solche Meinungen wie die von der Vertheilung der Vererbungssubstanz auf Zelle und Kern kann man nur so lange hegen, als man den Ver -40 erbungserscheinungen selbst und ihrer Erklärung noch recht ferne steht. Ist man in diese etwas tiefer eingedrungen, so wird man nicht mehr zweifeln, dass der Bau der Vererbungs - substanz ein so verwickelter sein muss, dass wir nur staunen können, wie er dennoch ausführbar war. Wenn wir nun sehen, dass im Kern eine Substanz enthalten ist, welche schon für unser blödes Auge sehr complicirt beschaffen ist, welche in höchst auffälliger Weise sich nach jeder Zelltheilung verändert, um sich bei Herannahen einer neuen Zelltheilung wieder rück - zuverändern; wenn wir weiter sehen, dass offenbar für die genaueste Halbirung dieser Substanz ein besonderer Theilungs - apparat der Zelle beigegeben ist, so ist es kaum mehr eine Hypothese zu nennen, wenn wir sagen: diese Substanz ist die Vererbungssubstanz.
Man hat auch gemeint, der neuerdings durch Fol1)Fol, „ Le quadrille des Centres “. Archiv. sc. phys. et nat. Genève, 15 Avril 1891. und Guignard2)Guignard, „ Sur l’existence des sphères attractives dans les cellules végétales “. Compt. rend. Acad. sc. 9 Mars 1891. gelieferte Nachweis, dass bei der Befruchtung nicht lediglich der Kern, sondern immer auch der dem Zellkörper angehörige Theilungs-Apparat, das Centrosama mit seiner Attractionssphäre übertragen werde, sei ein Beweis gegen die Auffassung der Chromosomen als der Vererbungssubstanz. Wenn ich aber zwei entfernte Haufen Getreide auf zwei Wagen lade, vor jeden Wagen ein Pferd spanne und sie zusammen auf einen Platz führen lasse, liegt darin ein Beweis, dass die Pferde auch Getreide sind? Sie sind Bewegungsmittel, und so sind es auch die Centrosomen; ob diese Letzteren zugleich auch noch etwas Anderes, also Vererbungssubstanz sind, wäre erst noch zu be - weisen und ist wohl kaum unwahrscheinlicher, als dass die Pferde zugleich Korn seien.
41Man könnte aber sagen, dadurch, dass bei der Befruchtung nicht nur die Vererbungssubstanz, d. h. der Anlagen-Vor - rath, sondern auch das Centrosoma, d. h. das Bewegungs - mittel desselben übertragen würde, sei zugleich der Rhythmus der Zelltheilung übertragen, der in diesem Centrosoma seinen Sitz habe und der ja wesentlich die Zellfolge des Kindes be - stimme, folglich auch einen Theil der Vererbung. Ich halte aber auch diese Schlussfolge nicht für richtig und zwar deshalb, weil die Perioden der Thätigkeit des Theilungsapparates offen - bar von den Zuständen der Zelle selbst abhängig sein müssen, diese aber hängen, abgesehen von der Ernährung, vom specifischen feinsten Bau der Zelle ab. Da nun dieser nach meiner Ansicht von der Kernsubstanz der Zelle aufgeprägt wird, so hängt also auch die Periodicität der Zelltheilung von der Kernsubstanz ab. Mir scheint der Satz, dass allein in einem Theil der Kernsubstanz die Vererbungssubstanz zu sehen ist, durch alle neuere Erfahrungen nur um so fester be - gründet zu werden. 1)Manche scheinen geneigt zu sein, in dem von Fol beobachteten Vorgang, den er als „ le quadrille des centres “bezeichnete, einen Hin - weis darauf zu sehen, dass die Centrosomen doch auch eine Art Ver - erbungssubstanz sein müssten oder könnten. Ich glaube aber, was hier vorgeht, ist nichts Anderes, als was bei jeder Kerntheilung geschieht, nur dass es bei der Befruchtung doppelt geschehen muss, weil eben von beiden Seiten je ein Centrosoma dem sich bildenden ersten Furchungs - kern zugeführt wird. Jedes dieser Centrosomen theilt sich und begiebt sich an die beiden Pole der zu bildenden Theilungsspindel, ganz so, wie es thun würde, wenn es allein in der Zelle wäre. Ich würde mich wundern, wenn es nicht so wäre und wenn das Centrosoma der Eizelle an den einen, das der Spermazelle an den andern Pol wanderte. Guignard meint, dass wenn auch der Kern in Bezug auf die Über - tragung der erblichen Eigenschaften eine grosse Bedeutung hätte, man doch „ le rôle primordial dans l’accomplissement de la fécondation “den „ sphères directrices “zugestehen müsse. Insofern damit gemeint ist, dass der Beginn der Embryonalentwickelung, wie jeder Kerntheilung von der
42Es enthalten nun aber nicht blos die beiden Keimzellen und die befruchtete Eizelle Chromatinsubstanz in ihrem Kern, sondern alle Zellen des gesammten Organismus in jeder Phase seiner Entwickelung, wenigstens solange sie noch vermehrungs - fähig und lebenskräftig sind. Das Chromatin aller Zellen des Körpers aber stammt von dem der befruchteten Eizelle ab, in - dem ja der Aufbau des Körpers aus der Eizelle durch eine Reihe von Zelltheilungen zu Stande kommt, deren jede eine Kerntheilung nach dem soeben geschilderten Modus einschliesst. Während der Ontogenese wird also das Chromatin des ersten Kernes fort und fort von Neuem seiner Masse nach halbirt und es würde sehr bald auch für unsere besten Mikroskope ver - schwindend klein werden, wenn es nicht ebenso, wie die Zell - körper fortwährend wüchse. Es geschieht dies ebensowohl bei den zahlreichen thierischen Eiern, welchen während der Ent - wickelung des Embryo kein Nährmaterial zugeführt wird, als bei jenen, welche von Anfang an ernährt werden, oder bei den Pflanzen, bei welchen auch meistens die selbständige Ernäh - rung schon früh beginnt. Die Chromatin - oder Vererbungs - substanz des befruchteten Eies geht also einen langen und ver - wickelten Wachsthumsprocess ein, der erst dann endet, wenn keine neuen Zellen, sei es zur Bildung neuer Theile, sei es zum Ersatz zu Grunde gegangener alter mehr hervorgebracht werden, mit andern Worten: am Ende des individuellen Lebens. Diese wachsende Vererbungssubstanz lässt sich einem Baume vergleichen, dessen Äste streng dichotomisch gegliedert sind, nur dass der Chromatinbaum nicht aus einem Gusse ist, sondern aus lauter einzelnen, nicht direkt aneinander stossenden Theilchen besteht. Denn bei jeder Zelltheilung scheiden sich1)Anwesenheit des Theilungsapparates der Zelle abhängt, ist dies richtig; dass aber das Wesen des Befruchtungsvorgangs in der Vereinigung zweier Kernsubstanzen liegt, wird dadurch nicht widerlegt oder geändert.43 die beiden Hälften der Chromatinstäbchen, um von nun an nie wieder in einem Kern zusammenzutreffen; jede kommt in einen besonderen Kern zu liegen und jeder Kern wird durch einen besonderen Zellkörper von dem andern getrennt. Es fragt sich nun, ob alle diese Stückchen der Vererbungssubstanz, welche den Chromatinbaum eines Organismus zusammensetzen, untereinander gleich oder aber verschieden sind, und es lässt sich leicht zeigen, dass das Letztere der Fall sein muss.
Wir fussen auf der sichergestellten Annahme, dass das Chromatin im Kern des befruchteten Eies diejenige Substanz ist, welche die Vererbung bewirkt. Wir wissen, dass an der winzigen Masse einiger Chromatinkörnchen im Kern z. B. der Samenzelle die Möglichkeit hängt, dass der sich entwickelnde Organismus dem Vater in tausenderlei physischen und geistigen Eigenschaften ähnlich wird. Da wir nun andrerseits auch wissen, dass die Eigenschaften eines fertigen Organismus im Grossen, wie im Kleinsten von der Anordnung, Zahl und Be - schaffenheit der Zellen abhängt, die ihn zusammensetzen, so kann der Einfluss, den die winzige Menge von väterlichem Chromatin im Kern der befruchteten Eizelle auf den Gang der Entwickelung ausübt, kein anderer sein, als dass durch sie das Wesen und der Vermehrungsrhythmus der kindlichen Körper - zellen derart bestimmt wird, dass sie den Zellen des väterlichen Körpers ähnlich werden. Das Chromatin ist also im Stande, der Zelle, in deren Kern es liegt, einen speci - fischen Charakter aufzudrücken. Da nun die Tausende von Zellen, welche den Organismus zusammensetzen, einen sehr verschiedenen Charakter besitzen, so kann das Chromatin, welches sie beherrscht, nicht das gleiche, es muss viel - mehr in jeder Art von Zellen ein verschiedenes sein.
Auch kann dasselbe nicht erst in den Zellen des fertigen Organismus verschieden werden, sondern die Verschiedenheit44 des die Zellen beherrschenden Chromatins muss mit der Ent - wickelung der Eizelle beginnen und fortschreiten, andernfalls könnten nicht die verschiedenen Theilungsprodukte der Eizelle ganz verschiedene Entwickelungstendenzen enthalten. Dies ist aber der Fall. Schon die beiden ersten Tochterzellen, welche der Theilung der Eizelle ihren Ursprung verdanken, werden bei vielen Thieren zu völlig verschiedenen Theilen. Die eine bildet aus sich durch fortgesetzte Zelltheilung das äussere Keimblatt und später alle die Organe, welche aus diesem hervorgehen, wie Haut, centrales Nervensystem und Sinneszellen, die andere entwickelt sich zum innern Keimblatt und den aus diesem entstehenden Organen, dem Darm, gewissen Drüsen u. s. w. Der Schluss ist unvermeidlich, dass auch das diese Entwicke - lungstendenzen bestimmende Chromatin in beiden Tochterzellen verschieden sei.
Ebenso muss es auf allen folgenden Stadien der Ontogenese sich verhalten: in dem Maasse, als die Entwickelungstendenzen der aus der Theilung der Eizelle hervorgehenden Zellen ver - schieden sind, muss auch die Chromatinsubstanz ihrer Kerne verschieden sein. Die Ontogenese oder Entwickelung des Individuums beruht demnach auf einer Reihe stufenweiser Qualitäts-Änderungen der Kernsubstanz der Eizelle.
Die Grundzüge der eben kurz entwickelten Ansicht habe ich schon vor längeren Jahren dargelegt und damals schon auf diese in den Chromatinkörpern der Zellkerne enthaltene, die gesammte Zelle in ihrem Wesen bestimmende Substanz mit den Namen übertragen, welchen zuerst Nägeli in einem etwas andern Sinn in die Wissenschaft eingeführt hat, den des Idio - plasma’s. Unabhängig von mir hat auch O. Hertwig das - selbe gethan. Wie im ersten Abschnitt schon erwähnt, ver - stand Nägeli unter der Bezeichnung des Idioplasma’s oder45 „ Anlagenplasma “die leitende und bestimmende Substanz des Körpers im Gegensatz zu dem mehr passiven und bestimmbaren „ Nährplasma “oder Trophoplasma. Ob die letztere Bezeichnung beizubehalten ist, darf wohl bezweifelt werden, die erstere aber ist ohne Zweifel eine glücklich gewählte. Allerdings hat Nägeli noch keine bestimmte, mit dem Mikroskop wahrnehm - bare Substanz als das erschlossene Idioplasma bezeichnet, da ihm die Thatsachen der Kerntheilung und der Befruchtung, wie wir sie heute kennen, noch unbekannt gewesen waren. Aber diese Thatsachen sind so zwingend, dass ein Zweifel darüber, was als Idioplasma zu betrachten sei, heute nicht mehr möglich sein sollte, also auch die Vorstellung Nägeli’s von einem netz - förmig zusammenhängenden, alle Zellkörper des Organismus durchsetzenden und verbindenden Idioplasma’s als aufgegeben betrachtet werden darf. Wir sind deshalb wohl gerechtfertigt, wenn wir seine Bezeichnung auf die die Zelle bestimmende Kernsubstanz übertragen.
Wir verstehen also unter Idioplasma die bestimmende Kern - substanz irgend einer Zelle. Diese ist zugleich Vererbungs - substanz, weil sie niemals neu entsteht, sondern immer von dem Idioplasma einer anderen Zelle abstammt, und weil sie ferner nicht blos die aktuellen Eigenschaften der betreffenden Zelle bestimmt, sondern zugleich auch diejenigen aller ihrer Nachkommen.
Eine Verschiedenheit des Idioplasma’s werden wir also nicht blos da annehmen müssen, wo uns zwei in Bau und Funk - tion verschiedene Zellen vorliegen, sondern auch überall da, wo wir wissen, dass verschiedene Anlagen in zwei Zellen ent - halten sind. Dies ist oft vergessen worden, wenn man schlecht - hin von „ Embryonalzellen “sprach als von gleichwerthigen Ele - menten, „ aus denen noch Alles werden kann “, einfach weil die - selben häufig sehr ähnlich aussehen und in der Meinung, sie46 müssten deshalb auch innerlich gleich sein. Allerdings sieht auch das Idioplasma solcher Zellen gleich aus, oder wir können wenigstens keine bestimm - und deutbaren Unterschiede an den Chromatinstäbchen zweier Zellen desselben Thieres erkennen. Darin kann aber so wenig ein Grund gegen die Annahme einer innern Verschiedenheit liegen, als etwa in der vollkommen äussern Ähnlichkeit zweier Hühnereier ein genügender Grund dafür liegt, dass auch zwei identische Hühnchen aus ihnen aus - schlüpfen müssten. Sie können von zwei verschiedenen Müttern herrühren, oder von verschiedenen Hähnen befruchtet worden sein. Wir sehen eben die feinen Unterschiede nicht, hier wie dort, und wir würden sie auch dann nicht sehen, wenn wir die im Zellkern verborgenen Idioplasmen der beiden Eier mit unseren schärfsten Systemen zu analysiren suchten. Theoretische Erwägungen werden später zeigen, dass es nicht anders sein kann, dass die Einheiten des Idioplasma’s, welche dessen Wesen bedingen, viel zu zahlreich und deshalb eben auch viel zu klein sein müssen, als dass sie noch gesehen werden könnten.
Wenn deshalb bei der Karyokinese die beiden Hälften, in welche sich die Chromatinstäbchen theilen, auch ganz gleich aussehen, ja wenn selbst die Theilhälften der kleinen Kügelchen (Mikrosomen), aus welchen die Stäbchen häufig sichtbarlich be - stehen, vollkommen sich gleichen, so liegt darin doch kein Grund, weshalb sie nicht ebensowohl auch ungleich in ihrem Wesen sein könnten. In vielen Fällen wird das Eine, in vielen andern Fällen das Andere stattfinden. Man wird somit nach dieser Richtung zwei äusserlich ununterscheidbare Arten von Kerntheilung annehmen dürfen: eine solche, bei welcher die beiden Tochterkerne gleichartiges Idioplasma erhalten, und eine andere, bei der sie verschiedenes Idioplasma erhalten, eine Ho - moiokinesis und eine Heterokinesis, oder erbgleiche und erbungleiche Theilung. Die erstere wird auf einer ganz gleich -47 mässigen Vertheilung der „ Anlagen “auf beide Stäbchenhälften beruhen müssen, der somit eine Verdoppelung durch Wachs - thum vorhergegangen sein wird; bei der Letzteren wird dieses Wachsthum mit einer ungleichen Gruppirung der Anlagen ver - bunden sein.
Wenn wir auch über die Kräfte, welche diese Spaltung her - vorbringen, direkt Nichts erfahren können, so darf doch so Viel behauptet werden, dass dieselben in der Substanz der Stäbchen selbst liegen müssen und dass sie zusammenhängen müssen mit der Qualitätenbildung des Idioplasma’s selbst, da sonst bei Qualitätsänderung während der Kerntheilung nicht abzusehen wäre, wieso sich diese Qualitäten scharf getrennt in die beiden Spalthälften zusammenordneten. Und doch muss dies der Fall sein, wenn überhaupt differente Zellen mit verschiednem Idioplasma aus einer Mutterzelle hervorgehen können, woran ja nicht zu zweifeln.
Ich stelle mir also die gesetzmässigen ontogenetischen Ver - änderungen des Idioplasma’s, wie sie mit der Theilung der Ei - zelle beginnen und mit dem natürlichen Tod des Organismus ihr Ende finden, derart vor, dass sie auf rein innern, d. h. in der physischen Natur des Idioplasma’s liegenden Ursachen be - ruhen und zwar so, dass mit jeder Qualitätsänderung des Idio - plasma’s auch eine Kerntheilung einhergeht, bei welcher die differenten Qualitäten sich in die beiden Spalthälften der Chro - matinstäbchen auseinanderlegen. Ich bezeichne die verschiednen auf diese Weise entstehenden Idioplasma-Arten als die onto - genetischen Stufen des Idioplasma’s, oder abgekürzt als die Onto-Idstufen.
Vererbungssubstanz in der vollen Bedeutung des Wortes, d. h. diejenige Substanz, welche sämmtliche Anlagen für den ganzen Organismus enthält, ist nur das Idioplasma der Keim - zelle und es empfiehlt sich aus praktischen Gründen, diese erste48 Ondo-Idstufe mit dem kurzen Namen des Keimplasma’s zu bezeichnen, den ich dafür schon zu einer Zeit vorschlug, zu welcher der Begriff des Idioplasma noch nicht aufgestellt worden war. Ich verstand damals unter „ Keimplasma “die Vererbungs - substanz der entwickelungsfähigen Keimzelle, ohne noch über deren Lagerung oder Beschaffenheit Etwas auszusagen. Wir dürfen jetzt sagen: Keimplasma ist die erste ontogene - tische Stufe des Idioplasma’s einer Thier - oder Pflanzen - art, mag dasselbe nun im Kern einer geschlechtlich differen - zirten oder in dem einer nicht geschlechtlich differenzirten Zelle enthalten sein.
Es fragt sich nun zunächst, welche Vorstellung wir uns von dem Bau und der Beschaffenheit des Keimplasma’s und der aus ihm hervorgehenden ontogenetischen Idioplasma - stufen oder Onto-Idstufen machen können.
Nachdem der Begriff des Keimplasma’s als der in den Keim - zellen enthaltenen Vererbungssubstanz festgestellt und im All - gemeinen gezeigt wurde, dass diese Art des Idioplasma’s während der Ontogenese sich verändern und in die Idioplasmen der Zellen verwandeln muss, welche den fertigen Organismus zusammensetzen, muss nun zunächst versucht werden, irgend eine Anschauung über dessen Beschaffenheit zu gewinnen. Ohne eine solche wäre eine Theorie der Vererbung nicht möglich. Wir werden dabei zunächst ganz von der Complication, wie sie durch die geschlechtliche Fortpflanzung gesetzt wird, absehen und ein Keimplasma annehmen, in welchem nicht die Anlagen zweier Eltern enthalten sind, sondern nur die eines einzigen, ein Keimplasma also, welches so beschaffen ist, wie es bei Arten sein müsste, welche sich von jeher nur auf ungeschlechtlichem Wege fortgepflanzt hätten.
Wenn ich nun den Versuch wage, über die Zusammen - setzung des Keimplasma’s Etwas auszusagen und daraus die Er - scheinungen der Vererbung abzuleiten, so möchte ich voraus - schicken, dass es nicht etwa meine Absicht ist, damit eine Er - klärung des Lebens zu versuchen. Man muss unterscheidenWeismann, Das Keimplasma. 450zwischen einer Theorie des Lebens und einer solchen der Ver - erbung. De Vries hat sehr gut hervorgehoben, wie zwar die Erstere für jetzt unmöglich ist, wie es aber keineswegs un - möglich erscheint zu einer befriedigenden Erklärung der Ver - erbungserscheinungen zu gelangen, wenn man die Grunderschei - nungen des Lebens, Ernährung, Assimilation, Wachsthum als gegeben annimmt.
Diese Funktionen, nebst den ihnen associirten der Empfindung und Bewegung hängen bei allen uns genauer bekannten Organismen von dem einfachsten Einzelligen bis zu den höchsten Pflanzen und Thieren hinauf mindestens an zwei verschiedenen Sub - stanzen, an dem „ Anlagenplasma “oder „ Idioplasma “des Kerns, eben dem Vererbungsplasma im weiteren Sinne und an dem Protoplasma des Zellkörpers. Beide sind verschieden in ihren Wirkungen, beide stimmen aber darin überein, dass sie lebende Substanz sind, d. h. dass sie die Grundkräfte des Lebens in sich entwickeln: Ernährung und Wachsthum. Da das Wort „ Proto - plasma “in allzu unbestimmtem Sinne gebraucht wird, will ich nach dem Vorgang von Nägeli die lebende Substanz des Zell - körpers als „ Gestaltungsplasma “oder Morphoplasma (Nägeli’s Trophoplasma) dem Anlagenplasma oder Idioplasma gegen - überstellen. Das Letztere ist das aktive, gestaltende Element, das Erstere das passive, gestaltete. Da wir heute wissen, dass das „ Anlagenplasma “nur im Kern seinen Sitz hat, so können wir den, allen Theilen des Organismus ihre Gestalt gebenden Zellkörper nicht als blosses „ Nährplasma “auffassen.
Beide Formen der lebenden Substanz zusammen kann man in der hergebrachten Bezeichnung „ Protoplasma “zusammen - fassen, und es fragt sich nun zunächst, wie wir uns die feinere Constitution desselben zu denken haben. Häufig, ja bis in die jüngste Zeit ganz allgemein ist das „ Protoplasma “als eine „ Eiweiss-Modifikation “aufgefasst worden. Brücke hat aber51 schon vor geraumer Zeit betont, dass das Eiweiss die Fähigkeit der Assimilation nicht besitze, also nicht lebe, und die physio - logische Chemie hat nachgewiesen, dass neben dem Eiweiss noch andere Stoffe aus dem Protoplama erhalten werden, von denen nicht ohne Weiteres angenommen werden darf, dass sie bedeutungslos sind. Allerdings sind sie, z. B. die Schwefel - und Phosphorverbindungen, nur in verhältnissmässig geringer Menge im Protoplasma vorhanden, aber daraus kann nicht auf geringe Bedeutung geschlossen werden. Jedenfalls wird man schon deshalb nicht sagen dürfen, Protoplasma sei eine Eiweiss-Modification, weil wir nur todtes Protoplasma chemisch untersuchen können, d. h. ein solches, welches gerade seine wichtigsten Eigenschaften verloren, folglich sich in einer für uns nicht weiter zu ergründenden Weise verändert hat. De Vries drückt dies dahin aus, Protoplasma sei überhaupt kein chemischer, sondern ein morphologischer Begriff. Das heisst: es besteht nicht blos aus einem ungeordneten Haufen irgend welcher chemischen Moleküle, sondern aus morphologischen Einheiten, welche ihrerseits erst wieder aus Molekülen zusammen - gesetzt sind, oder wie Brücke es zuerst ausgedrückt hat, das Protoplasma ist „ organisirt “. Herbert Spencer und neuer - dings de Vries und Wiesner haben solche Einheiten an - genommen, wie in der historischen Einleitung bereits gezeigt wurde.
De Vries hebt noch hervor, dass das Protoplasma ausser seinen physikalischen und chemischen Merkmalen noch gewisse „ historische “Eigenschaften besitze. Man wird gewiss mit de Vries bezweifeln dürfen, dass es jemals gelingen werde, „ lebendes Protoplasma auf anderm als auf phylogenetischem Wege “ent - stehen zu lassen, d. h. also: künstlich im Laboratorium zu machen, aber man wird nicht zugeben können, dass dies des - halb so unwahrscheinlich sei, weil der Begriff des Protoplasma’s4*52verlange, dass es von schon vorhandenem Protoplasma abstamme. Damit wäre der logisch unvermeidlichen und unentbehrlichen Urzeugung der Weg für immer verlegt nicht nur in unserm Laboratorium, sondern auch im grossen Laboratorium der Natur. Zweifellos besitzen die meisten Protoplasma-Arten, ver - muthlich sogar alle, die wir kennen, auch „ historische “Eigen - schaften nicht neben, aber doch in ihren physikalisch - chemischen; d. h. sie enthalten specielle, ihnen eigenthümliche Modificationen der Zusammensetzung, welche in Anpassung an die Lebensbedingungen entstanden und durch lange Zeit - räume hindurch weiter vererbt worden sind. Allein undenk - bar scheint mir doch ein Protoplasma nicht welches „ historische “, d. h. ererbte Eigenschaften noch nicht besässe. Dieses wäre dann die einfachste Form der lebenden Substanz, das einfache Ur-Protoplasma, welches vermöge seiner physischen Beschaffen - heit die Grundkräfte des Lebens: Assimilation, Stoffwechsel u. s. w. in sich enthielte. Die historischen Eigenschaften des Protoplasma’s, die speciellen Vererbungstendenzen, berühren diese Grundkräfte des Lebens nicht, dieselben müssen unabhängig von ihnen in jedem Protoplasma vorhanden sein.
Die Einheiten nun, welche die Lebenskräfte des Proto - plasma’s bedingen, können, wie Alle1)Es sind dies: Brücke, Herbert Spencer, de Vries und Wiesner. hervorhoben, die solche Einheiten annahmen, nicht die chemischen Moleküle sein, da diese erfahrungsgemäss nicht die Fähigkeit der Assimilation und Vermehrung besitzen. Daraus folgt schon, dass das Proto - plasma ein zusammengesetzter Körper ist, der nicht aus gleich - artigen, sondern aus verschiedenartigen Molekülen besteht. Es giebt also keine Protoplasma-Moleküle, sondern wir haben uns zu denken, dass das Protoplasma in allen, auch den einfachsten Modificationen aus Molekülgruppen besteht, deren jede sich53 aus verschiedenartigen chemischen Molekülen zusammensetzt. Ich bezeichne diese Einheiten als Lebensträger oder „ Bio - phoren “, weil sie die kleinsten Einheiten sind, an welchen die Grundkräfte des Lebens zu Tage treten: Assimilation und Stoffwechsel, Wachsthum und Vermehrung durch Theilung.
Wir können ihre chemische Zusammensetzung zwar nicht im Genaueren angeben, da lebendes Protoplasma der chemi - schen Analyse nicht unterworfen werden kann, allein das, was bis jetzt durch Analyse des todten Protoplasma’s festgestellt ist, weist mit Sicherheit darauf hin, dass nicht, wie man meist angenommen hat, die Eiweisskörper allein die Lebensträger sind, sondern dass, wie Hoppe-Seyler und Baumann schon hervorgehoben haben, neben ihnen im lebenden Protoplasma noch andere Substanzen eine nicht minder wichtige Rolle spielen. Im todten Protoplasma kommen bekanntlich neben den Eiweiss - stoffen noch phosphorhaltige Verbindungen, wie Lecithin und Nuclein vor, welche dem Eiweiss chemisch nicht verwandt sind, sondern mit ihm Verbindungen eingehen, dann Cholesterin, vermuthlich ein Zerfallprodukt des Stoffwechsels, ferner Kohlen - hydrate wie Glykogen, Stärkemehl, Inulin und Dextrin, schliess - lich Kaliumverbindungen. 1)Vergleiche: Hoppe-Seyler, „ Allgemeine Biologie “, Berlin 1877, p. 75 (Theil I des Lehrbuchs der „ Physiologischen Chemie “)Wenn wir auch heute noch nicht errathen können, aus welchen chemischen Verbindungen des lebenden Protoplasma’s diese Körper sich abgespaltet haben, so kann es doch keinem Zweifel unterliegen, dass „ eine Beziehung derselben zu den Lebensvorgängen besteht “(Hoppe-Seyler) und dass nicht blos Eiweiss oder verschiedene Eiweissarten die Processe des Lebens zu Stande bringen, sondern dass dazu noch verschiedene andere chemische Körper, Salze, phosphorhaltige und andere Verbindungen, vor Allem auch Wasser ebenso noth -54 wendig sind, kurz, dass das Leben eben gerade an dem Auf - einanderwirken chemisch verschiedenartiger, aber in gewissen Grenzen bestimmter Moleküle beruht.
Nicht ohne längeres Bedenken habe ich mich entschlossen, eine solche die Lebenserscheinungen bedingende Gruppe von Molekülen mit dem besondern Namen des Biophor’s zu be - legen, allein es schien schliesslich doch durchaus geboten, weil die verschiedenen, von Andern früher schon eingeführten Be - zeichnungen für solche kleinste Einheiten des Lebens entweder zu unbestimmt gelassen wurden, um mit ihnen identificirt wer - den zu können, oder aber zwar genauer bestimmt wurden, aber in anderer Weise. Es wäre aber sicherlich verkehrt, einen schon eingeführten Namen in anderem Sinne zu gebrauchen. Den Biophoren ähnliche Einheiten sind schon die „ physiologischen Einheiten “von Herbert Spencer1)H. Spencer, „ Die Principien der Biologie “, übersetzt von Vetter. Stuttgart 1876. Bd. I, p. 198., von welchen er sagt, dass sie zwischen den chemischen Einheiten (Molekülen) und den morphologischen Einheiten (Zellen) ihren Sitz haben müssten; aber er überträgt denselben eine ganz andere Rolle bei der Ver - erbung, als ich sie meinen Biophoren zuerkenne. — Unter dem von Elsberg2)Louis Elsberg, „ Regeneration, or the preservation of organic molecules; a contribution to the doctrine of evolution. Proceed. Assoc. for the Advancement of Science, Hartford Meeting, August 1874. eingeführten Namen des „ Plastidul’s “versteht Häckel3)Ernst Häckel, „ Die Perigenesis der Plastidule “, Berlin 1876. die hypothetischen kleinsten Theilchen, welche das „ Protoplasma “zusammensetzen; er stellt sie den „ Molekülen “der anorganischen Materie gleich, theilt ihnen aber, im Gegen - satz zu anorganischen Molekülen „ die Lebenseigenschaften “zu. Freilich folgt gerade aus dieser Zutheilung, wie de Vries sehr richtig bemerkt, dass die Plastidule Häckel’s eben keine Mole - küle im Sinne der Physik sind, sondern „ sich von ihnen gerade55 durch die Lebenseigenschaften unterscheiden “. Das Nägeli’sche Micell durfte ich ebensowenig wählen, da es sich sowohl in seiner Zusammensetzung, als in seinen Eigenschaften wesentlich vom Biophor unterscheidet. Es wird definirt als „ mikrosko - pisch unsichtbares, aus einer grösseren oder kleineren Zahl von Molekülen bestehendes Kryställchen, von denen jedes im imbi - birten Zustande mit einer Wasserhülle umgeben ist. “ 1)Carl Nägeli, „ Mechanisch-physiologische Theorie der Ab - stammungslehre “, München und Leipzig 1884, p. 35.Nägeli nimmt bei Gelegenheit einer Berechnung der absoluten Grösse seiner Micelle an, dass es zwar aus 100, aber auch aus nur einem „ Eiweiss-Molekül “bestehen können. Wir haben es also hier, wie bei Häckel’s Plastidulen, mit einer Lebenseinheit zu thun, deren Lebenseigenschaft nicht auf einer eigenthümlichen Gruppirung mehrerer oder vieler verschiedenartiger Moleküle beruht. Allerdings macht Nägeli an einer andern Stelle seines Buches (p. 63) auf die schwankende chemische Zusammensetzung der Albuminate aufmerksam, soweit wir dieselbe aus Analysen ersehen können und hält es — gewiss mit Recht — für äusserst wahrscheinlich, „ dass es verschiedene Eiweissmoleküle gebe, die durch den ungleichen Wasserstoff - und Sauerstoffgehalt “u. s. w. „ von einander abweichen “. Dies führt ihn dann zu der weiteren Annahme, „ dass die Micelle der Albuminate aus einem Gemenge von zwei oder mehreren verschiedenartigen Eiweiss-Molekülen “bestehen. In jedem Albuminat wären die verschiedenartigen Eiweiss-Moleküle in eigenthümlichen Verhältnissen gemengt, in jedem wären ferner eigenthümliche Mengen von Phosphaten, von Magnesia - und Kalksalzen u. s. w. enthalten. Diese Vor - stellung verträgt sich nun wohl kaum mit der Vorstellung von der „ Krystall “- Natur des Micells, denn Krystalle sind eben ge - rade keine „ Gemenge “, sondern chemisch reine Körper, aber abgesehen davon würde man irren, wollte man aus dieser Stelle56 schliessen, dass Nägeli die Lebenseigenschaften seines Micells von dem Zusammenwirken verschiedener, in einem einheit - lichen Verband zusammengeschlossener Moleküle abhängig denkt, denn an der oben angeführten Stelle hält er auch ein Eiweiss - molekül als hinreichend zur Constituirung eines Micells.
Die Begriffe des Biophors und Micells decken sich also schon aus diesem Grunde durchaus nicht. Sie unterscheiden sich aber ausserdem noch in einem Punkte, dessen fundamen - tale Bedeutung erst später ganz hervortreten wird, nämlich in der Art ihrer Vermehrung. Meine Biophoren besitzen als Lebensträger das Vermögen des Wachsthums und der Ver - mehrung durch Theilung, wie dies alle Ordnungen von Lebenseinheiten besitzen, über welche direkte Be - obachtungen vorliegen, von den Mikrosomen an, welche die Chromatin-Stäbchen des Zellkernes zusammensetzen durch die Chlorophyll-Körner, Zellkerne, Zellen hindurch bis zu den einfacheren Pflanzen und Thieren hinauf. Nägeli’s Micellen vermehren sich auch, aber „ durch freie Einlagerung neuer “, den schon vorhandenen ähnlichen oder gleichen „ Micelle “, wie die Stärketheilchen („ Kryställchen “) im Stärkekorn oder wie Krystalle sich aus einer Mutterlauge abscheiden. Letztere müsste freilich erst durch einen nicht weiter zu definirenden Einfluss der schon vorhandenen Micelle gebildet werden.
Fast ganz würden die „ Pangene “von de Vries1)De Vries, „ Intracellulare Pangenesis “. Jena 1889. mit meinen „ Biophoren “übereinstimmen, da auch ihnen die Funk - tionen des Wachsthums und der Vermehrung durch Theilung zugeschrieben und ihnen eine ganz ähnliche Rolle bei der Ver - erbung übertragen wird. Nur insofern die Biophoren Theile von höheren Einheiten der Vererbungssubstanz sind — wie im Folgenden klar werden wird —, unterscheiden sie sich von den „ Pangenen “.
57Auch die kürzlich von Wiesner1)Julius Wiesner, „ Die Elementarstructur und das Wachsthum der lebenden Substanz “. Wien 1892. aufgestellten kleinsten Lebenstheilchen, die „ Plasome “, stimmen ihren Eigenschaften nach sowohl mit den Pangenen, als mit den Biophoren. Ihre Rolle bei der Vererbung wird aber nur angedeutet, und es ist somit wohl vorzuziehen, wenn ich ihnen meine Vererbungs - theorie nicht aufzwinge, sondern dieselbe mit der besonderen Bezeichnung der Biophoren verknüpfe.
In Bezug auf die Vererbung haben die Biophoren dieselbe Rolle zu spielen, welche de Vries seinen Pangenen zutheilte, d. h. sie sind die „ Eigenschaftsträger “der Zellen, oder ge - nauer: die Träger der Zelleneigenschaften. Da alle lebende Substanz aus Biophoren besteht, so können die Unter - schiede derselben nur auf Unterschieden der Biophoren beruhen; eine thierische Zelle, welche z. B. quergestreifte Muskelsubstanz oder Nervenstäbchen feinster Art oder Drüsenröhrchen, eine pflanzliche Zelle, welche Chlorophyllkörper enthält, muss mehrere verschiedene Biophoren-Arten enthalten, aus welchen sich eben jene Zellenstructuren zusammensetzen. Diese verschiedenen Biophoren-Arten setzen das Keimplasma einer Art zusammen.
Es muss eine grosse Menge verschiedenartiger Bio - phoren geben, sonst könnte sich aus ihnen nicht eine so über - aus grosse Mannigfaltigkeit von Zellen aufbauen, wie wir sie thatsächlich beobachten. Auch hält es nicht schwer, aus der angenommenen Zusammensetzung des Biophors die Möglichkeit einer beinahe unendlichen Zahl von verschiedenen Arten des - selben abzuleiten.
Da dieselben nicht einzelne Moleküle, sondern Molekül - Gruppen sind, so hindert Nichts, schon auf die zwischen weiten Grenzen schwankende Zahl ihrer Moleküle eine grosse Zahl von Variationen des Biophors zu gründen. Aber auch58 die chemische Beschaffenheit der Moleküle braucht keineswegs überall dieselbe zu sein, wenn auch sicherlich ein bestimmter Rahmen den möglichen Schwankungen Grenzen ziehen wird. Zahlreiche Thatsachen weisen darauf hin, dass mindestens in den beiden grössten Gruppen der Organismen - welt, dem Pflanzen - und Thierreich, mehrere der das Biophor zusammensetzenden Moleküle chemisch verschieden sind, dass also Substitutionen stattfinden. Während im thierischen Proto - plasma, „ soweit dasselbe amöboide Bewegungen zeigt, Glykogen ein nie fehlender Bestandtheil “ist, ist dieses Kohlehydrat in Pflanzen noch nicht aufgefunden worden und wird, wie Hoppe - Seyler vermuthet, durch Amylum, Dextrin oder Gummi ver - treten. Ebenso sind die krystallisirenden Albuminate, welche bei den Pflanzen als Aleuron-Krystalle, bei den Thieren als Dotterplättchen bekannt sind, chemisch verschieden.
Eine Verschiedenheit der Biophoren wird ferner auch ohne Veränderung ihrer atomistischen Zusammensetzung durch Um - gruppirung der Atome im einzelnen Molekül als möglich zu denken sein. Das Eiweiss-Molekül vor Allem hat nach den Anschauungen der heutigen Chemie mindestens ein Molekül - gewicht von 1000, so dass eine unzählige Menge von isomeren Eiweiss-Molekülen denkbar erscheint. Wie viele davon wirklich vorkommen, lässt sich freilich nicht angeben.
Um aber mit Hülfe des Biophors zu einer möglichst voll - ständigen Erklärung der Vererbungserscheinungen zu gelangen, wird demselben noch eine weitere Art der Veränderungsmöglich - keit zugeschrieben werden dürfen, nämlich eine Umgruppi - rung der Moleküle, analog der isomeren Umgruppirung der Atome im einzelnen Molekül. Diese Annahme schwebt nicht in der Luft, insofern der Chemie „ Molekülverbindungen “in mehreren Fällen schon bekannt sind; so bei den „ Doppelsalzen “und dem Krystallwasser der Salze, welches stets in einer ganz59 bestimmten Anzahl von Molekülen vorhanden ist und auch bei Substitutionen in derselben Anzahl von Molekülen beibehalten wird. So enthalten die Alaune stets 24 Moleküle Krystall - wasser, was offenbar auf Affinitätsbeziehungen zwischen den Molekülen hindeutet. Solche werden wir auch für das Biophor annehmen müssen, da ohne sie das Biophor überhaupt keine wirkliche Einheit wäre. Wir werden aber auch weiterhin schliessen dürfen, dass diese Affinitätsbeziehungen mannigfacher Art sind, dass die Moleküle in vielfacher, verschiedener Weise sich aneinanderhängen und gruppiren können, so dass isomere Molekülverbindungen entstehen. Solche isomere Verbindungen werden aber wie die isomeren Gruppirungen der Atome im einzelnen Molekül andere Eigenschaften besitzen, und wir kommen so zu dem Schluss, dass die speciellen Eigenschaften eines Biophors nicht nur von der chemisch-physikalischen Be - schaffenheit seiner Moleküle, sondern sehr wesentlich auch von deren Stellung und Beziehung zu einander abhängig zu denken sind, so dass ein Biophor schon dadurch zu einem andern werden kann, dass seine Moleküle sich anders gruppiren.
Es giebt also nach dieser Darlegung vielerlei Arten von Biophoren, je nach der absoluten Zahl der Moleküle, den Ver - hältnisszahlen derselben, je nach der chemischen Beschaffenheit (Isomerie mit eingerechnet) und der Gruppirung der Moleküle; ja man wird sagen dürfen, dass die Zahl der möglichen Biophoren-Arten eine unbegrenzte ist, etwa so wie die Zahl der denkbaren organischen Moleküle. Wir werden jeden - falls von dieser Seite her auf keine theoretischen Schwierig - keiten stossen, wenn wir auch eine noch so grosse Zahl ver - schiedener Biophoren-Arten zur Erklärung der Vererbungs - erscheinungen bedürften.
Diese Biophoren sind nun, wie ich glaube, keines - wegs rein hypothetische Einheiten; sie müssen exi -60 stiren, denn die Lebenserscheinungen müssen an irgend welche Einheit der Materie gebunden sein. Da nun aber die Grund - kräfte des Lebens, Assimilation und Wachsthum weder von den Atomen, noch von den Molekülen für sich ausgehen, so muss es eine Einheit höherer Art geben, die diese Kräfte aus sich heraus entwickelt, und diese kann nur eine in sich gebundene Gruppe ungleichartiger Moleküle sein. Ich hebe dies besonders hervor, weil bei einer Theorie der Vererbung, die so viele nicht sicher begründbare Annahmen erfordert, die wenigen festen Punkte, auf welchen wir fussen können, doppelt werthvoll sind.
Die Biophoren setzen alles Protoplasma zusammen, sowohl das zu Zellkörpern differenzirte Morphoplasma, als das im Kern enthaltene Vererbungs - oder Idioplasma. In welcher Weise sich diese beiden Protoplasmen in Bezug auf ihre Zusammensetzung unterscheiden, soll später zur Sprache kommen; hier sei nur soviel gesagt, dass das Idioplasma im Allgemeinen eine weit verwickeltere Structur haben muss, als das Morphoplasma. Letzteres assimilirt, wächst und theilt sich zwar auch, wie der Zellkörper einer Muskel - oder Drüsenzelle lehrt, allein ohne sich dabei aus sich selbst heraus verändern zu können. Das Anlagenplasma aber vermag sich während seines Wachsthums gesetzmässig zu verändern, und darauf beruht die Ontogenese, die Entwickelung des Individuums bei den Vielzelligen. Aus der Eizelle eines Thieres gehen die beiden ersten Embryonal - zellen durch Theilung hervor, und aus diesen werden im Laufe der Embryogenese immer wieder anders geartete Zellen und ihre Verschiedenheit muss, wie gezeigt wurde, auf Veränderungen der Kernsubstanz beruhen.
Es fragt sich nun, wie diese Fähigkeit des Idioplasma’s, sich gesetzmässig und aus sich selbst heraus zu verändern, vor - gestellt werden kann. An der Thatsache selbst kann ja kein Zweifel sein, sobald es feststeht, dass das Morphoplasma jeder61 Zelle vom Idioplasma des Kerns beherrscht, d. h. in seinem Charakter bestimmt wird. Die gesetzmässigen Veränderungen, welche wir an der Eizelle und ihren Theilungsprodukten bei jeder Embryogenese ihren Ablauf nehmen sehen, müssen ja dann auf entsprechende gesetzmässige Veränderungen des Idioplasma’s bezogen werden. Aber welcher Art sind diese Verände - rungen und wie kommen sie zu Stande?
Um die zuletzt gestellte Frage beantworten zu können, ist es nöthig, sich zunächst darüber Rechenschaft zu geben, auf welche Weise die Bestimmung der Zelleigenschaften durch das Idioplasma des Kerns zu Stande kommt. Wir wissen bis jetzt nur, dass das Idioplasma einer Zelle zusammengesetzt ist aus einer grossen Anzahl verschiedener Biophoren und zwar ver - schiedener Arten derselben.
Damit dasselbe einen bestimmenden Einfluss auf den feinsten Bau des Zellkörpers und die chemische Zusammensetzung seiner verschiedenen Theile ausübe, muss es entweder eine Fernwirkung von sich ausgehen lassen, oder es müssen materielle Theile vom Kern aus in den Zellkörper austreten.
Strasburger1)E. Strasburger, „ Neue Untersuchungen über den Befruchtungs - vorgang bei den Phanerogamen “, 1884, p. 112. hat es versucht, eine dynamische Wirkung der Kernsubstanz näher zu begründen. Nach seiner Ansicht pflanzen sich „ vom Zellkern aus molekülare Erregungen auf das umgebende Cytoplasma fort, welche einerseits die Vorgänge des Stoffwechsels in der Zelle beherrschen, andererseits dem durch die Ernährung bedingten Wachsthum des Cytoplasma einen be - stimmten der Species eigenen Charakter geben “. So denkbar eine solche Fortpflanzung vom Kern ausgehender molekülarer Erregungen auf den Zellkörper sicherlich auch ist, so hat doch62 de Vries mit Recht geltend gemacht, dass sie zur Erklärung der Erscheinungen nicht ausreicht, weil sie die Grundlage dessen, was erklärt werden soll, voraussetzt. Wenn die Zelle irgend einer Pflanze die erbliche Eigenschaft erhalten soll, Apfelsäure zu bilden, so könnten zwar wohl diejenigen „ Pangene “des Zellkörpers, welche diese Säure hervorbringen können, durch Fortpflanzung molekülarer Erregungen des Kerns in Thätigkeit gerathen, aber ihr Vorhandensein werde dabei vorausgesetzt, und die Hauptfrage — wie kommen diese Apfelsäure-Bildner in die Zelle? — bleibe ungelöst.
Auch der Versuch Haberlandt’s1)G. Haberlandt, „ Über die Beziehungen zwischen Funktion und Lage des Zellkerns “, 1887., die Beherrschung der Zelle durch den Kern auf enzymatische Wirkungen desselben zurückzuführen, also auf eine Ausscheidung bestimmter chemi - scher Verbindungen, welche die Zellsubstanz veranlassten, sich in bestimmter Weise zu verändern, wird von de Vries als nicht ausreichend betrachtet, weil auch bei ihm eine bestimmte Differenzirung des Zellkörpers als schon vorhanden vorausgesetzt werden muss.
De Vries selbst giebt eine Lösung des Räthsels, welche jedenfalls den Vorzug grosser Einfachheit und Klarheit hat. Nach seiner Ansicht tritt immer ein Theil der „ Pangene “, welche die Kernsubstanz zusammensetzen, durch die Kernmem - bran in den Zellkörper aus und bildet dort die Zelltheile und Zellorgane, deren specifische „ Eigenschaftsträger “sie sind.
Obgleich ich früher der Strasburger’schen Ansicht zu - neigte, so erschien sie mir doch immer mehr als eine formale, denn als eine reale Lösung des Räthsels, mehr als eine provi - sorische Formel, denn als wirkliche Einsicht. Ich möchte den de Vries’schen Gedanken eines Austritts specifischer kleinster Lebenstheilchen aus dem Kern in den Zellkörper für eine äusserst63 glückliche Lösung des vorher fast unzugänglich scheinenden Problems von der Beherrschung der Zelle durch den Kern halten. Sie verbindet sich auch sehr gut mit meinen übrigen Anschau - ungen. Allerdings, so lange ich noch in dem Suchen nach einer epigenetischen Vererbungstheorie begriffen war, musste eine derartige Lösung unmöglich erachtet werden, sobald aber das Keimplasma aus Biophoren zusammengesetzt angenommen wurde, deren verschiedene Arten die verschiedenen Charaktere der betreffenden Zellen bedingen, wurde diese Art ihrer Wir - kung auf die Zelle nicht nur eine mögliche, sondern auch die bei Weitem natürlichste und befriedigendste. Wohl lässt sich Mancherlei dagegen einwenden und nicht Alles wird schon allein durch diese Grund-Annahme erklärt, aber nicht nur wird man vergebens versuchen, von der entgegengesetzten Annahme aus zu einer befriedigenden Erklärung zu gelangen; die von de Vries begründete Vorstellung steht auch allein in Einklang mit gewissen Grundprincipien der Biologie, wie sich sogleich zeigen wird.
Wirkte die Kernsubstanz aus der Ferne her auf den Zell - körper derart, dass in diesem die für die betreffende Zellenart charakteristischen Zellorgane und Zellstructuren entstünden, so wäre das gewissermassen eine generatio aequivoca dieser Structuren und Organe; sie entstünden durch eine äussere Ein - wirkung auf die gegebene Substanz des Zellkörpers, so etwa, wie man sich bei der Urzeugung vorstellen muss, dass besonders günstige Einflüsse auf gewisse Combinationen unorganischer Gemenge so einwirkten, dass daraus ein Lebenstheilchen entstand.
Soweit nun die Erfahrung reicht, wissen wir Nichts von einer solchen Urzeugung und wenn wir sie auch logisch als möglich fordern müssen, so haben wir doch allen Grund zu der Annahme, dass sie bei der Entstehung derjenigen Lebensformen, welche wir kennen, keine Rolle spielt, dass diese vielmehr nur64 aus ihres Gleichen entstehen und zwar durch Theilung. Was aber für die uns bekannten selbständigen Lebewesen gilt, das mus gelten für alle die verschiedenen Stufen von Lebens - einheiten, die sich zu höheren Lebewesen verbunden haben, denn die ersten und niedersten Organismen können keine andern gewesen sein, als solche vom Werth eines einzelnen Bio - phors. Wenn wir nun auch zur Erklärung des Lebens auf unserer Erde die Annahme machen müssen, dass solche Einzel - Biophoren einstens durch Urzeugung entstanden sind, so muss ihnen doch — sofort nach ihrer Entstehung — die Fähigkeit der Fortpflanzung durch Theilung innegewohnt haben, weil diese unmittelbar aus den Grundkräften des Lebens: Assimilation und Wachsthum hervorgeht. Nur diese allereinfachsten Bio - phoren dürfen wir uns überhaupt als durch Urzeugung ent - standen vorstellen, alle späteren und complicirteren Bio - phoren-Arten können nur auf Grund von Anpassung an neue Lebensbedingungen entstanden sein und zwar allmählich durch die lange dauernde Zusammenwirkung von Vererbung und Selection. Alle diese höheren und auf specielle Existenzbedingungen eingerichtete Biophoren-Arten, wie sie in unendlicher Mannigfaltigkeit die für uns sichtbaren Lebewesen zusammensetzen, besitzen „ historische “Eigenschaften, können somit nur aus ihres Gleichen und nicht „ von selbst “entstehen. Damit stimmt die Erfahrung. Wie de Vries bereits und kürz - lich Wiesner dargelegt haben, entsteht nicht nur die Zelle stets aus einer Zelle, der Kern aus einem Kern, sondern auch die übrigen Organe und Theilchen, welche als structurbestimmend im Zellkörper vorkommen, entstehen nie, soweit wir sehen, durch „ generatio aequivoca “, oder wie de Vries sich ausdrückt „ neogenetisch “, sondern vielmehr durch Theilung schon vor - handener ähnlicher Gebilde. So verhält es sich — wie es scheint — mit den Chromatophoren der grünen Pflanzenzellen65 und mit den „ Vacuolen “derselben, so auch mit der die Kern - theilung leitenden „ Attractionssphäre “oder dem Centrosoma, und so muss es sich auch mit den unsichtbaren kleinsten Lebens - einheiten, den verschiednen Biophoren-Arten verhalten, welche sich im Laufe der Erdgeschichte durch allmälige Anpassung an immer wieder neue Lebensbedingungen gebildet haben.
Wenn dem nun so ist, wenn jede Lebenseinheit der uns sichtbaren Wesen von der niedersten bis zu der höchsten Stufe hinauf nur aus ihres Gleichen durch Theilung hervorgehen kann, dann ist die Entscheidung der oben aufgeworfenen Frage ge - geben, dann können die Organe und Structuren des Zellkörpers, welche eben den specifischen Charakter einer Zelle ausmachen, nicht durch Fernwirkung der Kernsubstanz hervorgerufen werden, auch nicht durch Enzyme, sondern nur dadurch, dass materielle Theilchen der Kernsubstanz in den Zellkörper austreten. Dann muss die Kernsubstanz gewissermassen ein Magazin von den verschiedenen Biophoren-Arten sein, welche in den betreffenden Zellkörper eintreten und ihn um - gestalten sollen. Dann wird die „ indifferente “Embryonal - zelle zur Nervenzelle, Drüsen - oder Muskelzelle dadurch, dass in dem Kern der einen Nerven-Biophoren, in dem der andern die die Drüsen-Röhrchen constituirenden Biophoren, in dem Muskel - kern aber Muskel-Biophoren enthalten sind, um zu gewisser Zeit in den Zellkörper auszutreten und denselben umzuge - stalten.
Ich halte diesen Gedankengang für so zwingend, dass ihm gegenüber die Schwierigkeiten kaum stark ins Gewicht fallen, welche sich dem Process der Zellbestimmung allerdings noch entgegenstellen. Gewiss sind wir noch weit davon entfernt, den histologischen Differenzirungsprocess einer Zelle im Ge - naueren angeben zu können; der Durchtritt unsichtbar kleiner „ Biophoren “durch Poren der Kernmembran ist zwar wohl eineWeismann, Das Keimplasma. 566ebenso zulässige Annahme als die dazu nöthige selbständige Beweglichkeit dieser Lebensträger, allein mit der Entsendung einiger mit starker Vermehrungskraft ausgerüsteter Biophoren - Arten in den Zellkörper ist der histologische Bau einer Zelle noch nicht vollendet. Zahlreiche Fragen stellen sich uns hier entgegen, welche alle darauf hinweisen, dass dabei Kräfte thätig sein müssen, die uns noch unbekannt sind. Die einwandernden Biophoren bilden nur das Baumaterial, aus welchem die histo - logische Structur der Zelle erst durch richtende, vermuthlich anziehende und abstossende Kräfte zu Stande kommt, welche in den Biophoren ihren Sitz haben müssen.
Wir können uns davon noch kein genaueres Bild machen und ebensowenig davon, wie die im Zellkörper bereits ent - haltenen Biophoren sich zu den neu vom Kern her ein - wandernden verhalten. Vermuthlich findet hier ein „ Kampf der Theile “statt, bei welchem die Schwächeren unterliegen und als Nährmaterial für die Stärkeren dienen. So Vieles aber auch hier zukünftiger Forschung offen bleiben muss, so steht doch die Hauptsache fest, dass wirklich das Wesen der Zelle durch die Elemente des Kernes bestimmt wird, und wir werden dar - unter nicht blos die histologische Structur der ganzen Zelle und ihre Reactionsweise auf äussere Einflüsse zu verstehen haben, sondern vor Allem auch die Art ihrer Theilung nach Zeit und Ort. Ob eine Zelle sich früh oder spät, ob sie sich in gleiche oder ungleiche Hälften theilt, wird zunächst zwar vom Zellkörper selbst und seinem Theilungsapparat, dem Cen - trosoma abhängen, in letzter Instanz aber von dem den Zell - körper bestimmenden Kern, der dem Zellkörper eben gerade diese bestimmte Beschaffenheit aufprägt.
Der scheinbar stärkste Einwand, den man gegen die Ein - wanderung von Idioplasma-Theilchen in den Zellkörper machen kann, ist aber wohl der, dass die chemische Substanz des Zell -67 körpers und die der Kernsubstanz gänzlich verschieden sei. Das Verhalten gegen Farbstoffe ist in der That verschieden, wie schon die Bezeichnung Chromosomen und Chromatin andeuten. Wenn aber auch daraus auf Verschiedenheiten der chemischen Zusammensetzung geschlossen werden dürfte, so läge darin doch noch kein entscheidender Beweis gegen die Auswanderungs - hypothese. Denn es ist bekannt, dass die Färbbarkeit der Chromosomen zu verschiedenen Perioden auffallenden Schwan - kungen unterliegt, welche darauf deuten, dass kleine für uns uncontrolirbare Veränderungen in der Constitution dieser Sub - stanz vorkommen, welche genügen, um gerade die auffallendste Reaction, die starke Anziehung der Farbstoffe vorübergehend verschwinden zu machen. 1)Vergl. z. B. die neueste Arbeit Rückert’s über das Verhalten der Chromosomen im Keimbläschen eines Haies während der Reifung des Eies. „ Anat. Anzeiger “vom 10. März 1892.Nun hat freilich auch die chemische Analyse der in den Kernen enthaltenen Stoffe daselbst das „ Nuclein “nachgewiesen, allein wenn es auch nach der vortreff - lichen Arbeit Miescher’s2)Miescher-Büsch: „ Statist. und biolog. Beiträge zur Kenntniss vom Leben des Rheinsalms “1880; Schweiz. Literatursamml. z. internat. Fischereiausstellung in Berlin. über den Lachssamen wahrscheinlich ist, dass das Nuclein aus den Kernen der Samenzellen stammt, so ist damit doch noch keineswegs entschieden, aus welchem Theil der Kerne es stammt und wenn man erwägt, dass über 48 % des trocknen Samens aus Nuclein bestehen, so muss be - zweifelt werden, dass die geringe Menge Chromatin, welche wir in Gestalt der Chromosomen in den Kernen sehen, der Träger des Nuclein’s sei.
Hierher gehört noch eine Beobachtung der neuesten Zeit, welche wenigstens so viel beweist, dass überhaupt Stoff von den Chromosomen des Kernes gerade während des Aufbaues der5*68charakteristischen Structur des Zellkörpers in den Zellkörper gesandt wird. Ich meine die von J. Rückert am Ei eines Haifischs gemachte Beobachtung über den auffallenden Wechsel in der Grösse der Chromosomen des Eikernes während des Wachsthums des Eies. Einer der 30 — 36 Chromosomen des jüngsten zur Beobachtung gelangten Eierstockeies von 2 Mm. Durchmesser misst 12 Micro in der Länge und hat etwa 2 Cubikmicra im Inhalt, später im nahezu reifen Ei beträgt die Länge eines Chromosoma bis zu 100 Micro, sein Inhalt 7850 Cubikmicra, oder, da es sich inzwischen durch Theilung verdoppelt, hat 15,700 Cubikmicra. Noch etwas später, wenn das Ei seine volle Grösse und seine fertige Structur erreicht hat, also unmittelbar vor der ersten Richtungstheilung, sinkt die Länge des einzelnen Chromosoma auf 2 Micro und der Inhalt eines Doppelstäbchens auf 3 Cubikmicra herab. Also — so schliesst Rückert — wird während der allmäligen Reifung des Eies eine grosse Menge von Substanz von den Chromosomen an das Ei abgegeben und man wird ihm darin nur zustimmen können. Es fragt sich aber, in welcher Weise man sich diese Abgabe von Substanz zu denken habe, ob in der gewöhnlichen Form von gelösten Nährsubstanzen, welche dann vom Zellkörper assimilirt werden, oder anderswie. Mir scheint hier Nichts der Annahme im Wege zu stehen, dass nicht blosse Nahrung, sondern specifische kleine Lebenstheilchen von dem Chromosoma während des Wachsthums des Eies in Masse zuerst hervorgebracht und dann durch die Kernmembran in den Zell - körper entsandt werden. Ich kann hier auf die merkwürdigen morphologischen Umgestaltungen der Chromosomen, welche sie während dieses Wachsthums durchmachen, nicht näher eintreten, man wird noch weitere Thatsachen sammeln müssen, ehe man an die Deutung der Vorgänge im Einzelnen herantreten kann. Soviel aber darf heute schon gesagt werden, dass nämlich diese69 von Rückert entdeckten, höchst interessanten Thatsachen eine allgemeine Bedeutung besitzen müssen, dass sie sich nicht nur bei allen thierischen Eiern in irgend einer Form vorfinden müssen, sondern auch bei allen im Zustand der histologischen Differenzirung befindlichen Zellen. Aber freilich werden sie nicht leicht bei andern Zellen in so prägnanter Weise hervor - treten, da keine thierische Zelle ein so enormes Wachsthum durchmacht, wie die Eizelle. Ich werde auf den Vorgang noch einmal wieder zurückkommen, um eine Folgerung daraus noch mehr hervorzuheben.
Nehmen wir also mit de Vries an, es beruhe die Be - stimmung der Zelle auf einem Austritt kleinster Lebenstheilchen verschiedener Art aus dem Kern in den Zellkörper, mit nach - träglicher Vermehrung und mit gesetzmässiger Gruppirung und gegenseitiger Anordnung derselben nach den in ihnen thätigen Kräften der Anziehung und Abstossung, so würde sich die Vererbung bei den Einzelligen einfach und leicht erklären. Bei ihnen beruht die Vermehrung auf einer Zweitheilung des ganzen Körpers, so dass also jeder Theilsprössling den gleichen Vorrath an latenten Biophoren, welche den Kern zusammensetzen, erhält und von diesem aus seinen Zellkörper mit den nöthigen Bausteinen versehen kann.
Von der bei den höchsten Einzelligen, den Infusorien fast allgemeinen Scheidung des Kernes in zwei verschiedenartige Kerne kann ich hier absehen, da wir für jezt überhaupt noch von dem Hineinspielen der Amphimixis in die Vererbung ab - sehen, diese Einrichtung aber eine Anpassung an die Conjugation ist. Die Vererbung der Einzelligen wird also darauf beruhen, dass in ihrem Kern alle die verschiednen Biophoren-Arten ent - halten sind, welche zum Aufbau ihres Körpers gehören, in latentem Zustand und in einem bestimmten Zahlenverhältniss, höchst wahrscheinlich auch in einer bestimmten Architektonik,70 und dass diese Kern-Biophoren periodisch oder nach Bedürfniss in den Zellkörper austreten, sich dort vermehren und nach den in ihnen waltenden Kräften anordnen. Diese Anordnung selbst bleibt ein Problem, dessen Schwierigkeit nirgends schärfer hervor - tritt, als gerade bei den höheren Einzelligen. Wie es möglich ist, dass der Kern immer nur gerade diejenigen Arten von Biophoren austreten lässt, die den Ersatz der bei der Theilung verlorenen Organe bedingen, wie es kommt, dass diese Kern - Biophoren sich gerade nach der Stelle des fehlenden Mundfeldes oder des fehlenden Hinterendes, wie sie die Zweitheilung des Thieres veranlasst, hinbegeben u. s. w., das sind vorläufig un - lösbare Fragen; es muss einstweilen genügen, gezeigt zu haben, wie etwa diese Bausteine des Zellkörpers von der Mutter auf die Töchter übergehen und wie sie sich den im Zellkörper waltenden Kräften zur Verfügung stellen.
Dass wirklich der Kern auch hier den Zellkörper bestimmt, ist durch die künstliche Theilung erwiesen, welche Nussbaum1)Nussbaum, „ Über die Theilbarkeit der lebenden Materie “, Archiv f. mikr. Anat. 1886. und Gruber2)Gruber, Über künstliche Theilung bei Infusorien, Biol. Central - blatt “, Bd. IV u. Ber. d. naturf. Ges. zu Freiburg i. Br. 1886. mit Infusorien vorgenommen haben. Nur solche Theilstücke ergänzten sich zum vollständigen Thier, die ein Stück des Kernes enthielten, die andern lebten zwar noch eine Zeit lang, gingen aber dann zu Grunde. Aber auch dafür, dass der Kern unsichtbare materielle Theilchen in den Zellkörper entsendet, wenn Ergänzung der fehlenden Organe eintreten soll, spricht eine der Beobachtungen von Gruber. Derselbe schnitt einen zur Theilung sich anschickenden grossen Stentor derart quer durch, dass die hintere Theilhälfte keine Spur von Kern mehr enthielt, und beobachtete, dass dennoch Ergänzung der fehlenden Theile, besonders des Mundfeldes eintrat. Hinge die71 Beherrschung des Zellkörpers von einer Fernwirkung des Kerns ab, so wäre dies völlig unerklärlich, wenn aber Kern-Biophoren in den Zellkörper austreten müssen behufs Regeneration, so konnte dies bei einem zur Theilung sich anschickenden Thier bereits erfolgt sein, als die künstliche Theilung vorgenommen wurde.
Bei den Einzelligen sind die Nachkommen den Vorfahren gleich, die Theilung der Mutterzelle bringt zwei gleiche Tochter - zellen hervor, die Kernsubstanz bleibt also in ihrer Zusammen - setzung aus verschiednen Biophoren-Arten immer dieselbe. Wie aber bei den Vielzelligen, bei welchen aus dem Keimplasma des Eies eine so grosse Menge ganz verschiedenartiger Zellen hervorgeht, von denen jede eine andere Zusammensetzung ihrer Kernsubstanz voraussetzt? Wir sehen uns so zurückgeführt zu der am Schluss des vorigen Abschnitts gestellten Frage: worauf beruht die gesetzmässige Veränderung des Keimplasma’s in der Ontogenese?
