PRIMS Full-text transcription (HTML)
[I]
Das Keimplasma.
Eine Theorie der Vererbung
Motto: Naturgeheimniss werde nachgestammelt. (Göthe.)
Jena,1892.Verlag von Gustav Fischer.
[II][III]

Rudolph Leuckart zu seinem siebzigsten Geburtstag in alter Verehrung gewidmet.

[IV][V]

Inhalts-Übersicht.

  • Einleitung:Seite
  • A. Historischer Theil1
  • B. Sachlicher Theil27
  • Erstes Buch: Materielle Grundlage der Vererbungserscheinungen46
  • Capitel I. Das Keimplasma49
  • 1. Die Grund-Einheiten49
  • 2. Die Beherrschung der Zelle61
  • 3. Die Determinanten71
  • 4. Das Id und die Ontogenese81
  • 5. Zusammenfassung des Keimplasma-Baues101
  • 6. Mechanik der phyletischen Veränderungen des Keimplasma’s104
  • 7. Grössenverhältnisse der Theile des Keimplasma’s115
  • Zweites Buch: Die Vererbung bei einelterlicher Fortpflanzung123
  • Capitel II. Die Regeneration124
  • 1. Die idioplasmatische Grundlage derselben124
  • 2. Phylogenese der Regeneration152
  • 3. Facultative oder polygene Regeneration168
  • 4. Regeneration bei Pflanzen177
  • 5. Die Regeneration an thierischen Embryonen und die Principien der Ontogenese179
  • Capitel III. Vermehrung durch Theilung179
  • 1. Einleitung193
  • 2. Die Theilung bei den Naiden195
  • 3. Mikrostomeen199
  • 4. Phylogenese der Theilung200
  • VI
  • Seite
  • Capitel IV. Vermehrung durch Knospung204
  • 1. Knospung bei den Thieren204
  • a) Cölenteraten204
  • b) Bryozoen209
  • c) Tunicaten212
  • 2. Knospung bei den Pflanzen216
  • 3. Vergleich der Knospung bei Pflanzen und bei Thieren219
  • 4. Phylogenese der Knospung222
  • Capitel V. Die idioplasmatische Grundlage des Generations - wechsels228
  • Capitel VI. Die Bildung von Keimzellen241
  • 1. Die Continuität des Keimplasma’s241
  • 2. Die Keimbahnen253
  • 3. Historisches hierzu260
  • 4. Einwürfe gegen die Keimplasma-Theorie265
  • 5. Die Gallen287
  • Capitel VII. Zusammenfassung des zweiten Buches295
  • Drittes Buch: Die Vererbungserscheinungen bei geschlechtlicher Fortpflanzung302
  • Einleitung. Wesen der sexuellen Fortpflanzung302
  • Capitel VIII. Veränderung des Keimplasma’s durch Amphimixis308
  • 1. Notwendigkeit einer Halbirung des Keimplasma’s308
  • 2. Die Reductionstheilung als Ausschaltung von Iden315
  • Capitel IX. Die Ontogenese unter der Leitung des amphi - mixotischen Keimplasma’s330
  • 1. Bestimmung des Kindes mit der Befruchtung ge - geben330
  • 2. Quantitativer Antheil der Vorfahren am Keim - plasma336
  • 3. Kampf der Ide bei der Leitung der Ontogenese340
  • a) Die Pflanzenbastarde als Beispiel des Kampfes der Rassen-Charaktere340
  • b) Intermezzo über Variation355
  • c) Kampf der individuellen Merkmale359
  • 4. Die Vererbungskraft 380
  • 5. Zusammenfassung des Capitels IX384
  • VII
  • Seite
  • Capitel X. Die Erscheinungen des Rückschlages abgeleitet aus dem amphimixotischen Keimplasma392
  • 1. Rückschlag auf Rassencharaktere bei Pflanzen - mischlingen392
  • 2. Rückschlag auf Individual-Charaktere beim Men - schen403
  • 3. Rückschlag auf Charaktere weit entfernter Vor - fahren bei Thieren und Pflanzen415
  • 4. Rückschlag auf rudimentäre Charaktere437
  • 5. Zusammenfassung des bisher über Rückschlag Vorgebrachten439
  • 6. Rückschlag bei ungeschlechtlicher Fortpflanzung443
  • a) Rückschlag bei Knospung443
  • b) Parthenogenese451
  • 7. Ein Beweis für die Auflösung der Determinanten in Biophoren456
  • Capitel XI. Dimorphismus und Polymorphismus460
  • 1. Normaler Dimorphismus460
  • 2. Pathologischer Dimorphismus, die Bluterkrankheit484
  • 3. Polymorphismus491
  • 4. Dichogenie bei Pflanzen500
  • Capitel XII. Zweifelhafte Vererbungserscheinungen503
  • 1. Xenien und Telegonie oder Fernzeugung503
  • 2. Einfluss vorübergehender Zustände des Zeugenden auf das Kind507
  • 3. Scheinbare Vererbung von Krankheiten509
  • Viertes Buch: Die Abänderung der Arten in ihrer idioplasmatischen Wurzel515
  • Capitel XIII. Die vermeintliche Vererbung erworbener Eigen - schaften515
  • 1. Schwierigkeiten einer theoretischen Begründung dieser Hypothese516
  • 2. Prüfung der Hypothese an den Thatsachen521
  • 3. Die klimatischen Varietäten der Schmetterlinge in ihrer idioplasmatischen Wurzel524
  • Capitel XIV. Variation538
  • 1. Normale, individuelle Variation540
  • VIII
  • Seite
  • 2. Pathologische Variation562
  • 3. Zusammenfassung und Folgerungen566
  • 4. Variationen grösseren Betrags572
  • a) Ihre Entstehung572
  • b) Ihre Vererbung583
  • Zusammenfassung der vier Bücher und Abschluss591
[IX]

Vorwort.

Eine ausgeführte Theorie der Vererbung heute schon geben zu wollen, mag Vielen fast als ein vermessenes Unternehmen erscheinen, und ich gestehe, dass es mir selbst mehr als ein Mal so erschienen ist, wenn ich nach langer Arbeit wieder auf unüberwindliche Hindernisse in der Durchführung der zu Grunde gelegten Principien stiess und einsah, dass ich wieder von vorne anfangen musste. Dennoch konnte ich dem Reiz nicht widerstehen, den Versuch zu wagen, in diese überaus wunder - bare und verwickelte Erscheinung des Lebens so tief einzu - dringen, als es bei den heute vorliegenden Thatsachen meinen Kräften möglich war.

Ich bin auch nicht der Ansicht, dass es ein verfrühter Versuch ist, möchte er auch noch so schwach und lückenvoll sein, denn einmal haben die letzten zwanzig Jahre eine so bedeutende Zunahme unserer Kenntnisse gebracht, dass es nicht mehr ganz aussichtslos scheinen kann, den wirklichen Vor - gängen, die der Vererbung zu Grunde liegen, nachzuspüren, und dann scheint es mir durchaus nothwendig, eine durch - gearbeitete Vererbungstheorie zu haben, damit von deren Boden aus neue Fragen gestellt und ihre Beantwortung versucht werden kann.

Die bisherigen Theorien entsprachen gerade diesem Be - dürfniss nur wenig, weil sie etwa mit Ausnahme der Pan - genesis Darwin’s nur Andeutungen einer Theorie waren,X Aufstellungen eines Erklärungsprincips, aber keine Durch - führungen. Die Tragweite eines Princips lässt sich aber erst erkennen, wenn seine Durchführung wirklich versucht wird; erst dann treten die Schwierigkeiten hervor, und erst dann erheben sich neue Fragestellungen von allen Seiten. Aber auch der geniale Entwurf Darwin’s konnte hierin nicht genügen, weil er entsprechend dem Wissen der Zeit, in welcher er entstand eine ideale Theorie war, d. h. weil er auf Erklärungs-Principien gegründet war, deren Realität zunächst gar nicht in Frage kam, weil es fürs Erste sich nur darum handelte, die Gesammtmasse der Er - scheinungen unter irgend einem gemeinsamen Gesichtspunkte zusammenzufassen, irgend eine Erklärung für sie zu geben, ohne Rücksicht darauf, ob sie richtig oder auch nur möglich war. Die Bedeutung solcher Theorien liegt nach einer andern Seite; zur Leitung der weiteren Forschung dienen sie aber aus dem Grunde weniger, weil sie schon Alles erklären, sobald man einmal das Princip zugiebt; sie bieten, so zu sagen, dem Zweifel keinen Ansatzpunkt.

Wenn ich annehme, im Keim seien Millionen von Anlagen der kleinsten Körpertheile enthalten und diese befänden sich bei der Entwickelung eines Organismus stets in der richtigen Zusammenstellung an demjenigen Ort, an welchem ein bestimmtes Organ entstehen soll, so ist das zwar eine Erklärung, aber eine solche, gegen die sich entweder Nichts oder Alles einwenden lässt; neue Fragen aber gehen aus ihr erst dann hervor, wenn sie sich vertieft, wenn sie den Beweis antritt, dass wirklich vorgebildete Anlagen den Keim zusammensetzen müssen, wenn sie versucht, die Mittel und Wege aufzuzeigen, durch welche diese Anlagen in der erforderlichen Zusammenstellung gerade an jene Stelle gelangen, an der sie nöthig sind, und in welcher Weise sie dann zur Organbildung führen können. XINun wird es möglich, alle diese Punkte an den verschiedensten Erscheinungen zu prüfen, und Versuche auszudenken, welche die Theorie stützen, widerlegen oder auch einfach weiterführen sollen.

Gewiss macht sich jeder Beobachter seine theoretischen Gedanken, aus welchen heraus er Fragen an die Natur stellt, aber es ist ein Anderes, ob er dabei nur von den ihm augen - blicklich gerade gegenwärtigen und besonders eindrucksvollen Erscheinungen allein geleitet wird, oder ob er auf Grund einer durchgearbeiteten Theorie operirt, der die Haupt-Erscheinungen des betreffenden Gebietes als Grundlage dienen. Ich wenigstens habe mancherlei Vererbungsversuche begonnen und dann wieder fallen lassen, weil ich einsah, dass man ohne die Leitung einer durchgeführten, auf realem Boden gewachsenen Theorie völlig im Dunkeln umhertappt. Der Werth einer solchen liegt wesentlich darin, ein heuristisches Princip zu sein. Die wahre und voll - kommene Theorie kann nur aus unvollkommneren Anfängen her - vorgehen; diese bilden die Stufen, welche zu jener emporführen.

Nur sehr allmählich ist dieses Buch entstanden. Als ich vor etwa zehn Jahren anfing, mich ernstlicher dem Vererbungs - problem zuzuwenden, war es zuerst die Existenz einer besondern Vererbungssubstanz, die sich mir aufdrängte, einer organi - sirten, lebenden Substanz, welche von einer Generation der andern überliefert wird, im Gegensatz stehend zu derjenigen Substanz, welche den vergänglichen Körper des Einzelwesens ausmacht. So entstanden die Schriften über das Keimplasma und die Continuität des Keimplasma’s. Dies leitete zugleich dazu hin, die bisher angenommene Vererbung der vom Körper erworbenen Abänderungen in Zweifel zu ziehen, und ge - naueres Eingehen, verbunden mit dem Experiment, befestigte mehr und mehr die Überzeugung, dass eine derartige Vererbung in der That nicht besteht. Gleichzeitig führten die Unter -XII suchungen so mancher ausgezeichneter Forscher über den Vor - gang der Befruchtung und der Conjugation an welchen auch mir einigen Antheil zu nehmen vergönnt war zu einer voll - kommenen Umwälzung der bisherigen Ansicht vom Wesen dieser Vorgänge und leiteten mich zu der Erkenntniss einer Zusammensetzung des Keimplasma’s aus gleichwerthigen Lebens - einheiten, von welchen jede einzelne die sämmtlichen Anlagen zu einem Individuum in sich einschliesst, die sich aber indi - viduell von einander unterscheiden. In diesen Ahnen - plasmen , wie ich sie zuerst nannte, oder Iden , wie ich sie jetzt nenne, waren somit weitere Bausteine zur Aufrichtung einer Vererbungstheorie gewonnen, aber es fehlte noch viel zum vollständigen Aufbau einer solchen, und wenn auch in der letzten meiner Schriften1) Amphimixis, oder die Vermischung der Individuen . Jena 1891. schon angedeutet ist, in welcher Weise ich hoffte, gerade eines der schwierigsten Probleme der Vererbung das Zusammenwirken der elterlichen Vererbungs - Substanzen mit Hülfe dieser Ide bis zu einem gewissen Grade lösen zu können, so war ich doch weit entfernt zu glauben, damit schon eine ganze und durchgearbeitete Ver - erbungstheorie gegeben zu haben, wie Manche meinten. Daran fehlte noch viel. Nicht nur hatte ich diejenigen Erscheinungen, welche unabhängig von geschlechtlicher Fortpflanzung sind, noch ganz bei Seite gelassen, sondern ich hatte es auch ver - mieden, mich über die letzte materielle Grundlage meiner Theorie auszusprechen, über die Zusammensetzung der Ide. Wohl war angedeutet worden, dass sie einen verwickelten Bau besitzen müssen, und dass dieser sich während der Entwickelung des Individuums aus der Eizelle allmählich und gesetzmässig ver - ändere, aber ich unterliess es, genauer auf diesen Bau einzu - gehen, weil es mir durchaus unsicher schien, ob die Vorstellung,XIII welche ich mir gewissermassen provisorisch davon ge - bildet hatte, sich der ganzen Fülle von Erscheinungen gegenüber als durchführbar erweisen werde; erst mussten diese alle im Einzelnen durchgeprüft sein, ehe ich mich für einen bestimmten Aufbau der Ide entscheiden konnte.

So war Alles, was ich bisher über Vererbung geschrieben habe, nur Vorarbeit für eine Theorie, noch keine Theorie selbst. Gerade über die letzten Principien einer solchen bin ich am längsten im Zweifel geblieben. Darwin’s Keimchenlehre schien mir allzu weit von der Wirklichkeit entfernt zu bleiben, und ich glaube auch heute noch, dass ein wesentlicher Theil derselben, nämlich die ganze Lehre von der Erzeugung der Keimchen in den Körperzellen, von ihrer Abwerfung, ihrer Circulation im Blut und ihrer Sammlung in den Fortpflanzungs - zellen, also gerade das, was ihr den Namen der Pangenesis eingetragen hat, der Wirklichkeit nicht entspricht. Nach meiner Auffassung kann nicht Alles das Ganze wieder von Neuem hervorbringen, sondern nur eine gewisse, eigens dazu bestimmte und in verwickeltster Weise gebaute Substanz, das Keim - plasma, und diese setzt sich nie wieder neu zusammen, sondern sie wächst nur, vermehrt sich und überträgt sich von einer Generation auf die andere. Man könnte deshalb wohl meine Theorie als Blastogenesis oder Entstehung von der Keimsubstanz aus der Pangenesis oder Entstehung von allen Theilen aus gegenüberstellen.

Lange Zeit hindurch aber erstreckten sich meine Zweifel nicht nur auf diese Seite der Pangenesis , sondern auch auf ihre allgemeinste Grundlage. Die Annahme vorgebildeter Anlagen schien mir eine allzu leichte Lösung des Räthsels. Eine ganz unglaubliche Masse von Anlagen schien mir durch sie im Keim angehäuft zu werden, und ich versuchte deshalb einen Bau der Keimsubstanz auszudenken, der minder verwickelt sei,XIV indem er sich erst während der Entwickelung complicirte. Mit andern Worten, ich suchte nach einer Keimsubstanz, die durch Epigenese und nicht durch Evolution den Organismus aus sich hervorgehen lasse. Mancher Versuch nach dieser Richtung wurde gemacht, mehr wie ein Mal glaubte ich ihn gelungen, aber bei weiterer Prüfung an den Thatsachen sah ich ihn jedes - mal doch schliesslich scheitern, und so kam ich zuletzt zu der Einsicht, dass es eine epigenetische Entwickelung überhaupt nicht geben kann. Im ersten Capitel dieses Buches wird man einen förmlichen Beweis für die Wirklichkeit der Evolution finden, und zwar einen so einfachen und nahe - liegenden, dass ich heute kaum begreife, wie ich so lange an ihm vorübergehen konnte.

So freue ich mich, wenigstens in der allgemeinsten Grund - lage meiner theoretischen Vorstellungen wieder mit dem grossen englischen Naturforscher zusammengetroffen zu sein, und inso - weit wenigstens auf der von ihm gelegten Grundlage weiter zu bauen. Aber auch mit einigen andern Forschern wird man mich in wesentlichen Punkten in Übereinstimmung finden, so vor Allem mit de Vries und mit Wiesner. Ich sehe in diesem Zusammentreffen ein Zeichen, dass es doch auch auf diesem Gebiete möglich sein muss, das Richtige vom Falschen zu scheiden, dass auch das scheinbar der willkürlichsten Specu - lation preisgegebene Problem der Vererbung dennoch lösbar ist; dass es immer mehr gelingen wird, unter den Möglich - keiten das Wahrscheinliche herauszuerkennen, und später auch unter den Wahrscheinlichkeiten diejenige, welche zugleich wirklich ist. Freilich wird dies noch lange Zeit erfordern, und nur sehr allmählich werden wir uns der Wahrheit nähern; aber der Weg dahin ist vorgezeichnet, er liegt in der Ver - einigung von Beobachten und Denken. Die Thatsachen führen uns zu einer Ansicht über ihren Zusammenhang, undXV diese Ansicht stellt neue Fragen und ruft neue Beobachtungen hervor, welche wieder zu neuer Deutung führen.

Auf diesem Wege ist erst in jüngster Zeit eine biologische Erscheinung zu relativer Klarheit gebracht worden, welche bis dahin ganz unverständlich gewesen war, ich meine die ge - schlechtliche Fortpflanzung. So wird es auch gelingen, immer sicherer Fuss zu fassen auf dem noch vor Kurzem so überaus unzugänglichen Gebiet der Vererbung. Besonders aussichts - reich scheint mir gerade bei diesem Problem, dass wir ihm gewissermassen von zwei Seiten her beikommen können, einmal durch die Beobachtung der Vererbungs-Erscheinungen und dann durch die Beobachtung der uns jetzt ja bekannten Ver - erbungs-Substanz. Wir können jetzt abwägen, ob die Er - klärung einer Erscheinung der Vererbung realen Werth hat, weil wir bis zu einem gewissen Grade wenigstens beurtheilen können, ob sie mit dem Verhalten der Vererbungs-Substanz vereinbar ist. Das war bisher nicht möglich, und darum schwebten die früheren Erklärungs-Principien einigermassen in der Luft, die Keimchen Darwin’s sowohl, als die Units Herbert Spencer’s. Heute sind wir in dieser Hinsicht besser daran, und ich zweifle nicht, dass die Forschung noch weit tiefer in die verwickelten Vorgänge an den Kernsubstanzen eindringen wird, wenn sie es nicht verschmäht, den Gedanken mit der blossen Beobachtung zu verbinden, und jeden weiteren Schritt auf dem Gebiete der Theorie zu neuer Fragestellung in Bezug auf das Verhalten der geheimnissvollen Kernsubstanzen zu verwerthen.

Wenn wir aber auch heute noch weit von voller Einsicht entfernt sind, so hoffe ich doch, in der Theorie, welche ich hier vorlege, kein blosses Phantasie-Gebäude gegeben zu haben; ich möchte glauben, dass die Zukunft vielleicht doch einige feste Punkte darin erkennen wird, um welche sich die blossenXVI Möglichkeiten schaaren. Nichtsdestoweniger aber kann Niemand mehr empfinden, als ich selbst, wie sehr es nur ein erster Versuch ist, dem bessere folgen müssen, und ich habe ihm deshalb auch so wenig als möglich die Form eines Lehrgebäudes gegeben, sondern mehr die einer Untersuchung; nicht Axiome sollten verkündet, sondern Fragen sollten gestellt, und entweder mehr oder weniger sicher beantwortet, oder auch der Zukunft zur Lösung zugeschoben werden. Ich betrachte meine Theorie nicht als ein Unveränderbares und Abgeschlossenes, sondern als ein der Verbesserung sehr Bedürftiges und hoffentlich auch Fähiges.

Es war mein Bestreben, einfach und verständlich zu schreiben, nicht wie Einer, der nur für Fachmänner schreibt, sondern wie Einer, der wünscht, seine Sache Allen nahe zu legen, die sich für biologische Probleme interessiren, vor Allem dem Mediciner und dem Philosophen. Aus diesem Grunde habe ich auch eine Anzahl von Figuren beigegeben, von denen viele dem Zoologen oder Botaniker überflüssig scheinen werden, die aber dem ferner Stehenden eine deutlichere Vorstellung der besprochenen Dinge vermitteln sollen.

Dass mir als Zoologen zunächst die Erscheinungen bei den Thieren, einschliesslich des Menschen vor Augen schwebten, war unvermeidlich; Jeder bildet seine Anschauungen nach dem ihm geläufigsten Kreis von Thatsachen. Ich habe mich aber bemüht, auch den Thatsachen gerecht zu werden, welche uns die Pflanzen an die Hand geben, und den Ansichten der Botaniker Rechnung zu tragen, soweit mir dies nur irgend möglich war. Es wird sich zeigen, dass gerade gewisse Ver - erbungs-Erscheinungen bei Pflanzen fundamentalen Annahmen meiner Theorie sehr günstig sind, und dass auch scheinbar ihr widerstreitende Thatsachen sich ihr einordnen lassen.

Manche werden vielleicht ein genaueres und vielseitigeresXVII Eingehen auf die Vererbung von Krankheiten vermissen. Wohl liegt darüber ein reiches Material an Beobachtungen vor, und ich habe davon benutzt, was mir zur Begründung einer Theorie werthvoll zu sein schien, man darf aber nicht vergessen, dass die Übertragung von Krankheiten durchaus nicht allein auf wirklicher Vererbung, d. h. auf einer individuellen Variation des Keimes beruht, sondern zum Theil sicherlich auch auf Infection des Keimes, und dass diese beiden von Grund aus verschiedenen Ursachen erblicher Übertragung heute keineswegs immer schon von einander unterschieden werden können. Im zwölften Capitel findet man Genaueres darüber.

Das Erscheinen des Buches hat sich um mehrere Monate dadurch verzögert, dass es gleichzeitig in englischer Über - setzung veröffentlicht wird. Das deutsche Manuskript lag schon Ende April soweit fertig vor, dass es nur kleine Abänderungen und Zusätze noch zuliess. Damit möge es entschuldigt sein, wenn neueste literarische Erscheinungen keine oder nur kurze Erwähnung noch finden konnten.

Zum Schluss spreche ich der Grossherzoglich Badischen Regierung warmen Dank aus für die kräftige Unterstützung, welche sie meiner Arbeit dadurch gewährte, dass sie mich auf längere Zeit von meinen akademischen Verpflichtungen entband. Auch meinen Freunden und Collegen, den Professoren Bau - mann, Lüroth, Wiedersheim und Ziegler in Frei - burg, sowie Herrn Professor Göbel in München sei hiermit herzlicher Dank gesagt für die mannigfache Auskunft und Anregung, die sie mir gespendet haben. Nicht minder bin ich Fräulein Else Diestel zu Dank verpflichtet, welche sich ausser vielfacher technischer Beihülfe der grossen Mühe unterzog, einen alphabetischen Index auszuarbeiten.

So möge denn diese Frucht langer Arbeit und vielenXVIII Zweifels sich ans Licht wagen. Sollten auch nur wenige meiner theoretischen Aufstellungen unveränderten Bestand behalten gegenüber den Ergebnissen zukünftiger Forschung, so würde ich doch nicht glauben, vergeblich gearbeitet zu haben; denn auch der Irrthum, wofern er nur auf richtigen Schlüssen beruht, muss zur Wahrheit führen.

Freiburg im Breisgau, 19. Mai 1892.

August Weismann.

[1]

Einleitung.

A. Historischer Theil.

Den ersten Versuch unserer Zeit, die Vererbung theoretisch zu erklären, hat wohl Herbert Spencer1)Herbert Spencer: Die Principien der Biologie , übersetzt von Vetter. Stuttgart 1876. gemacht, indem er seine physiologischen Einheiten aufstellte. Die Regeneration verloren gegangener Theile, z. B. eines Beines oder Schwanzes des Salamanders führt ihn zu der Vorstellung dieser Einheiten, in welchen allen das Vermögen schlummert, sich in die Form dieser Art umzugestalten, gerade wie in den Molekülen eines Salzes die innere Fähigkeit schlummert, nach einem bestimmten System zu krystallisiren . Er bezeichnet dieses Vermögen als Polarität der organischen Einheiten und bestimmt diese selbst als die Mitte haltend zwischen den chemischen Einheiten, den Molekülen und den morphologischen Einheiten, den Zellen; es müssen Einheiten unendlich viel complicirterer Art sein, als die chemischen Einheiten , also Molekül-Gruppen. Es ist sehr interessant, sich heute, wo wir in der Theorie der Vererbung doch schon etwas weiter vorgedrungen sind, sich darüber Rechen - schaft zu geben, welche Fähigkeiten und Kräfte Herbert Spencer seinen physiologischen Einheiten zuschreiben zu müssen glaubte, um die Erscheinungen erklären zu können. Obgleich der Abschnitt über Vererbung und Regeneration ja nur ein kleiner Theil seines grossen Werkes über die Prin -Weismann, Das Keimplasma. 12cipien der Biologie ist und deshalb eine ins Einzelne gehende Durcharbeitung der Vererbungs-Erscheinungen nicht enthalten kann, so lässt sich doch seine Meinung darüber klar erkennen.

Einmal setzt sich der ganze Organismus aus diesen Ein - heiten zusammen, die alle untereinander gleich sind, dann aber enthalten auch die Keimzellen kleine Gruppen derselben. Das Erstere befähigt jeden hinreichend grossen Theil des Körpers zur Regeneration, das Letztere giebt der Keimzelle die Kraft, das Ganze aus sich hervorzubringen, Beides dadurch, dass die Ein - heiten mittelst ihrer Polarität bestrebt sind, sich so anzu - ordnen, dass dadurch der ganze Krystall der Organismus entweder blos wieder hergestellt, oder neu gebildet wird. Die blosse verschiedene Anordnung der in ihrem Wesen gleichen Einheiten also bedingt die Verschiedenheit der Körpertheile, die Verschiedenheit der Arten aber und auch die der In - dividuen wird auf eine Verschiedenheit in der Zusammen - setzung der Einheiten bezogen.

Die Einheiten des Individuums sind also gewissermassen in physiologischem Sinne proteusartig; sie können sich in un - endlich vielfältiger Weise zusammenordnen und bilden so die verschiedenartigsten Zellen, Gewebe, Organe und Körpertheile; sie thun dies aber immer nur unter dem dirigirenden Einfluss des Ganzen, so zwar, dass das Ganze den Einheiten eines Theiles die Nothwendigkeit aufzwingt, sich gerade so anzuordnen, wie es zum Zustandekommen des für die Harmonie des Ganzen noch erforderlichen Theiles nöthig ist. Spencer sagt darüber: es scheint zunächst schwierig, sich vorzustellen, dass sich dies so verhalten könne; allein wir sehen, dass es so ist. Gruppen von Einheiten, die wir aus einem Organismus herausnehmen, besitzen in der That dieses Vermögen, das Ganze von Neuem aufzubauen, und wir sind somit genöthigt, anzuerkennen, dass allen Theilen des Organismus das Streben innewohne, die3 specifische Form anzunehmen. Die Einheiten sind also physiologisch veränderliche Grössen, welche immer so thätig sind, wie es das Ganze vorschreibt.

Zur Erklärung der Vererbung reicht die Annahme dieser physiologischen Einheiten nicht aus; sie erweist sich schon bei der einfachen Ontogenese, der Differenzirung der Organe als unzureichend, geschweige denn bei der Hinzuziehung der zweielterlichen Vererbung. Aber sie hat das Verdienst, kleinste Lebens-Einheiten als Bausteine des Organismus aufgestellt und darauf den Versuch einer theoretischen Erklärung der Vererbung gegründet zu haben.

Der Erste, der solche kleinste Lebenstheilchen angenommen und mit zwingenden Gründen ihre Existenz erhärtet hatte, war Ernst Brücke gewesen. Wenn er sie auch in seinem bahn - brechenden Aufsatz Elementarorganismen 1)Wiener Sitzungsberichte vom 10. Okt. 1861. Bd. 44, II, p. 381. nicht mit einem besonderen Namen belegte, so trat er doch zuerst gegen das alte Schema der Zelle auf, vor Allem gegen den flüssigen Zelleninhalt und zeigte, dass der Körper der Zelle abgesehen von der Molekülarstruction der organischen Verbindungen noch eine andere Structur besitzen müsse: Organisation .

Schon wenige Jahre nach H. Spencer’s Principien der Biologie erschien Ch. Darwin’s Pangenesis , als Schluss - capitel seines grossen Werkes über das Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication. Schon allein der enorme Reichthum an Thatsachen der Vererbung, welcher in diesem Buche angehäuft ist, zeigt, wie sein genialer Verfasser bestrebt war, von allen Seiten her in das zu bewältigende, ver - wickelte Problem einzudringen. Wenn Darwin selbst auch seinen theoretischen Aufstellungen den bescheidenen Titel einer provisorischen Hypothese gab, so liegt doch jedenfalls hier1*4der erste umfassende Versuch vor, alle bekannten Erscheinungen der Vererbung von einem gemeinsamen Princip aus zu erklären. Die Theorie ist so oft besprochen worden und so allgemein bekannt, dass es genügen wird, nur kurz an das Wesentliche derselben zu erinnern.

Der aus Zellen zusammengesetzte Organismus der Pflanzen und Thiere baut sich zwar durch Zelltheilung auf, allein diese Vermehrungsweise derselben so wird angenommen ist nicht die einzige. Vielmehr besitzt jede dieser Zellen auf jeder Stufe ihrer Entwickelung die Fähigkeit, unsichtbar kleine Körnchen oder Atome abzugeben, welche sich später und unter gewissen Bedingungen wieder zu solchen Zellen entwickeln können, wie diejenigen waren, von welchen sie herrühren. Diese gemmules oder Keimchen von Zellen werden zu jeder Zeit von allen Zellen des Körpers in Masse abgeworfen und in das Blut gebracht. Dort circuliren sie, um sich schliesslich irgendwo im Körper festzusetzen, hauptsächlich an solchen Stellen, von welchen später die Entwickelung eines Sprösslings ausgeht, also in Knospen und in Keimzellen. Indem nun in solchen Zellen sich die Keimchen von allen Zellen des ganzen Körpers zusammenfinden, verleihen sie diesen die Möglichkeit, sich zu einem neuen vollständigen Bion, einem Sprössling zu entwickeln. Dies aber geschieht derart, dass jedes Keimchen seine Zelle, von der es herstammt, wieder hervorbringt, und dass die Keimchen der verschiedenen Zellen in derselben Reihenfolge in Thätigkeit gerathen, in welcher die ihnen entsprechenden Zellen in der Onto - genese des Elters sich folgten.

Der Keim setzt sich aber keineswegs blos aus den gem - mules zusammen, welche von dem aktuellen Bion selbst ab - geworfen und der Keimzelle zugeführt werden, sondern zugleich aus einer sehr grossen Masse von Zellenkeimchen, welche von den Eltern und Voreltern bis in weit zurückliegende Genera -5 tionen hin herstammen, und in jeder Ontogenese spielen also viel mehr Keimchen mit, als Zellen gebildet werden; jede Zelle und jeder Theil ist durch zahlreiche und verschiedenartige Keimchen vertreten, so dass eine Auswahl stattfinden muss, da nur je ein Keimchen die erforderliche Zelle wirklich bilden kann, die übrigen aber latent bleiben müssen. So wird von einer Generation zur andern eine Menge von bisher latenten Keimchen übertragen, die unter Umständen zur Thätigkeit ge - langen können und dann Charaktere der Voreltern, die bei den Eltern verschwunden waren, wieder ins Leben zu rufen.

Dies in Kürze die Theorie der Pangenesis. Auf die phy - sische Beschaffenheit der gemmules wird nicht eingegangen; dieselben können sich vermehren und thun dies fortwährend, aber ob und wie sie etwa gegenseitig angeordnet sind und durch welche Ursachen, welchen Mechanismus es kommt, dass sie stets an der rechten Stelle vorhanden sind und sich zur rechten Zeit zur Zelle entwickeln, wird nicht berührt.

Ich sage dies keineswegs im Sinne eines Tadels, sondern nur um den fictionellen Charakter der ganzen Hypothese klar zu legen. Darwin fragte nicht weiter, wie sind alle diese Annahmen möglich, er fragte nur, was ist nöthig anzunehmen, um diese oder jene Vererbungserscheinung zu erklären, unbe - kümmert, ob diese Annahme irgend einen realen Boden unter den Füssen hat oder nicht. Er hatte Recht, dies zu thun, denn zu der Zeit, als er seine Hypothese ausdachte, war ein Anschluss einer Vererbungstheorie an den realen Boden der feinsten Zellen-Organisation noch nicht möglich. Ich habe aber früher schon dargelegt, wie überaus wichtig und erfolgreich für die Wissenschaft seine Pangenesis gewesen ist, weil sie zum ersten Male zeigte, welche Erscheinungen alle zu erklären seien, und welche Annahmen man machen müsse, wollte man sie er - klären. Es wird sich auch später herausstellen, dass, trotzdem6 ein wesentlicher Theil der Annahmen der Pangenesis nicht haltbar ist, doch ein anderer Theil übrig bleibt, der nicht nur heute, sondern, wie ich glaube, für alle Zukunft wenigstens im Princip als richtig und grundlegend beibehalten werden wird. Allerdings ist dies nur der allgemeinste Inhalt dieser Annahmen, nämlich die Existenz materieller Theilchen im Keim, welche die Eigenschaften des Lebendigen besitzen und von denen jedes als Anlage eines Theils des Organismus anzu - sehen ist. Ich gestehe offen, dass ich mich lange Zeit gegen diese Grundanschauung der Darwin’schen Lehre innerlich gewehrt habe. Es kam mir fast unmöglich vor, dass in dem Minimum von Substanz, welche wir, wie nachher gezeigt werden soll, als materiellen Träger der Vererbung zu betrachten haben, eine so überaus grosse Anzahl von Einzel-Anlagen ent - halten sein könne, wie wir sie nach Darwin’s Vorstellung an - nehmen müssten. Ich versuchte in verschiedener Weise, zu einer befriedigenden epigenetischen Theorie zu gelangen1)Die Andeutung einer solchen ist z. B. in der Schrift Die Conti - nuität des Keimplasmas , Jena 1885, p. 38 und folgenden enthalten., welche von einer verhältnissmässig einfachen Structur der Keimsubstanz aus - ginge und durch gesetzmässige, mit Theilung verbundenen Ver - änderungen dieser primären Structur zu der so mannigfaltigen Differenzirung des Organismus hinführte. Je tiefer ich aber im Laufe der Jahre in das Problem eindrang, um so mehr musste ich mich überzeugen, dass eine solche Lösung nicht möglich ist, und in diesem Buche glaube ich den förmlichen Beweis dafür geben zu können, dass nur eine Evolutionstheorie im Sinne Darwin’s, d. h. die Annahme kleinster Anlagen im Keim den Thatsachen gerecht zu werden vermag, und dass der Ein - wurf, der mich selbst lange Zeit gehindert hat, diese einfachste Annahme als der Wirklichkeit entsprechend anzunehmen, hin -7 fällig wird durch die Erkenntniss, dass das scheinbar Unmögliche eben wirklich ist.

Allerdings halte ich auch heute noch dafür, dass Darwin in seiner Theorie mehr eine Fragestellung, als eine Lösung des Problems der Vererbung gegeben hat und wohl auch geben wollte. Seine Annahmen enthalten nicht eigentlich schon eine Erklärung der Erscheinungen, sondern sind gewissermassen nur eine Umschreibung der Thatsachen, eine Erklärung rein for - maler Natur, basirt auf fictive Annahmen, welche nicht ge - macht wurden, weil sie in sich möglich oder gar wahrscheinlich erschienen wären, sondern weil sie eine formale Erklärung aller Erscheinungen von einem Princip aus zuliessen. Wenn man annimmt, dass jede Zelle aus einem besonderen Keimchen her - vorgeht, und dass diese Keimchen überall da vorhanden sind, wo man sie gerade braucht, so kann man überall das entstehen lassen, dessen Entstehung erklärt werden soll, und wenn eine grosse Menge Zellen aus der einen Eizelle in gesetzmässiger Folge hervorgehen soll, und man nimmt an, dass die vor - handenen Keimchen eben nur successive und zwar in der er - forderlichen Reihenfolge thätig werden, so muss freilich die verlangte Folge von Zellen sich einstellen, aber eine wirkliche Erklärung liegt nicht in dieser Vorstellung. Nun sind auch heute unsere Erklärungen noch unvollkommen genug und weit davon entfernt, bis auf den Grund zu gehen, aber sie unter - scheiden sich doch von der provisorischen Hypothese Darwin’s dadurch, dass sie danach streben, der Wirklichkeit der Vor - gänge auf die Spur zu kommen, zu einer realen, nicht einer blos formalen Lösung des Problems zu gelangen. Das Ver - dienst des grossen Forschers, gleich die richtige Grundlage für eine reale Lösung gefunden zu haben, kann nicht dadurch geschmälert werden, dass er eben in dem Streben nach einer zunächst blos formalen Lösung weniger durch die Consequenzen8 seiner Keimchen - Hypothese zurückgeschreckt wurde, als wenn er versucht hätte, sie der Wirklichkeit anzupassen. So, wie die Hypothese von ihm aufgestellt war, konnte sie nicht als Versuch einer realen Lösung des Vererbungsproblems gelten, schon allein wegen der Abgabe von Keimchen an das Blut, dem Circuliren derselben durch den Körper und ihrem Ein - dringen in die Keim - und andere Zellen lauter Annahmen, für die eine thatsächliche Unterlage fehlt. Darin liegt auch offenbar die Ursache, warum sehr bald und wiederholt Um - gestaltungen der Pangenesis versucht wurden.

Bevor ich diese ins Auge fasse, möchte ich noch das Ver - hältniss der physiologischen Einheiten Herbert Spencer’s zu den Keimchen Darwin’s klarlegen. Darwin selbst hielt die Ersteren für seinen Keimchen nahe verwandt, ja er würde die Ansichten Mr. Spencer’s für fundamental die gleichen mit den seinigen gehalten haben, wären ihm nicht mehrere Stellen bei Spencer vorgekommen, die etwas völlig Ver - schiedenes anzuzeigen scheinen. 1)Ch. Darwin, Das Variiren der Thiere und Pflanzen , Stutt - gart 1873, 2. deutsche Auflage, p. 425, Anm.

Ich glaube nun, aus dem bisher Gesagten geht schon her - vor, dass diese beiden Annahmen völlig verschieden sind. Ge - meinsam sind allerdings Beiden kleinste lebendige, durch Thei - lung sich fortpflanzende Einheiten, aber schon der Antheil, den dieselben am Aufbau des Körpers nehmen, ist ein ganz verschiedener; Spencer’s Einheiten sind die Elemente, welche den lebenden Körper ausschliesslich zusammensetzen, während Darwin’s Zellenkeimchen nur Zellen hervorbringen, d. h. Ele - mente sind, welche speciell zur Bewirkung der Vererbung vor - handen sind, ohne dass über ihren Antheil an der Zusammen - setzung der lebendigen Masse Etwas ausgesagt wird. Hier ist 9 wie sich später noch deutlicher zeigen wird die Spencer - sche Annahme der Darwin’schen überlegen. Auf der andern Seite sind die gleichartigen Einheiten Spencer’s Träger der gesammten Artcharaktere durch die Art und Weise ihres compli - cirten Molekülarbaues, die Darwin’schen Keimchen aber sind Anlagen einzelner Zellen, die untereinander entsprechend ver - schieden zu denken sind. Die Theorie Spencer’s ist eine epi - genetische, die Darwin’s eine evolutionistische, und hierin ist Darwin nach meiner Ansicht Spencer überlegen.

Der Erste, der den Versuch einer Verbesserung der Pan - genesis machte, war Galton1)Francis Galton, A theory of Heredity , Journ. Anthropolog. Institute, 1875.. In einem kurzen, aber gedanken - reichen Aufsatz schliesst er sich zwar der Annahme der Keim - chen an, verwirft aber die freie Circulation derselben durch das Blut und somit auch die Wiederansammlung der von den Zellen des Körpers abgegebenen Keimchen in den Keimzellen. Da nun diejenigen Keimchen, welche sich in die Zellen des Körpers verwandelt haben, verbraucht sind, so folgt daraus, dass die Keimzellen nur den übrig gebliebenen Rest von Keim - chen enthalten können, diejenigen von der ungeheuren Schaar der in einer Keimzelle enthaltenen Keimchen, welche nicht zur Entwickelung gelangten. Denn jede Keimzelle enthält wie Galton mit Darwin annimmt jede Art von Keimchen in vielen Modificationen, herrührend von den verschiedenen Ver - fahren des Bion. Man hat diese Annahme der Entstehung der Keimzellen aus dem bei der Ontogenese unverbraucht gebliebenen Überrest der Keimchenmasse (the residue of the stirp) der von mir viel später in die Wissenschaft eingeführten Vorstellung von der Continuität des Keimplasmas verglichen und in ihr den Vorläufer derselben gesehen. Eine gewisse Ähnlichkeit10 beider Vorstellungen ist auch gewiss vorhanden, aber es wird sich in dem Abschnitt über die Continuität des Keimplasmas zeigen, dass dieselbe doch nur eine ganz äusserliche ist.

Herbert Spencer definirt die Vererbung als die Fähig - keit jeder Pflanze und jeden Thieres, neue Individuen von gleicher Art zu erzeugen und betont besonders, dass in dieser Thatsache, die uns völlig vertraut ist und die uns deshalb leicht als selbstverständlich erscheint, gerade das eigentliche Wesen und die Hauptsache der Vererbung verborgen liegt, während die gewöhnlich auf dieselbe bezogenen Thatsachen eigentlich nur ganz untergeordnete Kundgebungen derselben sind . In der That hat man meistens die Mischung der individuellen elterlichen Eigenschaften bei den Kindern in den Vorder - grund der Vererbung gestellt und übersehen, dass dies doch nur eine ganz sekundäre Vererbungserscheinung ist, wichtig ganz gewiss in vieler Hinsicht und interessant in hohem Grade, aber doch nur die Folge einer gewissen Fortpflanzungsform, der geschlechtlichen und keineswegs eine Fundamentalerscheinung der Vererbung. Darwin hat dies sehr gut erkannt und seine erste Sorge war: die theoretische Erklärung der Einzel-Ent - wickelung (Ontogenese). Aber die Meisten, welche über Ver - erbung geschrieben haben, und so auch Galton, haben ihre ganze Aufmerksamkeit der Mischung der elterlichen Eigen - schaften in den Kindern zugewandt, einem Problem, welches ohne Zweifel in hohem Grade der Untersuchung werth ist, welches aber doch nur einen Seitenzweig der Vererbungs - vorgänge darstellt. Wie wenig ich die Bedeutung der zwei - elterlichen Vererbung auch in theoretischer Beziehung unter - schätze, wird gleich im folgenden Abschnitt klar werden, in welchem ich aus den Erscheinungen dieser Vererbung die Existenz des Keimplasma’s abzuleiten suche, allein es scheint mir eine Gefahr, die Vererbung ausschliesslich unter der Vor -11 stellung zwei-elterlicher Abstammung theoretisch zu untersuchen, weil man dabei gerade mit den verwickeltsten Erscheinungen zu thun hat und die Hauptsache leicht über der Masse ver - wirrender Nebensachen übersieht. Auch Galton hat sich allzu stark, wie ich glaube, von dieser Seite der Vererbungserschei - nungen beeinflussen lassen. So Vortreffliches seine späteren Untersuchungen über die Gesetze der Mischung elterlicher Eigen - schaften in den Kindern gebracht haben, so halte ich doch seine theoretischen Vorstellungen gerade über die grundlegenden That - sachen der Vererbung für nicht zutreffend. Das Wenige, was er über die Ursachen der Ontogenese andeutet, scheint mir gegen die einfachen, aber im Grunde durchschlagenden und richtigen Aufstellungen Darwin’s weit zurückzustehen. Es ist begreiflich, dass dem Statistiker und Anthropologen Galton gerade die Erscheinungen der Mischung der elterlichen Eigen - schaften die interessantesten waren, aber sie haben ihn fest - gehalten in dem speciellen Kreis dieser Erscheinungen und ihn verhindert, zu wirklich allgemeinen Principien und zu einer eigentlichen Vererbungstheorie im allgemeineren Sinne zu ge - langen.

Galton hat aber das Verdienst, zuerst die Circulation der Keimchen bestritten und im Zusammenhang damit, die allgemeine Gültigkeit einer Vererbung erworbener Eigenschaften bezweifelt zu haben. Allerdings hält er an einer schwachen Vererbbarkeit derselben fest und nimmt zu ihrer Erklärung an, dass zwar keine allgemeine Circulation der Keimchen statt - finde, dass aber jede Zelle einige Keimchen abwerfe, die in Circulation kommen und gelegentlich in die Sexual-Elemente eindringen.

Galton’s Aufsatz ist zwar schon sehr früh, nämlich wenige Jahre nach dem Erscheinen der Pangenesis veröffentlicht worden, aber es kann wohl nicht behauptet werden, dass er einen Ein -12 fluss auf die Weiterentwickelung der Vererbungstheorie ge - habt habe; er wurde selbst in England wie es scheint nicht sehr beachtet und ist im Ausland lange Zeit unbekannt geblieben. Damit darf ich es wohl entschuldigen, wenn ich in meinen, fast ein Jahrzehnt später erschienenen Schriften von seinem eben besprochenen Aufsatz keine Kenntniss hatte und also auch keinen Bezug darauf nehmen konnte. 1)Diese Arbeiten sind zuerst einzeln erschienen in den Jahren 1881 1891; in vollständiger gesammelter Ausgabe bisher nur in eng - lischer Übersetzung als Essays upon Heredity and kindred biological Problems edited by Poulton, Schönland and Shipley, Oxford 1889, Bd. I, enthaltend Aufsatz I VIII, in zweiter Auflage 1891 erschienen. Die Aufsätze IX XII werden in diesem Jahre als Bd. II nachfolgen. In französischer Übersetzung sind die Aufsätze mit Ausnahme des letzten von ihnen ( über Amphimixis ) unter dem Titel: Essais sur l’Hérédité et la sélection naturelle traduit par Henry de Varigny, Paris 1892, veröffentlicht worden. Eine deutsche Gesammtausgabe ist im Erscheinen begriffen.In einer dieser Schriften, betitelt über die Vererbung (1883), bestritt ich zuerst ganz allgemein nicht nur die Existenz, sondern auch die theoretische Möglichkeit einer Vererbung erworbener (soma - togener) Eigenschaften und suchte so die Theorie von der Last einer Erklärungspflicht zu befreien, die ihr jede weitere freie Entwickelung abschnitt. In dieser Schrift auch nahm ich zu - erst eine Vererbungssubstanz an, das Keimplasma, welches in den Keimzellen enthalten ist und welches nie neu gebildet werden kann, sondern sich immer nur von der Keimzelle, aus der ein Bion entsteht, in direkter Continuität auf die Keim - zellen der folgenden Generation überträgt. Ein Gegensatz von Körper im engeren Sinne (Soma) und Fortpflanzungszellen wurde hervorgehoben, und die Auffassung vertheidigt, dass allein die Keimzellen die Vererbungssubstanz, das Keimplasma, in ununterbrochener Folge von einer zur andern Generation weitergeben, während die Körper (Somata) gewissermassen13 nur Auswüchse je einer Keimzelle, zugleich aber ihre Träger und Ernährer sind.

Es muss hier noch eines zweiten Versuches, die Pange - nesis-Theorie zu verbessern gedacht werden. Ich habe schon früher einmal über das interessante und geistreiche Buch1)W. K. Brooks The law of heredity, a study of the cause of variation and the origin of living organisms . Baltimore 1883. von W. K. Brooks berichtet2)A. Weismann Die Bedeutung der sexuellen Fortpflanzung für die Selectionstheorie . Jena 1886. p. 119., betitelt the Law of Heredity . Der Verfasser behält die ganze Grundlage der Pangenesis bei, die Erzeugung von Keimchen durch alle Zellen des Körpers, ihre Circulation im Körper und ihre Ansammlung in den Keim - zellen oder Knospen; er weicht aber darin hauptsächlich von Darwin ab, dass er der männlichen Keimzelle eine besonders starke Anziehungskraft auf die Keimchen zuschreibt, so dass diese sich in besonderer Menge in ihnen sammeln und auf - speichern. Da diese Annahme vor Allem zur Erklärung der Variation gemacht wird, so will ich eine genauere Besprechung derselben auf den Abschnitt über Variation verschieben.

Ein Jahr später erschien Nägeli’s mechanisch-physio - logische Theorie der Abstammungslehre 3)C. von Nägeli Mechanisch-physiologische Theorie der Ab - stammungslehre . München-Leipzig 1884., ein Buch reich an scharfsinnigen Deductionen und anregenden Betrachtungen, welche unzweifelhaft einen grossen Einfluss ausgeübt und ent - schieden in die Gedanken-Arbeit der Zeit eingegriffen haben. Man wird diesem Werke auch dann seine Bedeutung nicht ab - sprechen dürfen, wenn nur Weniges von seinen theoretischen Aufstellungen Bestand haben sollte, und ich glaube, es darf schon jetzt gesagt werden, dass dies der Fall sein wird. So viele richtige Gedanken, ja sogar hinterher bestätigte Voraus -14 sagen von Thatsachen wir Nägeli auch verdanken, seine eigne Vererbungstheorie hat sich heute schon als unhaltbar erwiesen. Aus diesem Grunde und weil sie ohnehin Allen bekannt ist, möchte ich sie hier nicht ausführlich besprechen und mich lieber auf die Beurtheilung derselben beziehen, die ich vor Jahren schon gegeben habe1)Siehe Die Continuität des Keimplasma’s . Jena 1885, p. 39 und folgende, p. 52 u. s. w., sowie auch auf die von Wiesner2)Julius Wiesner Die Elementarstructur und das Wachsthum der lebenden Substanz . Wien 1892. vor Kurzem gegebene ausführliche Kritik. Wenn ich aber auch nicht glaube, dass die Nägeli’sche Theorie auf dem Weg zur richtigen Vererbungstheorie liegt, so enthält sie doch jedenfalls einen wichtigen, und für die Weiterentwickelung unserer Einsicht bedeutsamen Gedanken, den des Idioplasma’s. Wie ich selbst schon eine besondere Vererbungssubstanz, das Keimplasma angenommen hatte, von dessen Veränderungen die Entwickelung abhängt, und von dessen Übertragung von einer Generation auf die andere die Vererbung, so postulirte jetzt ganz unabhängig von mir Nägeli eine besondere Ver - erbungssubstanz, ein Anlagenplasma oder Idioplasma , wel - ches an Masse viel geringer sei, als die übrige lebende Substanz des Körpers, das Ernährungsplasma , welches aber dieses in seinem feinsten Bau bestimme. Die Richtigkeit dieses Gedankens ist soweit ich sehe bisher von Niemanden bestritten worden, wenn es sich auch bald zeigte, dass die Form, in welcher sich Nägeli dieses Idioplasma vorstellte, der Wirklich - keit nicht entsprach. Er dachte sich dasselbe als feinste parallele Stränge, welche zu Bündeln vereinigt und netzförmig sich kreuzend die Zellensubstanz durchziehen und von einer Zelle zur andern sich fortsetzend den ganzen Körper als ein zu - sammenhängendes Netz durchsetzen.

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Schon zur Zeit aber des Erscheinens von Nägeli’s Buch konnte man ahnen, dass die Vererbungssubstanz nicht im Zell - körper, sondern im Zellkern enthalten ist, und sehr bald folgten sich verschiedene Entdeckungen, welche es zur Gewiss - heit erhoben, dass das Idioplasma in den Chromosomen der Kerne zu sehen sei, in jenen stäbchen -, schleifen - oder körner - förmigen Gebilden, welche sich durch ihre auffallend starke Färbbarkeit mit verschiedensten Farbstoffen auszeichnen. Auf den Beweis dafür werde ich in dem folgenden Abschnitt zurück - kommen.

Damit war jeder weiteren Vererbungstheorie ein sicherer, realer Boden angewiesen, man wusste nun nicht nur, dass die Vererbungserscheinungen der höheren Lebewesen an eine Sub - stanz gebunden sind, sondern auch wo dieselbe ihren Sitz hat. Auf diese sichere Grundlage übertrug ich denn nun auch meine Keimplasma-Theorie, wenn man der damals noch sehr unvoll - kommenen Form derselben diese Bezeichnung gönnen will; ich lokalisirte das Keimplasma in die Kernsubstanz der Keimzelle und leitete die Ontogenese aus einer qualitativen Veränderung desselben ab, welche durch das Mittel der Kern - und Zelltheilung das Idioplasma von einer Zellgeneration auf die folgende über - trägt. Ich ging aber bald weiter und folgerte aus der ge - schlechtlichen Fortpflanzung, welche bei jeder Befruchtung gleiche Mengen von väterlichem und mütterlichem Keimplasma zusammenführt, die Zusammensetzung des Keimplasma’s aus einer Anzahl von Einheiten, den Ahnenplasmen und weiter die Nothwendigkeit einer jedesmaligen Reduction des Keim - plasma’s auf die Hälfte seiner Masse und der Zahl der darin enthaltenen Ahnenplasmen. 1)August Weismann Über die Zahl der Richtungskörper u. s. w. Jena 1887.Das theoretische Postulat von Reductionstheilungen der Keimzellen ist seither durch die16 Beobachtung aufs schönste bestätigt worden, ja es hat sich gezeigt, dass dieselbe in vielen Fällen genau so abläuft, wie ich es im Voraus erschlossen und in einer schematischen Zeich - nung dargestellt hatte, nämlich durch Unterbleiben der bei gewöhnlicher Kerntheilung eintretenden Längstheilung der Chro - mosomen und Vertheilung derselben auf die Tochterkerne. Dies gilt sowohl für das Ei als auch die Samenzelle der Thiere und soweit man es kennt, auch der Pflanzen. Überall muss die Keimzelle, um befruchtungsfähig zu werden, durch Theilung die Hälfte ihrer Kernstäbchen, d. h. ihres Keimplasma’s, ab - geben, eine Thatsache, durch welche nun auch die andere An - nahme einer Zusammensetzung des Keimplasma’s aus Ahnen - plasmen eine reale Basis gewonnen hat. In dem Abschnitt über amphigone Vererbung wird davon genauer die Rede sein; hier möchte ich nur hervorheben, dass diese Ahnenplasmen nicht etwa kleinste Lebenstheilchen, die Analoga der physio - logischen Einheiten H. Spencer’s sein sollten, vielmehr Körper von äusserst verwickelter Zusammensetzung, jeder für sich die sämmtlichen Anlagen, welche zum Aufbau eines Bion erforder - lich sind enthaltend. Jedes Ahnenplasma war mir eine be - sondere Art von Keimplasma und mit der Reductionstheilung werden ebenso viele verschiedene Idioplasma-Arten aus dem Ei entfernt, als nachher durch den Spermakern bei der Befruch - tung wieder in dasselbe eingeführt werden . Man wird sehen, dass ich auch in der jetzt vorgelegten Ausführung der Keimplasma Theorie diese ihre Grundlage vollkommen beibehalte, und ich glaube, es sollte mir nun gelungen sein, die Einwände, welche gegen die Ahnenplasmen , oder wie ich sie jetzt nenne, die Ide vorgebracht worden sind, zu entkräften. Jedenfalls wird man ihnen eine bedeutende Erklärungskraft nicht absprechen können.

Wohl der gewichtigste Gegner derselben war bisher de Vries, aber sein Widerspruch gründet sich auf das eben an -17 gedeutete Missverständniss, dass er in meinen Ahnenplasmen kleinste Lebenstheilchen zu sehen glaubt, eine Vorstellung, die mir von Anfang an fremd war. Ich beklage mich indessen nicht darüber, da ich damals gerade den Punkt des Baues der Ahnen - plasmen offen gelassen hatte. 1)De Vries irrt auch, wenn er mir die Meinung zuschreibt, es gebe für jedes Individuum nur eine Vererbungssubstanz, nur einen materiellen Träger der Vererbungstendenzen . Die von ihm citirte Stelle ( Über die Zahl der Richtungskörper , p. 29) handelt nicht davon, sondern sie heisst: aus verschiednen, vorher angeführten Gründen geht jedenfalls das Eine mit Sicherheit hervor, dass es eine Vererbungs - substanz giebt, d. h. einen materiellen Träger der Vererbungstendenzen, und dass dieser in der Kernsubstanz der Keimzellen enthalten ist u. s. w.In vorliegendem Buche soll diese Lücke ausgefüllt werden und es wird sich zeigen, dass mir zwar wohl jedes Ahnenplasma Träger der sämmtlichen, zum Aufbau eines Bion erforderlichen Anlagen ist, dass diese Annahme aber nicht eine Zusammensetzung desselben aus eben diesen Anlagen in Form kleinster Lebenstheilchen ausschliesst. Das Ahnenplasma ist eine Einheit, aber eine solche höherer Ordnung. Es hat schon deshalb nichts mit den Spencer’schen physiologischen Einheiten zu thun, weil diese als kleinste Lebenstheilchen den ganzen Körper zusammensetzen, während die Ahnenplasmen nur die Kernsubstanz ausmachen und ledig - lich dem Mechanismus der Vererbungs-Vorgänge dienen.

De Vries selbst hat in bedeutungsvoller Weise in die Weiterentwickelung einer Vererbungstheorie eingegriffen durch seine Schrift intracellulare Pangenesis . 2)Hugo de Vries: Intracellulare Pangenesis , Jena 1889.Die darin nieder - gelegten Ansichten widersprechen zwar eigentlich dem Titel, insofern Pangenesis bei Darwin doch die Überall-Entstehung von Keimchen bedeuten sollte, die Zusammensetzung der Ver - erbungssubstanz aus Keimchen, welche von allen Zellen des Körpers abstammen; de Vries aber beseitigt gerade diesenWeismann, Das Keimplasma. 218Theil der Darwin’schen Hypothese vollkommen. Das Charak - teristischste derselben wird hinweggenommen und was bleibt, ist mehr allgemeiner Natur, Principien, von denen in dieser oder jener Form heute wenigstens jede Vererbungstheorie aus - gehen muss. Dazu kommen dann aber noch eigne Ideen, die dem ganzen Vorstellungskreis erst den Stempel aufdrücken. Will man wie es de Vries thut seine Theorie als eine Um - gestaltung der Darwin’schen Pangenesis betrachten, so ist sie jedenfalls eine radikale und eine solche, die mit einem Schlage die unhaltbar gewordene Pangenesis von Neuem lebensfähig macht.

De Vries unterscheidet in der Darwin’schen Pangenesis zwei Hälften, deren eine er verwirft, während er die andere beibehält. Die erste nennt er die Transport-Hypothese und versteht darunter die Annahme von der Entstehung von Keim - chen in allen Zellen des Körpers, ihrem Abwerfen , ihrer Cir - culation im Blut und ihrer endlichen Ansammlung in den Keimzellen. Er stützt sich dabei auf meine Verwerfung einer Vererbung somatogener Eigenschaften, wodurch ja allerdings die Annahme eines Transports von Keimchen aus den Zellen des Körpers nach den Keimzellen hin überflüssig wird. So beseitigt er denjenigen Theil der Pangenesis, der dieselbe für die Meisten unannehmbar machte, und stellt die Theorie auf einen neuen realen Boden, von welchem aus sie entwickelungs - fähig wird.

Übrigens geht er doch wohl zu weit, wenn er die Trans - port-Hypothese lediglich aus dem Bedürfniss einer Erklärung für die Vererbung somatogener Eigenschaften herleitet. Man darf nicht vergessen, dass der Gedanke einer Continuität des Keimplasma’s zu Darwin’s Zeiten noch nicht zur Geltung gelangt war. Wie sollten denn die Keimchen sämmtlicher Zellen eines Bion in seine Keimzellen kommen, wenn sie nicht eben in den Körperzellen sich bilden, dann auswandern, circuliren19 und sich in den Keimzellen alle zusammenfinden? Ein direkter Zusammenhang der befruchteten Eizelle mit den Keimzellen des daraus sich entwickelnden Bion’s war weder damals von Jemand behauptet worden, noch besteht er überhaupt, mit Ausnahme ganz vereinzelter Fälle. Die Transport-Hypothese war also nothwendig auch für die Erklärung der Hervorbringung von Keimzellen jeder Art, die die Keimchen der Eltern wieder in sich enthalten mussten. Galton, der ja auch die Transport - Hypothese verwarf, kam dadurch in die sonderbare Lage, die Keimzellen, die das Bion hervorbringt, nur mit dem unver - brauchten Rest von Keimchen und deren Nachkommen füllen zu können, also mit den Keimchen, welche selbst keinen Antheil hatten nehmen können, den latent gebliebenen und individuell anders gearteten Keimchen. Er benutzte dies, um daraus die Verschiedenheit der Kinder eines Elternpaares zu erklären, sah sich aber genöthigt, für die in erster Linie zu erklärende Ähnlichkeit solcher Kinder mit den Eltern zu sehr künst - lichen Erklärungen zu greifen.

Was de Vries von Darwin’s Pangenesis beibehält, ist eine Vererbungssubstanz, welche sich aus Keimchen zusammen - setzt, die kleinste Lebenstheilchen sind, wachsen und sich durch Theilung vermehren können, die successive bei der Ontogenese in Thätigkeit gerathen und so den Organismus aufbauen. Die Theorie wird dadurch der rein fictiven Elemente ganz entkleidet und indem nun noch die Keimchen entsprechend den Resul - taten der neuesten Zeit in die Kernsubstanz verlegt werden, welche, wie wir wissen, durch die Theilungen von Zelle zu Zelle weiter gegeben wird, erhält die Pangenesis vollends festen Grund unter die Füsse.

De Vries begnügte sich aber nicht damit, die Darwin’sche Pangenesis gewissermassen bloss negativ umzugestalten, indem er die eine und fast die grössere Hälfte von ihr abtrennt, son -2*20dern er reformirt sie auch positiv, indem er den Keimchen einen andern Begriff unterlegt. Diese Keimchen , oder wie sie de Vries nennt, Pangene unterscheiden sich dadurch sehr wesentlich von den Darwin’schen gemmules , dass sie keine Zellen-Keimchen sind, sondern vielmehr Keimchen für viel kleinere Elemente, nämlich für die kleinsten Theilchen, aus welchen sich die einzelne Zelle aufbaut. Die Pangene sind Träger der einzelnen Eigenschaften der Zelle.

Der Gedankengang, der de Vries zu der Vorstellung der Zusammensetzung der Vererbungssubstanz aus solchen Eigen - schafts-Trägern der Zellen führte, ist zu interessant, um über - gangen zu werden. Er fusst dabei auf der Annahme einer gegenseitigen Unabhängigkeit der erblichen Eigen - schaften . Nach seiner Ansicht bestehen die Arten aus einer Summe erblicher Eigenschaften , von denen die wenigsten oder auch gar keine der einzelnen Art allein eigen sind, deren Combination aber den Charakter der Art ausmacht.

Dieselbe Eigenschaft wiederholt sich bei vielen Arten, aber in anderer Verbindung mit andern Eigenschaften . Überall sehen wir, wie eine und dieselbe erbliche Eigenschaft, oder wie eine bestimmte kleine Gruppe von solchen mit den verschieden - sten andern erblichen Eigenschaften verbunden werden kann, und wie durch diese äusserst variirten Verbindungen die ein - zelnen Artcharaktere zu Stande kommen. Ähnlich wie die Arten sich in dieser Beziehung zu einander verhalten, thun es auch die verschiedenen Organe derselben Art, auch sie setzen sich aus denselben Eigenschaften zusammen, nur in anderer Combination. Die einzelnen Eigenschaften nun, welche die Art zusammensetzen, können fast jede unabhängig von den andern variiren und können deshalb auch durch künstliche Züchtung je nach dem Gefallen des Züchters gesteigert werden, ohne dass deshalb die übrigen Eigenschaften der Art eben -21 falls verändert zu werden brauchten. Die Eigenschaften sind aber auch fast in jedem Verhältniss mit einander mischbar , wie besonders die Versuche über Bastardirung und Kreuzung lehren sollen; nirgendwo tritt so klar wie hier das Bild der Art gegenüber seiner Zusammensetzung aus selbständigen Fak - toren in den Hintergrund . Die Eigenschaften, oder vielmehr ihr materielles Substrat, sind also selbständig und fast beliebig mischbar.

Die Träger nun dieser die Art zusammensetzenden Eigen - schaften sind eben jene Pangene , jene kleinsten Lebens-Ein - heiten, welche de Vries an Stelle der Darwin’schen Zellen - keimchen setzt.

Der Grundgedanke der ganzen Deduction ist gewiss voll - kommen richtig; als ich vor einem Jahrzehnt zuerst anfing, mich in das Problem der Vererbung zu vertiefen, glaubte ich noch an die Möglichkeit einer epigenetischen Theorie, habe sie aber auch längst als unmöglich erkannt, wie man im Verlauf dieses Buches sehen wird. Auch ich denke mir die Vererbungs - substanz aus Anlagen zusammengesetzt und glaube sogar, diese Annahme als unvermeidlich und als eine völlig gesicherte nachweisen zu können. Aber ich meine nicht, dass wir mit Pangenen ausreichen zur Erklärung der Vererbungserschei - nungen. De Vries lässt die Keimsubstanz aus einer Menge verschiedener Arten von Pangenen bestehen, von denen so viele vorhanden sein müssen, als Eigenschaften bei der Art vor - kommen. Diese Pangene denkt sich nun de Vries nicht in festem geordneten Verband, sondern frei mischbar, wie es der angenommenen freien Mischbarkeit der Eigenschaften entspricht. Höhere Einheiten, die etwa eine bestimmte Zahl Pangene ge - ordnet zusammenhielten, bekämpft er als eine überflüssige An - nahme und darin scheint mir der schwache Punkt seiner Auf - stellungen zu liegen.

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In dem Abschnitt über die Beherrschung der Zelle durch die Kernsubstanz werde ich mich dem wie ich glaube sehr glücklichen Gedanken von de Vries anschliessen, nach welchem materielle Theilchen aus dem Kern austreten und in den Bau des Zellkörpers eingreifen. Diese Theilchen entsprechen den Pangenen , sie sind die Eigenschaftsträger der Zelle; durch ihre Natur, durch ihre verschiedenen Arten und durch die Verhältnisszahl derselben wird auch nach meiner Ansicht der Zelle ihr specifischer Stempel aufgedrückt.

Aber beruht denn der Charakter einer Art blos auf diesen primären Eigenschaften der Zellen? Giebt es nicht Eigen - schaften sehr verschiedner Ordnung? primäre, sekundäre u. s. w.? Die Pangene sind primäre Eigenschaftsträger, ihre blosse Anwesenheit in der Vererbungssubstanz sagt noch gar Nichts oder doch sehr Wenig über den Charakter einer Art aus. Wenn z. B. in der Eizelle einer Pflanze Chlorophyll-Pangene ent - halten sind, so können wir daraus keinen weiteren Schluss auf ihre Artcharaktere machen, als dass sie irgend welche grüne Zellen besitzen wird; wo dieselben liegen, welche Theile der Pflanze grün, welche etwa panaschirt sein werden, ob grüne, ob weisse oder anderswie gefärbte Blüthen an ihr entstehen werden, lässt sich daraus nicht entnehmen. Erst wenn wir in der Keimsubstanz Gruppen von Pangenen entdeckten, von welchen die einen für Blätter, die andern für Blüthen bestimmt wären, könnten wir sagen, ob die Letzteren grün oder anders - wie ausfallen werden.

De Vries erwähnt einmal die Zebrastreifung. Wie soll ein Charakter, wie dieser vererbbar sein, wenn im Keim blos verschiedene Arten von Pangenen lose nebeneinander liegen, ohne zu festen und als solche vererbbaren Gruppen ver - bunden zu sein? Zebrapangene kann es nicht geben, weil die Zebrastreifung keine Zellen-Eigenschaft ist; es kann vielleicht23 kurz gesagt schwarze und weisse Pangene geben, deren Anwesenheit die schwarze oder weisse Färbung einer Zelle be - dingen. Aber die Zebrastreifung beruht nicht auf Entwickelung von Schwarz und Weiss innerhalb einer Zelle, sondern auf der regelmässigen Abwechselung von Tausenden streifenweise angeordneten schwarzen oder weissen Zellen.

De Vries bezieht sich auch einmal auf die zuweilen durch Rückschlag auf eine weit zurückliegende Stammform entstehende langstengelige Abart der alpinen Primula acaulis. Auch hier kann der Charakter der Langstengeligkeit nicht auf Langstengel - Pangenen beruhen, denn die Langstengeligkeit ist keine intra - celluläre Eigenschaft. Ebensowenig die specifische Form der Blätter u. s. w. Der gesägte Rand eines Blattes kann nicht auf der Anwesenheit von Säge-Pangenen beruhen, sondern er beruht auf eigenthümlicher Anordnung der Zellen des Blatt - randes. Ebenso verhält es sich fast bei allen Charakteren, die wir als sichtbare Eigenschaften der Art, Gattung, Familie u. s. w. bezeichnen, so bei der Grösse, Structur, Be - filzung, Gestalt eines Blattes, den charakteristischen und oft so durchaus constanten Farbenflecken auf Blumenblättern (Orchi - deen) u. s. w. Alle diese Eigenschaften kommen nur durch das ordnungsmässige Zusammenwirken vieler Zellen zu Stande. Oder denke man an Eigenschaften des Menschen, an seine Schädel -, seine Nasenform u. s. w. Alle diese so charakteristischen Eigen - schaften können nicht einfach nur auf der blossen Anwesen - heit der Pangene im Keim beruhen, welche die Hunderte und Tausende verschiedener Zellen bilden sollen, die die betreffende Eigenschaft zusammensetzen, sondern sie müssen auf einer festen und von Generation auf Generation übertrag - baren Gruppenbildung der Pangene oder irgend welcher andern primärer Elemente des Keimes beruhen.

Das Charakteristische der Art kann nicht blos auf Anzahl24 und Verhältniss der Pangene im Keim beruhen. Es liessen sich ganz wohl zwei recht verschieden gebaute Arten denken, deren Pangen-Material des Keimes nach Art und Zahl gleich wäre; der Unterschied würde dann lediglich in einer Gruppen - bildung von Pangenen im Keim liegen. Allerdings führt de Vries die systematische Differenz auf den Besitz ver - schiedener Arten von Pangenen zurück und meint die An - zahl der gleichartigen Pangene in zwei Species sei das wirkliche Maass ihrer Verwandtschaft 1)A. a. O. p. 73., allein dieser Ausspruch scheint mir nicht ganz zu stimmen mit der Grundanschauung, von welcher ausgegangen wird, und nach welcher der Charakter jeder einzelnen Art aus zahlreichen erblichen Eigenschaften zu - sammengesetzt ist, von denen weitaus die meisten bei fast unzähligen andern Arten wiederkehren . Wird doch ausdrücklich hervorgehoben, dass die grosse Anzahl ver - schiedener Pangene, welche, zum Aufbau einer einzelnen Art schon gehört, doch nicht zu einer ganz unfassbaren Menge ver - schiedener Pangene in der gesammten Organismenwelt führt, weil zum Aufbau dieser eine im Verhältniss zur Artenzahl geringe Anzahl von einheitlichen erblichen Eigenschaften aus - reicht. Jede Art erscheint uns als ein äusserst complicirtes Bild, die ganze Organismenwelt aber als das Ergebniss un - zähliger verschiedener Combinationen und Permutationen von relativ wenigen Faktoren .

Der hier so klar und bestimmt ausgesprochene Gedanke des Aufbaues zahlloser Arten aus verschiedenen Zusammenstellungen relativ weniger Pangene zeigt, dass auch vom de Vries’schen Standpunkt aus nicht das den Keim zusammensetzende Mate - rial an Pangenen in erster Linie das Bestimmende für den Charakter der Art sein kann, sondern in viel höherem Grade2)A. a. O. p. 9.25 die Anordnung desselben, oder wie ich es später bezeichnen werde: die Architektur des Keimplasma’s.

Wohl spricht auch de Vries an verschiedenen Stellen von Gruppen von Pangenen, aber er streift den Gedanken nur, und verweist seine Ausführung auf die noch zu erwartenden weiteren Aufschlüsse über den Mechanismus der Kerntheilung. So wichtig aber ohne allen Zweifel die von de Vries ver - tretene Grundanschauung einer Zusammensetzung der Keim - substanz aus primären Anlagen ist, so täuscht sie doch leicht über die Tragweite ihres Erklärungsvermögens; ohne die An - nahme einer Bildung vieler, einander umfassenden Ordnungen von Gruppen solcher primärer Anlagen kommt man nicht zur Erklärung auch nur der einfachsten Ontogenese, geschweige denn der verwickelten Erscheinungen des Rückschlags und der amphigonen Vererbung überhaupt. Die Darwin’sche Pangenesis leistet hier noch mehr, als die de Vries’sche Abänderung der - selben, insofern sie doch wenigstens mit Zellen-Anlagen operirt, während die blosse Anwesenheit einer bestimmten Pangen-Gesell - schaft im Keim nicht einmal Sicherheit dafür gewährt, dass die gleichen Zellen beim Kind zu Stande kommen, wie sie beim Elter vorhanden waren; denn der Charakter der einzelnen Zelle wird durch eine bestimme Auswahl von Pangenen bestimmt. Wenn freilich angenommen wird, dass die erforderlichen Pangene überall da beisammen liegen und zur Verfügung stehen, wo man sie zur Erklärung einer Vererbungserscheinung braucht, dann ist die Erklärung nicht mehr schwer, aber mir scheint, dass es eben gerade darauf ankäme, zu zeigen, wieso die Be - schaffenheit des Keims es bedingen kann, dass die rechten An - lagen immer am rechten Ort sein müssen.

De Vries spricht, wie gesagt, gelegentlich von Pangen - Gruppen, auf der andern Seite aber verwahrt er sich gegen jede höhere Einheiten im Keim als überflüssig. Ich kann26 diesen Widerspruch nur daraus verstehen, dass er die Eigen - schaften für selbständig und völlig frei mischbar hält, somit eines Keim-Mechanismus bedarf, der ihre Trennung in beliebiger Weise gestattet. Verhielte sich dies wirklich so, wären die Anlagen nicht im Keim schon zu festen Gruppen verbunden, wie könnten jemals complicirte, aus vielen verschiedenartigen Zellen in bestimmter Anordnung zusammengesetzte Charaktere, z. B. ein Augenfleck auf einer bestimmten Feder eines Vogels zum festen Artcharakter geworden sein? Ich bin der Ansicht, dass die Selbständigkeit und freie Mischbarkeit der Eigenschaften eine Täuschung ist, hervorgerufen durch die amphigone Fort - pflanzung. Der Abschnitt über amphigone Vererbung, Rück - schlag u. s. w. wird zeigen, wie ich mir das Zustandekommen dieses Scheins einer freien Mischbarkeit der vereinzelten Eigen - schaften vorstelle.

Es wird im Verlauf dieses Buches noch vielfach hervor - treten, in wie vielen und gerade den wichtigsten Punkten ich mit dem holländischen Botaniker auf dem gleichen Boden stehe, ich glaube aber allerdings, dass seine Pangene , oder ähnliche kleinste Lebenstheilchen allein zum Aufbau einer Vererbungs - theorie noch nicht genügen, dass noch Einiges hinzugefügt werden muss, um die Erscheinungen im Princip wenigstens begreifbar zu machen.

Das Manuskript des vorliegenden Buches war bereits längst niedergeschrieben, als das Werk von J. Wiesner über die Elementarstructur und das Wachsthum der lebenden Substanz erschien. Wenn dasselbe auch nicht eine Vererbungstheorie ent - hält oder zu geben beabsichtigt, so ist es doch von grosser Bedeutung auch für die Theorie der Vererbung, weil es die Grundlage einer solchen behandelt: die Zusammensetzung der lebenden Substanz aus kleinsten Einheiten. Wiesner bemerkt, dass die bisherigen Vererbungstheorien stets besondere,27 ad hoc erfundene Einheiten angenommen hätten, während doch dieselben Einheiten, welche Leben überhaupt ermöglichen, welche der Assimilation und dem Wachsthum vorstehen, zugleich auch die Vererbung vermitteln müssten. In der That sind die phy - siologischen Einheiten Herbert Spencer’s, die Keimchen Darwin’s, die Plastidule Häckel’s und meine Ahnenplasmen solche speciell zur Erklärung der Vererbung angenommenen Elemente. Nur de Vries lässt aus seinen Pangenen zugleich alle lebende Substanz zusammengesetzt sein, und ich habe schon angedeutet, dass auch meine Ahnenplasmen sich aus ähnlichen primären Einheiten zusammensetzen, welche nicht blos in ihnen vorkommen. Die von Wiesner nach Brücke’s Vorgang an - genommenen kleinsten Lebenstheilchen, seine Plasome 1)Julius Wiesner, Die Elementarstructur und das Wachsthum der lebenden Substanz . Wien 1892. ent - sprechen in allem Wesentlichen den von mir angenommenen Biophoren oder Lebensträgern.

B. Sachlicher Theil.

Unter Vererbung versteht man schlechthin die Erfahrungs - Thatsache, dass lebende Organismen Ihresgleichen wieder her - vorbringen können und dass diese Gleichheit von Kind und Elter, wenn sie auch niemals eine vollständige ist, sich doch bis in sehr geringfügige Einzelheiten des Baues und der Funk - tion erstrecken kann.

Die Grunderscheinungen der Vererbung sind von allen leben - den Wesen bekannt: die Übertragung des Artcharakters vom Elter auf das Kind, sei es, dass die Vermehrung durch Zweitheilung eines einzelligen Wesens erfolgt, sei es, dass es sich um die28 Wiederholung eines vielzelligen Organismus handelt, der nur durch eine verwickelte Aufeinanderfolge immer mehr anwachsen - der Zellgruppen, d. h. durch Entwickelung entstehen kann. Diese Grunderscheinungen der Vererbung compliciren sich aber bei allen höheren Organismen durch die Verbindung der Fort - pflanzung mit jenem Vorgang, den man als Amphimixis1)August Weismann, Amphimixis oder die Vermischung der Individuen . Jena 1891., als Vermischung zweier Individuen oder ihrer Keime bezeichnen kann und welchen man in seiner bei Vielzelligen constanten Verbindung mit Fortpflanzung als geschlechtliche Fortpflanzung zu bezeichnen gewohnt ist. Die Erscheinungen der Mischung der elterlichen Charaktere, des Rückschlags und andere mehr beruhen ausschliesslich auf dem Eingreifen der Amphimixis in das Leben der Arten, wie später genauer zu zeigen sein wird. Bei den Einzelligen, bei welchen Amphimixis in der Form der Conjugation sehr verbreitet, wenn nicht allgemein vorkommt, also nicht direkt mit Fortpflanzung verknüpft, müssen ähnliche Vererbungserscheinungen vorkommen; wir kennen sie aber noch nicht und sind also in Bezug auf diese Seite der Vererbung ganz auf die Vielzelligen angewiesen. Genauer beobachtet sind diese Vererbungserscheinungen überhaupt nur bei höheren Pflanzen und Thieren und von den Letzteren am genauesten beim Menschen. Bei diesen höheren Lebensformen steht ein grosses Arsenal von Thatsachen der theoretischen Analyse zur Verfügung.

Obgleich nun durch Amphimixis eine sehr bedeutende Ver - wickelung der Vererbungserscheinungen verursacht wird, so gestattet uns doch gerade die Vermischung zweier elterlichen Vererbungstendenzen und die Vorgänge der geschlechtlichen Fortpflanzung selbst, welche diese herbeiführen, einen wesentlich tieferen Einblick in die Vererbungsvorgänge selbst, als wir ihn29 auf andere Weise wohl jemals hätten erhalten können, und wir dürfen hoffen, durch immer genauere Untersuchungen gerade dieser Erscheinungen mit der Zeit noch tiefer in das Wesen derselben einzudringen.

Um aber dieses Ziel zu erreichen, werden wir nie vergessen dürfen, dass diese Form der Fortpflanzung weder die einzige, noch die ursprüngliche ist, dass auch bei den Vielzelligen nicht jede Fortpflanzung mit Amphimixis verbunden ist, dass vielmehr die sogenannte ungeschlechtliche , d. h. einelterliche Fort - pflanzung die Wurzel der zweielterlichen sein muss. Die Grund - erscheinungen der Vererbung haben aber auch vor Einführung der Amphimixis in die Lebewelt ihren Ablauf genommen, und sie haben also Nichts mit der zweielterlichen Abstammung und der aus dieser resultirenden Complicirung der Vererbung zu thun. Das ist oft übersehen oder doch nicht berücksichtigt worden und man hat sich dadurch die Lösung des Vererbungs-Problems ungemein erschwert. Eine ganze Reihe von Vererbungserschei - nungen können theoretisch untersucht werden, ohne Rücksicht zu nehmen auf ihre Complication durch die thatsächlich überall hineinspielende Amphimixis, und die zu lösende Aufgabe ver - einfacht sich dadurch recht beträchtlich.

Der natürliche Gang der Untersuchung würde vom Ein - fachen zum Zusammengesetzten leiten, aber es empfiehlt sich, heute noch nicht mit der Vererbung der Urwesen zu beginnen und durch die Einzelligen zu den Vielzelligen aufzusteigen. Nicht blos deshalb, weil wir über die Einzelerscheinungen, z. B. über die Vererbung individueller Charaktere bei niederen Lebensformen so gut wie Nichts wissen, sondern vor Allem aus dem Grund, weil gerade die zweielterliche Fortpflanzung der Vielzelligen, der Befruchtungsprocess und die complicirte Ent - wickelung derselben uns wie schon gesagt wurde einen tiefen Blick in das Wesen des Vererbungsvorgangs thun lassen. 30Es geht hier, wie bei fast allen physiologischen Vorgängen: Die Forschung kann nicht den regulären Weg vom Einfachen zum Verwickelten gehen, unbekümmert darum, welche Objekte und Vorgänge ihr dabei zuerst entgegentreten; sie muss viel - mehr auf den dicht verwachsenen, geraden Weg verzichten und die Dornenhecke umkreisen, welche das verzauberte Schloss des Naturgeheimnisses umgiebt, um zu sehen, ob nicht irgendwo eine Lücke geblieben ist, durch welche sie eindringen und innerhalb festen Fuss fassen kann.

Eine solche Lücke in der Dornenhecke, welche das Ge - heimniss der Vererbung einschliesst, dürfen wir in dem Be - fruchtungsvorgang sehen, wenn wir ihn zusammenhalten mit den Thatsachen der Vererbung, wie wir sie bei den Organismen mit geschlechtlicher Fortpflanzung beobachten.

Solange man noch in der irrigen Vorstellung befangen war, die Befruchtung des Eies durch den Samen beruhe auf einer Aura seminalis, welche dem Ei den Anstoss zu seiner Entwickelung ertheile, konnte man die Vererbungsthatsache, dass nicht nur die Mutter, sondern auch der Vater seine Eigen - schaften auf die Kinder übertragen könne, nur dadurch halb - wegs verständlich machen, dass man einen Spiritus Rector an - nahm, der in der Aura seminalis enthalten sich auf das Ei übertrug und dort mit dem im Ei schon enthaltenen vereinigte, um gemeinsam die Entwickelung zu leiten. Erst die Ent - deckung, dass materielle Substanztheilchen des Samens die Be - fruchtung bewirken, die Samenzellen, welche ins Ei eindringen, eröffnete einer richtigeren Auffassung die Bahn. Heute wissen wir, dass die Befruchtung nichts Anderes ist, als die theilweise oder völlige Verschmelzung zweier Zellen, der Samenzelle und der Eizelle, und dass normalerweise stets nur eine Samenzelle sich mit einer Eizelle vereinigt. Demnach beruht die Be - fruchtung in der Vereinigung zweier protoplasmatischer Sub -31 stanzen, und da nun einerseits die männliche Keimzelle stets sehr viel kleiner und geringer an Masse ist, als die weibliche, andrerseits aber die Vererbungskraft des Vaters erfahrungs - gemäss ebenso gross sein kann, wie die der Mutter, so muss daraus der wichtige Schluss gezogen werden, dass jedenfalls nur ein kleiner Theil der Substanz des Eies eigentliche Ver - erbungssubstanz sein kann. Pflüger und Nägeli haben diesen Gedankengang zuerst geltend gemacht, und der Letztere genauer ausgeführt, dass man der Annahme nicht ausweichen kann, es sei in der weiblichen Keimzelle, dem Ei, nicht mehr Vererbungssubstanz enthalten, als in der männlichen, folglich nur eine ganz minimale Menge. Denn die Samenzelle ist in den meisten Fällen hundert und tausend Mal kleiner als die Eizelle.

Es ist aber durch die zahlreichen und wichtigen Ergeb - nisse der Forschung so vieler ausgezeichneter Beobachter über den Befruchtungsvorgang nahezu, oder wie ich glaube ganz sichergestellt worden, dass nicht nur der bei Weitem grösste Theil der Eizelle keine Vererbungssubstanz ist, sondern dass auch nur ein kleiner Theil der Spermazelle aus dieser be - steht. Schon O. Hertwig hatte nach seinen Beobachtungen am Seestern-Ei das Wesentliche des Befruchtungsvorganges in der Vereinigung der Kerne der Ei - und Samenzelle vermuthet und diese Auffassung hat sich wenigstens insoweit als richtig bestätigt, als die Vererbungssubstanz zweifellos im Kern ent - halten ist. Allerdings wird in keinem Falle lediglich der Kern ohne jede Zugabe von Zellkörper bei der Befruchtung von Seiten des männlichen Theiles übertragen, wie man nach früheren Beobachtungen von Strasburger an höheren Pflanzen eine Zeit lang glauben musste. Jetzt wissen wir durch die Unter - suchungen von Guignard, dass auch bei den Phanerogamen ein kleiner Zellkörper den befruchtenden Kern umgiebt und32 dass in ihm ein eigenthümliches Organ enthalten ist, das Cen - trosoma, welches für den Eintritt der Entwickelung unentbehr - lich ist. Ich werde später noch auf dasselbe näher zu sprechen kommen; soviel aber möchte ich hier schon sagen, dass dieses Centrosoma mit seiner sog. Attractionssphäre in jedem Falle keine Vererbungssubstanz sein kann, sondern dass es blos der Theilungsapparat der Zelle und des Kerns ist.

Was aber im Kern der Samenzelle enthalten ist, ist nicht nur bei allen Pflanzen, sondern auch bei allen Thieren im Wesentlichen dasselbe, nämlich die Vererbungssubstanz der betreffenden Art, dasselbe, was auch im Kern der Eizelle ent - halten ist, denn es kann heute kein Zweifel mehr darüber sein, dass die von Strasburger und mir schon seit Jahren ver - tretene Auffassung die richtige ist, nach welcher auch die Kerne der männlichen und die der weiblichen Ge - schlechtszellen im Wesentlichen gleich sind, d. h. bei ein und derselben Art dieselbe Vererbungssubstanz der Species enthalten.

Die vortrefflichen Untersuchungen von Auerbach, Bütschli, Flemming und so vielen Andern über die intimen Vorgänge bei der Kerntheilung im Allgemeinen und anderseits besonders die wichtigen Beobachtungen von Beneden’s, Boveri’s und Andern über die Befruchtung des Ascariden-Eies, haben uns die Mittel an die Hand gegeben, mit Sicherheit noch genauer zu bestimmen, welcher Theil des Kerns die Substanz ist, an der die Vererbung hängt. Wie oben schon erwähnt, sind es jene Chromosomen , stark mit Farbstoffen färbbare Körperchen im Innern des Kerns von Stäbchen -, Schleifen - oder Kügelchen - Gestalt.

Sobald es erst gelungen war, zu schliessen, dass nicht der Zellkörper, sondern nur der Kern die Vererbungssubstanz ent - halten müsse, war es auch gegeben, dass weder die Membran33 des Kerns, noch dessen flüssiger Inhalt, noch die die Auf - merksamkeit zuerst auf sich ablenkenden Kernkörperchen (Nuc - leolen) als solche angesehen werden können, sondern einzig und allein jene Chromatinkörner . In der That haben denn auch kurz nach einander und auf denselben Daten fussend, mehrere Forscher diesen Schluss gezogen, so Strasburger, O. Hertwig, ich selbst und Kölliker.

Es ist nicht uninteressant und nicht überflüssig, sich die Gründe, welche zu diesem Schluss drängen und damit zugleich die zwingende Kraft, welche ihnen inne wohnt, hier vorzu - führen, denn es leuchtet ein, dass es für eine Theorie der Ver - erbung von fundamentaler Bedeutung sein muss, darüber Sicher - heit zu haben, welches die Substanz ist, von der die zu er - klärenden Erscheinungen ausgehen.

Die Sicherheit, mit welcher wir gerade die sog. Chroma - tinkörper des Zellkerns als Vererbungssubstanz in Anspruch nehmen können, beruht einmal auf dem Vorgang der Amphi - mixis und zweitens auf dem der Kerntheilung. Wir wissen, dass der Befruchtungsvorgang wesentlich darin besteht, dass Chromatinstäbchen in gleicher Zahl von Seiten der väterlichen und der mütterlichen Keimzelle zusammentreten und einen neuen Kern bilden, von welchem nun die Bildung des kindlichen Organismus ausgeht. Wir wissen auch, dass jede Keimzelle, um zur Befruchtung geeignet zu werden, zuerst der Hälfte seiner Kernstäbchen sich entäussern muss, ein Vorgang, der durch sehr eigenthümliche Theilungen zu Stande kommt. Ohne hier schon näher darauf einzugehen, kann doch die Amphi - mixis als ein Vorgang charakterisirt werden, durch welchen die halbe Zahl der Kernstäbchen einer Keimzelle (der männlichen) entfernt und durch die gleiche Zahl von Kernstäbchen einer andern Keimzelle (der weiblichen) ersetzt wird.

Weismann, Das Keimplasma. 334

Aber auch die Art und Weise, wie die Chromatinsubstanz bei der Kerntheilung getheilt wird, bestärkt die Ansicht von ihrer fundamentalen Natur. Dieser Theilungsmodus lässt keinen Zweifel darüber, dass es sich um eine Substanz von der aller - grössten Wichtigkeit handelt. Ich will nur kurz an die Haupt - momente des wunderbar complicirten und bis ins Feinste hinein regulirten Vorgangs der sog. mitotischen Kerntheilung erinnern.

Wenn der Kern einer Zelle zur Theilung schreitet, so sammeln sich zunächst die bisher zerstreuten Chromatinkörnchen, indem sie sich aneinanderreihen und einen langen Faden bilden, der in unregelmässigen Spiralwindungen den Kernraum durch - zieht und der sich dann in ziemlich gleich lange Stücke theilt: die Chromosomen. Diese erscheinen meist zuerst in Form langer Bänder oder Schleifen, verkürzen sich aber dann und werden so zu kurzen Schleifen, oder auch zu geraden Stäbchen oder kugeligen Körnern. Die Zahl der auf diese Weise her - vortretenden Chromosomen ist bei einer Thier - oder Pflanzen - art immer dieselbe, später zu erwähnende Ausnahmen abge - rechnet, und ist also auch die gleiche, die sie nach der Ent - stehung der gerade beobachteten Zelle gewesen ist.

Wenn der Vorgang soweit vorgeschritten ist, so hat sich bereits ein besonderer, grossentheils im Zellkörper bisher verborgen gewesener Apparat entfaltet, der dazu bestimmt ist, die eben be - zeichneten Chromatin-Elemente in zwei gleiche Hälften zu theilen und diese Hälften in gesetzmässiger Weise von einander zu ent - fernen und zu lagern. Es werden nämlich an den beiden ent - gegengesetzten Polen der Längsachse des Kernes zwei früher schon vorhandene helle Körperchen sichtbar, die Centrosomen , um - geben von einer hellen Zone, der sogen. Attractionssphäre , die in ihrer Bedeutung von Fol, van Beneden und Boveri zuerst erkannt wurden. Sie entwickeln zu Zeiten eine An - ziehungskraft auf die Lebenstheilchen der Zelle, so dass diese35

Fig. 1.

Schema der Kerntheilung. A Zelle mit Kern n und Centrosoma cs in Vorbereitung zur Theilung; die chromatische Sub - stanz hat sich zu einem spiralig verschlungenen Faden verdichtet chr. B. Die Kernmembran hat sich aufgelöst; von den Centrosomen strahlen blasse Fäden aus und bilden die sogen. Spindelfigur , in deren Äquator acht Chromosomen oder Kernschleifen chr liegen, die sich durch Theilung des spiraligen Chromatinfadens von Figur A gebildet haben. C. Die Chromosomen haben sich verdoppelt durch Längsspaltung und werden jetzt durch die Spindelfäden auseinander gezogen (es sind nur vier von den acht sich spaltenden Schleifen der Deutlichkeit halber eingezeichnet). D. Die Tochterschleifen rücken gegen die Pole der Spindelfigur. E. Der Zellkörper hat sich getheilt; jeder enthält ein Centrosoma und acht Kernschleifen.

3*36sich wie die Strahlen einer Sonne um sie anordnen. Auf einem bestimmten Stadium der Theilungs-Vorbereitung formt sich sogar die weiche protoplasmatische Substanz des Zellkörpers, wie des Kernes zu wirklichen feinen Fäden. Diese Fäden sind beweglich und ergreifen nach Auflösung der Kernmembran mit wunderbarer Sicherheit und Regelmässigkeit die Chromo - somen, seien sie nun Schleifen, Stäbchen oder kugelige Körner, und zwar so, dass ein jedes Element von beiden Polen und von jeder Seite her durch mehrere Fäden gefasst wird. Zu - gleich ordnen sie die Chromatin-Elemente in einer ganz be - stimmten, gesetzmässigen Weise an, nämlich so, dass sie alle in die Äquatorial-Ebene des kugelig gedachten Kernes zu liegen kommen, und nun verdoppeln sich wie Flemming zuerst gezeigt hat die Chromatin-Elemente, indem sie sich der Länge nach spalten. Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass diese Spaltung nicht etwa durch einen Zug der von beiden Seiten her sich an das Chromatinstäbchen ansetzenden Spindel - fäden hervorgerufen wird. Die Spaltung erfolgt vielmehr aus innern, im Stäbchen selbst wirkenden Kräften, wie daraus her - vorgeht, dass sie oft schon viel früher sich vorbereitet oder auch wirklich schon erfolgt, als die äquatoriale Anordnung der Ele - mente durch jene Fäden zu Stande kommt.

Die Spaltung vollendet sich, indem die Spalthälften immer weiter auseinander gezogen werden gegen die entgegengesetzten Pole der Kernspindel hin, bis sie schliesslich in die Nähe des Anziehungsmittelpunktes kommen, jenes Centrosoma, welches nun für diesmal seine Rolle ausgespielt hat und in das Dunkel des Zellkörpers, aus dem es hervorgetaucht war, zurücktritt, um erst bei der nächsten Kerntheilung wieder in Thätigkeit zu treten. Die Spalthälften der Chromatin-Elemente aber con - stituiren nun einen Tochterkern, in welchem sie sich alsbald auflösen, d. h. in feinste Körnchen getrennt in jenem zarten37 Netzwerk blasser Fäden zerstreuen, so dass zuletzt wieder ein Kern von ganz ähnlichem Bau zu Stande kommt, wie der war, von dem wir ausgegangen sind. Der Zerstreuungsprocess durch - läuft auch dieselben Phasen, welche der Verdichtungsprocess der Chromatinsubstanz1)Das Chromatin hat seinen Namen von seiner leichten Färb - barkeit mit allen möglichen Farbstoffen; wir wissen aber durchaus nicht, ob diese Färbbarkeit an der chemischen Zusammensetzung dieses Stoffes hängt, oder etwa blos an seiner gewöhnlichen mikroskopischen Structur. Manches spricht für die letztere Ansicht; überhaupt soll mit Chromatin nicht eine einheitliche chemische Verbindung gemeint sein, sondern ein Gemenge chemisch unbekannter Substanzen, von deren Gesammtheit wir nur soviel sicher wissen, dass sie die Vererbungssubstanz ausmachen. im Mutterkern durchlief, als er sich zur Theilung anschickte, nur in umgekehrter Reihenfolge.

Man sieht: der ganze verwickelte, aber höchst präcis ar - beitende Theilungsapparat des Kernes ist lediglich dazu da, die Chromatinsubstanz in einer bestimmten und gesetzmässigen Weise zu theilen, wie Wilhelm Roux zuerst dargethan hat, und zwar nicht nur der Masse nach, sondern nach den in ihm vorauszusetzenden verschiedenen Qualitäten; zu einer blossen Massentheilung wäre ein so verwickelter Apparat nicht nöthig gewesen, wenn aber das Chromatin nicht gleichmässig, sondern aus mehreren oder vielen verschiedenen Qualitäten zusammen - gesetzt ist, von denen jede möglichst genau halbirt oder über - haupt gesetzmässig vertheilt werden sollte, dann könnte ein besserer Apparat dafür nicht ersonnen werden. Wir werden also schon allein durch die Erkenntniss des Theilungsapparates auf die Vorstellung geleitet, dass die Vererbungssubstanz aus verschiedenen Qualitäten zusammengesetzt ist. Zu derselben Vorstellung kommen wir auch von rein theoretischer Seite her, wie später gezeigt werden soll, wenn wir den Vor - gang der Amphimixis in seine Consequenzen verfolgen.

Für jetzt kam es nur darauf an, zu zeigen, dass die com -38 plicirte Theilungsmaschine der Zelle wesentlich nur wegen der Theilung der Chromatinsubstanz des Kernes vorhanden ist, dass diese also unzweifelhaft der wichtigste Theil des Kernes ist. Da nun die Vererbungssubstanz im Kern enthalten ist, so muss das Chromatin die Vererbungssubstanz sein.

Den Widerspruch, welchen de Vries gegen diese Meinung erhoben hat, halte ich nur für einen scheinbaren. Denn es ist nicht behauptet worden, dass nur der Kern Träger der erblichen Eigenschaften sei , wie de Vries meint, sondern, dass nur der Kern die Vererbungssubstanz enthalte, d. h. diejenige Substanz, welche im Stande ist, nicht nur den Charakter der betreffenden Zelle, sondern auch den ihrer Nachkommen zu bestimmen. Diese Substanz aber ist bei Vielzelligen und wohl auch bei Einzelligen niemals im Zell - körper, sondern immer im Kern enthalten. Es mag sein, dass bei gewissen niederen Algen einzelne Zellorgane (Vacuolen, Chlorophyllkörper) direkt von der mütterlichen Eizelle auf ihre Tochterzellen übergehen, obwohl auch dieses keineswegs als erwiesen anzusehen ist. Jedenfalls spielt aber diese direkte Vererbung auch bei Pflanzen nur eine sehr geringfügige Rolle, und bei Thieren wohl gar keine. Denn specifische Organe oder Structuren kommen bei der thierischen Eizelle nicht vor, höchstens Ablagerungen von Nährstoffen. Diese aber sind keine lebendigen Zellorgane, sondern passive chemische Substanzen. De Vries bestreitet auch nicht, dass der Kern die Vererbungssubstanz enthalte, er baut vielmehr seine ganze Theorie auf dieser Basis auf, die in der That auch nicht mehr zu bestreiten ist. Den letzten Zweifel daran mussten die Ver - suche Boveri’s1)Boveri, Ein geschlechtlich erzeugter Organismus ohne mütter - liche Eigenschaften . Gesellsch. f. Morph. u. Physiol. München, 16. Juli 1883. beseitigen, der künstlich kernlos gemachte39 Eier einer Seeigel-Art A mit Samen einer andern Art B über - goss und darauf diese Eier sich zu Larven der Art B entwickeln sah. Hier verhielt sich also der Zellkörper der mütterlichen Keimzelle lediglich als Nährmaterial, welchem die väterliche Keimzelle den Artcharakter aufprägte. Nichts von mütterlichen Art-Merkmalen wurde hier übertragen und eine Erblichkeit ausserhalb der Zellkerne ist für diesen Fall wenigstens aus - geschlossen.

Man hat kürzlich meiner Ansicht vom Sitz der Vererbungs - substanz im Kern Mancherlei entgegengehalten. So wiederholt Verworn1)Max Verworn, Die physiologische Bedeutung des Zellkerns . Bonn 1891. (Arch. f. ges. Phys. Bd. 51.) die früher von Whitman geäusserte Ansicht, nach welcher nicht nur der Kern, sondern ebensosehr der Zellkörper als Vererbungssubstanz zu betrachten wäre, weil der Kern nicht allein für sich leben kann, sondern des Zellkörpers bedarf und weil nach seiner unzweifelhaft richtigen Ansicht das Leben der Zelle auf einer steten Wechselwirkung, einem Stoffaustausch zwischen Zelle und Kern besteht. Ist denn aber die Frage, ob Zelle und Kern in intimsten physiologischen Beziehungen stehen, so dass Eines ohne das Andere nicht leben kann, gleichbedeutend mit der Frage, ob die Vererbungssubstanz im Kern oder im Zellkörper enthalten ist? Zum Mindesten wird also doch wohl die Hypothese erlaubt sein, dass das Anlagen-Magazin der Vererbungssubstanz im Kern eingeschlossen und verwahrt sei, denn an zwei verschiedenen Stätten wird dasselbe schwerlich aufgespeichert sein, da seine richtige Vertheilung wie wir sehen werden und wie ja schon angedeutet wurde einen sehr complicirten Theilungs-Apparat voraussetzt, der sicherlich nicht doppelt von der Natur gebildet wurde. Solche Meinungen wie die von der Vertheilung der Vererbungssubstanz auf Zelle und Kern kann man nur so lange hegen, als man den Ver -40 erbungserscheinungen selbst und ihrer Erklärung noch recht ferne steht. Ist man in diese etwas tiefer eingedrungen, so wird man nicht mehr zweifeln, dass der Bau der Vererbungs - substanz ein so verwickelter sein muss, dass wir nur staunen können, wie er dennoch ausführbar war. Wenn wir nun sehen, dass im Kern eine Substanz enthalten ist, welche schon für unser blödes Auge sehr complicirt beschaffen ist, welche in höchst auffälliger Weise sich nach jeder Zelltheilung verändert, um sich bei Herannahen einer neuen Zelltheilung wieder rück - zuverändern; wenn wir weiter sehen, dass offenbar für die genaueste Halbirung dieser Substanz ein besonderer Theilungs - apparat der Zelle beigegeben ist, so ist es kaum mehr eine Hypothese zu nennen, wenn wir sagen: diese Substanz ist die Vererbungssubstanz.

Man hat auch gemeint, der neuerdings durch Fol1)Fol, Le quadrille des Centres . Archiv. sc. phys. et nat. Genève, 15 Avril 1891. und Guignard2)Guignard, Sur l’existence des sphères attractives dans les cellules végétales . Compt. rend. Acad. sc. 9 Mars 1891. gelieferte Nachweis, dass bei der Befruchtung nicht lediglich der Kern, sondern immer auch der dem Zellkörper angehörige Theilungs-Apparat, das Centrosama mit seiner Attractionssphäre übertragen werde, sei ein Beweis gegen die Auffassung der Chromosomen als der Vererbungssubstanz. Wenn ich aber zwei entfernte Haufen Getreide auf zwei Wagen lade, vor jeden Wagen ein Pferd spanne und sie zusammen auf einen Platz führen lasse, liegt darin ein Beweis, dass die Pferde auch Getreide sind? Sie sind Bewegungsmittel, und so sind es auch die Centrosomen; ob diese Letzteren zugleich auch noch etwas Anderes, also Vererbungssubstanz sind, wäre erst noch zu be - weisen und ist wohl kaum unwahrscheinlicher, als dass die Pferde zugleich Korn seien.

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Man könnte aber sagen, dadurch, dass bei der Befruchtung nicht nur die Vererbungssubstanz, d. h. der Anlagen-Vor - rath, sondern auch das Centrosoma, d. h. das Bewegungs - mittel desselben übertragen würde, sei zugleich der Rhythmus der Zelltheilung übertragen, der in diesem Centrosoma seinen Sitz habe und der ja wesentlich die Zellfolge des Kindes be - stimme, folglich auch einen Theil der Vererbung. Ich halte aber auch diese Schlussfolge nicht für richtig und zwar deshalb, weil die Perioden der Thätigkeit des Theilungsapparates offen - bar von den Zuständen der Zelle selbst abhängig sein müssen, diese aber hängen, abgesehen von der Ernährung, vom specifischen feinsten Bau der Zelle ab. Da nun dieser nach meiner Ansicht von der Kernsubstanz der Zelle aufgeprägt wird, so hängt also auch die Periodicität der Zelltheilung von der Kernsubstanz ab. Mir scheint der Satz, dass allein in einem Theil der Kernsubstanz die Vererbungssubstanz zu sehen ist, durch alle neuere Erfahrungen nur um so fester be - gründet zu werden. 1)Manche scheinen geneigt zu sein, in dem von Fol beobachteten Vorgang, den er als le quadrille des centres bezeichnete, einen Hin - weis darauf zu sehen, dass die Centrosomen doch auch eine Art Ver - erbungssubstanz sein müssten oder könnten. Ich glaube aber, was hier vorgeht, ist nichts Anderes, als was bei jeder Kerntheilung geschieht, nur dass es bei der Befruchtung doppelt geschehen muss, weil eben von beiden Seiten je ein Centrosoma dem sich bildenden ersten Furchungs - kern zugeführt wird. Jedes dieser Centrosomen theilt sich und begiebt sich an die beiden Pole der zu bildenden Theilungsspindel, ganz so, wie es thun würde, wenn es allein in der Zelle wäre. Ich würde mich wundern, wenn es nicht so wäre und wenn das Centrosoma der Eizelle an den einen, das der Spermazelle an den andern Pol wanderte. Guignard meint, dass wenn auch der Kern in Bezug auf die Über - tragung der erblichen Eigenschaften eine grosse Bedeutung hätte, man doch le rôle primordial dans l’accomplissement de la fécondation den sphères directrices zugestehen müsse. Insofern damit gemeint ist, dass der Beginn der Embryonalentwickelung, wie jeder Kerntheilung von der

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Es enthalten nun aber nicht blos die beiden Keimzellen und die befruchtete Eizelle Chromatinsubstanz in ihrem Kern, sondern alle Zellen des gesammten Organismus in jeder Phase seiner Entwickelung, wenigstens solange sie noch vermehrungs - fähig und lebenskräftig sind. Das Chromatin aller Zellen des Körpers aber stammt von dem der befruchteten Eizelle ab, in - dem ja der Aufbau des Körpers aus der Eizelle durch eine Reihe von Zelltheilungen zu Stande kommt, deren jede eine Kerntheilung nach dem soeben geschilderten Modus einschliesst. Während der Ontogenese wird also das Chromatin des ersten Kernes fort und fort von Neuem seiner Masse nach halbirt und es würde sehr bald auch für unsere besten Mikroskope ver - schwindend klein werden, wenn es nicht ebenso, wie die Zell - körper fortwährend wüchse. Es geschieht dies ebensowohl bei den zahlreichen thierischen Eiern, welchen während der Ent - wickelung des Embryo kein Nährmaterial zugeführt wird, als bei jenen, welche von Anfang an ernährt werden, oder bei den Pflanzen, bei welchen auch meistens die selbständige Ernäh - rung schon früh beginnt. Die Chromatin - oder Vererbungs - substanz des befruchteten Eies geht also einen langen und ver - wickelten Wachsthumsprocess ein, der erst dann endet, wenn keine neuen Zellen, sei es zur Bildung neuer Theile, sei es zum Ersatz zu Grunde gegangener alter mehr hervorgebracht werden, mit andern Worten: am Ende des individuellen Lebens. Diese wachsende Vererbungssubstanz lässt sich einem Baume vergleichen, dessen Äste streng dichotomisch gegliedert sind, nur dass der Chromatinbaum nicht aus einem Gusse ist, sondern aus lauter einzelnen, nicht direkt aneinander stossenden Theilchen besteht. Denn bei jeder Zelltheilung scheiden sich1)Anwesenheit des Theilungsapparates der Zelle abhängt, ist dies richtig; dass aber das Wesen des Befruchtungsvorgangs in der Vereinigung zweier Kernsubstanzen liegt, wird dadurch nicht widerlegt oder geändert.43 die beiden Hälften der Chromatinstäbchen, um von nun an nie wieder in einem Kern zusammenzutreffen; jede kommt in einen besonderen Kern zu liegen und jeder Kern wird durch einen besonderen Zellkörper von dem andern getrennt. Es fragt sich nun, ob alle diese Stückchen der Vererbungssubstanz, welche den Chromatinbaum eines Organismus zusammensetzen, untereinander gleich oder aber verschieden sind, und es lässt sich leicht zeigen, dass das Letztere der Fall sein muss.

Wir fussen auf der sichergestellten Annahme, dass das Chromatin im Kern des befruchteten Eies diejenige Substanz ist, welche die Vererbung bewirkt. Wir wissen, dass an der winzigen Masse einiger Chromatinkörnchen im Kern z. B. der Samenzelle die Möglichkeit hängt, dass der sich entwickelnde Organismus dem Vater in tausenderlei physischen und geistigen Eigenschaften ähnlich wird. Da wir nun andrerseits auch wissen, dass die Eigenschaften eines fertigen Organismus im Grossen, wie im Kleinsten von der Anordnung, Zahl und Be - schaffenheit der Zellen abhängt, die ihn zusammensetzen, so kann der Einfluss, den die winzige Menge von väterlichem Chromatin im Kern der befruchteten Eizelle auf den Gang der Entwickelung ausübt, kein anderer sein, als dass durch sie das Wesen und der Vermehrungsrhythmus der kindlichen Körper - zellen derart bestimmt wird, dass sie den Zellen des väterlichen Körpers ähnlich werden. Das Chromatin ist also im Stande, der Zelle, in deren Kern es liegt, einen speci - fischen Charakter aufzudrücken. Da nun die Tausende von Zellen, welche den Organismus zusammensetzen, einen sehr verschiedenen Charakter besitzen, so kann das Chromatin, welches sie beherrscht, nicht das gleiche, es muss viel - mehr in jeder Art von Zellen ein verschiedenes sein.

Auch kann dasselbe nicht erst in den Zellen des fertigen Organismus verschieden werden, sondern die Verschiedenheit44 des die Zellen beherrschenden Chromatins muss mit der Ent - wickelung der Eizelle beginnen und fortschreiten, andernfalls könnten nicht die verschiedenen Theilungsprodukte der Eizelle ganz verschiedene Entwickelungstendenzen enthalten. Dies ist aber der Fall. Schon die beiden ersten Tochterzellen, welche der Theilung der Eizelle ihren Ursprung verdanken, werden bei vielen Thieren zu völlig verschiedenen Theilen. Die eine bildet aus sich durch fortgesetzte Zelltheilung das äussere Keimblatt und später alle die Organe, welche aus diesem hervorgehen, wie Haut, centrales Nervensystem und Sinneszellen, die andere entwickelt sich zum innern Keimblatt und den aus diesem entstehenden Organen, dem Darm, gewissen Drüsen u. s. w. Der Schluss ist unvermeidlich, dass auch das diese Entwicke - lungstendenzen bestimmende Chromatin in beiden Tochterzellen verschieden sei.

Ebenso muss es auf allen folgenden Stadien der Ontogenese sich verhalten: in dem Maasse, als die Entwickelungstendenzen der aus der Theilung der Eizelle hervorgehenden Zellen ver - schieden sind, muss auch die Chromatinsubstanz ihrer Kerne verschieden sein. Die Ontogenese oder Entwickelung des Individuums beruht demnach auf einer Reihe stufenweiser Qualitäts-Änderungen der Kernsubstanz der Eizelle.

Die Grundzüge der eben kurz entwickelten Ansicht habe ich schon vor längeren Jahren dargelegt und damals schon auf diese in den Chromatinkörpern der Zellkerne enthaltene, die gesammte Zelle in ihrem Wesen bestimmende Substanz mit den Namen übertragen, welchen zuerst Nägeli in einem etwas andern Sinn in die Wissenschaft eingeführt hat, den des Idio - plasma’s. Unabhängig von mir hat auch O. Hertwig das - selbe gethan. Wie im ersten Abschnitt schon erwähnt, ver - stand Nägeli unter der Bezeichnung des Idioplasma’s oder45 Anlagenplasma die leitende und bestimmende Substanz des Körpers im Gegensatz zu dem mehr passiven und bestimmbaren Nährplasma oder Trophoplasma. Ob die letztere Bezeichnung beizubehalten ist, darf wohl bezweifelt werden, die erstere aber ist ohne Zweifel eine glücklich gewählte. Allerdings hat Nägeli noch keine bestimmte, mit dem Mikroskop wahrnehm - bare Substanz als das erschlossene Idioplasma bezeichnet, da ihm die Thatsachen der Kerntheilung und der Befruchtung, wie wir sie heute kennen, noch unbekannt gewesen waren. Aber diese Thatsachen sind so zwingend, dass ein Zweifel darüber, was als Idioplasma zu betrachten sei, heute nicht mehr möglich sein sollte, also auch die Vorstellung Nägeli’s von einem netz - förmig zusammenhängenden, alle Zellkörper des Organismus durchsetzenden und verbindenden Idioplasma’s als aufgegeben betrachtet werden darf. Wir sind deshalb wohl gerechtfertigt, wenn wir seine Bezeichnung auf die die Zelle bestimmende Kernsubstanz übertragen.

Wir verstehen also unter Idioplasma die bestimmende Kern - substanz irgend einer Zelle. Diese ist zugleich Vererbungs - substanz, weil sie niemals neu entsteht, sondern immer von dem Idioplasma einer anderen Zelle abstammt, und weil sie ferner nicht blos die aktuellen Eigenschaften der betreffenden Zelle bestimmt, sondern zugleich auch diejenigen aller ihrer Nachkommen.

Eine Verschiedenheit des Idioplasma’s werden wir also nicht blos da annehmen müssen, wo uns zwei in Bau und Funk - tion verschiedene Zellen vorliegen, sondern auch überall da, wo wir wissen, dass verschiedene Anlagen in zwei Zellen ent - halten sind. Dies ist oft vergessen worden, wenn man schlecht - hin von Embryonalzellen sprach als von gleichwerthigen Ele - menten, aus denen noch Alles werden kann , einfach weil die - selben häufig sehr ähnlich aussehen und in der Meinung, sie46 müssten deshalb auch innerlich gleich sein. Allerdings sieht auch das Idioplasma solcher Zellen gleich aus, oder wir können wenigstens keine bestimm - und deutbaren Unterschiede an den Chromatinstäbchen zweier Zellen desselben Thieres erkennen. Darin kann aber so wenig ein Grund gegen die Annahme einer innern Verschiedenheit liegen, als etwa in der vollkommen äussern Ähnlichkeit zweier Hühnereier ein genügender Grund dafür liegt, dass auch zwei identische Hühnchen aus ihnen aus - schlüpfen müssten. Sie können von zwei verschiedenen Müttern herrühren, oder von verschiedenen Hähnen befruchtet worden sein. Wir sehen eben die feinen Unterschiede nicht, hier wie dort, und wir würden sie auch dann nicht sehen, wenn wir die im Zellkern verborgenen Idioplasmen der beiden Eier mit unseren schärfsten Systemen zu analysiren suchten. Theoretische Erwägungen werden später zeigen, dass es nicht anders sein kann, dass die Einheiten des Idioplasma’s, welche dessen Wesen bedingen, viel zu zahlreich und deshalb eben auch viel zu klein sein müssen, als dass sie noch gesehen werden könnten.

Wenn deshalb bei der Karyokinese die beiden Hälften, in welche sich die Chromatinstäbchen theilen, auch ganz gleich aussehen, ja wenn selbst die Theilhälften der kleinen Kügelchen (Mikrosomen), aus welchen die Stäbchen häufig sichtbarlich be - stehen, vollkommen sich gleichen, so liegt darin doch kein Grund, weshalb sie nicht ebensowohl auch ungleich in ihrem Wesen sein könnten. In vielen Fällen wird das Eine, in vielen andern Fällen das Andere stattfinden. Man wird somit nach dieser Richtung zwei äusserlich ununterscheidbare Arten von Kerntheilung annehmen dürfen: eine solche, bei welcher die beiden Tochterkerne gleichartiges Idioplasma erhalten, und eine andere, bei der sie verschiedenes Idioplasma erhalten, eine Ho - moiokinesis und eine Heterokinesis, oder erbgleiche und erbungleiche Theilung. Die erstere wird auf einer ganz gleich -47 mässigen Vertheilung der Anlagen auf beide Stäbchenhälften beruhen müssen, der somit eine Verdoppelung durch Wachs - thum vorhergegangen sein wird; bei der Letzteren wird dieses Wachsthum mit einer ungleichen Gruppirung der Anlagen ver - bunden sein.

Wenn wir auch über die Kräfte, welche diese Spaltung her - vorbringen, direkt Nichts erfahren können, so darf doch so Viel behauptet werden, dass dieselben in der Substanz der Stäbchen selbst liegen müssen und dass sie zusammenhängen müssen mit der Qualitätenbildung des Idioplasma’s selbst, da sonst bei Qualitätsänderung während der Kerntheilung nicht abzusehen wäre, wieso sich diese Qualitäten scharf getrennt in die beiden Spalthälften zusammenordneten. Und doch muss dies der Fall sein, wenn überhaupt differente Zellen mit verschiednem Idioplasma aus einer Mutterzelle hervorgehen können, woran ja nicht zu zweifeln.

Ich stelle mir also die gesetzmässigen ontogenetischen Ver - änderungen des Idioplasma’s, wie sie mit der Theilung der Ei - zelle beginnen und mit dem natürlichen Tod des Organismus ihr Ende finden, derart vor, dass sie auf rein innern, d. h. in der physischen Natur des Idioplasma’s liegenden Ursachen be - ruhen und zwar so, dass mit jeder Qualitätsänderung des Idio - plasma’s auch eine Kerntheilung einhergeht, bei welcher die differenten Qualitäten sich in die beiden Spalthälften der Chro - matinstäbchen auseinanderlegen. Ich bezeichne die verschiednen auf diese Weise entstehenden Idioplasma-Arten als die onto - genetischen Stufen des Idioplasma’s, oder abgekürzt als die Onto-Idstufen.

Vererbungssubstanz in der vollen Bedeutung des Wortes, d. h. diejenige Substanz, welche sämmtliche Anlagen für den ganzen Organismus enthält, ist nur das Idioplasma der Keim - zelle und es empfiehlt sich aus praktischen Gründen, diese erste48 Ondo-Idstufe mit dem kurzen Namen des Keimplasma’s zu bezeichnen, den ich dafür schon zu einer Zeit vorschlug, zu welcher der Begriff des Idioplasma noch nicht aufgestellt worden war. Ich verstand damals unter Keimplasma die Vererbungs - substanz der entwickelungsfähigen Keimzelle, ohne noch über deren Lagerung oder Beschaffenheit Etwas auszusagen. Wir dürfen jetzt sagen: Keimplasma ist die erste ontogene - tische Stufe des Idioplasma’s einer Thier - oder Pflanzen - art, mag dasselbe nun im Kern einer geschlechtlich differen - zirten oder in dem einer nicht geschlechtlich differenzirten Zelle enthalten sein.

Es fragt sich nun zunächst, welche Vorstellung wir uns von dem Bau und der Beschaffenheit des Keimplasma’s und der aus ihm hervorgehenden ontogenetischen Idioplasma - stufen oder Onto-Idstufen machen können.

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Erstes Buch.

Capitel I. Das Keimplasma.

1. Die Grundeinheiten.

Nachdem der Begriff des Keimplasma’s als der in den Keim - zellen enthaltenen Vererbungssubstanz festgestellt und im All - gemeinen gezeigt wurde, dass diese Art des Idioplasma’s während der Ontogenese sich verändern und in die Idioplasmen der Zellen verwandeln muss, welche den fertigen Organismus zusammensetzen, muss nun zunächst versucht werden, irgend eine Anschauung über dessen Beschaffenheit zu gewinnen. Ohne eine solche wäre eine Theorie der Vererbung nicht möglich. Wir werden dabei zunächst ganz von der Complication, wie sie durch die geschlechtliche Fortpflanzung gesetzt wird, absehen und ein Keimplasma annehmen, in welchem nicht die Anlagen zweier Eltern enthalten sind, sondern nur die eines einzigen, ein Keimplasma also, welches so beschaffen ist, wie es bei Arten sein müsste, welche sich von jeher nur auf ungeschlechtlichem Wege fortgepflanzt hätten.

Wenn ich nun den Versuch wage, über die Zusammen - setzung des Keimplasma’s Etwas auszusagen und daraus die Er - scheinungen der Vererbung abzuleiten, so möchte ich voraus - schicken, dass es nicht etwa meine Absicht ist, damit eine Er - klärung des Lebens zu versuchen. Man muss unterscheidenWeismann, Das Keimplasma. 450zwischen einer Theorie des Lebens und einer solchen der Ver - erbung. De Vries hat sehr gut hervorgehoben, wie zwar die Erstere für jetzt unmöglich ist, wie es aber keineswegs un - möglich erscheint zu einer befriedigenden Erklärung der Ver - erbungserscheinungen zu gelangen, wenn man die Grunderschei - nungen des Lebens, Ernährung, Assimilation, Wachsthum als gegeben annimmt.

Diese Funktionen, nebst den ihnen associirten der Empfindung und Bewegung hängen bei allen uns genauer bekannten Organismen von dem einfachsten Einzelligen bis zu den höchsten Pflanzen und Thieren hinauf mindestens an zwei verschiedenen Sub - stanzen, an dem Anlagenplasma oder Idioplasma des Kerns, eben dem Vererbungsplasma im weiteren Sinne und an dem Protoplasma des Zellkörpers. Beide sind verschieden in ihren Wirkungen, beide stimmen aber darin überein, dass sie lebende Substanz sind, d. h. dass sie die Grundkräfte des Lebens in sich entwickeln: Ernährung und Wachsthum. Da das Wort Proto - plasma in allzu unbestimmtem Sinne gebraucht wird, will ich nach dem Vorgang von Nägeli die lebende Substanz des Zell - körpers als Gestaltungsplasma oder Morphoplasma (Nägeli’s Trophoplasma) dem Anlagenplasma oder Idioplasma gegen - überstellen. Das Letztere ist das aktive, gestaltende Element, das Erstere das passive, gestaltete. Da wir heute wissen, dass das Anlagenplasma nur im Kern seinen Sitz hat, so können wir den, allen Theilen des Organismus ihre Gestalt gebenden Zellkörper nicht als blosses Nährplasma auffassen.

Beide Formen der lebenden Substanz zusammen kann man in der hergebrachten Bezeichnung Protoplasma zusammen - fassen, und es fragt sich nun zunächst, wie wir uns die feinere Constitution desselben zu denken haben. Häufig, ja bis in die jüngste Zeit ganz allgemein ist das Protoplasma als eine Eiweiss-Modifikation aufgefasst worden. Brücke hat aber51 schon vor geraumer Zeit betont, dass das Eiweiss die Fähigkeit der Assimilation nicht besitze, also nicht lebe, und die physio - logische Chemie hat nachgewiesen, dass neben dem Eiweiss noch andere Stoffe aus dem Protoplama erhalten werden, von denen nicht ohne Weiteres angenommen werden darf, dass sie bedeutungslos sind. Allerdings sind sie, z. B. die Schwefel - und Phosphorverbindungen, nur in verhältnissmässig geringer Menge im Protoplasma vorhanden, aber daraus kann nicht auf geringe Bedeutung geschlossen werden. Jedenfalls wird man schon deshalb nicht sagen dürfen, Protoplasma sei eine Eiweiss-Modification, weil wir nur todtes Protoplasma chemisch untersuchen können, d. h. ein solches, welches gerade seine wichtigsten Eigenschaften verloren, folglich sich in einer für uns nicht weiter zu ergründenden Weise verändert hat. De Vries drückt dies dahin aus, Protoplasma sei überhaupt kein chemischer, sondern ein morphologischer Begriff. Das heisst: es besteht nicht blos aus einem ungeordneten Haufen irgend welcher chemischen Moleküle, sondern aus morphologischen Einheiten, welche ihrerseits erst wieder aus Molekülen zusammen - gesetzt sind, oder wie Brücke es zuerst ausgedrückt hat, das Protoplasma ist organisirt . Herbert Spencer und neuer - dings de Vries und Wiesner haben solche Einheiten an - genommen, wie in der historischen Einleitung bereits gezeigt wurde.

De Vries hebt noch hervor, dass das Protoplasma ausser seinen physikalischen und chemischen Merkmalen noch gewisse historische Eigenschaften besitze. Man wird gewiss mit de Vries bezweifeln dürfen, dass es jemals gelingen werde, lebendes Protoplasma auf anderm als auf phylogenetischem Wege ent - stehen zu lassen, d. h. also: künstlich im Laboratorium zu machen, aber man wird nicht zugeben können, dass dies des - halb so unwahrscheinlich sei, weil der Begriff des Protoplasma’s4*52verlange, dass es von schon vorhandenem Protoplasma abstamme. Damit wäre der logisch unvermeidlichen und unentbehrlichen Urzeugung der Weg für immer verlegt nicht nur in unserm Laboratorium, sondern auch im grossen Laboratorium der Natur. Zweifellos besitzen die meisten Protoplasma-Arten, ver - muthlich sogar alle, die wir kennen, auch historische Eigen - schaften nicht neben, aber doch in ihren physikalisch - chemischen; d. h. sie enthalten specielle, ihnen eigenthümliche Modificationen der Zusammensetzung, welche in Anpassung an die Lebensbedingungen entstanden und durch lange Zeit - räume hindurch weiter vererbt worden sind. Allein undenk - bar scheint mir doch ein Protoplasma nicht welches historische , d. h. ererbte Eigenschaften noch nicht besässe. Dieses wäre dann die einfachste Form der lebenden Substanz, das einfache Ur-Protoplasma, welches vermöge seiner physischen Beschaffen - heit die Grundkräfte des Lebens: Assimilation, Stoffwechsel u. s. w. in sich enthielte. Die historischen Eigenschaften des Protoplasma’s, die speciellen Vererbungstendenzen, berühren diese Grundkräfte des Lebens nicht, dieselben müssen unabhängig von ihnen in jedem Protoplasma vorhanden sein.

Die Einheiten nun, welche die Lebenskräfte des Proto - plasma’s bedingen, können, wie Alle1)Es sind dies: Brücke, Herbert Spencer, de Vries und Wiesner. hervorhoben, die solche Einheiten annahmen, nicht die chemischen Moleküle sein, da diese erfahrungsgemäss nicht die Fähigkeit der Assimilation und Vermehrung besitzen. Daraus folgt schon, dass das Proto - plasma ein zusammengesetzter Körper ist, der nicht aus gleich - artigen, sondern aus verschiedenartigen Molekülen besteht. Es giebt also keine Protoplasma-Moleküle, sondern wir haben uns zu denken, dass das Protoplasma in allen, auch den einfachsten Modificationen aus Molekülgruppen besteht, deren jede sich53 aus verschiedenartigen chemischen Molekülen zusammensetzt. Ich bezeichne diese Einheiten als Lebensträger oder Bio - phoren , weil sie die kleinsten Einheiten sind, an welchen die Grundkräfte des Lebens zu Tage treten: Assimilation und Stoffwechsel, Wachsthum und Vermehrung durch Theilung.

Wir können ihre chemische Zusammensetzung zwar nicht im Genaueren angeben, da lebendes Protoplasma der chemi - schen Analyse nicht unterworfen werden kann, allein das, was bis jetzt durch Analyse des todten Protoplasma’s festgestellt ist, weist mit Sicherheit darauf hin, dass nicht, wie man meist angenommen hat, die Eiweisskörper allein die Lebensträger sind, sondern dass, wie Hoppe-Seyler und Baumann schon hervorgehoben haben, neben ihnen im lebenden Protoplasma noch andere Substanzen eine nicht minder wichtige Rolle spielen. Im todten Protoplasma kommen bekanntlich neben den Eiweiss - stoffen noch phosphorhaltige Verbindungen, wie Lecithin und Nuclein vor, welche dem Eiweiss chemisch nicht verwandt sind, sondern mit ihm Verbindungen eingehen, dann Cholesterin, vermuthlich ein Zerfallprodukt des Stoffwechsels, ferner Kohlen - hydrate wie Glykogen, Stärkemehl, Inulin und Dextrin, schliess - lich Kaliumverbindungen. 1)Vergleiche: Hoppe-Seyler, Allgemeine Biologie , Berlin 1877, p. 75 (Theil I des Lehrbuchs der Physiologischen Chemie )Wenn wir auch heute noch nicht errathen können, aus welchen chemischen Verbindungen des lebenden Protoplasma’s diese Körper sich abgespaltet haben, so kann es doch keinem Zweifel unterliegen, dass eine Beziehung derselben zu den Lebensvorgängen besteht (Hoppe-Seyler) und dass nicht blos Eiweiss oder verschiedene Eiweissarten die Processe des Lebens zu Stande bringen, sondern dass dazu noch verschiedene andere chemische Körper, Salze, phosphorhaltige und andere Verbindungen, vor Allem auch Wasser ebenso noth -54 wendig sind, kurz, dass das Leben eben gerade an dem Auf - einanderwirken chemisch verschiedenartiger, aber in gewissen Grenzen bestimmter Moleküle beruht.

Nicht ohne längeres Bedenken habe ich mich entschlossen, eine solche die Lebenserscheinungen bedingende Gruppe von Molekülen mit dem besondern Namen des Biophor’s zu be - legen, allein es schien schliesslich doch durchaus geboten, weil die verschiedenen, von Andern früher schon eingeführten Be - zeichnungen für solche kleinste Einheiten des Lebens entweder zu unbestimmt gelassen wurden, um mit ihnen identificirt wer - den zu können, oder aber zwar genauer bestimmt wurden, aber in anderer Weise. Es wäre aber sicherlich verkehrt, einen schon eingeführten Namen in anderem Sinne zu gebrauchen. Den Biophoren ähnliche Einheiten sind schon die physiologischen Einheiten von Herbert Spencer1)H. Spencer, Die Principien der Biologie , übersetzt von Vetter. Stuttgart 1876. Bd. I, p. 198., von welchen er sagt, dass sie zwischen den chemischen Einheiten (Molekülen) und den morphologischen Einheiten (Zellen) ihren Sitz haben müssten; aber er überträgt denselben eine ganz andere Rolle bei der Ver - erbung, als ich sie meinen Biophoren zuerkenne. Unter dem von Elsberg2)Louis Elsberg, Regeneration, or the preservation of organic molecules; a contribution to the doctrine of evolution. Proceed. Assoc. for the Advancement of Science, Hartford Meeting, August 1874. eingeführten Namen des Plastidul’s versteht Häckel3)Ernst Häckel, Die Perigenesis der Plastidule , Berlin 1876. die hypothetischen kleinsten Theilchen, welche das Protoplasma zusammensetzen; er stellt sie den Molekülen der anorganischen Materie gleich, theilt ihnen aber, im Gegen - satz zu anorganischen Molekülen die Lebenseigenschaften zu. Freilich folgt gerade aus dieser Zutheilung, wie de Vries sehr richtig bemerkt, dass die Plastidule Häckel’s eben keine Mole - küle im Sinne der Physik sind, sondern sich von ihnen gerade55 durch die Lebenseigenschaften unterscheiden . Das Nägeli’sche Micell durfte ich ebensowenig wählen, da es sich sowohl in seiner Zusammensetzung, als in seinen Eigenschaften wesentlich vom Biophor unterscheidet. Es wird definirt als mikrosko - pisch unsichtbares, aus einer grösseren oder kleineren Zahl von Molekülen bestehendes Kryställchen, von denen jedes im imbi - birten Zustande mit einer Wasserhülle umgeben ist. 1)Carl Nägeli, Mechanisch-physiologische Theorie der Ab - stammungslehre , München und Leipzig 1884, p. 35.Nägeli nimmt bei Gelegenheit einer Berechnung der absoluten Grösse seiner Micelle an, dass es zwar aus 100, aber auch aus nur einem Eiweiss-Molekül bestehen können. Wir haben es also hier, wie bei Häckel’s Plastidulen, mit einer Lebenseinheit zu thun, deren Lebenseigenschaft nicht auf einer eigenthümlichen Gruppirung mehrerer oder vieler verschiedenartiger Moleküle beruht. Allerdings macht Nägeli an einer andern Stelle seines Buches (p. 63) auf die schwankende chemische Zusammensetzung der Albuminate aufmerksam, soweit wir dieselbe aus Analysen ersehen können und hält es gewiss mit Recht für äusserst wahrscheinlich, dass es verschiedene Eiweissmoleküle gebe, die durch den ungleichen Wasserstoff - und Sauerstoffgehalt u. s. w. von einander abweichen . Dies führt ihn dann zu der weiteren Annahme, dass die Micelle der Albuminate aus einem Gemenge von zwei oder mehreren verschiedenartigen Eiweiss-Molekülen bestehen. In jedem Albuminat wären die verschiedenartigen Eiweiss-Moleküle in eigenthümlichen Verhältnissen gemengt, in jedem wären ferner eigenthümliche Mengen von Phosphaten, von Magnesia - und Kalksalzen u. s. w. enthalten. Diese Vor - stellung verträgt sich nun wohl kaum mit der Vorstellung von der Krystall - Natur des Micells, denn Krystalle sind eben ge - rade keine Gemenge , sondern chemisch reine Körper, aber abgesehen davon würde man irren, wollte man aus dieser Stelle56 schliessen, dass Nägeli die Lebenseigenschaften seines Micells von dem Zusammenwirken verschiedener, in einem einheit - lichen Verband zusammengeschlossener Moleküle abhängig denkt, denn an der oben angeführten Stelle hält er auch ein Eiweiss - molekül als hinreichend zur Constituirung eines Micells.

Die Begriffe des Biophors und Micells decken sich also schon aus diesem Grunde durchaus nicht. Sie unterscheiden sich aber ausserdem noch in einem Punkte, dessen fundamen - tale Bedeutung erst später ganz hervortreten wird, nämlich in der Art ihrer Vermehrung. Meine Biophoren besitzen als Lebensträger das Vermögen des Wachsthums und der Ver - mehrung durch Theilung, wie dies alle Ordnungen von Lebenseinheiten besitzen, über welche direkte Be - obachtungen vorliegen, von den Mikrosomen an, welche die Chromatin-Stäbchen des Zellkernes zusammensetzen durch die Chlorophyll-Körner, Zellkerne, Zellen hindurch bis zu den einfacheren Pflanzen und Thieren hinauf. Nägeli’s Micellen vermehren sich auch, aber durch freie Einlagerung neuer , den schon vorhandenen ähnlichen oder gleichen Micelle , wie die Stärketheilchen ( Kryställchen ) im Stärkekorn oder wie Krystalle sich aus einer Mutterlauge abscheiden. Letztere müsste freilich erst durch einen nicht weiter zu definirenden Einfluss der schon vorhandenen Micelle gebildet werden.

Fast ganz würden die Pangene von de Vries1)De Vries, Intracellulare Pangenesis . Jena 1889. mit meinen Biophoren übereinstimmen, da auch ihnen die Funk - tionen des Wachsthums und der Vermehrung durch Theilung zugeschrieben und ihnen eine ganz ähnliche Rolle bei der Ver - erbung übertragen wird. Nur insofern die Biophoren Theile von höheren Einheiten der Vererbungssubstanz sind wie im Folgenden klar werden wird , unterscheiden sie sich von den Pangenen .

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Auch die kürzlich von Wiesner1)Julius Wiesner, Die Elementarstructur und das Wachsthum der lebenden Substanz . Wien 1892. aufgestellten kleinsten Lebenstheilchen, die Plasome , stimmen ihren Eigenschaften nach sowohl mit den Pangenen, als mit den Biophoren. Ihre Rolle bei der Vererbung wird aber nur angedeutet, und es ist somit wohl vorzuziehen, wenn ich ihnen meine Vererbungs - theorie nicht aufzwinge, sondern dieselbe mit der besonderen Bezeichnung der Biophoren verknüpfe.

In Bezug auf die Vererbung haben die Biophoren dieselbe Rolle zu spielen, welche de Vries seinen Pangenen zutheilte, d. h. sie sind die Eigenschaftsträger der Zellen, oder ge - nauer: die Träger der Zelleneigenschaften. Da alle lebende Substanz aus Biophoren besteht, so können die Unter - schiede derselben nur auf Unterschieden der Biophoren beruhen; eine thierische Zelle, welche z. B. quergestreifte Muskelsubstanz oder Nervenstäbchen feinster Art oder Drüsenröhrchen, eine pflanzliche Zelle, welche Chlorophyllkörper enthält, muss mehrere verschiedene Biophoren-Arten enthalten, aus welchen sich eben jene Zellenstructuren zusammensetzen. Diese verschiedenen Biophoren-Arten setzen das Keimplasma einer Art zusammen.

Es muss eine grosse Menge verschiedenartiger Bio - phoren geben, sonst könnte sich aus ihnen nicht eine so über - aus grosse Mannigfaltigkeit von Zellen aufbauen, wie wir sie thatsächlich beobachten. Auch hält es nicht schwer, aus der angenommenen Zusammensetzung des Biophors die Möglichkeit einer beinahe unendlichen Zahl von verschiedenen Arten des - selben abzuleiten.

Da dieselben nicht einzelne Moleküle, sondern Molekül - Gruppen sind, so hindert Nichts, schon auf die zwischen weiten Grenzen schwankende Zahl ihrer Moleküle eine grosse Zahl von Variationen des Biophors zu gründen. Aber auch58 die chemische Beschaffenheit der Moleküle braucht keineswegs überall dieselbe zu sein, wenn auch sicherlich ein bestimmter Rahmen den möglichen Schwankungen Grenzen ziehen wird. Zahlreiche Thatsachen weisen darauf hin, dass mindestens in den beiden grössten Gruppen der Organismen - welt, dem Pflanzen - und Thierreich, mehrere der das Biophor zusammensetzenden Moleküle chemisch verschieden sind, dass also Substitutionen stattfinden. Während im thierischen Proto - plasma, soweit dasselbe amöboide Bewegungen zeigt, Glykogen ein nie fehlender Bestandtheil ist, ist dieses Kohlehydrat in Pflanzen noch nicht aufgefunden worden und wird, wie Hoppe - Seyler vermuthet, durch Amylum, Dextrin oder Gummi ver - treten. Ebenso sind die krystallisirenden Albuminate, welche bei den Pflanzen als Aleuron-Krystalle, bei den Thieren als Dotterplättchen bekannt sind, chemisch verschieden.

Eine Verschiedenheit der Biophoren wird ferner auch ohne Veränderung ihrer atomistischen Zusammensetzung durch Um - gruppirung der Atome im einzelnen Molekül als möglich zu denken sein. Das Eiweiss-Molekül vor Allem hat nach den Anschauungen der heutigen Chemie mindestens ein Molekül - gewicht von 1000, so dass eine unzählige Menge von isomeren Eiweiss-Molekülen denkbar erscheint. Wie viele davon wirklich vorkommen, lässt sich freilich nicht angeben.

Um aber mit Hülfe des Biophors zu einer möglichst voll - ständigen Erklärung der Vererbungserscheinungen zu gelangen, wird demselben noch eine weitere Art der Veränderungsmöglich - keit zugeschrieben werden dürfen, nämlich eine Umgruppi - rung der Moleküle, analog der isomeren Umgruppirung der Atome im einzelnen Molekül. Diese Annahme schwebt nicht in der Luft, insofern der Chemie Molekülverbindungen in mehreren Fällen schon bekannt sind; so bei den Doppelsalzen und dem Krystallwasser der Salze, welches stets in einer ganz59 bestimmten Anzahl von Molekülen vorhanden ist und auch bei Substitutionen in derselben Anzahl von Molekülen beibehalten wird. So enthalten die Alaune stets 24 Moleküle Krystall - wasser, was offenbar auf Affinitätsbeziehungen zwischen den Molekülen hindeutet. Solche werden wir auch für das Biophor annehmen müssen, da ohne sie das Biophor überhaupt keine wirkliche Einheit wäre. Wir werden aber auch weiterhin schliessen dürfen, dass diese Affinitätsbeziehungen mannigfacher Art sind, dass die Moleküle in vielfacher, verschiedener Weise sich aneinanderhängen und gruppiren können, so dass isomere Molekülverbindungen entstehen. Solche isomere Verbindungen werden aber wie die isomeren Gruppirungen der Atome im einzelnen Molekül andere Eigenschaften besitzen, und wir kommen so zu dem Schluss, dass die speciellen Eigenschaften eines Biophors nicht nur von der chemisch-physikalischen Be - schaffenheit seiner Moleküle, sondern sehr wesentlich auch von deren Stellung und Beziehung zu einander abhängig zu denken sind, so dass ein Biophor schon dadurch zu einem andern werden kann, dass seine Moleküle sich anders gruppiren.

Es giebt also nach dieser Darlegung vielerlei Arten von Biophoren, je nach der absoluten Zahl der Moleküle, den Ver - hältnisszahlen derselben, je nach der chemischen Beschaffenheit (Isomerie mit eingerechnet) und der Gruppirung der Moleküle; ja man wird sagen dürfen, dass die Zahl der möglichen Biophoren-Arten eine unbegrenzte ist, etwa so wie die Zahl der denkbaren organischen Moleküle. Wir werden jeden - falls von dieser Seite her auf keine theoretischen Schwierig - keiten stossen, wenn wir auch eine noch so grosse Zahl ver - schiedener Biophoren-Arten zur Erklärung der Vererbungs - erscheinungen bedürften.

Diese Biophoren sind nun, wie ich glaube, keines - wegs rein hypothetische Einheiten; sie müssen exi -60 stiren, denn die Lebenserscheinungen müssen an irgend welche Einheit der Materie gebunden sein. Da nun aber die Grund - kräfte des Lebens, Assimilation und Wachsthum weder von den Atomen, noch von den Molekülen für sich ausgehen, so muss es eine Einheit höherer Art geben, die diese Kräfte aus sich heraus entwickelt, und diese kann nur eine in sich gebundene Gruppe ungleichartiger Moleküle sein. Ich hebe dies besonders hervor, weil bei einer Theorie der Vererbung, die so viele nicht sicher begründbare Annahmen erfordert, die wenigen festen Punkte, auf welchen wir fussen können, doppelt werthvoll sind.

Die Biophoren setzen alles Protoplasma zusammen, sowohl das zu Zellkörpern differenzirte Morphoplasma, als das im Kern enthaltene Vererbungs - oder Idioplasma. In welcher Weise sich diese beiden Protoplasmen in Bezug auf ihre Zusammensetzung unterscheiden, soll später zur Sprache kommen; hier sei nur soviel gesagt, dass das Idioplasma im Allgemeinen eine weit verwickeltere Structur haben muss, als das Morphoplasma. Letzteres assimilirt, wächst und theilt sich zwar auch, wie der Zellkörper einer Muskel - oder Drüsenzelle lehrt, allein ohne sich dabei aus sich selbst heraus verändern zu können. Das Anlagenplasma aber vermag sich während seines Wachsthums gesetzmässig zu verändern, und darauf beruht die Ontogenese, die Entwickelung des Individuums bei den Vielzelligen. Aus der Eizelle eines Thieres gehen die beiden ersten Embryonal - zellen durch Theilung hervor, und aus diesen werden im Laufe der Embryogenese immer wieder anders geartete Zellen und ihre Verschiedenheit muss, wie gezeigt wurde, auf Veränderungen der Kernsubstanz beruhen.

Es fragt sich nun, wie diese Fähigkeit des Idioplasma’s, sich gesetzmässig und aus sich selbst heraus zu verändern, vor - gestellt werden kann. An der Thatsache selbst kann ja kein Zweifel sein, sobald es feststeht, dass das Morphoplasma jeder61 Zelle vom Idioplasma des Kerns beherrscht, d. h. in seinem Charakter bestimmt wird. Die gesetzmässigen Veränderungen, welche wir an der Eizelle und ihren Theilungsprodukten bei jeder Embryogenese ihren Ablauf nehmen sehen, müssen ja dann auf entsprechende gesetzmässige Veränderungen des Idioplasma’s bezogen werden. Aber welcher Art sind diese Verände - rungen und wie kommen sie zu Stande?

2. Beherrschung der Zelle durch das Idioplasma.

Um die zuletzt gestellte Frage beantworten zu können, ist es nöthig, sich zunächst darüber Rechenschaft zu geben, auf welche Weise die Bestimmung der Zelleigenschaften durch das Idioplasma des Kerns zu Stande kommt. Wir wissen bis jetzt nur, dass das Idioplasma einer Zelle zusammengesetzt ist aus einer grossen Anzahl verschiedener Biophoren und zwar ver - schiedener Arten derselben.

Damit dasselbe einen bestimmenden Einfluss auf den feinsten Bau des Zellkörpers und die chemische Zusammensetzung seiner verschiedenen Theile ausübe, muss es entweder eine Fernwirkung von sich ausgehen lassen, oder es müssen materielle Theile vom Kern aus in den Zellkörper austreten.

Strasburger1)E. Strasburger, Neue Untersuchungen über den Befruchtungs - vorgang bei den Phanerogamen , 1884, p. 112. hat es versucht, eine dynamische Wirkung der Kernsubstanz näher zu begründen. Nach seiner Ansicht pflanzen sich vom Zellkern aus molekülare Erregungen auf das umgebende Cytoplasma fort, welche einerseits die Vorgänge des Stoffwechsels in der Zelle beherrschen, andererseits dem durch die Ernährung bedingten Wachsthum des Cytoplasma einen be - stimmten der Species eigenen Charakter geben . So denkbar eine solche Fortpflanzung vom Kern ausgehender molekülarer Erregungen auf den Zellkörper sicherlich auch ist, so hat doch62 de Vries mit Recht geltend gemacht, dass sie zur Erklärung der Erscheinungen nicht ausreicht, weil sie die Grundlage dessen, was erklärt werden soll, voraussetzt. Wenn die Zelle irgend einer Pflanze die erbliche Eigenschaft erhalten soll, Apfelsäure zu bilden, so könnten zwar wohl diejenigen Pangene des Zellkörpers, welche diese Säure hervorbringen können, durch Fortpflanzung molekülarer Erregungen des Kerns in Thätigkeit gerathen, aber ihr Vorhandensein werde dabei vorausgesetzt, und die Hauptfrage wie kommen diese Apfelsäure-Bildner in die Zelle? bleibe ungelöst.

Auch der Versuch Haberlandt’s1)G. Haberlandt, Über die Beziehungen zwischen Funktion und Lage des Zellkerns , 1887., die Beherrschung der Zelle durch den Kern auf enzymatische Wirkungen desselben zurückzuführen, also auf eine Ausscheidung bestimmter chemi - scher Verbindungen, welche die Zellsubstanz veranlassten, sich in bestimmter Weise zu verändern, wird von de Vries als nicht ausreichend betrachtet, weil auch bei ihm eine bestimmte Differenzirung des Zellkörpers als schon vorhanden vorausgesetzt werden muss.

De Vries selbst giebt eine Lösung des Räthsels, welche jedenfalls den Vorzug grosser Einfachheit und Klarheit hat. Nach seiner Ansicht tritt immer ein Theil der Pangene , welche die Kernsubstanz zusammensetzen, durch die Kernmem - bran in den Zellkörper aus und bildet dort die Zelltheile und Zellorgane, deren specifische Eigenschaftsträger sie sind.

Obgleich ich früher der Strasburger’schen Ansicht zu - neigte, so erschien sie mir doch immer mehr als eine formale, denn als eine reale Lösung des Räthsels, mehr als eine provi - sorische Formel, denn als wirkliche Einsicht. Ich möchte den de Vries’schen Gedanken eines Austritts specifischer kleinster Lebenstheilchen aus dem Kern in den Zellkörper für eine äusserst63 glückliche Lösung des vorher fast unzugänglich scheinenden Problems von der Beherrschung der Zelle durch den Kern halten. Sie verbindet sich auch sehr gut mit meinen übrigen Anschau - ungen. Allerdings, so lange ich noch in dem Suchen nach einer epigenetischen Vererbungstheorie begriffen war, musste eine derartige Lösung unmöglich erachtet werden, sobald aber das Keimplasma aus Biophoren zusammengesetzt angenommen wurde, deren verschiedene Arten die verschiedenen Charaktere der betreffenden Zellen bedingen, wurde diese Art ihrer Wir - kung auf die Zelle nicht nur eine mögliche, sondern auch die bei Weitem natürlichste und befriedigendste. Wohl lässt sich Mancherlei dagegen einwenden und nicht Alles wird schon allein durch diese Grund-Annahme erklärt, aber nicht nur wird man vergebens versuchen, von der entgegengesetzten Annahme aus zu einer befriedigenden Erklärung zu gelangen; die von de Vries begründete Vorstellung steht auch allein in Einklang mit gewissen Grundprincipien der Biologie, wie sich sogleich zeigen wird.

Wirkte die Kernsubstanz aus der Ferne her auf den Zell - körper derart, dass in diesem die für die betreffende Zellenart charakteristischen Zellorgane und Zellstructuren entstünden, so wäre das gewissermassen eine generatio aequivoca dieser Structuren und Organe; sie entstünden durch eine äussere Ein - wirkung auf die gegebene Substanz des Zellkörpers, so etwa, wie man sich bei der Urzeugung vorstellen muss, dass besonders günstige Einflüsse auf gewisse Combinationen unorganischer Gemenge so einwirkten, dass daraus ein Lebenstheilchen entstand.

Soweit nun die Erfahrung reicht, wissen wir Nichts von einer solchen Urzeugung und wenn wir sie auch logisch als möglich fordern müssen, so haben wir doch allen Grund zu der Annahme, dass sie bei der Entstehung derjenigen Lebensformen, welche wir kennen, keine Rolle spielt, dass diese vielmehr nur64 aus ihres Gleichen entstehen und zwar durch Theilung. Was aber für die uns bekannten selbständigen Lebewesen gilt, das mus gelten für alle die verschiedenen Stufen von Lebens - einheiten, die sich zu höheren Lebewesen verbunden haben, denn die ersten und niedersten Organismen können keine andern gewesen sein, als solche vom Werth eines einzelnen Bio - phors. Wenn wir nun auch zur Erklärung des Lebens auf unserer Erde die Annahme machen müssen, dass solche Einzel - Biophoren einstens durch Urzeugung entstanden sind, so muss ihnen doch sofort nach ihrer Entstehung die Fähigkeit der Fortpflanzung durch Theilung innegewohnt haben, weil diese unmittelbar aus den Grundkräften des Lebens: Assimilation und Wachsthum hervorgeht. Nur diese allereinfachsten Bio - phoren dürfen wir uns überhaupt als durch Urzeugung ent - standen vorstellen, alle späteren und complicirteren Bio - phoren-Arten können nur auf Grund von Anpassung an neue Lebensbedingungen entstanden sein und zwar allmählich durch die lange dauernde Zusammenwirkung von Vererbung und Selection. Alle diese höheren und auf specielle Existenzbedingungen eingerichtete Biophoren-Arten, wie sie in unendlicher Mannigfaltigkeit die für uns sichtbaren Lebewesen zusammensetzen, besitzen historische Eigenschaften, können somit nur aus ihres Gleichen und nicht von selbst entstehen. Damit stimmt die Erfahrung. Wie de Vries bereits und kürz - lich Wiesner dargelegt haben, entsteht nicht nur die Zelle stets aus einer Zelle, der Kern aus einem Kern, sondern auch die übrigen Organe und Theilchen, welche als structurbestimmend im Zellkörper vorkommen, entstehen nie, soweit wir sehen, durch generatio aequivoca , oder wie de Vries sich ausdrückt neogenetisch , sondern vielmehr durch Theilung schon vor - handener ähnlicher Gebilde. So verhält es sich wie es scheint mit den Chromatophoren der grünen Pflanzenzellen65 und mit den Vacuolen derselben, so auch mit der die Kern - theilung leitenden Attractionssphäre oder dem Centrosoma, und so muss es sich auch mit den unsichtbaren kleinsten Lebens - einheiten, den verschiednen Biophoren-Arten verhalten, welche sich im Laufe der Erdgeschichte durch allmälige Anpassung an immer wieder neue Lebensbedingungen gebildet haben.

Wenn dem nun so ist, wenn jede Lebenseinheit der uns sichtbaren Wesen von der niedersten bis zu der höchsten Stufe hinauf nur aus ihres Gleichen durch Theilung hervorgehen kann, dann ist die Entscheidung der oben aufgeworfenen Frage ge - geben, dann können die Organe und Structuren des Zellkörpers, welche eben den specifischen Charakter einer Zelle ausmachen, nicht durch Fernwirkung der Kernsubstanz hervorgerufen werden, auch nicht durch Enzyme, sondern nur dadurch, dass materielle Theilchen der Kernsubstanz in den Zellkörper austreten. Dann muss die Kernsubstanz gewissermassen ein Magazin von den verschiedenen Biophoren-Arten sein, welche in den betreffenden Zellkörper eintreten und ihn um - gestalten sollen. Dann wird die indifferente Embryonal - zelle zur Nervenzelle, Drüsen - oder Muskelzelle dadurch, dass in dem Kern der einen Nerven-Biophoren, in dem der andern die die Drüsen-Röhrchen constituirenden Biophoren, in dem Muskel - kern aber Muskel-Biophoren enthalten sind, um zu gewisser Zeit in den Zellkörper auszutreten und denselben umzuge - stalten.

Ich halte diesen Gedankengang für so zwingend, dass ihm gegenüber die Schwierigkeiten kaum stark ins Gewicht fallen, welche sich dem Process der Zellbestimmung allerdings noch entgegenstellen. Gewiss sind wir noch weit davon entfernt, den histologischen Differenzirungsprocess einer Zelle im Ge - naueren angeben zu können; der Durchtritt unsichtbar kleiner Biophoren durch Poren der Kernmembran ist zwar wohl eineWeismann, Das Keimplasma. 566ebenso zulässige Annahme als die dazu nöthige selbständige Beweglichkeit dieser Lebensträger, allein mit der Entsendung einiger mit starker Vermehrungskraft ausgerüsteter Biophoren - Arten in den Zellkörper ist der histologische Bau einer Zelle noch nicht vollendet. Zahlreiche Fragen stellen sich uns hier entgegen, welche alle darauf hinweisen, dass dabei Kräfte thätig sein müssen, die uns noch unbekannt sind. Die einwandernden Biophoren bilden nur das Baumaterial, aus welchem die histo - logische Structur der Zelle erst durch richtende, vermuthlich anziehende und abstossende Kräfte zu Stande kommt, welche in den Biophoren ihren Sitz haben müssen.

Wir können uns davon noch kein genaueres Bild machen und ebensowenig davon, wie die im Zellkörper bereits ent - haltenen Biophoren sich zu den neu vom Kern her ein - wandernden verhalten. Vermuthlich findet hier ein Kampf der Theile statt, bei welchem die Schwächeren unterliegen und als Nährmaterial für die Stärkeren dienen. So Vieles aber auch hier zukünftiger Forschung offen bleiben muss, so steht doch die Hauptsache fest, dass wirklich das Wesen der Zelle durch die Elemente des Kernes bestimmt wird, und wir werden dar - unter nicht blos die histologische Structur der ganzen Zelle und ihre Reactionsweise auf äussere Einflüsse zu verstehen haben, sondern vor Allem auch die Art ihrer Theilung nach Zeit und Ort. Ob eine Zelle sich früh oder spät, ob sie sich in gleiche oder ungleiche Hälften theilt, wird zunächst zwar vom Zellkörper selbst und seinem Theilungsapparat, dem Cen - trosoma abhängen, in letzter Instanz aber von dem den Zell - körper bestimmenden Kern, der dem Zellkörper eben gerade diese bestimmte Beschaffenheit aufprägt.

Der scheinbar stärkste Einwand, den man gegen die Ein - wanderung von Idioplasma-Theilchen in den Zellkörper machen kann, ist aber wohl der, dass die chemische Substanz des Zell -67 körpers und die der Kernsubstanz gänzlich verschieden sei. Das Verhalten gegen Farbstoffe ist in der That verschieden, wie schon die Bezeichnung Chromosomen und Chromatin andeuten. Wenn aber auch daraus auf Verschiedenheiten der chemischen Zusammensetzung geschlossen werden dürfte, so läge darin doch noch kein entscheidender Beweis gegen die Auswanderungs - hypothese. Denn es ist bekannt, dass die Färbbarkeit der Chromosomen zu verschiedenen Perioden auffallenden Schwan - kungen unterliegt, welche darauf deuten, dass kleine für uns uncontrolirbare Veränderungen in der Constitution dieser Sub - stanz vorkommen, welche genügen, um gerade die auffallendste Reaction, die starke Anziehung der Farbstoffe vorübergehend verschwinden zu machen. 1)Vergl. z. B. die neueste Arbeit Rückert’s über das Verhalten der Chromosomen im Keimbläschen eines Haies während der Reifung des Eies. Anat. Anzeiger vom 10. März 1892.Nun hat freilich auch die chemische Analyse der in den Kernen enthaltenen Stoffe daselbst das Nuclein nachgewiesen, allein wenn es auch nach der vortreff - lichen Arbeit Miescher’s2)Miescher-Büsch: Statist. und biolog. Beiträge zur Kenntniss vom Leben des Rheinsalms 1880; Schweiz. Literatursamml. z. internat. Fischereiausstellung in Berlin. über den Lachssamen wahrscheinlich ist, dass das Nuclein aus den Kernen der Samenzellen stammt, so ist damit doch noch keineswegs entschieden, aus welchem Theil der Kerne es stammt und wenn man erwägt, dass über 48 % des trocknen Samens aus Nuclein bestehen, so muss be - zweifelt werden, dass die geringe Menge Chromatin, welche wir in Gestalt der Chromosomen in den Kernen sehen, der Träger des Nuclein’s sei.

Hierher gehört noch eine Beobachtung der neuesten Zeit, welche wenigstens so viel beweist, dass überhaupt Stoff von den Chromosomen des Kernes gerade während des Aufbaues der5*68charakteristischen Structur des Zellkörpers in den Zellkörper gesandt wird. Ich meine die von J. Rückert am Ei eines Haifischs gemachte Beobachtung über den auffallenden Wechsel in der Grösse der Chromosomen des Eikernes während des Wachsthums des Eies. Einer der 30 36 Chromosomen des jüngsten zur Beobachtung gelangten Eierstockeies von 2 Mm. Durchmesser misst 12 Micro in der Länge und hat etwa 2 Cubikmicra im Inhalt, später im nahezu reifen Ei beträgt die Länge eines Chromosoma bis zu 100 Micro, sein Inhalt 7850 Cubikmicra, oder, da es sich inzwischen durch Theilung verdoppelt, hat 15,700 Cubikmicra. Noch etwas später, wenn das Ei seine volle Grösse und seine fertige Structur erreicht hat, also unmittelbar vor der ersten Richtungstheilung, sinkt die Länge des einzelnen Chromosoma auf 2 Micro und der Inhalt eines Doppelstäbchens auf 3 Cubikmicra herab. Also so schliesst Rückert wird während der allmäligen Reifung des Eies eine grosse Menge von Substanz von den Chromosomen an das Ei abgegeben und man wird ihm darin nur zustimmen können. Es fragt sich aber, in welcher Weise man sich diese Abgabe von Substanz zu denken habe, ob in der gewöhnlichen Form von gelösten Nährsubstanzen, welche dann vom Zellkörper assimilirt werden, oder anderswie. Mir scheint hier Nichts der Annahme im Wege zu stehen, dass nicht blosse Nahrung, sondern specifische kleine Lebenstheilchen von dem Chromosoma während des Wachsthums des Eies in Masse zuerst hervorgebracht und dann durch die Kernmembran in den Zell - körper entsandt werden. Ich kann hier auf die merkwürdigen morphologischen Umgestaltungen der Chromosomen, welche sie während dieses Wachsthums durchmachen, nicht näher eintreten, man wird noch weitere Thatsachen sammeln müssen, ehe man an die Deutung der Vorgänge im Einzelnen herantreten kann. Soviel aber darf heute schon gesagt werden, dass nämlich diese69 von Rückert entdeckten, höchst interessanten Thatsachen eine allgemeine Bedeutung besitzen müssen, dass sie sich nicht nur bei allen thierischen Eiern in irgend einer Form vorfinden müssen, sondern auch bei allen im Zustand der histologischen Differenzirung befindlichen Zellen. Aber freilich werden sie nicht leicht bei andern Zellen in so prägnanter Weise hervor - treten, da keine thierische Zelle ein so enormes Wachsthum durchmacht, wie die Eizelle. Ich werde auf den Vorgang noch einmal wieder zurückkommen, um eine Folgerung daraus noch mehr hervorzuheben.

