PRIMS Full-text transcription (HTML)
[I]
Das Reich der Erfindungen.
In einem Band komplett.
Mit 534 Abbildungen.
Berlin1896.Verlagsanſtalt Urania.
[II][III]

Zur Einleitung.

In der Geſchichte eines jeden Volkes hat es goldene Zeitalter gegeben, wo ſich der menſchliche Geiſt von dem rohen kriegeriſchen Handwerk, welches meiſt die Triebfeder des ganzen Staatenlebens aus - machte, abwandte und ſein ganzes Denken und Können faſt nur den Künſten und Wiſſenſchaften zulenkte. Dann feierten dieſe ihre höchſten Triumphe, es ſchien, als habe es nur eines leiſen Anſtoßes bedurft, um die gährenden Kräfte zu entfalten, und dem edelſten Wettſtreit verdanken wir die unerreichten Kunſtwerke der Griechen, die wunderbaren Bauten der Römer, die mannigfachen impoſanten Reſte einer früheren Zeit.

Und doch iſt aus den Reſultaten glanzvoller Epochen für die Induſtrie wenig Erſprießliches zu melden. Es fehlten zu allen Zeiten die Chroniſten, die nicht nur der Thaten eines Alexander und Cäſar gedachten, ſondern auch den Mann würdigten, der grübelnd und ſinnend der Natur ihre Geheimniſſe und Kräfte ablauſchte, um ſie in den Dienſt der Menſchheit zu ſtellen, oder der mit bedeutender Geiſtes - kraft Erfindungen machte, die der moderne Menſch ſo ſelbſtverſtändlich und nichtachtend anſieht.

Wichtige, einſchneidende Erfindungen ſind ſchon früher und zu allen Zeiten gemacht worden.

Welcher hochbedeutſame Schritt war es beiſpielsweiſe, als man zum erſtenmale den Wind zum Treiben der Schiffe ausnutzte, als man dem Schlitten ein drehendes Rad unterſetzte und ihn zum Wagen machte.

Niemand kennt heute den Erfinder des Segels oder des Wagens, niemand brachte das Genie, welches dieſe wunderbaren Entdeckungen machte, auf die Nachwelt.

Es hat eine unendliche Zeit gedauert, bis die Geſchichtsforſcher anfingen, der Induſtrie einen Platz in ihren Werken einzuräumen, vor allem erſt ſeit jener Zeit, wo die Verwertung der Dampfkräfte die koloſſalſten Umwälzungen auf allen Gebieten hervorbrachte.

Seit dieſer Zeit entwickelte ſich in allen Zweigen ein raſtloſer Eifer, neue Induſtrieen entſtanden, Phyſik und Chemie, die Bahnbrecher der Induſtrie überhaſteten ſich faſt in epochemachenden Entdeckungen.

Auch der unbedeutendſte Erwerbszweig iſt heute auf die Benutzung von Erfindungen angewieſen, das ganze Getriebe iſt von Grund aus umgeſtaltet worden.

IV

Der glänzende Aufſchwung, namentlich der letzten zwanzig Jahre, der alle Induſtriezweige zu einer unvergleichlichen Höhe brachte, läßt noch auf eine überraſchende, überreiche Zukunft ſchließen.

Wo jetzt der größte Teil der menſchlichen Handarbeit infolge des erfinderiſchen Geiſtes des Menſchen in maſchinellen Betrieb umgeſetzt iſt, iſt es ſelbſt für den Fachmann ſchwer, ſich in der Fülle der Re - ſultate zurecht zu finden.

Tag für Tag erſinnt der grübelnde Menſchengeiſt neues oder formt altes zu praktiſcherer Verwendung und höherer Brauchbarkeit um.

Jeder, auch der unbedeutendſte Gegenſtand hat ſeine Geſchichte und ehe er zu der Vollendung gebracht wurde, in der er jetzt vor uns erſcheint, hat das Denken unzähliger Köpfe, die Kenntnis und Exiſtenz zahlloſer früherer Erfindungen dazu gehört.

Mit wie anderen Augen ſieht man ein Produkt an, deſſen Werden und Entſtehen man kennt, von dem man weiß, wie viel tauſend fleißige Hände, wie viel komplizierte Maſchinen an ihm gearbeitet haben.

Aber nicht bloß dies das Jahrhundert ſtellt an die Bildung des Menſchen ganz andere Anſprüche als die Vorzeit, es genügt nicht mehr oberflächliche Kenntniſſe zu beſitzen das Wiſſen iſt an die erſte Stelle getreten, das Wiſſen vor allem wird geſchätzt, das Wiſſen macht den Menſchen.

So lag das allgewaltige, faſt unabſehbare Gebiet der Induſtrieen und Erfindungen vor, und es galt nur, Plan und Methode in das reiche Feld zu bringen, um aus beſchaulicher Höhe ein Bild gewinnen zu laſſen, auf welcher Stufe ſich heute der induſtrielle Betrieb befindet, wie die zahlloſen Luxus - und Beiriebsgegenſtände entſtehen, wie die Entwickelungsgeſchichte der Erfindungen iſt, welche Vorbedingungen zu allen Fortſchritten erforderlich waren.

Bei der Fülle des Materials war dieſe Aufgabe keine leichte, zumal unſer Werk ſich nicht an den Fachmann, ſondern an die große Maſſe des Volkes des denkenden Volkes wendet.

Wir hoffen, unſer Programm zufriedenſtellend gelöſt zu haben; bildend und belehrend in ſeiner Form, feſſelnd im Inhalt, den Bedürf - niſſen jedes Gebildeten ſowie der reiferen Jugend, die nicht früh genug mit der Kunde der Erfindungen vertraut gemacht werden kann, angepaßt, wird dies Werk für jeden unentbehrlich ſein, der der ihn umgebenden Welt und dem gewaltigen Ringen der Induſtrie ſein Intereſſe ent - gegenbringt.

Die Verlagsanſtalt.

[V]

Inhalts-Überſicht.

  • Seite.
  • I. Die Meſſungen1
    • 1. Die Erfindung der Maße und der Gewichte. Von F. Plato1
      • Die Erfindung des Längenmaßes1
      • Längenmeſſungen und Längenmaßvergleichungen3
      • Meſſung der Dicken und Weiten10
      • Von den Wägungen12
      • Die Apparate zur Wärmemeſſung24
      • Die Apparate zur Meſſung des Luftdruckes27
      • Vom Meſſen des Druckes eingeſchloſſener Gaſe31
    • 2. Die Erfindung der Zeitmeßapparate. Vom Herausgeber33
      • Die erſten Zeitmeſſungen33
      • Die Pendeluhren35
      • Die Taſchenuhren42
  • II. Die Beherrſchung der Naturkräfte50
    • 1. Die Motoren. Von M. Geitel. 50
      • Allgemeines50
        • a) Der Menſch und das Tier als Motor60
        • b) Die Waſſermotoren63
          • 1. Die vertikalen Waſſerräder oder Waſſerräder im engeren Sinne63
          • 2. Die horizontalen Waſſerräder oder Turbinen67
          • 3. Die Waſſerſäulenmaſchinen71
        • c) Die Windmotoren72
        • d) Die Wärmemotoren80
          • 1. Die Heißluftmaſchinen80
          • 2. Die Dampfmaſchinen84
        • VI
        • Seite.
        • e) Die auf der chemiſchen Verwandtſchaft verſchiedener Körper beruhenden Motoren109
          • 1. Die Gasmotoren109
          • 2. Die Petroleum - und Benzinmotoren116
    • 2. Die elektriſchen Erfindungen. Vom Herausgeber. 123
      • a) Die Erfindung des Blitzableiters123
      • b) Die Erfindung der Galvanoplaſtik131
        • Der galvaniſche Strom131
        • Die Galvanoplaſtik134
        • Das Verſilbern, Vergolden und Vernickeln141
      • c) Die Erfindung der Induktion und der Dynamomaſchinen147
        • Die Induktion147
        • Die magnetelektriſchen Apparate155
        • Die Dynamomaſchinen164
      • d) Die Erfindung des elektriſchen Lichts178
      • e) Die elektriſche Kraftübertragung188
        • Frühere Anſichten und Beſtrebungen188
        • Die Lauffener Übertragung192
        • Die elektriſchen Centralanlagen199
      • f) Die Erfindung der Elektromotoren, der elektriſchen Schiffe und der elektriſchen Eiſenbahnen210
        • Die Elektromotoren210
        • Die elektriſchen Eiſenbahnen215
        • Die elektriſche Schiffahrt224
        • g) Die Erfindung des Phonographen und des Telephons226
        • Der Phonograph226
        • Das Telephon233
      • h) Die Erfindung des elektriſchen Telegraphen und der elektr. Uhren242
        • Die Vorgeſchichte des Telegraphen242
        • Die heutige Telegraphie246
        • Die Wohlthaten der Telegraphie255
        • Die telegraphiſche Zeitverſorgung257
  • III. Die Wohnung261
    • 1. Die Baumaterialien. Vom Herausgeber. 261
      • Die Bauten aus Holz und natürlichen Steinen261
      • Die Verbindungsſtoffe264
      • Die künſtlichen Bauſteine269
    • 2. Beleuchtung und Heizung. Von O. Lubarſch. 276
      • Der Verbrennungsprozeß277
        • a) Die Beleuchtung283
          • 1. Feſte Beleuchtungsſtoffe, Beleuchtung mit Kerzen284
          • 2. Flüſſige Beleuchtungsſtoffe, Beleuchtung mit Lampen288
          • VII
          • Seite.
          • 3. Gasförmige Leuchtſtoffe, Gasbeleuchtung298
          • 4. Beleuchtung durch Erhitzen von beſonderen feſten Körpern zum Glühen313
        • b) Die Heizung318
          • 1. Heizmaterialien318
          • 2. Heizungsanlagen326
  • IV. Kleidung334
    • 1. Die Textil-Induſtrie. Von M. Speer. 334
      • Geſpinſtfaſern334
      • Gewinnung und Zurichtung der Geſpinſtfaſern als Rohmaterial339
      • Eigenſchaften und Unterſuchungen der Geſpinſtfaſern345
      • Die Vorarbeiten für das Spinnen und das Spinnen ſelbſt346
      • Die Baumwollſpinnerei348
      • Die Flachs -, Hanf - und Juteſpinnerei355
      • Die Wollſpinnerei358
      • Die Seidenſpinnerei364
      • Weitere Behandlung der Garne366
      • Die Weberei und ihre Vorbereitungsarbeiten367
      • Das Wirken und Stricken380
      • Das Häkeln, Knüpfen, Klöppeln383
      • Die Poſamentiererei384
      • Das Sticken385
      • Das Nähen386
      • Die Appretur386
    • 2. Die Farben und das Färben. Von F. Kalckhoff. 392
      • a) Farben zum Bemalen393
      • b) Farben zum Färben397
        • 1. Die tieriſchen Farbſtoffe398
        • 2. Die pflanzlichen Farbſtoffe400
        • 3. Die Teerfarbſtoffe404
      • c) Färben und Drucken412
  • V. Ernährung. Von M. Weitz. 418
    • 1. Die künſtlichen Düngeſtoffe und die Chemie des Bodens in Bezug auf die Pflanzenernährung418
      • a) Entſtehung des Bodens419
      • b) Beſtandteile und Nahrungsmittel der Pflanze423
        • Das Waſſer als Nährmittel der Pflanze427
        • Die übrigen Nährſtoffe der Pflanze428
      • c) Die Düngung430
        • Die konzentrierten Düngemittel433
    • 2. Die landwirtſchaftlichen Maſchinen und Geräte449
      • a) Die Bodenbearbeitungsmaſchinen450
      • b) Die Saatmaſchinen468
      • VIII
      • Seite.
      • c) Die Erntemaſchinen475
    • 3. Nahrungs - und Genußmittel484
      • a) Die gegohrenen Getränke: Bier, Branntwein und Wein484
        • Die Bierbrauerei484
        • Die Rohmaterialien für die Bierbereitung485
        • Die Mälzerei487
        • Die Bereitung der Bierwürze492
        • Die Gährung der Bierwürze501
        • Die Branntweinbrennerei504
        • Die Weinbereitung512
      • b) Die Aufgußgetränke521
        • Der Kaffee523
        • Der Thee530
        • Der Kakao und die Schokolade535
      • c) Die narkotiſchen Genußmittel: Tabak, Opium, Hanf, Koka und Hopfen540
        • Der Tabak541
        • Das Opium545
        • Der Hanf, die Koka und der Hopfen547
      • d) Butter und Kunſtbutter547
      • e) Die Brotbäckerei554
      • f) Das Fleiſch561
  • VI. Wehr - und Werkzeuge570
    • 1. Die Rohgewinnung der Metalle. Von M. Weitz570
      • Allgemeines570
      • a) Unedle Metalle572
        • Das Eiſen572
        • Das Kobalt584
        • Das Nickel585
        • Das Kupfer586
        • Das Blei591
        • Das Zinn594
        • Das Wismut597
        • Das Zink598
        • Das Kadmium603
        • Das Antimon604
        • Das Arſen606
        • Das Mangan607
        • Das Aluminium608
        • Das Magneſium611
      • b) Edle Metalle612
        • Das Queckſilber612
        • Das Platin616
        • IX
        • Seite.
        • Das Silber618
        • Das Gold626
    • 2. Die Metallverarbeitung. Von F. Plato. 631
      • a) Die rohere Formgebung der Metalle631
        • Das Gießen632
        • Das Schmelzen643
        • Das Schmieden646
        • Das Preſſen654
        • Das Walzen655
        • Das Vorwärmen des Metalls657
        • Die Blecherzeugung658
        • Die Staberzeugung661
        • Das Ziehen662
        • Die Drahterzeugung663
        • Die Röhrenerzeugung666
      • b) Die letzte Formgebung der Metalle670
        • Die Trennungsarbeiten671
        • Die Biegungs - und Drehungsarbeiten676
        • Die Zuſammenfügungsarbeiten677
        • Die Verſchönerungs - und Erhaltungsarbeiten679
        • Die Stahlſchreibfedern683
        • Die Münzen685
        • Die Nähnadeln687
    • 3. Die Sprengſtoffe und ihre Verwendung in der Technik und im Kriege. Von O. Lubarſch. 690
      • Das Schießpulver691
      • Das Knallqueckſilber712
      • Das Nitrogl cerin713
      • Die Pikrinſäurepräparate715
  • VII. Das Verkehrsweſen. Von M. Geitel. 716
    • Allgemeines716
      • 1. Der Verkehr zu Lande717
        • a) Straßen, Wege und ihre Fahrzeuge717
          • 1. Der Bau von Straßen und Wegen717
          • 2. Die von Zugtieren bewegten Fahrzeuge723
          • 3. Die Motorwagen731
          • 4. Die Draiſinen oder Velocipede734
        • b) Die Eiſenbahnen und ihre Betriebsmittel736
          • Allgemeines736
          • 1. Der Bau der Eiſenbahnen748
          • 2. Die Lokomotiven und Eiſenbahn-Wagen759
          • 3. Außergewöhnliche Eiſenbahnſyſteme768
      • 2. Der Verkehr zu Waſſer774XInhalts-Überſicht.
        • Seite.
        • a) Die Waſſerwege774
        • b) Der Schiffsbau782
        • c) Die Sicherung der Schiffahrt. Von G. Witt. 794
          • 1. Der Kompaß797
          • 2. Das Log und das Lot800
          • 3. Die Ortsbeſtimmung zur See803
          • 4. Das Signalweſen808
      • 3. Die Luftſchiffahrt820
  • VIII. Aus der chemiſchen Induſtrie824
    • 1. Die chemiſche Induſtrie der Säuren und Alkalien. Von O. Lubarſch824
      • a) Die Fabrikation der Schwefelſäure825
      • b) Die Fabrikation der Salpeterſäure831
      • c) Die Fabrikation der Salzſäure833
      • d) Die Sodafabrikation833
        • 1. Darſtellung der Soda nach Leblancs Verfahren834
        • 2. Darſtellung der Soda nach dem Ammoniakverfahren838
      • e) Die Pottaſchefabrikation840
      • f) Die Seifenfabrikation841
    • 2. Die Fabrikation und Verarbeitung des Glaſes. Von O. Lubarſch845
      • Allgemeines845
      • a) Das Hohlglas853
      • b) Das Hartglas857
      • c) Das Fenſterglas858
      • d) Das Spiegelglas860
      • e) Das Kryſtallglas864
      • f) Das Flintglas866
      • g) Der Straß868
    • 3. Die Thonwaren. Vom Herausgeber. 872
      • a) Die Thonwarenfabrikation im allgemeinen872
      • b) Die dichten Thonwaren875
      • c) Die poröſen Thonwaren880
  • IX. Die optiſchen Inſtrumente. Von G. Witt. 884
    • 1. Die Spiegelung des Lichtes884
    • 2. Die Brechung des Lichtes891
    • 3. Das Mikroſkop899
    • 4. Das Fernrohr. Vom Herausgeber. 907
  • X. Das Papier und die vervielfältigenden Künſte. Von H. Stadt - hagen922
    • 1. Die Erfindung des Papiers922
    • 2. Die vervielfältigenden Künſte933
      • a) Die Schreibkunſt935
        • 1. Die Schreibſchrift935
        • 2. Die Stenographie940
        • XI
        • Seite.
        • 3. Das Schreibmaterial943
      • b) Die Buchdruckerkunſt945
        • 1. Die Erfindung der Buchdruckerkunſt945
        • 2. Die Schriftgießerei949
        • 3. Das Setzen953
        • 4. Das Stereotypieren956
        • 5. Das Drucken959
      • c) Die Schreibmaſchinen964
      • d) Der Holzſchnitt, Kupferſtich und Stahlſtich966
        • 1. Der Holzſchnitt966
        • 2. Der Kupferſtich968
        • 3. Der Stahlſtich971
      • e) Die Lithographie oder der Steindruck971
      • f) Die neueren Vervielfältigungsverfahren974
        • Autographie974
        • Hektographie974
        • Farbendruck975
        • Chemitypie976
        • Heliographie977
        • Naturſelbſtdruck977
      • g) Die Photographie977
        • 1. Die Erfindung der Photographie977
        • 2. Die Daguerreotypie980
        • 3. Die Talbottypie und die moderne Photographie982
        • 4. Die Momentphotographie991
        • 5. Die Photographie in natürlichen Farben995
        • 6. Die Telephotographie995
        • 7. Die Vergrößerung von Photographieen996
        • 8. Das photographiſche Druckverfahren997
  • Regiſter999
[XII]
[1]

I. Die Meſſungen.

1. Die Erfindung der Maße und der Gewichte.

Die Erfindung des Längenmaßes.

Meſſungen und Maße ſind uralt, faſt ſo alt wie das Menſchen - geſchlecht ſelbſt; in jenen Tagen des grauen Altertums, als der Menſchen noch wenige waren, ſo wenige, daß die allgütige Mutter Natur alle Bedürfniſſe des Lebens in überreichem Maße befriedigte, als der Nomade auf ſeinen Wanderzügen überall wo auch immer er ſeine Zelte aufſchlagen mochte, für Menſch und Vieh den Tiſch gedeckt fand, als der Begriff des Mein und Dein noch nicht vorhanden war, da machte ſich auch ein Bedürfnis nach Maßvergleichungen noch nicht geltend. Bald aber begann die Bevölkerung ſich zu vermehren und auszubreiten, ſie ſah ſich gezwungen, in harter Arbeit dem Boden ſeine Früchte ab - zuringen, Handel und Wandel blühten empor, und wie mit wachſender Kultur das Eigentum an Wert gewann, erhielten auch die Hilfsmittel, letzteren zu beſtimmen, eine erhöhte Bedeutung, das Verlangen nach Maßen und Gewichten machte ſich geltend. Wo die Wiege derſelben geſtanden, welchem Volke ihre Einführung zu verdanken ſei, das wird ſich wohl niemals mit Sicherheit feſtſtellen laſſen, doch ſcheinen die alten Babylonier um die ſyſtematiſche Ausarbeitung der Maße ſich ein beſonderes Verdienſt erworben zu haben. In fortwährendem Verkehr mit der Natur ſtehend, entnahmen die Urvölker auch ihre Maße der Natur was war wohl auch einfacher, als die Länge eines Acker - ſtückes nach der Anzahl der Schritte zu bemeſſen, die nötig waren, um daſſelbe abzugehen? Viele der Bezeichnungen, wie Arm, Elle, Fuß, Hand, Daumen, Schritt, Spanne, Klafter deuten auf dieſen Urſprung hin. Hatte die Menſchheit der Vorzeit gleichſam inſtinktiv zu Natur - maßen gegriffen, ſo wurden die Gelehrten ſpäterer Jahrhunderte durch wiſſenſchaftliche Gründe zu dem gleichen Vorgehen geführt. Ein Naturmaß hat den Vorzug, daß es ſich jederzeit leicht und ſicher wiederDas Buch der Erfindungen. 12Die Erfindung der Maße und Gewichte.herſtellen läßt, wenn auch ſeine ſämtlichen Verkörperungen an einem Tage durch eine Kataſtrophe vernichtet werden ſollten. Mit den alten Naturmaßen freilich ſah es böſe aus. Was z. B. hat man ſich unter einem Fuß zu denken? Der Menſchen Füße ſind gar verſchieden, und wie verſchieden die Größe derſelben aufgefaßt wurde, erſieht man daraus, daß faſt jeder Staat ſein beſonderes Fußmaß hatte, ja mancher Staat auch deren zwei und mehr. Das ging auch, ſo lange die Verkehrsmittel ſo beſchwerliche waren, daß ein Handel nur von Ort zu Ort ſich er - möglichen ließ; als aber Fahrzeuge aller Art Länder und Ozeane durchquerten, da wurde dieſer Zuſtand für den internationalen Welten - markt ein unerträglicher, und von Jahr zu Jahr machte ſich immer lauter die Forderung nach einem einheitlichen Maßſyſtem für alle Völker geltend. Die Abmeſſungen am menſchlichen Körper gaben, wie die Erfahrung gezeigt hatte, zu wenig beſtimmte Einheiten, als daß man auf dieſelben hätte zurückgreifen können; daher ſchlug der holländiſche Aſtronom und Phyſiker Huyghens 1664 vor, die Länge desjenigen Pendels als Maß zu wählen, welches genau eine Sekunde ſchlägt, während der franzöſiſche Aſtronom Mouton 1670 die Länge einer Bogen - minute auf dem Meridian gemeſſen hierfür angenommen wiſſen wollte. Nachher iſt dieſes letztere Projekt noch vielfach umgeändert worden, bis es mit gewiſſen Abänderungen und Feſtſetzungen in dem metriſchen Syſtem verwirklicht wurde.

Es verging faſt ein Jahrhundert, ehe man einen dieſer Vorſchläge ernſtlich in Angriff nahm. Erſt den Machthabern der franzöſiſchen Revolution, die ja auf ſo vielen Gebieten die gewaltigſten Umwälzungen hervorgerufen hat, blieb es vorbehalten, auch auf dem Gebiete des Meßweſens Wandel zu ſchaffen. Es wurde eine Kommiſſion, beſtehend aus Borda, Lagrange, Laplace, Monge und Condorcet, gewählt, die mit dem Vorſchlag hervortrat, als Einheit den zehnmillionſten Teil des Viertels eines Meridiankreiſes zu wählen, dieſe Länge ſpäter noch mit der Länge des Sekundenpendels unter 45° Breite zu vergleichen und die Einheit der Maſſe dadurch darzuſtellen, daß man ein durch Teile der neuen Längeneinheiten gemeſſene Menge deſtillierten Waſſers von der Temperatur des ſchmelzenden Eiſes im luftleeren Raum wägt. Wie man ſieht, ging man hier auf die Dimenſionen des Erdballes ſelbſt zurück, die nach menſchlichem Ermeſſen wenigſtens als ewig un - veränderliche angeſehen werden können. Die Erde iſt nahezu eine Kugel, ein Meridiankreis derjenige Bogen, welcher durch die beiden Erdpole geht. Die Länge eines ſolches Bogens war durch Meſſungen von Bouguer und Lacondamine in Peru, von Clairaut und Maupertuis in Lappland und Méchain und Delambre in Frankreich ſehr genau beſtimmt. Auf Grund der letzteren Meſſungen wurde die neue Längen - einheit konſtruiert, und im Jahre 1799 dem Staatsarchiv zu Paris als Repräſentant derſelben ein Platinſtab übergeben, deſſen Länge ein Meter heißen ſollte. Da alle Körper ſich in der Wärme ausdehnen,3Längenmeſſungen und Längenmaßvergleichungen.alſo der Platinſtab bei verſchiedenen Wärmegraden verſchiedene Länge hatte, ſo war feſtgeſetzt, daß er bei der Temperatur des ſchmelzenden Eiſes die richtige Länge darſtellte. Während die alten Maße meiſt in 12 Teile geteilt wurden der Fuß hatte z. B. 12 Zoll wurde bei der neuen Einheit die Zehnerteilung durchgeführt. 1 Meter hat 10 Dezi - meter = 100 Zentimeter = 1000 Millimeter; 1000 Meter = ein Kilometer. Als Einheit der Flächenmaße gilt ein Quadrat, deſſen Seiten ein Meter lang ſind, das Quadratmeter; als Einheit der Raummaße der Würfel, deſſen Seiten ein Meter lang ſind, das Kubikmeter. Die Gewichts - einheit, das Kilogramm, wiegt ſoviel wie ein Kubikdezimeter deſtillierten Waſſers im Zuſtande ſeiner größten Dichte (bei Wärme) im luftleeren Raume. So war denn endlich ein unveränderliches Naturmaß geſchaffen. Wenn auch alle Meterſtäbe plötzlich und alle Kilogramme verloren gehen, aus den Meſſungen eines Meridianbogens ließe ſich jederzeit die Längeneinheit und aus dieſer die Gewichtseinheit wieder herſtellen.

Die Vorzüge des metriſchen Syſtems waren ſo offenkundige, daß Frankreich dasſelbe noch im Jahre 1799 einführte, und jetzt benutzen es faſt alle Staaten der Erde. Im ſtrengſten Sinne des Wortes iſt freilich auch das Meter kein Naturmaß. Als Méchain und Delambre ihren Meridianbogen maßen, thaten ſie es natürlich mit den Hilfs - mitteln, die ihnen damals zu Gebote ſtanden; ſpätere Meſſungen mit verfeinerten Einrichtungen ergaben einen genaueren Werth, und nach hundert Jahren wird man abermals beſſere Reſultate erreichen können; die Länge des 10000000. Teiles des Meridianquadranten wird alſo auch mit immer größerer Sicherheit feſtgeſtellt werden. Mit einem ſolchen Maß aber, das jede neue Unterſuchung wieder verändert, weiß die Praxis nichts anzufangen, alle Maßſtäbe müßten ja immer wieder von neuem verändert werden; es iſt daher feſtgeſetzt, daß das im Pariſer Staatsarchiv aufbewahrte Platinmeter (mêtre des archives) als alleinige Verkörperung der Längeneinheit gelten ſoll.

Längenmeſſungen und Längenmaßvergleichungen.

Es lag nun die Aufgabe vor, nach dieſem Urmeter für den all - gemeinen Verkehr Maßſtäbe herzuſtellen. Man unterſcheidet zwei Arten von Maßſtäben, Endmaße und Strichmaße; bei den Endmaßen hat der Abſtand zwiſchen den beiden Endflächen die verlangte Länge, während dieſe bei den Strichmaßen durch den Abſtand zweier auf dem Stabe gezogener Striche dargeſtellt wird. Die Vergleichung zweier Strich - maße auf dieſe ſoll zunächſt eingegangen werden erſcheint äußerſt einfach, man legt dieſelbe ſo auf - oder aneinander, daß die Anfangs - ſtriche beider genau zuſammenfallen, dann iſt unter der Vorausſetzung, daß der eine von beiden richtig iſt der Betrag um den die beiden Endſtriche von einander abſtehen, der Fehler des zweiten Maßſtabes. Beim Aneinanderlegen der Nullſtriche wird der Einſtellungsfehler 0,1 mm1*4Die Erfindung der Maße und Gewichte.ſelten überſchreiten, rechnet man dieſelbe Ungenauigkeit bei der Abſchätzung oder Abmeſſung der Lage der Endſtriche, ſo iſt der geprüfte Stab bis auf 2 Zehntel Millimeter bekannt, eine Genauigkeit, die für den gewöhnlichen Markt - und Ladenverkehr vollkommen ausreicht, man hat für metallene Stäbe 0,5 mm, für hölzerne Stäbe 1 mm als Fehlergrenze feſtgeſetzt. Der für die Fehlerbeſtimmung der Verkehrsmaße benutzte Stab, das Gebrauchsnormal, darf ſelbſtverſtändlich nur ſehr viel geringere Abweichungen von der wahren Länge zeigen, man verlangt von ihm, daß er bis auf 0,1 mm, oder wenn er zur Beſtimmung feinerer, ſo - genannter Präziſionsmaßſtäbe benutzt wird, daß er bis auf 0,04 mm richtig iſt. Da die Gebrauchsnormale in fortwährender Verwendung ſind, ſo ſind ſie einer ziemlich ſtarken Abnutzung unterworfen und be - dürfen daher einer häufigeren Neubeſtimmung und Nachprüfung. Dieſem Zwecke dienen die Kontrolnormale, von denen verlangt wird, daß ihre Länge bis auf 0,025 mm beſtimmt ſei. Die Kontrolnormale wieder werden mit den Hauptnormalen verglichen, deren Fehler bis auf wenige Tauſendteile des Millimeter bekannt ſein müſſen, dieſe endlich mit dem in jedem Staate nur in einem Exemplare vorhandenen nationalen Prototyp, das eine genaue Kopie des zu Paris aufbewahrten internationalen Prototyps iſt.

Man kommt leicht zu der Frage: wozu dieſe großen Genauigkeiten? Vorſtehende Darlegungen werden bereits gezeigt haben, daß ſchon ſehr weit gehende Genauigkeiten erforderlich ſind, damit nur die Sicher - heit geboten wird, daß die Maßſtäbe, wie ſie der Kaufmann oder der Handwerker benutzt, den zu ſtellenden Anforderungen entſprechen, die Wiſſenſchaft aber iſt ſo hoch entwickelt, daß das Beſte, was ihr die Technik zu liefern im Stande iſt, für ihre Zwecke gerade gut genug erſcheint.

Maßvergleichungen der einfachſten Art, wie ſie oben angegeben ſind, werden mit bloßem Auge angeſtellt, bei feineren Unterſuchungen bedarf es komplizierter Inſtrumente. Wenn man an eine einfache Holz - platte eine feine Metallſpitze rechtwinklig zur Längsrichtung der Latte befeſtigt, in gleicher Weiſe eine zweite Spitze, doch ſo, daß dieſelbe ſich verſchieben läßt, ſo erhält man den einfachſten Maßvergleichungsapparat, den Stangenzirkel. Setzt man die feſte Spitze auf den Nullſtrich eines Stabes und ſtellt die bewegliche auf den Endſtrich ein, ſo kann man die jetzt durch den Abſtand der beiden Spitzen gegebene Normallänge leicht und bequem auf eine beliebige Anzahl anderer Stäbe übertragen und ſomit deren Fehler beſtimmen.

Zum Abmeſſen und Übertragen kleinerer Längen benutzt man ſchon ſeit ſehr alten Zeiten den gewöhnlichen Gelenkzirkel; derſelbe beſteht aus zwei zugeſpitzten Schenkeln, welche ein Gelenk verbindet, ſodaß die Spitzen einander beliebig genähert oder von einander entfernt werden können. Damit die gemeſſene Länge beim Übergang von einem Stabe zum andern ſich nicht verändert, wird beim Stangenzirkel der bewegliche5Längenmeſſungen und Längenmaßvergleichungen.Schenkel mitteltſt einer Schraube an der Führungsſchiene feſtgeklemmt. Beim Gelenkzirkel dient demſelben Zwecke ein Gradbogen, der an dem einen Schenkel feſtſitzt, während der andere Schenkel durchbrochen iſt und auf dieſem Bogen gleitet, an dem er ebenfalls mit einer Schraube geklemmt werden kann.

Die Zirkelmeſſungen ſind nun allerdings ſchon genauer wie die Meſſungen mit bloßem Auge, aber ſie haben alle einen großen Nachteil. Selbſt wenn man dieſelbe Länge nicht einmal, ſondern oft wiederholt überträgt, iſt doch eine größere Sicherheit als 3 bis 5 Hundertteile des Millimeters kaum zu erreichen, für feinere Meſſungen reicht alſo der Zirkel nicht aus, ganz abgeſehen davon, daß bei mehrmaligem Ein - ſetzen der Spitzen die Maßſtäbe ſtark zerſchrammt und verdorben werden. Wenngleich daher der Benutzung des Zirkels ſelbſt, für dieſe Zwecke ziemlich enge Grenzen gezogen ſind, ſo findet ſich doch das Prinzip des Stangenzirkels bei allen Apparaten wieder, die zu Längenver - gleichungen dienen, nur daß an Stelle der Spitzen Mikroſkope an - gewendet werden. Man erhält ſo einen optiſchen Stangenzirkel oder Comparator. Bevor jedoch auf dieſe etwas komplizierteren Inſtrumente ſelbſt eingegangen wird, mögen noch einige Worte über Maßſtäbe und einfache Längenmeſſungen Platz greifen.

Will man im gewöhnlichen Leben die Entfernung zweier Punkte beſtimmen, die Länge eines Werkſtückes feſtlegen oder ſonſtige Länge - meſſungen, welche die Praxis mit ſich bringt, vornehmen, ſo legt man den Nullſtrich des Maßſtabes auf den einen Punkt, an das eine Ende des Werkſtückes und ſieht dann nach, mit welchem anderen Striche des Maßes der zweite Punkt, das andere Ende des Werkſtückes zuſammenfällt. Die Anzahl der Teilſtriche des Maßſtabes giebt ſofort die gemeſſene Länge. Die Ausführung der Meſſung ſelbſt bleibt immer die nämliche, und dennoch ſind die Anforderungen an die Genauigkeit derſelben ſehr verſchiedene. Wenn die Länge eines Ackerſtückes in Betracht kommt, ſo ſpielen einige Dezimeter gar keine Rolle, dem Zimmermann iſt es ganz gleichgültig, ob ſeine Balken einige Zentimeter länger oder kürzer gerathen ſind, aber ſchon dem Tiſchler würde die Thür ſchlecht in den Schrank paſſen, wenn er ſich um ganze Zentimeter verſieht, noch viel genauer müſſen die Achſen bei Dampfmaſchinen in ihre Lager eingepaßt ſein, und der Techniker, der Phyſiker iſt oft mit Bruchteilen des Milli - meters nicht zufrieden geſtellt. Wenn das Meſſen dasſelbe bleibt, ſo müſſen alſo die Maßſtäbe dementſprechend eingerichtet ſein.

Die gewöhnlichen Maßſtäbe ſind meiſt aus Holz hergeſtellt und von rechteckigem Querſchnitt. In der That iſt Holz, da es durch die Wärme wenig verändert wird, ein vorzügliches Material für dieſe Zwecke. Langwarenmaßſtäbe, wie ſie in Tuch - und Leinengeſchäften Verwendung finden, die Meßlatten der Feldmeſſer und die zuſammen - klappbaren längeren Maße der Tiſchler und ähnlicher Handwerker ſind aus Holz. Für feinere Meſſungen ſind dieſe Stäbe nicht zu gebrauchen. 6Die Erfindung der Maße und Gewichte.Die erſte Bedingung für ein genaueres Meſſen iſt natürlich die mög - lichſte Feinheit der Teilſtriche ſelbſt. Bei den weichen Holzarten ſind die Teillinien bis zu 1 Millimeter dick und ihre Ränder ſtark verbogen. Man hat deshalb tannene Stäbe mit Ahorn ausgelegt und erhält auf dieſem Material Striche von 0,1 bis 0,05 mm Dicke. Sehr viel feinere Striche, bis zu 0,001 mm Breite, kann man auf Metall - und Glas - körpern auftragen, alle feinſten Stäbe ſind daher auch aus Metall Glas empfiehlt ſich ſeiner Zerbrechlichkeit wegen nicht angefertigt.

Fig. 1.

Maßſtab mit gerader Kante.

Fig. 2.

Maßſtab mit abgeſchrägter Kante.

Ferner hat man verſucht, die Meſſungsſicherheit dadurch zu erhöhen, daß man die Theilkanten abſchrägt. Legt man nämlich einen Maßſtab mit rechteckigem Querſchnitt auf die Fläche, in welcher die Punkte a und b Fig. 1 der zu meſſenden Länge ſich befinden, ſo iſt es ſehr ſchwer zu erkennen, welcher Teilſtrich zu dem Punkte a oder b gehört, und noch viel ſchwerer abzuſchätzen, um wie viel der Punkt von dem Strich abſteht. Der Maßſtab, wie ihn Fig. 2 zeigt, hebt dieſe Übelſtände zum Teil.

Die Teilung der Stäbe iſt ſelten weiter als bis auf 1 mm getrieben, Bruchteile dieſer Größe müſſen abgeſchätzt werden. Da dieſe Schätzungen jedoch immer nur ungenaue Reſultate liefern können, ſo ſind verſchiedene Einrichtungen getroffen, um dieſelben zu umgehen. Die einfachſte iſt der Transverſalmaßſtab. Bei dieſem werden die Teilſtriche durch 10 Linien in gleichem Abſtande rechtwinklig geſchnitten, ferner iſt in dem erſten der ſo gebildeten Rechtecke (Fig. 3) eine Diagonale gezogen. Alsdann ſind die auf den Querlinien abgeſchnittenen Strecken Zehntel -

Fig. 3.

Transverſalmaßſtab.

millimeter. Die erſte Querlinie iſt geteilt in 1 Zehntel und 9 Zehntel, die zweite in 2 Zehntel und 8 Zehntel ꝛc. Die Zehntelmilli - meter ſind auf dieſe Weiſe leicht abzuleſen.

Sehr viel beſſer erfüllt den gleichen Zweck der 1631 von Peter Vernier erfundene und nach ihm benannte Vernier oder Nonius. Bei zwei gleich langen Strecken, deren erſter und letzter Strich zuſammenfallen, die aber in eine ungleiche Anzahl von Teilen geteilt ſind, nimmt der Unterſchied zweier Striche vom erſten bis zum letzten immer um den gleichen Betrag zu. Legt man (Fig. 4) an die 9 erſten Striche eines Stabes AB7Längenmeſſungen und Längenmaßvergleichungen.einen zweiten kleinen Maßſtab CD, den Nonius, bei dem dieſelbe Strecke 0 bis 9 in 10 Teile geteilt iſt, ſo iſt, wenn die 0-Striche zu - ſammenfallen, die Entfernung 1 bis I gleich 1 / 10, 2 bis II gleich 2 / 10 u. ſ. w., 9 bis IX gleich 9 / 10 eines Teiles von AB, Strich 9 trifft dann wieder mit Strich X zuſammen. Beim direkten Meſſen wird der Nonius weniger verwandt, um ſo mehr beim Über - tragen von Längen. Habe ich beiſpiels - weiſe eine Entfernung in den Zirkel ge - nommen, dann ſetze

Fig. 4.

Nonius oder Vernier.

ich die eine Spitze auf den Strich 0 des Stabes AB ein und verſchiebe den Nonius ſo lange, bis ſein Strich 0 mit der zweiten Zirkelſpitze zuſammenfällt. Dies möge zutreffen, wenn der Nonius die Stellung hat, daß Strich 6 mit Strich VI zuſammenfällt, die gemeſſene Entfernung 0 bis 0 beträgt dann 6 Zehntel der Entfernung von 0 bis 1. Stände 0 am Nonius zwiſchen 8 und 9 und Strich VII fiele wieder mit einem Strich des Maßſtabes zuſammen, ſo wäre die gemeſſene Länge 8,7. Würde man den Nonius ſo teilen, daß 20 Teile deſſelben gleich 19 Teilen des Maßſtabes ſind, ſo könnte man direkt Zwanzigſtel ableſen. Die häufigſten Verhältniſſe ſind Zehntel und Fünfundzwanzigſtel.

Die größten Genauigkeiten liefert indeſſen der Vernier noch nicht, ſondern viel weiter kommt man mit der Mikrometerſchraube. Im weiteren Sinne des Wortes verſteht man unter Mikrometerſchrauben alle ſehr feingeſchnittenen Schrauben, damit an Inſtrumenten kurze, gleichmäßige Bewegungen ausgeführt werden. Eine Schraube beſteht aus einem feſten Cylinder, der Spindel, in welche das Gewinde ein - geſchnitten iſt. Den Abſtand zweier Windungen nennt man die Gang - höhe. Ein Ende der Schraube endigt in einen Cylinder, deſſen Durchmeſſer mehrmals größer iſt, als der der Spindel, den Schrauben - kopf. Der Mantel dieſes größeren Cylinders trägt meiſt auf der gekrümmten Fläche eine gleichmäßige Teilung, am häufigſten in 100 Teile, in dieſem Falle bezeichnet man den Kopf als Schrauben - trommel. Die Schraube bewegt ſich in einem Hohlcylinder, in welchen innen ein genau gleiches Gewinde eingeſchnitten iſt, ſo daß die Windungen der Schraube genau in die Windungen dieſer Schrauben - mutter eingreifen. Entweder iſt nun die Schraube feſtgelegt, dann bewegt ſich die Mutter bei einer Drehung derſelben, oder wenn die Mutter feſtſitzt, bewegt ſich die Schraube vorwärts und rückwärts. Wenn die Schraube mit einer Ableſungsvorrichtung Lupe, Mikroſkop - Fernrohr verbunden iſt, ſo iſt die Mutter beweglich angeordnet und führt einen viereckigen Rahmen, den Schlitten, der ein Faden,8Die Erfindung der Maße und Gewichte.paar oder Fadenkreuz zum Einſtellen trägt. Um noch Trommelteile ſchätzen zu können, befindet ſich neben der Trommel ein Nonius, meiſt aber nur eine einfache Strichmarke. Zeigt jetzt der Nullſtrich des Nonius oder die Strichmarke auf den Nullſtrich der Trommel, und die Schraube wird einmal ganz herumgedreht, ſo verſchiebt ſich die Mutter und mit ihr der Schlitten um eine ganze Ganghöhe, und die beiden Nullmarken ſtehen wieder einander gegenüber. Iſt die Trommel in 100 Teile geteilt, und es wird nur 1 / 10 Umdrehung gemacht, ſo zeigt die Strichmarke auf den Strich 10 der Trommel. Da der Nonius noch Zehntel-Trommelteile abzuleſen geſtattet, ſo würde ein Tauſendſtel Um - drehung, oder eine Verſchiebung des Schlittens um ein Tauſendſtel Ganghöhe noch deutlich zu meſſen ſein. Bei feinen Mikrometerſchrauben beträgt die Ganghöhe meiſt 0,1 mm, mit ihrer Hilfe ſind alſo noch 0,0001 mm genau einzuſtellen.

Nach dieſer Abſchweifung kehren wir zu den Komparatoren zurück. Die Stelle der Latte des Stangenzirkels vertritt hier eine ſtarke guß - eiſerne Schiene, welche mit ihren Enden auf zwei Steinpfeilern ruht. Dieſe gehen durch den Fußboden des Beobachtungsraumes frei hindurch und ſind direkt auf den Fundamenten des Gebäudes ſelbſt aufgemauert, damit weder die unter den Tritten des Beobachters erzitternden Dielen, noch vorüberfahrende Wagen ſie zu erſchüttern im Stande ſeien. Dieſe Schiene der Führungscylinder trägt zwei an einem Schlitten befeſtigte und mit dieſem längs des Cylinders bewegliche Mikroſkope*)Näheres hierüber unter optiſche Inſtrumente., die die Stelle der Zirkelſpitzen vertreten. Unter der Schiene befindet ſich ein ebenfalls gußeiſerner Tiſch, auf welchen die zu vergleichenden Stäbe aufgelagert werden. Sollen zwei Längen jetzt mit einander verglichen werden, ſo verſchiebt man die beiden Mikroſkope ſo lange, bis das eine auf den erſten Strich, das andere auf den letzten Strich des Normalſtabes weiſt, die feinere Einſtellung wird mit der Mikro - meterſchraube gemacht. Dieſe iſt ſo mit dem Mikroſkop verbunden, daß bei ihrer Umdrehung in der Bildebene deſſelben, ſich ein Paar von Spinnenfäden über die Stabſtriche hinſchiebt. Man dreht nun ſo lange an der Mikrometerſchraube, bis der Strich genau in der Mitte der Fäden ſteht und lieſt alsdann die Trommel ab. Hierauf verſchiebt man, rechtwinklig zur Richtung der Schiene, den beweglich eingerichteten Tiſch mit den Stäben, bis der zweite, neben dem erſten aufgelegte Stab unter die Mikroſkope zu liegen kommt, und dreht wieder die Mikrometer - ſchraube ſo lange, bis das Fadenpaar den Strich des zweiten Stabes einſchließt. Der Unterſchied der Trommelableſungen giebt dann den Längenunterſchied der Stäbe. Sei z. B. die Ganghöhe der Schraube 0,1 mm, die Trommel in 100 Teile geteilt, ſeien ferner bei der Pointierung auf den Normalſtab die Ableſungen am linken Mikroſkop 32,4, am rechten 47,2, und beim Viſieren auf den zweiten Stab bezüglich 64,79Längenmeſſungen und Längenmaßvergleichungen.und 93,1, bewegt ſich endlich mit wachſender Ableſung an der Trommel das Fadenpaar gleichmäßig in beiden Mikroſkopen nach rechts, ſo wären vorliegende Ableſungen ſo zu deuten: Der Nullſtrich des zweiten Stabes liegt um 32,3 Trommelteile weiter nach rechts, als der ent - ſprechende Strich des Normales, der Endſtrich dagegen um 45,9, würde alſo der zweite Stab ſo lange nach links gerückt, bis auf beiden Stäben ſich gleiche Ableſungen ergeben, ſo läge der Endſtrich des zweiten Stabes noch um 13,6 Trommelteile weiter rechts, wie der des Normales, der Stab iſt alſo um 13,6 Trommelteile oder 0,0136 mm länger, als der Normalſtab.

Für weniger genaue Meſſungen hat man auch kleinere tragbare Komparatoren mit meiſt nur einem Mikroſkop und feſtem Tiſch. Hier werden dann die Stäbe mit ihren Teilungen an einander gelegt, ſo daß beide gleichzeitig im Mikroſkop erſcheinen. Am beſten liegen die Stäbe ſo, daß die beiden Anfangsſtriche genau eine gerade Linie bilden; verſchiebt man das Mikroſkop auf der Schiene ſo lange, bis die Endſtriche in demſelben erſcheinen, ſo ergiebt die Differenz der Trommelableſungen beim Pointieren auf Stab I und Stab II ſofort den wahren Längen - unterſchied beider Stäbe. Bei den feinſten Maßſtäben iſt freilich ein Aneinanderlegen der Teilkanten nicht möglich, denn dieſe tragen nicht, wie der in Fig. 1 abgebildete Stab die Teilung an der Kante. Solche Stäbe mit rechteckigem Querſchnitt verändern leicht ihre Form und ihre Länge je nach der Unterlage, wie Fig. 5 zeigt. Iſt der Tiſch hohl, ſo ſind nur die Stab - enden unterſtützt, der Stab biegt ſich nach[unten] ein und der Abſtand der Endſtriche verkürzt ſich; iſt der Tiſch dagegen gewölbt, ſo iſt nur die Mitte des Stabes unterſtützt, der Stab wölbt ſich eben - falls, der Abſtand der Endſtriche verlängert ſich.

Fig. 5.

Geſtaltsänderungen rechteckiger Stäbe.

Wie man aber ſieht, bleibt der geradlinige Abſtand der Enden der punktierten Mittellinie in beiden Fällen derſelbe. Dieſe Mittelebene nennt man daher die unveränderliche Ebene oder die neutrale Schicht und teilt feine Stäbe auf dieſer Ebene. Fig. 6 ſtellt den Querſchnitt der Prototype des Meter dar, wie ſie jeder der allgemeinen Meter - konvention beigetretene Staat in einem Exemplar, hergeſtellt aus einer Legierung von 90 Teilen Platin und 10 Teilen Iridium, beſitzt.

Zum Abmeſſen größerer Längen, insbeſondere auf freiem Felde, benutzt man die Meßlatten, Meßketten, oder man bedient ſich der Meßbänder, welche je nach den Zwecken, denen ſie dienen ſollen, aus feinen Stahlſtreifen oder aus Köper hergeſtellt ſind.

Fig. 6.

Querſchnitt eines Normal - meters.

10Die Erfindung der Maße und Gewichte.

Meſſung der Dicken und Weiten.

Das mêtre des archives iſt kein Strichmaß, ſondern ein Endmaß. Auf die feinſten Vergleichungen von Endmaßen braucht indeſſen hier nicht eingegangen zu werden, da Endmaße für die Praxis ohne größere Bedeutung ſind, wohl aber ſpielen die in dasſelbe Gebiet fallenden Dickenmeſſungen eine ganz hervorragende Rolle. Auch hierbei werden in erſter Linie Zirkel benutzt, die nur entſprechend anders geſtaltet ſind, die ſogenannten Taſterzirkel, Kalibermaßſtäbe und Schublehren. Alle

Fig. 7.

Taſterzirkel.

dieſe Inſtrumente meſſen die Dicken durch Fühlen. Den gebräuchlichſten Taſter ſtellt Fig. 7 dar, er iſt ein

Fig. 8.

Dicken - und Weitentaſter.

Gelenkzirkel, aber die Schenkel ſind nicht geradlinig, ſondern ausgebaucht, damit ein größeres Werkſtück zwiſchen ihnen Platz finden kann, die Enden ſind ein wenig aus ihrer Ebene herausgebogen, damit die Fühlflächen einander gegen - über liegen. Man öffnet den Zirkel ſoweit, daß er das Werkſtück eben an den beiden Punkten berührt, deren Abſtand geſucht wird und mißt dann mit

Fig. 9.

Taſter mit Maßſtab.

einem Maßſtab die Entfernung der beiden Fühlflächen. Will man mit dem - ſelben Inſtrument auch Weiten meſſen z. B. einen Durchmeſſer von Röhren, ſo verlängert man die Zirkelſchenkel über den Dreh - punkt hinaus geradlinig und biegt die Spitzen nach außen um, der Taſter erhält dann die Geſtalt wie Fig. 8. Man kann die Entfernung der Fühlflächen mit einem Maßſtabe natürlich nur ganz roh meſſen, für beſſere Meſſungen iſt daher der Maßſtab gleich mit dem Taſter verbunden, wie bei Fig. 9; bei dieſem Taſter ermöglicht zugleich die angebrachte Mikrometerſchraube ein beſſeres Einſtellen. Würde man die geradlinigen (Ableſungsſchenkel) länger machen als die gekrümmten Schenkel, ſo müßte auch der Bogen, den die Enden der langen Schenkel beſchreiben, größer ſein, als die von den kurzen Schenkeln beſchriebenen, denn je größer der Radius, um ſo größer der Kreis. Der Winkelwert bleibt natürlich immer derſelbe, aber der Linearwert vergrößert ſich entſprechend der Schenkellänge. Man nennt eine ſolche Vorrichtung, durch welche kleine Meſſungen in große Ableſungen verwandelt werden, Fühlhebel. Beim Fühlhebeltaſter (Fig. 10) erſcheinen kleine Bewegungen der Fühlflächen als große Ableſungen auf dem geteilten Kreiſe.

Die Stelle des Stangenzirkels bei Längenmeſſungen vertritt bei Dickenermittelungen die Schublehre. An einem metallenen Lineal iſt11Meſſung der Dicken und Weiten.

Fig. 10.

Fühlhebeltaſter.

eine ebene Fühlfläche a am Ende befeſtigt, (Fig. 11). Auf dem Lineal, das eine Teilung trägt, läßt ſich eine zweite Fühlfläche mit Hilfe eines Rahmens verſchieben, der einen Nonius trägt. Man legt das zu meſſende Stück zwiſchen die beiden Fühlflächen a und b, drückt die

Fig. 11.

Kalibermaßſtab oder Schublehre.

Fläche b ſanft an und lieſt dann mit Hilfe des Nonius direkt die Dicke am Maßſtabe ab. Vorausgeſetzt iſt hierbei, daß die beiden Flächen a, b genau gleichlaufend und rechtwinklig zum Lineal ſtehen. Neben dieſen Schublehren finden auch die Schrauben - lehren vielfach Anwendung. Das Princip iſt das gleiche. Bei der Palmerſchen Lehre, Fig. 12, trägt ein Bügel S bei P die feſte Fühlfläche, gegen welche eine zweite Fühlfläche P durch eine Schraube bewegt werden kann. Die Umdrehungen der Schraube laſſen ſich an einem über dem Bügel ſichtbaren Maßſtab ableſen. Die kegelförmige Zuſpitzung der Hülſe K, welche mit der Schraube verbunden über dem inwendig als Mutter dienenden Maß - ſtab ſitzt, iſt in 20 Teile geteilt, ſo daß ſich noch zwanzigſtel Umdrehungen be - ſtimmen laſſen.

Die weitgehendſte Verwendung findet der Meßkeil, möge er nun als Weiten -

Fig. 12.

Palmerſche Lehre.

12Die Erfindung der Maße und Gewichte.meſſer oder als Dickenmeſſer in letzterem Fall iſt es ein Hohlkeil verwertet werden. Die Meßkeile liefern recht genaue Reſultate.

Von den Wägungen.

In innigem Zuſammenhange mit den Längen ſtehen die Gewichte, die Gewichtseinheit iſt unmittelbar aus der Längeneinheit hergeleitet. Urſprünglich war von der Kommiſſion, wie ſchon erwähnt, vorgeſchlagen, eine durch Teile der neuen Längeneinheit gemeſſene Menge deſtillierten Waſſers von der Temperatur des ſchmelzenden Eiſes, im luftleeren Raume gewogen, als Gewichts - oder Maſſeneinheit zu betrachten; ſpäter wurde feſtgeſetzt, daß ein Kilogramm gleich ſein ſolle dem Gewichte eines Kubikdezimeters deſtillierten Waſſers im Zuſtande ſeiner größten Dichte, gewogen im luftleeren Raum. Waſſer erleidet wie jeder Körper durch die Wärme eine Ausdehnung, wenn man alſo ein Kubikdezimeter (Liter) mit Waſſer von 10° Celſius füllt, und dann das Waſſer erwärmt, ſo läuft es über, weil es jetzt einen größeren Raum einnimmt. Bei 15°C. z. B. iſt alſo in demſelben Raum eine geringere Gewichts - menge Waſſer als vorher. Kühlt man andrerſeits das Waſſer ab, ſo zieht es ſich zuſammen, es nimmt weniger Raum ein, man muß demnach Waſſer nachgießen, um das Maß wieder ganz zu füllen, es iſt jetzt eine größere Gewichtsmenge in demſelben Raum. Ein Kubik - dezimeter deſtillirten Waſſers würde alſo kein beſtimmtes Gewicht haben, es muß noch die Temperatur deſſelben angegeben ſein. Waſſer hat die Eigenſchaft, bei C. am dichteſten zu ſein, wird es noch weiter abgekühlt, ſo fängt es wieder an ſich auszudehnen.

Alle Körper in der Natur haben, wie die Erfahrung lehrt, das Beſtreben zu fallen, ſich nach dem Erdmittelpunkt zu bewegen, wenn ſie an dieſer Bewegung nicht verhindert werden. Man muß daher annehmen, daß dem Erdball eine Kraft innewohnt, die ſich darin äußert, alle Körper nach dem Erdmittelpunkt anzuziehen und nennt dieſe Kraft die Schwerkraft. Die Eigenſchaft der Körper, vermöge deren ſie den Wirkungen der Schwerkraft ausgeſetzt ſind, iſt ihre Schwere. Die Richtung, nach welcher hin die Schwerkraft zieht, heißt die vertikale oder lotrechte, rechtwinklig zu dieſer ſteht die horizontale Richtung. Ruht der Körper auf einer horizontalen Unterlage, ſo wirkt zwar die Schwerkraft ebenfalls auf ihn, aber ſie wird durch eine gleich große und entgegengeſetzt gerichtete Einwirkung ſeitens der feſten Teile der Unterlage aufgehoben, der Körper verharrt unter dem Einfluſſe der beiden gleich großen aber entgegengeſetzt gerichteten Kräfte in Ruhe, er befindet ſich im Gleichgewicht. Dieſelben Verhältniſſe treten ein, wenn der Körper an einem hinreichend feſten Faden hängt. Die Größe des Druckes, welchen die Unterlage von dem auf ihr ruhenden, oder des Zuges, den der Faden von dem an ihm hängenden Körper erfährt, heißt ſein Gewicht. Dieſes iſt abhängig erſtens natürlich von der Größe der Schwerkraft, dann auch, da jedes einzelne Maſſen -13Von den Wägungen.teilchen der Schwerkraft unterworfen iſt, von der Maſſe des Körpers. Man kann alſo die Maſſen zweier Körper vergleichen, indem man ihre Gewichte vergleicht, hierzu dient die Wage.

Denkt man ſich alle die Wirkungen der Schwerkraft auf die einzelnen Maſſenteilchen zu einer einzigen Kraft vereinigt, ſo wird dieſe eine Kraft in dem Körper auch nur einen Angriffspunkt haben, deſſen Lage zu dem Körper unveränderlich iſt und der der Schwerpunkt des Körpers genannt wird. Man kann ſich daher auch das Gewicht des Körpers im Schwerpunkt vereinigt denken. Bei ſymmetriſch geſtalteten Körpern fällt der Schwerpunkt mit dem Mittelpunkt zuſammen. Man kann nun einen Körper in dreifacher Weiſe unterſtützen, entweder im Schwerpunkt, dann iſt derſelbe unter dem Einfluſſe der Schwerkraft in jeder Lage im Gleichgewicht, oder in einem Punkte der vertikal über oder unter dem Schwerpunkt liegt. Erſteres iſt der Fall, wenn er an einem vertikalen Faden hängt, letzteres wenn er auf einer horizontalen Unterlage ruht.

Das Gleichgewicht kann ein ſtabiles, labiles oder indifferentes ſein. Man bezeichnet es als ſtabil, wenn der Körper, ein wenig aus ſeiner Gleichgewichtslage gebracht, durch die auf ihn wirkenden Kräfte wieder in die Gleichgewichtslage zurückgeführt wird, labil, wenn der Körper, einmal in ſeiner Gleichgewichtslage geſtört, nicht in dieſelbe zurückkehrt, als indifferent, wenn der Körper in jeder Lage die man ihm giebt im Gleichgewicht verharrt. Ein um eine feſte Axe drehbarer Körper iſt im ſtabilen Gleichgewicht, wenn der Schwerpunkt unter dem Unterſtützungspunkt liegt, im labilen, wenn der Schwerpunkt über dem Drehpunkt liegt und im indifferenten Gleichgewicht, wenn der Schwer - punkt in der Umdrehungsaxe liegt. Eine Schaukel z. B. iſt im ſtabilen Gleichgewicht, wenn man ſie auch noch ſo hoch ſchwingt, kehrt ſie doch von ſelbſt in die vertikale Lage zurück, ein Stock dagegen, den man auf der Hand balanciert, iſt ſtabil, der leiſeſte Stoß bringt ihn zum Umfallen, ohne daß er ſich wieder aufrichtet. Eine Kugel, durch deren Mittelpunkt ein Stock hindurchgezogen wird, bleibt in Ruhe, wie man ſie auch dreht.

Unterſtützt man einen Stab in irgend einem Punkte, um den er ſich drehen kann, ſo erhält man einen Hebel. Dieſer wird als ein - armiger bezeichnet, wenn der Drehpunkt mit einem Endpunkte des Stabes zuſammenfällt, im anderen Falle heißt er zweiarmig. Bringt man an einem Hebel eine Laſt an, ſo wird der Punkt des Hebels, an welchem die Laſt hängt, der Angriffspunkt genannt, und die Ent - fernung zwiſchen dem Drehpunkt und dem Angriffspunkt Hebelarm. Wird der Hebel durch den Drehpunkt in zwei gleich lange Arme geteilt, ſo iſt es ein gleicharmiger, iſt dies nicht der Fall, ſo hat man einen ungleicharmigen Hebel vor ſich. Bringt man an einem Arme eines zweiarmigen Hebels, der ſich im Gleichgewicht befindet, eine Laſt an, ſo wird das Gleichgewicht geſtört, der Hebel neigt ſich nach der be -14Die Erfindung der Maße und Gewichte.laſteten Seite und es bedarf einer zweiten Laſt am andern Arm, um das Gleichgewicht wieder herzuſtellen. Erfahrung und Theorie haben gezeigt, daß bei einem Hebel, der im unbelaſteten Zuſtande im Gleichgewicht war, wenn er belaſtet wird, wieder Gleichgewicht herrſcht, ſobald das Produkt aus der Länge des Hebelarms und der Laſt auf beiden Seiten des Drehpunktes gleich iſt. Hat man z. B. einen gleicharmigen Hebel, deſſen Arme 25 cm lang ſind, auf einer Seite mit 2 kg belaſtet, ſo daß alſo für dieſe Seite das Produkt aus Laſt und Arm das ſtatiſche Moment gleich 25 × 2 = 50 iſt, ſo muß auch die andere Seite mit 2 kg belaſtet werden, wenn wieder Gleichgewicht eintreten ſoll, denn dann iſt auch hier das ſtatiſche Moment 25 × 2 = 50. Wäre bei einem ungleicharmigen Hebel der eine Arm 25 cm lang, der andere 5 cm, und der längere Arm iſt mit 2 kg belaſtet, ſo muß der kürzere Arm mit 10 kg belaſtet werden, um Gleichgewicht hervorzurufen, denn in einem Falle iſt das ſtatiſche Moment 25 × 2 = 50, auf der anderen Seite 5 × 10 = 50. Beim gleicharmigen Hebel herrſcht alſo Gleichgewicht, wenn die Laſten auf beiden Seiten gleich ſind, beim ungleicharmigen, wenn die Laſten im umgekehrten Verhältnis zu den Armlängen ſtehen; iſt ein Arm fünf mal ſo lang wie der andere, ſo darf er nur ein Fünftel der Laſt tragen, mit welcher der kürzere Arm beſchwert iſt.

Die Wage iſt eine und vielleicht die am meiſten bekannte und benutzte Anwendungsform des Hebels. In der That beſteht die ein - fachſte Hebelwage nur aus einer metallenen Stange, dem Wagebalken, der an einer Stelle unterſtützt iſt und an beiden Enden Vorrichtungen aufweiſt, an denen Laſten befeſtigt werden können. Als Drehpunkt dient in der Regel eine Schneide, welche die Schärfe eines in den Balken eingeſprengten gehärteten Stahlkeiles bildet; ſie ruht auf einer Horizontal - ebene, gleichfalls aus gehärtetem Stahl, der Mittelpfanne. An den Enden ſind ebenfalls gehärtete Stahlkeile eingefügt, die aber im Gegen - ſatz zu der Mittelſchneide die Schärfen nach oben gerichtet haben, die Endſchneiden. Über dieſe ſind Bügel gelegt, die an einem Haken die Schalen zur Aufnahme der Laſten tragen. Auch die Bügel lagern mit gehärteten ebenen Stahlplättchen, den Endpfannen, auf den Schneiden.

Von einer guten Wage verlangt man 1. daß der Balken für ſich allein ſich horizontal einſtellt, daß er ebenfalls horizontal bleibt, wenn beide Seiten gleich belaſtet werden. Der Wagebalken darf ſich daher nicht im indifferenten Gleichgewicht befinden, ſondern nur im ſtabilen, der Schwerpunkt muß demnach unter der Mittelſchneide liegen, dies muß auch noch der Fall ſein, wenn in die Schalen Gewichte gelegt ſind. Die beiden Balkenarme, ſo nennt man entſprechend den Bezeichnungen beim Hebel die Entfernungen zwiſchen Mittel - und Endſchneiden müſſen alſo gleich gearbeitet und vor allem genau gleich lang ſein, die eine Laſt würde ſonſt an einem längeren Hebel - arm angreifen wie die andere, und die ſtatiſchen Momente wären trotz15Von den Wägungen.der gleichen Belaſtung ungleich. Stellt Fig. 13 einen Wagebalken vor, ſo iſt c die Mittelſchneide, a, b ſind die Endſchneiden, ac und bc die gleich langen Arme, s der genau vertikal unter c liegende Schwerpunkt.

Fig. 13.

Schematiſche Darſtellung der Wage.

Legt man jetzt in die beiden Schalen zwei gleiche Gewichte P, ſo greifen dieſelben in a und b an, der gemeinſame Schwerpunkt beider fällt demnach in c, und der gemeinſame Schwerpunkt aller in c wirkenden Maſſen, alſo auch des Balkens und der beiden Gewichte mit Schalen und Gehängen, fällt in einen Punkt zwiſchen c und s. Aus der Figur erſieht man ſofort, daß außer der Bedingung der gleichen Länge der Arme auch noch die erfüllt ſein muß, daß alle drei Schneiden genau in einer geraden Horizontallinie liegen müſſen. Läge b tiefer wie a, und wäre c b keine Horizontale, ſo würde die Laſt in b nicht recht - winklig zum Hebelarm angreifen, es würde demnach nur ein Teil der Laſt und nicht die ganze wirken. Daſſelbe würde eintreten, wenn zwar die drei Schneiden in einer Ebene lägen, aber die Schalen nicht einander parallel hingen, ſo daß die Kräfte dann unter verſchiedenem Winkel angreifen würden.

Man macht deshalb die Aufhängung der Schalen ſtets ſo leicht beweg - lich wie möglich, damit ſie ſich immer vertikal einſtellen. Steht dann der Wagebalken ſchief, ſo greifen die Laſten zwar unter einem Winkel an, ſo daß ein Teil der Laſt nicht in Wirkung tritt; aber der Verluſt iſt auf beiden Seiten der gleiche und da es ſich nur um Gewichts - vergleichungen handelt, ſo bleiben die Verhältniſſe die nämlichen. Bringt man jetzt auf der rechten Seite ein kleines Übergewicht an, ſo fällt der Schwerpunkt der beiden Laſten, die in a und b angreifen, nicht mehr mit c zuſammen. ſondern in d, und der gemeinſchaftliche Schwer - punkt nicht mehr in die Linie c s, ſondern in die Linie d s in den Punkt m. Da wir ein ſtabiles Syſtem haben, ſo wird der ganze Wagebalken ſich ſoweit um c drehen, bis m vertikal unter c zu liegen kommt. Der Winkel s c m, um den ſich der Balken dreht, heißt der Ausſchlagswinkel für die Laſt r. Dieſer Ausſchlagswinkel bietet ein16Die Erfindung der Maße und Gewichte.Maß für die Empfindlichkeit der Wage, die um ſo größer iſt, je größer der Ausſchlagswinkel im Verhältnis zu dem Gewicht r iſt.

Als zweite Bedingung für eine gute Wage iſt daher aufzuſtellen: 2. die Empfindlichkeit muß möglichſt groß ſein. Dieſer Bedingung läßt ſich in dreifacher Weiſe genügen.

Liegt der Schwerpunkt s möglichſt nahe unter c, ſo rückt auch der Punkt m vertikal in die Höhe und der Winkel s c m vergrößert ſich infolge deſſen. Bei allen guten Wagen iſt entweder unterhalb des

Fig. 14.

Präziſionswage.

Balkens wie in Fig. 13 oder oberhalb deſſelben wie in Fig. 14 eine feine Schraube angebracht, an der man ein kleines Gewicht auf - und abſchrauben kann, wodurch man offenbar den Schwerpunkt höher oder tiefer zu rücken im Stande iſt, je nachdem man die Empfindlichkeit zu vergrößern oder zu verkleinern wünſcht.

Andrerſeits nimmt die Empfindlichkeit mit der Länge der Arme zu, denn es iſt klar, daß, wenn man c b verlängert, auch d ſich weiter von c entfernt, alſo auch der Punkt m in einer zu c b parallelen Richtung von c s fort rückt und der Winkel s c m ſich vergrößert.

Endlich erhöht ſich die Empfindlichkeit, wenn man den Wagebalken möglichſt leicht wählt.

Der Ausſchlag des Wagebalkens, der Winkel s c m wird an einer Skala abgeleſen, über welcher ſich ein mit dem Wagebalken feſt ver - bundener Zeiger bewegt.

Die Bedingungen für eine hochempfindliche Wage ſind ſomit gegeben; in der Praxis hatte es aber ſeine Schwierigkeiten, dieſelben17Von den Wägungen.zu erfüllen. Macht man die Balken zu lang, ſo wird die Wage ungeſchickt und nimmt zu viel Raum ein, außerdem ſchwingt ſie zu langſam. Leicht ſucht man die Balken zu machen, indem man dieſelben durchbrochen arbeitet, wie Fig. 14 zeigt, aber es muß immer darauf geachtet werden, daß der Balken auch genügende Feſtigkeit hat, um die Laſten tragen zu können, zu deren Abwägung er verwendet werden ſoll. Biegt ſich der Balken durch, weil er zu ſchwach iſt, ſo liegen die drei Schneiden nicht mehr in einer Ebene und die Wägungen werden fehlerhaft. Bei kleineren Wagen arbeitet man die Balken ganz aus Aluminium.

Rückt man endlich den Schwerpunkt s zu nahe nach c herauf, ſo liegt die Gefahr nahe, daß das Gleichgewicht indifferent wird.

Die Erfindung der Wagen iſt ſicherlich bereits in den älteſten Zeiten gemacht worden, aber wo und von wem, läßt ſich auch hier, wie faſt überall, wo es ſich um die Anfänge der Meßkunde handelt, nicht angeben. Die älteſte Methode des Wägens beſtand wohl darin, daß man auf die eine, gewöhnlich die rechte Schale die Laſt legte und dann auf die andere Schale ſo lange Gewichte that, bis das Gleich - gewicht wieder hergeſtellt war. Auf dieſe Weiſe war die Schwere der Laſt ſofort aus den Gewichten abzuleſen, ausgedrückt in Teilen oder Vielfachen der Gewichtseinheit. Legt man auf die rechte Schale ein Stück Fleiſch und muß die linke Schale mit 2,5 kg belaſtet werden, damit die Zunge wieder in der Mitte der Skala einſpielt, ſo wiegt das Fleiſch 2,5 kg. Für den gewöhnlichen Handel genügt dieſes alte ein - fache Verfahren auch heute noch vollkommen, denn ob der Kaufmann 1 g Butter mehr oder weniger auf 1 kg giebt, iſt ſowohl ihm, wie dem Käufer ziemlich gleichgültig; ſollen aber Edelmetalle abgewogen werden, oder handelt es ſich überhaupt um wertvollere Gegenſtände, ſo ſpielen bereits Milligramme eine Rolle, und da genügt dieſes Verfahren nicht.

Die Wagearme abſolut gleich lang zu machen, iſt ein Problem, welches ſelbſt die moderne Technik noch nicht gelöſt hat, und wenn auch dies gelingen ſollte, ſo werden dennoch die Balkenarme während der Wägung Veränderungen unterworfen ſein. Befindet ſich beiſpiels - weiſe der linke Arm näher dem Fenſter, der rechte näher einer Wärme - quelle, ſo wird der linke Arm kälter ſein, als der rechte, oder, da alle Körper durch die Wärme ausgedehnt werden, ſo wird der linke Arm auch kürzer ſein, als der rechte; die rechts liegende Laſt wirkt alſo an einem längeren Hebelarm, als die links liegenden Gewichte, die ſtatiſchen Momente ſind bereits gleich, wenn die Laſt noch leichter iſt, als die Summe der Gewichte; die Laſt erſcheint ſchwerer, als ſie in der That iſt. Andrerſeits, wenn die Laſt aus einem Stück beſteht, ſo nähert man ſich beim Aufſetzen derſelben nur einmal dem rechten Wagenarm; hat man 7 Gewichte nöthig, um die Zunge zum Einſpielen zu bringen, ſie auszutarieren, ſo nähert man die Hand dem linken Balkenarm ſiebenmal und bei der großen Empfindlichkeit des Metalls gegen Wärme -Das Buch der Erfindungen. 218Die Erfindung der Maße und Gewichte.einflüſſe, wird ſich der linke Arm durch die Handwärme ungleich ſtärker ausdehnen, wie der rechte; man erhält ein zu geringes Gewicht für die Laſt. Gegen Erwärmung von außen, ſowie gegen Luftſtrömungen, wie ſie entſtehen, wenn z. B. die Thür des Wagenzimmers geöffnet wird, hat man ſich zu ſchützen geſucht, indem man die Wagen mit einem Umſchlußkaſten verſieht, gegen die Handwärme, indem man die Gewichte mit Pinzetten anfaßt und aufſetzt, aber erſt die Erfindung der Bordaſchen Wägungsmethode führte zu genaueren Reſultaten.

Borda’s Methode ſucht die niemals zu umgehenden konſtruktiven Unzulänglichkeiten der Wage, ſowie die von außen herantretenden Störungen des Verfahrens durch die Anordnung der Beobachtungen aufzuheben. Auf die rechte Schale wird zuerſt das Normalgewicht geſetzt und durch links aufzulegende gewöhnliche Gewichtsſtücke aus - tariert. Dann wird nach Ableſung der Gleichgewichtslage an der Wagenſkala rechts das Normal durch die Laſt, ein Gewichtsſtück oder was ſonſt beſtimmt werden ſoll, erſetzt und werden rechts oder links ſoviel Zulagegewichte hinzugefügt, bis wieder Gleichgewicht eintritt. Endlich wird rückwärts dieſelbe Anordnung wiederholt. Sei das Normal - gewicht N, das zu beſtimmende P, die Zulage z, ſo hat man auf der rechten Schale nach einander N, P + z, P + z, N. Durch dieſe Methode werden in der That viele Ungenauigkeiten vermieden. Wäre z. B. der rechte Walkebalken länger wie der linke, ſo würde beim Austarieren links allerdings mehr hinaufgelegt werden müſſen, als der Schwere des Stückes entſpricht, aber da ja P auf dieſelbe Schale kommt, ſo würde dieſer Konſtruktionsfehler bei N und P genau gleich wirken, P + z alſo genau ſo ſchwer ſein müſſen, wie N. Oder wenn z. B. der linke Balken während der Wägung ſich durch Wärmeeinflüſſe ſtetig ver - längerte, ſo würde freilich links die Tara ſcheinbar immer ſchwerer werden, aber beim Wiederaufſetzen des Normals würde der Fehler ſich bemerkbar machen, und in der Rechnung würde er verſchwinden. Nämlich ſo: gegeben ſeien 2 Kilogrammſtücke, das fehlerfreie Normal, das zweite um 5 mg zu leicht. Jetzt legt man erſt das Normal auf, tariert aus, bis Gleichgewicht eingetreten iſt, nimmt das Normal herunter, und legt das zweite Kilogramm auf die rechte Schale, dann werden zunächſt rechts noch 5 mg zugelegt werden müſſen, damit wieder Gleichgewicht eintritt. Nun ſoll aber der linke Balkenarm ſich ſoweit verlängert haben, daß rechts noch 1 mg nöthig iſt, um dieſes ſcheinbare Schwererwerden der Tara auszugleichen, es müſſen alſo rechts 6 mg zu gefügt werden. Bei der folgenden Wägung iſt der Arm abermals länger geworden um denſelben Betrag, wenn alſo das zweite Kilogramm der Vorſchrift gemäß abermals aufgeſetzt wird, ſo müſſen 7 mg hinzugefügt werden.

Jetzt kommt das Normal an die Reihe und da der Balken ſich fortgeſetzt verlängert, ſtimmt die Tara nicht mehr, ſondern zu dem Normal müſſen 3 mg hinzugethan werden, bis Gleichgewicht eintritt. Die Wägung iſt alſo fehlerhaft, aber durch die Anordnung geht der19Von den Wägungen.Fehler heraus, denn, wenn beim Anfang der Beobachtung rechts nur N ſtand, beim Ende (N + 3) mg, ſo hätte, wenn in der Mitte der verfloſſenen Zeit das Normal aufgeſetzt worden wäre, 1 kg + mg aufgelegt werden müſſen, ebenſo wenn beim erſten Hinſetzen des zweiten Kilogramms 6 mg Zulage waren, beim zweiten Auflegen dagegen 7 mg, ſo wären in der Mitte der Zeit 1 kg + mg zur Erzeugung des Gleich - gewichts nöthig geweſen. Alſo für die Mitte der Wägung beträgt der Unterſchied der beiden Gewichte (1 kg + mg) 1 kg + mg = 5 mg. Trotz der fehlerhaften Wägung iſt alſo das Ergebnis ein richtiges, denn es war vorausgeſetzt, daß das zweite Kilo um 5 mg leichter ſei als das Normal.

Gauß erfand eine noch genauere Methode. Er vermeidet die Tara ganz. Sei das Normal wieder N, das andere Gewicht P, ſo legt er erſt links N, rechts P auf, dann werden die Gewichte vertauſcht, alſo links P, rechts N aufgelegt, dieſelbe Wägung wiederholt, endlich aber - mals links N, rechts P. Auf die Vorzüge dieſer Methode, ſowie auf ganz feine Wägungen im luftleeren Raum einzugehen, würde hier zu weit führen. Um die ſtörenden Wärmewirkungen des Beobachters auszuſchalten, beobachtet man durch ein Fernrohr aus 1 bis 2 m Ent - fernung, aus derſelben Entfernung kann man durch Hebelvorrichtungen die Gewichte aufſetzen und abnehmen, ſie umtauſchen, daß das linke nach rechts und das rechte nach links kommt, ohne daß der Beobachter an die Wage herantritt, endlich können auch die Zulagegewichte auf dieſelbe Weiſe hinzugefügt werden. Für letztere hat man noch eine beſondere Vorrichtung getroffen. Namentlich bei Chemikerwagen findet man oft jeden Balkenarm in 10 gleichmäßige Teile geteilt und mit Kerben verſehen (ſiehe Fig. 14), in welche ſpitzwinklig gebogene Draht - ſtückchen eingeſetzt werden können. Bei dieſer Einrichtung braucht man für die Zulagegewichte immer an Stelle mehrerer nur ein Stück und das Tarieren geht äußerſt ſchnell, denn dasſelbe Stück von beiſpiels - weiſe 10 mg Schwere, wiegt am Ende des Balkens, am ganzen Hebel - arm ſoviel, wie 10 mg auf der Schale; hängt man es aber in die fünfte Kerbe, ſo wirkt es nur an einem halb ſo langen Hebelarm, wird alſo auf der Schale der anderen Seite durch 5 mg im Gleich - gewicht gehalten. Mit demſelben Gewichtsſtück oder Reiter, wie dieſe Drähte genannt werden, kann man alſo je nach der Kerbe, in welche man ſie hineinſetzt 1 mg, 2 mg u. ſ. w. bis 10 mg wiegen. Bei der - ſelben Wage ſind alſo hier gleichzeitig für die auf den Schalen liegenden Gewichte, die Geſetze des gleicharmigen, für die auf dem Balken reitenden, die des ungleicharmigen Hebels benutzt. Für feinere Wägungen ſind nur gleicharmige Wagen in Gebrauch, wo es aber weniger auf Genauigkeit als auf Schnelligkeit ankommt, greift man gern zu ungleicharmigen.

Die ungleicharmigen Wagen, die man auch Schnell - oder Höker - wagen nennt, ſind meiſt ſo eingerichtet, daß die Mittelſchneide, um2*20Die Erfindung der Maße und Gewichte.welche ſich der Balken dreht, ſowie eine Endſchneide, auf welcher die für die Laſt beſtimmte Schale aufſitzt, feſt eingelaſſen ſind; der Hebelarm, an welchem die Laſt hängt, iſt alſo unveränderlich, auf dem eingeteilten zweiten Arme läßt ſich ein Gewicht verſchieben. Iſt der rechte Arm CE, Fig. 15, ein Zehntel des linken, und iſt der zehnmal ſo lange linke Arm in 10 Teile geteilt, ſo kann man durch Anhängen eines 1 kg Stückes

Fig. 15.

Schnellwage.

an D Laſten von 1 bis 10 Kilogramm Schwere wägen. Iſt die Laſt größer, ſo wählt man G 10 kg ſchwer, und kann dann durch Ver - ſchieben von D mit G Laſten bis 100 kg abwägen. Die einzelnen Zehntel des linken Armes ſind meiſt noch in Unterabſchnitte geteilt, ſo daß man auch kleinere Gewichte noch ableſen kann. Iſt der Abſtand zwiſchen zwei Hauptſtrichen z. B. abermals in 10 Abſchnitte geteilt, und mußte man D bis zum 7. Strich hinter dem 4. Hauptſtrich ſchieben, bis Gleichgewicht vorhanden iſt, ſo würde die Laſt unter der Vorausſetzung, daß G gleich 1 kg, alsdann 4,7 kg wiegen; wäre G = 10 kg, ſo wöge ſie 47 Kilogramm. Bei vielen Wagen, wie auch bei Fig. 15, iſt noch ein zweiter Unterſtützungspunkt C vorhanden. In E iſt eine Doppelſchneide, eine nach oben, die andere nach unten ge - richtet; man kehrt den ganzen Balken um, hängt die Schale wieder an und hängt die Wage an dem zweiten, E näheren Punkt C auf. Dadurch iſt das Hebelverhältnis geändert; war vorher der linke Arm 10 mal ſo lang wie der rechte, ſo wird er jetzt meiſt 20 mal ſo lang ſein. Der Balken trägt auf der anderen Seite ebenfalls noch eine zweite Teilung, und man kann nunmehr mit 1 kg Gewicht 20 kg Laſt wägen. Mit dieſen Einrichtungen iſt die Schnellwage ein außerordentlich bequemes Hilfsmittel zum Abwägen von Laſten innerhalb ſehr weiter Grenzen der Schwere. Schnellwagen aus Elfenbeinſtäbchen hatten übrigens ſchon die alten Chineſen. Jüngeren Datums ſind eine zweite Klaſſe ungleicharmiger Wagen, bei denen im Gegenſatz zu den eben be -21Von den Wägungen.ſchriebenen das Verhältnis der beiden Hebelarme ein konſtantes, ſich gleichbleibendes iſt, die ſogenannten Brückenwagen. Schon im vorigen Jahrhundert gab es mehrere derartige Konſtruktionen, die aber ſo ſchwer - fällig waren, daß ſie ſich keinen Eingang zu verſchaffen ver - mochten. Erſt dem Mechaniker Quintenz in Straßburg gelang es 1823 ſie in einer Form herzuſtellen, die ihnen ſchnell zu großer Verbreitung verhalf. Fig. 16 giebt eine Anſicht dieſer Straßburger Wage, ſchematiſch dargeſtellt. Bei der Brücken - wage ſind hauptſächlich ein - armige Hebel in Anwendung

Fig. 16.

Brückenwage.

gebracht; auch bei dieſen findet Gleichgewicht ſtatt, wenn die ſtatiſchen Momente gleich ſind, nur müſſen hier, da beide Kräfte auf derſelben Seite des Drehungspunktes angreifen, die Kräfte entgegengeſetzte Rich - tung haben.

Drückt eine Laſt nach unten, ſo kann dieſelbe nur aufgehoben werden durch einen Zug nach oben. Wie man aus der Abbildung erſieht, iſt die horizontale Brücke (der einarmige Laſthebel) mit dem vorderen Ende E aufgehängt an der vertikalen Stange D E. Dieſe iſt in D an dem Wagebalken A B befeſtigt, während das hintere Ende mittelſt einer Schneide F auf einem zweiten einarmigen Hebel H K, dem Trag - hebel aufruht. Auch dieſer hängt an einer ſenkrechten Stange H B, welche frei durch die Brücke hindurchgeht und bei B an einem Ende mit dem Wagebalken verbunden iſt, während das andere ſich um die Schneide K dreht. Legt man auf die Brücke eine Laſt Q, ſo wird ein Teil derſelben ſich bemerkbar machen als Zug p an der Stange E D, ein anderer als Druck q auf die Schneide F wirken, dann iſt Q = p + q. Das Verhältnis der Hebellängen iſt ſo gewählt, daß C D zu C B im gleichen Verhältniſſe ſteht wie K F zu K H. Beiſpielsweiſe ſei C B zehnmal ſo lang als C D, alſo auch K H zehnmal ſo lang als K F. Dann würde ein in B wirkender Zug nach oben in Größe von p / 10 dem Zuge nach unten p, den die Stange D E ausübt, gerade das Gleichgewicht halten, und dieſer Teil der Laſt wäre aufgehoben. Der Teil q drückt durch die Schneide F auf den Traghebel K H und ruft wegen des Verhältniſſes von K F zu H F durch Vermittelung der Stange H B in B einen Zug nach unten hervor gleich q / 10. Ließe man alſo in B einen Zug nach oben wirken gleich q / 10 + p / 10 = Q / 10, ſo wäre die ganze Laſt Q aufgehoben. Dieſen Zug bringt man hervor, indem man die andere Seite des Wagebalkens belaſtet. Wäre C B = C A, alſo wäre A B ein gleicharmiger Hebel, ſo brauchte man in eine bei A hängende Schale nur ein Zehntel der Gewichtsmenge auflegen, welche22Die Erfindung der Maße und Gewichte.die Laſt Q wiegt. Dies findet bei den Dezimalwagen ſtatt, macht man noch A C zehnmal ſo lang wie C B, ſo braucht man in der Gewichts - ſchale nur ein Hundertſtel der Laſt, 1 Zentner wird durch 1 Pfund abgewogen, man nennt dieſe Wage Zenteſimalwage. Bei einer gut gearbeiteten Brückenwage muß im unbelaſteten Zuſtande der Balken A B horizontal liegen, die Brücke muß bei den Schwingungen des Balkens, bei ihrer Hebung und Senkung ſtets horizontal bleiben, endlich muß es gleich ſein, auf welche Stelle der Brücke man die Laſt auflegt.

Als letzte Anwendung der Hebelgeſetze ſei noch die Tafelwage angeführt, die bei Kaufleuten und in der Wirtſchaft vielfach in Gebrauch iſt, ſowie die Zeigerwage, wie ſie namentlich als Briefwage Verwendung findet. Beide bedürfen nach dem Vorangegangenen weiter keiner Erläuterung.

Auf ganz anderen Prinzipien beruhen die Federwagen, ſowie alle Wagen von elaſtiſchen Körpern. Wirklich in die Praxis eingeführt haben ſich nur die Federwagen. Sie haben ſich vielfach deshalb in Familien eingebürgert, weil zu ihrer Benutzung keine Gewichte erforderlich

Fig. 17.

Federwage.

ſind. Die Feder, mag ſie nun ſpiralig oder kreis - förmig oder ſonſtwie gebogen ſein, ſetzt vermöge ihrer Elaſtizität den Verſuchen, ſie weiter zuſammen zu drücken, oder auseinander zu ziehen, einen ge - wiſſen Widerſtand entgegen. Hängt man z. B. an eine Spiralfeder, die mit ihrem oberen Ende befeſtigt iſt, unten 1 kg an, ſo wird ſich dieſelbe, wenn ſie genügend ſtark iſt, nur um einen kleinen Bruchteil ihrer Länge ausdehnen; ſoll ſie ſich noch mehr ver - längern, ſo muß ein neues Gewicht hinzukommen u. ſ. w. Wenn man einen Zeiger feſt mit der Skala ver - bindet, ſo kann man neben demſelben auf einer Skala Marken anbringen, auf welche er weiſt, wenn die Feder mit ein, zwei u. ſ. w. Kilogramm belaſtet iſt. Fig. 17 zeigt eine ſolche Wage, bei der die Feder zuſammen gedrückt wird. Auch als Zugkraftmeſſer namentlich für Dampfmaſchinen finden dieſe Federn vielfach Verwendung. Alle Federwagen aber haben den Nachteil, daß die Federn, wenn ſie häufig gebraucht werden, allmählich in ihrer Spannung nachlaſſen und ſchlaffer werden.

Ebenfalls zu den Wagen rechnet man ein Inſtrument, welches dazu dient, Dichten zu beſtimmen, das Aräometer oder die Senkwage. Dieſelbe beruht auf hydroſtatiſchen Prinzipien.

Jeder Körper verliert in einer Flüſſigkeit ſoviel an Gewicht, als das Volumen der von ihm verdrängten Flüſſigkeitsmenge wiegt, oder anders ausgedrückt: ein in eine Flüſſigkeit getauchter Körper wird mit einer Kraft emporgehoben, welche dem Gewicht der Flüſſigkeits - menge gleich iſt, welche durch den eingetauchten Teil des Körpers23Von den Wägungen.aus ſeiner Stelle verdrängt iſt. Dieſer Flüſſigkeitsauftrieb iſt abhängig von der Dichte der Flüſſigkeit, je dichter die Flüſſigkeit, um ſo größer der Auftrieb. Als Einheit der Dichte nimmt man die des Waſſers bei C. Wenn man alſo von der Dichte eines Körpers ſpricht, ſo meint man die Zahl, welche angiebt, wieviel mal ſchwerer oder leichter der Körper iſt als Waſſer von . Aräometer laſſen alſo zweierlei beſtimmen, einerſeits Volumina, andrerſeits Dichten. Man benutzt zwei Arten von Aräometern, Gewichtsaräometer und Skalenaräometer. Als Vertreter der erſten Gattung möge die Nicholſon’ſche Senkwage dienen (Fig. 18). Dieſelbe beſteht aus einem meſſingenen Hohlkörper B, der unten ein kleines Sieb trägt, oben ein feines Stäbchen mit einer ringsherum gehenden Marke und einem Schälchen A. Das In - ſtrument iſt ſo eingerichtet, daß es in Waſſer nur bis zum Anfang des Stäbchens eintaucht. Legt man einen Körper oben in die Schale, ſo wird es tiefer einſinken, man legt nun noch ſoviel Gewichte zu, bis die Marke O genau im Flüſſigkeitsſpiegel liegt. Nimmt man den Körper wieder herunter und legt ſo lange Gewichte auf, bis die Marke abermals den Flüſſigkeitsſpiegel trifft, ſo geben die zugelegten Gewichte die Schwere des Körpers. Thut man dann den Körper in das Sieb, ſo wird er leichter und abermals müſſen auf das Schälchen Gewichte gelegt werden, wenn die Senkwage bis zur Marke eintauchen ſoll. Damit hat man den

Fig. 18.

Nicholſons Aräometer.

Gewichtsverluſt im Waſſer, oder was daſſelbe iſt das Gewicht, welches ein dem Körper gleiche Waſſermenge hat. Wog der Körper im Schälchen 9 g, betrug der Gewichtsverluſt im Waſſer 3 g, ſo iſt das Volumen des Körpers 3 ccm, ſeine Dichte (ſpezifiſches Gewicht) 9 / 3 = 3.

Dieſes Verfahren iſt ein äußerſt umſtändliches und beſchwerliches, und da es noch andere beſſere Methoden zur Volumen - und Dichten - beſtimmung giebt, ſo ſind die Nicholſon’ſchen Wagen wenig in Gebrauch. Das erſte Gewichtsaräometer erfand übrigens Moncong, Arzt in Lyon ( 1665), es wurde dann von Fahrenheit in vollkommenerer Geſtalt eingeführt, doch iſt Nicholſons Form die beſte.

Weit bequemer als die Gewichtsaräometer ſind die jetzt mehr in Aufnahme kommenden Skalenaräometer, die darauf beruhen, daß ein Körper, deſſen Gewicht unveränderlich bleibt, in Flüſſigkeiten von ver - ſchiednem ſpezifiſchen Gewicht verſchieden tief einſinkt. An einen cylindriſchen hohlen Glaskörper iſt unten ein Glasgefäß angeblaſen, das mit Queck - ſilber gefüllt iſt, damit der Schwerpunkt des ganzen Inſtrumentes möglichſt tief liege, das Aräometer alſo möglichſt ſenkrecht ſchwimme. Oben läuft der Glaskörper in eine feine cylindriſche Röhre, die Spindel aus, welche im Innern eine Skala trägt. Der Anfang der Skalen -24Die Erfindung der Maße und Gewichte.aräometer iſt bis in das hohe Altertum hinein zu verfolgen; ſicher iſt, daß ſchon Archimedes ( 212 v. Chr.) ein gut konſtruirtes Aräometer von Blech mit einer in Grade geteilten Skala entweder erfand oder mindeſtens gebrauchte. In Deutſchland wurden ſie beſonders zur Beſtimmung des Salzgehaltes der Sole benutzt, und als hölzerne Cylinder, unten mit Blei ausgegoſſen, hergeſtellt. Jetzt dienen ſie den allerverſchiedenſten Zwecken. Ein Normalinſtrument ſtellt man in der Weiſe her, daß man von einer Flüſſigkeit ſich auf irgend eine Weiſe das ſpezifiſche Gewicht beſtimmt, dann das Aräometer in dieſelbe Flüſſigkeit hineinſenkt und dem Punkt, bis zu welchem das Aräometer eintaucht, die Bezeichnung des ſpezifiſchen Gewichts der Flüſſigkeit beifügt. In einer leichteren Flüſſigkeit hat das Aräometer geringeren Auftrieb, wird alſo tiefer einſinken, in einer ſchwereren weniger tief. Steckt man z. B. ein Aräometer zuerſt in Waſſer, ſo wird man den Punkt bis zu dem es einſinkt mit 1,00 bezeichnen, in Petroleum ſinkt es tiefer ein bis zu einem Punkte der entſprechend der Dichte der Flüſſigkeit die Bezeichnung 0,82 erhalten würde. Hat man ſich auf dieſe Weiſe ein ſolches Inſtrument hergeſtellt, ſo kann man wieder umgekehrt, wenn man dasſelbe in eine Flüſſigkeit eintaucht, ſofort das ſpezifiſche Gewicht an der Skala ableſen. Dies Verfahren iſt ſo einfach und geht ſo leicht und ſchnell vor ſich, daß die Skalenaräometer die weiteſte Verbreitung gefunden haben. Ebenſo wie für ſpezifiſche Ge - wichte kann man die Aräometer natürlich auch für Prozente einrichten und je nach der Flüſſigkeit für welche ſie beſtimmt ſind, tragen ſie verſchiedene Namen. So zeigt ein Gewichtsalkoholometer, wieviel Gewichtsteile Alkohol in hundert Gewichtsteilen einer Miſchung von Alkohol mit Waſſer enthalten ſind, ein Saccharimeter wieviel Gewichtsteile Zucker in hundert Gewichtsteilen einer Zuckerlöſung ſich befinden u. ſ. w., kurz faſt auf allen Gebieten, wo es ſich um die Wertbeſtimmung von Flüſſigkeiten durch die Dichte derſelben handelt, trifft man auf Skalen - aräometer.

Die Apparate zur Wärmemeſſung.

Alle Körper haben die Eigenſchaft, bei der Erwärmung ſich auszu - dehnen, bei der Erkaltung ſich wieder zuſammenzuziehen, wie ſchon mehr - fach erwähnt wurde. Dieſe Thatſache war ſchon im Altertum bekannt, aber erſt im 16. Jahrhundert kam der Holländer Cornelius Drebbel auf den Gedanken, dieſelbe nun auch zu der Meſſung der Wärme anzuwenden. Das Drebbelſche Inſtrument beſtand aus einer dünnen Glasröhre, an welche oben eine Kugel angeblaſen war, das untere offene Ende war in ein Gefäß geſteckt, in welchem ſich eine Löſung von Kupfer in ver - dünntem Scheidewaſſer befand. In Folge des Luftdrucks (ſiehe auch Seite 29) drang die Flüſſigkeit in die Röhre bis zu einer gewiſſen Höhe; wurde aber die Luft in der Kugel erwärmt, ſo dehnte ſie ſich aus und zwang die Flüſſigkeit zu ſinken; bei abnehmender Wärme zog25Die Apparate zur Wärmemeſſungſich die Luft wieder zuſammen und die Flüſſigkeit konnte ſteigen. Die Höhe der Flüſſigkeitsſäule konnte man an einer Skala ableſen und alſo die Wärme in Teilen dieſer Skala angeben.

Das Thermometer in ſeiner heutigen Form iſt eine Erfindung der Florentiner Akademie oder der Academia del Cimento. Es beſtand aus einer Kugel mit einer ſogenannten Thermometerröhre, war mit Weingeiſt gefüllt und auf einer Skala befeſtigt, welche in Folge der Ausdehnung oder Zuſammenziehung dieſer Flüſſigkeit die Vermehrung oder Verminderung der Wärme anzeigte. Hier wurde alſo bereits die Ausdehnung von Flüſſigkeiten benutzt und noch heute ſind im praktiſchen Leben alle, im Laboratorium die meiſten Thermometer mit Queckſilber oder Alkohol gefüllt. Man nimmt hierbei an, daß die genannten Flüſſigkeiten ſich ſehr gleichmäßig mit der Temperatur ausdehnen. Dies iſt nur in beſchränktem, aber für die Praxis im allgemeinen aus - reichendem Maße richtig. Beide Flüſſigkeiten haben ihre Vorzüge und ihre Nachtheile. Queckſilber gefriert bereits bei 38° C., es wird dann feſt; alſo unterhalb dieſer Temperatur kann nur ein Weingeiſt - thermometer angewendet werden. Andrerſeits ſiedet der reine Weingeiſt bereits bei 78,3°C. ; er verwandelt ſich in Dampf; alſo oberhalb dieſer Grenze kann nur ein Queckſilberthermometer benutzt werden; Queck - ſilber ſiedet erſt bei 360°; darüber hinaus bedient man ſich der Gas - thermometer.

Die Inſtrumente der Akademie bedeuteten allerdings einen Fort - ſchritt, aber ihre Skala war eine ganz willkürliche; ſollten die Thermo - meter einen praktiſchen und wiſſenſchaftlichen Wert erlangen, ſo mußte eine Einheit für dieſe Skala geſchaffen werden und ein Ausgangspunkt, von dem man zählte. Was lag näher, als daß man auch hierbei die Eigenſchaften des Waſſers benutzte, des Körpers, der im täglichen Leben eine ſo hervorragende Rolle ſpielte. Drei Forſcher verſuchten die Löſung der Aufgabe. Als erſter Fahrenheit in Danzig um das Jahr 1714. Dieſer ſteckte ſein Thermometer in eine Miſchung von Schnee und Salz und nannte den Punkt, an welchem die Flüſſigkeit ſich einſtellte, 0, dann ſteckte er dasſelbe Thermo - meter in ſiedendes Waſſer und bezeichnete dieſen Siedepunkt mit 212. Damit war die Willkür noch nicht behoben, denn durch die Einführung der Salzſchneemiſchung war wieder eine Künſtelei hineingebracht. Réaumur und Celſius nahmen beide als erſten feſten Punkt die Temperatur des ſchmelzenden Eiſes, die ſich überaus lange konſtant erhält, ſo lange, wie überhaupt in dem Schmelzwaſſer noch Eis vorhanden iſt; den zweiten Fixpunkt wählten ſie in Ueberein - ſtimmung mit Fahrenheit. Réaumur teilte das Intervall zwiſchen dem Gefrierpunkt und dem

Fig. 19.

Die drei Thermometerſkalen.

26Die Erfindung der Maße und Gewichte.Siedepunkt in 80, Celſius in 100 Grade. Wir haben alſo heute 3 Thermometerſkalen: die Fahrenheitſche mit 212 Graden zeigt bei der Temperatur des ſchmelzenden Eiſes + 32°, beim Siedepunkt 212 (Fig. 19), die Réaumurſche zeigt entſprechend 0 und 80°, die Celſiusſche, in ihrer heutigen Form Zenteſimal - oder hundertteilige Skala genannt, entſprechend 0 und 100°. Die Wärmegrade über 0 werden mit +, diejenigen unter 0 mit bezeichnet. Die Fahrenheitſchen Thermometer haben den Vorzug, daß die in unſeren Breiten üblichen Kältegrade faſt durchweg über 0 liegen, ſind aber ſonſt höchſt unpraktiſch; ſie werden in England und Amerika benutzt. Reaumurſche Thermometer haben ſich beſonders in Deutſchland eingeführt; Celſius hat mit der Hundert - teilung das allein Richtige getroffen und iſt deshalb auch allein von der Wiſſenſchaft angenommen.

Von einem guten Thermometer verlangt man, daß die Fixpunkte gut eingeſtellt ſind, und das Intervall zwiſchen denſelben richtig geteilt iſt, kurz, daß es richtige Angaben mache. Daneben ſoll es aber auch möglichſt empfindlich ſein, d. h., es ſoll die Temperatur der Umgebung möglichſt ſchnell annehmen und einer geringen Temperaturänderung ſoll eine möglichſt große Änderung der Höhe der Flüſſigkeitsſäule, ent - ſprechen. Erſteres erreicht man, wenn die Wandungen des Thermometer - gefäßes, der Thermometerkugel möglichſt dünn gemacht werden, letzteres, wenn man das Gefäß möglichſt groß und die Röhre, die Kapillare, möglichſt eng wählt. Soll das Thermometer richtig zeigen, ſo muß ferner die Kapillare genau kalibriſch d. h. von Anfang bis zum Ende innen gleich weit ſein, und endlich darf keine Luft eingeſchloſſen ſein. Iſt nicht alle Luft entfernt, ſo wird ſie beim Anſteigen der Flüſſig - keitsſäule zuſammengepreßt und übt auf dieſelbe einen Druck aus, die Flüſſigkeit kann alſo nicht ſo hoch ſteigen, wie es dem Wärmegrad der Umgebung entſpricht. In Frankreich pflegt man die Teilung auf der Kapillarröhre ſelbſt anzubringen, (Stabthermometer), während man in Deutſchland die Kapillare noch mit einer weiteren Röhre umhüllt, in welcher hinter der Kapillare eine Milchglasſkala befeſtigt iſt (Umſchluß - thermometer). Bei den gewöhnlichen Thermometern iſt die Kapillare auf einer Holz -, Milchglas - oder Metall-Elfenbein - u. ſ. w. Skala befeſtigt, nur die Badethermometer ſind meiſt Umſchlußthermometer.

Neben den Flüſſigkeitsthermometern haben auch Metallthermometer Eingang gefunden. Am einfachſten wäre es, hinter einem Metallſtab eine Skala anzubringen und die Länge des Stabes bei verſchiedenen Temperaturen abzuleſen, wie man die Höhe der Flüſſigkeitsſäule ablieſt. Die Ausdehnung des Metalles iſt indeſſen zu gering, ſo daß kleinere Wärmeänderungen überhaupt nicht bemerkbar werden würden. Man lötet daher zwei Metallſtreifen von ungleicher Ausdehnung in Form einer Spiralfeder zuſammen, ſo daß das Metall mit ſtärkerer Aus - dehnung ſich außen befindet, das mit geringerer Ausdehnung auf der inneren Seite, dann wird die Krümmung der Spirale vergrößert bei27Die Apparate zur Wärmemeſſung.Temperaturerhöhung, verringert dagegen bei Temperaturerniedrigung. Iſt dann die Spirale an einem Ende befeſtigt, ſo kann nur das andere Ende eine Bewegung ausführen und ein an demſelben befeſtigter Zeiger, der über einer kreisförmigen Skala ſich bewegt, zeigt die Temperaturänderungen. Die Teilung der Skala kann durch Ver - gleichung mit einem Queckſilber - thermometer hergeſtellt werden. Breguet, der berühmte Erfinder der Kompenſationsſpiralen bei Uhren, wendete für thermome - triſche Zwecke eine Spirale an, (Fig. 20), welche aus Silber und Gold oder Platin zuſammengelötet war, ſo zwar, daß Silber außen und Platin innen war. Neben der Breguetſchen Form giebt es noch eine ganze Reihe anderer Konſtruktionen von Metallthermo - metern.

Ebenſo wie man die Aus - dehnung der feſten und flüſſigen

Fig. 20.

Metallthermometer.

Körper zur Meſſung von Wärmeunterſchieden benutzt, kann man natürlich auch die der luftförmigen verwerthen, und ebenſo wie man Metallthermo - meter und Flüſſigkeitsthermometer in Anwendung bringt, hat man auch Luftthermometer konſtruirt. Dieſe ſind ſogar die einzigen, welche ziemlich für alle Temperaturen gleichmäßig ſich verwerthen laſſen. Die Gaſe dehnen ſich faſt genau gleichmäßig mit der Temperatur aus und zwar alle in gleicher Weiſe für jeden Temperaturgrad um 1 / 273 des von ihnen bei erfüllten Raumes. Daraus folgt, daß bei 273° das Volumen der Gaſe theoretiſch gleich 0 ſein müßte, ſie wären bis auf ein Nichts zuſammengezogen; man nennt daher die Tempe - ratur 273° C. den abſoluten Nullpunkt. Die Temperaturmeſſungen ſelbſt mit dem Luftthermometer ſind nicht einfach, ſondern erfordern phyſikaliſche Kenntniſſe und mancherlei Rechnungen, dieſe Inſtrumente finden daher auch nur in Laboratorien und auch da nur für ſpezielle Unterſuchungen Anwendung.

Die Apparate zur Meſſung des Luftdruckes.

Die Erde iſt rings umhüllt von einem Luftmeere, der Atmoſphäre, das ſich weit in den Weltenraum hinaus erſtreckt und allmählich immer dünner und dünner werdend, eine Höhe von etwa 75 bis 80 Kilometern erreicht. Früher hielt man die Luft für gewichtslos, aber daß die - ſelbe ebenſo dem Geſetz der Schwere unterworfen iſt, wie jeder andere Körper, davon kann man ſich durch einen ſehr einfachen Verſuch28Die Erfindung der Maße und Gewichte.überzeugen. Man wägt ein durch einen Hahn luftdicht abgeſchloſſenes Gefäß zunächſt ſo ab, wie es iſt; dann öffnet man den Hahn und ſaugt die Luft mit einer Luftpumpe oder dem Munde vollkommen aus, ſchließt ſchnell den Hahn, damit keine Luft wieder eindringt, und wägt abermals und man wird ſich ſofort überzeugen, daß für jeden Liter Luft das Gefäß um 1,2 g leichter geworden iſt. Wog es mit Luft 3 kg und hatte es 10 l Inhalt, ſo wiegt es nachher nur noch 2988 g, die ausgepumpte Luft wiegt alſo 12 g.

Als einſt die Brunnenmacher in Florenz in einem Brunnenſaug - rohre das Waſſer über 32 Fuß hoch heben wollten, bemerkten ſie zu ihrem nicht geringen Erſtaunen, daß das Waſſer nicht höher ſteigen wollte, ſie mochten noch ſo viel pumpen. Man erklärte damals das Aufſteigen der Flüſſigkeit in Pumpen in der Weiſe, daß man meinte, wenn über dem Waſſer die Luft weggeſaugt werde, ſo ſteige das Waſſer nach, weil die Natur eine Angſt vor leeren Räumen habe (horror vacui). Dieſer horror vacui ſchien alſo in einer Höhe von 32 Fuß

Fig. 21.

Kommunizierende Röhren.

ſein Ende gefunden zu haben. Galilei, den man um Rat fragte, glaubte ſchon damals nicht an dieſe Erklärung der Brunnenbauer und glaubte in der Schwere der Luft den richtigen Beweggrund gefunden zu haben; aber erſt ſein Schüler Torricelli, geb. 1643, brachte entſcheidende Beweiſe dafür und erfand auch gleichzeitig ein Inſtrument, den Luftdruck zu beſtimmen, das Barometer. Nach einem phyſi - kaliſchen Geſetz, demjenigen der kommunizierenden Röhren, halten ſich zwei Flüſſigkeitsſäulen das Gleichgewicht, wenn die Höhen der beiden Säulen ſich umgekehrt verhalten, wie die ſpezifiſchen Gewichte. Dies Geſetz läßt ſich leicht durch einen Verſuch beweiſen. Füllt man in eine zweiſchenklige Röhre (Fig. 21) zunächſt Queckſilber, ſo ſtellt die Flüſſigkeit ſich in beiden Schenkeln ſo ein, daß die Höhen der Flüſſigkeits - ſäulen genau dieſelben ſind, denn die Flüſſigkeit iſt in beiden Schenkeln dieſelbe. Füllt man aber jetzt in den längeren Schenkel Waſſer, ſo tritt folgendes ein. Denkt man ſich durch die Berührungsſtelle von Queckſilber und Waſſer eine horizontale Linie gezogen, A B, ſo iſt alles Queckſilber unter A B für ſich im Gleichgewicht, die Höhe der Waſſer - ſäule B F iſt aber 13,6 mal ſo groß als die Höhe der Queckſilberſäule A E im anderen Schenkel, weil das ſpezifiſche Gewicht des Queckſilbers 13,6 mal ſo groß iſt, als das des Waſſers. Die Weite der Schenkel übt dabei auf den Erfolg des Experimentes keinen Einfluß aus. Von dieſen Thatſachen ging Torricelli aus.

Man kann den eben beſchriebenen Verſuch auch in anderer Weiſe anordnen. In ein beliebig großes Gefäß gießt man erſt Queckſilber, darüber Waſſer. Dann füllt man eine offene Röhre mit Queckſilber und indem man die untere Öffnung mit dem Finger ſchließt, ſenkt29Die Apparate zur Meſſung des Luftdrucks.man die Röhre ſo tief in die Flüſſigkeit, daß die untere Öffnung voll - kommen in das Queckſilber eintaucht. Läßt man jetzt den Finger los, ſo ſtellt ſich das Queckſilber in der Röhre wieder ſo ein, daß ſeine Höhe 13,6 mal geringer als die des Waſſers in dem umgebenden Gefäße iſt. Genau ſo liegen die Verhältniſſe mit der Luft. Die Atmoſphäre iſt gleichſam ein mit Luft gefülltes Gefäß. Die Luft hält einer Waſſerſäule von 32 Fuß das Gleichgewicht, würde man alſo in eine Brunnenröhre in der das Waſſer ſo hoch ſteht, noch Waſſer hineingießen, ſo würde dieſes den Flüſſigkeitsſtand doch nicht erhöhen, ſondern es müßte unten ebenſo viel Waſſer abfließen. Torricelli ſagte ſich, wenn die Luftſäule wirklich einer Waſſerſäule von 32 Fuß das Gleichgewicht hält, ſo muß ſie einer Queckſilberſäule von 32 / 13,6 Fuß = 28 Zoll ebenfalls das Gleichgewicht halten, denn Queckſilber iſt 13,6 mal ſchwerer wie Waſſer. Er füllte daher ein Gefäß A (Fig. 22) mit Queckſilber, ebenſo eine oben zugeſchmolzene Röhre, deren offenes Ende er mit dem Finger zuhielt. Drehte er nun die Röhre um und tauchte ſie mit dem offenen Ende in das Queckſilber des Gefäßes, ſo ſtellt ſich, nachdem er den Finger losgelaſſen hatte, das Queck - ſilber in der Röhre ſo ein, daß die Kuppe 28 Zoll, gleich 760 mm, höher ſtand wie das Niveau des Queckſilbers im Gefäß. Über der Kuppe blieb ein luftleerer Raum, die Torricelliſche Leere. Damit war ein Inſtrument erfunden, welches geſtattete, jederzeit den Luftdruck zu meſſen. Natürlich kann auch jede andere Flüſſigkeit benutzt werden, ſo hatte Otto von Guericke, der berühmte Erfinder der Luftpumpe ſich an ſeinem Hauſe ein 35 Fuß langes Waſſerbarometer an - bringen laſſen, die Seewarte in Hamburg beſitzt ein etwa

Fig. 22.

Torricellis Verſuch.

9 m langes Glycerinbarometer, aber wegen ſeiner verhältnismäßig geringen Länge und ſeiner Handlichkeit bleibt das Queckſilberbarometer doch das am meiſten benutzte.

Ein gutes Barometer muß drei Bedingungen genügen. 1. Muß das Queckſilber ſehr rein ſein, denn unreines Queckſilber hat ein anderes ſpezifiſches Gewicht, würde ſich alſo falſch einſtellen, 2. muß die Röhre genau ſenkrecht ſtehen, weil ſonſt die Höhe der Säule falſch gemeſſen wird, 3. muß der Raum über dem Queckſilber unbedingt luftleer ſein. Die in der Röhre oben eingepreßte Luft würde ſonſt einen Druck auf die Säule ausüben und ſomit den Barometerſtand niedriger machen, als dem Luftdruck entſpricht.

Bei den heutigen Barometern unterſcheidet man zwei Hauptformen, Gefäßbarometer und Heberbarometer. Die einfachſte Form des Gefäß - barometers iſt diejenige, wie ſie eben bei dem Torricelliſchen Verſuch beſchrieben wurde, ein Gefäß mit Queckſilber und eine möglichſt gleichmäßig weite Röhre von etwa 800 mm Länge. Um dieſes einfache Inſtrument transportabel und brauchbar zu machen, iſt nur noch nötig, Gefäß und30Die Erfindung der Maße und Gewichte.Röhre feſt mit einander zu verbinden und hinter der Röhre eine feſte Skala anzubringen, welche die Röhre hält und eine Ableſung der Höhe der Queckſilberſäule ermöglicht. Der Nullpunkt der Skala muß natürlich mit dem Niveau des Queckſilbers im Gefäß zuſammenfallen, denn die

Fig. 23.

Heberbarometer.

Höhe der Säule über dieſem Niveau iſt es ja, die ge - meſſen wird. Barometer dieſer einfachſten Konſtruktion werden noch jetzt jährlich zu vielen Tauſenden angefertigt und verkauft, ſie haben nur einen Fehler. Wenn beim Herannahen ſchönen Wetters der Luftdruck ſich ver - größert, ſo ſteigt Queckſilber aus dem Gefäße in die Röhre, dadurch muß bei ſteigendem Barometer das Niveau im Gefäße fallen, der Nullpunkt der Skala liegt dann über dem Niveau und da ja an der Skala nur Abſtände von dem Nullſtriche gemeſſen werden können, ſo erhält man einen zu geringen Barometerſtand. Das Umgekehrte findet bei fallendem Barometer ſtatt. Nun ſucht man freilich dieſem Übelſtande zu begegnen dadurch, daß man das Gefäß möglichſt groß wählt, denn wenn der horizontale Querſchnitt des Gefäßes 10 mal ſo groß iſt, wie der der Röhre, ſo werden auch die Höhenſchwankungen im Gefäß nur 1 / 10 von denjenigen in der Röhre ſein. Man macht auch die Skale beweglich und verſchiebt ſie vor der Ab - leſung ſo lange bis der Nullpunkt derſelben wieder mit dem Niveau im Gefäß zuſammenfällt; die beſte Konſtruktion iſt indeſſen die von Fortin benutzte, wie ſie Fig. 24 zeigt. Der Boden des Barometergefäßes iſt hier durch einen Lederſack gebildet, gegen welchen von unten her der abge - rundete Kopf der Schraube s drückt. Je nachdem man die Schraube s rechts oder links dreht, wird der Leder - beutel und das Niveau im Gefäß gehoben oder geſenkt. Am Deckel des Gefäßes iſt ein unten zugeſpitzter Elfen - beinſtift r angebracht, deſſen Spitze genau im Nullpunkt der Skala liegt. Vor jeder Einſtellung wird durch Drehen der Schraube die Oberfläche des Queckſilbers ſo lange ge - hoben oder geſenkt, bis die Spitze eben den Queckſilber - ſpiegel berührt. Das Rohr dieſer Fortinſchen Barometer iſt rings von einer vernickelten Meſſinghülſe umgeben, in welche oben, einander gegenüber liegend zwei Schlitze ein - geſchnitten ſind, durch welche man die Kuppe ſehen kann. Die Meſſinghülſe trägt eine Skala, deren Nullpunkt eben mit der Spitze zuſammenfällt. Zum beſſeren Ableſen iſt auf dem geteilten Meſſingrohr noch eine Hülſe aus gleichem Metall aufge - ſchoben, ebenfalls mit zwei Schlitzen, die aber ſo breit ſind, daß neben der Kuppe auch die Teilung noch ſichtbar wird. Beim Beobachten ſchiebt man dieſe Hülſe ſo, daß die beiden oberen genau in gleicher Höhe liegen -31Die Apparate zur Meſſung des Luftdrucks.den Ränder der Schlitze, mit dem oberſten Punkt der gewölbten Queck - ſilberkuppe in gleiche Höhe kommen. Mit Hülfe des an der vorderen Seite des Schlitzes des Schiebers augebrachten Nonius ſind dann ſehr genaue Ableſungen zu machen. Angegeben wurde die Benutzung des beweglichen Bodens zur Einſtellung des Queck - ſilberſpiegels zuerſt von Horner.

Die Heberbarometer beſtehen nur aus einem einzigen Rohr, welches Uförmig umgebogen iſt: der eine längere Schenkel iſt natürlich geſchloſſen, während der kürzere Schenkel offen iſt. Beim Heberbarometer machen ſich die Höhenſchwank - ungen der Queckſilberſäule in den beiden Schenkeln in genau gleicher Weiſe bemerkbar, in jedem Schenkel aber nur mit der Hälfte der Luftdruck - wirkung; beim Gefäßbarometer wurde der ganze Effekt nur im Rohre ſichtbar, während im Gefäß nur geringe Niveaudifferenzen eintraten. Beim Heberbarometer müſſen daher zwei Kuppenhöhen gemeſſen werden, deren Differenz den Barometer - ſtand ergiebt. Es giebt drei verſchiedene Kon - ſtruktionen. 1. Das Rohr und die Skala ſind feſt; bei dieſen Inſtrumenten iſt häufig die Teilung direkt auf die Schenkel ſelbſt aufgeätzt. 2. Die Skala iſt feſt und das Rohr läßt ſich vor der Skala in vertikaler Richtung auf - und abbewegen. Endlich kann 3. das Rohr feſt und die Skala beweglich ſein. Fig. 23 ſtellt ein Barometer der zweiten Konſtruktion vor. Dieſe, ſowie die dritte, haben den Vorteil, daß nur die Höhe einer Kuppe abgeleſen zu werden braucht, da durch Heben oder Senken der Skala bez. des Rohres, die zweite Kuppe im kürzeren Schenkel auf den Nullſtrich eingeſtellt werden kann. Um die Konſtruktion möglichſt bequem transportabler Inſtrumente haben ſich beſonders Gay-Luſſac und in jüngſter Zeit Fueß Ver - dienſte erworben.

Fig. 24.

Fortinſches Barometer.

Vom Meſſen des Druckes eingeſchloſſener Gaſe.

Ganz ſo wie man den Druck der Luft mißt, kann man natürlich auch den Druck beliebiger Gaſe in einem Gefäße meſſen, aus dem Barometer wird dann ein Manometer. Von beſonderer Wichtigkeit ſind dieſe Inſtrumente für Dampfmaſchinen, bei denen ſie dazu dienen, den32Die Erfindung der Maße und Gewichte.Druck anzugeben, der im Innern der Dampfkeſſel herrſcht. Man unter - ſcheidet auch hier Gefäßmanometer und Hebermanometer. Die einfachſten Hebermanometer beſtehen aus einer offenen Uförmig gebogenen Glas - röhre. Das eine Ende des Manometers wird luftdicht, ſei es mittelſt eines Korkes oder einer Verſchraubung auf eine entſprechende Öffnung des Gasbehälters aufgeſetzt und dann die gebogene Röhre mit einer Flüſſigkeit gefüllt. So lange der Druck, der aus dem Keſſel heraus auf die Flüſſigkeitsſäule wirkt, nicht größer iſt, als der Druck der Luft, der im anderen Schenkel wirkt, bleiben die Flüſſigkeitsſäulen in beiden Schenkeln gleich hoch, ſobald aber der Druck im Gasgefäß ſich ver - größert, muß die Flüſſigkeit in dem einen Schenkel ſinken, während ſie in dem andern entſprechend ſteigt. Im erſteren Falle ſagt man, der Druck des Gaſes betrage 1 Atmoſphäre. Genauer verſteht man unter 1 Atmoſphärendruck den Druck, den die Luft am Meere ausübt; derſelbe hält, wie ſchon beim Barometer geſagt wurde, einer 760 mm langen Queckſilberſäule das Gleichgewicht. Eine ſolche Säule, deren Grund - fläche 1 qcm beträgt, hat einen Inhalt von 76 ccm, wiegt daher 1,033 kg.

Fig. 25.

Gefäßmanometer

In einem Dampfkeſſel alſo, in dem ein Druck von 1 Atmoſphäre herrſcht, hat jedes Quadratzenti - meter der Wandung einen Druck von 1,033 kg auszuhalten. Steht die Flüſſigkeit im offenen Schenkel doppelt ſo hoch wie in dem an den Keſſel angeſchloſſenen Schenkel, ſo iſt im Keſſel ein Druck von 2 Atmoſphären u. ſ. w.

Das Gefäßmanometer hat die Form wie Fig. 25. Das Rohr r führt nach dem Keſſel, der Druck des durch r in das Gefäß gelangenden Keſſelgaſes bewirkt ein Anſteigen der Flüſſigkeit in dem luftdicht aufgekitteten Rohre. Wie beim Gefäßbarometer finden im Gefäße ſelbſt nur geringe Niveauſchwankungen ſtatt, während der ganze Druckeffekt durch das Aufſteigen der Flüſſigkeits - ſäule im Rohre zu Tage tritt. Dieſe eben geſchilderten Manometer ſind offene.

Bei ſehr hohen Drucken wird das offene Manometer unbequem lang, man wendet daher ein Manometer an, bei dem die Flüſſigkeit in eine oben geſchloſſene Röhre getrieben wird, das geſchloſſene oder Kompreſſionsmanometer. Hier ſetzt die über der Flüſſigkeit ein - geſchloſſene Luft, dadurch, daß auch ſie zuſammengedrückt wird, dem Anſteigen der Flüſſigkeit einen ſehr erheblichen, mit der Vergrößerung des Druckes immer mehr ſich ſteigernden Widerſtand entgegen. Wird die Luft auf ein Achtel ihres Volumens komprimiert, ſo übt ſie auch ihrerſeits einen Druck von 8 Atmoſphären aus.

Man kann den Überdruck im Dampfkeſſel auch auf eine Feder wirken laſſen, deren Zuſammendrückung oder Durchbiegung an einer geeigneten Skala abgeleſen werden kann.

33Meſſen des Druckes eingeſchloſſener Gaſe.

Eine geſchloſſene gekrümmte Metallröhre verringert ihre Krümmung, wenn der Druck in derſelben zunimmt, und umgekehrt. Hierauf beruht das Bourdonſche Metallmanometer, das auf Lokomotiven vielfach benutzt wird.

Nach demſelben Prinzip iſt auch ein Barometer konſtruiert, das eine ſehr große Verbreitung gefunden hat, das Aneroidbarometer. Ein luftleer gemachtes, dünnwandiges Rohr A B C (Fig. 26) iſt in der Mitte bei B auf der Bodenplatte des Ge - häuſes befeſtigt, im übrigen aber frei. Wenn der Luftdruck abnimmt, ſo ent - fernen ſich die beiden Enden A C des Rohres von einander, weil die Krümmung ebenfalls abnimmt, und bewegen dadurch einen gezahnten Hebel hik, deſſen Bewegung wiederum mittels eines Triebes auf den Zeiger übertragen wird. Bei zunehmendem Luftdruck krümmt ſich die Röhre ſtärker, und der Zeiger bewegt ſich in ent - gegengeſetzter Richtung.

Soll die Röhre als Manometer benutzt werden, ſo iſt das Ende A be -

Fig. 26.

Aneroidbarometer.

feſtigt und mit dem Keſſelraum durch eine Leitung verbunden, das Ende C iſt frei. Strömt dann ſtark geſpannter Dampf aus dem Keſſel in die Bourdonſche Röhre, ſo wird ſie durch den Druck desſelben mehr geſtreckt und das Ende C nach rechts bewegt. Ein geeignetes Hebel - werk überträgt auch hier dieſe Bewegung auf einen Zeiger, der ſich vor einer Kreisſkala bewegt.

Die erſte Idee zu einem Manometer gab Ziegler mit ſeinem ſog. Elaterometer, nach welchem Bétancourt um 1790 ſeinen Dampfmeſſer konſtruierte.

2. Die Erfindung der Zeitmeßapparate.

Die erſten Zeitmeſſungen.

Wie das Bedürfnis, ſich über die Größe der Dinge ein genaues Urteil zu bilden, die Menſchen frühzeitig zur Erfindung der Längen - maße führte, ſo läßt ſich auch die Zeitmeßkunſt in ihren Urſprüngen bis in die älteſten Kulturepochen verfolgen. Den Wunſch, die Länge der verfließenden Zeit zu meſſen, befriedigten vorerſt wohl die natür -Das Buch der Erfindungen. 334Erfindung der Zeitmeßapparate.lichſten Zeitmeſſer, nämlich die Geſtirne. Die Sonne erreichte ſtets nach Verlauf derſelben Zeit[i]hren höchſten Punkt am Himmel und ſo gab die Zeit von einem Mittag zum andern das erſte Zeitmaß, den Sonnen - tag; der Mond wechſelte ſein Licht gleichfalls in regelmäßigen Perioden und wenn er wieder in erneuter Fülle am Himmel ſtrahlte, ſo war die Zeit eines Monats vorbei. Die Sonne änderte von Tag zu Tage die Höhe, welche ſie bei ihrem Wege über den Himmel erreichte. Niemand konnte es entgehen, daß die Jahreszeiten die einfache Folge dieſer Änderungen waren. Wenn in der Entwickelung der Pflanzen - welt dieſelben Erſcheinungen wiederkehrten, ſo war die Sonne daran ſchuld, die jetzt dieſelbe Höhe erlangt hatte, wie vor einem großen Zeit - raum, den man das Jahr nannte. So gaben der Wechſel von Tag und Nacht und derjenige der Jahreszeiten mit ihren vielfachen, ſo unmittelbaren Wirkungen, denen niemand ſich entziehen kann, die natür - lichſten Maße für die Zeit, den Tag und das Jahr. Aber recht bald wird ſich auch das Bedürfnis geltend gemacht haben, innerhalb des einzelnen Tages die Zeitpunkte genau feſtzuſtellen, die den Beginn und das Ende der Arbeit markierten und die für die Nahrungsaufnahme feſtgeſetzten Pauſen inne zu halten. Auch hierfür war die Sonne der beſte Wegweiſer. Wenn der Schatten eines beſtimmten Körpers eine gewiſſe Länge erreichte oder in eine gewiſſe Richtung fiel, ſo war jener feſtgeſetzte Zeitpunkt gekommen. Der erſte Zeitmeßapparat, der Gnomon wurde erfunden. Es war nichts als ein ſenkrechter Stab, der durch die Länge ſeines Schattens die Zeit angab. Ein ſolcher Sonnenzeiger war z. B. jener Obelisk von mehr als 30 m Höhe, den der Kaiſer Auguſtus aus Ägypten nach Rom bringen ließ. In der Kuppel des Domes zu Florenz befindet ſich in einer Höhe von faſt 90 m über dem Fußboden eine Öffnung, durch welche die Sonne ihr Bild auf den Fußboden wirft. Die ſchnelle Bewegung dieſes Bildchens aber erlaubt eine ziemlich ſichere Feſtſtellung der Zeiten.

Keine neue Erfindung, ſondern nur die Vervollkommnungen dieſer Gnomone ſind die Sonnenuhren. Der Schatten eines Stiftes fällt auf eine Ebene und die Richtung, die er dabei einnimmt, läßt die Zeit erkennen. Die Aufſtellung der Sonnenuhren iſt ſehr verſchieden. Der Stift muß freilich immer dieſelbe Richtung haben, nämlich diejenige der Weltachſe, er wird alſo bei uns in Deutſchland einen Winkel von 50 Grad mit der wagerechten Linie, die nach Norden weiſt, bilden müſſen; aber die Ebene, auf die der Schatten fällt, kann die wagerechte oder die ſenkrechte, ja jede ſchräge Richtung haben. Man wird ſich nur nach dieſer Stellung immer eine beſondere Bezifferung herſtellen müſſen. Die Gnomone und die Sonnenuhren haben zwei in die Augen fallende Nachteile. Zuvörderſt iſt ja die Sonne kein recht verläßlicher Geſell - ſchafter des Menſchen. Abgeſehen davon, daß wir ihrer in der Nacht ganz entraten müſſen, verſteckt ſie ſich ſelbſt am Tage oft genug hinter Wolken, und mit ihr verſchwinden die zeitmeſſenden Schatten. Sodann35Die erſten Zeitmeſſungen.aber iſt ihr Weg nicht ſo ganz regelmäßig, daß man danach die Zeit leicht und genau beſtimmen kann. Wenn wir vorhin ſagten, daß von einer größten Höhe der Sonne bis zur andern immer dieſelbe Zeit verfließt, ſo müſſen wir das jetzt doch etwas abändern. Die größte Höhe wird nämlich von der Sonne am 12. Februar um 15 Minuten zu ſpät, am 18. November um 16 Minuten zu früh erreicht, und um ſoviel kann man ſich alſo irren, wenn man glaubt, daß die Sonne ganz gleichmäßig ihre Bahn am Himmel ziehe. Nun kommt noch hinzu, daß man den Ort des Schattens auch nicht ſo genau beſtimmen kann, um nicht noch einen Irrtum von einigen Minuten zu begehen, und wir erkennen, daß man, um einen genauen Zeitmeßapparat zu erhalten, auf die Beihilfe der Sonne verzichten mußte.