Die Kernsubstanz eines Infusoriums muss sich, wie eben gezeigt wurde, aus einer Menge verschiedenartiger Biophoren zusammensetzen, von denen jede der Anlage eines bestimmten Theiles einer Zelle des Thieres entspricht. Sollten die Zellen eines vielzelligen Thieres alle im Keimplasma durch die in ihnen vorkommenden Biophoren-Arten vertreten sein, so würde dadurch eine so ungeheure Anhäufung von Biophoren zu Stande kommen, dass selbst bei einer bedeutenden Kleinheit derselben die geringe Substanzmenge des Keimplasma’s sie nicht fassen könnte. Diese Erwägung ist es vor Allem gewesen, welche mich lange Jahre bei dem Versuch festgehalten hat, eine epigenetische Vererbungstheorie zu finden.
Ich glaubte, es müsse möglich sein, ein Keimplasma aus -72 zudenken, welches zwar höchst zusammengesetzt, aber doch nicht aus einer so unfassbaren Menge von Einzeltheilchen ge - bildet sei und welches zugleich so gebaut sei, dass es sich beim Wachsthum in der Ontogenese gesetzmässig derart verändere, dass es schliesslich eine noch viel grössere Zahl verschieden - artiger Idioplasmen liefere, welche nun die Zellen des Körpers in specifischer Weise bestimmten.
In ähnlicher Weise meinte Hatschek1)B. Hatschek, „ Lehrbuch der Zoologie “, zweite Lieferung, Jena 1889, p. 232. noch kürzlich, man könne „ in der Eizelle eine relativ geringe Zahl von Qualitäten annehmen “, nicht grösser, als sie in irgend einer histologisch differenzirten Körperzelle anzunehmen sei. Die Mannigfaltigkeit im viellzelligen Organismus beruhe darauf, „ dass trotz der be - schränkten Mannigfaltigkeit der Qualitäten innerhalb der ein - zelnen Zelle (auch der Eizelle) doch eine viel complicirtere Ge - sammtleistung des Körpers durch Variirung des einen Grund - thema’s erreicht “werde.
Handelte es sich bei einer Vererbungstheorie nur um Er - klärung der Übertragung eines unveränderlichen Körper - baues vom Elter auf das Kind durch alle Generationen hin - durch, so würde einer solchen Structur des Keimplasma’s theoretisch Nichts entgegenzustellen sein, allein es handelt sich bei der Vererbung um die Übertragung veränderlicher Stücke, und dies verlangt die Annahme, dass im Keimplasma ebenso viel selbstständig veränderliche Theile enthalten sind, als solcher am ausgebildeten Organismus vorkommen. Es ist unmöglich, dass ein Theil des Körpers selbstständig und übertragbar variire, wenn er nicht auch im Keimplasma schon durch ein besonderes Theilchen vertreten ist, dessen Variiren sein Variiren nach sich zieht. Wäre er mit andern Körpertheilen zusammen durch ein Theilchen des Keimplasma’s vertreten, so würde eine Ver -73 änderung dieses Letzteren, ein Variiren aller der von ihm aus bestimmten Körpertheile nach sich ziehen. Wir haben also in den selbstständig und erblich veränderlichen Theilen des Körpers ein genaues Maass für die Zahl der kleinsten Lebens-Theilchen, welche das Keimplasma zusammen - setzen müssen; weniger können es nicht sein.
Dass die selbstständig veränderbaren Theile nicht mit den schlechthin vererbbaren zusammenfallen, mag ein Beispiel anschaulich machen.
Die Schmetterlinge entwickeln sich bekanntlich durch eine Metamorphose und die Stadien derselben sind selbstständig vom Keim aus veränderlich, d. h. eine Variation der Raupe muss keineswegs auch eine solche des Schmetterlings nach sich ziehen, noch umgekehrt. Die Raupen einer Art können zweigestaltig sein, grün oder braun, der Schmetterling aber tritt trotzdem immer mit derselben einen Färbung auf. Wenn nun die phy - letischen Umgestaltungen auf Änderungen im feinsten Bau des Keimplasma’s beruhen, so muss es im Keimplasma eines Schmetter - lings mindestens zwei selbstständig veränderliche Einheiten geben, denn gäbe es nur eine, so müsste durch deren Abänderung nicht nur die Raupe, sondern auch der Schmetterling verändert werden. Nun lehrt uns aber der Vergleich nahe verwandter Arten, dass auch einzelne Theile der Raupe oder des Schmetter - lings vom Keim aus veränderlich sein müssen, dass z. B. die Beine zweier Arten fast gleich sein, während ihre Flügel ver - schieden sein können, ja dass selbst die einzelnen Theile der Flügel selbstständig variiren können. Wir werden also zu der Annahme einer ganzen Zahl von Einheiten geführt, die im Keimplasma enthalten sein müssen und von deren Variiren die selbstständige Abänderung gewisser Körpertheile abhängt.
Bei allen höheren Thieren muss die Anzahl dieser Einheiten eine sehr grosse sein, weil die vom Keim aus selbstständig ver - änderlichen Theile des Körpers eine sehr grosse ist.
74Wie gross sie sein kann, sehen wir am deutlichsten an den individuellen vererbbaren Charakteren des Menschen. Ich kenne eine Familie, in welcher sich ein etwa stecknadelkopf-grosses Grübchen in der Haut vor dem linken Ohr durch drei Genera - tionen hindurch vererbt hat. Diese kleine Abnormität muss als potentia im Keimplasma der betreffenden Individuen ent - halten sein, und ihr Keimplasma muss sich von dem anderer Menschen dadurch unterscheiden, dass dasjenige Element des - selben, von welchem aus jene Hautstelle bestimmt wird, etwas abweichend gebildet ist. Nicht darin, dass überhaupt eine Ver - erbung bis in solche kleinste Einzelheiten hinein möglich ist, liegt der logische Zwang für uns, für jede solche Einzelheit ein besonderes Element im Keimplasma anzunehmen, sondern darin, dass diese einzelne Stelle des Körpers für sich allein erblich abändern kann. Wenn alle Menschen dieses Grübchen vor dem Ohr besässen, so könnten wir allein daraus, dass dies vererbbar ist, noch nicht schliessen, dass es im Keim - plasma durch ein besonderes Element vertreten sein müsse. Es wäre denkbar, dass es mit der Haut der ganzen Gesichtshälfte zusammen durch ein Element, z. B. ein Biophor vertreten wäre, das sich dann im Laufe der Ontogenese aber in viele sekundäre Biophoren spaltete, die verschieden wären, und von welchen eines abweichend ausfallen müsste und gerade an jene Haut - stelle zu liegen käme. Das Zwingende liegt vielmehr darin, dass nicht alle Menschen dieses Grübchen besitzen, dass zwei Menschen denkbar sind, die in allem Übrigen sich gleich sind, von denen aber der Eine das Grübchen besitzt, der Andere nicht. Das Keimplasma der Beiden müsste dann fast gleich sein, doch könnte es nicht wirklich ganz gleich sein, son - dern müsste irgend ein Element enthalten, welches abweicht von dem entsprechenden des andern Keimplasma’s. Dies heisst aber nichts Anderes, als dass der betreffende, selbst - ständig vom Keim aus veränderliche Charakter auch75 durch ein besonderes Element im Keimplasma ver - treten ist. Aus der Vererbbarkeit allein hätten wir das nicht erschliessen können; es wäre denkbar, dass hundert verschiedene Charaktere von einem einzigen Element des Keimplasma’s aus bestimmt würden; sie würden dann alle hundert vererbt, sobald das bestimmende Element im Keimplasma vorhanden wäre, aber keiner der hundert Charaktere wäre selbstständig vom Keim aus veränderlich, sondern wenn das bestimmende Element sich änderte, so änderten sich auch alle hundert Charaktere auf ein Mal. Vererbbarkeit und selbstständige Veränderlichkeit vom Keim aus fällt nicht zusammen.
Das Keimplasma muss also aus so vielen verschiedenen Einheiten zusammengesetzt sein, als vererbbare, vom Keim aus selbstständig veränderliche Theilstücke am Körper auftreten. Diese Einheiten können nicht kleiner sein, als ein Biophor, können also nicht etwa einzelne Moleküle innerhalb eines Biophors sein, weil der Begriff des Variirens ein biologischer ist und ein biologisches Element, kein blos physikalisches voraussetzt.
Welche Bezirke des viellzelligen Körpers sind nun durch besondere Theilchen vom Mindestwerth eines Biophors im Keim - plasma vertreten? Ist jede Zelle ein solcher Bezirk, oder gar jedes Organ jeder Zelle? Das Erstere nahm Darwin an, seine Keimchen sind Zellenkeimchen, und jede Zelle des Körpers sollte durch Keimchen in der Eizelle vertreten sein; das Letztere ist die Meinung von de Vries, dessen Pangene gewissermassen Keimchen von Zellen-Eigenschaften oder Zellorganen sind. Es lässt sich nun nicht verkennen, dass die erblichen Variationen bei Pflanzen und Thieren nicht blos sich in der Zahl der Zellen und ihrer gegenseitigen Anordnung, auch nicht blos in Än - derungen ihrer Form, Grösse und Beschaffenheit als Ganzes äussern, sondern auch in Abänderung einzelner Zelltheile und76 Zellorgane. Die panaschirten Varietäten unserer Zierpflanzen zeigen dieselben Zellen wie ihre Stammformen, aber in vielen derselben fehlt das Blattgrün; das Roth der Blätter bei der Blutbuche und ähnlichen Varietäten beruht auf einer Roth - färbung des Zellsaftes in einer gewissen Zellschicht, welche erb - lich übertragbar ist, und die Musterkarte von Farben, welche auf dem Flügel eines Schmetterlinges oder dem Gefieder eines Vogels zu sehen ist hängt von zelligen Elementen ab, welche bei weit entfernten Vorfahren wohl einmal alle gleich waren, später aber nach und nach durch erbliche Variation einzelner Zellbestandtheile oder Zellstructuren verschieden wurden. Wenn auch keineswegs die ganze phyletische Umgestaltung der Arten auf intracellulärer Variation beruht, so hat dieselbe doch un - ausgesetzt die andern Veränderungen begleitet und nimmt einen bald grösseren, bald kleineren Theil an der Artumwandlung. Es kann also nicht bezweifelt werden, dass auch bei den Viel - zelligen nicht blos die Zellen als Ganzes vom Keim aus bestimmt werden, sondern auch ihre Theile.
So scheint es denn, als ob wir der ersterwähnten un - geheuerlichen Annahme nicht entgehen könnten, dass jede der Milliarden von Zellen des vielzelligen Organismus schon im Keimplasma durch mehrere oder viele verschiedene Biophoren vertreten sei. Aber es giebt einen einfachen und natürlichen Ausweg aus diesem Dilemma, sobald man sich fragt, ob denn überhaupt jede Zelle eines Thieres oder einer Pflanze selbst - ständig veränderlich ist, somit durch besondere Theile im Keim - plasma enthalten sein muss.
Ich will die Zellen oder Zellengruppen, welche selbstständig vom Keim aus veränderlich sind, als „ Vererbungsstücke “oder „ Determinaten “bezeichnen, die ihnen entsprechenden und sie bestimmenden Theilchen des Keimplasma’s aber als „ Bestimmungsstücke “oder „ Determinanten “.
77Es giebt nun offenbar viele Zellen bei höheren Thieren, welche nicht einzeln durch je eine Determinante im Keim - plasma vertreten sein werden. Die Milliarden von Blutzellen, welche bei den Wirbelthieren im Laufe des Lebens sich ablösen, dürften möglicherweise von einer einzigen Determinante des Keimplasma’s aus bestimmt werden. Es würde jedenfalls kein Nachtheil für die Art daraus erwachsen, weil eine selbstständige Bestimmbarkeit einzelner Blutkörperchen oder selbst einzelner Tausende von ihnen werthlos wäre. Sie sind nicht lokalisirt; eines ist soviel werth wie das andere, und ihre Variabilität könnte deshalb sehr wohl von einem einzigen Punkte aus geleitet werden. Nach dem Gesetz der Sparsamkeit wird die Natur nicht mehr Determinanten dem Keimplasma einverleibt haben, als nothwendig war.
So wird es vermuthlich bei höheren Thieren noch viele Zellengruppen geben, deren Zellen nicht einzeln im Keimplasma vertreten sind. Wenn auch die Nervenzellen des Gehirns sicher - lich alle ihre besondere Determinanten besitzen, da andernfalls die so sehr ins Einzelne gehende Vererbung geistiger Anlagen beim Menschen unerklärt bleiben würde, so kann doch Wenig darauf ankommen, dass jede Faser eines Muskels, jede Zelle der Haut oder des Bindegewebes oder der Epithelschicht des Darms seine besondere Determinante hätte. Vermuthlich werden hier grössere oder kleinere Gruppen von Zellen durch eine gemein - same Determinante bestimmt. Ein Hinweis für diese Auffassung darf vielleicht in der Art gesehen werden, wie das Epithel des Darmes bei Insektenpuppen sich erneut. Bei Musciden z. B. und bei Schmetterlingen zerfällt der Darm der Larve, wie ich vor langer Zeit nachwies, und aus seinen Trümmern baut sich der sehr verschiedenartige Darm der Imago auf. Kowalewsky und von Rees haben später gezeigt, dass dies in der Weise geschieht, dass von gewissen, in ziemlich regelmässigen Ab -78 ständen von einander liegenden Zellen aus ein Stück des neuen Darmes gebildet wird und sich soweit ausbreitet, bis es mit dem nächstliegenden Stück zusammenstösst. Es ist also nur in diesen Bildungszellen das Idioplasma der neuen Darmzellen enthalten und es liegt nahe zu vermuthen, dass jede derselben nur eine Art von Determinanten enthält.
Ähnlich scheint es sich bei der Behaarung der Säugethiere zu verhalten; nicht jedes Haar besitzt seine besondere Deter - minante im Keim, kleinere oder grössere Haarbezirke sind durch je eine Determinante vertreten. Diese Bezirke sind nicht gross, wie die Streifung und Fleckung des Haarkleides beim Leoparden, Tiger u. s. w. beweist. Beim Menschen hat man beobachtet, dass ein abnormes weisses Haarbüschel auf einer bestimmten Stelle des Kopfes mitten unter den normalen dunkeln Haaren sich auf die entsprechende Stelle beim Sohne vererbt hat.
Nach Zellen abschätzbare Vererbungsstücke oder Deter - minaten lassen sich wohl auch bei Schmetterlingen beob - achten, bei welchen die Farben der Flügel oft sehr verwickelte Linien und Flecken von geringer Ausdehnung, aber von grosser Constanz bilden. Solche Flecken setzen sich zuweilen nur aus ganz wenigen Schuppen, d. h. Zellen zusammen; bei Lycaena Argus z. B. steht an einer bestimmten Stelle des Vorderflügels ein schwarzer Fleck, der nur aus zehn Schuppen besteht, wäh - rend die unmittelbare Umgebung desselben blau ist. Hier werden wir also schliessen dürfen, dass diese schwarzen Zellen im Keimplasma durch mindestens eine Determinante vertreten sind. Es ist aber sehr möglich, dass die Determinirung hier noch mehr ins Einzelne geht, dass jede Zelle des ganzen Flecks vom Keim aus determinirt ist, und dass uns dies nur durch die stete Vermischung zweier Vererbungstendenzen bei der ge - schlechtlichen Fortpflanzung und die daher entstehende Varia - bilität der Schuppenzahl verhüllt wird — jedenfalls aber können79 wir die Determinirung einzelner Zellen bei andern Thierarten nachweisen. So steht auf den vorderen Fühlern vieler Kruster eine Anzahl nervöser Endapparate, welche dem Geruchsinn dienen und deren jeder einer Zelle entspricht. Die Anzahl, Stellung und Gestalt dieser sogenannten „ Riechfäden “ist für jede Art genau bestimmt, bei den Muschelkrebsen der Gattung Cypris ist immer nur ein Riechfaden vorhanden, bei dem ge - meinen Flohkrebs finden sich deren etwa 20, die einzeln stehen an der Basis mehrerer aufeinander folgender Fühlerglieder. Bei manchen im Dunkeln lebenden blinden Krebsen steigt die Zahl dieser Riechfäden höher als bei ihren sehenden Verwandten, und wenn auch hier, wie in allen den erwähnten Fällen indi - viduelle Schwankungen vorkommen, so dürfen wir doch ver - muthen, dass diese vererbbar sind, weil sonst die Zunahme der Riechfäden mit dem Leben in Finsterniss sich nicht als Art - charakter hätte festsetzen können.
Bei kleineren und einfacheren Organismen mag wohl jede einzelne Zelle vom Keimplasma aus determinirt sein, nicht nur derart, dass die Zahl der Zellen eine fest bestimmte und die Stellung einer jeden von ihnen eine fest lokalisirte ist, sondern in dem Sinn, dass individuelle Besonderheiten einer derselben — falls sie überhaupt auf Keimesänderung beruhen, also blasto - gen sind, auch in der nächsten Generation wieder an derselben Zelle auftreten, ganz so, wie bei jenem Muttermal des Menschen, das genau auf dieselbe Stelle derselben Körperhälfte sich ver - erbte. So mag es etwa bei Thieren von der Einfachheit der Dicyemiden oder der Tardigraden sich verhalten, wenn es auch nicht möglich ist, einen förmlichen Beweis dafür beizubringen.
Bei allen höher differenzirten Thieren ist die Zahl der Determinanten wohl immer sehr viel geringer, als die der Zellen, welche die Ontogenese ausmachen. Das Keimplasma wird also auf diese Weise einigermassen entlastet gegenüber der Annahme80 Darwin’s, der für jede Zelle ein (oder eigentlich viele) Keim - chen annahm.
Wir dürfen aber nicht vergessen, dass nicht nur ganze Zellen erblich variiren können, sondern, wie oben gezeigt wurde, auch die Zellorgane, dass somit für jede Determinante einer Zelle oder Zellengruppe nicht blos ein, sondern mehrere Bio - phoren angenommen werden müssen, so viele, als selbständig vom Keim aus veränderliche Organe an ihr sich befinden. Eigentlich müssten wir diese den Pangenen von de Vries ent - sprechenden „ Eigenschaftsträger “auch als „ Determinanten “be - zeichnen, denn sie determiniren die Zellentheile. Da dieselben indessen schon ihren Namen als Biophoren erhalten haben, so möge ihnen diese Bezeichnung bleiben und das Wort „ Deter - minante “immer nur im Sinne von Anlage einer Zelle oder Zellengruppe genommen werden. Eine Determinante ist also nie ein einzelnes Biophor, sondern immer eine Gruppe von Biophoren.
Es lässt sich nun, wie ich glaube, unschwer zeigen, dass die eine Zelle bestimmenden Biophoren im Keimplasma nicht nur beisammen liegen, also eine Gruppe bilden müssen, sondern dass sie zu einer höheren Einheit verbunden sind. Die Determinante ist nicht ein loser Haufen verschiedener Biophoren, sondern eine mit besonderen Eigenschaften ausgerüstete, dem Biophor übergeordnete Lebenseinheit.
Dies geht schon daraus hervor, dass die Determinanten das Vermögen der Vermehrung besitzen müssen. Wie sehr die Kernsubstanz, welche in der befruchteten Eizelle enthalten ist, während der Entwickelung an Masse zunimmt, ist bekannt, dies kann aber nur dadurch geschehen, dass ihre Lebenstheilchen, die Biophoren, sich vermehren. Dieses nun würde niemals so genau und gleichmässig geschehen können, als es nothwendig ist zum Festhalten des Charakters einer bestimmten Zelle, wenn81 die für diese Zelle bestimmenden Biophoren lose bei einander und nicht abgegrenzt von denen anderer Zellen im Keimplasma lägen. Die Vermehrung der Biophoren muss deshalb innerhalb des festen Verbandes der Determinante vor sich gehen und muss die Einleitung sein zu einer Theilung der Determinante selbst. Diese Letztere ist somit auch eine Lebenseinheit.
Dass die Determinanten als solche sich vermehren müssen, geht auch daraus hervor, dass nach unserer, wohl nicht abzu - weisenden Annahme häufig eine Determinante des Keimplasma’s ganze Gruppen von Zellen bestimmt. Dies ist nur möglich, wenn dieselbe sich während der Ontogenese vervielfacht. Über - dies ist es sehr wahrscheinlich, dass das Kernplasma irgend einer Körperzelle niemals nur ein Exemplar der dieselbe be - stimmenden Determinante enthält, sondern deren viele. Wie sollte sonst die Kernsubstanz einer solchen Zelle überhaupt für unsere Mikroskope sichtbar sein können, da Biophoren jeden - falls sehr weit unter der Grenze der Sichtbarkeit liegen, und auch Determinanten dieser sich kaum erheblich nähern können.
So wäre denn die Annahme des genialen Erfinders der Pangenesis insoweit gerechtfertigt. Es giebt wirklich „ Keim - chen “der Zellen, die sich durch Theilung vermehren, aber sie sind nicht die letzten Lebenstheilchen, und auch nicht alle Zellen des Körpers besitzen ihre besonderen Keimchen schon im Keimplasma.
Es fragt sich nun, wie diese beiden jetzt erschlossenen Elemente des Keimplasma’s die Ontogenese zu Stande bringen.
Wie kommt das Keimplasma dazu, alle die verschiedenen Idioplasmen der Zellen in gesetzmässiger Weise aus sich her - vorgehen zu lassen, welche den Aufbau des Organismus aus -Weismann, Das Keimplasma. 682machen? Das ist die oben schon gestellte Frage, an deren Be - antwortung wir jetzt herantreten können.
Das Keimplasma enthält, wie wir sahen, die Anlagen sämmtlicher Zellen des Körpers in seinen Determinanten, und es fragt sich jetzt nur noch, in welcher Art es bewirkt wird, dass jede derselben in der richtigen Zahl an den richtigen Ort gelangt. Wenn wir auch die Kräfte, welche dabei thätig sind, nicht kennen, so vermögen wir doch aus den jetzt erschlossenen Elementen des Keimplasma’s, und den Vorgängen und dem Verlauf der Ontogenese gewisse Rückschlüsse auf die Structur des Keimplasma’s und auf die Art seiner Veränderungen zu machen, die, wie ich glauben möchte, nicht gar zu weit von der Wirklichkeit abweichen werden.
Vor Allem kann mit Sicherheit behauptet werden, dass das Keimplasma eine feste, historisch überlieferte Archi - tektur besitzen muss. Bei Entwickelung des Begriffes der Determinanten wurde als wahrscheinlich hingestellt, dass lange nicht alle Zellen der höheren Organismen durch besondere Deter - minanten im Keimplasma vertreten sind, dass z. B. möglicher - weise sämmtliche Blutzellen, oder die Tausende von Fasern eines bestimmten Muskels u. s. w. nur durch je eine Deter - minante vertreten wären. Daraus darf aber nicht etwa ge - schlossen werden, dass überhaupt alle am Körper vorkommen - den gleichartigen Zellen auch nur durch je eine gemeinsame Determinante vertreten sein könnten. Dies würde einem Auf - geben des Begriffes der Determinante gleich kommen. Denn wären z. B. sämmtliche quergestreifte Muskeln eines Wirbel - thieres nur durch eine Determinante im Keimplasma vertreten, so würde jede Variation dieser Letzteren alle Muskeln eben - falls abändern machen, und die selbstständige Variation jedes einzelnen Muskels, welche doch thatsächlich besteht, wäre un - möglich.
83Es müssen also im Keimplasma eines Thieres die - selben Determinanten mehrfach oder sogar vielfach vorhanden sein. Muskel - und Nervenzellen wiederholen sich ja auch im fertigen Organismus und werden im Keimplasma, soweit sie überhaupt einzeln vom Keim aus variiren können, durch die gleichen oder doch sehr ähnliche Determinanten ver - treten sein.
Wenn nun solche gleiche Determinanten je eine be - stimmte Zelle oder Zellengruppe des Körpers vertreten sollen, so können sie nicht an beliebiger Stelle des Keimplasma’s liegen, können auch nicht ihren Platz darin je nach wechselnden Einflüssen ändern, sondern sie müssen fest lokalisirt sein; nur darin kann die Gewähr liegen, dass sie im Laufe der Onto - genese in die richtige Zelle und an den richtigen Platz ge - langen. Ich habe oben die Riechfäden des Flohkrebses er - wähnt, von welchen jeder auf einem besonderen Fühlerglied steht. Jeder von diesen kann für sich erblich variiren, verlangt also die Annahme besonderer Determinanten des Keimplasma’s, die aber untereinander gleich sein werden. Ähnlich verhält es sich mit den ebenfalls bereits erwähnten schwarzen Flecken auf den Flügeln eines Schmetterlings. Bei der Bläulingsart Lycaena Argus steht ein solcher Fleck z. B. auf derjenigen Stelle des Flügels, welche von den Entomologen als „ Zelle 1, b “be - zeichnet wird und dieser Fleck ist selbstständig variabel, er kann grösser oder kleiner sein, und diese Unterschiede können sich vererben völlig unabhängig von den vielen andern schwarzen Flecken. So kann der erwähnte Fleck bei andern Lycaena - Arten ganz geschwunden sein, während ein ihm genau ent - sprechender Fleck in „ Zelle 4 “bedeutend grösser geworden ist. Wir haben auch bestimmte Anzeichen, dass homologe Theile beider Körperhälften unabhängig voneinander abändern können bei bilateral gebauten Thieren. Das oben besprochene Mutter -6*84mal des Menschen vererbte sich stets nur auf die linke Seite, nicht auf die rechte.
Wenn nun jede Determinante ihren festen Platz im Keim - plasma hat, so kann dieses selbst nicht eine beliebige oder eine wechselnde Grösse und Gestalt haben, son - dern es muss eine in sich abgeschlossene Einheit sein, an der Nichts weggenommen und der Nichts zugelegt werden kann. Wir werden mit andern Worten auf die Annahme von Determinanten-Gruppen geführt, welche eine in sich ge - schlossene höhere Lebenseinheit darstellen, die dritte Stufe der - selben, da sie sich direkt aus Determinanten, diese aber wieder aus Biophoren zusammensetzen. Diese Einheiten sind die schon längst auf ganz anderem Weg von mir erschlossenen „ Ahnen - plasmen “, die ich jetzt mit dem an das Idioplasma’s Nägeli’s anklingenden Namen der „ Ide “bezeichnen will. 1)Diese Bezeichnung ist schon in meiner Schrift „ Amphimixis oder die Vermischung der Individuen “, Jena 1891, p. 39, gebraucht worden; in meinen früheren Schriften hatte ich für sie den Ausdruck „ Ahnen - plasmen “angewandt, dessen Bedeutung und Herleitung in dem Abschnitt über amphigone Vererbung erörtert werden wird.
Wie das einzelne Biophor andere Eigenschaften hat, als die Determinante, welche aus Biophoren zusammengesetzt ist, so wird auch — so nehme ich an — das Id andere Eigen - schaften besitzen, als die dasselbe zusammensetzenden Deter - minanten. Doch müssen die Grundeigenschaften des Lebens: Wachsthum und Vermehrung durch Theilung ihm, wie allen Lebens-Einheiten, zugesprochen werden. Mehrfache Gründe, besonders aber die Vererbungs-Erscheinungen bei sexueller Fort - pflanzung leiten zu der Annahme, dass das Keimplasma nicht blos aus einem Id besteht, sondern aus mehreren, oder selbst aus vielen Iden, und dies wird auch dann anzunehmen sein, wenn die Fortpflanzung augenblicklich keine geschlechtliche ist.
85Ich nehme also an, dass jedes Idioplasma aus mehreren oder vielen Iden zusammengesetzt ist, die wachsen und sich durch Theilung vermehren können. Gäbe es Thiere, in deren Vorfahren-Reihe geschlechtliche Fortpflanzung niemals hineingespielt hätte, so müssten diese Ide untereinander völlig gleich sein. In jedem Falle aber enthält jedes Id des Keimplasma’s die sämmtlichen Elemente, welche für die Ent - wickelung aller folgenden Id-Stufen erforderlich sind. Theo - retisch also würde eines dieser Ide für die Ontogenese ge - nügen.
Die Veränderungen dieses Keimplasma-Id’s in der Ontogenese können nach unseren Voraussetzungen nur in einer gesetzmässigen Zerlegung der Determinanten in immer kleinere Gruppen bestehen, die so lange fortgeht, bis schliesslich in jeder Zelle nur noch eine Art von Determinanten enthalten ist, diejenige, welche sie zu determiniren hat. Es ist durchaus unwahrscheinlich, dass alle Determinanten des Keimplasma - Id’s in die sämmtlichen Id-Stufen der Ontogenese mitgeführt werden. Ich werde zwar später bei Besprechung der Regene - ration, Knospung u. s. w. zu zeigen haben, dass unter Um - ständen Determinanten-Gruppen gewissen Zellenfolgen beigegeben werden, welche zur Determinirung dieser Zellen selbst nicht gehören, aber dies beruht, wie ich glaube, auf besonderen An - passungen und ist nicht das Ursprüngliche, wenigstens gewiss nicht bei den höheren Thieren und Pflanzen. Weshalb sollte die Natur, die doch überall Sparsamkeit walten lässt, den Luxus treiben, sämmtliche Determinanten des Keimplasmas’s allen Zellen des ganzen Körpers mitzugeben, wenn eine einzige Art von ihnen genügt? Dies wird also voraussichtlich nur da geschehen sein, wo es bestimmten Zwecken dient. Auch die enorme Zahl der im Keimplasma enthaltenen Determinanten spricht gegen eine solche Annahme, denn ihre Zahl wird bei den höheren86 Thieren mindestens nach Hunderttausenden zu zählen sein, und wenn man ja auch annehmen kann, dass diese alle in latentem Zustand in jeder Zelle verharren und so die Thätigkeit der die Zelle bestimmenden Determinante nicht zu stören brauchten, so nehmen sie doch immer einen verhältnissmässig bedeutenden Raum ein und entziehen ihn der bestimmenden Determinante, die wir uns doch ebenfalls vielfach vorhanden vorstellen müssen.
Wollte man die Annahme machen, dass alle Determinanten des Keimplasma’s sämmtlichen Zellen der Ontogenese mitgegeben würden, so müsste man die gesammte Differenzirung des Körpers auf ein gesetzmässig geregeltes Latentbleiben aller Determinanten mit Ausnahme einer bestimmten und für jede Zelle verschiednen beziehen, eine Vorstellung, die wohl der andern an Wahrschein - lichkeit nachsteht, dass in jeder Zelle des definitiven Organismus — abgesehen von besondern Anpassungen — nur eben die eine Determinante gelangt, welche sie zu bestimmen hat.
Machen wir also diese Annahme, so fragt es sich, welche Momente die Zerlegung des Keimplasma-Id’s in immer kleinere Determinantengruppen, also in Ide, die immer weniger Determi - nanten-Arten enthalten, bewirken könnten.
Ich denke mir, dass hier drei Momente zusammen wirken: einmal die ererbte Architektur des Keimplasma’s, in welchem jede Determinante ihren bestimmten Platz hat, dann die ungleich rasche Vermehrung der verschiedenen Determinanten und schliesslich Kräfte der Anziehung, welche in den Determinanten ihren Sitz haben und ein Ausfluss sind ihrer specifischen Natur, als einer besondern und selbst - ständigen Lebenseinheit.
Über die Architektur des Keimplasma’s im Allgemeinen ist schon gesprochen worden; im Einzelnen können wir sie wohl kaum errathen, wenigstens für jetzt nicht. Bei den höheren Organismen werden wir uns vorzustellen haben, dass Hundert -87 tausende oder Millionen von Determinanten in den Bau des - selben eingehen, welche alle bestimmt lokalisirt sind. Die Er - fahrung, dass bei bilateral gebauten Thieren die entsprechenden Theile der rechten und der linken Körperhälfte unabhängig voneinander variiren können, lässt schliessen, dass alle Deter - minanten hier doppelt im Keimplasma vorhanden sind. Er - wägen wir weiter, dass bei vielen solcher Thiere, z. B. beim Frosch, die Theilung der Eizelle in die beiden ersten Embryo - nalzellen die Scheidung der rechten und linken Körperhälfte bedeutet, so müssen wir schliessen, dass das Keimplasma-Id selbst schon einen bilateralen Bau besitzt und sich bei der ersten Theilung in die Determinanten für die rechte und die linke Körperhälfte spaltet. Wir dürfen darin eine weitere Be - stätigung unserer Ansicht von der festen Architektur des Keim - plasma’s finden. Ein Id desselben ist offenbar nicht etwa so geordnet wie der Niederschlag aus einer complicirten Schüttel - mixtur, bei welcher die schwereren Theilchen unten, die leichteren weiter oben zu liegen kommen, überhaupt nicht so, als ob die gegenseitige Lage der Theilchen lediglich durch die momentan auf sie und zwischen ihnen wirkenden Kräfte frei bestimmt würde, sondern wie ein complicirtes Gebäude, das von alter Zeit her übernommen wird, dessen Steine aber lebendig sind, wachsen und sich vermehren können und welche dann Verschiebungen und Spaltungen der Mauern hervorrufen, bei welchen die in ihnen liegenden Anziehungskräfte mitspielen. Die historische Überlieferung der Keimplasma-Architektur bildet die Grundlage der ganzen ontogenetischen Idioplasma - Entwickelung.
Wenn aber auch bei bilateralen Thieren das Id eine rechte und linke Hälfte hat, so darf daraus doch nicht etwa geschlossen werden, dass das Id überhaupt nichts weiter sei, als ein Miniatur - bild des fertigen Thieres, dass es sich also hier um eine Wieder -88 holung der alten Einschachtelungstheorie handle. Die genaue Architektur eines Keimplasma-Id’s lässt sich zwar nicht wohl errathen, aber so viel wenigstens lässt sich mit Bestimmtheit sagen, dass die Determinanten in ihm ganz anders angeordnet liegen, als die ihnen entsprechenden Körpertheile im fertigen Thier. Dies geht unmittelbar aus der Entwickelungsgeschichte hervor und bedarf kaum noch einer besondern Ausführung. Wer irgend einige Einsicht in die Embryologie der Thiere hat, weiss, wie ganz anders die Theile im Embryo auseinander her - vorgehen, als sie schliesslich im fertigen Organismus zu ein - ander gelagert sind. Die ersten Theilungen des Eies zeigen schon, dass die Determinanten Gruppen im Keimplasma-Id ge - bildet haben, welche zwar wohl den successive auseinander her - vorgehenden Theilen des Körpers entsprechen, mit der Gestalt und Ausbildung seiner Theile aber keine Ähnlichkeit haben können.
So giebt es Würmer, bei welchen die beiden ersten Blasto - meren nicht die rechte und linke Körperhälfte liefern, sondern das gesammte Ektoderm und Entoderm. Hier wird also durch diese erste Theilung das Keimplasma-Id in zwei Gruppen zer - legt, von denen die eine sämmtliche Determinanten der ektoder - malen Organe, die andere sämmtliche Determinanten des Ento - derms enthalten, eine Anordnung, die mit der Lagerung der fertigen Organe des Thieres keine Analogie hat. Kennten wir von irgend einer Art den „ Anlagenwerth “— wenn ich so sagen darf — jeder Zelle der Ontogenese, so könnten wir uns ein annäherndes Bild von der Architektur des Keimplasma’s ent - werfen, denn anfangend von den letztentstehenden Zellen könnten wir die Determinanten erschliessen, welche in jeder der zunächst rückwärts gegen die Eizelle liegenden Mutterzelle enthalten ge - wesen sein muss und würden so bis zu den beiden ersten Blastomeren und schliesslich zur Eizelle gelangen. Damit wären89 denn die Gruppen von Determinanten, welche in jeder Zelle jeder Stufe enthalten sein müssen, gegeben und man könnte versuchen, sie räumlich nebeneinander so zu ordnen, dass damit ihre Zerlegung in die betreffenden Folgen von immer kleineren Gruppen denkbar erschiene.
Genau würde ein solches Bild von der Architektur des Keimplasma-Id’s aber niemals sein, und zwar deshalb, weil die Theile desselben während der Entwicklung und des Wachsthums des Idioplasma’s unaufhörlichen langsamen Verschiebungen aus - gesetzt sein müssen.
Dies führt zu dem zweiten Moment, welches in die Ontogenese des Idioplasma’s eingreift, zu der ungleichen Ver - mehrungsgeschwindigkeit der Determinanten. Ein aus lauter gleichen Determinanten zusammengesetztes Keimplasma - Id würde auch beim stärksten Wachsthum und fortgesetzten Theilungen seine ursprüngliche Architektur beibehalten müssen, ungefähr so wie ein hypothetisches niederstes Lebewesen, welches noch aus lauter identischen Biophoren bestünde, sich durch alle Theilungen hindurch gleich bleiben müsste. Bei einem aus einer Menge verschiedener Determinanten zusammengesetzten Keimplasma ist ein völlig gleiches Tempo der Vermehrung für alle diese Determinanten-Arten nicht anzunehmen. Denn die Verschiedenheit zweier Determinanten beruht der Voraussetzung nach auf Unterschieden in der Beschaffenheit, Zahl oder An - ordnung der sie zusammensetzenden Biophoren, und diese Letzteren unterscheiden sich wiederum in ihrem Aufbau aus Molekülen, also in ihren chemisch-physikalischen Grundeigenschaften. Die Determinanten werden deshalb je nach ihrer Zusammensetzung sich auch in ihrer Reaction auf äussere Einflüsse verschieden ver - halten, vor Allem in ihrer Wachsthums - und Vermehrungs - geschwindigkeit. Dieselben Ernährungsbedingungen werden also die einen zu schnellerem, die andern zu langsamerem Wachs -90 thum und entsprechender Vermehrung anregen, und es muss somit im Laufe der Embryogenese, welche ja mit einem stetigen Wachsthum des Idioplasma’s, also auch einer stetigen Vermehrung der Determinanten verbunden ist, unausgesetzt eine Verschiebung der Verhältnisszahlen eintreten, in welchen die einzelnen Determi - nanten-Arten im Idioplasma enthalten sind. Dadurch allein muss schon eine Veränderung der Architektur des Keimplasma’s hervorgerufen werden, in die dann noch der dritte Faktor der Veränderung eingreift; nämlich Anziehungskräfte der De - terminanten.
Der Annahme solcher Kräfte lässt sich kaum entgehen. Einmal ist es a priori sehr wahrscheinlich, dass Lebenseinheiten derartige Wirkungen in verschiednem Grade aufeinander ausüben, und dann sprechen die Vorgänge der Kerntheilung dafür, wenn man sie mit der Vertheilung der Anlagen in der Ontogenese zusammenhält.
Ich habe bisher noch nicht berührt, welche beobacht - baren Theile des sichtbaren Idioplasma’s wohl als Ide anzusehen seien. Eine sichere Entscheidung darüber ist zwar zur Zeit noch nicht möglich, aber ich habe mich schon an einem andern Ort dafür ausgesprochen1)Siehe m. Schrift: „ Amphimixis “, Jena 1891, p. 39 u. 40., dass die Chromosomen, die stäbchen -, schleifen - oder körnerartigen Chromatin-Bildungen des Kerns wahrscheinlich nicht einzelne Ide, sondern Reihen oder Haufen von Iden gleichzusetzen seien. Ich habe deshalb, um eine gewisse Gleichmässigkeit der Nomenclatur herbeizu - führen, vorgeschlagen, die Chromosomen als Idanten zu be - zeichnen. Es ist mir am wahrscheinlichsten, dass die Ide jene bisher als Mikrosomen bezeichneten Kügelchen sind, welche bei manchen Thieren, vor Allem bei dem in Hinsicht der Kern - structur bestgekannten Thier, der Ascaris megalocephala, den91 einzelnen Idanten zusammensetzen. Da diese Microsomen in einer Reihe liegend zwar dicht aneinander stossen, aber doch getrennt sind durch eine dünne Lage von Zwischensubstanz, so kann nicht der ganze Idant den Werth eines Id’s haben, denn das Id ist eine geschlossene Lebenseinheit mit fester Architektur und kann nicht aus völlig getrennten Stücken bestehen. Bei der grossen Mannigfaltigkeit der Chromosomen ver - schiedner Thierarten nach Zahl, Gestalt und Grösse ist aber auch der Gedanke nicht ganz zurückzu - weisen, dass dieselben nicht immer genau den gleichen morphologischen Werth besitzen möchten. Da indessen kein Grund vorliegt zu der Annahme, dass die Zahl der Ide bei allen Arten dieselbe sein müsse, da im Gegentheil bedeutende Schwankungen
Zwei Idanten mit ihren Iden, a — f.
darin viel wahrscheinlicher sind, so kann man auch daraus kein entscheidendes Argument ableiten. Soviel darf wohl gesagt werden, dass das einzelne Chromosom oder der einzelne Idant eine der Art nach wechselnde Anzahl von Iden darstellt.
Nun beruht die Kerntheilung auf einer Längsspaltung der Idanten, welche jedes der kugeligen Ide — die Mikrosomen einmal als solche angenommen — in zwei Hälften spaltet. Jede derselben rundet sich dann zur Kugel ab und beide ge - langen mitsammt dem Idanten, dem sie angehören, in je einen der beiden neuentstehenden Tochterkerne.
Bei der gewöhnlichen Zelltheilung von Gewebezellen, die Tochterzellen der gleichen Art hervorbringt, enthalten diese Theilungs-Ide genau dieselben Determinanten, wie wir eben aus der Gleichheit der Tochterzellen abnehmen können, allein in der Embryogenese kommen meist Theilungen vor, bei welchen die beiden Tochterkerne eine ganz verschiedene Combination von Determinanten enthalten müssen. Wenn aus der Eizelle92 durch ihre erste Theilung, wie oben für gewisse Würmer an - geführt wurde, zwei Zellen entstehen, von welchen die eine die gesammten Determinanten für das innere, die andere die für das äussere Keimblatt enthalten, so ist dies ein Beispiel einer solchen Kerntheilung, die man als differentielle oder erbungleiche der integrellen oder erbgleichen entgegen - stellen kann. Die Ide, wie die ganzen Idanten spalten sich aus innerer Kraft, sie werden nicht etwa mechanisch durch die sich an sie ansetzenden Fäden der „ Kernspindel “auseinander gezogen. Flemming hat gezeigt, dass die Spaltung häufig viel früher erfolgt, als die Spindelfäden in Thätigkeit treten. Es müssen also wohl Anziehungskräfte der Determinanten hier mit im Spiel sein, ganz ebenso, wie solche zwischen den Biophoren angenommen werden müssen, welche den Körper einer sich theilenden Zelle zusammensetzen.
Ich denke mir daher, dass die ererbte Architektur des Keim - plasma-Ids durch ungleiche Vermehrungs-Geschwindigkeit der Determinanten eine allmälige Verschiebung des Baues erleiden, die noch weiter regulirt wird durch Anziehungskräfte, welche zwischen den Determinanten thätig sind. Wenn wir die Archi - tektur des Id’s unter dem Bilde einer sehr verwickelten geo - metrischen Figur auffassen, so würde also während des Wachs - thums des Keimplasma-Ids die ursprüngliche Figur sich allmälig ändern, noch nicht bei der ersten Theilung, die ja in der ur - sprünglichen Figur schon genau vorbereitet sein wird, aber in den weiteren Stadien der Ontogenese. Indem die meisten dieser Theilungen mit einer Verminderung der Anzahl der Determi - nanten-Arten verbunden sind, wird die geometrische Figur der Ide immer einfacher, bis sie schliesslich, wenn eine jede Zelle blos noch die eine Art von Determinante enthält, die sie bestimmt, die denkbar einfachste Form annimmt. Es ist ein wunderbar verwickelter Process der Auseinanderlegung des Keimplasma’s, eine93 wahre „ Entwicklung “, bei welcher jede Id-Stufe mit Nothwendig - keit aus der vorhergehenden folgt und so allmälig die Tausende und Hunderttausende von Vererbungsstücken zu Stande kommen, jedes am richtigen Platz und jedes mit der ihm zukommenden Determinante versehen.
Auf dieser verwickelten Zerlegung der Determinanten des Keimplasma-Id’s beruht der ganze Aufbau des Körpers, beruht die Herstellung seiner gröberen Theile, seiner Gliederung, seiner Organbildung bis herab zu der durch die Zellenzahl bestimmten Grösse dieser Organe. Die Vererbung der Eigenschaften allgemeinster Art, also des Bauplanes eines Thieres, aber auch die die Klasse, Ordnung, Familie, Gattung kennzeichnenden Eigenschaften beruhen ausschliess - lich auf diesem Vorgang. Erst die kleinen Unterschiede, welche Art von Art, Individuum von Individuum scheiden, hängen zum Theil auch von den Eigenschaften der einzelnen Zellen ab; das hat de Vries übersehen, wenn er die Vererbung durch seine „ intracelluläre “Pangenesis allein erklären zu können meinte. Gerade die meisten „ Eigenschaften “irgend einer höheren Lebensform beruhen nicht auf den Eigenschaften der einzelnen Zellen, sondern auf der Art ihrer Zusammen - stellung, wie in der historischen Einleitung schon entwickelt wurde. Auf der andern Seite aber ist ohne eine Bestimmung der Eigenschaften jeder Zelle die Ausführung irgend eines lebens - fähigen Organismus nicht denkbar.
Es handelt sich also noch um die Erklärung dieses letzten Theiles der Ontogenese. Sie ist zum grossen Theil schon in dem gegeben, was oben über die Bestimmung der Zelle durch das Idioplasma gesagt wurde.
Es wurde dort mit de Vries angenommen, dass diese Be - stimmung auf dem Austritt kleinster Lebenstheilchen aus dem Kern in den Zellkörper beruht. Wir haben jetzt gesehen, auf94 welche Weise diese für eine bestimmte Zelle charakteristischen Biophoren gerade in dem erforderlichen Verhältniss in die be - treffende Zelle gelangen. Es geschieht dies dadurch, dass sie in einer „ Determinante “zusammengehalten werden, die schon im Keimplasma als solche vorhanden war und nun durch die ontogenetische Zerlegung desselben an die richtige Stelle des Körpers mechanisch geschoben wurde. Damit aber diese Deter - minante die Zelle wirklich bestimmen könne, muss sie sich nun in ihre Biophoren zerlegen. Dies ist eine unvermeid - liche Consequenz aus der von uns angenommenen Art, wie die Bestimmung der Zelle erfolgt. Wir müssen annehmen, dass die Determinanten sich nach und nach in ihre Biophoren auf - lösen, wenn sie an ihrem Bestimmungsort angelangt sind. Die Annahme lässt zugleich eine Erklärung des sonst räthselhaften Verhältnisses zu, dass die übrigen Determinanten, welche in jedem Id mit Ausnahme der letzten Entwickelungsstufen ent - halten sind, keinen Einfluss auf die Zelle ausüben. Da jede Determinante aus vielen Biophoren besteht, so muss sie erheb - lich grösser sein, als ein Biophor, und man könnte sich denken, dass sie durch die sehr klein anzunehmenden Poren der Kern - membran nicht hindurchzutreten vermöchte, die eben auf den Durchtritt der Biophoren eingerichtet sind.
Dass nun jede Determinante sich erst dann in ihre Bio - phoren auflöst, wenn sie in die Zelle gelangt ist, welche sie zu bestimmen hat, muss seinen Grund in dem inneren Bau der - selben haben, ohne dass wir aber Genaueres darüber anzugeben vermöchten. Wie die eine Frucht eines Obstbaumes rascher reift, als die andere, auch wenn die gleichen äusseren Einflüsse auf sie einwirken, so wird auch die eine Art von Determinanten früher zur Reife kommen, als die andere, wenn auch die gleiche Ernährung beiden zu Theil wird. Übrigens darf dabei nicht übersehen werden, dass eine verschiedene Reifungsdauer der95 Determinanten bei der thierischen Embryogenese hauptsächlich nur für die eigentlichen Embryonalzellen anzunehmen ist, denn die histologische Differenzirung der Zellen des in seinen Theilen bereits angelegten Körpers findet ziemlich gleichzeitig, nämlich erst dann statt, wenn die Organe als bestimmt geformte Zellen - gruppen schon vorhanden sind. Das heisst aber in vielen Fällen nichts Anderes, als dass die Zerlegung in Biophoren dann er - folgt, wenn das Id nur noch die eine, die betreffende Zellenart bestimmende Determinante enthält. Es ist von jeher auf - gefallen, wie plötzlich in der Embryogenese eines Thieres die histologische Differenzirung der Zellen einsetzt. Lange Zeit hindurch behalten die Zellen der verschiedensten Theile und Gewebe ein zwar nicht völlig gleiches, aber doch sehr ähnliches Aussehen, dann plötzlich beginnt die histologische Differen - zirung. Ganz besonders auffällig tritt dies an den quer - gestreiften Muskeln der Gliederthiere und Wirbelthiere hervor, und hier ist die Art, wie die Differenzirung der Querstreifung zuerst nur in einem schmalen Streifen oder Ring des Zell - körpers erscheint und sich von diesem aus dann über den grössten Theil des Zellkörpers ausbreitet ganz so, wie man sie erwarten müsste, würde sie veranlasst durch in den Zellkörper ausgewanderte und dort sich vermehrende Muskel-Biophoren.
Immerhin bleibt die Annahme einer ungleichzeitigen, aber genau normirten „ Reifung “der Determinanten unerlässlich, oder wenn man lieber will die Annahme einer genau normirten Inaktivitätsperiode der Determinanten, am Ende deren die Zerlegung in Biophoren einsetzt. Freilich wird das Wachs - thum und die Vermehrung der Determinanten während dieser Periode ungestört weiter gehen, wie man daraus schliessen kann, dass die Masse der Kernsubstanz in der einzelnen Zelle während der Embryogenese nicht abnimmt, trotzdem eine so ungeheure Vermehrung der Zellen stattfindet. Genaue methodische Be -96 obachtungen über die Grössenverhältnisse der Chromosomen in den verschiedenen Entwickelungsphasen und Organen des Körpers liegen zwar noch nicht vor, aber dass die Gesammtmasse der Kernsubstanz sehr bedeutend wächst während der Embryonal - entwickelung darf auch ohne solche als sicher gelten. Aus der oben angeführten Beobachtung von Rückert1)Anatomischer Anzeiger vom 10. März 1892. über die Chromo - somen des Haifisch-Eies scheint mir aber hervorzugehen, dass das stärkste Wachsthum der Determinanten unmittel - bar vor und während ihrer Thätigkeit stattfindet. Die Idanten des Haifisch-Eies wachsen enorm während der Zeit des Ei-Wachsthums und der histologischen Differenzirung des Eies, um gegen die Vollendung desselben allmälig wieder an Grösse abzunehmen und zuletzt bei der erreichten Reife fast auf die ursprüngliche Kleinheit herabzusinken.
Dies heisst ins Theoretische übersetzt: die den histo - logischen Bau des Eies bestimmenden Determinanten2)Diese Determinanten des Eies sind das „ ovogene Idioplasma “meiner älteren Schriften, die bestimmende Kernsubstanz für Wachsthum und histologische Differenzirung des Eies, von der ich lange Zeit glaubte, dass sie durch die Richtungskörper später aus dem Ei, wenn dasselbe seine Reife erlangt hat, entfernt würden. Sie bedarf, wie wir jetzt sehen, einer solchen Entfernung nicht, da sie bei der Ei-Differenzirung aufgebraucht wird. vermehren sich während der Periode des Eiwachsthums ganz enorm und entsenden ihre zahllosen Biophoren in den Eikörper; nachdem dies erfolgt ist, bleiben nur noch die inzwischen inaktiv gebliebenen Determinanten des Keimplasma’s übrig, welche sich seither nur wenig vermehrt haben und daher Idanten darstellen, welche nicht viel grösser sind, als sie in der jugendlichen Eizelle waren. Von diesen Determinanten tritt dann eine nach der andern vom Beginn der Embryogenese an97 in Thätigkeit, und auch hier wird eine Vermehrung derselben mit ihrer Thätigkeit Hand in Hand gehen.
Es war mir schon seit lange wahrscheinlich, dass die Be - stimmung einer Zelle nicht etwa durch eine einzige Determinante geschieht, sondern durch viele der gleichen Art und ich stellte mir vor, dass die Determinanten-Art, welche eine gewisse Zelle zu bestimmen hat, sich vorher oder vielleicht auch noch während - dem durch Theilung auf das Vielfache vermehrt. Diese Auf - fassung wird mir durch die interessante Beobachtung Rückert’s in willkommener Weise bestätigt.
Jede Zelle der gesammten Ontogenese wird aber immer nur durch eine Determinanten-Art bestimmt, und zwar in ihrer Structur sowohl als in ihrem Theilungs-Modus; die inaktiven Determinanten bleiben ohne Einfluss auf den Zellkörper, be - stimmen aber die Architektur des Id’s und insofern den weiteren Aufbau des Embryo. Denn der Modus der Zerlegung des Id’s in kleinere Determinanten-Gruppen wird eben durch seine Archi - tektur bedingt.
Ich habe oben den Determinanten Anziehungskräfte zu - geschrieben, die an der Configuration des Id-Baues Antheil haben und ich glaube in der That, dass solche Kräfte vor - handen sein müssen, da andernfalls das Id wohl überhaupt keine bestimmte Architektur besitzen könnte, aber ich möchte mich doch gegen das Missverständniss verwahren, als ob ich diesen Kräften etwa den Hauptantheil an der Lagerung und Ordnung der Determinanten im Id zuschriebe. Sie sind nur das zu - sammenhaltende Princip, nicht aber eines, welches die Deter - minanten etwa in ihren Lagebeziehungen im Laufe der Onto - genese immer wieder neu ordnete. In erster Linie ist es immer die ererbte feste Architektur des Keimplasma-Id’s, welche die Id-Figur der folgenden Stufen mechanisch zur Folge hat; Ver - schiebungen derselben erfolgen durch ungleich rasche Ver -Weismann, Das Keimplasma. 798mehrung der verschiedenen Determinanten-Arten, die aber natür - lich auch im Voraus genau bestimmt sind. Ein willkürliches oder zufälliges Eingreifen von Anziehungskräften kann dabei überhaupt nicht mitspielen.
Besonders Galton gegenüber muss ich dies hervorheben, welcher von „ repulsions und affinities “der Keimchen spricht, die seinen „ stirp “zusammensetzen. Er vergleicht die Massen dieser Keimchen, die nach Anziehung und Abstossung in leb - hafter und unaufhörlicher Veränderung ihrer gegenseitigen Lage begriffen sind, mit einem Schwarm fliegender Insekten, in welchem „ the personal likings and dislikings of an individual may be supposed to determine the position that he occupies in it “. Diese Vorstellung ist mir durchaus fremd; sie bezieht sich auf die Zusammensetzung der Keimsubstanz aus vielen homologen Keimchen, „ competing germs “, welche nun untereinander um den Vortritt kämpfen, d. h. darum, welches von ihnen den Charakter des in Bildung begriffenen Bion bestimmen soll. Galton zieht eben von vornherein die Complicationen der Keimsubstanz mit in die Betrachtung, welche durch geschlecht - liche Fortpflanzung gesetzt werden und welche, wie später ge - zeigt werden wird, wesentlich darin bestehen, dass das Keim - plasma nicht jede Anlage blos ein Mal, sondern viele Male und in verschiedenen Modificationen enthält. Der Kampf dieser homologen Anlagen ist es, den Galton in dieser Stelle den schwärmenden Insekten vergleicht, von denen bald diese, bald jene den bevorzugten Platz erreicht. Dies tritt noch deutlicher an einer anderen Stelle hervor, wo er das Keimplasma (seinen „ stirp “) mit einer Nation vergleicht und diejenigen Keimchen „ that achieve development “, d. h. die sich in die entsprechenden Stellen des Körpers umwandeln, „ to the foremost men of that nation, who succeed in becoming its representatives “.
So schön diese Gleichnisse an und für sich sind, so fürchte99 ich doch, dass sie etwas Unrichtiges erläutern sollen, falls da - mit eine Erklärung der Ontogenese beabsichtigt wird. Stellen wir uns auf den Standpunkt der Pangenesis-Theorie, auf welchem im Wesentlichen Galton steht, so sind also im stirp, d. h. der Keimsubstanz des „ befruchteten Eies “eine sehr grosse Zahl von „ Keimchen “enthalten, viel mehr, als zum Aufbau des Körpers erforderlich sind. Denn für jede Zelle desselben ist nur ein Keimchen erforderlich, es sind aber für jede Zelle eine Menge verschiedener Keimchen vorhanden und diese kämpfen nun ge - wissermassen um den Vorrang, d. h. darum, welches von ihnen sich in die zu bildende Zelle verwandeln soll. Dabei wird ganz übersehen, dass die Ontogenese selbst unmöglich auf diesem Kampf beruhen kann, sondern vor sich gehen würde, auch wenn für jede Zelle nur ein Keimchen im „ stirp “vorhanden wäre und dass somit die Ursache der vorschreitenden Ent - wickelung anderswo als in der Rivalität homologer Keimchen, nämlich in der richtigen Succession der Keimchen liegen muss. Galton hält die von Darwin in seiner Pangenesis angenommene „ purely step by step development “für unge - nügend, ich glaube indessen, dass Darwin die richtigere An - sicht vertritt.
Aber auch für die Erklärung des Kampfes der homologen, von verschiedenen Vorfahren stammenden Keimchen scheint mir Galton’s Bild vom Insektenschwarm nicht zutreffend. Wenn in der That die Keimchen im „ stirp “in ewiger Be - wegung wären, und wenn es davon abhinge, welches von ihnen den Vorzug erlangt, an der Bildung des Bion Theil zu nehmen, wie wollte man da die Existenz identischer Zwillinge erklären, über welche wir durch Galton selbst so werthvolle Aufschlüsse erhalten haben? Wie sollte es möglich sein, dass bei zwei Individuen, auch wenn sie genau die gleichen „ Keimchen “in ihrem „ stirp “enthalten, stets die genau entsprechenden7*100Keimchen in dem fliegenden und stets sich verändernden Schwarm von Keimchen die günstigste Position erlangten?
In einem späteren Abschnitt werde ich zu zeigen versuchen, dass sich dieser Kampf homologer, aber individuell verschiedener Anlagen doch noch in ganz anderer Weise idioplasmatisch begründen lässt. Hier musste ich die Anschauung Galton’s schon erwähnen, um zu zeigen, dass die von ihm angenommenen Anziehungs - und Abstossungskräfte zu ganz anderem Zweck ein - geführt werden, als die von mir den Biophoren des Idioplasma’s vindicirten Anziehungskräfte.
In physiologischer Beziehung kommen die Elemente des Idioplasma’s in zweierlei Zuständen vor, in einem aktiven und einem inaktiven. In ersterem zerlegen sie sich in ihre Constituenten, in letzterem verharren sie in ihrer Verbindung, können sich aber vermehren. Wenn Determinanten aktiv werden, so zerlegen sie sich in ihre Biophoren und diese bestimmen dann die Zelle, in deren Nucleus sie enthalten sind; wenn ganze Ide aktiv werden, so beruht dies auch auf einer allerdings succes - siven und oft sehr langsamen Zerlegung in ihre verschiedenen Determinanten. Diesem Zustand steht dann der inaktive gegen - über, der bei beiden Elementen des Idioplasma’s darauf beruht, dass ihre Theile sich nicht von einander lösen, sondern in der einmal bestehenden Verbindung verharren. In dem jugendlichen Ei z. B. ist nur eine Art von Determinanten aktiv, nämlich die „ ovogene “, welche das Wachsthum und die histologische Differenzirung des Eies bestimmen; sämmtliche übrige Determi - nanten des Keimplasma’s bleiben inaktiv, und die Ide, welche aus ihnen gebildet sind, bleiben ebenfalls inaktiv. Erst wenn die Befruchtung eingetreten ist, werden sie aktiv, d. h. nun beginnt sich eine Determinanten-Art nach der andern aus der Architektur des Id’s loszulösen. Wir werden aber später sehen, dass es auch Ide des Keimplasma’s giebt, die trotz eingetretener101 Befruchtung des Eies doch inaktiv bleiben und gewissermassen in gebundenem Zustand von Zelle zu Zelle weitergegeben werden, um später die Keimzellen des Embryo zu bilden.
Die Ursachen dieses Verhaltens kennen wir so wenig, als die des Schlafzustandes des Gehirns oder der Latenzperiode ge - wisser befruchteter thierischer Eier, die ihre Embryonalent - wickelung zwar beginnen, aber dann auf einem gewissen Stadium für Monate stehen bleiben. Die Annahme aber eines aktiven und inaktiven Zustandes der Ide und Determinanten wird uns durch die Thatsachen aufgezwungen, sie ist unvermeidlich, wie sich im Verlauf dieses Buches immer deutlicher zeigen wird; sie ist auch von Allen für ihre Vererbungs-Einheiten gemacht worden, welche solche aufgestellt haben, von Darwin für seine Keimchen, von de Vries für seine Pangene.
Zwei Formen der Vererbung ergeben sich unmittel - bar aus der eben vorgetragenen Theorie, die homologe und die homochrone Vererbung. Da die einzelne Determi - nante vom Keimplasma an durch alle Stufen der Ontogenese hindurch ihren bestimmten Platz im Id einnimmt, so muss sie auch an die richtige Stelle des Körpers gelangen und dort die entsprechende Bildung des Elters hervorrufen. Da ferner jede Determinante ihren Reifungs-Termin in sich trägt, so wird sie um dieselbe Entwickelungsperiode des betreffenden Individuums aktiv werden, wie beim Elter, und wird also den Körpertheil genau zur selben Zeit zur Entfaltung bringen. Ausnahmen davon kommen vor, theils als Abnormitäten, theils aber auch als phylogenetische Verschiebungen.
Nach meiner Auffassung setzt sich das Keimplasma der Vielzelligen aus Ahnenplasmen oder Iden zusammen, Lebens - einheiten der dritten Stufe, welche in Mehrzahl die Kernstäbchen102 oder Idanten zusammensetzen. Jedes Id des Keimplasma’s ist aus Tausenden oder Hunderttausenden von Determinanten erbaut, Lebenseinheiten zweiter Stufe, die sich dann wieder aus den eigentlichen Lebensträgern, den Biophoren zusammen - setzen, den kleinsten Lebenseinheiten. Die Biophoren sind ver - schiedener Art und jede Art entspricht bestimmten Theilen einer Zelle; sie sind also „ Eigenschaftsträger “von Zellen. In verschiedener aber fest bestimmter Zahl und Mischung setzen sie die Determinanten zusammen, deren jede die Anlage einer bestimmten Zelle, oder einer kleineren, grösseren oder selbst sehr grossen Zellengruppe (Blutzellen) ist.
Diese Determinanten bestimmen die Zelle dadurch, dass sie sich in ihre Biophoren auflösen, welche nun durch Poren der Kernmembran in den Zellkörper auswandern und dort sich vermehren und nach in ihnen enthaltenen Kräften sich ordnen und die histologische Structur der Zelle bestimmen. Sie thun dies aber erst nach Ablauf einer gewissen fest normirten Ent - wickelungsdauer, während deren sie in die Zelle gelangt sind, die sie zu determiniren haben.