Nehmen wir also mit de Vries an, es beruhe die Be - stimmung der Zelle auf einem Austritt kleinster Lebenstheilchen verschiedener Art aus dem Kern in den Zellkörper, mit nach - träglicher Vermehrung und mit gesetzmässiger Gruppirung und gegenseitiger Anordnung derselben nach den in ihnen thätigen Kräften der Anziehung und Abstossung, so würde sich die Vererbung bei den Einzelligen einfach und leicht erklären. Bei ihnen beruht die Vermehrung auf einer Zweitheilung des ganzen Körpers, so dass also jeder Theilsprössling den gleichen Vorrath an latenten Biophoren, welche den Kern zusammensetzen, erhält und von diesem aus seinen Zellkörper mit den nöthigen Bausteinen versehen kann.

Von der bei den höchsten Einzelligen, den Infusorien fast allgemeinen Scheidung des Kernes in zwei verschiedenartige Kerne kann ich hier absehen, da wir für jezt überhaupt noch von dem Hineinspielen der Amphimixis in die Vererbung ab - sehen, diese Einrichtung aber eine Anpassung an die Conjugation ist. Die Vererbung der Einzelligen wird also darauf beruhen, dass in ihrem Kern alle die verschiednen Biophoren-Arten ent - halten sind, welche zum Aufbau ihres Körpers gehören, in latentem Zustand und in einem bestimmten Zahlenverhältniss, höchst wahrscheinlich auch in einer bestimmten Architektonik,70 und dass diese Kern-Biophoren periodisch oder nach Bedürfniss in den Zellkörper austreten, sich dort vermehren und nach den in ihnen waltenden Kräften anordnen. Diese Anordnung selbst bleibt ein Problem, dessen Schwierigkeit nirgends schärfer hervor - tritt, als gerade bei den höheren Einzelligen. Wie es möglich ist, dass der Kern immer nur gerade diejenigen Arten von Biophoren austreten lässt, die den Ersatz der bei der Theilung verlorenen Organe bedingen, wie es kommt, dass diese Kern - Biophoren sich gerade nach der Stelle des fehlenden Mundfeldes oder des fehlenden Hinterendes, wie sie die Zweitheilung des Thieres veranlasst, hinbegeben u. s. w., das sind vorläufig un - lösbare Fragen; es muss einstweilen genügen, gezeigt zu haben, wie etwa diese Bausteine des Zellkörpers von der Mutter auf die Töchter übergehen und wie sie sich den im Zellkörper waltenden Kräften zur Verfügung stellen.

Dass wirklich der Kern auch hier den Zellkörper bestimmt, ist durch die künstliche Theilung erwiesen, welche Nussbaum1)Nussbaum, Über die Theilbarkeit der lebenden Materie , Archiv f. mikr. Anat. 1886. und Gruber2)Gruber, Über künstliche Theilung bei Infusorien, Biol. Central - blatt , Bd. IV u. Ber. d. naturf. Ges. zu Freiburg i. Br. 1886. mit Infusorien vorgenommen haben. Nur solche Theilstücke ergänzten sich zum vollständigen Thier, die ein Stück des Kernes enthielten, die andern lebten zwar noch eine Zeit lang, gingen aber dann zu Grunde. Aber auch dafür, dass der Kern unsichtbare materielle Theilchen in den Zellkörper entsendet, wenn Ergänzung der fehlenden Organe eintreten soll, spricht eine der Beobachtungen von Gruber. Derselbe schnitt einen zur Theilung sich anschickenden grossen Stentor derart quer durch, dass die hintere Theilhälfte keine Spur von Kern mehr enthielt, und beobachtete, dass dennoch Ergänzung der fehlenden Theile, besonders des Mundfeldes eintrat. Hinge die71 Beherrschung des Zellkörpers von einer Fernwirkung des Kerns ab, so wäre dies völlig unerklärlich, wenn aber Kern-Biophoren in den Zellkörper austreten müssen behufs Regeneration, so konnte dies bei einem zur Theilung sich anschickenden Thier bereits erfolgt sein, als die künstliche Theilung vorgenommen wurde.

Bei den Einzelligen sind die Nachkommen den Vorfahren gleich, die Theilung der Mutterzelle bringt zwei gleiche Tochter - zellen hervor, die Kernsubstanz bleibt also in ihrer Zusammen - setzung aus verschiednen Biophoren-Arten immer dieselbe. Wie aber bei den Vielzelligen, bei welchen aus dem Keimplasma des Eies eine so grosse Menge ganz verschiedenartiger Zellen hervorgeht, von denen jede eine andere Zusammensetzung ihrer Kernsubstanz voraussetzt? Wir sehen uns so zurückgeführt zu der am Schluss des vorigen Abschnitts gestellten Frage: worauf beruht die gesetzmässige Veränderung des Keimplasma’s in der Ontogenese?

3. Determinanten.

Die Kernsubstanz eines Infusoriums muss sich, wie eben gezeigt wurde, aus einer Menge verschiedenartiger Biophoren zusammensetzen, von denen jede der Anlage eines bestimmten Theiles einer Zelle des Thieres entspricht. Sollten die Zellen eines vielzelligen Thieres alle im Keimplasma durch die in ihnen vorkommenden Biophoren-Arten vertreten sein, so würde dadurch eine so ungeheure Anhäufung von Biophoren zu Stande kommen, dass selbst bei einer bedeutenden Kleinheit derselben die geringe Substanzmenge des Keimplasma’s sie nicht fassen könnte. Diese Erwägung ist es vor Allem gewesen, welche mich lange Jahre bei dem Versuch festgehalten hat, eine epigenetische Vererbungstheorie zu finden.

Ich glaubte, es müsse möglich sein, ein Keimplasma aus -72 zudenken, welches zwar höchst zusammengesetzt, aber doch nicht aus einer so unfassbaren Menge von Einzeltheilchen ge - bildet sei und welches zugleich so gebaut sei, dass es sich beim Wachsthum in der Ontogenese gesetzmässig derart verändere, dass es schliesslich eine noch viel grössere Zahl verschieden - artiger Idioplasmen liefere, welche nun die Zellen des Körpers in specifischer Weise bestimmten.

In ähnlicher Weise meinte Hatschek1)B. Hatschek, Lehrbuch der Zoologie , zweite Lieferung, Jena 1889, p. 232. noch kürzlich, man könne in der Eizelle eine relativ geringe Zahl von Qualitäten annehmen , nicht grösser, als sie in irgend einer histologisch differenzirten Körperzelle anzunehmen sei. Die Mannigfaltigkeit im viellzelligen Organismus beruhe darauf, dass trotz der be - schränkten Mannigfaltigkeit der Qualitäten innerhalb der ein - zelnen Zelle (auch der Eizelle) doch eine viel complicirtere Ge - sammtleistung des Körpers durch Variirung des einen Grund - thema’s erreicht werde.

Handelte es sich bei einer Vererbungstheorie nur um Er - klärung der Übertragung eines unveränderlichen Körper - baues vom Elter auf das Kind durch alle Generationen hin - durch, so würde einer solchen Structur des Keimplasma’s theoretisch Nichts entgegenzustellen sein, allein es handelt sich bei der Vererbung um die Übertragung veränderlicher Stücke, und dies verlangt die Annahme, dass im Keimplasma ebenso viel selbstständig veränderliche Theile enthalten sind, als solcher am ausgebildeten Organismus vorkommen. Es ist unmöglich, dass ein Theil des Körpers selbstständig und übertragbar variire, wenn er nicht auch im Keimplasma schon durch ein besonderes Theilchen vertreten ist, dessen Variiren sein Variiren nach sich zieht. Wäre er mit andern Körpertheilen zusammen durch ein Theilchen des Keimplasma’s vertreten, so würde eine Ver -73 änderung dieses Letzteren, ein Variiren aller der von ihm aus bestimmten Körpertheile nach sich ziehen. Wir haben also in den selbstständig und erblich veränderlichen Theilen des Körpers ein genaues Maass für die Zahl der kleinsten Lebens-Theilchen, welche das Keimplasma zusammen - setzen müssen; weniger können es nicht sein.

Dass die selbstständig veränderbaren Theile nicht mit den schlechthin vererbbaren zusammenfallen, mag ein Beispiel anschaulich machen.

Die Schmetterlinge entwickeln sich bekanntlich durch eine Metamorphose und die Stadien derselben sind selbstständig vom Keim aus veränderlich, d. h. eine Variation der Raupe muss keineswegs auch eine solche des Schmetterlings nach sich ziehen, noch umgekehrt. Die Raupen einer Art können zweigestaltig sein, grün oder braun, der Schmetterling aber tritt trotzdem immer mit derselben einen Färbung auf. Wenn nun die phy - letischen Umgestaltungen auf Änderungen im feinsten Bau des Keimplasma’s beruhen, so muss es im Keimplasma eines Schmetter - lings mindestens zwei selbstständig veränderliche Einheiten geben, denn gäbe es nur eine, so müsste durch deren Abänderung nicht nur die Raupe, sondern auch der Schmetterling verändert werden. Nun lehrt uns aber der Vergleich nahe verwandter Arten, dass auch einzelne Theile der Raupe oder des Schmetter - lings vom Keim aus veränderlich sein müssen, dass z. B. die Beine zweier Arten fast gleich sein, während ihre Flügel ver - schieden sein können, ja dass selbst die einzelnen Theile der Flügel selbstständig variiren können. Wir werden also zu der Annahme einer ganzen Zahl von Einheiten geführt, die im Keimplasma enthalten sein müssen und von deren Variiren die selbstständige Abänderung gewisser Körpertheile abhängt.

Bei allen höheren Thieren muss die Anzahl dieser Einheiten eine sehr grosse sein, weil die vom Keim aus selbstständig ver - änderlichen Theile des Körpers eine sehr grosse ist.

74

Wie gross sie sein kann, sehen wir am deutlichsten an den individuellen vererbbaren Charakteren des Menschen. Ich kenne eine Familie, in welcher sich ein etwa stecknadelkopf-grosses Grübchen in der Haut vor dem linken Ohr durch drei Genera - tionen hindurch vererbt hat. Diese kleine Abnormität muss als potentia im Keimplasma der betreffenden Individuen ent - halten sein, und ihr Keimplasma muss sich von dem anderer Menschen dadurch unterscheiden, dass dasjenige Element des - selben, von welchem aus jene Hautstelle bestimmt wird, etwas abweichend gebildet ist. Nicht darin, dass überhaupt eine Ver - erbung bis in solche kleinste Einzelheiten hinein möglich ist, liegt der logische Zwang für uns, für jede solche Einzelheit ein besonderes Element im Keimplasma anzunehmen, sondern darin, dass diese einzelne Stelle des Körpers für sich allein erblich abändern kann. Wenn alle Menschen dieses Grübchen vor dem Ohr besässen, so könnten wir allein daraus, dass dies vererbbar ist, noch nicht schliessen, dass es im Keim - plasma durch ein besonderes Element vertreten sein müsse. Es wäre denkbar, dass es mit der Haut der ganzen Gesichtshälfte zusammen durch ein Element, z. B. ein Biophor vertreten wäre, das sich dann im Laufe der Ontogenese aber in viele sekundäre Biophoren spaltete, die verschieden wären, und von welchen eines abweichend ausfallen müsste und gerade an jene Haut - stelle zu liegen käme. Das Zwingende liegt vielmehr darin, dass nicht alle Menschen dieses Grübchen besitzen, dass zwei Menschen denkbar sind, die in allem Übrigen sich gleich sind, von denen aber der Eine das Grübchen besitzt, der Andere nicht. Das Keimplasma der Beiden müsste dann fast gleich sein, doch könnte es nicht wirklich ganz gleich sein, son - dern müsste irgend ein Element enthalten, welches abweicht von dem entsprechenden des andern Keimplasma’s. Dies heisst aber nichts Anderes, als dass der betreffende, selbst - ständig vom Keim aus veränderliche Charakter auch75 durch ein besonderes Element im Keimplasma ver - treten ist. Aus der Vererbbarkeit allein hätten wir das nicht erschliessen können; es wäre denkbar, dass hundert verschiedene Charaktere von einem einzigen Element des Keimplasma’s aus bestimmt würden; sie würden dann alle hundert vererbt, sobald das bestimmende Element im Keimplasma vorhanden wäre, aber keiner der hundert Charaktere wäre selbstständig vom Keim aus veränderlich, sondern wenn das bestimmende Element sich änderte, so änderten sich auch alle hundert Charaktere auf ein Mal. Vererbbarkeit und selbstständige Veränderlichkeit vom Keim aus fällt nicht zusammen.

Das Keimplasma muss also aus so vielen verschiedenen Einheiten zusammengesetzt sein, als vererbbare, vom Keim aus selbstständig veränderliche Theilstücke am Körper auftreten. Diese Einheiten können nicht kleiner sein, als ein Biophor, können also nicht etwa einzelne Moleküle innerhalb eines Biophors sein, weil der Begriff des Variirens ein biologischer ist und ein biologisches Element, kein blos physikalisches voraussetzt.

Welche Bezirke des viellzelligen Körpers sind nun durch besondere Theilchen vom Mindestwerth eines Biophors im Keim - plasma vertreten? Ist jede Zelle ein solcher Bezirk, oder gar jedes Organ jeder Zelle? Das Erstere nahm Darwin an, seine Keimchen sind Zellenkeimchen, und jede Zelle des Körpers sollte durch Keimchen in der Eizelle vertreten sein; das Letztere ist die Meinung von de Vries, dessen Pangene gewissermassen Keimchen von Zellen-Eigenschaften oder Zellorganen sind. Es lässt sich nun nicht verkennen, dass die erblichen Variationen bei Pflanzen und Thieren nicht blos sich in der Zahl der Zellen und ihrer gegenseitigen Anordnung, auch nicht blos in Än - derungen ihrer Form, Grösse und Beschaffenheit als Ganzes äussern, sondern auch in Abänderung einzelner Zelltheile und76 Zellorgane. Die panaschirten Varietäten unserer Zierpflanzen zeigen dieselben Zellen wie ihre Stammformen, aber in vielen derselben fehlt das Blattgrün; das Roth der Blätter bei der Blutbuche und ähnlichen Varietäten beruht auf einer Roth - färbung des Zellsaftes in einer gewissen Zellschicht, welche erb - lich übertragbar ist, und die Musterkarte von Farben, welche auf dem Flügel eines Schmetterlinges oder dem Gefieder eines Vogels zu sehen ist hängt von zelligen Elementen ab, welche bei weit entfernten Vorfahren wohl einmal alle gleich waren, später aber nach und nach durch erbliche Variation einzelner Zellbestandtheile oder Zellstructuren verschieden wurden. Wenn auch keineswegs die ganze phyletische Umgestaltung der Arten auf intracellulärer Variation beruht, so hat dieselbe doch un - ausgesetzt die andern Veränderungen begleitet und nimmt einen bald grösseren, bald kleineren Theil an der Artumwandlung. Es kann also nicht bezweifelt werden, dass auch bei den Viel - zelligen nicht blos die Zellen als Ganzes vom Keim aus bestimmt werden, sondern auch ihre Theile.

So scheint es denn, als ob wir der ersterwähnten un - geheuerlichen Annahme nicht entgehen könnten, dass jede der Milliarden von Zellen des vielzelligen Organismus schon im Keimplasma durch mehrere oder viele verschiedene Biophoren vertreten sei. Aber es giebt einen einfachen und natürlichen Ausweg aus diesem Dilemma, sobald man sich fragt, ob denn überhaupt jede Zelle eines Thieres oder einer Pflanze selbst - ständig veränderlich ist, somit durch besondere Theile im Keim - plasma enthalten sein muss.

Ich will die Zellen oder Zellengruppen, welche selbstständig vom Keim aus veränderlich sind, als Vererbungsstücke oder Determinaten bezeichnen, die ihnen entsprechenden und sie bestimmenden Theilchen des Keimplasma’s aber als Bestimmungsstücke oder Determinanten .

77

Es giebt nun offenbar viele Zellen bei höheren Thieren, welche nicht einzeln durch je eine Determinante im Keim - plasma vertreten sein werden. Die Milliarden von Blutzellen, welche bei den Wirbelthieren im Laufe des Lebens sich ablösen, dürften möglicherweise von einer einzigen Determinante des Keimplasma’s aus bestimmt werden. Es würde jedenfalls kein Nachtheil für die Art daraus erwachsen, weil eine selbstständige Bestimmbarkeit einzelner Blutkörperchen oder selbst einzelner Tausende von ihnen werthlos wäre. Sie sind nicht lokalisirt; eines ist soviel werth wie das andere, und ihre Variabilität könnte deshalb sehr wohl von einem einzigen Punkte aus geleitet werden. Nach dem Gesetz der Sparsamkeit wird die Natur nicht mehr Determinanten dem Keimplasma einverleibt haben, als nothwendig war.

So wird es vermuthlich bei höheren Thieren noch viele Zellengruppen geben, deren Zellen nicht einzeln im Keimplasma vertreten sind. Wenn auch die Nervenzellen des Gehirns sicher - lich alle ihre besondere Determinanten besitzen, da andernfalls die so sehr ins Einzelne gehende Vererbung geistiger Anlagen beim Menschen unerklärt bleiben würde, so kann doch Wenig darauf ankommen, dass jede Faser eines Muskels, jede Zelle der Haut oder des Bindegewebes oder der Epithelschicht des Darms seine besondere Determinante hätte. Vermuthlich werden hier grössere oder kleinere Gruppen von Zellen durch eine gemein - same Determinante bestimmt. Ein Hinweis für diese Auffassung darf vielleicht in der Art gesehen werden, wie das Epithel des Darmes bei Insektenpuppen sich erneut. Bei Musciden z. B. und bei Schmetterlingen zerfällt der Darm der Larve, wie ich vor langer Zeit nachwies, und aus seinen Trümmern baut sich der sehr verschiedenartige Darm der Imago auf. Kowalewsky und von Rees haben später gezeigt, dass dies in der Weise geschieht, dass von gewissen, in ziemlich regelmässigen Ab -78 ständen von einander liegenden Zellen aus ein Stück des neuen Darmes gebildet wird und sich soweit ausbreitet, bis es mit dem nächstliegenden Stück zusammenstösst. Es ist also nur in diesen Bildungszellen das Idioplasma der neuen Darmzellen enthalten und es liegt nahe zu vermuthen, dass jede derselben nur eine Art von Determinanten enthält.

Ähnlich scheint es sich bei der Behaarung der Säugethiere zu verhalten; nicht jedes Haar besitzt seine besondere Deter - minante im Keim, kleinere oder grössere Haarbezirke sind durch je eine Determinante vertreten. Diese Bezirke sind nicht gross, wie die Streifung und Fleckung des Haarkleides beim Leoparden, Tiger u. s. w. beweist. Beim Menschen hat man beobachtet, dass ein abnormes weisses Haarbüschel auf einer bestimmten Stelle des Kopfes mitten unter den normalen dunkeln Haaren sich auf die entsprechende Stelle beim Sohne vererbt hat.

Nach Zellen abschätzbare Vererbungsstücke oder Deter - minaten lassen sich wohl auch bei Schmetterlingen beob - achten, bei welchen die Farben der Flügel oft sehr verwickelte Linien und Flecken von geringer Ausdehnung, aber von grosser Constanz bilden. Solche Flecken setzen sich zuweilen nur aus ganz wenigen Schuppen, d. h. Zellen zusammen; bei Lycaena Argus z. B. steht an einer bestimmten Stelle des Vorderflügels ein schwarzer Fleck, der nur aus zehn Schuppen besteht, wäh - rend die unmittelbare Umgebung desselben blau ist. Hier werden wir also schliessen dürfen, dass diese schwarzen Zellen im Keimplasma durch mindestens eine Determinante vertreten sind. Es ist aber sehr möglich, dass die Determinirung hier noch mehr ins Einzelne geht, dass jede Zelle des ganzen Flecks vom Keim aus determinirt ist, und dass uns dies nur durch die stete Vermischung zweier Vererbungstendenzen bei der ge - schlechtlichen Fortpflanzung und die daher entstehende Varia - bilität der Schuppenzahl verhüllt wird jedenfalls aber können79 wir die Determinirung einzelner Zellen bei andern Thierarten nachweisen. So steht auf den vorderen Fühlern vieler Kruster eine Anzahl nervöser Endapparate, welche dem Geruchsinn dienen und deren jeder einer Zelle entspricht. Die Anzahl, Stellung und Gestalt dieser sogenannten Riechfäden ist für jede Art genau bestimmt, bei den Muschelkrebsen der Gattung Cypris ist immer nur ein Riechfaden vorhanden, bei dem ge - meinen Flohkrebs finden sich deren etwa 20, die einzeln stehen an der Basis mehrerer aufeinander folgender Fühlerglieder. Bei manchen im Dunkeln lebenden blinden Krebsen steigt die Zahl dieser Riechfäden höher als bei ihren sehenden Verwandten, und wenn auch hier, wie in allen den erwähnten Fällen indi - viduelle Schwankungen vorkommen, so dürfen wir doch ver - muthen, dass diese vererbbar sind, weil sonst die Zunahme der Riechfäden mit dem Leben in Finsterniss sich nicht als Art - charakter hätte festsetzen können.

Bei kleineren und einfacheren Organismen mag wohl jede einzelne Zelle vom Keimplasma aus determinirt sein, nicht nur derart, dass die Zahl der Zellen eine fest bestimmte und die Stellung einer jeden von ihnen eine fest lokalisirte ist, sondern in dem Sinn, dass individuelle Besonderheiten einer derselben falls sie überhaupt auf Keimesänderung beruhen, also blasto - gen sind, auch in der nächsten Generation wieder an derselben Zelle auftreten, ganz so, wie bei jenem Muttermal des Menschen, das genau auf dieselbe Stelle derselben Körperhälfte sich ver - erbte. So mag es etwa bei Thieren von der Einfachheit der Dicyemiden oder der Tardigraden sich verhalten, wenn es auch nicht möglich ist, einen förmlichen Beweis dafür beizubringen.

Bei allen höher differenzirten Thieren ist die Zahl der Determinanten wohl immer sehr viel geringer, als die der Zellen, welche die Ontogenese ausmachen. Das Keimplasma wird also auf diese Weise einigermassen entlastet gegenüber der Annahme80 Darwin’s, der für jede Zelle ein (oder eigentlich viele) Keim - chen annahm.

Wir dürfen aber nicht vergessen, dass nicht nur ganze Zellen erblich variiren können, sondern, wie oben gezeigt wurde, auch die Zellorgane, dass somit für jede Determinante einer Zelle oder Zellengruppe nicht blos ein, sondern mehrere Bio - phoren angenommen werden müssen, so viele, als selbständig vom Keim aus veränderliche Organe an ihr sich befinden. Eigentlich müssten wir diese den Pangenen von de Vries ent - sprechenden Eigenschaftsträger auch als Determinanten be - zeichnen, denn sie determiniren die Zellentheile. Da dieselben indessen schon ihren Namen als Biophoren erhalten haben, so möge ihnen diese Bezeichnung bleiben und das Wort Deter - minante immer nur im Sinne von Anlage einer Zelle oder Zellengruppe genommen werden. Eine Determinante ist also nie ein einzelnes Biophor, sondern immer eine Gruppe von Biophoren.

Es lässt sich nun, wie ich glaube, unschwer zeigen, dass die eine Zelle bestimmenden Biophoren im Keimplasma nicht nur beisammen liegen, also eine Gruppe bilden müssen, sondern dass sie zu einer höheren Einheit verbunden sind. Die Determinante ist nicht ein loser Haufen verschiedener Biophoren, sondern eine mit besonderen Eigenschaften ausgerüstete, dem Biophor übergeordnete Lebenseinheit.

Dies geht schon daraus hervor, dass die Determinanten das Vermögen der Vermehrung besitzen müssen. Wie sehr die Kernsubstanz, welche in der befruchteten Eizelle enthalten ist, während der Entwickelung an Masse zunimmt, ist bekannt, dies kann aber nur dadurch geschehen, dass ihre Lebenstheilchen, die Biophoren, sich vermehren. Dieses nun würde niemals so genau und gleichmässig geschehen können, als es nothwendig ist zum Festhalten des Charakters einer bestimmten Zelle, wenn81 die für diese Zelle bestimmenden Biophoren lose bei einander und nicht abgegrenzt von denen anderer Zellen im Keimplasma lägen. Die Vermehrung der Biophoren muss deshalb innerhalb des festen Verbandes der Determinante vor sich gehen und muss die Einleitung sein zu einer Theilung der Determinante selbst. Diese Letztere ist somit auch eine Lebenseinheit.

Dass die Determinanten als solche sich vermehren müssen, geht auch daraus hervor, dass nach unserer, wohl nicht abzu - weisenden Annahme häufig eine Determinante des Keimplasma’s ganze Gruppen von Zellen bestimmt. Dies ist nur möglich, wenn dieselbe sich während der Ontogenese vervielfacht. Über - dies ist es sehr wahrscheinlich, dass das Kernplasma irgend einer Körperzelle niemals nur ein Exemplar der dieselbe be - stimmenden Determinante enthält, sondern deren viele. Wie sollte sonst die Kernsubstanz einer solchen Zelle überhaupt für unsere Mikroskope sichtbar sein können, da Biophoren jeden - falls sehr weit unter der Grenze der Sichtbarkeit liegen, und auch Determinanten dieser sich kaum erheblich nähern können.

So wäre denn die Annahme des genialen Erfinders der Pangenesis insoweit gerechtfertigt. Es giebt wirklich Keim - chen der Zellen, die sich durch Theilung vermehren, aber sie sind nicht die letzten Lebenstheilchen, und auch nicht alle Zellen des Körpers besitzen ihre besonderen Keimchen schon im Keimplasma.

Es fragt sich nun, wie diese beiden jetzt erschlossenen Elemente des Keimplasma’s die Ontogenese zu Stande bringen.

4. Das Id und die Ontogenese.

Wie kommt das Keimplasma dazu, alle die verschiedenen Idioplasmen der Zellen in gesetzmässiger Weise aus sich her - vorgehen zu lassen, welche den Aufbau des Organismus aus -Weismann, Das Keimplasma. 682machen? Das ist die oben schon gestellte Frage, an deren Be - antwortung wir jetzt herantreten können.

Das Keimplasma enthält, wie wir sahen, die Anlagen sämmtlicher Zellen des Körpers in seinen Determinanten, und es fragt sich jetzt nur noch, in welcher Art es bewirkt wird, dass jede derselben in der richtigen Zahl an den richtigen Ort gelangt. Wenn wir auch die Kräfte, welche dabei thätig sind, nicht kennen, so vermögen wir doch aus den jetzt erschlossenen Elementen des Keimplasma’s, und den Vorgängen und dem Verlauf der Ontogenese gewisse Rückschlüsse auf die Structur des Keimplasma’s und auf die Art seiner Veränderungen zu machen, die, wie ich glauben möchte, nicht gar zu weit von der Wirklichkeit abweichen werden.

Vor Allem kann mit Sicherheit behauptet werden, dass das Keimplasma eine feste, historisch überlieferte Archi - tektur besitzen muss. Bei Entwickelung des Begriffes der Determinanten wurde als wahrscheinlich hingestellt, dass lange nicht alle Zellen der höheren Organismen durch besondere Deter - minanten im Keimplasma vertreten sind, dass z. B. möglicher - weise sämmtliche Blutzellen, oder die Tausende von Fasern eines bestimmten Muskels u. s. w. nur durch je eine Deter - minante vertreten wären. Daraus darf aber nicht etwa ge - schlossen werden, dass überhaupt alle am Körper vorkommen - den gleichartigen Zellen auch nur durch je eine gemeinsame Determinante vertreten sein könnten. Dies würde einem Auf - geben des Begriffes der Determinante gleich kommen. Denn wären z. B. sämmtliche quergestreifte Muskeln eines Wirbel - thieres nur durch eine Determinante im Keimplasma vertreten, so würde jede Variation dieser Letzteren alle Muskeln eben - falls abändern machen, und die selbstständige Variation jedes einzelnen Muskels, welche doch thatsächlich besteht, wäre un - möglich.

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Es müssen also im Keimplasma eines Thieres die - selben Determinanten mehrfach oder sogar vielfach vorhanden sein. Muskel - und Nervenzellen wiederholen sich ja auch im fertigen Organismus und werden im Keimplasma, soweit sie überhaupt einzeln vom Keim aus variiren können, durch die gleichen oder doch sehr ähnliche Determinanten ver - treten sein.

Wenn nun solche gleiche Determinanten je eine be - stimmte Zelle oder Zellengruppe des Körpers vertreten sollen, so können sie nicht an beliebiger Stelle des Keimplasma’s liegen, können auch nicht ihren Platz darin je nach wechselnden Einflüssen ändern, sondern sie müssen fest lokalisirt sein; nur darin kann die Gewähr liegen, dass sie im Laufe der Onto - genese in die richtige Zelle und an den richtigen Platz ge - langen. Ich habe oben die Riechfäden des Flohkrebses er - wähnt, von welchen jeder auf einem besonderen Fühlerglied steht. Jeder von diesen kann für sich erblich variiren, verlangt also die Annahme besonderer Determinanten des Keimplasma’s, die aber untereinander gleich sein werden. Ähnlich verhält es sich mit den ebenfalls bereits erwähnten schwarzen Flecken auf den Flügeln eines Schmetterlings. Bei der Bläulingsart Lycaena Argus steht ein solcher Fleck z. B. auf derjenigen Stelle des Flügels, welche von den Entomologen als Zelle 1, b be - zeichnet wird und dieser Fleck ist selbstständig variabel, er kann grösser oder kleiner sein, und diese Unterschiede können sich vererben völlig unabhängig von den vielen andern schwarzen Flecken. So kann der erwähnte Fleck bei andern Lycaena - Arten ganz geschwunden sein, während ein ihm genau ent - sprechender Fleck in Zelle 4 bedeutend grösser geworden ist. Wir haben auch bestimmte Anzeichen, dass homologe Theile beider Körperhälften unabhängig voneinander abändern können bei bilateral gebauten Thieren. Das oben besprochene Mutter -6*84mal des Menschen vererbte sich stets nur auf die linke Seite, nicht auf die rechte.

Wenn nun jede Determinante ihren festen Platz im Keim - plasma hat, so kann dieses selbst nicht eine beliebige oder eine wechselnde Grösse und Gestalt haben, son - dern es muss eine in sich abgeschlossene Einheit sein, an der Nichts weggenommen und der Nichts zugelegt werden kann. Wir werden mit andern Worten auf die Annahme von Determinanten-Gruppen geführt, welche eine in sich ge - schlossene höhere Lebenseinheit darstellen, die dritte Stufe der - selben, da sie sich direkt aus Determinanten, diese aber wieder aus Biophoren zusammensetzen. Diese Einheiten sind die schon längst auf ganz anderem Weg von mir erschlossenen Ahnen - plasmen , die ich jetzt mit dem an das Idioplasma’s Nägeli’s anklingenden Namen der Ide bezeichnen will. 1)Diese Bezeichnung ist schon in meiner Schrift Amphimixis oder die Vermischung der Individuen , Jena 1891, p. 39, gebraucht worden; in meinen früheren Schriften hatte ich für sie den Ausdruck Ahnen - plasmen angewandt, dessen Bedeutung und Herleitung in dem Abschnitt über amphigone Vererbung erörtert werden wird.

Wie das einzelne Biophor andere Eigenschaften hat, als die Determinante, welche aus Biophoren zusammengesetzt ist, so wird auch so nehme ich an das Id andere Eigen - schaften besitzen, als die dasselbe zusammensetzenden Deter - minanten. Doch müssen die Grundeigenschaften des Lebens: Wachsthum und Vermehrung durch Theilung ihm, wie allen Lebens-Einheiten, zugesprochen werden. Mehrfache Gründe, besonders aber die Vererbungs-Erscheinungen bei sexueller Fort - pflanzung leiten zu der Annahme, dass das Keimplasma nicht blos aus einem Id besteht, sondern aus mehreren, oder selbst aus vielen Iden, und dies wird auch dann anzunehmen sein, wenn die Fortpflanzung augenblicklich keine geschlechtliche ist.

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Ich nehme also an, dass jedes Idioplasma aus mehreren oder vielen Iden zusammengesetzt ist, die wachsen und sich durch Theilung vermehren können. Gäbe es Thiere, in deren Vorfahren-Reihe geschlechtliche Fortpflanzung niemals hineingespielt hätte, so müssten diese Ide untereinander völlig gleich sein. In jedem Falle aber enthält jedes Id des Keimplasma’s die sämmtlichen Elemente, welche für die Ent - wickelung aller folgenden Id-Stufen erforderlich sind. Theo - retisch also würde eines dieser Ide für die Ontogenese ge - nügen.

Die Veränderungen dieses Keimplasma-Id’s in der Ontogenese können nach unseren Voraussetzungen nur in einer gesetzmässigen Zerlegung der Determinanten in immer kleinere Gruppen bestehen, die so lange fortgeht, bis schliesslich in jeder Zelle nur noch eine Art von Determinanten enthalten ist, diejenige, welche sie zu determiniren hat. Es ist durchaus unwahrscheinlich, dass alle Determinanten des Keimplasma - Id’s in die sämmtlichen Id-Stufen der Ontogenese mitgeführt werden. Ich werde zwar später bei Besprechung der Regene - ration, Knospung u. s. w. zu zeigen haben, dass unter Um - ständen Determinanten-Gruppen gewissen Zellenfolgen beigegeben werden, welche zur Determinirung dieser Zellen selbst nicht gehören, aber dies beruht, wie ich glaube, auf besonderen An - passungen und ist nicht das Ursprüngliche, wenigstens gewiss nicht bei den höheren Thieren und Pflanzen. Weshalb sollte die Natur, die doch überall Sparsamkeit walten lässt, den Luxus treiben, sämmtliche Determinanten des Keimplasmas’s allen Zellen des ganzen Körpers mitzugeben, wenn eine einzige Art von ihnen genügt? Dies wird also voraussichtlich nur da geschehen sein, wo es bestimmten Zwecken dient. Auch die enorme Zahl der im Keimplasma enthaltenen Determinanten spricht gegen eine solche Annahme, denn ihre Zahl wird bei den höheren86 Thieren mindestens nach Hunderttausenden zu zählen sein, und wenn man ja auch annehmen kann, dass diese alle in latentem Zustand in jeder Zelle verharren und so die Thätigkeit der die Zelle bestimmenden Determinante nicht zu stören brauchten, so nehmen sie doch immer einen verhältnissmässig bedeutenden Raum ein und entziehen ihn der bestimmenden Determinante, die wir uns doch ebenfalls vielfach vorhanden vorstellen müssen.

Wollte man die Annahme machen, dass alle Determinanten des Keimplasma’s sämmtlichen Zellen der Ontogenese mitgegeben würden, so müsste man die gesammte Differenzirung des Körpers auf ein gesetzmässig geregeltes Latentbleiben aller Determinanten mit Ausnahme einer bestimmten und für jede Zelle verschiednen beziehen, eine Vorstellung, die wohl der andern an Wahrschein - lichkeit nachsteht, dass in jeder Zelle des definitiven Organismus abgesehen von besondern Anpassungen nur eben die eine Determinante gelangt, welche sie zu bestimmen hat.

Machen wir also diese Annahme, so fragt es sich, welche Momente die Zerlegung des Keimplasma-Id’s in immer kleinere Determinantengruppen, also in Ide, die immer weniger Determi - nanten-Arten enthalten, bewirken könnten.

Ich denke mir, dass hier drei Momente zusammen wirken: einmal die ererbte Architektur des Keimplasma’s, in welchem jede Determinante ihren bestimmten Platz hat, dann die ungleich rasche Vermehrung der verschiedenen Determinanten und schliesslich Kräfte der Anziehung, welche in den Determinanten ihren Sitz haben und ein Ausfluss sind ihrer specifischen Natur, als einer besondern und selbst - ständigen Lebenseinheit.

Über die Architektur des Keimplasma’s im Allgemeinen ist schon gesprochen worden; im Einzelnen können wir sie wohl kaum errathen, wenigstens für jetzt nicht. Bei den höheren Organismen werden wir uns vorzustellen haben, dass Hundert -87 tausende oder Millionen von Determinanten in den Bau des - selben eingehen, welche alle bestimmt lokalisirt sind. Die Er - fahrung, dass bei bilateral gebauten Thieren die entsprechenden Theile der rechten und der linken Körperhälfte unabhängig voneinander variiren können, lässt schliessen, dass alle Deter - minanten hier doppelt im Keimplasma vorhanden sind. Er - wägen wir weiter, dass bei vielen solcher Thiere, z. B. beim Frosch, die Theilung der Eizelle in die beiden ersten Embryo - nalzellen die Scheidung der rechten und linken Körperhälfte bedeutet, so müssen wir schliessen, dass das Keimplasma-Id selbst schon einen bilateralen Bau besitzt und sich bei der ersten Theilung in die Determinanten für die rechte und die linke Körperhälfte spaltet. Wir dürfen darin eine weitere Be - stätigung unserer Ansicht von der festen Architektur des Keim - plasma’s finden. Ein Id desselben ist offenbar nicht etwa so geordnet wie der Niederschlag aus einer complicirten Schüttel - mixtur, bei welcher die schwereren Theilchen unten, die leichteren weiter oben zu liegen kommen, überhaupt nicht so, als ob die gegenseitige Lage der Theilchen lediglich durch die momentan auf sie und zwischen ihnen wirkenden Kräfte frei bestimmt würde, sondern wie ein complicirtes Gebäude, das von alter Zeit her übernommen wird, dessen Steine aber lebendig sind, wachsen und sich vermehren können und welche dann Verschiebungen und Spaltungen der Mauern hervorrufen, bei welchen die in ihnen liegenden Anziehungskräfte mitspielen. Die historische Überlieferung der Keimplasma-Architektur bildet die Grundlage der ganzen ontogenetischen Idioplasma - Entwickelung.

Wenn aber auch bei bilateralen Thieren das Id eine rechte und linke Hälfte hat, so darf daraus doch nicht etwa geschlossen werden, dass das Id überhaupt nichts weiter sei, als ein Miniatur - bild des fertigen Thieres, dass es sich also hier um eine Wieder -88 holung der alten Einschachtelungstheorie handle. Die genaue Architektur eines Keimplasma-Id’s lässt sich zwar nicht wohl errathen, aber so viel wenigstens lässt sich mit Bestimmtheit sagen, dass die Determinanten in ihm ganz anders angeordnet liegen, als die ihnen entsprechenden Körpertheile im fertigen Thier. Dies geht unmittelbar aus der Entwickelungsgeschichte hervor und bedarf kaum noch einer besondern Ausführung. Wer irgend einige Einsicht in die Embryologie der Thiere hat, weiss, wie ganz anders die Theile im Embryo auseinander her - vorgehen, als sie schliesslich im fertigen Organismus zu ein - ander gelagert sind. Die ersten Theilungen des Eies zeigen schon, dass die Determinanten Gruppen im Keimplasma-Id ge - bildet haben, welche zwar wohl den successive auseinander her - vorgehenden Theilen des Körpers entsprechen, mit der Gestalt und Ausbildung seiner Theile aber keine Ähnlichkeit haben können.

So giebt es Würmer, bei welchen die beiden ersten Blasto - meren nicht die rechte und linke Körperhälfte liefern, sondern das gesammte Ektoderm und Entoderm. Hier wird also durch diese erste Theilung das Keimplasma-Id in zwei Gruppen zer - legt, von denen die eine sämmtliche Determinanten der ektoder - malen Organe, die andere sämmtliche Determinanten des Ento - derms enthalten, eine Anordnung, die mit der Lagerung der fertigen Organe des Thieres keine Analogie hat. Kennten wir von irgend einer Art den Anlagenwerth wenn ich so sagen darf jeder Zelle der Ontogenese, so könnten wir uns ein annäherndes Bild von der Architektur des Keimplasma’s ent - werfen, denn anfangend von den letztentstehenden Zellen könnten wir die Determinanten erschliessen, welche in jeder der zunächst rückwärts gegen die Eizelle liegenden Mutterzelle enthalten ge - wesen sein muss und würden so bis zu den beiden ersten Blastomeren und schliesslich zur Eizelle gelangen. Damit wären89 denn die Gruppen von Determinanten, welche in jeder Zelle jeder Stufe enthalten sein müssen, gegeben und man könnte versuchen, sie räumlich nebeneinander so zu ordnen, dass damit ihre Zerlegung in die betreffenden Folgen von immer kleineren Gruppen denkbar erschiene.

Genau würde ein solches Bild von der Architektur des Keimplasma-Id’s aber niemals sein, und zwar deshalb, weil die Theile desselben während der Entwicklung und des Wachsthums des Idioplasma’s unaufhörlichen langsamen Verschiebungen aus - gesetzt sein müssen.

Dies führt zu dem zweiten Moment, welches in die Ontogenese des Idioplasma’s eingreift, zu der ungleichen Ver - mehrungsgeschwindigkeit der Determinanten. Ein aus lauter gleichen Determinanten zusammengesetztes Keimplasma - Id würde auch beim stärksten Wachsthum und fortgesetzten Theilungen seine ursprüngliche Architektur beibehalten müssen, ungefähr so wie ein hypothetisches niederstes Lebewesen, welches noch aus lauter identischen Biophoren bestünde, sich durch alle Theilungen hindurch gleich bleiben müsste. Bei einem aus einer Menge verschiedener Determinanten zusammengesetzten Keimplasma ist ein völlig gleiches Tempo der Vermehrung für alle diese Determinanten-Arten nicht anzunehmen. Denn die Verschiedenheit zweier Determinanten beruht der Voraussetzung nach auf Unterschieden in der Beschaffenheit, Zahl oder An - ordnung der sie zusammensetzenden Biophoren, und diese Letzteren unterscheiden sich wiederum in ihrem Aufbau aus Molekülen, also in ihren chemisch-physikalischen Grundeigenschaften. Die Determinanten werden deshalb je nach ihrer Zusammensetzung sich auch in ihrer Reaction auf äussere Einflüsse verschieden ver - halten, vor Allem in ihrer Wachsthums - und Vermehrungs - geschwindigkeit. Dieselben Ernährungsbedingungen werden also die einen zu schnellerem, die andern zu langsamerem Wachs -90 thum und entsprechender Vermehrung anregen, und es muss somit im Laufe der Embryogenese, welche ja mit einem stetigen Wachsthum des Idioplasma’s, also auch einer stetigen Vermehrung der Determinanten verbunden ist, unausgesetzt eine Verschiebung der Verhältnisszahlen eintreten, in welchen die einzelnen Determi - nanten-Arten im Idioplasma enthalten sind. Dadurch allein muss schon eine Veränderung der Architektur des Keimplasma’s hervorgerufen werden, in die dann noch der dritte Faktor der Veränderung eingreift; nämlich Anziehungskräfte der De - terminanten.

Der Annahme solcher Kräfte lässt sich kaum entgehen. Einmal ist es a priori sehr wahrscheinlich, dass Lebenseinheiten derartige Wirkungen in verschiednem Grade aufeinander ausüben, und dann sprechen die Vorgänge der Kerntheilung dafür, wenn man sie mit der Vertheilung der Anlagen in der Ontogenese zusammenhält.

Ich habe bisher noch nicht berührt, welche beobacht - baren Theile des sichtbaren Idioplasma’s wohl als Ide anzusehen seien. Eine sichere Entscheidung darüber ist zwar zur Zeit noch nicht möglich, aber ich habe mich schon an einem andern Ort dafür ausgesprochen1)Siehe m. Schrift: Amphimixis , Jena 1891, p. 39 u. 40., dass die Chromosomen, die stäbchen -, schleifen - oder körnerartigen Chromatin-Bildungen des Kerns wahrscheinlich nicht einzelne Ide, sondern Reihen oder Haufen von Iden gleichzusetzen seien. Ich habe deshalb, um eine gewisse Gleichmässigkeit der Nomenclatur herbeizu - führen, vorgeschlagen, die Chromosomen als Idanten zu be - zeichnen. Es ist mir am wahrscheinlichsten, dass die Ide jene bisher als Mikrosomen bezeichneten Kügelchen sind, welche bei manchen Thieren, vor Allem bei dem in Hinsicht der Kern - structur bestgekannten Thier, der Ascaris megalocephala, den91 einzelnen Idanten zusammensetzen. Da diese Microsomen in einer Reihe liegend zwar dicht aneinander stossen, aber doch getrennt sind durch eine dünne Lage von Zwischensubstanz, so kann nicht der ganze Idant den Werth eines Id’s haben, denn das Id ist eine geschlossene Lebenseinheit mit fester Architektur und kann nicht aus völlig getrennten Stücken bestehen. Bei der grossen Mannigfaltigkeit der Chromosomen ver - schiedner Thierarten nach Zahl, Gestalt und Grösse ist aber auch der Gedanke nicht ganz zurückzu - weisen, dass dieselben nicht immer genau den gleichen morphologischen Werth besitzen möchten. Da indessen kein Grund vorliegt zu der Annahme, dass die Zahl der Ide bei allen Arten dieselbe sein müsse, da im Gegentheil bedeutende Schwankungen

Fig. 2.

Zwei Idanten mit ihren Iden, a f.

darin viel wahrscheinlicher sind, so kann man auch daraus kein entscheidendes Argument ableiten. Soviel darf wohl gesagt werden, dass das einzelne Chromosom oder der einzelne Idant eine der Art nach wechselnde Anzahl von Iden darstellt.

Nun beruht die Kerntheilung auf einer Längsspaltung der Idanten, welche jedes der kugeligen Ide die Mikrosomen einmal als solche angenommen in zwei Hälften spaltet. Jede derselben rundet sich dann zur Kugel ab und beide ge - langen mitsammt dem Idanten, dem sie angehören, in je einen der beiden neuentstehenden Tochterkerne.

Bei der gewöhnlichen Zelltheilung von Gewebezellen, die Tochterzellen der gleichen Art hervorbringt, enthalten diese Theilungs-Ide genau dieselben Determinanten, wie wir eben aus der Gleichheit der Tochterzellen abnehmen können, allein in der Embryogenese kommen meist Theilungen vor, bei welchen die beiden Tochterkerne eine ganz verschiedene Combination von Determinanten enthalten müssen. Wenn aus der Eizelle92 durch ihre erste Theilung, wie oben für gewisse Würmer an - geführt wurde, zwei Zellen entstehen, von welchen die eine die gesammten Determinanten für das innere, die andere die für das äussere Keimblatt enthalten, so ist dies ein Beispiel einer solchen Kerntheilung, die man als differentielle oder erbungleiche der integrellen oder erbgleichen entgegen - stellen kann. Die Ide, wie die ganzen Idanten spalten sich aus innerer Kraft, sie werden nicht etwa mechanisch durch die sich an sie ansetzenden Fäden der Kernspindel auseinander gezogen. Flemming hat gezeigt, dass die Spaltung häufig viel früher erfolgt, als die Spindelfäden in Thätigkeit treten. Es müssen also wohl Anziehungskräfte der Determinanten hier mit im Spiel sein, ganz ebenso, wie solche zwischen den Biophoren angenommen werden müssen, welche den Körper einer sich theilenden Zelle zusammensetzen.

Ich denke mir daher, dass die ererbte Architektur des Keim - plasma-Ids durch ungleiche Vermehrungs-Geschwindigkeit der Determinanten eine allmälige Verschiebung des Baues erleiden, die noch weiter regulirt wird durch Anziehungskräfte, welche zwischen den Determinanten thätig sind. Wenn wir die Archi - tektur des Id’s unter dem Bilde einer sehr verwickelten geo - metrischen Figur auffassen, so würde also während des Wachs - thums des Keimplasma-Ids die ursprüngliche Figur sich allmälig ändern, noch nicht bei der ersten Theilung, die ja in der ur - sprünglichen Figur schon genau vorbereitet sein wird, aber in den weiteren Stadien der Ontogenese. Indem die meisten dieser Theilungen mit einer Verminderung der Anzahl der Determi - nanten-Arten verbunden sind, wird die geometrische Figur der Ide immer einfacher, bis sie schliesslich, wenn eine jede Zelle blos noch die eine Art von Determinante enthält, die sie bestimmt, die denkbar einfachste Form annimmt. Es ist ein wunderbar verwickelter Process der Auseinanderlegung des Keimplasma’s, eine93 wahre Entwicklung , bei welcher jede Id-Stufe mit Nothwendig - keit aus der vorhergehenden folgt und so allmälig die Tausende und Hunderttausende von Vererbungsstücken zu Stande kommen, jedes am richtigen Platz und jedes mit der ihm zukommenden Determinante versehen.

Auf dieser verwickelten Zerlegung der Determinanten des Keimplasma-Id’s beruht der ganze Aufbau des Körpers, beruht die Herstellung seiner gröberen Theile, seiner Gliederung, seiner Organbildung bis herab zu der durch die Zellenzahl bestimmten Grösse dieser Organe. Die Vererbung der Eigenschaften allgemeinster Art, also des Bauplanes eines Thieres, aber auch die die Klasse, Ordnung, Familie, Gattung kennzeichnenden Eigenschaften beruhen ausschliess - lich auf diesem Vorgang. Erst die kleinen Unterschiede, welche Art von Art, Individuum von Individuum scheiden, hängen zum Theil auch von den Eigenschaften der einzelnen Zellen ab; das hat de Vries übersehen, wenn er die Vererbung durch seine intracelluläre Pangenesis allein erklären zu können meinte. Gerade die meisten Eigenschaften irgend einer höheren Lebensform beruhen nicht auf den Eigenschaften der einzelnen Zellen, sondern auf der Art ihrer Zusammen - stellung, wie in der historischen Einleitung schon entwickelt wurde. Auf der andern Seite aber ist ohne eine Bestimmung der Eigenschaften jeder Zelle die Ausführung irgend eines lebens - fähigen Organismus nicht denkbar.

Es handelt sich also noch um die Erklärung dieses letzten Theiles der Ontogenese. Sie ist zum grossen Theil schon in dem gegeben, was oben über die Bestimmung der Zelle durch das Idioplasma gesagt wurde.

Es wurde dort mit de Vries angenommen, dass diese Be - stimmung auf dem Austritt kleinster Lebenstheilchen aus dem Kern in den Zellkörper beruht. Wir haben jetzt gesehen, auf94 welche Weise diese für eine bestimmte Zelle charakteristischen Biophoren gerade in dem erforderlichen Verhältniss in die be - treffende Zelle gelangen. Es geschieht dies dadurch, dass sie in einer Determinante zusammengehalten werden, die schon im Keimplasma als solche vorhanden war und nun durch die ontogenetische Zerlegung desselben an die richtige Stelle des Körpers mechanisch geschoben wurde. Damit aber diese Deter - minante die Zelle wirklich bestimmen könne, muss sie sich nun in ihre Biophoren zerlegen. Dies ist eine unvermeid - liche Consequenz aus der von uns angenommenen Art, wie die Bestimmung der Zelle erfolgt. Wir müssen annehmen, dass die Determinanten sich nach und nach in ihre Biophoren auf - lösen, wenn sie an ihrem Bestimmungsort angelangt sind. Die Annahme lässt zugleich eine Erklärung des sonst räthselhaften Verhältnisses zu, dass die übrigen Determinanten, welche in jedem Id mit Ausnahme der letzten Entwickelungsstufen ent - halten sind, keinen Einfluss auf die Zelle ausüben. Da jede Determinante aus vielen Biophoren besteht, so muss sie erheb - lich grösser sein, als ein Biophor, und man könnte sich denken, dass sie durch die sehr klein anzunehmenden Poren der Kern - membran nicht hindurchzutreten vermöchte, die eben auf den Durchtritt der Biophoren eingerichtet sind.

Dass nun jede Determinante sich erst dann in ihre Bio - phoren auflöst, wenn sie in die Zelle gelangt ist, welche sie zu bestimmen hat, muss seinen Grund in dem inneren Bau der - selben haben, ohne dass wir aber Genaueres darüber anzugeben vermöchten. Wie die eine Frucht eines Obstbaumes rascher reift, als die andere, auch wenn die gleichen äusseren Einflüsse auf sie einwirken, so wird auch die eine Art von Determinanten früher zur Reife kommen, als die andere, wenn auch die gleiche Ernährung beiden zu Theil wird. Übrigens darf dabei nicht übersehen werden, dass eine verschiedene Reifungsdauer der95 Determinanten bei der thierischen Embryogenese hauptsächlich nur für die eigentlichen Embryonalzellen anzunehmen ist, denn die histologische Differenzirung der Zellen des in seinen Theilen bereits angelegten Körpers findet ziemlich gleichzeitig, nämlich erst dann statt, wenn die Organe als bestimmt geformte Zellen - gruppen schon vorhanden sind. Das heisst aber in vielen Fällen nichts Anderes, als dass die Zerlegung in Biophoren dann er - folgt, wenn das Id nur noch die eine, die betreffende Zellenart bestimmende Determinante enthält. Es ist von jeher auf - gefallen, wie plötzlich in der Embryogenese eines Thieres die histologische Differenzirung der Zellen einsetzt. Lange Zeit hindurch behalten die Zellen der verschiedensten Theile und Gewebe ein zwar nicht völlig gleiches, aber doch sehr ähnliches Aussehen, dann plötzlich beginnt die histologische Differen - zirung. Ganz besonders auffällig tritt dies an den quer - gestreiften Muskeln der Gliederthiere und Wirbelthiere hervor, und hier ist die Art, wie die Differenzirung der Querstreifung zuerst nur in einem schmalen Streifen oder Ring des Zell - körpers erscheint und sich von diesem aus dann über den grössten Theil des Zellkörpers ausbreitet ganz so, wie man sie erwarten müsste, würde sie veranlasst durch in den Zellkörper ausgewanderte und dort sich vermehrende Muskel-Biophoren.

Immerhin bleibt die Annahme einer ungleichzeitigen, aber genau normirten Reifung der Determinanten unerlässlich, oder wenn man lieber will die Annahme einer genau normirten Inaktivitätsperiode der Determinanten, am Ende deren die Zerlegung in Biophoren einsetzt. Freilich wird das Wachs - thum und die Vermehrung der Determinanten während dieser Periode ungestört weiter gehen, wie man daraus schliessen kann, dass die Masse der Kernsubstanz in der einzelnen Zelle während der Embryogenese nicht abnimmt, trotzdem eine so ungeheure Vermehrung der Zellen stattfindet. Genaue methodische Be -96 obachtungen über die Grössenverhältnisse der Chromosomen in den verschiedenen Entwickelungsphasen und Organen des Körpers liegen zwar noch nicht vor, aber dass die Gesammtmasse der Kernsubstanz sehr bedeutend wächst während der Embryonal - entwickelung darf auch ohne solche als sicher gelten. Aus der oben angeführten Beobachtung von Rückert1)Anatomischer Anzeiger vom 10. März 1892. über die Chromo - somen des Haifisch-Eies scheint mir aber hervorzugehen, dass das stärkste Wachsthum der Determinanten unmittel - bar vor und während ihrer Thätigkeit stattfindet. Die Idanten des Haifisch-Eies wachsen enorm während der Zeit des Ei-Wachsthums und der histologischen Differenzirung des Eies, um gegen die Vollendung desselben allmälig wieder an Grösse abzunehmen und zuletzt bei der erreichten Reife fast auf die ursprüngliche Kleinheit herabzusinken.

Dies heisst ins Theoretische übersetzt: die den histo - logischen Bau des Eies bestimmenden Determinanten2)Diese Determinanten des Eies sind das ovogene Idioplasma meiner älteren Schriften, die bestimmende Kernsubstanz für Wachsthum und histologische Differenzirung des Eies, von der ich lange Zeit glaubte, dass sie durch die Richtungskörper später aus dem Ei, wenn dasselbe seine Reife erlangt hat, entfernt würden. Sie bedarf, wie wir jetzt sehen, einer solchen Entfernung nicht, da sie bei der Ei-Differenzirung aufgebraucht wird. vermehren sich während der Periode des Eiwachsthums ganz enorm und entsenden ihre zahllosen Biophoren in den Eikörper; nachdem dies erfolgt ist, bleiben nur noch die inzwischen inaktiv gebliebenen Determinanten des Keimplasma’s übrig, welche sich seither nur wenig vermehrt haben und daher Idanten darstellen, welche nicht viel grösser sind, als sie in der jugendlichen Eizelle waren. Von diesen Determinanten tritt dann eine nach der andern vom Beginn der Embryogenese an97 in Thätigkeit, und auch hier wird eine Vermehrung derselben mit ihrer Thätigkeit Hand in Hand gehen.

Es war mir schon seit lange wahrscheinlich, dass die Be - stimmung einer Zelle nicht etwa durch eine einzige Determinante geschieht, sondern durch viele der gleichen Art und ich stellte mir vor, dass die Determinanten-Art, welche eine gewisse Zelle zu bestimmen hat, sich vorher oder vielleicht auch noch während - dem durch Theilung auf das Vielfache vermehrt. Diese Auf - fassung wird mir durch die interessante Beobachtung Rückert’s in willkommener Weise bestätigt.

Jede Zelle der gesammten Ontogenese wird aber immer nur durch eine Determinanten-Art bestimmt, und zwar in ihrer Structur sowohl als in ihrem Theilungs-Modus; die inaktiven Determinanten bleiben ohne Einfluss auf den Zellkörper, be - stimmen aber die Architektur des Id’s und insofern den weiteren Aufbau des Embryo. Denn der Modus der Zerlegung des Id’s in kleinere Determinanten-Gruppen wird eben durch seine Archi - tektur bedingt.

Ich habe oben den Determinanten Anziehungskräfte zu - geschrieben, die an der Configuration des Id-Baues Antheil haben und ich glaube in der That, dass solche Kräfte vor - handen sein müssen, da andernfalls das Id wohl überhaupt keine bestimmte Architektur besitzen könnte, aber ich möchte mich doch gegen das Missverständniss verwahren, als ob ich diesen Kräften etwa den Hauptantheil an der Lagerung und Ordnung der Determinanten im Id zuschriebe. Sie sind nur das zu - sammenhaltende Princip, nicht aber eines, welches die Deter - minanten etwa in ihren Lagebeziehungen im Laufe der Onto - genese immer wieder neu ordnete. In erster Linie ist es immer die ererbte feste Architektur des Keimplasma-Id’s, welche die Id-Figur der folgenden Stufen mechanisch zur Folge hat; Ver - schiebungen derselben erfolgen durch ungleich rasche Ver -Weismann, Das Keimplasma. 798mehrung der verschiedenen Determinanten-Arten, die aber natür - lich auch im Voraus genau bestimmt sind. Ein willkürliches oder zufälliges Eingreifen von Anziehungskräften kann dabei überhaupt nicht mitspielen.

Besonders Galton gegenüber muss ich dies hervorheben, welcher von repulsions und affinities der Keimchen spricht, die seinen stirp zusammensetzen. Er vergleicht die Massen dieser Keimchen, die nach Anziehung und Abstossung in leb - hafter und unaufhörlicher Veränderung ihrer gegenseitigen Lage begriffen sind, mit einem Schwarm fliegender Insekten, in welchem the personal likings and dislikings of an individual may be supposed to determine the position that he occupies in it . Diese Vorstellung ist mir durchaus fremd; sie bezieht sich auf die Zusammensetzung der Keimsubstanz aus vielen homologen Keimchen, competing germs , welche nun untereinander um den Vortritt kämpfen, d. h. darum, welches von ihnen den Charakter des in Bildung begriffenen Bion bestimmen soll. Galton zieht eben von vornherein die Complicationen der Keimsubstanz mit in die Betrachtung, welche durch geschlecht - liche Fortpflanzung gesetzt werden und welche, wie später ge - zeigt werden wird, wesentlich darin bestehen, dass das Keim - plasma nicht jede Anlage blos ein Mal, sondern viele Male und in verschiedenen Modificationen enthält. Der Kampf dieser homologen Anlagen ist es, den Galton in dieser Stelle den schwärmenden Insekten vergleicht, von denen bald diese, bald jene den bevorzugten Platz erreicht. Dies tritt noch deutlicher an einer anderen Stelle hervor, wo er das Keimplasma (seinen stirp ) mit einer Nation vergleicht und diejenigen Keimchen that achieve development , d. h. die sich in die entsprechenden Stellen des Körpers umwandeln, to the foremost men of that nation, who succeed in becoming its representatives .

So schön diese Gleichnisse an und für sich sind, so fürchte99 ich doch, dass sie etwas Unrichtiges erläutern sollen, falls da - mit eine Erklärung der Ontogenese beabsichtigt wird. Stellen wir uns auf den Standpunkt der Pangenesis-Theorie, auf welchem im Wesentlichen Galton steht, so sind also im stirp, d. h. der Keimsubstanz des befruchteten Eies eine sehr grosse Zahl von Keimchen enthalten, viel mehr, als zum Aufbau des Körpers erforderlich sind. Denn für jede Zelle desselben ist nur ein Keimchen erforderlich, es sind aber für jede Zelle eine Menge verschiedener Keimchen vorhanden und diese kämpfen nun ge - wissermassen um den Vorrang, d. h. darum, welches von ihnen sich in die zu bildende Zelle verwandeln soll. Dabei wird ganz übersehen, dass die Ontogenese selbst unmöglich auf diesem Kampf beruhen kann, sondern vor sich gehen würde, auch wenn für jede Zelle nur ein Keimchen im stirp vorhanden wäre und dass somit die Ursache der vorschreitenden Ent - wickelung anderswo als in der Rivalität homologer Keimchen, nämlich in der richtigen Succession der Keimchen liegen muss. Galton hält die von Darwin in seiner Pangenesis angenommene purely step by step development für unge - nügend, ich glaube indessen, dass Darwin die richtigere An - sicht vertritt.

Aber auch für die Erklärung des Kampfes der homologen, von verschiedenen Vorfahren stammenden Keimchen scheint mir Galton’s Bild vom Insektenschwarm nicht zutreffend. Wenn in der That die Keimchen im stirp in ewiger Be - wegung wären, und wenn es davon abhinge, welches von ihnen den Vorzug erlangt, an der Bildung des Bion Theil zu nehmen, wie wollte man da die Existenz identischer Zwillinge erklären, über welche wir durch Galton selbst so werthvolle Aufschlüsse erhalten haben? Wie sollte es möglich sein, dass bei zwei Individuen, auch wenn sie genau die gleichen Keimchen in ihrem stirp enthalten, stets die genau entsprechenden7*100Keimchen in dem fliegenden und stets sich verändernden Schwarm von Keimchen die günstigste Position erlangten?

In einem späteren Abschnitt werde ich zu zeigen versuchen, dass sich dieser Kampf homologer, aber individuell verschiedener Anlagen doch noch in ganz anderer Weise idioplasmatisch begründen lässt. Hier musste ich die Anschauung Galton’s schon erwähnen, um zu zeigen, dass die von ihm angenommenen Anziehungs - und Abstossungskräfte zu ganz anderem Zweck ein - geführt werden, als die von mir den Biophoren des Idioplasma’s vindicirten Anziehungskräfte.

In physiologischer Beziehung kommen die Elemente des Idioplasma’s in zweierlei Zuständen vor, in einem aktiven und einem inaktiven. In ersterem zerlegen sie sich in ihre Constituenten, in letzterem verharren sie in ihrer Verbindung, können sich aber vermehren. Wenn Determinanten aktiv werden, so zerlegen sie sich in ihre Biophoren und diese bestimmen dann die Zelle, in deren Nucleus sie enthalten sind; wenn ganze Ide aktiv werden, so beruht dies auch auf einer allerdings succes - siven und oft sehr langsamen Zerlegung in ihre verschiedenen Determinanten. Diesem Zustand steht dann der inaktive gegen - über, der bei beiden Elementen des Idioplasma’s darauf beruht, dass ihre Theile sich nicht von einander lösen, sondern in der einmal bestehenden Verbindung verharren. In dem jugendlichen Ei z. B. ist nur eine Art von Determinanten aktiv, nämlich die ovogene , welche das Wachsthum und die histologische Differenzirung des Eies bestimmen; sämmtliche übrige Determi - nanten des Keimplasma’s bleiben inaktiv, und die Ide, welche aus ihnen gebildet sind, bleiben ebenfalls inaktiv. Erst wenn die Befruchtung eingetreten ist, werden sie aktiv, d. h. nun beginnt sich eine Determinanten-Art nach der andern aus der Architektur des Id’s loszulösen. Wir werden aber später sehen, dass es auch Ide des Keimplasma’s giebt, die trotz eingetretener101 Befruchtung des Eies doch inaktiv bleiben und gewissermassen in gebundenem Zustand von Zelle zu Zelle weitergegeben werden, um später die Keimzellen des Embryo zu bilden.

Die Ursachen dieses Verhaltens kennen wir so wenig, als die des Schlafzustandes des Gehirns oder der Latenzperiode ge - wisser befruchteter thierischer Eier, die ihre Embryonalent - wickelung zwar beginnen, aber dann auf einem gewissen Stadium für Monate stehen bleiben. Die Annahme aber eines aktiven und inaktiven Zustandes der Ide und Determinanten wird uns durch die Thatsachen aufgezwungen, sie ist unvermeidlich, wie sich im Verlauf dieses Buches immer deutlicher zeigen wird; sie ist auch von Allen für ihre Vererbungs-Einheiten gemacht worden, welche solche aufgestellt haben, von Darwin für seine Keimchen, von de Vries für seine Pangene.

Zwei Formen der Vererbung ergeben sich unmittel - bar aus der eben vorgetragenen Theorie, die homologe und die homochrone Vererbung. Da die einzelne Determi - nante vom Keimplasma an durch alle Stufen der Ontogenese hindurch ihren bestimmten Platz im Id einnimmt, so muss sie auch an die richtige Stelle des Körpers gelangen und dort die entsprechende Bildung des Elters hervorrufen. Da ferner jede Determinante ihren Reifungs-Termin in sich trägt, so wird sie um dieselbe Entwickelungsperiode des betreffenden Individuums aktiv werden, wie beim Elter, und wird also den Körpertheil genau zur selben Zeit zur Entfaltung bringen. Ausnahmen davon kommen vor, theils als Abnormitäten, theils aber auch als phylogenetische Verschiebungen.

5. Zusammenfassung des Keimplasma-Baues.

Nach meiner Auffassung setzt sich das Keimplasma der Vielzelligen aus Ahnenplasmen oder Iden zusammen, Lebens - einheiten der dritten Stufe, welche in Mehrzahl die Kernstäbchen102 oder Idanten zusammensetzen. Jedes Id des Keimplasma’s ist aus Tausenden oder Hunderttausenden von Determinanten erbaut, Lebenseinheiten zweiter Stufe, die sich dann wieder aus den eigentlichen Lebensträgern, den Biophoren zusammen - setzen, den kleinsten Lebenseinheiten. Die Biophoren sind ver - schiedener Art und jede Art entspricht bestimmten Theilen einer Zelle; sie sind also Eigenschaftsträger von Zellen. In verschiedener aber fest bestimmter Zahl und Mischung setzen sie die Determinanten zusammen, deren jede die Anlage einer bestimmten Zelle, oder einer kleineren, grösseren oder selbst sehr grossen Zellengruppe (Blutzellen) ist.

Diese Determinanten bestimmen die Zelle dadurch, dass sie sich in ihre Biophoren auflösen, welche nun durch Poren der Kernmembran in den Zellkörper auswandern und dort sich vermehren und nach in ihnen enthaltenen Kräften sich ordnen und die histologische Structur der Zelle bestimmen. Sie thun dies aber erst nach Ablauf einer gewissen fest normirten Ent - wickelungsdauer, während deren sie in die Zelle gelangt sind, die sie zu determiniren haben.

Dass jede Determinante an den ihr bestimmten Platz im Körper gelangt, beruht darauf, dass jede von ihnen schon im Keimplasma-Id ihren bestimmten Platz einnimmt, dass dieses also eine ererbte und fest bestimmte Architektur besitzt. Die Ontogenese beruht auf einem allmählichen Zerlegungs-Process des Keimplasma-Id’s, welches sich bei jeder oder doch sehr vielen Zell - und Kerntheilungen der Entwickelung in immer kleinere Gruppen von Determinanten spaltet, so dass an Stelle einer Million verschiedener Determinanten, die etwa das Keimplasma - Id zusammensetzen möge, auf der folgenden ontogenetischen Stufe jede Tochterzelle deren nur noch eine halbe Million, jede der darauf folgenden Stufe nur eine viertel Million u. s. w. ent - hielte. Zuletzt bleibt in jeder Zelle nur noch eine Art von103 Determinanten übrig wenn wir von möglichen Complicationen absehen , diejenige nämlich, welche die betreffende Zelle oder Zellengruppe zu bestimmen hat. Diese allmähliche Zerlegung des Keimplasma-Id’s in die späteren Id-Stufen mit immer kleineren Determinanten-Gruppen geschieht nicht wie eine ein - fache Zerschneidung desselben in Stücke, sondern ist, wie alle Zerlegungen von Lebenseinheiten, mit Verschiebungen der De - terminanten-Gruppen verbunden, wie sie durch ungleich rasche Vermehrung der verschiedenen Determinanten gesetzt und durch die in diesen waltenden Kräfte der Anziehung geregelt werden. Die ursprüngliche Lage jeder Determinante in dem unendlich verwickelten Bau des Keimplasma-Id’s bedingt es, dass trotz aller Verschiebungen der Determinanten-Figur, welche durch die erbungleichen Kerntheilungen verbunden mit ungleichem Wachsthum der verschiedenen Determinanten-Arten eintreten muss, dennoch jede Determinante in jeder Id-Stufe wieder ihren fest bestimmten Platz einnimmt und einen sicher geregelten Weg einhält, vom Keimplasma-Id durch ganz bestimmte Zellen - folgen hindurch bis zu der Zelle am Ende der Entwickelung, in welcher sie ihre Reife erlangt, sich in ihre Biophoren auf - löst und der Zelle ihren ererbten specifischen Charakter auf - prägt. Jedes Id jeder Stufe hat seine fest ererbte Archi - tektur, einen verwickelten, aber völlig fest bestimmten und gesetzmässigen Bau, der vom Id des Keimplasma’s ausgehend, sich in gesetzmässiger Veränderung auf die folgenden Id-Stufen überträgt. In der Architektur des Keimplasma-Id’s sind alle Structuren der folgenden Id - Stufen potentia enthalten, in ihr liegt der Grund der regel - rechten Vertheilung der Determinanten, d. h. der Grund für den gesammten Aufbau des Körpers von seiner Grundform an zu der Anlage und zu den Beziehungen der Theile, in ihr liegt der Grund, warum z. B. die Determinante für einen kleinen104 Fleck auf dem Flügel eines Schmetterlings genau an die richtige Stelle gelangt und an keine andere, warum die Determinante für das fünfte Fühlerglied eines Flohkrebses genau an dieses und nicht etwa an das vierte gelangt. Die Bestimmung des Charakters der einzelnen Zelle hängt von den Biophoren ab, welche die betreffende Determinante enthält und in die Zelle entsendet.

6. Mechanik der phyletischen Veränderungen des Idioplasma’s.

Es soll in diesem Abschnitt nicht von den Ursachen der phyletischen Entwickelung die Rede sein dies gehört in das Capitel von der Variation , sondern nur von der idio - plasmatischen Mechanik derselben. Es soll versucht werden, zu zeigen, in welcher Weise aus dem angenommenen feinsten Bau des Idioplasma’s sich seine phyletische Abänderung mecha - nisch ableiten lässt.

Da alle Theile des Organismus vom Keim aus bestimmt werden, so können dauernde Veränderungen desselben auch nur von Veränderungen des Keimes ausgehen. Jede phyletische Veränderung muss also von einer Veränderung im Bau des Keimplasma-Id’s ausgehen. Wenn wir uns die Umwandlung der Arten nach dem Vorgang von Darwin als eine all - mähliche vorstellen, ausgehend von den individuellen Varia - tionen und gesteigert und gerichtet durch Selection, so wird der entsprechende idioplasmatische Vorgang nicht in einer plötzlichen und totalen Veränderung des ganzen Id’s bestehen können, sondern er wird mit der Abänderung einzelner Bio - phoren oder auch einzelner Determinanten und Determinanten - Gruppen beginnen müssen und erst nach und nach auch andere gleichwerthige Gruppen ergreifen, bis zuletzt das Id ganz oder grossentheils ein anderes geworden ist.

Die Grundlage des Vorgangs muss somit in einer Varia -105 bilität der Biophoren gesehen werden, welche ihrerseits dann wieder eine solche der höheren Lebenseinheiten, der Determinante und des Id’s nach sich zieht. Diese Variationen beziehen sich aber keineswegs blos auf den Bau der einzelnen Zelle, sondern vor Allem auch auf die Zahl der Zellen, welche ein Organ zusammensetzen. Das Blatt einer Pflanze, die Feder eines Vogels kann in der Phylogenese bedeutend an Grösse zunehmen, ohne dass deshalb nothwendig schon eine Veränderung der diese Theile auf - bauenden Zellen selbst eintreten müsste. Die Variation wird dann zuerst auf einer Steigerung der Vermehrungskraft der be - treffenden Determinanten, in vielen Fällen später auch auf einer Vermehrung der betreffenden Determinanten beruhen. Wenn das primitive Auge eines niederen Thieres nur aus einem Sehstäbchen bestand, und die Determinante desselben erlangt im Laufe der Phylogenese allmälig eine grössere Vermehrungs - kraft, so wird die Anzahl identischer Determinanten, welche während der Entwickelung durch Vermehrung der einen Deter - minante des Keimplasma’s entsteht, allmälig so zunehmen, dass sie statt nur für eine, jetzt für zwei Zellen ausreicht. Das Auge wird dann zwei Sehstäbchen besitzen, und wenn die Ver - mehrungskraft dann noch weiter zunimmt, wird eine ganze Gruppe von Sehstäbchen von der einen Determinante beherrscht werden. Von welchen innern Veränderungen der Determinante eine solche Steigerung der Vermehrungskraft abhängig ist, können wir nicht errathen, dass sie aber möglich sein muss, geht schon daraus hervor, dass nicht jede einzelne Zelle des Körpers ihre besondere Determinante besitzt, dass grosse Gruppen derselben von einer aus bestimmt werden.

Diese einfachste phyletische Veränderung der lokalen Steige - rung der Zellenzahl wird nun eine weitere Veränderung im Gefolge haben können, sobald die Vermehrung der Determi - nante, z. B. einer Sinneszelle unbestimmter Art sich nicht blos106 auf die späteren Stadien der Ontogenese, sondern auch auf das Stadium des Keimplasma’s selbst bezieht; mit andern Worten: wenn die Determinante sich schon im Keimplasma-Id verdoppelt. Denn nun wird die Gruppe von Sinneszellen, die sich aus der ursprünglich einen Zelle phyletisch entwickelt hat, von zwei Determinanten beherrscht, von denen jede unabhängig von der andern variiren und die von ihr abhängige Zellengruppe um - gestalten kann. So könnte die eine zu Hörzellen, die andere zu Geschmacks - oder Riechzellen werden.

Durch Vermehrung der Determinanten des Keimplasma-Id’s also wird die Zunahme der Differenzirung des Körpers ein - geleitet, vollzogen aber wird sie erst durch Veränderung der Determinanten gleicher Abstammung in verschiednen Richtungen. Eine blosse Vermehrung der Onto-Stufen um eine neue kann sehr wohl ohne Vermehrung der Determinanten des Keim-Id’s gedacht werden, sobald aber die auf der neuen Idstufe auf - tretende doppelte Zellenzahl in verschiedentlicher Weise diffe - renzirt werden soll, muss die Verdoppelung der Determinanten des Keim-Id’s vorhergehen. Höhere Differenzirung wird des - halb in erster Linie mit Zunahme der das Bion bildenden Zellen - zahl verbunden sein.

Die aus einer steten Hinzufügung neuer Zellgenerationen ans Ende der Ontogenese hervorgehende unabsehbare Ver - längerung der Entwicklung kann bekanntlich durch Verkürzung und Zusammenschiebung der Onto-Stadien neutralisiert werden, und auch dieser Vorgang lässt sich von dem zu Grunde gelegten Bau des Idioplasma’s aus einigermassen verstehen. Wenn zwei oder mehrere Generationen von Zellen in eine zusammengezogen werden, so wird dies darauf beruhen, dass die Determinanten während der betreffenden Stadien rascher sich vermehren und neu gruppiren, als die Zelltheilung ihnen folgen kann, wodurch dann einige Id-Stufen, von denen jede früher eine besondere107 Zellenstufe bezeichnete, innerhalb ein und derselben Zellenstufe ineinander übergehen. Die betreffenden Idstufen sind nicht völlig ausgefallen, sie folgen sich nur rascher, und verschwinden deshalb als sichtbare Entwickelungsstufen.

Solange die Organisationshöhe der Organismen noch eine geringe ist, solange wird aber eine Zunahme der Differenzirung des Körpers auch ohne Vermehrung der Zellgenerationen desselben sehr wohl erreicht werden können und zwar einfach durch eine Verkleinerung der Vererbungsstücke oder Determi - naten. Wenn eine Determinante, die einen Bezirk von hundert Zellen beherrschte, sich in zwei theilt, von welchen jede nur fünfzig Zellen bestimmt, so können diese beiden Zell - gruppen von da ab unabhängig voneinander variiren und also auch sich verschiedenartig ausbilden. Auf diese Weise kann eine fortgesetzte Spaltung der Determinanten und damit eine stets sich steigernde Differenzirung der Arten zu Stande kommen, ohne dass die Gesammtmenge der in der Ontogenese auftretenden Zellen zuzunehmen braucht.

Jede Zunahme der Differenzirung bedeutet eine Steigerung der Organisationshöhe. Nun ist aber die phyletische Entwicklung der Organismen keineswegs stets mit einer Steigerung oder über - haupt einer Veränderung der Organisationshöhe verbunden. Die Arten einer Gattung, sehr häufig auch die Gattungen einer Familie unterscheiden sich nicht durch grössere Zellenzahl oder durch gesteigerte Mannigfaltigkeit der Zellen, sondern nur durch qualitative Verschiedenheiten in der Bildung der verschiedenen Theile. Man wird die phyletische Entwickelung der Lebens - formen deshalb nicht blos aus einer Vermehrung der Zahl der Determinanten des Keim-Id’s, sondern zugleich aus einer Änderung in Beschaffenheit derselben und der sie zusammen - setzenden Biophoren ableiten müssen.

Auch die Erscheinungen des Parallelismus zwischen108 Ontogenese und Phylogenese, beruhend auf dem bio - genetischen Gesetz, sowie das ebenfalls aus ihm hervorgehende Zurückrücken der Endcharaktere auf immer jüngere Onto - Stufen im Verlauf der Phylogenese lassen sich aus der an - genommenen Structur des Idioplasma’s ableiten.

Was die Ersteren betrifft, so nahmen wir an, dass jedes Onto-Stadium durch eine bestimmte Determinanten - Figur , d. h. also eine Art von geometrischem Aufbau der Determi - nanten charakterisirt werde. Nun wird zwar die einzelne Zelle in ihrem Wesen von denjenigen Determinanten der Kernsubstanz bestimmt, welche ihre Reife erlangt haben, d. h. welche auf dem Stadium angelangt sind, in welchem sie sich in Biophoren auflösen und in den Zellkörper einwandern. Allein die Art und Weise der Ontogenese, z. B. der Embryonal-Entwickelung eines Thieres hängt keineswegs blos an dem histologischen Charakter der einzelnen Zellen eines jeden Stadiums, sondern viel mehr noch an der Art und Weise, wie diese Zellen sich theilen, ob schneller, ob langsamer, und in erster Linie an der Art und Weise, wie die noch latenten, unreifen Determinanten der Kernsubstanz gruppirt und bei den Zelltheilungen vertheilt werden. Diese Vertheilung der Anlagen an die ver - schiedenen Zellen bestimmt vor Allem den Charakter der Onto - genese, und man könnte sich ganz wohl eine thierische Embryo - genese denken, bei welcher zehn oder zwanzig Generationen gleich beschaffener Embryonalzellen aufeinander folgten, und bei welchen dennoch eine ganz bestimmte Vertheilung der An - lagen (Determinanten) stattgefunden hätte und nun erst hervor - träte. Es ist ja bekannt, wie ähnlich sich die Zellen des Embryo der höheren Thiere viele Stadien hindurchsehen.

Es ist also die gesetzmässige Vertheilung der noch latenten oder noch unreifen Determinanten, welche den Gang der Ontogenese bestimmt und der Ausdruck109 derselben ist die Architektur einer jeden Id-Stufe oder wie ich es nannte: die Determinanten-Figur.

Nun kann aber offenbar dieselbe geometrische Figur aus verschiedenen Elementen gebildet werden, wie auch die gleiche Krystallform aus verschiedenartigen Molekülen. So wird bei nahe verwandten Arten die Ähnlichkeit der Onto-Stadien sich durch die Gleichheit oder Ähnlichkeit der betreffenden De - terminanten-Figur erklären, welche bestehen bleibt, trotz - dem die einzelnen die Figur zusammensetzenden Determinanten mehr oder weniger von einander abweichen. Dabei erklärt es sich ferner ganz einfach, dass wie die Entwickelungsgeschichte uns lehrt, die früheren Onto-Stufen verwandter Arten so sehr ähnlich sind und die Unterschiede erst später hervortreten, denn auf die früheren Id-Stufen kann die Verschiedenheit einzelner Determinanten oder Determinanten-Gruppen nach Beschaffenheit oder Vermehrungskraft noch keinen erheblichen Einfluss aus - üben, weil die Gesammtzahl der Determinanten noch sehr gross ist; die Architektur des Id’s wird deshalb auf gleicher Stufe nahezu die gleiche sein. Je mehr aber die Ontogenese vor - schreitet und in je kleinere Gruppen sich die Determinanten auseinander legen, um so stärker muss sich diese Verschiedenheit auch in der Id-Architektur äussern und in der daraus hervor - gehenden weiteren Vertheilung der unreifen Determinanten. So wird ein und derselbe Theil länger oder kürzer, ein Farben - fleck grösser oder kleiner ausfallen, und die letzten Stadien der Ontogenese, welche durch Zellen bestimmt werden, die nur noch eine Determinante enthalten, werden in dem Maasse verschieden sein, als ihre Determinanten von einander abweichen. So erklärt sich die oft vollkommene Ähnlichkeit der Furchungszellen bei verwandten Thierarten, oder auch die zwar nicht vollkommene, aber doch sehr starke Übereinstimmung vieler Säugethier - Embryonen in ihren jüngeren Stadien.

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Das biogenetische Gesetz soweit es überhaupt reicht beruht darauf, dass die phyletische Entwickelung zum Theil durch Anhängen neuer Onto-Stufen an das Ende der Onto - genese zu Stande kommt. Damit diese letzte erreicht werde, müssen die früheren Endstufen jedesmal wieder durchlaufen werden. Idioplasmatisch wird dies so auszudrücken sein: die Determinanten des Keim-Id’s erlangen eine grössere Vermehrungs - kraft, so dass eine jede von ihnen eine oder mehrere Zell - generationen am Ende der Ontogenese anfügt; zugleich spalten sich die Determinanten im Keimplasma, vermehren sich dadurch und jede differenzirt sich in neuer Weise. Da nun aber je zwei neue Determinanten denselben Weg vom Keim-Id nach dem Endstadium der Ontogenese nehmen, den vorher die eine Stamm-Determinante nahm, so werden sie dieselben Determi - nanten-Figuren durchlaufen wie vorher und nur in den letzten Stadien, wenn sie sich trennen, zu neuen Bildungen führen. Die Onto-Stadien der Voreltern werden aber um so weniger genau wiederholt werden, je mehr die Entwickelung sich ihrem Ende nähert.

Das Verschwinden eines überflüssig gewordenen Charakters lässt sich wohl auch mit der Idioplasma-Mechanik in Einklang setzen. Die Determinanten-Gruppe, welche den betreffenden Theil bedingt, wird aus dem Keimplasma ganz be - seitigt werden müssen, wenn der Theil ganz schwinden soll. Dies wird aber bei zusammengesetzteren Organen, wie z. B. bei den Gliedmaassen der Wirbelthiere, ein sehr verwickelter und langwieriger Process sein müssen, weil die Determinanten, welche zur Entstehung einer Extremität zusammenwirken, sehr zahlreiche und verschiedenartige sind, und weil sie schon früh in der Ontogenese die Grundlage des Organs bilden. Hier werden die Determinanten viele rückschreitende, ver - einfachende Veränderungen nacheinander erleiden müssen, ehe111 eine merkliche Abnahme des Organs eintritt. Wenn man die gänzlich funktionslosen, unter dem Federkleid versteckten Flügel - rudimente des australischen Kiwi-Kiwi (Apteryx) untersucht, so enthalten dieselben noch alle Knochen des ausgebildeten Vogelflügels, aber vielfach verkleinert. Dies wäre dahin zu verstehen, dass zuerst die ganze Determinanten-Gruppe des Flügels noch bestehen bleibt im Keim-Id, dass sie aber an Kraft abnimmt, d. h. dass ihre Elemente sich nicht mehr so stark ver - mehren und also nur kleinere Zellgruppen noch bestimmen können. Schreitet der Rückbildungsprocess weiter fort, so ver - kleinert sich das Organ nicht nur immer noch mehr, sondern nun schwinden auch in ungleichem Tempo die einzelnen Theile desselben, verlieren die charakteristische Form und werden zu fast unkenntlichen Rudimenten, wie dies z. B. bei den unter der Haut liegenden Rudimenten der hinteren Extremität bei den Walen in einzelnen Arten schon eingetreten ist, während bei anderen immer noch die Gestalt der einzelnen Knochenstücke einigermassen erhalten geblieben ist, und das Oberschenkelbein sich von den Unterschenkelknochen noch deutlich unterscheidet. Hier müssen also viele der früheren Determinanten ganz aus - gefallen sein aus dem Bau des Keim-Id’s, die übriggebliebenen aber noch mehr als im Stadium des Apteryx-Flügels die Kraft der Vermehrung eingebüsst haben.

Wir wissen aber, dass selbst bei solchen Thieren, deren Extremitäten seit ganzen geologischen Perioden vollständig ver - loren gegangen sind, wie bei den meisten Schlangen, dennoch heute noch in frühen Stadien der Ontogenese die Anlagen der - selben, als sog. Muskelknospen auftreten, um bald wieder zu verschwinden1)Vergleiche: J. van Bemmelen Over den oorsprong von de vorste ledematen en de tongspieren bij Reptilen . Kon. Akademie d. Wetenschappen te Amsterdam, 30. Juni 1888., und dies dürfte idioplasmatisch so gedeutet112 werden, dass hier der kleine Rest von der Determinanten-Gruppe der Extremität, welcher noch im Keim-Id vorhanden ist, auch so sehr an Vermehrungskraft eingebüsst hat, dass er nur noch bis zu den betreffenden frühen Embryonalstadien hinreicht. Die jüngsten Determinaten, d. h. Vererbungsstücke, schwinden er - fahrungsgemäss zuerst, und dann allmälig auch die älteren bis ältesten, und diese Erscheinung muss wohl in der Vermehrungs - art der Determinanten seinen Grund haben, wenn wir auch den inneren Zusammenhang der Erscheinungen noch nicht klar er - kennen können. Vielleicht liegt er darin, dass die phyletisch jüngsten Determinanten für die spätesten ontogenetischen Stadien bestimmt sind, also auch erst in diesen die Reife erlangen, d. h. sich in ihre Biophoren auflösen. Büssen sie nun bei der Rückbildung ihre Vermehrungskraft bedeutend ein, so erreichen sie weder diejenige Zahl, welche zur Beherrschung ihrer Zellen - gruppe erforderlich ist, noch auch nur das Reifestadium über - haupt. Sie sind noch vorhanden, können sich aber nicht mehr geltend machen, während die Determinanten der älteren phyle - tischen Stadien noch in den früheren ontogenetischen Stadien zur Reife kommen, welche auch jetzt noch erreicht werden.

Man wird also den Rückbildungs-Process eines Organs sich darauf beruhend vorstellen dürfen, dass zuerst die Deter - minanten sich derart verändern, dass sie an Vermehrungskraft abnehmen und dass dies zu einem sehr allmäligen Ver - kümmern erst weniger, dann immer zahlreicherer Determinanten der betreffenden Gruppe führt. Zugleich nimmt die Ver - mehrungskraft auch der noch übrig bleibenden Determinanten ab, so dass ihre Gruppen immer weniger weit in die Onto - genese hineinreichen, bis sie schliesslich alle ganz ausfallen.

Es soll damit, dass ich die Thatsachen der Rückbildung mit der Determinanten-Lehre zusammenhalte, nicht etwa der Anspruch erhoben werden, eine mechanisch-physiologische Er -113 klärung des Vorganges gegeben zu haben. Von einer solchen sind wir noch weit entfernt, solange wir über die Kräfte, welche in und zwischen den Biophoren walten, noch so gut wie Nichts wissen. Soviel nur glaubte ich zeigen zu können, dass diese Lehre nicht in Widerspruch mit den betreffenden Thatsachen steht, vielmehr denselben bis zu einem gewissen Grad gerecht zu werden vermag. Die Erscheinungen der Rückbildung sind bisher noch nicht unter diesen Gesichtspunkten betrachtet wor - den; wenn man von ihnen aus tiefer in die Erscheinungen selbst eingedrungen sein wird, würden vielleicht von da aus auch wieder Rückschlüsse auf die Theorie und damit eine genauere Ausarbeitung der Determinantenlehre möglich werden.

Die correlativen Abänderungen dürften hier noch eine kurze Erwähnung finden. Wir wissen durch Darwin, welche bedeutende Rolle dieselben bei der Artumwandlung spielen, wie Abänderungen, die wir als die primären, gewissermassen die von der Natur beabsichtigten betrachten müssen, eine Menge von Abänderungen anderer Theile nach sich ziehen. So bedingt die Zunahme des Hirschgeweihes eine Verdickung der Schädel - knochen, eine Verstärkung der Nackenmuskeln, der Dornfort - sätze der Halswirbel, des Ligamentum nuchae, schliesslich auch des Brustkorbes und der Vorderbeine. Idioplasmatisch werden alle diese Veränderungen auf Abänderungen der betreffenden Determinantengruppen des Keim-Id’s beruhen müssen, welche nicht direkt durch Abänderung und Vermehrung der Deter - minantengruppe des Geweihes, sondern sekundär durch Selection sich darbietender Determinanten-Variationen zu erklären sein werden. Aber es giebt noch eine ganz andere Art der Cor - relation, darin bestehend, dass die Abänderung eines Theils die eines andern nach sich zieht, der in keinem anatomischen oder auch nur funktionellen Zusammenhang mit ihm steht. So er - wähnt Darwin, dass Katzen mit blauen Augen gewöhnlichWeismann, Das Keimplasma. 8114taub sind, dass Tauben mit befiederten Füssen eine Verbindungs - haut zwischen den äusseren Zehen besitzen u. s. w.

Ich glaube nicht, dass solche Correlationen auf Nerven - zusammenhänge zurückgeführt werden können; eher vielleicht dürften sie auf eine Zusammenlagerung der Determinanten der in Correlation variirenden Theile im Keim-Id bezogen werden. Es wird später noch gezeigt werden, dass lokale Er - nährungs-Unterschiede im Keim-Id vorkommen, und dass diese Abänderungen der davon berührten Determinanten nach sich ziehen können. Wenn nun die Determinanten von Organen, die weit von einander entfernte Theile des Körpers bestimmen im Keim-Id nahe bei einander liegen, so würden sie von ab - ändernden Einflüssen leicht zugleich getroffen werden. Die fest bestimmte Architektur des Keim-Id’s, auf welcher wir fussen, gestattet aber nicht nur eine Nachbarschaft der Determinanten weit entfernter Körpertheile, sondern sie verlangt sie sogar. Denn das Keim-Id ist unserer Voraussetzung nach nicht ein Miniaturbild des Körpers, sondern ein Bau ganz eigner Art, in welchem die einzelnen Steine so zusammengeordnet sind, wie sie zunächst in der Ontogenese gegen ihr Endziel hin die Determinaten (Vererbungsstücke) weiter befördert werden. Dies bedingt aber, dass Determinanten z. B. des Ektoderm’s im Keimes-Id dicht an solche des Entoderm’s anstossen, wenn sie etwa durch die erste Theilung des Eies einer Ur-Ektoderm - zelle und einer Ur-Entodermzelle zugetheilt werden sollen. Eine Zelltheilung, welche zur Trennung weit differirender Determinantengruppen führt, lässt dennoch eine dichte An - einanderlagerung dieser differenten Determinantengruppen in dem Id der Mutterzelle zu. Bis zu einem gewissen, wenn auch schwachen Grad, eröffnet dies vielleicht eine Art von Einsicht in die Möglichkeit und die Ursachen der obenerwähnten Cor - relationen.

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7. Grössenverhältnisse der Theile des Keimplasma’s.

Die Zusammensetzung des Keimplasma’s aus Biophoren, Determinanten und Iden verlangt bei allen höheren Organismen eine sehr grosse Zahl kleinster Lebenseinheiten oder Biophoren in engem Raum; die Frage liegt nahe, ob der Raum eines Id dafür ausreicht. Eine irgend zuverlässige Antwort durch die Rechnung darauf zu geben, halte ich augenblicklich noch für ganz unmöglich, aber es ist doch vielleicht nicht uninteressant, wenigstens den Versuch einer solchen Berechnung zu machen.

Um eine sichere Antwort zu geben, müssten wir mindestens die Grösse eines Biophors, die eines Id’s und die Zahl der Determinanten kennen für irgend eine Art. Leider kennen wir aber keine dieser drei Grössen auch nur annähernd genau; wir wissen weiter nicht einmal, wie viele Moleküle etwa am Aufbau eines Biophors Theil nehmen, und selbst die Grösse des Moleküls ist ein ziemlich unsicherer Werth.

Vier Wege haben übereinstimmend die Grösse eines Mole - küls zwischen 1 und 1 / 10 Millionstel Millimeter bestimmt, näm - lich: 1) der Weg durch die Undulationstheorie des Lichtes, 2) die Erscheinungen der Contact-Elektricität, 3) die der Ca - pillar-Attraction und 4) die der kinetischen Theorie der Gase. 1)William Thomson, Popular Lectures and Adresses , Vol. I. 1889, p. 148.O. E. Meyer berechnete die Grösse des Moleküls aus den Eigenschaften und dem Verhalten der Gase und Dämpfe. Aus der Reibungsconstante und der Vergleichung der Raumerfüllung im tropfbaren und gasförmigen Zustand, sowie aus den Ab - weichungen vom Boyle-Mariotte’schen Gesetze lässt sich das Volumen zunächst aller in einem bestimmten Raume ent - haltenen Theilchen, ferner das eines einzelnen Theilchens, daraus die Anzahl und schliesslich auch das Gewicht eines einzelnen8*116Theilchens angenähert berechnen. Daraus ergiebt sich das obige Resultat.

Nimmt man nun das Molekül im Durchschnitt zu ½ Micro - Millimeter an und rechnet 1000 Moleküle auf 1 cubisch ge - dachtes Biophor, so würde ein solches 10 Molekel in der Länge messen, d. h. 5 Millionstel Millimeter oder 5 Tausendstel eines Mikro-Millimeters (Micro). Es gingen dann 200 Biophoren auf die Länge eines Micro-Millimeters und 8 Millionen Bio - phoren auf einen Cubik-Mikro-Millimeter. Ein menschliches Blutkörperchen misst 7,7 Mikro im Durchmesser; denkt man sich dasselbe zu einem Cubus von der Diagonallänge 7,7 er - weitert, so würde ein solcher Raum 543 Millionen Biophoren enthalten können. Wenn man erwägt, dass die Chromosomen des Zellkerns meist ausserordentlich viel kleiner als der Kern sind, und dabei in Betracht zieht, dass das Keimplasma sicher - lich nicht blos ein Id enthält, sondern mindestens mehrere Ide, von denen jedes sämmtliche zum Aufbau des gesammten Körpers erforderliche Biophoren enthält, so erscheint die Zahl der Bio - phoren, welche nach diesen Annahmen in einem Id Platz hätten, doch als eine recht beschränkte.

Die grössten, bisher bekannt gewordenen Chromosomen des Keimplasma’s sind diejenigen von Ascaris megalocephala. Hier finden sich zwei oder vier stäbchenförmige Chromosomen. Jedes Stäbchen setzt sich aus sechs stärker sich färbenden verdickten

Fig. 2.

Schema zweier Idanten mit ihren Iden a f.

Abschnitten zusammen, Körnern oder Scheiben, die durch schwächer chromatische Portionen von ein - ander getrennt sind (Boveri). Wenn die hier angenommene Zusammensetzung des Keimplasma’s aus Iden auf diesen Befund angewandt wird, so kann ein Id in jedem Falle nicht grösser sein, wohl aber kleiner als ein solches Korn oder Microsoma. Grösser nicht, weil, wie schon oben gesagt wurde,117 das Id eine Einheit ist, die sich zwar wohl in zwei Töchter-Ide theilen kann, die aber nicht durch andersartige Zwischensubstanz in Stücke dauernd getrennt bleiben könnte. Nehmen wir also einmal das Id so gross als möglich an, so misst ein Microsoma nach Boveri’s Zeichnung und Vergrösserungsangabe im Durch - messer 0,0008 Mm., also nicht ganz einen Micro; so gross sind indessen nur die Endkörner der Stäbchen, die mittleren messen in ihrem grössten Durchmesser nur 0,0006 Mm[.,] im kleineren vielleicht 0,0003 4. Die Endkörner als Kugeln ge - nommen würden von den oben angenommenen Biophoren etwa zwei Millionen enthalten können.

Das ist nun gewiss eine ansehnliche Zahl, und man sollte denken, dass sie ausreichte, um bei einem so niedern Thier, wie ein Spulwurm ist, die Determinantenzahl herzustellen. Schon bei Gliederthieren aber wächst die Zahl der Determinaten und damit auch die der Determinanten beträchtlich. Es wurde oben schon auf die Riechfäden an den Fühlern der Kruster hingewiesen, deren jeder vom Keim aus determinirbar sein muss; ebenso auf die Flecke und Striche auf den Flügeln der Schmetter - linge, von denen jeder zum mindesten eine Determinate dar - stellt, alle grösseren aber sicherlich mehrere oder viele. Wenn man bedenkt, dass die Zeichnung häufig recht verwickelt, dabei oft die Ober - und Unterseite des Flügels verschieden gezeichnet ist, so gelangt man allein schon für die Flügelzeichnung auf Hunderte von Determinanten. Nun giebt es aber mancherlei Eigenthümlichkeiten in der Schuppenbildung, welche es wahr - scheinlich machen, dass beinahe jede Schuppe vom Keim aus selbstständig variabel ist. Wenn bei manchen männlichen Bläulingen, z. B. bei Lycaena Adonis in regelmässiger Ver - theilung kleine guittarrenförmige Duftschuppen zwischen den Farbschuppen stehen, während bei nächstverwandten Arten, z. B. bei Lycaena Agestis dieselben gänzlich fehlen, so müssen118 wir schliessen, dass diese Duftschuppen durch Umwandlung aus gewöhnlichen Schuppen entstanden sind. Dies setzt aber die selbstständige Veränderlichkeit jeder der phyletisch umzu - wandelnden Schuppen voraus, folglich ihre Bestimmbarkeit vom Keim aus. Wäre diese nicht vorhanden gewesen, so hätte niemals eine einzelne Schuppe mitten unter den andern erblich variiren können.

Auf der Oberfläche des Flügels einer Lycaena Adonis stehen etwa 30,830 Schuppen. 1)Nach einer Zählung, welche mein Assistent. Herr Dr. V. Häcker, für mich auszuführen die Güte hatte.Wenn jede derselben als De - terminate aufzufassen wäre, so erhielten wir allein von der Be - schuppung der Flügel her schon die enorme Zahl von etwa 240,000 Determinanten des Keimplasma’s, vorausgesetzt, dass Ober - und Unterfläche der vier Flügel ungefähr die gleiche Anzahl von Schuppen besässen.

Ich habe mich bemüht, die untere Grenze der Determi - natengrösse, d. h. also die kleinsten Determinaten durch direkte Versuche für eine bestimmte Art und für bestimmte Charaktere festzustellen und wählte dazu einen durch Parthenogenese sich fortpflanzenden Muschelkrebs, Cypris reptans, bei welchem eine bestimmte grüne Zeichnung der Schale die Vergleichung der - selben sehr kleinen Pigmentflecke bei Mutter und Tochter mög - lich macht. Es zeigte sich, dass zwar die grösseren Flecke streng vererbt werden, nicht aber die ganz kleinen, nur aus einer oder zwei Pigmentzellen bestehenden. Auch wechselte die Gestalt der aus fünfzig oder hundert Pigmentzellen zu - sammengesetzten Flecke immer etwas, so dass auch bei ihnen die Zellenzahl nicht genau die gleiche blieb. Wenn man die par - thenogenetische Fortpflanzung als eine einreihige betrachten könnte, so dürfte daraus geschlossen werden, dass die Determi -119 naten hier keine einzelnen Zellen, sondern Zellengruppen sind, leider aber kann der Versuch nicht als rein gelten, da wie später zu zeigen sein wird bei Parthenogenese das Keim - plasma nicht aus gleichen Iden zusammengesetzt ist, sondern wie bei geschlechtlicher Fortpflanzung, aus ungleichen, und da daraus Schwankungen in der Vererbung entstehen können.

Bei höheren Wirbelthieren ist die Zahl der Determinaten, welche allein aus der Färbung und Zeichnung des Thieres sich erschliessen lassen, eine sehr bedeutende. So müssen wohl die meisten, wenn nicht alle Conturfedern der Vögel durch be - sondere Determinanten im Keimplasma bestimmt werden, denn sie sind selbstständig erblich veränderbar. Ist doch die Zahl der Schwung - und Steuerfedern bei jeder Vogelart eine fest bestimmte und besitzt doch jede dieser Federn ihre bestimmte Form, Grösse und Färbung. Die Annahme einer Determi - nante genügt auch nicht einmal für die ganze Feder, denn die - selbe besteht aus Tausenden von Epidermiszellen, und diese verhalten sich keineswegs alle gleich, weder in Bezug auf Gestalt und Zusammenfügung, noch in Bezug auf Färbung. Viele Federn sind gebändert, andere tragen an der Spitze einen brillanten Schmuckfleck, wie bei manchen Kolibri’s, dem Pfau und gewissen Paradiesvögeln. Die Zellen, welche diese Bänder und Flecken bilden, müssen andere Determinanten enthalten, als die übrigen Zellen der Feder, beide also setzen mindestens eine besondere Determinante des Keimes voraus, oft aber deren mehrere und viele, da solche Schmuckflecke, wie bekannt, oft recht complicirt aus mehreren Farben zusammengestellt sind.

Es wäre auch ein Irrthum zu glauben, dass bei Vögeln mit einfarbigem Gefieder, wie die Raben, die Conturfedern nicht einzeln determinirt wären; die Qualitäts-Unterschiede beziehen sich hier nur weniger auf die Farbe, als auf Form und Grösse. Dass auch hier jede Feder erblich determinirt ist, auch der120 Farbe nach, zeigt uns ihr Variiren, welches bei einzelnen Arten bestimmte Federn ganz oder theilweise weiss, oder wie bei den den Raben verwandten Paradiesvögeln bunt gefärbt hat. Man braucht nur eine Kolibri-Sammlung durchzusehen, und die oft sehr einfach gefärbten Weibchen mit den wunderbar mannig - faltig gefärbten Männchen zu vergleichen, um zu der Über - zeugung zu kommen, dass hier so ziemlich jede Conturfeder selbstständig variiren kann, und zwar in den allerverschiedensten Richtungen, in Farbe, Gestalt, Grösse und im feineren Bau.

Es scheint allerdings, wie früher schon hervorgehoben wurde, dass dem gegenüber die inneren Organe bei Weitem nicht so speciell vom Keim aus bestimmt werden, dass hier also die Determinanten grössere Zellbezirke beherrschen, wie das oben gegebene Beispiel der Blutkörperchen und der Darm - epithelzellen beweist. Dennoch wird die Zahl der Determi - nanten des Keimplasma’s bei den höheren Thieren eine enorme und der Zweifel erscheint berechtigt, ob denn auch diese Masse von Biophoren, deren wir für ein Id des Keimplasma’s bedürfen, in den Raum eines solchen hineingehen?

Die Rechnung giebt wie wir gesehen haben keine genügende Antwort. Nehmen wir aber einmal an, wir besässen sicherere Daten für die Zahl der Determinaten einer bestimmten Art und die Grösse ihres Id’s, und es ergäbe sich, dass bei Zu - grundelegung von Determinanten aus je fünfzig Biophoren und von Biophoren aus je tausend Molekülen oder irgend andern willkürlich gewählten Zahlen und der Durchschnittsgrösse eines Moleküls von ein halb Millionstel Millimeter der Raum eines Id’s nicht ausreicht für ihre Unterbringung, was würde daraus folgen? Ich glaube nichts Anderes, als dass wir eine oder mehrere dieser Werthe zu gross angenommen haben. Die De - terminantenlehre könnte dadurch nicht erschüttert werden, denn kleinste Theilchen müssen im Keimplasma vorhanden sein für121 jedes selbstständig veränderbare und vererbbare Element des Körpers. Ich halte es deshalb für unfruchtbar, genauere Abschätzungen der Determinaten-Zahlen bestimmter Arten zu versuchen und durch Rechnung diese Grundanschauung zu stützen. Dieselbe ist in jedem Falle richtig, mag im Übrigen auch unsere Vorstellung vom Bau des Keimplasma’s eine sehr unvollkommene sein.

Dies ist es, was ich mit dem Versuch einer Berechnung habe zeigen wollen. Das Keimplasma ist ein unendlich fein zusammengesetzter Organismus, ein Mikrokosmus im wahren Sinn, in welchem jeder selbstständig variable Theil, der in der ganzen Ontogenese vorkommt, auch durch ein lebendes Theilchen ver - treten ist, und in welchem jedes dieser Theilchen seine bestimmte vererbte Lage, Zusammensetzung und Vermehrungsgeschwindig - keit hat. Eine Evolutionstheorie in diesem Sinne scheint mir die einzig mögliche zu sein. Es sind keine Abbilder der fertigen Theile, welche das Keimplasma zusammen - setzen, es sind nicht einmal Theilchen, welche ausschliesslich für die Bildung der entsprechenden Theile des fertigen Körpers vorhanden sind. Ein jedes von ihnen (den Biophoren und De - terminanten) nimmt vielmehr an vielen andern der vorher - gehenden Entwickelungsstadien auch einen gewissen und zwar bedeutsamen Antheil, indem es die Architektur jeder Id-Stufe mit bestimmen hilft und somit auch die weitere ontogenetische Zerlegung und Vertheilung der Determinanten auf die weiteren Zellenstufen. Gerade darauf beruhen die tieferen Unterschiede im Bau der Organismen. Es sind Theilchen, von deren Be - schaffenheit die Beschaffenheit des correspondirenden Theils des fertigen Körpers abhängt, sei dieser eine Zelle oder deren mehrere oder viele. Über die Annahme solcher Theilchen kann keine Vererbungs-Theorie hinwegkommen und sie allein be - dingt schon eine beinahe unfassbare Complicirtheit der Archi -122 tektur des Keimplasma’s. Sobald wir weniger kleinste Theilchen in seinen Bau eingehen lassen, als erblich selbstständig variable Körpertheile da sind, müssen von der Veränderung eines solchen Theilchens mehrere kleinste Körpertheile gleichzeitig verändert werden, d. h. die Zahl der Determinaten fällt dann in der Theorie zu klein aus.

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Zweites Buch. Die Vererbung bei einelterlicher Fortpflanzung.

In den folgenden Abschnitten sollen solche Vererbungs - Erscheinungen untersucht werden, welche sich nicht unmittelbar schon aus der bis jetzt dargelegten Zusammensetzung des Keim - plasma’s ergeben, welche aber andrerseits denkbar wären auch ohne dass eine geschlechtliche Fortpflanzung schon bestünde. Es wird die Erreichung klarer Ergebnisse wesentlich erleichtern, wenn bei diesen Erscheinungen der Regeneration verloren gegangener Theile, der Vermehrung durch Theilung und durch Knospung, der Hervorbringung einzelliger Keime und der Continuität des Keimplasma’s die Untersuchung so geführt wird, als ob diese Erscheinungen an Organismen ihren Ablauf nähmen, die sich rein ungeschlechtlich fortpflanzten und von jeher fortgepflanzt hätten. Wenn dann später die Complicationen festgestellt worden sind, welche durch das Ein - greifen geschlechtlicher Fortpflanzung an dem Vererbungs-Apparat gesetzt werden, so wird es leicht sein, dieselben auch auf alle diese Vererbungs-Erscheinungen zu übertragen.

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Capitel II. Die Regeneration.

1. Die idioplasmatische Grundlage derselben.

Die Fähigkeit, verloren gegangene Theile mehr oder weniger vollständig wieder zu ersetzen, ergiebt sich nicht ohne Weiteres allein schon aus der angenommenen Structur des Keimplasma’s. Aus dieser geht nur hervor, dass alle Theile, die zum ganzen Bion gehören, einmal, nämlich bei der Entwickelung aus dem Ei zur Bildung gelangen, nicht aber, dass einzelne von ihnen, wenn sie durch irgend welche äussere Einwirkungen verloren gegangen sind, noch einmal vom Organismus hervorgebracht werden können. Die Determinanten des betreffenden Theils sind bei der Ontogenese aus der thierischen Eizelle in die Furchungszellen, aus diesen in die späteren Embryonalzellen und schliesslich in diejenigen Zellen übergegangen, welche den betreffenden fertigen Theil selbst zusammensetzen. Wird dieser Theil gewaltsam entfernt, so sind nach dem, was bisher von den Onto-Stadien des Idioplasma’s angenommen wurde, auch die Determinanten desselben aus dem Organismus entfernt, und es fragt sich also, wie es zu erklären sei, dass dennoch der Theil sich wieder neu bilden kann.

Dass die Fähigkeit zur Regeneration von der Natur ein - gerichtet werden musste, falls sie überhaupt möglich war, be - greift sich, denn ihre biologische Bedeutung liegt auf der Hand. Das Vermögen, verloren gegangene kleinere oder grössere Theile wieder zu ersetzen, muss dem betreffenden Bion in allen Fällen nützlich, in vielen aber sogar zum Weiterleben unent - behrlich sein.

Mit Recht zählt A. Lang1)Arnold Lang, Über den Einfluss der festsitzenden Lebensweise auf die Thiere u. s. w. , Jena 1888, p. 108. das Regenerationsvermögen125 der Thiere geradezu zu den Schutzeinrichtungen , welche die Art mit vor dem Untergang bewahren. Für zahlreiche niedere Thiere, besonders Polypen und Würmer ist die Fähig - keit, ihren durch den Biss eines Feindes verstümmelten Körper wieder völlig herzustellen, ein werthvollerer Schutz für den Be - stand der Art, als Schalen, Stacheln, Gifte und Waffen aller Art und selbst als sympathische Färbungen, die sie ihren Feinden unsichtbar machen sollen. Denn alle diese Einrichtungen schützen wohl gegen viele Feinde und viele Angriffe, aber niemals gegen alle, und jedenfalls wird die Fähigkeit, erlittene Substanz-Ver - luste wieder zu ersetzen stets äusserst werthvoll sein. Dies darf man nicht vergessen, wenn man über den Ursprung der Regenerationskraft Etwas auszumachen beabsichtigt.

Bedenkt man diese ungemein hohe biologische Bedeutung der Regeneration, so wird man sich über ihre weite, ja, man darf sagen, allgemeine Verbreitung in der Thierwelt nicht wundern und man wird es begreifen, dass dieselbe sogar in den normalen Verlauf des Lebens mit hereingezogen ist, dadurch, dass die Funktion gewisser Organe auf ihre fort - währende Zerstörung und eine dieser parallellaufenden Regene - ration basirt ist. Hier ist der Feind, der das Leben der Zelle zerstört, kein äusserer, sondern der Lebensprocess selber; es ist die physiologische Regeneration , von der ich rede. Die Histologie hat noch nicht abgeschlossen mit den Unter - suchungen darüber, welche Gewebezellen bei den höheren Thieren durch den Gebrauch während des Lebens abgenützt werden und deshalb immer wieder ersetzt werden müssen, allein für viele Fälle steht es doch fest, dass eine Abnützung der Gewebezellen fortwährend stattfindet, und dass das Leben nicht weitergehen könnte, wenn nicht fortwährend ein Ersatz von Zellen stattfände. So verhält es sich bei der Epidermis der höheren Wirbelthiere, bei den Geweben der Fingernägel des126 Menschen, den Blutzellen, den Haaren und Federn, den Krallen und Hufen, den Deckepithelien auf den Flächen der Athem - wege, auch bei dem Geweih der Hirsche u. s. w. In allen diesen Fällen findet normaler Weise continuirlich oder periodisch eine Abnutzung und Abstossung von Zellengruppen statt, deren con - tinuirlicher oder periodischer Wiederersatz ebenfalls zu den normalen Funktionen des Körpers gehört und also vor - gesehen ist.

Die theoretische Erklärung der einfachsten dieser Fälle von physiologischer Regeneration ist unschwer zu geben. So - bald das sich abnützende und stets wieder ergänzende Gewebe, z. B. die Epidermis des Menschen, nur aus einer Art von Zellen besteht, wird dazu Nichts nöthig sein, als dass nicht alle Zellen, welche das Gewebe bilden, zu gleicher Zeit ab - gängig werden, dass vielmehr mehrere Altersstufen derselben gleichzeitig vorhanden sind, und dass die jüngsten unter be - stimmten Ernährungs - und Druck-Einflüssen stets jung und vermehrungsfähig bleiben, so dass sie einen Grundstock bilden, von welchem der nothwendige Ersatz für die alternden Zellen fortwährend abgegeben werden kann. Hier wird also durch den Verlust an abgängigen Zellen nicht zugleich der ganze Vor - rath an Determinanten dieser Art aus dem Körper entfernt, denn die zurückbleibenden jungen Zellen enthalten diese Deter - minante. Bei der Epidermis des Menschen bildet das sogen. Rete Malpighi, oder die Schleimschicht diesen Grundstock, von welchem, als der tiefsten Lage der Oberhaut immer neue junge Zellen durch Theilung gebildet werden und in dem Maasse altern, als sie mechanisch in die obern Schichten empor - geschoben werden, während die tiefsten immerfort aus jungen und theilungsfähigen Zellen fortbestehen.

Wir brauchen hier keine besondere theoretische Annahme zu machen, als die einer auf viele Generationen von Zellen127 hinaus vorgesehenen Vermehrungsfähigkeit der ersten, die Epi - dermis constituirenden Zellen. Dass die Normirung der Ver - mehrungskraft einer Zelle ihren Sitz im Idioplasma derselben hat, muss angenommen werden, weil die Vermehrungskraft und - Schnelligkeit mit zu den wesentlichen Eigenschaften einer Zelle gehören und weil diese wie wir gesehen haben durch die Kernsubstanz bestimmt werden. In welcherlei Eigenschaften des Idioplasma’s aber der Grad und das Tempo der Vermehrungs - fähigkeit liegt, können wir heute nicht einmal ahnen. Wir müssen uns damit begnügen, den ersten, die Epidermis bilden - den Zellen des Embryo ein Idioplasma zuzuschreiben, welches auf eine bestimmte Vermehrungskraft normirt ist, die dann all - mälig abnimmt, und können im Übrigen sagen, dass dieses Idioplasma während des Lebens seine Constitution beibehält, d. h. dass in dem sich erhaltenden Grundstock jugendlicher Zellen immer wieder dieselbe Determinante der betreffenden Epidermis-Stelle enthalten ist. Die Regeneration beruht einfach auf einer gesetzmässig geregelten Vermehrung dieser Zellen mit Epidermis-Idioplasma.

Nicht überall auf der Haut des Menschen ist die Epidermis von der gleichen Beschaffenheit; an der Volarfläche des Fingers ist sie anders, als an der Dorsalfläche und dort wieder anders an den zwei ersten Gliedern, als am Nagelglied. Für die theoretische Erklärung der Regeneration macht dies keine Schwierigkeit, die Determinanten der verschiedenartigen Stellen müssen dann etwas verschieden sein. Auch da, wo zwei oder mehrere Verschiedenheiten dicht nebeneinander liegen, erklärt sich die Beibehaltung dieser Grenzen während der ununter - brochen stattfindenden Regeneration einfach dadurch, dass die verschiedenen Bezirke des Gewebes von Bildungszellen mit ver - schiedenen Determinanten aus regenerirt werden.

In ganz derselben Weise, wie in den bisher erwähnten128 Fällen physiologischer Regeneration erneuen sich auch viele Gewebe selbst der höchsten Thiere, wenn sie abnormen Sub - stanzverlust erlitten haben. So können verloren gegangene Stücke eines Muskels, eines Decken-Epithels, eines Stückes vom Epithel eines Drüsenganges, eines Knochens bei den Säuge - thieren sich durch zellige Elemente derselben Art wieder er - setzen, und die heutige pathologische Anatomie hat es nahezu sicher festgestellt, dass alle solche Regenerationsvorgänge stets von den Zellen des Gewebes selbst ausgehen, welches ersetzt werden soll. Diese Gewebezellen behalten also die Fähigkeit, sich durch Theilung zu vermehren, sie treten aber nur auf ge - wisse äussere Anregungen hin, vor Allem auf Substanzverluste in ihrer unmittelbaren Umgebung hin in Vermehrung. So proliferiren die Epithelzellen um einen Defekt des Epithels herum, und im verletzten Muskel vermehren sich die Muskel - kerne und formen das sie einhüllende Protoplasma zu Zellen um, welche spindelförmig auswachsen und zu Muskelfasern werden. In beiden Fällen ist es nur die Fähigkeit der Ver - mehrung, welche man dem Idioplasma der betreffenden Zellen zuzuschreiben hat und welche ausgelöst wird durch den Reiz des Substanzverlustes, oder wie die moderne Pathologie1)Siehe: E. Ziegler, Lehrbuch der pathologischen Anatomie . Jena 1890. sagt: durch Aufhebung der Wachsthumswiderstände . Also auch in diesen einfachsten Fällen abnormen Verlustes bildet der übrigbleibende Rest des betreffenden Gewebes einen Grundstock von Determinanten, von welchem aus Ersatz stattfinden kann.

Verwickelter wird der Vorgang, sobald ein Gewebe von complicirterem Bau regenerirt werden soll. So regenerirt sich die gesammte Epidermis sammt Schleimdrüsen und Haut - sinnesorganen bei den Amphibien nach den Untersuchungen129 von Fraisse von den dem Defekte benachbarten Zellen der Epi - dermis aus. Auch hier sind es die tieferen, noch unverhornten Schichten der Epidermis, welche das Material für den Wieder - aufbau liefern. Nicht alle neu entstandenen Zellen aber liefern dasselbe Gewebe; die Hauptmasse derselben zwar bildet die geschichtete Epidermis selbst, andere aber schliessen sich zu perlförmigen Zellgruppen in der Tiefe der Epidermis aneinander und gruppiren sich um einen idealen Mittelpunkt . Dann wandern von der Cutis her Bindegewebszellen ein und schnüren diese zehn bis zwanzig Zellen von der Epidermis ab. Zu - gleich wandern auch Pigmentzellen dazwischen und endlich ent - stehen die glatten Muskeln . 1)Vergleiche: Fraisse, Die Regeneration von Geweben und Or - ganen bei den Wirbelthieren, besonders bei Amphibien und Reptilien . Cassel und Berlin 1885.Ganz ähnlich bilden sich auch neue Hautsinnesorgane; auch hier ballen sich im tieferen Theil der neugebildeten Epidermis eine Anzahl von jungen Zellen zu einem rundlichen soliden Haufen zusammen, die Zellen strecken sich dann in die Länge, senkrecht auf die Oberfläche der Haut und nun differenziren sich die in der Mitte liegenden unter ihnen zu den Sinneszellen, die peripheren dagegen zu den Mantelzellen .

Man sieht, der Vorgang ist hier dadurch complicirt, dass aus den jungen Epidermiszellen, welche durch Wucherung der schon vorhandenen neu entstanden sind, verschiedene Zellarten hervorgehen: gewöhnliche Epidermiszellen, Drüsenzellen, Sinnes - zellen und Schutzzellen für die Sinneszellen (Mantelzellen), und dass diese sich in ganz bestimmter, gewissermassen vorgeschrie - bener Weise anordnen und lokalisiren. Offenbar kann man nicht annehmen, dass die Bildungszellen, aus welchen diese verschie - denen Zellenarten hervorgehen, wirklich identisch wären, wennWeismann, Das Keimplasma. 9130sie uns auch so erscheinen. Es kann unmöglich blos von äusseren Einwirkungen abhängen, ob sich eine derselben später zur Drüsen -, Horn - oder Sinneszelle umgestaltet, und zwar schon deshalb nicht, weil eine so regelmässige und lokalisirte Ver - schiedenheit äusserer Einwirkungen nicht angenommen werden kann. Die verschiedene Differenzirung der Bildungszellen muss also von ihrem eigenen Wesen abhängen, d. h. von den De - terminanten, welche in ihnen bisher in latentem Zustand enthalten waren und welche nun gereift sind und der Zelle einen specifischen Charakter aufprägen. Diese Bildungs - zellen müssen von vornherein verschiedene Determi - nanten enthalten.

Fraisse vergleicht die sichtbaren Vorgänge bei der Re - generation der Amphibienhaut mit denjenigen bei der Embryo - genese und findet beide im Wesentlichen gleich. So werden wir berechtigt sein, auch das, was man nicht sieht, die trans - mikroskopischen Vorgänge im Idioplasma, als homolog den embryonalen uns vorzustellen.

Wir gelangen dann zu der Annahme, dass in der sog. Schleimschicht der Epidermis eine Zellenmasse aufgeschichtet liegt, welche zwar dem Aussehen nach nur von einerlei Art ist, gerade wie die Embryonalzellen, welche die erste Anlage der Haut bilden, welche aber dennoch verschiedene Determi - nanten enthalten müssen. Ob die drei Determinanten-Arten, welche hier in Betracht kommen, in den Bildungszellen noch vereinigt beisammen liegen und sich erst auf besondere Zellen vertheilen, wenn die Regeneration einsetzt, oder ob sie von vorn - herein schon auf besondere Zellen verteilt sind, lässt sich kaum sagen; Beides ist denkbar. Wir können also annehmen, dass das Lager junger Zellen aus solchen mit Drüsen-Determinanten, aus anderen mit Hornzellen - und aus solchen mit Sinneszellen - Determinanten bestehen, und zwar von vornherein in einem131 bestimmten Mischungsverhältniss und einer bestimmten topo - graphischen Anordnung.

Ganz dieselben Annahmen sind auch für die Embryogenese erforderlich. Wenn z. B. die Sinnesorgane der Seitenlinie bei Fischen und Amphibien sich eben nur auf den Seitenlinien und ihren Verzweigungen vorfinden, so müssen wir annehmen, dass beim embryonalen Aufbau der Epidermis die Spaltungen des Idioplasma’s der Ektoderm-Zellen derart vor sich gehen, dass nur in den Seitenlinien und auch dort nur an bestimmten Stellen Zellen mit den Determinanten jener Sinnesorgane zu liegen kommen. Wenn nun nicht alle diese Sinnes-Bildungs - zellen sofort zur Entwickelung gelangen, wenn vielmehr einige von ihnen in der Nachbarschaft, nämlich in dem tiefen Lager jugendlicher Zellen, unentwickelt harren, bis die Nothwendigkeit einer Regeneration an sie herantritt, so können wir es im Princip verstehen, warum bei der Regeneration eine ähnliche topo - graphische Anordnung und ein ähnliches numerisches Verhältniss der Sinnesorgane und der übrigen Epidermis-Elemente sich herstellt, wie beim primären Aufbau der Oberhaut im Embryo.

Dass bei einer solchen Regeneration das Idioplasma der Zellen nicht ganz allein entscheidet über das, was geschehen soll, zeigt sich schon darin, dass der Eintritt regenerativer Zellenvermehrung von dem Eintritt eines Substanzverlustes ab - hängt, und dass Stillstand der Zellwucherung eintritt, sobald der Defekt ausgefüllt ist. Der Reiz zu weiterer Proliferation der Zellen hört damit auf. Immerhin ist damit nur eine sehr unbestimmte Einsicht in die Ursachen der Selbstbegrenzung des regenerativen Vorganges gegeben und wir werden bald sehen, dass bei verwickelteren Regenerationen diese Erklärung nicht ausreicht, vielmehr noch andere regulirende Faktoren angenommen werden müssen, die nicht ausserhalb, sondern innerhalb der thätigen Zellen liegen.

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Es ist bekannt, dass bei den Salamandern die Beine wieder wachsen, wenn sie abgeschnitten werden, und wir verdanken vor Allem den Untersuchungen Götte’s1)Götte, Über Entwickelung und Regeneration des Gliedmaassen - Skeletts der Molche . Leipzig 1879. und Fraisse’s2)Fraisse, Die Regeneration von Geweben und Organen bei den Wirbelthieren, besonders bei Amphibien und Reptilien . Cassel und Berlin 1885. eine recht genaue Kenntniss der betreffenden Re - generations-Vorgänge. Die Untersuchungen beider Forscher stimmen darin überein, dass die Neubildung des Beines nach demselben Typus vor sich geht, wie die erste Bildung desselben in der Embryogenese, d. h. die einzelnen Theile und Abschnitte der Extremität legen sich in derselben Reihenfolge an, wie beim Embryo und aus ähnlichem Zellmaterial. Wir hätten also hier, wie bei Regeneration der Oberhaut, eine palingenetische Form der Regeneration vor uns.

Gehen wir dabei von dem wenigstens für Wirbelthiere gültigen Gesetz aus, dass jedes specifische Gewebe nur seine eigenen specifischen Gewebezellen durch Regeneration hervor - bringen kann, so wird es möglich, einen einzelnen Gewebetheil der Extremität allein und für sich in Bezug auf die Theorie der Regeneration zu prüfen, z. B. das Knochensystem der - selben. Gerade für dieses steht es fest, dass seine Regeneration stets nur vom verletzten Knochen resp. seinem Periost ausgeht. Ist kein Knochen verletzt worden, ist z. B. die Extremität aus dem Schultergürtel heraus exartikulirt worden, so erfolgt keine Knochen-Neubildung. Wenn nun auch ein Aufeinander-Wirken der verschiedenen Gewebearten, welche zur Regeneration des ganzen Gliedes gehören, besonders durch Druck, nicht entfernt in Abrede gestellt werden soll, so ist doch klar, dass die Ent - stehung der Knochen lediglich vom alten Knochen abhängt,133 nicht nur in Betreff der Qualität des Gewebes, sondern auch in Betreff des Volumens und der Gestalt des neu zu bildenden Knochengewebes. Diese beiden letzten Punkte sind aber gerade die wichtigsten, wenn die Neubildung der Knochen des Beines erklärt werden soll. Dass überhaupt Knochengewebe von den Zellen des alten Knochens, die Knochenhaut mit eingerechnet, gebildet werden kann, erklärt sich schon aus dem früher Ge - sagten; wir bedürfen dazu nur einen Vorrath von proliferations - fähigen Zellen, welche Knochen-Idioplasma enthalten und welche durch den Reiz der Verletzung ihrer Umgebung zur Vermehrung angeregt werden. Dementsprechend konnten wir die Regeneration der Epidermis erklären. Hier aber handelt es sich nicht nur um Produktion von Knochengewebe bestimmter Struktur schlechthin, sondern um Hervorbringung einer ganz bestimmten Anzahl ganz bestimmt gestalteter, be - stimmt aneinandergefügter und in bestimmten Grössen - verhältnissen abgemessener, in bestimmter Reihenfolge aufeinander folgender Knochenstücke. Welche Voraus - setzungen müssen wir machen, um einen so bestimmt vor - geschriebenen und dabei so complicirten Aufbau zu erklären? Wird einem Wassermolch (Triton) der Oberarm abgeschnitten, so bildet sich nicht nur das abgeschnittene Stück des Oberarm - knochens, sondern auch die beiden Vorderarmknochen, sämmt - liche Handwurzel - und Metakarpalknochen und die vier Finger - knochen wieder neu, und diese Letzteren gliedern sich wieder in genau so viele Stücke, als jedem derselben zukommt. Man sollte meinen, es könne eine so complicirte Bildung nicht ledig - lich von dem Zusammenwirken wuchernder Zellen zu Stande gebracht werden, es müsse eine unsichtbare Oberleitung, ein Spiritus rector, eine Vis formativa, über ihnen stehen und ihre Vermehrung und Aneinanderlagerung leiten. Dennoch nehmen wir an und wohl mit Recht , dass etwas Derartiges nicht134 existirt und dass die complicirten Bildungen der lebenden Wesen allein von den Kräften ausgehen, welche in den einzelnen Zellen ihren Sitz haben.

Für die Embryogenese lässt sich das auch einigermassen begreifen, wenn wir auf dem oben bei der Besprechung der Ontogenese dargelegten Princip der stufenweisen Umwandlung des Idioplasma’s fussen. Dieselbe lässt sich für die Knochen - kette der vorderen Extremität etwa folgendermassen schematisch zurechtlegen.

Wenn das Vorderbein eines Triton anfängt hervorzuwachsen als ein kleiner stumpfer Höcker auf der Haut, so besteht es aus die Zellen zweier Embryonalblätter: des äusseren und des mittleren Blattes. Das erstere und derjenige Theil des zweiten, welcher die Cutis bildet, können hier zunächst ausser Acht ge - lassen werden; sie bilden zusammen die Haut. Die übrigen Zellen des Mesoderms aber bilden zu dieser Zeit eine Masse, in welcher eine Differenzirung noch nicht stattgefunden hat, wie denn auch die einzelnen Zellen sich dem Aussehen nach nicht irgendwie principiell unterscheiden. Nichtsdestoweniger müssen dieselben den Anlagen nach, welche sie enthalten, sehr verschieden sein, denn einige von ihnen werden später zu Muskeln, andere zu Bindegewebe, andere zu Gefässen u. s. w., und noch andere zu Knochen. Es müssen also in diesen verschieden be - anlagten Zellen verschiedene Determinanten enthalten sein, welche, wenn sie im Laufe der weiteren Zelltheilungen in den späteren Generationen zur Herrschaft über die Zelle gelangen, ihr den Charakter der Muskel -, Bindegewebs - oder Knochenzelle aufprägen. Jede dieser Zellen-Arten muss auch von vornherein in einer ganz bestimmten Zahl und Lage vorhanden sein.

Verfolgen wir dies nun an einem Organsystem, den Knochen, weiter und nehmen der Einfachheit halber nur eine einzige Knochen-Bildungszelle in der ersten Anlage des Beines135 an, so würde in dieser also die ganze Kochenkette des Beines virtuell enthalten sein, und wir müssten ihr ein Idioplasma zuschreiben, welches nicht nur die Zellen-Nachkommen be - stimmter Generationen zu knochenbildenden Zellen stempelt, sondern welches auch die ganze Succession knochenbildender Zellen nach Quantität, Qualität und gegenseitiger Anordnung, ja auch nach dem Rhythmus bestimmt, nach welchem die Theilungen einander zu folgen haben. Denn von letzterem Punkt möchte es wohl wesentlich mit abhängen, wo eine Unter - brechung in der Continuität eines Knochenstückes eintritt, wo also die Grenze zwischen zwei Gliedern der Knochenkette zu liegen kommt.

Wir werden also der ersten Ur-Knochenzelle des Beines ein Idioplasma zuschreiben müssen, dessen Zusammensetzung alle diese Sequenzen bedingt, ein Idioplasma, welches die De - terminanten für alle folgenden Knochenzellen enthält. Wenn wir die thatsächlichen Verhältnisse, bei welchen es sich um Hunderte und Tausende von Zellen handelt, in unendlicher Verkürzung zusammenziehen und einen Zellenstammbaum will - kürlich erfinden, dessen realer Zusammenhang jedenfalls ein ganz andrer ist, so können wir etwa zu nebenstehendem Schema gelangen.

Die Kreise in Figur 3 bedeuten je eine Stammzelle des betreffenden Knochenstückes, von denen jede der Einfachheit halber als durch eine Determinante bestimmt gedacht wird. Also die Urzelle der ganzen Knochenkette würde durch die Determinante 1 bestimmt, enthielte aber daneben noch in ihren Iden die Determinanten 2 35. Bei der ersten Zelltheilung trennen sich diese in die Stammzelle des Oberarms (Humerus) und des Vorderarms sammt Hand. Erstere enthält die Determinanten 2 und von ihr ist hier die weitere Theilung in Zellen angedeutet mit den Determinanten 2a 2x, Letztere enthält die übrigen136 Determinanten 3 35, die sich nun bei jeder weiteren Zelltheilung in immer kleinere Gruppen spalten, bis zuletzt jede Zelle nur noch je eine Determinante enthält. Das Schema giebt nur ungefähr die Knochenstücke der vorderen Extremität wieder, die einzelnen Handwurzelknochen sind weggelassen.

Fig. 3.

Wenden wir uns nun zur Frage der Regeneration.

Wenn jede Zelle des fertigen Knochens nur dasjenige Idio - plasma in sich enthielte, welches sie beherrscht, welches also der molekülare Ausdruck ihrer eignen Natur ist, so wäre nicht abzusehen, wieso eine Regeneration des Knochens stattfinden könnte, welcher z. B. in seiner Längsmitte durchgeschnitten137 worden ist. Gesetzt auch, es würde durch die Verletzung ein Reiz auf die Zellen des Stumpfes ausgeübt, der sie zur Vermehrung zwänge, so würde dadurch zwar wohl Knochenmasse, aber nie - mals ein Knochen von bestimmter Gestalt und Grösse entstehen können. Dies kann nur dann geschehen, wenn die proliferirenden Zellen ausser ihrer aktiven Determinante noch einen Vorrath von den Determinanten besitzen, welche die fehlenden und jetzt neu zu bildenden Knochen bestimmen. Es leuchtet also ein, dass wenn wir den Nisus formativus Blumenbach’s in die Zelle und zwar in deren Idioplasma verlegen wollen, wir die Annahme machen müssen, es enthalte jede der zur Regeneration befähigten Zellen noch ein Neben-Idioplasma neben seinem Haupt-Idioplasma, welches aus den Determinanten der von ihr aus regenerirbaren Theile besteht. So müssen z. B. die Zellen des Oberarmknochens ausser der sie beherrschenden Determi - nante 2 noch die Determinanten 3 35 als Neben-Idioplasma ent - halten, weil von ihnen aus die ganze Knochenkette des Vorder - arms neu gebildet werden kann; die Zellen des Radius müssen die Determinanten 4 20 als Neben-Idioplasma enthalten, da von ihnen aus der radiale Theil der Handwurzel, Mittelhand und der Finger neu gebildet werden kann.

Diese theoretische Forderung kann auch als wohl erfüllbar angesehen werden, insofern das geforderte Neben-Idioplasma bei der ersten Anlage des gesammten Organs sehr wohl von dem sich zerlegenden embryonalen Idioplasma abgespalten werden kann. Unserer Annahme gemäss sind die einzelnen Determi - nanten nur im Keimplasma einfach vorhanden, sie verviel - fachen sich um so mehr, je weiter die Ontogenese vorschreitet. Da nun immer nur die Determinanten solcher Theile für das Neben-Idioplasma gefordert werden müssen, welche später an - zulegenden Theilen entsprechen, so ist das Material zum Neben - Idioplasma immer vorhanden und wir brauchen nur die Annahme138 zu machen, dass sich bei jeder Abspaltung einer Stammzelle irgend eines Knochenstücks zugleich ein Theil der für die Folgestücke bestimmten Determinanten als Neben-Idioplasma abspalte und nun inaktiv in der Kernsubstanz der Zelle ver - harre, bis eine Ursache zur Regeneration eintritt.

Ich bezeichne diese Gruppe von Determinanten als Neben - Idioplasma und seine Determinanten als Ersatz-Determi - nanten. Man wird sich vorstellen dürfen, dass diesselbe eine besondere, wenn auch sehr kleine Gruppe neben dem in sich geschlossnen Id bilden, welches die betreffende Zelle bestimmt.

Dasselbe, was für die Knochenkette des ganzen Armes möglich ist, wird auch für jeden einzelnen Knochen angenommen werden können. Die Regeneration des in seiner Mitte durch - geschnittenen Humerus wird so zu erklären sein, dass jeder der zur Regeneration fähigen Zellen ein Neben-Idioplasma bei - gegeben ist, welches die Determinanten der distalwärts liegenden und von dieser Zelle aus zu bildenden Zellen enthält, und auch hier wird die Möglichkeit hierzu, d. h. das Determinanten - Material, vorhanden sein; es kommt nur darauf an, dass bei jeder differentiellen Zelltheilung eine gewisse Anzahl der später zur Reifung gelangenden Determinanten sich von den übrigen abspaltet und in der einen Zelle als Neben-Idioplasma zurück - bleibt. Gewiss ist diese Mechanik der Regeneration eine sehr verwickelte, denn jeder einzelne Knochen wird nicht durch eine, sondern durch zahlreiche von einander abweichende Determi - nanten bestimmt, und es scheint, dass alle diese Special-Determi - nanten in den Neben-Idioplasmen enthalten sind. Wenigstens stellen sich die Knochen bei der Regeneration auch in ihren Einzelheiten ziemlich genau wieder her, soweit dies aus den bisherigen Untersuchungen zu entnehmen ist. Die Complication des Mechanismus wird, wie ich glaube, auch die Ursache sein, warum dieselbe vordere Gliedmasse, welche beim Salamander139 noch so starke Regenerationskraft besitzt, bei den höheren Wirbelthieren dieselbe ganz verloren hat; der Mechanismus wäre dort allzu verwickelt geworden.

Ein einfacherer Mechanismus, als der hier angenommene, lässt sich nur dann ausdenken, wenn man mit Herbert Spencer1)Herbert Spencer, Die Principien der Biologie , übersetzt von Vetter. Stuttgart 1876. I, p. 194 und 196. jeder der Einheiten , welche den Körper zusammensetzen, das Vermögen zuspricht, sich je nach Bedürfniss zu jedem gerade nothwendigen Organ zusammenzuordnen. Man muss sich dann das ganze Thier als einen Krystall vorstellen, in dessen ein - zelnen Theilchen das Vermögen schlummert, sich in die Form dieser Art umzugestalten, gerade wie in den Molekülen eines Salzes die innere Fähigkeit schlummert, nach einem bestimmten System zu krystallisiren . Der Unterschied zwischen den Krystall - theilchen und denen des Organismus ist nur immer der, dass die ersteren untereinander gleich sind und bleiben, dass die letzteren aber sich sehr verschiedenartig zusammenordnen müssen, um Regeneration zu ermöglichen, je nachdem ein ganzes Bein, oder ein ganzer Schwanz, oder Kiemen, oder aber blos eine Zehe, oder blos Vorderarm und Hand wieder ersetzt werden sollen. Wer zeigt den Einheiten an, was fehlt, und wie sie sich diesmal anzuordnen haben? Wir kommen auf diesem Wege zum Nisus formativus Blumenbach’s zurück. In der That sagt auch Spencer selbst: wenn wir bei dem Krystall annehmen, dass das Ganze über seine Theile eine gewisse Kraft ausübe, welche die neu integrirten Moleküle zwinge, eine be - stimmte Form anzunehmen, so müssen wir bei dem Organismus wohl eine analoge Kraft voraussetzen . Diese Kraft wäre eben der Spiritus rector oder Nisus formativus früherer Zeiten und enthielte keine Spur einer mechanischen Erklärung. Spencer fügt zwar noch hinzu, diese seine Annahme sei nicht eine140 blosse Hypothese, sondern nur ein verallgemeinerter Ausdruck der Thatsachen , und an einer anderen Stelle, es sei zwar wohl schwierig , sich die Regeneration nach Art eines Krystallisations - Processes vorzustellen, aber wir sehen, dass es so ist ; allein gerade dieses muss ich bestreiten. Wir sehen, dass es manchmal so ist, oder besser, dass es so aussieht, aber wir sehen auch, dass es häufig nicht so ist. Wären die Ein - heiten des Körpers fähig, sich unter dem Einfluss des Ganzen beliebig umzugestalten und zu dem gerade fehlenden Theil zu krystallisiren, so müssten sie dies bei allen Arten thun können und bei allen Organen. Dies ist aber gerade nicht der Fall. Das Bein des Salamanders regenerirt sich, das der Eidechse aber thut es nicht. Ich werde im speciellen Theil dieses Abschnittes noch genauer zeigen können, dass Regeneration nicht auf einem allgemeinen Vermögen des thierischen Körpers, sondern dass es auf besonderer Anpassung beruht.

Ich will darauf verzichten, auch für die Regeneration eines einzelnen Knochens, z. B. des Oberarm-Knochens ein Schema zu entwerfen, aus welchem zu ersehen wäre, welche Ersatz - Determinanten jeder der den Knochen zusammensetzenden Zellen beigegeben sein muss, damit Regeneration von jeder Stelle des Knochens aus erfolgen kann. Das oben gegebene Schema für den ganzen Arm genügt wohl, um das Erklärungsprincip deut - lich zu machen, und im Einzelnen ist ja eine Annäherung an die thatsächlichen Verhältnisse überhaupt nicht zu erreichen, wie ja schon ein Vergleich der hier angenommenen und der in Wirklichkeit den Knochen aufbauenden Zellenziffern ergiebt. Ich habe deshalb auch gar keinen Versuch gemacht, die feineren Verhältnisse der Histologie mit hereinzuziehen und etwa die Qualität der zur Regeneration befähigten Zellen, ob es solche des Periost’s oder des Knochens selbst, ob es alle oder nur gewisse Zellen sind, zu bestimmen. Es kam hier nur darauf141 an, ein Schema zu gewinnen, welches sich auf die wirklichen Verhältnisse, sobald man sie hinreichend genau kennte, über - tragen liesse. Es genügt, wenn gezeigt werden konnte, dass die Regeneration sich aus der Thätigkeit der Zellen selbst be - greifen lässt, ohne dass man zur Annahme einer unbekannten gemeinsamen Oberleitung derselben seine Zuflucht nehmen muss. Der Nisus formativus steigt von seiner bisherigen Höhe als eine einheitliche, das Ganze beherrschende Kraft herab und zer - theilt sich in unendlich viele Einzelkräfte oder besser materielle Theile, von welchen jeder in einer einzelnen Zelle seinen Sitz hat und derselben ihren Lebensgang vorschreibt, und von welchen jeder so genau nach seiner Art bestimmt und nach seinem Sitz vertheilt ist, dass aus dem Zusammenwirken aller ein vernünf - tiges Ganze, z. B. eine Knochenkette sammt Gelenkkapseln und Bändern, sammt Muskeln, Nerven, Gefässen, Bindegewebe und Haut werden muss. Denn es leuchtet ein, dass die Übertragung des für den Knochen entwickelten Regenerations-Schemas sich auf alle anderen Theile und Gewebe übertragen lässt. Ohnehin ist es ja Täuschung und beruht lediglich auf unserm Bedürfniss, zu scheiden und zu sondern, wenn wir uns den Knochen als etwas von den übrigen Theilen des Armes völlig Getrenntes vorstellen. In Wirklichkeit ist er auf seiner ganzen Oberfläche auf Innigste mit den ihn umgebenden Geweben verbunden, mit dem Periost, mit dem auf diesem liegenden lockeren Binde - gewebe, mit zahlreichen Gefässen, die in ihn eindringen, mit Nerven u. s. w. Ist ja doch die erste Anlage des Armes ein Haufen Mesoderm-Zellen, an denen sich noch nicht erkennen lässt, was später aus ihnen wird. Dennoch hängt dies nach meiner Ansicht nicht von ihrer zufälligen Lagerung oder von sonstigen äusseren Einwirkungen ab, sondern in erster Linie von ihrer eigenen Natur, d. h. von der Zusammensetzung ihres Idioplasma’s. Die das Id zusammensetzenden Determi -142 nanten bestimmen, was weiter aus dieser Zelle und aus allen ihren Nachkommen werden soll. Mit der Zusammensetzung des Id’s sind die weiteren Veränderungen desselben gegeben, die im Laufe der Zelltheilungen eintreten, die Art und Weise der Zerlegung der Determinanten in die Ide der Tochterzellen aller folgenden Generationen.

So können wir es bis zu einem gewissen Grade wenigstens begreifen, wie es möglich ist, dass aus einem Haufen scheinbar gleicher Zellen allmälig ein so complicirtes und in seiner Com - plicirtheit so genau vorgeschriebenes Organ wie ein Arm ent - stehen kann. Nicht das Aufeinanderwirken der allmälig sich diffe - renzirenden Zellen ist es, was in erster Linie die Harmonie des Ganzen bewirkt, sondern die durch das Idioplasma jeder einzelnen Zelle nach Art und Rhythmus vorgeschriebene Vermehrung und Veränderung. Der Muskel bildet sich gerade an dieser Stelle und an keiner andern, weil eine bestimmte Zelle jener scheinbar gleichen Mesoderm-Zellen der ersten Anlage des Armes die De - minanten enthielt, welche eine grössere Zahl von Nachkommen jener Zelle zu Muskelzellen stempeln mussten, und das Id jener ersten Zelle bedingte einen Rhythmus der Zellvermehrung, der mit Nothwendigkeit diejenigen Nachkommen derselben, welche die Muskel-Determinanten enthielten mechanisch gerade nach der Stelle hindrängten, welche dem betreffenden Muskel in dem Bau des Armes angewiesen ist.

Es soll damit natürlich nicht gesagt werden, dass äussere Einflüsse gänzlich bedeutungslos wären für die Ontogenese, wohl aber, dass dieselben nur eine sekundäre Rolle spielen. Gewiss wird der Arm krumm wachsen, wenn ein entsprechender Druck von aussen auf ihn ausgeübt wird. Die wachsenden Zellen stellen nicht sofort ihre Thätigkeit ein, falls sie nicht die normalen äusseren Einflüsse erfahren, sie können sich accomodiren, und gerade die Regeneration gebrochner Knochen,143 die Neubildung von Gelenken unter abnormen äusseren Be - dingungen beweisen, dass sie auch unter recht stark von der Norm abweichenden Verhältnissen immer noch fortfahren zu funktioniren, d. h. zu wachsen und zu Organen zu werden. Diese falschen Gelenke zeigen auch, eine wie starke Anpassungs - fähigkeit die Zellen besitzen und wie zweckmässig die Organe immer noch aufallen können, die sie unter abnormen Verhält - nissen hervorbringen können, aber wenn auch das von Roux1) entdeckte Princip des Kampfes der Theile, oder wie man es wohl nennen könnte, der intra-biontischen Selection sicherlich seine grosse Bedeutung besitzt, so wäre es doch, wie ich glaube, ein grosser Irrthum, die normale Ontogenese zum grössten Theil auf dieses Princip zu beziehen. Gewiss finden Druckverhältnisse zwischen den sich differenzirenden Zellengruppen und Zellen - massen statt, gewiss schieben sich wuchernde Bindegewebszellen an einer Stelle zwischen die Knorpelzelle einer Knochenanlage ein, trennen dieselbe und bilden später das betreffende Gelenk. Allein diese Wucherung, dieser Druck sind ebenso vorgesehen, wie das Zurückweichen, oder die Auflösung der an jener Stelle gelegenen Zellen des primordialen Knorpels. Man könnte glauben, die sog. identischen Zwillinge des Menschen sprächen gegen meine Auffassung der Ontogenese, insofern dieselben eben nie - mals wirklich indentisch , sondern immer nur sehr ähnlich sind, obwohl sie aus einem Ei und ohne Zweifel auch aus einer Sammenzelle herstammen, folglich das gleiche Keimplasma be - sitzen. Aber selbst abgesehen davon, dass die absolute Identität des Keimplasma’s selbst in diesen Fällen nicht erwiesen ist, so zeigt doch die überaus hochgradige Ähnlichkeit solcher Zwillinge, einen wie geringen Einfluss die Verschiedenheit äusserer Ein - wirkungen auf die Ausbildung eines Organismus hat. Wie wunder - bar genau muss der Weg der Ontogenese vorgeschrieben sein, wenn er von der Eizelle an durch Tausende von Zellgenerationen144 hindurch derart festgehalten werden kann, dass identische Zwillinge dabei herauskommen! Es ist etwa zwei Schiffen zu vergleichen, die von demselben Punkt ausfahren, denen derselbe sehr verwickelte Kurs vorgeschrieben ist, zusammengesetzt aus Tausenden verschiedner, genau bestimmter Kursänderungen, und die nun unabhängig voneinander dieselbe ferne Küste er - reichen, noch nicht um die Distanz einer Meile auseinander weichend.

Wenn man gerade diesen Fall genau erwägt, kann man nicht zweifelhaft sein über die unfassbar genaue und bestimmte Kursdirektion, welche der Eizelle in ihrem Idioplasma beigegeben ist, welche allen den zahllosen Zellgenerationen wieder ihren Specialkurs vorschreibt, und in welche die äusseren Einflüsse nur in sehr untergeordneter Weise bestimmend eingreifen können. Man wird dann auch weniger leicht geneigt sein, dem Theo - retiker vorzuwerfen, dass er dem Idioplasma des Keimes eine allzu verwickelte Structur zuertheile. Diese Structur muss weit verwickelter sein, als wir uns vorzustellen ver - mögen, und unsere theoretischen Constructionen desselben bleiben sicherlich ungemein weit hinter der Wirklichkeit zurück. Man wird dann auch weniger geneigt sein, der hier vorgelegten Regenerationstheorie den gleichen Vorwurf zu machen. Ver - wickelte Erscheinungen können unmöglich auf einem einfachen Mechanismus beruhen. Die Maschinen einer Baumwoll-Spinnerei lassen sich nicht durch einige einfache Hebel herstellen und ein Phonograph nicht mit zwei Schwefelhölzchen.

Die bisher betrachtete Form der Regeneration muss als palingenetische bezeichnet werden, da sie den Weg der primären oder der embryonalen Genese einhält. Sobald aber dieser Weg verlassen und ein kürzerer eingeschlagen wird, werden wir von einer cönogenetischen Regeneration sprechen dürfen.

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Wahrscheinlich spielen bei der Regeneration complicirter Theile stets cönogenetische Abänderungen des primären Ent - wickelungsganges mit hinein, und selbst der bisher als Beispiel gewählte Fall der Extremitäten-Regeneration wird schwerlich genau so verlaufen, wie die primäre Entwickelung, wenn er auch in den hauptsächlichsten Phasen mit dieser zusammenfällt.

Wenn aber auch die blosse Verkürzung der Entwickelung eines Theils durch Zusammenlegung und andere Spaltung der Determinanten des Idioplasma’s ohne Schwierigkeit denkbar ist, so wird der Vorgang der Id-Spaltung doch recht verwickelt, sobald die primäre Genese nach einem andern Schema erfolgt, als die sekundäre; denn es müssen dann bei der Regeneration die Ersatz - Determinanten in anderen Combinationen dem Id der Zellenfolgen beigegeben werden, als sie in der primären Genese sich folgen. Offenbar liegt darin aber nur eine grössere Verwickelung des Vorganges, nicht eine wirkliche Schwierigkeit für die Theorie.

In allen Fällen von Regeneration muss die Art der Ab - spaltung von Ersatz-Determinanten schon im Keimplasma irgend - wie vorbereitet sein. Bei der palingenetischen Form der Re - generation könnte es scheinen, als ob die Annahme einer blossen Steigerung der Vermehrungskraft bestimmter Determinanten genüge, welche dazu führt, dass auf einem bestimmten Onto - Stadium sich ein Theil einer bestimmten Determinantengruppe als Neben-Idioplasma abspaltet. Bei der cönogenetischen Re - generation bleibt aber Nichts übrig, als anzunehmen, dass ge - wisse Determinanten doppelt oder mehrfach neben einander im Keimplasma vorhanden sind, von denen die eine für die Em - bryonal-Entwickelung, die anderen für die Regeneration bestimmt sind und im Voraus in ihren inneren Kräften, besonders in ihrer Vermehrungskraft so eingerichtet, dass sie sich allein oder mit benachbarten Regenerations-Determinanten zusammen aufWeismann, Das Keimplasma. 10146einem bestimmten Entwickelungsstadium als Neben-Idioplasma abspalten.

Ich glaube indessen, dass auch die palingenetische Re - generation ohne die Annahme besonderer Regenerations-Determi - nanten nicht auskommt, da andernfalls die phyletische Ent - stehung der cönogenetischen Abänderungen der Regeneration ganz unverständlich blieben. Diese können doch nur auf Varia - tion einer Determinante des Keimplasma’s beruhen; wenn aber dort nur die eine für die Embryogenese bestimmte Deter - minante vorhanden wäre, so müsste die Embryogenese stets gleichzeitig abändern. Dies ist aber nicht der Fall, folglich muss eine Art von Doppel-Determinante für regenerationsfähige Vererbungsstücke (Determinaten) im Keimplasma enthalten sein, d. h. zwei ursprünglich identische Determinanten, deren eine für die Embryogenese, die andere für die Regeneration in Funktion tritt. Beispiele werden dies anschaulich machen.

Bei der Regeneration der Schwanzwirbelsäule bei den meisten heutigen Amphibien regenerirt sich zwar die Wirbelsäule selbst, nicht aber ihre embryonale Grundlage die Chorda. Bekanntlich spielt der Knorpelstrang der Chorda beim primären Aufbau der Wirbelsäule eine bedeutsame Rolle, um dann später mehr oder weniger zu verkümmern. Wenn es nun möglich war, die Wirbel zu regeneriren nach dem Verlust eines Schwanzstückes, ohne zugleich auch die Chorda zu er - neuen, so lag darin eine zweckmässige Abkürzung des Regene - rationsvorganges. Dass dies möglich war, sehen wir, allein Alles spricht dafür, dass die Chorda in früherer Zeit der phyletischen Entwickelung regenerationsfähig war und dass sie diese Fähigkeit erst sekundär verloren hat. Die Froschlarven regeneriren heute noch ihren Schwanz, wenn er abgeschnitten wird, sammt seiner Chorda. Man kann auch nicht annehmen, dass bei den übrigen Amphibien die147 Chorda sich deshalb nicht regenerire, weil sie im erwachsenen Thiere nicht mehr vorhanden sei, denn vollständig fehlt sie nur bei Wenigen, z. B. bei Salamandrina, und bei den Larven von Salamandern regenerirt sich die Chorda ebensowenig, wie bei erwachsenen Thieren. Die Regenerationsfähigkeit der Chorda ist also bei den meisten Amphibien im Laufe der Phylogenese verloren gegangen. Ein solcher Vorgang der Rückbildung aber lässt sich jedenfalls am leichtesten durch die Annahme beson - derer Regenerations-Determinanten erklären, welche verkümmern können, ohne dass ihr embryogenetischer Partner an dieser Rückbildung Theil zu nehmen braucht.

Noch beweisender für die Nothwendigkeit dieser Annahme sind jene Fälle, wie sie z. B. die Wiederherstellung der festen Achse des Schwanzes bei Reptilien bietet. Der abge - schnittene Eidechsenschwanz stellt sich leicht und rasch wieder her, enthält aber nicht dieselben Theile, die er früher enthielt, indem das Rückenmark sowohl, als die Wirbelsäule sich nach den übereinstimmenden Angaben von Leydig und Fraisse nicht wieder bilden. Wohl aber bildet sich statt des ersteren eine als Rückenmark zu deutende Epithelröhre , die aber keine Nerven entsendet, und an Stelle der Wirbelsäule ein unseg - mentirtes Knorpelrohr . Dieses Letztere ist, wie Fraisse aus - drücklich hervorhebt, nicht etwa eine regenerirte Chorda, son - dern eine Neubildung, ein Substitut dafür.

Hier hat also in Bezug auf die Regeneration eine phyletische Entwickelung, und zwar im Wesentlichen eine auf Vereinfachung abzielende Entwickelung stattgefunden. In ähnlicher Weise, wie ein Schwanz oder irgend ein anderes Organ eines Thieres im Verlauf der Phylogenese sich allmälig zurückbilden kann, so hat sich hier die Schwanzwirbelsäule zurückgebildet, aber nicht für die primäre (embryonale) Onto - genese derselben, sondern nur für seine sekundäre Entstehung10*148durch Regeneration. Primär bildet sich eine Wirbelsäule aus; wird aber durch Verlust des Schwanzes die sekundäre Wieder - entstehung desselben nöthig, so tritt das zweite, reducirte Ver - fahren der Achsenbildung in Thätigkeit, und es bildet sich das blosse Knorpelrohr. Das Verhältniss erinnert an die Erschei - nungen der Dichogenie , wie sie so vielfach bei Pflanzen vorkommen, wo dieselbe Zellengruppe sich in dieser oder in jener Weise ausbilden kann, je nachdem dieser oder jener äussere Reiz auf sie einwirkt. So treiben die Ranken des Epheu an derselben Seite Wurzeln, wenn sie beschattet ist, Blätter aber, wenn sie beleuchtet wird u. s. w. Im Thierreich dürfte die Ent - scheidung über das Geschlecht hierher zu beziehen sein, wenn man wenigstens annehmen darf, dass nicht immer und überall schon mit dem Akt der Befruchtung das Geschlecht gegeben ist, sondern dass darauf auch spätere Einwirkungen noch ent - scheidend sein können. Wir kennen ja in gewissen parasitischen Crustaceen, den Cymothoiden, Fälle, in welchen zuerst das männ - liche Geschlecht sich ausbildet, und das betreffende Thier als Männchen funktionirt, dann aber die weiblichen Geschlechts - organe sich entwickeln und dem Thier den Stempel des Weib - chens aufdrücken. Hier kommen also auch zeitlich nacheinander erst die eine, dann die andere Entwickelungstendenz zur Geltung, wie bei der Bildung des Eidechsenschwanzes zuerst die Tendenz zur Wirbelbildung, dann aber die zur Bildung des dieselbe er - setzenden Knorpelrohres. Allerdings muss hier der zweite Fall nicht eintreten, gerade wie beim Epheu-Spross die Wurzelseite nicht nothwendig später beleuchtet werden und zur Blätterseite werden muss; die Möglichkeit dazu ist nur von der Natur vorgesehen. Als erheblicher Unterschied zwischen der Regene - ration des Eidechsenschwanzes und der Succession von beiderlei Geschlechtsorganen bei den Cymothoiden könnte geltend gemacht werden, dass bei Letzteren beiderlei Geschlechtsorgane schon im149 Embryo angelegt werden, und dass nur ihre Ausbildung succe - sive eintritt. Gewiss ist dies ein Unterschied, allein wohl gerade ein solcher, der uns darauf hinweist, in welcher Weise diese Fälle des Substitutions-Ersatzes theoretisch zu erklären sein werden. So wie das Idioplasma der Bildungszellen für Hoden und Eierstöcke ungleiche Determinanten enthalten muss, so müssen auch die Zellen des Eidechsenschwanzes, welche das Ersatz - Knorpelrohr entstehen lassen, andere Determinanten enthalten, als die embryonalen Bildungszellen der Schwanzwirbelsäule. Es müssen somit die Ersatz-Determinanten, welche dem Idioplasma gewisser Wirbelsäule-Zellen behufs Regeneration beigegeben sind, im Laufe der Phylo - genese sich verändert haben. Eine solche erbliche Ver - änderung müsste aber auch die Embryogenese getroffen haben, falls für beide Bildungsweisen nur ein und dieselbe Determi - nante im Keimplasma läge. Es muss somit jede Determi - nante dieser Schwanzwirbelsäule doppelt im Keim - plasma enthalten sein.