Sanduhren ſind die nächſten geweſen, die ſich darboten. Zwei Gefäße ſtehen über einander und ſind durch eine enge Öffnung ver - bunden. Man kann nun in das eine Gefäß gerade ſo viel Sand thun, als in einer beſtimmten Spanne Zeit in das untere Gefäß ablaufen kann. Man benutzt ſolche, die in wenigen Sekunden bereits, und andere, die erſt innerhalb einer Stunde ablaufen. Man kennt ihren Gebrauch in den Küchen, wo ſie die Zeit, welche zum Eierkochen benötigt wird, anzeigen. Aber ſo unvollkommen ſie erſcheinen, haben ſie noch im 17. Jahrhundert bei aſtronomiſchen Beobachtungen ihre Dienſte gethan, und wenn man heute die Fahrgeſchwindigkeit der Schiffe auf offener See feſtſtellen will, ſo geſchieht das auch gewöhnlich mit Benutzung einer Sanduhr, die gerade in 14 reſp. in 28 Sekunden ihren Sand ausſchüttet. Statt des Sandes kann man nun auch eine Flüſſigkeit benutzen, die ſo gemeſſen iſt, daß ſie gerade in einer beſtimmten Zeit ausfließt. Waſſer bot ſich als das einfachſte Mittel dar, aber der bekannte Himmelsforſcher Tycho de Brahe hat ſich eine Queckſilberuhr gebaut, weil dieſes Metall die Glaswände nicht benetzt und alſo genauere Reſultate giebt. Er hat mit dieſer Uhr ſeine in der damaligen Zeit unübertroffenen Beobachtungen angeſtellt. Schon vor zwei und einem halben Jahrtauſend ſind Waſſeruhren bei den Aſſyrern in Gebrauch geweſen, ſie ſind von dieſen auf die Griechen und Römer überkommen. Viele Verbeſſerungen wurden angebracht und mit Hülfe des abfließenden Waſſers ließ man Räderwerke treiben, ſo daß man bis zu ganz ver - wickelten Kunſtuhren aufſtieg, wie der Kalif Harun al Raſchid eine Karl dem Großen zum Geſchenke machte.

Die Pendeluhren.

Der Wunſch, immer kleinere Zeitteile recht genau feſtzuhalten, der ſich beſonders lebhaft für die Himmelsbeobachtungen kundgab, ließ ſich freilich auch mit Waſſeruhren nicht erfüllen. Sie müſſen außerdem wohl zu teuer geweſen ſein, als daß ſie in den Haushaltungen überall hätten Aufnahme finden können. Wir können uns heutzutage kaum3*36Erfindung der Zeitmeßapparate.mehr einen ſolchen Kulturzuſtand ausmalen. Wir haben Uhren aller - wege, im Zimmer, auf der Straße, in der Taſche und können ſo überall und immer die vorbeſtimmte Zeit inne halten. Wie muß es zu jener Zeit der Waſſeruhren wohl um die Pünktlichkeit beſtellt geweſen ſein! Kaum anders wurde es durch die Erfindung verwickelter Räderwerke, die durch Gewichte getrieben wurden, und wie ſie ſich im Laufe des Mittelalters hier und dort einführten. Der Kaiſer Friedrich II erhielt vom Sultan Saladin eine ſolche zum Geſchenke. Wir finden ſie auch in Klöſtern und die erſten Turmuhren ſind auch fünf Jahrhunderte alt. Es fehlte allen ein Mittel, die kleinſten Zeitteile, etwa von der Länge einer Sekunde genau feſtzuhalten. Dieſes Mittel hat uns erſt Galilei in dem Pendel gegeben. Galileo Galilei, geb. 1564 zu Piſa, geſt. 1642 zu Arcetri bei Florenz, iſt unſtreitig der bedeutendſte Phyſiker aller Zeiten und einer der größten Erfinder, den der Erdball getragen hat. Auf die Geſetze des Pendels ſoll er allerdings durch eine zufällige Beobachtung geführt worden ſein. Als er einmal im Dome zu Piſa weilte, ſoll dort eine Ampel in Schwingungen geraten ſein. Während aber die Weite dieſer Schwingungen fortwährend abnahm, bemerkte Galilei, daß die Zeit, welche die Ampel für eine Hin - und Herbewegung benötigte, ſich nicht merklich änderte. Er ſchloß alſo

1. daß die Schwingungszeit der Ampel, alſo irgend eines auf - gehängten und aus dem Gleichgewichte gebrachten Körpers ganz unabhängig davon iſt, wie weit man denſelben aus ſeiner Ruhelage entfernt.

Ganz richtig iſt nun dieſer Satz freilich nicht, aber doch ſehr nahe an der Wahrheit. Wenn die Schwingungsweite nicht ſehr groß iſt, ſo darf man ſehr genähert annehmen, daß die Schwingungszeit ſich mit noch größerer Abnahme der Weite nicht verändert. Nur wo es auf die allerhöchſte Genauigkeit ankommt, bei aſtronomiſchen Zeitbeſtimmungen, wird auch den Veränderungen der Schwingweite Rechnung getragen werden müſſen. Wie Galilei nun im Studierzimmer die Eigentümlichkeiten eines ſchwingenden Pendels, d. h. einfach einer an einem Faden auf - gehängten Kugel weiter verfolgte, fand er noch die folgenden bemerkens - werten Geſetze:

2. Es iſt ganz gleichgültig, aus welchem Stoffe der pendelnde Körper beſteht und wie ſchwer er iſt; immer braucht er dieſelbe Zeit für eine Schwingung, wenn nur ſeine Entfernung vom Aufhängepunkte oder die Pendellänge unverändert bleibt;

3. Wenn aber zwei Pendel verſchiedene Länge haben, ſo braucht das längere mehr Zeit für eine Schwingung als das kürzere.

Jeder kann ſich durch ſehr einfache Verſuche von der Richtigkeit dieſer Sätze überzeugen. Sie waren ganz neu, niemand hatte vorher daran gedacht, die Schwingungszeiten der Pendel zu ſtudieren. Aber Galilei war auch der Mann, ſeine Entdeckung praktiſch zu verwerten. Er erkannte, daß beſonders die Eigenſchaft (1) das Pendel zum37Die Pendeluhren.Regulieren des Uhrgangs in hervorragender Weiſe geeignet machen mußte, aber er ließ erſt kurz vor ſeinem Tode von Balcetri die erſte Pendeluhr konſtruieren. Das ſcheint wenig bekannt geworden zu ſein, denn man hält gewöhnlich den Holländer Huyghens, gleichfalls einen ſehr hervorragenden naturwiſſenſchaftlichen Forſcher, für den Erfinder der Pendeluhr, obgleich dieſer erſt 15 Jahre nach Galilei die ſeinige konſtruierte. Die Verbindung des Pendels mit der Uhr iſt bis zum heutigen Tage nur wenig verändert worden. Wir können uns alſo darauf beſchränken, eine ſolche Einrichtung zu beſchreiben.

Fig. 27.

Pendeluhr von vorn geſehen.

Fig. 28.

Pendeluhr von der Seite geſehen.

Fig. 27 zeigt die Einrichtung einer Pendeluhr von vorn, Fig. 28 von der Seite geſehen. Was das Werk in fortwährendem Gange erhält, iſt das Gewicht A, welches mit einer Schnur um die Walze B gewunden iſt. Da es durch die Schwerkraft zum Fallen gezwungen iſt, ſo würde es in kurzer Zeit ablaufen und die Walze ungleichmäßig umdrehen, wenn ſeine Bewegung nicht in kurzen Pauſen gehemmt würde. Das ge - ſchieht durch die Hemmung N. Dieſelbe vermag mit ihren Anker - zähnen oder Paletten ſich dem Hemmungsrade M in die Zähne zu werfen und ſo den Stillſtand desſelben zu bewirken. Das Hemmungs - rad iſt aber mit der Walze auf die folgende Weiſe verbunden. An dieſer iſt das Walzenrad C ſo befeſtigt, daß es die Drehung der Walze unmittelbar mitmacht. Nun greifen die Zähne des Rades C in den an der Achſe des Rades E angebrachten Trieb D ein. Die Zähne von E wirken wiederum auf den Trieb F des Rades G, dieſes greift38Erfindung der Zeitmeßapparate.in den Trieb H des Minutenrades K ein und die Zähne des Rades K ſchließlich erfaſſen den Trieb L des Hemmungsrades M. Wird alſo die Umdrehung eines einzigen dieſer Teile verhindert, ſo muß zu gleicher Zeit das ganze Werk ſtille ſtehen. Nun müſſen aber die Hemmungen in gleichmäßiger Folge geſchehen, wenn anders der Gang der Uhr ſich regelmäßig vollziehen ſoll. Die Hemmung muß reguliert werden, und das geſchieht durch ihre Verbindung mit dem Pendel U. Wir erkennen, daß der Anker N ſich um eine Achſe O drehen läßt, an welcher außerdem noch die Gabel S T befeſtigt iſt. Dieſelbe iſt bei T ſo in zwei Teile geſpalten, daß das Pendel U ſie bei ſeiner Bewegung mit ſich führen muß und dabei einmal beim Hingang und einmal beim Hergang einen Stoß durch Vermittelung der Gabeläſte bei T erhält. Wohl bemerkt, das Pendel iſt durchaus ſonſt in keiner Verbindung mit den Teilen des Uhrwerks, es würde ungeſtört hin und hergehen, wenn es nicht die Gabel mit ſich nehmen müßte und damit auch den Anker, der ja an derſelben befeſtigt iſt. Das Pendel hängt bei guten Uhren an einem elaſtiſchen Bande aus Stahl, dem Stück einer Uhrfeder, an einer ent - ſprechenden Stelle des Uhrgehäuſes herab oder wie in der Fig. 28 auch an zwei ſolchen Federn. Nun haben wir aber gehört, daß das Pendel für eine Schwingung immer derſelben Zeit bedarf, und daß dieſe auch von der Schwingungsweite in ſehr geringem Grade abhängig iſt. Setzen wir nun z. B. den Fall, wir hätten in der Uhr ein Sekunden - pendel, d. h. eines, deſſen Länge ſo abgepaßt iſt, daß es gerade im Verlauf einer Sekunde einen Hingang oder einen Hergang vollendet, ſo wird am Anfang einer ſolchen Schwingung etwa die Hemmung mit ihrer rechten Palette in das Hemmungsrad eingreifen; da dieſes durch das Ablaufen des Gewichtes eine geringe Bewegung hat, ſo muß jetzt das Peudel einen ſchwachen Stoß erhalten. Es würde freilich auch ſonſt, aus ſeiner Ruhelage gebracht, eine Schwingung vollführen, aber dieſer Stoß am Anfange jeder Schwingung trägt dazu bei, das Pendel in ſeiner Bewegung zu erhalten, die es ſonſt bei dem Hindernis, das ſeine Bewegung im Widerſtande der Luft findet, nicht lange würde beibehalten können. Schwingt aber jetzt das Pendel nach rechts, ſo giebt die rechte Palette den Zahn des Hemmungsrades frei. Dasſelbe hatte aber gerade nur Zeit, ſich um einen Zahn vorwärts zu bewegen, dann fällt ihm die linke Palette wieder in die Zähne und hemmt ſeine weitere Bewegung. Zugleich empfängt ſie aber wieder jenen ſchwachen Antrieb, den ſie durch Vermittelung der Gabel an das Pendel über - trägt. So geht die Sache weiter, ſo lange überhaupt das Hemmungsrad bewegt wird, d. h. ſo lange, bis das Gewicht abgelaufen iſt. Hat dieſes Rad gerade 60 Zähne, ſo wird es ſich gerade im Verlaufe einer Minute einmal um ſeine Achſe drehen und einen mit ſeiner Achſe ver - bundenen Zeiger ebenfalls. Dieſer wird innerhalb der Minute ſechzig mal ſeinen Ort wechſeln, er wird uns alſo Sekunden zeigen. Das Rad K, welches ſich in einer Stunde einmal umdrehen, alſo durch39Die Pendeluhren.einen mit ihm verbundenen Zeiger Minuten weiſen ſoll, muß dann ſo eingerichtet ſein, daß es ſich ſechzig mal langſamer als das Hemmungsrad bewegt. Hat der Trieb L dieſes Rades fünf Zähne, ſo wird das Rad K deren dreihundert haben müſſen. Der Stundenzeiger ſoll ſich noch ſechzig mal langſamer bewegen; er wird alſo an einem Rade angebracht ſein, das ſechzig mal ſoviel Zeit für eine Umdrehung braucht als das Minutenrad. Wenn es bei unſeren Uhren ſo ſcheint, als ob beide Zeiger ſich um dieſelbe Achſe bewegen, ſo liegt das einfach daran, daß hier zwei Radachſen in einander ſtecken, die eben jene beiden Zeiger tragen, während die beiden auf dieſen Achſen ſitzenden Räder keine unmittelbare Verbindung haben.

Iſt das Gewicht ſtark geſunken, ſo muß die Uhr aufgezogen werden, d. h. das Gewicht muß wieder genügend gehoben werden. Aber bei der Verbindung aller Uhrteile ſollten wir erwarten, daß wenn die Walze zu dieſem Zwecke bei α gedreht wird, alle Teile die rückläufige Bewegung machen und ſo die Zeiger ſehr ſchnell rückwärts auf eine ganz falſche Zeit ſich ſtellen müßten. Das muß vermieden werden, und man bedient ſich dazu des Gegen - geſperres, welches noch außerdem be - wirkt, daß auch während des Aufziehens die Uhr regelmäßig weiter geht. Da dasſelbe ganz ähnlich auch in Taſchen - uhren verwendet wird, ſo geben wir durch Fig. 29 eine Vorſtellung davon. In ihr bedeuten G das Walzenrad, B1 die Walze, A und B zwei Räder, die loſe auf der Walze ſitzen, die ſoge - nannten Sperrräder. Die Zähne des einen B ſind durch den Haken r T am Weitergehen verhindert, welcher in T am Uhrgehäuſe feſtſitzt. Die Zähne des andern ſind entgegengeſetzt gerichtet, und der Haken R läßt ſie nicht weiterrücken. Dieſer iſt an B befeſtigt. Das Rad B ſchließlich iſt mit dem Walzenrade durch

Fig. 29.

Gegengeſperre.

eine elaſtiſche Feder s s'; verbunden. So lange das Gewicht noch ab - laufen kann, wird dieſe Feder immer durch den Zug des Gewichtes ſo weit geſpannt, bis Gleichgewicht eintritt. Während aber das Gewicht aufgewunden wird, ſpannt ſich die Feder in der anderen Richtung und wirkt alſo in demſelben Sinne wie das aufgezogene Gewicht; ſie hält alſo die Uhr während der kurzen Zeit, die das Aufziehen erfordert, regelmäßig genug im Gange.

So oder ganz ähnlich haben wohl bereits die erſten Pendeluhren ausgeſehen, die vor mehr als zwei Jahrhunderten gebaut wurden. Von den Veränderungen, die ſeitdem angebracht worden ſind, wollen40Erfindung der Zeitmeßapparate.wir nur zwei erwähnen. Die eine betrifft das Pendel. Wir erfuhren, daß dieſes immer eine beſtimmte Schwingungszeit beſitze, daß dieſe aber für kürzere Pendel auch kürzer ſei. Will man z. B. eine Uhr haben, welche halbe Sekunden ſchlägt, ſo muß man ein Pendel von ¼ m Länge haben, während das Sekundenpendel etwa 1 m lang iſt. Es iſt nun bei den verſchiedenen Zwecken, denen die Uhr dienen ſoll, bei der Verſchiedenheit des Raumes, den man ihnen anweiſen kann, zwar die Länge des Pendels eine ſehr mannigfaltige und alle ſind an ihrem Platze brauchbar, aber behält denn das Pendel wirklich überall und immer die Länge bei, die man ihm gegeben hat? Wir erfuhren doch bereits im vorigen Kapitel, daß die Wärme die Ausdehnung der Körper ſehr weſentlich verändert, alſo müſſen wir ſchon hieraus ſchließen, daß die Pendellänge bei bedeutender Wärme größer ſein wird, als wenn es kalt iſt. Im Sommer werden ſich die Pendel verlängern, im Winter verkürzen. Freilich, wo es auf keine ſo große Genauigkeit ankommt, wie im gewöhnlichen Berufsleben, wo man nur den Gang der Uhr bis auf eine Minute am Tage ſicher feſthalten möchte, da wird man dieſe Längenänderung nicht zu berückſichtigen nötig haben. Aber wo es auf große Genauigkeit ankommt, wo man wie bei den aſtronomiſchen Uhren den Gang bis auf Bruchteile der Sekunde ſichern muß, da wird man auch dieſer Eigentümlichkeit Rechnung tragen müſſen. Das kann auf zweierlei Weiſen geſchehen. Entweder man ſtellt die Uhr an einem Orte auf, an dem die Temperatur nur höchſtens ganz ſchwache Änderungen erfährt. So ſind in der That die Haupt - uhren der Sternwarten in Kellern aufgeſtellt, wo ſich die Temperatur etwa innerhalb eines Grades konſtant erhält. Oder man ſorgt dafür, daß dieſe Längenänderung des Pendels irgendwie wieder aufgehoben wird. Man wird bei der Verfolgung dieſes Gedankens in höchſt glück - licher Weiſe von der Natur unterſtützt. Die verſchiedenen Körper dehnen ſich nämlich bei Erhöhung ihrer Temperatur keineswegs in gleichem Maße aus, ſondern einmal ſind die flüſſigen Körper einer weit be - trächtlicheren Ausdehnung fähig als die ſtarren, und dann ſind ſelbſt die ſtarren Körper unter ſich noch recht verſchieden an Ausdehnbarkeit. Man kann alſo z. B. ſehr leicht die Wirkungen der Wärme aufheben, wenn man etwa die Pendelſtange von Eiſen macht, als pendelnden ſchweren Körper aber ein Glasgefäß mit Queckſilber wählt, und beide gegen einander ſo abpaßt, daß während die Stange ſich ausdehnt, der Queckſilberſpiegel ſich gerade ſo hoch hebt, daß die wirkſame Länge des Pendels ungeändert bleibt. Man erhält ſo die Queckſilberkompen - ſation. Aber dieſe hat Nachteile, und zwar vor allem den, daß der Pendelkörper für dieſen Zweck eine Geſtalt erhält, die ihn im Hinblick auf andere Zwecke ungeeignet erſcheinen läßt. Zur leichteren Über - windung des Luftwiderſtandes iſt es nämlich am vorteilhafteſten, jenem die Geſtalt einer Linſe zu geben. Das kann bei dem Queckſilbergefäß nicht geſchehen. Verfertigt man die Linſe aus einem ſtarren Metall,41Die Pendeluhren.ſo wird es darauf ankommen, ſchon die Pendelſtange ſo einzurichten, daß die Linſe immer in derſelben Entfernung vom Aufhängepunkt bleibt. Das geſchieht nun leicht durch Konſtruktion eines Roſtpendels (vgl. Fig. 30). Es bedeuten f und a a drei Eiſenſtangen, d d zwei ſolche von Zink. Die Eiſenſtange f geht frei durch den Querbalken b b hindurch, trägt aber am unteren Ende die Quer - ſtange e e, die Zinkſtangen ſind an beiden Quer - balken befeſtigt, während a a durch den Balken e e frei hindurchgehen und erſt bei c c eine Querſtange zum Feſthalten der Pendellinſe L tragen. Würden bei der Erwärmung nur die Eiſenſtangen ausge - dehnt, ſo müßte die Linſe ſich ſenken, nähmen nur die Zinkſtangen an der Ausdehnung teil, ſo müßte ſie ſich heben. Da ſich das Zink nun beträchtlicher ausdehnt als das Eiſen, ſo iſt leicht zu erkennen, daß man die Länge der verſchiedenen Stangen ſo abpaſſen kann, daß bei der Erwärmung die Pendel - linſe ſich weder hebt noch ſenkt.

Eine andere Änderung, die man an den Pendeluhren angebracht hat, iſt die vollſtändige Erſetzung des treibenden Gewichtes durch eine ge - ſpannte Feder, d. h. durch ein langes, höchſt elaſtiſches, ſpiralförmig gewundenes Stahlblatt. Wickelt man ein Stahlband zu einer Spirale (vgl. Fig. 31) auf, ſo wird dieſe, wenn ihre natürliche Elaſtizität kein Hindernis findet, ſich allmählich wieder ausbreiten und ſtrecken, da alle Stahl - teilchen, die ſie zuſammenſetzen, dahin ſtreben, die urſprüngliche Lage wieder anzunehmen, genau wie ein Gummiball ſein erſtes Ausſehen beim Auf - hören des Druckes wieder annimmt, der ihn zeit - weiſe umgeſtaltete. Was würde nun wohl ge - ſchehen, wenn die Stahlfeder nicht vollkommen frei wäre? Wickeln wir ſie derart zu einer Spirale, daß wir ihr äußeres Ende feſt machen, indem wir es an einem feſten Punkt annageln und nageln wir auch das innere Ende an einen Metallcylinder an, ſo wird die elaſtiſche Kraft der Feder den Cylinder zur Umdrehung um ſich ſelbſt zwingen, bis die Spirale ſich wieder ſoweit geſtreckt haben wird als es mit ihrer Länge und der Entfernung, die wir ihren beiden Enden anweiſen, verträglich iſt. Wir erkennen ſofort, daß bei dem geringen Raum, den die Feder einnimmt, im Verhältnis zu dem langen

Fig. 30.

Roſtpende[l]

42Erſindung der Zeitmeßapparate.

Fig. 31.

Spirale mit Schnecke.

Wege, den die Gewichte zurückzulegen haben, ſehr viel an Platz geſpart wird. Man tauſcht dagegen gewiſſe andere Unannehmlichkeiten ein und wir können in der Einführung der Feder eine Verbeſſerung nicht erblicken. Wir haben ſie erwähnt, weil die Taſchenuhren, welche auf dieſe Raum - erſparnis angewieſen ſind, auch den Gebrauch der Triebfeder verlangen. Wir wenden uns der Erfindung dieſer zu.

Die Taſchenuhren.

Die tragbaren Uhren waren ſicher ſchon in der Mitte des 14. Jahr - hunderts bekannt, wenn ſie auch noch ſelten und ſehr teuer waren. Man weiß nicht, wo und von wem ſie erfunden wurden. Aber es heißt, daß eine in Deutſchland gebaute, welche kaum die Größe einer Walnuß hatte, im Jahre 1380 dem Könige Karl V. von Frankreich zum Geſchenk gemacht wurde. Allgemein wurde der Gebrauch dieſer Uhren erſt im Laufe des 16. Jahrhunderts. Man nannte ſie da - mals häufig Nürnberger Eier, wegen ihrer Form und wegen des Ortes, wo ſie zuerſt allgemeiner verfertigt wurden. Als ihr Erfinder galt wahrſcheinlich mit Unrecht der Nürnberger Peter Henlein (Hele), der um 1500 lebte. Bald wußte man ſie ſo ausgezeichnet klein zu machen, daß der Vicentiner Capobianco eine ſolche in den Ring des Großtürken zu faſſen wußte, und eine andere ebenſo kleine dem Herzog von Urbino zum Geſchenke machte. Dieſe letztere zeigte ſogar die zwölf Zeichen des Tierkreiſes und eine Figur, die den Lauf der Zeiten angab.

Die Taſchenuhren müſſen die Zeit anzeigen ſowohl wenn die Uhr ſenkrecht gehalten wird, wie wenn ſie in mehr oder weniger geneigter, ja ſelbſt wenn ſie in wagerechter Stellung ſich befindet. Hieraus folgt ſchon, daß das Gewicht und das Pendel, die beſten Mittel, um feſt aufgeſtellte Uhren in Gang zu halten, für die Taſchenuhren völlig ungeeignet ſind. Sie erhalten ihre Bewegung durch die Elaſtizität der Triebfeder. Dieſe ſetzt, wie oben beſchrieben wurde, einen Cylinder in Umdrehung, und wie ſich dieſe auf die übrigen Teile der Uhren und ſchließlich auch auf die Zeiger überträgt, das erſehen wir nun aus der Figur 32.

43Die Taſchenuhren.
Fig. 32.

Einrichtung einer Taſchenuhr.

In ihr bedeutet A die Triebfeder, deren eines Ende bei u 'am Gehäuſe befeſtigt iſt, während das andere Ende an dem Wellbaum B feſt iſt. Zu der ganzen Abbildung iſt zu bemerken, daß die einzelnen Teile, um einen beſſeren Einblick in das Innere zu geſtatten, zu weit aus einander gerückt ſind. Die Bewegung pflanzt ſich, wie wir erkennen, durch das Räderwerk bis zu dem Hemmungs - oder Steigrade M fort. Damit die Spirale nicht ſofort, nachdem ſie geſpannt wurde, wieder plötzlich ablaufe, muß ganz wie bei den Pendeluhren an dieſer Stelle ein fortwährender Stillſtand der Bewegung ſtattfinden. Derſelbe muß auch wieder in durchaus gleichmäßigen Pauſen ge - ſchehen, wenn anders die Uhrzeiger in gleichförmigem Schritte bleiben ſollen. Da der Gebrauch des Pendels hier ausgeſchloſſen iſt, ſo mußte man zum Regulieren des Uhrganges ein anderes Mittel anwenden, und man erſann die Unruhe oder den Balancier N O, welcher genau die Vorteile des Pendels in ſich vereinigt. Er iſt aus zwei Teilen zuſammengeſetzt, nämlich einem Rade N, das ſich um eine Achſe ſehr leicht drehen läßt und einer ſehr feinen Spiralfeder aus Stahl, einer viel zarteren, als diejenige bei A, die man als Triebwerk benutzt. Dieſe Stahlfeder iſt nun an dem einen Ende wieder mit den feſten Teilen der Uhr in Verbindung, mit dem andern aber an der Achſe des Unruherades befeſtigt. Wenn man alſo dieſes dreht und damit die Feder ſpannt, ſo wird ſie vermöge ihrer Elaſtizität die Unruhe in die Gleichgewichtslage zurückführen, aber wie das Pendel, aus ſeiner Ruhelage gebracht, nicht blos in dieſe zurückkehrt, ſondern durch die erlangte Bewegung noch über dieſelbe hinausgeführt wird, ſo wird auch der Balancier ſich nach der andern Seite von der Gleichgewichts - lage entfernen und ſo lange hin und herſchwingen, bis der Widerſtand der Luft und die Reibung an den Lagern ſeiner Achſe ihn zur Ruhe bringen. Die Unruhe gleicht ferner dem Pendel auch darin, daß die44Erfindung der Zeitmeßapparate.Zeit, welche eine Schwingung erfordert, dieſelbe bleibt, ob nun die Spirale wenig oder weit aus ihrer Ruhelage entfernt wurde. Freilich iſt dazu erforderlich, daß die Spirale gerade eine ganz beſtimmte Länge habe, eine Länge, die ſich indeſſen durch eine Anzahl von Verſuchen leicht finden läßt. Ferner würde ſich allerdings dieſe Schwingungszeit verändern, wenn die Größe der Unruhe ſich änderte; wenn das Rad der Unruhe ſich z. B. durch Verlängerung ſeiner Speichen weiter von der Achſe entfernte, ſo würde die Zeit der Schwingungen verlangſamt werden. Wir erkennen ſofort, daß alſo auch in den Gang der Taſchen - uhren die Wärme als ſtörendes Element eingreifen wird, und wir werden bald erfahren, wie man ſich von dieſem Übelſtande freimachen kann. Schon jetzt aber dürfen wir die Spirale wenigſtens innerhalb gewiſſer Grenzen als durchaus geeignet anſehen, den Uhrgang zu regeln, wenn ſie ſich mit einer Hemmung verbindet. Die fortſchreitende Technik der Taſchenuhren hat ſehr verſchiedene Arten von Hemmungen gezeugt; die am meiſten verwendeten waren und ſind noch heute die Spindel -, Cylinder - und Ankerhemmung, nach denen man auch die Uhren als Spindel -, Cylinder - und Ankeruhren bezeichnet. Wir er - wähnen die erſtere ſchon, weil ſie als die älteſte eine Betrachtung verdient. Freilich iſt ſie immer mehr im Verſchwinden, aber noch im Jahre 1869 wurden allein im Kanton Bern in der Schweiz 300000 Uhren mit Spindelhemmung konſtruiert.

Die Spindelhemmung iſt in Fig. 33 zweimal abgebildet, oben erblicken wir das Steigrad in ſenkrechter, unten in wagerechter Stellung.

Fig. 33.

Die Spindelhemmung.

C C iſt die Achſe des Balanciers A. Wir erblicken an derſelben zwei Flügel E und F, die nach verſchiedenen Seiten ge - richtet ſind, ſo daß ſie um einen ſtumpfen Winkel gegen einander geneigt ſind. Bei den Hin - und Herſchwingungen der Un - ruhe greifen dieſe Lappen abwechſelnd in die Zähne des Steigrades ein und hemmen ſo ſeine Bewegung. Iſt die Uhr im Gange, ſo läuft das Steigrad in der Richtung, die der Pfeil anzeigt, und der Flügel F wirft ſich dem Zahn a entgegen. Der Stoß, den der Lappen dabei empfängt, trägt dabei[zur] Auf - rechterhaltung der Bewegung der Un - ruhe bei. Aber bei dem weiteren Schwunge dieſer wird bald der Zahn b vom Lappen E getroffen werden, und dadurch wird das ganze Steigrad ein wenig zurück - gedreht werden, ſo weit, als es die ſchwache Kraft der Unruheſpirale eben vermag. Dann wird der Flügel E durch die vorwärts ſchreitende Bewegung des Hemmungsrades wieder fort geſtoßen, bis ſich der45Die Taſchenuhren.Lappen F vor den Zahn m legt. Auch hier wird das Steigrad erſt ein wenig zurückgedrängt, um gleich nachher den Lappen F fortzu - ſtoßen, und ſo wiederholt ſich das Spiel der Flügel und des Steig - rades[ſortgeſetzt], während dieſes immer um einen Zahn vorwärts kommt. Das iſt die Spindelhemmung, die bis zum Jahre 1720 allein im Gebrauche war. Was dieſelbe allmählich verdrängte, das waren folgende Nachteile. Wenn die Zugkraft der Triebfeder ſich nur wenig vermehrt, ſo werden offenbar die Schläge der Steigradzähne gegen die Flügel ſchneller erfolgen und damit wird der Gang der Uhr ein beſchleunigter werden. Nun iſt aber die Spannkraft der Feder keines - wegs immer die gleiche. Nach dem Aufziehen iſt ſie am höchſten, dann nimmt ſie allmählich ab und daher werden alle Bewegungen der Uhr bald nach dem Aufziehen zu ſchnell, kurz vor dem Ablaufen aber zu langſam erfolgen. Um dieſem Übelſtande abzuhelfen bediente man ſich in den Spindeluhren wie noch heute bei den für die Zwecke einer genauen Zeitmeſſung beſtimmten Uhren, den Chronometern des in der Fig. 31 dargeſtellten Apparates. Die Triebfeder A ſitzt in einer Trommel, das innere Ende bleibt, wie ſchon geſagt, am Cylinder befeſtigt, während das äußere an der inneren Trommelfläche angelötet iſt. An die äußere Fläche der letzteren aber legt ſich ein langes, ſehr biegſames Stahlkettchen, deſſen eines Ende an die Trommel genagelt iſt, während das andere am Grunde der Schnecke feſt ſitzt. Am Umfange dieſer iſt eine ſpiralige Verkehlung angebracht, die wie wir nun ſehen werden zur allmählichen Aufnahme der Kette dienen ſoll. Um die Uhr aufzuziehen dreht man mittels eines Schlüſſels die Schnecke herum, und dabei wickelt ſich die Kette von der Trommel ab und auf die Schnecke. Bei dieſer Bewegung der Kette dreht ſich natürlich auch die Trommel, und infolge deſſen windet ſich die Spirale um den Cylinder in ihrer Mitte. Bald nachdem die Uhr aufgezogen iſt, beginnt aber die Spirale ſich zu ſtrecken und bewirkt damit eine Drehung der Trommel und damit auch der Schnecke in der entgegen - geſetzten Richtung. Die Stahlkette wickelt ſich dabei wieder von der Schnecke auf die Trommel herüber. Zuerſt, d. h. wenn die Spannung der Spirale größer iſt, wirkt dieſelbe durch Vermittelung der Kette auf die oberſten Schneckenwindungen. Dieſe aber hat den geringſten Durch - meſſer und ſetzt daher der Spirale, die ſie umdrehen will, einen größeren Widerſtand entgegen. Derſelbe nimmt allmählich ab in dem Maße, als der Durchmeſſer der Auskehlung größer wird. Kurz vor dem Ablaufen der Kette iſt zugleich die Spannkraft der Spirale und der Widerſtand der Schnecke am geringſten geworden, weil jene ja auf den größten Durchmeſſer der Schnecke wirkt, und da demnach die Kraft mit dem Widerſtande, den ſie findet, gleichmäßig abnimmt, ſo wird ſie durchaus gleichmäßig auf die Uhrteile wirken, indem das Zahnrad an der Schnecke die Bewegung derſelben auf die übrigen Räder überträgt. Durch dieſe höchſt geiſtreiche Verbindung von Schnecke und Trommel46Erfindung der Zeitmeßapparate.hat man alſo den Spindelgang gleichmäßig zu erhalten geſucht. Es wirken freilich auch Änderungen in der Temperatur auf die Zugkraft der Feder ein, und ſo wird die Gleichmäßigkeit der Uhrbewegung ſich doch nicht genau aufrecht erhalten laſſen. Zudem waren Spindeluhren auch oft reparaturbedürftig, weil z. B. durch die Schläge der Flügel gegen das Steigrad der eine Zapfen desſelben das Lager, in dem er läuft, ſehr ſchnell abnutzt.

Dieſe Gedanken mochten den Engländer Graham geleitet haben, als er 1720 die Cylinderhemmung erſann. Wir erblicken in der Fig. 34

Fig. 34.

Die Cylinderhemmung.

das eigentümlich geſtaltete Steigrad hier Cylinderrad genannt und links davon den Cylinder. Dieſer ſtellt nichts als die verlängerte Achſe der Unruhe vor, die indeſſen nicht voll, ſondern in ihrem mittleren Teile ausgehöhlt und noch außerdem auf beſondere Art zugeſchnitten iſt, ſo daß in der Höhe, wo die Zähne des Steig - rads ſtehen, die eine Hälfte der Wand, darunter ſogar ein noch größerer Teil weggenommen iſt. Wenn die Uhr aufgezogen iſt, ſo wird die Kraft der geſpannten Feder ſich durch Vermittelung der übrigen Räder auch dem Cylinderrade mitteilen, ſo daß es ſich in der Richtung des Pfeiles drehen wird. Dieſe Drehung nun iſt es, welche durch den Cylinder fortwährend gehemmt wird. Da dieſer mit der Unruhe verbunden iſt, ſo ſchwingt er bald nach rechts, bald nach links.

Fig. 35.

Gang der Cylinderuhr.

Dabei bringt er in der Stellung I das Steigrad zur Ruhe, beim Vorwärts - ſchwingen giebt er den ge - fangenen Zahn a in der Stellung II frei, ſo daß er bei III an die innere Wand des Cylinders an - prallen muß, um ſchließlich beim Rückwärtsſchwingen des Balanciers in der Stellung IV aus ſeiner Zwangslage wieder be - freit zu werden (vergl. Fig. 35). Das Aufſchlagen der Zähne auf die beiden Cylinderflächen giebt zugleich dem Balancier jedesmal einen kleinen Stoß, ſo daß derſelbe ſeine Schwingungen fortzuſetzen befähigt wird. Der Nachteil der Cylinderhemmung iſt der, daß in den Ruhe - lagen I und III ſich die Zähne zu ſehr am Cylinder reiben, wodurch auch der Gang des Balanciers ſtark beeinflußt wird. Man muß47Die Taſchenuhren.alſo dieſe Reibung durch Einölen des Cylinders zu verringern ſuchen. Aber das Öl behält leider ſeine Leichtflüſſigkeit nicht lange bei; dann wird aber der Gang der Uhr ſich natürlich verlangſamen. Deshalb bedürfen die Cylinderuhren einer häufigen Reinigung.

Dieſe Übelſtände werden durch die freien Hemmungen vermieden. So nennt man ſie, weil ſie mit der Unruhe nicht in ſo feſter Verbindung ſtehen, wie die Spindel - und die Cylinderhemmung. Sie drehen ſich nicht um die Achſe der Unruhe, ſondern um eine eigene, die zwiſchen dem Hemmungsrade und dem Balancier liegt. Die Hemmung liegt nur auf Momente am Steigrade ſowohl, wie an der Unruhe an, und beide Teile ſind alſo in ihrem Gange ſehr wenig von einander beeinflußt. Wo es auf große Genauigkeit und Be - ſtändigkeit im Uhrgang ankommt, wie bei den Chronometern, iſt man auf eine ſolche Hemmung geradezu angewieſen. So iſt u. a. die Ankerhemmung beſchaffen. In der Fig. 36 bedeuten E, B und A reſp. die Unruhe, den Anker und das Steigrad. Der Anker ſetzt ſich nach oben in eine Gabel o o1 fort, während die Unruhe noch den Hebeſtein h trägt. Die Unruhe macht hier ſehr große Schwingungen um die Gleichgewichtslage, die eben erreicht iſt. Wir ſehen, daß in dieſem Augenblicke der Hebeſtein zwiſchen den beiden Fanghörnern o und o1 liegt. Aber zugleich gleitet der Zahn e des Steig - rades an der Fläche li des Ankers entlang und erteilt ihm einen Stoß, der die Gabel in die Lage B x1 verſetzt. In dieſer bleibt der Anker liegen, ſperrt mit dem Zahn a1 b1

Fig. 36.

Die Ankerhemmung.

dem Steigrade den Weg ab und läßt zugleich den Balancier frei, nachdem er ihm noch mit dem Horn o einen Antrieb verſetzt hat, der zur Erhaltung ſeiner Bewegung beiträgt. Erſt wenn derſelbe wieder umkehrt und der Hebeſtein gegen das Horn o ſtößt, wird das Steigrad befreit, der Zahn e2 wird an der Fläche b1 c1 des Ankers entlang gleiten und dabei dieſem einen Stoß verſetzen, der die Gabel in die Lage B x verſetzt. Dieſer Stoß teilt ſich auch durch den Hebeſtein der Unruhe mit, und ſo wird dieſe in der ange - deuteten Richtung ein Stück weiter ſchwingen. Inzwiſchen hemmt der rechte Arm des Ankers die Fortbewegung des Steigrades, bis der Balancier wieder umkehrt. Dieſe Hemmung iſt als eine ſehr voll - kommene anzuſehen, weil die Reibung an den Flächen b c und b1 c1 des Ankers nur ſehr kurze Zeit andauert und die Stöße gegen den Balancier auch faſt plötzlich erfolgen. So würde ſich die Einrichtung auch für die Chronometer eignen. Doch zieht man hier gewöhnlich eine andere48Erfindung der Zeitmeßapparate.freie Hemmung vor, die gerade für die Zwecke ſolcher genauer In - ſtrumente ausgedacht iſt.

Dieſe müſſen auch noch durch eine andere Vorſicht in ihrem Gange geſichert ſein. Man braucht ſie vor allem für Reiſezwecke, bei denen man ja der Pendeluhren vollſtändig entraten muß, und beſonders iſt der Seefahrer auf ihre Benützung angewieſen. Sie ſollen ihm helfen, die geographiſche Länge zu beſtimmen, in der er ſich gerade befindet. Die Methode, nach der man dies vermag, iſt im Jahre 1530 kurz nach Erfindung der Taſchenuhren von Gemma Friſius angegeben worden. Wenn zwei Orte auf der Erde eine verſchiedene geographiſche Länge haben, ſo haben ſie bekanntlich auch einen Zeitunterſchied, und zwar für jeden Grad Unterſchied in der Länge 4 Minuten Zeitdifferenz. Wenn man dieſe letztere kennt, ſo iſt alſo auch der Längenunterſchied leicht zu finden. Man kann nun mit Hilfe eines aſtronomiſchen Inſtrumentes ſich leicht durch Beobachtung der Sonne oder eines Sternes die Kenntnis der Zeit verſchaffen an dem Orte, an dem man ſich eben befindet. Das Chronometer aber, mit dem man verſehen iſt, geht ja noch nach der Zeit des Ortes, von dem man fortgefahren iſt; ſo hat man alſo ſofort den Längenunterſchied zwiſchen dieſen beiden Orten. Der Seemann wird es alſo ſeine höchſte Sorge ſein laſſen müſſen, ein recht gleichmäßig gehendes Chronometer zu beſitzen. Aber wir hörten

Fig. 37.

Chronometerkompenſation.

bereits, daß ſchon der Wechſel der Wärme das Rad der Unruhe vergrößern und ver - kleinern und damit den Uhrgang langſamer oder ſchneller machen kann. Man muß alſo der Wärme wieder entgegenwirken. Das geſchieht durch die ſogenannte Kom - penſation der Unruhe. Wir ſehen das hier verwendete Rad der Unruhe in der Fig. 37 abgebildet. Der Umkreis des Rades iſt an zwei Stellen m und n durchbrochen und die Brücke a a' dient dazu, die beiden Teile des Umkreiſes zuſammenzuhalten. Dieſe Teile ſind nun ihrerſeits jeder aus zwei Streifen von verſchiedenen Metallen, etwa aus Stahl und Meſſing zuſammengeſetzt, wobei das Metall, das ſich ſtärker auszudehnen vermag, alſo hier das Meſſing, außen zu liegen kommt. Da ſich bei dieſer Einrichtung das äußere Metall nicht gehörig auszuſtrecken vermag, ſo wird es mit ſteigender Wärme ſich ſtärker krümmen müſſen, und ſo werden ſich viele Teile des Umkreiſes der Radachſe nähern, ſo daß die Ausdehnung des Rades durch dieſe Nebenwirkung aufgehoben wird. Auf dieſem Prinzipe beruht auch das Metallthermometer, welches auf S. 26 beſchrieben wurde.

Wir haben im Vorhergehenden eine Reihe von Einrichtungen beſprochen, durch die man im Laufe der Jahre die Zeitmeßapparate49Die Taſchenuhren.zu einer hohen Vollkommenheit entwickelt hat. Es iſt ja bekannt, daß man noch allerhand Apparate mit den Uhren in Verbindung ſetzen kann, z. B. die Schlagwerke; dieſe können entweder von ſelbſt wirken, wie es bei unſeren Wanduhren gewöhnlich der Fall iſt, oder ſie ſchlagen auf einen Druck, den man von außen auf das Werk ausübt. Dieſer Fall liegt bei den bereits 1676 von Barlow erfundenen Repetieruhren vor. Die Geſichtspunkte, welche bei der Erfindung der ſogenannten Remontoir - uhren leiteten, d. h. bei denjenigen, die man ohne beſondere Schlüſſel am Bügel aufzieht, waren außer der Bequemlichkeit wohl noch der Umſtand, daß eine Uhr, die man nicht zu öffnen braucht, auch dauer - hafter iſt. Es giebt ſogar ſchon Uhren, die überhaupt nicht aufgezogen zu werden brauchen, wenn man ſie nur unterwegs in der Taſche trägt. Eine ſolche hat Löhr konſtruiert: ein kleiner Hammer ſchwingt, während der Träger ſeinen Weg zurücklegt, in der Uhr hin und her und beſorgt von ſelbſt das Aufziehen. Aber wir können nicht alle Neuerungen und Nebenapparate aufzählen. Werke, die für genaue Meſſungen be - ſtimmt ſind, muß man von ſolchen Nebenſachen möglichſt frei halten, weil jede Verwickelung des Uhrwerkes Störungen in den gleichmäßigen Gang hineinträgt. Auf die elektriſchen und die pneumatiſchen Uhren werden wir ſpäter zu ſprechen kommen.

Die Uhrmacherei wird jetzt in vielen Ländern fabrikmäßig betrieben. Um die einzelnen Teile herzuſtellen, ſind beſondere Maſchinen erſonnen worden. Die Hauptſitze der Uhrmacherei ſind die Schweiz, Deutſch - land, Frankreich und die Vereinigten Staaten von Nord-Amerika.

Das Buch der Erfindungen 4[50]

II. Die Beherrſchung der Naturkräfte.

1. Die Motoren.

Allgemeines.

Das Streben des Menſchen, die in dem Kampfe um das Daſein zu verrichtende Arbeit nach Möglichkeit ſich zu erleichtern und von ſich fern zu halten, iſt faſt ſo alt wie die Geſchichte des menſchlichen Geſchlechtes ſelbſt.

Schon bei den auf der niedrigſten Stufe der Kultur ſtehenden Völkern finden wir die Ausnützung der Tiere und der Sklaven für den Transport, für die Beſtellung des Ackers und für anderweitige notwendige Verrichtungen.

Mit zunehmender Geſittung und Bildung wandte ſich die er - finderiſche Thätigkeit der Ausnützung der in der Natur aufgeſpeicherten Kräfte zu. Es kamen zunächſt für eine lange Reihe von Jahrhunderten nur die Kraft des bewegten Waſſers und des Windes in Betracht. Noch heute finden die zur Ausnützung dieſer Naturkräfte erſonnenen Motoren eine weite Anwendung, und wir werden uns mit der Be - ſprechung derſelben ebenſo eingehend zu befaſſen haben, wie mit der Beſchreibung der nach den neueſten Prinzipien konſtruierten Dampf - maſchinen.

Hatte man in den älteſten Zeiten des menſchlichen Geſchlechtes ſich der teueren Arbeitskräfte der niedrig Geſtellten oder der Tiere bedient, ſo war man hierbei gezwungen, die Kräfte dieſer lebendigen Motoren durch geeignete Pflege zu erhalten, um dieſelben thunlichſt lange ausnützen zu können. Dieſe Rückſicht fiel bei den mit Hilfe des Waſſers oder des Windes bewegten toten Motoren fort. Dafür aber hatten dieſe wiederum verſchiedene ſchwer wiegende Nachteile.

Um zunächſt bei der bewegten Luft, dem Winde, zu verweilen, ſo iſt dieſe Betriebskraft außerordentlich abhängig von Verhältniſſen, welche ſich der Beeinfluſſung und Regelung ſeitens der Menſchen vollſtändig51Allgemeines.entziehen. Die Verwendbarkeit derſelben war daher von Haus aus naturgemäß eine ſehr beſchränkte.

Bei weitem unabhängiger waren die durch die bewegten Waſſer - maſſen der Flüſſe und Ströme angetriebenen Waſſermotoren. Jedoch auch bei Anwendung dieſer war man an ganz beſtimmte örtliche Verhältniſſe gebunden, indem man dieſelben nur an denjenigen Plätzen errichten und betreiben konnte, wo Betriebswaſſer und Gefälle in hin - reichendem Maße vorhanden war.

Mit dieſen Wind - und Waſſermotoren hat ſich trotz ihrer Unzu - verläſſigkeit das menſchliche Geſchlecht Jahrtauſende lang beholfen. Die Folge hiervon war, daß der induſtrielle Betrieb, ſofern derſelbe auf eine größere, ſichere Kraftquelle angewieſen war, ſich an den Fluß - läufen konzentrierte. Das Merkmal der Induſtrie des Zeitalters der Wind - und Waſſermotoren iſt der Kleinbetrieb und die Hausinduſtrie. Hierin ſchaffte die Erfindung der Dampfmaſchine bezw. die Vervoll - kommnung derſelben, wie ſie durch James Watt in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts mit durchgreifendem Erfolge ausgeführt wurde, einen völligen Wandel herbei. Als dritte Kraftquelle trat nun - mehr neben dem Winde und dem Waſſer die Wärme auf.

Die Wirkung der Erfindung der Dampfmaſchine erſtreckte ſich zunächſt auf den Bergwerksbetrieb. Hier übernahm der geſpannte Waſſerdampf alsbald erfolgreich die bis dahin mühſam durch Tiere und Menſchen bewirkte Förderung der unterirdiſchen Schätze aus der Nacht der Schächte zum Tageslicht. Das Waſſerrad, welches Jahr - hunderte lang mit ſchwerfälliger Behäbigkeit die Entwäſſerung der unterirdiſchen Gänge bewirkt und dieſe vor der Überflutung bewahrt hatte, mußte nun der mächtigen unterirdiſchen Dampfpumpe weichen.

Alsbald eroberte ſich der Dampf auch die übrigen Zweige der menſchlichen Thätigkeit, die Gewerbe wie das Verkehrsweſen in raſchem Siegeslaufe. Der großen Allgemeinheit erſcheint der Einfluß der Ein - führung der Dampfmaſchine am gewaltigſten und überzeugendſten auf dem Gebiete des Verkehrsweſens, wo das Dampfroß in unauf - haltſamem Siegeszuge eine völlige Umwälzung von Handel und Wandel bewirkte. Weniger bekannt dürfte die Wirkung ſein, welche die Ausnützung der Dampfkraft auf dem Gebiete der Gewerbe ge - zeitigt hat; man kann dieſelbe kurz dahin zuſammenfaſſen, daß an Stelle der zahlreichen kleinen Gewerbebetriebe und der Hausinduſtrie alsbald ein Überwiegen der Großinduſtrie eintrat. Ja, eine große Anzahl ehemals blühender Kleininduſtrien mußte angeſichts der die Dampfmaſchine in ihre Dienſte nehmenden Großinduſtrie alsbald faſt völlig vom Schauplatz ihrer Thätigkeit zurücktreten. Dieſer Kampf zwiſchen Groß - und Kleininduſtrie, das Kennzeichen des bisher ver - floſſenen Teiles des Zeitalters der Dampfmaſchine, dauert auch noch heute in alter Heftigkeit fort. Zum Beweiſe deſſen mögen hier einige wenige Zahlenangaben folgen.

4*52Die Motoren.

In den Jahren 1875 und 1882 haben im Deutſchen Reiche Gewerbezählungen ſtattgefunden, und wurde hierbei die Anzahl der Gewerbebetriebe überhaupt, ſowie der Kleinbetriebe und der Großbetriebe feſtgeſtellt und zwar wurde als Großbetrieb jeder Gewerbebetrieb an - geſehen, welcher mit mehr als 5 Gehilfen arbeitete. Das Ergebniß dieſer Zählungen war folgendes:

Betrachten wir uns vorſtehende Zahlen etwas näher, ſo fällt uns hier ſofort die außerordentliche Zunahme des Großbetriebes (39,2 %) gegenüber dem Kleinbetriebe (1,4 %) auf. Die gleichen Verhältniſſe liegen natürlicher Weiſe auch bei den betreffenden Klaſſen der Gewerbe - treibenden vor; hier ſtellt ſich die Zunahme der im Großbetriebe beſchäftigten auf 17,5 %, während die Zahl der im Kleinbetriebe be - ſchäftigten nur um 7,6 % wuchs. Im Laufe der Zeit wird ſich dieſer Prozeß der Zurückdrängung der Kleininduſtrie durch die Großinduſtrie immer mehr und mehr mit unwiderſtehlicher Gewalt vollziehen, eine Folge der gewaltigen Umwälzung, welche die Einführung des geſpannten Waſſerdampfes in die Zahl der treibenden oder motoriſchen Kräfte mit ſich brachte.

Angeſichts dieſer Thatſache iſt es nicht ohne Intereſſe, kurz die - jenigen Induſtriegebiete aufzuzählen, auf denen im Jahre 1882 ein meiſt bedeutendes Überwiegen der Großinduſtrie konſtatiert wurde:

Es entfielen im Jahre 1882

Die Ausnutzung der Kraft des Windes und des bewegten Waſſers war an beſtimmte meteorologiſche und lokale Bedingungen geknüpft;53Allgemeines.waren dieſe nicht erfüllt, ſo ſtand eine mechaniſche Leiſtung nicht zur Verfügung. Wohl konnte man das Gefälle der Flüſſe anſtauen und aufſpeichern, wohl konnte man das Windrad auf beſonders dem Wind - ſtrome ausgeſetzten Höhen errichten, ſtets aber war man gezwungen, die natürliche Triebkraft dort zu benutzen, wo man ſie fand, und man war genöthigt, mit ihrer vorhandenen Stärke ſich zu begnügen, da man nicht im Stande war, dieſelbe nach Bedarf oder nach Belieben zu erhöhen. Ganz anders liegen die Verhältniſſe bei der Ausnutzung der Wärme. Dieſe kann man erzeugen, wo und wann man will; ſie war es alſo, die den Menſchen zuerſt unabhängig machte von der Örtlichkeit. Nicht mehr an beſtimmten Plätzen mußten von jetzt ab die Gewerbe - betriebe ſich anſiedeln, ſondern überall da, wo das Vorhandenſein der Rohſtoffe oder ſonſtige Verhältniſſe es wünſchenswerth machten, konnten dieſelben ſich einrichten und ihre Thätigkeit entfalten. Dieſe Eigenſchaft der Wärme, ihre Unabhängigkeit von Ort und Zeit, war es, welche ihrer älteſten Tochter, der Dampfmaſchine, die Wege ebnete und derſelben den ſchnellen Siegeslauf ermöglichte. Im Laufe der Jahrzehnte ge - ſellte ſich zu der Dampfmaſchine dann noch die ebenfalls auf der Aus - nützung der Wärme beruhende Heißluftmaſchine, bei welcher das bekannte Naturgeſetz zur praktiſchen Anwendung gelangt, daß luft - förmige Körper, ſobald ihnen Wärme zugeführt wird, ſich ausdehnen, dagegen bei Wärmeentziehung einen geringeren Raum ausfüllen.

Jedoch der Bedarf an motoriſcher Kraft wuchs von Jahr zu Jahr und regte die erfinderiſche Thätigkeit zur Aufſchließung weiterer motoriſcher Kraftquellen an. So ſtellte ſich alsbald als vierte Kraft die chemiſche Verwandtſchaft verſchiedener Naturkörper ein. Auf ihrer Aus - nützung beruhen die zahlreichen Gas -, Petroleum - und Benzinmotoren.

In der neueſten Zeit trat dann noch als letzte Kraftquelle der elektriſche Strom hinzu, deſſen Ausnutzung durch die Elektromotoren nicht in dieſem Abſchnitte, ſondern unter II. 2. beſchrieben werden wird. Faſſen wir die heute uns zur Verfügung ſtehenden Kraftquellen, ſofern wir von der Muskelkraft des Menſchen und der Tiere abſehen, kurz zuſammen, ſo ſind dies folgende:

  • a) das bewegte Waſſer,
  • b) die bewegte Luft,
  • c) die Wärme,
  • d) die chemiſche Verwandtſchaft einzelner Körper,
  • e) der elektriſche Strom.

a) Die Waſſermotoren zerfallen in drei Abteilungen:

  • 1. die Waſſerräder im engeren Sinne oder vertikalen Waſſer - räder,
  • 2. die Turbinen oder horizontalen Waſſerräder,
  • 3. die Waſſerſäulenmaſchinen.
54Die Motoren.

Während bei den unter 1 und 2 genannten Motoren ein Rad, deſſen Drehachſe entweder horizontal (Waſſerräder im engeren Sinne) oder vertikal (Turbinen) liegt, durch das Waſſer in Drehung verſetzt wird, beſteht das Kennzeichen der Waſſerſäulenmaſchinen darin, daß das unter einem gewiſſen Druck ſtehende Waſſer in einem Cylinder einen, auch mehrere Kolben in eine hin - und hergehende Bewegung verſetzt. Bei dieſen Waſſerſäulenmaſchinen, welche durch gepreßtes Waſſer ge - trieben werden, möge hier ſchon bemerkt werden, daß dieſelben in neueſter Zeit für die ſogenannte Kraftübertragung von einer Centrale mehrfach in Benutzung genommen werden. Öfters verwendet man alsdann, ohne weſentliche Änderung der Motoren an Stelle des Preß - waſſers Preßluft, d. h. Luft, welche durch große Luftpumpen in ſtarke Preſſung verſetzt iſt und nun an Stelle des gepreßten Waſſers als Betriebskraft in die Motoren eingeführt wird.

b) Was die durch die bewegte Luft oder den Wind angetriebenen Motoren betrifft, ſo umfaſſen dieſelben nur eine einzige Klaſſe, nämlich: die Windräder.

Der Vollſtändigkeit halber ſei hier aber nochmals kurz darauf hin - gewieſen, daß in der neueſten Zeit auch die gepreßte Luft zum Betriebe von Motoren verwendet wird. Da letztere eine ſehr nahe Verwandtſchaft mit den durch gepreßtes Waſſer betriebenen Motoren beſitzen, ſo werden dieſelben im Anſchluß an letztere zur Beſprechung kommen.

c) Unter den verſchiedenen Kraftquellen iſt die Wärme zur Zeit die am meiſten benutzte. Die mit Hilfe derſelben betriebenen Motoren zerfallen in: 1. Dampfmaſchinen, 2. Heißluftmaſchinen.

Die hervorragendſte Wärmequelle für den Betrieb der Motoren wird gebildet durch die unterirdiſchen Steinkohlenlager, welche allerdings gegenwärtig noch in gewaltiger Fülle zu unſerer Verfügung ſtehen. Mit unfehlbarer Sicherheit muß aber dermaleinſt der Zeitpunkt ein - treten, wo dieſe unterirdiſchen Schätze verbraucht ſind, und wo der Menſch auf neue Mittel und Wege ſinnen muß, die für ſein Daſein unbedingt erforderliche Wärme ſich zu ſchaffen.

Kraft, Licht und Wärme ſind wir[gewohnt,] in einem Maße aus den Steinkohlenlagern zu beziehen, daß das Verſiegen derſelben natur - gemäß eine tiefeingreifende Wandlung der Verhältniſſe des menſchlichen Geſchlechtes mit ſich bringen muß. Unſer großer Landsmann William Siemens ließ ſich bereits im Jahre 1878 in einem in the Glasgow Science Lecture Association gehaltenen Vortrage: Über die Nutzbarkeit der Wärme und anderer Naturkräfte folgendermaßen aus:

Der 1871 veröffentlichte Bericht der Kohlenbau-Kommiſſion giebt das damals noch abzubauende Quantum Kohlen in Großbritannien auf ungefähr 150000000000 Tonnen an. Gegenwärtig werden etwa 132000000 Tonnen jährlich verbraucht und zieht man noch die ſtatiſtiſch feſtgeſtellte Konſumvermehrung von 3⅓ Millionen Tonnen pro Jahr in55Allgemeines.Betracht, ſo würden 250 Jahre genügen, um die Kohlenfelder voll - ſtändig zu erſchöpfen. Dabei darf man nicht vergeſſen, daß, lange bevor man die letzte Tonne Kohle zu Tage fördert, die graduelle Abnahme ſich ſehr fühlbar machen wird. Diſtrikte, wo die Induſtrie und dem - gemäß die Bevölkerung am größten iſt, werden den Wechſel am erſten empfinden, und es iſt unſere Pflicht, bei Zeiten zu überlegen, ob und welche Erſatzmittel dann zu unſerer Verfügung ſtehen.

Die Erkenntnis der Wichtigkeit der thunlichſt ſparſamen Ausnützung der unterirdiſchen Kohlenſchätze beginnt glücklicher Weiſe immer mehr und mehr Allgemeingut zu werden. Die Frucht dieſer Erkenntnis zeigt ſich auf dem Gebiete der Motoren in einer weit gehenden Ausnützung des koſtbaren Brennſtoffes, angeſtrebt durch möglichſte Vervollkommung der Feuerungsanlagen der Dampfkeſſel und der Konſtruktion der Wärme - motoren.

Trotzdem aber nähert ſich unſere hauptſächlichſte Quelle motoriſcher Kraft mit Rieſenſchritten ihrer Erſchöpfung. Mit Recht iſt daher die erfinderiſche Thätigkeit ſeit längerer Zeit der Auffindung eines Erſatzes der Wärme nach dieſer Richtung zugewendet. Es iſt mit Zuverſicht anzunehmen, daß bis zu dem Tage, wo die letzte Tonne Kohle an die Oberfläche der Erde hinaufbefördert werden wird, ein Erſatz der Wärme als motoriſche Kraft in der Ausnützung anderer Naturkräfte vorliegt, ſei es der Ebbe und Flut, der gewaltigen Waſſerfälle unſerer Ströme, ſei es der altbekannten Kraftquelle des Windes.

Es liegt uns zunächſt ob, hier einige kurze Angaben über die hauptſächlichſten Eigenſchaften des Waſſerdampfes folgen zu laſſen.

Der Waſſerdampf entſteht aus dem Waſſer dadurch, daß dieſem Wärme zugeführt wird. Die Wärme wird hierbei zum Teil dazu verbraucht, die Temperatur des Waſſers zu erhöhen, der andere Teil dient dazu, das Waſſer aus dem tropfbar flüſſigen in den gasförmigen oder dampfförmigen Zuſtand überzuführen. Erfolgt das Erhitzen des Waſſers in einem offenen Gefäße, ſo entweicht der Dampf in die Außenluft. Wird jedoch das Verdampfgefäß geſchloſſen, wird alſo der Dampf daran gehindert, in die Außenluft überzutreten, ſo nimmt der - ſelbe allmählich eine immer größere Spannung an, mittelſt welcher er die ihn zurückhaltenden Wandungen des Gefäßes zu beſeitigen ſtrebt. Dieſe Eigenſchaft intereſſiert uns hier in erſter Linie, da dieſelbe dazu ausgenutzt wird, Körper in Bewegung zu ſetzen und zur Verrichtung von Arbeit zu benutzen. Zur Meſſung des von dem Dampfe aus - geübten Druckes dient das Manometer, welches direkt auf dem den Dampf erzeugenden Gefäße, dem Dampfkeſſel, angebracht wird, und an einem Zeiger den Druck ableſen läßt. Die näheren Einrichtungen des Dampfkeſſels und ſeiner Armatur werden zugleich mit denjenigen der Dampfmaſchine ſpäter beſprochen werden.

Bei Angabe des Dampfdruckes hat man zu unterſcheiden den abſoluten und den effektiven Druck oder Überdruck. Bekanntlich übt56Die Motoren.die den Erdball umgebende Atmoſphäre auf jedes Quadratzentimeter der Erdoberfläche einen Druck von 1 Kilogramm aus; dieſen Druck nennt man den Atmoſphärendruck und mittelſt deſſelben mißt man den - jenigen Druck, welchen der Dampf, ſowie andere gepreßte Medien, z. B. Luft oder Waſſer, auf ihre Umgebung ausüben. *)Vgl. S. 28.Drückt der in einem Dampfkeſſel enthaltene Dampf mit einem Druck von 5 Atmoſphären gegen die Innenwandung des Keſſels, ſo will dieſes beſagen, daß der Dampf auf jeden Quadratzentimeter der Innenwand einen Druck von 5 Kilogramm ausübt. Es iſt nun aber zu berückſichtigen, daß auf die äußere Seite der Keſſelwandung die natürliche Atmoſphäre, d. h. die den Erdball umgebende Luftſchicht, einen Druck von einem Kilo - gramm pro Quadratzentimeter ausübt, welcher dem innern Drucke des Keſſels entgegengerichtet wirkt, ſo daß die Wandung des Keſſels einen von innen nach außen gerichteten Überdruck von 4 Kilogramm pro Quadratzentimeter auszuhalten hat. Abſolut gemeſſen beträgt alſo der im Keſſel herrſchende Druck 5 Atmoſphären; effektiv, d. h. unter Abzug des Druckes der äußeren Atmoſphäre ſtellt ſich derſelbe jedoch auf nur 4 Atmoſphären. Bei dem Bau von Dampfkeſſeln und Maſchinen wird ſtets dieſer effektive Druck oder Überdruck angegeben, da er es iſt, welcher die treibende Kraft gegenüber dem äußeren Luftdruck repräſentirt.

Der in dem Dampfkeſſel herrſchenden Dampfſpannung entſpricht ſtets ein beſtimmter Siedepunkt; ſo entſpricht einem abſoluten Druck von 1 Atmoſphäre ein Siedepunkt von 100°C. Wird aus einem Dampf - keſſel ein Quantum Dampf entnommen, ſo ſinkt hierdurch natürlich der Druck, welcher im Innern des Keſſels herrſcht; da nun aber hierbei die Waſſertemperatur eine höhere iſt, als der Siedepunkt, welcher dieſem verminderten Dampfdruck entſpricht, ſo findet mit großer Schnelligkeit nunmehr im Keſſel ſo lange eine ſtarke Dampfentwicklung ſtatt, bis der Druck wiederum diejenige Höhe erreicht hat, welche der herrſchenden Temperatur als Siedepunkt entſpricht. Der dieſer Bedingung ent - ſprechende Dampf, welcher für die in ihm herrſchende Temperatur die größtmögliche Dichte beſitzt, heißt geſättigter Dampf. In der nach - ſtehenden Tabelle iſt der Siedepunkt des Waſſers für verſchiedene Dampfſpannungen angegeben und zwar mit etwas abgerundeten Zahlen.

Es beträgt die Siedetemperatur bei einem Druck von

0,1 Atmoſphären 45,5°C.,
0,5 81,0°
1,0 100,0°
1,5 111,0°
2,0 119,5°
2,5 127,0°
4,0 143,0°
5,0 151,0°
10,0 179,0°
12,0 187,0°
14,0 194,0°
57Allgemeines.

Der Zuſtand der Sättigung dauert bei dem Dampfe ſo lange, als er mit dem Waſſer, aus dem er ſich bildet, in Berührung bleibt. Iſt alles Waſſer in Dampf verwandelt, und wird dieſer alsdann noch in einem geſchloſſenen Gefäß des weiteren erhitzt, ſo nennt man ihn überhitzten Dampf. Dieſer beſitzt ſomit eine Temperatur, welche die ſeiner Spannung entſprechende Siedetemperatur überſteigt.

Außer der Beziehung zwiſchen dem Siedepunkte und der Spannung exiſtiren auch noch ganz beſtimmte Verhältniſſe zwiſchen der Spannung und dem Gewichte des Dampfes. Hierüber möge nachſtehende kleine Tabelle Aufſchluß geben:

Die weſentlichſte Eigenſchaft des Dampfes iſt, wie bereits kurz erwähnt wurde, die, daß er beſtrebt iſt, auf ſeine Umgebung einen Druck auszuüben und die ihn umgebenden Wandungen zu verſchieben. Es iſt dieſes eine Folge des dem Dampfe inne wohnenden Expanſions - beſtrebens, d. h. des Strebens, ein möglichſt großes Volumen ein - zunehmen. Dieſes wird bei der Dampfmaſchine in der Weiſe ausgenützt, daß in einem cylindriſchen Gefäße, dem Dampfcylinder, ein Kolben verſchiebbar angeordnet iſt. Läßt man in dieſen Cylinder Dampf einſtrömen, ſo treibt dieſer den Kolben in der einen Richtung vorwärts und es iſt nur noch eine Einrichtung erforderlich, welche dieſe dem Kolben mitgeteilte Bewegung zu einer regelmäßigen macht und zur Leiſtung einer Arbeit ausnützt. Als man die Expanſionskraft des Dampfes näher erkannte, nutzte man dieſelbe noch des weiteren in der Weiſe aus, daß man den Dampf nicht während des geſamten Kolben - weges in den Cylinder einſtrömen ließ, ſondern nur während eines Teiles des Kolbenweges. Man ſchnitt die Zufuhr des Dampfes als - bald nach dem Eintritt eines gewiſſen Quantums ab, und ließ dieſes dann durch ſeine Expanſion allein weiter wirken. Es iſt dieſes, wie ſpäter noch des näheren ausgeführt werden wird, die jetzt allgemein58Die Motoren.gebräuchliche Art und Weiſe der Ausnutzung des Dampfes in den Dampfmaſchinen.

Zum Schluſſe dieſer allgemeinen Vorbemerkung über das Weſen des Dampfes müſſen wir noch kurz auf den Zuſammenhang zwiſchen Wärme und mechaniſcher Arbeit eingehen.

Die Lehre der modernen Phyſik hinſichtlich des Weſens der mechaniſchen Arbeit und der Wärme faßt letztere als eine Art der Be - wegung auf. Wärme und mechaniſche Arbeit treten abwechſelnd bald als Urſache, bald als Wirkung auf. Man kann daher jede Wärmeerſcheinung als ein Produkt mechaniſcher Arbeit und jede mechaniſche Arbeit als ein Produkt der Wärme auffaſſen.

Es iſt nun durch Verſuche feſtgeſtellt worden, daß bei einem Barometerſtande von 760 mm eine Arbeit von etwa 424 Kilogrammetern erforderlich iſt, um 1 Kalorie hervorzubringen, d. i. diejenige Wärme - menge, welche erforderlich iſt, um 1 Kilogramm Waſſer von auf C. zu erwärmen. Dieſen Arbeitsbetrag von 424 Kilogrammetern nennt man das mechaniſche Wärmeäquivalent.

Vorſtehende, von Joule und Mayer des weiteren ausgeſponnene Beobachtung, auf welcher unſere geſamten modernen Anſchauungen von dem Weſen der Wärme, die heutige mechaniſche Wärmetheorie, beruhen, ſind wohl ſelten von einem Fachmanne ſo treffend zum Ausdruck ge - bracht, wie von George Stephenſon, dem Vater der Lokomotive. Als man ihn frug, worin die letzte Urſache der Bewegung ſeiner Lokomotiven beſtehe, antwortete er: bottled sun beams, auf Flaſchen gezogene Sonnenſtrahlen. In der That iſt hier in wenigen Worten das Prinzip der Wechſelbeziehung zwiſchen Wärme und Kraft in ſchlagendſter Weiſe zum Ausdruck gebracht. Die uns zur Verfügung ſtehenden Brennſtoffe ſind ſämtlich ein Produkt der Thätigkeit der Sonne und ſo konnte Stephenſon mit Recht die Steinkohlen, die Kraftquellen ſeines Dampf - roſſes, als Sonnenſtrahlen bezeichnen, welche im Erdinnern aufge - ſpeichert liegen, bis ſie an des Tages Licht gebracht werden, um wieder in Arbeit umgeſetzt zu werden.

d) Die letzte der uns zur Verfügung ſtehenden, hier zu behandelnden Kraftquellen iſt die chemiſche Verwandtſchaft einzelner Körper. Dieſe findet ihre Anwendung bei den während der letzten Jahrzehnte in vielen tauſenden von Exemplaren in Betrieb befindlichen Gasmotoren und Petroleum - bezw. Benzinmotoren.

Bei dieſen erfolgt die Bildung der motoriſchen Kraft in der Weiſe, daß Gas, ſei es gewöhnliches Leuchtgas oder Petroleumgas, im Gemiſch mit Luft zur Exploſion gebracht wird.

Nachdem wir ſo im Vorſtehenden einen kurzen Überblick über die verſchiedenen Arten der Kraftquellen und der Motoren gegeben haben, bleibt uns, bevor wir zu einer Beſprechung der einzelnen Konſtruktionen59Allgemeines.übergehen, nur noch übrig, einige für ſämtliche Motoren beſtehende Verhältniſſe kurz zu erläutern.

Handelt es ſich darum, eine Kraftquelle auszunützen, ſo muß man zunächſt die Kraft gleichſam einfangen, feſthalten und derſelben eine ſolche Richtung geben, daß ſie im Stande iſt, eine beſtimmte nützliche Arbeit zu verrichten.

Nehmen wir das Beiſpiel des bewegten Waſſers an. Hier müſſen wir zunächſt dem Waſſer eine ſolche Richtung der Bewegung geben, daß daſſelbe im Stande iſt, einen Motor, beiſpielsweiſe ein Waſſerrad zu betreiben und mittelſt dieſes das Werk einer Mühle zu bewegen. Wollen wir die Spannkraft des Dampfes ausnützen, ſo müſſen wir dieſen zunächſt in einem Gefäße erzeugen und ſammeln und alsdann einer Vorrichtung zuführen, durch welche derſelbe in den Stand geſetzt wird, eine Anzahl von Werkzeugmaſchinen, z. B. zur Bearbeitung von Holz oder Eiſen, oder eine Buchdruckerei, Spinnerei u. ſ. w., in Be - wegung zu ſetzen. Bei der Ausnützung der Kraftquellen müſſen wir daher unterſcheiden: den Motor oder die Kraftmaſchine, wodurch die Kraft aufgefangen und in einer beſtimmten Richtung abgegeben wird, und die Arbeitsmaſchine, welche die durch den Motor ge - äußerte Kraft nutzbar verwertet. Zwiſchen beiden beſteht ein inniger Zuſammenhang, indem letztere nur ſoviel Kraft verbrauchen kann, als der Motor derſelben zuführt.

Dieſer letztere Umſtand iſt für die praktiſche Ausnützung der motoriſchen Kräfte von ganz beſonderer Wichtigkeit, indem die dem Motor zu gebende Größe oder Stärke genau nach dem Kraftverbrauche der zu betreibenden Arbeitsmaſchine zu bemeſſen iſt. Dieſes führt uns auf die Frage, wie man die Stärke eines Motors mißt bez. ausdrückt und wie man dieſelbe je nach den vorliegenden Verhältniſſen zu bemeſſen im Stande iſt.

Nach den Regeln der Mechanik iſt die von einem Motor zu leiſtende Arbeit gleich dem Produkte von Kraft mal Weg. Welcher Art nun auch dieſe Kraft ſein mag, dieſelbe läßt ſich ſtets mit dem Gewichte eines den gleichen Zug und Druck ausübenden Körpers vergleichen; als Einheitsmaß dieſes Zuges oder Druckes gilt gegen - wärtig allgemein das Kilogramm. Da dieſes meiſt zu ſehr großen und unbequemen Zahlen führt, ſo hat man für die Beſtimmung der Stärke von Kraftmaſchinen oder Motoren eine größere Einheit, die Pferdekraft oder Pferdeſtärke, eingeführt, und zwar verſteht man unter dieſer eine Kraft, welche erforderlich iſt, um 1 Kilogramm in einer Sekunde auf eine Höhe von 75 Metern oder 75 Kilogramm in einer Sekunde auf eine Höhe von 1 Meter zu heben. Mit der Kraft des Pferdes geſtattet dieſe Maßeinheit von 75 Kilogrammmetern keinerlei Vergleich. Um einen derartigen, für den Laien ſehr nahe liegenden Irrtum zu vermeiden, hat man vorgeſchlagen, den Ausdruck Pferde - kraft durch Dampfpferd (cheval-vapeur) oder Dynamiſches Pferd 60Die Motoren.(cheval dynamique) zu erſetzen; jedoch ohne Erfolg, da erſtere Be - zeichnung ſich durch die lange Reihe der Jahre bereits vollkommen ein - gebürgert hat. In der Abkürzung bezeichnet man die Pferdeſtärke meiſt mit H. P. (Horse Power), ſo daß alſo unter einer Dampfmaſchine von 45 H. P. eine ſolche von 45 Pferdekräften zu verſtehen iſt.

Die dem Motor zugeführte Kraft kann in demſelben in Folge verſchiedener ſtörender Umſtände niemals voll und ganz zur Ausnützung gelangen. Es geht vielmehr ſtets ein Teil der Kraft durch die in dem Motor vorhandenen Reibungswiderſtände, durch Abkühlung, durch Erhitzung u. ſ. w. verloren. Die von dem Motor abgegebene Kraft - leiſtung entſpricht daher niemals völlig der demſelben zugeführten Kraftmenge. Wir wollen dieſes an einem Beiſpiele kurz näher erläutern. Es betrage die von einem oberſchlägigen Waſſerrade nach Maßgabe der in jeder Sekunde zugeführten Waſſermenge ſowie nach Maßgabe des Gefälles zu leiſtende Zahl der Pferdekräfte 32. Thatſächlich vermag jedoch das Rad dieſe 32 ihm theoretiſch zukommenden Pferde - ſtärken nicht zu leiſten, ſondern nur 24 Pferdeſtärken. Die fehlenden 8 Pferdeſtärken werden verbraucht zur Überwindung der Reibung an den Zapfen, durch zu frühes Austreten des Waſſers aus dem Rade u. ſ. w. Man nennt nun die auf rein theoretiſchem Wege feſtgeſtellte, berechnete Leiſtung eines Motors den Abſoluteffekt, dagegen den von demſelben thatſächlich geleiſteten den Nutzeffekt; das Verhältniß zwiſchen beiden, alſo Nutzeffekt dividirt durch Abſoluteffekt, nennt man den Wirkungs - grad des Motors; letzterer iſt ſtets kleiner als 1. Bei obigem Beiſpiele beträgt der Abſoluteffekt 32 Pferdeſtärken, der Nutzeffekt dagegen nur 24 Pferdeſtärken; mithin ergiebt ſich ein Wirkungsgrad von 24 / 32 = 0,75. Der Abſoluteffekt eines Motors kann durch Rechnung aus den Ab - meſſungen deſſelben und der Kraftmenge feſtgeſtellt werden; der Nutz - effekt wird durch beſondere Apparate, Dynamometer, gemeſſen.

Nach dieſen kurzen einleitenden Bemerkungen wenden wir uns nunmehr der Beſprechung der verſchiedenen Arten der Motoren zu.

a) Der Menſch und das Tier als Motor.

Der Menſch mit ſeiner Muskelkraft, ſeinem Gewichte und ſeiner die mannigfachſten Bewegungen geſtattenden Gelenkigkeit kennzeichnet ſich als der bequemſte und, berückſichtigt man die Intelligenz desſelben, als der vorzüglichſte Motor. In der That giebt es eine große Anzahl motoriſcher Verrichtungen, welche durch die Muskelkraft des Menſchen ausgeführt werden; wir erinnern nur an die zahlreichen Winden, Spinnvorrichtungen, Nähmaſchinen, Baurammen u. ſ. w. welche ſämmtlich durch die Hand oder die Füße von Menſchen bewegt werden. Über die Leiſtungsfähigkeit des Menſchen als Motor ſind von ver - ſchiedenen Fachleuten höchſt intereſſante Beobachtungen gemacht. So61Der Menſch und das Tier als Motor.ſtellte Dupin feſt, daß er die ſtärkſte Leiſtung bei den Fremdenführern der Alpen gefunden habe, die bei fortwährendem Anſteigen und belaſtet mit mindeſtens 12 Kilogrammen ohne Mühe einen täglichen Marſch von 10 Stunden nach Abzug der Erholungspauſen zurücklegen.

Nimmt man an, daß das Gewicht eines ſolchen Führers im Durchſchnitt 70 Kilogramm beträgt, und nimmt man ferner an, daß einer Stunde des zurückgelegten Weges eine ſenkrechte Steigung von 400 Metern entſpricht, ſo ergiebt dieſes eine tägliche Leiſtung von 82 × 400 × 10 = 328000 Kilogrammeter.

Eine andere Beobachtung rührt von Coulomb her. Dieſer ließ Holz in Körben in ſeine 12 Meter über dem Erdboden liegende Wohnung bringen; hierbei wog die zu hebende Laſt (Korb und Holz) 68 Kilogramm und der Träger ſelbſt 70 Kilogramm; das durch die Muskelkraft des letzteren auf 12 Meter Höhe hinaufzuſchaffende Gewicht betrug alſo 138 Kilogramm. Während eines Tages machte der Träger 66 mal den Weg von unten nach oben mit ſeiner Laſt auf der Schulter; hieraus ergab ſich eine Leiſtung von 138 × 12 × 66 = 109296 Kilogrammetern.

Hierzu kommt noch die Arbeitsleiſtung für das Hinabſteigen ohne Laſt; dieſe nahm Coulomb zu 1 / 25 der beim Hinaufſteigen geleiſteten Arbeit an und erhielt ſomit 113668 Kilogrammeter als tägliche Geſamt - leiſtung des Trägers.

Einen ſehr intereſſanten Vergleich ſtellt Rühlmann nach dem Vorgange von Dr. Mayer, dem Vater der modernen mechaniſchen Wärmetheorie, und Redtenbacher an, indem er den menſchlichen Or - ganismus als eine kaloriſche Maſchine, d. h. als einen Motor betrachtet, bei welchem diejenige Wärme als bewegende Kraft auftritt, welche durch das Verbrennen ([Oxydieren]) des in den Nahrungsmitteln ent - haltenen Kohlenſtoffes und Waſſerſtoffes entwickelt wird.

Es läßt ſich annehmen, daß ein geſunder mittelſtarker Mann in mittlerem Alter innerhalb 24 Stunden 0,252 Kilogramm Kohlenſtoff und 0,01558 Kilogramm Waſſerſtoff oxydiert.

Es iſt bekannt, daß durch das Verbrennen von 1 Kilogramm Kohlenſtoff 8080 Wärmeeinheiten oder Kalorien entwickelt werden und durch das Verbrennen von 1 Kilogramm Waſſerſtoff 34462 Wärme - einheiten; man erhält ſomit für die geſamte Ernährungswärme des Menſchen: 0,252 × 8080 + 0,01558 × 34462 = 2473,18 Wärmeeinheiten.

Mayer hat, wie wir bereits mitteilten, nachgewieſen, daß Wärme und mechaniſche Arbeit äquivalent ſind und daß durch eine mechaniſche Arbeit von etwa 425 Kilogrammetern eine Wärme erzeugt wird, durch welche ein Kilogramm Waſſer von auf 1°C. erhitzt wird. Demnach ergiebt ſich, daß die vorſtehend berechnete Ernährungs - wärme eines Menſchen einer mechaniſchen Arbeit oder einer Leiſtung entſpricht von 2473,18 × 425 = 1051000 Kilogrammetern.

62Die Motoren.

Dividieren wir die von Dupin bei den Alpenführern feſtgeſtellte Leiſtung mit dieſer Zahl, ſo erhalten wir einen Wirkungsgrad des Menſchen als Motor von 〈…〉 .

Zieht man noch ſolche Beobachtungen in Betracht, welche von anderen Experimentatoren hinſichtlich der Leiſtungen von Menſchen gemacht worden ſind, ſo ergiebt ſich der Wirkungsgrad des Menſchen als Motor zu 0,26, d. h. der Menſch leiſtet 26 % derjenigen Arbeit, welche der Wärme entſpricht, die ſich aus den täglich eingenommenen Nahrungs - mitteln ergiebt. 74 % gehen mithin verloren durch den Stoffwechſel, durch Transpiration u. ſ. w.

Zieht man in Rückſicht, daß bei der Dampfmaſchine der Nutz - effekt im Durchſchnitt nur 0,063 beträgt, ſo kommt man zu dem inter - eſſanten Ergebnis, daß der Menſch als Motor eine 4 mal beſſere kaloriſche Maſchine iſt, als eine gute Dampfmaſchine. Zu beachten iſt jedoch hier noch der ſchwerwiegende Umſtand, daß das Heizmaterial der menſchlichen Maſchine, die Nahrung, faſt um das Dreißigfache theurer iſt als Steinkohle.

Wie bereits erwähnt wurde, kann die Art und Weiſe, in welcher die motoriſche Kraft des Menſchen ausgenutzt wird, eine ſehr verſchiedene ſein. Gegenwärtig geſchieht dieſelbe meiſt durch den Hebel und die Kurbel, an welchen die Hand oder der Fuß des Menſchen angreift und mittelſt deren der Antrieb einer Arbeitsmaſchine erfolgt.

Als eine beſondere Art von Motoren, welche durch das Gewicht des Menſchen bewegt werden, ſind die Treträder zu erwähnen. Es ſind dieſes Räder mit horizontaler Drehachſe, welche an ihrem äußeren Umfange mit Sproſſen verſehen ſind. In dieſen Sproſſen klettert der Menſch aufwärts, in Folge deſſen eine Drehung des Rades und deſſen Achſe erfolgt. Die Verwendung dieſer Maſchine beſchränkt ſich gegen - wärtig nur noch auf die wenig ziviliſierten Völker und beſitzt zur Zeit faſt nur noch ein rein hiſtoriſches Intereſſe.

Wenden wir uns nunmehr der Ausnützung der Muskelkräfte der Tiere zu, ſo kommt hier in erſter Linie das Pferd in Betracht, indem dasſelbe zur Ausübung eines Zuges benutzt wird, welcher alsdann zur Leiſtung einer Arbeit verwendet wird. Die einfachſte Art der Aus - nützung von Tierkraft geſchieht zum Heben von Laſten, indem das die Laſt tragende Seil über eine in der gewünſchten Höhe angebrachte Rolle geleitet wird; an dem freien Ende des Seiles wird ein Pferd angeſpannt, welches bei ſeinem Vorwärtsſchreiten das Seil mit ſich zieht und die Laſt zu der Höhe der Rolle emporhebt. Dieſe Art der Hebung von Laſten auf mitunter recht erhebliche Höhen findet man noch gegenwärtig bei dem Hinaufwinden von Balken auf die Höhen der oberen Etagen von Bauwerken vielfach in Gebrauch.

Sehen wir von den durch das Eigengewicht von Tieren bewegten Tretwerken, welche im Weſentlichen mit den vorſtehend für Menſchen -63Der Menſch und das Tier als Motor.kraft beſchriebenen übereinſtimmen, ab, ſo iſt der bei weitem hervor - ragendſte durch Tierkraft betriebene Motor der Göpel oder das Roßwerk. Man baut die Göpel entweder als feſtſtehende oder als transportable. In erſterem Falle verbleiben dieſelben ein für alle mal an einem beſtimmten Orte, während ſie im anderen Falle leicht je nach Bedarf transportiert und verlegt werden können.

Fig. 38.

Göpel.

Fig. 38 ſtellt einen transportablen Göpel dar, wie derſelbe von der bekannten Maſchinenfabrik Aktien-Geſellſchaft H. F. Eckert in Berlin gebaut wird. Das große Triebrad, oberhalb deſſen ein Sitz für den die ziehenden Pferde beaufſichtigenden Mann angebracht iſt, trägt die 4 Zugbäume, an welchen die Pferde angeſpannt werden. Wird durch dieſe das große Rad in Drehung verſetzt, ſo wird durch eine mehrfache Räderüberſetzung die nach links abgehende Welle bewegt, welche die zu betreibenden Maſchinen, Dreſchmaſchine, Futterſchneider u. ſ. w., in Gang ſetzt. Die ganze Vorrichtung ruht auf einem kräftigen Rahmen aus Eichenholz und kann leicht von einem Ort zum andern geſchafft werden.

Mit der zunehmenden Kultur und mit dem immer mehr und mehr wachſenden Verlangen nach einer großen und leiſtungsfähigen Triebkraft verſchwand der Menſch und das Tier immer mehr und mehr aus der Zahl der Motoren. Nur das letztere hat nach dieſer Richtung gegen - wärtig noch eine größere Bedeutung und zwar als Antriebskraft für die oben beſchriebenen Göpel, welche im landwirtſchaftlichen Betriebe wegen ihrer Bequemlichkeit und wegen des Mangels der Feuergefähr - lichkeit einer weiten Verbreitung noch jetzt ſich erfreuen.

b) Die Waſſermotoren.

1. Die vertikalen Waſſerräder oder Waſſerräder im engeren Sinne.

Der Name des Erfinders dieſer in den früheren Jahrhunderten hochbedeutſamen Motoren iſt geſchichtlich nicht feſtzuſtellen. Das Alter der Waſſerräder iſt ein ſehr hohes und reicht mindeſtens bis zu den64Die Motoren.Ägyptern zurück, welche dieſelben zu ihren Schöpfanlagen, mit denen ſie die Wäſſer des Niles auf die Äcker ſchafften, benutzten. Auch bei den Römern wurde der Bau der Waſſerräder geübt. Rühlmann führt nachfolgende poetiſche Äußerung eines gewiſſen Antipater, eines Zeitgenoſſen des Cicero, an, welche des Waſſerrades bereits als eines gebräuchlichen Motors Erwähnung thut: Höret auf, euch zu bemühen, ihr Mädchen, die ihr in den Mühlen arbeitet, jetzt ſchlaft und laßt die Vögel der Morgenröthe entgegenſingen; denn Ceres hat den Najaden befohlen, eure Arbeit zu verrichten; dieſe gehorchen, werfen ſich auf die Räder, treiben mächtig die Wellen und durch dieſe die ſchwere Mühle.

Bis in die jüngſte Zeit hat ſich der Bau der Waſſerräder fort - geſetzt und auf Grund der neuen Theorien von Redtenbacher und Weisbach iſt man heut zu Tage in den Stand geſetzt, Waſſerräder zu konſtruieren, welche allen Anforderungen an Nutzeffekt und Leiſtung zu genügen vermögen. Trotz der gewaltigen Fortſchritte, welche in den letzten Jahrhunderten auf dem Gebiete des Dampfmaſchinenbaues ſich vollzogen haben, wird das Waſſerrad mit ſeinem poetiſchen Nimbus nach menſchlicher Vorausſicht nimmermehr aus unſeren waſſer - und gefällreichen Gebirgsthälern verſchwinden.

Die Wirkungsweiſe des Waſſerrades beruht darauf, daß man das fließende Waſſer veranlaßt, das Rad um ſeine horizontale Drehachſe zu drehen. Der Angriff des Waſſers kann hierbei entweder unten an der tiefſten Stelle des Rades erfolgen unterſchlägiges Waſſerrad oder zwiſchen dem höchſten und dem tiefſten Punkte des Rades rückenſchlägiges Waſſerrad oder endlich an dem höchſten Punkte des Rades oberſchlägiges Waſſerrad.

Fig. 39.

Schiffmühle (Anſicht).

Fig. 39 und 40 ſtellen ein unterſchlägiges Waſſerrad dar, welches zugleich mit der von ihm betriebenen Mühle, einer ſogenannten Schiff - mühle, auf dem Strome ſchwimmt und hier verankert iſt. Der Erfinder65Die verticalen Waſſerräder.dieſer Schiffmühle ſoll der bekannte Feldherr Juſtinians Beliſar ſein, und zwar ſoll ihm die Rolle des Erfinders durch folgenden Zufall zu Teil geworden ſein. Während der Belagerung Roms durch Vitiges, den König der Oſtgothen, drohte in der Stadt Hungersnoth auszubrechen,

Fig. 40.

Schiffmühle (Querſchnitt).

da jener die zum Betriebe der Waſſermühlen dienenden Waſſerleitungen ableiten ließ, in Folge deſſen kein Getreide mehr gemahlen werden konnte. Beliſar kam jedoch auf den glücklichen Gedanken, die Mühlen auf Wagen zum Tiber zu bringen und auf dem Fluſſe zu verankern, wo ſie alsdann, auf dieſem ſchwimmend, von der Kraft des ſtrömenden Waſſers getrieben wurden.

Die unterſchlägigen Waſſerräder gelangen dort zur Anwendung, wo ein nur geringes Gefälle zu Verfügung ſteht, denn es iſt ohne Weiteres einleuchtend, daß z. B. zum Betriebe eines oberſchlägigen Waſſerrades ein Gefälle vorhanden ſein muß, welches mindeſtens gleich dem Durchmeſſer des Rades iſt, was, wie aus Fig. 41, S. 66 hervor - geht, bei dem unterſchlägigen Waſſerrade nicht der Fall iſt. Mit dem Fortſchritte der mathematiſchen und mechaniſchen Kenntniſſe brach ſich die Erkenntnis Bahn, daß die Ausnützung der Wirkung des Waſſers, wie ſie in den alten unterſchlägigen Waſſerrädern geſchah, eine höchſt unvollkommene ſei. Schon gegen die Mitte des vorigen Jahrhunderts wurde feſtgeſtellt, daß hieran der Umſtand Schuld ſei, daß man bei den unterſchlägigen Rädern den Stoß des Waſſers, nicht deſſen Gewicht ausnutzte.

Es iſt eines der ſchönſten Probleme des Maſchinenbaues geweſen, das unterſchlägige Waſſerrad in eine ſolche Geſtalt zu bringen, welche in demſelben das Waſſer nicht oder doch nur in geringem Maße durch Stoß, ſondern durch Druck wirken läßt. Dieſe Aufgabe wurde in glänzendſter Weiſe durch Poncelet (geb. 1788) gelöſt. Das nach ihm benannte Rad (in Fig. 41 dargeſtellt) kann bei richtiger Anwendung einen Wirkungsgrad von über 0,6 erreichen, während die alten unter - ſchlägigen Räder einen ſolchen von nur 0,3 beſaßen.

Das Buch der Erfindungen. 566Die Motoren.

Bei dem Poncelet-Rade wird dieſes dadurch erreicht, daß zunächſt die Schaufeln m nicht grade, ſondern nach einer beſtimmten Kurve gekrümmt ſind.

In Folge deſſen wirkt das Waſſer nicht durch direkten Stoß auf die Schaufeln, ſondern läuft, wie aus Fig. 41 deutlich zu erſehen iſt,

Fig. 41.

Unterſchlägiges Waſſerrad (Poncelet-Rad).

an dieſen empor, um wieder zurück - zufließen, hierbei durch Druck wirkend. Außerdem aber iſt für das Poncelet-Rad noch die ge - krümmte Form des Waſſerge - rinnes a b c d charakteriſtiſch, ſowie der Austritt des Betriebswaſſers unterhalb des Schützes f, welches das Waſſer bis unmittelbar an das Rad heranführt.

Fig. 42 ſtellt ein oberſchlägiges Waſſerrad dar, wie man dasſelbe bei dem Vorhandenſein eines größeren Gefälles, ſo z. B. im Gebirge, in vielen Exemplaren vorfindet. Das Betriebswaſſer tritt hier an dem oberſten Punkte des Rades in die Radzellen ein, füllt dieſe an

Fig. 42.

Oberſchlägiges Waſſerrad.

67Die horizontalen Waſſerräder.und verſetzt auf dieſe Weiſe durch ſein Gewicht das Rad in Drehung um die Achſe A. Am tiefſten Punkte, oder doch in der nächſten Nähe desſelben tritt dann das Waſſer wieder aus dem Rade hinaus. An dem Waſſerrade iſt ein Zahnkranz F angebracht, welcher mittels des kleinen Zahnrades M und der Welle N die Bewegung zum Antriebe einer Mühle oder dergleichen weiter fortpflanzt.

2. Die horizontalen Waſſerräder oder Turbinen.

Dieſe Waſſermotoren unterſcheiden ſich von den vorſtehend be - ſchriebenen in erſter Linie dadurch, daß das Rad derſelben horizontal angeordnet iſt und ſich um eine vertikale Achſe dreht. Man benennt ſie meiſt mit dem Namen Turbinen oder Kreiſelräder. Die Aus - nützung der Waſſerkraft geſchieht bei denſelben entweder durch den Stoß, den Druck oder die Reaktion des Waſſers und man unter - ſcheidet daher: Stoß -, Druck - und Reaktions-Räder.

Die wichtigſten ſind diejenigen Räder, welche durch den Druck des Waſſers betrieben werden; ſie führen ſpeziell den Namen: Turbinen. Bevor wir uns einer näheren Beſprechung derſelben zuwenden, wollen wir kurz das Weſentliche der Stoß - und der Reaktionsräder hier folgen laſſen.

Die Stoßräder kennzeichnen ſich dadurch, daß bei ihnen ein horizontal liegendes Flügelrad mit ebenen oder ausgehöhlten Schaufeln durch den Stoß des Waſſers in Drehung um ſeine ſenkrechte Achſe verſetzt wird. Dieſe Waſſermotoren ſind ſchon ſehr alt und finden ſich ſeit Jahrhunderten in gebirgigen Gegenden, z. B. in den Pyrenäen, in den Alpen, in Norwegen in zahlreichen Exemplaren im Betriebe und zwar überall da, wo ein hohes Gefälle zur Verfügung ſteht, welches den auf die Schaufeln fallenden Waſſerſtrahlen eine große Geſchwindigkeit zu geben vermag. Bei dem Betriebe von Mühlen kann man die Mahlſteine unmittelbar auf der ſenkrechten Achſe dieſer Stoßräder anbringen, da die Umdrehungszahl derſelben eine ſo hohe iſt, daß dieſelbe durch Einſchaltung von Zwiſchengetrieben nicht erhöht zu werden braucht.

Die Reaktionsräder beruhen auf der ſogenannten Reaktions - wirkung des aus einem Gefäße ausſtrömenden Waſſers. Dieſe äußert ſich bekanntlich in der Weiſe, daß, wenn man das Waſſer aus einem um eine ſenkrechte Achſe drehbaren horizontalen Rohre austreten läßt, letzteres in Umdrehung verſetzt wird. Eine ſehr gebräuchliche Anwendung dieſer Reaktionswirkung des austretenden Waſſers finden wir bei den zum Sprengen von Blumenbeeten und Raſenflächen dienenden rotierenden Brauſen. Danach beſtehen die Reaktionsturbinen aus enem Hohl - körper, welcher ſich um eine ſenkrechte Achſe drehen kann, und in deſſen Inneres Waſſer eingeführt wird, um aus einem oder mehreren am Umfange angebrachten Öffnungen nach außen gelaſſen zu werden. 5*68Die Motoren.Die Drehung der ſenkrechten Achſe wird alsdann in derſelben Weiſe, wie dieſes bei den Stoßrädern beſchrieben wurde, zum Antriebe der Mühle oder dergl. benutzt.

Wenden wir uns nunmehr zu denjenigen Turbinen, in welchen das Waſſer durch Druck zur Wirkung gelangt, ſo iſt hier zunächſt die in

Fig. 43.

Fourneyron-Turbine (Schnitt).

Fig. 43 und 44 dargeſtellte Fourneyron-Turbine zu nennen. Dieſelbe ſtammt aus dem Anfange der dreißiger Jahre unſeres Jahrhunderts und trägt ihren Namen nach ihrem Erfinder, dem Franzoſen Four - neyron. Dieſelbe unterſcheidet ſich von den bisher beſprochenen Waſſer - motoren dadurch, daß ſie aus zwei ineinander liegenden horizontalen Rädern beſteht, von denen das innere feſtſteht und das Waſſer in das äußere Rad eintreten läßt. Beide Räder ſind in der aus Fig. 44 erſichtlichen Weiſe mit Schaufeln verſehen, und leuchtet es an der Hand dieſer Zeichnung ohne Weiteres ein, daß, wenn das Waſſer aus den Schaufeln des inneren feſten Rades, des ſogenannten Leitrades, aus - tritt, es gegen die Schaufeln des außenliegenden beweglichen Rades des Laufrades, drückt und dieſes in der Richtung des Pfeiles in69Die horizontalen Waſſerräder.Drehung verſetzt. Die weitere Einrichtung dieſes hochwichtigen Waſſer - motors iſt aus Fig. 43 zu entnehmen. Das Waſſer tritt bei W hinzu, ſinkt durch den Raum E abwärts und füllt das feſtſtehende Leitrad F an, um von hier in das Laufrad A überzu - treten. Dieſes wird durch den ſeitens des Waſſers aus - geübten Druck in Drehung ver - ſetzt und teilt dieſe ſeine Bewe - gung der Welle D mit, welche ihrerſeits wiederum mit Hilfe eines Räder - und Riemen - Triebes die zu betreiben - den Maſchinen in Bewegung ſetzt. Damit das Betriebs - waſſer W nicht durch ſein er - hebliches Gewicht das Lauf - rad A belaſte und hemme, iſt die Welle D mit einer Schutz - hülſe H umgeben, welche unten in einem das Rad A über - deckenden Teller F endigt,

Fig. 44.

Fourneyron-Turbine (Obere Anſicht des Leit - und Laufrades).

welcher mit Leitſchaufeln verſehen iſt und ſo das Leitrad bildet. Die Regulierung der aus dem Leitrade F in das Laufrad übertretenden Waſſermenge kann auf zweierlei Weiſe erfolgen; erſtens durch das mittels der Stangen MM auf - und abſchiebbare ringförmige Schütz K, ferner aber noch dadurch, daß das Laufrad A mittelſt des Hebels O R und der Zugſtange S gehoben oder geſenkt wird.

Noch wichtiger und verbreiteter als die Fourneyron-Turbine iſt die in der Fig. 45 dargeſtellte Turbine von Henſchel. Der Erfinder derſelben iſt der Oberbergrat Henſchel in Caſſel; derſelbe nahm im Jahre 1837 auf ſeinen neuen Motor ein heſſiſches Patent. Jedoch es währte einige Zeit, bis zum Jahre 1840, daß die erſte praktiſche Aus - führung, und zwar auf der herzoglichen Steinſchleiferei zu Holzminden a. d. Weſer, erfolgte. Alsbald wurde die Henſchel’ſche Konſtruktion durch Jonval in Mühlhauſen im Elſaß nachgeahmt und man findet daher für dieſe Art von Turbinen häufig den Namen Henſchel-Jonval - Turbine.

Die Henſchel-Turbine unterſcheidet ſich von der Fourneyron’ſchen im Weſentlichen dadurch, daß bei derſelben Leit - und Laufrad nicht ineinander liegen, ſondern übereinander. Dieſe Anordnung iſt aus Fig. 45 Seite 70, zu erſehen. Aus dem Mühlgraben E tritt das Betriebs - waſſer zunächſt in den Leitſchaufelapparat B; die ſpezielle Anordnung der Schaufeln iſt aus Fig. 45 III des Näheren zu entnehmen. Aus dem Leitapparat B tritt das Aufſchlagwaſſer in das Laufrad A über70Die Motoren.und verſetzt dieſes in Drehung, hierdurch ebenfalls die Räder D und M mittels ſeiner ſenkrechten Welle antreibend. Die Buchſtaben SS der Fig. 45 I bezeichnen einen Schwimmer, der zur Beruhigung des Ober -

Fig. 45.

Henſchel-Turbine.

waſſers E dient. Hat das Waſſer in dem Laufrade A ſeine Arbeit verrichtet, ſo ſtrömt es in der durch den Pfeil angedeuteten Richtung durch das Abfallrohr C nach unten ab.

Bei dieſer Turbine wirkt das Waſſer nicht allein durch Druck von oben, ſondern es übt auch eine ſaugende Wirkung von unten her bei ſeinem Hinabfallen in dem Fallrohr aus. Man bezeichnet daher die Henſchel-Turbine wohl auch als eine doppeltwirkende, und zwar nicht mit Unrecht, denn da das luftdichte Rohr, welches die Turbine in ſich aufnimmt, in das Unterwaſſer eintaucht, und hinter dem durch das Rad hindurchgetretenen Waſſer ein leerer Raum entſtehen müßte, wenn dieſes Waſſer ſich von dem Oberwaſſer losriſſe, ſo bewirkt das aus dem Laufrade austretende Waſſer in Folge des auf dem Oberwaſſer ruhenden Luftdruckes ein ſtetiges Nachſaugen des Waſſers in das Rad. Die Leiſtung des Rades iſt mithin nicht allein abhängig von der ober - halb desſelben liegenden Druckhöhe, ſondern auch von dem Abſtande, in welchem das Rad oberhalb des Unterwaſſers liegt. Hierbei iſt es innerhalb gewiſſer Grenzen ziemlich gleichgültig, ob die Turbine im Innern71Die Waſſerſäulenmaſchinen.des Waſſers eine höhere oder tiefere Lage einnimmt. Die Henſchel - Turbine zeichnet ſich durch einen ſehr hohen Nutzeffekt aus und zählt zu den verbreitetſten Waſſermotoren.

3. Die Waſſerſäulenmaſchinen.

Bei den Waſſerſäulenmaſchinen wird das Waſſer dazu verwendet, einen in einem Hohlcylinder beweglichen Kolben hin und her zu treiben. Die hier durch das Waſſer bewirkte Bewegung iſt alſo keine drehende, ſondern eine hin - und hergehende, welche im Bedarfsfalle erſt durch Einſchaltung einer Kurbel in eine drehende verwandelt wird. Je nachdem die drückende Waſſerſäule dem Kolben nur die eine Bewegungsrichtung giebt oder auch den Rückgang desſelben veranlaßt, unterſcheidet man einfach und doppelt wirkende Waſſerſäulenmaſchinen. Das Verdienſt, den Waſſerſäulenmaſchinen zuerſt eine lebensfähige Geſtalt gegeben zu haben, gebührt dem Bayeriſchen Salinenrat von Reichenbach, welcher im Jahre 1809 eine großartige Leitung zum Transport von Soole von Traunſtein nach Roſenheim am Inn baute und die zur Speiſung derſelben dienenden Pumpen mittelſt Waſſerſäulenmaſchinen eigener Konſtruktion betrieb. Bei dieſer Reichenbach’ſchen Maſchine war der Pumpenkolben direkt an die Kolbenſtange der Waſſerſäulenmaſchine gekuppelt. In neuerer Zeit ſind die Waſſerſäulenmaſchinen durch ver - ſchiedene hervorragende Konſtrukteure derartig vervollkommnet, daß man dieſelben namentlich als Kleinmotoren in zahlreichen Exemplaren im Betriebe findet. Hier iſt zunächſt zu nennen der Schmid’ſche Waſſer - motor; derſelbe hat genau die Anordnung einer Dampfmaſchine und unterſcheidet ſich von dieſer im Weſentlichen nur dadurch, daß er nicht mit Dampf, ſondern mit gepreßtem Waſſer, alſo beiſpielsweiſe mit dem Waſſer einer Hochdruck-Waſſerleitung betrieben wird.

Eine originelle Waſſerſäulenmaſchine iſt der in Fig. 46 und 47 dar - geſtellte Waſſerdruckmotor von Hoppe in Berlin. Derſelbe beſitzt drei um 120° gegen einander verſetzte, an ihrem einen Ende offene Druck - cylinder, deren Kolben mittelſt kurzer Stangen an einem gemeinſamen Zapfen der Schwungradwelle angreifen. Die in Fig. 46 links ſichtbaren Röhren dienen zur Zu - bezw. Ableitung des Waſſers. Die Verteilung des Betriebswaſſers auf die drei Cylinder erfolgt durch einen Dreh - ſchieber.

Fig. 48 ſtellt die Anſicht eines ebenfalls von Hoppe in Berlin gebauten Waſſermotors mit zwei Cylindern dar, deren Kolben gemeinſam eine Schwungradwelle bewegen.

Schließlich bringen wir noch in Fig. 49 (Seite 75) einen Zwerg aus dem Geſchlechte der Waſſermotoren. Derſelbe wird von Möller & Blum in Berlin geliefert und dient, indem er direkt an die Hauswaſſerleitung geſchraubt wird, zum Betriebe von Nähmaſchinen.

Im Anſchluß an die durch gepreßtes Waſſer betriebenen Waſſer - ſäulenmaſchinen ſind hier noch die durch Preßluft betriebenen Motoren72Die Motoren.

Fig. 46.

Hoppes rotierender Dreicylinder-Waſſerdruck-Motor.

zu nennen. Konſtruktion und Wirkungsweiſe derſelben iſt im Großen und Ganzen die gleiche, wie die der durch Waſſerdruck betriebenen Cylindermaſchinen, nur daß die bewegende Kraft in gepreßter Luft beſteht. In neuerer Zeit hat Popp nach dieſem Syſtem in Paris eine Kraftverteilung von einer Centralſtation aus mittelſt gepreßter Luft eingerichtet. In Bergwerken, wo man die gepreßte Luft zugleich zur Ventilation benutzt, ſind mit Preßluft betriebene Motoren bereits ſeit längerer Zeit im Gebrauch. Es iſt dieſes in ganz beſonderem Maße in Nord-Amerika der Fall, wo man gepreßte Luft zum Betriebe von Fördermaſchinen, Geſteinsbohrmaſchinen u. ſ. w. in ausgedehntem Maße verwendet. Die die Preßluft liefernden Kompreſſoren werden dort meiſt mittels Turbinen betrieben.

c) Die Windmotoren.

Der Name des Erfinders der Windmotoren iſt nicht feſtzuſtellen; jedenfalls aber gehörte dieſer dem deutſchen Volke an, denn von jeher wurden die älteſten Windmühlen als deutſche Windmühlen bezeichnet. 73Die Windmotoren.

Fig. 47.

Hoppes rotierender Dreicylinder-Waſſerdruck-Motor. Die obere Figur ſtellt einen Schnitt durch die Cylinder, die untere eine Anſicht des Motors dar.

74Die Motoren.

Fig. 48.

Hoppes Zweicylinder-Waſſerdruck-Motor.

Es iſt auch wohl behauptet worden, daß die Windmühlen durch die Kreuzfahrer aus dem Orient nach dem Abendlande übertragen worden ſeien; es iſt jedoch hiſtoriſch nachzuweiſen, daß weder die Griechen noch die Römer, noch die aſiatiſchen Völkerſchaften die Ausnutzung des Windes zur Erzielung motoriſcher Kraft gekannt haben. Noch heute ſind Windmühlen im geſammten Oriente verhältnismäßig ſehr ſelten anzutreffen, und dürften die wenigen vorhandenen Exemplare jedenfalls europäiſchen bezw. abendländiſchen Urſprunges ſein.

Das erſte urkundenmäßig feſtzuſtellende Vorkommen von Wind - mühlen datiert nach Rühlmann aus dem Jahre 1105; zu dieſer Zeit erhielt ein franzöſiſches Kloſter die Erlaubnis zur Anlage von Waſſer - und Windmühlen (molendina ad ventum).

Die älteſten ſogenannten deutſchen Windmühlen waren in der Weiſe angeordnet, daß der eigentliche Windmotor, das Flügelrad, mit75Die Windmotoren.dem zur Aufnahme des Mühl - werkes dienenden Gebäude ſo verbunden war, daß bei Rich - tung der Änderung des Windes das geſamte Gebäude um einen ſenkrechten feſten Ständer, den ſogenannten Hausbaum, ge - dreht werden mußte. Dieſe An - ordnung erforderte jedoch einen außerordentlich hohen Aufwand an Kraft und Zeit. Zur Ver - meidung deſſen ging man in Holland ſchon im 16. Jahr - hundert dazu über, das eigent - liche Mühlengebäude maſſiv auszuführen, das Windrad in dem Dache deſſelben anzu - ordnen und dieſes mit einer Vorrichtung zu verſehen, welche es ermöglichte, das Windrad und das Dach zugleich nach

Fig. 49.

Waſſermotor von Möller & Blum.

der jeweilig herrſchenden Windrichtung einzuſtellen. Die letztere Art der Windmühlen bezeichnet man als holländiſche Windmühlen.

In der letzten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts erfuhren dieſe holländiſchen Windmühlen in England eine ſehr weſentliche Verbeſſerung durch die Hinzufügung eines zweiten Windrades, welches entgegengeſetzt zu dem eigentlichen Windmotor auf der andern Seite des beweglichen Daches angeordnet iſt und den Zweck hat, das Dach nebſt dem Wind - motor ſelbſtthätig in die erforderliche Stellung zu der Richtung des Windes zu bringen.

Gegenwärtig findet man zahlreiche Exemplare der ſämtlichen vor - ſtehend beſchriebenen Arten von Windmühlen in Gebrauch, nämlich ſowohl die deutſche mit feſtem Ständer, wie die holländiſche Windmühle mit durch Menſchenkraft oder ſelbſtthätig verſtellbarem Dache.

Was zunächſt die Konſtruktion der Windflügel betrifft, ſo iſt die - ſelbe in den Figuren 50 und 51 in größerem Maßſtabe dargeſtellt.

An der Flügelwelle a, welche in der Wand bezw. in dem Dache des Mühlengebäudes drehbar gelagert iſt, ſind die Flügel, meiſt deren vier, befeſtigt. Jeder Flügel beſteht aus der ſogenannten Rute f von Tannen - oder Kiefernholz; dieſelbe hat an der Welle a eine Stärke von 30 bis 32 cm und verjüngt ſich an ihrem äußerſten Ende bis auf etwa 15 cm; ihre Länge beträgt bis zu 25 m. Durch dieſe Rute f ſind dann die Sproſſen k hindurchgeſteckt, welche mit Segeltuch überſpannt werden und auf dieſe Weiſe den Winddruck aufnehmen, infolge deſſen die Welle a ſich dreht und das eigentliche Mühlenwerk in Bewegung ſetzt. 76Die Motoren.

Fig. 50.

Windmühlenflügel. (Seitenanſicht.)

Fig. 51.

Windmühlenflügel. (Vorderanſicht.)

77Die Windmotoren.

Wie aus Fig. 50 zu erſehen iſt, ſind die Sproſſen k ſämtlich in verſchiedenen Richtungen zu der Rute f angeordnet, ſo daß die Fläche des Segeltuches nicht direkt rechtwinklig von dem in der Richtung des Pfeiles W wirkenden Winde getroffen wird. Die Art und Weiſe, in welcher die Prallfläche durch Stellung der Sproſſen k gebildet wird, iſt Sache der Erfahrung, und es gelten hierfür zahlreiche praktiſch erprobte Regeln, auf welche näher einzugehen hier nicht der Ort iſt.

Fig. 52.

Schnitt durch das Dach einer holländiſchen Windmühle mit ſelbſtthätiger Einſtellung des Windrades.

In der Fig. 52 iſt das Dach einer modernen holländiſchen Windmühle mit ſelbſtthätiger Einſtellung des Windrades im Querſchnitt dargeſtellt.

In der Figur iſt links das eigentliche Windrad B, deſſen Ruten der Platzerſparnis halber nur zum Teil dargeſtellt ſind, zu ſehen, während auf der entgegengeſetzten Seite des drehbaren Daches H das kleine Windrad l ſich befindet, welches lediglich den Zweck hat, das Dach und das eigentliche Hauptwindrad je nach der herrſchenden Windrichtung in die richtige Stellung ſelbſtthätig hineinzubringen.

Die Wirkungsweiſe dieſer Vorrichtung iſt folgende. Sobald der Wind eine Richtung annimmt, welche nicht mit der Richtung der Achſe A des Windrades B zuſammenfällt, dreht ſich das Windrad l, welches normal zum Windrade B angeordnet iſt. Durch Vermittelung von Kegelrädern dreht ſich dann die Welle g und ſetzt mittels der Räder e und f eine endloſe Schraube in Drehung, welche nunmehr das Zahn -78Die Motoren.rad b antreibt. Dieſes greift in einen Zahnkranz ein, welcher auf der Oberkante des Mühlengebäudes unterhalb des beweglichen Daches liegt. Die Folge dieſer Anordnung iſt die, daß das Dach bei ein - tretender Änderung des Windes durch das Rad l ſelbſtthätig gedreht wird, bis die Windrichtung mit der Richtung der Achſe A zuſammen - fällt. Die in der Fig. 52 dargeſtellte Windmühle iſt noch inſofern von Intereſſe, als bei derſelben die zur Aufnahme des Winddruckes dienenden Flächen der Flügel nicht durch überſpanntes Segeltuch, ſondern durch verſtellbare Jalouſieklappen gebildet werden. Um die Lage dieſer Klappen je nach der Stärke des Windes bequem reguliren zu können, iſt in dem Innern der hohlen Welle A eine Stange v an - gebracht, welche einerſeits mittels des Hebels w an den Jalouſieklappen angreift, und andererſeits mittels des Zahnbogens g, des Hebels r und des Zugſeiles t vor - und rückwärts bewegt werden kann. Schließ - lich iſt noch zu erwähnen, daß das auf der Welle A ſitzende große Kegelrad D die in der Mitte der Mühle angeordnete ſenkrechte Haupt - welle antreibt, von welcher aus die ſämtlichen Mahlgänge mit ihren Hilfsmaſchinen in Bewegung geſetzt werden.

In der neueſten Zeit hat man das Windrad vielfach für Zwecke der Landwirtſchaft und des Gartenbaues, ja ſogar auch für Zwecke des Eiſenbahnbetriebes, nämlich zum Pumpen von Waſſer angewendet. Wir bringen nebenſtehend einige Beiſpiele dieſer von der Firma Carl Reinſch in Dresden als Spezialität gebauten modernſten Windräder. Wie aus der Abbildung ohne Weiteres zu erſehen, weichen dieſelben hinſichtlich ihrer Bauart nicht unerheblich von den bisher beſchriebenen Flügelrädern ab. Dieſelben haben einen Durchmeſſer von 3 bis 12 m und leiſten bei einer ſekundlichen Geſchwindigkeit des Windes von 7 m ¾ bis 18 Pferdeſtärken. Fig. 53 zeigt die Anwendung eines derartigen Motors zur Entwäſſerung eines Steinbruches. Auf einem Felſenvorſprunge in der Tiefe des Bruches iſt ein Pumpwerk auf - geſtellt, welches durch ein vom Motor hin - und herbewegtes Zug - geſtänge ſeinen Antrieb erhält und das Waſſer von der Sohle des Bruches nach oben befördert. Fig. 54 zeigt eine durch einen Wind - motor betriebene Waſſerſtation, von welcher aus die Lokomotiven das erforderliche Speiſewaſſer erhalten; Fig. 55 zeigt ein Pumpwerk mit Waſſerelevator und Fig. 56 eine landwirtſchaftliche Maſchinenanlage mit Schrotmühle, Quetſch - und Häckſelſchneidemaſchine.

Zum Schluß möge hier eine kleine Anzahl von Beobachtungen Platz finden, welche in den fünfziger Jahren auf der Saline Dürren - berg bei Merſeburg angeſtellt wurden, um zu zeigen, auf wie viele Windſtunden man im Jahre rechnen darf, und um einen Maßſtab für die Zuverläſſigkeit des Windes als Triebkraft zu haben. Hiernach ſtellte ſich die Zahl der Windtage auf durchſchnittlich 280 im Jahre.

79Die Windmotoren.
Fig. 53.

Entwäſſerung eines Steinbruches durch einen Reinſchſchen Windmotor.

Fig. 54.

Waſſerſtation mit Windmotorbetrieb.

Fig. 55.

Pumpwerk mit Windmotorbetrieb.

Fig. 56.

Landwirtſchaftliche Maſchinenanlage mit Windmotorbetrieb.

80Die Motoren.

Es betrug die Windſtundenzahl

Wenn daher zur Verwendung eines Windmotors geſchritten werden ſoll, ſo iſt zunächſt zu unterſuchen, ob der betreffende Betrieb ſich für eine in ſo hohem Maße vom Wetter abhängige Kraft eignet. Der Windmotor wird nur dann zu empfehlen ſein, wenn deſſen Arbeit nicht unbedingt zu einer beſtimmten Zeit benötigt wird, wenn man vielmehr dann auf Vorrat arbeiten darf, wenn gerade Wind zur Verfügung ſteht, um ſpäter den Betrieb ruhen zu laſſen, wenn Windſtille eintritt. Für derartige maſchinelle Verrichtungen wird der Windmotor aber wegen ſeiner Billigkeit und ſeiner Gefahrloſigkeit ſtets eine willkommene Betriebsmaſchine bilden.

d) Die Wärmemotoren.

1. Die Heißluftmaſchinen.

Wenn man einem Körper Wärme zuführt, ſo dehnt ſich derſelbe aus. Dieſe Eigenſchaft aller Körper wird bei der Heißluftmaſchine in der Weiſe ausgenutzt, daß man Luft erhitzt, zu gleicher Zeit derſelben aber ein Hindernis in den Weg legt, ſich auszudehnen. Die Folge hiervon iſt, daß die Expanſionskraft der erwärmten Luft dieſes Hindernis zu beſeitigen ſtrebt; wird nun dieſes in Geſtalt eines in einem Cylinder beweglichen Kolbens ausgeführt, ſo kann man leicht die hin - und her - gehende Bewegung des letzteren durch Einſchalten einer Kurbel in eine rotierende Bewegung umſetzen. Kühlt man dann die vorhin erwärmte Luft wiederum ab, und wiederholt man dieſes abwechſelnde Erwärmen und Kühlen, ſo iſt hiermit das Prinzip der Heißluftmaſchinen oder kaloriſchen Maſchinen gegeben. Bereits im Jahre 1824 wurden durch den Franzoſen Carnot und drei Jahre ſpäter, im Jahre 1827, durch den Engländer Stirling die erſten Heißluftmaſchinen konſtruiert; that - ſächlich lebensfähig aber wurde die kaloriſche Maſchine erſt durch John Ericſon im Jahre 1833. Man hat zwei Arten von Heißluft - maſchinen zu unterſcheiden:

1. Offene Maſchinen. Bei dieſen wird dem Arbeitscylinder mittels einer Luftpumpe ſtets friſche Luft zugeführt, welche nach ihrer Erwärmung und Ausdehnung aus der Maſchine in’s Freie austritt.

81Die Heißluftmaſchinen.

2. Geſchloſſene Maſchinen. Bei dieſen wird ein und dasſelbe Luftquantum abwechſelnd erwärmt und abgekühlt; dasſelbe verläßt alſo die Maſchine nicht, ſondern verbleibt ein für alle mal in dem Arbeits - cylinder.

Bevor wir dazu übergehen, für jede dieſer beiden Arten je ein Beiſpiel in der Bénier’ſchen und in der Rider-Monski’ſchen Heißluft - maſchine zu geben, wollen wir ganz kurz die Vorteile dieſer Motoren - gattung hier angeben.

Der Heißluftmotor eignet ſich in ganz beſonderem Maße für das Kleingewerbe, d. h. für den Betrieb kleiner maſchineller Anlagen. Zunächſt iſt hier die Sicherheit gegen Exploſionsgefahr zu nennen, infolge deſſen die Aufſtellung einer kaloriſchen Maſchine nicht der behördlichen Kon - zeſſion bedarf. Des weiteren beruht ein ſchwer wiegender Vorteil darin, daß die Aufſtellung von keiner Gas - oder Waſſerleitung oder

Fig. 57.

Béniers Heißluftmaſchine (Längenſchnitt).

elektriſchen Anlage abhängig iſt, vielmehr infolge der überall möglichen Beſchaffung von Heizmaterial an keine Örtlichkeit gebunden iſt. Schließlich kommt noch in Betracht, daß der Heißluftmotor ſtets ohne WeiteresDas Buch der Erfindungen. 682Die Motoren.betriebsfähig iſt, während z. B. bei der Dampfmaſchine erſt eine längere Zeit auf die Beheizung des Dampfkeſſels verwendet werden muß.

Der als Beiſpiel einer offenen Heißluftmaſchine dienende, in Fig. 57 und 58 dargeſtellte Bénier-Motor beſteht im weſentlichen aus einem ſenkrechten Cylinder a, in welchem ſich ein Kolben b unmittelbar oberhalb

Fig. 58.

Béniers Heißluftmaſchine. (Querſchnitt durch den Arbeits-Cylinder.)

einer geſchloſſenen Feuerung c auf - und abbewegen kann, und aus einer Luftpumpe d. Der Kolben b greift mittels ſeiner Kolbenſtange an dem einen Ende des Balan - ciers t an, welcher bei dem Auf - und Niedergange des Kolbens das Schwungrad f in Drehung verſetzt und durch verſchiedene Zwiſchenmechanismen die Luft - pumpe d in der erforderlichen Weiſe antreibt. Die Wirkungs - weiſe der Maſchine iſt folgende. Befindet ſich der Kolben b in ſeiner tiefſten Stellung unmittel - bar oberhalb der geſchloſſenen Feuerung c, ſo wird in dieſe durch die Luftpumpe d Luft hineingepreßt. Infolge deſſen wird das Feuer ſtark angefacht, die in der Feuerung enthaltene Luft dehnt ſich aus und treibt den Kolben empor, um, nachdem ſie dieſe Arbeit gethan hat, in die Außenluft auszupuffen. Der Niedergang des Kolbens wird dadurch bewirkt, daß in dem Schwungrade bei dem Aufwärts - gange des Kolbens ſo viel leben - dige Kraft aufgeſpeichert wird, um das rechtsſeitige Ende des Balanciers nach abwärts zu drücken. Hat der Kolben ſeine tiefſte Lage wiederum erreicht, ſo beginnt das Spiel der Maſchine von Neuem, indem ein neues Quantum Luft in die Feuerung c hineingepreßt wird. Da die in der Feuerung c auftretende Hitze eine ſehr große iſt, ſo wird in den hohlen Mantel i derſelben Kühlwaſſer eingeführt.

Die Hauptſchwierigkeit beſteht bei dieſer Heißluftmaſchine darin, daß die Kraft der erwärmten Luft ſofort vernichtet ſein würde, ſobald die geſchloſſene Feuerung c bei Nachfüllung des Brennmaterials geöffnet werden würde. Es iſt daher eine ſehr ſinnreiche Vorkehrung getroffen,83Die Heißluftmaſchinen.welche während der Einführung von Brennſtoff in die Feuerung c die in dieſer befindliche Luft zurückhält und außerdem die Zufuhr des Brennmaterials ſelbſtthätig beſorgt. Dieſe Vorkehrung beſteht in einem Becherwerke, welches das Brennmaterial in Geſtalt von zerkleinertem Koks aus dem Behälter k entnimmt und auf den an der Füllöffnung beweglichen Schieber m fallen läßt. Letzterer hat einen Schlitz, in welchem er bei ſeinem größten Ausſchlage nach links die nußgroßen Koksſtückchen aufnimmt, um dieſelben bei ſeinem größten Ausſchlage nach rechts in das Feuerloch q hinabfallen zu laſſen. Stets aber iſt durch dieſe Vorrichtung die Feuerung c nach außen hin abgeſchloſſen, ſo daß die Expanſionskraft der erwärmten Luft niemals aufgehoben iſt.

[figure]
Fig. 59.

Fig. 60. Heißluftmotor von Rider-Monski. (Anſicht.) (Längsdurchſchnitt.)

Wenn wir nunmehr den in der Fig. 59 und 60 dargeſtellten Heißluftmotor von Rider-Monski folgen laſſen, ſo wird der charakteriſtiſche Unterſchied zwiſchen den offenen und geſchloſſenen kaloriſchen Maſchinen ſofort in die Augen ſpringen.

Die Heißluftmaſchine von Rider-Monski beſteht aus zwei ſenkrechten Cylindern L und K, in welchen die Kolben A und B ſich auf - und abwärts bewegen können; der zur Erwärmung der die Maſchine betreibenden Luft dienende Heiztopf H befindet ſich oberhalb einer Feuerung. Wird nun dieſe Luft erhitzt, ſo dehnt ſie ſich aus und treibt den Kolben B nach aufwärts; ſie tritt jedoch nun nicht, wie dies bei dem Bénier-Motor der Fall iſt, ins Freie aus, ſondern geht in den zwiſchen den Cylindern L und K liegenden ſog. Regenerator R und von hier aus unter den Kolben A. Auf dieſem Wege kühlt ſich die erhitzte Luft durch Berührung mit kalten Flächen ſehr erheblich ab. 6*84Die Motoren.Die in dem Schwungrade aufgeſpeicherte lebendige Kraft drückt im Verein mit der äußeren Luft den Kolben A (derſelbe wird wegen dieſer ſeiner Wirkungsweiſe auch Verdränger genannt) nach abwärts, in - folge deſſen die Luft durch den Regenerator R in den Heiztopf H zurückgedrängt wird. Hier erhitzt ſie ſich dann wiederum, und das Spiel der Maſchine beginnt von Neuem.

Während der Béniermotor in einer Größe von in maximo 20 Pferde - kräften ausgeführt wird, gelangt der Rider-Monski-Motor in Größen von , ½, , 1 und 2 Pferdeſtärken zur Anwendung.

Iſt die Dampfmaſchine das erfolgreichſte Rüſtzeug der Großinduſtrie in ihrem Vernichtungskampfe gegen die Kleininduſtrie, ſo kann man die Heißluftmaſchine als diejenige Motorgattung bezeichnen, welche berufen ſein dürfte, der Kleininduſtrie in dieſem Kampfe, im Verein mit der Gaskraftmaſchine, erfolgreich zur Seite zu ſtehen.

2. Die Dampfmaſchinen.

Wie ſich im Alterthum zahlreiche Städte Griechenlands um den Vorzug ſtritten, der Geburtsort Homer’s zu ſein, ſo hat lange Zeit hindurch unter den civiliſierten Völkern ein Wettbewerb beſtanden um die Ehre, den Erfinder der Dampfmaſchine zu den ihrigen zählen zu können. Dieſer Wettſtreit iſt durch die neueſte Geſchichtsforſchung als ein müßiger gekennzeichnet. In der Dampfmaſchine findet ſich die praktiſche Anwendung ſo vieler Naturgeſetze auf kleinſtem Raum vereinigt, welche erſt allmälig im Laufe der Jahrhunderte durch die hervorragendſten Geiſter der verſchiedenſten Nationen an das Tageslicht befördert wurden, daß von einem einzigen Erfinder der Dampfmaſchine nicht die Rede ſein kann. Nicht formvollendet wie die Minerva aus dem Haupte des Jupiters entſprang die Dampfmaſchine dem erfinderiſchen Geiſte eines einzigen Sterblichen; nein, allmälig entwickelte ſie ſich als ein gemeinſames Produkt der angeſtrengteſten Arbeit der Beſten verſchiedener Völker zu dem, was ſie heute iſt, zu dem gewaltigſten Hülfsmittel menſchlicher Bildung und Geſittung. Wen zuerſt die Beobachtung des aus dem kochenden Waſſer aufſteigenden Dampfes zu der Erkenntnis gebracht hat, daß dieſem eine Kraft inne wohne, welche, in die richtigen Bahnen gelenkt, Arbeit zu verrichten im Stande ſei, hierüber iſt, wie leicht erklärlich, eine gewiſſe Ueberlieferung nicht vorhanden. Jedenfalls aber ſteht feſt, daß ſchon lange Zeit vor Beginn der chriſtlichen Zeitrechnung die Thatſache bekannt war, daß der Waſſerdampf im Stande ſei, eine gewiſſe Kraftleiſtung hervorzubringen.

Am bekannteſten ſind die Dampfkünſte Herons von Alexandrien, der gegen 120 vor Chr. lebte. Fig. 61 ſtellt eine nach dieſem alten Erfinder Heronsball genannte Vorrichtung zum Heben von Waſſer mittels Dampfkraft dar. Dieſelbe beſteht aus einer Hohlkugel A, welche bis ungefähr zu ihrer Hälfte mit Waſſer angefüllt iſt. Um dieſes in85Die Dampfmaſchinen.die Kugel A einbringen zu können, iſt bei B ein durch einen Hahn E zu verſchließendes Rohr mit Trichter D angebracht. Außerdem tritt noch ein Rohr CF von außen bis unterhalb des Waſſerſpiegels in das Innere der Hohlkugel hinein. Die Wirkungs - weiſe des Heronsballes iſt, wenn derſelbe durch Feuer erhitzt wird, zunächſt die, daß in dem - ſelben ſich Waſſerdampf bildet. Da dieſer nirgends einen Ausgang findet, ſo nimmt deſſen Spannung mit wachſender Erhitzung mehr und mehr zu. Dieſes währt ſo lange, bis der Dampfdruck ſo angewachſen iſt, daß derſelbe den Waſſerſpiegel niederdrückt und das Waſſer durch das Rohr FC wie einen Spring - brunnen nach außen ſchleudert. Wenngleich hier ein direkter Beweis vorliegt, daß Heron die Spannkraft des Dampfes erkannt und ausge - nutzt hat, ſo kann man ihn um deswillen doch noch bei Weitem nicht als den Erfinder der Dampfmaſchine bezeichnen, denn ſeine Verſuche gingen über das Experimentelle in keiner Weiſe

Fig. 61.