Dass jede Determinante an den ihr bestimmten Platz im Körper gelangt, beruht darauf, dass jede von ihnen schon im Keimplasma-Id ihren bestimmten Platz einnimmt, dass dieses also eine ererbte und fest bestimmte Architektur besitzt. Die Ontogenese beruht auf einem allmählichen Zerlegungs-Process des Keimplasma-Id’s, welches sich bei jeder oder doch sehr vielen Zell - und Kerntheilungen der Entwickelung in immer kleinere Gruppen von Determinanten spaltet, so dass an Stelle einer Million verschiedener Determinanten, die etwa das Keimplasma - Id zusammensetzen möge, auf der folgenden ontogenetischen Stufe jede Tochterzelle deren nur noch eine halbe Million, jede der darauf folgenden Stufe nur eine viertel Million u. s. w. ent - hielte. Zuletzt bleibt in jeder Zelle nur noch eine Art von103 Determinanten übrig — wenn wir von möglichen Complicationen absehen —, diejenige nämlich, welche die betreffende Zelle oder Zellengruppe zu bestimmen hat. Diese allmähliche Zerlegung des Keimplasma-Id’s in die späteren Id-Stufen mit immer kleineren Determinanten-Gruppen geschieht nicht wie eine ein - fache Zerschneidung desselben in Stücke, sondern ist, wie alle Zerlegungen von Lebenseinheiten, mit Verschiebungen der De - terminanten-Gruppen verbunden, wie sie durch ungleich rasche Vermehrung der verschiedenen Determinanten gesetzt und durch die in diesen waltenden Kräfte der Anziehung geregelt werden. Die ursprüngliche Lage jeder Determinante in dem unendlich verwickelten Bau des Keimplasma-Id’s bedingt es, dass trotz aller Verschiebungen der Determinanten-Figur, welche durch die erbungleichen Kerntheilungen verbunden mit ungleichem Wachsthum der verschiedenen Determinanten-Arten eintreten muss, dennoch jede Determinante in jeder Id-Stufe wieder ihren fest bestimmten Platz einnimmt und einen sicher geregelten Weg einhält, vom Keimplasma-Id durch ganz bestimmte Zellen - folgen hindurch bis zu der Zelle am Ende der Entwickelung, in welcher sie ihre Reife erlangt, sich in ihre Biophoren auf - löst und der Zelle ihren ererbten specifischen Charakter auf - prägt. Jedes Id jeder Stufe hat seine fest ererbte Archi - tektur, einen verwickelten, aber völlig fest bestimmten und gesetzmässigen Bau, der vom Id des Keimplasma’s ausgehend, sich in gesetzmässiger Veränderung auf die folgenden Id-Stufen überträgt. In der Architektur des Keimplasma-Id’s sind alle Structuren der folgenden Id - Stufen potentia enthalten, in ihr liegt der Grund der regel - rechten Vertheilung der Determinanten, d. h. der Grund für den gesammten Aufbau des Körpers von seiner Grundform an zu der Anlage und zu den Beziehungen der Theile, in ihr liegt der Grund, warum z. B. die Determinante für einen kleinen104 Fleck auf dem Flügel eines Schmetterlings genau an die richtige Stelle gelangt und an keine andere, warum die Determinante für das fünfte Fühlerglied eines Flohkrebses genau an dieses und nicht etwa an das vierte gelangt. Die Bestimmung des Charakters der einzelnen Zelle hängt von den Biophoren ab, welche die betreffende Determinante enthält und in die Zelle entsendet.
Es soll in diesem Abschnitt nicht von den Ursachen der phyletischen Entwickelung die Rede sein — dies gehört in das Capitel von der Variation —, sondern nur von der idio - plasmatischen Mechanik derselben. Es soll versucht werden, zu zeigen, in welcher Weise aus dem angenommenen feinsten Bau des Idioplasma’s sich seine phyletische Abänderung mecha - nisch ableiten lässt.
Da alle Theile des Organismus vom Keim aus bestimmt werden, so können dauernde Veränderungen desselben auch nur von Veränderungen des Keimes ausgehen. Jede phyletische Veränderung muss also von einer Veränderung im Bau des Keimplasma-Id’s ausgehen. Wenn wir uns die Umwandlung der Arten nach dem Vorgang von Darwin als eine all - mähliche vorstellen, ausgehend von den individuellen Varia - tionen und gesteigert und gerichtet durch Selection, so wird der entsprechende idioplasmatische Vorgang nicht in einer plötzlichen und totalen Veränderung des ganzen Id’s bestehen können, sondern er wird mit der Abänderung einzelner Bio - phoren oder auch einzelner Determinanten und Determinanten - Gruppen beginnen müssen und erst nach und nach auch andere gleichwerthige Gruppen ergreifen, bis zuletzt das Id ganz oder grossentheils ein anderes geworden ist.
Die Grundlage des Vorgangs muss somit in einer Varia -105 bilität der Biophoren gesehen werden, welche ihrerseits dann wieder eine solche der höheren Lebenseinheiten, der Determinante und des Id’s nach sich zieht. Diese Variationen beziehen sich aber keineswegs blos auf den Bau der einzelnen Zelle, sondern vor Allem auch auf die Zahl der Zellen, welche ein Organ zusammensetzen. Das Blatt einer Pflanze, die Feder eines Vogels kann in der Phylogenese bedeutend an Grösse zunehmen, ohne dass deshalb nothwendig schon eine Veränderung der diese Theile auf - bauenden Zellen selbst eintreten müsste. Die Variation wird dann zuerst auf einer Steigerung der Vermehrungskraft der be - treffenden Determinanten, in vielen Fällen später auch auf einer Vermehrung der betreffenden Determinanten beruhen. Wenn das primitive Auge eines niederen Thieres nur aus einem Sehstäbchen bestand, und die Determinante desselben erlangt im Laufe der Phylogenese allmälig eine grössere Vermehrungs - kraft, so wird die Anzahl identischer Determinanten, welche während der Entwickelung durch Vermehrung der einen Deter - minante des Keimplasma’s entsteht, allmälig so zunehmen, dass sie statt nur für eine, jetzt für zwei Zellen ausreicht. Das Auge wird dann zwei Sehstäbchen besitzen, und wenn die Ver - mehrungskraft dann noch weiter zunimmt, wird eine ganze Gruppe von Sehstäbchen von der einen Determinante beherrscht werden. Von welchen innern Veränderungen der Determinante eine solche Steigerung der Vermehrungskraft abhängig ist, können wir nicht errathen, dass sie aber möglich sein muss, geht schon daraus hervor, dass nicht jede einzelne Zelle des Körpers ihre besondere Determinante besitzt, dass grosse Gruppen derselben von einer aus bestimmt werden.
Diese einfachste phyletische Veränderung der lokalen Steige - rung der Zellenzahl wird nun eine weitere Veränderung im Gefolge haben können, sobald die Vermehrung der Determi - nante, z. B. einer Sinneszelle unbestimmter Art sich nicht blos106 auf die späteren Stadien der Ontogenese, sondern auch auf das Stadium des Keimplasma’s selbst bezieht; mit andern Worten: wenn die Determinante sich schon im Keimplasma-Id verdoppelt. Denn nun wird die Gruppe von Sinneszellen, die sich aus der ursprünglich einen Zelle phyletisch entwickelt hat, von zwei Determinanten beherrscht, von denen jede unabhängig von der andern variiren und die von ihr abhängige Zellengruppe um - gestalten kann. So könnte die eine zu Hörzellen, die andere zu Geschmacks - oder Riechzellen werden.
Durch Vermehrung der Determinanten des Keimplasma-Id’s also wird die Zunahme der Differenzirung des Körpers ein - geleitet, vollzogen aber wird sie erst durch Veränderung der Determinanten gleicher Abstammung in verschiednen Richtungen. Eine blosse Vermehrung der Onto-Stufen um eine neue kann sehr wohl ohne Vermehrung der Determinanten des Keim-Id’s gedacht werden, sobald aber die auf der neuen Idstufe auf - tretende doppelte Zellenzahl in verschiedentlicher Weise diffe - renzirt werden soll, muss die Verdoppelung der Determinanten des Keim-Id’s vorhergehen. Höhere Differenzirung wird des - halb in erster Linie mit Zunahme der das Bion bildenden Zellen - zahl verbunden sein.
Die aus einer steten Hinzufügung neuer Zellgenerationen ans Ende der Ontogenese hervorgehende unabsehbare Ver - längerung der Entwicklung kann bekanntlich durch Verkürzung und Zusammenschiebung der Onto-Stadien neutralisiert werden, und auch dieser Vorgang lässt sich von dem zu Grunde gelegten Bau des Idioplasma’s aus einigermassen verstehen. Wenn zwei oder mehrere Generationen von Zellen in eine zusammengezogen werden, so wird dies darauf beruhen, dass die Determinanten während der betreffenden Stadien rascher sich vermehren und neu gruppiren, als die Zelltheilung ihnen folgen kann, wodurch dann einige Id-Stufen, von denen jede früher eine besondere107 Zellenstufe bezeichnete, innerhalb ein und derselben Zellenstufe ineinander übergehen. Die betreffenden Idstufen sind nicht völlig ausgefallen, sie folgen sich nur rascher, und verschwinden deshalb als sichtbare Entwickelungsstufen.
Solange die Organisationshöhe der Organismen noch eine geringe ist, solange wird aber eine Zunahme der Differenzirung des Körpers auch ohne Vermehrung der Zellgenerationen desselben sehr wohl erreicht werden können und zwar einfach durch eine Verkleinerung der Vererbungsstücke oder Determi - naten. Wenn eine Determinante, die einen Bezirk von hundert Zellen beherrschte, sich in zwei theilt, von welchen jede nur fünfzig Zellen bestimmt, so können diese beiden Zell - gruppen von da ab unabhängig voneinander variiren und also auch sich verschiedenartig ausbilden. Auf diese Weise kann eine fortgesetzte Spaltung der Determinanten und damit eine stets sich steigernde Differenzirung der Arten zu Stande kommen, ohne dass die Gesammtmenge der in der Ontogenese auftretenden Zellen zuzunehmen braucht.
Jede Zunahme der Differenzirung bedeutet eine Steigerung der Organisationshöhe. Nun ist aber die phyletische Entwicklung der Organismen keineswegs stets mit einer Steigerung oder über - haupt einer Veränderung der Organisationshöhe verbunden. Die Arten einer Gattung, sehr häufig auch die Gattungen einer Familie unterscheiden sich nicht durch grössere Zellenzahl oder durch gesteigerte Mannigfaltigkeit der Zellen, sondern nur durch qualitative Verschiedenheiten in der Bildung der verschiedenen Theile. Man wird die phyletische Entwickelung der Lebens - formen deshalb nicht blos aus einer Vermehrung der Zahl der Determinanten des Keim-Id’s, sondern zugleich aus einer Änderung in Beschaffenheit derselben und der sie zusammen - setzenden Biophoren ableiten müssen.
Auch die Erscheinungen des Parallelismus zwischen108 Ontogenese und Phylogenese, beruhend auf dem bio - genetischen Gesetz, sowie das ebenfalls aus ihm hervorgehende Zurückrücken der Endcharaktere auf immer jüngere Onto - Stufen im Verlauf der Phylogenese lassen sich aus der an - genommenen Structur des Idioplasma’s ableiten.
Was die Ersteren betrifft, so nahmen wir an, dass jedes Onto-Stadium durch eine bestimmte Determinanten - „ Figur “, d. h. also eine Art von geometrischem Aufbau der Determi - nanten charakterisirt werde. Nun wird zwar die einzelne Zelle in ihrem Wesen von denjenigen Determinanten der Kernsubstanz bestimmt, welche ihre Reife erlangt haben, d. h. welche auf dem Stadium angelangt sind, in welchem sie sich in Biophoren auflösen und in den Zellkörper einwandern. Allein die Art und Weise der Ontogenese, z. B. der Embryonal-Entwickelung eines Thieres hängt keineswegs blos an dem histologischen Charakter der einzelnen Zellen eines jeden Stadiums, sondern viel mehr noch an der Art und Weise, wie diese Zellen sich theilen, ob schneller, ob langsamer, und in erster Linie an der Art und Weise, wie die noch latenten, „ unreifen “Determinanten der Kernsubstanz gruppirt und bei den Zelltheilungen vertheilt werden. Diese Vertheilung der Anlagen an die ver - schiedenen Zellen bestimmt vor Allem den Charakter der Onto - genese, und man könnte sich ganz wohl eine thierische Embryo - genese denken, bei welcher zehn oder zwanzig Generationen gleich beschaffener „ Embryonalzellen “aufeinander folgten, und bei welchen dennoch eine ganz bestimmte Vertheilung der An - lagen (Determinanten) stattgefunden hätte und nun erst hervor - träte. Es ist ja bekannt, wie ähnlich sich die Zellen des Embryo der höheren Thiere viele Stadien hindurchsehen.
Es ist also die gesetzmässige Vertheilung der noch latenten oder noch „ unreifen “Determinanten, welche den Gang der Ontogenese bestimmt und der Ausdruck109 derselben ist die Architektur einer jeden Id-Stufe oder wie ich es nannte: die Determinanten-Figur.
Nun kann aber offenbar dieselbe geometrische Figur aus verschiedenen Elementen gebildet werden, wie auch die gleiche Krystallform aus verschiedenartigen Molekülen. So wird bei nahe verwandten Arten die Ähnlichkeit der Onto-Stadien sich durch die Gleichheit oder Ähnlichkeit der betreffenden De - terminanten-Figur erklären, welche bestehen bleibt, trotz - dem die einzelnen die Figur zusammensetzenden Determinanten mehr oder weniger von einander abweichen. Dabei erklärt es sich ferner ganz einfach, dass wie die Entwickelungsgeschichte uns lehrt, die früheren Onto-Stufen verwandter Arten so sehr ähnlich sind und die Unterschiede erst später hervortreten, denn auf die früheren Id-Stufen kann die Verschiedenheit einzelner Determinanten oder Determinanten-Gruppen nach Beschaffenheit oder Vermehrungskraft noch keinen erheblichen Einfluss aus - üben, weil die Gesammtzahl der Determinanten noch sehr gross ist; die Architektur des Id’s wird deshalb auf gleicher Stufe nahezu die gleiche sein. Je mehr aber die Ontogenese vor - schreitet und in je kleinere Gruppen sich die Determinanten auseinander legen, um so stärker muss sich diese Verschiedenheit auch in der Id-Architektur äussern und in der daraus hervor - gehenden weiteren Vertheilung der „ unreifen “Determinanten. So wird ein und derselbe Theil länger oder kürzer, ein Farben - fleck grösser oder kleiner ausfallen, und die letzten Stadien der Ontogenese, welche durch Zellen bestimmt werden, die nur noch eine Determinante enthalten, werden in dem Maasse verschieden sein, als ihre Determinanten von einander abweichen. So erklärt sich die oft vollkommene Ähnlichkeit der Furchungszellen bei verwandten Thierarten, oder auch die zwar nicht vollkommene, aber doch sehr starke Übereinstimmung vieler Säugethier - Embryonen in ihren jüngeren Stadien.
110Das biogenetische Gesetz — soweit es überhaupt reicht — beruht darauf, dass die phyletische Entwickelung zum Theil durch Anhängen neuer Onto-Stufen an das Ende der Onto - genese zu Stande kommt. Damit diese letzte erreicht werde, müssen die früheren Endstufen jedesmal wieder durchlaufen werden. Idioplasmatisch wird dies so auszudrücken sein: die Determinanten des Keim-Id’s erlangen eine grössere Vermehrungs - kraft, so dass eine jede von ihnen eine oder mehrere Zell - generationen am Ende der Ontogenese anfügt; zugleich spalten sich die Determinanten im Keimplasma, vermehren sich dadurch und jede differenzirt sich in neuer Weise. Da nun aber je zwei neue Determinanten denselben Weg vom Keim-Id nach dem Endstadium der Ontogenese nehmen, den vorher die eine Stamm-Determinante nahm, so werden sie dieselben Determi - nanten-Figuren durchlaufen wie vorher und nur in den letzten Stadien, wenn sie sich trennen, zu neuen Bildungen führen. Die Onto-Stadien der Voreltern werden aber um so weniger genau wiederholt werden, je mehr die Entwickelung sich ihrem Ende nähert.
Das Verschwinden eines überflüssig gewordenen Charakters lässt sich wohl auch mit der Idioplasma-Mechanik in Einklang setzen. Die Determinanten-Gruppe, welche den betreffenden Theil bedingt, wird aus dem Keimplasma ganz be - seitigt werden müssen, wenn der Theil ganz schwinden soll. Dies wird aber bei zusammengesetzteren Organen, wie z. B. bei den Gliedmaassen der Wirbelthiere, ein sehr verwickelter und langwieriger Process sein müssen, weil die Determinanten, welche zur Entstehung einer Extremität zusammenwirken, sehr zahlreiche und verschiedenartige sind, und weil sie schon früh in der Ontogenese die Grundlage des Organs bilden. Hier werden die Determinanten viele rückschreitende, ver - einfachende Veränderungen nacheinander erleiden müssen, ehe111 eine merkliche Abnahme des Organs eintritt. Wenn man die gänzlich funktionslosen, unter dem Federkleid versteckten Flügel - rudimente des australischen Kiwi-Kiwi (Apteryx) untersucht, so enthalten dieselben noch alle Knochen des ausgebildeten Vogelflügels, aber vielfach verkleinert. Dies wäre dahin zu verstehen, dass zuerst die ganze Determinanten-Gruppe des Flügels noch bestehen bleibt im Keim-Id, dass sie aber an Kraft abnimmt, d. h. dass ihre Elemente sich nicht mehr so stark ver - mehren und also nur kleinere Zellgruppen noch bestimmen können. Schreitet der Rückbildungsprocess weiter fort, so ver - kleinert sich das Organ nicht nur immer noch mehr, sondern nun schwinden auch in ungleichem Tempo die einzelnen Theile desselben, verlieren die charakteristische Form und werden zu fast unkenntlichen Rudimenten, wie dies z. B. bei den unter der Haut liegenden Rudimenten der hinteren Extremität bei den Walen in einzelnen Arten schon eingetreten ist, während bei anderen immer noch die Gestalt der einzelnen Knochenstücke einigermassen erhalten geblieben ist, und das Oberschenkelbein sich von den Unterschenkelknochen noch deutlich unterscheidet. Hier müssen also viele der früheren Determinanten ganz aus - gefallen sein aus dem Bau des Keim-Id’s, die übriggebliebenen aber noch mehr als im Stadium des Apteryx-Flügels die „ Kraft “der Vermehrung eingebüsst haben.
Wir wissen aber, dass selbst bei solchen Thieren, deren Extremitäten seit ganzen geologischen Perioden vollständig ver - loren gegangen sind, wie bei den meisten Schlangen, dennoch heute noch in frühen Stadien der Ontogenese die Anlagen der - selben, als sog. Muskelknospen auftreten, um bald wieder zu verschwinden1)Vergleiche: J. van Bemmelen „ Over den oorsprong von de vorste ledematen en de tongspieren bij Reptilen “. Kon. Akademie d. Wetenschappen te Amsterdam, 30. Juni 1888., und dies dürfte idioplasmatisch so gedeutet112 werden, dass hier der kleine Rest von der Determinanten-Gruppe der Extremität, welcher noch im Keim-Id vorhanden ist, auch so sehr an Vermehrungskraft eingebüsst hat, dass er nur noch bis zu den betreffenden frühen Embryonalstadien hinreicht. Die jüngsten Determinaten, d. h. Vererbungsstücke, schwinden er - fahrungsgemäss zuerst, und dann allmälig auch die älteren bis ältesten, und diese Erscheinung muss wohl in der Vermehrungs - art der Determinanten seinen Grund haben, wenn wir auch den inneren Zusammenhang der Erscheinungen noch nicht klar er - kennen können. Vielleicht liegt er darin, dass die phyletisch jüngsten Determinanten für die spätesten ontogenetischen Stadien bestimmt sind, also auch erst in diesen die „ Reife “erlangen, d. h. sich in ihre Biophoren auflösen. Büssen sie nun bei der Rückbildung ihre Vermehrungskraft bedeutend ein, so erreichen sie weder diejenige Zahl, welche zur Beherrschung ihrer Zellen - gruppe erforderlich ist, noch auch nur das Reifestadium über - haupt. Sie sind noch vorhanden, können sich aber nicht mehr geltend machen, während die Determinanten der älteren phyle - tischen Stadien noch in den früheren ontogenetischen Stadien zur Reife kommen, welche auch jetzt noch erreicht werden.
Man wird also den Rückbildungs-Process eines Organs sich darauf beruhend vorstellen dürfen, dass zuerst die Deter - minanten sich derart verändern, dass sie an Vermehrungskraft abnehmen und dass dies zu einem sehr allmäligen Ver - kümmern erst weniger, dann immer zahlreicherer Determinanten der betreffenden Gruppe führt. Zugleich nimmt die Ver - mehrungskraft auch der noch übrig bleibenden Determinanten ab, so dass ihre Gruppen immer weniger weit in die Onto - genese hineinreichen, bis sie schliesslich alle ganz ausfallen.
Es soll damit, dass ich die Thatsachen der Rückbildung mit der Determinanten-Lehre zusammenhalte, nicht etwa der Anspruch erhoben werden, eine mechanisch-physiologische Er -113 klärung des Vorganges gegeben zu haben. Von einer solchen sind wir noch weit entfernt, solange wir über die Kräfte, welche in und zwischen den Biophoren walten, noch so gut wie Nichts wissen. Soviel nur glaubte ich zeigen zu können, dass diese Lehre nicht in Widerspruch mit den betreffenden Thatsachen steht, vielmehr denselben bis zu einem gewissen Grad gerecht zu werden vermag. Die Erscheinungen der Rückbildung sind bisher noch nicht unter diesen Gesichtspunkten betrachtet wor - den; wenn man von ihnen aus tiefer in die Erscheinungen selbst eingedrungen sein wird, würden vielleicht von da aus auch wieder Rückschlüsse auf die Theorie und damit eine genauere Ausarbeitung der Determinantenlehre möglich werden.
Die correlativen Abänderungen dürften hier noch eine kurze Erwähnung finden. Wir wissen durch Darwin, welche bedeutende Rolle dieselben bei der Artumwandlung spielen, wie Abänderungen, die wir als die primären, gewissermassen die von der Natur beabsichtigten betrachten müssen, eine Menge von Abänderungen anderer Theile nach sich ziehen. So bedingt die Zunahme des Hirschgeweihes eine Verdickung der Schädel - knochen, eine Verstärkung der Nackenmuskeln, der Dornfort - sätze der Halswirbel, des Ligamentum nuchae, schliesslich auch des Brustkorbes und der Vorderbeine. Idioplasmatisch werden alle diese Veränderungen auf Abänderungen der betreffenden Determinantengruppen des Keim-Id’s beruhen müssen, welche nicht direkt durch Abänderung und Vermehrung der Deter - minantengruppe des Geweihes, sondern sekundär durch Selection sich darbietender Determinanten-Variationen zu erklären sein werden. Aber es giebt noch eine ganz andere Art der Cor - relation, darin bestehend, dass die Abänderung eines Theils die eines andern nach sich zieht, der in keinem anatomischen oder auch nur funktionellen Zusammenhang mit ihm steht. So er - wähnt Darwin, dass Katzen mit blauen Augen gewöhnlichWeismann, Das Keimplasma. 8114taub sind, dass Tauben mit befiederten Füssen eine Verbindungs - haut zwischen den äusseren Zehen besitzen u. s. w.
Ich glaube nicht, dass solche Correlationen auf Nerven - zusammenhänge zurückgeführt werden können; eher vielleicht dürften sie auf eine Zusammenlagerung der Determinanten der in Correlation variirenden Theile im Keim-Id bezogen werden. Es wird später noch gezeigt werden, dass lokale Er - nährungs-Unterschiede im Keim-Id vorkommen, und dass diese Abänderungen der davon berührten Determinanten nach sich ziehen können. Wenn nun die Determinanten von Organen, die weit von einander entfernte Theile des Körpers bestimmen im Keim-Id nahe bei einander liegen, so würden sie von ab - ändernden Einflüssen leicht zugleich getroffen werden. Die fest bestimmte Architektur des Keim-Id’s, auf welcher wir fussen, gestattet aber nicht nur eine Nachbarschaft der Determinanten weit entfernter Körpertheile, sondern sie verlangt sie sogar. Denn das Keim-Id ist unserer Voraussetzung nach nicht ein Miniaturbild des Körpers, sondern ein Bau ganz eigner Art, in welchem die einzelnen Steine so zusammengeordnet sind, wie sie zunächst in der Ontogenese gegen ihr Endziel hin — die Determinaten (Vererbungsstücke) — weiter befördert werden. Dies bedingt aber, dass Determinanten z. B. des Ektoderm’s im Keimes-Id dicht an solche des Entoderm’s anstossen, wenn sie etwa durch die erste Theilung des Eies einer Ur-Ektoderm - zelle und einer Ur-Entodermzelle zugetheilt werden sollen. Eine Zelltheilung, welche zur Trennung weit differirender Determinantengruppen führt, lässt dennoch eine dichte An - einanderlagerung dieser differenten Determinantengruppen in dem Id der Mutterzelle zu. Bis zu einem gewissen, wenn auch schwachen Grad, eröffnet dies vielleicht eine Art von Einsicht in die Möglichkeit und die Ursachen der obenerwähnten Cor - relationen.
Die Zusammensetzung des Keimplasma’s aus Biophoren, Determinanten und Iden verlangt bei allen höheren Organismen eine sehr grosse Zahl kleinster Lebenseinheiten oder Biophoren in engem Raum; die Frage liegt nahe, ob der Raum eines Id dafür ausreicht. Eine irgend zuverlässige Antwort durch die Rechnung darauf zu geben, halte ich augenblicklich noch für ganz unmöglich, aber es ist doch vielleicht nicht uninteressant, wenigstens den Versuch einer solchen Berechnung zu machen.
Um eine sichere Antwort zu geben, müssten wir mindestens die Grösse eines Biophors, die eines Id’s und die Zahl der Determinanten kennen für irgend eine Art. Leider kennen wir aber keine dieser drei Grössen auch nur annähernd genau; wir wissen weiter nicht einmal, wie viele Moleküle etwa am Aufbau eines Biophors Theil nehmen, und selbst die Grösse des Moleküls ist ein ziemlich unsicherer Werth.
Vier Wege haben übereinstimmend die Grösse eines Mole - küls zwischen 1 und 1 / 10 Millionstel Millimeter bestimmt, näm - lich: 1) der Weg durch die Undulationstheorie des Lichtes, 2) die Erscheinungen der Contact-Elektricität, 3) die der Ca - pillar-Attraction und 4) die der kinetischen Theorie der Gase. 1)William Thomson, „ Popular Lectures and Adresses “, Vol. I. 1889, p. 148.O. E. Meyer berechnete die Grösse des Moleküls „ aus den Eigenschaften und dem Verhalten der Gase und Dämpfe. Aus der Reibungsconstante und der Vergleichung der Raumerfüllung im tropfbaren und gasförmigen Zustand, sowie aus den Ab - weichungen vom Boyle-Mariotte’schen Gesetze lässt sich das Volumen zunächst aller in einem bestimmten Raume ent - haltenen Theilchen, ferner das eines einzelnen Theilchens, daraus die Anzahl und schliesslich auch das Gewicht eines einzelnen8*116Theilchens angenähert berechnen. “ Daraus ergiebt sich das obige Resultat.
Nimmt man nun das Molekül im Durchschnitt zu ½ Micro - Millimeter an und rechnet 1000 Moleküle auf 1 cubisch ge - dachtes Biophor, so würde ein solches 10 Molekel in der Länge messen, d. h. 5 Millionstel Millimeter oder 5 Tausendstel eines Mikro-Millimeters (Micro). Es gingen dann 200 Biophoren auf die Länge eines Micro-Millimeters und 8 Millionen Bio - phoren auf einen Cubik-Mikro-Millimeter. Ein menschliches Blutkörperchen misst 7,7 Mikro im Durchmesser; denkt man sich dasselbe zu einem Cubus von der Diagonallänge 7,7 er - weitert, so würde ein solcher Raum 543 Millionen Biophoren enthalten können. Wenn man erwägt, dass die Chromosomen des Zellkerns meist ausserordentlich viel kleiner als der Kern sind, und dabei in Betracht zieht, dass das Keimplasma sicher - lich nicht blos ein Id enthält, sondern mindestens mehrere Ide, von denen jedes sämmtliche zum Aufbau des gesammten Körpers erforderliche Biophoren enthält, so erscheint die Zahl der Bio - phoren, welche nach diesen Annahmen in einem Id Platz hätten, doch als eine recht beschränkte.
Die grössten, bisher bekannt gewordenen Chromosomen des Keimplasma’s sind diejenigen von Ascaris megalocephala. Hier finden sich zwei oder vier stäbchenförmige Chromosomen. Jedes Stäbchen setzt sich aus „ sechs stärker sich färbenden verdickten
Schema zweier Idanten mit ihren Iden a — f.
Abschnitten zusammen, Körnern oder Scheiben, die durch schwächer chromatische Portionen von ein - ander getrennt sind “(Boveri). Wenn die hier angenommene Zusammensetzung des Keimplasma’s aus Iden auf diesen Befund angewandt wird, so kann ein Id in jedem Falle nicht grösser sein, wohl aber kleiner als ein solches Korn oder Microsoma. Grösser nicht, weil, wie schon oben gesagt wurde,117 das Id eine Einheit ist, die sich zwar wohl in zwei Töchter-Ide theilen kann, die aber nicht durch andersartige Zwischensubstanz in Stücke dauernd getrennt bleiben könnte. Nehmen wir also einmal das Id so gross als möglich an, so misst ein Microsoma nach Boveri’s Zeichnung und Vergrösserungsangabe im Durch - messer 0,0008 Mm., also nicht ganz einen Micro; so gross sind indessen nur die Endkörner der Stäbchen, die mittleren messen in ihrem grössten Durchmesser nur 0,0006 Mm[.,] im kleineren vielleicht 0,0003 — 4. Die Endkörner als Kugeln ge - nommen würden von den oben angenommenen Biophoren etwa zwei Millionen enthalten können.
Das ist nun gewiss eine ansehnliche Zahl, und man sollte denken, dass sie ausreichte, um bei einem so niedern Thier, wie ein Spulwurm ist, die Determinantenzahl herzustellen. Schon bei Gliederthieren aber wächst die Zahl der Determinaten und damit auch die der Determinanten beträchtlich. Es wurde oben schon auf die Riechfäden an den Fühlern der Kruster hingewiesen, deren jeder vom Keim aus determinirbar sein muss; ebenso auf die Flecke und Striche auf den Flügeln der Schmetter - linge, von denen jeder zum mindesten eine Determinate dar - stellt, alle grösseren aber sicherlich mehrere oder viele. Wenn man bedenkt, dass die Zeichnung häufig recht verwickelt, dabei oft die Ober - und Unterseite des Flügels verschieden gezeichnet ist, so gelangt man allein schon für die Flügelzeichnung auf Hunderte von Determinanten. Nun giebt es aber mancherlei Eigenthümlichkeiten in der Schuppenbildung, welche es wahr - scheinlich machen, dass beinahe jede Schuppe vom Keim aus selbstständig variabel ist. Wenn bei manchen männlichen Bläulingen, z. B. bei Lycaena Adonis in regelmässiger Ver - theilung kleine guittarrenförmige Duftschuppen zwischen den Farbschuppen stehen, während bei nächstverwandten Arten, z. B. bei Lycaena Agestis dieselben gänzlich fehlen, so müssen118 wir schliessen, dass diese Duftschuppen durch Umwandlung aus gewöhnlichen Schuppen entstanden sind. Dies setzt aber die selbstständige Veränderlichkeit jeder der phyletisch umzu - wandelnden Schuppen voraus, folglich ihre Bestimmbarkeit vom Keim aus. Wäre diese nicht vorhanden gewesen, so hätte niemals eine einzelne Schuppe mitten unter den andern erblich variiren können.
Auf der Oberfläche des Flügels einer Lycaena Adonis stehen etwa 30,830 Schuppen. 1)Nach einer Zählung, welche mein Assistent. Herr Dr. V. Häcker, für mich auszuführen die Güte hatte.Wenn jede derselben als De - terminate aufzufassen wäre, so erhielten wir allein von der Be - schuppung der Flügel her schon die enorme Zahl von etwa 240,000 Determinanten des Keimplasma’s, vorausgesetzt, dass Ober - und Unterfläche der vier Flügel ungefähr die gleiche Anzahl von Schuppen besässen.
Ich habe mich bemüht, die untere Grenze der Determi - natengrösse, d. h. also die kleinsten Determinaten durch direkte Versuche für eine bestimmte Art und für bestimmte Charaktere festzustellen und wählte dazu einen durch Parthenogenese sich fortpflanzenden Muschelkrebs, Cypris reptans, bei welchem eine bestimmte grüne Zeichnung der Schale die Vergleichung der - selben sehr kleinen Pigmentflecke bei Mutter und Tochter mög - lich macht. Es zeigte sich, dass zwar die grösseren Flecke streng vererbt werden, nicht aber die ganz kleinen, nur aus einer oder zwei Pigmentzellen bestehenden. Auch wechselte die Gestalt der aus fünfzig oder hundert Pigmentzellen zu - sammengesetzten Flecke immer etwas, so dass auch bei ihnen die Zellenzahl nicht genau die gleiche blieb. Wenn man die par - thenogenetische Fortpflanzung als eine einreihige betrachten könnte, so dürfte daraus geschlossen werden, dass die Determi -119 naten hier keine einzelnen Zellen, sondern Zellengruppen sind, leider aber kann der Versuch nicht als rein gelten, da — wie später zu zeigen sein wird — bei Parthenogenese das Keim - plasma nicht aus gleichen Iden zusammengesetzt ist, sondern wie bei geschlechtlicher Fortpflanzung, aus ungleichen, und da daraus Schwankungen in der Vererbung entstehen können.
Bei höheren Wirbelthieren ist die Zahl der Determinaten, welche allein aus der Färbung und Zeichnung des Thieres sich erschliessen lassen, eine sehr bedeutende. So müssen wohl die meisten, wenn nicht alle Conturfedern der Vögel durch be - sondere Determinanten im Keimplasma bestimmt werden, denn sie sind selbstständig erblich veränderbar. Ist doch die Zahl der Schwung - und Steuerfedern bei jeder Vogelart eine fest bestimmte und besitzt doch jede dieser Federn ihre bestimmte Form, Grösse und Färbung. Die Annahme einer Determi - nante genügt auch nicht einmal für die ganze Feder, denn die - selbe besteht aus Tausenden von Epidermiszellen, und diese verhalten sich keineswegs alle gleich, weder in Bezug auf Gestalt und Zusammenfügung, noch in Bezug auf Färbung. Viele Federn sind gebändert, andere tragen an der Spitze einen brillanten Schmuckfleck, wie bei manchen Kolibri’s, dem Pfau und gewissen Paradiesvögeln. Die Zellen, welche diese Bänder und Flecken bilden, müssen andere Determinanten enthalten, als die übrigen Zellen der Feder, beide also setzen mindestens eine besondere Determinante des Keimes voraus, oft aber deren mehrere und viele, da solche Schmuckflecke, wie bekannt, oft recht complicirt aus mehreren Farben zusammengestellt sind.
Es wäre auch ein Irrthum zu glauben, dass bei Vögeln mit einfarbigem Gefieder, wie die Raben, die Conturfedern nicht einzeln determinirt wären; die Qualitäts-Unterschiede beziehen sich hier nur weniger auf die Farbe, als auf Form und Grösse. Dass auch hier jede Feder erblich determinirt ist, auch der120 Farbe nach, zeigt uns ihr Variiren, welches bei einzelnen Arten bestimmte Federn ganz oder theilweise weiss, oder wie bei den den Raben verwandten Paradiesvögeln bunt gefärbt hat. Man braucht nur eine Kolibri-Sammlung durchzusehen, und die oft sehr einfach gefärbten Weibchen mit den wunderbar mannig - faltig gefärbten Männchen zu vergleichen, um zu der Über - zeugung zu kommen, dass hier so ziemlich jede Conturfeder selbstständig variiren kann, und zwar in den allerverschiedensten Richtungen, in Farbe, Gestalt, Grösse und im feineren Bau.
Es scheint allerdings, wie früher schon hervorgehoben wurde, dass dem gegenüber die inneren Organe bei Weitem nicht so speciell vom Keim aus bestimmt werden, dass hier also die Determinanten grössere Zellbezirke beherrschen, wie das oben gegebene Beispiel der Blutkörperchen und der Darm - epithelzellen beweist. Dennoch wird die Zahl der Determi - nanten des Keimplasma’s bei den höheren Thieren eine enorme und der Zweifel erscheint berechtigt, ob denn auch diese Masse von Biophoren, deren wir für ein Id des Keimplasma’s bedürfen, in den Raum eines solchen hineingehen?
Die Rechnung giebt — wie wir gesehen haben — keine genügende Antwort. Nehmen wir aber einmal an, wir besässen sicherere Daten für die Zahl der Determinaten einer bestimmten Art und die Grösse ihres Id’s, und es ergäbe sich, dass bei Zu - grundelegung von Determinanten aus je fünfzig Biophoren und von Biophoren aus je tausend Molekülen oder irgend andern willkürlich gewählten Zahlen und der Durchschnittsgrösse eines Moleküls von ein halb Millionstel Millimeter der Raum eines Id’s nicht ausreicht für ihre Unterbringung, was würde daraus folgen? Ich glaube nichts Anderes, als dass wir eine oder mehrere dieser Werthe zu gross angenommen haben. Die De - terminantenlehre könnte dadurch nicht erschüttert werden, denn kleinste Theilchen müssen im Keimplasma vorhanden sein für121 jedes selbstständig veränderbare und vererbbare Element des Körpers. Ich halte es deshalb für unfruchtbar, genauere Abschätzungen der Determinaten-Zahlen bestimmter Arten zu versuchen und durch Rechnung diese Grundanschauung zu stützen. Dieselbe ist in jedem Falle richtig, mag im Übrigen auch unsere Vorstellung vom Bau des Keimplasma’s eine sehr unvollkommene sein.
Dies ist es, was ich mit dem Versuch einer Berechnung habe zeigen wollen. Das Keimplasma ist ein unendlich fein zusammengesetzter Organismus, ein Mikrokosmus im wahren Sinn, in welchem jeder selbstständig variable Theil, der in der ganzen Ontogenese vorkommt, auch durch ein lebendes Theilchen ver - treten ist, und in welchem jedes dieser Theilchen seine bestimmte vererbte Lage, Zusammensetzung und Vermehrungsgeschwindig - keit hat. Eine Evolutionstheorie in diesem Sinne scheint mir die einzig mögliche zu sein. Es sind keine Abbilder der fertigen Theile, welche das Keimplasma zusammen - setzen, es sind nicht einmal Theilchen, welche ausschliesslich für die Bildung der entsprechenden Theile des fertigen Körpers vorhanden sind. Ein jedes von ihnen (den Biophoren und De - terminanten) nimmt vielmehr an vielen andern der vorher - gehenden Entwickelungsstadien auch einen gewissen und zwar bedeutsamen Antheil, indem es die Architektur jeder Id-Stufe mit bestimmen hilft und somit auch die weitere ontogenetische Zerlegung und Vertheilung der Determinanten auf die weiteren Zellenstufen. Gerade darauf beruhen die tieferen Unterschiede im Bau der Organismen. Es sind Theilchen, von deren Be - schaffenheit die Beschaffenheit des correspondirenden Theils des fertigen Körpers abhängt, sei dieser eine Zelle oder deren mehrere oder viele. Über die Annahme solcher Theilchen kann keine Vererbungs-Theorie hinwegkommen und sie allein be - dingt schon eine beinahe unfassbare Complicirtheit der Archi -122 tektur des Keimplasma’s. Sobald wir weniger kleinste Theilchen in seinen Bau eingehen lassen, als erblich selbstständig variable Körpertheile da sind, müssen von der Veränderung eines solchen Theilchens mehrere kleinste Körpertheile gleichzeitig verändert werden, d. h. die Zahl der Determinaten fällt dann in der Theorie zu klein aus.
In den folgenden Abschnitten sollen solche Vererbungs - Erscheinungen untersucht werden, welche sich nicht unmittelbar schon aus der bis jetzt dargelegten Zusammensetzung des Keim - plasma’s ergeben, welche aber andrerseits denkbar wären auch ohne dass eine geschlechtliche Fortpflanzung schon bestünde. Es wird die Erreichung klarer Ergebnisse wesentlich erleichtern, wenn bei diesen Erscheinungen der Regeneration verloren gegangener Theile, der Vermehrung durch Theilung und durch Knospung, der Hervorbringung einzelliger Keime und der Continuität des Keimplasma’s die Untersuchung so geführt wird, als ob diese Erscheinungen an Organismen ihren Ablauf nähmen, die sich rein ungeschlechtlich fortpflanzten und von jeher fortgepflanzt hätten. Wenn dann später die Complicationen festgestellt worden sind, welche durch das Ein - greifen geschlechtlicher Fortpflanzung an dem Vererbungs-Apparat gesetzt werden, so wird es leicht sein, dieselben auch auf alle diese Vererbungs-Erscheinungen zu übertragen.
124Die Fähigkeit, verloren gegangene Theile mehr oder weniger vollständig wieder zu ersetzen, ergiebt sich nicht ohne Weiteres allein schon aus der angenommenen Structur des Keimplasma’s. Aus dieser geht nur hervor, dass alle Theile, die zum ganzen Bion gehören, einmal, nämlich bei der Entwickelung aus dem Ei zur Bildung gelangen, nicht aber, dass einzelne von ihnen, wenn sie durch irgend welche äussere Einwirkungen verloren gegangen sind, noch einmal vom Organismus hervorgebracht werden können. Die Determinanten des betreffenden Theils sind bei der Ontogenese aus der thierischen Eizelle in die Furchungszellen, aus diesen in die späteren Embryonalzellen und schliesslich in diejenigen Zellen übergegangen, welche den betreffenden fertigen Theil selbst zusammensetzen. Wird dieser Theil gewaltsam entfernt, so sind nach dem, was bisher von den Onto-Stadien des Idioplasma’s angenommen wurde, auch die Determinanten desselben aus dem Organismus entfernt, und es fragt sich also, wie es zu erklären sei, dass dennoch der Theil sich wieder neu bilden kann.
Dass die Fähigkeit zur Regeneration von der Natur ein - gerichtet werden musste, falls sie überhaupt möglich war, be - greift sich, denn ihre biologische Bedeutung liegt auf der Hand. Das Vermögen, verloren gegangene kleinere oder grössere Theile wieder zu ersetzen, muss dem betreffenden Bion in allen Fällen nützlich, in vielen aber sogar zum Weiterleben unent - behrlich sein.
Mit Recht zählt A. Lang1)Arnold Lang, „ Über den Einfluss der festsitzenden Lebensweise auf die Thiere u. s. w. “, Jena 1888, p. 108. das Regenerationsvermögen125 der Thiere geradezu zu den „ Schutzeinrichtungen “, welche die Art mit vor dem Untergang bewahren. Für zahlreiche niedere Thiere, besonders Polypen und Würmer ist die Fähig - keit, ihren durch den Biss eines Feindes verstümmelten Körper wieder völlig herzustellen, ein werthvollerer Schutz für den Be - stand der Art, als Schalen, Stacheln, Gifte und Waffen aller Art und selbst als sympathische Färbungen, die sie ihren Feinden unsichtbar machen sollen. Denn alle diese Einrichtungen schützen wohl gegen viele Feinde und viele Angriffe, aber niemals gegen alle, und jedenfalls wird die Fähigkeit, erlittene Substanz-Ver - luste wieder zu ersetzen stets äusserst werthvoll sein. Dies darf man nicht vergessen, wenn man über den Ursprung der Regenerationskraft Etwas auszumachen beabsichtigt.
Bedenkt man diese ungemein hohe biologische Bedeutung der Regeneration, so wird man sich über ihre weite, ja, man darf sagen, allgemeine Verbreitung in der Thierwelt nicht wundern und man wird es begreifen, dass dieselbe sogar in den normalen Verlauf des Lebens mit hereingezogen ist, dadurch, dass die Funktion gewisser Organe auf ihre fort - währende Zerstörung und eine dieser parallellaufenden Regene - ration basirt ist. Hier ist der Feind, der das Leben der Zelle zerstört, kein äusserer, sondern der Lebensprocess selber; es ist die „ physiologische Regeneration “, von der ich rede. Die Histologie hat noch nicht abgeschlossen mit den Unter - suchungen darüber, welche Gewebezellen bei den höheren Thieren durch den Gebrauch während des Lebens abgenützt werden und deshalb immer wieder ersetzt werden müssen, allein für viele Fälle steht es doch fest, dass eine Abnützung der Gewebezellen fortwährend stattfindet, und dass das Leben nicht weitergehen könnte, wenn nicht fortwährend ein Ersatz von Zellen stattfände. So verhält es sich bei der Epidermis der höheren Wirbelthiere, bei den Geweben der Fingernägel des126 Menschen, den Blutzellen, den Haaren und Federn, den Krallen und Hufen, den Deckepithelien auf den Flächen der Athem - wege, auch bei dem Geweih der Hirsche u. s. w. In allen diesen Fällen findet normaler Weise continuirlich oder periodisch eine Abnutzung und Abstossung von Zellengruppen statt, deren con - tinuirlicher oder periodischer Wiederersatz ebenfalls zu den normalen Funktionen des Körpers gehört und also vor - gesehen ist.
Die theoretische Erklärung der einfachsten dieser Fälle von physiologischer Regeneration ist unschwer zu geben. So - bald das sich abnützende und stets wieder ergänzende Gewebe, z. B. die Epidermis des Menschen, nur aus einer Art von Zellen besteht, wird dazu Nichts nöthig sein, als dass nicht alle Zellen, welche das Gewebe bilden, zu gleicher Zeit ab - gängig werden, dass vielmehr mehrere Altersstufen derselben gleichzeitig vorhanden sind, und dass die jüngsten unter be - stimmten Ernährungs - und Druck-Einflüssen stets jung und vermehrungsfähig bleiben, so dass sie einen Grundstock bilden, von welchem der nothwendige Ersatz für die alternden Zellen fortwährend abgegeben werden kann. Hier wird also durch den Verlust an abgängigen Zellen nicht zugleich der ganze Vor - rath an Determinanten dieser Art aus dem Körper entfernt, denn die zurückbleibenden jungen Zellen enthalten diese Deter - minante. Bei der Epidermis des Menschen bildet das sogen. Rete Malpighi, oder die „ Schleimschicht “diesen Grundstock, von welchem, als der tiefsten Lage der Oberhaut immer neue junge Zellen durch Theilung gebildet werden und in dem Maasse altern, als sie mechanisch in die obern Schichten empor - geschoben werden, während die tiefsten immerfort aus jungen und theilungsfähigen Zellen fortbestehen.
Wir brauchen hier keine besondere theoretische Annahme zu machen, als die einer auf viele Generationen von Zellen127 hinaus vorgesehenen Vermehrungsfähigkeit der ersten, die Epi - dermis constituirenden Zellen. Dass die Normirung der Ver - mehrungskraft einer Zelle ihren Sitz im Idioplasma derselben hat, muss angenommen werden, weil die Vermehrungskraft und - Schnelligkeit mit zu den wesentlichen Eigenschaften einer Zelle gehören und weil diese — wie wir gesehen haben — durch die Kernsubstanz bestimmt werden. In welcherlei Eigenschaften des Idioplasma’s aber der Grad und das Tempo der Vermehrungs - fähigkeit liegt, können wir heute nicht einmal ahnen. Wir müssen uns damit begnügen, den ersten, die Epidermis bilden - den Zellen des Embryo ein Idioplasma zuzuschreiben, welches auf eine bestimmte Vermehrungskraft normirt ist, die dann all - mälig abnimmt, und können im Übrigen sagen, dass dieses Idioplasma während des Lebens seine Constitution beibehält, d. h. dass in dem sich erhaltenden Grundstock jugendlicher Zellen immer wieder dieselbe Determinante der betreffenden Epidermis-Stelle enthalten ist. Die Regeneration beruht einfach auf einer gesetzmässig geregelten Vermehrung dieser Zellen mit Epidermis-Idioplasma.
Nicht überall auf der Haut des Menschen ist die Epidermis von der gleichen Beschaffenheit; an der Volarfläche des Fingers ist sie anders, als an der Dorsalfläche und dort wieder anders an den zwei ersten Gliedern, als am Nagelglied. Für die theoretische Erklärung der Regeneration macht dies keine Schwierigkeit, die Determinanten der verschiedenartigen Stellen müssen dann etwas verschieden sein. Auch da, wo zwei oder mehrere Verschiedenheiten dicht nebeneinander liegen, erklärt sich die Beibehaltung dieser Grenzen während der ununter - brochen stattfindenden Regeneration einfach dadurch, dass die verschiedenen Bezirke des Gewebes von Bildungszellen mit ver - schiedenen Determinanten aus regenerirt werden.
In ganz derselben Weise, wie in den bisher erwähnten128 Fällen physiologischer Regeneration erneuen sich auch viele Gewebe selbst der höchsten Thiere, wenn sie abnormen Sub - stanzverlust erlitten haben. So können verloren gegangene Stücke eines Muskels, eines Decken-Epithels, eines Stückes vom Epithel eines Drüsenganges, eines Knochens bei den Säuge - thieren sich durch zellige Elemente derselben Art wieder er - setzen, und die heutige pathologische Anatomie hat es nahezu sicher festgestellt, dass alle solche Regenerationsvorgänge stets von den Zellen des Gewebes selbst ausgehen, welches ersetzt werden soll. Diese Gewebezellen behalten also die Fähigkeit, sich durch Theilung zu vermehren, sie treten aber nur auf ge - wisse äussere Anregungen hin, vor Allem auf Substanzverluste in ihrer unmittelbaren Umgebung hin in Vermehrung. So proliferiren die Epithelzellen um einen Defekt des Epithels herum, und im verletzten Muskel vermehren sich die Muskel - kerne und formen das sie einhüllende Protoplasma zu Zellen um, welche spindelförmig auswachsen und zu Muskelfasern werden. In beiden Fällen ist es nur die Fähigkeit der Ver - mehrung, welche man dem Idioplasma der betreffenden Zellen zuzuschreiben hat und welche ausgelöst wird durch den Reiz des Substanzverlustes, oder wie die moderne Pathologie1)Siehe: E. Ziegler, „ Lehrbuch der pathologischen Anatomie “. Jena 1890. sagt: „ durch Aufhebung der Wachsthumswiderstände “. Also auch in diesen einfachsten Fällen abnormen Verlustes bildet der übrigbleibende Rest des betreffenden Gewebes einen Grundstock von Determinanten, von welchem aus Ersatz stattfinden kann.
Verwickelter wird der Vorgang, sobald ein Gewebe von complicirterem Bau regenerirt werden soll. So regenerirt sich die gesammte Epidermis sammt Schleimdrüsen und Haut - sinnesorganen bei den Amphibien nach den Untersuchungen129 von Fraisse von den dem Defekte benachbarten Zellen der Epi - dermis aus. Auch hier sind es die tieferen, noch unverhornten Schichten der Epidermis, welche das Material für den Wieder - aufbau liefern. Nicht alle neu entstandenen Zellen aber liefern dasselbe Gewebe; die Hauptmasse derselben zwar bildet die geschichtete Epidermis selbst, andere aber „ schliessen sich zu perlförmigen Zellgruppen in der Tiefe der Epidermis aneinander und gruppiren sich um einen idealen Mittelpunkt “. „ Dann wandern von der Cutis her Bindegewebszellen ein und schnüren “diese zehn bis zwanzig Zellen von der Epidermis ab. „ Zu - gleich wandern auch Pigmentzellen dazwischen und endlich ent - stehen die glatten Muskeln “. 1)Vergleiche: Fraisse, „ Die Regeneration von Geweben und Or - ganen bei den Wirbelthieren, besonders bei Amphibien und Reptilien “. Cassel und Berlin 1885.Ganz ähnlich bilden sich auch neue Hautsinnesorgane; auch hier ballen sich im tieferen Theil der neugebildeten Epidermis eine Anzahl von jungen Zellen zu einem rundlichen soliden Haufen zusammen, die Zellen strecken sich dann in die Länge, senkrecht auf die Oberfläche der Haut und nun differenziren sich die in der Mitte liegenden unter ihnen zu den Sinneszellen, die peripheren dagegen zu den „ Mantelzellen “.
Man sieht, der Vorgang ist hier dadurch complicirt, dass aus den jungen Epidermiszellen, welche durch Wucherung der schon vorhandenen neu entstanden sind, verschiedene Zellarten hervorgehen: gewöhnliche Epidermiszellen, Drüsenzellen, Sinnes - zellen und Schutzzellen für die Sinneszellen (Mantelzellen), und dass diese sich in ganz bestimmter, gewissermassen vorgeschrie - bener Weise anordnen und lokalisiren. Offenbar kann man nicht annehmen, dass die Bildungszellen, aus welchen diese verschie - denen Zellenarten hervorgehen, wirklich identisch wären, wennWeismann, Das Keimplasma. 9130sie uns auch so erscheinen. Es kann unmöglich blos von äusseren Einwirkungen abhängen, ob sich eine derselben später zur Drüsen -, Horn - oder Sinneszelle umgestaltet, und zwar schon deshalb nicht, weil eine so regelmässige und lokalisirte Ver - schiedenheit äusserer Einwirkungen nicht angenommen werden kann. Die verschiedene Differenzirung der Bildungszellen muss also von ihrem eigenen Wesen abhängen, d. h. von den De - terminanten, welche in ihnen — bisher in latentem Zustand — enthalten waren und welche nun gereift sind und der Zelle einen specifischen Charakter aufprägen. Diese Bildungs - zellen müssen von vornherein verschiedene Determi - nanten enthalten.
Fraisse vergleicht die sichtbaren Vorgänge bei der Re - generation der Amphibienhaut mit denjenigen bei der Embryo - genese und findet beide im Wesentlichen gleich. So werden wir berechtigt sein, auch das, was man nicht sieht, die trans - mikroskopischen Vorgänge im Idioplasma, als homolog den embryonalen uns vorzustellen.
Wir gelangen dann zu der Annahme, dass in der sog. „ Schleimschicht “der Epidermis eine Zellenmasse aufgeschichtet liegt, welche zwar dem Aussehen nach nur von einerlei Art ist, gerade wie die Embryonalzellen, welche die erste Anlage der Haut bilden, welche aber dennoch verschiedene Determi - nanten enthalten müssen. Ob die drei Determinanten-Arten, welche hier in Betracht kommen, in den Bildungszellen noch vereinigt beisammen liegen und sich erst auf besondere Zellen vertheilen, wenn die Regeneration einsetzt, oder ob sie von vorn - herein schon auf besondere Zellen verteilt sind, lässt sich kaum sagen; Beides ist denkbar. Wir können also annehmen, dass das Lager junger Zellen aus solchen mit Drüsen-Determinanten, aus anderen mit Hornzellen - und aus solchen mit Sinneszellen - Determinanten bestehen, und zwar von vornherein in einem131 bestimmten Mischungsverhältniss und einer bestimmten topo - graphischen Anordnung.
Ganz dieselben Annahmen sind auch für die Embryogenese erforderlich. Wenn z. B. die Sinnesorgane der Seitenlinie bei Fischen und Amphibien sich eben nur auf den Seitenlinien und ihren Verzweigungen vorfinden, so müssen wir annehmen, dass beim embryonalen Aufbau der Epidermis die Spaltungen des Idioplasma’s der Ektoderm-Zellen derart vor sich gehen, dass nur in den Seitenlinien und auch dort nur an bestimmten Stellen Zellen mit den Determinanten jener Sinnesorgane zu liegen kommen. Wenn nun nicht alle diese Sinnes-Bildungs - zellen sofort zur Entwickelung gelangen, wenn vielmehr einige von ihnen in der Nachbarschaft, nämlich in dem tiefen Lager jugendlicher Zellen, unentwickelt harren, bis die Nothwendigkeit einer Regeneration an sie herantritt, so können wir es im Princip verstehen, warum bei der Regeneration eine ähnliche topo - graphische Anordnung und ein ähnliches numerisches Verhältniss der Sinnesorgane und der übrigen Epidermis-Elemente sich herstellt, wie beim primären Aufbau der Oberhaut im Embryo.
Dass bei einer solchen Regeneration das Idioplasma der Zellen nicht ganz allein entscheidet über das, was geschehen soll, zeigt sich schon darin, dass der Eintritt regenerativer Zellenvermehrung von dem Eintritt eines Substanzverlustes ab - hängt, und dass Stillstand der Zellwucherung eintritt, sobald der Defekt ausgefüllt ist. Der Reiz zu weiterer Proliferation der Zellen hört damit auf. Immerhin ist damit nur eine sehr unbestimmte Einsicht in die Ursachen der Selbstbegrenzung des regenerativen Vorganges gegeben und wir werden bald sehen, dass bei verwickelteren Regenerationen diese Erklärung nicht ausreicht, vielmehr noch andere regulirende Faktoren angenommen werden müssen, die nicht ausserhalb, sondern innerhalb der thätigen Zellen liegen.
9*132Es ist bekannt, dass bei den Salamandern die Beine wieder wachsen, wenn sie abgeschnitten werden, und wir verdanken vor Allem den Untersuchungen Götte’s1)Götte, „ Über Entwickelung und Regeneration des Gliedmaassen - Skeletts der Molche “. Leipzig 1879. und Fraisse’s2)Fraisse, „ Die Regeneration von Geweben und Organen bei den Wirbelthieren, besonders bei Amphibien und Reptilien “. Cassel und Berlin 1885. eine recht genaue Kenntniss der betreffenden Re - generations-Vorgänge. Die Untersuchungen beider Forscher stimmen darin überein, dass die Neubildung des Beines nach demselben Typus vor sich geht, wie die erste Bildung desselben in der Embryogenese, d. h. die einzelnen Theile und Abschnitte der Extremität legen sich in derselben Reihenfolge an, wie beim Embryo und aus ähnlichem Zellmaterial. Wir hätten also hier, wie bei Regeneration der Oberhaut, eine palingenetische Form der Regeneration vor uns.
Gehen wir dabei von dem wenigstens für Wirbelthiere gültigen Gesetz aus, dass jedes specifische Gewebe nur seine eigenen specifischen Gewebezellen durch Regeneration hervor - bringen kann, so wird es möglich, einen einzelnen Gewebetheil der Extremität allein und für sich in Bezug auf die Theorie der Regeneration zu prüfen, z. B. das Knochensystem der - selben. Gerade für dieses steht es fest, dass seine Regeneration stets nur vom verletzten Knochen resp. seinem Periost ausgeht. Ist kein Knochen verletzt worden, ist z. B. die Extremität aus dem Schultergürtel heraus exartikulirt worden, so erfolgt keine Knochen-Neubildung. Wenn nun auch ein Aufeinander-Wirken der verschiedenen Gewebearten, welche zur Regeneration des ganzen Gliedes gehören, besonders durch Druck, nicht entfernt in Abrede gestellt werden soll, so ist doch klar, dass die Ent - stehung der Knochen lediglich vom alten Knochen abhängt,133 nicht nur in Betreff der Qualität des Gewebes, sondern auch in Betreff des Volumens und der Gestalt des neu zu bildenden Knochengewebes. Diese beiden letzten Punkte sind aber gerade die wichtigsten, wenn die Neubildung der Knochen des Beines erklärt werden soll. Dass überhaupt Knochengewebe von den Zellen des alten Knochens, die Knochenhaut mit eingerechnet, gebildet werden kann, erklärt sich schon aus dem früher Ge - sagten; wir bedürfen dazu nur einen Vorrath von proliferations - fähigen Zellen, welche „ Knochen-Idioplasma “enthalten und welche durch den Reiz der Verletzung ihrer Umgebung zur Vermehrung angeregt werden. Dementsprechend konnten wir die Regeneration der Epidermis erklären. Hier aber handelt es sich nicht nur um Produktion von Knochengewebe bestimmter Struktur schlechthin, sondern um Hervorbringung einer ganz bestimmten Anzahl ganz bestimmt gestalteter, be - stimmt aneinandergefügter und in bestimmten Grössen - verhältnissen abgemessener, in bestimmter Reihenfolge aufeinander folgender Knochenstücke. Welche Voraus - setzungen müssen wir machen, um einen so bestimmt vor - geschriebenen und dabei so complicirten Aufbau zu erklären? Wird einem Wassermolch (Triton) der Oberarm abgeschnitten, so bildet sich nicht nur das abgeschnittene Stück des Oberarm - knochens, sondern auch die beiden Vorderarmknochen, sämmt - liche Handwurzel - und Metakarpalknochen und die vier Finger - knochen wieder neu, und diese Letzteren gliedern sich wieder in genau so viele Stücke, als jedem derselben zukommt. Man sollte meinen, es könne eine so complicirte Bildung nicht ledig - lich von dem Zusammenwirken wuchernder Zellen zu Stande gebracht werden, es müsse eine unsichtbare Oberleitung, ein Spiritus rector, eine Vis formativa, über ihnen stehen und ihre Vermehrung und Aneinanderlagerung leiten. Dennoch nehmen wir an — und wohl mit Recht —, dass etwas Derartiges nicht134 existirt und dass die complicirten Bildungen der lebenden Wesen allein von den Kräften ausgehen, welche in den einzelnen Zellen ihren Sitz haben.
Für die Embryogenese lässt sich das auch einigermassen begreifen, wenn wir auf dem oben bei der Besprechung der Ontogenese dargelegten Princip der stufenweisen Umwandlung des Idioplasma’s fussen. Dieselbe lässt sich für die Knochen - kette der vorderen Extremität etwa folgendermassen schematisch zurechtlegen.
Wenn das Vorderbein eines Triton anfängt hervorzuwachsen als ein kleiner stumpfer Höcker auf der Haut, so besteht es aus die Zellen zweier Embryonalblätter: des äusseren und des mittleren Blattes. Das erstere und derjenige Theil des zweiten, welcher die Cutis bildet, können hier zunächst ausser Acht ge - lassen werden; sie bilden zusammen die Haut. Die übrigen Zellen des Mesoderms aber bilden zu dieser Zeit eine Masse, in welcher eine Differenzirung noch nicht stattgefunden hat, wie denn auch die einzelnen Zellen sich dem Aussehen nach nicht irgendwie principiell unterscheiden. Nichtsdestoweniger müssen dieselben den Anlagen nach, welche sie enthalten, sehr verschieden sein, denn einige von ihnen werden später zu Muskeln, andere zu Bindegewebe, andere zu Gefässen u. s. w., und noch andere zu Knochen. Es müssen also in diesen verschieden be - anlagten Zellen verschiedene Determinanten enthalten sein, welche, wenn sie im Laufe der weiteren Zelltheilungen in den späteren Generationen zur Herrschaft über die Zelle gelangen, ihr den Charakter der Muskel -, Bindegewebs - oder Knochenzelle aufprägen. Jede dieser Zellen-Arten muss auch von vornherein in einer ganz bestimmten Zahl und Lage vorhanden sein.
Verfolgen wir dies nun an einem Organsystem, den Knochen, weiter und nehmen der Einfachheit halber nur eine einzige Knochen-Bildungszelle in der ersten Anlage des Beines135 an, so würde in dieser also die ganze Kochenkette des Beines virtuell enthalten sein, und wir müssten ihr ein Idioplasma zuschreiben, welches nicht nur die Zellen-Nachkommen be - stimmter Generationen zu knochenbildenden Zellen stempelt, sondern welches auch die ganze Succession knochenbildender Zellen nach Quantität, Qualität und gegenseitiger Anordnung, ja auch nach dem Rhythmus bestimmt, nach welchem die Theilungen einander zu folgen haben. Denn von letzterem Punkt möchte es wohl wesentlich mit abhängen, wo eine Unter - brechung in der Continuität eines Knochenstückes eintritt, wo also die Grenze zwischen zwei Gliedern der Knochenkette zu liegen kommt.
Wir werden also der ersten Ur-Knochenzelle des Beines ein Idioplasma zuschreiben müssen, dessen Zusammensetzung alle diese Sequenzen bedingt, ein Idioplasma, welches die De - terminanten für alle folgenden Knochenzellen enthält. Wenn wir die thatsächlichen Verhältnisse, bei welchen es sich um Hunderte und Tausende von Zellen handelt, in unendlicher Verkürzung zusammenziehen und einen Zellenstammbaum will - kürlich erfinden, dessen realer Zusammenhang jedenfalls ein ganz andrer ist, so können wir etwa zu nebenstehendem Schema gelangen.