Weiter zu gehen als zu dieser Annahme und etwa zu ver - suchen, Etwas über die Art und Weise festzustellen, wie die verschiednen Ersatz-Determinanten, welche zur Herstellung eines grösseren Theils, z. B. also der Schwanzwirbelsäule erforderlich sind, sich zusammenfinden und wo sie sich von den primären Determinanten sondern, wäre verfrüht. Die Regenerationsvor - gänge sind von den hier aufgestellten Gesichtspunkten aus noch nicht untersucht worden; man kennt in vielen Fällen nicht einmal mit Sicherheit die Zellen, von welchen sie ausgehen.

Es wurde bisher die Frage noch nicht näher berührt, welcher Art Zellen es sind, die die Ersatz-Determi - nanten enthalten und von denen somit die Regene - ration ausgeht. Können es beliebige Zellen diesen oder jenen Gewebes sein, oder sind es stets junge, anscheinend indifferente Zellen von sog. embryonalem Typus ?

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Wenn man nur den Menschen und die höheren Wirbel - thiere im Auge hat, so wird man leicht geneigt sein, die letztere Antwort für die allgemein richtige zu halten. In der That schienen noch vor Kurzem viele Schriftsteller dieser Ansicht zuzuneigen; man stellte sich vor, dass embryonale Zellen überall in den regenerationsfähigen Geweben enthalten seien, ja Viele glaubten als solche die Leukocyten ansprechen zu dürfen. Bekanntlich haben die neuesten Untersuchungen zu dem Ergebniss geführt, dass dem nicht so ist, dass die weissen Blutzellen zwar eine bedeutsame Ernährungsrolle bei der Re - generation spielen können, nicht aber einen formativen Antheil am Aufbau eines Gewebes haben. Ziegler spricht in seinem Lehrbuch der pathologischen Anatomie von einem förmlichen Gesetz der Specifität der Gewebe und versteht darunter den Satz, dass die Abkömmlinge der verschiedenen in früher Em - bryonalperiode sich sondernden Keimblätter immer nur solche Gewebe zu bilden vermögen, die ihrem Keimblatte zukommen . Da nun aber wie die Brüder Hertwig gezeigt haben die Keimblätter der Metazoen keine Primitivorgane im histo - logischen Sinne sind, da vielmehr bei niederen Thieren von jedem Keimblatt vielleicht alle überhaupt vorkommenden Gewebe gebildet werden können, gewiss aber deren mehrere, so wird dieser Satz wohl nur für die höchsten Wirbelthiere Gültigkeit beanspruchen dürfen. Bei niederen Thieren können nicht nur sämmtliche Gewebeformen aus jungen Zellen, die innerhalb eines Keimblattes liegen, hervorgehen, sondern unter Umständen sogar die Zellschichten des andern Keimblattes, ja des ganzen Thieres. In dem Capitel über Theilung und Knospung wird die idio - plasmatische Wurzel dieses Vermögens aufzusuchen sein. Hier handelt es sich zunächst nur darum, ob etwa blos jugendliche Zellen die Determinanten zu verschiedenen Zellenarten, wie sie für die Regeneration erforderlich sind, in sich enthalten können, oder auch solche, die schon histologisch differenzirt sind.

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Obwohl nun gewiss in sehr vielen Fällen die Ersatz - Determinanten jungen Zellen ohne histologisch ausgeprägten Charakter beigegeben sind, so ist dies doch wohl kaum all - gemein der Fall. Sowohl bei Pflanzen als bei niedern Thieren wenigstens kommt es vor, dass histologisch völlig ausgebildete Zellen sämmtliche Determinanten der Art, d. h. Keimplasma als Ersatz-Idioplasma in sich enthalten, wie später genauer zu zeigen sein wird. Es liegt deshalb kein Grund vor, anzunehmen, dass nicht auch kleinere Determinanten-Gruppen specifischen Gewebezellen sollten beigegeben worden sein, wo solches noth - wendig war, wenn ich auch dafür ein bestimmtes Beispiel nicht anzuführen weiss.

Wenn aber auch die Regeneration in den meisten Fällen von jugendlichen Zellen ausgehen mag, sog. Embryonal - zellen , so ist es doch ganz irrig, damit die Vorstellung der Indifferenz solcher Zellen zu verbinden, wie es so häufig ge - schieht. Diese Embryonalzellen sind nicht etwa Zellen, aus welchen noch alles Mögliche werden kann , sondern jede von ihnen kann sich nur zu der Zellenart entwickeln, deren Determi - nante sie enthält. Sie mag unter Umständen mehrere, ver - schiedene Determinanten zugleich enthalten, die sich dann erst in späteren Zellgenerationen auf einzelne Zellen vertheilen, aber das, was aus ihr werden kann und wird, liegt stets in ihr; sie trägt ihr Schicksal in ihrem Idioplasma und kann durch äussere Einflüsse nur in sekundärer Weise bestimmt werden. Es giebt auch Zellen, deren Idioplasma dauernd die Möglichkeit zwei - facher Entwickelung enthält; diese bereits erwähnte Dichogenie der Pflanzen wird aber ebenfalls vom Idioplasma bestimmt, in - sofern dieses dann zweierlei Determinanten enthalten wird, von welchen je eine durch die Art der äusseren, auf die Zellen wirkenden Einflüsse entweder inaktiv bleibt oder aktiv wird und die Zelle bestimmt.

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Embryonalzellen aber im Sinne der Autoren giebt es im fertigen Organismus nicht. Wenn z. B. in der tiefen Schicht des Ektoderms beim Süsswasserpolypen, der Hydra, junge, histo - logisch undifferenzirte Zellen liegen, die sog. intermediären Zellen, so kann aus diesen allerdings Mehrerlei werden: ge - wöhnliche Hautzellen, Nesselzellen, Muskelzellen, vermuthlich auch Nervenzellen und sicher Geschlechtszellen. Es wäre aber verkehrt, wollte man glauben, dass eine bestimmte derartige Zelle eines oder das andere werden könnte. Offenbar ent - halten diese Zellen entweder Keimplasma, d. h. sämmtliche Determinanten, und dann können sie sich zu Geschlechtszellen entwickeln, oder sie enthalten nur die Determinanten der Nessel - zellen, Nervenzellen u. s. w.,[und] dann können sie nur Nessel - zellen, Nervenzellen u. s. w., niemals aber Geschlechtszellen werden.

2. Phylogenese der Regeneration.

Aus den Erscheinungen der Regeneration, wie sie uns heute vorliegen, lässt sich, wie ich glaube, mit Sicherheit ableiten, dass die Fähigkeit der Regeneration nicht auf einer primären Eigenschaft des Bion beruht, sondern dass sie eine Anpassungs-Erscheinung ist.

Man hat wohl allgemein die Regenerationskraft bisher als eine primäre Eigenschaft der Organismen aufgefasst, d. h. als den unmittelbaren Ausfluss ihrer Organisation, als ein Vermögen, für welches nicht erst besondere Einrichtungen getroffen werden mussten, sondern welches sich von selbst ergab, als eine un - beabsichtigte Nebenwirkung der ohnehin bestehenden Organi - sation.

Diese Ansicht hat ihre Wurzel in der im Allgemeinen zu - treffenden Ansicht, dass die Regenerationskraft eines Thieres im umgekehrten Verhältniss zu dessen Organisationshöhe153 stehe1)Vergleiche z. B. Herbert Spencer a. a. O. p. 190, der sich übrigens sehr vorsichtig ausdrückt, wie es der Sachlage entspricht. Es heisst dort: Somit ist also das Wiederherstellungsvermögen verlorener Theile am grössten, wo die Organisation am niedrigsten steht, und es verschwindet beinahe vollständig, wo die Organisation am höchsten ist. Und obgleich wir nicht behaupten können, dass innerhalb dieser Extreme ein constantes umgekehrtes Verhältniss zwischen dem Wiederherstellungs - vermögen und dem Organisationsgrad besteht, so kann man doch sagen, dass wenigstens eine gewisse Annäherung an eine solche Relation vor - handen sei. . Verhielte sich dies wirklich überall so, so wäre das zwar immer noch kein zwingender Grund für die bezeichnete Auf - fassung, aber doch eine Stütze. Bei näherem Zusehen ist dem aber nicht so. Wohl besitzen höchste thierische Organismen niemals ein so weit gehendes Regenerationsvermögen, wie es bei niederen vorkommt, und dies muss seinen Grund haben, allein auf derselben Organisationshöhe kommen sehr verschiedene Grade der Regenerationskraft vor, ja Thiere von höherer Organisation können eine weit grössere Regenerationskraft besitzen als niedere. So vermögen Fische die abgeschnittene Brust - oder Bauchflosse nicht wieder zu regeneriren, während die viel höher organisirten Salamander das Bein bis sechsmal hintereinander zu regeneriren im Stande sind (Spallanzani).

Auch innerhalb derselben Thiergruppe ist die Re - generationskraft oft recht verschieden stark. Bei Triton und Salamandra wächst das abgeschnittene Bein vollständig wieder nach, bei Proteus scheint dies nicht vorzukommen, ich wenig - stens habe es nicht erzielen können. Auch der Schwanz er - setzt sich bei Proteus nur langsam und unvollkommen, während er von den Salamandern sehr leicht wieder ersetzt wird. Im Jahre 1878 erhielt ich einen lebenden Siren lacertina, dem das eine Vorderbein abgerissen worden war, er besass davon nur noch einen Stummel des Oberarms, aber innerhalb der zehn Jahre,154 während deren ich das gefrässige Thier in bestem Ernährungs - zustand hielt, wuchs der Arm nicht wieder nach. Auch hier also scheint die Regenerationskraft in Bezug auf die Extremität geringer zu sein, als bei den phyletisch weit jüngeren und höher organisirten Salamandern.

Bekannt ist es auch, dass den Fröschen die abgeschnittenen Beine nicht wieder nachwachsen, auch nicht im Larvenzustand Besonders auffallend aber muss es erscheinen, dass selbst inner - halb der gleichen Gattung die Reproductionskraft eine recht verschiedene sein kann. Schreiber beobachtete, dass Triton marmoratus im Gegensatz zu allen übrigen darauf untersuchten Triton-Arten ein relativ sehr geringes Regenerationsvermögen besitzt. Selbst kleine Verletzungen des Kammes und der - gleichen werden wenigstens in der Gefangenschaft nie wieder ersetzt, und bei grösseren Verlusten geht das Thier regelmässig ein. Fraisse konnte Ähnliches feststellen; niemals wuchs eine abgeschnittene Extremität zur normalen Grösse wieder nach, es bildete sich nur ein etwas deformirter Kegel an dem Amputationsstumpf; auch der Schwanz wurde nur in sehr ge - ringem Maasse reproducirt (a. a. O. p. 152).

In Bezug auf die Reptilien hebt schon Fraisse hervor, dass einzelnen Gruppen die Regenerationsfähigkeit in viel ge - ringerem Maasse zukommt, als andern. Schildkröten, Krokodile und Schlangen sind nicht im Stande, verloren gegangene Theile auch nur einigermassen zu regeneriren, während diese Fähigkeit den Eidechsen und Geckotiden in so hohem Maasse zukommt .

Aber auch die Ungleichheit der Regenerationskraft ver - schiedener Theile derselben Thierart deuten darauf hin, dass Anpassung eine grosse Rolle bei Regeneration spielt. Bei dem sonst so wenig zur Regeneration befähigten Proteus wachsen die abgeschnittenen Kiemen rasch wieder nach. Ebenso be -155 schränkt sich bei den Eidechsen das Regenerationsvermögen auf den Schwanz, Extremitäten aber werden nicht regenerirt. Offen - bar ist aber der Schwanz der Eidechsen ungleich mehr der Ver - stümmelung ausgesetzt, als die Beine, die Letzteren gehen that - sächlich selten verloren, wenn man auch hin und wieder einmal ein Thier mit stummelförmigem Bein findet. Die biologische Bedeutung des Eidechsenschwanzes darf eben darin gefunden werden, dass er das Thier vor völligem Untergang schützt, indem der Verfolger zumeist nach dem lange nachschleppenden Schwanz zielen wird, dabei aber oft das Thier selbst entwischen lässt, weil der festgehaltene Schwanz abbricht. Ist derselbe doch ganz besonders zum Abbrechen eingerichtet, indem, wie Leydig zuerst nachwies, die Schwanzwirbelkörper vom siebenten an mit vorbereiteter Bruchfläche quer durch die Wirbelkörper hindurch versehen sind. Wenn nun das Abbrechen durch eine besondere Vorrichtung und Anpassung vorgesehen ist, so wird es kein allzu kühner Schluss sein, wenn man auch die Regene - rationskraft des Schwanzes selbst als eine Anpassung betrachtet, also nicht als den Ausfluss einer unbekannten Regenerations - kraft des gesammten Thieres, sondern als eine durch Se - lection hervorgerufene specielle Anpassung dieses einen Körpertheiles an den häufig eintretenden, ge - wissermassen vorgesehenen Verlust des Theiles. Hätte derselbe keine oder nur eine geringe biologische Bedeutung, so würde diese Einrichtung nicht getroffen worden sein, wie sie denn thatsächlich bei den auf gleicher Organisationshöhe stehenden Schlangen und Schildkröten nicht getroffen worden ist. Dass aber die Beine der Eidechsen sich nicht wieder ersetzen, hat, wie ich glaube, seinen Grund darin, dass eine Eidechse bei ihrer enorm raschen Beweglichkeit selten an einem Bein gepackt werden wird. Geschieht es aber einmal, so ist das Thier unrettbar die Beute des Verfolgers, und Regenerations -156 fähigkeit des Beines wäre nutzlos. Bei Tritonen verhält sich die Sache wesentlich anders. Ihre Bewegungen sind weit we - niger rasch und ihre Angreifer beschränken sich häufig darauf, nur ein Bein abzubeissen, weil sie zu klein sind, um ein ganzes Thier zu verschlucken. Häufig gehen solche Angriffe von Thieren derselben Art aus, die durch immer wieder von Neuem wiederholte Bisse einem schwächeren Genossen das Bein, den Schwanz oder die Kiemen abnagen. War hier eine bedeutende Regenerationskraft überhaupt möglich, so musste sie eingerichtet werden. Bei Proteus finden wir sie in weit geringerem Grade, aber diese Thiere haben in den Höhlen von Krain, ihrem aus - schliesslichen Aufenthalt, weder grössere Feinde, noch starke Concurrenz um ihre Nahrung, und fressen sich deshalb auch gegenseitig nicht an, soweit meine Beobachtungen reichen.

Schon Spallanzani sagte, die Natur reproducire nicht Alles, was man abschneidet, und diese Erfahrung kann, ins Theoretische übersetzt, nichts Anderes heissen, als: die ver - schiedenen Organe eines Thieres haben verschiedene Grade von Regenerationskraft. Stellt man sich dann weiter die Frage, welches die am leichtesten regenerirenden Theile sein werden, so ergiebt sich, dass die Theile den höch - sten Grad von Regenerationsvermögen besitzen müssen, welche am häufigsten einer Beschädigung oder einem Verluste aus - gesetzt sind. Soweit ich die bis jetzt vorliegenden Thatsachen übersehe, stimmen die Beobachtungen mit dieser Auffassung. Zwar hat leider Spallanzani seinem oben citirten Satz, dass die Natur nicht Alles reproducire, was man abschneidet, keine weitere Erläuterung beigegeben, so dass wir seine Erfahrungen darüber, was sich nicht regenerirt, nicht kennen. Ich habe aber selbst eine Reihe von Untersuchungen angestellt, um einige Sicherheit darüber zu erlangen, ob die Höhe der Regenerations - kraft wirklich in Beziehung zur Verletzbarkeit des Theiles steht.

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Wenn Regeneration eine Anpassungserscheinung ist, dann müssen innere Organe, welche im Naturleben des Thieres Verstümmelungen nicht ausgesetzt sind, keine Regenerations - kraft besitzen und dies auch bei solchen Thieren, deren äussere den Angriffen ihrer Feinde ausgesetzten Theile ein hohes Re - generationsvermögen besitzen.

Ich schnitt einem unserer grossen Wassersalamander, Triton cristatus, die rechte Lunge etwa in ihrer Längsmitte ab und nähte die Hautwunde wieder zu. Das Thier erholte sich bald aus der Chloroform-Narkose, heilte rasch und wurde während vierzehn Monaten sehr gut genährt und dann getödtet. Die rechte Lunge hatte sich nicht ergänzt, sie war nur halb so lang, als die linke und endete nicht spitz, wie diese, sondern mit dickem Blindsack. Vier andere Fälle verliefen ähnlich, in einem derselben blieb es zweifelhaft, ob nicht doch ein Wachs - thum der Lunge eingetreten war, aber auch in diesem hatte sie nicht die ursprüngliche lange spitze Gestalt wiedererlangt.

Die Versuche werden noch fortgesetzt, soviel darf aber schon jetzt aus ihnen abgenommen werden, dass ein auffallendes Missverhältniss in der Regenerationskraft der äusseren Theile der Salamander und ihrer Lunge besteht. Dasselbe erscheint um so grösser, wenn man bedenkt, dass es sich bei der Regene - ration der Extremität um die Wiederherstellung eines sehr ver - wickelt gebauten, aus vielen ganz verschiedenen Stücken zu - sammengesetzten Theils handelt, während die Lunge ein ein - facher hohler Sack ist ohne Gliederung und von relativ einfachem histologischen Bau.

Man wird also schliessen dürfen, dass die innern, für gewöhn - lich Verletzungen nicht ausgesetzten Theile bei diesen Arten kein höheres Regenerationsvermögen besitzen, als bei den höchsten Wirbelthieren, die ihnen in Bezug auf Regenerationskraft der äussern Theile so ausserordentlich nachstehen. Es giebt dem -158 nach keine allgemeine Regenerationskraft, sondern dieselbe ist bei ein und derselben Thierform abgestuft nach dem Regenerationsbedürfniss des Theiles, d. h. in erster Linie nach der Ausgesetztheit desselben.

In genauem Zusammenhang damit steht die Thatsache, dass die Regeneration eines höchst regenerationskräftigen Theiles doch nur von bestimmten, gewissermassen vorgesehenen Ver - letzungen desselben ausgehen kann, nicht aber von jeder be - liebigen. Philippeaux fand zuerst, dass das Bein des Triton nicht wieder wächst, wenn man es aus dem Gelenk herausnimmt, vielmehr nur dann, wenn es mit Verletzung des Knochens ab - geschnitten oder abgerissen wird. Man hat dieser Thatsache die Erklärung gegeben, dass sie auf dem Gesetz von der Specifität der Gewebe beruhe, dass Knochen nur vom Knochen gebildet werden können, und dass somit der Knochen des Beines selbst verletzt sein müsse, um neu gebildet werden zu können. Diese Erklärung, obwohl von einem richtigen Princip ausgehend, scheint mir indessen doch nicht ausreichend. Die Verletzung des Knochens setzt den Reiz, durch welchen die Zellen des Stumpfes zur Wucherung angeregt werden; das ist gewiss richtig, und nach unserer Theorie werden dadurch die in denselben schlummernden Ersatz-Determinanten zur Thätigkeit veranlasst. Wenn aber eine Gelenkhöhle blossgelegt wird, setzt dies ebenfalls einen Reiz auf die Zellen des Knorpels und ohne Zweifel auch auf die des darunter liegenden Knochens oder des Periost’s. Wenn deshalb die Zellen dieser Stellen überhaupt fähig wären, die verloren gegangenen Knochen zu reproduciren, und wenn die Bloss - legung der Gelenkhöhle die gewöhnlich vorkommende Art der Verletzung wäre, so würden diese Zellen gewiss ebenso gut diesem Reiz angepasst und ausgerüstet worden sein, denselben mit formativer Wucherung zu beantworten, als sie an den Bruchstellen des Knochens mit dieser Fähigkeit ausgerüstet sind. 159Exartikulation des Beines, oder eines Abschnittes des - selben kommt aber unter natürlichen Lebensbeding - ungen kaum jemals vor, und so konnte dieser Fall von dem Organismus auch nicht vorgesehen, und die betreffenden Zellen des geöffneten Gelenkes nicht mit den zur Regeneration nöthigen Ersatz-Determinanten ausgerüstet werden. Deshalb fehlt ihnen die Fähigkeit, auf den Reiz der Exartikulation in adäquater Weise zu reagiren.

Wenn man aber auch allen den bis jetzt angeführten Thatsachen gegenüber vielleicht noch zweifelhaft sein könnte, ob wirklich die Regenerationskraft auf einer speciellen Anpassung des betreffenden Theils beruhe, und nicht ein Ausfluss der Organi - sationshöhe des Thieres oder doch einer allgemeinen, dem ganzen Organismus innewohnenden Kraft der Regeneration be - ruhe, so müssten die folgenden Erwägungen, wie mir scheint, alle Zweifel beseitigen. Offenbar beruht die physiologische Regeneration auf den gleichen Ursachen wie die pathologische, beide gehen vielfach ineinander über, und eine wirkliche Grenze besteht nicht zwischen ihnen. Nun finden wir aber gerade bei solchen Thierklassen, deren pathologische Regenerations - kraft eine sehr geringe ist, eine ungemein hohe physio - logische Regenerationskraft, und dies beweist, dass die geringe Höhe der ersteren unmöglich auf einer dem Organismus innewohnenden allgemeinen Regenerationskraft beruhen kann, dass vielmehr an solchen Theilen des Körpers, welche einer steten oder periodischen Regeneration bedurften, eine solche auch eingerichtet werden konnte, oder mit anderen Worten: dass die Regenerationskraft eines Theiles auf Anpassung beruht. Beispiele dafür sind leicht zu finden. Die Fische wurden oben schon erwähnt als Thiere, denen man eine sehr geringe allgemeine Regenerationskraft zu - schreibt, weil sie verloren gegangene äussere Theile, Flossen160 vor Allem nicht wieder zu ersetzen im Stande sind. Dennoch haben viele Fische Zähne, die der Abnutzung stark ausgesetzt sind, und besitzen deshalb die Fähigkeit, immer wieder neue Zähne zum Ersatz der alten hervorzubringen. Am Gebiss eines Rochen oder Haien stehen die Zähne in Längsreihen auf dem Kieferrand, und zwar folgen sich mehrere bis viele solcher Längsreihen hintereinander, von denen die vordersten die ab - genutzten, die dahinter folgenden immer jüngere Ersatzzähne sind. Neben den Fischen zeigen die Vögel ein sehr geringes Vermögen, zufällig entstandene Defekte zu ergänzen, und man bezeichnet sie deshalb als Thiere mit sehr geringem Regene - rationsvermögen. Aber gerade die Vögel haben in Bezug auf gewisse Theile ein ganz ausserordentlich hohes physiologisches Regenerationsvermögen, für das Federkleid nämlich, welches sie bekanntlich in jedem Jahre einmal ganz abstossen und neu wieder hervorbringen. Bei den Säugern beschränkt sich die pathologische Regeneration auf ein sehr geringes Maass: Deck - epithelien, die Epithelien der Drüsengänge, die Gewebe der Bindesubstanzen, worunter auch das Knochengewebe gehört, die Nervenfasern können Defekte wieder durch die eigenen Ge - webselemente ausbessern, keinem Säugethier aber wächst ein Fingerglied oder ein Augenlid wieder, wenn es abgeschnitten wurde. Dennoch giebt es Säugethiere, deren physiologische Regenerationskraft in Bezug auf ein bestimmtes Organ ungemein gross ist. Die männlichen Hirsche werfen jährlich ihr Geweih ab und bilden es wieder neu im Verlauf von vier bis fünf Monaten, eine Leistung, die in Betracht der Masse organischen Gewebes, welche hier in so kurzer Zeit gebildet wird, selbst die regenerativen Leistungen der erwachsenen Salamander hinter sich lässt, denn diese brauchen nach Spallanzani mehr als ein Jahr, um ein abgeschnittenes Bein in der normalen Grösse und Festigkeit wieder herzustellen. Junge Thiere freilich re -161 produciren ein Bein in wenigen Tagen und der geniale Ex - perimentator beobachtete sechsmaliges Wiederwachsen sämmt - licher vier Beine und des Schwanzes bei einem jungen Triton in der Zeit von drei Sommermonaten!

In einer Beziehung steht aber doch diese hohe Regenerations - kraft der Hirsche und der Vögel gegen die Leistungen der Tritonen weit zurück, nämlich in Bezug auf die Complicirt - heit des zu ersetzenden Theils. Obgleich eine Vogelfeder sicherlich ein bewunderungswürdig fein gebautes Gebilde ist, so besteht es doch nur aus Epidermiszellen, und das Geweih der Hirsche ist ein mit Epidermis überzogener Hautknochen. Das Bein eines Triton aber enthält alle Arten von Geweben mit Ausnahme der Entoderm-Epithelien, nämlich: Haut, Muskeln, Knochen in grosser Zahl, Bindegewebe, Blutgefässe, Nerven u. s. w., und das Alles in ganz fest vorgeschriebener Anordnung, Zahl und Form. Ohne Zweifel ist die Regeneration eines Beines deshalb eine höhere Leistung als die der Federn oder des Ge - weihes, und es ist in der That auch ein Erfahrungssatz, den schon die älteren Experimentatoren aufstellten, dass compli - cirtere Organe weniger leicht regeneriren als einfacher gebaute. Es wäre von grossem theoretischen Werth, diesen etwas ungenauen Satz durch planmässige Versuche genauer zu präcisiren. Man darf im Voraus erwarten, ihn in irgend einem Sinne bestätigt zu finden, d. h. zu finden, dass unter sonst gleichen Umständen bei ein und derselben Art einfache Organe durchschnittlich leichter regeneriren als complicirte. Selbst beim Menschen ersetzen sich viele einfache Gewebe, die Binde - substanzen, Epithelien, Nerven, und nur die histologisch höchst differenzirten Zellen der Drüsen und Ganglien thun es nicht oder nur schwach. Auch die Theorie lässt einsehen, dass hierzu ein weit weniger verwickelter Apparat gehört, als bei der Re - generation ganzer Körpertheile, wie Schwanz oder Beine, dennWeismann, Das Keimplasma. 11162es genügt, dass das betreffende Gewebe Zellen enthält, welche im Stande sind, sich auf den Reiz des Substanzverlustes der Umgebung hin zu vermehren und dies so lange fortzusetzen, bis der Substanzverlust ausgeglichen ist. Erst wenn mehrere Zellen - arten beim Wiederaufbau zusammenwirken müssen mit genauer Normirung ihrer Massen - und Gestaltungs-Verhältnisse, ihrer Wachsthumsrichtung und Vermehrungsrhythmus tritt die Noth - wendigkeit einer genauen Ausrüstung der einzelnen den Ersatz einleitenden Zellen mit Ersatz-Determinanten verschiedener Art heran, und es ist klar, dass diese Ausrüstung eine um so ver - wickeltere und schwieriger herzustellende wird, je complicirter der zu regenerirende Theil ist, und je genauer alle Einzelheiten seines Baues eingehalten werden müssen.

Wenn man aber die Thatsachen überblickt, welche über Regeneration bei Thieren verschiedener Organisationshöhe und verschiedener Gruppen überhaupt vorliegen, so begegnet man so grossen Unterschieden in der Regenerationskraft selbst homo - loger Theile, dass man durchaus den Eindruck bekommt, der bei allen Schriftstellern über Regeneration zu erkennen ist, dass im Allgemeinen die Regenerationskraft grösser ist bei nieder organisirten Thieren als bei complicirter ge - bauten, und es erhebt sich die Frage, wie dies zu verstehen und in welche wissenschaftliche Formel es zu bringen wäre.

Schon innerhalb der Wirbelthiere treten uns solche That - sachen entgegen, welche auf eine dem niederen Thier als solchen, primär eigenthümlichen grösseren Kraft, verlorene Theile zu ersetzen, hinweisen. Allerdings besitzen die Fische ein viel geringeres Regenerationsvermögen, als die höher organisirten Amphibien; aber wenn eine Fischflosse nicht wieder wächst, wohl aber das Bein eines Triton, so darf nicht übersehen werden, dass die beiden Organe biologisch von ziemlich ungleicher Bedeutung sind. Das Vorderbein des Triton und der Arm des163 Menschen dagegen sind nicht nur homologe Theile, sondern auch von nahezu gleicher biologischer Bedeutung; ihre Regenerations - kraft aber ist sehr ungleich, und es fragt sich also, worauf diese Ungleichheit beruht.

Die Regenerationskraft irgend eines Theils wird niemals blos von den Verhältnissen abhängen, welche gerade für die ins Auge gefasste Thierart massgebend sind, sondern auch von den Regenerationseinrichtungen, welche schon in der Vorfahren - reihe dieser Art vorhanden und auf sie durch Vererbung über - tragen wurden. Sehen wir aber einmal davon ab und betrachten die Regenerationskraft als nur auf Anpassung des einzelnen Falles beruhend, so wird man etwa in folgender Weise schliessen. Ob die Ausrüstung der Zellen eines Theils mit Ersatz-Determi - nanten behufs seiner Regenerationsfähigkeit eingerichtet wird oder nicht, hängt in erster Linie davon ab, ob der betreffende Theil überhaupt von häufigerem Verlust bedroht ist, also von der Höhe der Verlust-Wahrscheinlichkeit desselben. Für selten eintretende Verluste kann nicht Vorsorge getroffen werden, selbst wenn dieselben von grossem biologischen Nachtheil wären, weil die Einbusse an Individuenzahl, welche die Art etwa da - durch erleiden könnte, verschwindend klein wäre. Für das be - troffene Individuum kann ein solcher Verlust von grossem Nach - theil sein, nicht aber für die Art; Selectionsprocesse können also durch ihn nicht in Gang gesetzt werden.

In zweiter Linie muss es die physiologische oder bio - logische Bedeutung des Organs selbst sein, welche in Be - tracht kommt. Ein rudimentärer, fast oder ganz bedeutungslos gewordener Theil wird häufig verstümmelt oder abgerissen werden können, ohne dass daraus Selectionsprocesse hervorgehen, die dessen Regenerationsfähigkeit bezwecken. So ersetzen sich z. B., soviel bekannt ist, die häufig abgebissenen schwachen Beine von Siren oder Proteus nicht, wohl aber die ebenso häufig abgefressenen11*164Kiemen derselben Arten und des Axolotl. Letztere sind eben physiologisch werthvolle Organe, erstere nicht. Ebenso re - generirt sich der so häufig verstümmelte Schwanz der Eidechsen, weil derselbe, wie oben gezeigt wurde, ein biologisch werth - volles Organ ist, dessen Fehlen seinen Träger in Nachtheil setzt.

Als drittes Moment endlich, welches bei der Regulirung der Regenerationskraft eines Theiles in Betracht kommt, wird die Complicirtheit des betreffenden Theiles zu betrachten sein, denn je complicirter derselbe gebaut ist, um so länger und energischer werden Selectionsprocesse thätig sein müssen, damit der Regenerations-Mechanismus, d. h. die Ausrüstung einer grossen Menge verschiedenartiger Zellen mit genau abgestuften und in ihrer Vermehrungskraft regulirten Ersatz-Determinanten her - gestellt werde. So liesse es sich begreifen, dass z. B. die vordere Extremität der Tritonen regenerirt wird, nicht aber die der Vögel, obwohl der Flügel biologisch noch weit bedeutsamer und unentbehrlicher für seinen Träger ist, als das Vorderbein des Triton. Der Flügel des Vogels enthält zwar weniger Knochen - stücke, als der Arm des Triton, aber er ist im Übrigen weit höher, d. h. weit complicirter gebaut, wie sofort klar wird, wenn man sich erinnert, dass er mit Federn bedeckt ist, und dass jede der Schwungfedern wenigstens nach Grösse, Gestalt und Färbung genau individualisirt ist, also eine grosse Menge besonderer Determinanten in ihren Bildungszellen enthalten muss. Diese Determinanten müssen alle geordnet im Keimplasma enthalten sein, um bei der primären Entwickelung des Vogels mittelst ge - wisser Zellfolgen zunächst in das äussere Keimblatt, später in die Epidermis der vorderen Extremität geschoben zu werden und von da durch im Laufe des Wachsthums entstehende weitere Zellfolgen an den ihnen speciell zukommenden Ort. Wie es möglich ist, dass dabei die Vertheilung der Determi - nanten in einer so genauen und sicheren Weise vor sich geht,165 wie es thatsächlich der Fall sein muss, damit nicht nur die Gestalt der Feder, sondern auch jeder Farbenfleck auf derselben bei allen Individuen der Art in gleicher Weise sich wiederholt, das ist schon schwer genug sich vorzustellen; dass aber dieser ganze complicirte Bildungs-Mechanismus sich auch noch ausser - dem derart sollte umgestalten können, dass von jeder Schnitt - fläche des Flügels aus der ganze Flügel mit allen seinen Federn und Farbenfleckchen auf den Federn sollte regenerirt werden können, das möchte man wohl für unmöglich erklären. Nach unserer Theorie gehörte dazu, dass die Zellen einer jeden Quer - schnittfläche des Flügels neben dem ihnen für ihre eigentliche Natur zukommenden Idioplasma noch sämmtliche Determinanten sämmtlicher Zellen als Ersatz-Determinanten enthielten, welche zum Aufbau des distalwärts noch folgenden Stückes des Flügels gehören, und zwar in entsprechender Vertheilung auf die Zellen der radialen und ulnaren, der oberen und unteren Fläche des Flügels, und mit genauer Abwägung der Vermehrungskraft jeder Zelle und ihrer Nachfolge. So wenig wir auch urtheilen können über das, was in der Natur möglich ist, und so sehr wir durchdrungen sind von der niederschlagenden Überzeugung, dass zahlreiche Vorgänge des Lebens immer noch unverstanden für uns geblieben sind, so möchten wir uns doch berechtigt glauben, in diesem Falle aus dem Nichtgeschehen auf die Unmöglichkeit solchen Geschehens zu schliessen, d. h. daraus, dass thatsächlich eine Regeneration des Vogelflügels nicht vorkommt, zu schliessen, dass sie der Complicirtheit des dazu erforderlichen Mechanismus halber nicht möglich sei.

Dennoch darf ein förmlicher Beweis, dass dem so ist in der Thatsache, dass Regeneration hier nicht vorkommt, nicht gesehen werden. Dies wäre schon deshalb unstatthaft, weil der erste der drei Faktoren, welche nach unserer Annahme den Regenerations-Mechanismus hervorrufen, hier nicht vorhanden166 ist; ich meine die Verlust-Wahrscheinlichkeit. Selten wird einem Vogel der Flügel verstümmelt, ohne dass er nicht zugleich das Leben einbüsst, wenigstens im Naturleben. Schon aus diesem Grunde also würden Selectionsprocesse, die auf einen Regene - rations-Mechanismus gerichtet wären, hier nicht eingeleitet werden können. Ich habe auch den ganzen Fall nicht deshalb hier vorgebracht, um gerade für ihn einen solchen Beweis zu führen, sondern deshalb, weil er mir besonders geeignet erschien, anschaulich zu machen, wie ausserordentlich die Complicirtheit des Regenerations-Mechanismus wachsen muss mit der grösseren Complicirtheit des Theiles. Diese Einsicht aber führt nun wieder zurück zu der oben schon aufgeworfenen Frage von der all - gemeinen Regenerationskraft der niederen gegenüber den höheren Thiergruppen.

Ich glaube, dass in gewissem Sinne eine solche zugegeben werden darf, in dem Sinne nämlich, dass vermöge der einer niederen Thiergruppe zukommenden geringeren Complication des Baues aller ihrer Theile irgend ein bestimmter Theil auch leichter regenerationsfähig gemacht werden kann, als bei höheren Thiergruppen. Dabei ist aber immer vorausgesetzt, dass die beiden anderen Faktoren, die Verlust-Wahrscheinlichkeit und die biologische Wichtigkeit des Organs in dem erforder - lichen Grade vorhanden sind, so dass diese höhere Reproduktions - kraft niederer Thiertypen im Grunde nichts ist, als ein anderer Ausdruck für den oben festgestellten dritten Faktor: die Com - plicirtheit des zu regenerirenden Organs.

Es fragt sich aber, ob wirklich das Regenerationsvermögen jeglichen Theiles das Resultat besonderer Anpassungsvorgänge ist, ob nicht doch Regeneration als blosser gewissermassen nicht vorgesehener Ausfluss der physischen Beschaffenheit eines Thieres vorkommt. Es liegen Angaben vor, die kaum eine andere Deutung zuzulassen scheinen. So regenerirt sich nach Spallan -167 zani der ausgeschnittene Kiefer von Triton sammt Knochen und Zähnen und nach Bonnet sogar das exstirpirte Auge des - selben Thieres. Ich habe nun zwar nie gehört, dass die Tritonen im Naturzustande häufig den Unterkiefer einbüssten, etwa im Kampfe miteinander, aber Tritonen, die ich dicht beisammen für kurze Zeit in ein enges Gefäss gesetzt hatte, griffen sich heftig an, und mehr wie einmal packte dabei einer den andern am Unterkiefer und zerrte und biss daran so heftig, dass der - selbe abgerissen wäre, wenn ich die Thiere nicht gewaltsam getrennt hätte. So mag denn wohl auch im Naturzustand das Ausreissen eines Kiefers und selbst eines Theiles des Auges nicht allzu selten vorkommen, und es schiene somit gestattet, eine Anpassung der betreffenden Theile an die Regeneration anzunehmen. Kennel berichtet aber von einem Storch, dem der Oberschnabel zufällig in der Mitte abgebrochen und darauf der Unterschnabel an der gleichen Stelle abgesägt worden war, und der beide wieder vollständig regenerirte. Solche Fälle, an deren Genauigkeit kaum zu zweifeln ist, deuten darauf hin, dass die Regenerationsfähigkeit doch nicht allein auf specieller An - passung eines bestimmten Organs beruht, sondern dass es auch eine allgemeine Regenerationskraft des ganzen Organismus giebt, die sich bis zu einem gewissen Grade auf viele, vielleicht auf alle Theile bezieht, und kraft deren einfachere Organe, auch wenn sie nicht speciell der Regeneration angepasst sind, doch wieder ersetzt werden können.

Theoretisch und im Princip würde ein solches Verhalten von unserem Standpunkt aus nicht unverständlich sein; man brauchte nur anzunehmen, dass bei allen oder doch bei vielen Kerntheilungen der Embryogenese einige der früheren Deter - minanten dem Idioplasma der später auftretenden Zellen als Neben-Idioplasma beigesellt blieben. Es fragt sich nur, woher diese Einrichtung als eine mehr oder minder allgemeine, den168 ganzen Körper betreffende stammt, wie sie zu Stande kommen konnte, da doch nur das Nützliche zu Stande kommt, zumal wenn es sich um einen so complicirten Mechanismus handelt, wie es die Ausrüstung des Idioplasma’s mit Ersatz-Determinanten sein muss. Wir werden so zu der Vermuthung geführt, es möchte die allgemeine Regenerationsfähigkeit sämmt - licher Theile eine durch Selection herbeigeführte Er - rungenschaft niederer und einfacherer Thierformen sein, die im Laufe der Phylogenese und der steigenden Complicirtheit des Baues zwar allmälig mehr und mehr von ihrer ursprünglichen Höhe herabsank, die aber auf jeder Stufe ihrer Rückbildung in Bezug auf be - stimmte, biologisch wichtige und zugleich häufigem Verlust ausgesetzte Theile durch speciell auf diese Theile gerichtete Selectionsprocesse wieder gesteigert werden konnte.

3. Fakultative oder polygene Regeneration.

Der abgeschnittene Schwanz einer Eidechse, das Bein eines Triton wächst wieder, nicht aber ergänzt sich das abgeschnittene Stück wieder zum ganzen Thier. Anders bei manchen Ringel - wärmern, z. B. Nais und Lumbriculus; wenn man ihnen den Schwanz abschneidet, so wächst nicht nur ein neuer Schwanz von der Schnittfläche hervor, sondern der abgeschnittene Schwanz bildet auch wieder ein neues Vorderende mit neuem Kopf, so dass also dann zwei Thiere aus einem entstehen.

Offenbar lässt sich diese Thatsache aus der bisher ge - machten Annahme von Ersatz-Determinanten noch nicht ohne Weiteres ableiten, denn danach befänden sich in den Zellen nur einerlei Art von Ersatz-Determinanten, solche nämlich, wie sie zum Aufbau des dem Ganzen verloren gegangenen Theils erforderlich sind; hier aber erzeugen dieselben Zellen, je nach -169 dem sie der vorderen oder der hinteren Schnittfläche angehören, ganz verschiedene Theile, im ersten Falle einen Schwanz, im zweiten einen Kopf. Dass es dieselben Zellen sind, von welchen die eine oder die andere regenerative Leistung ausgeht, ergiebt sich daraus, dass es ganz gleich ist, an welcher Stelle man den Wurm durchschneidet, beide Hälften ergänzen sich immer wieder, es sind also nicht etwa die Zellen bestimmter Quer - schnitte mit Ersatz-Determinanten für die Kopfbildung, die anderer Querschnitte mit solchen für die Schwanzbildung aus - gerüstet, sondern eine jede Zelle kann in dieser, oder in jener Weise reagiren, je nachdem sie in die vordere, oder in die hintere Schnittfläche zu liegen kommt. Wenn wir also an der hier zu Grunde gelegten Anschauung festhalten wollen, nach welcher die zur Regeneration verwendeten Zellen nicht von einer ausser - halb ihrer selbst gelegenen Oberleitung geordnet und bestimmt werden, sondern von den in ihnen selbst gelegenen Kräften, so bleibt, wie mir scheint, zur Erklärung dieser doppelten Reactionsweise der Zellen Nichts übrig, als die Annahme, dass jede derselben zwei verschiedene Ersatz-Determinanten enthält, eine für den Aufbau des Kopfes und eine für den des Schwanzes, und dass die eine oder die andere in Thätigkeit geräth, je nachdem die betreffende Zelle von ihrer vorderen oder von ihrer hinteren Fläche her dem Reiz der Blosslegung ausgesetzt wird.

Ehe ich versuche, diese Annahme näher zu begründen, muss ich noch diejenigen Fälle berühren, in denen die re - generative Thätigkeit der einzelnen Zelle nicht nur eine zwei - fache, sondern sogar eine dreifache sein kann.

Mir scheint, dass die Regenerationsvorgänge, wie sie vom Süsswasser-Polypen, der Hydra, und den Seeanemonen, Acti - nien, bekannt sind, hierher gehören. Wenn man einen Wurm in der Medianebene halbirt, so ergänzt sich keine der beiden Hälften, und ebensowenig geschieht dies, wenn man sie in irgend170 einer andern Längsebene halbirt; beide Hälften sterben viel - mehr. Anders bei Hydra; theilt man sie in einer Längsebene, so ergänzen sich beide Hälften wieder zum ganzen Individuum, und es ist dabei gleichgültig, welche Ebene vom Schnitt ge - troffen wird. Da nun Quertheilung des Thieres an beliebiger Stelle ebenfalls eine Ergänzung jeder Hälfte zum Ganzen zur Folge hat, so muss also von jeder Stelle des Körpers eine Re - generation in dreifacher Richtung ausgehen können, nämlich nach den drei Richtungen des Raumes, und da der Körper in diesen drei Richtungen verschieden gebaut ist, so wird man zu der Annahme gedrängt, dass in jeder Zelle drei verschiedene Arten von Determinanten-Gruppen enthalten sind, nämlich solche für das Vorderende, solche für das Hinderende und solche für den Mauerschluss des Körpers, wenn ich diesen Ausdruck für den Ausbau der Körperwandung in der Richtung der Quer - achsen gebrauchen darf. Ein und dieselbe Zelle1)Auf den histologischen Theil der Regeneration von Hydra gehe ich nicht ein, weil mir die Thatsachen hier noch allzu unsicher und lückenhaft zu sein scheinen. müsste also in dreierlei Richtung hin sich theilen und dreierlei Abschnitte des Körpers liefern können, und zwar müsste auch hier nicht die Qualität, sondern die Richtung, von welcher her der Wund - reiz wirkt, die Entscheidung darüber geben, welche Theilungs - art faktisch ausgeführt wird, d. h. welche Determinanten in in Activität treten und die Herrschaft über die Zelle über - nehmen.

Mit dieser Annahme, scheint mir, lassen sich die Regene - rations-Vorgänge bei Hydra einigermassen verstehen. Wird z. B. die Gruppe der Ersatz-Determinanten des Hinderendes activ, so entstehen seitlich zu Ringen geschlossene lineare Zellen - reihen in der Richtung von vorn nach hinten mit der Tendenz, sich zum Fussgewölbe so bald als möglich zusammenzuschliessen171 und mit der ferneren Tendenz, im Mittelpunkt dieses Gewölbes eine kleine Lücke zu lassen, sowie die Ektoderm-Zellen der Fussfläche zu Schleim absondernden auszugestalten. Dagegen fehlen in dieser Gruppe die Determinanten zur Tentakelbildung. Wird umgekehrt die Gruppe der Ersatz-Determinanten des Vorderendes activ, so erfolgt die Bildung von Zellenreihen mit der Tendenz, sich zur Mundscheibe zusammen zu wölben und eine grosse Lücke, den Mund darin zu lassen. Gewisse Stellen im Umkreise des Mundes wachsen dann zu Tentakeln aus, wo - bei freilich nicht sicher zu sagen ist, warum gerade an dieser und nicht an jener Stelle die Tentakel-Determinanten activ werden. Es wird aber nachher gezeigt werden, dass die Zellen der Hydra und vermuthlich aller thierischen Gewebe polarisirt sind in einem gewissen Sinne, d. h. dass sie sich nach vorn und hinten und auch in der Richtung der Querachse verschieden verhalten. Damit und mit den eigenthümlichen Druckverhält - nissen innerhalb des Zellengewölbes der Mundscheibe darf es wohl in Zusammenhang gebracht werden, dass die in Zellen aller Körpergegenden anzunehmenden Tentakel-Determinanten nur an bestimmten Stellen im Umkreis des Mundes activ werden.

Das sind freilich nur Andeutungen, fast nur blosse Ahnungen einer Erklärung, allein ich sehe nicht, wie wir heute schon etwas Besseres geben wollten. Immerhin scheint mir dieser Erklärungs - versuch etwas tiefer zu dringen, als die Annahme Herbert Spencer’s, der die Regeneration im Allgemeinen der Krystalli - sation vergleicht, und jedem kleinsten Lebenstheilchen die Fähigkeit zuschreibt, sich unter dem Einfluss des Ganzen jedes - mal so anzuordnen, wie es nöthig ist, damit der gerade fehlende Theil wieder neu gebildet werde. Wenn man nur den Süss - wasser-Polypen ins Auge fasst, dann scheint freilich die eine Erklärung so gut, wie die andere, sobald man aber andere172 Thiergruppen zum Vergleich herbeizieht, erkennt man, dass den Theilchen keineswegs immer diese Fähigkeit innewohnt, dass selbst die Zelle bald verschiedene Theile des Ganzen, bald nur einen bestimmten Theil, bald nur ihres Gleichen regenerativ hervorbringen kann, dass somit etwas Besonderes in ihr enthalten sein muss, welches sie zu dieser oder jener Art der Regeneration befähigt. Dieses Etwas sind die Ersatz - Determinanten.

Wenn ein Polyp oder ein Wurm quer durchgeschnitten, wenn überhaupt an irgend einem Organismus ein Substanz - verlust künstlich gesetzt wird, so ändern sich vor Allem die Druckverhältnisse, unter welchen die an den Substanzverlust angrenzenden Zellen sich bisher befanden; der Gegendruck, dem sie bisher von der Seite des weggenommenen Theils des Körpers ausgesetzt waren, hört auf. Damit wird eine Änderung in den Lebensbedingungen der so betroffenen Zellen gesetzt, welche von bestimmten morphologischen und physiologischen Folgen für dieselben sein muss. Wir können dieselben zur Zeit noch nicht im Genaueren angeben, aber da wir erfahrungsgemäss wissen, dass solche Substanzverluste mit Zellvermehrung be - antwortet werden, dürfen wir bestimmt behaupten, dass dadurch ein Reiz auf die Zelle und vor Allem auf deren Idioplasma ausgeübt werde, der sie zur Vermehrung zwingt. Dies ist auch die Ansicht derjenigen Forscher, welche am meisten und ein - gehendsten sich mit den Folgen von Substanzverlusten zu be - fassen Gelegenheit haben, die pathologischen Anatomen. Dieselben erklären die Wucherungen, welche nach Substanz - verlusten in dem benachbarten Gewebe eintreten, zwar nicht durch einen Reiz im eigentlichen Sinne, der auf die Nachbar - zellen ausgeübt wird, wohl aber durch Aufhören der Wachs - thums-Widerstände , und in unserem Sinne kann auch dies als Reiz , nämlich im Sinne von Veranlassung be - zeichnet werden.

173

Wenn nun die Zellen nach den drei Richtungen des Raumes ganz gleich beschaffen wären, so müsste es die gleiche Wirkung auf das Idioplasma haben, ob der Reiz des Substanzverlustes von vorn, von hinten oder von der Seite her auf sie einwirkt. Es könnte dann unmöglich in dem einen Falle nur die eine Determinanten-Gruppe vom Reiz getroffen und zum Activwerden bestimmt werden, in dem andern nur die zweite, in dem dritten nur die dritte. Wir haben aber allen Grund zu glauben, dass der Bau einer solchen Gewebezelle nach den drei Richtungen des Raumes nicht der gleiche ist, dass dieselben vielmehr nach den drei Richtungen verschieden differenzirt sind, folglich auch auf Reize in verschiedener Weise reagiren, je nach der Richtung, in welcher dieselben auf sie einwirken. Vöchting1)H. Vöchting, Über Transplantation am Pflanzenkörper , Tübingen 1889, p. 400. hat an höheren Pflanzen den Beweis erbracht, dass zum min - desten bei diesen jede lebendige Zelle von Wurzel und Stengel ein verschiedenes Oben und Unten, ein verschiedenes Vorn und Hinten und damit eine rechte und linke Hälfte besitzt . Die Transplantation von Wurzelstücken der Pappel auf den Stengel, oder von Stengelstücken auf die Wurzel zeigten ihm, dass diese Stücke nur dann anwuchsen und gediehen, wenn sie in bestimmter Orientirung eingesetzt worden waren; in der um - gekehrten Orientirung eingesetzt, wuchsen sie zwar zuweilen auch an, zeigten aber dann bald Entartungs-Erscheinungen. Er schliesst daraus auf eine Polarisirung der Zellen, den Aus - druck zunächst nur im Sinne einer allgemeinen Analogie ge - nommen. Die Wurzel und der Stengel verhalten sich in ge - wissem Sinne wie ein cylindrischer Magnet, der aus einzelnen, nicht nur in longitudinaler, sondern auch in radialer Richtung gleichsinnig magnetisirten Ausschnitten zusammengesetzt ist. Einen solchen Magneten kann man in Theilstücke zerlegen,174 wie Spross und Wurzel. Fügt man die Theilmagnete mit glatter Querschnittsfläche mit den ungleichnamigen Polen mög - lichst innig wieder zusammen, so erhält man wieder den ganzen Magneten ohne Folgepunkte. Zerlegt man eine Pappelwurzel in zwei Hälften, so erzeugt jede an den entsprechenden Polen Knospen und Wurzeln; verbindet man dagegen die Stücke nach der Durchschneidung an den ungleichnamigen Enden in geeig - neter Weise wieder, so erhält man durch Verwachsung wieder das ursprüngliche Stück mit seinen zwei Polen.

Ich habe diese bedeutenden Ergebnisse, zu welchen Vöch - ting durch seine Transplantationsversuche gelangt ist, hierher gesetzt, weil sie sich direkt auch auf die eben besprochenen Regenerationserscheinungen der Thiere anwenden lassen. Eine Hydra verhält sich ähnlich der Pappelwurzel. Schneidet man sie in der Mitte quer durch, so treibt das Vorderstück an der Hinterfläche einen neuen Fuss, das Hinterstück aber an seiner Vorderfläche einen neuen Mund ! Wir könnten also hier statt von Wurzel - und Sprosspolen von Fuss - und Mundpolen reden. In der That, schneidet man ein ringförmiges Stück aus der Mitte der Hydra heraus, so erzeugt die Vorderfläche, der Mundpol, einen neuen Mund, die Hinterfläche, der Fusspol, einen neuen Fuss. Einem geschickten Experimentator würde es vielleicht auch nicht unmöglich sein, den herausgeschnittenen Ring, bevor er sich zum Thier ergänzt hat, etwa mittelst durch - gesteckter Borsten mit den beiden Endstücken wieder zu ver - einigen und dann dieselben zur Verwachsung zu bringen, wie bei der Pappelwurzel.

Es wäre nun offenbar ein Trugschluss, wollte man aus der Polarisirung der Pappelwurzel allein schon die Thatsache ab - leiten, dass der eine Pol derselben Sprosse, der andere Wurzeln treiben müsse; beinahe ebenso gut könnte man dies aus der Polarisirung eines wirklichen Magneten ableiten. Es muss noch175 Etwas hinzukommen, damit dies geschehen könne, es muss die Anlage zur Sprossbildung und zur Wurzelbildung in den Zellen der Pappelwurzel enthalten sein, die Zu - stände der Zellen aber, welche von Vöchting als Polarisirung bezeichnet wurden, stellen nur die Bedingungen her, unter welchen die eine oder die andere Anlage aktiv wird, d. h. zur Entfaltung gelangt. Wir werden also durch den Nachweis einer Polari - sation der Zellen keineswegs der Verpflichtung enthoben, eine theoretische Annahme zu machen, welche erklärt, wieso die Anlage zu verschiedenartigen Bildungen in ein und dieselbe Zelle kommt. Bei der Pappelwurzel muss nach meiner Ansicht die Annahme gemacht werden, dass zweierlei verschiedene Idio - plasmen den Zellen beigegeben sind, welche so lange inaktiv bleiben, bis der adäquate Reiz eintritt und entweder das Spross - idioplasma oder das Wurzelidioplasma zur Aktivität veranlasst. In beiden Fällen muss wohl der Substanzverlust als dieser Reiz betrachtet werden, und die Richtung, von welcher her er ein - wirkt, als entscheidend für die Qualität der Reaction.

Wäre an und für sich schon das Idioplasma der Gewebe - zellen im Stande, durch Einwirkung dieses Reizes mit Re - generation des fehlenden Körperstückes zu antworten, so müssten die mit so hoher Regenerationskraft begabten Würmer, wie Nais und Lumbriculus sich nicht nur nach vorn und hinten, sondern auch nach der Seite hin regeneriren können; dazu sind sie aber, wie schon Bonnet nachwies, nicht im Stande; der Länge nach durchschnittene Würmer erzeugen nicht die fehlende rechte oder linke Hälfte, es muss also ihren Zellen das fehlen, was sie zu dieser Art der Regeneration befähigt: die anti - meralen Ersatz-Determinanten.

Dass diese bei den Würmern fehlen, kann von unserm Standpunkte aus nicht überraschen; denn ein Wurm wird im Naturzustand niemals der Länge nach zerrissen, die Natur brauchte also diesen Fall nicht vorzusehen.

176

Berücksichtigt man, dass die Gruppen von Ersatz-Determi - nanten um so verwickelter sein müssen, je complicirter der Organismus ist, und der Theil, der durch sie ins Leben gerufen werden soll, so begreift man, dass die facultative Regeneration nur bei relativ einfachen Organismen gefunden wird, dass sie nach drei Dimensionen hin nur bei Polypen und Plattwürmern vorzukommen scheint, bei Anneliden und Seesternen aber nur nach zwei Dimensionen eintritt, um dann bei Arthropoden, Mollusken und Wirbelthieren überall zur eindimensionalen Re - generation herabzusinken.

Es soll dabei nicht verkannt werden, dass noch andere Momente hinzutreten, welche die Regenerationsfähigkeit ein - schränken, vor Allem die Vulnerabilität der höheren Organismen und ihre Abhängigkeit von Blutkreislauf, Bluttemperatur, des Einflusses des Nervensystems nicht zu gedenken, dessen tieferes Wesen wir noch so wenig kennen. Auch die geringe Substanz - menge des abgetrennten Theiles gegenüber der Substanzmenge des übrigen Körpers würden es verbieten, dass z. B. das ab - geschnittene Bein eines Molches sich zum ganzen Thier re - generirte. Alles dieses erklärt, warum die Einrichtung zwei - dimensionaler, d. h. facultativer Regeneration in zwei Rich - tungen bei höheren Thieren nicht getroffen werden konnte.

Wenn nun die Regeneration auf der Zutheilung von Ersatz - Determinanten an gewisse Zellen beruht, die nach Bedürfniss und Möglichkeit erfolgte, so wird die Wurzel derselben bei Metazoen immer in einer Verdoppelung der Ide irgend einer ontogenetischen Stufe liegen müssen. Da bei jeder mitotischen Kerntheilung Spaltung und Verdoppelung der Idanten vor - kommt, so fehlt also der Theorie nicht die reale Basis, wenn freilich auch von dem Wachsthum und der Verdoppelung von Iden und Determinanten im Allgemeinen bis zu der plan -177 mässigen Abgabe solcher inaktiver Determinanten an bestimmte Zellen und Zellfolgen noch ein weiter Weg ist. Indessen wird die Natur auch hier vom Einfachen zum Verwickelten fort - geschritten sein, und ganz so, wie complicirte Organismen nur im Laufe ungezählter Generationsfolgen und Artenfolgen ent - stehen konnten, wird auch der complicirte Regenerations-Apparat im Schwanz oder Bein eines Wassermolches sich nicht plötzlich und unvermittelt, sondern nur auf Grund ähnlicher Errungen - schaften ungezählter Vorfahren entwickelt haben können.

Es wäre wohl nicht unausführbar, sich ein ungefähres Bild von der Reihe von Steigerungen zu entwerfen, welche der Re - generations-Apparat von den niedersten vielzelligen Wesen an - gefangen bis zu denjenigen Thieren durchlaufen hat, welche die höchstentwickelte und complicirteste Regeneration besitzen, in - dessen verzichte ich darauf. Vielleicht wird die Zukunft Ver - schiedenheiten in der Zahl der Ide bei Zellen stark regene - rationsfähiger Theile auffinden, und wenn erst eine thatsächliche idioplasmatische Basis für die Theorie gewonnen ist, dann wird es sich lohnen, den Wegen im Einzelnen nachzuspüren, welche die Entwickelung des Regenerationsvermögens genommen hat.

4. Regeneration bei Pflanzen.

Von dem, was man bei niedern Pflanzen, Pilzen und Moosen als Regeneration bezeichnen kann, soll später noch genauer gehandelt werden. Hier möchte ich nur hervorheben, dass bei allen höheren Pflanzen, bei allen solchen, die als Cormen oder Pflanzenstöcke zu betrachten sind, eine eigentliche Regeneration nur in sehr beschränktem Maasse vorkommt. Schneidet man aus dem Blatte eines Baumes oder irgend einer phanerogamen Pflanze ein Stück heraus, so ergänzt sich dasselbe nicht wieder. Ebensowenig wächst ein Staubbeutel aus dem Stiel wieder neu hervor, oder es bildet sich eine neue Narbe aufWeismann, Das Keimplasma. 12178dem Griffel, nachdem man die alte weggeschnitten hat. Die Zellen dieser Organe sind also nicht für Regeneration angepasst, sie enthalten keine Ersatz-Determinanten .

Manche Botaniker werden mir darauf antworten, das käme davon her, dass diese Zellen sich bereits gestreckt, also ihre volle histologische Ausbildung erlangt und damit ihre Ver - mehrungskraft eingebüsst hätten. Dem ist gewiss auch so, nur liegt darin keine Erklärung in meinem Sinn, ich muss vielmehr fragen, warum sind diese Zellen nicht mit Ersatz-Determi - nanten ausgerüstet worden? Dass dies möglich gewesen wäre, beweisen die zahlreichen Fälle, in welchen fertige, gestreckte Blatt - oder sonstige Zellen unter Umständen in Vermehrung eintreten und Knospen bilden können, aus denen ganze Pflanzen hervorwachsen (Begonie).

Die Antwort liegt darin, dass es für die Pflanze von allzu geringem Vortheil gewesen wäre, Löcher in ihren Blättern wieder ausfüllen zu können, da sie ohnehin das Vermögen be - sitzt, neue Blätter zu treiben. Sie kann an vielen Orten Knospen zur Entfaltung bringen, und gewinnt dadurch viel mehr, als durch die Vervollständigung einzelner Blätter für sie zu gewinnen gewesen wäre. Sie konnte der Regeneration entbehren, da sie die weit ausgiebigere Knospung besitzt.

In dieser Thatsache aber des Fehlens des Regenerations - vermögens bei den höheren Pflanzen, wenigstens in Bezug auf Blatttheile u. s. w., liegt ein neuer und starker Hinweis auf die Abhängigkeit der Regeneration von den äussern Umständen, auf ihre Natur als eine Anpassungserscheinung. Da, wo Defekte der Pflanze schädlich sein würden, und wo sie nicht durch Knospenbildung ersetzbar sind, da findet sich auch bei den Pflanzen echtes Regenerationsvermögen. So wird ein Substanz - verlust der Rinde eines Baumes durch Überwellung und179 Callusbildung von den Wundrändern her geschlossen und da - durch das freiliegende Holz vor Schädlichkeiten bewahrt. Ebenso bedeckt sich die Schnitt - oder Bruchfläche eines Astes, selbst vieler saftiger Stengel mit wucherndem Callusgewebe, in dem sogar neue Vegetationspunkte von Sprossen und Wurzeln ent - stehen können, so dass der Callus zum Ausgangspunkt neuer Pflanzen-Individuen wird. 1)J. Sachs: Vorlesungen über Pflanzen-Physiologie , Leipzig 1882, p. 709.Der Anstoss zur Wucherung liegt hier, wie bei der thierischen Regeneration in der Aufhebung der Wachsthums-Widerstände, allein die Zellen müssen auf diese Reaction eingerichtet sein, sonst erfolgt die Wucherung nicht, wie denn bei Weitem nicht alle Stengel, Wurzeln oder Blattrippen krautartiger Pflanzen eine Verwundung mit Callus - bildung beantworten. Es liegt also hier keine Ureigenschaft der Pflanze vor, sondern eine Anpassung, die meines Erachtens auf der Beigesellung gewisser Ersatz-Determinanten zu dem aktiven Idioplasma bestimmter Zellenarten beruht.

Callusbildung ist wohl der einzige Vorgang, der bei den Pflanzen als eigentliche Regeneration aufzufassen ist.

5. Die Regeneration an thierischen Embryonen und die Principien der Ontogenese.

Der Vererbungstheorie, wie sie bis jetzt dargelegt wurde, vor Allem der Vorstellung von der Zusammensetzung des Keim - plasma’s aus Determinanten und der Abwickelung der Ontogenese durch allmälige Auseinanderlegung der Determinanten-Masse des Keimplasma’s liegt die Anschauung zu Grunde, dass die Zellen sich selbst bestimmen, dass ihr Schicksal ihnen durch innere, in ihnen selbst gelegene Kräfte aufgezwungen wird, nicht oder doch nur in zweiter Linie durch äussere Ein - wirkungen. Wenn aus der befruchteten Eizelle, z. B. bei der12*180ersten Theilung die Urzelle des Entoderm’s und des Ektoderm’s hervorgeht, so geschieht dies aus dem Grunde, weil in die eine die Determinanten des Entoderm’s, in die andere die Deter - minanten des Ektoderm’s bei der Theilung des Keimplasma’s zu liegen kommen, nicht aber weil irgend welche äussere Ein - flüsse, z. B. die Schwerkraft, die beiden Zellen verschiedentlich beeinflussten. Ebenso wird in späterer Embryonalperiode eine gewisse Zelle nicht deshalb zur Muskel -, Nerven - oder Epithel - zelle, weil sie zufällig an einer bestimmten Stelle liegt, wo sie von gewissen andern Zellen von dieser oder jener Seite her beeinflusst würde, sondern weil sie Muskel-Determinanten oder Nerven - oder Epithel-Determinanten bestimmter Art enthält.

Diese Vorstellung von der Prädestinirung der einzelnen Zellen, denen durch ihr Idioplasma ihre und ihrer Nachkommen Schicksal aufgeprägt ist, hat ihren ersten, wenn auch noch unvollkommenen Ausdruck in der Lehre von den organbilden - den Keimbezirken gefunden, wie sie His1)Wilhelm His, Unsere Körperform und das physiologische Problem ihrer Entstehung , Leipzig 1874. im Anfang der siebziger Jahre aufstellte. His glaubte, dass in der Keim - scheibe des Hühnchens, d. h. also im Zellkörper des Eies, die Organanlagen in flacher Ausbreitung vorgebildet ent - halten seien, dass also jedes Organ durch eine bestimmte Parthie des Eikörpers repräsentirt sei. Erst ein Jahrzehnt später wie in der historischen Einleitung gezeigt wurde gelangte die Untersuchung so weit, dass man einsah, die An - lagen des Embryo müssten in die Kernsubstanz verlegt werden. Damit war die specielle Form der Lehre von His allerdings widerlegt, nicht aber das zu Grunde liegende Princip in seinem allgemeinen Sinne. Denn dieses besagte, dass das differenzirende Princip der Ontogenese in den Zellen selbst seinen Sitz habe, nicht in äusseren Einwirkungen. Wilhelm181 Roux1)Wilhelm Roux, Beiträge zur Entwickelungsmechanik des Embryo , München 1885. war es, der zuerst durch den Versuch nachwies, dass die Differenzirung des Eies zum Embryo jedenfalls nicht von ausserhalb des Eies gelegenen Einwirkungen hervorgerufen wird, sondern von innen heraus erfolgt. Pflüger2)Pflüger, Über den Einfluss der Schwerkraft auf die Theilung der Zellen und auf die Entwickelung des Embryo . Arch. f. Physiol., Bd. XXXII, p. 68, 1883. hatte ge - zeigt, dass beim Froschei immer der nach oben gerichtete Theil des Eies sich zum animalen Pol des Embryo gestalte, mochte man das Ei in dieser oder jener Zwangslage festhalten, und er glaubte dies auf eine richtende Wirkung der Schwerkraft beziehen zu müssen; Roux aber wies nach, dass Froscheier, welche in einer Verticalebene langsam rotirten, sich ebenso gut entwickelten als solche, auf welche die Schwerkraft ein - wirkte, und Born3)Born, Biologische Untersuchungen , I, Arch. f. mikr. Anat., Bd. 24. fügte hinzu, dass bei Entwickelung eines Eies in Zwangslage zwar der Zellkörper sich zunächst nicht mit verschiebe, dass aber der Kern eine Verlagerung erleide, indem er sehr bald den höchsten Punkt im Ei aufsuche, von dem dann die Entwickelung ausgehe. Damit war unzweifelhaft nachgewiesen, dass die gestaltenden Kräfte im Ei selbst ihren Sitz haben, aber es war noch nicht darüber entschieden, ob die Differenzirung desselben wesentlich nur in den einzelnen Zellen zu suchen ist, ob also Selbstdifferenzirung jeder ein - zelnen Zelle bestehe, die ihre Entwickelungsbahn nöthigenfalls auch ohne die übrigen Embryonalzellen durchlaufen würde, oder ob die Aufeinanderwirkung der verschiedenen Zellen des Embryo sie gegenseitig differenzire, ob gewissermassen ein be - stimmender Einfluss des Ganzen auf die Theile ausgeübt werde und den Zellen ihr Geschick vorschreibe.

182

Der experimentelle Beweis für die Selbstdifferenzirung oder Prädisponirung der einzelnen Zellen wurde dann, wie ich glaube, durch Wilhelm Roux1)W. Roux, Beiträge zur Entwickelungsmechanik des Embryo . V, Virch. Arch. Bd. 114. Berlin 1888. geliefert. Dieser ebenso scharf - sinnige Denker als geniale Experimentator zerstörte durch Ein - senken einer heissen Nadel eine Furchungshälfte des in Ent - wickelung begriffenen Froscheies und beobachtete dann, dass solche Eier sich zu Halb-Embryonen entwickelten. Es fehlte die entsprechende Parthie des Embryo; war die eine der beiden ersten Furchungszellen zerstört worden, so entstand ein Halb - Embryo, und zwar entweder ein Hemiembryo lateralis oder ein anterior , je nachdem die erste Furchung die Vererbungs - substanz für die rechte und linke Körperhälfte, oder die für die vordere und hintere Hälfte geschieden hatte. Bekanntlich variirt die Furchung beim Froschei in dieser Hinsicht. Wurde eine der vier ersten Furchungszellen zerstört, so entstand ein Drei - viertel-Embryo.

Diese Versuche mussten als beweisend für die Selbstdifferen - zirung der Zellen gelten. Es sind nun in neuester Zeit Er - fahrungen bekannt geworden, welche dem zu widersprechen scheinen, und obgleich dieselben noch unfertig sind und nur als Anfang eingehenderer Untersuchungen betrachtet werden können, so möchte ich sie hier doch nicht mit Stillschweigen übergehen, und dies um so weniger, als ich überzeugt bin, dass sie keine Widerlegung der Selbstbestimmung der Zellen ent - halten, wie Manche zu glauben geneigt sein könnten.

Es sind hier zuerst die Versuche von Chabry2)L. Chabry, Embryologie normale et tératologique des Ascidies . Paris 1877. an den Eiern von Seescheiden (Ascidien) zu erwähnen. Dieser Unter - sucher zerstörte mittelst eines besonderen Apparates eine der183 beiden ersten Furchungszellen und beobachtete danach, dass die andere sich weiter entwickelte, und zwar nicht zu einem halben Embryo, wie beim Frosch, sondern zu einem ganzen von halber Grösse. Allerdings war ein solcher Embryo nicht ganz vollständig, doch fehlten ihm nur Organe von geringerer Bedeutung. Chabry selbst hat aus diesen Beobachtungen keine theoretischen Folgerungen gezogen, wohl aber sein Nachfolger auf diesem Gebiet, H. Driesch1)H. Driesch, Entwickelungsmechanische Studien . Leipzig 1891. Zeitschr. f. wiss. Zoologie Bd. 53., der an Seeigeleiern ähnliche Resultate erhielt. Durch anhaltendes Schütteln konnte dieser Experimentator die zwei ersten Furchungszellen mechanisch von einander trennen und sah dann, dass jede derselben zunächst sich weiter theilte, als ob das Ei noch ganz wäre, dass später aber die aus der Furchung hervorgehende halbe Blastula sich zu einer ganzen vervollständigte. An einigen solchen Halb - Blastulen ging die Entwickelung noch weiter, es entstand die Gastrula-Einstülpung, der Urdarm bildete sich aus, und es kam bis zur Anlage einer zwar kleinen, aber sonst normalen Pluteus - Larve.

Es ist also durch diese Versuche dargethan, dass unter Umständen jede der beiden ersten Furchungszellen des Echinus microtuberculatus eine normal gebildete, der Form nach ganze Larve aus sich hervorgehen lassen kann, eine Theilbildung, keine Halbbildung ; in diesen Worten fasst der Verfasser seine Resultate zusammen und zieht daraus den Schluss, dass diese der Lehre von den organbildenden Keimbezirken in funda - mentaler Weise widerspreche . Er schliesst sich dem Ausspruch von Hallez2)Hallez, Recherches sur l’embryologie des Nématodes . Paris 1885. an, der sagte: il n’est pas dès lors permis de croire que chaque sphère de segmentation doit occuper une dlace et jouer un rôle, qui lui sont assignés à l’avance .

184

Obgleich weit entfernt zu behaupten, wir seien im Stande, im Augenblick schon eine völlig sichere oder gar ins Einzelne gehende Erklärung der gewiss höchst interessanten und wichtigen Versuchsresultate von Chabry und Driesch zu geben, glaube ich doch, dass sie uns keineswegs zwingen, die Vorstellung von der Prädestinirung der einzelnen Furchungszellen und der Zellen überhaupt aufzugeben. Es giebt eben noch andere Wege, um zu principiellen Anschauungen zu gelangen, als den Versuch, und nicht immer ist der Versuch die sicherste Entscheidung, wenn er auch zuerst völlig beweisend erscheint. Zweifelt doch Driesch selbst die Beweiskraft des oben erwähnten Versuches von Roux an ich glaube mit Unrecht , indem er die Frage stellt, ob nicht etwa die Furchungskugeln des Frosches sich ebenso verhalten würden, wie die der Seeigel, wenn sie wirklich isolirt werden könnten, statt eng mit der abgestor - benen anderen Hälfte des Eies verbunden zu sein. Selbst dieses, so unzweifelhaft scheinende Resultat des Versuches kann also angezweifelt werden.

Mir scheint, dass uns vorsichtige Schlüsse aus den all - gemeinen Vererbungsthatsachen hier sicherer leiten, als die Er - gebnisse solcher nie ganz reinen und unzweifelhaften Versuche, so höchst werthvoll dieselben auch sind, und so sehr sie mit in die Waagschale zu legen sind. Wenn man sich dessen er - innert, was in dem Abschnitt über die Architektur des Keim - plasma’s zur Begründung der Determinantenlehre gesagt wurde, so wird man wohl mit mir die Überzeugung gewinnen, dass die Ontogenese nur durch Evolution, nicht durch Epigenese erklärt werden kann. Es wäre unmöglich, dass irgend eine kleine Stelle der Haut des Menschen sich vom Keim aus, d. h. erblich und für sich allein verändern könnte, wenn nicht in der Keimsubstanz ein wenn auch noch so kleines Lebenselement vorhanden wäre, welches gerade dieser Hautstelle entspräche185 und dessen Variation die der betreffenden Hautstelle nach sich zöge. Verhielte es sich nicht so, so könnte es keine Mutter - mäler geben. Wenn aber Determinanten im Keimplasma enthalten sind, so können sie nur dann beim Aufbau des Körpers bestimmend eingreifen, wenn sie durch die Zellfolgen der Embryo - genese genau an jene Stelle und in jene Zellen gelangen, welche sie bestimmen sollen oder mit anderen Worten, wenn es nicht von irgend welchen anderen Momenten abhängt, was aus einer Zelle werden soll, sondern in erster Linie von ihr selbst.

Wenn nun also die Ontogenese nach Roux treffendem Ausdruck nicht Neubildung von Mannigfaltigkeit oder Epi - genese, sondern nur Entwickelung von Mannigfaltigkeit, d. h. Evolution ist, oder wie man auch sagen könnte: Sichtbar - werden einer vorher für uns unsichtbaren Mannig - faltigkeit, so ist damit allerdings nur das Princip der Selbst - bestimmung jeder Zelle und die Leitung der Ontogenese durch die Selbstbestimmung des Eies als Ganzem festgestellt; die Selbstbestimmung jeder Zelle folgt daraus noch nicht ohne Weiteres. Es ist nur die einfachste Annahme, durch successive Kerntheilungen, die wir beobachten können, das Anlagenmaterial des Keimplasma’s sich so vertheilt zu denken, wie es der Aus - einanderlegung der Anlagen in die Körperbezirke entspricht, und in jeder Zelle diejenigen Anlagen als vorhanden anzunehmen, welche den aus ihr hervorgehenden Theilen entsprechen.

Die umgekehrte Annahme wäre aber wie eben gezeigt wurde auch möglich, die Annahme, dass zwar in jeder Zelle das gesammte Anlagenplasma vorhanden wäre, aber immer nur diejenige Anlage zur Wirkung auf die Zelle gelangte, welche der Rolle entspräche, die diese spielen soll. Dieses Wirksam - werden der Anlage hinge dann nicht von dem Idioplasma der Zelle, sondern von Einflüssen ab, welche von dem Gesammt - complex der übrigen Zellen des Organismus ausgingen. Man186 müsste sich vorstellen, dass jeder Ort des Körpers von sämmt - lichen übrigen Orten bestimmt würde, und käme dann im Wesentlichen auf die Vorstellung Spencer’s von dem Orga - nismus als complicirtem Krystall zurück. Eine solche Er - klärung ist aber nichts Anderes, als ein Verzicht auf Erklärung, da wir uns einen solchen bestimmenden Einfluss des Ganzen auf die tausend - und millionenfach verschiedenen Theile in keiner Weise vorstellen oder auf irgend welche Analogien beziehen können. Zahlreiche Beobachtungen von Vererbungserschei - nungen blieben völlig unverständlich. Wie wollte man es er - klären, dass beim Menschen ein gewisses Muttermal sich nur auf die linke Körperhälfte vererbt, und nicht auch einmal auf die rechte? Das Keimplasma wäre in den betreffenden Zellen der rechten Seite ebenso gut vollständig vorhanden, als in denen der entsprechenden Stelle der linken; die beiden Körperhälften sind sonst gleich; wie sollte nun das Ganze auf die Stelle der linken Seite einen andern Einfluss ausüben, als auf die der rechten?

Ich glaube also, dass wir das Princip der Selbstbestim - mung der Zellen nicht aufgeben dürfen trotz des scheinbaren Widerspruches der von Chabry und Driesch gefundenen Thatsachen. Ich glaube ferner, dass sich diese Thatsachen principiell wenigstens ganz wohl erklären lassen. Sie sind als Regeneration aufzufassen, und zwar nicht als eine für die ersten Furchungsstadien vorgesehene Regeneration, sondern als eine für spätere Zeit der Ontogenese berechnete Einrichtung.

Es ist kaum zu erwarten, dass die ersten Furchungsstadien auf Regeneration gewissermassen absichtlich eingerichtet seien. Sowohl bei den Ascidien, als bei Seeigeln ist die Zahl der Eier eine so grosse, dass wohl wenig darauf ankommt, ob ein Ei, welches von irgend einem kleinen Feinde in seiner187 einen Furchungshälfte angefressen wird, zu Grunde geht, oder sich regeneriren kann. Es sind zwar wohl Fälle denkbar, in denen Eier in dieser Weise Schutz vor sehr häufigen Feinden suchen könnten, aber ich verzichte darauf, diese Erklärung zu benutzen.

Dann bleibt zunächst die folgende Auffassung übrig. Die erste Theilung bewirkt die Trennung der Determinanten-Gruppe für die linke und die rechte Körperhälfte; jede von diesen ist zwar kein volles Keimplasma, insofern sie nicht jede Determi - nante doppelt enthält, aber es ist sehr wahrscheinlich, dass diese Ide das Vermögen besitzen, sich unter Umständen in der Weise zu theilen, dass sie sich dabei verdoppeln. Ein solches Keimplasma würde dann zwar ein Muttermal oder irgend eine Asymmetrie der andern Körperhälfte nicht enthalten können, würde aber ein vollständiges Thier liefern. Der Anstoss zur Verdoppelung der Ide des ersten Furchungsstadiums mag in der Tödtung oder mechanischen Entfernung der andern Furchungs - zelle liegen.

Für diese Auffassung der Regeneration einer isolirten ersten Furchungszelle liesse sich anführen: die Fähigkeit des noch un - getheilten Keimplasma’s, sich in gewissen Fällen zu verdoppeln. Dass die Ide im Allgemeinen das Vermögen besitzen, zu wachsen und sich durch Theilung zu verdoppeln, sehen wir direkt an der Längsspaltung der Kernstäbchen und ihrer Mikrosomen bei jeder erbgleichen Zell - und Kerntheilung. Für die Ide des Keimplasma’s wird eine solche Verdoppelung anzunehmen sein bei der Entstehung identischer Zwillinge, d. h. solcher Zwillinge, bei welchen wir die Theilung des Kernes nach der Befruchtung annehmen müssen, weil bei Theilung vor der Be - fruchtung Identität der Embryonen nicht entstehen könnte, da in diesem Falle zwei Spermatozoen zur Befruchtung erforderlich wären. Auch bei facultativer Parthenogenese des Eies findet188 wahrscheinlich eine Verdoppelung der vorher durch die Re - ductionstheilungen halbirten Zahl der Ide und Idanten statt.

Aber die Regeneration der ersten Blastomeren zum ganzen Embryo ist noch einer andern Auslegung fähig. Ascidien ver - mehren sich nicht blos auf geschlechtlichem Weg, sondern auch intensiv durch Knospung; Seeigel thun dies zwar nicht, aber sie besitzen ein ungemein hohes Regenerationsvermögen. In diesem Capitel wurde das Letztere durch die Annahme erklärt, dass bestimmten Idstufen der Ontogenese ein Neben-Idioplasma beigegeben sei, zusammengesetzt aus den für die Regeneration nöthigen Determinanten. In einem folgenden Capitel werde ich zu zeigen haben, dass wir für die Knospung dieselbe An - nahme machen müssen. Diese Annahmen sind unerlässlich, so - bald man auf der Keimplasma - und Determinantenlehre fusst. Das zur Knospung erforderliche Neben-Idioplasma bringt das ganze Thier wieder hervor, muss also alle Determinanten des Keimplasma’s enthalten und muss schon vor der ersten Furchung im Ei enthalten sein, um dann in latentem Zustand durch alle Entwickelungsstadien hindurch gewissen Zellfolgen beigegeben zu bleiben. Wenn nun dieses Neben-Idioplasma durch irgend welche abnormale Einflüsse, z. B. die Tödtung der andern Blastomere aktiv werden könnte, so würde auch auf diesem Wege eine Regeneration des ganzen Embryo zu Stande kommen können.

Alles dies sind zwar nur Möglichkeiten, deren Aufzählung ich mir gern erspart hätte, da ich ihre Unvollkommenheit und Unsicherheit sehr wohl erkenne, ich wollte aber doch zeigen, dass die erwähnten Beobachtungen nicht jeder Erklärungs-Mög - lichkeit spotten, wenn wir auch zur Zeit eine irgend sichere Deutung noch nicht geben können, vor Allem schon deshalb nicht, weil die betreffenden Beobachtungen selbst noch viel zu unvollkommen und lückenhaft sind. Ich gehe aus diesem Grunde189 auch nicht auf eine nähere Erklärung der Embryologie dieser Fälle ein.

Auf Eines aber möchte ich doch noch hinweisen, nämlich auf das entgegengesetzte Verhalten des Froscheies und der Eier der Ascidie und des Seeigels. Aus einer Blastomere des Froscheies entsteht nur ein halber Embryo, wenn wir von der besonders zu betrachtenden Postgeneration absehen, aus einer Blastomere der beiden andern Eiarten ent - steht dagegen das ganze Thier. Mögen meine Erklärungs - Andeutungen noch so unvollkommen sein, die ihnen zu Grunde liegende Annahme muss im Allgemeinen richtig sein, d. h. es muss das Ei des Frosches in seiner ersten Blastomere ein Vermögen nicht enthalten, welches bei den andern Eiern in ihr enthalten ist. Da aber Kräfte an Substanzen gebunden sind, so wird es wahrscheinlich, dass die Blastomere der Ascidie und des Seeigels ein Plus von Substanz enthalten, welches sie zur Regeneration befähigt und welches der Frosch-Blasto - mere abgeht Neben-Idioplasma. Driesch äussert zwar, wie oben angeführt wurde, den Zweifel, ob nicht etwa die Blastomere des Frosches sich ebenso verhalten würde, wie die des Seeigels, wenn man sie wie diese von der operirten Blastomere wirklich trennen und isoliren könnte, allein dieser Zweifel ist wohl kaum berechtigt, da auch bei dem Ascidienei eine solche Isolirung der normalen Blastomere durch Chabry’s Versuch nicht bewirkt wurde, und dennoch die Entwickelung zum ganzen Thier ebenso eintrat, wie beim Seeigelei.

Wenn nun auch das halbe Froschei sich zunächst nur zu einem halben Embryo entwickelt, so kann sich doch ein solcher Halb-Embryo vervollständigen durch einen sehr eigenthümlichen Regenerations-Vorgang, welchen Wilhelm Roux an seinen Halb - und Dreiviertels-Embryonen beobachtet und Postgene - ration genannt hat.

190

Roux beobachtete, dass die ihrer Entwickelungsfähigkeit beraubte Furchungszelle des Froscheies wieder belebt werden kann. Aus der normal entwickelten Eihälfte tritt eine grössere Zahl von Zellkernen in die Dottermasse des verletzten Theiles, die sich vermehren und zu Zellen gestalten. Die postgenera - tive Bildung der Keimblätter geht in dem durch die nachträg - liche Cellulation gebildeten Zellmateriale vor sich, indem der Process der Differenzirung in dem ruhenden Zellmateriale fort - schreitet. Es kann auf diese Weise, wie Roux gesehen zu haben glaubt, zu einer vollständigen Ergänzung des Embryo kommen, der lebensfähig ist, und auch wirklich längere Zeit am Leben erhalten wurde.

Gewiss mit Recht haben diese Beobachtungen grosses Auf - sehen erregt; sie sind in jedem Falle im höchsten Grade interessant. Ob sie aber, so, wie sie uns bis jetzt vorliegen, schon vollständig genug sind, um fundamentale theoretische Schlüsse darauf zu bauen, das muss ich doch bezweifeln. Bei aller Hochachtung vor der Beobachtungs-Sicherheit und Experi - mentirkunst von Roux, kann ich doch nicht umhin, mir zu sagen, dass diejenigen Halbembryonen, welche sich später zu ganzen Thieren postgenerirten , möglicherweise solche waren, bei denen der Stich mit der heissen Nadel den Kern der Furchungszelle nicht getroffen hatte. Jedenfalls konnte der Thatbestand darüber und über die ganze spätere Kette von Vorgängen, welche zur Ergänzung führten, immer nur an an - dern Individuen beobachtet werden, als an den sich schliess - lich ergänzenden. Es ist doch immerhin ein relativ roher Ein - griff, wenn man mit der heissen Nadel in eine Furchungszelle stösst, und das, was dabei zerstört wird, kann in jedem Falle wieder etwas Anderes sein. Nicht nur könnte die Kernsubstanz als Ganzes unter Umständen unversehrt bleiben, sondern mög - licherweise auch blos einzelne Idanten derselben. Diese191 könnten sich später durch Verdoppelung zur Normalzahl der - selben ergänzen und dann die Entwickelung der Eihälfte ein - leiten. Allerdings sagt Roux, dass die Postgeneration nicht auf demselben Wege erfolge, wie die normale Entwickelung der primär gebildeten Hälfte, also nicht durch selbstständige Anlage der Keimblätter, allein die Vorgänge im Innern des Eies lassen sich nur auf Schnitten verfolgen, und die Anfertigung dieser gebietet die Tödtung des Embryo’s. Bei solchen Experi - menten ist aber kein Fall dem andern gleich, und man wird über ein sehr grosses Material gebieten müssen, um mit einiger Sicherheit sagen zu können, dass das in Schnitte zerlegte Ei in seiner innerlichen Beschaffenheit einem andern gleich ge - wesen sei, dessen Entwickelung und Postgeneration man ver - folgt hat.

Roux hat drei Arten von Wiederbelebung der operirten Eihälfte beobachtet, unter Anderem auch eine Umwachsung der getödteten Hälfte von der äusseren Zellenschicht der leben - den Hälfte aus; diese führte aber nicht zur Postgeneration, vielmehr nur die oben erwähnte Art durch Eindringen einiger Kerne von der lebenden Hälfte in die operirte, welches aber nur bei schwacher pathologischer Veränderung des Dotters erfolgte, und auch dann nicht immer. Der Gedanke liegt nahe, es möchte die Postgeneration nur da er - folgt sein, wo die Zerstörung eine geringe war und Kern - material übrig gelassen hatte, von dem nachträglich eine Zell - bildung ausgehen konnte. Damit soll nicht bezweifelt werden, dass auch lebende Kerne von der anderen Seite her in die operirte Hälfte des Eies eingedrungen seien; die Furchungs - zellen haben ja auch im normalen Entwickelungsgang noch eine ungeheure Vermehrung zu leisten, und es kann somit nicht Wunder nehmen, dass sie nach Aufhebung des Wachsthums - widerstandes durch Operation der andern Eihälfte sich auch192 auf Kosten dieser vermehren, aber dass in jenen Fällen, in welchen die andere Hälfte des Embryo sich nachträglich ergänzte, diese Ergänzung auf dem Wege einer Art von Zellen-Infection statt - gefunden habe, derart, dass das blosse Anstossen z. B. an Ekto - dermzellen die noch undifferenzirten Zellen der operirten Ei - hälfte bestimmte, sich ebenfalls zu Ektodermzellen auszugestalten, das Anstossen an Mesoblastzellen aber sie zu Mesoblastzellen bestimmte, einer solchen, alle unsere bisherigen Anschau - ungen über den Haufen werfenden Annahme könnte ich nur zu - stimmen, wenn unwiderlegliche Thatsachen sie bewiesen.

Roux selbst aber hat seine Arbeit nur als eine erste Abschlagszahlung an das grosse Thema betrachtet, und eine Fortsetzung seiner Versuche in Aussicht gestellt. Solange aber hier nicht ganz unzweideutige Thatsachen vorliegen, werden wir die in so zahlreichen Thatsachen wurzelnde, gerade auch durch den ersten Theil der Roux’schen Versuche mächtig ge - stützte Vorstellung von der Prädestinirung der Zellen durch Zuertheilung bestimmter Determinanten und Determinanten - gruppen nicht aufgeben dürfen. Ein Aufgeben aber dieser Vorstellung würde unvermeidlich sein, wenn es Thatsache wäre, dass die Zellen der Keimblätter wirklich die Fähigkeit hätten, etwa durch den Ort, an den sie zufällig gelangen, oder durch ihre zufällige Nachbarschaft in ihrem Wesen bestimmt zu werden.

Ich bin überzeugt, dass eine noch mehr ins Einzelne gehende erneute Durchforschung des von Roux eröffneten Untersuchungs - feldes uns die Thatsachen in noch anderem Licht zeigen und eine Versöhnung mit unseren übrigen Vorstellungen über die Ursachen der Ontogenese ermöglichen wird. Für den Augenblick aber halte ich es noch nicht für erspriesslich, allen den Mög - lichkeiten nachzugehen, welche bei einem Erklärungs-Versuch der Postgeneration in Betracht kommen müssten.

193

Capitel III. Vermehrung durch Theilung.

1. Einleitung.

Bis in die letzten Jahre hinein hat man die Vermehrung durch Knospung aus der durch Theilung phyletisch ab - geleitet und beide Vorgänge als nahe verwandt und durch all - mälige Übergänge miteinander verbunden angesehen. Erst F. von Wagner hat es neuerdings versucht, dieser Anschauung entgegenzutreten und zu zeigen, dass sich beide Vorgänge nicht nur begrifflich schärfer von einander sondern lassen, als bisher geschah, sondern dass sie auch genetisch zu trennen sind. Wagner1)Franz von Wagner, Zur Kenntniss der ungeschlechtlichen Fortpflanzung von Mikrostoma nebst allgemeinen Bemerkungen über Theilung und Knospung im Thierreich . Zool. Jahrbücher, Abth. für Anat. u. Ontogenie, Bd. IV. Jena 1890. versteht unter Theilung einen Vermehrungs - vorgang der durch ein gleichmässiges Wachsthum des Mutter - thieres eingeleitet wird, und durch welchen die Individualität desselben verändert, gewissermassen aufgehoben wird; unter Knospung aber einen Vermehrungsvorgang, bei welchem ein ungleichmässiges (differentielles) Wachsthum des Mutterthieres den Vorgang einleitet, und durch welchen die Individualität des Mutterthieres nicht aufgehoben und eine neue an ihre Stelle gesetzt wird.

Ich theile diese Anschauung insoweit, als ich die Über - zeugung hege, dass die Vermehrung durch Theilung und durch Knospung bei Vielzelligen genetisch nicht auseinander hervor - gegangen sind, und dass auch die Vorgänge selbst sich so wesentlich voneinander unterscheiden, dass es sich empfiehlt, sie getrennt zu behandeln.

Weismann, Das Keimplasma. 13194

Ich rechne deshalb zur Theilung mit v. Wagner alle Vorgänge ungeschlechtlicher Vermehrung bei den Würmern, und zwar sowohl bei den Plattwürmern (Turbellarier, Cestoden), als auch bei den Ringelwürmern (Syllideen, Naidinen, Tubificiden u. s. w.), dann die Strobilation der höheren Medusen. In allen diesen Fällen beruht die Vermehrung auf einer Theilung des Mutterthieres in zwei oder mehrere Stücke, wobei dann noth - wendig eine Regeneration entweder des Vorder - oder des Hinter - endes, oder auch beider eintreten muss. Diese kann entweder erst nach vollendeter Theilung beginnen (Lumbriculus) oder die - selbe einleiten, ihr also mehr oder weniger vollständig vorher - gehen. In beiden Fällen ist der eigentliche Bildungsvorgang im Wesentlichen derselbe und durchgreifende Verschiedenheiten finden sich nur in den verschiedenen systematischen Gruppen.

Fig. 4.

Myrianida, ein durch Theilung sich vermehrender Meereswurm; die Buchstaben a g zeigen die Alterssuccession der Theilstücke an (nach Milne-Edwards aus Hatschek’s Lehrbuch der Zoologie).

Besonders genau kennen wir diese die Theilung vorberei - tenden oder ihr nachfolgenden Regenerationsvorgänge bei ver - schiedenen Würmern, und an diesen soll zunächst der Vorgang in seinen Hauptzügen gekennzeichnet werden.

195

2. Die Theilung bei den Naiden.

Bei diesen kleinen Ringelwürmern des süssen Wassers hat Semper den Vorgang der Theilung sehr genau verfolgt. Ein Thier theilt sich in zwei, gewöhnlich aber in mehrere Tochter - thiere gleichzeitig, und der Akt der Theilung wird in sehr voll - ständiger Weise vorbereitet, indem an einer umschriebenen Stelle des Körpers eine ringförmige Zellenwucherung im ganzen Um - fang des Thieres entsteht, welche zur Bildung eines Schwanz - endes für das vordere Theilstück und eines Kopfes für das hintere Theilstück führt. Man hat diese wuchernden Zellen - ringe bisher Knospungszonen genannt, doch wird man sie besser als Regenerationszonen bezeichnen, da in der That von einer Knospung im eigentlichen Sinne hier nicht die Rede sein kann. Wenn zwei solche Ringe im Verlauf eines Thieres sich bilden, wie es in der Regel geschieht, so erfolgt dann nach völliger Ausbildung von Schwanz - und Kopfstücken die Trennung in drei Tochterthiere dadurch, dass das Thier sich inmitten jeden Regenerationsringes durchschnürt.

Die Regenerationszonen bilden sich bei Nais stets an der Grenze zwischen zwei Segmenten, d. h. also sie gehen von den aneinander stossenden Rändern zweier Segmente aus, und zwar derart, dass zunächst die Zellen der Epidermis in Vermehrung treten und zu einem ringförmigen Lager kleiner Zellen werden, welche besonders an der Bauchseite mehrfach geschichtet sind; sie entbehren noch eines ausgesprochenen histologischen Cha - rakters. Hand in Hand damit geht ein Wachsthum der inneren Organe in die Länge, welches schon dadurch nothwendig wird, dass die wachsende Regenerationszone sich zwischen die beiden Segmente, von denen sie ausgeht, einschiebt und sie auseinander drängt. Der Darm allein aber von den inneren Organen re - generirt sich aus sich selbst, alle übrigen Neubildungen gehen von jenem wuchernden Zellenring aus, welcher von der Haut13*196seinen Ursprung genommen hat, sowohl die Nervencentren (die Bauchganglien ), als auch die Muskeln, Blutgefässe, Leberzellen und die Excretionsorgane.

Diese die Theilung vorbereitende Neubildung von Kopf - und Schwanzstücken ist somit ein Vorgang, der sich wie schon Semper hervorhob einigermassen mit dem Aufbau des Thieres durch die Embryogenese vergleichen lässt, wenn man vom Gastrula-Stadium ausgeht, in welchem die Haupt - keimblätter: Entoderm und Ektoderm schon geschieden sind. Durch die Wucherung der Hautzellen einerseits und der Darm - zellen andererseits werden auch hier zwei Lagen von Bildungs - zellen hergestellt, von deren innerer nur die Darmwandung, von deren äusserer alles Übrige gebildet wird, nicht nur die eigentlich ektodermalen Gebilde der Haut, sondern auch die mesodermalen. Die Ähnlichkeit geht sogar so weit, dass sich hier wie dort aus der vom Ektoderm hergestellten Bildungs - zellenmasse das Mesoderm in Gestalt zweier Längsbänder ab - spaltet, aus denen sich dann die Blutgefässe, Muskeln u. s. w. differenziren.

Die theoretische Erklärung dieser Vorgänge wird von unserem Standpunkte aus dadurch gegeben sein, dass wir den - jenigen Zellen der Epidermis, von welchen die Bildungszellen entstehen, ausser dem sie zur specifischen Hauptzelle stempeln - den Idioplasma noch ein Neben-Idioplasma zuschreiben, welches die Determinanten derjenigen Organe enthält, welche sich bei der Regeneration aus ihnen bilden. Sowohl der Theilungsrhythmus einer jeden dieser Zellen, als auch die Art, wie sich die in ihnen enthaltene Gruppe von Determinanten im Laufe der succesiven Theilungen auseinander legt, ist fest be - stimmt. Darauf muss sowohl die Anzahl von Nachkommen, welche eine jede dieser Zellen hervorbringt, beruhen, als auch die relative Lagerung einer jeden derselben und schliesslich ihr197 Zusammenschluss zu Organen und zu histologisch differenzirten Zellen. Wenn der Wucherungsprocess beginnt, geben die neu - entstandenen Zellen den specifischen Charakter von Hautzellen auf, und man kann ganz wohl ihre Nachkommen dann als Zellen von embryonalem Charakter bezeichnen, wie es bisher geschah, wenn man nur damit nicht den Begriff verbindet, dass sie alle dieselben Anlagen enthalten müssen. Dass dem nicht so sein kann, lehrt die Weiterentwickelung derselben, die That - sache, dass die Zellen einer bestimmten Stelle z. B. das Rückengefäss, die einer andern den Nervenstrang, wiederum andere gewisse Muskeln u. s. w. liefern.

Figur 5.

Querschnitt durch eine Nais in der Regenerations - zone. Ekt Haut, Ent Darmrohr, N Nervenstrang, Ms mesodermale Umkleidung des Darmes, Vd dorsales Blutgefäss, Vv ventrales Blutgefäss; m Zellen mit Ersatz-Determinanten des Mesoderms, n solche mit Ersatz - Determinanten des Nervenstranges.

Man würde sich also die verschiedenen Hautzellen des Mutterthieres etwa in der Weise mit inaktivem Neben-Idio - plasma ausgerüstet zu denken haben, wie es in dem beistehen - den Schema (Fig. 5) angedeutet ist. Es würden z. B. die Zellen, welche mit n bezeichnet sind, inaktive Determinanten - gruppen für die Bildung des Nervenstranges N enthalten, die Zellen m der Epidermis würden neben ihrem eigenen Idio - plasma noch Determinantengruppen für Mesodermgebilde ent - halten und zwar etwa m1 diejenigen für die Seitenmuskeln, m2 diejenigen für das Bauchgefäss, m3 die für die Leberzellen, m4 die für die mesodermale Umkleidung des Darmrohres, m5 die Determinanten für die Segmentalorgane und die Muskel -198 gruppen in dessen Nähe, m6 die für das Rückengefäss und die Rückenmuskellagen u. s. w. Ich habe der Einfachheit halber nur eine Zellenschicht der Epidermis angenommen, in Wirk - lichkeit liegen sie an vielen Stellen zweifach übereinander, überhaupt beansprucht dieses Schema nicht entfernt, die wirk - lichen Verhältnisse genau oder vollständig wiederzugeben, oder gar die einzelnen Zellen zu bestimmen in Bezug auf die Rolle, die sie bei der Knospung im Einzelnen spielen.

Diese idioplasmatische Erklärung des Regenerations - vorganges stösst auch auf keinerlei Schwierigkeiten durch die Frage nach der Herkunft der Ersatz-Determinanten, welche wir den Bildungszellen der Epidermis zugeschrieben haben. Denn wie schon gesagt wurde hält die Embryo - genese im Grossen und Ganzen den gleichen Weg ein, wie die Regeneration, d. h. das Ur-Mesoderm entsteht aus dem Ur - Ektoderm. Die definitiven Ektodermzellen haben also Gelegen - heit bei ihrer embryonalen Entstehung aus den Ur-Ektodermzellen etwas Ur-Mesoderm-Idioplasma als Neben-Idioplasma zu über - nehmen, und dieses kann sich dann bei der Vermehrung der Ektodermzellen in mehrere Determinanten-Gruppen spalten, so dass die Epidermiszellen im Umkreis des Körpers mit ver - schiedenen mesodermalen Determinanten als Neben-Idioplasma ausgerüstet sind.

Dabei ist aber noch Eines zu berücksichtigen, nämlich der Umstand, dass das Wachsthum des Wurmes nur am Hinter - ende vor sich geht, und zwar auf ganz ähnliche Weise, wie bei der Regeneration, welche die Theilung einleitet. Hier wie dort wird ein neues Segment, ein Leibesring, eingeschoben und zwar hier zwischen Schwanzende und vorhergehendes Segment, und die Bildung dieses neuen Segmentes geht auch hier so vor sich, dass nur der Darm vom Entoderm aus entsteht, die Haut aber und die gesammten mesodermalen Gebilde vom Ekto -199 derm aus. Somit würden die von uns angenommenen Neben - Determinanten der Epidermiszellen, welche die Theilungs-Re - generation ermöglichen, nicht direkt aus der Embryogenese stammen, sondern aus der Wachsthumszone des Schwanzendes, welches sie seinerseits aber aus der Embryogenese über - nommen hat.

3. Theilung bei den Mikrostomeen.

Dass es nun nicht etwa in der Natur jeder Ektodermzelle liegt, alle möglichen Zellenarten und Organe mit Ausnahme des Darmepithels aus sich hervorgehen zu lassen, sondern dass sie dazu in besonderer Weise ausgerüstet sein müssen, beweist die Thatsache, dass das Ektoderm keineswegs bei allen Thieren, welche sich durch Theilung fortpflanzen, ja nicht einmal bei allen Würmern diese Rolle spielt.

Nach den schönen Untersuchungen von F. von Wagner1)A. a. O. p. 371. geht bei der Theilung eines Plattwurmes, des Microstoma lineare, die Neubildung des Hinter - oder Vorderendes zum ge - ringsten Theil von den Zellen der Haut aus, vielmehr zum grössten Theil von Mesodermzellen, jenen sogenannten Binde - gewebszellen , welche zwischen den Trabekeln der Gerüst - substanz zahlreich in der Perivisceralflüssigkeit suspendirt liegen . Diese fangen an sich zu vermehren, wenn das Thier sich zur Theilung vorbereitet, und bilden durch ihre Vermehrung einen ventral gelegenen Haufen sogenannter embryonaler Zellen, von welchen dann die Bildung des Pharynx, der Pharyn - gealdrüsen, der Kopfdrüsen, ja, wie es scheint, sogar gewisser Theile des Nervensystems, jedenfalls aber aller der Theile aus - geht, welche gewöhnlich als parenchymatische Bildungen oder mesodermale bezeichnet werden. Ähnlich fand es Kennel2)J. Kennel, Untersuchungen an neuen Turbellarien in Zool. Jahrbüch. Bd. 3, Abth. f. Anat. u. Ontog. d. Thiere, p. 447. bei einer Planarie.

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Hier werden wir also nicht den Zellen der Haut, sondern jenen mesodermalen Zellen die zur Regeneration erforderlichen Neben-Determinanten beigegeben denken müssen. Ob dies nun in der Weise geschieht, dass jede dieser Zellen sämmtliche Mesoderm-Determinanten enthält, und diese erst bei ihrer Ver - mehrung auseinander gelegt und auf einzelne Zellen vertheilt werden, oder so, wie es bei den Ektodermzellen von Nais an - genommen wurde, dass schon vor der Wucherung eine Ver - theilung der verschiedenen Determinanten auf verschiedene dieser Zellen stattgefunden hat, muss für jetzt dahingestellt bleiben. In der Regelmässigkeit, mit welcher alle Organe an ihrer richtigen Stelle und in ihrem richtigen Zusammenhang sich bilden, liegt vielleicht ein Hinweis darauf, in ihnen von vornherein getrennte, je nach ihrer topographischen Lage verschiedne latente Anlagen anzunehmen. Schwerlich wird die umgekehrte Annahme durch - führbar sein, nach welcher zwar in jeder Bildungszelle alle Anlagen vorhanden wären, aber immer nur diejenige zur Ent - wickelung gelangte, welche dem Ort entspräche, an dem sich die Zelle zufällig befände.

In der ontogenetischen Herleitung der nöthigen Ersatz - Determinanten begegnen wir auch hier keiner ernstlichen Schwierigkeit, ja noch weniger als bei Nais, da hier Zellen der gleichen Körperschicht die Ersatz-Determinanten für die zu bildenden Organe zu enthalten haben.

4. Phylogenese der Theilung bei den Metazoen.

Es kann kaum zweifelhaft erscheinen, dass die spontane Theilung, wie sie sich bei Platt - und Ringelwürmern vorfindet, phylogenetisch von der Regeneration abzuleiten ist, wie dies schon v. Kennel vor Kurzem hervorhob1)J. v. Kennel, Über Theilung und Knospung der Thiere , Dorpat 1888., dem sich A. Lang2)A. Lang, Über den Einfluss der festsitzenden Lebensweise auf die Thiere , Jena 1888. an -201 schloss. Mit Recht, wie mir scheint, weisen diese Forscher darauf hin, dass die Vermehrung durch spontanes Zerbrechen, wie sie bei einem Süsswasser-Regenwurm, Lumbriculus, regel - mässig vorkommt, als eine Vorstufe der mit Regeneration ver - bundenen Theilung aufgefasst werden muss, wie wir ihr z. B. bei den Naidinen begegnen. Der Unterschied beider Vorgänge liegt wesentlich darin, dass bei Nais die Trennung des Thieres in Stücke eingeleitet und vorbereitet wird durch vorherige Bildung neuer Schwanz - und Kopfstücke. Diese wachsen vor der Trennung hervor und schieben sich zwischen die alten Seg - mente an der Stelle ein, an welcher die Trennung in Stücke er - folgen soll. Bei Lumbriculus findet eine solche Vorbereitung nicht statt; der Wurm bricht an einer Stelle durch, die vorher durch Nichts vor andern Stellen ausgezeichnet war, und der neue Schwanz und Kopf bilden sich erst nachträglich, nach erfolgter Theilung.

Diese Fähigkeit der Selbsttheilung ist natürlich auch eine Anpassung und setzt irgend eine, wenn auch uns zur Zeit noch nicht verständliche histologisch-physiologische Einrichtung vor - aus; aber man kann sich leicht vorstellen, dass, wenn sie einmal bei einer Art bestand, es von Vortheil gewesen sein kann, die Theilung noch besser vorzubereiten, und die doch nachträglich nöthigen Ergänzungen des Theilstückes der Theilung zeitlich vorher zu schicken.

Andererseits nun ist die Voraussetzung einer jeden Ver - mehrung durch spontane Theilung die Fähigkeit zur Regene - ration. Diese muss also schon dagewesen sein, ehe spontane Theilung eine regelmässig eintretende Einrichtung der Art werden konnte, und so werden wir zu der Vorstellung geleitet, dass zuerst, und zwar schon sehr früh, in der Phylogenese der vielzelligen Thiere die Fähigkeit erworben wurde, zufällig ent - standene Zerreissung des Körpers durch Regeneration auszu -202 gleichen, und dass aus dieser Regenerationsfähigkeit sich dann die Einrichtung der Vermehrung durch Selbsttheilung mit nach - träglicher Kopf - und Schwanzbildung, aus dieser aber die Theilung mit vorhergehender Bildung der neuen Theile ent - wickelte.

Diese Folgerung erhält noch eine weitere Stütze, wenn wir uns erinnern, was oben über die Regeneration festgestellt wurde, dass sie nämlich keineswegs eine inhärente Eigenschaft der Orga - nismen, ein unmittelbarer und unvermeidlicher Ausfluss einer be - stimmten Organisation oder Organisationshöhe ist, sondern eben - falls eine durch Naturzüchtung erst hervorgerufene Anpassung, eine besondere Einrichtung, die in höherem oder geringerem Grade getroffen werden kann, oder auch nicht. Der in zwei Stücke geschnittene Regenwurm bildet sich zwar am Vorderstück ein neues Schwanzende, nicht aber am Hinterstück einen neuen Kopf. Dazu fehlt also hier noch die Einrichtung, welche bei Lumbriculus und Nais vorhanden ist. Diese Einrichtung besteht nun nach meiner Auffassung darin, dass den Zellen der Haut und des Darms die zur Kopfbildung erforderlichen Determinanten als Neben-Idioplasma beigegeben sind. Beim Regenwurm be - sitzen sie nur diejenigen der Schwanzbildung.

Es kann wohl sein, dass die Regeneration des Schwanzes deshalb leichter einzurichten war, weil das letzte Segment bei den Ringelwürmern ohnehin schon zur Hervorbringung ganzer neuer Segmente eingerichtet war. Das Wachsthum geschieht ja durch Neubildung von Segmenten vom Schwanzende aus, dort waren also schon die nöthigen Neben-Determinanten den Zellen beigegeben und der Schluss des bei der Theilung durch - getrennten Körpers konnte vielleicht mechanisch erfolgen. Die Kopf-Determinanten können dagegen nur vom Ei und der Embryonalentwickelung aus als Neben-Idioplasma den betreffenden Zellen beigegeben worden sein, und es begreift sich daraus, dass203 die Fähigkeit, einen neuen Kopf zu bilden, erst später erworben wurde, und dass es Würmer giebt, welche zwar wohl ein neues Schwanzende, nicht aber einen Kopf am durchschnittenen Rumpf neu bilden können.

Wir haben also von der Segmentbildung am wachsenden Schwanzende, durch die Regenerationsfähigkeit des Schwanzes zu der des Kopfes, und weiter durch die Selbsttheilung des Lumbriculus bis zu der von Nais einen einzigen, sich immer mehr steigernden und complicirenden Entwickelungsgang, und derselbe beruht nach unserer Vorstellung auf einer immer ver - wickelter sich gestaltenden, gesetzmässigen Vertheilung be - stimmter Neben-Determinanten an bestimmte Gewebezellen.

Die idioplasmatische Grundlage des die Theilung ermög - lichenden Regenerationsvorgangs muss also wohl in einer Ver - doppelung gewisser Determinanten-Gruppen gesehen werden, verbunden mit Abspaltung und Inaktivbleiben der einen von beiden. Soviel ich sehe, braucht diese Verdoppelung mit nach - folgender eventueller Vervielfachung der inaktiven Determinanten - Gruppen nicht von vornherein schon im Keimplasma vor sich zu gehen, und es wäre eine nutzlose Belastung desselben, falls sie immer dort schon vor sich ginge. Nur wenn die Theilung zum Generationswechsel führt, d. h. wenn die durch Theilung entstandenen Thiere anders gebaut sind, als die aus dem Ei schlüpfenden, müsste schon das Keimplasma die Theilungs - Determinanten enthalten, weil dann die durch Theilung ent - standenen Formen selbstständig erblich veränderlich sich er - weisen. So beim Generationswechsel gewisser Ringelwürmer des Meeres, den Syllideen und bei der Strobilation der Polypen, von welcher später die Rede sein soll. In allen solchen Fällen müssen zweierlei Ide im Keimplasma angenommen werden. Bei der gewöhnlichen Theilung dagegen, wie sie uns die Ringel - würmer des süssen Wassers vorführen, kann wohl die Abspaltung204 der zur Regeneration des Theilstückes nöthigen Determinanten - Gruppen während der Embryogenese erfolgen. Etwas Bestimmtes lässt sich aber darüber nicht sagen; jedenfalls ist es denkbar, dass der Vorgang der Abspaltung von Neben-Determinanten aus den späteren Stadien der Ontogenese in frühere und so weiter bis zuletzt in das befruchtete Ei zurückrücken kann, so dass zuletzt Doppel-Ide im Keimplasma entstehen, wie sie weiter unten als Ausgangspunkt für die Knospung angenommen werden.

Capitel IV. Vermehrung durch Knospung.

Wenn wir mit von Wagner die Knospung als einen Neubildungsprocess ganzer Individuen auffassen, der aus - schliesslich auf einem vom normalen verschiedenen, besondern (differentiellen) Wachsthum beruht, so fällt die ungeschlecht - liche Vermehrung der Bryozoen, die der meisten Cölen - teraten und der Tunikaten unter diesen Begriff. Was bei den Pflanzen Knospung bedeutet, kann überhaupt kaum zweifel - haft sein.

Da die Knospung in den verschiedenen Organismengruppen, in welchen sie vorkommt, durchaus nicht ganz gleich verläuft, so empfiehlt es sich, einige dieser Gruppen gesondert ins Auge zu fassen.

Knospung bei den Thieren.

Coelenteraten.

Man glaubte bisher die Knospung der Cölenteraten und besonders die der Hydrozoen-Klasse unter ihnen genau zu kennen; man hatte beobachtet, dass schon in ganz jungen Knospen von205 Medusen und Hydroidpolypen die beiden Zellenlagen, welche den Leib dieser Thiere bilden, enthalten sind. Sie umgeben die Leibeshöhle, ganz wie im Mutterthier, und da sowohl diese, wie die beiden Zellen-Blätter mit den entsprechenden Gebilden der Mutter in unmittelbarem Zusammenhang stehen, so war Nichts natürlicher, als die Vorstellung, dass die Knospe als eine Ausstülpung der Leibeswand des Mutterthieres entstehe und von beiden Blättern desselben zugleich gebildet werde. Ein Zweifel an der Richtigkeit dieser Auf - fassung konnte um so weniger aufkommen, als man in den jüngsten Knospen von Hydroidpolypen, ehe sie noch hohl sind, beide Schichten, das Ektoderm und das Entoderm der Knospe aus einer grösseren Zahl in lebhafter Vermehrung begriffener junger Zellen zusammengesetzt fand. So habe ich es selbst noch in meinen Untersuchungen über die Bildung der Ge - schlechtszellen bei Hydroiden1)Weismann, Die Entstehung der Sexualzellen bei den Hydro - medusen , 40 mit Atlas von 25 Tafeln, Jena 1883. angegeben, und nirgends ist ein Zweifel an der Richtigkeit dieser Darstellung oder vielmehr ihrer Auslegung laut geworden.

Dennoch ist die Annahme, dass beide Keimblätter des Mutterthieres die Knospenbildung veranlassen, nicht richtig, die Knospe bildet sich lediglich vom Ektoderm aus, und die jungen Zellen, welche man in den jüngsten Knospen das Entoderm bilden sieht, sind nicht Abkömmlinge der mütterlichen Entodermzellen, sondern sind eingewandert vom Ektoderm her.

Die Vermuthung, dass es so sein müsse, ist mir durch rein theoretische Erwägungen erst gekommen. Die Theorie von der Continuität des Keimplasma’s kann Knospung idio - plasmatisch nur so erklären, dass die Zellen des Mutterthieres, von welchen die Knospung ausgeht, zusammengenommen sämmt -206 liche Determinanten der Art als Neben-Idioplasma enthalten. Andernfalls könnte aus der Knospe niemals ein ganzes, fort - pflanzungsfähiges Thier werden. Wenn nun je eine Zelle des Ektoderms sämmtliche Determinanten des Ektoderms, eine Zelle des Entoderms sämmtliche Determinanten des Entoderms enthielte, so würde daraus doch nur dann eine Knospe hervorgehen können, wenn beide gerade zufällig genau an derselben Stelle übereinander zu liegen kämen. Da nun aber die Zellen des Entoderms eine geschlossene, nicht verschiebbare Epithellage bilden, diejenigen des Ektoderms zwar beweglicher sind, aber im Ganzen doch auch ihre relative Lage behalten, so schien es mir schwer vorstellbar, wieso nun doch die Knospung so fest und gesetzmässig an ganz bestimmten Stellen des Polypen und Polypenstockes erfolgen könne, wie es doch thatsächlich in so vielen Fällen geschieht. Die Annahme, dass alle Zellen des Ektoderms und Entoderms mit dem erforderlichen Neben-Idio - plasma in gleicher Weise ausgerüstet seien, war durch die eben erwähnte Gesetzmässigkeit der Knospung ausgeschlossen. So kam ich auf den Gedanken, es möchte wohl das Knospungs - Keimplasma nicht auf beide Keimblätter vertheilt, sondern in einem allein enthalten sein, und da wir wissen, dass bei den Hydroiden die Bildung der Keimzellen stets von Ektoderm - zellen ausgeht, so durfte erwartet werden, dass auch das Knospungs-Idioplasma in Zellen des Ektoderms enthalten sein werde.

Die Erfahrung hat diese Erwartung bestätigt. Unter - suchungen, welche Herr Albert Lang auf dem Freiburger zoologischen Institut auf meine Bitte ausführte, haben ergeben, dass die Sache sich wirklich so verhält. Die Knospe bei ver - schiedenen Hydroidpolypen (Eudendrium, Plumularia, Hydra) entsteht in der Weise, dass zuerst eine Zellvermehrung an einer be - stimmt umgrenzten kleinen Stelle des Ektoderms eintritt, während207 deren zugleich die die beiden Leibesschichten trennende Stütz - membran an dieser Stelle (st) immer dünner und weicher wird und zuletzt sich auflöst; dass dann eine kleine Anzahl der neu - gebildeten Ektodermzellen durch diese Membran hindurch ins Entoderm eindringt. Sie bildet hier ein Lager junger, sich stark vermehrender Zellen dasselbe, welches ich in früherer Zeit in jüngsten Knospen schon beobachtet hatte und dieses drängt nun die alten Entodermzellen von der Stützmembran ab (Ent '), was zur Folge hat, dass dieselben sich aus dem Zu - sammenhang des Entoderms loslösen, zerfallen und nach und nach resorbirt werden. Die eingewanderten Zellen aber bilden das Entoderm der Knospe.

Fig. 6.

Schnitt durch eine Knospenanlage von Euden - drium nach A. Lang frei schematisirt. Ps das hornige Perisarc, Ps 'die Stelle des - selben, welche durch die darunter liegende Wucherung des Ektoderms’s (Ekt') bereits stark verdünnt ist; Ent 'die alten Entodermzellen an der Stelle, an welcher eine Schaar von wuchernden Ektoderm - zellen die Stützlamelle (st) aufgelöst, durchbrochen und ins Entoderm eingewandert ist, die alten Entodermzellen dieser Stelle in die Magen - höhle Mh drängend.

Nachdem durch A. Lang’s Untersuchungen1)Albert Lang, Über die Knospung bei Hydra und einigen Hydropolypen . Zeitschrift f. wiss. Zool. Bd. 54. p. 365; 1892. dieser Sach - verhalt festgestellt ist, wird die theoretische Zurechtlegung der Knospung bei den Hydroiden eine einfachere. Wir bedürfen dazu nur der Annahme, dass gewissen Zellen und Zellfolgen des208 Ektoderm’s ein Neben-Idioplasma beigegeben ist, welches sämmt - liche Determinanten der Art enthält, also Keimplasma ist, wenn es vielleicht auch nicht völlig identisch mit Keimplasma ist; ich bezeichne es als Knospungs-Keimplasma . In welchen Zellen des Ektoderm’s dieses Idioplasma enthalten ist, lässt sich nicht sicher sagen; doch scheint die Wucherung der Knospe von Zellen der tieferen Lage auszugehen, von den interstitiellen Zellen der Autoren. Man wird also annehmen dürfen, dass ein Theil dieser interstitiellen Zellen inaktives Knospungs-Keimplasma enthält, und dass dieses nach einer bestimmten Reihe von Zell - theilungen, wie sie durch das Wachsthum des Polypen bedingt sind, zur Herrschaft in einer der Zellen-Nachkommen gelangt und somit die Knospung hervorruft. Jede Knospung wird ur - sprünglich nur von einer Zelle ausgehen, wenn sich dies auch bisher nicht direkt nachweisen liess, und bei der ersten oder doch bei den ersten Theilungen der die Knospung hervorrufenden Zelle wird sich die Determinanten-Gruppe des Ektoderm’s von der des Entoderm’s trennen, und die Träger der Letzteren werden durch die sich auflösende Stützlamelle in das alte Entoderm einwandern. Das Weitere ergiebt sich dann von selbst.

Die Knospung der Hydromedusen geht also von einer einzelnen Zelle aus, und darin liegt jedenfalls ein tiefgreifender Unterschied von der Fortpflanzung durch Theilung. Diese Knospung entspringt von dem vollständigen, noch un - zerlegten Determinanten-Bestand der Art, die mit der Theilung verbundenen Neubildungen aber von zahlreichen, kleineren, den späteren Stufen der Ontogenese entsprechenden Determinanten - Gruppen zugleich.

Dennoch wäre es ein Irrthum, wollte man darin den durch - greifenden Unterschied zwischen Theilung und Knospung über - haupt sehen, wie die Knospungsvorgänge bei andern Thiergruppen sogleich erweisen werden.

209

Was zunächst die übrigen Cölenteraten betrifft, so sind die Untersuchungen erst noch zu machen, welche nachweisen sollen, ob bei den Korallenpolypen, den höheren Medusen und den Rippenquallen der Knospungsprocess ebenfalls nur schein - bar von beiden Leibesschichten des Thieres ausgeht, in Wirklich - keit aber doch auch nur von einer. Da man an diese Möglich - keit bisher nicht dachte, so könnten auch hier Zellenwanderungen übersehen worden sein.

Wenden wir uns aber zu den andern Gruppen des Thier - reichs, bei welchen Knospung vorkommt, den Bryozoen und Tunicaten, so liegen hier sehr gute Untersuchungen vor, und die histologischen Verhältnisse sind derart, dass ein Übersehen von Zellenwanderungen nicht leicht denkbar scheint.

Bryozoen.

Die kleinen Thierstöcke der Mooskorallen oder Bryo - zoen entstehen durch Knospung, und auch die wenigen Bryozoen - Arten, welche keine Stöcke bilden, pflanzen sich dennoch leb - haft durch Knospung fort, nur dass die Knospen sich dann früher oder später vom Mutterthier loslösen.

Der Vorgang der Knospung scheint im Wesentlichen bei allen Bryozoen derselbe zu sein. An einer Stelle der äussern Haut des Thieres bildet sich eine Zellenwucherung, welche in ihrem Ursprung auf eine Zelle zurückzuführen sein wird. Der so entstehende Zellenhaufen gestaltet sich zu einer nach innen, d. h. in die Leibeshöhle des Thieres wachsenden hohlen Ein - stülpung, und aus dieser bildet sich der gesammte Verdauungs - kanal mit Vorder -, Mittel - und Hinterdarm, sowie das vor dem Munde gelegene sogenannte Atrium mit dem Tentakelapparat. Aus der Leibeshöhle des Mutterthieres sollen dann noch einige sog. freie Mesodermzellen in die Knospe aktiv auswandern, umWeismann, Das Keimplasma. 14210dort die Muskeln, die Geschlechtsorgane und in gewissen Gruppen auch einen äussern (serösen) Zellbelag des Darmrohrs, in noch andern Gruppen auch eine subcutane Zellschicht zu bilden. So ergaben wenigstens die neuesten, ohne Zweifel sehr genauen und zuverlässigen Untersuchungen von Seeliger. 1)O. Seeliger, Die ungeschlechtliche Vermehrung der endoprocten Bryozoen und Bemerkungen zur Knospenentwickelung der Bryozoen , in Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. 49 u. 50 (1889 u. 1890).Unsicher kann an ihnen nur der eine Punkt erscheinen, ob nicht viel - leicht doch die Geschlechtsorgane auch aus jener ersten Wuche - rung der Hautzellen hervorgehen.

Diese Knospungs-Vorgänge fassen unsere allzu schematisch ausgearbeiteten Schulbegriffe von den Keimblättern etwas un - sanft an, insofern hier die specifischen Organe des innern Keim - blattes, der Darm, vom äussern Keimblatt, der Haut geliefert wird. Vom Standpunkt der Keimplasmalehre verursacht dies keine Schwierigkeit; man bedarf nur der Annahme, dass ge - wissen Zellen der Haut die Determinantengruppe des Entoderms als Neben-Idioplasma beigegeben ist. Diese Beigabe muss zu einer frühen Zeit der Embryogenese erfolgen, ehe noch die Trennung der Ur-Entodermzellen von denen des Ektoderms vor sich geht.

Nitsche glaubte in seinen werthvollen, aber noch mit weniger vollkommenen Mitteln ausgeführten Untersuchungen die ganze Knospe auf eine Wucherung der Haut (des Ektoderms) zurückführen zu können, und wenn seine Angabe sich bestätigt hätte, so würde die idioplasmatische Erklärung der Bryozoen - Knospung ebenso einfach sein, wie die der Hydroiden-Knospung, man hätte dann nur nöthig, jener Ektodermzelle Knospen - Idioplasma als Neben-Idioplasma zuzuerkennen. Allein See - liger konnte diese Angabe nicht bestätigen und auch die211 Untersuchungen von Oka1)A. Oka, Observations on Fresh-water Polyzoa , Journ. of Col - lege of Science, Imperial University, Japan. Vol. IV, Pt. I. 1890., Davenport2)C. B. Davenport, Observations on budding in Paludicella and some other Bryozoa , Bull. of the Museum of Comp. Zool. at Harvard College. Vol. XXII, No. 1. 1891. und Braem3)F. Braem, Untersuch. über die Bryozoen des süssen Wassers. Cassel 1890. lassen keinen Zweifel an der Betheiligung von Mesodermzellen des Mutterthieres an der Knospenbildung. So wird man denn an - nehmen müssen, dass gewisse, mit bestimmten Determinanten - Gruppen für Muskeln, Endothelien und Geschlechtsorgane aus - gerüstete Mesodermzellen in die Knospe einwandern. Für die Bildung von Muskeln, und noch leichter für Endothelien, lässt sich dies begreifen, wie aber freie Zellen aus der Leibeshöhle des Mutterthieres in die Knospung einwandern sollen, um dort an ganz bestimmten Stellen Geschlechtsorgane zu bilden, das wäre schwer zu verstehen, es sei denn, dass nur scheinbar beliebige, in Wirklichkeit aber bestimmte Zellindividuen einwanderten. Einer solchen Annahme widersprechen aber die abnormalen Knospungs-Vorgänge, wie sie bei Pedicellina vor - kommen. Ich halte deshalb diese Frage nach dem Ursprung der Geschlechtsorgane noch nicht für abgeschlossen, sondern vermuthe, dass dennoch eine oder zwei der Mesodermzellen der Knospe aus der primären Ektoderm-Wucherung herrührt. Dies findet sogar in der Darstellung Seeliger’s eine Stütze, indem derselbe bei Loxosoma wenigstens eine solche Herkunft ein - zelner der Mesodermzellen der Knospe für möglich hielt.

Da es sich hier nicht um die Knospung der Bryozoen als solche, sondern nur um ein Beispiel einer von zwei Keim - blättern zugleich ausgehenden Knospung handelt, so kann diese Frage unentschieden bleiben. Soviel wenigstens steht fest, dass bei der Knospung der Bryozoen nicht allein eine Zelle der14*212äussern Körperschicht betheiligt ist, sondern auch einige Par - enchym-Zellen. Dies bedingt die Annahme, dass die Determi - nanten der Art nicht sammt und sonders in einer Zelle als Knospungs-Idioplasma enthalten sein können, wie bei den Hydrozoen, sondern dass eine Anzahl von Determinanten und zwar diejenigen der Muskeln, Endothelien, Blutkörperchen und vielleicht auch der Geschlechtsorgane gewissen Mesodermzellen des Mutterthieres beigegeben sind. Die Bildung von Geschlechts - zellen setzt ausserdem die Beigabe von Keimplasma bei den - jenigen Zellen voraus, von welchen diese hervorgebracht werden, und diejenigen Hautzellen des Mutterthieres, welche gewisser - massen rein mechanisch zur Haut der Knospe werden, müssen ektodermale Determinanten enthalten.

Die Auseinanderlegung der Determinanten, wie sie nöthig ist, um die Knospung zu ermöglichen, ist aber offenbar eine ganz andere, wie bei der Embryonalentwickelung. Schon See - liger macht darauf aufmerksam, dass die Ontogenese durch Knospung viel kürzer ist, als die durch Embryo - und Larven - bildung. Nicht nur der ganze Furchungsprocess des Eies und später das Stadium einer freischwimmenden Larve kommt in Wegfall, sondern auch keines der späteren Stadien der Embryo - genese entspricht genau einem Knospenstadium. Ohne dies ins Einzelne verfolgen zu wollen, möchte ich doch die allgemeine theoretische Erklärung dafür darin suchen, dass die Ersatz - Determinantengruppen, mit welchen bestimmte Zellen im Laufe der Embryogenese versehen werden, die Determinanten in andern Combinationen enthalten, als sie in der Embryogenese von Zelle zu Zelle weitergegeben werden.

Tunicaten.

Die am Meeresgrund festgewachsenen Mantelthiere, die Ascidien oder Seescheiden, vermehren sich zum grossen Theil213 intensiv durch Knospungsvorgänge und bilden so Thierstöcke, deren Personen in mehr oder minder innigem Zusammenhang stehen.

Bei der Ascidien-Gattung Clavellina ist der Vorgang der Knospung durch Seeliger1)O. Seeliger, Zur Entwickelungsgeschichte der Ascidien , Ei - bildung und Knospung von Clavellina lepadiformis . Sitzungsber. der Wiener Akademie, Bd. 85. 1882. genau bekannt geworden. Das aus dem Ei hervorgegangene Mutterthier treibt hier lange, stiel - förmige Fortsätze, Stolonen, an denen neue Thiere hervor - knospen. Ein solcher Stolo besteht aus drei Zellenlagen, einer äusseren ektodermalen, einem inneren Entodermrohr und frei beweglichen Mesodermzellen . Aus der Ektodermlage geht nur die äussere Haut der Knospe hervor, aus dem Entoderm - rohr bildet sich der Darmkanal mit seinen Nebenorganen, so - wie der Kiemensack (das Peribranchialrohr ), auch das Peri - cardialrohr, und aus den freien Mesodermzellen wird die Musku - latur, das Ganglion (?) und die Geschlechtsdrüsen.

Das hauptsächlich formbestimmende Element bei diesen Vorgängen ist das Entodermrohr, indem es durch seine, in ganz bestimmter Weise erfolgende Gliederung die Gestalt des wachsen - den Ektodermrohres bestimmt. Wir werden also zu der An - schauung geleitet, dass in dem Entodermrohr des Stolo homo - loge Bildungszonen sich wiederholen, deren jede man sich als einen Ring von ursprünglich nur einer Zellenbreite vorstellen kann. Am Knospungsort angelangt, wächst dieser zu einer blasenförmigen Erweiterung aus, die sich von ihrem Ursprung, dem Entodermrohr des Stolo loslöst und nun ihre gesetz - mässige Gliederung in Peribranchialrohr, Darmrohr u. s. w. eingeht. Die Zellen dieser Entodermblase können nicht alle gleichwerthig sein, können nicht alle genau dieselben Deter - minanten enthalten, sonst könnte eben diese Gliederung nicht214 eintreten, es könnte nicht aus der einen ein Theil der Peribranchialwand, aus der anderen ein Theil des Darmrohres werden. Aber auch innerhalb der primitiven Darmblase muss die eine Zelle die Determinanten des Magens, die andere die des Hinterdarmes u. s. w. enthalten kurz, wir werden hier, wie bei der Embryogenese annehmen müssen, dass eine Ver - theilung der Determinanten-Gruppen auf die verschie - denen Zellen während der Entwickelung stattfindet, eine Auseinanderlegung des Idioplasma’s, ganz ähnlich, wie bei der Embryonalentwickelung, wenn auch nur im Princip, nicht in den Einzelheiten. In jedem Zellenring des Entoderm - rohres, von dem die Ausstülpung einer Entodermblase ausgeht, müssen sämmtliche Determinanten aller Theile enthalten sein, welche aus der Blase hervorgehen.

Am schwierigsten ist die Bildung derjenigen Organe zu verstehen, die sich aus den freien im Stolo enthaltenen Meso - derm - Zellen entwickeln. Allerdings steht Nichts im Wege, diesen Zellen sehr verschiedenes Idioplasma zuzuschreiben, den einen Muskel-Determinanten , den anderen Nerven-Determi - nanten , den dritten Blutkörperchen-Determinanten u. s. w. Schon ihr Aussehen lässt verschiedene Arten von ihnen unter - scheiden, solange sie noch frei im Blut des Stolo schwimmen. Die Schwierigkeit liegt nur in ihrem lokalen Eingreifen in den Bau der sich entwickelnden Knospe. Diejenigen unter ihnen, welche zu den Längsmuskeln werden sollen, ordnen sich zu Längsreihen, welche von einem oder zwei bestimmten Punkten schräg divergirend von hinten nach vorn über das Thier hin - laufen, um an ziemlich fest bestimmten Punkten in der Vorder - region desselben sich anzuheften. Ebenso hat das Ganglion seine ganz bestimmte Lage im Thier und die Geschlechtsdrüsen. In der Embryogenese und auch bei der Entwickelung der Ento - dermblase der Knospe wird jeder Zelle ihr Platz mechanisch215 angewiesen durch ihre Entstehung aus den früheren Zellgene - rationen, durch den Rhythmus der Zell-Theilungen. Hier aber müssten die Zellen des Ganglions z. B. sich durch freie Orts - bewegung am richtigen Platz zusammenfinden. Aber auch in der Embryogenese mancher Thiergruppen, z. B. der Echino - dermen kommt Ähnliches vor, und es wird bis zu weiterer Klärung der Thatsachen Nichts übrig bleiben, als den Zellen eine ihrer Bestimmung entsprechende Neigung zur Festsetzung an bestimmten Stellen zuzuschreiben, so unbefriedigend eine solche Annahme auch erscheint. Die umgekehrte Annahme wenigstens, dass diese Zellen sich je nach dem zufälligen Fest - setzungsort zu Muskel -, Nerven - oder Sexualzellen entwickelten, scheint mir weit weniger annehmbar.

Vergleicht man nun die Knospung dieser Ascidien mit ihrer Embryogenese, so finden sich grosse Verschiedenheiten. Nicht nur, dass bei der Knospung die ganze Ei-Furchung wegfällt und die Gastrulation mit der Bildung des Mesoderm’s, sondern es entstehen auch manche Theile im Embryo aus dem Ekto - derm, in der Knospe aus dem Mesoderm. Noch auffälliger vielleicht ist dies bei den frei im Meere schwimmenden Mantel - thieren, den Salpen. Auch diese vermehren sich durch Knospung an einem Fortsatz des Thieres, dem sog. Stolo, und auch bei ihnen entsteht fast Nichts ausser der Haut aus dem Ektoderm, Einiges aus dem Entoderm, Vieles aber aus den Mesoderm - zellen . Seeliger1)O. Seeliger, Die Knospung der Salpen . Jena 1885. glaubt die Erklärung dafür darin zu finden, dass das Mesoderm des Mutterthieres, welches in die Knospen übergeht, eigentlich nichts Anderes ist, als sein Geschlechts - apparat . Dies wäre indessen doch nur insoweit eine Er - klärung zu nennen, als es für die Mesodermzellen des Stolo und der Knospe die Möglichkeit eröffnet, jede verlangte Deter -216 minantengruppe enthalten zu können. Denn in den Geschlechts - zellen müssen alle Determinanten enthalten sein und durch Zerlegung derselben bei der Theilung können somit die ver - schiedensten Gruppen derselben gebildet, bestimmte Mesoderm - zellen also mit dieser, andere mit jener Gruppe ausgerüstet werden. Dies setzt dann freilich einen ganz anderen Ver - theilungsprocess der Determinanten voraus, als er in der Em - bryogenese stattfindet, und diese wiederum kann nur auf einer von Anfang an verschiedenen Architektur des Idioplasma’s be - ruhen. Ich werde bei der Besprechung des Generationswechsels auf diesen in theoretischer Beziehung fundamentalen Punkt zurückkommen.

2. Knospung bei den Pflanzen.

Der Begriff der Knospung ist dem Pflanzenreich entnommen; alle höheren Pflanzen sind Pflanzenstöcke, Cormen, und be - ruhen auf ausgiebiger und gesetzmässiger Knospung, ähnlich wie die Thierstöcke der Hydrozoen und andere. Mag auch die physiologische Individualität der einzelnen Person der Pflanze häufig noch undeutlicher sich abgrenzen, als es schon bei vielen Thierstöcken der Fall ist, der morphologische Werth des Sprosses als einer Person im Sinne Häckel’s lässt sich nicht bestreiten.

Während es nun bei den Thierstöcken bis jetzt noch nicht überall möglich war, den Ausgangspunkt für diese Knospungs - vorgänge in seinem Zusammenhang mit den Zellfolgen der ersten Person des Stockes völlig klarzulegen, ist dies bei den Pflanzen auf das Schönste gelungen, und es lässt sich deshalb auch eine Vererbungstheorie auf die pflanzliche Knospung mit weit grösserer Sicherheit anwenden, als auf die thierische.

Die vegetabilische Knospung geht in den meisten Fällen von einer Zelle aus, welche an der Spitze des wachsenden Sprosses liegt, von der Scheitelzelle . Durch Wachsthum217 und gesetzmässige Theilungen dieser Zelle wird nach Art der Embryonalbildung eine Gruppe von Zellen gebildet, die nach Zahl, Gestalt und Anordnung der Zellen fest bestimmt ist. Sie enthält als Anlagen bereits den ganzen neuen Spross in sich, und man kann von jeder ihrer Zellen im Voraus sagen, welche Theile des Sprosses aus ihr hervorgehen werden. Die Nach - kommen dieser Zellengruppe vermehren sich dann bis zu einer bestimmten Grenze weiter und brauchen sich dann nur noch zu vergrössern (zu strecken ) und zugleich feiner zu differen - ziren, um eine vollständig fertige Person des Pflanzenstockes darzustellen. Diese Person verändert sich dann nicht wesentlich mehr weiter, aber von der Scheitelzelle kann die Bildung einer neuen Person ausgehen u. s. w., denn die Scheitelzelle erneut sich immer wieder, oder wenn man lieber will, sie bleibt immer dieselbe.

Nehmen wir eine Alge, Chara, als Schema mit Zugrunde - legung der von Sachs (a. a. O. p. 550) gegebenen Figur, so erkennt man sofort, dass das Idioplasma der Scheitelzelle (v) bei ihrer Theilung noch keine Zerlegung in verschiedene Deter - minanten-Gruppen erleiden kann, weil durch diese Theilung zwei Zellen gesetzt werden, deren eine die Scheitelzelle bleibt, deren andere, das sog. Segment , aber einen ganzen Spross aus sich hervorgehen lässt, also eben gerade diejenige Bildung, zu deren Hervorbringung die Scheitelzelle befähigt ist. Aber schon die folgende Theilung der unteren der beiden Tochterzellen bringt die erste Sonderung in ungleiche Determinanten-Gruppen mit sich, indem sie eine obere, biconcave, die sog. Knoten - Zelle hervorbringt, aus welcher die Blätter b', b' ', b'' ', die Seiten - sprossen K und Geschlechtsorgane a und o hervorgehen, und eine untere, biconvexe Zelle, welche keine weiteren Theilungen erfährt, sondern nur bedeutend in die Länge wächst, um so einen Abschnitt der Längsachse i' i'' i' '' des Sprosses zu bilden.

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Fig. 7.

Gipfel eines Sprosses von Chara im Längsschnitt (aus Sachs Vorlesungen über Pflanzen-Physiologie ).

Diese Zwischenknotenzelle geht also keine weiteren Zerlegungen ihres Idioplasma’s ein, während die Knotenzelle sich in verti - caler Ebene theilt und sich in Zellen zerlegt, welche verschiedene Determinanten-Gruppen enthalten müssen, da andere Theile des Sprosses von ihnen ihren Ursprung nehmen. So geht aus der äusseren der in der fünften Zellenreihe der Figur liegenden Zellen (b') das ganze Blatt sammt Geschlechtsorganen hervor, wie ein Vergleich der jüngeren mit den älteren Abschnitten des Chara-Sprosses erkennen lässt. Die inneren Zellen dagegen entwickeln sich zu dem Knoten selbst. Die äussere theilt sich unter steten, wenn auch häufig unbedeutenden Veränderungen des Idioplasma’s, wie ein Blick auf den Zellenbau eines Blattes erkennen lässt, an welchem ähnliche Abschnitte sich vielfach wiederholen. Wenn wir von dem dem aktiven Haupt-Idioplasma219 der Zellen etwa beigegebenen Neben-Idioplasma jetzt absehen, so wird die Auseinanderlegung der von der Scheitelzelle über - lieferten Determinanten-Gruppe einfach so erfolgen, dass jede Zelle immer nur diejenigen Determinanten-Gruppen bei ihrer Ent - stehung zugetheilt erhält, deren Einzel-Determinanten in ihren Nachkommen zur Bestimmung der einzelnen Zellen nöthig sind. So werden wir den Zwischenknoten-Zellen des Stammes nur das ihnen selbst specifische Idioplasma, also die Zwischen - knoten-Determinante zusprechen können, da aus ihnen Nichts weiter mehr hervorgeht, während wir der Knoten-Stammzelle eine ganze Gruppe von Determinanten zuerkennen müssen, weil aus ihr eine Menge verschieden gestalteter und funktionirender Zellen hervorgeht. Wenn auch die Pflanzenzellen unserm Auge häufig sehr ähnlich sehen und einen wesentlichen Unterschied nicht erkennen lassen, so muss doch ein solcher da sein, wenn wir anders das Zustandekommen der specifischen Blatt -, Stamm - und Fortpflanzungsorgane theoretisch begründen wollen. Nur dadurch, dass in jedem dieser Lebenscentren ein specifisches Idioplasma, eine von den übrigen in Etwas verschiedene Determi - nante herrscht, lässt sich dies wenigstens im Princip verstehen.

Vergleich der Knospung bei Pflanzen und Thieren.

In idioplasmatischer Hinsicht lassen die verschiedenen Knospungsarten verschiedene Stufen erkennen. Das einfachste Verhalten zeigen die höheren Pflanzen, weil hier die Knospung, d. h. die Herstellung einer neuen Person stets von einer Zelle ausgeht. Hier muss also dieser Zelle ein Idioplasma zugeschrieben werden, welches alle Determinanten des Sprosses enthält; ja es darf vermuthet werden, dass auch die Determinanten der Wurzel in demselben enthalten sind, denn die meisten Pflanzensprosse können, wenn sie künstlich vom Stamme abgetrennt werden, unter günstigen Bedingungen Wurzel treiben; unter den normalen220 Verhältnissen, d. h. solange der Spross mit der Mutterpflanze verbunden ist, kann sich die Fähigkeit Wurzeln zu bilden in der Regel nicht offenbaren. Dieses Knospen-Idioplasma kann mit Keimplasma nicht völlig identisch sein, wenn auch genau dieselben Theile daraus hervorgingen, wie aus der befruchteten Eizelle, so wäre doch durch die verschiedene Zellfolge, welche in der Embryogenese und der Knospung eingehalten wird, ein Hinweis darauf enthalten, dass hier die Determinanten mindestens in einer andern Anordnung, vielleicht auch in andern Verhältniss - zahlen im Idioplasma enthalten sein müssen. Knospen-Idio - plasma und Keimplasma wären also gewissermassen als isomere Idioplasmen aufzufassen, analog den isomeren chemischen Verbindungen.

Ähnlich wird es sich bei denjenigen Thieren verhalten, deren Knospenbildung von einer Zelle ausgeht, bei den Hydroiden. Auch hier ist die Embryonal-Entwickelung dem Knospungs - vorgang nicht völlig gleich, wenn sie sich ihm auch bis zu einem gewissen Grade annähert; auch hier aber muss angenommen werden, dass sämmtliche Determinanten der Art im Knospen - Idioplasma enthalten sind, nicht nur diejenigen, welche in der Regel zur Entfaltung kommen, sondern auch solche, wie die zur Bildung von Fuss - oder Wurzelstücken nöthigen Determi - nanten. Dafür spricht schon die Existenz von Polypen, deren Knospen sich regelmässig ablösen und selbstständig weiterleben, wie Hydra. Hier haben die Tochterpolypen noch keinen Fuss, solange sie an der Mutter festsitzen, sobald sie sich aber los - lösen, bilden sie sich einen.

Die folgende Stufe der Knospung findet sich bei den Bryozoen. Hier ist es nicht mehr eine Zelle, welche die gesammten Determinanten der Art enthält und aus ihnen die Knospe aufbaut, sondern dieselben sind, zu zwei Hauptgruppen geordnet, einer Zelle des Ektoderms und einer oder einigen221 Zellen des Mesoderms als Neben-Idioplasma beigegeben. Die eine Ektodermzelle lässt das gesammte Entoderm aus sich hervorgehen, dennoch ist sie nicht jenen Zellen des embryonalen Ektoderms gleich zu setzen, welche die Entoderm-Einstülpung dort bewirken, denn aus ihr gehen Theile hervor, die im Embryo überhaupt noch nicht, oder doch aus andern Ektodermzellen angelegt werden. Ohne hier auf die Einzelheiten einzugehen, kann man doch die Thatsachen idioplasmatisch so fassen, dass man jener Knospungs-Ektodermzelle ein Idioplasma zuschreibt, welches zwar sämmtliche entodermale Determinanten enthält, daneben aber noch eine Anzahl anderer, also eine Combination von Determinanten, wie sie in der Embryogenese nicht vor - kommt. Ebenso müssen jene Mesodermzellen des Mutterthieres, welche die Muskeln und Endothelien u. s. w. der Knospe bilden, eine eigenthümliche Zusammenstellung von Determinanten ent - halten, wie sie in der Embryogenese wohl nicht genau so vor - kommt. Die Knospung muss also hier in der Embryogenese dadurch vorbereitet werden, dass gewissen Zellfolgen des Ektoderm’s und des Mesoderm’s jene Determinantengruppen als Neben-Idioplasma beigegeben werden.

Eine dritte Stufe wäre dann durch die Knospung der Seescheiden und Salpen gebildet. Hier geht die Knospung von dreierlei Zellen des schon fertigen oder noch in Embryogenese befindlichen Thieres aus, von solchen des Ektoderm’s, des Ento - derm’s und des Mesoderm’s. Aber auch hier entspricht die Determinantengruppe, die in jeder der die Zellenarten anzunehmen ist, nicht genau derjenigen, welche in der Ur-Ektoderm -, der Ur-Mesoderm - und der Ur-Entodermzelle der Embryogenese enthalten sein muss. Es giebt überhaupt keine Zelle der Embryogenese, welche genau dieselbe Determinantengruppe ent - hielte, wie die entodermale Knospungszelle. Es muss also hier in noch erhöhtem Maassstabe während der Embryogenese eine222 besonders für die Knospung eingerichtete Zusammenordnung von Determinaten vorgesehen sein, damit schliesslich bestimmte Zellen mit diesen als Neben-Id ausgerüstet werden können.

Diese letzte Art der Knospung nähert sich ihrer idioplas - matischen Grundlage nach sehr der Regeneration, womit indessen durchaus nicht gesagt sein soll, sie leite sich phylogenetisch von Regeneration ab. Die Übereinstimmung liegt nur darin, dass die Neubildung einer Person von mehreren mit verschiednen Determinantengruppen ausgerüsteten Zellen ausgeht, die sich gegenseitig ergänzen und so ineinandergreifen, dass eine voll - ständige Person zu Stande kommen muss.

4. Phylogenese der Knospung.

Eine gemeinsame Phylogenese der Knospung giebt es wohl nicht; der Vorgang wird unabhängig von einander bei Pflanzen und Thieren, und vielleicht auch innerhalb des Thierreichs un - abhängig von einander in mehreren Gruppen sich ausgebildet haben.

Wenn man erwägt, dass bei vielen niederen Pflanzen mit geringer Zellen - und Organdifferenzirung alle, oder doch sehr viele Zellen der Pflanze das Vermögen besitzen, sich unter Um - ständen zur ganzen Pflanze zu entwickeln, so wird man geneigt sein, für diese Fälle anzunehmen, dass von vornherein, also schon bei der phyletischen Entstehung solcher Pflanzen, jede Zelle den gesammten Determinanten-Complex der Art, d. h. Keimplasma enthalten habe, und dass die verschiedene Diffe - renzirung der Zellen auf der Ober - und Unterseite u. s. w. darauf beruhe, dass gewisse Determinanten unter diesen, andere unter jenen äussern Einwirkungen in Aktivität treten, z. B. die einen bei starkem Lichtreiz, die andern bei schwachem.

Bei höheren Pflanzen dürfte diese Erklärungsweise kaum ausreichen, da hier die Differenzirung eine allzu mannigfaltige223 ist, um aus äussern Ursachen erklärt werden zu können. Immer - hin werden aber auch bei diesen zahlreiche Zellen Keimplasma enthalten, wenn auch in gebundenem Zustand, inaktiv und un - zerlegbar. Man wird dieses Stadium der Knospungs-Phylogenese wohl von dem ersten ableiten dürfen, so dass also mit zu - nehmender Differenzirung der Pflanzen neben Zellen mit vollem Keimplasma nun auch solche auftraten, die nur bestimmte einzelne Determinanten enthielten, und dieses kann dann zu dem Zustand hingeführt haben, den wir heute bei den höchsten Gewächsen finden, und der sich dadurch kennzeichnet, dass viele Zellen blos specifische Determinanten enthalten, zahlreiche andere daneben noch Keimplasma in gebundenem und nur unter ge - wissen Einflüssen aktiv werdendem Zustand. Ich werde darauf in einem späteren Abschnitt zurückkommen.

Auch bei den verschiedenen niederen Thiergruppen, bei welchen Knospung vorkommt, wird ein gemeinsamer Ursprung derselben nicht angenommen werden dürfen. Wenn aber auch Knospung unabhängig in verschiedenen Abtheilungen des Thier - reichs entstand, so wird die Entstehungsgeschichte derselben im Wesentlichen überall dieselbe gewesen sein, da Knospungs - Idioplasma sich schon in der Eizelle vom Keimplasma abge - spaltet haben muss, insofern nur in diesem sämmtliche Determi - nanten der Art sich bei einander befinden. Auch heute muss das Knospungs-Idioplasma schon als solches im Keim - plasma enthalten sein, weil es andernfalls nicht selbst - ständig und erblich variirt haben könnte. Dass es dies aber gethan hat, beweist die Knospung der Medusen von Polypen und viele andere Fälle von Generationswechsel.

Balfour1)Francis M. Balfour, Handbuch der vergleichenden Embryo - logie , übersetzt von Vetter, Jena 1880, Bd. I, p. 12. glaubte die Knospung auf jene Theilungen der befruchteten Eizelle zurückführen zu können, welche bei224 einzelnen Thierformen beobachtet werden und zur Bildung von zwei Individuen führen. Er meinte, wenn man sich diese Ver - doppelung in spätere Stadien der Ontogenese verschoben denke, so erhalte man Knospung. Er sagt darüber: Während es nahezu unmöglich ist, sich vorzustellen, wie die Erzeugung einer Knospe zum ersten Mal bei den Erwachsenen von hoch - organisirten Formen beginnen könnte, erscheint es keineswegs schwierig, sich ein Bild von den verschiedenen Zwischenstufen zu machen, vermittelst welcher die Spaltung eines Keimes all - mälig bis zu der Ausbildung von Knospen in erwachsenem Zu - stande führen könnte. Leider hat der geniale Forscher uns keine ins Einzelne gehende Durchführung dieses Gedankens hinterlassen; es ist aber, wie mir scheint, eine Herleitung der Knospung von der Verdoppelung des befruchteten Eies durch Theilung nicht so einfach und selbstverständlich, als man auf den ersten Blick glauben möchte.

Gesetzt, ein befruchtetes Ei erlangte die Fähigkeit, sich durch Theilung zu verdoppeln, so würden dann die beiden ersten Furchungszellen keine Blastomeren mehr in physiologischem Sinne sein, sondern selbst wieder Eizellen, befähigt, ein ganzes Thier aus sich hervorgehen zu lassen. Dies ist noch keine Knospung, und auch durch Verschiebung dieses Verdoppelungs - vorganges auf spätere Stadien würde keine Knospung entstehen, sondern nur Vervielfachung der Eizelle; man erhielte dann statt zwei Eizellen deren vier, acht, sechszehn u. s. w. Denkt man sich aber die Theilung des Eies derart, dass die beiden Hälften zunächst noch beisammen bleiben, als bildeten sie zusammen nur einen Embryo, so erhalten wir den Zustand, den Kleinen - berg bei einem Regenwurm (Lumbricus trapezoides) nachwies, in welchem die Entwickelung bis zum Gastrula-Stadium schein - bar einfach ist, weil dann erst die Trennung der beiden Em - bryonen von einander erfolgt. Lassen wir nun die Trennung225 der beiden Embryonen auch viel später erst erfolgen, vielleicht erst nach ihrer vollkommenen Ausbildung, so wird doch keine Knospung daraus entstehen, sondern nur eine Verdoppelung des Embryo.

Damit Knospung daraus werde, ist noch eine wesentliche Veränderung des Vorganges unerlässlich, nämlich die Zurück - haltung der Entwickelung der einen Eihälfte. Wenn die eine der beiden einem Ei gleichwerthigen Blastomeren nicht sofort mit der anderen in Embryogenese einträte, sondern im einzelligen Zustand verharrte, von dem aus der andere Blasto - mere entstehenden Embryo eingeschlossen würde und dann später, nachdem dieser schon zum fertigen Thier sich aus - gebildet hat, in Entwickelung träte, dann hätten wir Knospung. Ich will nicht bestimmt behaupten, dass die Phylogenese der Knospung nicht so vor sich gegangen sein könnte. Es wäre ja nicht geradezu undenkbar, dass eine Zurückhaltung der Ent - wickelung bei der einen Blastomere eingetreten wäre und sich später immer weiter vom Ausgangspunkt der Ontogenese weg verschoben hätte. Damit aber die heute vorliegende Erscheinung auch der einfachsten Knospungsform entstehe, müsste diese Ver - schiebung noch mindestens einen Schritt weiter gegangen sein; es müsste nicht nur eine Verschiebung nach vorwärts, sondern zugleich eine nach rückwärts erfolgt sein, d. h. die Spaltung des Eies in zwei Eier müsste unterdrückt und dafür die blosse Spaltung des Keimplasma’s eingetreten sein.

Denn wir sehen ja bei Hydroiden oder anderen durch Knospung sich fortpflanzenden Thieren, dass die Eizelle sich nicht in zwei Blastomeren theilt, von denen die eine gewisser - massen als Reservezelle für die später eintretende Knospung dient; beide Blastomeren theilen sich vielmehr weiter und bilden zusammen den Embryo, und auch von dessen Zellen kann keine schon als Knospungszelle bezeichnet werden, die Knospungs -Weismann, Das Keimplasma. 15226zellen treten vielmehr erst weit später auf, wenn der Polyp schon ausgebildet ist. Wenn also Knospung in diesem Falle aus Verdoppelung des Eies hervorgegangen ist, so muss diese Verdoppelung selbst wieder zurückgegangen sein, und nur ihr wesentlichster Inhalt geblieben: dass nämlich Keimplasma in gebundenem Zustand dem aktiven Keimplasma der Eizelle beigesellt blieb und dann gewissen Zellfolgen der Ontogenese mitgegeben wurde.

Mag sich nun der Vorgang der Knospung wirklich aus der Ei-Verdoppelung abgeleitet haben, oder nicht, so viel scheint mir jedenfalls sicher, dass der idioplasmatische Vorgang dabei zuerst die Verdoppelung der Ide des Keimplasma’s in der befruchteten Eizelle gewesen sein muss, und dass diese eintrat, ohne dass damit schon eine Theilung der Eizelle verbunden war, so also, dass die eine Hälfte des Keimplasma’s als Knospen-Keimplasma in gebundenem, unthätigen, aber vermehrungsfähigen Zustand verharrte. Dieses Knospenplasma wurde dann bei der ersten Theilung der Eizelle einer der beiden ersten Furchungszellen als Neben-Idioplasma beigegeben und ging von dieser dann durch bestimmte Zellfolgen weiter, immer in gebundenem Zustand, und erst dann zur Aktivität übergehend, wenn es im ausgebildeten Thier an gewisse Stellen gelangte, wo es nun Knospung veranlasste.

Es ist mir nicht undenkbar, dass die Knospung phyletisch von einer solchen spontanen Spaltung und Verdoppelung des Keimplasma’s der Eizelle ausging, die von vornherein mit In - aktivität der einen Hälfte verbunden war, und dass somit ihr Zusammenhang mit der Ei-Verdoppelung nicht der oben an - gedeutete war, d. h. dass Knospung nicht aus Ei-Verdoppelung hervorging, sondern dass beide Vorgänge, die Ei-Verdop - pelung und die Knospung ihre Wurzel in einer Spaltung und Verdoppelung des Keimplasma’s der Eizelle haben,227 die ja ohnehin der Ei-Verdoppelung zu Grunde liegen muss. Der Unterschied bei beiden Vorgängen läge dann darin, dass bei der Knospung die eine Hälfte des gespaltenen Keim - plasma’s in den Zustand der Inaktivität überging, während bei der Ei-Verdoppelung beide Hälften sofort aktiv wurden.

Complicirter wird die idioplasmatische Grundlage der Knospung, sobald nicht blos ein Keimblatt die Knospung ver - mittelt, sondern deren zwei, oder gar drei. Hier muss eine Zerlegung des zuvor gebundenen Knospenkeimplasma’s statt - finden, und zwar auf bestimmten Stadien der Ontogenese, z. B. bei der Trennung von Entoderm und Ektoderm, und etwa noch - mals bei der Trennung des Mesoderm von einem der beiden Haupt-Keimblätter. Diese Zerlegung des Neben-Keimplasma’s in zwei oder drei Gruppen gebundenen Neben-Idioplasma’s brauchte nicht nothwendigerweise in genau derselben Combi - nation von Determinanten zu erfolgen, wie bei der Embryo - genese, und so können wir uns erklären, dass entodermale Or - gane von knospenden Ektodermzellen ihren Ursprung nehmen können, wie bei den Mooskorallen u. s. w., oder dass gar drei Keimblätter bei dem Zustandekommen einer Knospe zu - sammenwirken.

Ich halte den umgekehrten Weg der Knospungs-Phylo - genese für die Thiere für unwahrscheinlich. Man könnte ja auch hier daran denken, dass bei heute ausgestorbenen nieder - sten Metazoen alle oder viele Zellen des Körpers noch Keim - plasma enthielten, wie das oben für niedere viellzellige Pflanzen als möglich angenommen wurde. Aus jeder dieser Zellen hätte dann ein ganzes Thier unter Umständen hervorgehen können. Diese Annahme würde aber allein für sich nur so lange ge - nügen, als die durch Knospung entstehenden Individuen dem aus dem Ei entstandenen völlig gleich sind. Sobald beide sich von einander unterscheiden, wenn auch nur in geringem Grade,15*228so setzt dies die Anwesenheit besonderer Ide im Keim - plasma voraus, denn diese Verschiedenheit kann nur darauf beruhen, dass beide Arten von Individuen selbstständig vom Keim aus variiren können. Wir müssten also zu jener An - nahme noch die hinzufügen, dass im Laufe der Phylogenese das Keimplasma jener somatischen Zellen, von welchen Knos - pung ausging, sich gewissermassen rückwärts in der Ontogenese verdoppelte, bis es endlich auch im Keimplasma der Eizelle als besondere Idgruppe mehrfach enthalten war. Dies ist aber jedenfalls eine verwickelte und kaum sehr wahrscheinliche An - nahme, der die einer primären Verdoppelung der Keimplasma - Ide vorzuziehen sein dürfte. Der folgende Abschnitt wird dies noch deutlicher hervortreten lassen.

Capitel V. Die idioplasmatische Grundlage des Generationswechsels.