Heronsball.

hinaus und trugen den Stempel der Spielerei an der Stirne. Den gleichen Wert haben die mannigfachen angeblichen Erfindungen der Dampfmaſchine, von welchen während des Mittelalters und der folgenden Jahrhunderte berichtet wird.

Wir wollen uns darauf beſchränken, nur zwei derſelben hier kurz zu erwähnen. Es war im Jahre 1825, als Gonzales in Simancoh mit der Behauptung hervortrat, daß im Jahre 1543 der Spanier Blasco de Garay nicht nur eine Dampfmaſchine gebaut, ſondern auch bereits zur Fortbewegung von Schiffen benutzt habe. Es iſt das Verdienſt des ſpaniſchen Geſchichtsſchreibers Lafuente und des Profeſſors Gelcich zu Luſſinpiccolo, dieſe Behauptung des Gonzales auf das richtige Maß zurückgeführt zu haben. Letzterer fand im 81. Bande der Colleccion de documentos inéditos para la historia de España einige Dokumente, aus denen hervorgeht, daß Blasco de Garay dem Kaiſer Karl V. die Mitteilung machte, daß er folgende Erfindungen gemacht habe:

1. Er will die Ruderer auf den Schiffen beſeitigen; nur ein Mann ſolle genügen, um jedem Schiffe einer beliebigen Tragfähigkeit, eine gewiſſe Geſchwindigkeit zu geben.

2. Ein geſunkenes Schiff will er mit zwei Mann auf die Ober - fläche heben, wenn nicht die Tiefe des Grundes über 100 Faden beträgt.

3. Ferner will er Mittel angeben, um beliebig lange Zeit unter Waſſer verweilen zu können, um bei geringerer Tiefe auch in trübem Waſſer alle Gegenſtände, die auf dem Grunde ſich befinden, ganz deutlich aufzunehmen, um das Salzwaſſer trinkbar zu machen. Endlich86Die Motoren.will er eine Mühle erfunden haben, welche von einem Manne allein getrieben werden ſoll.

Man ſieht, daß Blasco de Garay jedenfalls ein ſehr vielſeitiger Mann war. In der That hat derſelbe am 17. Juni 1543 zu Barcelona ein Schiff ohne Ruder und ohne Segel in Bewegung geſetzt und von Karl V. eine Belohnung von 200000 Maravedis erhalten. Nach ſorgfältiger Prüfung des vorliegenden Dokumentenmateriales kommen Lafuente und Gelcich zu dem Ergebnis, daß das Schiff Blasco de Garay’s nicht durch Dampfkraft, ſondern durch ein von Menſchenhand in Drehung verſetztes Schaufelrad angetrieben wurde. Am überzeugendſten geht dieſes aus einer von Blasco de Garay aufgeſtellten Überſicht hervor. Hiernach waren erforderlich:

Was ſollten beiſpielsweiſe 54 Mann anders zu verrichten haben, als ein Schaufelrad mittels eines großen Räderwerkes zu drehen und hierdurch das Schiff vorwärts zu treiben!

Eine andere Legende einer angeblichen Erfindung der Dampf - maſchine bezieht ſich auf den Franzoſen Salomon de Caus, geboren 1576 zu Dieppe, um deſſen Schläfe die Nachwelt ſogar die Glorie des Märtyrertums geſchlungen hat, indem ſie die Mär erſann, daß der unglückliche Erfinder als wahnſinnig erklärt und von Richelieu in das Irrenhaus zu Bicêtre geworfen ſei. Vor den kritiſchen Blicken der neueren Geſchichtsforſchung iſt alles, was de Caus als den Erfinder der Dampfmaſchine hinſtellen ſollte, in ein leeres Nichts zerfloſſen.

Fig. 62.

Brancas Äolipile.

Ein kleiner Schritt auf dem Wege von der erſten Erkenntnis der Dampf - kraft bis zu der Konſtruktion der erſten Dampfmaſchine erfolgte durch den in weiteren Kreiſen als Er - bauer der Kirche zu Loretto be - kannten italieniſchen Architekten Joh. Branca. Von dieſem rührt die in Fig. 62 dargeſtellte, den Namen Äolipile tragende Vorrichtung her. Bei dieſer wurde der in der Hohl - kugel A gebildete Dampf dazu ver - wendet, bei ſeinem Austritt aus dem Rohre C ein Schaufelrad D an - zutreiben und auf dieſe Weiſe mit Hilfe der Kurbel E ein Stampf - werk in Bewegung zu ſetzen.

87Die Dampfmaſchinen.

Alle dieſe Vorläufer müſſen zurückſtehen hinter dem Namen des - jenigen Mannes, welchem es, nachdem die phyſikaliſchen Kenntniſſe von dem Weſen des Luftdruckes durch Galilei, Torricelli und Otto v. Gericke in völlig neue Bahnen gelenkt waren, endlich gelang, auf Grund wiſſenſchaftlicher Kenntniſſe die erſte, grundlegende Erfindung auf dem Gebiete des Dampfmaſchinenbaues zu machen. Es iſt dieſes der franzöſiſche Arzt Dionyſius Papin, geboren 1647 zu Blois. An - geregt durch den bekannten Huygens hatte ſich Papin dem Studium der Phyſik mit großem Eifer zugewendet und nach dieſer Richtung bereits in Paris und London ſehr wertvolle Arbeiten veröffentlicht; wir erinnern nur an den noch heute bekannten Papin’ſchen Kochtopf, in welchem geſpannter Dampf zum Kochen Verwendung findet. Eine gewiſſe Unſtetigkeit des Weſens ließ dieſen bedeutenden Mann aber nirgends zu längerer Ruhe gelangen, und dieſe Untugend ſollte denn auch die Urſache ſein, weswegen ein durchſchlagender und nachhaltiger Erfolg erſt von den auf Papin’s Schultern ſtehenden Epigonen erzielt wurde. Nach mehrfachen Aufenthalten in Paris, London und Venedig finden wir Papin im Jahre 1687 als Profeſſor der Mathematik an der Univerſität zu Marburg. Hier entdeckte er die wichtige Eigenſchaft des Dampfes ſich niederzuſchlagen und eine Luftleere zu bilden, wenn er abgekühlt wird; er hatte ſomit das hochwichtige Prinzip der Kondenſation des Dampfes und deren Folgewirkungen entdeckt. Es handelte ſich nunmehr noch darum, dieſe wichtige Errungenſchaft für den Bau der Dampfmaſchinen praktiſch auszunutzen. Papin that dies folgendermaßen. Unterhalb des Kolbens einer gewöhnlichen, damals bereits bekannten Pumpe, führte er Dampf in den Pumpencylinder ein; die Folge hiervon war, daß der Kolben in dem Cylinder empor - ſtieg. Hatte der Kolben ſeinen höchſten Stand erreicht, ſo wurde er mittels eines Riegels feſtgeſtellt, worauf dann der Dampf unterhalb desſelben ſich alsbald abkühlte, kondenſirte und ein Vakuum bildete. Wurde alsdann der Riegel, welcher den Kolben feſthielt, entfernt, ſo wurde letzterer durch den auf ihm laſtenden Druck der Atmoſphäre abwärts getrieben. So unvollkommen dieſe erſte Dampfmaſchine nach unſeren heutigen Begriffen auch war, ſo ging der Landgraf Karl von Heſſen doch ſchon mit dem Bau einer Dampf-Waſſerkunſt zur Speiſung des Fulda-Diemel-Kanals vor. Der zu dieſem Zwecke im Jahre 1700 gegoſſene Dampfcylinder wird noch heute im Muſeum zu Kaſſel auf - bewahrt und erweckte im Jahre 1879 auf Anregung des Geheimrat Reuleaux in der Londoner Ausſtellung wiſſenſchaftlicher Apparate das Intereſſe weiteſter Kreiſe. Wirklich in Thätigkeit iſt aber dieſe Pump - maſchine niemals geweſen. Ja ſogar zum Antrieb eines Schiffes ver - wendete Papin ſeine Dampfmaſchine. Als er ſich auf dieſem erſten Dampfſchiffe die Weſer hinab nach England begeben wollte, wurde ihm dasſelbe von Schiffern, welche inſtinktiv die ihnen drohende Con - currenz ahnten, zertrümmert. Nach zahlreichen Enttäuſchungen ſtarb88Die Motoren.Papin in den ärmlichſten Verhältniſſen. Inzwiſchen wurde deſſen Entdeckung von der Kondenſation des Dampfes von anderer Seite ausgenutzt und zwar durch den Engländer Savery, deſſen zum Heben von Waſſer dienender Dampfapparat in Fig. 63 dargeſtellt iſt. Dieſer

Fig. 63.

Saverys Dampfapparat.

beſtand aus den beiden Gefäßen E und E 'und dem Dampferzeuger A A. Zunächſt wird durch den Hahn a das Gefäß E mit Dampf gefüllt; indem dieſer ſich kondenſiert, tritt in E Luftleere ein, infolge deſſen der Druck der äußeren Atmoſphäre durch c Waſſer in das Gefäß E hineintreibt. Läßt man nun von Neuem Dampf durch a in das Gefäß E eintreten, ſo drückt derſelbe das in dieſem befindliche Waſſer durch das Ventil b und das Rohr F nach oben. Hierauf benutzt man das Gefäß E' in derſelben Weiſe, wodurch man in den Stand geſetzt iſt, einen ununterbrochenen Betrieb einzurichten.

Die durch den atmoſphäriſchen Überdruck betriebene Dampfmaſchine Papins fand durch Newcomen in den erſten Jahren des achtzehnten Jahrhunderts eine erfolgreiche Durchbildung und Neubearbeitung. Dieſe, einen wichtigen Wendepunkt in der Geſchichte der Dampfmaſchine repräſentierende Maſchine Newcomens iſt in Fig. 64 dargeſtellt. Links ſehen wir einen mit Unterfeuerung verſehenen Dampfkeſſel, aus welchem der Dampf direkt in den nach oben offenen Cylinder tritt, um den in dieſem verſchiebbaren Kolben nach oben zu treiben. Hat der Kolben ſeinen höchſten Stand erreicht, ſo wird aus einem neben dem Cylinder angeordneten Gefäß kaltes Waſſer unter den Kolben eingetrieben, infolge deſſen der Dampf im Cylinder ſich kondenſiert und einer Luftleere Platz macht. Infolge deſſen vermag der äußere Luftdruck den Kolben wieder abwärts zu treiben. Hat der Kolben ſeine tiefſte Stellung erreicht, ſo wird wiederum Dampf in den Cylinder eingelaſſen, und das Spiel beginnt von Neuem. Man nennt dieſe Maſchine eine einfach wirkende, weil bei ihr der Dampf nur den Kolben nach einer Richtung, nach oben, bewegt. Bei der in Fig. 64 dargeſtellten Anordnung dient89Die Dampfmaſchinen.

Fig. 64.

Newcomens Dampfmaſchine.

die Maſchine zum Antriebe eines Schachtpumpengeſtänges, deſſen Gewicht den Dampf beim Aufwärtstreiben des Kolbens unter Ver - mittlung des auf dem Mauerwerk gelagerten Doppelhebels wirkſam unterſtützt. Die zur Einführung des Dampfes und des Kühlwaſſers erforderlichen Handgriffe mußten durch einen zu dieſem Zwecke angeſtellten Mann ausgeführt werden, und es geht die Sage, daß ein gewiſſer Potter zuerſt dieſe Arbeit durch geeignete Anbringung von Hebeln und Zugſeilen der Maſchine auferlegt, mithin die erſte Steuerung erfunden habe.

Auf dieſem Standpunkte blieb die Dampfmaſchine ganze 60 Jahre, alſo ungefähr bis zum Jahre 1770 ſtehen. Hier begann die durch - greifende Thätigkeit desjenigen Mannes, welcher mit glücklicher Hand die von andern bis dahin geſammelten Bauſteine zuſammenfügte, durch neue ergänzte und ſo der Vater der Dampfmaſchine im heutigen Sinne wurde.

Dieſer bevorzugte Sterbliche, James Watt, war geboren 1726 zu Greenock in Schottland und hatte, obwohl von Haus aus Kauf - mann, im Jahre 1756 die Stellung eines Univerſitätsmechanikers in Glasgow inne. Hier fügte es das Schickſal, daß er einſt das90Die Motoren.Modell einer Newcomenſchen einfach wirkenden Dampfmaſchine zu reparieren hatte. Mit ſcharfem Blick erkannte er die ſchweren Mängel, welche derſelben anhafteten und ging mit glücklichſtem Erfolge ſofort dazu über, dieſelben zu beſeitigen. Die durchgreifendſten ſeiner Änderungen beſtanden darin, daß er den Cylinder auch an dem oberen Ende ſchloß und nun den Dampf abwechſelnd von beiden Seiten auf den Kolben einwirken ließ. Er machte alſo die bisher einfach wirkende Dampfmaſchine zu einer doppelt wirkenden. Einen weiteren, ſehr erheblichen Fortſchritt erzielte er dadurch, daß er die Kondenſierung des Dampfes nicht im Innern des Cylinders vornahm, ſondern in einem beſonderen, neben der eigentlichen Dampfmaſchine angeordneten Apparate, dem Kondenſator, vor ſich gehen ließ, aus welchem alsdann die Produkte der Kondenſation durch beſondere Pumpen entfernt wurden. Nachdem er im Jahre 1769 ein engliſches Patent für ſeine Dampfmaſchine erhalten hatte, gründete James Watt im Verein mit einem gewiſſen Boulton im Jahre 1774 die in der Geſchichte des Maſchinenweſens ſo überaus hervorragende Maſchinen - fabrik Soho, welche lange Zeit eine bahnbrechende Thätigkeit entwickelte.

Wohl wenige Aktenſtücke können ſich hinſichtlich der Wichtigkeit ihres Inhaltes mit dem engliſchen Patente Nr. 913 vom Jahre 1769 meſſen, welches dem glücklichen Erfinder den geſetzlichen Schutz ſeines geiſtigen Eigenthums gewährleiſtete. Daſſelbe lautet in wörtlicher Überſetzung: A. D. 1769 ........... Nr. 913.

Dampfmaſchinen etc. Watts Patentbeſchreibung.

Allen denjenigen, welchen dieſes Schriftſtück zu Geſicht gelangt, ſende ich, James Watt, aus Glasgow in Schottland, Kaufmann, meinen Gruß.

Sintemal Seine allerhöchſte Majeſtät, König Georg der Dritte, durch ſeinen Patentbrief unter beigedrucktem Großſiegel von Großbritannien vom 5. Januar des neunten Regierungs - jahres Seiner Majeſtät, mir, dem genannten James Watt, ſeine beſondere Erlaubnis, Vollmacht, Privilegium und Befugnis gab, daß ich, der genannte James[Watt], meine Vollſtrecker, Verwalter und Bevollmächtigten während einer beſtimmten Reihe von Jahren meine Neu erfundene Methode der Ver - minderung des Verbrauches von Dampf und Brennſtoff in Feuermaſchinen zu benutzen, auszuüben und zu verkaufen befugt bin und zwar überall in demjenigen Teile des Königreiches Großbritannien, welcher England genannt wird, in der Herrſchaft Wales, in der Stadt Berwick am Tweed und ferner in Seiner Majeſtät Kolonien und Anſiedlungen, und ich, der erwähnte James Watt in dem erwähnten Patentbriefe verpflichtet werde,91Die Dampfmaſchinen.unter Unterſchrift und Siegel eine eingehende Beſchreibung des Weſens meiner Erfindung zu geben, welche in Seiner Majeſtät Hoher Hofkanzlei eingetragen werden ſoll, innerhalb vier Monate nach dem Datum des erwähnten Patentbriefes.

So wiſſet nun, daß in Erfüllung der genannten Ver - pflichtung und Feſtſetzung ich, der erwähnte James Watt, erkläre, daß das Folgende eine eingehende Beſchreibung meiner in Rede ſtehenden Erfindung und der Art und Weiſe, in welcher dieſelbe zur Ausführung gelangt, iſt, (das will ſagen):

Meine Methode der Verminderung des Verbrauches an Dampf und, hierdurch bedingt, des Brennſtoffes in Feuer - maſchinen ſetzt ſich aus folgenden Prinzipien zuſammen:

Erſtens, das Gefäß, in welchem die Kräfte des Dampfes zum Antrieb der Maſchine Anwendung finden ſollen, welches bei gewöhnlichen Feuermaſchinen Dampfcylinder genannt wird und welches ich Dampfgefäß nenne, muß während der ganzen Zeit, wo die Maſchine arbeitet, ſo heiß erhalten werden, als der Dampf bei ſeinem Eintritte iſt und zwar erſtens dadurch, daß man das Gefäß mit einem Mantel aus Holz oder einem anderen die Wärme ſchlecht leitenden Material umgiebt, daß man dasſelbe zweitens mit Dampf oder anderweitigen erhitzten Körpern umgiebt und daß man drittens darauf achtet, daß weder Waſſer noch ein anderer Körper von niedrigerer Wärme als der Dampf in das Gefäß eintritt oder dasſelbe berührt.

Zweitens muß der Dampf bei ſolchen Maſchinen, welche ganz oder teilweiſe mit Kondenſation arbeiten, in Gefäßen zur Kondenſation gebracht werden, welche von den Dampfgefäßen oder - Cylindern getrennt ſind und nur von Zeit zu Zeit mit dieſen in Verbindung ſtehen. Dieſe Gefäße nenne ich Kondenſatoren und ſollen dieſelben, während die Maſchinen arbeiten durch An - wendung von Waſſer oder anderer kalter Körper mindeſtens ſo kühl erhalten werden, als die die Maſchine umgebende Luft.

Drittens, ſobald Luft oder andere durch die Kälte des Kondenſators nicht kondenſierte elaſtiſche Dämpfe den Gang der Maſchine ſtören, ſo ſind dieſelben mittels Pumpen, welche durch die Maſchine ſelbſt betrieben werden, oder auf andere Weiſe aus den Dampfgefäßen oder Kondenſatoren zu entfernen.

Viertens beabſichtige ich in vielen Fällen die Expanſions - kraft des Dampfes zum Antrieb der Kolben oder was an deren Stelle angewendet wird, zu gebrauchen, in derſelben Weiſe, wie der Druck der Atmoſphäre jetzt bei gewöhnlichen Feuermaſchinen benutzt wird. In Fällen, wo kaltes Waſſer nicht in Fülle vor - handen iſt, können die Maſchinen durch dieſe Dampfkraft allein betrieben werden, indem man den Dampf, nachdem er ſeine92Die Motoren.Arbeit gethan hat (after it has done its office), in die freie Luft austreten läßt.

Fünftens, wo Bewegungen um eine Achſe verlangt werden, ſtelle ich die Dampfgefäße in Form von hohlen Ringen oder kreisförmigen Kanälen her, mit beſonderen Ein - und Ausläſſen für den Dampf, und montiere dieſelben auf horizontalen Achſen, wie die Räder der Waſſermühlen. In denſelben iſt eine Anzahl von Ventilen angebracht, welche einem Körper nur in einer Richtung durch den Kanal umzulaufen geſtatten. In dieſen Dampfgefäßen ſind Gewichte angebracht, welche die Kanäle zum Teil ausfüllen und durch die noch anzugebenden Mittel in den - ſelben bewegt werden. Wenn der Dampf in dieſe Maſchinen zwiſchen jene Gewichte und die Ventile eingelaſſen wird, ſo drückt er gegen beide gleichmäßig, ſo zwar, daß er das Gewicht nach der einen Seite des Rades hebt und infolge der gegen die Ventile wirkenden Reaktion das Rad in Drehung verſetzt, wobei die Ventile ſich in derjenigen Richtung öffnen, in welcher die Gewichte Druck empfangen, aber nicht in der entgegengeſetzten. Während - dem, daß das Dampfgefäß ſich dreht, wird es mit Dampf vom Keſſel aus geſpeiſt, und derjenige Dampf, welcher ſeine Arbeit geleiſtet hat, kann entweder durch Kondenſation niedergeſchlagen oder in die freie Luft entlaſſen werden.

Sechstens will ich in einigen Fällen einen gewiſſen Grad von Kälte anwenden, welcher den Dampf allerdings nicht in Waſſer zu verwandeln, wohl aber beträchtlich zu verdichten ver - mag, ſo daß die Maſchinen abwechſelnd mit Expanſion und Kontraktion des Dampfes arbeiten.

Endlich wende ich zur dampf - und luftdichten Dichtung des Kolbens oder anderer Maſchinenteile an Stelle von Waſſer: Öle, harzige Körper, Tierfett, Queckſilber und andere Metalle in flüſſigem Zuſtande an.

Zur Bezeugung deſſen habe ich am heutigen Tage, am fünfundzwanzigſten April im Jahre unſeres Herrn Ein Tauſend Sieben Hundert und neunundſechzig meinen Namenszug und mein Siegel hierunter geſetzt.

James Watt. (L. S.)

Geſiegelt und ausgehändigt in Gegenwart von

  • Coll. Wilkie.
  • Geo. Jardine.
  • John. Roebuck.

Es ſei noch bemerkt, daß beſagter James Watt erklärt, daß ſich nichts von dem im vierten Abſatz Enthaltenen auf Maſchinen bezieht, bei denen das zu hebende Waſſer in das93Die Dampfmaſchinen.Dampfgefäß ſelbſt eintritt oder in ein Gefäß, welches mit jenem in offener Verbindung ſteht.

James Watt.

Zeugen:

  • Coll. Wilkie.
  • Geo. Jardine.

Und es ſei bekannt gegeben, daß der vorgenannte James Watt am fünfundzwanzigſten Tage des April, im Jahre unſeres Herrn 1769, ſich in der Kanzlei unſeres Königlichen Herrn ein - fand und die vorſtehende Beſchreibung nebſt allem dem in derſelben Enthaltenen und Beſchriebenen in der oben niedergeſchriebenen Weiſe anerkannte. Und ſo wird die vorſtehende Beſchreibung gemäß der Verordnung aus dem ſechsten Jahre der Regierung des verſtorbenen Königs und der Königin William und Mary von England u. ſ. w. geſtempelt.

Eingetragen am neunundzwanzigſten April im Jahre unſeres Herrn Ein Tauſend Sieben Hundert neunundſechzig.

Fig. 65.

Watts Dampfmaſchine (Anſicht).

Fig. 65 und 66 ſtellen die Dampfmaſchine in der Geſtalt dar, wie dieſelbe durch Watt feſtgeſtellt wurde. In Fig. 65 ſehen wir rechts den Cylinder A, in welchem der Kolben B (vergl. Fig. 66) dadurch auf und abwärts bewegt wird, daß der Dampf abwechſelnd unter, bezw. 94Die Motoren.

Fig. 66.

Watts Dampfmaſchine (Schnitt).

über den Kolben tritt. Die Kolbenſtang C greift bei D an einem gleicharmigen Balancier an, an deſſen anderem Ende F die Kurbel - ſtange G gelenkig angebracht iſt und ſo beim Hin - und Hergange der Kolbenſtange C die Kurbel K und das auf deſſen Achſe befeſtigte Schwungrad L in Drehung verſetzt. Fig. 66 giebt die innere Ein - richtung der Wattſchen Maſchine in größerem Maßſtabe wieder. Der Dampf ſtrömt bei a hinzu und wird durch den von der Kurbelwelle95Die Dampfmaſchinen.aus betriebenen Schieber b abwechſelnd durch c oder c (am oberen bezw. unteren Ende des Cylinders) in dieſen eingeführt. Hat der Dampf in dem Cylinder ſeine Arbeit verrichtet, ſo wird er ebenfalls durch Vermittlung des Schiebers b in den Kondenſator e geleitet. In dieſen tritt ſtets ein Strahl kalten Waſſers ein, infolge deſſen der Dampf ſofort kondenſiert und niedergeſchlagen wird. Die weitere Folge iſt die, daß die im Kondenſator herrſchende Luftleere eine ſaugende Wirkung auf den Kolben ausübt und ſomit die Kraft des auf die andere Seite des Kolbens drückenden Dampfes unterſtützt. Aus dem Kondenſator e wird das aus dem Dampfe niedergeſchlagene Waſſer, ſowie der etwa noch vorhandene Dampf mittelſt der von dem Balancier aus betriebenen Pumpe h in den Behälter 1 gebracht. Von hier aus tritt ein Teil dieſes Waſſers aus der Maſchine aus; ein anderer Teil aber wird mittels der Pumpe m in den Dampfkeſſel gedrückt, um hier das verdampfte Waſſer wieder zu erſetzen. Es findet alſo ein richtiger Kreislauf des Waſſers ſtatt, indem dieſes zunächſt im Dampfkeſſel in Dampf verwandelt wird, alsdann in der Maſchine ſeine Arbeit leiſtet und wieder zu Waſſer kondenſiert wird, um endlich wieder in den Dampf - keſſel zurückgepumpt zu werden. Schließlich hat noch die ebenfalls von dem Balancier aus betriebene Pumpe q den Zweck, den Kondenſator mit kaltem Waſſer zu umgeben und einen Strahl kalten Waſſers in den - ſelben hineinzudrücken. Hervorzuheben iſt noch der den Zutritt des Dampfes zum Cylinder regelnde Schwungkugelregulator. Derſelbe beruht auf der Wirkung, welche die Centrifugalkraft auf ſchnell ro - tierende Körper ausübt. Die ſenkrechte Achſe y dieſes Regulators wird von der Kurbelachſe aus durch den Riemen x in Drehung ver - ſetzt; überſchreitet dieſe ein gewiſſes Maß der Schnelligkeit, ſo heben ſich die beiden Kugeln des Regulators infolge der Centrifugalkraft und bewegen einen Hebel z, welcher bei a durch Drehung einer Klappe den Zutritt des Dampfes zu dem Schieber b ändert. Überſchreitet alſo die Umdrehungszahl der Kurbelwelle einen gewiſſen Betrag, ſo ſchließt der Regulator ſelbſtthätig den Dampf - zutritt ab und mindert hierdurch die Geſchwindig - keit der Maſchine. Verlangſamt ſich hingegen durch irgend welche Umſtände der Gang der Maſchine, z. B. durch zu viel ihr aufgebürdete Arbeit, ſo ſinken die Kugeln des Regulators infolge Nachlaſſens der Centrifugalkraft hinab und laſſen mehr Dampf bei a in den Cylinder eintreten. Die in Fig. 66 dargeſtellte Form des die Dampfverteilung bewirkenden Schiebers b wurde alsbald in der aus Fig. 67 und 68 erſichtlichen Weiſe abgeändert. Hierbei hat der Schieber A eine muſchelförmige Geſtalt erhalten. Derſelbe wird ebenfalls von der Kurbelwelle

Fig. 67

und 68. Schnitt durch die Dampfkanäle eines Dampfcylinders.

96Die Motoren.angetrieben und läßt durch die Kanäle B und C den Dampf abwechſelnd oberhalb oder unterhalb des Kolbens in den Cylinder eintreten, während der verbrauchte Dampf durch den Kanal D entweicht.

Man ſieht, die Wattſche Dampfmaſchine repräſentiert ein faſt voll - ſtändig neues Ganze, eine ſolche Unſumme von neuen Einzelheiten, daß man nicht mit Unrecht James Watt als den Erfinder der Dampf - maſchine bezeichnet. Die letzten Repräſentanten der durch Watt ge - ſchaffenen Dampfmaſchine ſind erſt in den ſechziger Jahren von dem Schauplatze ihrer Thätigkeit verſchwunden. Sie ſind es geweſen, welche das Zeitalter des Dampfes ſchufen, und als ihr Schöpfer im Jahre 1819 ſein an beiſpielloſen Erfolgen reiches Leben beſchloß, da ſetzte man ihm mit Recht in der Londoner Weſtminſter-Abtei folgende Grabſchrift:

James Watt
welcher die Kraft eines schöpferischen
in wissenschaftlichen Forschungen früh geübten Geistes
wandte auf die Verbeßerung der Dampfmaschine,
dadurch die Hilfsquellen seines Landes erweiterte,
die Kraft des Menschen vermehrte,
und sich zu einem hervorragenden Platze erhob
unter den berühmtesten Männern der Wißenschaft und den
wahren Wohlthätern der Welt.

Watt wendete bei ſeiner Dampfmaſchine einen Überdruck von etwa 1 ½ Atmoſphären an. Bei dieſem niedrigen Druck man bezeichnet die betreffenden Maſchinen daher mit dem Namen Niederdruckmaſchinen iſt die Anbringung des Kondenſators erforderlich, damit der äußere Atmoſphärendruck auf den Kolben zur Wirkung kommen kann. Schon Watt trug ſich mit der Idee, höher geſpannten Dampf zu verwenden; jedoch kamen ihm nach dieſer Richtung der Amerikaner Evans und der Engländer Trevithick zuvor, welche bereits in den erſten Jahren des neunzehnten Jahrhunderts mit Erfolg dazu übergingen, einen höheren Dampfdruck, bis zu vier Atmoſphären, anzuwenden. Sie erreichten hierdurch den Vorteil, daß ſie den Kondenſator entbehren konnten, in - folge deſſen ſich die Einrichtung der Maſchine ſowie deren Bedienung ganz weſentlich vereinfachte. Im Laufe der ferneren Jahrzehnte brach ſich allmählich die Erkenntnis Bahn, daß die rationellſte Ausnutzung des Brennmateriales und des Dampfes in der Weiſe erreicht werde, daß man dem Dampfe eine möglichſt hohe Spannung giebt und ſeine Expanſionskraft ſo viel als möglich ausnutzt. Nachdem man dieſes Prinzip der Ausnutzung der Expanſion zunächſt in der Eincylindermaſchine in weitgehendem Maße durchgebildet hatte, iſt man in der neueren Zeit dazu übergegangen, die Expanſion des Dampfes in zwei, drei, ja auch in vier Cylindern ſich vollziehen zu laſſen. Die erſten Grund -97Die Dampfmaſchinen.lagen dieſer modernen Dampfmaſchinen, welche wegen ihrer Anordnung und Wirkung Compound - oder Verbundmaſchinen genannt werden, ſtammen bereits aus dem Jahre 1804 und rühren von dem Engländer Woolf her, weswegen man auch wohl jetzt noch die moderne Mehr - cylinder-Dampfmaſchine als Woolfſche Maſchine bezeichnet findet. Woolf ließ den Dampf zuerſt in einem kleineren Dampfcylinder expandieren und ließ ihn alsdann, nachdem er hier ſeine Arbeit geleiſtet, in einen zweiten größeren Cylinder übertreten, in welchem nun eine weitere Aus - nutzung der Expanſionskraft des Dampfes geſchah. Bei dieſer Woolf - ſchen Maſchine waren die Kurbeln beider Cylinder ſo zu einander geſtellt, daß beide zu gleicher Zeit ihre äußerſten Stellungen, ihre toten Punkte, erreichten; bei einer ſolchen Anordnung bietet das Ingangſetzen der Maſchine, wenn ſie gerade in einem ihrer toten Punkte ſteht, be - ſondere Schwierigkeiten. Man vermeidet dieſes in der neueſten Zeit dadurch, daß man die Kurbeln ſo anordnet, daß die eine gerade im toten Punkte liegt, wenn die andere auf der Mitte des Hubes ſteht; es befindet ſich ſomit ſtets eine der beiden Kurbeln in einer Stellung, welche ein Vorwärtsgehen der Maſchine ohne weiteres ermöglicht. Es ſind dieſes die modernen Compound - oder Verbundmaſchinen; man findet für dieſelben auch des öfteren die Bezeichnung Receivermaſchinen, weil in Folge ihrer eigenartigen Kur - belſtellung zwiſchen ihren Cy - lindern ein Behälter (Receiver) für den von dem kleinen zum großen Cylinder übertretenden Dampf angebracht ſein muß.

Fig. 69 ſtellt eine ſolche moderne Receiver-Maſchine von G. Hambruch in Berlin dar. Bei derſelben ſieht man als ferneres charakteriſtiſches Merkmal ihrer Gattung die Cylinder obenliegend, während die Kurbelwelle unten liegt. Dieſe Anordnung findet ſich durchgängig bei den zahlreichen Schiffsmaſchinen der Schrau - bendampfer; bei dieſen greifen die Kurbeln direkt an der die

Fig. 69.

Receiver-Maſchine von G. Hambruch.

Schiffsſchraube tragenden Welle an. In ihrem äußeren Ausſehen erinnern dieſe Receivermaſchinen lebhaft an die Dampfhämmer; man findet daher dieſelben häufig auch als Hammermaſchinen be - zeichnet.

Das Buch der Erfindungen. 798Die Motoren.

Es möge uns geſtattet ſein, hier noch zwei intereſſante Reprä - ſentanten der Dampfmaſchine vorzuführen.

Fig. 70 und 71 ſtellen in zwei Schnitten eine von dem bekannten amerikaniſchen Konſtrukteur Weſtinghouſe herrührende Maſchine mit

Fig. 70.

Schnelllaufende Dampfmaſchine von Weſtinghouſe. (Schnitt durch die Cylinder.)

zwei gleich großen Cylindern (Zwillingsmaſchine) dar und zwar giebt Fig. 70 einen Längsſchnitt durch beide Cylinder, während Fig. 71 einen Einblick in das Innere des die Dampfverteilung bewirkenden Schieberkaſtens gewährt. Dieſelbe zeichnet ſich beſonders dadurch aus,99Die Dampfmaſchinen.daß ſie imſtande iſt, eine außerordentlich lange Zeit hindurch ohne Unterbrechung zu laufen; als Beiſpiel ſei angeführt, daß auf den Pitts - burgher Gaswerken ein ſolcher Motor 13 Monate lang im ununter - brochenen Gange bei 500 Umdrehungen per Minute ſich befunden hat.

Fig. 71.

Schnelllaufende Dampfmaſchine von Weſtinghouſe (Schnitt durch den Schieberkaſten.)

Das Weſentlichſte der Dampfmaſchine von Weſtinghouſe beſteht darin, daß zwei Dampfcylinder, in welchen der Dampfdruck nur von oben nach unten wirkt, zwiſchen ſich den die Steuerung bewirkenden7*100Die Motoren.Schieberkolben aufnehmen, und daß die bewegten Teile fortdauernd in einem Gemiſch von Öl und Waſſer laufen. Aus dem zwiſchen den beiden Dampfcylindern liegenden Raume s (Fig 71) tritt der Dampf während des Auf - und Niederganges des Schieberkolbens V abwechſelnd durch die Kanäle P bezw. P' in den einen oder den anderen der beiden Arbeitscylinder AA und geht von hier zu dem Auspuffrohr N. Der Dampf wirkt alſo, wie bereits angegeben wurde, lediglich in einer Richtung, nämlich von oben nach unten.

Die Kurbelwelle H, welche zur Ausbalanzierung der Maſchine mit Gegengewichten X verſehen iſt, erhält ihre Lagerung in der mit Lagern K

Fig. 72.

Dampfmotor von Altmann & Co.

101Die Dampfmaſchinen.und d ausgeſtatteten Kammer C. Auf das Oberteil dieſer Kammer C ſind die beiden, mit dem Steuerungscylinder B ein einziges Gußſtück bildenden Arbeitscylinder A direkt aufgeſchraubt. O iſt ein zur Schmierung der Lager d dienender Ölbehälter; von d aus tritt das überflüſſige Schmieröl durch den Kanal e (Fig. 70) in die Kammer C über, infolge deſſen letztere mit dem Gemiſch von Waſſer und Öl gefüllt wird, in welchem die Kurbeln der beiden Dampfkolben rotieren; die Höhe des in C befindlichen Flüſſigkeitsſpiegels wird durch ein Überfallrohr konſtant erhalten. Gegenwärtig wird dieſe Maſchine auch nach dem Compound - ſyſtem gebaut.

In Fig. 72 bringen wir eine Dampfmaſchine, welche von Alt - mann & Comp. in Berlin gebaut wird und beſonders in den mannig - fachen Zweigen des Kleinbetriebes in zahlreichen Exemplaren verbreitet iſt. Wie aus der Fig. 72 zu erſehen iſt, kennzeichnet ſich dieſer Motor dadurch, daß die eigentliche Maſchine auf den den Betriebsdampf er - zeugenden Keſſel aufgeſetzt iſt. Es liegt alſo hier das denkbar geringſte Raumbedürfnis vor. Die kleine Maſchine beſitzt einen Kondenſator, in welchem der aus dem Dampfcylinder abgehende Dampf völlig nieder - geſchlagen wird, um alsdann nach Paſſierung eines Filters durch eine Speiſepumpe wieder in den Dampfkeſſel zurückgeführt zu werden.

Dieſe Anordnung der Dampfmaſchine auf dem Dampfkeſſel führt uns auf eine wichtige große Klaſſe der Dampfmotoren, auf die Loko - mobilen.

Die älteſten Dampfmaſchinen mit ihren Dampfkeſſeln waren feſt - ſtehende oder ſtationäre. Es ſtellte ſich alsbald das Bedürfnis heraus, die Dampfkraft hier und da vorübergehend anwenden und als - dann an einen anderen Ort transportieren zu können. So entſtanden mehrere Arten von Dampfmotoren, welche man als halbſtabile oder halblokomobile und lokomobile bezeichnet. Die vorſtehend be - ſchriebenen Motoren von Altmann & Comp. gehören z. B. zu den halb - lokomobilen Dampfmaſchinen, da dieſelben ohne erhebliche Schwierig - keiten ſammt ihren Keſſeln von einem Orte fortgebracht und an einer anderen Stelle wieder aufgeſtellt werden können.

Bei den lokomobilen Dampfmaſchinen, oder, wie man ſie kurz zu bezeichnen pflegt, bei den Lokomobilen ging man nun noch einen Schritt weiter, indem man Maſchine und Keſſel nebſt allem Zubehör auf ein Wagengeſtell ſtellte und ſo zum Transport über Land geeignet machte.

In Fig. 73 und 74 geben wir zwei Abbildungen von Lokomobilen der bekannten Maſchinenfabrik von R. Wolf in Magdeburg Buckau, und zwar ſtellt Fig. 73 den Schnitt einer Hochdruck - und Fig. 74 eine Receiver-Lokomobile dar. Bei erſterer tritt der Dampf aus dem auf den Rädern liegenden Dampfkeſſel in den Dampfcylinder C und wirkt hier durch einfache Expanſion. Bei letzterer dagegen, welche mit zwei Cy - lindern verſehen iſt, tritt der Dampf, nachdem er ſeine Arbeit in dem102Die Motoren.

Fig. 73.

Längenſchnitt durch eine Hochdruck-Lokomobile von Wolf.

kleineren Cylinder verrichtet hat, zur weiteren Ausnutzung ſeiner Expanſion in den größeren Cylinder über. Dieſe Lokomobile iſt alſo nach dem ſchon früher dargelegten Prinzip der Compound-Dampfmaſchine konſtruiert.

Neben der Konſtruktion der Dampfmaſchine ſelbſt iſt für einen rationellen Betrieb von der größten Wichtigkeit der Dampferzeuger, der Dampfkeſſel. In früheren Jahrzehnten, als man noch der glücklichen Überzeugung lebte, daß die unterirdiſchen Schätze unſerer Kohlenflöze ſchier unerſchöpflich ſeien, nahm man es mit der Konſtruktion der Dampfkeſſel und ihrer Feuerungsanlagen nicht ſehr genau, und eine dichte Rauchwolke gab ſchon von weitem dem Auge kund, daß dort ein Dampfkeſſel betrieben werde. Hierin hat die Neuzeit tief - greifende Wendung geſchaffen. Rigoroſe polizeiliche Vorſchriften hin - ſichtlich der Rauchvermeidung ſowie hinſichtlich der Sicherheit des Betriebes haben es im Verein mit den Fortſchritten der Technik zuwege gebracht, daß heutzutage eine Dampfkeſſelanlage bei weitem nicht mehr der unangenehme und gefährliche Nachbar iſt wie früher. Nachdem Watt bei ſeinen Dampfkeſſeln zuerſt die Kofferform, (hierbei war der Boden flach und die übrigen Flächen waren gekrümmt), angewendet hatte, ging man alsbald dazu über, dem Dampferzeuger eine cylindriſche, walzenförmige Geſtalt zu geben. Fig. 75 bis 78 geben einen Einblick in die Anordnung und die Einrichtung eines modernen Dampfkeſſels. 103Die Dampfmaſchinen.

Fig. 74.

Compound-Lokomobile von Wolf.

Wie aus dem Querſchnitt und dem Längenſchnitt zu erſehen, durch - ziehen den Dampfkeſſel zwei cylindriſche Rohre, welche ringsum von dem in dem Keſſel enthaltenen Waſſer umgeben ſind. In jedem dieſer Rohre iſt am vorderen Ende ein Roſt angebracht, auf welchem von dem Heizer das Feuer unterhalten wird. Die Flammen ſtreichen von der Feuerung nach vorn in der Richtung der Pfeile, ziehen dann weiter nach unten, ſtreichen an der unteren Fläche des Keſſels wiederum nach vorn und ziehen ſchließlich oberhalb des Keſſels nach hinten zum104Die Motoren.

Fig. 75

bis 78. Doppelflammrohrkeſſel.

Schornſtein ab. Der ſich bildende Dampf ſteigt in den ſogenannten Dom über; es iſt dieſes ein auf dem Keſſel angebrachter Aufſatz, welcher dazu dient, den Dampf zu ſammeln und dieſem Gelegenheit zu geben, etwa beim Kochen mitgeriſſenes Waſſer fallen zu laſſen. An dem Dome iſt ein Sicherheitsventil (Fig. 79) angebracht, welches durch ein an einem Hebel befindliches Gewicht geſchloſſen gehalten wird. Überſteigt der105Die Dampfmaſchinen.

Fig. 79.

Sicherheitsventil.

Dampfdruck einen gewiſſen Betrag, ſo hebt er das Ventil, und es kann nunmehr der Dampf ins Freie entweichen. Dieſe Sicherheitsventile ſpielen eine große Rolle bei der Verhütung der Dampfkeſſelexploſionen. Dieſelben müſſen ſtets auf das Sorgfältigſte imſtande gehalten werden, damit der Dampf rechtzeitig entweichen kann. Neuerdings hat man die Gewichte der Sicherheitsventile vielfach durch Spiralfedern, welche das Ventil niederdrücken, erſetzt.

An der Vorderſeite des Keſſels iſt eine Vorrichtung, der ſogenannte Waſſerſtandszeiger angebracht; hier kann der Keſſelheizer jederzeit erſehen, wie hoch das Waſſer im Innern des Keſſels ſteht. Das Weſentliche dieſes Apparates beſteht darin, daß derſelbe mit einer oder zwei Glas - röhren verſehen iſt, in welchen nach dem Geſetze von den kommuni - zierenden Gefäßen das Waſſer dieſelbe Höhenlage einnimmt als im Innern des Keſſels. Zur Beurteilung des im Keſſel herrſchenden Druckes dienen die Manometer. Im Innern eines ſolchen Manometers liegt eine unter der Wirkung des Dampfes ſich ausdehnende Metall - feder; die Formveränderung, welche dieſe Feder unter dem Dampfdruck erleidet, wird auf einen Zeiger übertragen, welcher auf einer Skala den Druck in Atmoſphären oder Kilogrammen pro Quadratzentimeter an giebt.

Eine große Wichtigkeit für die Sicherheit des Betriebes wohnt denjenigen Vorrichtungen bei, welche dazu dienen, die Keſſelſpeiſung zu bewirken, d. h. das Waſſer in den Keſſel einzuführen. In früheren Zeiten bediente man ſich hierzu der Pumpen, welche der Keſſelheizer ſehr häufig direkt mit der Hand betrieb. Später verwendete man beſondere Dampfpumpen. In der neueren Zeit iſt man faſt all - gemein dazu übergegangen, die Speiſung der Keſſel durch Injektoren, eine aus dem Jahre 1856 ſtammende Erfindung des Franzoſen Giffard, zu bewirken. Das Weſentliche der Injektoren beſteht darin, daß ſie das Waſſer mit Hülfe von Dampfdruck in den Keſſel hinein -106Die Motoren.ſaugen. Aus Fig. 80 iſt die nähere Einrichtung eines Giffardſchen Injektors zu erſehen. Bei a tritt Keſſeldampf ein und reißt durch den Rohranſatz b das Waſſer mit ſich und führt dieſes durch die Bohrung c

Fig. 80.

Injektor von Giffard.

in den Keſſel hinein. Das überſchüſſige Waſſer fließt durch das ſogenannte Schlabberrohr d ab. Fig. 81 ſtellt einen Injektor modernſter Konſtruktion, den Körtingſchen Univerſal-Injektor, dar; derſelbe iſt imſtande, kaltes Waſſer bis auf 6,5 m zu ſaugen. Die Wirkungs - weiſe iſt folgende: Iſt die links befindliche Düſe D durch das Ventil V geſchloſſen, die rechts befindliche Düſe D' aber ge - öffnet, ſo daß der bei H eintretende Keſſel - dampf in die Kammer M' überſtrömen und von hier durch den geöffneten Hahn L austreten kann, ſo wird bei I kein Waſſer angeſaugt, d. h. der Injektor iſt außer

Fig. 81.

Univerſal-Injektor von Körting.

Betrieb. Wird dagegen durch einen außen angebrachten Griff der Doppelhebel OO 'von links nach rechts verdreht, ſo wird die Düſe links durch Lüftung des Ventiles V geöffnet, dagegen die rechts gelegene Düſe durch Niederdrücken des Ventiles V' geſchloſſen. Es ſtrömt infolge deſſen nunmehr der Dampf durch die Düſe links in die Kammer N, ſaugt durch I Waſſer an und tritt, da Hahn L zugleich mit der Bewegung des Doppelhebels OO 'geſchloſſen wurde, durch die Düſe F' in die Kammer M' über. Hier öffnen der Dampf und das mitgeriſſene Waſſer das Ventil C und ſtrömen vereint bei K in den Dampfkeſſel ein.

Die Zahl der auf dem Gebiete des Dampfkeſſelbaues gemachten Neuerungen iſt Legion. Sie alle ſtreben danach, eine thunlichſt hohe Ökonomie und Sicherheit des Betriebes zu erreichen.

Eine der weſentlichſten dieſer Neuerungen ſind die ſogenannten Waſſerrohrkeſſel. Als Beiſpiel bringen wir den in Fig. 82 im Schnitt dargeſtellten Dampfkeſſel, Syſtem Heine. Im Gegenſatze zu dem in Fig. 75 78 abgebildeten Walzenkeſſel mit zwei inneren Flammrohren107Die Dampfmaſchinen.

Fig. 82.

Heines Waſſerrohrkeſſel.

beſteht der Heineſche Keſſel aus einem oberen, zugleich als Dampf - ſammler dienenden Oberkeſſel und aus zahlreichen, von den Feuergaſen umſpülten, unterhalb jenes Oberkeſſels angeordneten Waſſerrohren. Dieſes untere Röhrenſyſtem iſt ſtets mit Waſſer angefüllt. Die Dampf - bildung beginnt in dem vorderen Teile der Waſſerröhren, und von hier aus ſteigen die ſich bildenden Dampfbläschen durch die über der Feuerung liegenden Waſſerkammern nach oben.

Die Waſſerröhrenkeſſel nehmen im Verhältnis zu den Walzen - keſſeln bei gleicher Dampfentwicklung einen kleinen Raum ein und zeichnen ſich durch eine ſehr raſche Verdampfung aus.

Einen hervorragenden Rang unter den Dampfkeſſeln nehmen die Keſſel der Lokomotiven ein. Da dieſelben gerade für die Entwickelung des Lokomotiv - und des Eiſenbahnweſens eine hervorragende Rolle ge - ſpielt haben, ſo werden dieſelben bei der Beſprechung der Konſtruktion der Lokomotive eingehende Erläuterung finden. Es möge jedoch hier noch darauf hingewieſen werden, daß dieſelben in kleinerem Maßſtabe auch bei den Lokomobilen Anwendung finden.

Von einer großen Wichtigkeit für den rationellen Betrieb der Dampfkeſſel iſt die Feuerungseinrichtung derſelben. In Fig. 83 iſt eine ſogenannte Innenfeuerung für Dampfkeſſel dargeſtellt. Bei dieſer wird das Brennmaterial durch die Feuerthür f auf die Roſtſtäbe e e geworfen, verbrennt in dem Feuerraum und läßt dann ſeine Ver - brennungsgaſe über die Feuerbrücke c in das Flammrohr d über -108Die Motoren.

Fig. 83.

Innenfeuerung für einen Flammrohrkeſſel.

Fig. 84.

Treppenroſt.

109Die Gas-Motoren.treten. Die erforderliche Verbrennungsluft tritt entweder durch die Feuerthür f oder durch den Aſchenfall b in den Feuerraum a hinein.

Handelt es ſich um die Verbrennung von pulverförmigem oder feinkörnigem Brennmaterial, wie z. B. Braunkohle, ſo bedient man ſich des in Fig. 84 dargeſtellten Treppenroſtes. Bei dieſem wird das Brennmaterial in den Trichter d eingefüllt und ſinkt von hier aus auf dem ſchräg abwärts gerichteten Roſte a hinab, hierbei allmählich verbrennend. Zur Entfernung der Aſche und der Schlacken dient der Schieber f. e iſt ein kleiner Feuerroſt, auf welchem die völlige Ver - brennung des auf a hinabrutſchenden Brennſtoffes ſich vollzieht. Die Feuergaſe ziehen bei h zu dem Dampfkeſſel ab.

e) Die auf der chemiſchen Verwandtſchaft verſchiedener Körper beruhenden Motoren.

1. Die Gasmotoren.

Das Verdienſt, zuerſt die Exploſion des Leuchtgaſes zur Erzeugung motoriſcher Kraft ausgenutzt und eine auf dieſem Prinzipe beruhende Kraftmaſchine gebaut zu haben, gebührt, wenn man von den das Stadium der Verſuche nicht überſchreitenden Maſchinen von Brown, Weight, Bar - ſanti u. A. abſieht, dem Franzoſen Lenoir. Die Gaskraftmaſchine jedoch auf die heutige Vervollkommung gebracht und dieſelbe überhaupt derartig geſtaltet zu haben, daß ſie in einen erfolgreichen Wettkampf mit den bisher bekannten Motoren einzutreten vermochte, gebührt Nicolaus Auguſt Otto, geboren im Jahre 1832 zu Holzhauſen in Naſſau. Was James Watt für die Dampfmaſchine, das hat Otto der Gasmaſchine geleiſtet.

Miſcht man Leuchtgas mit atmoſphäriſcher Luft, ſo explodiert dieſes Gemiſch, ſobald es entzündet wird, eine Folge des Umſtandes, daß die beiden bisher nur mechaniſch mit einander gemengten Körper, dank der ihnen inne wohnenden chemiſchen Verwandtſchaft, ſich zu einem einzigen Körper unter erheblicher Entwickelung von Kraft vereinigen.

Merkwürdigerweiſe gehörte der eigentliche Vater der Gasmaſchine, Nicolaus Auguſt Otto, gleich James Watt dem Kaufmannsſtande an, war alſo weder im Beſitz einer entſprechenden Vorbildung, noch hatte er früher Anregung gefunden, ſich mit Problemen der praktiſchen Mechanik zu befaſſen. Als jedoch im Jahre 1861 ſich die Kunde von Lenoirs Entdeckung über die civiliſierte Welt verbreitete, da fühlte ſich Otto durch dieſelbe ſo mächtig angeregt, daß er von Stund ab, mit eiſerner Energie und Zähigkeit an ſeinem Streben feſthielt, in der Gas - maſchine eine ebenbürtige Rivalin der damals noch allmächtigen Dampf - maſchine zu ſchaffen. Die gleiche Anregung hatten durch Lenoirs Maſchine noch viele andere Sterbliche empfangen, aber keinem derſelben war es110Die Motoren.beſchieden, die Löſung der geſtellten Aufgabe zu finden, außer unſerem, leider viel zu früh verſtorbenen Landsmann Otto.

Allerdings ließ auch bei dieſem der Erfolg lange auf ſich warten; eine lange Kette von Verſuchen, Mißerfolgen und Enttäuſchungen war die nächſte Frucht ſeiner angeſtrengten Thätigkeit.

Es war in den Jahren 1861 / 62, als in der Werkſtatt des Mechanikers Zons zu Köln die erſte Ottoſche Gaskraftmaſchine das Licht der Welt erblickte. Dieſelbe beſaß vier Cylinder, in deren jedem ſich zwei Kolben befanden. Die Mängel, welche dieſer Maſchine noch anhafteten, waren ſo ſchwerwiegende, daß die mit derſelben gemachten Erfahrungen ſich ſehr entmutigend geſtalten mußten.

Es war ein glücklicher Zufall, welcher in dieſer Zeit der Hoffnungs - loſigkeit den mit reichem Erfinderſinn und hohem Konſtruktionstalent begabten Otto mit dem wiſſenſchaftlich durchgebildeten Ingenieur Eugen Langen zuſammenführte. Dem vereinten Wirken dieſer beiden ſeltenen Männer verdankt die Welt das Geſchenk einer neuen Kraft - quelle, ohne welche wir uns die heutige Induſtrie und Technik kaum noch vorzuſtellen vermögen.

Die erſte Frucht der gemeinſamen am 30. September 1864 beginnen - den Thätigkeit Ottos und Langens war eine atmoſphäriſche Gaskraft - maſchine. Otto hatte im Laufe ſeiner Verſuche die Überzeugung ge - wonnen, daß es unmöglich ſei, eine direkt wirkende Gasmaſchine zu konſtruieren, da die Stöße und Erſchütterungen, welche hierbei auftraten, die Maſchine alsbald außer Betrieb ſetzten. Infolge deſſen gingen Otto und Langen dazu über, eine Gaskraftmaſchine zu konſtruieren, welche nach ihrer Konſtruktion und Wirkungsweiſe gewiſſermaßen ein Gegenſtück bildet zu der Newcomenſchen Dampfmaſchine. Ebenſo wie bei dieſer fiel die eigentliche Aufgabe des Antriebes der äußeren atmo - ſphäriſchen Luft zu, welche ihre Wirkung auf einen in einem Cylinder auf - und abbeweglichen Kolben äußern konnte, nachdem unterhalb des letzteren durch die Exploſion des Gasgemiſches ein luftleerer Raum erzeugt war. Der Kolben wird bei dieſer Exploſion, ohne daß er irgend welche Arbeit auf das Schwungrad überträgt, in dem Cylinder emporgeſchleudert und in dieſer Lage wird die Schwungradwelle durch eine äußerſt ſinnreiche Vorrichtung, die ſogenannte Langenſche Kuppelung, verkuppelt um hierauf durch den Überdruck der Atmoſphäre wieder abwärts gedrückt zu werden. Dieſe ſogenannte atmoſphäriſche Gaskraft - maſchine ſtellten Otto und Langen auf der Pariſer Weltausſtellung im Jahre 1867 aus.

Zu jener Zeit waren auch die Franzoſen nicht müßig geweſen in der weiteren Ausbildung des von Lenoir angegebenen neuen Prinzipes der motoriſchen Kraftentfaltung. So glänzte auf jener Ausſtellung die Compagnie Lenoir durch eine große Zahl faſt geräuſchlos arbeitender Gasmotoren und auch der hervorragende franzöſiſche Konſtrukteur Hugon hatte durch eine geringe Waſſereinſpritzung eine weſentliche111Die Gas-Motoren.Verbeſſerung der Lenoir-Maſchine bewirkt. Dieſer gegenüber trat die Otto-Langenſche Maſchine mit ihren ſtarke Detonationen verurſachenden Exploſionen in den Augen der Mehrzahl der Jury weſentlich zurück. Dem energiſchen Auftreten des deutſchen Mitgliedes der Preisjury, dem Geh. Rath Profeſſor Reuleaux, gelang es jedoch hierin einen völligen Umſchwung herbeizuführen, indem er es durchſetzte, daß bei der Preis - erteilung lediglich eine Prüfung auf Leiſtung und Gasverbrauch als maßgebend hingeſtellt wurde. Dieſe Prüfung wurde dem bekannten Direktor des Conservatoire des Arts et Métiers, Tresca, übertragen. Hier ſtellte ſich denn zu größtem Erſtaunen der Mehrzahl der Jury Folgendes heraus: der Gasverbrauch zeigte bei ein und derſelben Leiſtung bei den drei Gasmaſchinen von Lenoir, Hugon und Otto - Langen ein Verhältnis von 10: 6: 4. Auf grund deſſen erhielt ſodann letztere den wohlverdienten erſten Preis.

Nunmehr war das Eis gebrochen. Im Jahre 1869 wurde die Otto-Langenſche Fabrik wegen der erforderlichen Vergrößerungen von Köln nach Deutz verlegt und im Jahre 1871 bildete ſich zu deren weiterem Betriebe die Gasmotoren-Fabrik Deutz in Köln-Deutz. Insgeſamt wurden 5000 Stück der atmoſphäriſchen Gaskraftmaſchinen gebaut und zwar in Größen von ¼ bis 3 Pferdekräften. Jedoch der bisher erzielte reiche Erfolg ließ Otto nicht raſten. Es waren in erſter Linie zwei Umſtände, welche denſelben veranlaßten, an der weiteren Vervollkommnung ſeines Motors weiterzuarbeiten: zunächſt war es das unangenehme Geräuſch der Exploſionen, das eine Verwendung des

Fig. 85.

Ottos neuer Motor (liegende Anordnung).

112Die Motoren.Motors in bewohnten Häuſern unmöglich machte; dann aber war es die geringe Leiſtung von höchſtens 3 Pferdeſtärken, welche ſeiner Ver - breitung als unüberwindliches Hindernis im Wege ſtand. Das Ergebnis der weiteren Bemühungen Ottos war die in Fig. 85 dargeſtellte, unter dem Namen Ottos neuer Motor bekannte Maſchine. Hierbei führte Otto zum erſten Male den ſogenannten Viertakt ein, d. h. es kommt bei

Fig. 86.

Steuerung von Ottos neuem Motor.

113Die Gas - und Petroleum-Motoren.dieſem Motor auf je zwei Umdrehungen des Schwungrades eine Exploſion. Die Viertaktmotoren, welche, inzwiſchen mit beſonderen Abänderungen auch von anderen hervorragenden Maſchinenfabriken gebaut werden, ſtehen im Gegenſatze zu den ſogenannten Zweitakt - motoren, bei denen auf jede einzelne Umdrehung des Schwungrades eine Exploſion entfällt. Letztere ſind jedoch bei weitem weniger verbreitet.

Die Wirkungsweiſe des neuen Ottoſchen Motors beruht auf folgenden vier auf einander folgenden Phaſen des Arbeitsganges:

  • I. Die Saugeperiode: Der Kolben ſaugt ein Gemiſch von Gas und atmoſphäriſcher Luft an.
  • II. Die Kompreſſionsperiode: Der Kolben komprimiert das angeſaugte Gemiſch von Gas und atmoſphäriſcher Luft.
  • III. Die Arbeitsperiode: Bei der Lage des Kolbens im toten Punkte erfolgt die Zündung des Gemiſches und der Kolben wird arbeitsleiſtend zurückgetrieben.
  • IV. Die Ausblaſeperiode: Der Kolben treibt die Verbrennungs - und Exploſionsgaſe aus dem Cylinder hinaus.

Zur Ermöglichung dieſes Arbeitsganges, bei welchem das Schwung - rad während der Perioden I, II und IV die Bewegung des Kolbens zu bewirken hat, dient ein an der Hinterſeite des Cylinders angeordneter

Fig. 87.

Zündvorrichtung von Ottos neuem Motor

Schieber mit Zündvorrichtung, welcher durch eine mit der Längsachſe des Motors parallel liegende Steuerungswelle, die ihren Antrieb von der Schwungradwelle durch Kegelräder empfängt, in Thätigkeit geſetzt wird. Das Buch der Erfindungen. 8114Die Motoren.Dieſer Schieber F iſt nebſt der Zündvorrichtung in den Fig. 86 87 in größerem Maßſtabe im Schnitt dargeſtellt und hat folgende Ein - richtung. Durch die Öffnung k kann in der in Fig. 86 gezeichneten Lage atmoſphäriſche Luft und durch die Bohrung g und Schlitz d zugleich Gas in den Kanal r und von hier aus in den Motorcylinder C über - treten. Hat der Kolben dieſes Gemiſch in den Cylinder C eingeſaugt, ſo ſchließt der Schieber F den Cylinder C ab, ſodaß nunmehr das Gemiſch nicht wieder aus demſelben hinaustreten kann und beim Rückgange des Kolbens komprimiert wird. Hierauf wird das kompri - mierte Gemiſch von Luft und Gas durch die aus Fig. 87 erſichtliche Gasflamme b entzündet, und es erfolgt die Exploſion, welche den Kolben wieder nach vorwärts treibt. Beim Rückwärtsgange des Kolbens

Fig. 88.

Ottos neuer Motor (ſtehende Anordnung).

werden ſodann die Verbrennungs - und Exploſions-Gaſe aus dem Cylinder hinausgetrieben, worauf das Spiel mit dem Eintritte von Luft und Gas von Neuem beginnt.

In Fig. 88 iſt der neue Ottoſche Motor in ſtehender Anordnung dar - geſtellt. Um denſelben auch an ſolchen Orten aufſtellen zu können, an welchen eine Gasanſtalt nicht vorhanden iſt, wird für denſelben noch ein beſonderer Gaserzeuger, wie derſelbe in Fig. 89 dargeſtellt iſt, gebaut. Das Gas wird er - halten, indem man einen Strom atmoſphäriſcher Luft mittels eines Strahles überhitzten Waſſerdampfes durch eine in dem Gasgenerator c befindliche glühende Säule von Brennmaterial hindurchbläſt und die abziehenden Produkte in dem ſogenannten Scrubber oder Waſch - apparat d reinigt und hierauf in den Gasbehälter e überführt. Der er - forderliche überhitzte Dampf wird in dem kleinen Dampfkeſſel a erzeugt und durch den Injektor b in den Gasgenerator c eingeblaſen. Be - ſonders iſt hier noch zu betonen, daß die Erzeugung des Gaſes ſelbſtthätig erfolgt und zwar je nachdem mehr oder weniger Gas verbraucht wird. Dieſes geſchieht in der Weiſe, daß der Dampfzutritt zu dem Injector b durch die Gasbehälterglocke e, ſobald dieſe ihre höchſte Stellung erreicht hat, alſo vollſtändig gefüllt115Die Gas - und Petroleum-Motoren.

Fig. 89.

Ottos Gasgenerator.

iſt, geſchloſſen wird, infolge deſſen die Gaserzeugung aufhört. Für die Verbreitung, welcher ſich die Motoren der Fabrik Deutz erfreuen, möge als Beweis dienen, daß deren etwa 38000 mit mehr als 150000 Pferde - kräften ſich im Betriebe befinden. Gegenwärtig werden dort Gasmotoren bis zu 125 Pferdeſtärken gebaut.

In der neueren Zeit haben ſich auch andere hervorragende Ma - ſchinenbauanſtalten dem Bau von Gasmotoren gewidmet.

In Fig. 90 bringen wir einen Gasmotor nach Kaſelowskys Syſtem, erbaut von der Berliner Maſchinenbau-Aktien-Geſellſchaft, vor - mals L. Schwartzkopff in Berlin. Derſelbe iſt wie der vorhin be - ſchriebene, ein Viertaktmotor und unterſcheidet ſich von dieſem im weſent -8*116Die Motoren.

Fig. 90.

Gasmotor nach Kaſelowskys Syſtem.

lichen durch die Art der Zün - dung. Letztere wird nicht, wie bei dem Ottoſchen Motor durch eine im erforderlichen Zeit - punkte zur Wirkung gebrachte Flamme bewirkt, ſondern durch eine Präziſions-Glühzündung. Dieſelbe beſteht, wie aus Fig. 91 und 92 zu erſehen iſt, aus den beiden ein Gemiſch von Luft und Gas in den Cylinder einfüh - renden Ventilen c und d, ſowie aus dem, durch eine Flamme b zum Glühen gebrachten Röhr - chen a. Die Zündung wird ge - nau zu der Zeit bewirkt, in welchem der Kolben im toten Punkte ſich befindet, und zwar indem mittels einer von der Haupt - welle aus bethätigten Hebelanordnung das Ventil c (Fig. 92) ſo geöffnet wird, daß das Gasgemiſch an der glühenden Wandung des Röhrchens a ſich entzündet. Damit dieſe Zündung unter allen Um - ſtänden pünktlich ſich vollziehe, wird während der Saugperiode durch das Ventil d und Kanal e Luft und Gas in den Cylinder f eingeführt, während das eigentliche, weniger Gas enthaltende Exploſionsgemiſch durch ein beſonderes Hauptgasventil herzugeführt wird.

In Fig. 93 bringen wir ſchließlich noch die Abbildung eines Zweitaktmotors, nämlich desjenigen von Benz & Co. in Mannheim. Wie bereits dargelegt worden iſt, müſſen bei den Zweitaktmotoren die vier erforderlichen Perioden ſich ſtatt bei zwei Schwungradum - drehungen bei einer einzigen vollziehen. Die Folge hiervon iſt, daß der Cylinder nicht wie bei den Viertaktmotoren an einer Seite offen ſein kann, ſondern hinten ſowohl wie vorn geſchloſſen ſein muß. Die Gasmotoren, Syſtem Benz, haben entweder eine Flammenzündung nach Art der Ottoſchen, oder eine elektriſche Zündung. Bei der letzteren wird vom Schwungrade aus eine kleine Dynamomaſchine angetrieben. Der durch dieſe erzeugte Strom wird durch einen Induktionsapparat auf eine hohe Spannung gebracht, wobei beide Pole der Induktions - ſpule für gewöhnlich Kurzſchluß haben. Dieſer wird, wenn die Zündung erfolgen ſoll, aufgehoben und es ſpringen alsdann zwiſchen den ſeitlich in den Cylinder geführten Platinſpitzen Funken über und bringen die Zündung hervor.

2) Die Petroleum - und Benzin-Motoren.

Die Benutzung eines Gasmotors iſt ſtets davon abhängig, ob an dem Orte der Aufſtellung der Anſchluß an eine Gasleitung möglich iſt. 117Die Petroleum - und Benzin-Motoren

Fig. 91

und 92. Präciſtons-Glühzündung für den Gasmotor nach Kaſelowskys Syſtem.

Wo dieſes nicht der Fall iſt, muß die Verwendung des Gasmotors unterbleiben oder aber man muß ſich dazu entſchließen, für den Motor118Die Motoren.eine eigene kleine Gasanſtalt zu errichten. Nach dieſem letzten Geſichts - punkte iſt der in Fig. 89 dargeſtellte Apparat der Gasmotorenfabrik Deutz ausgeführt.

Das Streben nach einem Motor, welcher unabhängig iſt von dem Vorhandenſein einer Gasanſtalt, hat die Petroleum - und Benzin - Motoren ins Leben gerufen. Der weſentliche Unterſchied zwiſchen

Fig. 93.

Zweitaktmotor (Syſtem Benz).

119Die Petroleum - und Benzin-Motoren.dieſen und den Gasmotoren beſteht darin, daß nicht explodierendes Leuchtgas ſondern explodierendes Petroleum - oder Benzin-Gas als Triebkraft Verwendung findet. Dieſe Gattung von Motoren hat binnen kurzem insbeſondere auf dem Gebiete des Kleingewerbes eine weite Verbreitung gefunden.

Das Petroleum, ein Mineralöl, findet ſich an vielen Stellen der Erde, insbeſondere in den allgemein bekannten Ölgegenden Penſylvaniens in Nord-Amerika und in Baku am kaſpiſchen Meere. Dasſelbe iſt ein Gemenge von

  • 80 86,5 Prozent Kohlenſtoff,
  • 12 14,5 Waſſerſtoff,
  • 1 6,5 Sauerſtoff.

Das Petroleum, wie es aus dem Innern der Erde entſpringt, iſt nicht ohne weiteres verwendbar, ſondern muß zunächſt mittels Waſſer - dampfes deſtilliert werden. Im Laufe dieſes Prozeſſes ſcheiden ſich zunächſt diejenigen Beſtandteile aus, welche ein geringeres ſpezifiſches Gewicht beſitzen als 0,78 und einen ungefähr bei 150° liegenden Siede - punkt haben. Das übrige Petroleum wird alsdann noch einer weiteren Reinigung durch konzentrierte Schwefelſäure, Waſſer und Atznatronlauge unterzogen, hierauf noch gebleicht und gelangt ſo als das gewöhnliche, mit dem Namen Petroleum bezeichnete Leuchtmaterial in den Handel. Dasſelbe läßt ſich leicht verdampfen und zeigt in dieſem Zuſtande mit atmoſphäriſcher Luft gemiſcht bei Entzündung die Eigenſchaft, heftig zu explodieren.

In Fig. 94 iſt zunächſt ein liegender Petroleum-Motor, Syſtem Altmann-Küppermann dargeſtellt. Derſelbe iſt ein Viertaktmotor, d. h. es erfolgt nur eine einzige Exploſion, während der Kolben viermal von dem einen Ende des Cylinders zum andern ſich bewegt. Der Vorgang iſt bei dieſer Maſchine der gleiche wie bei der Gasmaſchine. Das in Dampfform übergeführte Petroleum wird nämlich mit Luft gemiſcht und von dem Kolben in den Cylinder hineingeſaugt, hierauf komprimiert und dann entzündet, worauf ſchließlich die Verbrennungsgaſe aus dem Cylinder hinausgetrieben werden. Da nur während der Exploſion eine Bewegung des Kolbens durch die Expanſionskraft des Petroleum - gaſes erfolgt, ſo muß während der übrigen Perioden die Maſchine durch das Schwungrad bewegt werden. Infolge deſſen müſſen dieſe Maſchinen, wie die Gasmotoren mit großen, ſchweren Schwungrädern ausgerüſtet werden und eine große Umdrehungszahl zurücklegen, d. h. mit großer Geſchwindigkeit laufen. Der in Fig. 94 dargeſtellte Petroleum - motor, Syſtem Altmann-Küppermann, wird übrigens auch in ſtehender Anordnung ausgeführt.

Auch auf dem Gebiete des Baues der Petroleummotore iſt der Wett - bewerb der Maſchinenfabriken ein ſehr reger. So zeigt Fig. 95 einen von der Berliner Maſchinenbau-Aktien-Geſellſchaft, vormals L. Schwartz - kopff, in Berlin gebauten Petroleummotor, Syſtem Kaſelowsky. Wie120Die Motoren.aus jener Abbildung zu erſehen iſt, befindet ſich auf dem Cylinder der Maſchine ein Petroleumbehälter B, welcher zur Erkennung der in dem - ſelben enthaltenen Ölmenge einen Schwimmer R beſitzt. Aus dem Be - hälter B tritt das Petroleum durch ein Röhrchen in das Gefäß C über. Von hier aus wird dann das Petroleum durch eine Luftpumpe H im Verein mit Luft in zerſtäubtem Zuſtande in den Verdampfer oder Ver -

Fig. 94.

Liegender Petroleum-Motor (Syſtem Altmann-Küppermann).

121Die Petroleum - und Benzin-Motoren.gaſer A geführt. Zur Erwärmung dieſes Vergaſers A dienen die aus der Maſchine abziehenden verbrauchten heißen Gaſe. Aus dem Ver - gaſer A wird das Petroleumgas durch das Rohr D und außerdem noch Luft durch das Rohr F in den Miſchapparat E geleitet, von wo aus

Fig. 95.

Petroleummotor (Syſtem Kaſelowsky).

dann dieſes Gemiſch von Petroleumgas und Luft durch ein Einlaß - ventil in den Cylinder tritt, um hier durch eine Zündvorrichtung N zur Exploſion gebracht zu werden. Mit L iſt eine Reguliervorrichtung be - zeichnet, welche bewirkt, daß bei allzu hoher Umdrehungsgeſchwindigkeit der Schwungradwelle, eine Exploſion ausfällt, wodurch ſich dann der Gang der Maſchine verlangſamt und auf die gewünſchte Schnellig - keit ſinkt.

Außer dem Petroleum hat man auch das weit entzündlichere und daher auch gefährlichere Benzin zum Betriebe kleiner Motoren ver - wendet. Ein ſolcher Benzinmotor, welcher im Weſentlichen nach den gleichen Konſtruktionsprinzipien eingerichtet iſt, wie die Petroleummotoren, iſt in Fig. 96 nach einer Ausführung von Benz & Co. in Mannheim dargeſtellt.

122Die Motoren.
Fig. 96.

Benzinmotor von Benz.

123Die Erfindung des Blitzableiters.

So haben wir vorſtehend in großen Zügen den Standpunkt der Motoren, wie er ſich aus der Vergangenheit bis zur Gegenwart ent - wickelt hat, in großen Umriſſen dargelegt. Täglich, ſtündlich wächſt das Bedürfnis des menſchlichen Geſchlechtes nach motoriſcher Kraft. In gleichem Maße aber nehmen die natürlichen Kraftquellen, welche aus unſern Steinkohlenlagern entſpringen und die Mehrzahl der erforderlichen Pferdekräfte leiſten, ab. Mit Recht muß daher das Streben aller der - jenigen, welche nicht nur von heute bis morgen denken und nicht nach dem Grundſatze après nous le déluge leben, darauf gerichtet ſein, die vorhandenen Kraftquellen nicht nur thunlichſt auszunutzen, ſondern auch durch neue zu erſetzen.

Sehen wir von der in der Fluthwelle der Meere aufgeſpeicherten Energie ab, zu deren Ausnutzung ebenfalls bereits Schritte gethan ſind, die aber über das Verſuchsſtadium kaum hinaus gegangen ſind, ſo wird ſich bei dem allmählichen Verſiegen der Steinkohlenflötze der Menſch vorausſichtlich wieder mehr der Ausnutzung der Gefälle der Ströme zuwenden müſſen.

In der That vermag uns ſchon das eine Faktum eine große Be - ruhigung nach dieſer Richtung zu verleihen, daß nach Reuleaux allein der Niagarafall eine Arbeitsfähigkeit von 12500000 Pferdekräfte in ſich birgt, welche, nur zur Hälfte ausgenutzt, imſtande ſein würden, 5 / 16 der Leiſtungen der ſämtlichen Dampfmaſchinen der Erde bei Tag - und Nachtarbeit zu erſetzen.

Bis dahin aber, wo das Verſiegen der Kohlenlager in abſehbarer Zeit uns näher tritt, wird die Technik in gleicher Weiſe wie bisher, ihr ganzes Streben dafür einſetzen, daß die Konſtruktion und der Betrieb der Motoren ſich immer rationeller und ſparſamer geſtaltet, und daß der Verſchwendung der Wärme ſpendenden Stoffe erfolgreich entgegen - getreten wird. Die Geſchichte der Motoren iſt die Geſchichte fortgeſetzter Siege des menſchlichen Geiſtes über die Elemente.

2. Die elektriſchen Erfindungen.

a) Die Erfindung des Blitzableiters.

Keine Natur-Erſcheinung hat von jeher auf das Gemüt des Menſchen dermaßen eingewirkt, wie das Gewitter. Plötzlich im Vergleich zu anderen Erſcheinungen entwickelt es ſich, mit Ungeſtüm vernichtet es, was die fleißige Hand des Menſchen in langen Zeit - räumen ſchuf und ſchaffte, und macht nicht halt vor dem Lebenden ſelbſt. 124Die elektriſchen Erfindungen.Was Wunder, wenn die grelle Farbe zuckender Blitze, das gewaltige Poltern rollenden Donners überall und immer den Schrecken in die Gemüter der aus ihrer Ruhe jäh emporgeſcheuchten Erdenkinder trugen. Die Natur des Menſchengeiſtes aber iſt allüberall dieſelbe, und auf wie verſchiedener Kulturſtufe der Europäer und der Bewohner Inner - Afrikas ſtehen mögen, das Suchen nach Urſachen für die Erſcheinungen iſt ihnen gemeinſam. Dieſen befriedigt es, den erſten beſten Fetiſch als die Urſache des Schreckens anzuſehen; ihn zu beſänftigen gilt ihm als das erfolgreichſte Mittel zur Abwendung der Gefahr. Als die europäiſche Menſchheit noch in den Kinderſchuhen der Naturauffaſſung ſteckte, da war ihnen das Schütteln des Hauptes des Gerndonnerers Zeus die genügende Veranlaſſung des Donners; die Blitze zückte er mit der ausgeſtreckten Rechten. Solchen naiven Auffaſſungen entwächſt die Wiſſenſchaft erſt dann ganz und gar, wenn ſie ſich auf den Boden des Experimentes ſtellt, und nicht eher konnte daher eine befriedigende Gewittertheorie aufgeſtellt werden, bis es gelang, ein ſolches mit allen ſeinen Begleiterſcheinungen wirklich hervorzuzaubern. Ein wirk - ſames Schutzmittel gegen die Fährlichkeiten des Gewitters aber konnte natürlich auch erſt erdacht werden, als man ſich über die Natur des Phänomens im Klaren war. Der erſte, der den Weg des Verſuches betrat, war Benjamin Franklin. Zwar hatten andere bereits vor ihm das als Vermutung ausgeſprochen, was Franklin experimentell be - gründete, aber das Verdienſt dieſes wird dadurch in nichts geſchmälert. So hatte Wall 1698 beobachtet, daß man durch Reiben eines Stückes Bernſtein eine ſtarke Lichtentwickelung erhalten könne, daß nämlich von dem Bernſtein auf einen genäherten Finger ein Funke hinüberfährt, und daß man auch gleichzeitig ein Kniſtern oder Geräuſch vernimmt. Hieran hatte er die Bemerkung geknüpft: Das Licht und das Kniſtern ſcheint einigermaßen Blitz und Donner darzuſtellen. Nun iſt der griechiſche Name des Bernſteins Elektron, und jene Erſcheinung, die im Zuſammenhange mit noch andern zuerſt an dieſem Material be - obachtet wurde, wird daher als eine elektriſche bezeichnet. Somit hatte Wall zuerſt die elektriſche Natur des Gewitters vermutet. Wir wollen dieſe am Bernſtein auftretenden Phänomene ganz kurz erläutern; das wird uns dazu dienen, Franklins Verſuche genauer zu verſtehen.

Reibt man ein Stück dieſes koſtbaren Harzes mit einem Tuche, ſo gewinnt es dadurch die Fähigkeit, leichte Körperchen an ſich heran zu ziehen. Aber die Umarmung dauert nicht eben lange. Nach kurzer Friſt werden die Teilchen mit derſelben Heftigkeit fortgeſtoßen, mit der ſie vorher gegen den Bernſtein hingezogen wurden. Das iſt nun keine Eigentümlichkeit des Bernſteins allein. Er teilt dieſelbe mit anderen Harzen, z. B. dem Hartgummi und dem Siegellack, und auch manche Glasart nimmt beim Reiben jene Anziehungskraft an. Man ſagt deshalb, daß alle dieſe Körper beim Reiben elektriſch werden. Es hat ſich aber herausgeſtellt, daß jenes Körperchen, nachdem es einmal von125Die Erfindung des Blitzableiters.dem Bernſtein lieblos beiſeite geſchoben wurde, auch von einer geriebenen Siegellack - oder Hartgummiſtange nicht ſofort angezogen wird, deſto freundlicher wird es dagegen von der geriebenen Glasſtange auf - genommen, um freilich wieder nach kurzer Zeit davon geſtoßen zu werden. Jetzt erſt findet es auf kurze Zeit bei den Harzſtangen die ihm früher verſagte liebevolle Aufnahme. Alle dieſe Erſcheinungen ſo ſonderbar ſie ſich zuerſt ausnehmen mögen erfahren eine einfache Erklärung, wenn man die folgende Anſicht, welche Symmer 1759 aufgeſtellt hat, zu Grunde legt. Durch das Reiben werden ſowohl die Harzſtücke wie die Glasſtangen in einen elektriſchen Zuſtand verſetzt. Aber die Zuſtände ſind doch von einander ſehr verſchieden, ſo daß man den einen den harzelektriſchen, den andern den glaselektriſchen nennen könnte. Die Urſache dieſer Zuſtände geht uns hier nichts weiter an; man hat auch erſt in allerneueſter Zeit eine klare Einſicht in das wahre Weſen derſelben erlangt. Für uns genügt es anzunehmen, daß ein nicht näher zu beſchreibendes Etwas daran ſchuld iſt, welches man im erſten Falle die Harzelektrizität, im letzteren die Glaselektrizität nennen könnte. Man iſt übereingekommen, die letztere die poſitive und die erſtere die negative zu nennen. Nun muß man annehmen, daß die angezogenen Körperchen ſelbſt die Fähigkeit haben, etwas von der Elektrizität des elektriſchen Körpers in ſich aufzunehmen, jene teilt ſich auch dem anliegenden Körperchen mit, dasſelbe wird elektriſiert. Jedoch bleibt das Körperchen an der Harzſtange nur ſo lange Zeit liegen, als es zur Aufnahme einiger negativer Elektrizität bedarf. Wir müſſen alſo ſchließen, daß der Körper nur abgeſtoßen wird, weil er jetzt ſelbſt harzelektriſch geworden iſt. Unſer bisheriges Ergebnis würde alſo lauten: ein harzelektriſcher Körper zieht einen unelektriſchen an, ſtößt aber einen harzelektriſchen von ſich. Das wird auch dadurch beſtätigt, daß die anderen Harzſtücke jetzt den davongejagten Körper nicht auf - nehmen wollen. Da aber unſer Körperchen ſich von der geriebenen Glasſtange anziehen läßt, ſo folgt der Schluß, daß ein glaselektriſcher Körper für einen harzelektriſchen eine beſondere Vorliebe hat. Der weitere Verlauf der Erſcheinung läßt ſich ganz ebenſo deuten, und kurz heraus - geſagt iſt alles aus dem Satze verſtändlich:

Elektriſche Körper ziehen unelektriſche und ſolche mit der entgegen - geſetzten Elektrizität an, ſtoßen aber ſolche mit der gleichen Elektrizität ab.

So hätten wir eine grundſätzliche Verſchiedenheit der Körper nach ihrem elektriſchen Zuſtande erkannt, man findet eine andere Zweiteilung derſelben durch den folgenden Verſuch: Man hängt einen beliebig langen Metalldraht, der an einem Ende ein metallenes Scheibchen trägt, an zwei Seidenfäden auf, teilt einer ganz beliebigen Stelle dieſes Drahtes die Elektrizität eines geriebenen Harzſtückes oder einer Glasſtange mit, indem man ihn einfach dort mit dem elektriſchen Körper berührt und nähert der Endplatte einen kleinen Körper, am einfachſten eine Kugel von Hollundermark, die man an einem Seiden -126Die elektriſchen Erfindungen.faden hält, ſo wird dieſelbe ſogleich heftig angezogen, dann aber ebenſo heftig abgeſtoßen. Was haben wir hieraus zu ſchließen? Offenbar nichts anderes, als daß ſich die Elektrizität mit großer Geſchwindigkeit von jener Stelle aus in alle Teile des Drahtes verbreitet hat, ſo auch zu der Platte gelangte, die daher auf die Hollunderkugel anziehend und, nach Mitteilung ihrer Elektrizität an dieſelbe, abſtoßend auf ſie wirkte. Während dieſer Verſuch mit einem Metalldraht ſehr leicht auszuführen iſt, gelingt er nicht mit einem Körper von Holz, Gummi und vielen anderen Stoffen: auch wenn man davon viel, viel kleinere Stücke aus - wählt, wartet man vergeblich auf die Verbreitung der Elektrizität von der elektriſierten Stelle an bis an die Enden des Körpers. Man ſagt demnach, daß die Metalle gute Leiter für die Elektrizität ſind, während die Harze und das Glas ſich als ſchlechte Leiter verhalten. Wenn man alſo wünſcht, daß die Elektrizität, die man einem guten Leiter mitgeteilt hat, ihm möglichſt lange erhalten bleibe, ſo wird man ihn nicht mit andern guten Leitern in Verbindung bringen dürfen. Man muß ihn vielmehr iſolieren, d. h. mit ſchlechten Leitern umgeben, daher haben wir in dem vorigen Verſuche den Metalldraht an Seidenfäden hängend gedacht, weil ſolche als ſchlechte Leiter der Elektrizität ihm möglichſt wenig davon entziehen. Auf die Dauer wird übrigens kein Leiter den elektriſchen Zuſtand zu behalten fähig ſein, allmählich wird er ſelbſt gegen einen ſo ſchlechten Leiter, wie die Luft einer iſt, ſeinen elektriſchen Beſitz abtreten. Bis jetzt haben wir nur immer einerlei Elektrizität innerhalb eines Körpers nachzuweiſen vermocht, der folgende Verſuch wird uns das Vorhandenſein beider Elektrizitäten ſogar in jedem un - elektriſchen Körper beweiſen. Man nähere zwei iſolierte Leiter bis zur Berührung, am einfachſten etwa zwei große Silbermünzen, die man an Siegellackſtangen hält. Sie bilden dann offenbar während der Berührung einen einzigen Leiter. Jetzt nähere man dem einen (I) von ihnen einen elektriſchen Körper, etwa einen geriebenen Glasſtab, und trenne die beiden Leiter, während noch der elektriſche Körper in ihrer Nähe iſt, dann erſt entferne man dieſen. Man wird finden, daß jetzt beide Münzen Elektrizität enthalten und zwar (I) die Harz -, (II) die Glaselektrizität. Man nennt dieſe Erſcheinung die elektriſche Verteilung. Es iſt offenbar unmöglich, daß dieſe beiden gleichzeitig der Glasſtange entſtammen ſollten, man muß vielmehr annehmen, daß ſie beide bereits in dem unelektriſchen Leiter vorhanden waren, aber durch die Annäherung des elektriſchen Körpers zur Trennung gebracht wurden. Dieſer zieht die der ſeinigen entgegengeſetzte Elektrizität zu ſich hin in den Körper (I) und ſtößt die entgegengeſetzte ab in den Körper (II) hinein. Wenn wir die beiden Körper wieder vereinigen, ſo erzeugt ſich aus ihnen ſofort wieder ein unelektriſcher Leiter. Die beiden Elektrizitäten gleichen ſich nämlich ſofort aus, wenn man ihnen die Gelegenheit dazu bietet. Jetzt wird es uns möglich ſein, auch die zuerſt erwähnte Erſcheinung zu verſtehen, daß beim Annähern eines Fingers an den geriebenen127Die Erfindung des Blitzableiters.Bernſtein ein Funke überſpringt. Der Finger iſt auch ein unelektriſcher Körper, und er enthält als ſolcher auch beide Elektrizitäten ganz wie der Leiter von vorhin. Nähert er ſich dem Bernſtein, ſo wird ſeine poſitive Elektrizität von dieſem angezogen, ſich in der Fingerſpitze ſammeln. Dieſe und die negative des Bernſteins ſuchen ſich nun zu vereinigen und wenn man ihnen keine Gelegenheit dazu durch Berührung des Harzes giebt, ſo geht dieſe Vereinigung auch durch die Luft vor ſich. Der elektriſche Ausgleich kann dabei eine ſolche Gewalt erreichen, daß er die Luftteilchen dazwiſchen in Glut verſetzt und ſich in Geſtalt eines Funkens ſichtbar macht. So iſt dieſer Funke nur ein Zeichen des Ausgleichs zweier entgegengeſetzter Elektrizitäten. Das dabei hörbare Kniſtern kommt von einer heftigen Beiſeiteſchiebung der Luft - teilchen, die gleich wieder ebenſo heftig aufeinander prallen.

Dieſer Funke aber ſollte nach Wall auch ein Bild des Blitzes ſein. Dann muß auch dieſer ſich durch den Ausgleich entgegengeſetzter Elektrizitäten erklären. Nun zeigt ſich der Blitz entweder als die Verbindungslinie zweier Wolken oder er ſpringt zwiſchen der Wolke und dem Erdboden über. Es mußte alſo wenn man die elektriſche Natur des Blitzes zeigen wollte zum mindeſten nachgewieſen werden, daß die Gewitterwolken mit Elektrizität behaftet ſind. Jede einzelne Wolke, welche mit einer gewiſſen Elektrizität geladen iſt, wird ja ſchon durch die elektriſche Verteilung die entgegengeſetzte der Nachbarwolke an ſich zu ziehen und mit ihr ſich auszugleichen ſuchen. Ebenſo wird in der Erde, die auch einen Leiter darſtellt, die der Wolkenelektrizität entgegengeſetzte an die Oberfläche ſteigen. In beiden Fällen wird ein Ausgleich eintreten und der Blitz, das Zeichen dieſes Ausgleichs, wird deſto kräftigere Wirkungen zeitigen, je gewaltigere Elektrizitätsmaſſen in der Gewitterwolke angeſammelt waren. Der Donner wird die furchtbare Lufterſchütterung anmelden, welche ein ſolcher Ausgleich hervorzubringen fähig iſt. Es kommt alſo für den Nachweis der Richtigkeit dieſer Betrachtungen einzig und allein darauf an, das Vor - handenſein eines gewiſſen elektriſchen Zuſtandes in der Gewitterwolke nachzuweiſen, und für die Verhinderung der ſchädlichen Wirkungen des Blitzes nur darauf, daß man der Wolke ihre Elektrizität zu einem guten Teile entzieht, oder auch dem Ausgleiche eine Bahn weiſt, auf der er ſich nicht ſchädlich machen kann. Alle dieſe Aufgaben hat der eine Benjamin Franklin ſo vollkommen gelöſt, als es überhaupt verlangt werden konnte. Benjamin Franklin wurde als das 16. Kind eines armen Seifenſieders am 17. Januar 1706 zu Boſton geboren. Er war nach einander Buchdrucker, Schriftſteller, Buchhändler und Generalpoſtmeiſter aller engliſch-amerikaniſchen Kolonien. Energiſch verteidigte er die Freiheiten ſeines Landes gegenüber den Engländern und hatte er den weitaus größten Anteil daran, daß die Vereinigten Staaten ſich ſchließlich von dem Mutterlande unabhängig machten. Wichtige Verbeſſerungen an der Harmonika und an der Kupferdruck -128Die elektriſchen Erfindungen.preſſe würden ſeinem Namen eine geachtete Stellung unter den Erfindern anweiſen, die Erfindung des Blitzableiters ſtellt ihn in die erſte Reihe derſelben.

Um den elektriſchen Zuſtand der Gewitterwolken herauszubekommen, bediente ſich Franklin einer Entdeckung, die er ſeinem Freunde Collinſon zuſchrieb. Wenn er eine Eiſenkugel von etwa 8 bis 10 cm Durch - meſſer elektriſierte und die Spitze einer Nadel mit der Hand gegen ſie kehrte, ſo beobachtete er, daß die Kugel ihre Ladung ſehr ſchnell verlor. Das erklärt ſich wieder einfach genug. Die Kugel wirkt nämlich auf die Nadel durch Verteilung, ſie zieht die entgegengeſetzte Elektrizität in die Spitze. Je enger der Querſchnitt eines Leiters iſt, deſto mehr drängen ſich die elektriſchen Teilchen dort zuſammen. Sie fliehen aber einander, und die Gewalt, die ſie von einander zu trennen ſucht, heißt ihre Spannung. Wir erſehen demnach, daß dieſe Spannung in den Spitzen am größten ſein muß. Sie wird, wenn ſie ſo übermäßig wächſt, ſo wirken wie der Druck, den wir auf die Luft ausüben. Je ſtärker wir ſie zuſammenpreſſen, mit deſto größerer Gewalt ſucht ſie zu entweichen, und genau ſo iſt es mit der Elektrizität; dort iſt die Spann - kraft oder Expanſion der Luft die treibende Kraft, hier heißt ſie die Spannung, im Weſentlichen iſt ihre Wirkung dieſelbe. Die Elektrizität kann ſich in dem engen Raume der Spitze nicht halten, ſie ſtrömt alſo in die Luft aus und vereinigt ſich mit der entgegengeſetzten Elektrizität der Kugel, und ſo erſcheint uns dieſe unelektriſch. Franklin ſchloß, daß, wenn man einer Gewitterwolke eine Spitze an einer Stange gegen - überſtellt, dieſer ganz ebenſo die Elektrizität, die ihr doch vermutlich eignete, entzogen werden könnte. Zuvor müßte die Stange ſelbſt die der Wolkenelektrizität entgegengeſetzte aufweiſen. Die Idee dieſes Ver - ſuches auszuführen, wartete Franklin lange Zeit auf die Vollendung einer Kirchturmſpitze, ſo daß ihm in der Verwirklichung zwei Franzoſen, Dalibard und Delor vorauskamen. Der erſtere errichtete in der Nähe von Paris eine 40 Fuß hohe Eiſenſtange, die durch ſeidene Schnüre an drei Holzpfoſten befeſtigt war. Ein gewiſſer Coiffier, der ſie bewachen ſollte, konnte zuerſt am 10. Mai 1752 während eines Gewitters der Stange Funken entziehen, womit gezeigt war, daß ſie ſich durch das Vorüberziehen der Gewitterwolken mit Elektrizität geladen hatte. Delor hatte eine 99 Fuß lange Eiſenſtange zur Verfügung und er ver - mochte ſelbſt zu Zeiten, da die Luft völlig ruhig war, dieſer Stange Funken zu entziehen ein Beweis, daß die Luft auch ſonſt elektriſch iſt. Franklin war ſchließlich auf eine Abänderung dieſes urſprünglichen Verſuches angewieſen. Er ließ im Juni 1752, ohne von den Pariſer Verſuchen zu wiſſen, einen papiernen Drachen beim Herannahen eines Gewitters aufſteigen. Das beliebte Kinderſpielzeug ward hier in den Dienſt der Wiſſenſchaft geſtellt. Franklin gab ihm eine Spitze aus Eiſen - draht mit und knüpfte an das Ende der Hanfſchnur, die den Drachen hielt, einen eiſernen Schlüſſel, ſowie an dieſen wiederum eine Seiden -129Die Erfindung des Blitzableiters.ſchnur. Zunächſt war eine elektriſche Erregung nicht zu ſpüren. Später aber durchnäßte der Regen die Hanfſchnur und machte ſie ſo beſſer leitend. Da ließen ſich dem Schlüſſel Funken entziehen, und damit war Franklins Vermutung über die Natur der Gewitter beſtätigt. Seine Verſuche gaben ihm gleichzeitig einen Wink, wie er den Schaden der Blitze bekämpfen könnte. In erſter Linie handelte es ſich darum, das Zuſtandekommen des gewaltigen Ausgleichs überhaupt möglichſt zu verhindern, in zweiter darum, dem Blitzſchlage eine paſſende Bahn zu weiſen. Wollte man den Ausgleich ſchwächer machen, ſo war das naheliegende Mittel die Aufſtellung einer mit der Erde in leitender Verbindung ſtehenden Spitze gegenüber der Gewitterwolke. Jede auf - rechte, oben zugeſpitzte Metallſtange muß ja die Elektrizität vorbei - ziehender Wolken ſchwächen und damit einen Blitzſchlag, der trotzdem noch erfolgt, viel weniger heftig machen, als er ſonſt werden würde. Eine ſolche Metallſtange iſt auch der geeigneteſte Weg für den Aus - gleich, wenn er doch heftig erfolgen ſollte. Offenbar wird ſich die Elektrizität, wenn ſie die Wahl für ihren Weg hat, den beſten ihr zur Verfügung ſtehenden Leiter, in dieſem Falle die Metallſtange, aus - ſuchen, und dadurch ſind dann alle umgebenden Gegenſtände gegen die Gefahr des Einſchlagens geſchützt. Dieſe Idee hat Franklin zuerſt in einem vom 29. Juli 1750 datierten Briefe an Collinſon entwickelt, der aber wie er angiebt bereits 1749 verfaßt iſt. Dies wäre alſo das Erfindungsjahr des Blitzableiters.

Wir würden fürchten, ungerecht gegen einen Anderen zu ſein, wenn wir nicht auch der durchaus ſelbſtſtändigen Erfindung des Blitzſchutzes durch den Pfarrer Prokop Diviſch zu Brenditz in Mähren gedächten. Bei Gelegenheit eines Beſuches in Wien machte er die Elektriſirmaſchine des gelehrten Jeſuitenpaters Franz durch eine Anzahl von Spitzen unwirkſam, die er in ſeiner Perrücke verborgen hielt. Die Elektrizität vermochte ſich nicht zu ſammeln, weil ſie mit Hilfe der Spitzen durch den Körper des Pfarrers mit der Erde ausgeglichen wurde. Das war im Jahre 1750, und zwei Jahre ſpäter vollendete Diviſch eine meteorologiſche Maſchine , die durch die Wirkung vieler Spitzen mehr beſtimmt war, einen ruhigen Ausgleich der Elektrizität herbeizuführen, denn als Blitzableiter zu dienen. Diviſch fand nicht die Anerkennung, wie der berühmte Amerikaner, obgleich aus ſicheren Nachrichten hervorgeht, daß ſeine Maſchine zur Abwendung der Blitzgefahr in ſeiner Pfarre weſentlich beigetragen hat. Franklins Blitzableiter fanden zuerſt zwar lang - ſame, dann aber immer raſchere Verbreitung, und wenn ſie auch im einzelnen manche Veränderung erfuhren, ſo iſt die Geſtalt, die ihnen Franklin gegeben hat, noch heute erhalten. Wie wichtig die Erfindung iſt, wie ihre Bedeutung ſogar von Jahr zu Jahr wächſt, das mag daraus entnommen werden, daß die Blitzgefahr ſelbſt alljährlich zu - nimmt, und zwar in dem Maße, daß die Zahl der Brandfälle durch Blitz in Bayern ſich nach v. Bezold in 50 Jahren vervierfacht hat. Über -Das Buch der Erfindungen. 9130Die elektriſchen Erfindungen.legen wir, welches die rationellſte Einrichtung eines Blitzableiters iſt. Im weſentlichen iſt er ja nichts anderes als eine oben zugeſpitzte Metall - ſtange. Aber welche Dicke muß man der Stange geben? welches Material für ſie wählen? Der heftige elektriſche Ausgleich, den der Blitz darſtellt, hat bekanntlich furchtbar zerſtörende Wirkungen. Wie er ſengend in die Wohnungen der Menſchen dringt, wie er das Lebendige, das ihm in den Weg tritt, zum Tode führt, ſo wird er in dem Leiter ſelbſt auch Änderungen hervorbringen, und zwar vor allem ſeine elektriſche Gewalt in eine ſtarke Erwärmung umſetzen. Ein Draht, den ein elektriſcher Schlag paſſiert, erwärmt ſich aber um ſo mehr, je dünner er iſt, und hieraus folgt, daß man die Stange des Blitzableiters nicht zu dünn wählen darf. Sodann wird man berückſichtigen müſſen, daß eine ſtarke Erwärmung den Leiter auch wohl weg - ſchmelzen kann, und man wird deshalb nur Metalle zur Auswahl haben, deren Schmelzpunkt ſo hoch liegt, daß man kein Fortſchmelzen zu befürchten hat. Man hat dann mit Rückſichtnahme auf die Koſten nur Eiſen und Kupfer als Material zur Ver - fügung. Die Spitze aber, die ſich bei ihrem geringen

    • Fig. 97. Auffangeſtange
    • Fig. 98. Spitze
    • Fig. 99. Erdleitung
    eines Blitzableiters.

131Der galvaniſche Strom.Durchmeſſer viel mehr erwärmt und auch der Witterung beſſeren Widerſtand leiſten muß, wird aus Platin beſtehen oder vergoldet ſein müſſen. Schließlich wird man auf die Verbindung mit dem Erd - boden große Sorgfalt verwenden müſſen, weil ſonſt immer zu befürchten iſt, daß der Blitz die Ableitung zur Erde verſchmäht und lieber in einen benachbarten Leiter überſchlägt. Man hat daher die Stange mit den vorzüglich leitenden Teilen der Erde, alſo am beſten mit dem Grundwaſſer in Verbindung zu bringen und, damit die Verbindung eine möglichſt innige ſei, die Erdleitung aus einem mit Koks gefüllten Korbe oder einem metallenen Netzwerk, überhaupt aus einem möglichſt ausgebreiteten metallenen Leiter beſtehen zu laſſen. Wir ſehen in den Figuren 97, 98 und 99 ſowohl die Auffangeſtange, wie die Erd - leitung in einer der mehr gebrauchten Anordnungen.

Es iſt hier vielleicht der Ort, einer für die Abänderung der meteoro - logiſchen Bedingungen, beſonders der großen Städte, wie uns ſcheint, nicht unwichtigen Anwendung der Elektrizität zu gedenken. Der Staub, der ſich aus den Tauſenden von Schloten der Wohnungen und Fabriken entwickelt, wirkt bekanntlich einmal direkt in ſehr unangenehmer Weiſe auf die Lungen der Großſtadtbewohner ein, ſodann aber erzeugt er die Nebel mit allen ihren unangenehmen Wirkungen. Da iſt der vor wenigen Jahren aufgetauchte und zuerſt von Nahrwoldt praktiſch durch - geführte Gedanke freudig zu begrüßen, den Staub durch Elektrizität fortzuſchaffen. Erzeugt man ſolche durch ſtarke Maſchinen in geſchloſſenen Räumen und läßt ſie aus Spitzen ausſtrömen, ſo wird gerade dahin der Staub in Maſſen hingezogen und geſammelt, ſo daß ein Zimmer, das von dickem Qualm erfüllt war, in wenigen Minuten ſich reinigen ließ. In der Ausbildung dieſer Methode liegt offenbar eine ſehr wichtige Aufgabe der nächſten Jahre, die, der Staubzufuhr in die Atmoſphäre die nötigen Zügel anzulegen, ſich hoffentlich befähigt er - weiſen wird.

b) Die Erfindung der Galvanoplaſtik.

Der galvaniſche Strom.

Im unteren Nilthale fand man die überwältigenden Reſte einer uralten Kultur. Sie ward einſt mit den Pharaonen begraben und ſchlummerte, bis in unſerem Jahrhundert fleißige Gelehrte an die Grabespforten pochten und mit den ihrer Gruft entriſſenen Schätzen die Muſeen Europas füllten. So kann man z. B. im Pariſer Muſeum hölzerne Lanzenſpitzen und hölzerne Klingen von Schwertern finden, die nur deshalb ſich ihrer Verweſung entzogen, weil ſie einen ſtarken Überzug von Kupfer haben; da ſchaut man Bildſäulen in Lebensgröße, aber von einer ſtaunenswerten Leichtigkeit, weil ſie nur aus einer dünnen9*132Die elektriſchen Erfindungen.Haut von Kupfer beſtehen. Dieſe, faſt möchte man meinen, für eine ſo frühe Kulturepoche unmögliche Kunſtfertigkeit, erklärt ſich durch eine genaue Kenntnis von Naturgeſetzen, die neu entdeckt zu haben unſerem Jahrhunderte zur Ehre gereicht: es ſind die Geſetze derjenigen Er - ſcheinungen, die man nach dem Arzte Luigi Galvani, einem Bologneſer Medizinprofeſſor, die galvaniſchen nennt. Einen dünnen Kupferüberzug konnte man ſich auch wohl früher ſchon wenigſtens an Metallen ver - ſchaffen. Wenn man einen blanken eiſernen Gegenſtand in die Löſung eines Kupferſalzes taucht, z. B. jenes prächtig blauen Körpers, der als Kupfervitriol bekannt iſt, ſo färbt ſich das Eiſen ſchön rot, ein Zeichen, daß ſich Kupfer darauf niedergeſchlagen hat. Das Kupfervitriol iſt nämlich aus dieſem Metall und der Schwefelſäure zuſammengeſetzt; dieſelbe hat aber eine große Vorliebe für das Eiſen und zieht dasſelbe an, geht mit ihm eine Verbindung ein, wofür ſie das Kupfer frei giebt. So einfach kann aber die Kunſt der Ägypter nicht erklärt werden, weil die Metallſchicht immerhin viel dicker iſt, als die bei dieſem Verfahren er - haltene, und weil ſich jene Überzüge auf Holz nicht wohl durch die beſchriebene Methode herſtellen laſſen. Sie müſſen ſchon die Kunſt der Galvanoplaſtik gekannt haben. Was bei dieſer das Kupfer von der Schwefelſäure des Kupfervitriols trennt, um es an einer paſſenden Stelle abzuladen, iſt nun nichts anderes als eine elektriſche Kraft, freilich eine etwas anders geartete als jene, welche im geriebenen Bernſtein ihren Sitz hat, die aber in ihrem innerſten Weſen nicht davon verſchieden iſt. Sie wird nicht durch eine Bewegung, wie die Reibungs - Elektrizität, hervorgebracht, ſondern wahrſcheinlich durch chemiſche Kräfte erzeugt, wie ſie ſchon bei der unmittelbaren Berührung zweier Körper wirkſam werden. Taucht man z. B. ein Stück Zink in verdünnte Schwefelſäure, ſo zieht dieſe das Zink an, vermöge jener chemiſchen Gewalt, welche man die Verwandtſchaft nennt, ſie verbindet ſich mit dem Zink zu Zinkvitriol; zugleich kann man aber beobachten, daß das Zinkende, welches aus der Flüſſigkeit hervorragt, negative Elek - trizität enthält, freilich nur eine ganz geringe Spur davon, die ſich nur durch ſehr feine Apparate nachweiſen läßt. So lange die chemiſche Kraft wirkſam iſt, wird dieſe Elektrizität fortwährend er - höht, bis ſie eine gewiſſe Spannkraft erlangt hat, die freilich immer noch ſehr gering gegen diejenige des geriebenen Bernſteins iſt. Es iſt als ob in der Flüſſigkeit ein Pumpwerk angebracht wäre, welches fortwährend negative Elektrizität in die obere Hälfte des Zinks hineinpumpt. Das iſt nun keine andere Elektrizität, als diejenige des Zinks ſelbſt, während die poſitive Elektrizität unten feſtgehalten wird. Jetzt wollen wir uns ferner vorſtellen, daß an dem oberen Zinkende ein anderer Leiter, etwa ein Kupferdraht befeſtigt ſei, ſo wird natürlich auch dieſem die negative Elektrizität ſich mit - teilen, und wenn man ſchließlich den Kupferdraht umbiegt, daß er auch in die ſaure Flüſſigkeit eintaucht, ſo wird die negative Elektrizität durch133Der galvaniſche Strom.dieſe weiter fließen nach dem unteren Zinkende hin, wo ſie mit der poſitiven Zinkelektrizität ſich ausgleichen kann. Bei dieſer Anordnung wird ſich fortwährend neue negative Elektrizität in das obere Zinkende begeben, denn es iſt ihr ja fortwährend Gelegenheit zu einem Ausgleich mit der poſitiven Elektrizität gegeben. Wir haben hier einen geſchloſſenen Strom von negativer Elektrizität. Das Pumpwerk am untern Zinkende kann noch ſo unermüdlich thätig ſein, es füllt ein Danaidenfaß, da die Elektrizität immer wieder zur Ausgangsſtelle zurückkehrt. Wir haben nun keinen Grund anzunehmen, daß nur die negative Elektrizität ſtrömen wird, offenbar hat die poſitive Elektrizität dasſelbe Bedürfnis nach einem Ausgleich, und ſie fließt vom unteren Zinkende durch die Flüſſigkeit zum Kupferdraht, durch dieſen zum oberen Zinkende. Wenn wir uns ſchließlich den Draht, ſo weit er in die Flüſſigkeit taucht, zu einer Platte verbreitert denken, ſo haben wir ein galvaniſches Element vor uns. Jene Kraft, welche die Elektrizität erzeugt, und die wie ge - ſagt wohl nichts anderes iſt als die chemiſche Verwandtſchaft, heißt die elektromotoriſche Kraft; ſie dachten wir uns als am unteren Zinkende ſitzend. Der Draht, ſo weit er jetzt noch da iſt, und der ſich übrigens beliebig lang machen läßt, heißt der Schließungsbogen. Den Namen des Bologneſer Arztes führt dieſer Apparat, wie alle ſich anſchließenden, nicht ganz mit Recht. Galvani hat ſeinen Verſuch mit einem abge - häuteten Froſchſchenkel gemacht, den wir uns in der obigen Einrichtung an Stelle der ſauren Flüſſigkeit denken können. Dieſer gerät in eine Zuckung, ſobald er gleichzeitig von beiden mit einander verbundenen Metallen berührt wird. Dieſe Zuckung iſt ganz ſicher eine elektriſche Wirkung. Aber Galvani nahm an, daß die elektromotoriſche Kraft in dem tieriſchen Teile des Apparats ihren Sitz habe, und das war grundfalſch. Als der eigentliche Erfinder der ſtrömenden Elektrizität iſt vielmehr Aleſſandro Volta anzuſehen, der zuerſt ein Element, ähnlich dem beſchriebenen konſtruierte. Er erkannte auch den Wert ſeiner Er - findung, der eben darin zu ſuchen iſt, daß hier bei der fortwährend wirkenden elektromotoriſchen Kraft große Elektrizitätsmengen im Spiele ſind, die freilich keine hohe Spannung beſitzen. Die Reibungs-Elektrizität, welche ſehr hohe Spannungen hat, aber nur geringe Mengen, läßt ſich etwa mit einem hohen Waſſerfall vergleichen, der aber wenig Waſſer führt, und der für beſtimmte Zwecke zwar ſehr wirkſam ſein, im all - gemeinen aber mit dem ruhig dahin fließenden, aber ſehr waſſerreichen Strom, dem die galvaniſche Elektrizität gleicht, nicht konkurrieren kann. Volta hat auch erkannt, daß man die Wirkungen des Stromes vermehren könne, wenn man viele Elemente zur gemeinſamen Arbeit vereinigt. Man nennt eine ſolche Zuſammenſetzung von galvaniſchen Elementen eine galvaniſche Batterie. Man kann dabei ſo verfahren, daß man von ſämtlichen Elementen einmal die oberen Zinkenden die Zinkpole, oder negativen Pole mit einander verbindet und auch ſämtliche Kupferenden oder die poſitiven Pole in leitende Verbindung bringt. (Vgl. die Fig. 100.) 134Die elektriſchen Erfindungen.Der Schließungsbogen, der jetzt das Kupfer mit dem Zink verbindet, wird dann von einer zehnmal größeren Elektrizitätsmenge durchfloſſen, wenn etwa zehn Elemente vorhanden ſind. Es kann andererſeits für gewiſſe, gleich zu behandelnde Wirkungen des Stromes wichtig ſein, die Spannung der Elektrizität zu erhöhen, ohne daß man beträchtliche

Fig. 100.

Schema für die Parallelſchaltung von galvaniſchen Elementen.

Mengen braucht, man wird dann die Elemente ſo ver - binden, wie die Fig. 101 es zeigt, nämlich immer den Zinkpol des einen mit dem Kupferpol des folgenden Elements verknüpfen. In dem Schließungsbogen fließt jetzt die Elektrizität mit größerem Gefälle, wenn auch nicht in ſolcher Menge. Man nennt die erſte Art von Verbindung die Parallelſchaltung, die zweite die Hinter - einanderſchaltung. Mit einer genügenden Anzahl ſolcher Elemente kann man nun eigentümliche Wirkungen er - zielen, zu denen die Reibungselektrizität nicht fähig iſt. Man kann im Schließungsbogen einen Teil des Kupfer - drahtes durch einen ſolchen, der ſchlechter leitet, etwa einen Platindraht erſetzen, ſo wird dieſer ins Glühen geraten, weil die Elektrizität, die er nicht ſo leicht hin - durch läßt, ſich in Wärme und in Licht verwandelt.

Fig. 101.

Schema für die Hintereinander - ſchaltung von gal - vaniſchen Elementen.

Man kann dasſelbe auch mit Kupferdraht erreichen, wenn man ihn nur hinreichend dünn wählt, denn dann muß ſich die Elektrizität durch den engen Draht zwängen und dabei ſich auch in Wärme umſetzen.

Die Galvanoplaſtik.

Wenn man einen Teil des Drahtes durch einen Leiter erſetzt, welcher keinen einfachen chemiſchen Stoff darſtellt, ſondern aus mehreren chemiſchen Elementen ſich zuſammenſetzt, ſo hat der elektriſche Strom die Fähigkeit, dieſen Körper in ſeine Beſtandteile zu zerlegen. Wenn man ihn alſo z. B. durch eine Löſung von Kupfervitriol hindurchſchickt, ſo wird dieſes in das Kupfer und die Schwefelſäure zerlegt, und wir erkennen ſofort, daß, wenn man die Kupferteile, die ſich aus der Flüſſigkeit abſcheiden, an einer beſtimmten Stelle vereinigen kann, ſo135Die Galvanoplaſtik.daß ſie feſt zuſammen liegen bleiben, dann die Möglichkeit gegeben iſt, dem Metall jene Formen anzuweiſen, in welche die alten Ägypter bereits dasſelbe zu bringen verſtanden. Daß dieſe Möglichkeit vorliegt, er - kannte zuerſt Moritz Hermann Jacobi, geboren 1801 zu Potsdam, geſtorben 1874 als Staatsrat und Mitglied des Manufakturkonſeils zu Petersburg, und dieſe Erkennt - nis führte ihn 1838 zur Er - findung der Galvanoplaſtik. Die Anordnung ſeines Appa - rates war freilich eine etwas andere, aus der Fig. 102 er - ſichtliche. Wenn der Strom im Schließungsbogen ſolche chemiſche Wirkungen zeitigt, ſo

Fig. 102.

Jacobis galvanoplaſtiſcher Apparat.

darf man nämlich annehmen, daß er es auch innerhalb der Flüſſigkeit des Elements thun wird; es fließt ja durch dieſelbe die nämliche Elektrizitätsmenge mit derſelben Spannung, wie durch den Schließungs - draht und, wenn die Flüſſigkeit zerſetzbar iſt, ſo wird ſie eine Trennung in ihre Beſtandteile erdulden. Der Strom, ſelbſt hervorgebracht durch eine chemiſche Wirkung, wird ſeinerſeits ſolche Arbeiten leiſten, wie die, aus denen er gezeugt ward. Bei dem Jakobiſchen Elemente iſt ein Gefäß A, welches oben offen iſt, deſſen Boden aber aus einer Schweins - oder Ochſenblaſe gebildet wird, ſo in ein weiteres Gefäß B eingeſetzt, daß der Boden von A ungefähr 5 cm über dem Boden des Gefäßes B ſich befindet; das Gefäß A iſt mit ſtark verdünnter Schwefel - ſäure, das Gefäß B aber mit einer konzentrierten Löſung von Kupfer - vitriol gefüllt. In die Flüſſigkeit des oberen Gefäßes wird dann eine Zinkplatte, in die Flüſſigkeit des unteren Gefäßes wird die Form eingeſetzt, welcher der Kupferniederſchlag ſich anpaſſen ſoll. Der elektriſche Strom wird durch die Blaſe nicht gehemmt, da dieſe ſogar den beiden Flüſſigkeiten den Durchtritt durch ihre Poren geſtattet. Die Form muß ſelbſt eine metalliſche ſein, oder doch mit einem guten Leiter, z. B. mit Graphitpulver überzogen ſein. Dann haben die Beſtandteile des Kupfervitriols die Eigentümlichkeit gerade nach be - ſtimmten Stellen des Apparates hingezogen zu werden. Die Schwefel - ſäure tritt durch die Blaſe in das Gefäß A hinein, wo ſie weiter im Verein mit dem Zink elektromotoriſche Kraft erzeugt, das Kupfer ſetzt ſich in mikroſkopiſch kleinen Kryſtallen an die Form an, und, wenn nun der Vorgang lange genug dauert, ſo ſetzt ſich ein Teilchen ſo genau ans andere, daß ſie zuſammen eine harte Maſſe bilden, die ſich ganz genau der Form angepaßt hat. Eine Vorſichtsmaßregel muß freilich noch angewendet werden: der die Form mit dem Zink ver - bindende Metalldraht muß, ſoweit er im Bereiche der Flüſſigkeit ſich befindet, iſoliert ſein, weil ſich ſonſt an ihm nicht weniger Kupfer niederſchlägt, als auf der Form. Man kann ſo ſehr genaue Nach -136Die elektriſchen Erfindungen.bildungen von Medaillen und Münzen erhalten, freilich zunächſt nur einſeitige, wie ja die Form nur einſeitig iſt. Dieſe ſo einfache Erfindung hat nun große Induſtriezweige hervorgebracht, da durch ſie die Nach - bildung aller möglichen Gegenſtände und auch das Überziehen derſelben mit dünnen Metallſchichten ermöglicht iſt. Wir wollen dieſelben einzeln durchgehen, zuvor aber bemerken, daß die Ströme, welche die galvaniſchen Niederſchläge liefern, heute nicht mehr alle durch galvaniſche Elemente geliefert werden, ſondern auf einem von dem beſchriebenen verſchiedenen Wege, durch die ſpäter zu beſchreibenden Dynamomaſchinen, erzeugt werden. Man leitet dieſen Strom, wie den der galvaniſchen Elemente, durch eine Flüſſigkeit hindurch, welche das niederzuſchlagende Metall in irgend einem Salze gelöſt enthält. Man wird durch allmählichen Zuſatz von Stücken dieſes Salzes immer dafür ſorgen können, daß die Löſung konzentriert bleibt.

Will man nicht blos die einſeitigen Abdrücke einer Form haben, ſondern eine vollſtändige Nachbildung eines Gegenſtandes, ſo wird man das Original in Wachs oder Stearin abdrücken, und zwar beide Seiten deſſelben, dann die Abdrücke durch Einpinſeln mit Graphitpulver leitend machen und zu einer Hohlform zuſammenſetzen. Man kann die nachzubildenden Körper beliebig groß wählen, immer gelingt das Verfahren. Wenn man eine Statue einer Form nachbilden will, ſo wird man entweder dieſe in mehrere Teile zerlegen und die auf ihnen gebildeten Niederſchläge nachträglich an einanderpaſſen oder nach einem Verfahren des Pariſer Galvanoplaſtikers Lenoir ſich eine Hohlform aus mehreren Stücken Guttapercha zuſammenſetzen, dann einen viel - verzweigten Leiter in das Innere ſo hineinfügen, daß er die Wände nicht berührt, während die innere Fläche mit Graphit überzogen wird. In den Hohlraum kann die Kupfervitriollöſung an zwei Stellen ein - treten und darin zirkulieren. Jetzt leitet man einen Strom durch die Flüſſigkeit und es wird ſich die Innenwand gleichmäßig mit Kupfer überziehen, während die ſich bildende Säure den Leiter nicht angreift, wenn er, wie Lenoir ihn wählt, aus Platin beſteht. Freilich gehört ſchon ein kräftiger galvaniſcher Strom dazu, und das Platin ſtellt ſich nicht billig für ein Kilogramm Kupferniederſchlag auf über 100 Mark. Das ſind die Gründe, aus denen man für größere Kunſt - werke jener Methode ſich zuwandte, die wohl einſt auch im Nilthale im Dienſte einer entwickelten Induſtrie geſtanden hat. Man überzieht eine Form aus Wachs oder Thon in einer Zerſetzungszelle ſo nennt man das Gefäß, durch welches der Strom geleitet wird mit einem Kupferniederſchlag, hört aber mit der Zerſetzung auf, wenn derſelbe noch ſehr dünn iſt und nur genügende Haltbarkeit hat, um nicht in ſich zu zerfallen. Dann brennt man den Thon oder ſchmilzt das Wachs heraus, und man hat jetzt eines jener dünnwandigen Stand - bilder der Ägypter vor ſich. Aber man hat die Fähigkeit, wenn man dieſe auswendig, etwa durch einen Überzug von Firnis, iſoliert, nun137Die Galvanoplaſtik.inwendig noch ſoviel Metall niederzuſchlagen, bis das Ganze eine genügende Feſtigkeit erlangt hat. Das größte auf dieſem Wege her - geſtellte Standbild iſt die 3,3 Meter hohe Figur des Gutenbergdenkmals, welche aus der Werkſtatt von Kreß in Frankfurt a. M. hervorging. So hat das galvanoplaſtiſche Verfahren alle Ausſicht, das Gießen von Denkmälern ganz zu verdrängen. Es iſt bedeutend bequemer und giebt alle feinen Details des Modells viel genauer wieder, ſo daß eine Nacharbeit durchaus überflüſſig wird. Ganz aus dem Felde geſchlagen iſt das Gießen in Bronze bereits bei der Anfertigung von kleineren Figuren, Lampenträgern und anderen Gegenſtänden des Zimmerſchmucks, die man heute alle gavanoplaſtiſch herſtellt. Es iſt nur natürlich, daß auch andere Metallgegenſtände, die man früher durch Preſſen herſtellte, jetzt meiſt auf dieſem Wege erhalten werden, wenn nur eine einzige genau gearbeitete Vorlage vorhanden iſt. Von dieſer Art ſind z. B. Knöpfe, Decken für Etuis und Käſtchen in getriebener Arbeit, ſowie Verzierungen an Möbeln; vorzüglich ſind es aber Uhrgehäuſe, die jetzt auf dieſem Wege gearbeitet werden. Man bekommt dieſelben ſamt der Uhr heute für einen erſtaunlich billigen Preis. Das Rätſel der billigen Herſtellung löſt ſich ganz einfach: es werden jene Kupferniederſchläge nur höchſt dünn hergeſtellt und zur Verſtärkung mit Zinn ausgegoſſen, ſpäter noch ganz leicht galvaniſch vergoldet. Auch größere Reliefs werden auf dem naſſen Wege viel leichter und billiger erzeugt als bei getriebener Arbeit, ſo z. B. große Relief-Landſchaften.

Die Kupferplatten, welche der Kupferſtecher für ſeine Zwecke verwenden will, litten bisher an mancherlei Mängeln. Durch Gießen oder Hämmern hergeſtellt, konnten ſie oft nicht denjenigen Grad von Gleichförmigkeit erlangen, welcher hier nötig war. Seitdem dieſe Platten vom Galvanoplaſtiker hergeſtellt werden, laſſen ſie an Gleich - artigkeit der Maſſe nichts zu wünſchen übrig und der Grabſtichel des Kupferſtechers ſtößt überall auf denſelben Widerſtand. Man legt die Formplatte, auf der ſich das Kupferblatt niederſchlagen ſoll, horizontal auf den Boden der Zerſetzungszelle und bringt 2 cm höher eine zweite Kupferplatte an, bei welcher der poſitive Strom in die Flüſſigkeit ein - tritt. Dieſe Platte liefert durch ihre Auflöſung in der entſtehenden Säure den Erſatz für das zerſetzte Kupfervitriol, ſo daß die Löſung immer gleich konzentriert bleibt.

Wie der Kupferſtecher arbeitet, das möge der verehrliche Leſer in dem Kapitel über die vervielfältigenden Künſte nachleſen. Er wird dort auch finden, daß die Platte nicht eben für viele Drucke gleich brauchbar bleibt, daß die erſten Abdrücke, die ſogenannten avant la lettre, die weitaus am meiſten geſchätzten ſind, weil eben die Platte beim Drucke ſich abnützt. Man iſt gerade deshalb zum Stahlſtich übergegangen, da die Stahlplatte mehr Nachdrücke aus - halten kann. Aber dieſelbe iſt auch viel ſchwieriger zu behandeln wegen ihrer Härte, die es dem Künſtler unmöglich macht, ſo voll -138Die elektriſchen Erfindungen.endete Kunſtwerke herzuſtellen, wie auf Kupfer. Jetzt iſt man aber allen dieſen Schwierigkeiten überhoben, denn man braucht die Original - Kupferplatte nur noch, um davon eine Reihe von Abdrücken in Kupfer auf galvaniſchem Wege, ſogenannte Galvanos herzuſtellen, die dann allein für den Druck verwendet werden. Damit ſich der Ab - klatſch leichter vom Original abhebe, wird dieſes zuvor auf galvaniſchem Wege ſchwach verſilbert, ſo wie wir es bald leſen werden. Damit die Druckplatte ſich weniger ſchnell abnutze, wird auch wohl zuerſt ein Nickelniederſchlag und darüber erſt der kupferne erzeugt. Und ganz ebenſo macht man es mit den Holzſchnitten, das Original dient nur als Matrize, um die Kupferklichees herzuſtellen, welche viel dauerhafter als die Holzplatte ſind. So ſind die Abbildungen in dieſem Buche ausſchließlich mit ſolchen Galvanos hergeſtellt. Sie ſind dadurch weſentlich ſchärfer, als wenn ſie mit dem Holzſtock direkt gedruckt worden wären. Auch für den Buchdruck ſelbſt iſt die Galvanoplaſtik nutzbar gemacht worden. Man ſtereotypiert die Platten jetzt auf naſſem Wege. Nachdem von dem Satze ein Abdruck in Guttapercha hergeſtellt iſt, läßt man in dieſen ſich Kupfer niederſchlagen und hat ſo die Möglichkeit, zu jeder beliebigen Zeit, wenn der Satz längſt auseinander genommen iſt, immer neue Auflagen des Buches herzuſtellen.

Nicht genug, daß die Galvanoplaſtik ſo die Vervielfältigung von Originalen lehrte, die auf einem älteren, bekannten Wege hergeſtellt waren, ſie hat auch noch den Anſtoß zur Erfindung ganz neuer Zeichenmanieren und zur Verwendung alter, bisher wenig brauchbarer gegeben. Ein neues Verfahren iſt z. B. die vom Kupferſtecher Schöler in Kopenhagen erfundene Stilographie. Sie liefert die ſchönſten Radierungen auf die leichteſte Weiſe. Der Grund, auf welchen die Zeichnung eingeriſſen wird, iſt ungemein weich, da er aus Stearin und Schellack beſteht. Man kann die Zeichnung leicht verfolgen, wenn man den Grund mit Kienruß ſchwarz färbt und oberflächlich mit weißem Silberpulver bedeckt. Iſt die Zeichnung vollendet, ſo braucht man ſie nur durch Graphit leitend zu machen, davon einen erhabenen und ſchließlich von dieſem einen vertieften Abdruck zu nehmen, ſo iſt die zum Druck bereite Platte geliefert.

Noch einfacher iſt die bereits 1840 von Kobell in München empfohlene Galvanographie. Da wird auf einer verſilberten Kupfer - platte die gewünſchte Zeichnung mit Tuſche entworfen, und zwar werden diejenigen Stellen, die ſpäter im Druck beſonders dunkel erſcheinen ſollen, ſtärker aufgetragen, als die helleren. Man erhält ſo eine erhabene Platte, und wenn man dieſelbe nach dem Trocknen durch Einreiben mit Graphitpulver leitend macht und davon einen galvaniſchen Abdruck nimmt, ſo erhält man die zum Druck fertige vertiefte Platte, welche hübſche Abdrücke in Tuſchmanier liefert.

Im Jahre 1854 hat Pretſch in Wien ein Verfahren angegeben, um ſogar Photographien durch die Galvanoplaſtik zu vervielfältigen. 139Die Galvanoplaſtik.Jene werden auf einer Glasplatte entworfen und ſo gewaſchen, daß ſie ein Relief bilden, von dem man Abklatſche in Kupfer herſtellen kann. 1873 wurde dieſe Methode durch Dallas in London verbeſſert, und ſie heißt die Dallastypie oder Photogalvanographie. Man braucht den Kupferplatten kaum mit dem Grabſtichel nachzuhelfen und erhält doch in den Bildern das feine Korn des Kupferſtiches. Auf dieſem Wege hat der Direktor Leipold von der Banknotendruckerei in Liſſabon unvergleichliche photographiſche Vervielfältigungen erhalten.

Der Direktor der Wiener Staatsdruckerei Auer erſann vor 40 Jahren ein höchſt einfaches Verfahren, um Abdrücke der verſchiedenartigſten Körper zu erhalten, den Naturſelbſtdruck. Es handele ſich z. B. darum, den Abdruck einer foſſilen Pflanze zu vervielfältigen, ſo hat man dieſen zwiſchen eine polierte Stahlplatte und ein dünnes Bleiblech zu legen und nun das Ganze bei einem geeigneten Druck zwiſchen zwei Walzen hindurchgehen zu laſſen. Man ſieht dann im Blei den abgeformten Gegenſtand mit allen Details. Natürlich kann man von der Bleiplatte einen galvanoplaſtiſchen, für den Druck geeigneten Abklatſch nehmen; aber man verfährt auch ſo, daß man die Kupfertiefplatte, die man ſo erhält, erſt durch die Preſſe in eine Zinkplatte drückt und dieſe ſo lange ätzt, bis der Abdruck erhaben hervortritt. Man erhält ſo Abdrücke, welche den beſten Kupfern nicht nachſtehen. Aber freilich iſt das Ver - fahren ziemlich koſtſpielig, ſo daß es noch nicht allgemein eingeführt iſt. Auf ganz ähnliche Weiſe gelangt man auch zu Abdrücken von Juchtenleder in Papier. Man hat nur nötig, durch den Naturſelbſt - druck die genarbte Lederfläche auf Blei oder Guttapercha abzudrucken und dann die Platten zum Preſſen des Papiers auf galvano - plaſtiſchem Wege zu gewinnen.

Einige andere Methoden der Galvanoplaſtik ſind in ihrem Weſen von den vorhergehenden etwas verſchieden. Wenn dort, wo der Strom in die Zerſetzungszelle eintritt, eine Kupferplatte hängt, ſo wird dieſe wie wir vernahmen durch die ſich entwickelnde Schwefel - ſäure angegriffen. Je nachdem man den Strom ſtark oder ſchwach wählt, lange oder kurze Zeit wirken läßt, kann man dieſe Ätzung des Kupfers nach Belieben tief werden laſſen. Man wird natürlich nur diejenigen Stellen der Platten, welche geätzt werden ſollen, bloslegen, im übrigen aber das Kupfer mit einer iſolierenden Schicht überziehen. Man radiert die Zeichnung in dieſe Schicht hinein und bringt ſie an der paſſenden Stelle in die Löſung von Kupfervitriol. Leitet man jetzt den Strom hindurch, ſo wird das Metall an allen nicht bedeckten Stellen von der entſtehenden Säure angefreſſen. Aber die ätzende Flüſſigkeit bleibt dabei ſo dünn, daß das bei anderen Ätzverfahren vorkommende Unterfreſſen der Linien der Zeichnung vermieden wird. Man kann die Wirkung des Stromes kontrollieren, indem man öfters die Platten aus dem Bade nimmt und nun immer diejenigen Stellen überdeckt, welche nicht tiefer geätzt werden ſollen. So hat man noch140Die elektriſchen Erfindungen.immer die Fähigkeit, Licht und Schatten angemeſſen zu verteilen. Es giebt kein Verfahren der Ätzung, welches eine ſo feine Arbeit hervor - brächte, wie dieſes, bei welchem ſelbſt ganz benachbarte Linien nicht in einander fließen. Man nennt es die Galvanokauſtik oder das galvaniſche Gravieren. Es wird namentlich zur Herſtellung von Walzen für Zeug - und Tapetendruck verwendet.