Die Kreise in Figur 3 bedeuten je eine Stammzelle des betreffenden Knochenstückes, von denen jede der Einfachheit halber als durch eine Determinante bestimmt gedacht wird. Also die Urzelle der ganzen Knochenkette würde durch die Determinante 1 bestimmt, enthielte aber daneben noch in ihren Iden die Determinanten 2 — 35. Bei der ersten Zelltheilung trennen sich diese in die Stammzelle des Oberarms (Humerus) und des Vorderarms sammt Hand. Erstere enthält die Determinanten 2 und von ihr ist hier die weitere Theilung in Zellen angedeutet mit den Determinanten 2a — 2x, Letztere enthält die übrigen136 Determinanten 3 — 35, die sich nun bei jeder weiteren Zelltheilung in immer kleinere Gruppen spalten, bis zuletzt jede Zelle nur noch je eine Determinante enthält. Das Schema giebt nur ungefähr die Knochenstücke der vorderen Extremität wieder, die einzelnen Handwurzelknochen sind weggelassen.
Wenden wir uns nun zur Frage der Regeneration.
Wenn jede Zelle des fertigen Knochens nur dasjenige Idio - plasma in sich enthielte, welches sie beherrscht, welches also der molekülare Ausdruck ihrer eignen Natur ist, so wäre nicht abzusehen, wieso eine Regeneration des Knochens stattfinden könnte, welcher z. B. in seiner Längsmitte durchgeschnitten137 worden ist. Gesetzt auch, es würde durch die Verletzung ein Reiz auf die Zellen des Stumpfes ausgeübt, der sie zur Vermehrung zwänge, so würde dadurch zwar wohl Knochenmasse, aber nie - mals ein Knochen von bestimmter Gestalt und Grösse entstehen können. Dies kann nur dann geschehen, wenn die proliferirenden Zellen ausser ihrer aktiven Determinante noch einen Vorrath von den Determinanten besitzen, welche die fehlenden und jetzt neu zu bildenden Knochen bestimmen. Es leuchtet also ein, dass wenn wir den Nisus formativus Blumenbach’s in die Zelle und zwar in deren Idioplasma verlegen wollen, wir die Annahme machen müssen, es enthalte jede der zur Regeneration befähigten Zellen noch ein „ Neben-Idioplasma “neben seinem Haupt-Idioplasma, welches aus den Determinanten der von ihr aus regenerirbaren Theile besteht. So müssen z. B. die Zellen des Oberarmknochens ausser der sie beherrschenden Determi - nante 2 noch die Determinanten 3 — 35 als Neben-Idioplasma ent - halten, weil von ihnen aus die ganze Knochenkette des Vorder - arms neu gebildet werden kann; die Zellen des Radius müssen die Determinanten 4 — 20 als Neben-Idioplasma enthalten, da von ihnen aus der radiale Theil der Handwurzel, Mittelhand und der Finger neu gebildet werden kann.
Diese theoretische Forderung kann auch als wohl erfüllbar angesehen werden, insofern das geforderte Neben-Idioplasma bei der ersten Anlage des gesammten Organs sehr wohl von dem sich zerlegenden embryonalen Idioplasma abgespalten werden kann. Unserer Annahme gemäss sind die einzelnen Determi - nanten nur im Keimplasma einfach vorhanden, sie verviel - fachen sich um so mehr, je weiter die Ontogenese vorschreitet. Da nun immer nur die Determinanten solcher Theile für das Neben-Idioplasma gefordert werden müssen, welche später an - zulegenden Theilen entsprechen, so ist das Material zum Neben - Idioplasma immer vorhanden und wir brauchen nur die Annahme138 zu machen, dass sich bei jeder Abspaltung einer Stammzelle irgend eines Knochenstücks zugleich ein Theil der für die Folgestücke bestimmten Determinanten als Neben-Idioplasma abspalte und nun inaktiv in der Kernsubstanz der Zelle ver - harre, bis eine Ursache zur Regeneration eintritt.
Ich bezeichne diese Gruppe von Determinanten als Neben - Idioplasma und seine Determinanten als Ersatz-Determi - nanten. Man wird sich vorstellen dürfen, dass diesselbe eine besondere, wenn auch sehr kleine Gruppe neben dem in sich geschlossnen Id bilden, welches die betreffende Zelle bestimmt.
Dasselbe, was für die Knochenkette des ganzen Armes möglich ist, wird auch für jeden einzelnen Knochen angenommen werden können. Die Regeneration des in seiner Mitte durch - geschnittenen Humerus wird so zu erklären sein, dass jeder der zur Regeneration fähigen Zellen ein Neben-Idioplasma bei - gegeben ist, welches die Determinanten der distalwärts liegenden und von dieser Zelle aus zu bildenden Zellen enthält, und auch hier wird die Möglichkeit hierzu, d. h. das Determinanten - Material, vorhanden sein; es kommt nur darauf an, dass bei jeder differentiellen Zelltheilung eine gewisse Anzahl der später zur Reifung gelangenden Determinanten sich von den übrigen abspaltet und in der einen Zelle als Neben-Idioplasma zurück - bleibt. Gewiss ist diese Mechanik der Regeneration eine sehr verwickelte, denn jeder einzelne Knochen wird nicht durch eine, sondern durch zahlreiche von einander abweichende Determi - nanten bestimmt, und es scheint, dass alle diese Special-Determi - nanten in den Neben-Idioplasmen enthalten sind. Wenigstens stellen sich die Knochen bei der Regeneration auch in ihren Einzelheiten ziemlich genau wieder her, soweit dies aus den bisherigen Untersuchungen zu entnehmen ist. Die Complication des Mechanismus wird, wie ich glaube, auch die Ursache sein, warum dieselbe vordere Gliedmasse, welche beim Salamander139 noch so starke Regenerationskraft besitzt, bei den höheren Wirbelthieren dieselbe ganz verloren hat; der Mechanismus wäre dort allzu verwickelt geworden.
Ein einfacherer Mechanismus, als der hier angenommene, lässt sich nur dann ausdenken, wenn man mit Herbert Spencer1)Herbert Spencer, „ Die Principien der Biologie “, übersetzt von Vetter. Stuttgart 1876. I, p. 194 und 196. jeder der „ Einheiten “, welche den Körper zusammensetzen, das Vermögen zuspricht, sich je nach Bedürfniss zu jedem gerade nothwendigen Organ zusammenzuordnen. Man muss sich dann das ganze Thier als einen Krystall vorstellen, in dessen ein - zelnen Theilchen „ das Vermögen schlummert, sich in die Form dieser Art umzugestalten, gerade wie in den Molekülen eines Salzes die innere Fähigkeit schlummert, nach einem bestimmten System zu krystallisiren “. Der Unterschied zwischen den Krystall - theilchen und denen des Organismus ist nur immer der, dass die ersteren untereinander gleich sind und bleiben, dass die letzteren aber sich sehr verschiedenartig zusammenordnen müssen, um Regeneration zu ermöglichen, je nachdem ein ganzes Bein, oder ein ganzer Schwanz, oder Kiemen, oder aber blos eine Zehe, oder blos Vorderarm und Hand wieder ersetzt werden sollen. Wer zeigt den „ Einheiten “an, was fehlt, und wie sie sich diesmal anzuordnen haben? Wir kommen auf diesem Wege zum Nisus formativus Blumenbach’s zurück. In der That sagt auch Spencer selbst: „ wenn wir bei dem Krystall annehmen, dass das Ganze über seine Theile eine gewisse Kraft ausübe, welche die neu integrirten Moleküle zwinge, eine be - stimmte Form anzunehmen, so müssen wir bei dem Organismus wohl eine analoge Kraft voraussetzen “. Diese Kraft wäre eben der Spiritus rector oder Nisus formativus früherer Zeiten und enthielte keine Spur einer mechanischen Erklärung. Spencer fügt zwar noch hinzu, diese seine Annahme sei „ nicht eine140 blosse Hypothese, sondern nur ein verallgemeinerter Ausdruck der Thatsachen “, und an einer anderen Stelle, es sei zwar wohl „ schwierig “, sich die Regeneration nach Art eines Krystallisations - Processes vorzustellen, aber „ wir sehen, dass es so ist “; allein gerade dieses muss ich bestreiten. Wir sehen, dass es manchmal so ist, oder besser, dass es so aussieht, aber wir sehen auch, dass es häufig nicht so ist. Wären die „ Ein - heiten “des Körpers fähig, sich unter dem Einfluss des Ganzen beliebig umzugestalten und zu dem gerade fehlenden Theil zu krystallisiren, so müssten sie dies bei allen Arten thun können und bei allen Organen. Dies ist aber gerade nicht der Fall. Das Bein des Salamanders regenerirt sich, das der Eidechse aber thut es nicht. Ich werde im speciellen Theil dieses Abschnittes noch genauer zeigen können, dass Regeneration nicht auf einem allgemeinen Vermögen des thierischen Körpers, sondern dass es auf besonderer Anpassung beruht.
Ich will darauf verzichten, auch für die Regeneration eines einzelnen Knochens, z. B. des Oberarm-Knochens ein Schema zu entwerfen, aus welchem zu ersehen wäre, welche Ersatz - Determinanten jeder der den Knochen zusammensetzenden Zellen beigegeben sein muss, damit Regeneration von jeder Stelle des Knochens aus erfolgen kann. Das oben gegebene Schema für den ganzen Arm genügt wohl, um das Erklärungsprincip deut - lich zu machen, und im Einzelnen ist ja eine Annäherung an die thatsächlichen Verhältnisse überhaupt nicht zu erreichen, wie ja schon ein Vergleich der hier angenommenen und der in Wirklichkeit den Knochen aufbauenden Zellenziffern ergiebt. Ich habe deshalb auch gar keinen Versuch gemacht, die feineren Verhältnisse der Histologie mit hereinzuziehen und etwa die Qualität der zur Regeneration befähigten Zellen, ob es solche des Periost’s oder des Knochens selbst, ob es alle oder nur gewisse Zellen sind, zu bestimmen. Es kam hier nur darauf141 an, ein Schema zu gewinnen, welches sich auf die wirklichen Verhältnisse, sobald man sie hinreichend genau kennte, über - tragen liesse. Es genügt, wenn gezeigt werden konnte, dass die Regeneration sich aus der Thätigkeit der Zellen selbst be - greifen lässt, ohne dass man zur Annahme einer unbekannten gemeinsamen Oberleitung derselben seine Zuflucht nehmen muss. Der „ Nisus formativus “steigt von seiner bisherigen Höhe als eine einheitliche, das Ganze beherrschende Kraft herab und zer - theilt sich in unendlich viele Einzelkräfte oder besser materielle Theile, von welchen jeder in einer einzelnen Zelle seinen Sitz hat und derselben ihren Lebensgang vorschreibt, und von welchen jeder so genau nach seiner Art bestimmt und nach seinem Sitz vertheilt ist, dass aus dem Zusammenwirken aller ein vernünf - tiges Ganze, z. B. eine Knochenkette sammt Gelenkkapseln und Bändern, sammt Muskeln, Nerven, Gefässen, Bindegewebe und Haut werden muss. Denn es leuchtet ein, dass die Übertragung des für den Knochen entwickelten Regenerations-Schemas sich auf alle anderen Theile und Gewebe übertragen lässt. Ohnehin ist es ja Täuschung und beruht lediglich auf unserm Bedürfniss, zu scheiden und zu sondern, wenn wir uns den Knochen als etwas von den übrigen Theilen des Armes völlig Getrenntes vorstellen. In Wirklichkeit ist er auf seiner ganzen Oberfläche auf Innigste mit den ihn umgebenden Geweben verbunden, mit dem Periost, mit dem auf diesem liegenden lockeren Binde - gewebe, mit zahlreichen Gefässen, die in ihn eindringen, mit Nerven u. s. w. Ist ja doch die erste Anlage des Armes ein Haufen Mesoderm-Zellen, an denen sich noch nicht erkennen lässt, was später aus ihnen wird. Dennoch hängt dies — nach meiner Ansicht — nicht von ihrer zufälligen Lagerung oder von sonstigen äusseren Einwirkungen ab, sondern in erster Linie von ihrer eigenen Natur, d. h. von der Zusammensetzung ihres Idioplasma’s. Die das Id zusammensetzenden „ Determi -142 nanten “bestimmen, was weiter aus dieser Zelle und aus allen ihren Nachkommen werden soll. Mit der Zusammensetzung des Id’s sind die weiteren Veränderungen desselben gegeben, die im Laufe der Zelltheilungen eintreten, die Art und Weise der Zerlegung der Determinanten in die Ide der Tochterzellen aller folgenden Generationen.
So können wir es bis zu einem gewissen Grade wenigstens begreifen, wie es möglich ist, dass aus einem Haufen scheinbar gleicher Zellen allmälig ein so complicirtes und in seiner Com - plicirtheit so genau vorgeschriebenes Organ wie ein Arm ent - stehen kann. Nicht das Aufeinanderwirken der allmälig sich diffe - renzirenden Zellen ist es, was in erster Linie die Harmonie des Ganzen bewirkt, sondern die durch das Idioplasma jeder einzelnen Zelle nach Art und Rhythmus vorgeschriebene Vermehrung und Veränderung. Der Muskel bildet sich gerade an dieser Stelle und an keiner andern, weil eine bestimmte Zelle jener scheinbar gleichen Mesoderm-Zellen der ersten Anlage des Armes die De - minanten enthielt, welche eine grössere Zahl von Nachkommen jener Zelle zu Muskelzellen stempeln mussten, und das Id jener ersten Zelle bedingte einen Rhythmus der Zellvermehrung, der mit Nothwendigkeit diejenigen Nachkommen derselben, welche die Muskel-Determinanten enthielten mechanisch gerade nach der Stelle hindrängten, welche dem betreffenden Muskel in dem Bau des Armes angewiesen ist.
Es soll damit natürlich nicht gesagt werden, dass äussere Einflüsse gänzlich bedeutungslos wären für die Ontogenese, wohl aber, dass dieselben nur eine sekundäre Rolle spielen. Gewiss wird der Arm krumm wachsen, wenn ein entsprechender Druck von aussen auf ihn ausgeübt wird. Die wachsenden Zellen stellen nicht sofort ihre Thätigkeit ein, falls sie nicht die normalen äusseren Einflüsse erfahren, sie können sich accomodiren, und gerade die Regeneration gebrochner Knochen,143 die Neubildung von Gelenken unter abnormen äusseren Be - dingungen beweisen, dass sie auch unter recht stark von der Norm abweichenden Verhältnissen immer noch fortfahren zu funktioniren, d. h. zu wachsen und zu Organen zu werden. Diese falschen Gelenke zeigen auch, eine wie starke Anpassungs - fähigkeit die Zellen besitzen und wie zweckmässig die Organe immer noch aufallen können, die sie unter abnormen Verhält - nissen hervorbringen können, aber wenn auch das von Roux1) entdeckte Princip des Kampfes der Theile, oder wie man es wohl nennen könnte, der intra-biontischen Selection sicherlich seine grosse Bedeutung besitzt, so wäre es doch, wie ich glaube, ein grosser Irrthum, die normale Ontogenese zum grössten Theil auf dieses Princip zu beziehen. Gewiss finden Druckverhältnisse zwischen den sich differenzirenden Zellengruppen und Zellen - massen statt, gewiss schieben sich wuchernde Bindegewebszellen an einer Stelle zwischen die Knorpelzelle einer Knochenanlage ein, trennen dieselbe und bilden später das betreffende Gelenk. Allein diese Wucherung, dieser Druck sind ebenso vorgesehen, wie das Zurückweichen, oder die Auflösung der an jener Stelle gelegenen Zellen des primordialen Knorpels. Man könnte glauben, die sog. „ identischen “Zwillinge des Menschen sprächen gegen meine Auffassung der Ontogenese, insofern dieselben eben nie - mals wirklich „ indentisch “, sondern immer nur sehr ähnlich sind, obwohl sie aus einem Ei und ohne Zweifel auch aus einer Sammenzelle herstammen, folglich das gleiche Keimplasma be - sitzen. Aber selbst abgesehen davon, dass die absolute Identität des Keimplasma’s selbst in diesen Fällen nicht erwiesen ist, so zeigt doch die überaus hochgradige Ähnlichkeit solcher Zwillinge, einen wie geringen Einfluss die Verschiedenheit äusserer Ein - wirkungen auf die Ausbildung eines Organismus hat. Wie wunder - bar genau muss der Weg der Ontogenese vorgeschrieben sein, wenn er von der Eizelle an durch Tausende von Zellgenerationen144 hindurch derart festgehalten werden kann, dass „ identische “Zwillinge dabei herauskommen! Es ist etwa zwei Schiffen zu vergleichen, die von demselben Punkt ausfahren, denen derselbe sehr verwickelte Kurs vorgeschrieben ist, zusammengesetzt aus Tausenden verschiedner, genau bestimmter Kursänderungen, und die nun unabhängig voneinander dieselbe ferne Küste er - reichen, noch nicht um die Distanz einer Meile auseinander weichend.
Wenn man gerade diesen Fall genau erwägt, kann man nicht zweifelhaft sein über die unfassbar genaue und bestimmte Kursdirektion, welche der Eizelle in ihrem Idioplasma beigegeben ist, welche allen den zahllosen Zellgenerationen wieder ihren Specialkurs vorschreibt, und in welche die äusseren Einflüsse nur in sehr untergeordneter Weise bestimmend eingreifen können. Man wird dann auch weniger leicht geneigt sein, dem Theo - retiker vorzuwerfen, dass er dem Idioplasma des Keimes eine allzu verwickelte Structur zuertheile. Diese Structur muss weit verwickelter sein, als wir uns vorzustellen ver - mögen, und unsere theoretischen Constructionen desselben bleiben sicherlich ungemein weit hinter der Wirklichkeit zurück. Man wird dann auch weniger geneigt sein, der hier vorgelegten Regenerationstheorie den gleichen Vorwurf zu machen. Ver - wickelte Erscheinungen können unmöglich auf einem einfachen Mechanismus beruhen. Die Maschinen einer Baumwoll-Spinnerei lassen sich nicht durch einige einfache Hebel herstellen und ein Phonograph nicht mit zwei Schwefelhölzchen.
Die bisher betrachtete Form der Regeneration muss als palingenetische bezeichnet werden, da sie den Weg der primären oder der embryonalen Genese einhält. Sobald aber dieser Weg verlassen und ein kürzerer eingeschlagen wird, werden wir von einer cönogenetischen Regeneration sprechen dürfen.
145Wahrscheinlich spielen bei der Regeneration complicirter Theile stets cönogenetische Abänderungen des primären Ent - wickelungsganges mit hinein, und selbst der bisher als Beispiel gewählte Fall der Extremitäten-Regeneration wird schwerlich genau so verlaufen, wie die primäre Entwickelung, wenn er auch in den hauptsächlichsten Phasen mit dieser zusammenfällt.
Wenn aber auch die blosse Verkürzung der Entwickelung eines Theils durch Zusammenlegung und andere Spaltung der Determinanten des Idioplasma’s ohne Schwierigkeit denkbar ist, so wird der Vorgang der Id-Spaltung doch recht verwickelt, sobald die primäre Genese nach einem andern Schema erfolgt, als die sekundäre; denn es müssen dann bei der Regeneration die Ersatz - Determinanten in anderen Combinationen dem Id der Zellenfolgen beigegeben werden, als sie in der primären Genese sich folgen. Offenbar liegt darin aber nur eine grössere Verwickelung des Vorganges, nicht eine wirkliche Schwierigkeit für die Theorie.
In allen Fällen von Regeneration muss die Art der Ab - spaltung von Ersatz-Determinanten schon im Keimplasma irgend - wie vorbereitet sein. Bei der palingenetischen Form der Re - generation könnte es scheinen, als ob die Annahme einer blossen Steigerung der Vermehrungskraft bestimmter Determinanten genüge, welche dazu führt, dass auf einem bestimmten Onto - Stadium sich ein Theil einer bestimmten Determinantengruppe als Neben-Idioplasma abspaltet. Bei der cönogenetischen Re - generation bleibt aber Nichts übrig, als anzunehmen, dass ge - wisse Determinanten doppelt oder mehrfach neben einander im Keimplasma vorhanden sind, von denen die eine für die Em - bryonal-Entwickelung, die anderen für die Regeneration bestimmt sind und im Voraus in ihren inneren Kräften, besonders in ihrer Vermehrungskraft so eingerichtet, dass sie sich allein oder mit benachbarten „ Regenerations-Determinanten “zusammen aufWeismann, Das Keimplasma. 10146einem bestimmten Entwickelungsstadium als „ Neben-Idioplasma “abspalten.
Ich glaube indessen, dass auch die palingenetische Re - generation ohne die Annahme besonderer Regenerations-Determi - nanten nicht auskommt, da andernfalls die phyletische Ent - stehung der cönogenetischen Abänderungen der Regeneration ganz unverständlich blieben. Diese können doch nur auf Varia - tion einer Determinante des Keimplasma’s beruhen; wenn aber dort nur die eine für die Embryogenese bestimmte Deter - minante vorhanden wäre, so müsste die Embryogenese stets gleichzeitig abändern. Dies ist aber nicht der Fall, folglich muss eine Art von Doppel-Determinante für regenerationsfähige Vererbungsstücke (Determinaten) im Keimplasma enthalten sein, d. h. zwei ursprünglich identische Determinanten, deren eine für die Embryogenese, die andere für die Regeneration in Funktion tritt. Beispiele werden dies anschaulich machen.
Bei der Regeneration der Schwanzwirbelsäule bei den meisten heutigen Amphibien regenerirt sich zwar die Wirbelsäule selbst, nicht aber ihre embryonale Grundlage die Chorda. Bekanntlich spielt der Knorpelstrang der Chorda beim primären Aufbau der Wirbelsäule eine bedeutsame Rolle, um dann später mehr oder weniger zu verkümmern. Wenn es nun möglich war, die Wirbel zu regeneriren nach dem Verlust eines Schwanzstückes, ohne zugleich auch die Chorda zu er - neuen, so lag darin eine zweckmässige Abkürzung des Regene - rationsvorganges. Dass dies möglich war, sehen wir, allein Alles spricht dafür, dass die Chorda in früherer Zeit der phyletischen Entwickelung regenerationsfähig war und dass sie diese Fähigkeit erst sekundär verloren hat. Die Froschlarven regeneriren heute noch ihren Schwanz, wenn er abgeschnitten wird, sammt seiner Chorda. Man kann auch nicht annehmen, dass bei den übrigen Amphibien die147 Chorda sich deshalb nicht regenerire, weil sie im erwachsenen Thiere nicht mehr vorhanden sei, denn vollständig fehlt sie nur bei Wenigen, z. B. bei Salamandrina, und bei den Larven von Salamandern regenerirt sich die Chorda ebensowenig, wie bei erwachsenen Thieren. Die Regenerationsfähigkeit der Chorda ist also bei den meisten Amphibien im Laufe der Phylogenese verloren gegangen. Ein solcher Vorgang der Rückbildung aber lässt sich jedenfalls am leichtesten durch die Annahme beson - derer Regenerations-Determinanten erklären, welche verkümmern können, ohne dass ihr embryogenetischer Partner an dieser Rückbildung Theil zu nehmen braucht.
Noch beweisender für die Nothwendigkeit dieser Annahme sind jene Fälle, wie sie z. B. die Wiederherstellung der festen Achse des Schwanzes bei Reptilien bietet. Der abge - schnittene Eidechsenschwanz stellt sich leicht und rasch wieder her, enthält aber nicht dieselben Theile, die er früher enthielt, indem das Rückenmark sowohl, als die Wirbelsäule sich nach den übereinstimmenden Angaben von Leydig und Fraisse nicht wieder bilden. Wohl aber bildet sich statt des ersteren eine „ als Rückenmark zu deutende Epithelröhre “, die aber keine Nerven entsendet, und an Stelle der Wirbelsäule ein „ unseg - mentirtes Knorpelrohr “. Dieses Letztere ist, wie Fraisse aus - drücklich hervorhebt, nicht etwa eine regenerirte Chorda, son - dern eine Neubildung, ein Substitut dafür.
Hier hat also in Bezug auf die Regeneration eine phyletische Entwickelung, und zwar im Wesentlichen eine auf Vereinfachung abzielende Entwickelung stattgefunden. In ähnlicher Weise, wie ein Schwanz oder irgend ein anderes Organ eines Thieres im Verlauf der Phylogenese sich allmälig zurückbilden kann, so hat sich hier die Schwanzwirbelsäule zurückgebildet, aber nicht für die primäre (embryonale) Onto - genese derselben, sondern nur für seine sekundäre Entstehung10*148durch Regeneration. Primär bildet sich eine Wirbelsäule aus; wird aber durch Verlust des Schwanzes die sekundäre Wieder - entstehung desselben nöthig, so tritt das zweite, reducirte Ver - fahren der Achsenbildung in Thätigkeit, und es bildet sich das blosse Knorpelrohr. Das Verhältniss erinnert an die Erschei - nungen der „ Dichogenie “, wie sie so vielfach bei Pflanzen vorkommen, wo dieselbe Zellengruppe sich in dieser oder in jener Weise ausbilden kann, je nachdem dieser oder jener äussere Reiz auf sie einwirkt. So treiben die Ranken des Epheu an derselben Seite Wurzeln, wenn sie beschattet ist, Blätter aber, wenn sie beleuchtet wird u. s. w. Im Thierreich dürfte die Ent - scheidung über das Geschlecht hierher zu beziehen sein, wenn man wenigstens annehmen darf, dass nicht immer und überall schon mit dem Akt der Befruchtung das Geschlecht gegeben ist, sondern dass darauf auch spätere Einwirkungen noch ent - scheidend sein können. Wir kennen ja in gewissen parasitischen Crustaceen, den Cymothoiden, Fälle, in welchen zuerst das männ - liche Geschlecht sich ausbildet, und das betreffende Thier als Männchen funktionirt, dann aber die weiblichen Geschlechts - organe sich entwickeln und dem Thier den Stempel des Weib - chens aufdrücken. Hier kommen also auch zeitlich nacheinander erst die eine, dann die andere Entwickelungstendenz zur Geltung, wie bei der Bildung des Eidechsenschwanzes zuerst die Tendenz zur Wirbelbildung, dann aber die zur Bildung des dieselbe er - setzenden Knorpelrohres. Allerdings muss hier der zweite Fall nicht eintreten, gerade wie beim Epheu-Spross die Wurzelseite nicht nothwendig später beleuchtet werden und zur Blätterseite werden muss; die Möglichkeit dazu ist nur von der Natur vorgesehen. Als erheblicher Unterschied zwischen der Regene - ration des Eidechsenschwanzes und der Succession von beiderlei Geschlechtsorganen bei den Cymothoiden könnte geltend gemacht werden, dass bei Letzteren beiderlei Geschlechtsorgane schon im149 Embryo angelegt werden, und dass nur ihre Ausbildung succe - sive eintritt. Gewiss ist dies ein Unterschied, allein wohl gerade ein solcher, der uns darauf hinweist, in welcher Weise diese Fälle des Substitutions-Ersatzes theoretisch zu erklären sein werden. So wie das Idioplasma der Bildungszellen für Hoden und Eierstöcke ungleiche Determinanten enthalten muss, so müssen auch die Zellen des Eidechsenschwanzes, welche das Ersatz - Knorpelrohr entstehen lassen, andere Determinanten enthalten, als die embryonalen Bildungszellen der Schwanzwirbelsäule. Es müssen somit die Ersatz-Determinanten, welche dem Idioplasma gewisser Wirbelsäule-Zellen behufs Regeneration beigegeben sind, im Laufe der Phylo - genese sich verändert haben. Eine solche erbliche Ver - änderung müsste aber auch die Embryogenese getroffen haben, falls für beide Bildungsweisen nur ein und dieselbe Determi - nante im Keimplasma läge. Es muss somit jede Determi - nante dieser Schwanzwirbelsäule doppelt im Keim - plasma enthalten sein.
Weiter zu gehen als zu dieser Annahme und etwa zu ver - suchen, Etwas über die Art und Weise festzustellen, wie die verschiednen Ersatz-Determinanten, welche zur Herstellung eines grösseren Theils, z. B. also der Schwanzwirbelsäule erforderlich sind, sich zusammenfinden und wo sie sich von den primären Determinanten sondern, wäre verfrüht. Die Regenerationsvor - gänge sind von den hier aufgestellten Gesichtspunkten aus noch nicht untersucht worden; man kennt in vielen Fällen nicht einmal mit Sicherheit die Zellen, von welchen sie ausgehen.
Es wurde bisher die Frage noch nicht näher berührt, welcher Art Zellen es sind, die die Ersatz-Determi - nanten enthalten und von denen somit die Regene - ration ausgeht. Können es beliebige Zellen diesen oder jenen Gewebes sein, oder sind es stets junge, anscheinend indifferente Zellen von sog. „ embryonalem Typus “?
150Wenn man nur den Menschen und die höheren Wirbel - thiere im Auge hat, so wird man leicht geneigt sein, die letztere Antwort für die allgemein richtige zu halten. In der That schienen noch vor Kurzem viele Schriftsteller dieser Ansicht zuzuneigen; man stellte sich vor, dass „ embryonale “Zellen überall in den regenerationsfähigen Geweben enthalten seien, ja Viele glaubten als solche die Leukocyten ansprechen zu dürfen. Bekanntlich haben die neuesten Untersuchungen zu dem Ergebniss geführt, dass dem nicht so ist, dass die weissen Blutzellen zwar eine bedeutsame Ernährungsrolle bei der Re - generation spielen können, nicht aber einen formativen Antheil am Aufbau eines Gewebes haben. Ziegler spricht in seinem Lehrbuch der pathologischen Anatomie von einem förmlichen „ Gesetz der Specifität der Gewebe “und versteht darunter den Satz, dass „ die Abkömmlinge der verschiedenen in früher Em - bryonalperiode sich sondernden Keimblätter immer nur solche Gewebe zu bilden vermögen, die ihrem Keimblatte zukommen “. Da nun aber — wie die Brüder Hertwig gezeigt haben — die Keimblätter der Metazoen keine Primitivorgane im histo - logischen Sinne sind, da vielmehr bei niederen Thieren von jedem Keimblatt vielleicht alle überhaupt vorkommenden Gewebe gebildet werden können, gewiss aber deren mehrere, so wird dieser Satz wohl nur für die höchsten Wirbelthiere Gültigkeit beanspruchen dürfen. Bei niederen Thieren können nicht nur sämmtliche Gewebeformen aus jungen Zellen, die innerhalb eines Keimblattes liegen, hervorgehen, sondern unter Umständen sogar die Zellschichten des andern Keimblattes, ja des ganzen Thieres. In dem Capitel über Theilung und Knospung wird die idio - plasmatische Wurzel dieses Vermögens aufzusuchen sein. Hier handelt es sich zunächst nur darum, ob etwa blos jugendliche Zellen die Determinanten zu verschiedenen Zellenarten, wie sie für die Regeneration erforderlich sind, in sich enthalten können, oder auch solche, die schon histologisch differenzirt sind.
151Obwohl nun gewiss in sehr vielen Fällen die „ Ersatz - Determinanten “jungen Zellen ohne histologisch ausgeprägten Charakter beigegeben sind, so ist dies doch wohl kaum all - gemein der Fall. Sowohl bei Pflanzen als bei niedern Thieren wenigstens kommt es vor, dass histologisch völlig ausgebildete Zellen sämmtliche Determinanten der Art, d. h. Keimplasma als Ersatz-Idioplasma in sich enthalten, wie später genauer zu zeigen sein wird. Es liegt deshalb kein Grund vor, anzunehmen, dass nicht auch kleinere Determinanten-Gruppen specifischen Gewebezellen sollten beigegeben worden sein, wo solches noth - wendig war, wenn ich auch dafür ein bestimmtes Beispiel nicht anzuführen weiss.
Wenn aber auch die Regeneration in den meisten Fällen von jugendlichen Zellen ausgehen mag, sog. „ Embryonal - zellen “, so ist es doch ganz irrig, damit die Vorstellung der Indifferenz solcher Zellen zu verbinden, wie es so häufig ge - schieht. Diese „ Embryonalzellen “sind nicht etwa Zellen, „ aus welchen noch alles Mögliche werden kann “, sondern jede von ihnen kann sich nur zu der Zellenart entwickeln, deren Determi - nante sie enthält. Sie mag unter Umständen mehrere, ver - schiedene Determinanten zugleich enthalten, die sich dann erst in späteren Zellgenerationen auf einzelne Zellen vertheilen, aber das, was aus ihr werden kann und wird, liegt stets in ihr; sie trägt ihr Schicksal in ihrem Idioplasma und kann durch äussere Einflüsse nur in sekundärer Weise bestimmt werden. Es giebt auch Zellen, deren Idioplasma dauernd die Möglichkeit zwei - facher Entwickelung enthält; diese bereits erwähnte „ Dichogenie “der Pflanzen wird aber ebenfalls vom Idioplasma bestimmt, in - sofern dieses dann zweierlei Determinanten enthalten wird, von welchen je eine durch die Art der äusseren, auf die Zellen wirkenden Einflüsse entweder inaktiv bleibt oder aktiv wird und die Zelle bestimmt.
152„ Embryonalzellen “aber im Sinne der Autoren giebt es im fertigen Organismus nicht. Wenn z. B. in der tiefen Schicht des Ektoderms beim Süsswasserpolypen, der Hydra, junge, histo - logisch undifferenzirte Zellen liegen, die sog. „ intermediären “Zellen, so kann aus diesen allerdings Mehrerlei werden: ge - wöhnliche Hautzellen, Nesselzellen, Muskelzellen, vermuthlich auch Nervenzellen und sicher Geschlechtszellen. Es wäre aber verkehrt, wollte man glauben, dass eine bestimmte derartige Zelle eines oder das andere werden könnte. Offenbar ent - halten diese Zellen entweder Keimplasma, d. h. sämmtliche Determinanten, und dann können sie sich zu Geschlechtszellen entwickeln, oder sie enthalten nur die Determinanten der Nessel - zellen, Nervenzellen u. s. w.,[und] dann können sie nur Nessel - zellen, Nervenzellen u. s. w., niemals aber Geschlechtszellen werden.
Aus den Erscheinungen der Regeneration, wie sie uns heute vorliegen, lässt sich, wie ich glaube, mit Sicherheit ableiten, dass die Fähigkeit der Regeneration nicht auf einer primären Eigenschaft des Bion beruht, sondern dass sie eine Anpassungs-Erscheinung ist.
Man hat wohl allgemein die Regenerationskraft bisher als eine primäre Eigenschaft der Organismen aufgefasst, d. h. als den unmittelbaren Ausfluss ihrer Organisation, als ein Vermögen, für welches nicht erst besondere Einrichtungen getroffen werden mussten, sondern welches sich von selbst ergab, als eine un - beabsichtigte Nebenwirkung der ohnehin bestehenden Organi - sation.
Diese Ansicht hat ihre Wurzel in der im Allgemeinen zu - treffenden Ansicht, dass die Regenerationskraft eines Thieres im umgekehrten Verhältniss zu dessen Organisationshöhe153 stehe1)Vergleiche z. B. Herbert Spencer a. a. O. p. 190, der sich übrigens sehr vorsichtig ausdrückt, wie es der Sachlage entspricht. Es heisst dort: „ Somit ist also das Wiederherstellungsvermögen verlorener Theile am grössten, wo die Organisation am niedrigsten steht, und es verschwindet beinahe vollständig, wo die Organisation am höchsten ist. Und obgleich wir nicht behaupten können, dass innerhalb dieser Extreme ein constantes umgekehrtes Verhältniss zwischen dem Wiederherstellungs - vermögen und dem Organisationsgrad besteht, so kann man doch sagen, dass wenigstens eine gewisse Annäherung an eine solche Relation vor - handen sei. “. Verhielte sich dies wirklich überall so, so wäre das zwar immer noch kein zwingender Grund für die bezeichnete Auf - fassung, aber doch eine Stütze. Bei näherem Zusehen ist dem aber nicht so. Wohl besitzen höchste thierische Organismen niemals ein so weit gehendes Regenerationsvermögen, wie es bei niederen vorkommt, und dies muss seinen Grund haben, allein auf derselben Organisationshöhe kommen sehr verschiedene Grade der Regenerationskraft vor, ja Thiere von höherer Organisation können eine weit grössere Regenerationskraft besitzen als niedere. So vermögen Fische die abgeschnittene Brust - oder Bauchflosse nicht wieder zu regeneriren, während die viel höher organisirten Salamander das Bein bis sechsmal hintereinander zu regeneriren im Stande sind (Spallanzani).
Auch innerhalb derselben Thiergruppe ist die Re - generationskraft oft recht verschieden stark. Bei Triton und Salamandra wächst das abgeschnittene Bein vollständig wieder nach, bei Proteus scheint dies nicht vorzukommen, ich wenig - stens habe es nicht erzielen können. Auch der Schwanz er - setzt sich bei Proteus nur langsam und unvollkommen, während er von den Salamandern sehr leicht wieder ersetzt wird. Im Jahre 1878 erhielt ich einen lebenden Siren lacertina, dem das eine Vorderbein abgerissen worden war, er besass davon nur noch einen Stummel des Oberarms, aber innerhalb der zehn Jahre,154 während deren ich das gefrässige Thier in bestem Ernährungs - zustand hielt, wuchs der Arm nicht wieder nach. Auch hier also scheint die Regenerationskraft in Bezug auf die Extremität geringer zu sein, als bei den phyletisch weit jüngeren und höher organisirten Salamandern.
Bekannt ist es auch, dass den Fröschen die abgeschnittenen Beine nicht wieder nachwachsen, auch nicht im Larvenzustand Besonders auffallend aber muss es erscheinen, dass selbst inner - halb der gleichen Gattung die Reproductionskraft eine recht verschiedene sein kann. Schreiber beobachtete, dass Triton marmoratus im Gegensatz zu allen übrigen darauf untersuchten Triton-Arten ein relativ sehr geringes Regenerationsvermögen besitzt. „ Selbst kleine Verletzungen des Kammes und der - gleichen werden wenigstens in der Gefangenschaft nie wieder ersetzt, und bei grösseren Verlusten geht das Thier regelmässig ein. “ Fraisse konnte Ähnliches feststellen; „ niemals wuchs eine abgeschnittene Extremität zur normalen Grösse wieder nach, es bildete sich nur ein etwas deformirter Kegel an dem Amputationsstumpf; auch der Schwanz wurde nur in sehr ge - ringem Maasse reproducirt “(a. a. O. p. 152).
In Bezug auf die Reptilien hebt schon Fraisse hervor, dass einzelnen Gruppen die Regenerationsfähigkeit in viel ge - ringerem Maasse zukommt, als andern. Schildkröten, Krokodile und Schlangen „ sind nicht im Stande, verloren gegangene Theile auch nur einigermassen zu regeneriren, während diese Fähigkeit den Eidechsen und Geckotiden in so hohem Maasse zukommt “.
Aber auch die Ungleichheit der Regenerationskraft ver - schiedener Theile derselben Thierart deuten darauf hin, dass Anpassung eine grosse Rolle bei Regeneration spielt. Bei dem sonst so wenig zur Regeneration befähigten Proteus wachsen die abgeschnittenen Kiemen rasch wieder nach. Ebenso be -155 schränkt sich bei den Eidechsen das Regenerationsvermögen auf den Schwanz, Extremitäten aber werden nicht regenerirt. Offen - bar ist aber der Schwanz der Eidechsen ungleich mehr der Ver - stümmelung ausgesetzt, als die Beine, die Letzteren gehen that - sächlich selten verloren, wenn man auch hin und wieder einmal ein Thier mit stummelförmigem Bein findet. Die biologische Bedeutung des Eidechsenschwanzes darf eben darin gefunden werden, dass er das Thier vor völligem Untergang schützt, indem der Verfolger zumeist nach dem lange nachschleppenden Schwanz zielen wird, dabei aber oft das Thier selbst entwischen lässt, weil der festgehaltene Schwanz abbricht. Ist derselbe doch ganz besonders zum Abbrechen eingerichtet, indem, wie Leydig zuerst nachwies, die Schwanzwirbelkörper vom siebenten an mit vorbereiteter Bruchfläche quer durch die Wirbelkörper hindurch versehen sind. Wenn nun das Abbrechen durch eine besondere Vorrichtung und Anpassung vorgesehen ist, so wird es kein allzu kühner Schluss sein, wenn man auch die Regene - rationskraft des Schwanzes selbst als eine Anpassung betrachtet, also nicht als den Ausfluss einer unbekannten „ Regenerations - kraft “des gesammten Thieres, sondern als eine durch Se - lection hervorgerufene specielle Anpassung dieses einen Körpertheiles an den häufig eintretenden, ge - wissermassen vorgesehenen Verlust des Theiles. Hätte derselbe keine oder nur eine geringe biologische Bedeutung, so würde diese Einrichtung nicht getroffen worden sein, wie sie denn thatsächlich bei den auf gleicher Organisationshöhe stehenden Schlangen und Schildkröten nicht getroffen worden ist. Dass aber die Beine der Eidechsen sich nicht wieder ersetzen, hat, wie ich glaube, seinen Grund darin, dass eine Eidechse bei ihrer enorm raschen Beweglichkeit selten an einem Bein gepackt werden wird. Geschieht es aber einmal, so ist das Thier unrettbar die Beute des Verfolgers, und Regenerations -156 fähigkeit des Beines wäre nutzlos. Bei Tritonen verhält sich die Sache wesentlich anders. Ihre Bewegungen sind weit we - niger rasch und ihre Angreifer beschränken sich häufig darauf, nur ein Bein abzubeissen, weil sie zu klein sind, um ein ganzes Thier zu verschlucken. Häufig gehen solche Angriffe von Thieren derselben Art aus, die durch immer wieder von Neuem wiederholte Bisse einem schwächeren Genossen das Bein, den Schwanz oder die Kiemen abnagen. War hier eine bedeutende Regenerationskraft überhaupt möglich, so musste sie eingerichtet werden. Bei Proteus finden wir sie in weit geringerem Grade, aber diese Thiere haben in den Höhlen von Krain, ihrem aus - schliesslichen Aufenthalt, weder grössere Feinde, noch starke Concurrenz um ihre Nahrung, und fressen sich deshalb auch gegenseitig nicht an, soweit meine Beobachtungen reichen.
Schon Spallanzani sagte, die Natur reproducire nicht Alles, was man abschneidet, und diese Erfahrung kann, ins Theoretische übersetzt, nichts Anderes heissen, als: die ver - schiedenen Organe eines Thieres haben verschiedene Grade von Regenerationskraft. Stellt man sich dann weiter die Frage, welches die am leichtesten regenerirenden Theile sein werden, so ergiebt sich, dass die Theile den höch - sten Grad von Regenerationsvermögen besitzen müssen, welche am häufigsten einer Beschädigung oder einem Verluste aus - gesetzt sind. Soweit ich die bis jetzt vorliegenden Thatsachen übersehe, stimmen die Beobachtungen mit dieser Auffassung. Zwar hat leider Spallanzani seinem oben citirten Satz, dass die Natur nicht Alles reproducire, was man abschneidet, keine weitere Erläuterung beigegeben, so dass wir seine Erfahrungen darüber, was sich nicht regenerirt, nicht kennen. Ich habe aber selbst eine Reihe von Untersuchungen angestellt, um einige Sicherheit darüber zu erlangen, ob die Höhe der Regenerations - kraft wirklich in Beziehung zur Verletzbarkeit des Theiles steht.
157Wenn Regeneration eine Anpassungserscheinung ist, dann müssen innere Organe, welche im Naturleben des Thieres Verstümmelungen nicht ausgesetzt sind, keine Regenerations - kraft besitzen und dies auch bei solchen Thieren, deren äussere den Angriffen ihrer Feinde ausgesetzten Theile ein hohes Re - generationsvermögen besitzen.
Ich schnitt einem unserer grossen Wassersalamander, Triton cristatus, die rechte Lunge etwa in ihrer Längsmitte ab und nähte die Hautwunde wieder zu. Das Thier erholte sich bald aus der Chloroform-Narkose, heilte rasch und wurde während vierzehn Monaten sehr gut genährt und dann getödtet. Die rechte Lunge hatte sich nicht ergänzt, sie war nur halb so lang, als die linke und endete nicht spitz, wie diese, sondern mit dickem Blindsack. Vier andere Fälle verliefen ähnlich, in einem derselben blieb es zweifelhaft, ob nicht doch ein Wachs - thum der Lunge eingetreten war, aber auch in diesem hatte sie nicht die ursprüngliche lange spitze Gestalt wiedererlangt.
Die Versuche werden noch fortgesetzt, soviel darf aber schon jetzt aus ihnen abgenommen werden, dass ein auffallendes Missverhältniss in der Regenerationskraft der äusseren Theile der Salamander und ihrer Lunge besteht. Dasselbe erscheint um so grösser, wenn man bedenkt, dass es sich bei der Regene - ration der Extremität um die Wiederherstellung eines sehr ver - wickelt gebauten, aus vielen ganz verschiedenen Stücken zu - sammengesetzten Theils handelt, während die Lunge ein ein - facher hohler Sack ist ohne Gliederung und von relativ einfachem histologischen Bau.
Man wird also schliessen dürfen, dass die innern, für gewöhn - lich Verletzungen nicht ausgesetzten Theile bei diesen Arten kein höheres Regenerationsvermögen besitzen, als bei den höchsten Wirbelthieren, die ihnen in Bezug auf Regenerationskraft der äussern Theile so ausserordentlich nachstehen. Es giebt dem -158 nach keine allgemeine Regenerationskraft, sondern dieselbe ist bei ein und derselben Thierform abgestuft nach dem Regenerationsbedürfniss des Theiles, d. h. in erster Linie nach der Ausgesetztheit desselben.
In genauem Zusammenhang damit steht die Thatsache, dass die Regeneration eines höchst regenerationskräftigen Theiles doch nur von bestimmten, gewissermassen vorgesehenen Ver - letzungen desselben ausgehen kann, nicht aber von jeder be - liebigen. Philippeaux fand zuerst, dass das Bein des Triton nicht wieder wächst, wenn man es aus dem Gelenk herausnimmt, vielmehr nur dann, wenn es mit Verletzung des Knochens ab - geschnitten oder abgerissen wird. Man hat dieser Thatsache die Erklärung gegeben, dass sie auf dem Gesetz von der Specifität der Gewebe beruhe, dass Knochen nur vom Knochen gebildet werden können, und dass somit der Knochen des Beines selbst verletzt sein müsse, um neu gebildet werden zu können. Diese Erklärung, obwohl von einem richtigen Princip ausgehend, scheint mir indessen doch nicht ausreichend. Die Verletzung des Knochens setzt den Reiz, durch welchen die Zellen des Stumpfes zur Wucherung angeregt werden; das ist gewiss richtig, und nach unserer Theorie werden dadurch die in denselben schlummernden Ersatz-Determinanten zur Thätigkeit veranlasst. Wenn aber eine Gelenkhöhle blossgelegt wird, setzt dies ebenfalls einen Reiz auf die Zellen des Knorpels und ohne Zweifel auch auf die des darunter liegenden Knochens oder des Periost’s. Wenn deshalb die Zellen dieser Stellen überhaupt fähig wären, die verloren gegangenen Knochen zu reproduciren, und wenn die Bloss - legung der Gelenkhöhle die gewöhnlich vorkommende Art der Verletzung wäre, so würden diese Zellen gewiss ebenso gut diesem Reiz angepasst und ausgerüstet worden sein, denselben mit formativer Wucherung zu beantworten, als sie an den Bruchstellen des Knochens mit dieser Fähigkeit ausgerüstet sind. 159Exartikulation des Beines, oder eines Abschnittes des - selben kommt aber unter natürlichen Lebensbeding - ungen kaum jemals vor, und so konnte dieser Fall von dem Organismus auch nicht vorgesehen, und die betreffenden Zellen des geöffneten Gelenkes nicht mit den zur Regeneration nöthigen Ersatz-Determinanten ausgerüstet werden. Deshalb fehlt ihnen die Fähigkeit, auf den Reiz der Exartikulation in adäquater Weise zu reagiren.
Wenn man aber auch allen den bis jetzt angeführten Thatsachen gegenüber vielleicht noch zweifelhaft sein könnte, ob wirklich die Regenerationskraft auf einer speciellen Anpassung des betreffenden Theils beruhe, und nicht ein Ausfluss der Organi - sationshöhe des Thieres oder doch einer allgemeinen, dem ganzen Organismus innewohnenden Kraft der Regeneration be - ruhe, so müssten die folgenden Erwägungen, wie mir scheint, alle Zweifel beseitigen. Offenbar beruht die physiologische Regeneration auf den gleichen Ursachen wie die pathologische, beide gehen vielfach ineinander über, und eine wirkliche Grenze besteht nicht zwischen ihnen. Nun finden wir aber gerade bei solchen Thierklassen, deren pathologische „ Regenerations - kraft “eine sehr geringe ist, eine ungemein hohe physio - logische Regenerationskraft, und dies beweist, dass die geringe Höhe der ersteren unmöglich auf einer dem Organismus innewohnenden allgemeinen Regenerationskraft beruhen kann, dass vielmehr an solchen Theilen des Körpers, welche einer steten oder periodischen Regeneration bedurften, eine solche auch eingerichtet werden konnte, oder mit anderen Worten: dass die Regenerationskraft eines Theiles auf Anpassung beruht. Beispiele dafür sind leicht zu finden. Die Fische wurden oben schon erwähnt als Thiere, denen man eine sehr geringe „ allgemeine Regenerationskraft “zu - schreibt, weil sie verloren gegangene äussere Theile, Flossen160 vor Allem nicht wieder zu ersetzen im Stande sind. Dennoch haben viele Fische Zähne, die der Abnutzung stark ausgesetzt sind, und besitzen deshalb die Fähigkeit, immer wieder neue Zähne zum Ersatz der alten hervorzubringen. Am Gebiss eines Rochen oder Haien stehen die Zähne in Längsreihen auf dem Kieferrand, und zwar folgen sich mehrere bis viele solcher Längsreihen hintereinander, von denen die vordersten die ab - genutzten, die dahinter folgenden immer jüngere Ersatzzähne sind. Neben den Fischen zeigen die Vögel ein sehr geringes Vermögen, zufällig entstandene Defekte zu ergänzen, und man bezeichnet sie deshalb als Thiere mit sehr geringem Regene - rationsvermögen. Aber gerade die Vögel haben in Bezug auf gewisse Theile ein ganz ausserordentlich hohes physiologisches Regenerationsvermögen, für das Federkleid nämlich, welches sie bekanntlich in jedem Jahre einmal ganz abstossen und neu wieder hervorbringen. Bei den Säugern beschränkt sich die pathologische Regeneration auf ein sehr geringes Maass: Deck - epithelien, die Epithelien der Drüsengänge, die Gewebe der Bindesubstanzen, worunter auch das Knochengewebe gehört, die Nervenfasern können Defekte wieder durch die eigenen Ge - webselemente ausbessern, keinem Säugethier aber wächst ein Fingerglied oder ein Augenlid wieder, wenn es abgeschnitten wurde. Dennoch giebt es Säugethiere, deren physiologische Regenerationskraft in Bezug auf ein bestimmtes Organ ungemein gross ist. Die männlichen Hirsche werfen jährlich ihr Geweih ab und bilden es wieder neu im Verlauf von vier bis fünf Monaten, eine Leistung, die in Betracht der Masse organischen Gewebes, welche hier in so kurzer Zeit gebildet wird, selbst die regenerativen Leistungen der erwachsenen Salamander hinter sich lässt, denn diese brauchen nach Spallanzani mehr als ein Jahr, um ein abgeschnittenes Bein in der normalen Grösse und Festigkeit wieder herzustellen. Junge Thiere freilich re -161 produciren ein Bein in wenigen Tagen und der geniale Ex - perimentator beobachtete sechsmaliges Wiederwachsen sämmt - licher vier Beine und des Schwanzes bei einem jungen Triton in der Zeit von drei Sommermonaten!
In einer Beziehung steht aber doch diese hohe Regenerations - kraft der Hirsche und der Vögel gegen die Leistungen der Tritonen weit zurück, nämlich in Bezug auf die Complicirt - heit des zu ersetzenden Theils. Obgleich eine Vogelfeder sicherlich ein bewunderungswürdig fein gebautes Gebilde ist, so besteht es doch nur aus Epidermiszellen, und das Geweih der Hirsche ist ein mit Epidermis überzogener Hautknochen. Das Bein eines Triton aber enthält alle Arten von Geweben mit Ausnahme der Entoderm-Epithelien, nämlich: Haut, Muskeln, Knochen in grosser Zahl, Bindegewebe, Blutgefässe, Nerven u. s. w., und das Alles in ganz fest vorgeschriebener Anordnung, Zahl und Form. Ohne Zweifel ist die Regeneration eines Beines deshalb eine höhere Leistung als die der Federn oder des Ge - weihes, und es ist in der That auch ein Erfahrungssatz, den schon die älteren Experimentatoren aufstellten, dass compli - cirtere Organe weniger leicht regeneriren als einfacher gebaute. Es wäre von grossem theoretischen Werth, diesen etwas ungenauen Satz durch planmässige Versuche genauer zu präcisiren. Man darf im Voraus erwarten, ihn in irgend einem Sinne bestätigt zu finden, d. h. zu finden, dass unter sonst gleichen Umständen bei ein und derselben Art einfache Organe durchschnittlich leichter regeneriren als complicirte. Selbst beim Menschen ersetzen sich viele einfache Gewebe, die Binde - substanzen, Epithelien, Nerven, und nur die histologisch höchst differenzirten Zellen der Drüsen und Ganglien thun es nicht oder nur schwach. Auch die Theorie lässt einsehen, dass hierzu ein weit weniger verwickelter Apparat gehört, als bei der Re - generation ganzer Körpertheile, wie Schwanz oder Beine, dennWeismann, Das Keimplasma. 11162es genügt, dass das betreffende Gewebe Zellen enthält, welche im Stande sind, sich auf den Reiz des Substanzverlustes der Umgebung hin zu vermehren und dies so lange fortzusetzen, bis der Substanzverlust ausgeglichen ist. Erst wenn mehrere Zellen - arten beim Wiederaufbau zusammenwirken müssen mit genauer Normirung ihrer Massen - und Gestaltungs-Verhältnisse, ihrer Wachsthumsrichtung und Vermehrungsrhythmus tritt die Noth - wendigkeit einer genauen Ausrüstung der einzelnen den Ersatz einleitenden Zellen mit Ersatz-Determinanten verschiedener Art heran, und es ist klar, dass diese Ausrüstung eine um so ver - wickeltere und schwieriger herzustellende wird, je complicirter der zu regenerirende Theil ist, und je genauer alle Einzelheiten seines Baues eingehalten werden müssen.
Wenn man aber die Thatsachen überblickt, welche über Regeneration bei Thieren verschiedener Organisationshöhe und verschiedener Gruppen überhaupt vorliegen, so begegnet man so grossen Unterschieden in der Regenerationskraft selbst homo - loger Theile, dass man durchaus den Eindruck bekommt, der bei allen Schriftstellern über Regeneration zu erkennen ist, dass im Allgemeinen die Regenerationskraft grösser ist bei nieder organisirten Thieren als bei complicirter ge - bauten, und es erhebt sich die Frage, wie dies zu verstehen und in welche wissenschaftliche Formel es zu bringen wäre.
Schon innerhalb der Wirbelthiere treten uns solche That - sachen entgegen, welche auf eine dem „ niederen “Thier als solchen, primär eigenthümlichen grösseren Kraft, verlorene Theile zu ersetzen, hinweisen. Allerdings besitzen die Fische ein viel geringeres Regenerationsvermögen, als die höher organisirten Amphibien; aber wenn eine Fischflosse nicht wieder wächst, wohl aber das Bein eines Triton, so darf nicht übersehen werden, dass die beiden Organe biologisch von ziemlich ungleicher Bedeutung sind. Das Vorderbein des Triton und der Arm des163 Menschen dagegen sind nicht nur homologe Theile, sondern auch von nahezu gleicher biologischer Bedeutung; ihre Regenerations - kraft aber ist sehr ungleich, und es fragt sich also, worauf diese Ungleichheit beruht.
Die Regenerationskraft irgend eines Theils wird niemals blos von den Verhältnissen abhängen, welche gerade für die ins Auge gefasste Thierart massgebend sind, sondern auch von den Regenerationseinrichtungen, welche schon in der Vorfahren - reihe dieser Art vorhanden und auf sie durch Vererbung über - tragen wurden. Sehen wir aber einmal davon ab und betrachten die Regenerationskraft als nur auf Anpassung des einzelnen Falles beruhend, so wird man etwa in folgender Weise schliessen. Ob die Ausrüstung der Zellen eines Theils mit Ersatz-Determi - nanten behufs seiner Regenerationsfähigkeit eingerichtet wird oder nicht, hängt in erster Linie davon ab, ob der betreffende Theil überhaupt von häufigerem Verlust bedroht ist, also von der Höhe der Verlust-Wahrscheinlichkeit desselben. Für selten eintretende Verluste kann nicht Vorsorge getroffen werden, selbst wenn dieselben von grossem biologischen Nachtheil wären, weil die Einbusse an Individuenzahl, welche die Art etwa da - durch erleiden könnte, verschwindend klein wäre. Für das be - troffene Individuum kann ein solcher Verlust von grossem Nach - theil sein, nicht aber für die Art; Selectionsprocesse können also durch ihn nicht in Gang gesetzt werden.
In zweiter Linie muss es die physiologische oder bio - logische Bedeutung des Organs selbst sein, welche in Be - tracht kommt. Ein rudimentärer, fast oder ganz bedeutungslos gewordener Theil wird häufig verstümmelt oder abgerissen werden können, ohne dass daraus Selectionsprocesse hervorgehen, die dessen Regenerationsfähigkeit bezwecken. So ersetzen sich z. B., soviel bekannt ist, die häufig abgebissenen schwachen Beine von Siren oder Proteus nicht, wohl aber die ebenso häufig abgefressenen11*164Kiemen derselben Arten und des Axolotl. Letztere sind eben physiologisch werthvolle Organe, erstere nicht. Ebenso re - generirt sich der so häufig verstümmelte Schwanz der Eidechsen, weil derselbe, wie oben gezeigt wurde, ein biologisch werth - volles Organ ist, dessen Fehlen seinen Träger in Nachtheil setzt.
Als drittes Moment endlich, welches bei der Regulirung der Regenerationskraft eines Theiles in Betracht kommt, wird die Complicirtheit des betreffenden Theiles zu betrachten sein, denn je complicirter derselbe gebaut ist, um so länger und energischer werden Selectionsprocesse thätig sein müssen, damit der Regenerations-Mechanismus, d. h. die Ausrüstung einer grossen Menge verschiedenartiger Zellen mit genau abgestuften und in ihrer Vermehrungskraft regulirten Ersatz-Determinanten her - gestellt werde. So liesse es sich begreifen, dass z. B. die vordere Extremität der Tritonen regenerirt wird, nicht aber die der Vögel, obwohl der Flügel biologisch noch weit bedeutsamer und unentbehrlicher für seinen Träger ist, als das Vorderbein des Triton. Der Flügel des Vogels enthält zwar weniger Knochen - stücke, als der Arm des Triton, aber er ist im Übrigen weit höher, d. h. weit complicirter gebaut, wie sofort klar wird, wenn man sich erinnert, dass er mit Federn bedeckt ist, und dass jede der Schwungfedern wenigstens nach Grösse, Gestalt und Färbung genau individualisirt ist, also eine grosse Menge besonderer Determinanten in ihren Bildungszellen enthalten muss. Diese Determinanten müssen alle geordnet im Keimplasma enthalten sein, um bei der primären Entwickelung des Vogels mittelst ge - wisser Zellfolgen zunächst in das äussere Keimblatt, später in die Epidermis der vorderen Extremität geschoben zu werden und von da durch im Laufe des Wachsthums entstehende weitere Zellfolgen an den ihnen speciell zukommenden Ort. Wie es möglich ist, dass dabei die Vertheilung der Determi - nanten in einer so genauen und sicheren Weise vor sich geht,165 wie es thatsächlich der Fall sein muss, damit nicht nur die Gestalt der Feder, sondern auch jeder Farbenfleck auf derselben bei allen Individuen der Art in gleicher Weise sich wiederholt, das ist schon schwer genug sich vorzustellen; dass aber dieser ganze complicirte Bildungs-Mechanismus sich auch noch ausser - dem derart sollte umgestalten können, dass von jeder Schnitt - fläche des Flügels aus der ganze Flügel mit allen seinen Federn und Farbenfleckchen auf den Federn sollte regenerirt werden können, das möchte man wohl für unmöglich erklären. Nach unserer Theorie gehörte dazu, dass die Zellen einer jeden Quer - schnittfläche des Flügels neben dem ihnen für ihre eigentliche Natur zukommenden Idioplasma noch sämmtliche Determinanten sämmtlicher Zellen als Ersatz-Determinanten enthielten, welche zum Aufbau des distalwärts noch folgenden Stückes des Flügels gehören, und zwar in entsprechender Vertheilung auf die Zellen der radialen und ulnaren, der oberen und unteren Fläche des Flügels, und mit genauer Abwägung der Vermehrungskraft jeder Zelle und ihrer Nachfolge. So wenig wir auch urtheilen können über das, was in der Natur möglich ist, und so sehr wir durchdrungen sind von der niederschlagenden Überzeugung, dass zahlreiche Vorgänge des Lebens immer noch unverstanden für uns geblieben sind, so möchten wir uns doch berechtigt glauben, in diesem Falle aus dem Nichtgeschehen auf die Unmöglichkeit solchen Geschehens zu schliessen, d. h. daraus, dass thatsächlich eine Regeneration des Vogelflügels nicht vorkommt, zu schliessen, dass sie der Complicirtheit des dazu erforderlichen Mechanismus halber nicht möglich sei.
Dennoch darf ein förmlicher Beweis, dass dem so ist in der Thatsache, dass Regeneration hier nicht vorkommt, nicht gesehen werden. Dies wäre schon deshalb unstatthaft, weil der erste der drei Faktoren, welche nach unserer Annahme den Regenerations-Mechanismus hervorrufen, hier nicht vorhanden166 ist; ich meine die Verlust-Wahrscheinlichkeit. Selten wird einem Vogel der Flügel verstümmelt, ohne dass er nicht zugleich das Leben einbüsst, wenigstens im Naturleben. Schon aus diesem Grunde also würden Selectionsprocesse, die auf einen Regene - rations-Mechanismus gerichtet wären, hier nicht eingeleitet werden können. Ich habe auch den ganzen Fall nicht deshalb hier vorgebracht, um gerade für ihn einen solchen Beweis zu führen, sondern deshalb, weil er mir besonders geeignet erschien, anschaulich zu machen, wie ausserordentlich die Complicirtheit des Regenerations-Mechanismus wachsen muss mit der grösseren Complicirtheit des Theiles. Diese Einsicht aber führt nun wieder zurück zu der oben schon aufgeworfenen Frage von der all - gemeinen Regenerationskraft der niederen gegenüber den höheren Thiergruppen.
Ich glaube, dass in gewissem Sinne eine solche zugegeben werden darf, in dem Sinne nämlich, dass vermöge der einer niederen Thiergruppe zukommenden geringeren Complication des Baues aller ihrer Theile irgend ein bestimmter Theil auch leichter regenerationsfähig gemacht werden kann, als bei höheren Thiergruppen. Dabei ist aber immer vorausgesetzt, dass die beiden anderen Faktoren, die Verlust-Wahrscheinlichkeit und die biologische Wichtigkeit des Organs in dem erforder - lichen Grade vorhanden sind, so dass diese „ höhere Reproduktions - kraft niederer Thiertypen “im Grunde nichts ist, als ein anderer Ausdruck für den oben festgestellten dritten Faktor: die Com - plicirtheit des zu regenerirenden Organs.