Von den zur Amphimixis (geschlechtlichen Vermischung) bestimmten Keimen ausgehend, haben wir die bestimmt geordnete Gruppe von Determinanten, welche in den Geschlechtszellen ent - halten sein muss, als Keimplasma bezeichnet. Wir verstehen unter dieser Bezeichnung ein Idioplasma, welches sämmtliche Determinanten der Art enthält. Es giebt indessen zahlreiche Arten, bei welchen die Geschlechtszellen nicht die einzigen sind, welche sämmtliche Determinanten enthalten, sondern bei welchen im Kreislauf des Lebens noch einmal die Weiter - entwickelung von einer einzigen Zelle ausgeht, deren Idioplasma somit ebenfalls aus sämmtlichen Determinanten der229 Art zusammengesetzt sein muss. Dies ist bei den meisten nie - deren Pflanzen, den Moosen, Schachtelhalmen und Farnen der Fall, bei welchen allen die geschlechtliche Fortpflanzung mit ungeschlechtlicher Sporenbildung abwechselt, auch bei solchen Thiergruppen, welche diejenige Form des Generationswechsels aufweisen, die man als Heterogonie bezeichnet. Aber auch bei dem Generationswechsel im engeren Sinne, d. h. bei dem Wechsel von geschlechtlicher Fortpflanzung und Knospung, kann zweimal die Entwickelung des Individuums von einer Zelle ausgehen, wie für die Pflanzenstöcke und die Hydroidpolypen - stöcke schon erwähnt wurde. In allen diesen Fällen tritt in dem Kreislauf des Lebens, welcher von der befruchteten Eizelle wieder zu ihr zurückführt, zweimal eine Zelle auf, deren Idio - plasma sämmtliche Determinanten der Art enthält, und es fragt sich, ob diese beiden Idioplasmen als identisch betrachtet und schlechthin als Keimplasma bezeichnet werden können.

Die Frage wurde oben schon bei Gelegenheit der Knospung von Pflanzen erörtert und dahin entschieden, dass eine völlige Identität des Idioplasma’s der Scheitelzelle und der befruchteten Eizelle nicht angenommen werden kann, weil die Embryogenese, aus welcher der erste bewurzelte Spross hervorgeht, verschieden verläuft von der Zelltheilung, durch welche die Scheitelzelle einen neuen Spross aus sich hervorgehen lässt. Ebenso verhält es sich bei der Herstellung eines Polypen aus einer Knospungs - zelle und aus dem Ei. In beiden Fällen ist zwar das End - resultat ganz oder doch nahezu dasselbe, der Weg aber zu dem - selben ein verschiedener. Wenn also auch genau dasselbe Bion auf beiden Entwickelungswegen entstünde, demnach auch die - selben Determinanten in beiden Ursprungszellen vorhanden sein müssten, so würden diese doch mindestens in verschiedener Gruppirung in beiden Idioplasmen enthalten sein müssen, so dass sie auch in der Ontogenese verschiedene Gruppen durch -230 laufen müssten bis zu ihrer völligen Auseinanderlegung in die einzelnen Determinanten.

Schon in diesem einfachsten Falle würde man genöthigt sein, das eigentliche Keimplasma der Eizelle und Samenzelle von dem Scheitelzellenplasma oder Knospenplasma zu unter - scheiden. Es empfiehlt sich aber, jedes Idioplasma, welches sämmtliche Determinanten der Art enthält, als Keimplasma im weiteren Sinn zu bezeichnen und demnach also mehrere Unterarten des Keimplasma’s, wie Knospen-Keimplasma , Sporen - Keimplasma u. s. w. zu unterscheiden, und dieselben als Neben - Keimplasmen oder Para-Germoplasmen von dem Haupt - Keimplasma oder Stamm-Keimplasma zu unterscheiden.

Man möchte nun vielleicht geneigt sein, überall da, wo zweierlei Arten von Keimplasma im Lebenskreislauf einer Art vorkommen, anzunehmen, dieselben gingen während des Lebens - laufes abwechselnd ineinander über. Diese Ansicht wäre aber nicht haltbar; wir sind vielmehr, wie oben schon gezeigt wurde, zu der Annahme gezwungen, dass beide Arten von Keim - plasma stets gleichzeitig nebeneinander auf den Keim - bahnen weitergegeben werden, und dass abwechselnd die eine oder die andere Art aktiv wird.

Diese Annahme ist deshalb unvermeidlich, weil die phyle - tische Entwickelung der Arten zeigt, dass die einzelnen Gene - rationen eines Generationswechsels selbstständig und erblich sich verändern können. Dies setzt aber voraus, dass jede ihre besonderen Determinanten im Keimplasma hat, andernfalls stets beide Generationen zugleich von einer Keimes - Variation getroffen werden müssten. Es ist ähnlich, wie wir es uns bei der Metamorphose vorzustellen haben. Die Flügel des Schmetterlings müssen als eine Determinantengruppe im Keimplasma enthalten sein. Bildeten sie sich erst durch Um - wandlung von irgend welchen Raupen-Determinanten, so könnten231

Fig. 8.

Daphnia pulex, ein Weibchen mit zwei durch Parthenogenese sich ent - wickelnden Sommer-Eiern im Brutraum b (nach R. Hertwig).

232 die Flügel niemals abändern, ohne dass nicht zugleich irgend welche Bildungen der Raupe abänderten, und umgekehrt.

Es wird nicht uninteressant sein, dies an einigen Beispielen näher zu verfolgen.

Als Ausgangspunkt wähle ich einen Generationswechsel, dessen Generationen sich im ausgebildeten Zustand gar nicht unterscheiden, wohl aber in der Ontogenese: die Heterogonie der Daphniden oder Wasserflöhe. In der Regel besteht der Unterschied der beiden Generationsfolgen bei diesen Crustaceen darin, dass die eine Art von Generationen aus einem dotter - armen Ei, dem Sommerei sich entwickelt, die andere aus einem sehr dotterreichen Ei, dem Winterei. Aus beiden Eiarten ent - wickelt sich ein genau gleiches weibliches Thier (Fig. 8) von der Complication durch das periodische Auftreten von Männchen sehe ich jetzt ab. Die Sommereier werden vom Blute der Mutter aus ernährt, die Wintereier nicht; die Dottermenge der Letzteren bedingt eine andere Art der Embryogenese, und diese

Fig. 9.

Nauplius-Larve von Leptodora hyalina (nach Sars aus Korschelt und Heider’s Lehrbuch der vergleichenden Entwickelungsgeschichte).

setzt nicht nur eine andere Anordnung der Determinanten im Keimplasma voraus gegenüber der des Neben-Keimplasma, son - dern auch verschiedene Determinanten für einen Theil der Embryonalstadien. Noch klarer aber wird die Sache,233 wenn wir eine bestimmte Daphnidenart ins Auge fassen, die Leptodora hyalina, bei welcher die Embryogenese der Winter - eier nur bis zur Bildung der uralten Larvenform der Crustaceen mit nur drei Beinpaaren, dem Nauplius, führt (Fig. 9), während die Sommereier gleich das fertige Thier mit allen Gliedmaassen zur Entwickelung bringen. Allerdings werden die Stadien vom Nauplius zum reifen Thier auch im Sommerei durchlaufen, aber in abgekürzter Form. Das Nauplius-Stadium des Sommereies hat zwar die drei Beinpaare, aber nur in rudimentärer Form, un - brauchbar zum Leben im Wasser. Es müssen also zwei Keim - plasmen-Arten bei Leptodora bestehen, von denen die eine noch alle Determinanten des Nauplius enthält, die andere nur noch einen Theil derselben, und auch diesen wahrscheinlich verändert. Diese beiden Arten von Keimplasmen müssen ge - trennt von einander auf den Keimbahnen von einer Generation der andern überliefert werden, so dass also in jedem Keim - plasma immer zugleich das andere in inaktivem Zustand ent - halten, gewissermassen demselben beigepackt ist. Es scheint mir unmöglich, die Thatsachen anders zu erklären, da es un - denkbar ist, dass ein bereits reducirtes, an Determinanten ärmeres Sommerei-Keimplasma die verlorenen Determinanten je - mals wieder aus sich heraus sollte erzeugen können.

Die phyletische Entstehung solcher zweierlei Keim - plasma-Arten müsste sehr räthselvoll erscheinen, wenn wir ge - zwungen wären, die Keimplasma-Einheit als nur einmal vor - handen im Kern der Keimzelle anzunehmen. Wir haben in - dessen von vornherein die entgegengesetzte Annahme gemacht, und es wird sich später noch zeigen, dass die geschlechtliche Fortpflanzung, die Amphimixis, zu einer sicheren Begründung der Vorstellung leitet, dass in dem Keimplasma aller auf ge - schlechtlichem Wege sich fortpflanzenden Arten stets mehrere, wahrscheinlich sogar viele Keimplasma-Einheiten oder Ide ent -234 halten sein müssen. Wenn nun in der Sommergeneration von Leptodora eine Reduction der Nauplius-Determinanten nützlich war, so wird sie im Laufe der Generationen durch Selection derart eingetreten, gesteigert und fixirt worden sein, dass die abgekürzte Embryogenese dabei herauskommen musste. Sie wird aber nur allmälig sich gesteigert haben, und zwar derart, dass zuerst nur bei einigen Individuen die Sommereier zahl - reichere reducirte, als nicht reducirte Ide enthielten, und wenn nun die alte, nicht abgekürzte Embryogenese für die Winter - generation vortheilhafter war, werden niemals sämmtliche Ide die Nauplius-Determinanten verloren oder abgeändert haben, sondern immer nur ein Theil von ihnen, und es muss aus dem Kampf der abgeänderten Ide, welche im Sommer vortheilhafter waren und der unveränderten, welche im Winter vortheilhafter waren, schliesslich ein Gleichgewicht der beiden Id-Arten her - vorgegangen sein, darin bestehend, dass ebensoviel abgeänderte als nicht abgeänderte Ide das Keimplasma der Art zusammen - setzten, und dass dieselben in ihrer Herrschaft über das Ei mit - einander abwechselten, so zwar, dass jede von ihnen eine bestimmte Generationszahl hindurch inaktiv und gebunden bleibt, eine andere Generationszahl hindurch aber aktiv wird. Diese Normirung der beiden Keimplasma-Arten auf bestimmte Aktivi - täts - und Inaktivitätsperioden lässt sich direkt beobachten, inso - fern man feststellen kann, wie viele Generationen mit Sommer - eier-Production sich folgen, ehe wieder eine mit Wintereier - Production auftritt, und ich habe vor geraumer Zeit schon nachgewiesen1)Siehe meine Beiträge zur Naturgeschichte der Daphnoiden in der Zeitschrift für wiss. Zool., u. separat Leipzig 1876 1879., dass diese Normirung bei verschiedenen Daph - niden-Arten eine sehr verschiedene ist, und dass sie in genauer Beziehung zur Lebensweise der Art steht. Bei solchen Arten, die in ganz kleinen und rasch austrocknenden Wasser-Ansamm -235 lungen (Pfützen) leben, wechseln die beiden Arten der Eibildung sehr rasch miteinander ab, weil nur die Wintereier mit ihren dicken Schalen das Aussterben der Kolonie verhindern, falls die Pfütze plötzlich austrocknet, während alle Arten, welche in grossen Wasseransammlungen leben, in Teichen und Seen, die niemals austrocknen, eine grosse Zahl von Generationen hindurch nur Sommereier hervorbringen und erst bei Herannahen des Winters zur Erzeugung der anderen Eiart übergehen, welche auch nach dem Absterben der Kolonie den Bestand derselben durch Überwintern sicher stellen.

In ähnlicher Weise wird man es sich vorzustellen haben, wenn die Endstadien der Ontogenese sich verändern.

Bei den Blattläusen der Gattung Aphis kommen aus dem befruchteten Ei weibliche, aber zur Begattung unfähige Thiere, da ihnen das zur Befruchtung der Eier unentbehrliche Receptaculum seminis fehlt. Dafür besitzen sie die Fähigkeit, ihre Eier schon im Ovarium auf parthenogenetischem Wege zur Entwickelung zu bringen. Aus ihren Jungen gehen ähn - liche Weibchen ohne Begattungs-Vorrichtung hervor, die wieder ihres Gleichen hervorbringen, zuletzt aber bringt eines dieser durch Parthenogenese entstandenen Weibchen auch wieder durch Parthenogenese zugleich begattungsfähige Weibchen hervor und Männchen, die sich beide meist schon durch Körperform und Farbe, immer aber durch den Bau der Fortpflanzungsorgane und Geschlechtsprodukte von den vorhergehenden Generationen unterscheiden. Die Embryogenese aber dieser Geschlechtsthiere ist dieselbe, wie bei jenen.

Hier sind die Determinanten des reifen Thieres in den parthenogenetischen Generationen verändert worden, denn die geschlechtliche Fortpflanzung ist die ursprünglichere. Nehmen wir also einmal an, die Geschlechtsgeneration sei sich ganz gleich geblieben seit der Einführung des Generationswechsels236 bei den Blattläusen was wohl nicht genau zutrifft , so hätte man sich die phyletische Veränderung des Keimplasma’s so vorzustellen, dass in der einen Hälfte der Ide die Determi - nanten der Samentasche sich rückgebildet hätten, während andere Determinanten, z. B. diejenigen der Hautfärbung u. s. w. ab - geändert hätten. Beide Id-Arten, die abgeänderten und die nicht abgeänderten müssen in demselben Keimplasma bei einander liegen, aber alternirend das Ei beherrschen, also niemals gleich - zeitig aktiv werden.

In diesem Falle der Blattläuse ist die Abänderung des ge - sammten Körperbaues, den die eingeschobenen Generationen erlitten haben, nur gering. Es giebt aber zahlreiche Fälle von Generationswechsel, bei welchen die Abweichungen des Baues der beiden Generationen sehr bedeutende sind, nicht selten so bedeutend, dass man eine gänzlich verschiedene Thiergruppe vor sich zu haben glaubt, je nachdem man die eine oder die andere ins Auge fasst.

So verhält es sich beim Generationswechsel der Me - dusen. Hier war der Polyp die ursprüngliche Form, und bei den meisten Medusen-Arten entwickelt sich auch heute noch aus dem befruchteten Ei der Meduse ein Polyp. Von diesem aber, oder doch von seinen durch Knospung erzeugten gleich - artigen Nachkommen entstehen dann ebenfalls durch Knospung wieder Medusen (Fig. 10). Wenn wir von den geringen Unter - schieden des Ei-Keimplasma’s und des Knospen-Keimplasma’s der Einfachheit halber absehen, so spielen hier im Entwickelungs - cyklus der Art zwei Keimplasmen mit, die in sehr vielen, ja fast allen ihren Determinanten verschieden sein müssen, ja auch in der Zahl der Determinanten, denn die Meduse ist mit einer Menge von Theilen und Organen ausgerüstet, die der einfachere Polyp nicht besitzt. Wir werden also hier zweierlei ganz ver - schiedene Ide anzunehmen haben, welche in gleicher Anzahl237 das Keimplasma zusammensetzen, und deren Aktivitäts-Perioden miteinander abwechseln. Die Ide des später entstandenen Neben - Keimplasma’s müssen grösser sein, weil sie zahlreichere Determi - nanten enthalten, als die Ide des Stamm-Keimplasma’s. Es scheint nicht unmöglich, dass wir dereinst im Stande sein werden,

Fig. 10.

Bougainvillea ramosa nach Allman; Polypenstöckchen mit h Nähr - polypen und mk Medusenknospen; m losgelöste junge Meduse (Margelis ramosa) aus A. Lang’s Lehrbuch der vergleich. Anatomie.

diese Grössenunterschiede direkt mit dem Mikroskop nachzu - weisen, wenn wir erst Sicherheit darüber haben werden, ob in der That jene als Mikrosomen bezeichneten Körner der rosen - kranzartig zusammengesetzten Kernstäbchen die Ide sind. Auch die Gesammtzahl der Kernstäbchen oder Idanten wird möglicher - weise eine Bestätigung der Theorie bringen können, insofern es238 wahrscheinlich ist, dass bei Arten mit Generationswechsel die Ide, und also wohl auch die Idanten sich während der Ent - stehung desselben verdoppelt haben. Denn wenn meine Ansicht richtig ist, nach welcher eine bestimmte Masse von Keimplasma erforderlich ist, um die normale Entwickelung einer bestimmten Eiart hervorzurufen, so wird eine Verdoppelung Hand in Hand gegangen sein müssen mit dem periodischen Inaktivwerden der Hälfte der Ide.

Etwas anders, und zwar verwickelter, gestaltet sich die Idioplasma-Mechanik des Generationswechsels, sobald die zweite Generation nicht von einer einzigen Zelle aus entsteht, sondern von mehreren zugleich aus, die verschiedenen Schichten des Körpers entstammen. Dahin gehört die Strobilation der höheren Medusen und die der Bandwürmer; die Knospung der Salpen bildet dazu den Übergang.

Bei diesen Letzteren folgen sich zwei nach Körperform und Vermehrungsweise verschiedene Generationen; die erste der - selben, die sog. Kettenform, pflanzt sich auf geschlechtlichem Wege fort, die zweite, die der Einzel-Salpen, durch Knospung. Bei Besprechung der Knospung wurde schon darauf hingewiesen, dass diese Knospung durch ein Zusammenwirken von Ektoderm - und Mesodermzellen zu Stande kommt. Wir werden uns also vorzustellen haben, dass das Keimplasma der Ei - und Samen - zellen auch hier aus zweierlei Iden zusammengesetzt ist, welche alternirend aktiv werden, und von welchen die einen die De - terminanten für die Knospung, die andern diejenigen für die Embryogenese enthalten. Während aber bei den Hydroid - Polypen und - Medusen die Determinanten der Knospungs-Ide in einer Zelle beisammen bleiben, müssen sie sich hier schon während der Embryogenese der Einzel-Salpe in Gruppen zer - legen, welche theils Ektoderm -, theils Mesoderm - und Entoderm - zellen als inaktives und gebundenes Neben-Idioplasma beigegeben239 werden. Sie werden erst aktiv und veranlassen Knospung, wenn sie an einem bestimmten Ort, nämlich im Keimstock, dem Stolo prolifer, angelangt sind.

Von hier aus zur Entstehung der höheren Medusen oder Acalephen durch sog. Strobilation ist nicht mehr weit. Auch bei dieser (Fig. 11) entstehen die Geschlechtsthiere des Gene - rationswechsels durch ungeschlechtliche Vermehrung, und zwar durch Theilung eines Polypen in scheibenförmige, wie ein Satz Teller aufeinander liegende Stücke, von denen jedes sich in eine Meduse verwandelt. Wäre es eine Meduse, die sich in die Stücke zertheilte, so hätten wir einfache Regeneration; der Vorgang der Differenzirung einer solchen Strobila-Scheibe zur Meduse beruht auf genau derselben Idioplasma-Mechanik, die der Re -

Fig. 11.

Entwickelung von Medusen durch Strobilation. 1 die aus dem Ei entstandene Larve; 2 5 ihre Ausbildung zum Polypen; 7 ein solcher Polyp vom Mundpol gesehen; 6, 8 und 9 Quertheilung des Polypen in scheibenförmige Stücke; 10 Loslösung dieser Stücke als junge Medusen; 11 und 12 eine junge Meduse. (Aus Hatschek’s Lehrbuch der Zoologie.)

240 generation eines Wurmes zu Grunde liegt, dem man den Kopf abgeschnitten hat, oder der sich spontan theilt. Auch hier müssen den verschiedenen Zellen des Polypenleibes verschiedene Determinantengruppen der Meduse als inaktives Neben-Idioplasma beigegeben sein, welche bei der Strobilation aktiv werden und die höchst complicirte, acht - oder mehrstrahlig gebaute, mit Augen, Gehörorganen und Riechgrübchen ausgerüstete Meduse hervorrufen. Der Unterschied von der einfachen Theilung mit Regeneration liegt nur darin, dass bei ihr die Ersatz-Determi - nanten der Körperzellen dieselben sind, wie diejenigen waren, welche diesen Körper aufbauten. Bei der Strobilation muss das Keimplasma der Ei - und Samenzellen, welche die Geschlechts - generation, die Meduse, hervorbringt, zweierlei, nicht blos einerlei Ide enthalten, Polypen - und Medusen-Ide; die Letzteren bleiben bei der Ontogenese des Polypen zwar inaktiv und nehmen keinen Theil an der Beherrschung der Zellen, aber sie sind nicht ab - solut gebunden, sondern zerlegen sich während der Ontogenese in viele verschiedene Determinantengruppen und vertheilen sich zugleich auf verschiedene Zellen in regelmässiger und völlig gesetzmässiger Weise. Es ist sehr wahrscheinlich, dass alle Zellen des Polypen, sowohl die des Entoderms, als des Ektoderms mit Neben-Determinanten ausgerüstet sind, so dass jede Polypen - zelle zugleich die Anlage für irgend einen Theil der Meduse enthält; doch haben wir darüber keine Gewissheit, da noch keine Untersuchungen über die Zellfolgen, welche vom Polypen zur Meduse führen, angestellt worden sind.

Die idioplasmatische Grundlage des Generations - wechsels muss also in allen Fällen ein Keimplasma mit mindestens zweierlei verschieden gebauten Iden sein, von denen abwechselnd die eine und die andere Art die Beherrschung des sich entwickelnden Wesens über - nimmt.

241

Capitel VI. Die Bildung von Keimzellen.

1. Die Continuität des Keimplasma’s.

Wenn die Vererbung auf der Anwesenheit einer Substanz beruht, dem Keimplasma, und wenn dieses das neue Individuum dadurch ins Leben ruft, dass es den Theilungsprocess der Onto - genese leitet, indem es sich in gesetzmässiger Weise verändert, so fragt es sich, wieso es sich dann doch wieder in den Keimzellen des neuen Individuums einstellen kann. Die Ver - erbung der Eigenschaften des Elters auf das Kind kann nur darauf beruhen, dass die Keimzelle, aus welcher das Kind ent - steht, genau die gleichen Ide von Keimplasma enthalten kann, welche in der Keimzelle enthalten waren, aus welcher der Elter sich entwickelte; nun erleidet aber das Keimplasma zahllose Veränderungen während der Entwickelung des Eies zum Elter, wie ist es also möglich, dass dennoch dieselbe Substanz wieder in den Keimzellen des Elters enthalten sein kann?

Es liegen offenbar nur zwei Möglichkeiten vor, entweder sind die Veränderungen, welche das Keimplasma während des Aufbaues des Körpers erleidet, von solcher Art, dass sie wieder rückgängig gemacht werden können, entweder kann also das Idioplasma aller oder wenigstens eines Theiles der Körperzellen wieder in Keimplasma zurückverwandelt werden, von dem es ja indirekt herstammt, oder, falls dies nicht möglich ist, das Keimplasma der Keimzellen des Kindes muss sich direkt von demjenigen der elterlichen Keimzelle herleiten. Die letztere An - sicht ist diejenige, welche ich schon vor mehreren Jahren auf - gestellt und als die Hypothese von der Continuität des Keimplasma’s bezeichnet habe. 1)Weismann, Die Continuität des Keimplasma’s als Grundlage einer Theorie der Vererbung . Jena 1885.Eine dritte MöglichkeitWeismann, Das Keimplasma. 16242giebt es nicht, da eine völlige Neubildung des Keimplasma’s ausgeschlossen ist.

Die Hypothese beruht auf der Anschauung eines Gegen - satzes von Körperzellen und Fortpflanzungszellen, wie wir ihn thatsächlich bei allen Thier - und Pflanzenarten beobachten, von den höchst differenzirten bis herab zu den niedersten Heter - plastiden unter den koloniebildenden Algen.

Ich nehme an, dass Keimzellen sich nur da im Körper bilden können, wo Keimplasma vorhanden ist, und dass dieses Keimplasma unverändert und direkt von jenem abstammt, wel - ches in der elterlichen Keimzelle enthalten war. Es muss also, nach meiner Auffassung, bei jeder Ontogenese ein Theil des im Eikern enthaltenen Keimplasma’s unverändert bleiben, und als solcher bestimmten Zellfolgen des sich entwickelnden Körpers beigegeben werden. Das beigegebene Keimplasma befindet sich im inaktiven Zustand, so dass es das aktive Idioplasma der Zelle nicht hindert, ihr einen mehr oder minder specifischen Charakter aufzudrücken. Dasselbe muss sich aber auch ferner noch dadurch von dem gewöhnlichen Zustand des Idioplasma’s unterscheiden, dass es seine Determinanten fest zusammenhält und sie bei den Zelltheilungen nicht in Gruppen in die Tochter - zellen vertheilt. Dieses Neben-Keimplasma wird also in ge - bundenem Zustande durch mehr oder minder lange Zellfolgen hindurch weitergegeben, bis es schliesslich zuerst seine Inakti - vität in irgend einer von der Eizelle mehr oder weniger weit entfernten Zellengruppe aufgiebt und nun der betreffenden Zelle den Stempel der Keimzelle aufdrückt. Diese Versendung des Keimplasma’s von der Eizelle bis zu der Keimstätte der Fort - pflanzungszellen hin geschieht in gesetzmässiger Weise und durch ganz bestimmte Zellfolgen hindurch, welche von mir als Keimbahnen bezeichnet wurden. Sie sind nicht äusserlich kenntlich, lassen sich aber von ihren Endpunkten, den Keim -243 zellen aus rückwärts bis zur Eizelle zurück erschliessen, voraus - gesetzt, dass der Zellen-Stammbaum der Embryogenese be - kannt ist.

Gestützt wurde diese Annahme zunächst auf die Thatsache, dass zuweilen, wenn freilich auch nur in seltenen Fällen ein direkter oder doch sehr naher Zusammenhang der Keimzellen zweier aufeinander folgender Generationen nachweisbar ist. Bei den Zweiflüglern unter den Insekten trennt die erste Theilung der in Embryogenese eintretenden Eizelle das Kernmaterial der späteren Keimzellen des Embryo von dem Kernmaterial der somatischen Zellen, hier also stammt wirklich das Keim - plasma der kindlichen Keimzellen direkt von dem der elterlichen Keimzelle.

Wenn man nun auch diesen Fall gewiss nicht als einen primären, aus uralter Zeit unverändert auf uns gekommenen betrachten darf, vielmehr als eine erst mit dieser Insekten - ordnung getroffene Einrichtung, so beweist er doch, dass eine solche direkte Abstammung jeder Keimzell-Generationen von der vorhergehenden möglich ist, und dass das Keimplasma, welches dadurch dem Aufbau des somatischen Theils des Em - bryo’s entzogen wird, von diesem nicht benöthigt wird.

An diesen Fall schliesst sich dann die Embryogenese der Daphniden, bei welchen die Ur-Keimzellen schon während der ersten Furchungsstadien des Eies sich sondern (Fig. 14), ferner die Embryogenese von Sagitta, bei welcher dies erst im Stadium der Gastrula vor sich geht (Fig. 13). Viel später geschieht es bei den Wirbelthieren, aber doch auch noch innerhalb der ersten Hälfte der Embryogenese, während bei den Hydroiden, und zwar sowohl den stockbildenden als den solitären die Keimzellen am spätesten auftreten, nämlich noch gar nicht in der aus dem Ei kommenden Person, sondern erst in den Personen einer viel späteren, durch fortgesetzte Knospung16*244aus jener ersten hervorgegangenen Generation. Ebenso verhält es sich bei den höheren Pflanzen, insofern auch bei ihnen der erste aus dem Samen kommende Spross niemals schon Keim - zellen enthält oder solche Zellen, die später sich zu solchen differenziren. In allen diesen zuletzt genannten Fällen sind die späteren Keimzellen in der durch Embryogene entstandenen ersten Person noch nicht als besondere Zellen vorhanden, sie bilden sich vielmehr erst aus den entfernten Nachkommen be - stimmter, diese erste Person zusammensetzender Zellen. Diese Vorfahren der Keimzellen lassen sich aber als solche nicht er - kennen, sondern sind somatische Zellen, d. h. betheiligen sich am Aufbau des Körpers in derselben Weise, wie zahlreiche andere somatische Zellen und können in verschiedenem Grade histologisch differenzirt sein.

Somit lässt sich also eine Reihe von Organismen-Arten herstellen, deren Keimzellenbildung in sehr verschiedener Ent - fernung von der Eizelle beginnt und welche die Deutung ge - stattet, dass sich die befruchtete Eizelle der ersten Metazoen zunächst in zwei Zellen getheilt habe, in die Zelle für den Aufbau des Körpers (Soma) und in die für die Herstellung der Keimzellen, dass aber später eine Verschiebung in der Trennung des idioplasmatischen Materials für beide Theile eingetreten sei, derart, dass die unverändert bleibende Portion des Keimplasma’s in inaktivem Zustande einer der somatischen Theilhälften der Eizelle als Neben-Idioplasma beigegeben, und von dieser wieder einer der Somazellen zweiter, dritter, vierter Generation über - liefert worden sei, bis schliesslich z. B. bei den Hydroiden die Verschiebung der Keimzellen-Sonderung den höchsten Grad er - reichte und das unveränderte Keimplasma der befruchteten Ei - zelle erst nach Durchlaufung einer langen Reihe von somatischen Zellen zur Bildung von Keimzellen führte.

Ein wirklicher Beweis für die Richtigkeit dieser Deutung245 liegt zunächst in diesen Thatsachen noch nicht; es könnte ja auch die Reihe in umgekehrter Richtung sich entwickelt haben, der primäre Zustand könnte der der späten Differenzirung der Keimzellen gewesen sein, und aus diesem erst in einzelnen Fällen sich eine frühere bis ganz frühe Differenzirung derselben heraus - gebildet haben. Man kann sogar kaum daran zweifeln, dass die frühe Differenzirung bei den Dipteren und Daphniden sekundärer Natur ist; auch wird sogleich zu zeigen sein, dass bei den Hydroiden Verschiebungen der Bildungsstätte der Keim - zellen im Sinne ihrer früheren Differenzirung geradezu nach - weisbar sind. Aber die angeführten Thatsachen befürworten doch insofern die ihnen gegebene Deutung, als sie zeigen, dass die Keimzellen sich keineswegs stets erst zu der Zeit und an der Stelle bilden, an und zu welcher sie verwendet werden sollen; dass ihre Bildungszeit thatsächlich eine sehr verschiedene ist, und dass somit eine Verschiebung derselben im Laufe der Phylogenese stattgefunden haben muss. In welcher Richtung dieselbe ursprünglich stattgefunden hat, ob vom Ei aus gegen das Ende der Ontogenese hin, oder umgekehrt, darüber müssen weitere Thatsachen die Entscheidung geben.

Hier liesse sich zunächst die Thatsache geltend machen, dass bei keinem noch so niederen Thier die Zerstörung der Geschlechtsdrüsen die Bildung von Geschlechtszellen an irgend einer andern Stelle des Körpers zur Folge hat. Wenn sich Keimzellen aus beliebigen jungen Zellen bilden könnten, so sollte man erwarten, dass Castration diese Folge hätte. Nichts von dem geschieht, vielmehr verhält es sich ganz so wie mit irgend einem jener hoch specialisirten Organe, wie die Leber, die Nieren, die Centraltheile des Nervensystems bei den Wirbelthieren, die einmal entfernt sich nie wieder ersetzen. Wir werden dies nach unserer heutigen Auffassung so erklären, dass ihre Wiederbildung unmöglich ist, weil die für ihre Ent -246 stehung erforderlichen Determinanten in keinen andern Zellen des Körpers vorhanden sind. Derselbe Schluss wird so scheint mir auch für den Fall der Keimzellen unvermeidlich sein; es muss an dem für die Bildung von Keimzellen nöthigen Idioplasma, dem Keimplasma fehlen, und dasselbe muss mindestens in diesen Fällen sich aus somatischem Idio - plasma nicht herstellen lassen.

Vielleicht noch zwingender sprechen die Thatsachen bei den Hydroiden1)Weismann, Die Entstehung der Sexualzellen bei den Hydro - medusen . 40 mit Atlas von 25 Tafeln. Jena 1883., weil es sich hier nicht um den Ver - such einer künstlichen, sondern um eine thatsächlich statt - findende natürliche Verlegung der Keimstätte handelt. Wie schon gesagt, entstehen die Keimzellen der Hydroiden erst sehr spät, erst in einer Entfernung von Hunderten, ja von Tausenden von Zellgenerationen von der befruchteten Eizelle ab gerechnet. Bei den Arten mit ausgebildetem Generations - wechsel bilden sie sich erst in den von einem Polypenstöckchen hervorknospenden Medusen und zwar an einer ganz bestimmten Stelle, bei den meisten im Ektoderm des von der Glocke herabhängenden Magenstiels (vergl. Fig. 10). Bei der jungen Medusenknospe ist noch keine Spur von ihnen zu sehen, ja oft differenziren sie sich von den übrigen Zellen des Ektoderm’s überhaupt erst, nachdem die Meduse sich schon vom Polypen - stock losgelöst und zum selbstständigen, freischwimmenden Thier entwickelt hat. Alsdann wandelt sich ein Theil der Ektoderm - zellen der bezeichneten Stelle in Eizellen oder Spermazellen um.

Es giebt nun Polypen-Arten, welche zwar in früheren Zeiten der Art-Entwickelung Medusen als Geschlechtsthiere her - vorbrachten, bei welchen aber heute diese Medusen sich nicht mehr loslösen, sondern am Stock sitzen bleiben und somit nicht mehr der Verbreitung der Geschlechtsprodukte, sondern nur247 deren Erzeugung und Reifung vorstehen. Diese Arten zeigen uns eine Reihe verschiedener Stadien eines Rückbildungsprocesses der Medusen zu blossen sogenannten Gonophoren oder Ge - schlechtssäcken. Bei gewissen Arten haben die Geschlechts -

Fig. 12.

Schema zur Rückbildung der Meduse zum blossen Geschlechtssack. A. Medusenknospe. B. Meduse kurz vor ihrer Ablösung. C. Rück - gebildete Meduse, an welcher Glocke und Magenstiel noch vorhanden sind, dagegen Mund und Tentakel fehlen. D. und E. Noch weiter fort - geschrittene Rückbildung. (Aus Hatschek’s Lehrbuch der Zoologie).

personen des Stockes noch ganz die Gestalt von Medusen und entbehren nur der Augen und Randfühlfäden, bei andern ist die Glocke zu einem geschlossenen Sack rückgebildet, dessen248 Wand aber noch immer die Radiärkanäle und den Ringkanal der Medusenglocke enthalten, bei noch andern sind auch diese Kanäle geschwunden und nur die drei charakteristischen Schichten der Medusenglocke sind geblieben, wenn auch so dünn geworden, dass sie nur noch auf mikroskopischen Schnitten nachweisbar sind. Zum Schluss des ganzen Processes bildet sich auch diese dreifache Wandung des Sackes zurück, wird einfach und ge - stattet dann nur noch auf Umwegen ihre Herleitung von einer Medusenglocke. In allen diesen Stadien des Rückbildungs - processes aber dienen diese Gonophoren stets zur Reifung der Eier oder des Samens.

Was uns nun hier interessirt, ist das Verhalten der Keim - zellen im Verlauf dieser Rückbildungsprocesse. Die ganze Rück - bildung der Medusen geht nämlich von den Keimzellen aus und zwar dadurch, dass dieselben immer früher gebildet und immer rascher zur Reife gebracht werden sollten.

Es ist nicht nöthig, auf die Motive zu dieser Beschleuni - gung der Geschlechtsreife einzutreten; es genügt zu wissen, dass schon bei einigen Arten mit sich loslösenden Medusen, wie bei Podocoryne carnea, die Eizellen früher entstehen, als die Me - dusenknospe, in welcher sie später zur Reife gelangen, und dass in dem Maasse, als die Rückbildung der Medusen zu blossen Keimsäcken vorschreitet, die Ursprungsstätte der Keimzellen (die Keimstätte ) weiter und weiter zurückrückt in immer ältere, d. h. früher gebildete Theile des Stockes hinein. Der Vortheil liegt darin, dass die Keimzellen früher heranwachsen und in reiferem Zustand später, wenn die Keimsäcke hervorknospen, in diese einrücken und um so rascher zur vollen Reife gelangen.

Das Bemerkenswerthe dabei ist nun dieses, dass hier aktive Wanderungen der Keimzellen eine Rolle spielen, dass dieselben in der äusseren der beiden Körperschichten, dem Ektoderm, ent - stehen, dann ins Entoderm wandern, um später wieder zurück249 ins Ektoderm überzutreten, und dass diese merkwürdigen Wan - derungen in bestimmt vorgeschriebener, gesetzmässiger Weise geschehen. Die Keimzellen bilden sich nach wie vor, trotz des Zurückrückens ihrer Keimstätte in früher auftretende Personen des Stockes dennoch stets aus derselben Zellenlage, aus welcher sie bei den phyletischen Vorfahren entstanden sind. Man könnte sagen: sie entstehen jetzt aus den ontogenetischen Vorfahren der Zellen, aus welchen sie entstanden sein würden, brächte der Polypenstock noch immer freie Medusen hervor, oder auch: sie entstehen heute weiter unten auf der Keimbahn, als früher. So werden z. B. bei Hydractinia echinata die jüngsten Eizellen zuerst im Entoderm gewisser Polypen sichtbar, von welchen später in derselben Region Gonophoren (rückgebildete Medusen) hervorknospen. In diese wandern dann die Eizellen ein, um nun, sobald die Knospe ein Manubrium gebildet hat, in das Ektoderm desselben einzurücken, also zurückzukehren an die alte Reifungsstätte, welche in früheren Zeiten auch ihre Keimstätte war. Nun entstehen aber jetzt die Eizellen nur scheinbar in einer andern Körperschicht des Po - lypen, im Entoderm; es lässt sich vielmehr nachweisen, dass sie aus dem Ektoderm stammen, aber in sehr jugendlichem Zustande, ehe sie noch den ausgeprägten Charakter der Eizelle erkennen lassen, ins Entoderm einwandern. Sie stammen also von der - selben Stelle, von welcher aus die Ektodermschicht des Manu - briums der Meduse in früherer phyletischer Periode sich ent - wickelte, oder mit andern Worten: es ist dieselbe onto - genetische Zellenfolge, welche heute und welche früher die Eizellen lieferte. Diese Thatsache lässt nun wohl kaum eine andere Deutung zu, als die, dass es eben nur bestimmte Zellenfolgen sind, welche die Anlage zu Keimzellen in sich tragen, und dass da, wo es im Laufe der Phylogenese nützlich wurde, die Keimzellen an eine andere Stelle und in250 eine andere Schicht der Körperwand zu lagern, dies nur da - durch geschehen konnte, dass die Zellen der Keimbahn früher schon die Umwandlung zu Keimzellen eingingen und zugleich sich durch Wanderung in die andere Schicht der Körperwand begaben. Könnten auch andere, ich will nicht einmal sagen beliebige Zellen zu Keimzellen werden, so wäre dieser um - ständliche Modus procedendi in keiner Weise zu verstehen, da die Natur immer den kürzesten Weg einschlägt, der mög - lich ist.

Wenn dieser Gedankengang richtig ist, so lässt sich die Annahme von Keimbahnen wie ich sie früher schon ge - macht habe nicht vermeiden, und der Umstand, dass nur in diesen Bahnen liegende Zellen die Fähigkeit besitzen können, Keimzellen zu werden, wird sich kaum anders auslegen lassen, als durch die Annahme, dass nur diese Zellen Keimplasma bei - gemischt enthalten. Könnte Keimplasma aus dem Idioplasma gewöhnlicher somatischer Zellen entstehen, so liesse sich nicht absehen, warum bei den Hydroiden nicht im Nothfall Keim - zellen auch durch Umwandlung junger Entodermzellen entstehen könnten. Dies geschieht jedoch niemals. Wollte man aber annehmen, die Entodermzellen besässen als solche ein Idioplasma, welches die Umwandlung zu Keimplasma nicht erlaubte, während die Natur der Ektodermzellen dies erlaubte, so käme man in Widerspruch mit anderen Thatsachen, denn bei den höheren Medusen und den ihnen nahestehenden höheren Polypen ent - stehen die Keimzellen, soviel wir wissen, ausschliesslich aus Entodermzellen. Hier liegen also die Keimbahnen im Entoderm, d. h. Keimplasma wird hier nur in gewissen Zellfolgen des Entoderm’s versandt, und das vom Ei her für die Keimzellen - bildung reservirte Material gebundenen Keimplasma’s wird bei dem Furchungsprocess des Eies allein von der Ur-Entodermzelle übernommen und von da weitergegeben. Bei den Wirbelthieren251 differenziren sich die Keimzellen aus gewissen Zellgruppen des Mesoderms, und nirgends anders im Körper kommt jemals die Bildung von Keimzellen vor. Hier geht also die Keimbahn von der befruchteten Eizelle in jene Furchungszellen, aus welchen die Stammzellen der mesodermatischen Zellenmasse sich bildet, und verfolgt darin einen eng begrenzten Weg.

Sprechen alle diese Thatsachen dafür, dass somatisches Idioplasma niemals in Keimplasma umgewandelt wird, so bildet dieses Ergebniss zugleich die Grundlage der hier vorgetragenen Theorie von der Zusammensetzung des Keimplasma’s. Es liegt auf der Hand, dass die Zusammensetzung desselben aus Determi - nanten, die sich im Laufe der Ontogenese in immer kleinere Gruppen zerspalten, unvereinbar ist mit der Vorstellung einer Rückverwandlung somatischen Idioplasma’s in Keimplasma. Wenn jede Zelle des Körpers nur eine Determinante enthält, wie wir angenommen haben, so könnte das aus Hunderttausenden solcher Determinanten aufgebaute Keimplasma nur auf dem Wege aus somatischem Idioplasma hergestellt werden, wenn Zellen sämmt - licher Arten von Determinanten, welche im Körper vorkommen, zu einer Zelle verschmölzen und ihr Idioplasma zu einem Kern vereinigten. Auch das würde, genau genommen, noch lange nicht genügen, weil damit die Architektur des Keimplasma’s noch lange nicht hergestellt wäre; blos das Material dazu wäre gegeben, aber offenbar kann ein so complicirtes Gebäude nur auf dem historischen Wege errichtet werden.

Es ist also eine Forderung der hier entwickelten Theorie des Keimplasma’s, dass sich dasselbe nicht wieder aus somatischem Idioplasma hervorbilden kann. Uberall, wo dies zu geschehen scheint, muss es darauf beruhen, dass unsichtbare oder doch unerkennbare Mengen gebundenen Keimplasma’s in den be - treffenden Körperzellen enthalten waren.

Unsichtbar brauchen diese Mengen nicht zu sein, da sie252 nicht kleiner sein können, als ein Id, und sobald einmal darüber Sicherheit gewonnen sein wird, ob meine Annahme richtig ist, dass die Mikrosomen der Kernstäbchen den Iden entsprechen, wird man hoffen dürfen, auch ihre Zahl bei einzelnen Arten festzustellen. Sobald aber diese erst bekannt ist, eröffnet sich ein weites Feld für neue Untersuchungen, denn nun bietet sich die Möglichkeit, durch direkte Beobachtung darüber zu ent - scheiden, ob die Zellfolgen der Keimbahn etwa eine geringere oder grössere Zahl von Iden mit sich führen, als die befruchtete Eizelle enthielt, wie sich die Id-Ziffer der somatischen zu der der Keimzellen und der der Keimbahn verhält, und man darf hoffen, dass hier Thatsachen zu Tage kommen werden, die der theoretischen Verwerthung fähig sind.

Schon jetzt liegen derartige Beobachtungen vor, welche sich im Sinne einer Continuität des Keimplasma’s deuten lassen. Boveri1)Theodor Boveri im Anatom. Anzeiger, II. Jahrgang Nr. 22, 1887, und in Zellen-Studien , Heft 3, p. 79. Jena 1890. beobachtete, dass bei dem sich furchenden Ei des Pferdespulwurmes, Ascaris megalocephala, die Differenzirung der somatischen Zellen von der Urgeschlechtszelle mit einer eigen - thümlichen Verschiedenheit in der Kernstructur einhergeht; die somatischen Zellen stossen einen grossen Theil ihres Chromatin’s aus dem Kern aus, und zwar derart, dass jeder Idant gleich - mässig einen Theil seiner Substanz verliert. Nähere Angaben und Abbildungen des Vorgangs fehlen noch, doch wird man, auch wenn diese vorliegen werden, zunächst mit einer ins Einzelne gehenden theoretischen Deutung der Beobachtungen noch zuwarten müssen, bis man über die Allgemeinheit des Vorgangs ein Urtheil haben kann. Beobachtungen an den in Furchung begriffenen Eiern eines Krusters, Cyclops, welche mein Assistent, Herr Dr. V. Häcker2)Valentin Häcker, Archiv f. mikr. Anat. Jahrgang 1892., anstellte, haben zwar253 auch ein verschiedenes Verhalten der somatischen Furchungs - zellen von demjenigen der Urgeschlechtszelle ergeben, aber doch in wesentlich anderer Weise, als bei Ascaris. Wenn erst der - artige Beobachtungen von mehreren verschiedenen Thiertypen vorliegen, wird man das Wesentliche des Vorgangs erkennen und eine Deutung wagen können.

Vom theoretischen Standpunkt aus wird man erwarten müssen, dass die Ide des Keimplasma’s im Kern der befruchteten Keimzelle oder auch schon vorher doppelt vorhanden seien, einmal in aktivem und zerlegbarem, und einmal in inaktivem und gebundenem Zustand. Die Ersteren haben die Ontogenese zu leiten, die Zweiten sollen passiv den Urgeschlechtszellen zu - geführt werden. Da indessen diese Letzteren sich zunächst wie somatische Zellen verhalten, d. h. sich gesetzmässig vermehren und in bestimmten Zellfolgen auf bestimmte Stellen des Körpers vertheilen, so werden sie nicht blos gebundenes Keimplasma enthalten können, sondern sie müssen ausserdem noch aktives Idioplasma besitzen. Sie werden also mehr Ide in ihrer Kern - substanz aufweisen, als die Somazellen. Soweit lassen sich die angeführten Beobachtungen an Ascaris in Einklang setzen mit der Theorie, weiter aber möchte heute noch nicht zu gehen sein.

2. Die Keimbahnen.

Überblicken wir den Verlauf der Keimbahnen, wie er sich uns heute bei den Metazoen darstellt, und fassen wir dabei vor - läufig nur die geschlechtliche Fortpflanzung ins Auge, so er - scheint derselbe nicht nur verschieden lang, sondern auch ver - schieden gestaltet. Am kürzesten ist die Keimbahn bei den Dipteren, da hier bereits die erste Theilung der Eizelle die Ur - keimzelle abspaltet, so dass man hier von einer Theilung der Eizelle in eine Urkeimzelle und eine Urkörperzelle reden könnte. Länger schon wird sie bei den Daphniden, denn hier braucht254 es fünf successive Theilungen von der Eizelle ab gerechnet, ehe es zur Bildung der Urkeimzellen kommt (Fig. 14), noch länger ist sie bei den im Meer frei lebenden Würmern, den Sagitten (Fig. 13). Hier treten Urkeimzellen erst dann auf, wenn schon zehn oder mehr Theilungen abgelaufen sind, und sich der embryonale Zellenhaufen bereits zu einer Gastrula-Larve gestaltet hat. Bei anderen Würmern, z. B. Nematoden, sondern sich die Urkeimzellen von den somatischen Zellen in einer noch späteren bis jetzt noch nicht genau bestimmten Zellgeneration und bei den meisten oder allen höheren Metazoen geschieht dies erst nach Hunderten oder Tausenden von Zellgenerationen.

Fig. 13.

Drei frühe Entwickelungsstadien von Sagitta (nach O. Hertwig). A zeigt die Differenzirung zweier Zellen des inneren Keimblattes zu den Urkeimzellen g; B und C zeigt die Vermehrung und Verschiebung derselben. (Aus Lang’s Lehrbuch der vergleichenden Anatomie.)

Aber auch die Lage der Keimbahn ist verschieden. Bei den Dipteren liegt sie ganz ausserhalb der somatischen Zell - bahnen, die beiden Zellstammbäume spalten sich schon an der Wurzel, bei den Daphniden zieht sich die Keimbahn durch je eine Furchungszelle der vier ersten Zellgenerationen und spaltet sich dann von den somatischen Bahnen ab. Bei Sagitta geht die Keimbahn durch die Ur-Entodermzelle, und die Urkeim - zellen spalten sich vom Ur-Entoderm ab, ehe noch das defini - tive Entoderm (der Darm) sich daraus gebildet hat. Auch bei255 Rhabditis nigrovenosa läuft die Keimbahn durch drei Genera - tionen von Entodermzellen, um dann in die Ur-Mesodermzellen überzugehen und erst nach mehreren Generationen sich von zweien derselben abzuspalten. Bei den meisten Metazoen aber rückt die Bildung der Urkeimzellen in eine noch spätere Zeit, so dass also die Abspaltung des Keimzellen-Astes von den soma - tischen Ästen viel höher oben im Zellen-Stammbaum, oft erst von einem der jüngeren und dünneren Aussenzweige desselben erfolgt. Es ist auch nicht immer die Bahn des Entoderm’s von welcher die Urkeimzellen sich abspalten, sondern es kann

Fig. 14.

Drei Entwickelungsstadien des Sommereies von Moina (nach Grobben). A Ei im 32 zelligen Stadium vom vegetativen Pole aus gesehen, B Blastula - stadium in derselben Ansicht, C Gastrulastadium im Medianschnitt; g die Urkeimzellen. (Aus Korschelt und von Heider’s Lehrbuch der ver - gleichenden Entwickelungsgeschichte.)

ebensowohl die des Ektoderm’s sein. So differenziren sich bei den niederen Medusen mit direkter Entwickelung die Keimzellen in sehr später Zeit erst von Ektodermzellen ihres bereits völlig ausgebildeten, ja oft schon selbstständig sich ernährenden Körpers, während bei den höheren Medusen und den Rippen - quallen die Urkeimzellen sich vom Entoderm abspalten. Wir sehen also, dass die Keimbahnen, d. h. die Zellfolgen, welche von der Eizelle zu den Urkeimzellen hinführen, sehr verschieden verlaufen, bald sehr kurz, bald länger, bald sehr lang sind, dass256 sie durch sehr verschiedene Embryonalzellen hindurchlaufen, bald sich von den Ur-Entodermzellen abspalten, bald von den Ur-Mesodermzellen, bald aber auch von späteren Generationen der Mesoderm -, Entoderm - oder Ektodermzellen.

Wenn wir nun dabei im Sinne behalten, dass in jedem dieser Fälle stets genau dieselbe Keimbahn eingehalten wird, dass keine Abweichung vorkommt, dass niemals Urkeimzellen sich von Entodermzellen abspalten bei einer Thiergruppe, deren normale Keimbahn im Ektoderm liegt oder umgekehrt, so werden wir nicht umhin können, folgenden Schluss zu ziehen: die Zellen der Keimbahnen müssen Etwas voraus haben vor den übrigen Zellenbahnen der Ontogenese, denn sie allein sind befähigt, die Urkeimzellen zu bilden, keine andern.

Wenn wir ferner erwägen, dass bei den Hydroidpolypen wie wir gesehen haben der Zeitpunkt der Urkeimzellen - Abspaltung auf - und abwärts verschoben werden kann an dieser Keimbahn, so wird es klar, dass nicht nur die Endpunkte der - selben, in welchen diese Abspaltung im einzelnen Falle that - sächlich erfolgt, sondern auch die ganze vorhergehende Reihe der Keimbahnzellen Eigenschaften besitzt, welche die übrigen Zellen des Bion nicht besitzen, und welche sie eben befähigen, früher oder später Urkeimzellen zu bilden.

Nun sind aber nicht etwa die Zellen der Keimbahn schon selbst Urkeimzellen, deren Charakter nur noch nicht hervor - tritt, sondern sie sind Zellen von gemischtem Charakter, d. h. sie enthalten verschiedene Anlagen in sich, die nach und nach sich abspalten, bis zuletzt nur noch zwei Anlagen übrig bleiben, die dann durch eine letzte Zelltheilung auch noch von einander ge - trennt werden.

Als Beispiel mag die Embryogenese eines parasitischen Wurmes aus der Lunge des Frosches dienen. Die Figur 15257 giebt vier der ersten Furchungsstadien dieser Rhabditis nigrovenosa bis zur Differenzirung der Ur-Mesodermzelle (mes). Diese und die folgenden Stadien gestatteten, den in Figur 16 dargestellten Stammbaum der Keimbahn zu entwerfen.

Bei der ersten Theilung des Eies in die Ur-Ektoderm - und Ur-Entodermzelle enthält diese letztere (ur Ent) nicht nur die sämmtlichen Anlagen des Entoderm’s, sondern auch die des Mesoderm’s und der Urkeimzellen, sie ist also keine reine Ur-Entodermzelle. Sie theilt sich dann wiederum und liefert zwei Zellen, von denen die links auf dem Stammbaum ver - zeichnete (3) nur noch Entoderm-Anlagen enthält, die rechts verzeichnete (3) da - gegen ausser gewissen Theilen des Ento - derms auch noch die erste Anlage der Mesodermschicht darstellt, dabei aber auch noch die Anlage zu den Ur - keimzellen enthält. Diese Zelle (3)

Fig. 15.

Furchungsstadien und Keim - blätterbildung von Rhabditis nigrovenosa (nach Götte). ect Ectoderm, ent Entoderm, mcs Mesoderm.

theilt sich dann in zwei (4 und 4), welche die eben ge - nannten Anlagen für die rechte und linke Körperhälfte scheiden, und nun erst erfolgt die völlige Spaltung der Mesoderm - und Entoderm-Anlagen, und zwar so, dass die eine Tochter - zelle (5) die Mesoderm - und Urkeimzellen-Anlage enthält, die andere (5) aber zur reinen Entodermzelle wird. Die Anlage der Urkeimzellen bleibt nun durch mehrere Zellgenerationen hindurch mit der gewisser mesodermaler Anlagen verbunden, indem bei jeder folgenden Theilung immer gewisse Mesoderm - Anlagen allein in die eine Tochterzelle übergehen und nurWeismann, Das Keimplasma. 17258die andere neben Mesoderm-Anlagen auch noch die der Ur - keimzellen enthält. Endlich in unserem abgekürzten Schema in der neunten Zellfolge geschieht die Trennung auch

Fig. 16.

Schematische Darstellung der Keimbahn eines Wurmes, Ascaris nigrovenosa. Die Zellgenerationen sind mit arabischen Ziffern bezeichnet, alle Zellen der Keimbahn durch dicke Striche verbunden und die verschiedenen Hauptarten der Zellen verschieden gekennzeichnet, die Zellen der Keim - bahn durch schwarzen Kern, die des Mesoblast’s Mes durch einen Punkt im Innern, die des Ektoblast’s Ekt sind ganz weiss, die des Entoblast’s Ent ganz schwarz, die Urkeimzellen, ur Kz, mit weissem Kern. Die Zell - folgen sind höchstens bis zur zwölften Generation eingezeichnet.

dieser beiden Anlagen und die erste Urkeimzelle (uKz) ist ge - bildet.

Soviel ist sicher und hängt von keiner Hypothese ab. Man kann darüber streiten, ob man die in den Keimbahnen liegenden Zellen als echte somatische Zellen bezeichnen will. Ich habe sie so genannt, und zwar aus dem Grund, weil in vielen Fällen die Keimbahnen weit über die Embryogenese259 hinausreichen bis in die fertigen und funktionirenden Gewebe hinein, und weil sich nachweisen lässt, dass auch histologisch differenzirte Zellen unter Umständen Keimzellen her - vorbringen können, wie dies für manche Pflanzen, z. B. die Prothallien der Farne gilt und auch für die Zellen gewisser Bryopoen, von welchen Knospung ausgehen kann, die also inaktives Keimplasma enthalten müssen. Für diese Fälle also ist es sicher, dass echte somatische Zellen in der Keimbahn liegen; für alle Fälle aber gilt, dass die Zellen der Keimbahn noch keine Keimzellen sind, und dass sie einen Antheil an dem Aufbau des Soma haben. Wenn wir nun weiter bedenken, dass sehr zahlreiche somatische Zellen irgend eine Art von Neben-Idioplasma enthalten, sei es für Regeneration oder für Knospung, so kann wohl nicht angenommen werden, dass durch eine solche Beigabe der Charakter der somatischen Zelle auf - gehoben werde; oder besser: ich sehe keinen Vortheil darin, die Bezeichnung der somatischen Zelle einer Zelle der Keimbahn zu verweigern.

Die Veränderungen, welche an dem Idioplasma der Zellen vor sich gehen, die die Keimbahn bilden, können offenbar nur darin bestehen, dass der aktive Theil desselben sich nach und nach im Laufe der ontogenetischen Zelltheilungen abspaltet, so dass zuletzt nur noch Keimplasma übrig bleibt, welches nun die betreffende Zelle zur Keimzelle stempelt. Gebunden bleibt das Keimplasma auch jetzt noch so lange, als diese erste oder Urkeimzelle sich noch zu ihres Gleichen vermehrt. Erst wenn diese Vermehrung aufhört, differenziren sich die Keim - zellen zu Samen - oder Eizellen, was die Abspaltung einer be - sonderen ovogenen oder spermatogenen Determinanten voraus - setzt, und erst dann kann die Zerlegung des Keimplasma’s, d. h. eine neue Embryogenese beginnen, falls die dazu erforder - lichen Bedingungen erfüllt sind.

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3. Historisches zur Continuität des Keimplasma’s.

Als ich vor sieben Jahren1) Die Continuität des Keimplasma’s als Grundlage einer Theorie der Vererbung . Jena 1885. den Gedanken der Continuität des Keimplasma’s in die Wissenschaft einführte, that ich dies in dem Glauben, diese Vorstellung zum ersten Mal aus - gesprochen zu haben. Es hat sich aber im Laufe der folgenden Jahre herausgestellt, dass ähnliche Gedanken in mehr oder weniger klarer Form schon vorher in verschiedenen Köpfen aufgetaucht waren. Eine ganze Reihe von Schriftstellern wurde so nach und nach entdeckt, von welchen Jeder ohne vom Andern zu wissen den Gegensatz von Körper - und Keimzellen und den direkten Zusammenhang der Keimzellen der Generationen mehr oder weniger klar ausgesprochen hatte, theils blos behauptet, theils auch durch Thatsachen zu stützen versucht hatte. Ich lasse diese Vorläufer hier in chronologischer Ordnung folgen.

Schon 1849 wies Richard Owen darauf hin, dass in dem in Entwickelung begriffenen Keim unterschieden werden könne zwischen solchen Zellen, welche stark verändert werden, um den Körper zu bilden, und solchen, welche nur wenig verändert werden und welche die Reproductionsorgane bilden. 2)Ich führe diese Äusserung nach dem Buch von Geddes und Thomson an: Evolution of Sex , London 1889, p. 93; wo dieselbe zu finden sei, wird dort nicht gesagt.

In England war es Francis Galton, welcher Gedanken äusserte, die sich der Continuität des Keimplasma’s einiger - massen nähern. Schon 1872 erschienen einige Aufsätze, in welchen das Individuum aufgefasst wird, als bestehend aus zwei Theilen, von denen der eine latent‘, der andere patent‘ ist. Den ersten kennen wir nur durch seine Wirkungen auf die Nachkommenschaft, während der andere die Person ausmacht, die wir vor uns sehen. Die zwar benachbarten, aber doch auch getrennten Wachsthumslinien der patenten und latenten Elemente261 divergiren von einer gemeinsamen Gruppe und convergiren nach einem gemeinsamen Ziel, insofern sie beide aus Elementen des structurlosen Eies entwickelt wurden und beide zu den Ele - menten beitragen, welche die structurlosen Eier ihrer Nach - kommenschaft bilden .

Einige Jahre später änderte Galton seine Ansicht dahin, dass er Darwin’s Pangenesis annahm, wenn auch mit erheb - lichen Veränderungen, und nur as a supplementary and sub - ordinate part of a complete theory of heredity . In der histo - rischen Einleitung dieses Buches war davon bereits die Rede. Die Keimchen die im befruchteten Ei enthalten sind, bilden zusammen den stirp oder Stamm, der also sich durch die Ei - zelle zum neuen Individuum ausbildet. Nun ist jede Keimchen - Art durch zahlreiche, etwas verschiedene und untereinander concurrirende Keimchen vertreten, und da die Sieger in der Wettbewerbung um den Aufbau des Körpers eben die Körper - theile bilden, also auch in diesen enthalten sind, so bleiben die übrigen gewissermassen unverbraucht zurück und bilden the residual germs . Diese sind sodann die Eltern der Sexual - Elemente und Knospen . Zwar können auch die siegreichen ( dominant ) Keimchen zu den Keimzellen beitragen, aber nur Wenig, da sie am wenigsten fruchtbar in der Hervorbringung von Keimchen sind . Die Keimzellen werden also zumeist aus den latent gebliebenen Keimchen gebildet, und daher kommt es, dass die Nachkommenschaft häufig gerade die bemerkens - werthesten Eigenthümlichkeiten des Elters nicht aufweist. Da nun auf diese Weise sich wohl die Unähnlichkeit von Elter und Kind, soweit solche vorkommt, nicht aber ihre so viel häufigere Ähnlichkeit erklärt, so nimmt Galton an, dass auch die Körpertheile gemmules abgeben können, ja dass dieselben sich ausbreiten und die Grenzen der Zellen, in denen sie ent - standen, überschreiten, also wohl auch in die Sexual-Elemente262 eindringen können. Er setzt also an die Stelle der freien Cir - culation der Keimchen , wie sie Darwin lehrte, eine lokal be - schränkte Ausbreitung derselben.

Wenn man diese noch etwas unbestimmten und schwer in die Realität zu übersetzenden Vorstellungen etwas realistischer fasst und den stirp dem Keimplasma, das residuum of the stirp dem gebundenen Reserve-Keimplasma gleichstellt, so leuchtet eine gewisse Ähnlichkeit mit der Continuitäts-Theorie hervor. Es bleibt aber ein fundamentaler Unterschied, insofern Galton’s Vorstellung nur unter Voraussetzung sexueller Fort - pflanzung denkbar ist, die Continuität des Keimplasma’s aber ganz unabhängig davon ist, ob jede Anlage nur ein Mal, oder ob sie viele Male im Keim enthalten ist. Nach meiner Idee sind im aktiven Keimplasma genau dieselben Anlagen, Keimchen oder Determinanten enthalten, wie im Reserve-Keimplasma und gerade darauf beruht die Ähnlichkeit zwischen Elter und Kind. Die Continuität des Keimplasma’s, wie ich sie mir vorstelle, hat ihre Wurzel nicht darin, dass jedes zum Aufbau des Soma nöthige Keimchen vielfach vorhanden ist, und dass deshalb ein Rest bleibt, aus dem die Keimzellen der nächsten Generation hergestellt werden können, sondern auf einer besonderen und für die vielzelligen Organismen unvermeidlichen Anpassung, darin bestehend, dass das Keimplasma der befruchteten Eizelle von vornherein sich verdoppelt und die eine Portion für die Keimzellenbildung reservirt.

G. Jäger1)Gustav Jäger, Lehrbuch der allgemeinen Zoologie , Leipzig 1878, II. Abtheilung. hat zuerst den Gedanken ausgesprochen, dass der Körper der höheren Organismen aus zweierlei Zellen be - stehe, aus ontogenetischen und phylogenetischen , und dass die Letzteren, die Fortpflanzungszellen, nicht ein Produkt der Ersteren, der Körperzellen sind, sondern dass sie direkt von der263 elterlichen Keimzelle abstammen. 1)In dem lobenswerthen Bestreben, meinen Vorgängern gerecht zu werden, wird mitunter etwas weit gegangen. So findet sich bei Geddes und Thomson Evolution of Sex , Edinburgh 1890, p. 93, ein Citat von G. Jäger, durch welches dessen Vorläuferschaft ins Licht gestellt werden soll. Dieses Citat ist aber gar nicht seinem Buche vom Jahre 1878 ent - nommen, in welchem jene Gedanken enthalten sind, sondern einem zehn Jahre später geschriebenen Aufsatz, und schliesst mit den Worten: diese Reservirung des phylogenetischen Materials beschrieb ich als Continuität des Keimplasma’s . Jäger hat aber in seinem Buche von 1878 nirgends von einer Continuität des Keimplasma’s gesprochen, sondern nur einen Zusammenhang der Keim zellen behauptet, der nicht existirt. Die ganze neue Darstellung seiner Gedanken steht unter dem Einfluss meiner inzwischen erschieneneu Schriften.Er nahm als erwiesen an, dass die Bildung der Zeugungsstoffe bei einem Thiere schon in die ersten Stadien seines Embryonallebens fällt , und glaubte damit den Zusammenhang der elterlichen und kindlichen Keim - zellen erwiesen.

Obgleich diese Äusserungen weder begründet wurden, noch durchgeführt, so hätten sie doch zu weiteren Gedanken anregen müssen. Sie blieben aber, wie das ganze Buch, in dem sie ent - halten sind, unbeachtet.

Ebenso erging es einer kurzen Bemerkung von Rauber2) Morpholog. Jahrbuch , 6. Bd 1880., welche derselbe im Verlauf einer Abhandlung über Formbildung und Formstörung in der Entwickelung von Wirbelthieren ein - fliessen liess. Es heisst dort: Was nun die Wirkung der Be - fruchtung betrifft, so vermag eine solche immer nur einen Theil des Eies, den Personaltheil, zur Form einer Person überzuführen; der andere Theil erfährt diese Wirkung nicht, er hat stärkere beharrende Kraft u. s. w.

Zuletzt kam M. Nussbaum3)M. Nussbaum, Die Differenzirung des Geschlechts im Thier - reich , Archiv f. mikr. Anatomie, Bd. XVIII, 1880. auf den Gedanken einer Con - tinuität der Keimzellen. Auch er nahm an, es theile sich264 das gefurchte Ei in das Zellenmaterial des Individuums und in die Zellen für die Erhaltung der Art und stützte diese An - sicht auf jene oben schon erwähnten Fälle frühester Differen - zirung der Geschlechtszellen.

Ich schliesse diesen Abschnitt mit den Worten, welche ich einst einem kleinen Aufsatz vorausschickte, der zur Abwehr gegen den mir gemachten Vorwurf des Plagiats in dieser Frage bestimmt war: Selten nur ist ein fruchtbarer Gedanke in der Wissenschaft aufgetaucht, ohne dass er nicht von einer Seite bekämpft, von anderer aber als bereits bekannt hingestellt worden wäre. Das Erstere ist gewiss vollkommen in der Ordnung, ja sogar nothwendig, denn erst aus dem Kampf der Meinungen kann die Wahrheit klar und bestimmt hervorgehen, aber auch dem Zweiten ist nicht alle Berechtigung abzusprechen, denn es geschieht wohl in der That nur selten, dass ein derartiger Ge - danke ohne irgend welche vorherlaufende ähnliche oder gleich - gerichtete Bestrebungen zu Tage tritt, und es ist nur natürlich, dass die Urheber solcher Bestrebungen den Unterschied zwischen dem Streben nach dem Ziel und der Erreichung desselben übersehen.

Worin es lag, dass keine der angeführten Vorläufer der Con - tinuität des Keimplasma’s zur Geltung gelangte und einen Ein - fluss auf die Wissenschaft gewann, mögen Andere entscheiden. Dass es so war, wird nicht in Zweifel gezogen werden können, und geht wohl schon daraus hervor, dass alle Gegner dieser Anschauung ihre Angriffe gegen mich gerichtet haben. Der folgende Abschnitt wird Einiges davon zur Sprache bringen. Dass ich weit entfernt bin, das Verdienst Anderer in den Schatten zu stellen, habe ich wohl dadurch bewiesen, dass ich selbst sobald ich nur Kenntniss davon hatte meine Vorläufer in dieser Frage ans Licht gezogen habe. So würden Jäger’s Gedanken ohne ihre Entdeckung durch mich wohl auf265 lange noch in Dunkelheit geblieben sein. Ich kann es aber nicht für eine unpartheiische Geschichtsschreibung halten1)Man vergleiche z. B. die Darstellung dieser Entdeckung in Gedde’s und Thomson’s Evolution of Sex , p. 93 u. 94., wenn die Meinungen meiner Vorläufer chronologisch geordnet dar - gelegt werden, ohne dass zugleich gesagt wird, dass sie alle unbeachtet und ohne Einfluss auf den Gang der Wissenschaft geblieben sind. Jedermann weiss, dass es so ist. Wenn es aber auch dem Einzelnen eine Genugthuung sein kann, einen richtigen Gedanken gehabt zu haben, so kann doch die Wissenschaft nur dann ihn als fruchtbar und als eine neue Errungenschaft anerkennen, wenn er so ausgesprochen wird, dass er in seiner Bedeutung erfasst werden, wirken und weiteren Fortschritt anbahnen muss. Diese Wirkung ist aber erst nach dem Erscheinen meiner Schriften eingetreten.

4. Einwürfe gegen die Keimplasma-Theorie.

Bemerkenswerthe Einwürfe sind von Seiten mehrerer Bota - niker erhoben worden, und die Thatsachen, auf welche sie sich dabei stützten, können auf den ersten Blick sehr wohl den Ein - druck erwecken, als sei diese Theorie bei den Pflanzen nicht durchführbar. Wäre sie das aber nicht, so würde ihre Richtig - keit überhaupt zweifelhaft erscheinen, denn der Vererbungs - Mechanismus kann bei Pflanzen und bei Thieren wohl nicht ein gänzlich verschiedener sein. Es wird deshalb nöthig, die Verhältnisse bei den Pflanzen einer näheren Betrachtung zu unterziehen. Ich hoffe zeigen zu können, dass die von mir angenommenen Grund-Vorstellungen sehr wohl geeignet sind, auch auf die Verhältnisse bei den Pflanzen übertragen zu werden, wenn sie auch ursprünglich nicht auf botanischem Boden ge - wachsen sind.

Zunächst handelt es sich um Beseitigung einiger Miss -266 verständnisse und Unklarheiten. Manche Botaniker bestreiten die Existenz des Keimplasma’s überhaupt.

Der englische Pflanzen-Physiologe Vines findet die An - nahme einer besondern reproductive substance unnöthig, da die Fähigkeit der Reproduction eine fundamentale Eigenschaft des Protoplasma’s sei. Wie ein zerbrochner Krystall sich ver - vollständigt, wenn er in Mutterlauge gelegt wird, ebenso ver - vollständige sich der Steckling einer Pflanze er treibt das, was ihm fehlt, nämlich Wurzeln. Wie es beim Krystall keiner besondern reproductive substance bedürfe, so auch bei der Pflanze.

Ich will nicht besonders betonen, dass dieser Vervoll - ständigungstrieb gar keine allgemeine Erscheinung ist, dass es Pflanzentheile giebt, die sich nicht als Stecklinge fortpflanzen lassen u. s. w., ich beschränke mich einfach darauf, daran zu erinnern, dass die Annahme einer allgemeinen Reproductions - kraft des Protoplasma’s, selbst wenn sie eine Thatsache wäre, doch sicherlich keine Erklärung ist. Sie wäre eben das, was erklärt werden soll!

Wenn wir z. B. wissen, dass Infusorien grosse Substanz - verluste wieder ersetzen, dass ihr abgeschnittenes Mundfeld mit sämmtlichen Wimpern und sonstigen feinsten Structuren sich neu bildet, so beweist uns dies, dass diese Zellen-Organismen wirklich die allgemeine Reproductionskraft besitzen, welche Vines dem Pflanzen-Protoplasma zuschreiben möchte. Aber ist damit auch nur die Spur eines Verständnisses dieser Thatsache gegeben? Sehen wir nun ein, wie es kommt, dass die kleinsten Theilchen des Zellkörpers nach dem Substanzverlust sich neu ordnen und umgestalten, und zwar genau so, wie es nöthig ist, damit wieder ein typisches Bild der Art zu Stande kommt? Haben wir im Geringsten eine Ahnung davon, wie und wodurch die übrig - bleibenden Theilchen des Zellkörpers dazu genöthigt werden,267 ihre bisherige Form und Zusammenhang aufzugeben und gerade das neu zu bilden, was am Ganzen fehlt? Können wir auch nur vermuthen, welcher Art das geheimnissvolle Band ist, das die am Hinterende gelegenen Theilchen empfinden lässt, dass vorn am Thier Etwas fehlt, und was sie thun müssen, damit dies ergänzt werde? Mit der Annahme einer Reproductions - kraft ist einfach nur die Thatsache der Regeneration constatirt, und gerade so viel so scheint mir ist es werth, wenn wir sagen, die Reproductionskraft sei eine fundamentale Eigen - schaft des Pflanzen-Protoplasma.

Während wir aber bei dem Infusorium, dem einzelligen Wesen, zur Stunde noch kaum wagen können, einen Erklärungs - Versuch zu unternehmen, weil wir die Lebens-Einheiten, aus denen sich der Körper der Zelle zusammensetzt, und ihre Kräfte sehr wenig noch kennen, so verhält sich dies bei den aus vielen, physiologisch differenzirten Zellen gebildeten Organismen anders; hier kennen wir wenigstens die eine Ordnung der das Ganze zusammensetzenden Lebens-Einheiten nach Gestalt und Funktion, hier können wir deshalb den Versuch wagen, aus den Funktionen dieser Einheiten die Leistungen des Ganzen abzuleiten, und umgekehrt diese Letzteren auf eine Vertheilung der Kräfte an die das Ganze zusammensetzenden Einheiten zu beziehen. Hier brauchen wir uns nicht mehr auf die einfache Constatirung der Thatsache zu beschränken, dass eine Vervollständigung zum Ganzen eintritt, sondern mir können weiter fragen, wann tritt sie ein und von welchen Elementen geht sie aus, wie entsteht überhaupt das Ganze, und wie kann aus der scheinbar einfachen Masse des Keims ein so Mannigfaltiges hervorgehen?

Diese Fragen einer befriedigenden Antwort entgegenzuführen, habe ich die Annahme eines Keimplasma’s gemacht, und zwar habe ich dasselbe von vornherein nicht als eine besondere Re - productionssubstanz angesehen, die allen andern Substanzen268 des Körpers fremd gegenüber stehe, sondern vielmehr als die - jenige Substanz, welche alle anderen formativen Sub - stanzen des Ganzen aus sich hervorgehen lasse. In jedem Stück des Körpers steckt ein Theil dieser Substanz, aber eben nur ein Theil, und nur, wenn alle diese Theile der leitenden Substanz (des Idioplasma’s) beisammen sind, d. h. wenn Keimplasma vorhanden ist, kann auch der ganze Organismus wieder von Neuem entstehen. Die Annahme eines Keim-Idio - plasma’s oder Keimplasma’s halte ich für ganz unvermeidlich, denn dass die Vererbungstendenzen an eine Substanz gebunden sind, ist heute als erwiesen anzusehen. Aber auch, dass dieses Keimplasma sich vom Ei an gesetzmässig verändert, scheint mir unabweisbar, und zwar muss es sich von Zelle zu Zelle verändern, denn eben die Einheit der Zelle kennen wir als den Sitz der Kräfte, aus welchen sich die Leistungen des Ganzen aufbauen.

Die Kräfte also, welche virtuell im Keimplasma enthalten sind, kommen erst zur Geltung, wenn die Substanz des Keim - plasma’s zerlegt und ihre Bestandtheile, die Determinanten, neu gruppirt werden. Die Verschiedenheit der Leistungen, welche die verschiedenen Zellgruppen des Körpers zeigen, zwingt uns, in ihnen auch eine verschiedene wirksame Substanz voraus - zusetzen, die Zellen sind also verschiedenwerthige Kraft - centren, deren bestimmende Substanz (das Idioplasma) ebenso verschieden sein muss, als die von ihnen ent - wickelten Kräfte.

Es erscheint mir als eine Unklarheit, welche nur durch die anscheinende Gleichheit vieler junger Pflanzenzellen begreif - lich wird, wenn Vines nach dem Vorgang von Sachs von einer embryonalen Substanz spricht, von welcher alle Reproduction ausgehen soll, und welche als vorhanden an - genommen wird in allen jungen Zellen. Meines Erachtens269 kann man den Vererbungswerth einer Zelle so wenig nach ihrem Alter beurtheilen, als nach ihrem Aussehen. Der Haufen Zellen, der aus der sog. Furchung eines thierischen Eies her - vorgeht, besitzt sicherlich den Charakter der Jugend und zwar sind in einem gewissen Entwickelungsstadium alle diese Zellen gleich alt und sehen gleich aus. Sie haben aber ganz ver - schiedenen Vererbungswerth, und wenn wir die Ontogenese des betreffenden Thieres genau kennen, vermögen wir anzugeben, welcherlei Vererbungstendenzen in jeder dieser Zellen verborgen liegen; in der einen steckt z. B. die Anlage zum gesammten Entoderm des Thieres, in der anderen die zum Ektoderm, oder die zum Mesoderm, oder falls das Stadium ein späteres ist in jeder Zelle steckt nur die Anlage zu einem bestimmten Theil, einem Organ oder Organtheil der betreffenden Keim - blätter. Fragen wir aber, ob aus jeder dieser Zellen etwa auch wieder das Ganze hervorgehen könne, so erhalten wir von der Erfahrung eine ganz bestimmte negative Antwort; nur eine oder einige wenige, und zwar ganz bestimmte unter diesen Zellen können unter günstigen Umständen das Ganze wieder hervorbringen, und diese nennen wir die Keimzellen. So ver - hält es sich bei allen höheren Metazoen: die Zellen des sich furchenden Eies sind durchaus ungleich in ihrem Ver - erbungswerth, obgleich sie alle jugendlich embryo - nal und nicht selten von gleichem Aussehen sind. Daraus folgt, wie mir scheint, mit logischer Nothwendigkeit, dass die Vererbungssubstanz der Eizelle, welche sämmtliche Vererbungstendenzen der Art enthielt, dieselben nicht in toto auf die Furchungszellen überträgt, sondern sie in verschiedener Combination zertheilt und parthienweise den Zellen überträgt. Diesen Thatsachen habe ich mit der gesetzmässigen Vertheilung der Determinanten des Keimplasma’s und des Aufgehens des - selben in die Idioplasma-Stufen der ontogenetischen Zellen270 Rechnung getragen. Alle diese Zellen enthalten embryonale Substanz , aber in der einen hat dieselbe eine andere Zusammen - setzung, sie besteht aus anderen Determinanten als in der an - deren und daher enthält sie auch andere Vererbungs-Anlagen. Es hat deshalb wenig Bedeutung, von embryonaler Substanz schlechthin zu reden.

In ganz anderer Weise und von anderer Seite tritt De Vries einem Theil meiner Ansichten entgegen. Mit grossem Scharfsinn hält er die bei Pflanzen beobachteten Vererbungs - Thatsachen mit meinen Ansichten zusammen und findet häufig, dass sie sich diesen Letzteren nicht fügen wollen. Ich bin mit dem grössten Interesse seinen Ausführungen gefolgt und habe mir dankbar die Thatsachen angeeignet, welche er ins Feld führt, aber ich glaube nicht, dass der Zwischenraum, der uns trennt, unüberbrückbar ist.

De Vries wirft mir zunächst vor, dass ich zu einseitig nur die thierischen Organismen ins Auge gefasst hätte; bei diesen sei wohl eine so scharfe Trennung von Körper und Keimzellen durchführbar, wie ich sie annehme, nicht aber bei den Pflanzen. Bei diesen könnten nicht nur die von mir als Keimbahnen bezeichneten Zellfolgen zu Keimzellen hinführen, sondern noch viele andere, wenn auch nicht regelmässig, son - dern nur gewissermassen ausnahmsweise, d. h. unter bestimmten äusseren Einwirkungen. Auch ereignete sich dies nicht nur an solchen Stellen der Pflanze, von welchen sich eine specielle An - passung für diese Fähigkeit annehmen liesse, sondern auch an solchen, bei welchen davon nicht die Rede sein könne. Man sei also zu der Annahme gezwungen, dass, wenn nicht alle, so doch die meisten Zellen sämmtliche Anlagen der Art in latentem Zustande enthielten.

Ich will zunächst auf die Art und Weise eingehen, wie de Vries meine Keimbahnen auf die Pflanzen überträgt, und271 welche Schlüsse er aus den von ihm für Pflanzen entworfenen Zellen-Stammbäumen zieht.

De Vries unterscheidet Haupt - und Neben-Keim - bahnen. Unter ersteren versteht er das, was ich schlechthin als Keimbahnen bezeichnet habe, d. h. die Zellenfolgen, welche normalerweise von der befruchteten Eizelle zu den neuen Keim - zellen (Eizellen, Spermatozoen, Pollenkörnern) hinführen. Als Neben-Keimbahnen aber bezeichnet er solche Zellfolgen, welche durch adventive Knospen zu Keimzellen hinleiten . Diese Neben-Keimbahnen fehlen nach de Vries den höheren Thieren , sind im Pflanzenreich aber weit verbreitet, und es wird mir zum Vorwurf gemacht, dass ich denselben nicht ge - bührend Rechnung getragen habe. Der Begriff der Neben - Keimbahn beruht, soweit ich sehe, darauf, dass es sich zwar hier auch um regelmässige Keimbahnen handelt, aber um solche, die nicht immer zur Anwendung kommen. Bei vielen niederen Pflanzen, Moosen, Pilzen können sich nahezu sämmtliche Zellen des Körpers zu neuen Individuen entwickeln , und bei höheren Pflanzen können wenigstens aus gewissen Gewebeformen, seien es jugendliche (meristematische) Zellen oder wohl auch er - wachsene, unter Umständen Knospen bilden, die zur ganzen Pflanze sammt Keimzellen heranwachsen können.

Betrachten wir zuerst die Haupt-Keimbahnen , so findet de Vries einen durchgreifenden Unterschied in dem Ver - halten dieser Keimbahnen bei den höheren Thieren und den Pflanzen, indem bei ersteren der Zellenstammbaum der Keim - bahn einen geraden , nur an seinem Gipfel ein wenig verästelten Baum darstellt, während er bei den höheren Pflanzen von seinem Ursprung ab so reich und wiederholt verzweigt ist, dass der Hauptstamm von seinen Ästen oft weit überragt wird, oder richtiger, dass ein eigentlicher Hauptstamm nicht, oder kaum vorhanden ist . Dagegen lässt sich gewiss Nichts einwenden. 272Ein blühender Apfelbaum giebt ein annäherndes Bild davon, wenn man die Blüthen für die die Spitze der Endzweige krönenden Keimzellen nimmt. Aber was beweist und worauf beruht dieser Unterschied? ist er etwa in der Thier - oder Pflanzennatur der Organismen begründet? Keineswegs, denn wir begegnen, wie auch de Vries beiläufig anerkennt, genau derselben Art der Verzweigung bei den Haupt-Keimbahnen der Hydroid-Polypen. Sie beruht einfach darauf, dass bei Hydroid - Polypen die höhere Individualität des Stockes gebildet wird, gerade wie bei höheren Pflanzen; wir haben es in beiden Fällen nicht mit einer einzigen Person und ihrer Keimzellen - bildung zu thun, sondern mit einer Vielzahl von Personen, die von einer ersten durch Knospung entstanden, und von denen jede ihr eigenes Soma und ihre eigene Keimzellenbildung hat. Die aus dem Ei sich entwickelnde erste Person des Stockes birgt in sich die Keimbahn, von deren Zellen irgendwo eine Seiten-Keimbahn abgeht, sobald dieser erste Polyp eine Knospe treibt. Bald treibt er eine zweite, in die dann ebenfalls eine Seiten-Keimbahn abgeht, und nun treiben die beiden Knospen, nachdem sie sich in fertige Polypen umgebildet haben, selbst wieder Knospen, in die Keimbahnen abgehen, u. s. w. Daher rührt die vielfache Verästelung der Keimbahn, und es ist dabei ganz gleichgültig, ob der einzelnen Person des Stockes grössere oder geringere Selbstständigkeit und Vollständigkeit zu Theil wird, ob man es mit grösserem oder geringerem Recht als Individuum ansieht. Sobald gleichwerthige Abschnitte peri - odisch sich wiederholen und als Theilstücke oder Metameren sich aneinanderreihen, jede von einem nahezu gleichen Ausgangs - punkt hervorwachsend, und soweit jedes dieser Theilstücke Keim - zellen produciren kann, so haben wir das oben besprochene Bild des Keimzellen-Stammbaumes.

Wenn aber nun gefragt wird, was uns dieser Verlauf der273 Keimbahnen bei Pflanzen und Polypen lehrt, so erhalten wir darauf eine für die bisherige Anschauungsweise vieler Botaniker sehr bezeichnende Antwort von de Vries, nämlich die, dass die ganze von mir aufgeworfene Frage von der Con - tinuität des Keimplasma’s eine müssige sei. Die ganze Frage, ob somatisches Plasma sich in Keimplasma verwandeln kann, entbehrt für ihn der thatsächlichen Grundlage . Nie entsteht, sagt de Vries, eine Keimbahn aus einer somatischen Bahn und eine Continuität der Keimzellen findet nicht etwa in den allerseltensten Fällen statt, sondern ist überall und aus - nahmslos, wenn auch oft auf langem Wege, durch die Keim - bahnen gegeben.

Diese Sätze nun sagen mit Ausnahme des letzten derselben nichts Anderes aus, als was auch ich behauptet habe, und der scheinbare Widerspruch beruht einfach darauf, dass de Vries die von mir gebrauchten Worte in einem andern Sinn nimmt. Wenn ich sagte, dass somatische Zellen in zahllosen Fällen Keimzellen hervorbringen, so meinte ich damit diejenigen soma - tischen Zellen, die in der ja gerade dafür von mir aufgestellten Keimbahn liegen. De Vries aber bestreitet diesen Zellen den somatischen Charakter, weil sie auch nach seiner Ansicht Keim - substanz enthalten. Ich würde nun an und für sich wenig Gewicht auf den blossen Namen legen, wenn nicht an dem Namen hier auch ein sehr bestimmter Begriff hinge, dessen Aufgeben zur Verwirrung führt. Ich muss es für gefährlich halten, eine dritte Kategorie von Zellen zwischen Somazellen und Keimzellen einzuschieben, die Keimbahnzellen . Erstens ist es unpraktisch, weil man einer Zelle nicht ansehen kann, ob sie in der Keimbahn liegt, und dann führt es zu einer völligen Verwischung der Begriffe des Soma und der Keimzelle, weil, wie in den vorhergehenden Capiteln gezeigt wurde, eine Menge unbestreitbarer Körperzellen bei Pflanzen - und Thier -Weismann, Das Keimplasma. 18274stöcken Keimplasma enthalten müssen. Da wir das Knospen - Idioplasma bei Pflanzen und Hydroiden auch als modificirtes Keimplasma betrachten, so müssten wir einen sehr bedeutenden Bruchtheil der Zellenmasse dieser Organismen als Keimbahn - zellen betrachten, und würden so nahe an die absurde Behauptung geführt, dass ein Soma, ein Körper überhaupt nicht da sei. Und doch ist das Soma vorhanden, und der Gegensatz zwischen ihm und den Keimzellen besteht bei Pflanzen so gut wie bei Thieren.

Wenn aber de Vries den Satz aufstellt, dass durch die Keimbahnen stets eine Continuität der Keimzellen hergestellt werde, so steht er dadurch mit sich selbst in Widerspruch, denn er betont an andern Stellen, dass die Keimzellen in der Regel nicht direkt aus einander hervorgingen, und dass zwischen Keimzellen und Keimbahnzellen wohl zu unterscheiden sei. Wie könnte man denn auch z. B. den Zellen eines Farn - Prothallium’s den Charakter somatischer Zellen absprechen, da sie doch als solche funktioniren und untereinander nach Aus - sehen, d. h. nach ihrer sichtbaren Beschaffenheit gleich sind. Und dennoch sind einige von ihnen Keimbahnzellen und bringen männliche oder weibliche Keimzellen hervor.

Wenn de Vries meint, die ganze Frage nach der Continuität des Keimplasma’s existire für ihn nicht, weil er nachweisen könne, dass Keimzellen immer aus Keimbahnzellen hervorgehen, so beruht dies auf derselben Begriffsverwechselung, auf welche Sachs vor einer Reihe von Jahren den Anspruch mir gegen - über gründete, die Lehre von der Continuität der Keimsubstanz schon vor mir aufgestellt zu haben. Weil bei den höheren Pflanzen alles Wachsthum von den Vegetationspunkten, und zwar von der den Gipfel des Vegetationspunktes bildenden Scheitelzelle ausgeht, und weil diese Scheitelzelle sich in direkter Linie von der Eizelle herleitet, halten diese Forscher es für275 selbstverständlich, dass in jeder Scheitelzelle die Keimsubstanz der Eizelle enthalten sei. Das ist aber höchstens für die erste Scheitelzelle, nämlich für die des Hauptsprosses selbstverständlich, gewiss aber nicht für die Scheitelzellen der Seitensprossen, welche doch nur indirekt von dieser sich herleiten. Dass sämmtliche Zellen der Pflanzen in direkten Bahnen von der Eizelle abstammen, unterliegt keinem Zweifel, ist denn aber damit schon gesagt, dass sie alle Scheitelzellen werden müssen, oder Keimsubstanz enthalten, oder ist damit irgendwie gezeigt, warum nur aus relativ wenigen derselben wieder Keimzellen werden können, und warum die andern nicht im Stande sind, Keimzellen hervorzubringen? Und das ist es doch gerade, was durch die Continuitäts-Hypothese in irgend einem, wenn auch nur schwachem Grade, verständlich gemacht werden sollte. Die Ab - stammung von der Eizelle sagt zunächst noch gar nichts aus über die Beschaffenheit einer Zelle, und mit der ganzen, aus - führlichen, und an und für sich gewiss interessanten Darlegung der Zellfolgen, welche von der Eizelle zur ersten Scheitelzelle, von dieser zur zweiten u. s. w. führen, ist zunächst wie übrigens de Vries selbst sagt noch gar Nichts ausgesagt über die Herkunft von Keimsubstanz an bestimmten Stellen des Pflanzenkörpers. Ich verstehe deshalb nicht, wie dann später, ohne jeglichen Versuch einer erklärenden Theorie, die Existenz dieser Zellfolgen an und für sich schon als eine Er - klärung genommen und ihr das grösste Gewicht beigelegt werden kann. Mir scheint, die Zellfolgen bekommen erst dann einen Erklärungswerth, wenn man sie als Keimbahnen in meinem Sinne ansieht, d. h. als diejenigen Zellfolgen, auf welchen die Keimsubstanz von der Eizelle aus nach den entferntesten Punkten des Pflanzenkörpers hingesandt wird.

Ich kann nicht verhehlen, dass es mir als eine etwas rohe Vorstellung erscheint, wenn man das Idioplasma sämmtlicher18*276Zellen der Keimbahn inclusive der Scheitelzellen als gleich annimmt und der Keimsubstanz gleichstellt. Warum führen denn die Scheitelzellen der sterilen Schachtelhalmsprosse keine Keimzellen-Bildung herbei, während diejenigen der fertilen es thun? Da muss doch ein Unterschied im Idioplasma der beiderlei Scheitelzellen zu Grunde liegen. Und wenn aus der Scheitel - zelle eines fertilen Stammes der Pflanze ein Spross sich bildet mit Keimzellen, so sind es doch auch nicht sämmtliche Zellen dieses Sprosses, die die Keimzellen hervorbringen, sondern es führen wiederum nur bestimmte Zellenfolgen von der Scheitel - zelle zu den neuen Keimzellen, nämlich die Keimplasma führenden Keimbahnzellen! Bei der Bildung eines Sprosses aus einer Scheitelzelle liegt ein analoger Vorgang vor, wie bei der Bildung eines Einzel-Polypen durch Knospung an einem Polypenstock. Beide Vorgänge aber sind im Wesentlichen wieder nichts Anderes, als die Ontogenese eines höheren Thieres aus der Eizelle. In allen drei Fällen geht die Bildung des neuen Bion von einer Zelle aus. Diese also muss ein Idioplasma besitzen, welches alle Anlagen dieses Bion in sich enthält, und falls dasselbe fertil sein soll, wie die Botaniker sagen, so muss diese Ursprungszelle überhaupt alle Anlagen der Art in ihrem Idioplasma enthalten, d. h. Keimplasma. Verfolgen wir nun die Ontogenese dieses Sprosses oder Bion, so verhält es sich damit genau so, wie oben schon für die Embryogenese dargelegt wurde, d. h. die Anlagen spalten sich mit jeder Zelltheilung in immer kleinere Gruppen, bis schliesslich nur noch eine Anlage in je einer Zelle ent - halten ist. Dabei stammen aber alle diese höchst verschieden - artigen Zellen von der Ursprungszelle in direkter Linie ab. Wie ist es nun zu erklären, dass eine oder einige von ihnen nicht blos die eine specifische Anlage einer einzelnen somatischen Zellenart in sich enthält, sondern daneben noch sämmtliche Anlagen der Art in latentem Zustande, wie es doch in den -277 jenigen Zellen enthalten sein muss, welche Keimzellen den Ur - sprung geben? Ja, wenn eine continuirliche Reihe von Zellen, welche blos Keimsubstanz enthalten, von der Ursprungszelle bis zu den neuen Keimzellen hinführte, dann wäre die Sache ja sehr einfach. Aber so einfach ist sie nur im Falle der Dipteren, in allen übrigen Fällen sind die dazwischen liegenden Zellen, d. h. diejenigen der Keimbahn, nachweislich keine Zellen, die blos Keimplasma enthalten, sondern solche mit ganz bestimmten somatischen Anlagen, und zwar bei Pflanzen ganz ebensowohl als bei Thieren. Man sehe nur den oben abgebildeten Zellenstammbaum für die Onto - genese von Ascaris nigrovenosa (Fig. 16) nach. Wie kommt es denn, dass z. B. bei der Theilung der Ur-Entodermzelle in die erste Entoderm - und erste Mesodermzelle die letztere dennoch im Stande ist, später Nachkommen hervorzubringen, welche Keimsubstanz enthalten, Keimzellen? Sie hat doch bei ihrer Entstehung die Entoderm-Anlagen an ihre Schwesterzelle ab - getreten, wie kommen diese Entoderm-Anlagen und gar die schon früher abgegebenen Ektoderm-Anlagen, in ihre Nach - kommen, die Keimzellen? Meine Antwort habe ich gegeben, sie lautet: sie führen von der Eizelle her eine gewisse Menge von Keimplasma in gebundenem Zustand neben ihrem aktiven Mesoderm-Idioplasma mit sich. De Vries und die Botaniker, welche mit ihm übereinstimmen, halten eine Antwort für über - flüssig. Es steht offenbar Jedem frei, auf die Lösung eines Problems zu verzichten, allein dann kann er nicht den Anspruch erheben, es gelöst zu haben.

Ich komme zu den Neben-Keimbahnen von de Vries. Wie oben bereits erwähnt wurde, versteht er darunter solche Zellfolgen, welche durch adventive Knospen zu Keimzellen hinleiten. Unter adventiven Knospen versteht man nach Sachs (Vorlesungen p. 579) solche Vegetationspunkte, welche nicht278 aus schon vorhandenen sich ableiten, oder aus schon vor - handenem embryonalen Gewebe , sondern an Orten, deren Ge - webe bereits in Dauerzustand übergegangen ist: in ausgewachsenen Wurzeln, an Interfoliartheilen von Sprossachsen, ganz besonders aber an Laubblättern, deren Gewebe bereits völlig differenzirt und ausgebildet ist .

Ich habe diese adventiven Knospen, wie sie z. B. von dem auf feuchte Erde gelegten Begonia-Blatte entspringen, schon in früheren Schriften als Anpassungen bestimmter Pflanzen - arten an diese eigenthümliche Art der Fortpflanzung zu erklären gesucht, indem ich annahm, dass bei solchen Arten gewisse zu den Blättern führende Zellfolgen neben ihrem aktiven Eigen - Idioplasma noch gebundenes und inaktives Keimplasma führen.

Man kann nun dieser Erklärung Mancherlei entgegenhalten und hat es bereits gethan und es ist hier der Ort, auf die wesentlichsten Einwände einzugehen.

Vor Allem hat man mir eingeworfen, dass diese Fähigkeit der Blätter, Wurzeln u. s. w., Adventivknospen zu treiben, nicht als eine Anpassung angesehen werden könne, weil zu viele Fälle vorkommen, in denen es nur ganz ausnahmsweise geschähe und der Pflanze keinen Nutzen brächte. Es kann aber keinem Zweifel unterliegen, dass das Vermögen der Begonien, des Bryo - phyllum, Cardamine pratensis und Nasturtium officinale Knospen an solchen Orten zu treiben, wo bei den meisten Pflanzen keine sich bilden, eine besondere Einrichtung dieser Pflanzen ist. Weder bei Bryophyllum, noch bei Begonia sind es auch be - liebige Stellen des Blattes, an welchen die Knospen und jungen Pflänzchen entstehen, sondern ganz bestimmte Stellen, bei Bryophyllum die Blattränder, bei Begonia die Winkel zwischen den Ursprungsstellen der grossen Blattrippen. Es sind also doch wohl nicht beliebige Zellen des Blattes, wie de Vries meint, die mit dieser Fähigkeit ausgestattet sind, sondern be -279 stimmte, wenn auch zahlreiche. Sie sind deshalb doch soma - tische Zellen, so gut wie die Zellen des Farn-Prothallium’s, welche die Sexualzellen hervorbringen, aber diese Epidermis - Zellen enthalten neben ihrem aktiven somatischen Idioplasma noch gebundenes Keimplasma als passive Beigabe, und dieses wird nur unter bestimmten äusseren Einwirkungen aktiv.

Bei tausend andern Blättern kann man diese Bedingungen einwirken lassen, ohne dass jemals junge Pflänzchen aus ihnen sich erheben.

Nun giebt es freilich eine ganze Reihe von Erfahrungen, welche scheinbar beweisen, dass in jedem auch nur kleinen Bruchstück der Glieder eines Pflanzenkörpers die Elemente ruhen, aus denen sich bei Isolirung der ersteren unter geeig - neten äusseren Bedingungen der ganze complexe Körper auf - bauen kann . Die Ableger, die Adventivknospen, welche sich an einem Zweig bilden, der oben abgeschnitten wurde, sind solche Erscheinungen. Allein nicht aus beliebigen Stücken des Körpers der höheren Pflanzen, sondern nur aus solchen, die eine Anzahl von Cambialzellen enthalten, findet die Bewurze - lung des Ablegers oder die Bildung von Adventivknospen statt. Nur diese Zellen also enthalten ein Neben-Idioplasma, welches sie befähigt, je nach der Natur der Reize, die auf sie einwirken, in ganz anderer Weise zu wachsen, als sie es unter normalen Verhältnissen gethan haben würden. Die ganze Cambialschicht dieser Pflanzen ist somit ausgerüstet mit der Fähigkeit der Reproduction, darüber kann ein Zweifel nicht bestehen. Nur darüber kann gestritten werden, ob dies eine besondere An - passung, oder nur der Ausfluss der normalen Beschaffenheit jeder Pflanzenzelle ist.

Ich möchte es auch heute noch als besondere Anpassung auffassen, und will versuchen, meine Gründe dafür zu entwickeln, wobei ich freilich als Nicht-Botaniker darauf verzichten muss,280 so tief in die verschiedenen Gruppen des Pflanzenreiches ein - zudringen, als ich es thun zu können wünschen möchte.

Die Frage, welche zu entscheiden wäre, ist also die, ob von jeher jede Pflanzenzelle mit allen Anlagen der Art, wenn auch in latentem Zustande ausgerüstet war, als sich die vielzellige Pflanze aus der einzelligen entwickelte, oder ob zuerst eine scharfe Trennung zwischen Somazellen und Keimzellen eintrat, beruhend auf verschiedener Differenzirung des Idioplasma’s, und ob erst nachträglich und nur dort, wo es von Nutzen war, dem Idioplasma der Somazellen Keimplasma in latentem Zustande beigegeben wurde. Ich bin dieser letzteren Meinung, de Vries vertritt die erstere. Für die Theorie vom Keimplasma ist die Entscheidung wichtig, weil es unvereinbar mit ihr wäre, wenn schon bei der phyletischen Entstehung des Soma die Soma - zellen Keimsubstanz als Idioplasma enthalten hätten. Nach meiner Vorstellung vom Keimplasma beruht ja die phyletische Entstehung der Somazellen gerade auf einer gruppenweisen Scheidung der im Keimplasma enthaltenen Determinanten. Es würde ihr durchaus widersprechen, wenn schon die ersten phy - letisch entstandenen Somazellen ausser ihren manifesten speci - fischen Eigenschaften auch noch die übrigen der Art zukommen - den Eigenschaften in latentem Zustande enthalten hätten. De Vries meint, der scharfe Unterschied, welcher bei den höheren Thieren wirklich besteht zwischen Körper - und Keimzellen, habe mich verleitet, einen solchen Gegensatz überall anzunehmen, während doch bei den Pflanzen derselbe lange nicht so aus - gebildet sei, und sich graduelle Übergänge von Körper - zu Keimzellen nachweisen liessen.

Ich glaube, dass dies ein Irrthum ist; Ubergänge zwischen Soma - und Keimzellen giebt es nirgends, und die Ansicht von de Vries beruht einfach darauf, dass er Keimzellen mit Keim - bahnzellen verwechselt. Dass letztere aber als somatische Zellen zu betrachten sind, ist oben nachgewiesen worden.

281
Fig. 17.

I. Pandorina morum nach Pringsheim, eine schwärmende Zellen - kolonie. II. Eine solche, deren Zellen sich zu Tochterkolonien vermehrt haben; alle Zellen untereinander gleich. III. Ein junges Individuum von Volvox minor nach Stein, noch umschlossen von der Hülle. Die Zellen in somatische sz und kz gesondert.

282

Meines Erachtens sind Keimzellen und Somazellen von ihrem ersten Auftreten in der Phylogenese an scharf verschieden gewesen und sind es seitdem auch geblieben. Was als Keim - zelle anzusprechen sei, kann bei keiner Pflanzen - oder Thierart zweifelhaft sein, was als Somazelle auch nur dann, wenn man die Keimbahnzellen als Keimzellen ansieht.

Ich wüsste keinen schlagenderen Beweis für meine Auf - fassung zu geben, als ihn die Volvocineen an die Hand geben. Hier haben wir dicht neben einander eine Zellgemeinschaft ohne und mit Arbeitstheilung, ohne und mit dem Gegensatz von Soma - und Keimzellen. Bei Pandorina sind noch alle Zellen der Kolonie gleich, jede lässt sämmtliche Funktionen des Lebens an sich ablaufen, bei Volvox sind sie differenzirt; die einen haben die Funktionen, die das Individuum erhalten, übernommen, die andern die, welche die Art erhalten: Somazellen und Keim - zellen. Die heteroplastide Gattung Volvox muss aus einer homoplastiden Form phyletisch entstanden sein; viele Zwischen - stufen kann man sich zwischen beiden Formen kaum denken, die beiden Zellenarten von Volvox sind heute noch nicht so stark verschieden, wie Soma - und Keimzellen bei höheren Orga - nismen. Dennoch haben die Somazellen gänzlich die Fähig - keit verloren, den ganzen Organismus aus sich wieder hervor - zubringen (vergl. Fig. 17).

Übergänge zwischen beiderlei Zellarten bestehen natürlich in dem Sinne, dass sich die Keimzellen zuerst noch wenig von den Somazellen unterscheiden, nicht aber in dem Sinne, dass, wie de Vries will, alle Zellen von vornherein Keimsubstanz enthalten, aber in einem mehr oder minder latenten Zustand. Die Somazellen von Volvox, die sich, bildlich gesprochen, doch gerade eben erst von den Keimzellen differenzirt haben, enthalten keine Keim - substanz; wenn man die Keimzellen künstlich aus einer Volvox - kugel herausnimmt, leben die Somazellen zwar noch lange283 weiter, produciren aber weder neue Keimzellen, noch eine neue Kolonie.

Weshalb sollten sie es auch? Welchen Vortheil hätte die Art davon, die ohnehin in Milliarden von Individuen in dem - selben Sumpf das Wasser erfüllt und von denen jedes wieder Tochter-Individuen hervorbringt? Die Fortpflanzung ist ohnehin eine so starke, dass neue Mittel, die Existenz der Art zu sichern, nicht ergriffen zu werden brauchten.

Diese Mittel aber sind ergriffen worden bei zahl - reichen, ja vielleicht bei weitaus den meisten höher organisirten Pflanzen.

Man hat meiner Ansicht die Fähigkeit der Pilze und Moose entgegengehalten, aus jedem Stückchen der Pflanze unter günstigen Bedingungen eine neue Pflanze hervorgehen zu lassen. Ich sehe aber nicht, was uns hindert, diese Fähigkeit als eine Anpassung aufzufassen, entstanden, um die durch tausendfache Gefahren bedrohte Existenz der Art zu sichern. Wenn einem Hutpilz der Hut abgeschlagen wird, so bildet sich ein neuer (Brefeld); offenbar eine für die Erhaltung der Art sehr nütz - liche Einrichtung. Ein Lebermoos producirt aus den kleinsten Fetzen, in die es zerstückelt wird, die ganze Pflanze (Vöchting). Was macht die Annahme unwahrscheinlich, dass diese Fähigkeit erworben sei, um den Bestand der durch jede plötzliche Trockniss bedrohten Art vollends zu sichern. Ich besitze nicht aus - reichende Kenntniss vom Pflanzenleben, um diesen Gedanken im Einzelnen zu begründen, allein ich glaube noch andere Thatsachen zu kennen, die meine Auffassung gewissermassen von der entgegengesetzten Seite her bestätigen.

Warum besitzen Farne und Schachtelhalme in ihrer ausgebildeten Form diese Fähigkeit der Regeneration nicht? Ein abgeschnittener Farnwedel treibt aus seinem Stengel keinen neuen Wedel, ja er ergänzt nicht einmal einzelne Fiederblättchen,284 die abgeschnitten wurden. Man könnte hierauf etwa erwidern, dass die Farne schon zu hoch differenzirte Somazellen besässen, allein dem widerspricht die Erfahrung, welche lehrt, dass viele, aber keineswegs alle Farn Brutknospen auf den Wedeln hervor - bringen können. Warum bei diesen diese Einrichtung getroffen wurde, darf ich wohl den Botanikern zu erklären überlassen, wenn man mir aber entgegenhalten wollte, ob denn die Fähig - keit, aus Somazellen ganze Pflanzen hervorgehen zu lassen, den übrigen Farnen nicht auch nützlich gewesen, also auch bei ihnen zu erwarten wäre, so möchte ich darauf antworten, dass alle das Vermögen haben, abgeschnittene Wedel durch neue zu er - setzen, aber nicht durch Regeneration des abgeschnittenen Blattes, sondern durch Knospung aus dem Stamm. Das genügt, um die Pflanze zu ergänzen, wenn sie verletzt wurde.

Und damit komme ich zu den Verhältnissen bei den Phanerogamen. Auch hier entbehren die Blätter in der Regel die Nebenkeimbahnen , d. h. ihre Zellen haben nicht die Fähigkeit, Knospen zu produciren, ja nicht einmal die Fähig - keit, sich selbst wieder zu ergänzen, wenn ihnen ein Stück ab - geschnitten wurde. Dagegen aber haben die Sprossachsen diese Fähigkeit meist oder immer in hohem Maasse, und sie beruht auf der Anwesenheit der Cambialzellen, welche, wie es scheint, alle die Fähigkeit besitzen, neue Vegetationspunkte und damit den Aus - gangspunkt für einen neuen Spross sammt Blättern und Blüthen, also Keimzellen zu bilden. Die Regenerationskraft der Blätter ist in der Regel überflüssig, weil der Pflanzen - stock in seiner Cambialschicht eine unerschöpfliche Quelle für die Entstehung neuer Personen in sich trägt; dies ist ein wirksameres Mittel des Wiederersatzes, als es die Ergänzung von Defecten an den Blättern sein würde. Die Fähigkeit der Blätter aber, Adventivknospen zu treiben, wird wohl in den meisten Fällen durch die Massenhaftigkeit und sichere Verbreitung der Samen unnöthig.

285

Im Thierreich verhält sich die Gruppe der Polypenstöcke ähnlich. Auch bei ihnen sind überall im Stock Zellen ver - breitet, die zwar wie gewöhnliche somatische Zellen aussehen und funktioniren, die aber unter gewissen Umständen, nach Ver - letzungen des Stockes u. s. w., zur Bildung neuer Personen schreiten können. Als ich einst einen Stock von Tubularia mesembryanthemum aus Marseille lebend mit nach Freiburg gebracht hatte, starben die Polypenköpfchen schon nach einer Woche etwa einer nach dem andern ab, wohl aus Nahrungs - mangel, allein wenige Tage später hatten sich an allen Stielen neue, freilich sehr kleine Köpfchen gebildet, die ohne Zweifel herangewachsen wären, wenn ich sie hätte ernähren können. Diese Regenerationsfähigkeit ist vorgesehen, wenigstens finde ich in einer vor Kurzem erschienenen Schrift von Loeb1)Jacques Loeb, Untersuchungen zur physiologischen Morpho - logie der Thiere . I. Über Heteromorphose. Würzburg 1891. an - gegeben, dass ein solches Abfallen der Köpfchen und Neubildung derselben von Zeit zu Zeit regelmässig stattfinde. Derselbe Autor zeigte auch durch den Versuch, dass an beliebigen Stellen des Stammes, sowohl am Kopf - als am Wurzelende desselben, Köpfchen hervorsprossen können unter günstigen Bedingungen. Dagegen gelang es nie, das apicale Ende des Stämmches zur Wurzelbildung zu bringen.

Dass Letzteres nicht gelingt, wird Niemand in Erstaunen setzen, der mit mir alle diese Knospungs - und Regenerations - Vorgänge als Anpassungen auffasst. Das apicale Ende eines Stammes wird in natürlichen Verhältnissen kaum je in die Lage kommen, Wurzel treiben zu müssen, da es nicht ver - kehrt herum in den Sand zu liegen kommt, es liegen deshalb dort keine Zellen mit Wurzel-Idioplasma . Umgekehrt aber begreift man leicht, weshalb diese Polypen mit einem so hohen Knospungsvermögen ausgestattet sind, wenn man einmal gesehen286 hat, welche Zerstörungen verschiedene niedere Krebse, Würmer, Arachniden, Schnecken und andere Feinde an den Weichtheilen der Polypenstöckchen anrichten. Besässen diese Polypen nicht die Fähigkeit, immer wieder neue Köpfchen, d. h. Einzelthiere hervorsprossen zu lassen, wenn die alten abgefressen sind, so würde ihre ganze Kolonie bald absterben müssen aus Mangel an ernährenden Personen. Dass dies in so ausgiebigem Maasse möglich ist, ist theilweise wenigstens eine Folge der Aggre - gation von Personen zu der höheren Individualitätsstufe des Stockes. Denn diese gewährt den Vortheil fortdauernder Er - nährung, solange nicht geradezu alle Einzelthiere des Stockes den Feinden zum Opfer gefallen sind, und begünstigt so das Hervorwachsen neuer Knospen.

Ähnlich verhält es sich bei manchen Bryozoen oder Mooskorallen. Bei vielen von ihnen ist die normale Knospung eine ganz gesetzmässige; die Stelle, an welcher sich die nächste Knospe bilden wird, ist im Voraus anzugeben, und darauf beruht hier wie bei den Hydroidpolypen die charakteristische Gestalt der Stöckchen bei den verschiedenen Arten, die bald wie ein Laubbaum, bald wie eine Tanne, oder eine Feder u. s. w. verzweigt sind. Hier also müssen bestimmte Zellen im Voraus mit Knospungs-Keim - plasma ausgerüstet sein, und es muss keines andern Anstosses als der gewöhnlichen Ernährung bedürfen, um sie zur Knospen - bildung zu veranlassen. Die Zellfolgen, welche zu diesen Knospungszellen hinführen, würden als Haupt-Keimbahnen im Sinne von de Vries zu bezeichnen sein. Nun giebt es aber bei manchen Bryozoen, z. B. bei Pedicellina, nach den Unter - suchungen von Seeliger auch andere Knospungsstellen, als die gewöhnlichen. Wenn eine Pedicellina ihr Köpfchen verliert, so dass nur ein Stumpf des Stieles übrig bleibt, so wachsen am Stielende neue Köpfchen hervor, und die Knospung geht hier von den platten specifischen Epithelzellen des287 Ektoderms aus, die vorher durchaus nicht danach aussahen, noch in Vermehrung eintreten zu können. Hier haben wir also auch Neben-Keimbahnen. Epidermiszellen sind mit Knospen - Keimplasma ausgerüstet, veranlassen aber trotzdem für gewöhn - lich keine Knospung, vielmehr nur auf ungewöhnliche Reize hin. Dieselben sind der Zerstörung ebenso ausgesetzt, wie die der Hydroidpolypen; es kann also nicht überraschen, dass die Einrichtung der Knospung vom Stiel aus getroffen worden ist, auch wenn wir nicht wüssten, dass die Köpfchen eines Stieles bei Pedicellina normaler Weise von Zeit zu Zeit hinfällig werden und durch neu hervorknospende ersetzt werden. Dies findet allerdings am obern Ende des Stieles statt, aber es be - greift sich, dass die Ausrüstung auch der untern Parthien der Stiel-Epidermis mit Knospen-Idioplasma vortheilhaft sein musste.

In ähnlicher Weise erkläre ich mir die bei den höheren Pflanzen ganz allgemein getroffene Einrichtung der Hervor - bringung von Adventivknospen. Auch dieser Organismengruppe ist, vor Allem in ihrer Cambialschicht das Mittel gegeben, Ver - luste an Blättern oder ganzen Sprossen wieder zu ersetzen, und es liegt auf der Hand, dass dies gegenüber dem zahlreichen, oft geradezu massenhaften Auftreten besonders der kleinen Feinde aus der Insektengruppe ein wichtiger Schutz ist. Dass also diese Einrichtung, ich meine die Beigabe von gebundener Keimsubstanz an die Cambialzellen, getroffen wurde, kann nicht in Verwunderung setzen.

Die Gallen.

De Vries hat auch die Gallen gegen meine Ansichten ins Feld geführt. Sie beweisen ihm, dass in einer Pflanzen - zelle, auch wenn sie specifisch histologisch differenzirt ist, immer noch die Anlagen zu allen andern Zellenarten schlummern,288 bereit, aktiv zu werden, sobald der geeignete Reiz auf sie ein - wirkt. Diesen Nachweis hält er dann weiter für unvereinbar mit der Annahme eines Keimplasma’s und einer Continuität desselben.

Gewiss unterliegt es keinem Zweifel, dass die Gallen ein höchst interessantes Problem sind, aber eben so gewiss scheint es wenigstens mir, dass dieses Problem noch nicht völlig gelöst ist, trotz der mehrfachen und ganz vortrefflichen Untersuchungen, welche die letzten Decennien gebracht haben und unter welchen diejenigen von Adler1)Adler, Beiträge zur Naturgeschichte der Cynipiden , Deutsche entomolog. Zeitschr. XXI, 1877, p. 209, u. Über den Generationswechsel der Eichengallwespen in der Zeitschr. für wiss. Zool. Bd. XXXV, 1888, p. 151. und von Beyerinck2)M. W. Beyerinck, Beobachtungen über die ersten Entwicke - lungsphasen einiger Cynipidengallen . Veröffentlicht durch die k. Aka - demie d. Wiss. zu Amsterdam, 1882. Derselbe, Die Galle von Cecidomyia Poae , in Bot. Zeit. 1885. Derselbe, Über des Cecidium von Nematus Capreae , Bot. Zeit. 1888, No. 1. unsere Einsicht ganz besonders gefördert haben.

Der Punkt, der hier im Vordergrund steht, ist die That - sache, dass die Gallen keineswegs immer nur aus denjenigen Zellenarten bestehen, welche in den Organen der Pflanze vor - kommen, auf welchen sie wachsen, sondern dass sie häufig auch andere Zellenarten enthalten. Zellen, welche die Pflanze sonst nur in der Rinde ihres Stammes bildet, kann man häufig in den Gallen blattbewohnender Cynipiden und Dipteren finden. Es ist also gewiss, dass das Vermögen, diese z. B. dem Blatte sonst fremden Zellenarten hervorzubringen, nicht nur jenen Organen eigen ist, welche sie im normalen Laufe entwickeln, sondern auch gewissen Zellen des Blattes, de Vries meint sogar, wohl allen übrigen Theilen der Pflanze .

Dies könnte uns nicht besonders überraschen, wenn wir289 die Gallen als Anpassungen der Pflanze an ihre Parasiten be - trachten dürften, wie dies z. B. bei den merkwürdigen Ein - richtungen gewisser tropischer Pflanzen zum Schutze der die Pflanze selbst wieder beschützenden Ameisen angenommen werden darf. Hier hat gegenseitige Anpassung stattgefunden, das Thier hat sich der Pflanze, die Pflanze aber auch dem Thier angepasst, weil für Beide das Zusammenleben förderlich ist. Bei den Gallen der Cynipiden und Blattwespen ist ein Nutzen, der der Pflanze durch den Parasiten erwachsen könnte, nicht erfindlich, und wir sind also darauf angewiesen, dieselbe als Reaction der Pflanze auf den vom Thier ausgeübten Reiz zu erklären. Entstünde die Galle, wie man früher annahm, durch ein Gift, welches von dem eierlegenden Weibchen in das Pflanzen - gewebe gebracht würde, so wäre diese Erklärung durchaus un - genügend, da es nicht denkbar ist, dass die einmalige Ein - flössung eines Giftes die langsam wachsende und erst allmälig ihre definitive, oft recht complicirte Structur annehmende Galle in solcher Regelmässigkeit hervorrufen sollte. Sie wäre dies um so mehr, als auf derselben Unterlage, z. B. dem Eichen - blatt, vielerlei Gallen wachsen können, die sehr verschieden von einander sind. Durch Adler und Beyerinck wissen wir aber, dass nicht der Stich des Mutterthieres, sondern die Thätigkeit der aus dem Ei geschlüpften Larve es ist, welche die Gallen - bildung hervorruft. So wird man sich denn vorstellen müssen, dass diese Larven durch den Reiz, den einmal ihr sich be - wegender Körper setzt, dann aber ihr Fressen und schliesslich die specifischen Secrete ihrer Speicheldrüsen die eigenthümliche und specifische Wucherung des Pflanzengewebes bedingen. Die Verschiedenartigkeit der Gallen auf gleicher Unterlage aber wird man aus Verschiedenheiten dieser Momente herleiten müssen, und die augenfälligen, dem Parasiten zum Schutz und zur Er - haltung und Ernährung dienenden Anpassungen der Galle müssenWeismann, Das Keimplasma. 19290auf Anpassungen des Parasiten beruhen, auf der Art und Weise seines Fressens, seiner Bewegungen, auf der chemischen Zu - sammensetzung seines Speichelsecrets. Wir sind gezwungen zu dieser Erklärung, da keine andere sich auffinden lässt, und müssen also uns vorstellen, dass Naturzüchtung hier auf diese Momente so lange eingewirkt hat, stets sie verbessernd, bis die für die betreffende Art bestschützende und nährende Galle durch die Larve zu Stande kam.

Beyerinck hat nun in der That erwiesen, dass in den Gallen häufig Zellen - und Gewebsformen vorkommen, welche solchen in anderen Theilen der Pflanze vorkommenden sehr ähnlich sind, sich aber in der Unterlage der Galle, z. B. im Blatt nicht vorfinden, und de Vries zieht daraus den Schluss, dass die Anlagen zu diesen fremden Geweben, ohne dass man es vorher erkennen konnte, in den Zellen des Blattes enthalten gewesen seien. Ich gestehe, dass ich diesen Schluss nicht für zwingend halte, da es ja auch denkbar wäre, dass der vom Parasiten ausgehende Reiz das Idioplasma der Blattzellen in einer Weise verändert hätte, dass daraus andere als die sonst im Blatte gewöhnlichen Zellenformen entstehen müssten. Bei Besprechung der Variation werden wir sehen, dass Derartiges vorkommt; das somatische Idioplasma kann sich zuweilen aus bekannten oder unbekannten Ursachen derart verändern, dass von der ererbten Zellenform-Folge abgewichen wird. Die plötz - liche Entstehung der Moosrose ist ein solches Beispiel. Man könnte sich also wohl denken, dass durch den specifischen Reiz der Larve, vor Allem wohl ihres Secretes, das Idioplasma ge - wisser Zellenlagen der Galle sich so veränderte, dass die Zellen einen andern Charakter annehmen, z. B. den von Holzfasern.

Was entschieden für diese Auffassung spricht, ist der Um - stand, dass keineswegs nur solche Zellenarten in der Galle vorkommen, welche sich auch anderswo in der291 betreffenden Pflanze vorfinden. De Vries stellt zwar diesen Satz auf, bemerkt aber dazu eine Ausnahme, nämlich die eigenthümliche, sich später in ein dünnwandiges Nahrungs - gewebe verändernde Steinzellenschicht mancher Cynipidengallen . Ich kann dies nicht für eine wohl nur scheinbare Ausnahme von der Regel halten, sondern für einen sehr werthvollen Hin - weis darauf, dass diese Regel nicht besteht, dass es nur ein scheinbares Zurückgreifen auf ererbte Zellenformen, d. h. auf solche ist, die schon in latentem Zustande in den Zellen des Blattes enthalten waren. Ich möchte vielmehr gerade in diesen Ausnahmen den Beweis sehen, dass wir es in den Gallen mit wirklichen Neubildungen zu thun haben, mit Ab - änderungen der betreffenden Zellenformen, die durch den Larvenreiz entstehen. Wenn sie häufig Zellformen aus andern Theilen der Pflanze sehr ähnlich sind, so kann das kaum in Erstaunen setzen, da die Veränderungen, die die Larve hervor - bringt, sich an einem Idioplasma abspielen, welches aus den Determinanten der betreffenden Art zusammengesetzt ist; da also diese Veränderungen sich zunächst nicht weit von solchen Biophoren-Combinationen (Determinanten) entfernen werden, welche auch sonst in der Pflanze vorkommen. Neu-Com - binirung der Biophoren in verschiedenem Grade scheint mir die Folge der Larven-Einwirkung zu sein und da - durch Abänderung der Determinanten.

In ähnlicher Weise möchte ich die von de Vries gegen mich angeführten Gallen von Cecidomyia Poae auffassen. Diese Stengelgallen bedecken sich auf den Reiz der Larve hin mit einem dichten, wohl als Schutz dienenden Filz von wurzel - artigen Auswüchsen, die in Erde gebracht sich wie normale Wurzeln verzweigen. Dass durch den Reiz des Parasiten unter Umständen das Idioplasma gewisser somatischer Zellen so um - geordnet wird, dass es einem anderen Gewebe, ja Organ der -19*292selben Pflanze ähnlich oder gleich wird, beweist, wie mir scheint, durchaus nicht, dass die betreffende Anlage vorher schon in jenen Zellen enthalten gewesen sein müsse. Bei thierischen Geweben sind zwar ähnliche Umwandlungen nicht bekannt; in krankhaften Geschwülsten kommen nach der Ansicht der heutigen pathologischen Anatomen immer nur solche Zellenarten vor, welche überhaupt in den Bereich der Gewebeart gehören, aus welcher der Tumor entspringt. Das kann nicht überraschen, da die thierischen Gewebe weit höher differenzirt sind, als die pflanzlichen, die idioplasmatischen Elemente derselben also auch stärker verschieden sein werden, folglich sich durch Reize, die sie verschieben und umordnen können, doch niemals zu ähn - lichen oder gleichen Combinationen verbinden werden, wie sie in ganz anderen Gewebearten des Körpers vorkommen.

Auf den Fall der Nematus-Galle gehe ich nicht ein, weil die betreffenden Versuche Beyerinck’s noch nicht abgeschlossen sind. Gelänge es, wie de Vries es für wahrscheinlich hält, aus der Blattgalle einer Weide die ganze Weidenpflanze zu erziehen dann würde freilich der Beweis geliefert sein, dass in den Zellen des Blattes ebenso gut Keimplasma enthalten war, als im Be - gonienblatt; allein bis jetzt hat die Galle nur Wurzeln gebildet, und wenn normale Wurzeln auch stets das Vermögen besitzen, Adventivknospen zu bilden, so ist dies bei diesen abnormalen nicht im Voraus zu sagen. Gerade bei der Weide ist übrigens die Anlage zu Wurzeln nicht nur in Gestalt unsichtbarer Deter - minanten, sondern in Gestalt sichtbarer Zellen im ganzen Stamm verbreitet, weshalb denn auch keine Stecklinge leichter an - wachsen, als solche der Weiden. Vielleicht ist es denkbar, dass in Zusammenhang mit dieser weiten Verbreitung von Wurzel - anlagen auch die blosse gebundene Gruppe der Wurzel-Deter - minanten weiter als sonst in der Pflanze verbreitet ist.

Ich will überhaupt durchaus nicht behaupten, dass überall,293 wo heute Pflanzenzellen inaktives Keimplasma führen, diese Beimengung auf einer heute noch geltenden Nützlichkeit beruhen müsse. Sobald einmal die Verbreitung gebundenen Keimplasma’s in einem Organismus eine so reichliche ist, wie bei den meisten Pflanzen, so wird wenig in der Okonomie der Pflanze darauf ankommen, ob etwa auch noch Zellen solcher Organe, welche heute nicht mehr in der Lage sind, Gebrauch von dieser Ausrüstung zu machen, ebenfalls Minima von Keim - plasma führen. Bei den Vorfahren der Art war es vielleicht von Vortheil, und wenn nicht, so kennen wir so wenig davon, wie die verschiedenen Qualitäten des Idioplasma’s bei der Kern - theilung mechanisch gesondert werden, dass auch eine zufällige gelegentliche Beimischung von Keimplasma zu somatischem Idioplasma besonders bei Cormen, wie es die höheren Pflanzen sind, die ohnehin eine Masse von keimplasma-führenden Zellen überall im ganzen Körper besitzen müssen, keine völlig ab - zuweisende Annahme wäre. Ob wir derselben bedürfen, wird die Zukunft lehren.

Der Gegensatz zwischen mir und de Vries liegt nicht darin, dass ich principiell genöthigt wäre, die Beimischung von Keimplasma zu zahlreichen Zellen des Körpers in Abrede zu stellen, sondern darin, dass ich ein bestimmtes somatisches Idioplasma, bestehend aus einer begrenzten Zahl bestimmter Determinanten jeder somatischen Zelle beigebe, zu welcher je nach Bedürfniss noch irgend ein gebundenes Neben-Idio - plasma hinzukommen kann, während de Vries in jeder Zelle oder doch nahezu jeder Zelle des ganzen Organismus sämmt - liche Anlagen der Art idioplasmatisch enthalten sein lässt. Wieso dann trotzdem diese eine Zelle einen specifischen histo - logischen Charakter besitzen muss, bleibt bei de Vries un - erklärt. Warum in ihr nur ein bestimmter, und zwar ein sehr kleiner Theil des überall gleichen Gesammt-Idioplasma’s aktiv294 wird, erfordert irgend eine neue Annahme, die noch dazu nicht leicht zu formuliren sein würde. Meine Theorie erklärt die Differenzirung des Körpers durch die Auseinanderlegung der im Keimplasma gesammelt enthaltenen Determinanten und bedarf einer besonderen Annahme, nämlich der nach Bedürfniss er - folgenden Zuertheilung von Neben-Idioplasma zur Erklärung der Keimzellen-Bildung, Knospung und Regeneration. De Vries kann, gerade wie Darwin in seiner Pangenesis, die Neubildung ganzer Pflanzen oder Theile derselben an jedem Punkt der Pflanze mit Leichtigkeit erklären, da seine Keimchen oder Pan - gene überall zur Verfügung bereit liegen. Eine Erklärung oder auch nur den Anfang einer Erklärung, worauf nun aber die Verschiedenheit der Zellenarten, die Differenzirung des Körpers beruht, vermag er auf Grund seiner Hypothese nicht zu geben.

Bei vielen niederen Pflanzen, bei denen jede Zelle so scheint es unter Umständen wieder die ganze Pflanze er - zeugen kann, sieht es nun so aus, als hielten sich die beiden Annahmen die Wage in Bezug auf ihre Erklärungskraft; die Verschiedenheiten der somatischen Zellen untereinander sind nur gering und so wenig zahlreich, dass man sie vielleicht nur als Reactionen des gleichen Idioplasma’s auf verschiedenartige Me - diums-Einflüsse zu betrachten geneigt sein könnte. So etwa bei den Lebermoosen. Sobald aber die Differenzirung des Soma eine vielfache wird, lässt sich eine solche Annahme nicht mehr halten, und das Erste, was eine Erklärung zu leisten hat, ist eben diese Differenzirung, d. h. die gesetzmässige Verschieden - heit der aus der Eizelle hervorgehenden Zellen und Zellen - gruppen auf ein Princip zurückzuführen. Dabei lässt das de Vries’sche Princip völlig im Stich, dasselbe erklärt nur, dass unter Umständen auch wieder die ganze Pflanze aus einzelnen Zellen entstehen kann, und versagt der Hauptsache gegenüber295 vollständig. Denn Niemand wird es auch nur für den Anfang einer Erklärung halten, wenn die Differenzirung darauf zurück - geführt wird, dass immer nur derjenige Theil der Keimsubstanz aktiv wird, den man gerade zur Herstellung der betreffenden Zelle oder des betreffenden Organes braucht. Je höher wir aber in der Organismenwelt empor steigen, um so mehr wird die Erzeugung des Ganzen aus einzelnen Zellen beschränkt, und um so schärfer tritt uns die vielseitige Differenzirung des Soma als erstes Object unseres Erklärungsbestrebens entgegen. Ihm gegenüber ist mit dem alle Anlagen umfassenden, überall vor - handenen Idioplasma Nichts anzufangen und selbst für die Keim - zellen-Bildung nützt es uns Wenig, anzunehmen, dass sie aus Zellen entstehen, welche gerade so wie alle anderen sämmtliche Anlagen der Art enthalten. Weshalb nun werden doch nur ge - rade diese zu Keimzellen und keine anderen im ganzen Soma des Thieres? Bei niedern Pflanzen mag man die Thatsache der Differenzirung des Soma übersehen oder unterschätzen können, bei den höheren Thieren ist das unmöglich.

Zusammenfassung des zweiten Buches.

Nach dem bisher Gesagten muss das Idioplasma der einzelnen, Zelle in einem fertigen thierischen oder pflanzlichen Organismus einen ziemlich verschiedenen Grad vom Complication besitzen, und es ist vielleicht nicht überflüssig, sich darüber noch klare Rechenschaft zu geben, ehe wir in der Untersuchung weiter gehen.

Der idioplasmatische Vorgang, der die Ontogenese eines vielzelligen Wesens bedingt, besteht nach unserer Vorstellung darin, dass die Tausende von Determinanten, welche das Keim - plasma der befruchteten Eizelle zusammensetzen, sich gesetz - mässig in Gruppen spalten und sich auf die Abkömmlinge der Eizelle vertheilen. Diese Spaltungen in immer kleinere Determi -296 nantengruppen gehen so lange fort, bis nur noch eine De - terminantenart in der betreffenden Zelle vorhanden ist, die nun entweder blos eine einzige Zelle beherrscht, oder falls der betreffende erbliche Charakter (die Determinate ) aus einer Gruppe von Zellen gemeinsamer Abstammung besteht diese ganze Gruppe.

Die Determinanten sind nicht alle zugleich aktiv, vielmehr wird jede Zelle, die in dem ganzen Verlauf der Ontogenese auftritt, immer nur von je einer Determinante beherrscht, und zwar geschieht dies in der Weise, dass dieselbe sich in ihre Biophoren auflöst, und dass diese Letzteren in den Körper der Zelle einwandern. Auch auf den früheren Stufen der Ontogenese, auf welchen noch zahlreiche Determinantenarten das Idioplasma der Zellen zusammensetzen, beherrscht nur eine von ihnen in dieser Weise die Zelle. Die übrigen haben aber ebenfalls ihren bedeutungsvollen Antheil an dem Verlauf der Ontogenese, indem sie sich, jede nach ihrem eignen Rhythmus, vermehren und dadurch das ursprüngliche Verhältniss der verschiedenen De - terminanten, wie es im Keimplasma gegeben war, verändern und in Folge dessen auch die Architektonik des Id’s verschieben und die fernere Zerlegung desselben bestimmen. Sie sind also inaktiv nur in Bezug auf die Zelle, in der sie augenblicklich liegen, nicht aber in Bezug auf die Entwicklung im Ganzen.

Es giebt aber verschiedene Umstände, welche diesen ein - fachen Gang der idioplasmatischen Entwickelung compliciren können.

Zuerst das Bedürfniss, Substanzverluste ersetzen zu können. Um dies zu ermöglichen, war es nothwendig, mindestens den Endzellen der Ontogenese, also den Zellen der verschiedenen Gewebe, die Möglichkeit zu gewähren, ihres Gleichen wieder hervorzubringen. Dieses Vermögen wurde dadurch hergestellt, dass diesen Zellen die Fähigkeit der Vermehrung auch fernerhin297 belassen wurde, so dass also die eine sie bestimmende Determi - nante durch Wachsthum vervielfacht werden kann, und dadurch die Möglichkeit gegeben wurde, durch Zelltheilung Zellen von dem gleichen Charakter hervorzubringen.

Wir finden aber die Regeneration nicht auf diese einfachste Form des Ersatzes beschränkt, sondern beobachten, dass auch complicirter zusammengesetzte Gewebe sich selbst wieder hervor - bringen können, ja dass ganze Organstücke, ganze Organe, ganze Gliedmaassen und grössere Körpertheile, wie Kopf und Schwanz, bei gewissen Thiergruppen neu erzeugt werden können, wenn sie verloren gegangen sind. Die idioplasmatische Erklärung dieser Thatsachen fanden wir darin, dass auch hier die Determi - nanten der Zellgruppen, welche regenerirbar sein sollten, ver - vielfacht und im Laufe der Ontogenese gewissen Zellen als inaktives Neben-Idioplasma beigegeben wurden. Die Aus - rüstung solcher Zellen mit Regenerations-Determinanten beruht auf Anpassung und hängt nur insoweit mit der Organisationshöhe des Thieres zusammen, als die Schwierigkeit, eine grosse Menge von Zellen mit genau abgestuften Regenerations-Determinanten auszurüsten, um so grösser werden musste, je grösser die Zellen - zahl wurde, von welcher die Regeneration auszugehen hatte, und je zahlreicher und vielfacher differenzirt die Organe, welche wieder herzustellen waren. Beides steigt mit der Complication des Baues und deshalb nimmt im Allgemeinen die sogenannte Regenerationskraft mit der Complication des Baues ab.

Zellen, welche Regenerationskraft besitzen, sind also solche, welche ausser ihrer eigenen aktiven Determinante noch eine grössere oder kleinere Gruppe von inaktiven Determinanten solcher Zellen und Zellenfolgen enthalten, welche, wenn sie aktiv werden, das Stück des Körpers ersetzen zu helfen fähig sind, welches distalwärts von ihnen verloren gegangen ist. Nur die harmonische Ausrüstung der Zellen eines bestimmten Quer -298 schnitts mit verschiedenen, aber zusammenpassenden und sich ergänzenden Determinantengruppen ermöglicht die höheren Grade der Regeneration.

Diese Art der Regeneration führt direkt zu der Fort - pflanzung durch Theilung, welche nichts Anderes ist, als die Ausnutzung eines hohen Regenerationsvermögens zur Ver - mehrung der Individuenzahl.

Während nun die Regeneration in ihren niederen Graden sowohl, als in ihren höchsten darauf beruht, dass Zellen mit gewissen kleineren oder grösseren Gruppen von Determinanten als gebundenem Neben-Idioplasma ausgerüstet sind, beruht die Entstehung neuer Personen durch Knospung darauf, dass entweder eine einzige Zelle sämmtliche Determinanten der Art als Neben-Keimplasma in inaktivem und gebundenem Zustande enthält, oder dass zwei oder drei Zellen verschiedener Leibesschichten grosse Determinantengruppen als Neben-Idio - plasma enthalten, welche zusammen den gesammten Determi - nantenbesitz der Art (das Keimplasma) ausmachen.

Ist es nur eine einzige Zelle, von welcher die Knospung ausgeht, wie bei Hydroidpolypen und Pflanzen, so wird das be - treffende Knospen-Idioplasma als eine Modification des Keim - plasma’s anzusehen sein, welche zwar sämmtliche Determinanten der Art enthält, aber nicht genau in derselben Anordnung, wie im eigentlichen Keimplasma, d. h. dem der befruchteten Eizelle. Geht die Knospung von zwei oder drei Zellen aus, so ist damit nicht gesagt, dass diese zwei oder drei Zellen genau diejenigen Determinantengruppen enthalten müssen, welche den zwei oder drei Keimschichten der betreffenden Metazoen entsprechen würden. Die Combination der Determinanten ist vielmehr in allen be - kannten Fällen eine mehr oder minder verschiedene, den Knos - pungsverhältnissen angepasste. Sie beweist, dass in der Embryo - genese der Art, ganz unabhängig von den für diese selbst mass -299 gebenden Spaltungen der Determinanten-Complexe noch Spal - tungen der Neben-Determinantengruppe stattfindet, welche eben die Ausrüstung gewisser Zellen mit einem bestimmt zusammen - gesetzten Neben-Idioplasma bewirkt.

Das Knospungs-Keimplasma muss in Gestalt besonderer Ide in dem Keimplasma der Geschlechtszellen enthalten sein, da Knospen unabhängig von den sie hervorbringenden Personen variiren können, umgekehrt muss aber auch der Knospe bei ihrer Entwickelung Haupt-Keimplasma beigegeben werden, sei es, dass dies durch besondere Zellen geschieht, welche das - selbe in gebundenem Zustande enthalten, sei es, dass bei der Trennung des Knospungs-Keimplasma’s vom Haupt-Keimplasma demselben einige Ide des Letzteren in gebundenem Zustande sich beigesellen.

Da Knospung ausser bei den Pflanzen nur bei verhältniss - mässig niedern Thierformen vorkommt, den Coelenteraten, Bryo - zoen und Tunicaten, so darf wohl geschlossen werden, dass die Beigabe eines solchen aus genau abgestuften Determinanten - gruppen gebildeten Knospungs-Idioplasma in der zunehmenden Complication des thierischen Baues und der damit bis zu er - staunlicher Höhe anwachsenden Determinantenzahl ihre Grenze der Ausführbarkeit findet.

Die Zellen von Metazoen und Metaphyten können aber unserer Vorstellung nach nicht nur mit den erwähnten Neben - Idioplasmen ausgerüstet sein, sondern auch mit Haupt-Keim - plasma, und zwar sind dies alle solche Zellen der Ontogenese, welche auf dem Wege zu Keimzellen liegen, auf den Keim - bahnen . Da somatische Zellen nur von einer der vielen zum Keimplasma gehörenden Determinanten beherrscht werden, und da Determinanten nicht unvermittelt neu entstehen können, so muss in solchen Zellen, welche Keimzellen hervorbringen sollen, neben der aktiven, sie beherrschenden Determinante noch300 gebundenes Keimplasma enthalten sein, welches nur aus der Ursprungszelle des ganzen Organismus herstammen kann, da nur in ihr sämmtliche Determinanten zu Keimplasma organisch verbunden enthalten sind. Von der Eizelle an muss es daher eine Reihe von Zellen geben, welche Keimplasma als gebundenes Neben-Idioplasma enthalten und welche zu der Stelle im Körper hinführen, an welcher früher oder später die Bildung der Keim - zellen vor sich geht (Continuität des Keimplasma’s).

Bei niederen Pflanzen und Thieren ist die Zahl der Keim - bahnen eine sehr grosse; nicht nur werden normaler Weise, besonders bei Thier - und Pflanzen stöcken, an sehr vielen Stellen Keimzellen gebildet, sondern es kann auch ausnahms - weise, besonders nach Verstümmelungen des Stockes, an vielen Stellen zur Bildung neuer Personen durch Knospung kommen, welche ihrerseits dann wieder Keimzellen hervorbringen können. So müssen bei Hydroidpolypen und Bryozoen sehr zahlreiche Zellen des Stockes mit Keimplasma ausgerüstet sein, und es muss dahingestellt bleiben, ob dies dieselben Zellen sind, welche das Knospungs-Idioplasma enthalten, oder ob es andere, ihnen benachbarte Zellen sind, die mit in die Knospenbildung ein - treten. Jedenfalls ist Knospungs-Idioplasma, auch dann, wenn es wie bei Pflanzen und Hydroidpolypen sämmtliche Determi - nanten der Art enthält, doch nicht identisch mit dem Keim - plasma der Eizelle, sondern muss mindestens die Determinanten in anderer Ordnung enthalten, besteht aber nicht selten aus ganz anderen, und beim Generationswechsel der Medusen auch aus viel zahlreicheren Determinantenarten.

Die Zellen der Keimbahnen sind somatische Zellen, d. h. werden von einer besondern Determinante bestimmt, und ent - halten das Keimplasma nicht nur in inaktivem, sondern auch in unzerlegbarem oder gebundenem Zustand. Dasselbe wird erst wieder zerlegbar, wenn seine Träger zu Keimzellen werden301 und in Embryognese eintreten. Solches Keimplasma kann, gerade wie auch gebundenes Knospen-Idioplasma, sowohl von jungen Zellen mit niederer histologischer Differenzirung, als von solchen mit scharf ausgeprägtem histologischen Charakter enthalten sein.

Wir sehen also, dass die Zellen des fertigen Organismus in vielen Fällen nicht blos die Determinante enthalten, welche ihren speciellen Charakter, ihren Bau und ihre physiologische Thätigkeit für den Augenblick bestimmt, sondern meistens noch ein Neben-Idioplasma, welches entweder schon im normalen Verlauf der Entwickelung aktiv wird, wie bei der normalen Keimzellenbildung und der Vermehrung durch Theilung und Knospung, oder nur bei aussernormalen Anlässen, wie bei Ver - letzungen, Verstümmelungen, durch welche die Vorgänge der Regeneration oder Knospung hervorgerufen werden.

[302]

Drittes Buch. Die Vererbungserscheinungen bei geschlechtlicher Fortpflanzung.

Einleitung.

Die Vererbungserscheinungen wurden bisher unter der Voraussetzung einer rein ungeschlechtlichen Fortpflanzung be - trachtet, d. h. diejenigen Complicationen des Keimplasma’s, welche aus der Vermischung der Vererbungsstücke zweier Eltern entstehen, wurden noch bei Seite gelassen, und die Zu - sammensetzung des Keimplasma’s so angenommen, wie sie sein müsste, wenn nur einelterliche Fortpflanzung bestünde. Es ge - währte dies den grossen Vortheil, bei der Analyse gerade der fundamentalen Vererbungserscheinungen den Blick auf das Wesentliche allein richten zu können und ihn nicht zu ver - wirren durch das glitzernde und stets wechselnde Gemisch indi - vidueller Unterschiede, wie solches durch die zweielterliche Fortpflanzung hervorgerufen wird. Die Berechtigung dieses Verfahrens liegt einfach darin, dass gerade die fundamentalen Vorgänge, wie die Ontogenese, die Regeneration, die Ver - mehrung durch Theilung und Knospung ihren Grund nicht in der zweielterlichen Fortpflanzung haben können, dass sie vor sich gehen würden, auch wenn diese gar nicht existirte.

Nachdem nun aber der Grund gelegt ist, von welchem aus auch die Complicationen der Analyse unterworfen werden können, welche durch geschlechtliche Fortpflanzung in den Ver -303 erbungserscheinungen sowohl, wie in dem ihnen zu Grunde liegenden materiellen Substrat gesetzt werden müssen, wird es zunächst vortheilhaft sein, sich zu erinnern, was wir heute über diese Form der Fortpflanzung wissen und wie wir sie aufzu - fassen haben. Ich beginne also mit einer kurzen Übersicht über diese Vorgänge, soweit sie zum Verständniss der dadurch bedingten Complication der Vererbungserscheinungen noth - wendig ist.

Wesen der geschlechtlichen Fortpflanzung.

Bis weit in dieses Jahrhundert hinein betrachtete man die sogen. geschlechtliche Fortpflanzung gewissermassen als die eigentliche Fortpflanzung, als die Fortpflanzung katexochen, neben welcher, wie man wusste und allmälig immer mehr ein - sah, allerdings mehrfache Arten von ungeschlechtlicher Fort - pflanzung einherliefen, aber doch nur bei niederen Thierformen und den Pflanzen. Da sie bei den höheren Thieren die aus - schliessliche Fortpflanzungsart ist, und da man lange Zeit hin - durch fast nur an diesen Thieren die Erscheinungen der Fort - pflanzung genauer kannte, so war es natürlich, dass man das Eigenthümliche derselben als einen nothwendigen und unent - behrlichen Bestandtheil der Fortpflanzung selbst ansah; man glaubte, der Vorgang der Befruchtung sei ein essentieller Bestandtheil der Fortpflanzung, er sei es, der die Fortdauer des Lebens, die Übertragung desselben von einem Bion auf das folgende überhaupt erst möglich mache, kurz, man be - trachtete die Befruchtung als einen Verjüngungsprocess des Lebens und die geschlechtliche Fortpflanzung als die noth - wendige Grundlage aller Fortpflanzung überhaupt. Dass auch ungeschlechtliche Formen der Fortpflanzung vorkommen, er - klärte man sich aus einer Nachwirkung der bei der ge - schlechtlichen stattfindenden Befruchtung oder Lebensverjüngung.

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Diese Auffassung schien dadurch bestätigt zu werden, dass die geschlechtliche Fortpflanzung eine ganz allgemeine Ver - breitung hat, von den niedersten Thier - und Pflanzenformen bis hinauf zu den höchsten, und dass ungeschlechtliche Fort - pflanzung bei höheren Lebensformen ganz fehlt, und auch bei niederen nur abwechslungsweise mit geschlechtlicher vorkommt.

Was wir aber heute über den Vorgang der Befruchtung wissen, berechtigt uns, diese bisherigen Anschauungen für völlig irrthümlich zu halten. Die Befruchtung bedeutet keinesfalls eine Verjüngung oder Erneuerung des Lebens, sie wäre durch - aus nicht nothwendig zur Fortdauer des Lebens; sie ist Nichts als eine Einrichtung, um die Vermischung zweier ver - schiedener Vererbungstendenzen möglich zu machen. Warum eine solche Vermischung von der Natur herbeigeführt und in solcher Ausdehnung angewandt wurde, soll später unter - sucht werden, hier handelt es sich nur darum, festzustellen, dass dem so ist. Die Befruchtung besteht in der Vereinigung der Vererbungssubstanz, also des Keimplasma’s zweier Indi - viduen, und alle die verwickelten und mannigfaltigen Erschei - nungen der Differenzirung von zweierlei Arten von Fort - pflanzungszellen, die man als weibliche und männliche zu be - zeichnen gewohnt ist, bis hinauf zur Differenzirung der Indi - viduen selbst zu zweierlei Arten: männlichen und weiblichen, nebst den tausenderlei weiteren Anpassungen und Folgeerschei - nungen dieser Einrichtung haben keinen anderen Grund, als den, die Vereinigung der Vererbungsanlagen zweier Individuen mög - lich zu machen.

Ich habe den Vorgang dieser Keimplasma-Verschmelzung, welcher das Wesen der Befruchtung ausmacht und der in der Regel mit der Verschmelzung zweier Zellkörper verbunden ist, als Amphimixis bezeichnet. Nicht jede Amphimixis ist mit Fortpflanzung verbunden, vielmehr kommt Amphimixis bei allen305 Einzelligen allein für sich vor. Zwei Infusorien z. B. legen sich aneinander und verschmelzen entweder völlig miteinander zu einem Thier, oder sie verschmelzen nur theilweise und nur für kurze Zeit, senden aber die Hälfte ihrer Vererbungssubstanz sich gegenseitig zu und bewerkstelligen so die Amphimixis. Nur bei den Vielzelligen ist Amphimixis immer mit Fortpflanzung verbunden und muss es sein, da die Vereinigung zweier ver - schiedener Keimplasmen hier nicht durch Verschmelzung der ganzen Individuen erreicht werden kann, sondern nur dadurch, dass diese Keimplasmen in einzelne Zellen eingeschlossen wurden, einer männlichen und einer weiblichen, und dass diese die Ver - schmelzung nach Art der Conjugation einzelliger Wesen voll - zogen. Diesem Akt der Amphimixis musste aber dann eine Vervielfältigung der befruchteten Eizelle mit Differenzirung der Zellen-Nachkommen folgen, d. h. die Ontogenese eines neuen Individuums, ohne welche die Amphimixis nutzlos gewesen wäre. So ist also bei allen Vielzelligen Amphi - mixis stets mit Fortpflanzung verbunden, sie tritt uns hier als Amphigonie (Häckel) oder geschlechtliche Fortpflanzung entgegen.

Der Vorgang der Amphimixis, wie er bei der Amphigonie verläuft, ist nun in Kürze der folgende. Die beiderlei Keim - zellen ziehen sich gegenseitig an und verschmelzen miteinander wohl immer so, dass die männliche, kleinere in die weibliche, grössere eindringt. Die Kerne beider wandern dann aufeinander zu und legen sich dicht aneinander, jeder begleitet von seinem Centrosoma , d. h. von jenem merkwürdigen, von einer hellen Sphäre umgebenen Körperchen, welches, wie oben schon erwähnt wurde, den Theilungsapparat des Kernes ausmacht. Während anfänglich das Keimplasma noch in feiner Vertheilung in beiden Kernen enthalten ist, wie dies vom weiblichen Kern auf Fig. 18, I dargestellt ist, zieht es sich etwas später meist zu Kernstäb -Weismann, Das Keimplasma. 20306

Fig. 18.

Schema der Befruchtung des Eies von Ascaris megalocephala, frei nach den Abbildungen und Angaben verschiedener Forscher. I. Die Samenzelle s p ist im Begriff, in das Ei einzudringen, in dessen Innern der Eikern (n o v) mit seinem Centrosoma (c s) liegt. R k I und R k II die beiden primären Richtungskörper, das erste in zwei sekundäre getheilt, jedes mit zwei Idanten im Innern. II. Der Spermakern (n s p) liegt im Innern des Eies; ihm gegenüber der Eikern (n o v). Jeder von beiden enthält zwei Idanten und ist von einem durch Theilung verdoppelten Centrosoma (c s) begleitet. III. Die beiden Kerne haben sich aneinander gelegt, die paarweise gekoppelten Centrosomen mit ihren Attractionssphären liegen an den Polen der bereits sichtbaren Spindelfigur. IV. Die Membran der Kerne ist verschwunden und die erste embryo - nale Kerntheilung im Gang.

307chen oder Idanten zusammen (Fig. 18, II). Durch Edouard van Beneden haben wir zuerst erfahren, dass die Zahl dieser Idanten auf beiden Seiten die gleiche ist, eine Entdeckung, die seitdem für zahlreiche Thierarten, und neuerdings auch von Guignard für die Pflanzen bestätigt wurde, und die für die Auffassung der Idanten als der Vererbungssubstanz von ent - scheidender Bedeutung ist. Schon während die beiden Kerne sich einander nähern, verdoppeln sich ihre Centrosomen und ver - binden sich dann paarweise miteinander, um die beiden Pole einer Kerntheilungsspindel zu bilden (Fig. 18, III), welche meist erst nach völliger Auflösung der Kernmembranen die erste, zur Bildung des Embryo führende Zelltheilung (Fig. 18, IV) einleiten.

Der Vorgang der Befruchtung besteht also in der Ver - einigung der beiden Kerne der Geschlechtszellen innerhalb der mütterlichen Keimzelle und der beiderseitigen Zellkörper sammt ihren Theilungsapparaten. Das Keimplasma des durch Vereinigung der Geschlechtskerne gebildeten Copulationskerns besteht zur Hälfte aus Idanten der Mutter, zur Hälfte aus solchen des Vaters, und diese Combination zweier Vererbungs - substanzen leitet nun die Ontogenese und bestimmt den Aufbau des neuen Individuums. Dabei bleibt sich die Gesammtzahl der Idanten in allen Zellen des Körpers stets gleich, wenn z. B. acht väterliche und acht mütterliche Idanten bei der Amphi - mixis zusammentreten, so beträgt die Zahl der Idanten in allen1)Ob wirklich in allen Zellen die gleiche Zahl enthalten, wird durch eine neueste Beobachtung zweifelhaft; doch kann hier davon ab - gesehen werden, da sich die Bedeutung derselben noch nicht über - sehen lässt. Zellen des Körpers bei dem aus dem befruchteten Ei hervor - gehenden Individuum sechszehn, wenn wie in der bei - stehenden Figur deren nur zwei in jeder Keimzelle enthalten sind, so enthalten die somatischen Zellen deren vier.

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Das Wesen der geschlechtlichen Fortpflanzung beruht also auf der Vermischung je zweier individuell verschiedener Ver - erbungstendenzen, oder materiell gesprochen, auf der Vereini - gung zweier Vererbungssubstanzen in der Anlage zu einem Individuum. Es wird sich nun zunächst darum handeln, zu untersuchen, in welcher Art und Weise diese Combinirung der Vererbungssubstanzen die Zusammensetzung des Keimplasma’s beeinflussen muss.

Capitel VIII. Veränderung des Keimplasma’s durch Amphimixis.

1. Die Nothwendigkeit einer Halbirung des Keimplasma’s.

Durch einmalige Amphimixis werden die Vererbungssub - stanzen zweier verschiedener Individuen, der Eltern, zu einer, der des Kindes vereinigt. Wiederholt sich die Amphimixis in jeder Generation, so müsste jedesmal eine Verdoppelung solcher, individuell verschiedener Vererbungssubstanzen stattfinden, ja auch die Masse des Keimplasma’s und die Zahl der Idanten müsste jedesmal aufs Doppelte anwachsen. Dies kann nicht stattfinden und findet thatsächlich nicht statt, indem die Idanten - zahl bei jeder Art durch alle Generationen hindurch dieselbe bleibt. Es muss also der unbegrenzten Vermehrung des Keim - plasma’s in irgend einer Weise vorgebeugt sein.

Möglicherweise könnte die Masse des Keimplasma’s dadurch auf immer gleicher Höhe erhalten werden, dass dieselbe in den jungen Keimzellen nur bis zur halben Normalmenge heran - wüchse. Wenn man entgegen der hier vertretenen Keim - plasma-Theorie das Idioplasma sich nur aus kleinsten Lebens - theilchen zusammengesetzt denkt, aus Pangenen , Anlagen 309oder wie man sie sonst nennen will, die nicht zu Einheiten höherer Ordnung verbunden sind, so würde die Verhinderung eines steten Anwachsens der Keimplasma-Masse ganz wohl auf diese Weise erfolgen können.

Sobald aber ein Keimplasma in meinem Sinn angenommen wird, d. h. ein Idioplasma, in dem sich die kleinsten Lebens - träger (Biophoren) zu Einheiten höherer Ordnung von be - stimmtem Bau und bestimmter Begrenzung, zu Determinanten und Iden verbunden haben, dann würde sich ein Gleichbleiben der Masse des Keimplasma’s auf diesem Wege nicht, oder doch nur für wenige Generationen erreichen lassen, so lange nämlich, als noch jede Keimplasma-Art durch mehrere Ide vertreten ist. Sobald aber dieser Punkt erreicht wäre, könnte Verminderung des Wachsthums eine Verdoppelung der Masse nicht mehr ver - hindern, und nur eine Beseitigung der Hälfte aller vor - handenen Ide vermöchte dies zu bewirken.

Eine solche tritt nun wirklich ein in der Reduc - tionstheilung des Kernmaterials der Keimzellen vor ihrer Vereinigung. Man darf darin wohl einen Hinweis sehen, dass wenigstens der Grundgedanke der Keimplasma-Theorie, die Zu - sammensetzung der Vererbungssubstanz aus Iden, ein richtiger ist. Das, was ich früher schon aus rein theoretischen Er - wägungen erschlossen und Ahnenplasmen genannt habe, muss wirklich existiren. Ich darf dies um so sicherer behaupten, als ich lediglich auf Grund der Theorie die Reductionstheilung zu einer Zeit postulirt habe, als sich eine solche nicht einmal für die leichter zu studirenden weiblichen Keimzellen der Thiere aus dem vorliegenden Beobachtungsmaterial herauslesen liess, geschweige denn für die männlichen, oder für die Pflanzen.

Wir wissen heute, dass diese Reduction der Id-Ziffer auf die Hälfte allgemein vorkommt und durch Kerntheilungen ge - schieht, die mit Zelltheilung einhergehen. Für das Ei sind es310 die sogenannten Richtungskörper-Theilungen , welche als Reductionstheilungen funktioniren, bei den Samen - zellen die letzten Theilungen der Samenmutterzellen. In beiden Fällen erfolgt die Reduction dadurch, dass die Idanten sich nicht wie bei gewöhnlichen Kerntheilungen der Länge nach spalten und dann ihre Spalthälften auf die Tochterkerne vertheilen, sondern so, dass die Hälfte der Gesammtzahl der Stäbchen in den einen, die andere Hälfte in den andern Tochterkern wandert. Der Vorgang ist noch etwas verwickelter, worauf später zurück - zukommen ist, das Endresultat aber ist das bezeichnete.

Warum nur auf diese Weise der Entfernung ganzer Kern - stäbchen die stete Verdoppelung des Keimplasma’s verhindert werden konnte, lässt sich vielleicht noch besser durch folgende Erwägung klar legen. Dieselbe führt uns zugleich auf die Wurzel der Veränderungen, welche durch Amphimixis im Bau des Keimplasma’s verursacht werden.

Vor Einführung der Amphimixis in die Lebewelt müssen die Kernstäbchen, wie früher schon gesagt wurde, aus lauter identischen Iden bestanden haben, ein jedes Id entsprach genau der Individualität des betreffenden Bion. Diese Ide werden zu Idanten verbunden gewesen sein, welche unter ein - ander völlig gleichwerthig waren, und deren Zahl sich im Laufe der Generationen gleich blieb, und damit zugleich auch die Anzahl der Ide. Wenn nun zum ersten Male geschlechtliche Fortpflanzung eintrat, so wurde die gleiche Zahl Idanten von den beiden Eltern in einem Kern vereinigt, somit die Idanten - zahl verdoppelt und damit zugleich die Gesammtmasse des Keim - plasma’s. Dies mag für ein Mal kein Nachtheil gewesen sein, da es sich aber bei jeder folgenden Amphimixis wiederholte, so musste gleichzeitig mit Amphimixis eine Einrichtung ge - troffen werden, welche das Anwachsen des Keimplasma’s ins Ungeheure verhinderte.

311

Wäre nun das Keimplasma eine unorganisirte, oder auch nur eine ganz gleichmässige Masse gewesen ohne innere Gliederung, d. h. ohne Zusammenordnung von Einheiten verschiedener Ord - nung, so hätte sich ihre stete Verdoppelung durch jede neue Amphimixis einfach dadurch verhindern lassen, dass sie in jeder Keimzelle nur auf die Hälfte der bisherigen Masse angewachsen wäre. Sobald aber das Keimplasma aus einer bestimmten Zahl von Einheiten bestand, so war eine Verminderung derselben durch blosse Herabsetzung ihres Wachsthums nicht erreichbar, ihre Anzahl wäre dabei dieselbe geblieben. Hier konnte also nur die Einführung einer Reduction dieser Einheiten auf die Hälfte zum Ziel führen, und eine solche sehen wir denn auch thatsächlich eintreten in Gestalt jener schon erwähnten Reductionstheilungen .

Man kann sich unschwer klar machen, welche Verände - rungen dieselben in Verbindung mit fortgesetzter Amphimixis in der Zusammensetzung des Keimplasma’s hervorbringen mussten.

Gesetzt, das Keimplasma einer Art habe vor Einführung der Amphimixis aus 16 Idanten bestanden, so würden bei der ersten Amphimixis, die mit Reductionstheilung verbunden war, 8 väterliche Idanten A sich mit 8 mütterlichen Idanten B in der befruchteten Eizelle zu dem Furchungskern verbunden haben. In den Keimzellen der folgenden Generation wurde dann durch die Reductionstheilung eine Combination von Idanten A und B in jeder Keimzelle belassen, z. B. 4 A + 4 B. Diese vereinigten sich durch Amphimixis mit 8 Idanten der Keimzelle eines andern Individuums andrer Abstammung, z. B. mit den Idanten 4 C + 4 D, und die Ontogenese der dritten geschlechtlich erzeugten Gene - ration wurde daher von einem Keimplasma geleitet, welches aus den 16 Idanten 4 A + 4 B + 4 C + 4 D zusammengesetzt war. Nehmen wir der Einfachheit wegen einmal an, dass die Reduction stets ganz gleichmässig in Bezug auf jede Idantenart312 erfolgt sei, so würde das Keimplasma der vierten Generation sich aus 2 A + 2 B + 2 C + 2 D + 2 E + 2 F + 2 G + 2 H zu - sammengesetzt haben, das der fünften aber würde aus lauter individuell verschiedenen Idanten bestanden haben, vorausgesetzt, dass keinerlei Inzucht dabei mit untergelaufen wäre. Dasselbe würde dann aus den Idanten A, B, C, D, E bis Q bestanden haben.