Um noch ein letztes von den faſt unzählbar gewordenen Vervicl - fältigungsverfahren der Galvanoplaſtik zu erwähnen, ſo verſteht man unter Galvanoglyphie die Kunſt, von geätzten Zinkplatten erhabene für den Druck mit der Preſſe geeignete Kupferkliſchees abzunehmen. Das Zink wird mit einer dünnen Fett - oder Firnisſchicht bedeckt, hier die Zeichnung eingegraben und flach geätzt. Nachdem man eine neue Schicht von Firnis oder fetter Farbe aufgetragen hat, wird alles wiederholt und zwar ſo oft nacheinander, bis die Ätzung genügend tief erſcheint, damit jetzt das Kupfer darauf niedergeſchlagen werden kann. Man hat hier zu beachten, daß auf der Zinkplatte alles wie im ſpäteren Druck erſcheint, weil die erhabene Kupferplatte direkt für den Druck verwendet wird.

In neueſter Zeit kommen bereits im Handel ſehr hübſche Pflanzen - und Tiernachbildungen vor, die uns auf den erſten Blick wie von Metall gemacht erſcheinen. Das ſind ſie nun zwar nicht, ſondern nur auf galvanoplaſtiſchem Wege mit einem dünnen Mantel von Kupfer oder anderen Metallen umgeben. Man kann ja jeden Gegenſtand durch Einpinſeln mit einem leitenden Pulver ſelbſt leitend machen und ihn im Kupferbade metalliſch überziehen. Die Blüten, Gräſer, Blätter, welche von München aus in den Handel gebracht werden, wurden zunächſt ſorgfältig getrocknet, durch Glycerin geſchmeidig gemacht und mit Bronzepulver überzogen. Erſt jetzt wurden ſie im galvaniſchen Bade verkupfert oder verſilbert. So erhält man ſchöne Ausſchmückungs - mittel für Wohnräume und Schmuckſachen; aber es iſt wohl denkbar, daß dieſe Methode auch für die Wiſſenſchaft zum Conſervieren von Naturkörpern nutzbar gemacht werden kann. Gipsabgüſſe auf ſolche Art zu verkupfern iſt erſt ganz neuerdings gelungen. Man fand nämlich eine Schwierigkeit darin, daß der im Bade naß gewordene Gips an Haltbarkeit einbüßte. Aber man durchtränkt heute den Gegenſtand erſt mit Theer, welcher ihm ſogar eine größere Feſtigkeit verleiht, und überzieht ihn mit einem dünnen Kupferniederſchlage, der ſich nun wie Metallguß ziſelieren und auch vergolden läßt. Die Formänderungen, die der Niederſchlag hervorbringt, laſſen ſich ſchon vorher berückſichtigen. Es erſcheint die Zeit nicht fern, daß die bisher ſehr koſtbare Anwendung von Metallverzierungen, von Metallkapitälen und Vaſen in echter Vergoldung in Zimmern ſich Bahn brechen und die bisher verwendeten nur metallartig angeſtrichenen Stuckformen verdrängen wird.

Ein weiteres Verdienſt der Galvanoplaſtik iſt es, daß mit ihrer Hilfe Körper, die ſonſt unter dem Einfluſſe der Luft leicht leiden, mit141Das Verſilbern, Vergolden und Vernickeln.dem den Angriffen der Atmoſphäre beſſer ſtandhaltenden Überzuge von Kupfer verſehen werden können. Solche Körper ſind z. B. die Telegraphendrähte. Dieſelben ganz aus Kupfer herzuſtellen, wäre zu teuer. Man benutzt als Material das viel billigere Eiſen, aber man giebt ihm einen Überzug von Kupfer. Am ausgedehnteſten wird dieſe Verkupferung der Drähte von der Pontal-Telegraph - Company in New-York betrieben. 25 Dynamomaſchinen liefern den Strom, der durch 200 Zerſetzungszellen geht und in einem Tage 16 Kilometer Stahldraht mit 5 Zentnern Kupfer überzieht, indem der Draht langſam durch eine Reihe von Bädern hindurchwandert. Die Betriebskoſten werden dabei zum guten Teil durch einen Nebenverdienſt aufgebracht. Es fällt nämlich bei dem Prozeſſe in den Zellen viel metalliſches Silber zu Boden, welches in dem verwendeten Kupfervitriol vorkommt, das aber ſelbſtändig zu gewinnen nicht lohnen würde.

Das Verſilbern, Vergolden und Vernickeln.

Das Kupfer, an ſich durch ſeine Widerſtandsfähigkeit gegen die Einflüſſe der Luft hinreichend geſchützt, wird immerhin nicht dauernd ſein Ausſehen behalten. Andere Metalle ſind darin bevorzugter und dem Auge gefälliger. Silber, Gold und Nickel ſind von dieſer Art. Das Meſſing, freilich kein einfaches Metall, ſondern aus Zink und Kupfer zuſammen - geſetzt, hat dieſelbe Eigentümlichkeit. Silber und Gold, die als edle Metalle das Bleiben an der Luft ohne Schaden vertragen, ſind durch ihre Koſtbarkeit an vielen Stellen ausgeſchloſſen. Das Nickel macht ſich durch ſeine Härte ganz beſonders geeignet, als Uberzug zu dienen. Man iſt im Stande, alle dieſe Körper aus entſprechenden Löſungen, ebenſo wie das Kupfer aus der Kupfervitriollöſung, durch einen galvaniſchen Strom an der paſſenden Stelle zum Niederſchlage zu zwingen. Das Vermeſſingen von Eiſen - und Zinkwaren geſchieht durch Zerſetzung einer Cyankupfer - und - Zinklöſung. Durch paſſende Regulierung der Stromſtärke hat man es dabei in der Gewalt, die Farbe des Niederſchlages zwiſchen dem Kupferrot und dem Zinkweiß beliebig variieren zu laſſen. Man überzieht jetzt viele Haushaltungs - gegenſtände, Lampenfüße u. dgl., mit einer dünnen Schicht von Meſſing, die ihnen das Ausſehen von Bronzen giebt. Werden ſie dann noch poliert, ſo iſt kein Unterſchied von echten Bronzen zu erkennen, ſie erhalten ſogar nach längerem Gebrauch jenen ſchönen blauen Überzug von kohlenſaurem Kupfer, der als Edelpatina bekannt iſt.

Da wir von der Patina ſprechen, wollen wir im Vorübergehen eines ſehr wenig erwünſchten Überzuges von Bronzen gedenken, der ſogenannten unechten Patina, welche aus Chlorkupfer beſteht, ſich recht oft zum Schmerze des Forſchers an antiken Bronzen findet und, indem ſie die ganze Maſſe derſelben durchſetzt, den Gegenſtand der Zerſtörung anheim giebt. Nun iſt und deshalb kommen wir darauf zu ſprechen 142Die elektriſchen Erfindungen.neuerdings ein elektriſches Verfahren von Finkener in Berlin angegeben worden, um durch Zerſetzung des Kupferſalzes die Bronzen zu kon - ſervieren. Man legt dazu den Gegenſtand ſo in eine ſchwache Cyankaliumlöſung, daß der poſitive Strom, der nur ſehr ſchwach zu ſein braucht, bei ihm eintritt, dann wird das Waſſer der Löſung in ſeine Beſtandteile Waſſerſtoff und Sauerſtoff zerlegt, von denen der erſtere die Fähigkeit hat, die Patina zu Kupfer zu machen. So gelingt es, viele Bronzen vor dem drohenden oder ſchon beginnenden Zerfall zu retten und viele Details der Zeichnung auf ihnen zu Tage treten zu laſſen, welche vorher nicht ſichtbar waren.

Eine der erſten praktiſchen Anwendungen der Galvanoplaſtik war die zum Verſilbern und Vergolden von Gegenſtänden. De la Rive in Genf führte ſie bereits 1840 erfolgreich aus und bald nachher

Fig. 103.

Kleiner Apparat zum galvaniſchen Verſilbern und Vergolden.

richteten die beiden Elkington in Birmingham die heute noch blühende Werkſtatt zur Verſilberung ein. Eine kleine Zerſetzungszelle zum Verſilbern zeigt Fig. 103 einen größeren Trog Fig. 104.

In der erſteren erblicken wir in der Mitte eines runden Gefäßes einen ſilbernen Cylinder, welcher mit dem poſitiven Pole der Batterie in Ver - bindung ſteht, während die zu ver - ſilbernden Gegenſtände, etwa Meſſer und Gabeln an einem kreisförmigen Drahte hängen, der mit dem Zink - pol der Batterie verbunden iſt. Die Flüſſigkeit des Bades iſt die Auflöſung eines Silberſalzes in Cyan - kaliumlöſung; die Löſung würde durch den Niederſchlag allmählich ihres Silbergehaltes beraubt werden, wenn nicht durch Einhängen des Silber -

Fig. 104.

Größerer Apparat zum galvaniſchen Verſilbern und Vergolden.

143Das Verſilbern, Vergolden und Vernickeln.cylinders, der durch den Strom aufgelöſt wird, für Erſatz geſorgt wäre. Das größere Bild ſtellt einen Trog CC 'dar, auf dem zwei Metall - ſtäbe vv' und tt feſt liegen, bei vv 'tritt der poſitive Strom in das Bad ein, während der Zinkpol der Batterie mit tt leitend verbunden iſt. In dem Troge befindet ſich die Verſilberungsflüſſigkeit, in welche die beiden mit der poſitiven Stange vv' leitend verbundenen Silberplatten oo 'hinein - hangen. An dieſen tritt alſo der poſitive Strom in die Flüſſigkeit ein. Dagegen ſind die zu verſilbernden Gegenſtände an den Drähten a b aufgehängt, welche mit dem negativen Stabe tt in Verbindung ſtehen, aber den Stab vv' nicht berühren dürfen. An ihnen tritt der Strom wieder aus, welcher nach der Figur durch eine galvaniſche Batterie von ſechs Elementen geliefert wird, aber beim Großbetriebe auch von einer Dynamomaſchine kommen kann. Das Silber haftet an den meiſten Metallen ohne Weiteres, nur bei Zinn - und Zinkgegenſtänden iſt es nötig, zuerſt eine oberflächliche Verkupferung und dann erſt das Verſilbern vorzunehmen. Die Dicke der Silberſchicht, die man auf gewöhnlichen Tafelſervicen ſich niederſchlagen läßt, beträgt nur 8 / 100 Millimeter und iſt doch genügend, denſelben jahrelang das ſchöne Ausſehen zu be - wahren. Das geſamte Silber, das auf einem Dutzend Löffel oder Gabeln ſich abſetzt, repräſentiert zwar einen Wert von 15 Mark, aber das Beſteck koſtet nur ein Sechſtel von dem, was ein maſſives wert iſt. Es iſt übrigens nach erfolgter Abnutzung eine neue Verſilberung immer wieder möglich. Bei vielen anderen Gegenſtänden, die ja meiſt nicht ſo ſtark abgenutzt werden als Beſtecke, wird übrigens nur ein noch viel dünnerer Belag hergeſtellt von nur 1 / 1000 Millimeter Dicke. Das in Europa und Amerika alljährlich auf galvaniſchem Wege niedergeſchlagene Silber ſoll nicht weniger als 125 Tonnen wiegen, alſo einen Wert von 20 Millionen Mark beſitzen.

Beſonders iſt dieſe Induſtrie in Paris entwickelt, wo jährlich ein Fünftel dieſes Betrages verarbeitet wird, und die Fabrik von Chriſtofle allein ſeit ihrer Gründung vor 50 Jahren 169 Tonnen Silber verbraucht hat. In Deutſchland iſt die Metallwarenfabrik zu Geißlingen in Würtem - berg die hervorragendſte Vertreterin der Silbertechnik. Sie beſchäftigt 600 Arbeiter. Die Waren werden in zwei Gießereien gegoſſen, in fünf Walzwerken werden Bleche gewalzt. In anderen Räumen werden dieſe plattiert, d. h. auf trockenem Wege mit Platten von anderen Metallen belegt, die Gußſachen gefeilt, ciſeliert und gedreht, geſchliffen oder durch Blaſen mit Sand auf ihrer Außenſeite an beſtimmten Stellen rauh gemacht. Nach dieſen und noch einigen Vorbereitungen gelangen die Gegenſtände erſt zur Verſilberung, bei der ſich das durch das Sand - gebläſe erlangte ſchöne matte Ausſehen erhält, wenn man ſie nicht nachträglich an geeigneten Stellen poliert. Auch die ſogenannten Oxydſachen werden galvaniſch erhalten. Es ſind in Wahrheit verſilberte Gegenſtände, welche oberflächlich mit einer Schicht von Schwefelſilber überzogen ſind. Man erlangt ſie durch Einbringen an die Stelle,144Die elektriſchen Erfindungen.wo der poſitive Strom in die zu zerſetzende Flüſſigkeit eintreten ſoll, die hier Schwefelammonium gelöſt enthält; der ſich entwickelnde Schwefel wird von dem Silber angezogen und bildet mit ihm den als Oxyd bekannten Überzug.

Die galvaniſche Vergoldung kam gleichzeitig mit der Verſilberung auf. Brugnatelli vergoldete bereits 1805 eine ſilberne Medaille mit Hülfe der Voltaſchen Batterie. De la Rive ſoll das Verfahren bereits 1828 gekannt haben. Nach ſeiner Veröffentlichung im Jahre 1840 nahmen Ruolz in Frankreich und die beiden Elkingtons in England Patente darauf. Sie iſt auch ganz ebenſo einfach auszuführen. Das Bad, in welches die zu vergoldenden Gegenſtände kommen, enthält eine Löſung von Cyankalium und eine ſolche von Gold in Königs - waſſer. Je nach der Stärke des Stromes und der Wärme des Bades ändert ſich die Farbe des Goldniederſchlags von lichtem zu lebhaftem Hellgelb. Durch Zuſatz von Silber aber hat man es in der Gewalt, die Farben von Grün bis Rot wechſeln zu laſſen je nach dem Ver - hältniſſe der Miſchung. Dieſes Verfahren hat zwar noch nicht alle übrigen Vergoldungsarten verdrängt, aber ſie doch mehr in den Hinter - grund treten laſſen; denn wenn der galvaniſche Niederſchlag auch nicht ſo feſt halten ſoll, wie der durch die Feuervergoldung erlangte, ſo hat das Feuerverfahren, bei dem giftige Queckſilberdämpfe ſich entwickeln, ſo ſchädliche Einflüſſe auf die Geſundheit der Arbeiter, daß man ſchon deshalb davon zurückkommt. Eine beſonders gefällige Anwendung dieſer Technik iſt die jetzt ſchon verbreitete Kunſt der galvanoplaſtiſchen Niellos. Man verſteht darunter Metallarbeiten nach Art der ein - gelegten Holzarbeiten, bei denen in die Riſſe und Lücken eines Metalls durch Einpreſſen ein anderes gebracht wird, wie z. B. Gold in Silber. Ähnlich waren die tauſchierten Holzarbeiten, bei denen ein Metall an gewiſſen vertieften Stellen des Holzes eingepreßt ward. Ganz das - ſelbe erreicht man jetzt mit viel weniger Mühe und weitaus ſchöner auf galvaniſchem Wege. Man überzieht etwa eine Kupferplatte mit einer iſolierenden Schicht und macht nur diejenigen Stellen frei, welche einen Niederſchlag empfangen ſollen. Nimmt man dann die Platte aus dem Bade, bedeckt die niedergeſchlagenen Stellen und macht andere frei, an denen in einer neuen Zelle ein anderes Metall ſich anſetzen ſoll, ſo kann man nacheinander die Platte mit drei oder vierfarbigen Arabesken überziehen, wie z. B. mit Kupfer, Silber, Gold und Oxyd. Oder man ätzt einfach gewiſſe Stellen in der Kupferplatte ein und läßt dann dieſe Stellen ſich mit Gold - oder Silberniederſchlag anfüllen, bis derſelbe gleiche Höhe mit der Oberfläche der Platte erlangt hat. Der bekannte Schriftſteller Corvin hat ein ſehr hübſches und dabei höchſt einfaches, nach ihm Corvinniello genanntes, Verfahren angegeben, um eingelegte Arbeiten zu erhalten. Man fertigt eine Zeichnung der Arbeit auf beliebigem, am beſten metalliſchem Hintergrunde und belegt dieſen an den paſſenden Stellen mit Stücken von Jet, Bernſtein, Perl -145Das Verſilbern, Vergolden und Vernickeln.mutter oder Metallen, aber ſo, daß ſie mit ihrer rechten Seite dem Hintergrunde zugekehrt ſind, der noch übrige Raum wird galvaniſch mit Metall gefüllt; wenn dieſes die hinreichende Stärke erlangt hat, kann das Ganze vom Hintergrunde losgelöſt werden. Die aufgeklebten Stücke erſcheinen dann in der ſauberſten Weiſe in das Metall eingelegt. Natürlich kann man durch Eingravieren, Vergolden oder Verſilbern das Stück noch weſentlich verſchönern. So laſſen ſich Tiſchplatten, Buchdeckel, Möbeleinlagen und Platten für allerlei Dinge zu beſonders billigen Preiſen herſtellen.

Im Jahre 1846 machte Böttger den Vorſchlag, Gegenſtände, die den ſchädlichen Einflüſſen der Luft ausgeſetzt ſind, durch einen Überzug mit Nickel zu ſchützen, aber erſt 1869 kam das von Böttger angegebene Verfahren in größerem Maßſtabe zur Anwendung, und zwar zuerſt in Nordamerika. Feuerwaffen, die vor dem Roſten bewahrt werden ſollten, wurden damals der Vernickelung unterzogen, heut aber werden Schlöſſer, Schlüſſel und Zimmeröfen ſo gut wie wiſſenſchaftliche Inſtrumente, ja ſogar vielerlei Zink - und Meſſinggeräte mit einem Nickelüberzuge ver - ſehen. Es giebt kaum einen Induſtriezweig, der ſo ſchnell ſich überall Eingang verſchafft hätte, wie die Vernickelung. Die Gegenſtände werden an der Austrittsſtelle des poſitiven Stroms in eine konzentrierte Löſung von ſchwefelſaurem Nickel und ſchwefelſaurem Ammonium eingebracht und bei hinreichend ſtarkem Strome in kurzer Zeit mit einer dünnen, aber ſehr feſt haftenden Schicht von Nickel überzogen. Durch Einhängen eines Nickelblechs an der Eintrittsſtelle des Stroms ſorgt man dafür, daß die Löſung fortwährend ihre Stärke beibehält. Abgeſehen davon, daß die meiſten Gegenſtände dadurch ein viel ſchöneres Ausſehen er - langen, ſind ſie durch den Nickelüberzug gegen den Schaden, den die Luft und das ihr in geringem Maße beigemengte Schwefelwaſſerſtoffgas ihnen zufügen, gegen welches ſelbſt das Silber nicht ſicher iſt, gut geſchützt.

Indem man die chemiſchen Wirkungen des elektriſchen Stromes genauer ſtudierte, iſt man auch zu anderen ebenſo wirkſamen, dabei äußerſt intereſſanten Methoden gelangt, um Metalle gegen die Angriffe der Luft und anderer mit ihnen in Berührung kommender Stoffe zu ſchützen. So wird eine Kupferplatte, die man in Seewaſſer eintaucht, leicht und ſchnell von dieſem angefreſſen, weil ihm Spuren von ver - dünnten Säuren beigemiſcht ſind. Die Platten, welche den Belag von Schiffskörpern bilden, nutzen ſich alſo leicht ab. Verbindet man aber mit dem Kupfer ein Stückchen Zink, ſo wird nach dem, was wir am Anfange dieſes Kapitels geſagt haben, ein Strom von poſitiver Elektrizität innerhalb der Flüſſigkeit vom Zink zum Kupfer gehen. Die ſo erzeugte elektromotoriſche Kraft wirkt aber gerade der chemiſchen Verwandtſchaft zwiſchen dem Kupfer und jenen dünnen Säuren entgegen und verhindert ſomit die Abnutzung des Kupfers. Dagegen wird allerdings jetzt das Zink ſchneller angegriffen, als es ſonſt im Seewaſſer mit ihm der FallDas Buch der Erfindungen. 10146Die elektriſchen Erfindungen.wäre. Aber es genügen nach den Verſuchen, welche der berühmte Chemiker Davy am Anfange des Jahrhunderts anſtellte, 11 Stückchen Zink, ſo groß wie die Köpfe kleiner Nägel, um ein Quadratmeter des Belags zu ſchützen. Leider iſt dieſe geiſtreiche Erfindung praktiſch wenig angewendet worden, weil ſich herausgeſtellt hat, daß die Seegräſer und Schaltiere ſich mit Vorliebe an die nicht angefreſſenen Kupfer - platten anſetzen.

Das Verſieden von Salzſoolen geſchieht gewöhnlich in eiſernen Pfannen, welche auch den Angriffen gewiſſer chemiſcher Beimengungen der Soole nicht ſtandhalten. Althaus kam auf die Idee, den Eiſen - trog ganz ähnlich zu ſchützen, wie Davy die Kupferplatte ſicherte. Auch hier ſollte Zink der Retter aus der Not ſein, indem es in der Flüſſigkeit eine elektromotoriſche Kraft erzeugt, die der chemiſchen An - ziehung zwiſchen dem Eiſen und derſelben gerade entgegenwirkt. Aber freilich ſtieß die Sache auf eine Schwierigkeit: das Zink wurde deſto mehr angegriffen und die entſtehende Chlorzinklöſung hätte der Soole giftige Eigenſchaften gegeben. Die Ecken der Tröge wurden daher mit Holzbrettern abgeſchnitten und nur die ſo entſtehenden Kammern mit Zink ausgefüllt. Dann ſtellte die durch das Holz ſickernde Soole die leitende Flüſſigkeit dar und es entſtand ein Strom zwiſchen Eiſen und Zink, während das ſich bildende Chlorzink die Soole nicht verunreinigte.

Man hat die Beobachtung gemacht, daß die Eiſenbahnſchienen nicht leicht roſten, wie man doch von ihnen erwarten ſollte, da ſie immerfort den Einflüſſen des Regens, des Sauerſtoffs und der Kohlen - ſäure der Luft ausgeſetzt ſind. Wenn ſie ſich noch im Lager befinden, ſo müſſen ſie ſehr trocken gehalten werden, um nicht bald vom Roſt an - gefreſſen zu werden. Als man nun die im Gebrauche befindlichen Schienen genauer unterſuchte, fand man, daß ſie in der erſten Zeit allerdings ſich mit Roſt bedecken, daß aber der fortwährende Druck darüber hinfahrender Eiſenbahnzüge dieſen Roſt in das ſogenannte Eiſenoxyduloxyd verwandelt, eine Verbindung, die in der Natur als Magneteiſenſtein vorkommt und durch dunkle Farbe charakteriſiert iſt. Dieſe ſchützt nun die Schienen ganz ähnlich vor dem Roſten, wie der Zinknagel die Kupferplatte; ſie ent - wickelt mit den Waſſern der Niederſchläge eine elektromotoriſche Kraft, welche gerade wieder jenen roſterzeugenden chemiſchen Kräften entgegen - wirkt. Um auch das erſte Roſten der Schiene zu verhindern, kann man ſie daher mit einem ſolchen Überzuge von Magneteiſenſtein oder einem ähnlich wirkenden Material verſehen. Ein ſolches iſt z. B. das Manganſuperoxyd, das in der Natur als Braunſtein vorkommt. Haswell in Wien ſchlägt es auf galvaniſchem Wege auf den Eiſen - ſchienen und anderen Eiſengeräten nieder und ganz neuerdings behandelt er die Gewehrläufe in ähnlicher Weiſe, indem er ihnen einen galvano - plaſtiſchen Überzug von Bleiſuperoxyd verleiht, ein Mittel, welches das Roſten von Eiſen und Stahl ebenſo wenig zuläßt, wie die ſchon er - wähnten Stoffe.

147Die Induktion.

c) Die Erfindung der Induktion und der Dynamo - maſchinen.

Die Induktion.

Wir erwähnten, daß man bald herausfand, wie fähig der elektriſche Strom ſei, um neben den chemiſchen Arbeiten auch noch andere, ſchwierigere Dinge zu vollbringen. Weniger gute Leiter, die er zu paſſieren gezwungen wird, verſetzt er ins Glühen und daher muß er auch zum Hervorbringen von Licht geeignet ſein. Er kann, wie wir ſpäter ſehen werden, auch mannigfache Arbeiten vollbringen, zu denen ſonſt menſchliche und tieriſche Muskelkraft, ſowie die des Dampfes herangezogen werden. Was ſich der Nutzbarmachung dieſer Entdeckungen in den Weg ſtellte, das war aber vor allem die Teuerkeit eines Stromes, den man durch eine Batterie erlangte. Hätte man mit der bisher be - ſchriebenen galvaniſchen Kette große Arbeiten vollbringen wollen, ſo wäre die Zahl der dafür nötigen Elemente ins Unglaubliche gewachſen. Man fand aber bald, daß andere auf demſelben Prinzip beruhende Elemente weit wirkſamer waren, als das urſprüngliche Voltaſche. Die ſich erweiternden Kenntniſſe über die chemiſchen Kräfte gaben die Mittel an die Hand, ſtärkere Batterien zu bauen. Ein ſehr viel gebrauchtes, kräftiges Element iſt dasjenige, welches der berühmte Chemiker Bunſen 1842 zuſammenſetzte. Ein Zinkcylinder ſteht in verdünnter Schwefelſäure, ihn umgiebt eine unten geſchloſſene Thonröhre, die mit konzentrierter Salpeterſäure gefüllt iſt und ein Stück Kohle enthält. Die Thonzelle iſt porös, ſie geſtattet alſo beiden Flüſſigkeiten den Durch - tritt und ſomit ein Weiterſtrömen der Elektrizität. Verbindet man außer - halb des Elements die Kohle und das Zink, ſo ſtrömt in dieſem Schließungsbogen poſitive Elektrizität von der Kohle zum Zink und negative umgekehrt. Man ſagt aber kurz: der Strom geht von der Kohle, dem poſitiven Pol, zum Zink, dem negativen Pol. Innerhalb des Elements fließt der Strom dagegen vom Zink zur Kohle. Dies iſt nur eines von einer Anzahl in ihrer Art ſehr geeigneter Elemente, die nun zu vielen zuſammengeſetzt eine erſtaunliche Arbeitskraft ent - wickeln können. Aber im Großen ließ ſich eben deshalb kein Gebrauch von ihnen machen, weil neben den Säuren, die ſich auch in einiger Zeit aufbrauchen, vor allem immer das Zink binnen kurzem einer Er - neuerung bedarf, da die Schwefelſäure es aufzehrt. Nun wird 1 kg Zink durch die Verbrennung von 15 bis 20 kg Kohle erzeugt (vgl. Metall - gewinnung ); während aber 1 kg Kohle durch ſeine Verbrennung 12½ kg eiskaltes Waſſer in Dampf von 100 Grad zu verwandeln fähig iſt, ver - mag ein kg Zink dies nur mit kg Waſſer. Das Zink leiſtet alſo durch ſeine Zerſtörung nur ein Fünftel der Wirkung, welche die Kohle giebt, und da es etwa 50 mal ſo teuer als die Kohle iſt, ſo folgt, daß die durch eine galvaniſche Batterie geleiſtete Arbeit ungefähr 250 mal10*148Die elektriſchen Erfindungen.teurer zu ſtehen kommt, als die der Dampfmaſchine. Alſo für die in Induſtrie und Verkehr nötigen Kraftwirkungen war die Elektrizität, ſo lange man zur Erzeugung des Stromes auf die galvaniſchen Batterien angewieſen war, nicht brauchbar.

Aber bereits 1822 fand der Phyſiker Seebeck in Berlin ein Mittel, galvaniſchen Strom in einer Verbindung von Metallen zu erzeugen, ohne dieſe zu ſchädigen. Nicht die chemiſche Verwandtſchaft, ſondern die Wärme war die Kraft, die den Strom lieferte. Man braucht nur zwei verſchiedene Metalle an ihrem einen Ende zu verlöten und die innern Enden durch einen Schließungsdraht zu verbinden, ſo wird dieſer von einem Strome durchfloſſen, ſobald man die Lötſtelle erwärmt. Will man ſtärkere Wirkungen erzielen, ſo kann man das eben be - ſchriebene Metallpaar, das Thermoelement mit anderen in geeigneter Weiſe verbinden, ſo wie man die galvaniſchen Elemente zu Batterien verbindet. Die paſſende Erwärmung der Thermobatterien liefert dann ſchon Ströme, die größerer Wirkungen fähig ſind. Am beſten wählt man als Metalle Wismuth und Antimon, verbindet ſie an ihren Enden zu Paaren, erwärmt etwa mit Gas immer eine Verbindungsſtelle, während man die folgende kühl hält, ſo entſteht ein Strom von der heißen zur kalten Verbindungsſtelle, und die ſo erzeugte elektromotoriſche Kraft iſt deſto größer, je mehr ſich die Temperatur der heißen und der kalten Stellen von einander unterſcheiden. Wenn die Thermobatterien ſich bisher kein großes Feld erobern konnten, ſo liegt das daran, daß von der zugeführten Wärme recht viel verloren geht, einmal durch Leitung in den Metallſtreifen ſelbſt ein Betrag, der dann den abzukühlen - den Enden rundweg entzogen wird, um den für die Hervorbringung des Stromes nötigen Temperaturunterſchied aufrecht zu halten, und dann dadurch, daß viel von der Wärme in die Luft ausſtrömt. Ähn - liche Gründe bewirken es, daß die Dampfmaſchine nur den ſiebenten Teil derjenigen Arbeitsmenge liefern kann, welche ſie theoretiſch aus der Verbrennung der Kohlen liefern müßte. Es war bisher nur etwa der 300ſte Teil von derjenigen Elektrizitätsmenge durch die Thermo - batterie erhaltbar, welche man durch die Verwendung der Wärme in elektriſche Kraft zu erhalten hoffen durfte. Nur wenig beſſer war der Erfolg, den der berühmte Erfinder Thomas Alva Ediſon zu Menlo Park bei New-York (geb. 1847) mit einem ähnlichen Apparate, der pyromagnetelektriſchen Maſchine, erzielte. Jetzt ſcheint aber die Zeit ge - kommen, wo ſich die Erwärmung für die Zwecke der Stromerzeugung in der Technik Eingang verſchaffen wird. Der Berliner Elektrotechniker Gülcher hat als Frucht mühevoller Arbeiten im vorigen Jahre eine Thermobatterie konſtruiert, die bereits 15 mal ſoviel Elektrizität als jene älteren Apparate liefert. Er verbindet 50 Thermoelemente aus chemiſch reinem Nickel und einer Miſchung aus Antimon mit anderen Metallen. Dieſe werden durch Koks erhitzt und man kann durch die einfache Erwärmung mit 2 kg Koks in der Stunde ſchon acht gewöhnliche Glühlampen fort -149Die Induktion.während im Glühen erhalten. Zugleich hat Dr. Giraud in Paris einen entſprechenden Apparat gebaut, den er im Winter mit dem Zimmerofen verbindet. Während dieſer dem Zimmer die nötige Wärme liefert, ſchickt er der Thermobatterie einen Strom zu, der freilich nur eine Glühlampe ſpeiſt. Offenbar liegt in der weiteren Vervollkommnung dieſer Apparate ein Stück Zukunft der Elektrotechnik. Es wird hoffent - lich gelingen, denſelben immer mehr Elektrizität durch die Wärme abzu - gewinnen und dann werden ſie im Verkehr und in der Technik eine größere Rolle ſpielen. Vorläufig iſt man darauf angewieſen, die durch Wärme gelieferte Arbeit in ganz anderer Weiſe zur Stromerzeugung nutzbar zu machen. Man muß erſt Dampfmaſchinen treiben und durch dieſe andere Apparate in Bewegung ſetzen, die als magnetelektriſche und Dynamomaſchinen überall verbreitet ſind. Um ihren Aufbau ganz zu verſtehen, wird es nötig ſein, weit zurückzugreifen und vor allem den Beziehungen zwiſchen der Elektrizität und einer anderen rätſelhaften Naturkraft, dem Magnetismus, uns zuzuwenden.

Eine ſeit uralten Zeiten bekannte Thatſache iſt es, daß der im vorigen Kapitel bereits erwähnte Magneteiſenſtein Eiſenſtückchen an ſich zu ziehen vermag. Dieſe Anziehung ähnelt derjenigen der elektriſchen Körper, nur daß ſie eben bei den magnetiſchen auf eiſerne Dinge beſchränkt bleibt. Heute macht man Körper von bleibenden magnetiſchen Eigenſchaften aus Stahl. Ein ſolcher Magnet hat z. B. die Eigen - tümlichkeit, durch eine unſerer Erde innewohnende Richtkraft immer von Norden nach Süden eingeſtellt zu werden. Dieſe auch hin - reichend lange bekannte Seite ſeines Weſens macht ihn zu einem Kompaß, jenem für die Schifffahrt ſo unentbehrlichen Inſtrumente tauglich (vergl. Sicherung der Schifffahrt. ). Er hat einen Nord - pol, der ſich nach Norden zu zeigen beſtrebt, während die gegenüber - liegende Stelle, der Südpol, nach Süden gezogen wird. Wenn man einem frei aufgehängten Magnete einen andern nähert, ſo überzeugt man ſich leicht, daß die Nordpole einander fliehen und ebenſo die Südpole, während jeder Nordpol ſich zu jedem Südpole hingezogen fühlt. Man faßt dies in die ſchon zum Sprichwort ge - wordene Regel zuſammen: Gleichnamige Pole ſtoßen ſich ab, un - gleichnamige ziehen ſich an. Wie der elektriſche Körper den unelektriſchen nur deshalb anzieht, weil er in dieſem eine Verteilung der Elektrizitäten hervorruft, ſo kann man auch unſchwer zeigen, daß jene Anziehungs - kraft der Magnete gegen das Eiſen einfach darauf beruht, daß in dieſem, ſo lange es in der Nähe des Magnets liegt, ein Nordpol und ein Südpol hervorgerufen werden, die ihrerſeits der Anziehung durch die ungleichnamigen Pole des Magnets unterliegen. Jedes Stück Eiſen wird in der Nähe des Magnets ſelbſt zum Magnete, es iſt befähigt Eiſenſtücke anzuziehen und auch dieſe wieder ſind dazu im Stande, nur nimmt mit der Entfernung von dem urſprünglichen Magneten die erworbene magnetiſche Kraft allmählich ab.

150Die elektriſchen Erfindungen.

Der erſte, welcher eine Beziehung zwiſchen einem elektriſchen Strome und einem Magneten auffand, war der däniſche Phyſiker Örſted. Er zeigte 1820, daß eine frei aufgehängte Magnetnadel von einem in der Nähe vorbeigehenden elektriſchen Strome abgelenkt wird. Wird der Strom unterbrochen, ſo kehrt die Nadel in ihre erſte Lage zurück, wird er umgekehrt, ſo wird auch dieſe nach der andern Seite abgelenkt. Ampère hat die folgende Regel aufgeſtellt, durch die man

Fig. 105.

Ablenkung einer Magnetnadel durch den elektriſchen Strom.

allezeit die Richtung der Nadel beſtimmen kann: Man denke ſich in der Richtung des Stromes ſchwimmend und richte ſeine Augen nach dem Nordpole, ſo wird man ihn ſtets zur linken Hand erblicken. (Vgl. Fig. 105.) Jene Ablenkung wird um ſo ſtärker ſein, je kräftiger der ſtörende Strom iſt. Man kann die Wirkung verſtärken, wenn man mehrere Teile des Schließungsdrahtes, welche die Elektrizität in der gleichen Richtung durchſtrömt, neben einander legt und gemeinſam wirken läßt. Man kann die Ablenkung am weiteſten treiben, wenn man einen guten Teil des Schließungs - drahtes zu einer Spirale aufwickelt. Jedes Stückchen wird dann die Magnetnadel richten, im ganzen wird die Spirale, ſo lange ſie von einem Strome durchfloſſen iſt, wirken, wie ein Magnet, der ſich in ihrem Inneren befindet. Daß ſie auch die anderen Thätigkeiten eines Magnets ausübt, das erkennt man leicht, wenn man ihr Eiſenſtücke nähert, ſie zieht dieſe an und macht ſie für kurze Zeit zu Magneten. Am ſtärkſten wird dieſe magnetiſierende Kraft, wenn man ein Stück weiches Eiſen in die Spirale ſelbſt hineinlegt. (Vgl. Fig. 106.) Sobald dieſe vom Strome durchfloſſen wird, wird jenes zum Magnete; hört der Strom auf, ſo iſt es auch mit dem Magnetismus des Eiſens zu Ende. Man bezeichnet einen ſolcherweiſe vom Strom erzeugten Magnet als Elektromagnet und man hat es in der Gewalt ſich recht kräftige Magnete auf dieſe Art zu verſchaffen. Man braucht dazu nur die Wirkungen der Spirale zu vervielfachen, ſie zu Spulen zuſammen - zufügen und den Strom recht kräftig zu wählen, ſo erzeugt man Magnete, die viel mehr ausrichten als ſelbſt die aus Stahl verfertigten. Man kann dem Magneten die verſchiedenſten Formen geben und eine ſehr viel gebrauchte iſt die Hufeiſenform, die wir in Fig. 107 erblicken. Wir ſehen die Schenkel des Hufeiſens von zwei Spulen umgeben, welche das Eiſen zu einem Magneten machen, wenn ein Strom ſie in gleicher Richtung oder auch in entgegengeſetzter Richtung umkreiſt. Während im erſten Falle ſich an den beiden Enden ein Nordpol und ein Südpol ausbildet, iſt aber im zweiten Falle nur entweder Süd -151Die Induktion.magnetismus oder Nordmagnetismus an den Enden nachweisbar, während ſich ein Pol von der umgekehrten Wirkung an der Biegung des Hufeiſens befindet. Jede Umkehrung des Stromes bewirkt auch eine ſolche der Pole. Ein Stück Eiſen, welches, wie in der Fig. 107

Fig. 106.

Stabförmiger Elektromagnet.

Fig. 107.

Hufeiſenförmiger Elektromagnet.

vor den Polen liegt, bezeichnet man als einen Anker. Dieſe Erſcheinungen ſind zum größten Teile bald nach Örſteds Entdeckung von dem Franzoſen Arago bekannt gegeben worden. Eine ſehr weſentliche Nutzbarmachung erfuhren ſie wie wir ſpäter des Genaueren erfahren werden bei den elektriſchen Läutewerken, Uhren und Telegraphen. Hier intereſſieren ſie uns zunächſt, weil ſie geeignet waren, dem genialen Inſtinkte phyſikaliſcher Forſcher die Wege für neue Erzeugungsarten des elektriſchen Stromes zu weiſen. Der erſte und bedeutendſte unter jenen war Michael Faraday (geb. 1791 bei London, geſt. 1867 zu Hamptoncourt). Er war nach ein - ander Buchbinder, Gehilfe des berühmten Chemikers Davy und Profeſſor der Chemie in London. Durch eine Reihe geradezu gewaltiger Ent - deckungen hat er ſich den Namen des bedeutendſten Experimentalforſchers dieſes an Entdeckungen ſo reichen Jahrhunderts verdient. Den kräftigſten Anſtoß zu neuen Erfindungen gab ſicher ſeine 1831 erfolgte Auffindung der Induktion. Dies war der Gedankengang, der ihn leitete und ſeit dem Jahre 1826 oder 1827 nicht mehr zur Ruhe kommen ließ:

Wenn ich einem ſtählernen Magneten den eiſernen Anker entreiße, was wird aus der Kraft, die ich dazu verwende? Daß ſie verſchwinde, iſt152Die elektriſchen Erfindungen.unmöglich; iſt ſie vielleicht im Stande, in einem Drahte, den ich um den Anker wickle, zu einem elektriſchen Strome zu werden? Wenn ein Stück Eiſen zum Magnet wird, ſobald ich es einem vom Strome durch - floſſenen Leiter nähere, warum ſoll nicht umgekehrt ein Stahlmagnet fähig ſein in einer Drahtſpule, die ich ihm nahe bringe oder von ihm entferne einen Strom zu erzeugen? Im Jahre 1831 ſah er endlich, daß in der Drahtſpule, die bis auf eine ganz geringe Unter - brechung geſchloſſen war, jedesmal, wenn er einen kräftigen Magneten näherte, an der Unterbrechungsſtelle ein winziges Fünkchen ſich zeigte, ein Beweis, daß in dieſem Augenblick ein Strom die Spule paſſierte; und dasſelbe geſchah, ſobald der Magnet ſchnell wieder von der Spule entfernt wurde. Als er der Londoner Geſellſchaft der Wiſſenſchaften dieſen Funken zeigte, war er von der Tragweite ſeiner Idee bereits ſo überzeugt, daß er die Worte ſprach: Wenn dieſer Funken auch ſehr klein iſt, ſo daß man ihn kaum bemerken kann, ſo werden andere kommen, die dieſe Kraft zu wichtigen Zwecken nutzbar machen werden. Man ſagt, daß der Magnet in dem Leiter einen Strom induziert, und zwar hängt die Richtung des Stromes weſentlich

Fig. 108.

Induktion eines Stromes durch einen Magnet.

davon ab, ob man den Magnet nähert oder entfernt, ob man den Südpol vorſchickt oder den Nord - pol. (Vgl. Fig. 108.) Der Strom dauert nur eine ganz kurze Zeit, ebenſo lange wie die Bewegung des Magnets und er iſt auch in dieſer kurzen Zeit nur ſo lange ſtark genug, um ſich wahrnehmbar zu machen, als der Magnet noch in der unmittel - baren Nähe des Leiters liegt. Aber durch fortwährendes Annähern und Fortnehmen des Magnets wird es möglich, immer neue Ströme in dem Leiter zu induzieren, und zwar ſolche von immer wechſelnder Richtung.

Dieſer Entdeckung der Magnetinduktion folgte eine andere auf dem Fuße. Da jede von einem Strome durchfloſſene Spule magnetiſche Eigenſchaften hat, ſo lag es nahe, auch durch Annähern einer ſolchen an eine andere, in der noch keine Elektrizität iſt, einen Strom zu induzieren. Das gelang auch vollkommen. Jedesmal, wenn ſich die ſtromdurchfloſſene Spirale näherte oder entfernte, entſtand in der ruhenden Spule ein Strom, wie man daran ſehen konnte, daß eine Magnetnadel in ihrer Nähe abgelenkt wurde. Statt den Strom - kreis zu nähern oder zu entfernen, kann man ihn auch plötzlich in der Nähe des ruhenden Leiters entſtehen laſſen. In der Fig. 109 iſt AA 'der Schließungsbogen einer Batterie, welche durch die wagerechten Striche angedeutet iſt. Durch einen Taſter kann man nach Belieben Strom in den Draht ſchicken oder denſelben unterbrechen. Jedesmal153Die Induktion.beim Schließen und beim Öffnen des Stromes wird auch in dem benachbarten Drahte BB 'ein Strom induziert, welcher beim Schließen von B' nach B, beim Öffnen von B nach B' fließt, wenn die Richtung des urſprünglichen Stromes die des Pfeiles iſt. Man nennt den urſprünglichen Strom auch den primären, den induzierten den ſekundären, und ebenſo bezeichnet man die beiden Leiter AA' und BB ', denen man gewöhnlich die Form zweier Spulen giebt, über welche der Draht in vielen Windungen zu einer Spirale gewickelt iſt. Dieſe Drahtwindungen müſſen von einander iſoliert ſein, und dazu iſt es nötig, den Draht mit einem ſchlecht leitenden Stoff zu umſpinnen, am beſten mit Seide, und wohl auch mit Wachs zu tränken. Gewöhnlich ſind ſolche Induktionsapparate derart eingerichtet, daß die primäre Spule, aus verhältnismäßig wenigen Windungen dickeren Drahtes, die ſekundäre da - gegen aus ſehr vielen Windungen recht dünnen Drahtes beſteht. Die Gründe, welche gerade dieſe Einrichtung vorteilhaft erſcheinen laſſen, werden

Fig. 109.

Induktion eines Stromes durch einen anderen Strom.

wir ſofort entwickeln. Man hat zweierlei ſolcher Apparate. Die einen, bei denen die beiden Spulen ſich nicht gegen einander bewegen laſſen, heißen nach dem Pariſer Mechaniker Ruhmkorff, der ſie in beſonderer Vollkommenheit herſtellte, Ruhmkorffſche, die andern, bei denen die eine Spirale ſich in die andere hineinſchieben läßt, ſind die Dubois - Reymondſchen Schlittenapparate. Man kann bei beiden die Wirkung noch dadurch verſtärken, daß man in ihrem Innern einen Kern von Eiſendrähten anbringt. In dieſem wird durch den Strom Magnetismus erregt, der beim Entſtehen oder Vergehen ſeinerſeits in der ſekundären Spule einen Strom induzieren kann. Man kann gerade mit dem ſekundären Strome Wirkungen erzielen, zu denen der urſprüngliche Batterieſtrom untauglich iſt. Dieſer Strom läßt, wenn man ihn öffnet ganz geringe Funken erkennen. Man kann ihn von einer großen Zahl von Elementen entnehmen und, ohne das geringſte zu ſpüren, durch den Körper hindurchleiten. Wo dagegen der Schließungsbogen des ſekundären Stromes unterbrochen wird, treten Funken auf, wie man ſie ſonſt nur bei der Reibungselektrizität beobachtet mit einer Schlagweite von mehreren Dezimetern. Der induzierte Strom bringt, wenn der menſchliche Körper in den Schließungsbogen eingeſchaltet iſt, ſehr fühlbare Wirkungen hervor, erzeugt bei ſchwachen Strömen eine leiſe Kontraktion der Muskeln, bei ſtärkeren ſchmerzhafte Zuſammen - ziehungen und der ſekundäre Strom eines ſtarken Ruhmkorffſchen Apparates mag ſogar tötliche Wirkungen haben. Der Funken zer - trümmert dickes Glas, und es iſt, als ob die gezähmte Elektrizität des galvaniſchen Stromes hier in jene alte Wildheit zurückfiele, die wir beim154Die elektriſchen Erfindungen.Blitze in ihren furchtbaren Wirkungen kennen lernten. Wie ſollen wir uns dieſe ſonderbare Verwandlung erklären?

Die vielen Windungen der ſekundären Spule ſetzen dem Durchgange des Stromes einen mit ihrer Zahl wachſenden Widerſtand entgegen. Die Zahl der Windungen vermehrt alſo den Druck, unter dem die elektriſchen Teilchen ſtehen, und dieſer Druck iſt es ja, der auch das Beſtreben dieſer erzeugt, einander zu fliehen, jenes Beſtreben, welches wir die Spannung nennen. Die Spannung wächſt demnach, je mehr Windungen die ſekundäre Spule erhält, während die Stärke des Stromes, der ſich jetzt auf ſo viele Windungen verteilt, in demſelben Maße abnehmen wird. Jene Spannung nun iſt es, die ſich in der ſekundären Spule ſo auffällig macht, während die durchfließende Elektrizitätsmenge in dem Apparate ſehr geſchwächt erſcheinen wird. Jene Verwandlung, welche der Induktionsapparat leiſtet, iſt alſo die - jenige eines ſchwachgeſpannten, aber reichlich fließenden Stromes in einen hochgeſpannten, aber geringere Elektrizitätsmengen liefernden. Es iſt, wie wenn man den Waſſern eines Fluſſes in einer Nebenleitung erſt ein geringes Gefälle verſchafft, um ſie mit plötzlicher Gewalt im jähen Sturze des Waſſerfalls den beſonderen Zwecken raſch ſtürzenden Waſſers dienſtbar zu machen. Die Waſſermenge entſpricht derjenigen der Elektrizität, ihr Gefälle der Spannung des galvaniſchen Stromes. Man kann die Stromſtärke ſowohl wie die Spannung meſſen. Die Maße dafür heißen das Ampère und das Volt. Wenn die Strom - ſtärke ein Ampère beträgt, ſo iſt z. B. der galvaniſche Strom ſtark genug, um innerhalb einer Stunde etwas über ein Gramm Kupfer aus der Löſung niederzuſchlagen. Ein Strom von 5 Ampère voll - bringt die fünffache Leiſtung. Die Spannung von 1 Volt beſitzen z. B. die galvaniſchen Elemente, welche im Hauſe elektriſche Läutewerke aus - löſen; ein ſolcher Strom iſt für den Körper ganz unmerklich, und er bleibt es, wenn wir auch die Zahl der Elemente verzehnfachen und auf Spannung verbinden. Aber der Strom wird wenigſtens beim Öffnen und Schließen auf die Länge des Fingers fühlbar, wenn 100 Elemente zu je einem Volt auf Spannung kombiniert ſind, und mehrere 1000 Volt können uns bei hinreichender Elektrizitätsmenge den Tod bringen. Wenn die Elektrizitätsmenge gering iſt, ſo vertragen wir ſie auch in hochgeſpanntem Zuſtande ohne irgend welche Nachteile: die Schläge der Elektriſiermaſchinen ſind faſt unmerklich, obgleich die Spannung der Elektrizität einige tauſend Volt betragen kann. Wäre die Menge größer und flöſſe fortwährend neue hinzu, nur dann würde ſie bei hoher Spannung Schaden am Leben anrichten. Immer wenn es ſich darum handelt, einen momentanen ſchwachgeſpannten Strom in einen ſolchen von hoher Spannung zu verwandeln, wird man einen Induktionsapparat dazu verwenden können, und ebenſo, wenn das Umgekehrte erforderlich iſt. Man hat dazu aber beſondere Apparate, ſogenannte Transformatoren, d. h. Verwandler des Stromes, bei denen155Die Induktion.mehrere Drahtſpiralen auf eine gemeinſame Spule oder einen eiſernen Ring gewunden ſind, ſo daß man es in der Gewalt hat, durch beſtimmte Ver - bindungen gerade die ge - wünſchte Spannung in dem einzuſchaltenden ſekundären Leiter zu erhalten. Da die hohen Spannungen leicht von der einen zur anderen Windung einen Ausgleich der Elektrizität herbeiführen, und wo ein ſolcher einmal ſtattgefunden hat, er ſich dauernd macht, ſo muß man auf die Iſolierung eine beſondere Sorgfalt ver - wenden. Man kann es z. B. dadurch, daß man den ganzen Transformator in Öl legt, weil gerade dieſes Mittel ſich als in hohem Grade undurchläſſig für die Elektrizität gezeigt hat. Man muß auch das Ganze gegen die Umgebung ab - ſperren, damit nicht etwa hochgeſpannte Ströme an dem Leben der den Trans -

Fig. 110.

Wechſelſtromtransformator von Siemens & Halske.

formator bedienenden Perſonen Schaden anrichten. Einen ſolchen Transformator, wie ihn jetzt die Firma Siemens & Halske baut, zeigen wir mit den Schaltvorrichtungen in Fig. 110.

Die magnetelektriſchen Apparate.

Faradays Induktionsfunken, ſo winzig er erſchien, erleuchtete gewaltig das Dunkel, welches bisher über der vorteilhaften Erzeugung elektriſcher Ströme gelagert hatte. Bereits ein Jahr darauf erblickte Pixiis magnetelektriſche Maſchine das Licht der Welt. Wir geben ſie in der Fig. 111 ſchematiſch. Die Pole eines Stahlmagnets SN werden, wenn ich ſie den mit Draht umwickelten Schenkeln des darüber befind - lichen Hufeiſens a b aus weichem Eiſen nähere, dieſe zu Magneten machen, in b einen Nordpol, in a einen Südpol erzeugend, und in dem Drahte einen Strom hervorbringen, der von p nach p' geht; beim Umkehren des Stahlmagnets SN, d. h. wenn der Nordpol nach S, der Südpol nach N gebracht wird, wird im oberen Hufeiſen ein Pol - wechſel und eine Umkehrung der Stromrichtung eintreten. Wenn man156Die elektriſchen Erfindungen.dies ſchnell wiederholt, ſo werden in dem Drahte p p' fortwährend Ströme von wechſelnder Richtung, ſogenannte Wechſelſtröme auftreten. Man kann bei der in Fig. 112 gegebenen Anordnung den Stahl - magnet ſehr ſchnell um eine ſenk - rechte Achſe drehen. Die Wechſel - ſtröme, welche in den beiden Draht -

Fig. 111.

Der Vorgang in einer magnetelektriſchen Maſchine.

Fig. 112.

Pixiis magnetelektriſche Maſchine.

ſpulen oberhalb der Magnetpole erregt werden, laſſen ſich durch Drähte zu einer unterhalb des Magnets ſichtbaren Vorrichtung, dem ſogenannten Kommutator führen. Dieſer iſt ein Cylinder aus einem iſolierenden Material und trägt ebenfalls von einander iſolierte, aber ſtufenförmig übereinander greifende Metallbänder, gegen welche beiderſeits zwei Federn drücken. Da dieſe Vorrichtung ſich mit dem Magnete dreht, ſo iſt erſicht - lich, daß gerade in den Momenten, wo ein Stromwechſel eintreten ſollte, zwei Federn von dem einen zum anderen Bande überſpringen. Die Folge iſt, daß wenn man durch zwei Federn die Wechſelſtröme in den Kommutator eintreten läßt, man durch Verbindung der beiden andern Federn gleichgerichtete Ströme in einem Schließungsdrahte erhält, freilich nur Ströme von ſehr kurzer Dauer, die aber durch ihre ſchnelle Auf - einanderfolge den Eindruck eines einzigen Stromes hervorbringen. Spätere Erfinder, wie Saxton und Clarke, haben dieſen magnet - elektriſchen Apparat dahin abgeändert, daß ſie den Magnet feſt ließen, während die Drahtſpulen, welche den ſogenannten Induktor oder Anker bilden, mit der Welle gedreht wurden. Das iſt offenbar praktiſcher, weil der letztere leichter als der Magnet iſt; die Wirkung aber bleibt genau dieſelbe. Jedesmal, wenn eine Spule in die Nähe eines Magnet -157Die magnetelektriſchen Apparate.poles, in ſein magnetiſches Feld kommt, wird ſie von dem Magneten angezogen; derjenige, welcher die Maſchine dreht, könnte alſo Arbeit ſparen, und dieſe Arbeit iſt es, die einen Strom erzeugt; dagegen koſtet es eine gewiſſe Mehrarbeit, um die Spule aus dem Magnet - felde herauszubringen, und dieſe Mehrarbeit iſt es, die den entgegen - geſetzten Strom entſtehen läßt. Der Strom, den man erregt, wird ſtärker, je mehr man ſich beim Drehen der Maſchine anſtrengt, d. h. je ſchneller man dreht und je ſtärker der Feldmagnet iſt. So zeigt ſich die mechaniſche Arbeit, welche beim Drehen des Magnets oder der Spulen geleiſtet wird, ſofort in einen elektriſchen Strom verwandelt. Man kann die Wirkungen zunächſt dadurch ſteigern, daß man die Zahl der Magnete und der Induktionsrollen vermehrte. Dieſem Gedanken entſprangen die Maſchinen von Holmes und der Geſellſchaft L’Alliance zu Brüſſel, welche bereits in dieſem frühen Stadium der Elektrotechnik bei der Beleuchtung von Leuchttürmen an den Küſten Frankreichs und Englands ihre Dienſte thaten. An der Alliance - maſchine waren acht Reihen zu je drei rieſigen Stahlmagneten, an - gebracht, zwiſchen deren Polen ſich Rollen mit iſoliertem Drahte wälzten. In dieſen entſtanden durch die Induktion Wechſelſtröme, die ihrerſeits, ohne mittels eines Kommutators in einen gleichmäßigen Strom umgeſetzt zu werden, zur elektriſchen Lampe gelangten. Der nächſte Fortſchritt nach Faradays erſter Erfaſſung der induktiven Wirkungen war ein Anker, durch welchen ſich dieſe be - trächtlich vermehren laſſen. Faradays unmittelbare Nach - folger ließen die Trennung des Induktors vom Mag - nete durch Wegführung des - ſelben geſchehen. Bei dem neuen, von Werner Siemens 1851 angegebenen Anker, welcher als Cylinder - oder als Doppel-T-Induktor be - kannt iſt, kommt die Draht - wickelung auf ein Stück Eiſen von der in Figur 113 abge - bildeten Form a, ſo daß ſie mit dem Eiſen die Form b eines Cylinders annimmt.

Fig. 113.

Siemens Doppel-T-Induktor.

Dieſen läßt man nun in einem magnetiſchen Felde ſich drehen. In der unter c abgebildeten Geſtalt der Maſchine ſehen wir acht Paare von Stahlmagneten über einander gelegt und an einer gemeinſamen Grundplatte befeſtigt. Zwiſchen den ausgehöhlten Enden dieſer Magnete dreht ſich der Anker mit beträchtlicher Geſchwindigkeit. Es iſt leicht158Die elektriſchen Erfindungen.zu ſehen, wie jedesmal, wenn eine Eiſenfläche des Ankers, ſei es bei N oder bei S vorbeigeführt wird, d. h. bei jeder halben Umdrehung jeder von dieſen Magneten einen Strom induziert. Nun haben wir beiderſeits die Thätigkeit von acht ſolchen Induktionen, ſo daß bei jeder halben Umdrehung ſich die Wirkung auf nicht weniger als ſechzehn ſolcher Funken erhöht, wie ſie Faradays Verſuch zeigte, und da dies ſehr ſchnell wiederholt werden kann, ſo läßt ſich dieſe Wirkung innerhalb einer Sekunde wohl zehnmal erhalten. Der Strom, den eine ſolche Maſchine,

Fig. 114.

Magnetelektriſche Maſchine mit Doppel-T-Induktor.

wie die hier abgebildete, (Fig. 114) liefert, iſt alſo ſtark genug, um einen dünnen Draht ins Glühen zu bringen, ſelbſt dann, wenn eine lange Leitung erſt den Strom dort - hin führen muß. Das machte dieſen Apparat, wie andere ſtromliefernde Maſchinen, in hohem Grade geeignet, um entfernt liegende Minen zu ſprengen. Irgendwo verſetzt die Kraft des Armes den Anker der Maſchine in Drehung und erzeugt einen elektriſchen Strom, weit davon verwandelt ſich dieſer in Wärme, die nun ihrerſeits chemiſche Kräfte entbindet, deren Thätigkeit in gewaltigen mit dem Arme des Menſchen nur in langer Zeit zu leiſtenden Arbeiten beſteht. Der bekannte engliſche Phyſiker Wheatſtone baute in den funfziger Jahren ſolche gerade für den Zweck der Sprengtechnik geeignete kleine Apparate, die doch mächtig genug waren, Kanonen aus weiten Entfernungen zu entzünden, unterirdiſche und unterſeeiſche Minen zu jeder gewünſchten Zeit zu ſprengen. Siemens & Halske folgten mit mächtigeren Apparaten, und Markus in Wien baute ſehr wirkſame Inſtrumente, bei denen die einmalige Umkehr des Ankers genügte, die Ladungen in Brand zu ſetzen.

Einen weiteren Schritt zur Entwickelung der Maſchinen that Wilde in Mancheſter im Jahre 1866. Er baute eine ſehr große magnet - elektriſche Maſchine, bei der die Magnete, welche man bisher immer von Stahl gemacht hatte, durch die viel wirkſameren Elektromagnete erſetzt wurden. Aber um ſich dieſe zu verſchaffen, brauchte er einen Strom, und woher ſollte er dieſen nehmen, ohne auf die galvaniſchen Batterien zurückzugehen? Er verband dazu dieſe erſte Maſchine mit einer zweiten, die noch Stahlmagnete beſaß und nichts zu thun hatte, als die Elektromagnete jener Maſchine mit Strom zu verſorgen. Die Anker wurden durch eine dreipferdige Dampfmaſchine getrieben und gaben ſchon einen ſtarken Strom. Wilde erzeugte aber mittels dieſes Stromes einen noch kräftigeren Elektromagnet, zwiſchen deſſen Schenkeln ein dritter, noch größerer Anker durch eine Dampfmaſchine von 15 Pferdeſtärken umgedreht wurde. So entſtand ein Strom, durch den es gelang, einen Platinſtab von 6 mm Dicke und 60 cm Länge zum Schmelzen zu bringen.

159Die magnetelektriſchen Apparate.

Da der Cylinderinduktor nicht überall gleichmäßig mit Draht umwickelt iſt, ſo hat er den Nachteil, daß die Stromſtärke während ſeines Umlaufs mehrfach wechſelt, wenn auch die Richtung durch einen Kommutator für alle entſtehenden Ströme gleich gemacht werden kann. Dieſen Nachteil beſiegte zwar nicht zuerſt, aber am ein - fachſten der Ingenieur der Firma Siemens & Halske in Berlin Friedrich von Hefner-Alteneck durch ſeinen 1872 erfundenen Trommel - induktor. Wir erblicken ihn in der Fig. 115. im Durchſchnitt. Es

Fig. 115.

v. Hefner-Altenecks Trommel-Induktor

bedeuten NN1 die Nordpole, SS1 die Südpole einer Anzahl von Stahl - magneten, s s1 n1 n eine eiſerne Trommel, die man zwiſchen den Polen derſelben um die Zapfen F1 und F2 drehen kann, wenn etwa die Riemenſcheibe bei Q durch eine Transmiſſion mit einer Kraftmaſchine in Verbindung ſteht. Liegt der Cylinder, wie in der Figur, ſo hat der Eiſencylinder oben einen Südpol s s1, unten einen Nordpol n n1 angenommen, und wenn man ihn dreht, ſo bleibt die Lage dieſer Pole dieſelbe, der Cylinder geht gewiſſermaßen unter ihnen weg. Derſelbe iſt nun allſeitig mit einer großen Anzahl von Drahtwindungen um - wickelt, dieſe laufen immer um entgegengeſetzte Ab - teilungen der Trommel herum, und wir wollen annehmen, daß die Zahl dieſer Abſchnitte ſechzehn ſei, es werden dann acht in ſich zuſammenhängende Drahtleitungen die Trom - mel umwinden. Während der Drehungen paſſieren dieſe Drähte den Raum zwiſchen den urſprüng - lichen und den Trommel - polen, es wird alſo in ihnen ein Strom erregt werden, und um die Draht -

Fig. 116.

Der zum Trommel-Induktor gehörige Kollektor.

160Die elektriſchen Erfindungen.windungen möglichſt gut zu dieſem Zwecke auszunutzen, iſt den Pol - flächen N und S die Geſtalt gegeben, welche wir in Fig. 116. ſehen, ſo daß immer in möglichſt vielen Drathwindungen zugleich ein Strom indu - ziert wird. Die ſechzehn Drahtenden ſind nun nicht unter ſich, ſondern mit einem Kommutator oder wie er hier auch heißt Kollektor ver - bunden, ſo wie es die Fig. 117. erkennen läßt. Man ſieht leicht ein, daß

Fig. 117.

Wirkungsweiſe des Trommel-Induktors.

die ganze Einrichtung folgenden Zweck erfüllt. Die Ströme, welche in dem Raum zwiſchen NN1 und ss1, ſowie in dem zwiſchen SS1 und nn1 erzeugt werden, ſind in ihren Richtungen zwar, vom Beſchauer aus geſehen, entgegengeſetzt, aber ſie gehen durch die Drahtwindung in dem gleichen Sinne und müſſen ſich demnach verſtärken. Dagegen wird der Strom während jeder vollen Drehung zweimal umgekehrt. Der Kollektor hat den Zweck, ſämtliche induzierten Ströme zu ſammeln und in die gleiche Richtung zu bringen. Sein wahres Ausſehen zeigt Fig. 116. Er beſteht aus acht von einander iſolierten Teilen. Immer ſind die - jenigen Teile, welche bei der Drehung in die Lagen g und c gelangen, mit ſchleifenden Federn oder Metallbürſten in Verbindung, welche den Strom in den Schließungsbogen überführen. Bei der Verbindung, welche Fig. 117. zeigt, werden nun gerade alle nach einer Richtung gehenden Induktionsſtröme, die mit + bezeichneten, nach der Stelle g, alle entgegengeſetzt fließenden, mit bezeichneten, nach der gegenüber liegenden Stelle c des Kollektors geführt. Die Bezeichnung iſt derart, daß immer z. B. 1 und 1 ', 8 und 8' Teile der Leitung an entgegen - geſetzten Trommelabteilungen ſind. Nun iſt leicht einzuſehen, daß etwa von g zwei verſchiedene Zweige der Leitung ausgehen. Der eine iſt,161Die magnetelektriſchen Maſchinen.wie leicht zu verfolgen, g44'f11'e7'7d5'5c, der andere g6'6h8'8a 22'b33'c. Somit werden an der Stelle c die ſämtlichen von beiden Hälften der Trommel ausgehenden Ströme geſammelt, und wenn auch andere Stücke des Kollektors nach einander an dieſe Stellen treten, ſo ändert ſich doch nichts an der Sache. Von den Schleifbürſten bei g und c gelangen ſämtliche induzierten Ströme als ein einziger gleich - gerichteter und ſeine Stärke nicht wechſelnder Strom in den Schließungs - draht. Die Fig. 118 zeigt eine von der Firma Siemens und Halske

Fig. 118.

v. Hefner-Altenecks magnetelektriſche Maſchine.

gebaute Trommelmaſchine, bei welcher 50 Stahlmagnete durch ihre induzierende Wirkung den Strom liefern. Die Trommel läßt ſich mit Hilfe von Transmiſſionen ſehr ſchnell umdrehen, wenn ſie auch blos mit der Hand betrieben wird. Mit größeren Maſchinen, die von zwei bis vier Mann bedient werden, läßt ſich ſogar ſchon elektriſches Bogen - licht hervorbringen. Der Trommelinduktor beſitzt neben den an - gegebenen noch eine Reihe von Vorteilen vor den älteren Ankern. Bei dieſen enſtanden große Verluſte der beim Drehen der Maſchine geleiſteten Arbeit. Dieſelbe wurde nicht blos für die Erzeugung von Strom verbraucht, ſondern der Widerſtand, den dieſer fand, verwandelte einen Teil der elektriſchen Kraft in Wärme. Werden ferner nicht in den Eiſenſtücken, die bei jeder halben Umdrehung zu Magneten und wieder entmagnetiſiert werden, Ströme entſtehen, da doch das Eiſen ſelbſt ein Leiter iſt, wenn auch ein ſchlechterer, wie die umgebenden Kupferdrähte? Wird nicht jenem ein Teil der Nahrung zufließen, welche nur dieſen zu gute kommen ſollte? Man nennt dieſe im Eiſen des Ankers auftretenden Ströme die Foucaultſchen nach dem bekanntenDas Buch der Erfindungen. 11162Die elektriſchen Erfindungen.franzöſiſchen Gelehrten, der ihnen ein beſonderes Studium zuwendete. Aber gerade dieſe Ströme ſind den Technikern höchſt unwillkommen, ſie verzögern die Bewegung des Ankers, und wenn man dieſe zu beſchleunigen trachtet, ſo erwärmen ſie das Eiſen ganz beträchtlich. Der Trommelinduktor iſt allen dieſen Übeln ausgeſetzt, aber man kann wenigſtens das letzterwähnte leicht verringern, wenn man nur ſtatt der maſſiven eine hohle Eiſentrommel nimmt, deren Inneres etwa mit Holz ausgefüllt iſt.

Überhaupt iſt leicht einzuſehen, daß die genannten Verluſte durch eine Vermehrung der Größe und des Leitungsvermögens der Drähte, ſowie durch eine Verminderung des Eiſenkörpers ſich auf ein Minimum einſchränken laſſen. Was den letzteren anbetrifft, ſo hat bereits 1860 Dr. Pacinotti in Florenz eine Form des Ankers erfunden und 1864 ausführlich beſchrieben, welche für den bezeichneten Zweck völlig geeignet erſcheint. Sie geriet aber in Vergeſſenheit und wurde im Jahre 1871 von Zénobe Theophile Gramme, welcher als Modelltiſchler bei der Geſellſchaft L’Alliance in Brüſſel angeſtellt war und bereits mehrere elektriſche Patente beſaß, ſelbſtändig noch einmal erfunden, und ſie heißt meiſt nach dieſem der Grammeſche Ringanker. Um die Wirkung desſelben ganz zu verſtehen, müſſen wir noch einmal auf Faradays Grundverſuch zurückweiſen. Durch die Bewegung eines Magnetſtabes in eine Draht - rolle hinein oder aus ihr heraus konnte er verſchieden gerichtete elektriſche Ströme in ihr erregen. Wenn man zwei Magnetſtäbe etwa an ihren Südpolen an einander legt und mit dieſem Doppelmagneten die Spule durchwandert, ſo kann man leicht zeigen, daß der Induktionsſtrom nicht immer ſeine Richtung behält, ſondern dieſelbe gerade dann wechſelt, wenn beſtimmte Punkte der Magnete, welche ziemlich die Mitte zwiſchen Nord - und Südpol halten, und an denen die Magnete gar keine Anziehung ausüben, die ſogenannten Indifferenzpunkte, die Rolle paſſieren. Man kann ſich nun zunächſt ſtatt der geraden Mag - nete halbkreisförmig gebogene gerade an ihren gleichnamigen Polen verbunden und zu einem Ringe zuſammengeſetzt denken, auch kann man ſtatt einer zwei mit einander verbundene Induktionsrollen ſich denken, die wie diejenigen eines Elektromagnets über den Ring geſchoben werden. Dreht man den Ring innerhalb der beiden Spulen, ſo treten in dieſen Wechſelſtöme auf, und zwar vertauſcht der Induktionsſtrom gerade immer in dem Augenblicke ſeine Richtung, wenn die beiden Indifferenzpunkte durch die Drahtrollen gehen. Denken wir uns ferner, der Ring in der Fig. 119 ſei der eben beſchriebene Magnetring; er ſei mit einer Menge von Spulen umgeben, die hier durch einzelne Striche angedeutet ſind, ſo werden beim Durchpaſſieren des Ringes durch die Spulen immer in denjenigen, die der Nordhälfte des Ringes anliegen, Ströme von einer beſtimmten Richtung, in der entgegengeſetzten Hälfte, aber ſolche von dem entgegengeſetzten Strome induziert werden, wie dies durch die Pfeile in der Figur angedeutet iſt und noch beſſer aus163Die magnetelektriſchen Maſchinen.der Fig. 120 zu erſehen iſt, wo A und B die Indifferenzpunkte der Magnete bedeuten. Wenn der Magnetring innerhalb der Spulen gedreht wird, ſo ändern ſich freilich die Richtungen der Ströme, die an einer beſtimmten Stelle vorbeifließen. Aber man kann auch umgekehrt die Einrichtung treffen, daß man den Ring feſtſtehen und die Geſamtheit

Fig. 119.

Fig. 120. Wirkungsweiſe des Pacinotti-Grammeſchen Ringes.

der Spulen im Kreiſe über ihn hinweggehen läßt. Dann werden ebenſolche Ströme in den Spulen angeregt und ſie wechſeln auch jedesmal die Richtung, wenn eine Spule über einen Indifferenzpunkt läuft. Jetzt wird aber an jeder Stelle des Ringes der induzierte Strom ſeine beſtimmte Richtung fortwährend beibehalten. Aber wie ſoll man es fertig bringen, die Spulen in ihrer Geſamtheit gleichmäßig und ſchnell über den Magnetring wandern zu laſſen? Darauf antworten die Erfinder: Sehr einfach, wir benutzen ſtatt des Stahlrings einen ſolchen von Eiſen und laſſen ihn gemeinſam mit den Spulen innerhalb eines magnetiſchen Feldes ſich drehen. Wird dann nicht bei der An - ordnung der Fig. 119, wo der Feldmagnet oben ſeinen Nordpol, unten den Südpol hat, unter dem Einfluſſe desſelben der Eiſenring fort - während oben Süd - und unten Nordmagnetismus aufweiſen, die nun ihrerſeits die wandernden Spulen in der angegebenen Weiſe beeinfluſſen werden? Beim Durchgehen durch die in der Figur als Indifferenzlinie bezeichnete wagerechte Linie werden die Ströme in den Spulen ihre Richtung wechſeln. Natürlich würden, wenn man die Spulen unter einander verbände, die Ströme ſich gegenſeitig aufheben. Aber Gramme leitete ſie alleſamt einem Kollektor zu, der aus ſoviel von einander iſolierten Stücken beſtand, als Spulen vorhanden waren; in einem Stücke desſelben fließt bei der verzeichneten Anordnung der Strom einer Spule zu, der einer andern ab; aber an der Indifferenzlinie ſehen wir links beide Spulen dem Kollektor ihren Strom zuſenden, während rechts beide Ströme dem Kollektor poſitive Elektrizität entziehen. 11*164Die elektriſchen Erfindungen.Bringt man nun gerade hier rechts und links eine ſchleifende Feder an und verbindet beide durch einen Schließungsbogen, ſo wird dieſer von einem gleichmäßigen Strome durchfloſſen, ſo lange der Ring in dem magnetiſchen Felde ſich dreht. Das iſt das Prinzip der Grammeſchen Maſchine, welche Jamin 1871 der Pariſer Akademie vorzeigte.

Die Dynamomaſchinen.

So weſentlich die aufgeführten Verbeſſerungen waren, ſo konnten bei der immerhin noch ſchwachen Wirkung, welche Stahlmagnete auf die bewegten Anker ausüben, die gelieferten Ströme noch nicht den gewünſchten Stärkegrad erlangen. Das ward aber anders, als man ein bereits 1865 zugleich von Werner Siemens in Berlin und Profeſſor Wheatſtone in London ausgeſprochenes Prinzip in die Praxis einführte. Zwar hatte Wilde, wie wir anführten, ſich ſtärkeren Magnetismus durch Elektromagnete verſchafft, aber er brauchte, um dieſe anzuregen, noch eine magnetelektriſche Maſchine. Nun fragte ſich Siemens, ob nicht derſelbe Strom, den die eine Maſchine lieferte, zu gleicher Zeit den Magnetismus des Feldmagneten erregen könne, wenn dieſe Elektro - magnete ſeien. Uns ſcheint auf den erſten Blick die Frage nur die Antwort Nein zuzulaſſen, denn wenn wir einen Strom in der Bewickelung des Ankers haben, ſo kann er doch nur durch den Magnetismus der Feldmagnete induziert ſein, wir ſetzen ja doch das Vorhandenſein von Magneten voraus. Siemens aber berückſichtigte die Eigentümlichkeit des weichen Eiſens, daß es den ihm einmal durch einen Strom mit - geteilten Magnetismus nicht völlig verliert, ſondern einen Reſt davon zurückbehält, daß auch der Magnetismus der Erde fortwährend in jedem Eiſen eine Spur von Magnetismus hervorruft. Das weiche Eiſen giebt alſo ein, wenn auch nur ſchwaches magnetiſches Feld, welches in dem ſich wälzenden Anker einen ſchwachen Strom hervor - ruft; in dieſen ſchaltet man die Wickelung der Feldmagnete ein, verſtärkt alſo durch den Strom die Kraft derſelben und wird alſo auch in der Ankerwickelung einen kräftigeren Strom erhalten. So erkennt man, daß der Magnetismus des Feldes und die Stärke der induzierten Ströme gleichzeitig fortwährend wachſen. Freilich kann man nun weder die magnetiſche noch die elektriſche Kraft auf dieſem Wege ins Unbegrenzte vermehren; es tritt vielmehr ein Augenblick ein, in dem das Eiſen mit Magnetismus ſo vollgeſogen iſt, daß es weiteren nicht aufnehmen kann. Mit der Kräftigung der Feldmagnete wächſt natürlich auch der Widerſtand, den der Anker bei ſeiner Bewegung durch das Feld findet und man hat immer größere Schwierigkeit, ihn in ſchneller Drehung zu erhalten. So wird die Kraft des Armes direkt in elektriſche verwandelt. Jede ſolche Maſchine, bei der dieſe direkte Umwandlung ſtattfindet, ohne daß urſprünglich große magnetiſche Kräfte einwirken müßten, heißt eine Dynamomaſchine. Alle ſind ſie auf dieſes Siemensſche165Die Dynamomaſchinen.Prinzip begründet. In ihnen haben wir jetzt jene billigen und kräftig fließenden Quellen der Elektrizität, die man ſeit Anfang des Jahrhunderts geſucht hatte. Faraday hatte bei ſeinem erſten Verſuch dieſes Wachstum unſerer Kraft vorausgeſehen, als er ahnungsvoll die Behauptung aufſtellte, daß die Zukunft jene erſten Induktionswirkungen ins Un - begrenzte vermehren würde. Dieſe Entdeckung von Siemens zuſamt den Erfindungen der wirkſamen Trommel - und Ringanker haben der Benutzung der Elektrizität als Kraftquelle in den beiden letzten Jahr - zehnten einen ungeheuren Aufſchwung gegeben. Durch fortwährende Steigerungen der Größe der Maſchinen, die nun nicht mehr mit der Hand betrieben werden, ſondern im großen durch Dampfmaſchinen, Turbinen oder anderen Motoren in Bewegung geſetzt werden müſſen, erzielt man heute Wirkungen, die vor einigen Jahrzehnten nicht einmal geahnt wurden. Was dieſe Maſchinen für den Gebrauch noch beſonders vorteilhaft macht, das iſt ein Umſtand, den einer der bedeutendſten Phyſiker Englands, Clerk Maxwell, als unter die größten Entdeckungen dieſes Jahrhunderts gehörig bezeichnete. Jede Dynamomaſchine kann, wie ſie uns aus mechaniſcher Arbeit elektriſche Kraft entbindet, unmittelbar auch benutzt werden, um Arbeit zu leiſten, wenn ihr von außen ein elektriſcher Strom zugeführt wird. Man ſchickt dieſen durch das Gewinde von Draht, welches um Anker und Feldmagnete gewickelt iſt und man erzeugt eine Drehung des vorher unbewegten Ankers, eine langſame, wenn der Strom nur ſchwach iſt, eine immer ſchnellere, je mehr man die Zufuhr der Elektrizität ſteigert. Jede ſolche Drehung um eine feſte Achſe läßt ſich aber durch Transmiſſionen auf Arbeitsmaſchinen und andere Apparate übertragen. Jede Dynamomaſchine läßt ſich dem - nach auch als Motor verwenden, um, wenn ihr der Strom eines weit entfernten ähnlichen Apparates zugeſendet wird, diejenigen Arbeiten zu vollbringen, die man ihr aufträgt. *)Die Arbeit, deren eine Dynamomaſchine fähig iſt, muß natürlich auch gemeſſen werden können. Man mißt dieſe Arbeitsfähigkeit bei den Motoren, wie S. 59 geſagt worden iſt, mit Pferdeſtärken. Dieſe Einheit muß auch zur Ver - gleichung der elektriſchen Maſchinen anwendbar ſein. Dasjenige, wodurch dieſe Arbeit geleiſtet wird, der elektriſche Strom iſt in Bezug auf ſeine Leiſtungsfähigkeit bekannt, wenn man ſeine Spannung in Volts und ſeine Stromſtärke in Ampères kennt. Wenn wir z. B. einen Strom von 736 Volt Spannung und 1 Ampère Stärke haben, ſo leiſtet er gerade dieſelbe Arbeit, wie ein Motor von einer Pferde - ſtärke. Dieſelbe Arbeitsfähigkeit aber hat auch ein Strom von 73,6 Volt und 10 Ampère oder ein ſolcher von 1 Volt und 736 Ampère, es kommt nur auf das Produkt von Stromſtärke und Spannung an. Man nennt dieſes Produkt von 1 Volt und 1 Ampère auch 1 Watt und man kann alſo eine einpferdige Dynamo - maſchine eine ſolche nennen, die einen Strom von 736 Watt liefert, eine 500 pferdige wird einen Strom von 36800 Watt oder 36,8 Kilowatt ausſenden, d. h. einen ſolchen, der z. B. eine Spannung von 100 Volt und eine Stärke von 368 Ampère beſitzen kann.Damit zeigt ſie ſich für den Zweck der Übertragung weit entfernter Kräfte einzig geeignet, denn die früher beſchriebenen Motoren ließen eine ſolche eben nur auf geringe Weglängen zu. Wir wollen uns jetzt der Beſchreibung einiger Typen166Die elektriſchen Erfindungen.dieſer Maſchinen zuwenden, wie ſie in Anpaſſung an beſtimmte Zwecke ſich dem Geiſte der Erfinder darboten. Immer werden wir beſonders geformte Feldmagnete, einen beſtimmten Induktor, einen Kollektor finden und Metallbürſten, die den Strom abnehmen. Eine Niemenſcheibe zur Seite dient, den Riemen aufzunehmen, durch welche der Induktor im magnetiſchen Felde gedreht wird.

Wir beginnen mit der unten ſtehenden Grammeſchen Dynamo - maſchine, wie ſie jetzt von Schuckert & Co. in Nürnberg als Flachring -

Fig. 121.

Schuckerts Flachring-Dynamomaſchine.

167Die Dynamomaſchinen.maſchine gebaut wird. Statt des einen Elektromagnets in Fig. 119 ſehen wir hier acht Pole als Feldmagnete, die zuſammen wie vier Huf - eiſen-Elektromagnete wirken; ſie liegen hier wagerecht und ſind mit der Grundplatte und den Seitenwänden zu einem feſten Ganzen ver - einigt. Die einander rechts und links gegenüberſtehenden Pole ſind gleichnamig und verſtärken ſich in ihren induzierenden Wirkungen. Der Strom umkreiſt zuerſt die Magnete auf der linken Seite, tritt dann auf die rechte über und geht dann noch weiter rechts zur Achſe; dort iſt der Kollektor zu ſehen, welcher zwei Paar Bürſten zur Abnahme des Stromes hat. Durch die eine Bürſte fortgeführt, läuft der Strom nun um den Ring, deſſen Kern aus einer Menge von gegeneinander iſolierten Eiſenblechſtücken zuſammengeſetzt iſt, dann geht er zur anderen Bürſte und von dieſer durch den Schließungsbogen, wo er ſeine mannigfachen Arbeiten leiſtet, und kehrt ſchließlich auf die linke Seite der Maſchine zurück. Die flache Form des Ringes macht es möglich, daß die Wickelung des Ankers in allen ihren Teilen dem Feldmagneten möglichſt nahe iſt. Da - durch werden die Draht - windungen gut aus - genutzt, ſo daß die Leiſtungsfähigkeit der Maſchine im Verhältnis zu ihrer Größe eine recht beträchtliche iſt.

Die Fig. 122 zeigt eine Siemensſche Ma - ſchine, bei welcher ein Trommelinduktor inner - halb der flachen, ſenkrecht ſtehenden Elektromagnete ſich umdreht, die vorderen ſowohl, wie die hinteren Pole ſind mit einander durch flache Eiſenſtücke, ſogenannte Polſchuhe, verbunden, welche auch Magnetismus annehmen und zwar etwa vorn den Nordmagnetismus, hinten den Südmagne - tismus; dadurch werden auch die vorn und hinten

Fig. 122.

Älterer Typus der Dynamomaſchine mit Trommelanker von Siemens & Halske.

liegenden Windungen, nicht allein die gerade an den Polen vorbei - laufenden für die Stromlieferung gewonnen. Die auf der rechten Seite ſichtbaren Metallbürſten nehmen von dem Kollektor den Strom ab.

168Die elektriſchen Erfindungen.
Fig. 123.

Siemens & Halskes Maſchine zur Gewinnung der Reinmetalle.

169Die Dynamomaſchinen.

In der Fig. 123 erkennen wir auf den erſten Blick dasſelbe Prinzip, wie in der vorigen, zwar liegen die Feldmagnete wagerecht, ſtatt ſenk - recht zu ſtehen, aber wir ſehen auch hier den Trommelinduktor und die Polſchuhe. Nur die Wickelung iſt eine andere, ſie beſteht weder bei den Feldmagneten, noch beim Anker aus dem gewöhnlichen Kupfer - draht, ſondern aus dicken Kupferſchienen, mit einem Querſchnitt von 13 qcm. Jeder von den Elektromagneten trägt nur ſieben Windungen des leitenden Materials, und ebenſo iſt die Trommel nur mit wenigen Kupferſtangen belegt, die gegeneinander durch Asbeſt iſoliert und an den Verbindungsſtellen mit dem Kollektor verſchraubt ſind. Der Zweck dieſer verſchiedenen Einrichtungen wird uns klar, wenn wir an den Induktionsapparat zurückdenken. Der Strom in den dicken Windungen der primären Spule iſt da von großer Stärke, aber von geringer Spannung, der ſekundäre Strom in den dünnen Drähten dagegen von hoher Spannung, aber nicht ſo reichlich fließend. Wir werden ſchließen dürfen, daß der vorliegende Apparat ein ſolcher iſt, der beſonders große Elektrizitätsmengen, aber von ganz unbeträchtlicher Spannung liefert. Er wird alſo nur bei ſolchen Betrieben Verwendung zu finden haben, bei denen eine hohe Spannung überflüſſig oder unerwünſcht und alles an einer großen Elektrizitätsmenge gelegen iſt. Das iſt bei den chemiſchen Wirkungen des Stromes der Fall, z. B. denjenigen, die wir als die galvanoplaſtiſchen beſprochen haben. Die Maſchine wird in der That angewendet, wo es ſich darum handelt, aus Salzlöſungen die Metalle rein niederzuſchlagen. So wird in dem Hüttenwerk zu Oker am Harz das rohe Kupfer, welches noch 2% Beimengungen hat, durch ſolche Dynamomaſchinen gereinigt, deren jede im Laufe eines Tages bis zu 6 Zentnern reines Kupfer in zwölf Zerſetzungszellen, die der Strom einer Maſchine paſſiert, liefern kann. An der Eintrittsſtelle des Stromes hängen dabei immer je 30 Platten rohen Kupfers von zuſammen 15 qm Oberfläche, das Bad iſt mit Kupfervitriol gefüllt, aus der Löſung wird an der Austrittsſtelle des Stromes reines Kupfer an ebenſo großen Kupferplatten niedergeſchlagen, die Löſung wird durch die fortwährende Auflöſung des Kupfers immer konzentriert erhalten.

Hier liegt offenbar die Frage nahe: Wie gewinnt man denn das rohe Kupfer? Wir könnten in Bezug hierauf uns auf den Teil des Buches, welcher von der Metallgewinnung handelt, beziehen, aber wir ſind in der Lage, eine Antwort hierauf auch an dieſer Stelle zu er - teilen, weil die Elektrizität, wie überall hilfsbereit, ſich auch mit Vorteil in den Dienſt der Metallbereitung hat ſtellen laſſen. Wenn die Kupfer - bergwerke Erze liefern, deren Metallgehalt ein ſehr reicher iſt, und wenn außerdem das Feuermaterial billig iſt, ſo wird ſicherlich eines der in dem zitierten Teile angeführten Verfahren der Verhüttung kurz und billig zum Ziele führen. Wenn aber weder die eine noch die andere Bedingung zutrifft, wie bei vielen metallarmen Erzen noch im Betriebe befindlicher Bergwerke, wird ſich ein ſolcher Prozeß kaum170Die elektriſchen Erfindungen.lohnen, und die Metallbereitung auf dem naſſen Wege iſt langwierig und wenig ausgiebig. Seit zwei Jahren wird nun auf dem Werke der Firma Siemens & Halske zu Martinikenfelde bei Berlin das chemiſch reine Kupfer aus den verſchiedenſten Erzen nach einem neuen Verfahren gewonnen, welches kaum den geringſten Rückſtand von Kupfer in jenen beläßt. Wir wollen die einzelnen Operationen an der Hand der ſchematiſchen Fig. 124 ſtudieren. Die Erze werden in

Fig. 124.

Siemens & Halskeſches Verfahren zur directen Gewinnung des Kupfers aus den Erzen.

die Kugelmühle E geladen, gelangen dann durch die Rinne F in den niedrigen Trog H, wo ſie mit der aus der Zerſetzungszelle C abfließenden Lauge unter Erwärmung durch Schaufelräder verarbeitet werden. Durch den Ablauf J wird das Gemiſch auf den Saugfilter K gebracht und aus dieſem tritt die vom Erzpulver befreite, kupferhaltige Lauge in den Behälter A und in das vom elektriſchen Strome durchfloſſene Bad C ein. Der obere Teil dieſes enthält Kupferplatten an der Aus - trittsſtelle des Stroms; dieſelben ſind wagerecht an der Unterſeite der Bretter k befeſtigt, der Strom wird am Boden durch Kohlenſtäbe a eingeleitet. Zwiſchen a und k iſt ein Filter im oberen Teile des Bades ein hölzernes Rührwerk angebracht. Das Bad enthält jetzt eine Löſung von Kupfervitriol und Eiſenvitriol, aus welcher das Kupfer an den Kupferplatten k rein niedergeſchlagen wird, während die übrigen Zerſetzungsprodukte das Eiſenvitriol in ſchwefelſaures Eiſenoxyd über -171Die Dynamomaſchinen.führen. Iſt der Prozeß beendigt, ſo läßt man die Lauge in den Trog H ablaufen; ſie beſitzt jetzt gerade die Fähigkeit, das Kupfer aus den Erzen in Löſung zu bringen, wobei ſie ſich zum Teil in Eiſen - vitriollöſung zurückverwandelt. Wir erkennen, daß ſonach die Lauge gar nicht verbraucht wird, ſondern mit derſelben Löſung beliebig große Mengen von Kupfer gewonnen werden können. Der diesmal ſtärker geſpannte Strom wird natürlich wieder von einer Dynamomaſchine geliefert, und zwar von einer nach dem neueſten Typus, den die Firma Siemens & Halske baut. (Vgl. Fig. 125.) Es iſt auch eine Trom - melmaſchine, welche ſonſt noch für den gleichzeitigen Betrieb von Bogen - und Glühlampen ſich be - ſonders eignet. Hier iſt nur ein einziger Feldmagnet mit ſehr kurzen dicken Schenkeln vorhanden, und die Eiſenkerne derſelben ſind mit der Grundplatte aus einem Stücke gearbeitet. Die Bürſten ſind wieder auf zwei entgegengeſetzten Seiten der Trommelachſe angebracht und nehmen den Strom vom Kollektor ab, deſſen Stücke von einander durch die Luft iſoliert ſind, weil

Fig. 125.

Neuerer Typus der Dynamomaſchine mit Trommel - anker von Siemens & Halske.

ſich über feſte Nichtleiter leicht ein leitender Überzug von dem den Bürſten entriſſenen Kupferſtaube bildet, der die Iſolierung aufhebt.

Da wir auf die neue Gewinnung des ſeit uralter Zeit ſo viel gebrauchten Metalles zu ſprechen kamen, ſo wollen wir hier auch die erwünſchte Gelegenheit ergreifen, des allerneueſten, ſeit etwa drei Jahren erſt in die Praxis eingeführten, aber von den größten Erfolgen gekrönten Verfahrens zu gedenken, durch welches ein neues Metall dem allgemeinen Gebrauche zugänglicher gemacht ward. Das Aluminium, deſſen auch in dem Kapitel über die Metallgewinnung gedacht werden wird, das früher ſeiner Teuerkeit wegen nur zur Herſtellung wiſſenſchaftlicher Gegenſtände oder in Vermiſchung mit anderen Metallen für Gebrauchs - gegenſtände nutzbar zu machen war, hat ſich mit einer erſtaunlichen Geſchwindigkeit jetzt überall eingeführt. Daran Schuld hat ſeine enorme Verbilligung, und dieſe wieder iſt eine Frucht des von Héroult vor drei Jahren angegebenen Verfahrens, Aluminium zu gewinnen. Das Metall iſt ein weitverbreitetes, es kommt z. B. im Thon, dem allbekannten Geſtein vor, aber die Schwierigkeiten, welche die Ge - winnung bietet, ſind erſt jetzt als in befriedigender Weiſe überwunden anzuſehen. Eine kräftige Dynamomaſchine und ein eigentümlicher Ofen ſind die dazu nötigen Dinge. Zu Neuhauſen am Rheinfall wird das Verfahren jetzt von der Aluminium-Induſtrie-Aktiengeſellſchaft in groß -172Die elektriſchen Erfindungen.artigem Maßſtabe betrieben. Die Kraft, welche die Dynamomaſchinen in Umlauf verſetzen muß, wird durch Jonval-Turbinen dem Rhein entnommen. Die größeren Maſchinen erzeugen eine Stromſtärke von 14000 Ampère und eine Spannung von 30 Volt. Sie ſind fähig, eine mächtige Wärme zu entwickeln und zugleich gewaltige chemiſche Kräfte zu entbinden. Den Schmelzofen erblicken wir in den Fig. 126 a und b im Grund - und Aufriß. Er ſtellt ein von der Erde iſoliertes, oben

Fig. 126

a. Grundriß und

Fig. 126

b. Aufriß des Héroult-Ofens zur Aluminium-Gewinnung.

offenes Eiſengefäß dar, welches mit Kohlenplatten ausgefüttert iſt; der Strom wird durch eine Anzahl zuſammengeſchichteter, eben - ſolcher Platten zugeführt, die an einer Kette in den Ofen hineinhangen, wäh - rend an der Austrittsſtelle des Stromes ſich ein Metall, wie Kupfer, Eiſen oder Meſſing befindet, das mit dem entſtehenden Aluminium eine Verbindung eingeht. Bevor der Prozeß beginnt, wird der Ofen mit Stücken des Metalls und der Thon - erde angefüllt. Die Hitze, welche der Strom entwickelt, ſchmelzt zunächſt dieſen In - halt des Ofens zu einer feurig flüſſigen Maſſe zu - ſammen, die ſich am Boden anſammelt. Die chemiſche Wirkung aber äußert ſich darin, daß die Thonerde in ihre Beſtandteile zerfällt, deren einer, das Aluminium, von dem Metallbade auf - genommen wird, während der andere, der Sauerſtoff, zur Eintrittsſtelle des Stromes, zu den Kohlenplatten hingezogen wird und mit dem Kohlenſtoff derſelben verbunden, als Kohlenoxydgas in die Luft entweicht. Man kann natürlich von oben her die zerſetzte Thonerde fortwährend durch neue erſetzen, ebenſo wie das Metall, während die flüſſige Verbindung des Aluminiums mit dem Metall durch eine Öffnung im Boden abgelaſſen werden kann. Man hat es durchaus in der Gewalt, eine Miſchung von ganz beſtimmtem Gehalte zu173Die Dynamomaſchinen.erzeugen. Die Fabrik ſtellte gleich anfangs täglich vier Zentner von dieſem ſo leichten Metall her, wollte aber die Produktion bis auf das Fünffache ſteigern. Bei dem billigen Betriebe ſtellt ſich der Preis des Aluminiums jetzt kaum noch auf ein Zehntel ſeines früheren Preiſes, welcher 125 Mark für das Kilogramm betrug. Welchen Aufſchwung die Aluminium-Induſtrie dadurch erfahren hat, das iſt an einer anderen Stelle des Buches nachzuleſen. Nach dieſem Exkurs wollen wir noch einige Typen von Dynamomaſchinen betrachten.

[figure]

Innenpolmaſchine für die Berliner Zentralen von Siemens & Halske.

Die Fig. 127 zeigt eine der größten Maſchinen, die überhaupt gebaut worden ſind. In den großen Zentralen, von denen viele Stellen in weitem Umkreiſe mit Kraft und Licht verſorgt werden ſollen, hat man bisher viele Maſchinen aufgeſtellt, die in ihrer Geſamtheit das Bedürfnis an Strömen befriedigten. Aber ſchon der Erſparnis koſt - baren Raumes halber iſt es gut, ſich auf möglichſt wenige Maſchinen174Die elektriſchen Erfindungen.zu beſchränken, die dann natürlich kräftig gebaut ſein müſſen. Eine ſolche iſt die von der Firma Siemens & Halske hergeſtellte Rieſen - maſchine, die wir hier abbilden. Sie iſt eine ſogenannte Innenpol - maſchine, d. h. die Feldmagnete liegen im Innern des Ankers. Man kann ſie durch die Speichen des großen Rades, als welches die ganze Maſchine erſcheint, unſchwer erkennen. Es ſind im ganzen zehn mit Spulen umwickelte Eiſenkerne zu einem Sterne geordnet. Der Anker iſt ein Grammeſcher Ring von 3 m Durchmeſſer und 28 cm Dicke. Bei dieſer Anordnung wird die Kraft der Feldmagnete weit beſſer ausgenutzt, als bei der vorher beſprochenen. Aber freilich iſt ein Ring von ſo rieſigen Dimenſionen nicht eben leicht zu bewegen, und dieſer hier ſoll 65 Umdrehungen in der Minute machen, um ſeine normale Leiſtung zu vollbringen. Da ſind Dampfmaſchinen von 500 Pferde - ſtärken erforderlich, um ihn in Bewegung zu erhalten. Dem entſpricht aber auch die Leiſtung der Maſchine. Der Strom hat eine Spannung von 150 Volt und, bei der normalen Drehungsgeſchwindigkeit der Maſchine, eine Stärke von 2200 Ampère, die bei 100 Umdrehungen in der Minute auf über 4000 Ampères ſteigen kann, was im erſten Falle 450, im zweiten aber 820 Pferdeſtärken entſpricht, welche die Arbeits - fähigkeit des Stroms meſſen. Wir machen noch darauf aufmerkſam, daß die Bürſten, die den Strom abnehmen, hier an keinem beſonderen Kollektor arbeiten, ſondern einfach auf dem Ringe ſelbſt ſchleifen, deſſen Windungen aus Kupferſtangen von 14 qcm Querſchnitt beſtehen, die zwar gegen einander iſoliert, aber nach außen jeder Hülle beraubt, ſich den Schleifbürſten darbieten müſſen.

Für manche Zwecke erſcheint es durchaus nötig, ſtatt eines fort - während in gleicher Richtung den Schließungsbogen durcheilenden Stromes, jenen mit Strömen zu beſchicken, die immerzu ihre Richtung wechſeln, ſo z. B. für gewiſſe Beleuchtungsapparate, die dauernd ein gleichmäßiges Licht ſpenden ſollen. Da die bisher beſchriebenen Dynamomaſchinen einen ſtets gleichgerichteten Strom liefern, ſie heißen deshalb auch Gleichſtrommaſchinen ſo ſind für jenen Zweck beſondere, die ſogenannten Wechſelſtrommaſchinen zu bauen. Sie haben vor den Gleichſtrommaſchinen, um dies gleich hervorzuheben, u. a. den Vorzug, daß ſie eine größere Spannung zulaſſen, und das iſt wie wir ſpäter ſehen werden für die Übertragung des Stromes auf weite Entfernungen hin von großer Wichtigkeit. Auch dieſe Maſchinen ſind aus den magnet-elektriſchen hervorgegangen. Zu ihnen gehört u. a. jene große Alliance-Maſchine, die den Leuchttürmen Frankreichs und Englands Licht ſpendete. Der Belgier de Meritens verwendete auch noch Stahlmagnete, vor denen er einen Ringanker in Drehung verſetzte. Alle folgenden Wechſelſtrommaſchinen aber beſitzen Elektro - magnete. Wie ſollte man nun dieſe anregen? Da doch die induzierten Ströme fortwährend ihre Richtung wechſeln ſollen, ſo konnte man dieſe für die Magnetiſierung der Feldmagnete abſolut nicht brauchen, ſie175Die Dynamomaſchinen.hätten ja bei ihrer fortwährenden Umkehr die Kraft derſelben nur immer geſchwächt, ſtatt ſie zu erhöhen. Dieſe Maſchinen konnten alſo nicht auf das Siemensſche Prinzip gegründet werden; da die induzierten Ströme für die Erregung der Feldmagnete unbrauchbar waren, ſo mußte dieſen von außen der Strom zugeführt werden. Das geſchieht nun leicht ähnlich wie bei der Wildeſchen Maſchine durch die von einer

Fig. 128.

Wechſelſtrommaſchine von Siemens & Halske mit der Gleichſtrommaſchine verbunden.

Gleichſtrommaſchine zufließende Elektrizität. Wir ſehen in der Fig. 128 eine Wechſelſtrommaſchine von Siemens & Halske, welche aus der daneben abgebildeten, uns bereits bekannten Gleichſtrommaſchine mit Strom für die Elektromagnete verſehen wird. Dieſe ſtehen in zwei Kränzen angeordnet einander gegenüber. Sowohl die gegenüberſtehenden, als die benachbarten Magnete weiſen verſchiedenen Magnetismus auf. Die Induktionsſpulen ſitzen auf einer Scheibe und auch hier ſind die benachbarten entgegengeſetzt gewickelt. Daß der Eiſenkern in den Ankerſpulen unterdrückt iſt, das hat offenbare Vorteile; denn ab -176Die elektriſchen Erfindungen.geſehen davon, daß bei der raſchen Bewegung weniger Gewicht mit - geſchleppt werden muß, ſo werden auch den Wechſelſtrömen die ſonſt in den Eiſenkernen auftretenden Wärmewirkungen erſpart, ſo daß ihre Kraft ganz und gar erhalten bleibt. Deshalb ſind es auch gerade dieſe Maſchinen, welche für eine beſtimmte Arbeitsleiſtung, die man zu ihrer Drehung verwendet, die höchſte Leiſtungsfähigkeit erreichen. Dieſelbe Firma hatte auf der Frankfurter Ausſtellung 1891 eine hier wegen Raummangels nicht abgebildete Innenpolmaſchine für Wechſelſtrom aus - geſtellt, bei der 60 Feldmagnete zuſammen drehbar ſind, während der Anker, der auch die Form eines Ringes hat, feſtſteht. Der Durchmeſſer des drehbaren Ringes mit den Elektromagneten iſt nicht geringer als 3,7 m, der feſtſtehende Ankerring aber mißt 4,6 m. Die Spannung beträgt 2000 Volt, die Stromſtärke 165 Ampère, die Leiſtung alſo entſpricht 450 Pferdeſtärken. Mit dieſen Maſchinen kehrt man zu Faradays erſtem Verſuch zurück, Ströme in einem Leiter aufzuweiſen, der durch ein magnetiſches Feld hindurchwandert; auch damals gelang es bereits, Wechſelſtröme in der Drahtleitung zu erzeugen. Wir ſahen aber, daß in den Induktionsapparaten, die Faradays Entdeckung auf dem Fuße folgten, ein Mittel gegeben iſt, gerade dieſe häufig an Stärke wechſelnden und ſich umkehrenden Ströme zu transformieren, alſo hochgeſpannte Ströme von geringer Elektrizitätsmenge in reichlicher fließende, aber niedriger geſpannte Ströme zu verwandeln und auch umgekehrt. In Verbindung mit ſolchen den Induktionsapparaten nachgebildeten Transformatoren werden alſo gerade die Wechſelſtröme, bei denen die Richtung des Stromes gleichgültig, aber an einer leichten Verwandlung der Ströme etwas gelegen iſt, am beſten verwendbar ſein. Wir erfuhren bereits, daß bei den chemiſchen Wirkungen der Elektrizität es ſehr auf eine hohe Stromſtärke ankommt, wogegen die Spannung gering ſein kann; aber freilich ſind Wechſelſtröme für chemiſche Zwecke im allgemeinen unbrauchbar. Auch für die Erwärmung von in den Stromkreis eingeſchalteten Leitern ſind gerade ſtarke Ströme weſentlich. Auf dieſer Thatſache beruht ein von Elihu Thomſon vor drei Jahren angegebenes Verfahren, um Stücke desſelben Metalls oder auch verſchiedene Metalle an den Enden zuſammen zu ſchmelzen, alſo z. B. Stahl - und Eiſenſtücke an einander zu ſchweißen. Er bedient ſich dazu der in der Fig. 129 rechts ſichtbaren Dynamomaſchine. Wir ſehen an dieſer die Feldmagnete, ſechs an der Zahl und innerhalb des von ihnen eingeſchloſſenen Raumes eine Trommel, deren Drahtwickelung die beim Drehen entſtehenden Wechſelſtröme zwei rechts ſichtbaren, von einander iſolierten Ringen zuführt, von denen die hoch geſpannten, aber geringe Stromſtärke aufweiſenden Ströme in den links unten ſichtbaren Transformator gelangen. Als ſtark geſpannte Ströme kommen ſie hier in dünne Drahtwindungen, die als primäre Spule dienen, während der ſekundäre Leitungsdraht von einem einzigen ſehr dicken und zu einem Ringe gebogenen Kupferreifen gebildet iſt. Die An -177Die Dynamomaſchinen.

Fig. 129.

Wechſelſtrommaſchine zum Schweißen der Metalle von Elihu Thomſon.

ordnung iſt alſo gerade umgekehrt, wie bei dem bekannten Induktions - apparat von Ruhmkorff; hier iſt gerade die primäre Spule aus ſtarkem Drahte gewunden, die ſekundäre dagegen beſteht aus ſehr vielen Windungen von recht dünnem Drahte. Dieſe Teile ſind in dem Bilde nicht ſichtbar, wohl aber ſieht man die ſtarken Backen, mit denen dieſeDas Buch der Erfindungen. 12178Die elektriſchen Erfindungen.Leitung endigt, und in welche die beiden mit einander zu ver - ſchweißenden Eiſenſtücke geklemmt werden. Man muß wiſſen, daß das Eiſen ein viel ſchlechterer Leiter der Elektrizität iſt, als das Kupfer. Wo die Elektrizität mehr Widerſtand findet, wird ſie beim Durchgange ſich in Wärme umwandeln, alſo wird ſie das Kupfer nicht weſentlich, deſto mehr das Eiſen erhitzen. Aber zum Schmelzen des Eiſens gehört eine Temperaturerhöhung um mehr als 1000 Grad Celſius. Iſt der Strom wirklich kräftig genug, um dieſe Erhitzung zu vollbringen in Eiſenſtäben von mehreren Zentimetern Dicke? Und wenn dies der Fall iſt, wird dann nicht mehr Kraft verbraucht, als eigentlich nötig iſt? Es bedarf ja doch nur einer oberflächlichen Schmelzung gerade an den beiden zu verſchweißenden Enden der Eiſenſtangen, jede in der Mitte derſelben geleiſtete Erwärmung ver - ringert unnütz die Arbeitsfähigkeit der Maſchine. Die Natur des elektriſchen Widerſtandes hebt alle dieſe Sorgen in der befriedigendſten Weiſe. Derſelbe hängt ja von dem Querſchnitt des Leiters ab, und er iſt um ſo größer, je enger der Raum iſt, durch den der Strom ſich hindurch zu zwängen hat. Aber der leitende Querſchnitt iſt gerade an der Berührungsfläche der Leiter am geringſten, denn wenn dort auch, wie die Figur zeigt, die Eiſenſchienen oder - ſtangen mit Gewalt gegen einander gepreßt werden, ſo ſind doch die Endflächen nie ſo gut ge - arbeitet, daß ſie in ihrer ganzen Ausdehnung einander decken; ſie berühren ſich nur in vielen kleinen Flächen und Punkten, und dort iſt demnach auch der größte Widerſtand und damit eine beſonders ſtarke Erhitzung zu erwarten. Schon innerhalb weniger Sekunden machen dieſe Ströme, die in der Sekunde zweihundertmal ihre Richtung wechſeln, die auf einander gepreßten Enden glühend, erweichen ſie, ſo daß ſie durch erneuten Druck, den man mit den gezeichneten Kurbeln ausüben kann, noch ein wenig gegen einander gedrückt werden können. Hierauf läßt man das Stück abkühlen und findet, daß die Schweißung vollzogen iſt.

d) Die Erfindung des elektriſchen Lichtes.

Auf Adlersflügeln vorwärts ſtrebend weicht der Flug des menſch - lichen Erfindungsgeiſtes auch der Sonne nicht. Das Licht des Tages - geſtirns mit ſeiner unübertroffenen, jede andere natürliche Leuchte zum Halbdunkel herabſetzenden Leuchtkraft, dieſes Licht zu jeder Zeit in der Gewalt zu haben, das war das lange für erſtrebens - wert gehaltene Ziel der Technik. Sie hat es erreicht, oder ſie iſt ihm doch ſo nahe gekommen, wie ſie immer hoffen durfte. In einem beſonderen Abſchnitte dieſes Buches wird der Weg, den der Erfindungstrieb durch die verſchiedenen Arten der Beleuchtung zurück - zulegen hatte, beſchrieben werden. Wir wollen uns ſofort jenem End - ziele, dem elektriſchen Lichte zuwenden, das als Bogenlicht gegen179Die Erfindung des elektriſchen Lichtes.die Lichtſtärke der Sonne nur noch um die Hälfte zurückſteht. Die andere wohlbekannte Art, das Glühlicht, mit ſeiner gelben, die Augen nicht blendenden Farbe, iſt uns im Innern der Wohnräume ſym - pathiſcher; für die Beleuchtung großer Räume und der Straßen erſcheint das weiße Bogenlicht geeigneter. Kaum hat wohl eine Erfindung ſich mit dieſer erſtaunlichen Geſchwindigkeit eingeführt und verbreitet, wie dieſe beiden Lichtarten. Wo iſt es vor 15 Jahren dauernd eingeführt geweſen? und am 1. Januar 1890 waren in Deutſchland 2590 Anlagen für elektriſche Beleuchtung mit 339000 Glühlampen und 21000 Bogen - lampen vorhanden, Berlin allein zählte Ende März 1890 5000 Bogen - lampen neben 81000 Glühlampen, welche zuſammen den Leuchtwert von mehr als 110000 Gasflammen repräſentieren, wenn man eine Glühlampe als gleichwertig mit einer Gasflamme anſieht, der Bogenlampe aber den ſechsfachen Leuchtwert zuſchreibt. Neben der Leuchtkraft iſt es jedenfalls auch die bequeme Bedienung, welche elektriſche Lichtapparate geſtatten, und welche durch eine Menge geiſtreicher Erfindungen garantiert iſt, die dieſe Verbreitung herbeiführte. Sehen wir uns beide Arten der Leucht - apparate etwas näher an!

Die Glühlampe beſteht aus einer luftleeren Glasglocke, in welcher ein dünner Faden von einem verkohlten Stoffe ſitzt. Dieſer wird zu heller Glut entflammt, und damit er nicht verbrenne, muß die Glocke jedes meßbaren Luftgehaltes bar ſein. In die heiße Glut verſetzt wird der Kohlenfaden beim Durchgange eines elektriſchen Stromes. Wir wiſſen ja bereits, daß dieſer, wo er Widerſtand findet, ſich in Wärme umſetzt. Die Kohle aber iſt an ſich ein ziemlich ſchlechter Leiter der Elektrizität und wird einen immer größeren Widerſtand leiſten, je mehr man ihren Querſchnitt verkleinert. Alſo wird der dünne verkohlte Körper ſich ſchon deshalb für die elektriſche Beleuchtung geeignet machen. Er iſt es noch aus einem anderen Grunde. Es giebt zwar noch andere weniger gute Leiter, die beim Durchgange des Stromes in Glut ge - raten, wie z. B. das Platin, das in dünnen Drähten ſchon durch einen ziemlich ſchwachen Strom glühend gemacht wird, aber dieſe Körper werden alle viel leichter durch die entwickelte Hitze zum Schmelzen gebracht, als gerade die Kohle, die bei den höchſten Wärmegraden, die wir zu erzeugen fähig ſind, nicht ſchmilzt. Und ſchließlich laſſen gerade verkohlte Stoffe ſich in die paſſende Form von dünnen und dabei gleichmäßigen Querſchnitt beſitzenden Fäden bringen. Wenigſtens kann man das heute, nachdem man lange und mühevolle Verſuche gemacht hat. Früher mußte man ſich mit Platin behelfen. So hat William Grove ſchon 1845 eine elektriſche Lampe gebaut, die ſich beſonders für Berg - werke eignen ſollte, weil der glühende Platindraht in einem abgeſchloſſenen Gefäß ſaß und alſo die gefährlichen Grubengaſe nicht entzünden konnte. Sein Apparat war einfach ein Glas, das nach Art der Taucherglocke in ein Gefäß mit Waſſer geſtülpt war. Innerhalb deſſelben glühte der Platindraht, der durch zwei iſolierte Kupferdrähte mit Strom aus12*180Die elektriſchen Erfindungen.einer galvaniſchen Batterie verſorgt wurde. Das war die erſte Glüh - lampe. Zwar hatte Jobard in Brüſſel bereits 1838 den Vorſchlag gemacht, die Kohle in einem luftleeren Raume als lichtgebenden Leiter zu benutzen, und die Engländer Starr und King konnten 1845 ein Stäbchen aus Kohle, das ſie bis zur Fadendünne abgeſchliffen hatten, in einem leer gepumpten Glasballon durch den Strom einer magnet - elektriſchen Maſchine zum Glühen bringen. Aber eine Fortſetzung dieſer Verſuche erſchien damals ſchon deshalb wenig lohnend, weil ja die Stromquellen zu teuer waren, das elektriſche Licht zu koſtſpielig wurde. Erſt als die Dynamomaſchinen aufkamen, und durch die Erfindung der verbeſſerten Queckſilberluftpumpe von Sprengel die Herſtellung außerordentlicher Luftverdünnungen möglich wurde, da wurde die Suche nach geeigneten Glühlampen von Swan 1877 und Ediſon 1878 wieder aufgenommen. Die Dauerhaftigkeit einer ſolchen Lampe hängt ſehr weſentlich davon ab, daß eine möglichſt vollkommene Luftleere hergeſtellt wird, weil der Kohlenfaden bei Anweſenheit eines Luftreſtes ſchnell dahinſchwindet. Nun hatte Crookes durch großartige Verſuche gezeigt, wie weit die Luftentleerung mit Hülfe der Sprengelſchen Pumpe getrieben werden konnte, und Swan konnte jetzt ſeine Glas - gefäße, nachdem er verkohlte Papierfäden hineingebracht hatte, ſo vollkommen entleeren, daß der Druck der übrigbleibenden Luft nur noch ein Milliontel einer Atmoſphäre betrug. Man mußte dabei die Kohlenfäden während des Auspumpens gehörig erhitzen, weil ſie in der Kälte einen hohen Betrag von der umgebenden Luft in ſich aufzu - nehmen vermögen, der beim ſpäteren Gebrauche ſchädlich wirken würde. Die auf dieſe und ähnliche Einzelheiten gerichtete Sorgfalt Swans und Ediſons hat erſt die glänzenden Erfolge der[elektriſchen] Beleuchtung ermöglicht. Die Drähte, welche der Lampe den Strom zuführen, ſind mit der metalliſchen Hülle des Lampenfußes und der durch eine Gipsfüllung davon iſolierten Fußſchraube in Verbindung zu bringen, und deshalb wird beſondere Sorgfalt auf die Vereinigung des Kohlefadens mit dieſem Fuße zu verwenden ſein. Platindrähte, die den gläſernen Lampenfuß durchſetzen, ſtellen dieſe Verbindung her und ſind mit der Kohle durch einen galvaniſchen Niederſchlag von Kupfer vereinigt. An der Vereinigungsſtelle könnte die Berührung an Innigkeit zu wünſchen übrig laſſen. Dann würde gerade hier der Widerſtand bedeutend ſein, und es wäre ein Fortſchmelzen des Kupfer - belags zu fürchten. Darum ſorgte Swan durch Verdickung des Kohlen - fadens gerade an ſeinen Enden für eine Verminderung des Wider - ſtandes. Der Kohlenfaden hat bei den Lampen verſchiedener Firmen eine immer andere Form. Wir zeigen in den Fig. 130 bis 132 die einfache U-Geſtalt der Ediſonſchen Kohlenfaſer, die gewundene der Swanſchen und die Zickzackform der Maximſchen Glühlampe. Woher aber bekommt man dieſe feinen Fäden? Wir kennen die Kohle doch als ein ſprödes Material, das ſich der Formung immer entzieht. Hören181Die Erfindung des elektriſchen Lichtes.wir alſo, wie der große Mann von Menlo Park ſich dieſelben durch Verkohlung von Bambusfaſern verſchafft.

Die von der Pflanze kommenden röhrenförmigen Stengel werden zuerſt mit Hilfe einer für dieſen Zweck erfundenen Maſchine ſo präpariert, daß man ſchnell eine größere Zahl gleichförmiger, in paſſenden Längen abgeſchnittener Stücke, und jedes Stück in zwei Halbröhren mitten durchgeſpalten, erhält. Dieſe beiden werden wieder in drei Streifen geteilt; die harte, Kieſelſäure enthaltende äußere Rinde wird entfernt, und die Stücke werden derart abgehobelt, daß ſie einen flachen und geraden Streifen von der ganzen Länge nach gleichförmiger Dicke abgeben, und dann ſo abgeſchnitten, daß ſie genau dieſelbe Länge

    • Fig. 130.
    • Fig. 131. Elektriſche Glühlampen von
    • Fig. 132.
    • Ediſon.
    • Swan.
    • Maxim.

erhalten. Nachdem man ſo einen Satz gleicher Faſern präpariert hat, ſtellt man ſie in Blöcke zuſammen und ſchneidet ſie ſo, daß ſie endlich die Geſtalt einer ſchmalen Bambusfaſer mit Verdickungen an den Enden annehmen, mit denen ſie ſpäter an die Zuleitungsdrähte angeheftet werden. Die Faſern werden hierauf in die gewünſchte Form gebogen, nämlich die eines Hufeiſens, und durch Erhitzung bis zur Weißglut unter Luftabſchluß in Öfen verkohlt. Dann werden ſie mit ihren Platinhaltern galvaniſch verbunden, um eine durchaus gute Verbindung herbeizuführen, und ſchließlich in die Glasglocken gebracht. Dieſe letzteren werden wiederholt luftleer gepumpt, während die in ihnen enthaltene Faſer immer wieder durch einen elektriſchen Strom auf eine ſehr hohe Temperatur erhitzt wird, nachdem man ſie dazwiſchen immer wieder hat abkühlen laſſen. Dadurch wird die Luft und jedes andere in ihnen noch enthaltene Gas freigemacht, und außerdem werden die Faſern dabei noch einer ſcharfen Probe unterworfen, welche nur die ganz geſunden aushalten können, und ſchließlich erhält man eine dem beabſichtigten Zweck angepaßte, einer langen Ausdauer fähige Faſer. Die Dicke der Kohle in den gewöhnlichen Ediſonſchen Glühlampen iſt182Die elektriſchen Erfindungen.0,1 bei einer Breite von 0,2 Millimetern, die Swanſchen Kohlenfaſern beſitzen einen Querſchnitt von ¼ Millimeter Durchmeſſer und dabei erhält man ſie überall von derſelben Dicke, weil gerade durch das vorherige elektriſche Glühen ein Ausgleich des Widerſtandes durch die ganze Länge herbeigeführt wird. Das iſt auch durchaus notwendig, denn von dem Widerſtande, den der Faden an den einzelnen Stellen ſeiner Länge leiſtet, hängt offenbar auch der Grad der Erwärmung und damit auch die Farbe des Lichtes ab, das er dort ausſendet. Derſelbe Strom wird die Stellen von geringem Widerſtand nur zur Rotglut erwärmen, während er die mehr widerſtehenden in gelber Farbe leuchten läßt oder gar zu heller Weißglut erhitzt. Es iſt aber offenbar nötig, daß der Faden durch die ganze Länge mit demſelben Farbentone leuchte. Dieſer Ton ſelbſt wird außer von dem Widerſtande, den die Glühlampe leiſtet, hauptſächlich von der Spannung des durchgehenden Stromes abhängen. Dieſe beträgt bei den gewöhnlichen Ediſonlampen über 100 Volt, bei den Swanſchen nur die Hälfte, wogegen die Strom - ſtärke der erſteren nur ½ Ampère, diejenige, welche die letztere erfordert, mehr als 1 Ampère beträgt. Hieraus läßt ſich auch auf die Wirkſamkeit und die Teuerkeit des Glühlichtes ein Schluß ziehen, freilich nur ein ganz allgemeiner, da die Koſten für die verbrauchte Kraft ſehr ver - ſchieden ſind und ſich z. B danach richten, ob Waſſerkräfte zum Treiben der Dynamomaſchinen ſich darbieten oder nicht. Wenn wir aber eine beſtimmte Gasmenge einmal verwenden, um mit ihr eine Kraftmaſchine zu treiben, die auf eine Dynamomaſchine wirkt und einen Strom durch eine Reihe von Glühlampen ſchickt, und andererſeits das Gas direkt ver - brennen, um es als Leuchtkörper zu benutzen, ſo ergiebt ſich, daß die erzielten Wirkungen im erſten Fall drei Mal ſo groß, als im zweiten ſind. Wenn trotzdem heutzutage die Koſten des elektriſchen Lichtes ſich noch höher als die des Gaslichtes ſtellen, ſo liegt das nur an der erſten Ausgabe und den Koſten der Inſtandhaltung der Gas - und der Dynamomaſchine.

Die Glühlampen ſind den an ſie geſtellten Aufgaben in hohem Grade angepaßt. Während ſie bei voller Leuchtkraft in Weißglut ſind, kann man durch Einſchalten eines größeren Widerſtandes, wie man ihn künſtlich aus Metalldrähten erhält, ſie auf gedämpftes gelbes oder auf rotes Licht beſchränken. Die Zuleitung des Stromes zur Lampe kann durch lockere Drähte erfolgen, dann iſt dieſelbe leicht tragbar und man kann mit ihr überall hinleuchten. Feuersgefahr erſcheint bei ihnen abſolut ausgeſchloſſen, weil der Kohlenfaden unter Luftabſchluß glüht und nur wenn die Glasglocke durch einen unglück - lichen Zufall zerbrechen ſollte, mit äußeren Gegenſtänden in Berührung käme; aber dann wird er ja ſofort durch die Anweſenheit der Luft verzehrt, der Strom wird ſofort unterbrochen und die Glut erliſcht. So ſind ſie an ſolchen Stellen beſonders brauchbar, wo ſonſt der Feuersgefahr wegen der Gebrauch von Lampen möglichſt umgangen183Die Erfindung des elektriſchen Lichtes.wurde; in Sprengſtofffabriken werden ſie ſich nützlich machen und in den Gruben der Bergwerke als die allein gegen ſchlagende Wetter ſicheren Leuchten ſich einführen. Die Feuersgefahr in den Theatern iſt ganz beträchtlich eingeſchränkt worden, ſeitdem man ſich zur Er - leuchtung der Bühne und des Zuſchauerraumes immer ausſchließlicher der Glühlampen bedient. Gerade in der Theatertechnik aber ſind ſie von den wunderbarſten Wirkungen. Eine allen Anforderungen der Neuzeit genügende Bühnenbeleuchtung muß derart eingerichtet ſein, daß man jeden Teil der Bühne beliebig ſtark und mit beliebig gefärbtem Lichte beleuchten kann, und man muß es in der Hand haben, von jedem beſonderen Lichteffekte ſtetig, ohne für das Auge des Zuſchauers wahrnehmbare Sprünge, auf eine andere Belichtungsart, beiſpielsweiſe vom Tageslichte auf Gewitterbeleuchtung, Abenddämmerung, Mondlicht überzugehen. Für dieſen Zweck hat der Obermaſchinen-Inſpektor Brand des Berliner Opernhauſes ein beſonderes Syſtem erfunden, welches für die Praxis ſich als völlig genügend herausgeſtellt hat. Während man früher vor die weißen Lampen beſonders gefärbte Gläſer ſetzte, bringt man jetzt bereits von vorn herein auf der Bühne eine Reihe von Lampengruppen an, deren Mitglieder zu je einem Drittel in weißen, roten und blauen (oder grünen) Gläſern ſitzen. Nun kann die Lichtſtärke der gleichfarbigen Lampen einer Gruppe von einem Punkte aus, der hinter der Bühne liegt, aber einen Überblick derſelben geſtattet, leicht reguliert werden. Man braucht dazu nur einen paſſenden Widerſtand in die Leitung einzuſchalten, was ein Angeſtellter mit Leichtigkeit durch einen Bühnenregulator beſorgt. Damit kann man die Lichtfärbung und den Helligkeitsgrad jedes Satzes ſo regulieren, daß er eine ins Unbegrenzte gehende Veränderungsfähigkeit erhält. Die Regulierwiderſtände können durch Drehen von Kurbeln ein - und ausgeſchaltet oder die Lichter eines Satzes ganz ausgelöſcht werden. Erſtaunlich ſind die Anwendungen dieſer Beleuchtung. Wir finden ſie im Helme des Tauchers, der nun ſeine Hände nicht mehr mit einer Lampe zu beſchweren braucht; der Strom wird ihm vom Schiffe durch gut iſolierte Drähte zugeſandt. Wir begegnen ihr in den Wagen der Eiſenbahnen, ſo zwar zunächſt nur in denen der Jura-Simplonbahn und der Schnellzüge von Paris nach Havre. Statt der ſchweren Dynamo - maſchinen braucht die Lokomotive nur beſondere, ſpäter zu beſchreibende Batterien, die ſogenannten Akkumulatoren, mitzunehmen und jeder Fahrgaſt kann an ſeinem Platze ſich die paſſende Beleuchtung ſchaffen. Dabei wird jenes unbequeme Anzünden der bisher gebräuchlichen Pintſchſchen Fettgaslampen von der Decke des Wagens her geſpart. Wo die Beleuchtung wegen vorhandener Waſſerkräfte ſich billig ſtellt, in den Thälern der Alpen z. B., hat ſie feſten Fuß gefaßt, und wir vernehmen, daß die nördlichſte Stadt der Erde, das kleine Hammerfeſt, ſich den Erſatz für das ihr monatelang mangelnde Sonnenlicht jetzt durch eine elektriſche Anlage für die Speiſung von Glühlampen in den184Die elektriſchen Erfindungen.Straßen und Häuſern ſchaffte, für die eine nahe Stromſchnelle die Kraft liefert. So brannte im letzten Winter das Licht auf den Straßen ununterbrochen vom 18. November bis zum 23. Januar, während das Werk vom 16. Mai bis zum 26. Juli feiern konnte, weil in dieſer Zeit die Sonne nicht unterging. Doch ſehen wir uns jetzt nach der andern elektriſchen Leuchte, dem Bogenlichte, um!

Dasſelbe wurde zuerſt 1813 von dem engliſchen Chemiker Davy dargeſtellt. Er leitete dazu den Strom von 2000 Voltaſchen Elementen durch zwei Kohlenſtifte, die einander an ihren Enden berührten. Der Widerſtand iſt natürlich gerade an ſolchen zugeſpitzten Enden beſonders ſtark und daher wurden ſie in Glut verſetzt. Sie blieben aber leuchtend, wenn man ſie jetzt von einander langſam entfernte, während doch der Batterieſtrom keineswegs jene hohe Spannung aufwies, die nötig iſt, damit ein Ausgleich der Elektrizitäten durch die Luft erfolgen könne. Der Widerſpruch löſt ſich leicht, wenn man bedenkt, daß der Strom kleine Kohleteilchen abreißt, die dann eine faſt ununterbrochene Ver - bindung zwiſchen den beiden Kohlen herſtellen. Wiewohl der Wider - ſtand bedeutender iſt, wird er doch vom Strome überwunden, es bildet ſich eine weißglühende Lichtbrücke in der Luft, und dieſelbe bricht erſt dann, wenn die Entfernung der Spitzen zu groß geworden iſt. Dieſer glühende Bogen hat dem Lichte den Namen gegeben. Wir haben in ihm die höchſte Hitze, die wir künſtlich herzuſtellen fähig ſind, und ein Licht, das eben nur dem des Tagesgeſtirns an Helligkeit nachſteht. Die Kohlen, die als Träger des Lichtes dienen, ſind hier mit viel geringerer Mühe zu beſchaffen, als die feinen Fäden der Glühlampen. Bei der Gasfabrikation bleibt in den Retorten ein Rückſtand von Koks, der gerade als Herſtellungsmaterial für die Bogenlichtkohlen geeignet iſt. Offenbar wird dieſes Licht recht viele Unterſchiede gegen das Glühlicht aufweiſen. Einmal wird bei dem vielmal größeren Wider - ſtande, den die Lampe leiſtet, der Strom viel höher geſpannt ſein müſſen. Die zugeführte Wärme wird andererſeits nicht blos den Flammenbogen in Glut erhalten, er wird auch im Beiſein der Luft die Kohlen zur Ver - brennung bringen, und wenn auch dies bei der allzu hoch geſteigerten Hitze in keinem großen Umfange geſchehen kann, ſo wird doch ein anderes die allmähliche Aufzehrung der Lichtträger bewirken. In jenen glühenden Kohlenteilchen, welche den Lichtbogen bilden, wird den Kohlen viel Material entzogen, und zwar hat ſich herausgeſtellt, daß die Kohle, an der der Strom eintritt, einer viel größeren Stoffmenge beraubt wird, als diejenige, an der er aus dem Lichtbogen austritt. Die erſtere verliert ihre Spitze und höhlt ſich allmählich aus, während die andere dauernd ihre Form behält, obgleich ſie auch etwa die Hälfte jenes Stoffes verliert, den die erſtere abgiebt. Dieſer Verluſt an Material führt zu einer Verkürzung der Kohlen und da der Lichtbogen nicht über eine gewiſſe Grenze wachſen kann, ohne zu zerreißen, ſo muß man Vorkehrungen treffen, welche die Kohlen immer um ſoviel185Die Erfindung des elektriſchen Lichtes.nähern, als ſie durch das Verbrennen verkürzt wurden. Dieſer Apparat wird zugleich auch die Trennung der Kohlen in den erſten Momenten des Aufleuchtens zu bewirken haben, damit der Lichtbogen ſich bilden könne. Nur wenn ein ſolcher guter Regulierapparat beigegeben iſt, wird auch der Widerſtand, den der Licht - bogen dem Strome entgegenſetzt, immer derſelbe bleiben können, während ſonſt mit dem Widerſtande auch die Leucht - kraft der Lampe eine fortwährende Änderung erführe, wie wir auch bei ſchlechter Regulierung ein fortwähren - des Flackern und eine ruckweiſe Ver - änderung des Lichtes wahrnehmen.