Es fragt sich aber, ob wirklich das Regenerationsvermögen jeglichen Theiles das Resultat besonderer Anpassungsvorgänge ist, ob nicht doch Regeneration als blosser gewissermassen nicht vorgesehener Ausfluss der physischen Beschaffenheit eines Thieres vorkommt. Es liegen Angaben vor, die kaum eine andere Deutung zuzulassen scheinen. So regenerirt sich nach Spallan -167 zani der ausgeschnittene Kiefer von Triton sammt Knochen und Zähnen und nach Bonnet sogar das exstirpirte Auge des - selben Thieres. Ich habe nun zwar nie gehört, dass die Tritonen im Naturzustande häufig den Unterkiefer einbüssten, etwa im Kampfe miteinander, aber Tritonen, die ich dicht beisammen für kurze Zeit in ein enges Gefäss gesetzt hatte, griffen sich heftig an, und mehr wie einmal packte dabei einer den andern am Unterkiefer und zerrte und biss daran so heftig, dass der - selbe abgerissen wäre, wenn ich die Thiere nicht gewaltsam getrennt hätte. So mag denn wohl auch im Naturzustand das Ausreissen eines Kiefers und selbst eines Theiles des Auges nicht allzu selten vorkommen, und es schiene somit gestattet, eine Anpassung der betreffenden Theile an die Regeneration anzunehmen. Kennel berichtet aber von einem Storch, dem der Oberschnabel zufällig in der Mitte abgebrochen und darauf der Unterschnabel an der gleichen Stelle abgesägt worden war, und der beide wieder vollständig regenerirte. Solche Fälle, an deren Genauigkeit kaum zu zweifeln ist, deuten darauf hin, dass die Regenerationsfähigkeit doch nicht allein auf specieller An - passung eines bestimmten Organs beruht, sondern dass es auch eine allgemeine Regenerationskraft des ganzen Organismus giebt, die sich bis zu einem gewissen Grade auf viele, vielleicht auf alle Theile bezieht, und kraft deren einfachere Organe, auch wenn sie nicht speciell der Regeneration angepasst sind, doch wieder ersetzt werden können.
Theoretisch und im Princip würde ein solches Verhalten von unserem Standpunkt aus nicht unverständlich sein; man brauchte nur anzunehmen, dass bei allen oder doch bei vielen Kerntheilungen der Embryogenese einige der früheren Deter - minanten dem Idioplasma der später auftretenden Zellen als Neben-Idioplasma beigesellt blieben. Es fragt sich nur, woher diese Einrichtung als eine mehr oder minder allgemeine, den168 ganzen Körper betreffende stammt, wie sie zu Stande kommen konnte, da doch nur das Nützliche zu Stande kommt, zumal wenn es sich um einen so complicirten Mechanismus handelt, wie es die Ausrüstung des Idioplasma’s mit Ersatz-Determinanten sein muss. Wir werden so zu der Vermuthung geführt, es möchte die allgemeine Regenerationsfähigkeit sämmt - licher Theile eine durch Selection herbeigeführte Er - rungenschaft niederer und einfacherer Thierformen sein, die im Laufe der Phylogenese und der steigenden Complicirtheit des Baues zwar allmälig mehr und mehr von ihrer ursprünglichen Höhe herabsank, die aber auf jeder Stufe ihrer Rückbildung in Bezug auf be - stimmte, biologisch wichtige und zugleich häufigem Verlust ausgesetzte Theile durch speciell auf diese Theile gerichtete Selectionsprocesse wieder gesteigert werden konnte.
Der abgeschnittene Schwanz einer Eidechse, das Bein eines Triton wächst wieder, nicht aber ergänzt sich das abgeschnittene Stück wieder zum ganzen Thier. Anders bei manchen Ringel - wärmern, z. B. Nais und Lumbriculus; wenn man ihnen den Schwanz abschneidet, so wächst nicht nur ein neuer Schwanz von der Schnittfläche hervor, sondern der abgeschnittene Schwanz bildet auch wieder ein neues Vorderende mit neuem Kopf, so dass also dann zwei Thiere aus einem entstehen.
Offenbar lässt sich diese Thatsache aus der bisher ge - machten Annahme von Ersatz-Determinanten noch nicht ohne Weiteres ableiten, denn danach befänden sich in den Zellen nur einerlei Art von Ersatz-Determinanten, solche nämlich, wie sie zum Aufbau des dem Ganzen verloren gegangenen Theils erforderlich sind; hier aber erzeugen dieselben Zellen, je nach -169 dem sie der vorderen oder der hinteren Schnittfläche angehören, ganz verschiedene Theile, im ersten Falle einen Schwanz, im zweiten einen Kopf. Dass es dieselben Zellen sind, von welchen die eine oder die andere regenerative Leistung ausgeht, ergiebt sich daraus, dass es ganz gleich ist, an welcher Stelle man den Wurm durchschneidet, beide Hälften ergänzen sich immer wieder, es sind also nicht etwa die Zellen bestimmter Quer - schnitte mit Ersatz-Determinanten für die Kopfbildung, die anderer Querschnitte mit solchen für die Schwanzbildung aus - gerüstet, sondern eine jede Zelle kann in dieser, oder in jener Weise reagiren, je nachdem sie in die vordere, oder in die hintere Schnittfläche zu liegen kommt. Wenn wir also an der hier zu Grunde gelegten Anschauung festhalten wollen, nach welcher die zur Regeneration verwendeten Zellen nicht von einer ausser - halb ihrer selbst gelegenen Oberleitung geordnet und bestimmt werden, sondern von den in ihnen selbst gelegenen Kräften, so bleibt, wie mir scheint, zur Erklärung dieser doppelten Reactionsweise der Zellen Nichts übrig, als die Annahme, dass jede derselben zwei verschiedene Ersatz-Determinanten enthält, eine für den Aufbau des Kopfes und eine für den des Schwanzes, und dass die eine oder die andere in Thätigkeit geräth, je nachdem die betreffende Zelle von ihrer vorderen oder von ihrer hinteren Fläche her dem Reiz der Blosslegung ausgesetzt wird.
Ehe ich versuche, diese Annahme näher zu begründen, muss ich noch diejenigen Fälle berühren, in denen die re - generative Thätigkeit der einzelnen Zelle nicht nur eine zwei - fache, sondern sogar eine dreifache sein kann.
Mir scheint, dass die Regenerationsvorgänge, wie sie vom Süsswasser-Polypen, der Hydra, und den Seeanemonen, Acti - nien, bekannt sind, hierher gehören. Wenn man einen Wurm in der Medianebene halbirt, so ergänzt sich keine der beiden Hälften, und ebensowenig geschieht dies, wenn man sie in irgend170 einer andern Längsebene halbirt; beide Hälften sterben viel - mehr. Anders bei Hydra; theilt man sie in einer Längsebene, so ergänzen sich beide Hälften wieder zum ganzen Individuum, und es ist dabei gleichgültig, welche Ebene vom Schnitt ge - troffen wird. Da nun Quertheilung des Thieres an beliebiger Stelle ebenfalls eine Ergänzung jeder Hälfte zum Ganzen zur Folge hat, so muss also von jeder Stelle des Körpers eine Re - generation in dreifacher Richtung ausgehen können, nämlich nach den drei Richtungen des Raumes, und da der Körper in diesen drei Richtungen verschieden gebaut ist, so wird man zu der Annahme gedrängt, dass in jeder Zelle drei verschiedene Arten von Determinanten-Gruppen enthalten sind, nämlich solche für das Vorderende, solche für das Hinderende und solche für den Mauerschluss des Körpers, wenn ich diesen Ausdruck für den Ausbau der Körperwandung in der Richtung der Quer - achsen gebrauchen darf. Ein und dieselbe Zelle1)Auf den histologischen Theil der Regeneration von Hydra gehe ich nicht ein, weil mir die Thatsachen hier noch allzu unsicher und lückenhaft zu sein scheinen. müsste also in dreierlei Richtung hin sich theilen und dreierlei Abschnitte des Körpers liefern können, und zwar müsste auch hier nicht die Qualität, sondern die Richtung, von welcher her der Wund - reiz wirkt, die Entscheidung darüber geben, welche Theilungs - art faktisch ausgeführt wird, d. h. welche Determinanten in in Activität treten und die Herrschaft über die Zelle über - nehmen.
Mit dieser Annahme, scheint mir, lassen sich die Regene - rations-Vorgänge bei Hydra einigermassen verstehen. Wird z. B. die Gruppe der Ersatz-Determinanten des Hinderendes activ, so entstehen seitlich zu Ringen geschlossene lineare Zellen - reihen in der Richtung von vorn nach hinten mit der Tendenz, sich zum Fussgewölbe so bald als möglich zusammenzuschliessen171 und mit der ferneren Tendenz, im Mittelpunkt dieses Gewölbes eine kleine Lücke zu lassen, sowie die Ektoderm-Zellen der Fussfläche zu Schleim absondernden auszugestalten. Dagegen fehlen in dieser Gruppe die Determinanten zur Tentakelbildung. Wird umgekehrt die Gruppe der Ersatz-Determinanten des Vorderendes activ, so erfolgt die Bildung von Zellenreihen mit der Tendenz, sich zur Mundscheibe zusammen zu wölben und eine grosse Lücke, den Mund darin zu lassen. Gewisse Stellen im Umkreise des Mundes wachsen dann zu Tentakeln aus, wo - bei freilich nicht sicher zu sagen ist, warum gerade an dieser und nicht an jener Stelle die Tentakel-Determinanten activ werden. Es wird aber nachher gezeigt werden, dass die Zellen der Hydra und vermuthlich aller thierischen Gewebe „ polarisirt “sind in einem gewissen Sinne, d. h. dass sie sich nach vorn und hinten und auch in der Richtung der Querachse verschieden verhalten. Damit und mit den eigenthümlichen Druckverhält - nissen innerhalb des Zellengewölbes der Mundscheibe darf es wohl in Zusammenhang gebracht werden, dass die in Zellen aller Körpergegenden anzunehmenden Tentakel-Determinanten nur an bestimmten Stellen im Umkreis des Mundes activ werden.
Das sind freilich nur Andeutungen, fast nur blosse Ahnungen einer Erklärung, allein ich sehe nicht, wie wir heute schon etwas Besseres geben wollten. Immerhin scheint mir dieser Erklärungs - versuch etwas tiefer zu dringen, als die Annahme Herbert Spencer’s, der die Regeneration im Allgemeinen der Krystalli - sation vergleicht, und jedem kleinsten Lebenstheilchen die Fähigkeit zuschreibt, sich unter dem Einfluss des Ganzen jedes - mal so anzuordnen, wie es nöthig ist, damit der gerade fehlende Theil wieder neu gebildet werde. Wenn man nur den Süss - wasser-Polypen ins Auge fasst, dann scheint freilich die eine Erklärung so gut, wie die andere, sobald man aber andere172 Thiergruppen zum Vergleich herbeizieht, erkennt man, dass den Theilchen keineswegs immer diese Fähigkeit innewohnt, dass selbst die Zelle bald verschiedene Theile des Ganzen, bald nur einen bestimmten Theil, bald nur ihres Gleichen regenerativ hervorbringen kann, dass somit etwas Besonderes in ihr enthalten sein muss, welches sie zu dieser oder jener Art der Regeneration befähigt. Dieses Etwas sind die Ersatz - Determinanten.
Wenn ein Polyp oder ein Wurm quer durchgeschnitten, wenn überhaupt an irgend einem Organismus ein Substanz - verlust künstlich gesetzt wird, so ändern sich vor Allem die Druckverhältnisse, unter welchen die an den Substanzverlust angrenzenden Zellen sich bisher befanden; der Gegendruck, dem sie bisher von der Seite des weggenommenen Theils des Körpers ausgesetzt waren, hört auf. Damit wird eine Änderung in den Lebensbedingungen der so betroffenen Zellen gesetzt, welche von bestimmten morphologischen und physiologischen Folgen für dieselben sein muss. Wir können dieselben zur Zeit noch nicht im Genaueren angeben, aber da wir erfahrungsgemäss wissen, dass solche Substanzverluste mit Zellvermehrung be - antwortet werden, dürfen wir bestimmt behaupten, dass dadurch ein Reiz auf die Zelle und vor Allem auf deren Idioplasma ausgeübt werde, der sie zur Vermehrung zwingt. Dies ist auch die Ansicht derjenigen Forscher, welche am meisten und ein - gehendsten sich mit den Folgen von Substanzverlusten zu be - fassen Gelegenheit haben, die pathologischen Anatomen. Dieselben erklären die Wucherungen, welche nach Substanz - verlusten in dem benachbarten Gewebe eintreten, zwar nicht durch einen Reiz im eigentlichen Sinne, der auf die Nachbar - zellen ausgeübt wird, wohl aber durch Aufhören der „ Wachs - thums-Widerstände “, und in unserem Sinne kann auch dies als „ Reiz “, nämlich im Sinne von „ Veranlassung “be - zeichnet werden.
173Wenn nun die Zellen nach den drei Richtungen des Raumes ganz gleich beschaffen wären, so müsste es die gleiche Wirkung auf das Idioplasma haben, ob der Reiz des Substanzverlustes von vorn, von hinten oder von der Seite her auf sie einwirkt. Es könnte dann unmöglich in dem einen Falle nur die eine Determinanten-Gruppe vom Reiz getroffen und zum Activwerden bestimmt werden, in dem andern nur die zweite, in dem dritten nur die dritte. Wir haben aber allen Grund zu glauben, dass der Bau einer solchen Gewebezelle nach den drei Richtungen des Raumes nicht der gleiche ist, dass dieselben vielmehr nach den drei Richtungen verschieden differenzirt sind, folglich auch auf Reize in verschiedener Weise reagiren, je nach der Richtung, in welcher dieselben auf sie einwirken. Vöchting1)H. Vöchting, „ Über Transplantation am Pflanzenkörper “, Tübingen 1889, p. 400. hat an höheren Pflanzen den Beweis erbracht, dass zum min - desten bei diesen „ jede lebendige Zelle von Wurzel und Stengel ein verschiedenes Oben und Unten, ein verschiedenes Vorn und Hinten und damit eine rechte und linke Hälfte besitzt “. Die Transplantation von Wurzelstücken der Pappel auf den Stengel, oder von Stengelstücken auf die Wurzel zeigten ihm, dass diese Stücke nur dann anwuchsen und gediehen, wenn sie in bestimmter Orientirung eingesetzt worden waren; in der um - gekehrten Orientirung eingesetzt, wuchsen sie zwar zuweilen auch an, zeigten aber dann bald Entartungs-Erscheinungen. Er schliesst daraus auf eine „ Polarisirung “der Zellen, den Aus - druck zunächst nur im Sinne einer allgemeinen Analogie ge - nommen. „ Die Wurzel und der Stengel verhalten sich in ge - wissem Sinne wie ein cylindrischer Magnet, der aus einzelnen, nicht nur in longitudinaler, sondern auch in radialer Richtung gleichsinnig magnetisirten Ausschnitten zusammengesetzt ist. Einen solchen Magneten kann man in Theilstücke zerlegen,174 wie Spross und Wurzel. Fügt man die Theilmagnete mit glatter Querschnittsfläche mit den ungleichnamigen Polen mög - lichst innig wieder zusammen, so erhält man wieder den ganzen Magneten ohne Folgepunkte. Zerlegt man eine Pappelwurzel in zwei Hälften, so erzeugt jede an den entsprechenden Polen Knospen und Wurzeln; verbindet man dagegen die Stücke nach der Durchschneidung an den ungleichnamigen Enden in geeig - neter Weise wieder, so erhält man durch Verwachsung wieder das ursprüngliche Stück mit seinen zwei Polen. “
Ich habe diese bedeutenden Ergebnisse, zu welchen Vöch - ting durch seine Transplantationsversuche gelangt ist, hierher gesetzt, weil sie sich direkt auch auf die eben besprochenen Regenerationserscheinungen der Thiere anwenden lassen. Eine Hydra verhält sich ähnlich der Pappelwurzel. Schneidet man sie in der Mitte quer durch, so treibt das Vorderstück an der Hinterfläche einen neuen Fuss, das Hinterstück aber an seiner Vorderfläche einen neuen „ Mund “! Wir könnten also hier statt von Wurzel - und Sprosspolen von Fuss - und Mundpolen reden. In der That, schneidet man ein ringförmiges Stück aus der Mitte der Hydra heraus, so erzeugt die Vorderfläche, der Mundpol, einen neuen Mund, die Hinterfläche, der Fusspol, einen neuen Fuss. Einem geschickten Experimentator würde es vielleicht auch nicht unmöglich sein, den herausgeschnittenen Ring, bevor er sich zum Thier ergänzt hat, etwa mittelst durch - gesteckter Borsten mit den beiden Endstücken wieder zu ver - einigen und dann dieselben zur Verwachsung zu bringen, wie bei der Pappelwurzel.
Es wäre nun offenbar ein Trugschluss, wollte man aus der Polarisirung der Pappelwurzel allein schon die Thatsache ab - leiten, dass der eine Pol derselben Sprosse, der andere Wurzeln treiben müsse; beinahe ebenso gut könnte man dies aus der Polarisirung eines wirklichen Magneten ableiten. Es muss noch175 Etwas hinzukommen, damit dies geschehen könne, es muss die Anlage zur Sprossbildung und zur Wurzelbildung in den Zellen der Pappelwurzel enthalten sein, die Zu - stände der Zellen aber, welche von Vöchting als Polarisirung bezeichnet wurden, stellen nur die Bedingungen her, unter welchen die eine oder die andere Anlage aktiv wird, d. h. zur Entfaltung gelangt. Wir werden also durch den Nachweis einer Polari - sation der Zellen keineswegs der Verpflichtung enthoben, eine theoretische Annahme zu machen, welche erklärt, wieso die Anlage zu verschiedenartigen Bildungen in ein und dieselbe Zelle kommt. Bei der Pappelwurzel muss nach meiner Ansicht die Annahme gemacht werden, dass zweierlei verschiedene Idio - plasmen den Zellen beigegeben sind, welche so lange inaktiv bleiben, bis der adäquate Reiz eintritt und entweder das Spross - idioplasma oder das Wurzelidioplasma zur Aktivität veranlasst. In beiden Fällen muss wohl der Substanzverlust als dieser Reiz betrachtet werden, und die Richtung, von welcher her er ein - wirkt, als entscheidend für die Qualität der Reaction.
Wäre an und für sich schon das Idioplasma der Gewebe - zellen im Stande, durch Einwirkung dieses Reizes mit Re - generation des fehlenden Körperstückes zu antworten, so müssten die mit so hoher Regenerationskraft begabten Würmer, wie Nais und Lumbriculus sich nicht nur nach vorn und hinten, sondern auch nach der Seite hin regeneriren können; dazu sind sie aber, wie schon Bonnet nachwies, nicht im Stande; der Länge nach durchschnittene Würmer erzeugen nicht die fehlende rechte oder linke Hälfte, es muss also ihren Zellen das fehlen, was sie zu dieser Art der Regeneration befähigt: die anti - meralen Ersatz-Determinanten.
Dass diese bei den Würmern fehlen, kann von unserm Standpunkte aus nicht überraschen; denn ein Wurm wird im Naturzustand niemals der Länge nach zerrissen, die Natur brauchte also diesen Fall nicht vorzusehen.
176Berücksichtigt man, dass die Gruppen von Ersatz-Determi - nanten um so verwickelter sein müssen, je complicirter der Organismus ist, und der Theil, der durch sie ins Leben gerufen werden soll, so begreift man, dass die facultative Regeneration nur bei relativ einfachen Organismen gefunden wird, dass sie nach drei Dimensionen hin nur bei Polypen und Plattwürmern vorzukommen scheint, bei Anneliden und Seesternen aber nur nach zwei Dimensionen eintritt, um dann bei Arthropoden, Mollusken und Wirbelthieren überall zur eindimensionalen Re - generation herabzusinken.
Es soll dabei nicht verkannt werden, dass noch andere Momente hinzutreten, welche die Regenerationsfähigkeit ein - schränken, vor Allem die Vulnerabilität der höheren Organismen und ihre Abhängigkeit von Blutkreislauf, Bluttemperatur, des Einflusses des Nervensystems nicht zu gedenken, dessen tieferes Wesen wir noch so wenig kennen. Auch die geringe Substanz - menge des abgetrennten Theiles gegenüber der Substanzmenge des übrigen Körpers würden es verbieten, dass z. B. das ab - geschnittene Bein eines Molches sich zum ganzen Thier re - generirte. Alles dieses erklärt, warum die Einrichtung zwei - dimensionaler, d. h. facultativer Regeneration in zwei Rich - tungen bei höheren Thieren nicht getroffen werden konnte.
Wenn nun die Regeneration auf der Zutheilung von Ersatz - Determinanten an gewisse Zellen beruht, die nach Bedürfniss und Möglichkeit erfolgte, so wird die Wurzel derselben bei Metazoen immer in einer Verdoppelung der Ide irgend einer ontogenetischen Stufe liegen müssen. Da bei jeder mitotischen Kerntheilung Spaltung und Verdoppelung der Idanten vor - kommt, so fehlt also der Theorie nicht die reale Basis, wenn freilich auch von dem Wachsthum und der Verdoppelung von Iden und Determinanten im Allgemeinen bis zu der plan -177 mässigen Abgabe solcher inaktiver Determinanten an bestimmte Zellen und Zellfolgen noch ein weiter Weg ist. Indessen wird die Natur auch hier vom Einfachen zum Verwickelten fort - geschritten sein, und ganz so, wie complicirte Organismen nur im Laufe ungezählter Generationsfolgen und Artenfolgen ent - stehen konnten, wird auch der complicirte Regenerations-Apparat im Schwanz oder Bein eines Wassermolches sich nicht plötzlich und unvermittelt, sondern nur auf Grund ähnlicher Errungen - schaften ungezählter Vorfahren entwickelt haben können.
Es wäre wohl nicht unausführbar, sich ein ungefähres Bild von der Reihe von Steigerungen zu entwerfen, welche der Re - generations-Apparat von den niedersten vielzelligen Wesen an - gefangen bis zu denjenigen Thieren durchlaufen hat, welche die höchstentwickelte und complicirteste Regeneration besitzen, in - dessen verzichte ich darauf. Vielleicht wird die Zukunft Ver - schiedenheiten in der Zahl der Ide bei Zellen stark regene - rationsfähiger Theile auffinden, und wenn erst eine thatsächliche idioplasmatische Basis für die Theorie gewonnen ist, dann wird es sich lohnen, den Wegen im Einzelnen nachzuspüren, welche die Entwickelung des Regenerationsvermögens genommen hat.
Von dem, was man bei niedern Pflanzen, Pilzen und Moosen als Regeneration bezeichnen kann, soll später noch genauer gehandelt werden. Hier möchte ich nur hervorheben, dass bei allen höheren Pflanzen, bei allen solchen, die als Cormen oder Pflanzenstöcke zu betrachten sind, eine eigentliche Regeneration nur in sehr beschränktem Maasse vorkommt. Schneidet man aus dem Blatte eines Baumes oder irgend einer phanerogamen Pflanze ein Stück heraus, so ergänzt sich dasselbe nicht wieder. Ebensowenig wächst ein Staubbeutel aus dem Stiel wieder neu hervor, oder es bildet sich eine neue Narbe aufWeismann, Das Keimplasma. 12178dem Griffel, nachdem man die alte weggeschnitten hat. Die Zellen dieser Organe sind also nicht für Regeneration angepasst, sie enthalten keine „ Ersatz-Determinanten “.
Manche Botaniker werden mir darauf antworten, das käme davon her, dass diese Zellen sich bereits gestreckt, also ihre volle histologische Ausbildung erlangt und damit ihre Ver - mehrungskraft eingebüsst hätten. Dem ist gewiss auch so, nur liegt darin keine Erklärung in meinem Sinn, ich muss vielmehr fragen, warum sind diese Zellen nicht mit Ersatz-Determi - nanten ausgerüstet worden? Dass dies möglich gewesen wäre, beweisen die zahlreichen Fälle, in welchen fertige, „ gestreckte “Blatt - oder sonstige Zellen unter Umständen in Vermehrung eintreten und Knospen bilden können, aus denen ganze Pflanzen hervorwachsen (Begonie).
Die Antwort liegt darin, dass es für die Pflanze von allzu geringem Vortheil gewesen wäre, Löcher in ihren Blättern wieder ausfüllen zu können, da sie ohnehin das Vermögen be - sitzt, neue Blätter zu treiben. Sie kann an vielen Orten Knospen zur Entfaltung bringen, und gewinnt dadurch viel mehr, als durch die Vervollständigung einzelner Blätter für sie zu gewinnen gewesen wäre. Sie konnte der Regeneration entbehren, da sie die weit ausgiebigere Knospung besitzt.
In dieser Thatsache aber des Fehlens des Regenerations - vermögens bei den höheren Pflanzen, wenigstens in Bezug auf Blatttheile u. s. w., liegt ein neuer und starker Hinweis auf die Abhängigkeit der Regeneration von den äussern Umständen, auf ihre Natur als eine Anpassungserscheinung. Da, wo Defekte der Pflanze schädlich sein würden, und wo sie nicht durch Knospenbildung ersetzbar sind, da findet sich auch bei den Pflanzen echtes Regenerationsvermögen. So wird ein Substanz - verlust der Rinde eines Baumes durch „ Überwellung “und179 Callusbildung von den Wundrändern her geschlossen und da - durch das freiliegende Holz vor Schädlichkeiten bewahrt. Ebenso bedeckt sich die Schnitt - oder Bruchfläche eines Astes, selbst vieler saftiger Stengel mit wucherndem Callusgewebe, in dem sogar neue Vegetationspunkte von Sprossen und Wurzeln ent - stehen können, so dass der Callus zum Ausgangspunkt neuer Pflanzen-Individuen wird. 1)J. Sachs: „ Vorlesungen über Pflanzen-Physiologie “, Leipzig 1882, p. 709.Der Anstoss zur Wucherung liegt hier, wie bei der thierischen Regeneration in der Aufhebung der Wachsthums-Widerstände, allein die Zellen müssen auf diese Reaction eingerichtet sein, sonst erfolgt die Wucherung nicht, wie denn bei Weitem nicht alle Stengel, Wurzeln oder Blattrippen krautartiger Pflanzen eine Verwundung mit Callus - bildung beantworten. Es liegt also hier keine Ureigenschaft der Pflanze vor, sondern eine Anpassung, die meines Erachtens auf der Beigesellung gewisser Ersatz-Determinanten zu dem aktiven Idioplasma bestimmter Zellenarten beruht.
Callusbildung ist wohl der einzige Vorgang, der bei den Pflanzen als eigentliche Regeneration aufzufassen ist.
Der Vererbungstheorie, wie sie bis jetzt dargelegt wurde, vor Allem der Vorstellung von der Zusammensetzung des Keim - plasma’s aus Determinanten und der Abwickelung der Ontogenese durch allmälige Auseinanderlegung der Determinanten-Masse des Keimplasma’s liegt die Anschauung zu Grunde, dass die Zellen sich selbst bestimmen, dass ihr Schicksal ihnen durch innere, in ihnen selbst gelegene Kräfte aufgezwungen wird, nicht oder doch nur in zweiter Linie durch äussere Ein - wirkungen. Wenn aus der befruchteten Eizelle, z. B. bei der12*180ersten Theilung die Urzelle des Entoderm’s und des Ektoderm’s hervorgeht, so geschieht dies aus dem Grunde, weil in die eine die Determinanten des Entoderm’s, in die andere die Deter - minanten des Ektoderm’s bei der Theilung des Keimplasma’s zu liegen kommen, nicht aber weil irgend welche äussere Ein - flüsse, z. B. die Schwerkraft, die beiden Zellen verschiedentlich beeinflussten. Ebenso wird in späterer Embryonalperiode eine gewisse Zelle nicht deshalb zur Muskel -, Nerven - oder Epithel - zelle, weil sie zufällig an einer bestimmten Stelle liegt, wo sie von gewissen andern Zellen von dieser oder jener Seite her beeinflusst würde, sondern weil sie Muskel-Determinanten oder Nerven - oder Epithel-Determinanten bestimmter Art enthält.
Diese Vorstellung von der Prädestinirung der einzelnen Zellen, denen durch ihr Idioplasma ihre und ihrer Nachkommen Schicksal aufgeprägt ist, hat ihren ersten, wenn auch noch unvollkommenen Ausdruck in der Lehre von den „ organbilden - den Keimbezirken “gefunden, wie sie His1)Wilhelm His, „ Unsere Körperform und das physiologische Problem ihrer Entstehung “, Leipzig 1874. im Anfang der siebziger Jahre aufstellte. His glaubte, dass in der „ Keim - scheibe “des Hühnchens, d. h. also im Zellkörper des Eies, „ die Organanlagen in flacher Ausbreitung vorgebildet ent - halten “seien, dass also jedes Organ durch eine bestimmte Parthie des Eikörpers repräsentirt sei. Erst ein Jahrzehnt später — wie in der historischen Einleitung gezeigt wurde — gelangte die Untersuchung so weit, dass man einsah, die „ An - lagen “des Embryo müssten in die Kernsubstanz verlegt werden. Damit war die specielle Form der Lehre von His allerdings widerlegt, nicht aber das zu Grunde liegende Princip in seinem allgemeinen Sinne. Denn dieses besagte, dass das differenzirende Princip der Ontogenese in den Zellen selbst seinen Sitz habe, nicht in äusseren Einwirkungen. Wilhelm181 Roux1)Wilhelm Roux, „ Beiträge zur Entwickelungsmechanik des Embryo “, München 1885. war es, der zuerst durch den Versuch nachwies, dass die Differenzirung des Eies zum Embryo jedenfalls nicht von ausserhalb des Eies gelegenen Einwirkungen hervorgerufen wird, sondern von innen heraus erfolgt. Pflüger2)Pflüger, „ Über den Einfluss der Schwerkraft auf die Theilung der Zellen und auf die Entwickelung des Embryo “. Arch. f. Physiol., Bd. XXXII, p. 68, 1883. hatte ge - zeigt, dass beim Froschei immer der nach oben gerichtete Theil des Eies sich zum animalen Pol des Embryo gestalte, mochte man das Ei in dieser oder jener Zwangslage festhalten, und er glaubte dies auf eine „ richtende Wirkung der Schwerkraft “beziehen zu müssen; Roux aber wies nach, dass Froscheier, welche in einer Verticalebene langsam rotirten, sich ebenso gut entwickelten als solche, auf welche die Schwerkraft ein - wirkte, und Born3)Born, „ Biologische Untersuchungen “, I, Arch. f. mikr. Anat., Bd. 24. fügte hinzu, dass bei Entwickelung eines Eies in Zwangslage zwar der Zellkörper sich zunächst nicht mit verschiebe, dass aber der Kern eine Verlagerung erleide, indem er sehr bald den höchsten Punkt im Ei aufsuche, von dem dann die Entwickelung ausgehe. Damit war unzweifelhaft nachgewiesen, dass die gestaltenden Kräfte im Ei selbst ihren Sitz haben, aber es war noch nicht darüber entschieden, ob die Differenzirung desselben wesentlich nur in den einzelnen Zellen zu suchen ist, ob also Selbstdifferenzirung jeder ein - zelnen Zelle bestehe, die ihre Entwickelungsbahn nöthigenfalls auch ohne die übrigen Embryonalzellen durchlaufen würde, oder ob die Aufeinanderwirkung der verschiedenen Zellen des Embryo sie gegenseitig differenzire, ob gewissermassen ein be - stimmender Einfluss des Ganzen auf die Theile ausgeübt werde und den Zellen ihr Geschick vorschreibe.
182Der experimentelle Beweis für die Selbstdifferenzirung oder Prädisponirung der einzelnen Zellen wurde dann, wie ich glaube, durch Wilhelm Roux1)W. Roux, „ Beiträge zur Entwickelungsmechanik des Embryo “. V, Virch. Arch. Bd. 114. Berlin 1888. geliefert. Dieser ebenso scharf - sinnige Denker als geniale Experimentator zerstörte durch Ein - senken einer heissen Nadel eine Furchungshälfte des in Ent - wickelung begriffenen Froscheies und beobachtete dann, dass solche Eier sich zu Halb-Embryonen entwickelten. Es fehlte die entsprechende Parthie des Embryo; war die eine der beiden ersten Furchungszellen zerstört worden, so entstand ein Halb - Embryo, und zwar entweder ein „ Hemiembryo lateralis “oder ein „ anterior “, je nachdem die erste Furchung die Vererbungs - substanz für die rechte und linke Körperhälfte, oder die für die vordere und hintere Hälfte geschieden hatte. Bekanntlich variirt die Furchung beim Froschei in dieser Hinsicht. Wurde eine der vier ersten Furchungszellen zerstört, so entstand ein Drei - viertel-Embryo.
Diese Versuche mussten als beweisend für die Selbstdifferen - zirung der Zellen gelten. Es sind nun in neuester Zeit Er - fahrungen bekannt geworden, welche dem zu widersprechen scheinen, und obgleich dieselben noch unfertig sind und nur als Anfang eingehenderer Untersuchungen betrachtet werden können, so möchte ich sie hier doch nicht mit Stillschweigen übergehen, und dies um so weniger, als ich überzeugt bin, dass sie keine Widerlegung der Selbstbestimmung der Zellen ent - halten, wie Manche zu glauben geneigt sein könnten.
Es sind hier zuerst die Versuche von Chabry2)L. Chabry, „ Embryologie normale et tératologique des Ascidies “. Paris 1877. an den Eiern von Seescheiden (Ascidien) zu erwähnen. Dieser Unter - sucher zerstörte mittelst eines besonderen Apparates eine der183 beiden ersten Furchungszellen und beobachtete danach, dass die andere sich weiter entwickelte, und zwar nicht zu einem halben Embryo, wie beim Frosch, sondern zu einem ganzen von halber Grösse. Allerdings war ein solcher Embryo nicht ganz vollständig, doch fehlten ihm nur Organe von geringerer Bedeutung. Chabry selbst hat aus diesen Beobachtungen keine theoretischen Folgerungen gezogen, wohl aber sein Nachfolger auf diesem Gebiet, H. Driesch1)H. Driesch, „ Entwickelungsmechanische Studien “. Leipzig 1891. Zeitschr. f. wiss. Zoologie Bd. 53., der an Seeigeleiern ähnliche Resultate erhielt. Durch anhaltendes Schütteln konnte dieser Experimentator die zwei ersten Furchungszellen mechanisch von einander trennen und sah dann, dass jede derselben zunächst sich weiter theilte, als ob das Ei noch ganz wäre, dass später aber die aus der Furchung hervorgehende halbe Blastula sich zu einer ganzen vervollständigte. An einigen solchen Halb - Blastulen ging die Entwickelung noch weiter, es entstand die Gastrula-Einstülpung, der Urdarm bildete sich aus, und es kam bis zur Anlage einer zwar kleinen, aber sonst normalen Pluteus - Larve.
„ Es ist also durch diese Versuche dargethan, dass unter Umständen jede der beiden ersten Furchungszellen des Echinus microtuberculatus eine normal gebildete, der Form nach ganze Larve aus sich hervorgehen lassen kann, eine Theilbildung, keine Halbbildung “; in diesen Worten fasst der Verfasser seine Resultate zusammen und zieht daraus den Schluss, dass diese der „ Lehre von den organbildenden Keimbezirken in funda - mentaler Weise widerspreche “. Er schliesst sich dem Ausspruch von Hallez2)Hallez, „ Recherches sur l’embryologie des Nématodes “. Paris 1885. an, der sagte: „ il n’est pas dès lors permis de croire que chaque sphère de segmentation doit occuper une dlace et jouer un rôle, qui lui sont assignés à l’avance “.
184Obgleich weit entfernt zu behaupten, wir seien im Stande, im Augenblick schon eine völlig sichere oder gar ins Einzelne gehende Erklärung der gewiss höchst interessanten und wichtigen Versuchsresultate von Chabry und Driesch zu geben, glaube ich doch, dass sie uns keineswegs zwingen, die Vorstellung von der Prädestinirung der einzelnen Furchungszellen und der Zellen überhaupt aufzugeben. Es giebt eben noch andere Wege, um zu principiellen Anschauungen zu gelangen, als den Versuch, und nicht immer ist der Versuch die sicherste Entscheidung, wenn er auch zuerst völlig beweisend erscheint. Zweifelt doch Driesch selbst die Beweiskraft des oben erwähnten Versuches von Roux an — ich glaube mit Unrecht —, indem er die Frage stellt, ob nicht etwa die Furchungskugeln des Frosches sich ebenso verhalten würden, wie die der Seeigel, wenn sie wirklich isolirt werden könnten, statt eng mit der abgestor - benen anderen Hälfte des Eies verbunden zu sein. Selbst dieses, so unzweifelhaft scheinende Resultat des Versuches kann also angezweifelt werden.
Mir scheint, dass uns vorsichtige Schlüsse aus den all - gemeinen Vererbungsthatsachen hier sicherer leiten, als die Er - gebnisse solcher nie ganz reinen und unzweifelhaften Versuche, so höchst werthvoll dieselben auch sind, und so sehr sie mit in die Waagschale zu legen sind. Wenn man sich dessen er - innert, was in dem Abschnitt über die Architektur des Keim - plasma’s zur Begründung der Determinantenlehre gesagt wurde, so wird man wohl mit mir die Überzeugung gewinnen, dass die Ontogenese nur durch Evolution, nicht durch Epigenese erklärt werden kann. Es wäre unmöglich, dass irgend eine kleine Stelle der Haut des Menschen sich vom Keim aus, d. h. erblich und für sich allein verändern könnte, wenn nicht in der Keimsubstanz ein wenn auch noch so kleines Lebenselement vorhanden wäre, welches gerade dieser Hautstelle entspräche185 und dessen Variation die der betreffenden Hautstelle nach sich zöge. Verhielte es sich nicht so, so könnte es keine „ Mutter - mäler “geben. Wenn aber „ Determinanten “im Keimplasma enthalten sind, so können sie nur dann beim Aufbau des Körpers bestimmend eingreifen, wenn sie durch die Zellfolgen der Embryo - genese genau an jene Stelle und in jene Zellen gelangen, welche sie bestimmen sollen — oder mit anderen Worten, wenn es nicht von irgend welchen anderen Momenten abhängt, was aus einer Zelle werden soll, sondern in erster Linie von ihr selbst.
Wenn nun also die Ontogenese nach Roux’ treffendem Ausdruck nicht „ Neubildung von Mannigfaltigkeit “oder Epi - genese, sondern nur Entwickelung von Mannigfaltigkeit, d. h. Evolution ist, oder wie man auch sagen könnte: Sichtbar - werden einer vorher für uns unsichtbaren Mannig - faltigkeit, so ist damit allerdings nur das Princip der Selbst - bestimmung jeder Zelle und die Leitung der Ontogenese durch die Selbstbestimmung des Eies als Ganzem festgestellt; die Selbstbestimmung jeder Zelle folgt daraus noch nicht ohne Weiteres. Es ist nur die einfachste Annahme, durch successive Kerntheilungen, die wir beobachten können, das Anlagenmaterial des Keimplasma’s sich so vertheilt zu denken, wie es der Aus - einanderlegung der Anlagen in die Körperbezirke entspricht, und in jeder Zelle diejenigen Anlagen als vorhanden anzunehmen, welche den aus ihr hervorgehenden Theilen entsprechen.
Die umgekehrte Annahme wäre aber — wie eben gezeigt wurde — auch möglich, die Annahme, dass zwar in jeder Zelle das gesammte Anlagenplasma vorhanden wäre, aber immer nur diejenige Anlage zur Wirkung auf die Zelle gelangte, welche der Rolle entspräche, die diese spielen soll. Dieses Wirksam - werden der Anlage hinge dann nicht von dem Idioplasma der Zelle, sondern von Einflüssen ab, welche von dem Gesammt - complex der übrigen Zellen des Organismus ausgingen. Man186 müsste sich vorstellen, dass jeder Ort des Körpers von sämmt - lichen übrigen Orten bestimmt würde, und käme dann im Wesentlichen auf die Vorstellung Spencer’s von dem Orga - nismus als complicirtem Krystall zurück. Eine solche „ Er - klärung “ist aber nichts Anderes, als ein Verzicht auf Erklärung, da wir uns einen solchen bestimmenden Einfluss des Ganzen auf die tausend - und millionenfach verschiedenen Theile in keiner Weise vorstellen oder auf irgend welche Analogien beziehen können. Zahlreiche Beobachtungen von Vererbungserschei - nungen blieben völlig unverständlich. Wie wollte man es er - klären, dass beim Menschen ein gewisses Muttermal sich nur auf die linke Körperhälfte vererbt, und nicht auch einmal auf die rechte? Das Keimplasma wäre in den betreffenden Zellen der rechten Seite ebenso gut vollständig vorhanden, als in denen der entsprechenden Stelle der linken; die beiden Körperhälften sind sonst gleich; wie sollte nun das Ganze auf die Stelle der linken Seite einen andern Einfluss ausüben, als auf die der rechten?
Ich glaube also, dass wir das Princip der Selbstbestim - mung der Zellen nicht aufgeben dürfen trotz des scheinbaren Widerspruches der von Chabry und Driesch gefundenen Thatsachen. Ich glaube ferner, dass sich diese Thatsachen principiell wenigstens ganz wohl erklären lassen. Sie sind als Regeneration aufzufassen, und zwar nicht als eine für die ersten Furchungsstadien vorgesehene Regeneration, sondern als eine für spätere Zeit der Ontogenese berechnete Einrichtung.
Es ist kaum zu erwarten, dass die ersten Furchungsstadien auf Regeneration gewissermassen absichtlich eingerichtet seien. Sowohl bei den Ascidien, als bei Seeigeln ist die Zahl der Eier eine so grosse, dass wohl wenig darauf ankommt, ob ein Ei, welches von irgend einem kleinen Feinde in seiner187 einen Furchungshälfte angefressen wird, zu Grunde geht, oder sich regeneriren kann. Es sind zwar wohl Fälle denkbar, in denen Eier in dieser Weise Schutz vor sehr häufigen Feinden suchen könnten, aber ich verzichte darauf, diese Erklärung zu benutzen.
Dann bleibt zunächst die folgende Auffassung übrig. Die erste Theilung bewirkt die Trennung der Determinanten-Gruppe für die linke und die rechte Körperhälfte; jede von diesen ist zwar kein volles Keimplasma, insofern sie nicht jede Determi - nante doppelt enthält, aber es ist sehr wahrscheinlich, dass diese Ide das Vermögen besitzen, sich unter Umständen in der Weise zu theilen, dass sie sich dabei verdoppeln. Ein solches Keimplasma würde dann zwar ein Muttermal oder irgend eine Asymmetrie der andern Körperhälfte nicht enthalten können, würde aber ein vollständiges Thier liefern. Der Anstoss zur Verdoppelung der Ide des ersten Furchungsstadiums mag in der Tödtung oder mechanischen Entfernung der andern Furchungs - zelle liegen.
Für diese Auffassung der Regeneration einer isolirten ersten Furchungszelle liesse sich anführen: die Fähigkeit des noch un - getheilten Keimplasma’s, sich in gewissen Fällen zu verdoppeln. Dass die Ide im Allgemeinen das Vermögen besitzen, zu wachsen und sich durch Theilung zu verdoppeln, sehen wir direkt an der Längsspaltung der Kernstäbchen und ihrer Mikrosomen bei jeder erbgleichen Zell - und Kerntheilung. Für die Ide des Keimplasma’s wird eine solche Verdoppelung anzunehmen sein bei der Entstehung identischer Zwillinge, d. h. solcher Zwillinge, bei welchen wir die Theilung des Kernes nach der Befruchtung annehmen müssen, weil bei Theilung vor der Be - fruchtung Identität der Embryonen nicht entstehen könnte, da in diesem Falle zwei Spermatozoen zur Befruchtung erforderlich wären. Auch bei facultativer Parthenogenese des Eies findet188 wahrscheinlich eine Verdoppelung der vorher durch die Re - ductionstheilungen halbirten Zahl der Ide und Idanten statt.
Aber die Regeneration der ersten Blastomeren zum ganzen Embryo ist noch einer andern Auslegung fähig. Ascidien ver - mehren sich nicht blos auf geschlechtlichem Weg, sondern auch intensiv durch Knospung; Seeigel thun dies zwar nicht, aber sie besitzen ein ungemein hohes Regenerationsvermögen. In diesem Capitel wurde das Letztere durch die Annahme erklärt, dass bestimmten Idstufen der Ontogenese ein „ Neben-Idioplasma “beigegeben sei, zusammengesetzt aus den für die Regeneration nöthigen Determinanten. In einem folgenden Capitel werde ich zu zeigen haben, dass wir für die Knospung dieselbe An - nahme machen müssen. Diese Annahmen sind unerlässlich, so - bald man auf der Keimplasma - und Determinantenlehre fusst. Das zur Knospung erforderliche Neben-Idioplasma bringt das ganze Thier wieder hervor, muss also alle Determinanten des Keimplasma’s enthalten und muss schon vor der ersten Furchung im Ei enthalten sein, um dann in latentem Zustand durch alle Entwickelungsstadien hindurch gewissen Zellfolgen beigegeben zu bleiben. Wenn nun dieses Neben-Idioplasma durch irgend welche abnormale Einflüsse, z. B. die Tödtung der andern Blastomere aktiv werden könnte, so würde auch auf diesem Wege eine Regeneration des ganzen Embryo zu Stande kommen können.
Alles dies sind zwar nur Möglichkeiten, deren Aufzählung ich mir gern erspart hätte, da ich ihre Unvollkommenheit und Unsicherheit sehr wohl erkenne, ich wollte aber doch zeigen, dass die erwähnten Beobachtungen nicht jeder Erklärungs-Mög - lichkeit spotten, wenn wir auch zur Zeit eine irgend sichere Deutung noch nicht geben können, vor Allem schon deshalb nicht, weil die betreffenden Beobachtungen selbst noch viel zu unvollkommen und lückenhaft sind. Ich gehe aus diesem Grunde189 auch nicht auf eine nähere Erklärung der Embryologie dieser Fälle ein.
Auf Eines aber möchte ich doch noch hinweisen, nämlich auf das entgegengesetzte Verhalten des Froscheies und der Eier der Ascidie und des Seeigels. Aus einer Blastomere des Froscheies entsteht nur ein halber Embryo, wenn wir von der besonders zu betrachtenden „ Postgeneration “absehen, aus einer Blastomere der beiden andern Eiarten ent - steht dagegen das ganze Thier. Mögen meine Erklärungs - Andeutungen noch so unvollkommen sein, die ihnen zu Grunde liegende Annahme muss im Allgemeinen richtig sein, d. h. es muss das Ei des Frosches in seiner ersten Blastomere ein Vermögen nicht enthalten, welches bei den andern Eiern in ihr enthalten ist. Da aber Kräfte an Substanzen gebunden sind, so wird es wahrscheinlich, dass die Blastomere der Ascidie und des Seeigels ein Plus von Substanz enthalten, welches sie zur Regeneration befähigt und welches der Frosch-Blasto - mere abgeht — Neben-Idioplasma. Driesch äussert zwar, wie oben angeführt wurde, den Zweifel, ob nicht etwa die Blastomere des Frosches sich ebenso verhalten würde, wie die des Seeigels, wenn man sie wie diese von der operirten Blastomere wirklich trennen und isoliren könnte, allein dieser Zweifel ist wohl kaum berechtigt, da auch bei dem Ascidienei eine solche Isolirung der normalen Blastomere durch Chabry’s Versuch nicht bewirkt wurde, und dennoch die Entwickelung zum ganzen Thier ebenso eintrat, wie beim Seeigelei.
Wenn nun auch das halbe Froschei sich zunächst nur zu einem halben Embryo entwickelt, so kann sich doch ein solcher Halb-Embryo vervollständigen durch einen sehr eigenthümlichen Regenerations-Vorgang, welchen Wilhelm Roux an seinen Halb - und Dreiviertels-Embryonen beobachtet und „ Postgene - ration “genannt hat.
190Roux beobachtete, dass die ihrer Entwickelungsfähigkeit beraubte Furchungszelle des Froscheies wieder „ belebt “werden kann. Aus der normal entwickelten Eihälfte tritt eine grössere Zahl von Zellkernen in die Dottermasse des verletzten Theiles, die sich vermehren und zu Zellen gestalten. „ Die postgenera - tive Bildung der Keimblätter geht in dem durch die nachträg - liche Cellulation gebildeten Zellmateriale vor sich, indem der Process der Differenzirung in dem ruhenden Zellmateriale fort - schreitet. “ Es kann auf diese Weise, wie Roux gesehen zu haben glaubt, zu einer vollständigen Ergänzung des Embryo kommen, der lebensfähig ist, und auch wirklich längere Zeit am Leben erhalten wurde.
Gewiss mit Recht haben diese Beobachtungen grosses Auf - sehen erregt; sie sind in jedem Falle im höchsten Grade interessant. Ob sie aber, so, wie sie uns bis jetzt vorliegen, schon vollständig genug sind, um fundamentale theoretische Schlüsse darauf zu bauen, das muss ich doch bezweifeln. Bei aller Hochachtung vor der Beobachtungs-Sicherheit und Experi - mentirkunst von Roux, kann ich doch nicht umhin, mir zu sagen, dass diejenigen Halbembryonen, welche sich später zu ganzen Thieren „ postgenerirten “, möglicherweise solche waren, bei denen der Stich mit der heissen Nadel den Kern der Furchungszelle nicht getroffen hatte. Jedenfalls konnte der Thatbestand darüber und über die ganze spätere Kette von Vorgängen, welche zur Ergänzung führten, immer nur an an - dern Individuen beobachtet werden, als an den sich schliess - lich ergänzenden. Es ist doch immerhin ein relativ roher Ein - griff, wenn man mit der heissen Nadel in eine Furchungszelle stösst, und das, was dabei zerstört wird, kann in jedem Falle wieder etwas Anderes sein. Nicht nur könnte die Kernsubstanz als Ganzes unter Umständen unversehrt bleiben, sondern mög - licherweise auch blos einzelne Idanten derselben. Diese191 könnten sich später durch Verdoppelung zur Normalzahl der - selben ergänzen und dann die Entwickelung der Eihälfte ein - leiten. Allerdings sagt Roux, dass die Postgeneration nicht auf demselben Wege erfolge, wie die normale Entwickelung der primär gebildeten Hälfte, also nicht durch selbstständige Anlage der Keimblätter, allein die Vorgänge im Innern des Eies lassen sich nur auf Schnitten verfolgen, und die Anfertigung dieser gebietet die Tödtung des Embryo’s. Bei solchen Experi - menten ist aber kein Fall dem andern gleich, und man wird über ein sehr grosses Material gebieten müssen, um mit einiger Sicherheit sagen zu können, dass das in Schnitte zerlegte Ei in seiner innerlichen Beschaffenheit einem andern gleich ge - wesen sei, dessen Entwickelung und Postgeneration man ver - folgt hat.
Roux hat drei Arten von „ Wiederbelebung “der operirten Eihälfte beobachtet, unter Anderem auch eine „ Umwachsung “der getödteten Hälfte von der äusseren Zellenschicht der leben - den Hälfte aus; diese führte aber nicht zur Postgeneration, vielmehr nur die oben erwähnte Art durch Eindringen einiger „ Kerne “von der lebenden Hälfte in die operirte, welches aber nur bei schwacher pathologischer Veränderung des Dotters erfolgte, und auch dann nicht immer. Der Gedanke liegt nahe, es möchte die Postgeneration nur da er - folgt sein, wo die Zerstörung eine geringe war und Kern - material übrig gelassen hatte, von dem nachträglich eine Zell - bildung ausgehen konnte. — Damit soll nicht bezweifelt werden, dass auch lebende „ Kerne “von der anderen Seite her in die operirte Hälfte des Eies eingedrungen seien; die Furchungs - zellen haben ja auch im normalen Entwickelungsgang noch eine ungeheure Vermehrung zu leisten, und es kann somit nicht Wunder nehmen, dass sie — nach Aufhebung des Wachsthums - widerstandes durch Operation der andern Eihälfte — sich auch192 auf Kosten dieser vermehren, aber dass in jenen Fällen, in welchen die andere Hälfte des Embryo sich nachträglich ergänzte, diese Ergänzung auf dem Wege einer Art von Zellen-Infection statt - gefunden habe, derart, dass das blosse Anstossen z. B. an Ekto - dermzellen die noch undifferenzirten Zellen der operirten Ei - hälfte bestimmte, sich ebenfalls zu Ektodermzellen auszugestalten, das Anstossen an Mesoblastzellen aber sie zu Mesoblastzellen bestimmte, — einer solchen, alle unsere bisherigen Anschau - ungen über den Haufen werfenden Annahme könnte ich nur zu - stimmen, wenn unwiderlegliche Thatsachen sie bewiesen.
Roux selbst aber hat seine Arbeit nur als „ eine erste Abschlagszahlung an das grosse Thema “betrachtet, und eine Fortsetzung seiner Versuche in Aussicht gestellt. Solange aber hier nicht ganz unzweideutige Thatsachen vorliegen, werden wir die in so zahlreichen Thatsachen wurzelnde, gerade auch durch den ersten Theil der Roux’schen Versuche mächtig ge - stützte Vorstellung von der Prädestinirung der Zellen durch Zuertheilung bestimmter Determinanten und Determinanten - gruppen nicht aufgeben dürfen. Ein Aufgeben aber dieser Vorstellung würde unvermeidlich sein, wenn es Thatsache wäre, dass die Zellen der Keimblätter wirklich die Fähigkeit hätten, etwa durch den Ort, an den sie zufällig gelangen, oder durch ihre zufällige Nachbarschaft in ihrem Wesen bestimmt zu werden.
Ich bin überzeugt, dass eine noch mehr ins Einzelne gehende erneute Durchforschung des von Roux eröffneten Untersuchungs - feldes uns die Thatsachen in noch anderem Licht zeigen und eine Versöhnung mit unseren übrigen Vorstellungen über die Ursachen der Ontogenese ermöglichen wird. Für den Augenblick aber halte ich es noch nicht für erspriesslich, allen den Mög - lichkeiten nachzugehen, welche bei einem Erklärungs-Versuch der „ Postgeneration “in Betracht kommen müssten.
Bis in die letzten Jahre hinein hat man die Vermehrung durch Knospung aus der durch Theilung phyletisch ab - geleitet und beide Vorgänge als nahe verwandt und durch all - mälige Übergänge miteinander verbunden angesehen. Erst F. von Wagner hat es neuerdings versucht, dieser Anschauung entgegenzutreten und zu zeigen, dass sich beide Vorgänge nicht nur begrifflich schärfer von einander sondern lassen, als bisher geschah, sondern dass sie auch genetisch zu trennen sind. Wagner1)Franz von Wagner, „ Zur Kenntniss der ungeschlechtlichen Fortpflanzung von Mikrostoma nebst allgemeinen Bemerkungen über Theilung und Knospung im Thierreich “. Zool. Jahrbücher, Abth. für Anat. u. Ontogenie, Bd. IV. Jena 1890. versteht unter Theilung einen Vermehrungs - vorgang der durch ein gleichmässiges Wachsthum des Mutter - thieres eingeleitet wird, und durch welchen die Individualität desselben verändert, gewissermassen aufgehoben wird; unter Knospung aber einen Vermehrungsvorgang, bei welchem ein ungleichmässiges (differentielles) Wachsthum des Mutterthieres den Vorgang einleitet, und durch welchen die Individualität des Mutterthieres nicht aufgehoben und eine neue an ihre Stelle gesetzt wird.
Ich theile diese Anschauung insoweit, als ich die Über - zeugung hege, dass die Vermehrung durch Theilung und durch Knospung bei Vielzelligen genetisch nicht auseinander hervor - gegangen sind, und dass auch die Vorgänge selbst sich so wesentlich voneinander unterscheiden, dass es sich empfiehlt, sie getrennt zu behandeln.
Weismann, Das Keimplasma. 13194Ich rechne deshalb zur Theilung mit v. Wagner alle Vorgänge ungeschlechtlicher Vermehrung bei den Würmern, und zwar sowohl bei den Plattwürmern (Turbellarier, Cestoden), als auch bei den Ringelwürmern (Syllideen, Naidinen, Tubificiden u. s. w.), dann die Strobilation der höheren Medusen. In allen diesen Fällen beruht die Vermehrung auf einer Theilung des Mutterthieres in zwei oder mehrere Stücke, wobei dann noth - wendig eine Regeneration entweder des Vorder - oder des Hinter - endes, oder auch beider eintreten muss. Diese kann entweder erst nach vollendeter Theilung beginnen (Lumbriculus) oder die - selbe einleiten, ihr also mehr oder weniger vollständig vorher - gehen. In beiden Fällen ist der eigentliche Bildungsvorgang im Wesentlichen derselbe und durchgreifende Verschiedenheiten finden sich nur in den verschiedenen systematischen Gruppen.
Myrianida, ein durch Theilung sich vermehrender Meereswurm; die Buchstaben a — g zeigen die Alterssuccession der Theilstücke an (nach Milne-Edwards aus Hatschek’s Lehrbuch der Zoologie).
Besonders genau kennen wir diese die Theilung vorberei - tenden oder ihr nachfolgenden Regenerationsvorgänge bei ver - schiedenen Würmern, und an diesen soll zunächst der Vorgang in seinen Hauptzügen gekennzeichnet werden.
Bei diesen kleinen Ringelwürmern des süssen Wassers hat Semper den Vorgang der Theilung sehr genau verfolgt. Ein Thier theilt sich in zwei, gewöhnlich aber in mehrere Tochter - thiere gleichzeitig, und der Akt der Theilung wird in sehr voll - ständiger Weise vorbereitet, indem an einer umschriebenen Stelle des Körpers eine ringförmige Zellenwucherung im ganzen Um - fang des Thieres entsteht, welche zur Bildung eines Schwanz - endes für das vordere Theilstück und eines Kopfes für das hintere Theilstück führt. Man hat diese wuchernden Zellen - ringe bisher „ Knospungszonen “genannt, doch wird man sie besser als „ Regenerationszonen “bezeichnen, da in der That von einer Knospung im eigentlichen Sinne hier nicht die Rede sein kann. Wenn zwei solche Ringe im Verlauf eines Thieres sich bilden, wie es in der Regel geschieht, so erfolgt dann nach völliger Ausbildung von Schwanz - und Kopfstücken die Trennung in drei Tochterthiere dadurch, dass das Thier sich inmitten jeden Regenerationsringes durchschnürt.
Die Regenerationszonen bilden sich bei Nais stets an der Grenze zwischen zwei Segmenten, d. h. also sie gehen von den aneinander stossenden Rändern zweier Segmente aus, und zwar derart, dass zunächst die Zellen der Epidermis in Vermehrung treten und zu einem ringförmigen Lager kleiner Zellen werden, welche besonders an der Bauchseite mehrfach geschichtet sind; sie entbehren noch eines ausgesprochenen histologischen Cha - rakters. Hand in Hand damit geht ein Wachsthum der inneren Organe in die Länge, welches schon dadurch nothwendig wird, dass die wachsende Regenerationszone sich zwischen die beiden Segmente, von denen sie ausgeht, einschiebt und sie auseinander drängt. Der Darm allein aber von den inneren Organen re - generirt sich aus sich selbst, alle übrigen Neubildungen gehen von jenem wuchernden Zellenring aus, welcher von der Haut13*196seinen Ursprung genommen hat, sowohl die Nervencentren (die „ Bauchganglien “), als auch die Muskeln, Blutgefässe, Leberzellen und die Excretionsorgane.
Diese die Theilung vorbereitende Neubildung von Kopf - und Schwanzstücken ist somit ein Vorgang, der sich — wie schon Semper hervorhob — einigermassen mit dem Aufbau des Thieres durch die Embryogenese vergleichen lässt, wenn man vom Gastrula-Stadium ausgeht, in welchem die Haupt - keimblätter: Entoderm und Ektoderm schon geschieden sind. Durch die Wucherung der Hautzellen einerseits und der Darm - zellen andererseits werden auch hier zwei Lagen von Bildungs - zellen hergestellt, von deren innerer nur die Darmwandung, von deren äusserer alles Übrige gebildet wird, nicht nur die eigentlich ektodermalen Gebilde der Haut, sondern auch die mesodermalen. Die Ähnlichkeit geht sogar so weit, dass sich hier wie dort aus der vom Ektoderm hergestellten Bildungs - zellenmasse das „ Mesoderm “in Gestalt zweier Längsbänder ab - spaltet, aus denen sich dann die Blutgefässe, Muskeln u. s. w. differenziren.
Die theoretische Erklärung dieser Vorgänge wird von unserem Standpunkte aus dadurch gegeben sein, dass wir den - jenigen Zellen der Epidermis, von welchen die Bildungszellen entstehen, ausser dem sie zur specifischen Hauptzelle stempeln - den Idioplasma noch ein „ Neben-Idioplasma “zuschreiben, welches die Determinanten derjenigen Organe enthält, welche sich bei der Regeneration aus ihnen bilden. Sowohl der Theilungsrhythmus einer jeden dieser Zellen, als auch die Art, wie sich die in ihnen enthaltene Gruppe von Determinanten im Laufe der succesiven Theilungen auseinander legt, ist fest be - stimmt. Darauf muss sowohl die Anzahl von Nachkommen, welche eine jede dieser Zellen hervorbringt, beruhen, als auch die relative Lagerung einer jeden derselben und schliesslich ihr197 Zusammenschluss zu Organen und zu histologisch differenzirten Zellen. Wenn der Wucherungsprocess beginnt, geben die neu - entstandenen Zellen den specifischen Charakter von Hautzellen auf, und man kann ganz wohl ihre Nachkommen dann als Zellen von „ embryonalem Charakter “bezeichnen, wie es bisher geschah, wenn man nur damit nicht den Begriff verbindet, dass sie alle dieselben Anlagen enthalten müssen. Dass dem nicht so sein kann, lehrt die Weiterentwickelung derselben, die That - sache, dass die Zellen einer bestimmten Stelle z. B. das Rückengefäss, die einer andern den Nervenstrang, wiederum andere gewisse Muskeln u. s. w. liefern.
Querschnitt durch eine Nais in der Regenerations - zone. Ekt Haut, Ent Darmrohr, N Nervenstrang, Ms mesodermale Umkleidung des Darmes, Vd dorsales Blutgefäss, Vv ventrales Blutgefäss; m Zellen mit Ersatz-Determinanten des Mesoderms, n solche mit Ersatz - Determinanten des Nervenstranges.
Man würde sich also die verschiedenen Hautzellen des Mutterthieres etwa in der Weise mit inaktivem Neben-Idio - plasma ausgerüstet zu denken haben, wie es in dem beistehen - den Schema (Fig. 5) angedeutet ist. Es würden z. B. die Zellen, welche mit n bezeichnet sind, inaktive Determinanten - gruppen für die Bildung des Nervenstranges N enthalten, die Zellen m der Epidermis würden neben ihrem eigenen Idio - plasma noch Determinantengruppen für Mesodermgebilde ent - halten und zwar etwa m1 diejenigen für die Seitenmuskeln, m2 diejenigen für das Bauchgefäss, m3 die für die Leberzellen, m4 die für die mesodermale Umkleidung des Darmrohres, m5 die Determinanten für die Segmentalorgane und die Muskel -198 gruppen in dessen Nähe, m6 die für das Rückengefäss und die Rückenmuskellagen u. s. w. Ich habe der Einfachheit halber nur eine Zellenschicht der Epidermis angenommen, in Wirk - lichkeit liegen sie an vielen Stellen zweifach übereinander, überhaupt beansprucht dieses Schema nicht entfernt, die wirk - lichen Verhältnisse genau oder vollständig wiederzugeben, oder gar die einzelnen Zellen zu bestimmen in Bezug auf die Rolle, die sie bei der Knospung im Einzelnen spielen.
Diese idioplasmatische Erklärung des Regenerations - vorganges stösst auch auf keinerlei Schwierigkeiten durch die Frage nach der Herkunft der Ersatz-Determinanten, welche wir den Bildungszellen der Epidermis zugeschrieben haben. Denn — wie schon gesagt wurde — hält die Embryo - genese im Grossen und Ganzen den gleichen Weg ein, wie die Regeneration, d. h. das Ur-Mesoderm entsteht aus dem Ur - Ektoderm. Die definitiven Ektodermzellen haben also Gelegen - heit bei ihrer embryonalen Entstehung aus den Ur-Ektodermzellen etwas Ur-Mesoderm-Idioplasma als Neben-Idioplasma zu über - nehmen, und dieses kann sich dann bei der Vermehrung der Ektodermzellen in mehrere Determinanten-Gruppen spalten, so dass die Epidermiszellen im Umkreis des Körpers mit ver - schiedenen mesodermalen Determinanten als Neben-Idioplasma ausgerüstet sind.