Natürlich soll damit nicht im entferntesten gesagt sein, dass der Vorgang in Wirklichkeit so glatt und regelmässig verlaufen sei, er wird im Gegentheil sehr unregelmässig vor sich gegangen sein; aber wenn er auch nicht schon in fünf Generationen zu der Zusammensetzung des Keimplasma’s aus lauter differenten Idanten führte, so muss eine längere Generations - folge doch sicher zu diesem Ergebniss geführt haben.

Die Veränderung des Keimplasma’s wird aber damit ihr Ende noch nicht erreicht haben. Wenn wenigstens meine An - sicht von der Zusammensetzung der Idanten aus Iden richtig ist, wenn wirklich die Ide die Einheiten sind, von denen ein jedes die sämmtlichen Anlagen der Art, also sämmtliche, zum Aufbau eines Individuums erforderliche Determinanten enthält, dann muss allmälig auch die Zusammensetzung des einzelnen Idanten aus gleichartigen Iden in eine solche aus ungleichartigen, individuell verschiedenen Iden verwandelt worden sein.

Die Idanten sind für mich keine durchaus unveränderlichen Grössen; aus gewissen Vererbungserscheinungen schliesse ich, dass sie jedenfalls nur eine relative Constanz besitzen, dass sie von Zeit zu Zeit sich in ihrer Zusammensetzung verändern, so zwar, dass Ide, die früher zu dem Idanten A gehörten, später einmal in die Zusammensetzung des Idanten B oder C eintreten. Wie oft und wie regelmässig dies geschieht, lässt sich bei unsrer heutigen Kenntniss von den Theilungsvorgängen der Kernsubstanz noch nicht sagen; mag es aber auch nur in313 längeren Perioden und unregelmässig eintreten, so muss es doch bei den ungeheuer langen Generationsfolgen, welche seit Ein - führung der Amphimixis in die Lebewelt abgelaufen sind, zu einer ganz bunten Zusammensetzung der Idanten geführt haben.

Fig. 19.

Schema zur Veranschaulichung der Zusammensetzung der Idanten aus individuell verschiedenen Iden.

Da bei jeder Amphimixis immer wieder neue Idanten zu den alten des einen Elters hinzutreten, so ist damit Gelegenheit zu einer Einordnung immer neuer Ide in die Idanten gegeben und da sich dies ins Unendliche wiederholt, so muss schliesslich der314 einzelne Idant aus lauter individuell verschiedenen Iden zusammengesetzt sein abgesehen von Wiederholung der gleichen Ide durch Inzucht.

Am raschesten würde der Process der Mischung der Ide vor sich gehen, wenn regelmässig bei jeder Amphimixis väter - liche und mütterliche Idanten sich so combinirten, dass immer die Hälfte der verschiedenen Idarten beider Idanten zusammen - träten. Es bestünde z. B. jeder Idant aus 16 Iden, die bei Einführung der geschlechtlichen Fortpflanzung alle gleich waren bei einem Individuum, so würde die erste Amphimixis Idanten hervorbringen, welche zur Hälfte aus 8 väterlichen, in bei - stehender Figur schwarzen Iden bestünde, zur andern Hälfte aus 8 mütterlichen, weissen Iden. Die Idgrenzen sind in der Figur nicht angegeben. In der zweiten Generation vereinigten sich dann vier Mal vier verschiedenartige Ide, in der dritten acht Mal zwei und in der vierten Generation sechszehn Mal ein verschiedenartiges Id. Die beistehende Figur 19 mag dies ver - anschaulichen; sie zeigt links die beiden elterlichen Idanten, rechts ihre Verschmelzung zu einem Idanten des Kindes. Die verschiedene Schraffirung und Punktirung bedeutet die individuelle Verschiedenheit der Ide.

Wie bei der Mischung der Idanten selbst, so wird auch diese Mischung der Ide innerhalb des einzelnen Idanten nicht so schnell und so regelmässig vor sich gegangen sein, als in dem Schema angenommen wurde, aber das Endresultat des Vorgangs wird dadurch nicht geändert, ob der Vorgang rascher oder langsamer erfolgt.

So wird also das Keimplasma durch Einführung der geschlechtlichen Fortpflanzung allmälig eine Complication seiner Zusammensetzung in dem Sinn erfahren haben, dass es nicht mehr aus gleichartigen Iden bestand, sondern zum grössten Theil aus ungleichartigen, individuell verschiedenen Iden. 315Auf dieser Zusammensetzung beruhen, wie ich glaube, alle diejenigen Vererbungserscheinungen, welche man als Vermischung der Eigenschaften der Vorfahren bezeichnet, alle Grade und Formen des Rückschlags oder Atavismus. Es wird die Aufgabe der folgenden Ab - schnitte sein, zu zeigen, in welcher Weise sich diese Erscheinungen aus der Theorie ableiten lassen. Vorher aber wird es nöthig sein, noch einen Blick auf den Vorgang der Reduction der Ide zu werfen, wie ihn die Beobachtung kennen gelehrt hat.

2. Die Reductionstheilung als Ausschaltung von Iden.

In dem Capitel über die Architektur des Keimplasma’s wurden schon die sog. Mikrosomen , die in vielen Fälle in den Kernstäbchen nachgewiesen sind, als die vermuthlichen Ide be - zeichnet, nicht die ganzen Kernstäbchen, denen eben deshalb die besondere Bezeichnung der Idanten gegeben wurde. Be - gründet wurde diese Vermuthung dadurch, dass die bestgekannten, nämlich die stäbchenförmigen Chromosomen aus einer Reihe von Kügelchen bestehen, eben jenen Mikrosomen , und dass diese von einander getrennte, selbstständige Gebilde sind. Eine solche Zusammensetzung des Stäbchens schliesst seine Deutung als ein einziges Id offenbar aus. Denn das Id ist eine Lebens - einheit von ganz bestimmter Structur und kann nicht aus einer Reihe locker verbundener kugeliger Körper bestehen, von welchen jeder etwa nur einen Theil seiner Determinanten enthalten würde. Dazu kommt noch, dass auch die im Ganzen doch geringe Zahl der Idanten gegen ihre Auffassung als Ide spricht; die Rückschlag-Erscheinungen bedingen die Annahme einer grösseren Zahl von Iden, soweit ich sehe.

Nun sind freilich die Chromosomen nicht überall stäbchen - förmig, sondern es kommen auch mehr sphäroide Formen vor; auch liessen sich nicht überall bisher Mikrosomen mit Sicher -316 heit nachweisen, und man könnte deshalb geneigt sein, in den Chromosomen überhaupt keine durchweg gleichwerthigen Ge - bilde zu sehen, und sie theils für Einzel-Ide, theils für Reihen von Iden zu halten. Stützen liesse sich diese Vermuthung da - durch, dass eine ziemlich verschiedene Zahl von Chromosomen bei nahe verwandten Arten vorkommt, bei welchen doch zu erwarten wäre, dass die Vererbungsvorgänge in nahezu der - selben Weise verlaufen. So sind für Ascaris lumbricoides 12 Kernstäbchen die Norm, für Ascaris megalocephala aber 2 oder 4; bei anderen Würmern aus derselben Ordnung finden sich 8, 12 und 16 Stäbchen als Normalzahl. Ich möchte indessen diese Differenzen für nicht gross genug halten, um daraus auf eine verschiedene Werthigkeit der Stäbchen zu schliessen und werde in dieser Ansicht befestigt durch die von Boveri und O. Hert - wig gemachte Beobachtung, dass selbst bei ein und derselben Art (Ascaris megalocephala) zwei Varietäten vorkommen, von denen die eine nur zwei Kernstäbchen besitzt, die andere da - gegen deren vier. In diesem Falle ist die Zahl der Mikrosomen bei der einen Varietät ebenfalls die doppelte von der der anderen, und bei den übrigen Nematoden treten zwar die Mikrosomen nicht immer mit völliger Klarheit uns entgegen, aber die Gestalt der Stäbchen lässt auf ihr Vorhandensein schliessen. Aus diesen Gründen möchte ich in dem einzelnen Mikrosom das Id sehen, in den Kernstäbchen aber Id-Gruppen, die ich als solche mit dem Namen der Idanten bezeichne.

Die Zahl der Ide des einzelnen Idanten und die Zahl der Idanten selbst ist eine für jede Art fest normirte, schwankt aber bei verschiedenen Arten zwischen ziemlich weiten Grenzen. Jedes Id eines bestimmten Keimplasma’s könnte, wenn es allein in genügender Zahl vorhanden wäre, die gesammte Ontogenese leiten, d. h. jedes Id enthält die sämmtlichen Determinanten zu einem Individuum, aber die Ide, welche die Idanten einer ge -317 schlechtlich sich fortpflanzenden Art zusammensetzen, enthalten, wie schon gesagt wurde, nicht genau identische Determinanten, sondern solche, welche mehr oder weniger von einander ab - weichen, so zwar, dass ihre Determinanten mindestens den individuellen Unterschieden der heutigen Art entsprechen. Da nun sämmtliche Idarten wie aus der Mechanik der Kern - theilung hervorgeht in alle Zellen der gesammten Onto - genese übergehen, so muss der Charakter jeder ein - zelnen in der Ontogenese auftretenden Zelle immer durch einen Complex von Iden bestimmt werden, so zwar, dass entweder alle oder doch ein grösserer Theil der die Idanten bildenden Ide die Constitution der betreffenden Zelle, als ihrer Kräfte-Resultante be - stimmen. Das sind die allgemeinen Grundlagen, auf welchen die nachfolgenden Betrachtungen über die Wirkungen der ge - schlechtlichen Fortpflanzung fussen.

Nachdem ich dieses vorausgeschickt, wende ich mich zur genaueren Betrachtung der Reductionstheilungen. Es handelt sich dabei darum, zu erfahren, welchen Einfluss die Re - ductionstheilung auf die Zusammensetzung des Keim - plasma’s ausübt, welcherlei Ide dabei aus der Keim - zelle entfernt werden und welche zurückbleiben.

Die direkte Beobachtung der Reductionstheilung allein giebt allerdings darüber keinen genügenden Aufschluss, und zwar nicht blos deshalb, weil sowohl Ide als Idanten für unser Auge untereinander gleich aussehen, sondern auch deshalb, weil wir nicht einmal feststellen können, ob die Idanten der jungen Keimzellen eines neuen Individuums noch dieselben sind, wie die der befruchteten Eizelle, welche diesem Organismus den Ursprung gab, ob also ein Idant ein bleibendes Gebilde ist, ob ein be - stimmter Idant derselbe bleibt von einer Generation zur andern.

Wir wissen, dass bei der Amphimixis sich die väterlichen318 und mütterlichen Idanten nebeneinander lagern und von einer gemeinsamen Kernmembran umgeben werden. Oft bleibt ein kleiner, aber deutlicher Zwischenraum zwischen beiden Stäbchen - gruppen, und wenn dies ununterbrochen während der ganzen Ontogenese so bliebe bis zur Bildung neuer Keimzellen und bis zur Reductionstheilung derselben, so könnten wir vielleicht direkt feststellen, ob etwa die väterliche Gruppe von der mütter - lichen dabei getrennt wird, oder ob die Hälfte der väterlichen mit der Hälfte der mütterlichen Stäbchen vereinigt bleibt, oder schliesslich, ob verschiedene Combinationen von Stäbchen bei der Reduction entfernt werden.

Allein so leicht ist es uns nicht gemacht; die Idanten des befruchteten Eies bleiben als solche nur während der ersten Theilung der Eizelle bestehen, dann aber lösen sie sich in zahl - reiche feine Körnchen auf, die sich im Innenraum des Kernes vertheilen und die erst dann wieder zu Kernstäbchen zusammen - treten, wenn die zweite Theilung beginnt. Dieser Process der Auflösung und später wieder erfolgenden Sammlung der Idanten wiederholt sich während der ganzen Ontogenese bei jeder neuen Zellbildung und Zelltheilung, und er ist es, der ein Urtheil darüber, ob wir in einem bestimmten Idanten irgend einer Zelle einen Abkömmling der Mutter oder des Vaters zu sehen haben, unmöglich macht. Ja noch mehr; wir können auch aus der Beobachtung allein keine Sicherheit darüber gewinnen, ob die Idanten späterer Zellen dieselben sind, wie die der befruchteten Eizelle, d. h. ob sie dieselben Id-Arten in derselben Reihenfolge enthalten. Es könnte ja sehr wohl sein, dass die Ide sich bei jeder Auflösung der Idanten ganz von einander loslösen, um sich später wieder in beliebiger anderer Ordnung aneinander zu reihen. Die Zahl und Art der Ide des ganzen Idioplasma’s bliebe dann zwar dieselbe wie vorher, aber die einzelnen Idanten wären andere, weil ihre Id-Combination eine andere geworden319 wäre. Es wäre dann ganz gleichgültig, ob bei der Reductions - theilung etwa die rechtsliegenden Idanten sich von den links - liegenden trennen oder wie immer die Halbirung der Idanten - zahl erfolgte; alle Idanten beständen aus neuen Combinationen der vorhandenen Ide, und zwar müsste die Zusammensetzung derselben eine völlig verschiedene sein von derjenigen der Idanten in der befruchteten Eizelle, weil fast immer zahlreiche Zellgenerationen zwischen dieser und den neuen Keimzellen liegen, bei deren jeder eine neue Umordnung der Ide statt - gefunden haben müsste. Es käme dann offenbar Nichts mehr darauf an, dass gerade ganze Idanten bei der Reductionstheilung entfernt würden, eine blosse Massen-Halbirung des gesammten Idioplasma würde genügt haben.

Daraus nun, dass aber thatsächlich die Reductionstheilung in einer Beseitigung der Hälfte der Idanten besteht, und noch mehr daraus, dass diese Reductionstheilung eine doppelte ist, wie wir sehen werden, schliesse ich, dass die Auflösung der Idanten nach jeder Kerntheilung nur eine scheinbare ist, dass vielmehr die einzelnen Ide des Idanten auch dann noch durch die zu feinsten Fäden ausgezogene Kittmasse das Linin verbunden bleiben und dass sie sich bei herannahender Kern - theilung wieder von Neuem in derselben Reihenfolge aneinander legen, die sie vorher innegehalten hatten.

Dass es sich so verhält, lässt sich auch aus gewissen Ver - erbungserscheinungen abnehmen, aus der Beobachtung, dass nicht selten das Kind nur dem einen Elter, z. B. dem Vater nachschlägt, oder doch so vorwiegend diesem einen gleicht, dass die Ähnlichkeit mit der Mutter unmerklich wird. Dies setzt voraus, dass in der befruchteten Eizelle, aus welcher das Kind hervorging, eine Combination von Iden und Idanten ent - halten war, welche derjenigen sehr nahe kam, welche die Onto - genese des Vaters bestimmt hatte. Es muss also möglich sein320 und muss von nicht allzu grossen Zufälligkeiten abhängen, dass die väterliche Keimzelle diese väterlichen oder mütterlichen Idanten enthält, d. h. nahezu dieselben Ide in nahezu derselben Reihenfolge, wie sie die Entstehung des Vaters oder der Mutter geleitet hatten. Dies ist aber nur denkbar so scheint mir wenn mindestens für gewöhnlich der Verband der Ide zum Idanten auch während der Auflösung derselben im Kern fort - besteht.

Manche neueste Beobachtungen stützen diesen Schluss in - sofern sie zeigen, dass feine Lininfäden die einzelnen Mikrosomen (Ide) auch dann noch verbinden, wenn sich der Idant scheinbar aufgelöst hat, ja Herr Dr. Otto vom Rath wird in einer dem - nächst erscheinenden Arbeit1)O. vom Rath, Zur Kenntniss der Spermatogenese von Gryllo talpa vulgaris . Arch. mikr. Anatomie, Bd. 40 p. 120. zeigen, dass solche verbindende Fäden sogar zwischen den Idanten hinlaufen. Es scheint also keine allzu gewagte Hypothese, einen solchen Verbindungs - apparat der Ide anzunehmen.

Ich möchte also glauben, dass die Auflösung der Idanten in Körnchen während der sog. Kernruhe nur eine scheinbare ist und bin mit van Beneden und Boveri der Ansicht, dass die Idanten bleibende Gebilde sind. Allerdings aber möchte ich dies, wie oben schon gesagt wurde, nicht in ganz strengem Sinne genommen wissen, also nicht so, als ob der Bau eines Idanten für alle Zeiten und durch alle Generationen derselbe bleiben müsse, oder dass der Wiederaufbau des Idanten nach seiner Auflösung immer und in allen Fällen zu genau derselben Reihenfolge der Ide führen müsse u. s. w. Ich stelle mir vielmehr vor, dass öfters Abweichungen von der ur - sprünglichen Aufreihung der Ide vorkommen. Der thatsächlich beobachtete, stete Wechsel der Individualität beim Menschen im Laufe der Generationen, die Nimmerwiederkehr ein und des -321 selben Individuums erfordern, so scheint mir, dass auch die Anordnung der Ide innerhalb der Idanten gelegentlich ver - ändert werden kann, wenn auch nicht bei jeder Reconstruction desselben, sondern nur dann und wann im Laufe der Genera - tionen.

Wenn sich dies nun so verhält, wenn die Idanten während der Ontogenese, also von der befruchteten Eizelle bis zu den Keimzellen des neuen Bion im Wesentlichen dieselben bleiben1)Der Schein spricht allerdings gegen meine Annahme, und ich weiss wohl, dass O. Hertwig und neuerdings wieder Guignard dies zu Gunsten der entgegengesetzten Ansicht verwerthet haben. In der That gelingt es in vielen Zuständen des Kernes nicht, die Idanten zu erkennen und als solche, d. h. als compactes Stäbchen existiren sie dann auch sicherlich nicht. Allein es wäre doch sehr denkbar, dass trotzdem der Zusammenhang der Ide eines Idanten fortbestünde und die einzelnen Ide durch feine, für uns unsichtbare Lininfäden unter - einander verknüpft wären. Dafür spricht auch eine Beobachtung, indem mein Assistent, Herr Dr. Häcker, bei Copepoden direkt gesehen hat, dass die Mikrosomen der stäbchenförmigen Idanten des wachsenden Eies sich von einander entfernen, stets aber durch einen, in diesem Falle färb - baren blassen Lininfaden zusammengehalten wurden; allerdings aber bleibt hier die lineare Anordnung der Mikrosomen erhalten. Vgl. Häcker Die Eibildung bei Cyclops und Canthocamptus in den Zoolog. Jahr - büchern, Abth. f. Anat. und Ontog., Bd. V, 237., dann können wir aus gewissen Vererbungserscheinungen schliessen, dass die Reduction der Ide auf die Hälfte nicht im Voraus bestimmte und immer die gleichen Idgruppen von ein - ander trennt, sondern wechselnde, bald diese, bald jene. Die Folge davon muss sein, dass die Keimzellen ein und desselben Bion ganz verschiedene Combinationen von Iden enthalten, also auch eine ganz verschiedene Mischung der im Keimplasma der Eltern dieses Bion enthaltenen Anlagen. Die Reduction macht keinen Unter - schied zwischen mütterlichen und väterlichen Idanten, sondern führt die Halbirung der Idantenzahl so aus, dass beliebigeWeismann, Das Keimplasma. 21322Combinationen derselben gebildet werden können, dass also von vier Idanten a + b und c + d sowohl die Gruppe a + b, d. h. die väterlichen, und c + d, d. h. die mütterlichen Idanten in je eine fertige Keimzelle zu liegen kommen, als auch Com - binationen a + c und b + d oder a + d und b + c, d. h. also Combinationen von je einem väterlichen und je einem mütter - lichen Element.

Der Erfolg wird eine mässige Verschiedenheit der Keim - zellen eines Bion in Bezug auf ihren Gehalt an Vererbungs - anlagen sein. In dem angenommenen Falle von nur vier Kern - stäbchen würden nur sechs Combinationen von Idanten möglich sein, also auch nur sechs in Bezug auf Anlagen verschiedener Keimzellen-Arten. Die Zahl der möglichen Combinationen wächst nun aber sehr bedeutend, so dass schon bei acht Idanten siebzig Combinationen, bei sechszehn 12,870 möglich werden.

Nun beträgt die Zahl der Idanten nur bei dem Spulwurm zwei oder vier, bei allen anderen Thieren und auch bei den Pflanzen mehr: acht, sechszehn, zweiunddreissig, ja bis über hundert. 1)Nach mündlicher Mittheilung von Herrn Dr. vom Rath beträgt sie bei Astacus fluviatilis, dem Flusskrebs, 108 125.Die Mannigfaltigkeit der Anlagenmischungen, wie sie durch die Reductionstheilung hervorgerufen wird, ist also im Allgemeinen schon durch die bisher angenommene einfache und einmalige Reduction in hohem Grade gesichert. Dennoch scheint die Natur wenigstens bei Thieren einen noch höheren Grad der Mannigfaltigkeit angestrebt zu haben, denn wir finden bei ihnen ganz allgemein nicht nur eine einmalige, son - dern eine zweimalige Reduction der Idantenzahl auf die Hälfte, und dies muss wohl, wie ich kürzlich zu zeigen versuchte2)Vgl. meine Schrift Amphimixis . Jena 1891., die Wirkung haben, die Zahl der möglichen Idanten - Combinationen noch sehr bedeutend zu erhöhen.

323

Kurz zusammengefasst verhält sich die Sache bei den Metazoen folgendermassen.

Bei allen daraufhin untersuchten Arten entstehen die Keim - zellen dadurch, dass ihre Mutterzelle sich zweimal hintereinander in einer solchen Weise theilt, dass dabei jedesmal die Zahl der Idanten halbirt wird, dass also die eine Hälfte in die eine, die

Fig. 20.

Samenbildung von Ascaris megalocephala var bivalens, frei nach O. Hertwig. A Ursamenzelle, B Muttersamenzelle, C erste Reductionstheilung, D die beiden Tochterzellen, E die zweite Reductionstheilung, F die vier Enkel - Samenzellen.

andere in die andere Tochterzelle übertritt. Dies würde zu einer Viertelung der Normalzahl der Idanten führen, wenn nicht die Zahl der Idanten in der Mutterzelle vor ihrer ersten Theilung sich durch Spaltung derselben verdoppelte. Also zuerst Verdoppelung, dann zweimalige Halbirung der Idantenzahl. Es ist ein Punkt von nebensächlicher Bedeutung21*324für die Vererbungsfragen, dass bei der Bildung der weiblichen Keimzelle, des Eies, drei der aus der Mutterzelle hervorgehenden Keimzellen als sog. Richtungskörper zu Grunde gehen und

Fig. 21.

Eibildung von Ascaris megalocephala var. bivalens. A Urkeimzelle, B herangereifte Eizelle, deren Idantenzahl sich von vier auf acht verdoppelt hat, C erste Reductionstheilung, D das Ei mit dem ersten Richtungskörper unmittelbar nachher, E der erste Richtungskörper hat sich in zwei Tochterzellen getheilt (2 und 3), die vier im Ei zurück - gebliebenen Idanten bilden die zweite Reductionsspindel, F unmittelbar nach der zweiten Reductionstheilung, 1 die fertige Eizelle, 2, 3 und 4 die drei Richtungszellen, jede der vier Zellen nur zwei Idanten enthaltend.

nur einer zur entwickelungsfähigen Eizelle wird, während bei den männlichen Keimzellen alle vier funktionsfähige Keimzellen bleiben. Die Hauptsache für die hier zu behandelnden Fragen325 ist die Verdoppelung und nachherige zweimalige Halbirung der Idantenzahl, wie sie in allen Thierklassen, von den untersten Metazoen an zu den höchsten hinauf, nachgewiesen ist, und soviel wir wissen, nur bei denjenigen Eiern fehlt, welche auf Parthenogenese eingerichtet sind. Bei diesen findet zwar die Verdoppelung statt, aber es folgt ihr nur eine einmalige Halbirung der Idantenzahl nach, entsprechend dem Ausbleiben der Amphimixis. Denn erst durch die Vereinigung des Sperma - mit dem Eikern kommt bei dem auf Befruchtung eingerichteten Ei wieder die volle Zahl der Idanten zu Stande.

Ich fasse nun diese merkwürdige, scheinbar ganz nutzlose1)Nach den in Capitel I, 2 besprochenen Beobachtungen von Rückert am Haifischei könnte man auf die Vermuthung kommen, die Verdoppelung bedeute einfach eine Verdoppelung der Masse und damit der Thätigkeit der Idanten, welche hier eine sehr beträchtliche sein muss, da das Haifischei sehr gross ist und eine starke Vervielfachung der ovogenen Determinanten verlangt. Allein die Verdoppelung der Idanten erfolgt auch in allen übrigen thierischen Eiern, auch in den kleinsten, dotterärmsten, und nicht nur hier, sondern auch in den Samen - Mutterzellen, welche ja niemals eine einem Ei zu vergleichende Grösse oder Structur-Differenzirung besitzen. Um eine Vermehrung des in den Idanten enthaltenen Keimplasma’s kann es sich auch nicht handeln, da bei der Eibildung drei Viertel der Keimplasma-Masse in den Richtungs - körpern wieder verloren gehen. So scheint nichts übrig zu bleiben, als die hier gegebene Auffassung. Verdoppelung der Idanten mit nachfolgender zweimaliger Hal - birung als ein Mittel auf, die Zahl der möglichen Com - binationen der Idanten in den Keimzellen ein und des - selben Individuums noch weiter zu steigern, und habe dies in der angeführten Schrift zu begründen versucht. Bei vier Idanten sind wie schon erwähnt wurde nur sechs Combinationen möglich bei einmaliger Halbirung. Wenn aber vor der Halbirung jeder Idant verdoppelt wird wie es that - sächlich geschieht , so werden zehn Combinationen möglich. 326Das heisst also, ein Individuum einer solchen Art kann zehn in Bezug auf die individuellen Vererbungstendenzen verschiedene Arten von Eiern oder Samenzellen hervorbringen. Bei der Be - fruchtung eines solchen Eies durch die Samenzelle eines andern Individuums treten dann zwei fremde Idanten hinzu; da nun jeder Elter zehn verschiedene Arten von Keimzellen producirt, so können also so viele verschiedene Kinder aus der Verbin - dung eines Elternpaares hervorgehen, als Combinationen mög - lich sind zwischen den zehn Spermazellenarten des Vaters und den zehn Eizellenarten der Mutter, d. h. 10 × 10 = 100.

Bei acht Idanten erhält man ohne Verdoppelung siebzig Combinationen, mit Verdoppelung deren 266; bei zwölf Idanten ohne Verdoppelung 924, mit solcher 8074 Combinationen; bei sechszehn Idanten ohne 12,870, mit Verdoppelung 258,570; bei zwanzig Idanten ohne Verdoppelung 184,756 Combinationen, mit Verdoppelung 8,533,660; bei zweiunddreissig Idanten würde man mit Verdoppelung etwa das 500fache an Combinationen erhalten wie ohne Verdoppelung.

Da nun bei der Befruchtung stets von beiden Seiten her die gleiche Zahl von Idanten zusammentrifft, und da jede der elterlichen Keimzellen nur eine der vielen möglichen Idanten - Combinationen enthält, so ergiebt sich, dass die Zahl der Keim - plasma-Variationen, welche ein Elternpaar möglicherweise zu liefern im Stande ist, eine ganz ungeheure sein muss, denn sie wird durch Multiplication der mütterlichen mit der väterlichen Combinationszahl erhalten. Für zwölf Idanten beträgt sie schon 8074 × 8074. Leider kennen wir die Ideantenzahl gerade bei derjenigen Art nicht, deren individuellen Unterschiede wir allein bis in die feinsten Einzelheiten zu erkennen im Stande sind, beim Menschen nämlich. Aber wir dürfen vermuten, dass sie grösser als vier sein wird. Betrüge sie z. B. zwölf, so brauchten wir uns nicht zu wundern, dass noch niemals zwei nach ein -327 einander erzeugte Kinder identisch gefunden wurden, wie sie es sein müssten, wenn sie aus der gleichen Combination von Iden des Keimplasma’s aus entstanden wären. Nahezu identische Kinder kommen nur als Zwillinge vor, und wir haben allen Grund zu der Annahme, dass solche aus einer Samenzelle und einem Ei herstammen.

Wir können heute noch nicht mit Sicherheit darüber ur - theilen, in wie weit die ganzen Idanten unverändert in ihrer Id-Zusammensetzung von den Keimzellen der einen in die Keim - zellen der andern Generation übergehen. Die Reductionserschei - nungen der Keimzellen, wie wir sie in jüngster Zeit durch Henking, vom Rath und Häcker bei verschiedenen Glieder - thieren kennen gelernt haben, deuten darauf hin, dass auch die Idanten dabei verändert werden können. Wenn man sich vor - stellt, dass in der Mutterzelle der Keimzellen, wenn sie sich zur ersten Reductionstheilung anschickt, die Ide sich in ihrer ursprünglichen Reihenfolge zu einem langen Faden aufreihten, der in sich selbst zurückläuft, also einen Ring bildet, so würde dieser dann durch Quertheilung an bestimmten Stellen in Idanten zerschnitten werden. Sobald nun die Stellen, an welchen die Quertheilung einträte, wechseln könnte, wäre damit die Mög - lichkeit gegeben, sowohl genau die alten Idanten wieder herzu - stellen, als auch mehr oder weniger von ihnen abzuweichen.

Es ist aber für eine Theorie der amphigonen Vererbung nicht unerlässlich, diese Annahme zu machen, und wir können hier davon absehen, mit ihr zu rechnen, obwohl sie in irgend welchem Betrage richtig sein wird, wie denn oben schon auf eine solche langsame und schwache Veränderung der Idanten durch Verschiebung der Id-Combination in ihnen hingewiesen wurde. Erst die Untersuchungen der Zukunft werden die volle Sicherheit dafür bringen, wie sich dies im Einzelnen verhält, ob es blos die Halbirung und neue Zusammenstellung der328 Idanten ist, welche die Verschiedenheit der Id-Combinationen her - vorruft, oder ob auch regelmässig oder doch häufig Änderungen in der Zusammensetzung der Idanten aus Iden eintritt. Für jetzt muss es genügen, zu wissen, dass die Keimzellen eines Individuums sehr viele verschiedene Combinationen von Iden enthalten, und dass bei mehrmaliger Amphi - mixis der Keimzellen derselben Eltern wohl niemals ganz die gleichen Combinationen zusammentreffen. Daraus ergiebt sich die stets wechselnde Combination elterlicher und vorelterlicher Eigenschaften, wie sie das Charakteristische der amphigonen Vererbung ist.

Dieser Satz wird auch für die Pflanzen allgemeine Gültig - keit besitzen. So viel wenigstens ist bis heute festgestellt, dass auch in ihren Keimzellen eine Reduction der Idanten auf die Hälfte stattfindet. Bei Lilium Martagon enthalten nach den Untersuchungen von Guignard1)L. Guignard in Compt. rend. vom 11. Mai 1891 und von Dem - selben, Nouv. études sur la fécondation . Ann. scienc. nat. Bot. Vol. XIV, 1891, p. 163. Es ist hier nicht der Ort, im Einzelnen auf die höchst werthvollen Untersuchungen Guignard’s einzugehen. Sie haben nicht nur den Nach - weis gebracht, dass auch bei den Pflanzen die fertigen Keimzellen nur halb so viel Idanten enthalten, als die somatischen Zellen, und dass erst durch die Vereinigung des männlichen und weiblichen Kernes die Normalziffer der Idanten wieder zu Stande kommt, sondern sie haben auch die Con - tinuität der Centrosomen von einer Generation auf die andere nach - gewiesen. Wenn ich aber trotz der offenbar vollkommenen Genauigkeit der Beobachtungen daran zweifle, dass die Reduction der Idantenziffer ohne Kerntheilung erfolge, wie Guignard angiebt, so bestimmt mich dazu nicht nur die Analogie mit den Thieren, sondern ich möchte auch glauben, dass eine Lücke in den sonst ausgezeichneten Beobach - tungen gerade an dieser Stelle möglich, ja wahrscheinlich ist. Bei der Bildung der männlichen Keimzellen dürfte eine Reductionstheilung zwischen den cellules mères primordiales und den cellules mères - finitives liegen, bei der Bildung der weiblichen Keimzelle aber wird sie in der Theilung liegen, welche die cellule mère du sac embryonnaire die somatischen Zellen wie329 auch die Mutterzellen von beiderlei Keimzellen 24 Idanten, während die fertigen Keimzellen selbst deren nur 12 enthalten. Wie diese Reduction erfolgt, ob durch einmalige Reductions - theilung, oder wie bei den Thieren durch zweimalige mit vor - gängiger Verdoppelung, ist bis jetzt nicht bekannt. Dass die Reduction in der Mutterzelle selbst während ihrer Vorbereitung zur Theilung erfolge, wie Guignard meint, halte ich aus naheliegenden theoretischen Gründen für äusserst unwahrschein - lich. Es ist aber sehr möglich, dass hier nur eine Reductions - theilung vorkommt.

Für niedere Pflanzen liegen noch keine Angaben über diese Verhältnisse vor, wahrscheinlich weil die Schwierigkeiten der Untersuchung bei der Kleinheit der Idanten bisher unüberwind - lich waren. Soviel konnte aber wenigstens festgestellt werden, dass bei vielen Meeresalgen (Fucoideen) die Bildung der Eizellen von der Bildung von Richtungskörpern begleitet ist, die sich hier mit aller Sicherheit als das nachweisen liessen, wofür sie auch von mir und anderen Zoologen nach dem Vorgang von Bütschli und Giard schon lange genommen worden sind: für verkümmerte, phyletisch rückgebildete Eizellen. Bei der Gattung Fucus fehlen sie, und dort bilden sich aus dem Ur-Ei wenn ich die Stammzelle des sog. Oogonium’s oder Eierstockes so nennen darf 8 Eier; bei der verwandten Tang-Art Asco - phyllum nodosum entstehen aus dem Ur-Ei nur 4 Eier, aber1)entstehen lässt. In beiden Fällen wird ein Übersehen der Reductions - theilung auch dem besten Beobachter passiren können, wenn seine Auf - merksamkeit nicht speciell auf diesen Punkt gerichtet ist. Wozu wäre denn die Reductionstheilung bei den Thieren eingerichtet, wenn die Reduction auch ohne Kerntheilung erfolgen und denselben Erfolg erzielen könnte? Unter all den zahlreichen Beobachtungen über Karyokinese ist sonst keine, welche die Ansicht stützte, dass das einheitliche (?) Chromatin - band des Knäuelstadiums sich auch in blos halb so viel Idanten zerlegen könne, als in dem Kern vorher anwesend waren.330 noch 4 Richtungskörper , bei Pelvetia canaliculata bilden sich nur 2 Eier aus dem Ur-Ei und 6 Richtungskörper, bei Himan - thalia lorea sogar nur ein einziges Ei und 7 Richtungs - körper. 1)Vergleiche: Oltmans, Beiträge zur Kenntniss der Fucaceen . Cassel 1889.

Damit wissen wir aber noch Nichts über die Reductions - theilungen, die wie ich schon vor langer Zeit hervorhob durchaus nicht an die Rückbildung mehrerer Keimzellen ge - bunden zu sein braucht. Wir können nur sagen, dass die in allen den angeführten Fällen eintretende dreimalige Theilung der Ur-Eizelle mehr als genügende Gelegenheit zu einer oder auch zu zwei Reductionstheilungen darbietet, und dass es höchst wahrscheinlich ist, dass wenigstens eine wirklich stattfindet.

Es wird deshalb angenommen werden dürfen, dass auch bei den Pflanzen allgemein eine sehr mannigfaltige Mischung des von den Eltern stammenden Keimplasma’s in den Keim - zellen des Kindes sich herstellt, dass völlig identische Keimzellen hier, wie bei Thieren nur selten vorkommen werden.

Capitel IX. Die Ontogenese unter Leitung des amphi - mixotischen Keimplasma’s.

1. Die Bestimmung des Kindes mit der Befruchtung gegeben.

Die erste Frage, welche in Bezug auf amphigone Ver - erbung sich darbietet, ist die, in welcher Weise die beiden von den Eltern herstammenden Keimplasmen sich in die Leitung331 der Ontogenese theilen, ob mütterliche und väterliche Ide stets gleichzeitig zusammenwirken und zu einer Kraft-Resultante sich verbinden, oder ob etwa stets nur die eine Gruppe aktiv ist und die andere passiv sich verhält. Durch Beobachtung der Kernsubstanzen selbst lässt sich eine Antwort darauf für jetzt wenigstens nicht gewinnen, es sind einzig und allein die Ver - erbungserscheinungen, welche zusammengehalten mit dem, was wir über die Zusammensetzung des amphimixotischen Idio - plasma’s wissen, zu einer Antwort führen können. Es gilt also eine möglichst genaue und tief reichende Analyse derselben auszuführen.

Wir gehen dabei von der bisher gewonnenen Grundlage aus, von dem Satz, dass die Keimzellen eines Individuums ihrem Vererbungsgehalt nach unter sich nicht gleich, sondern ungleich sind, dass die Mischung väterlicher und mütterlicher Ide in den - selben eine äusserst mannigfaltige ist, und dass durch die Ver - bindung der Keimzellen zweier Individuen in der Amphimixis diese Mannigfaltigkeit noch um das Vielfache erhöht wird. Die erfahrungsgemäss bestehende Verschiedenheit der Kinder eines Elternpaares beim Menschen erklärt sich daraus ohne Weiteres. Sie führt zugleich zu dem schon von Victor Hensen aus - gesprochenen Fundamentalsatz der amphigonen Vererbung: mit der Befruchtung ist das Individuum bestimmt , oder wie man auch sagen kann: mit der Zusammensetzung des Keimplasma’s durch die in der Eizelle zusammen - treffenden väterlichen und mütterlichen Ide ist die Individualität des Bion gegeben.

Der Satz ist nicht selbstverständlich, denn a priori hätte man glauben können, die Entfaltung und Mischung der elter - lichen Charaktere im Kind hänge ganz oder doch grossentheils von den äusseren Einflüssen der Ernährung u. s. w. ab, welche den Keim von seiner Befruchtung an treffen. Die identischen 332Zwillinge des Menschen beweisen aber das Gegentheil. Bekannt - lich giebt es Zwillinge, und diese scheinen die häufigeren zu sein, welche sich nicht stärker ähnlich sind, als successive Kinder desselben Elternpaares; die Unähnlichkeit kann hier so - gar einen ziemlich hohen Grad erreichen. Man hat allen Grund zu der Annahme, dass solche unähnlichen Zwillinge meist aus zwei Eiern herrühren, welche natürlich auch von zwei ver - schiedenen Samenzellen befruchtet worden sein müssen. Ihnen gegenüber stehen die Zwillinge, welche ich als identische bezeichne, wenn auch ihre Identität keine vollkommene ist, sondern nur in einer sehr hochgradigen Ähnlichkeit besteht, wie solche noch niemals bei nacheinander geborenen Kin - dern beobachtet wurde. Man hat allen Grund zu der An - nahme, dass solche identische Zwillinge aus einem und dem - selben Ei und einer Samenzelle entstanden sind. Wenn dem so ist, so liegt darin der Beweis für den obigen Satz, dass mit der Befruchtung die Vererbung potentia vollendet ist, oder idioplasmatisch ausgedrückt, dass die Qualität der Mischung der Eltern-Ide, wie sie durch die Befruchtung gesetzt wird, die gesammte Ontogenese im Voraus bestimmt. Die kleinen Unterschiede, welche sich auch zwischen identischen Zwillingen finden, wären also wohl ein Maass dafür, wieviel durch äussere Einflüsse an diesem Entwickelungsgang geändert werden kann. Dieselben sind meist so gering, dass es schwer hält, sie überhaupt zu bemerken, wenn man nicht besonders darauf ausgeht; gewöhnlich kann einer der beiden Zwillinge allein nur von den eignen Eltern oder Geschwistern richtig er - kannt werden, nicht von Fremden.

Diese kleinen Verschiedenheiten könnten aber auch auf einer Unvollkommenheit in der festen Vorausbestimmung des Einflusses beruhen, den auf jedem Stadium der Ontogenese das eine und das andere elterliche Idioplasma ausübt. Aus den333 identischen Zwillingen allein lässt sich kaum ableiten, welche Auffassung die richtige ist. Durch die Güte des Herrn Otto Ammon in Karlsruhe besitze ich die Photographien identischer Zwillinge im Alter von 17 und 18 Jahren, sowie die genauen Maasse aller Körperverhältnisse derselben. Trotz auffallendster Ähnlichkeit nicht nur im Gesicht, sondern in allen Theilen des Körpers finden sich doch auch Unterschiede. So beträgt die ganze Grösse bei dem Einen der in Herrn Ammon’s Listen als No. 507 bezeichnet steht, in liegender Stellung 172 Cent., bei No. 508 aber nur 170 Cent.; ferner ist zwar die Handlänge bei Beiden gleich, aber die Armlänge stimmt nur auf der linken Seite, wo sie bei Beiden 74 Cent. beträgt, während der rechte Arm bei No. 507 nur 71 Cent. lang ist gegen den 74 Cent. langen rechten Arm von No. 508. Auch ist die Länge des Armes bei Beiden in einer etwas ungleichen Weise auf Ober - arm und Vorderarm vertheilt, indem die Länge des linken Ober - armes bei No. 507 27 Cent. beträgt, bei No. 508 aber 27,5 Cent. und dementsprechend die Länge des Vorderarmes bei No. 507 ebenfalls 27 Cent., bei No. 508 aber nur 26 Cent. Wenn man nun auch die Maasse der Eltern aus dem gleichen Lebensalter besässe, was nicht der Fall ist, so würde man doch vermuthlich auch daraus nichts Entscheidendes darüber entnehmen können, ob diese geringen Grössen-Unterschiede auf einer nicht ganz vollkommenen Gleichheit der Keimplasma-Mischung beruhen, wie sie durch eine nicht völlig exakte Kerntheilung bei der Ver - doppelung des befruchteten Eies, oder eines späteren Stadiums gesetzt werden könnte, oder ob sie nicht einfach in kleinen allgemeinen oder lokalen Ernährungs-Ungleichheiten ihren Grund haben, welche während der Ontogenese einwirken.

Es giebt aber andere Thatsachen, welche beweisen, dass in der That die Mischung der elterlichen Idioplasmen während der Ontogenese, obgleich im Allgemeinen von der Befruchtung334 an fest bestimmt, dennoch im Einzelnen kleinen Schwankungen unterliegt. Diese liefern uns die Bastarde zwischen ge - wissen Pflanzenarten, indem sie an manchen Theilen einen ziemlichen Grad von Variabilität, von Schwanken zwischen den Art-Charakteren der beiden Eltern zeigen. So sind die Blüthen der Mischlinge von Digitalis lutea und purpurea in der Färbung ungleich, bald blass mit leichtem (zuweilen ganz ohne) röth - lichen Anflug, bald mit mehr oder minder lebhafter Purpur - färbung . 1)Focke, Die Pflanzen-Mischlinge . Berlin 1881, p. 316.Diese Beobachtungen scheinen mir besonders des - halb von Wichtigkeit, weil wir in diesem Falle der Kreuzung zweier sehr verschiedener und scharf begrenzter Arten mit Sicherheit annehmen dürfen, dass in beiden Eltern die Art - Charaktere in gleicher Reinheit und Stärke enthalten waren, dass also das gegenseitige Verhältniss der elterlichen Idioplasmen während der Ontogenese nicht immer ganz genau dasselbe bleibt, mag dies nun auf kleinen Unregelmässigkeiten in der Kern - theilung, oder was wohl weniger wahrscheinlich auf Ungleichheiten in der Ernährung und dem Wachsthum der beiderseitigen elterlichen Idanten beruhen.

Bis in wie kleinste Einzelheiten hinein aber die Voraus - bestimmung reicht, hatte ich Gelegenheit, an Bastarden zwischen zwei Arten von Oxalis zu beobachten, welche von Professor Hildebrandt in Freiburg i. Br. erzogen worden waren, und deren Betrachtung mir gütigst gestattet wurde. Die eine Stamm - art hatte grössere helllila Blumen, die andere kleinere rothe mit dunkelkarminrothem Grund. Die Blumen der verschiedenen Bastardpflanzen waren nichts weniger, als völlig gleich, vielmehr liessen sich drei Hauptformen nach der Mischung der Blumen - farben unterscheiden, die ich nicht im Einzelnen beschreiben will, allein die Blumen ein und desselben Bastard -335 Individuums waren bis in die kleinsten Einzelheiten hinein gleich. So hatte eine Pflanze lila Blumenblätter mit etwas röthlicherem Ton als die eine Stammart, und jedes Blumenblatt war an seinem einen Seitenrand stark roth an - geflogen und zwar immer an demselben Rand. Ich konnte keine Blume an dem betreffenden Stock finden, die anders gefärbt gewesen wäre. Bei einem andern Stock hatten alle Kelchblätter einen braunen Saum, bei einem dritten zeigte sich bei allen Blumen in der Tiefe der Blume ein schmaler, orangerother Ring. Hier war also die Mischung der elterlichen Farben auf dem Blumenblatt schon mit der Befruchtung gegeben. Wieso nun diese Mischung bei den verschiedenen Pflanzen eine etwas verschiedene sein konnte, wird später klar werden.

Wenn aber bei den identischen Zwillingen des Menschen auch sicherlich ein Theil der kleinen Unterschiede, die die Beob - achtung aufweits, auf minutiösen Unterschieden des Idioplasma’s selbst beruht, so muss doch eben so sicher ein andrer Theil auf den Einfluss verschiedener äusserer Einwirkungen bezogen werden. Auf meinen Photographien zeigt der Zwilling No. 507 eine auffallend weisse Hand, der No. 508 aber eine gebräunte. Niemand wird dies auf eine Ungleichheit der beiderseitigen Keimplasmen, oder auf eine ontogenetische Verschiebung des Verhältnisses zwischen mütterlichem und väterlichem Idioplasma beziehen, sondern darauf, dass No. 508 seine Hände mehr der Sonnenstrahlung ausgesetzt hat, als No. 507. In der That war derselbe auch unmittelbar vor seiner Aufnahme mehr im Freien beschäftigt gewesen, als No. 507. In ähnlicher Weise kann man sich auch manche der Grössen-Unterschiede entstanden denken.

336

2. Quantitativer Antheil der Vorfahren am Keimplasma.

Wenn es nun feststeht, dass mit der Mischung der elterlichen Idioplasmen, wie sie bei der Befruchtung zu Stande kommt, die Charaktere des sich entwickelnden Kindes in allen wesentlichen Punkten bestimmt sind, so fragt es sich zunächst, was eigentlich vom Idioplasma der Eltern in der Keimzelle dem Kind über - liefert wird, das ganze elterliche Idioplasma mit allen darin enthaltenen Determinanten, oder blos ein Theil davon, wieviel vom Keimplasma der Grosseltern, Ur - grosseltern und ferneren Vorfahren.

Wenn man bedenkt, dass die Reductionstheilung, welche bei männlichen und weiblichen Keimzellen der Befruchtung vorausgeht, die Hälfte der Idanten aus der einzelnen Keimzelle entführt, so kommt man zu dem Schluss, dass in jeder Keim - zelle immer nur die Hälfte der Ide enthalten sein könne, und dies würde nur dann nicht zutreffen, wenn jeder Idant des Elters doppelt vorhanden wäre, und die Reduction derart erfolgte, dass in jeder Keimzelle die gleiche Gruppe von Idanten ent - halten wäre. Dies kann aber nicht sein, da das Keimplasma aus lauter verschiedenen Idanten bestehen muss, falls nicht durch Inzucht einzelne derselben doppelt vorhanden sind. Es ist offenbar unmöglich, dass in irgend einer Keim - zelle sämmtliche Idanten beider Eltern enthalten seien, weil die Zahl derselben zusammen doppelt so gross sein würde, wie die der Idanten einer fertigen Keimzelle. Betrüge z. B. beim Menschen die Zahl der Idanten in dem befruchteten Ei 32, so würden von Seiten jeden Elters 16 Idanten bei der Be - fruchtung zusammentreten. In diesen 16 könnten höchstens 16 von einem Grosselter herstammen, nämlich nur dann, wenn von dem andern Grosselter gar keine Idanten in die betreffende Keimzelle gelangt wären. Es ist offenbar mehr wie ungenau, wenn die praktischen Züchter bisher die Vererbungskraft eines Elters337 einfach = ½, die eines Grosselters auf ¼, die des Urgrosselters = u. s. w. gesetzt haben. 1)Dies hat auch Galton in dem Schlusscapitel seines Buches Natural Inheritance hervorgehoben, p. 187 und folgende. Seiner An - sicht nach ist die personal heritage von jedem Elter = ¼, und die Erbschaft von latent Elements des Elters auch ¼, zusammen also ½. Ich kann natürlich dieser Rechnung nicht beistimmen, da nach meiner Ansicht das Latentbleiben von Eigenschaften eines Elters seinen Grund nicht in den Anlagen dieser Eigenschaften selbst, sondern in dem Kampf mit den Anlagen des andern Elters hat, und als ich überhaupt eine Trennung von solchen Anlagen , welche das actuelle Individuum bilden, und solchen, die den latenten Keim für die Keimzellen der fol - genden Generation bilden, nicht annehme. Ich stimme aber mit Galton vollständig darin überein, dass niemals alle Eigenschaften der Vor - fahren, z. B. eines Grosselters, in jeder Keimzelle, aus der ein Enkel werden kann, enthalten sind.Diese Zahlen können nicht ein - mal das Minimum oder Maximum angeben, in welchem der be - treffende Vorfahr mit seinen Vererbungsanlagen im befruchteten Ei vertreten sein kann. Der Elter ist allerdings immer mit ½ vertreten, allein schon beim Grosselter schwankt die Ver - tretung, und zwar in dem oben angenommenen Fall zwischen 0 und 16 Idanten. Denn die Reductionstheilung kann so er - folgen, dass z. B. die 16 väterlichen Idanten, auf welche die 32 ursprünglich vorhandenen in der Samenzelle reducirt werden, nur Idanten des Grossvaters und keine der Grossmutter, oder aber 15 des Grossvaters und 1 der Grossmutter, oder 14 pp gegen 2 mm, oder 13 pp gegen 3 mm u. s. w. enthalten. 2)Ich bezeichne von nun an die väterlichen Idanten oder Ide mit p, die mütterlichen mit m, die grossväterlichen mit pp oder pm, die grossmütterlichen mit mm oder mp u. s. w. Der letzte Buchstabe be - deutet immer die elterliche Abstammung, der zweitletzte die grosselter - liche, der drittletzte die urgrosselterliche und so fort.So müsste es wenigstens sein, wenn die Combinirung der Idanten bei der Reductionstheilung eine ganz freie wäre. Vielleicht ist dies nicht vollständig so der Fall, jedenfalls aber weist dieWeismann, Das Keimplasma. 22338Launenhaftigkeit des Rückschlags auf einen der Grosseltern auf eine immerhin grosse Freiheit dieser Combinationsbildung hin.

Geht man auf die dritte, vierte, fünfte Generation zurück, so ist a priori nicht im Entferntesten zu bestimmen, wie stark der einzelne Vorfahr dieser Generationen noch im Keimplasma einer Keimzelle vertreten ist, man kann nur sagen, wie stark er im günstigsten Fall vertreten sein kann. Ein Vorfahr der dritten Generation kann in obigem Fall noch immer mit 16 Idanten vertreten sein, da ja die 16 Idanten, welche von ihm zur Amphimixis der zweiten Generation geliefert wurden, möglicherweise bei der Reductionstheilung der Keimzellen dieser zweiten Generation einmal zusammen in eine Keimzelle gelangen konnten, und ebenso wieder in der ersten, der Eltern - Generation. Das wird selten vorkommen, erklärt aber die, wie es scheint, zwar seltenen, aber doch gut begründeten Rück - schläge auf entferntere Vorfahren als Grosseltern beim Menschen. Je weiter zurück die Generation liegt, um so grössere Zufällig - keiten gehören dazu, damit die volle halbe Idantenzahl durch mehrere Generationen hindurch in einzelnen Keimzellen bei - sammen bleibe, und sehr bald wird die Wahrscheinlichkeit, dass solches geschähe, gleich Null werden.

Im Allgemeinen wird man immerhin zugeben dürfen, dass die Idanten eines Vorfahren in um so geringerer Zahl im Keim - plasma eines befruchteten Eies enthalten sind, je weiter der - selbe in der Ascendenz zurückliegt. Irrig aber wäre jede genauere Berechnung des Antheils, den ein bestimmt entfernter Vorfahr an der Zusammensetzung des Keimplasma’s seines Nachkommen hat. Die bisher übliche Rechnung nahm im befruchteten Ei 2 × ½ elterliches, 4 × ¼ grosselterliches ...... 32 × 1 / 32 Blut der sechsten Vorfahren-Generation an. Dies Letztere würde in der Keimplasma-Theorie einen von den oben für den Menschen angenommenen 32 Idanten bedeuten. Es ist aber durchaus nicht339 gesagt, dass jeder der 32 Vorfahren sechster Generation noch mit einem Idanten im Keimplasma des Nachkommen vertreten ist, es können wohl ebenso gut nur 30 oder nur 20 dieser Vorfahren daran betheiligt sein, möglicher - wenn auch unwahr - scheinlicherweise sogar noch weniger.

Ich komme bei den Rückschlagserscheinungen auf diese Verhältnisse wieder zurück.

So viel ist sicher, dass in dem Keimplasma des be - fruchteten Eies niemals sämmtliche Idanten eines der Eltern enthalten sein können, sondern nur die Hälfte derselben.

Dieser Satz scheint in Widerspruch zu stehen mit gewissen Thatsachen.

Die Pflanzenbastarde halten häufig das Mittel zwischen den beiden Stammarten, d. h. sie enthalten sämmtliche Charaktere der beiden Stammarten in gegenseitiger Compen - sirung. So wären also hier sämmtliche Anlagen jedes Elters in der befruchteten Eizelle enthalten gewesen, obwohl doch nach unserer Theorie nur die Hälfte der elterlichen Idanten daran Theil haben. Der Widerspruch löst sich einfach, wenn man bedenkt, dass es sich hier um die Mischung der Charaktere zweier Arten handelt, nicht um die zweier Individuen der gleichen Art. Die Artcharaktere müssen, wenn nicht in jedem Id, so doch in der Mehrzahl der Ide jedes Idanten enthalten sein, und die Hälfte der Idanten wirkt des - halb hier gerade so, als ob alle Idanten vorhanden gewesen wären, d. h. jeder Charakter der Art ist in ihnen enthalten. Es stehen bei der Kreuzung hier nur Artcharaktere gegen Artcharaktere, deren grösseren Unterschieden gegenüber die kleinen individuellen Unterschiede verschwinden.

Bei der Fortpflanzung des Menschen, besonders inner - halb ein und derselben Rasse, ist es umgekehrt: die Art -22*340charaktere sind vermuthlich in allen Iden sowohl des Vaters als der Mutter enthalten, und die Unterschiede zwischen den Eltern beziehen sich lediglich auf die individuellen Charaktere. Unsere theoretische Auffassung der Idanten als einer Zusammen - stellung von Iden scheint unvereinbar mit der schon erwähnten Thatsache, dass das Kind vorwiegend dem einen Elter nur gleichen kann, da von diesem doch nur die Hälfte seiner Idanten am Aufbau des Kindes betheiligt ist. Wir werden aber später die Erklärung für diesen scheinbaren Widerspruch finden.

Man kann im Allgemeinen die Sache dahin ausdrücken, dass zwar immer die halbe Zahl der Idanten des Elters in die Keimzelle des Kindes gelangt, dass diese Hälfte aber aus allen möglichen Combinationen der Idanten des Elters bestehen kann, also entweder blos aus grossväterlichen oder blos aus gross - mütterlichen Idanten, oder aber aus einer Combination gross - mütterlicher und grossväterlicher Idanten, in welchen bald die einen, bald die andern überwiegen. Weiter zurückzugehen auf die dritte und vierte Generation der Vorfahren wird erst an der Hand der Rückschlagserscheinungen möglich und erspriesslich sein.

3. Kampf der Ide bei Leitung der Ontogenese.

a. Die Pflanzen-Bastarde.

Der Bau des Kindes ist das Resultat des Kampfes sämmtlicher im Keimplasma enthaltener Ide.

Dass dieser Satz im Allgemeinen richtig sein muss, geht theilweise schon aus der Beobachtung hervor, dass bei Pflanzen - Mischlingen, d. h. bei den Kreuzungsprodukten zweier Arten oder Varietäten häufig beide Eltern sich in jedem Theil der Pflanze geltend machen. Bastarde sind in theoretischer Be - ziehung hier sehr viel werthvoller, als normale Nachkommen derselben Art, weil wir bei ihnen mit Sicherheit wissen, dass die Charaktere, welche sich hierbei bekämpfen oder vereinigen,341 in nahezu jedem Idanten des einen oder des andern Elters enthalten sein müssen; denn sie sind Artcharaktere.

Der idioplasmatische Unterschied zwischen individuellen und Artcharakteren kann wie mir scheint nur darin gesucht werden, dass die Determinanten der Letzteren in der überwiegenden Majorität aller Ide jedes Idanten eines Keim - plasma’s vorkommen müssen, während die Determinanten, welche der Bildung individueller Merkmale vorstehen, nur in einem Theil der das Keimplasma zusammensetzenden Idanten enthalten sein werden nämlich höchstens in sämmtlichen Idanten des einen Elters, d. h. also in der Hälfte sämmtlicher Idanten. Wie stark die Determinanten irgend eines individuellen Charakters hier vertreten sind, ob sie in vielen Iden enthalten sind, oder nur in einem kleinen Bruchtheil derselben, würde sich erst dann aus den Vererbungserscheinungen ablesen lassen, wenn wir wüssten, wovon das Hervortreten, gewissermassen der Sieg eines Charakters abhängt. Dies aber lässt sich nur aus Kreu - zungen zwischen Arten erschliessen, bei denen wir aus der hohen Constanz der Artcharaktere von vornherein annehmen dürfen, dass ihre Determinanten in allen Idanten der elterlichen Keim - zelle dominiren.

Es treten also bei der Amphimixis der Pflanzen-Bastarde väterliche und mütterliche Idanten zusammen, die wir, jede Gruppe unter sich, für gleich annehmen dürfen, und es fragt sich, wie nun die Vererbungserscheinungen ausfallen, und welche Rückschlüsse aus ihnen gezogen werden können.

Aus den ungemein zahlreichen Beobachtungen über Pflanzen - Mischlinge geht zunächst hervor, dass die Charaktere der Eltern in verschiedener Weise sich mischen können. Focke, der alle bis 1881 bekannten Fälle in seinem Buche1)Focke, Die Pflanzen-Mischlinge . Berlin 1881. zusammengestellt hat, kommt zu dem Ergebniss dreier Hauptrichtungen in der342 Mischung der Charaktere: 1. Die elterlichen Charaktere bilden in allen Theilen der Pflanze ein Mittel, 2. die Merkmale des Vaters überwiegen, oder diejenigen der Mutter, und 3. gewisse Theile der Mischpflanze zeigen den mütterlichen, andere den väterlichen Charakter.

Der erste Fall ist der weitaus häufigste; ein Beispiel für ihn bildet der schon von Koellreutter erzeugte Mischling zweier Tabakarten, der Nicotiana rustica × N. paniculata Koellreutter1)Joseph Gottlieb Koellreutter, Vorläufige Nachricht von einigen das Geschlecht der Pflanzen betreffenden Versuchen und Beobach - tungen . 1761. selbst erklärt ihn für das genaue Mittel der Eltern, während Gärtner ihn der N. paniculata, Focke der N. rustica etwas ähnlicher hielt. Koellreutter wird also wohl ziemlich richtig geschätzt haben und nur von einer Schätzung, nicht von mathematischer Genauigkeit kann hier die Rede sein. Nach Focke beträgt die Länge der Kronen - röhre bei N. rustica 14 Mm., bei N. paniculata 26 Mm., beim Bastard 19 Mm. Das genaue mathematische Mittel würde 20 sein, in diesem Charakter nähert sich der Bastard etwas mehr der N. paniculata. In der Weite der Kronenröhre da - gegen neigt sich der Bastard in Bezug auf die weiteste Stelle mehr der N. rustica zu, in Bezug auf die engste Stelle hält er genau das mathematische Mittel. Der Fall ist belehrend da - für, dass wir das eigentliche, physiologische Mittel nicht er - kennen können, denn die Länge der Krone setzt sich aus den - selben Zellen zusammen, die auch ihre Weite bestimmen. Noch ungenauer wird unsere Taxirung, wenn es sich um Farben - mittel handelt, weil die verschiedenen Farben der Pflanzen auf ganz verschiedenen morphologischen Bestandtheilen beruhen. Wenn Gelb und Roth zweier Arten sich in der Bastardblume mischten, so wäre es denkbar, dass beide Farben in derselben343 Stärke wie in den Stammarten aufträten, dass aber dennoch die eine von ihnen dominirte, weil sie die andere zudeckt; denn Gelb hängt an besonderen Pigmentkörnern, Roth aber ist nur als Zellsaft vorhanden, der durch oberflächliche Lagerung der Chromatophoren möglicherweise fast ganz verdeckt werden könnte.

Wenn nun untersucht werden soll, von welchen Momenten der Kampf der elterlichen Merkmale bestimmt wird, so ist vor Allem im Auge zu behalten, dass alle und jede Entscheidung in den Zellen liegt. Nur in einer Zelle treffen sich die Determinanten des Vaters und der Mutter, und alle Eigen - schaften , mögen sie einen grossen Theil des Organismus oder blos eine einzelne Zelle betreffen, können nur durch Vorgänge im Innern einer oder vieler Zellen bestimmt werden.

Dies ist aber nicht gleichbedeutend damit, dass es immer die sichtbare Differenzirung jeder einzelnen Zelle sein müsse, welche eine Eigenschaft des Organismus ausmache. Nur in den definitiven Zellcomplexen des Bion kommt neben der Zahl der Zellen auch die Art und Weise ihrer histologischen Differen - zirung in Betracht ob also Muskel - oder Nervensubstanz, ob Chlorophyllkörper sich in dem Zellkörper ausbilden oder nicht. Sehr viele und charakteristische Eigenschaften aber werden nicht darauf beruhen können, sondern wesentlich auf der Zahl und Anordnung der in ein Organ eingehenden Zellen, und diese wiederum werden ihren Grund in für uns unsichtbaren Eigenschaften der embryonalen Zelle haben, hauptsächlich in ihrem Theilungsmodus und in ihrer Vermehrungsstärke und - Schnelligkeit.

Wir werden uns vorstellen müssen, dass diese Momente ganz ebenso vollständig vom Idioplasma der Zelle bestimmt werden, als die sichtbare Differenzirung derselben. Wohl geht die Theilung einer Zelle von ihrem Theilungs-Apparat, vor Allem von dem centralen Theil desselben, der Attractions -344 sphäre und dem in ihr gelegenen Körperchen, dem Centrosoma aus, allein, wir müssten die ganze Vorstellung vom bestimmen - den Einfluss der Kernsubstanz aufgeben, wollten wir den Thei - lungs-Apparat zugleich auch als den Theilungs-Leiter an - sehen. Der ganze Aufbau eines Thieres aus der Eizelle hängt so wesentlich gerade vom Theilungs-Rhythmus der Zellen ab, dass die Kernsubstanz den Namen der Vererbungssubstanz nicht mehr beanspruchen dürfte, leistete sie Nichts weiter, als die sichtbare Differenzirung der Zelle. Ich habe aber in einem früheren Abschnitt (p. 33 u. f.) die Gründe aufgeführt, welche uns keinen Zweifel darüber lassen, dass die Kernsubstanz in der That es ist, welche die Vererbungs-Anlagen enthält, und sobald dies feststeht, kann von einer Selbstbestimmung des Theilungs - Apparates keine Rede mehr sein. Wir müssen uns vielmehr vorstellen, dass die für uns unsichtbare feinste Structur des Zellkörpers das ganze Wachsthum desselben, die Art und Weise seiner Theilung und den Theilungsrhythmus bestimme, während diese Structur selbst von der Kernsubstanz, dem Idioplasma, bestimmt wird. In letzter Instanz hängt also Alles von der Determinante einer Zelle ab, und das Zusammenwirken der väterlichen und mütterlichen Determinante ist es, was bei ge - schlechtlicher Fortpflanzung den Charakter der Zelle, sei er sichtbar oder unsichtbar, bestimmt. Da nach unserer Ansicht jede Zelle der gesammten Ontogenese nur von einer Deter - minanten-Art beherrscht wird, mag die Zelle nun noch andere Determinanten in latentem Zustand enthalten oder nicht, so ist es also immer das Zusammenwirken homologer väterlicher und mütterlicher Determinanten, welches der Zelle ihren Stempel aufdrückt und den Aufbau des Individuums soweit bestimmt, als der Einfluss dieser Zelle reicht. Es leuchtet ein, dass dabei eine der Endzellen der Ontogenese, d. h. der Gewebezellen trotz ihrer höheren histologischen Differenzirung doch einen ge -345 ringeren Einfluss hat, als eine der vier ersten Furchungszellen, oder als die Stammzelle des gesammten inneren Keimblattes, oder als irgend eine Zelle, aus der noch viele und verschieden - artige Zellen hervorgehen. Auf der andern Seite darf man aber auch nicht vergessen, dass jede der embryonalen Zellen auch nur ihre eigene Theilungsweise bestimmt, nicht ohne Weiteres auch die ihrer Töchter, dass somit in diesen von Neuem ein Abwägen oder Zusammenwirken der väterlichen und mütter - lichen Determinanten stattfindet u. s. w.

Die Determinanten, welche die Tochterzellen beherrschen, stammen aber von dem latenten Theil der Ide der Mutterzelle, und es hängt deshalb wesentlich von dem Theilungsmodus und der Architektur dieser Ide ab, welche Determinanten die Tochter - zellen beherrschen werden. Insofern also nimmt der augen - blicklich latente Theil der Ide der Mutterzelle einen entscheidenden Einfluss an der Bestimmung der weiteren Entwickelung, ja von ihm allein hängt die Zahl und Reihen - folge der in Zukunft noch aktiv werdenden Determinanten ab und durch ihn werden also in erster Linie alle jene Eigen - schaften bestimmt, welche nicht blos in der histologischen Natur der einzelnen Zelle, sondern in der Zahl und Gruppirung der Zellen ihren Grund haben.

Aus diesen Verhältnissen erklärt es sich, warum nur Kreuzungen zwischen nahe verwandten Arten, nicht aber solche zwischen Angehörigen ganz verschiedener Familien erfolgreich sind. Könnte man z. B. das Ei eines Seeigels mit der Samen - zelle eines Wurms, etwa Rhabditis nigrovenosa befruchten, so würde schon bei der ersten Furchung die Zerlegung der Keim - plasma-Ide bei den mütterlichen Iden in ganz anderer Weise erfolgen, als bei den väterlichen; die mütterlichen würden sich in die Determinantengruppe der linken und in die der rechten Körperhälfte zerlegen, während die väterlichen Ide in die Gruppe346 der Determinanten für das äussere und in die für das innere Keimblatt zerfielen. So ungleichartige Determinantengruppen werden aber nicht zusammenwirken und mittlere Bildungen hervorrufen können, und selbst wenn die Ontogenese noch einige Stadien weiter sich fortsetzte, so würden daraus doch niemals harmonische Embryonalbildungen hervorgehen können.

Wenn wir solche Determinanten und Ide, welche homologe Zellen und Zellengruppen bestimmen, als homologe Determi - nanten und Ide bezeichnen, so werden überall da Mittel - bildungen zwischen den zwei Eltern entstehen können, wo homologe Determinanten und Ide zusammentreffen. Wenn z. B. zwei nahe verwandte Schmetterlings-Arten auf einer bestimmten Stelle des Flügels einen kleinen Fleck besitzen, der durch eine Determinante im Keimplasma vertreten ist, so werden bei der Kreuzung der beiden Arten ihre homologen Determinanten in der Stammzelle dieses Flecks zusammentreffen und eventuell dieselbe gemeinsam bestimmen können. Sie brauchen aber nicht ganz gleich zu sein, die Art A kann den Fleck in Braun, die Art B ihn in Roth haben; ihre Determinanten würden dann zwar homolog, nicht aber homodynam sein und könnten möglicherweise zur Bildung eines braunrothen Fleckes sich vereinigen. Dieses ist der springende Punkt in der amphigonen Vererbung, dass im Idioplasma jeder Zelle der ganzen Ontogenese nicht lauter identische Ide enthalten sind, sondern individuell verschiedene, und dass aus dem Zusammenwirken derselben der Zelle ein mittlerer Charakter aufgeprägt werden kann. Bei der normalen Fortpflanzung sind die aktiven Ide im Idioplasma einer Zelle alle homologe, d. h. sie zielen auf die Bestimmung der - selben Körperstelle hin, sie sind aber untereinander verschieden oder, wie ich sagen möchte, heterodynam, d. h. sie streben dieser selben Körperstelle einen etwas andern Charakter auf -347 zuprägen. Bei Kreuzung verschiedener Arten wird das Idio - plasma einer Zelle auf vielen Stadien sich nicht blos aus homologen, sondern zum Theil aus heterologen Iden zusammen - setzen, und dann wird es sich wie eben gezeigt wurde fragen, ob überhaupt noch, und auf wie viele Zellgenerationen hinaus eine gemeinsame Bestimmung der Zellen stattfinden kann.

Die Schmetterlingsschuppen sind Endzellen der Ontogenese, und ihre Ide sind nur noch aus einer Art von Determinanten gebildet. Je weiter wir gegen den Anfang der Ontogenese zurückgehen, um so zahlreichere Determinanten setzen die Ide zusammen, während immer nur eine derselben sich in ihre Biophoren auflöst und die Zelle bestimmt. So lange nun diese die aktuelle Zelle bestimmende Determinante bei beiden Eltern einander homolog ist, wird eine Mittelbildung der Zelle statt - finden können, sobald aber die übrigen Determinanten der Ide nicht mehr einander entsprechen, wird die weitere Entwickelung von Schritt zu Schritt mehr gehemmt und endlich zum Still - stand gebracht werden. Was bei der fictiven Kreuzung eines Seeigels und eines Wurmes von Beginn der Ontogenese an ein - treten müsste, das kann also ebensowohl partiell, d. h. in Bezug auf bestimmte Theile, eintreten. Gesetzt, es gäbe ein Insekt, welches an Stelle der Flügel Rücken-Beine be - sässe bei sonstiger Übereinstimmung des Körpers, und man könnte diese Art mit einem normalen geflügelten Insekt kreuzen und Entwickelung des befruchteten Eies eintreten lassen bis zum Punkt der Flügelentwickelung, so stünden sich dann im Idioplasma der Stammzelle der Flügel, respective der Rücken - Beine zwei gänzlich heterologe Ide von Seiten des Vaters und der Mutter gegenüber, Ide, von deren Determinanten keine der andern homolog sein könnte. Bei der nun beginnenden Entwickelung des Flügels, respective Rücken-Beines würden sich also in jeder Zellgeneration gewissermassen feindliche Determi -348 nanten gegenüberstehen, die eine gemeinsame Bestimmung der Zelle ausschlössen.

Solche extreme Fälle kommen in Wirklichkeit nicht vor, da dafür gesorgt ist, dass stark verschiedene Arten sich nicht kreuzen, aber bei der Bastardbildung werden die Principien Anwendung finden, die man aus diesen erdachten Fällen ab - leiten kann: homologe Determinanten und Ide wirken zu - sammen, heterologe nicht, und je grösser die Zahl hetero - loger Determinanten in den homologen Iden der Eltern ist, um so mehr schliessen die Vererbungstendenzen der Eltern sich aus.

Ich wende mich nun zur theoretischen Erklärung des ersten der drei beobachteten Fälle von Mischung der elterlichen Charaktere im Kinde, zu dem Falle, dass die elterlichen Charaktere in allen Theilen der Pflanze ein Mittel bilden .

Nehmen wir an, die beiden elterlichen Arten stünden sich so nahe, dass jeder Determinante der einen Art eine homologe Determinante der andern Art entspräche, so müsste eine genaue Mittelbildung zwischen beiden Arten zu Stande kommen unter der Voraussetzung, dass die Zahl der Ide beiderseits gleich und dass die bestimmende Kraft der homologen Determi - nanten die gleiche wäre.

Dass das Idioplasma eines Elters, welches durch eine grössere Zahl von Iden vertreten ist, auch an bestimmender Kraft überlegen sein muss, liegt auf der Hand, was aber die bestimmende Kraft der einzelnen Determinanten betrifft, so lässt sich darüber etwa Folgendes sagen. Die Bestimmung der Zelle geschieht nach unserer Ansicht dadurch, dass die Determinante sich in ihre Biophoren auflöst, und dass diese Letzteren nach dem Vorbilde der Pangene von de Vries in den Zellkörper einwandern und dort sich auf Kosten des Zellkörpers vermehren349 und zu bestimmten Zellstructuren gestalten. Diese Vermehrung wird mit einer gewissen Energie vor sich gehen, die für ver - schiedene Biophorenarten verschieden gross sein wird. Sobald also in demselben Zellkörper solche bestimmende Biophoren einwandern, welche in ihrer Wachsthumsenergie nicht ganz gleich sind, wird ein Kampf der Theile (Roux) entstehen müssen, in welchem der Stärkere siegt und der Schwächere mehr oder weniger unterdrückt, ja völlig beseitigt wird.

Wenn also reine Mittelbildungen vorkommen, so setzt dies voraus, dass die bestimmende Kraft der homologen Determi - nanten die gleiche war. In Wirklichkeit wird es indessen nie - mals zutreffen, dass bei zwei verschiedenen Arten lauter homo - loge Determinanten vorkommen, was schon daraus hervorgeht, dass die Zellenzahl homologer Theile oft sehr verschieden ist. Die Art-Charaktere hängen ja keineswegs blos von der histo - logischen Beschaffenheit der einzelnen Zellen ab, sondern wie schon gesagt wurde fast noch mehr von der Zahl und Anordnung der Zellen, von der Wiederholung und Stellung gewisser Organe u. s. w. So ist die Blüthe von Nicotiana pani - culata erheblich länger, als die von rustica, auch ist die erstere Art reicher verästelt und besitzt zahlreichere Drüsen, als die letztere. Die obige Annahme, dass jeder Determinante von paniculata eine solche von rustica entspreche, kann also nicht genau sein, vielmehr muss die erstere Art zahlreichere Determi - nanten im Keimplasma enthalten, und der Zerlegungsprocess des Idioplasma’s muss vielfach von dem bei rustica abweichen.

Wenn nun im Bastard gleich viel Ide von paniculata und von rustica enthalten sind, so werden beiderlei Ide nur so lange in der Ontogenese zusammenwirken können, als ihre Determi - nanten sich noch entsprechen. Sobald ein Punkt erreicht ist, an dem die Ide von rustica zur Neige gehen und ihre letzten Determinanten aufgelöst haben, werden fortan nur noch die Ide350 der paniculata weitere Zellfolgen ins Leben rufen können. Da diese aber nur in der halben Normalzahl vorhanden sind, mögen auch die von ihnen noch ausgehenden Bildungen nicht so voll - ständig werden, wie in der reinen Stammform, ganz abgesehen davon, dass möglicherweise die Ide der rustica doch nicht ganz verschwinden, sondern mit den Nachkommen ihrer letzten De - terminante sich über ihre eigentliche Dauer hinaus erhalten und so ein Hinderniss für die Entwickelung der reinen pani - culata-Charaktere werden mögen. So wird es wenigstens im Princip vorstellbar, wie Mittelformen auch da entstehen können, wo der Kampf der Eltern-Ide nicht bis in die letzten Zellen der Ontogenese hineinreicht, wo vielmehr die Species-Charaktere schon früher aufeinander treffen, wie eben bei der schwachen oder reichen Verästelung der Pflanze. Aus dem Folgenden wird dies noch besser klar werden.

Der zweite Fall ist der, dass in allen Theilen der Misch - pflanze entweder die väterlichen oder die mütterlichen Charaktere vorherrschen, dass also die Mischpflanze mehr dem einen Elter nachschlägt: scheinbar einelterliche Vererbung.

Beobachtungen dieser Art liegen mehrfach vor, und zwar sowohl Fälle von Vorherrschen der väterlichen, als der mütter - lichen Charaktere. Beispiele für Beides finden sich schon in derselben Gattung Nicotiana. Der Bastard Nicotiana pani - culata × vincaeflora ist der N. vincaeflora so ähnlich, dass die N. paniculata kaum noch darin zu erkennen ist (Focke p. 289). Hier überwiegt also der Vater, während bei der Kreuzung von Nicotiana suaveolens × N. Langsdorffii wenig Ähn - lichkeit mit N. Langsdorffii zeigt ; hier überwiegt also die Mutter, die Bastardpflanzen sind der suaveolens ungemein ähn - lich und unterscheiden sich von ihr nur durch eine theil - weise Lösung der Staubfäden von der Kronenröhre, durch eine leichte Abänderung in Farbe und Grösse der Blüthen, durch351 violette oder bläuliche Färbung der Staubbeutel und durch vollständige Unfruchtbarkeit (Focke, p. 289).

Weitere Beispiele finden sich bei Focke, p. 474, angeführt, wo es heisst: In manchen Fällen ist der Mischling einer der Stammformen so ähnlich, dass er für eine leichte Abänderung derselben gehalten werden könnte. So ist Dianthus armeria × deltoides dem Dianthus deltoides, Dianthus caryophyllus × chi - nensis dem D. caryophyllus, Melandryum rubrum × noctiflorum dem M. rubrum, Verbascum blattaria × nigrum dem V. nigrum, Digitalis purpurea × lutea der D. lutea viel ähnlicher als der zweiten Stammart.

Diese Fälle scheinen mir besonders wichtig wegen der Rückschlüsse, die sie auf die ganz ähnlichen Vorkommnisse bei der individuellen Vererbung des Menschen erlauben. Die idioplasmatische Erklärung dieser scheinbar einelterlichen (pseudo-monogonen) Vererbung, wie ich sie nennen will, würde bei den Pflanzenmischlingen etwa folgendermassen zu geben sein.

Das Vorwiegen des einen Elters, z. B. der Mutter, würde auf einer grösseren Zahl der Idanten und Ide der be - treffenden Art beruhen können. Besässe z. B. Digitalis lutea 32 Idanten, D. purpurea nur 16 bei gleicher Idziffer des ein - zelnen Idanten, so würden, auch bei gleicher bestimmender Kraft der Ide, doch die Ide der D. lutea in jeder Zelle der ganzen Ontogenese den Sieg davon tragen, d. h. den betreffenden Zellen den Lutea-Stempel stärker aufdrücken, als die Purpurea - Ide ihnen den ihrigen aufprägen könnten. Man wird einwerfen, dass die Zelle deshalb doch nicht reine Lutea-Zelle werden könne, dass eine Mittelform entstehen müsse, wenn auch eine solche, die stärker der Lutea-Zelle gliche. Darüber aber, in wie weit Mittelformen einzelner Zellen im einzelnen Falle möglich sind, können wir nicht urtheilen, und der Ausdruck der Resultante ist den unbekannten Kräften der Biophoren352 gegenüber höchstens ein Bild, jedenfalls aber ein völlig un - genügendes. Wir müssen uns begnügen zu sagen, dass bei sehr ungleicher bestimmender Kraft der beiden in der Zelle zusammenwirkenden Determinanten die Wirkung der schwächeren von beiden unter Umständen verschwindend klein werden kann. Es findet ein Kampf der Biophoren statt, den man sich einstweilen so vorstellen mag, dass der Stärkere rascher assimilirt, wächst und sich vermehrt und dadurch dem Schwächeren Nahrung und Platz wegnimmt, seine Vermehrung hindert, ja wohl ihn ganz vernichtet und selbst als Nahrung verwerthet. Ohne eine sehr bedeutende Vermehrung aber kann die Schaar der aus dem Kern in den Zellkörper auswandernden Biophoren wohl keine bestimmende Wirkung auf den Zellkörper ausüben. Es scheint mir deshalb ganz wohl denkbar, dass auch bei völliger Gleichheit der Id - Ziffer auf mütterlicher und väterlicher Seite doch der Schein einelterlicher Vererbung, d. h. eine gänzliche Unterdrückung der Elemente des einen Elters eintreten kann.

Um so viel mehr wird dies eintreten können, wenn die Zahl der Ide auf der einen Seite grösser ist, als auf der andern, und da wir wissen, dass selbst bei nahe verwandten Arten die Zahl der Idanten erheblich verschieden sein kann, so ist es nicht unwahrscheinlich, dass der scheinbar einelterlichen Ver - erbung diese Ursache zuweilen zu Grunde liegt. Bei manchen Pflanzenbastarden wird eine direkte Prüfung dieser Annahme durch Feststellung der Idantenzahl möglich sein.

Der dritte der oben angeführten Fälle von Vermischung der elterlichen Charaktere scheint mir in theoretischer Beziehung fast als der wichtigste, weil er am tiefsten in die intimen Vor - gänge im Idioplasma hineinführt. Dies ist der Fall, in welchem die Theile der Mischpflanze abwechselnd bald mehr dem Vater, bald mehr der Mutter nachschlagen. In353 scharf ausgesprochener Form scheinen solche Fälle zwar nicht sehr häufig zu sein, in geringeren Graden aber findet ein Schwanken von der väterlichen nach der mütterlichen Seite hin fast bei allen solchen Bastarden statt, welche man gewöhn - lich als Mittelformen bezeichnet. Es wurde oben schon er - wähnt, dass die von Koelreutter für eine reine Mittelform ge - haltene Bastardpflanze von Nicotiana rustica × paniculata in der Länge der Kronenröhre ein Wenig näher der paniculata, in der Weite derselben dagegen ein Wenig näher der rustica steht. Solche kleine Schwankungen von dem reinen Mittel nach der einen und der andern Seite hin scheinen sehr häufig zu sein. Es giebt aber auch Fälle, in denen sie eine be - deutendere Grösse erlangen und auffällig werden. Manchmal erinnert z. B. der Mischling in den Blättern mehr an die eine, in den Blüthen mehr an die andere Stammform. Brandza1)Brandza in Compt. rend. 1890, T. 111, p. 317. hat neuerdings einige Bastarde auch mit dem Mikroskop auf ihre Zusammensetzung aus elterlichen Merkmalen geprüft und hat bei manchen von ihnen einen solchen Wechsel nachweisen können. So zeigte Marrubium Vaillantii, ein Bastard von Leo - nurus Cardiaca und Marrubium vulgare die zwei Flügelkanten des Blattstieles von Marrubium vulgare, aber im Innern des Blattstieles die Anordnung der Gefässbündel von Leonurus. Die Oberseite des Blattstieles zeigte die verzweigten Haare von Leonurus, während auf der Unterseite Haare wie bei Marrubium vulgare standen.

Ich will diesen Wechsel in der Ähnlichkeit mit den Eltern nach Organen als Verschiebung der Vererbungs - Resultante in der Ontogenese bezeichnen.

A priori hätte man denken können, dass eine solche über - haupt nicht möglich sei. Wenn, wie es doch feststeht, dieWeismann, Das Keimplasma. 23354Vererbung mit der Befruchtung virtuell vollendet ist, wenn also mit der einmal gegebenen Mischung der elterlichen Keim - plasmen auch das Verhältniss der elterlichen Idioplasmen für alle folgenden Stadien der Ontogenese gegeben ist, so könnte man erwarten, dass an allen Theilen der kindlichen Pflanze die Charaktere der Eltern in gleicher Mischung auftreten müssten, dass also entweder das Mittel zwischen ihnen, oder ein Uberwiegen des Vaters oder der Mutter überall in gleicher Weise sichtbar werde. Wenn dies nun dennoch auch anders sein kann, ja sogar häufig anders ist, so sind dafür mehrere Ursachen denkbar.

Zunächst ist an das oben schon Gesagte zu erinnern, daran, dass eine gleichmässige Mischung zweier Charaktere nicht immer den Eindruck eines mittleren Charakters zu machen braucht, dass überhaupt eine genaue Bestimmung des Begriffes eines mittleren Charakters für uns nicht möglich ist, weil wir nur den letzten Effekt der in der Zelle wirkenden Kräfte sehen, nicht aber die Vorgänge selbst, durch welche derselbe bewirkt wird. Dies würde indessen nur erklären, wie der Schein einer Verschiebung der Vererbungs-Resultante entstehen kann. Es giebt aber ohne Zweifel auch wirklich eine solche Verschiebung.

Ich glaube, dass dieselbe hauptsächlich darauf beruht, dass die Zahl der homodynamen Determinanten innerhalb des Idioplasma’s der Zelle im Laufe der Ontogenese wechseln kann, ja immer wechseln muss. Bei dem einen Stadium oder Organ werden die väterlichen, bei dem andern die mütterlichen Ide eine grössere Zahl homodynamer Determinanten enthalten, und darauf muss das im Voraus fest bestimmte Schwanken im Vorwiegen väterlicher oder mütterlicher Charak - tere beruhen.

Um dies klar zu legen, muss ich aber etwas auf das Capitel von der Variation übergreifen.

355

b. Intermezzo über Variation.

Es wurde bisher angenommen, dass das Keimplasma einer Art aus Iden zusammengesetzt sei, von denen jedes sämmt - liche Artcharaktere enthalte. Eine kurze Überlegung ergiebt aber, dass dies nicht völlig genau sein kann. Es ist nicht nur denkbar, sondern es muss sogar angenommen werden, dass die Entfaltung der Artcharaktere, geradeso wie die des Individuums nur der Ausdruck einer Kräfte-Resultante ist, deren Compo - nenten, die Ide, keineswegs völlig gleich sind. Die grössere Mehrzahl dieser Ide wird allerdings sämmtliche Art-Determi - nanten enthalten, d. h. die sämmtlichen Charaktere der Art aus sich allein schon hervorzubringen im Stande sein, aber eine Minderzahl wird die phyletische Umwandlung ihrer Determi - nanten, welche eben die Entstehung und Herausbildung dieser Art ausmachten, noch nicht eingegangen sein. Diese Minder - zahl wird auch unter sich nicht in allen ihren Determinanten gleich sein müssen, sondern das eine Id wird etwa nur unver - änderte Determinanten der Stammart enthalten, während ein anderes schon eine grössere Übereinstimmung mit den reinen Iden der heutigen Art zeigen mag, aber doch noch einige alte Determinanten beibehalten hat und so fort. Eine derartige allmälige Umwandlung der Ide in Bezug auf eine grössere Anzahl von Determinanten muss wohl den Process der Art - bildung ausmachen, und es entspricht durchaus dem Princip der Variation, wenn wir annehmen, dass gerade wie bei den für uns sichtbaren Lebenseinheiten, den Einzelligen, den Personen und Stöcken die Abänderung bei einzelnen Individuen in ver - schiedenem Grade und verschiedener Richtung auftritt, dies auch bei den unsichtbaren niederen Lebenseinheiten, dem Id und dem Biophor der Fall sei. So wird also die oben vor - läufig gemachte Annahme, dass das Keimplasma einer Art in Bezug auf die Artcharaktere aus lauter iden -23*356tischen Iden bestünde genau genommen nicht richtig sein können; dasselbe muss sich vielmehr zusammen - setzen aus einer Mehrzahl von vollständig abgeän - derten und mit den neuen Art-Determinanten ver - sehenen Iden, und einer Minderzahl nur unvollkommen oder wohl auch gar nicht abgeänderter Ide der Stamm - art. Die Zahl der Letzteren wird durch Selection der Indi - viduen im Laufe der Zeiten allmälig abnehmen, und damit werden die neuen Artcharaktere mehr und mehr ihre ursprüng - liche Veränderlichkeit verlieren. Durch Naturzüchtung wird das Keimplasma mehr und mehr von seinen nur wenig oder noch gar nicht in der neuen Richtung abgeänderten Iden be - freit, indem die minder gut angepassten Individuen eben die sind, in deren Keimplasma noch eine grössere Zahl nicht um - gewandelter Ide enthalten ist. Da nun diese, die Individuen, nach und nach im Kampf ums Dasein ausgemerzt werden, so wird sich die Zahl der nichtabgeänderten Ide in den folgenden Generationen immer mehr verringern müssen, und dieser Züch - tungsprocess des Keimplasma’s wird erst zum Still - stand kommen, wenn die Zahl der nicht oder unvoll - kommen abgeänderten Ide so klein geworden ist, dass ihr Einfluss in Bezug auf die Ausbildung der für die Art wesentlichen Charaktere verschwindend klein geworden ist.

Dieser Process der Umzüchtung der Keimplasma-Ide wird aber einmal sein Ende erreichen, und zwar, wie jeder Züchtungs - process dann, wenn eine Fortsetzung desselben keinen weiteren Vortheil mehr mit sich führen würde. Wie irgend eine An - passung einer Thierart sofort stehen bleibt und sich nicht mehr weiter vervollkommnet, sobald eine weitere Steigerung nutzlos wäre, so wird auch der ihr zu Grunde liegende Umwandlungs - und Ausmerzungsprocess der Ide aufhören, sobald die voll -357 kommen umgewandelten so stark in der Majorität sind, dass die andern nur noch einen verschwindend kleinen Einfluss auf die Beschaffenheit der Nachkommen ausüben können. Die nütz - lichen, auf neue Anpassungen abzielenden Charaktere werden dann bei der normalen Fortpflanzung, d. h. bei der Vermischung von Individuen der Art untereinander, stets zur vollen Aus - bildung gelangen, trotzdem im Keimplasma einige nicht ab - geänderte Ide enthalten sind. Es ist ganz so wie z. B. bei der Blattähnlichkeit eines oft genannten Schmetterlings, der Kallima parallecta. Diese Ähnlichkeit ist eine sehr weitgehende, aber dennoch keine vollkommne; auf die zusammengeklappten Flügel ist das Bild des Blattes mit Mittel - und Seitenrippe, mit stärker und schwächer angefaulten, mit trockeneren und feuchteren Stellen, ja selbst mit einem Thautropfen darauf gemalt, aber nicht sämmtliche Seitenrippen sind eingezeichnet, sondern nur einige nach rechts und einige nach links abgehende. Dies genügt vollkommen, um verfolgende Vögel zu täuschen, eine noch genauere Copie der Blattzeichnung würde die Täuschung nicht mehr erhöhen, die ja nur für eine gewisse Entfernung wirksam zu sein braucht, deshalb hat sie sich nicht gesteigert, sondern ist auf diesem Stadium der Ähnlichkeit zum Stillstand gekommen. Ganz ebenso muss es sich mit der Umwandlung der Ide des Keimplasma’s verhalten, wenn es sich um eine neue Anpassung der Art handelt; es wird auch hier nicht der Zustand absoluter, sondern nur der einer relativen Vollkommenheit erreicht werden, nicht alle, sondern nur der grössere Theil der Ide kann durch Selection zur Umwandlung gebracht werden, ein kleinerer Theil muss lange Zeiten und Generationen hindurch in unverändertem oder wenig veränderten Zustand mitgeführt werden.

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Ich habe diese Episode über die Art-Umwandlung des Keimplasma’s hier einschalten müssen, um meine Erklärung für die Thatsache der ontogenetischen Verschiebung der Vererbungs-Resultante verständlich erscheinen zu lassen. Es ergiebt sich aus dem oben entwickelten Vorgang der all - mäligen Umprägung der Keimplasma-Ide und dem Mitführen nicht umgewandelter Ide, dass jedes Art-Keimplasma ein Gemisch aus Iden von etwas verschiedenem Gepräge sein muss. Denn es werden zwar viele Charaktere einer Art gleichzeitig, viele andere aber auch successiv im Laufe langer Generationsfolgen aufgetreten sein, und nicht alle Charaktere der Art werden in der gleichen Zahl von Iden als Determinanten enthalten sein. Vielmehr müssen die ältesten Charaktere in nahezu allen, etwas jüngere in einer überwiegenden Mehrzahl, noch jüngere vielleicht immer noch in der Mehrzahl der Ide enthalten sein, während solche Charaktere, die eben erst an - gefangen haben, nützlich zu sein, noch lange nicht in der Majorität der Ide jeden Individuums enthalten sein werden.

Dies fällt offenbar zusammen mit dem Grade von Variabilität der Charaktere, der ja bekanntermassen bei verschiedenen Cha - rakteren einer Art ein sehr verschiedener sein kann. Charaktere, die eben erst anfangen gezüchtet zu werden, können nur in einer Minderheit von Individuen durch eine Majorität von Iden vertreten sein, Charaktere von geringerer Variabilität sind solche, die schon seit längerer Generationsreihe gezüchtet und deshalb schon in zahlreichen Iden zahlreicher Individuen vorhanden sind, solche Charaktere endlich, die bereits längst ein fester Besitz sämmtlicher oder nahezu sämmtlicher Individuen der Art ge - worden sind, müssen auch in nahezu allen Individuen in der Majorität der Ide vertreten sein. Umgekehrt müssen solche Eigenschaften, welche anfangen für die Art werthlos zu werden, nur in einer immer grösseren Minderheit359 von Iden enthalten sein, sie müssen allmälig abnehmen bis zu dem Punkt, wo ihre Zahl so gering ist, dass sie den be - treffenden Charakter nicht mehr hervorbringen können der erdrückenden Majorität der übrigen Ide gegenüber.

Fassen wir das Keimplasma in dieser Art auf, so lässt sich verstehen, dass die Vererbungsstärke bei Kreuzung zweier Arten im Laufe der Ontogenese wechseln kann, dass in einem Charakter die väterliche Tendenz dominirt, im andern die mütterliche. Denn sehen wir auch ganz ab von der möglicher - weise ja auch verschiedenen Vererbungsstärke der einzelnen De - terminanten, und nehmen diese bei den gekreuzten Arten als gleich an, so wird doch die Zahl der Ide, welche homodyname Determinanten enthalten, je nach dem Alter des betreffen - den Charakters verschieden sein müssen. Die grössere Zahl von Iden mit homodynamen Determinanten wird aber eine grössere Vererbungsstärke bedeuten. Wenn die Blüthenform der Art A ein sehr alter Erwerb, die Blattform aber ein sehr junger Er - werb ist, und wenn es sich bei der mit A gekreuzten Art B umgekehrt verhält, so wird der Mischling in der Blüthenform mehr der Art A, in der Blattform mehr der Art B nach. schlagen müssen. Bei der Art A werden mehr homodyname Determinanten für die Blüthenanlage einer geringeren Zahl homodynamer Determinanten der Art B gegenüber stehen; bei Letzterer aber wird die Zahl homodynamer Determinanten der Blattanlage die grössere sein. Die Bedeutung des ganzen Princips wird in dem folgenden Abschnitt noch klarer her - vortreten.

Kampf der individuellen Merkmale.

Bei der bisherigen Untersuchung wurde von dem Verhalten der individuellen Merkmale der beiden Eltern abgesehen; sie durften bei der Kreuzung von Arten den Art-Unterschieden360 gegenüber als verschwindend klein betrachtet werden. Wir wenden uns jetzt zu solchen Fällen, in welchen die beiden Eltern sich nur durch die kleinen individuellen Charaktere unterscheiden, und müssen uns hier an den Menschen halten, da wir bei diesem das Individuelle am schärfsten zu erkennen vermögen.

Bei der Fortpflanzung und Vererbung des Menschen tritt vor Allem ein Unterschied gegenüber der Bastardbildung im Pflanzenreich hervor und dies ist: die Ungleichheit der von einem Elternpaar abstammenden Kinder. Bei den Pflanzen - mischlingen sind die Nachkommen einer Kreuzung auffallend constant, und nicht einmal blos die Kinder eines Elternpaares, sondern alle Kinder, die durch Kreuzung beliebiger Pflanzen der beiden Arten erhalten werden, wenn diese selbst constant sind.

Die Ungleichheit der Kinder eines menschlichen Eltern - paares wurde oben schon berührt und auf die stets wieder in anderer Weise halbirende Reductionstheilung des Keimplasma’s zurückgeführt, durch welche bei grösserer Idantenzahl eine er - staunliche Menge verschiedener Mischungen desselben bewirkt wird. Da diese Idanten in Bezug auf die individuellen An - lagen sehr verschieden sind, so kommen also dabei stets wieder neue Mischungen individueller Anlagen zu Stande, während die Art-Merkmale davon nicht berührt werden.

Wenn wir es versuchen wollen, die Art und Weise, wie die Charaktere der Eltern sich im Kinde mischen, zu erklären, d. h. auf idioplasmatische Vorgänge zurückzuführen, so stehen wir auch hier drei Hauptfällen gegenüber: 1. Das Kind hält die Mitte zwischen den Charakteren der Eltern, 2. das Kind folgt dem einen Elter allein ganz oder vor - wiegend nach, und 3. die Charaktere des Kindes folgen abwechselnd bald dem Vater, bald der Mutter nach.

Der erste Fall wäre, falls er überhaupt rein vorkommt, auf genau die gleiche bestimmende Kraft sämmtlicher Determi -361 nanten zu beziehen. Die Zahl der Idanten ist hier als gleich zu nehmen, da es sich um dieselbe Art handelt, diejenige der Ide wird wohl auch nur geringe Unterschiede aufweisen können; weiter wird auch die Zahl der Determinanten des Keimplasma’s ganz oder doch nahezu bei beiden elterlichen Keimzellen die - selbe sein können. Theoretisch würde auf dieser Grundlage eine reine Mittelform dann entstehen, wenn jeder Determinante des Vaters eine homologe Determinante der Mutter entgegen - stünde und wenn diese homologen Determinanten genau von der gleichen bestimmenden Kraft wären, d. h. wenn sie gleich - viel Biophoren enthielten, und wenn die homologen Biophoren beider Seiten gleich starke Assimilations - und Vermehrungskraft besässen. Das sind Voraussetzungen, welche schwerlich jemals alle zusammen eintreffen werden, aber annähernd und für eine gewisse Anzahl von Charakteren werden sie zutreffen können.

Es kann wohl nicht bezweifelt werden, dass auch der zweite Fall vorkommt, dass es Fälle giebt, in welchen das Kind nur dem einen Elter nachfolgt, sei es dem Vater oder der Mutter, und zwar nicht nur in dem, was wir gewöhn - lich Ähnlichkeit nennen, in Gesichtsbildung und Ausdruck, sondern ebenso sehr in Statur, Wuchs, Verhältniss der Glied - maassen, Haut - und Haarbeschaffenheit, Charakter und Tem - perament.

Die Schwierigkeit der Erklärung ist hier eine doppelte: erstens fragt es sich, wie es möglich sein soll, dass alle An - lagen des einen Elters, z. B. des Vaters, in einer seiner Keim - zellen enthalten sein können, da sein Keimplasma doch vor der Fertigstellung dieser Keimzellen durch die Reductionstheilung halbirt wurde, und zweitens, wie es kommt, dass das Keim - plasma der Mutter ganz ohne Einfluss auf die Bildung des Kindes bleibt?

Fassen wir zunächst die erste Frage ins Auge, wie es362 möglich sei, dass trotz der Reductionstheilung des Keimplasma’s dennoch alle Charaktere des Vaters in einer seiner Keimzellen enthalten sein können? Wäre die Halbirung durch die Re - ductionstheilung nur eine Massentheilung, so bedürfte es keiner weiteren Erklärung, denn die Qualität der Massenhälfte könnte genau dieselbe bleiben, die sie vorher im Ganzen war, allein es handelt sich dabei um eine Reduction der Einheiten des Keim - plasma’s auf die halbe Zahl, die Id-Ziffer wird auf die Hälfte herabgesetzt, und da wie die Pflanzen-Bastarde zeigten der Bau des Kindes die Resultante der im Keimplasma sich vereinigenden Ide beider Eltern ist, so versteht man nicht, wieso die halbe Zahl dieser Ide dennoch die vollen Charaktere des Elters hervorbringen kann. Es ist dabei, genau genommen, einerlei, ob es sich um alle oder nur um einen Charakter handelt, denn jeder einzelne Charakter beruht ja auf dem Zu - sammenwirken sämmtlicher Ide der betreffenden Onto-Stufe.

Es giebt hier nur einen Ausweg, dieser aber beruht auf der durch Thatsachen erhärteten Annahme, dass auf jeder Onto-Stufe1) Onto-Stufe ist eine Abkürzung für ontogenetische Stufe oder Entwickelungsstufe . die Ide des einen Elters in ihrer be - stimmenden Kraft gleich Null werden können. In dieser Hinsicht sind die Beobachtungen an Pflanzen-Bastarden unschätzbar, weil wir bei diesen sicher wissen, dass die Ide der andern Art vorhanden sind, wenn sie auch in ihren Wir - kungen nicht sichtbar werden. Die scheinbar einelter - liche Vererbung bei ihnen gestattet uns den Schluss, dass die Ide des einen Elters durch die des andern von der Bestimmung der Zelle, Zellengruppe oder des ganzen Theiles ausgeschlossen werden können, wie das oben ausgeführt wurde.

Wir werden also annehmen dürfen, dass, wenn bei der363 Reductionstheilung alle diejenigen Idanten in eine Keimzelle, z. B. in eine der Mutter, gelangen, welche bei der Onto - genese dieser Mutter die bestimmenden (domi - nirenden) gewesen waren, diese Keimzelle unter Um - ständen im Stande sein wird, das mütterliche Bild 1)Unter dem Ausdruck Bild verstehe ich die Gesammtheit wesentlicher Merkmale, welche zusammen das Individuelle des einzelnen Menschen ausmachen. im Kinde wieder hervortreten zu lassen. Damit dies aber geschehen könne, wird es nöthig sein, dass sie sich mit einer Samenzelle verbindet, deren Keimplasma im Allgemeinen von schwächerer bestimmen - der Kraft ist, als ihr eigenes, über welches sie also selbst wieder dominirt .

Die bestimmende Kraft des Idioplasma’s wird hier, wie bei der Kreuzung von Arten nicht immer von derselben Ur - sache abhängig sein.

Gewisse Fälle stärkerer Vererbungskraft einzelner Charak - tere lassen ein tieferes Eindringen nicht zu. So hebt schon Darwin die weisse Farbe bei Blumen, aber auch bei Thieren als eine Eigenschaft hervor, die sich sehr leicht auf die Nach - kommen überträgt, wenn weisse Individuen mit dunkel ge - färbten gekreuzt werden; die Mehrzahl der Nachkommen erbt die weisse Farbe. Man kann hier nur annehmen, dass die Bio - phoren, deren Herrschaft in der Zelle das Weiss hervorruft, stärker sein müssen, als andere, die Bildung von Pigment veranlassende Determinanten, und zwar wird man diese Stärke in einer grösseren Assimilationskraft suchen müssen.

Anders steht es in vielen andern Fällen, in denen sich die grössere Vererbungskraft auf quantitative Unterschiede in der Zusammensetzung der väterlichen und der mütterlichen Idanten-Gruppe beziehen lässt.

Allerdings wird die Zahl der Ide bei allen Individuen der364 Species Mensch ganz oder doch nahezu die gleiche sein1)Individuelle Schwankungen der Idenzahl wären denkbar, da - gegen wird die Zahl der Idanten wohl immer dieselbe sein, wenn man nach der Constanz der Idantenzahl bei vielen Thieren und Pflanzen schliessen darf. Leider kennen wir die Idantenzahl des Menschen noch nicht, wenigstens habe ich keine Angabe darüber finden können., aber ein Übergewicht der Ide des Vaters oder der Mutter kann dennoch dadurch eintreten, dass, wie schon bei den Bastarden gezeigt wurde, auf der Seite des einen Elters eine grössere Zahl homodynamer Determinanten steht.

Wir verstanden unter homologen Determinanten die - jenigen Elemente des Idioplasma’s, welche die homologe Körper - stelle oder Determinate zu bestimmen im Stande sind, unter homodynamen Determinanten aber diejenigen unter homo - logen Determinanten, welche derselben Körperstelle den gleichen Charakter aufzuprägen geeignet sind, welche also in dem oben gebrauchten Beispiel den Fleck auf dem Flügel eines Schmetter - linges in derselben Farbe und Form hervorzurufen streben. Es unterliegt nun keinem Zweifel, dass die bestimmende Kraft desjenigen Elters die grössere sein muss, dessen Ide viele homo - dyname Determinanten enthalten, oder doch eine grössere An - zahl von solchen, als sie in den Iden des andern Elters ent - halten sind. Homodyname Determinanten werden ihre be - stimmende Kraft einfach summiren, während ungleiche oder heterodyname Determinanten im besten Falle zu einer Resul - tante zusammenwirken können, unter Umständen aber auch sich in ihrer Wirkung gegenseitig hemmen, ja vielleicht aufheben werden. Je mehr homodyname Determinanten auf irgend einer Onto-Stufe in der Gesammtheit der Ide eines Elters enthalten sind, um so grösser also ist die Aussicht für diesen, im Kampf der Theile, welcher sich in der Zelle abspielt, Sieger zu bleiben und derselben seinen Stempel mehr oder weniger rein aufzudrücken.

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Gesetzt, es handele sich um die Farbe der Augen; die Mutter habe blaue, der Vater braune Augen. Die Zahl der väterlichen und der mütterlichen Ide im Idioplasma der Pig - mentzellen der Regenbogenhaut sei zwar die gleiche, aber beim Vater seien neun Zehntel der Ide aus braunen 1)Wenn ich hier von braunen und blauen Determinanten spreche, so geschieht dies nur der Kürze halber. Es ist mir nicht unbekannt, dass das Blau der Iris nicht auf blauem Pigment beruht. Der Ausdruck bedeutet, dass die Determinante der Iris eine Structur ertheilt, welche sie blau oder braun erscheinen lässt, einerlei, durch welche histologische Mittel dies geschieht. So auch bei allen späteren Anwendungen dieser Redeform. Determinanten zusammengesetzt und nur ein Zehntel aus andersfarbigen, wäh - rend die Ide der Mutter zwei Drittel blaue und ein Drittel braune Determinanten enthielten. Im Kind wird dann höchst wahrscheinlich die Iris braun werden, da die neun Zehntel braune Determinanten des Vaters sich mit dem einen Drittel homodynamer Determinanten der Mutter zu einer Gesammt - wirkung verbinden werden. Der Sieg der braunen Determi - nanten würde aber auch dann noch sicher sein, wenn in den Iden der Mutter gar keine braunen Determinanten enthalten wären, sondern statt deren etwa grüne oder rothe an - genommen, es gäbe grüne oder rothe Pigmentzellen in der Iris des Menschen. Denn in diesem Falle würden neun Zehntel der väterlichen Determinanten verschiedenen kleinen Gruppen hetero - dynamer Determinanten der Mutter gegenüber stehen. Mög - licherweise könnten diese Letzteren das Braun, welches die väterliche Determinantengruppe allein hervorrufen würde, modi - ficiren, indem auch sie einen Theil des Zellkörpers bestimmten, aber es ist ebensowohl denkbar, dass sie gänzlich durch die väterlichen Determinanten überwunden und von der Bestimmung der Zelle ausgeschlossen würden. Wie sich da im einzelnen Falle der Kampf der Theile gestaltet, entzieht sich, wie gesagt,366 für jetzt noch gänzlich unserer Schätzung, dass aber unter Voraussetzung gleicher bestimmender Kraft der Determinanten ihre Zahl von entscheidender Bedeutung sein muss, unterliegt keinem Zweifel.

Da nun durch die geschlechtliche Fortpflanzung die Mischungs - verhältnisse des Keimplasma’s in jedem neuen Idividuum wieder anders sich gestalten, so wird auch die Zahl homodynamer De - terminanten irgend eines Merkmals sich immer wieder ändern müssen. Im Capitel über Variation wird sich zeigen, dass sogar Selectionsprocesse eine Steigerung oder Abnahme der Zahl homo - dynamer Ide einzelner Charaktere bewirken können, auch wenn dieselben biologisch nicht wichtig genug sind, um jemals zu Art-Charakteren werden zu können.

Dasselbe Spiel der Kräfte muss sich also in Bezug auf in - dividuelle Charaktere geltend machen, wie bei den Art-Charak - teren. So gut bei den Pflanzenbastarden der Vater die Blatt - form, die Mutter die Blüthenform oder umgekehrt bestimmen können, so gut kann beim menschlichen Kind die Augenfarbe vom Vater, die Mundform von der Mutter geerbt werden. Ob ein Charakter dem einen oder dem andern Elter folgt, hängt in beiden Fällen davon ab, ob die Idantengruppe eines Elter eine überwiegende Majorität homodynamer Determi - nanten dieses Charakters enthält. Ist dies der Fall, so unter - drückt diese Majorität die zersplitterte Minorität des andern Elters.

Weder hier noch dort ist es nothwendig, dass das Über - wiegen des Vaters in einem Charakter dessen Herrschaft in allen übrigen Merkmalen bedingt. Das Keimplasma besteht aus der gleichen Zahl väterlicher und mütterlicher Idanten und Ide, welche sich während der ganzen Ontogenese gleich bleibt. Nach unserer Voraussetzung enthält jedes Id des Keimplasma’s sämmtliche Determinanten der Art, z. B. die Determinante a für367 den Charakter A, die Determinante b für den Charakter B. Nun brauchen aber nicht alle Keimplasma-Ide lauter homodyname Determinanten zu enthalten; wenn Id I die Determinante a1 ent - hält, so enthält Id II vielleicht für den homologen Charakter die Determinante a2, Id III die Determinante a3, Id IV die De - terminante a4 u. s. w. Nichts hindert, dass dasselbe Id I, welches die Determinante a1 für den Charakter A enthält, für den dem Charakter B homologen Charakter nicht die Determinante b, sondern b2 enthält. Bezeichnen wir die Determinanten der ent - sprechenden Charaktere, also derjenigen, die für einander vica - riiren können, mit denselben Buchstaben, so kann ein bestimmtes Id, z. B. Id I des Keimplasma’s die Determinanten a1, b2, c4, d3, e1, f5, g6, h8, i5 u. s. w. enthalten. Wenn nun im Keimplasma des Vaters Id I, Id II, Id III, Id IV u. s. w. bis zum letzten Id, welches ich einmal als Id XX bezeichnen will, alle für den Charakter A die Determinante a1 enthalten, und keines derselben eine der Variationen a2, a3 u. s. w., so wird diese Determinante a1 stärker sein, als jede andere von der Mutter her im Idioplasma der betreffenden Zelle etwa vorkommende Variante von a, falls keine dieser Varianten die Ziffer 20 erreicht. Es wird also der Charakter A1 der betreffenden Zelle oder Zellen - gruppe aufgeprägt werden, nicht der von A2 oder A3. In Bezug auf den Charakter B kann sich dies ganz anders verhalten, in - dem hier die Determinante b3 oder b4 u. s. w. in den meisten Iden und Idanten die dominirende sein kann; dann wird also B3 oder B4, kurz eine der anderen Varianten von B hervor - gerufen werden.

Wenn nun die Gruppe der väterlichen Idanten der der mütterlichen zweien Kraftcentren verglichen werden kann, von welchen jedes die Herrschaft über die Zelle zu erlangen be - strebt ist wenn man dieses Bild gestattet , so wird jede dieser beiden Kräfte bestimmt werden durch die Einzelkräfte368 der sie zusammensetzenden Idanten, die Kraft jedes Idanten aber durch die Einzelkraft jedes den Idanten zusammensetzenden Id’s. Es seien z. B. auf jeder Seite zwei Idanten, und von diesen bestünde jeder aus zehn Iden, und es handele sich um die Entscheidung, welche Variante des Charakters A factisch gebildet werden solle, so könnte z. B. folgende Sachlage die Entscheidung geben. Die väterlichen Idanten P1 und P2 könnten sich aus je 10 Iden zusammensetzen, von denen je 6 und 8 die - selbe Determinante a5 enthielten. Dann würden die beiden Idanten übereinstimmend den Charakter A5 herbeizuführen streben, und zwar mit einer bestimmenden Kraft von 6 + 8 = 14 Iden. Die mütterlichen Idanten M1 und M2 sollen ebenfalls je 10 Ide enthalten; M1 setzt sich aus 2 Determinanten a, 4 Determi - nanten a3, 3 Determinanten a7 und 1 Determinante a10 zusammen; dieser Idant M1 wird demnach den Charakter A3 mit einer Kraft von nur 4 Iden zu bilden bestrebt sein. Wenn nun der andere mütterliche Idant M2 etwa auch den Charakter A6 mit allen seinen Iden, also mit einer Kraft von 10 Iden herbeizuführen bestrebt wäre, so würde doch die väterliche über die mütter - liche Idantengruppe den Sieg davontragen, weil 14 väterliche homodyname Ide gegen 10 mütterliche stehen. Möglicherweise würden in diesem Falle beide Elterngruppen den Charakter ge - meinsam bestimmen, die väterliche aber stärker, als die mütter - liche. Würden aber z. B. 18 homodyname Ide des Vaters gegen nur 4 homodyname Ide der Mutter stehen, so würde der Ein - fluss der Letzteren in Bezug auf den Charakter A ganz unter - drückt werden. So müssen wir wenigstens aus der Thatsache schliessen, dass die Charaktere des einen Elters rein vererbt werden können, ohne sichtbare Beimischung der entsprechenden Charaktere des andern Elters. Gerade dieser Punkt der Theorie scheint mir wie oben schon gesagt wurde der sicherste zu sein, zu dessen Annahme die Thatsachen geradezu zwingen,369 sobald man die Erfahrungen an den Pflanzenbastarden mit ver - werthet. Die bestimmende Kraft der väterlichen oder mütter - lichen Idantengruppe kann in Bezug auf die einzelnen Merk - male und Merkmalsgruppen eine ganz verschiedene sein, je nach der Zahl homodynamer Determinanten der betreffenden Merkmale. Ferner aber hängt es nicht nur davon ab, ob das einzelne Merkmal väterlich oder mütterlich, oder gemischt aus - fällt, sondern von der Gesammt-Zahl der homodynamen Deter - minanten diesseits und jenseits.

Wenn ich hier immer von Idanten gesprochen habe, so wollte ich damit nicht sagen, dass jeder Idant für sich als ein Ganzes wirke. Ebensowenig stelle ich mir vor, dass die Gesammtheit der väterlichen Ide als eine Kraft-Resultante der Gesammtheit der mütterlichen Ide gegenüber stehe. Es ist sehr wohl denkbar, dass dieselben homodynamen Ide auf beiden elterlichen Seiten vorkommen, und diese werden ebenso gut ihre Wirkung summiren, als wenn sie alle auf einer Seite lägen; bei naher Inzucht müssen sogar homodyname Ide häufig bei beiden Eltern vorkommen, und ebenso bei Arten, welche in relativ ge - ringer Individuenzahl auf kleinen isolirten Wohngebieten wohnen.

Es ist klar, dass dieser Kampf der Eltern-Ide auf jedem Punkte der Ontogenese stattfindet, und dass die Entscheidung anders ausfallen muss, je nach dem Stande der Kräfte auf diesem Punkte. So erklärt sich der so häufige Wechsel in der Eltern-Nachfolge oder der Mischung der Eltern-Charaktere in den verschiedenen Theilen des Körpers.

Mir scheint, dass die Thatsachen, so viele deren mir bekannt sind, mit dieser Erklärungsweise in befriedigender Weise stimmen. Ich habe mich bemüht, im Hinblick auf diese bisher noch nicht scharf ins Auge gefasste Frage neue Thatsachen zu sammeln. Es ist leider schwerer, als man glauben sollte, aber ich will Einiges davon anführen.

Weismann, Das Keimplasma. 24370

Es giebt Fälle, in welchen ein grösserer Theil dem Vater, einzelne Untertheilstücke desselben aber der Mutter nachfolgen. Dies würde unerklärbar sein, wenn nicht das Ganze von der Resultante einer andern Determinante bestimmt würde, als das Einzelne. Die eine, die Urzelle des ganzen Theils bestimmende Determinante und ihre unmittelbaren Nachfolger entscheiden dann zunächst über den Rhythmus der Zelltheilung und die erste Gestaltung des ganzen Organs, aber auf jedem folgenden Stadium tritt je eine der folgenden Determinanten bestimmend auf, und da deren Einfluss immer die Resultante aus den homologen Determinanten sämmtlicher Ide der Zelle ist, so kann zu jeder Zeit ein Wechsel zwischen väterlicher und mütterlicher Nachfolge eintreten.

Ich kenne eine Persönlichkeit, bei welcher die ganze Haut, soweit sie vom äussern Keimblatt herrührt, dem Vater nach - gebildet ist. Bei Vater und Kind ist die Epidermis dick, leicht verhornend, kielige Nägel an der Hand, dicke Schwielenbildung an der Fusssohle. Hier muss also die Kraftresultante der väter - lichen Determinanten von der Ur-Ektodermzelle ab durch lange Zellfolgen hindurch immer stärker gewesen sein, als die mütter - liche. Bei der, ebenfalls vom äussern Keimblatt ausgehenden Bildung des Gehirns scheint aber umgekehrt die Resultante der mütterlichen Determinanten die stärkere gewesen zu sein, denn in den meisten geistigen Anlagen gleicht die betreffende Persönlichkeit der Mutter, in Verstand, Talenten und Willens - energie. Das ist einfach dadurch möglich, dass die Determi - nanten der späteren Nachkommen der Ur-Ektodermzelle auf sie selbst noch keinerlei Einfluss ausüben konnten; sie waren noch latent und wurden nur von ihr an ihre Nachkommen weiter gegeben. Wenn nun spätere Nachkommen dieser Ur - Ektodermzellen die Anlage des Gehirns bilden, und in ihren Iden sind mehr homodyname Determinanten der Mutter, als371 des Vaters vorhanden, so wechselt hier die Eltern-Nach - folge.

In meinem Fall scheint nicht das ganze Gehirn der Mutter gefolgt zu sein, denn in dem betreffenden Charakter kommen auch sehr prägnante väterliche Züge vor. Nach unserer Theorie ist auch ein solcher mehrfacher Wechsel der Vererbungstendenzen ganz wohl als vom Keim her vorausbestimmt dadurch zu be - greifen, dass die Kraft der väterlichen und natürlich ebenso die der mütterlichen Ide durch jeden weiteren Theilungsschritt der Ide in der Ontogenese verändert, und das Verhältniss zwischen mütterlicher und väterlicher bestimmender Kraft verschoben werden kann. Man wird im Allgemeinen sogar erwarten dürfen, dass in den meisten Fällen bald die eine, bald die andere Gruppe überwiege, und dass somit das Kind immer aus einem örtlich wechselnden Gemenge ererbter Charaktere zusammengesetzt sei. Die Theile oder Organe, welche demselben Elter folgen, werden dabei sehr verschieden gross sein können, denkbarerweise von einer Zelle bis zu einem ganzen Organ, oder Keimblatt, oder sogar dem gesammten Organismus hin.

Im Allgemeinen entsprechen die Thatsachen diesem Schluss aus der Theorie, denn selten oder wohl nie ist ein Kind die genaue Wiederholung des Vaters oder der Mutter. Es ist zwar sehr schwer, darüber ein sicheres Urtheil zu gewinnen, da dazu eine genaue Kenntniss von Elter und Kind aus entsprechenden Lebensaltern gehörte, und da eine genaue Vergleichung über - haupt nur bei Vater und Sohn, Mutter und Tochter möglich ist. Man müsste also Photographien von Vater und Sohn aus denselben Lebensaltern vergleichen können, was meines Wissens bisher zum Behuf von Vererbungsstudien noch nie ge - schehen ist. Auch müsste der ganze Körper aufgenommen werden, nicht blos das Gesicht.

Soweit die heute übersehbaren Thatsachen reichen, weicht24*372das Kind auch in Fällen grosser Ähnlichkeit doch immer vom Elter ab, oft in einzelnen Charakteren, noch öfter wohl in un - bestimmbaren, wenig charakteristischen Dingen, wie z. B. in der Länge der Gliedmaassen, Farbe der Haare oder der Augen, Dichte der Behaarung u. s. w. Man kann dann nicht sagen, diese Theile folgten dem andern Elter nach, aber man hat den Ein - druck, als sei hier die Haupt-Vererbungsrichtung ein wenig in unbestimmbarer Weise abgelenkt. Es überwiegt also hier beim Kind so sehr die Ähnlichkeit mit z. B. der Mutter, dass Jeder - mann sagt, diese Tochter sei ein reines Abbild der Mutter, allein genaue Vergleichung ergiebt, dass von einer wirklichen Übereinstimmung nicht die Rede sein kann, und dass zwar kein einziger väterlicher Charakter vorhanden ist, dennoch aber eine Menge Verschiedenheiten von den entsprechenden Theilen der Mutter. Wenn man sich der identischen Zwillinge erinnert, wird man nicht zweifeln, dass manche der kleinen Verschieden - heiten zwischen ihnen auf Verschiedenheiten des Keimplasma’s beruhen müssen und nicht auf verschiedenen äusseren Einflüssen. Dies heisst aber nichts Anderes, als dass das Keimplasma beider Eltern einen Antheil an der Bestimmung der kindlichen Theile genommen hat, wenn auch vielleicht das des einen nur einen geringen und wenig markirten, d. h. einen solchen, der mehr in einer geringen Ablenkung z. B. der mütterlichen Charaktere, als in der Ausbildung specifisch väterlicher besteht.

Wenn diese Ansicht richtig ist, wenn niemals blos das Keimplasma des einen Elters allein den Aufbau des Kindes bestimmt, dann leuchtet um so mehr ein, dass auch bei dem grössten Übergewicht der Vererbungsrichtung des einen Elters dennoch Mutter und Tochter niemals die Ähnlichkeit identischer Zwillinge erreichen können. Denn wie das Bild der Tochter durch den schwachen Einfluss des väterlichen Keimplasma’s etwas von dem Bild abgelenkt wird, welches aus dem mütter -373 lichen Keimplasma allein entstanden sein würde, so muss auch bei der Mutter selbst, falls auch sie ihr Wesen dem Vorwiegen des einen elterlichen Keimplasma’s verdankt durch den schwä - cheren Einfluss des andern Elters ein Wenig abgelenkt worden sein. Es ist aber nicht möglich, dass die vollständigen Keim - plasmen beider Grosseltern in der Keimzelle der Mutter ent - halten waren, aus welcher die Tochter hervorging, da ja die Reductionstheilung die Hälfte des Keimplasma’s aus der Eizelle entfernt, bevor Befruchtung eintritt. Wenn also auch die das Bild der Mutter wesentlich bestimmende Idantengruppe in der Eizelle zurückblieb, aus welcher sich die Tochter entwickelte, so muss nothwendig die dieses Bild etwas modificirende Idanten - gruppe des andern Grosselters fehlen; folglich kann das Bild von Mutter und Tochter aus dem doppelten Grund nicht voll - ständig stimmen, weil bei der Entstehung der Tochter der Ein - fluss des einen Grosselters fehlt und weil der des Vaters hinzu - kommt.

Die folgenden Beispiele mögen zeigen, in wie verschieden - artiger Weise, der Theorie entsprechend, die elterlichen Vererbungstendenzen im Laufe der Ontogenese wechseln können. Beim Menschen, als einem bilateral gebauten Wesen, sind alle Theile doppelt vorhanden, die nicht in der Median - ebene liegen, und diese sich entsprechenden Organe fallen ge - wöhnlich ganz oder nahezu gleich aus in Bezug auf Vererbung. Wenn die eine Hand entschieden mütterlich ist, so ist es in der Regel auch die andere, und wenn das linke Bein ein Mittel aus den Charakteren beider Eltern ist, so ist es das andere genau in demselben Grade. Selbst ein so feines Merkmal, wie die Farbe der Augen, stimmt in der Regel in beiden Augen; selbst dann, wenn sie das Mittel aus der Farbe der Eltern ist, schwankt sie doch nur um eine leichte Schattirung. Man möchte geneigt sein, daraus auf eine einheitliche Anlage doppelter Or -374 gane im Keimplasma zu schliessen; dies wäre aber ein Trug - schluss, denn abgesehen von andern, früher schon erwähnten Thatsachen, die einer solchen Ansicht entgegenstehen, giebt es auch Ausnahmen von der Gleichheit doppelt vorhan - dener Organe. Bei Hunden, besonders Dogen, kommt manch - mal ein braunes und ein blaues Auge vor, und auch beim Menschen habe ich einen solchen Fall in Erfahrung bringen können. Er betrifft eine Familie in einem schwäbischen Städt - chen, bei welcher der Vater, ein Bierbrauer, blaue Augen hat, die Mutter braune, und ein Töchterchen von zwölf Jahren ein blaues und ein braunes Auge.

Abgesehen von diesen Fällen verlangt aber auch die häufig zu beobachtende einseitige Vererbung von Muttermälern und andern kleinen Merkmalen die Annahme doppelter De - terminanten für die sich entsprechenden Theile beider Körperhälften. Man wird sich also jedes Id des Keim - plasma’s der Bilaterien von vornherein bilateral gebaut zu denken haben, und zwar so, dass sämmtliche Determinanten des ganzen Körpers doppelt vorhanden sind, natürlich auch diejenigen der in der Medianebene scheinbar gelegenen Organe, da sie ja in Wahrheit auch aus zwei einander entsprechenden Hälften be - stehen. Bei zahlreichen thierischen Eiern entsprechen die beiden ersten Furchungszellen oder Blastomeren des Eies der rechten und der linken Körperhälfte des später daraus sich entwickeln - den Thieres. Hier wird also die erste Theilung des befruchteten Eikernes die Determinanten der rechten und linken Körperhälfte von einander trennen, ein Vorgang, der sich recht gut mit der thatsächlich eintretenden Längsspaltung der Idanten verträgt, da durch dieselbe jedes der sphärischen Ide halbirt wird.

Wie die Entstehung einer so auffallenden Übereinstimmung in den homologen Theilen der Antimeren oder Gegenstücke des Körpers zu erklären ist, gehört in die Umwandlungsge -375 schichte der Arten. Die Festhaltung dieser Ubereinstimmung bei der fortwährenden Kreuzung der Individuen beruht natür - lich eben auf dieser annähernden Gleichheit der entsprechenden linken und rechten Determinanten bei beiden Eltern. Es ist klar, dass nach unserer Vorstellung von dem Bau des Idio - plasma’s mit der Gleichheit der antimeralen Determinanten beider Eltern auch die Gleichheit der betreffenden Theile des Kindes gegeben ist, denn mit diesen Determinanten ist auch die Ver - hältnisszahl der auf mütterlicher und väterlicher Seite vor - handenen homodynamen Ide, und damit das Verhältniss zwischen der bestimmenden Kraft des väterlichen und mütterlichen Idio - plasma’s für das betreffende Organ gegeben. Da dies nun rechts und links gleich sein muss, so muss auch das Organ selbst auf beiden Seiten dieselbe Mischung väterlicher und mütterlicher Charaktere aufweisen, d. h. es muss rechts und links gleich sein.

Ich glaube nicht, dass diese Thatsachen sich durch irgend eine der andern theoretischen Annahmen vom Bau der Vererbungs - substanz verstehen lassen. Die Annahme von Pangenen z. B. könnte wohl erklären, dass eine Mischung väterlicher und mütter - licher Merkmale für das betreffende Organ, z. B. das äussere Ohr, überhaupt zu Stande käme, nicht aber, wieso dieselbe für das rechte und linke Ohr die gleiche sein müsste.

Für die Richtigkeit des auf anderem Wege gefundenen Satzes von der Vorausbestimmung der Vererbungsmischung eines jeden Theiles vom Keim aus scheinen mir gerade diese That - sachen ein weiterer und willkommener Beweis zu sein. Un - möglich könnte das rechte und linke Ohr gleich ausfallen, wenn nicht schon in der Beschaffenheit der mütterlichen und väter - lichen Idanten das Kraftverhältniss der beiderseitigen Ver - erbungstendenzen für sämmtliche Theile des Kindes im Voraus gegeben wäre.

Nun giebt es aber Ausnahmen von der Regel. Eine Ver -376 schiedenheit homologer Theile der beiden Antimeren kommt vor, wie erwähnt wurde; sie findet sich sogar bei gewissen Thieren häufig, wenn auch nur in Bezug auf Merkmale von untergeordneter biologischer Bedeutung. Es ist bisher der That - sache wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden, dass viele unserer Hausthiere in der Zeichnung ihrer Haut die ursprüng - liche Symmetrie verloren haben. Gescheckte Katzen, Hunde, Pferde, Kühe, Meerschweinchen sind keine Seltenheit und bilden den Beweis, dass die Symmetrie der Zeichnung durch Domestication vollständig verloren gehen kann. Die Erklärung wird davon ausgehen müssen, dass diese ursprünglich symme - trischen Färbungen durch die Domestication ihren biologischen Werth einbüssten. Wenn die Determinanten dieser Charaktere auf der rechten Seite anders variirten, als auf der linken, und wenn in Folge dessen das betreffende Thier gescheckt wurde, so brachte ihm dies keinen Nachtheil, es konnte trotzdem leben und Nachkommen hervorbringen. Paarten sich dann zwei ver - schiedentlich gescheckte Thiere mit einander, so entstand noch grössere Asymmetrie der Färbung und Zeichnung, wie denn thatsächlich bei manchen unserer Rinderrassen kein Stück mehr dem andern gleich ist in Bezug auf Zeichnung und ebenso bei vielen Hunden und bei den Meerschweinchen der gewöhnlichen Art. Wir wissen ja, von wie bedeutendem Werth für die Er - haltung des Individuums und der Art diese Zeichnungen und Färbungen im Naturzustand sein können; es wird deshalb gerechtfertigt sein, die Erhaltung ihrer Symmetrie von Natur - züchtung abhängig zu denken und den Verlust derselben auf Panmixie zu beziehen.

In Bezug auf die den Körper der gegliederten Thiere zu - sammensetzenden, hintereinander gelegenen Theilstücke, die Metameren, besitzen wir einige Thatsachen, welche beweisen, dass abwechselnd die mütterlichen und die väterlichen Charaktere377 herrschen können. Beim Menschen lässt sich dies begreiflicher - weise nicht nachweisen, da die metamerale Gliederung sich auf Knochen, Muskeln und Nerven beziehen, die äusserlich nicht sichtbar sind. Dass aber hintereinander folgende Theile, selbst wenn sie homolog sind, gelegentlich ein anderes Vererbungs - bild liefern können, glaube ich beobachtet zu haben. Die Arme eines Kindes nebst den Händen können rein mütterlich, und dennoch die Beine und Füsse rein väterlich sein. Ich habe mich bemüht, irgend welche Regeln aufzufinden, nach welchen gewisse der Ontogenese nach zusammenhängende Organe auch gleiche elterliche Mischung zeigen möchten, allein ich habe, ausge - nommen die Symmetrie der Körperhälften, nichts Sicheres finden können. Es scheint, dass hier alle Möglichkeiten auch Wirk - lichkeit werden können. Die Schädelform kann väterlich, das Gesicht mütterlich sein; die ganze Kopf - und Gesichtsform kann mütterlich und dennoch die Augen in ihrer ganzen Bildung väterlich sein. Das Grübchen im Kinn, welches der Vater be - sitzt, kann sich im Sohn wiederfinden, obwohl derselbe in Ge - sichtsform und Nase der Mutter viel ähnlicher ist, als dem Vater. Die Mischung der Eltern-Merkmale kann aber noch weit mehr ins Einzelne gehen, wie besonders die merkwürdige Verquickung elterlicher Geistesgaben andeutet. Es kann der Intellekt von der Mutter, das Wollen vom Vater stammen, die dichterische Begabung von der Mutter, Selbstlosigkeit vom Vater sich mit - einander verbinden, und Alles dies in einem Schädel enthalten sein, dessen Form wesentlich nur dem einen der Eltern gleicht. Gewiss aber sind diese Mischungen elterlicher Geistesmerkmale nicht immer leicht und nicht immer ganz sicher festzustellen, besonders auch weil diese geistigen Charaktere nicht immer in entgegengesetztem Sinne bei den Eltern entwickelt sind, sondern oft nur in Abstufungen. Aber so viel dürfte doch als sicher betrachtet werden, dass das Gehirn selten blos dem378 einen Elter in allen seinen Theilen und feinsten Struc - turverhältnissen nachfolgt, dass vielmehr meistens eine Mischung oder ein Wechsel elterlicher Verhältnisse eintritt, der von der allermannigfaltigsten Art ist.

Diese Thatsache möchte ich damit in Zusammenhang bringen, dass kein Körpertheil des Menschen so stark und so ins Ein - zelne hinein von Wichtigkeit für den Lebenserfolg, für den Kampf ums Dasein ist, als das Gehirn, dass deshalb seine Theile nie aussetzenden Selectionsvorgängen unterworfen sein müssen. Dieses aber ist gleichbedeutend damit, dass die Zahl homodynamer Determinanten in seinen einzelnen Theilen ausser - ordentlich verschieden beim Einzelnen, und ausserordentlich wechselnd bei verschiedenen Individuen ist.

Man wird vielleicht diesen Darlegungen über den Kampf der individuellen Merkmale einwerfen, dass sie zu Widersprüchen mit den Voraussetzungen führen. Man wird vielleicht bestreiten, dass ein Wechsel väterlicher und mütterlicher Erbstücke auf Grund meiner Theorie möglich sei, da die Vererbung eines väterlichen Charakters voraussetze, dass die gesammte domi - nirende Idantengruppe des Vaters in das Keimplasma des Kindes bei der Reductionstheilung übergegangen sei, während die Ver - erbung eines mütterlichen Charakters die Anwesenheit der ge - sammten dominirenden Idantengruppe der Mutter beanspruche, man wird es für unwahrscheinlich halten, dass beide zugleich in einer Keimzelle zusammentreffen, oder doch dass dies Zu - sammentreffen so häufig vorkommt, als es der Fall sein müsste bei der Häufigkeit der Mischung von beiderlei elterlichen Charakteren.

Dem ist aber zu erwidern, dass ein solches Zusammen - treffen zweier Keimzellen bei der Befruchtung, von denen die eine die dominirende Idantengruppe der Mutter, die andere die des Vaters enthält, nothwendig von Zeit zu Zeit vorkommen379 muss, da jede mögliche Combination irgendwann einmal vor - kommen wird. Weiter aber ist nicht zu vergessen, dass es unendlich schwer, ja meist ganz unmöglich ist, zwischen reinen individuellen Charakteren eines Elters und denen seiner nächsten Vorfahren zu unterscheiden, dass aber zu dem Hervortreten eines der Letzteren nicht nothwendig die gesammte dominirende Idantengruppe des betreffenden Elters gehört, sondern sehr wohl auch schon ein Theil dieser Idanten genügen kann, falls die - selben den betreffenden Charakter durch eine grössere Zahl homodynamer Determinanten vertreten enthalten. Sehr häufig ist es nicht ein specifisch mütterlicher Charakter, der mit einem specifisch väterlichen abwechselt, sondern ein allgemeiner Cha - rakter der mütterlichen oder der väterlichen Familie; solche Cha - raktere aber müssen in den meisten Iden der dominirenden Idantengruppe enthalten sein; sie werden also zum Vorschein kommen können, auch wenn die Reductionstheilung nicht genau die ganze dominirende Gruppe des Elters in die kindliche Keim - zelle führte, sondern nur eine gewisse Anzahl der Idanten der - selben.

Auf der andern Seite aber stimmt es sehr wohl mit der Theorie, wenn wir sehen, wie häufig das Kind vorwiegend dem Vater oder der Mutter gleicht; in vielen Familien ist dies geradezu die Regel. Es erklärt sich daraus, dass nicht nur die volle Zahl der dominirenden Idanten das Bild des betreffenden Elters mit annähernder Genauigkeit hervorbringen kann, sondern auch schon eine Majorität derselben, vorausgesetzt, dass in ihnen zahlreiche Ide mit homodynamen Determinanten enthalten sind. So werden also viele Keimzellen eine genügende Anzahl der dominirenden Idanten des Elters enthalten, eine andere, vielleicht ebenso grosse Zahl derselben aber wird eine bunte Mischung von Idanten enthalten, d. h. Ide, welche nur verhältnissmässig wenig homodyname Determinanten einschliessen. Wenn nun380 eine der ersteren vom Vater mit einer der letzteren von der Mutter in Amphimixis sich verbinden, so wird das Bild des Vaters im Kind vorherrschen, im umgekehrten Falle aber das der Mutter. Treffen zwei Keimzellen der ersten Art von Vater und Mutter zusammen, so wird ein Gemenge von Charakteren beider Eltern entstehen, und verbinden sich zwei Keimzellen der zweiten Art, so werden im Kind weder prägnante Züge des Vaters, noch solche der Mutter zu erkennen sein, wohl aber solche allgemeiner Familieneigenschaften Beider.

4. Die Vererbungskraft.

Wir fanden die idioplasmatische Erklärung der scheinbar einelterlichen oder pseudo-monogonen Vererbung darin, dass hier die dominirende Idantengruppe des Elters, z. B. der Mutter, vollständig in die kindliche Keimzelle übergeht und dann bei der Amphimixis mit einer schwächeren väterlichen Idantengruppe zusammentrifft. Wenn die Überlegenheit der mütterlichen Idanten - gruppe sich auch nicht auf alle, sondern nur auf eine grosse Zahl der Determinanten bezieht, so wird doch schon der Ein - druck einer grossen Ähnlichkeit des Kindes mit der Mutter hervorgerufen werden.

Dass nun dieser Fall überhaupt vorkommt, wurde oben schon als ein Beweis dafür betrachtet, dass die Idanten während der Ontogenese, d. h. also von Keimzelle zu Keimzelle, in ihrer Zusammensetzung aus Iden erhalten, ja dass sie auch bei der Reductionstheilung oft oder meistens unverändert bleiben. Dar - aus folgt natürlich nicht, dass gerade die Idanten-Combination, welche in der Ontogenese des Elters dominirte, auch in den Keimzellen des Kindes beisammen bleiben muss, sie kann es aber, und unter den Tausenden von Ei - und den Hunderttausenden von Samenzellen, welche von einem Individuum im Laufe seines Lebens hervorgebracht werden, wird dieser Fall öfters eintreten.

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Nun scheint es allerdings so, als ob es Individuen und Familien gäbe, bei welchen der ganze Habitus eines Stamm - elters sich mit grosser Zähigkeit durch eine ganze Reihe von Generationen hindurch stets auf die Kinder übertragen habe, bei welchen man also annehmen müsste, dass die dominirende Idantengruppe des Stammvaters sehr häufig in den Keimzellen der Nachkommen wieder auftrete. So ist die grosse Stirn, die weit auseinander stehenden Augen, der kleine Mund des Kaiser - geschlechtes der Julier durch mehrere Generationen hindurch zu verfolgen, und ebenso die grosse und eigenthümlich gebogene Nase der Bourbonen und die vorstehende Unterlippe der Habs - burger. In wie weit hier der Zufall oder Täuschung mitspielt, indem nur solche Nachkommen zur Beobachtung gelangten, bei welchen diese Familien-Charaktere hervortraten, lässt sich schwer entscheiden; dass aber nicht Alles dabei auf Täuschung beruht, darf vielleicht aus ähnlichen Beobachtungen an Thieren ab - genommen werden.

Die sog. Individual-Potenz der Züchter gehört hier - her. Es scheint vorzukommen, dass bestimmte Individuen eine starke Neigung haben, ihre eigenen individuellen Charaktere auf eine Mehrzahl von Nachkommen zu übertragen. Bei Pferden, Rindern, Schafen und anderen Hausthieren sind öfters einzelne Thiere beobachtet worden, die dieses Vermögen in hohem Grade besassen, und die Züchter bezahlen enorme Preise für solche In - dividuen, die freilich sich nicht blos durch die vermeintliche Vererbungsstärke, sondern zugleich auch durch irgend welche besonderen und wünschenswerthen Eigenschaften auszeichnen müssen. Aber auch bei Pflanzen glaubt man ähnliche Be - obachtungen gemacht zu haben; Vilmorin1)Ich citire nach de Vries a. a. O. p. 88. L. Lévêque de Vilmorin, Notices sur l’amélioration des plantes par le semis. Nou - velle Edition 1886, p. 44. wenigstens, einer382 der berühmtesten Pflanzenzüchter, unterschied bei seinen Züch - tungsversuchen die Individuen, welche in höherem, von den - jenigen, welche in geringerem Maasse die Fähigkeit hatten, ihre eigenen Eigenschaften auf ihre Nachkommen zu übertragen. Die ersteren nannte er bons étalons und nur sie benutzte er zur Zucht. Aber ob eine Pflanze zu dieser bevorzugten Gruppe gehörte, konnte an ihr selbst nicht gesehen werden; darüber entschied erst ihre Nachkommenschaft, und nach dieser richtete denn auch der Züchter die Wahl seiner Stammpflanzen.

Darwin1)Darwin, Domestication . Bd. II, p. 74 u. f., Prosper Lucas2)Prosper Lucas, Treité philosophique et physiologique de l’Hérédité naturelle dans les états de santé et de maladie du système nerveux . Paris 1850. und Settegast3)Settegast, Die Thierzucht . Breslau, 1878, p. 197. führen viele derartige Fälle an, unter welchen einer der bekanntesten der des Otternschafs ist, welche Rasse von einem Widder stammt, der sich durch kurze und krumme Beine verbunden mit langem Körper auszeichnete. Er übertrug diese Eigenschaften auf viele seiner Nachkommen, und gewährte so seinem Besitzer die Möglichkeit, eine besondere krummbeinige Rasse von Schafen zu züchten, die den Vortheil bot, nicht über die Zäune springen zu können. So verdanken die englischen Vollblutpferde ihre Vorzüge drei Individuen: dem Türken Byerley, den Arabern Darley und Gadolphin , und die berühmte Orlow’sche Traberrasse kann auf das Erscheinen des Hengstes Bars des Ersten zurück - geführt werden .

Falls wirklich diese Thiere eine stärkere Vererbungskraft in dem angegebenen Sinne besassen, so wird man diese Ver - erbungsstärke nicht mit der Vererbungstreue einer Rasse zusammenwerfen dürfen. Die Letztere, d. h. die Eigenthümlich - keit, rein zu züchten, muss darauf beruhen, dass eine grosse383 Mehrzahl von homodynamen Determinanten im Keimplasma vorhanden sind, oder was dasselbe sagt , dass die meisten Ide für jeden Charakter die gleichen, d. h. die Rassen-Determi - nanten enthalten. Je länger eine Rasse schon rein gezüchtet worden ist mit sorgfältiger Ausmerzung aller abweichenden Individuen, um so zahlreichere Ide werden die Rasse-Determi - nanten enthalten und um so seltener werden noch abweichende Individuen auftreten.

Hier handelt es sich aber zunächst nicht um Rassen - Charaktere, sondern um Individual-Charaktere. Bei diesen ist es unmöglich, dass sie in einer überwiegenden Majorität von Iden des Keimplasma’s enthalten waren, aus dem das Individuum hervorging, weil dasselbe sich aus väterlichen und mütterlichen Iden zusammensetzt. Hier kann also eine Vererbung des eignen Bildes nur darauf beruhen, dass die bei der Ent - wickelung des Elters dominirende Idantengruppe wieder in die Keimzelle kommt. Ich möchte daher die sog. Individual - potenz durch die Annahme erklären, dass bei manchen Indi - viduen die Reductionstheilung leicht derart vor sich geht, dass sie zwischen mütterlicher und väterlicher Idantengruppe durch - schneidet, während sie für gewöhnlich beliebige Idanten-Combi - nationen bildet. Auf welcher Eigenthümlichkeit der Idanten selbst oder des Kerntheilungs-Apparates dies beruhen müsste, lässt sich für jetzt nicht sagen, so viel aber kann man sagen, dass unmöglich jede Keimzelle eines solchen Individuums die dominirende Idantengruppe enthalten kann, vielmehr im besten Falle nur die Hälfte der Keimzellen. Denn die Reductions - theilung führt unter der gemachten Annahme immer nur in eine von je zwei Keimzellen die dominirende Idantengruppe, in die andere aber die unterlegene. Damit stimmen die That - sachen, insofern nie beobachtet wurde so viel mir bekannt ist , dass alle Nachkommen dem mit der Individualpotenz 384begabten Elter nachgefolgt wären, vielmehr nur ein Theil der - selben. Bei dem Otternschaf wird sogar ausdrücklich gemeldet, dass die Nachkommen jenes ersten Bockes entweder genau so ausfielen wie die Mutterschafe der bisherigen Zucht, oder wie der Bock , ein Verhalten, welches genau mit der Theorie stimmen würde. Die Spermatozoen des Bockes, welche die dominirende Idantengruppe enthielten, waren der Idantengruppe der Eizelle überlegen und gaben ein Otternschaf , diejenigen aber, welche die unterlegene Idantengruppe enthielten, konnten unmöglich etwas Anderes geben, als ein gewöhnliches Schaf der Stammrasse.

Man spricht aber noch in einem andern Sinne von grosser Vererbungsstärke , nämlich im Sinne einer Überlegenheit einer Rasse über eine andere. Nach Darwin scheint die Shorthorn-Rasse des Rindviehes ein besonders starkes Vererbungs - vermögen andern Rassen gegenüber zu besitzen, die Kropftaube scheint stärkere Vererbungskraft zu besitzen, als die Pfauen - taube, d. h. wenn die beiden Rassen miteinander gekreuzt werden, so überwiegen die Charaktere der Kropftaube in den Nachkommen. Dieses Überwiegen der einen Rasse wird auf den - selben Ursachen beruhen, welche auch manche Pflanzen-Bastarde der einen Stammart weit ähnlicher ausfallen lassen, als der andern, wie im Anfang dieses Abschnittes besprochen wurde. Die Überlegenheit wird hier wie dort auf einer grösseren Zahl von Idanten, oder von Iden, möglicherweise auch blos auf einer grösseren Zahl von Biophoren in den einzelnen Determinanten beruhen können.

5. Zusammenfassung des Capitels IX.

Ehe wir weitergehen, ist es vielleicht nicht unerwünscht, die Resultate der vorstehenden Untersuchung noch kurz zu - sammenzufassen und die Solidität der Annahme, auf welcher sie sich aufbauten, zu prüfen.

385

Nach meiner Ansicht beruht das Zusammenwirken der zwei elterlichen Vererbungssubstanzen des befruchteten Eies darauf, dass auf jeder Seite nicht blos eine einzige Einheit derselben sich befindet, sondern deren viele. Diese, die Ide, sind auch auf der Seite eines Elters nicht völlig gleich, obwohl sie alle bei der normalen geschlechtlichen Fortpflanzung homologe Determinanten enthalten, sondern sie unterscheiden sich in Be - zug auf die geringen Unterschiede, welche wir die indivi - duellen nennen. Die Unterschiede der Ide zwischen mütter - licher und väterlicher Seite brauchen durchaus nicht grösser zu sein, als die zwischen den Iden der Mutter oder des Vaters allein; ja es kann sehr wohl vorkommen, dass einzelne gleiche Ide auf beiden Seiten liegen, und zwar muss dies um so leichter sich ereignen, je mehr Inzucht in den früheren Generationen stattgefunden hat.

Jedes Id des Keimplasma’s durchläuft alle ontogenetischen Stadien, d. h. die Zahl der mütterlichen und der väterlichen Ide bleibt während der ganzen Ontogenese dieselbe, und jede Zelle wird also durch die gleiche Zahl von Iden beider Eltern bestimmt, gleich auch in dem Sinn, dass bei der Fortpflanzung zwischen Individuen derselben Art die Zahl der väterlichen und der mütterlichen Ide dieselbe ist.

Wenn nun trotzdem nicht eine jede Zelle des Kindes, nicht jedes Organ und jeder Körpertheil eine genaue Mittelbildung zwischen den entsprechenden Theilen der Eltern ist, so liegt dies an folgenden Ursachen.

Erstens würde eine reine Mittelbildung selbst dann nicht nothwendig zu Stande kommen müssen, wenn jederseits alle die aktiven Determinanten einer Zelle unter sich genau gleich oder homodynam wären. Selbst dann könnte die bestimmende Kraft der mütterlichen Determinanten derjenigen der väter - lichen überlegen sein, indem erstere in irgend einer Weise,Weismann, Das Keimplasma. 25386vielleicht in Schnelligkeit der Assimilation und Vermehrung den andern überlegen sind. Der Zellkörper würde dann von den aus dem Kern einwandernden Biophoren der mütterlichen Determinanten rascher erfüllt und dadurch die Vermehrung und Ausbreitung der väterlichen gehindert werden. Es kann also die bestimmende Kraft der homologen väterlichen und mütterlichen Determinanten an und für sich schon eine verschiedene sein.

Diese Unterschiede werden aber dadurch noch besonders verstärkt, dass die Ide, und besonders auch die homologen Deter - minanten jederseits nicht alle homodynam, sondern fast immer zum Theil wenigstens heterodynam sind. Homodyname Deter - minanten aber müssen nothwendig ihre bestimmende Kraft summiren und die Ungleichheit in der Vererbungskraft des Vaters und der Mutter auf irgend einem Stadium der Onto - genese wird wesentlich darauf beruhen, dass trotz gleicher Zahl der Ide die Zahl homodynamer, d. h. ihre Wirkung summiren - der Determinanten verschieden ist.

Aus der Phylogenese der Variation wurde abgeleitet, dass die Determinanten unabhängig von einander in den verschiedenen Iden eines Keimplasma’s abgeändert haben müssen, so dass die homologen Determinanten in ganz verschiedenen Varianten in den Iden eines Keimplasma’s enthalten sein können, und dass besonders die Combination dieser Varianten der Determinanten der verschiedenen Onto-Stufen in jedem Id wieder eine besondere sein kann. Dadurch wird bewirkt, dass die Zahl homodynamer Determinanten auf verschiedenen Stadien der Ontogenese eine andere sein kann, und dass in Folge dessen je nach Stadien und Organen väterliche oder mütterliche Vererbungstendenzen vor - herrschen können.

Die Thatsache, dass das Kind vorwiegend dem einen Elter ähnlich werden kann, steht deshalb nicht in Widerspruch mit387 der andern Thatsache, dass die Ide des Elters nur in ihrer halben Zahl in jeder seiner Keimzellen enthalten sind. Denn nur bei reiner Mittelbildung wirken alle Ide zusammen, in jenen Fällen aber, wo die Ide des einen Elters durch eine überwiegende Majorität homodynamer Ide des andern Elters besiegt und lahm gelegt wurde, erfolgt die Bestimmung der Zelle eben nur durch die siegreichen, die domi - nirenden Ide und die andern bleiben einflusslos. Wenn nun die Determinanten sehr zahlreicher Entwickelungsstufen in dieser Weise denen des andern Elters überlegen sind, so wird der Schein einelterlicher Vererbung entstehen, d. h. das Kind wird vorwiegend diesem Elter gleichen, und wenn in irgend einer der Keimzellen dieses Kindes die Reductionstheilung zufällig gerade in der Weise erfolgt, dass diejenigen Ide, welche die Bildung des Kindes beherrscht haben die dominirenden Ide zusammen in der Keimzelle bleiben, so wird die Möglichkeit gegeben sein, dass dieselben auch in der folgenden Generation wieder über die in der Amphimixis hinzutretenden Ide eines zweiten Elters den Sieg davon tragen.

Das schon in meiner Schrift über Amphimixis bezeichnete Problem, wieso es möglich sei, dass zwar die Vererbungs - substanz beider Eltern im befruchteten Ei enthalten sein, dennoch aber das Kind vorwiegend dem einen Elter allein nachfolgen könne, findet in dem Kampf der Ide in jeder Zelle der ganzen Ontogenese seine Lösung. Dieser Kampf findet aber nur beim Aktivwerden der Determinanten, vermuthlich also zwischen den in den Zellkörper eindringenden Biophoren statt, von denen die Stärkeren die an Assimilations-Energie Schwächeren vernichten, nicht aber zwischen den noch gebundenen und also in Bezug auf die Beherrschung der Zelle inaktiven Determinanten. Vor Allem also findet er nicht statt zwischen den Elementen des Reserve-Keimplasma’s , welches die Bildung der Keim -25*388zellen des Kindes bedingt, und dadurch wird es verständlich, dass das Kind durchaus nicht blos Keimzellen producirt, welche die seine eigene Ontogenese leitende Idgruppe enthalten (die dominirende ), sondern dass auch viele andere Id-Combinationen in ihnen enthalten sein können.

An dieser Stelle möchte ich einer interessanten Schrift ge - denken, welche erschien, als ich mit der letzten Ausfeilung meines Manuskriptes schon nahezu fertig war. Sie trägt das Pseudonym Josef Müller auf ihrem Titel1)Josef Müller, Über Gamophagie, ein Versuch zur weiteren Ausbau der Theorie der Befruchtung und Vererbung , Stuttgart 1892. und hat speciell das eben besprochene Problem zu lösen versucht. Der scharf - sinnige und vortrefflich unterrichtete Verfasser nimmt meine Ide nicht an, sondern sucht eine Erklärung für das so auf - fallende Verschwinden der Vererbungstendenzen des einen Elters bei der pseudo-monogonen Vererbung dadurch zu finden, dass er die beiden homologen Anlagen von Vater und Mutter in einen Kampf (Gamomachie) eintreten lässt, der mit dem Unter - gang, dem völligen Aufgezehrtwerden (Gamophagie) des einen endet. Das kommt der hier versuchten Erklärung dem Princip nach äusserst nah, und ich muss die Grundidee für eine durch - aus richtige halten, nur glaube ich nicht, dass man diesen Kampf an den Beginn der Ontogenese setzen darf, wie es der Verfasser thut. Derselbe fusst auf einer Äusserung von O. Hertwig, nach welchem es denkbar wäre, dass bei der Be - fruchtung die homologen Anlagen des Vaters und der Mutter sich vereinigten, und folgert dann weiter, dass bei dieser Ver - einigung der Kampf stattfinde, der zur Vernichtung der einen führe. Abgesehen von dem Getrenntbleiben der Idanten des Vaters und der Mutter bei der Befruchtung, scheinen mir zahl - reiche Vererbungserscheinungen einer solchen Vereinigung mit nachfolgendem Kampf zu widerstreiten: das Wiederauftauchen389 der vernichteten Anlagen in den Keimzellen und also in der folgenden Generation, die Erscheinungen des Rückschlages, welche zeigen, dass jede Anlage in mehr als zwei Varianten im Keimplasma vorhanden sein muss, endlich der sexuelle Di - morphismus, die Fälle von vielfacher Zwittermischung eines Thieres und der sexuelle Rückschlag. Ich glaube, dass auch, abgesehen von meiner Id-Theorie, dieser Kampf homologer An - lagen in die einzelnen Zellen zu verlegen ist, dass dort die Entscheidung erfolgt, wer siegt und wer unterliegt, oder auch, wieviel von den Anlagen des einen, und wieviel von denen des andern Elters zur Wirksamkeit gelangt. Denn es scheint mir nicht nothwendig der eine vollständig unterliegen zu müssen, wenn dies auch meist wohl der Fall sein wird.

Dass in einer Zelle Anlagen beider Eltern zugleich sich entfalten können, unterliegt keinem Zweifel, wenn ich eine An - gabe von de Vries richtig verstehe. Dieser Forscher erhielt durch Kreuzung einer rothblüthigen mit einer weissblüthigen Bohnenart einen Bastard mit blassrothen Blumen, und bei diesen konnte der rothe Farbstoff gelöst in den Vacuolen der Zellen nachgewiesen werden. 1)Vergl. de Vries a. a. O. p. 177 und 178. Die beiden Bohnen - arten sind Phaseolus multiflorus und Phaseolus vulgaris nana.Wenn nicht etwa blos ein Theil der Zellen gefärbt war, ein andrer aber ungefärbt, so liegt darin der Beweis, dass mindestens doch zwei verschiedene (hetero - dyname) Biophoren-Arten von beiden Eltern her in derselben Zelle zur Herrschaft gelangen können. Hier steht aber weiterer Forschung noch ein weites Feld offen.

Die Grundlage meiner Erklärung der Mischung der elter - lichen Charaktere ist die Annahme von Vererbungseinheiten, den Iden, von welchen jede sämmtliche Anlagen der Art, aber in individueller Färbung enthält. Es mag deshalb am390 Platze sein, hier die Gründe nochmals zusammenzustellen, welche zur Annahme solcher Ide zwingen.

Einmal führt die Zusammensetzung des Keimplasma’s aus Bestimmungsstücken oder Determinanten nothwendig dazu, in - sofern sie eine feste Architektur des Keimplasma’s verlangen. Es muss also mindestens eine in sich geschlossene Einheit geben, welche das Keimplasma ausmacht und an welcher Nichts zugesetzt und Nichts weggenommen werden kann, ohne dass die Fähigkeit derselben, die ganze Ontogenese zu leiten, alterirt wird. Da nun aber bei der Amphimixis mütterliches und väterliches Keimplasma sich vereinigt, von welchen jedes sämmtliche Anlagen der Art in sich einschliesst, so müssen in jedem geschlechtlich erzeugten Wesen mindestens zwei Ide im Keimplasma enthalten gewesen sein.

Dass deren mehrere, ja viele enthalten sein müssen, geht aus den Erscheinungen hervor, welche im folgenden Abschnitt genauer betrachtet werden sollen, aus den Rückschlagserschei - nungen. Wir wissen, dass nicht nur die persönlichen Eigen - schaften der Eltern, sondern auch die der Grosseltern an dem Kind auftreten können, und dies führt zu dem Schluss, dass Vererbungseinheiten oder Ide, die von diesen herstammen, im Keimplasma des Kindes enthalten waren, dass folglich mehr als zwei Ide dasselbe zusammensetzen.

Aber noch ein andrer Weg führt zu demselben Resultat. Sobald man überhaupt einmal zu der Annahme von Vererbungs - einheiten in dem Sinn des Id’s gekommen ist, folgt die Ver - doppelung der Zahl derselben durch jede Amphimixis von selbst, und es leuchtet ein, dass die Zahl der Ide sich in arithmetischer Progression längst ins Ungeheure gesteigert haben müsste, träte nicht die Reductionstheilung dazwischen, welche heute vor jeder Amphimixis die Zahl der Ide auf die Hälfte herabsetzt. Diese Reductionstheilung muss irgendwann einmal in der Phylogenese391 der Amphimixis zuerst aufgetreten sein. Wäre sie schon in den Keimzellen des ersten geschlechtlich erzeugten Wesens auf - getreten, so würde sie vorausgesetzt, jedes der elterlichen Keimplasmen habe vorher nur aus einem Id bestanden immer das Id des einen Elters aus jeder Keimzelle des Kindes wieder entfernt haben, d. h. es würde ein Enkel niemals etwas von seinen beiden Grosseltern zugleich erben können. Dies wird nun auch nach unserer Theorie der zahlreichen Ide selten zu - treffen, wenn es auch nicht als unmöglich erscheint. Aber eine weitere Consequenz würde die einer überaus grossen Einförmig - keit in der Bildung der aufeinander folgenden Generationen sein, weil bei nur zwei Iden, von denen in der folgenden Gene - ration immer eines wieder entfernt wird, dieselben einzelnen Ide durch lange Generationsfolgen durchlaufen würden, und die ganze Mannigfaltigkeit der Individuen, die wir beim Menschen beobachten, auf ein sehr geringes Maass herabgedrückt würde. Gerade die erstaunliche individuelle Mannigfaltigkeit beruht meines Erachtens auf der Vielheit der Ide und könnte durch Amphimixis mit nur zwei Iden nicht hervorgebracht worden sein.

Schliesslich spricht für die Existenz vieler Ide die direkte Beobachtung, sobald man einmal überhaupt zu der theoretischen Erkenntniss ihrer Existenz gelangt ist. Denn mögen die Ide nun die Chromosomen der Autoren (meine Idanten) sein, oder mögen sie, wie ich annehme, in den Mikrosomen gesehen werden müssen, welche jene Chromosomen zusammensetzen, immer ist es eine Vielheit von Iden, die wir direkt be - obachten können.