Sehr geiſtreiche Erfindungen ſind gemacht worden, um die Beſtändigkeit

Fig. 133.

Elektriſche Bogenlampe.

Fig 134.

Regulator für Bogenlampen von Schuckert & Co.

186Die elektriſchen Erfindungen.des Lichtbogens zu garantieren. Die erſte regulierte Bogenlampe konſtruierte Dubosq. Wir bilden hier diejenige ab, welche Krizik & Piette vor einigen Jahren erfunden haben, und die von Schuckert in Nürnberg gebaut wird. Die Lampe ſelbſt iſt in Fig. 133 zu ſehen. Die Kohlen - ſpitzen ſtehen einander in dem unteren Teile des Apparats gegenüber, welcher mit einer Hülle von Milchglas umgeben iſt, um nicht die ganze Fülle blendenden Lichtes in unſer Auge gelangen zu laſſen. Das Glas wiederum iſt, um beſſer Widerſtand leiſten zu können, mit einem Drahtgeflechte umgeben. Die Reguliervorrichtung ſitzt in einem darüber ſichtbaren Metallzylinder, der des ſchöneren Ausſehens halber auswendig ornamentiert wird. Beim Aufhängen werden die Lampen entweder zum Abhaken eingerichtet oder mit einem Gegengewichte ab - balanciert, damit man ſie jederzeit zu einer Erneuerung der Kohlen - ſtifte herablaſſen könne. Den ſehr einfachen und wirkſamen Regulator zeigt die Fig. 134. Wir ſehen die beiden Kohlen einander gegenüber - ſtehen. Die obere, bei welcher der Strom eintritt, hat den doppelten Quer - ſchnitt wie die untere, bei der er austritt. Dadurch wird weil der Licht - bogen von der unteren Kohle halb ſoviel verzehrt, wie von der oberen erzielt, daß beide Kohlen um gleiche Längen abbrennen. Die Hauptleuchtkraft des Bogenlichts ſitzt immer dort, wo der Strom ein - tritt, durch eine dickere untere Kohle würde uns alſo auch zuviel von dem Lichte der oberen entzogen werden, und das iſt der andere Grund, warum die untere dünner iſt. Beide Stifte ſitzen in Metallhülſen, die an beſonderen Trägern angebracht ſind. Mit dieſen wieder ſind Stangen aus weichem Eiſen verbunden; beide hängen an einer Schnur, die um ein Rad geſchlungen iſt. Infolge dieſer Aufhängung legen beide Kohlen immer gleiche Wege zurück und zwar gehen gleich - zeitig die eine nach unten und die andere nach oben. So bleibt der Lichtbogen während der geſamten Branddauer ſtets an derſelben Stelle und der wirkſamſte Teil der Lichtquelle wird ſich demnach in die günſtigſte Stelle zu der Glocke oder auch zu einem Spiegel bringen laſſen, der das Licht weit fortwerfen ſoll und wie wir ihn ſpäter im Scheinwerfer kennen lernen werden (vergl. Sicherung der Schifffahrt ). Wie wird nun der Lichtbogen gerade immer in der - ſelben Länge erhalten? Dazu dienen die beiden Drahtſpulen, welche der Strom paſſieren muß. Die eine Hauptſpule enthält dicken Draht in verhältnismäßig wenigen Windungen, während die Nebenſpule deren viele aber ſehr dünne beſitzt. Wenn der Strom ſie durchfließt, ſo nehmen ſie magnetiſche Eigenſchaften an und ziehen dann die Eiſenkerne in ſich hinein. Die Stellung dieſer wird alſo nicht allein durch ihre Schwere bedingt ſein, ſondern auch von der Kraft der beiden Drahtſpulen ab - hängen. Die Anziehungskräfte beider Spulen wirken einander ent - gegen; die Hauptſpule, wird ein Auseinandergehen, die Nebenſpule, ein Zuſammengehen der Kohlenſpitzen herbeizuführen ſtreben. Findet der Strom bei zu kleinem Lichtbogen einen zu geringen Widerſtand,187Die Erfindung des elektriſchen Lichtes.ſo wird er zu ſtark, die Hauptſpule wird die Übermacht haben und den Lichtbogen vergrößern; iſt der Lichtbogen aber zu groß, ſo wächſt die Spannung des Stromes, und dann hat die dünndrahtige Spule die Oberhand und bewirkt eine Verkürzung des Bogens. So gleichen ſich ſtets die Änderungen im Lichtbogen ſofort wieder aus. Dies iſt nur einer von den vielen in der Praxis gebräuchlichen Lichtbogen - bildern, der ſich dadurch auszeichnet, daß die Lampen in jede mögliche, ſelbſt in horizontale Lage gebracht werden können, alſo für die Be - leuchtung im Freien und in Bahnhofshallen, wo die Lampen dem Winde ausgeſetzt ſind, ſowie auf Schiffen von Vorteil iſt. Andere Vorrichtungen ſind den beſonderen Arten von Schaltungen der Lampen und von Zuleitungen des Stromes in eigentümlicher Weiſe an - gepaßt, wie die 1879 von v. Hefner-Alteneck erfundene Differentiallampe, die erſte, welche eine Verteilung des elektriſchen Stromes an viele Lampen ermöglichte.

Ohne eine ſo verwickelte Anordnung hat bereits 1876 Jablochkoff mit ſeiner elektriſchen Kerze die Regulierung des Lichtbogens erreicht. Bei ihm ſtehen die Kohlenſtifte nicht einander gegenüber, ſondern parallel zu einander, die Enden in gleicher Höhe, von einander durch eine Miſchung von Gips und Schwerſpat iſoliert. Zwiſchen ihren oberen Enden entſteht der Flammenbogen. Die beiden Kohlen werden ſich nur dann gleichmäßig abnutzen, wenn man Wechſelſtröme hinein - leitet. In dem Maße, als die Stifte abbrennen, ſchmilzt zugleich die iſolierende Schicht weg, ſo daß ſich der Bogen immer wieder bilden kann. Schwierigkeit macht hier freilich das Einleiten der Bogenbildung, da man die Stifte einander nicht nähern kann. Man muß alſo durch Aufdrücken eines dritten dünneren Kohleſtiftes zuerſt eine leitende Verbindung herſtellen und wird nach dem Abbrennen deſſelben den Lichtbogen aufleuchten ſehen.

Das Bogenlicht, ſonſt nur in großen Räumen und für die Beleuchtung von Gärten und Straßen angewendet, bricht ſich jetzt auch an anderen Stellen Bahn. So haben Sedlaczek und Wikulill eine Lampe für Eiſenbahn - und Schiffsbeleuchtung gebaut, mit denen in Öſterreich Verſuche gemacht wurden. Die Lampe wird am Schornſtein einer Lokomotive befeſtigt und durch den Strom einer Dynamomaſchine entzündet, die von der Lokomotive ſelbſt mit Kraft verſorgt wird. Der Lokomotivführer kann durch einen hinter dem Lichtbogen befeſtigten Spiegel die Bahnſtrecke weithin beleuchten, ſo daß er die Signale deutlich bis auf ein oder zwei Kilometer erkennen kann. Offenbar würde die Gefahr des Zuſammenſtoßes von See - ſchiffen auch bedeutend vermindert werden, wenn man das Fahrwaſſer mit Bogenlicht beleuchtete, das, wie kein anderes, ſelbſt zur Durchdringung des dichteſten Nebels geeignet iſt. Dort, wo Lokomobilen zur Feld - arbeit benutzt werden, wird ſich vielleicht eine Art von Beleuchtungs - wagen einführen, welche die Firma Siemens & Halske neuerdings188Die elektriſchen Erfindungen.konſtruiert hat. Die während der Ernte beſonders koſtbare Arbeits - zeit wird auch auf den Abend ſich ausdehnen laſſen, wenn man für genügende Helligkeit ſorgt. Solche liefern eben die genannten Apparate. Sie enthalten auf einem Wagen eine Dynamomaſchine, die von der Lokomobile aus durch eine Transmiſſion in Thätigkeit geſetzt werden kann und drei Bogenlampen, ſowie einige Glühlampen mit Strom verſorgt. An anderen Stellen werden wir die Anwendung des elektriſchen Lichtes auf Leuchttürmen und für die elektriſchen Schein - werfer beſprechen (vergl. Sicherung der Schifffahrt ).

e) Die elektriſche Kraftübertragung.

Frühere Anſichten und Beſtrebungen.

In dem Kapitel über Dynamomaſchinen ſahen wir, daß jeder ſolcher Apparat ſich zugleich als Motor verwenden läßt, der wie ein Dampf - oder Gasmotor für den Betrieb von Arbeitsmaſchinen geeignet iſt. Man braucht ihm nur von einer primären Maſchine Strom zu - zuſenden, ſo wird er in Bewegung geſetzt. Dieſes Zuſchicken von Elektrizität erſcheint uns ohne alle Schwierigkeit. Man hat ja in den Metallen vorzügliche Leiter, jeder Metalldraht wird alſo geeignet ſein, die Kraft auf jede beliebige Entfernung zu übertragen. Leider ver - hält ſich die Sache anders. Zunächſt nämlich muß die Leitung durch eine vorzügliche Iſolation gegen die Umgebung geſchützt ſein, ſonſt wird zu viel Elektrizität dorthin überfließen. Bei den Telegraphen - leitungen, in denen auch nichts anderes als die Elektrizität fließt, ſind die Drähte an beſonderen Porzellannäpfen angebracht, die ihrerſeits erſt wieder an den Holzſtangen befeſtigt ſind. Das Porzellan hat eine ſehr geringe Leitungsfähigkeit. Aber auf ſeiner Oberfläche ſchlägt ſich ſtets aus der Atmoſphäre eine dünne Schicht von Waſſer nieder, die immer ſchon etwas Elektrizität aus dem Drahte über die nicht beſonders

Fig. 135.

Öl-Iſolatoren.

ſchlecht leitenden Holzſtangen zur Erde führt und damit bei der großen Zahl von Stangen in einer viele Kilometer langen Leitung einen anſehnlichen Stromverluſt herbeiführt. Beim Telegraphieren hat das nicht viel zu ſagen; die dazu erforder - liche Kraft iſt gering, aber wo es ſich um die Übertragung ſtarker Kräfte handelt, mit denen zu ſparen iſt, da wird man die jetzt an Verbreitung ſehr zunehmenden Öl-Iſola - toren anwenden, von denen unſere Fig. 135 drei an einem Holzkreuze befeſtigte zeigt. Der oben abgebildete Querſchnitt läßt er -189Frühere Anſichten über die elektriſche Kraftübertragung.kennen, daß ſie inwendig Rinnen haben, die mit Öl gefüllt werden. Das Öl aber iſt der vollkommenſte Iſolator, den man bis jetzt hat. Was das Holzkreuz bedeutet, wird uns bald klar werden.

Woraus ſoll man die Leitungen herſtellen? Natürlich aus einem möglichſt vollkommenen Elektrizitätsleiter. Da iſt vor allem das Kupfer brauchbar, das dem beſten Leiter, dem Silber, an Billigkeit ſo viel über - legen iſt. Für die Leitung geringerer Kräfte iſt ſelbſt Eiſendraht völlig ausreichend, in ihm erblicken wir den üblichen Vermittler telegraphiſcher Depeſchen. Nachdem die elektriſche Beleuchtung einen größeren Umfang angenommen hatte, beſonders für die Leitung aus den Kraftzentralen der Großſtädte, mußte man auch für die Beleuchtungszwecke wohl oder übel von der oberirdiſchen Stromleitung zur unterirdiſchen übergehen. Dieſe Leitungen oder Kabel ſollen bequem verlegt werden können, dazu muß man beſonders, wenn die Leiter einen großen Querſchnitt haben, eine Reihe von dünnen Drähten zu einem Seile verbinden. Dadurch erreicht man erſt die nötige Biegſamkeit des Leiters trotz ſeiner Dicke. Wir bilden hier ein ſolches Kabel ab, das Patent - bleikabel, welches ſeit

Fig. 136.

Aufgewickeltes Bleikabel von Siemens & Halske.

etwa vier Jahren von Siemens & Halske eingeführt wurde. Rechts iſt das Kupferſeil ſichtbar, aber was bedeuten die teilweiſe zurückgeſchlagenen und entfernten Hüllen, die es umſchließen? Da iſt zu innerſt ein Blei - mantel, welcher unter einem ſehr hohen hydrauliſchen Drucke von 2500 Atmoſphären eng um die Kabelſeele herumgepreßt wurde. Er ſoll die Zuleitung der Erdfeuchtigkeit zu dem Leiter verhindern. Wo dieſes Kabel direkt in den Erdboden verlegt werden ſoll, kommt nach einer Umwickelung mit Papier eine theergetränkte Umſpinnung herum und ſchließlich, um es bei Erdarbeiten gegen Verletzungen zu ſichern, eine Umhüllung, die aus zwei ſich überdeckenden Eiſenbandſpiralen von mm Dicke beſteht. So ein Kabel entſpricht ſchon den hohen Anforderungen, welche an die Iſolation und die Dauerhaftigkeit der Leitung zu ſtellen ſind. Es iſt nicht möglich, dieſelben über gewiſſe Längen hinaus anzufertigen: da man nicht wohl kilometerlange Leiter von einem beſtimmten Querſchnitte transportieren kann, ſo müſſen die gelieferten Enden noch unter Berückſichtigung des Schutzes dieſer Be - rührungsſtellen und der Iſolierung verbunden werden. Dazu dienen Muffen von der Art, wie wir ſie umſtehend abbilden; die Kupferſeile werden dort durch Verſchrauben mit einander verbunden und die Muffen dann mit dem iſolierenden Material ausgegoſſen. Die ſogenannte T-Muffe in unſerer Fig. 137 zeigt, wie ſich der Anſchluß der Hausleitungen an das Kabelnetz darſtellt.

Leider iſt noch eine andere Schwierigkeit dabei, die alle Verſuche der elektriſchen Kraftübertragung ſeit den Tagen Voltas lange unmöglich190Die elektriſchen Erfindungen.und erſt in den letzten Jahren in größerem Umfange praktiſch aus - führbar machte. Noch im Jahre 1877 wurde die Elektrizität für un - fähig gehalten, ſich zu einer Wirkung von vielen Pferdeſtärken ſteigern

Fig. 137.

T-Muffe zur Verbindung von Kabeln.

zu laſſen, und eine Äußerung, die William Siemens damals that, wurde für kaum mehr als die Ausgeburt einer lebhaften, von der kritiſchen Vernunft verlaſſenen Phantaſie gehalten. Dieſer Aus - ſpruch lautete: Die Zeit wird uns wahrſcheinlich Mittel weiſen, um Kraft auf große Entfernungen zu übertragen. Ich kann nicht umhin, auf eines hinzudeuten, das meiner Anſicht nach beachtenswert iſt, nämlich den elektriſchen Leiter. Nehmen wir an, eine Waſſerkraft werde angewendet, um eine Dynamo - maſchine in Bewegung zu ſetzen, ſo wird ein ſehr kräftiger Strom entſtehen, der durch einen großen metalliſchen Leiter auf eine große Entfernung übertragen und ſo eingerichtet werden kann, daß er dort Elektromotoren treibt, die Kohlenſpitzen elektriſcher Lampen in Glut verſetzt oder die Metalle aus ihren Verbindungen abſcheidet. Ein Kupferdraht von 76 mm Durchmeſſer könnte 1000 Pferdekräfte auf eine Entfernung von ſagen wir 50 km übertragen, ein Betrag, der genügen würde, eine Viertelmillion Normalkerzen (ent - ſprechend 16000 Ediſonlämpchen) zu verſehen, was zur Beleuchtung einer großen Stadt genügen würde. Wie ſich William Siemens die Sache dachte, würden die Koſten des Kupfers für das eine Zuleitungs - kabel nicht weniger als 4 Millionen Mark betragen, und ſchon deshalb mußte die Idee für unausführbar gelten. Aber wie kam der berühmte Techniker gerade auf einen ſo dicken Leiter? Iſt nicht die Elektrizität auch in dünneren Drähten leitbar? Wir wiſſen ſchon, daß dieſelbe beim Durchgange durch einen dünnen Leiter einen größeren Widerſtand erfährt, daß dabei der Draht erwärmt wird und infolge deſſen Kraft verloren geht. Es iſt, wie wenn Waſſer unter einem beſtimmten Drucke durch eine Waſſerleitung fließt. Durch ſeine fortwährende Reibung an den Wänden der Röhre büßt es offenbar an Kraft ein und beſitzt am Ende ſeines Laufes lange nicht die Wirkungsfähigkeit, die ihm am Anfang zukam. Es iſt am Ende der Leitung noch als Waſſer zu verwenden, aber es iſt möglich, daß es nur ſo wenig Druck beſitzt, um als Krafterzeuger unbrauchbar zu ſein. Dem Drucke des Waſſers entſpricht die Spannung der Elektrizität. Von dieſer geht beim Durch - gang durch den Leiter immer eine beſtimmte Anzahl Volt verloren, die eben zur Überwindung des Leitungswiderſtandes dient, in engen Drähten natürlich mehr als in dicken Drähten. Es giebt alſo offenbar zwei Mittel, um dieſen Verluſten vorzubeugen, entweder man verwendet recht dicke Drähte, wie das Siemens vorſchlug, oder man erhöht die191Frühere Anſichten über die elektriſche Kraftübertragung.Spannung der für die Kraftübertragung beſtimmten Elektrizität. Denn es iſt offenbar nicht gleichgültig, ob ein Strom, der nur 100 Volt Spannung beſitzt, dieſe 100 Volt verliert, oder ob ein auf 1000 Volt geſpannter Strom 100 Volt abgiebt. Der erſtere behält gar keine Kraft übrig, der letztere hat nur ein Zehntel derſelben eingebüßt. Beides hat offenbare Nachteile. Drähte von genügender Stärke, welche ſchwache Ströme ohne bedeutenden Spannungsverluſt leiten, ſind natürlich teuer, hochgeſpannte[Elektrizität] aber iſt lebensgefährlich für jeden, der ſich dem Leiter nähert, denn die Elektrizität wird dann ſelbſt durch eine gewiſſe Weite in der Luft ſich auszugleichen ſuchen und dem menſchlichen Körper verderblich werden. Der letzte ſchwer - wiegende Umſtand hatte Siemens veranlaßt, in dem obigen Beiſpiele einen Strom von nur 200 Volt Spannung anzunehmen und demſelben einen Verluſt von 60 % der mitgeteilten Leiſtungsfähigkeit zu geſtatten. Aber bereits auf der Münchener Ausſtellung 1882 gelang es Marcel Deprez zwei leergehende Dreſchmaſchinen durch eine Waſſerkraft zu treiben, die in einer Entfernung von 5 Kilometern ſich zunächſt auf die primäre Dynamomaſchine übertrug und, von dieſer in Elektrizität umgeſetzt, durch Kupferdrähte der ſekundären Maſchine zugeleitet ward. Nachts diente der Strom, um am Glaspalaſte und dem Königsplatze elektriſche Lampen zu ſpeiſen. Ebenſo gelang es Deprez drei Pferde - ſtärken durch ein paar gewöhnliche eiſerne Telegraphendrähte auf Ent - fernungen bis zu 40 Kilometern fortzuleiten. Freilich gingen in dem ſchlechten Leiter nicht weniger als 68 % von der Arbeitsfähigkeit der Maſchine verloren; aber es war nicht mehr verlangt. Die Spannung der Ströme hatte die Höhe von 2000 Volt. So verlor Siemens Idee das Phantaſtiſche, das ihr zuerſt anzuhaften ſchien, und auch die eines Mannes, wie des berühmten Phyſikers Sir William Thomſon, welcher 1879 durch Rechnungen feſtſtellte, daß durch einen Kupferdraht von nur 12 mm Durchmeſſer 2100 Pferdeſtärken auf eine Entfernung von 500 Kilometern mit einer Stromſpannung von 80,000 Volt übertragen werden könnten, wurde jetzt nicht mehr belächelt. Vielleicht kommt einſt der Tag, wo man ſolche Elektrizität mit einer Schlagweite von 36 Zenti - metern durch die Luft in Drähten übertragen wird.

Die hohen Koſten eines ſtarken Drahtes ließen die Elektrotechnik nicht weiter gehen in den Verſuchen ſchwach geſpannte Elektrizität zu über - tragen. Thomſon ſelbſt hatte in dieſer Beziehung ein praktiſches Geſetz ausgeſprochen, welches offenbar von Deprez in ſeinen Verſuchen noch nicht beachtet war. Wir können uns leicht eine Vorſtellung von dieſem Geſetze verſchaffen. Die Koſten einer Pferdeſtärke darf man bei nicht zu hohen Kohlenpreiſen und einer großen Dampfmaſchine auf 10 Pfennige für die Stunde, alſo 1 Mark an einem zehnſtündigen Arbeitstage, d. h. im Jahre auf 300 Mark veranſchlagen. Werden durch eine Leitung etwa 200 Pferdeſtärke übertragen, ſo macht das eine jährliche Ausgabe von 60,000 Mark. Mehr als dieſen Betrag dürfen demnach auch die192Die elektriſchen Erfindungen.jährlichen Zinſen der Anlage ſamt den Betriebskoſten nicht ausmachen, ſonſt iſt eben eine Kraftquelle, an Ort und Stelle aufgeſtellt, zweck - dienlicher. Man iſt alſo für die Übertragung auf hochgeſpannte Elektrizität angewieſen, und es handelt ſich vor allem darum, eine derartige Anlage zu machen, daß möglichſt viel von der zu über - tragenden Kraft auch wirklich an den Beſtimmungsort gelange. Alſo heißt es: die Drähte nicht zu dünn und die Spannung möglichſt hoch zu wählen. Die erſte ſolche Anlage auf größere Entfernung, bei der die zugeführte Kraft wenigſtens zu drei Vierteln an den Beſtimmungsort gelangte, wurde nach den Angaben des Direktors Brown von der elektriſchen Fabrik in Örlikon bei Zürich ausgeführt. Es handelte ſich darum, die mittels einer Turbine in Kriegsſtetten gewonnene Waſſerkraft von 30 bis 50 Pferdeſtärken nach dem 8 Kilometer entfernten Solothurn zu leiten. Zwei Dynamomaſchinen gaben einen Strom von 1150 Volt und 15 bis 18 Ampère, der mittels blanker Kupferleitungen von 6 mm Dicke nach den Motoren geleitet ward. Die Anlage iſt ſeit Dezember 1886 dauernd in Betrieb.

Die Lauffener Übertragung.

Diejenige elektriſche Leitung, welche ſeit einem Jahre am meiſten von ſich reden machte, iſt aber die von Lauffen am Neckar nach der Frankfurter Elektrizitätsausſtellung hergeſtellte Kraftübertragung. Hier legte die Elektrizität einen Weg von 175 Kilometern zurück und es wurden nicht weniger als 300 Pferdeſtärken übertragen, und alles dies geſchah in drei Drähten, die zwar nicht dicker als 4 Millimeter waren, aber zuſammen immerhin die Kleinigkeit von 60,000 Kilogramm wogen. Sie waren an jenen Öl-Iſolatoren angebracht, die wir kennen lernten; mehr als 3000 Holzſtangen markierten den Weg und an jeder waren immer drei Porzellannäpfe in der Anordnung, die wir in Fig. 135. ſahen. Aber warum waren es gerade drei Drähte? Welche Spannung mochte wohl der Strom haben, der in ihnen entlang ging, ohne weſentliche Abſchwächung zu erfahren? Das ſind Fragen, die ſich ſofort jedem aufdrängten, der von der wunderbaren Einrichtung hörte. Beantworten wir zunächſt die zweite. Der Strom war auf nicht weniger als 27,000 Volt geſpannt. Um wenigſtens einen kleinen Begriff von einer ſolchen Spannung zu geben, bemerken wir, daß wir uns dem Strome nicht auf weniger als Zentimeter nähern dürfen, ohne einen gefährlichen Schlag zu erhalten, daß er im Stande iſt, ſchlechte Leiter, die man in ihn einſchaltet, wie Glasplatten von mehreren Milli - metern Dicke, zu durchbrechen. Wegen der Gefahren, die ſeine Nachbar - ſchaft in ſich barg, war er auch in unerreichbarer Höhe entlang geführ Nun können in keiner Dynamomaſchine der Welt die Wickelungsdrähte ſo von einander iſoliert werden, daß die Maſchine eine ſo hohe Spannung vertrüge. Wie oben die Glasplatte, ſo könnten die Iſo -193Die Lauffener Übertragung.lierungen der Drähte von einem Funken durchbohrt werden, und wo ein ſolcher einmal ſich einen Weg gebahnt hat, da wird ein fort - währender Funkenſtrom ſich einniſten, wie das Bogenlicht die iſolierende Luftſtrecke in einem fortwährenden Strome glühender Kohlenſtäubchen durchbricht. Die Maſchine ſagt man hat jetzt Kurzſchluß, und ihre Wirkſamkeit nach außen iſt ſehr herabgeſetzt. Am allerwenigſten werden die bewegten Teile der Maſchine hochgeſpannten Strom ver - tragen. Die Gleichſtrommaſchinen werden höchſtens für wenige hundert Volt, die Wechſelſtrommaſchinen allerdings für 2000 Volt Spannung gebaut.

Wie erhält man nun den hochgeſpannten Strom? Offenbar durch das Mittel der Transformatoren, welches durch die vorzügliche Iſolierung mit Öl auch für ſo gewaltige Spannungen ſeine Dienſte nicht verſagt. Der Strom der Dynamomaſchine durchkreiſt die wenigen dickdrahtigen Windungen der primären Spule des Transformators und erregt in den viel zahlreicheren dünnen Windungen der ſekundären Spule einen viel höher geſpannten Strom, der nun weiter geleitet werden kann. Da der Strom bereits eine hohe Spannung beſitzen muß, bevor er zur Transformierung gelangt und andererſeits Gleich - ſtröme zu ihrer Verwandlung eines ſchwerer zu iſolierenden, weil nicht ruhenden Transformators bedürfen, ſo war man folglich darauf an - gewieſen, die Elektrizität einer Wechſelſtrommaſchine zu entnehmen. Man hätte dazu eine von den beſchriebenen nehmen können, aber es wurde bei der Lauffener Übertragung eine beſondere Art des Wechſel - ſtromes gewählt, den man gewöhnlich als Drehſtrom bezeichnet. Wir werden bald auf ihn zurückkommen. Vorerſt wollen wir unſere Leitung noch bis nach ihrem Endziele verfolgen. Wie ſollte man ſie bei der furchtbaren Spannung praktiſch weiter verwerten? Natürlich nur ſo, daß man den Strom vorher wieder auf niedrige Spannung brachte, indem man ihn in die dünne Leitung eines ganz ähnlichen Trans - formators ſendete und aus der dicken Umwickelung den verwandelten Strom zur ferneren Benutzung entnahm. Erſt jetzt wird man ihn einer als Elektromotor zu verwendenden Dynamo - maſchine zuſchicken dürfen, die nun ihre Arbeiten verrichten oder ihn zur Speiſung von

Fig. 138.

Schematiſche Darſtellung der Lauffener Übertragung.

elektriſchen Lampen benutzen kann. Die Anordnung iſt alſo die in der ſchematiſchen Fig. 138 verzeichnete. Und nun zum Drehſtrom. Seine Erklärung wird uns auch die Frage nach den drei Drähten beantworten.

Sehen wir uns zunächſt die in der Fig. 139 abgebildeten 6 Figuren an. In allen erblicken wir einen Ring, den wir uns von Eiſen denken wollen. Über ihn geſchoben ſind vier Spulen, von denen die gegen - überſtehenden bei A und bei B mit einander verbunden ſind. Es iſtDas Buch der Erfindungen. 13194Die elektriſchen Erfindungen.alſo ein Ringanker, bei dem nur nicht alle Spulen mit einander in Verbindung ſtehen. Nehmen wir ferner an, daß durch A ein Strom in der bei I verzeichneten Richtung fließe, ſo wird der Eiſenring zum Magnet, der ſeine Pole bei N und S hat. Eine Magnetnadel im

Fig. 139.

Schematiſche Darſtellung der Wirkung des Drehſtroms.

Innern des Ringes wird ſich alſo ſo einſtellen, wie die Fig. 139 andeutet. Jetzt laſſen wir den durch A fließenden Strom an Stärke abnehmen, während wir gleichzeitig durch B in der angedeuteten Richtung einen ebenſo ſtarken Strom ſenden. Wird dann nicht der Ring ein Magnet bleiben, wenn auch ſeine Pole um ein Achtel des Kreisumfanges gewandert ſind? Damit wird auch die Magnetnadel im Innern ihre Richtung um ein Achtel einer vollen Umdrehung verſchieben. In einem dritten Stadium wollen wir den Strom in B uns ſtärker angewachſen vorſtellen, während der durch A gehende zu fließen aufgehört hat. Wieder hat die Nadel ihre Richtung geändert, da auch die Pole des Kreismagnets ihre Wanderung fortgeſetzt haben. Bei IV ſei der Strom A wieder erſchienen, aber freilich von der entgegengeſetzten Richtung her kommend, während der bei B ſeinen Wert ſo weit herabgeſetzt habe, bis er dem andern gleich wird, wieder haben die Ringpole ihren Ort verlegt, wieder hat die Magnetnadel eine Drehung ausgeführt. So könnten wir weiter gehen und wir würden finden, daß zwei Ströme, welche je ein Paar von dem Spulenkreuz durchfließen, wenn ſie in einem ſolchen Rythmus ihre Richtung und Stärke ändern, in dem Eiſenringe zwei einander gegenüberliegende Magnetpole auf die Wanderſchaft ſchicken und einer Magnetnadel in ihrem Innern eine fortgeſetzte Drehung erteilen. Wenn wir eine ſolche Einrichtung treffen könnten und recht195Die Lauffener Ubertragung.ſtarke Ströme wählen würden, ſo würden wir ſtatt der Magnetnadel auch andere ſchwere Körper zu Drehungen veranlaſſen können, und dieſe Drehung ließe ſich auf die einfachſte Weiſe zum Betriebe aller möglichen Apparate verwenden. Wenn wir aber umgekehrt einen ſtark magnetiſchen Körper innerhalb eines ſolchen Ringes in Um - drehung verſetzen würden, ſo wäre die Folge, daß der Magnet in den Spulen Ströme induziert, die gerade die Eigentümlichkeit beſitzen, ſo gleichmäßig ihre Richtung und Stärke zu ändern, daß ſie niemals beide gleichzeitig zu Null werden, ſondern daß der eine ſein Maximum immer erreicht, wenn der andere Null wird. Denſelben Zweck würden wir natürlich auch erreichen, wenn der Magnet feſtgehalten wird, und der Ring um ihn herumgeführt wird, und auch wenn wir ſtatt des innern Feldmagneten einen verwenden, deſſen Pole ſich außerhalb des Ringankers befinden. Wir erhalten dann ganz die Einrichtung einer Grammeſchen Maſchine, nur ſind die Spulen anders verbunden. Die Fig. 140 zeigt, daß der Ring der ganz gewöhnliche Ringanker ſein kann; von vier Punkten ſeiner Umwickelung gehen Verbindungsdrähte C D E F nach vier verſchiedenen von einander iſolierten Metallringen hin, die auf der Ringachſe ſitzen. Verbindet man für ſich D und C oder F und E durch je einen Schließungsdraht, ſo werden beide Drähte

Fig. 140.

Schematiſche Darſtellung eines Drehſtrom-Erzeugers.

Fig. 141.

Schematiſche Darſtellung eines Gleichſtrom-Erzeugers.

bei der Drehung des Rings im magnetiſchen Felde gerade von ſolchen rythmiſch auf und abgehenden Strömen durchfloſſen. Jeder Strom für ſich iſt ein Wechſelſtrom, alſo läßt er ſich leicht transformieren.

Nehmen wir an, daß dieſe Ströme durch Bürſten, die auf den vier Ringen ſchleifen, abgenommen ſeien und daß ſie jetzt in die vier Schleif - ringe einer ganz ähnlich gebauten Maſchine eintreten, dann werden den Ring dieſer Maſchine zwei Wechſelſtröme hinter einander umkreiſen, und daher würden ſich, genau wie die Fig. 139 es lehrte, auch in dieſem Ringe zwei Magnetpole ausbilden, die ihn ebenſo ſchnell durchlaufen würden, wie der Ringanker der primären Maſchine von den ſeinigen durchwandert wird. Nun ſei auch dieſe Maſchine mit Feldmagneten verſehen, die aber vorerſt nicht von irgend welchem Strome erregt ſind, ſondern nur unmagnetiſches Eiſen enthalten. Dann werden die13*196Die elektriſchen Erfindungen.Pole des Ringankers ſich zu den Eiſenkernen hingezogen fühlen, ſich ihnen gegenüberzuſtellen ſuchen, und da ſie ihre Lage im Ringe ändern, ſo wird dieſes Beſtreben den Ring veranlaſſen, ſich entgegengeſetzt zu drehen, damit die Pole immer ihren Ort gegen die Eiſenkerne behalten. So ſetzt alſo die eine Maſchine die andere auch ohne Erregung der Feldmagnete in Drehung, und das iſt die Eigenſchaft, derentwegen man dieſe Stromverbindung als Drehſtrom bezeichnet. Die ſekundäre Maſchine wird dieſes Beſtreben erſt dann völlig erfüllt haben, wenn ſie ſich genau in demſelben Tempo wie die primäre dreht. Dann kann man auch dazu übergehen, die Feldmagnete zu erregen. Die Wirkungen, die ſie als Motor leiſten kann, ſind dann bedeutend größere. Man kann dieſe Erregung der Feldmagnete entweder durch eine beſondere Gleichſtrommaſchine beſorgen laſſen oder mit einem neben die vier Schleifringe aufgeſetzten Gleichſtromabnehmer, welchen wir in Fig. 141 abbilden, aus dem Wechſelſtrommotor ſelbſt ſpeiſen. Daß die Dreh - ſtrommotoren auch ohne beſondere Magnetiſierung der Feldmagneten ſich in Thätigkeit ſetzen, das macht ſie für die Kraftübertragung beſonders brauchbar.

Die Erfindung des Drehſtroms durch Galileo Ferraris in Turin fällt in das Jahr 1888, und er wurde faſt zu gleicher Zeit auch von Bradley und von Nikola Tesla in Amerika in die Praxis eingeführt. Die Form, welche in Lauffen und Frankfurt verwendet ward, hat ihnen der Ingenieur der Allgemeinen Elektrizitäts-Geſellſchaft v. Dolivo - Dobrowolski gegeben. Es wurde dabei nicht ein Kreuz von vier, ſondern ein Vielfaches von 6 Spulen auf einen Grammeſchen Ring geſetzt, und dieſem konnten drei Wechſelſtröme entnommen werden. Die drei Drähte waren es, welche dieſen Strömen als Leiter dienten. Die Ausführung dieſes ſchwierigſten und großartigſten Verſuchs, der auf dem Gebiete der Elektrotechnik je gemacht worden iſt, ſeit jene geheim - nisvolle Naturkraft, die wir Elektrizität nennen, der Technik dienſtbar gemacht wurde, hatten die eben genannte Geſellſchaft und die Maſchinen - fabrik Örlikon gemeinſam übernommen, nachdem ihnen die erforderlichen 1200 Zentner Draht von Heſſe in Heddernheim leihweiſe überlaſſen und in wenigen Tagen an Ort und Stelle geſchafft war. Die Anlage ſelbſt beſteht aus folgenden Teilen. Die Portlandzementfabrik in Lauffen ſtellte eine Turbine von 300 Pferdeſtärken zur Verfügung, welche in der Minute 38 Umdrehungen macht. Durch eine Zahnrad - übertragung wurde eine Drehſtrommaſchine getrieben, die einen drei - fachen Strom von 50 Volt Spannung und 1400 Ampères lieferte. Wir ſehen in der Fig. 142 die gewaltige Drehſtrommaſchine, eine Innenpol - Maſchine mit rotierenden Feldmagneten, welche von der im Vordergrunde ſichtbaren kleinen Gleichſtrommaſchine erregt werden. Die Figur zeigt den Ring derſelben etwas nach rechts verſchoben. Der links abgebildete iſt der Anker-Ring. Von hier ging der Strom in die Öltransformatoren und zwar in Kabeln von 27 Millimeter Durchmeſſer, alſo von dem[197]

Fig. 142.

Drehſtrommaſchine für die Lauffener Übertragung von der Fabrik Örlikon (Zürich).

198Die elektriſchen Erfindungen.46 fachen Querſchnitt der ſpäteren Leitungsdrähte. Um ſo viel mehr hätte die Leitung wiegen müſſen, wenn eben jene Verwandlung in den hoch - geſpannten Strom unterblieben wäre, und dann hätte man ſchon wegen der Koſten die Hand davon laſſen müſſen. Die Leitung ging nun über die Öl-Iſolatoren, in welchen nicht weniger als 15 Zentner Öl verwendet ward, nach Frankfurt. Dort gelangte der Strom in ſeinen verſchiedenen

Fig. 143.

Pumpwerk aus der Frankfurter Ausſtellung von Schuckert & Co.

199Die Lauffener Übertragung.Teilen wieder in Transformatoren. Ein Teilſtrom ſetzte ſeine Spannung auf 100 Volt herab und ſpeiſte 1000 Glühlampen, das Übrige trieb wieder mehrere Drehſtrommotoren mit 600 Umdrehungen in der Minute. Der eine übertrug ſeine Drehung auf eine Pumpe, welche einen Waſſerfall von 6 Meter Höhe verſorgte, und ſo ward ein Teil von jener Kraft, die in Lauffen durch den Fall des Waſſers hervorgebracht war, in Frankfurt verwendet, um einen neuen Waſſerfall zu erzeugen ein Kreislauf der Kräfte, wie wir ihn eben nur mit Hilfe der Elektrizität herzuſtellen im Stande ſind. Ein Zeichen, in Frankfurt gegeben, genügte, daß in Lauffen die Turbine in Bewegung geſetzt wurde, in der Ausſtellung 1000 Glühlampen zugleich ihr Licht aus - goſſen, die Pumpe ihre Arbeit und das Waſſer ſeinen Sturz begann.

Wir reproduzieren hier nach einem Photogramme eine andere Einrichtung von der Frankfurter Ausſtellung, bei welcher freilich nur ein Strom von 100 Pferdeſtärken von der Firma Schuckert & Co. in Nürnberg (Fig. 143) auf vier Kilometer übertragen wurde. Wir erblicken links den Drehſtrommotor, der von dem ſo weit entfernten Palmengarten her ſeinen Antrieb erhielt, und rechts eine Centrifugalpumpe, die mit dem Motor ihre Achſe gemein hat, alſo ſofort in Thätigkeit trat, wenn der Ringanker ſeine Drehung begann. Übrigens war der Verluſt an Kraft bei der Lauffener Übertragung ein ſo geringer, wie man ihn kaum erwarten durfte. Drei Viertel von der Leiſtungsfähigkeit der Turbine waren als niedrig geſpannter Strom noch in Frankfurt zur Verfügung.

Die elektriſchen Zentralanlagen.

Solche Verſuche berechtigen zu den kühnſten Hoffnungen für die Zukunft. Überall liegen unbenützte Naturkräfte brach, die auf ihre geeignete[Verwertung] warten. Der Sturz des fließenden Waſſers, das Wehen der Winde, die Gewalt der Gezeiten, ſie ſind noch längſt nicht, auch nur in einem geringen Bruchteil nutzbar gemacht, (vgl. auch S. 123) und doch iſt die Elektrizität geeignet, wie kein Mittel ſonſt, die rohen Natur - gewalten in dem Metalldrahte gebändigt an dem gewünſchten Orte zu wohlthätiger Wirkung zu bringen. Neuerdings werden die erſten Anfänge in dieſer Ausnutzung und Fortleitung gegebener Kräfte gemacht. Die Lauffener Übertragung gab das Muſter einer Anlage, welche dem Ausfluß der Adda aus dem Comerſee die Kraft entnehmen ſoll, die in den Straßen Mailands nachts ein helles Licht verbreiten, am Tage tauſend fleißigen Händen bei ihrer Arbeit helfen wird. Und ſo haben auch jene 550000 Kubikmeter Waſſer, welche innerhalb jeder Minute im Niagarafalle 70 bis 80 Meter herabſtürzen, die Augen der Techniker längſt auf ſich gelenkt. Eine großartige, jetzt vollendete Turbinen - anlage entzieht dem Falle eine kaum merkliche Waſſermenge und entnimmt ihm dadurch 120000 Pferdeſtärken, während die Hälfte ſeiner Kraft genügen würde, um fünf Sechſtel aller mit Kohle geſpeiſten Maſchinen200Die elektriſchen Erfindungen.der Welt zu treiben. So wird in dem Getriebe von vielen hundert benachbarten Fabriken das furchtbare Getöſe des Niagara nachtönen und die Stadt Buffalo wird nachts mit Tageshelle verſehen ſein durch die bis jetzt ſo unbenutzt gebliebene leiſtungsfähigſte Naturkraft des Erdballs. Es iſt nicht ausgeſchloſſen, daß den Beſuchern der Chikagoer Ausſtellung im nächſten Jahre ein Teil von jener Kraft, die von dem 700 km entfernten Waſſerſturze geliefert wird, dort die Augen blenden wird. Dazu braucht noch nicht der etwas abenteuerlich klingende Plan des Engländers Swinburne ausgeführt zu werden, dem es gelungen iſt, Spannungen von 130000 Volt in elektriſchen Strömen hervorzu - bringen, und der bei dieſer hohen Spannung wenigſtens fünfzig Pferde - ſtärken aus dem Niagara nach Chikago zu übertragen denkt.

Wie einſt zuerſt Sir William Armſtrong 1878 durch die Kraft eines freilich kaum 20 Minuten entfernten Waſſerfalles ſein Haus in Cragſide nachts mit Licht verſah und am Tage die Ekektrizität zur Hausarbeit ver - wandte, ſo hält der amerikaniſche Elektriker Bruſh auf ſeinem Landgute bei Cleveland mittels eines großen Windrades eine Dynamomaſchine in Thätigkeit und erleuchtet ſein Haus dadurch mit 350 Glühlampen. Ihm vorangegangen iſt freilich der Herzog von Feltre, der bei Havre die Kraft des Windes ſeit einiger Zeit zur Lichterzeugung auf einem Leuchtturm ver - wendet, und nachgefolgt iſt die Carvardineſche Mühle in London, die ſich auch vom Winde mit Licht verſehen läßt. Die Ausnutzung der in der Ebbe und Flut vorhandenen Kräfte hat am längſten auf ſich warten laſſen, obgleich gerade ſie berufen zu ſein ſcheinen, bei der Zuverſicht, mit der man ihrer regelmäßigen Wiederkehr entgegenſehen darf, in der Zukunft eine große Rolle zu ſpielen. Decoeur in Havre und Diamant in Melbourne haben wohldurchdachte Pläne ausgearbeitet, um die bei der Flut gelieferte Waſſermenge in Reſervoirs unterzubringen und ihr bei der Ebbe ſo viel Kraft des fallenden Waſſers zu entnehmen, als eben nötig iſt. Der letztgenannte Ingenieur wird ſeine Motoren fortlaufend und mit großer Kraft arbeiten laſſen, die Koſten für die Eindämmung der Waſſerbecken werden bei ſeinem Syſtem ſich nicht zu hoch belaufen. So werden wohl die Gezeiten bald berufen ſein, bei der Löſung der mannigfachen Kulturaufgaben, welche die Gegenwart ſtellt, mitzuarbeiten.

Es wird dem aufmerkſamen Leſer nicht entgangen ſein, daß alle ſolche Anlagen, bei denen die Naturkräfte zur Mitwirkung herangezogen ſind, einen Mangel aufweiſen. Die Waſſerkraft, welche bei normalem Waſſerſtande zum Treiben der Maſchinen ausreicht, wird in beſonderen Fällen auf ein ſo niedriges Maß herabſinken, daß ſie unbrauchbar wird. Der Wind kann durch ſein Ausbleiben alle Pläne für die Aus - nützung ſeiner Gewalt zu nichte machen. Ebbe und Flut haben wenigſtens vor den genannten den Vorzug, daß ſich der Eintritt ihres Wechſels vorherſagen läßt. Der Menſch darf ſich wenigſtens auf jene ſo unberechenbaren Kräfte nicht verlaſſen, ſonſt begiebt er ſich201Die elektriſchen Zentralanlagen.desjeniges Anrechtes auf fortwährende Kraftverſorgung, welches ihm im Übrigen die Fortſchritte der modernen Technik garantieren. Er hat zwar das Mittel, vorzubauen. Das bei höherem Waſſerſtande ohne Nutzen abfließende Material kann er in hochgelegenen Becken aufſpeichern und für ſpäteren Bedarf ſeinem Sturze die nötige Kraft entnehmen. Ebenſo läßt es ſich etwa denken, daß die überflüſſige Windſtärke zum Spannen einer elaſtiſchen Feder, zum Aufwinden von Gewichten, zum Pumpen von Waſſer verwendet werden kann, die zu einer ſpäteren Gelegenheit ſich nützlich machen laſſen. Aber ſolche Mittel ſind kompliziert und mit hohen Koſten verbunden im Vergleich zu jenen, die die Elektrizität uns in den Akkumulatoren oder Sekundär - batterien an die Hand giebt.

Schon im Jahre 1803 fand Ritter das Prinzip, auf dem dieſe beruhen. Er leitete einen kräftigen galvaniſchen Strom in zwei Platin - platten, die in einem Gefäße mit verdünnter Schwefelſäure hingen. Der Strom trennt dann die Elemente des zerſetzbaren Leiters, das Waſſerſtoffgas wendet ſich dem einen, der Sauerſtoff dem anderen Platinblech zu, wo ſie ſich einige Zeit halten können, ohne von der Flüſſigkeit aufgelöſt zu werden oder nach oben zu ſteigen. Wenn man nun den Strom unterbricht und dafür die beiden Bleche durch einen Schließungsgraht verbindet, ſo zeigt ſich, daß dieſen dann ein Strom durchkreiſt, der dem vorigen entgegengeſetzt war, es ward durch den Waſſerſtoff in der leitenden Flüſſigkeit eine elektromotoriſche Kraft er - zeugt. Dies benutzte Sir William Grove 1841 um eine Waſſerſtoff - batterie aufzubauen. Er brauchte nur viele ſolche Gefäße zu verbinden, in denen durch Zerſetzung ſich Waſſerſtoff gebildet hatte und konnte dadurch einen freilich immer noch ſchwachen Strom erhalten, der auch nicht lange anhielt, aber zur Verrichtung geringerer Arbeiten ſich fähig erwies. William Siemens erſetzte ſpäter das Platin durch poröſe Kohle, die vorher mit Blei imprägnirt war. An dieſer Kohle wurde durch einen Strom einer Zerſetzungszelle Sauerſtoff abgeſchieden, der ſich vermöge ſeiner chemiſchen Verwandtſchaft mit Blei zu Bleiſuperoxyd verband, und Siemens erhielt damit einen kräftigeren Strom. Damals aber hielt man die Sache für praktiſch ſehr unwichtig, und ſelbſt als der franzöſiſche Chemiker Planté 1860 ſeine Sekundärbatterie baute, die auch aus Bleiplatten beſtand, an denen durch einen galvaniſchen Strom vorher Bleiſuperoxyd gebildet war, und mit ihnen recht kräftige Ströme erzeugte, da hielt man doch das Ganze nur für eine wiſſen - ſchaftliche Kurioſität. Erſt nachdem die Dynamomaſchine eine vollendete Thatſache geworden war, iſt dieſe Art von Kraftaufſpeicherung von praktiſcher Bedeutung geworden. Hören wir, wie Planté ſeine Akkumu - latoren, d. h. Sammler der elektriſchen Kraft ſich verſchaffte. Er rollte zwei Bleiplatten mit einem zwiſchen ihnen liegenden Streifen aus Kautſchuck ſo zuſammen, daß ſie ſich nicht berühren konnten, alſo von einander völlig iſoliert waren. Wir haben dieſe Herſtellung in der202Die elektriſchen Erfindungen.Fig. 144 aufgezeichnet. Jetzt kommt die Doppelrolle in einen Bottich mit verdünnter Schwefelſäure, und es wird ein Strom durch die eine Bleiplatte in die Flüſſigkeit ein -, zur andern wieder herausgeleitet. Da der Strom durch die Schwefelſäure geht, ſo wird er ſie zerſetzen

Fig. 144.

Plantés Akkumulator.

und an der Eintrittsſtelle des Stromes wird das Blei ſich allmählich mit einem braunen Stoffe überziehen, der aus Bleiſuperoxyd beſteht und aus dem entſtandenen Sauerſtoff, ſowie dem Blei der Platte ſich gebildet hat. An der Austrittsſtelle des Stromes ſammelt ſich das Waſſerſtoffgas, es bewirkt, daß die andere Platte ganz blank wird, verläßt aber ſelbſt ſehr bald das Gefäß. Die verſchiedene chemiſche Natur der beiden Platten erzeugt nun eine ſtarke elektromotoriſche Kraft in der Flüſſigkeit und ſchickt durch einen, dieſelben verbindenden Schließungs - bogen einen galvaniſchen Strom, wobei ſich das Bleiſuperoxyd all - mählich in einen ſchwammigen Bleibelag verwandelt, und die andere Platte einen Überzug von jenem Stoffe erhält. Iſt dieſe Umwand - lung vollendet, ſo hat der Akkumulator ſeine Kraft erſchöpft und kann durch Zuführung eines neuen Stromes wiederum geladen werden. Dabei werden die beiden Platten wieder ihren Überzug austauſchen, und wenn das Verfahren oft genug wiederholt iſt, ſo werden beide Platten mit einem ziemlich tiefgehenden, ſchwammigen Gebilde über - zogen ſein, das ſie jetzt zum praktiſchen Gebrauche geeignet macht. Erteilt man jetzt dem Akkumulator eine Ladung, ſo iſt er im Stande, durch dieſelbe längere Zeit einen kräftigen Strom zu geben. Durch Vereinigung recht vieler ſolcher Sekundärelemente kann man ſchließlich eine ſtarke Batterie erhalten, in welcher ſich eine große Arbeitskraft aufgeſpeichert hat, die ſich zu jeder Zeit bequem weiter verwenden läßt.

Faure, ein franzöſiſcher Ingenieur, hat das Verfahren der Akkumulatorenbildung mit großem Erfolge zu beſchleunigen geſucht. Dazu überzieht er die Bleiplatten von vornherein mit einer Schicht von Mennige, welches mit Stärkekleiſter zuſammen auf dieſelbe ge - bracht wird. Leitet er dann einen Strom hindurch, ſo bildet ſich durch dieſen an der einen Platte der Überzug von Bleiſuperoxyd, an der203Die elektriſchen Zentralanlagen.anderen aber ein ſehr in die Tiefe gehender Belag mit ſchwammigem Blei, welches ſich mit ſeiner großen Oberfläche für die Aufnahme des Sauerſtoffes ſehr geeignet erweiſt. Das fertige Element kommt, mit einer Zwiſchenlage von Pergamentpapier oder Tuch bedeckt und zu einer Rolle gebunden, in ein Glas - gefäß, und iſt in der Fig. 145 darge - ſtellt. Die Faureſchen Elemente können ſchon eine dreimal ſo große Elektrizi - tätsmenge für den ſpäteren Gebrauch aufſpeichern, wie die Plantéſchen. In neueſter Zeit ſind noch viele Abände - rungen an ihnen angebracht worden; ihre Anordnung zu beſonderen Zellen wird in vielen Fabriken auf die ver - ſchiedenartigſte Weiſe betrieben, und wiewohl ſie noch nicht beſonders billig ſind, ſo lohnt ſich doch ihre Anſchaffung ſehr, wo es eben darauf ankommt, ſich Kraft zum ſpäteren Gebrauch anzu - chaffen. So wird bei jenen von Natur - kräften betriebenen Dynamomaſchinen ſtets, wenn von jenen Kräften ein mehr als ausreichender Betrag zur Verfügung ſteht, nicht blos die ge - wöhnliche Arbeit, das Treiben von Arbeitsmaſchinen und die Beleuchtung verſehen, ſondern auch noch die Ladung

Fig. 145.

Faures Akkumulator.

einer Anzahl von Akkumulatoren beſorgt werden können. Wenn dann einmal niedriger Waſſerſtand, zu ſchwacher Wind oder Flut die Be - treibung der Kraftmaſchinen nicht zuläßt, ſo wird man ja die Speicher zu öffnen, aus den Sekundärbatterien jenen Betrieb zu decken im Stande ſein. So ſind die Akkumulatoren ſozuſagen die Sparbüchſen, in denen ein ökonomiſcher Betrieb die zeitweiſe überſchüſſigen Mittel aufſammelt, um ſie bei ſpäter gegebener Gelegenheit paſſend anwenden zu können.

Man wird aber dieſe Sammler auch dann vorteilhaft anwenden, wenn es ſich nicht gerade um die Aufſpeicherung roher Natur - gewalten handelt, auch dann, wenn das Drehen der Dynamo - maſchinen von Dampf - oder anderen Motoren beſorgt wird, wie es in den elektriſchen Zentralen der großen Städte der Fall iſt. Um mit einem Beiſpiel zu beginnen, ſo ſei die Arbeitszeit eines ſolchen Werkes auf 18 Stunden des Tages beſchränkt. Nun werden aber zu jeder Tageszeit wenigſtens an einzelnen Stellen Lampen zu brennen haben, wenn auch nicht ſo viele als in der Nacht, ferner wird dafür am Tage die Kraft für den Betrieb einer größeren Anzahl von Elektro -204Die elektriſchen Erfindungen.motoren zu beſchaffen ſein. Dann ſollten wir annehmen, daß die Dynamomaſchinen zu jeder Zeit raſtlos arbeiten müßten, um dieſen Aufgaben zu genügen. Aber wenn man zur Zeit der vollen Thätig - keit des Werkes, die nicht für die Beleuchtung und Kraftverteilung verbrauchte Elektrizität zum Laden von Sammlern verwendet, ſo werden dieſe in den Zeiten der Ruhe des Kraftzentrums für ſich den Bedarf an Strom zu decken im Stande ſein. Wäre es nicht äußerſt un - ökonomiſch, wenn man alle Zeit alle Maſchinen in Thätigkeit haben müßte? Wenn es angeht, die Zentrale Tag und Nacht ununterbrochen arbeiten zu laſſen, ſo wird doch zu den verſchiedenen Tageszeiten ihre Leiſtungsfähigkeit in verſchiedener Weiſe beanſprucht. Es mag Stunden geben, wo für den Kraftverbrauch die Zahl der Umdrehungen der Haupt - dynamomaſchinen bis über die Grenze deſſen ſteigen müßte, was ſie vertragen kann, während zu anderer Zeit die geringſte Geſchwindigkeit noch immer zu groß wäre im Verhältnis zu dem geringen Anſpruch an Kraft. Iſt es da nicht weit geſcheiter, die Maſchine ſtets gleich - mäßig laufen zu laſſen und die im letzten Falle in den Akkumulatoren aufgeſpeicherte Kraft zu Zeiten, wo höhere Anſprüche geſtellt werden, mit in Wirkſamkeit zu ſetzen, ſo daß ſie die Kraft der Maſchinen unterſtützen? Man wird auf dieſe Weiſe ſich mit der Aufſtellung kleinerer Maſchinen in den Zentralen genügen laſſen können, als ohne die Anweſenheit der Sammler nötig wären, weil eben dieſe im Bedarfs - falle den Hauptmaſchinen ihre Hülfe leihen.

Solche Zentralen giebt es jetzt in vielen Städten Deutſchlands. Als die bemerkenswerteſte dürften wohl die Berliner Elektrizitätswerke gelten. Fünf große Stationen ſind mit Gleichſtrommaſchinen ausgeſtattet und übertragen ihre elektriſche Arbeitskraft durch ein Kabelnetz von zuſammen 612 Kilometer Länge auf die Lampen und Motoren, die in dieſes eingeſchaltet ſind. Das Werk in der Mauerſtraße allein beſitzt eine 4800 Pferdeſtärken entſprechende Leiſtungsfähigkeit. Wie ſind nun die Lampen und Motoren in dieſes Netz eingeſchaltet? Es ließe ſich denken, daß etwa eine einzige geſchloſſene Leitung von Apparat zu Apparat geht, und nachdem ſie den Weg durch alle gemacht hat, zu der Maſchine zurückkehrt. Dann würde offenbar jede Stromunterbrechung, welche in einer Lampe vorkäme, in allen Apparaten plötzlich die Zufuhr der Elektrizität abſchneiden. Deshalb müſſen vielmehr von jeder Maſchine zwei Leitungen ausgehen, deren eine wenn es ſich etwa um Bogen - lampen handelt immer nur mit einer Kohle derſelben in Verbindung ſteht, während die andere die anderen Kohlen mit einander verbindet. Die beiden Leitungen müſſen freilich an einem fernen Punkte, außer - halb der Lampen mit einander verbunden ſein, und man kann ſie ſogar beide in demſelben Kabel führen, wenn man nur die eine von der anderen gehörig iſoliert. Jetzt wird es offenbar den anderen Apparaten nichts ſchaden, wenn auch irgend eine der Lampen ein un - erwünſchter Zufall trifft. Wir haben dann das Zweileiterſyſtem vor205Die elektriſchen Zentralanlagen.uns, welches bei den Werken in der Markgrafen - und der Mauerſtraße verwendet wird.

Aber dasſelbe läßt ſich auf weite Entfernung nicht wohl an - wenden. Die eingeſchalteten Apparate ſind nämlich für eine niedrige Spannung des Stromes eingerichtet, Glühlampen vertragen z. B. keine höhere als 150 Volt, und ſolche Elektrizität höchſtens könnte dann ohne Schaden durch die Leitung gehen; dann müßten bei größeren Entfernungen die Leiter ſehr dick ſein, wenn nicht ein guter Teil der Elektrizität unterweges Schiffbruch leiden ſoll. Man wird daher zu einem anderen Leiterſyſtem ſeine Zuflucht nehmen, wenn es ſich um Übertragungen auf mehr als 600 Meter handelt. Die Fig. 146 zeigt dieſes, wie es z. B. von den Zen - tralen am Schiffbauer - damm und in der Span - dauerſtraße angewendet wird. Da gehen in der

Fig. 146.

Schaltſchema eines Dreileiter-Syſtems.

aus der Zeichnung zu erſehenden Weiſe drei Leitungen von zwei Dynamo - maſchinen aus; die Spannung zwiſchen der erſten und dritten iſt groß und daher die Führung des Stromes nicht ſchwierig, die Apparate aber ſind zwiſchen dem erſten und zweiten oder zwiſchen dem zweiten und dritten Leiter eingeſchaltet, ſtehen alſo nur unter der Hälfte jener Spannung, welche beide Maſchinen zuſammen liefern. Man hat alſo den Vorteil der geringen Spannung in den Apparaten und der hohen Spannung in den Leitungen, welche dieſe um ein Drittel billiger machen, als ſie bei einem Zweileiterſyſtem auf etwa ein Kilometer zu ſtehen kämen. Das iſt das Dreileiterſyſtem, welches von Ediſon und Hopkinſon erfunden und angewendet wurde. Dabei iſt es natür - lich geſtattet, die drei Leitungen in ein gemeinſames Kabel zu verlegen, wenn man ſie nur gehörig von ein - ander iſoliert. Ein ſolches iſt im Quer - ſchnitt in der Fig. 147 zu ſehen; daß die drei Leitungen nicht gleich ſtark ſind, das iſt leicht zu erklären, die eine und zwar in der vorigen Figur die mittlere, hier die äußere, dient nämlich nur dazu, den etwaigen Überſchuß von Elektri - zität, den die eine Gruppe von Appa - raten vor der andern hat, den Ma - ſchinen wieder zuzuführen, und da es ſich um nur wenig Elektrizität handeln kann, ſo iſt eben eine dünne Leitung dafür ausreichend.

Fig. 147.

Querſchnitt eines Dreileiterkabels.

206Die elektriſchen Erfindungen.

So weitergehend kann man bei einem Netze von mehr als 3 Kilo - metern Durchmeſſer etwa ein Fünfleiterſyſtem einführen. Die Verhältniſſe werden auch noch weiter kompliziert, wenn man Akkumulatoren benutzt und durch beſondere Einrichtungen darauf hält, daß ſich die Spannung in dem ganzen Netze immer ziemlich auf derſelben Höhe erhalte. Wie das bewirkt werden kann, das wollen wir an einer beſonders intereſſanten Anlage erörtern, welche im vorigen Jahre in der Stadt Trient durch Siemeus & Halske zur Ausführung gelangte. Im Oſten dieſer Stadt fließt der waſſerreiche Ferſinabach durch eine enge Schlucht. Bei Hochwaſſer verurſachte er ſeit uralter Zeit der Stadt großen Schaden. Durch eine Sperre, die in den letzten Jahren dort ausgeführt wurde ein großartiges Werk in dem 73 Meter tiefen Abgrund erbaut und eine ſchon im vorigen Jahrhundert an einer höheren Stelle an - gelegte ebenſolche Sperre ſind die Trientiner jetzt gegen dieſe Gefahren geſchützt. Zwiſchen den beiden Bauwerken hat der Bach ein Gefälle von 52 Metern, und dieſes zum Vorteil der Stadtgemeinde auszunutzen, war ein Rat, welchen die überaus ſchnellen Fortſchritte der Elektro - technik der Verwaltung nahelegten. Dazu wurde das Waſſer der Ferſina an der oberen Sperre durch einen in den Felſen gehauenen Kanal abgeleitet, daß es an der Sohle desſelben in einem Strahle von 1 Meter Dicke ausſtrömt. Es kommt zunächſt in ein unterirdiſches Baſſin und von dieſem in einen ebenſolchen zum Teil ausgemauerten, zum Teil in Fels gehauenen Kanal von 752 Metern Länge und 1 Meter Breite, und dieſen können in der Sekunde 1200 Liter Waſſer durch - ſtrömen. Er füllt zunächſt ein Reſervoir von 1000 Kubikmetern Inhalt, aus dem die Druckleitungen das Waſſer zum ferneren Gebrauche weiter führen. Ihren an ſich ſehr intereſſanten Bau wollen wir nicht näher erörtern, ſondern ihnen nur in das 860 Meter weiter liegende Maſchinenhaus folgen, wo ſie ſechs Turbinen treiben, deren jede über 200 Umdrehungen in der Minute ausführt und über 120 Pferdeſtärken zu leiſten vermag. Mit ihnen ſind die ſechs Innenpol-Dynamomaſchinen gekuppelt. Gewöhnlich ſind nur vier Turbinen und vier Maſchinen in Thätigkeit, die andern dienen nur zur Reſerve. Da ſich bald heraus - ſtellte, daß der Verbrauch an Kraft für Lampen und Motoren nachts von 11 Uhr bis 6 Uhr nicht einmal die Hälfte des täglichen Maximums erreicht, ſo wird man natürlich viel an Arbeit erſparen, wenn man

Fig. 148.

Schaltſchema des Fünfleiter-Syſtems der Trienter Zentrale.

gerade in dieſer Zeit Akku - mulatoren laden läßt. In unſerem Schema haben wir uns links dieſe Haupt - ſtation zu denken; ſtatt der vier Maſchinen iſt nur eine gezeichnet, die wir uns in ihrer Wirkung mit jenen gleichwertig vor -207Die elektriſchen Zentralanlagen.ſtellen müſſen. Zwei Paar Hauptkabel führen den Strom zu einem Hauptverteilungskaſten, von dem ſich die Fünfleiterkabel abzweigen. L in der Fig. 148 bedeutet etwa Lampen, die, wie wir ſehen, ſtets nur zwiſchen zwei benachbarte Leitungen eingeſchaltet ſind, zwiſchen denen der Strom nur ein Viertel der Geſamtſpannung hat, welche die Zentrale liefert. Aber was bedeuten die am Ende der Leitung gezeichneten Kreiſe? Es ſind noch weitere Dynamomaſchinen, welche ſich in einer beſonderen Ausgleich - und Reſerveſtation befinden, und durch welche eben der Ausgleich der Spannung in dem ganzen Stromnetze derartig hergeſtellt wird, daß jeder von den vier ver - ſchiedenen Gruppen, auch wenn in ihnen nicht gleich viele Lampen brennen oder Maſchinen arbeiten, die nämliche Spannung verbleibt. Alle vier Maſchinen ſind gezwungen, ſich um eine gemeinſame Achſe zu drehen, der ihnen zugeführte Strom iſt freilich ein verſchiedener, und ſie würden ſich auch mit verſchiedener Geſchwindigkeit drehen, wenn ſie eben nicht unter dem genannten Zwange ſtänden. Aus dieſem Zwange aber entſteht das Beſtreben, die Spannung zwiſchen je zwei einander benachbarten Leitern auszugleichen. Ihnen iſt dann natürlich noch weiterer Strom zu entnehmen, der zur Ladung einer in dem Raume daneben angebrachten Sekundärbatterie verwendet wird. Dieſelbe iſt ſo ſtark, daß ſie für ſich allein vier Stunden lang einen Strom von 100 Ampère Stärke liefern könnte. Von den Hauptleitungen ſind weiter die Nebenſtröme zur Verſorgung von Häuſern abgezweigt.

Bei der geringen Spannung iſt von dieſen eine Schädigung nicht zu erwarten, wohl aber kann ein unglücklicher Zufall die Stromſtärke in ihnen einmal ſo erhöhen, daß ſie ſich zu ſtark erwärmen und damit Feuersgefahr für das Haus bringen. Es braucht kaum geſagt zu werden, daß auch dagegen hier wie überall Vorſorge getroffen iſt durch ſogenannte Bleiſicherungen. Wir ſehen eine ſolche in der Fig. 149. Es iſt nichts als ein in die Leitung eingeſchaltetes Stück Blei. Dieſes hat eine viel geringere Leitfähigkeit für den Strom als das Kupfer, wird ſich alſo beim Durchgange deſſelben ſtärker erhitzen, und man kann es ſo einrichten, daß es gerade dann ſchmilzt, wenn der Strom

Fig. 149.

Bleiſicherung.

eine gewiſſe nicht zuläſſige Stärke erreicht. Damit wird aber dieſer unterbrochen und kann nun keinen weiteren Schaden anrichten. Die zur Verfügung ſtehenden billigen Kräfte haben die Einrichtungen für die Stadt Trient äußerſt vorteilhaft gemacht. Die Straßen und Plätze werden abends mit einer Fülle von Licht übergoſſen, und bei der Billigkeit der Konſum-Tarife haben viele Privatleute ihr Haus mit elektriſchen Beleuchtungsanlagen verſehen, und das208Die elektriſchen Erfindungen.Kleingewerbe, dem es bisher an genügenden Motoren fehlte, wird durch die billigen und überall aufſtellbaren Elektromotoren eminent gefördert. Dem Stadtſäckel von Trient aber fließt eine ſolche jähr - liche Einnahme zu, daß das Anlagekapital ſich mit mehr als ſechs Prozent verzinſt.

Hat der Raum, den man mit Kraft verſorgen ſoll, einen Durch - meſſer von etwa zehn Kilometern, ſo wird es trotz der Mehrleiterſyſteme ſchon ſchwierig, das Gebiet gleichmäßig zu verſorgen. Es geht bei den ſchwach geſpannten Gleichſtrömen zuviel davon verloren. Beſſer läßt es ſich dann mit Wechſelſtrömen machen. Freilich haben dieſe den Nachteil, daß man mit ihnen keine Akkumulatoren laden kann; aber dafür bieten hier die leicht zu verſehenden Transformatoren ihre Dienſte an. Man kann mit ihrer Hilfe die Ströme ſo hoch ſpannen, daß ſie in viel dünneren Drähten leitbar ſind, und wird nur an den Orten, wo der Strom verbraucht wird, ſeine Spannung auf ein niedriges Maß herabſetzen müſſen. Da der Grund und Boden in den großen Städten ſehr teuer iſt, ſo kann es für dieſe geraten ſein, die Zentrale außerhalb des Weichbildes anzulegen; dann wird aber die Enfernung zu den Konſumenten ſehr anwachſen, und man wird deshalb von Wechſelſtrommaſchinen vorteilhaften Gebrauch machen. So wird neuerdings das moderne Babel, London von einer Wechſel - ſtromzentrale aus mit Licht verſorgt. Vorläufig ſtehen dort zwei Maſchinen von je 1500 Pferdeſtärken. Das Projekt, noch vier von je 10,000 Pferdeſtärken hinzuzufügen, welche 14 Meter hoch ſein und 10,000 Centner wiegen ſollten, iſt geſcheitert.

Wie bezahlen die Abnehmer die ihnen gelieferten Kraftmengen? Läßt ſich die verbrauchte Elektrizität meſſen, wie ſich das konſumierte Material meſſen und wägen läßt? Es giebt viele Apparate, die dazu dienen, die verbrauchte Elektrizitätsmengen zu beſtimmen und ſo auf Heller und Pfennig dem Abnehmer die Rechnung auszuſtellen. Ein ſehr ſinnreicher, trotz ſeiner Einfachheit vollkommen ausreichender Apparat iſt der vor drei Jahren von Prof. Aron in Berlin erfundene Elektrizitätszähler, den wir in Fig. 150 darſtellen. Wir erblicken dort zwei Pendel, welche in der gleichen Zeit ihre Schwingungen vollenden. Das linker Hand abgebildete iſt ein gewöhnliches Uhrpendel; rechts aber ſehen wir eines, das unten einen Stahlmagnet trägt. Beide übertragen ihre Bewegung auf ein Uhrwerk, das ſo eingerichtet iſt, daß der Zeiger nicht vorwärts geht, ſo lange beide Pendel gleich ſchnell gehen. Das wird aber mit einem Schlage anders, ſobald durch die rechts unten ſichtbare Spule ein Strom hindurchgeht. Dann wird das rechte Pendel außer von der Schwerkraft der Erde auch noch von dem elektriſchen Strom beeinflußt. Dieſer zieht ja den Magnet an und daher wird das Pendel ſchneller zu ſchwingen anfangen, und zwar wird die Schwingungszeit immer kürzer, je ſtärker der hindurchgeführte Strom iſt. Jetzt wird der Zeiger der Uhr vorwärts rücken, und der209Die elektriſchen Zentralanlagen.

Fig. 150.

Elektrizitätszähler von Prof. Aron.

Apparat läßt ſich ſo konſtruieren, daß der Zeiger ſofort diejenige Elektrizitätsmenge anzeigt, welche durch die Spule gefloſſen iſt. Dieſer Apparat wird nun jedesmal, wenn durch die Hausleitung Strom eintritt, mit eingeſchaltet und mißt alſo den Verbrauch, analog wie die Gasmeſſer den Gasverbrauch anzeigen.

Das Buch der Erfindungen. 14210Die elektriſchen Erfindungen.

f) Die Erfindung der Elektromotoren, der elektriſchen Schiffe und der elektriſchen Eiſenbahnen.

Die Elektromotoren.

Wir ſind im Vorhergehenden öfters auf die Eigentümlichkeit der Dynamomaſchinen zu ſprechen gekommen, daß ſie die doppelte Fähig - keit haben, durch eine ihnen übertragene Bewegung elektriſchen Strom hervorzubringen und andererſeits, den ihnen zugeführten Strom in eine mechaniſche Bewegung zu verwandeln. Wenn ſie der letzteren Aufgabe in beſonderer Weiſe angepaßt ſind, ſo nennt man ſie Elektromotoren. So war die Dynamomaſchine des Schuckertſchen Pumpenwerkes in der Fig. 143 ein Drehſtrommotor, weil ſie ihre Bewegung durch einen Drehſtrom empfing und ſie auf andere Apparate übertragen konnte. Je nach der Art des Stroms, den man zur Verfügung hat, und nach

Fig. 151.

Gleichſtrom-Motor von Siemens & Halske.

der Arbeit, die man vollbringen will, richtet ſich die Geſtalt und Größe der Motoren. Die Fig. 151 zeigt einen Gleichſtrommotor von Siemens & Halske, der je nach ſeinem Zwecke für 0,1 bis 1 Pferde - ſtärke gebaut wird. Der Feld - magnet liegt hinten, in der Mitte ſind die ſichelförmigen Polſchuhe zu ſehen, welche den Gramme - ſchen Ring umgeben. Dem rechts hervorſchauenden Achſenende wird durch ſchleifende Kupferfedern der Strom mitgeteilt, der den Ring zur Umdrehung bringt. Die ganz rechts ſichtbare Riemenſcheibe dient zur Übertragung der Drehung auf die Arbeitsmaſchinen. Dieſe können ganz verſchieden ſein. So ſind in Berlin eine große Menge von Näh - maſchinen durch ſolche Motoren an die ſtädtiſchen Elektrizitätswerke angeſchloſſen. Dadurch wird es den Arbeiterinnen der Fabriken, die jetzt das läſtige Treten ſparen, möglich das Doppelte zu leiſten. In einer großen Gewehrfabrik daſelbſt wird der ganze Betrieb durch An - ſchluß an dieſelbe Kraftzentrale elektriſch beſorgt, und das Charlotten - burger Werk von Siemens & Halske hat ſich eine eigene ſehr kräftige Station gebaut, um den ganzen Konſum an Arbeitskraft dieſer zu entnehmen.

Der Elektromotor nimmt von allen Kraftmaſchinen den geringſten Raum weg, und da Raum in großen Städten Geld iſt, ſo wird auch dieſes dabei geſpart; er rüſtet auch den kleinen Handwerker mit den Mitteln aus, die ihn mit der Großinduſtrie in Konkurrenz treten laſſen, und darin liegt die große wirtſchaftliche und ethiſche Bedeutung der elektriſchen Kraft -211Die Elektromotoren.verſorgung. In Trient kann z. B. jeder Schuhmacher einen Teil ſeines Betriebes durch die in dem Ferſina niederſtürzenden Waſſermengen leiſten. Auf der Frankfurter Ausſtellung waren eine Molkerei und eine Schuhfabrik mit elektriſcher Kraft verſehen, und die vielſeitige Verwendung der Elektromotoren wurde an dem Beiſpiel eines Berg - werks gezeigt. Nicht nur die Grubenpumpen, wie ſie z. B. in Japan im Gebrauche ſind, waren ausgeſtellt; eine Geſteinsbohrmaſchine, die in der Minute 340 Umdrehungen voll - bringt, konnte bei einer Leiſtungsfähigkeit von einer Pferdeſtärke in dieſer Zeit ein Bohrloch von 12 ccm Inhalt in feſtem Granit ausbohren. Ein Ventilator, in Bergwerken ein äußerſt wichtiges Inſtru - ment, war mit einem Motor ähnlich ver - bunden, wie wir dies in Fig. 152 an einem von der Allgemeinen Elektrizitäts - Geſellſchaft gelieferten Ventilator zeigen. So wirkt die jetzt allgegenwärtige Freundin der Kulturmenſchheit, die Elektrizität, zur Reinerhaltung der von uns zu atmenden Luft und hat damit eine hohe hygieniſche Bedeutung. Wir können die verſchiedenen Verrichtungen der Elektromotoren nicht

Fig. 152.

Elektromotor mit Ventilator der Allgemeinen Elektrizitäts-Geſellſchaft.

alle aufzählen, aber einige wollen wir hervorheben, um in der Auswahl einen Begriff von den mannigfachen Anwendungen desſelben zu geben.

Die Fig. 153 zeigt eine von der eben genannten Geſellſchaft gebaute Bohrmaſchine. Sie hat vor den gewöhnlichen Maſchinen dieſer Art den beſonderen Vorzug, daß ſie auf einem zweirädrigen Wagen in der Werk - ſtatt überallhin gefahren werden kann, wo ſie gerade gebraucht wird. Dieſe muß natürlich mit elektriſchem Betriebe verſehen ſein. Das linker Hand aufgewickelt gezeichnete Kabel leitet den Strom auf den in der Mitte gezeichneten Elektromotor, und dieſer überträgt ſeine Bewegung auf den rechts hinten zum Vorſchein kommenden Schlüſſel, in welchem der Bohrer ſitzt. Dieſer läßt ſich mit Leichtigkeit ohne eine Verſchiebung des Motors in jede gewünſchte Lage bringen, wo er eben arbeiten ſoll. Es hat keine Schwierigkeit, bei einer Zahl von 195 Umdrehungen in der Minute, Löcher bis zu vier Zentimeter Durchmeſſer zu bohren. Das bisher unentbehrliche Faktotum des Orgelſpielers, der Bälgetreter wird über - flüſſig werden, nachdem bereits eine New-Yorker Kirche den geräuſchlos arbeitenden und ſtets mit voller Kraft einſetzenden Elektromotor in ihren Dienſt geſtellt hat. Die Dampfſpritze wird der durch die Ge - brüder Siemens in London eingeführten elektriſchen Feuerſpritze weichen, welche überall, wo ein Anſchluß an ein Elektrizitätswerk durch ein mitgeführtes Kabel zu erreichen iſt, in Funktion wird treten können. Die Deutſche Warte iſt die erſte Zeitung, deren Preſſen durch Elektrizität14*212Die elektriſchen Erfindungen.

Fig. 153.

Bohrmaſchine der Allgemeinen Elektrizitäts-Geſellſchaft.

betrieben werden. Sie ſind an die Berliner Elektrizitätswerke an - geſchloſſen, und die Kraftverſorgung kann ſich gerade für den Zeitungs - druck, der zu anderer Zeit als die übrigen Gewerbe betrieben wird, und nur kurze Zeit in Anſpruch nimmt, äußerſt billig geſtalten.

Am wirkſamſten aber hat ſich der Elektromotor bisher bewieſen, wo es ſich um das Fortſchaffen von Laſten auf ebener Bahn oder213Die Elektromotoren.um das Heben derſelben handelt. Auf Kriegsſchiffen, die jetzt meiſtens Dynamomaſchinen ſchon zur Speiſung der elektriſchen Lampen beſitzen, kann die vorhandene Kraft zum Abfeuern und Richten der Kanonen in wagerechter und ſenkrechter Richtung verwendet werden, wie ſich auch die bei der Sicherung der Schiffahrt zu beſchreibenden Scheinwerfer leicht durch den Elektromotor in die gewünſchte Stellung bringen laſſen. Der Vorſchlag eines amerikaniſchen Offiziers, auch die Landgeſchütze, vorzüglich Mitrailleuſen, elektriſch zu betreiben, wird dagegen wohl ſchon deshalb keine Ausführung finden, weil der Transport der Dynamomaſchinen Schwierigkeiten hat, und die bedienenden Soldaten in der Technik ausgebildet ſein müßten. Die Laſthebewerke par excellence, die Krahnen, die man bislang im großen immer nur mit Dampf betrieben hat, laſſen ſich heute durch Anſchluß an Elektrizitätswerke ſehr leicht und ſicher elektriſch betreiben. Am Peterſen-Quai in Hamburg ſteht jetzt eine von der Allgemeinen Elektrizitäts-Geſellſchaft gebaute Ein - richtung, welche im Stande iſt, eine Laſt von fünfzig Centnern faſt vierzehn Meter emporzuheben. Der 40 pferdige Elektromotor, der von der Beleuchtungsanlage des Hafens aus mit Kraft verſorgt wird, vermag zugleich den Krahn zu drehen. Selbſt das Bremſen des Krahnes geſchieht ganz ſelbſtthätig auf elektriſchem Wege. Wo es ſich ſonſt um die Fortſchaffung großer Laſten in Werkſtätten handelte, und der Laufkrahn in Dienſt geſtellt wurde, da erreicht man jetzt das Ziel weit ſicherer und ſchneller, indem man von den Elektromotoren geeigneten Gebrauch macht.

Für die Aufzüge von Perſonen und Materialien hat man ſich bisher meiſt des Waſſcrdrucks bedient. So war noch der berühmte Fahrſtuhl im Eiffelturm eingerichtet. Solche Apparate waren natürlich allen jenen Miß - ſtänden ausgeſetzt, welche der Gebrauch des Waſſerdrucks als direkte Kraft - quelle mit ſich bringt. Die Elektrizität hat hierin weittragende Reformen geſchaffen. Einen muſtergiltigen Aufzug beſitzt die ſtädtiſche Zentrale in der Markgrafenſtraße zu Berlin. Bei dieſer mußten wegen Raummangels die Dampfkeſſel in den oberen Stockwerken angelegt werden. So würde das fortwährende Heraufſchaffen der Kohlen natürlich Schwierigkeiten bieten, wenn nicht der elektriſche Fahrſtuhl da wäre, welcher einen Kohlenwagen von 20 Zentnern Gewicht in etwa 40 Sekunden über 9 m emporhebt. Nachdem derſelbe auf den Fahrkorb geſchoben iſt, leitet der Maſchiniſt den Strom in den fünfpferdigen Motor und ſetzt damit die Winde in Betrieb, die ſich am Ziele der Bahn wieder ſelbſt - ſtändig ausrückt. Dann bleibt der Fahrkorb durch eine Bremſe ſo lange ſchwebend, bis die Kohlen in einen am Keſſel befindlichen Trichter ausgeladen ſind, und nimmt dann den Wagen wieder mit hinunter, was ohne die Thätigkeit des Motors langſam und gleich - mäßig durch die Schwere geſchieht. Sollte durch einen Zufall einmal die Winde reißen, ſo iſt eine Einrichtung getroffen, daß der Wagen ſich ſelbſtändig bremſt, ſobald ſeine Geſchwindigkeit 30 cm in der214Die elektriſchen Erfindungen.Sekunde überſchreitet. Der Preis und die Betriebskoſten dieſes ſo ſicher arbeitenden Aufzugs ſind äußerſt gering.

Auch im Dienſte der Eiſenbahnen iſt die Elektrizität berufen, eine große Rolle zu ſpielen. Welche Mühe macht das Drehen der Wagen, beſonders der Lokomotiven, welche Fülle von Kraft wird verſchlungen beim Ausladen der Laſtwagen, was für Arbeit erfordert das Verſchieben der Wagen! Hier iſt die Elektrizität die berufene Retterin aus allen Mühſalen. Sie iſt bereits an zwei Stellen mit Erfolg für den Bahnhofsbetrieb heran - gezogen worden. Einmal beſitzt der größte Bahnhof Deutſchlands, derjenige in Frankfurt am Main, eine elektriſche Anlage, welche früher mit einer Druckwaſſerleitung zuſammen den beſchriebenen Dienſt ver - ſah, während jetzt die letztere außer Thätigkeit tritt und auch durch ein elektriſches Werk erſetzt wird. Andererſeits hat die franzöſiſche Nordbahn auf ihrem Pariſer Bahnhofe Akkumulatoren in Dienſt genommen, welche ihren Strom an Elektromotoren abliefern und damit die ſchwerbelaſteten Scheiben drehen. Ebenſo verſorgen die Sammler einen Laufkrahn mit Kraft, welcher hauptſächlich Säcke aus den Wagen oder in die Wagen ſchaffen ſoll. Mit ihm vermag man in 20 Minuten hundert Säcke aufeinander zu ſtapeln oder in 35 Sekunden eine Laſt von 140 kg 32 m fort zu ſchleppen, worauf der Laufkrahn nach ſeinem Ausgangspunkte umkehrt. In einigen amerikaniſchen Städten wird das Aufziehen der Zugbrücken jetzt durch Elektromotoren beſorgt. So war in Chicago auf der im Zuge von Bruſh-Street gelegenen Brücke bisher eine Dampfmaſchine in einem beſonderen Hauſe mit zuſammen 40 Tonnen Gewicht aufgeſtellt; heute beſorgt dies ein unterhalb der Brücke an - gebrachter und von einem nahen Werke mit Strom geſpeiſter Elektromotor leicht und viel wohlfeiler, als die Dampfkraft. In derſelben Stadt wird das Eis des Fluſſes und des ſeenartigen Hafens jetzt auf eine höchſt ſonderbare Art zu Blöcken zerſchnitten. Schon früher nahm man dazu Kreisſägen, die auf einem Wagen ſaßen. Jetzt benutzt Kinsmann einen elektriſchen Eispflug, d. h. ein Dreirad, an dem die Sägen und auf dem der Motor angebracht iſt. Derſelbe bewegt das Dreirad vorwärts und ſetzt zugleich die Sägen in Thätigkeit; er wird natürlich durch eine Leitung aus einem Elektrizitätswerke mit Strom verſorgt, und dieſe wickelt ſich allmählich von einer Trommel ab. Wie viel menſchliche und tieriſche Kraft wird hier nicht durch die Hilfe des elektriſchen Stromes geſpart! Bedarf es der Erwähnung, daß auch der Schnee der Straßen bereits durch elektriſche Schneepflüge bei - ſeite gefegt wird? Freilich ſind diejenigen, welche die Firma Thomſon - Houſton bis jetzt gebaut hat, nur für den Gebrauch der elektriſchen Bahnen beſtimmt und erhalten für ihre Elektromotoren den Strom aus der Station der Eiſenbahn, aber es werden ſich vielleicht auch Einrichtungen treffen laſſen, die ihnen eine allgemeine Einführung ſichern. Sie erinnern in ihrem Baue an die Kehrmaſchinen der Berliner Straßenreinigung. Nur beſitzen ſie neben den Bürſten, welche den215Die elektriſchen Eiſenbahnen.loſen Schnee fortfegen, auch noch Walzen mit Schaufeln, welche eine härtere Schneedecke erſt auflockern. Im ganzen braucht jeder Pflug vier Motoren, zwei zu ſeiner Fortbewegung und je einen für die beiden Walzen.

Die elektriſchen Eiſenbahnen.

So hätten wir bereits verraten, daß die elektriſchen Eiſenbahnen auch durch nichts anderes bewegt werden, wie durch Elektromotoren, die aus einer für ſie beſonders eingerichteten Maſchinenſtation mit Kraft verſorgt werden. Freilich liegt ein Mittel nahe, um die Not - wendigkeit einer ſolchen zu umgehen. Man könnte ja die primäre Dynamo-Maſchine mit auf den Wagen nehmen, aber man müßte auch einen Dampf - oder anderen Motor mithaben, und dann iſt es eben ſchon klüger, die Dampfkraft direkt zum Betriebe des Wagens zu verwerten. Oder man kann den Strom einer hinreichend geladenen Akkumulatoren-Batterie entnehmen, die man mit in den Wagen auf - nimmt. Dies würde aber zunächſt das Gefährt ſehr belaſten und ſeine Bewegung weſentlich erſchweren, ſo daß man zu keiner großen Ge - ſchwindigkeit gelangen konnte und andererſeits müßten die Akkumulatoren doch an gewiſſen Stationen, nachdem ſie ihre Kraft erſchöpft haben, wieder geladen werden. Das erfordert Zeit, und da Maſchinen zum Laden der Batterie jedenfalls da ſein müßten, ſo iſt es offenbar zweck - dienlicher, wenn man den Wagen von der Station aus direkt mit Kraft verſieht und die Akkumulatoren auf der Station läßt, wo ſie bei der Aufſpeicherung überſchießender Kraftvorräte immerhin gute Dienſte leiſten können. Trotzdem ſind zahlreiche Gefährte für den Akkumulatorenbetrieb eingerichtet worden. Wir haben ſo elektriſche Droſchken und Dreiräder erhalten und auch Wagen für den Straßen - betrieb. Beſonders hat Huber in Hamburg in der letzten Richtung Verſuche angeſtellt, die er indeſſen Ende 1886 wieder aufgab, weil die Wagen zu ſchwer beweglich waren. So ein Gefährt mit Sammler - betrieb wog mit 29 Fahrgäſten, dem Führer und dem Schaffner 7000 kg, wovon ein Sechſtel auf die Sekundärbatterie kam. Dieſe beſtand aus 96 Zellen, deren jede für ſich eine Stunde lang einen Strom von 170 Ampère leiſten konnte. Jetzt iſt dieſes Syſtem durch eine Erleichterung des Sammlergewichts ſoweit verbeſſert worden, daß man bei normaler Witterung mit 14 Fahrgäſten wenigſtens 70 km weit bei einmaliger Ladung der Sammler gelangt. Dann müſſen dieſelben wieder von einer bereit gehaltenen Dynamomaſchine aus ver - ſorgt werden. Siemens & Halske haben im Anſchluß an die Lichter - felder elektriſche Eiſenbahn Verſuche mit ſolchen Akkumulatorenwagen gemacht, und ſind ſelbſt zu der Anſicht gelangt, daß für größere Bahnen, auf denen erſt in längeren Pauſen einzelne Wagen den Ver - kehr vermitteln, in jenen die beſte Ausnutzung der Elektrizität liege.

216Die elektriſchen Erfindungen.

Für kurze Bahnen aber empfiehlt es ſich, eine Kraftzentrale einzurichten und durch Leiter den Elektromotoren des Wagens Strom zuzuführen. Der erſte Verſuch einer ſolchen Anlage wurde von der eben genannten Firma auf der Berliner Gewerbeausſtellung 1879 gemacht. Zwiſchen den beiden Hauptſchienen der Bahn lag eine dritte flache und auf die Kante geſtellte Schiene, welche den Elektromotor des Wagens mit Kraft verſorgte. Die Rückleitung nach dem Maſchinen - hauſe geſchah durch die beiden erſtgenannten. Die erſte dauernd für den Betrieb beſtimmte elektriſche Eiſenbahn fährt vom Anhalter Bahn - hof in Lichterfelde zur Kadettenanſtalt. Obgleich für die Iſolierung der Schienen keine große Vorſorge getroffen war, hat doch die Bahn von 1881 bis heute vollſtändig zur Zufriedenheit funktioniert. Sie fährt jedesmal, wenn ein Zug am Anhalter Bahnhof ankommt, und legt die 2,6 Kilometer lange Strecke in acht Minuten zurück, obgleich es keine Schwierigkeiten hätte, ihre Geſchwindigkeit noch zu ſteigern. Seitdem iſt in Deutſchland die Entwickelung der elektriſchen Bahnen ſehr zurück geblieben, während die großen Städte Amerikas ſich mit einem Netze von ſolchen Betrieben überſponnen haben. Wie raſch dort die Pferdebahnen den elektriſchen weichen müſſen, das können folgende Zahlen zeigen. Noch 1885 waren dort nur drei ſolche Bahnen mit 12 Kilometern Weglänge und 13 Maſchinenwagen in Betrieb, Ende 1889 gab es ſchon 103 Bahnen mit 870 Kilometern und 851 Wagen und am Anfange des Jahres 1892 war die Weglänge der elektriſchen Straßenbahnen auf 4061 Kilometer geſtiegen, während die der Pferde - bahnen im letzten Jahre um 100 Kilometer zurückging. Es iſt ja offenbar, daß die elektriſchen gegen dieſe die Vorteile der Sauberkeit und Billigkeit voraushaben müſſen, welche der Dienſt der Thiere ausſchließt. Wir müſſen, wollen wir den Bau dieſer Bahnen recht verſtehen, die einzelnen Teile derſelben, alſo die Maſchinenſtation, die Zuleitung des Stromes und die Motorenwagen genauer ins Auge faſſen.

Die Fig. 154 zeigt die Kraftſtation der Straßenbahn, welche die Allgemeine Elektrizitäts-Geſellſchaft zu Halle an der Saale im vorigen Jahre als die erſte elektriſch betriebene in Deutſchland dem Verkehr über - geben hat. Wir ſehen links die eine der beiden gewaltigen Dampfmaſchinen, welche bis zu 200 Umdrehungen in der Minute machen, und rechts die mittels Riemenüberſetzung mit ihr verbundenen vier Dynamomaſchinen. Jede von dieſen leiſtet mehr als 80 Pferdeſtärken. Die Leiſtungsfähigkeit derſelben muß etwas höher bemeſſen ſein, als der gleichmäßige Betrieb nötig machen würde, weil bei dem Anfahren der Wagen immer eine große Menge Kraft verbraucht wird. Die Zuführung des Stromes zum Wagen kann eine ſehr verſchiedene ſein, nämlich entweder durch die Fahrſchienen oder eine andere Schiene erfolgen oder durch eine davon getrennte oberirdiſche oder ſchließlich durch eine unterirdiſche Leitung geſchehen. In dem erſten Falle wird für eine hinreichende Iſolierung der Schienen ſowie dafür geſorgt ſein müſſen, daß Zugtiere217Die elektriſchen Eiſenbahnen.

Fig. 154.

Maſchinenhaus der Halleſchen Straßenbahn der Allgemeinen Elektrizitäts-Geſellſchaft.

und Menſchen, die den Schienenweg auf einer Wegkreuzung über - ſchreiten, nicht gefährdet werden und auch den Betrieb nicht ſtören. In der Lichterfelder Bahn, bei welcher eine der beiden Schienen die Zuführung, die andere die Fortleitung des Stromes verſieht, wird dieſe Leitung an den Kreuzungsſtellen nicht durch die Schienen, ſondern218Die elektriſchen Erfindungen.anders weitergeführt, ſo daß eine Berührung derſelben ganz unſchädlich iſt. Der Strom wird von dem Radreifen aufgenommen, der von der Achſe hinreichend iſoliert ſein muß und ihn dem Elektromotor zuführt, aus welchem er an der anderen Seite heraustritt. Die Achſen der Räder ſind zugleich diejenigen der Motoren oder es findet eine Zahnradübertragung ſtatt, welche die Geſchwindigkeit der Räder mildert. Wenn man die Schienen genügend vom Erdboden iſolieren ſoll, ſo wird dies wenigſtens für lange Strecken ſehr teuer zu ſtehen kommen, und immer wird bei ſchlechtem Wetter ein ſo großer Kraftverluſt un - umgänglich ſein, daß die Schienenleitung nicht recht vorteilhaft erſcheint. Nimmt man eine dritte gut iſolierte Schiene zu Hilfe, wie das 1879 bei dem erſten Verſuche geſchah, ſo findet eine weitere Steigerung der Anlagekoſten ſtatt, welche dieſes Syſtem gar nicht hat in Aufnahme kommen laſſen.

Die oberirdiſche Zuführung des Stromes iſt auf die verſchiedenſten Weiſen verſucht worden. Bei dem älteren Syſtem von Siemens & Halske wird er in zwei geſchlitzten Röhren längs des Geleiſes zu - und weg - geführt. Auf dieſen Leitern, die an Säulen hingen und genügend iſoliert ſein mußten, ſchleifte ein Wägelchen, welches von dem Wagen mitgenommen wurde und dem Motor deſſelben den Strom durch einen Leiter zuſchickte. In einer neueren Ausführung bedarf es nur eines Drahtes, der über der Mitte des Geleiſes an ſeitlich ſtehenden Säulen aufgehängt iſt; eine an dem Motorwagen angebrachte Vorrichtung ſchleift an dieſem Draht und führt ihm den Strom zu. Die Drahtleitung iſt nur dünn und wäre für die eigentliche Zuleitung ungenügend. Dieſe Hauptzuleitung geſchieht vielmehr durch ſtärkere Leiter, welche an den ſeitlich ſtehenden Säulen befeſtigt ſind. Als Rückleitung dienen bei dieſer Anordnung die Schienen. So iſt die Verlängerung der Lichter - felder Bahn 1890 ausgeführt worden. Am vollkommenſten entwickelt iſt jetzt dieſe Art der Stromführung in den von Sprague und Thomſon - Houſton ausgebildeten Syſtemen. Nach dem erſteren iſt die Halleſche Straßenbahn gebaut. Unſer Bild (Fig. 155) zeigt die Halteſtelle derſelben auf dem Marktplatze. Die Arbeitsleitung, von der Feinheit der Telephondrähte, iſt durch Querdrähte mit der eigentlichen Stromführung verknüpft. Die Pfähle, an welchen dieſe angebracht ſind, beſtehen aus Schmiedeeiſen, beleidigen durch ihr Ausſehen das Auge nicht und können auch als Maſten für elektriſche Lampen dienen. Der Strom wird zum Wagen durch ein auf dem Dache angebrachtes Stahlrohr übergeführt, welches eine metallene Nutrolle von unten gegen den Leitungsdraht drückt und dadurch die Berührung recht innig macht.

Nun wird es an vielen Orten ſchwierig ſein, die Erlaubnis zu einer oberirdiſchen Stromführung zu erlangen. In größeren Städten vor allem wird wegen der Verkehrsſtörungen, die ſie im Gefolge haben können, eine Belaſtung der Straßen mit eiſernen Maſten nicht auf Entgegenkommen zu rechnen haben. Auf Chauſſeen, in Vororten und219Die elekriſchen Eiſenbahnen.

Fig. 155.

Halteſtelle der Halleſchen Straßenbahn.

bei Sekundärbahnen wird aber dieſe Methode ſchon ihrer Billigkeit wegen die richtige ſein. Im Innern der Großſtädte wird die unter - irdiſche Zuführung, die allerdings ſchon für recht viele Leitungen, wie die des Gaſes und Waſſers, in Anſpruch genommen iſt, die ange -220Die elektriſchen Erfindungen.brachte ſein. Wir zeigen in unſerem Bilde (Fig. 156.) das Schienenſyſtem der 1889 von Siemens & Halske in Budapeſt ausgeführten Eiſenbahn. Links ſieht man unter dem Schienenſtrange des Geleiſes einen Kanal, in welchem links und rechts je eine Stromleitung, die Hin - und die

Fig. 156.

Schienenſyſtem der Budapeſter Straßenbahn von Siemens & Halske.

Rückleitung, geſchützt gegen äußere Einflüſſe und von einander iſoliert, an - gebracht ſind. Der Kanal ſchließt an der Straße mit den Fahrſchienen ab, welche auf gußeiſernen Böcken gelagert und feſtgeſchraubt ſind. In dieſen ſind die beiden Stromleitungen mittels geeigneter Iſolatoren befeſtigt. Im Übrigen iſt der Kanal aus Beton hergeſtellt. An dem Wagen iſt unten eine Vorrichtung befeſtigt, welche durch den zwei - teiligen Schienenbau in den Kanal hinabreicht und ein Schiffchen mitnimmt. Dieſes ſchleift im Kanal zwiſchen den Stromleitungen und vermittelt auf dieſe Weiſe eine beſtändige Stromzuführung nach dem Wagen. Äußerlich gleicht die Bahn völlig einer gewöhnlichen Straßenbahn, da von den Kanälen und den Leitungen auf der Straße nichts zu ſehen iſt. Das Syſtem, welches ſich ausgezeichnet bewährt, iſt freilich auch das teuerſte. Trotzdem rentiert ſich eine ſolche Anlage immer noch beſſer als die Pferdebahn.

Das Ausſehen der elektriſchen Wagen gleicht äußerlich völlig dem - jenigen der Pferdebahnwagen, nur daß dieſe im allgemeinen einen größeren Raum einnehmen. Die Arbeitsmaſchine ſitzt, den Blicken des Beſchauers vollig verborgen, im Untergeſtell des Wagens. In der Mitte iſt der Motor angebracht, durch welchen der aufgenommene Strom in eine drehende Bewegung verwandelt wird; dieſe überträgt er durch ein Vorgelege auf die eine Wagenachſe und bewegt ſo den Wagen vorwärts. Statt221Die elektriſchen Eiſenbahnen.eines Elektromotors ſind z. B. auf der Halleſchen Straßenbahn zwei vorhanden, für jede der beiden Wagenachſen eine. Wie kann der Kutſcher die Bewegung des Wagens regulieren, wie wird die rückwärts gerichtete Bewegung des Wagens erhalten? Er kann dies alles durch Zuhilfenahme zweier Kurbeln leiſten, wie ſie ähnlich bei den Pferde - bahnen als Bremſen dienen. Durch die eine kann er ein gewöhnliches mechaniſches Bremſen bewirken. Die andere aber dient zum Ein - und Ausſchalten von metallenen Widerſtänden in die Stromleitung, wie wir ſie bei der Theaterbeleuchtung kennen lernten, ſowie zum Umſteuern für Her - und Hinfahrt der Lokomotive. Solche Wider - ſtände müſſen für die Regulierung vorhanden ſein, weil ſonſt beim An - und Abſtellen des Motors das zu ſtarke Anſteigen des Stromes die Bewickelungsdrähte ſchmelzen könnte; bei ihrer Einſchaltung wird der Strom durch Umſetzung in Wärme entſprechend abgeſchwächt. Dieſe Widerſtände nehmen auch von dem verfügbaren Raume nichts fort, weil ſie unter den Plattformen der Wagen in vier Gruppen verteilt liegen. Das Umkehren der Lokomotive wird dadurch bewirkt, daß man den Strom in umgekehrter Richtung durch den Motor leitet, was alles durch eine verſchiedene Stellung derſelben Kurbel zu erreichen iſt. Man braucht hier, am Endziele angekommen, nicht umzuſpannen, wie bei den Pferdebahnen, noch den Wagen zu wenden, wie bei den Dampfwagen. Der Kutſcher braucht nur ſeinen Platz am andern Ende des Wagens einzunehmen, um die Strecke überſehen zu können. Auch dort findet er zwei ebenſolche Kurbeln zur Bedienung. Die Betriebskoſten ſind für alle dieſe Bahnen weit geringer, als für die bisherigen Straßenbahnen; auf der halliſchen Bahn wird ſogar der Schaffner geſpart durch die Einführung des Zahlkaſtenſyſtems bei einem Einheitsſatze für alle Touren. Die Bahnen ſind auch in hygieniſcher Beziehung vollkommner als die Dampfbahnen, da ſie nicht den für die Lungen der Stadtbewohner ſchier unerträglich gewordenen Kohlendunſt noch vermehren.

Dies macht ſie ganz vorzüglich für unterirdiſche Betriebe ver - wendbar. Auf ſolche angewieſen ſind natürlich die Bergwerke. Die erſte elektriſche Grubenbahn wurde von Siemens & Halske 1883 im Zaukeroder Werk eröffnet, ihr folgte diejenige des Neuſtaßfurter Salz - bergwerkes, welche wir im Bilde (Fig. 157) veranſchaulichen. Dieſe hatte 1885 eine Länge von insgeſamt 1550 Metern. Die Stromzuführung von der über Tage aufgeſtellten Dampfmaſchine geſchieht durch die an dem Stollenfirſt ſichtbaren Schienen, an denen die Zuleiter ſchleifen. Dieſe Bahn dient dazu, das am Stollenende abgehauene Salz zu fördern. So wurden im Februar 1884 in 87 achtſtündigen Schichten 23868 Wagen in Zügen von meiſt 16 Wagen gefördert, zu denen der Waſſerwagen tritt, welcher die Geleiſe von dem ſchlüpfrigen Salzüberzug durch Waſſerberieſelung zu befreien hat. Es wurden ſo allein im Jahre 1884 an 140000 Tonnen Salz gefördert, die ſich bei222Die elektriſchen Erfindungen.

Fig. 157.

Elektriſche Grubenbahn von Siemens & Halske.

Anwendung von Pferden oder Menſchen weſentlich teurer geſtellt haben würden. Ein ebenfalls elektriſch getriebener Göpel bildet ſeit 1885 die Fortſetzung dieſer Bahn. Aus einem um 40 Grad geneigten Stollen holt der Förderwagen die Salze herauf, während gleichzeitig an dem Seile ein leerer Wagen heruntergleitet. Die Geſchwindigkeit dieſes Werkes und der Eiſenbahn brauchte nicht über wenige Kilometer in der Stunde hinausgetrieben zu werden. Das großartigſte Werk unter allen ähnlichen iſt dasjenige, welches jetzt von der Carolina Mining Company auf einer Silbergrube in Colorado in Betrieb iſt. Dieſe Grube liegt 3900 Meter über dem Meeresſpiegel, 100 Meter über der Schneegrenze. Eine Waſſerkraft iſt es, welche die Dynamomaſchinen treibt. Den eigentümlichen Verhältniſſen angepaßt ſind die Leitungen, welche gegen den Schnee geſchützt ſein müſſen und den Fall der die im Sturme brechenden Maſten zu ertragen haben. Hier werden die Pumpen, Förderſtühle, Erzwagen, Geſteinbohrer und Ventilatoren wie auch an andern Stellen elektriſch betrieben, ein großartiges Beiſpiel dafür, daß die heutige Technik Hinderniſſe nicht mehr kennt.

So drängt ſich uns die Frage auf, ob nicht für den Betrieb der Straßenbahnen überhaupt der unterirdiſche derjenige der Zukunft ſei. Sind nicht die Straßen und Plätze der Großſtädte bereits genügend durch den Verkehr belaſtet und ſchließt nicht eine weitere Vermehrung223Die elektriſchen Eiſenbahnen.desſelben die ſchwerſten Gefahren für die Sicherheit der Bürger ein. Gerade unter Tage aber hat der Verkehr die ſchönſten Gelegenheiten zur Ausbreitung. Hier iſt Raum für Stadtbahnen, wie in anderen Ent - fernungen von der Erdoberfläche für die Leitungen des Waſſers, des Gaſes und der elektriſchen Kraft. Die einzige bisher wirklich unter Tage ausgeführte Stadtbahn mit elektriſchem Betriebe hat diejenige Metropole, welche längſt ſich durch Zuhilfenahme unterirdiſcher Räume von ihrem Verkehrsüberfluſſe entlaſtete, nämlich London. Die Stadtteile City und Southwark ſind jetzt hier elektriſch unter der Erde verbunden, und dieſe Bahn hat vor den ſonſtigen unterirdiſchen, die London aufweiſt, eben den großen Vorteil, daß der läſtige Qualm der Dampflokomotiven, für welchen dort nie genügender Abzug zu verſchaffen war, in Fortfall kommt. In anderen Großſtädten iſt dieſes ſicherlich einzige Mittel, neue Verbindungen zu ſchaffen, noch Projekt, unter anderen in Berlin, wo die Allgemeine Elektrizitätsgeſellſchaft ein ſolches ausgearbeitet hat, während Siemens & Halske durch eine Hochbahn die Entlaſtung herbeiführen möchten.

Übrigens muß erwähnt werden, daß die Elektrizität ſich zwar auf kürzeren Strecken, wie bei Stadtbahnen als Betriebskraft ſehr bewährt hat, daß aber für größere Entfernungen doch zuviel Kraft wegen der mangelhaften Iſolierung der Zuleiter verloren geht. Die bisher längſte elektriſch betriebene Strecke, iſt die von San Franzisko nach San Joſé in Kalifornien auf 128 Kilometern Länge. Sechs Dynamomaſchinen liefern hier den Strom und 30 Wagen mit 15 bis 25 pferdigen Motoren beſorgen den Verkehr. Eine noch größere, von 460 Kilometern, ſoll demnächſt St. Louis mit Chikago verbinden und nach einem beſonderen Syſtem betrieben werden.

Was noch in Großſtädten als ein beſonderer Mangel empfunden wird, das iſt das Fehlen eines bequemen Packetverkehrs und einer ſchnellen Beförderung von Poſtſachen von einer zur andern Großſtadt, welcher letztere Mangel der Telegraphie ihren ungeheuren Aufſchwung ſicherte. Vorſchläge, dieſen Mängeln abzuhelfen, ſind viele gemacht worden, und wenn ſie auch noch nicht zur Ausführung gelangten, ſo können wir ſie bei dem Intereſſe, das ſie beanſpruchen, kaum übergehen. Werner von Siemens kam vor einigen Jahren auf die Idee einer elektriſchen Bahnpoſt. An dem Körper der Bahnen ſollten eiſerne Röhren entlang führen, in deren Innerem kleine durch Elektrizität betriebene Wagen mit Briefen und kleinen Packeten auf Schienen laufen ſollten, natürlich viel ſchneller als die ſchnellſten Eiſenbahnzüge. In Amerika geht ein ähnlicher Gedanke jetzt ſeiner Verwirklichung entgegen, den Wemes in Baltimore auf einer Verſuchsſtrecke ausführte. In einem langen Kanal legt ein Wägelchen 800 Meter in der Minute zurück, ſo daß die Poſtſachen von New-York nach San Franzisko ſtatt wie bisher in ſechs Tagen in ebenſoviel Stunden dorthin gelangen könnten. Der Plan iſt bis ins Einzelnſte geiſtreich ausgearbeitet. 224Die elektriſchen Erfindungen.So wird von dem Maſchinenwerke aus der Wagen jeden Augenblick an der richtigen Stelle zum Stillſtand und zur Weiterfahrt zu bringen ſein. Ein dem Telephonnetz vergleichbares Schienennetz wird endlich das Port-Electric-Syſtem (von Dolbear 1889 erfunden) zur Aus - bildung bringen. Die an dasſelbe angeſchloſſenen Firmen werden durch Vermittelung eines Betriebsamtes ſich mit einer anderen eben - ſolchen verbinden und ihnen die gewünſchten Waaren in einem auf Schienen rollenden Wagen zuſenden.

Die elektriſche Schiffahrt.

Gegen den elektriſchen Verkehr auf dem Erdboden iſt derjenige zu Waſſer weſentlich zurückgeblieben. Das iſt auch nur zu erklärlich: die Zuführung des Stromes von einer Kraftſtation iſt ja im Waſſer nur in Ausnahmefällen möglich, da man im allgemeinen dem Schiffe nicht den Weg ſo genau wird weiſen können. Möglich iſt das z. B. bei der Kanalſchiffahrt, bei der man bisher ſchwere und durch ihre läſtige Rauchentwickelung die Nachbarſchaft ſtörende Schleppdampfer benutzte. Jetzt ſollen auf einen Vorſchlag des Ingenieurs Büſſer die Schlepp - ſchiffe durch eine feſte Leitung, ähnlich wie die Eiſenbahnen, mit Strom verſehen werden. Nimmt man aber eine Kraftquelle mit an Bord, ſo wiegt ſie, ſei ſie nun eine durch Dampf getriebene Dynamomaſchine oder eine Batterie, im allgemeinen ſo ſchwer, daß ſie das Gefährt zu keiner rechten Beweglichkeit gelangen läßt. Will man Dampfkraft mit - nehmen, ſo iſt es natürlich an ſich beſſer, dieſe auf die Schiffsſchraube direkt wirken zu laſſen, da bei der elektriſchen Übertragung immer Kraft verloren geht. Trotzdem iſt gerade die elektriſche Schiffahrt eine der erſten praktiſchen Anwendungen des Elektromotors. Jacobi, der Erfinder der Galvanoplaſtik war es, der ſchon vor 53 Jahren mit einem aus vier feſten und vier drehbaren Elektromagneten beſtehenden Motor das Schaufelrad eines Bootes drehte und mit ihm die Newa befuhr. Die feſten waren die Feldmagnete, die beweglichen bildeten den Anker, und der Strom, welcher die Bewegung hervorbrachte, ward natürlich aus einer Batterie entnommen. Batterien mitzunehmen iſt auch heute noch das einzige Auskunftsmittel, wenn man ſein Schiff elektriſch betreiben will. So war das Boot, welches Trouvé auf der Pariſer Ausſtellung 1871 betrieb, mit einer Bunſenſchen Batterie von 12 großen Elementen verſehen, die zuſammen 94 Kilogramm wogen. Zwei Kabel dienten dazu, den Strom an den Schraubenmotor zu ſenden und zugleich das Steuerruder zu regieren.

Einen etwas höheren Schwung konnte die elektriſche Schiffahrt erſt nehmen, ſeitdem die Sekundärbatterien eine allgemeinere Verbreitung fanden. Dieſelben haben zwar zwei ſchwerwiegende Nachteile, nämlich einmal, daß ſie ihre Kraft nicht dauernd behalten und alſo das Fahr - zeug nach einiger Zeit wieder einem primären Stromerzeuger zugeführt225Die elektriſche Schiffahrt.werden muß, ſo daß es eben nur kleinere Strecken zurückzulegen fähig iſt, und zweitens, daß dieſelben das Gewicht des Schiffes zu ſehr erhöhen. Das letztere iſt nun freilich ein wenig einzuſchränken. Jedes Schiff braucht Ballaſt, damit das Kentern erſchwert werde. Wenn man die Sammlerbatterie am Boden des Gefährtes anbringen kann, ſo erfüllt ſie damit auch den Zweck des Ballaſtes, und es erſetzt das Gewicht derſelben ja dasjenige der Kohlen, das hier in Fortfall kommt. Solche mit Akkumulatoren verſehenen Schiffe giebt es jetzt ſchon in großer Anzahl. Das der Firma Siemens & Halske gehörige Boot Elektra befährt die Spree. In London ſind Sammlerboote etwas Gewöhnliches geworden, ſeitdem die Firma Immiſh eine ganze Flotille davon, die jetzt bis zur Zahl von 30 angewachſen iſt, für Bootfahrten auf der Themſe zur Vermietung ſtellte. Sie können 90 bis 100 Kilometer zurücklegen; dann müſſen die Sammler neu geladen werden. Der Elektromotor macht 700 bis 900 Umdrehungen in der Minute, und die Schiffsſchraube ſitzt auf ſeiner Achſe, ohne daß wie bei den Eiſenbahnen noch eine Übertragung nötig wäre. Der Führer des Boots iſt Steuermann und Maſchiniſt zugleich, da er mittels einer Kurbel die Geſchwindigkeit regeln kann, indem er von den Sammlern mehr oder weniger ein - ſchaltet und mit einer anderen Kurbel das Steuerruder regiert. Ab - fahren, Stoppen und Umkehren beſorgt er ebenfalls mit Hilfe der erſten Kurbel mit großer Leichtigkeit. Für Vergnügungsfahrten ſind dieſe Boote ganz ausgezeichnet, weil kein Qualm der Maſchine die Paſſagiere beläſtigt, die Gefahr von Exploſionen ausgeſchloſſen iſt, der Führer keiner langen Schulung bedarf und die Maſchine beim Verlaſſen des Fahrzeuges ſich ſelbſt überlaſſen werden kann. Sie müſſen freilich von Zeit zu Zeit mit Kraft verſorgt werden. Doch das geſchieht jetzt von den Unternehmern auf die einfachſte Art, nämlich durch ein größeres, zugleich die Reparaturwerkſtatt enthaltendes Schiff, welches die ſtrom - gebende Dynamomaſchine trägt. Die Boote finden ſich an einer beſtimmten Stelle auf dem Waſſer ein und empfangen dort ihre Ladung. Dieſes Schiff verſieht alſo für die elektriſchen Boote den - ſelben Dienſt wie die Tenderfahrzeuge, welche den Dampfſchiffen Kohle zuführen.

Eine ernſtere Bedeutung erhalten die elektriſchen Boote im Kriegs - dienſte. Die Beiboote der großen Kriegsſchiffe ſind leicht als Sammler - boote zu bauen, und da die Schiffe ſchon zum Zwecke der Beleuchtung Dynamomaſchinen haben, leicht mit Kraft zu verſehen. Ferner ſind ſie für die Beförderung von Truppen konſtruiert worden, und zwiſchen den Häfen Chatham und Sheerneß läuft jetzt das Boot Electric , das, bei einer Länge von 15 und einer Breite von 3 Metern, 48 Soldaten in voller Ausrüſtung bei einer Geſchwindigkeit von 15 Kilometern in der Stunde hin - und herbefördert. Für die See - ſchiffahrt auf kürzeren Strecken ſind elektriſche Boote alſo brauchbar, und ſo hat auch eines bereits die Überfahrt von Calais nach DoverDas Buch der Erfindungen. 15226Die elektriſchen Erfindungen.gemacht; für weitere Seereiſen wird man ſich einſtweilen mit Dampfern beſcheiden.

Eine eigentümliche, mit den eben beſchriebenen Gefährten nicht vergleichbare Erfindung iſt das Sims-Ediſonſche lenkbare Torpedo. Sims hat die äußeren Einrichtungen dieſes furchtbaren Geſchoſſes, Ediſon den elektriſchen Apparat konſtruiert. Dieſer letztere iſt ein doppelter: der eine Teil ſoll das Fahrzeug vorwärts bewegen, es iſt alſo ein Motor, der ſeine Bewegung der Schraube mitteilt, der andere wirkt auf das Steuerruder. Man hat es in der Gewalt, von der Stelle aus, von der das Torpedo abgeſchickt iſt, fortwährend ſeine Richtung und Geſchwindigkeit zu ändern, und zwar durch eine Dynamomaſchine und eine einfache Batterie. Die Zuführung der beiden verſchiedenen Ströme geſchieht durch ein Doppelkabel, welches mit Hanf umwickelt und mit Theer getränkt wird, daß es gerade ſoviel als das Waſſer wiegt. Dieſes Seil iſt im Torpedo um eine Trommel geſchlungen, und wenn es während der Bewegung des Gefährtes ſich von dieſer abwickelt, ſo dringt Seewaſſer ein, macht aber das Fahrzeug aus dem angeführten Grunde weder ſchwerer noch leichter. Die Wirkungen dieſes Geſchoſſes ſollen ungeheure ſein, und es iſt zunächſt in den Dienſt der nordamerikaniſchen Küſtenverteidigung geſtellt worden, wird ſich aber für denſelben Zweck wohl auch in anderen Ländern einführen.

g) Die Erfindung des Phonographen und des Telephons.

Der Phonograph.

Die wichtigſte Erfindung, welche der Menſch gemacht hat, zugleich wahrſcheinlich die älteſte, iſt die der Sprache, jener mit Wilhelm von Humboldt zu reden ewig ſich wiederholenden Arbeit des Geiſtes, den artikulierten Laut zum Ausdruck des Gedankens fähig zu machen. Sie iſt es, die ihn über die Stufe des Tieres hinaushob. Wie ſie entſtand und ſich entwickelte, darüber liegen die Anſichten noch in heißem Kampfe. Das Kind, welches zuerſt durch Geberden ſich ver - ſtändlich zu machen ſucht und erſt ſpäter den Gebrauch ſeiner Sprach - organe lernt, es kann uns einen Anhalt geben, wie ſich jene Ent - wickelung vollzog. Den Gedanken in Gebärden auszudrücken war die erſte Kunſt der Menſchen, die Fähigkeit, mit verſchiedenen Lauten, welche die Sprachorgane hervorbringen, Begriffe zu verbinden, erſt die zweite. Woher die Mannigfaltigkeit der Laute und ihrer Ver - bindungen ſich her ſchreibt, dies genauer zu ſtudieren, war unſerem Jahrhunderte vorbehalten, welches die Lautphyſiologie erzeugte oder doch der kaum vorhandenen glänzende Förderung brachte. Was iſt ein Laut? Soviel weiß jeder, daß es etwas iſt, was die Sprach - werkzeuge hervorbringen und das Ohr wahrnimmt. Aber welches ſind227Der Phonograph.überhaupt die Werkzeuge der Sprache? Man hat früher den Kehlkopf für das einzige erachtet, und erſt die genaueren Studien dieſes Jahr - hunderts ergaben die Mitwirkung der verſchiedenen Mundteile, der Zunge und der Lippen ſelbſt für die Vokalbildung. Was dieſe zuſammen bewirken, der Stimmlaut, gelangt an unſer Ohr, und er kann dies offenbar nur durch Vermittelung der dazwiſchen befindlichen Luft, wie man einfach dadurch zeigen kann, daß man eine Schallquelle unter der Luftpumpe ihrer luftigen Umgebung beraubt; ſie wird jetzt viel weniger deutlich vernehmbar ſein. Die Bewegung der Luft iſt es, welche den Laut zu uns herüberträgt und in unſerem Ohre wieder andere Bewegungen hervorbringt. Das ſind Hin - und Hergänge des Trommelfelles und der dahinter liegenden Ohrteile, welche ſich ſchließlich bis zu den feinen Enden des Hörnervs verbreiten und dort die Em - pfindung des Gehörten hervorbringen.

Schwingungen, denen des Trommelfells ähnlich, zu erzeugen hält nicht ſchwer. Man braucht dazu nichts als eine Platte von Metall oder Holz, die man in ihrer Mitte befeſtigt. Ihr kann man durch Streichen mit einem Violinbogen die verſchiedenartigſten Töne entlocken, und wenn man dabei Sand auf die Platte ſtreut, ſo wird ſich dieſer, je nach dem Tone in immer anderer Weiſe anordnen und uns ſo die Schwingungen vergegenwärtigen, welche die Platte ausführt. Der Phyſiker Chladni, deſſen Namen dieſe Sandfiguren tragen, hat dieſelben genauer ſtudiert und dadurch nicht wenig zu der Erkenntnis der Natur des Hörens und Sprechens beigetragen. Es liegt nahe anzunehmen, daß am Ausgangspunkte der Stimmlaute ebenſolche Hin - und Hergänge von Körperteilchen ſtattfinden, und das iſt wirklich der Fall. Die Stimm - bänder bewegen ſich rythmiſch auf und nieder, und die in der Mund - höhle eingeſchloſſene Luft macht ähnliche Schwingungen durch. Das ſind alles Beobachtungen, die durch die Erfindung des Kehlkopfſpiegels und des akuſtiſchen Flammenzeigers erſt vor wenigen Jahrzehnten ermöglicht wurden. Sie legten den Gedanken nahe, dieſe Schwingungen auch irgendwo aufzeichnen zu laſſen und Mittel und Wege zu ſuchen, aus dieſen Aufzeichnungen wieder, nachdem das geſprochene Wort längſt verhallt ſei, es zum Ertönen zu bringen. Dieſer Plan war eigentlich nicht neu, aber ſeine Verwirklichung konnte erſt nach dieſem genauen Studium der Sprache gelingen. Bereits 1653 ſchreibt ein phantaſiereicher franzöſiſcher Schriftſteller, er habe von einem Bewohner des Mondes einen buchförmigen Kaſten zum Geſchenke erhalten. Als ich ihn öffnete, fand ich darin einen Metallgegenſtand, den Uhren ähnlich und voll von kleinen Federn und kaum ſichtbaren Maſchinen. Es iſt zwar ein Buch, aber ein Wunderbuch ohne Blätter und Schrift, kurz ein Buch, bei welchem man zum Leſen und Lernen der Augen nicht bedarf; man braucht nur Ohren. Wünſcht alſo jemand zu leſen, ſo ſpannt er dieſe Maſchine mit Hülfe einer Menge kleiner Sehnen, dann verſetzt er die Nadel nach dem Kapitel, welches er zu hören15*228Die elektriſchen Erfindungen.wünſcht, und es klingen ſofort, wie aus dem Munde eines Menſchen oder aus einem Muſikinſtrumente, alle die verſchiedenen Laute heraus, welche bei den Mondbewohnern als Sprache dienen.

Der beſchriebene Apparat iſt der Phonograph, aber ſeine Erfindung wurde nicht früher als im Jahre 1877 gemacht, und der ſie machte, war wieder kein anderer als Ediſon, der ſich alſo auf akuſtiſchem Gebiete als ebenſo bewandert bewies, wie wir ihn in ſeinem eigentlichen Fache, der Elektrotechnik kennen gelernt haben. Der Apparat läßt an Einfachheit nichts zu wünſchen übrig. Die Worte, welche aufgeſchrieben werden ſollen, brauchen nur in einen Trichter gerufen zu werden, der unten mit einer elaſtiſchen Haut abſchließt. So weit iſt das Inſtrument offenbar unſerem Ohre nachgebildet: der Trichter iſt der Ohrmuſchel, die Membran dem Trommelfelle vergleichbar. Bei den verſchiedenen Lauten, die hineinſchallen, wird dieſe Haut verſchiedene ſchwingende Bewegungen durchmachen. Iſt die Stimme laut, ſo werden die Schwingungen ſtärker ſein, iſt ſie hoch, wie etwa die der Frauen, ſo werden ſie ſchneller erfolgen, als wenn ſie tief iſt, wie die der Männer, und alle Modulationen der Sprache werden ſich ſchließlich in den Beſonderheiten der einzelnen Schwingungen wiederſpiegeln.

Aber Worte ſind wie Hauch, den der Wind verweht. Iſt es nicht möglich dieſe Bewegungen der Membran irgend wie zu fixieren? Darf man nicht hoffen, den Apparat zur nachträglichen Wiederholung des geſprochenen Wortes zu veranlaſſen? Beides iſt möglich. Das Aufſchreiben geſchieht durch einen ſpitzen Stift, der an der außer - halb des Trichters befindlichen Seite der Membran ſitzt, und ſtatt des Papieres zum Schreiben bedient man ſich hier eines Blattes aus dünnem Zinn, wie es als Stanniol zum Einpacken vieler Dinge vermendet wird. Dieſes wird um eine Walze gewickelt, welche ſich drehen läßt. Beim Drehen bewegt ſie ſich zugleich im ganzen vorwärts, da in die Drehungsachſe ein Schraubengewinde eingeſchnitten iſt, welches ſich in eine feſtſtehende Schraubenmutter hineindreht. Ein Gewinde von der - ſelben Ganghöhe iſt auch in die Walzen eingeſchnitten. Der Stift an der Membran drückt das Stanniol gerade in dieſes Gewinde hinein. Wenn alles ruhig iſt, ſo drückt der Stift ſtets gleichmäßig gegen das Zinnblatt, und erſt wenn man hineinſpricht, ändert ſich durch die Auf - und Abbewegung des Stiftes die Tiefe der Schraubenlinie, deren Durchſchnitt jetzt wellig erſcheinen wird. Wir haben jetzt ſozuſagen das Geſprochene auf dem Zinnblatte abgebildet. Es iſt eine Schrift, die wir vor uns haben, aber eine viel vollkommenere als diejenige, die wir mit der Feder ſchreiben. Oder iſt es möglich, daß die ge - ſchriebene oder gedruckte Rede uns völlig den Eindruck der geſprochenen macht, merken wir die feinen Hebungen und Senkungen des Organs während des Leſens, durch welche der Redner ſeinen Worten Nach - druck leiht? Nein, aber der Phonograph hat alles dies mit auf - gezeichnet, er iſt ein ſo bedeutender Schnellſchreiber, wie keiner je in229Der Phonograph.Parlamenten gearbeitet hat. Er iſt auch fähig, uns das, was er ſich notiert hat, alles wieder vorzuleſen, ganz in dem Tonfall, der beim Sprechen angewendet ward. Dazu iſt nur nötig, durch Rückwärts - drehen die Walze an ihren Ausgangspunkt zurückzubringen, den Stift, der während dieſes letzten Vorgangs zurückgelegt war, an den Anfangs - punkt jener eigentümlichen Schrift zu ſetzen, und aus dem Sprachrohr, zu welchem das Schallrohr von vorhin geworden iſt, tönt uns die hineingeſprochene Rede wieder. Der Stift folgt nämlich allen Uneben - heiten des Stanniolblattes, die er ſelbſt erzeugt hat, und gerät da - durch in ähnliche Schwingungen, wie während des Schreibens, er überträgt ſein Zittern auf die elaſtiſche Haut, welche nun dieſelben Schwingungen wiederholt, die ſie vorher vollführte, und vor ſich die Luft im Trichter in Bewegung ſetzt, daß dieſe in unſer Ohr dringend uns zur Empfindung der Rede verhilft.

Aber freilich hatte dieſer Apparat, ſo einfach und ſo lehrreich er war, wenn er ſich auch zur Wiedergabe des Geſungenen und der mit Muſikinſtrumenten ihm anvertrauten Melodien ganz ebenſo eignete, auch ſeine ſchwachen Seiten, und der geniale Erfinder war nicht nur umſichtig genug, dieſelben herauszufinden, er war auch der Mann, die Schwierigkeiten, die ſich den Verbeſſerungen des Apparates in den Weg ſtellten, mit der zähen Energie, welche mit der Genialität gepaart den Erfinder Großes erreichen läßt, zu überwinden. Zwölf Jahre arbeitete er unausgeſetzt an den Verbeſſerungen ſeines Stimm - ſchreibers, dann übergab er der Welt einen Apparat, wie ſie ihn voll - kommener nicht wünſchen kann. Einmal war die Membran, die Ediſon damals verwandt hatte, nicht gleichmäßig elaſtiſch; heute verwendet er für dieſelbe ein dünnes Blatt aus Glas. Dieſer Körper, deſſen Zer - brechlichkeit ſprichwörtlich geworden iſt, den wir für ſo wenig bieg - ſam halten, beſitzt in Blattform die gleichmäßige Elaſtizität in allen Richtungen, welche ihn für den Phonographen geeignet macht. Anderer - ſeits war das Material der Walze zu ändern, da die Zinnfolie leicht nachgab und ihre Eindrücke nicht bleibend behielt, ſo daß ſie ſich nicht zum öfteren Gebrauche aufheben ließ. Jetzt iſt dieſelbe durch eine Walze erſetzt, die aus einem weichen Stoffe, man ſagt aus einer Miſchung von Wachs und Seife beſteht, die aber noch einige nicht allgemein bekannte Beimengungen enthält. Auf ihr werden die Spuren des Stifts auch nicht blos oberflächlich eingedrückt, vielmehr ſchneidet ein ſcharfes Meſſer, das denſelben erſetzt, in das weiche Material ein, ähnlich wie der Grabſtichel des Kupferſtechers in die Platte einſchneidet. Die Spähne können ſorgfältig weggenommen werden, ſo daß die Schrift höchſt ſorgfältig eingemeißelt erſcheint. Dieſe Walzen laſſen ſich nun aufheben, und jederzeit kann man die ihnen überlieferten Laute ſich wieder in die Ohren klingen laſſen. Das wird jetzt auch in viel ſaubererer Weiſe erreicht, als früher, da man die Maſchine mit der Hand bewegen mußte. Damals war der Gang niemals ſo230Die elektriſchen Erfindungen.gleichmäßig, daß nicht auch in der Wiedergabe der Töne Unreinheiten vorkamen. Heute geſchieht die Drehung der Walze durch einen unter ihr in einem Kaſten ſitzenden kleinen Elektromotor. Derſelbe dreht ſich ſo gleichförmig, daß auch in dieſer Richtung der Apparat vollkommen iſt.

Fig. 158.

Edijons neuer Phonograph mit Zubehör.

231Der Phonograph.

Wir erblicken in dem Bilde (Fig. 158) den Phonographen mit allem Zubehör, fertig, um zu uns zu ſprechen. Wollen wir ihn deutlich vernehmen, ſo kann dies durch das Einbringen zweier Hörſchläuche in unſere Ohren geſchehen. Aber er kann mit Hilfe des dahinter ſichtbaren Hörtrichters auch zu einer größeren Anzahl von Perſonen vernehmlich reden. Wir ſehen hier nur noch die Walze, den Motorkaſten, einen Teil der Übertragung und den die Schnelligkeit

Fig. 159.