Dabei ist aber noch Eines zu berücksichtigen, nämlich der Umstand, dass das Wachsthum des Wurmes nur am Hinter - ende vor sich geht, und zwar auf ganz ähnliche Weise, wie bei der Regeneration, welche die Theilung einleitet. Hier wie dort wird ein neues Segment, ein Leibesring, eingeschoben und zwar hier zwischen Schwanzende und vorhergehendes Segment, und die Bildung dieses neuen Segmentes geht auch hier so vor sich, dass nur der Darm vom Entoderm aus entsteht, die Haut aber und die gesammten mesodermalen Gebilde vom Ekto -199 derm aus. Somit würden die von uns angenommenen Neben - Determinanten der Epidermiszellen, welche die Theilungs-Re - generation ermöglichen, nicht direkt aus der Embryogenese stammen, sondern aus der Wachsthumszone des Schwanzendes, welches sie seinerseits aber aus der Embryogenese über - nommen hat.
Dass es nun nicht etwa in der Natur jeder Ektodermzelle liegt, alle möglichen Zellenarten und Organe mit Ausnahme des Darmepithels aus sich hervorgehen zu lassen, sondern dass sie dazu in besonderer Weise ausgerüstet sein müssen, beweist die Thatsache, dass das Ektoderm keineswegs bei allen Thieren, welche sich durch Theilung fortpflanzen, ja nicht einmal bei allen Würmern diese Rolle spielt.
Nach den schönen Untersuchungen von F. von Wagner1)A. a. O. p. 371. geht bei der Theilung eines Plattwurmes, des Microstoma lineare, die Neubildung des Hinter - oder Vorderendes zum ge - ringsten Theil von den Zellen der Haut aus, vielmehr zum grössten Theil von Mesodermzellen, jenen sogenannten „ Binde - gewebszellen “, welche „ zwischen den Trabekeln der Gerüst - substanz zahlreich in der Perivisceralflüssigkeit suspendirt liegen “. Diese fangen an sich zu vermehren, wenn das Thier sich zur Theilung vorbereitet, und bilden durch ihre Vermehrung einen ventral gelegenen Haufen sogenannter „ embryonaler “Zellen, von welchen dann die Bildung des Pharynx, der Pharyn - gealdrüsen, der Kopfdrüsen, ja, wie es scheint, sogar gewisser Theile des Nervensystems, jedenfalls aber aller der Theile aus - geht, welche gewöhnlich als „ parenchymatische Bildungen “oder „ mesodermale “bezeichnet werden. Ähnlich fand es Kennel2)J. Kennel, „ Untersuchungen an neuen Turbellarien “in Zool. Jahrbüch. Bd. 3, Abth. f. Anat. u. Ontog. d. Thiere, p. 447. bei einer Planarie.
200Hier werden wir also nicht den Zellen der Haut, sondern jenen mesodermalen Zellen die zur Regeneration erforderlichen Neben-Determinanten beigegeben denken müssen. Ob dies nun in der Weise geschieht, dass jede dieser Zellen sämmtliche Mesoderm-Determinanten enthält, und diese erst bei ihrer Ver - mehrung auseinander gelegt und auf einzelne Zellen vertheilt werden, oder so, wie es bei den Ektodermzellen von Nais an - genommen wurde, dass schon vor der Wucherung eine Ver - theilung der verschiedenen Determinanten auf verschiedene dieser Zellen stattgefunden hat, muss für jetzt dahingestellt bleiben. In der Regelmässigkeit, mit welcher alle Organe an ihrer richtigen Stelle und in ihrem richtigen Zusammenhang sich bilden, liegt vielleicht ein Hinweis darauf, in ihnen von vornherein getrennte, je nach ihrer topographischen Lage verschiedne latente Anlagen anzunehmen. Schwerlich wird die umgekehrte Annahme durch - führbar sein, nach welcher zwar in jeder Bildungszelle alle Anlagen vorhanden wären, aber immer nur diejenige zur Ent - wickelung gelangte, welche dem Ort entspräche, an dem sich die Zelle zufällig befände.
In der ontogenetischen Herleitung der nöthigen Ersatz - Determinanten begegnen wir auch hier keiner ernstlichen Schwierigkeit, ja noch weniger als bei Nais, da hier Zellen der gleichen Körperschicht die Ersatz-Determinanten für die zu bildenden Organe zu enthalten haben.
Es kann kaum zweifelhaft erscheinen, dass die spontane Theilung, wie sie sich bei Platt - und Ringelwürmern vorfindet, phylogenetisch von der Regeneration abzuleiten ist, wie dies schon v. Kennel vor Kurzem hervorhob1)J. v. Kennel, „ Über Theilung und Knospung der Thiere “, Dorpat 1888., dem sich A. Lang2)A. Lang, „ Über den Einfluss der festsitzenden Lebensweise auf die Thiere “, Jena 1888. an -201 schloss. Mit Recht, wie mir scheint, weisen diese Forscher darauf hin, dass die Vermehrung durch spontanes Zerbrechen, wie sie bei einem Süsswasser-Regenwurm, Lumbriculus, regel - mässig vorkommt, als eine Vorstufe der mit Regeneration ver - bundenen Theilung aufgefasst werden muss, wie wir ihr z. B. bei den Naidinen begegnen. Der Unterschied beider Vorgänge liegt wesentlich darin, dass bei Nais die Trennung des Thieres in Stücke eingeleitet und vorbereitet wird durch vorherige Bildung neuer Schwanz - und Kopfstücke. Diese wachsen vor der Trennung hervor und schieben sich zwischen die alten Seg - mente an der Stelle ein, an welcher die Trennung in Stücke er - folgen soll. Bei Lumbriculus findet eine solche Vorbereitung nicht statt; der Wurm bricht an einer Stelle durch, die vorher durch Nichts vor andern Stellen ausgezeichnet war, und der neue Schwanz und Kopf bilden sich erst nachträglich, nach erfolgter Theilung.
Diese Fähigkeit der Selbsttheilung ist natürlich auch eine Anpassung und setzt irgend eine, wenn auch uns zur Zeit noch nicht verständliche histologisch-physiologische Einrichtung vor - aus; aber man kann sich leicht vorstellen, dass, wenn sie einmal bei einer Art bestand, es von Vortheil gewesen sein kann, die Theilung noch besser vorzubereiten, und die doch nachträglich nöthigen Ergänzungen des Theilstückes der Theilung zeitlich vorher zu schicken.
Andererseits nun ist die Voraussetzung einer jeden Ver - mehrung durch spontane Theilung die Fähigkeit zur Regene - ration. Diese muss also schon dagewesen sein, ehe spontane Theilung eine regelmässig eintretende Einrichtung der Art werden konnte, und so werden wir zu der Vorstellung geleitet, dass zuerst, und zwar schon sehr früh, in der Phylogenese der vielzelligen Thiere die Fähigkeit erworben wurde, zufällig ent - standene Zerreissung des Körpers durch Regeneration auszu -202 gleichen, und dass aus dieser Regenerationsfähigkeit sich dann die Einrichtung der Vermehrung durch Selbsttheilung mit nach - träglicher Kopf - und Schwanzbildung, aus dieser aber die Theilung mit vorhergehender Bildung der neuen Theile ent - wickelte.
Diese Folgerung erhält noch eine weitere Stütze, wenn wir uns erinnern, was oben über die Regeneration festgestellt wurde, dass sie nämlich keineswegs eine inhärente Eigenschaft der Orga - nismen, ein unmittelbarer und unvermeidlicher Ausfluss einer be - stimmten Organisation oder Organisationshöhe ist, sondern eben - falls eine durch Naturzüchtung erst hervorgerufene Anpassung, eine besondere Einrichtung, die in höherem oder geringerem Grade getroffen werden kann, oder auch nicht. Der in zwei Stücke geschnittene Regenwurm bildet sich zwar am Vorderstück ein neues Schwanzende, nicht aber am Hinterstück einen neuen Kopf. Dazu fehlt also hier noch die Einrichtung, welche bei Lumbriculus und Nais vorhanden ist. Diese Einrichtung besteht nun nach meiner Auffassung darin, dass den Zellen der Haut und des Darms die zur Kopfbildung erforderlichen Determinanten als Neben-Idioplasma beigegeben sind. Beim Regenwurm be - sitzen sie nur diejenigen der Schwanzbildung.
Es kann wohl sein, dass die Regeneration des Schwanzes deshalb leichter einzurichten war, weil das letzte Segment bei den Ringelwürmern ohnehin schon zur Hervorbringung ganzer neuer Segmente eingerichtet war. Das Wachsthum geschieht ja durch Neubildung von Segmenten vom Schwanzende aus, dort waren also schon die nöthigen Neben-Determinanten den Zellen beigegeben und der Schluss des bei der Theilung durch - getrennten Körpers konnte vielleicht mechanisch erfolgen. Die Kopf-Determinanten können dagegen nur vom Ei und der Embryonalentwickelung aus als Neben-Idioplasma den betreffenden Zellen beigegeben worden sein, und es begreift sich daraus, dass203 die Fähigkeit, einen neuen Kopf zu bilden, erst später erworben wurde, und dass es Würmer giebt, welche zwar wohl ein neues Schwanzende, nicht aber einen Kopf am durchschnittenen Rumpf neu bilden können.
Wir haben also von der Segmentbildung am wachsenden Schwanzende, durch die Regenerationsfähigkeit des Schwanzes zu der des Kopfes, und weiter durch die Selbsttheilung des Lumbriculus bis zu der von Nais einen einzigen, sich immer mehr steigernden und complicirenden Entwickelungsgang, und derselbe beruht nach unserer Vorstellung auf einer immer ver - wickelter sich gestaltenden, gesetzmässigen Vertheilung be - stimmter Neben-Determinanten an bestimmte Gewebezellen.
Die idioplasmatische Grundlage des die Theilung ermög - lichenden Regenerationsvorgangs muss also wohl in einer Ver - doppelung gewisser Determinanten-Gruppen gesehen werden, verbunden mit Abspaltung und Inaktivbleiben der einen von beiden. Soviel ich sehe, braucht diese Verdoppelung mit nach - folgender eventueller Vervielfachung der inaktiven Determinanten - Gruppen nicht von vornherein schon im Keimplasma vor sich zu gehen, und es wäre eine nutzlose Belastung desselben, falls sie immer dort schon vor sich ginge. Nur wenn die Theilung zum Generationswechsel führt, d. h. wenn die durch Theilung entstandenen Thiere anders gebaut sind, als die aus dem Ei schlüpfenden, müsste schon das Keimplasma die Theilungs - Determinanten enthalten, weil dann die durch Theilung ent - standenen Formen selbstständig erblich veränderlich sich er - weisen. So beim Generationswechsel gewisser Ringelwürmer des Meeres, den Syllideen und bei der Strobilation der Polypen, von welcher später die Rede sein soll. In allen solchen Fällen müssen zweierlei Ide im Keimplasma angenommen werden. Bei der gewöhnlichen Theilung dagegen, wie sie uns die Ringel - würmer des süssen Wassers vorführen, kann wohl die Abspaltung204 der zur Regeneration des Theilstückes nöthigen Determinanten - Gruppen während der Embryogenese erfolgen. Etwas Bestimmtes lässt sich aber darüber nicht sagen; jedenfalls ist es denkbar, dass der Vorgang der Abspaltung von Neben-Determinanten aus den späteren Stadien der Ontogenese in frühere und so weiter bis zuletzt in das befruchtete Ei zurückrücken kann, so dass zuletzt Doppel-Ide im Keimplasma entstehen, wie sie weiter unten als Ausgangspunkt für die Knospung angenommen werden.
Wenn wir mit von Wagner die Knospung als einen „ Neubildungsprocess ganzer Individuen “auffassen, der „ aus - schliesslich auf einem vom normalen verschiedenen, besondern (differentiellen) Wachsthum “beruht, so fällt die ungeschlecht - liche Vermehrung der Bryozoen, die der meisten Cölen - teraten und der Tunikaten unter diesen Begriff. Was bei den Pflanzen Knospung bedeutet, kann überhaupt kaum zweifel - haft sein.
Da die Knospung in den verschiedenen Organismengruppen, in welchen sie vorkommt, durchaus nicht ganz gleich verläuft, so empfiehlt es sich, einige dieser Gruppen gesondert ins Auge zu fassen.
Man glaubte bisher die Knospung der Cölenteraten und besonders die der Hydrozoen-Klasse unter ihnen genau zu kennen; man hatte beobachtet, dass schon in ganz jungen Knospen von205 Medusen und Hydroidpolypen die beiden Zellenlagen, welche den Leib dieser Thiere bilden, enthalten sind. Sie umgeben die Leibeshöhle, ganz wie im Mutterthier, und da sowohl diese, wie die beiden Zellen-Blätter mit den entsprechenden Gebilden der Mutter in unmittelbarem Zusammenhang stehen, so war Nichts natürlicher, als die Vorstellung, dass die Knospe als eine Ausstülpung der Leibeswand des Mutterthieres entstehe und von beiden Blättern desselben zugleich gebildet werde. Ein Zweifel an der Richtigkeit dieser Auf - fassung konnte um so weniger aufkommen, als man in den jüngsten Knospen von Hydroidpolypen, ehe sie noch hohl sind, beide Schichten, das Ektoderm und das Entoderm der Knospe aus einer grösseren Zahl in lebhafter Vermehrung begriffener junger Zellen zusammengesetzt fand. So habe ich es selbst noch in meinen Untersuchungen über die Bildung der Ge - schlechtszellen bei Hydroiden1)Weismann, „ Die Entstehung der Sexualzellen bei den Hydro - medusen “, 40 mit Atlas von 25 Tafeln, Jena 1883. angegeben, und nirgends ist ein Zweifel an der Richtigkeit dieser Darstellung oder vielmehr ihrer Auslegung laut geworden.
Dennoch ist die Annahme, dass beide Keimblätter des Mutterthieres die Knospenbildung veranlassen, nicht richtig, die Knospe bildet sich lediglich vom Ektoderm aus, und die jungen Zellen, welche man in den jüngsten Knospen das Entoderm bilden sieht, sind nicht Abkömmlinge der mütterlichen Entodermzellen, sondern sind eingewandert vom Ektoderm her.
Die Vermuthung, dass es so sein müsse, ist mir durch rein theoretische Erwägungen erst gekommen. Die Theorie von der Continuität des Keimplasma’s kann Knospung idio - plasmatisch nur so erklären, dass die Zellen des Mutterthieres, von welchen die Knospung ausgeht, zusammengenommen sämmt -206 liche Determinanten der Art als Neben-Idioplasma enthalten. Andernfalls könnte aus der Knospe niemals ein ganzes, fort - pflanzungsfähiges Thier werden. Wenn nun je eine Zelle des Ektoderms sämmtliche Determinanten des Ektoderms, eine Zelle des Entoderms sämmtliche Determinanten des Entoderms enthielte, so würde daraus doch nur dann eine Knospe hervorgehen können, wenn beide gerade zufällig genau an derselben Stelle übereinander zu liegen kämen. Da nun aber die Zellen des Entoderms eine geschlossene, nicht verschiebbare Epithellage bilden, diejenigen des Ektoderms zwar beweglicher sind, aber im Ganzen doch auch ihre relative Lage behalten, so schien es mir schwer vorstellbar, wieso nun doch die Knospung so fest und gesetzmässig an ganz bestimmten Stellen des Polypen und Polypenstockes erfolgen könne, wie es doch thatsächlich in so vielen Fällen geschieht. Die Annahme, dass alle Zellen des Ektoderms und Entoderms mit dem erforderlichen Neben-Idio - plasma in gleicher Weise ausgerüstet seien, war durch die eben erwähnte Gesetzmässigkeit der Knospung ausgeschlossen. So kam ich auf den Gedanken, es möchte wohl das „ Knospungs - Keimplasma “nicht auf beide Keimblätter vertheilt, sondern in einem allein enthalten sein, und da wir wissen, dass bei den Hydroiden die Bildung der Keimzellen stets von Ektoderm - zellen ausgeht, so durfte erwartet werden, dass auch das Knospungs-Idioplasma in Zellen des Ektoderms enthalten sein werde.
Die Erfahrung hat diese Erwartung bestätigt. Unter - suchungen, welche Herr Albert Lang auf dem Freiburger zoologischen Institut auf meine Bitte ausführte, haben ergeben, dass die Sache sich wirklich so verhält. Die Knospe bei ver - schiedenen Hydroidpolypen (Eudendrium, Plumularia, Hydra) entsteht in der Weise, dass zuerst eine Zellvermehrung an einer be - stimmt umgrenzten kleinen Stelle des Ektoderms eintritt, während207 deren zugleich die die beiden Leibesschichten trennende „ Stütz - membran “an dieser Stelle (st) immer dünner und weicher wird und zuletzt sich auflöst; dass dann eine kleine Anzahl der neu - gebildeten Ektodermzellen durch diese Membran hindurch ins Entoderm eindringt. Sie bildet hier ein Lager junger, sich stark vermehrender Zellen — dasselbe, welches ich in früherer Zeit in jüngsten Knospen schon beobachtet hatte — und dieses drängt nun die alten Entodermzellen von der Stützmembran ab (Ent '), was zur Folge hat, dass dieselben sich aus dem Zu - sammenhang des Entoderms loslösen, zerfallen und nach und nach resorbirt werden. Die eingewanderten Zellen aber bilden das Entoderm der Knospe.
Schnitt durch eine Knospenanlage von Euden - drium nach A. Lang frei schematisirt. Ps das hornige Perisarc, Ps 'die Stelle des - selben, welche durch die darunter liegende Wucherung des Ektoderms’s (Ekt') bereits stark verdünnt ist; Ent 'die alten Entodermzellen an der Stelle, an welcher eine Schaar von wuchernden Ektoderm - zellen die Stützlamelle (st) aufgelöst, durchbrochen und ins Entoderm eingewandert ist, die alten Entodermzellen dieser Stelle in die Magen - höhle Mh drängend.
Nachdem durch A. Lang’s Untersuchungen1)Albert Lang, „ Über die Knospung bei Hydra und einigen Hydropolypen “. Zeitschrift f. wiss. Zool. Bd. 54. p. 365; 1892. dieser Sach - verhalt festgestellt ist, wird die theoretische Zurechtlegung der Knospung bei den Hydroiden eine einfachere. Wir bedürfen dazu nur der Annahme, dass gewissen Zellen und Zellfolgen des208 Ektoderm’s ein Neben-Idioplasma beigegeben ist, welches sämmt - liche Determinanten der Art enthält, also Keimplasma ist, wenn es vielleicht auch nicht völlig identisch mit Keimplasma ist; ich bezeichne es als „ Knospungs-Keimplasma “. In welchen Zellen des Ektoderm’s dieses Idioplasma enthalten ist, lässt sich nicht sicher sagen; doch scheint die Wucherung der Knospe von Zellen der tieferen Lage auszugehen, von den „ interstitiellen “Zellen der Autoren. Man wird also annehmen dürfen, dass ein Theil dieser interstitiellen Zellen inaktives Knospungs-Keimplasma enthält, und dass dieses nach einer bestimmten Reihe von Zell - theilungen, wie sie durch das Wachsthum des Polypen bedingt sind, zur Herrschaft in einer der Zellen-Nachkommen gelangt und somit die Knospung hervorruft. Jede Knospung wird ur - sprünglich nur von einer Zelle ausgehen, wenn sich dies auch bisher nicht direkt nachweisen liess, und bei der ersten oder doch bei den ersten Theilungen der die Knospung hervorrufenden Zelle wird sich die Determinanten-Gruppe des Ektoderm’s von der des Entoderm’s trennen, und die Träger der Letzteren werden durch die sich auflösende Stützlamelle in das alte Entoderm einwandern. Das Weitere ergiebt sich dann von selbst.
Die Knospung der Hydromedusen geht also von einer einzelnen Zelle aus, und darin liegt jedenfalls ein tiefgreifender Unterschied von der Fortpflanzung durch Theilung. Diese Knospung entspringt von dem vollständigen, noch un - zerlegten Determinanten-Bestand der Art, die mit der Theilung verbundenen Neubildungen aber von zahlreichen, kleineren, den späteren Stufen der Ontogenese entsprechenden Determinanten - Gruppen zugleich.
Dennoch wäre es ein Irrthum, wollte man darin den durch - greifenden Unterschied zwischen Theilung und Knospung über - haupt sehen, wie die Knospungsvorgänge bei andern Thiergruppen sogleich erweisen werden.
209Was zunächst die übrigen Cölenteraten betrifft, so sind die Untersuchungen erst noch zu machen, welche nachweisen sollen, ob bei den Korallenpolypen, den höheren Medusen und den Rippenquallen der Knospungsprocess ebenfalls nur schein - bar von beiden Leibesschichten des Thieres ausgeht, in Wirklich - keit aber doch auch nur von einer. Da man an diese Möglich - keit bisher nicht dachte, so könnten auch hier Zellenwanderungen übersehen worden sein.
Wenden wir uns aber zu den andern Gruppen des Thier - reichs, bei welchen Knospung vorkommt, den Bryozoen und Tunicaten, so liegen hier sehr gute Untersuchungen vor, und die histologischen Verhältnisse sind derart, dass ein Übersehen von Zellenwanderungen nicht leicht denkbar scheint.
Die kleinen Thierstöcke der Mooskorallen oder Bryo - zoen entstehen durch Knospung, und auch die wenigen Bryozoen - Arten, welche keine Stöcke bilden, pflanzen sich dennoch leb - haft durch Knospung fort, nur dass die Knospen sich dann früher oder später vom Mutterthier loslösen.
Der Vorgang der Knospung scheint im Wesentlichen bei allen Bryozoen derselbe zu sein. An einer Stelle der äussern Haut des Thieres bildet sich eine Zellenwucherung, welche in ihrem Ursprung auf eine Zelle zurückzuführen sein wird. Der so entstehende Zellenhaufen gestaltet sich zu einer nach innen, d. h. in die Leibeshöhle des Thieres wachsenden hohlen Ein - stülpung, und aus dieser bildet sich der gesammte Verdauungs - kanal mit Vorder -, Mittel - und Hinterdarm, sowie das vor dem Munde gelegene sogenannte Atrium mit dem Tentakelapparat. Aus der Leibeshöhle des Mutterthieres sollen dann noch einige sog. „ freie Mesodermzellen “in die Knospe aktiv auswandern, umWeismann, Das Keimplasma. 14210dort die Muskeln, die Geschlechtsorgane und in gewissen Gruppen auch einen äussern (serösen) Zellbelag des Darmrohrs, in noch andern Gruppen auch eine subcutane Zellschicht zu bilden. So ergaben wenigstens die neuesten, ohne Zweifel sehr genauen und zuverlässigen Untersuchungen von Seeliger. 1)O. Seeliger, „ Die ungeschlechtliche Vermehrung der endoprocten Bryozoen “und „ Bemerkungen zur Knospenentwickelung der Bryozoen “, in Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. 49 u. 50 (1889 u. 1890).Unsicher kann an ihnen nur der eine Punkt erscheinen, ob nicht viel - leicht doch die Geschlechtsorgane auch aus jener ersten Wuche - rung der Hautzellen hervorgehen.
Diese Knospungs-Vorgänge fassen unsere allzu schematisch ausgearbeiteten Schulbegriffe von den Keimblättern etwas un - sanft an, insofern hier die specifischen Organe des innern Keim - blattes, der Darm, vom äussern Keimblatt, der Haut geliefert wird. Vom Standpunkt der Keimplasmalehre verursacht dies keine Schwierigkeit; man bedarf nur der Annahme, dass ge - wissen Zellen der Haut die Determinantengruppe des Entoderms als Neben-Idioplasma beigegeben ist. Diese Beigabe muss zu einer frühen Zeit der Embryogenese erfolgen, ehe noch die Trennung der Ur-Entodermzellen von denen des Ektoderms vor sich geht.
Nitsche glaubte in seinen werthvollen, aber noch mit weniger vollkommenen Mitteln ausgeführten Untersuchungen die ganze Knospe auf eine Wucherung der Haut (des Ektoderms) zurückführen zu können, und wenn seine Angabe sich bestätigt hätte, so würde die idioplasmatische Erklärung der Bryozoen - Knospung ebenso einfach sein, wie die der Hydroiden-Knospung, man hätte dann nur nöthig, jener Ektodermzelle „ Knospen - Idioplasma “als „ Neben-Idioplasma “zuzuerkennen. Allein See - liger konnte diese Angabe nicht bestätigen und auch die211 Untersuchungen von Oka1)A. Oka, „ Observations on Fresh-water Polyzoa “, Journ. of Col - lege of Science, Imperial University, Japan. Vol. IV, Pt. I. 1890., Davenport2)C. B. Davenport, „ Observations on budding in Paludicella and some other Bryozoa “, Bull. of the Museum of Comp. Zool. at Harvard College. Vol. XXII, No. 1. 1891. und Braem3)F. Braem, Untersuch. über die Bryozoen des süssen Wassers. Cassel 1890. lassen keinen Zweifel an der Betheiligung von „ Mesodermzellen “des Mutterthieres an der Knospenbildung. So wird man denn an - nehmen müssen, dass gewisse, mit bestimmten Determinanten - Gruppen für Muskeln, Endothelien und Geschlechtsorgane aus - gerüstete Mesodermzellen in die Knospe einwandern. Für die Bildung von Muskeln, und noch leichter für Endothelien, lässt sich dies begreifen, wie aber freie Zellen aus der Leibeshöhle des Mutterthieres in die Knospung einwandern sollen, um dort an ganz bestimmten Stellen Geschlechtsorgane zu bilden, das wäre schwer zu verstehen, es sei denn, dass nur scheinbar beliebige, in Wirklichkeit aber bestimmte Zellindividuen einwanderten. Einer solchen Annahme widersprechen aber die abnormalen Knospungs-Vorgänge, wie sie bei Pedicellina vor - kommen. Ich halte deshalb diese Frage nach dem Ursprung der Geschlechtsorgane noch nicht für abgeschlossen, sondern vermuthe, dass dennoch eine oder zwei der Mesodermzellen der Knospe aus der primären Ektoderm-Wucherung herrührt. Dies findet sogar in der Darstellung Seeliger’s eine Stütze, indem derselbe bei Loxosoma wenigstens eine solche Herkunft ein - zelner der Mesodermzellen der Knospe für möglich hielt.
Da es sich hier nicht um die Knospung der Bryozoen als solche, sondern nur um ein Beispiel einer von zwei Keim - blättern zugleich ausgehenden Knospung handelt, so kann diese Frage unentschieden bleiben. Soviel wenigstens steht fest, dass bei der Knospung der Bryozoen nicht allein eine Zelle der14*212äussern Körperschicht betheiligt ist, sondern auch einige Par - enchym-Zellen. Dies bedingt die Annahme, dass die Determi - nanten der Art nicht sammt und sonders in einer Zelle als „ Knospungs-Idioplasma “enthalten sein können, wie bei den Hydrozoen, sondern dass eine Anzahl von Determinanten und zwar diejenigen der Muskeln, Endothelien, Blutkörperchen und vielleicht auch der Geschlechtsorgane gewissen Mesodermzellen des Mutterthieres beigegeben sind. Die Bildung von Geschlechts - zellen setzt ausserdem die Beigabe von Keimplasma bei den - jenigen Zellen voraus, von welchen diese hervorgebracht werden, und diejenigen Hautzellen des Mutterthieres, welche gewisser - massen rein mechanisch zur Haut der Knospe werden, müssen ektodermale Determinanten enthalten.
Die Auseinanderlegung der Determinanten, wie sie nöthig ist, um die Knospung zu ermöglichen, ist aber offenbar eine ganz andere, wie bei der Embryonalentwickelung. Schon See - liger macht darauf aufmerksam, dass die Ontogenese durch Knospung viel kürzer ist, als die durch Embryo - und Larven - bildung. Nicht nur der ganze Furchungsprocess des Eies und später das Stadium einer freischwimmenden Larve kommt in Wegfall, sondern auch keines der späteren Stadien der Embryo - genese entspricht genau einem Knospenstadium. Ohne dies ins Einzelne verfolgen zu wollen, möchte ich doch die allgemeine theoretische Erklärung dafür darin suchen, dass die Ersatz - Determinantengruppen, mit welchen bestimmte Zellen im Laufe der Embryogenese versehen werden, die Determinanten in andern Combinationen enthalten, als sie in der Embryogenese von Zelle zu Zelle weitergegeben werden.
Die am Meeresgrund festgewachsenen Mantelthiere, die Ascidien oder Seescheiden, vermehren sich zum grossen Theil213 intensiv durch Knospungsvorgänge und bilden so Thierstöcke, deren Personen in mehr oder minder innigem Zusammenhang stehen.
Bei der Ascidien-Gattung Clavellina ist der Vorgang der Knospung durch Seeliger1)O. Seeliger, „ Zur Entwickelungsgeschichte der Ascidien “, „ Ei - bildung und Knospung von Clavellina lepadiformis “. Sitzungsber. der Wiener Akademie, Bd. 85. 1882. genau bekannt geworden. Das aus dem Ei hervorgegangene Mutterthier treibt hier lange, stiel - förmige Fortsätze, Stolonen, an denen neue Thiere hervor - knospen. Ein solcher Stolo besteht aus drei Zellenlagen, einer äusseren ektodermalen, einem inneren Entodermrohr und frei beweglichen „ Mesodermzellen “. Aus der Ektodermlage geht nur die äussere Haut der Knospe hervor, aus dem Entoderm - rohr bildet sich der Darmkanal mit seinen Nebenorganen, so - wie der Kiemensack (das „ Peribranchialrohr “), auch das Peri - cardialrohr, und aus den freien „ Mesodermzellen “wird die Musku - latur, das Ganglion (?) und die Geschlechtsdrüsen.
Das hauptsächlich formbestimmende Element bei diesen Vorgängen ist das Entodermrohr, indem es durch seine, in ganz bestimmter Weise erfolgende Gliederung die Gestalt des wachsen - den Ektodermrohres bestimmt. Wir werden also zu der An - schauung geleitet, dass in dem Entodermrohr des Stolo homo - loge Bildungszonen sich wiederholen, deren jede man sich als einen Ring von ursprünglich nur einer Zellenbreite vorstellen kann. Am Knospungsort angelangt, wächst dieser zu einer blasenförmigen Erweiterung aus, die sich von ihrem Ursprung, dem Entodermrohr des Stolo loslöst und nun ihre gesetz - mässige Gliederung in Peribranchialrohr, Darmrohr u. s. w. eingeht. Die Zellen dieser Entodermblase können nicht alle gleichwerthig sein, können nicht alle genau dieselben Deter - minanten enthalten, sonst könnte eben diese Gliederung nicht214 eintreten, es könnte nicht aus der einen ein Theil der Peribranchialwand, aus der anderen ein Theil des Darmrohres werden. Aber auch innerhalb der primitiven Darmblase muss die eine Zelle die Determinanten des Magens, die andere die des Hinterdarmes u. s. w. enthalten — kurz, wir werden hier, wie bei der Embryogenese annehmen müssen, dass eine Ver - theilung der Determinanten-Gruppen auf die verschie - denen Zellen während der Entwickelung stattfindet, eine Auseinanderlegung des Idioplasma’s, ganz ähnlich, wie bei der Embryonalentwickelung, wenn auch nur im Princip, nicht in den Einzelheiten. In jedem Zellenring des Entoderm - rohres, von dem die Ausstülpung einer Entodermblase ausgeht, müssen sämmtliche Determinanten aller Theile enthalten sein, welche aus der Blase hervorgehen.
Am schwierigsten ist die Bildung derjenigen Organe zu verstehen, die sich aus den „ freien “im Stolo enthaltenen „ Meso - derm “- Zellen entwickeln. Allerdings steht Nichts im Wege, diesen Zellen sehr verschiedenes Idioplasma zuzuschreiben, den einen „ Muskel-Determinanten “, den anderen „ Nerven-Determi - nanten “, den dritten „ Blutkörperchen-Determinanten “u. s. w. Schon ihr Aussehen lässt verschiedene Arten von ihnen unter - scheiden, solange sie noch frei im Blut des Stolo schwimmen. Die Schwierigkeit liegt nur in ihrem lokalen Eingreifen in den Bau der sich entwickelnden Knospe. Diejenigen unter ihnen, welche zu den Längsmuskeln werden sollen, ordnen sich zu Längsreihen, welche von einem oder zwei bestimmten Punkten schräg divergirend von hinten nach vorn über das Thier hin - laufen, um an ziemlich fest bestimmten Punkten in der Vorder - region desselben sich anzuheften. Ebenso hat das Ganglion seine ganz bestimmte Lage im Thier und die Geschlechtsdrüsen. In der Embryogenese und auch bei der Entwickelung der Ento - dermblase der Knospe wird jeder Zelle ihr Platz mechanisch215 angewiesen durch ihre Entstehung aus den früheren Zellgene - rationen, durch den Rhythmus der Zell-Theilungen. Hier aber müssten die Zellen des Ganglions z. B. sich durch freie Orts - bewegung am richtigen Platz zusammenfinden. Aber auch in der Embryogenese mancher Thiergruppen, z. B. der Echino - dermen kommt Ähnliches vor, und es wird bis zu weiterer Klärung der Thatsachen Nichts übrig bleiben, als den Zellen eine ihrer Bestimmung entsprechende Neigung zur Festsetzung an bestimmten Stellen zuzuschreiben, so unbefriedigend eine solche Annahme auch erscheint. Die umgekehrte Annahme wenigstens, dass diese Zellen sich je nach dem zufälligen Fest - setzungsort zu Muskel -, Nerven - oder Sexualzellen entwickelten, scheint mir weit weniger annehmbar.
Vergleicht man nun die Knospung dieser Ascidien mit ihrer Embryogenese, so finden sich grosse Verschiedenheiten. Nicht nur, dass bei der Knospung die ganze Ei-Furchung wegfällt und die Gastrulation mit der Bildung des Mesoderm’s, sondern es entstehen auch manche Theile im Embryo aus dem Ekto - derm, in der Knospe aus dem Mesoderm. Noch auffälliger vielleicht ist dies bei den frei im Meere schwimmenden Mantel - thieren, den Salpen. Auch diese vermehren sich durch Knospung an einem Fortsatz des Thieres, dem sog. Stolo, und auch bei ihnen entsteht fast Nichts ausser der Haut aus dem Ektoderm, Einiges aus dem Entoderm, Vieles aber aus den „ Mesoderm - zellen “. Seeliger1)O. Seeliger, „ Die Knospung der Salpen “. Jena 1885. glaubt die Erklärung dafür darin zu finden, dass das „ Mesoderm des Mutterthieres, welches in die Knospen übergeht, eigentlich nichts Anderes ist, als sein Geschlechts - apparat “. Dies wäre indessen doch nur insoweit eine Er - klärung zu nennen, als es für die „ Mesodermzellen “des Stolo und der Knospe die Möglichkeit eröffnet, jede verlangte Deter -216 minantengruppe enthalten zu können. Denn in den Geschlechts - zellen müssen alle Determinanten enthalten sein und durch Zerlegung derselben bei der Theilung können somit die ver - schiedensten Gruppen derselben gebildet, bestimmte Mesoderm - zellen also mit dieser, andere mit jener Gruppe ausgerüstet werden. Dies setzt dann freilich einen ganz anderen Ver - theilungsprocess der Determinanten voraus, als er in der Em - bryogenese stattfindet, und diese wiederum kann nur auf einer von Anfang an verschiedenen Architektur des Idioplasma’s be - ruhen. Ich werde bei der Besprechung des Generationswechsels auf diesen in theoretischer Beziehung fundamentalen Punkt zurückkommen.
Der Begriff der Knospung ist dem Pflanzenreich entnommen; alle höheren Pflanzen sind Pflanzenstöcke, Cormen, und be - ruhen auf ausgiebiger und gesetzmässiger Knospung, ähnlich wie die Thierstöcke der Hydrozoen und andere. Mag auch die physiologische Individualität der einzelnen Person der Pflanze häufig noch undeutlicher sich abgrenzen, als es schon bei vielen Thierstöcken der Fall ist, der morphologische Werth des Sprosses als einer „ Person “im Sinne Häckel’s lässt sich nicht bestreiten.
Während es nun bei den Thierstöcken bis jetzt noch nicht überall möglich war, den Ausgangspunkt für diese Knospungs - vorgänge in seinem Zusammenhang mit den Zellfolgen der ersten Person des Stockes völlig klarzulegen, ist dies bei den Pflanzen auf das Schönste gelungen, und es lässt sich deshalb auch eine Vererbungstheorie auf die pflanzliche Knospung mit weit grösserer Sicherheit anwenden, als auf die thierische.
Die vegetabilische Knospung geht in den meisten Fällen von einer Zelle aus, welche an der Spitze des wachsenden Sprosses liegt, von der „ Scheitelzelle “. Durch Wachsthum217 und gesetzmässige Theilungen dieser Zelle wird nach Art der Embryonalbildung eine Gruppe von Zellen gebildet, die nach Zahl, Gestalt und Anordnung der Zellen fest bestimmt ist. Sie enthält als Anlagen bereits den ganzen neuen Spross in sich, und man kann von jeder ihrer Zellen im Voraus sagen, welche Theile des Sprosses aus ihr hervorgehen werden. Die Nach - kommen dieser Zellengruppe vermehren sich dann bis zu einer bestimmten Grenze weiter und brauchen sich dann nur noch zu vergrössern (zu „ strecken “) und zugleich feiner zu differen - ziren, um eine vollständig fertige „ Person “des Pflanzenstockes darzustellen. Diese Person verändert sich dann nicht wesentlich mehr weiter, aber von der Scheitelzelle kann die Bildung einer neuen Person ausgehen u. s. w., denn die Scheitelzelle erneut sich immer wieder, oder wenn man lieber will, sie bleibt immer dieselbe.
Nehmen wir eine Alge, Chara, als Schema mit Zugrunde - legung der von Sachs (a. a. O. p. 550) gegebenen Figur, so erkennt man sofort, dass das Idioplasma der Scheitelzelle (v) bei ihrer Theilung noch keine Zerlegung in verschiedene Deter - minanten-Gruppen erleiden kann, weil durch diese Theilung zwei Zellen gesetzt werden, deren eine die Scheitelzelle bleibt, deren andere, das sog. „ Segment “, aber einen ganzen Spross aus sich hervorgehen lässt, also eben gerade diejenige Bildung, zu deren Hervorbringung die Scheitelzelle befähigt ist. Aber schon die folgende Theilung der unteren der beiden Tochterzellen bringt die erste Sonderung in ungleiche Determinanten-Gruppen mit sich, indem sie eine obere, biconcave, die sog. „ Knoten “- Zelle hervorbringt, aus welcher die Blätter b', b' ', b'' ', die Seiten - sprossen K und Geschlechtsorgane a und o hervorgehen, und eine untere, biconvexe Zelle, welche keine weiteren Theilungen erfährt, sondern nur bedeutend in die Länge wächst, um so einen Abschnitt der Längsachse i' i'' i' '' des Sprosses zu bilden.
218Gipfel eines Sprosses von Chara im Längsschnitt (aus Sachs „ Vorlesungen über Pflanzen-Physiologie “).
Diese „ Zwischenknotenzelle “geht also keine weiteren Zerlegungen ihres Idioplasma’s ein, während die „ Knotenzelle “sich in verti - caler Ebene theilt und sich in Zellen zerlegt, welche verschiedene Determinanten-Gruppen enthalten müssen, da andere Theile des Sprosses von ihnen ihren Ursprung nehmen. So geht aus der äusseren der in der fünften Zellenreihe der Figur liegenden Zellen (b') das ganze Blatt sammt Geschlechtsorganen hervor, wie ein Vergleich der jüngeren mit den älteren Abschnitten des Chara-Sprosses erkennen lässt. Die inneren Zellen dagegen entwickeln sich zu dem Knoten selbst. Die äussere theilt sich unter steten, wenn auch häufig unbedeutenden Veränderungen des Idioplasma’s, wie ein Blick auf den Zellenbau eines Blattes erkennen lässt, an welchem ähnliche Abschnitte sich vielfach wiederholen. Wenn wir von dem dem aktiven Haupt-Idioplasma219 der Zellen etwa beigegebenen Neben-Idioplasma jetzt absehen, so wird die Auseinanderlegung der von der Scheitelzelle über - lieferten Determinanten-Gruppe einfach so erfolgen, dass jede Zelle immer nur diejenigen Determinanten-Gruppen bei ihrer Ent - stehung zugetheilt erhält, deren Einzel-Determinanten in ihren Nachkommen zur Bestimmung der einzelnen Zellen nöthig sind. So werden wir den Zwischenknoten-Zellen des Stammes nur das ihnen selbst specifische Idioplasma, also die „ Zwischen - knoten-Determinante “zusprechen können, da aus ihnen Nichts weiter mehr hervorgeht, während wir der Knoten-Stammzelle eine ganze Gruppe von Determinanten zuerkennen müssen, weil aus ihr eine Menge verschieden gestalteter und funktionirender Zellen hervorgeht. Wenn auch die Pflanzenzellen unserm Auge häufig sehr ähnlich sehen und einen wesentlichen Unterschied nicht erkennen lassen, so muss doch ein solcher da sein, wenn wir anders das Zustandekommen der specifischen Blatt -, Stamm - und Fortpflanzungsorgane theoretisch begründen wollen. Nur dadurch, dass in jedem dieser Lebenscentren ein specifisches Idioplasma, eine von den übrigen in Etwas verschiedene Determi - nante herrscht, lässt sich dies wenigstens im Princip verstehen.
In idioplasmatischer Hinsicht lassen die verschiedenen Knospungsarten verschiedene Stufen erkennen. Das einfachste Verhalten zeigen die höheren Pflanzen, weil hier die Knospung, d. h. die Herstellung einer neuen Person stets von einer Zelle ausgeht. Hier muss also dieser Zelle ein Idioplasma zugeschrieben werden, welches alle Determinanten des Sprosses enthält; ja es darf vermuthet werden, dass auch die Determinanten der Wurzel in demselben enthalten sind, denn die meisten Pflanzensprosse können, wenn sie künstlich vom Stamme abgetrennt werden, unter günstigen Bedingungen Wurzel treiben; unter den normalen220 Verhältnissen, d. h. solange der Spross mit der Mutterpflanze verbunden ist, kann sich die Fähigkeit Wurzeln zu bilden in der Regel nicht offenbaren. Dieses „ Knospen-Idioplasma “kann mit Keimplasma nicht völlig identisch sein, wenn auch genau dieselben Theile daraus hervorgingen, wie aus der befruchteten Eizelle, so wäre doch durch die verschiedene Zellfolge, welche in der Embryogenese und der Knospung eingehalten wird, ein Hinweis darauf enthalten, dass hier die Determinanten mindestens in einer andern Anordnung, vielleicht auch in andern Verhältniss - zahlen im Idioplasma enthalten sein müssen. Knospen-Idio - plasma und Keimplasma wären also gewissermassen als „ isomere “Idioplasmen aufzufassen, analog den isomeren chemischen Verbindungen.
Ähnlich wird es sich bei denjenigen Thieren verhalten, deren Knospenbildung von einer Zelle ausgeht, bei den Hydroiden. Auch hier ist die Embryonal-Entwickelung dem Knospungs - vorgang nicht völlig gleich, wenn sie sich ihm auch bis zu einem gewissen Grade annähert; auch hier aber muss angenommen werden, dass sämmtliche Determinanten der Art im „ Knospen - Idioplasma “enthalten sind, nicht nur diejenigen, welche in der Regel zur Entfaltung kommen, sondern auch solche, wie die zur Bildung von Fuss - oder Wurzelstücken nöthigen Determi - nanten. Dafür spricht schon die Existenz von Polypen, deren Knospen sich regelmässig ablösen und selbstständig weiterleben, wie Hydra. Hier haben die Tochterpolypen noch keinen Fuss, solange sie an der Mutter festsitzen, sobald sie sich aber los - lösen, bilden sie sich einen.
Die folgende Stufe der Knospung findet sich bei den Bryozoen. Hier ist es nicht mehr eine Zelle, welche die gesammten Determinanten der Art enthält und aus ihnen die Knospe aufbaut, sondern dieselben sind, zu zwei Hauptgruppen geordnet, einer Zelle des Ektoderms und einer oder einigen221 Zellen des Mesoderms als Neben-Idioplasma beigegeben. Die eine Ektodermzelle lässt das gesammte Entoderm aus sich hervorgehen, dennoch ist sie nicht jenen Zellen des embryonalen Ektoderms gleich zu setzen, welche die Entoderm-Einstülpung dort bewirken, denn aus ihr gehen Theile hervor, die im Embryo überhaupt noch nicht, oder doch aus andern Ektodermzellen angelegt werden. Ohne hier auf die Einzelheiten einzugehen, kann man doch die Thatsachen idioplasmatisch so fassen, dass man jener Knospungs-Ektodermzelle ein Idioplasma zuschreibt, welches zwar sämmtliche entodermale Determinanten enthält, daneben aber noch eine Anzahl anderer, also eine Combination von Determinanten, wie sie in der Embryogenese nicht vor - kommt. Ebenso müssen jene Mesodermzellen des Mutterthieres, welche die Muskeln und Endothelien u. s. w. der Knospe bilden, eine eigenthümliche Zusammenstellung von Determinanten ent - halten, wie sie in der Embryogenese wohl nicht genau so vor - kommt. Die Knospung muss also hier in der Embryogenese dadurch vorbereitet werden, dass gewissen Zellfolgen des Ektoderm’s und des Mesoderm’s jene Determinantengruppen als Neben-Idioplasma beigegeben werden.
Eine dritte Stufe wäre dann durch die Knospung der Seescheiden und Salpen gebildet. Hier geht die Knospung von dreierlei Zellen des schon fertigen oder noch in Embryogenese befindlichen Thieres aus, von solchen des Ektoderm’s, des Ento - derm’s und des Mesoderm’s. Aber auch hier entspricht die Determinantengruppe, die in jeder der die Zellenarten anzunehmen ist, nicht genau derjenigen, welche in der Ur-Ektoderm -, der Ur-Mesoderm - und der Ur-Entodermzelle der Embryogenese enthalten sein muss. Es giebt überhaupt keine Zelle der Embryogenese, welche genau dieselbe Determinantengruppe ent - hielte, wie die entodermale Knospungszelle. Es muss also hier in noch erhöhtem Maassstabe während der Embryogenese eine222 besonders für die Knospung eingerichtete Zusammenordnung von Determinaten vorgesehen sein, damit schliesslich bestimmte Zellen mit diesen als Neben-Id ausgerüstet werden können.
Diese letzte Art der Knospung nähert sich ihrer idioplas - matischen Grundlage nach sehr der Regeneration, womit indessen durchaus nicht gesagt sein soll, sie leite sich phylogenetisch von Regeneration ab. Die Übereinstimmung liegt nur darin, dass die Neubildung einer Person von mehreren mit verschiednen Determinantengruppen ausgerüsteten Zellen ausgeht, die sich gegenseitig ergänzen und so ineinandergreifen, dass eine voll - ständige Person zu Stande kommen muss.
Eine gemeinsame Phylogenese der Knospung giebt es wohl nicht; der Vorgang wird unabhängig von einander bei Pflanzen und Thieren, und vielleicht auch innerhalb des Thierreichs un - abhängig von einander in mehreren Gruppen sich ausgebildet haben.
Wenn man erwägt, dass bei vielen niederen Pflanzen mit geringer Zellen - und Organdifferenzirung alle, oder doch sehr viele Zellen der Pflanze das Vermögen besitzen, sich unter Um - ständen zur ganzen Pflanze zu entwickeln, so wird man geneigt sein, für diese Fälle anzunehmen, dass von vornherein, also schon bei der phyletischen Entstehung solcher Pflanzen, jede Zelle den gesammten Determinanten-Complex der Art, d. h. Keimplasma enthalten habe, und dass die verschiedene Diffe - renzirung der Zellen auf der Ober - und Unterseite u. s. w. darauf beruhe, dass gewisse Determinanten unter diesen, andere unter jenen äussern Einwirkungen in Aktivität treten, z. B. die einen bei starkem Lichtreiz, die andern bei schwachem.
Bei höheren Pflanzen dürfte diese Erklärungsweise kaum ausreichen, da hier die Differenzirung eine allzu mannigfaltige223 ist, um aus äussern Ursachen erklärt werden zu können. Immer - hin werden aber auch bei diesen zahlreiche Zellen Keimplasma enthalten, wenn auch in gebundenem Zustand, inaktiv und un - zerlegbar. Man wird dieses Stadium der Knospungs-Phylogenese wohl von dem ersten ableiten dürfen, so dass also mit zu - nehmender Differenzirung der Pflanzen neben Zellen mit vollem Keimplasma nun auch solche auftraten, die nur bestimmte einzelne Determinanten enthielten, und dieses kann dann zu dem Zustand hingeführt haben, den wir heute bei den höchsten Gewächsen finden, und der sich dadurch kennzeichnet, dass viele Zellen blos specifische Determinanten enthalten, zahlreiche andere daneben noch Keimplasma in gebundenem und nur unter ge - wissen Einflüssen aktiv werdendem Zustand. Ich werde darauf in einem späteren Abschnitt zurückkommen.
Auch bei den verschiedenen niederen Thiergruppen, bei welchen Knospung vorkommt, wird ein gemeinsamer Ursprung derselben nicht angenommen werden dürfen. Wenn aber auch Knospung unabhängig in verschiedenen Abtheilungen des Thier - reichs entstand, so wird die Entstehungsgeschichte derselben im Wesentlichen überall dieselbe gewesen sein, da Knospungs - Idioplasma sich schon in der Eizelle vom Keimplasma abge - spaltet haben muss, insofern nur in diesem sämmtliche Determi - nanten der Art sich bei einander befinden. Auch heute muss das Knospungs-Idioplasma schon als solches im Keim - plasma enthalten sein, weil es andernfalls nicht selbst - ständig und erblich variirt haben könnte. Dass es dies aber gethan hat, beweist die Knospung der Medusen von Polypen und viele andere Fälle von Generationswechsel.
Balfour1)Francis M. Balfour, „ Handbuch der vergleichenden Embryo - logie “, übersetzt von Vetter, Jena 1880, Bd. I, p. 12. glaubte die Knospung auf jene Theilungen der befruchteten Eizelle zurückführen zu können, welche bei224 einzelnen Thierformen beobachtet werden und zur Bildung von zwei Individuen führen. Er meinte, wenn man sich diese Ver - doppelung in spätere Stadien der Ontogenese verschoben denke, so erhalte man Knospung. Er sagt darüber: „ Während es nahezu unmöglich ist, sich vorzustellen, wie die Erzeugung einer Knospe zum ersten Mal bei den Erwachsenen von hoch - organisirten Formen beginnen könnte, erscheint es keineswegs schwierig, sich ein Bild von den verschiedenen Zwischenstufen zu machen, vermittelst welcher die Spaltung eines Keimes all - mälig bis zu der Ausbildung von Knospen in erwachsenem Zu - stande führen könnte. “ Leider hat der geniale Forscher uns keine ins Einzelne gehende Durchführung dieses Gedankens hinterlassen; es ist aber, wie mir scheint, eine Herleitung der Knospung von der Verdoppelung des befruchteten Eies durch Theilung nicht so einfach und selbstverständlich, als man auf den ersten Blick glauben möchte.
Gesetzt, ein befruchtetes Ei erlangte die Fähigkeit, sich durch Theilung zu verdoppeln, so würden dann die beiden ersten Furchungszellen keine Blastomeren mehr in physiologischem Sinne sein, sondern selbst wieder Eizellen, befähigt, ein ganzes Thier aus sich hervorgehen zu lassen. Dies ist noch keine Knospung, und auch durch Verschiebung dieses Verdoppelungs - vorganges auf spätere Stadien würde keine Knospung entstehen, sondern nur Vervielfachung der Eizelle; man erhielte dann statt zwei Eizellen deren vier, acht, sechszehn u. s. w. Denkt man sich aber die Theilung des Eies derart, dass die beiden Hälften zunächst noch beisammen bleiben, als bildeten sie zusammen nur einen Embryo, so erhalten wir den Zustand, den Kleinen - berg bei einem Regenwurm (Lumbricus trapezoides) nachwies, in welchem die Entwickelung bis zum Gastrula-Stadium schein - bar einfach ist, weil dann erst die Trennung der beiden Em - bryonen von einander erfolgt. Lassen wir nun die Trennung225 der beiden Embryonen auch viel später erst erfolgen, vielleicht erst nach ihrer vollkommenen Ausbildung, so wird doch keine Knospung daraus entstehen, sondern nur eine Verdoppelung des Embryo.
Damit Knospung daraus werde, ist noch eine wesentliche Veränderung des Vorganges unerlässlich, nämlich die Zurück - haltung der Entwickelung der einen Eihälfte. Wenn die eine der beiden einem Ei gleichwerthigen Blastomeren nicht sofort mit der anderen in Embryogenese einträte, sondern im einzelligen Zustand verharrte, von dem aus der andere Blasto - mere entstehenden Embryo eingeschlossen würde und dann später, nachdem dieser schon zum fertigen Thier sich aus - gebildet hat, in Entwickelung träte, dann hätten wir Knospung. Ich will nicht bestimmt behaupten, dass die Phylogenese der Knospung nicht so vor sich gegangen sein könnte. Es wäre ja nicht geradezu undenkbar, dass eine Zurückhaltung der Ent - wickelung bei der einen Blastomere eingetreten wäre und sich später immer weiter vom Ausgangspunkt der Ontogenese weg verschoben hätte. Damit aber die heute vorliegende Erscheinung auch der einfachsten Knospungsform entstehe, müsste diese Ver - schiebung noch mindestens einen Schritt weiter gegangen sein; es müsste nicht nur eine Verschiebung nach vorwärts, sondern zugleich eine nach rückwärts erfolgt sein, d. h. die Spaltung des Eies in zwei Eier müsste unterdrückt und dafür die blosse Spaltung des Keimplasma’s eingetreten sein.
Denn wir sehen ja bei Hydroiden oder anderen durch Knospung sich fortpflanzenden Thieren, dass die Eizelle sich nicht in zwei Blastomeren theilt, von denen die eine gewisser - massen als Reservezelle für die später eintretende Knospung dient; beide Blastomeren theilen sich vielmehr weiter und bilden zusammen den Embryo, und auch von dessen Zellen kann keine schon als „ Knospungszelle “bezeichnet werden, die Knospungs -Weismann, Das Keimplasma. 15226zellen treten vielmehr erst weit später auf, wenn der Polyp schon ausgebildet ist. Wenn also Knospung in diesem Falle aus Verdoppelung des Eies hervorgegangen ist, so muss diese Verdoppelung selbst wieder zurückgegangen sein, und nur ihr wesentlichster Inhalt geblieben: dass nämlich Keimplasma in gebundenem Zustand dem aktiven Keimplasma der Eizelle beigesellt blieb und dann gewissen Zellfolgen der Ontogenese mitgegeben wurde.
Mag sich nun der Vorgang der Knospung wirklich aus der Ei-Verdoppelung abgeleitet haben, oder nicht, so viel scheint mir jedenfalls sicher, dass der idioplasmatische Vorgang dabei zuerst die Verdoppelung der Ide des Keimplasma’s in der befruchteten Eizelle gewesen sein muss, und dass diese eintrat, ohne dass damit schon eine Theilung der Eizelle verbunden war, so also, dass die eine Hälfte des Keimplasma’s als „ Knospen-Keimplasma “in gebundenem, unthätigen, aber vermehrungsfähigen Zustand verharrte. Dieses Knospenplasma wurde dann bei der ersten Theilung der Eizelle einer der beiden ersten Furchungszellen als „ Neben-Idioplasma “beigegeben und ging von dieser dann durch bestimmte Zellfolgen weiter, immer in gebundenem Zustand, und erst dann zur Aktivität übergehend, wenn es im ausgebildeten Thier an gewisse Stellen gelangte, wo es nun Knospung veranlasste.
Es ist mir nicht undenkbar, dass die Knospung phyletisch von einer solchen spontanen Spaltung und Verdoppelung des Keimplasma’s der Eizelle ausging, die von vornherein mit In - aktivität der einen Hälfte verbunden war, und dass somit ihr Zusammenhang mit der Ei-Verdoppelung nicht der oben an - gedeutete war, d. h. dass Knospung nicht aus Ei-Verdoppelung hervorging, sondern dass beide Vorgänge, die Ei-Verdop - pelung und die Knospung ihre Wurzel in einer Spaltung und Verdoppelung des Keimplasma’s der Eizelle haben,227 die ja ohnehin der Ei-Verdoppelung zu Grunde liegen muss. Der Unterschied bei beiden Vorgängen läge dann darin, dass bei der Knospung die eine Hälfte des gespaltenen Keim - plasma’s in den Zustand der Inaktivität überging, während bei der Ei-Verdoppelung beide Hälften sofort aktiv wurden.
Complicirter wird die idioplasmatische Grundlage der Knospung, sobald nicht blos ein Keimblatt die Knospung ver - mittelt, sondern deren zwei, oder gar drei. Hier muss eine Zerlegung des zuvor gebundenen Knospenkeimplasma’s statt - finden, und zwar auf bestimmten Stadien der Ontogenese, z. B. bei der Trennung von Entoderm und Ektoderm, und etwa noch - mals bei der Trennung des Mesoderm von einem der beiden Haupt-Keimblätter. Diese Zerlegung des Neben-Keimplasma’s in zwei oder drei Gruppen gebundenen Neben-Idioplasma’s brauchte nicht nothwendigerweise in genau derselben Combi - nation von Determinanten zu erfolgen, wie bei der Embryo - genese, und so können wir uns erklären, dass entodermale Or - gane von knospenden Ektodermzellen ihren Ursprung nehmen können, wie bei den Mooskorallen u. s. w., oder dass gar drei Keimblätter bei dem Zustandekommen einer Knospe zu - sammenwirken.
Ich halte den umgekehrten Weg der Knospungs-Phylo - genese für die Thiere für unwahrscheinlich. Man könnte ja auch hier daran denken, dass bei heute ausgestorbenen nieder - sten Metazoen alle oder viele Zellen des Körpers noch Keim - plasma enthielten, wie das oben für niedere viellzellige Pflanzen als möglich angenommen wurde. Aus jeder dieser Zellen hätte dann ein ganzes Thier unter Umständen hervorgehen können. Diese Annahme würde aber allein für sich nur so lange ge - nügen, als die durch Knospung entstehenden Individuen dem aus dem Ei entstandenen völlig gleich sind. Sobald beide sich von einander unterscheiden, wenn auch nur in geringem Grade,15*228so setzt dies die Anwesenheit besonderer Ide im Keim - plasma voraus, denn diese Verschiedenheit kann nur darauf beruhen, dass beide Arten von Individuen selbstständig vom Keim aus variiren können. Wir müssten also zu jener An - nahme noch die hinzufügen, dass im Laufe der Phylogenese das Keimplasma jener somatischen Zellen, von welchen Knos - pung ausging, sich gewissermassen rückwärts in der Ontogenese verdoppelte, bis es endlich auch im Keimplasma der Eizelle als besondere Idgruppe mehrfach enthalten war. Dies ist aber jedenfalls eine verwickelte und kaum sehr wahrscheinliche An - nahme, der die einer primären Verdoppelung der Keimplasma - Ide vorzuziehen sein dürfte. Der folgende Abschnitt wird dies noch deutlicher hervortreten lassen.
Von den zur Amphimixis (geschlechtlichen Vermischung) bestimmten Keimen ausgehend, haben wir die bestimmt geordnete Gruppe von Determinanten, welche in den Geschlechtszellen ent - halten sein muss, als Keimplasma bezeichnet. Wir verstehen unter dieser Bezeichnung ein Idioplasma, welches sämmtliche Determinanten der Art enthält. Es giebt indessen zahlreiche Arten, bei welchen die Geschlechtszellen nicht die einzigen sind, welche sämmtliche Determinanten enthalten, sondern bei welchen im Kreislauf des Lebens noch einmal die Weiter - entwickelung von einer einzigen Zelle ausgeht, deren Idioplasma somit ebenfalls aus sämmtlichen Determinanten der229 Art zusammengesetzt sein muss. Dies ist bei den meisten nie - deren Pflanzen, den Moosen, Schachtelhalmen und Farnen der Fall, bei welchen allen die geschlechtliche Fortpflanzung mit ungeschlechtlicher „ Sporenbildung “abwechselt, auch bei solchen Thiergruppen, welche diejenige Form des Generationswechsels aufweisen, die man als Heterogonie bezeichnet. Aber auch bei dem Generationswechsel im engeren Sinne, d. h. bei dem Wechsel von geschlechtlicher Fortpflanzung und Knospung, kann zweimal die Entwickelung des Individuums von einer Zelle ausgehen, wie für die Pflanzenstöcke und die Hydroidpolypen - stöcke schon erwähnt wurde. In allen diesen Fällen tritt in dem Kreislauf des Lebens, welcher von der befruchteten Eizelle wieder zu ihr zurückführt, zweimal eine Zelle auf, deren Idio - plasma sämmtliche Determinanten der Art enthält, und es fragt sich, ob diese beiden Idioplasmen als identisch betrachtet und schlechthin als Keimplasma bezeichnet werden können.
Die Frage wurde oben schon bei Gelegenheit der Knospung von Pflanzen erörtert und dahin entschieden, dass eine völlige Identität des Idioplasma’s der Scheitelzelle und der befruchteten Eizelle nicht angenommen werden kann, weil die Embryogenese, aus welcher der erste bewurzelte Spross hervorgeht, verschieden verläuft von der Zelltheilung, durch welche die Scheitelzelle einen neuen Spross aus sich hervorgehen lässt. Ebenso verhält es sich bei der Herstellung eines Polypen aus einer Knospungs - zelle und aus dem Ei. In beiden Fällen ist zwar das End - resultat ganz oder doch nahezu dasselbe, der Weg aber zu dem - selben ein verschiedener. Wenn also auch genau dasselbe Bion auf beiden Entwickelungswegen entstünde, demnach auch die - selben Determinanten in beiden Ursprungszellen vorhanden sein müssten, so würden diese doch mindestens in verschiedener Gruppirung in beiden Idioplasmen enthalten sein müssen, so dass sie auch in der Ontogenese verschiedene Gruppen durch -230 laufen müssten bis zu ihrer völligen Auseinanderlegung in die einzelnen Determinanten.
Schon in diesem einfachsten Falle würde man genöthigt sein, das eigentliche „ Keimplasma “der Eizelle und Samenzelle von dem „ Scheitelzellenplasma “oder „ Knospenplasma “zu unter - scheiden. Es empfiehlt sich aber, jedes Idioplasma, welches sämmtliche Determinanten der Art enthält, als Keimplasma im weiteren Sinn zu bezeichnen und demnach also mehrere Unterarten des Keimplasma’s, wie „ Knospen-Keimplasma “, „ Sporen - Keimplasma “u. s. w. zu unterscheiden, und dieselben als Neben - Keimplasmen oder Para-Germoplasmen von dem Haupt - Keimplasma oder Stamm-Keimplasma zu unterscheiden.
Man möchte nun vielleicht geneigt sein, überall da, wo zweierlei Arten von Keimplasma im Lebenskreislauf einer Art vorkommen, anzunehmen, dieselben gingen während des Lebens - laufes abwechselnd ineinander über. Diese Ansicht wäre aber nicht haltbar; wir sind vielmehr, wie oben schon gezeigt wurde, zu der Annahme gezwungen, dass beide Arten von Keim - plasma stets gleichzeitig nebeneinander auf den Keim - bahnen weitergegeben werden, und dass abwechselnd die eine oder die andere Art aktiv wird.
Diese Annahme ist deshalb unvermeidlich, weil die phyle - tische Entwickelung der Arten zeigt, dass die einzelnen Gene - rationen eines Generationswechsels selbstständig und erblich sich verändern können. Dies setzt aber voraus, dass jede ihre besonderen Determinanten im Keimplasma hat, andernfalls stets beide Generationen zugleich von einer Keimes - Variation getroffen werden müssten. Es ist ähnlich, wie wir es uns bei der Metamorphose vorzustellen haben. Die Flügel des Schmetterlings müssen als eine Determinantengruppe im Keimplasma enthalten sein. Bildeten sie sich erst durch Um - wandlung von irgend welchen Raupen-Determinanten, so könnten231
Daphnia pulex, ein Weibchen mit zwei durch Parthenogenese sich ent - wickelnden Sommer-Eiern im Brutraum b (nach R. Hertwig).