392

Capitel X. Die Erscheinungen des Rückschlags, abgeleitet aus dem amphimixotischen Keimplasma.

1. Rückschlag auf Rassencharaktere bei Pflanzenmisch - lingen.

Unter Rückschlag versteht man bekanntlich das Auftreten von Merkmalen, welche bei entfernteren Vorfahren vorhanden waren, den unmittelbaren Vorfahren (Eltern) aber fehlten. Die Thatsachen sind ja bekannt genug, und ich will hier nur so viel von ihnen aufführen, als zum weiteren Ausbau der Theorie nothwendig ist.

Der einfachste Fall von Rückschlag ist bei den Bastar - den zu finden. Es kommt vor, dass Pflanzen-Bastarde, die mit eignem Pollen bestäubt wurden, Nachkommen hervorbringen, von denen einige mehr oder weniger blos der einen der beiden grosselterlichen Arten gleichen. Dies wäre also ein einfacher Rückschlag auf den einen Grosselter. Solche Fälle kommen zwar sicher vor, aber nicht bei allen Pflanzen-Mischlingen, und auch da, wo sie vorkommen, nicht häufig. Darwin führt schon zwei einander entgegengesetzte Angaben in Bezug darauf an, nämlich Wichura, der bei seinen Weiden-Bastarden niemals einen solchen Rückschlag beobachtete, und Naudin, welcher ihn bei Cucurbitaceen häufig eintreten sah. Er glaubt diesen Widerspruch durch die Angabe Gärtner’s gelöst, welcher Fälle von Rückschlag selten bei Bastarden eintreten sah, die von wild - wachsenden Arten gebildet worden waren, häufig aber bei Bastarden aus cultivirten Arten. Seitdem haben sich die An - sichten darüber noch etwas geändert, denn Focke giebt an, dass vollständige Rückschläge zu den Stammformen ohne Ein - wirkung stammelterlichen Pollens fast nur bei Mischlingen aus393 nahe verwandten Rassen entstehen . Jedenfalls also kommen solche Rückschläge vor.

Ihre Erklärung ist nach unserer Theorie sehr einfach. Der Bastard enthält in seinen Keim-Mutterzellen je eine Idanten - gruppe der väterlichen und der mütterlichen Stammart. Wenn nun die Reductionstheilung des Keimplasma’s dieser Mutterzellen so halbirt, dass in eine fertige Keimzelle nur Idanten der Mutter, in eine andre nur solche des Vaters gelangen, so ist die Mög - lichkeit gegeben, dass bei gegenseitiger Befruchtung dieser Bastarde zwei derartige Keimzellen sich vereinigen. Daraus muss dann eine Pflanze hervorgehen, die der einen grosselter - lichen Art vollkommen gleicht, da sie durch ein Keimplasma hervorgerufen wird, welches nur aus Idanten dieser Art besteht. Da der Fall nicht häufig eintritt, so dürfen wir schliessen, dass die Reductionstheilung nur selten eine so reine Trennung der väterlichen und mütterlichen Idantengruppe herbeiführt, dass vielmehr gewöhnlich jeder der vier Keimzellen, welche aus einer Mutter-Keimzelle hervorgehen, neben mütterlichen auch väter - liche Idanten zugetheilt werden.

Man wird im Voraus vermuthen dürfen, dass diese Hal - birung des Keimplasma’s, da sie einmal, wie wir gesehen haben, Schwankungen ausgesetzt ist, auch in dem Verhältniss mütter - licher und väterlicher Idanten schwanken wird, welche sich in Folge der Reductionstheilung in je einer Keimzelle zusammen - finden, und damit stimmen die Thatsachen in schönster Weise, denn es ist eine alte Erfahrung, dass die durch eignen Pollen fortgepflanzten Pflanzen-Mischlinge in der folgenden Generation sehr variabel werden. Sie müssen offenbar recht verschieden ausfallen, je nachdem eines dieser Pflänzchen mehr mütterliche oder mehr väterliche, oder gleich viel Idanten von Beiden durch die beiden Keimzellen zugeführt erhielt, welche bei seiner Constituirung durch die Befruchtung zusammentraten. 394So bezeichnet Focke die Nachkommenschaft einjähriger oder zweijähriger hybrider Pflanzen als in der Regel ungemein un - gleichartig und formenreich und führt als Beispiele die Gattungen Pisum, Phaseolus, Lactuca, Tragopogon, Datura, und speciell den Bastard von Nicotiana alata und N. Langsdorffii an. Auch de Vries1)Hugo de Vries, Intracellulare Pangenesis . Jena 1889, p. 25. erwähnt diese Thatsachen und schildert sie in sehr hübscher Weise mit folgenden Worten: Die Bastarde der ersten Generation haben für jedes Paar von Arten ganz bestimmte Merkmale. Erzeugt man einen Bastard von zwei Arten, deren Kreuzung bereits früheren Forschern gelungen ist, so kann man sich darauf verlassen, dass die von ihnen gegebene Be - schreibung in der Regel genau auf die neu erworbene Mittel - form passen wird. Ist der Bastard ohne Mithülfe seiner Eltern fruchtbar, und zieht man seine Nachkommenschaft in einigen Generationen in Tausenden von Exemplaren, so beobachtet man stets, dass kaum zwei einander gleich sind. Einige kehren zu der Form des Vaters, andere zu jener der Mutter zurück; eine dritte Gruppe steht in der Mitte. Zwischen diesen stellen sich die übrigen in buntester Abwechselung väterlicher und mütter - licher Merkmale, und fast in jedem Grade gegenseitiger Mischung.

De Vries führt dies nur an als einen Beweis für das, was er die freie Mischbarkeit der Eigenschaften nennt, ohne Ge - wicht darauf zu legen, dass die erste Bastard-Generation sich so ganz anders verhält als die zweite, oder eine theoretische Erklärung dieses Verhaltens zu versuchen.

In neuester Zeit ist ein sehr schöner und genau unter - suchter Fall durch Professor Liebscher2)Liebscher, Vererbung u. s. w. in Jen. Zeitschrift, Bd. 23, 1888. bekannt geworden. Derselbe kreuzte zwei Arten von Gerste, Hordeum Steudelii mit Hordeum trifurcatum . Die erste Art ist zweizeilig, die andere vierzeilig, die erste schwarz, die andere weiss u. s. w. 395Der Bastard hält so genau, als man nur erwarten kann, die Mitte zwischen den Stammarten und zeigt zugleich eine auf - fallende Gleichartigkeit aller Ähren in voller Überin - stimmung mit der Theorie. Der Bastard ist in allen Exem - plaren zweizeilig, die Spelzen der Hauptährchen sind schwarz, die der Seitenährchen weiss, die Löffel , eine Eigenthümlichkeit von Hordeum trifurcatum, sind schwarz und weiss. Diese Bastarde lieferten nun unter sich eine Nachkommenschaft, welche sowohl in erster, als zweiter Generation äusserst variabel war.

Liebscher suchte diese Variabilität dadurch zu erklären, dass er annahm, es werde durch die Fortpflanzung ausser einer neuen Combination individueller Eigenschaften auch noch eine Lockerung der Structur des Keimplasma’s bewirkt. Diese Letztere verursache eine Abschwächung der Vererbungstreue des Zeugungsproduktes , d. h. eine Neigung zur individuellen Variation in dessen Nachkommenschaft . Dies war gewiss schon eine Ahnung des wirklichen, idioplasmatischen Vorganges, aber man sieht doch nicht ein, worin diese Lockerung eigentlich bestehen könnte.

Sobald aber das Keimplasma aus einer grösseren Zahl von Iden zusammengesetzt ist, kann man dieser Lockerung einen bestimmten Sinn unterlegen. Sie beruht auf der bei jeder Keim - zellen-Bildung sich wiederholenden Entfernung der Hälfte der Ide. Das Keimplasma des Bastards besteht zur Hälfte aus mütterlichen Iden der Art A, zur Hälfte aus väterlichen Iden der Art B; bei der Keimzellenbildung wird diese vollkommen gleichmässige Zusammensetzung eine ganz ungleichartige da - durch, dass die Reductionstheilung in verschiedener Weise das Keimplasma halbirt. Denkt man sich die Ide oder auch die Idanten in einem Kreis angeordnet, so schneidet die halbirende Theilungsebene bald hier, bald dort durch, und die Combination396 des Keimplasma’s in den Keimzellen aus A - und B-Iden wird eine sehr mannigfaltige sein. Tritt nun auch noch Befruchtung des Bastards mit eigenem Pollen ein, d. h. Amphimixis zwischen je zweien dieser verschiedenartig gemischten Keimzellen, so muss eine noch weit grössere Mannigfaltigkeit der Id-Combinationen entstehen. Eine hohe Variabilität der Nachkommen wird die unvermeidliche Folge sein.

Die Nachkommenschaft von Bastarden ist aber auch in dem Fall sehr variabel, dass sie auf Rückkreuzung mit einer der Stammarten beruht. Durch Befruchtung eines Bastards mit stammelterlichem Pollen erhält man in der Regel eine ziem - lich ungleichartige Nachkommenschaft; am zahlreichsten pflegen Mittelformen zwischen dem Bastard und der betreffenden Stamm - art zu sein; daneben finden sich in geringerer Zahl Exemplare, die dem ursprünglichen Bastard ähnlich sind, und solche, die der Stammart nahe stehen (Focke, p. 485). Dies stimmt voll - kommen mit der Theorie, denn sobald wir die Reductions - theilung in Betracht ziehen, ist es klar, dass auch bei Rück - kreuzung mit einer der Stammarten ein sehr ungleiches Zahlen - verhältniss von Idanten der beiden Stammarten in den befruchteten Eizellen der folgenden Generation obwalten muss. Man nennt solche Bastarde gewöhnlich: ¾-Bastarde, weil man annimmt, dass sie nur ¼ Vererbungskraft der einen, ¾ der andern Stamm - art enthielten. Die Benennung ist praktisch auch wohl nicht zu entbehren, aber sie ist offenbar vollkommen ungenau. Diese ¾-Bastarde enthalten keineswegs die Vererbungssubstanz der beiden Stammarten alle im Verhältniss von 3: 1, sondern in sehr verschiedenen Verhältnissen. Ein solcher ¾-Bastard ist z. B. der von den beiden Nelken-Arten Dianthus chinensis und bar - batus dadurch erzeugte, dass zuerst der Bastard D. chinensis × barbatus gebildet und dieser dann als wieder mit barbatus - Pollen bestäubt wurde. Die Formel für diesen ¾-Bastard ist:397 Dianthus (chinensis × barbatus) × barbatus , oder allgemeiner: (A × B) × A . Wir nehmen der Einfachheit halber an, dass die Zahl sowohl, als die Vererbungskraft der Idanten bei beiden Stammarten gleich sei. Es seien sechszehn Idanten

Fig. 22.

Schematische Darstellung der Combinationen des Keim - plasma’s bei Bastardbildung. I. Das aus je 16 Idanten zusammengesetzte Keimplasma der beiden Stammarten, A Dianthus chinensis und B Dianthus barbatus. II. Keimplasma des Bastards aus 8 Idanten von A und 8 von B zusammengesetzt; Z die drehbare Theilungsebene. III, IV, V. Drei der möglichen Combinationen des Keimplasma’s, welche durch Kreuzung des Bastards II mit der Stammart B entstehen können. III ist ein echter ¾-Bastard, IV enthält lauter Idanten der Stammart B und V hat 9 Idanten von B und 7 von A.

die man sich, wie in Fig. 22, I dargestellt, zu einem Kreise geordnet denken kann. Bei der Erzeugung des ½-Bastards vereinigen sich je 8 Idanten von A mit je 8 Idanten von B,1)Man könnte hier ebenso gut Ide setzen, statt Idanten ; ich habe Idanten vorgezogen, einmal weil diese keine blos hypothetischen Gebilde, sondern sichtbare Einheiten sind, und dann, weil man eine niedrigere und deshalb leichter übersehbare Zahl für sie annehmen darf.398 und die Mutter-Keimzellen dieses Bastards enthalten also stets 8 A - + 8 B-Idanten (Fig. II). Nun erfolgt die Reductions - theilung, indem der Kreis irgendwo halbirt wird. Fig. II soll dies veranschaulichen, indem sie zeigt, wie der Kreis durch Ver - stellung der drehbaren Theilungsebene Z in neun verschiedene Combinationen der schwarzen Idanten A von D. chinensis und der weissen B von D. barbatus zerlegt werden kann, nämlich in die Combination 8 A; 7 A + 1 B; 6 A + 2 B; 5 A + 3 B; 4 A + 4 B; 3 A + 5 B; 2 A + 6 B; A + 7 B und schliesslich 8 B. Es giebt also der Qualität des Keimplasma’s nach neunerlei Keimzellen, welche hier nur als Eizellen in Betracht kommen.

Nun vereinigt sich zur Bildung der sog. ¾-Bastarde je eine dieser Eizellen mit je einer reinen Keimzelle der Stamm - art B. Daraus können nun folgende Idanten-Combinationen entstehen: 8 A + 8 A, woraus die reine Stammart A hervor - gehen müsste; (7 A + 1 B) × 8 A; (6 A + 2 B) × 8 A; (5 A + 3 B) × 8 A ; (4 A + 4 B) × 8 A ; (3 A + 5 B) × 8 A ; (2 A + 6 B) × 8 A ; (A + 7 B) × 8 A und 8 B × 8 A . Es müssen also der Theorie nach alle Stufen von der reinen Stammform B (Fig. III) bis zu der Mittel - form zwischen den Stammarten vorkommen, keine Form aber, welche über die reine Mittelform hinaus stärker nach A neigte. Ob nun diese alle thatsächlich gebildet werden, und in welchem Häufigkeitsverhältniss, könnte erst durch neue, von diesen Ge - sichtspunkten ausgehende Versuche festgestellt werden. Die bisherigen Versuche sind dafür schon deshalb ungenügend, weil die Zahl der aufgezogenen Sämlinge immer eine zu geringe war. So viel aber kann doch schon aus dem bis jetzt vorliegen - den Thatsachen-Material geschlossen werden, dass die verschie - denen Combinationen der beiderlei Idanten nicht in gleicher Häufigkeit vorkommen, dass die mittleren Mischungen die häufigeren sind. Andernfalls könnten nicht die Mittelformen399 zwischen ½-Bastard und der Stammart am zahlreichsten vor - kommen. Dies ist auch theoretisch das Wahrscheinlichste und wird um so wahrscheinlicher, je grösser die Gesammtzahl der Idanten ist. Viele Phanerogamen besitzen viel mehr als 16 Idanten, und wenn wir auch annehmen wollen, es sei rein Zu - falls-Sache, wie die Halbirungsebene fällt, so wird doch der seltenste Fall immer der sein, dass dieselbe gerade zwischen den Idanten von A und denen von B durchschneidet, und der Fall, dass sie anderswo durchschneidet, muss sehr viel häufiger vor - kommen. Dies heisst aber nichts Anderes, als dass die Keim - zellen des ½-Bastards selten nur Idanten von A oder nur solche von B enthalten, meistens aber eine Mischung von Beiden.

Werden die sog. ¾-Bastarde wieder mit der Stammart A gekreuzt, so erhält man sog. 7 / 8-Bastarde oder die dritte hybridi - sirte Generation, und diese pflegt in der Regel der zu 7 / 8 ver - tretenen Stammart sehr ähnlich zu sein, aber noch erhebliche Ungleichheiten der einzelnen Exemplare in Gestalt zu zeigen (Focke, p. 485). Auch dieses Ergebniss der Beobachtung stimmt mit der Theorie, denn da schon in der zweiten Hybriden - Generation die höchste mögliche Idantenzahl der Stammart A in den fertigen Bastard-Keimzellen die Zahl 8 war, die nun bei der Befruchtung mit der gleichen Anzahl Idanten der zur Rückkreuzung benutzten Stammart B zusammentraf, so ent - halten also die Keim-Mutterzellen der ¾-Bastarde höchstens noch 8 A + 8 B, meistens aber eine geringere Zahl von A-Idanten. Die Reductionstheilung halbirt nun wieder diese 16 Idanten in verschiedener Weise, und in dem für die Erhaltung der Ver - erbungs-Substanz von A günstigsten Falle würde die Halbirung einer solchen für A günstigsten Keim-Mutterzelle wieder zur Bildung von Keimzellen mit 8 A - und andere mit 8 B-Idanten führen können. Bei allen anderen ¾-Bastarden aber enthalten400 die Keim-Mutterzellen schon zahlreichere Idanten von B, als von A, wie die Figg. III zeigen, und die Reduction schafft also Keimzellen, welche entweder blos B-Idanten enthalten oder doch neben A-Idanten immer auch solche von B. Wenn nun diese weiblichen Keimzellen von den Keimzellen der reinen Stammart B befruchtet werden, so wird die denkbar höchste Zahl von A-Idanten, die in der befruchteten Eizelle enthalten sein kann, wieder die Zahl 8 sein. Es ist also auch in dieser dritten Generation noch möglich, dass die reine Mittelform zwischen den Stammformen auftritt, allein sie wird sehr viel seltener vorkommen, als in der zweiten Generation. Dagegen werden die Individuen überwiegen, deren Idioplasma nur noch wenige A-Idanten enthält, und es können hier schon solche vorkommen, bei welchen nur noch B-Idanten vorhanden sind. Denn schon in den meisten Mutter-Keimzellen der zweiten Generation war eine Überzahl von B-Idanten enthalten; die Halbirung der Re - duction muss also häufig der einen Keimzelle nur B-Idanten zugetheilt haben, die nun in der dritten Generation abermals mit reinen B-Idanten sich verbanden. Die 7 / 8-Bastarde müssen also theilweise schon zur Stammform B zurückkehren der Theorie nach. Damit stimmt die Erfahrung insoweit, als Koel - reutter und Gärtner, welche diese Rückkreuzung-Versuche in zahlreichen Fällen ausführten, fanden, dass zur vollständigen Umwandlung des Bastards in die eine Stammform 3 6 Gene - rationen erforderlich waren, in der Regel 4 5 . Da es diesen Forschern nur darauf ankam, die vollständige Rückkehr zur Stammform zu erzielen, wählten sie immer solche Pflanzen zur Nachzucht, die sich dem angestrebten Elterntypus möglichst näherten. Trotzdem erhielten sie bis auf 5 Generationen hinaus immer noch einzelne Pflanzen, die auch von der andern Stamm - art Spuren an sich trugen. Ganz wie es die Theorie verlangt.

Die Übereinstimmung mit der Theorie geht aber noch401 weiter, denn diese verlangt, dass einzelne Fälle völliger Rückkehr zur Stammform schon in der zweiten Gene - ration aufgefunden werden können, und solche sind in der That beobachtet worden. Ja Godron fand, dass Melandryum album × rubrum schon mit eigenem Pollen in zweiter Generation zu den Stammarten zurückschlug (Focke, p. 485). Dies erklärt sich aus der Theorie ganz wohl. Wenn einzelne der Mutter-Keimzellen vom Bastard ihre Reductions - theilung so ausführen, dass in jede der beiden fertigen Keim - zellen 〈…〉 Idanten1)n bedeutet die Zahl der Idanten, welche bei den betreffenden Arten Norm ist. nur von album oder nur von rubrum ge - langen, so werden bei der Befruchtung dieser Keimzellen zwei Möglichkeiten eintreten können; entweder nämlich trifft eine Keimzelle mit rothen Idanten mit einer solchen zusammen, die weisse enthält, oder beide bei der Befruchtung sich vereinigende Keimzellen enthalten gleichelterliche Idanten. In ersterem Falle entsteht von Neuem die Bastardform, im letzteren aber eine reine Stammart. Solche Rückschläge scheinen selten vor - zukommen und dies möchte darauf hinweisen, dass da, wo sie vorkommen, irgend welche uns noch unbekannte Umstände die Halbirung des Keimplasma’s der Mutter-Keimzellen in einer bestimmten Theilungsebne bevorzugen, nämlich in derjenigen, welche zwischen den Gruppen der väterlichen und mütterlichen Idanten hindurchgeht.

Aus der Theorie erhellt auch, was aus der Beobachtung nicht mit Sicherheit ersehen werden könnte, dass der Rück - schlag des Bastards auf die Stammform ein vollstän - diger sein kann. Gäbe es keine Reductionstheilung, so wäre dies nicht möglich, oder wäre das Keimplasma eine homogene Masse, die sich bei der Bastardirung mit dem Keimplasma derWeismann, Das Keimplasma. 26402andern Art völlig vermischte, so würde auch mit der Reductions - theilung niemals das Keimplasma der einen Art entfernt werden können, es würde diese Reduction nur eine Massen -, aber keine Qualitätsreduction sein. Durch Befruchtung mit dem eigenen Bastard-Pollen würde dann in keinem Falle Rückschlag auf eine Stammform eintreten können, aber auch bei fortgesetzter Rückkreuzung mit der einen Stammart würde dann die Keim - plasma-Mischung der ersten Bastardgeneration nur mehr und mehr verdünnt werden, völlig reines Keimplasma der einen Stamm - art könnte nie entstehen. Sobald wir aber Einheiten im Keim - plasma annehmen, die wie Idanten und Ide getrennt bleiben, so ist eine Entfernung sämmtlicher Einheiten der einen Art aus dem Keimplasma der Bastard-Sprösslinge sowohl mit als ohne Rückkreuzung durchaus möglich, ja selbst in letzterem Falle muss sie früher oder später bei einzelnen Nachkommen ein - treten.

Man kann aber auch von der Theorie aus Vorhersagungen ableiten, die für jetzt noch keine Bestätigung durch die That - sachen vorfinden, wenigstens kenne ich solche nicht. Wenn die Halbirung des Keimplasma’s des primären Bastards A × B zuweilen, wenn auch selten derart erfolgt, dass sämmtliche A-Idanten in die eine, sämmtliche B-Idanten in die andere Keim - zelle gelangen, dann kann bei Befruchtung mit Bastard-Pollen in der zweiten Generation Rückschlag auf beide Stammformen eintreten, wie eben gezeigt wurde, dann nämlich, wenn ein Pollenkorn mit lauter A-Idanten mit einer Eizelle zusammen - trifft, die ebenfalls nur A-Idanten enthält; oder wenn B mit B-Idanten zusammentreffen. Dasselbe muss aber auch in der dritten Bastard-Generation vorkommen können, auch dann noch, wenn die vollen Rückschläge der zweiten Generation alle be - seitigt werden, und zwar einfach dadurch, dass einzelne Indivi - duen der zweiten Generation auf der Vereinigung von n A - mit403 n B-Idanten beruhen, d. h. wieder genaue Mittelformen sind, wie die sämmtlichen Bastarde erster Generation. Mit dem wenn auch vereinzelten Vorkommen solcher reiner Mittelformen ist die Möglichkeit gegeben, dass wieder Keimzellen entstehen, die nur A-Idanten oder nur B-Idanten enthalten, und damit endlich die Möglichkeit eines Rückschlags auf die eine oder die andere der beiden Stammformen. Freilich werden solche Rückschläge nur sehr selten eintreten, weil sie ganz auf dem Zufall beruhen, ob nun gerade die in Bezug auf ihren Idioplasma-Gehalt sel - tenste Art der Keimzellen bei der Befruchtung wirklich auch zusammentrifft; es wird eine sehr grosse Zahl von Sämlingen nöthig sein, um solche Fälle zu finden.

Ehe ich zur Besprechung des Rückschlags auf individuelle Merkmale übergehe, möchte ich noch anführen, dass wir bei der Rassenkreuzung des Menschen dasselbe Gesetz des Rückschlags hervortreten sehen, welches durch die Pflanzen - bastarde erkannt werden konnte: dass nämlich die Mischung eines Rassencharakters in der ersten Generation eine gleich - mässige ist, später aber bei Rückkreuzung mit einer der Stamm - rassen eine ganz unregelmässige wird. Bei der Kreuzung von Weissen und Negern entsteht ein Mulatte, dessen Hautfarbe niemals rein weiss ist und meistens ungefähr die Mitte zwischen den Eltern hält. Bei Rückkreuzung des Mulatten mit Weissen nimmt die Hautfarbe nicht gleichmässig an Schwärze ab, sondern die Nachkommen dritter, vierter Generation sind bald ganz weiss, bald erheblich dunkel, ein Hinweis auf die Ungleichheiten der Reductionstheilung.

2. Rückschlag auf individuelle Charaktere beim Menschen.

Der wesentliche Unterschied vom Rückschlag bei Pflanzen - Bastarden und beim Menschen liegt darin, dass es sich bei diesen um die Vermischung und Wiederscheidung von Art - oder26*404Rasse-Charakteren handelt, während bei der Fortpflanzung des Menschen innerhalb einer seiner Rassen nur individuelle Unterschiede miteinander gemischt werden. In Bezug auf die ersteren konnten die Idanten je des einen Elters bei der Bastardzeugung als gleich angenommen werden, wenn dies auch möglicherweise nicht immer ganz genau ist, wie sich später zeigen wird; in Bezug auf die individuellen Unterschiede aber können die Idanten je einen Elters beim Menschen durchaus nicht als gleich angesehen werden. Jeder dieser Idanten setzt sich aus einer Anzahl einzelner Ide zusammen, die vielfach verschieden sein können. In allen sind die Determinanten so ähnlich, als es die Festhaltung des Artcharakters erfordert, also sämmtliche Determinanten der gleichen ontogenetischen Stufe sind einander homolog, aber sie sind niemals alle auch zugleich untereinander homodynam, sondern sie unterscheiden sich viel - fach durch kleine, individuelle Abweichungen. Es kann also das eine Id diese, das andere jene Variation irgend einer homologen Determinante enthalten. Bezeichnen wir die homo - logen Determinanten mit dem gleichen Buchstaben und drücken die Varianten einer Determinante durch beigesetzte Striche aus, so könnte z. B. Id I irgend eines Keimplasma’s die Determinanten a, b, c, d, e ..... n enthalten, Id II die Determinanten a, b', c, d', e .... n', Id III die Determinanten a', b' ', c', d' '', e '.... n u. s. w. Die Gesammtwirkung des Idanten wird nun bestimmt durch den Kampf der Ide, dessen Gesetze wir nicht näher ergründen konnten, den wir uns aber bis auf bessere Einsicht so vorstellten, dass immer diejenigen Varianten die meiste Aussicht haben, die Zelle ganz oder doch vorwiegend zu bestimmen, welche in der grössten Anzahl vorhanden sind; ihre Wirkung muss sich summiren, und eine kleine Minorität homo - dynamer Determinanten wird gegen eine grosse Majorität einer andern Variante nicht aufkommen können. Die Bestimmung405 der Zelle erfolgt also durch diesen Kampf der Determinanten, den man sich natürlich nicht so zu denken hat, als ob dabei die Gruppe der väterlichen Ide mit der der mütterlichen kämpfte, sondern so, dass alle aktiven Determinanten, die im Idioplasma enthalten sind, in den Zellkörper auswandern und sich dort bestimmend geltend zu machen suchen. Sind die Eltern des betreffenden Organismus in näherem Grade verwandt gewesen, so können sehr wohl dieselben homodynamen Determinanten in den Idanten beider Eltern enthalten sein, und dann werden diese so gut ihre Kraft vereinigen, als wenn sie alle in einem mütterlichen oder einem väterlichen Idanten enthalten gewesen wären. Häufiger aber wird es vorkommen, dass die homo - dynamen Determinanten alle auf einer Elternseite liegen, und dann wird eine Majorität homodynamer mütterlicher Determi - nanten einer solchen väterlicher gegenüber stehen, und die Be - stimmung der Zelle wird entweder gemeinsam erfolgen, oder die Übermacht des einen Elters ist so gross, dass sie den Ein - fluss des andern ganz unterdrückt.

Wollen wir nun erproben, wie sich diese Vorstellungen von dem Zusammenwirken der elterlichen Idioplasmen auf die Rückschlagserscheinungen beim Menschen anwenden lassen, so wird zunächst wieder die einfachste Erscheinung ins Auge zu fassen sein: der Rückschlag auf einen Grosselter.

Dass nicht selten eine sehr hohe Ähnlichkeit des Kindes mit dem Vater oder der Mutter vorkommt, ist bekannt, es wird aber auch angenommen, dass ein Vater ein Kind erzeugen könne, welches nicht ihm, wohl aber seiner Mutter aus den Augen geschnitten sei . Der Fall setzt voraus, dass der Vater selbst keine Ähnlichkeit mit seiner Mutter gehabt habe, andernfalls könnte es sich nicht um Rückschlag des Kindes auf die Gross - mutter handeln.

Theoretisch lässt sich der Fall erklären unter der Voraus -406 setzung, dass die Reductionshalbirung in der betreffenden Keimzelle der zwei Generationen gerade die väterlichen und mütterlichen Idanten von einander getrennt hat, und dass es möglich ist, wie oben schon dargelegt wurde, dass die Idanten - gruppe des einen Elters keinen Einfluss auf die Gestaltung des Kindes nimmt und nur die andere dominirt. Die befruchtete Eizelle, aus welcher sich der Vater entwickelte, wird dann aus den beiden Idantengruppen A und C bestanden haben, von welchen A von der Grossmutter herrührt und bei deren Ent - wickelung dominirte. C stammt vom Grossvater und war der Idantengruppe A so überlegen, dass C allein das Bild des Sohnes bestimmte. A blieb also latent im Idioplasma des Vaters, d. h. der Vater glich dem Grossvater, nicht der Grossmutter. Wenn nun diejenige Keimzelle des Vaters, aus welcher sich das Kind dritter Generation entwickelt, zufällig bei der Reductionstheilung gerade nur die Idantengruppe A zugetheilt erhielt, welche bei der Entwickelung des Vaters einflusslos geblieben, bei der Gross - mutter aber dominirend gewesen war, so ist die Möglichkeit eines Rückschlags auf die Grossmutter gegeben. Er wird dann eintreten, wenn diese Samenzelle sich mit einer Eizelle verbindet, deren Idantengruppe D sehr viel geringere bestimmende Kraft besitzt, als A. Das Kind wird dann weder das Bild seines Vaters noch seiner Mutter, sondern das seiner Grossmutter werden, denn die Idantengruppe A ist eben diejenige, welche das Bild der Grossmutter bestimmt hat.

Ich halte es indessen für fraglich, ob ein derartiger Rück - schlag jemals so rein und so vollständig erfolgt, als es theore - tisch hiernach denkbar wäre. Leider sprechen die Thatsachen lange nicht so bestimmt, als man wünschen möchte. Niemand, soweit ich es kenne, hat bisher untersucht, ob jemals ein voll - ständiger Rückschlag auf den Grosselter vorkomme, und von der Theorie ausgehend, möchte ich es für unwahrscheinlich407 halten. Ähnlichkeit mit dem Grosselter, auch starke Ähnlich - keit kommt sicherlich häufig vor, allein diese ist doch noch weit von einer Übereinstimmung sämmtlicher oder doch der weitaus meisten individuellen Charaktere entfernt, etwa in dem Grade, wie wir sie bei identischen Zwillingen beobachten. Niemand hat noch Kind und Grosselter auch nur einmal in allen ihren Körpertheilen genau mit einander verglichen, ge - schweige denn in demselben Lebensalter. Auch wären für Rückschlag-Untersuchungen nur solche Fälle zu brauchen, in welchen der Vater Nichts von dem Bild der Grossmutter an sich hat um bei diesem Beispiel zu bleiben. Solche Fälle sind aber wohl selbst nicht ganz sicher, jedenfalls nicht häufig.

Ich neige daher der Ansicht zu, dass es sich in allen diesen Fällen nicht um vollständigen, sondern nur um theilweisen Rückschlag auf den Grosselter handelt, um das Wiederauftauchen eines kleineren oder grösseren Complexes von Grosselter-Charak - teren, und dies genügt sicherlich in vielen Fällen, um das Bild des Grosselters vorzutäuschen. Dass aber grössere oder kleinere Complexe von grosselterlichen Charakteren im Kind wieder - erscheinen können, das unterliegt keinem Zweifel, und erklärt sich theoretisch einfacher und ohne dass man dem Zufall eine so grosse Rolle zuertheilen muss. Denn bei vollständigem Rückschlag müssten vielerlei seltenere Vorkommnisse zusammen - treffen, um ihn zu ermöglichen. In unserem Beispiel müsste in je einem Individuum von drei aufeinander folgenden Genera - tionen jedesmal nur die eine der beiden Idantengruppen der Eltern das Bild des Kindes bestimmen, und zugleich müsste in je einer Mutter-Keimzelle von vier verschiedenen Individuen den beiden Grosseltern und Eltern, die Reductionshalbirung ge - rade so durchgeschnitten haben, dass die Idantengruppen der Eltern dadurch getrennt wurden. Möglich, dass Alles dies ein - mal zusammentreffen kann, allein man wird es erst dann be -408 haupten dürfen, wenn die genaue Übereinstimmung von Kind und Grosselter nachgewiesen ist.

Die theilweise Übereinstimmung wird schon der Theorie nach weit häufiger eintreten können. Das Keimplasma bestehe z. B. aus 16 Idanten, 8 mütterlichen und 8 väterlichen. Wenn nun die Reductionstheilung derart erfolgt, dass je 6 Idanten des einen Elters mit je zwei des andern zusammen in eine Keimzelle gelangen, so wird es möglich sein, dass diese 6 Idanten viele derjenigen Determinanten enthalten können, welche das Bild des betreffenden Elters bestimmten. Es muss nicht so sein, denn es könnten ja auch alle 16 Idanten ziemlich gleich - mässig an diesem Bild Antheil genommen haben, und in diesem Falle würden 6 von den 16 Idanten unmöglich dasselbe Bild auch nur annähernd wieder entstehen lassen können.

Andererseits könnte auch der Fall eintreten, dass das Bild des Elters wesentlich nur von der Idantengruppe seiner Mutter oder seines Vaters allein bestimmt wurde, und dann wird eine Ähnlichkeit des Kindes mit dem Vater überhaupt nur dann eintreten können, wenn die bei ihm selbst bestimmend gewesene Idantengruppe ganz oder doch grossentheils in der Keimzelle enthalten war, aus welcher das Kind sich entwickelte. Sicher ist dies freilich auch dann nicht, denn es hängt davon ab, ob nicht bei der Befruchtung von Seiten des andern Elters eine Idantengruppe hinzutritt, die an bestimmender Kraft der bereits vorhandenen überlegen ist, sei es total oder doch in vielen oder den meisten Determinanten.

Soviel aber lässt sich aus allen diesen, leider noch recht unbestimmten Erwägungen ableiten, dass eine grössere Zahl von Idanten, z. B. des Grossvaters, in die Keimzelle für den Vater gelangen kann, ohne in dessen Bild sich geltend zu machen, und dass sie dann in der Keimzelle des Sohnes zu theilweiser Bestimmung des Bildes gelangen kann, falls sie einer an be -409 stimmender Kraft schwächeren Idantengruppe gegenübersteht. Der Kampf der Idanten und Ide entscheidet dann auf jeder Stufe der Ontogenese darüber, welcher Idantengruppe die Herr - schaft über die Zelle zufällt. Nach den für diesen Kampf einst - weilen hypothetisch aufgestellten Principien würde jedesmal die Majorität homodynamer Determinanten die grösste bestimmende Kraft darstellen, und so könnten also sehr wohl gewisse um - fassendere oder speciellere Charaktere des Grossvaters im Enkel wieder zum Vorschein kommen, auch wenn nur 6 oder 8 der bestimmenden Idanten des Grossvaters im Keimplasma für den Enkel enthalten sind.

Wir werden sogar vermuthen dürfen, dass kaum irgend eine menschliche Ontogenese ohne Rückschläge auf einen oder den andern der Grosseltern abläuft, indem es beinahe immer vorkommen wird, dass Determinanten des Grosselters beim Aufbau des Elters stärkeren Determinanten der andern grosselterlichen Keimzelle gegenüber unterdrückt wurden, welche im Enkel zur Herrschaft gelangen, weil sie hier eben wieder einer andern Idanten-Combination gegenüberstehen, der sie unter Umständen überlegen sind. So kann es ge - schehen, dass vereinzelte Charaktere des Grosselters beim Enkel wieder auftreten, ohne dass eine allgemeine Ähnlichkeit vor - handen ist.

Die Antwort auf die oben gestellte Frage: worauf beruht der Rückschlag auf den Grosselter, wird somit kurz dahin be - antwortet werden können: er beruht darauf, dass die für das Bild des Grosselters bestimmend gewesene Idanten - gruppe ganz oder theilweise in der Keimzelle des Elters enthalten war, aus welcher sich der Enkel ent - wickelte, und dass ihr vom andern Elter her eine min - der starke Idantengruppe gegenübertrat.

Wir wissen nicht, wie zahlreich die bestimmenden Idanten410 des Grosselters im Keimplasma für den Enkel enthalten sein müssen, damit Rückschlag auf den Grosselter eintritt. Voller Rückschlag könnte nur eintreten, wenn keiner der bestimmen - den Idanten fehlte, wir sahen aber, dass vollständiger Rück - schlag beim Menschen durchaus nicht erwiesen ist. Noch viel weniger ist er es auf eine Generation weiter rückwärts, auf den Urgrosselter. Es wird wohl in Romanen zuweilen von Fällen erzählt, wo ein Sprössling eines altadeligen Hauses auf einen Urgrossvater zurückschlägt, dessen Charaktere in den dazwischen liegenden Generationen verschwunden waren, allein man darf wohl mit Recht an der Genauigkeit solcher Fälle zweifeln, auch da, wo sie den Anspruch auf Wahrheit erheben. Wohl ist der Urenkel gar manches Mal dem Urelter ähnlich, allein dann war diese Ähnlichkeit auch in den da - zwischen liegenden Generationen nicht völlig ver - schwunden. Theoretisch wäre es allerdings nicht undenkbar, wie oben schon gezeigt wurde, dass die bestimmende Idanten - gruppe des Urelters zwar zwei Generationen hindurch sich in einzelnen Keimzellen ungetheilt erhalten hätte, aber mächtigeren Gruppen der jedesmaligen andern elterlichen Keimzelle unter - legen wäre, um dann in der dritten Generation wieder zur Herrschaft zu gelangen. Wenn ein solcher Rückschlag als vorkommend erwiesen würde, so dürften wir ihn in dieser Weise erklären, und es würde uns dies zu der Annahme berechtigen, dass in manchen Fällen die Idanten der beiden Eltern sich bei der Reductionstheilung wieder in ihre ursprünglichen Gruppen sondern können. Dass dies nur selten, in den meisten Fällen aber nicht so vor sich geht, beweist die hohe Variabilität der zweiten Bastard-Generationen.

Den Unterschied zwischen Rückschlägen bei Bastarden und solchen beim Menschen innerhalb derselben Rasse fanden wir einfach darin, dass bei Bastarden jeder der Idanten eines Elters411 die Artcharaktere in sich enthält, dass also die sämmtlichen Idanten des einen Elters unter sich gleich, sind und alle homo - logen Determinanten auch als homodyname betrachtet werden dürfen. Sobald also eine Ontogenese nur von Iden der einen Stammart beherrscht wird, entsteht das Bild dieser Art. Das Bild eines bestimmten Menschen aber setzt sich aus sehr ver - schiedenartigen Iden zusammen, von welchen keines dem andern völlig gleich ist, weil jedes wieder aus etwas andersartigen Determinanten besteht, und weil das Bild in einem gewissen allgemeinen Sinn immer nur die Resultante aus allen diesen verschiedenen Componenten ist. Dasselbe Bild, d. h. dieselbe Combination von Charakteren könnte nur dann zum zweiten Mal auftreten, wenn dieselben Componenten sich genau wieder zu - sammenfänden. Dies wird aber ausser bei Verdoppelung des schon befruchteten Eies, d. h. bei identischen Zwillingen nie vorkommen können, weil bei jeder Befruchtung wieder eine neue, vorher noch nie dagewesene Combination von Iden und Idanten entsteht. Deshalb kann hier auf dem Gebiete der Individual-Charaktere nie von vollständigem Rückschlag auf ein früheres, schon einmal dagewesenes Individuum die Rede sein, sondern nur vom Rückschlag auf mehr oder weniger umfassende Gruppen von Charakteren, welche schon bei einem Individuum einer früheren Generation dagewesen waren.

3. Zusammenfassung der individuellen Vererbung beim Menschen.

Nachdem nun die Vererbung von Eltern auf Kind, sowie die der Grosseltern und Urgrosseltern besprochen worden ist, wird es nützlich sein, die verschiedenen möglichen Fälle hier zusammenzufassen, und zu prüfen, ob nicht irgendwo ein Wider - spruch zwischen Beobachtung und Theorie sich auffinden lässt.

Der häufigste Fall scheint wohl der zu sein, in welchem412 das Kind eine Mischung aus den Bildern beider Eltern ist, sei es, dass die beiderseitigen Charaktere völlig verschmolzen sind, oder dass sie miteinander nach Zellen, Theilen oder Organen, ja selbst nach Organsystemen abwechseln. In allen diesen Fällen muss die bei der Ontogenese des Elters dominirende Idanten - gruppe auch in der Keimzelle des Kindes enthalten gewesen sein, und zwar die dominirende Gruppe von beiden Eltern.

Man könnte hier einwerfen, wie es denn so häufig vor - kommen könne, dass gerade nur die dominirende Idantengruppe in die zur Amphimixis gelangenden Keimzellen gerathe. Allein es ist zu bedenken, dass die völlig gleichmässige Mischung der beiden Elternbilder im Kind viel seltener ist, als man gewöhn - lich glaubt, und dass es schwer, ja häufig unmöglich ist, zu sagen, ob der mütterliche Antheil an einem Charakter wirklich dem Bilde der Mutter und nicht dem des Mutter-Vaters oder der Mutter-Mutter entnommen ist. Meist sind es nur allgemeine Charaktere der mütterlichen Familie, die sich mit allgemeinen Charakteren der väterlichen Familie gemischt haben. Charaktere aber, die schon durch Generationen hindurch vielen Gliedern einer Familie eigen waren, sind eben solche, die in zahlreichen Iden und Idanten vorkommen, und die deshalb bei vielen Modali - täten der Reductionstheilung in grösserer Anzahl in die Keim - zellen gelangen. Für diese Übertragung allgemeiner Familien - ähnlichkeit würde theoretisch nicht die dominirende Idantengruppe des Elters, sondern nur überhaupt eine Mehrzahl der Idanten dieser Gruppe erforderlich sein.

Anders bei dem zweiten Fall, der vorwiegenden Ähnlich - keit mit dem Bilde des einen Elters. Diese setzt die Anwesen - heit der dominirenden Idantengruppe des betreffenden Elters voraus und ferner das Gegenübertreten einer weniger starken, d. h. mit geringer Zahl homodynamer Determinanten ausge - rüsteten Idantengruppe des andern Elters.

413

Es giebt nun drittens Fälle, in welchen das Kind mehr oder weniger rein das Bild des Onkels oder der Tante wiederholt, oder bei welchen dieses Bild gemischt auftritt mit den Charakteren des andern Elters. Ich kenne einen Mann, der vorwiegend einer Tante mütterlicherseits ähnlich sieht, der aber daneben noch viele allgemeine Charaktere der Familie seines Vaters aufweist.

Die idioplasmatische Erklärung dafür darf wohl darin ge - funden werden, dass die Eizelle, aus welcher der Betreffende sich entwickelte, nicht die dominirende Idantengruppe der Mutter, sondern diejenige enthielt, welche in der Ontogenese der Schwester der Mutter dominirt hatte. Das ist theoretisch sehr wohl mög - lich. Gesetzt, die Ur-Keimzellen vom Grossvater mütterlicher - seits (mp) hätten die Idanten enthalten: a b c d e f g h; die Grossmutter dagegen die Idanten i k l m n o p q, ferner: die be - fruchtete Eizelle, aus welcher die Mutter hervorging, hätte ent - halten die Idanten a b c d × i k l m, diejenige, aus welcher die Tante hervorging, dagegen die Idanten a b c f × l n o p. Gesetzt ferner, die dominirende Idantengruppe in der Ontogenese der Tante seien die fettgedruckten Idanten a b c und l gewesen, so leuchtet ein, dass dieselbe Combination a b c l auch aus dem Keimplasma der Mutter mittelst Reductionstheilung hervorgehen kann, da sie alle vier im Keimplasma der Mutter a b c d × i k l m enthalten sind. Ob nun dieser Fall in solcher Reinheit vor - komme, kann wohl bezweifelt werden; ich kenne keinen der - artigen Vererbungsfall, der die Annahme verlangte; die Ähn - lichkeit ist immer nur eine unvollständige.

Ein vierter Fall ist der, in welchem das Kind weder Vater oder Mutter entschieden gleicht, noch ein erkennbares Gemisch beider ist, in welchem es auch nicht einem der vier Grosseltern entschieden gleicht, sondern eine ganz neue Combination von Eigenschaften darstellt. Niemals wohl verleugnet ein solches414 Kind die Familien-Ähnlichkeit mit beiden oder doch der einen der elterlichen Familien, aber es fehlen irgend ausgeprägte Charaktere der betreffenden Vorfahren.

Die Theorie kommt durch diese Fälle nicht in Verlegen - heit, da durch die Reductionstheilung die Möglichkeit geboten ist, dass in die Keimzellen der Eltern, welche zur Amphimixis gelangen, gerade die bei beiden Eltern dominirenden Idanten nicht, oder doch nur theilweise gelangen.

Es habe z. B. bei der Ontogenese des Vaters das Keim - plasma die Zusammensetzung a b c d e f g h gehabt mit den dominirenden Idanten a b d f; bei der Ontogenese der Mutter sei es aus den Idanten i k l m n o p q zusammengesetzt gewesen und i l n o hätten wesentlich ihr Bild bestimmt. Wenn nun die Reductionstheilung so erfolgt, dass eine Eizelle mit den Idanten k m p q und eine Samenzelle mit den Idanten c e g h entsteht, und wenn diese sich in Amphimixis vereinigen, so entsteht ein Keimplasma, welches zwar wohl Familiencharaktere von beiden Seiten enthalten wird, unmöglich aber das Bild des Vaters oder der Mutter, oder ein Gemisch aus ihnen liefern kann.

Über den Rückschlag des Kindes auf einen der vier Gross - eltern war schon ausführlich die Rede, und ich komme darauf nicht zurück. Aber Eines möchte ich hervorheben, dass nämlich nach der Theorie niemals ein Kind eine Mischung aus dem Bilde zweier Grosseltern sein kann. Einfach des - halb, weil mindestens die Hälfte der Idanten eines Keimplasma’s das Bild des Kindes bestimmen, weil aber immer nur ein Viertel der Idanten zweier Grosseltern zugleich im Keimplasma des Kindes enthalten sein können. Eine Ausnahme davon würde nur bei Inzucht stattfinden können, d. h. also wenn beide Gross - eltern theilweise dieselben Idanten enthielten.

Es ist mir auch niemals ein Fall vorgekommen, in dem415 die Ähnlichkeit mit den Eltern gefehlt hätte, dagegen das Bild des Kindes aus dem zweier Grosseltern gemischt gewesen wäre.

4. Rückschlag auf Charaktere weit entfernter Vorfahren.

Ich wende mich zur Betrachtung des Rückschlags auf entfernte Vorfahren. Die Fälle sind durch Darwin so bekannt geworden, dass man fast glauben sollte, eine genauere Darlegung der blossen Thatsachen sei überflüssig. Dennoch ist dies nicht der Fall, ja ich muss sogar sagen, dass die Thatsachen nicht nach allen Richtungen hin so genau beschrieben worden sind, als es für ihre theoretische Erklärung wünschenswerth wäre. Darwin hat zuerst darauf aufmerksam gemacht, dass bei Kreu - zungen, sei es von Arten oder von blossen Varietäten, nicht selten Charaktere bei den Nachkommen auftreten, welche bei den Eltern nicht vorhanden waren, von denen wir aber theils geradezu nachweisen, theils sehr wahrscheinlich machen können, dass sie weit zurückliegenden Vorfahren zukamen. So erscheint bei Maulthieren zuweilen eine entschiedene Zebrastreifung auf den Vorderbeinen und der Schulter, die sowohl beim Pferd, als beim Esel nur sehr selten und überhaupt nur sehr schwach vorkommt, die aber der Stammform beider Arten zugeschrieben werden darf. So entstehen bei der Kreuzung gewisser Tauben - Rassen Nachkommen mit dem schieferblauen Gefieder der wilden Felsentaube, obwohl die zur Kreuzung benutzten Rassen ganz andere Färbungen besassen, und in diesem Falle ist die Abstammung von der wilden Felsentaube sicher. Auch bei Pflanzen giebt es solche Fälle. Die Bastarde der weiss blühenden Datura ferox und Datura laevis besitzen regelmässig blaue (purpurne?) Blumen, und Darwin1)Domestication II, p. 304. zeigt, dass man dies als Rückschlag auf blau blühende Vorfahren anzusehen habe,416 wie es denn heute noch eine ganze Section von Datura-Arten giebt, welche blaue Blumen hervorbringen.

Ich will nun diese drei Fälle nach meiner Theorie zu er - klären versuchen. Rückschlag wird hier, wie überall, im All - gemeinen dadurch zu erklären sein, dass alte, unveränderte Determinanten im Keimplasma enthalten sind, die nun unter gewissen Verhältnissen an Stelle der jüngeren homologen Deter - minanten zur Herrschaft über die betreffende Zelle oder die Zellenbezirke gelangen. Ähnliche Annahmen muss jede Ver - erbungstheorie machen, die Darwin’sche Pangenesis hält dafür alte Keimchen in Bereitschaft, de Vries alte Pangene, irgend welche unveränderte Theile der Vererbungssubstanz der Vor - fahren müssen immer den Ausgangspunkt der Erklärung bilden; es fragt sich nur, ob man dabei stehen bleiben und alles Übrige im Dunkel lassen muss, oder ob man vielleicht doch im Princip wenigstens sich eine gewisse Einsicht auch dafür verschaffen kann, weshalb diese Theilchen unverändert bleiben konnten, weshalb sie, und unter welchen Umständen plötzlich wieder zur Herrschaft gelangen können, und weshalb gerade an Stelle der ihnen homologen umgewandelten Theile.

Auf die erste Frage ist oben schon eine Antwort gegeben worden. Es wurde gezeigt, dass gerade nach dem Alles be - herrschenden Princip der Selection eine von den Lebensumständen einer Art geforderte Umwandlung des Körpers niemals auch eine Umwandlung aller der für die umzuwandelnden Theile betreffenden Determinanten verlangt, sondern immer nur einer Majorität derselben, die so gross ist, dass sie das Zustande - kommen der betreffenden Abänderung in jeder Ontogenese, d. h. also bei jedem Individuum der Art sicher stellt. Mehr ist nicht nöthig, mehr kann also auch durch Selections - vorgänge nicht geleistet werden. Es müssen somit nach jeder Umwandlung des Körpers in der Entwickelungsgeschichte417 der Arten neben den umgewandelten Determinanten eines Theiles immer auch noch unveränderte im Keimplasma enthalten sein, und sie werden sich nur sehr langsam im Laufe der weiteren Artgeschichte verlieren können.

Das Material, mit welchem Rückschlag auf alle Art -[Charaktere] zu operiren hat, kann also als vorhanden nach - gewiesen werden vom Boden der Selectionstheorie aus, es müssen in jedem Keimplasma alte Determinanten, welche Charakteren der Vorfahren-Arten entsprechen, in grösserer oder geringerer Zahl enthalten sein.

Die zweite Frage, weshalb solche Vorfahren-Determi - nanten immer an der richtigen Stelle im Körper zur Geltung kommen, erledigt sich nach unserer Theorie von selbst, welche ja die Mechanik der Ontogenese auf die allmälige Auseinander - legung der Determinanten des Keimplasma’s bezieht.

Es bleibt also nur die dritte Frage noch zu beantworten, welche lautet: wie können die alten, in der Minderheit befindlichen Vorfahren-Determinanten zur Herrschaft über die Majorität der jüngeren gelangen?

Bei den Nachkommen von Pflanzen-Mischlingen sahen wir auch bei Befruchtung mit eigenem Pollen Rückschlag zu der einen Stammform dann eintreten, wenn zufällig solche Keim - zellen bei der Befruchtung zusammentreffen, welchen bei der Reductionstheilung die vollständige Idantengruppe derselben elterlichen Stammart zugetheilt worden war. Sobald das Keim - plasma der befruchteten Eizelle nur Idanten der Art A enthält, kann auch nur ein Bion der Art A entstehen. Davon kann nun bei dem Rückschlag auf entfernte Vorfahren-Merkmale nicht die Rede sein; es kann hier niemals vorkommen, dass das Keimplasma nur aus Idanten der Vorfahren-Arten bestünde, ja, es wird bezweifelt werden dürfen, dass überhaupt noch ganze Vorfahren-Idanten im Keimplasma irgend eines IndividuumsWeismann, Das Keimplasma. 27418einer längst befestigten Art enthalten sind. Denn die Zahl der Idanten (Kernstäbchen) ist bei keiner Art eine überaus grosse und wenn wir, wie in dem oben gewählten Beispiel, eine mittlere Zahl, z. B. 16 annehmen, so würde ein unveränderter Idant auf 15 abgeänderte schon ein ziemlich starkes Verhält - niss sein und die Möglichkeit eröffnen, dass bei der gewöhn - lichen Fortpflanzung der Art unter sich gelegentlich ein Rück - schlag auf die Stammform vorkäme. Es brauchte die Befruchtung nur 8 Mal hintereinander derart zu erfolgen, dass jedesmal zwei der unveränderten Vorfahren-Idanten zu den schon vorhandenen hinzugeführt würden, so entstünde ein nur aus reinen Vor - fahren-Idanten gebildetes Keimplasma, und das daraus sich ent - wickelnde Bion müsste in allen Charakteren dem betreffenden Vorfahren entsprechen. Der Vorgang könnte unter besonders günstigen Verhältnissen sogar schon in vier Generationen sich abspielen, nämlich so:

Dabei bedeuten die Buchstaben die Idanten, die unter sich nur individuell verschieden sind mit Ausnahme von a', welches den in der ersten Generation nur einmal vorhandenen unveränderten Vorfahren-Idanten bedeutet. Der senkrechte Strich deutet die Reductionstheilung der Mutterkeimzellen an, welche in dem hier angenommenen günstigsten Falle immer gerade die Vorfahren - Idanten a' in die zur Amphimixis gelangende Keimzelle der folgenden Generation zusammenführt. Der Einfachheit halber ist angenommen, dass die copulirenden Keimzellen in Bezug auf ihren Gehalt an Vorfahren-Idanten gleich seien. Auf diese419 Weise muss schon in der vierten Generation ein lediglich aus Vorfahren-Idanten zusammengesetztes Keimplasma entstehen.

Wenn man nun auch gewiss zugeben muss, dass ein so günstiges Zusammentreffen aller Umstände kaum je vorkommen wird, so lässt sich doch nicht bestreiten, dass in längeren Ge - nerationsfolgen sehr wohl eine Anhäufung von Vorfahren - Idanten in einer Keimzelle eintreten kann, und dass somit auch eine Überzahl von solchen Idanten bei der Befruchtung zu - sammentreffen kann. In diesem Falle würde also ein mehr oder weniger vollständiger Rückschlag auf die Stammart eintreten müssen. Da wir nun bei reinen, längst fixirten Arten bei ihrer normalen Fortpflanzung solche Rückschläge auf das volle Bild der Vorfahren-Art nicht beobachten, so wird daraus geschlossen werden dürfen, dass bei solchen reinen, alten Arten sämmt - liche Idanten umgewandelte sind, d. h. solche, von wel - chen jeder das Bild der Art liefert, nicht das eines Vorfahren, falls er allein die Ontogenese bestimmen würde.

Die angestellten Erwägungen bieten aber, wie mir scheint, eine gute Erklärung für den häufigen Rückschlag junger, noch nicht völlig fixirter Arten. Garten-Varietäten von Blumen, z. B. vom Stiefmütterchen (Viola tricolor) geben unter einer grossen Anzahl von Sämlingen immer auch solche Pflanzen, deren Blumen der wilden Art mehr oder weniger vollständig gleichen. Bei dieser ganz modernen Lebensform ist offenbar nur ein Theil der Idanten von der Umwandlung betroffen worden, ein anderer kleinerer Theil ist unverändert geblieben. Da nun die Reductionstheilung die Idanten in allen möglichen Combi - nationen in zwei Gruppen bringt, so werden auch solche Keim - zellen, männliche wie weibliche vorkommen, welche vorwiegend unabgeänderte Idanten enthalten, und wenn dann bei der Be - fruchtung zwei solche Keimzellen zusammentreffen, so muss Rückschlag eintreten.

27*420

Gesetzt, es wären von 16 Idanten des Keimplasma’s 10 ab - geändert, 6 unabgeändert, so könnte unter günstigen Umständen schon ohne weitere Anhäufung im Laufe der Generationen, d. h. also direkt bei jeder Befruchtung, der Fall eintreten, dass die Majorität der Idanten unabgeändert wäre nach folgendem Schema, bei welchem die Buchstaben mit Strich die unabgeänderten, die ohne Strich die abgeänderten Idanten bedeuten, die Trennungs - linie zwischen den Buchstaben die Reductionstheilung:

Durch die Art der Reductionstheilung kommen in die mütter - liche Keimzelle 5 unabgeänderte Idanten, in die väterliche eben - falls 5, so dass in dem Keimplasma des Kindes 10 unabgeänderte Idanten nur 6 abgeänderten gegenüberstehen. Lassen wir da - gegen die beiden andern aus denselben Mutter-Keimzellen durch die Reductionstheilung hervorgehenden Keimzellen in der Be - fruchtung zusammentreten, so erhalten wir ein Keimplasma des Kindes II von folgender Zusammensetzung: i k l' m n o p q y z a b' c d e g d. h. ein Keimplasma, in dem nur zwei unabgeänderte Idanten enthalten sind, aus dem also die abgeänderte Form der Pflanze hervorgehen muss.

Eine grosse Anzahl von bisher unverstandenen Vererbungs - fällen erklärt sich so auf sehr einfache Weise, z. B. die Be - obachtung, dass Spielarten cultivirter Pflanzen in so un - gemein verschiedenem Betrage von Sicherheit ihre Eigenthümlichkeiten vererben. Dies wird davon abhängen, wie viele der Idanten ihres Keimplasma’s unverändert geblieben sind; je grösser die Anzahl derselben ist, um so leichter wird Rückschlag eintreten.

Der erste der drei oben als Typen für den Rückschlag421 auf entferntere Vorfahren aufgeführten Fälle, der von Datura ferox × laevis, scheint sich wohl nach den oben angestellten theoretischen Betrachtungen verstehen zu lassen. Die beiden weiss blühenden Datura-Arten geben blau blühende Bastarde, und zwar nicht blos dann und wann, sondern in allen 205 Pflanzen, welche Naudin aus dieser Kreuzung erzog1)Siehe bei Darwin, Domestication II, p. 304., sowie in den sämmtlichen Fällen, welche früher schon von Koelreutter und Gärtner2)Siehe bei Focke, Pflanzenmischlinge , p. 269. beobachtet worden waren. Wenn wir annehmen, beide Datura-Arten enthielten neben ihren eigentlichen Art - Idanten noch eine gewisse Zahl von Vorfahren-Idanten, so könnten diese durch die Reductionstheilung in einzelnen Keimzellen relativ vermehrt werden und würden dann bei dem Zusammentreffen mit einer ähnlichen, an Vorfahren-Idanten reichen Keimzelle der andern Art ein Keimplasma darstellen, in welchem die Vorfahren - Idanten in grösserer Anzahl enthalten wären, vielleicht sogar die Majorität besässen. Es könnten also einzelne Rückschläge auf die beiden gemeinsame Stammart eintreten. Offenbar werden aber durch diese Annahme die Thatsachen noch nicht hinreichend erklärt, da ja die blaue Farbe der Blumen bei allen Bastarden sich zeigte. Es muss also der Rückschlag hier unabhängig sein von der durch die Reductionstheilung möglicherweise in einzelnen Keimzellen eintretenden stärkeren Ansammlung von Vorfahren-Idanten. Diese Idanten müssen vielmehr in jeder befruchteten Keimzelle in einer genügenden Anzahl zusammentreffen, um den abgeänderten Idanten über - legen zu sein und die Ontogenese zu beherrschen. Numerisch können sie aber unmöglich in jedem Falle stärker sein, es muss also hier noch etwas Anderes mitspielen, was den Vorfahren - Anlagen in jedem Falle das Übergewicht verleiht, und dies dürfte wohl die specifische Verschiedenheit der abge -422 änderten Idanten sein. Wir nahmen von vornherein an, dass homodyname Determinanten sich in ihrer Wirkung summiren, heterodyname aber sich gegenseitig hemmen. Ähnlich wird es sich auch mit den Determinanten-Gruppen, den Iden und Idanten verhalten müssen; gleichartige Idanten werden sich in ihrer Wirkung verstärken, ungleichartige aber um so entschie - dener hemmen, je verschiedenartiger ihre Zusammensetzung aus Iden und Determinanten ist. Fassen wir einmal nur die De - terminantengruppe der Blumen ins Auge, so enthalten aller - dings die beiden Datura-Arten Determinanten, welche auf eine weisse Blume abzielen, und man könnte daraus schliessen wollen, dass sie homodynam sein und ihre Wirkungen summiren müssten. Das wäre aber ein Fehlschluss, denn es kann sehr wohl sein, dass diese Determinanten nur gerade in der Erzielung der Farbe Weiss übereinstimmen, in vielen anderen Eigen - schaften der Zellen, in Grösse, feinerem Bau u. s. w. stark von einander abweichen. Die blauen Determinanten aber sind wirklich homodynam, d. h. sie stimmen nicht nur in Bezug auf die Farbe überein, die sie hervorrufen, sondern auch in allen anderen Eigenschaften der Blumenzellen, denn sie rühren von der gemeinsamen Stammart her. Wenn also der Bastard zur Blumenbildung schreitet, so wird die Bildung der Blumen - zellen von den Determinanten der beiden weissen Arten und von denjenigen der blauen Stammart abhängen. Obgleich nun die blauen in jedem elterlichen Idioplasma in der Minderheit sind, so können sie doch, wenn sich alle vereinigen, den weissen an Vererbungsstärke überlegen sein, wenn die weissen nicht homodynam sind, d. h. nicht genau dieselbe Vererbungskraft enthalten und deshalb eine mittlere Wirkung nicht hervorbringen können. Sie hemmen sich gegenseitig in ihrer Wirkung, weil sie in mehr oder weniger verschiedener Richtung wirken. Nach diesem Princip lassen sich viele Fälle von Rückschlag verstehen,423 wenn eben auch nur im Princip. Doch kann man sich leicht einen solchen Fall auch durch Zahlen im Einzelnen anschaulich machen.

Gesetzt, es seien nicht blos einzelne Ide, welche die blauen Stammes-Determinanten enthalten, sondern ganze Idanten mit allen ihren Iden, so würde sich also im Keimplasma der Datura - Bastarde gegenüberstehen: eine Minorität alter Vorfahren-Idanten und eine Majorität moderner Idanten, welche aber zur Hälfte dem Bilde der Datura laevis, zur Hälfte dem Bilde der Datura ferox entsprächen. Es seien im Ganzen 16 Idanten, davon 6 blaue Ahnen-Idanten und 10 weisse Idanten. Da nun die Letzteren sich aus 5 Laevis - und 5 Ferox-Idanten zusammen - setzen, also aus ungleichartigen, so überwiegen die 6 gleichen Ahnen-Idanten, die sich gegenseitig verstärken, während die 2 × 5 differenten Laevis - und Ferox-Idanten sich nicht zur Kraftsumme von 10 summiren.

Ich habe bisher vorausgesetzt, dass es sich in diesem Falle um einen vollständigen Rückschlag auf die Stammform handle und nicht blos um Rückschlag auf einzelne Vorfahren - Charaktere. Ich kann indessen aus den mir zugänglichen Angaben über diese Bastarde nicht mit Sicherheit darüber urtheilen, und da der Fall hier nicht seiner selbst willen, sondern nur als Beispiel gewählt wurde, um daran zu zeigen, wie etwa ein Fall völligen Rückschlags auf entferntere Vorfahren erklärt werden könne, so kann die Frage, ob dieser Fall wirklich dahin gehöre, und ob solche Fälle vollkommnen Rückschlags wirklich vorkommen, unentschieden bleiben. Jedenfalls ist das Blau der Blumen nicht der einzige scheinbar neue Charakter dieser Bastarde, sondern auch die braune Farbe der Stengel, welche bei beiden reinen Arten grün sind. Nur die eine der beiden Arten, Datura ferox, zeigt in frühester Jugend diese braune Farbe des Stengels, die sich später nur noch als ein Ring um424 die Basis des Stengels erhält. Ob die Gestalt der Blätter, der Bau des Stengels oder der Früchte einen Anhalt dafür giebt, diese Theile als Mittel aus den beiden Eltern-Arten, oder aber als Abweichungen von beiden, dann also vermuthlich als Rück - schlag auf die Verfahren-Art zu betrachten, dies zu entscheiden muss ich den Botanikern überlassen.

Bei dem oben schon erwähnten Rückschlag der Tauben - Rassen auf die wilde Stammform, der häufig nach Kreuzung verschiedenartiger Rassen eintritt, darf wohl behauptet werden, dass er kein vollständiger ist. Allerdings hat Darwin einmal eine Taube erhalten, die kaum von der wilden Shetland-Art zu unterscheiden war und die doch der Enkel von vier Gross - eltern waren, die alle von der wilden Art der Columba livia sehr bedeutend abwichen. Dieser blaue mit den typischen schwarzen Binden auf Flügeln und Schwanz versehene Enkel stammte von einer rothen Blässtaube, einer weissen Pfauentaube und zwei schwarzen Barbtauben. Diese Rassen unterscheiden sich bekanntlich nicht nur durch die Färbung von der wilden Taube, sondern noch durch viele andere Abweichungen, als Schnabellänge, Zahl der Schwanzfedern u. s. w., und es wäre des - halb interessant zu wissen, ob diese Rassen-Charaktere sämmtlich verloren gegangen waren in dem Enkel, und sich in die ent - sprechenden Merkmale der wilden Art zurückverwandelt hatten. Man würde dann den Rückschlag als vollständig betrachten dürfen und ihn theoretisch in ähnlicher Weise erklären, wie es oben beim Datura-Bastard geschah. Leider giebt Darwin darüber keinen Aufschluss, da er seine Aufmerksamkeit wesent - lich auf die für die Art so charakteristische Färbung concentrirte. Es ist mir indessen aus verschiedenen seiner Angaben sehr wahr - scheinlich, dass es sich hier wesentlich auch nur um Rückschlag in der Färbung des Gefieders handelt. Ich schliesse dies vor Allem daraus, dass alle Hauptrassen der Tauben auch in der425 blauen, d. h. der ursprünglichen Färbung der Columba livia vorkommen, wenn auch solche blaue Unter-Rassen bei einigen der Hauptrassen selten sind. Die übrigen Rassen-Merkmale schliessen also jedenfalls die blaue Färbung nicht aus, und so wird auch umgekehrt, die Rückkehr zur blauen Färbung nicht nothwendig eine Rückkehr zu allen übrigen Charakteren der Stammart nothwendig machen.

Vollkommen sicher ist, dass in den meisten durch Kreuzung hervorgerufenen Fällen von Rückschlag dieser selbst in der Färbung kein vollständiger ist, sondern von den schwächsten, kaum erkennbaren Andeutungen der Flügel - und Schwanzbinden durch theilweise Blaufärbung mit vollkommenen Binden bis zur vollständigen Schieferfarbe und der ausgebildeten Zeichnung der Stammform emporsteigt. Die grösste Zahl der Tauben - Rückschläge sind also sicher unvollkommene Rückschläge, d. h. Rückschläge auf einzelne oder auf Gruppen von Charakteren, und mit der theoretischen Erklärung dieser Fälle haben wir es hier zu thun.

Ich stelle die beiden Thatsachen voran, dass alle werth - vollen Taubenrassen unter sich rein züchten, dass alle Haupt - rassen durch Form unterschiede charakterisirt sind, und dass erst die Unterrassen auf Farben-Unterschieden beruhen. Dies heisst, wie mir scheint, erstens, dass das Keimplasma dieser Hauptrassen in der Hauptsache abgeändert ist dem der Felsen - taube gegenüber, und dass nur kleinere Theile desselben der Stammform entsprechen; weiter aber, dass nicht alle Deter - minanten gleich stark abgeändert sind; die der Färbung am wenigsten, die des gesammten Körperbaues am meisten. Ich denke mir deshalb das Keimplasma einer Hauptrasse aus lauter abgeänderten Idanten zusammengesetzt; keiner derselben ent - spricht mehr vollkommen der Stammform, d. h. keiner derselben, wenn er für sich allein die Ontogenese leitete, würde zur Bil -426 dung einer Felsentaube führen. Dieser Schluss ruht wesentlich auf dem Reinzüchten, insofern ein Keimplasma, welches noch ein - zelne unveränderte Idanten der Stammart enthielte, nothwendig oder doch wahrscheinlich in Folge der stets neuen Combinirung der Idanten bei der Reductionstheilung und bei der Befruchtung auch einmal eine Majorität von Stamm-Idanten zu gleicher Zeit erhalten könnte, woraus dann Rückschlag auf die Stammart resultiren müsste. Dies kommt aber bei Reinzucht nicht vor, vielmehr nur bei Kreuzung.

Ich denke mir deshalb das Keimplasma der Taubenrassen aus einer bestimmten Anzahl von Idanten zusammengesetzt, von denen jeder das Bild der Rasse repräsentirt. In jedem dieser Idanten muss also die Mehrzahl der denselben zusammensetzen - den Ide ebenfalls dieses Bild virtuell enthalten, oder genauer: sämmtliche Determinanten der Rasse sind in der Ge - sammtheit der Ide jedes Idanten in der Majorität gegenüber den etwa noch vorhandenen nicht abgeänder - ten Determinanten.

Die Reinzüchtung der Rasse erklärt sich daraus voll - ständig.

Was nun den Rückschlag auf Färbung und Zeichnung der wilden Taube betrifft, so werden bei dem künstlichen Züchtungs - process, dem diese Taubenrassen ihren Ursprung verdanken, nur eben so viel Ide völlig zu Rassen-Iden umgewandelt worden sein, als nöthig war, um eben das angestrebte Ziel: Rein - züchtung der Rassen-Charaktere zu sichern; eine grössere oder geringere Anzahl von Iden vieler oder vielleicht auch aller Idanten wird aber in allen, oder doch in manchen Determi - nanten unabgeändert geblieben sein. Offenbar müssen die Determinanten, welche die Färbung bedingen, in grösserer An - zahl unverändert geblieben sein, als die von andern Charakteren, da die Färbung am leichtesten zurückschlägt.

427

Rückschlag in der Färbung wird dann eintreten, wenn irgendwo am Gefieder des sich entwickelnden Vogels die Stamm - Determinanten über die Rassen-Determinanten das Übergewicht erlangen, und dies wird bei der Kreuzung dann eintreten, wenn die Rassen-Determinanten so verschieden sind, dass sie ihre Kräfte nicht summiren, sondern sich gegenseitig hemmen. Die Stamm-Determinanten werden dann obwohl in den Idanten der beiden Keimzellen, die bei der Kreuzung sich vereinigen, in der Minorität sich in ihrer bestimmenden Kraft summiren, und wenn sie zahlreich genug sind, die betreffenden Färbungen bestimmen, d. h. Rückschlag veranlassen.

Ich glaube, dass sich so nicht nur die Erscheinung des Rückschlages im Allgemeinen, sondern auch Vieles von den Einzelbeobachtungen erklärt, zunächst die verschiedene Stärke des Rückschlages bei verschiedenen Taubenrassen. Ausreichende Versuche liegen zwar darüber nicht vor, aber man erkennt doch, dass bei manchen Rassen der Rückschlag leichter und stärker eintritt, als bei andern. So erhielt Darwin durch Kreuzung von zwei schwarzen Barb-Taubern mit zwei rothen Bläss-Tauben dunkel gefärbte Bastarde, von denen nicht weniger als sechs doppelte Flügelbinden besassen. Hingegen ergab die Kreuzung schwarzer Barben mit schneeweissen Pfauen - tauben keine Spur eines Rückschlages. Dies findet seine Er - klärung schon in der verschiedenen Zahl von unveränderten Art-Determinanten, welche bei verschiedenen Rassen in dem Keimplasma zurückgeblieben sein müssen, wird aber auch von der verschiedenen Differenz der abgeänderten Rassen-Determi - nanten abhängen, denn um so stärker die beiden Rassen, welche gekreuzt werden, differiren, um so leichter werden die Vor - fahren-Determinanten über sie siegen.

Der zuletzt erwähnte Versuch Darwin’s wurde noch fort -428 gesetzt, indem ein Paar der Bastarde, ein schwarzer und ein brauner Vogel, miteinander gepaart wurde. Die ersten Nach - kommen (wie viele ist nicht gesagt) zeigten nun auf braunem Grund dunkelbraune Flügelbinden. Dies erklärt sich durch Anhäufung einer grösseren Zahl nicht abgeänderter Determi - nanten in einzelnen Keimzellen durch die Reductionstheilung mit nachfolgendem Zusammentreffen zweier solcher Zellen bei der Befruchtung. Man wird aber erwarten dürfen, dass der Rückschlag nicht bei allen Nachkommen dieses Paares eintreten würde, denn die Reductionstheilung muss andererseits auch solche Keimzellen hervorrufen, in welchen die abgeänderten Determinanten in der Mehrzahl sind. In der That ging aus einer zweiten Brut derselben Eltern ein brauner Vogel hervor, der keine Andeutung von Flügelbinden besass.

Sehr leicht lässt sich vom Boden der Theorie aus die That - sache verstehen, dass die einfache Kreuzung zweier Rassen mehrmals keine Spur von Rückschlag ergab, wohl aber die darauf folgende Doppelkreuzung. Der stärkste Rück - schlag, den Darwin erhielt, entstand auf diese Weise. Ein weiblicher Barb-Pfauentauben-Bastard wurde mit einem männ - lichen Barben-Blässtauben-Bastard gepaart. Keiner von beiden Vögeln hatte auch nur das geringste Blau an sich , dennoch waren die Nachkommen (wie viele ist nicht gesagt) dieser Bastarde blau über den ganzen Rücken und die Flügel, und besassen die doppelte schwarze Flügelbinde und die Schwanzbinde, genau wie die wilde Felsentaube . Hier kamen die Stamm-Determi - nanten offenbar dadurch stärker zur Geltung, weil ihnen drei - oder viererlei verschiedenartige Rassen-Determinanten gegen - überstanden, deren bestimmende Kraft sich nicht einfach summiren konnte, wie die der Stammes-Determinanten, sondern sich theil - weise schwächte und aufhob.

Auch die aus den Darwin’schen Beobachtungen heraus -429 zulesende Thatsache, dass bei einfacher Kreuzung die Jungen sich ungefähr gleich verhalten in Bezug auf Rückschlag, lässt sich theoretisch leicht verstehen. Denn im Keimplasma einer gut fixirten Rasse wird ein bestimmter Procentsatz von Stammes - Determinanten enthalten sein, und die verschiedenen Keimzellen eines Individuums werden nur geringen Schwankungen nach dieser Richtung hin unterliegen. Es müssen also bei der ein - fachen Kreuzung bei jeder Befruchtung nahezu gleichviel Stammes-Determinanten zusammentreffen, andererseits auch nahezu gleichviel Rassen-Determinanten, und aus dem Kampf dieser ver - schiedenen Determinanten-Arten muss auch stets annähernd das gleiche Resultat hervorgehen. Dass die Übereinstimmung der Jungen derselben Kreuzung eine vollkommene sei, ist nicht zu erwarten, aber wenn kein Rückschlag bei dem einen eintritt, so fehlt er auch bei den andern, und wenn er halb eintritt, so findet sich irgend welcher Theil auch bei den andern zurück - geschlagen. Ein Beispiel des ersten Falles ist in der oben an - geführten Kreuzung von schwarzen Barb - mit weissen Pfauen - tauben enthalten. Ein Beispiel der zweiten Art beschreibt Darwin auf p. 220 des Band I der Domestication . Er kreuzte eine weisse Nonne mit einem rothen Purzler und er - hielt fünf Junge, die alle irgend welche Andeutung von Rück - schlag zeigten: No. I hatte einen blauen Schwanz, No. II und No. III besassen auf einem blauen Schwanz sogar noch eine Spur der schwarzen Binde, No. IV war bräunlich, hatte aber eine Spur der Flügelbinde, No. V. war blassblau an Brust, Rücken und Schwanz, aber am Hals und auf den Flügeln war sie roth und die Flügelbinden waren ebenfalls roth angelegt. Also bei allen fünf Jungen Rückschlag, bald stärker, bald schwächer, bald an diesem, bald an jenem Theil. Die Ver - schiedenheit der Jungen deutet darauf hin, was die Theorie auch voraussetzen muss, dass die Zahl der Stammes-Determi -430 nanten in den beiderseitigen Keimzellen, welche das Bild der fünf Jungen bestimmten, nicht durchaus die gleiche war. Aber sie lässt noch einen weiteren Schluss zu, der auch theoretisch vorherzusehen war, dass nämlich die Farben-Determinanten der verschiedenen Körpergegenden in schwankenden Ziffern in den verschiedenen Keimzellen vertreten sind. Das lässt sich in den Bau des Keimplasma’s, wie er hier angenommen wurde, nicht nur leicht hineindenken, sondern es kann überhaupt kaum anders vorgestellt werden. Wenn in den verschiedenen Idanten des Bastard-Keimplasma’s zusammen - genommen zwanzig Ide enthalten sind mit Stammes-Determi - nanten, so ist damit nicht gesagt, dass in jedem solchen Id nur Stammes-Determinanten vorkommen. Nichts spricht da - gegen, dass in demselben Id z. B. die Determinanten der Flügel - farben Stammes-Determinanten sind, während die der Schwanz - farben Rassen-Determinanten sind, oder umgekehrt. Indem nun in der einen Keimzelle die ersteren, in der zweiten die anderen an Zahl überwiegen, wird der Vogel den Rückschlag am Schwanz oder an den Flügeln zeigen, denn der Kampf der Determinanten vollzieht sich nach unserer Theorie in jeder Zelle und folglich auch an jeder Stelle des Bion für sich; die Entscheidung wird also an jeder Stelle unabhängig von den übrigen gegeben und hängt lediglich von der Combination homologer Determinanten ab, welche in der betreffenden Zelle, oder auf dem betreffenden Zellgebiet miteinander kämpfen. So erklärt es sich sehr gut, dass zwar alle Jungen einer gewissen Kreuzung Rückschlag zeigen, aber in sehr verschiedenartigen Mischungen mit den Rassen-Charakteren der Eltern.

Ich komme jetzt zu dem dritten im Anfang dieses Ab - schnittes aufgestellten Typus des Rückschlages, zu dem Rück - schlag auf vereinzelte Charaktere weit zurück ge - legener Stammarten. Die Zebra-Streifung an den431 Beinen der Esel und Pferde, besonders aber der Maul - thiere gehört hierher.

Es ist wohl nicht nöthig, die Argumente zu wiederholen, mit welchen Darwin wahrscheinlich zu machen suchte, dass die nächste Stammform des Pferdes graubraun von Farbe und gestreift war. Anklänge daran kommen heute noch bei Pferden verschiedener Farbe in allen Theilen der Erde vor, nämlich ein dunkler Rückenstreif, und Querstreifen an den Beinen und den Schultern; sie kommen indessen selten genug vor, am häufigsten bei graubraunen Pferden. Beim Esel ist der Beweis geliefert, dass er von einer Art abstammt, die an den Beinen gestreift ist, denn diese Stammart ist der heute noch in Abyssinien wild lebende Asinus taeniopus. Beim zahmen Esel kommt regel - mässig nur das Rückenkreuz von der ursprünglichen Zeichnung noch vor, aber hie und da findet sich auch die Streifung der Beine, und zwar besonders bei rein grauer Grundfärbung. Bei Pferden wie Eseln ist die Streifung der Beine recht selten, wie ich nach eigner Beobachtung bestätigen kann, und wenn sie vorhanden ist, so ist sie doch nur schwach ausgebildet.

Sehr viel häufiger und stärker ausgebildet kommt sie beim Maulthier vor, und zwar besonders bei hellgrauen Thieren. Man kann dann zuweilen nicht nur die Vorderbeine und die Schulter gestreift sehen, sondern auch die Hinterbeine. Es entsteht also ein Rückschlag auf die Streifung der beiderseitigen Stammformen.

Die theoretische Erklärung wird darauf fussen müssen, dass bei beiden Arten eine gewisse Anzahl von unabgeänderten Stamm-Determinanten des Haarkleides im Keimplasma erhalten geblieben ist, die nun, wenn sie von beiden Eltern her zusammen - treffen, das Übergewicht über die differenten Determinanten der beiden Eltern erlangen können. Wenn dieser Rückschlag keines - wegs bei jeder Kreuzung von Pferd und Esel eintritt, so deutet432 dies darauf hin, dass der Gehalt an Stamm-Determinanten im Keimplasma der Individuen ein sehr verschiedener ist, dass die - selben im Keimplasma vielleicht auch ganz fehlen oder nur sehr spärlich vertreten sein, aber auch in grösserer Anzahl vorhanden sein können. Ist nun Letzteres der Fall, und treffen zwei solcher Keimzellen bei der Befruchtung zusammen, so erfolgt dieser partielle Rückschlag, und zwar um so stärker und aus - gedehnter, je zahlreichere Ahnen-Determinanten überhaupt zu - sammentreffen, und je zahlreicheren Körperstellen sie angehören. Offenbar sind die Streifungs-Determinanten der Hinterbeine viel weniger zahlreich im Gesammt-Keimplasma der heutigen beiden Species enthalten, als die der Vorderbeine, wie denn ja auch mehrere der heutigen wilden Pferde-Arten die Streifung vorn beibehalten, hinten aber verloren haben. Alle Streifungs-De - terminanten aber müssen in recht verschiedener Häufigkeit im Keimplasma der verschiedenen Individuen von Pferd und Esel vorhanden sein, denn wie schon gesagt wurde der Rück - schlag erfolgt durchaus nicht immer, vielmehr in Italien, wo eine sehr grosse Zahl von Maulthieren existirt, nach meinen Erfahrungen doch immerhin selten, vielleicht ein oder zwei Mal unter hundert Thieren. In den Vereinigten Staaten von Nordamerika dagegen sollen nach Gosse unter zehn Maulthieren neun die Streifung aufweisen.

Wenn ich zum Schluss auch einen Fall des Rückschlags auf weit entfernte Vorfahren bei Pflanzen genauer analysire, so geschieht es nicht, weil hier andere Erklärungs-Principien in Frage kämen, sondern weil hier Versuche vorliegen, die eine genauere Prüfung der Theorie möglich machen.

Ich wähle als Beispiel den Rückschlag unregelmässig, d. h. unsymmetrisch gebauter Blumen auf regelmässig433 gebaute oder pelorische. Es sind viele Fälle solchen Rück - schlags beschrieben worden, aber sie sind überall, wo sie vor - kommen, recht selten, und man kann ihre Entstehung nicht auf irgend welche äussere Ursachen beziehen, sie entstehen offen - bar aus rein inneren Ursachen, nämlich aus der Zusammen - setzung des Keimplasma’s heraus.

Wenn meine Ansicht über die Umwandlung des Keim - plasma’s im Laufe der Phylogenese richtig ist, so müssen wie gezeigt wurde auf ungeheure Generationsfolgen hinaus immer noch einzelne nicht abgeänderte Determinanten eines alten Charakters hier und da im Keimplasma der modernen Art vorkommen. Solche Stammes-Determinanten z. B. der ur - sprünglichen, regelmässigen Blume brauchen aber keineswegs in dem Keimplasma jeder einzelnen Pflanze enthalten zu sein, und je älter die moderne Art ist, um so seltener werden diese wir wollen sagen pelorische Determinanten werden. Sie müssen mehr und mehr durch die asymmetrischen verdrängt werden, weil diese als die besser angepassten auch die bessere Chance im Kampf ums Dasein haben. Es werden also zahl - reiche Pflanzen z. B., von Corydalis tuberosa, gar keine pelo - rische Determinanten mehr enthalten, und dadurch erklärt es sich, dass der Rückschlag so selten eintritt. Dass er aber über - haupt eintreten kann, lässt sich aus der Reductionstheilung in Verbindung mit der stets darauf folgenden Amphimixis zweier Keimzellen verstehen. Denn wenn in einzelnen Pflanzen der Art noch eine kleine Zahl pelorischer Determinanten in ver - schiedenen Idanten steckt, so werden diese doch gelegentlich bei der Reductionstheilung einmal alle zusammen in eine Keim - zelle gelangen können. Treffen dann bei der Befruchtung zwei solche Keimzellen zusammen, so kann falls die Gesammt - stärke dieser pelorischen Determinanten den asymmetrischen Weismann, Das Keimplasma. 28434Determinanten gegenüber hinreicht, diese Determinantengruppe zur Herrschaft gelangen, und der Rückschlag eintreten.

Dass diese Erklärung im Princip richtig sein muss, geht aus Versuchen hervor, welche mit solchen abnormerweise pelo - rischen Blumen in Bezug auf die Vererbung des Charakters an - gestellt worden sind. Darwin befruchtete die pelorische Form des Löwenmauls (Antirhinum majus) mit seinem eigenen Pollen und erhielt aus dem Samen sechszehn Pflanzen, die alle ebenso vollkommen pelorisch waren, wie die Elternpflanze . Dass sich der Pelorismus vererbte, kann nicht Wunder nehmen, denn im Keimplasma der Eltern waren ja beiderseits die pelorischen Determinanten in der Mehrheit, dass aber gerade die sechszehn aufgezogenen Pflanzen sämmtlich sich pelorisch erwiesen, möchte wohl ein Zufall sein. Wäre eine grössere Zahl von Nachkommen aufgezogen worden, so wären sicherlich auch solche darunter gewesen mit asymmetrischen Blumen, denn die Reductionstheilung wird die pelorischen Determinanten meist ungleich auf die beiden aus der Halbirung hervorgehenden Keimzellen vertheilen, und es werden also bei der Befruchtung auch zwei Keimzellen zusammentreffen können mit keinen oder nur einer Minorität von pelorischen Determinanten. Dann aber muss Rückschlag auf die gewöhnliche Blumenform die Folge sein.

Besonders interessant aber ist das Resultat des Darwin - schen Gegenversuchs. Die pelorische Form wurde mit der gewöhnlichen Form gekreuzt, und zwei grosse Beete von Säm - lingen aus dieser Verbindung erzogen. Nicht einer derselben war pelorisch, und bei neunzig genau untersuchten Pflanzen war Nichts von Pelorie zu finden, als dass in einigen wenigen Fällen das kleine Rudiment des fünften Staubfadens, welches stets vorhanden ist, etwas mehr oder selbst vollständig ent - wickelt war. Darwin sucht dies durch die Annahme zu er -435 klären, dass die gewöhnliche Form der Blume hier eine grössere Kraft der Überlieferung besässe, aber abgesehen davon, dass dies wohl kaum eine wirkliche Erklärung genannt werden kann, sondern eine andere Formulirung der beobachteten Thatsache, so hält auch die Erklärung für den weiteren Verlauf des Ver - suchs nicht Stand. Darwin liess nämlich die durch Kreuzung der pelorischen mit der gewöhnlichen Form des Löwenmauls erhaltenen Pflanzen, welche alle dem gemeinen Löwenmaul vollständig glichen, sich selbst aussäen, und unter hundertund - siebenundzwanzig Sämlingen erwiesen sich achtundachtzig als gemeines Löwenmaul, zwei waren in einem mittleren Zustand zwischen dem pelorischen und normalen, und siebenunddreissig waren unvollkommen pelorisch . Wenn nun der Charakter der Asymmetrie eine grössere Kraft der Überlieferung besässe, so sollte man erwarten, dass er dieselbe um so mehr geltend machen werde, wenn beide Eltern asymmetrische Blumen hatten, als wenn nur die eine. Darwin versucht denn auch, noch eine besondere Erklärung für die Thatsache zu geben, dass ein Charakter durch das Dazwischentreten einer Generation , die ihn nicht besitzt, an Stärke gewinnt , nämlich in dem Capitel über Pangenesis.

Meine eigene Erklärung der erwähnten Thatsachen ergiebt sich aus dem Vorhergehenden fast von selbst. Dass die Kreuzung des gewöhnlichen Löwenmauls mit dem pelorischen so viele ge - wöhnliche Pflanzen lieferte, und dass diese dann untereinander fortgepflanzt neben der gewöhnlichen Form eine grosse Zahl unvollkommen pelorischer als Nachkommen hervorbrachten, liegt wieder einfach an der in verschiedener Weise erfolgenden Reductionstheilung der Keim-Mutterzellen, durch welche bald nur gewöhnliche Determinanten in eine Keimzelle gelangen, bald nur pelorische , bald eine Mischung beider, die vorwiegend pelorisch oder vorwiegend gewöhnlich ist. Je nachdem nun bei28*436der Befruchtung von beiden Keimzellen her mehr pelorische oder mehr gewöhnliche Determinanten zusammengeführt werden, wird die Tochterpflanze rein gewöhnliche , oder mehr oder minder pelorische Blumen hervorbringen. Dass aber die gewöhnlich blühenden Eltern dieser Generation meist neben gewöhnlichen Determinanten auch pelorische in ihrem Keimplasma (vor der Reductionstheilung) enthalten mussten, liegt auf der Hand, da sie alle von einem pelorischen Vater oder einer pelorischen Mutter abstammten. Dass aber in den Enkeln die gewöhn - liche Form überwog, erklärt sich daraus, dass die pelorischen Grosseltern in ihrem Keimplasma nur eine geringe Majorität pelorischer Determinanten, daneben aber noch eine bedeutende Minorität gewöhnlicher Determinanten besassen. Die die Eltern - Generation begründenden Keimzellen müssen also in der Ge - sammtsumme ihres Keimplasma’s sehr viel mehr gewöhnliche als pelorische Determinanten enthalten haben.

5. Rückschlag auf rudimentäre Charaktere.

Organe, die ihren Werth für die Erhaltung der Art ver - loren haben, werden bekanntlich im Laufe der Generationen rudimentär, sie werden kleiner, verkümmern und schwinden zu - letzt vollständig.

Idioplasmatisch wird dies heissen, dass die Determinanten - gruppe, welche das betreffende Organ im Keimplasma vertritt, erst in dem einen, dann in dem andern Id, zuerst in einzelnen Determinanten verkümmert, dann in vielen, bis sie endlich völlig schwindet, und dass sich dieser Process in immer zahlreicheren Iden wiederholt, bis schliesslich in allen diese Determinanten - gruppe nicht mehr enthalten ist. Wie lange Zeiträume und Generationsfolgen dieser Process in Anspruch nimmt, können wir nicht sagen; soviel aber darf behauptet und kann bewiesen werden, dass lange nach dem Verschwinden des Organes aus437 dem Bau der fertigen Individuen immer noch einzelne Ide die Determinanten desselben enthalten. Der Beweis liegt darin, dass das Organ gelegentlich wieder zum Vorschein kommt, dass ein Rückschlag auf dasselbe eintreten kann.

Ein interessanter derartiger Fall liegt in den überzähligen Brustwarzen des Menschen vor. Die beiden normalen Brustwarzen kommen beim Mann gewöhnlich in rudimentärer Form vor; ausser ihnen aber werden zuweilen winzige solche Warzen an Stellen gefunden, an welchen sie normalerweise nur bei niederen Ordnungen der Säugethiere, bei Raubthieren, Nagern und Halbaffen liegen, nämlich ein Paar oberhalb der normalen Warzen, nicht fern von der Achselgegend, und zwei oder gar drei Paare unterhalb der normalen Organe am Bauch. Nie - mals wohl kommen sie alle zusammen vor, sondern meist nur eine oder ein Paar, aber sowohl beim Mann als beim Weib. Es kann kein Zweifel sein, dass sie als Rückschlag auf un - geheuer weit zurückliegende Charaktere unserer niederen Säuge - thier-Vorfahren aufzufassen sind. O. Ammon’s zahlreiche und genaue Untersuchungen geben über ihr Auftreten im männlichen Geschlecht und in unserem Volke Auskunft; Ammon fand sie bei 3 von 100 Rekruten. 1)Ich verdanke die Kenntniss dieser noch nicht veröffentlichten Beobachtungen der Güte des Herrn Ammon.

Da seine Untersuchungen sich nur auf zwei, höchstens drei Generationen erstrecken, und auch dies nur in einzelnen Fällen, so lässt sich noch nicht mit Sicherheit urtheilen, wie stark und in welcher Vertheilung auf die Kinder sie sich vererben. Doch wird man den Anlass zum Rückschlag auch hier in der Kreuzung sehen dürfen, d. h. in der Amphimixis solcher Keimzellen, welche beiderseits eine gewisse Anzahl von Ahnen-Determinanten für jene Hautstellen in ihrem Keimplasma enthalten, an welchen bei jenen weit entfernten Vorfahren Milchwarzen lagen. Mög - lich, dass dieselben auch schon allein durch die Reductions -438 theilung in einer Keimzelle sich in hinreichender Menge an - häufen können, um den Charakter hervorzurufen; darüber könnte nur die Erfahrung entscheiden. Bei vielen individuellen kleinen Abzeichen verhält es sich so, und derartige uralte Erbstücke, wie die überzähligen Brustwarzen, verhalten sich im Allgemeinen ganz so, wie individuelle Merkmale; sie sind gewissermassen zu solchen herabgesunken, sind längst nicht mehr im Keimplasma jeden Individuums enthalten, sondern ihre Determinanten fehlen vielmehr bei den meisten vollständig, und finden sich nur bei einzelnen noch in einer gewissen Anzahl von Iden. Gerade wie individuelle Charaktere können ihre Determinanten durch mehrere Generationen hindurch vererbt werden, ohne zur Ent - faltung zu gelangen, um dann plötzlich bei günstiger Combi - nation zweier sich befruchtender Keimzellen manifest zu werden. Der Unterschied zwischen diesen Urahnen-Charakteren und den gewöhnlichen individuellen Merkmalen ist nur der, dass die letzteren in zahlreicheren Iden als Determinanten enthalten sind, wie wir daraus schliessen müssen, dass sie weit häufiger und regelmässiger zur Entfaltung gelangen.

Während sich bei den überzähligen Brustwarzen des Men - schen der Vorfahr nicht genau bezeichnen lässt, von welchem sie abzuleiten sind, also auch nicht die zeitliche Entfernung, von welcher her sie vererbt wurden, ist dies in dem Falle der überzähligen Zehen des Pferdes wenigstens ungefähr ganz wohl möglich. Denn wir kennen die phyletische Entwickelungs - geschichte des Pferdes, dank den schönen Untersuchungen von A. Kowalewsky und später von Marsh recht genau und wissen, dass zur mittleren Tertiärzeit Pferde der Gattungen Mesohippus, Miohippus und Protohippus oder Hipparion lebten, welche neben der starken mittleren Zehe noch zwei schwächere und kürzere Seitenzehen besassen, und wenn heute zuweilen Pferde geboren werden, welche an zwei oder auch an allen vier Füssen eine oder zwei solcher kürzerer Nebenzehen besitzen, so439 kann dies mit vollem Recht als Rückschlag auf einen Ahn der Miocēnzeit betrachtet werden. Wir werden also annehmen müssen, dass bei einigen Generationsfolgen des heutigen Pferdes noch einige Ide mit unveränderten Vorfahren-Determinanten der Vorder - oder Hinterfüsse sich erhalten haben, dass diese aber in der Minorität sind und nur durch eine besonders gün - stige Reductionstheilung in grösserer Zahl in eine Keimzelle gesammelt werden können. Aber dies allein wird auch noch nicht genügen, um den Charakter zum Vorschein zu bringen, es wird vielmehr der Zufall noch hinzukommen müssen, dass eine an solchen Ahnen-Determinanten reiche Eizelle gerade von einer Samenzelle befruchtet wird, welche ebenfalls eine gewisse Zahl derselben enthält. Erst dann ist Aussicht vorhanden, dass die Summe dieser Ahnen-Determinanten gross genug sei, um die modernen Determinanten des Fusses bei der Ontogenese zu überwinden.

Der Rückschlag kommt denn auch selten genug vor, wenn auch Marsh im Stande war, eine kleine Reihe von solchen Fällen aufzuführen, deren ältester sich auf ein Pferd Julius Cäsar’s bezieht, deren jüngster aber lebend von ihm selbst be - obachtet wurde. 1)O. C. Marsh, Recent polydactyle horses , American Journ. of Science , Vol. XI, III, April 1892.

6. Vorläufige Zusammenfassung des bisher über Rück - schlag Vorgebrachten.

Alle bisher betrachteten Rückschlags-Erscheinungen erklären sich daraus, dass jedes Keimplasma aus vielen gleichwerthigen Einheiten zusammengesetzt ist, den Iden, von denen jedes alle zur Entwickelung eines Bion erforderlichen Determinanten be - sitzt, so dass jeder Charakter durch das Zusammenwirken vieler Determinanten des gleichen Ortes (homologe Determinanten) zu440 Stande kommt. Ferner daraus, dass die Umwandlung einer Art oder Rasse in eine neue niemals von vornherein auf einer gleichzeitigen Abänderung sämmtlicher Ide und sämmtlicher Determinanten beruht, sondern dass im Beginn der Umprägung sogar ganze Idgruppen (Idanten) unabgeändert bleiben können, später aber immer noch eine Minderzahl von Iden, und noch später wenigstens doch gewisse Determinanten einzelner Ide. Aus dem Kampf der Ide, der in jeder einzelnen Zelle der ge - sammten Ontogenese sich abspielt, geht die Physiognomie dieser Zelle hervor, und da aus der Masse von Determinanten, welche jedes Id des Keimplasma’s ausmacht, die einen abgeändert sein können, die andern nicht, und dies Verhältniss von abgeänderten zu nicht abgeänderten Determinanten von Id zu Id wechseln kann, so begreift man, dass bei Kreuzungen zweier Arten oder Rassen der Rückschlag bald stärker, bald schwächer, bald enger begrenzt, bald weiter ausgebreitet auftritt kurz, dass in solchen Fällen, in denen es sich überhaupt nur noch um vereinzelte und unbedeutende Charaktere handelt, wie bei der Streifung der Maulthiere, der Pelorie von Blumen oder den rudimentären Brustwarzen des Menschen individuelle Variationen in Menge vor - kommen müssen, vom völligen Ausbleiben des Rück - schlags bis zu seiner ausgeprägtesten Form.

Umgekehrt erklärt es sich ebenso ungezwungen, dass in andern Fällen der Rückschlag ausnahmslos eintritt, wie dies bei den Datura-Bastarden geschieht, sobald wir annehmen, dass hier nicht nur einzelne Determinanten in einzelnen Iden un - abgeändert geblieben sind, sondern ganze Id-Gruppen oder Idanten. Denn wenn diese noch in solcher Zahl vorhanden sind, dass sie bei jeder Kreuzung das Übergewicht erlangen über die zwei sich entgegenwirkenden abgeänderten Id-Arten, so müssen sie im Keimplasma jeden Individuums in nahezu gleicher Zahl enthalten sein.

441

Wenn man sich die Umwandlung des Keimplasma’s so vorstellt, dass zuerst eine Mehrzahl von Idanten abändert in der Mehrzahl ihrer Ide, während eine Minderzahl unabgeändert bleibt, dass dann im Laufe der Generationen durch natürliche Zuchtwahl diese unabgeänderten Idanten nach und nach an Zahl sich mindern, bis blos noch eine Anzahl zerstreuter Ide der Stammart entspricht, dass schliesslich durch fortgesetzte Zucht - wahl auch diese Ide sich soweit in derselben Richtung ver - ändern, dass zuletzt nur noch die Determinanten einzelner, für das Leben minder bedeutender, oder ganz bedeutungsloser Charaktere in ihnen der Abänderung entgehen, so verstehen wir die ganze Stufenleiter der Rückschlags-Erscheinungen im Princip. Wir sehen ein, dass bei jungen Arten ein völliger Rückschlag auf die Stammart bei günstiger Kreuzung mit verwandten Arten (Datura) möglich ist, dass im weiteren Verlauf der Phylogenese, also bei älteren Arten totale Rückschläge nicht mehr vorkommen können, wohl aber solche auf einzelne Charaktere oder auch ganze Gruppen von Charakteren, und dass diese Rückschläge unter bestimmten Kreuzungsbedingungen mit Sicherheit ein - treten Rückschlag gewisser Taubenrassen-Mischlinge. Das letzte Stadium des Rückschlags ist dann das gänzlich unsichere und scheinbar launenhafte Hervortreten eines einzelnen Vor - fahren-Charakters, wie er in der gelegentlichen Streifung des Maulthieres sich darstellt.

Auch in Bezug auf die äussern Anlässe zum Rückschlag lässt sich Vieles aus der Theorie ableiten und im Princip verstehen. Dass Kreuzung verschiedener Arten und Rassen leicht zum Übergewicht der beiden Eltern gemeinsamen Vor - fahren-Idanten, - Ide oder - Determinanten führt, lässt sich leicht verstehen. Aber auch die Thatsache, dass Bastarde in der folgenden Generation leicht in einigen Nachkommen auf eine der Stammarten zurückschlagen, konnte aus der Theorie ab -442 geleitet werden; denn durch die Reductionstheilung, welcher jede Keimzelle bei ihrer Entstehung unterworfen ist, müssen die Keimzellen der Bastarde sehr ungleich in Bezug auf ihr Keim - plasma ausfallen, die meisten werden Idanten von beiden Eltern enthalten, und zwar in jedem möglichen Verhältniss, manche werden nur Idanten von dem einen oder dem andern Elter enthalten. Die Reductionstheilung ist also eine der wirksamsten Vor-Ursachen des Rückschlags, indem sie die Möglichkeit bietet, die verschiedenen Qualitäten von Idanten, welche im Keimplasma des Elters enthalten waren, ungleich auf die Keimzellen desselben zu vertheilen, und dieses Princip findet auch da noch Anwendung, wo kein ganzer Idant mehr unabgeändert im Keimplasma enthalten ist, sondern nur eine durch mehrere Idanten zerstreute Minorität von Iden, oder gar nur von Determinanten.

Amphimixis ist daher die Vorbedingung jeden Grades von Rückschlag, ohne diese, also ohne geschlecht - liche Fortpflanzung, würde die Reductionstheilung nicht ein - geführt sein in die Lebewelt, und auch das zweite für den Rückschlag höchst wichtige Moment, die Kreuzung differenter Keimzellen, käme in Wegfall. Dennoch ist Rückschlag nicht unbedingt an aktuelle Amphimixis gebunden, sondern kann auch bei Parthenogenese eintreten und bei Knospung, wie später zu zeigen sein wird, allein nur bei solchen Organismen, welche vorher sich mittelst Amphimixis fortpflanzten, deren Keimplasma also Vorfahren-Ide oder - Determinanten enthalten kann. Es leuchtet aber ein, dass die Aussicht auf den Eintritt eines Rück - schlags viel grösser sein muss, sobald Amphimixis direkt mit - spielt, denn durch sie kann das Verhältniss abgeänderter und nichtabgeänderter Idioplasma-Einheiten jeden Grades rasch, ja plötzlich zu Gunsten der nichtabgeänderten verschoben werden; durch sie können die ursprünglich vorhandenen Stamm-Einheiten443 summirt werden und dadurch über die nicht völlig gleichartigen homologen Einheiten abgeänderter Art den Sieg erringen.

Darin liegt wohl immerhin ein Fortschritt in der Er - kenntniss. Wie fern wir wenigstens noch vor Kurzem von dem jetzt erreichten Grade von Einsicht waren, erhellt am besten aus dem Ausspruch Darwin’s, welcher meinte, dass wir völlig ausser Stande wären, irgend eine nächste Ursache anzugeben, warum bei rein gezüchteten Thieren und Pflanzen gelegentlich ein Rückschlag auf längst verlorene Charaktere der Vorfahren eintritt (Dom. II, p. 54).

7. Rückschlag bei ungeschlechtlicher Fortpflanzung.

a. Rückschlag bei Knospung.

Es wurde schon gesagt, dass Amphimixis keine unerläss - liche Vorbedingung des Rückschlags ist; in der That kann derselbe auch ohne Kreuzung vorkommen. So ist ein solcher seit lange bei den Knospen-Variationen der Pflanzen bekannt.

In meinem Garten hatte ich lange Jahre hindurch einen Ahorn (Acer negundo) mit panaschirten, fast weissen Blättern, und an diesem wuchs ein Zweig hervor, der die gewöhnlichen grünen Blätter, Blüthen und Früchte trug und in Folge des reichlicheren Chlorophyllgehaltes auch weit üppiger wuchs, reich - licher blühte und Samen trug als der Stamm, von welchem er hervorgewachsen war. Wenn man die Sprosse des Baumes als Personen betrachtet, so ist hier also eine Person des Pflanzen - stocks, die auf ungeschlechtlichem Wege entstanden, auf die Stammform zurückgeschlagen.

Die theoretische Erklärung wird auf die Entstehung der panaschirten Abart zurückgehen müssen. Dieselbe ist, wie wohl die meisten derartigen Varietäten unserer Bäume und Sträucher, durch Knospen-Variation entstanden, d. h. an444 einem normalen Ahornbaum entstand aus uns unbekannter Ur - sache ein Zweig, der panaschirte Blätter trug. Der idioplas - matische Grund dieser Abänderung muss der gewesen sein, dass die Determinanten der Blätter und sonstigen grünen Spross - theile so abänderten, dass sie chlorophyllarme Organe hervor - bringen mussten. Wenn nun nicht alle Ide in der Scheitel - zelle jenes ersten panaschirten Sprosses derart abänderten, sondern nur eine Mehrzahl von ihnen, so ist die Möglichkeit zum Rück - schlag der panaschirten Abart auf die grüne Stammart gegeben.

Allerdings aber erfordert hier das Auftreten eines grünen Astes am panaschirten Baum noch eine andere Annahme, die wir für den Augenblick noch nicht als richtig erweisen können, die Annahme nämlich, dass auch bei gewöhnlichen Zell - und Kerntheilungen Ungleichheiten der Theilung des Idioplasma’s vorkommen können, in dem Sinne, dass nicht alle Ide in beide Tochterkerne gelangen, sondern dass einige Ide in ihren beiden durch Theilung entstehenden Hälften in denselben Tochter - kern gelangen. Oder sollte selbst ein ganzer Idant blos dem einen Tochterkern zugeführt werden können? Irgend eine derartige Unregelmässigkeit in der Vertheilung der Ide muss bei den Kerntheilungen vorkommen können, andernfalls würde es unerklärlich bleiben, wieso eine andere Mischung der Anlagen im Laufe des Wachsthums eintreten kann, wie wir sie doch thatsächlich beim Knospen-Rückschlag eintreten sehen.

Wenn man diejenigen Ide, welche der Stammform ent - sprechen, als grüne bezeichnet, die abgeänderten aber als panaschirte , so muss der Rückschlag eines Sprosses darauf beruhen, dass bei den Theilungen der Scheitelzelle eines Sprosses ungleiche Vertheilung der Ide auf die Tochterkerne vorkam, und zwar derart, dass eine Cambiumzelle die Knospen-Keim - plasma enthält, oder auch die Scheitelzelle einer jungen Seiten - knospe selbst grüne Ide in Mehrzahl zugetheilt erhielt. In445 ähnlicher Weise könnte dann später von dem grünen Spross wieder ein panaschirter seinen Ursprung nehmen, was auch thatsächlich vorkommt.

In derselben Weise würde ich versuchen, die Rückschläge auf die Stammform zu erklären, welche so häufig bei all den vielen Abarten unserer Bäume und Sträucher, bei der eichen - blättrigen Hainbuche, der farnkrautblättrigen Eiche, dem Ahorn und der Birke mit zerschlissenen Blättern, den Blutbuchen, Blut-Haselsträuchern u. s. w. vorkommen. Die Neigung zum Rückschlag ist selbst bei den verschiedenen Abarten derselben Art sehr verschieden stark. So ist z. B. die goldgestreifte Varietät von Evonymus japonicus sehr geneigt dazu, die silber - gestreifte beinahe gar nicht. Dies wird einfach davon ab - hängen, wie zahlreich die Minorität der Stamm-Ide bei einer Abart noch ist. Sind nur wenige Stamm-Ide noch im Idio - plasma enthalten, so wird der Rückschlag schwer oder gar nicht eintreten, sind ihrer so viele, dass die abgeänderten Ide nur eine kleine Majorität bilden, so wird er leicht eintreten.

Es ist aber hier auch der Platz, über den Cytisus Adami zu sprechen, jenen seit Darwin viel erörterten merkwürdigen Pfropf - Bastard. Bei ihm wechselt die Mischung zwischen den Charakteren der beiden Stammarten fortwährend, bald hat er die gelben Blüthentrauben des gewöhnlichen Goldregens (Cytisus Laburnum), bald die purpurnen von Cytisus purpurea, bald auch aus beiden Farben gemischte Blüthen. Darwin sagt darüber1)Darwin, Domestication I, 434.: Es ist ein überraschender Anblick, auf demselben Baume schmutzig-rothe, hellgelbe und purpurne Blüthen untereinander gemischt zu sehen. Dieselbe Blüthenähre trägt zuweilen zwei Sorten von Blüthen, und ich habe eine Blüthe gesehen, die genau in zwei Hälften getheilt war; eine Hälfte war hell -446 gelb, die andere purpurn, so dass die eine Hälfte des Haupt - kronenblattes gelb und von bedeutender Grösse, die andere Hälfte purpurn und kleiner war. Bei einer andern Blüthe war die ganze Corolle hellgelb, aber genau die Hälfte des Kelches war purpurn. Bei einer andern hatte eines der schmutzig - rothen (also gemischten) Flügelkronenblätter einen schmalen hellgelben Streif und endlich war in einer andern Blüthe einer der Staubfäden halb gelb und halb purpurn.

Offenbar kann bei Cytisus Adami der Ausschlag beim Kampf der elterlichen Idanten nicht wie bei den individuellen Merkmalen des Menschen darauf beruhen, dass je nach dem Theil, um welchen es sich handelt, die Zahl der homodynamen Determinanten im elterlichen Idioplasma wechselt, denn wäre dies so, so könnten nicht dieselben Blüthentheile bald gelb, bald roth sein, es müsste vielmehr bei allen Blüthen dieselbe Zu - sammensetzung aus elterlichen Erbstücken zu Tage treten, wenn auch mit schwachen Schwankungen, wie sie die Ungleichheit der Ernährungsbedingungen hervorruft. Es müssten die Blüthen mindestens wie bei den oben erwähnten Oxalis-Bastarden eine bestimmte, bei ein und derselben Pflanze übereinstimmende Mischung der Eltern-Merkmale aufweisen. Dass dem nicht so ist, spricht mir mit Bestimmtheit dafür, dass Cytisus Adami wirklich, wie sein Schöpfer, der Handelsgärtner Adam es an - giebt, ein echter Pfropfbastard und kein gewöhnlicher Samenbastard ist. Ich halte die Streitfrage, ob es solche Pfropfbastarde überhaupt gebe, dadurch für entschieden und er - kläre mir die Vererbungserscheinungen in folgender Weise.

Cytisus Adami ist dadurch entstanden, dass eine neue Knospe sich auf einem Stück Rinde von Cytisus purpureus bildete, welches auf den Stamm von C. Laburnum einokulirt worden war. Diese Knospe wuchs zu einem Trieb aus, der die Charaktere der Eltern in inniger Mischung enthielt. Erst später, als der betreffende Trieb447 vervielfältigt wurde, zeigten sich in den daraus gezogenen Pflanzen nicht blos schmutzig-rothe, d. h. gemischte Blüthen, sondern auch Rückschläge auf die eine und andere Elternform , d. h. die reinen Charaktere der Eltern traten in kleineren und grösseren Bezirken der Mischpflanze einzeln hervor.

Offenbar kann man die Entstehung einer Mischpflanze durch Berührung der lebenden Gewebe der Elternpflanzen nur dann theoretisch als möglich zugeben, wenn es sich nicht um die Umgestaltung eines der Anlage nach schon vorhandenen Sprosses handelt, sondern wenn diese Anlage erst gebildet wird. Eine bereits vorhandene schlafende Knospe, in der ja bereits alle Theile des Sprosses enthalten sind, kann nicht in ihrem idio - plasmatischen Gehalt von der ernährenden Unterlage einer andern Art aus verändert werden, ihre Scheitelzelle, von der das weitere Wachsthum ausgeht, kann nicht von der Basis der Knospe her eine Zufuhr fremden Idioplasma’s erhalten, da Idioplasma in den Kernstäbchen allein seinen Sitz hat, eine feste Substanz ist und nur durch Zell - und Kern-Verschmelzung gemischt werden kann. Es ist deshalb auch zu beachten, dass Adam nicht die eine schlafende Knospe, welche von Anfang an auf dem Pfropfstück vorhanden war, sich zum Mischling entwickeln sah, sondern eine der späteren, im zweiten Jahre neu gebildeten Knospen, ferner, dass nicht alle neuen Knospen Mischlinge gaben, sondern nur eine von ihnen. Es muss also schon ein ungewöhnlicher Zufall bei der Bildung dieser einen Misch - lingsknospe gewaltet haben, wie denn ja auch alle Versuche, den Mischling zum zweiten Male hervorzubringen, bisher vergeb - lich geblieben sind. Der Zufall muss darin bestanden haben, dass Cambiumzellen beider Arten dicht nebeneinander zu liegen kamen, so dass sie beide in dieselbe vom Cambium aus sich bildende Knospe eintreten konnten. Ob es nun denkbar ist, dass zwei Cambiumzellen differenter Arten zu einer ver -448 schmelzen durch einen Akt der Conjugation, also in ähnlicher Weise, wie die weibliche und männliche Zelle bei der Befruch - tung, und ob so die Grundlage eines neuen Vegetationspunktes gelegt werden kann, müssen die Botaniker entscheiden. 1)Kernverschmelzung kommt in der That auch, abgesehen von dem Befruchtungsvorgang, bei Pflanzen vor, nämlich im Embryo - sack der Phanerogamen. Guignard beschreibt (a. a. O.) ausführlich, wie der obere und untere Polkern des Embryosackes sich einander nähern, ein jeder begleitet von seinem, bereits durch Theilung ver - doppelten Centrosoma, wie die Kerne sich aneinanderlegen, die Centro - somen sich paarweise koppeln, ganz wie bei echter Amphimixis, und wie dann völlige Verschmelzung der beiden Kerne eintritt. Dann erst bildet sich eine Theilungsspindel und mehrere Theilungen folgen unmittelbar aufeinander.Läge ein solcher Vorgang hier zu Grunde, so müsste die Zahl der Idanten bei Cytisus Adami so gross sein, als die der beiden Stammarten zusammengenommen, denn eine Reductionstheilung kommt, soviel wir wissen, nur bei der Ge - schlechtszellen-Bildung vor. Die Richtigkeit meiner Annahme ist also durch Beobachtung controlirbar.

Dass zwei jugendliche Pflanzenzellen, ohne zu ver - schmelzen, den Vegetationspunkt des Mischling-Sprosses ge - bildet haben sollten, ist schwer denkbar, weil dann doch wohl nur eine dieser Zellen als Scheitelzelle functionirt haben könnte, mithin der Vererbungs-Einfluss der andern nicht auf ungezählte Tochtersprossen sich erstrecken könnte, wie dies doch thatsäch - lich der Fall ist. Jede akrofugal von der Scheitellzelle liegende Zelle der andern Art müsste nothwendig immer weiter von dem Vegetationspunkt abgedrängt worden sein im Laufe des Wachsthums. Eine so innige Mischung der Charaktere, wie sie thatsächlich eintrat, könnte auf diesem Wege nicht zu Stande gekommen sein.

Ich möchte deshalb eine abnormale Amphimixis als Grund - lage der seltsamen Erscheinungen bei Cytisus Adami vermuthen,449 derart, dass hier in der Scheitelzelle des ersten Sprosses die Idanten beider Arten sich vereinigten, dass aber später bei den Theilungen der Zellen häufig ungleiche Vertheilung der beiderlei Eltern-Idanten auf die Tochterkerne eintrat, und dadurch die Schwankungen in der Mischung der Charaktere hervorgerufen wurden.

Solche ungleiche Vertheilung der ohnehin zu zahlreichen Idanten wird auch in den Scheitelzellen selbst zeitweise statt - finden können, und damit mag es zusammenhängen, dass oft vollständiger Rückschlag eines ganzen Astes auf die eine Stamm - art eintritt, damit auch, dass im Laufe der Zeit eine Veränderung in vielen Exemplaren des Bastards eingetreten ist, dahin zielend, die elterlichen Charaktere mehr und mehr getrennt hervor - treten zu lassen. Kurz nach der Entstehung des Bastards waren alle Blüthen schmutzigroth, d. h. eng gemischt aus den beiden Stammfarben Gelb und Purpur, nach und nach sind aber immer häufiger gröbere Mischungen der beiderlei Merkmale eingetreten bis zur Ausbildung rein gelber und rein purpurner Blüthen, ja sogar ganzer Blüthentrauben und ganzer Zweige von nahezu reinem Charakter der einen Elternart. Dies wird kaum anders zu verstehen sein, als dass hier die Verbindung der beiderlei Idioplasmen sich leicht wieder löst, dass ungleiche Kerntheilungen in dem Sinne eintreten, dass zahlreichere Purpureus-Idanten in den einen Tochterkern übergehen, zahlreichere Labürnum-Idanten in den andern, oder dass wenigstens der eine oder andere Idant ganz in den einen Tochterkern übergeht, anstatt sich längs zu spalten und mit je einer Spalthälfte zu je einem Tochter - kern zu stossen. Das ist freilich zunächst nur Vermuthung, aber wohl keine ganz ungerechtfertigte, da der Theilungsapparat jeder der beiden Arten doch auf eine geringere Anzahl von Idanten berechnet ist, als nach der Fusion zweier Kerne vor - handen sein müssen; Unordnung bei der Theilung dürfte daherWeismann, Das Keimplasma. 29450leicht entstehen. Möglich, dass hier auch unbekannte An - ziehungskräfte mit im Spiele sind; jedenfalls besitzen die Idio - plasmen beider Arten keine grosse Anziehung zu einander, dies darf vielleicht auch aus dem durchaus negativen Erfolg gewöhnlicher Kreuzungsversuche vermuthet werden, welche Darwin, Reisseck und Caspary anstellten; sie erhielten bei Befruchtung von C. Laburnum mit Pollen von C. purpureus zwar Schooten, doch fielen dieselben schon nach 16 Tagen wieder ab, und die umgekehrte Kreuzung führte nicht einmal so weit.

Mag sich dies nun verhalten wie es will Untersuchungen der Idantenzahl können darüber Sicherheit geben , jedenfalls deuten die Erscheinungen der Vererbung darauf hin, dass die Idioplasmen der beiden Eltern sich im Laufe der Zelltheilungen leicht wieder trennen. Diese Trennung mag etwa mit der ein - seitigen Überwanderung nur eines Idanten beginnen, worauf das Vorwiegen des einen Elters in manchen Blüthen u. s. w. folgen muss, hat sich aber im Laufe des Wachsthums mehr ge - steigert, so dass jetzt häufig grössere Zellengruppen reines Idio - plasma von Laburnum oder purpureus enthalten und neue Sprosse sich bilden, die scheinbar nur noch Idioplasma der einen Art enthalten. Dass aber auch solchen Sprossen noch einzelne Idanten der andern Stammart beigemengt sein können, beweisen die Pflanzen, welche Herbert aus den Samen rein gelber Blüthen von Cytisus Adami erzog, die zwar auch gelb blühten, aber einen Anflug von Purpur an ihren Blüthenstempeln zeigten. Die Idanten von purpureus scheinen aber auch gänz - lich aus einzelnen Sprossen entfernt worden zu sein, da Darwin aus den Samen gelber Blüthen Bäume erzog, die in allen Cha - rakteren dem C. Laburnum glichen, mit der Ausnahme, dass einige von ihnen merkwürdig lange Blüthentrauben hatten .

Meine Erklärung der schwankenden Mischung der elter -451 lichen Charaktere bei Cytisus Adami besteht also darin, dass es sich hier nicht um die feinen Kraftunterschiede handelt, welche bei der Fortpflanzung des Menschen bald die mütter - lichen, bald die väterlichen Idanten dominiren lässt, und die wir auf die für die verschiedenen Charaktere verschiedene Zahl der homodynamen Determinanten bezogen haben, sondern um gröbere Unterschiede, um die Zahl der beiderseitigen Idanten; bald überwiegen die Idanten von purpureus, bald die von La - burnum in dem Idioplasma einer Zelle, unter Umständen kann sogar nur die eine Idanten-Art in einer Zelle vertreten sein, und dann ist sie es auch in allen ihren Nachkommen.

Der Fall von Cytisus Adami bildet also keine Schwierig - keit für die Theorie, sondern zeigt im Gegentheil, dass sie im Stande ist, auch solche Erscheinungen bis in kleine Einzelheiten hinein zu erklären, für welche sie nicht erdacht worden war.

b. Rückschlag bei Parthenogenese.

Regelmässige Fortpflanzung durch unbefruchtete Eier kommt bei einzelnen Pflanzen und bei vielen Thieren vor, besonders bei Krustern und Insekten. A priori könnte man zu erwarten geneigt sein, dass bei dieser einelterlichen Fortpflanzung ein starker Betrag von Abweichung zwischen Mutter und Tochter überhaupt nicht vorkommen könnte, am wenigsten aber ein Rückschlag auf weiter zurückliegende Vorfahren.

Dennoch entspricht die Erfahrung dieser Voraussetzung nicht; Versuche mit parthenogenetischen Arten, die ich während der acht letzten Jahre angestellt habe, zeigten, dass zwar aller - dings die erwartete Gleichförmigkeit zwischen Mutter und Tochter für gewöhnlich in sehr hohem Grade vorhanden ist, dass aber zuweilen Ausnahmen davon vorkommen, und zwar solche, die als Rückschlag auf eine viele Generationen zurückliegende Vor - fahrenform anzusehen ist.

29*452

Zuerst mögen die Thatsachen kurz mitgetheilt werden. In der Gegend von Freiburg kommen in gewissen Sümpfen zwei Varietäten eines kleinen Muschelkrebses vor, der eine sehr auf - fällige Zeichnung der Schale hat. Die eine Abart, A, erscheint hell ockergelb mit fünf grünen Flecken auf jeder Schale, die andere, B, sieht dunkelgrün aus, weil bei ihr der ockergelbe Grund von sechs grossen Flecken stark eingeengt wird. Die

Fig. 23.

Die beiden Varietäten von Cypris reptans. 1 6 bezeichnen die sechs Hauptflecken der Schale des Thieres.

Flecken der beiden Abarten entsprechen einander der Lage nach genau und sind nur bei A viel kleiner, als bei B, Fleck 6 fehlt sogar bei A ganz. Beide Abarten pflanzen sich bei Freiburg nur durch Parthenogenese fort; Männchen kommen niemals vor.

Ich stellte nun die Versuche so an, dass ich je ein Weib - chen beider Abarten in einem kleinen Aquarium isolirte, gut fütterte und sie sich so lange vermehren liess, bis das ganze453 Gefäss voll von erwachsenen und selbst wieder eierlegenden Nachkommen war. Dann wurde die Colonie gemustert, der grösste Theil derselben getötet und aufbewahrt, ein oder mehrere Thiere aber zur Nachzucht ausgewählt, und jedes für sich in einem Aquarium angesiedelt. Auf diese Weise sind mir im Laufe dieser acht Jahre viele Tausende von Individuen durch die Hände gegangen, denn die Thiere vermehren sich sehr rasch und zwar während des ganzen Jahres.

Das erste Resultat, welches bei diesen Züchtungen hervor - trat, bestätigte meine Erwartung: die Nachkommen einer Mutter stimmten in der Zeichnung bis in kleine Einzel - heiten sowohl unter sich, als mit der Stammmutter. Die Unterschiede waren meist so gering, wie man sie etwa bei identischen Zwillingen des Menschen kennt; es liess sich nicht bestimmt sagen, ob sie auf Verschiedenheiten im Keimplasma, oder nicht am Ende blos auf zufällige Ernährungsdifferenzen bezogen werden müssten.

Auch im Laufe zahlreicher Generationen trat keine Ver - änderung ein, wenn ich von den gleich zu erwähnenden Aus - nahmen absehe. Ich besitze heute noch Colonien von A und von B, welche von ihren beiden Stammmüttern aus dem Jahr 1884 nicht zu unterscheiden sind. Wenn man fünf bis sechs Generationen für das Jahr rechnet, so würden sich seither etwa vierzig Generationen gefolgt sein.

Im Jahre 1887 fand ich zum ersten Male in einem Aquarium der hellen Abart A neben typischen Thieren dieser lehmgelben Form auch einige der dunkelgrünen Abart B, und dieser Fall hat sich später noch zwei Mal in andern Zuchten von A wiederholt. In dem letztbeobachteten vom Mai 1891 konnte festgestellt werden, dass nur ein einziges Thier unter 540 erwachsenen Cypris des betreffenden Aquariums ganz un - vermittelt und plötzlich in die dunkle Abart übergesprungen454 war; in einem andern Fall fanden sich nicht nur volle Individuen der Abart B, sondern auch Zwischenformen zwischen beiden Abarten, was einerseits in theoretischer Beziehung interessant ist, anderseits jeden Zweifel an der Reinheit der Versuche aus - schliesst.

Lange Zeit harrte ich vergebens darauf, dass die umgekehrte Umwandlung, die der dunkeln in die helle Abart vorkommen möchte, und ich neigte schon zu der Ansicht hin, dass die dunkle Abart die Stammform beider sei, als mir im Winter 1890 auf 1891 eine Colonie von B vorkam, in welcher neben typischen Individuen der Abart B, die seit mehreren Jahren darin gezüchtet worden war, auch eine geringe Zahl typischer Individuen der Abart A sich vorfand.

Äussere Einwirkungen für diese plötzlichen Umwandlungen verantwortlich zu machen, geht deshalb nicht an, weil stets beide Formen nebeneinander in demselben kleinen Aquarium, also genau unter denselben Bedingungen auftraten. Nur Ver - änderungen des Keimplasma’s können zur Erklärung heran - gezogen werden, und ich glaube, dass diese auch aufgewiesen werden können.

Parthenogenese im strengen Sinne des Wortes ist immer aus geschlechtlicher Fortpflanzung hervorgegangen, so auch nachweislich in diesem Falle, in welchem diese männerlosen Weibchen immer noch das Receptaculum seminis besitzen, welches nur unbenutzt und stets leer bleibt.

Die beiden Abarten nun müssen zu einer Zeit entstanden sein, zu welcher die Thiere sich wenigstens periodisch noch geschlechtlich fortpflanzten; andernfalls könnten nicht An - lagen von A im Keimplasma von B und umgekehrt enthalten sein. Nur durch die in einer wohl nicht weit zurückgelegenen Zeit noch stattfindende geschlechtliche Fortpflanzung wird das Nebeneinander beider Anlagen in demselben Thiere begreiflich.

455

Die Erklärung des Rückschlags giebt sich dadurch, dass bei Arten mit regelmässiger Parthenogenese trotzdem eine Reductionstheilung stattfindet, aber eben nur eine; es wird eine Richtungszelle vom Ei abgelöst, nicht deren zwei, wie bei geschlechtlicher Fortpflanzung: Ohne Zweifel muss dieser einen Halbirung der Idantenzahl des Eies eine Verdoppelung derselben vorausgehen, ganz wie bei der geschlechtlichen Fort - pflanzung, weil andernfall die Idanten von Generation zu Gene - ration um die Hälfte vermindert und schliesslich auf einen ge - bracht werden müssten. Sobald nun aber eine Reductionstheilung mit vorgängiger Verdoppelung der Idantenzahl stattfindet, ist damit auch die Möglichkeit des Rückschlags gegeben.

Nehmen wir die Verhältnisse möglichst einfach an. Es seien nur vier Idanten im Keimplasma; davon seien drei gänz - lich aus Iden des Typus A, eines ganz aus Iden des Typus B zusammengesetzt. Die vier Idanten a a a b verdoppeln sich zu - erst und ergeben also die acht Stäbchen a a a a a a b b. Setzen wir nun den für den Rückschlag in die Abart B günstigsten Fall, dass diese Idanten sich bei der Reductionstheilung in die Gruppen a a a a und a a b b spalten, und dass die letztere Gruppe den Kern der Eizelle bildet, so würde die Tochter, welche aus diesem Ei hervorgeht, Ureier hervorbringen mit der Idanten - gruppe a a b b. Diese würde sich bei der Verdoppelung im reifen Ei zu a a a a b b b b verändern, und wenn nun die Re - ductionstheilung so erfolgte, dass die Gruppe a a a a in den Richtungskörper, die Gruppe b b b b aber in den Eikern zu liegen käme, so müsste aus einem solchen Ei unzweifelhaft ein Individuum der Abart B hervorgehen; der Rückschlag würde erfolgen.

In Wirklichkeit wird die Sache viel weniger einfach und viel langsamer vor sich gehen. Einmal ist die Zahl der Idanten meist wohl eine grössere, und die Beimischung eines Idanten456 der andern Form würde einen weit kleineren Procentsatz geben. Bei einem parthenogenetisch sich fortpflanzendem Krebs, der Artemia salina, konnte ich 24 26 Idanten nachweisen. Wenn unter diesen sich auch mehrere einer der beiden Vorfahren - Abart als Minorität befänden, so würde es doch fraglich sein, ob sie jemals im Laufe der Generationen und Reductions - theilungen derart sich in ein und demselben Keimplasma an - häufen würden, dass sie die überwiegende Mehrzahl bildeten; denkbar aber ist es. Der Zufall spielt dabei auch mit, insofern immer die Mehrzahl der Eier eines Thieres zu Grunde geht, und die seltenen Rückschlags-Combinationen daher häufig auch diesem Schicksal verfallen werden.

Es erklärt sich so, warum in meinen Versuchen der Rück - schlag nur sehr selten eintrat, warum er niemals zugleich bei allen Individuen einer Colonie, sondern nur bei einzelnen ein - trat, und warum er sowohl ganz plötzlich, als auch mit vor - bereitenden Zwischenformen sich einstellen konnte. Letzteres wird theoretisch so zu deuten sein, dass hier zuerst ein Gleich - gewicht der beiderlei Idanten zu Stande kam, was dann aber in den Nachkommen theilweise zum Übergewicht der Rückschlags - Idanten hinleitete.

Die Möglichkeit eines Rückschlages bei Parthenogenese beruht also auf zwei Momenten, einmal auf der Zusammen - setzung des Keimplasma’s aus verschiedenartigen Iden und Idanten, d. h. auf vorangegangener geschlechtlicher Fortpflanzung, und dann auf der bei jeder Keimzellbildung einsetzenden Reductions - theilung.

8. Ein Beweis für die Auflösung der Determinanten in Biophoren.

Am Schlusse dieses Capitels möchte ich auf ein Verhältniss hinweisen, welches zwar am besten in das Capitel über die457 Bestimmung der Zelle durch das Idioplasma gepasst hätte, welches aber an jener Stelle unverständlich geblieben wäre, weil die Reifungserscheinungen von Ei und Samenzelle dabei als bekannt vorausgesetzt werden müssen.

Die Erkenntniss, dass die der Reifung der thierischen Ei - zelle vorhergehenden Zelltheilungen, die sog. Abschnürung der beiden Richtungskörper , echtes Keimplasma aus dem Ei entfernen, ist keineswegs leicht, sondern erst durch lange und mühevolle Beobachtungs - und Gedankenarbeit im Laufe eines vollen Jahrzehntes errungen worden. Ich habe es nicht für zweckmässig gehalten, diese ganze Entwickelungsgeschichte unserer Erkenntniss1)Dieselbe ist in meiner Schrift über Amphimixis , Jena 1891, ausführlicher noch in den verschiedenen Abhandlungen meiner Auf - sätze über Vererbung u. s. w., Jena 1892, enthalten. hier vorzuführen, da es zum Verständniss der Vererbungserscheinungen nicht nothwendig ist, sie zu kennen. Aber ich möchte hier nachträglich noch eine Periode aus dieser Geschichte kurz berühren, da sie für die von de Vries erdachte und von mir angenommene Art und Weise der Beherrschung der Zelle durch Auswanderung von Kernmaterial in den Zell - körper lehrreich ist.

Nachdem man erkannt hatte, dass der sog. Austritt der Richtungskörperchen aus dem Ei nichts Anderes sei, als eine sehr ungleiche Zelltheilung, und nachdem man die Überzeugung gewonnen hatte, dass die bestimmende Substanz in dem Chro - matin des Kernes zu sehen sei, musste es ein logisches Postulat erscheinen, wie für jede Zelle, so auch für die Eizelle eine be - sondere bestimmende Substanz, ein specifisches Idioplasma anzunehmen, dessen Aufgabe es sein musste, eben die besondere histologische Beschaffenheit des betreffenden Eies hervorzurufen. Ich zog damals diesen Schluss und nahm an, die Eizelle würde von ihrer ersten Jugend an bis zu der Erreichung ihrer vollen458 Grösse und specifischen Beschaffenheit von einem besonderen Idioplasma beherrscht, welches durchaus verschieden sei von demjenigen Idioplasma, welches nach Vollendung der Eireife in Thätigkeit tritt, indem es die Ontogenese leitet: dem Keim - plasma. Wenn überhaupt die Natur der Zelle von ihrem Idioplasma bestimmt wird, so konnte unmöglich das Idioplasma der noch im Wachsen und in histologischer Differenzirung be - griffene Ei von demselben Idioplasma bestimmt werden, wie das in Embryonalentwickelung eintretende. Ich nahm also ein ovo - genes Idioplasma für die Zeit der histologischen Differenzirung des Eies an, welches später nach erlangter Eireife seine Herr - schaft über die Zelle an das Keimplasma abtrete.

Was aber wird bei diesem Herrschaftswechsel aus dem ovogenen Idioplasma?

Meine Antwort darauf war die, es werde durch die Richtungs - theilungen aus dem Ei entfernt, und gerade dadurch erlange nun das vorher schon im Eikern anwesend gewesene und in - zwischen bedeutend herangewachsene Keimplasma die Herrschaft über die Eizelle.

Diese Vermuthung hat sich inzwischen als ein Irrthum herausgestellt. Eigene weitere Untersuchungen führten mich bald zu der Erkenntniss, dass mindestens die eine der beiden Richtungstheilungen des Eies eine ganz andere Bedeutung habe, nämlich die einer Halbirung des Keimplasma’s selbst. Später zeigte es sich dann, dass beide Theilungen diesem Zweck dienen, und dass durch jede derselben Keimplasma, nicht aber ovogenes Idioplasma aus dem Ei entfernt werde.

Meine Hypothese musste also fallen, ich glaube aber trotz - dem, dass die ihr zu Grunde liegende Schlussfolgerung richtig war, und im Licht der hier entwickelten Vererbungstheorie ge - stattet sie noch eine nicht werthlose Weiterführung. Das ovo - gene Idioplasma muss existiren und, in meine heutige Sprache459 übersetzt, wird es als ovogene Determinante bezeichnet werden können. Diese Determinante wird somit die erste sein, welche sich aus dem Gebäude des Keimplasma’s der jungen Eizelle frei macht, sich in ihre Biophoren auflöst und durch die Kern - membran hindurch in den Zellkörper auswandert. So allein lässt es sich begreifen, dass Nichts von ihr übrig bleibt im Kern, und dass sie später, wenn die Embryonalentwickelung beginnt, nicht dieser durch ihre Anwesenheit im Kern Hinder - nisse bereitet. Diese Determinante wird verbraucht und verschwindet als solche, und darin, dass thatsächlich keine Ausstossung derselben aus dem Ei erfolgt, liegt, wenn nicht ein Beweis, so doch ein starker Hinweis darauf, dass die Be - herrschung der Zelle durch eine Determinante mit ihrer Ver - nichtung einhergeht, woraus dann weiter eine Stütze für die Auswanderungs-Hypothese entnommen werden darf.

Ganz der entsprechende Vorgang wird bei der Bildung der Samenzellen anzunehmen sein. Auch hier ist die Thätigkeit des Idioplasma’s während der histologischen Differenzirung der Zelle eine weit verschiedene von derjenigen, welche das Keim - plasma der fertigen Samenzelle auszuüben hat. Bei der Eizelle wird uns die Nothwendigkeit einer Annahme histogener De - terminanten deshalb vielleicht noch anschaulicher gemacht, weil hier bei manchen Thieren sogar zweierlei Eier vorkommen, die in Grösse, Dotterreichthum, Farbe und Schale ganz ver - schieden sind. Man kann hier nicht umhin, zweierlei ovo - gene Determinanten anzunehmen, da man demselben Keim - plasma eine so verschiedenartige Wirkung auf die Zelle nicht zuschreiben kann. In dem Abschnitt über Generationswechsel ist schon die Nothwendigkeit gezeigt worden, für solche Arten zweierlei Keimplasmen anzunehmen, die zum Theil die gleichen Determinanten, zum Theil aber auch verschiedene enthalten So wird das Keimplasma, aus welchem sich die Wintereier der460 Daphniden entwickeln, vor Allem eine andere ovogene Determi - nante enthalten müssen, als das Sommereier-Keimplasma, da Winter - und Sommereier ganz verschieden sind.

Ich kenne keine Fälle, in denen aufeinander folgende Zell - generationen so verschieden wären, als es zwischen den Keim - Mutterzellen und den aus ihnen hervorgehenden fertigen Keim - zellen in Bezug auf die Thätigkeit ihres Idioplasma’s der Fall ist. Wenn aber selbst in diesem auffallendsten Beispiel von plötzlichem Funktionswechsel des Idioplasma’s eine Entfernung des zuerst thätigen Idioplasma’s aus der Zelle nicht erfolgt, so wird sie auch in allen andern Fällen nicht stattfinden und wir werden somit berechtigt sein, den von dem Verhalten der Keim - zellen abgeleiteten Schluss auf alle Zellen zu übertragen und es für bewiesen zu nehmen, dass das in einer Zelle aktive Idioplasma sich durch seine Thätigkeit aufbraucht.

Capitel XI. Dimorphismus und Polymorphismus.

1. Normaler Dimorphismus.

Der im vorigen Abschnitt behandelte Rückschlag beruht auf der Fähigkeit der Organismen, Charaktere, die an ihnen selbst nicht vorhanden sind, als latente Anlagen in ihrem Idioplasma mitzuführen und derart auf die Nachkommen zu übertragen, so dass sie unter günstigen Umständen dort zur Ausbildung gelangen können.

Man hat sich diese latenten Anlagen bisher als einen allen Individuen einer Art in gleichem Maasse zukommenden Besitz461 vorgestellt, so nämlich, dass Charaktere, die überhaupt bei einer Lebensform gelegentlich manifest werden können, in sämmtlichen Individuen derselben latent enthalten seien, so dass es also nur von gewissen Entwickelungs-Bedingungen abhinge, ob sie zur Entfaltung kommen oder nicht. Auch Darwin war dieser Meinung, wie aus vielen Stellen seiner Werke zu ersehen ist, und stellte sich z. B. vor, dass in jedem Pferde latente Keimchen der Zebrastreifung schlummerten, in jeder Haustaube latente Keimchen der schieferblauen Färbung der Felsentaube, in jedem Abkömmling eines Bastards die Keimchen der beiden Eltern-Arten. Im vorigen Abschnitt versuchte ich zu zeigen, dass dies zwar für viele Fälle richtig sein kann, z. B. für die Taubenrassen, dass es aber durchaus nicht in allen Fällen so zu sein braucht, sondern dass in zahlreichen Fällen latente Vor - fahren-Charaktere nicht in allen, sondern nur in einer grösseren oder geringeren Individuenzahl der betreffenden Lebensform ent - halten sind. Wir sahen, dass die Reductionstheilung im Stande ist, von einer Generation zur andern schon das Keimplasma des Elters so zu theilen, dass das Keimplasma einiger der Kinder gar keine Idioplasma-Theile des einen Grosselters erhält. Am schärfsten trat dies bei den Pflanzen-Mischlingen hervor, wo Rückschlag auf die eine Elternform schon unter den Kindern des Bastards eintreten kann. In solchen Abkömmlingen sind dann trotz der nahen Abstammung keine Charaktere des be - treffenden Elters latent vorhanden.

Eine so rasche Beseitigung von Charakteren aus dem Keim einzelner Nachkommen ist aber nur dann möglich, wenn die - selben wie in diesem Falle des Bastards nur dem einen Elter angehörten. So werden auch beim Menschen irgend welche individuelle Züge der Mutter oder des Vaters in ein - zelnen Kindern nicht nur fehlen können, sondern auch die ihnen entsprechenden Determinanten können in ihrem Keimplasma462 fehlen, so dass diese Züge auch in den Enkeln und Urenkeln dieser Generationsfolge nicht wieder erscheinen können. Ganz anders aber verhält es sich mit solchen Charakteren, welche beiden Eltern zukommen. Diese werden nicht von einer Gene - ration auf die andere aus dem Keimplasma einzelner Nach - kommen verschwinden können, da ihre Determinanten sowohl in der väterlichen, als der mütterlichen Hälfte des Keimplasma’s in Majorität enthalten sind. Solange diese Charaktere allen Individuen des betreffenden Formenkreises, z. B. der Art, zu - kommen, werden ihre Determinanten in den meisten Idanten vorherrschen, und dann werden dieselben durch die jedesmalige Reductionstheilung kaum je in die Minorität gerathen können. Handelt es sich aber um einen im Verschwinden begriffenen Charakter, wie z. B. um die Flügelbinde der Felsentaube bei do - mesticirten Rassen, so wird die absolute Zahl der Flügelbinden - Determinanten im Keimplasma im Laufe des Züchtungsprocesses, der zur Bildung der Rasse führte, allmälig abgenommen haben, indem viele dieser Determinanten in anders geartete, sagen wir moderne Determinanten umgewandelt wurden. Je geringer an Zahl nun die Stamm - Determinanten werden, um so leichter können sie bei der Reductionstheilung aus der einen Hälfte des Keimplasma’s gänzlich eliminirt werden. Sobald sie aber in einzelnen Keimzellen gänzlich fehlen, so ist damit die Mög - lichkeit gegeben, dass bei der Copulation zwei solche Keim - zellen zusammenträfen, und nun würde daraus ein Thier her - vorgehen, welches keine solche Flügelbinden - Determinanten enthielte, oder mit andern Worten, welches den Charakter der Flügelbinde auch im latenten Zustand nicht mehr in sich enthielte. In dem Maasse nun, als solche Individuen häufiger würden, müsste durch die stete Vermischung derselben mit den andern Individuen die Durchschnittsziffer der Binden - Determinanten im Keimplasma der Rasse noch463 mehr sinken, bis schliesslich nur in einem kleinen Procentsatz der Individuen überhaupt noch solche enthalten wären. Ich glaube nicht, dass es sich gerade bei diesem Charakter der Tauben so verhält; das häufige Auftreten der Binde bei der Kreuzung von Taubenrassen verschiedner Art deutet im Gegen - theil darauf hin, dass in den meisten Individuen noch eine An - zahl solcher Binden - Determinanten vorhanden sein werde, allein bei der Zebrastreifung von Pferd und Esel darf man wohl mit Sicherheit schliessen, dass die Seltenheit des Rück - schlags selbst bei Kreuzungen davon herrühre, dass der Charakter lange nicht mehr bei allen Individuen der beiden Arten in latentem Zustand vorhanden sei, dass ihr Keimplasma häufig die Zebra - Determinanten nicht mehr enthalte.

Freilich können wir nicht wissen, ob nicht doch noch ganz vereinzelte solche Stamm-Determinanten vorhanden sind, weil dieselben sich auch bei Summirung durch Kreuzung nicht mehr geltend machen könnten, aber allgemeine Gründe zwingen zu der Annahme, dass auch solche vereinzelte alte Determinanten sich schliesslich verlieren müssen. Immer weniger Individuen werden sie in ihrem Keimplasma noch enthalten, und da sie keinerlei Vortheil aus diesem Besitz ziehen, so werden dieselben vermuthlich mehr und mehr selten werden.

Es sind also einerseits die schwindenden Art - oder Rassen - Charaktere, welche in latentem Zustande vorhanden sein können, aber durchaus nicht nothwendig alle in allen Individuen, und andererseits die individuellen Charaktere, welche in einer wechselnden Individuenzahl der Descendenz latent enthalten sein können.

Die aktuellen Art-Charaktere dagegen kommen jedem Individuum zu, aber auch sie werden nicht immer manifest, sondern es giebt solche, welche regelmässig latent bleiben, wenn eine andere, ihnen entgegengesetzte Gruppe von464 Charakteren manifest wird. Ich meine hier zunächst die Ge - schlechtscharaktere, primäre und sekundäre, es gehört aber jeder, auch der nicht sexuelle Di - und Polymorphismus einer Art hierher. Es muss versucht werden, diese Erscheinungen der Theorie einzufügen.

Naturgemäss wird die Reflexion mit dem einfachsten Stadium sexueller Differenzirung beginnen, mit der Scheidung der ur - sprünglich monomorphen Keimzellen in männliche und weib - liche. Hier tritt die Frage uns entgegen: Welches ist die idioplasmatische Grundlage dieser zweifachen Diffe - renzirung, und wie ist sie phyletisch entstanden?

Ich möchte an ein bestimmtes Beispiel anknüpfen. Unter den Volvocineen, jenen nieder organisirten mehrzelligen Algen, welche als lebende Kugeln durch Wimperthätigkeit im Wasser rotirend umherschwimmen, finden sich mehrere Gattungen, welche neben einer Vermehrung durch ungeschlechtliche Keimzellen eine geschlechtliche Fortpflanzung besitzen, die in der Copulation, d. h. völligen Verschmelzung zweier gänzlich gleich erscheinenden Keimzellen besteht. Dahin gehört Eudorina und Pandorina.

Solange die Fortpflanzungszelle, wie es bei diesen Arten der Fall ist, in allen Individuen dieselbe ist, wird man sie von demjenigen Idioplasma bestimmt denken können, welches die Entwickelung der Art überhaupt leitet, dem Keimplasma, welches sich aus einer verschiedenen Zahl unter sich gleicher Determi - nanten zusammensetzt. Dies wird aber sofort anders, sobald die copulirenden Keimzellen zu weiblichen und männlichen Zellen differenzirt sind, wie es bei der nahe verwandten Gattung Volvox der Fall ist. Das Nützlichkeitsmotiv zu dieser Differenzirung liegt nahe, denn eine möglichst grosse Ansammlung von Nähr - stoffen in den Keimzellen, wie sie von Vortheil sein musste, konnte nur in sehr geringem Grade erreicht werden, solange die beiden zur Amphimixis bestimmten Keimzellen stark be -465 weglich blieben, wie bei Pandorina. Sie differenzirten sich also in die nahrungsreiche, aber ruhende Eizelle und die kleine, nahrungsarme, aber bewegliche Samenzelle. Es fragt sich nun, auf welchem idioplasmatischen Vorgang diese Differenzirung beruht?

Offenbar können die Idioplasmen von Samenzelle und Ei - zelle nicht ganz gleich, sie können nicht einfach nur Keim - plasma sein, sondern die Eizelle muss eine Determinante ent - halten, welche ihr eben den histologischen Charakter verleiht, der sie von der Samenzelle unterscheidet, und diese ihrerseits muss ebenfalls eine solche ihre histologische Ausbildung be - herrschende Determinante enthalten. Es müssen also im Keim - plasma von Volvox ausser den Determinanten für die geissel - tragenden somatischen Zellen noch spermogene und ovogene Determinanten enthalten sein, von welchen aber immer nur die eine aktiv wird und der Keimzelle den männlichen oder den weiblichen Charakter aufprägt. Ich stelle mir diese sexuellen Determinanten als Doppeldeterminanten vor, welche überall zusammen und in enger Verbindung miteinander vorkommen, aber so eingerichtet, dass immer nur die eine von ihnen aktiv werden kann. Bildlich könnte man das etwa so ausdrücken, dass die Ide der Keimzellen aus einer centralen kugeligen Masse von Keimplasma bestünden, welche von einer Schicht dieser sexuellen Doppeldeterminante eingehüllt wäre, welche ihrerseits entweder die männliche oder die weibliche Schicht nach aussen kehrt; die nach aussen gekehrte wäre die herrschende.

Dies ist nur ein Bild und beansprucht in keiner Weise die wirklichen Verhältnisse zu errathen. Welche Kräfte und welche Massen hier thätig sind, wissen wir nicht, aber so viel wissen wir, dass in dem Idioplasma der Ur-Keimzellen bei höheren Thieren in den bei weitem häufigsten Fällen noch die Möglichkeit zur Ausbildung von beiderlei GeschlechtszellenWeismann, Das Keimplasma. 30466liegt, und dass die Entscheidung darüber, ob die Keimzellen sich zu männlichen oder weiblichen entwickeln werden, zu irgend einer frühen Zeit der Embryogenese gegeben wird, bei dem Bienenei zu Beginn derselben, also lange Zeit vor der Differenzirung der ersten Ur-Keimzelle, bei anderen Thieren vielleicht erst später. Es scheint mir von grossem Werth, dass wir durch die berühmten Untersuchungen Siebold’s und Leuckart’s sicher wissen, dass mindestens in dem einen Fall der Biene diese Ent - scheidung durch den Eintritt oder das Ausbleiben der Be - fruchtung gegeben wird, d. h. also im Moment der Constituirung des das neue Bion bestimmenden Keimplasma’s. Tritt Befruch - tung ein, so wird dieses Bion ein weibliches, bleibt sie aus, so wird es ein männliches. Dies beweist zum Mindesten, dass diese Entscheidung so frühe schon fallen kann; ich halte es aber für zweifelhaft, ob sie überhaupt später fallen kann; jeden - falls kennen wir Thiere, bei welchen sie noch früher fällt, nämlich in die Reifungszeit der Eier. Die Phylloxera legt grosse Eier, aus welchen Weibchen, und kleine, aus welchen Männchen kommen. Beide werden befruchtet, die Befruchtung hat also hier keinen Antheil an der Geschlechtsbestimmung.

Doch ist hier nicht der Ort, auf diese Fragen näher ein - zutreten; es handelte sich nur darum, klar zu machen, dass Sexual-Determinanten in dem angegebenen Sinn angenommen werden müssen, und dass beide Arten derselben zusammen in den Ur-Keimzellen enthalten sind. Warum sie als Doppel - Determinanten, d. h. als zwei nebeneinander liegende Biophoren - Gruppen gemeinsamen Ursprungs angenommen wurden, kann erst aus dem Folgenden klar werden.

Bekanntlich giebt es nicht nur niedere Organismen, wie Volvox, bei welchen männliche und weibliche Individuen ledig - lich durch die Art der Geschlechtszellen sich unterscheiden, sondern auch unter den niederen Metazoen, Schwämmen, Me -467 dusenpolypen finden sich solche. Bei diesen werden nur die Sexualdeterminanten doppelten Charakter besitzen. Bei den meisten Thieren aber beschränkt sich der Geschlechtsunterschied nicht blos auf die Keimzellen, sondern auf mehr oder minder ausgedehnte Theile des Soma selbst. Bei allen sexuell di - morphen Wesen müssen deshalb im Keimplasma noch eine verschiedene Anzahl von somatischen Charakteren der Anlage nach doppelt vorhanden sein, alle diejenigen nämlich, welche bei weiblichen und männlichen Individuen verschieden sind. Dies sind zunächst die Organe, in welchen die Geschlechtszellen sich entwickeln, in welchen sie ernährt, aufgespeichert und aus - geleitet werden, also die sog. Geschlechtsdrüsen und ihre Leitungs - wege, dann die Begattungsorgane, aktive und passive, und die Organe zur Eiablage; schliesslich die Organe zur Brutpflege, mögen dieselben in Milchdrüsen, Zitzen und einem Fruchthälter, oder in dem Instinkt bestehen, die Eier im Mund aufzubewahren, wie dies bei einem männlichen Frosch der Tropen vorkommt, oder in dem Instinkt der Schmetterlingsweibchen, ihre Eier in bestimmter Weise an eine bestimmte Pflanze zu legen. Auch in den letzten beiden Fällen muss ein Unterschied im Bau des Körpers, hier in dem der Nervencentren nach dem Geschlecht vorhanden sein, und sowohl der männliche als der weibliche Modus dieser Theile muss latent in jedem Keimplasma ent - halten sein. Ferner aber gehören alle sekundären Ge - schlechtscharaktere hierher, die verschiedenen Spürorgane der Männchen, ihre Anlockungsorgane, die prächtigen Farben männlicher Vögel und Schmetterlinge, die Duftorgane der Letz - teren, der Gesang männlicher Vögel und Insekten u. s. w.

Vom Menschen her wissen wir, dass sämmtliche sekundäre Geschlechtscharaktere nicht nur von den Individuen des ent - sprechenden Geschlechtes vererbt werden, sondern auch von denen des andern. Die schöne Sopranstimme der Mutter kann30*468sich durch den Sohn hindurch auf die Enkelin vererben, ebenso der schwarze Bart des Vaters durch die Tochter auf den Enkel. Auch bei Thieren müssen in jedem geschlechtlich differenzirten Bion beiderlei Geschlechtscharaktere vorhanden sein, die einen manifest, die andern latent. Der Nachweis ist hier nur in gewissen Fällen zu führen, weil wir die individuellen Unterschiede dieser Charaktere nur selten so genau bemerken, allein er ist selbst für ziemlich einfach organisirte Arten zu führen, und die latente Anwesenheit der entgegengesetzten Geschlechts - charaktere in jedem geschlechtlich differenzirten Bion muss deshalb als allgemeine Einrichtung aufgefasst werden. Bei der Biene besitzen die aus unbefruchteten Eiern sich ent - wickelnden Männchen die sekundären Geschlechtscharaktere des Grossvaters, und bei den Wasserflöhen, bei welchen mehrere rein weibliche Generationen auseinander hervorgehen, bringt die letzte derselben Männchen hervor mit den sekundären Geschlechts - charakteren der Art, welche somit in latentem Zustand in einer ganzen Reihe von weiblichen Generationen vorhanden sein mussten.

Es wird also in dem Keimplasma der befruchteten Eizelle nicht nur die Anlage zu männlichen und weiblichen Keimzellen, sondern auch die zu sämmtlichen sekundären Sexualcharakteren, weiblichen und männlichen enthalten sein müssen. Man könnte nun glauben, mit der Annahme auszureichen, dass die Determi - nanten von beiderlei Charakteren im Keimplasma vorhanden seien, und dass bei der Entscheidung über das Geschlecht nicht nur über die Sexual-Determinanten bestimmt würde, also ob die Keimzellen männlich oder weiblich werden sollen, sondern auch über die somatischen Determinanten, ob die der männlichen oder der weiblichen sekundären Geschlechtscharaktere die Führung im Aufbau des Soma übernehmen sollen.

Diese Annahme ist zwar unerlässlich und genügt auch,469 soweit es sich nur einfach um die latente Übertragung der beiderlei sekundären Charaktere vom Keimplasma der einen auf das der andern Generation handelt, sie bedarf aber noch eines wesent - lichen Zusatzes. Wir kennen ein Reihe von Thatsachen, welche darauf hindeuten, dass nicht nur das Keimplasma, aus welchem das Bion hervorgeht, die latente Anlage von beiderlei Sexual - charakteren enthält, sondern auch der fertige Körper des Bion selbst. Dass das Keimplasma beide enthalten muss, geht schon daraus hervor, dass sie beide auf die Nachkommen über - tragen werden können, und es ist im sechsten Capitel gezeigt worden, wie man sich diese Vererbung durch eine Continuität der Keimplasma-Materie von einer Generation von Keimzellen auf die andere erklären kann. Hier aber handelt es sich darum, dass auch im fertigen Individuum die beiderlei Sexualcharaktere der Anlage nach enthalten sein können: dass ein männliches Bion die weiblichen Sexualcharaktere nicht nur in seinen Keim - zellen, sondern auch in seinem Körper enthalten kann, und um - gekehrt ein weibliches Bion die männlichen Sexualcharaktere. Die Thatsachen, welche ich meine, sind bekannt, und von Darwin sorgfältig gesammelt und ausführlich besprochen worden. Sie bestehen kurz gesagt darin, dass bei ausgebildeten Individuen des einen Geschlechts unter besondern Umständen die sekundären Sexualcharaktere des andern Geschlechtes zur nachträglichen Ausbildung gelangen können. Dahin gehören vor Allem die Folgen der Castration bei beiden Geschlechtern. Die Ent - fernung der Geschlechtsdrüsen bei jungen Säugethieren und Vögeln verhindert die Entfaltung der sekundären männlichen Geschlechtscharaktere; castrirte Hähne z. B. behalten das Aus - sehen von Hühnern, sie bekommen weder den schönen Schwanz, noch den grossen Kamm und Sporn des Hahnes, noch krähen sie. Umgekehrt nehmen weibliche Hühner, wenn sie steril werden im Alter, oder wenn ihre Ovarien degeneriren, die äusseren470 Sexualcharaktere des Hahnes an. Ich besitze eine weibliche Ente, welche nicht mehr legt und welche die Färbung des Enterichs angenommen hat. Beim männlichen Menschen bleibt die Stimme hoch, weiblich, der Bart entwickelt sich nicht, wenn in der Jugend Castration vorgenommen wurde.

Offenbar zwingen diese Thatsachen zu der Annahme, dass die Fähigkeit zur Entwickelung der weiblichen sekundären Charaktere im Körper des Männchens, die zur Entwickelung der männlichen Charaktere im Soma des Weibchens latent ent - halten ist, bereit unter gewissen Bedingungen hervor zu treten. Dieser Schluss ist denn auch von Darwin bereits gezogen worden. Man könnte an seiner Berechtigung nur insofern zweifeln, als ein Wechsel der sekundären Geschlechtscharaktere bei ein und demselben Individuum nur in sehr wenigen Fällen und bei sehr wenigen Arten höherer Thiere beobachtet wurde: bei Vögeln und Säugethieren; man könnte also Bedenken tragen, die Schlüsse aus diesen Beobachtungen zu verallgemeinern. Immerhin bleiben die beobachteten Fälle zu erklären, und es muss versucht werden, sie der Theorie einzuordnen.

Ich knüpfe an ein möglichst einfaches Beispiel an. Bei manchen Schmetterlingen aus der Familie der Lycaeniden sind die Weibchen braun gefärbt auf der Oberseite ihrer Flügel, die Männchen aber blau, und es lässt sich sehr wahrscheinlich machen, dass die braune Farbe das Ursprüngliche war, wie es ja heute noch Lycaena-Arten giebt, die in beiden Geschlechtern braun sind. Der idioplasmatische Vorgang muss hier der ge - wesen sein, dass die primären Determinanten jener Zellen, welche die Flügelfarbe bedingen, sagen wir die braunen Determi - nanten, sich im Keimplasma in blaue umwandelten, aber erst nach vorgängiger Verdopplung derselben, und so, dass immer die eine der Zwillings-Determinanten braun blieb, und dass eine Einrichtung getroffen wurde, welche ihnen nur alternirend471 aktiv zu werden gestattete. Wir kommen also zur Annahme von Doppeldeterminanten, wie bei der Geschlechtsbestimmung der Keimzellen. Ich glaubte zuerst, die Annahme von Deter - minanten mit verschiedenen Hälften sei schon deshalb unerläss - lich, weil man sonst ausser Stand sei, die Anwesenheit der in - aktiven Determinante an der betreffenden Stelle des Körpers zu erklären. Da Umschläge der Sexualcharaktere auf das andere Geschlecht unmöglich für die Art von irgend welchem Nutzen sein können, so vermochte also Naturzüchtung nichts in Bezug auf die Beigabe männlicher Determinanten an die somatischen Zellen eines weiblichen Körpers oder umgekehrt; diese Um - schläge müssen somit auf einer unbeabsichtigten Nebenwirkung bestehender Einrichtungen und Kräfte beruhen. Ich sah aber bald ein, dass solche Einrichtungen ohnehin schon da sind, und dass wir zur Erklärung der Anwesenheit von beiden Sexual - Determinanten am Orte der Entfaltung der einen von ihnen der Annahme von mechanisch untrennbaren Doppel-Determi - nanten nicht bedürfen. Ich lege deshalb keinen Werth auf die Vorstellung des materiellen Zusammenhanges der beiden di - morphen Hälften der betreffenden Ur-Determinanten, ja ich werde gleich zu zeigen haben, dass sich diese Hälften jedenfalls früher oder später im phyletischen Entwickelungsgang als selbstständige Determinanten trennen müssen.