Aufnahme von Tönen durch den Phonographen.

regulierenden Apparat auf der linken Seite. Unten ſtehen einige von den Walzen, welche zur Aufnahme des Geſprochenen dienen. Wie dieſe Aufnahme erfolgt, das zeigt dann die Fig. 159. Der Schall - trichter endigt bei d mit der Glas - platte a, die ihre Bewegungen auf den Grabſtichel b überträgt; m ſchließlich bedeutet die ſich drehende Walze. In der Fig. 160 ſehen wir den Stift b bei der Arbeit; er hat eine wellenförmige Vertiefung in die Walze einge - riſſen. Die Geſtalt dieſes Ein - ſchnittes kann eine ſehr verſchiedene ſein, wie ſie die Fig. 161 zeigt, welche die Buchſtaben A, B, C, D darſtellt. Selbſt wenn die Stärke und die Höhe eines Lautes die - ſelbe bleibt, ſo kommen noch jene Feinheiten hier zum Ausdruck,

Fig. 160.

Aufnahme von Tönen durch den Phonographen.

232Die elektriſchen Erfindungen.

Fig. 161.

Die Buchſtaben A, B, C, D in phonographiſcher Schrift.

welche die Stimmen der Menſchen von einander unterſcheiden laſſen.

Zu gleicher Zeit mit Edi - ſon hatten noch andere an der Vervollkommnung ſeines Appa - rates gearbeitet. In einer etwas anderen Richtung als jener iſt dabei E. Berliner vorgegangen, und der von ihm erfundene ſinn - reiche Apparat, das Grammo - phon (Fig. 162), verdient hier ſchon deshalb eine Beſprechung, weil er, ohne in der getreuen Wiedergabe der Sprache an den verbeſſerten Ediſonſchen Phonographen heranzureichen, durch ſeine Einfachheit ſich eine wohlverdiente Ver - breitung verſchafft hat. Der Aufnahme-Apparat iſt hier vom Wieder - gabe-Grammophon etwas verſchieden. Bei dem erſteren wird eine ſehr ebene Zinkplatte B mit einem dünnen Überzuge von Wachsfett bedeckt, welcher durch Ausziehen des Bienenwachſes in Petroleumbenzin hergeſtellt wird. Dieſe Platte ſoll die Schrift aufnehmen und ſie wird dazu um

Fig. 162.

Grammophon von Berliner.

eine ſenkrechte Achſe gedreht. Das Hörrohr und der Schreibſtift ſind hier etwas anders gegen ein - ander geſtellt, ſo daß der Stift ſeitliche Be - wegungen während des Schreibens ausführt, er kratzt dabei die dünne Wachsſchicht von der Zink - platte fort. Nun ſollte man glauben, daß bei dem fortwährenden Drehen der Stift immer auf derſelben Kreislinie bleiben müßte, aber es iſt dafür geſorgt, daß er etwas nach dem Innern der Scheibe fortſchreitet und ſo eine Spirale be - ſchreibt, von der er freilich kleine Spaziergänge nach rechts und links macht, die durch die Schwingungen der Membran F hervorgebracht werden. Dieſe iſt hier ein Gummiblättchen, der Stift aber beſteht aus der härteſten Metallmiſchung, die wir kennen, nämlich einer ſolchen von Osmium und Iridium. Iſt bei der Aufnahme durch den Stift die Wachs - ſchicht fortgeſchafft, ſo kann nunmehr die Platte durch Chromſäure geätzt werden. Dabei bilden ſich an den vom Überzuge befreiten Stellen Vertiefungen in der Platte, die man bis zu einem gewiſſen Maße treiben kann. Wenn man dann von der Platte einen galvano - plaſtiſchen Abzug herſtellt und dieſen in Hartgummi oder in Wachs, das beſonders präpariert wird, abdruckt, ſo erhält man ſo viele Ver - vielfältigungen der Aufnahmeplatte, als man irgend will, und das iſt ein Vorzug des Grammophons vor dem Phonographen, da deſſen233Der Phonograph.Aufnahmen eine Nachbildung nicht zulaſſen. Die Wiederholung der dem Grammophon diktierten Reden hat gar keine Schwierigkeit. Jede Stopfnadel, in einen Kork geſteckt, kann dazu dienen. Faßt man den Kork loſe an, ſo gleitet die Nadel über die Schrift und hält ſich durch die Reibung gerade über der Spirale. Sie macht alſo genau die Schwingungen durch, welche vorhin der Stift vollführte und teilt durch die Luft unſerem Ohre die längſt verhallte Rede wieder mit. Durch ein Schallrohr läßt ſich der Ton beliebig verſtärken. Die Einfachheit des Grammophons verſchafft ihm allmählich Eingang in Familien, wo er ein allezeit launenloſer Unterhalter iſt. Muſikſtücke, die ihm durch Spiel und Geſang jemals anvertraut wurden, weiß er ebenfalls mit der peinlichſten Genauigkeit wieder von ſich zu geben.

Praktiſche Anwendung dieſer Inſtrumente von beſonderem In - tereſſe ſind freilich bisher nicht gemacht worden wenn wir von Spielereien abſehen, die von Amerika aus auch auf den europäiſchen Spielwaarenmarkt gelangten, wie jenen ſprechenden Puppen, die vermöge eines in ihrem Innern ſitzenden Phonographen einen früher hineingeſprochenen Satz wiederholen können. Aber er beſitzt für die Wiſſenſchaft einen unſchätzbaren Wert. Wie genau wird man jetzt die Sprachen der verſchiedenen Völker, die jemals und irgendwo er - klungen ſind, nach langer Zeit noch unterſuchen können! Wie wird es möglich ſein, den Aufbau der je von Muſikinſtrumenten oder vom Menſchenmund oder durch die Stimmen der Tiere hervorgebrachten Laute in ihre feinſten Details aufzulöſen und mit welcher Muße wird man ſich dieſem Studium hingeben können, welches ſonſt mit dem ſchwierigen Verſuche begann und endigte! Die Unterſuchung der menſchlichen Sprachen, das Feſthalten ſolcher, die dem Untergange anheimfallen, das ſind die Hauptdienſte, zu denen der Phonograph ſich darbietet.

Das Telephon.

Aber wie kommen wir gerade hier auf dieſen Apparat zu ſprechen, der doch ſeiner ganzen Natur nach keine elektriſche Erfindung dar - ſtellt, denn der Elektromotor, dem Ediſon die Führung der Phono - graphenwalze übertrug, kann ja ohne großen Schaden auch durch einen anderen Motor erſetzt werden. Wir ſind gerade hier näher auf ihn eingegangen, weil wir durch ihn über die Natur der Laute belehrt worden ſind, deren Übertragung auf weite Fernen eine Aufgabe iſt, für welche die Elektrizität ſich als einzig tauglich erwies. Sie iſt es, die mit ungeheurer Geſchwindigkeit ſich verbreitend, ſich als der pünktlichſte Bote für allerhand Übermittelungen erwieſen hat; auf ſie alſo mußte ſich vor allem das Augenmerk derjenigen Erfinder richten, denen ein Sprechen in weite Fernen als erſtrebenswertes Ziel galt. Der Schall, der in die Luft eindringt, pflanzt ſich wohl auch mit einiger Schnelligkeit fort, da er in drei Sekunden ein Kilometer zurückzulegen vermag. 234Die elektriſchen Erfindungen.Aber jeder weiß, daß er ſchon in geringer Entfernung nur noch un - deutlich vernehmbar iſt, und auf immer weitere Strecken eine direkte Verſtändigung ausgeſchloſſen iſt. Jedermann kennt aber ſchon das Spielzeug der Kinder, durch welches ſie ein beſſeres Verſtehen weit entfernter Schallquellen möglich machen, den geſpannten Hanffaden. Man braucht nur zwei Cigarrenkiſten durch eine hundert Meter lange Schnur zu verbinden und vermag am anderen Ende deutlich das Ticken einer Uhr zu vernehmen, deren Schall in der Luft kaum auf ein Meter[Entfernung] hörbar iſt. Die Hanfſchnur iſt, das ſchließen wir hieraus, ein beſſerer Leiter für den Schall als die Luft. Es ließe ſich vielleicht noch der eine oder andere beſſere Leiter finden, aber auf weitere Ent - fernungen ließ dieſe Methode, Nachrichten zu übermitteln, ſtets im Stiche.

Die Elektrizität, das ahnte man, mußte hierfür vorzüglich geeignet ſein, und ſie war auch längſt zur Übermittelung von Tönen verwendet worden. Man kann, um dies zu zeigen, ſich einfach zweier Stimm - gabeln bedienen. Auch dieſe ſchwingen hin und her, wenn man ſie mit dem Violinbogen ſtreicht, und das iſt die Urſache, weshalb ſie tönen. Man braucht nur den Finger an eine tönende Gabel zu legen und man wird dieſe Schwingungen ſofort fühlen. Man wird eine ſolche Gabel deshalb auch ſo ſtellen können, daß ſie bei ihrem Erzittern einen elektriſchen Strom fortwährend öffnet und ſchließt und ein weit entfernter Eiſenſtab, den der Strom umfließt, wird alſo abwechſelnd zum Magneten werden und ſchnell wieder ſeinen Magnetismus verlieren, und eine Stimmgabel in ſeiner Nähe wird in demſelben Rythmus hin - und herſchwingen, da ſie von dem Magneten in denſelben Pauſen angezogen wird, und wird alſo denſelben Ton wie jenes erſte Inſtrument hervorbringen allerdings nur dann, wenn ſie genau auf denſelben Ton, wie die vorige Gabel abgeſtimmt iſt. Eine Gabel hat nämlich die Eigentümlichkeit, daß ſie nur immer einen beſtimmten Ton giebt oder höchſtens zweier ganz beſtimmter Töne fähig iſt. Das iſt ein großer Mangel, den ſie den Platten gegenüber beſitzt, welche wir im Phono - graphen bei ihren ſchwingenden Bewegungen ſahen. Ein Ton iſt außer - dem kein Laut und es iſt etwas anderes, die Töne eines Muſikinſtrumentes oder den Klang der menſchlichen Stimme auf Meilenweite zu übertragen. Der Ton jedes Muſikinſtrumentes erſcheint unſerem Ohre härter wie der Stimmlaut, der durch viele Nebentöne und Geräuſche erſt zu dem wird, was er iſt. Noch hat kein Inſtrument, vom Phonographen abgeſehen, dieſe Fülle von Einzelheiten, welche die Stimme ausmachen, wirkſam zuſammenzufaſſen, den Stimmlaut nachzuahmen vermocht, und der Phonograph vermochte dies durch die ſchwingende Platte, deren Be - wegung ſich dem ſchreibenden Stifte mitteilte. Vor Ediſon hatte kaum jemand geglaubt, daß ſelbſt ſolche Glas - oder Glimmerblättchen einer ſolchen Mannigfaltigkeit der Schwingungen fähig wären, am aller - wenigſten kam man auf den Gedanken, daß Metallblättchen es ver - möchten.

235Das Telephon.

Ein Verſuch, den Philipp Reis in Friedrichsdorf am Taunus 1862 anſtellte, hätte in dieſer Beziehung anregen können. Er übertrug die Schwingungen auf eine tieriſche Haut und auf ein daran ſitzendes Metallblättchen. Fortwährend wurde durch dieſes der Strom einer Batterie unterbrochen und wieder geſchloſſen. An weit entfernter Stelle war ein weicher Eiſenkern, der innerhalb einer vom Strom durchfloſſenen Spirale lag. Dieſer geriet bei ſeinem ſchnell erfolgenden Ummagnetiſieren ſelbſt ins Tönen und man konnte wohl Melodien, aber nicht oder doch nur ſehr unvollkommen menſchliche Stimm - laute übertragen. Hierauf ruhte die Sache, und es war um die Zeit, als Ediſon an ſeinem Phonographen arbeitete, daß zugleich Graham Bell, Profeſſor der Phyſiologie in Boſton den Gedanken, eine ſchwingende Metallplatte zum Nachahmen der[menſchlichen] Stimme zu benutzen, verwirklichte. Ihre Übertragung in weite Ferne, ſo ſagte ſich Bell weiter, war nur deshalb auf elektriſchem Wege bisher nicht gelungen, weil das fortwährende Öffnen und Schließen eines Batterieſtroms zu ſtarke und plötzliche Stöße in dem Stromkreiſe hervorbringt, wie ſie die menſchliche Stimme nicht aufweiſt. Um jenen melodiſchen Klang unſerer Sprachorgane zu erhalten, bedurfte es eines Stromkreiſes, der ſich während des Sprechens nicht öffnet und ſchließt, ſondern geſchloſſen bleibt und nur durch den geſprochenen Laut ſich ein wenig verſtärkt oder ſchwächt. Dieſe ſozuſagen von Wellen durchzogenen Ströme, ſo ſagte er wörtlich, würden an Schnelligkeit des Wechſels den Schwingungen der Metallplatte entſprechen müſſen, welche ſie hervorbrachte, das Anwachſen der Stromſtärke müßte der Bewegung der Platte in der einen, ihre Abnahme derjenigen in der anderen Richtung entſprechen, die Größe der Ab - und Zunahme müßte der Stärke der Schwingungen oder vielmehr der Geſchwindigkeit ent - ſprechen, mit welcher die Platte ſich bewegt. Solche Ströme würden am anderen Ende einem Empfangsapparate und durch dieſen der Luft eine bis ins Kleinſte getreue Nachbildung derjenigen Luftbewegung übermitteln, welche an der Aufgabeſtation auf die Platte gewirkt hatte, und damit jene zum Gehör bringen. Dieſen Gedankengang überſetzte Bell in die That, indem er 1875 der Welt ſein Telephon übergab. Für die Erfindung deſſelben benutzte er die folgende Erſcheinung. Nähert man einem Stahlmagneten ein Stück Eiſen, ſo wächſt deſſen Kraft ein wenig an, bei der Entfernung des Eiſens nimmt ſie wieder um eben ſoviel ab. Wenn nun den Magneten eine in ſich geſchloſſene Drahtſpule umgiebt, ſo wird jede Vermehrung des Magnetismus in dieſer einen Strom induzieren und jede Verminderung deſſelben einen ſolchen von der entgegengeſetzten Richtung hervorbringen, ganz wie wenn man einen Magneten der Spule nähert oder ihn entfernt. Erſetzt man das große Eiſenſtück durch eine dünne Platte, welche bei dem geſprochenen Wort erzittert, ſo werden ihre Schwingungen auch noch ſolche Ströme hervorbringen, freilich ſehr ſchwache nur, die aber236Die elektriſchen Erfindungen.vielleicht noch immer genügen, dieſelben Schwingungen in einer ähnlichen Platte hervorzurufen.

Die Fig. 163 zeigt uns Bells Inſtrument. Den Magnetſtab ſehen wir bei S N. Seinem Nordpole gegenüber iſt die Platte P P, eine kreisrunde papierdünne Eiſenplatte, durch das Aufſchrauben des Holzſtückes B B ſo befeſtigt, daß ſie ſich nicht verſchieben kann. Wenn ſie nicht eingeklemmt

Fig. 163.

Bells Telephon.

wäre, würde ſie ſich nach dem Magnetpole N hinbegeben. Sie iſt aber von dieſem noch ſo weit entfernt, daß der ſtärkſte Luft - hauch, den wir mit dem Munde hervorbringen, ſie nicht bis an N heranbringt. Aber wenn in den Schalltrichter M hineingeſprochen wird, ſo werden die entſtehenden Schwingungen der Luft auch in der Scheibe Schwingungen von ganz beſtimmter Form erzeugen, dann werden in der Induktions - ſpule D Ströme hin und her - zucken, die in ihrem Wechſel ein getreues Abbild der Schall - ſchwingungen ſind. Die Draht - enden a und b dieſer Spule ſind zu den Schrauben c und d hin - geführt, und von hier aus können viele Kilometer lange Leitungen ausgehen, die man meiſt zu - ſammenſpinnt. Dann werden in einem anderen gleichgeſtalteten Apparate, an deſſen Schrauben c d dieſe Leitungen endigen, die Ströme auch durch die ent - ſprechende Induktionsſpule gehen. Dieſe werden in ihrer Reihenfolge bald ſtärkend, bald ſchwächend auf die Kraft des dortigen Mag - neten einwirken und damit die Eiſenplatte bald ſtärker, bald ſchwächer anziehen, ſo daß dieſe ganz dieſelben Schwingungen vollführen wird, wie die erſte, welche die Induktionsſtröme hervorrief. Wir werden in dem empfangenden Telephon durch Vermittelung der Luft dieſe Schwingungen als dieſelben Laute empfinden, welche in das gebende Telephon gerufen wurden. Und das iſt wunderbar. Denn jene ſchwachen Induktionsſtröme, die bei ſtundenlanger Wirkung noch nicht237Das. Telephon.ein Tröpfchen Schwefelſäure in ſeine Beſtandteile aufzulöſen vermöchten, und darin den konträren Gegenſatz zu jenen gewaltigen Induktions - wirkungen liefern, die wir bei den Dynamomaſchinen beobachteten, ſie ſind dennoch fähig, uns in weiter Ferne Geſprochenes zum deutlichen Gehör zu bringen. Es giebt auch kaum einen feinfühligeren Apparat, als das Telephon. Innerhalb eines Hauſes oder ſelbſt auf mehrere hundert Schritt geſtattet es die Verſtändigung durch den dünnſten Eiſendraht, trotz der großen Widerſtände, die ſich der Fortleitung des Stromes entgegenſtellen, trotz der großen Verluſte, welche die Kraft der Schwingungen bei ihrer doppelten Umſetzung in Magnetismus und Elektrizität erfahren muß. Es iſt ſo gefügig, daß ſelbſt die Ein - ſchaltung einiger menſchlicher Körper in den Stromkreis die Wirkſamkeit nicht aufhebt, obgleich ſich denken läßt, was für einen koloſſalen Wider - ſtand im Vergleiche zu Metalldrähten gerade der menſchliche Körper leiſtet. Es iſt ein äußerſt beſcheidener Apparat, es verlangt nicht den Strom irgend einer galvaniſchen Batterie, nicht die Mitwirkung einer anderen ſtromliefernden Maſchine, es erzeugt ſich diejenigen ſchwachen Ströme aus eigener Kraft, die es zu ſeinen ſchönen Wirkungen be - fähigen.

Aber man darf nicht zuviel verlangen. Wenn man viele Meilen weit ſich vernehmbar machen will, ſo kommt man doch mit dem gewöhnlichen Fernſprecher nicht aus, und wenn man die beſte von allen dabei zur Verfügung ſtehenden Leitungen ausſuchte. Es geht dann von den an ſich ſo geringen Elektrizitätsmengen das meiſte in die Luft hinüber oder ſetzen ſich in den Drähten in Wärme um. Man mußte alſo auf Verbeſſerungen und Hülfsapparate denken, um immer ſtärkere Wirkungen möglich zu machen. Dieſer Gedanke führte auf den alten Vorſchlag von Reis zurück, daß man mit dem gebenden Fernſprecher auf die Kraft eines Stroms einwirken müſſe, der von einer beſonderen Quelle geliefert wird. So ſannen Ediſon wie Bell darüber nach, ob man vielleicht die Leitungsfähigkeit eines flüſſigen Leiters in paſſender Weiſe durch den Gebe-Apparat beeinfluſſen könne, beide gaben aber dieſe Verſuche auf und entſchloſſen ſich, eine andere Klaſſe von Leitern darauf hin zu unterſuchen. Endlich verfiel Ediſon auf die Kohle als das Material, welches ſeinem Vorhaben günſtig ſchien. Wir müſſen erwähnen, daß wenige Jahre vorher Clerac an der Kohle eine wunderbare Eigenſchaft entdeckt hatte, welche man am einfachſten durch den folgenden Verſuch deutlich macht. Man leite den Strom einer galvaniſchen Batterie durch zwei Kohlenſtücke, die nur loſe aufeinander liegen und durch die Spule eines Elektromagneten. Der Strom iſt nur ſchwach. weil die Kohle dem Durchgange des Stromes einen viel größeren Widerſtand entgegenſetzt als di? Metalle daher iſt auch die magnetiſche Kraft, die er erzeugt nur gering, aber dieſelbe wächſt, wenn man die eine Kohle feſt gegen die andere drückt, der Magnet ſtärkt ſich, er vermag jetzt ein beweglich aufgehängtes238Die elektriſchen Erfindungen.Eiſenblättchen anzuziehen, wozu er früher nicht fähig war. Wir ſchließen, daß der Druck auf die Kohlen den Widerſtand derſelben vermindert. Clerac hatte Kohlenſtücke innerhalb einer Röhre in den Stromkreis eingeſchaltet. Durch feſteres Anziehen einer Schraube konnte er die Kohle immer ſtärker zuſammenpreſſen und damit den Widerſtand des Stromkreiſes beliebig vermindern. Aber die Schraube blieb auf dem Punkte ſtehen, bis zu dem ſie angezogen war, wenn ſie nicht für einen ſpäteren Verſuch eine andere Stellung erhielt: daß die Kohle von Zeit zu Zeit Änderungen erfahren könne, daß ſie eine ausgezeichnete Fähigkeit beſitze, ihr Leitungsvermögen bei den leiſeſten Stößen zu ändern, das wußte man vor Ediſon noch nicht, und es bleibt ihm das Verdienſt, dieſe für die Verbeſſerung des Telephons wichtige Entdeckung gemacht zu haben. Sie führte ihn zur Abänderung des Fernſprechers. Faſt zu gleicher Zeit war dieſelbe Entdeckung ſelbſtſtändig 1878 von Dr. Robert Lüdtge in Berlin, von dem Ameri - kaner Hughes und von dem Erfinder des Grammophons E. Berliner 1877 gemacht worden und hatte alle vier zur Erfindung eines Mikrophons geführt.

Die Fig. 164 zeigt eines, welches man mit den einfachſten Mitteln herſtellen kann. Wir ſehen hier ein hölzernes Käſtchen, das

Fig. 164.

Mikrophon.

in ſeiner Wirkung den Reſonanzböden der muſikaliſchen Inſtrumente gleicht, zwei darüber gelegte Kohlenſtäbchen ſind in der gezeichneten Art mit den Polen eines galvaniſchen Elements E und den Schrauben eines Telephons T verbunden. So lange nun vollſtändige Ruhe herrſcht und nichts das Käſtchen A erſchüttert, bleibt auch überall der Wider - ſtand derſelbe, der Strom ändert ſich nicht, und am Telephon iſt nichts239Das Telephon.zu hören. Wenn aber auch nur eine Fliege darüberſchreitet, in der Nähe leiſe geſprochen wird, ſo giebt das Schwingungen der Stäbe, zwar ganz kleine nur, die aber doch die Berührungsſtellen derart beeinfluſſen, daß ſich dort der Widerſtand auch in denſelben regelmäßigen kurzen Zeiträumen ändert, in denen die Schwingungen des Schalles ſtattfinden. Die Folgen ſind leicht zu überſehen. Damit ändert ſich nämlich die Stärke des Stromes im Draht und die des Telephon - magneten. Schwingungen des Eiſenplättchens werden erfolgen, welche durch die umgebende Luft an unſer Ohr gelangen. So werden wir am Telephon Geräuſche wahrnehmen, viel lauter, als ſie ein Aufgabe - telephon zu erzeugen fähig iſt, weil bei dem Mikrophon der Wechſel in der Stromſtärke weit bedeutender iſt. Hauptſächlich war es die Einführung dieſes Apparates an Stelle oder in Geſellſchaft des Auf - gabetelephons, welche dem Fernſprechweſen die Vollkommenheit und Bequemlichkeit verſchaffte, welche heute dieſem unentbehrlich gewordenen Verkehrsmittel eignet. Hunderte von Änderungen ſind freilich noch angebracht worden neben dieſer wichtigſten, aber der Raum fehlt uns auf alle einzugehen. So hat Siemens durch die Einſtellung eines Hufeiſenmagnets, ſtatt des ſtabförmigen, die Lautwirkung weſentlich vergrößert, ſo iſt durch fortwährende Verbeſſerungen des mikrophoniſchen Aufgebers jene weittragende Wirkung desſelben erzielt worden, welche uns mit Freunden zu ſprechen erlaubt, die durch weite Länderſtrecken, ſelbſt durch Meere von uns getrennt ſind.

Je nach der Tragweite, die wir von unſeren Apparaten ver - langen, werden ſie beſonders eingerichtet ſein müſſen. Der Privat - gebrauch, bei dem es ſich gewöhnlich nur um eine einzige Leitung handeln wird, und der öffentliche Dienſt, bei welchem viele Linien einem gemeinſamen Mittelpunkte zuſtreben müſſen, werden verſchiedene Tele - phonanlagen bedingen. Bei den Privatlinien wird der Aufgabe -, der

Fig. 165.

Mikrophon von Mix & Geneſt.

240Die elektriſchen Erfindungen.Empfangsapparat und die Rufglocke in Frage kommen. In Deutſchland haben die Mix & Geneſtſchen Mikrophone als Aufgabeapparate die weiteſte Verbreitung gefunden. Wir zeigen hier in Fig. 165 die Rückenanſicht eines ſolchen. In einem gußeiſernen Rahmen iſt das Mikrophon durch vier Schrauben mit dem Apparatkaſten verbunden. Die Sprechplatte (hell gezeichnet) aus Tannenholz liegt in einem Gummibande. Sie beſteht gerade aus dieſem Holze, weil dasſelbe, wie kein anderes, die Fähigkeit hat, die Schallſchwingungen mitzumachen und zu leiten. Vor ihr liegen zwei Balken von Kohle, welche die Lager für die drei Querbalken ent - halten; ganz loſe lagern dieſe mit Zapfen in den erſteren. Zur Dämpfung dient die durch zwei Schrauben ſtellbare Blattfeder, welche darüber ſichtbar iſt und ein Stück Klavierfilz trägt. Der Trichter zum Sprechen

Fig. 166.

Wandtelephon von Mix & Geneſt.

liegt dahinter. Natürlich muß nun jede Auf - gabeſtation auch eine Batterie haben, deren Strom eben durch das Mikrophon fortwährend verſtärkt und geſchwächt wird. Will man ſprechen, ſo wird man erſt die Rufglocke zum Läuten bringen, um der andern Station den Wunſch einer Ausſprache auszudrücken. Man drückt auf einen Knopf und die Glocke ertönt an jenem Leitungsende. Der Klöppel wird nämlich, ſo lange der Strom geſchloſſen iſt von einem dann magnetiſch werdenden Stück Eiſen angezogen und ſchlägt dabei an die Glocke. Fortwährend unterbricht und ſchließt ſich der Strom, ſo lange der Knopf gedrückt wird. Erſt wenn der Angerufene ein Gewicht abnimmt, unterbricht er den Glockenſtrom, nur ein Element der Batterie bleibt eingeſchaltet und nun kann der Apparat zum Sprechen dienen.

Fig. 167 zeigt eine telephoniſche Einrich - tung, die zum Aufſtellen auf einen Tiſch ge - eignet iſt, in der Fig. 166 aber erblicken wir

Fig. 167.

Tiſchtelephon von Mix & Geneſt.

241Das Telephon.eine Wandſtation, welche oben den Schalltrichter (den Gebeapparat), zur Seite zwei Hörtelephone erkennen läßt. So iſt die Einrichtung der - jenigen Stationen, welche die deutſche Reichspoſtverwaltung ausrüſtet.

Anders iſt es, wenn Fernſprech-Anſtalten den Verkehr zwiſchen den Bewohnern desſelben Ortes vermitteln ſollen. Dann ſind von einer Zentralſtelle aus Leitungsdrähte nach den Teilnehmern hingelegt. Wünſcht A mit B zu ſprechen, ſo hat er dies, ähnlich wie bei der eben beſprochenen Privatlinie, den Beamten in der Zentrale wiſſen zu laſſen. Dieſer ſtellt dann die Verbindung her, und wenn ſein Geſpräch zu Ende iſt, ſo vermag der Beamte dem A auch eine neue Verbindung zu C oder D zu ſchaffen. In großen Städten aber genügt eine Zentral - ſtelle nicht. Es müſſen Bezirksämter da ſein, wie dort auch viele Poſtämter ſind, und damit werden die Einrichtungen weit komplizierter. Dann muß der Beamte die Verbindung nach dem anderen Betriebs - amte herſtellen, das ſeinerſeits mit dem dort angeſchloſſenen Teil - nehmer, den man zu ſprechen wünſcht, die Verbindung herſtellt. In Berlin allein waren ſchon 1890 13800 Sprechſtellen mit einem Leitungs - netz von 29,962 Kilometern Länge, mehr als z. B. in ganz Frankreich zuſammen. Da würden die Beamten der Betriebsämter ihren Dienſt unmöglich leiſten können, wenn nicht der ihnen dort zur Verfügung ſtehende Apparat an Einfachheit der Bedienung unübertrefflich wäre. Der dort aufgeſtellte Vielfachumſchalter erlaubt jedem Beamten, von ſeinem Platze aus die Verbindung zwiſchen allen Teilnehmern und auch die Aufhebung derſelben mit Leichtigkeit auszuführen. Jeder Leitungsdraht endigt hier in eine Schnur mit einem Stöpſel. In jedem Amte ſind alſo ſoviel Stöpſelſchnüre als Leitungen, und durch Emporheben eines von ihnen ſchaltet ſich von ſelbſt der Sprach - reſp. Hörapparat des Beamten in die betreffende Leitung ein. Er ſtellt dann nur feſt, ob die verlangte Anſchlußleitung frei iſt und ſetzt denſelben Stöpſel in den Umſchalter jener Leitung ein, womit er die gewünſchte Verbindung herſtellt. So hat der Beamte ſtets nur mit einem einzigen Stöpſel zu operieren.

Für das Sprechen in weite Fernen endlich müſſen die Leitungen zunächſt höchſt ſorgfältig eingerichtet ſein. Mit dem ſchlecht leitenden Eiſendraht kommt man da nicht aus und es mußte erſt die Erfindung der Siliciumbronze erfolgen, aus denen man jetzt die Leitungsdrähte herſtellt. Das iſt eine Miſchung aus Kupfer, Zinn und Blei mit geringen Bei - mengungen von Eiſen und Silicium. Ein Draht daraus iſt feſter und leitet die Elektrizität bedeutend beſſer. Ein ſolcher Draht von drei Millimetern Stärke hat ſich für die längſten bisher hergeſtellten Ver - bindungen als ausreichend erwieſen, in den Städten aber brauchen die Anſchlußdrähte nur die halbe Dicke zu beſitzen. Bei der in der kurzen Zeit rapide wachſenden Ausdehnung des Fernſprechnetzes aber müſſen in den Großſtädten jetzt die Leitungen unterirdiſch verlegt werden, weil man ſo allein den fortwährend geſteigerten Anforderungen gerechtDas Buch der Erfindungen. 16242Die elektriſchen Erfindungen.werden kann. Die Kabel enthalten immer 28 von einander durch theergetränktes Geſpinnſt getrennte Kupferleitungen, die mit Stanniol umwickelt ſind, damit eine Leitung nicht die andere ſtöre. So liegen in Berlin 148 Kilometer Kabel und an 46 Stellen finden die Ver - bindungen derſelben mit den oberirdiſchen Einführungen der Drähte in die Sprechſtellen der Teilnehmer ſtatt. Das Mikrophon und der Bronzedraht ermöglichen es, daß man ſich über weite Fernen unter - halten kann; ſo iſt in Deutſchland die Ausſprache zwiſchen Hamburg und Breslau über eine Strecke von 650 Kilometern möglich, und daß die trennenden Meere eine ſolche nicht hindern, das mag die Fern - ſprechlinie zwiſchen Paris oder Brüſſel und London lehren, die ſeit zwei Jahren in Betrieb iſt, oder die von Cuxhaven nach Helgoland. Die längſte Telephonleitung iſt übrigens in Amerika, ſie verbindet die Städte Portland und Buffalo und die ununterbrochene Benutzung der Anlage hat gezeigt, daß eine Ausſprache auf 1380 Kilometer Entfernung recht wohl möglich iſt.

Einige intereſſante Verbindungen ſind noch die jetzt von Chicago nach New-York im Bau befindliche, bei der 50 oberirdiſche Leitungen mit einem Gewichte von 8526 Tonnen und einer Länge, die zuſammen das Vierfache des Erdumfangs ausmacht, den Fernſprechverkehr ver - mitteln, dann die höchſte, welche den 4000 m hohen Gipfel des Pikes Peak in Colorado mit dem Badeort Manitu verbindet, und bei der die Rückleitung durch die Schienen der hinauf fahrenden Zahnradbahn geſchieht. Das ausgedehnteſte Telephonnetz beſitzt, wie geſagt, von allen Städten die deutſche Hauptſtadt, aber die meiſten Teilnehmer im Verhältniſſe zur Einwohnerzahl haben die Fernſprechanlage der nordiſchen Metropole Stockholm, weil die Verwaltung den Anſchluß hier am billigſten herſtellt, und die der Hauptſtadt der Sandwichinſeln Honolulu, wo 5 Prozent der Einwohnerſchaft Teilnehmer des Telephon - betriebes ſind.

h) Die Erfindung des elektriſchen Telegraphen und der elektriſchen Uhren.

Die Vorgeſchichte des Telegraphen.

Frühzeitig machte ſich bei den Menſchen das Bedürfnis geltend, Nachrichten einander ſchneller zukommen zu laſſen, als durch tieriſchen und menſchlichen Transport allein möglich war. Töne, die man ein - ander durch eingeſchaltete Mittelsperſonen zurief, hatten keine genügende Tragweite. In Folge deſſen war die Geſchwindigkeit dieſer Nachrichten - vermittelung gering. Das ſchnellfüßige Licht erwies ſich als beſſerer Bote. Feuer auf den Bergen, waren die verabredeten Zeichen, welche die Eroberung Trojas noch in derſelben Nacht zu Klytämneſtras243Die Vorgeſchichte der Telegraphen.Kenntnis gelangen ließen, obgleich eine Entfernung von 520 Kilo - metern zurückzulegen war. Das Verdienſt, dieſes Signalweſen ſo umgeſtaltet zu haben, daß eine ſchnelle Gedankenvermittelung auf weite Entfernungen möglich ward, gebührt aber dem franzöſiſchen Edelmanne Claude Chappe. Auf Veranlaſſung des Wohlfahrtsaus - ſchuſſes wurde 1794 die erſte optiſche Telegraphenlinie vom Pariſer Louvre nach Lille eingerichtet. Drei Balken waren an einem weithin ſichtbaren Orte an einem Geſtelle ſo angebracht, daß durch Verbindung ihrer Stellungen es möglich war, eine große Zahl von Zeichen zu geben. Zwanzig ſolcher Geſtelle auf der genannten Strecke vermittelten der Hauptſtadt die Nachricht von der Übergabe von Condé an die Franzoſen innerhalb 20 Minuten. Durch ſolche bisher kaum geahnte Geſchwindigkeiten war die Republik ihren Gegnern immer einen Schritt voraus. 1795 wurde das optiſche Netz ausgedehnt; aber erſt 1832 ward es in Preußen eingeführt, wo Berlin und Koblenz durch 70 Stationen mit einander verbunden wurden. Ohne die vielfachen Mittel, durch welche die optiſche Zeichengebung verbeſſert ward, hier zu erwähnen, wollen wir nur darauf hinweiſen, daß er eine weit - gehende Anwendung im Signaldienſte der Eiſenbahnen erfahren hat.

Die unvergleichliche Schnelligkeit, mit welcher elektriſche Ladungen ſich in einem Drahte verbreiteten, ließ von dieſer Seite einen günſtigeren Erfolg erhoffen. Der Schotte Stephan Gray hatte 1742 einen 220 Meter langen Kupferdraht an Seidenfäden aufgehängt, durch den die Reibungs - elektrizität in raſender Eile ſich verbreitete. Winkler in Leipzig und Franklin in Philadelphia wiederholten dieſe Verſuche und der erſtere zeigte, daß ſelbſt Flüſſe, wie die Pleiße, eine elektriſche Ladung eine Strecke hindurch fortleiten könnten. Bei den geringen Mengen von Elektrizität, welche wir durch die Reibung erhalten können, war es nur natürlich, daß ihre Fortleitung auf große Entfernungen, für welche eine Reform des Nachrichtenweſens nötig ſchien, unmöglich war; ſie ging aus dem Drahte in die umgebende Luft. Die Erfolge der galvaniſchen Elektrizität nährten von neuem die Hoffnungen, welche die Erfinder auf die Zuverläſſigkeit dieſes Boten aufbauten. Die erſten chemiſchen Wirkungen ſchon zeitigten 1809 Sömmerings chemiſchen Telegraphen. 35 Drähte waren von einer an der Aufgabeſtation befindlichen Batterie zu ebenſovielen Zerſetzungszellen mit verdünnter Schwefelſäure an der Empfangsſtation geleitet. So konnte man, je nachdem man dieſen oder jenen Draht benutzte und beobachtete, wo beim Schließen des Stromes die Gasblaſen ſich zeigten, alle Buchſtaben und alle Ziffern von hier nach dort telegraphieren. Aber die Herſtellung einer genügend ſtarken 35 fachen Leitung auf größere Entfernungen hin war bitter teuer. Daher unterblieb die praktiſche Einführung derſelben. Erſt die Ent - deckung Örſteds, daß eine Magneten-Nadel in der Nähe des Schließungs - drahtes einer Batterie, je nach der Stromrichtung nach der einen oder andern Seite abgelenkt werde, ſchien für die neue Verwendung der16*244Die elektriſchen Erfindungen.Elektrizität günſtigere Zeiten einzuleiten. Schon in demſelben Jahre ließ Ampère von Ritchie einen Telegraphen bauen, der aus nicht weniger als 60 Drähten und 30 Nadeln beſtand, ſo daß ein Zeichen, wie es immer durch eine Nadel gegeben ward, zwei Drähte er - forderte, einen für die Hin -, den andern für die Rückleitung. Natür - lich war der folgende Fortſchritt der, daß man die Rückleitung für alle 30 Ströme einem einzigen Drahte anvertraute, während die Nadelzahl ſich ſchon durch den bloßen Gedanken auf die Hälfte bringen ließ, da ja jede Nadel zwei Zeichen zu geben fähig war, je nach der Richtung, in der man den Strom hindurchſchickte. So gingen die Koſten für die Leitung allmählich immer mehr herunter.

Aber erſt 1837 gelang es den berühmten Phyſikern Gauß und Weber einen Nadeltelegraphen herzuſtellen, der nur zwei Drähte erforderte, und bei dem alle Zeichen von einer einzigen Nadel gegeben wurden, indem man deren Rechts - und Linksabweichungen in paſſender Weiſe verband. Dieſe Leitung führte von der Sternwarte nach dem phyſikaliſchen Kabinet in Göttingen, die 900 Meter von einander entfernt lagen. Eine Kilometer lange Verbindung zwiſchen der bairiſchen Hauptſtadt und der Sternwarte in Bogenhauſen war 1837 Karl Auguſt Steinheils Werk. Dabei benutzte er die Induktionsſtröme eines magnetelektriſchen Apparates. Einige Jahre ſpäter machte er die für das ganze Tele - graphenweſen ſo überaus wichtige Entdeckung, daß man nur den einen Draht noch brauche und die Rückleitung durch die Erde erfolgen laſſen könne, die ſich dazu ſehr geeignet erweiſt. Wenn dabei auch Elektrizität verloren geht, ſo wird doch ſoviel Leitungsmaterial geſpart, daß die Koſten der elektriſchen Benachrichtigung ſehr herabgeſetzt werden. Zu - gleich hatte Steinheil noch eine Einrichtung getroffen, daß ſelbſt dann, wenn man auf die Bewegungen der Nadel nicht genau Obacht gab, die Nachricht nicht verloren ging. Bei ihren Bewegungen verzeichnete die Nadel nämlich immer Punkte auf einem durch ein Uhrwerk vorbei - geführten Papierſtreifen. So war hier bereits ein Schreibapparat kon - ſtruiert, freilich nicht der vollkommene, den wir bald kennen lernen werden.

Die Nadeltelegraphen ſind heute keineswegs ganz beiſeite gelegt worden, man bedient ſich ihrer vielmehr immer noch mit großem Vorteil dort, wo man über geringe elektriſche Kräfte verfügt. So entſtehen bei der Leitung durch unterſeeiſche Kabel koloſſale Verluſte und daher wird man nur mit feinfühligen Apparaten noch Erfolge erzielen, ſelbſt bei Anwendung urſprünglich großer elektriſcher Kräfte. Man muß dazu die Wirkung des Stroms auf die Nadel möglichſt vervielfältigen. Das geſchieht durch den Multiplikator, welchen Schweigger in Halle noch 1820 gleich nach Örſteds Entdeckung erfand. Der Leitungsdraht iſt hier in ſehr vielen Windungen um eine ſehr feine Magnetnadel herumgeführt. Das giebt ſchon ſtarke Wirkungen, aber man kann das Inſtrument immer feinfühliger machen. 245Die Vorgeſchichte des Telegraphen.Man kann die Nadel verdoppeln, daß ein Magnet ſich innerhalb, der andere außerhalb der Drahtwindungen bewegt, ſo wird ſchon die Wirkung verdoppelt. Man kann ſelbſt die feinſten Bewegungen einer ſolchen Nadel und ſie wird bei der unterſeeiſchen Telegraphie nur ſehr ſchwache Bewegungen ausführen verfolgen, wenn man ihr ein Spiegelchen zu tragen giebt und dieſes mit einer Lampe be - leuchtet. Dann wird man mit einem Fernrohr beobachten können, ob das Licht nach rechts oder links geht. Das iſt im weſent - lichen das Prinzip, welches Thomſon in ſeinem Spiegelgalvanometer verwirklicht hat. Derſelbe hat aber auch einen Apparat gebaut, der bei ſo ſchwachen Strömen ſelbſt noch zum Schreiben befähigt iſt. Der Hauptteil ſeines Heberſchreibers iſt eine Spule auf feinem Drahte, welcher man die Ströme in der einen oder anderen Richtung zuſchickt. Sie iſt beweglich aufgehängt zwiſchen den Polen eines kräftigen Elektromagneten, der aber von der Empfangsſtation aus durch einen beſonderen Strom fortwährend erregt iſt. Dieſer wirkt an - ziehend auf die ſtromdurchfloſſene Spule und dreht dieſelbe bald nach rechts, bald nach links; ſie nimmt dabei einen Glasheber mit, der in ein Tintenfaß taucht, und aus deſſen feiner Spitze fortwährend Tröpfchen auf einen Papierſtreifen fallen. Wenn die Spule in Ruhe iſt, ſo ſteht die Heberöffnung immer über der Mitte des Papierſtreifens, und ſo wird eine punktierte, gerade Linie entſtehen, wenn dieſer durch ein Uhrwerk abgerollt wird. Wenn aber von der Aufgabeſtation aus Ströme in die Spule treten, ſo wird dieſe und der Heber abgelenkt und man ſieht nun auf dem Papier eine Schlangenlinie entſtehen, aus welcher der Kundige die telegraphierte Nachricht abzuleſen verſteht.

Eine raſche Entwickelung konnte das Telegraphenweſen erſt nehmen, als man die Elektromagneten anwenden lernte. Der erſte, der dies ver - ſtand, war der engliſche Phyſiker Wheatſtone. Noch vor Ende des vierten Jahrzehntes unſeres Jahrhunderts erfand er das elektriſche Läutewerk, durch welches er die Aufmerkſamkeit der Empfangsſtation zu erwecken wußte, und dann ſeinen Zeigertelegraphen. Bei beiden ſpielte ein weiches Eiſenſtück die Hauptrolle, welches magnetiſch wurde, ſo oft man den Strom in Windungen herumführt. Im erſten Falle zog es den Glocken - klöppel an ſich, der an die Alarmglocke anſchlug, im zweiten war der Anker des Elektromagneten mit der Hemmung eines Uhrwerks ver - bunden. Dieſes drehte die Zeiger eines Zifferblattes, das ſtatt der Zahlen die Buchſtaben des Alphabetes trug. Durch fortwährendes Öffnen und Schließen des Stromes war man ſo an der Aufgabeſtation in den Stand geſetzt, die Zeiger des Zifferblattes vor einem beſtimmten Buchſtaben Halt machen zu laſſen. Dieſer Apparat iſt noch mehrfach, u. A. von Werner Siemens verbeſſert worden, ohne daß er ſich all - gemeinen Eingang verſchafft hätte, und das lag ſehr einfach daran, daß inzwiſchen ein höchſt einfacher Schreibapparat das Licht der Welt erblickt hatte, der Morſeſche.

246Die elektriſchen Erfindungen.

Die heutige Telegraphie.

Samuel F. B. Morſe, geboren 1791 in Amerika und von Beruf Maler, erfuhr bei einer Reiſe von Europa nach ſeinem Heimatlande zufällig von den damals in Paris angeſtellten elektromagnetiſchen Verſuchen und wurde durch die Schilderung zu dem ſofortigen Be - ſchluſſe gebracht, dieſes ihm vorher ganz unbekannte Feld zu beackern. Schon 1835 hatte er das Modell eines zum Telegraphieren geeigneten elektromagnetiſchen Apparates fertig geſtellt, aber erſt 1844 wurde die erſte Depeſche mit dieſem nach unſeren heutigen Begriffen äußerſt primitiven Schreibtelegraphen zwiſchen Waſhington und Baltimore befördert. Im Jahre 1846 hatte Morſe ſeine erſte Konſtruktion weiter verbeſſert und einen Reliefſchreiber gebaut (Fig. 168).

Fig. 168.

Morſes Schreibtelegraph.

Dieſer beſteht aus einem Elektromagneten b b, der mit der eiſernen Platte a zuſammen ein Hufeiſen bildet. Sein Anker c c iſt beweglich, ſo daß er jedesmal herabgeht, wenn durch die Magnetiſierungs - ſpiralen b b ein Strom geſchickt wird. Nun ſitzt der Anker an einem Meſſinghebel d d, deſſen rechtes Ende immer mit heruntergezogen wird. Sobald aber der Strom geöffnet und damit der Eiſenkern unmagnetiſch wird, ſo wird der Hebel durch die an ſeinem Seitenarme d ziehende Feder f wieder in die alte Lage zurückgeführt. Linker Hand erblicken wir einen Papierſtreifen, der durch ein Uhrwerk mit der gleichmäßigen Geſchwindigkeit von ungefähr 3 cm in der Sekunde fortgezogen wird. Das erſte Rad g deſſelben wird durch ein an ſeiner Welle hängendes Gewicht langſam umgedreht, und es überträgt ſeine Bewegung allmählich247Die heutige Telegraphie.durch mehrere Zwiſchenräder auf die Walze h, welche ſich ſchneller herum - dreht. Zwiſchen dieſer und einer anderen gleich großen Walze r gleitet der Papierſtreifen, welcher von einer höher aufgeſtellten Rolle herkommt. Die Walze r iſt in keiner ſonſtigen Verbindung mit dem Uhrwerke, ſie wird nur durch die Reibung in der entgegengeſetzten Richtung von h bewegt. Der Hebel d trägt an ſeinem linken Ende einen Stahlſtift, der, immer wenn der Anker niedergeht, gegen den Streifen gedrückt wird; da die Rolle c in ihrer Mitte eine Rinne hat, ſo preßt der Stift eine Vertiefung in den Papierſtreifen. Dieſe Vertiefung iſt ein Punkt, wenn der Strom nur für einen Augenblick geſchloſſen iſt, ein Strich, wenn er einige Zeit geſchloſſen bleibt, weil das Papier inzwiſchen weitergeht. An der Aufgabeſtation hat man alſo den Strom einer zur Verfügung ſtehenden galvaniſchen Batterie auf Augenblicke und auf Sekunden zu ſchließen, um auf dem Papierſtreifen der Empfangsſtation eine bunte Folge von Punkten und Strichen in Relief hervorzubringen. Aus Punkten und Strichen aber ſetzen ſich die ein für allemal feſtgeſtellten Buchſtaben des telegraphiſchen Alphabetes und die Ziffern zuſammen, ſo daß jede Nachricht auf dem Streifen abzuleſen iſt. In neuerer Zeit läßt man die Morſeapparate, ſtatt dieſer einfachen Eindrücke lieber mit Farbe ſchreiben, indem man durch den Stift die Streifen gegen ein Farbenrädchen andrückt. So können die Papierſtreifen noch nach langer Zeit als die Belege für jede Depeſche dienen.

Nun muß der aufgebende Telegraphiſt in den Stand geſetzt ſein, den Strom ſicher und ohne Mühe zu ſchließen und zu öffnen. Dazu

Fig. 169.

Schlüſſel zum Morſeſchen Schreibtelegraphen.

dient der Schlüſſel, den wir in Fig. 169 abbilden. Wir erblicken hier drei Meſſingſäulchen a, s und n, welche auf ein Brettchen aufgeſetzt ſind. In dem mittleren a iſt die ſtählerne Achſe des meſſingnen248Die elektriſchen Erfindungen.Hebels f befeſtigt. Eine Stahlfeder g drückt dieſen Hebel von links unten ſo, daß die rechts unten befindliche Meſſingwarze d ſich an das Säulchen s anpreßt. Durch Niederdrücken des Hebels mittels des Handgriffes, kommt andererſeits die Hervorragung mit dem〈…〉〈…〉 ulchen n in Berührung, während die Spitze d ſich hebt, alſo die Verbindung mit s dort unterbrochen iſt. Wir ſehen ferner in jedes der Säulchen einen Draht eingelaſſen. Von dieſen führt L zur nächſten Station, K zu dem einen Pol der Batterie, E ſpaltet ſich alsbald, und der eine Teil geht zu der Umwickelung des Elektromagnets und von dort weiter zu einer in der feuchten Erde liegenden Kupfer - platte, an welcher die Erdleitung einſetzt, die andere Hälfte von E aber führt zum andren Pole der Batterie. Wenn auf beiden Stationen die Schlüſſel ſo ſtehen, wie in der Abbildung, ſo geht kein Strom durch die Leitung, weil ja bei n der Zuſammenhang derſelben unterbrochen iſt. Anders wird es, wenn der Schlüſſel an der Aufgabeſtation niedergedrückt wird, wobei c mit n in Berührung kommt. Dann tritt hier ein Strom durch den Leitungsdraht K in n ein, geht durch den Schlüſſel und, da bei d eine Unterbrechung hergeſtellt iſt, ſo muß er zur Leitung L hinausgehen. Er kommt nun auf die Empfangsſtation, wo der Schüſſel vollſtändig in Ruhe bleibt, dort tritt er bei a ein und, da auf der andern Seite der Batterie die Leitung unterbrochen iſt, ſo ſucht er ſich den Weg zum Elektromagneten und über dieſen zur Erd - platte der Empfangsſtation, kehrt durch die Erde zur Aufgabeſtation zurück und gelangt durch den Draht E in den andern Pol der Batterie derſelben. Es wird alſo nur der Strom dieſer geſchloſſen, die Batterie der Empfangsſtation iſt dagegen unthätig. Wenn der Telegraphiſt eine Depeſche nach einer andern Station ſchicken will, ſo macht er ſich zunächſt durch ſchnelles mehrmaliges Niederdrücken ſeines Schlüſſels bemerkbar. Dann klappert nämlich der Anker des Elektromagneten der Empfangsſtation. Der dortige Beamte antwortet auf dieſelbe Weiſe und ſetzt das Uhrwerk mittels des kleinen Hebels n in Gang. (Fig. 168.) Jetzt drückt der abſendende Beamte auf längere oder kürzere Zeiten ſeinen Schlüſſel nieder, um als Wirkung jene Punkte und Striche auf dem Apparate der Empfangsſtation hervorzubringen. Wenn er den dortigen Beamten über den Schluß der Depeſche in - formieren will, ſo ſetzt er noch einige zwanzig Punkte hinter dieſelbe.

Nun iſt freilich die Sache etwas komplizierter. Soviel iſt ein - zuſehen, daß die Stärke des zum Telegraphieren nötigen Stromes mindeſtens ſo groß ſein muß, daß der Anker c kräftig angezogen wird, damit auch der Stahlſtift mit hinlänglicher Kraft gegen das Papier drücke. Nun geht aber bei einem langen Wege ſehr viel von der Stromſtärke verloren und man müßte auf allen Stationen ſehr große Batterien aufbauen, um auf jede Entfernung hin telegraphieren zu können. Das würde das Verfahren weſentlich verteuern, denn eine Batterie iſt ſchon durch das Zink, das ſie verzehrt, eine ſehr koſtſpielige249Die heutige Telegraphie.Sache. Da hat man ſich auf die folgende Weiſe aus der Verlegenheit geholfen. Jede Station wird mit zwei Batterien verſehen, der Linien - batterie und der Lokalbatterie. Die erſtere beſteht aus ſechs Bunſenſchen Elementen oder einer größeren Anzahl von ſchwächeren, ſogenannten Meidingerſchen Elementen. Bei dieſen ſitzt die Zinkplatte in einer Löſung von Bitterſalz, das Kupfer in einer ſolchen von Kupfervitriol. Sie haben den Vorteil, daß die Füllung nicht ſo bald erneuert zu werden braucht, ſodaß ſie bis zu einem Jahre ununterbrochen im Dienſte ſein können. Aber neben dieſer Linienbatterie iſt noch überall eine aus wenigen Elementen beſtehende Lokalbatterie aufgeſtellt, L B in der Fig. 170. Beide ſind unthätig, ſo lange nicht telegraphiert wird, die zweite ſoll aber ihre Hülfe nur dazu leihen, daß der Schreibapparat kräftig wirke. Wir erblicken denſelben bei S und ſehen rechts noch einen zweiten Elektromagneten M, der im weſentlichen ebenſo eingerichtet iſt, wie jener. Auch er hat einen Anker a, der aber viel leichter beweglich iſt, als der des Schreibapparates. Er würde fortwährend auf M auf - liegen, wenn nicht eine ſchwache, hier nicht ſichtbare Feder, ihn in der Höhe hielte. Er iſt an einem Winkelhebel a b c von

Fig. 170.

Relais des Morſeſchen Schreibtelegraphen.

Eiſen befeſtigt, der mit ſeinem unteren Ende, ſo lange a in der Höhe liegt, gegen einen Schraubenkopf im Ständer drückt. Anders, wenn ein Strom die Spirale M durchläuft, und wenn er auch nur ganz, ganz ſchwach ſein ſollte, dann wird das leichte Ankerchen niedergezogen und das untere Ende des Hebels ſtößt gegen die Schraube t, noch ehe jenes ganz auf dem Eiſenkerne liegt. Es iſt ja ſehr leicht beweglich und hat auch nur einen ganz kleinen Weg zurückzulegen, alſo braucht es nur den ganz ſchwachen Strom, der von der Linienbatterie der Aufgabe - ſtation geliefert wird.

Dieſer Apparat, das Relais genannt, hat nun nur den Zweck, den Schreibapparat S in den kurzen Stromkreis der Lokalbatterie L B einzuſchalten. Wir können leicht verfolgen, daß er dies erreicht. Der eine Pol derſelben iſt ja durch einen Draht mit der Meſſing - platte p verbunden, und dieſe ſteht durch den Ständer mit dem Winkelhebelarme b c in leitender Verbindung. Vom anderen Pole der Batterie geht aber der Schließungsbogen in vielen Windungen um den Elektromagneten des Schreibapparates S und von dort zur Schraube t,250Die elektriſchen Erfindungen.die von der Unterlage p durch ein Stückchen Hartgummi iſoliert iſt. So lange der Hebel ſo liegt, wie in der Figur, iſt alſo der Strom der Lokalbatterie zwiſchen c und t geöffnet, geht aber durch den Linien - ſtrom der Anker a nach unten und der Arm b c nach links, ſo iſt der Lokalſtrom im Schreibapparate wirkſam. Wegen der Kürze ſeines Schließungsbogens iſt dieſer Strom kräftig genug, um den Schreibhebel zur Arbeit zu bringen. Der Telegraphiſt, welcher in der Aufgabeſtation den Schlüſſel niederdrückt, ſendet damit den Strom ſeiner Linienbatterie durch die Umwickelungen der beiden Relais, wodurch er den Strom jeder der beiden Lokalbatterien ſchließt und bewirkt, daß die Anker beider Schreibapparate angezogen werden. Auf nicht zu große Entfernungen hin läßt ſich freilich die Hülfe der Relais ganz entbehren, wenigſtens bei Anwendung des weniger Kraft erfordernden Farbeſchreibers.

Morſes Apparat, zuerſt in Amerika angewendet, kam bald auch in England und ſpäter auf dem europäiſchen Kontinente in Aufnahme. 1883 gab es in England 1330, auf dem Kontinente 40000 Morſe-Apparate. Der Fortſchritt, den das geſamte Verkehrs - weſen dieſer einfachen Anwendung der Elektrizität verdankt, iſt ein ungeheurer, ſie zeugte andererſeits eine Fülle neuer Fortſchritte auch im Charakter der Apparate, in ihrer Art zu arbeiten und in der Leiſtungs - fähigkeit des Beamtenkörpers. Sorgfältige Beachtung aller Einzelheiten, tüchtiges und fleißiges Arbeiten und eine ſtrenge Kontrole haben dem elektriſchen Telegraphen einen Charakter aufgeprägt, der ihn mit jedem anderen Werkzeug in der Welt den Kampf aufnehmen läßt. Die fernere Entwickelung der Telegraphie iſt ein ausgezeichnetes Beiſpiel davon, daß in der Wiſſenſchaft, wie in der Natur, alles wächſt mit der Pflege, die ihm zukommt, alles Beſtehende zu Grunde geht und nur dasjenige, was am meiſten allen Bedürfniſſen angepaßt iſt, erhalten bleibt. Man hat verſchiedene Arten zu telegraphieren eingeführt, aber von allen Maſchinen iſt es eine, die in Europa ſich am meiſten eingeführt hat und der in Plan und Ausarbeitung keine gleichkommt, nämlich der prächtige Typendrucktelegraph, den Profeſſor Hughes in Amerika 1855 erfand, und der ſich in den ſechziger Jahren auch in Deutſchland ein - führte. Er wird ausſchließlich verwendet von der ſubmarinen Geſell - ſchaft zwiſchen England und dem europäiſchen Feſtlande und iſt neben dem Morſe-Apparate das in der internationalen Telegraphie über ganz Europa verwendete Inſtrument. Es arbeitet direkt zwiſchen Paris und Konſtantinopel. Aber wegen ſeiner Teuerkeit und der ſchwierigen Be - dienung iſt es nur an größeren Plätzen in Gebrauch. Es beſteht aus einer Klaviatur als Aufgabe-Apparat und einem Rade mit Buchſtaben - typen an ſeinem Umfange als Empfangsapparat. Wird dort eine Taſte angeſchlagen, ſo dreht ſie hier das Rad ſoweit, bis der gewünſchte Buchſtabe unten zu ſtehen kommt und der abrollende Papierſtreifen ſich an die geſchwärzte Letter anlegt. Man erhält dann die Depeſche in lateiniſchen Typen gedruckt.

251Die heutige Telegraphie.

Man kann mit dem elektriſchen Telegraphen nicht blos eine Bot - ſchaft in der einen Richtung ſenden, ſondern auch zwei gleichzeitige Nachrichten in entgegengeſetzten Richtungen man nennt dies das Gegenſprechen oder auch zwei Depeſchen zur ſelben Zeit in der - ſelben Richtung bei dem ſogenannten Doppelſprechen. Nun wird man weitergehend auch gleichzeitig zwei Botſchaften nach der einen und zwei nach der anderen Richtung ſchicken können und erreicht ſo ein vierfaches Telegraphieren. Aber die Einrichtungen hierfür ſind verwickelt, und es iſt mit ihnen noch nicht viel Zeit erſpart worden. Um dies zu erreichen, hat man vielmehr ſich anderen Apparaten zugewendet. Da iſt zunächſt in Anlage, Leiſtungsfähigkeit und Anpaſſung an die geſtellte Aufgabe unerreicht Wheatſtones Selbſtſchreiber. Bei ihm benutzte man Morſes Alphabet und erſetzte durch einen Mechanismus die Arbeit der Hand. Selbſt beim vierfachen Sprechen laſſen ſich nur 20 bis 30 Worte innerhalb einer Minute durch denſelben Draht ſenden, aber durch den Selbſtſchreiber kann man dieſes Maximum faſt ins Grenzenloſe erhöhen und in der Minute unter günſtigen Verhältniſſen bis 600 Wörter be - fördern, ſodaß in England, als dieſes Syſtem ſich einbürgerte, die Zahl der Depeſchen in drei bis vier Jahren um 230 Prozent zunahm, während die Zahl der Drähte ſich blos verdoppelte. Man präpariert dabei die aufzugebenden Nachrichten erſt durch einen Mechanismus. Anſtatt ſie gleich mit der Hand abzuſenden, ſtanzt man ſie in Papier und ſie ſehen dann aus wie die Karten für die Jaquardmaſchinen (vgl. Weberei). Dieſes Papier wird nun durch einen Aufgabe-Apparat hindurchgeführt, ſo ſchnell, daß die Geſchwindigkeit die zwanzigfache des ſchnellſten Telegraphiſten iſt. Der Apparat wird namentlich in der vom Engländer Stroh vorgenommenen Verbeſſerung zur Übermittelung von langen Preßtelegrammen gebraucht. Einige Beamte ſtanzen in der Zentralſtation mehrere Papiere zugleich, welche in die Aufgabe-Apparate gelangen und in demſelben Augenblicke kann man die Nachricht in die verſchiedenſten Himmelsgegenden hinausſenden, jeder Streifen geht durch ſeinen beſonderen Apparat, alle ſind ſie gleich, alle geben ſie an die Endſtationen die gleiche Botſchaft ab, ſo daß durch dieſes Verfahren wer weiß wie viele Schreiber zugleich an vielen Stationen Beſchäftigung erhalten. Denſelben Zweck ſucht man jetzt in Frankreich für den Ver - kehr zwiſchen Paris und den Hauptbörſenplätzen durch ein anderes Syſtem, nämlich den Multiplexapparat von Meyer und Baudot zu erreichen. Eine Zeiteinheit, etwa eine Fünftelſekunde, wird in vier oder mehr Abſchnitte zerlegt und jeder Abſchnitt einem paar Telegraphiſten an den beiden Enden einer Leitung zugeteilt, einem Abſender und einem Empfänger. In jedem Zeitabſchnitte läßt ſich ein Buchſtabe ab - ſenden, ſo daß zur ſelben Zeit vier Nachrichten in der Übertragung begriffen ſein können. Man erhält ſo mit Typendruckapparaten einen Gewinn an Zeit, aber der verwendete Apparat iſt ſehr verwickelt und delikat.

252Die elektriſchen Erfindungen.

In neueſter Zeit ſind die läſtigen und nur geringe Stromſtärke entfaltenden Batterien an vielen Stellen in ihrer Arbeit durch Dynamo - maſchinen erſetzt worden. Bahnbrechend ging in dieſer Hinſicht die von Hughes in New-York ins Leben gerufene Weſtern Union Telegraph Company vor, welche im Vereine mit anderen in Amerika das dort nicht in Staatshänden befindliche Telegraphenweſen verwaltet. So ſind dort in Boſton auf dem Betriebsamte ſeit 1881 einige Sekundärdynamos aufgeſtellt, die von den dortigen Elektrizitätswerken mit Strom verſehen werden und hier nicht als Bewegungsapparate dienen, ſondern ihren Strom in die Leitungen weiterſenden. Hier iſt kein einziges galvaniſches Element mehr zu finden. In Berlin hat man es ſeit 1889 mit einem etwas anderen Syſteme verſucht. Auf dem Haupttelegraphenamte ſteht hier auch eine Dynamomaſchine, die ihren Strom ſelbſtſtändig, durch einen achtpferdigen Gasmotor getrieben, erzeugt; ſie dient aber nur zur Reſerve, im allgemeinen liefern die ſtädtiſchen Elektrizitätswerke den Strom. Aber dieſer wird nicht direkt in die Leitungen gelaſſen, weil er dann wohl zu heftige Wirkungen mit ſich brächte, ſondern er dient nur um eine große Sekundärbatterie zu laden, die ihrerſeits jeden Strombedarf deckt, ſo daß man auch hier die unbequemen Kupfer - Zink-Elemente ganz umgehen kann. Es ſind 25 Sammlerbatterien in Betrieb geſetzt worden, deren Strom 68 Leitungen verſorgt, in welchen 41 Morſe - und 27 Hughes-Apparate arbeiten. Wenn die Batterien zehn Tage gearbeitet haben, ſo werden ſie mit Hülfe des Stromes der[Elektrizitätswerke] oder der Dynamomaſchine von neuem geladen. Auf der New-Yorker Centrale der genannten amerikaniſchen Geſellſchaft, die bisher 10000 galvaniſche Elemente in Thätigkeit hatte, ſind jetzt 21 Dynamomaſchinen in Thätigkeit, die den geſamten Strombedarf liefern. Dadurch wird Raum und Mühe geſpart.

Wir müſſen auch über die Telegraphenleitungen ein paar Worte ſagen. Man benutzt oberirdiſche, unterirdiſche und unterſeeiſche Ver - bindungen. Die erſten kennt jedes Kind, denn es ſieht die langen Holzſtangen, an welche die Porzellan-Iſolatoren mit eiſernen Stützen ange - ſchraubt ſind. An dieſen iſt der Leitungsdraht befeſtigt; gewöhnlich genügt Eiſendraht, der zum Schutze galvaniſch oder auf anderem Wege verzinkt wird. Erſt neuerdings kommt auch Bronze in Aufnahme. Die unter - irdiſchen Linien beſtehen aus Kupferdrähten, die mit Guttapercha iſoliert ſind. Um einen Kabel von vier bis ſieben Adern kommt noch eine Schutz - hülle von verzinkten Eiſendrähten. Die deutſche Telegraphenverwaltung hat über ganz Deutſchland ein Netz ſolcher Kabel verteilt, beſonders um die militäriſch-wichtigen Orte in direkter Verbindung mit einander zu haben. So ſind unter den 98391 Kilometern, welche das Liniennetz Deutſchlands aus machen, 5648 Kilometer unterirdiſche Leitungen.

Der Wunſch, auch über die Grenzen des Landes hinaus, Nachrichten zu verbreiten, ſtieß lange auf den zähen Widerſtand der Ozeane. Zwar war bereits 1851 die kurze Verbindung zwiſchen Frankreich und England253Die heutige Telegraphie.hergeſtellt, aber der atlantiſche Ozean wehrte ſich beharrlich die ihm anvertrauten Kabel in Schutz zu nehmen. 1858 war bereits die Ver - legung einer Leitung gelungen, aber ſie hielt kaum einen Monat ſtand, ſo hatte das Seewaſſer ſeine ländertrennende Kraft behauptet. Die Urſachen des Mißerfolges zu ſtudieren, ſetzte die engliſche Regierung einen Ausſchuß nieder, dem Wheatſtone und die Gebrüder Siemens an - gehörten. Die Störungen wurden hauptſächlich durch einen mangel - haften Kabelbau entſchuldigt, und für die Ausführung eines guten Kabels ward eine Geſellſchaft gewonnen, die 1865 das größte Schiff der Welt, den Great Eaſtern, über den Ozean ſandte. Es zeigte ſich, daß die Einrichtungen noch mangelhaft waren, da das Kabel riß und das Schiff unverrichteter Sache umkehren mußte. Im nächſten Jahre gelang es ſchließlich, die erſte Verbindung zwiſchen dem Inſelchen Valentia und der Bank von Neufundland, zwiſchen der alten und neuen Welt herzuſtellen. Die Arbeit iſt nicht zu unterſchätzen. Das Kabel war 17 Millimeter, an ſeinen Enden gar 56 Millimeter dick und das Gewicht betrug über 1500 Tonnen. Dabei waren die Einrichtungen des Schiffes keinesweges der ſchwierigen Aufgabe angepaßt, die es über - nommen hatte. Heute giebt es nicht weniger als 27 Kabelſchiffe, welche mit nichts anderem, als dem Legen und Ausbeſſern unterſeeiſcher Leitungen befaßt ſind. Sie ſind mit einer rieſigen Trommel zum Auf - wickeln des Kabels und mit einem beſonderen Verſenkungsapparat ver - ſehen und führen jetzt ihre Arbeiten mit einer ganz anderen Gewandt - heit aus, als der Great Eaſtern. Die Zahl der großen Ozeankabel iſt jetzt für die Verbindung der alten und neuen Welt allein auf zwölf geſtiegen, von denen acht England mit Nordamerika verketten. Selbſt der ſtille bisher von keiner telegraphiſchen Nachricht durchquerte Ozean erhält jetzt eine Kabellinie von Kalifornien nach den Sandwichinſeln. Nur die neueſten ſind in den Händen der Regierungen, die allermeiſten Linien ſind das Eigentum beſonderer Kabelgeſellſchaften. Ihre geſamte Länge iſt fünfmal ſo groß als der Erdumfang. Die Geſamtlänge aller zur Zeit auf der Erde verlegten Telegraphenleitungen aber iſt mit 3200000 Kilometern mehr als achtmal ſo groß, wie die Entfernung der Erde vom Monde. Ihr Geſamtwert beträgt fünf Viertelmilliarden Mark, wovon die unterſeeiſchen Kabel zwei Drittel repräſentieren. So ſind in den letzten 25 Jahren etwa zwei Milliarden in Telegraphen - anlagen feſtgelegt worden, um dem geſteigerten Verkehr zu dienen und damit den Wohlſtand der Nationen zu heben.

Auch die Aufgabe hat man ſich vielfach geſtellt, Bilder und Hand - ſchriften in genauer Nachahmung in kurzer Zeit auf weite Entfernungen zu übertragen. Offenbar würde die Löſung dieſer Aufgabe von mannig - facher Bedeutung ſein. Man braucht garnicht an die Verfolgung von Verbrechern zu denken, deren Bilder ſchnell in die weite Welt telegraphiert werden könnten, die heutige, ſchnelle Nachrichten verlangende Geſellſchaft will auch raſch durch das Bild über die neueſten Geſchehniſſe unter -254Die elektriſchen Erfindungen.richtet ſein. Dieſem Bedürfniſſe ſucht jetzt z. B. eine in London täglich erſcheinende illuſtrierte Zeitung Rechnung zu tragen. Aber freilich iſt es mit der Löſung unſerer Aufgabe noch nicht weit her, obgleich viel Scharfſinn auf die Erfindung eines geeigneten Bildertelegraphen ver - wendet ward. Der erſte, der einen Kopiertelegraphen baute, war der Engländer Bakewell (1848), einen anderen, den ſogenannten Pan - telegraphen, konſtruierte Caſelli in Florenz 1865, welcher vorübergehend zwiſchen Paris und Lyon in Gebrauch war. An jeder der beiden Stationen befindet ſich eine Metallplatte, die mit einem Pole der Batterie in leitender Verbindung ſteht. Auf der einen liegt ein Blatt Papier, welches mit gelbem Blutlaugenſalz durchtränkt iſt, auf der anderen ein Stanniolblatt. Wird durch die Salzlöſung ein galvaniſcher Strom geführt, ſo zerſetzt ſie ſich und es entſteht Berliner Blau. Man kann dieſe Zuleitung einfach durch einen Metallſtift geſchehen laſſen, den man über die Platte hinführt. Wo der Strom unterbrochen wird, da bleibt die Blaufärbung des Papiers aus. Auf das Stanniolblatt der Aufgabeſtation wird das Bild oder die Depeſche mit Harzlöſung aufgezeichnet. Nun iſt eine ſehr ſinnreiche Einrichtung getroffen, daß auf beiden Stationen ein Griffel mit derſelben Geſchwindigkeit in vielen parallelen Linien nacheinander über die Platten gleitet und, wo er metalliſche oder feuchte Verbindung mit dieſen hat, einen Strom ſchließt. Dieſer iſt natürlich an der iſolierenden Harzſchicht unterbrochen und ſo wird an den entſprechenden Stellen der andern Station die Blau - färbung ausbleiben. Es wird ſich alſo als Kopie des Bildes ein weißes Bild auf blauem Grunde ergeben, das aus lauter parallelen Strichen beſteht. Die Ausführung ſetzt natürlich voraus, daß beide Griffel ſich höchſt gleichmäßig über die Platten bewegen, und das ge - ſchieht durch zwei Pendel, die auf elektriſchem Wege in Übereinſtimmung gehalten werden. Es iſt klar, daß man nur höchſt unvollkommene Nachbildungen auf dieſem Wege erlangt hat, und das allerneueſte Ver - fahren von Amſtutz in Cleveland (1891) zeigt auch noch große Mängel. Derſelbe benutzte die Eigentümlichkeit einer chromierten Gelatineſchicht, daß ſie bei Belichtung in heißem Waſſer unlöslich wird. Man kann alſo auf photographiſchem Wege ein Bild, etwa ein Portrait, auf die Platte bringen. Dieſes wird auf einen der Phonographenwalze nach - gebildeten Cylinder gebracht und ähnlich wie beim Pantelegraphen von einem Stifte mit einer hier ſpiraligen Linie überzogen, wodurch ein galvaniſcher Strom bald ſtärker bald ſchwächer wird, und auf einer Wachswalze der Empfangsſtation durch einen Griffel ein entſprechendes Bild gezeichnet wird, wenn beide Walzen gleiche Umdrehungsgeſchwindig - keiten haben. Wenn die Reſultate noch viele Mängel aufweiſen, ſo iſt doch zu hoffen, daß die Vervollkommnung dieſes Verfahrens die telegraphiſche Übermittelung von Bildern erlauben wird.

255Die Wohlthaten der Telegraphie.

Die Wohlthaten der Telegraphie.

Es giebt kaum noch eine ſo wohlthätige Einrichtung, wie die Telegraphie. Sie iſt nicht nur die ſchnelle Ubermittlerin weltbewegender Nachrichten in weite Ferne, ſie waltet auch im Hauſe als die uns vor Überfall ſchützende Wächterin, ſie bezähmt und bewacht des Feuers Macht, ſie beugt den Unfällen der Eiſenbahnen vor und ſchützt das Menſchenleben im Fabrikbetriebe. Im Hauſe hat ſie zunächſt zu einer Entwickelung des Signalweſens geführt, für welche ſich die Elektrizität und die Kraft des Luftdruckes als gleich tüchtige Dienerinnen erwieſen haben. Zu Diebesſicherungen zeigte ſich die erſtere einzig geeignet. Wenn eine unbefugte Öffnung der Thür oder des Fenſters geſchieht, ſo wird dies ſofort durch ein Läutewerk gemeldet. Am Tage kann man den Strom irgendwo unterbrechen, ſo daß die Ausgänge des Hauſes ſich ohne Störung öffnen laſſen. Erſt abends werden die Verbindungen hier geſchloſſen, an den Fenſtern und Thüren dagegen geöffnet; jeder Einbruch in dieſelben ſchließt aber den Strom und das Glockenſignal ertönt, während an einem Tableauanzeiger die Stelle des Einbruchs ſich anzeigt. Für das Feuerlöſchweſen haben ſich die Telegraphen ein großes Verdienſt erworben. 1851 wurden zuerſt von Siemens & Halske Feuermelder in Berlin eingeführt. Auf den Berliner Straßen ſtehen ſelbſtthätige Zeichengeber, die im Falle einer Feuersnot leicht in Thätigkeit zu ſetzen ſind. Man braucht nur ihre Glasthür zu zer - brechen und eine Taſte niederzudrücken, ſo meldet der Telegraph ſofort der Zentralſtelle den Ort des Melders, in deſſen Gebiete die Feuers - not ausgebrochen iſt. Die Organiſation iſt eine derartige, daß von der Zeit der Meldung bis zum Erſcheinen der Feuerwehr nur wenige Minuten vergehen.

Die Anwendung der Telegraphie zur Sicherung des Eiſenbahn - betriebes iſt außerordentlich ausgedehnt, ohne ſie wäre derſelbe auf Strecken mit regem Verkehr gar nicht möglich. Die zur Sicherung des Zugverkehrs auf Bahnhöfen und Bahnſtrecken in Anwendung kommenden Apparate ſind ſo eingerichtet, daß ſie auf mechaniſchem oder elektriſchem Wege von der Stellung der Signale, Weichen, Barrièren, Drehbrücken, Drehſcheiben u. ſ. w. ſowie auch vom Zuge ſelbſt abhängig gemacht werden, und daß ihre Bedienung zur Regelung des Zugverkehrs zwangsweiſe erfolgen muß. So ſind z. B. zwiſchen weit entfernten Stationen, zwiſchen denen die Züge in raſcherer Reihenfolge hinter einander herfahren ſollen, ſogenannte Blockſtationen eingerichtet und mit Signalen ausgerüſtet, die dem Blockwärter von der benachbarten Station aus die Kenntnis von dem dort Ge - ſchehenden geben. Ein elektriſcher Blockapparat, wie ihn ſo eine Block - ſtation beſitzt, beſteht aus einem eiſernen Kaſten, der an ſeiner Vorderſeite zwei Fenſterchen hat, von denen jedes für eine Fahrtrichtung beſtimmt256Die elektriſchen Erfindungen.iſt. Durch eine ſeitlich davon angebrachte Kurbel wird ein elektriſcher Strom geſchloſſen, welcher die Farbe des Blockfenſterchens verändert, wenn gleichzeitig ein über dem Fenſterchen ſitzender Knopf gedrückt wird. Zeigt es die weiße Farbe, ſo kann das Signal zur Weiterfahrt des Zuges gezogen werden, ſolange es aber rot iſt, darf der gerade in der Fahrt begriffene Zug dieſelbe nicht fortſetzen. Ebenſo ſind Signale am Zuge ſelbſt angebracht, und den Bahnwärtern wird in ihren Buden angezeigt, ob der Zug auf dem richtigen Geleiſe fährt, ob ſich unterwegs nicht vielleicht ein Wagen losgelöſt hat, ob ein Sonderzug zu erwarten iſt u. ſ. w. Alles dies erfährt der Wärter durch die ver - ſchiedene Zahl der Töne eines elektriſchen Läutewerks. Ähnliche Einrichtungen, wie auf den Blockſtationen, ſind auch auf größeren Bahnhöfen. Der Blockapparat erlaubt hier die ſofortige Einſtellung der für die einzelnen Geleiſe paſſenden Signale. Das ſind nur wenige Beiſpiele der ausgedehnten Verwendung der Telegraphie im Eiſen - bahndienſt.

Ihre Tauglichkeit als Warnerin beweiſt die Elektrizität auch im Bergwerksbetriebe. Die ſchädlichen Wirkungen, welche hier das Ent - ſtehen von Grubengaſen mit ſich führt, ſind allgemein bekannt. Als ſchlagende Wetter vernichten ſie, was der Fleiß von tauſend Händen ſchafft, vernichten ſie das Leben des ihnen auf Gnade oder Ungnade verfallenen Bergmannes. Der telegraphiſche Apparat aber läßt ſeinen Warnungsruf zur rechten Zeit ertönen, auf daß er ſich retten könne. Das Grubengas hat nämlich die Eigentümlichkeit, daß es leichter als die atmoſphäriſche Luft iſt. Nun hat man die Erſcheinung wahr - genommen, daß, wenn zwei Gaſe durch eine poröſe Wand, etwa eine Thonzelle oder einen Gipspfropfen getrennt ſind, das leichtere ſchneller durch dieſelbe hindurchgeht, als das ſchwerere. Es wird alſo auf der Seite des ſchwereren Gaſes zuerſt eine größere Gasmenge ſich einfinden, als auf der andern und dieſe Gasmenge wird einen gewiſſen Druck ausüben, den man nun benutzen kann, um einen elektriſchen Strom zu ſchließen. Eine Glocke, die in den Stromkreis eingeſchaltet iſt, wird alſo durch ihr Läuten ſofort die Entſtehung des Grubengaſes anzeigen. Ähnlich ſind die Leiſtungen der Elektrizität im Fabrikbetriebe. Sie meldet an einer weit entfernten Stelle, wenn das Waſſer im Dampf - keſſel zu niedrig ſteht und verhütet ſo die ſchrecklichen Exploſionen, die das zur Folge haben kann. Sie tritt als erſte Helferin zu dem Un - glücklichen, der in das Getriebe der Maſchinen hineingerät. Die elek - tromagnetiſche Sicherheitskuppelung von Siemens & Halske ſchaltet ſelbſtthätig den Riemen oder den Maſchinenteil aus, von dem ein Arbeiter erfaßt iſt, und zwar in ſo kurzer Zeit, daß die Vergrößerung des Unfalles verhütet wird. Dabei wird im Übrigen der Betrieb der Fabrik nicht geſtört, ſondern nur der Teil, in welchem ſich das Unglück zutrug, gelangt ſofort zur Abſtellung. Die Telegraphie meldet dem257Die telegraphiſche Zeitverſorgung.wachſamen Gärtner, wenn in einem ſeiner Gewächshäuſer die Temperatur zu hoch wird und den Pflanzen ſchaden könnte. Das Queckſilber des dort befindlichen Thermometers ſchließt nämlich, wenn es einen be - ſtimmten Punkt erreicht, einen galvaniſchen Strom, der ein Läutewerk in Thätigkeit ſetzt.

Die telegraphiſche Zeitverſorgung.

Und ſo giebt es ſchließlich nichts, was uns nicht durch die Elektrizität bekannt gegeben würde. Selbſt die Zeit zeigt ſie uns an. Aber haben wir nicht vernommen, daß dieſe uns durch gute Uhren bis auf die Sekunde genau geliefert wird, und glaubt nicht jeder von uns, daß ſeine Uhr richtig genug gehe, um ihn wenigſtens auf die Minute pünktlich ſein Werk verrichten zu laſſen? Es iſt von keiner der gewöhnlichen Taſchen - oder Wanduhren zu verlangen, daß ſie ihren richtigen Gang immer innehalte. Gute Uhren, von denen man das verlangen kann, ſind von ſchwer erſchwinglichem Preiſe. Es kommt aber an vielen Stellen auch darauf an, Uhren in genau gleichem Gange zu erhalten, ſo z. B. im Eiſenbahnbetriebe. Welche Störungen kann hier nicht eine Abweichung der einen von der anderen Uhr zur Folge haben! Nun braucht man ſich durch die Elektrizität ja blos die richtige Zeit von einer beſtimmten Centralſtation aus telegraphieren zu laſſen, und das geſchieht z. B. einmal täglich an alle deutſchen Telegraphenämter. Aber wäre es nicht beſſer, wenn die elektriſche Kraft ſelbſtthätig das Regulieren der Uhren beſorgen könnte, ohne daß man ſie jedesmal ſtellen oder die mitgeteilte Zeitkorrektur in Betracht ziehen müßte? Die Elektrizität hilft auch hierzu. Es giebt vielerlei elektriſche Uhren, die von einer Zentrale aus mit Zeit verſorgt werden. In Berlin ſind zwei von dieſen Syſtemen jedem bekannt. Das eine von Hipp erfundene iſt auf der Stadtbahn in Verwendung. Die Zentrale befindet ſich da auf dem ſchleſiſchen Bahnhofe und die Uhren, die man in den Bahnhofs - hallen ſieht, ſind kaum etwas mehr als bloße Zifferblätter. Jedesmal nach einer Minute ſchließt das Pendel der Zentraluhr einen elektriſchen Strom und die Zeiger aller Zifferblätter gehen damit um einen Teil weiter. Die Zentraluhr kann nun entweder eine gewöhnliche gut gehende Uhr ſein, oder ſie kann mit Hülfe einer ſolchen, wie ſie z. B. die Sternwarten beſitzen, auf elektromagnetiſchem Wege reguliert werden. Dieſes Syſtem ſehen wir in den Berliner Normaluhren verwirklicht. Hier ſind nicht bloße Zifferblätter vorhanden, ſondern jede Uhr hat ihr beſonderes Gangwerk, das aber mit demjenigen einer Uhr auf der Sternwarte ſo in elektriſcher Verbindung ſteht, daß die Pendel beider ſtets gleiche Zeiten zum Durchlaufen ihrer Wege gebrauchen. Iſt eine von dieſen Uhren trotzdem um mehr als eine halbe Sekunde zurück oder vor, was ſie ſelbſtthätig täglich auf der Sternwarte meldet, ſoDas Buch der Erfindungen. 17258Die elektriſchen Erfindungen.kann ſie dort mit einer ſchneller oder langſamer gehenden Uhr ver - bunden werden, bis ſie die Differenz eingeholt hat. Aber natürlich ſind nur wenige ſolcher teuren und komplizierten Werke über die Stadt verteilt. Sollte es nicht möglich ſein, auch im Zimmer allezeit zu wiſſen, welches die richtige Zeit iſt?

Man hat zur Erreichung dieſes Zweckes bereits vielfach die Elektrizität zu benutzen verſucht. Es ſtellten ſich indes dabei techniſche Schwierigkeiten heraus, deren Bewältigung nur bei verhältnismäßig geringem Umfange einer ſolchen Anlage möglich iſt. Die erforderlichen elektriſchen Ströme brauchen zwar nur ziemlich ſchwach zu ſein, müſſen aber einen beſonders hohen Grad von Gleichförmigkeit beſitzen, wenn ſie den atmoſphäriſchen Einflüſſen mit der gehörigen Widerſtandskraft entgegenwirken und dabei eine große Anzahl von Uhren in Gang halten ſollen. Störungen ſind ſchließlich unvermeidlich, und Schäden, die in der Leitung oder im Apparate entſtehen, ſind oft nicht leicht zu reparieren. Deshalb iſt ein ſolches Unternehmen für elektriſche Uhren auch immer nur in kleinem Umfange zur Ausführung gekommen. Da - gegen beſtand bereits vor mehreren Jahren in Paris die Compagnie générale des horloges pneumatiques, welche es unternommen hatte, dieſe Uebertragung der Zeit von gewiſſen Centralpunkten aus durch den Luftdruck beſorgen zu laſſen. Die Kraft, welche die Rohrpoſtbriefe von einem Stadtteil zum anderen treibt, ſie war hier zu einer eigen - tümlichen Regelung vieler weithin zerſtreuter Uhren oder beſſer von Zeigerwerken verwendet. Dieſe Apparate waren, wie auf der Berliner Stadtbahn, keine ſelbſtändigen Uhren, die durch Gewichte oder Federn im Gange erhalten werden, ſondern eigentlich nur Zifferblätter, deren Zeiger durch den Luftdruck ſelbſt fortbewegt wurden. Natürlich waren für dieſe Arbeit immerhin beträchtliche Kräfte erforderlich. Die Spannung der Luft mußte jede Minute in dem vielfach veräſtelten Rohre von 10 km Geſamtlänge auf Atmoſphären vermehrt werden. So waren kräftige Maſchinen erforderlich, und dementſprechend wurden auch die Koſten der Einrichtung nicht unbeträchtliche. Deshalb machte der Er - finder der pneumatiſchen Uhren, der Ingenieur Mayrhofer, in den neueren Einrichtungen von dieſem Springſyſtem keinen Gebrauch mehr. Die einzelnen Uhren, die er ſpäter verwendete, ſind nicht mehr bloße Ziffer - blätter mit Zeigern, ſondern wirkliche Pendeluhren, die auch ohne die Einwirkung des Luftdruckes ihren Lauf fortſetzen und nach einmaligem Aufziehen acht Tage lang im Gange bleiben, ehe ſie abgelaufen ſind. Der Luftdruck ſoll hier in erſter Linie nicht das treibende, ſondern das regelnde Prinzip ſein. Durch eine ſinnreiche Kombination wird er aber zugleich dem weiteren Zwecke dienſtbar gemacht, die Uhren gar nicht ablaufen zu laſſen. Die Einzelheiten ſind folgende:

Eine Hauptuhr wir wollen ſie aus ſpäter zu erörternden Gründen die Gruppenuhr nennen, welche ſich durch einen beſon -259Die telegraphiſche Zeitverſorgung.ders gleichmäßigen Gang auszeichnet, hat die Aufgabe, die ihr unter - geordneten Uhren ſtets nach Ablauf einer Stunde genau zu ſtellen und zu gleicher Zeit ſoweit wieder aufzuziehen, als dieſelben inzwiſchen ab - gelaufen ſind. Dazu ſind die einzelnen Uhren in ein Kreisrohr ein - geſchaltet, das bei der Gruppenuhr anfängt und endigt. In dieſem Kreisrohr wird nun die Luft nicht mehr verdichtet, ſondern vielmehr ſoweit verdünnt, daß ſie etwa nur Atmoſphären Spannung hat. Das geſchieht auch durch keine koſtſpielige Pumpenvorrichtung mehr, ſondern die Luft wird durch das Ausſtrömen einiger Liter Waſſer aus der Waſſerleitung aus dem Röhrenſyſtem herausgeſaugt, ähnlich wie dies bei dem vielfach verwendeten Waſſerſtrahlgebläſe geſchieht. Das Waſſer kommt jedoch mit den Uhren ſelbſt in keine Berührung, ſondern läuft einfach weg. Die dabei entwickelte Kraft iſt ungemein groß: ſie genügt, um Gewichte von mehreren Zentnern zu heben, und der Er - finder berechnet die Zahl der Uhren, die ſich durch eine einzige Gruppen - uhr verſorgen laſſen, nach Tauſenden. Dabei hat das täglich ver - brauchte Waſſer einen Wert von nur wenigen Pfennigen; alſo die Ver - ſorgung läßt in Beziehung auf Billigkeit nichts zu wünſchen übrig. Da die Gruppenuhr in ihrem Gange möglichſt wenig geſtört werden ſoll, und vielleicht auch weil ihren Gewichten nicht noch dieſe Arbeit zugemutet werden darf, wird die Auslöſung der Waſſermenge nicht von ihr ſelbſt, ſondern erſt indirekt hervorgebracht. Die Uhr löſt nur einen kleinen, elektriſchen Hilfsapparat aus, der ſeinerſeits den Ausweg für das Waſſer freizumachen beſtimmt iſt. Durch dieſes Auspumpen der Luft wird nun an jeder der einzelnen Uhren ein Hebelwerk in Bewegung geſetzt, das einmal die Zeiger der Uhr richtet, wenn ſie nicht die volle Stunde genau angeben ſollten, und zugleich die Arbeit des Aufziehens beſorgt. Die Einzeluhren werden ſicher ſchon nahezu richtig gehen, ſie werden in der Stunde kaum jemals um einen für das Auge wahr - nehmbaren Betrag zurückbleiben oder voraneilen, aber ſelbſt wenn dieſer Fehler bedeutend größer würde, ſo würde trotzdem die Richtigſtellung ſtets nach Ablauf einer Stunde erfolgen. Nachdem die Gruppenuhr in dieſer Weiſe die Einzeluhren gerichtet und zugleich mit neuer Kraft geſpeiſt hat, bringt ſie nun auch ſelbſtthätig wieder die Luft in dem Röhrenſyſtem auf die Spannung der Atmoſphäre. Das Ganze voll - zieht ſich im Laufe weniger Sekunden.

Sollte die Wirkung der Waſſerleitung einmal ausbleiben, weil ſie etwa wegen Froſtwetters oder einer Feuersbrunſt abgeſperrt werden mußte, ſo wird dadurch kein Schaden herbeigeführt, weil gerade des - halb die Einzeluhren ſo eingerichtet ſind, daß ſie, einmal aufgezogen, acht Tage lang im Gange bleiben.

Für die Einführung dieſes Uhrenſyſtemes in Berlin arbeitet jetzt die Urania-Säulen-Geſellſchaft. Die Ausführung iſt die folgende: Einzelne öffentliche Gebäude, Hotels oder andere größere Privatbauten17*260Die elektriſchen Erfindungen.werden mit je einer Gruppenuhr verſehen, welche eine beliebige Anzahl von[einzelnen] Uhren treiben und regeln kann. Dadurch werden vor allem die Erdleitungen erſpart, die übrigens auch nach einer neueren Verbeſſerung durch die gewöhnlichen Telephondrähte erſetzt werden können. Wo mehrere kleinere Privathäuſer, die einander benachbart ſind, den Anſchluß wünſchen, wird ihnen zuſammen eine Gruppenuhr gegeben. So denkt man ſich in ganz Berlin eine große Anzahl von Gruppen, deren jede eine Hauptuhr bekommen ſoll. Für das Ganze wird eine Zentralſtelle errichtet, die ſich die aſtronomiſche Zeit von einer wiſſen - ſchaftlichen Anſtalt verſchafft.

[261]

III. Die Wohnung.

1. Die Baumaterialien.

Die Bauten aus Holz und natürlichen Steinen.

Wenn der Satz, daß die Not der Erfindungen Mutter iſt, zu irgend einer Zeit Geltung gehabt hat, ſo war dies offenbar in der Kindheit des Menſchengeſchlechtes. Wenn der Urmenſch vor dem Wüten ent - feſſelter Elemente Schutz ſuchend, in der Haut der erlegten Jagdbeute die ſeinige barg, ſo ward er zum Erfinder der Kleidung, wenn er die Zweige und Stämme der Bäume aus der gleichen Not zum wohn - lichen Obdach verband, ſo hatte er die Wohnung erfunden. Beides erhob ihn keineswegs über die Stufe des Tieres. Wir begegnen im Tierreiche manchem Weſen, das durch ſeinen geſchickten Wohnungsbau und durch die Fähigkeit, ſich mit einer künſtlich zuſammengefügten Hülle zu umgeben, die erſten Menſchen offenbar übertraf. Jene hervorragende Stellung unter den lebenden Weſen erringt derſelbe erſt durch das Hinzutreten einer Vielfachheit von anderen Fähigkeiten.

Im Fleiß kann dich die Biene meiſtern,
In der Geſchicklichkeit ein Wurm Dein Lehrer ſein,
Dein Wiſſen teileſt Du mit höheren Geiſtern,
Die Kunſt, o Menſch, haſt Du allein.

Es iſt jene Mannigfaltigkeit des Könnens, welche jede einzelne Kunſtfertigkeit des Menſchen einſchließt, die ihm die oberſte Stufe im Range der lebenden Weſen ſicherte. Jede Tierſpezies beſitzt eben höchſtens zwei oder drei in ganz beſtimmter Richtung wirkſame Fertig - keiten, der Menſch beſitzt deren ſo viele und in ſo verſchiedener Weiſe variierbare, daß er als alleinige Spezies eine Vielheit von Bauſtilen und von Moden zu erzeugen wußte. In dieſen Namen faſſen wir die höchſten Staffeln zuſammen, denen der Erfindungstrieb ſeit den Tagen der Urzeit zuſtrebte. Lang war der Weg zu dieſen, und es iſt derſelbe Weg, den jede Erfindung nehmen muß, die ſich im Laufe der Zeiten262Die Baumaterialien.den geſteigerten Bedürfniſſen, den allweilig vorhandenen Materialien und einem Schönheitsgefühle anpaßten, welches auch dem Tiere keineswegs ganz abgeht. In Gegenden, die einen Überfluß an Holz aufwieſen, war man notwendig auf dieſes als das geeigneteſte Material angewieſen. War es auch der Gefahr der Zerſtörung durch die Feuchtig - keit etwas mehr ausgeſetzt, als die dem Erdboden entnommenen Stoffe, ſo hatte es vor dieſem den Vorteil, daß es dem Froſt weit weniger unterliegt. Die aus der Urzeit erhaltenen Pfahlbauten zeigen ſeine bedeutende Widerſtandskraft. Für Bauten auf Höhen iſt es einzig tauglich. Das Blockhaus der amerikaniſchen Anſiedler und das Schweizerhaus zeigen uns die Holzbaukunſt auf verſchiedenen Ent - wickelungsſtufen. Am meiſten vorgeſchritten erſcheint dieſelbe wohl im Norden, und die norwegiſchen Kirchen weiſen hier ihre vollendetſten Formen auf, ausgeſtattet mit einer unübertroffenen Ornamentik.

Es iſt klar, daß, wo die Erde keine Steine liefert und die Wälder mangeln, niedrige Fachwerkbauten diejenigen ſein werden, die das Wohnungsbedürfnis hervorbringt. So iſt es z. B. in den eigentlichen Ungarſtädten, wo das Alföld keinerlei Steine darbietet. Überall ſonſt wird der Bau aus Steinen, wie ſie vom Boden aufgenommen werden können, ebenſo nahe gelegen haben, wie der Holzbau. Mit den Pfahl - bauten Weſteuropas ſind die Steinbauten des Orients gewiß gleichaltrig, während die Grabdenkmale, welche uns aus der Urzeit Weſt - und Mitteleuropas überkommen ſind, die Dolmen und Steinkreiſe ihnen vielleicht in der Zeit vorangingen. Der Stein, ſo viel härter als das Holz, ließ ſich nur ſchwer in die Form bringen, die ihn zur Verwendung in Bauten tauglich erſcheinen ließ, und ſo ſtanden die erſten Steinbauten an geſchmackvoller Ausführung hinter denen aus Holz weit zurück. Es fehlten eben die Werkzeuge, mit denen heute die Bearbeitung ſelbſt der ſtärkſten Steine ausführbar iſt. Man ſchichtete ſie zuſammen, nachdem man ſie einigermaßen aneinander gepaßt hatte, fügte in die Lücken zwiſchen ihnen kleinere Steine und dichtete dann den ganzen Bau mit Moos. Erſt verhältnismäßig ſpät gelang es, auch die Steine in ähnliche Schichten zu ordnen, wie die gleichmäßig dicken Holzbalken des Block - hauſes, ſie zu wagerechten Reihen von gleichförmiger Höhe an ein - ander zu fügen. Heute iſt die Verwendung der natürlichen Steine beim Hochbau nur eine beſchränkte; aber immerhin werden ſie für die Zwecke des Fundamentierens, der Bekleidung, der Fußböden und der Dachlegung allerwege gebraucht. Weiter geht freilich ihre Ver - wendung im Straßenbau.

Wie gewinnt man die für dieſe Zwecke geeigneten Steine und wie gelingt es, den harten Materialien die paſſenden Formen zu geben? In vielen Fällen kann man das geeignete Material in der Geſtalt lockerer Geſchiebe oder erratiſcher Blöcke einfach vom Boden aufnehmen, in anderen muß man es ſeiner Unterlage mit Gewalt entreißen. So in den Steinbrüchen. Hier ſind die Brechſtange und der Keil für die263Die Bauten aus Holz und natürlichen Steinen.Gewinnung der Steine längſt nicht mehr die einzigen Mittel. Pulver und das furchtbare Dynamit ſind jetzt bei der Arbeit. Man muß mit beſonderen Steinbohrmaſchinen das Geſtein aushöhlen, um die Spreng - maſſe in ſeine Eingeweide zu bringen. Oder man muß mit Stein - ſtemmaſchinen die abzutrennende Maſſe mit Teilungsfugen umgeben. Solche werden mit Dampf betrieben: ſtangenförmige Meißel keilen ſich mit der Geſchwindigkeit von mehr als einem Meter in der Minute mehrere Meter tief in das Geſtein ein und erlauben mit nachheriger Zuhilfenahme von Sprengmitteln, die Blöcke von mehreren Kubikmetern Inhalt von ihrem Lager zu trennen. Für die weitere Verwendung wird man ihnen die paſſende Geſtalt anweiſen. Pflaſterſteine werden nahe die Würfelform, Trottoirplatten die flache Geſtalt erhalten müſſen. Dazu werden ſie der Steinſchneidemaſchine anvertraut. Die weicheren Geſteine, wie Sandſtein, laſſen ſich allenfalls mit mit einer harten Zahnſäge durchſchneiden, für die meiſten Steinarten aber nimmt man Schwertſägen, das ſind lange Eiſenblätter, die durch die Thätigkeit der Maſchine in das Geſtein eindringen, indem ſie mit einem Schleifmittel, wie Quarzſand in Waſſer, neuerdings Gußeiſenſchrot, ſich den Weg bahnen. In Amerika kommen jetzt dieſe Metallblätter mit Diamantzähnen in Aufnahme. Weiter müſſen die Flächen der gewonnenen Steinquadern geebnet werden, was mit Hülfe von Stein - abricht - und Flachhobelmaſchinen geſchieht, die denjenigen für Holz und Metall nachgebildet ſind. Der Stein wird entweder auf einem Schlitten unter den feſtſtehenden oder ſich drehenden Meißeln hinbewegt, oder es findet das Umgekehrte ſtatt. Die Meißel ſelbſt kann ein gewöhnlicher zugeſpitzter oder flach endigender Stahl ſein, oder er bildet eine runde Scheibe, von der Geſtalt eines ſtumpfen Kegels; endlich verwendet man auch hier Diamanten. Bei Bauſteinen wird man Verkehlungen oder ähnliche Verzierungen anbringen wollen. Man hat die erwähnten Maſchinen bisher zu dieſem Ende mit beſonders geformten Meißeln verſehen; aber heute giebt es ſchon Maſchinen, um an gebogenen Flächen Geſimſe anzubringen. Am vollkommenſten für dieſen Zweck geeignet iſt die Hunterſche Duplexmaſchine. An ihr wirken die eben erwähnten runden Stahlſcheiben, die durch ihre raſche Drehung die Vorarbeit übernehmen, während das Werk durch Schaber vollendet wird. Um kreisrunde Stücke zu erlangen, verfährt man wie in vielen Fällen auch beim Holz und bei Metallen man giebt dem Stücke eine achteckige Form und thut es dann in die Steindrehbank, wo es mit dem Stahl zum Rundkörper gedreht wird. Mit dieſen Manipulationen ſind die Bauſteine meiſt als vollendet anzuſehen. Nur in wenigen Fällen z. B. bei Granit, der zur Verkleidung von Pracht - bauten dienen ſoll wird noch das Schleifen und Polieren folgen müſſen. In den Schleifmaſchinen bewegen ſich gußeiſerne Scheiben drehend oder fortſchreitend und mit ihnen die Schleifmittel (Quarzſand mit Waſſer), mit denen ſie ſich unter Druck an den Steinen reiben. 264Die Baumaterialien.Das Polieren folgt auf dieſelbe Weiſe hinterher, Schmirgel und Zinn - aſche ſind die dabei verwendeten Mittel. Der Stein ſelbſt bewegt ſich dabei auf einem Schlitten unter den Eiſenſcheiben hin. Mit der Ver - wendung zu Bauten iſt wie jeder weiß der Gebrauch der Steine nicht abgeſchloſſen. Wir begegnen ihnen bei Denkmälern in ihrer Ge - ſtaltung zu mannigfachen Figuren und in Schmuckſachen. Für alle dieſe Verwendungen ſind ebenfalls beſondere Maſchinen gebaut worden; Graviermaſchinen, in denen ein Stahlſtift ſchnell gedreht wird, halfen bei den feineren Arbeiten. In den letzten Jahren haben ſich für dieſe Zwecke die ſogenannten Preßluftwerkzeuge eingeführt, bei denen die Expanſion verdichteter Luft die treibende Kraft iſt; ſie helfen dem Steinmetzen und dem Bildhauer, die Steine zu verarbeiten, und erhöhen die Leiſtungsfähigkeit eines Arbeiters auf das Sechsfache. Den Steinen, die ſich bereits in Bauwerken befinden, geben ſie die gewünſchte Form, und bringen die ſchönſten Reliefs an Giebelfeldern und Kapitälen an. Alle dieſe Inſtrumente enthalten einen Schlagkolben, den die gepreßte Luft in der Minute ſechs - bis zehntauſend Schläge ausführen läßt.

Die Verbindungsſtoffe.

Sehr bald wird das bloße Aufeinanderlegen der Steine den Wunſch nach einem genügend feſten Bau nicht mehr erfüllt haben. Die älteſten aus künſtlichen Steinen aufgemauerten Bauten Ägyptens und Babyloniens zeigen uns die Anwendung beſonderer Bindemittel, ja der Mörtel mag älter als dieſe Kunſtſteine ſelbſt ſein. Man verſtand darunter einen Kalkbrei, der mit Sand oder anderen Zuſätzen gemengt iſt. Die Eigenſchaften des Kalkes laſſen ihn zu dem bezeichneten Dienſte hervorragend tauglich erſcheinen. Der Kalk iſt ein in der Natur ungemein verbreiteter Körper. Aber er findet ſich nicht in der Form, in der er ſofort zu Mörtel verarbeitet werden könnte. Mit der Kohlenſäure verbunden bildet er als körniger Kalk, Marmor, Kreide und Kalkſtein ungeheure Lager. Erſt wenn dieſe Geſteine ihres Ge - haltes an Kohlenſäure beraubt ſind, bieten ſie ſich zu ferneren Dienſten dar. Das geſchieht, indem man die kalkhaltigen Mineralien brennt. So erhält man den gebrannten Kalk. Dieſer wieder muß in eine innige Verbindung mit Waſſer gebracht, er muß gelöſcht werden. An der Luft trocknet der gelöſchte Kalk bald ein, indem er die in der Atmoſphäre enthaltene Kohlenſäure wieder an ſich zieht, und wenn er dabei unter einem hinreichenden Drucke ſteht, ſo erlangt er nach dem Trocknen die Härte des Marmors. Das iſt die Eigenſchaft, die ihn zu Mörtel verwenden läßt. Das erſte Verfahren alſo, dem der natür - liche Kalkſtein zu unterwerfen iſt, iſt das Brennen. Dasſelbe geſchah früher vielfach in beſonders gebauten Meilern, heute wird es meiſt in Öfen vorgenommen, die, je nachdem ſie in fortwährendem Betriebe ſind, oder nur periodiſch dem Zwecke des Kalkbrennens dienen, verſchieden265Die Verbindungsſtoffe.konſtruiert werden. Die Fig. 171 zeigt uns einen periodiſchen Kalkofen im Aufriß, Fig. 172 im Grundriß. Der zu brennende Kalkſtein gelangt in den nach oben etwas verjüngten und oben überwölbten Raum A.

Fig. 171.

Aufriß eines periodiſchen Kalkofens

Die e bedeuten vier Schürlöcher, zu denen das Brennmaterial (Stein - oder Braunkohle) hereingebracht wird; dasſelbe ruht auf Roſten. b iſt eine in der Ummauerung des Ofens gelaſſene Lücke, die zum Ein - fördern des Kalkſteines dient. Während des Brennens iſt dieſelbe mit

Fig. 172.

Grundriß eines periodiſchen Ka kofens.

Ziegeln vermauert. Die gebrannten Steine werden am Ende des Verfahrens zur Thür d herausgeſchafft, die eben -

Fig. 173.

Beſchickung eines periodiſchen Kalkofens.

falls während desſelben vermauert war. Die Flamme kann durch Öffnungen aus dem Gewölbe über A austreten. Von dem Eingang a des oberen kegelförmigen Teils des Ofens läßt ſich das beobachten, und man hat es in der Gewalt, durch teilweiſes Verſchließen dieſer Öffnungen, dem Brande eine andere Richtung zu geben. Wie der Ofen beſchickt wird, das zeigt ſchließlich Fig. 173. Bei jeder Feuerung wird ein beſonderes Gewölbe für die Verteilung der Flamme angebracht. Der Holzpflock in der Mitte des Kalkſteins wird bald verzehrt, und es266Die Baumaterialien.entſteht an ſeiner Stelle ein Kanal zum Durchzug der Flammengaſe. Man feuert zuerſt nur ſchwach an und geht allmählich erſt zur vollen Glut über. Dieſe darf bei unreinen, mit Thonerde oder Magneſia und Kieſelſäure vermengten Kalkſteinen nicht über eine gewiſſe Temperatur geſteigert werden, weil ſonſt die Maſſe zuſammenſchmilzt, der Kalk totgebrannt wird, wie man ſich ausdrückt, und nun nicht mehr zu ver - werten iſt.

Die Fig. 174 zeigt einen Durchſchnitt durch einen Kalkofen mit ununterbrochenem Brande, wie er in den Rüdersdorfer Kalkbergen bei Berlin verwendet wird. In ihm iſt der Raum der Feuerung von dem -

Fig. 174.

Rüdersdorfer Kalkofen.

jenigen für die Kalkſteine völlig getrennt. Das Weſentliche an ihm ſind die beiden cylinder - förmigen Mauern d d, die aus feuerfeſten Steinen aufgeführten Futtermauern, und e e, die Rauhmauer. Beide ſind durch einen mit Bauſchutt und Aſche gefüllten Raum von einander getrennt. Eine ſolche Füllung iſt ein ſchlechter Wärmeleiter und läßt alſo die Wärme des Ofens nicht ſo leicht fortgehen. Sie hat außerdem den Zweck, durch ihre eigene Ausdehnung den Druck des im Schachte B C liegenden Materials, welches mit wachſender Wärme ſich auch ausdehnt, aufzuheben. Der nach unten verjüngte Teil B des Schachtes füllt ſich während des Brennens mit durchgebranntem Kalk, welcher durch die Öffnungen a am Grunde von Zeit zu Zeit abgelaſſen werden kann. Der 14 Meter hohe Schacht iſt noch von einer Außenmauer B B um - geben, die keinen weſentlichen Teil des Ganzen bildet, aber mit der Rauhmauer Kammern einſchließt, die zum Aufenthalt der Arbeiter und anderen Zwecken dienen. In der Fig. 174 bedeutet ferner h eine der drei bis fünf Feuerungen für Holz oder Torf, die einen Roſt haben und die Aſche durch denſelben und den Aſchenfall i in den Behälter E fallen laſſen. Das Feuer gelangt durch den Kanal b in den Schacht, und ein zweiter Kanal k dient dazu, die dem abgelaſſenen Kalk ent - ſtrömende Wärme in die Gewölbe H abzuführen, damit die Arbeiter in F davor bewahrt werden. Das Feuer wird zunächſt nicht in den ſeitlichen Kammern h angefacht, ſondern man beginnt damit, daß man einen Holzſtoß in B einbringt, bis zur Höhe von b Kalkſteine darüber ſchüttet und nun das Holz anzündet. Wenn es ausgebrannt iſt, ſo entwickelt die dem gargebrannten Kalk entſtrömende Wärme hinreichenden267Die Verbindungsſtoffe.Zug, um nun die eigentlichen Feuerungen in Gang zu bringen, die jetzt den bis oben hin mit Kalkſteinen angefüllten Schacht erhitzen. In dem Maße als unten gar gebrannter Kalk fortgeſchafft wird, kann man oben unaufhörlich neuen nachſchütten, ſo lange der Ofen es aushält.

In Amerika wird neuerdings ein eigentümliches Verfahren an - gewendet, um den in Küchenabfällen, wie Auſtern, Muſcheln und Eier - ſchalen enthaltenen kohlenſauren Kalk, der früher nicht verwendet wurde, nutzbar zu machen. Dazu werden in einfachen Schächten Lagen von dieſem Material und ſolche von Koks abwechſelnd über einander ge - ſchichtet. Wenn die unterſte Kalkſchicht dabei in Rotglut gerät, ſetzt ſie die folgende Kohleſchicht in Brand und ſo fort bis zur Mündung des 8 Meter hohen Ofens. Die Öfen werden von unten entleert, während oben Material nach Bedürfnis nachgeſchüttet wird. Auch dieſe Öfen können immer in Betrieb bleiben. So haben wir hier ein Beiſpiel, wie die heutige Induſtrie auch ganz wertloſes Material zu verarbeiten und nützlichen Zwecken zuzuführen verſteht. Freilich wird der ſo in New - York und Brooklyn gewonnene Kalk nicht für Bauzwecke, ſondern zur Gasreinigung, Seifen - und Düngerfabrikation weiter verwendet, für welche der gebrannte Kalk auch bei uns zum Teil hergeſtellt wird.

Der gebrannte Kalk wird, wenn er zu Mörtel verwendet werden ſoll, gelöſcht, d. h. mit Waſſer chemiſch verbunden. Im Mörtel wird er dann mit Sand gemiſcht, was bei größeren Bauten in beſonderen Maſchinen geſchieht. Der naſſe Mörtel trocknet allmählich aus, indem der Kalk gierig Kohlenſäure der Luft aufnimmt, und er erſtarrt dabei unter dem Drucke des darüber laſtenden Mauerwerks zu einer feſten Maſſe, indem ſeine Oberfläche und die der Sandkörner ſich heftig anziehen. Das Austrocknen nimmt beim Altern des Mörtels immer zu, ſo daß er in den älteſten Bauwerken am feſteſten iſt. Trotz dieſer vor - züglichen Eigenſchaften ſind doch dem Kalkmörtel Konkurrenten er - wachſen, die in beſonderen Fällen beſſere Dienſte leiſten. So wird man Öfen, die einen bedeutenden Hitzegrad aushalten müſſen, natürlich nicht mit Kalk bauen, weil dieſer ja von neuem gebrannt werden und zerfallen würde. Man iſt dann auf Lehmmörtel ange - wieſen, der zwar nicht ſo ſtark erhärtet, als der Kalkmörtel, aber andererſeits auch den Vorzug hat, daß er ſchneller trocknet, ſo daß z. B. Wohnungen, die man damit auskleidet, eher bewohnbar ſind. Bei den anderen Mörteln benutzt man ein ebenfalls in der Natur weit ver - breitetes Material, den Gips. Man findet ihn kryſtalliſiert als Marien - glas, aber er hat größere Verbreitung nur als körniger Gipsſtein, deſſen ſchönſte Abart der Alabaſter iſt. Der natürlich vorkommende Gips be - ſteht aus ſchwefelſaurem Kalk und Waſſer. Das Letztere kann man ihm, wie dem Kalk die Kohlenſäure, durch die Hitze entziehen, man muß ihn alſo brennen, und die beſondere Vorliebe, die der gebrannte Gips für Waſſer beſitzt, mit dem er ſich zu einer harten Maſſe ver -268Die Baumaterialien.bindet, macht ihn als Bindemittel ſo tauglich, wie den Kalk. Man muß ſich auch beim Gips hüten, ihn während des Brandes einer zu hohen Temperatur auszuſetzen. Er muß nämlich ein Viertel des ihm zukommenden Waſſers behalten. Iſt ihm dieſes durch eine Wärme von 200 Grad entzogen, ſo geht er mit Waſſer nicht mehr jene feſte Ver - bindung ein, er iſt totgebrannt. Die Gipsöfen werden alſo, rationell gebaut, dieſes Totbrennen zu verhindern haben, ſie werden auch die Kohle in keine unmittelbare Berührung mit dem Gips gelangen laſſen, weil dieſer ſonſt noch weitere unerwünſchte Zerſetzungen erfährt. Am beſten ſind Öfen von der Art derjenigen, welche zum Brotbacken dienen. Der gebrannte Gips wird zwiſchen Mühlſteinen und Walzen zu einem feinen Mehl vermahlen, das nun unmittelbar zu Mörtel ver - wendet werden kann. Das iſt ſeit altersher bekannt und vielfach ange - wendet: ſo beſteht der Mörtel, mit dem die Cheops-Pyramide erbaut ward, zum größten Teile aus Gips. An Feſtigkeit übertrifft der Gips, den man natürlich beſonders in gipsreichen Gegenden verarbeitet, ſogar den Kalkmörtel. So halten die Bruchſteine, aus denen eine 1530 bei Oſterode zerſtörte Burg erbaut war, heute noch feſt zuſammen, der ſie verbindende Gips iſt ſogar noch feſter als die Steine. Neuerdings führt er ſich als Bindemittel zu Bauten immer mehr ein, da er in der Kälte nicht leidet, wie der Kalk, alſo ſelbſt bei einer Temperatur von 10 Grad noch das Mauern geſtattet. Aber ſeine hervorragenden Eigenſchaften verſchaffen ihm auch als Material für Fußböden, als Kitt und zu den Stuckaturarbeiten ausgiebige Verwendung bei Bauten. Die letzt - genannten Dienſte leiſtet er infolge ſeiner Fähigkeit, ſich leicht in Formen bringen zu laſſen, wegen welcher er ebenfalls im grauen Altertum bereits berühmt war. So erzählt Plinius, daß der Sikyonier Lyſiſtratus zuerſt ein menſchliches Geſicht in Gips abgegoſſen und von dieſer Form einen Wachsabdruck verfertigt habe. Dieſe Kunſt ſcheint im Mittelalter in Vergeſſenheit geraten zu ſein, und erſt zur Zeit Rafaels hatte ſie ſich in Italien wieder zu der Höhe emporgerungen, die wir in den Stuckaturen des Vatikans bewundern. Im 18. Jahrhundert wird er aber den Gipfel ſeiner Verwendung erreicht haben, damals als er der Rokokozeit ihr Gepräge gab. Abgüſſe von Bildhauer - arbeiten, von Münzen, Formen für Metallgießereien und für die Zwecke der Galvanoplaſtik, erlaubt der Gips in unvergleichlicher Vollendung herzuſtellen. Namentlich iſt die Herſtellung der Gipsfiguren neuerdings in hohem Grade vervollkommnet. Man verſteht es, die Maſſe mit Alaun zu härten und ihr durch Imprägnieren mit Wachs oder Fett ein marmor - oder elfenbeinartiges Ausſehen zu geben. Man vermag dieſelbe zu färben und wie auf S. 140 nachzuleſen auch gal - vaniſch zu verſilbern oder zu vergolden. Nicht zu unterſchätzen iſt die volkswirtſchaftliche Bedeutung dieſer Induſtrie, indem ſie den minder Bemittelten die berühmten Werke der Bildhauerkunſt in Nachbildungen zugänglich macht.

269Die Verbindungsſtoffe.

Für Bauten im Waſſer oder in feuchter Erde ſind die bisher be - ſchriebenen Bindemittel unzulänglich. Man iſt dann auf ſolche Mörtel angewieſen, die gerade im Waſſer zu erhärten fähig ſind, auf die ſo - genannten Zemente. Dieſelben waren bereits den Römern bekannt. Ihnen dienten Trümmer vulkaniſcher Auswurfsſtoffe von Puteoli und aus der Gegend von Bonn am Rhein, welche dieſe Eigenſchaft er - langen, wenn man ſie mit gelöſchtem Kalk vermengt. Die Neuzeit verwendete die Beobachtung Smeatons vom Jahre 1759, daß Mörtel aus thonhaltigem Kalk im Waſſer erhärte, welche derſelbe für den Bau des Eddyſtoner Leuchtturmes 1774 verwertete. Hierauf fußend erfand Parker 1796 den Romanzement. Man erhält denſelben einfach durch das Brennen gewiſſer Thonmaſſen als ein rotbraunes Pulver. Das Material beſteht nämlich aus kohlenſaurem Kalk und kieſelſaurer Thonerde, und beim Brennen entweicht die Kohlenſäure, während der Kalk ſich teilweiſe mit der Kieſelſäure verbindet. Wird ſpäter der Zement mit Waſſer angerührt, ſo vollzieht auch der übrige Kalk dieſe Verbindung und damit erhärtet der Zement. Wo immer jene kalk - haltigen Thone ſich fanden, da wurde nunmehr auch Zement gebrannt. Zugleich verſuchte man künſtliche Gemiſche mit derſelben Eigenſchaft zu erlangen, und der erſte, dem dies glückte, war Aspdin in Leeds, welcher 1824 den Portlandzement erfand. Man erhält denſelben aus einem auf feuchtem Wege hergeſtellten Gemiſche von kohlenſaurem Kalk mit Thon durch Brennen bis zur Weißglut. Da das Gemiſch ein ſehr inniges ſein muß, ſo muß man den Kalk aus der Kreide oder ähnlichem weichen Material entnehmen. Der Thon muß vor dem Miſchen durch Schlämmen von ſeinem Sandgehalte befreit werden. Dies iſt jetzt noch die geſchätzteſte unter allen Zementarten. In Deutſchland, wo 1850 die erſte Zementfabrik in Stettin gebaut wurde, lieferte die Zement - induſtrie bereits 1878 Million Tonnen. Der Zement wird bei Bauten im Waſſer oder im feuchten Boden rein verwendet, er wird dann innerhalb dreier Monate zu einer ſteinharten Maſſe; für Bauten in der Luft miſcht man ihn mit Sand zu einem mehr oder weniger feinen Mörtel.

Die künſtlichen Bauſteine.

Nur die älteſten Mauerwerke zeigen uns natürliche Steine. Die Schwierigkeit, ſolche in die paſſende Form zu bringen, und der Umſtand, daß viele Gegenden derſelben überhaupt entbehrten, führte zur Erfindung künſtlicher Bauſteine. Die Bauten der Ägypter weiſen Ziegel auf, und ebenſo benutzten die Babylonier teils ungebrannte Steine, teils Back - ſteine, ſogar ſolche mit farbiger Glaſur. Auch die uns von Griechen und Römern überkommenen Bauten ſind mit Mauerſteinen ausgeführt; ſie bekleideten dieſelben mit Marmor oder Putz. Die Römer verbreiteten mit ihrer Herrſchaft auch die Kunſt des Ziegelbaus über die europäiſchen Länder, und mit einer längeren Unterbrechung im erſten Teile des Mittel -270Die Baumaterialien.alters hat dieſe Kunſt ſich immer mehr entfaltet, und bereits in den früheſten Werken der Gothik eine hohe Vollendung erreicht. In neueſter Zeit iſt durch Erfindung paſſender Maſchinen, durch Herſtellung voll - kommener Öfen und durch Benutzung der Fortſchritte der Chemie die Backſteintechnik auf einer Stufe angelangt, die uns heute nicht mehr überſchreitbar erſcheint.

Das Material für die Herſtellung der Ziegel lieferte von Anfang an die als Thon weit verbreitete kieſelſaure Thonerde. Wenn ſie nur nicht zu ſandhaltig war, und eine nicht zu große Beimengung von kohlenſaurem Kalk enthielt, ſo war ſie für den bezeichneten Zweck brauch - bar. Aber der Weg von dem rohen Thon bis zum fertigen Mauer - ſtein iſt immerhin ein langwieriger, den durch ſeine einzelnen Staffeln zu verfolgen, wir uns jetzt anſchicken. Es iſt der Weg durch einen der am weiteſten verbreiteten Fabrikbetriebe, der in Deutſchland 1889 an 11000 Stätten von 218000 Arbeitern gepflegt und in der Zahl der

Fig. 175.

Einſumpfen des Thones.

Beſchäftigten nur von dem Bergwerksbetriebe übertroffen wurde. Das rohe Material läßt ſich im Allgemeinen nicht ſofort weiter verarbeiten. Es wird im Sommer oder im Herbſte aus den Thongruben gegraben, weil dieſe Zeiten die trockenſten des Jahres ſind, und der dann wenig ſchwere Thon mit geringeren Koſten gefördert werden kann. Derſelbe wird ſodann in niedrigen Schichten auf dem Erdboden ausgebreitet und einen oder mehrere Winter lang im Freien liegen gelaſſen. Der Froſt wirkt mit nachfolgendem Thauwetter lockernd auf ihn ein. Hierauf kommt das Einſumpfen des Thones. Dazu bringt man ihn in tiefe gemauerte Baſſins und übergießt ihn mit Waſſer. In denſelben werden ſchwere eiſerne Körper, wegen ihrer Ähnlichkeit mit dem bekannten Acker - werkzeug Eggen genannt, fortwährend herumbewegt, daß ſie mit ihren Zinken den Thon zerkleinern und ihn möglichſt eng mit dem Waſſer vermiſchen, ſo wie dies Fig. 175 erkennen läßt. Dabei trennen ſich feinere Sandteile und die lösbaren Stoffe und werden vom Waſſer271Die künſtlichen Bauſteine.fortgeſchlämmt, in dem Maße als man friſches zuſetzt. Man füllt mit ihnen in größeren Ziegeleien nach einander eine Reihe von Schlamm - gruben, in denen man das Ganze ſich niederſchlagen läßt und das klare Waſſer abzieht. Das Austrocknen des Schlammes in dieſen Baſſins erfordert Monate. Der Thon läßt ſich aber jetzt direkt weiter ver - wenden, wenn nicht etwa naſſes Wetter zuviel Feuchtigkeit in ihm zurück - gehalten hat. Im letzteren Falle muß er erſt mit trockenem Material, welches in den Ziegeleien aufgeſpeichert iſt, verkneſtet werden. Er ge - langt zunächſt in den Thonſchneideapparat, wo er noch einmal gehörig durchgeknetet und zu einer völlig gleichförmigen Maſſe ausgearbeitet wird. Dieſe Arbeit heute meiſt durch Maſchinen geleiſtet wurde früher immer und wird auch heute noch ſtellenweiſe durch menſchliche Arbeits - kraft, durch Treten vollbracht. Nachdem durch dieſe Vorarbeiten die

Fig. 176.

Ziegelpreſſe von L. Schmelzer.

Gleichmäßigkeit und Feſtigkeit der Ziegel hinreichend garantiert iſt, gelangt der Thon in ein Walzwerk, wo er zerquetſcht und zu einem dünnen Bande ausgezogen wird. Jetzt kann er geformt oder wie man ſagt können die Ziegel geſtrichen werden. Das geſchah früher überall durch Handarbeit mit einer Form aus Holz oder Gußeiſen. Man drückte den Thon hinein, entfernte den Überſchuß durch Streichen mit einem Brett und nahm dann die Form fort. Auch heute iſt dieſes Verfahren noch vielfach üblich, aber meiſt durch Maſchinen verdrängt. Die erſte ſolche erfand der Nordamerikaner Kinsley 1799, weſentlich verbeſſert wurden ſie durch Hattenberg in Petersburg 1807 und Deyerlein in London 1810. Wir bilden in Fig. 176 die Schmelzerſche Ziegelpreſſe ab. Der Thon wird bei ihr durch ein Walzwerk zu einer dichten Maſſe gepreßt und erſcheint durch viele ſchraubenförmig geſtellte Meſſer verarbeitet links in Form eines Stranges von der Breite und Länge der zu gewinnenden Ziegel. Durch272Die Baumaterialien.einen davor angebrachten Abſchneideapparat werden die Stücke in der gewünſchten Dicke abgeſchnitten. So erhält man die ungebrannten Ziegel, die nunmehr in Trockenräume gelangen, heizbare Räume in der Nähe der Ziegelöfen. Dieſe an der Luft getrockneten Ziegel daher Luftſteine genannt eignen ſich für manche Zwecke, wo ſie größerem Drucke, aber nicht der Feuchtigkeit ausgeſetzt ſind. Sonſt müſſen ſie gebrannt werden. Dabei ſchmelzen zum Teil die Teilchen, die durch die Anweſen - heit von Kalkſtein und Eiſenoxyd einen niedrigen Schmelzpunkt beſitzen, zuſammen. Der Brand geſchieht in Feldziegeleien, indem man einfach einen Haufen von paſſend verteilten Steinen mit einem Lehmbewurf bedeckt und das Feuer in den Räumen entzündet, welche beim Aufſtellen freigeblieben ſind. Beſſere Waare wird ſtets in Öfen gebrannt und es wird genügen, hier den wohl am meiſten eingeführten Ringofen von Hoffmann und Licht zu beſchreiben, deſſen Erfindung für die Ziegelfabrikation geradezu bahnbrechend gewirkt hat. Was iſt ein Ring - ofen? Bei den Öfen, die ſonſt in dieſem Buche beſchrieben ſind (vgl. Heizung, Metallgewinnung, Kalk) wird das Feuer an einer beſtimmten oder auch an mehreren Stellen entzündet und bleibt nun an dieſen brennen, ſo lange es eben nötig erſcheint. Was dazu gehört, das Feuer in Gang zu erhalten, wie man der atmoſphäriſchen Luft den Zutritt geſtattet, das iſt alles in dem Abſchnitte über die Heizung nachzuleſen. Beim Ringofen aber brennt das Feuer nicht immer an demſelben Platze; es wandert vielmehr im Kreiſe herum, heute iſt es hier und morgen einige Meter weiter an einer anderen Stelle des langen für die Feuerung beſummten Kanals. Wie lange das Brennen dauert, das hängt dann natürlich von der Länge eben dieſer Feuerungsringe und von der Schnelligkeit ab, mit der das Feuer in denſelben voranſchreitet. Die überſchüſſige Hitze wird infolge deſſen nicht unmittelbar in den Schorn - ſtein übergeführt, ſondern erſt, nachdem ſie noch einen guten Teil des

Fig. 177.

Ringofen von rundem Querſchnitt.

Kanals mit erwärmt hat. Der Kanal iſt nun von Kreis - oder Ovalform, jetzt meiſt von viereckiger Geſtalt, immer in ſich zurücklaufend. In der Fig. 177 ſehen wir ihn in der erſten Geſtalt. Wir erblicken die zwölf Einſatzöffnungen in der Außen - wand und diejenigen für den Rauchabzug in der inneren. Die Mitte nimmt der Schornſtein ein, dem der Rauch durch Kanäle zugeführt wird. Die Figuren 178 bis 180 ſtellen dagegen einen Ring - ofen von neuerer Form dar. Wir ſehen, mit den Zahlen von 1 bis 16 bezeichnet, ebenſo viele Ab - ſchnitte des viereckigen Kanals, der eigentlich aus zwei parallelen, zwiſchen den Teilen 8 und 9, ſowie 16 und 1 mit einander zuſammenhängenden Gängen beſteht. Nehmen wir an, daß augenblicklich gar zu brennendes Material ſich in der Abteilung 6 des Ofens befinde, ſo wird das in den fünf erſten Abſchnitten vorhandene auf dem Wege der Abkühlung ſein. 273Die künſtlichen Bauſteine.

Fig. 178.

Grundriß eines viereckigen Ringofens.

Fig. 179.

Aufriß eines viereckigen Ringofens.

Nur jene Abteilung wird geheizt, die vorhergehenden aber werden von der in Abteilung 1 einſtrömenden Zugluft durchzogen, die in dem Maße, als ſie die gargebrannten Ziegel kühlt, ſich ſelbſt bis zu glühender Hitze erwärmt; ſo kommt ſie bereits heiß an der Stelle

Fig. 180.