232 die Flügel niemals abändern, ohne dass nicht zugleich irgend welche Bildungen der Raupe abänderten, und umgekehrt.
Es wird nicht uninteressant sein, dies an einigen Beispielen näher zu verfolgen.
Als Ausgangspunkt wähle ich einen Generationswechsel, dessen Generationen sich im ausgebildeten Zustand gar nicht unterscheiden, wohl aber in der Ontogenese: die Heterogonie der Daphniden oder Wasserflöhe. In der Regel besteht der Unterschied der beiden Generationsfolgen bei diesen Crustaceen darin, dass die eine Art von Generationen aus einem dotter - armen Ei, dem Sommerei sich entwickelt, die andere aus einem sehr dotterreichen Ei, dem Winterei. Aus beiden Eiarten ent - wickelt sich ein genau gleiches weibliches Thier (Fig. 8) — von der Complication durch das periodische Auftreten von Männchen sehe ich jetzt ab. Die Sommereier werden vom Blute der Mutter aus ernährt, die Wintereier nicht; die Dottermenge der Letzteren bedingt eine andere Art der Embryogenese, und diese
Nauplius-Larve von Leptodora hyalina (nach Sars aus Korschelt und Heider’s Lehrbuch der vergleichenden Entwickelungsgeschichte).
setzt nicht nur eine andere Anordnung der Determinanten im Keimplasma voraus gegenüber der des Neben-Keimplasma, son - dern auch verschiedene Determinanten für einen Theil der Embryonalstadien. Noch klarer aber wird die Sache,233 wenn wir eine bestimmte Daphnidenart ins Auge fassen, die Leptodora hyalina, bei welcher die Embryogenese der Winter - eier nur bis zur Bildung der uralten Larvenform der Crustaceen mit nur drei Beinpaaren, dem Nauplius, führt (Fig. 9), während die Sommereier gleich das fertige Thier mit allen Gliedmaassen zur Entwickelung bringen. Allerdings werden die Stadien vom Nauplius zum reifen Thier auch im Sommerei durchlaufen, aber in abgekürzter Form. Das Nauplius-Stadium des Sommereies hat zwar die drei Beinpaare, aber nur in rudimentärer Form, un - brauchbar zum Leben im Wasser. Es müssen also zwei Keim - plasmen-Arten bei Leptodora bestehen, von denen die eine noch alle Determinanten des Nauplius enthält, die andere nur noch einen Theil derselben, und auch diesen wahrscheinlich verändert. Diese beiden Arten von Keimplasmen müssen ge - trennt von einander auf den Keimbahnen von einer Generation der andern überliefert werden, so dass also in jedem Keim - plasma immer zugleich das andere in inaktivem Zustand ent - halten, gewissermassen demselben beigepackt ist. Es scheint mir unmöglich, die Thatsachen anders zu erklären, da es un - denkbar ist, dass ein bereits reducirtes, an Determinanten ärmeres Sommerei-Keimplasma die verlorenen Determinanten je - mals wieder aus sich heraus sollte erzeugen können.
Die phyletische Entstehung solcher zweierlei Keim - plasma-Arten müsste sehr räthselvoll erscheinen, wenn wir ge - zwungen wären, die Keimplasma-Einheit als nur einmal vor - handen im Kern der Keimzelle anzunehmen. Wir haben in - dessen von vornherein die entgegengesetzte Annahme gemacht, und es wird sich später noch zeigen, dass die geschlechtliche Fortpflanzung, die Amphimixis, zu einer sicheren Begründung der Vorstellung leitet, dass in dem Keimplasma aller auf ge - schlechtlichem Wege sich fortpflanzenden Arten stets mehrere, wahrscheinlich sogar viele Keimplasma-Einheiten oder Ide ent -234 halten sein müssen. Wenn nun in der Sommergeneration von Leptodora eine Reduction der Nauplius-Determinanten nützlich war, so wird sie im Laufe der Generationen durch Selection derart eingetreten, gesteigert und fixirt worden sein, dass die abgekürzte Embryogenese dabei herauskommen musste. Sie wird aber nur allmälig sich gesteigert haben, und zwar derart, dass zuerst nur bei einigen Individuen die Sommereier zahl - reichere reducirte, als nicht reducirte Ide enthielten, und wenn nun die alte, nicht abgekürzte Embryogenese für die Winter - generation vortheilhafter war, werden niemals sämmtliche Ide die Nauplius-Determinanten verloren oder abgeändert haben, sondern immer nur ein Theil von ihnen, und es muss aus dem Kampf der abgeänderten Ide, welche im Sommer vortheilhafter waren und der unveränderten, welche im Winter vortheilhafter waren, schliesslich ein Gleichgewicht der beiden Id-Arten her - vorgegangen sein, darin bestehend, dass ebensoviel abgeänderte als nicht abgeänderte Ide das Keimplasma der Art zusammen - setzten, und dass dieselben in ihrer Herrschaft über das Ei mit - einander abwechselten, so zwar, dass jede von ihnen eine bestimmte Generationszahl hindurch inaktiv und gebunden bleibt, eine andere Generationszahl hindurch aber aktiv wird. Diese Normirung der beiden Keimplasma-Arten auf bestimmte Aktivi - täts - und Inaktivitätsperioden lässt sich direkt beobachten, inso - fern man feststellen kann, wie viele Generationen mit Sommer - eier-Production sich folgen, ehe wieder eine mit Wintereier - Production auftritt, und ich habe vor geraumer Zeit schon nachgewiesen1)Siehe meine „ Beiträge zur Naturgeschichte der Daphnoiden “in der Zeitschrift für wiss. Zool., u. separat Leipzig 1876 — 1879., dass diese Normirung bei verschiedenen Daph - niden-Arten eine sehr verschiedene ist, und dass sie in genauer Beziehung zur Lebensweise der Art steht. Bei solchen Arten, die in ganz kleinen und rasch austrocknenden Wasser-Ansamm -235 lungen (Pfützen) leben, wechseln die beiden Arten der Eibildung sehr rasch miteinander ab, weil nur die Wintereier mit ihren dicken Schalen das Aussterben der Kolonie verhindern, falls die Pfütze plötzlich austrocknet, während alle Arten, welche in grossen Wasseransammlungen leben, in Teichen und Seen, die niemals austrocknen, eine grosse Zahl von Generationen hindurch nur Sommereier hervorbringen und erst bei Herannahen des Winters zur Erzeugung der anderen Eiart übergehen, welche auch nach dem Absterben der Kolonie den Bestand derselben durch Überwintern sicher stellen.
In ähnlicher Weise wird man es sich vorzustellen haben, wenn die Endstadien der Ontogenese sich verändern.
Bei den Blattläusen der Gattung Aphis kommen aus dem befruchteten Ei weibliche, aber zur Begattung unfähige Thiere, da ihnen das zur Befruchtung der Eier unentbehrliche Receptaculum seminis fehlt. Dafür besitzen sie die Fähigkeit, ihre Eier schon im Ovarium auf parthenogenetischem Wege zur Entwickelung zu bringen. Aus ihren Jungen gehen ähn - liche Weibchen ohne Begattungs-Vorrichtung hervor, die wieder ihres Gleichen hervorbringen, zuletzt aber bringt eines dieser durch Parthenogenese entstandenen Weibchen auch wieder durch Parthenogenese zugleich begattungsfähige Weibchen hervor und Männchen, die sich beide meist schon durch Körperform und Farbe, immer aber durch den Bau der Fortpflanzungsorgane und Geschlechtsprodukte von den vorhergehenden Generationen unterscheiden. Die Embryogenese aber dieser Geschlechtsthiere ist dieselbe, wie bei jenen.
Hier sind die Determinanten des reifen Thieres in den parthenogenetischen Generationen verändert worden, denn die geschlechtliche Fortpflanzung ist die ursprünglichere. Nehmen wir also einmal an, die Geschlechtsgeneration sei sich ganz gleich geblieben seit der Einführung des Generationswechsels236 bei den Blattläusen — was wohl nicht genau zutrifft —, so hätte man sich die phyletische Veränderung des Keimplasma’s so vorzustellen, dass in der einen Hälfte der Ide die Determi - nanten der Samentasche sich rückgebildet hätten, während andere Determinanten, z. B. diejenigen der Hautfärbung u. s. w. ab - geändert hätten. Beide Id-Arten, die abgeänderten und die nicht abgeänderten müssen in demselben Keimplasma bei einander liegen, aber alternirend das Ei beherrschen, also niemals gleich - zeitig aktiv werden.
In diesem Falle der Blattläuse ist die Abänderung des ge - sammten Körperbaues, den die eingeschobenen Generationen erlitten haben, nur gering. Es giebt aber zahlreiche Fälle von Generationswechsel, bei welchen die Abweichungen des Baues der beiden Generationen sehr bedeutende sind, nicht selten so bedeutend, dass man eine gänzlich verschiedene Thiergruppe vor sich zu haben glaubt, je nachdem man die eine oder die andere ins Auge fasst.
So verhält es sich beim Generationswechsel der Me - dusen. Hier war der Polyp die ursprüngliche Form, und bei den meisten Medusen-Arten entwickelt sich auch heute noch aus dem befruchteten Ei der Meduse ein Polyp. Von diesem aber, oder doch von seinen durch Knospung erzeugten gleich - artigen Nachkommen entstehen dann ebenfalls durch Knospung wieder Medusen (Fig. 10). Wenn wir von den geringen Unter - schieden des Ei-Keimplasma’s und des Knospen-Keimplasma’s der Einfachheit halber absehen, so spielen hier im Entwickelungs - cyklus der Art zwei Keimplasmen mit, die in sehr vielen, ja fast allen ihren Determinanten verschieden sein müssen, ja auch in der Zahl der Determinanten, denn die Meduse ist mit einer Menge von Theilen und Organen ausgerüstet, die der einfachere Polyp nicht besitzt. Wir werden also hier zweierlei ganz ver - schiedene Ide anzunehmen haben, welche in gleicher Anzahl237 das Keimplasma zusammensetzen, und deren Aktivitäts-Perioden miteinander abwechseln. Die Ide des später entstandenen Neben - Keimplasma’s müssen grösser sein, weil sie zahlreichere Determi - nanten enthalten, als die Ide des Stamm-Keimplasma’s. Es scheint nicht unmöglich, dass wir dereinst im Stande sein werden,
Bougainvillea ramosa nach Allman; Polypenstöckchen mit h Nähr - polypen und mk Medusenknospen; m losgelöste junge Meduse (Margelis ramosa) aus A. Lang’s Lehrbuch der vergleich. Anatomie.
diese Grössenunterschiede direkt mit dem Mikroskop nachzu - weisen, wenn wir erst Sicherheit darüber haben werden, ob in der That jene als Mikrosomen bezeichneten Körner der rosen - kranzartig zusammengesetzten Kernstäbchen die Ide sind. Auch die Gesammtzahl der Kernstäbchen oder Idanten wird möglicher - weise eine Bestätigung der Theorie bringen können, insofern es238 wahrscheinlich ist, dass bei Arten mit Generationswechsel die Ide, und also wohl auch die Idanten sich während der Ent - stehung desselben verdoppelt haben. Denn wenn meine Ansicht richtig ist, nach welcher eine bestimmte Masse von Keimplasma erforderlich ist, um die normale Entwickelung einer bestimmten Eiart hervorzurufen, so wird eine Verdoppelung Hand in Hand gegangen sein müssen mit dem periodischen Inaktivwerden der Hälfte der Ide.
Etwas anders, und zwar verwickelter, gestaltet sich die Idioplasma-Mechanik des Generationswechsels, sobald die zweite Generation nicht von einer einzigen Zelle aus entsteht, sondern von mehreren zugleich aus, die verschiedenen Schichten des Körpers entstammen. Dahin gehört die Strobilation der höheren Medusen und die der Bandwürmer; die Knospung der Salpen bildet dazu den Übergang.
Bei diesen Letzteren folgen sich zwei nach Körperform und Vermehrungsweise verschiedene Generationen; die erste der - selben, die sog. Kettenform, pflanzt sich auf geschlechtlichem Wege fort, die zweite, die der Einzel-Salpen, durch Knospung. Bei Besprechung der Knospung wurde schon darauf hingewiesen, dass diese Knospung durch ein Zusammenwirken von Ektoderm - und Mesodermzellen zu Stande kommt. Wir werden uns also vorzustellen haben, dass das Keimplasma der Ei - und Samen - zellen auch hier aus zweierlei Iden zusammengesetzt ist, welche alternirend aktiv werden, und von welchen die einen die De - terminanten für die Knospung, die andern diejenigen für die Embryogenese enthalten. Während aber bei den Hydroid - Polypen und - Medusen die Determinanten der Knospungs-Ide in einer Zelle beisammen bleiben, müssen sie sich hier schon während der Embryogenese der Einzel-Salpe in Gruppen zer - legen, welche theils Ektoderm -, theils Mesoderm - und Entoderm - zellen als inaktives und gebundenes Neben-Idioplasma beigegeben239 werden. Sie werden erst aktiv und veranlassen Knospung, wenn sie an einem bestimmten Ort, nämlich im Keimstock, dem Stolo prolifer, angelangt sind.
Von hier aus zur Entstehung der höheren Medusen oder Acalephen durch sog. Strobilation ist nicht mehr weit. Auch bei dieser (Fig. 11) entstehen die Geschlechtsthiere des Gene - rationswechsels durch ungeschlechtliche Vermehrung, und zwar durch Theilung eines Polypen in scheibenförmige, wie ein Satz Teller aufeinander liegende Stücke, von denen jedes sich in eine Meduse verwandelt. Wäre es eine Meduse, die sich in die Stücke zertheilte, so hätten wir einfache Regeneration; der Vorgang der Differenzirung einer solchen Strobila-Scheibe zur Meduse beruht auf genau derselben Idioplasma-Mechanik, die der Re -
Entwickelung von Medusen durch Strobilation. 1 die aus dem Ei entstandene Larve; 2 — 5 ihre Ausbildung zum Polypen; 7 ein solcher Polyp vom Mundpol gesehen; 6, 8 und 9 Quertheilung des Polypen in scheibenförmige Stücke; 10 Loslösung dieser Stücke als junge Medusen; 11 und 12 eine junge Meduse. (Aus Hatschek’s Lehrbuch der Zoologie.)
240 generation eines Wurmes zu Grunde liegt, dem man den Kopf abgeschnitten hat, oder der sich spontan theilt. Auch hier müssen den verschiedenen Zellen des Polypenleibes verschiedene Determinantengruppen der Meduse als inaktives Neben-Idioplasma beigegeben sein, welche bei der Strobilation aktiv werden und die höchst complicirte, acht - oder mehrstrahlig gebaute, mit Augen, Gehörorganen und Riechgrübchen ausgerüstete Meduse hervorrufen. Der Unterschied von der einfachen Theilung mit Regeneration liegt nur darin, dass bei ihr die Ersatz-Determi - nanten der Körperzellen dieselben sind, wie diejenigen waren, welche diesen Körper aufbauten. Bei der Strobilation muss das Keimplasma der Ei - und Samenzellen, welche die Geschlechts - generation, die Meduse, hervorbringt, zweierlei, nicht blos einerlei Ide enthalten, Polypen - und Medusen-Ide; die Letzteren bleiben bei der Ontogenese des Polypen zwar inaktiv und nehmen keinen Theil an der Beherrschung der Zellen, aber sie sind nicht ab - solut gebunden, sondern zerlegen sich während der Ontogenese in viele verschiedene Determinantengruppen und vertheilen sich zugleich auf verschiedene Zellen in regelmässiger und völlig gesetzmässiger Weise. Es ist sehr wahrscheinlich, dass alle Zellen des Polypen, sowohl die des Entoderms, als des Ektoderms mit Neben-Determinanten ausgerüstet sind, so dass jede Polypen - zelle zugleich die Anlage für irgend einen Theil der Meduse enthält; doch haben wir darüber keine Gewissheit, da noch keine Untersuchungen über die Zellfolgen, welche vom Polypen zur Meduse führen, angestellt worden sind.
Die idioplasmatische Grundlage des Generations - wechsels muss also in allen Fällen ein Keimplasma mit mindestens zweierlei verschieden gebauten Iden sein, von denen abwechselnd die eine und die andere Art die Beherrschung des sich entwickelnden Wesens über - nimmt.
Wenn die Vererbung auf der Anwesenheit einer Substanz beruht, dem Keimplasma, und wenn dieses das neue Individuum dadurch ins Leben ruft, dass es den Theilungsprocess der Onto - genese leitet, indem es sich in gesetzmässiger Weise verändert, so fragt es sich, wieso es sich dann doch wieder in den Keimzellen des neuen Individuums einstellen kann. Die Ver - erbung der Eigenschaften des Elters auf das Kind kann nur darauf beruhen, dass die Keimzelle, aus welcher das Kind ent - steht, genau die gleichen Ide von Keimplasma enthalten kann, welche in der Keimzelle enthalten waren, aus welcher der Elter sich entwickelte; nun erleidet aber das Keimplasma zahllose Veränderungen während der Entwickelung des Eies zum Elter, wie ist es also möglich, dass dennoch dieselbe Substanz wieder in den Keimzellen des Elters enthalten sein kann?
Es liegen offenbar nur zwei Möglichkeiten vor, entweder sind die Veränderungen, welche das Keimplasma während des Aufbaues des Körpers erleidet, von solcher Art, dass sie wieder rückgängig gemacht werden können, entweder kann also das Idioplasma aller oder wenigstens eines Theiles der Körperzellen wieder in Keimplasma zurückverwandelt werden, von dem es ja indirekt herstammt, oder, falls dies nicht möglich ist, das Keimplasma der Keimzellen des Kindes muss sich direkt von demjenigen der elterlichen Keimzelle herleiten. Die letztere An - sicht ist diejenige, welche ich schon vor mehreren Jahren auf - gestellt und als die Hypothese von der Continuität des Keimplasma’s bezeichnet habe. 1)Weismann, „ Die Continuität des Keimplasma’s als Grundlage einer Theorie der Vererbung “. Jena 1885.Eine dritte MöglichkeitWeismann, Das Keimplasma. 16242giebt es nicht, da eine völlige Neubildung des Keimplasma’s ausgeschlossen ist.
Die Hypothese beruht auf der Anschauung eines Gegen - satzes von Körperzellen und Fortpflanzungszellen, wie wir ihn thatsächlich bei allen Thier - und Pflanzenarten beobachten, von den höchst differenzirten bis herab zu den niedersten Heter - plastiden unter den koloniebildenden Algen.
Ich nehme an, dass Keimzellen sich nur da im Körper bilden können, wo Keimplasma vorhanden ist, und dass dieses Keimplasma unverändert und direkt von jenem abstammt, wel - ches in der elterlichen Keimzelle enthalten war. Es muss also, nach meiner Auffassung, bei jeder Ontogenese ein Theil des im Eikern enthaltenen Keimplasma’s unverändert bleiben, und als solcher bestimmten Zellfolgen des sich entwickelnden Körpers beigegeben werden. Das beigegebene Keimplasma befindet sich im inaktiven Zustand, so dass es das aktive Idioplasma der Zelle nicht hindert, ihr einen mehr oder minder specifischen Charakter aufzudrücken. Dasselbe muss sich aber auch ferner noch dadurch von dem gewöhnlichen Zustand des Idioplasma’s unterscheiden, dass es seine Determinanten fest zusammenhält und sie bei den Zelltheilungen nicht in Gruppen in die Tochter - zellen vertheilt. Dieses Neben-Keimplasma wird also in ge - bundenem Zustande durch mehr oder minder lange Zellfolgen hindurch weitergegeben, bis es schliesslich zuerst seine Inakti - vität in irgend einer von der Eizelle mehr oder weniger weit entfernten Zellengruppe aufgiebt und nun der betreffenden Zelle den Stempel der Keimzelle aufdrückt. Diese Versendung des Keimplasma’s von der Eizelle bis zu der Keimstätte der Fort - pflanzungszellen hin geschieht in gesetzmässiger Weise und durch ganz bestimmte Zellfolgen hindurch, welche von mir als Keimbahnen bezeichnet wurden. Sie sind nicht äusserlich kenntlich, lassen sich aber von ihren Endpunkten, den Keim -243 zellen aus rückwärts bis zur Eizelle zurück erschliessen, voraus - gesetzt, dass der Zellen-Stammbaum der Embryogenese be - kannt ist.
Gestützt wurde diese Annahme zunächst auf die Thatsache, dass zuweilen, wenn freilich auch nur in seltenen Fällen ein direkter oder doch sehr naher Zusammenhang der Keimzellen zweier aufeinander folgender Generationen nachweisbar ist. Bei den Zweiflüglern unter den Insekten trennt die erste Theilung der in Embryogenese eintretenden Eizelle das Kernmaterial der späteren Keimzellen des Embryo von dem Kernmaterial der somatischen Zellen, hier also stammt wirklich das Keim - plasma der kindlichen Keimzellen direkt von dem der elterlichen Keimzelle.
Wenn man nun auch diesen Fall gewiss nicht als einen primären, aus uralter Zeit unverändert auf uns gekommenen betrachten darf, vielmehr als eine erst mit dieser Insekten - ordnung getroffene Einrichtung, so beweist er doch, dass eine solche direkte Abstammung jeder Keimzell-Generationen von der vorhergehenden möglich ist, und dass das Keimplasma, welches dadurch dem Aufbau des somatischen Theils des Em - bryo’s entzogen wird, von diesem nicht benöthigt wird.
An diesen Fall schliesst sich dann die Embryogenese der Daphniden, bei welchen die Ur-Keimzellen schon während der ersten Furchungsstadien des Eies sich sondern (Fig. 14), ferner die Embryogenese von Sagitta, bei welcher dies erst im Stadium der Gastrula vor sich geht (Fig. 13). Viel später geschieht es bei den Wirbelthieren, aber doch auch noch innerhalb der ersten Hälfte der Embryogenese, während bei den Hydroiden, und zwar sowohl den stockbildenden als den solitären die Keimzellen am spätesten auftreten, nämlich noch gar nicht in der aus dem Ei kommenden Person, sondern erst in den Personen einer viel späteren, durch fortgesetzte Knospung16*244aus jener ersten hervorgegangenen Generation. Ebenso verhält es sich bei den höheren Pflanzen, insofern auch bei ihnen der erste aus dem Samen kommende Spross niemals schon Keim - zellen enthält oder solche Zellen, die später sich zu solchen differenziren. In allen diesen zuletzt genannten Fällen sind die späteren Keimzellen in der durch Embryogene entstandenen ersten Person noch nicht als besondere Zellen vorhanden, sie bilden sich vielmehr erst aus den entfernten Nachkommen be - stimmter, diese erste Person zusammensetzender Zellen. Diese Vorfahren der Keimzellen lassen sich aber als solche nicht er - kennen, sondern sind somatische Zellen, d. h. betheiligen sich am Aufbau des Körpers in derselben Weise, wie zahlreiche andere somatische Zellen und können in verschiedenem Grade histologisch differenzirt sein.
Somit lässt sich also eine Reihe von Organismen-Arten herstellen, deren Keimzellenbildung in sehr verschiedener Ent - fernung von der Eizelle beginnt und welche die Deutung ge - stattet, dass sich die befruchtete Eizelle der ersten Metazoen zunächst in zwei Zellen getheilt habe, in die Zelle für den Aufbau des Körpers (Soma) und in die für die Herstellung der Keimzellen, dass aber später eine Verschiebung in der Trennung des idioplasmatischen Materials für beide Theile eingetreten sei, derart, dass die unverändert bleibende Portion des Keimplasma’s in inaktivem Zustande einer der somatischen Theilhälften der Eizelle als Neben-Idioplasma beigegeben, und von dieser wieder einer der Somazellen zweiter, dritter, vierter Generation über - liefert worden sei, bis schliesslich z. B. bei den Hydroiden die Verschiebung der Keimzellen-Sonderung den höchsten Grad er - reichte und das unveränderte Keimplasma der befruchteten Ei - zelle erst nach Durchlaufung einer langen Reihe von somatischen Zellen zur Bildung von Keimzellen führte.
Ein wirklicher Beweis für die Richtigkeit dieser Deutung245 liegt zunächst in diesen Thatsachen noch nicht; es könnte ja auch die Reihe in umgekehrter Richtung sich entwickelt haben, der primäre Zustand könnte der der späten Differenzirung der Keimzellen gewesen sein, und aus diesem erst in einzelnen Fällen sich eine frühere bis ganz frühe Differenzirung derselben heraus - gebildet haben. Man kann sogar kaum daran zweifeln, dass die frühe Differenzirung bei den Dipteren und Daphniden sekundärer Natur ist; auch wird sogleich zu zeigen sein, dass bei den Hydroiden Verschiebungen der Bildungsstätte der Keim - zellen im Sinne ihrer früheren Differenzirung geradezu nach - weisbar sind. Aber die angeführten Thatsachen befürworten doch insofern die ihnen gegebene Deutung, als sie zeigen, dass die Keimzellen sich keineswegs stets erst zu der Zeit und an der Stelle bilden, an und zu welcher sie verwendet werden sollen; dass ihre Bildungszeit thatsächlich eine sehr verschiedene ist, und dass somit eine Verschiebung derselben im Laufe der Phylogenese stattgefunden haben muss. In welcher Richtung dieselbe ursprünglich stattgefunden hat, ob vom Ei aus gegen das Ende der Ontogenese hin, oder umgekehrt, darüber müssen weitere Thatsachen die Entscheidung geben.
Hier liesse sich zunächst die Thatsache geltend machen, dass bei keinem noch so niederen Thier die Zerstörung der Geschlechtsdrüsen die Bildung von Geschlechtszellen an irgend einer andern Stelle des Körpers zur Folge hat. Wenn sich Keimzellen aus beliebigen jungen Zellen bilden könnten, so sollte man erwarten, dass Castration diese Folge hätte. Nichts von dem geschieht, vielmehr verhält es sich ganz so wie mit irgend einem jener hoch specialisirten Organe, wie die Leber, die Nieren, die Centraltheile des Nervensystems bei den Wirbelthieren, die einmal entfernt sich nie wieder ersetzen. Wir werden dies nach unserer heutigen Auffassung so erklären, dass ihre Wiederbildung unmöglich ist, weil die für ihre Ent -246 stehung erforderlichen Determinanten in keinen andern Zellen des Körpers vorhanden sind. Derselbe Schluss wird — so scheint mir — auch für den Fall der Keimzellen unvermeidlich sein; es muss an dem für die Bildung von Keimzellen nöthigen Idioplasma, dem Keimplasma fehlen, und dasselbe muss mindestens in diesen Fällen sich aus somatischem Idio - plasma nicht herstellen lassen.
Vielleicht noch zwingender sprechen die Thatsachen bei den Hydroiden1)Weismann, „ Die Entstehung der Sexualzellen bei den Hydro - medusen “. 40 mit Atlas von 25 Tafeln. Jena 1883., weil es sich hier nicht um den Ver - such einer künstlichen, sondern um eine thatsächlich statt - findende natürliche Verlegung der Keimstätte handelt. Wie schon gesagt, entstehen die Keimzellen der Hydroiden erst sehr spät, erst in einer Entfernung von Hunderten, ja von Tausenden von Zellgenerationen von der befruchteten Eizelle ab gerechnet. Bei den Arten mit ausgebildetem Generations - wechsel bilden sie sich erst in den von einem Polypenstöckchen hervorknospenden Medusen und zwar an einer ganz bestimmten Stelle, bei den meisten im Ektoderm des von der Glocke herabhängenden „ Magenstiels “(vergl. Fig. 10). Bei der jungen Medusenknospe ist noch keine Spur von ihnen zu sehen, ja oft differenziren sie sich von den übrigen Zellen des Ektoderm’s überhaupt erst, nachdem die Meduse sich schon vom Polypen - stock losgelöst und zum selbstständigen, freischwimmenden Thier entwickelt hat. Alsdann wandelt sich ein Theil der Ektoderm - zellen der bezeichneten Stelle in Eizellen oder Spermazellen um.
Es giebt nun Polypen-Arten, welche zwar in früheren Zeiten der Art-Entwickelung Medusen als Geschlechtsthiere her - vorbrachten, bei welchen aber heute diese Medusen sich nicht mehr loslösen, sondern am Stock sitzen bleiben und somit nicht mehr der Verbreitung der Geschlechtsprodukte, sondern nur247 deren Erzeugung und Reifung vorstehen. Diese Arten zeigen uns eine Reihe verschiedener Stadien eines Rückbildungsprocesses der Medusen zu blossen sogenannten Gonophoren oder Ge - schlechtssäcken. Bei gewissen Arten haben die Geschlechts -
Schema zur Rückbildung der Meduse zum blossen Geschlechtssack. A. Medusenknospe. B. Meduse kurz vor ihrer Ablösung. C. Rück - gebildete Meduse, an welcher Glocke und Magenstiel noch vorhanden sind, dagegen Mund und Tentakel fehlen. D. und E. Noch weiter fort - geschrittene Rückbildung. (Aus Hatschek’s Lehrbuch der Zoologie).
personen des Stockes noch ganz die Gestalt von Medusen und entbehren nur der Augen und Randfühlfäden, bei andern ist die Glocke zu einem geschlossenen Sack rückgebildet, dessen248 Wand aber noch immer die Radiärkanäle und den Ringkanal der Medusenglocke enthalten, bei noch andern sind auch diese Kanäle geschwunden und nur die drei charakteristischen Schichten der Medusenglocke sind geblieben, wenn auch so dünn geworden, dass sie nur noch auf mikroskopischen Schnitten nachweisbar sind. Zum Schluss des ganzen Processes bildet sich auch diese dreifache Wandung des Sackes zurück, wird einfach und ge - stattet dann nur noch auf Umwegen ihre Herleitung von einer Medusenglocke. In allen diesen Stadien des Rückbildungs - processes aber dienen diese Gonophoren stets zur Reifung der Eier oder des Samens.
Was uns nun hier interessirt, ist das Verhalten der Keim - zellen im Verlauf dieser Rückbildungsprocesse. Die ganze Rück - bildung der Medusen geht nämlich von den Keimzellen aus und zwar dadurch, dass dieselben immer früher gebildet und immer rascher zur Reife gebracht werden sollten.
Es ist nicht nöthig, auf die Motive zu dieser Beschleuni - gung der Geschlechtsreife einzutreten; es genügt zu wissen, dass schon bei einigen Arten mit sich loslösenden Medusen, wie bei Podocoryne carnea, die Eizellen früher entstehen, als die Me - dusenknospe, in welcher sie später zur Reife gelangen, und dass in dem Maasse, als die Rückbildung der Medusen zu blossen Keimsäcken vorschreitet, die Ursprungsstätte der Keimzellen (die „ Keimstätte “) weiter und weiter zurückrückt in immer ältere, d. h. früher gebildete Theile des Stockes hinein. Der Vortheil liegt darin, dass die Keimzellen früher heranwachsen und in reiferem Zustand später, wenn die Keimsäcke hervorknospen, in diese einrücken und um so rascher zur vollen Reife gelangen.
Das Bemerkenswerthe dabei ist nun dieses, dass hier aktive Wanderungen der Keimzellen eine Rolle spielen, dass dieselben in der äusseren der beiden Körperschichten, dem Ektoderm, ent - stehen, dann ins Entoderm wandern, um später wieder zurück249 ins Ektoderm überzutreten, und dass diese merkwürdigen Wan - derungen in bestimmt vorgeschriebener, gesetzmässiger Weise geschehen. Die Keimzellen bilden sich nach wie vor, trotz des Zurückrückens ihrer Keimstätte in früher auftretende Personen des Stockes dennoch stets aus derselben Zellenlage, aus welcher sie bei den phyletischen Vorfahren entstanden sind. Man könnte sagen: sie entstehen jetzt aus den ontogenetischen Vorfahren der Zellen, aus welchen sie entstanden sein würden, brächte der Polypenstock noch immer freie Medusen hervor, oder auch: sie entstehen heute weiter unten auf der Keimbahn, als früher. So werden z. B. bei Hydractinia echinata die jüngsten Eizellen zuerst im Entoderm gewisser Polypen sichtbar, von welchen später in derselben Region Gonophoren (rückgebildete Medusen) hervorknospen. In diese wandern dann die Eizellen ein, um nun, sobald die Knospe ein Manubrium gebildet hat, in das Ektoderm desselben einzurücken, also zurückzukehren an die alte Reifungsstätte, welche in früheren Zeiten auch ihre Keimstätte war. Nun entstehen aber jetzt die Eizellen nur scheinbar in einer andern Körperschicht des Po - lypen, im Entoderm; es lässt sich vielmehr nachweisen, dass sie aus dem Ektoderm stammen, aber in sehr jugendlichem Zustande, ehe sie noch den ausgeprägten Charakter der Eizelle erkennen lassen, ins Entoderm einwandern. Sie stammen also von der - selben Stelle, von welcher aus die Ektodermschicht des Manu - briums der Meduse in früherer phyletischer Periode sich ent - wickelte, oder mit andern Worten: es ist dieselbe onto - genetische Zellenfolge, welche heute und welche früher die Eizellen lieferte. Diese Thatsache lässt nun wohl kaum eine andere Deutung zu, als die, dass es eben nur bestimmte Zellenfolgen sind, welche die Anlage zu Keimzellen in sich tragen, und dass da, wo es im Laufe der Phylogenese nützlich wurde, die Keimzellen an eine andere Stelle und in250 eine andere Schicht der Körperwand zu lagern, dies nur da - durch geschehen konnte, dass die Zellen der Keimbahn früher schon die Umwandlung zu Keimzellen eingingen und zugleich sich durch Wanderung in die andere Schicht der Körperwand begaben. Könnten auch andere, ich will nicht einmal sagen „ beliebige “Zellen zu Keimzellen werden, so wäre dieser um - ständliche Modus procedendi in keiner Weise zu verstehen, da die Natur immer den kürzesten Weg einschlägt, der mög - lich ist.
Wenn dieser Gedankengang richtig ist, so lässt sich die Annahme von Keimbahnen — wie ich sie früher schon ge - macht habe — nicht vermeiden, und der Umstand, dass nur in diesen Bahnen liegende Zellen die Fähigkeit besitzen können, Keimzellen zu werden, wird sich kaum anders auslegen lassen, als durch die Annahme, dass nur diese Zellen Keimplasma bei - gemischt enthalten. Könnte Keimplasma aus dem Idioplasma gewöhnlicher somatischer Zellen entstehen, so liesse sich nicht absehen, warum bei den Hydroiden nicht im Nothfall Keim - zellen auch durch Umwandlung junger Entodermzellen entstehen könnten. Dies geschieht jedoch niemals. Wollte man aber annehmen, die Entodermzellen besässen als solche ein Idioplasma, welches die Umwandlung zu Keimplasma nicht erlaubte, während die Natur der Ektodermzellen dies erlaubte, so käme man in Widerspruch mit anderen Thatsachen, denn bei den höheren Medusen und den ihnen nahestehenden höheren Polypen ent - stehen die Keimzellen, soviel wir wissen, ausschliesslich aus Entodermzellen. Hier liegen also die Keimbahnen im Entoderm, d. h. Keimplasma wird hier nur in gewissen Zellfolgen des Entoderm’s versandt, und das vom Ei her für die Keimzellen - bildung reservirte Material gebundenen Keimplasma’s wird bei dem Furchungsprocess des Eies allein von der Ur-Entodermzelle übernommen und von da weitergegeben. Bei den Wirbelthieren251 differenziren sich die Keimzellen aus gewissen Zellgruppen des Mesoderms, und nirgends anders im Körper kommt jemals die Bildung von Keimzellen vor. Hier geht also die Keimbahn von der befruchteten Eizelle in jene Furchungszellen, aus welchen die Stammzellen der mesodermatischen Zellenmasse sich bildet, und verfolgt darin einen eng begrenzten Weg.
Sprechen alle diese Thatsachen dafür, dass somatisches Idioplasma niemals in Keimplasma umgewandelt wird, so bildet dieses Ergebniss zugleich die Grundlage der hier vorgetragenen Theorie von der Zusammensetzung des Keimplasma’s. Es liegt auf der Hand, dass die Zusammensetzung desselben aus Determi - nanten, die sich im Laufe der Ontogenese in immer kleinere Gruppen zerspalten, unvereinbar ist mit der Vorstellung einer Rückverwandlung somatischen Idioplasma’s in Keimplasma. Wenn jede Zelle des Körpers nur eine Determinante enthält, wie wir angenommen haben, so könnte das aus Hunderttausenden solcher Determinanten aufgebaute Keimplasma nur auf dem Wege aus somatischem Idioplasma hergestellt werden, wenn Zellen sämmt - licher Arten von Determinanten, welche im Körper vorkommen, zu einer Zelle verschmölzen und ihr Idioplasma zu einem Kern vereinigten. Auch das würde, genau genommen, noch lange nicht genügen, weil damit die Architektur des Keimplasma’s noch lange nicht hergestellt wäre; blos das Material dazu wäre gegeben, aber offenbar kann ein so complicirtes Gebäude nur auf dem historischen Wege errichtet werden.
Es ist also eine Forderung der hier entwickelten Theorie des Keimplasma’s, dass sich dasselbe nicht wieder aus somatischem Idioplasma hervorbilden kann. Uberall, wo dies zu geschehen scheint, muss es darauf beruhen, dass unsichtbare oder doch unerkennbare Mengen gebundenen Keimplasma’s in den be - treffenden Körperzellen enthalten waren.
Unsichtbar brauchen diese Mengen nicht zu sein, da sie252 nicht kleiner sein können, als ein Id, und sobald einmal darüber Sicherheit gewonnen sein wird, ob meine Annahme richtig ist, dass die Mikrosomen der Kernstäbchen den Iden entsprechen, wird man hoffen dürfen, auch ihre Zahl bei einzelnen Arten festzustellen. Sobald aber diese erst bekannt ist, eröffnet sich ein weites Feld für neue Untersuchungen, denn nun bietet sich die Möglichkeit, durch direkte Beobachtung darüber zu ent - scheiden, ob die Zellfolgen der Keimbahn etwa eine geringere oder grössere Zahl von Iden mit sich führen, als die befruchtete Eizelle enthielt, wie sich die Id-Ziffer der somatischen zu der der Keimzellen und der der Keimbahn verhält, und man darf hoffen, dass hier Thatsachen zu Tage kommen werden, die der theoretischen Verwerthung fähig sind.
Schon jetzt liegen derartige Beobachtungen vor, welche sich im Sinne einer Continuität des Keimplasma’s deuten lassen. Boveri1)Theodor Boveri im Anatom. Anzeiger, II. Jahrgang Nr. 22, 1887, und in „ Zellen-Studien “, Heft 3, p. 79. Jena 1890. beobachtete, dass bei dem sich furchenden Ei des Pferdespulwurmes, Ascaris megalocephala, die Differenzirung der somatischen Zellen von der Urgeschlechtszelle mit einer eigen - thümlichen Verschiedenheit in der Kernstructur einhergeht; die somatischen Zellen stossen einen grossen Theil ihres Chromatin’s aus dem Kern aus, und zwar derart, dass jeder Idant gleich - mässig einen Theil seiner Substanz verliert. Nähere Angaben und Abbildungen des Vorgangs fehlen noch, doch wird man, auch wenn diese vorliegen werden, zunächst mit einer ins Einzelne gehenden theoretischen Deutung der Beobachtungen noch zuwarten müssen, bis man über die Allgemeinheit des Vorgangs ein Urtheil haben kann. Beobachtungen an den in Furchung begriffenen Eiern eines Krusters, Cyclops, welche mein Assistent, Herr Dr. V. Häcker2)Valentin Häcker, „ Archiv f. mikr. Anat. “ Jahrgang 1892., anstellte, haben zwar253 auch ein verschiedenes Verhalten der somatischen Furchungs - zellen von demjenigen der Urgeschlechtszelle ergeben, aber doch in wesentlich anderer Weise, als bei Ascaris. Wenn erst der - artige Beobachtungen von mehreren verschiedenen Thiertypen vorliegen, wird man das Wesentliche des Vorgangs erkennen und eine Deutung wagen können.
Vom theoretischen Standpunkt aus wird man erwarten müssen, dass die Ide des Keimplasma’s im Kern der befruchteten Keimzelle oder auch schon vorher doppelt vorhanden seien, einmal in aktivem und zerlegbarem, und einmal in inaktivem und gebundenem Zustand. Die Ersteren haben die Ontogenese zu leiten, die Zweiten sollen passiv den Urgeschlechtszellen zu - geführt werden. Da indessen diese Letzteren sich zunächst wie somatische Zellen verhalten, d. h. sich gesetzmässig vermehren und in bestimmten Zellfolgen auf bestimmte Stellen des Körpers vertheilen, so werden sie nicht blos gebundenes Keimplasma enthalten können, sondern sie müssen ausserdem noch aktives Idioplasma besitzen. Sie werden also mehr Ide in ihrer Kern - substanz aufweisen, als die Somazellen. Soweit lassen sich die angeführten Beobachtungen an Ascaris in Einklang setzen mit der Theorie, weiter aber möchte heute noch nicht zu gehen sein.
Überblicken wir den Verlauf der Keimbahnen, wie er sich uns heute bei den Metazoen darstellt, und fassen wir dabei vor - läufig nur die geschlechtliche Fortpflanzung ins Auge, so er - scheint derselbe nicht nur verschieden lang, sondern auch ver - schieden gestaltet. Am kürzesten ist die Keimbahn bei den Dipteren, da hier bereits die erste Theilung der Eizelle die Ur - keimzelle abspaltet, so dass man hier von einer Theilung der Eizelle in eine Urkeimzelle und eine Urkörperzelle reden könnte. Länger schon wird sie bei den Daphniden, denn hier braucht254 es fünf successive Theilungen von der Eizelle ab gerechnet, ehe es zur Bildung der Urkeimzellen kommt (Fig. 14), noch länger ist sie bei den im Meer frei lebenden Würmern, den Sagitten (Fig. 13). Hier treten Urkeimzellen erst dann auf, wenn schon zehn oder mehr Theilungen abgelaufen sind, und sich der embryonale Zellenhaufen bereits zu einer Gastrula-Larve gestaltet hat. Bei anderen Würmern, z. B. Nematoden, sondern sich die Urkeimzellen von den somatischen Zellen in einer noch späteren bis jetzt noch nicht genau bestimmten Zellgeneration und bei den meisten oder allen höheren Metazoen geschieht dies erst nach Hunderten oder Tausenden von Zellgenerationen.
Drei frühe Entwickelungsstadien von Sagitta (nach O. Hertwig). A zeigt die Differenzirung zweier Zellen des inneren Keimblattes zu den Urkeimzellen g; B und C zeigt die Vermehrung und Verschiebung derselben. (Aus Lang’s Lehrbuch der vergleichenden Anatomie.)
Aber auch die Lage der Keimbahn ist verschieden. Bei den Dipteren liegt sie ganz ausserhalb der somatischen Zell - bahnen, die beiden Zellstammbäume spalten sich schon an der Wurzel, bei den Daphniden zieht sich die Keimbahn durch je eine Furchungszelle der vier ersten Zellgenerationen und spaltet sich dann von den somatischen Bahnen ab. Bei Sagitta geht die Keimbahn durch die Ur-Entodermzelle, und die Urkeim - zellen spalten sich vom Ur-Entoderm ab, ehe noch das defini - tive Entoderm (der Darm) sich daraus gebildet hat. Auch bei255 Rhabditis nigrovenosa läuft die Keimbahn durch drei Genera - tionen von Entodermzellen, um dann in die Ur-Mesodermzellen überzugehen und erst nach mehreren Generationen sich von zweien derselben abzuspalten. Bei den meisten Metazoen aber rückt die Bildung der Urkeimzellen in eine noch spätere Zeit, so dass also die Abspaltung des Keimzellen-Astes von den soma - tischen Ästen viel höher oben im Zellen-Stammbaum, oft erst von einem der jüngeren und dünneren Aussenzweige desselben erfolgt. Es ist auch nicht immer die Bahn des Entoderm’s von welcher die Urkeimzellen sich abspalten, sondern es kann
Drei Entwickelungsstadien des Sommereies von Moina (nach Grobben). A Ei im 32 zelligen Stadium vom vegetativen Pole aus gesehen, B Blastula - stadium in derselben Ansicht, C Gastrulastadium im Medianschnitt; g die Urkeimzellen. (Aus Korschelt und von Heider’s Lehrbuch der ver - gleichenden Entwickelungsgeschichte.)
ebensowohl die des Ektoderm’s sein. So differenziren sich bei den niederen Medusen mit direkter Entwickelung die Keimzellen in sehr später Zeit erst von Ektodermzellen ihres bereits völlig ausgebildeten, ja oft schon selbstständig sich ernährenden Körpers, während bei den höheren Medusen und den Rippen - quallen die Urkeimzellen sich vom Entoderm abspalten. Wir sehen also, dass die Keimbahnen, d. h. die Zellfolgen, welche von der Eizelle zu den Urkeimzellen hinführen, sehr verschieden verlaufen, bald sehr kurz, bald länger, bald sehr lang sind, dass256 sie durch sehr verschiedene Embryonalzellen hindurchlaufen, bald sich von den Ur-Entodermzellen abspalten, bald von den Ur-Mesodermzellen, bald aber auch von späteren Generationen der Mesoderm -, Entoderm - oder Ektodermzellen.
Wenn wir nun dabei im Sinne behalten, dass in jedem dieser Fälle stets genau dieselbe Keimbahn eingehalten wird, dass keine Abweichung vorkommt, dass niemals Urkeimzellen sich von Entodermzellen abspalten bei einer Thiergruppe, deren normale Keimbahn im Ektoderm liegt oder umgekehrt, so werden wir nicht umhin können, folgenden Schluss zu ziehen: die Zellen der Keimbahnen müssen Etwas voraus haben vor den übrigen Zellenbahnen der Ontogenese, denn sie allein sind befähigt, die Urkeimzellen zu bilden, keine andern.
Wenn wir ferner erwägen, dass bei den Hydroidpolypen — wie wir gesehen haben — der Zeitpunkt der Urkeimzellen - Abspaltung auf - und abwärts verschoben werden kann an dieser Keimbahn, so wird es klar, dass nicht nur die Endpunkte der - selben, in welchen diese Abspaltung im einzelnen Falle that - sächlich erfolgt, sondern auch die ganze vorhergehende Reihe der Keimbahnzellen Eigenschaften besitzt, welche die übrigen Zellen des Bion nicht besitzen, und welche sie eben befähigen, früher oder später Urkeimzellen zu bilden.
Nun sind aber nicht etwa die Zellen der Keimbahn schon selbst Urkeimzellen, deren Charakter nur noch nicht hervor - tritt, sondern sie sind Zellen von gemischtem Charakter, d. h. sie enthalten verschiedene Anlagen in sich, die nach und nach sich abspalten, bis zuletzt nur noch zwei Anlagen übrig bleiben, die dann durch eine letzte Zelltheilung auch noch von einander ge - trennt werden.
Als Beispiel mag die Embryogenese eines parasitischen Wurmes aus der Lunge des Frosches dienen. Die Figur 15257 giebt vier der ersten Furchungsstadien dieser Rhabditis nigrovenosa bis zur Differenzirung der Ur-Mesodermzelle (mes). Diese und die folgenden Stadien gestatteten, den in Figur 16 dargestellten Stammbaum der Keimbahn zu entwerfen.
Bei der ersten Theilung des Eies in die Ur-Ektoderm - und Ur-Entodermzelle enthält diese letztere (ur Ent) nicht nur die sämmtlichen Anlagen des Entoderm’s, sondern auch die des Mesoderm’s und der Urkeimzellen, sie ist also keine reine Ur-Entodermzelle. Sie theilt sich dann wiederum und liefert zwei Zellen, von denen die links auf dem Stammbaum ver - zeichnete (3) nur noch Entoderm-Anlagen enthält, die rechts verzeichnete (3′) da - gegen ausser gewissen Theilen des Ento - derms auch noch die erste Anlage der Mesodermschicht darstellt, dabei aber auch noch die Anlage zu den Ur - keimzellen enthält. Diese Zelle (3′)
Furchungsstadien und Keim - blätterbildung von Rhabditis nigrovenosa (nach Götte). ect Ectoderm, ent Entoderm, mcs Mesoderm.
theilt sich dann in zwei (4′ und 4″), welche die eben ge - nannten Anlagen für die rechte und linke Körperhälfte scheiden, und nun erst erfolgt die völlige Spaltung der Mesoderm - und Entoderm-Anlagen, und zwar so, dass die eine Tochter - zelle (5″) die Mesoderm - und Urkeimzellen-Anlage enthält, die andere (5′) aber zur reinen Entodermzelle wird. Die Anlage der Urkeimzellen bleibt nun durch mehrere Zellgenerationen hindurch mit der gewisser mesodermaler Anlagen verbunden, indem bei jeder folgenden Theilung immer gewisse Mesoderm - Anlagen allein in die eine Tochterzelle übergehen und nurWeismann, Das Keimplasma. 17258die andere neben Mesoderm-Anlagen auch noch die der Ur - keimzellen enthält. Endlich — in unserem abgekürzten Schema in der neunten Zellfolge — geschieht die Trennung auch
Schematische Darstellung der Keimbahn eines Wurmes, Ascaris nigrovenosa. Die Zellgenerationen sind mit arabischen Ziffern bezeichnet, alle Zellen der Keimbahn durch dicke Striche verbunden und die verschiedenen Hauptarten der Zellen verschieden gekennzeichnet, die Zellen der Keim - bahn durch schwarzen Kern, die des Mesoblast’s Mes durch einen Punkt im Innern, die des Ektoblast’s Ekt sind ganz weiss, die des Entoblast’s Ent ganz schwarz, die Urkeimzellen, ur Kz, mit weissem Kern. Die Zell - folgen sind höchstens bis zur zwölften Generation eingezeichnet.
dieser beiden Anlagen und die erste Urkeimzelle (uKz) ist ge - bildet.
Soviel ist sicher und hängt von keiner Hypothese ab. Man kann darüber streiten, ob man die in den Keimbahnen liegenden Zellen als echte somatische Zellen bezeichnen will. Ich habe sie so genannt, und zwar aus dem Grund, weil in vielen Fällen die Keimbahnen weit über die Embryogenese259 hinausreichen bis in die fertigen und funktionirenden Gewebe hinein, und weil sich nachweisen lässt, dass auch histologisch differenzirte Zellen unter Umständen Keimzellen her - vorbringen können, wie dies für manche Pflanzen, z. B. die Prothallien der Farne gilt und auch für die Zellen gewisser Bryopoen, von welchen Knospung ausgehen kann, die also inaktives Keimplasma enthalten müssen. Für diese Fälle also ist es sicher, dass echte somatische Zellen in der Keimbahn liegen; für alle Fälle aber gilt, dass die Zellen der Keimbahn noch keine Keimzellen sind, und dass sie einen Antheil an dem Aufbau des Soma haben. Wenn wir nun weiter bedenken, dass sehr zahlreiche somatische Zellen irgend eine Art von Neben-Idioplasma enthalten, sei es für Regeneration oder für Knospung, so kann wohl nicht angenommen werden, dass durch eine solche Beigabe der Charakter der somatischen Zelle auf - gehoben werde; oder besser: ich sehe keinen Vortheil darin, die Bezeichnung der somatischen Zelle einer Zelle der Keimbahn zu verweigern.
Die Veränderungen, welche an dem Idioplasma der Zellen vor sich gehen, die die Keimbahn bilden, können offenbar nur darin bestehen, dass der aktive Theil desselben sich nach und nach im Laufe der ontogenetischen Zelltheilungen abspaltet, so dass zuletzt nur noch Keimplasma übrig bleibt, welches nun die betreffende Zelle zur Keimzelle stempelt. Gebunden bleibt das Keimplasma auch jetzt noch so lange, als diese erste oder „ Urkeimzelle “sich noch zu ihres Gleichen vermehrt. Erst wenn diese Vermehrung aufhört, differenziren sich die Keim - zellen zu Samen - oder Eizellen, was die Abspaltung einer be - sonderen ovogenen oder spermatogenen Determinanten voraus - setzt, und erst dann kann die Zerlegung des Keimplasma’s, d. h. eine neue Embryogenese beginnen, falls die dazu erforder - lichen Bedingungen erfüllt sind.
Als ich vor sieben Jahren1)„ Die Continuität des Keimplasma’s als Grundlage einer Theorie der Vererbung “. Jena 1885. den Gedanken der „ Continuität des Keimplasma’s “in die Wissenschaft einführte, that ich dies in dem Glauben, diese Vorstellung zum ersten Mal aus - gesprochen zu haben. Es hat sich aber im Laufe der folgenden Jahre herausgestellt, dass ähnliche Gedanken in mehr oder weniger klarer Form schon vorher in verschiedenen Köpfen aufgetaucht waren. Eine ganze Reihe von Schriftstellern wurde so nach und nach entdeckt, von welchen Jeder ohne vom Andern zu wissen den Gegensatz von Körper - und Keimzellen und den direkten Zusammenhang der Keimzellen der Generationen mehr oder weniger klar ausgesprochen hatte, theils blos behauptet, theils auch durch Thatsachen zu stützen versucht hatte. Ich lasse diese Vorläufer hier in chronologischer Ordnung folgen.
Schon 1849 wies Richard Owen darauf hin, dass in dem in Entwickelung begriffenen Keim unterschieden werden könne zwischen solchen Zellen, welche stark verändert werden, um den Körper zu bilden, und solchen, welche nur wenig verändert werden und welche die Reproductionsorgane bilden. 2)Ich führe diese Äusserung nach dem Buch von Geddes und Thomson an: „ Evolution of Sex “, London 1889, p. 93; wo dieselbe zu finden sei, wird dort nicht gesagt.
In England war es Francis Galton, welcher Gedanken äusserte, die sich der Continuität des Keimplasma’s einiger - massen nähern. Schon 1872 erschienen einige Aufsätze, in welchen das Individuum aufgefasst wird, als bestehend „ aus zwei Theilen, von denen der eine ‚ latent‘, der andere ‚ patent‘ ist. „ Den ersten kennen wir nur durch seine Wirkungen auf die Nachkommenschaft, während der andere die Person ausmacht, die wir vor uns sehen. Die zwar benachbarten, aber doch auch getrennten Wachsthumslinien der patenten und latenten Elemente261 divergiren von einer gemeinsamen Gruppe und convergiren nach einem gemeinsamen Ziel, insofern sie beide aus Elementen des structurlosen Eies entwickelt wurden und beide zu den Ele - menten beitragen, welche die structurlosen Eier ihrer Nach - kommenschaft bilden “.
Einige Jahre später änderte Galton seine Ansicht dahin, dass er Darwin’s Pangenesis annahm, wenn auch mit erheb - lichen Veränderungen, und nur „ as a supplementary and sub - ordinate part of a complete theory of heredity “. In der histo - rischen Einleitung dieses Buches war davon bereits die Rede. Die „ Keimchen “die im befruchteten Ei enthalten sind, bilden zusammen den „ stirp “oder Stamm, der also sich durch die Ei - zelle zum neuen Individuum ausbildet. Nun ist jede „ Keimchen - Art “durch zahlreiche, etwas verschiedene und untereinander concurrirende Keimchen vertreten, und da die Sieger in der Wettbewerbung um den Aufbau des Körpers eben die Körper - theile bilden, also auch in diesen enthalten sind, so bleiben die übrigen gewissermassen unverbraucht zurück und bilden „ the residual germs “. Diese sind sodann „ die Eltern der Sexual - Elemente und Knospen “. Zwar können auch die siegreichen („ dominant “) Keimchen zu den Keimzellen beitragen, aber nur Wenig, „ da sie am wenigsten fruchtbar in der Hervorbringung von Keimchen sind “. Die Keimzellen werden also zumeist aus den latent gebliebenen Keimchen gebildet, und daher kommt es, dass die Nachkommenschaft häufig gerade die bemerkens - werthesten Eigenthümlichkeiten des Elters nicht aufweist. Da nun auf diese Weise sich wohl die Unähnlichkeit von Elter und Kind, soweit solche vorkommt, nicht aber ihre so viel häufigere Ähnlichkeit erklärt, so nimmt Galton an, dass auch die Körpertheile gemmules abgeben können, ja dass dieselben sich ausbreiten und die Grenzen der Zellen, in denen sie ent - standen, überschreiten, also wohl auch in die Sexual-Elemente262 eindringen können. Er setzt also an die Stelle der „ freien Cir - culation der Keimchen “, wie sie Darwin lehrte, eine lokal be - schränkte Ausbreitung derselben.
Wenn man diese noch etwas unbestimmten und schwer in die Realität zu übersetzenden Vorstellungen etwas realistischer fasst und den „ stirp “dem Keimplasma, das „ residuum of the stirp “dem gebundenen Reserve-Keimplasma gleichstellt, so leuchtet eine gewisse Ähnlichkeit mit der Continuitäts-Theorie hervor. Es bleibt aber ein fundamentaler Unterschied, insofern Galton’s Vorstellung nur unter Voraussetzung sexueller Fort - pflanzung denkbar ist, die Continuität des Keimplasma’s aber ganz unabhängig davon ist, ob jede Anlage nur ein Mal, oder ob sie viele Male im Keim enthalten ist. Nach meiner Idee sind im aktiven Keimplasma genau dieselben Anlagen, Keimchen oder Determinanten enthalten, wie im Reserve-Keimplasma und gerade darauf beruht die Ähnlichkeit zwischen Elter und Kind. Die Continuität des Keimplasma’s, wie ich sie mir vorstelle, hat ihre Wurzel nicht darin, dass jedes zum Aufbau des Soma nöthige „ Keimchen “vielfach vorhanden ist, und dass deshalb ein Rest bleibt, aus dem die Keimzellen der nächsten Generation hergestellt werden können, sondern auf einer besonderen und für die vielzelligen Organismen unvermeidlichen Anpassung, darin bestehend, dass das Keimplasma der befruchteten Eizelle von vornherein sich verdoppelt und die eine Portion für die Keimzellenbildung reservirt.
G. Jäger1)Gustav Jäger, „ Lehrbuch der allgemeinen Zoologie “, Leipzig 1878, II. Abtheilung. hat zuerst den Gedanken ausgesprochen, dass der Körper der höheren Organismen aus zweierlei Zellen be - stehe, aus „ ontogenetischen “und „ phylogenetischen “, und dass die Letzteren, die Fortpflanzungszellen, nicht ein Produkt der Ersteren, der Körperzellen sind, sondern dass sie direkt von der263 elterlichen Keimzelle abstammen. 1)In dem lobenswerthen Bestreben, meinen Vorgängern gerecht zu werden, wird mitunter etwas weit gegangen. So findet sich bei Geddes und Thomson „ Evolution of Sex “, Edinburgh 1890, p. 93, ein Citat von G. Jäger, durch welches dessen Vorläuferschaft ins Licht gestellt werden soll. Dieses Citat ist aber gar nicht seinem Buche vom Jahre 1878 ent - nommen, in welchem jene Gedanken enthalten sind, sondern einem zehn Jahre später geschriebenen Aufsatz, und schliesst mit den Worten: „ diese Reservirung des phylogenetischen Materials beschrieb ich als Continuität des Keimplasma’s “. Jäger hat aber in seinem Buche von 1878 nirgends von einer Continuität des Keimplasma’s gesprochen, sondern nur einen Zusammenhang der Keim zellen behauptet, der nicht existirt. Die ganze neue Darstellung seiner Gedanken steht unter dem Einfluss meiner inzwischen erschieneneu Schriften.Er nahm als erwiesen an, dass die „ Bildung der Zeugungsstoffe bei einem Thiere schon in die ersten Stadien seines Embryonallebens fällt “, und glaubte damit den Zusammenhang der elterlichen und kindlichen Keim - zellen erwiesen.
Obgleich diese Äusserungen weder begründet wurden, noch durchgeführt, so hätten sie doch zu weiteren Gedanken anregen müssen. Sie blieben aber, wie das ganze Buch, in dem sie ent - halten sind, unbeachtet.
Ebenso erging es einer kurzen Bemerkung von Rauber2)„ Morpholog. Jahrbuch “, 6. Bd 1880., welche derselbe im Verlauf einer Abhandlung über „ Formbildung und Formstörung in der Entwickelung von Wirbelthieren “ein - fliessen liess. Es heisst dort: „ Was nun die Wirkung der Be - fruchtung betrifft, so vermag eine solche immer nur einen Theil des Eies, den Personaltheil, zur Form einer Person überzuführen; der andere Theil erfährt diese Wirkung nicht, er hat stärkere beharrende Kraft “u. s. w.
Zuletzt kam M. Nussbaum3)M. Nussbaum, „ Die Differenzirung des Geschlechts im Thier - reich “, Archiv f. mikr. Anatomie, Bd. XVIII, 1880. auf den Gedanken einer Con - tinuität der Keimzellen. Auch er nahm an, es theile sich264 „ das gefurchte Ei in das Zellenmaterial des Individuums und in die Zellen für die Erhaltung der Art “und stützte diese An - sicht auf jene oben schon erwähnten Fälle frühester Differen - zirung der Geschlechtszellen.
Ich schliesse diesen Abschnitt mit den Worten, welche ich einst einem kleinen Aufsatz vorausschickte, der zur Abwehr gegen den mir gemachten Vorwurf des Plagiats in dieser Frage bestimmt war: „ Selten nur ist ein fruchtbarer Gedanke in der Wissenschaft aufgetaucht, ohne dass er nicht von einer Seite bekämpft, von anderer aber als bereits bekannt hingestellt worden wäre. Das Erstere ist gewiss vollkommen in der Ordnung, ja sogar nothwendig, denn erst aus dem Kampf der Meinungen kann die Wahrheit klar und bestimmt hervorgehen, aber auch dem Zweiten ist nicht alle Berechtigung abzusprechen, denn es geschieht wohl in der That nur selten, dass ein derartiger Ge - danke ohne irgend welche vorherlaufende ähnliche oder gleich - gerichtete Bestrebungen zu Tage tritt, und es ist nur natürlich, dass die Urheber solcher Bestrebungen den Unterschied zwischen dem Streben nach dem Ziel und der Erreichung desselben übersehen. “
Worin es lag, dass keine der angeführten Vorläufer der Con - tinuität des Keimplasma’s zur Geltung gelangte und einen Ein - fluss auf die Wissenschaft gewann, mögen Andere entscheiden. Dass es so war, wird nicht in Zweifel gezogen werden können, und geht wohl schon daraus hervor, dass alle Gegner dieser Anschauung ihre Angriffe gegen mich gerichtet haben. Der folgende Abschnitt wird Einiges davon zur Sprache bringen. Dass ich weit entfernt bin, das Verdienst Anderer in den Schatten zu stellen, habe ich wohl dadurch bewiesen, dass ich selbst — sobald ich nur Kenntniss davon hatte — meine Vorläufer in dieser Frage ans Licht gezogen habe. So würden Jäger’s Gedanken ohne ihre Entdeckung durch mich wohl auf265 lange noch in Dunkelheit geblieben sein. Ich kann es aber nicht für eine unpartheiische Geschichtsschreibung halten1)Man vergleiche z. B. die Darstellung dieser Entdeckung in Gedde’s und Thomson’s „ Evolution of Sex “, p. 93 u. 94., wenn die Meinungen meiner Vorläufer chronologisch geordnet dar - gelegt werden, ohne dass zugleich gesagt wird, dass sie alle unbeachtet und ohne Einfluss auf den Gang der Wissenschaft geblieben sind. Jedermann weiss, dass es so ist. Wenn es aber auch dem Einzelnen eine Genugthuung sein kann, einen richtigen Gedanken gehabt zu haben, so kann doch die Wissenschaft nur dann ihn als fruchtbar und als eine neue Errungenschaft anerkennen, wenn er so ausgesprochen wird, dass er in seiner Bedeutung erfasst werden, wirken und weiteren Fortschritt anbahnen muss. Diese Wirkung ist aber erst nach dem Erscheinen meiner Schriften eingetreten.