Die Ursache aber, weshalb solche Doppel-Determinanten auch nach ihrer Trennung stets beisammen bleiben müssen, liegt einfach in der Mechanik der Ontogenese des Idioplasma’s, welche nach unserer Voraussetzung in einer Zerlegung der Determinantenmasse des Keimplasma’s in immer kleinere Gruppen besteht. In gesetzmässiger Weise scheiden sie sich im Laufe der embryonalen Zelltheilungen in immer kleinere Gruppen; keine Determinante bleibt etwa unbenützt übrig oder geht gar zu Grunde, jede durchläuft eine fest vorgezeichnete Bahn, und472 Determinanten für ein und denselben Theil, ein und dieselbe Stelle des Körpers müssen nothwendigerweise beisammen bleiben, auch wenn sie nicht mechanisch unzertrennlich verbunden sind. Sie bleiben deshalb doch im physiologischen Sinne Doppel - determinanten, d. h. sie bestimmen beide dieselbe Stelle, und in diesem Sinne werde ich auch im Weiteren noch von Doppel - determinanten reden.

In dem Falle der Lycaeniden kann ein Umschlag der sekun - dären Sexualcharaktere, wie er bei Vögeln vorkommt, schon deshalb nicht eintreten, weil die Flügelschuppen nur einmal im Leben gebildet werden; wir haben also kein Mittel, hier durch die Erfahrung das Vorhandensein von Doppeldeterminanten in den Zellen des Flügels nachzuweisen. Es giebt aber andere Erfahrungen an Insekten, welche darauf hinweisen, dass die idio - plasmatische Grundlage zu solchen sexuellen Umschlägen auch bei ihnen nicht fehlt.

Ich denke hierbei besonders an die gelegentlich vorkommen - den Zwitterbildungen der Insekten, deren lehrreichster Fall wohl durch jene Zwitter-Bienen gebildet wird, welche zuerst von Leuckart1)R. Leuckart in Sitzungsberichten der deutschen Naturforscher - Versammlung vom Jahre 1864. und von Siebold2)C. Th. von Siebold, Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie , Bd. XIV, p. 73. 1864., später von Kraepelin in sehr eingehender Weise untersucht worden sind. Männliche und weibliche sekundäre Sexualcharaktere zeigten sich bei diesen in der wunderbarsten Weise durcheinander gemischt; bei einigen Bienen war die rechte Hälfte weiblich, die linke männ - lich, bei andern die Vorderhälfte des Körpers männlich, die Hinterhälfte weiblich, oder der ganze Rumpf männlich, der Kopf aber halbseitig weiblich. Wie Leuckart sich ausdrückte, sind bei diesen Bienenzwittern die männlichen und weiblichen473 Charaktere auf das Verschiedenste und Regelloseste zusammen - gewürfelt, so dass es schwer hält, zwei Individuen mit voll - ständig gleichen Merkmalen aufzutreiben.

Wir verdanken Kraepelin eine vortreffliche Untersuchung solcher Bienenzwitter in Bezug auf die äusseren Geschlechts - theile, den Begattungsapparat der Männchen und Weibchen und den Wehrstachel der Letzteren. 1)Kraepelin, Zeitschrift f. wiss. Zoologie , Bd. XXIII, p. 326. 1873.Dabei erkennt man, bis in wie kleine Theile die Mischung männlicher und weiblicher Charaktere geht. Nicht nur findet es sich häufig, dass z. B. links ein halber weiblicher Stachel-Apparat mit allen seinen Theilen vorhanden ist, während rechts ein Penis sich entwickelt hat, sondern gewisse Chitinplatten der Bauchseite des letzten fast ganz männlich entwickelten Abdominal-Segmentes können eine deutliche Hinneigung zu den ihnen entsprechenden Chitinplatten des weiblichen Stachel-Apparates aufweisen, oder mit andern Worten: diese Chitinplatten erweisen sich als eine Mittelbildung zwischen weiblichem und männlichem Typus. Die Bildung dieser Platte muss also von einem Ge - misch männlicher und weiblicher Determinanten geleitet worden sein. Es wäre undenkbar, wie diese zusammenstimmenden Deter - minanten sich an der richtigen Stelle des ungeheuren und so verwickelten Determinanten-Baues des Keimplasma’s zusammen - gefunden haben sollten, wenn sie nicht von vornherein schon zusammen geordnet gewesen wären, wenn also nicht an jeder solchen Stelle des Keimplasma’s männlich-weibliche Doppel - determinanten schon eingeordnet vorhanden wären, die im Laufe der Ontogenese zusammen an die betreffenden Körperstellen hingelangen, und von denen dann die weibliche oder die männ - liche Hälfte aktiv wird.

Bei normaler Entwickelung der Biene werden mit der Be -474 stimmung des Geschlechts auch alle diese somatischen Doppel - determinanten gleichsinnig bestimmt. Es bleibt dunkel, welches Moment bei der Zwitterbildung die Gleichsinnigkeit der sexuellen Bestimmung verhindert. Siebold glaubte den Fall dadurch dem Verständniss näher zu bringen, dass er diese Eier für un - vollkommen befruchtet erklärte. Er hatte das Receptaculum der betreffenden Königin fast leer gefunden, und da nun die Drohnen aus unbefruchteten Eiern hervorgehen, die Weibchen aber aus befruchteten, so schien es plausibel, dass unvollkommene Befruchtung Zwitter hervorbringen müsse. Man wusste damals noch nicht, dass ein einziger Samenfaden zur Befruchtung aus - reicht. Heute können wir uns unter unvollkommener Befruch - tung nichts Rechtes vorstellen. Solange noch ein lebender Samenfaden in das Ei gelangen kann, solange wird auch dies Ei befruchtet, und eine unvollkommene Befruchtung könnte etwa nur so gedacht werden, dass der befruchtende Samenfaden abnorm gebaut wäre, zu wenig Idanten enthielte u. s. w. Aber auch damit wäre theoretisch nicht viel anzufangen. Nur soviel können wir sagen, dass hier die Bestimmung des Geschlechts nicht im Ganzen, mit allen Doppeldeterminanten auf einmal, sondern einzeln, in grösseren oder kleineren Determinanten - gruppen erfolgte, und zwar sowohl in Bezug auf die Keimzellen als auf die dimorphen Körpertheile. Es kam nicht nur der gewöhnliche Fall vor, dass die Geschlechtsdrüse des betreffenden Individuums rechts weiblich, links männlich sich ausbildete, sondern auch, dass auf ein und derselben Seite weibliche und männliche Keim-Follikel zur Entwickelung gelangen, mehrere Hodenschläuche und Eierstocksröhren nebeneinander. v. Siebold bemerkt dazu, dass aber die Zwitterbildung der Geschlechts - werkzeuge fast nie im Einklang stand mit der Zwitterbildung der äussern Form , und dies scheint mir in theoretischer Be - ziehung besonders interessant, weil es den sichern Schluss ge -475 stattet, dass die Harmonie des normalen Zustandes auf einer gleichzeitigen Entscheidung über die Doppel - determinanten der Keimzellen und des Körpers beruht, nicht auf einer primären Geschlechtsbestimmung der Geschlechts - drüsen, von welchen dann sekundär erst die somatischen Ge - schlechtscharaktere als weiblich oder männlich bestimmt würden.

Bei den Bienen lässt sich die Existenz von Doppeldetermi - nanten des Keimplasma’s geradezu erweisen. Wenn ein und dasselbe Ei, je nachdem es befruchtet wird oder nicht, sich zum männlichen oder weiblichen Bion entwickeln kann, so müssen in ihm beiderlei Determinanten enthalten sein.

So richtig aber gewiss auch diese Annahme ist, so wenig reichen wir mit ihr allein aus, und zwar deshalb nicht, weil die sekundären Geschlechtsunterschiede nicht immer sich blos auf einzelne Zellen oder Zellengruppen beziehen, welche sich in beiden Geschlechtern genau entsprechen, wie z. B. die braunen und die blauen Schuppen der Lycaeniden, sondern weil in vielen, ja vielleicht den meisten Fällen die dimorphen Theile sich nur theilweise oder auch gar nicht ent - sprechen.

Die Geschlechtsunterschiede sind in sehr verschiedenem Grade in den verschiedenen Gruppen des Thierreiches ausgebildet.

Bei niederen und höheren Crustaceen besitzen die Männchen häufig mehr Riechfäden an ihren Fühlern als die Weibchen. So stellen bei dem grössten Wasserfloh, der Leptodora hyalina, die vorderen Fühler beim Weibchen kurze Stummeln dar, auf welchen fünf Riechfäden sitzen, beim Männchen aber sind diese Fühler lange, ruthenförmige Organe, an denen etwa achtzig Riechfäden stehen. Es ist klar, dass hier die Verschiedenheit nicht auf eine einzige Doppeldeterminante zurückgeführt werden kann. Jeder Riechfaden muss auf eine besondere Determinante des Keimplasma’s bezogen werden, wenn nun auch die fünf476 ersten sich entsprechen und ihre geringen Unterschiede auf Doppeldeterminanten bezogen werden könnten, so bleiben doch noch über siebenzig Determinanten von Riechfäden übrig, die nur beim männlichen Geschlecht zur Entfaltung gelangen, ganz abgesehen von den Determinanten des Fühlers selbst. Diese siebenzig Determinanten sind nur einfach vorhanden, da beim Weibchen die entsprechenden Theile fehlen, und es stehen sich also hier im Keimplasma zwei Gruppen von Determinanten gegenüber, die der weiblichen und die der männlichen Antenne, von denen immer nur die eine zur Aktivität gelangt. Man wird sich vorstellen dürfen, dass beide Gruppen, dicht beisammen liegend, die Zellenfolgen der Embryogenese durchlaufen bis zur Anlage der Antenne, dass aber dann eine Scheidung eintritt und die inaktiv bleibende Gruppe in einer indifferenten Zelle an der Basis des Fühlers liegen bleibt, während die andere durch fortgesetzte Zelltheilungen den Fühler des betreffenden Ge - schlechtes zur Ausführung bringt.

Ganz ähnlich wird es in tausend andern, aber noch weit verwickelteren Fällen sich verhalten. Wenn z. B. ein männ - liches Kolibri eine sechs Mal so lange Feder im Schwanz trägt als das Weibchen, die zugleich durch prachtvolles Ultramarin - blau von der graumelirten entsprechenden Feder des Weibchens absticht, so setzt dies zweierlei Gruppen von Determinanten voraus, die nach Zahl und Art verschieden sind. Beide Gruppen liegen beisammen im Keimplasma, durchlaufen dieselbe Zellen - folge in der Ontogenese und gelangen schliesslich an dieselbe Stelle der Haut über dem letzten Schwanzwirbel. Hier aber bleibt die eine inaktiv, und nur die andere giebt zu weiteren Zelltheilungen und zur Entstehung einer Feder Anlass.

Je tiefer greifend der sexuelle Dimorphismus ist, je grössere Theile er umfasst, um so grösser müssen auch die beiderlei Determinantengruppen sein, und je früher in der Ontogenese477 wird die eine von ihnen inaktiv in einer Zelle liegen bleiben, die sich nicht weitertheilt, während die andere weitere Zell - theilungen hervorruft.

Vielfach besteht der sexuelle Dimorphismus in der Ver - kümmerung eines Organs in dem einen Geschlecht. So fehlen manchen Schmetterlingsweibchen die Flügel. Idioplas - matisch wird dies darauf beruhen, dass die Determinantengruppe des Flügels, die in früheren phyletischen Stadien schon doppelt, d. h. männlich und weiblich vorhanden war, nun einseitig ver - kümmert. Häufig besitzen solche Weibchen noch Rudimente der Flügel, und dann werden beide Flügel-Determinantengruppen in der Ontogenese zusammengehen bis zu jenem Stadium der Raupe, in welchem von einer Zelle der Hypodermis die Bildung der Imaginalscheibe des Flügels ausgeht. Ist das Thier weib - lich, so wird jetzt die verkümmerte Flügel-Determinantengruppe aktiv, ist es männlich die vollkommne. Es ist aber auch denk - bar, dass die Verkümmerung der weiblichen Determinanten - gruppe bis zu ihrem völligen Verschwinden geht, wie denn bei den weiblichen Psychiden die Flügel ganz fehlen.

Aber auch mit dem völligen Schwund einzelner Theile ist der höchste Grad des sexuellen Dimorphismus noch nicht er - reicht. Es giebt in verschiedenen Gruppen des Thierreichs Arten, deren Männchen sich beinahe in allen Charak - teren von den Weibchen unterscheiden. Schon bei vielen Räderthieren sind die Männchen winzig klein gegenüber den Weibchen, haben eine in allen Theilen verschiedene Körper - gestalt und entbehren des gesammten Nahrungskanals, und bei Bonellia viridis, einem Meereswurm aus der Gruppe der Gephy - reen, weicht das Männchen so sehr vom Weibchen ab, dass man versucht sein könnte, es einer ganz andern Klasse von Würmern, den Strudelwürmern, zuzutheilen. Zugleich ist hier der Unterschied der Körpergrösse zwischen beiden Geschlechtern478 noch weit bedeutender; das Männchen hat eine Länge von 1 2 Millimeter, das Weibchen von 150 Millimeter, und das Erstere schmarotzt im Innern des Letzteren. Im Falle der Bonellia sind die Eier, aus welchen die Männchen kommen, nicht zu unterscheiden von den weiblichen Eiern, auch nicht in der Grösse, und die hundertfach bedeutendere Körpermasse des Weibchens beruht nur auf später eintretendem Wachsthum. Auch die jungen Larven der Weibchen sind von denen der Männchen nicht zu unterscheiden, und erst bei der Metamor - phose der Larve in das geschlechtsreife Thier wird die Ent - wickelung eine verschiedene. Die Larve ist drehrund, walzig, länglich eiförmig und mit zwei Wimperkränzen ausgerüstet, mittelst deren sie umherschwimmt, sie besitzt einen Darm mit Mund und After. Die Umwandlung zur definitiven Form der Art kündigt sich zuerst durch den Verlust des hintern Wimper - kranzes an, und von diesem Moment an scheiden sich die Wege der beiden Geschlechter. Die Weibchen wachsen stark, bilden den Rüsselfortsatz am Vorderende, während der Darm sich in die Länge streckt, die Männchen aber bleiben klein, bekommen einen allgemeinen Wimperbesatz, Mund und After verlieren sie, ebenso den Vorder - und Hinterdarm, und behalten blos den mit Dotterelementen gefüllten Mitteldarm. Trotz der grossen Verschiedenheit der Geschlechter beruht ihre Organisation doch auf derselben Grundlage, und man kann im Allgemeinen sagen, dass das Männchen auf einer frühen Organisationsstufe stehen bleibe, während das Weibchen sich weiter entwickele und wenigstens in vielen Organen, z. B. dem Nervensystem, dem Gefässsystem, welches dem Männchen ganz fehlt, eine viel höhere Organisationsstufe erreicht. Aber erschöpfend ist diese Aus - drucksweise auch nicht, denn nicht nur die Hoden, sondern auch die Haut und gewisse Klammerorgane entwickeln sich auch beim Männchen erst später und in eigenthümlicher Weise weiter. 479Eine gewisse Übereinstimmung in den wesentlichsten Punkten des Körperbaues bleibt trotz der grossen Verschiedenheit der fertigen Geschlechtsthiere immer noch bestehen, so nämlich, dass man mit Spengel sagen darf, auch das Männchen sei eine Gephyree mit allen bekannten Organisationsverhältnissen derselben .

Fig. 24.

Bonellia viridis, links das Weibchen etwa in Lebensgrösse, rechts das Männchen in starker Vergrösseruug; d rudimentärer Darm desselben, vd Samenleiter (aus R. Hertwig’s Zoologie ).

Idioplasmatisch nun wäre dieser Entwickelungsgang etwa so zu verstehen. Die Determinanten, welche den Aufbau der Larve leiten, sind einfach, es entstehen also monomorphe Larven. Das Idioplasma der Zellen aber, welche die Organe dieser Larven zusammensetzen, enthalten alle oder doch meistens Doppeldeterminanten oder doppelte Determinantengruppen, und von diesen werden die weiblichen meist die bei weitem grösseren480 sein, ja häufig wird der weiblichen Determinantengruppe eine männliche überhaupt nicht gegenüberstehen, bei allen den Organen nämlich, welche, wie der lange Rüssel des Weibchens ein Homologon beim Männchen nicht hat. Es ist gewiss sehr merkwürdig, dass solche Determinantengruppen beim Männchen nicht zur Aktivität gelangen, obgleich sie vorhanden sind, und ihnen keine andern gegenüberstehen, aber wenn wir auch nicht im Geringsten einsehen, wie diese Inaktivität erzwungen wird, so ist doch der Fall nicht überraschender, als die Geschlechts - bestimmung überhaupt und als jede Inaktivität vorhandener Anlagen. Warum wachsen der Raupe die Flügel erst zur Ver - puppungszeit und nicht schon lange vorher, da doch die An - lagen dazu, die Determinantengruppe, von Anfang an in ge - wissen Hypodermiszellen enthalten sein muss? Oder warum wächst nicht schon dem Knaben ein Bart, dessen Determinanten in gewissen Hautzellen vorhanden sein müssen? Für alle diese Fälle können wir ebensowenig eine Erklärung geben, als für die Inaktivität sexuell differenzirter Determinanten. Wir können höchstens sagen, es sei die Eigenthümlichkeit jener Determi - nanten, erst auf einem bestimmten Stadium der Ontogenese aktiv zu werden; dies gewährt aber kaum eine tiefere Einsicht, als wenn wir bei sexuell differenzirten Determinanten sagen, sie würden je nach dem Geschlecht des Bion aktiv oder inaktiv.

Bei allen solchen Arten, welche sexuell dimorph sind, müssen die Ide des Keimplasma’s mehr Determinanten enthalten, als bei monomorphen Arten, und zwar deren um so mehr, je grösser der Unterschied der Geschlechter ist; sie werden also auch grösser sein, und es fragt sich nun, ob der Dimorphismus sich nicht vielleicht so sehr steigern und schliesslich auf alle Theile des Körpers beziehen kann, dass Doppel-Ide entstehen, d. h. dass jedes Id des Keimplasma’s aus einer männlichen und einer weiblichen Hälfte besteht, in welchen alle Determinanten481 verschieden wären. Nahezu scheint dies bei manchen Thieren wirklich der Fall zu sein, denn bei den Räderthieren z. B. sind die Männchen häufig so sehr verschieden von den Weibchen, dass sie sogar, wie die Geschlechtsthiere der Reblaus, aus besonderen kleineren Eiern ihren Ursprung nehmen. Man würde aber doch fehlgehen, wollte man glauben, dass hier männliche und weib - liche Ide auf die beiden Eierarten vertheilt wären. Wohl werden nur eine geringe Zahl von gemeinsamen Determinanten vor - handen sein, aber dennoch muss das Keimplasma jeden Eies auch hier sämmtliche weibliche und männliche Determinanten enthalten. Das beweist die Einschaltung rein weiblicher Gene - rationen in den Generations-Cyklus jeden Jahres; die partheno - genetischen Weibchen bringen schliesslich Männchen hervor.

Ich muss hier noch einmal auf den sexuellen Rück - schlag wenn man so sagen darf zurückkommen, von dem oben die Rede war, ich meine das Hervortreten entgegen - gesetzter Geschlechtscharaktere nach Castration, oder Entartung der Geschlechtsdrüsen. Man hat dies bisher immer als eine all - gemeine Erscheinung aufgefasst, ich glaube aber nicht, dass wir zu einer solchen Ansicht berechtigt sind. Beobachtungen solchen sexuellen Rückschlags beziehen sich, wie oben gezeigt wurde, wohl nur auf Säugethiere und Vögel, und auch bei diesen nicht immer auf alle Theile, welche bei den betreffenden Arten sexuell dimorph sind. Man hat allerdings Fälle beobachtet, in welchen z. B. eine alte Henne, welche aufgehört hatte zu legen, nicht nur das Gefieder, sondern auch die Stimme, die Sporne und das kriegerische Temperament des Hahnes an - nahm (Darwin, Domestication II, p. 58). Dies beweist, dass bei diesen Vögeln alle sekundären Sexualcharaktere des Männchens im Soma des Weibchens in latentem Zustande vorhanden sind, wir werden aber vermuthen dürfen, dass dies nur dann der FallWeismann, Das Keimplasma. 31482ist, wenn diese Charaktere in beiden Geschlechtern völlig homolog sind, d. h. wenn sie sich genau nach Zeit und Ort ihrer onto - genetischen Entstehung und der Zahl ihrer Determinanten ent - sprechen; ist dies aber nicht der Fall, dann wird ein solcher Rückschlag auf die Sexualcharaktere des andern Geschlechtes kaum möglich sein, weil der Boden fehlt, von dem aus das Rückschlags-Organ hervorwachsen könnte. Gesetzt, es verhielte sich bei den Schmetterlingen ähnlich wie bei den Hühnern, d. h. die sekundären Sexualcharaktere seien latent im Soma des andern Geschlechts vorhanden und würden durch Entfernung der Geschlechtsdrüsen zur Entwickelung gebracht, so würde z. B. ein Männchen von Lycaena Alexis, welches blaue Flügel hat, nach Castration braune erhalten. Dies müsste durch Ausfallen der bisherigen und Hervorwachsen neuer Schuppen geschehen, oder wenn die Castration schon im Raupenzustand vorgenommen worden wäre, würden von vornherein in dem hervorwachsenden Flügel die Schuppen braun ausfallen. Männ - liche und weibliche Schuppen sind homologe Bildungen, von denen jede nur durch eine Determinante bestimmt wird. Wenn also überhaupt an der Wurzel der schon ausgebildeten männ - lichen Schuppe eine Zelle liegt, die die Determinante einer weib - lichen braunen Schuppe enthält, so würde unter solchen natürlich rein erdachten Verhältnissen ein Rückschlag auf die weibliche Schuppenfarbe eintreten können.

Ganz anders, wenn die Weibchen der Lycaena überhaupt keine Flügel besässen, wie dies bei den Weibchen einiger Spinner vorkommt. Der männliche Charakter der blauen Schuppen hätte dann beim Weibchen kein Homologon, und an der Basis der blauen Männchen-Schuppen könnte unmöglich eine inaktive Zelle mit der Determinante einer braunen Schuppe liegen. Allgemein ausgedrückt heisst dies: Doppeldeterminanten weiblicher und männlicher Prägung können nur bis zu der Phase483 und Stelle der Ontogenese vorhanden sein, bis zu welcher die Entwickelung der beiden Geschlechter genau homolog ist. Wir werden deshalb einen Rückschlag auf die sekundären Charaktere des andern Geschlechtes nur da erwarten können, wo diese Stelle dauernd erhalten bleibt. Für die Lycaena wäre diese Trennungsstelle die Matrix der Flügel - schuppen, für eine im weiblichen Geschlecht flügellose Psyche eine gewisse Zellengruppe der Thorax-Hypodermis, bei Bonellia würden es die sämmtlichen Zellen der Larve sein, bei den Räder - thieren schon das Ei selbst. Eine weibliche Bonellia würde deshalb wenn unsere Anschauung die richtige ist durch Castration keine männlichen Charaktere entwickeln können, weil sie den Punkt der Ontogenese längst überschritten hat, von dem aus die Gabelung in einen männlichen oder weiblichen Körper beginnt, und bei den Räderthieren kann nicht erwartet werden, dass durch irgend einen Einfluss jemals ein Thier vom Habitus des Weibchens aus einem männlichen Ei kommen sollte.

In dem Capitel über die geschlechtliche Fortpflanzung, speciell in dem Abschnitt über den Kampf der väterlichen und mütterlichen Vererbungstendenzen beim Aufbau des Kindes, ist stillschweigend von einer weit verbreiteten, wie ich glaube, irrigen Auffassung des Geschlechtes abgewichen worden, wofür ich an dieser Stelle am besten die Rechtfertigung geben kann.

Es ist nämlich bisher meistens die Übertragung des Ge - schlechtes als ein Akt der Vererbung aufgefasst worden. Dies ist insofern irrig, als in jedem Keimplasma die Anlagen zu beiden Geschlechtern enthalten sind, und der Vererbungsvorgang selbst offenbar nichts mit der Bestimmung des Geschlechtes zu thun hat. Wenn das Kind einer Mutter weiblichen Ge - schlechtes ist, so folgt daraus noch keineswegs, dass das Gepräge der sekundären oder primären Sexualcharaktere dieser Tochter31*484dasjenige der Mutter ist, wie oben schon erwähnt wurde. Dies ist ja auch längst bekannt, hat aber doch noch nicht allgemein zu der Erkenntniss geführt, dass das Geschlecht überhaupt nicht vererbt wird, dass vielmehr stets von jeder elterlichen Seite beide Geschlechtsanlagen übertragen werden, und dass die Ent - scheidung darüber, welche Anlagen zur Ausführung gelangen sollen, von sekundären Momenten abhängen, die wir noch in keinem Fall mit Klarheit erkannt haben. Es können ebenso gut die männlichen als die weiblichen Hälften der sexuellen Doppeldeterminanten der Mutter zur Entwickelung gelangen, ebenso gut die weiblichen als die männlichen Hälften der sexuellen Doppeldeterminanten des Vaters, und das von Häckel seiner Zeit aufgestellte Gesetz der geschlechtlichen Vererbung 1)Ernst Häckel, Generelle Morphologie der Organismen . Bd. II, p. 183, Berlin 1866. ist nicht haltbar. Rein empirisch ausgedrückt verhält sich viel - mehr die Sache so, wie sie Déjerine2)J. Déjerine, L’Hérédité dans les maladies du système nerveux . Paris 1886, p. 17. in seinem werthvollen Buche über die Erblichkeit der Nervenkrankheiten nach Darwin (?) formulirt hat: Das Überwiegen des einen Elters bei der Ver - erbung kann direkt oder gekreuzt sein, d. h. es kann dem Geschlecht folgen oder an dem entgegengesetzten Geschlecht sich äussern.

Aus diesem Grunde durfte ich in dem Abschnitt über den Kampf der elterlichen Merkmale beim Aufbau des Kindes von der sogenannten Vererbung des Geschlechtes ganz absehen; das Geschlecht wird nicht vererbt, vielmehr nur die Geschlechts - Charaktere, primäre und sekundäre.

2. Pathologischer Dimorphismus.

Die Bluterkrankheit.

Im Anschluss an die idioplasmatische Begründung des sexuellen Dimorphismus möchte ich die Vererbung einer ge -485 wissen Krankheit oder besser Bildungs-Anomalie des Menschen besprechen, einmal weil sie, wie ich glaube, von dem bis jetzt gewonnenen Standpunkt aus verständlicher erscheint, als bisher, und dann auch, weil ihre Analyse vielleicht wieder neues Licht auf die Ursachen des sexuellen Dimorphismus zu - rückwirft.

Die Erscheinung, um welche es sich handelt, ist die so - genannte Bluter-Krankheit, eine seltene Anomalie, welche aber in einer Reihe von Fällen sehr genau beobachtet, und von welcher festgestellt ist, dass sie sich in hohem Grade auf die Nachkommen überträgt, aber in sehr eigenthümlicher Weise. Sie tritt nämlich nur bei den Männern einer Familie auf, wird aber durch die Weiber übertragen, verhält sich also in Bezug auf Vererbung wie ein sekundärer Sexual - charakter.

Dennoch hängt die Krankheit in keiner erkennbaren Weise mit den Geschlechtsorganen oder mit solchen Theilen zusammen, die dem Geschlecht nach anders ausgeprägt wären. Sie besteht in einer abnormen Schlaffheit der Gefässwandungen, welche zur Folge hat, dass geringe Verletzungen zu starken, schwer still - baren Blutungen führen. Da die Blutgefässe beim Aufbau des Körpers aus gewissen Zellen des sogenannten Mesoblast’s oder Parablast’s hervorgehen, so wird in manchen Handbüchern der pathologischen Anatomie die Bluterkrankheit als eine an - geborene Anomalie des Bindegewebekeim’s oder des Para - blast’s bezeichnet. Gewiss muss angenommen werden, dass irgend eine, zunächst noch nicht näher bestimmbare Variation gewisser Mesoblast-Zellen die Ursache jener verhängnissvollen Gefäss - Variation ist, nämlich der Zellen, aus welchen die Blutgefässe sich bilden. Die Determinanten der Blutgefässzellen müssen hier in irgend einer Weise variirt haben im Keimplasma der betreffenden Individuen, und der Beginn der Anomalie muss486 bei einem männlichen Individuum stattgefunden haben. Wir sehen keinen Grund, warum dieselbe Variation der be - treffenden Determinanten nicht auch einmal bei einem weiblichen Individuum sollte entstehen können, und vielleicht werden noch einmal Fälle von weiblichen Blutern gefunden werden. Die strenge Vererbung aber im männlichen Geschlecht scheint mir darauf hinzudeuten, dass diese Gefäss-Determinanten bei Mann und Weib trotz der scheinbaren Gleichheit der Gefässe ver - schieden sind. Sie müssen Doppeldeterminanten sein.

Nehmen wir dies an, so lassen sich die sonst sehr räthsel - haften Vererbungserscheinungen, wie sie bei der Bluterkrankheit beobachtet sind, in einfacher Weise aufklären. Da diese Krank - heit nur bei Männern auftritt, so müsste also bei einem solchen männlichen Bluter die männliche Hälfte seiner Gefässzellen - Determinanten die krankhafte Variation eingegangen sein, un - gefähr ebenso, wie die Determinanten der Zellen, die den Kehl - kopf bilden und die jedenfalls als Doppeldeterminanten zu denken sind, in ihrer männlichen Hälfte variirt haben. Da nun wie die Bienenzwitter lehren bei der Entscheidung über das Geschlecht eines Embryo zugleich auch entschieden wird, welche Hälften der Doppeldeterminanten des Idioplasma’s aktiv, welche passiv bleiben während der Embryogenese, so folgt von selbst, dass bei jedem weiblichen Nachkommen eines Bluters die Krank - heit latent bleiben muss, d. h. überhaupt keine krankhafte Bildung der Gewebe entstehen kann, denn hier tritt die weib - liche, nicht veränderte Hälfte der Gefässzellen-Determinanten in Thätigkeit. Bildet sich aber das Kind eines Bluters zum männ - lichen Individuum aus, so tritt die krankhaft veränderte männ - liche Hälfte der Gefässzellen-Determinanten in Kraft, und nun kann die Krankheit sich ausbilden, vorausgesetzt, dass nicht von Seite der gesunden Mutter her ein stärkerer Vererbungseinfluss in Betreff der Gefässbildung einwirkt, so dass die Krankheits -487 anlage des Vaters durch die Gesundheitsanlage der Mutter über - wunden wird. In dem einen, von Chelius, Mutzenbecher und Lossen1)Klebs, Lehrbuch der pathologischen Anatomie. durch vier Generationen verfolgten Stammbaum einer Bluterfamilie ist dies der Fall; hier sind die Söhne der Bluter nie wieder Bluter; in dem von Thulesius-Grandidier beschriebenen Fall dagegen vererbte sich die Krankheit vom Vater aus auf die männlichen Glieder durch drei Generationen. Beides lässt sich von unserem Standpunkt aus verstehen, da keine individuelle Variation auf einer Variation der betreffenden Determinanten sämmtlicher Ide des Keimplasma’s beruht, sondern immer nur auf einer Majorität der Ide mit ab - geänderten Determinanten. Diese aber kann durch jede Re - ductionstheilung und durch jede neue Amphimixis in eine Minorität verwandelt werden, womit dann die Variation auf - hört, manifest zu werden. Sobald also nur eine schwache Majorität der Ide Bluter-Determinanten enthält, würde schon eine mässige Zahl und Vererbungsstärke der gesunden mütter - lichen Gefäss-Determinanten den Sieg über die kranken väter - lichen davontragen, und folglich die männlichen Nachkommen frei von der Krankheit bleiben. Wenn aber die Bluter-Determi - nanten in bedeutender Majorität vorhanden waren im Keim - plasma des Vaters, so würde eine günstige Reductionstheilung zu Hülfe kommen müssen, damit ein Sohn von der Krankheit verschont bliebe. Aber auch solche Fälle erklären sich, in welchen die weiblichen Glieder einer Bluterfamilie mit ver - schiedenen gesunden Vätern lauter bluterkranke Söhne hervor - brachten. Denn die männliche Hälfte der Doppeldeterminanten beinahe sämmtlicher Ide könnte im Keimplasma dieser Mütter krankhaft abgeändert sein, ohne dass dies am Körper der Mutter zur Erscheinung käme; bei den Söhnen aber muss es zur Aus -488 bildung der Krankheit führen, falls nicht eine ungewöhnlich günstige Reductionstheilung das starke Übergewicht der krank - haften Determinanten beseitigt. Die Bluterkrankheit, die in der Mutter latent bleibt, kann sich von ihr ebenso leicht auf die männlichen Nachkommen vererben, als irgend eine andere männ - liche Eigenschaft des Grossvaters, seine Bartfarbe, seine Tenor - stimme u. s. w.

In dieser Übereinstimmung der Vererbungsweise der ge - wöhnlichen sekundären Geschlechtscharaktere und der Bluter - krankheit liegt, wie mir scheint, ein nicht zu übersehender Hin - weis darauf, dass beim Menschen eine grosse Zahl von Determinanten als Doppeldeterminanten anzunehmen sind. Die Zahl der sekundären Geschlechtscharaktere ist hier weit grösser, als man für gewöhnlich sich bewusst wird. Es ist ja bekannt genug, dass keineswegs nur Bart und Stimme, Haar und Haut beim Manne anders als beim Weib sind, son - dern auch der Knochenbau und die Muskulatur, ja die ge - sammte Körpergrösse. Gäbe es identische Zwillinge verschiedenen Geschlechtes, d. h. einen Mann und ein Weib, welche aus genau demselben Keimplasma durch Zweitheilung des befruchteten Eies hervorgegangen wären, so würde doch das Weib kleiner als der Mann sein, die Knochen dünner, das Becken weiter, die Muskeln schwächer u. s. w. Ganz gleich würde bei Beiden vielleicht kein einziger Theil sein; wenigstens wird ja all - gemein angenommen, dass auch das weibliche Gehirn sich in Etwas vom männlichen unterscheidet, und auch die Sinnesorgane sollen beim Weibe reizbarer und leichter erregbar sein. Wenn das Alles überhaupt Etwas heissen soll, so kann es nur heissen, dass die weibliche Ausbildung desselben Keimes eine andere ist, als die männliche; dies aber wiederum kann in unserer theoretischen Sprache nur so ausgedrückt werden, dass beim Menschen alle, oder doch nahezu alle Determinanten489 des Keimes Doppeldeterminanten sind, halb männlich, halb weiblich, so dass eine Determinante derselben Provenienz sich zum männlichen oder zum weiblichen Typus des betreffen - den Charakters entwickeln kann.

Durch diese Annahme einer weiten Verbreitung von Doppel - determinanten im Keim lässt sich die schon von Prosper Lucas1)Prosper Lucas, Traité philosophique et physiologique de l’hérédité naturelle , Tom. II, p. 137. Paris 1850. hervorgehobene und durch viele Beispiele belegte That - sache verstehen, dass neu auftretende Charaktere zuweilen nur auf das eine Geschlecht weiter vererbt werden, auch wenn sie mit sekundären Sexualcharakteren im eigentlichen Sinn nichts zu thun haben. Es sind dann eben nur die männlichen oder nur die weiblichen Hälften solcher Doppeldeterminanten des Keimplasma’s verändert worden. So verhält es sich bei der eben betrachteten Bluterkrankheit, insofern dieselbe doch einmal zuerst aufgetreten sein muss, und ähnlich in vielen Fällen von Farbenblindheit, von überzähligen Fingern, fehlenden Fingern oder Fingergliedern u. s. w. Auch der berühmte Stachelmensch Lambert vererbte die sonderbare Beschaffenheit seiner Epidermis nur auf seine männlichen Nachkommen. Bei der Polydaktylie kennt man Fälle, in welchen sie sich nur auf die männlichen Familien - mitglieder vererbte, aber auch solche, wo sie von der Mutter ausschliesslich auf die Töchter überging.

Es scheint aber, dass solche Abänderungen einer Hälfte von Doppeldeterminanten sich im Laufe der Zeit auf die an - dere, wenn auch zunächst noch in geringerem Grade über - tragen kann, denn es sind Fälle bekannt, in welchen eine Abnormität zuerst nur im männlichen Geschlecht entstand (?) und vererbt wurde, nachher aber auch auf einzelne weibliche Nachkommen überging. Allerdings aber sind diese Fälle nicht weit genug verfolgt, um die Deutung ganz auszuschliessen, es490 sei hier von vornherein eine Abänderung beider Hälften der betreffenden Doppeldeterminanten eingetreten, nur die der einen Hälfte in einer geringeren Zahl der Ide (der homologen Deter - minanten).

Dass beide Hälften gleichzeitig verändert sein können, be - weisen zahlreiche Fälle, in welchen irgend eine Abnormität bald in männlichen, bald in weiblichen Mitgliedern einer Familie auftreten. Prosper Lucas theilt mehrere solche Fälle mit, z. B. den der Familie Ruhe, in welcher in der ersten Generation die Mutter ihre Polydaktylie auf die Tochter übertrug, in der zweiten die Mutter sie auf den Sohn vererbte und in der dritten der Vater sie dem Sohn überlieferte.

Ich will nur andeuten, dass zahlreiche zoologische That - sachen die Annahme nahe legen, dass Veränderungen einer Hälfte einer Doppeldeterminante einen Einfluss auf die andere Hälfte ausüben und zwar in dem Sinne gleichartiger Abänderung. Es ist bekannt, wie vielfach sekundäre Geschlechtscharaktere der Männchen von Vögeln und Insekten bei den Weibchen in schwächerem Grade auftreten. Bei den Lycaeniden, jenen Tag - faltern, welche im Deutschen wegen ihrer vorwiegend blauen Farbe Bläulinge genannt werden, giebt es einige Arten, welche in beiden Geschlechtern braun gefärbt sind; bei Weitem die meisten Arten sind blau im männlichen, braun im weiblichen Geschlecht, und eine kleine Zahl südlicher Arten zeigt beide Geschlechter blau. Es ist nun nicht zweifelhaft, dass Braun die ursprüngliche Farbe dieser Arten war, dass dann zuerst die Männchen blau wurden, während die Weibchen braun blieben, und dass zuletzt erst auch die Weibchen sich bei einigen Arten blau färbten, wenn auch nur selten so stark wie ihre Männ - chen. Die Männchen sind also in der Umfärbung vorangegangen, die Weibchen nachgefolgt, und wenn man mit Darwin den Anstoss zum Blauwerden in sexueller Züchtung sieht, so ist491 die Blaufärbung der Weibchen mechanisch durch die Blau - färbung der Männchen herbeigeführt worden, indem der sekun - däre Sexualcharakter sich im Laufe sehr langer Generations - folgen auf das weibliche Geschlecht mit übertrug. Dies aber kann nach unserer Theorie nur darauf beruhen, dass die Ver - änderung der männlichen Determinantenhälften eine ähnliche, wenn auch schwächere Veränderung der weiblichen Hälfte nach und nach herbeiführte. Auf diese Weise verstehen wir es auch bis zu gewissem Grade, dass einzelne Weibchen den übrigen vorauseilen können, denn dieser umändernde Einfluss wird sich nicht in allen Individuen gleich stark und gleich rasch geltend machen. Bei vielen Lycaena-Arten mit braunen Weibchen kommen aber seltener oder häufiger einzelne blau angeflogene oder selbst stark blaue Weibchen vor.

3. Polymorphismus.

Sexuelle Dreigestaltigkeit findet sich bekanntlich mehrfach im Thierreich. Einige Fälle sind zuerst von Alfred Wallace bei Schmetterlingen entdeckt worden, und an diese möchte ich hier anknüpfen. Zuerst einen Fall, der mir den ersten Schritt zum Polymorphismus zu enthalten scheint.

In Nordamerika ist ein unserm Schwalbenschwanz ähnlicher Tagfalter Papilis Turnus häufig, dessen Männchen gelbe mit schwarzen Querstreifen gezierte Flügel besitzen, die Weibchen aber sind theils den Männchen gleich gefärbt, theils ganz schwarz, also stark abweichend. Da die gelben Weibchen lokal von den schwarzen getrennt sind, indem die Ersteren den Osten und Norden der Vereinigten Staaten, die Letzteren den Westen und Süden derselben bewohnen, so werden wir uns vorstellen müssen, dass zwei Lokalrassen dieses Schmetterlings existiren, von welchen die nördliche in beiden Geschlechtern dieselbe Flügelfärbung besitzt, die südliche dagegen dimorph ist. 492Idioplasmatisch wird dies heissen, dass die nördliche Rasse einfache Determinanten der Flügelschuppen besitzt, die süd - liche Doppeldeterminanten; wenn wir dieselben nach der Farbe, die sie hervorrufen, bezeichnen, so hätte also die letztere Rasse Doppeldeterminanten, deren männliche Hälfte gelb, deren weib - liche schwarz ist, während die einfachen Determinanten der nördlichen Rasse gelb wären. Wir hätten also eigentlich keine dreigestaltige Art, sondern zwei Lokal-Varietäten einer Art, von denen die eine zweigestaltig ist. Wenn nun Kreuzung zwischen diesen beiden Varietäten eintritt, wie solche thatsächlich da vorkommt, wo die Verbreitungsgebiete der beiden Formen an - einander stossen, so werden die Doppeldeterminanten der süd - lichen mit den einfachen Determinanten der nördlichen Form im Keimplasma der Brut zusammentreffen. Die männlichen Nachkommen solcher Kreuzung werden unverändert bleiben, die weiblichen aber werden je nach der Vererbungsstärke der weiblichen Determinanten-Hälften entweder schwarz oder gelb, oder wie dies von Edwards beobachtet wurde1)W. H. Edwards, Butterflies of Northamerica . gelb und schwarz gemischt ausfallen. Solche Mischungen können sowohl durch Kreuzung eines gelben Weibchens mit einem gelben Männchen der dimorphen Varietät, als durch Kreuzung eines schwarzen Weibchens mit einem gelben Männchen der mono - morphen Form entstehen, da in den Männchen der dimorphen Form das Keimplasma ebenso gut Doppeldeterminanten enthält, als in den Weibchen. Denken wir uns diese Kreuzungen häufig fortgesetzt, so werden auf dem Grenzgebiet der beiden Varietäten nach und nach immer mehr Zwischenformen von Weibchen auftreten müssen, und schliesslich könnte eine constante Mittel - form der Weibchen die Folge sein. Sollte aber irgend eine Vorliebe der Männchen für die ihnen adäquaten Weibchen493 stattfinden, dann werden die Weibchen-Rassen sich im Wesent - lichen getrennt erhalten. Dies scheint bei Papilio Turnus der Fall zu sein, wenigstens giebt Edwards die Zwischenformen als selten an.

Auf diese Weise wird man vielleicht die doppelten und mehrfachen Weibchen mancher Schmetterlinge in ihrer idio - plasmatischen Begründung aufzufassen haben: es sind sexuell dimorphe Lokalrassen, die sich später ausgebreitet und theilweise gekreuzt haben. Wo die Rassen, ohne sich zu kreuzen, nur lokal übereinander greifen, enthält jede Rasse auch nur einfache oder Doppeldeterminanten, je nachdem sie sexuell monomorph oder dimorph ist, da aber wo Kreuzungen eintraten, verbinden sich die Determinanten der Rassen, und es können dann selbst mehrere homologe Doppeldeterminanten in ein und demselben Keimplasma zusammentreffen, die einen in diesen, die andern in jenen Iden enthalten.

Ich habe den Fall von Papilio Turnus etwas einfacher dargestellt, als er ist; in Wahrheit haben wir es hier schon mit einem doppelten Dimorphismus zu thun, denn die gelben Weibchen sind ihren Männchen nicht völlig gleich, sondern in Zeichnung und auch im Ton des Gelb mannigfach verschieden; sie besitzen einen orangefarbigen Augenfleck auf den Hinterflügeln, der dem Männchen fehlt u. s. w. Wir müssen also auch für die gelbe Rasse Doppeldeterminanten annehmen. Stellen wir uns nun vor, bei den unmittelbaren Vorfahren des heutigen Papilio Turnus seien beide Geschlechter noch ebenso gleich gewesen in der Flügelzeichnung, wie dies bei dem ver - wandten Papilio Machaon Europa’s der Fall ist, und diese monomorphe Stammform habe sich sagen wir in Californien erhalten, so hätten wir einen Polymorphismus der Art, wie er z. B. von Papilio Memnon durch Alfred Wallace bekannt geworden ist, d. h. eine Männchenform und drei Weibchen -494 formen. Idioplasmatisch beruhte dies darauf, dass die erste und älteste Form einfache Flügel-Determinanten besässe, während die zweite und dritte Form Doppeldeterminanten hätte, deren männliche Hälfte die ursprüngliche Beschaffenheit beibehielt, während die weibliche Hälfte nach zwei verschiedenen Richtungen abänderte.

Dreigestaltigkeit einer Art zwingt also nicht ohne Weiteres, wie man hätte denken können, zur Annahme von dreifachen Determinanten, und Polymorphismus nicht zur Annahme vier - und fünffacher Determinanten.

Der Polymorphismus der Thier - und Pflanzen - stöcke beruht auf anderer Grundlage, indem er sich auf die physiologisch ungleichwerthigen Glieder einer höheren Indivi - dualitätsstufe, des Stockes, bezieht. Er wurde bereits als Ent - wickelungserscheinung im Zusammenhang mit dem Generations - wechsel betrachtet. Dagegen würde hier noch der ihm nahe verwandte Polymorphismus zu betrachten sein, den wir bei Thierstaaten beobachten.

Bei der Biene wurden bereits die Unterschiede zwischen weiblichen und männlichen Individuen auf die Anwesenheit von Doppeldeterminanten bezogen. Bekanntlich kommt aber bei der Honigbiene noch eine dritte Form von Individuen vor: die Arbeiterinnen. Diese unterscheiden sich von den Weibchen durch die geringe Entwickelung der Ovarien, deren Eiröhren nicht nur an Zahl weit hinter denjenigen der Königin zurück - bleiben, sondern auch häufig gar keine Eier entfalten, oder doch nur ganz wenige. Auch das Receptaculum seminis ist mehr oder weniger verkümmert, und der Hinterleib viel kürzer und dünner als bei der Königin. Wäre dies Alles, was beide Weibchenformen unterscheidet, so würde man kaum genöthigt sein, besondere Determinanten jener Theile für die Arbeiterinnen im Keimplasma anzunehmen; man würde sich vorstellen können,495 dass ein und dieselben Determinanten, z. B. der Ovarialröhren, so eingerichtet wären, dass bei reichlicher Ernährung alle in Thätigkeit geriethen und die Bildung der Eiröhren veranlassten, dass bei schwächerer Ernährung aber ein Theil derselben nicht zur Entwickelung gelangte und so die volle Ausbildung der Geschlechtsorgane verhinderte. Wir wissen ja, dass ein und dasselbe befruchtete Ei zur Königin oder zur Arbeiterin sich entwickelt, je nachdem die daraus ausschlüpfende Larve mit Königinfutter oder mit dem weniger nahrhaften Arbeiterinnen - futter genährt wird.

Aber wenn auch diese Erklärung für die rückgebildeten Theile der Arbeiterinnen richtig sein mag, so reicht sie doch zur Erklärung der anderen Verschiedenheiten zwischen den beiden Weibchenformen nicht aus. Denn die Arbeiterinnen haben nicht überall ein Minus, sondern mehrfach auch ein Plus gegenüber der Königin. So ist schon der Stachel der Arbeiterinnen gerader, länger und stärker und mit mehr Zähnen versehen, als bei der Königin; ferner sind die Flügel länger, und vor Allem das erste Tarsalglied der Hinterbeine mit der bekannten Haarbürste aus - gerüstet, die Schiene aber mit jener Dolle, dem sog. Körbchen zum Transport der gesammelten Pollenmassen. Diese beiden charakteristischen Theile fehlen der Königin. Abgesehen davon müssen auch noch intime Verschiedenheiten im feinsten Bau des Gehirns vorhanden sein, da die Instinkte der Königin und die der Arbeiterinnen recht verschieden sind. Die Königin voll - zieht die Begattung und legt Eier, aber sie sammelt weder Honig aus den Blumen, noch scheidet sie Wachs aus, noch macht sie Wachszellen u. s. w. Es ist deshalb nicht denkbar, dass Königin und Arbeiterin durchweg von den gleichen De - terminanten aufgebaut werden; es müssen für gewisse Körper - regionen Doppeldeterminanten im Keimplasma vorhanden sein, königliche und arbeiterliche. Da aber schon zur Bildung von496 Männchen und Weibchen Doppeldeterminanten angenommen werden mussten, wenigstens für alle bei den beiden Geschlechtern verschiedenen Theile, so bleibt Nichts übrig, als die Annahme, dass die weibliche Hälfte der Doppeldeterminanten selbst wieder doppelt sein kann, indem sie sich aus einer königlichen und einer arbeiterlichen Hälfte zusammensetzt, von denen natürlich jede als volle Determinante zu denken ist, der Masse und dem Bau nach. Es kommt Nichts darauf an, ob man sie als fest verbundene oder als selbständige, dicht aneinander liegende Körper denken will, in jedem Falle sind sie phyletisch aus der Verdoppelung und Verdreifachung einer einzigen Stamm - determinante hervorgegangen. Des leichteren Ausdrucks halber spreche ich von Doppeldeterminanten und Determi - nantenhälften . Physiologisch verhalten sie sich zu ein - ander wie homologe, aber heterodyname Determinanten ver - schiedener Ide.

Das entscheidende Moment dafür, welche der beiden Hälften der weiblichen Determinante aktiv werden soll, scheint bei den Bienen die Intensität der larvalen Ernährung zu sein, so dass also diese Entscheidung jedenfalls erst lange nach Ablauf der Embryogenese, auf dem Wege zur Verpuppung gegeben wird. Bekanntlich erziehen sich die Bienen, wenn ihnen ihre Königin verloren gegangen ist, eine neue Königin, indem sie einem der vorhandenen Arbeiter-Eier königliche Nahrung zukommen lassen. Durch die Befruchtung, je nachdem sie eintritt oder ausbleibt, wird also über das Geschlecht entschieden, über die Modification des weiblichen Thieres, ob Königin oder Arbeiterin aber erst viel später im Laufe des Larvenlebens. Dadurch erscheint es auch weniger schwierig, sich ein schematisches Bild von der dreifachen Gestalt gewisser Determinanten des Keimplasma’s zu machen. In den Iden des Keimplasma’s wird man sich dieselben als Doppeldeterminanten vorstellen dürfen, deren weibliche497 Kugelhälfte aber selbst wieder aus zwei differenten Vierteln zusammengesetzt ist. Wird nun das Ei befruchtet, so wird die männliche Hälfte inaktiv, was wir uns oben bildlich so vor - gestellt haben, dass die weibliche Halbkugel sich über die männ - liche als Kugelmantel ausbreitet und sie deckt. Nun besteht dieser weibliche Determinanten-Mantel aus der königlichen und der arbeiterlichen Hälfte, und man kann sich vorstellen, dass die später, während des Larvenlebens fallende Entscheidung darüber, welche dieser Hälften die betreffende Zelle beherrschen soll, so gegeben wird, dass bei schwacher Ernährung die Arbeiterin - Hälfte die andere überwächst, während bei starker Ernährung die Königin-Hälfte stärker wächst und die Arbeiterin-Hälfte von einer Einwirkung auf die Zelle ausschliesst. Ich bin natürlich weit entfernt, diese schematische Zurechtlegung für eine Darstellung des wirklichen Vorganges auszugeben, aber sie veranschaulicht uns wenigstens doch die Denkbarkeit solcher dreifacher Determinanten, oder genauer gesprochen: solcher Doppeldeterminanten mit Zweigestalt der einen Hälfte.

Man könnte aber auch drei selbstständige nebeneinander - liegende Determinanten annehmen, welche so eingerichtet wären, dass sie auf bestimmte, aber andere Einflüsse aktiv würden, und diese Vorstellung würde besser mit der doch wohl unver - meidlichen Annahme gleicher Grösse der drei für einander vicariirenden Determinanten stimmen.

Die Differenzirung der Determinanten in mehrere gleich - werthige und in ihrer Thätigkeit einander ausschliessende Theile kann aber noch weiter gehen, indem auch die männliche Hälfte der Doppeldeterminante sich in zwei verschie - dene Hälften zerlegt. Bei den Termiten kommen nicht nur Arbeiterinnen, d. h. verkümmerte Weibchen, sondern auch Soldaten , d. h. in ihren Geschlechtsorganen verkümmerte Männchen mit sehr starkem Gebiss und anderweitigen be -Weismann, Das Keimplasma. 32498deutenden Abweichungen vom Bau der gewöhnlichen Männchen vor. Hier würden wir also vier für einander vicariirende Deter - minanten haben, von denen immer nur eine aktiv ist.

Wir kennen aber nicht nur einen örtlichen, sondern auch einen zeitlichen Dimorphismus. Beim Saison-Dimorphismus, der besonders von Schmetterlingen bekannt geworden ist, sind die Individuen ein und derselben, auch zur selben Zeit aus - schlüpfenden Generation gleich, aber die Sommergeneration ist verschieden von der Frühjahrsgeneration.

Bei unserer europäischen Vanessa Levana-Prorsa ist die Frühjahrsgeneration gelb und schwarz gezeichnet auf der Ober - seite der Flügel, die Sommerform (Prorsa) dagegen hat schwarze Flügel, über die eine breite weisse Binde quer hinzieht; feine gelbe Linien laufen parallell dem Flügelrand. Die Zeichnung der beiden Formen lässt sich nicht aufeinander in der Weise zurückführen, dass die Stellen, welche bei Prorsa schwarz sind, bei Levana gelb wären, oder dass die weisse Binde von Prorsa bei Levana gelb oder schwarz wäre. Diese Binde ist vielmehr bei Levana gar nicht vorhanden, ein Theil derselben ist durch Gelb, ein anderer durch Schwarz vertreten.

Idioplasmatisch werden diese Fälle von Dimorphismus soweit ich sehe auch nur durch die Annahme von Doppel - determinanten erklärt werden können, welche sich aber hier nur auf die Flügelschuppen, und auch wesentlich nur auf die der Oberseite der Flügel beziehen, denn die Unterseite derselben ist zwar nicht ganz gleich, aber doch viel weniger verschieden. Wenn wir die Hälften der Doppeldeterminanten als Winter - und Sommer - Determinanten bezeichnen, so werden wir uns vorstellen können, dass durch Temperatur-Einflüsse, welche im Beginn der Puppenperiode auf sie einwirken, die Entscheidung darüber gegeben wird, welche der beiden Hälften den Sieg über die andere davontragen wird. Vor beinahe zwei Decennien499 habe ich gezeigt, dass man durch Kälte die Puppen der Sommer - generation zwingen kann, die Winterform des Schmetterlinges anzunehmen und als Levana, anstatt als Prorsa auszuschlüpfen. Auch das umgekehrte Experiment gelang bisweilen, die Puppen der Wintergeneration durch Einwirkung höherer Temperatur während und kurz nach der Verpuppung zur Annahme der Sommerform zu bestimmen. Man darf sich also vielleicht vor - stellen, dass die Winterhälfte der betreffenden Doppeldetermi - nanten durch höhere Temperatur im Wachsthum zurückgehalten, die Sommerhälfte aber dadurch begünstigt werde, und dass um - gekehrt die Sommerhälfte bei einer niederen Temperatur im Wachsthum stehen bleibe, bei welcher die Winterhälfte noch wächst. Man würde dann dasselbe Schema erhalten, wie beim gewöhnlichen sexuellen Dimorphismus, nämlich eine kugelige Determinante des Keimplasma’s, welche sich aus einer Winter - und einer Sommerhälfte zusammensetzt. Diese würde während der ganzen Embryogenese unverändert bleiben, ja sogar während des ganzen Raupenlebens, und erst im Beginn des Puppen - schlafes, wenn die Flügel schon vorhanden sind, würde die höhere oder niedere Temperatur darüber entscheiden, welche Hälfte die andere überwuchern, und sie vom Einfluss auf die Zelle aus - schliessen solle.

Bei Vanessa Levana sind Männchen und Weibchen in der Flügelzeichnung wirklich nahezu gleich, so dass man sie nicht mit völliger Sicherheit unterscheiden kann, bei vielen andern saison-dimorphen Schmetterlingen aber besteht sexueller Dimor - phismus in Betreff der Flügelzeichnung und Färbung, und hier werden wir somit Doppeldeterminanten mit weiblicher und männlicher Hälfte anzunehmen haben, von welchen jede wieder in eine Sommer - und Winterhälfte unterabgetheilt ist. Durch welche Momente bei den Schmetterlingen das Geschlecht be - stimmt wird, wissen wir nicht, jedenfalls aber wird es schon32*500früh bestimmt, denn in der erwachsenen Raupe lassen sich Ovarien und Spermarien bereits von einander unterscheiden. So folgt also auch hier, wie bei den Termiten, der Zeit nach die Entscheidung über die Unterabtheilungen der Doppel - determinante der über die zwei Haupthälften nach.

4. Dichogenie bei Pflanzen.

Dichogenie hat de Vries jene Art des Dimorphismus genannt, welche sich darin äussert, dass normaler Weise ein und dasselbe jugendliche Pflanzengewebe sich in dieser oder in einer andern Weise weiterbilden kann, je nachdem diese oder andere äussere Einflüsse es treffen. Epheuranken treiben Blätter nach der Lichtseite, Wurzeln nach der Schattenseite, dreht man die Pflanze um, so treibt dieselbe Ranke Blätter an der Seite, an welcher sie vorher Wurzeln trieb, und umgekehrt. Der Licht - reiz bestimmt also scheinbar dieselben Zellengruppen zur Bildung von Blättern, welche im Schatten Wurzeln gebildet hätten.

Wollte man nun hier entsprechend den Ansichten von de Vries die Annahme machen, es seien in jeder Zelle des Epheu - sprosses alle Vererbungstendenzen der Art enthalten, aber auf den Lichtreiz kämen nur die blattbildenden, auf den Schatten - reiz nur die wurzelbildenden Tendenzen zur Entfaltung, so würde man damit nicht weit reichen. Es sind nämlich in Wahrheit gar nicht dieselben Zellen, welche sowohl Wurzeln, als Blätter bilden können, sondern die Blätter stehen viel spärlicher an der Epheuranke, als die dichten kurzen Wurzeln, eine Menge von Zellen oder Zellengruppen also, welche bei Beschattung Wurzeln treiben, entwickeln bei Belichtung keine Blätter, ent - halten also keine Blatt-Determinanten . Es kann somit wohl nicht dasselbe Idioplasma sein, welches bei Beschattung Wurzeln, bei Belichtung Blätter bildet, sondern Wurzel-Determinanten müssen in ganz anderer Vertheilung in den Zellen vorhanden sein, als Blatt-Determinanten.

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Offenbar wird die Anlage zu beiderlei Bildungen schon vom Vegetationspunkte, d. h. von der Spitze des Sprosses aus, bestimmt. Die Zellen, welche sich hier fortwährend von der Scheitelzelle aus bilden, werden schon sehr bald determinirt, sei es zu Blatt - oder zu Wurzelanlagen; immer nur die so und so vielste Zelle der Lichtseite wird mit Blatt-Determinanten ausgerüstet, die Zellen der Schattenseite aber werden mit Wurzel-Determi - nanten in viel dichterer Aufeinanderfolge versehen. Die Ent - scheidung erfolgt also schon früh, schon im eigentlichen embryo - nalen Zustand des Sprosses, und welche Seite mit Wurzel -, welche mit Blatt-Determinanten, jede nach ihren eigenen Ge - setzen der Vertheilung, versehen wird, das hängt von der Be - lichtung ab. Sie entscheidet darüber, nach welcher Seite hin bei der Kerntheilung der Scheitelzellen-Sprösslinge die Wurzel -, nach welcher die Blatt-Determinantengruppe treten soll. Es ist etwa wie beim menschlichen Situs inversus viscerum, nur dass wir da die Ursache der Lage-Umkehrung nicht kennen. Aber auch hier wirkt im frühen embryonalen Leben eine Ur - sache ein, welche es bewirkt, dass die Leber links, die Milz und das Herz rechts zu liegen kommen, lange bevor diese Theile wirklich schon vorhanden sind. Später giebt es keine Ein - flüsse mehr, welche die Leber von rechts nach links versetzen, oder gar die Leber in die Milz umwandeln könnten, gerade wie beim Epheuspross, wenn seine Schattenseite einmal mit Wurzeln besetzt ist, keine Einflüsse mehr im Stande sind, dort Blätter zu erzeugen.

Ich glaube deshalb, dass hier nicht dieselben Zellen zu zweierlei Bildungen auszuwachsen vermögen, sondern dass es wurzelbildende und blattbildende Zellgruppen giebt, deren Idio - plasma verschieden ist und nicht ineinander übergeht, dass aber die wurzelbildende und die blattbildende Seite des Sprosses schon in der ersten Embryonalanlage durch den Einfluss des Lichtes bestimmt wird.

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Eine wesentliche Stütze für diese Auffassung finde ich darin, dass es Pflanzen giebt, bei welchen Wurzelanlagen im Gewebe der oberirdischen Sprosse mikroskopisch nachweisbar vertheilt sind. Bei der Weide verhält es sich so, und diese Pflanze besitzt bekanntlich in hohem Grade das Vermögen anzuwurzeln, wenn man einen abgeschnittenen Zweig in die Erde steckt. Aber unzählige andere Pflanzen besitzen dies Vermögen auch, sich durch Ableger vermehren zu lassen, und bei diesen wird man vermuthen dürfen, dass trotz dem Fehlen eines sichtbaren Wurzelkeimes im Gewebe doch die Determi - nanten von Wurzelgewebe enthalten sind, bereit, sich zu Keimen zu entwickeln, sobald die äusseren Einflüsse eintreten, die Wurzel - bildung veranlassen.

Nicht alle Fälle von Dichogenie aber lassen sich in dieser Weise auflösen. Es giebt Fälle, in denen wirklich dieselben Zellen sich in dieser oder jener Weise entwickeln können, in denen also ihr Idioplasma umgewandelt werden kann durch äussere Einflüsse. Der dorsoventrale Bau eines jungen Sprosses von Thuja wird umgewandelt, wenn er umgedreht, d. h. seine Oberseite zur Unterseite gemacht wird. 1)Vergl. die darauf bezüglichen Angaben von Detm er im Biolog. Centralblatt , Bd. VII, No. 23.Dieselben Zellen, welche unter gewöhnlichen Verhältnissen Pallisadenzellen ge - worden wären, nehmen jetzt den Bau der Zellen der Unterseite an und umgekehrt.

Die Erklärung dafür scheint mir darin gesucht werden zu müssen, dass hier die Determinanten beider Zellenarten in jeder der Zellen zusammen vorkommen, dass aber immer nur eine davon aktiv wird, je nach der stärkeren oder schwächeren Be - lichtung. Weshalb freilich diese Einrichtung hier getroffen wurde, weiss ich nicht zu sagen.

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Capitel XII. Zweifelhafte Vererbungs-Erscheinungen.

1. Xenien und Telegonie.

Wenn es auch gewiss nicht die Aufgabe einer Theorie der Vererbung ist, auf alle möglichen Erscheinungen einzugehen, die mit zweifelhaftem Recht als Vererbung gedeutet worden sind, so möchte ich doch einige vermeintliche Beobachtungen nicht ganz mit Stillschweigen übergehen, weil sie schon öfters besprochen worden und von einer so bedeutenden Autorität wie Darwin der Beachtung werth gehalten worden sind. Es sind dies zunächst die sog. Xenien und das, was ich für den Fall, dass es thatsächlich existirt, als Telegonie oder Fern - zeugung bezeichnen möchte, und was gewöhnlich als Infection des Keimes aufgeführt wird.

Unter Xenien verstehen die Botaniker seit Focke jene Fälle, wo der Blüthenstaub ausserhalb der befruchteten Eizelle und des aus ihr hervorgehenden Embryo’s auf die Ge - webe der mütterlichen Frucht erbliche Eigenschaften übertragen haben soll . Darwin hat viele Fälle davon mitgetheilt und durch Auswanderung von Keimchen aus den Samenzellen (Pollenschläuchen) in das umgebende Gewebe des Fruchtknotens zu erklären gesucht. Focke hat dann die bekannten Fälle alle zusammengestellt, und wenn man diese durchliest, erhält man den Eindruck, dass hier Täuschungen sehr leicht mit unter - laufen können. In Kolben von gelbkörnigem Mais (Zea) ent - stehen zuweilen nach Bestäubung der Blüthe mit dem Pollen einer blausamigen Maissorte blaue Körner. Ob aber hier nicht frühere Kreuzungen der beiden Arten einen sofortigen Einfluss des fremden Pollens auf die Frucht vorgetäuscht haben? Hat doch J. Anderson Henry zu beobachten geglaubt, dass sämmt - liche Blüthen einer Inflorescenz einer weissblühenden Calceolaria504 geröthet wurden durch Einwirkung des Pollens einer roth - blühenden Sorte auf eine einzige Blüthe dieser Inflorescenz!

Da hervorragende Botaniker, wie Focke1)Focke, Die Pflanzen-Mischlinge . Berlin 1881, p. 510 u. f. und neuerdings wieder de Vries2)Hugo de Vries, Intracellulare Pangenesis . Jena 1889, p. 206., sich sehr zweifelnd solchen Beobachtungen oder vielmehr Deutungen gegenüber ausgesprochen haben, so muss wohl erst eine kritische Nachprüfung dieser Versuche ab - gewartet werden, ehe man eine theoretische Erklärung versucht. Eine solche würde mit der Hauptschwierigkeit zu kämpfen haben, dass es sich hier um die Einwirkung von Keimplasma der Samenzelle auf ein Gewebe der fremden Art handelt, welches nur einen einzelnen Theil der Pflanze ausmacht. Man müsste annehmen, dass nicht sämmtliche Determinanten des Keim - plasma’s, sondern blos diejenigen hier wirksam seien, welche die Frucht bestimmen.

Noch grösser ist die Unsicherheit bei den Fällen von sog. Infection des Keimes . Wenn freilich der von Darwin3)Ich citire den Fall nach Darwin in Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustand der Domestication Bd. I, p. 453 d. deutsch. 2. Auf - lage. Darwin scheinen die weiterhin noch zu erwähnenden Bilder des betreffenden Füllens nicht bekannt gewesen zu sein. Auch ich habe sie nicht gesehen, sondern habe ihre Existenz erst aus dem Buche von Settegast erfahren. angeführte aber nicht auch von ihm selbst beobachtete Fall sicher und richtig beobachtet ist, dann könnte man kaum noch einen Zweifel mehr hegen. Eine Pferdestute des Lord Morton erzeugte mit einem Quaggahengst einen Bastard; später warf sie zwei Füllen von einem arabischen Rapphengst, und diese waren zum Theil graubraun ( dun ) und an den Beinen quaggaartig gestreift, und zwar deutlicher, als der wirkliche Bastard. Auch der Hals der Thiere und mehrere andere Theile des Körpers waren deutlich gestreift, und die Mähne soll nicht505 die eines Pferdes, sondern die kurze, steif aufrecht stehende des Quagga gewesen sein. Ähnliche Fälle von Beeinflussung des Baues eines später erzeugten Nachkommen durch eine frühere Begattung werden von mehreren Hausthieren, vom Rind, Schaf, Schwein, dem Hund und von Tauben erzählt, auch vom Menschen in Bezug auf Kreuzung der Weissen mit Negern.

Besonders angestellte Versuche liegen bis jetzt nicht vor; ohne alle erdenkliche Controle wären sie auch werthlos und würden deshalb am besten in zoologischen Gärten angestellt, wo nicht nur vielfaches unzweifelhaft reines Material dafür sich darbietet, sondern auch Isolirung der Thiere und genaue Controle durch besondere Wärter auf längere Zeiträume hinaus möglich ist.

Der Philosoph Carneri theilt einen von ihm selbst be - obachteten Fall mit, den ich noch hier anführen will. Er hielt eine Rinderheerde der reinen, grauen Mürzthaler Rasse. Ein - mal liess er aus besonderen Gründen ausnahmsweise eine Kuh nicht vom eigenen Stier, sondern von einem leichten Pinz - gauer Stier belegen. Die Kuh warf ein Kalb, welches vor - herrschend die Merkmale der Pinzgauer Rasse braune und weisse Scheckung an sich trug, aber auch deutliche Spuren des schwarzgrauen Mürzthaler Kreuzes . Das zweite Mal wurde diese Kuh von einem Mürzthaler Stier belegt, und das zweite Kalb war unerwarteterweise wieder ein Bastard , vorherrschend grau, aber mit grossen braunen Pinzgauer Flecken .

Beide hier angeführte Fälle sind nicht so beweisend, als es auf den ersten Blick erscheint. Das Füllen mit Quagga - Charakteren ist in Surgeon’s College in London abgebildet zu sehen und zeigt auf den von Agasse entworfenen Bildern un - deutliche dunkle Streifen am Halse, Widerriss und Beinen. Nun kommen aber solche Streifen bei reinen Pferdefüllen nicht so gar selten vor, verschwinden aber regelmässig mit zunehmendem506 Alter wieder. Die Bilder lassen zudem keine weitere Ähnlich - keit mit einem Quagga erkennen. 1)Nach Settegast, Thierzucht . Breslau 1878, Bd. I, p. 223 234.

In dem Falle von Carneri darf nicht verschwiegen werden, dass er selbst, bevor er Etwas von der Annahme einer sog. Infection wusste, sich den Fall dadurch erklärt hatte, es müsse ohne sein Wissen doch schon von früher her ein Tropfen Pinz - gauer Blut in seiner Mürzthaler Heerde enthalten gewesen sein.

So sind denn selbst die besten der Fälle keine sicheren und wirklich beweisenden. Soviel darf jedenfalls behauptet werden, dass diese sog. Infection , wenn sie überhaupt nicht gänzlich auf Täuschungen beruht, nur in sehr seltenen Fällen und keineswegs regelmässig, oder auch nur oft eintritt. Er - fahrene Thierzüchter, wie Settegast und Kühn in Halle, glauben nicht daran, weil sie es nie beobachtet haben, trotzdem sie so viele Kreuzungen von Hausthieren gemacht haben. Die theoretische Erklärung dafür könnte von unserm Standpunkte aus nur die sein, dass Samenzellen nach der ersten Begattung bis ins Ovarium gelangt und dort in einzelne, noch unreife Eier eingedrungen wären. Augenblickliche Befruchtung derselben wäre durch die Unreife der Eizellen ausgeschlossen, das Keim - plasma der Samenzelle aber müsste im Eikörper verharren, bis zu dessen Reife, um sich dann in Amphimixis mit dem gereiften Eikern zu verbinden. Erfolgte dies einige Zeit nach Ablauf der ersten Geburt, so würde es leicht ungefähr mit der zweiten Begattung zusammentreffen, und so den Schein er - wecken, als ob die Befruchtung von dieser herrührte. Ge - setzt, die Infection würde unzweifelhaft erwiesen, so müsste man eine solche nachträgliche Befruchtung einer Eizelle für möglich halten; freilich dürfte man sich dann billig wundern, warum nicht gelegentlich Stuten, Kühe oder Schafe trächtig507 werden, ohne zum zweiten Male belegt worden zu sein. Bis jetzt ist dies noch niemals beobachtet worden, und so möchte ich glauben, dass die Ansicht von Settegast1)Settegast, a. a. O. die richtige ist, nach welcher es eine Infection überhaupt nicht giebt, und alle dafür angeführten, und von ihm kritisch er - örterten Fälle auf Täuschung beruhen.

2. Einfluss vorübergehender Zustände des Zeugenden auf das Kind.

Obgleich ich nicht der Ansicht bin, dass es sich in den in der Überschrift bezeichneten Fällen um wirkliche Vererbung handelt, möchte ich die betreffende Frage doch nicht ganz un - besprochen lassen.

Es ist oft behauptet worden, dass Trunkenheit der Eltern während der Zeugung einen nachtheiligen Einfluss auf die Beschaffenheit des Kindes ausüben könne. Dasselbe soll körper - lich und geistig von schwacher Constitution werden, zu Schwach - sinn, ja zu Irrsinn neigen u. s. w., und dies auch dann, wenn die Eltern körperlich und geistig normal waren.

Dem stehen nun allerdings Fälle entgegen, in welchen trunkene Eltern ein völlig normales Kind erzeugten, allein darin liegt kein vollkommner Gegenbeweis, und obgleich jene Angaben von nachtheiligen Wirkungen meist oder vielleicht alle einer scharfen Kritik nicht Stand halten, so möchte ich doch die Möglichkeit eines schlechten Einflusses nicht ganz in Abrede stellen; nur handelt es sich dabei nicht um Vererbung, sondern um Affection des Keimes durch einen von aussen kom - menden Einfluss.

Wir wissen durch die Versuche von O. und R. Hertwig, dass die Entwickelung des befruchteten Eies niederer Thiere508 bedeutend zurückgehalten werden kann durch Einwirkung ver - schiedener chemischer Substanzen, wie Chloral, Chinin, Mor - phium u. s. w., wir wissen auch, dass Eier von Seeigeln, wenn sie zu lange im Seewasser auf die Befruchtung warten müssen, eine Minderung ihrer Lebensenergie erfahren und in Folge dessen dem Eindringen vieler, statt nur eines einzigen Spermatozoon’s ausgesetzt sind. Dasselbe kann auch durch die genannten chemischen Agentien geschehen, und in beiden Fällen ist abnorme Entwickelung des Eies, vielleicht Doppelbildungen u. s. w. die Folge davon.

Es scheint mir nicht unmöglich, dass eine Beimischung von Alkohol zum Blute der Zeugenden ähnliche Wirkungen auf die Eizelle und Samenzelle ausüben könnte. Je nach dem Grade der Alkoholbeimischung könnte eine excitirende oder lähmende Wirkung eintreten, und Beides würde zu abnormer Entwickelung führen können. Lähmung beider Keimzellen würde allerdings wohl den Befruchtungsvorgang nur verlangsamen oder ganz verhindern, aber Lähmung der Eizelle allein müsste Überfruchtung (Polyspermie) herbeiführen, und dasselbe möchte bei einseitiger Erregung der Samenzellen eintreten können. Das Eindringen mehrerer Spermatozoen würde aber in dem dotterarmen und kleinen Ei des Menschen ebenso zu abnormer Entwicklung Veranlassung geben, wie in dem Ei des Seesterns oder Seeigels. Auf der andern Seite könnte hohe Erregbarkeit beider Keimzellen etwa durch allzu raschen Ablauf der ver - wickelten Vorgänge der Reduction des Keimplasma’s im Ei und der nachfolgenden Copulation von Ei - und Samen-Keimplasma zu Ungenauigkeiten und dadurch zu unregelmässiger Ent - wickelung führen.

Neue Anlagen können freilich durch solche Abweichungen vom normalen Entwickelungsgang niemals entstehen, und von einer Änderung der Vererbung kann deshalb nicht die Rede509 sein; wohl aber ist es denkbar, dass grössere oder kleinere Abnormitäten im Gange der Entwickelung eintreten, die ent - weder zum Absterben des Embryo oder zu grösseren oder kleineren Missbildungen Veranlassung geben. Ob solche aber wirklich vorkommen als Folge des trunkenen Zustandes der Eltern, darüber kann nur die Erfahrung entscheiden.

3. Scheinbare Vererbung von Krankheiten.

Dass es viele Krankheiten giebt, die sich von einer Gene - ration auf die andere übertragen, unterliegt keinem Zweifel. Nicht alle solche Übertragungen aber beruhen auf Vererbung, viele vielmehr aller Wahrscheinlichkeit nach auf Ansteckung der elterlichen Keimzelle mit mikroskopischen Parasiten. Eine solche müsste demnach als Infection des Keimes bezeichnet werden.

Vom Menschen ist es nur die Syphilis, für welche diese Form der Übertragung unzweifelhaft nachgewiesen ist. 1)Vergl. z. B. Dohrn, Zur Frage der hereditären Infection . Deutsch. med. Wochenschr. v. 15. Sept. 1892.Nicht nur die Mutter kann diese Krankheit auf das sich entwickelnde Kind übertragen, sondern auch der Vater, und in dem letzteren Falle ist also jede andere Erklärung ausgeschlossen, als die einer Übertragung der specifischen Syphilis-Bacterien durch das Sperma - tozoon. Bei Thieren liegt in der Pebrine der Seidenraupe ein schon seit Jahrzehnten wohl bekanntes Beispiel vor, dass eine Krankheit tödlicher Art durch das Ei von einer Generation auf die andere übertragen werden kann mittelst der in den Dotter des Eies eingedrungenen Keime des Krankheit erzeugenden Pilzes. Warum diese Spaltpilze sich nicht schon im Ei derart entwickeln und vermehren, dass dasselbe getödtet wird, ist nicht bekannt, aber es ist so. Erst in der jungen Raupe beginnt die510 Vermehrung der Pilze1)Vergl. F. Haberlandt, Der Seidenspinner des Maulbeerbaums und seine Krankheiten . Wien 1871., und erst die halb oder ganz erwachsene Raupe, oder auch erst der Schmetterling erliegt der Krankheit.

Da wir heute wissen, dass viele Krankheiten des Menschen und der Säugethiere durch solche Schmarotzer niederster Art erzeugt werden, so liegt die Vermuthung nahe, es möchten manche Krankheiten, die erblich auftreten, auf Infection der Keimzellen mit Mikroben beruhen, nicht auf wirklicher Ver - erbung, d. h. auf Übertragung einer anomalen Beschaffenheit des Keimplasma’s selbst.

So habe ich schon früher die Vererbung der bei Meer - schweinchen künstlich erzeugten Epilepsie vermuthungsweise auf einen solchen Vorgang zurückzuführen gesucht, und in der That spricht die langsame Ausbildung dieser Epilepsie nach Verletzung des Rückenmarkes oder eines der grossen Nerven - stämme, wie mir scheint, sehr für die Auffassung, dass diese, dem Bilde der Epilepsie ähnlichen Krankheitszustände auf dem Einwandern von Mikroben beruhen, welche von der verletzten Stelle aus in centripetaler Richtung auf den Nervenbahnen vor - rücken, bis sie das Gehirn erreichen und dort den Reizzustand setzen, der dem Krankheitsbilde zu Grunde liegt. Auch die grosse Unbeständigkeit dieses Bildes und die Mannigfaltigkeit verschiedenster nervöser Leiden bei den Nachkommen deuten darauf hin, dass hier nicht wahre Vererbung im Spiel ist, son - dern Infection des Keimes mit den krankheitserregenden Mi - kroben. 2)Die genauere Ausführung und Begründung dieser Ansicht über die infectiöse Natur der traumatischen Epilepsie der Meerschweinchen ist in meiner Schrift Die Bedeutung der geschlechtlichen Fortpflanzung , Zusatz IV, Jena 1886, enthalten.

Ähnlich würde es sich mit der Erblichkeit des Car -511 cinom’s verhalten, falls dessen Ursache, wie in neuester Zeit behauptet wurde, wirklich in Mikroben zu sehen wäre.

Aber es ist auch denkbar, dass bei der Überlieferung einer Krankheit von einer auf die andere Generation beide Ursachen zusammenwirken, Vererbung abnormaler Anlagen und Infection des Keimes. Ohne den Untersuchungen der Pathologen vor - greifen zu wollen, möchte ich dies für die erbliche Tuber - kulose vermuthen. Offenbar giebt es einen tuberkulösen Habitus , d. h. einen gewissen Complex von Eigenheiten des Baues, welche häufig mit der Krankheit verbunden sind, so z. B. Engbrüstigkeit u. s. w. Diese müssen auf dem Bau des Keimplasma’s beruhen, also auf einer bestimmten Variation ge - wisser Determinanten und Gruppen von Determinanten; sie sind also wirklich vererbbar. Nun beruht aber die Krankheit selbst nicht auf diesem Habitus, sondern auf der Anwesenheit speci - fischer Schmarotzer, der Tuberkel-Bacillen, welche zerstörend in die lebenden Gewebe verschiedener Art eingreifen. Sie können künstlich ins Blut gebracht werden und erzeugen dann die Krankheit auch bei solchen Individuen, welche völlig normal gebaut sind. Sie können auch von selbst , d. h. auf irgend einem natürlichen Wege in den Körper eindringen und auch dann die Krankheit erzeugen. Aber es scheint, dass das Letz - tere in hohem Grade von der Empfänglichkeit oder der Wider - standskraft des Körpers abhängt, in den sie eingedrungen sind, und die Meinung der Pathologen geht heute dahin, dass jener vorhin erwähnte tuberkulöse Habitus den eingedrungenen Schmarotzern einen weit geringern Widerstand entgegenzustellen habe, als der Körper kräftig gebauter Menschen. Die Erblichkeit der Krankheit hinge danach also von der Vererbung einer leicht inficirbaren Constitution ab.

Ohne diese leichtere Afficirbarkeit leugnen zu wollen, glaube ich doch nicht, dass die Übertragung der Tuberkulose lediglich512 auf der Vererbung eines Körpers von höherer Vulnerabilität beruht. Zahlreiche Thatsachen scheinen mir vielmehr dafür zu sprechen, dass dabei in erster Linie Infection des Keimes im Spiel ist. Es ist hier nicht der Ort, darauf im Näheren einzutreten und einen Beweis zu versuchen dies wäre über - dies mehr Sache der Pathologen ; ich habe hier nur darauf hinweisen wollen, dass eine Combination von Vererbung und Infection des Keimes sehr wohl denkbar ist. Die phyletische Entstehung solcher sog. constitutioneller Krankheiten wird vermuthlich darauf beruhen, dass gewisse Constitutionen vor - kamen, welche für eine bestimmte Mikroben-Art leichter affi - cirbar waren, als die normale. Solche Menschen wurden also leichter von aussen her von der betreffenden Krankheit befallen. Hatte diese sich aber einmal in ihnen festgesetzt, und war sie eine derartige, welche nur langsam zum Tod führt, so bot sich den Mikroben eine neue und weit sicherere Gelegenheit, sich auf andere Wirthe zu übertragen, als sie ihnen das Eindringen in den Körper von aussen her bisher dargeboten hatte: sie setzten sich in den Keimzellen des befallenen Individuums fest und übertrugen sich so auf die Nachkommen. Wenn auch der Nachweis solcher Schmarotzer in den Keimzellen gerade bei der Tuberkulose noch nicht geführt ist, so liegt doch darin meines Erachtens nicht im Geringsten ein Beweis, dass diese Infection nicht dennoch stattfindet. Es ist nicht einmal gesagt, dass die Mikroben innerhalb der Keimzellen die ihnen sonst zukommende Grösse und Gestalt haben müssen. Ihre Lebens - eigenschaften sind jedenfalls dort andere; denn vermehrten sie sich in der Ei - oder Samenzelle derart, wie sie dies in den ihnen zusagenden Geweben thun, so würden sie die Keimzellen rasch zerstören. Wie bei andern Schmarotzern zahllose An - passungen an den Wirth eingetreten sind, so werden solche auch hier nicht fehlen; vor Allem dürften sich Latenzperioden513 der Entwickelung gebildet haben, in denen der Schmarotzer mit seiner Vermehrung innehält. Es wäre schwer begreiflich, wenn solche Einrichtungen nicht getroffen worden wären, und wenn die günstige Gelegenheit, sich auf die sicherste Weise weiter zu verbreiten, von dem Schmarotzer nicht benutzt worden sein sollte. Latenzperioden der Keime sind bei Thieren und Pflanzen weit verbreitet, sie finden sich überall vor, wo sie von Nutzen sein müssen, ihre Einrichtung muss also nicht allzu - schwer erreichbar sein.

Wenn deshalb die besten unserer Pathologen, wie z. B. Ernst Ziegler, heute der Ansicht sind, dass Tuberkulose nicht durch Keimesinfection sich übertrage, weil man eine solche nicht direkt nachgewiesen hat, und weil auf der andern Seite eine Infection von aussen in keinem einzelnen Falle mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, so möchte ich glauben, dass die Vorsicht im Schliessen hier doch etwas zu weit geht, denn beide Momente sind nur negative Instanzen. Durch beide wird nicht entfernt bewiesen, dass Infection des Keimes nicht stattfindet; von einem allgemeineren biologischen Standpunkt aus muss man sie aber als das bei Weitem Wahrscheinlichere bezeichnen.

Soviel, denke ich, wird zugegeben werden, dass eine con - stitutionelle Krankheit nicht eher als Beweismittel für die Vorgänge der Vererbung benutzt werden darf, als bis entschieden ist, ob man es bei ihr wirklich mit Vererbung, d. h. mit der Übertragung einer Constitution, und nicht etwa blos mit der von Mikroben zu thun hat, und dies zu zeigen, war der Haupt - zweck dieses Abschnittes. Er enthält zugleich den Grund, warum ich meine Theorie nur wenig auf Thatsachen gestützt habe, die dem Gebiete der Pathologie entnommen sind.

Weismann, Das Keimplasma. 33[514]

Viertes Buch. Die Abänderung der Arten in ihrer idioplasmatischen Wurzel.

Capitel XIII. Die vermeintliche Vererbung erworbener Eigenschaften.

Unter erworbenen Eigenschaften verstehe ich solche, welche nicht als Anlagen schon im Keim vorhanden sind, son - dern erst durch besondere Einwirkungen, die den Körper oder einzelne Theile desselben treffen, entstehen. Sie sind die Re - action dieser Theile auf irgend welche, ausserhalb der noth - wendigen Entwickelungsbedingungen liegenden äusseren Ein - wirkungen. Ich habe sie somatogene Eigenschaften ge - nannt, weil sie eben auf einer Reaction des Körpers oder Soma beruhen, und bringe sie in Gegensatz zu den blastogenen Eigenschaften des Individuums, d. h. denjenigen, welche ihre alleinige Wurzel in den Keimesanlagen haben. Es ist eine un - vermeidliche Consequenz sowohl der Keimplasma-Theorie, als ihrer jetzigen Weiterführung und Ausarbeitung zur Determi - nantenlehre, dass somatogene Abänderungen nicht vererbt werden können, dass also alle dauernde Abänderung vom Keim aus - geht, auf einer Veränderung der Keimesanlagen beruhen muss.

Ich will dies zuerst theoretisch zu entwickeln suchen und dann prüfen, in wie weit die Beobachtung damit stimmt, und ob die Theorie den Thatsachen gerecht zu werden vermag.

515

Man kann die somatogenen Abänderungen ihrem Ursprung nach in drei Kategorien bringen, in die der Verletzungen, der funktionellen Abänderungen und in die auf sogenannten Mediums - Einflüssen beruhenden Abänderungen, wohin hauptsächlich klimatische Variationen gehören.

1. Schwierigkeiten einer theoretischen Begründung dieser Hypothese.

Die erbliche Übertragung einer somatogenen Abänderung irgend einer dieser drei Kategorien würde theoretisch nur da - durch zu erklären sein, dass die durch äussere Einflüsse ab - geänderten Theile des Soma das in den Keimzellen des betreffenden Individuums enthaltene Keimplasma derart veränderten, dass der aus einer derselben später sich entwickelnde Nachkomme schon vom Keim aus die Abänderungen bekäme, die der Elter durch äussere Einwirkung auf den betreffenden Theil selbst erlangt hat.

Soviel ich sehe, giebt es nur zwei Wege, auf welchen eine solche adäquate Abänderung des Keimplasma’s durch die so - matogene Abänderung überhaupt denkbar wäre. Es müssten entweder Leitungsbahnen aus allen Theilen des Körpers nach den Keimzellen hin existiren, auf welchen jede somatogene Abänderung auf die Keimzellen übertragen, d. h. in die derselben adäquate Abänderung des Keimplasma’s umgesetzt würde, oder aber es müssten Darwin’sche Keimchen von jeder Zelle des Soma abgegeben werden, die auf dem Wege der Blutcirkulation, wo eine solche besteht, oder sonst wie den Keimzellen zugeführt würden, in sie eindrängen und dort dem Keimplasma sich bei - ordneten. Entweder vorgebildete Leitungswege, auf welchen ein freilich ganz unfassbarer umstimmender Einfluss den Keimzellen zugeführt wird, oder Abgabe materieller Theilchen von Seiten des abgeänderten Organs, die Antheil am Aufbau des Keim - plasma’s nähmen; ein Drittes giebt es nicht.

33*516

Beide Wege zur Erklärung der behaupteten Vererbung somatogener Abänderungen sind betreten worden, der erste freilich nur in unbestimmten Andeutungen, indem auf Nerven - Einflüsse hingewiesen wurde, welche von dem abgeänderten Theile ausgehen und die Vererbungssubstanz der Keimzellen umstimmen soll. Wie freilich Nerven-Erregung im Stande sein soll, das Keimplasma materiell zu verändern und zwar adäquat der somatogenen Veränderung, das hat noch Niemand genauer anzudeuten gewagt. Aber auch die Frage, wieso denn ein Theil, z. B. ein durch funktionelle Hypertrophie vergrösserter Muskel, eine specifische, auf Vergrösserung signirte Nerven - strömung zu veranlassen im Stande sei, dürfte wohl vergeblich einer Antwort harren. Man müsste sich geradezu vorstellen, dass jede Zelle des ganzen Körpers durch ungezählte Nervenbahnen mit jeder Keimzelle des Ovarium’s oder des Spermarium’s in Verbindung stünde und unausgesetzt diesen Zellen Nachricht zukommen liesse darüber, was in ihnen vorgeht, ob sie so oder anders beeinflusst werden, und zugleich Befehl gäben, das Keim - plasma habe sich in diesem oder jenem seiner Millionen von Einheiten so oder anders zu verhalten. Ich glaube nicht, dass man im Stande wäre, solchen Abenteuerlichkeiten auszuweichen, und halte den ganzen Gedanken für durchaus unannehmbar.

Aber auch der zweite mögliche Erklärungsversuch scheint heute noch weit weniger zulässig, als zur Zeit, da ihn Darwin in Form seiner Pangenesis-Hypothese aufstellte. Ich glaube auch nicht wie ich schon in früheren Schriften aussprach dass der geniale Urheber dieser Vererbungs-Hypothese die - selbe als eine der Wirklichkeit entsprechende Annahme be - trachtete, vielmehr nur als ein provisorisches Auskunfsmittel, welches zu besserer Einsicht hinleiten sollte. Seither hat sich Manches geändert, wir haben Thatsachen erfahren, die den Ge - danken einer Keimchen-Cirkulation geradezu abzuweisen ge -517 bieten, und es wundert mich, dass dies bisher nirgends geltend gemacht wurde. Nicht die Abgabe allein solcher Keimchen, auch nicht blos ihr Cirkuliren im ganzen Körper ist es, was diese Hypothese unannehmbar macht, sondern vor Allem die von ihr angenommene Zufuhr von Keimchen, d. h. von Keimesanlagen zu dem Keimplasma der Keimzellen!

Nach der Darwin’schen Vorstellung muss eine fortwährende Zufuhr von Anlagen d. h. Keimchen zu dem bereits vorhandenen Keimplasma der Keimzellen stattfinden, wenn man nicht viel - leicht gar annehmen will, dass die gesammte Kernsubstanz der Keimzellen durch Eindringen von Keimchen in dieselben zu Stande komme. Eine jede solche Annahme widerspricht aber der Erfahrung, welche uns lehrt, dass die Vererbungssubstanz der Keimzellen, welche uns in Gestalt von Kernstäb - chen oder Idanten entgegentritt, durchaus keine Zufuhr von bereits organisirter Materie, also von Anlagen erhält. Ich schliesse dies nicht etwa daraus, dass man von einer solchen Zufuhr nichts beobachtet, sondern aus dem Ver - halten der für uns jetzt nachweisbaren Vererbungssubstanz bei ihrer Vermehrung. Wir wissen, dass ein höchst wunder - barer Mechanismus in der Zelle enthalten ist, der lediglich dazu bestimmt scheint, die Idanten nach Masse und nach den in ihnen enthaltenen Qualitäten, d. h. Anlagen möglichst gleich - mässig, oder doch wenigstens in ganz bestimmt vorgeschriebener Weise zu vertheilen. Was hätten die Centrosomen, die Spindel - fäden, die Längsspaltung der Idanten für einen Sinn, wenn die Anlagen des Keimplasma’s zu Myriaden einzeln im ganzen Körper cirkulirten und die Fähigkeit besässen, von aussen in die Keimzellen u. s. w. einzudringen und sich dort gesetzmässig, in der Ordnung, wie sie später einmal zur Entfaltung kommen sollen, zusammen zu lagern? Weshalb sollte die Natur eine so scrupulöse Sorge für die möglichst genaue Theilung der518 Idanten tragen, wenn die Zusammensetzung derselben doch jeden Augenblick durch Eindringen neuer Anlagen der Keimchen verändert werden könnte. Der Vorgang der Idioplasma - Spaltung bei der Kern - und Zelltheilung scheint mir eine direkte und endgültige Widerlegung der ganzen Vorstellung von der Cirkulation von Keimchen zu sein. Gerade eben, weil diese Kernstäbchen oder Idanten niemals Zufuhr neuer Anlagen von aussen her erhalten können, be - durfte es der äussersten Sorgfalt bei ihrer Vermehrung durch Theilung, damit nicht die verschiedenen Qualitäten der Mutter - zelle sich in unrichtiger Weise auf die Tochterzellen ver - theilten und dadurch gewisse Anlagen unwiederbringlich für die eine von ihnen und ihre späteren Abkömmlinge verloren gingen.

Vom Boden einer jeden Theorie, die die Kernsubstanz der Keimzellen als Keimplasma, d. h. als Vererbungssubstanz ansieht, ist es deshalb unmöglich, eine Vererbung somatogener Ab - änderungen anzunehmen; es ist theoretisch unmöglich, eine Er - klärung derselben, sei sie auch noch so frei erfunden, zu geben.

Ich muss also heute noch bestimmter, als früher den Satz aussprechen, dass alle dauernden, d. h. vererbbaren Ab - änderungen des Körpers von primären Veränderungen der Keimesanlagen ausgehen, und dass weder Verstümme - lungen, noch funktionelle Hypertrophie und Atrophie, noch endlich auch Abänderungen, welche durch Temperatur - oder Ernährungs - oder irgend andere Mediums-Einflüsse am Körper hervorgerufen sind, sich den Keimzellen mittheilen und dadurch vererbbar machen können.

Damit wäre denn in der That das Lamarck’sche Ab - änderungs-Princip verworfen; die Einflüsse wenigstens, auf welche vor allen andern dieser geniale Denker und Forscher die Um - wandlung der Arten bezog, Gebrauch und Nichtgebrauch der Theile, kann keinen direkten Antheil daran gehabt haben. Mit519 dieser Ansicht stehe ich heute keineswegs allein, und wenn gewiss auch Wahrheit nicht durch Abstimmung gefunden werden kann, so wird es doch niemals ohne Bedeutung gehalten werden, wenn Forscher, wie Ray Lankester1)Ray Lankester, The History and Scope of Zoology , Enc. Brit. Vol. XXIV., Thiselton Dyer, Brooks, Meynert2)Meynert, Mechanik der Physiognomik , Vortrag gehalten auf d. Deutsch. Naturforscherversammlung zu Wiesbaden 1887., van Bemmelen3)J. F. van Bemmelen, De Erfelijkheid van verwooven Eigen - schappen , s’Gravenhage 1890. u. A. meine Meinung theilen.

Damit aber, dass wir eine Vererbung der Wirkungen von Gebrauch und Nichtgebrauch leugnen, wird nicht eine jegliche Wirkung derselben in Abrede gestellt, und ich habe in früheren Schriften4)Vergl. Über die Vererbung , Jena 1883, und Die Continuität des Keimplasma’s als Grundlage einer Theorie der Vererbung , Jena 1885. schon zu zeigen versucht, dass Beides, Gebrauch sowohl als Nichtgebrauch auf indirektem Wege zu Abänderung führen kann, Ersteres überall da, wo die Steigerung nützlich ist, Letzteres in allen Fällen, in denen umgekehrt das Organ für die Erhaltung der Art keine Bedeutung mehr hat, und in denen in Bezug auf das nicht mehr gebrauchte Organ das ein - tritt, was ich als Panmixie bezeichnet habe.

Der Platz fehlt mir, um im Einzelnen auf diese Fragen hier einzugehen; ihre Erörterung gehört auch mehr in ein Buch über Descendenztheorie, als in eine Vererbungstheorie, und ich darf mich wohl auf meine Darlegungen in den angeführten früheren Schriften beziehen, die, wie ich glaube, hinlänglich zeigen, dass die allmälige Verkümmerung nicht mehr gebrauchter Organe der Annahme einer Vererbung somatogener Abänderungen nicht bedarf, dass wir also auch von Seiten der Thatsachen520 insoweit nicht zu einer Annahme gezwungen werden, welche theoretisch unannehmbar erscheint.

Es fragt sich aber, ob nicht anderweitige Thatsachen vor - liegen, die nur in dieser Annahme ihre Erklärung finden können, und dies soll besonders noch nach einer Seite hin beleuchtet werden.

2. Prüfung der Hypothese an den Thatsachen.

Was zuerst die so lange Zeit geglaubte und auch heute noch immer hartnäckig vertheidigte Vererbung von Ver - letzungen und Verstümmelungen betrifft, so kann ich mich kurz fassen, denn es ist seit meiner Schrift Über die Hypothese einer Vererbung von Verletzungen 1)Jena 1889. nichts Neues an Be - obachtungen dem bisherigen Thatbestand hinzugefügt worden. 2)Wenigstens nichts meiner Ansicht Widerstreitendes. Bestäti - gungen meiner Versuche an Mäusen sind von Ritzema Bos und von Rosenthal gegeben worden, auch habe ich meine eignen Versuche jetzt bis in die neunzehnte Generation fortgeführt stets mit demselben negativen Resultat: das Abschneiden der Schwänze blieb ohne jeden Ein - fluss auf die Schwänze der Nachkommen. Ebenso die entsprechenden Versuchsreihen an Ratten, welche die beiden genannten Forscher an - gestellt haben (vergl. Biolog. Centralblatt Bd. XI, p. 734 u. f. 1891.)

Es sind immer wieder die alten Geschichtchen, welche theils unverändert, theils in neuer Fassung vorgetragen werden, und über deren wissenschaftlichen Unwerth ich mich damals bereits ausgesprochen habe. Ich glaube darauf um so weniger zurück - kommen zu müssen, als selbst unter den Forschern, welche einer Vererbung funktioneller Abänderungen das Wort redeten, Einzelne in Bezug auf Verstümmelungen auf meiner Seite stehen und ihre Vererbung entschieden in Abrede stellen. So z. B. Osborn, der aber wohl etwas zu weit geht, wenn er meint, die Bekämpfung der alten Ansicht von der Vererbung von Ver -521 letzungen komme ihm vor, wie Don Quixote’s berühmter Kampf mit den Windmühlen. 1)Osborn, Are acquired Variations inherited? Boston 1890, p. 3.Es sind nur wenige Jahre her, seit auf einer deutschen Naturforscherversammlung zwei schwanz - lose Kätzchen vorgezeigt wurden2)Auf der Versammlung zu Wiesbaden vom 20. Sept. 1887., die ihren Mangel dem ge - waltsamen Verlust des Schwanzes bei der Mutter verdanken sollten, und grosse Naturforscher von dem Namen Ernst Häckel’s3)Häckel, Natürliche Schöpfungsgeschichte . 3. Aufl., 1889, p. 194. fassen heute noch ähnliche Fälle in derselben Weise auf. Solange solche Stimmen eine Vererbung von Verstümme - lungen noch für möglich halten, ist eine Klarlegung des Sach - verhaltes wohl keine überflüssige Bemühung gewesen. 4)Man vergleiche auch den Abschnitt über Vererbung von Ver - stümmelungen in dem Buche von Eimer: Die Entstehung der Arten u. s w. Jena 1888. Es werden dort eine ganze Reihe sogen. Beweise dafür aufgezählt.

Über die zweite Art somatogener Abänderungen, die funktionellen, wurde bereits gesprochen, es giebt aber noch eine dritte Klasse somatogener Variationen, die - jenigen nämlich, welche durch Mediumeinflüsse, Ernährungs - weise, Klima u. s. w. entstehen, und bei diesen hat es nicht selten den Anschein, als ob sie vererbt und dadurch im Laufe der Generationen gesteigert werden könnten. Ich habe selbst darauf schon vor einer Reihe von Jahren mit folgenden Worten hingewiesen: Ich wüsste überhaupt nur einen Kreis von Ver - änderungen der Organismen, bei welchem die Erklärung durch blosse Keimesänderung auf ernstliche Schwierigkeiten stösst, und dies sind die Abänderungen, welche als direkte Folge von veränderten äusseren Bedingungen auftreten. Allein gerade über sie ist auch das letzte Wort noch nicht gesprochen, wir kennen den Thatbestand noch lange nicht genau genug, um522 über die Ursachen derartiger Abänderungen ein sicheres Urtheil zu haben ...... Ich führte dann einige der vielen in der Literatur sich seit lange fortschleppenden Fälle an und suchte zu zeigen, dass keiner derselben der Kritik Stand hält, dass sie alle der Auslegung Platz lassen, dass nur scheinbar die soma - togene Abänderung vererbt wird, in Wirklichkeit aber zuerst eine Abänderung des Keimplasma’s durch die Mediumeinflüsse bewirkt wird, der dann die somatische Abänderung erst nach - folgt. Dann heisst es weiter: Immerhin aber wird man zugeben müssen, dass es Fälle giebt, so die klimatischen Varietäten der Schmetterlinge, die sich für jetzt nur gewaltsam einer derartigen Erklärung fügen, und ich selbst habe vor Jahren einen solchen Fall experimentell näher geprüft, den ich auch heute nach den bis jetzt vorliegenden Thatsachen noch nicht anders zu erklären wüsste, als ich es damals gethan habe, nämlich durch Vererbung somatogener Abänderungen. Allein es ist dabei zu bedenken, dass meine Versuche und auch ihre spätere Wiederholung an amerikanischen Arten durch H. W. Edwards durchaus nicht im Hinblick auf die hier betonten Gesichtspunkte angestellt waren. Neue und in anderer Weise variirte Versuche werden nöthig sein .... 1)Vergleiche meine Schrift: Über Vererbung , Jena 1883, p. 50; auch in: Aufsätze über Vererbung und verwandte biologische Fragen , Jena 1892. II.

Ich habe vergeblich seit dem Jahre 1883 darauf gewartet, dass etwa die geschickteren Hände eines Entomologen oder auch einer der zahlreichen Vertheidiger der Vererbung erworbener Eigenschaften die bezeichneten Versuche ausführen würde. In - zwischen habe ich sie selbst, soweit Zeit und Material mir zu Gebote standen, in Angriff genommen, und es liegt mir jetzt eine Reihe neuer Versuche vor, nicht so viele und nicht so vollständig und vielseitig durchgeführte, als ich es gewünscht hätte, aber doch ausreichend zu sicherer Begründung der Theorie523 dieser Art von Abänderungen. Ich will im Folgenden kurz über einige derselben berichten, ihre ausführliche Darlegung einer späteren Gelegenheit vorbehaltend.

3. Die klimatischen Varietäten der Schmetterlinge in ihrer idioplasmatischen Wurzel.

Ein über den ganzen gemässigten und kalten Theil des asiatisch-europäischen Continents verbreiteter Schmetterling ist der der Familie der Bläulinge (Lycaeniden) angehörige Polyom - matus Phlaeas. Die Art kommt auch im Mittelmeergebiet, auf Madeira und den kanarischen Inseln, und in einem Theil von Nordamerika vor. Sie muss vor Beginn der Eiszeit den hohen Norden circumpolar bewohnt haben, dann während der - selben südwärts gedrängt worden sein, und später wieder von Neuem sich nordwärts ausgebreitet haben. In unsern Breiten ist sie auf der Oberseite der Flügel schön rothgoldig glänzend, woher ihr Volksname: Feuerfalter. Im Süden nun ist dieses Rothgelb mehr oder weniger stark mit Schwarz überflogen ( schwarz überstäubt ), und Exemplare aus Sicilien, Griechenland oder Japan zeigen oft nur ganz wenig rothgoldne Schuppen und machen fast den Totaleindruck von Schwarz. Der Schmetter - ling fliegt bei uns in zwei Generationen, die sich ganz gleich sind, in Südeuropa aber giebt es Landstriche, z. B. die Riviera di levante, wo die erste Generation rothgolden, die zweite, im Hochsommer fliegende schwarz bestäubt (var. Elēus) ist. Da nun auch bei uns in besonders heissen Sommern wiederholt schwärzlich angeflogene Exemplare gefangen worden sind, neben gewöhnlichen, und da ferner im äussersten Süden des Ver - breitungsgebietes soviel ich in Erfahrung bringen konnte beide Generationen schwärzlich gefärbt sind, so scheint auf den ersten Blick die Sache so aufzufassen zu sein, als ob es sich hier um eine einfache und einmalige Wärmewirkung handle,524 als ob der Schmetterling bei mittlerer Wärme rein roth, bei starker schwarz bestäubt ausfiele.

Allein dieser Schluss kann nicht richtig sein, wie die fol - genden Versuche beweisen.

Ich züchtete aus den Eiern deutscher Phlaeas-Weibchen Raupen, die ich während ihrer Verpuppung und bis zum Aus - schlüpfen des Schmetterlings einer stark erhöhten Temperatur unterwarf. Das Resultat waren viele Schmetterlinge mit schwacher schwärzlicher Bestäubung, aber keinen, der den dunkelsten Elēus-Formen südlicher Gegenden gleich gekommen wäre. Ich machte dann den Gegenversuch und unterwarf eben verpuppte Raupen, die aus Eiern der neapolitanischen Früh - jahrs-Generationen1)Es sei mir gestattet, schon bei diesem nur vorläufigen Bericht über meine Versuche, Herrn Dr. Schiemenz von der Zoologischen Station in Neapel meinen wärmsten Dank zu sagen für seine liebens - würdige und aufopfernde Unterstützung meiner Bestrebungen. Ohne die - selbe würde ich ausser Stande gewesen sein, das schwer zu gewinnende lebende Material zu erhalten. gezüchtet waren, einer sehr niederen Tempe - ratur. Ich erhielt viele Schmetterlinge mit weniger Schwarz, als die in der Wärme gehaltenen Puppen sie lieferten, aber keinen, der so hell gewesen wäre, als es die deutschen Schmetterlinge gewöhnlich sind. Der Unterschied zwischen den durch Kälte aufgehellten Neapler Stücken und den normalen deutschen, und andererseits der zwischen den künstlich durch Wärme geschwärzten deutschen Stücken und normalen Neapler Stücken ist zu gross, als dass er in Unvollkommenheiten des Ex - perimentes seinen Grund haben könnte. Die deutsche und die Neapler Colonie der Art ist also constitutionell verschieden, die eine neigt viel stärker zum reinen Rothgold als die andere, und diese zweite weit stärker zur Schwärzung als die erste.

525

Da nun andrerseits durch beide Versuche bewiesen ist, dass die alte Annahme der Lepidopterologen richtig ist, wonach auch die einmalige Einwirkung von Wärme einen deutschen Schmetterling schwärzlich machen kann, und ferner feststeht, dass die einmalige Anwendung der Kälte einen neapolitanischen Schmetterling weniger schwarz machen kann, so liegt die An - nahme nahe, dass die beiden Varietäten auf einer langsamen und cumulativen Einwirkung des Klima’s beruhen möchten, in der Weise, dass die schwache Wirkung eines Sommers oder eines Winters sich auf die folgende Generation vererbt, und nun von Generation zu Generation gesteigert habe. Wir hätten also dann eine Vererbung erworbener Eigenschaften.

Ich glaube aber durchaus nicht, dass dies die richtige Deutung der Thatsachen ist. Wäre es so, so könnte keine Verbreitungs - zone vorkommen, wo die Art saisondimorph ist, wie ich dies für die ligurische Küste selbst festgestellt habe. Es müsste dann das Keimplasma entweder die Anlage der rothen oder der schwarzen Varietät enthalten; die erstere, wenn lange Gene - rationen hindurch niedere Wärme auf die betreffende Colonie eingewirkt hätte, die zweite, wenn ebenso lang hohe Wärme ein - gewirkt hätte. Es könnte dann keinen Unterschied machen, welcher Temperatur eine einzelne Generation heute künstlich ausgesetzt wird, denn das Keimplasma enthielte schon in sich die Bestimmung der Farbe es enthielte, in meine Ausdrucks - weise übersetzt, entweder rothgoldene oder schwarze De - terminanten für die betreffenden Flügelschuppen. Dann wäre es ganz unmöglich, dass bei der Frühjahrsgeneration rothgoldene, bei der Sommergeneration schwarze Schuppen sich bildeten, denn es wären eben für eine bestimmte Flügelstelle nur ent - weder rothe oder schwarze Determinanten im Keimplasma ent - halten.

Ich glaube, dass gerade die Determinantenlehre eine sehr526 einfache Erklärung dieses scheinbar so verwickelten Falles an die Hand giebt, und lege, eben weil er damit eine Bestätigung dieser Lehre enthält, grossen Werth auf ihn. Weit entfernt davon, der Lehre von der Vererbung somatogener Eigenschaften eine Stütze zu sein, zeigt dieser Fall vielmehr, wie der Schein eines solchen Vorganges zu Stande kommen kann, und worauf er beruht. Nicht eine somatogene Eigenschaft wird vererbt, sondern der abändernde Einfluss, hier die Temperatur, trifft in jedem Individuum zugleich die Flügelanlage, also einen Theil des Soma’s, und das Keimplasma der in dem Thier enthaltenen Keimzellen. In der Flügelanlage der jungen Puppe verändert er dieselben Determinanten, wie in den Keimzellen, nämlich diejenigen der betreffenden Flügel - schuppen. Die erstere Abänderung kann sich nicht auf die Keimzellen übertragen, sondern sie bezieht sich nur auf die Flügelfärbung dieses einen Individuums, die andere aber über - trägt sich auf die folgende Generation und bestimmt somit die Flügelfärbung derselben, soweit diese nicht wieder durch spä - tere Temperatureinflüsse modificirt wird. Denn dieselben De - terminanten, welche heute im Keimplasma der Keimzellen von Generation I liegen, rücken später in die Flügelanlage der Raupe und Puppe von Generation II, und die Abänderung, welche sie erlitten, solange sie in Generation I lagen, kann verstärkt oder auch abgeschwächt werden durch Temperatureinflüsse, welche sie treffen, wenn sie in Generation II eingetreten sind.

Da die Wärme den ganzen Körper trifft, so kann es nicht befremden, dass Determinanten, welche überhaupt durch sie verändert werden, diese Veränderungen erleiden, mögen sie liegen, wo sie wollen, im Keimplasma der jungen Ei - oder Samenzellen der Raupe, Puppe und des Schmetterlings, oder in gewissen Zellen der Flügelanlage der Raupe und Puppe. Es folgt aber daraus noch nicht, dass sie an beiden Orten gleich stark verändert527 werden müssen, denn sie befinden sich an beiden Orten durch - aus nicht genau in derselben Umgebung. Im Keimplasma sind sie eingeordnet in die Tausende und aber Tausende von Determi - nanten der Art, welche alle zusammen erst das Keimplasma ausmachen; in der jungen Flügelanlage der Raupe aber sind sie nur noch mit wenigen andersartigen Determinanten ver - bunden, und es muss ein Moment eintreten, in welchem sie jede für sich allein eine Zelle beherrschen, nämlich diejenige, die sich zur rothen oder schwarzen Flügelschuppe umbildet.

Es giebt nun eine Thatsache, welche bestimmt darauf hin - deutet, dass die Empfänglichkeit dieser Schuppen-Determinanten für den Einfluss der Wärme in einem gewissen Zeitpunkt der Schmetterlings-Entwickelung am stärksten ist weit stärker, als vorher und nachher. Es ist dies die vielmals von mir wiederholte Beobachtung, dass bei saisondimorphen Arten, z. B. bei Vanessa Prorsa-Levana, der umstimmende Einfluss der Wärme oder Kälte nur dann eintritt, wenn er im Beginn der Puppen - periode einwirkt. Ich vermag den Zeitpunkt noch nicht genauer zu präcisiren, aber ich kann bestimmt angeben, dass z. B. bei Vanessa Levana Winterpuppen, welche man erst einen Monat nach der Verpuppung hoher Temperatur aussetzt, niemals mehr sich in die Prorsaform umwandeln lassen; sie schlüpfen sämmt - lich als Levana aus.

Dies beruht nicht etwa darauf, dass einen Monat nach der Verpuppung die Farben des Flügels schon angelegt wären keine Spur davon ist vorhanden. Es giebt also einen Mo - ment der Auseinanderlegung der Determinanten, in welchen dieselben am empfänglichsten für Temperatur - einflüsse sind; später sind sie es nicht mehr, und vorher sind sie es zwar, aber wie ich vermuthen möchte nur in einem weit geringeren Grade. Dies mag auf ihrer Ver -528 bindung mit anderen Determinanten beruhen oder auf anderen Ursachen, die wir zur Stunde aufzufinden nicht im Stande sind.

Ist dem so, dass die betreffenden Schüppchen-Determinanten, solange sie im Keimplasma liegen, nur sehr schwach, später aber zu einer bestimmten Periode der Flügelentwickelung stark durch Wärme beeinflusst werden, so erklären sich die Erscheinungen einfach. Die südliche Colonie von Phlaeas muss dann in den Flügel-Determinanten ihres Keimplasma’s viele enthalten, welche durch die seit Tausenden von Generationen anhaltende Wärme - einwirkung zur Hervorrufung schwarzer Schuppen abgestimmt sind, zahlreiche andere, bei welchen es nur noch einer geringen weiteren Wärmewirkung bedarf, damit sie ebenfalls Schwarz hervorbringen. Diese Letzteren sind es, welche die durch das Experiment erzeugbaren Schwankungen der Färbung verursachen, die Ersteren aber bedingen diejenige Schwarzfärbung der Flügel, welche der Constitution dieser Süd-Colonie bereits eingeprägt ist, und welche sich durch Kälteeinwirkung auf die junge Puppe nicht mehr beseitigen lässt.

Ich setze hierbei voraus, dass die Stammform rein roth - goldene Flügel besass und den hohen Norden bewohnte, wie denn diese Annahme wohl allein die heutige Verbreitung der Art verstehen lässt, und wie es auch von Hofmann1)Ernst Hofmann, Isoporien der europäischen Tagfalter . Stutt - gart 1873. in seinen schönen Untersuchungen über die Herkunft unserer Falter an - genommen wird. Für die hier zu untersuchenden Fragen ist das übrigens von geringer Wichtigkeit, doch muss die eine oder die andere Annahme gemacht werden, also entweder, dass Roth - gold, oder dass tiefschwarze Bestäubung das Primäre war. Nehmen wir das Erstere an, so erklärt sich auch der lokale Saison - Dimorphismus und die in heissen Sommern in Deutschland vor - kommenden schwärzlichen Stücke in einfacher Weise.

529

Bei Zunahme der Wärme eines Wohnortes der Art wurden viele der Determinanten der betreffenden Flügelschuppen im Keimplasma nach und nach so verändert, dass es nur noch wenig weiterer Wärmewirkung auf die Flügelanlage der einzelnen Puppe bedurfte, damit schwarze Schuppen durch sie erzeugt wurden. Auf diesem Punkte der phyletischen Umwandlung steht die Art z. B. in Deutschland, und wenn nun hier heisse Tage gerade auf die Verpuppungszeit der zweiten Jahresbrut fallen, so entstehen einzelne schwärzlich angeflogene Schmetter - linge. Dies wird um so leichter eintreten, je weiter die innere Umstimmung der betreffenden Determinanten vorgeschritten ist, und die schwarze Bestäubung wird um so stärker ausfallen, je zahlreichere Schuppen-Determinanten des Keimplasma’s auf diesem Stadium der Umstimmung angelangt sind. Beides wird dort am meisten eintreffen, wo auch die gewöhnlichen Sommer schon ziemlich warm sind, und so erklärt es sich, dass schwärz - liche Stücke von Phlaeas sehr selten im Norden Deutschlands, im hohen Norden gar nicht, in den heissen Thälern des Wallis aber verhältnissmässig oft und mit starker Bestäubung gefangen werden.

In noch wärmeren Landstrichen, z. B. an der Riviera ist so ziemlich jede Sommerbrut von Phlaeas hohen Wärmegraden ausgesetzt; die Umstimmung der Schuppen-Determinanten wird somit eine so bedeutende werden, dass mit Hülfe der auch zur Verpuppungszeit kaum je fehlenden Sommerhitze die Variation Elēus entsteht. In der Frühjahrsbrut entsteht sie nicht, weil hier jene letzte, zu vollständiger Umwandlung der Schuppen - Determinanten noch fehlende Wärme während der Verpuppung nicht eintritt.

Stellt man sich ein von den Polarländern bis Süditalien oder Nordafrika reichendes ununterbrochenes Verbreitungsgebiet der Art vor, so würden auf demselben alle Zwischenstufen vomWeismann, Das Keimplasma. 34530reinen rothgoldenen und einbrütigen Phlaeas Lapplands bis zu einer in zwei Jahresbruten schwarzen Elēus-Form vorkommen müssen, also zuerst zwei gleiche rothgoldene Bruten, dann eben - solche mit Neigung der Schmetterlinge bei einem Plus der auf die Puppe wirkenden Wärme schwarzbestäubt zu werden, dann Saison-Dimorphismus mit schwarzen Faltern im Sommer, roth - goldenen im Frühling, so wie es sich bei Genua wirklich vor - findet. Bei noch längerer Einwirkung stärkerer Wärme aber wird eine zuerst kleine, dann immer grössere Zahl von Schuppen - Determinanten des Keimplasma’s völlig zum Schwarz hin ver - ändert, und nun haben wir zwei Bruten, die beide die Form Elēus annehmen. Ungefähr so, aber noch nicht ganz so ver - hält es sich mit der neapolitanischen Colonie der Art, indem dort in der Frühjahrsbrut zwar viele sehr schwarze Stücke vorkommen, aber auch noch viele hellere, wenn auch keine, die dem Rothgold des nordischen Phlaeas gleichkommen. Ob irgend - wo die völlige Umfärbung der Art in beiden Jahresbruten eingetreten ist, weiss ich nicht, möchte es aber am ersten vom südlichen Japan erwarten, da schon die Schmetterlinge, welche mir aus der Gegend von Tokio vorliegen, eine ungewöhnlich schwarze Färbung besitzen.

Ich habe diesem Falle eine ausführliche Besprechung ge - widmet, weil er mir eine principielle Bedeutung zu besitzen scheint, nicht blos für die Erklärung der Klima-Varietäten der Schmetterlinge, sondern für die Theorie der Vererbung, für die Annahme materieller, schon im Keimplasma vorhandener und von Generation zu Generation weiter - gegebener Determinanten in dem oben definirten Sinne. Die Thatsachen sprechen hier so bestimmt für diese Annahme, dass gar kein anderer Ausweg mehr möglich scheint. Man braucht sich nur zu erinnern, dass die künstliche Umstimmung der Flügelfarbe nicht gelingt, wenn man die verändernde Tempe -531 ratur erst in dem Zeitpunkt einwirken lässt, in welchem die Flügelschuppen sich färben. Es ist also nicht eine direkte Beeinflussung der chemischen Umwandlungen, welche die Farb - stoffe erzeugen, sondern eine ganz indirekte Beeinflussung, die man sich etwa als gegenseitige Verschiebung und Umordnung des Biophorenmaterials denken kann, welches die Determinante zusammensetzt, und aus dessen Zusammenwirken der farben - bildende chemische Vorgang sich ableitet.

Dass die Schuppen-Determinanten des Keimplasma’s weit schwächer von der Temperatur beeinflusst werden, als die der Flügelanlage, ergiebt sich mit Sicherheit allein schon aus der Existenz des Saison-Dimorphismus. Wäre die umwandelnde Wirkung auf beide gleich stark, dann müsste das Keimplasma in den Keimzellen eines Schmetterlings der Sommergeneration ebenso stark verändert werden, als die Flügel des betreffenden Individuums selbst; dann würde also in den Nachkommen, auch wenn sie von der Kälte getroffen würden, eine stärkere Hin - neigung zur Sommerfärbung eintreten müssen, weil sie eben schon im Keim vorbereitet wäre. Es sei denn, dass der Ein - fluss der Kälte ein stärkerer wäre, als der der Wärme. In jedem Falle aber würde eine Mittelform zwischen der durch Wärme und der durch Kälte hervorgerufenen Färbung sich festsetzen und auf beide Generationen übertragen müssen, auch dann, wenn die beiderlei Einflüsse gleich stark wären. In diesem Falle würde 1 A + 1 B die Färbung jeder Generation sein müssen, wenn wir Winter - und Sommerfärbung als A und B bezeichnen. Nur dann, wenn das Keimplasma weit schwächer verändert wird, als die bereits in der Flügelanlage angekommenen Deter - minanten, kann ein Wechsel der Färbung andauern.

Wahrscheinlich rufen auch bei vielen andern Thieren und Pflanzen Temperatur - oder andere Medium-Einflüsse in ähnlicher Weise dauernde, erbliche Abänderungen hervor, aber es ist34*532schwer, ja wohl unmöglich, aus den bisher bekannt gewordenen Beobachtungen diese Fälle mit Sicherheit herauszufinden. Hunde bedecken sich in Kaschmir bald mit Wolle 1)Ich citire nach einem Aufsatz von Giard, der die angezogenen Daten für Beweise einer Vererbung somatogener Vererbung nimmt. Vergl. L’hérédité des modifications somatiques in der Revue scienti - fique vom 6. December 1890., so heisst es, aber Wer hat es beobachtet und Wer hat festgestellt, dass diese Veränderung falls sie wirklich eintritt sich vererbt. Merinoschafe verlieren die feine Wolle, wenn sie in tropisches Klima gebracht werden , aber ich habe keine Angabe finden können, ob dieser Verlust nicht etwa schon in der ersten Gene - ration eintritt, anstatt erst im Laufe mehrerer. Wir bleiben somit im Unklaren, ob hier nicht vielleicht blos eine direkte Veränderung eines somatischen Theiles des Haares durch das Klima bewirkt wird, welche in der folgenden Generation wieder verschwindet, falls die Nachkommen in das ursprüngliche Klima zurückversetzt würden. Die nackten tropischen Hunderassen, z. B. der Guinea-Hund, gehören vielleicht hierher, denn sie bekommen das verlorene Haar nicht wieder, wenn sie in ge - mässigtes Klima gebracht werden . 2)Vergl. auch die von Darwin sorgfältig gesammelten Fälle über Entartung der Nachkommen europäischer Hunde in Indien. Var. der Thiere und Pflanzen im Zustand der Domestication I, p. 45.

Auch bei Pflanzen mögen manche der klimatischen Ab - arten ganz oder theilweise auf gleichzeitiger Veränderung ent - sprechender Determinanten in irgend einem Theile des Soma und im Keimplasma der Fortpflanzungszellen beruhen, und solche Abänderungen sind nothwendigerweise erblich. Tempe - ratur, Ernährung im weitesten Sinne treffen den ganzen Pflanzen - körper, somatische und Keimzellen. Ob aber auch hier Deter - minanten, welche schon im Soma liegen, stärker beeinflusst werden, als wenn sie noch im Keimplasma enthalten sind, wird533 wohl erst in Zukunft festgestellt werden können. Denkbar, und ich möchte sogar glauben, häufiger dürfte der Fall sein, in welchem bestimmte Determinanten gleich stark oder schwach getroffen werden, mag der Medium-Einfluss sie im Keimplasma oder auf irgend einer Stufe der somatischen Anwandlungen an - treffen. Dann wird die Veränderung in der ersten Generation vielleicht gar nicht oder kaum bemerkbar sein, aber nach und nach im Laufe der Generationen wird sie wahrnehmbar und dann natürlich auch erblich sein. Umgekehrt aber giebt es wohl viele Medium-Einflüsse, welche die Pflanze zwar stark in ihrem Körper verändern, ohne aber die entsprechenden Deter - minanten im Keimplasma zu verändern; die Versuche Nägeli’s mit Hieracien und manches Andere sprechen wenigstens dafür, wenn sie freilich auch kaum lange genug fortgeführt sind, um eine jede auch noch so schwache und allmälige Änderung des Keimplasma’s auszuschliessen.

Welches nun die Einflüsse sind, die zugleich das sich ent - wickelnde und wachsende Soma und die entsprechenden De - terminanten im Keimplasma verändern können, sei es auch in sehr verschiedenem Grade, das kann nur durch das Experiment entschieden werden, und ist eine Aufgabe der Zukunft. Dieses Zusammentreffen ruft die Fälle einer scheinbaren Vererbung somatogener Veränderungen hervor; andere sind wir mir wenigstens scheint nicht denkbar. Alle solche Einflüsse aber, welche wie Übung oder Nichtgebrauch eines Theils über - haupt nur auf diesen selbst in einer specifischen Weise wirken können, sind ausser Stande, entsprechende Veränderung der betreffenden Determinanten der Keimzellen zu bewirken und also zu erblichen Abänderungen zu führen. Hier trifft der äussere Einfluss allein das fertige Organ selbst, z. B. den durch Übung vergrösserten Muskel, denn der Einfluss besteht eben in der verstärkten Funktionirung des Muskels, und diese findet534 schon dem Begriffe nach nur in ihm selbst statt; das Keimplasma der Keimzellen, oder gar die Determinante des betreffenden Muskels im Keimplasma bleibt davon unberührt. In allen Fällen von funktioneller Hypertrophie oder Atrophie werden überhaupt keine Determinanten durch den äusseren Einfluss verändert, sondern die fertigen Organe, d. h. die aus den Determinanten hervorgegangenen specifischen Zellengruppen. Es ist mir sehr wahrscheinlich, dass solche doppelte abändernde Einwirkungen der Medien, wie wir sie bei Phlaeas kennen gelernt haben, nur da möglich sind, wo neben den Keimzellen zugleich die noch nicht zum Organ umgewandelten Determinanten vom abändernden Einfluss getroffen werden, und dies wird am leichtesten bei solchen Organen vorkommen, welche, wie die Flügelschuppen der Schmetterlinge, in späterer Zeit des Lebens sich anlegen, deren Determinanten also lange Zeit der Ontogenese hindurch unentwickelt den Idanten bestimmter soma - tischer Zellen beigeordnet sind. Die Flügel des Schmetter - lings entstehen bekanntlich als Ausstülpungen der Hypodermis schon in der Raupe. Ehe diese Ausstülpungen sich bilden, müssen also die Determinanten der Flügelschuppen noch in dem Idioplasma einiger Hypodermiszellen enthalten sein, nach der Ausstülpung aber sind sie in einem Theil der Zellen der Flügel - Anlage enthalten. Zuerst sind diese Flügel noch klein und enthalten noch lange nicht die grosse Zahl von Zellen, welche den fertigen Flügel zusammensetzen. Auch dann also müssen noch mehrere inaktive Determinanten der Flügelschuppen in den Idanten eines Zellkerns vereinigt sein. Dann aber kommt im Laufe des weiteren Wachsthums ein Moment, in welchem die Zellenzahl sich so vermehrt, dass jede Determinante das Idioplasma einer besondern Zelle ausmacht, und dieses dürfte der Moment sein, in welchem verändernde äussere Einflüsse am stärksten auf diese Determinanten einwirken. Es wird wohl535 möglich sein, durch Versuche diesen Moment genauer fest - zustellen.

Man hat vielleicht erwartet, ich würde in diesem Abschnitt auf die ganze, in den letzten Jahren so vielfach umstrittene Frage von der Möglichkeit einer Vererbung erworbener Ab - änderungen in der Weise eingehen, dass ich alle die Thatsachen und Argumente, die zu Gunsten einer solchen vorgebracht worden sind, einer Besprechung unterzöge. Allein wie oben schon gesagt wurde eine Theorie der Vererbung scheint mir dazu nicht der geeignete Platz zu sein. Eine solche hat nur zu zeigen, ob eine derartige Form der Vererbung vom theore - tischen Standpunkt aus möglich ist oder nicht, und weiter etwa noch zu untersuchen, ob in lezterem Falle vielleicht doch der Schein einer solchen Vererbung unter Umständen hervorgerufen werden kann, und dafür die theoretische Erklärung zu geben. Dass es bequemer ist, die Umwandlung der Arten mit Zuziehung des Lamarck’schen Princips zu erklären, habe ich von jeher hervorgehoben, glaube aber, dass dies kein Grund ist, eine theoretisch unannehmbare Hypothese beizubehalten, solange nicht bewiesen wird, dass es keinen andern Weg giebt, die Thatsachen zu erklären. Bis jetzt aber sind die Gegner noch weit davon entfernt, diesen Beweis geliefert zu haben.

Vielleicht wird die hier beigebrachte Aufklärung über die Ursachen der klimatischen Varietäten der Schmetterlinge im Stande sein, manche meiner bisherigen Gegner zu überzeugen, dass es sich hier nicht um blinde Principien-Reiterei, sondern um inductive Forschung handelt. Besonders in Amerika hat der Satz von der Nichtvererbung erworbener Abänderungen starken Widerspruch hervorgerufen und zwar hauptsächlich bei den Paläontologen. Es ist auch nicht zu verkennen, dass gewisse Thatsachen der Paläontologie, wie die Entwickelung der Huf - thiere in Bezug auf Füsse und Zähne, sehr schöne und ununter -536 brochene Formenreihen uns vorführen, welche durch die An - nahme der Vererbung funktioneller Abänderungen scheinbar sehr leicht und einfach zu erklären wären. Aber müssten wir nicht ganz ebenso schöne und lückenlose Übergangsreihen erhalten, falls die Phylogenese wesentlich auf Selection beruhte, d. h. auf der immer vollkommeneren Anpassung an gewisse äussere Bedingungen des Lebens von ganz allgemeiner Natur? Mir scheint, dass weder die Vollständigkeit der Entwickelungsreihen, noch die genaue Beziehung der Natur der Abänderungen zur Funktion irgend Etwas über die Ursachen aussagen, welche diese Entwickelungsreihen hervorgerufen haben. An und für sich könnte ebenso gut fortgesetzte Selection, als fortgesetzte Vererbung funktioneller Abänderungen solchen Reihen zu Grunde liegen.

Wenn aber ein hervorragender Forscher Amerika’s, Lester Ward1)Vergl. Dessen gegen meine Ansichten gerichtete, übrigens durch - aus objectiv und echt wissenschaftlich gehaltene Schrift: Neo-Darwi - nism and Neo-Lamarckism , Washington 1891., meint, dass der Beweis, dass klimatische Einflüsse das Keimplasma verändern können, Alles enthielte, was die Neu - Lamarckische Schule verlange, so irrt er sich. In dem Ab - schnitt über Variation wird noch genauer dargelegt werden, wie ich mir die Entstehung der Variation heute vorstelle; aber ganz abgesehen davon, ist es sicherlich etwas ganz Anderes, wenn behauptet wird, dass klimatische Einflüsse das Keimplasma verändern können, als dass funktionelle Abänderungen irgend eines Organes das Keimplasma verändern könnten, und gar in korrespondirender Weise. Für die erstere Behauptung glaube ich hier den Beweis erbracht zu haben, für die zweite aber würden ihn die Neu-Lamarckianer erst beizubringen haben.

537

Capitel XIV. Variation.

Vererbung ist die Übertragung der physischen Natur des Elters auf das Kind. Wir sehen, dass diese Übertragung sich auf den ganzen Organismus bezieht und bis in die kleinsten Einzelheiten hineinreicht, wir wissen aber auch, dass dieselbe niemals eine vollständige ist, dass das Kind nie identisch ist mit dem Elter, sondern sich immer von demselben mehr oder weniger stark unterscheidet. Diese Abweichungen bilden die Erscheinung der Variation, welche somit ein integriren - der Theil der Vererbung ist, denn jede Vererbung schliesst Variation in sich ein.

Es gehört somit in eine Theorie der Vererbung auch eine theoretische Begründung der Variation, wie sie jetzt versucht werden soll. Woher kommt es, dass das Kind niemals eine genaue Copie des Elters ist, auch dann nicht, wenn nur ein Elter vorhanden ist, also bei parthenogenetischer und Knospen - Fortpflanzung? und welches ist die Wurzel jener nie fehlenden individuellen Variationen , welche wir nach dem Vorgang von Darwin und Wallace als die Grundlage aller Züchtungs - processe der Natur, und als das Material betrachten, durch dessen Hülfe die ganze reiche Entfaltung organischer Lebensformen ver - schiedenster Art auf der Erde möglich war?

Darwin selbst machte die Verschiedenheit äusserer Ein - wirkungen für die Abweichung des Kindes vom Elter verant - wortlich, und ich war im Wesentlichen derselben Meinung, wenn ich seiner Zeit1) Studien zur Descendenztheorie II, p. 304, Leipzig 1876. alle Ungleichheit der Organismen darauf zurückführte, dass im Laufe der Entwickelung der organischen Natur ungleiche äussere Einflüsse die einzelnen Individuen ge -538 troffen haben . Ich sprach damals dem Organismus die virtuelle Fähigkeit zu, durch Vermehrung genaue Copien seiner selbst zu liefern , eine Fähigkeit, die aber deshalb nicht zu genauer Ausführung gelangt, weil der Organismus zugleich die Fähigkeit besitzt, auf äussere Einflüsse zu reagiren , d. h. je nach der Be - schaffenheit derselben nach dieser oder jener Richtung hin von der ererbten Richtung abzuweichen.

Danach würde also das Variiren nicht auf einer besonderen, in den Organismen gelegenen Kraft beruhen, sondern wäre nur die Wirkung der äusseren Einflüsse, welche theils direkt, theils indirekt den Organismus von der strengen Einhaltung seiner ererbten Entwickelungsbahn abzulenken im Stande wären.

So richtig ich im Allgemeinen diese Ansicht auch heute noch halte, so ist doch die Entstehung der individuellen Varia - tion, dieser Wurzel der Artumwandlung, nicht so einfach aus der Einwirkung ungleicher äusserer Einflüsse abzuleiten, als es zu jener Zeit, als der obige Satz geschrieben wurde, möglich schien.

Ich habe dies schon an andern Orten entwickelt und will hier nur kurz daran erinnern. 1)Vergl. Die Bedeutung der sexuellen Fortpflanzung für die Se - lectionstheorie . Jena 1886.

Zu jener Zeit machten wir Alle noch keinen Unterschied zwischen den Veränderungen, welche am Soma durch äussere Einflüsse entstehen können, und jenen Variationen, welche vom Keimplasma ausgehen. Seitdem wir wie ich wenigstens glaube nur die letzteren, die blastogenen Abänderungen für erblich halten dürfen, die somatogenen aber nicht, können wir die direkte Einwirkung äusserer Einwirkungen auf das fertige Soma für die Entstehung erblicher individueller Ab - änderungen nicht mehr heranziehen. Es fragt sich also, wo die Quelle dieser Variationen liegt, auf deren Vorhandensein539 unserer Ansicht nach die gesammte Entwickelung der organi - schen Welt beruht?

1. Normale individuelle Variation.

Das Einfachste zur Erklärung dieser Entwickelung wäre die Annahme Nägeli’s, nach welcher das Idioplasma so be - schaffen wäre, dass es im Laufe der Zeiten und Generationen sich von innen heraus gesetzmässig und nach bestimmter Rich - tung veränderte, und so die Umwandlung einer Art in eine andere hervorriefe. Viele Gründe aber verbieten eine solche Annahme. Einmal steht eine Entwickelung durch rein innere Kräfte in Widerspruch mit der innigen Anpassung der Orga - nismen an ihre Lebensbedingungen, und dann sollten wir über - haupt nicht eher eine unbekannte Kraft in die Erklärung von Naturerscheinungen einführen, ehe nicht bewiesen ist, dass man mit den bekannten Kräften zu ihrer Erklärung nicht aus - reicht.

Natürlich wären die Variationen, welche durch ein solches phyletisches Entwickelungsprincip entstehen müssten, nicht die gewöhnlichen individuellen Variationen, sondern eben gerade solche Abweichungen, welche alle Individuen einer Art in gleicher Weise beträfen. Die thatsächlich vorhandenen individuellen Abweichungen müssten dann alle als bedeutungslos für die phyletische Entwickelung gelten, wie sie denn wirklich von Nägeli bei Pflanzen so betrachtet wurden, als vergängliche, nicht vererbbare Standorts-Modificationen . Dem widerspricht aber die beobachtbare Erblichkeit zahlloser individueller Unter - schiede beim Menschen und bei Thieren.

Sobald wir Selectionsprocesse als Hauptfaktor der organi - schen Entwickelung anerkennen, müssen wir den höchsten Werth auf diese erblichen Unterschiede der Individuen legen und ihre Quelle zu entdecken suchen.

540

Brooks steht auf diesem Standpunkt und hat im An - schluss an Darwin’s Pangenesis eine Vererbungstheorie aus - gedacht, bei welcher die Variation wesentlich auf der geschlecht - lichen Fortpflanzung beruht. 1)W. K. Brooks, The Law of Heredity. A study of the Cause of Variation and the Orgin of living Organisms. Baltimore 1883.Variabilität entsteht nach seiner Ansicht dadurch, dass bei der Befruchtung sich jedes Keim - chen der Samenzelle mit demjenigen Theil des Eies vereinigt, der bestimmt ist, im Laufe der Entwickelung zu derjenigen Zelle zu werden, welche der entspricht, von welcher der Keim herstammt . Wenn nun diese Zelle im Nachkommen sich ent - wickelt, so muss sie als Bastard Neigung haben zu variiren. Dazu kommt noch, dass Brooks den beiderlei Keimzellen eine verschiedene Rolle zuweist, indem er sie in verschiedenem Grade mit Keimchen beladen oder gefüllt sein lässt, die Eizelle mit viel weniger, als die Samenzelle. Ihm ist die Eizelle das conservative Princip, welches der Vererbung der echten Rasse - oder Art-Charaktere vorsteht, während er die Samenzelle für das fortschrittliche Element hält, welches die Variationen vermittelt.

Brooks hat für seine Ansicht in scharfsinniger Weise Alles ins Feld geführt, was sich dafür geltend machen liess, aber ich bezweifle, ob er selbst heute noch daran festhält, nach - dem inzwischen so manche neue Erkenntniss gewonnen wurde, die in Widerspruch mit ihr steht. Eine dieser Erkenntnisse, die Ansicht, dass erworbene Eigenschaften nicht vererbbar sind, ist zwar nicht allgemein angenommen, aber Brooks selbst hat ihr zugestimmt, und die Grundlage seiner Theorie, die Ver - schiedenartigkeit der männlichen und weiblichen Keimzellen in Bezug auf ihren Gehalt an Vererbungssubstanz ist durch die Erkenntniss, dass die Idanten der beiderlei Zellen bei der Am - phimixis sich nach Zahl und Qualität völlig gleich verhalten,541 unhaltbar geworden. So wird es nicht vorschnell sein, wenn man auch die wenigen Beobachtungen, welche für ungleiche Wirkung der männlichen und der weiblichen Keimzellen zu sprechen scheinen, als nicht beweisend betrachtet, auch wenn sie zur Stunde sich noch nicht völlig erklären lassen. Dahin gehören jene seltenen und vielleicht nicht einmal ganz sicher beobachteten Ausnahmsfälle von der Regel, dass Bastarde zwischen zwei Arten gleich ausfallen, mag nun die Art A oder die Art B als Vater oder als Mutter mitgewirkt haben.

Wenn wir nun sowohl die Annahme einer ungleichen Wirkung der Keimzellen, als die einer inneren Umwandlungs - kraft verwerfen müssen, so bleibt nichts übrig, als die erbliche individuelle Variabilität auf ungleiche äussere Einflüsse zu be - ziehen, und es fragt sich nur, wieso derartige Einflüsse erb - liche Verschiedenheiten hervorbringen können, wenn soma - togene Abänderungen nicht vererbbar sind, denn äussere Ein - flüsse wirken zunächst, und viele von ihnen sogar ausschliess - lich auf den Körper und nicht auf die Keimzellen.

Ich habe nun schon in einer früheren Schrift zu zeigen versucht, dass zwar nicht die letzte Wurzel der individuellen Variabilität, wohl aber ihre Erhaltung und stete Umgestaltung zu den für Selection erforderlichen Mischungen durch Amphi - mixis geschehe, ja dass die Durchführung der geschlechtlichen Fortpflanzung in beinahe der gesammten bekannten Organismen - welt eben auf der Nothwendigkeit der Erhaltung und steten Neugestaltung der erblichen individuellen Variabilität beruhe. Meiner Überzeugung nach hat Amphimixis in ihren beiden Formen der Conjugation der Einzelligen und der ge - schlechtlichen Fortpflanzung der Vielzelligen die Be - deutung einer Variationsquelle; sie liefert eine unerschöpf - liche Fülle immer neuer Combinationen individueller Va - riationen, wie sie für die Selectionsprocesse unerlässlich ist.

542

Dieser Ansicht von der Bedeutung der sexuellen Fort - pflanzung ist von Hatschek1)B. Hatschek, Lehrbuch der Zoologie , Jena 1888, p. 10. entgegengehalten worden, die Veränderungen der Arten passirten viel zu selten, als dass man eine ununterbrochen wirksame Einrichtung, wie sexuelle Fort - pflanzung daraus erklären könne . Dabei ist aber übersehen, dass nach meiner Ansicht wenigstens nicht nur die Um - wandlung, sondern auch die Erhaltung der Constanz der Arten auf Naturzüchtung beruht, dass diese somit keinen Augen - blick ruht, vielmehr unausgesetzt thätig ist.

Nach dem, was oben in dem Capitel über den Kampf der Determinanten der beiden Eltern in der Ontogenese, was ferner über die bei Amphimixis unerlässliche Reductionstheilung des Keimplasma’s gesagt wurde, geht hinreichend hervor, dass in der That durch Amphimixis immer neue Combinationen der bei einer Art möglichen Variationen entstehen müssen. Einer - seits erhält das Keimplasma eines durch Amphimixis begründeten neuen Individuums immer nur die Hälfte der Ide jeden Elters, und zwar in immer wechselnder Auswahl und Zusammenstellung, und dann giebt das Zusammenwirken der von beiden Seiten zusammenkommenden Ide nicht in allen Theilen des neuen Bion überall dieselbe Mittlere, sondern je nach der Anzahl und der bestimmenden Kraft der einzelnen homologen Determinanten bildet sich jeder Theil bald mehr nach väterlichen, oder mehr nach mütterlichen Anlagen aus; die Resultante aus den zusammen - wirkenden Kräften kann in jedem Theil eine verschiedene sein.

Wenn aber auch Amphimixis für höhere, d. h. compli - cirtere Organismen eine unerlässliche Bedingung für die Fort - entwickelung der Art, für ihre Anpassung an neue Existenz - bedingungen ist, so kann sie dennoch nicht die letzte Wurzel der erblichen Variation sein. Durch sie können nur543 die einmal in einer Art vorhandenen Variationen in immer neuer Weise mit einander gemischt werden, nicht aber kann sie selbst neue Variationen schaffen, wenn es auch oft so erscheint.

Als ich zuerst die sexuelle Fortpflanzung auf die Noth - wendigkeit bezog, das für die Selection nöthige Material an Variationen zu liefern, dachte ich mir ihren Einfluss auf das Keimplasma noch mächtiger. Da alle Unterschiede, auch die qualitativen, in letzter Instanz quantitativer Natur sind, und da durch das Zusammentreffen der elterlichen Anlagen sowohl eine Steigerung, als eine Schwächung eines Charakters erfahrungs - gemäss stattfinden kann, so dachte ich mir, dass das Zusammen - treffen z. B. einer sehr starken Anlage desselben Theils von beiden Eltern her nicht blos diesen Theil im Kinde besonders kräftig gestalten müsse, sondern dass auch in den Keimzellen des Kindes die starke Anlage nun doppelt stark enthalten sei, und dass durch fortgesetzte Kreuzung von Nachkommen, die den Theil stark entwickelt besitzen, derselbe immer weiter ge - steigert werden könnte, schliesslich auch bis zu einem Grade, der weit über die gewöhnlichen individuellen Unterschiede hinausreicht. Denkt man sich diesen Process in verschiedenen Theilen des Körpers vor sich gehend, so gelangt man zur Art - umwandlung. 1)Vergl. meinen Aufsatz: Die Bedeutung der sexuellen Fortpflan - zung , Jena 1886, p. 40.

Die Entstehung von Rassen durch künstliche Züchtung scheint ja in der That auf einer solchen Summirung der Eigen - schaften der Eltern theilweise zu beruhen, ich werde aber weiter unten zu zeigen haben, dass dieselbe nicht mit einer wirklichen Veränderung der Determinanten einhergeht. Nur eine solche aber würde allmälig zur Umwandlung der Art führen können. Wir wissen, dass die Idanten des Vaters bei der Am -544 phimixis nicht mit denjenigen der Mutter verschmelzen, und die Reinheit der Vererbung in so zahlreichen Fällen beweist uns, dass die Determinanten Beider nicht durch dieses Zu - sammentreffen irgendwie verändert werden. Die Abänderung der Determinanten ist ein Vorgang, der nichts mit der sexuellen Vermischung direkt zu thun hat, der seine eigenen Wege geht und seine eigenen Ursachen haben muss.

Noch klarer vielleicht tritt dies hervor, wenn man sich bewusst wird, dass niedere Lebensformen, wie etwa ein Schwamm oder ein Polyp, eine nur sehr geringe Zahl von Determinanten besitzen muss im Vergleich zu hochorganisirten Arten, wie Vögel und Säugethiere es sind. Die Zahl der zu einem Id des Keimplasma’s gehörigen Determinanten hat somit im Laufe der phyletischen Entwickelung erheblich, ja überaus stark zugenommen. Eine einzige Pfauenfeder wird vielleicht durch nicht weniger Determinanten bestimmt, als ein ganzer Polyp. Eine Vermehrung der Determinanten könnte aber nie durch Amphimixis allein zu Stande kommen.

Die Wurzel der erblichen Variation muss also tiefer liegen, sie muss in einer direkten Einwirkung der äussern Einflüsse auf die Biophoren und Determi - nanten liegen, und ich denke mir sie in folgender Weise.

Bei den ersten Organismen wird die gesammte Leibessubstanz noch aus gleichwerthigen Biophoren zusammengesetzt gewesen sein, ohne Unterschied von Kern - und Zellkörpersubstanz. Bei diesen niedersten Lebewesen mögen sie nun noch heute existiren oder nicht wird das völlige Gleichbleiben der Körperzusammensetzung durch verschiedenartige äussere Ein - flüsse zuweilen abgelenkt worden sein, und solche Abänderungen müssen sich dann erhalten haben, indem sie durch die Fort - pflanzung mittelst Theilung direkt in den Theilungshälften fort - bestanden.

545

Später, als Morphoplasma und Idioplasma sich schieden und das Letztere als die Vererbungs-Substanz in einen Kern eingeschlossen wurde, um von da aus den Körper der Zelle zu beherrschen, konnten Abänderungen, die durch direkte Ein - wirkung äusserer Einflüsse lediglich am Körper der Zelle entstanden waren, sich nicht mehr als ein Besitz der Art auf die Nachkommen vererben, da sie nur am Morphoplasma hingen, an der Stelle, an welcher sie entstanden waren, nicht ins Idio - plasma übergegangen waren, welches den Anlagen-Bestand der Art ausmacht. So wird also schon bei Einzelligen jede erbliche Variation vom Idioplasma ausgegangen sein müssen, und wir haben also hier schon ähnliche Verhältnisse, wie bei den Metazoen und Metaphyten, nur dass es sich hier nur um die Eigenschaften einer Zelle handelt, nicht um die von vielen. Wenn wir aber sehen, wie ungemein hoch differenzirt der Zellkörper mancher Einzelligen, z. B. der von höheren Infusorien ist, wie complicirt angeordnete Wimpern, schwingende Membranen, Stacheln und Geisseln ihren festen Platz an ihrem Körper haben, wie Gehäuse bestimmter Form, Verschlussdeckel dieser Gehäuse mit Verschluss - band desselben von dem Zellkörper hervorgebracht werden, und nun erwägen, dass das Thier im Stande ist, alle diese Theile neu zu bilden, wenn sie gewaltsam abgerissen werden, so müssen wir wohl zugestehen, dass ein Centrum in diesem kleinen Organismus enthalten sein muss, in welchem die Anlagen aller dieser Theile schlummern, und von welchem aus sie wieder neu hervorgerufen werden können. Dieses Centrum ist der Kern, und Veränderungen der Kernsubstanz allein können Veränderungen des Zellkörpers erblicher Natur hervorrufen.

Dass aber diese Veränderungen nicht leicht und rasch ent - stehen, das beweist uns die scharfbegrenzte Structur der Arten, die solange wir sie kennen, sich nicht verändert haben.

Aber auch bei den Vielzelligen besitzt das KeimplasmaWeismann, Das Keimplasma. 35546offenbar eine grosse Constanz, d. h. die Biophoren, welche es zusammensetzen, vermögen sich dergestalt zu ernähren und zu wachsen, dass sie sehr genaue Copien ihrer selbst in ihren Theilungshälften liefern. Anders wäre es nicht zu verstehen, dass trotz eines so ungeheuren Wachsthums, wie ihn das Keim - plasma von einer Generation zur andern durchmacht, dennoch die Artcharaktere und selbst kleinste Merkmale individueller Art sich durch so lange Generationsfolgen erhalten können.

Nicht so beweisend für die Schwerveränderlichkeit des Keim - plasma’s sind jene früher von Nägeli und mir dafür geltend gemachten Fälle jahrtausendelanger Constanz einer Art, wie solche z. B. in den altägyptischen Thieren (Ibis, Krokodil) nachgewiesen sind. Diesen Fällen kann entgegengehalten werden, dass diese Arten ja fortwährend der Controle der Naturzüchtung unter - worfen waren, welche jede Abweichung von der vollkommenen Anpassung ausmerzte. Wenn aber unbedeutende individuelle Merkmale ohne jeden Nutzen für die Art sich durch mehrere Generationen hin beim Menschen erhalten können, so muss dies darauf beruhen, dass die betreffenden Determinanten bei Wachs - thum und Vermehrung sehr wenig geneigt sind, stärkere Ver - änderungen einzugehen, vielmehr höchst getreue Copien ihrer selbst zu liefern. Ich hatte also wohl Recht, dem Keimplasma ein sehr grosses Beharrungsvermögen zuzuschreiben. 1)Vgl. meinen Aufsatz Die Bedeutung der sexuellen Fortpflanzung , Jena 1886, p. 38.

Nichtsdestoweniger ist die Annahme unvermeidlich, dass auch die Elemente des Keimplasma’s, die Biophoren und Determinanten während ihres beinahe unausgesetzten Wachs - thums steten Schwankungen in ihrer Zusammensetzung unterworfen sind, und dass diese zunächst sehr kleinen und uns unsichtbaren Schwankungen die letzte Wurzel jener grösseren Abweichungen der Determinanten dar -547 stellen, welche sich uns als sichtbare individuelle Varia - tionen darstellen.

Die Annahme solcher kleinsten Schwankungen folgt eigent - lich von selbst aus der Unmöglichkeit völlig gleicher Ernährung während des Wachsthums, und ich habe sie in der That auch früher schon gemacht, wenn ich auch ihre Bedeutung unter - schätzte1)Ebendaselbst p. 28., weil ich ganz richtig annahm, dass die sie hervor - rufenden Einflüsse meist wechselnder Natur sein müssten und bald in dieser, bald in einer andern Richtung erfolgten . Ihre Summirung durch Amphimixis hatte ich nicht in Betracht ge - zogen. Wenn irgend eine Determinante während der Vermehrung der Keimzellen eines Individuums von 1 auf 100,000 sich ver - mehren muss, so ist es nicht denkbar, dass während dieses Vor - ganges die Ernährungs-Intensität und - Qualität bei allen Determi - nanten-Nachkommen absolut die gleiche sein werde. Ist sie das aber nicht, so können minutiöse Unterschiede der Determi - nanten-Nachkommen nicht ausbleiben. Solche kleinste Schwan - kungen können gewiss, wie ich damals annahm, wieder zurück - gehen, wenn entgegengesetzte Einflüsse die veränderte Determi - nante treffen, und sie genügen auch durchaus noch nicht, um einzeln und für sich allein schon die individuelle Abänderung irgend eines für uns erkennbaren Charakters hervorzurufen, aber sie können sich summiren. Denn jedes Keimplasma besteht aus vielen Iden, deren jedes eine der betreffenden homologen De - terminanten enthält, und erst das Zusammenwirken aller dieser bestimmt den Charakter. Wenn also viele der homologen Determinanten in gleicher Weise abändern, so entsteht eine erbliche individuelle Variation.

Von dieser Basis aus wird sich auch die Verdoppelung einer Determinante verstehen lassen, wie solche im Laufe der35*548Phylogenese immer wieder eingetreten sein muss, wenn der Bau complicirter wurde. Stärkere Ernährung wird eine Determi - nante rascher wachsen und sich vermehren lassen, und wenn die erste Vermehrung derselben erfolgt, ehe noch die Abspaltung des Reserve-Keimplasma’s für die folgende Generation stattge - funden hat, so ist diese Doppeldeterminante ein bleibender Besitz der Art geworden. Aber erst wenn eine Mehrzahl der homologen Determinanten diese Verdoppelung eingegangen ist, wird eine sichtbare Veränderung des betreffenden Körpertheiles eintreten.

So müssen also kleine Schwankungen in der Beschaffenheit der Biophoren und Determinanten unausgesetzt vorkommen. Ihre Veränderlichkeit beruht auf demselben Princip, auf welches auch die gesetzmässige Zerlegung der Determinanten des Keim - plasma’s bezogen wurde: auf der ungleichen Zusammen - setzung der Elemente der wachsenden Substanz. Be - stünden die Determinanten aus einer völlig gleichartigen Masse, dann könnte ungleiche Ernährung die Determinante A niemals in eine Determinante A1 verwandeln, sie könnte sie nur schneller oder langsamer wachsen machen. Sie sind aber aus verschieden - artigen Biophoren zusammengesetzt, welche auf verschiedene Wachsthumseinflüsse ungleich reagiren. Damit ist die Möglich - keit einer Verschiebung der Verhältnisszahlen der verschiedenen Biophoren innerhalb einer Determinante gegeben, und damit die Abänderung dieser Letzteren. Es ist deshalb sehr wohl denkbar, dass nicht alle, sondern nur einzelne Eigenschaften einer Zelle durch solche Einflüsse abändern, sowie nur einzelne Determi - nanten unter vielen ähnlichen abzuändern brauchen.

Der Beweis dafür, dass dies wirklich geschehen kann, liegt in den oben mitgetheilten Thatsachen der klimatischen Variationen der Schmetterlinge. Hier werden die De - terminanten gewisser farbiger Schuppen des Flügels langsam im Laufe der Generationen durch Wärmesteigerung des Klima’s549 derart verändert, dass die Farbe der Schuppen sich erheblich verändert. Diese Fälle auffallender Umwandlung sind nicht so häufig, jedenfalls werden nicht alle Schmetterlingsarten durch Wärmeunterschiede derart beeinflusst, und auch diejenigen, welche es werden, zeigen die Veränderung nicht an allen Schuppenarten. Dies zeigt, dass das Beharrungsvermögen der Determinanten in der That ein sehr grosses ist, und dass in der Regel die Ab - weichungen, welche die Determinanten durch ungleiche Er - nährungseinflüsse erleiden, so minimaler Natur sind, dass wir ihre Wirkung nicht bemerken.

Sie sind aber nichtsdestoweniger von der grössten Bedeutung, denn sie bilden das Material, aus welchem durch Amphi - mixis in Verbindung mit Selection die sichtbaren in - dividuellen Variationen hervorgehen, durch deren Stei - gerung und Combinirung dann die neuen Arten entstehen.

Die Zusammensetzung des Keimplasma’s aus Iden ist dabei eine ganz unerlässliche Voraussetzung. Jede Determinante ist so viel Mal im Keimplasma enthalten, als Ide darin sind, denn jedes Id enthält sämmtliche Determinanten. So ist z. B. die Determinante N 100 Mal vorhanden, falls das Keimplasma aus 100 Iden besteht. Da diese Ide im Laufe der Generationen durch die stets wieder neu sie durcheinander mischende Amphi - mixis zusammengekommen sind, so müssen die meisten ein wenig von einander verschieden sein. Selbst wenn man bis auf den Ursprung der Vielzelligen, oder selbst den der Einzelligen aus den Urwesen zurückgeht die Ungleichheit der Ide bleibt doch, sobald Amphimixis eingreift. Wir finden nirgends einen Zustand, in welchem noch sämmtliche Ide gleich angenommen werden könnten, es verhält sich vielmehr so, wie ich schon früher einmal darlegte, die Ungleichheit der Individuen datirt von den Urwesen her, von der Zeit, in welcher noch keine Amphimixis und noch kein Idioplasma bestand, in welcher550 aber der individuelle Stempel jedem Einzel-Bion direkt durch die ungleichen äusseren Einflüsse aufgeprägt werden musste. Von diesen übertrug er sich auf die Einzelligen, da diese doch nicht aus einem einzigen Einzel-Bion von Urwesen entstanden sein können, sondern polyphyletisch, jede Art aus einer grossen Menge gleichsinnig abändernder Bionten. Man hat dies oft falsch verstanden und unter Anderem gefragt, wie ich denn Anpassungen von Blumen, Früchten oder Samen, wie sie bei Phanerogamen vorkommen, von der Combination von Charak - teren ableiten wolle, die bei ihren formlosen Ur-Vorfahren er - worben wurden. Aber nicht die Charaktere erbten sich von den Urwesen her fort, sondern die Variabilität, die Ungleichheit der Individuen!

Man könnte aber zu glauben geneigt sein, dass äussere Einflüsse alle homologen Determinanten eines Keimplasma’s in gleicher Weise treffen und zur Abänderung veranlassen müss - ten; dies würde aber ein Irrthum sein.

Vermöge der mit Amphimixis verbundenen Vermehrung der Vielzelligen, die ja bei keiner Art völlig fehlt, setzt sich das Keimplasma eines Bion aus vielen Iden verschiedener Her - kunft zusammen, die eine Hälfte der Ide stammt vom Vater, die andere von der Mutter, und jede dieser Hälften besteht wiederum aus Iden der Grosseltern in verschiedenem Verhält - niss; die grosselterlichen Ide aber stammen von einem oder auch von zweien oder drei Urgrosseltern her u. s. w. Das Ver - hältniss, in welchem die einzelnen Ahnen durch Ide vertreten sind, kann sehr verschieden sein, wie oben dargelegt wurde, und so muss auch das Keimplasma bei verschiedenen Individuen selbst naher Verwandtschaft stets verschieden sein.