Zuſammenhang der Teile eines viereckigen Ringofens.

des Ofens an, wo ſie zur Verzehrung des Heizmaterials verwandt wird, nicht kalt, wie bei unſeren Stubenöfen. Die Ziegel in den vorhergehenden Kammern aber kühlen ſich nur ſehr allmählich ab. Die gasförmigen Ver - brennungsprodukte, welche beim Zimmerofen direkt in den Schornſtein entweichen, und deren Hitze alſo ſofort verloren geht, werden hier nicht gleich in die Eſſe entlaſſen, ſondern durchſtrömen zunächſt die folgenden Kammern, etwa bis zur zwölften, erſt dort ſteht ihnen der Zugang nach außen offen. Der dort verzeichnete ſchwarze Strich bedeutet nämlich eine einfache Papierſcheibe, die den Feuergaſen den Weiterweg abſchneidet und Schieber heißt. An dieſer Stelle erſt müſſen dieſelben in den Schorn - ſtein entweichen, wofür ihnen gerade hier ein Ausweg geſchaffen wird, während die übrigen Teile gegen die Eſſe abgeſchloſſen werden. Aber ſie betreten den Schornſtein bereits ſoweit abgekühlt, daß dem Ofen weitere Wärme nicht entzogen wird. Der Vorteil, der hierin liegt, iſt ſofort zu ſehen. Die Hitze dieſer Gaſe läßt ſich ja verwenden, um Ziegel, die inzwiſchen in den folgenden Abteilungen aufgeſtapelt ſind, vorzuwärmen, damit ihr Brand nachher nicht mehr ſo lange Zeit beanſpruche. Papier hat ſich für den genannten Zweck als völlig ausreichend erwieſen, es ſperrt den Gaſen ihren Weg durch den Kanal ab, und erhitzt ſich nicht ſo weit, um zu verbrennen. Nach einer beſtimmten Zeit, etwa nach Verlauf eines Tages, mag nun der Brand der Ziegel in 6 als beendigt anzuſeyen ſein, ſo wird das Feuer durch eines der verzeichneten LöcherDas Buch der Erfindungen. 18274Die Baumaterialien.in der folgenden Abteilung angelegt, während zugleich der Papierſchieber hinter 13 verſetzt, und in dieſem Abſchnitt die Verbindung zum Schorn - ſtein hergeſtellt wird, nachdem ein Stapel von friſchen Ziegeln hier ein - gebracht iſt. So fortſchreitend kann man nach einander jeden Tag eine Abteilung mit Ziegeln garbrennen und immer eine bereits völlig ab - gekühlte herausſchaffen. Am dritten Tage wird im Abſchnitt 8 gebrannt, in 1 werden friſche Ziegel eingeſtellt, während die friſche Luft in 3 ein - zieht. In 16 Tagen kommt man einmal um den Ofen herum, kann aber ununterbrochen im Betriebe fortfahren. Es giebt Ringöfen, in denen ſeit 20 Jahren das Feuer nicht ausgegangen iſt, und dabei kann man täglich 25000 bis 40000 Stück in einem Ofen garbrennen. Der Hauptvorzug dieſes Syſtems vor dem älteren iſt natürlich, daß dadurch ſehr viel an Brennmaterial erſpart wird, und zwar nicht weniger als 50 Prozent. Für das Hartbrennen von tauſend Ziegeln braucht man kaum drei Zentner Steinkohlen. In Fig. 179 erblicken wir die Hälfte der Anſicht und des Längsſchnittes unſeres Ofens, und aus der Fig. 180 läßt ſich unmittelbar erſehen, wie die Zirkulation der Luft und der Feuergaſe innerhalb des Rauchkanals und des Schornſteins ermöglicht iſt.

Bei der langen Flamme dieſer Öfen eignen ſie ſich insbeſondere für die Verarbeitung kalkreicher Thone, weil dieſe leicht ſchmelzen. Für die kalkärmeren Thone hat Eſcherich einen Gas-Ringofen konſtruiert, bei dem die Steine nicht direkt mit der Feuerung in Berührung kommen. Die rote Farbe der Steine kommt übrigens von ihrem Gehalte an Eiſenverbindungen. Je weniger ſie davon enthalten, deſto mehr nähert ſich ihr Farbenton dem Schwefelgelb. Aber auch die Zuſammenſetzung der Feuergaſe, die ihrerſeits durch diejenige der Steinkohlen mit bedingt iſt, übt einen weſentlichen Einfluß auf die Farbe der Ziegel aus. Man hat es durchaus in der Gewalt durch die Wahl des Brennmaterials und durch Miſchung der verſchiedenen Thone immer andere Farben zu erhalten. Für gewiſſe Zwecke bedarf man eines beſſeren Materials. So werden Dachziegel, die dem Wetter beſonderen Trotz zu bieten haben, aus ſtein - und kalkfreieren Thonen zu gewinnen ſein. Unter Verblendern verſteht man beſſere Steine, die beim Bau von nicht zu verputzenden Mauern angewendet werden, alſo einmal dauerhafter ſein müſſen[und] das Auge des Beſchauers nicht beleidigen dürfen. Auch hohle Ziegel fertigt man und erreicht bei ihrer Verwendung, daß in den Häuſermauern eine ſtehende Luftſchicht beſteht, die als ſchlechter Wärme - leiter der Wärme des Hauſes den Austritt in die Atmoſphäre wehrt. Solche hohle Ziegel ſind natürlich auch mit großer Erſparnis an Material herzuſtellen und mit geringeren Transportkoſten fortzuſchaffen. Sie werden, wie die Drainröhren, mit beſonderen Preßmaſchinen her - geſtellt.

Wo es ſich um die Ausführung von beſonders feuerfeſten Bauten handelt, da wird man andere Fabrikate anzuwenden haben. Man verwendet dann die ſogenannten Schamotteſteine. Von den Ziegeln275Die künſtlichen Bauſteine.ſind dieſelben weſentlich verſchieden ſchon dadurch, daß ſie nicht porös, ſondern von glaſiger Struktur ſind. Man brennt ſie aus ſehr kalk - armen Thonen, alſo bei einer ungemein hohen Temperatur, aber ſonſt wie die Ziegelſteine. Sie vertragen ſehr leicht raſche Temperatur - änderungen und ſind für Waſſer ganz undurchläſſig. Zum andern verwendet man in jenen Fällen die Dinaſteine. Das ſind keine Thon - ſteine, ſondern ſie werden aus faſt reinem Sande bei einem geringen Zu - ſatze von Kalk gewonnen, welcher ihre Schmelzung etwas erleichtert. Man verwendet ſie z. B. zur Herſtellung von Gasretorten (vgl. Be - leuchtung) und von Zinkmuffeln (vgl. Metallgewinnung).

Andere künſtliche Bauſteine kann man aus allen möglichen na - türlichen Geſteinen gewinnen, wenn man ſie durch eines der behandelten Bindemittel bis zur nötigen Feſtigkeit vereinigt. So kann der einfache Kalkmörtel, bei welchem Sand und Kalk vereinigt waren, für ſich zu Kalkſandſteinen verarbeitet werden. Man braucht ihn nur in geeigneten Formen zu preſſen und an der Luft zu trocknen. Dieſelbe Maſſe wird geſtampft zu Straßenpflaſter und Trottoirs verwendet. Noch beſſere Anwendung geſtattet der Gips. Man braucht ihn dazu nur mit gröberem Sande und größeren Steintrümmern zu miſchen und mit Waſſer angegoſſen in Formen zu bringen. Das ſo erhaltene Material, Annalith genannt, zeichnet ſich, wie der Gips für ſich, durch ſeine Feſtigkeit und Dauerhaftigkeit aus. Man kann es ſowohl bei Ge - wölben, Treppen und Plafonds verbrauchen, als auch Fabrikſchornſteine, Anſchlagſäulen u. ſ. w. daraus herſtellen. Wenn die Annalithe quader - förmig gearbeitet ſind, ſo kann man größere Gebäude aus ihnen auf - führen, wie ein Hotel in Paris beweiſt, das, vor 85 Jahren aufgeführt, heute noch keinerlei Zeichen von Alter hat. Offenbar hat dieſes Bau - material beſonders an Stellen, wo der Gips billig zu beſchaffen iſt, eine große Zukunft. Ebenſo läßt ſich auch der Zement, rein oder mit Sand vermengt, in Formen gießen und zu Bauſteinen, Platten oder Quadern verarbeiten. Man erhält durch feines Zermahlen des beſten Zements einen ſo harten, gegen jeden äußeren Angriff eines ſcharfen Werkzeugs oder der Atmoſphäre ſo geſicherten Stein, daß derſelbe ſelbſt guten Backſteinen überlegen iſt und nur vom Granit übertroffen wird. Auch mit Stücken von Stein, Schlacken u. dgl. hat man den Zement gemiſcht und Quadern bis zu 18 Kubikmetern Inhalt hergeſtellt, wie ſie zu Hafenbauten Verwendung fanden. In den Zendrinſteinen iſt derſelbe Stoff mit Kohlenſtaub oder Aſche vermengt. Ein anderes Bindemittel, das ſich zur Herſtellung künſtlicher Steine in hohem Grade paſſend erwies, iſt das Natriumwaſſerglas oder Natriumſilikat, eine gallertartige, durchſichtige Maſſe. So wird zur Fabrikation von Ran - ſomes marmorartigen künſtlichen Steinen, die namentlich in Amerika, Indien und England verbraucht werden, das Waſſerglas in einer Mühle mit getrocknetem feinem Sande vermengt. Sodann wird die bildſame Maſſe geformt und durch eine Luftpumpe mit einer Löſung18*276Die Baumaterialien.von Chlorcalcium vollgeſaugt. Dabei bildet ſich der unlösliche kieſel - ſaure Kalk, während das noch entſtehende Kochſalz ausgewaſchen werden kann. Die Zahl der verſchiedenen mit Hülfe von Waſſerglas her - geſtellten Bauſteine iſt übrigens eine ſehr große. Man kann z. B. beim obigen Verfahren das Chlorcalcium durch Portlandzement und feinen, reinen Sand erſetzen, und gewinnt dadurch einen immer härter werdenden Stein infolge einer Reihe hier nicht näher zu entwickelnder chemiſcher Vorgänge, die in ſeinem Innern geſchehen. Die Victoria Stone Com - pany in London ſtellt ihre Steine aus Granitabfällen her, die mit Zement gemiſcht und geformt, nach vier Tagen aber zwölf Stunden lang in Waſſerglas gelegt werden. Sie finden eine mannigfache Verwendung zu Treppenſtufen, Flieſen, Kaminſimſen u. dgl. Sogar harzige Bindemittel ſind für die Herſtellung von Kunſtſteinen angewendet worden. So verſteht man unter Metall-Lava eine aus Steintrümmern, Sand, Kalkſtein, Teer und Wachs verbundene Maſſe, die ſich leicht in Platten gießen und polieren läßt. Ganz neuerdings hat, um dies noch zu erwähnen, die Glasfabrik Carlswerk in Bunzlau, einen neuen Bauſtoff, Vitrit genannt, eingeführt, der durch die Mannigfaltigkeit ſeiner Dienſte Beachtung verdient. Er ſoll nämlich zur Verblendung der Wände nicht weniger geeignet ſein, wie zur Herſtellung von Tiſch - platten. Er beſitzt eine glaſige Oberfläche, die aber nicht ſo ſpröde iſt, wie Glas, und doch wie dieſes der Feuchtigkeit und den Einflüſſen der Atmoſphäre Widerſtand leiſtet. Er läßt ſich leicht färben und durch Ätzen verzieren.

2. Beleuchtung und Heizung.

Der Weg, den die Entwicklung aller gewaltigen und nutzenbrin - genden Zweige der Technik nimmt, iſt in der Regel derſelbe. Es ſind zuerſt einfache, längſt bekannte Thatſachen, auf welche der Menſch eben ſo einfache, oft Jahrhunderte hindurch unverändert beibehaltene Anwen - dungen baut. Dann folgt gewöhnlich, angeregt durch rein zufällige Beobachtungen, die Erforſchung der Urſachen jener anſcheinend einfachen und oft doch recht komplizierten Thatſachen. Häufig vergeht ein langer Zeitraum, und es koſtet viele Mühe, bis die Unterſuchung zu einem gedeihlichen oder wenigſtens vorerſt befriedigenden Abſchluſſe geführt iſt. Aber die Arbeit lohnt die Anſtrengung; denn während man bisher aufs Geratewohl, d. h. ohne Berechnung des Erfolges, vorging, iſt es nun - mehr möglich, aus ſelbſtgeſchaffenen, abſichtlich hergeſtellten, aus der277Der Verbrennungsprozeß.bekannt gewordenen Theorie geſchöpften Vorausſetzungen vervollkomm - nete Methoden herzuleiten, den Erfolg alſo, wenigſtens zum größten Teile, voraus zu berechnen.

Einen ſolchen Weg hat auch die Entwicklung der beiden hoch - wichtigen Teile der heutigen Technik genommen, welche die Überſchrift dieſes Kapitels bilden. Ja, das Erwähnte trifft, mehr als in anderen Fällen, gerade bei der Heizung und Beleuchtung beſonders ſcharf zu. Das eigentliche Erfindungszeitalter der Heizung und Beleuchtung konnte, der Lage der Sache nach, erſt beginnen, nachdem es der Naturwiſſen - ſchaft gegen Ende des vorigen Jahrhunderts gelungen war, für die Natur derjenigen elementaren Erſcheinung, welche uns Licht und Wärme ſchafft, des Feuers nämlich, die richtige Erklärung zu finden. Daher gehört die Entwicklung der Heizung und Beleuchtung erſt unſerem Jahr - hundert an; wie ſo viele andere Erfindungen, hat dasſelbe auch die früher ſo äußerſt primitiven Einrichtungen des vorliegenden Zweiges der Technik in verhältnismäßig kurzer Zeit auf eine Stufe der Vollen - dung gebracht, welche einem weiteren Fortſchritt auf dieſem Gebiete, wenigſtens in näher liegenden Zeiten, Grenzen zu ſetzen ſcheint.

Wenn wir demnach in dem Folgenden ein kurzes und überſicht - liches Bild der Erfindungen auf dem Gebiete der Beleuchtung und Heizung geben wollen, ſo wird ſich, zur Erleichterung des Verſtändniſſes der zu berührenden Dinge, kaum eine beſſere Einleitung für dieſes Kapitel denken laſſen, als ein hiſtoriſcher Überblick über die Forſchungen, welche rückſichtlich der Natur des Feuers, des Verbrennungs - prozeſſes, wie wir heute ſagen müſſen, angeſtellt worden ſind. Daran wird ſich dann eine kurze Darſtellung der Reſultate dieſer Forſchungen, als der Baſis für das heutige Beleuchtungs - und Heizungsweſen, an - zuſchließen haben.

Der Verbrennungsprozeß.

Wie groß die Wichtigkeit iſt, die der Menſch, ſelbſt im Kindheits - zuſtande, dem Feuer beimaß, geht aus der göttlichen Verehrung hervor, welche im grauen Altertum allgemein, heute noch von einigen unberührt gebliebenen Völkern, ſowohl den wohlthätigen, wie den verderblichen Wirkungen desſelben gezollt wurde. Derſelbe Gedanke ſpricht ſich in der griechiſchen Prometheusſage aus, welche die Neuerſchaffung des Menſchengeſchlechtes und die Nutzbarmachung des Feuers gewiſſermaßen in eine und dieſelbe Periode legt. Erſt dann, als man den göttlich verehrten Weſen menſchliche Form verlieh, begann ſich der forſchende Geiſt mit der Unterſuchung der Natur des bis dahin unter die Götter verſetzten Elementes zu beſchäftigen. Aber die griechiſchen Naturphilo - ſophen, beſonders Demokrit, konnten in dieſer Beziehung nicht zu treffenden Vorſtellungen kommen, weil ſie das Feuer als etwas rein Materielles betrachteten; ein Fehler, welcher von den Naturforſchern und Philoſophen der folgenden Jahrhunderte in gleicher Weiſe gemacht278Beleuchtung und Heizung.wurde. Die Alchimiſten des Mittelalters, welche allerdings nur nebenbei rein chemiſche Forſchungen betrieben, da ſie durch das gierige Suchen nach der Goldtinktur, dem Stein der Weiſen , gänzlich in Anſpruch genommen wurden, gleichwie die edleren Zielen nachſtrebenden arabiſchen Gelehrten Spaniens, vermochten dem bisher Bekannten nur wenig hinzuzufügen. Aber eins fanden ſie doch, daß nämlich auch Körper exiſtierten, welche ohne Flamme verbrennen; es ſind dies die meiſten Metalle. Ein überaus wichtiger Fortſchritt geſchah erſt im ſiebzehnten Jahrhundert durch den berühmten eng - liſchen Arzt, Philoſophen und Naturforſcher Robert Boyle, welchem es gelang, nachzuweiſen, daß die Metalle infolge ihrer Verbrennung, oder, wie man es damals nannte, ihrer Verkalkung ſchwerer werden. Hieraus ſchloß Boyle, daß die Metalle beim Verbrennen einen neuen Stoff vielleicht aus der Luft aufnehmen müſſen. Leider geſchah der bahn - brechenden Entdeckung des großen Engländers dasſelbe, was großen Entdeckungen und Erfindungen ſo häufig begegnet; ſie wurde achtlos bei Seite geworfen und ſchon wenige Jahre nach Boyles Tode ſtellte Stahl in Halle ſeine Phlogiſtontheorie auf, nach welcher alle brenn - baren Körper einen gemeinſamen Stoff, das Phlogiſton, enthalten ſollten, welches während der Verbrennung aus dem brennenden Körper ent - weicht. Man überſieht leicht, daß dieſe Theorie der von Boyle entdeckten Thatſache ins Geſicht ſchlägt, indem ſie gerade ein Leichterwerden der Körper beim Verbrennen fordert. Trotzdem machte die Stahlſche Theorie Schule und hielt ſich während des ganzen vergangenen Jahr - hunderts; ja es ſchien ſogar einzelnen hervorragenden Gelehrten unſeres Jahrhunderts, auch angeſichts der gleich zu erwähnenden weiteren Ent - deckungen, nach nicht angängig, ſie aufzugeben.

Aber ſchon 1774 hatten Scheele und Prieſtley den Sauerſtoff ent - deckt und Lavoiſier, der Vater der heutigen Chemie und Erfinder der modernen chemiſchen Experimentalforſchung, bewies kurze Zeit nachher durch ſeine geniale Unterſuchung der Verbrennung des Queckſilbers, daß der brennende Körper während der Verbrennung ſich mit einem Teile der Luft unter Wärmeentwicklung vereinigt, daß alſo in der That das Produkt der Verbrennung ſchwerer iſt, als der Körper vor der Verbrennung. Die Luft erwies ſich nach dieſer bahnbrechenden Unter - ſuchung als ein mechaniſches Gemenge aus zwei Gaſen, dem zur Ver - brennung nötigen und dieſe allein ermöglichenden Sauerſtoff und dem brennende Körper zum Erlöſchen bringenden Stickſtoff. Verbrennt man eine leicht brennbare Subſtanz in reinem Sauerſtoff, wie man ihn durch vorſichtiges Schmelzen von chlorſaurem Kalium in größerer Menge er - halten kann, ſo iſt die mit dem Verbrennungsprozeß verbundene Wärme - und Lichtentwicklung eine ganz gewaltige und höchſt bedeutende; ſie übertrifft die bei der Verbrennung desſelben Körpers in gewöhnlicher Luft erfolgende um ebenſo viel, wie das Geſamtvolum der Luft den Sauerſtoffgehalt übertrifft, nämlich um das fünffache. Wir erkennen279Der Verbrennungsprozeß.hieraus, daß der anſcheinend ganz unnütze Stickſtoff eine höchſt wichtige Rolle im Haushalte der Natur ſpielt: er iſt der Regulator für die Verbrennungsprozeſſe, ohne welchen ein Bekämpfen von Bränden über - haupt unmöglich wäre.

Die verſchiedenen Subſtanzen, welche der Verbrennung fähig ſind, gebrauchen zu dieſer alſo zunächſt Luft. Dann zeigte ſich aber bald, daß die Entzündlichkeit ein zweiter weſentlicher Punkt iſt, welcher außer - ordentliche Verſchiedenheit bedingt. Wir finden Körper, die wir erſt bis zum heftigen Glühen erhitzen müſſen, ehe ſie verbrennen. Andere Sub - ſtanzen bedürfen dagegen nur der Berührung mit einem brennenden Körper, um in Flammen aufzugehen. Beiſpiele für ein ſolches Verhalten ſind viele bekannt. Der Phosphor braucht ſogar nur gerieben werden, um ſich zu entzünden; ja, wir kennen auch Subſtanzen, welche ohne weiteres Feuer fangen, wenn ſie mit der Atmoſphäre in Berührung kommen. Zu dieſen Pyrophoren gehört z. B. das feinſt gepulverte, friſch dargeſtellte Eiſen, ſowie jene ſeltſame Verbindung des Phosphors, die wir Phosphorwaſſerſtoff nennen, ein ſehr giftiges und feuergefähr - liches Gas, welches ſich beim Kochen von Phosphor in Kalilauge bildet und beim Austritt ſich von ſelbſt an der Luft entzündet. Die Chemiker haben die Erklärung der verſchieden ſtarken Entzündlichkeit der brenn - baren Subſtanzen in der gut begründeten Annahme gefunden, daß die Maſſe ſämtlicher Elemente und Verbindungen aus kleinſten Teilchen, Molekülen, beſteht und daß jedes dieſer letzteren wieder aus noch kleineren Teilen, Atomen, zuſammengeſetzt iſt, die durch Kräfte be - ſtimmter Art im Molekül zuſammengehalten werden. Es gehört daher offenbar im allgemeinen ein äußerer Kraftanſtoß dazu, um die Atome von einander zu löſen; ſind ſie dann einmal frei geworden, ſo äußern ſich nunmehr und zwar ſofort im Momente des Freiwerdens (in statu nascendi) andere Kräfte, die der chemiſchen Affinität, welche aus den Atomen neue Moleküle bilden, von anderen Eigenſchaften, wie die alten. Dieſe anderen Kräfte pflegen viel ſtärker zu ſein, als die erſt erwähnten, ſo daß in den weitaus meiſten Fällen der ſich bei dem Prozeß ergebende Kraftüberſchuß in Form von Wärme zur äußeren Wahrnehmung kommt. Der oben erwähnte äußere Kraftanſtoß wird alſo in der Regel nicht zu entbehren ſein, wenn es darauf ankommt, eine Verbrennung, welche ja auch ein chemiſcher Prozeß iſt einzu - leiten; deshalb müſſen wir den zu verbrennenden Körper anzünden, d. h. bis auf eine beſtimmte Temperatur erhitzen. Iſt aber die Verbrennung erſt an einem Punkte eingeleitet, ſo genügt in den meiſten Fällen der freiwerdende Wärmeüberſchuß, um den ganzen Körper in Flammen zu ſetzen. Nur in den wenigen Fällen, wo die chemiſche Affinität ſo koloſſal iſt, daß die Atome ſich aus den urſprünglichen Molekülen von ſelbſt löſen, iſt ein Entzünden garnicht nötig, und es erfolgt eine Selbſtentzündung, wie beim Phosphor - waſſerſtoff.

280Beleuchtung und Heizung.

Die eben entwickelte Theorie, welche von der neueren Schule der Chemiker herrührt, erhält eine Stütze in der weiteren Überlegung, daß die Zerſetzung der Moleküle um ſo heftiger und plötzlicher erfolgen muß, je heftiger der äußere Kraftanſtoß iſt. Das wird aber be - ſtätigt durch die Erſcheinung der Detonation der exploſiven Körper. Hierbei iſt der Initialſtoß überaus heftig, die Zerſetzung daher eine faſt momentan durch die ganze Maſſe fortſchreitende. Das Genauere über dieſe intereſſanten Forſchungen findet ſich unter dem Kapitel Sprengſtoffe .

Die Körper verbrennen unter äußerlich verſchiedenen Erſcheinungen. Das Eiſen glüht nur, ebenſo die Kohle; Schwefel, Phosphor, Leucht - gas brennen dagegen mit Flamme. Der Umſtand, daß Eiſen und Kohle nicht zu verflüchtigen ſind, während Leuchtgas an ſich gasförmig iſt, und Schwefel und Phosphor durch die Hitze der Verbrennung in Gaſe verwandelt werden, läßt leicht den Grund des Unterſchiedes finden: Nur ſolche Körper, welche ſelbſt Gaſe ſind oder ſich durch Wärme vergaſen laſſen, brennen mit Flamme. Während die Ver - brennung uns die unter Licht - und Wärmeentwicklung erfolgende Verbindung des brennenden Körpers mit Sauerſtoff ankündigt, bedeutet die Erſcheinung der Flamme ſtets die Verbrennung eines gasförmigen Körpers; ſie ſtellt geradezu ein glühendes, verbrennendes Gas vor. Das iſt die einfache Erklärung der Natur des Feuers denn mit dieſem Worte bezeichnet man vorzugsweiſe die Flamme , welche Jahrtauſende hindurch vergeblich geſucht wurde.

Aber wir begegnen in der Flamme ſelbſt wieder verſchiedenen nicht ſofort erklärbaren Erſcheinungen. So ſehen wir, daß der brennende Schwefel und der brennende Waſſerſtoff nicht leuchten, während die Leuchtgasflamme und die Phosphorflamme helles Licht ausſtrahlen. Die Erklärung dieſes auffallenden Verhaltens ergiebt ſich aus einem einfachen Experiment. Man kennt unter der großen Menge der Kohlen - waſſerſtoffverbindungen zwei, welche im Leuchtgas vorhanden ſind: das Methan oder Grubengas und das Äthylen oder ölbildende Gas. Das letztere enthält gerade noch einmal ſoviel Kohle, wie das erſtere; es leuchtet beim Brennen, während jenes eine nicht leuchtende Flamme hat. Leitet man aber das Äthylen, bevor man es anzündet, durch ein glühendes Eiſenrohr, ſo wird ſeine Flamme nichtleuchtend, indem es, wie der Verſuch ergiebt, die Hälfte ſeiner Kohle verloren hat und in Methan übergegangen iſt. Was in dem Eiſenrohr geſchah, geſchieht aber offenbar auch in der hoch temperierten Flamme des Äthylens; d. h. das Gas zerfällt in Methan, welches weiter brennt und in fein zerteilte, in der Flamme ſchwebende, glühende Kohle. Dieſe iſt es alſo, welche das Leuchten der Flamme bedingt. Soll eine Flamme leuchten, ſo muß ſie einen feinzerteilten, glühenden, feſten Körper ſchwebend enthaltend. In der Regel beſteht dieſer aus Kohle; er kann aber auch das Produkt der Verbrennung ſein. So iſt es z. B. beim281Der Verbrennungsprozeß.Phosphor, in deſſen Flamme das Leuchten durch fein zerteiltes Phosphorpentoxyd, die durch die Verbrennung entſtehende Verbindung des Phosphors mit dem Sauerſtoff der Luft, bewirkt wird.

Die Thatſache, daß in jeder gewöhnlichen leuchtenden Flamme eine vorgängige Zerſetzung des vergaſten Leuchtſtoffes in ein brennbares Gas und fein zerteilte glühende Kohle ſtattfindet, bedingt ſehr ver - ſchiedene Temperaturen in den einzelnen Regionen der Flamme. Dieſer Umſtand läßt ſich am einfachſten an einer ganz gewöhn - lichen Kerzenflamme feſtſtellen. Eine ſolche zeigt (Fig. 181) um den Docht herum eine mattblaue, nicht leuchtende Zone c, welche offenbar aus den aus dem geſchmolzenen Leuchtſtoff ſich erhebenden vergasten Kohlenwaſſerſtoffen beſteht. Etwas weiter nach oben zerſetzt ſich das brennbare Gas infolge der Hitze in Methan und Kohle. Daher ſehen wir die nicht leuchtende Mittelzone von einem ſehr hell leuchtenden Mantel d umgeben, welcher dadurch entſteht, daß die ſich ausſcheidenden Kohleteilchen zum Weißglühen erhitzt werden. Jedes Teilchen legt hierbei den Weg von der Mitte der Flamme nach dem äußeren Rande derſelben zurück, kommt alſo zuletzt mit der

Fig. 181.

Kerzenflamme.

äußeren Luft in Berührung und verbrennt dann vollſtändig. Daher zeigt ſich auch die Leuchtregion von einem ſchmalen mattblauen Saume e, f umgeben, den wir die Verbrennungszone nennen müſſen. Aus dem An - geführten ergiebt ſich, daß in der Mittelregion der Flamme eine verhältnis - mäßig ſehr niedrige Temperatur herrſchen wird, während die ſchmale Verbrennungszone am heißeſten ſein muß. Daß dies wirklich der Fall iſt, zeigt ſich, wenn man den Kopf eines Zündhölzchens recht ſchnell in die Mittelzone hineinſtößt; es vergeht eine erhebliche Zeit, ehe ſich das Hölzchen entzündet. Dagegen erfolgt die Entzündung ſofort, wenn man den Kopf desſelben in die äußere Zone hineinhält. Bei einer großen Gasflamme, welche man aus einem weiten Metallcylinder hervorbrennen läßt, gelingt es ſogar, Schießpulver, welches man auf einem Löffelchen in den kalten Flammenkern hält, lange Zeit vor Ent - zündung zu bewahren.

Aus dem Angeführten erſieht man leicht, daß die leuchtende Zone der Flamme eine Temperatur haben muß, welche zwiſchen der niedrigen des Kerns und der ſehr hohen der Verbrennungszone die Mitte halten wird. Wir folgern weiter, daß, wenn dieſe Temperatur zu niedrig iſt, die Kohle nicht ganz zum Glühen gebracht werden wird, während im Gegenteil bei zu hoher Temperatur die Kohle verbrennt, ohne überhaupt zum Glühen zu kommen. Im erſteren Falle zeigt ſich alſo die aus - geſchiedene Kohle zum Teil ſchwarz, eine Erſcheinung, welche wir als das Blaken der Flamme bezeichnen; im letzteren wird die ganze Flamme nichtleuchtend, ſie wird entleuchtet.

Wie begegnen wir dieſen beiden Fehlern? Wir korrigieren einfach die mangelhaften Temperaturverhältniſſe der Flamme, indem wir den282Beleuchtung und Heizung.Luftzufluß, welcher ja bekanntlich über die Temperatur der Flamme entſcheidet, entſprechend regulieren. Wir werden alſo einer blakenden Flamme mehr Luft zuzuführen haben, während wir den Luftzufluß bei einer entleuchteten beſchränken müſſen. Dieſe Regulierung geſchieht, wie weiterhin genauer erörtert werden wird, durch die Zuggläſer oder Cylinder, mit denen man die Flammen umgiebt.

Es ergiebt ſich alſo, daß die Bedingungen für das ausgiebige Leuchten einer Flamme im weſentlichen zwei ſind. nämlich genügende Entwicklung von fein zerteilter Kohle in der Flamme und richtig gewählter, d. h. weder zu ſchwacher, noch zu ſtarker Luftzutritt. Daneben mag erwähnt werden, daß beſondere vorgängige Erhitzung der Leuchtgaſe auch ein Mittel iſt, um ohne beſonders ſtarken Luft - zutritt die Leuchtkraft zu ſteigern.

Verlangen wir von einer Flamme nicht ſowohl Leuchtkraft, als vielmehr beſonders ausgiebige Wärmeentwicklung, ſo folgt aus dem ſoeben Angeführten, daß einmal die Güte des Brennmaterials, alſo in erſter Linie ſein Kohlengehalt, und ſodann das Maß des Luftzutrittes auf die Hitze der Flamme von Einfluß iſt. Es zeigt ſich das z. B. ſehr ſchön, wenn wir einen mehrere Millimeter dicken Eiſendraht zuerſt in einer gewöhnlichen, d. h. leuchtenden Gasflamme, dann in der Flamme eines Bunſenbrenners, hierauf in der Flamme einer Glasbläſerlampe und endlich in einer Gasflamme erhitzen, welche durch reinen Sauer - ſtoff angeblaſen wird. Im erſten Falle dauert es ſehr lange, ehe der Draht ſchwach glüht, im zweiten erfolgt das Glühen ſchon ſchneller, im dritten wird der Draht nach kurzer Zeit hell glühend, im letzten wird er ſchnell weißglühend und verbrennt unter heftigem Funkenſprühen. Der Grund dafür iſt das allmähliche Anſteigen des Sauerſtoffzufluſſes bei den gewählten vier Erhitzungsarten. Die einfache Gasflamme hat gar keinen beſonderen Luftzutritt. Beim Bunſenbrenner (Fig. 182) miſcht ſich das Gas vor dem Verbrennen mit Luft, welche durch die zwei ſeitlichen Zuglöcher

Fig. 182.

Bunſenbrenner.

Zutritt hat; hierdurch wird das Gas verdünnt, die ausgeſchiedenen Kohlen - teilchen rücken weiter von einander und verbrennen, ohne glühend zu werden, infolge des intenſiveren Luft - zufluſſes. Bei der Glasbläſerlampe (Fig. 183) wird in die Gasflamme, welche aus einem weiten Rohre a herausbrennt, durch ein konzentriſches engeres Rohr b ein heftiger Luftſtrom geblaſen, ſo daß eine erheblich ener - giſchere Verbrennung erfolgt. Bläſt man vollends mit reinem Sauerſtoff

Fig. 183.

Glasbläſerlampe.

283Der Verbrennungsprozeß.an, ſo ſteigert ſich die Wirkung bis auf das höchſte erreichbare Maß; nur wenn man ſtatt des Leuchtgaſes reinen Waſſerſtoff verwendet (Knallgasgebläſe), läßt ſich eine noch ein wenig höhere Temperatur erzielen.

Aus dem Geſagten ergiebt ſich, daß die Wärmeentwicklung einer Flamme einmal von der Wahl des Brennſtoffes, ſodann aber von einer möglichſt kräftigen Luftzufuhr abhängt. Der Gehalt des Brennſtoffes, d. h. die Qualität und Quantität der verbrennenden Subſtanzen ſchafft die Verbrennungswärme, welche durch energiſche Sauerſtoffzuführung bis auf das gewünſchte Maß geſteigert werden kann.

Ein ganz beſonderer Fall der Verbrennung liegt vor, wenn der zu verbrennende gasförmige Körper vorher mit einem Quantum Sauer - ſtoff, reſp. Luft gemiſcht wird. Reicht in dieſem Falle der beigemengte Sauerſtoff zur völligen Verbrennung aus, ſo wird die letztere auf einmal durch die ganze Maſſe des Gasgemiſches erfolgen müſſen und durch die in einem Momente entfeſſelte bedeutende Verbrennungswärme werden die gasförmigen Verbrennungsprodukte plötzlich derartig aus - gedehnt werden, daß die umſchließenden Wände zerſprengt werden können: es erfolgt eine Exploſion. Ein ſolcher Fall liegt beim Knall - gaſe, einem Gemiſch von Waſſerſtoff und Sauerſtoff, ſowie bei den Gemiſchen der meiſten brennbaren Gaſe mit Luft vor. Für das Auf - treten einer energiſchen Exploſion bedarf es aber, wie geſagt, eines genügenden Luftquantums. Auch von dieſer an ſich verderbenbringenden Erſcheinung, welche im großen Maßſtabe z. B. in den ſchlagenden Wettern der Kohlengruben vorkommt, hat man eine nutzbringende Anwendung bei der Konſtruktion der Gaskraftmaſchinen gemacht. (Vgl. S. 109 bis 116).

Nachdem wir durch das bisher Angeführte in das Verſtändnis der Verbrennungserſcheinungen eingeführt worden ſind, wenden wir uns zu der ſpezielleren Betrachtung der Erfindungen auf dem Gebiete der Beleuchtung und Heizung.

a) Die Beleuchtung.

Von den verſchiedenen Hauptarten der Beleuchtung unterſcheidet man im weſentlichen die folgenden:

  • 1. mittels feſter Beleuchtungsſtoffe (Kerzenbeleuchtung);
  • 2. mittels flüſſiger Beleuchtungsſtoffe (Lampenbeleuchtung), welche entweder ohne Zerſetzung nicht flüchtig oder aber unzerſetzt flüchtig ſind;
  • 3. mittels gasförmiger Stoffe (Gasbeleuchtung), welche ſtets Kohlenwaſſerſtoffe ſind, aber aus ſehr verſchiedenen Subſtanzen bereitet werden können;
284Die Beleuchtung.
  • 4. Beleuchtung durch Erhitzen von beſonderen feſten Beleuchtungs - körpern zum Glühen (Magneſiumlicht, Drummondſches Licht, Hydrooxygengaslicht);
  • 5. Durch Elektrizität (elektriſches Licht, Bogenlicht, Glühlicht).

Wir betrachten hier nur die erſten vier Arten, da das elektriſche Licht auf S. 178 bis 188 ſpeziell abgehandelt wurde.

1. Feſte Beleuchtungsſtoffe; Beleuchtung mit Kerzen.

Bei einer Kerze wird der Beleuchtungsſtoff in eine cylindriſche Form gebracht und birgt in deren Achſe den Docht. Beim Anzünden der Kerze ſchmilzt der Brennſtoff zunächſt, dann wird er durch die Capillarität des Dochtes in die Höhe geſaugt, am oberſten Ende des Dochtes in Gasform übergeführt und in der Flamme verbrannt.

Die zur Kerzenbeleuchtung verwendeten Stoffe ſind im weſentlichen feſte Kohlenwaſſerſtoff - oder Kohlenwaſſerſtoffſauerſtoffverbindungen, von welchen zahlreiche fertig gebildet in der Natur vorkommen, andere künſt - lich durch Bearbeitung der natürlich vorkommenden hergeſtellt werden. Die in beſonders großem Umfange verwandten ſind: Talg, Stearin, Paraffin, Walrat und Wachs.

Talg findet ſich in winzigen Kügelchen in den Zellen beſtimmter Stellen des tieriſchen Gewebes. Beſonders bei den Wiederkäuern tritt Talg von hervorragend feſter Beſchaffenheit auf; der Grad der letzteren bedingt den Wert des Produktes. Das Ausſchmelzen des Talges, welches in der neueſten Zeit in großen, häufig gleich mit den Schlacht - häuſern verbundenen Gebäuden ausgeführt wird, hat den Zweck, die zerſtreuten Fettkügelchen zu ſammeln und zu einer kompakten Maſſe zu vereinigen. Die zerſchnittenen Fettlappen werden in Keſſeln bei einer Temperatur von etwas über 100°C. behandelt und geben hierbei 90 bis 95 % Talg ab, welcher ſich von den zurückbleibenden Grieben trennt.

Der Umſtand, daß bei dieſem Verfahren ein bemerkbarer Verluſt entſteht, ſowie der überaus widerliche Geruch, der dasſelbe begleitet und die weite Entfernung der Talgſchmelzen von menſchlichen Wohnungen zu einer Notwendigkeit macht, war die Veranlaſſung zur Anwendung anderer Methoden der Talggewinnung. Unter ihnen ſind beſonders das Verfahren von Darcet und dasjenige von Lefebure zu nennen. Bei dem erſteren wird der Talg mit Waſſer erhitzt, welchem wenige Prozente Schwefelſäure zugeſetzt ſind; bei dem letzteren läßt man den Talg mehrere Tage in einem kalten Bade von ſehr verdünnter Schwefel - ſäure mazerieren und ſchmilzt ihn dann aus. In beiden Fällen erhält man eine größere Ausbeute und der Geruch iſt wenigſtens erträglich.

Der ſo gewonnene Talg wird, ehe man ihn zur Kerzenfabrikation gebraucht, geläutert, indem man ihn mit Löſungen verſchiedener Salze, wie Salpeter, Salmiak, Alaun, Kochſalz, Bitterſalz u. ſ. w. durchwäſcht. 285Feſte Beleuchtungsſtoffe, Beleuchtung mit Kerzen.Hierdurch werden noch vorhandene Verunreinigungen, Reſte von Gela - tine und Leim, beſeitigt und das Talgfett rein erhalten.

Stearin iſt ein Beſtandteil des Talges, wie überhaupt aller feſten Fette. Dieſe beſtehen aus einem Gemenge der Verbindungen des Gly - cerins, einer ſüßlich ſchmeckenden, ölartigen Flüſſigkeit, mit drei Fett - ſäuren, der Stearinſäure, Palmitinſäure und Ölſäure. Je feſter das Fett, deſto mehr Stearinſäure, je weicher, deſto mehr Ölſäure ent - hält es.

Zur Abſcheidung der Stearinſäure, welche man gewöhnlich unter dem Vulgärnamen Stearin verſteht, verdrängt man das Glycerin aus dem Fette durch Kalk, der ſich mit den Fettſäuren zu in Waſſer unlös - lichen Seifen vereinigt; die Seife wird dann durch Schwefelſäure, welche ſich mit dem Kalk vereinigt, zerlegt, und aus der zurückbleibenden - ſung von Stearin - und Palmitinſäure in Ölſäure durch Kryſtalliſieren und Auspreſſen wird das Gemenge der genannten beiden feſten Fett - ſäuren, das Stearin, gewonnen.

Der erſte Prozeß, das Verſeifen des Fettes, geſchieht in großen, mit überhitztem Dampf geheizten Gefäßen (Autoklaven) und iſt ſehr ſchnell beendigt. Die obenauf ſchwimmende Kalkſeife wird dann in großen Kufen mit ſtark verdünnter Schwefelſäure ebenfalls mittels Dampfes erwärmt, bis eine helle, durchſichtige, wie Öl ausſehende Schicht ſich obenauf geſammelt hat. Dieſe wird abgeſtochen und erſtarrt in den Formen bald zu einer gelblichen, talgähnlichen Maſſe, welche nunmehr zerkleinert und dann erſt in der Kälte, ſpäter nochmals in gelinder Wärme, unter ſtarken hydrauliſchen Preſſen behandelt wird. Hierbei läuft die flüſſige Ölſäure ab und das Stearin bleibt zurück. Es ſtellt eine weiße kryſtalliniſche Maſſe dar, welche bei etwa 70° C. ſchmilzt.

Außer dem geſchilderten Verfahren iſt noch ein zweites im Ge - brauch, bei welchem der Talg direkt durch 6prozentige Schwefelſäure zerſetzt und die gewonnenen Fette mit übermäßig erhitzten Waſſer - dämpfen abdeſtilliert, dann kryſtalliſiert und ausgepreßt werden. In dieſem Falle gewinnt man als Nebenprodukt ſchwefelſaures Glycerin, während bei dem Verſeifungsverfahren das Glycerin ſelbſt erhalten wird.

Paraffin iſt ein eigentümlicher, nicht ſtets gleichmäßig zuſammen - geſetzter, feſter Kohlenwaſſerſtoff, welcher als ein Gemenge aus verſchiedenen einfacheren Verbindungen betrachtet werden muß. Es iſt eine weiße, ſehr durchſcheinende Maſſe, deren Schmelzpunkt, je nach der Mengung, zwiſchen 30° und 60°C. ſchwankt.

Man gewinnt das Paraffin meiſtens aus Braunkohle, welche man in aufrecht ſtehenden Cylindern von feuerfeſtem Thon bei niederer Temperatur deſtilliert, die abziehenden Teerdämpfe werden abgeſaugt und in Vorlagen verdichtet. Der ſo erhaltene Teer wird durch Dampf - heizung entwäſſert und hierauf aus eiſernen Apparaten deſtilliert. Die übergehenden Produkte ſind der Regel nach: wenig zurückgebliebenes286Die Beleuchtung.Waſſer, Öle, Paraffinöle. In dem Deſtillationsapparat bleibt als Rück - ſtand Asphalt. Die Öle werden zur Reinigung erſt mit Ratronlauge, dann mit Schwefelſäure gewaſchen. Endlich deſtilliert man die ge - reinigten Öle nochmals mit überhitztem Waſſerdampf; ſie trennen ſich in flüſſige Öle (Benzin, Solaröl, Photogen) und erſtarrende Öle. Dieſe letzteren werden nochmals mit Lauge und Schwefelſäure raffiniert und das erhaltene Rohparaffin ſchließlich nochmals mit Dampf deſtilliert.

Außer aus Braunkohle erhält man Paraffin auch aus beſtimmten Sorten Petroleum (z. B. dem aus Birma ſtammenden), ſowie aus dem Ozokerit oder Erdwachs, welches man in Galizien und am kaspiſchen Meer, neuerdings auch in den amerikaniſchen Staaten Utah und Arizona in Menge gefunden hat. Man bedient ſich in dieſem Falle einfach der Deſtillation mit überhitztem Waſſerdampf und raffiniert das Rohprodukt in der eben geſchilderten Weiſe.

Walrat findet ſich als eine kryſtalliniſche, wachsähnliche, in flüſſigen, fetten Kohlenwaſſerſtoffen gelöſte Maſſe in beſonderen Höhlen des Schädels von Physeter macrocephalus, dem Pottwal. Das nach dem Tode des Tieres dem Schädel entnommene Fett wird ausgepreßt und der ſich ausſcheidende feſte Beſtandteil nochmals mit Kalilauge gewaſchen, welche die letzten Spuren flüſſigen Fettes beſeitigt, ohne die feſten Fette, den eigentlichen Walrat, ſtark anzugreifen. Durch Schmelzen mit Tierkohle wird der Walrat vollends gereinigt und entfärbt. Er bildet dann eine glänzend weiße, kryſtalliniſche Maſſe, welche eine Verbindung der oben genannten feſten Fettſäuren mit einem dem Glycerin ähnlich zuſammengeſetzten Körper, dem Cetylalkohol, iſt. Das abgepreßte Walratöl läßt ſich in Lampen brennen, während der feſte Walrat zur Kerzenfabrikation dient.

Wachs ſtammt zum Teil aus dem Tierreich, zum Teil von Pflanzen. Das Bienenwachs, welches zwiſchen den Hinterleibsringen unſerer Honigbiene in winzigen Blättchen hervortritt und dem Tiere zum Wabenbau dient, wird zuvörderſt von anhängendem Honig gereinigt und dann in ſiedendem Waſſer geſchmelzt. Das ſo erhaltene rohe Wachs iſt gelb bis bräunlich, weil es durch aus Blütenſtaub und Honig herſtammende Verunreinigungen gefärbt wird. Da dieſe bei der Anwendung des Wachſes als Beleuchtungsſtoff ſtören, ſo entfernt man ſie durch einen Bleichprozeß. Am beſten wirkt die Sonnenbleiche; alle anderen Methoden liefern kein Wachs von haltbarer Weiße. Man ſchmilzt das Wachs über Waſſer mit einem geringen Zuſatz von Weinſteinpulver (zum Klären) und läßt es in ein zweites Gefäß laufen, welches laues Waſſer von einer Temperatur enthält, welche der des Schmelzpunktes des Wachſes nahe liegt. Aus dieſem Gefäß läuft die geſchmolzene Maſſe langſam in dünnem Strahl in einen flachen und weiten, ſteinernen, ſtets naß gehaltenen Cylinder; man erhält das Wachs hierdurch in dünnen Bändern (das Bändern des Wachſes). Dieſe werden auf Leinwand gebreitet und den Sonnenſtrahlen aus -287Feſte Beleuchtungsſtoffe, Beleuchtung mit Kerzen.geſetzt, bis dieſe nicht mehr bleichend wirken. Dann ſchmilzt man wieder um, bändert nochmals, bleicht wieder und wiederholt dieſe Operationen, bis völlige Bleichung bis in den Kern hinein erfolgt iſt. Das Verfahren iſt ziemlich koſtſpielig, da es mehrere Wochen dauert.

Von Pflanzenwachsſorten kennt man mehrere, welche als Surro - gate für das Bienenwachs gebraucht werden. Beſonders zu nennen ſind das japaniſche Wachs, von Rhus succedania herſtammend, welches fettiger und talgartiger iſt, als das Bienenwachs, dem es nicht gleich - kommt; ſodann das Carnaubawachs, der wachsartige Überzug der Blätter einer braſilianiſchen Palmenart, welches ſich durch große Feſtigkeit und hohen Schmelzpunkt von allen anderen Wachsarten unterſcheidet.

Als ein anderes Wachsſurrogat dient das Cereſin, welches aus dem natürlich vorkommenden Erdwachs oder Ozokerit durch Schmelzen mit Schwefelſäure und nachfolgendes Entfärben mit Tierkohle gewonnen wird. Es iſt in ſeiner Zuſammenſetzung dem Paraffin ähnlich, in ſeinen äußeren Eigenſchaften ſteht es dagegen dem Wachs ſehr nahe. Es wird zur Fabrikation von Kerzen auch mit Carnaubawachs gemiſcht.

Die bisher aufgezählten feſten Leuchtſtoffe werden zu Kerzen ver - arbeitet. Nach der Fabrikationsmethode unterſcheidet man gezogene und gegoſſene Kerzen; nur beſonders ſtarke Exemplare (zu kirchlichen Zwecken) werden aus einzelnen Wachsplatten mit eingelegtem Docht zuſammengebogen und gerollt.

Das Ziehen der Kerzen erfolgt meiſt nur noch bei Talglichtern. Man hat zwei Gefäße, das eine zum Vorratſchmelzen, das andere zur Aufnahme des gußrechten Talges. Die Dochte werden zu 16 bis 18 Stück an Holzſtäben ſenkrecht angereiht und auflaufengelaſſen , d. h. durch ſchnelles Eintauchen mit heißem Talg getränkt und nach dem Erkalten abgerundet und geſchlichtet. Dann beginnt das eigentliche Ziehen , indem man die getränkten Dochte abwechſelnd in gußrecht abgekühlten Talg eintaucht, herauszieht und auf einem Holzgerüſt, der Werkbank , erkalten läßt. So wird die Kerze allmählich dicker. Der natürlichen Neigung des Talges, ſich am unteren Ende dicker anzulegen, begegnet man durch verſchieden tiefes Eintauchen, ſowie dadurch, daß man gegen Schluß der Prozedur das untere Ende länger im Bade läßt, ſo daß ein Teil wieder abſchmilzt. Dann wird endlich die Geſtalt der Kerze mittels eines kreisförmig ausgeſchnittenen, erwärmten Bleches nachgebeſſert.

Das Ziehen iſt ſehr mühſam, bietet aber den Vorteil, daß man für die inneren Schichten der Kerze geringere, für die äußeren beſſere Talgſorten verwenden kann.

Zum Gießen der Kerzen, welches beſonders für Stearin, Walrat und Paraffin angewendet wird, gebraucht man meiſt Metallformen. Die letzteren beſtehen aus einem inwendig ſorgfältig geglätteten, ſich ſehr wenig verjüngenden Rohre, deſſen unteres Ende in eine offene288Die Beleuchtung.Spitze ausläuft und deſſen oberſter Teil einen außen vorſpringende Wulſt hat. Viele ſolcher Formen werden in ſenkrechter Stellung in

Fig. 184.

Kerzenform.

eine Werkbank eingeſetzt. Der Docht geht etwas ſtraff durch die untere Öffnung, die er alſo ver - ſchließt und wird oben durch einen kapſelförmigen, beweglichen Einſatz gehalten, der für das Ein - gießen der Maſſe Spielraum läßt (Fig. 184). So befindet ſich der Docht in genau zentraler Lage. Die gußrechte Lichtmaſſe, welche am beſten eine Temperatur von 40 46°C. hat, wird mittels einer kleinen Kanne in die Form eingegoſſen. Erſt am Tage nach dem Guß laſſen ſich die Kerzen bequem aus der Form löſen; ſie werden dann nur noch an dem Gußende gleichmäßig beſchnitten.

Für die Fabrikation von Wachskerzen, welche erfahrungsmäßig ſehr feſt an den Form wänden hafteten, ſo daß ſie häufig zerbrachen, be - nutzt man ein Verfahren, welches zwiſchen dem Ziehen und dem Gießen gewiſſermaßen die Mitte hält, das ſogenannte Angießen. Hierbei werden die ſenkrecht hängenden Dochte und Gießlöffel wiederholt abwechſelnd mit Wachs begoſſen und abgekühlt, dazwiſchen wieder zwiſchen Brettern gerollt. Auf dieſem Wege erhält man Kerzen mit konzen - triſchen Schichten, wie man beim Zerbrechen der fertigen Kerzen noch genau bemerken kann.

Sehr dünne Wachskerzen, welche als Wachsſtöcke in den Handel kommen, werden gezogen oder auch gepreßt, indem man das Wachs aus dem Preſſenreſervoir durch eine der gewünſchten Dicke entſprechende Öffnung zugleich mit dem Docht unter ſehr ſtarkem Drucke hindurchpreßt.

In neuerer Zeit hat man auch Lichtgießmaſchinen konſtruiert, deren Prinzip genau dasſelbe iſt, wie das bei der Handarbeit befolgte. Das Produkt läßt aber, wenn nicht langſam gearbeitet wird, häufig zu wünſchen übrig, obgleich natürlich die produzierte Menge weſentlich größer iſt.

2. Flüſſige Beleuchtungsſtoffe; Beleuchtung mit Lampen.

Die weſentlichſten flüſſigen Leuchtſtoffe, welche naturgemäß an ſich ſchon größere Bedeutung haben, als die feſten, ſind: das Rüböl und das Petroleum. Heute iſt das erſtere durch das letztere faſt völlig verdrängt.

Das Rüböl findet ſich in den Samen vieler Arten der Cruciferen - gattung brassica, beſonders im Raps und Rübſamen. Um beim Aus - preſſen der Samen nicht zugleich Nebenſtoffe, beſonders Waſſer, Schleim und Eiweiß zu erhalten, benutzt man nur mehrere Monate lagernden, ganz trockenen Samen, der überdies vorher, um die letzten Waſſerſpuren289Flüſſige Beleuchtungsſtoffe; Beleuchtung mit Lampen.zu vertreiben und das Eiweiß zum Gerinnen zu bringen, erwärmt wird. Die gequetſchten Samen werden unter dem Mühlſtein fein gemahlen und das Mehl, angewärmt in Preßtücher eingeſchlagen, unter die Preſſe am beſten eine hydrauliſche gebracht. Das Öl rinnt von den Preßplatten herunter und ſammelt ſich in einem Reſervoir. Die Aus - beute beträgt zwiſchen 16 und 50 %.

Das rohe Öl muß einem Läuterungsprozeß unterworfen werden, um es von den noch in ihm enthaltenen, beim Brennen ſchädlich wir - kenden Verunreinigungen zu befreien. Zu dieſem Zwecke wird das Öl, bis auf 60 70° C. erwärmt, in horizontal liegende Fäſſer gebracht, in welchen ſich eine Flügelwelle dreht. Dann läßt man, unter fort - währendem Bewegen der Welle, 1 1 ½ prozentige Schwefelſäure im dünnen Strahl hinzulaufen. Die Säure verkohlt die Verunreinigungen, welche ſich infolge deſſen als dunkle Flocken abſetzen. Dann unter - bricht man den Prozeß und reinigt das Öl durch Zuſatz von warmem Waſſer möglichſt vollſtändig von der anhängenden Schwefelſäure. Die letzten Spuren derſelben werden durch Kreidewaſſer und einem Dampf - ſtrom entfernt, das Öl geklärt und in die Transportgefäße geleitet.

Das Petroleum (Erdöl, Steinöl, Naphta) iſt eine mineraliſch vorkommende, leichter oder ſchwerer entzündliche Flüſſigkeit von ſehr wechſelnder Zuſammenſetzung. Sie beſteht aus einem Gemiſch von ſehr zahlreichen Kohlenwaſſerſtoffen, die in ganz verſchiedenen Mengen auftreten können, ſo daß ſich ſchon hieraus die verſchiedenen Eigen - ſchaften der einzelnen Sorten erklären. Die Fundorte ſind ſehr ver - breitet; zuweilen liegen ſie in der Nähe vulkaniſcher Gebiete, meiſt aber in gewöhnlichen geſchichteten Geſteinen. Das Erdöl ſtammt zum Teil aus den älteſten, zum Teil wieder gerade aus den jüngſten Erdforma - tionen. Es durchdringt die Zwiſchenräume der Geſteinſchichten, er - füllt Spalten und Klüfte und ſammelt ſich in den verſchiedenſten Tiefen, in denen es durch Bohrung erreicht wird. Meiſt findet es ſich mit brennbaren Gaſen zugleich vor und ſteht dann, wie dieſe ſelbſt, unter hohem Druck. Trifft dann die Bohrung zunächſt den Gasraum, ſo entweichen große Mengen brennbarer Gaſe, welche unter dem Namen Naturgas häufig zur Beleuchtung gebraucht werden, und das Öl muß dann durch Pumpen gehoben werden. Erreicht man dagegen beim Bohren zuerſt die Ölſchicht, ſo ſprudelt das Erdöl, durch den gewaltigen Gasdruck emporgetrieben als Springquell aus dem Bohrloch auf. Die größten Mengen werden in Nordamerika gewonnen, in welchem Erdteil ſich eine reiche Zone von der Südweſt - grenze Pennſylvaniens, quer durch dieſen Staat und durch den Staat New-York in nordöſtlicher Richtung erſtreckt. Dieſer Diſtrikt ergab zu Anfang der achtziger Jahre täglich die ungeheure Menge von über 60000 Barrels. Außer den genannten Staaten liefern auch Ohio, Kentucky und Kalifornien Erdöl; ebenſo beſtimmte Diſtrikte von Kanada und eine ganze Anzahl von Gegenden Südamerikas. Das wichtigſteDas Buch der Erfindungen. 19290Beleuchtung.aſiatiſche Erdölgebiet iſt Birma, hauptſächlich wegen der großen Menge koſtbarer Nebenprodukte, welche gerade dieſes Petroleum ergiebt. Die bedeutendſte Menge Erdöl nach den nordamerikaniſchen Gebiete giebt aber die kaukaſiſch-kaspiſche Zone, deren Mittelpunkt Baku iſt, eine vulkaniſche, an Mineralquellen reiche Gegend. Bei Tiflis entſtrömen der Erde fortwährend brennbare Gaſe. Auſtralien und Afrika haben in Bezug auf die Erdölgewinnung noch keine Bedeutung; in Europa produziert bisher nur Galizien größere Mengen Petroleum und, ver - eint damit, Ozokerit. Erwähnenswert iſt indeſſen noch das Vorkommen von Erdöl im nordweſtlichen Deutſchland, beſonders in Hannover, wo die geologiſchen Bildungsverhältniſſe des Erdöls ähnlich zu liegen ſcheinen, wie in Nordamerika. Über die Art, in welcher ſich das Erdöl bildet, giebt es verſchiedene Anſchauungen, doch iſt bisher nichts Sicheres bekannt. Ja, es ſteht nicht einmal ganz feſt, ob es organiſchen oder anorganiſchen Urſprungs iſt, obgleich dies letztere für wahrſcheinlicher gehalten wird.

Das rohe Petroleum, welches meiſt eine dunkle, bräunliche oder grünliche Färbung hat, wird einem Deſtillationsprozeß unterworfen. Man benutzt hierzu große eiſerne Deſtillierblaſen. Die Deſtillations - produkte werden getrennt aufgefangen. Das zuerſt Übergehende wird ge - ſammelt, bis das ſpezifiſche Gewicht 0,82 beträgt; es heißt leichtes Öl. Dann erfolgt bei höherer Temperatur das ſchwere Öl. Es bleibt ein Rückſtand von 5 10 % zurück, der aber in einzelnen Fällen bis über 50 % ſteigen kann. Manche Fabrikanten ändern das angegebene Verfahren dahin ab, daß ſie unter fortwährendem Roh - ölzufluß deſtillieren, bis die Blaſe ſchließlich nur noch ſchweres Öl enthält.

Das gewonnene leichte Öl wird unter lebhaftem Rühren zuerſt mit Schwefelſäure, darauf mit Natronlauge gewaſchen. Nach erneutem Waſchen mit reinem Waſſer deſtilliert man vorſichtig unter getrenntem Auffangen der Produkte. Dieſe letzteren ſind, je nach der Natur und Beſchaffenheit des Rohöls, ſehr verſchieden. Die wichtigſten ſind:

1. Petroleumäther, Aether petrolei, Siedepunkt 45 60°, äußerſt entzündlich. Dient mediziniſch, ſowie als Löſungsmittel für Kautſchuk und Harze.

2. Gaſolin, Siedepunkt 70 90°.

3. Benzin, Siedepunkt ſehr verſchieden (50 110°). Zum Extra - hieren aller Arten Fette.

4. Ligroin, Siedepunkt 120°. Brennmaterial in beſonderen Lampen.

5. Petroleumſprit, Putzöl, ein Surrogat für Terpentinöl.

Die Rückſtände der Deſtillation des leichten Öls werden mit dem genau ſo wie das leichte Öl gereinigten ſchweren Öl zuſammengegeben und deſtilliert. So erhält man das eigentliche Leuchtöl oder raffinierte Petroleum, deſſen Siedepunkt zwiſchen 150° und 300°C. liegt, und291Flüſſige Beleuchtungsſtoffe; Beleuchtung mit Lampen.welches nach erneutem Waſchen mit Schwefelſäure und Ätzlauge waſſer - hell oder ſchwach gelblich erſcheint, blau fluoresciert und ungefährlich iſt. Durch nochmaliges Rektifizieren erhält man reine Öle, die als Kaiſeröl und unter anderen Namen in den Handel kommen.

Beim Abdeſtillieren des Leuchtöls bleibt Teer zurück, welcher bei weiterer Deſtillation Schmieröle und Petroleumfett, Vaſeline liefert; das erſtere Produkt wird als Maſchinenöl, das letztere nach guter Reinigung mediziniſch verwendet.

Die leichte Entzündbarkeit der Dämpfe von ſchlecht raffinierten Erdölen bedingt Vorſichtsmaßregeln. Nach einer Regierungsverordnung darf Petroleum, welches eine Entflammungstemperatur von weniger als 21°C. zeigt, nur als feuergefährlich in den Handel gebracht werden. Zur Prüfung iſt der von Abel konſtruierte Petroleumprober vorgeſchrieben, welcher ſchon ſeit 1880 in England gebraucht wird. Dieſer Apparat beſteht aus einem doppelwandigen Waſſerbade, deſſen Temperatur durch ein von außen ſichtbares Thermometer gemeſſen wird. In der inneren Höhlung des Bades hängt der Petroleum - behälter, welcher bis zu einer Marke mit dem zu unterſuchenden Öl gefüllt wird und einen dicht ſchließenden Deckel trägt. Auf dem letzteren befindet ſich ein um ſeine horizontale Achſe kippbares Öllämpchen, welches ſich nach vorn über neigt, wenn durch Aufziehen eines im Deckel angebrachten horizontalen Schiebers drei rechteckige Öffnungen, welche ſich im Deckel, gerade unter dem Lämpchen, befinden, frei gemacht werden. Beim Zurückgehen des Schiebers in ſeine alte Lage richtet ſich das Lämpchen wieder auf. Die Temperatur des zu unterſuchenden Erdöls lieſt man an einem zweiten Thermometer ab. Sobald dieſes beim allmählichen Erwärmen des Waſſerbades 19° C. erreicht hat, öffnet und ſchließt man von 2 zu 2 Minuten den Schieber; das Öffnen ſoll nach der Vorſchrift dreimal ſo langſam, wie das Schließen geſchehen. Sowie eine Entflammung ſtattfindet, beobachtet man die Temperatur an dem Thermometer. Pensky hat für den amtlichen Gebrauch in Deutſchland den Schieber des Abelſchen Apparates mit einem Trieb verſehen, ſo daß ſich derſelbe automatiſch öffnet und ſchließt.

Obwohl das Erdöl ſchon im Altertum bekannt war, datiert ſein Gebrauch zu Beleuchtungszwecken erſt aus den fünfziger Jahren unſeres Jahrhunderts, zu welcher Zeit die gewaltigen Ölmaſſen Nordamerikas entdeckt und zuerſt ſyſtematiſch ausgebeutet wurden. Aus Amerika ſtammen auch die erſten Lampenkonſtruktionen für Petroleum.

Zum Brennen der flüſſigen Beleuchtungsſtoffe dienen Lampen. Jede Lampe enthält einen Ölbehälter, deſſen Inhalt der Regel nach durch einen Docht verbrannt wird. In den letzten Jahren des vorigen und zu Anfang dieſes Jahrhunderts ſind eine große Menge von Lampen konſtruiert worden, welche aber alle für Rüböl berechnet waren und daher heute gar keine Bedeutung mehr haben, ſondern nur noch hiſtoriſches Intereſſe bieten.

19*292Beleuchtung.

Eine Öllampe ohne Docht, in welcher das Öl durch ein Kapillar - röhrchen brennt, iſt die Blackadderſche Nachtlampe, ein auf Rüböl ſchwimmendes Schälchen, welches das Brennröhrchen an ſeiner tiefſten Stelle hat. Bei der in künſtleriſcher Hinſicht vollendeten Antiklampe iſt der eigentliche Zweck, der des Leuchtens, nur ſehr unvollkommen erreicht. Der dicke Runddocht ſpeiſt die Flamme ſehr reichlich, ſo daß der Luftzutritt dem Ölzufluß nicht die Wage hält und zu ſchwach iſt; deshalb iſt die Flamme rötlich, leuchtet ſchlecht und blakt häufig. Ebenſo verhält ſich die gewöhnliche (frühere) Küchenlampe und die Grubenlampe der Bergleute. Viel vorteilhafter iſt es, ſtatt eines maſſiven Runddochtes einen flachen und breiten Docht anzuwenden, weil in dieſem Falle der Luftzutritt intenſiver iſt. Noch beſſer wird die vollſtändige Verbrennung erreicht, wenn man die bei einem Flach - docht immerhin ſtarke Abkühlung der Flamme dadurch vermeidet, daß man den Docht zu einem Hohlcylinder zuſammenbiegt, deſſen Flamme von außen und von innen von dem Luftſtrom getroffen wird. Re - guliert man endlich den letzteren noch durch ein Zugglas oder einen Cylinder, welcher die Flamme umgiebt, ſo erhält man den Argandſchen Brenner oder Rundbrenner mit doppeltem Luftzug, welcher für die Rüböllampen lange Zeit die vollkommenſte Konſtruktion darſtellte.

Die Geſtalt des Cylinders wechſelt nach der Art der Lampe. Bauchige Cylinder verwendet man bei Flachbrennern (ſiehe die frühere

Fig. 185.

Studierlampe.

Studierlampe in Fig. 185), während man für Rundbrenner glatte Cylinder mit ſtarker Einſchnürung dicht über der Flamme vorzieht, weil hier - durch der Luftzug faſt horizontal gegen die Flamme gelenkt wird. Um aber eine vollkommene Wirkung zu erzielen, muß die Einſchnürung in ganz beſtimmter Höhe über dem Brenner ſtehen; ſchon ganz kleine Höhenänderungen bewirken ſtarke Schwächung des Lichteffekts. Statt der eingeſchnürten Cylinder gebraucht man zuweilen bauchige Cylinder bei den Rundbrennern; dann zwingt man den Luftzug zur Bewegung von außen nach innen durch eine horizontale, runde, metallene Brenn - ſcheibe, welche in der Axe des Brenners, dicht über dieſem, liegt und ſehr vorteilhaft wirkt.

293Flüſſige Beleuchtungsſtoffe; Beleuchtung mit Lampen.

Die erwähnten Konſtruktionen von Lampen, in denen Rüböl gebrannt wird, ſetzen einen ziemlich ſtarken Zufluß zum Dochte voraus, da der Kapillarität des Dochtes gegenüber dem ſchwerflüſſigen Öl nur wenig zugemutet werden darf. Man teilt daher dieſe Lampen in Saug - und in Drucklampen ein. Bei den erſteren muß der Ölbehälter etwa auf dem Niveau der Flamme liegen; bei den letzteren befindet er ſich tiefer als dieſe, gewöhnlich im Fuße der Lampe, ſo daß das Öl durch beſondere Vorrichtungen bis zum höchſten Punkte des Dochtes gehoben werden muß.

Zu den gebräuchlichſten und bekannteſten Konſtruktionen nach dem erſten Prinzip gehört die Schiebelampe (Fig. 186), welche ſich, zur Petroleumlampe umgearbeitet, aber in ihrer charakteriſtiſchen Form erhalten, wohl noch hin und wieder in alten Haushaltungen vorfindet. Der Ölbe - hälter iſt hier eine Sturzflaſche b, die mit Öl gefüllt, durch ein Ventil d ver - ſchloſſen, verkehrt in das Reſervoir a der Lampe eingeſetzt wird, und welcher immer nur dann Öl entſtrömt, wenn das Niveau im Reſervoir tiefer ſinkt, als der höchſte Punkt des Dochtes, mit welchem das Reſervoir durch ein kommunizierendes Rohr f verbunden iſt.

Zur Hebung des Öls in den Druck - lampen kann man den hydroſta - tiſchen Druck einer Flüſſigkeit benutzen, welche ſchwerer iſt als das Öl, z. B. Zinkvitriollöſung, Waſſer, Queckſilber. Dieſe Lampen haben ſich nur wenig bewährt. Viel beſſer eignen ſich mecha - niſche Werke. Bei der Uhrlampe von Carcel wird durch Federkraft ein kleines, im Fuße der Lampe eingeſchloſſenes Pumpwerk bewegt, welches das Öl dem Dochte im Überſchuß zuführt. Das

Fig. 186.

Schiebelampe.

Niveau im Brennerrohre bleibt hierdurch ſtets dasſelbe, während das überſchüſſige Öl in den Behälter zurückfließt. Hierdurch wird das Öl an dem Brenner, der Wärme abgiebt, etwas vorgewärmt. Alle dieſe Umſtände erzielen eine Flamme von ſehr großer Gleichmäßigkeit der Licht - ſtärke. Noch einfacher erreicht denſelben Zweck die Moderateurlampe. Beim Beginn des Brennens wird durch Aufziehen des Werkes eine Spiralfeder geſpannt, welche das Öl im Steigrohre emportreibt. Die Regulierung geſchieht durch einen langen und dünnen Moderateurſtift, welcher in das Steigrohr hineinragt und dasſelbe deſto mehr verengert,294Beleuchtung.je ſtärker der Druck der Spiralfeder iſt. Auch die Moderateurlampe arbeitet mit überfließendem Öl und hat eine ſehr konſtante Lichtſtärke, ſo daß man ihre Flamme ſogar bei den weiter unten zu beſprechenden photometriſchen Beſtimmungen als Normalflamme gebraucht hat.

Alle beſchriebenen Lampen ſind durch die dem Brennſtoff der Jetztzeit, dem Petroleum, entſprechenden Konſtruktionen faſt ganz ver - drängt. Die verſchiedenen Erdöle ſetzen verſchiedene Lampen voraus. Wenn ſchon die flüchtigſten Öle, z. B. das Ligroin und die ihm ähn - lichen Mineralöle, ganz beſondere Lampen erfordern, wenn ſie nicht gefahrbringend ſein ſollen, ſo ſind auch die Öle mittlerer Flüchtigkeit, vor allen anderen das gereinigte Petroleum, derart dünnflüſſig, daß ſie bedeutend leichter durch den Docht in die Höhe geſaugt werden, als das dickflüſſige Rüböl. Hierzu kommt noch, daß die Flamme, wenn ſie ihre volle Intenſität entwickeln ſoll, viel ſtärkeren Luftzug erfordert. Nur wenn dieſer durchaus richtig reguliert wird, erhält man eine hell brennende, geruchloſe Flamme.

Alle Erdöllampen ſind aus den angeführten Gründen Sauglampen. Es iſt dies der Sicherheit halber von der größten Wichtigkeit; denn nur dadurch, daß es möglich iſt, den Ölbehälter ziemlich tief zu legen, wird eine Erhitzung desſelben und damit die Möglichkeit der Bildung exploſiver Dämpfe vermieden. Zur Kühlung trägt überdies noch die zur Verbrennung zugeführte Luft bei, welche längs des Brenners aufſteigt.

Der einfachſte Brenner für Erdöl iſt wieder der Flachbrenner, welcher zur Beförderung des Luftzuges mit einer oben der Länge nach aufgeſchlitzten halbkugelförmigen Kappe von Metall bedeckt wird und einen bauchigen, beſſer noch einen in ſeinem bauchigen Teil etwas flach - gedrückten Cylinder vorausſetzt.

Viel häufiger angewandt und allgemein verbreitet iſt der Argand - Rundbrenner. Er unterſcheidet ſich von dem für Rüböllampen ge - bräuchlichen außer durch die Länge des Rohres auch dadurch, daß der Docht unten flach iſt und ſich erſt im oberen Teile des Brenners zuſammenbiegt. Er wird durch ein oder zwei Zahnrädchen geſtellt und mit einem eingeſchnürten Cylinder gebrannt.

Der Umſtand, daß die Lichtintenſität großer Rundbrenner ſich nicht in demſelben Verhältnis ändert, wie die Größe, iſt mit Recht dem Mangel an Luftzug zugeſchrieben worden. Es ſind daher in der Neuzeit eine beträchtliche Anzahl von Konſtruktionen großer Lampen - brenner aufgetaucht, die alle darauf hinauslaufen, der Flamme mehr Luft zuzuführen.

Der Patentkosmosbrenner hat den Zweck, der inneren Flamme einen Überfluß von Luft zuzuführen. Zu dieſem Ende iſt im unteren Teile des Brenners ein flaches, cylindriſches, am Umfange durchlochtes Gefäß eingeſetzt, von welchem ein oben mit einer kreisförmigen Metall - ſcheibe abſchließendes, oben ebenfalls durchlochtes Rohr ſenkrecht bis295Flüſſige Beleuchtungsſtoffe; Beleuchtung mit Lampen.dicht über den Brenner emporſteigt. Da das obere Ende des Rohres bedeutend ſtärker erhitzt wird, als das untere, ſo wird hierdurch ein ſehr lebhafter Luftſtrom emporgeſaugt, welcher direkt in die Flamme geleitet wird. Der Kosmosbrenner erzielt daher eine glänzend weiße Flamme und leidet weniger als andere Brenner an kohlendem Docht, da auch dieſer durch den aufſteigenden Luftſtrom gekühlt wird, alſo nur wenig kohlt und ſeine Saugekraft beibehält.

Ein anderes Prinzip liegt der Reichslampe von Schuſter & Bär zu Grunde. Bei dieſer liegt die innere Luftzuführung unter dem metallenen Baſſin der Lampe; das Zuführungsrohr geht ſenkrecht durch das Baſſin hindurch. Da die Energie des aufſteigenden Luftſtroms von der Differenz der Temperaturen am oberen und unteren Ende des Rohres abhängt, welche in dieſem Falle eine ſehr beträchtliche iſt, ſo wird die Leiſtung der Lampe in dieſer Beziehung eine beſonders hohe ſein. Auch der äußere Zug wird durch eine die Flamme ein - ſchnürende Metallkappe dicht unter der Brennſcheibe nicht unbedeutend verſtärkt. Die Geſamtleiſtung der Patentreichslampe iſt die höchſte bisher erreichte.

Statt eines ringförmigen Flachdochtes hat man auch durch kreis - förmige Zuſammenſtellung von zahlreichen maſſiven Runddochten, die ſich naturgemäß durch ganz beſondere Saugekraft auszeichnen, recht leiſtungs - fähige Brenner konſtruiert, welche unter dem Namen Mitrailleuſen - brenner bekannt geworden ſind. Dieſelben geben eine ſehr helle Flamme, verbrauchen aber auch bedeutend mehr Öl.

Die Exploſionen, welche bei den Mineralöllampen vorkommen und deren Gebrauch immerhin nicht ganz ungefährlich machen, können allerdings von ſchlechter Qualität des Petroleums herrühren, ſind aber meiſtenteils der ſchlechten Bedienung und Reinigung der Lampen zu - zuſchreiben. Selbſt gutes Öl enthält immer noch wenige leichter flüchtige Beſtandteile, welche beim Brennen allmählich verdampfen und ſich mit der im Baſſin befindlichen Luft vermiſchen. Somit ſind, nach den früher entwickelten Prinzipien (S. 283), wohl in jeder Lampe die Be - dingungen zu einer Exploſion mehr oder weniger erfüllt. Es kommt daher im weſentlichen darauf an, daß die Entzündungsgefahr ver - mieden wird.

Nun iſt dieſe letztere beſonders hoch bei mangelhaft gereinigten Brennern, bei welchen ſich die verkohlenden, glimmenden Dochtteilchen beim Herunterſchrauben der Lampe loslöſen und herabfallend die Ent - zündung des exploſiven Gemiſches im Baſſin bewirken können. Wenn alſo die Lampe nicht geradezu fehlerhaft oder feuergefährlich konſtruiert iſt, was heute nur noch ſelten vorkommt, ſo wird eine ſorgfältige Reinhaltung gutes Petroleum vorausgeſetzt eine genügende Sicherheit gegen Exploſionen bieten.

Für ſehr flüchtige Mineralöle, beſonders Ligroin, Gaſolin und andere, ſind die gewöhnlichen Lampen ganz unbrauchbar, weil ſie bei296Beleuchtung.der großen Flüchtigkeit dieſer Brennſtoffe ſofort explodieren würden. Man brennt daher lieber gleich das Gas, welches ſich aus dem ſchwach erwärmten Öl in Menge entwickelt. Will man nur eine kleine Flamme haben, ſo benutzt man die Ligroinlampe (Fig. 187), deren ganzer Behälter mit Schwamm gefüllt iſt. Man gießt Ligroin auf, bis der Schwamm völlig getränkt iſt, und ſchraubt dann die Dochthülſe b auf, die einen maſſiven Runddocht aus Baumwolle enthält. Dieſe Lampe iſt ganz ungefährlich, ebenſo wie die nach demſelben Prinzip gebauten, viel gebrauchten Benzinleuchter.

Zur Erzielung größerer Flammen läßt man den Docht ganz weg. So erhält man die Dampflampen, deren Prinzip ſchon lange vor der Zeit der Einführung des Petroleums von Lüdersdorff benutzt wurde, welcher in ſeiner Dampflampe ein Gemiſch von 1 Volumen Terpentinöl und 4 Volumen Alkohol in Dampf verwandelte und verbrannte. Der

Fig. 187.

Ligroinlampe.

Fig. 188.

Wandlampe.

Brenner dieſer Lampe hat im oberſten Teil kreisförmig angeordnete enge Öffnungen, durch welche die Dämpfe heraustreten, um mit glänzender Flamme zu verbrennen.

Für Ligroin und Gaſolin haben Lilienfein & Lutſcher eine viel gebrauchte Wandlampe (Fig. 188) konſtruiert, unter deren Brenner g ſich eine horizontale Metallſcheibe f befindet. Wird dieſe durch ein brennendes Streichholz erhitzt, ſo verdampft etwas Leuchtſtoff und brennt nach Art der gewöhnlichen Gasflamme aus den feinen, in einer Vertikal - ebene angeordneten Löchern des Brenners heraus. Durch die Hitze der Flamme wird die Lampe dann fortdauernd brennend erhalten. Sie iſt aber nichts weniger als ungefährlich; der einzige Vorteil, den ſie hat, beſteht darin, daß ſie ſehr leicht überall, z. B. auf Bauten u. dgl., angebracht werden kann und nicht leicht durch Zug verlöſcht.

Eine Lampe, welche einem ganz beſonderen Zwecke dient, iſt die von Davy erfundene Sicherheitslampe, welche die Arbeiter der Kohlen - gruben gegen die verheerende Wirkung der ſogenannten ſchlagenden297Flüſſige Beleuchtungsſtoffe; Beleuchtung mit Lampen.Wetter, d. h. der explodierenden Gemiſche von Grubenkohlenwaſſerſtoffen mit Luft, ſchützen ſoll. Die Sicherheitslampe beruht auf der oben ge - nauer auseinandergeſetzten Thatſache, daß zum Fortbrennen einer Flamme eine beſtimmte Temperatur nötig iſt. Entzieht man der Flamme alſo ein beſtimmtes Wärmequantum, ſo kann ihre Temperatur derart herabgeſetzt werden, daß ſie nicht mehr zu brennen vermag. Hierzu ſind engmaſchige Drahtnetze aus einem möglichſt guten Wärmeleiter das paſſendſte Mittel. Davy umgiebt daher die Flamme ſeiner Sicher - heitslampe (Fig. 189), einer gewöhn - lichen Rüböllampe, mit einem Cylinder und einer Decke von Drahtgeflecht. Gelangt der Arbeiter mit dieſer Lampe in ein exploſives Gasgemiſch, ſo dringt dieſes natürlich durch das Drahtgeflecht und entzündet ſich an der Lampen - flamme. Es brennt aber nur im Innern des Cylinders, da das Drahtnetz dem brennenden Gaſe ſoviel Wärme ent - zieht, daß die Flamme nicht nach außen durchzuſchlagen vermag. Der Arbeiter hat daher Zeit, ſich in Sicherheit zu bringen, wenn er die Flammener - ſcheinung in ſeiner Lampe bemerkt. Größte Reinlichkeit beim Gebrauch iſt,

Fig. 189.

Sicherheitslampe.

wie bei den Mineralöllampen, ſo auch hier die unerläßliche Bedingung für ein ſicheres Funktionieren der Lampe. Kleine Schmutzteilchen, welche ſich am Cylinder feſthängen, können an der Flamme des Gaſes zu glimmen anfangen, die Entzündung nach außen fortpflanzen und namen - loſes Unheil anrichten. Neben peinlicher Reinhaltung der Lampe iſt aber natürlich auch gewiſſenhaftes Umgehen mit derſelben Pflicht des Bergmanns. Die Flamme brennt nur ſchwach und ihr Schein wird durch den Drahtkorb, der ſie umgiebt, noch mehr gedämpft. Die Ver - trautheit mit der Gefahr verführt daher den Arbeiter nur zu leicht, den ſtrengen Befehl der Behörde zu umgehen; um beſſer ſehen zu können, öffnet er die Lampe, deren ganzer Zweck hierdurch illuſoriſch wird. Es iſt daher von jeher das Streben der Aufſichtsbehörde geweſen, das Öffnen der Lampe von ſeiten des Arbeiters unmöglich zu machen. Ein gemeinſamer Schlüſſel, der nur in den Händen des Steigers ſich befindet, nützt wenig, da er häufig nachgeahmt worden iſt. Man hat daher die Lampen ſo eingerichtet, daß ſie nur durch einen ſehr ſtarken, im Steigerhauſe befindlichen Magneten geöffnet werden können, oder auch ſo, daß ſie beim Öffnen erlöſchen müſſen.

Leider hat ſich neuerdings ergeben, daß die Sicherheitslampe in beſtimmten Fällen überhaupt nicht funktioniert. Ein Durchſchlagen der Flamme kann z. B. ſtattfinden, wenn ein ſehr ſtarker Luftzug oder298Beleuchtung.der Luftdruck eines nahen Sprengſchuſſes den Drahtcylinder trifft. Aus dieſem Grunde wendet man heute zwar den Lampen noch die nötige Sorgfalt zu, im weſentlichen richtet man aber ſein Augenmerk auf eine möglichſt vollkommene Ventilation der Gruben, um ſo die Gefahr im Keim zu erſticken.

3. Gasförmige Teuchtſtoffe; Gasbeleuchtung.

Im Gegenſatz zu den bisher behandelten Beleuchtungsſtoffen, welche beim Brennen von ſelbſt in Gasform übergehen, kennt man eine größere Zahl von Mineralien, welche zwar brennbare und leucht - fähige Gaſe in reicher Menge enthalten, dieſe aber nur durch ſehr ſtarke Hitze frei geben. Um dieſe gasförmigen Leuchtſtoffe zu verwerten, müſſen die ſie enthaltenden Körper daher vorgängig fabrikmäßig be - handelt worden; die Produkte werden dann in Reſervoiren aufgeſammelt, und aus dieſen den Beleuchtungsſtellen durch Röhrenleitungen zugeführt.

Die Erfindung der Gasbeleuchtung iſt verhältnismäßig neu. Zwar war ſchon im 17. Jahrhundert bekannt geworden, daß Steinkohlen beim Erhitzen ein mit leuchtender Flamme brennendes Gas liefern, und einzelne Perſonen hatten Leuchtgas aus verſchiedenen Materialien gegen Ende des vorigen Jahrhunderts zu ihren Privatzwecken gebraucht. So Lord Dundonald, welcher das aus Koksöfen entweichende Gas zur Beleuchtung ſeines Landhauſes benutzte und Lebon, welcher um dieſelbe Zeit Leuchtgas aus Knochenfett herſtellte. Erſt dem Schotten Murdoch gelang es, die Leuchtgasverwendung im weiteren Umfange einzuführen. 1792 beleuchtete er ſein Haus und ſeine Werkſtatt zu Redeuth in Cornwallis mit Gas aus Steinkohlen, 1798 führte er dieſelbe Ein - richtung mit Erfolg in einer der erſten und größten Maſchinenfabriken, der von Boulton und Watt in Soho, ein. Der Amerikaner Henfrey beleuchtete 1801 einen Saal in Baltimore mit Gas; dieſe Thatſache erregte in Amerika derartiges Aufſehen, daß von nun an die Leucht - gasfabrikation und die Gasbeleuchtung in Amerika viel ſchnellere Fort - ſchritte machte, als in Europa. Murdochs Schüler, Samuel Clegg, dem die Gasinduſtrie ſpäter ſehr viel verdankte, führte im Jahre 1814 die Straßenbeleuchtung mittels Gaſes in London ein. Deutſche Städte folgten langſam nach. 1816 wurden die Hüttenwerke von Freiberg beleuchtet, 1825 Hannover, 1826 Berlin, 1828 Dresden und Frankfurt, 1838 Leipzig. Clegg verdankt man die Erfindung der Kalkreinigung und der Gasuhr, Philipps und Laming die Erfindung der Eiſenreiniger. 1868 waren bereits 530 deutſche Städte mit Gas beleuchtet; 1885 gab es in Deutſchland 1257 Gasanſtalten. Die Konkurrenz des elektriſchen Lichtes, von der man zuerſt eine Schädigung der Gasinduſtrie fürchtete, hat im Gegenteil die Gastechniker zu erneuten Anſtrengungen an - geſpornt, um den Kampf mit der elektriſchen Beleuchtung aufzunehmen, ſo daß heute die Anwendung des Leuchtgaſes ſich noch immer weiter299Gasförmige Leuchtſtoffe; Gasbeleuchtung.ausbreitet und die Vollkommenheit der Gasbeleuchtungsapparate faſt von Jahr zu Jahr ſteigt.

Alle Rohmaterialien, aus denen man Leuchtgas fabriziert, be - ſtehen mit Ausnahme der Mineralöle aus Kohle, Waſſerſtoff und Sauerſtoff. Beim Erhitzen unter Luftabſchluß, der ſogenannten trockenen Deſtillation, liefern ſie alle teils gasförmige, teils zu Flüſſig - keiten kondenſierbare Stoffe. An manchen Orten, beſonders dort, wo Mineralöle gewonnen werden, entſtrömen der Erde brennbare Gaſe, welche häufig unter dem Namen Naturgas direkt zur techniſchen Verwendung gelangen, ſo beſonders in den amerikaniſchen Staaten New-York und Pennſylvanien, ſowie im Centralpunkt der ruſſiſchen Petroleumgewinnung, in Baku. Dasjenige Mineral, welches bei weitem am meiſten zur Leuchtgasgewinnung verwendet wird, iſt die Steinkohle.

Man benutzt vorwiegend beſonders waſſerſtoffreiche Kohlen mit geringem Gehalt an anorganiſchen Beſtandteilen, welche beim Glühen zuſammenbacken (Backkohle). Die beſte Kohle zur Leuchtgasbereitung iſt die ſchottiſche Kännelkohle aus dem Diſtrikt von Newcaſtle; dann folgt die nur wenig geringere rheiniſch-weſtfäliſche Kohle, während die ſchleſiſche und die ſächſiſche Steinkohle den geringſten Wert beſitzen.

Das Glühen der Steinkohlen erfolgt in Röhren aus feuerfeſtem Thon von elliptiſchem Querſchnitt, den Gasretorten; zuweilen giebt man denſelben auch einen eingebogenen Boden. Die Retorten ſind am hinteren Ende verſchloſſen, haben 2 3 Meter Länge gegen ½ Meter Breite bei etwas geringerer Höhe, und faſſen gegen 100 kg Steinkohle, welche in groben Stücken ein - geſchaufelt wird. Die Retorten liegen in der Regel horizontal zu 1 bis 12 Stück in den Glühöfen (ſ. Fig. 190 bis 192) und werden von unten her von der Ofen - flamme umſpielt. Als Feuerung verwendete man früher Stein - kohle oder Koks, während heute die meiſten Gasanſtalten eine Generatorfeuerung haben. Das Prinzip dieſer von Siemens er - fundenen Feuerung beſteht darin, daß ein Gemiſch von Luft und Leuchtgas, welches natürlich nicht ſoviel Luft enthalten darf,

Fig. 190.

Gasretorte im Ofen.

als zur Exploſion des Gemiſches nötig iſt, wenn es vor der Entzündung angewärmt wird, beim Verbrennen eine ſehr hohe Verbrennungs - temperatur giebt (Fig. 193). Das Gas wird durch unvollſtändige Ver - brennung von Braunkohlen erzeugt und, ebenſo wie die Luft, in je eine vorher hoch erhitzte, mit Ziegelſteinen gefüllte Kammer c c 'geleitet;300Beleuchtung.

Fig. 192.

Gasofen (Grundriß).

beim Austritt aus den Kammern vermiſchen ſich Gas und Luft und verbrennen im Herd d des Retortenofens. Aus dieſem treten die Ver - brennungsgaſe in zwei den erſten beiden Kammern völlig gleich ein -

Fig. 193.

Schema einer Generatorfeuerung.

gerichtete Kammern e e ', welche ſie all - mählich bis zum Glühen erhitzen, um endlich durch die Schornſteine f f' ab - zuziehen. Iſt einige Zeit verſtrichen, ſo haben ſich die beiden erſten Kammern ſoweit abgekühlt, daß die Hitze der Ofenflamme nicht mehr völlig ge - nügt; dann leitet man durch einfache Umſtellung der Regiſter b b' Luft und Leuchtgas aus a a' in das nun ſehr hoch erhitzte zweite Kammernpaar. Die301Gasförmige Leuchtſtoffe; Gasbeleuchtung.Ofenflamme bekommt dadurch wieder ihre frühere hohe Temperatur und die abziehenden Ofengaſe erhitzen nun wieder das erſte Kammernpaar. Nach einiger Zeit, d. h. wenn die Hitze der Ofenflamme wieder nachläßt, ſtellt man die Regiſter aufs neue um u. ſ. w. Die beiden Kammern - paare mit ihren Zuleitungen ſind unterirdiſch angebracht, nur der Retortenherd liegt zu ebener Erde; durch kleine Öffnungen läßt ſich die Glühtemperatur der Generatorkammern, behufs nötig werdender Um - ſtellung der Regiſter, jederzeit leicht kontrolieren.

Die Temperatur der Gasretorten ſoll die der hellen Rotglühhitze ſein, welche gegen Ende des Prozeſſes faſt bis zur ſchwachen Weißglut ſteigen darf. Jede Retorte hat am vorderen, offenen, aus dem Ofen hervorragenden Ende einen eiſernen Verſchluß, welcher ſehr verſchieden konſtruiert ſein kann. In der neueren Zeit wendet man, z. B. in den Berliner Gasanſtalten, ſogenannte Excenterverſchlüſſe an, welche den am Rande mit Lehmmaſſe beſtrichenen eiſernen Deckel der Retorte feſt und gasdicht gegen den Rand der Retorte drücken und ein ſchnelles und leichtes Öffnen geſtatten. Der Verſchluß hat nach oben zu einen Auslaß, welcher durch ein ſenkrecht aufſteigendes Rohr gasdicht mit der Hydraulik oder Vorlage verbunden iſt, einem weiten und langen Eiſenrohr, welches über alle Retortenöfen fortläuft und zur erſten Kondenſation der dampfförmigen Deſtillationsprodukte beſtimmt iſt (ſ. B in Fig. 194, S. 303). Die Vorlage iſt daher ſtets bis über die Hälfte mit Teer gefüllt, in welchen jedes aufſteigende, oben kurz umgebogene Retortenrohr etwa 30 cm tief eintaucht. Hierdurch iſt der Raum jeder Retorte für ſich vollkommen abgeſchloſſen und kommuniziert nicht mit den übrigen Re - torten, ſowie den weiteren Kondenſationsräumen. Es iſt dies von hoher Wichtigkeit in Hinſicht darauf, daß beim gleichzeitigen Aufſchlagen mehrerer Retorten jede von dieſen völlig iſoliert ſein muß, wenn einer allgemeinen Entzündung der Deſtillationsprodukte vorgebeugt werden ſoll.

Bei der angegebenen Ladung iſt der Deſtillationsprozeß nach 4 bis 5 Stunden beendigt. Dann öffnet ein Arbeiter die Retorte und entzündet mittels einer Lunte ſogleich das ausſtrömende Gas, um einer etwaigen Anſammlung und Vermiſchung desſelben mit der Luft vorzubeugen. Mit langen Zieheiſen wird der Rückſtand, Koks genannt, aus der Retorte in untergeſtellte eiſerne Karren entleert, dieſe aus dem Retortenhauſe herausgefahren, und die noch glühenden Koks durch Aufgießen von Waſſer abgelöſcht. Sie geben ein vorzügliches, wenn auch ſchwer entzündbares Feuerungsmaterial ab, welches vom Platze weg verkauft wird. Die völlig entleerte Retorte wird durch Einwerfen von Steinkohle neu beſchickt, eine Arbeit, welche viel handliche Geſchick - lichkeit der Arbeiter vorausſetzt, beſonders beim Laden der höher liegenden Retorten. Um das Laden und Entladen zu erleichtern, hat man in neueſter Zeit beiderſeits verſchließbare Retorten angewendet, welche man ſchräg nach vorn geneigt in den Ofen legt. Das Laden erfolgt dann bequem durch das hintere, höher gelegene Ende; beim302Beleuchtung.Entladen braucht man nur das vordere Ende zu öffnen, worauf die Koks von ſelbſt herausfallen.

Die gasförmigen Deſtillationsprodukte gelangen durch die ſenk - rechten Steigröhren in die Vorlage, wo ſich die kondenſierbaren zum größten Teil verdichten und dadurch, wie ſchon bemerkt, die Steig - röhren abſperren. Es iſt dafür geſorgt, daß immer mindeſtens die Hälfte der Vorlage mit Flüſſigkeit gefüllt iſt; der Überſchuß fließt ab und ſammelt ſich in den Teerbaſſins. Das Gas paſſiert hierauf (ſ. die Darſtellung der Geſamtgasanlage in Fig. 194) zunächſt die Kondenſatoren C, ein Syſtem weiter eiſerner, ſenkrecht ſtehender Röhren, welche entweder durch die umgebende Luft oder durch Waſſer gekühlt werden; man ordnet ſie neuerdings nicht mehr hinter einander in einer Reihe an, ſondern ſtellt ſie zu mehreren in kreisförmige Gruppen. Jeder Kondenſatorcylinder ſteht mit dem darunter liegenden Teerbaſſin in Verbindung. In den Kondenſatoren kühlt ſich das Gas allmählich bis zur Lufttemperatur ab, und es kondenſieren ſich weitere dampf - förmige Produkte, Teer und beſonders auch Gaswaſſer. Oftmals wird in die letzten Kondenſatoren Waſſer eingeſpritzt, um die Konden - ſation zu befördern.

Die letzten Spuren kondenſierbarer Stoffe werden entfernt durch die Skrubber D, in welche das Gas nunmehr eintritt. Es ſind dies weite eiſerne Cylinder, die mit Koks gefüllt ſind, über welche fort - während Waſſer herabrinnt. Das Leuchtgas ſtrömt bei ſeinem Eintritt dem Sprühregen des Waſſers entgegen, ſo daß hierdurch alles noch Kondenſierbare niedergeſchlagen wird; dies ſammelt ſich im unteren Teile des Skrubbers und läuft durch einen Siebboden ebenfalls in die Teerbaſſins.

In dieſen ſammelt ſich neben dem glänzenden ſchwarzen Teer, welcher größtenteils zur Fabrikation einer Unzahl von Farbſtoffen und anderen organiſchen Produkten an die chemiſchen Fabriken ab - gegeben wird, das leichtere Gaswaſſer, welches wegen ſeines Ammoniak - reichtums heutzutage die Quelle für die Darſtellung aller Ammoniak - verbindungen, vorzüglich des Salmiaks und des Salmiakgeiſtes ge - worden iſt.

Durch die Abkühlung werden nur diejenigen Beſtandteile des Leuchtgaſes ausgeſchieden, welche bei gewöhnlicher Temperatur flüſſig ſind. Da dasſelbe aber eine Anzahl ſchädlicher gasförmiger Bei - mengungen enthält, welche ſich ſpäter beim Brennen in unangenehmer Weiſe bemerkbar machen würden, ſo muß man es nun noch einer chemiſchen Reinigung unterwerfen.

Das zum Brennen taugliche Gas ſoll im weſentlichen aus Waſſerſtoff, Grubengas und als wichtigſtem leuchtenden Beſtand - teil aus Äthylen beſtehen. Von dem letzteren genügen 5 bis 10 %, um der Flamme die nötige Leuchtkraft zu geben. Daneben darf es andere brennbare Beſtandteile in kleiner Menge enthalten, voraus -303Gasförmige Leuchtſtoffe; Gasbeleuchtung.

Fig. 194.

Geſamtgasanlage.

304Beleuchtung.geſetzt, daß dieſe beim Verbrennen nicht den Ausſtrömungsmündungen ſchaden; das letztere gilt in erſter Linie von dem ſtets in geringem Maße vorhandenen, vom Schwefelgehalte der Steinkohle herrührenden Schwefelwaſſerſtoff, ſowie vom Schwefelkohlenſtoff und den in geringerer Menge vorhandenen Cyanverbindungen. Ausgeſchloſſen ſind ferner unverbrennbare Gaſe, alſo in erſter Linie Kohlenſäure, ſodann ſchweflige Säure. Die fünf genannten Verunreinigungen entfernt man durch den Reinigungsprozeß.

Die Reiniger E (Fig. 194) ſind große flache eiſerne Käſten, 3 bis 4 Meter im Geviert haltend, deren Deckel beweglich iſt und durch mechaniſche Hebevorrichtungen leicht abgehoben werden kann. Dieſe Käſten enthalten etagenartig über einander liegende durchbrochene Hürden, auf welchen das Reinigungsmaterial ausgebreitet wird. Iſt der Reiniger im Ge - brauch, ſo liegt der Deckel auf; ſein nach unten vorſpringender Rand greift in eine tiefe, mit Waſſer gefüllte Rinne des Unterteils ein, wo - durch ein hermetiſcher Verſchluß erzielt wird. Das Leuchtgas tritt unten von der Seite in den Reiniger ein und ſtrömt, nachdem es ſämtliche Hürden paſſiert hat, oben ab. Die Reiniger ſtehen ſtets in Gruppen zu je vieren zuſammen. Drei ſind im Gebrauch, derart, daß das Gas ſie hinter einander durchſtrömt, und zwar den friſcheſten zuletzt; der vierte wird neu beſchickt. Ob es Zeit zum Erneuern des Reinigungsmaterials iſt, erkennt man einfach, indem man einen im Deckel des Reinigers angebrachten kleinen Hahn öffnet und einen Streifen Papier, welcher in Bleiwaſſer getaucht worden iſt, in den austretenden Gasſtrom hält; erfolgt eine Bräunung (durch Schwefel - waſſerſtoff), ſo ſchaltet man den Kaſten aus, hebt den Deckel ab und wechſelt die Beſchickung der Hürden.

Die Reinigungsmaſſe beſtand urſprünglich aus friſch gelöſchtem Kalk, welcher, um größere Lockerheit und Durchläſſigkeit zu beſitzen, mit Sägeſpänen oder Lohe vermiſcht wurde (Kalkreiniger). Der Kalk abſorbiert aber nicht ſo energiſch, wie die ſpäter angewandte Lamingſche Maſſe, welche aus Eiſenvitriol, gelöſchtem Kalk und Sägemehl beſteht. Durch die innige Berührung der etwas angefeuchteten Maſſe bildet ſich Eiſenhydroxyd und Gips, während Kalk überſchüſſig bleibt. Die Lamingſche Maſſe verwandelt ſich durch die Abſorption der Gas - verunreinigungen in Schwefeleiſen, kohlenſaurem Kalk und ſchwefelſaures Ammoniak, und wirkt ſehr gut. Heute wendet man aber zum Reinigen faſt nur noch[Eiſenhydroxyd] allein an, welches man entweder als Abfall aus chemiſchen Fabriken bezieht oder in Form von unreinen und ge - ringen Eiſenerzen (Brauneiſenſtein, Raſeneiſenſtein) aus den Hütten erhält und mit Sägemehl vermiſcht. Es ſcheint daher, als wenn man dem Kohlenſäuregehalt des Leuchtgaſes, welcher allerdings nicht be - deutend iſt, kein Gewicht legt. Das Eiſenoxyd geht durch ſeine Ab - ſorptionsthätigkeit in Schwefeleiſen über. Dieſes wird zum wieder - holten Gebrauche regeneriert, indem man es an der Luft ausbreitet305Gasförmige Leuchtſtoffe, Gasbeleuchtung.und öfters umſchaufelt. Hierbei geht das Schwefeleiſen in Eiſenhydroxyd und fein zerteilten Schwefel über und kann von neuem gebraucht werden, bis der Schwefelgehalt endlich nach öfterer Benutzung der - artig ſteigt, daß die Maſſe nicht mehr wirkt. Dann läßt ſie ſich noch auf verſchiedene Produkte, beſonders Schwefel, verarbeiten.

Es iſt ſelbſtverſtändlich, daß das Leuchtgas beim Paſſieren der Hydraulik, der Kondenſatoren, der Skrubber und der Reiniger einen nicht unbedeutenden Widerſtand zu überwinden hat und es müßte in - folgedeſſen auf dieſem Wege unter einem Drucke ſtehen, welcher einmal ein Entweichen durch zufällige Riſſe der Leitungen, ſodann aber, durch zu langes Verweilen des entſtandenen Gaſes in den glühenden Retorten, eine Verminderung der Qualität desſelben nach ſich ziehen würde. Um dieſem Übelſtande zu begegnen und das gereinigte Leucht - gas mit einem geringen Überdruck den weiteren, noch zu paſſierenden Apparaten zuzuführen, befinden ſich hinter den Reinigern die Exhauſtoren, durch Dampf getriebene Luftpumpen, welche das Gas aus den bisher beſchriebenen Apparaten aufſaugen und weiter befördern. Die Ex - hauſtoren der größeren Gasanſtalten ſind automatiſch arbeitend, d. h. ſie wirken nur zeitweilig, wenn der ſich erhöhende Druck im Reiniger dies nötig macht und hören von ſelbſt auf zu arbeiten, wenn der Druck auf das gewünſchte Maß geſunken iſt. Sehr häufig findet man die Exhauſtoren nicht hinter den Reinigungsapparaten, ſondern ſchon vor denſelben, d. h. gleich hinter den Skrubbern eingeſchaltet.

Das Gas wird nun zu Apparaten geführt, welche die erzeugte Menge genau zu meſſen geſtatten. Dieſelben ſind nach dem Prinzip der weiter unter näher zu beſchreibenden kleinen Gasuhren der Kon - ſumenten gebaut, aber in rieſigen Dimenſionen. Eine ſolche Betriebs - gasuhr hat einen Durchmeſſer von 3 bis 4 Metern und geſtattet auf 5 Zifferblättern eine genaue Ableſung der Gasmengen, welche in einem längeren Zeitraum hindurchgehen.

Das gemeſſene Gas ſtrömt nun durch eiſerne unterirdiſche Röhren den Gaſometern zu (Fig. 194, F und 195), mächtigen Behältern, welche einmal die für eine ſtarke Konſumtion nötigen Gasmengen ſammeln, ſo - dann aber auch dem Gaſe einen gleichförmigen Druck geben ſollen. Man führt die Gaſometer gewöhnlich auf einer kleinen, innen ausgehöhlten Erderhöhung aus Ziegeln auf und verſieht das weite cylindriſche Ge - mäuer mit einem möglichſt leichten, aus Eiſen konſtruierten Dach. Rings herum laufen im Inneren mehrere Galerien. Durch die ganze Weite des Innenraums, bis auf einen äußeren Spielraum von etwa 1 m, wird bis zur Höhe der erſten Galerie aus Erde, Cement und Ziegeln ein cylindriſches maſſives Gemäuer aufgeführt, welches von unten her die Zuleitungs - und Ableitungsröhren für das Gas aufnimmt; die Enden beider Röhren ragen nur wenig über die obere Fläche hervor. Der innere maſſive Cylinder des Gaſometers iſt alſo durch eine ſchmale, aber häufig bis zu 20 m tiefe Rinne vonDas Buch der Erfindungen. 20306Beleuchtung.der äußeren Wand getrennt. Dieſe Rinne wird mit Waſſer gefüllt gehalten und ſoll zur Aufnahme der Glocke des Gaſometers dienen. Die Glocke, ein weiter Cylinder, iſt unten offen, oben von einem ſchwach gewölbten Dache abgeſchloſſen; ſie wird aus eiſernen Blech -

Fig. 195.

Gaſometer.

tafeln zuſammengenietet, und die Fugen werden ſo gut wie möglich ge - dichtet. Die Glocke, deren Durchmeſſer um ein geringes größer iſt, als der - jenige des Maſſivcylinders, taucht mit ihrem unteren Rande in das Waſſer der Rinne; bei leerem Gaſometer liegt ihre obere Wölbung nur wenig höher als die Zuleitungsröhren. Strömt nun Gas zu, ſo hebt dasſelbe die Glocke; um ein Schwanken des gewaltigen Körpers un - möglich zu machen, gleitet die Glocke genau ſenkrecht mittels Leit - rollen, welche an ſenkrechten, im Umkreiſe ſtehenden, eiſernen Pfeilern laufen. Iſt die Glocke ganz gefüllt, ſo hat ſie ihren höchſten Stand erreicht und übt nun nach Abſchließung des Zuleitungsrohres einen beſtimmten Druck auf das Gas aus, vermöge deſſen es bei geöffnetem Ableitungsrohr mit mäßiger Geſchwindigkeit den Verbrauchsſtellen zu - ſtrömt.

Bei ſehr großem Inhalte der Gaſometer man baut ſolche bis zu 50 000 Kubikmeter müßte die Waſſertiefe derſelben eine ſehr be - trächtliche ſein. Um dieſen Übelſtand zu umgehen, hat man Gaſometer mit ſogenannten Teleſkopglocken gebaut, deren man ſich bei großen307Gasförmige Leuchtſtoffe, Gasbeleuchtung.Anlagen neuerdings ſtets bedient. Dieſe Glocken beſtehen aus zwei oder drei Teilen; der oberſte Teil iſt wie eine gewöhnliche Glocke kon - ſtruiert, ſein unterer Rand iſt aber nach außen um 20 30 cm umgebogen. Hierdurch entſteht eine äußere kreisförmige Rinne am unteren Rande. Der nächſtfolgende Glockenteil iſt ein beiderſeits offner Cylinder, deſſen oberer Rand nach innen, deſſen unterer falls noch ein dritter Glockenteil ſich anſchließen ſoll wieder nach außen umge - bogen iſt. Bei leerem Gaſometer liegen die Glockenteile in einander geſchachtelt in der Baſſinrinne. Beim Füllen hebt ſich zunächſt nur der oberſte (innerſte) Teil. Iſt er faſt ganz aus dem Baſſin geſtiegen, ſo greift nun die innere Randrinne des zweiten Teils in die äußere des oberen, welche mit Waſſer gefüllt iſt. Hierdurch wird ein hermetiſcher Waſſerverſchluß erzielt und die weiteren Teile folgen dem oberſten beim Aufſteigen nach. Es verſteht ſich von ſelbſt, daß die Führungsrollen entſprechend der nach unten zu ſteigenden Weite der Glockenteile ange - bracht werden müſſen, um ein ſicheres Spiel des Ganzen zu garantieren.

Das aus dem Gaſometer austretende Gas hat häufig einen etwas zu hohen Druck. Man läßt es daher gewöhnlich noch durch einen Druckregulator gehen. Derſelbe beſteht im weſentlichen aus einer leichten Eiſentrommel von der Form der Gaſometerglocke, welche in einem cylindriſchen, mit Waſſer gefüllten Gefäß auf und ab ſteigt und deſto tiefer heruntergedrückt wird, mit je ſchwereren Gewichten man ſie belegt. Durch einen im Innern der Trommel befeſtigten Metallconus wird die Ausſtrömungsöffnung des unter die Trommel geleiteten Gaſes deſto mehr verkleinert, je mehr ſich die Trommel hebt. Das aufge - legte Gewicht iſt ſorgfältig derartig reguliert, daß das ausſtrömende Gas den vorgeſchriebenen Druck von 2,5 5 cm Waſſerſäule hat. Wird nun der Druck vom Gaſometer her ſtärker, ſo wird die Trommel ge - hoben, alſo die Ausſtrömungsöffnung verkleinert, ſo daß das Gas im weſentlichen denſelben Druck behält. Ein richtig funktionierender Druck - regulator muß daher eine fortwährende ganz geringe Schwankung ſeiner Glocke erkennen laſſen.

Nicht nur die Steinkohle dient, wenn auch überwiegend, zur Leucht - gasfabrikation; von anderen Subſtanzen, die in Betracht kommen, ſind zu nennen: Holz, Harz, Petroleumrückſtände, Fett aller Art.

Holz liefert bei einer Temperatur von 800 900°C. ein Gas, welches im weſentlichen aus Kohlenoxyd, Kohlenſäure und Grubengas beſteht. Es giebt daher, nach Entfernung der Kohlenſäure durch den Kalkreiniger, nur ſchwach leuchtende Flammen. Zur Erzielung hin - reichender Leuchtkraft muß das entwickelte Gas hinreichend lange mit den glühenden Wänden der Retorten, die aus dieſem Grunde viel größer als die gewöhnlichen gewählt werden, in Berührung ſein. Da - durch zerſetzen ſich die reichlich entweichenden Teerdämpfe; ihre gas - förmigen, kohlenreichen Zerſetzungsprodukte mengen ſich dem Gaſe bei und machen es leuchtkräftiger. Ammoniak und Schwefelwaſſerſtoff ent -20*308Beleuchtung.hält das Holzgas gar nicht. Das Gaswaſſer enthält Methylalkohol und Eſſigſäure, in den Retorten bleibt Holzkohle zurück. Die Darſtellung des Holzgaſes iſt nur dann zu empfehlen, wenn man trockenes Holz in Menge zu billigerem Preiſe als Steinkohlen haben kann. Noch weniger praktiſch iſt die Fabrikation von Leuchtgas aus Torf, weil es beſonders ſtark verunreinigt iſt, auch Schwefelwaſſerſtoff und Ammoniak enthält.

In beſonders waldreichen Gegenden, z. B. in einzelnen Teilen Amerikas, verwendet man auch Harze aller Art zur Gasfabrikation. Dieſelben werden nicht direkt deſtilliert, vielmehr erſt bei gelinder Hitze geſchmolzen. Das geſchmolzene Harz läßt man dann in die zum Glühen erhitzte, mit Ziegelſtücken gefüllte Retorte fließen, wo es ſich zerſetzt. Das Harzgas iſt etwa von der Güte des Steinkohlengaſes; aus 100 kg Harz erhält man im Mittel 60 Kubikmeter Gas.

Die Rückſtände der Raffinierung des Petroleums bilden ein beſonders vorzügliches Material für die Gasbereitung, denn man er - hält aus ihnen ein Gas, welches das Steinkohlengas an Leuchtkraft bedeutend übertrifft. Die Behandlung bei der Fabrikation iſt eine überaus einfache, ſo daß ſelbſt kleinere Fabriken ſich mit großem Vor - teil aus Petroleumrückſtänden, Paraffinöl und dergleichen ihr Leucht - gas ſelbſt darſtellen können. Das Material wird durch Pumpen in die kleine rotglühende Retorte gehoben, wo die Vergaſung ſehr ſchnell und ohne Rückſtand erfolgt. Die Gaſe gehen durch einen einzigen Condenſator und einen kleinen Skrubber, wobei ſie eine geringe Menge Teer abſetzen; dann ſind ſie gebrauchsfertig.

Ähnlich wie aus Petroleumrückſtänden und mit denſelben Vorteilen fabriziert man Leuchtgas aus Öl, Wollfett, Schieferöl, kurz aus Fetten und Fettabfällen jeder Art. Alle dieſe Gaſe ſind zwar etwas teurer als Steinkohlengas, aber bedeutend leuchtfähiger. Sie eignen ſich auch wegen ihrer großen Leuchtkraft vorzüglich zur Verwendung in kompri - miertem Zuſtande. So benutzt man z. B. das Ölgas, wie es Pintſch in Berlin, auf 10 Atmoſphären komprimiert, in eiſernen Cylindern liefert, zur Beleuchtung von Eiſenbahnwagen.

Im Gegenſatz zu den eben erwähnten Leuchtgasarten, welche ſich von dem gewöhnlichen Steinkohlengas durch größere Leuchtkraft unter - ſcheiden, ſteht eine in neuerer Zeit vielfach in Gebrauch gekommene Art, welche unter dem Namen Waſſergas bekannt geworden iſt und gewonnen wird, indem man Waſſerdampf über glühende Holzkohle oder Koks leitet, welche in eiſernen oder thönernen Retorten lagern. Hierbei wirkt die Kohle reduzierend auf den Waſſerdampf und man erhält ein Gemiſch von Waſſerſtoff, Kohlenoxyd und Kohlenſäure, welches durch Kalkreiniger von der Kohlenſäure befreit wird. In dieſem Zuſtand iſt es ſehr brennbar und entwickelt beträchtliche Hitze, leuchtet aber faſt gar nicht. Soll es trotzdem zu Leuchtzwecken ge - braucht werden, ſo muß es entweder in beſonderen Brennern gebrannt309Gasförmige Leuchtſtoffe, Gasbeleuchtung.werden, oder man teilt ihm durch eine beſondere Behandlung einen höheren Kohlegehalt mit. Das erſtgenannte Verfahren wird ſpäter bei Beſprechung der Brenner erwähnt werden. Das letztere wird nicht nur für das Waſſergas angewendet, ſondern für alle anderen Gaſe von geringer Leuchtkraft und iſt unter dem Namen Carboniſation oder Carburation bekannt.

Die Carburation wird in der Regel vorgenommen, indem man das Gas durch Gefäße leitet, welche kohlereiche Mineralöle oder erwärmte kohlereiche feſte Kohlenwaſſerſtoffe enthalten. Im erſten Falle benutzt man gewöhnlich die flüchtigen Petroleumöle, im zweiten Naph - thalin und andere ähnliche Verbindungen. Das Gas wird hierdurch bedeutend leuchtkräftiger, indem es die flüchtigen Kohlenwaſſerſtoffe mit ſich reißt. Bei ſchlechten Leuchtgasſorten kann man die Leuchtkraft bis auf das dreifache erhöhen. Ja, man iſt ſoweit gegangen, ſchlechtweg Luft auf die angegebene Weiſe zu karburieren; das ſo bereitete Luft - gas iſt zur Verwendung leuchtkräftig genug.

Einer beſonderen Art der Carburation unterwirft man das nicht leuchtende Waſſergas nach dem von White erfundenen Hydrokarbon - prozeß. Man leitet das rohe, noch nicht von ſeiner Kohlenſäure be - freite Waſſergas, mit wenig Waſſerdampf gemiſcht, über glühende Kännelkohle, wodurch es ſich einmal ſchnell mit ſtark leuchtenden Kohlen - waſſerſtoffen ſättigt; ſodann aber verwandelt ſich die in ihm enthaltene Kohlenſäure in Berührung mit der glühenden Kohle in Kohlenoxyd, ſo daß eine weitere Reinigung unnötig wird. Der Waſſerdampf wird in derſelben Weiſe, wie beim Bildungsprozeß des Waſſergaſes, zerlegt und es bildet ſich noch mehr Waſſerſtoff, der die Brennbarkeit des Gaſes noch erhöht. Das gewonnene, ſehr leuchtkräftige Gas iſt unter dem Namen Hydrokarbongas in der Technik bekannt geworden.

Es muß erwähnt werden, daß das Waſſergas, gleichgültig, in welcher Art es nach ſeiner Darſtellung noch behandelt wird, durch ſeinen Gehalt an Kohlenoxydgas ſehr giftig iſt, ſo daß das Aus - ſtrömen desſelben noch gefährlichere Wirkungen nach ſich zieht, als das des gewöhnlichen Leuchtgaſes, welches durch ſeinen Äthylengehalt giftig wirkt.

Das Gas, welches von einer großen Fabrikanlage den ver - ſchiedenſten Verbrauchſtellen zugeführt wird, muß an dieſen im einzelnen in genau derſelben Weiſe gemeſſen werden, wie dies in der Fabrik im großen geſchah. Zu dieſem Zwecke dient die von mehreren engliſchen Mechanikern erfundene Gasuhr (Fig. 196 u. 197), auch wohl Gasmeſſer oder Gaszähler genannt.

Der Apparat beſteht aus ſtarkem Weißblech und enthält als Haupt - teil den liegenden Cylinder W, welcher etwas über die Hälfte mit Waſſer gefüllt iſt. In ihm bewegt ſich leicht um eine horizontale Achſe die Trommel der Gasuhr. Dieſelbe ſchließt an beiden Enden mit ſchwach gewölbten Kopfſtücken ab (o in Fig. 197) und trägt zwiſchen310Beleuchtung.dieſen vier eigentümlich gebogene Blechwände, welche die ganze Trommel in vier gleiche Kammern teilen, derart, daß jede von dieſen einerſeits mit dem zwiſchen der äußeren Trommelwand und dem Gehäuſe liegen - dem Raum, andererſeits mit dem inneren, cylindriſchen, um die Achſe liegenden Raum kommuniziert. Die vier äußeren ſchlitzartigen Öffnungen der Kammern, welche die erſtgenannte Verbindung vermitteln, ſind ſo ange - ordnet, daß ſie nie zugleich mit den den -

Fig. 196.

Gasuhr (Durchſchnitt)

Fig. 197.

Gasuhr (Seitenanſicht).

ſelben Kammern angehörigen inneren Öffnungen ſich außerhalb des Waſſers befinden können; iſt z. B. die innere Öffnung einer beſtimmten Kammer frei, ſo liegt die äußere derſelben Kammer unter Waſſer und umgekehrt. Das Gas ſtrömt durch ein horizontales, die hintere Ge - häuſewand hermetiſch durchbohrendes, in der Richtung der Achſe liegendes Rohr, welches, unterhalb des Waſſerſpiegels durch ein zen - trales Loch der hinteren Trommelkopfwand loſe hindurchgehend, in den kleinen inneren Raum der Trommel eintritt und kurz und knieförmig nach oben umgebogen iſt, ſo daß ſeine obere Öffnung über Waſſer liegt. In der äußeren Biegung dieſes Knierohrs (i in Fig. 196), be - findet ſich das eine Achſenlager der Trommel, während das andere in der gegenüberliegenden, vorderen Wand des Gehäuſes liegt.

Tritt nun das Gas ein, ſo bringt es durch ſeinen Druck auf die Flügelwände der Trommel dieſe zur Drehung in einer dem Zeiger der Uhr entgegengeſetzten Richtung. So wie eine äußere Öffnung frei wird, entweicht das Gas durch das Ausſtrömungsrohr y und die nächſte Kammer füllt ſich, um ſich gleich darauf ebenfalls zu entleeren. Hat ſich die Trommel einmal um ihre Achſe gedreht, ſo iſt offenbar ſoviel Gas, wie die vier Kammern zuſammen faſſen, durch die Uhr paſſiert. 311Gasförmige Leuchtſtoffe, Gasbeleuchtung.Um die Umdrehungen und damit die Anzahl Liter Gas, die hindurch - gegangen ſind, zählen zu können, trägt die in den vorderen, ebenfalls mit Waſſer gefüllten, rechteckigen Vorſprung E (Fig. 197) des Gehäuſes hineinragende Trommelachſe eine Schraube ohne Ende, die in ein mit einem Zählwerk verbundenes Zahnrad eingreift. Dieſes Zählwerk hat 4 Zifferblätter, welche die Einer, Zehner, Hunderter und Tauſender in Litern der verbrauchten Gasmenge anzeigen.

Die Gasmenge, welche eine Gasuhr anzeigt, hängt, abgeſehen von dem Drucke des Gaſes, weſentlich von der Temperatur und dem Waſſer - ſtande in der Uhr ab. Um wenigſtens den letzteren zu regulieren, hat man den vorderen Raum der Gasuhr mit einer ſchwimmenden Hohl - kugel verſehen, durch deren Bewegung ſowohl bei gar zu niedrigem, als auch bei zu hohem Waſſerſtande das Ausſtrömungsrohr ſich auto - matiſch ſchließt.

Um das Gefrieren des Waſſers in der Gasuhr während des Winters zu vermeiden, pflegt man ſie in einem vor Kälte geſchützten Raum aufzuſtellen. Benutzt man aber hierzu ein geheiztes Zimmer, ſo iſt dies für den Conſumenten ein Nachteil, weil bei je Temperatur - erhöhung etwa 1 % Gas, infolge der Ausdehnung, zu viel gemeſſen wird. Es empfiehlt ſich daher, die Gasuhr ſtets in ungeheizten Räumen anzubringen, dagegen zur Vermeidung des Einfrierens dem Waſſer etwas Glycerin zuzuſetzen.

Wenn man Leuchtgas einfach aus einer engen runden Öffnung herausbrennen ließe, ſo würde man eine ſpitze, lange, infolge des mangelhaften Luftzutrittes blakende und trübe Flamme erhalten. Man hat daher von jeher die Brenner beſonders hergerichtet, um beſtimmte Flammenformen von intenſiver Leuchtkraft zu gewinnen.

Recht gut in ſeiner Wirkung iſt der einfache und viel gebrauchte Fledermaus - oder Schnittbrenner. Bei dieſem brennt das Gas aus einem feinen ſenkrechten Schlitz. Man erhält ſo eine breite, fächer - förmige, ſehr flache Flamme, welche der Luft reichlichen Zutritt ge - ſtattet und daher gut leuchtet. Ähnlich dieſer Flamme, iſt diejenige, welche der Hohlkopfbrenner liefert; ſie iſt faſt kreisrund und von noch größerer Lichtſtärke.

Statt aus einem Schlitz läßt man das Gas auch aus zwei wind - ſchief gegen einander geneigten, einen ſtumpfen Winkel bildenden Löchern brennen. So erhält man den Fiſchſchwanz - oder Zweiloch - brenner. Die Ebene der flachen ſtark leuchtenden Flamme ſteht ſenkrecht auf derjenigen der Löcher.

Um das Argandſche Prinzip des doppelten Luftzuges auf Leucht - gas anzuwenden, läßt man dieſes in einen hohlen horizontalen Metall - ring eintreten, welcher an ſeiner oberen Seite einen Kreis von zahlreichen Löchern trägt; die einzelnen dünnen Flammenſtrahlen vereinigen ſich zu einer einzigen röhrenförmigen Flamme, welche, um ihre volle Leucht - kraft zu entfalten, des Cylinders in dieſem Falle eines geraden,312Beleuchtung.glatten nicht entbehren kann. Bei einer anderen Konſtruktion, der von Dumas, ſind die feinen Löcher durch einen engen kreisförmigen Schlitz erſetzt. Die Argandgasbrenner leuchten ſehr gut, brauchen aber ſehr viel Gas und entwickeln beim Brennen eine übermäßig hohe Wärme.

Was den Conſum der genannten einfachen Brenner betrifft, ſo be - trägt derſelbe bei dem Fledermausbrenner pro Stunde 0,14 0,17, bei dem Fiſchſchwanzbrenner 0,11 0,14, bei dem Argandbrenner, je nach der Anzahl der Brennlöcher, 0,13 0,25 Kubikmeter in der Stunde.

Die in der Einleitung zu dieſem Kapitel erwähnte Thatſache, daß die Leuchtkraft einer Flamme von drei Faktoren abhängt, nämlich von dem Kohlegehalt des Leuchtſtoffes, von der Luftzuführung und endlich von der Temperatur der Flamme, haben wir bisher nur in den beiden erſten Richtungen ausgenutzt geſehen. In der neueſten Zeit aber iſt man, beſonders durch die anerkanunt große Wirkſamkeit der von Siemens erfundenen und vervollkommneten, oben ſchon beſchriebenen Generatorfeuerung darauf aufmerkſam geworden, daß gerade eine Tem - peraturerhöhung des verbrennenden Leuchtgaſes und der zuſtrömenden Luft vor der Verbrennung von außerordentlich günſtigem Einfluß auf die Leuchtkraft der Flamme iſt. Das praktiſche Reſultat dieſer Betrach - tungen ſind die neuerdings mit großem Erfolge angewandten Brillant - gaslampen oder Regenerativgasbrenner.

Es exiſtieren von dieſen, bei verhältnismäßig geringem Gasverbrauch ſehr intenſiv leuchtenden Apparaten mehrere Arten, die nicht im Prinzip, ja nicht einmal in der Anordnung, ſondern nur in Bezug auf weniger weſentliche Äußerlichkeiten von einander abweichen. Es wird daher genügen, eine dieſer Lampen, den Siemensſchen Automatbrenner, genauer zu betrachten. Bei demſelben ſteigert ſich durch Vorwärmung von Gas und Luft die Leuchtkraft ohne Zunahme des Gasverbrauchs auf das Dreifache des ſonſtigen Effekts.

Die Gaskammer des Siemensſchen Brenners, welche ihre Zulei - tung von oben her empfängt, hat die Geſtalt einer flach gewölbten Hohlkugelzone oder eines ſehr niedrigen und breiten Hohlcylinders, deſſen innerer Kreis etwas höher ſteht als der äußere. Der innere Kreisumfang iſt von zahlreichen feinen Löchern durchbohrt, aus denen das Gas herausbrennt. Die Flamme hat alſo die Richtung nach der Mitte und nach oben. Dicht über der Gaskammer befindet ſich eine ganz wie dieſe geſtaltete, aber größere und daher die Gaskammer an den Seiten etwas überragende, im mittleren Ring etwas engere Por - zellankammer, welche durch eine in ihr liegende, mit ihrer oberen und unteren Fläche parallele Scheidewand von Kugelkalottengeſtalt in einen oberen und unteren Teil zerfällt; dieſe Teile kommunizieren nur am äußeren Rande der Kammer. Die Flamme und die Verbrennungsgaſe ſchlagen alſo durch die mittlere, kegelförmig geſtaltete untere Öffnung der Porzellankammer nach innen, durchlaufen den unteren Teil der313Beleuchtung durch Erhitzen von feſten Körpern zum GlühenKammer von innen nach außen, dann den oberen in der entgegen - geſetzten Richtung und ſtrömen endlich in einen ſenkrechten cylindriſchen Schornſtein, in welchen der obere Teil der Kammer ausläuft und welcher der ganzen Lampe den nötigen ſtarken Luftzug ſichert. Bei dieſem Umwege, welchen die Verbrennungsgaſe nehmen, erhitzen ſie die Porzellankammer ſehr ſtark, ſo daß dieſe beſonders nach unten eine be - deutende Hitze ausſtrahlt. Hierdurch wird ſowohl das zugeleitete Leuchtgas, wie auch die zwiſchen der Gaskammer und der Porzellan - kammer zuſtrömende Luft vor der Verbrennung ſtark erwärmt. Die Siemensſche Lampe giebt daher nicht nur ein ſehr intenſives, ſondern auch ein außerordentlich weißes Licht; die in der Flamme ausgeſchiedene Kohle wird eben, infolge der ſehr hohen Flammentemperatur, bis zur ſtärkſten Weißglut erhitzt. Durch den glänzend weißen Porzellankörper der Lampe wird ihr Licht direkt nach unten geworfen und ſo auf das günſtigſte verwertet.

Ahnlich wie der Automatbrenner ſind die Butzkeſche Lampe und die weitverbreitete Wenhamſche Lampe konſtruiert; während die erſtere, wie der Automatbrenner, eine nach innen ſchlagende Flamme hat, hat die letztere die umgekehrte Flammenrichtung, d. h. nach außen. Hierbei ſcheint die Wärmewirkung ſich noch zu ſteigern, da notoriſch die Wenham - lampe bei gleicher Lichtentwicklung weniger Gas verbraucht, als die anderer Konſtruktionen.

Die Brillantgaslampen kann man ſo recht als ein Produkt ihrer Zeit anſehen. Schwerlich würde ſich die um die Mitte unſeres Jahr - hundert etwas in Stillſtand geratene Leuchtgastechnik zu ſo ſchönen Leiſtungen aufgeſchwungen haben, wenn nicht der ihr aufgezwungene Concurrenzkampf mit der elektriſchen Beleuchtung ſie zur äußerſten Kraft - entfaltung angeſpornt hätte.

4. Beleuchtung durch Erhitzen von beſonderen feſten Körpern zum Glühen.

Die bisher beſchriebenen Beleuchtungsmethoden benutzen ohne Aus - nahme den in der Flamme glühend gemachten Kohlenſtoff. Wir haben nun noch eine Reihe von Beleuchtungseinrichtungen zu berückſichtigen, bei denen andere Körper die Rolle des glühenden Kohlenſtoffs über - nehmen. Es können dies entweder wiederum fein zerteilte oder auch kompakte feſte Subſtanzen ſein. Im erſteren Falle hat man wieder zu unterſcheiden, ob der fein zerteilte Körper ſich erſt infolge der Verbren - nung ausſcheidet und daher gewiſſermaßen analog dem Kohlenſtoff nur momentan glüht oder ob er in die Flamme gebracht und durch dieſe zum kontinuierlichen Leuchten angeregt wird. Es ergeben ſich demnach drei Fälle. Dem erſteren entſpricht das Magneſiumlicht, dem zweiten der ſogenannte Incandeszenzbrenner oder das Gasglühlicht, dem dritten endlich das Drummondlicht oder Hydrooxygengaslicht; zwiſchen314Beleuchtung.den beiden letzten Fällen iſt der Unterſchied natürlich nicht ſo generell und durchgreifend wie zwiſchen dieſen und dem erſten.

Daß das Magneſium beim Erhitzen zum Glühen mit glänzend - weißem, außerordentlich hellem Lichte verbrennt, iſt ſeit ſeiner Darſtellung

Fig. 198.