Bemerkenswerthe Einwürfe sind von Seiten mehrerer Bota - niker erhoben worden, und die Thatsachen, auf welche sie sich dabei stützten, können auf den ersten Blick sehr wohl den Ein - druck erwecken, als sei diese Theorie bei den Pflanzen nicht durchführbar. Wäre sie das aber nicht, so würde ihre Richtig - keit überhaupt zweifelhaft erscheinen, denn der Vererbungs - Mechanismus kann bei Pflanzen und bei Thieren wohl nicht ein gänzlich verschiedener sein. Es wird deshalb nöthig, die Verhältnisse bei den Pflanzen einer näheren Betrachtung zu unterziehen. Ich hoffe zeigen zu können, dass die von mir angenommenen Grund-Vorstellungen sehr wohl geeignet sind, auch auf die Verhältnisse bei den Pflanzen übertragen zu werden, wenn sie auch ursprünglich nicht auf botanischem Boden ge - wachsen sind.
Zunächst handelt es sich um Beseitigung einiger Miss -266 verständnisse und Unklarheiten. Manche Botaniker bestreiten die Existenz des Keimplasma’s überhaupt.
Der englische Pflanzen-Physiologe Vines findet die An - nahme einer besondern „ reproductive substance “unnöthig, da die Fähigkeit der Reproduction eine fundamentale Eigenschaft des Protoplasma’s sei. Wie ein zerbrochner Krystall sich ver - vollständigt, wenn er in Mutterlauge gelegt wird, ebenso ver - vollständige sich der Steckling einer Pflanze — er treibt das, was ihm fehlt, nämlich Wurzeln. Wie es beim Krystall keiner besondern „ reproductive substance “bedürfe, so auch bei der Pflanze.
Ich will nicht besonders betonen, dass dieser Vervoll - ständigungstrieb gar keine allgemeine Erscheinung ist, dass es Pflanzentheile giebt, die sich nicht als Stecklinge fortpflanzen lassen u. s. w., ich beschränke mich einfach darauf, daran zu erinnern, dass die Annahme einer allgemeinen Reproductions - kraft des Protoplasma’s, selbst wenn sie eine Thatsache wäre, doch sicherlich keine Erklärung ist. Sie wäre eben das, was erklärt werden soll!
Wenn wir z. B. wissen, dass Infusorien grosse Substanz - verluste wieder ersetzen, dass ihr abgeschnittenes Mundfeld mit sämmtlichen Wimpern und sonstigen feinsten Structuren sich neu bildet, so beweist uns dies, dass diese Zellen-Organismen wirklich die allgemeine Reproductionskraft besitzen, welche Vines dem Pflanzen-Protoplasma zuschreiben möchte. Aber ist damit auch nur die Spur eines Verständnisses dieser Thatsache gegeben? Sehen wir nun ein, wie es kommt, dass die kleinsten Theilchen des Zellkörpers nach dem Substanzverlust sich neu ordnen und umgestalten, und zwar genau so, wie es nöthig ist, damit wieder ein typisches Bild der Art zu Stande kommt? Haben wir im Geringsten eine Ahnung davon, wie und wodurch die übrig - bleibenden Theilchen des Zellkörpers dazu genöthigt werden,267 ihre bisherige Form und Zusammenhang aufzugeben und gerade das neu zu bilden, was am Ganzen fehlt? Können wir auch nur vermuthen, welcher Art das geheimnissvolle Band ist, das die am Hinterende gelegenen Theilchen empfinden lässt, dass vorn am Thier Etwas fehlt, und was sie thun müssen, damit dies ergänzt werde? Mit der Annahme einer „ Reproductions - kraft “ist einfach nur die Thatsache der Regeneration constatirt, und gerade so viel — so scheint mir — ist es werth, wenn wir sagen, die Reproductionskraft sei eine fundamentale Eigen - schaft des Pflanzen-Protoplasma.
Während wir aber bei dem Infusorium, dem einzelligen Wesen, zur Stunde noch kaum wagen können, einen Erklärungs - Versuch zu unternehmen, weil wir die Lebens-Einheiten, aus denen sich der Körper der Zelle zusammensetzt, und ihre Kräfte sehr wenig noch kennen, so verhält sich dies bei den aus vielen, physiologisch differenzirten Zellen gebildeten Organismen anders; hier kennen wir wenigstens die eine Ordnung der das Ganze zusammensetzenden Lebens-Einheiten nach Gestalt und Funktion, hier können wir deshalb den Versuch wagen, aus den Funktionen dieser Einheiten die Leistungen des Ganzen abzuleiten, und umgekehrt diese Letzteren auf eine Vertheilung der Kräfte an die das Ganze zusammensetzenden Einheiten zu beziehen. Hier brauchen wir uns nicht mehr auf die einfache Constatirung der Thatsache zu beschränken, dass eine Vervollständigung zum Ganzen eintritt, sondern mir können weiter fragen, wann tritt sie ein und von welchen Elementen geht sie aus, wie entsteht überhaupt das Ganze, und wie kann aus der scheinbar einfachen Masse des Keims ein so Mannigfaltiges hervorgehen?
Diese Fragen einer befriedigenden Antwort entgegenzuführen, habe ich die Annahme eines Keimplasma’s gemacht, und zwar habe ich dasselbe von vornherein nicht als eine „ besondere Re - productionssubstanz “angesehen, die allen andern Substanzen268 des Körpers fremd gegenüber stehe, sondern vielmehr als die - jenige Substanz, welche alle anderen formativen Sub - stanzen des Ganzen aus sich hervorgehen lasse. In jedem Stück des Körpers steckt ein Theil dieser Substanz, aber eben nur ein Theil, und nur, wenn alle diese Theile der leitenden Substanz (des Idioplasma’s) beisammen sind, d. h. wenn Keimplasma vorhanden ist, kann auch der ganze Organismus wieder von Neuem entstehen. Die Annahme eines Keim-Idio - plasma’s oder Keimplasma’s halte ich für ganz unvermeidlich, denn dass die Vererbungstendenzen an eine Substanz gebunden sind, ist heute als erwiesen anzusehen. Aber auch, dass dieses Keimplasma sich vom Ei an gesetzmässig verändert, scheint mir unabweisbar, und zwar muss es sich von Zelle zu Zelle verändern, denn eben die Einheit der Zelle kennen wir als den Sitz der Kräfte, aus welchen sich die Leistungen des Ganzen aufbauen.
Die Kräfte also, welche virtuell im Keimplasma enthalten sind, kommen erst zur Geltung, wenn die Substanz des Keim - plasma’s zerlegt und ihre Bestandtheile, die Determinanten, neu gruppirt werden. Die Verschiedenheit der Leistungen, welche die verschiedenen Zellgruppen des Körpers zeigen, zwingt uns, in ihnen auch eine verschiedene wirksame Substanz voraus - zusetzen, die Zellen sind also verschiedenwerthige Kraft - centren, deren bestimmende Substanz (das Idioplasma) ebenso verschieden sein muss, als die von ihnen ent - wickelten Kräfte.
Es erscheint mir als eine Unklarheit, welche nur durch die anscheinende Gleichheit vieler junger Pflanzenzellen begreif - lich wird, wenn Vines nach dem Vorgang von Sachs von einer „ embryonalen Substanz “spricht, von welcher alle Reproduction ausgehen soll, und welche als vorhanden an - genommen wird in allen „ jungen “Zellen. Meines Erachtens269 kann man den Vererbungswerth einer Zelle so wenig nach ihrem Alter beurtheilen, als nach ihrem Aussehen. Der Haufen Zellen, der aus der sog. „ Furchung “eines thierischen Eies her - vorgeht, besitzt sicherlich den Charakter der Jugend und zwar sind in einem gewissen Entwickelungsstadium alle diese Zellen gleich alt und sehen gleich aus. Sie haben aber ganz ver - schiedenen Vererbungswerth, und wenn wir die Ontogenese des betreffenden Thieres genau kennen, vermögen wir anzugeben, welcherlei Vererbungstendenzen in jeder dieser Zellen verborgen liegen; in der einen steckt z. B. die Anlage zum gesammten Entoderm des Thieres, in der anderen die zum Ektoderm, oder die zum Mesoderm, oder — falls das Stadium ein späteres ist — in jeder Zelle steckt nur die Anlage zu einem bestimmten Theil, einem Organ oder Organtheil der betreffenden Keim - blätter. Fragen wir aber, ob aus jeder dieser Zellen etwa auch wieder das Ganze hervorgehen könne, so erhalten wir von der Erfahrung eine ganz bestimmte negative Antwort; nur eine oder einige wenige, und zwar ganz bestimmte unter diesen Zellen können unter günstigen Umständen das Ganze wieder hervorbringen, und diese nennen wir die Keimzellen. So ver - hält es sich bei allen höheren Metazoen: die Zellen des sich furchenden Eies sind durchaus ungleich in ihrem Ver - erbungswerth, obgleich sie alle jugendlich „ embryo - nal “und nicht selten von gleichem Aussehen sind. Daraus folgt, wie mir scheint, mit logischer Nothwendigkeit, dass die Vererbungssubstanz der Eizelle, welche sämmtliche Vererbungstendenzen der Art enthielt, dieselben nicht in toto auf die Furchungszellen überträgt, sondern sie in verschiedener Combination zertheilt und parthienweise den Zellen überträgt. Diesen Thatsachen habe ich mit der gesetzmässigen Vertheilung der Determinanten des Keimplasma’s und des Aufgehens des - selben in die Idioplasma-Stufen der ontogenetischen Zellen270 Rechnung getragen. Alle diese Zellen enthalten „ embryonale Substanz “, aber in der einen hat dieselbe eine andere Zusammen - setzung, sie besteht aus anderen Determinanten als in der an - deren und daher enthält sie auch andere Vererbungs-Anlagen. Es hat deshalb wenig Bedeutung, von „ embryonaler Substanz “schlechthin zu reden.
In ganz anderer Weise und von anderer Seite tritt De Vries einem Theil meiner Ansichten entgegen. Mit grossem Scharfsinn hält er die bei Pflanzen beobachteten Vererbungs - Thatsachen mit meinen Ansichten zusammen und findet häufig, dass sie sich diesen Letzteren nicht fügen wollen. Ich bin mit dem grössten Interesse seinen Ausführungen gefolgt und habe mir dankbar die Thatsachen angeeignet, welche er ins Feld führt, aber ich glaube nicht, dass der Zwischenraum, der uns trennt, unüberbrückbar ist.
De Vries wirft mir zunächst vor, dass ich zu einseitig nur die thierischen Organismen ins Auge gefasst hätte; bei diesen sei wohl eine so scharfe Trennung von Körper und Keimzellen durchführbar, wie ich sie annehme, nicht aber bei den Pflanzen. Bei diesen könnten nicht nur die von mir als Keimbahnen bezeichneten Zellfolgen zu Keimzellen hinführen, sondern noch viele andere, wenn auch nicht regelmässig, son - dern nur gewissermassen ausnahmsweise, d. h. unter bestimmten äusseren Einwirkungen. Auch ereignete sich dies nicht nur an solchen Stellen der Pflanze, von welchen sich eine specielle An - passung für diese Fähigkeit annehmen liesse, sondern auch an solchen, bei welchen davon nicht die Rede sein könne. Man sei also zu der Annahme gezwungen, dass, wenn nicht alle, so doch die meisten Zellen sämmtliche Anlagen der Art in latentem Zustande enthielten.
Ich will zunächst auf die Art und Weise eingehen, wie de Vries meine Keimbahnen auf die Pflanzen überträgt, und271 welche Schlüsse er aus den von ihm für Pflanzen entworfenen Zellen-Stammbäumen zieht.
De Vries unterscheidet „ Haupt “- und Neben-Keim - bahnen. Unter ersteren versteht er das, was ich schlechthin als Keimbahnen bezeichnet habe, d. h. die Zellenfolgen, welche normalerweise von der befruchteten Eizelle zu den neuen Keim - zellen (Eizellen, Spermatozoen, Pollenkörnern) hinführen. Als „ Neben-Keimbahnen “aber bezeichnet er solche Zellfolgen, welche „ durch adventive Knospen “zu Keimzellen hinleiten “. Diese Neben-Keimbahnen fehlen nach de Vries den „ höheren Thieren “, sind im Pflanzenreich aber weit verbreitet, und es wird mir zum Vorwurf gemacht, dass ich denselben nicht ge - bührend Rechnung getragen habe. Der Begriff der „ Neben - Keimbahn “beruht, soweit ich sehe, darauf, dass es sich zwar hier auch um regelmässige Keimbahnen handelt, aber um solche, die nicht immer zur Anwendung kommen. Bei vielen niederen Pflanzen, Moosen, Pilzen „ können sich nahezu sämmtliche Zellen des Körpers zu neuen Individuen entwickeln “, und bei höheren Pflanzen können wenigstens aus gewissen Gewebeformen, seien es jugendliche (meristematische) Zellen oder wohl auch er - wachsene, unter Umständen Knospen bilden, die zur ganzen Pflanze sammt Keimzellen heranwachsen können.
Betrachten wir zuerst die „ Haupt-Keimbahnen “, so findet de Vries einen durchgreifenden Unterschied in dem Ver - halten dieser Keimbahnen bei den höheren Thieren und den Pflanzen, indem bei ersteren der Zellenstammbaum der Keim - bahn einen „ geraden “, nur an seinem Gipfel ein wenig verästelten „ Baum “darstellt, während er bei den höheren Pflanzen „ von seinem Ursprung ab so reich und wiederholt verzweigt ist, dass der Hauptstamm von seinen Ästen oft weit überragt wird, oder richtiger, dass ein eigentlicher Hauptstamm nicht, oder kaum vorhanden ist “. Dagegen lässt sich gewiss Nichts einwenden. 272Ein blühender Apfelbaum giebt ein annäherndes Bild davon, wenn man die Blüthen für die die Spitze der Endzweige krönenden Keimzellen nimmt. Aber was beweist und worauf beruht dieser Unterschied? ist er etwa in der Thier - oder Pflanzennatur der Organismen begründet? Keineswegs, denn wir begegnen, wie auch de Vries beiläufig anerkennt, genau derselben Art der Verzweigung bei den Haupt-Keimbahnen der Hydroid-Polypen. Sie beruht einfach darauf, dass bei Hydroid - Polypen die höhere Individualität des Stockes gebildet wird, gerade wie bei höheren Pflanzen; wir haben es in beiden Fällen nicht mit einer einzigen Person und ihrer Keimzellen - bildung zu thun, sondern mit einer Vielzahl von Personen, die von einer ersten durch Knospung entstanden, und von denen jede ihr eigenes Soma und ihre eigene Keimzellenbildung hat. Die aus dem Ei sich entwickelnde erste Person des Stockes birgt in sich die Keimbahn, von deren Zellen irgendwo eine Seiten-Keimbahn abgeht, sobald dieser erste Polyp eine Knospe treibt. Bald treibt er eine zweite, in die dann ebenfalls eine Seiten-Keimbahn abgeht, und nun treiben die beiden Knospen, nachdem sie sich in fertige Polypen umgebildet haben, selbst wieder Knospen, in die Keimbahnen abgehen, u. s. w. Daher rührt die vielfache Verästelung der Keimbahn, und es ist dabei ganz gleichgültig, ob der einzelnen Person des Stockes grössere oder geringere Selbstständigkeit und Vollständigkeit zu Theil wird, ob man es mit grösserem oder geringerem Recht als „ Individuum “ansieht. Sobald gleichwerthige Abschnitte peri - odisch sich wiederholen und als Theilstücke oder Metameren sich aneinanderreihen, jede von einem nahezu gleichen Ausgangs - punkt hervorwachsend, und soweit jedes dieser Theilstücke Keim - zellen produciren kann, so haben wir das oben besprochene Bild des Keimzellen-Stammbaumes.
Wenn aber nun gefragt wird, was uns dieser Verlauf der273 Keimbahnen bei Pflanzen und Polypen lehrt, so erhalten wir darauf eine für die bisherige Anschauungsweise vieler Botaniker sehr bezeichnende Antwort von de Vries, nämlich die, dass die ganze von mir aufgeworfene Frage von der Con - tinuität des Keimplasma’s eine müssige sei. „ Die ganze Frage, ob somatisches Plasma sich in Keimplasma verwandeln kann, entbehrt “für ihn „ der thatsächlichen Grundlage “. „ Nie entsteht, “sagt de Vries, „ eine Keimbahn aus einer somatischen Bahn “und „ eine Continuität der Keimzellen findet nicht etwa in den allerseltensten Fällen statt, sondern ist überall und aus - nahmslos, wenn auch oft auf langem Wege, durch die Keim - bahnen gegeben. “
Diese Sätze nun sagen mit Ausnahme des letzten derselben nichts Anderes aus, als was auch ich behauptet habe, und der scheinbare Widerspruch beruht einfach darauf, dass de Vries die von mir gebrauchten Worte in einem andern Sinn nimmt. Wenn ich sagte, dass somatische Zellen in zahllosen Fällen Keimzellen hervorbringen, so meinte ich damit diejenigen soma - tischen Zellen, die in der ja gerade dafür von mir aufgestellten Keimbahn liegen. De Vries aber bestreitet diesen Zellen den somatischen Charakter, weil sie auch nach seiner Ansicht „ Keim - substanz “enthalten. Ich würde nun an und für sich wenig Gewicht auf den blossen Namen legen, wenn nicht an dem Namen hier auch ein sehr bestimmter Begriff hinge, dessen Aufgeben zur Verwirrung führt. Ich muss es für gefährlich halten, eine dritte Kategorie von Zellen zwischen Somazellen und Keimzellen einzuschieben, die „ Keimbahnzellen “. Erstens ist es unpraktisch, weil man einer Zelle nicht ansehen kann, ob sie in der Keimbahn liegt, und dann führt es zu einer völligen Verwischung der Begriffe des Soma und der Keimzelle, weil, wie in den vorhergehenden Capiteln gezeigt wurde, eine Menge unbestreitbarer Körperzellen bei Pflanzen - und Thier -Weismann, Das Keimplasma. 18274stöcken Keimplasma enthalten müssen. Da wir das Knospen - Idioplasma bei Pflanzen und Hydroiden auch als modificirtes Keimplasma betrachten, so müssten wir einen sehr bedeutenden Bruchtheil der Zellenmasse dieser Organismen als Keimbahn - zellen betrachten, und würden so nahe an die absurde Behauptung geführt, dass ein Soma, ein Körper überhaupt nicht da sei. Und doch ist das Soma vorhanden, und der Gegensatz zwischen ihm und den Keimzellen besteht bei Pflanzen so gut wie bei Thieren.
Wenn aber de Vries den Satz aufstellt, dass durch die Keimbahnen stets eine „ Continuität der Keimzellen “hergestellt werde, so steht er dadurch mit sich selbst in Widerspruch, denn er betont an andern Stellen, dass die Keimzellen in der Regel nicht direkt aus einander hervorgingen, und dass zwischen Keimzellen und Keimbahnzellen wohl zu unterscheiden sei. Wie könnte man denn auch z. B. den Zellen eines Farn - Prothallium’s den Charakter somatischer Zellen absprechen, da sie doch als solche funktioniren und untereinander nach Aus - sehen, d. h. nach ihrer sichtbaren Beschaffenheit gleich sind. Und dennoch sind einige von ihnen Keimbahnzellen und bringen männliche oder weibliche Keimzellen hervor.
Wenn de Vries meint, die ganze Frage nach der Continuität des Keimplasma’s existire für ihn nicht, weil er nachweisen könne, dass Keimzellen immer aus Keimbahnzellen hervorgehen, so beruht dies auf derselben Begriffsverwechselung, auf welche Sachs vor einer Reihe von Jahren den Anspruch mir gegen - über gründete, die Lehre von der Continuität der Keimsubstanz schon vor mir aufgestellt zu haben. Weil bei den höheren Pflanzen alles Wachsthum von den Vegetationspunkten, und zwar von der den Gipfel des Vegetationspunktes bildenden Scheitelzelle ausgeht, und weil diese Scheitelzelle sich in direkter Linie von der Eizelle herleitet, halten diese Forscher es für275 selbstverständlich, dass in jeder Scheitelzelle die Keimsubstanz der Eizelle enthalten sei. Das ist aber höchstens für die erste Scheitelzelle, nämlich für die des Hauptsprosses selbstverständlich, gewiss aber nicht für die Scheitelzellen der Seitensprossen, welche doch nur indirekt von dieser sich herleiten. Dass sämmtliche Zellen der Pflanzen in direkten Bahnen von der Eizelle abstammen, unterliegt keinem Zweifel, ist denn aber damit schon gesagt, dass sie alle Scheitelzellen werden müssen, oder Keimsubstanz enthalten, oder ist damit irgendwie gezeigt, warum nur aus relativ wenigen derselben wieder Keimzellen werden können, und warum die andern nicht im Stande sind, Keimzellen hervorzubringen? Und das ist es doch gerade, was durch die Continuitäts-Hypothese in irgend einem, wenn auch nur schwachem Grade, verständlich gemacht werden sollte. Die Ab - stammung von der Eizelle sagt zunächst noch gar nichts aus über die Beschaffenheit einer Zelle, und mit der ganzen, aus - führlichen, und an und für sich gewiss interessanten Darlegung der Zellfolgen, welche von der Eizelle zur ersten Scheitelzelle, von dieser zur zweiten u. s. w. führen, ist zunächst — wie übrigens de Vries selbst sagt — noch gar Nichts ausgesagt über die Herkunft von Keimsubstanz an bestimmten Stellen des Pflanzenkörpers. Ich verstehe deshalb nicht, wie dann später, ohne jeglichen Versuch einer erklärenden Theorie, die Existenz dieser Zellfolgen an und für sich schon als eine Er - klärung genommen und ihr das grösste Gewicht beigelegt werden kann. Mir scheint, die Zellfolgen bekommen erst dann einen Erklärungswerth, wenn man sie als Keimbahnen in meinem Sinne ansieht, d. h. als diejenigen Zellfolgen, auf welchen die Keimsubstanz von der Eizelle aus nach den entferntesten Punkten des Pflanzenkörpers hingesandt wird.
Ich kann nicht verhehlen, dass es mir als eine etwas rohe Vorstellung erscheint, wenn man das Idioplasma sämmtlicher18*276Zellen der Keimbahn inclusive der Scheitelzellen als gleich annimmt und der „ Keimsubstanz “gleichstellt. Warum führen denn die Scheitelzellen der sterilen Schachtelhalmsprosse keine Keimzellen-Bildung herbei, während diejenigen der fertilen es thun? Da muss doch ein Unterschied im Idioplasma der beiderlei Scheitelzellen zu Grunde liegen. Und wenn aus der Scheitel - zelle eines fertilen Stammes der Pflanze ein Spross sich bildet mit Keimzellen, so sind es doch auch nicht sämmtliche Zellen dieses Sprosses, die die Keimzellen hervorbringen, sondern es führen wiederum nur bestimmte Zellenfolgen von der Scheitel - zelle zu den neuen Keimzellen, nämlich die Keimplasma führenden Keimbahnzellen! Bei der Bildung eines Sprosses aus einer Scheitelzelle liegt ein analoger Vorgang vor, wie bei der Bildung eines Einzel-Polypen durch Knospung an einem Polypenstock. Beide Vorgänge aber sind im Wesentlichen wieder nichts Anderes, als die Ontogenese eines höheren Thieres aus der Eizelle. In allen drei Fällen geht die Bildung des neuen Bion von einer Zelle aus. Diese also muss ein Idioplasma besitzen, welches alle Anlagen dieses Bion in sich enthält, und falls dasselbe „ fertil “sein soll, wie die Botaniker sagen, so muss diese Ursprungszelle überhaupt alle Anlagen der Art in ihrem Idioplasma enthalten, d. h. Keimplasma. Verfolgen wir nun die Ontogenese dieses Sprosses oder Bion, so verhält es sich damit genau so, wie oben schon für die Embryogenese dargelegt wurde, d. h. die Anlagen spalten sich mit jeder Zelltheilung in immer kleinere Gruppen, bis schliesslich nur noch eine Anlage in je einer Zelle ent - halten ist. Dabei stammen aber alle diese höchst verschieden - artigen Zellen von der Ursprungszelle in direkter Linie ab. Wie ist es nun zu erklären, dass eine oder einige von ihnen nicht blos die eine specifische Anlage einer einzelnen somatischen Zellenart in sich enthält, sondern daneben noch sämmtliche Anlagen der Art in latentem Zustande, wie es doch in den -277 jenigen Zellen enthalten sein muss, welche Keimzellen den Ur - sprung geben? Ja, wenn eine continuirliche Reihe von Zellen, welche blos „ Keimsubstanz “enthalten, von der Ursprungszelle bis zu den neuen Keimzellen hinführte, dann wäre die Sache ja sehr einfach. Aber so einfach ist sie nur im Falle der Dipteren, in allen übrigen Fällen sind die dazwischen liegenden Zellen, d. h. diejenigen der Keimbahn, nachweislich keine Zellen, die blos Keimplasma enthalten, sondern solche mit ganz bestimmten somatischen Anlagen, und zwar bei Pflanzen ganz ebensowohl als bei Thieren. Man sehe nur den oben abgebildeten Zellenstammbaum für die Onto - genese von Ascaris nigrovenosa (Fig. 16) nach. Wie kommt es denn, dass z. B. bei der Theilung der Ur-Entodermzelle in die erste Entoderm - und erste Mesodermzelle die letztere dennoch im Stande ist, später Nachkommen hervorzubringen, welche „ Keimsubstanz “enthalten, Keimzellen? Sie hat doch bei ihrer Entstehung die Entoderm-Anlagen an ihre Schwesterzelle ab - getreten, wie kommen diese Entoderm-Anlagen und gar die schon früher abgegebenen Ektoderm-Anlagen, in ihre Nach - kommen, die Keimzellen? Meine Antwort habe ich gegeben, sie lautet: sie führen von der Eizelle her eine gewisse Menge von Keimplasma in gebundenem Zustand neben ihrem aktiven Mesoderm-Idioplasma mit sich. De Vries und die Botaniker, welche mit ihm übereinstimmen, halten eine Antwort für über - flüssig. Es steht offenbar Jedem frei, auf die Lösung eines Problems zu verzichten, allein dann kann er nicht den Anspruch erheben, es gelöst zu haben.
Ich komme zu den „ Neben-Keimbahnen “von de Vries. Wie oben bereits erwähnt wurde, versteht er darunter solche Zellfolgen, welche durch „ adventive Knospen “zu Keimzellen hinleiten. Unter adventiven Knospen versteht man nach Sachs (Vorlesungen p. 579) solche Vegetationspunkte, welche nicht278 aus schon vorhandenen sich ableiten, oder aus „ schon vor - handenem embryonalen Gewebe “, sondern „ an Orten, deren Ge - webe bereits in Dauerzustand übergegangen ist: in ausgewachsenen Wurzeln, an Interfoliartheilen von Sprossachsen, ganz besonders aber an Laubblättern, deren Gewebe bereits völlig differenzirt und ausgebildet ist “.
Ich habe diese „ adventiven “Knospen, wie sie z. B. von dem auf feuchte Erde gelegten Begonia-Blatte entspringen, schon in früheren Schriften als Anpassungen bestimmter Pflanzen - arten an diese eigenthümliche Art der Fortpflanzung zu erklären gesucht, indem ich annahm, dass bei solchen Arten gewisse zu den Blättern führende Zellfolgen neben ihrem aktiven Eigen - Idioplasma noch gebundenes und inaktives Keimplasma führen.
Man kann nun dieser Erklärung Mancherlei entgegenhalten und hat es bereits gethan und es ist hier der Ort, auf die wesentlichsten Einwände einzugehen.
Vor Allem hat man mir eingeworfen, dass diese Fähigkeit der Blätter, Wurzeln u. s. w., Adventivknospen zu treiben, nicht als eine Anpassung angesehen werden könne, weil zu viele Fälle vorkommen, in denen es nur ganz ausnahmsweise geschähe und der Pflanze keinen Nutzen brächte. Es kann aber keinem Zweifel unterliegen, dass das Vermögen der Begonien, des Bryo - phyllum, Cardamine pratensis und Nasturtium officinale Knospen an solchen Orten zu treiben, wo bei den meisten Pflanzen keine sich bilden, eine besondere Einrichtung dieser Pflanzen ist. Weder bei Bryophyllum, noch bei Begonia sind es auch be - liebige Stellen des Blattes, an welchen die Knospen und jungen Pflänzchen entstehen, sondern ganz bestimmte Stellen, bei Bryophyllum die Blattränder, bei Begonia die Winkel zwischen den Ursprungsstellen der grossen Blattrippen. Es sind also doch wohl nicht beliebige Zellen des Blattes, wie de Vries meint, die mit dieser Fähigkeit ausgestattet sind, sondern be -279 stimmte, wenn auch zahlreiche. Sie sind deshalb doch soma - tische Zellen, so gut wie die Zellen des Farn-Prothallium’s, welche die Sexualzellen hervorbringen, aber diese Epidermis - Zellen enthalten neben ihrem aktiven somatischen Idioplasma noch gebundenes Keimplasma als passive Beigabe, und dieses wird nur unter bestimmten äusseren Einwirkungen aktiv.
Bei tausend andern Blättern kann man diese Bedingungen einwirken lassen, ohne dass jemals junge Pflänzchen aus ihnen sich erheben.
Nun giebt es freilich eine ganze Reihe von Erfahrungen, welche scheinbar beweisen, dass „ in jedem auch nur kleinen Bruchstück der Glieder eines Pflanzenkörpers die Elemente ruhen, aus denen sich bei Isolirung der ersteren unter geeig - neten äusseren Bedingungen der ganze complexe Körper auf - bauen kann “. Die Ableger, die Adventivknospen, welche sich an einem Zweig bilden, der oben abgeschnitten wurde, sind solche Erscheinungen. Allein nicht aus beliebigen Stücken des Körpers der höheren Pflanzen, sondern nur aus solchen, die „ eine Anzahl von Cambialzellen “enthalten, findet die Bewurze - lung des Ablegers oder die Bildung von Adventivknospen statt. Nur diese Zellen also enthalten ein Neben-Idioplasma, welches sie befähigt, je nach der Natur der Reize, die auf sie einwirken, in ganz anderer Weise zu wachsen, als sie es unter normalen Verhältnissen gethan haben würden. Die ganze Cambialschicht dieser Pflanzen ist somit ausgerüstet mit der Fähigkeit der Reproduction, darüber kann ein Zweifel nicht bestehen. Nur darüber kann gestritten werden, ob dies eine besondere An - passung, oder nur der Ausfluss der normalen Beschaffenheit jeder Pflanzenzelle ist.
Ich möchte es auch heute noch als besondere Anpassung auffassen, und will versuchen, meine Gründe dafür zu entwickeln, wobei ich freilich als Nicht-Botaniker darauf verzichten muss,280 so tief in die verschiedenen Gruppen des Pflanzenreiches ein - zudringen, als ich es thun zu können wünschen möchte.
Die Frage, welche zu entscheiden wäre, ist also die, ob von jeher jede Pflanzenzelle mit allen Anlagen der Art, wenn auch in latentem Zustande ausgerüstet war, als sich die vielzellige Pflanze aus der einzelligen entwickelte, oder ob zuerst eine scharfe Trennung zwischen Somazellen und Keimzellen eintrat, beruhend auf verschiedener Differenzirung des Idioplasma’s, und ob erst nachträglich und nur dort, wo es von Nutzen war, dem Idioplasma der Somazellen Keimplasma in latentem Zustande beigegeben wurde. Ich bin dieser letzteren Meinung, de Vries vertritt die erstere. Für die Theorie vom Keimplasma ist die Entscheidung wichtig, weil es unvereinbar mit ihr wäre, wenn schon bei der phyletischen Entstehung des Soma die Soma - zellen Keimsubstanz als Idioplasma enthalten hätten. Nach meiner Vorstellung vom Keimplasma beruht ja die phyletische Entstehung der Somazellen gerade auf einer gruppenweisen Scheidung der im Keimplasma enthaltenen Determinanten. Es würde ihr durchaus widersprechen, wenn schon die ersten phy - letisch entstandenen Somazellen ausser ihren manifesten speci - fischen Eigenschaften auch noch die übrigen der Art zukommen - den Eigenschaften in latentem Zustande enthalten hätten. De Vries meint, der scharfe Unterschied, welcher bei den höheren Thieren wirklich besteht zwischen Körper - und Keimzellen, habe mich verleitet, einen solchen Gegensatz überall anzunehmen, während doch bei den Pflanzen derselbe lange nicht so aus - gebildet sei, und sich graduelle Übergänge von Körper - zu Keimzellen nachweisen liessen.
Ich glaube, dass dies ein Irrthum ist; Ubergänge zwischen Soma - und Keimzellen giebt es nirgends, und die Ansicht von de Vries beruht einfach darauf, dass er Keimzellen mit Keim - bahnzellen verwechselt. Dass letztere aber als somatische Zellen zu betrachten sind, ist oben nachgewiesen worden.
281I. Pandorina morum nach Pringsheim, eine schwärmende Zellen - kolonie. II. Eine solche, deren Zellen sich zu Tochterkolonien vermehrt haben; alle Zellen untereinander gleich. III. Ein junges Individuum von Volvox minor nach Stein, noch umschlossen von der Hülle. Die Zellen in somatische sz und kz gesondert.
Meines Erachtens sind Keimzellen und Somazellen von ihrem ersten Auftreten in der Phylogenese an scharf verschieden gewesen und sind es seitdem auch geblieben. Was als Keim - zelle anzusprechen sei, kann bei keiner Pflanzen - oder Thierart zweifelhaft sein, was als Somazelle auch nur dann, wenn man die Keimbahnzellen als Keimzellen ansieht.
Ich wüsste keinen schlagenderen Beweis für meine Auf - fassung zu geben, als ihn die Volvocineen an die Hand geben. Hier haben wir dicht neben einander eine Zellgemeinschaft ohne und mit Arbeitstheilung, ohne und mit dem Gegensatz von Soma - und Keimzellen. Bei Pandorina sind noch alle Zellen der Kolonie gleich, jede lässt sämmtliche Funktionen des Lebens an sich ablaufen, bei Volvox sind sie differenzirt; die einen haben die Funktionen, die das Individuum erhalten, übernommen, die andern die, welche die Art erhalten: Somazellen und Keim - zellen. Die heteroplastide Gattung Volvox muss aus einer homoplastiden Form phyletisch entstanden sein; viele Zwischen - stufen kann man sich zwischen beiden Formen kaum denken, die beiden Zellenarten von Volvox sind heute noch nicht so stark verschieden, wie Soma - und Keimzellen bei höheren Orga - nismen. Dennoch haben die Somazellen gänzlich die Fähig - keit verloren, den ganzen Organismus aus sich wieder hervor - zubringen (vergl. Fig. 17).
Übergänge zwischen beiderlei Zellarten bestehen natürlich in dem Sinne, dass sich die Keimzellen zuerst noch wenig von den Somazellen unterscheiden, nicht aber in dem Sinne, dass, wie de Vries will, alle Zellen von vornherein Keimsubstanz enthalten, aber in einem mehr oder minder latenten Zustand. Die Somazellen von Volvox, die sich, bildlich gesprochen, doch gerade eben erst von den Keimzellen differenzirt haben, enthalten keine Keim - substanz; wenn man die Keimzellen künstlich aus einer Volvox - kugel herausnimmt, leben die Somazellen zwar noch lange283 weiter, produciren aber weder neue Keimzellen, noch eine neue Kolonie.
Weshalb sollten sie es auch? Welchen Vortheil hätte die Art davon, die ohnehin in Milliarden von Individuen in dem - selben Sumpf das Wasser erfüllt und von denen jedes wieder Tochter-Individuen hervorbringt? Die Fortpflanzung ist ohnehin eine so starke, dass neue Mittel, die Existenz der Art zu sichern, nicht ergriffen zu werden brauchten.
Diese Mittel aber sind ergriffen worden bei zahl - reichen, ja vielleicht bei weitaus den meisten höher organisirten Pflanzen.
Man hat meiner Ansicht die Fähigkeit der Pilze und Moose entgegengehalten, aus jedem Stückchen der Pflanze unter günstigen Bedingungen eine neue Pflanze hervorgehen zu lassen. Ich sehe aber nicht, was uns hindert, diese Fähigkeit als eine Anpassung aufzufassen, entstanden, um die durch tausendfache Gefahren bedrohte Existenz der Art zu sichern. Wenn einem Hutpilz der Hut abgeschlagen wird, so bildet sich ein neuer (Brefeld); offenbar eine für die Erhaltung der Art sehr nütz - liche Einrichtung. Ein Lebermoos producirt aus den kleinsten Fetzen, in die es zerstückelt wird, die ganze Pflanze (Vöchting). Was macht die Annahme unwahrscheinlich, dass diese Fähigkeit erworben sei, um den Bestand der durch jede plötzliche Trockniss bedrohten Art vollends zu sichern. Ich besitze nicht aus - reichende Kenntniss vom Pflanzenleben, um diesen Gedanken im Einzelnen zu begründen, allein ich glaube noch andere Thatsachen zu kennen, die meine Auffassung gewissermassen von der entgegengesetzten Seite her bestätigen.
Warum besitzen Farne und Schachtelhalme in ihrer ausgebildeten Form diese Fähigkeit der Regeneration nicht? Ein abgeschnittener Farnwedel treibt aus seinem Stengel keinen neuen Wedel, ja er ergänzt nicht einmal einzelne Fiederblättchen,284 die abgeschnitten wurden. Man könnte hierauf etwa erwidern, dass die Farne schon zu hoch differenzirte Somazellen besässen, allein dem widerspricht die Erfahrung, welche lehrt, dass viele, aber keineswegs alle Farn Brutknospen auf den Wedeln hervor - bringen können. Warum bei diesen diese Einrichtung getroffen wurde, darf ich wohl den Botanikern zu erklären überlassen, wenn man mir aber entgegenhalten wollte, ob denn die Fähig - keit, aus Somazellen ganze Pflanzen hervorgehen zu lassen, den übrigen Farnen nicht auch nützlich gewesen, also auch bei ihnen zu erwarten wäre, so möchte ich darauf antworten, dass alle das Vermögen haben, abgeschnittene Wedel durch neue zu er - setzen, aber nicht durch Regeneration des abgeschnittenen Blattes, sondern durch Knospung aus dem Stamm. Das genügt, um die Pflanze zu ergänzen, wenn sie verletzt wurde.
Und damit komme ich zu den Verhältnissen bei den Phanerogamen. Auch hier entbehren die Blätter in der Regel die „ Nebenkeimbahnen “, d. h. ihre Zellen haben nicht die Fähigkeit, Knospen zu produciren, ja nicht einmal die Fähig - keit, sich selbst wieder zu ergänzen, wenn ihnen ein Stück ab - geschnitten wurde. Dagegen aber haben die Sprossachsen diese Fähigkeit meist oder immer in hohem Maasse, und sie beruht auf der Anwesenheit der Cambialzellen, welche, wie es scheint, alle die Fähigkeit besitzen, neue Vegetationspunkte und damit den Aus - gangspunkt für einen neuen Spross sammt Blättern und Blüthen, also Keimzellen zu bilden. Die Regenerationskraft der Blätter ist in der Regel überflüssig, weil der Pflanzen - stock in seiner Cambialschicht eine unerschöpfliche Quelle für die Entstehung neuer Personen in sich trägt; dies ist ein wirksameres Mittel des Wiederersatzes, als es die Ergänzung von Defecten an den Blättern sein würde. Die Fähigkeit der Blätter aber, Adventivknospen zu treiben, wird wohl in den meisten Fällen durch die Massenhaftigkeit und sichere Verbreitung der Samen unnöthig.
285Im Thierreich verhält sich die Gruppe der Polypenstöcke ähnlich. Auch bei ihnen sind überall im Stock Zellen ver - breitet, die zwar wie gewöhnliche somatische Zellen aussehen und funktioniren, die aber unter gewissen Umständen, nach Ver - letzungen des Stockes u. s. w., zur Bildung neuer Personen schreiten können. Als ich einst einen Stock von Tubularia mesembryanthemum aus Marseille lebend mit nach Freiburg gebracht hatte, starben die Polypenköpfchen schon nach einer Woche etwa einer nach dem andern ab, wohl aus Nahrungs - mangel, allein wenige Tage später hatten sich an allen Stielen neue, freilich sehr kleine Köpfchen gebildet, die ohne Zweifel herangewachsen wären, wenn ich sie hätte ernähren können. Diese Regenerationsfähigkeit ist vorgesehen, wenigstens finde ich in einer vor Kurzem erschienenen Schrift von Loeb1)Jacques Loeb, „ Untersuchungen zur physiologischen Morpho - logie der Thiere “. I. „ Über Heteromorphose. “ Würzburg 1891. an - gegeben, dass ein solches Abfallen der Köpfchen und Neubildung derselben von Zeit zu Zeit regelmässig stattfinde. Derselbe Autor zeigte auch durch den Versuch, dass an beliebigen Stellen des Stammes, sowohl am Kopf - als am Wurzelende desselben, Köpfchen hervorsprossen können unter günstigen Bedingungen. Dagegen gelang es nie, das apicale Ende des Stämmches zur Wurzelbildung zu bringen.
Dass Letzteres nicht gelingt, wird Niemand in Erstaunen setzen, der mit mir alle diese Knospungs - und Regenerations - Vorgänge als Anpassungen auffasst. Das apicale Ende eines Stammes wird in natürlichen Verhältnissen kaum je in die Lage kommen, Wurzel treiben zu müssen, da es nicht ver - kehrt herum in den Sand zu liegen kommt, es liegen deshalb dort keine Zellen mit „ Wurzel-Idioplasma “. Umgekehrt aber begreift man leicht, weshalb diese Polypen mit einem so hohen Knospungsvermögen ausgestattet sind, wenn man einmal gesehen286 hat, welche Zerstörungen verschiedene niedere Krebse, Würmer, Arachniden, Schnecken und andere Feinde an den Weichtheilen der Polypenstöckchen anrichten. Besässen diese Polypen nicht die Fähigkeit, immer wieder neue Köpfchen, d. h. Einzelthiere hervorsprossen zu lassen, wenn die alten abgefressen sind, so würde ihre ganze Kolonie bald absterben müssen aus Mangel an ernährenden Personen. Dass dies in so ausgiebigem Maasse möglich ist, ist theilweise wenigstens eine Folge der Aggre - gation von Personen zu der höheren Individualitätsstufe des Stockes. Denn diese gewährt den Vortheil fortdauernder Er - nährung, solange nicht geradezu alle Einzelthiere des Stockes den Feinden zum Opfer gefallen sind, und begünstigt so das Hervorwachsen neuer Knospen.
Ähnlich verhält es sich bei manchen Bryozoen oder Mooskorallen. Bei vielen von ihnen ist die normale Knospung eine ganz gesetzmässige; die Stelle, an welcher sich die nächste Knospe bilden wird, ist im Voraus anzugeben, und darauf beruht hier wie bei den Hydroidpolypen die charakteristische Gestalt der Stöckchen bei den verschiedenen Arten, die bald wie ein Laubbaum, bald wie eine Tanne, oder eine Feder u. s. w. verzweigt sind. Hier also müssen bestimmte Zellen im Voraus mit Knospungs-Keim - plasma ausgerüstet sein, und es muss keines andern Anstosses als der gewöhnlichen Ernährung bedürfen, um sie zur Knospen - bildung zu veranlassen. Die Zellfolgen, welche zu diesen Knospungszellen hinführen, würden als Haupt-Keimbahnen im Sinne von de Vries zu bezeichnen sein. Nun giebt es aber bei manchen Bryozoen, z. B. bei Pedicellina, nach den Unter - suchungen von Seeliger auch andere Knospungsstellen, als die gewöhnlichen. Wenn eine Pedicellina ihr Köpfchen verliert, so dass nur ein Stumpf des Stieles übrig bleibt, so wachsen am Stielende neue Köpfchen hervor, und die Knospung geht hier von den platten specifischen Epithelzellen des287 Ektoderms aus, die vorher durchaus nicht danach aussahen, noch in Vermehrung eintreten zu können. Hier haben wir also auch Neben-Keimbahnen. Epidermiszellen sind mit Knospen - Keimplasma ausgerüstet, veranlassen aber trotzdem für gewöhn - lich keine Knospung, vielmehr nur auf ungewöhnliche Reize hin. Dieselben sind der Zerstörung ebenso ausgesetzt, wie die der Hydroidpolypen; es kann also nicht überraschen, dass die Einrichtung der Knospung vom Stiel aus getroffen worden ist, auch wenn wir nicht wüssten, dass die Köpfchen eines Stieles bei Pedicellina normaler Weise von Zeit zu Zeit hinfällig werden und durch neu hervorknospende ersetzt werden. Dies findet allerdings am obern Ende des Stieles statt, aber es be - greift sich, dass die Ausrüstung auch der untern Parthien der Stiel-Epidermis mit Knospen-Idioplasma vortheilhaft sein musste.
In ähnlicher Weise erkläre ich mir die bei den höheren Pflanzen ganz allgemein getroffene Einrichtung der Hervor - bringung von Adventivknospen. Auch dieser Organismengruppe ist, vor Allem in ihrer Cambialschicht das Mittel gegeben, Ver - luste an Blättern oder ganzen Sprossen wieder zu ersetzen, und es liegt auf der Hand, dass dies gegenüber dem zahlreichen, oft geradezu massenhaften Auftreten besonders der kleinen Feinde aus der Insektengruppe ein wichtiger Schutz ist. Dass also diese Einrichtung, ich meine die Beigabe von gebundener Keimsubstanz an die Cambialzellen, getroffen wurde, kann nicht in Verwunderung setzen.
De Vries hat auch die Gallen gegen meine Ansichten ins Feld geführt. Sie beweisen ihm, dass in einer Pflanzen - zelle, auch wenn sie specifisch histologisch differenzirt ist, immer noch die Anlagen zu allen andern Zellenarten schlummern,288 bereit, aktiv zu werden, sobald der geeignete Reiz auf sie ein - wirkt. Diesen Nachweis hält er dann weiter für unvereinbar mit der Annahme eines Keimplasma’s und einer Continuität desselben.
Gewiss unterliegt es keinem Zweifel, dass die Gallen ein höchst interessantes Problem sind, aber eben so gewiss scheint es wenigstens mir, dass dieses Problem noch nicht völlig gelöst ist, trotz der mehrfachen und ganz vortrefflichen Untersuchungen, welche die letzten Decennien gebracht haben und unter welchen diejenigen von Adler1)Adler, „ Beiträge zur Naturgeschichte der Cynipiden “, Deutsche entomolog. Zeitschr. XXI, 1877, p. 209, u. „ Über den Generationswechsel der Eichengallwespen “in der Zeitschr. für wiss. Zool. Bd. XXXV, 1888, p. 151. und von Beyerinck2)M. W. Beyerinck, „ Beobachtungen über die ersten Entwicke - lungsphasen einiger Cynipidengallen “. Veröffentlicht durch die k. Aka - demie d. Wiss. zu Amsterdam, 1882. Derselbe, „ Die Galle von Cecidomyia Poae “, in Bot. Zeit. 1885. Derselbe, „ Über des Cecidium von Nematus Capreae “, Bot. Zeit. 1888, No. 1. unsere Einsicht ganz besonders gefördert haben.
Der Punkt, der hier im Vordergrund steht, ist die That - sache, dass die Gallen keineswegs immer nur aus denjenigen Zellenarten bestehen, welche in den Organen der Pflanze vor - kommen, auf welchen sie wachsen, sondern dass sie häufig auch andere Zellenarten enthalten. „ Zellen, welche die Pflanze sonst nur in der Rinde ihres Stammes bildet, kann man häufig in den Gallen blattbewohnender Cynipiden und Dipteren finden. “ Es ist also gewiss, dass das Vermögen, diese z. B. dem Blatte sonst fremden Zellenarten hervorzubringen, „ nicht nur jenen Organen eigen ist, welche sie im normalen Laufe entwickeln, sondern “auch gewissen Zellen des Blattes, de Vries meint sogar, „ wohl allen übrigen Theilen der Pflanze “.
Dies könnte uns nicht besonders überraschen, wenn wir289 die Gallen als Anpassungen der Pflanze an ihre Parasiten be - trachten dürften, wie dies z. B. bei den merkwürdigen Ein - richtungen gewisser tropischer Pflanzen zum Schutze der die Pflanze selbst wieder beschützenden Ameisen angenommen werden darf. Hier hat gegenseitige Anpassung stattgefunden, das Thier hat sich der Pflanze, die Pflanze aber auch dem Thier angepasst, weil für Beide das Zusammenleben förderlich ist. Bei den Gallen der Cynipiden und Blattwespen ist ein Nutzen, der der Pflanze durch den Parasiten erwachsen könnte, nicht erfindlich, und wir sind also darauf angewiesen, dieselbe als Reaction der Pflanze auf den vom Thier ausgeübten Reiz zu erklären. Entstünde die Galle, wie man früher annahm, durch ein Gift, welches von dem eierlegenden Weibchen in das Pflanzen - gewebe gebracht würde, so wäre diese Erklärung durchaus un - genügend, da es nicht denkbar ist, dass die einmalige Ein - flössung eines Giftes die langsam wachsende und erst allmälig ihre definitive, oft recht complicirte Structur annehmende Galle in solcher Regelmässigkeit hervorrufen sollte. Sie wäre dies um so mehr, als auf derselben Unterlage, z. B. dem Eichen - blatt, vielerlei Gallen wachsen können, die sehr verschieden von einander sind. Durch Adler und Beyerinck wissen wir aber, dass nicht der Stich des Mutterthieres, sondern die Thätigkeit der aus dem Ei geschlüpften Larve es ist, welche die Gallen - bildung hervorruft. So wird man sich denn vorstellen müssen, dass diese Larven durch den Reiz, den einmal ihr sich be - wegender Körper setzt, dann aber ihr Fressen und schliesslich die specifischen Secrete ihrer Speicheldrüsen die eigenthümliche und specifische Wucherung des Pflanzengewebes bedingen. Die Verschiedenartigkeit der Gallen auf gleicher Unterlage aber wird man aus Verschiedenheiten dieser Momente herleiten müssen, und die augenfälligen, dem Parasiten zum Schutz und zur Er - haltung und Ernährung dienenden Anpassungen der Galle müssenWeismann, Das Keimplasma. 19290auf Anpassungen des Parasiten beruhen, auf der Art und Weise seines Fressens, seiner Bewegungen, auf der chemischen Zu - sammensetzung seines Speichelsecrets. Wir sind gezwungen zu dieser Erklärung, da keine andere sich auffinden lässt, und müssen also uns vorstellen, dass Naturzüchtung hier auf diese Momente so lange eingewirkt hat, stets sie verbessernd, bis die für die betreffende Art bestschützende und nährende Galle durch die Larve zu Stande kam.
Beyerinck hat nun in der That erwiesen, dass in den Gallen häufig Zellen - und Gewebsformen vorkommen, welche solchen in anderen Theilen der Pflanze vorkommenden sehr ähnlich sind, sich aber in der Unterlage der Galle, z. B. im Blatt nicht vorfinden, und de Vries zieht daraus den Schluss, dass die Anlagen zu diesen fremden Geweben, ohne dass man es vorher erkennen konnte, in den Zellen des Blattes enthalten gewesen seien. Ich gestehe, dass ich diesen Schluss nicht für zwingend halte, da es ja auch denkbar wäre, dass der vom Parasiten ausgehende Reiz das Idioplasma der Blattzellen in einer Weise verändert hätte, dass daraus andere als die sonst im Blatte gewöhnlichen Zellenformen entstehen müssten. Bei Besprechung der Variation werden wir sehen, dass Derartiges vorkommt; das somatische Idioplasma kann sich zuweilen aus bekannten oder unbekannten Ursachen derart verändern, dass von der ererbten Zellenform-Folge abgewichen wird. Die plötz - liche Entstehung der Moosrose ist ein solches Beispiel. Man könnte sich also wohl denken, dass durch den specifischen Reiz der Larve, vor Allem wohl ihres Secretes, das Idioplasma ge - wisser Zellenlagen der Galle sich so veränderte, dass die Zellen einen andern Charakter annehmen, z. B. den von Holzfasern.
Was entschieden für diese Auffassung spricht, ist der Um - stand, dass keineswegs nur solche Zellenarten in der Galle vorkommen, welche sich auch anderswo in der291 betreffenden Pflanze vorfinden. De Vries stellt zwar diesen Satz auf, bemerkt aber dazu eine Ausnahme, nämlich „ die eigenthümliche, sich später in ein dünnwandiges Nahrungs - gewebe verändernde Steinzellenschicht mancher Cynipidengallen “. Ich kann dies nicht für „ eine wohl nur scheinbare Ausnahme “von der Regel halten, sondern für einen sehr werthvollen Hin - weis darauf, dass diese Regel nicht besteht, dass es nur ein scheinbares Zurückgreifen auf ererbte Zellenformen, d. h. auf solche ist, die schon in latentem Zustande in den Zellen des Blattes enthalten waren. Ich möchte vielmehr gerade in diesen „ Ausnahmen “den Beweis sehen, dass wir es in den Gallen mit wirklichen Neubildungen zu thun haben, mit Ab - änderungen der betreffenden Zellenformen, die durch den Larvenreiz entstehen. Wenn sie häufig Zellformen aus andern Theilen der Pflanze sehr ähnlich sind, so kann das kaum in Erstaunen setzen, da die Veränderungen, die die Larve hervor - bringt, sich an einem Idioplasma abspielen, welches aus den Determinanten der betreffenden Art zusammengesetzt ist; da also diese Veränderungen sich zunächst nicht weit von solchen Biophoren-Combinationen (Determinanten) entfernen werden, welche auch sonst in der Pflanze vorkommen. Neu-Com - binirung der Biophoren in verschiedenem Grade scheint mir die Folge der Larven-Einwirkung zu sein und da - durch Abänderung der Determinanten.
In ähnlicher Weise möchte ich die von de Vries gegen mich angeführten Gallen von Cecidomyia Poae auffassen. Diese Stengelgallen bedecken sich auf den Reiz der Larve hin mit einem dichten, wohl als Schutz dienenden Filz von wurzel - artigen Auswüchsen, die in Erde gebracht sich wie normale Wurzeln verzweigen. Dass durch den Reiz des Parasiten unter Umständen das Idioplasma gewisser somatischer Zellen so um - geordnet wird, dass es einem anderen Gewebe, ja Organ der -19*292selben Pflanze ähnlich oder gleich wird, beweist, wie mir scheint, durchaus nicht, dass die betreffende Anlage vorher schon in jenen Zellen enthalten gewesen sein müsse. Bei thierischen Geweben sind zwar ähnliche Umwandlungen nicht bekannt; in krankhaften Geschwülsten kommen nach der Ansicht der heutigen pathologischen Anatomen immer nur solche Zellenarten vor, welche überhaupt in den Bereich der Gewebeart gehören, aus welcher der Tumor entspringt. Das kann nicht überraschen, da die thierischen Gewebe weit höher differenzirt sind, als die pflanzlichen, die idioplasmatischen Elemente derselben also auch stärker verschieden sein werden, folglich sich durch Reize, die sie verschieben und umordnen können, doch niemals zu ähn - lichen oder gleichen Combinationen verbinden werden, wie sie in ganz anderen Gewebearten des Körpers vorkommen.
Auf den Fall der Nematus-Galle gehe ich nicht ein, weil die betreffenden Versuche Beyerinck’s noch nicht abgeschlossen sind. Gelänge es, wie de Vries es für wahrscheinlich hält, aus der Blattgalle einer Weide die ganze Weidenpflanze zu erziehen dann würde freilich der Beweis geliefert sein, dass in den Zellen des Blattes ebenso gut Keimplasma enthalten war, als im Be - gonienblatt; allein bis jetzt hat die Galle nur Wurzeln gebildet, und wenn normale Wurzeln auch stets das Vermögen besitzen, Adventivknospen zu bilden, so ist dies bei diesen abnormalen nicht im Voraus zu sagen. Gerade bei der Weide ist übrigens die Anlage zu Wurzeln nicht nur in Gestalt unsichtbarer Deter - minanten, sondern in Gestalt sichtbarer Zellen im ganzen Stamm verbreitet, weshalb denn auch keine Stecklinge leichter an - wachsen, als solche der Weiden. Vielleicht ist es denkbar, dass in Zusammenhang mit dieser weiten Verbreitung von Wurzel - anlagen auch die blosse gebundene Gruppe der Wurzel-Deter - minanten weiter als sonst in der Pflanze verbreitet ist.
Ich will überhaupt durchaus nicht behaupten, dass überall,293 wo heute Pflanzenzellen inaktives Keimplasma führen, diese Beimengung auf einer heute noch geltenden Nützlichkeit beruhen müsse. Sobald einmal die Verbreitung gebundenen Keimplasma’s in einem Organismus eine so reichliche ist, wie bei den meisten Pflanzen, so wird wenig in der Okonomie der Pflanze darauf ankommen, ob etwa auch noch Zellen solcher Organe, welche heute nicht mehr in der Lage sind, Gebrauch von dieser Ausrüstung zu machen, ebenfalls Minima von Keim - plasma führen. Bei den Vorfahren der Art war es vielleicht von Vortheil, und wenn nicht, so kennen wir so wenig davon, wie die verschiedenen Qualitäten des Idioplasma’s bei der Kern - theilung mechanisch gesondert werden, dass auch eine zufällige gelegentliche Beimischung von Keimplasma zu somatischem Idioplasma besonders bei Cormen, wie es die höheren Pflanzen sind, die ohnehin eine Masse von keimplasma-führenden Zellen überall im ganzen Körper besitzen müssen, keine völlig ab - zuweisende Annahme wäre. Ob wir derselben bedürfen, wird die Zukunft lehren.
Der Gegensatz zwischen mir und de Vries liegt nicht darin, dass ich principiell genöthigt wäre, die Beimischung von Keimplasma zu zahlreichen Zellen des Körpers in Abrede zu stellen, sondern darin, dass ich ein bestimmtes somatisches Idioplasma, bestehend aus einer begrenzten Zahl bestimmter Determinanten jeder somatischen Zelle beigebe, zu welcher je nach Bedürfniss noch irgend ein gebundenes Neben-Idio - plasma hinzukommen kann, während de Vries in jeder Zelle oder doch nahezu jeder Zelle des ganzen Organismus sämmt - liche Anlagen der Art idioplasmatisch enthalten sein lässt. Wieso dann trotzdem diese eine Zelle einen specifischen histo - logischen Charakter besitzen muss, bleibt bei de Vries un - erklärt. Warum in ihr nur ein bestimmter, und zwar ein sehr kleiner Theil des überall gleichen Gesammt-Idioplasma’s aktiv294 wird, erfordert irgend eine neue Annahme, die noch dazu nicht leicht zu formuliren sein würde. Meine Theorie erklärt die Differenzirung des Körpers durch die Auseinanderlegung der im Keimplasma gesammelt enthaltenen Determinanten und bedarf einer besonderen Annahme, nämlich der nach Bedürfniss er - folgenden Zuertheilung von Neben-Idioplasma zur Erklärung der Keimzellen-Bildung, Knospung und Regeneration. De Vries kann, gerade wie Darwin in seiner Pangenesis, die Neubildung ganzer Pflanzen oder Theile derselben an jedem Punkt der Pflanze mit Leichtigkeit erklären, da seine Keimchen oder Pan - gene überall zur Verfügung bereit liegen. Eine Erklärung oder auch nur den Anfang einer Erklärung, worauf nun aber die Verschiedenheit der Zellenarten, die Differenzirung des Körpers beruht, vermag er auf Grund seiner Hypothese nicht zu geben.
Bei vielen niederen Pflanzen, bei denen jede Zelle — so scheint es — unter Umständen wieder die ganze Pflanze er - zeugen kann, sieht es nun so aus, als hielten sich die beiden Annahmen die Wage in Bezug auf ihre Erklärungskraft; die Verschiedenheiten der somatischen Zellen untereinander sind nur gering und so wenig zahlreich, dass man sie vielleicht nur als Reactionen des gleichen Idioplasma’s auf verschiedenartige Me - diums-Einflüsse zu betrachten geneigt sein könnte. So etwa bei den Lebermoosen. Sobald aber die Differenzirung des Soma eine vielfache wird, lässt sich eine solche Annahme nicht mehr halten, und das Erste, was eine Erklärung zu leisten hat, ist eben diese Differenzirung, d. h. die gesetzmässige Verschieden - heit der aus der Eizelle hervorgehenden Zellen und Zellen - gruppen auf ein Princip zurückzuführen. Dabei lässt das de Vries’sche Princip völlig im Stich, dasselbe erklärt nur, dass unter Umständen auch wieder die ganze Pflanze aus einzelnen Zellen entstehen kann, und versagt der Hauptsache gegenüber295 vollständig. Denn Niemand wird es auch nur für den Anfang einer Erklärung halten, wenn die Differenzirung darauf zurück - geführt wird, dass immer nur derjenige Theil der Keimsubstanz aktiv wird, den man gerade zur Herstellung der betreffenden Zelle oder des betreffenden Organes braucht. Je höher wir aber in der Organismenwelt empor steigen, um so mehr wird die Erzeugung des Ganzen aus einzelnen Zellen beschränkt, und um so schärfer tritt uns die vielseitige Differenzirung des Soma als erstes Object unseres Erklärungsbestrebens entgegen. Ihm gegenüber ist mit dem alle Anlagen umfassenden, überall vor - handenen Idioplasma Nichts anzufangen und selbst für die Keim - zellen-Bildung nützt es uns Wenig, anzunehmen, dass sie aus Zellen entstehen, welche gerade so wie alle anderen sämmtliche Anlagen der Art enthalten. Weshalb nun werden doch nur ge - rade diese zu Keimzellen und keine anderen im ganzen Soma des Thieres? Bei niedern Pflanzen mag man die Thatsache der Differenzirung des Soma übersehen oder unterschätzen können, bei den höheren Thieren ist das unmöglich.
Nach dem bisher Gesagten muss das Idioplasma der einzelnen, Zelle in einem fertigen thierischen oder pflanzlichen Organismus einen ziemlich verschiedenen Grad vom Complication besitzen, und es ist vielleicht nicht überflüssig, sich darüber noch klare Rechenschaft zu geben, ehe wir in der Untersuchung weiter gehen.
Der idioplasmatische Vorgang, der die Ontogenese eines vielzelligen Wesens bedingt, besteht nach unserer Vorstellung darin, dass die Tausende von Determinanten, welche das Keim - plasma der befruchteten Eizelle zusammensetzen, sich gesetz - mässig in Gruppen spalten und sich auf die Abkömmlinge der Eizelle vertheilen. Diese Spaltungen in immer kleinere Determi -296 nantengruppen gehen so lange fort, bis nur noch eine De - terminantenart in der betreffenden Zelle vorhanden ist, die nun entweder blos eine einzige Zelle beherrscht, oder — falls der betreffende erbliche Charakter (die „ Determinate “) aus einer Gruppe von Zellen gemeinsamer Abstammung besteht — diese ganze Gruppe.
Die Determinanten sind nicht alle zugleich aktiv, vielmehr wird jede Zelle, die in dem ganzen Verlauf der Ontogenese auftritt, immer nur von je einer Determinante beherrscht, und zwar geschieht dies in der Weise, dass dieselbe sich in ihre Biophoren auflöst, und dass diese Letzteren in den Körper der Zelle einwandern. Auch auf den früheren Stufen der Ontogenese, auf welchen noch zahlreiche Determinantenarten das Idioplasma der Zellen zusammensetzen, beherrscht nur eine von ihnen in dieser Weise die Zelle. Die übrigen haben aber ebenfalls ihren bedeutungsvollen Antheil an dem Verlauf der Ontogenese, indem sie sich, jede nach ihrem eignen Rhythmus, vermehren und dadurch das ursprüngliche Verhältniss der verschiedenen De - terminanten, wie es im Keimplasma gegeben war, verändern und in Folge dessen auch die Architektonik des Id’s verschieben und die fernere Zerlegung desselben bestimmen. Sie sind also inaktiv nur in Bezug auf die Zelle, in der sie augenblicklich liegen, nicht aber in Bezug auf die Entwicklung im Ganzen.
Es giebt aber verschiedene Umstände, welche diesen ein - fachen Gang der idioplasmatischen Entwickelung compliciren können.
Zuerst das Bedürfniss