Nun enthält jedes Id sämmtliche Bestimmungsstücke der Art, aber in individueller Färbung. Wenn nun dieselbe Deter - minante N in jedem Id um ein Weniges verschieden sein kann,551 so wird sie auch ein wenig anders variiren beim Wachsthum, falls sie von abändernden Einflüssen getroffen wird. Es kann also z. B. die Determinante N im Id A unverändert bleiben, wenn die Determinante N1 im Id B abändert. Umgekehrt könnte aber sehr wohl auch der abändernde Einfluss, die Ernährung, im Id A ein wenig verschieden sein von der im Id B, und könnte die Determinante N zur Abänderung bringen, während die Determinante N1 im Id B unverändert bliebe. So werden also Momente genug vorliegen, welche ein Abändern einzelner oder mehrerer homologer Determinanten nur in bestimmten, aber nicht in allen Iden veranlassen können. In den einzigen sicher beobachteten Fällen von blastogenen Variationen durch direkten Einfluss äusserer Bedingungen, nämlich bei den Klima-Varia - tionen jenes Schmetterlinges Polyommatus Phlaeas lässt sich auch deutlich erkennen, dass die Wirkung der Wärme keine ganz gleichmässige gewesen ist. Von den neapolitanischen Phlaeas-Stücken sind manche dunkler, andere heller, obgleich sie unter möglichst gleichen Bedingungen im Zimmer erzogen wurden, und auch die im Freien in Neapel gefangenen Stücke schwanken gerade in diesem durch das Klima veränderten Cha - rakter der schwarzen Bestäubung recht erheblich. Gleiche Ein - flüsse, auch wenn sie lange Generationsfolgen hindurch ein - wirken, verändern also die Individuen einer Art nicht nothwendig gleich stark, und ich erkläre mir diese Thatsache dadurch, dass jedes Thier in seinen Iden verschiedene Varianten der betreffenden durch die Wärme veränderbaren Determinanten N enthält, von denen die eine dem Wärmeeinfluss zugänglicher ist, als die andere. Je nachdem viele leichter oder schwerer veränderbare vorhanden sind, wird das Keimplasma im Ganzen vollständiger oder weniger vollständig verändert werden.

Es bleibt allerdings noch manches Räthselhafte dabei. So erfolgt die durch Wärme entstandene Umwandlung vieler der552 ursprünglichen rothgoldenen Flügelschuppen von Phlaeas in schwarze nicht gleichmässig, also so, dass die ganze rothgoldene Fläche der Oberseite der Flügel sich gleichmässig in Schwarz umfärbte, sondern vielmehr so, dass gewisse Stellen zuerst sich schwärzen, dann erst andere, benachbarte, und ganz zuletzt und nur bei den allerschwärzesten Thieren die ganze Flügelfläche. Die Schwärzung beginnt von den Rändern und der Wurzel des Flügels, schreitet langsam gegen die Mitte vor, die sie bei den meisten Thieren noch frei lässt. Nun müssen wir doch an - nehmen, dass gleichgefärbte Schuppen auch gleichgebaute Determinanten haben. Warum werden diese nun so ungleich stark vom verändernden Einfluss der Wärme getroffen?

Aber auch hierbei lässt das bisher angewandte Erklärungs - princip nicht ganz im Stich.

In dem Capitel über den Rückschlag wurde gezeigt, dass neue Artcharaktere zwar durch Umänderung bestimmter Deter - minanten oder Determinantengruppen entstehen, dass aber diese Abänderung niemals die homologen Determinanten sämmt - licher Ide des Keimplasma’s zugleich betrifft, dass vielmehr angenommen werden muss, eine Abänderung beginne stets nur mit einer kleinen Majorität abgeänderter Determinanten, nehme dann aber durch Selection und Bevorzugung der am stärksten abgeänderten Individuen so lange zu, bis schliesslich eine ganz überwiegende Majorität sämmtlicher Ide die abgeänderte Deter - minante enthält.

Dies heisst nun offenbar zugleich, dass junge Artcharak - tere durch eine nur geringe Majorität abgeänderter Determinanten vertreten sind, alte Artcharaktere aber durch eine grosse. Wenden wir dies auf den Fall Phlaeas an, so haben wir ein Princip gewonnen, mittelst dessen wir ein ungleiches Einwirken der Wärme auf die Determinanten der Mitte und der Randflächen des Flügels verstehen können. 553Denn es ist sehr unwahrscheinlich, dass die Oberfläche des Flügels sich bei der braunen Stammform von Phlaeas ganz gleichmässig in Rothgold umgefärbt hat; es ist viel wahrschein - licher, dass zuerst ein verwaschener Fleck der Mitte durch sexuelle Züchtung rothgolden wurde und sich dann gegen die Ränder hin allmälig ausbreitete. Ist dies so gewesen, dann müssen die rothgoldenen Schuppen der Mitte durch eine grössere Majorität homodynamer Determinanten im Keimplasma ver - treten sein, als die der Randflächen, und dann können wir ein - sehen, warum die Schwärzung des Flügels zuerst die Seiten - theile desselben ergreift und zuletzt erst die Mitte. Sobald die alten braunen Determinanten durch Wärme leichter in schwarze umgewandelt werden, als die rothgoldenen , wird es so kommen müssen. Mag aber diese Erklärung in diesem speciellen Falle richtig sein, oder nicht, jedenfalls haben wir in der ver - schieden starken Determinantenvertretung des glei - chen Charakters an verschiedenen Körperstellen ein Erklärungsprincip, welches uns die ungleiche Wirkung gleicher Abänderungseinflüsse auf verschiedene Stellen des Körpers verstehen lässt.

Wenn es nun auch keinem Zweifel mehr unterliegen kann, dass klimatische und andere äussere Einflüsse dauernde Abände - rungen an einer Art hervorzurufen vermögen, indem die lange Zeit hindurch gleichsinnig einwirkende Ursache die erste leichte Abänderung gewisser Determinanten verstärkt, und nach und nach auch die schwerer veränderlichen Varianten der Determi - nanten beeinflusst, so beruht doch die unendliche Mehrheit der Abänderungen nicht darauf, sondern auf Selectionsprocessen. Es fragt sich nun, in welcher Weise hier Variationen von solchem Betrage entstehen, dass Naturzüchtung mit ihnen operiren kann. Zunächst schaffen die äusseren Einflüsse nur kleinste Schwankungen der Determinanten, und man wird annehmen554 dürfen, nicht nur einzelner, sondern aller Determinanten; also ein Material kleinster Variationen der ver - schiedensten Determinanten wird ununterbrochen vor - handen sein.

Ich glaube nicht, dass das, was wir an Variationen sehen können, schon das direkte Resultat jener kleinsten Schwankungen der einzelnen Determinanten ist; sie können wohl erst das Summationsprodukt vieler solcher Schwankungen sein. Das geht unmittelbar aus der Theorie hervor. Da das Keim - plasma aus vielen Iden besteht, deren jedes dieselbe Zahl homo - loger Determinanten enthält, und da erst das Zusammenwirken sämmtlicher homologer Determinanten den betreffenden Charakter bestimmt, so könnte die Abänderung einer einzelnen Determi - nante noch nicht sichtbar werden; erst eine grössere Zahl gleich - sinnig oder doch ähnlich abgeänderter Determinanten wird den betreffenden Charakter sichtbar verändern können.

Eine solche kommt nun, wie mir scheint, dadurch zu Stande, dass vereinzelte homodyname Determinanten verschiedner Ide und Individuen durch Reductionstheilung und Amphimixis in einem Keimplasma vereinigt und zu einer Majorität ver - bunden werden können.

Ich wähle ein einfaches Beispiel. Auf dem Festlande von Europa fliegt Lycaena Agestis Hb., ein kleiner brauner Schmetter - ling, der auf der Mitte der Flügel einen aus wenigen Schuppen zusammengesetzten schwarzen Fleck besitzt. Nehmen wir an, dieser Fleck werde nur von einer Determinante F bestimmt, und das Keimplasma der Art enthalte 100 Ide, also auch 100 De - terminanten F. Wenn nun durch Abweichungen der Ernährung immerfort bald in diesem, bald in jenem Individuum einzelne dieser Determinanten F derart abändern, dass sie einen weissen, statt eines schwarzen Fleckes hervorbringen würden, falls sie in der Majorität im Keimplasma wären, so kann dieser Fall, dass555 sie die Majorität bekommen, gelegentlich eintreten. Es können durch Amphimixis die abgeänderten Determinanten F summirt und im Laufe der Generationen in einem oder einigen Indivi - duen bis über 50 gebracht werden. Dann wird der schwarze Fleck weiss werden, und wir werden unter den Tausenden von Individuen der Art einzelne finden mit dieser Abweichung.

Der weitere Verlauf der phyletischen Entwickelung hängt dann von dem biologischen Werth des weissen Fleckes für die Art ab. Hat er einen solchen, wenn auch nur in einem sehr geringen Grade, so wird er sich langsam über eine grössere Zahl von Individuen ausbreiten, und wird bei hinreichender Zeit zuletzt auf alle Individuen sich übertragen müssen, d. h. Artcharakter werden. Diese Ausbreitung würde ohne Amphi - mixis kaum geschehen können, weil durch sie jede Minorität von Determinanten F1, die sich irgendwo gebildet hat, zu einer Majorität summirt werden kann, während sie sonst verloren gehen müsste, da sie als Minorität nie zur Hervorbringung des weissen Fleckes genügen würde.

Ich habe dieses Beispiel gewählt, weil es sich an That - sachen anschliesst. Es giebt wirklich eine Abänderung von Lycaena Agestis, welche an Stelle des schwarzen Fleckes in der Mitte aller vier Flügel einen milchweissen besitzt; es ist die Varietät Artaxerxes von Nord-England. Was dort dieser Ab - änderung den Sieg verschafft hat, ob sexuelle Auswahl oder irgend eine schützende Ähnlichkeit, kann unentschieden bleiben.

Eine Menge von Abänderungen von Art zu Art werden lediglich auf der Abänderung einzelner oder vieler Determi - nanten beruhen, Umfärbungen einzelner Theile oder des ganzen Körpers können erfolgen, ohne dass die Gesammtzahl der De - terminanten des Keimplasma’s zunimmt, aber wie oben schon gezeigt wurde beruhen viele Abänderungen zugleich auf einer Zunahme der Gesammtzahl derselben. Es wurde556 oben schon gezeigt, dass auch die Verdoppelung einer Determi - nante des Keimplasma’s auf Ernährungseinflüsse bezogen werden kann, und es wird somit die Anwendung der oben entwickelten Principien auf die Vermehrung der Determinanten keiner Schwierigkeit begegnen. Die bedeutenderen Abänderungen der Arten, alle Vergrösserung von Theilen, alle Höher-Differen - zirung von Organen muss damit verbunden sein, und die Sum - mirung verdoppelter Determinanten einzelner Ide wird ebenso wie die blos qualitative Abänderung derselben durch Reductions - theilung und Amphimixis so lange summirt werden können, bis die Abänderung sichtbar wird, und Naturzüchtung ein - greifen kann.

Ganz etwas Anderes dagegen ist es mit der Steigerung einer Eigenschaft, welche blos durch Verbindung zweier Eltern entsteht, die sie in geringerem Grade besassen. Eine Ver - schmelzung der Anlagen einer Eigenschaft beider Eltern, und dadurch eine Steigerung der Anlage dieser Eigenschaft, wie man sich dies bisher vorgestellt hat, giebt es offenbar nicht, sie wider - spricht der einfachsten Erfahrung; denn könnten sich die Anlagen der Eltern in diesem Sinne summiren, so müssten ja alle Theile des Kindes doppelt so gross, oder doch grösser ausfallen, als die der Eltern, was doch nicht der Fall ist. Wenn man aber etwa antworten wollte, es sei nur die Differenz der Anlagen, welche in Betracht käme, und das Kind erhielte die Summe des Charakters der beiden Eltern durch zwei dividirt, so möchte dies zwar der Wahrheit in manchen Fällen nahe kommen, aber es bliebe dann wieder unerklärt, wieso eine Steigerung eines Merkmals eintreten kann, und diese kann doch eintreten und wird von den Züchtern künstlich herbeigeführt, indem sie Thiere miteinander paaren, die beide schon einen gewissen Anfangs - betrag der gewünschten Steigerung besitzen. Wenn aber zwei Thiere, welche den Charakter a in der Steigerung 2 a besitzen,557 sich paaren, so würde nach obiger Formel das Kind 〈…〉 erhalten, d. h. wieder 2 a, also keine Steigerung. Dazu kommt noch, dass der reale Sinn des Wortes Halbirung dabei völlig unklar bliebe. V. Hensen1)Physiologie der Zeugung. meinte, die Eltern vererbten ihre Eigenschaften halbirt , da nur so aus den beiden gleichen halben Vererbungen das Gleiche entstehen könne . In gewissem Sinne ist er dabei auf der richtigen Spur, wie ich glaube, nur nicht in dem Sinne, dass es sich dabei um die Halbirung einer einheitlichen Anlage handelt.

Die Lösung des Räthsels liegt in der Vielheit der Ide und Determinanten, und dem Auseinanderhalten des unbe - stimmten Begriffes der Eigenschaft und des bestimmten der Determinate oder des Vererbungsstückes. Jede Determi - nate wird durch so viele Determinanten bestimmt, als Ide im Keimplasma vorhanden sind. Nun wird aber die Hälfte der Ide jedes Elters durch die Reductionstheilung aus dem Keim - plasma seiner Keimzelle entfernt, und damit auch die Hälfte der homologen Determinanten jeder Art. Nicht etwa die Hälfte der Anlagen wird dadurch beseitigt; im Gegentheil sehen wir ja durch die scheinbar einelterliche Vererbung, dass jeder Elter die sämmtlichen Anlagen seines Organismus auf den Nach - kommen überträgt; aber jede Anlage ist nur durch die halbe Zahl von Determinanten vertreten.

Von dieser theoretischen Basis aus lassen sich die Er - fahrungen der Züchter ganz wohl verstehen. Gleiches mit Gleichem verbunden giebt Gleiches , so lautet ihr vor - nehmlichster Erfahrungssatz, der überall da richtig sein wird, wo zwei Individuen sich verbinden, die die betreffenden Cha - raktere als von langeher überkommenes Erbstück besitzen. Denn ein solches muss im Keimplasma in einer grossen Majorität558 von Iden durch homodyname Determinanten vertreten sein, wird deshalb auch durch die Reductionstheilung aus keiner Hälfte völlig entfernt werden, und wird somit in den meisten Fällen auch im Kind wieder eine Majorität besitzen.

Die Steigerung einer Eigenschaft lediglich durch Kreuzung beruht auf einer Ungenauigkeit des Ausdrucks. Glei - ches mit Gleichem giebt Gleiches , nicht aber etwas Anderes; darin stimmt die Theorie mit der Erfahrung überein. Steigerung genau desselben Theiles, d. h. einer Determinate, oder ein und derselben Gruppe von Determinaten lediglich durch Paarung zweier Eltern, die denselben besitzen, ist theoretisch nicht wohl denkbar. Wenn z. B. zwei Lycaena Agestis sich paarten, von denen jedes einen weissen statt eines schwarzen Fleckes auf der Mitte der Flügel hätte, so würde keiner der Nachkommen einen doppelt so grossen, oder überhaupt nur grösseren Fleck besitzen können, denn der Fleck wird durch eine oder mehrere homo - loge Determinanten bestimmt, und wenn diese in der weissen Abart in der Majorität sind, so kommt der Fleck weiss; die benachbarten Determinanten können aber dadurch nicht ver - ändert werden. Höchstens könnte der Fleck, falls er vorher nur grau war, jetzt rein weiss werden, indem in den Eltern noch eine relativ grössere Zahl schwarzer Determinanten an der Bestimmung des Fleckes Antheil nahm, welche jetzt durch eine überwiegende Majorität weisser Determinanten ganz von der Bestimmung der Zellen ausgeschlossen werden.

Der Begriff der Eigenschaft ist es, der hier den wirk - lichen Sachverhalt verdunkelt. Schon in der Einleitung zu diesem Buche wurde darauf hingewiesen, dass das Wort Eigen - schaft in Bezug auf Vererbung etwas sehr Verschiedenes meint. Weissheit des Gefieders ist eine Eigenschaft , die ein Züchter z. B. für eine zu bildende Rasse dadurch zu erzielen hofft, dass er immer die möglichst weissen Vögel zur Nachzucht auswählt. So paart er z. B. aus seiner bisherigen blauen Taubenrasse559 einen Vogel mit weissem Kopf mit einem, der einen weissen Schwanz besitzt und erzielt dadurch vielleicht einzelne Junge, die zugleich weissen Kopf und Schwanz besitzen. Hier findet also eine Summirung der Eigenschaften weisser Kopf und weisser Schwanz statt. Die Federn beider Körperstellen haben aber ihre eigenen Determinanten, und der idioplasmatische Vorgang bei dieser Kreuzung ist nicht der, dass homologe Determinanten sich summirt hätten, sondern dass die weisse Abart der De - terminanten der Federn sowohl in Bezug auf den Kopf, als auf den Schwanz die Majorität über die blaue Abart derselben erhalten haben. Es ist keine Summirung von Gleich und Gleich, sondern nur ein Sieg ähnlicher Determinanten an verschiedenen Körperstellen.

Wie oft hat man sich nicht über den von Darwin mit - getheilten Fall gewundert, dass zwei behaubte Kanarienvögel nicht Junge gaben mit stärkerer Haube, sondern öfters wenigstens mit Kahlköpfigkeit. Die Haube der Vögel beruht eben, wie Darwin selbst schon andeutete, auf schwächerer Befiederung des Kopfes, die sich nun bei den Nachkommen zur Kahlheit steigern kann. Hier steigert sich also thatsächlich eine Eigenschaft , aber nicht die für den Züchter werthvolle der Haube , sondern die Kahlheit . Idioplasmatisch wird diese Steigerung ganz analog zu erklären sein, wie die Steigerung des Charakters Weiss bei dem Beispiel der Tauben; d. h. sie beruht auf der Zusammenstellung von Kahlkopfs-Determinanten , wenn ich mich so ausdrücken darf, von denen die einen vom Vater herrühren und sich auf die Stelle a beziehen, die andern von der Mutter auf die Stelle b. Beim Vater hatte die Stelle b noch eine Feder-Determinante , bei der Mutter die Stelle a; beim Kind sind zufällig durch die Reductionstheilung und nach - folgende Amphimixis gerade für beide Stellen Kahlkopfs-Deter - minanten zusammengekommen.

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Dass dem nicht immer so sein muss, erhellt aus der Theorie und geht auch aus der Beobachtung hervor, nach welcher nicht alle Jungen kahlköpfig werden.

Ganz ähnlich wird es sich verhalten, wenn es sich um Vermehrung der Federn einer bestimmten Stelle handelt, wie z. B. bei der Bildung der Rasse der Pfauentaube. Bekannt - lich besitzt die heutige Pfauentaube bis zu 40 Steuerfedern im Schwanz an Stelle der 12, welche die Stammform aufweist, und die Rasse ist ohne Zweifel durch künstliche Züchtung entstanden, und zwar dadurch, dass man immer die Tauben zur Nachzucht auswählte, die eine Feder mehr besassen, als die übrigen. Die Jungen werden dann häufig oder doch zuweilen noch mehr Schwanzfedern besessen haben, als jeder der beiden Eltern. Aber auch dies war dann nicht etwa eine Kraftverstärkung einer Eigenschaft , sondern es war Nichts als eine Zusammen - tragung verschiedener neuer Federn auf ein Indivi - duum. Gesetzt, der Tauber hätte zwei überzählige Federn ge - habt, die an der Stelle a' und d' standen, zwischen den nor - malen Federn a und b, und c und d; die Mutter hätte ebenfalls zwei überzählige Federn gehabt, und zwar an der Stelle f 'und h', so könnte eines der Kinder eine Majorität der Determinanten der überzähligen Federn sowohl des Vaters, als der Mutter in seinem Keimplasma vereinigen und somit alle vier neuen Federn aufweisen, und diese Steigerung des Charakters der Vielfedrig - keit des Schwanzes hat seinen Grund in der Constitution des Keimplasma’s, kann also auf die folgende Generation vererbt werden.

Gerade an diesem Beispiel aber tritt es klar hervor, dass alles wirklich Neue nicht auf blosser Vererbung be - ruhen kann, sondern auf Veränderung und häufig Ver - mehrung der Determinanten. Solange es sich nur um die blosse Ausbreitung einer Eigenschaft über grössere Körper -561 stellen oder den ganzen Körper handelt, und sobald man dies Steigerung einer Eigenschaft nennen will, kann dieselbe in der That durch Paarung solcher Individuen erzielt werden, die die gewünschte Eigenschaft an verschiedenen Stellen besitzen, niemals aber kann auf diesem Wege allein eine Steigerung er - zielt werden, die mit Neubildung von Theilen, also mit Ver - mehrung der Determinanten im Keimplasma verbunden ist. Sobald dies erfolgen soll, muss die Variation der Deter - minanten selbst Grundlage der Abänderungen sein.

So kann im Beispiel der Pfauentaube nie eine neue Feder durch blosse Vererbung entstehen, es können nur die bei den Eltern schon vorhandenen neuen Federn sich im Kind combiniren. Alles wirklich Neue kann nur auf vorausgehender Abänderung im Keimplasma beruhen.

Ich wähle ein Beispiel aus dem Gebiet des sexuellen Dimorphismus, weil wir da der phyletischen Veränderung ganz sicher sind, lasse aber die Complication der sexuellen Doppeldeterminanten bei Seite.

Die langen Schwanzfedern männlicher Kolibri-Arten sind durch allmälige Verlängerung gewöhnlicher Schwanzfedern entstanden, wie sie die Weibchen heute noch besitzen. Wie oben schon erwähnt, beruht diese Verlängerung auf einer be - deutenden Vermehrung der diese Feder ins Leben rufenden Determinanten; der Process der Verlängerung setzt also voraus, dass Id-Variationen sich der Selection darboten, welche statt der bei der ursprünglichen Feder vorhandenen Zahl der Determi - nanten deren mehr enthielten. Nun wurde oben bereits be - sprochen, dass die durch ungleiche Ernährung hervorgerufenen Schwankungen im Bau der Determinanten auch in einem rascheren Wachsthum und einer früheren Theilung derselben sich äussern können. Wenn also eine gewisse Zahl der Determinanten der Feder, wie sie ursprünglich war, bei einzelnen MännchenWeismann, Das Keimplasma. 36562sich früh theilte und dadurch an Zahl verdoppelte, so wird dies allsobald zu einer Verlängerung der Feder haben führen müssen, sobald diese Verdoppelung nicht blos in einem oder wenigen Iden, sondern in einer Majorität der Ide eintrat. Die Majorität braucht aber nicht von vornherein in einem Individuum aufge - treten zu sein, sondern sie kann, wie jede einfachere Variation einer Determinante, sporadisch in einzelnen Iden verschiedener Thiere entstanden, und dann durch die in jeder Generation sich wiederholende Amphimixis summirt worden sein. Sobald dann die Majorität der Ide in irgend einem Individuum erreicht war, begann die Sichtbarkeit der Abänderung und damit die Möglichkeit von Selectionsprocessen.

2. Pathologische Variation.

Einen wesentlichen Vortheil nach anderer Richtung bietet diese theoretische Herleitung der Steigerung eines Charakters, den ich kurz hervorheben möchte. Sie lässt nämlich plötz - liche Variationen grösseren Betrages zu. Wenn durch stärkere Ernährung eine Determinante zur Verdoppelung im Keimplasma gebracht werden kann, dann ist es nicht nur möglich, sondern wahrscheinlich, dass viele oder alle dicht beisammen liegenden Determinanten ein und derselben Feder verdoppelt werden. Dadurch muss aber die Feder mit einem Male aufs Doppelte wachsen. Mit Recht hat man oft gerade bei sexueller Selection Bedenken getragen, den Züchtungsprocess mit ganz kleinen Abweichungen beginnen zu lassen, die doch kaum vom wählenden Geschlecht beachtet und bevorzugt werden könnten. Die Determinantenlehre zeigt uns, dass wir auf solche kleinste Variationen nicht zurückzugehen brauchen, dass grössere direkt vom Keimplasma aus sehr wohl plötzlich entstehen können.

Es steht auch theoretisch der Annahme Nichts entgegen, dass nicht blos Biophoren und Determinanten, Ide und Idanten563 sich durch Theilung verdoppeln können, sondern auch einzelne zusammengehörige Gruppen von Determinanten, wie sie als Anlage irgend eines Organs, z. B. einer Feder im Keimplasma enthalten sein müssen. Doch ist dies eine jener specielleren Fragen, auf die näher einzutreten späteren Unter - suchungen vorbehalten bleiben kann. Ich halte es für sehr möglich, dass manche angeborne Missbildungen auf einer solchen Verdoppelung einer Determinantengruppe beruhen; so z. B. die zuweilen vorkommende Verdopplung des Tarsus - abschnittes bei Käfern und andern Insekten, vielleicht auch die so viel besprochenen und umstrittenen überzähligen Finger und Zehen beim Menschen. An und für sich wäre zwar in der Auffassung dieser letzteren Erscheinung als Rückschlag auf einen enorm entfernten, niedrig organisirten und viel - fingrigen Urahn nichts Unmögliches enthalten, da wir andere Rückschläge auf weit zurückliegende Ahnenformen kennen. Allein keiner der sicheren Fälle von Rückschlag auf Ahnen - charaktere geht über so ungeheure Zeiten und Generationsfolgen hinweg, wie sie in diesem Falle angenommen werden müssten. Die Zebrastreifung der Maulthiere deutet auf einen Urahn der Ordnung der Pferde zurück, und wir müssen daraus schliessen, dass in einigen der heutigen Pferde und Esel immer noch einzelne Zebra-Determinanten im Keimplasma enthalten sind. Noch weiter zurück reicht der oben besprochene Rückschlag auf die dreizehigen Stammeltern der heutigen Pferde, aber noch entferntere Rückschläge lassen sich wohl nicht mit irgend welcher Sicherheit nachweisen, und es ist auch vom theoretischen Stand - punkte aus nicht wahrscheinlich, dass sich von den so ungeheuer weit zurückliegenden Ursäugethieren noch irgend welche De - terminantengruppen im Keimplasma des Menschen erhalten haben sollten. Nun ist es aber nicht einmal gewiss, ob die Ursäuge - thiere mehr Finger und Zehen gehabt haben, als fünf, und wir36*564wären gezwungen auf noch viel weiter zurückliegende Vorfahren zurückzugehen, um die von Darwin gemachte und von Barde - leben, Wiedersheim und Andern früher angenommene Deutung der Polydactylie des Menschen zu stützen.

Dafür aber fehlt nicht nur jeder sichere Anhalt, sondern es scheinen mir gewichtige Gründe dagegen zu sprechen. Ein - mal ist doch nicht zu vergessen, dass jene Urahnen des Menschen noch keine menschlichen Finger besessen haben; die überzähligen Finger sind aber wirkliche Finger, nicht immer vollständig aus - gebildet, aber doch mit dem typischen Nagel des Menschen, nicht etwa mit einer Kralle versehen. Es scheint mir nicht statthaft, anzunehmen, dass dieser überzählige Finger zwar durch eine Determinantengruppe des Keimplasma’s vertreten sei, die von einem Urahn herstammt, die dabei aber die Umwandlung in den Typus des menschlichen Fingers durchgemacht habe.

Dazu kommt dann noch der Umstand, dass es Fälle von Verdoppelung an Gliedmaassen giebt, die ihrer Natur nach nicht atavistisch gedeutet werden können, denn Insekten z. B. haben niemals doppelte Tarsen gehabt. Es muss also eine solche Verdoppelung auch auf andere Weise entstehen können.

Ausserdem lässt sich die Plötzlichkeit des Auftretens der Polydaktylie und ihre starke Neigung zu erblicher Übertragung sehr wohl durch die Annahme verstehen, dass eine Verdoppe - lung der betreffenden Determinantengruppe durch lokale excessive Ernährungsverhältnisse hervorgerufen worden sei. 1)Dr. R. Zander hat sich in jüngster Zeit für die Entstehung der überzähligen Finger u. s. w. durch mechanische Einschnürung der embryonalen Fingeranlagen von Seiten ammiotischer Fäden erklärt. Sie würden dann aber nicht erblich sein können, und die Verdoppelung des Tarsus von Käfern würde doch eine andere Erklärung verlangen. Vgl.: Ist die Polydaktylie als theromorphe Varietät oder als Missbildung an - zusehen? in Virch. Arch., Bd. 125, p. 453. 1891.Denn wenn einmal eine solche Verdoppelung in vielen Iden des Keim -565 plasma’s eingetreten ist, so muss sie sich durch die Continuität des Keimplasma’s auf die folgende Generation übertragen können, und zwar um so sicherer, in je zahlreicheren Iden sie einge - treten ist. Ich bin also ganz mit Ernst Ziegler einverstanden, der die Polydaktylie auf eine Keimes-Variation bezieht; sie muss darauf beruhen, überall wo sie vererbbar ist, sonst wäre sie eben nicht vererbbar.

So versteht man auch, wieso die einmal entstandene und durch einige Generationen hindurch weiter vererbte Polydaktylie doch auch wieder verschwinden kann, denn da bei jeder neuen Reductionstheilung die Zahl der abnormen Ide steigt oder sinkt, so kann in letzterem Falle ihre Wirkung durch das Zusammen - treffen mit lauter normalen Iden bei der Amphimixis völlig herabgedrückt, und in der folgenden Generation auf immer elimi - nirt werden. Wie jede individuelle Variation können sie in einer Generation fehlen, in der folgenden wieder hervortreten, aber bei fortwährender Kreuzung mit normalen Menschen ist theoretisch zu erwarten, dass sie sich bald wieder vollständig verlieren. Damit stimmt denn auch die Erfahrung, welche überzählige Finger nie über fünf successive Generationen hinaus auftreten sah.

Bekanntlich kann Variation nicht nur in einer Hinzufügung von Theilen, sondern auch in einem Wegfallen von solchen bestehen. Das Verkümmern von Theilen muss auf dem Schwund der betreffenden Determinanten im Keimplasma be - ruhen. In dem Capitel vom Rückschlag wurde schon zu zeigen versucht, dass auch regressive Umwandlungen nicht in allen Iden eines Keimplasma’s zugleich zu erfolgen brauchten, und dass sich aus dem Übrigbleiben einer im Laufe der Zeit immer kleineren Minorität solcher Determinanten der Rückschlag auf längst geschwundene Charaktere der Vorfahren verstehen lässt. Der Anlass zum Rückgang einer Determinante wird in schwächerer566 Ernährung gesucht werden müssen, welche für jede Determi - nante genau eben so gut eintreten kann, wie stärkere. Findet sie in einer Majorität von Iden direkt oder durch Summation mittelst Amphimixis statt, so geht der durch diese Determi - nanten bestimmte Charakter zurück, zunächst nur in dem be - treffenden Individuum. Hat er aber keinen biologischen Werth mehr, so wird er durch Panmixie sehr langsam zwar, aber doch sicher in immer zahlreicheren Individuen herabgedrückt, bis er verschwindet. Aber auch ein längst von der Oberfläche der Art verschwundener Charakter kann in der Tiefe derselben, d. h. in einzelnen Iden noch enthalten sein als noch nicht gänzlich rückgebildete Determinante und kann, wie oben gezeigt wurde, unter besonders günstigen Umständen das Wiederauftreten des Charakters veranlassen.

3. Zusammenfassung und Folgerungen.

Fassen wir das bisher Gesagte kurz zusammen, so ist der Beginn einer Variation unabhängig von Selection wie von Amphimixis; er beruht auf den unaufhörlich wiederkehrenden kleinen Unregelmässigkeiten der Ernährung des Keimplasma’s, von welchen jede Determinante getroffen wird, bald in dieser, bald in jener Weise, verschieden nicht nur bei verschiedenen Individuen, sondern auch in den verschiedenen Regionen des einzelnen Keimplasma-Baues. Diese Abweichungen sind zuerst minimal, können sich aber summiren und müssen dies thun, sobald die Ernährungs-Modificationen, welche sie hervorriefen, durch mehrere Generationen hindurch fortdauern. Auf diese Weise können Abweichungen im Bau einzelner Determinanten und Determinantengruppen entstehen, vielleicht zwar nie in allen Iden, aber doch in mehreren oder vielen zugleich. Auf dieselbe Weise kann Verdoppelung gewisser Determinanten des Keimplasma’s entstehen. Amphimixis wird bei der Summirung567 solcher abgeänderter Determinanten eine bedeutsame Rolle spielen, indem sie die bisherige Minorität derselben in den beiden Eltern durch Combination ihrer Keimplasma-Hälften zur Majorität er - heben kann. Dann erst beginnt Selection einzugreifen.

Die ausserordentliche Bedeutung der geschlechtlichen Fort - pflanzung für die Umwandlungsprocesse wird aber erst in ihrem vollen Umfange ersichtlich, wenn man sich klar macht, dass es sich in der Natur selten oder nie nur um eine einzelne Ab - änderung handelt, vielmehr meist um viele zugleich. Nur durch Amphimixis war es möglich, den Selections - processen stets so mannigfaltige Combinationen aller Charaktere darzubieten, dass die richtige Auswahl getroffen werden konnte. Wenn meine seit lange schon festgehaltene Ansicht richtig ist, so kommt es überhaupt nie vor, dass nur ein Charakter gezüchtet wird, sondern der ge - sammte Complex sämmtlicher Charaktere einer Art unterliegt unausgesetzt der Controle der Naturzüchtung, und sowohl die Constanz der augenblicklichen Artcharaktere, als die Beseitigung überflüssig gewordener, als schliesslich die Umwandlung vor - handener und Hervorrufung neuer Charaktere beruht auf der nie rastenden oder aussetzenden Controle der Auslese. Dies ist nur denkbar bei fortwährender Vermischung aller vorkom - menden Modalitäten dieser Charaktere und diese kann nur durch Amphimixis bewirkt werden. Wenn deshalb Amphimixis auch nicht die tiefste Wurzel der individuellen Variation sein kann, so ist sie doch für die Selection eine unerlässliche Voraussetzung, denn sie allein combinirt erst das Material an Variationen der - art, dass Selection damit operiren kann.

Die hier vorgetragene Theorie der Variation giebt noch nach einer andern Seite hin befriedigendere Auskunft, als sie von anderer Basis aus möglich ist. Wer die unbegrenzte Menge der Anpassungen der Organismen an ihre Lebensbedingungen568 überblickt, der ist immer wieder von Neuem überrascht von der wunderbaren Plasticität der Arten. Man hat den Eindruck, als könne jede, auch noch so unerwartete Abänderung von einer Art hervorgebracht werden, sobald sie nur der Art von Nutzen sein kann. Denkt man allein an die Nachahmungen von Pflanzen und Pflanzentheilen durch Thiere in Farbe, Gestalt und Zeichnung, oder an die andrer Thiere, so möchte man glauben, dass jeder Theil eines Thieres je nach Bedürfniss in diese oder jene Form ge - bracht, in beliebiger Weise gefärbt und gezeichnet werden könnte.

Gewiss ist dies nicht wörtlich zu nehmen; nicht Alles ist möglich, aber doch so Vieles, dass man diese unzähligen An - passungen unmöglich auf seltene, zufällig einmal vor - kommende Variationen beziehen kann. Die nöthigen Varia - tionen, aus denen Selection ihre Umwandlungen zusammen - setzt, müssen immer, und an vielen Individuen wieder und wieder sich darbieten.

Ein solches immer fluctuirendes Material primärer Varia - tionen geht aber aus der hier vorgetragenen Theorie von selbst hervor. Es muss darnach ein jeder Theil einer Art, jede Determinate , im Laufe der Generationen jede überhaupt mögliche Variante darbieten, immer wieder in andern Individuen, und bald durch eine grössere, bald durch eine kleinere Majo - rität von abgeänderten Iden gestützt. Da absolut gleiche Er - nährung der homologen Determinanten weder in den verschie - denen Individuen, noch in den verschiedenen Iden desselben Keimplasma’s überhaupt denkbar ist, und da jede noch so kleine Variation einer Determinante nicht von selbst, und auch nicht mit ihrem Träger, dem Individuum wieder verschwindet, sondern direkt in das Keimplasma der nächsten Generation übergeht, so kann es nie an Variationen jeder Determinante fehlen, und das geforderte Material an allen möglichen Variationen aller Theile erscheint theoretisch begründet.

569

Ehe ich auf die Veränderungen eingehe, welche das Keim - plasma als Ganzes bei der Artumwandlung erleiden muss, möchte ich einem Einwurf begegnen, der gemacht werden könnte. Wenn alle Determinanten unausgesetzt kleinen Ernährungs - differenzen und damit kleinen Variationen unterworfen sind, woher kommt dann die so überaus grosse Hartnäckigkeit, mit welcher die Species sich erhält, ohne ihren Typus zu verändern? woher die Constanz der Species? man sollte denken, dass dann alle organischen Formen sich in einem fortwährenden Fluss befinden müssten, dass keine Form und kein Organ lange Bestand haben könnte.

Ich glaube, man vergisst dabei Mehrerlei. Einmal steht jede Art unter unausgesetzter Controle der Naturzüchtung, wie man am besten aus dem Verkümmern bedeutungslos gewordener Theile sieht. Nachdem, wie mir scheint, die alte Annahme von der Vererbung somatogener Abänderungen endgültig auf - gegeben werden muss, bleibt zur Erklärung dieser Rückbildung Nichts übrig, als Panmixie, d. h. Aufhören der Controle der Naturzüchtung bei dem nicht mehr nützlichen Theil. Daraus aber, dass diese Rückbildung immer eintritt, dürfen wir schliessen, dass Schwankungen in den Determinanten immer und überall vorkommen, daraus aber, dass die Rückbildung immer sehr lang - sam vor sich geht, schliesse ich weiter, dass trotz ihrer Häufig - keit diese Schwankungen nur sehr allmälig zu sichtbaren Variationen sich häufen.

Wie gleich Anfangs gesagt wurde, müssen wir uns die einzelnen Schwankungen der Determinanten ungemein klein vor - stellen. Direkt könnte Naturzüchtung Nichts mit der einzelnen Variation anfangen; sie könnte sie nicht summiren; die Summi - rung kann lediglich durch Amphimixis bewirkt werden, und ich möchte annehmen, dass darin die eine Hälfte ihrer Bedeutung liegt. Sie kann Minoritäten abgeänderter Determinanten zu570 Majoritäten summiren, indem sie die Keimplasma-Hälften zweier Individuen mischt. Sie kann aber auch nivelliren und aus - gleichen, indem sie je nach Zufall die gleichsinnig abgeänderten Determinanten eines Individuums wieder zerstreut mittelst der Reductionstheilung.

Man darf auch nicht vergessen, dass die kleinen primären Abänderungen einer Determinante durchaus nicht immer in der - selben Richtung weiter gehen müssen; entgegengesetzte Er - nährungseinflüsse werden sie häufig wieder zurückbilden. Erst wenn sie durch längere Zeit anhaltende gleiche Einflüsse einen stärkeren Betrag von Abänderung erreicht, und wenn zugleich die homologen Determinanten mehrerer Ide gleichsinnig ab - geändert haben, wird die Variation durch Amphimixis summirt sichtbar werden können. Und auch dann bildet sie noch keines - wegs einen dauernden Besitz der Art, sondern darüber, ob sie dies werden soll, entscheidet nun Naturzüchtung.

So sind also einer steten Veränderung der Arttypen mehrere Reihen starker Riegel vorgeschoben.

Wenn nun gefragt wird, welche Veränderungen das Idioplasma erleidet bei der Umwandlung der Arten, so ist darüber Einiges schon im Capitel über den Rückschlag gesagt, und ich will es hier nur nochmals zusammenfassen.

Die Artumwandlung beruht auf Änderung einzelner, vieler, häufig wohl auch der meisten Determinanten. Es giebt viele Arten, bei denen kein Charakter genau dem einer verwandten Art gleicht, und dann würden also alle Determinanten ver - schieden sein. Dies besagt aber nur, dass die sämmtlichen Determinanten a x in der Majorität der Ide abgeänderte sind; in einer Minorität aber werden sie die unveränderten Stamm-Determinanten sein. Je mehr die Umwandlung einer Art vorschreitet, um so zahlreichere Determinanten werden umgewan - delt, und in um so zahlreicheren Iden. Dennoch liegt es gerade in571 dem alles beherrschenden Selectionsprincip selbst, dass die Um - wandlung aller Ide nur äusserst langsam erfolgt, dass also das Keimplasma einer jungen Art oft noch ganze unabgeänderte Ide der Stammart enthalten kann, ältere Arten aber wenigstens doch noch einzelne unabgeänderte Determinantengruppen in manchen Iden. Darauf allein beruht die Möglichkeit des Rückschlages.

Wenn mir also vor Kurzem die Alternative gestellt worden ist, ich müsste vom Boden meiner Theorie aus entweder an - nehmen, dass das Keimplasma eines höheren Thieres aus Iden der primitiven Protozoen-Vorfahren bestehe1)Vergl. Marcus Hartog in Nature , December 1891. Der Ver - fasser hat dabei auf meinen früheren Ansichten seine logisch consequenten Deductionen aufg ebaut, die nur dadurch hinfällig werden, dass ich selbst inzwischen zu besserer Einsicht gelangt bin., oder aber dass jedes Id dem jetzigen Charakter der Species entsprechend ge - baut sei, so steht meine wirkliche Ansicht in der Mitte: das Keimplasma einer Art besteht immer zum grösseren Theil aus den Art-Iden, zwischen welchen aber einige mehr oder weniger intakte Vorfahren-Ide enthalten sind, und zwar um so zahl - reichere, je jünger die Art ist. Das Keimplasma verändert sich von Art zu Art, und muss bei höheren Arten ein ganz anderes sein, als bei niederen, aber seine Umwandlung geht nicht in allen seinen Iden gleich rasch vor sich, einige hinken nach, wandeln sich erst allmälig um, oder werden unverändert durch Äonen mitgeschleppt, bis sie schliesslich durch den Zufall der Reductionstheilungen ganz beseitigt werden.

Man darf wohl sagen, dass dies eine Unvollkommenheit des Umwandlungsprocesses der Arten bedeute, denn die Mög - lichkeit des Rückschlages kann kaum als eine für die Art nütz - liche Einrichtung betrachtet werden, und ebensowenig das Mit - schleppen unwirksamer Vorfahren-Ide im Keimplasma. Aber keine Einrichtung in der Natur ist absolut vollkommen, nicht572 einmal das wunderbar hoch entwickelte Auge des Menschen; Alles ist nur möglichst vollkommen, so vollkommen, als es mindestens sein musste, um zu leisten, was es leisten sollte. So wird es auch mit dem Umwandlungs-Mechanismus der Arten, sich verhalten, er ist gerade so vollkommen, als er sein muss, um diese Umwandlung zu Stande zu bringen.

4. Variationen grösseren Betrags.

a. Ihre Entstehung.

Wir haben bisher vorwiegend die individuelle Variation, wie sie sich überall darbietet, ins Auge gefasst, jene kleinen erblichen Abweichungen, welche ein Individuum vom andern trennen. Es ist aber nicht zu bezweifeln, dass gelegentlich und meist ganz plötzlich Variationen grösseren Betrages auftreten, auch nur an einzelnen Individuen und meist vererbbar. Zahlreiche Beispiele dieser Art sind von Darwin gegeben worden. Wenn auch der schwarzschultrige Pfau auf Rückschlag auf eine un - bekannte Stammform beruhen sollte, so bleiben doch noch viele wohlbezeugte Fälle übrig, in denen irgend ein Theil einer Art sich plötzlich in beträchtlichem Maasse veränderte. Wie weit solche Veränderungen bei der Entstehung neuer Arten mitspielen, kommt hier nicht in Betracht, vielmehr nur die Ursachen und der Modus ihrer Entstehung.

Besonders bei Pflanzen sind zahlreiche solche Fälle bekannt geworden; sowohl Früchte, als Blätter, Blüthen und ganze Sprossen haben gelegentlich plötzlich in stärkerem Betrage variirt. Dahin gehören manche Abarten von Früchten, wie z. B. die als Nektarinen bezeichneten Pfirsiche, dahin die Moos - rosen, die Blutbuchen, Bluthasel u. s. w., ferner die Abarten der Buche, Hainbuche, Eiche, des Ahorns mit farnkrautartig zerschlissenen Blättern und zahlreiche andere Abarten der in unsern Gärten angepflanzten Gewächse.

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Theilweise sind diese Abarten zuerst an Sämlingen, also an ganzen Pflanzen aufgetreten, theilweise aber auch an einzelnen Zweigen oder Sprossen, und die Letzteren bezeichnet man als Knospen-Variationen.

Ich beginne mit den aus Samen entstandenen Abarten. Die häufigsten solcher Abarten bilden sich an Kulturpflanzen, d. h. Arten, welche lange Zeit unter Bedingungen gestanden haben, die mehr oder weniger von ihren natürlichen Lebens - bedingungen abweichen. Man hat deshalb gewiss mit Recht den Einfluss abweichender äusserer Einflüsse als die Ursache der Abänderung angesehen. Aber eine wilde Pflanze, welche in Gartenland verpflanzt wird, variirt keineswegs immer sofort, sondern, wie die mitgetheilten Versuche Hoffmann’s gezeigt haben, es dauert oft viele Generationen lang, ehe sich stärkere Variationen zeigen, und auch dann keineswegs an allen Säm - lingen, sondern vielleicht nur an einem unter Hunderten oder Tausenden.

Hier, wie bei der gewöhnlichen individuellen Variation geringen Betrages bereitet sich die Abänderung langer Hand vor, ehe sie sichtbar wird. Zuerst ändern wenige, dann zahl - reichere Determinanten ab, um schliesslich einmal in irgend welchen Keimzellen durch den Zufall der Reductionstheilung so gehäuft zu werden, dass sie mit Hülfe von Amphimixis die Majorität erlangen. Dass solche Variationen, stärkeren Betrages sind, als die gewöhnlichen Variationen wird auf der dauernden Einwirkung der gleichen Ernährungs-Modification beruhen, die die dafür empfänglichen Determinanten in derselben Richtung der Abänderung festhalten und so eine Steigerung zu Stande bringen, welche bei den gewöhnlichen, stets wechselnden Ernährungs-Ungleichheiten fehlt. Die von Darwin1)Darwin, Domestication . Zweite deutsche Auflage, Bd. II, p. 298. hervor -574 gehobene accumulative Wirkung veränderter Lebens - bedingungen findet so ihre theoretische Begründung in der Continuität des Keimplasma’s; dieselben Determinanten, welche in der ersten Generation abänderten, fahren fort in derselben Richtung weiter abzuändern, in der zweiten und dritten Gene - ration.

Recht interessant sind in dieser Beziehung Versuchsreihen, die Professor Hoffmann seit vielen Jahren im Botanischen Garten zu Giessen angestellt hat, und von welchen ich hier einige anführen möchte.

Verschiedene Pflanzen von normalem Blüthenbau wurden eine Reihe von Generationen hindurch stark veränderten Lebens - bedingungen ausgesetzt, sie wurden z. B. als sog. Dichtsaat in kleinen Töpfen aufgezogen, wobei die Pflanzen sich gegen - seitig in der Nahrung beschränken, also dürftig ernährt werden. Bei dieser Behandlung zeigte sich nun bei einigen Arten, so bei Nigella damascena, Papaver alpinum, Tagetes patula, mehr oder weniger häufig eine Anzahl von atypischen, d. h. in diesem Falle von gefüllten Blüthen. Dass nun diese Abweichungen vom Typus nicht auf direkter Wirkung der abnormen Er - nährungsbedingungen auf das Soma der Pflanzen beruht, sondern auf einer Einwirkung auf das Keimplasma, geht daraus hervor, dass sie niemals schon in der ersten Generation auftraten. Samen von normal blühenden, wilden Pflanzen verschiedener Arten wurde in Gartenland, oder gar in Töpfen unter Dichtsaat zur Entwicklung gebracht, aber keine von allen aus diesen wilden Samen erzielten Pflanzen trug eine einzige ge - füllte Blume. Erst im Laufe mehrerer, oft zahlreicher Gene - rationen traten einzelne oder zahlreichere gefüllte Blüthen, zuweilen auch Abänderungen der Blätter oder der Blüthenfarbe auf. Diese Thatsache lässt, wie mir scheint, nur die eine Erklärung zu, dass die veränderten Bedingungen zunächst nur unsichtbare575 Veränderungen im Keimplasma der einzelnen Pflanze hervor - riefen, Abänderungen z. B. der Determinanten der Blüthen oder Blätter, aber nicht gleich in allen, sondern zunächst nur in einzelnen Iden. Diese abgeänderten Determinanten wurden durch die Continuität des Keimplasma’s auf die folgende Gene - ration übertragen, da aber in dieser die Abänderungsursachen noch fortwirkten, so veränderten sich die homologen Determi - nanten noch einiger anderer Ide, und so nahm die Zahl der abgeänderten Determinanten der Blüthe oder der Blätter langsam zu, so lange, bis schliesslich einmal ihre Zahl die der normalen Determinanten übertraf, und so die Abnormität sichtbar wurde als Variation der Blüthe oder des Blattes.

Ich hebe diese Fälle besonders auch deshalb hervor, weil hier sicherlich Naturzüchtung nicht mit hereinspielt, denn wir haben es ja mit Versuchen zu thun, nicht mit den natür - lichen Lebensbedingungen. Die Steigerung der unsichtbaren Abänderung des Keimplasma’s war natürlich keine stetige, in - sofern Reductionstheilung und Amphimixis in jeder Generation von Neuem mit hineinspielten und einerseits starke Herab - setzung der abgeänderten Determinanten, andererseits plötzliche Vermehrung, Verdoppelung oder noch stärkeres Anwachsen der - selben hervorbringen konnte. Gerade daraus sind die Einzel - heiten in dem Auftreten der abnormen Blüthen und Blätter sehr schön zu verstehen. Im Allgemeinen nahm nämlich die Zahl derselben im Laufe der Generationen zu, aber nichts we - niger als constant. So ergab z. B. Dichtsaat bei einer Reihe von vier Generationen bei Nigella damascena:

  • 1883: keine gefüllten Blüthen,
  • 1884:
  • 1885: 23 typische und 6 gefüllte Blüthen, also das Verhält - niss von 100: 26,
  • 1886: 10 typische und 1 gefüllte Blüthe, also wie 100: 10.
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Nicht immer blieb eine gewisse Zahl der gefüllten Blüthen dauernd erhalten, in manchen Fällen verschwanden sie voll - ständig wieder. So bei Papaver alpinum, welches Hoffmann schon seit 1862 in ununterbrochener Generationsfolge cultivirt und bei welchem sich schon 1882 eine geringe Variabilität der Blattform, eine grössere der Blüthenfarbe eingestellt hatte. Von 1882 1886 wurden diese Versuche fortgesetzt und ergaben folgendes Verhältniss der normalen zu den gefüllten Blüthen:

  • 1881 wie 100: 40,0,
  • 1882 100: 4,0,
  • 1883 100: 5,3,
  • 1884 100: 13,0,
  • 1885 100: 0,0,
  • 1886 100: 0,0.

Das gänzliche Verschwinden abnormer Blüthen in den beiden letzten Jahren scheint zuerst räthselhaft, erklärt sich aber sehr einfach, wenn man bedenkt, dass keine künstliche Befruchtung stattfand, sondern natürliche, dass also beliebige Pflanzen mit - einander sich mischten, und wenn man ferner erwägt, dass jede Reductionstheilung und nachfolgende Amphimixis das Resultat haben konnte, die abgeänderten Determinanten in die Minorität zu setzen, ja gänzlich aus dem Keimplasma zu entfernen. Nun erfolgte die Veränderung der Determinanten offenbar sehr lang - sam, wie die geringe Zahl abgeänderter Blüthen in den meisten Jahren zeigt, die Aussicht, dass Keimzellen bei der Amphi - mixis sich vereinigten, in welchen wenige oder keine abgeänder - ten Determinanten enthalten waren, muss also stets sehr gross gewesen sein.

Hätte man künstliche Befruchtung vorgenommen und dazu immer abnorme Blüthen gewählt, so würde es leicht gewesen sein, die Art im Laufe einer nicht allzu langen Generations - reihe vollständig in die Abänderung überzuführen und dies577 würde dann eine Illustration zum Verfahren der Naturzüchtung gewesen sein. Noch leichter würde eine Züchtung in um - gekehrtem Sinne gelungen sein, so nämlich, dass die Art con - stant geblieben, und alle fernere Variation nach dieser Richtung unterdrückt worden wäre. Denn offenbar erfolgte hier die Ver - änderung schwer und langsam, und die meisten Determinanten waren wenig disponirt zu ihr, wie denn gerade diese Versuche aufs Neue den oben aufgestellten Satz erhärten, dass die Ele - mente des Keimplasma’s sich nur schwer und langsam ver - ändern; sie schwanken nur in winzigen Oscillationen hin und her, aber es bedarf langer Einwirkung immer wieder in gleicher Richtung wirkender Abänderungs-Einflüsse, ehe sie dauernd eine grössere Veränderung annehmen.

Gewiss ist damit nicht gesagt, dass es nicht auch Ein - flüsse des Mediums und der Ernährung giebt, welche bei langer Einwirkung im Stande sind, die Determinanten gewisser Körper - theile in ihrer grossen Mehrzahl zu verändern und so rein klimatische Variationen hervorzurufen, an deren Entstehung Naturzüchtung keinen Antheil hat. Viele, vielleicht die meisten klimatischen Abarten werden deshalb mit Recht ihren Namen tragen.

Aber nicht nur bei geschlechtlich erzeugten ganzen Pflanzen treten solche sprungweise Varianten auf, sondern auch bei einzelnen Sprossen einer Pflanze. Diese Knospen-Varia - tionen kommen selten vor, wo sie aber vorkommen, lassen sie sich durch Stecklinge oder Pfropfreiser vervielfältigen, manch - mal auch durch Samen.

Als ich vor einer Reihe von Jahren die Ansicht geäussert hatte, dass die geschlechtliche Fortpflanzung in die lebende Natur eingeführt sei, um die Variabilität zu erhalten, welche von den Urwesen her vorhanden sei, da hielt man mir von mehreren Seiten her die Thatsachen der Knospen-Variation ent -Weismann, Das Keimplasma. 37578gegen, als eines Beweises, dass Variabilität entstehen könne auch ohne geschlechtliche Fortpflanzung. Ich habe damals das Variiren des Keimplasma’s selbst durch direkt wirkende Ein - flüsse gewiss noch nicht hoch genug angeschlagen, wie ich oben schon bekannt habe, aber ein Beweis, dass Variation ohne Amphimixis vorkommt, liegt in den Knospen-Variationen den - noch nicht; denn alle die Pflanzen, an welchen Knospen-Varia - tion beobachtet wurde, pflanzen sich geschlechtlich fort, und enthalten somit in ihrem Idioplasma individuell verschiedene Ide und Determinanten, deren verschiedene Mischung und ver - schiedenes Verhalten beim Wachsthum allein schon eine Grund - lage für Variationen abgeben würde.

Ich glaube auch in der That, dass diese ungleiche Zu - sammensetzung des Keimplasma’s, wie sie durch Amphimixis bedingt wird, bei der Knospen-Variation wesentlich mitspielt, wenn sie auch hier so wenig, als bei der gewöhnlichen indi - viduellen Variation den ersten Anstoss zur Variation giebt. Aber selbst Pflanzen, welche lange Zeit hindurch nur durch Knospen und Sprosse fortgepflanzt wurden, wie die Kartoffel und das Zuckerrohr, müssen deshalb doch ein aus verschieden - artigen Iden zusammengesetztes Keimplasma besitzen; denn sie pflanzten sich vorher auf geschlechtlichem Wege fort, und die dadurch entstandene mannigfaltige Mischung ihres Determi - nanten-Materials kann sich während der Zeit ihrer ungeschlecht - lichen Vermehrung nicht wesentlich verändert haben. Ihr Keim - plasma muss also der Variation weit günstigere Aussichten bieten, als es ein aus identischen Iden, oder nur aus einer Id-Art zusammengesetztes Keimplasma thun würde, falls ein solches existirte.

Die letzte Ursache der Knospen-Variation muss dieselbe sein, wie bei der Variation aus Samen, d. h. Ungleichheit der Ernährung des Keimplasma’s, das Wort Ernährung 579in seiner weitesten Bedeutung genommen, also inclusive Tem - peratur-Verschiedenheiten u. s. w. Für diese Auffassung spricht nicht nur theoretische Überlegung, welche dieser Annahme nur die einer innern phyletischen Entwickelungskraft gegenüber zu stellen hätte, sondern auch die Erfahrung. Denn alle Be - obachtungen stimmen darin überein, dass Knospen-Variationen am leichtesten vorkommen, wenn eine Pflanze in abnormale Lebensbedingungen versetzt, vor Allem, wenn sie cultivirt wird. Da die direkte Veränderung des Soma’s, wie solche Bedingungen sie hervorrufen, nicht erblich sind (Nägeli) und es nicht sein können, da somatische Abänderungen nur dann vererbt werden, wenn sie vom Keim ausgehen, so bleibt nur die Annahme einer Abänderung einiger oder vieler Determinanten des Keimplasma’s durch Ungleichheiten der Ernährung übrig.

Dafür, dass Knospen-Variationen aus derselben Wurzel hervorgehen, wie Samen-Variationen, spricht auch die Beobach - tung, dass stets solche Arten am häufigsten Knospen-Varia - tionen hervorbringen, welche auch durch Samen schon vielfach variirt haben (Darwin a. a. O.), das heisst also, idioplasmatisch ausgedrückt: solche Arten, deren homologe Determi - nanten schon recht verschiedenartig sind.

Damit indessen, dass wir diese Variationen auf Ernährungs - Einflüsse beziehen, welche irgend welche Determinanten des Keimplasma’s im Laufe ihres Wachsthums und ihrer Vermehrung zu zuerst leichten, dann bei Andauern desselben Einflusses stärkeren Abweichungen veranlassen, ist der Vorgang noch nicht völlig aufgeklärt. Vielmehr tritt zunächst die Frage uns entgegen, wieso denn durch die Abänderungs-Einflüsse nur eine bestimmte Knospe verändert werden kann, während alle andern unverändert bleiben, die doch von demselben Einfluss getroffen werden. Es muss also zu dem abändernden Einfluss noch Etwas hinzukommen, damit Abänderung wirklich eintrete.

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Wenn man erwägt, dass Knospen-Variation gelegentlich auch an Pflanzen vorkommt, die wild wachsen, oder die sich doch, wie die Waldbäume unserer Parks, in nahezu denselben Bedingungen befinden, wie viele wildwachsende, so wird man noch mehr bestärkt darin, dass die Ernährungsdifferenzen zwar wohl die letzte Ursache der Knospen-Variation sind, dass aber sie allein solches Variiren noch nicht zu Stande bringen.

Ich denke mir den Vorgang in folgender Weise. Ganz wie bei der gewöhnlichen individuellen Variation bildet sich auch die Grundlage der Knospen-Variation aus jenen kleinen Schwan - kungen des Baues, welchen alle Determinanten durch die minu - tiösen und unvermeidlichen Schwankungen jeder Ernährung aus gesetzt sind. Ganz wie bei jenen werden die homologen Determi - nanten der verschiedenen Ide ungleich davon betroffen, die einen stärker, die andern schwächer oder gar nicht. Ein Unterschied liegt aber darin, dass hier der gleiche Abänderungseinfluss, z. B. allgemeine bessere Ernährung lange Zeit andauert, durch mehrere Generationen. Dadurch kann, wie bei der Samen - Variation ein grösserer Betrag der Abänderung bei denselben Determinantenarten erzielt werden.

Soweit fällt der Vorgang mit der sprungweisen Abänderung bei Sämlingen zusammen. Der Unterschied von dieser aber liegt darin, dass hier keine Amphimixis stattfindet, denn die variirende Knospe entsteht eben nicht aus dem Keimplasma eines Samens, sondern aus Knospen-Keimplasma. Dieses leitet sich direkt aus einem Samen-Keimplasma ab, nämlich aus dem Samen, aus welchem die betreffende Pflanze selbst hervor - wuchs, oder doch eine ihrer Vorfahren, falls sie selbst aus Stecklingen erzogen wurde. Wenn nun auch irgend eine De - terminante N in einigen Iden während des Wachsthums des Baumes in derselben Richtung variirt hat, so z. B., dass sie statt zu grünen, zu rothen Blättern hinführen würde, so581 könnten doch keine rothen Blätter entstehen, wenn nicht alle oder doch eine Majorität dieser Determinanten N nach der Variation Roth abgeändert hätten. Läge zwischen dem Keimplasma der Knospe und ihrem Auswachsen zum Spross eine Reductionstheilung, dann könnte auch eine Minorität von rothen Determinanten zur Majorität in einer der beiden Tochterzellen werden, aber gerade diese fehlt bei der gewöhn - lichen Vermehrung der Zellen.

Daraus nun, dass Knospen-Variationen überhaupt selten sind und noch mehr daraus, dass es meist nur eine Knospe unter vielen Tausenden derselben Pflanze, z. B. eines Baumes ist, welche in dieser oder jener Weise variirt, z. B. rothe Blätter hervorbringt, während doch die veränderten Bedingungen alle Knospen zugleich treffen, schliesse ich, dass die überall im Baume enthaltenen abgeänderten Determinanten gelegentlich durch eine abnormale, ungleiche Kerntheilung zur Majorität gelangen können. Geschieht dies in der Scheitel - zelle1)Hier, wie an andern Stellen des Buchs spreche ich der Einfach - heit halber von einer Scheitelzelle auch bei Phanerogamen, bei welchen eine bestimmte Scheitelzelle des Vegetationspunktes nicht zu unter - scheiden ist. einer Knospe, so wird der daraus hervorwachsende Spross theils grüne, theils rothe Blätter haben müssen, weil sich dann der Voraussetzung gemäss grüne und rothe Determinanten der Scheitelzelle bei der Zelltheilung trennen, wenigstens nach Majoritäten, weil aber jede Gruppe in verschiedenen Blättern zur Geltung kommen muss. Geschieht die Trennung schon früher, vor Bildung der Scheitelzelle, also noch im Cambium, so kann aus der Zelle, welche bei der ungleichen Kerntheilung die rothe Hälfte erhält, ein Spross hervorgehen, der nur rothe Blätter enthält.

Die Annahme enthält nichts Unmögliches; bei dem com -582 plicirten Apparat, der die mitotische Kerntheilung ausführt, sind Unregelmässigkeiten in der Ausführung möglich, in einzelnen Fällen sogar beobachtet, und selbst die Möglichkeit einer direkten Kerntheilung wäre nicht ganz in Abrede zu stellen. Doch bin ich weit entfernt, diese Hypothese für eine gesicherte zu halten und gebe sie nur als einen Versuch.

Nägeli war schon der Meinung, dass alle Abänderungen langsam und im Laufe der Generationen sich im Idioplasma vorbereiteten ehe sie zu Tage träten, und bezog sich dabei auch gerade auf die Knospen-Variationen. Ich stimme dem voll - kommen bei, und habe oben schon mehrfach gezeigt, wie solche allmälige Umstimmungen des Keimplasma’s oder einzelner Theile desselben sich gewissermassen von selbst aus dem von mir angenommenen Bau des Keimplasma’s ergeben. Bei Knospen - Variationen können diese unsichtbaren Vorbereitungen viele Generationen weit hinter der Pflanze und Knospe zurückliegen, an welcher die Variation zu Tage tritt, und dadurch wird es verständlich, dass Knospen-Variation meist bei solchen Pflanzen auftritt, die wie die Rose und Azalea auch sonst, d. h. durch Samen, bereits variirt haben. Denn durch Amphimixis werden abgeänderte Determinanten leichter gehäuft, und ein Keimplasma, welches schon von den Vorfahren her abgeänderte Determi - nanten besitzt, kann sie dann nach dem Eintritt weiterer Ab - änderung durch den Zufall einer ungleichen Kerntheilung auch einmal in einer Knospe zur Majorität gruppiren und dadurch zur Geltung bringen.

Leider ist es nicht beobachtet, ob complicirte Abänderungen, wie z. B. die Moosrose, einer Knospen-Variation ihren Ursprung verdankt. Theoretisch wäre es durchaus denkbar, denn das unsichtbare Vorspiel der Variation, die Abänderung gewisser Determinanten, kann so gut nur eine einzelne Determinante, als eine ganze Gruppe von solchen betreffen, ja selbst die Ver -583 mehrung einer primären Determinante in zwei oder mehrere neue, ist so gut möglich, als bei der gewöhnlichen Art-Um - wandlung. Das plötzliche Hervortreten solcher abgeänderter Determinantengruppen beruht dann auf dem Zufall ungleicher Kerntheilung. Solche Fälle beweisen die langsame Vorbereitung der Abänderung, da eine plötzliche Abänderung einer ganzen Determinantengruppe sowohl der Ursache, als dem Vorgange selbst nach undenkbar scheint.

Die Grösse der sprungweisen Abänderung wird von dem Umfang der von abnormaler Ernährung dauernd betroffenen Determinantengruppen abhängen, ihre Qualität in irgend eine causale Beziehung zu bestimmten Abänderungs-Einflüssen bringen zu wollen, wäre heute wohl um Vieles verfrüht. Man wird nur sagen können, dass in dem so ungemein complicirten Bau des Keimplasma’s auch bestimmte Wege für die Zufuhr der er - nährenden Flüssigkeit vorgesehen sein werden, durch deren Er - weiterung oder Verengerung ganz lokale Ernährungsdifferenzen entstehen müssen, und dass andererseits die Lebens-Einheiten des Keimplasna’s durch geringe Änderungen ihres Baues die Eigenschaften der Körperstelle, der sie entsprechen, in irgend einer, für jetzt freilich noch ganz unberechenbaren Weise ver - ändern müssen. Im Genaueren Rechenschaft darüber zu geben, durch welche Änderungen der Determinantengruppe der Beine es möglich war, dass seiner Zeit plötzlich ein krummbeiniges Otternschaf geboren wurde, oder durch welche Abänderung gewisser Determinanten der Blattanlage die geschlitzten Blätter der schlitzblättrigen Birke auftraten, ist für jetzt nicht möglich.

b. Ihre Vererbung.

Die Erblichkeit der Spiel-Abänderungen der Pflanzen war bisher ein recht dunkler Punkt. Samen-Variationen lassen sich oft durch Samen fortpflanzen, manchmal aber auch nicht,584 oder nur in einzelnen Fällen; Knospen-Variationen konnten meist nur durch Stecklinge oder Pfropfreiser vervielfältigt werden, wir kennen aber jetzt einzelne Fälle, in welchen auch sie durch Samen sich fortpflanzen liessen, wenn auch nur in einem gewissen Procentsatz. Woher diese Unregelmässigkeit kommt, war unbekannt, und keine der Vererbungstheorien ver - mochte dafür einen Anhalt zu geben, man konnte nur sagen, die Vererbung sei hier ungemein launenhaft. Die Keimplasma - Theorie vermag sie im Princip sehr einfach zu erklären.

Ich erinnere zuerst an die Thatsachen, wie sie uns Darwin in höchst werthvoller und dankenswerther Weise als ein für jede Theorie kostbares Material überliefert hat. 1)Darwin Das Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustand der Domestication .

Darwin sagt darüber: Wenn eine neue Eigenthümlichkeit zuerst erscheint, so können wir niemals voraussagen, ob sie vererbt werden wird. Wenn beide Eltern die Abänderung besitzen, so ist die Wahrscheinlichkeit sehr gross, dass sie wenigstens auf einige der Nachkommen überliefert werden wird . Knospen-Variationen pflanzen sich viel schwächer fort, als Samen-Variationen, oft aber erscheint die Vererbungskraft ganz launenhaft, indem ein und dieselbe Abänderung von dem einen Pflanzen-Individuum durch Samen vererbt wird, vom andern nicht. So versuchte man lange Zeit vergeblich, die Trauer-Esche durch Samen fortzupflanzen. Über 20,000 Samen gaben nur die gewöhnliche Esche, später aber erhielt man aus den Samen eines andern Exemplars der Trauer-Esche Nachkommen mit hängenden Zweigen. Ein und dieselbe Trauer - Esche überlieferte aber nicht durch alle ihre Samen den Trauer - charakter, sondern nur in einem bestimmten Procentsatz, und von einer berühmten Hänge-Eiche in Moccas Court erzählt585 Darwin, dass sie zwar allen ihren Sämlingen den Trauer - charakter mittheilte, aber in verschiedenem Grade.

Nach unserer Theorie hängt die Vererbung einer Abänderung durch Samen davon ab, ob das Keimplasma des betreffenden Samens die Abänderung in einer Majorität der Determinanten enthält, oder blos in einer Minorität. Wenn das Keimplasma hundert Ide enthält, so müssten gleiche bestimmende Kraft vorausgesetzt mehr als fünfzig Determinanten N abgeändert sein in N1, damit die Abänderung im Sämling manifest werde. Da nun, wie oben gezeigt wurde, wohl niemals neue Variationen gleich in allen Determinanten auftreten, sondern immer nur in einem bald höheren, bald niederen Procentsatz der Ide, so ist die Möglichkeit, dass alle von der abgeänderten Pflanze hervorgebrachten Sämlinge die Abänderung zeigen werden, sehr gering. Denn da jede Keimzelle aus einer Reductionstheilung hervorgegangen ist, so werden immer viele von ihnen die ab - geänderten Determinanten N1 nur in einer Minorität besitzen, die sogar sehr klein sein kann, falls ihre Majorität im Keim - plasma der Mutterpflanze eine kleine war. Verbinden sich dann zwei solcher Keimzellen in Amphimixis, so enthält das daraus hervorgehende Keimplasma nur eine kleine Minorität der ab - geänderten Determinanten N1, und die Abänderung wird nicht manifest. So erklärt es sich, warum fast niemals alle Sämlinge einer Abart wieder die Abart ergeben, und weiter, weshalb in den seltneren Fällen, in welchen wie bei jener Trauer-Eiche jeder Sämling der Abart angehört, doch der Charakter der - selben in verschiedener Stärke zum Vorschein kommt. Denn die Mischungen des Keimplama’s müssen durch Reductions - theilung und Amphimixis auch dann noch verschiedene werden, wenn in dem Keimplasma der Mutterpflanze nur eine kleine, aber doch immer verschieden grosse Minorität von Stamm - Determinanten N enthalten war.

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Sehr einfach erklärt sich ferner die Beobachtung, dass die Sämlinge einer Variation, z. B. der Balsamine, zwar alle den Eltern glichen, selbst aber nicht alle den Charakter der Abart ihren Nachkommen überlieferten. Hier war in den Tochter - pflanzen der Abart überall noch eine Majorität abgeänderter Determinanten vorhanden gewesen, aber in sehr verschiedener Stärke. Solche Töchter, welche eine sehr starke Majorität in ihrem Keimplasma enthielten, mussten nothwendig auch eine Überzahl von Keimzellen liefern, in welchen eine Majorität abgeänderter Determinanten enthalten war, bei denen aber mit schwacher Majorität wird die Wahrscheinlichkeit überwogen haben, dass die Sämlinge nur Minoritäten enthielten.

Darwin berichtet, dass von der wild gefundenen gefleckten Abart der Ballota nigra Sämlinge erhalten wurden, von welchen nur 30 Procent die gefleckten Blätter der Mutterpflanze besassen; der Samen aber dieser gefleckten Pflanzen zweiter Generation ergab 60 Procent der Abart. Auch dies stimmt völlig mit der Theorie, denn in der Mutterpflanze können nicht lauter ab - geänderte Determinanten der Blätter enthalten gewesen sein, sondern nur eine Majorität derselben; diese nun wird bei den Reductionstheilungen der Keimzellen in verschiedener Weise gruppirt worden sein. Ob ein Samen die Abart oder die Stamm - form hervorbrachte, hing davon ab, ob bei der Befruchtung eine Majorität, oder eine Minorität abgeänderter Determinanten zusammengeführt wurde. Da nun von den Pflanzen zweiter Generation nur diejenigen zur Nachzucht benutzt wurden, die abgeändert waren, so trafen jetzt zahlreichere Abart-Determinanten bei der Befruchtung zusammen, und der Procentsatz der Abart musste in der dritten Generation steigen. Er würde noch mehr gestiegen sein, wenn man auf dieselbe Weise noch eine vierte und fünfte Generation gezüchtet hätte, denn in Samen, die die Abart geben, muss das Keimplasma jedenfalls587 mehr abgeänderte Determinanten enthalten, als in Samen, die die Stammform geben; die Wahrscheinlichkeit, dass der Samen der folgenden Generation eine noch grössere Majorität von ab - geänderten Determinanten enthält, nimmt also von Generation zu Generation nothwendig zu, und ich zweifle nicht, dass man in diesem Falle durch fortgesetzte Auswahl der bestgefleckten Pflanzen für die Nachzucht allmälig eine reine gefleckte Rasse hätte erzeugen können, die ihren Charakter auf die grosse Mehrzahl aller ihrer Nachkommen oder wie man gewöhnlich sagt, auf alle Nachkommen übertragen hätte.

Dass manche Trauer-Eschen ihren Charakter auf viele Sämlinge vererben, andere nicht, muss ebenfalls auf der viel - gestaltigen Wirkung der Reductionstheilung und Amphimixis beruhen, welche bei ersteren eine starke Majorität abgeänderter Determinanten in das Keimplasma geführt hat, bei letzteren nur eine schwache. Doch kommt dabei noch Etwas in Be - tracht, nämlich die Ursprungsweise der Abart. Knospen - Variationen pflanzen sich viel seltener durch Samen fort, als Variationen, die aus Samen entstanden sind; dagegen lassen sie sich fast immer durch Pfropfreiser, Steck - linge und Oculiren fortpflanzen. Es kann also die Fähigkeit, die Veränderung durch Samen fortzupflanzen, bei einem be - stimmten Individuum darauf beruhen, dass dasselbe aus einem Sämling entstanden ist, während dieselbe Variation in einem andern Falle als Knospen-Variation entstand und deshalb sich nicht, oder nur selten durch Samen fortpflanzt.

Die theoretisch schwierigste Frage ist hierbei die, warum Knospen-Variationen sich meist nicht, und dann gelegentlich doch einmal durch Samen vererben. Aber auch hier vermag die Theorie bis zu einem gewissen Punkt wenigstens Einsicht zu gewähren.

Eine Knospe ist ein von ihren Hüllblättern eingeschlossener588 Vegetationspunkt. Bei der Entstehung derselben ist es eine Zelle, die Scheitelzelle, welche durch fortgesetzte Theilung die übrigen Zellen des Sprosses hervorbringt, die Interfoliartheile, die Blätter, die Blüthenstände. Nach dem Princip der Conti - nuität des Keimplasma’s muss ein Theil des in der Scheitelzelle enthaltenen Knospen-Keimplasma’s als Reserve-Keimplasma in gebundenem Zustand gewissen Zellen des Sprosses als Neben-Idioplasma beigegeben werden. Diese geben es weiter bis zu den Geschlechtsorganen hin, wo es zur Bildung der Keimzellen verwandt wird. Es bleibt also dieses Reserve-Keim - plasma unzerlegt, völlig getrennt und selbstständig neben dem sich bei der Ontogenese des Sprosses in seine Determinanten - gruppen mehr und mehr auseinanderlegenden Knospen-Keim - plasma.

Darin scheint mir die Erklärung zu liegen, dass so häufig Knospen-Variationen nicht durch Samen fortgepflanzt werden können, denn offenbar kann die zum Manifestwerden einer Ab - änderung nöthige Majorität abgeänderter Determinanten ganz wohl im Knospen-Keimplasma da sein, während sie im Reserve - Keimplasma noch nicht vorhanden ist. Wenn man bedenkt, dass solche Variationen im Keimplasma von langer Hand vor - bereitet sind, dass zuerst wenige, und erst allmälig zahlreichere Determinanten in gleicher Weise abändern, dass schliesslich der Zufall einer ungleichen Kerntheilung wie wir angenommen haben dazu kommen muss, damit das Knospen-Keimplasma einer bestimmten Scheitelzelle eine Majorität abgeänderter Deter - minanten enthalten könne, so begreift es sich, dass das in der - selben Zelle liegende Reserve-Keimplasma sich anders verhalten kann, und entweder gar keine, oder doch nur wenige der be - treffenden Determinanten in abgeändertem Zustand enthält. Man darf nicht vergessen, dass es nicht die Ernährungs-Einflüsse in der variirenden Knospe sind, welche das Variiren veranlassen,589 sondern diejenigen, welche die in der Knospe enthaltenen Deter - minanten auf dem langen Wege von einer um Generationen zurückliegenden Stammpflanze bis zu dieser Knospe hin getroffen haben.

Dies erklärt, wie mir scheint, hinlänglich, warum der Samen, welcher indirekt einen Spielspross hervorbringt, die Abänderung nicht zu vererben braucht.

Warum eine solche Vererbung aber so selten eintritt, bedarf einer weiteren Erwägung. Ich möchte den Grund davon in der Reductionstheilung und der Amphimixis suchen, welcher das Reserve-Keimplasma, nicht aber das Knospen-Keimplasma ausgesetzt ist. Gesetzt, es verhielten sich beide zuerst ganz gleich in Bezug auf ihren Gehalt an abgeänderten Determi - nanten N1, jedes enthielte eine kleine Majorität derselben, so würde der Spross nothwendig die Variation aufweisen müssen, die Keimzellen aber würden nur zum Theil eine Majorität, zum andern eine Minorität von N1 enthalten in Folge der bald so, bald so gruppirenden Reductionstheilung. Allerdings könnten dann bei der Befruchtung zwei Keimzellen mit Majoritäten von N1 zusammentreffen, aber bei der angenommenen nur schwachen Majorität derselben im Reserve-Keimplasma würde dieser gün - stigste Fall nur sehr selten eintreten, viel häufiger der andere, in welchem Amphimixis nur zu einer Minorität von N1 führt.

Nun ist es aber durchaus nicht gesagt, dass Reserve - Keimplasma und Knospen-Keimplasma den gleichen Procentsatz von N1 enthalten müssen. Beide können sehr wohl verschieden darin sein, und es ist sehr wahrscheinlich, dass ein stärkerer Procentsatz von N1 im Reserve-Keimplasma zur Bildung von Samen führt, welche Sämlings-Abarten hervorbringen. Es wird daher zu vermuthen sein, dass in dem Falle, dass das Knospen-Keimplasma eine, wenn auch ganz schwache Majorität von N1 führt, wirklich die Abänderung des Sprosses eintritt,590 während in dem andern möglichen Fall, dass allein das Reserve - Keimplasma eine Majorität von N1 enthält, in der folgenden Generation Abart-Sämlinge in grösserer oder geringerer Zahl auftreten. Nur wenn Beide eine Majorität von N1 enthalten, muss sowohl der Spross abändern, als auch die von ihm hervor - gebrachten Samen die Abart theilweise fortpflanzen.

Nicht so viel, als man vielleicht glauben könnte, ist hypo - thetisch an dieser Erklärung. Es giebt Thatsachen, aus wel - chen mit Sicherheit der Schluss gezogen werden kann, dass Spielknospen wirklich in vielen Fällen nur eine sehr geringe Majorität abgeänderter Determinanten enthalten. Ich meine die Thatsache, dass bei den meisten Knospen-Variationen Rück - schläge auf die Stammform nicht blos bei der Fortpflan - zung durch Samen, sondern auch durch Knospen und an Knospen häufig vorkommen. Es war davon oben bei Gelegenheit des Rückschlags schon die Rede, die Thatsache ist auch so bekannt, dass ich mich damit begnügen kann, ein paar Fälle anzuführen. Im Botanischen Garten zu Bonn zeigte mir Professor Stras - burger eine mächtige Hainbuche mit tief eingeschnittenen Eichenblättern, an welcher ein grosser Ast vollkommen zurück - geschlagen war und gewöhnliche Blätter trug. In meinem Garten steht eine farnblättrige Buche, an deren Ästen ein - zelne Blätter die normale Gestalt des Buchenblattes besitzen, und Darwin führt an, dass gerade bei dieser Spielart Sprosse vorkommen, welche nebeneinander gewöhnliche Blätter, Farn - blätter und verschiedene Zwischenformen von Blättern aufweisen. Kleine Ungleichheiten in der Kerntheilung mögen hier die be - stimmende Resultante der Determinanten N und N1 verschieben, was eine nur schwache Majorität von N1 voraussetzt.

[591]

Zusammenfassung der vier Bücher und Abschluss.

Die Grundlage einer jeden Vererbung ist die Zusammen - setzung der lebenden Substanz aus kleinsten lebenden Einheiten, die wir Biophoren nannten, welche die Fähigkeit der Assimi - lation, des Wachsthums und der Vermehrung durch Theilung besitzen. Die denkbar niedersten Organismen kennen wir nicht und wissen nicht, ob sie noch existiren. Jedenfalls haben sie einmal existirt und zwar als einzelne Biophoren, deren Ver - erbung ohne besonderen weiteren Mechanismus mit der Ver - mehrung zusammenfiel.

Höhere Wesen wären schon solche gewesen, die sich aus vielen Biophoren derselben Art zusammensetzten. Auch von ihnen besitzen wir keine auf Beobachtung sicher zu gründende Kunde, aber wir müssen schliessen, dass auch bei ihnen Ver - erbung keinen besonderen Apparat erfordert, indem Vermehrung durch Zweitheilung zwei völlig congruente Hälften hervor - bringen muss, von denen jede die gleichen Biophoren besitzt, und welche sich einfach durch Vermehrung dieser Letzteren wieder zu einem dem Mutterthier völlig ähnlichen Bion er - gänzt.

Diese einfache Art der Vererbung muss sich geändert haben, sobald die Biophoren durch Arbeitstheilung verschieden - artig wurden und in verschiedenen Zusammenstellungen den Körper des Bion zusammensetzten. Man könnte diese Art hypothetischer Wesen als Hetero-Biophoriden den vorigen Homo - Biophoriden gegenüberstellen. Bei ihnen kann nicht nur eine592 festere Rinde und weichere Innensubstanz ausgebildet sein, son - dern auch ein Unterschied zwischen Vorn und Hinten, Oben und Unten; mehrfache differente und funktionell ungleichwerthige Schichten der Leibessubstanz können sich ausbilden, bewegliche und unbewegliche Fortsätze, wie Geisseln, Cilien, Borsten und Griffel, wie wir sie von den Infusorien kennen, eine constante Öffnung in der festeren Aussenschicht zur Aufnahme fester Nahrung ins Innere, u. s. w.

Sobald eine derartige mehr oder minder complicirte Zu - sammensetzung des Körpers aus bestimmt angeordneten, ver - schiedenartigen Biophoren besteht, genügt die einfache Zwei - theilung des Bion nicht mehr, um die Eigenschaften des Mutter - thieres auf die Nachkommen zu übertragen. Wenn Vorn und Hinten, Rechts und Links, Oben und Unten an dem Thiere verschieden ist, so ist keine Art von Halbirung mehr im Stande, den beiden Theilsprösslingen alle Elemente, d. h. alle Biophoren - Arten und Biophoren-Gruppirungen derart zu übermitteln, dass sie durch blosses Wachsthum sich wieder zu einem dem Mutter-Bion ähnlichen Wesen ergänzen müssten. Hier werden also besondere Mittel angewandt sein, um diese Ergänzung und damit die volle Vererbung zu ermöglichen, und diese Mittel haben wir in der Schaffung eines Zellkernes zu sehen.

Mit de Vries sehen wir im Zellkern ursprünglich nichts Anderes, als ein Magazin von Reserve-Biophoren, bestimmt, bei der Theilung des Bion sich zu verdoppeln, ebenfalls zu theilen, und jeder Hälfte durch Zuführung der ihr fehlenden Biophoren - Arten die Ergänzung zum ganzen Bion möglich zu machen. Später, d. h. in den vielzelligen Wesen mit hoch entwickelter Zell-Differenzirung, hat der Kern dann noch andere Funktionen übernommen, die für dies pecifische Thätigkeit der Zelle maass - gebend sind, aber auch dort führt er immer noch die Biophoren593 mit sich, welche der Zelle die ihr noch fehlenden Eigenschaften zu geben im Stande sind, er ist auch dort Träger der den Charakter der Zelle bestimmenden Biophoren.

Ist also so schon bei den Hetero-Biophoriden, oder Ein - zelligen ein besonderer Vererbungs-Apparat nothwendig ge - worden, der uns als Kern der Zelle entgegentritt, so wird dieser Apparat dadurch noch complicirter, dass bei ihnen Amphimixis eingeführt ist, jener merkwürdige Vorgang, der in seiner einfachsten und ursprünglichsten Form in der völligen Verschmelzung zweier Bionten besteht, so zwar, dass Kern mit Kern, Zellkörper mit Zellkörper sich verbindet. Bei den höheren Einzelligen beschränkt sich der Vorgang meist auf eine Ver - schmelzung der Kerne, die in der Weise erfolgt, dass der halbe Kern des einen Thieres mit dem halben Kern des andern Thieres sich vereinigt. Aus dem ganz analogen Bau des Kernes, wie er sich uns bei der Theilung enthüllt, mit dem Bau des Zell - kernes der Vielzelligen darf geschlossen werden, dass auch hier schon die Vererbungssubstanz des Kernes sich aus mehreren gleichwerthigen Gruppen von Biophoren zusammensetzt, den Kernstäbchen oder Idanten, von denen jedes sämmtliche Bio - phoren des Bion enthält, aber in individueller Färbung, d. h. also mit geringen Abweichungen der Zusammensetzung, wie sie den individuellen Variationen entsprechen. Amphimixis vereinigt die Hälfte der Idanten zweier Individuen in einem und setzt so eine neue Mischung der individuellen Eigenschaften.

Bei den Vielzelligen mit Differenzirung der Zellen nach dem Princip der Arbeitstheilung finden wir im Wesentlichen denselben Vererbungs-Apparat, wie bei den Einzelligen, nur entsprechend dem ungleich verwickelteren Bau derselben eben - falls complicirter. Da auch bei ihnen Amphimixis eingeführt ist, eine Verschmelzung vielzelliger hochdifferenzirter Individuen aber nur dann möglich scheint, wenn dieselben zeitweise aufWeismann, Das Keimplasma. 38594den einzelligen Zustand zurückgeführt werden, so finden wir bei ihnen ganz allgemein die sogenannte geschlechtliche Fort - pflanzung , welche darin besteht, dass die Anlagen für den ganzen Organismus in die Kernsubstanz einer einzigen Zelle, der Fortpflanzungszelle, vereinigt werden, dass zweierlei solcher Zellen, verschieden ausgerüstet und sich gegenseitig anziehend, sich dann in Amphimixis vereinigen und das herstellen, was wir die befruchtete Eizelle zu nennen gewohnt sind, welche nun die aus zwei Individuen zusammengesetzte Vererbungs - substanz enthält.

Diese Vererbungssubstanz der Vielzelligen be - steht nach unserer Annahme aus drei Stufen von Lebens - Einheiten, deren niederste die der Biophoren ist. Wie bei den Einzelligen eine mehr oder minder vielgestaltige Schaar von Biophoren in bestimmter Anordnung gruppirt das einzelne Kernstäbchen oder den Idanten zusammensetzen, welcher in mehrfacher Wiederholung die Vererbungssubstanz des die Zelle beherrschenden Kernes ausmacht, so bilden auch hier Biophoren - gruppen bestimmter Anordnung die Anlagen der einzelnen Zellen des Körpers und bilden zusammen die zweite Stufe der Lebens - Einheiten: die Zellen-Determinante, oder schlechthin Determi - nante .

Jede Zelle des vielzelligen Organismus wird von einer solchen Determinante in ihrem histologischen Charakter, in - clusive ihrem Theilungsrhythmus und ihrer Theilungsart be - stimmt. Aber nicht jede Zelle hat seine besondere Determi - nante im Keimplasma, sondern Zellen gleicher Art, wenn sie wie die Blutzellen nicht lokalisirt sind, können durch ein und dieselbe Determinante im Keimplasma vertreten sein. Umge - kehrt aber muss jede Zelle oder Zellengruppe, welche selbst - ständig variabel sein soll, durch eine besondere De - terminante im Keimplasma vertreten sein. Wäre sie es nicht,595 so könnte sie nur in Gemeinschaft mit andern Zellen, die durch die gleiche Determinante bestimmt werden, abändern.

So viele selbstständig vom Keime aus variable Zellen und Zellgruppen im Organismus auftreten, so viele Determinanten muss das Keimplasma einer Art enthalten, und diese müssen in bestimmter gegenseitiger Lagerung im Keimplasma enthalten sein, folglich auch ein be - stimmt begrenztes Ganze darstellen, eine höhere Lebens-Einheit: das Id.

Das Id ist nicht blos ein Mal im Keimplasma enthalten, sondern viele Male, wie aus den Thatsachen der geschlecht - lichen Fortpflanzung und Vererbung geschlossen werden muss. Die Bastarde lehren, dass beide Eltern gleichzeitig ihre sämmt - lichen Art-Charaktere vererben, d. h., dass jeder Elter eine Ver - erbungssubstanz bei der Befruchtung zubringt, welche die An - lage sämmtlicher Theile des Organismus, also alle zum Aufbau eines Individuums der Art nöthigen Determinanten enthält. Da wir nun aber wissen, dass die Vererbungssubstanz bei der definitiven Ausbildung der Keimzellen halbirt wird, so müssen also vorher sämmtliche Determinanten mindestens zwei Mal zu einem Id gruppirt vorhanden gewesen sein. Es ist aber sehr wahrscheinlich, dass meist viel mehr Ide vorhanden sind, in vielen Fällen wohl weit über hundert.

Welche Theile der sichtbaren Theile des Keimplasma’s im Kern des Eies den Iden entsprechen, konnte nicht mit Sicher - heit entschieden werden, obwohl wahrscheinlich gemacht wurde, dass nicht die ganzen Chromosomen , sondern nur Theile von diesen als solche aufzufassen sind. Bis auf weitere Unter - suchungen wurde das Letztere den genaueren Ausführungen zu Grunde gelegt, und die Kernstäbchen (Chromosomen) also als Aggregate von Iden betrachtet und als Idanten bezeichnet. Auch sie sind in gewissem Sinn Lebens-Einheiten, sie wachsen38*596und vermehren sich durch Theilung; auch hat die Id-Combination, aus welcher sie bestehen, wohl längeren Bestand, wenn auch keine bleibende Dauer.

Das Keimplasma oder die Vererbungssubstanz der Metazoen und Metaphyten setzt sich also aus einer geringen oder grösseren Anzahl von Idanten zusammen, die ihrerseits wieder aus Iden bestehen; jedes Id hat eine feste und bestimmte Architektur, indem es aus Determinanten aufgebaut ist, von welchen jede ihren ganz bestimmten Platz im Bau einnimmt.

Die Entfaltung nun der im Keimplasma der Fortpflan - zungszelle enthaltenen Anlagen geschieht im Laufe der Zell - theilungen, welche die Ontogenese der Vielzelligen ausmachen, und zwar derart, dass sämmtliche Ide sich dabei ganz gleich verhalten. Jedes Id spaltet sich schon bei der ersten Zell - theilung in zwei Hälften, von denen jede nur noch die Hälfte der Gesammtzahl der Determinanten enthält, und bei jeder folgenden Zelltheilung wiederholt sich dieser Zerlegungsprocess der Ide, so dass die Ide der ontogenetischen Stadien von Stufe zu Stufe ärmer an Verschiedenartigkeit ihrer Determinanten werden, bis sie zuletzt nur noch eine einzige Art derselben enthalten.

Jede Zelle jeglicher Stufe wird stets nur durch eine Determinantenart bestimmt, die aber in vielen Exemplaren im Id enthalten sein kann, und diese Bestimmung erfolgt dadurch, dass sich die Determinante in ihre Biophoren auflöst, welche nun die Kernmembran durchsetzen, in den Zellkörper eindringen und dort unter starker Vermehrung auf Kosten der den Zell - körper schon bildenden Biophoren und unter Anordnung nach bestimmten, uns unbekannten Kräften und Gesetzen die histo - logische Differenzirung der Zelle begründen. Jede Determi - nantenart muss zu einem bestimmten Zeitpunkt oder auf einer bestimmten Stufe der Gesammtentwickelung die Reife zu ihrer597 Auflösung in ihre Biophoren erreichen. Die übrigen, für spätere Stufen bestimmten Determinanten des Id’s einer Zelle ver - harren unaufgelöst und also ohne eine bestimmende Wirkung auf die Zelle auszuüben; durch die Art und Weise ihrer Zu - sammenordnung im Id aber und durch den einer jeden Determi - nantenart eigenen Rhythmus ihrer Vermehrung bestimmen sie den nächsten Modus der Kerntheilung, d. h. sie entscheiden dadurch, welche Determinanten dem einen, welche dem andern Tochterkern zugetheilt werden. Damit wird nicht nur über die histologische Natur dieser Tochterzellen, sondern auch über die Bestimmung ihrer Nachkommen entschieden, so dass also die Vertheilung der im Keimplasma vorhandenen Anlagen durch die anfänglich schon gegebene, dann aber durch ungleiche Ver - mehrung und durch stufenweise Zerlegung der Ide sich stetig und gesetzmässig ändernde Architektur des Id’s bewirkt wird.

Lediglich sekundär wirkt dabei der Theilungsapparat der Zelle mit, dessen Hauptorgan, das Centrosoma, zwar auch, wie die Vererbungssubstanz von der oder den elterlichen Keim - zellen her übernommen wird, welches aber eben nur den Mecha - nismus zur Theilung des Kernes und der Zelle darstellt, nicht aber irgend welche Anlagen in sich einschliesst. Auch der Rhythmus der Zelltheilungen kann nicht vom Centrosoma be - stimmt werden, obwohl dieses den Anstoss dazu giebt, sondern die durch das Idioplasma bestimmte Zelle ist es, welche den Theilungsapparat in Bewegung setzt. Wäre dies nicht so, so könnte die Kernsubstanz nicht die Vererbungssubstanz sein, denn die meisten vererbbaren Eigenschaften der Arten beruhen weniger auf der Differenzirung der einzelnen Zellen, als viel - mehr auf der Anzahl und Gruppirung der Zellen, welche ein bestimmtes Organ oder einen ganzen Körpertheil zusammen - setzen; diese aber wiederum beruhen auf dem Modus und Rhyth - mus der Zelltheilungen.

598

Diese idioplasmatischen Vorgänge, welche die Entwickelung des Organismus aus dem Ei, oder allgemeiner aus einer Zelle, einer Keimzelle leiten, sind allein für sich noch nicht im Stande, eine Reihe von Erscheinungen zu erklären, welche theils mit dieser Ontogenese direkt verknüpft sind, oder doch aus ihr früher oder später hervorgehen, nämlich die Regeneration, die Knospung und Theilung, und die Hervorbringung neuer Keimzellen. Für alle diese Erscheinungen bedarf es besonderer Zusätze.

Was zuerst die Regeneration anlangt, so beruhen die einfachsten Fälle derselben darauf, dass in dem fertigen, aus gleichartigen Zellen gebildeten Gewebe stets eine Reserve jugend - licher Zellen enthalten ist, welche den normalerweise oder auch abnormerweise eintretenden Verlust zu ersetzen vermögen. Dies genügt aber nicht in den complicirteren Fällen, in welchen ganze Körpertheile, der Schwanz, die Beine wieder neu gebildet werden, wenn sie gewaltsam entfernt wurden. Hier muss an - genommen werden, dass die Zellen der regenerationsfähigen Theile ausser den sie selbst bestimmenden Determinanten noch Ersatz-Determinanten enthalten, welche die Anlagen der bei der Regeneration neu zu bildenden Theile sind. Sie werden auf frühen Stufen der Ontogenese als inaktives Neben-Idio - plasma gewissen Zellfolgen beigegeben und treten nur dann in Thätigkeit, wenn durch Verlust des betreffenden Theiles die Wachsthumswiderstände gehoben werden. Die Ausrüstung der Zellen eines Theils mit solchen Ersatz-Determinanten setzt eine um so verwickeltere Vertheilung derselben voraus, je complicirter der Theil gebaut ist, und darin liegt die Grenze der Regenerationsfähigkeit, indem allzu verwickelt gebaute Theile mit einem Regenerationsapparat nicht mehr ausgerüstet werden konnten. Die gewöhnliche Annahme, dass die Regenerations - Kraft mit der Complication des Baues abnehme, ist deshalb599 bis zu einem gewissen Grad richtig, sie ist es aber nicht, wenn damit gemeint ist, es existire eine besondere Kraft, welche die Regeneration besorge und welche allgemein mit der Höhe der Organisation abnehme. Möchte man sich auch diese Kraft als eine mechanisch-physiologische vorstellen, sie könnte doch nicht als eine primäre Eigenschaft des lebenden Organismus gelten, gewissermassen als ein unvermeidlicher Ausfluss des Lebens selbst, sondern müsste als eine besondere Anpassung aufgefasst werden.

An die Regeneration schliesst sich eng an die Fortpflan - zung durch Theilung; sie setzt denselben idioplasmatischen Apparat voraus, nur meist auf einer noch höheren Stufe der Ausbildung; Theilung wird phylogenetisch aus der Regeneration entstanden sein.

Verschieden von der Vermehrung durch Theilung nach Ursprung und Erscheinung ist die durch Knospung. Bei Pflanzen und Cölenteraten geht dieselbe von einer Zelle aus, welche somit sämmtliche Determinanten der Art in einer Zusammenstellung enthalten muss, welche der des Keimplasma’s im befruchteten Ei sehr nahe kommt. Schon bei den Bryo - zoen aber nimmt die Knospung nicht von einer Zelle ihren Ausgang, sondern mindestens von zweien, wahrscheinlich von mehreren, welche zwei verschiedenen Zelllagen (Keimblättern) des Körpers angehören, und bei den Mantelthieren bezieht die Knospe ihr Material sogar aus allen drei Keimblättern.

Bei der ersten Art der Knospung muss die idioplasmatische Wurzel derselben in einer Beimischung gebundenen Keim - plasma’s beruhen, welche von der befruchteten Eizelle aus ge - wissen Zellfolgen der Ontogenese beigegeben wird als in - aktives Neben - oder Knospungs-Idioplasma . Bei den Pflanzen ist es die Scheitelzelle des Sprosses, welche dieses Knospungs-Keimplasma enthält, bei den Hydroidpolypen sind es Zellen des Ektoderms.

600

Bei der zweiten Gruppe von Thieren muss angenommen werden, dass schon früh in der Ontogenese das Knospungs - Keimplasma sich in zwei Determinantengruppen zerlegt, von denen jede dann in gebundenem Zustand durch verschiedene Zellfolgen hindurch weitergegeben wird, bis der Ort und Zeit - punkt erreicht ist, in welchem ihr Aktivwerden beginnen kann.

Bei der dritten Gruppe zerlegt sich das inaktive Knos - pungs-Idioplasma in drei Determinantengruppen, von welchen die eine im Ektoderm, die andere in gewissen Zellfolgen des Mesoderm, die dritte in solchen des Entoderm weiterrückt, bis sie den Ort, an welchem sie aktiv zu werden haben, erreichen.

Knospung wird phyletisch auf dem Wege entstanden sein, dass eine Verdoppelung des Keimplasma’s im befruchteten Ei in der Weise eintrat, dass die eine Hälfte desselben inaktiv blieb und nun entweder als inaktives Knospen-Keimplasma weitergegeben wurde, oder sich im Laufe der Ontogenese in Gruppen spaltete, welche getrennt nach demselben Ziel, der Knospungsstelle hinbefördert wurden.

Überall aber, wo Knospung ein dauernder Besitz der Art wurde, scheint sich früh schon diese Verdoppelung des Keim - plasma’s dauernd durch alle Stadien der Ontogenese hindurch erhalten zu haben, denn wir sehen, dass die durch Knospung entstandenen Individuen sehr häufig selbstständig abändern und oft sogar in bedeutendem Betrag. Selbstständiges Variiren vom Keim aus setzt aber besondere Determinanten des Knospungs - Keimplasma’s voraus. Niemals hätten Medusen aus Polypen hervorknospen können, wenn nicht selbstständig variable Deter - minanten der Knospe im Keim des befruchteten Eies vorhanden gewesen wären. Wir nehmen deshalb an, dass bei Arten mit Generationswechsel zweierlei Keimplasma existirt, welches immer mit einander vorkommt, im Ei sowohl, als in der Knospe, von welchem aber immer nur eines gleichzeitig601 aktiv ist und die Ontogenese beherrscht, während das andere inaktiv bleibt. Das Alterniren dieser beiden Keimplasmen be - dingt den Wechsel der Generationen.

In ganz ähnlicher Weise, wie die Knospung, so wird auch die Bildung von Keimzellen idioplasmatisch dadurch be - wirkt, dass ein Theil des in der befruchteten Eizelle enthaltenen Keimplasma’s inaktiv und gebunden bleibt, sich nicht sofort in Gruppen zerlegt, sondern als Neben-Idioplasma gewissen Zell - folgen der Ontogenese beigegeben wird und so mit diesen an diejenigen Orte gelangt, an welchen Keimzellen gebildet werden sollen. Das gesammte Keimplasma des Elters mit allen seinen Determinanten bildet so die Grundlage für die Keimzellen, aus welchen die folgende Generation hervorgehen wird, und die überaus genaue und bis ins Einzelste gehende Übertragung der Eigenschaften des Elters auf das Kind wird daraus ver - ständlich.

Die geschlechtliche Fortpflanzung der vielzelligen Thiere und Pflanzen gestaltet das Keimplasma dadurch compli - cirter, dass bei jeder Amphimixis die Ide zweier verschiedener Individuen, der beiden Eltern in der befruchteten Eizelle sich summiren. Dies hat die Reductionstheilung hervorgerufen, welche die Bildung der männlichen wie der weiblichen Keimzellen be - gleitet und eine Herabsetzung der Idanten und Ide auf die Hälfte bewirkt. Diese Reduction ist für das Verständniss der Vererbungserscheinungen bei geschlechtlicher Fortpflanzung wichtig, da die Ide eines Keimplasma’s unter sich nicht durch - aus gleich sind, sondern sich durch Unterschiede vom Werthe der Verschiedenheiten zwischen den Individuen selbst unter - scheiden. Da nun die Reduction nicht immer in derselben Weise erfolgt, vielmehr bald diese, bald jene Idanten die Hälf - ten bilden, welche den einzelnen Keimzellen zufallen, so bietet sich dadurch die Möglichkeit, dass die Keimzellen ein und des -602 selben Individuums doch ganz verschiedene Combinationen von Idanten enthalten. Die Folge davon ist die Ungleichheit der Kinder eines Elternpaares, oder allgemeiner: die ungeheure Mannigfaltigkeit der Mischung individueller Unterschiede.

Bei dem Aufbau des neuen Individuums aus der befruchteten Eizelle wird die Ontogenese von den Iden der beiden Eltern geleitet, welche das Keimplasma zusammensetzen. Sehr häufig kommen dabei Mittelbildungen zu Stande, aber doch nur dann, wenn sich völlig homologe Ide gegenüberstehen, und wenn die - selben die gleiche bestimmende Kraft besitzen. Die Letztere hängt nicht nur davon ab, ob die von den bestimmenden De - terminanten in den Zellkörper ausgesendeten Biophoren mit gleicher Stärke sich vermehren und die schon vorhandenen Biophoren unterdrücken, sondern auch davon, wie zahlreich auf jeder Elternseite völlig gleiche Determinanten vorhanden sind. Je zahlreicher die homodynamen Determinanten sind, eine um so grössere bestimmende Wirkung können sie auf die Zelle ausüben, und wenn von Seiten des einen Elters eine grössere Zahl homodynamer Determinanten vielen heterodynamen des andern Elters gegenübersteht, so siegt die Erstere. Auf diese Weise wird das Überwiegen des einen Elters in der Vererbung verständlich, sei es, dass solches sich nur auf einzelne Theile, oder auf den ganzen Organismus beziehe.

Mit der Befruchtung, d. h. mit dem Zusammentreten der vom Vater und von der Mutter in den betreffenden Keimzellen enthaltenen Iden ist die Bestimmung des Kindes gegeben; die Mischung der elterlichen und Ahnen-Charaktere ist damit im Voraus bestimmt, und spätere Einflüsse können daran Nichts mehr ändern. Das beweisen die identischen Zwillinge und die Pflanzenbastarde, bei welch Letzteren die Individuen, welche durch Kreuzung zweier konstanter Arten erzeugt wurden, so constant dieselbe Mischung der Merkmale zeigen, als ob sie603 eine natürliche Art wären. Hier sind die Ide jeder Art als völlig homodynam in Bezug auf die Artcharaktere anzusehen, es stehen sich also zwei geschlossene Gruppen homodynamer Ide gegenüber, und das Überwiegen der einen oder der andern Eltern-Gruppe in diesem oder jenem Theil der Pflanze hängt davon ab, welche der beiden Gruppen durch zahlreichere homodyname Determinanten des betreffenden Theiles vertreten ist, und welche dieser Determinanten die grössere bestimmende Kraft besitzen.

Der Rückschlag auf die Grosseltern und Urgrosseltern, oder auf Tanten und Onkel erklärt sich zunächst dadurch, dass die Idanten und Ide nicht im Eltern-Keimplasma neugebildet sind, sondern von den Grosseltern bezogen, und dann dadurch, dass die Combination der Ide, welche in der einzelnen Keimzelle des Elters enthalten ist, durch die Reductionstheilung eine äusserst mannigfaltige wird. Die bisherige Annahme der Züchter, dass im Enkel je ¼ Blut der vier Grosseltern, je Blut der acht Urgrosseltern enthalten sei, ist deshalb ungenau. Es hängt ganz vom Zufall der Reductionstheilung ab, wieviel Ide des einen oder des andern Vorfahren in dem Keimplasma einer fertigen Keimzelle enthalten sind, und es könnte unter Um - ständen vermuthlich eine Keimzelle sogar die Hälfte aller Ide eines Grosselters enthalten mit Ausschluss sämmtlicher Ide der drei andern Grosseltern. Je grösser die Anzahl der Ide ist, welche von einem Vorfahren herrühen, um so grösser ist die Aussicht, dass Charaktere desselben im Nachkommen auftreten werden, doch hängt dies noch von zwei Umständen ab, einmal von der Kraft der Ide des andern Elters, welche bei der Amphimixis hinzutreten, und zweitens davon, ob diejenigen Ide, welche vom Vorfahren herrühren, auch die sein Bild be - stimmenden (die dominirenden) gewesen sind.

So wird Rückschlag auf einen Vorfahren immer dann604 eintreten, wenn die sein Bild bestimmenden Ide in die be - treffende Keimzelle durch die Reductionstheilung gelangt sind, und wenn ihnen keine stärkere Idgruppe des andern Elters bei der Amphimixis gegenübertrat. Dies gilt nicht nur für den ganzen kindlichen Organismus, sondern auch für jeden einzelnen Theil desselben, da ja von Theil zu Theil die Zahl der homodynamen Determinanten eine andere sein kann und meist auch sein wird wenigstens in Bezug auf die individuellen Unterschiede des Menschen.

Auf Grund dieser Theorie liess sich die Thatsache voraus - sagen, dass Bastarde, wenn sie mit eignem Pollen befruchtet würden, sehr variabele Nachkommenschaft liefern müssten, und weiter, dass darunter einzelne Pflanzen sich befinden würden, welche auf die eine oder die andere Stammart zurückschlagen, welches Beides zutrifft.

Der Rückschlag auf weiter entfernte Vor - fahren beruht zwar auf denselben Faktoren der Reductions - theilung und der Amphimixis, aber er verlangt doch noch eine weitere Begründung. Es liegt im Princip der Selectionslehre, dass nie alle Determinanten eines zu verändernden Theiles ab - geändert werden, sondern immer nur eine Majorität derselben; es bleiben also stets alte, unveränderte Determinanten dieser oder jener Theile im Keimplasma einer Art zurück und können nur ausserordentlich langsam durch den Zufall der Reductions - theilung daraus entfernt werden. Darauf beruht die Möglich - keit des Rückschlags auf Charaktere weit zurückgelegener Vor - fahren; das Zustandekommen desselben aber hängt von günstigen Reductionstheilungen und von günstiger Amphimixis ab. Wenn die Reduction derart erfolgt, dass die gleichen Vor - fahren-Determinantengruppen in mehreren Iden zusammen - geführt werden, und wenn dann dieses Keimplasma durch Am - phimixis mit dem einer andern Keimzelle verbunden wird,605 welches ebenfalls in mehreren Iden die gleichen alten Vor - fahren-Determinanten enthält, so kann es kommen, dass diese im Kampf der Ide in der Ontogenese den Sieg über die modernen Determinanten erringen. Ob dies erfolgt, wird hauptsächlich davon abhängen, welche und wie starke moderne Determinanten ihnen gegenüberstehen, und aus diesem Grunde tritt Rückschlag auf Ahnencharaktere so leicht bei Kreuzung von Rassen (Tauben) und Arten (Maulthier) ein, denn hier wirken die modernen De - terminanten nicht gemeinsam, sie sind heterodynam, und ihre Kraft hemmt sich gegenseitig, während die Ahnen-Determinanten gleich sind und ihre Kraft summiren.

Eine Menge von Rückschlags-Erscheinungen bei Pflanzen und Thieren erklärt sich aus diesen Principien in sehr einfacher Weise. Auch der bei Knospen und bei parthenogenetischer Fortpflanzung vorkommende Rückschlag lässt sich von diesem Standpunkte aus verstehen. Je weiter entfernt die Vorfahren sind, auf deren Charaktere der Rückschlag erfolgt, um so seltener wird derselbe eintreten, und bei so enorm weit zurückliegenden Vorfahren, wie es z. B. die dreizehigen Vorfahren des Pferdes sind, gehört ein Rückschlag zu den grössten Seltenheiten, da er darauf beruht, dass diese Ahnen-Determinanten, welche gewiss bei den meisten heutigen Pferden vollständig aus allen Iden des Keimplasma’s verschwunden sind, sich dennoch in einzelnen Individuen einiger Generationsfolgen erhalten haben, und dass zwei Keimzellen mit solchen Ahnen-Determinanten zufällig bei der Befruchtung zusammentreffen.

Die merkwürdige Erscheinung des Dimorphismus, welche schon allein durch die geschlechtliche Fortpflanzung in so weiter Verbreitung besonders im Thierreich eingeführt ist, muss ihren idioplasmatischen Grund in Doppeldeterminanten haben, welche für alle solche Zellen, Zellengruppen und ganze Orga - nismen im Keimplasma enthalten sind, welche in zweierlei606 Gestalt auftreten können, männlich oder weiblich. Die eine der beiden Doppeldeterminanten bleibt inaktiv, wenn die andere in Thätigkeit tritt. So muss schon die geschlechtliche Differen - zirung der Keimzellen auf solchen Doppeldeterminanten, spermo - genen und ovogenen beruhen, aber auch sämmtliche sekundäre Geschlechtscharaktere werden auf ähnliche idioplasmatische Grund - lage zu beziehen sein, und die Doppeldeterminanten derselben sind nicht nur im Keimplasma enthalten, sondern sie rücken durch die Zellenstufen der Ontogenese bis an die Körperstelle, an welcher die beiderlei Charaktere sich scheiden. Dann wird die eine Determinante aktiv, während ihre Zwillingsschwester inaktiv im Kern einer somatischen Zelle enthalten bleibt, um unter Umständen im späteren Leben noch aktiv zu werden. Das Letztere tritt freilich nur ausnahmsweise ein, in den Fällen nämlich, in welchen z. B. durch Castration ein weibliches Thier (Ente, Huhn) männliche Charaktere entwickelt. Ein lehrreicher Beleg für die Anwesenheit von beiderlei Charakteren im ganzen Körper, also auch für die Annahme von Doppeldeterminanten, liegt in den Zwitter-Bienen, bei welchen männlich und weib - lich ausgebildete Theile in buntester Mischung den Körper zusammensetzen.

Nicht immer aber bleibt es bei der einfachen Doppel - determinante, sondern es stehen sich ganze weibliche und männ - liche Determinanten gruppen gegenüber, welche in demselben Abhängigkeitsverhältniss von einander stehen, wie die Hälften der einzelnen Doppeldeterminante, d. h. von welchen immer die eine inaktiv bleibt, wenn die andere aktiv wird. Diese Gruppen können sehr ungleich sein, die männliche ist in vielen Fällen (Riechorgane männlicher Cruster, männliche Schmuck - federn der Vögel) weit reicher an Einzeldeterminanten, als die weibliche. Die eine Hälfte der Doppelgruppe kann auch ver - kümmern, so dass das betreffende Organ in dem einen Ge -607 schlecht ausfällt, wie z. B. die Flügel bei vielen weiblichen Schmetterlingen.

Die Zahl der Doppeldeterminanten steigert sich aufs Höchste, wenn die beiden Geschlechter vollständig verschieden sind in allen Theilen, wie z. B. bei Bonellia viridis; aber auch hier kann noch eine Anzahl einfacher Determinanten vorhanden sein, falls, wie dies in diesem Falle zutrifft, das Larvenstadium für beide Geschlechter gleich ist.

Die Annahme von Doppeldeterminanten ist im Stande, auch gewisse räthselvolle Vererbungserscheinungen beim Menschen einigermassen verständlich zu machen. Die Bluterkrankheit tritt, wie lange bekannt, nur beim Manne auf, wird aber durch das Weib vererbt. Nimmt man an, dass nicht nur die sicht - baren sexuellen Unterschiede auf Doppeldeterminanten beruhen, sondern dass sexuelle Unterschiede auch in Organsystemen ent - halten sind, wo wir sie nicht unmittelbar erkennen können, so erklärt sich diese sonderbare Beschränkung der seltnen Krank - heit auf nur ein Geschlecht; die Krankheit vererbt sich dann, wie ein sekundärer Sexualcharakter nur auf das Geschlecht, in dem sie zuerst entstanden ist, denn nur diese Hälfte der Doppeldeterminante des Mesoblast-Keimes hat sich krankhaft verändert.

Auch der sexuelle Polymorphismus mancher Schmetter - linge lässt sich durch Doppeldeterminanten mehrerer Lokalrassen derselben Art verstehen, welche sich miteinander in verschiedner Weise kreuzen, dagegen verlangt der Polymorphismus der Biene und anderer staatenbildenden Thiere die Annahme drei - und vier - fach gespaltener Determinanten. Hier wird die weibliche Hälfte der Doppeldeterminante selbst wieder doppelt und auch die männliche kann es werden (Termiten).

Schliesslich findet auch der zeitliche Dimorphismus, wie der Saison-Dimorphismus seine idioplasmatische Erklärung in Doppeldeterminanten.

608

Die Fähigkeit zur Doppelgestaltung liegt in allen Fällen in der Anwesenheit von zweierlei Determinanten, aber die Ur - sachen, welche entscheiden, welche der beiden aktiv werden sollen, sind äusserst verschieden, und in vielen Fällen können wir sie nicht genau angeben. Doch sind es immer äussere Ein - flüsse, die hier bestimmend einwirken, die Befruchtung, Er - nährung, bei der Dichogenie der Pflanzen die Belichtung u. s. w.

Nach der hier vorgetragenen Theorie der Vererbung ver - steht es sich von selbst, dass nur solche Eigenschaften vererbt werden können, welche durch Determinanten des Keimplasma’s bestimmt, d. h. hervorgerufen worden sind, dass also auch nur solche Veränderungen vererbbar sind, welche auf Veränderungen einzelner oder vieler Determinanten des Keimplasma’s beruhen, nicht aber solche, welche erst nachträglich durch irgend welche Einflüsse auf die Zellen des Körpers entstanden sind. Mit andern Worten: es folgt schon aus der Theorie, dass somatogene oder erworbene Eigenschaften nicht vererbt werden können.

Dieser Satz ist indessen nicht gleichbedeutend damit, dass äussere Einflüsse keine vererbbaren Abänderungen hervorzu - bringen vermöchten, vielmehr bringen sie solche immer dann hervor, wenn sie im Stande sind, Determinanten des Keim - plasma’s zu verändern. So können klimatische Einflüsse sehr wohl dauernde Abänderungen hervorrufen, indem sie langsam im Laufe der Generationen gewisse Determinanten zu immer stärkerer Abänderung veranlassen. Es kann sogar unter Um - ständen der Schein einer Vererbung somatogener Abänderungen dadurch zu Stande kommen, dass der klimatische Einfluss gleich - zeitig gewisse Determinanten des Keimplasma’s trifft und die - selben Determinanten, wenn sie im Begriff sind nach der Körper - stelle hinzuwandern, welche sie zu bestimmen haben. Die klima - tischen Variationen eines Schmetterlings Polyommatus Phlaeas lieferten hierzu einen Beleg.

609

Die Variation in ihrer letzten Wurzel beruht immer auf der Einwirkung äusserer Einflüsse. Wäre es möglich, dass Wachsthum stattfände unter absolut gleichbleibenden äusseren Einflüssen, so würde Variation nicht vorkommen; da dies aber nicht möglich ist, so ist jedes Wachsthum mit kleinen oder grösseren Abweichungen von der ererbten Entwickelungsrichtung verbunden.

Diese Abweichungen stellen, wenn sie nur das Soma treffen, passante, nicht vererbbare Variationen dar, wenn sie aber am Keimplasma eintreten, übertragen sie sich auf die folgende Generation und verursachen also ihnen entsprechende vererb - bare Variationen des Körpers.

Da das Keimplasma einem sehr starken Wachsthum unter - worfen ist von der befruchteten Eizelle bis zu den Keimzellen des Nachkommen, so werden seine Lebenseinheiten, die Bio - phoren und Determinanten fortwährenden kleinsten Schwankungen in ihrer Zusammensetzung unterworfen sein. Wirken dauernde, sich gleichbleibende Einflüsse, z. B. klimatische, auf sie ein, so werden sich diese kleinsten Schwankungen im Laufe der Zeit und der Generationen summiren, und so zu individuellen sicht - baren Variationen, allmälig auch zu Rassen -, und vielleicht so - gar zu Artmerkmalen werden können. Dauert ein gleichsinnig gerichteter Einfluss nur kürzere Zeit, so wird es davon ab - hängen, auf wie zahlreiche Ide des Keimplasma’s er einwirkt, ob dadurch allein schon eine individuelle Variation des Soma hervorgerufen wird. Sobald eine Majorität von Iden abgeändert ist, muss auch die entsprechende somatische Variation eintreten. Da nun aber durch Amphimixis und die mit ihr verknüpfte Reductionstheilung eine doppelte Neumischung der Ide statt - findet, so können Minoritäten abgeänderter Ide zu Majoritäten werden, und die geschlechtliche Fortpflanzung kann somit aus dem fluctuirenden Material unsichtbarer Determinanten-Varia -Weismann, Das Keimplasma. 39610tionen sichtbare Soma-Variationen werden lassen. Mit diesen operirt dann Naturzüchtung unter unausgesetzter Beihülfe von Amphimixis. Die Letztere ist es, welche auf Grund der stets vorhandenen kleinsten Schwankungen sämmtlicher Keimplasma - Einheiten der Naturzüchtung unzählige Combinationen verschie - denster Variationen zur Auswahl anbietet.

Streng genommen kann eine Steigerung oder Abmin - derung eines Charakters allein durch Amphimixis nicht erfolgen, wohl aber kann ein Charakter fester durch sie im Keimplasma begründet werden, indem sie die Zahl der Ide vermehrt, deren Determinanten diesen Charakter hervorrufen. Eine Steigerung im populären Sinne kann allerdings eintreten, indem eine Abänderung auf grössere Körperflächen aus - gebreitet wird; durch die Vielheit der Ide und die Möglich - keit ihrer steten Neucombinirung bei Amphimixis erklären sich die Erfahrungen der Züchter, nach welchen sowohl Gleichbleiben einer Eigenschaft, als Steigerung derselben durch Auswahl zur Nachzucht möglich ist. Auch die sog. Individualpotenz lässt sich verstehen; sie muss wohl auf einer sehr grossen Zahl von homodynamen Determinanten sämmtlicher Haupteigenschaften beruhen, und wird nicht allein schon durch lange anhaltende Reinzucht einer Rasse erzielt werden, obwohl dies ihre Voraus - setzung ist, sondern zu ihr müssen noch glückliche Id-Combi - nationen bei Reductionstheilung und Amphimixis hinzukommen.

Die Variationen beruhen aber nicht blos auf Abänderungen in der Zusammensetzung einer Determinante oder Determinanten - gruppe, sondern häufig zugleich auch auf ihrer Verdoppelung oder Vervielfachung, und auch diese wird ihre Wurzel in ver - änderten äusseren Einflüssen, z. B. in lokal veränderter Er - nährung einer Keimplasmaparthie haben. Auf diese Weise er - klärt sich die scheinbar plötzlich auftretende Verdoppelung von611 Theilen, z. B. von Federn oder sonstigen Hautgebilden, aber auch manche pathologische Bildung, wie z. B. die überzähligen Finger und Zehen beim Menschen. Wirklich plötzlich ent - stehen aber wohl alle solche Veränderungen nicht, sondern sie bereiten sich zuerst in einigen Iden vor und treten erst dann plötzlich zu Tage, wenn sie zu einer Majorität summirt wor - den sind.

Plötzlichkeit der sichtbaren Variation ist wohl meist nur ein Schein, wie besonders durch die Versuche von Hoff - mann mit wilden Pflanzen, die durch abnorme Lebens - bedingungen zum Variiren gebracht wurden, belegt wird. Das Rudimentärwerden nicht mehr gebrauchter oder auch ein - fach blos nutzlos gewordener Theile beruht idioplasmatisch auf dem Verkümmern und schliesslichen Verschwinden der betreffen - den Determinanten aus dem Keimplasma. Da dieses aber seiner - seits von den fluctuirenden Variationen dieser Determinanten in den verschiedenen Iden abhängt, so wird es nicht gleich - mässig und gleichzeitig in allen Iden vor sich gehen, und es bleiben so häufig noch Reste der verkümmerten Determinanten in einzelnen Iden auf ungezählte Generationen hinaus erhalten, die dann, gelegentlich durch Reductionstheilung und Amphimixis gehäuft, zum Rückschlag führen können.

Sprungweise Abänderungen an Knospen sind nur an Pflanzen beobachtet, welche sich daneben auch geschlecht - lich fortpflanzen oder fortgepflanzt haben, bei welchen also das Keimplasma dieselbe complicirte Zusammensetzung hat, wie bei Arten, die sich nur geschlechtlich fortpflanzen. Die Wurzel der Abänderung ist auch hier in ungleichen und abändernden äusseren Einwirkungen auf die Determinanten zu suchen, welche in dem während des Wachsthums von Zelle zu Zelle weiter transportirten Knospen-Keimplasma enthalten sind. Doch liesse sich nicht verstehen, wieso nur eine einzelne unter Millionen39*612von Knospen zur Abänderung gelangte, wenn dabei nicht noch etwas Besonderes mitspielte. Wie es bei Samen-Fortpflanzung die Amphimixis ist, welche abgeänderte Determinanten einzelner Ide gelegentlich häuft und sie dadurch zur Geltung bringt, so mag hier eine gelegentlich eintretende ungleiche Kerntheilung dasselbe bewirken.

Auch die scheinbar so ungemein launenhafte Vererbungs - kraft plötzlicher Variationen bei Pflanzen lässt sich im Princip sehr wohl verstehen. Da niemals die Abänderung in allen Iden des Keimplasma’s ihren Sitz hat, sondern immer nur in vielen, da aber diese Majorität eine starke oder schwache sein kann, so wird es eben davon abhängen, ob bei Fortpflan - zung durch Samen durch Reductionstheilung und Amphimixis diese Majorität häufig erhalten und sogar gesteigert, oder aber herabgemindert oder ganz zerstört wird. Im ersteren Fall ver - erbt sich die Spiel-Variation, im zweiten vererbt sie sich gar nicht oder selten. Auch Einzelheiten in den anscheinend räthsel - haften Vererbungserscheinungen beobachteter Spiel-Varietäten erklären sich so ganz einfach, so die Erscheinungen bei den Balsaminen, den Trauer-Eschen, der gefleckten Abart der Ballota nigra u. s. w.

Nicht so einfach ist die Erklärung der capriciösen Ver - erbung von Knospen-Variationen durch Samen, welche manch - mal vorkommt, in den meisten Fällen aber ausbleibt. Die Ur - sache liegt darin, dass das Knospen-Keimplasma und das für die Bildung von Keimzellen bestimmte Reserve-Keimplasma ihre eignen Wege gehen, folglich auch nicht immer dieselbe Zahl abgeänderter Ide enthalten werden. Die Seltenheit der Vererbung von Knospen-Variationen durch Samen aber möchte darin ihren Grund haben, dass das für die Keimzellen bestimmte Reserve-Keimplasma bei jeder Keimzellenbildung durch Reduc - tionstheilung und Amphimixis eine Neucombination der Ide er -613 leidet, der das Knospen-Keimplasma, solange rein ungeschlecht - liche Fortpflanzung andauert, nicht unterworfen ist.

Die Fähigkeit der Vererbung, welche allen Organismen eigen ist und welche die Grundlage der Bildung höherer Lebens - formen ist, beruht somit nach unserer Ansicht nur bei den allerniedersten, uns nicht bekannten Organismen auf einfachem Wachsthum, bei allen bereits differenzirten Organismen aber auf einem besonderen Vererbungsapparat.

Dieser beginnt bei den Einzelligen und besteht dort in einer Substanz, welche aus den verschiedenen Arten von Lebens - theilchen oder Biophoren zusammengesetzt ist, die in der Sub - stanz des Organismus vorkommen, und zwar vermuthlich in demselben Verhältniss, wie sie den Körper zusammensetzen, jedenfalls jede Art von Biophoren in einem Vielfachen, und alle zusammen in einer bestimmten Architektur geordnet. Diese Substanz wird durch eine Membran umschlossen, die Kern - membran, welche Poren besitzt, durch welche die Biophoren des Kernes in den Zellkörper austreten können, um sich dort auf Kosten der Nährstoffe, zu welchen unter Umständen auch die Lebenstheilchen des Zellkörpers selbst herabsinken können, zu vermehren und sich vermöge der in ihnen liegenden Kräfte zu ordnen.

Darauf beruht die Fähigkeit, durch Theilung des Organis - mus aus einem Bion zwei vollständige Individuen der gleichen Beschaffenheit hervorzubringen.

Schon auf dieser Stufe der Differenzirung complicirt der Process der Amphimixis oder der Vermischung der Individual - differenzen die Vererbungssubstanz, indem er von Zeit zu Zeit dieselbe halbirt und durch die Vererbungssubstanz eines andern Individuums wieder ergänzt. Die Folge davon ist die, dass jeder Theil des Organismus in der Vererbungssubstanz durch ver -614 schiedene Variationen der gleichen Biophoren-Art vertreten ist, und dass in Folge dessen die folgenden durch Theilung ent - stehenden Individuen ungefähr Mittelformen zweier Eltern sein werden.

Bei den Vielzelligen mit intercellulärer Differenzirung wird der Vererbungs-Apparat um so complicirter, je zahlreichere und je verschiedenartiger zusammengestellte Zellenarten der Organismus enthält. Denn hier kann die Vermehrung zunächst nur dadurch erreicht werden, dass jedes Individuum von der Stufe der Einzelligkeit ausgeht und auf dieselbe wieder zurück - kehrt. Durch Theilung des ganzen Organismus würden nur zwei ungleiche Hälften hervorgebracht werden, deren Ergänzung nicht so ohne Weiteres möglich wäre, die vielmehr einen ganz be - sondern Ergänzungs-Apparat voraussetzt. Für die Herstellung eines solchen ist aber die Schaffung eines Vererbungs - Apparates für die Fortpflanzung aus einzelligen Keimen die unerlässliche Vorbedingung.

Dieser letztere Apparat besteht nun darin, dass ein Keim - plasma gebildet wird, d. h. eine Kernsubstanz, welche nicht nur Reserve-Biophoren zum Aufbau des eigenen Zellkörpers, sondern auch solche für den Aufbau aller übrigen Zellkörper des ganzen Organismus in sich vereinigt, und zwar zu einem festen architektonisch geordneten Bau verbunden, der so ein - gerichtet ist, dass seine Theile nicht gleichzeitig an der Be - stimmung des Zellkörpers Theil nehmen, sondern successive, und zwar in einer fest geregelten Aufeinanderfolge. Zu diesem Behufe sind die kleinsten Lebens-Einheiten, die Biophoren, zu nächst höheren, den Determinanten vereinigt, von denen jede eine Zellenart bestimmt, mithin also alle diejenigen Biophoren in sich bindet, welche zur Bestimmung dieser einen Zellenart gehören. In der Keimzelle sind mindestens so viele Determinanten enthalten, als verschiedene, vom Keim615 aus einzeln bestimmbare Zellen oder Zellengruppen am fertigen Organismus vorhanden sind.

Da aber auch bei den Vielzelligen der Vorgang der Ver - mischung der Individual-Differenzen , die Amphimixis, beibehalten ist, so musste schon aus diesem Grund eine Viel - heit von Keimplasma in der einzelnen Keimzelle enthalten sein, von denen jede Einheit sämmtliche Determinanten der Art in fester Bindung enthält. So entstand die Zusammensetzung der Vererbungssubstanz der Keimzelle aus Iden und Idanten.

Die Vermehrung der Vielzelligen durch Theilung und Knospung beruht auf einer bedeutenden Steigerung der Complicirtheit des Vererbungs-Apparates, nämlich darauf, dass bestimmten Zellen des Körpers nicht blos die zu ihrer eigenen Wesensbestimmung nöthigen Determinanten zugetheilt wurden, sondern zugleich noch Keimplasma-Ide in gebundenem, d. h. zunächst noch nicht zerlegbarem Zustand. Auf derselben Zu - theilung latenten Keimplasma’s an gewisse somatische Zellfolgen beruht auch die Keimzellen-Bildung bei den meisten Vielzelligen, die Fähigkeit der Regeneration aber auf einer gesetzmässig geordneten Beigabe gewisser inaktiver Determinanten und De - terminantengruppen an bestimmte Zellen des Körpers.

Weitere Complicationen des Keimplasma’s bringt der Ge - nerationswechsel und der oft mit ihm verbundene Polymor - phismus, nicht minder der mit der geschlechtlichen Fortpflan - zung stets in irgend einem, oft aber in sehr hohem Grade verbundene sexuelle Dimorphismus. Alle Determinanten und Determinantengruppen, welche zwei - oder mehrgestaltig auf - treten, müssen auch im Keimplasma zwei - oder mehrfach ent - halten und so eingerichtet sein, dass sie nur alternirend in Thätigkeit treten. Beim Generationswechsel genügt dies aber nicht, sondern hier müssen mehrere Arten von Keimplasma vorhanden sein und miteinander in ihrer Aktivität abwechseln.

616

So entsteht allmälig in der Phylogenese der Lebensformen eine immer mehr sich steigernde Complication derjenigen Sub - stanz, welche die Wiederholung derselben Lebensform bedingt, und erreicht schliesslich einen so hohen Grad, dass man sich schwer entschliesst, an die Wirklichkeit einer so unendlichen Verwickelung im Bau des Kleinsten zu glauben. Je tiefer man aber in die Vererbungserscheinungen eindringt, um so mehr be - festigt sich die Überzeugung, dass irgend etwas Derartiges wirklich existirt, denn es ist unmöglich, die beobachteten Erscheinungen auf ganz anderem Wege, d. h. durch viel einfachere Annahmen zu erklären. Wir werden so von Neuem daran erinnert, dass die Unendlichkeit nicht nur nach der Richtung des Grossen, sondern eben so sehr nach der des Kleinen liegt, dass Grösse nur ein relativer Begiff ist, und dass wir selbst mitten in der nach beiden Seiten sich ausdehnenden Unendlichkeit stehen.

Druck von Th. Hofmann in Gera.

[617]

Index.

A.

  • Ableger, Bewurzelung, idioplasmatischer Ursprung derselben279.
  • Acer negundo, Rückschlag bei,443.
  • Actinien, Regeneration derselben169.
  • Adler, über die Gallen288.
  • Adventivknospen, nach Sachs277; Bildung durch das Neben-ldio - plasma279,287.
  • Ahnenplasmen, sind nicht Analoga der physiologischen Einheiten Spencer’s16.
  • Amphimixis, oder die Vermischung der Individuen28,33; A. und Fortpflanzung304; complicirt die Zusammensetzung des Keimplasma’s308; Vorbedingung jeden Grades von Rückschlag442; als Variations - quelle542; A. und Knospen-Variation577; Steigerung eines Charakters durch A.609.
  • Antirhinum, majus, Versuche Darwin’s mit der pelorischen Form von,434,435.
  • Aphis, Generationswechsel235.
  • Ascaris megalocephala, seine Chromosomen116; Schema Fig.18.
  • Ascaris nigrovenosa, schematische Darstellung der Keimbahn258.
  • Ascidien, Regeneration186; die Eier im Gegensatz zum Froschei189; Knospung213; Vergleich ihrer Knospung mit ihrer Embryogenese215.
  • Auerbach, mitotische Kerntheilung32.

B.

  • Balfour, über Phylogenese der Knospung223.
  • Balsamine Vererbung von Variationen der,586.
  • Bastarde, zwischen Pflanzen-Arten334; B. und Idantenlehre339; bei Pflanzen340; scheinbar einelterliche Vererbung der,396.
  • Baumann, Chemischer Bau des Eiweiss53.
  • Befruchtung, Wesen des Vorgangs304.
  • 618
  • Begonia, adventive Knospen278.
  • Beherrschung der Zelle durch das Idioplasma61.
  • Beneden, Ed. van, Beobachtung über die Befruchtung des Ascariden - Eies32; Bedeutung der Centrosomen34; über Idanten320.
  • Beyerinck, über die Gallen288; Nematusgalle292.
  • Biene, Polymorphismus495.
  • Bild, als terminus technicus411.
  • Biophoren oder Lebensträger, die kleinsten Lebenseinheiten54; eine die Lebenserscheinungen bedingende Gruppe von Molekülen54; ähnlich den physiologischen Einheiten Spencers54; Unterschied zwischen ihnen und Nägeli’s Micellen56, De Vries Pangenen und Wiesner’s Plasomen57; Träger der Zelleneigenschaften57; die Zahl ihrer Arten eine unbegrenzte59; setzen alles Protoplasma zu - sammen60; ihre Grösse und Zahl115; Neucombinirung bei Gallen - bildung291;590.
  • Blumenbach137; Nisus formativus140.
  • Bluterkrankheit484.
  • Blutzellen, Bestimmung durch Determinanten77.
  • Bonellia viridis, ihr Dimorphismus478.
  • Bonnet, Regeneration des Auges eines Triton167; über Würmer175.
  • Born, Entwicklung des Eies in Zwangslage181.
  • Boveri, Beobachtung über die Befruchtung des Ascarideneies32; Be - deutung der Centrosomen34; Beobachtung an künstlich kernlos ge - machten Eiern einer Seeigelart39; Chromosomen von Asc. meg. 116; die Differenzirung der somatischen Zellen von Asc. meg. 252; Zahl der Kernstäbchen in zwei Arten316; über Idanten320.
  • Brandza, Prüfung von Bastarden auf die elterlichen Merkmale353.
  • Brooks, W. K., The law of Heredity13; über Variation541; über Nicht - vererbung erworbener Eigenschaften520.
  • Brücke, Ernst, Elementarorganismen3; kleinste Lebenstheilchen27; über das Eiweiss51; Organisation des Eiweiss51.
  • Brustwarzen, überzählige beim Menschen als Rückschlag437.
  • Bryophyllum, Knospung278.
  • Bryozoen, Knospung209; Knospenbildung aus mehreren Zellen220; Knospungs-Keimplasma286.
  • Bütschli, Untersuchungen über die Vorgänge der Kerntheilung32; Deutung der Richtungskörper als verkümmerte Eizellen329.

C.

  • Cardamine pratensis, Knospung278.
  • Carneri, Beobachtung über Telegonie506.
  • 619
  • Caspary, Kreuzungsversuche von Cytisus Laburnum und purpureus450.
  • Castration als Ursache sexuellen Rückschlags469.
  • Cecidomyia Poae, Gallenbildung291.
  • Centrosoma mit seiner Attractionssphäre ist der Theilungsapparat der Zelle und des Kerns32; Continuität des Centrosoma’s65.
  • Chabry, Versuche an Eiern von Ascidien182.
  • Chromatin, die Vererbungssubstanz33,38; muss in jeder Art von Zellen verschieden sein43.
  • Chromosome sind das Idioplasma15; ihre Gestalt34; als Idanten90.
  • Continuität des Keimplasma’s; Historisches darüber260.
  • Cyclops, Beobachtung an den in Furchung begriffenen Eiern252.
  • Cymothoiden, zeitlicher sexueller Dimorphismus148.
  • Cyprisreptans, die Zeichnung der Schale im Lichte der Determinanten - lehre118; Rückschlag452; theoretische Erklärung455.
  • Cytisus Adami445; theoretische Erklärung450.

D.

  • Daphnia pulex, ihr Generationswechsel231.
  • Daphniden, Embryogenese243; sekundäre Natur der Differenzirung ihrer Keimzellen245; Keimbahn253.
  • Darwin, Charles, Pangenesis3; seine gemmules 4; ihr Verhältniss zu den physiologischen Einheiten Spencers8; über die correlativen Abänderungen113; über die weisse Farbe bei Pflanzen und Thieren363; Züchtung382; Vererbungsvermögen beim Rindvieh384; über Rückschlag bei Pflanzen-Bastarden392; Rückschlag auf entfernte Vorfahren415; Rückschlag bei Tauben424; bei Maulthieren431; Rückschlag bei Antirhinum majus434; Kreuzungsversuche mit Cytisus Laburnum und purpureus450; über latente Anlagen461; Vererbung erworbener Eigenschaften505,517; über Variation533,538; über Kahlköpfigkeit bei Vögeln559; Vererbung von Knospen-Variationen579; Vererbung einer Variation von Ballota nigra586.
  • Datura ferox × laevis, Rückschlag des Bastards auf eine unbekannte Stammform415.
  • Davenport, über Knospung bei Bryozoen211.
  • Déjerine, Erblichkeit der Nervenkrankheiten484.
  • Determinantenlehre71; Zusammenfassung295; erklärt den Rück - schlag439; in Bezug auf sexuellen Dimorphismus479.
  • Determinaten oder Vererbungsstücke76.
  • Determinanten oder Bestimmungsstücke76; bestimmen zum Theil Gruppen von Zellen77; sind eine Gruppe von Biophoren80; mit besondern Eigenschaften ausgerüstet80; sind im Idioplasma fest40*620localisirt83; setzen die Ide zusammen84; ihre Anziehungskräfte90; ihr Verhalten im Verlauf der Ontogenese94; ihre Auflösung in Biophoren94; ihr Wachsthum und ihre Vermehrung96; ihre Zahl120; Ersatz-D.138,149,170,175, 198; Zerlegung einer Gruppe bei Theilung203; Auseinanderlegung bei Knospung212; gruppenweise Scheidung derselben bei Entstehung der Somazellen276; Abänderung bei Gallenbildung292; Bestimmung der Zelle durch Zusammenwirken von väterlichen und mütterlichen D.342; homologe und heterologe346; ihre bestimmende Kraft352; Zahl der homodynamen wechselnd in der Ontogenese354; homodyname und heterodyname346,364; Beweis für ihre Auflösung in Biophoren456; bei Dimorphismus465; Schwankungen ihrer Zusammensetzung als Ursache der Variation533,548,590.
  • Dianthus chinensis und barbatus; Kreuzung396.
  • Dichogonie bei Pflanzen151,501,607.
  • Dycyemiden Umfang der Vererbungsstücke79.
  • Digitalis, lutea × purpurea Kreuzung334.
  • Dimorphismus normaler460; idioplasmatische Grundlage464; patho - logischer484; doppelter in Papilio Turnus491; Saison-D.498,605.
  • Dipteren, Verlauf der Keimbahn253.
  • Driesch, Versuche mit Seeigeleiern183; mit den Blastomeren des Frosches189.

E.

  • Elsberg, Louis,54.
  • Embryonalzellen45.
  • Epheu148; Dichogonie501.
  • Ersatz-Determinanten138; Veränderung im Laufe der Phylogenese149; bei den Regenerationsvorgängen von Hydra170; die anti - meralen175; über ihre Herkunft198.
  • Eudendrium, Knospung206 und207. Fig.6.
  • Exarticulation des Beines von Triton und die Ersatz-Determinanten159.

F.

  • Farn, Regeneration und Knospung283.
  • Flemming, Verlauf der Kerntheilung32; Spaltung der Chromosomen bei der Kerntheilung36,92.
  • Focke, über Pflanzen-Bastarde341; Kreuzung von Nicotiana350; über Rückschlag bei Bastarden392; Rückkreuzung396; Xenien 504.
  • Fol, die Übertragung des Centrosoma bei der Befruchtung40.
  • Fortpflanzung, Wesen der geschlechtlichen F.303; ihre Wirkung314; des Menschen und Vererbung der elterlichen Charaktere336; durch Theilung598; geschlechtliche600.
  • 621
  • Fraisse, Regeneration bei Amphibien129; bei Salamandra132; bei Eidechsen147,154.
  • Fucoideen, Richtungskörper329.

G.

  • Gallen, die,287; wirkliche Neubildungen mit abgeänderten Zellen - formen291.
  • Galton, Francis, nimmt Keimchen an, verwirft die freie Circulation derselben9; Gesetz über die Mischung elterlicher Eigenschaften in den Kindern10,337; über die Zusammensetzung der Keimsubstanz aus homologen Keimchen98; G. als Vorläufer der Annahme einer Continuität des Keimplasma’s260.
  • Gärtner, über Pflanzenbastarde392; Rückkreuzung von Bastarden400.
  • Generationswechsel, idioplasmatische Grundlage228; einzelne Gene - rationen desselben erblich veränderlich230; bei den Daphniden232; bei Aphis235; bei Medusen236; bedingt durch zwei Arten von Keimplasma240,600.
  • Giard, Deutung der Richtungskörper als verkümmerte Eizellen328.
  • Godron, Melandryum album × rubrum, Rückschlag401.
  • Götte, Regeneration bei Salamandra132.
  • Gruber, Aug., künstliche Theilung von Infusorien70.
  • Guignard, über die Reduction der Idanten in den Keimzellen der Pflanzen328; über Kernverschmelzung41, Note.

H.

  • Haberlandt, Über die Beziehungen zwischen Functionen und Lage des Zellkerns62.
  • Häckel, Ernst, die Perigenesis der Plastidule54; Gesetz der geschlecht - lichen Vererbung484;
  • Häcker, Valentin, Reductionserscheinungen der Keimzellen bei Glieder - thieren327.
  • Hallez, Recherches sur l’embryologie des Nématodes 183.
  • Hatschek72; Variation und sexuelle Fortpflanzung543.
  • Henking, Reductionserscheinungen der Keimzellen bei Gliederthieren327.
  • Hensen, Victor, über amphigone Vererbung331; Steigerung einer Eigenschaft557.
  • Herbert, Versuche mit Cytisus Adami450.
  • Hertwig, Oscar, Auffassung der Befruchtung als Kerncopulation31; die Keimblätter der Metazoen150; die Kernstäbchen bei zwei Arten von Ascaris meg .316.
  • Hetero-Biophoriden, hypothetische Urwesen591.
  • 622
  • Heterokinesis, erbungleiche Theilung des Kerns46.
  • Hildebrandt, Bastard zwischen Oxalis-Arten334.
  • His, Lehre von den organbildenden Keimbezirken180.
  • Hoffmann, Versuch mit Papaver alpinum573.
  • Homo-Biophoriden, hypothetische Urwesen591.
  • Homokinesis, erbgleiche Theilung des Kerns46.
  • Hoppe-Seyler, Chemische Zusammensetzung des Eiweiss53.
  • Hydra, Regeneration169; Knospung206.
  • Hydractinia echinata, Bildung der Geschlechtszellen249.
  • Hydroiden, Knospenbildung geht von einer Zelle aus220; Embryo - genese241; Verlegung der Keimstätte246; ihre Keimbahnen272.

I.

  • Id, das, und die Ontogenese81; ihre Zahl im einzelnen Idanten316.
  • Ide oder Ahnenplasmen sind aus Determinanten zusammengesetzt84; über ihre individuelle Verschiedenheit310; homologe und heterologe im Idioplasma346; allmähliche Umwandlung355; Zahl veränderlich nach dem Alter des betreffenden Charakters358; Kampf der Eltern-Ide373.
  • Idanten als Vererbungssubstanz bei geschlechtlicher Fortpflanzung307; Zusammensetzung aus ungleichartigen Iden312; als Idgruppen316; ihre Zahl322; Verdopplung durch Spaltung323; Combinationen325; der Vorfahren im Keimplasma336; ihre Combination in Pflanzen - Bastarden390,595; Mischung bei Vererbung409.
  • Idioplasma nach Nägeli’s Auffassung14; heutige Auffassung44; Gegensatz zu Morphoplasma50; aus Iden zusammengesetzt85; phyletische Veränderung bei Umwandlung der Arten104,570.
  • Individual-Potenz der Züchter381.
  • Jäger, Gustav, als Vorläufer der Annahme einer Continuität des Keim - plasma’s262.

K.

  • Kampf der individuellen Merkmale359; der Ide bei der Leitung der Ontogenese340.
  • Keimbahnen, Weg des Keimplasma’s von der Eizelle zur Fortpflanzungs - zelle242; ihr Verlauf bei Metazoen253; ihre Zellen, befähigt Ur - keimzellen zu bilden256; jede Zelle derselben enthält ganz bestimmte Anlagen277; kurze Zusammenfassung299.
  • Keimplasma als unsterbliche Vererbungssubstanz12; ist die erste onto - genetische Stufe des Idioplasma’s48; die Grundeinheiten des K.49; seine Zusammensetzung aus Biophoren54,65; feste Architektur82;623 eine in sich abgeschlossene Einheit84; Zusammenfassung seines Baues101; seine Grössenverhältnisse115; als Knospen-Idioplasma220; gesetzmässige Spaltung desselben226; Neben - Keimplasma230; Continuität desselben241; seine Zusammensetzung49 104,246; seine Veränderung durch Amphimixis307; sein Gehalt an Idanten der Eltern333; partielles Variiren desselben326,356; Vorfahren - Determinanten desselben als Ursache des Rückschlags440; Um - wandlung und Stufenleiter des Rückschlags441; Knospen-K. 580; Reserve-K.587,595.
  • Keimzellen, Bildung derselben241; Verschiebung der Keimstätte im Laufe der Phylogenese246; die Anlage nur bestimmten Zellenfolgen zugehörig249; Unterschied von Somazellen276; und die Combi - nation von Iden321,325; enthaltend nur die Hälfte der elterlichen Ide336;600.
  • Kennel, Regeneration eines Storchschnabels167; Teilung200.
  • Kiwi-Kiwi (Apteryx), Schwund seiner Flügel111.
  • Kleinenberg, Entwicklung von Lumbricus trapezoides224.
  • Knospung der Coelenteraten204; Knospungs-Idioplasma208; der Bryozoen209; der Tunicaten212; bei Pflanzen216; Vergleich der - selben bei Pflanzen und Thieren219; ihre Phylogenese222; als An - passung bei Polypen285; kurze Zusammenfassung295,599.
  • Knospen-Variation573; theoretische Erklärung580.
  • Kolibri als Beispiel sexuellen Dimorphismus561.
  • Kölreutter, Kreuzung von Nicotiana rustica × N. paniculata 342,353; Rückkreuzung400.
  • Kowalewsky, überzählige Zehen des Pferdes438.
  • Kraepelin, Untersuchungen von Zwitterbienen473.
  • Krankheiten, Vererbung von,509; Bluterkrankheit484.

L.

  • Lamarck, Vererbung erworbener Eigenschaften519.
  • Lang, A., Regenerationsvermögen als Schutzeinrichtung124; Theilung201; Knospung von Hydroiden206.
  • Leptodora hyalina, Entwickelung233; Sexualcharaktere und Deter - minantenlehre475.
  • Lester Ward, Neo-Darwinism and Neo-Lamarckism537.
  • Leuckart, Rudolph, Entdeckung der Parthenogenese der Bienen466; Mischung der sekundären Geschlechtscharaktere bei Zwitterbienen472.
  • Leydig, Regeneration bei Eidechsen147,155.
  • Liebscher, Kreuzung von Hordeum Steudelii × H. trifurcatum 394.
  • Löb, Knospung bei Tubularia mesembryanthemum285.
  • 624
  • Lycaena als Illustration der Determinantenlehre78,83; L. Adonis und Agestis117; Färbung und Dimorphismus470,490; Variation554.
  • Lumbriculus, Regeneration168,201.

M.

  • Marsh, überzählige Zehen des Pferdes438.
  • Marrubium, Vaillanti353.
  • Maulthiere, Querstreifung als Rückschlag415; theoretische Erklärung der Querstreifung431; pathologische Variation563.
  • Medusen, Bildung der Keimzellen246; Rückbildung zum blossen Ge - schlechtssack247.
  • Mesohippus438.
  • Meyer, O. E., über Moleküle115.
  • Micellartheorie55.
  • Miescher-Rüsch über Nuclein67.
  • Mischung der elterlichen Eigenschaften11; keine Fundamentalerschei - nung der Vererbung11; der elterlichen Idioplasmen während der Ontogenese331; der elterlichen Charaktere im Kinde342,348,389.
  • Morphoplasma50.
  • Müller, Josef, Gamomachie und Gamophagie388.
  • Musciden, Erneuerung des Epithels des Darms77.

N.

  • Nägeli, Carl von, physiologische Theorie der Abstammungslehre13; die Vererbungssubstanz nur ein minimaler Theil der Eizelle31; seine Micelle55; Variation540; Ibis und Krokodil und Variation547; Knospen-Variation582.
  • Nais, Regeneration168.
  • Naudin, Versuche mit Datura421.
  • Nicotiana rustica und N. paniculata, Kreuzung342; Unterschied in der Blüthe350; N. alata × N. Langdorffii394.
  • Nitsche, O., Knospung der Bryozoen210.
  • Nussbaum, künstliche Theilung der Infusorien70; Gedanken über Continuität der Keimzellen263.

O.

  • Oka, Knospung der Bryozoen211.
  • Ontogenese oder Entwickelung des Individuums44; beruht auf gesetz - mässiger Veränderung des Keimplasma44; Rolle der Determinanten bei ihrem Ablauf108; Erklärung nur möglich durch Evolution nicht durch Epigenese184; unter der Leitung des amphimixotischen Keim - plasma330.
  • 625
  • Otternschaf382.
  • Owen, Richard, über Zellen260.
  • Oxalis, Kreuzung verschiedener Arten von334.

P.

  • Pangene von De Vries als Eigenschaftsträger21; frei mischbar21; im Vergleich mit den Biophoren56.
  • Papilio Turnus491.
  • Pflüger, Vererbungssubstanz nur ein minimaler Theil der Eizelle31; Einfluss der Schwere auf die Entwicklung des Froscheies181.
  • Phanerogamen, Knospung284.
  • Philippeaux, Regeneration bei Triton158.
  • Phylogenese104; Parallelismus zwischen ihr und der Ontogenese107; der Theilung der Metazoen200; der Regeneration152; der Knospung222; des Vererbungsapparates591 u. f.
  • Plasome von Wiesner27.
  • Plastidul, Hackel’s54.
  • Plumularia, Knospung derselben206.
  • Podocoryne carnea248.
  • Polyommatus Phlaeas524,551.
  • Polydaktylie, Vererbung derselben489,563 u. f.
  • Polymorphismus491; der Thier - und Pflanzenstöcke494,607.
  • Primula acaulis, Rückschlag auf die langstengelige Form23.
  • Prosper Lucas, über Vererbung der Polydaktylie489.
  • Protohippus438.

R.

  • Ray Lankester, über Nichtvererbung erworbener Eigenschaften520.
  • Rath, Dr. O. vom, über Lininfäden zwischen den Idanten320; Re - ductionserscheinungen der Keimzellen in Gliederthieren327.
  • Rauber, als Vorläufer der Annahme einer Continuität des Keimplasma263.
  • Reductionstheilung des Keimplasma15,31,309; als Ausschaltung von Iden315; Einfluss auf die Zusammensetzung des Keimplasma317; als Grund der Ungleichheit der Kinder eines menschlichen Elternpaares336; in Bezug auf Rückschlag401.
  • Regeneration, die idioplasmatische Grundlage derselben124; als Schutz - einrichtung124; physiologische125; der Epidermis126; palin - genetische140; coenogenetische144; der Schwanzwirbelsäule146,147; ihre Phylogenese152; physiologische und pathologische159; beruht auf Anpassung159; bei Fischen, Vögeln und Sängern160; Unterschied ihrer Kraft bei nieder - und höher - organisirten Thieren626166; durch Selection herbeigeführt168; facultative oder polygene168; bei Pflanzen177; Callusbildung179; an thierischen Embryonen179; der Furchungszellen186; Zusammenfassung296,597.
  • Reisseck, über Kreuzung von Cytisus laburnum × C. purpureus450.
  • Reiz, als Veranlassung aufgefasst172.
  • Rhabditis nigrovenosa, Keimbahn257.
  • Roux, Wilhelm, über den Zweck des Theilungsapparates des Kerns37; Kampf der Theile143; Differenzirung des Eies zum Embryo mit Aus - schluss der Schwerkraft181; Versuche an Froscheiern182; Post - generation189.
  • Rückbildung, zusammengehalten mit der Determinantenlehre112.
  • Rückert, J., Verhalten der Chromosomen im reifenden Haifischei68,96,325.
  • Rückschlag bei Pflanzenmischlingen392; zur reinen Stammform401; R. und Rassenkreuzung beim Menschen403; auf den Grosselter405; auf Charaktere weit entfernter Vorfahren415; bei Datura32,421; auf alte Blüthenformen bei Pflanzen4; auf rudimentäre Charaktere436; bei Knospung443; bei Parthenogenese451; sexueller R.481; bei Knospenvariationen590,602.

S.

  • Sachs, J., über Callusbildung179; Wachsthum von Chara217; ad - ventive Knospen277.
  • Sagitta, Embryogenese243. Verlauf der Keimbahn254.
  • Salamandra, Regeneration der Beine132.
  • Salpen, Knospung215; Generationswechsel238.
  • Schmetterlinge, ihre Flügelzeichnung verwerthet zur Begründung der Determinantenlehre73,230,346,347; Kallima paralecta als Beispiel relativer Vollkommenheit357; die klimatischen Varietäten in ihrer idioplasmatischen Wurzel499,523,531,548.
  • Schreiber, über Regenerationsvermögen bei Triton marmoratus154.
  • Seeliger, O., über Knospung bei Bryozoen210; Knospung von Clavel - lina213; der Salpen215; Knospung bei Pedicellina286.
  • Semper, Carl, Theilungsvorgang bei Nais195.
  • Settegast, über Infection des Keims507.
  • Selbstdifferenzirung der Zellen181.
  • Siebold, v., Bestimmung des Geschlechts bei der Biene466; Zwitter - bienen472.
  • Siren lacertina Regenerationsvermögen des153.
  • Spallanzani, über die Regenerationskraft der verschiedenen Organe156; bei Triton160; Regeneration der Kiefer bei Triton167.
  • 627
  • Spencer, Herbert, Physiologische Einheiten151; ihr Verhältniss zu den Keimchen Darwin’s8; über Vererbung10; über Regeneration139; Regeneration verglichen mit Krystallisation171.
  • Steigerung einer Eigenschaft durch Kreuzung558.
  • Strasburger, über Befruchtung bei Phanerogamen31; Gleichwerthig - keit des männlichen und weiblichen Kerns32; Begründung der dynamischen Wirkung der Kernsubstanz61.
  • Syphilis, Vererbung der,510.

T.

  • Tardigraden Umfang der Vererbungsstücke79.
  • Tauben, Rückschlag auf die Felsentaube424,462; Steigerung einer Eigenschaft durch Züchtung558,560.
  • Telegonie oder Infection des Keims504.
  • Termiten, ihr Polymorphismus498.
  • Theilung, bei den Naiden195; bei Mistocromeen199,599.
  • Thuja, Dichegonie503.
  • Traueresche584,587.
  • Triton133; Schema der Regeneration eines Armes136,154; Versuche über Regeneration der Lunge157.
  • Tubularia mesembryanthemum, Knospung derselben285.
  • Tunicaten, Knospung derselben212.
  • Tuberkulose und Infection des Keimes512.

V.

  • Vanessa, Levana und Prorsa499.
  • Variation, Intermezzo über V.355; theoretische Begründung derselben538; normale individuelle V.540; Wurzel oder erbliche V.544; patho - logische V.562 u. f. ; Zusammenfassung der Ansicht über V.566; grössere Beträge von V. bei Pflanzen572 608.
  • Verdoppelung von Gliedmaassen bei Käfern564; von ganzen Deter - minanten-Gruppen563.
  • Vererbung, ihre Grunderscheinungen27; bei den Einzelligen69; im Anschluss an die Architektur des Keimplasma93; homologe und homochrone101; bei einelterlicher Fortpflanzung123; bei geschlecht - licher Fortpflanzung302,330; Erklärung der scheinbar einelterlichen V. bei Pflanzen-Mischlingen339; beim Menschen339; der Augen - farbe365; Beispiel der scheinbar einelterlichen V.350,367; Kraft der V.380; V. erworbener Eigenschaften515; V. von Verletzungen521; V. von Spiel-Abänderungen583; der Vererbungsapparat612.
  • Vererbungssubstanz ist nicht im Zellkörper, sondern im Zellkern enthalten15; aus Anlagen zusammengesetzt21; nur ein kleiner628 Theil der Substanz des Eies31; aus verschiedenen Qualitäten zu - sammengesetzt37; ihr Bau ein sehr verwickelter40; Wachsthum - process derselben42; bei Einzelligen592; bei Vielzelligen593.
  • Verworn, M., die Vererbungssubstanz auch im Zellkörper enthalten39.
  • Vilmorin, Individualpotenz bei Pflanzen381,382.
  • Vines, gegen die Annahme einer besondern reproductive substance 266; die embryonale Substanz 268.
  • Volvox, Beweis für den Gegensatz von Soma - und Keimzellen282; Beispiel für sexuellen Dimorphismus464.
  • Viola tricolor, Rückschlag auf die Stammform419.
  • Vöchting, H., Über Transplantation am Pflanzenkörper173.
  • De Vries, Hugo, Gegner der Ahnenplasmen-Theorie17; seine intra - cellulare Pangenesis gegenüber der Darwin’schen Pangenesis18; Widerspruch gegen die Ansicht, dass die Vererbungssubstanz nur im Kern enthalten sei38; feinste Protoplasmastructur51; über Häckel’s Plastidule54; gegen Strasburger und Haberlandt’s Ansichten62; seine Pangene als Träger von Zelleigenschaften57; Continuität der Zellorgane75; seine Haupt - und Nebenkeimbahnen271,277; über die Continuität des Keimplasma273; die Gallen als Beweis gegen die - selbe287; Gallen von Cecidomyia Poae291; Kreuzung zweier Bohnen - arten389; über Pflanzenbastarde394; über Dichegonie501,592.

W.

  • Wagner, F. von, über Knospung und Theilung193; Theilung des Microstoma lineare199; Knospung204.
  • Wallace, Alfred, Papilio Memnon493; Variation538.
  • Weide, die, Wurzelanlagen in den Sprossen503.
  • Wiesner, Julius, über die Elementarstructur und das Wachsthum der lebenden Substanz26; über feinste Protoplasmastructur51; Conti - nuität der Zellorgane64.

Z.

  • Zander R., über Polydaktylie564.
  • Ziegler, Ernst, über das Gesetz der Specifität der Gewebe150; über Tuberkulose514; Polydaktylie als Keimes-Variation565.
  • Zwillinge187; identische und unähnliche332.
[629]

Errata.

  • Auf p.398, Absatz II, von Zeile4 an muss es folgender - massen heissen: 8 A × 8 B ; (7 A + 1 B) × 8 B ; (6 A + 2 B) × 8 B ; (5 A + 3 B) × 8 B ; (4 A + 4 B) × 8 B ; (3 A + 5 B) × 8 B ; (2 A + 6 B) × 8 B ; (A × 7 B) × 8 B ; 8 B × 8 B , aus welch letzterer Combination die reine Stammart B hervorgehen müsste.
  • Ferner muss es auf p.399, Absatz II, Zeile1 heissen: Stammart B .

About this transcription

TextDas Keimplasma
Author August Weismann
Extent657 images; 162314 tokens; 14651 types; 1179251 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

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Bibliographic informationDas Keimplasma Eine Theorie der Vererbung August Weismann. . XVIII, 628 S. FischerJena1892.

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LanguageGerman
ClassificationFachtext; Biologie; Wissenschaft; Biologie; core; ready; china

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