Magneſiumlampe.

bekannt. Das Metall verbrennt zu Magneſiumoxyd oder Magneſia, welche ſich als weißer Rauch abſcheidet und durch deren Glühen in der Flamme offenbar das Licht entſteht. Man be - nutzt das Magneſium zur Erzeugung des Magneſiumlichtes entweder in Form ſchmaler dünner Bänder oder von Pulver. Die erſtere Form kann, zur Erzielung längerer Brennzeit, in Lampen geſchehen, die man zu dieſem Zwecke konſtruiert hat (Fig. 198). Sie beſtehen im weſentlichen aus einem Hohlſpiegel, in deſſen Mitte ſich eine Öffnung befindet, durch dieſe wird das Band mittels eines Uhrwerkes oder mit der hindurchgetrieben, ſo daß ſich das brennende Ende immer im Brennpunkt des Spiegels befindet.

Man hat außerdem das Magne - ſiumlicht, welches außerordentlich viele chemiſch wirkſame Strahlen enthält, zu Beleuchtungszwecken in der Photographie (ſiehe dieſe) verwendet. In dieſem Falle gebraucht man es in Pulverform, entweder für ſich allein oder mit anderen Subſtanzen (Sauerſtoffträgern) vermiſcht.

Die Gasglühlichter ſind aus dem Beſtreben hervorgegangen, das billige und leicht herſtellbare, zu Beleuchtungszwecken aber an ſich nicht taugliche Waſſergas zur Erzielung leuchtender Flammen zu ver - wenden.

Die einfachſte Methode iſt die, ein Netzwerk von feinem Platin - draht in die Flamme des Waſſergaſes zu bringen; dasſelbe wird weißglühend und leuchtet ſtark (Platingas). Statt des Platins brachte Fahnejhelm feine Kämme aus gebrannter Magneſia an, die außer - ordentlich hart und daher ſehr dauerhaft ſind.

Mehr verbreitet als dieſe beiden Brenner iſt der von Auer er - fundene. Dieſer bringt in die nicht leuchtende, aber heiße Flamme von Waſſergas oder von mit Luft gemiſchtem Leuchtgas (d. h. in eine Bunſenbrennerflamme) ein ſehr feines und engmaſchiges Netz von Fäden, welche aus den Oxyden der Cergruppe, d. h. des Ceriums, Lanthans und Didyms, beſtehen. Der Erfinder ſtellt ſich ſein Netz durch Verbrennung und Ausglühen eines mit den ſalpeterſauren Salzen315Beleuchtung durch Erhitzen von feſten Körpern zum Glühen.der genannten Metalle getränkten Baumwolldochtes her; es wird in der Flamme weißglühend und ſtrahlt ein Licht aus, deſſen Farbe der des elektriſchen Bogenlichtes ähnelt. Der Auerſche Brenner iſt vor - teilhaft durch den geringen Gasverbrauch; ein großer Übelſtand iſt dagegen die Zerbrechlichkeit des Glühkörpers und deſſen Empfindlichkeit gegen Staub. Auch muß der Gasdruck beim Gebrauch des Brenners etwas ſtärker als der gewöhnliche ſein, wenn das Licht nicht zu trübe und grünlich erſcheinen ſoll. Clamond hat neuerdings den Glüh - körper der Auerſchen Lampe durch Magneſia erſetzt, welche in ganz analoger Weiſe im feinſt zerteilten Zuſtande erhalten wird.

Bei den Drummondſchen oder Hydrooxygengaslicht wird die Flamme von mit Sauerſtoff angeblaſenem Leuchtgas oder (ſeltener) Waſſerſtoff auf ein kompaktes Stück gebrannten Kalkes oder Magneſia geleitet. Durch die gewaltige Hitze der Flamme, welche, wie oben bemerkt, an der Grenze der auf künſtlichem Wege erzielbaren Wärme ſteht, wird der Glühkörper weißglühend und ſtrahlt ein Licht aus, welches man zur Erzeugung von Projektionsbildern, ſowie von Signalen auf Leuchttürmen und im Kriege verwendete, bis es neuerdings durch das viel be - quemer zu erzeugende elektriſche Bogenlicht zum größten Teil verdrängt wurde. Intenſität und Farbe des Hydrooxygenlichtes ſind tadellos; aber die Kalkſtifte ſind keineswegs ſehr haltbar und machen daher das Licht nicht ſelten unbeſtändig. Neuerdings hat man den Kalkſtift durch die weit konſtantere gebrannte Zirkonerde erſetzt und damit in der Zirkonlampe einen Apparat geſchaffen, der recht gut für das Bogen - licht dort eintreten kann, wo die Umſtände die Aufſtellung einer elek - triſchen Anlage verhindern.

Zur Berechnung der Vorteile, reſp. Nachteile einer Beleuchtungs - anlage bedarf man einer genauen Schätzung der Lichtſtärke der zu verwendenden Flammen in Vergleich mit anderen. Dieſe Schätzung iſt Sache der Photometrie.

Alle Photometer ſind natürlich nur Apparate, welche die Ver - gleichung von Lichteffekten geſtatten, da wir ein abſolutes Maß für Lichtſtärken nicht kennen. Wir finden daher in allen die zu unter - ſuchende Flamme neben einer Normalflamme; beide werden in ver - ſchiedene Entfernung von einer beobachteten Probefläche gebracht, bis ihr Effekt dem Auge gleich erſcheint. Dann verhalten ſich die Licht - ſtärken beider Flammen zu einander, wie die Quadrate ihrer Ent - fernungen von der Probefläche.

Als Probefläche benutzte Rumford eine weiße ſenkrechte Tafel, vor welcher in einiger Entfernung ein ſenkrechter Stab angebracht war. Die zu vergleichenden Kerzen ſtanden ſo, daß jede von ihnen ein Schattenbild des Stabes auf die Tafel entwarf; man verändert ihre Stellung ſo lange, bis die Schatten gleich dunkel erſcheinen.

Bei dem Photometer von Ritchie werden die Kathetenflächen eines gleichſchenklig rechtwinkligen, mit weißem Papier beklebten Prismas in316Beleuchtung.der Richtung der Hypotenuſenfläche von zwei verſchiedenen Seiten her beleuchtet und vom rechten Winkel her betrachtet. Man ändert die Entfernung der Lichtquellen ſo lange, bis beide Flächen gleich hell erſcheinen.

Genauer als dieſe Photometer und daher in der Technik, beſonders für Leuchtgas meiſtenteils im Gebrauche iſt das Photometer von Bunſen. Es exiſtieren unter dieſem Namen mehrere Apparate, die im Prinzipe übereinſtimmen und ſich nur durch wenige weſentliche Abänderungen unterſcheiden. Eine der gebräuchlichſten Formen, von Deſaga kon - ſtruiert zeigt, Fig. 199. Auf der optiſchen Bank gg, einer in Milli -

Fig. 199.

Photometer von Bunſen.

meter geteilten Eiſenſchiene iſt eine horizontale cylindriſche, um ihre ſenkrechte Mittelachſe drehbare Metallbüchſe ac verſchiebbar. An den beiden Enden der Bank ſtehen einerſeits die Normalflamme e, anderer - ſeits die zu meſſende Lichtquelle h, deren ſtündlicher Gasverbrauch durch die Gasuhr b angegeben wird. Die eine Endfläche der Metallbüchſe iſt verſchloſſen, die andere a trägt in einem ringförmigen Halter eine Scheibe Seidenpapier, in deren Mitte ſich ein Fettfleck befindet. In der Büchſe brennt eine kleine Gasflamme, welche durch den in der Figur ſichtbaren Schlauch f geſpeiſt wird. Man dreht zunächſt die Büchſe ſo, daß die transparente Endfläche mit dem Diaphragma der Normal - flamme zugekehrt iſt, nähert die Büchſe der Normalflamme bis auf 20 cm und verkleinert das Gasflämmchen durch Zudrehen des Hahnes ſo lange, bis der Fettfleck, welcher vorher, weil er von innen ſtärker beleuchtet war, hell auf dunklerem Grunde erſchien, gerade dieſelbe Helligkeit zeigt, wie das ungefettete Papier, d. h. bis ſein Umriß eben zu verſchwinden beginnt. Dies wird natürlich ſtattfinden wenn das Diaphragma von innen und von außen gleich ſtark beleuchtet iſt. Nun dreht man zunächſt die Büchſe um 180°, ſo daß das Diaphragma nun der zu meſſenden Lichtquelle zugekehrt iſt und verſchiebt die Büchſe ſo lange auf der Bank, bis der Fettfleck eben wieder verſchwindet. Iſt317Beleuchtung durch Erhitzen von feſten Körpern zum Glühen.dann z. B. die Entfernung der Lichtquelle von der Büchſe 60 cm, ſo iſt ihre Lichtſtärke, die Normalflamme gleich 1 geſetzt, 602: 202 = 9. Als Normalflamme, welche vor allem ſehr konſtant brennen muß, benutzt man häufig die Flamme, welche das Amylacetat giebt. Dies Ver - fahren iſt ſehr einfach, zuverläſſig und genau genug, wenn man die Unterſuchung in einem verfinſterten Zimmer mit geſchwärzten Wänden anſtellt.

Die Erfahrung, daß das Auge den Unterſchied der Beleuchtung zweier dicht nebeneinander liegenden Flächen ſehr genau erkennt, hat die Veranlaſſung gegeben, daß das Bunſenſche Photometer, ſtatt mit der Deſagaſchen Metallbüchſe, mit zwei Diaphragmen verſehen wird, zwiſchen denen zwei unter 45° geneigte, alſo mit einander einen rechten Winkel bildende Spiegel befeſtigt ſind. Man erblickt dann beide Diaphragmen neben einander und verſchiebt eine der Lichtquellen, bis Gleichheit eintritt. Derartige, dem Ritchieſchen Photometer in der Konſtruktion ähnelnde Apparate findet man z. B. in mehreren Berliner Anſtalten.

Hat man auf photometriſchem Wege die Lichtſtärke einer leuchtenden Flamme für eine beſtimmte Einheit beſtimmt, ſo ermittelt man den Ver - brauch an Leuchtmaterial der Flamme für eine beſtimmte Zeit und er - hält dann in dem Quotienten aus Lichtſtärke und Leuchtſtoffverbrauch die Leuchtkraft. Bezieht man die Leuchtkraft verſchiedener Lichtquellen auf gleiche Koſten, ſo erhält man den Leuchtwert. Um die erwähnten Beziehungen an einem konkreten Beiſpiel klar zu machen, möge eine von Marx aufgeſtellte Tabelle hier folgen, welche die Elemente der Beleuchtung für einige wichtige und häufig gebrauchte Lichtquellen enthält.

Der Leuchtwert iſt in dieſer Tabelle fortgelaſſen, da er nach obigem einfach der umgekehrte Wert der Koſten des Lichtes pro Stunde iſt.

318Heizung.

b) Die Heizung.

Nach den Ausführungen der theoretiſchen Einleitung dieſes Kapitels hängt die Wärmeentwicklung der Flamme, auf welche es bei der Heizung allein ankommt, im weſentlichen von zwei Faktoren ab: zunächſt von der Natur des Heizmaterials und dann von der Energie der Verbrennung, welche ihrerſeits beſonders von der Art des Luftzutrittes beeinflußt wird. Da die letztere der Konſtruktion der Öfen entſpricht, welche allerdings nicht nur die Verbrennung ſelbſt, ſondern auch die Abgabe der produzierten Wärme an die Umgebung regulieren ſollen, ſo würden wir zunächſt die Heizmaterialien nach ihrer Natur und Anwendung und dann die Heizungsanlagen nach den Vorteilen und Nachteilen, welche ſie bieten, zu betrachten haben.

1. Die Heizmaterialien.

Von Brennmaterialien ſind zu nennen: Holz, Torf, Braunkohle, Steinkohle, Anthracit, Holzkohle, Torfkohle, verkohlte Braunkohle, Koks, Petroleum, brennbare Gaſe.

Die Heizmaterialien beſtehen, abgeſehen von geringen Mengen anorganiſcher Stoffe (Aſchengehalt) aus Kohle, Waſſerſtoff und Sauer - ſtoff. Die Steinkohle enthält häufig außerdem etwas Schwefel und Stickſtoff. Kohle und Waſſerſtoff ſind diejenigen Beſtandteile, welche den Wert des Brennmaterials beſtimmen. Der Sauerſtoff dagegen macht dadurch, daß er ſich mit einem großen Teile des Waſſerſtoffs zu Waſſer verbindet, welches verdampft werden muß und daher viel Wärme abſorbiert, einen Teil der Heizkraft unwirkſam. Aus einem ähnlichen Grunde wirkt ſehr ſchädigend ein Gehalt an hygroſkopiſchem Waſſer, welches bei der Verbrennung ebenfalls verdampft und daher einen großen Teil der produzierten Wärme hierfür beanſprucht; zur Erzielung möglichſt hoher Hitzegrade iſt daher die Anwendung von ganz trockenem Brennmaterial eine Notwendigkeit, der eventuell durch vorheriges Trocknen oder Darren des Materials entſprochen werden muß.

Für die ſpeziellen Fälle des Gebrauchs der Heizmaterialien hat man im weſentlichen drei Faktoren zu berückſichtigen: die Brennbarkeit, die Flammbarkeit und den Wärmeeffekt.

Unter der Brennbarkeit verſteht man die größere oder geringere Entzündlichkeit des Materials. Sie iſt hauptſächlich abhängig von dem Waſſerſtoffgehalt, aber auch von den phyſikaliſchen Eigenſchaften, beſonders von der Poroſität. Aus dieſem Grunde iſt weiches und harz - haltiges Holz brennbarer als ſchweres, Holzkohle brennbarer als Koks.

Die Flammbarkeit iſt die Eigenſchaft eines Brennmaterials, mit bemerkenswerter Flammenentwicklung zu brennen. Sie hängt nach den in der Einleitung auseinandergeſetzten Verhältniſſen von der319Heizmaterialien.Entwicklung brennbarer Gaſe und Dämpfe während der Verbrennung ab. Daher iſt wiederum die Flammbarkeit von dem Gehalte an freiem Waſſerſtoff abhängig, weil dieſer mit der Kohle die brennbaren Kohlenwaſſerſtoffe liefert.

Gut brennbare Heizmaterialien braucht man vor allem bei weniger vollkommenen, den Luftzutritt wenig befördernden Heizvorrichtungen, weil es in dieſem Falle darauf ankommt, die Entzündungstemperatur ſchnell zu erreichen. Dieſer Fall gilt für die eigentliche Heizung. Gut flammbare wird man hingegen anwenden, wenn die Zugvorrichtungen gute ſind, ſo daß man große Flächen mit Erfolg von der Flamme be - ſtreichen laſſen kann; dies iſt bei Keſſelheizungen und vielen metallurgiſchen Arbeiten der Fall.

Der abſolute Wärmeeffekt wird durch möglichſt vollkommene Ver - brennung, ſowie durch möglichſte Vermeidung von Wärmeverluſten erreicht. Zu letzteren gehört z. B. die Verdampfung von vorhandenem hygroſkopiſchem Waſſer. Die Vollkommenheit der Verbrennung hängt bekanntlich von der Sauerſtoff - reſp. Luftzufuhr ab. Um theoretiſch die nötige Luftmenge zu berechnen, hat man zu berückſichtigen, daß 1 g Kohle zur Verbrennung 2⅔ g Sauerſtoff oder, da die Luft nur etwa zum fünften Teil aus Sauerſtoff beſteht, ca. 11½ g Luft bedarf, was für 1 kg Kohle ca. 8,7 Kubikmeter Luft ergiebt. Für das gleiche Gewicht Waſſerſtoff ergeben ſich durch eine ähnliche Rechnung 26,1 Kubikmeter Luft. Hiernach findet man, daß theoretiſch 1 kg trocknes Holz 6,5, Torf 7,4, Braunkohle 7,4, Steinkohle 9,0, Anthracit 9,6, Holzkohle 9,1, Koks 9,0 Kubikmeter Luft zur Verbrennung brauchen müßten. Es iſt aber eine Erfahrung, daß Kohle und Kohlenwaſſerſtoffe zur voll - kommenen Verbrennung mehr als die berechneten Mengen, nämlich bis gegen das doppelte an Luft verbrauchen; nur in Gegenwart von überſchüſſigem Sauerſtoff erfolgt eine vollkommene Verbrennung. Es zeigt ſich dies beſonders auffallend im Vergleich mit reinem Waſſerſtoff. Dieſer explodiert, mit der berechneten Menge Sauerſtoff gemiſcht, vollkommen, während alle Kohlenwaſſerſtoffe mit derſelben entweder gar nicht oder nur höchſt unvollkommen explodieren; erſt ein ſehr großer Überſchuß von Sauerſtoff bewirkt vollkommene Exploſion.

Leider iſt der notwendige Luftüberſchuß keineswegs förderlich für den Wärmeeffekt, weil er viele Wärme entführt. Daher kann es kommen, daß zuweilen eine unvollkommene Verbrennung eine höhere Temperatur erzielt, als eine vollkommene; eine Thatſache, von welcher man bei manchen metallurgiſchen Operationen Gebrauch macht.

Man unterſcheidet den abſoluten und den pyrometriſchen Wärme - effekt oder Brennkraft und Heizkraft. Die erſtere wird gemeſſen durch die Wärme, welche 1 kg des Heizſtoffes überhaupt produziert, die letztere durch die Temperatur, welche dieſelbe Menge, ausgehend von einer Anfangstemperatur von , erreicht. Die Brennkraft mißt man320Heizung.in Wärmeeinheiten oder Kalorien (vergl. S. 58). Die folgende Tabelle giebt eine Überſicht über die von den wichtigſten Brennmaterialien produzierten Wärmen, d. h. ihren abſoluten Wärmeeffekt.

Der abſolute Wärmeeffekt eines Heizmaterials wird entweder durch das Kalorimeter oder aus der Verdampfungskraft beſtimmt.

Im erſteren Falle läßt man die bei der (womöglich mit reinem Sauerſtoff erfolgenden) Verbrennung entwickelte Wärme auf eine beſtimmte Waſſermenge von beſtimmter Temperatur einwirken und mißt die Temperaturſteigerung. Findet man daher z. B., daß 100 g reinſte Kohle 30 Liter Waſſer von 20° C. auf 26,937° C. erwärmen, ſo ergiebt ſich der Wärmeeffekt 〈…〉

Es verſteht ſich von ſelbſt, daß die vollkommene Verbrennung eines Materials, z. B. der Kohle, theoretiſch mehr Wärme produziert, als die unvollkommene und daß die Summe der letzteren und der durch etwaige weitere Verbrennung des unvollkommenen Verbrennungs - produkts erzeugten Wärme der durch die vollkommene Verbrennung des anfänglichen Materials erzeugten gleich ſein muß. So giebt z. B. 1 kg unvollkommen verbrannte Kohle nach der Tabelle 2474 Kalorien, 1 kg des entſtandenen Kohlenoxyds 2403 Kalorien. Nun entſtehen aber bei der unvollkommenen Verbrennung der Kohle aus chemiſchen Gründen aus 12 kg Kohle 28 kg Kohlenoxyd, ſo daß das aus 1 kg Kohle erzeugte Kohlenoxyd 〈…〉 produziert. Dieſe geben in der That, zu 2474 addiert, 8081, alſo genau die Wärme, welche, nach der Tabelle, 1 kg Kohle bei voll - kommener Verbrennung liefert.

Dadurch, daß man die von einer größeren bekannten Menge eines Brennmaterials produzierte Hitze auf Waſſer in gut konſtruierten Dampfkeſſeln einwirken läßt, kann man annähernd genau beſtimmen, wieviel Dampf von beſtimmter Temperatur, z. B. von 100°C., durch die Verbrennung von 1 kg Brennmaterial aus Waſſer von entſteht. Dieſe Größe heißt die Verdampfungskraft des Heizſtoffes. Aus der bekannten Thatſache, daß zur Verwandlung von 1 kg Waſſer von 321Heizmaterialien.in Dampf von 100° 637 Kalorien nötig ſind, folgt, daß man die durch den Verſuch beſtimmte Verdampfungskraft nur mit 637 zu multiplizieren hat, um den abſoluten Wärmeeffekt zu erhalten. Umgekehrt kann man aus dem kalorimetriſch beſtimmten abſoluten Wärmeeffekt durch Diviſion durch 637 die Verdampfungskraft berechnen.

Der pyrometriſche Wärmeeffekt oder die Heizkraft läßt ſich wegen der Höhe der zu meſſenden Temperaturen mittels ſogenannter Pyrometer nur ſchwierig und ſehr ungenau durch Verſuche beſtimmen; dagegen läßt er ſich theoretiſch berechnen, indem man den abſoluten Wärmeeffekt der betreffenden Verbrennung durch die Summe der Produkte ſämtlicher Verbrennungsgaſe in die entſprechenden ſpezifiſchen Wärmen dividiert. Um z. B. den pyrometriſchen Effekt der Verbrennung von 1 kg Kohlenoxyd an der Luft zu berechnen, hat man zu berück - ſichtigen, daß aus 28 kg Kohlenoxyd aus chemiſchen Gründen 44 kg Kohlenſäure werden, d. h. aus 1 kg 1,57 kg. Da alſo bei der Ver - brennung 0,57 kg Sauerſtoff verbraucht werden, ſo bleiben von der Luft, welche aus 23 Gewichtsteilen Sauerſtoff und 77 Gewichtsteilen Stickſtoff beſteht, 1,91 kg Stickſtoff übrig, welche frei werden. Da die ſpezifiſche Wärme der Kohlenſäure 0,216, die des Stickſtoffs 0,244 iſt, ſo hat man für den pyrometriſchen Wärmeeffekt 〈…〉

Auf dieſem Wege erhält man für die wichtigſten Brennmaterialien folgende Werte als pyrometriſchen Wärmeeffekt:

Das Holz enthält etwa 45 % Kohle, im lufttrocknen Zuſtande 20 % hygroſkopiſches Waſſer und giebt 1 % Aſche. Seine Verdampfungs - kraft iſt im Mittel 3,5.

Der Torf iſt ein Verweſungsprodukt gewiſſer Sumpfpflanzen in ſtehenden Gewäſſern. Er enthält zwar gegen 55 % Kohle, dafür aber im friſchen Zuſtande viel Waſſer und giebt ſehr viel Aſche. Die Verdampfungskraft iſt im Mittel 4,5. Der Torf leiſtet am meiſten als Preßtorf. Man erhält dieſen durch Zerkleinern, Schlämmen, Trocknen und Formen zwiſchen heißen Preſſen.

Die Braunkohle iſt gleichfalls das Verweſungsprodukt von Pflanzen, und zwar von vorweltlichen, ſehr üppig vegetierenden, welche unter dem bedeutenden Druck über ihnen lagernder Erdſchichten ſich nur ſehr langſam zerſetzen konnten. Der Kohlegehalt beträgt 60 70°, die Verdampfungskraft im Mittel 5,5. Die Braunkohle entwickelt beiDas Buch der Erfindungen. 21322Heizung.der trocknen Deſtillation ſaure Dämpfe, ähnlich wie das Holz. Sie iſt von ſehr verſchiedenem Alter, was ſich an der häufig ſtark ab - weichenden Struktur leicht erkennen läßt und iſt charakteriſtiſch durch die vielen Kohlenwaſſerſtoffe, die ſie als Nebenprodukte des Verkohlungs - prozeſſes enthält, und welche durch trockene Deſtillation aus ihr gewonnen werden können. Die wichtigſten dieſer Erzeugniſſe ſind Photogen, Solaröl, Paraffin, welche als wichtige Leuchtſtoffe weiter oben bereits erwähnt worden ſind.

Die Abfälle der Braunkohlengruben enthalten noch einen beträcht - lichen Heizwert, den man am beſten dadurch ausnutzt, daß man ſie zu Briquettes oder Preßkohlen verarbeitet. Die Abfälle werden zerkleinert, angefeuchtet, gleichmäßig mittels Maſchinen durchgearbeitet, die Maſſe auf heißen Blechen oder auf andere Art getrocknet, und nun werden entweder die einzelnen Steine unter einer ſtarken Preſſe geſchlagen oder die ganze Maſſe wird unter bedeutendem Druck durch eine rechteckige, der Höhe und Breite der Briquettes entſprechende Öffnung hindurchgepreßt und die heraustretende endloſe Maſſe durch auf - und niedergehende Drähte entſprechend der geforderten Länge zerſchnitten. Die Feuerung mit Briquettes hat ſich, ſchon ihrer Billigkeit halber, außerordentlich bewährt.

Die Steinkohle verdankt ihre Exiſtenz genau demſelben Prozeß, durch welchen die Braunkohle entſtanden iſt, nur iſt der Zerſetzungs - prozeß hier noch weiter fortgeſchritten. Daher beträgt der Kohlegehalt der Steinkohle 70 80°, während ihre Verdampfungskraft im Mittel auf 6,5 ſteigt. Die Steinkohle iſt der wichtigſte Brennſtoff; die jährliche Geſamtproduktion ſchätzt man auf 400 Millionen Tonnen.

Wie die Braunkohle, enthält auch die Steinkohle andere Kohlen - waſſerſtoffe als Nebenprodukte der Zerſetzung. Wo dieſe in größerer Menge vorhanden ſind, bläht ſich die Steinkohle beim Glühen auf (Backkohle, Kännelkohle) und verrät hierdurch ihre Geeignetheit zur Leuchtgasfabrikation.

Die Steinkohlenabfälle verarbeitet man auch wohl zu Briquettes, aber in viel geringerer Menge als bei der Braunkohle. Auch genügt, wegen der größeren Sprödigkeit der Steinkohle, nicht das Preſſen allein, ſondern es iſt noch der Zuſatz eines Bindemittels notwendig, als welches man gewöhnlich Teer verwendet. Der einzige Vorteil, den dieſe Briquettes bieten, iſt ihre große Dichtigkeit, welche ſie zu ſehr intenſiven Wärmeleiſtungen infolge ihres hohen Brennwertes befähigt. Sie dienen daher zur Maſchinenfeuerung.

Anthracit iſt die älteſte und ſchwärzeſte Steinkohle. Sie enthält bis zu 96 % Kohle, iſt daher weder leicht brennbar noch flammbar, aber von großem Effekt. Man verwendet ſie bei Gebläſefeuerungen, wie auch neuerdings in den Regulierfüllöfen.

Die Erwägung, daß die bisher genannten Brennmaterialien haupt - ſächlich durch ihren Sauerſtoffgehalt an höheren Leiſtungen verhindert werden, muß den Gedanken nahe legen, daß eine durch Wärme zu323Heizmaterialien.erzielende vorherige Austreibung dieſes ſchädlichen Beſtandteils den zu erwartenden Effekt bedeutend ſteigern wird, wenn auch bei dieſer Prozedur Waſſerſtoff mit verloren geht. Man hat daher, zum Teil ſchon in den älteſten Zeiten, dieſen Prozeß, die Verkohlung, praktiſch ausgeführt.

Das Verkohlen der Heizmaterialien wird für ſämtliche bisher er - wähnten Arten ausgeführt. Es iſt weiter nichts, als eine trockene Deſtillation in anderer, als der gewöhnlichen Form und geſchieht entweder durch beſchränkten Brand der einfach auf einander geſchichteten Stoffe (Verkohlung in Meilern oder Haufen), oder in gemauerten Öfen. Im erſteren Falle gehen die Nebenprodukte verloren und man erhält nur die Kohle, im letzteren gewinnt man außerdem Teer und andere Deſtillationsprodukte.

Die Holzkohle gewinnt man auf beiden Wegen. Das altbekannte Verkohlen des Holzes in Meilern (Fig. 200) beginnt mit dem Ein - ſchlagen eines ſtarken Pfahles von der Höhe des zu errichtenden

Fig. 200.

Meiler.

Meilers, des Quandels. Um dieſen ſchichtet man zuerſt in ſenkrechter, dann nach außen zu in horizontaler Lage die Scheite und bedeckt das Ganze mit einer kugeligen Haube von Stockholz und Abfällen, dann wird der Meiler mit Raſen und dieſer wieder mit einer dicken Schicht von feuchten Kohlenabfällen und Erde bedeckt; die Decke wird aber ringsherum nicht bis zur Erde heruntergeführt, ſondern ein handbreiter freier Raum durch die ſogenannte Rüſtung abgeſteift, welcher ſpäter zum Entweichen der Waſſerdämpfe dienen ſoll. Man hat Meiler von 4 bis 18 Meter Durchmeſſer. Das Anzünden erfolgt mittels Einbringens glühender Kohlen durch einen auf der Sohle freigelaſſenen Kanal. Durch die Rüſtung entweicht gelblich-weißer Rauch (das Abbähen ); hört dies auf, ſo deckt man auch den äußeren Umkreis mit Raſen zu. Im weiteren Verlauf kommt es darauf an, die durch den fortſchreitenden Brand entſtehenden Höhlungen zur rechten Zeit mit Erde auszufüllen21*324Heizung.und das Schwinden des Meilers möglichſt gleichmäßig zu geſtalten. Das letztere geſchieht durch temporäres Einſtoßen von Löchern in die Decke an den zurückbleibenden Stellen. Überall, wo gegen den Schluß der Arbeit Flammen hervorbrechen, unterdrückt man dieſelben ſorgfältig. Endlich werden die Kohlen gezogen , d. h. allmählich, unter Aufreißen eines Teils der Seitendecke, herausgeholt und die gezogenen Kohlen und die aufgebrochene Stelle nach Bedürfnis gelöſcht .

Statt der Kugelmeiler hat man in einzelnen Gegenden die Haufen, lange rechteckige, an den Seiten abgeſteifte, nach dem einen Ende ſich ſenkende Schichtungen des zu verkohlenden Holzes, deren Behandlung im weſentlichen dieſelbe iſt.

Die zur Verkohlung des Holzes dienenden Öfen ſind meiſt kugel - förmig gebaut, haben unten einen ſehr langen und breiten Roſt, oben einen entfernbaren Schlußſtein und vorn eine breite Thür zum Ziehen der fertigen Kohlen, durch eine ſehr genau ſchließende kleine Thür unterhalb des Roſtes läßt ſich der Zug regulieren. Seitlich iſt irgendwo ein Abzug für die Teerdämpfe angebracht, welche zur Kondenſierung in Kühlapparate geleitet werden. Beim Verkohlen der Nadelhölzer wird auf die Ausbeute an Teer gerade ein Hauptwert gelegt, ſo daß man dieſe Öfen geradezu Teerſchwelereien nennt. Auch eiſerne Ver - kohlungsöfen ſind ſtatt der gemauerten zahlreich im Gebrauch.

Durch die Verkohlung verliert das Holz den größten Teil des Sauerſtoffs und Waſſerſtoffs und die Kohle bleibt in dichterer Form und dennoch vollkommen porös zurück; daher zeigt die Holzkohle faſt den doppelten Wärmeeffekt und die doppelte Verdampfungskraft gegen - über dem Holz.

Die Torfkohle wird nicht ſo häufig verkohlt, wie das Holz. Der Prozeß iſt, ſowohl in Meilern, als auch in Öfen, wegen der prismatiſchen, zur Aufeinanderſchichtung bequemen Form der Torfſtücke leichter durchzuführen. Das Produkt eignet ſich aber nicht beſonders als Brennmaterial, weil es äußerſt mürbe iſt, und der an ſich ſchon hohe, ſchädliche Aſchengehalt des Torfes infolge der Verkohlung natur - gemäß noch bedeutend geſteigert wird.

Die Braunkohle eignet ſich unter allen foſſilen Brennſtoffen am wenigſten zur Verkohlung. Es liegt dies zunächſt, wie beim Torf, an der Steigerung des an ſich ſchon hohen Aſchengehaltes, dann aber an der großen Schwierigkeit der Verkohlung. Selbſt die reinſte Braun - kohle zeigt nämlich die Neigung, beim Erhitzen nach den im friſchen Zuſtande nur angedeuteten Riſſen und Jahresringen zu zerſpringen, ſo daß man ein kompaktes Verkohlungsprodukt nicht erhalten kann. Man betreibt daher den Prozeß nur in einzelnen Gegenden und in geringem Umfange. Die Meilerverkohlung iſt die gebräuchlichſte Methode.

Koks entſtehen durch die trockene Deſtillation oder Verkohlung der Steinkohlen. Der Zweck des Prozeſſes iſt neben der eventuellen Gewinnung von Leucht - und Heizgas, Teer und Ammoniakwaſſer 325Heizmaterialien.nicht allein eine Verdichtung der Kohle und Vermehrung des Kohle - gehaltes, ſondern beſonders auch die Entfernung des läſtigen und ſchädlichen Schwefelgehaltes der Steinkohle. Von dieſem letzteren Geſichtspunkt ausgehend, hat man die Verkokung auch oft als Ab - ſchwefeln bezeichnet.

Man wählt die zur Verkokung nötigen Kohlen ſo aus, daß man kompakte und nicht leicht zerdrückbare Koks erhält. Daher ſchließt man die Backkohle und die ſchlechteſte Kohle, die Sandkohle, ganz aus; die erſtere liefert überhaupt in den Gasanſtalten wertvollere Produkte. Am beſten eignet ſich ein Material, welches zwiſchen der mäßigen Backkohle und der Sinterkohle die Mitte hält. Man führt die Ver - kokung in Meilern und in Öfen durch.

Die Meiler verlangen nicht die peinlichen Vorſichtsmaßregeln, wie die Holzkohlenmeiler, weil die Koks ſchwer brennbar ſind. Man ſchichtet die Steinkohlen nach ihrem natürlichen Gefüge auf einen kreisförmigen Haufen, unter welchem ein Längskanal frei bleibt; um das Anzünden bequem bewirken zu können, rammt man vor dem Aufbau einige Pfähle ein, welche ſpäter herausgezogen werden, ſo daß man durch die ent - ſtandenen ſenkrechten Kanäle brennende Kohlen einwerfen kann. Eine Decke wird überhaupt erſt gegen Ende des Brandes allmählich dort aufgelegt, wo ſich kein Qualm mehr zeigt, bis zuletzt der ganze Meiler zum Verkühlen unter Decke ſteht . In Schottland benutzt man als mittleres Fundament der Koksmeiler eine Art von Eſſe, einen kamin - artigen Aufbau von Backſteinen, an welchem abwechſelnd Steine aus - geſpart werden, um Zugöffnungen zu erhalten. Es hat dies den Vorteil, daß der Zug größtenteils durch die Eſſe geht und ſich daher nach Belieben durch teilweiſes Decken derſelben regulieren läßt.

Viel häufiger geſchieht heute die Verkokung in Öfen. Die Koks - öfen ſind kuppelförmig angelegt und ganz ähnlich den Öfen zur Holz - verkohlung, arbeiten aber mit ſtarkem Luftzutritt mittels des durch Löcher gebildeten Roſtes. Durch die an der Vorderwand, über dem Roſt, liegende große Thür ſetzt man zuerſt größere Kohlen ein, dann kleinere, wobei ein Zündkanal frei bleibt; die kleinſten Stücke werden durch die obere Öffnung des Ofens, die Gicht, eingeworfen. Dann zündet man an, ſchließt beide Hauptöffnungen und öffnet nur die unterſte Reihe der im Umkreis des Ofens in mehreren Reihen über einander liegenden kleineren Zuglöcher. Bemerkt man, daß die helle Glut ſich durch dieſe Löcher zeigt, ſo ſchließt man ſie und öffnet die nächſte Reihe. So fährt man bis zur Beendigung der Verkokung fort; endlich bleibt der Ofen noch 12 Stunden ganz geſchloſſen, bis man die Koks zieht. Die teerigen Produkte werden durch einen oberen Seitenkanal fortgeleitet und kondenſiert; die brennbaren Gaſe läßt man entweder durch die Fugen der Gicht wegbrennen, oder man benutzt ſie zur Heizung.

Man gewinnt im Mittel einige 50 % Koks aus der Steinkohle, etwas weniger in den Meilern; zudem ſind die Ofenkoks nicht ſo locker,326Heizung.wie die Meilerkoks. Das Gefüge der Koks iſt porös und feinblaſig, die Farbe eiſen - bis ſchwarzgrau; ſie ziehen, wie die Holzkohle, ſtark Waſſer aus der Luft an und werden ſchon nach einigen Wochen mürbe, ſo daß ein raſcher Verbrauch empfehlenswert iſt. Der Kohlegehalt beträgt 85 93 %, die Verdampfungskraft im Mittel 7,5. Man ver - wendet die Koks trotz ihres ſchweren Brandes als Heizmaterial, be - ſonders aber für die Hüttenheizung in Hohöfen. Da ſie überwiegend reine Kohle ſind, ſo iſt ihr Effekt ein ſehr hoher.

Das Petroleum kann bei ſeiner bedeutenden Verdampfungskraft, welche bis 18 beträgt, ſehr gut als Brennmaterial dienen, wenn man, wie in Amerika und Rußland, die Rückſtände billig haben kann. Aber auch das gewöhnliche Leuchtpetroleum iſt in der Neuzeit mit Vorliebe und Erfolg im Kleinen in den Petroleumkochern als Heizmaterial verwendet worden. Es eignet ſich zu dieſem Zwecke ſehr gut, weil es, richtig angewandt, gar keinen Rauch entwickelt. In größeren Feuerungen, ſelbſt in Hohöfen, hat man es mit hoch geſpanntem Dampf zerſtäubt und in dieſer Form verbrannt.

Brennbare Gaſe werden unter der Bezeichnung Generatorgaſe zur Heizung verwendet. Schon bei der Beſchreibung der Generator - feuerung der Leuchtgasretortenöfen (ſ. S. 299 u. 300) iſt die Natur der Generatorgaſe genauer erwähnt worden. Sie beſtehen aus Waſſerſtoff, Kohlenwaſſerſtoffen, Kohlenoxyd und als unwirkſamem Beſtandteil atmoſphäriſchem Stickſtoff, der die Hälfte des ganzen Gemenges betragen kann. Zur Darſtellung der Generatorgaſe verbrennt man Kohlenabfälle im Generator, einem Schachtofen mit ſogenanntem Treppenroſt, bei ungenügendem Luftzutritt. Die auf den unterſten Stufen des Roſtes liegenden Kohlen verbrennen völlig zu Kohlenſäure, die auf den mittleren lagernden werden nur rotglühend, verbrennen daher zu Kohlenoxyd und reduzieren zugleich die aufſteigende Kohlen - ſäure zu Kohlenoxyd; die oberſten Kohlen endlich werden trocken deſtilliert, geben daher Waſſerſtoff und Kohlenwaſſerſtoffe. Verbrennt man die Generatorgaſe mit heißer Luft im Siemensſchen Generator - ofen (ſ. die Skizze in Fig. 193, S. 300), ſo erreicht man ſehr hohe Hitzegrade; daher ihre neuerliche Anwendung bei der Stahlfabrikation, in Glas - und Porzellanöfen, ſowie zu Leichenverbrennungszwecken.

2. Die Heizungsanlagen.

Die Heizungsanlagen ſind entweder rein gewerblicher Natur oder ſie gehören dem Bedürfnis des alltäglichen Lebens an, während der kalten Jahreszeit die Wohnungen und ſonſtigen größeren Aufenthalts - räume auf eine unſeren phyſiſchen Anforderungen entſprechende Tempe - ratur zu bringen. Nur die letztere Art der Heizung iſt hier zu be - trachten, die wir im allgemeinen als Zimmerheizung bezeichnen.

Die Fähigkeit der Luft, die von einem Heizapparat empfangene Wärme durch ihre Teile fortzupflanzen, iſt eine ſehr geringe, und ſo327Heizungsanlagen.würde es ſehr lange dauern, ehe ſich beim Heizen in einem Raume eine gleichmäßige Temperatur einſtellt, wenn nicht durch die Temperatur - erhöhung zugleich Schwankungen in der Dichtigkeit der Luftteile und damit eine Bewegung derſelben einträte; vermöge dieſer, durch das Aufſteigen der wärmeren und das Herabſinken der kälteren Luft ver - anlaßten Strömungen, kommen immer neue Luftteile an die Heizflächen, ſo daß doch in verhältnismäßig kurzer Zeit eine gleichmäßige Er - wärmung ſtattfinden würde, wenn nicht andere äußere Urſachen der - ſelben wenigſtens einigermaßen hindernd in den Weg träten. Zu dieſen Urſachen gehört in erſter Linie das Entweichen warmer Luft nach außen durch die ſtets vorhandenen Spalten der Thüren und Fenſter; dann aber nehmen auch die Wände fortwährend Wärme auf und geben ſie nach außen ab. Dieſer Ausgleich findet naturgemäß um ſo leb - hafter ſtatt, je größer die Differenz der außen und innen herrſchenden Temperatur iſt.

Wir erkennen aber auch, daß die Heizung einen regen Anteil an einer von ſelbſt erfolgenden, kontinuierlichen Ventilation, einem langſam ſtattfindenden Luftwechſel unſerer Zimmer hat, daß ſie alſo nicht nur Wärme ſpendet, ſondern auch, wenigſtens zum Teil, für die Verbeſſerung der Zimmerluft ſorgt.

Außer dieſer wohlthätigen Wirkung der Heizung ſtellen ſich aber leider in vielen Fällen Verſchlechterungen der Zimmerluft ein. Zunächſt verbreiten viele Brennmaterialien Staub; andere, wie das Petroleum, erzeugen üblen Geruch, während unverbrannt ausſtrömendes Gas ſo - gar vergiftend wirkt. Aber auch ſchlechte Heizungsanlagen reißen ent - weder zu viel Wärme mit ſich fort und veranlaſſen die Bewohner, möglichſt gar nicht zu lüften, oder ſie verbreiten Rauch in den Wohnungen.

Am ſchlimmſten iſt aber das Entweichen ſchädlicher Gaſe aus den Heizanlagen ſelbſt. Hierher gehört in erſter Linie der Austritt des höchſt giftig wirkenden, vermöge ſeines ſpezifiſchen Gewichtes ſich ſchnell durch die Luft verbreitenden Kohlenoxydgaſes, welches ſich ſo - fort bildet, wenn Verbrennung bei ungenügendem Luftzutritt ſtattfindet. In dieſem Falle wird eine Verbreitung des giftigen Gaſes dann er - folgen, wenn ihm der Weg nach außen verſchloſſen iſt; es diffundiert durch die Ofenwände in die Zimmerluft.

Von großer Bedeutung iſt auch eine andere geſundheitswidrige Einwirkung der Heizung, nämlich die Herabſetzung des Feuchtigkeits - gehalts der Luft. Es handelt ſich hierbei keineswegs um den ab - ſoluten Waſſergehalt, ſondern um den relativen, d. h. darum, wie weit der Feuchtigkeitsgehalt von dem der herrſchenden Temperatur ent - ſprechenden Sättigungsmaximum entfernt liegt. Haben wir z. B. in einem Zimmer eine Temperatur von C., ſo beträgt die Sättigungs - menge, d. h. die in 1 Kubikmeter dieſer Luft im beſten Falle ent - haltene Waſſermenge nach genauen Beſtimmungen 8,3 g. Iſt dieſe328Heizung.Zimmerluft nun wirklich ſo feucht, und erwärmt man ſie durch Heizen auf 20° C., ſo dehnt ſich 1 Kubikmeter auf 1,043 Kubikmeter aus, enthält nun alſo im Kubikmeter nur 7,96 g Waſſer. Da nun die Sättigungsmenge der Luft bei 20° aber 17,3g iſt, ſo enthält die er - wärmte Luft nur 46 % Waſſer, alſo noch nicht die Hälfte gegen früher. Dieſe Trockenheit macht ſich um ſo unangenehmer für unſeren Körper bemerkbar, als die geheizte Luft in Bewegung iſt. Deshalb erſcheint uns auch der Aufenthalt in einem auf 20° geheizten Zimmer drückender und die Hitze in demſelben größer, als unter ganz den - ſelben Temperaturverhältniſſen zur Sommerszeit. Erreicht die Trocken - heit der erwärmten Zimmerluft einen einigermaßen hohen Grad, ſo entzieht ſie den Mund - und Naſenſchleimhäuten Feuchtigkeit; man hat dann das Gefühl der Rauhigkeit an dieſen Stellen, auch ohne daß die Luft, wie man z. B. bei der Luftheizung vorauszuſetzen pflegt, durch Staub - oder Rauchteile verunreinigt iſt. Zur Verbeſſerung dieſes Übel - ſtandes muß dafür geſorgt werden, daß der trockenen Luft möglichſt viel Feuchtigkeit auf künſtlichem Wege zugeführt werde. Über die nötigen Feuchtigkeitsgrade bei verſchiedenen Heizungsſyſtemen ſind die Anſichten noch nicht vollkommen feſtſtehend; doch glaubt man, daß der Feuchtig - keitsgehalt erwärmter Luft von 19° C. bei gewöhnlicher Ofenheizung 40 bis 70 %, bei Zentralheizung 50 bis 75 % betragen muß. Dieſer Feuchtigkeitsgehalt darf aber niemals auf Koſten der Reinheit der Luft angeſtrebt werden. Eine Beſchränkung des nötigen Luftwechſels würde mindeſtens ebenſo geſundheitsſchädigend wirken, wie die zu große Trockenheit. Es muß aber in Betracht gezogen werden, daß bei der Ofenheizung die Verbrennung an ſich ſchon bedeutende Luftmengen er - fordert, z. B. 1 kg Holz gegen 10 Kubikmeter, 1 kg Kohle gegen 17 Kubikmeter. Der Erſatz ſtrömt durch alle gerade vorhandenen Öffnungen zu und wird meiſt von nicht beſonders reiner Luft aus den Nebenräumen gebildet. Die neuere Technik der Zentralheizung hat in dieſer Beziehung Heizung und Ventilation in günſtiger Weiſe zu ver - einigen geſucht und auch zum Teil ſchon recht gute Erfolge erzielt. Natür - lich ſtellen ſich ſolche Einrichtungen infolge des ganz unvermeidlichen Wärmeverluſtes teurer; man kann den durch die gleichzeitige Erwärmung und Ventilation der Räume bedingten Mehrverbrauch an Feuerungs - material reichlich auf ein Fünftel des ganzen Bedarfs veranſchlagen.

Jede Heizungsanlage muß ſo beſchaffen ſein, daß die Verbrennung des Materials ſo viel wie möglich ausgenützt wird. Die Verbrennung ſoll, des Effekts wegen, eine vollkommene ſein; es muß daher genügend Luft zugeführt werden, aber nicht zu viel, weil das Übermaß wieder abkühlend wirkt. Jede Anlage läßt Feuerherd, Heizraum und Schorn - ſtein unterſcheiden. Der erſtere muß entſprechend der Natur des Ma - terials gebaut ſein; der Heizraum ſoll den Verbrennungsgaſen Wärme entziehen und ſie der Luft des zu erwärmenden Raums mitteilen; der Schornſtein endlich muß ſo angelegt werden, daß ihm, zur Beförderung329Heizungsanlagen.des Zuges, noch Luft von einer genügend hohen Temperatur zugeführt wird, und daß ſich womöglich der Zug regulieren läßt.

Der wichtigſte der drei Teile iſt der Heizraum. Er muß vor allem genügend Heizfläche enthalten; daher pflegt man ihn, wenn er Röhren - form hat, möglichſt zu verlängern, ehe man ihn in den Schornſtein münden läßt. Andererſeits muß die äußere Oberfläche des Heizraums möglichſt groß ſein, was ſchon durch Rauhigkeit derſelben, noch mehr aber durch Anbringung von Hervorragungen erzielt wird.

Man unterſcheidet Lokalheizanlagen und Centralheizung. Im erſteren Falle hat jeder zu erheizende Raum ſeinen beſonderen Ofen; im letzteren Falle iſt für mehrere oder alle Räume ein ge - meinſamer Ofen, meiſt im unteren Teile des Hauſes, eingerichtet, von welchem aus die produzierte Wärme durch Vermittlung verſchiedener Überträger den einzelnen Räumen zugeführt wird. Hiernach unterſcheidet man wiederum Luftheizung, Warmwaſſerheizung und Dampfheizung.

Die Lokalheizung geſchieht durch Kamine oder durch Öfen.

Der Kamin iſt eine nach der Zimmerſeite zu offne Feuerſtelle, aus der die Verbrennungsgaſe faſt direkt in den nach unten zu erweiterten Schornſtein gelangen. Ihre Wirkung iſt daher eine ſehr geringe, und die Erwärmung des Zimmers erfolgt faſt nur durch Strahlung. Man kann rechnen, daß nur etwa der fünfzehnte Teil der Feuerung aus - genutzt wird. Außerdem bewirkt der Kamin eine ſehr intenſive Ven - tilation, ſo daß die zuſtrömende kalte Luft unter Umſtänden ſich als Zug ſehr unangenehm bemerkbar macht. Bei ſtürmiſchem Wetter wird die Luftſtrömung im Schornſtein leicht geſtört, ſo daß der Kamin raucht. Trotz dieſer Übelſtände hat man ſich, wahrſcheinlich wegen der Gemüt - lichkeit, welche der geheizte Kamin unter den Bewohnern verbreitet, nach allen Kräften beſtrebt, die Kaminheizung zu verbeſſern. Durch Ein - führung eines Roſtes kann man auch mit Kohlen oder Koks heizen; auch hat man Leuchtgas als Heizmaterial verwendet und ſeine Flamme auf aufgehäufte Ziegelſtücke geleitet, die ſehr gut Wärme ausſtrahlen. Als Roſt nimmt man einen verzierten eiſernen Gitterkorb, der gegen das Herausfallen der Kohlen ſichert. Durch eine gewölbte Eiſenplatte hat man ferner den oberen Teil der Feuerung verdeckt und damit eine neue gut wirkende Heizfläche geſchaffen. Trotzdem iſt es bisher nicht ge - lungen, die reine Kaminheizung in Ländern mit rauhem Klima einzu - bürgern. Um wenigſtens die Form zu erhalten, hat man den Kamin in einen Kaminofen umgewandelt. Die Verbrennungsgaſe gehen aus dem Herd nicht direkt in den Schornſtein, ſondern ſie werden in Schlangen - rohren einige Male auf und nieder geführt und geben dadurch an eine durchbrochene eiſerne Umhüllung, welche ſich über dem eigentlichen Kamin befindet, einen erheblichen Teil ihrer Wärme ab. Sehr vorteilhaft wird auch neuerdings der Kamin geradezu mit einem Kachelofen verbunden.

Bei den Ofenheizungen ſoll die Wärme der Verbrennungsgaſe möglichſt vollkommen an das Ofenmaterial übergehen, um von dieſem330Heizung.ganz allmählich an die Zimmerluft übertragen zu werden. Man unter - ſcheidet Leitungsöfen aus Gußeiſen, Maſſenöfen aus gebrannten Thon - kacheln und gemiſchte Öfen aus beiden Materialien. Dieſe letzteren ſtrahlen ſehr verſchieden ſtarke Wärme aus; das Gußeiſen giebt in derſelben Zeit etwa 16 mal ſo viel Wärme ab, wie Thonkacheln. Eiſerne Öfen erkalten darum aber um ſo viel raſcher, als Kachelöfen. Sie ſind ihres billigen Preiſes und ihrer leichten Aufſtellung wegen noch immer ſehr verbreitet. Im Norden, beſonders in Schweden und Rußland findet man die Maſſenöfen, gewaltige Steinkoloſſe aus Kacheln, die in ihrer ſoliden Steinmaſſe die Wärme der lange durchgeführten Feuerung aufnehmen und ſie ſehr langſam und regelmäßig ausſtrömen. In Mitteleuropa findet man die gemiſchten Öfen; ſie ſind auch aus Kacheln gebaut, enthalten aber eiſerne Röhrenleitungen, durch welche die Wärme an die Ofenwände übertragen wird. Zuweilen findet man ſie auch mit gußeiſernem Untergeſtell und Roſtfeuerung, wie z. B. in Holſtein.

Ein weſentlicher Punkt für die richtige Ausnutzung der Öfen iſt die Zugregulierung und der völlige Abſchluß des Zuges nach dem Ausbrennen. Dieſer letztere kann entweder durch eine Klappe im Ab - zugsrohr oder durch hermetiſch verſchließbare Ofenthüren bewirkt werden. Die Gefährlichkeit der Rauchklappe iſt längſt erwieſen und ſie daher, häufig gegen den Willen der Bewohner, abgeſchafft worden. Wird nämlich die Klappe zu früh geſchloſſen, ſo bildet ſich das giftige Kohlenoxyd, welches dann am gefährlichſten iſt, wenn es ohne gleichzeitige Rauch - entwicklung unmerklich in das Zimmer entweicht. Gut angelegte her - metiſch ſchließende Thüren bildeten einen vollkommenen Erſatz für die Klappe; werden ſie ſchlecht beſorgt, ſo kann höchſtens ein Wärmever - luſt, nie aber eine Gefährdung der Geſundheit die Folge ſein. Während die Schädlichkeit der Ofenklappe allgemein anerkannt wird, hat ſich herausgeſtellt, daß das Entweichen von Kohlenoxyd, wie man es den kleinen eiſernen Öfen, beſonders, wenn ſie ins Glühen geraten, zuſchrieb, ganz oder zum allergrößten Teil auf Einbildung beruht. Im ſchlimmſten Falle können, ſelbſt durch glühende eiſerne Wände, nur ſo verſchwindend kleine Mengen Kohlenoxyd ausſtrömen, daß ſie ohne Schaden ein - geatmet werden können; die giftige Wirkung beginnt eben erſt bei einem ganz beſtimmten Prozentgehalt der Luft.

Eine beſondere, in neuerer Zeit ſehr in Aufnahme gekommene Art von rein eiſernen Öfen ſind die Regulierfüllöfen. Es möge hier nur das Prinzip derſelben in der Konſtruktion von Meydinger erörtert werden, Die Form des Ofens iſt cylindriſch; das Brennmaterial, Steinkohle oder beſſer Anthracit, wird zerkleinert in einen ſenkrechten mit Roſt verſehenen Cylinder eingefüllt. Man zündet oben an; die kalte Luft dringt durch die Zwiſchenräume des Materials, ſo daß die Verbrennung ganz langſam von oben nach unten fortſchreitet. Der Cylinder iſt mit mehrfachen Mänteln von Eiſenblech umgeben, zwiſchen denen ebenfalls331Heizungsanlagen.Luft von unten her durchſtrömt und ſich erwärmt. Der Brand hält nach einmaliger Einfüllung ſehr lange vor und giebt eine nicht zu intenſive, angenehme Wärme.

Die Luftheizung iſt unter den Zentralheizungen die billigſte. Sie eignet ſich aber nicht für große Gebäude, weil ſie dann mehrere getrennte Feuerherde erfordert; auch muß ihre Einrichtung ſchon beim Bau der Häuſer vorgeſehen werden.

Der Heizapparat befindet ſich in einem Kellerraum. Er beſteht aus einem meiſt aus Eiſen konſtruierten Ofen, der häufig durch Röhren - ſyſteme gebildet wird, durch welche die Heizgaſe hindurchgehen; damit die Röhren die Wärme beſſer abgeben, ſind ſie oft noch mit Querrippen verſehen. Dieſer Ofen ſteht entweder ganz oder doch mit ſeinem Röhrenſyſtem in der Heizkammer, einem geſchloſſenen Raum, welchem durch Kaltröhren von außen her reine kalte Luft zugeführt wird. Dieſe wird in Berührung mit den Heizröhren erhitzt und ſtrömt dann durch im Querſchnitt viereckige gemauerte Heizkanäle den zu erwärmenden Räumen zu. Die Heizkanäle beginnen im oberen Teil der Heizkammer, münden in den Zimmern in einer Höhe von etwa 2 m und ſind durch Klappen verſchließbar. Außerdem iſt für jedes Zimmer ein Ventilations - kanal vorhanden, der mit einer dem Fußboden nahen und einer dicht unter der Decke liegenden Öffnung kommuniziert. Bei Öffnen der unteren entweicht erkaltete, verdorbene Luft, beim Öffnen der oberen ein Überfluß an heißer Luft. Die Ventilationskanäle ſtehen in der Regel durch Zirku - lationskanäle mit der Sohle der Heizkammer in Verbindung. Sollen dieſe in Thätigkeit treten, ſo ſchließt man den Zuſtrom kalter Luft ab; dadurch gelangt nur noch die ſchon gebrauchte, alſo noch warme Luft in die Heizkammer zurück und ſtrömt von neuem nach oben. Durch das letztere, allerdings ſparſame Verfahren verſchlechtert ſich die Luft aber bedeutend; kurz vor der Benutzung des Zimmers muß daher die Zirkulation unter - brochen und wieder kalte Luft in die Heizkammer eingelaſſen werden.

Die Luftheizung, welche vor etwa 15 Jahren mit Vorliebe benutzt und, beſonders in Berlin, überall in öffentlichen Gebäuden eingeführt wurde, hat den auf ſie geſetzten Hoffnungen nicht im vollen Maße entſprochen. Sie erwärmt zwar die Zimmer ſchnell, die Wärme hält aber nicht vor. Einer der größten Übelſtände iſt aber die Schwierigkeit, der einſtrömenden Luft, die im Winter häufig ſehr trocken iſt, ein genügendes Quantum Feuchtigkeit mitzuteilen. Es ſind viele Methoden angegeben worden, um dies zu bewirken, aber trotz aller noch ſo komplizierten Vorrichtungen, wie Spritzapparate oder dergleichen, wirkt die Heizluft austrocknend auf die Schleimhäute. Sodann haben Unter - ſuchungen von großem Umfange gezeigt, daß die Heizluft große Mengen von Staub mit ſich führt. Dieſe Umſtände haben viel dazu beigetragen, die Luftheizung zu diskreditieren, und man giebt bei den heutigen Anlagen der Waſſerheizung den Vorzug, vor allem deshalb, weil ſie eine mildere und nachhaltigere Wärme erzeugt.

332Heizung.

Die Waſſerheizung beſteht aus einem vollkommen geſchloſſenen Syſtem von Röhren, in welches am tiefſten Punkte ein Keſſel eingefügt iſt. Dieſelbe kann ohne beſonders große Schwierigkeiten ſelbſt noch in fertig daſtehenden Häuſern angebracht werden. Wird der Keſſel, nachdem das ganze Syſtem mit Waſſer gefüllt iſt, geheizt, ſo ſteigt das heiße Waſſer in den Heizröhren empor, zirkuliert durch die Heizkörper, kühlt ſich hierbei ab und fließt in abſteigenden Röhren in den Keſſel

Fig. 201.

Waſſerheizungsanlage.

zurück, wo infolge der Erhitzung die Zirkulation von neuem be - ginnt (ſiehe Fig. 201). Man hat mehrere Syſteme dieſer Heizung. Am häufigſten angewandt iſt die Warmwaſſerheizung mit Nieder - druck, bei welcher das Waſſer höchſtens bis zum Siedepunkt er - hitzt wird, ſowie die mit Mittel - druck, bei welcher die Tempe - ratur bis 140° ſteigen kann. In beiden Fällen iſt der Keſſel ein Röhrenkeſſel von entſprechen - den Dimenſionen. Alle Teile der Röhrenleitung, die keine Wärme abgeben ſollen, werden eingemauert oder mit hölzernen Hüllen umgeben. Die Heiz - körper ſind im weſentlichen zwei: liegende oder ſtehende Röhren - regiſter, und liegende Rippen - regiſter. Die erſteren beſtehen aus zahlreichen, zwei prisma - tiſche Sammelkäſten verbinden - den Röhren. die letzteren ſtellen Röhren mit aufgegoſſenen ſchräg - liegenden, weit vorſpringenden Rippen dar. In beiden läßt ſich die Waſſerzirkulation leicht durch Ventile regulieren. Die ganze Röhrenleitung ſteht in Verbindung mit einem offenen, auf dem Boden ſtehenden Expanſionsgefäß, welches zur Vermeidung zu hohen Druckes vorhanden ſein muß. Unter Mitteldruck hat die Leitung beim Eintritt in dieſes Gefäß ein entſprechend der geforderten höheren Waſſertemperatur belaſtetes Ventil.

Diejenigen Waſſerheizungsanlagen, bei welchen ſtatt des Röhren - keſſels ein ſchlangenförmig zuſammengerolltes Stück der geſchloſſenen Röhrenleitung, die Feuerſchlange, erhitzt wird, nennt man Heißwaſſer -333Heizungsanlagen.heizung (Syſtem Perkins). Iſt die Temperatur in der Feuerſchlange 150°, ſo arbeitet man mit Mitteldruck, ſteigt ſie bis 200°, ſo hat man Anlagen mit Hochdruck. Die Heizkörper ſind in dieſem Falle ſpiralig gerollte Röhren, die umhüllt werden oder unter Gitterplatten des Fuß - bodens liegen. Die Heißwaſſerheizung iſt billiger, als die Warmwaſſer - heizung, das Anheizen, welches bei dieſer 3 bis 4 Stunden währt, iſt bei jener in einer Stunde beendet. Sie bietet aber den Nachteil zu hoher Temperatur und geringer Nachhaltigkeit. Auch iſt eine Exploſionsgefahr, welche bei der Warmwaſſerheizung niemals vorkommt, hier wenigſtens in der Feuerſchlange nicht völlig ausgeſchloſſen.

Bei der Dampfheizung iſt Waſſerdampf von höchſtens zwei Atmoſphären Druck der Wärmeträger. Die Wärme, die er an die Heiz - körper abgiebt, ſetzt ſich zuſammen aus der verhältnismäßig kleinen Eigenwärme und der bedeutenden Verdampfungswärme, welche er bei der in den Röhren erfolgenden Kondenſation (für 1 kg Waſſer 537 Kal. ) verliert. Der Dampf wird in einem gewöhnlichen Dampfkeſſel ent - wickelt; die Leitungsröhren müſſen gut gegen Wärmeverluſt geſchützt ſein. Gewöhnlich erſtreckt ſich ein weites Leitungsrohr vom Keſſel bis zum Dachgeſchoß und verzweigt ſich dann nach den einzelnen Räumen. Die Heizkörper ſind den bei der Waſſerheizung gebräuchlichen ſehr ähnlich; ſie müſſen aber automatiſche Ventile haben, durch welche die Luft beim Anheizen aus den Röhren entweichen, ſowie beim Abkühlen wieder in ſie hineintreten kann. Da der Dampf ſich in den Röhren ſehr raſch bewegt, ſo heizen ſich die Räume mit Dampf ſehr ſchnell an, aber die Wärme iſt nicht nachhaltig. Anlage und Betrieb ſind, wie auch bei den Waſſerheizungsanlagen, teuer, weil ſowohl die tech - niſche Ausführung der Apparate eine vollkommene, wie auch die Bedienung eine ſehr aufmerkſame und gleichmäßige ſein muß. Am meiſten eignet ſich die Dampfheizung natürlich an Orten, wo der Dampf, nachdem er andere Arbeiten geleiſtet hat, noch zur Heizung verwandt wird.

Es ſei hier ſchließlich erwähnt, daß man in Amerika neuerdings mit dem Bau von Centralheizungsanlagen für ganze Stadtteile vor - gegangen iſt, deren Erfolg gute Ausblicke in die Zukunft der Heizungs - anlagen eröffnet.

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IV. Kleidung.

1. Die Textil-Induſtrie.

Geſpinſtfaſern.

Die Herſtellung von Bekleidungsgegenſtänden iſt ebenſo alt, wie das Menſchengeſchlecht; war doch der Menſch von jeher darauf an - gewieſen, ſich gegen die Einflüſſe der Witterung zu ſchützen. Zunächſt erfüllten die Felle erlegter Tiere dieſen Zweck. Als jedoch der Menſch erkannt hatte, daß die Haare derſelben, von der Haut abgelöſt, ſich zu Fäden zuſammendrehen ließen, daß ſolches weiter auch mit den Faſern von Pflanzen ausführbar war, wichen die bisher üblichen Bekleidungen allmählich den Erzeugniſſen aus Fäden, die man mit einander verflocht und ſpäterhin mit einander verwebte. Gräberfunde, Pfahlbauten, In - ſchriften und ſonſtige Überlieferungen aus uralten Zeiten beweiſen uns, daß die Weberei ſchon im grauen Altertum geübt wurde und bei vielen Völkern durch ihre außerordentliche Pflege in ganz erſtaunlichem Grade zu Verkehr, Wohlſtand und Luxus geführt hat. Nichtsdeſto - weniger hat die Weberei erſt ſeit Anfang dieſes Jahrhunderts den ungeheuren Aufſchwung genommen, welchen ihr die heutige Produktion, ſowohl was Menge, als auch Verſchiedenheit, ſowie Billigkeit der Waren anbelangt, ermöglichte. Veranlaſſung zu dieſem erſtaunlichen Aufſchwung gab einerſeits die Entwickelung der Spinnerei durch die Erfindung der Spinnmaſchine, wodurch es notwendig wurde, auch die Webe - apparate ſo umzukonſtruieren, daß ſie gleichen Schritt mit den Spinn - maſchinen in der Verfertigung der Waren zu halten vermochten; andererſeits bildeten den Grund hierfür die Handels - und Verkehrs - Intereſſen, welche ſich durch die Einführung von Transportmaſchinen immer günſtiger geſtalteten, infolge deſſen der Verbrauch an Textil-Er - zeugniſſen (textum, Gewebe, Geflecht) ſtetig zunahm, wodurch wieder die Notwendigkeit der Produktion wuchs. Hinzu kam die Erfindung von Maſchinen, mittels deren man Materialien zu bearbeiten imſtande war, welche man früher nicht verwerten konnte. Nicht nur durch335Geſpinſtfaſern.Weben vereinigt man Fäden zu Gebrauchsgegenſtänden, ſondern auch durch andere Verfahrungsarten, von denen das Wirken dem Weben an Wichtigkeit zunächſt ſteht. Es hat keine ſo alte Geſchichte, wie letzteres aufzuweiſen, iſt vielmehr bedeutend jünger und hat ſeine heutige Ausdehnung gleichfalls erſt vom Beginne dieſes Jahrhunderts ab ge - wonnen. Andere Mittel von mehr oder weniger untergeordneter Be - deutung zur Erzeugung von Waren aus Fäden ſind dann noch das Stricken, Häkeln, Knüpfen, Klöppeln. Unzertrennbar von Spinnerei, Weberei und auch den übrigen Fabrikationsmethoden ſind andere Be - arbeitungs-Gebiete, nämlich Färberei, Druckerei, Bleicherei und Appretur, welche, obſchon teilweiſe in den älteſten Zeiten bekannt, ebenfalls erſt in dieſem Jahrhundert ſich zu derjenigen Blüte entfaltet haben, in welcher ſie ſich heute durch ihre Erzeugniſſe darbieten. Alle dieſe auf - geführten Hauptbearbeitungsgebiete, zu welchen ſich noch diejenigen ge - ſellen, welche zur Formgebung der verfertigten Waren als Gebrauchs - gegenſtände, wie das Nähen, oder zur Ausſchmückung der letzteren, wie das Sticken und Poſamentieren, dienen, und zu welchen eine Menge von beſonderen oder Nebenbearbeitungsgebieten hinzutritt, werden unter der Bezeichnung Textil-Induſtrie zuſammengefaßt. In ihr kommen auch wohl andere Materialien als Fäden, Stoffe, welche durch ihre Natur ſchon größere Flächen bilden, wie das Leder, zur Verwendung, doch iſt ihre Benutzung in der Textil-Induſtrie immerhin nur als eine beſchränktere zu bezeichnen, da ſich Fäden als vornehmlichſtes Material zur Herſtellung von Textilwaren eignen.

Fäden werden aus Rohmaterialien gebildet und nennt man letztere ohne Unterſchied, ob dieſelben einen wirklichen Spinnprozeß durchzumachen haben oder auf andere Weiſe zu Fäden geſtaltet werden, Geſpinſtfaſern. Alle drei Reiche der Natur liefern uns dieſelben, obſchon nur diejenigen aus dem Pflanzen - und dem Tierreiche von größerer Bedeutung ſind. Zu den vegetabiliſchen Faſern zählen zur Hauptſache die Baumwolle, der Flachs und Hanf, ſowie die Jute, und ſchließen ſich dieſen noch andere Faſern an, welche entweder nur beſonderen Zwecken dienen oder deren Verwendung bislang noch eine ſehr geringe iſt, weil teils dem Anbau der Pflanzen in größeren Maſſen Schwierigkeiten entgegenſtehen, teils die zu ihrer Vor - bereitung für den Spinnprozeß geeigneten Maſchinen noch nicht voll - kommen genug ſind. Als animaliſche Faſern gelten die Haare von Tieren und die Seide, erſtere in den mannigfachſten Arten. Bis vor wenigen Jahrzehnten kamen nur fünf Faſern in Betracht, nämlich die - jenigen, welche auch in der Jetztzeit die Hauptrolle ſpielen: Baumwolle, Flachs, Hanf, Schafwolle und Seide. Von ihnen gilt die Wolle als das älteſte Geſpinſtfaſermaterial, denn in den älteſten Traditionen ſämtlicher Völker wird der Wollweberei bereits gedacht. Mit Wolle bezeichnet man allgemein die Haare der Schafwolle und nimmt unter den verſchiedenen Sorten die Merinowolle den erſten Platz ein, während Elektoralwolle, Cheviotwolle u. a. als Wollen von Schafen, welche336Die Textil-Induſtrie.durch Kreuzung veredelt wurden, aufzufaſſen ſind. Doch werden auch Haare anderer Tiere für Textilzwecke nutzbar gemacht. Die wichtigeren hierher gehörigen Materialien ſind: Kaſchmirwolle, auch perſiſche oder tibetaniſche Ziegenwolle genannt, beſtehend in dem feinen, weißen oder grauen Flaum - oder Grundhaar der Kaſchmirziege, zu echten orienta - liſchen Shawls verwendet; Mohair, als das feine, meiſt ſchneeweiße Haar der Angoraziege, vornehmlich zu feinen Umſchlagetüchern, zu halb - ſeidenen Stoffen als Einſchlag und zu Plüſchen benutzt; Alpakawolle, d. i. das weiße oder ſchwarze Haar von dem Pako, Alpako, einem Schafkamel in Amerika, als Kette zu Tibets u. dgl. dienend; Vigogne - wolle, von dem amerikaniſchen Vicuña, gleichfalls einer Schafkamel - art, ein ſehr feines, weiches, ſeidenartiges Haar von rötlich brauner Farbe, welches zu Tuchen verwandt wird (was gewöhnlich im Handel als Vigognewolle verkauft wird, iſt ein Gemiſch von Schafwolle und Baumwolle); Kamelwolle, als das bräunliche Flaumhaar des Kamels, zu Taſchen, Tiſch - und Schlafdecken ꝛc. gebraucht. Auch das Kuhhaar, das grobe Haar der Hausziege, das Haar der Pudelhunde und Pferde - haare geben Materialien für Fäden ab, und ſogar das Menſchenhaar wird in den letzten Jahren zu Garnen verarbeitet. Andere Haare, z. B. der Kaninchen und Haſen verſpinnt man entweder in geringen Mengen oder benutzt ſie als Beimiſchung zu beſſeren Materialien.

Die Seide war ſchon Jahrtauſende vor unſerer Zeitrechnung den Chineſen als höchſt wertvolles Material bekannt. Da dieſelbe in großen Maſſen gewonnen wurde, ſie auch bis ungefähr 100 Jahre v. Chr. ein Monopol dieſes Volkes blieb, ſo war ſie bis dahin kein Luxusartikel, ſondern Gegenſtand des allgemeinen Gebrauchs. Unter Juſtinian I., dem Beherrſcher des oſtrömiſchen Reiches, wurde die Seide durch per - ſiſche Mönche nach Konſtantinopel verſchleppt und der Seidenbau nach Europa verpflanzt. Seide iſt das Erzeugnis der Raupe des Seiden - oder Maulbeerſpinners. Dieſe ſondert aus zwei kleinen Öffnungen der Unterlippe bei ihrer Verpuppung zwei Fäden ab, welche ſie ſogleich zu einem einzigen vereinigt und an Reiſig oder dergl. anheftet, den Faden dichter und dichter um ſich ziehend und ſo eine eiförmige Hülle, den Cocon, bildend. Von letzterem kann man den Faden unter Erfüllung einfacher Bedingungen wie von einem Knäuel abziehen. Auch die Raupen anderer Schmetterlinge liefern Cocons, und damit Seide; als die bekannteſte darf die Tuſſahſeide gelten, welche von dem Eichenſpinner ſtammt. Die vorerſt beregte Seide übertrifft alle anderen Arten an Feſtig - keit, Elaſtizität und Glanz. Nur der Vollſtändigkeit halben ſei erwähnt, daß auch ein im Golf von Neapel vorkommendes Muſcheltier lange, glän - zende Seidenfäden abſondert, die unter dem Namen Muſchelſeide bekannt ſind; doch ſind die Mengen ſo gering, daß dieſe Seide nie Handels - gegenſtand geworden iſt.

In der Natur der Sache lag es, daß man ſich ſchon ſeit einer langen Reihe von Jahren bemüht hat, das koſtbare Material337Geſpinſtfaſern.der Seide künſtlich zu erſetzen, und ſind die vielfachen Verſuche wirklich mit Erfolg gekrönt worden. Auf der letzten Pariſer Aus - ſtellung von 1889 hat ein Pariſer, namens Hilaire de Chardonnet, zuerſt ein ihm patentiertes Verfahren der Herſtellung künſtlicher Seide, die dazu erforderlichen Maſchinen mit eingeſchloſſen, dem Publikum vorgeführt. Sein Verfahren beſteht im weſentlichen in der Bereitung einer Löſung von Nitro-Celluloſe, welche beim Zuſammentreffen mit Waſſer ſofort gerinnt und eine weiße Maſſe ausſcheidet, die ſich in Fäden ziehen läßt. Er verwendet hierzu gereinigte Celluloſe, welche aus Holz - ſtoff, Strohpapierzeug, Baumwolle, Lumpen, Filtrierpapier, Hanf, Ramie oder dergl. hergeſtellt ſein kann und bereitet daraus eine Kollodiumlöſung, die er durch feine Kapillarröhrchen unter ſtarkem Drucke in Waſſer auspreßt, wodurch ſich die Fäden bilden. Es kann nicht von der Hand gewieſen werden, daß möglicherweiſe die künſtliche Seide für die Textilinduſtrie von ungewöhnlicher Bedeutung werden kann, namentlich wenn die Schwierigkeit des Färbens in heißem Zu - ſtande überwunden ſein wird, während jetzt der Maſſe der Farbſtoff zugeſetzt, ſowie auch der Leichtentzündlichkeit durch entſprechende Zuſätze begegnet wird. Pflanzliche glänzende Faſern zu Fäden zu ſpinnen und ſie als Erſatz für Seide zu verwerten, hat ſich bisher nicht be - währt, obgleich viele dahinzielende Vorſchläge gemacht worden ſind.

Flachs und Hanf haben bereits in den älteſten Zeiten bei vielen Völkern als Geſpinſtfaſermaterial gedient, wie aus den Gräberfunden hervorgeht. Beide gehören zu den ſog. Baſtfaſern und liefert erſteren die Leinpflanze, letzteren die Hanfpflanze. Die reine Baſtfaſer des Leines oder Flachſes iſt glatt und beſitzt großen ſeidenartigen Glanz, die - jenige des Hanfes iſt ähnlich, nur um vieles gröber und feſter. Als weitere Baſtfaſer kam vor etwa 60 Jahren die Jute hinzu, welche heute eine hochwichtige Rolle ſpielt. Es iſt die Faſer eines aus Oſtindien herrührenden Lindengewächſes. Zuvörderſt nur zu ganz groben Fäden verſponnen und demgemäß für grobe Waren, wie Säcke, beſtimmt, ſtellt man gegenwärtig feinſte Garne aus ihr her, welche ſich auch für beſſere Waren eignen. In jüngerer Zeit ſind verſchiedene Arten aus der Familie der Neſſelgewächſe in die Textilinduſtrie ein - geführt worden. Sie geben ein langes, feſtes und glänzendes Faſer - material. Das Chinagras und die Rhea oder der Ramie ſind die wichtigeren unter dieſen Arten. Auch unſere deutſche Brennneſſel würde eine ſchöne Baſtfaſer ergeben, wenn ſie an der Veräſtelung gehindert wird. Das iſt jedoch nicht die alleinige Bedingung für die Möglichkeit ihrer praktiſchen Verwertung, vielmehr muß auch noch die geeignete Iſolierungsmethode, d. i. das Verfahren für die Ablöſung der reinen Faſer vom Stengel gefunden werden. Ein Gleiches gilt für manche andere heute noch nicht brauchbare Baſtfaſer. Nicht nur die Stengel, ſondern auch die Blattrippen mancher Pflanzen liefern ebenfalls Faſern für Geſpinſte, ſo der neuſeeländiſche Flachs, der Ananashanf, derDas Buch der Erfindungen. 22338Die Textil-Induſtrie.Manilahanf, der Aloehanf. Einheimiſche Pflanzen hierfür ſind die Nadelhölzer, welche die ſogenannte Waldwolle abgeben. Die in den Handel kommende Waldwolle iſt weiter nichts, als mit einem Abſud aus Fichtennadeln getränkte Schafwolle. Kokosnüſſe liefern in der die Frucht umgebenden Hülle ein Material, welches zu Teppichen, Matratzen, Hüten, Stricken u. dgl. gebraucht wird. Weitere Pflanzenmaterialien ſind Reis - und Maisſtroh für Mattengewebe, ruſſiſche Eſche, Pappel, Linde für Siebe, Hüte ꝛc., Binſen für Rouleaux, Kautſchuk für elaſtiſche Stoffe, wie Schuhzüge, Hoſenträger, Strumpfbänder und viele andere. Neuerdings hat ein Holländer, namens Bérand in Maſtricht, im Torf eine ſpinnbare Faſer entdeckt, Bérandin genannt, welche, mit Wolle gemiſcht, ein ſehr ſchönes und haltbares Geſpinſt geben ſoll.

Die Baumwolle iſt zwar nicht ſo alt, wie die Wolle und der Flachs, doch war ſie gleichfalls ſchon im frühen Altertum manchen Völkern bekannt. Sie gehört zu der Familie der Malven oder Pappel - roſen, und trägt die Pflanze Blüten, aus denen ſich Fruchtkapſeln von der Größe einer Walnuß mit drei bis acht Samenkörnern entwickeln. Dieſe ſind mit den Baumwollfaſern dicht umhüllt. Obſchon außer der Baumwollpflanze noch andere Gewächſe Samenhaare erzeugen, ſo ſind doch bis heute nur ihre Faſern als zur Bildung von Fäden tauglich geſchätzt worden.

Mineraliſche Stoffe können, da ſie ſchwer und gute Wärmeleiter ſind, in der Textilbranche ſich keine hervorragende Stellung erringen. Nichts deſtoweniger ſind ſie für gewiſſe Zwecke unentbehrlich. Ins - beſondere werden in Möbelſtoffe, Tapeten, Vorhänge, überhaupt Stoffe mit dekorativem Zweck Gold - und Silberfäden eingeſchoſſen, desgl. in Kirchengewänder, Paramenten und Prachtſtoffe, welche auch mit reichen Goldſtickereien ausgeſtattet werden. Beſatzartikel und Poſa - menten erfahren ebenfalls die Benutzung von Gold - und Silberfäden. An Stelle der echten Gold - und Silberdrähte nimmt man häufig ſchwach galvaniſch vergoldete oder verſilberte Kupfer - und Eiſendrähte, oder wickelt, um ſie billiger, leichter und biegſamer zu machen, die echten oder unechten feinen Drähte um gelbe oder weiße Fäden aus Seide, Baumwolle oder Leinen. Solche Geſpinſte führen in unechtem Zu - ſtande den Namen Gold - reſp. Silberlahn. Schon von den älteſten Schriftſtellern wird von golddurchwirkten Stoffen berichtet. Bis zur Mitte des 11. Jahrhunderts wurden echte Goldfäden verwendet, deren Seele ein Seiden - oder Leinenfaden war. Von da ab trat von Cypern aus ein neues billigeres Goldgeſpinſt auf, bekannt unter dem Namen cypriſcher Goldfaden , bei welchem der innere Faden wie früher ge - wählt war, deſſen Umſpinnung jedoch aus einem ſtark vergoldeten Darmhäutchen beſtand. Seit dem 15. Jahrhundert findet man in abendländiſchen Stickereien den neuen Goldfaden der Renaiſſance, be - ſtehend aus einem goldgelben Seidenfaden als Kern mit ſtark ver - goldetem Silberdraht umſponnen. Aus China und Japan rührt ein339Gewinnung und Zurichtung der Geſpinſtfaſern als Rohmaterial.heute für Möbel - und Tapetenſtoffe ꝛc. gern benutzter Faden her, ein gelber Kern mit auf einer Seite ſtark vergoldetem Papier umwickelt. Ja, ſelbſt glattes Goldpapier ohne jegliche Seele ſchießt man dort wohl in Gewebe ein. In der neueſten Zeit ſucht man die ſchweren Metall - fäden durch den ſpezifiſch bedeutend leichteren Aluminiumdraht zu er - ſetzen; denn Goldpapierfäden ſind wohl als Schußmaterial zu ge - brauchen, dagegen nicht zu Treſſen, Troddeln, Franzen und ähnlichem. Reine Eiſen - und Kupferdrähte verwendet man zur Anfertigung von Drahtgeweben für die verſchiedenartigſten Zwecke. Weiter werden Glas - fäden von großer Feinheit in Phantaſieſtoffen verarbeitet. Von höchſter Wichtigkeit iſt wegen ſeiner Unverbrennlichkeit der Asbeſt geworden, welchen man mit vegetabiliſchen Faſern, z. B. Flachs, zuſammenſpinnt, worauf man dieſe durch Ausglühen beſeitigt. Verwendung finden daraus hergeſtellte Gewebe zu Theaterdekorationen, Feuerwehrkleidungen, Bergewerkszwecken u. ſ. w.

Gewinnung und Zurichtung der Geſpinſtfaſern als Rohmaterial.

Die aufgezählten der Textilinduſtrie zu ihren Fabrikaten dienen - den Materialien werden je nach ihrer Natur verſchiedenartig ge - wonnen, und beſtehen die zu ihrer Zurichtung als Rohmaterial er - forderlichen Arbeiten vorzugsweiſe darin, die Geſpinſtfaſer von ihrem Träger abzulöſen, zu iſolieren und ſie möglichſt von beigemengten Un - reinigkeiten zu befreien, ſie auch für den weiteren Transport geeignet zu machen. Denn dieſe Arbeiten gelangen faſt durchweg da zur Aus - führung, wo das Material geerntet wurde, während die nachfolgenden Vorarbeiten für das eigentliche Spinnen und letzteres ſelbſt häufig in Fabriken ganz anderer Länder und Gegenden vorgenommen wird. Verlaſſen wir die hiſtoriſche Reihenfolge und wählen von jetzt ab die allgemein übliche, ſo haben wir zunächſt die pflanzlichen, dann die tieriſchen und endlich die mineraliſchen Geſpinſtfaſern zu betrachten.

Die Baumwollfaſern werden nach dem Aufſpringen der Frucht - kapſeln geſammelt, abgeriſſene Kapſeln an der Luft getrocknet und her - nach die Faſern ſamt den Samenkörnern herausgeriſſen. Unreife Partieen werden ausgeſchieden und endlich die gewonnenen Baum - wollmaſſen von den Körnern befreit, egreniert. Letzteres geſchah in den älteſten und auch noch vielfach in ſpäteren Zeiten mit der Hand, ſpäter wurde jedoch die Handarbeit mehr und mehr durch die Egreniermaſchinen verdrängt, welche ungleich ſchneller zu ar - beiten vermögen. Die einfachſte und älteſte derſelben, in Indien und in China ſeit ewigen Zeiten in Gebrauch, beſteht aus einem hölzernen, horizontalen Walzenpaar, zwiſchen deſſen Fuge die Samen - haare bei Drehung der Walzen eingezogen werden, während die Samenkörner vor der Fuge, deren Winkel hierfür richtig gewählt iſt, abreißen. Im Laufe der Zeit ſind dieſe Walzenegreniermaſchinen22*340Die Textil-Induſtrie.vielfach verbeſſert worden, teils um die Produktionsfähigkeit zu erhöhen, teils um das Mitnehmen und Zerquetſchen von Körnern durch die Walzen zu vermeiden. Auch wurde der Hand - oder Fußbetrieb in elementaren umgewandelt. Eine ganz beſondere Einrichtung hat die Egreniermaſchine von Mac Carthy; eine neuere Konſtruktion dieſer Art iſt die von Platt Brs. & Comp. in Oldham. Den Walzenegrenier - maſchinen, welche ſich für längere Baumwolle vorzüglich eignen, ſtehen gegenüber die infolge ihrer ſtärkeren Wirkung nur für kurzfaſerige Baumwollen verwendbaren Sägenegreniermaſchinen, welche als Haupt - organ eine Axe mit Kreisſägeblättern in geringen Abſtänden haben. Darüber befindet ſich ein Roſt, zwiſchen deſſen Spalten die Blätter hindurchgreifen. Bei der Rotation erfaſſen die letzteren mit ihren Zähnen die Haare der auf den Roſt gelegten Baumwollmaſſe und reißen ſie ab, während die Körner von dem Roſt zurückgehalten werden. Auch dieſe Maſchinen, welche in der beſchriebenen Einrichtung von Eleazar Carver herrühren, haben eine Menge von Umänderungen er - fahren. Als wichtigſte derſelben iſt der Erſatz der Sägeblätter durch einen mit kurzen Drahthäkchen garnierten Cylinder, Krempel - oder Kratzencylinder, welcher die gleiche Wirkung wie die Sägen hat, jedoch die Baumwollhärchen beſſer faſſen kann, anzuſehen. Die General Fibre Company in London hat in jüngſter Zeit derartige Maſchinen zur Ausführung gebracht. Die egrenierte Baumwolle wird in Leinwand oder grobem Baumwollenſtoff verpackt, wobei man ſich ſtarker hydrau - liſcher oder anderer Preſſen bedient, um die Baumwolle auf einen möglichſt kleinen Raum zu bringen und ſie gegen Näſſe widerſtands - fähig zu machen. Stricke oder Eiſenbänder halten die Ballen zuſammen.

Einer vielſeitigen Behandlung unterliegen die Baſtfaſern, Flachs, Hanf, Jute, Neſſel ꝛc. zum Zwecke ihrer Iſolierung und Reinigung. Der Flachs wird, wenn er zur Faſergewinnung und nicht zur Samen - gewinnung dienen ſoll, bevor er völlig reif iſt, geerntet. Man zieht die Pflanzen aus dem Boden, was man das Raufen nennt. Es muß ſehr vorſichtig geſchehen, da der Stengel vor jedem Bruch möglichſt zu bewahren iſt. Partieenweiſe in Handvoll werden die ausgerupften Pflanzen reihenförmig auf dem Boden ausgebreitet, um an der Luft gehörig auszutrocknen, wobei ſie von Zeit zu Zeit gewendet werden. Doch baut man die Stengel auch wohl in ſogenannten kleinen Kapellen auf, indem man ſie partieenweiſe ſchräg gegen einander ſtellt und oben zuſammenbindet, ſo daß eine Art offenen Daches von größerer Länge auf dem Boden gebildet wird, durch welches der Wind ſtreichen kann. Letztere Methode iſt vorzuziehen. Dem Trocknen folgt das Riffeln, d. i. die Trennung der Samenkapſeln und Blätter von der Pflanze. Man bedient ſich hierzu eines eiſernen Kammes mit langen Zähnen, der in eine Bank geſteckt iſt, ergreift eine Partie von Leinſtengeln an der Wurzel, ſchlägt ſie in den Kamm ein und zieht ſie durch ihn, wobei Blätter und Kapſeln abreißen, ſo daß die reinen Stengel mit341Gewinnung und Zurichtung der Geſpinſtfaſern als Rohmaterial.den Wurzeln übrig bleiben. Nun erſt folgt das eigentliche Iſolierungs - verfahren. Wenn man einen Flachsſtengel durchſchneidet, ſo zeigen ſich im Querſchnitt mehrere konzentriſche Ringe, von welchen der äußerſte die Rinde iſt. Darunter ſitzt die zweite Schicht, der Baſt, welcher wieder das ſich neubildende Holz bedeckt; unter dieſem befinden ſich der eigentliche Holzkörper und im Innerſten die Markröhre. Es erhellt, daß zur Gewinnung der Baſtfaſern die Rinde entfernt werden muß. Nun ſind aber die Faſern unter ſich durch eine Leimmaſſe zuſammen - gehalten und auch mit dem Holz durch ſolche verbunden, reſp. mit Holzſubſtanz durchwachſen. Daraus erklärt ſich nicht allein, daß dieſe Leimmaſſe beſeitigt werden muß und hierzu ein chemiſches Verfahren erforderlich iſt, ſondern auch, daß die Rinde und die beigemengte Holz - ſubſtanz hernach auf mechaniſchem Wege zu entfernen ſind. Während man bezüglich des erſteren Prozeſſes nicht viel weiter gekommen iſt, vielmehr meiſt noch heute die in alten Zeiten geübten Methoden in Anwendung bringt, hat das Reinigungsverfahren durch die Konſtruktion geeigneter Maſchinen eine weſentliche Verbeſſerung gegen früher er - fahren. Die Entfernung der Leimſubſtanz geſchieht durch das ſo - genannte Röſten oder Rotten. Man kennt natürliche und künſt - liche Rotten. Zu den erſteren gehören die Waſſerrotte, die Tau - rotte und die gemiſchte Rotte, zu den letzteren die Warmwaſſer - rotte, die Dampf - und Heißwaſſerrotte, die alkaliſche Rotte und die Rotte mit verdünnter Schwefelſäure. Bei der Waſſerrotte bringt man die nach der Länge ſortierten und gehörig geordneten Flachs - ſtengel, die Wurzelenden nach unten, in Waſſer, am beſten einer Grube, bedeckt ſie mit Stroh und legt Bretter darüber, welche mit Steinen be - deckt ſind, ſo daß das Ganze ſchwimmt. So hält man die Stengel längere Zeit unter Waſſer. Durch den ſich entwickelnden Fäulnis - prozeß werden die Rinde und die Leimſubſtanz zerſtört. Iſt derſelbe beendigt, ſo nimmt man den Flachs heraus und trocknet ihn in der Sonne. Die Wirkung der Tauröſte iſt ähnlich: der Flachs wird auf einer Wieſe ganz dünn ausgebreitet, und läßt man die Feuchtigkeit der Atmoſphäre auf ihn einwirken, wobei er häufig umgewendet wird. Natürlich iſt der Gährungsprozeß hierbei ein weit mehr Zeit be - anſpruchender, als bei der Waſſerrotte, auch erfordert das Verfahren bedeutende Bodenflächen, doch ſteht dem gegenüber der wichtige Vor - teil, daß man den Röſtprozeß beſſer beobachten, ein Überröſten der Baſtfaſer oder ein nicht genügendes Rotten derſelben nicht ſo leicht eintreten kann, überdies die Flachsfaſer den Tag über durch die Ein - wirkung des Lichtes gebleicht wird. Vereinigt werden die Vorteile beider Rotten in der gemiſchten Röſte. Man unterbricht den Röſt - prozeß in den Gruben in dem Augenblick, in welchem die eigentliche Gährung anfängt und breitet dann den Flachs auf Wieſen ſo lange aus, bis der Röſtprozeß beendigt iſt. Dieſe natürlichen und alten Röſten geben ein beſſeres Geſpinſtmaterial, als die ſpäter erfundenen,342Die Textil-Induſtrie.wenig in Gebrauch befindlichen Rotten, welche ſämtlich die Be - ſchleunigung des Iſolierverfahrens bezwecken. Im Jahre 1847 ſchlug Schenk zuerſt die Warmwaſſerröſte vor. Bottiche mit Lattenböden nehmen die Flachsſtengel ſtehend auf. Durch ein Dampfrohr kann das zur Röſte dienende Waſſer im Bottich auf ca. 20 bis 25° R. erwärmt werden. Nach Beendigung des Prozeſſes wird der Flachs gehörig gewaſchen und in Trockenräumen durch Luft getrocknet. Zu der von Watt 1852 erfundenen und von Buchanan verbeſſerten Dampf - und Heißwaſſerröſte bedarf es eines komplizierten Apparates, welcher die Röſte durch heißes Waſſer bewirkt, das auslaugend durch die Flachsſtengel geſaugt wird. Es iſt die Einrichtung getroffen, daß im gleichen Apparat nachgeſpült und getrocknet werden kann. Der Röſt - prozeß iſt hier in ca. 4 Stunden erledigt, während der vorige 3 bis 4 Tage, die Waſſerrotte dagegen bis zu 3 Wochen und die Tauröſte ſogar bis zu 10 Wochen erfordert. Von ganz untergeordneter Be - deutung iſt die alkaliſche Röſte geblieben, welche durch Anwendung chemiſcher Mittel, Holzaſchenlauge, alkaliſche Laugen die Auflöſung der Leimſubſtanz zu erreichen ſtrebt. Das Röſten mit verdünnter Schwefel - ſäure endlich beſteht darin, daß dem Röſtwaſſer etwas konzentrierte Schwefelſäure zugeſetzt wird, wodurch auch der unangenehme Geruch während des Gährungsprozeſſes bei der Waſſerrotte fern gehalten wird. Es muß hier vor allem auf gehöriges Auswaſchen des Röſtwaſſers Bedacht genommen werden, um einer Zerſtörung der Baſtfaſer durch zurückbleibende Schwefelſäure zu begegnen. Die mechaniſche Tren - nung der Faſer von dem Holze an den geröſteten und getrockneten Flachsſtengeln geſchieht durch die Operation des Bottens oder Brechens. Zum Botten bedient man ſich des Botthammers, eines aus hartem Holze beſtehenden, ca. 2 kg ſchweren, mit ſtumpfen Einkerbungen an der Kopffläche und mit langem Stiel ausgeſtatteten Hammers, mit welchem man den auf harter Bodenfläche ausgeſtreuten, mit den Spitzen nach einer Seite geordneten Flachs durch Schlagen und Stoßen be - arbeitet. Hierdurch löſt ſich die Baſtfaſer vom Holze, und letzteres fällt zum Teil heraus. Dieſe Arbeit hat man ſpäterhin auch wohl durch mit Waſſer oder Dampf betriebene Stampfmühlen erſetzt. Das Brechen des Flachſes wurde früher ausſchließlich durch die Hand bewirkt. Jetzt er - folgt es vielfach mittels der Brechmaſchinen. Im erſteren Falle bedient man ſich eines Gerüſtes oder Bockes mit 2 oder 3 horizontalen, ſtumpfen Meſſern von geringem Abſtande, in deren Lücken ein ähnliches, ent - ſprechend geformtes, um einen feſten Punkt drehbares Meſſer mittelſt Handgriffes eingeführt werden kann. Der Arbeiter ergreift eine Partie von Stengeln und führt ſie mit den Spitzen zuerſt in das geöffnete Maul von Ober - und Untermeſſer, bewegt erſteres ſchnell abwärts und knickt ſo die Flachsſtengel, wobei nur die Holzteile gebrochen werden, dagegen die elaſtiſche Baſtfaſer nachgiebt. Allmählich den Flachs vor - ſchiebend und das Spiel mit dem Obermeſſer wiederholend, hat er bald343Gewinnung und Zurichtung der Geſpinſtfaſern als Rohmaterial.die Handvoll Flachs gebrochen, wobei die Holzteile, welche man Schäbe nennt, zum Teil herausfallen, zum Teil darin verbleiben. Durch Aus - ſchütteln der Partie werden dann weitere Holzteile entfernt. Was die Brechmaſchinen anbelangt, ſo ſind dieſelben höchſt verſchieden konſtruiert, doch beſteht ihr Hauptorgan meiſt in mehreren geriffelten Walzenpaaren, deren Fugen das Flachsſtroh paſſiert, wodurch die Stengel in kleine Stücke gebrochen werden, und zwar um ſo mehr, als jedes fol - gende Walzenpaar mit einer größeren Zahl von Riffeln ausgeſtattet iſt. Das ſpröde Holz fällt dabei zum größten Teil heraus. Doch giebt es auch hiervon abweichende Konſtruktionen, ſo die Kaſelowskyſche Brechmaſchine, verbeſſert von Hallerberg, eine der beſten Maſchinen, weil ſie die Handarbeit am eheſten nachahmt; auch die von Collyer iſt hier anzuführen. Da nicht alle Holzteile beim Botten oder Brechen entfernt werden, vielmehr insbeſondere die feineren Schäbeteile zurück - bleiben, ſo bedarf es einer beſonderen Reinigungsoperation hierfür, welche man das Ribben und Schwingen nennt. Erſteres kommt heut - zutage ſeltener zur Anwendung und beſteht darin, daß man eine Partie gebrochenes Flachsſtroh auf einem Stück Leder ausbreitet und mit einer Art ſtumpfen Meſſers, dem Ribbemeſſer, über den Flachs hinſtreicht, ſo die Holzteile abſchabend. Das Schwingen geſchieht auch heute noch vielfach mit der Hand unter Hinzunahme eines einfachen Apparates, des Schwingſtockes und des Schwingmeſſers, d. i. eines mit einem Ein - ſchnitt verſehenen aufrechtſtehenden Brettes und eines Holzmeſſers mit Griff. In den Einſchnitt wird eine Flachspartie eingelegt, ſo daß das mit der linken Hand feſtgehaltene Bündel als Bart herunterhängt. Mit dem Meſſer, welches die rechte Hand führt, ſchlägt man alsdann auf die herabhängenden Faſern, wodurch die Schäbeteile abgeſtreift werden. Iſt dieſe Hälfte gehörig bearbeitet, ſo kehrt man das Bündel in der linken Hand um. Mit den Unreinigkeiten werden auch Faſern heraus - geholt, und heißt der Abfall Schwinghede oder Werg. Viel ſchneller, aber mehr Abfall gebend, wirken die Schwingmaſchinen. Die einfachſte derſelben und am meiſten verbreitete iſt das Schwingrad, ein auf einer Axe ſitzendes und durch Elementarkraft gedrehtes, mit 4 bis 12 Schlag - armen ausgerüſtetes Rad, deren Enden Holzmeſſer tragen. Letztere ſchlagen bei der Rotation auf den über ein vertikales Brett hängenden Flachsbart und üben die gleiche Wirkung aus, wie das Schwingmeſſer bei der Handarbeit. Infolge der großen Geſchwindigkeit werden zahl - reiche kleine Faſerteilchen in den Arbeitsraum geworfen, und umgiebt man in beſſer eingerichteten Vorbereitungsanſtalten die Schwingräder mit Holzkäſten und läßt den Faſerſtaub durch einen Exhauſtor abſaugen und in eine Eſſe oder einen beſonderen Raum führen, ſammelt ihn dort und verwertet die ſo gewonnene Maſſe bei der Fabrikation von Hanf - papier, Hanfcouverts u. dgl. Endlich wird der geſchwungene Flachs noch einer Operation unterzogen, welche zwar meiſt von den Spinne - reien vorgenommen wird, aber noch als Zurichtungsarbeit zu betrachten344Die Textil-Induſtrie.iſt. Es iſt dies das Hecheln, welches bezweckt, die Faſern noch weiter von einander zu trennen, verworrene Faſern gerade zu legen und noch anhängende kleine Verunreinigungen zu beſeitigen. Wenngleich heutzu - tage hierfür die Hechelmaſchinen benutzt werden, ſo iſt die Handarbeit nicht zu entbehren. Man bedient ſich in letzterem Falle der Hechel, eines runden Werkzeuges aus Holz mit nach oben ſtehenden ſpitzen Nadeln, durch welche der Arbeiter eine Handvoll Flachsfaſern zieht. Mit den Spitzen der letzteren beginnend, ſchlägt er die Riſte immer tiefer in die Nadeln ein. Auch genügt nicht eine ſolche Hechel, es werden vielmehr auf einander folgend immer feinere Nummern derſelben benutzt, um den beregten Zweck möglichſt vollſtändig zu erreichen. Der entſtehende verun - reinigte Faſerabfall führt den Namen Hechelwerg. Maſchinen zum Hecheln benutzen faſt nur die Spinnereien, und ſoll dort ihrer gedacht werden.

Die übrigen Baſtfaſern, Hanf, Jute, Neſſel ꝛc. werden ähnlich behandelt, wie der Flachs. Röſten, Brechen, Schwingen und Hecheln machen die Hauptarbeiten aus, doch werden dieſelben der Natur der Faſer angepaßt, ſowie auch die für die Ausführung der Arbeiten be - nutzten Apparate und Maſchinen entſprechende Abänderungen haben. In der neueren Zeit iſt die Neſſelfaſer, Ramie, Chinagras, näher ſtudiert worden, und iſt man auch zu Iſolierungsmethoden gelangt, welche, wenn vervollkommnet, es zulaſſen werden, die höchſt wertvolle und bei richtiger Kultur ſehr billige Faſer in größeren Mengen zu gewinnen und ſie für den Spinnprozeß geeignet zu machen. Von großer Wichtigkeit iſt die Entdeckung, daß die Neſſelpflanzen vor dem Röſten ganz austrocknen und die Stengel entweder in Kalkbädern vorbereitet oder alkaliſche Röſtflüſſigkeiten genommen werden müſſen, damit die in den Haaren der Blätter befindliche (den Schmerz beim Anfaſſen der gewöhnlichen Brenneſſel verurſachende) Ameiſenſäure be - ſeitigt werde. Die Chineſen und die Eingeborenen auf Sumatra und Java üben den Röſtprozeß ſchon länger auf dieſe Weiſe aus, ohne eine wiſſenſchaftliche Begründung geben zu können.

Schafwolle und Wollhaare anderer Tiere müſſen von dem Fett, dem Wollſchweiß, welcher das rohe Wollhaar bedeckt, und von den anhaftenden Unreinigkeiten befreit werden. Dieſer Schweiß iſt teils in Waſſer löslich, teils nicht, und kann der erſtere Teil entweder vor der Schur auf dem Schafe ſelbſt durch Waſchen entfernt werden und dann hat man die Pelz - oder Rückenwäſche oder aber nach der Schur an dem gewonnenen Vließ durch die Vließwäſche, wogegen der in einfachem Waſſer nicht lösbare Teil durch einen beſonderen Waſch - prozeß unter Zuhülfenahme chemiſcher Mittel herausgebracht werden muß. Der Rückenwäſche, welche auf verſchiedene Weiſe ausgeführt wird, folgt ein Trocknen der Wolle auf dem Tiere und dann die Schur mittelſt der Schafſchere. Die gewaſchenen oder ungewaſchenen Vließe werden den Wollſpinnereien zugeſandt, welche die weitere Reinigung, die Fabrikwäſche, übernehmen.

345Eigenſchaften und Unterſuchungen der Geſpinſtfaſern.

Für die Seidencocons macht ſich eine Tötung der darin befind - lichen Puppen erforderlich, damit dieſelben ſich nicht zum Schmetterling entwickeln können. Am beſten würden die Cocons im friſchen Zuſtande, d. h. nach dem Einſammeln, abgehaſpelt, doch iſt das wegen der plötzlich erzielten großen Anzahl nicht thunlich. Ihre Tötung erfolgt im Backofen oder mittelſt Waſſerdampf, während andere Methoden, ſo durch Schwefelwaſſerſtoff - und Kohlenwaſſerſtoffgas ſich nicht bewährt haben. Bei Benutzung des erſten Verfahrens werden die Cocons in Körben in einen gehörig gereinigten Backofen gebracht, deſſen Wärme auf 60 bis 75° C gefallen iſt, wo ſie 2 bis 3 Stunden verbleiben. Beſſer iſt die Tötung mittels Dampf, weil ſie ſchneller von ſtatten geht und Beſchädigungen durch Verſengen ausgeſchloſſen ſind. Hierbei werden die mit Cocons gefüllten Körbchen auf den roſtartigen Deckel eines Gefäßes geſetzt, in welchem Waſſer zum Kochen gebracht wird. Der ſich entwickelnde Dampf, oberhalb durch eine gemauerte Kammer zu - ſammengehalten, bewirkt in 10 Minuten die Tötung. Es werden dann die Körbchen, mit wollenen Tüchern umwickelt, 6 Stunden lang ſtehen gelaſſen, um dem etwaigen Wiederaufleben der Puppen zu begegnen und endlich die Cocons durch Ausbreiten auf Brettern getrocknet. Sorg - fältige Sortierung nach Güte, Farbe und Größe bilden den Schluß der Arbeiten vor dem Verſand in die Filanda, d. i. denjenigen Betrieb, in welchem das Abhaſpeln, alſo die Herſtellung des Fadens vor - genommen wird.

Mineraliſche Stoffe, welche in der Textilinduſtrie verwendet werden, müſſen in denjenigen Zuſtand gebracht werden, welcher ſie zur Bildung ſo feiner Fäden, wie ſie die Gewebe oder deren Ausſchmückung ver - langen, tauglich macht. Die Bearbeitung dieſer Materialien, wie Gold, Silber, Eiſen, Kupfer, Glas ꝛc. kann hier keine Beſprechung finden, fällt vielmehr in die einſchlägigen Kapitel.

Eigenſchaften und Unterſuchungen der Geſpinſtfaſern.

Die beſprochenen vegetabiliſchen und animaliſchen Spinnfaſern haben beſondere Eigenſchaften, welche ſie von einander unterſcheidbar machen, ſelbſt wenn ſie nicht mehr für ſich beſtehen, ſondern zu Fäden umgewandelt oder aus dieſen Geweben hergeſtellt worden ſind, welche die verſchiedenartigſte Zubereitung erfahren haben. Iſt es für den Geübten auch nicht ſchwer, die einzelnen Hauptarten der Faſer aus - einander zu halten und das Material ſowohl im Faden als im Gewebe ohne weiteres zu erkennen, ſo können doch Fälle eintreten, in denen ſelbſt der Kenner nicht aus freier Hand zu beſtimmen vermag, welches Material vorliegt. Das kann z. B. dann vorkommen, wenn die Fäden im Gewebe aus zwei Faſerarten gemiſcht ſind oder Fäden von ver - ſchiedener Art zur Benutzung kamen, kann jedoch unter Umſtänden ſchon beim Gewebe aus einem und demſelben Material der Fall ſein. 346Die Textil-Induſtrie.Es würde hier zu weit führen, alle diejenigen Eigenſchaften aufzu - zählen, welche die verſchiedenen Geſpinſtfaſern charakteriſieren, jedoch darf nicht unerwähnt bleiben, daß insbeſondere das Ausſehen derſelben unter dem Mikroſkop für ihre Erkennung maßgebend iſt. Die neben - ſtehenden Illuſtrationen zeigen die vier Hauptfaſern in vergrößertem

Fig. 202.

Baumwolle.

Fig. 203.

Flachs.

Fig. 204.

Schafwolle.

Fig. 205.

Seide.

Maßſtabe, und zwar Fig. 202 die Baum - wolle, Fig. 203 den Flachs, Fig. 204 die Schafwolle und Fig. 205 die Seide. Erſt die Anwendung dieſes Inſtrumentes hat dazu geführt, die Faſern beſſer unterſcheiden zu laſſen. Aber auch die Chemie hat hierzu teils für ſich, teils in Gemeinſchaft mit dem Mikroſkop weſentlich dazu beigetragen, jede Faſer mit Beſtimmtheit erkennen zu können, ſo daß Verfälſchungen wertvollen Materials durch geringwertigeres anderer Art gegenwärtig ziemlich ſicher feſtzuſtellen ſind. Das iſt jedoch nicht als alleiniger Vorteil zu verzeichnen, ſondern auch die Thatſache, daß durch dieſes eingehende Studium der Eigenſchaften manches für die zweckmäßigere Fabrikation der Waren Dienliche ent - deckt worden iſt und dieſe heute ſyſtematiſcher und beſtimmter gehandhabt wird, als ehedem, wo man infolge teilweiſer Unkenntnis des Weſens der Geſpinſtfaſern im Dunkeln herumtappte und erſt durch mühſelige, zeitraubende und koſtſpielige Verſuche zu dem gelangte, was man ſich als Ziel geſteckt hatte.

Die Vorarbeiten für das Spinnen und das Spinnen ſelbſt.

Ehe die als Spinnmaterial zugerichteten Rohſtoffe der eigentlichen Spinnmaſchine überliefert werden können, haben ſie eine mehr oder minder große Zahl von weiteren Bearbeitungen durchzumachen. Die - ſelben ſind ſelten getrennt von dem Betrieb der Spinnerei und werden347Die Vorarbeiten für das Spinnen und das Spinnen ſelbſt.als zu dieſer gehörig angeſehen. Im weſentlichen beſtehen die Vor - arbeiten der Spinnerei in der gründlichen Reinigung des Materials, der Ausſcheidung der kurzen, nicht für den ins Auge gefaßten Zweck paſſenden Faſern, der Parallellegung der Faſern unter einander, der Teilung oder der Verdichtung in ſchmale Bänder und der Zuſammen - drehung der letzteren zu dicken Fäden. Aus dieſen erſt ſpinnt die Spinnmaſchine Fäden von der beabſichtigten Feinheit und Drehung. Zu dieſen Vorarbeiten geſellen ſich häufig noch anderen Gebieten der Textilinduſtrie zufallende, ſo das Färben der Geſpinſtfaſern, um gleich einen gefärbten Faden, oder durch Miſchung verſchiedenfarbiger Faſern ein meliertes Garn zu erhalten. Nur ſelten wird das Faſermaterial ohne Fadenform für ſich verwandt, wie in der Filz - und Papier - fabrikation, wo durch Bearbeitung der Faſermaſſe in Waſſer unter Hinzunahme von Klebemitteln flächenförmige Gebrauchsgegenſtände ge - bildet werden. Entſprechend den Hauptmaterialien ſind die in Betracht zu ziehenden Spinnereien Baumwollſpinnereien, Flachs -, Hanf - und Juteſpinnereien, Wollſpinnereien und Seidenſpinnereien. Die Ramie - ſpinnereien ſind erſt jüngſt entſtanden und nur vereinzelt vorhanden, ebenſo andere Spinnereien, wie die Haarſpinnereien. Infolge der not - wendigen Vorarbeiten ſind die Spinnereien neben den eigentlichen Spinnmaſchinen mit einer Menge der verſchiedenartigſten Hülfsmaſchinen ausgerüſtet und weiſen zumeiſt, da die Produktion ſich nur in größerem Maßſtabe lohnt, umfangreiche Gebäudekomplexe auf.

Vor Erfindung der Spinnmaſchine geſchah die Bildung des Fadens aus dem ſorgfältig gereinigten und durch Kratzen geordneten Material auf einem und demſelben Gerät. Das älteſte iſt die Spindel, Kunkel, heute noch in einzelnen Gegenden verſchiedener Länder zum Spinnen von Leinengarn benutzt, beſtehend aus einem hölzernen Stock, dem Rocken, zur Aufnahme des Materials und einem runden nach unten zu dicker werdendem Holz, der Spindel, meiſt noch durch einen Ring, den Wirtel, beſchwert. Durch Ausziehen der Faſern aus dem Rocken wurde eine möglichſt gleichförmige Partie zu einem ſchmalen Bande reſp. groben Faden zuſammengefügt, durch Drehen der vertikal hängenden Spindel in den beabſichtigten Faden umgeſtaltet und letzterer, wenn für die Bildung neuen Fadens zu lang geworden, auf die Spindel aufgewickelt. Dieſe Art des Spinnens erhielt ſich durchweg bis zur Entdeckung des Spinnrades, welche um das Jahr 1530 fällt und einem gewiſſen Jürgens zu Watenmüttel im Braunſchweigiſchen zugeſchrieben wird. Durch die Bewegung einer horizontalen Spindel mittels eines Hand - rades wurde es möglich, ſchneller das dem Rocken mit der Hand entnommene Material in die Fadenform zu bringen. Um beide Hände für das Spinnen frei zu bekommen, konſtruierte man dann die Tritt - räder, ſetzte das Spinnrad mit dem Fuß in Drehung und war durch Hinzunahme eines Flügels zur Spindel in den Stand geſetzt, kon - tinuierlich zu ſpinnen, d. h. ſtetig Faden zu drehen und auf eine Spule348Die Textil-Induſtrie.der Spindel aufzuwickeln, während bei dem Handrad, wie bei der Spindel beides in Abſätzen zu geſchehen hatte. Für geſchickte Arbeiter wurden Doppelſpinnräder gebaut, welche zwei Spindeln beſaßen und die gleichzeitige Herſtellung zweier Fäden erlaubten, von denen jede Hand des Spinners einen auszuziehen und zu führen hatte. Bis zum Jahre 1760 ſind dieſe Methoden des Spinnens beibehalten worden, denn wenn auch bereits 1733 John Wyatt als der Erfinder der erſten Spinnmaſchine genannt wird, ſo iſt dieſelbe höchſtens von ihm für ſeinen eigenen Bedarf benutzt worden. Richard Arkwright zu Notting - ham brachte 1769 eine Spinnmaſchine in einer für damalige Verhältniſſe leiſtungsfähigen Konſtruktion in die Öffentlichkeit. Sie wurde zunächſt durch Pferde, ſpäterhin aber durch Waſſerkraft betrieben, und ihr daher der Name Watermaſchine beigelegt; die gleichwertige Bezeichnung Droſſelmaſchine führte ſich erſt ſpäter für die durch Dampf betriebenen und vervoll - kommneteren Spinnmaſchinen derſelben Art ein. Auf der Watermaſchine wird, wie beim Trittrad kontinuierlich geſponnen und aufgewickelt; auf der um dieſelbe Zeit 1763 von James Hargreaves zu Standhill bei Blackburn erfundenen Jenny-Maſchine dagegen wurden beide Arbeiten in Abſätzen ausgeführt, alſo ſo wie beim Handrad. Der Name Jenny - Maſchine rührt von der Tochter des Erfinders her, welcher zu Ehren der Name gewählt wurde, und für deren Gebrauch zuvörderſt die Maſchine beſtimmt war. Beide Syſteme vereinigte Samuel Crompton 1774 in ſeiner Mulemaſchine, welche gleichſam als ein Baſtard (Mule d. h. Maul - eſel) anzuſehen iſt. Es iſt klar, daß ſowohl die Watermaſchine als auch die Mulemaſchine, die beiden heute beſtehenden Syſteme, im Laufe der Jahre eine Menge von Umformungen und Verbeſſerungen erfahren haben, welche neben der Aufnahme des Dampfes als Betriebskraft um das Jahr 1785 herum dazu verholfen haben, die geſamte Spinnerei auf ihre heutige Höhe zu bringen. Denn wenn auch zuerſt die Erfindung der Spinnmaſchinen der Verarbeitung der Baumwolle galt, ſo gelangte man doch bald dazu, dieſe Maſchinen auch für die übrigen Materialien nutzbar zu machen. Die Einführung der Spinn - maſchinen verlangte aber auch eine ſyſtematiſche, maſchinelle Vorbereitung des Spinnmaterials in der eingangs berührten Weiſe, und ſo entſtanden denn ſehr bald die Maſchinen für die Vorarbeiten und wurden ſtellen - weiſe zu einem kaum mehr überſchreitbaren Grade vervollkommnet.

Die Baumwollſpinnerei.

Da der Inhalt verſchiedener Ballen von Baumwolle faſt durchweg ungleichförmig iſt, ſo muß zwecks Ausgleichung dieſer Ungleichförmig - keiten ein Miſchen ſtattfinden. Dasſelbe hat auch zu geſchehen, wenn verſchiedene Sorten mit einander verarbeitet werden ſollen. Man bricht die Baumwolle aus den geöffneten Ballen mit den Händen oberflächlich auseinander und ſchichtet ſie in einem trocknen Raum auf, um ſie349Die Baumwollſpinnerei.trocknen zu laſſen. Gelegentlich der Verarbeitung ſtreicht man den ſenk - rechten Wänden der Haufen entlang mit einer Harke geringe Mengen Baumwolle ab, wodurch letztere ſich vermiſcht. Das durch ſtarken Druck für den Transport feſt zuſammengepreßte Material muß als - dann aufgelockert werden. Hierfür und zur gleichzeitigen Reinigung von anhaftenden Kapſel - und Körnerteilchen, Sand ꝛc. dient das Öffnen. Es geſchieht höchſt ſelten noch durch Schlagen und Klopfen mit der Hand, ſondern durch Maſchinen, welche verſchiedenartige Namen führen, wie Wölfe, Zauſeler, Öffner, deren Hauptteil jedoch immer eine Trommel, Axe oder Scheibe iſt, welche mit eiſernen, mehr oder weniger langen und ſpitzen Zähnen verſehen ſind, die die Faſern auseinanderziehen. Hierbei fallen die Unreinigkeiten heraus und ſaugt ein Exhauſtor zu kurze Fäſerchen ab. Übrigens geſchieht das Öffnen nicht auf einer einzigen Maſchine, ſondern auf zwei oder mehreren mit erhöhten Ge - ſchwindigkeiten und verfeinerten Garnituren ausgerüſteten Maſchinen, und wählt man die eine oder andere Art je nach der Länge der Baum - wollfaſern. Unter den heute benutzten Maſchinen ſind zu nennen der kegelförmige Wolf für ſchlechte und mittlere kurzfaſerige Baumwollſorten, der Zauſeler oder Whipper von Maſon für langfaſerige, der Porcupine - Öffner zur beſſeren Teilung der Faſern und der Opener von Chrigton zu gleichem Zweck. Durch das Öffnen iſt die Baumwolle noch nicht ſo aufgelockert und gereinigt, wie das für die ſpäteren Operationen erforderlich iſt. Deshalb kommt ſie noch auf die Schlag - und Wickel - maſchine, wo beides, Auflockern und Reinigen in verſtärktem Maße ſtattfindet. Der Unterſchied iſt aber der, daß ſtatt der Zahntrommel rotierende 2 - oder 3 armige Schläger in Anwendung kommen, welche die durch Walzen vorgeſchobenen Baumwollfaſern abſchlagen, und daß die letzteren nicht als loſe Flockwolle der Maſchine entweichen, ſondern in Form einer loſen Watte, eines lockeren Vließes, welches auf eine Stange aufgewickelt wird. Auch dieſes Schlagen und Wickeln erfolgt mindeſtens zweimal hintereinander. Der erſten Schlagmaſchine wird die Flockwolle des Öffners vorgelegt, die zweite dagegen, auch Doublier - maſchine genannt, nimmt 2 bis 4 Wickel der erſten Schlagmaſchine auf und laufen die Vließe übereinander in die Maſchine, um zuſammen von den Schlägern bearbeitet zu werden. Eine höchſt wichtige Operation iſt das nun folgende Kardieren oder Krempeln. Es bezweckt, aus dem von der zweiten Schlagmaſchine kommenden Wickel ein ſchmales Band von möglichſter Gleichheit zu bilden und hierbei die in der Baumwolle noch vorhandenen Unreinigkeiten und zu kurzen Fäſerchen zu beſeitigen. Das wird erreicht durch Maſchinen, welche Karden, Krempel, Kratzen heißen, und bei denen das weſentlichſte in der Gegeneinanderwirkung cylindriſcher, mit hakenförmig feinen Drahtſpitzen dicht beſetzter Flächen beſteht. Solche Kratzbelege oder Kardengarnituren ſind Streifen oder Blätter von Leder, Kautſchukſtoff, Kunſttuch, welche die ſtumpf gegen die Oberfläche abgebogenen Drahthäkchen enthalten, und mit denen die350Die Textil-Induſtrie.Trommeln oder Walzen beſchlagen reſp. umwickelt werden. Eine Karde enthält immer eine große Trommel mit Kratzenbeſchlag, über dieſer feſt - ſtehende oder bewegliche Deckel oder aber Walzen von geringerem Durch - meſſer mit gleichem Beſchlag, wonach man Deckelkrempel und Walzen - krempel, Igelkarden, unterſcheidet. Auch hier wird nicht nur ein Wickel der Doubliermaſchine vorgelegt, ſondern zur Erhöhung der Gleich - mäßigkeit in der Faſerverteilung befolgt man dasſelbe wie bei dieſer Maſchine. Ebenſo begnügt man ſich nur bei ordinären Garnen mit einmaligem Kratzen, kardiert jedoch meiſt zweimal, zuerſt mit der Vor - karde, dann mit der Feinkarde, wobei der Wickel der letzteren aus etwa 60 Bändern der erſteren gebildet wird, die auf der Lapping - maſchine neben und übereinander auf eine Stange aufgebracht werden. Bei feinſten Garnen wird noch häufiger gekrempelt, und benutzt man teils Rollerkarden, teils Deckelkarden, deren Beſchläge immer feiner und deren Geſchwindigkeiten immer größere werden. Statt des Kardierens ein Kämmen anzuwenden, wie bei der Kammwolle, hat keine weitere Verbrei - tung gefunden. In den von der Feinkarde kommenden Bändern liegen die Faſern keineswegs parallel, ſo wie das zur Bildung eines Fadens nötig iſt; auch ſind die Faſern noch nicht in der gewünſchten Gleichmäßigkeit ver - teilt. Um beides zu erreichen, läßt man mehrere der Bänder zuſammen ſtrecken d. h. übereinander liegend durch die Fugen von 3 bis 5 auf ein - ander folgenden Walzenpaaren gehen, von denen jedes folgende eine etwas größere Geſchwindigkeit hat, als das vorhergehende, ſo daß alſo das Material auseinander gezogen wird, wobei ſich die Faſern in die Richtung des Zuges hinein, alſo parallel legen. Das die Streck - maſchine verlaſſende Einzelband iſt bezüglich der Dicke und Breite ungefähr wieder dem urſprünglichen gleich. Den Streckmaſchinen werden die Töpfe oder Kannen der Feinkrempel vorgeſetzt und die ge - ſtreckten Bänder wieder in Kannen aufgefangen. Man ſtreckt wieder - holt, meiſt dreimal, und doubliert jedesmal 6 Bänder, welche man demnach auf das 6fache zu ſtrecken hat. Sehr feine Garne werden 6 bis 8 mal hinter einander geſtreckt. Die gewonnenen Bänder müſſen nun weiter verfeinert und zugleich gedreht werden, um in die eigent - lichen Garnfäden umgewandelt zu werden. Das beſorgt zunächſt das Vorſpinnen, und bedient man ſich hierbei der Vorſpinnmaſchinen. Selten, nur bei ganz groben Garnen, reicht ein einmaliges Vorſpinnen aus; faſt durchweg, wenigſtens für mittelfeine Garne erfolgt dasſelbe auf zwei Maſchinen. Von der erſteren wird ein grober, lockerer Faden, die Lunte, das Dochtgarn, grobes Vorgeſpinſt in der Dicke einer Feder - poſe und darüber geliefert, und werden ihr die Kannen der letzten Strecke überwieſen. Das erhaltene Produkt wird auf große, hölzerne Spulen aufgewickelt, welche dann in der zweiten Vorſpinnmaſchine Platz nehmen, um dort weiter zu Fäden von der Dicke einer kräftigen Stricknadel verfeinert und zuſammengedreht zu werden. Man erhält das feine Vorgeſpinſt, das Vorgarn. Hat man es mit feinen Garnen351Die Baumwollſpinnerei.zu thun, ſo wendet man 3 derartige Maſchinen an. Heute werden in der Baumwollſpinnerei faſt nur noch als Vorſpinnmaſchinen die Spindel - bänke, Flyers, bancs à broches, benutzt, alle übrigen Maſchinen, wie die Bank von Abegg, die Röhrenmaſchine, die Eklipsmaſchine, der Rota-Frotteur, meiſt engliſche und in Deutſchland und Frankreich ab - geänderte Maſchinen ſind veraltet und unterſcheidet man obigem ent - ſprechend: Grobflyer, Mittelflyer, Feinflyer oder für mittelfeine Garne Grob - und Feinflyer. Alle drei unterſcheiden ſich nicht in der Kon - ſtruktion, nur daß beim Grobflyer der Aufſteckrahmen für die Spulen fehlt, da ja aus den Kannen geſponnen wird. Ein Unterſchied jedoch liegt in den verſchiedenen Geſchwindigkeiten: der Grobflyer hat die ge - ringſte, der Feinflyer die größte; außerdem werden die Spindeln, welche die Drehung des Fadens bewirken, immer feiner und zahlreicher, z. B. 30 bis 50 beim Grobflyer, 60 bis 80 beim Mittelflyer und 80 bis 120 beim Feinflyer. Der Flyer gleicht in ſeiner Haupteinrichtung der ſpäter be - ſchriebenen Waterfeinſpinnmaſchine, abgeſehen davon, daß die Dimen - ſionierung und die Geſchwindigkeiten hier im Verhältnis zur Stärke des zu bildenden Fadens ſtehen. Außerdem werden nicht nur die Spindeln, welche die Fäden drehen, durch Räderwerke von der Haupt - welle der Maſchine in Bewegung geſetzt, ſondern auch die hölzernen Spulen, auf welche ſich das Vorgeſpinſt aufwickelt. Hierdurch ſind manche Einrichtungen bedingt, welche die Vorſpinnmaſchine kom - plizierter machen, als die ſonſt ähnlich wirkende Waterfeinſpinnmaſchine. Mit ſolchen Einrichtungen ausgeſtattete Flyer führen den Namen Differentialflyer. Sie arbeiten vollſtändig ſelbſtthätig; der Arbeiter hat nur die gefüllten Spulen gegen leere umzutauſchen, für friſches Spinn - material, alſo für die Kannen reſp. Spulen im Aufſteckrahmen, von welchen abgeſponnen wird, Sorge zu tragen und endlich zerriſſene Fäden wieder zu vereinigen, anzudrehen. Endlich wird das er - haltene Vorgarn der Feinſpinnmaſchine übergeben, welche aus ihm durch weiteres Ausziehen und ſtärkeres Drehen den Faden von der beabſichtigten Feinheit und der erforderlichen Drehung, Draht, Drall, herſtellt. Die heute in Benutzung befindlichen Feinſpinnmaſchinen ſind Watermaſchinen, auch Droſſel - oder Flügelſpinnmaſchinen benannt oder Ringſpinnmaſchinen oder endlich Mulemaſchinen, Selfaktoren. Um - ſtehende Zeichnung (Fig. 206) läßt die Hauptanordnung einer Water - maſchine erkennen. Im oberen Teile derſelben befinden ſich die mit Vor - garn gefüllten Spulen. Von hier laufen die Fäden den Streckwalzen zu, wo ſie je nach der Feinheit auf das 4 bis 10fache der Länge aus - gezogen werden, und ſind dann einzeln durch Öſen den Flügeln der ſich ſchnell drehenden Spindeln zugeführt, auf welchem Wege ſie ihre Drehung erhalten. Jede Spindel trägt eine hölzerne auf ihr loſe ſitzende Spule, die durch die Reibung und Zentrifugalität mitgenommen wird, jedoch nur in dem Maße, als Faden frei gegeben wird, und dieſer wickelt ſich auf die Spule, die übrigens durch Bremſung mehr oder weniger zurück -352Die Textil-Induſtrie.gehalten wird, auf. Hierdurch hat man es in der Hand, den Draht des Fadens in gewiſſen Grenzen zu ändern. Damit ſich der Faden in neben einander liegenden Windungen auf die Spule aufwickelt, ſtehen ſämtliche Spulen auf einer Bank, durch welche die Spindeln frei hindurchgehen und der durch geeignete Mechanismen Auf - und Abbewegung erteilt wird. Solcher Spindelreihen beſitzt die Maſchine links und rechts, ſie iſt zweiſeitig, während die ähnlich gebauten Vor -

Fig. 206.

Watermaſchine.

ſpinnmaſchinen, Differentialflyer, nur einſeitig ausgeführt werden. Der Spindeln ſind 100 bis 300 in einer Maſchine vorhanden und macht jede derſelben 3600 bis 4200 Umläufe pro Minute. Zur Bedienung von ca. 240 Spindeln iſt ein Mädchen erforderlich, welches im Andrehen geriſſener Fäden von einem Kinde unterſtützt wird. Die Spindeln der Droſſelmaſchinen haben vielfache Abänderungen erfahren, teils um die Produktionsfähigkeit zu erhöhen, teils um die Möglichkeit des Spinnens feinerer und loſer gedrehter Garne zu ſchaffen, da es in der353Die Baumwollſpinnerei.Natur der Sache liegt, daß man mit der beſchriebenen Maſchine nur feſtgedrehte, kräftigere Garne herzuſtellen vermag. Eine heute vielfach gebrauchte Spindel iſt die Ringſpindel, welche der Spinnmaſchine den Namen Ringſpinnmaſchine gegeben hat. Bei ihr geht jeder Faden nach Paſſierung der Streckwalzen und Öſe zu einem Drahthäkchen, welches auf einem feſten Ringe reitet, der in die Bank eingeſetzt iſt, welche ſonſt die Spulen zum Aufwickeln des fertigen Garnes trägt. Die hölzerne Spule ſitzt hier feſt auf der ſich drehenden Spindel, dreht ſich alſo ſtets mit ihr und wird der Reiter dabei auf dem ſie umgebenden Ringe in dem Verhältnis als Faden geſponnen wird, im Kreiſe ſchnell herumgeführt, wodurch der Faden ſeinen Draht erhält und ſich auf die Spule aufwickelt. Auch hier ſteigt die Bank mit ſämtlichen Ringen und Reitern zum Zwecke der regelmäßigen Bewicklung auf und nieder. Dadurch, daß nur das leichte Drahthäkchen durch den Faden herum - geführt zu werden braucht, nicht aber, wie bei der Watermaſchine die ſchwere, ſich mehr und mehr füllende Spule, kann man Garne von größerer Feinheit und geringerer Drehung erzeugen. Infolge Wegfalls der Flügel nimmt die Ringſpindel weniger Raum ein, können mehr Spindeln in der Maſchine Platz finden. Letztere hat weniger Betriebs - kraft nötig und kann man den Spindeln bis zu 10000 Umdrehungen pro Minute geben. Mit Berückſichtigung aller dieſer Umſtände liefert die heutige vervollkommnete Ringmaſchine ca. 40 % mehr Garn als die Flügelmaſchine unter ſonſt gleichen Verhältniſſen.

Anders arbeiten die Mulemaſchinen, deren Hauptanordnung die Fig. 207 zeigt. Wieder ſind die mit Vorgarn gefüllten Spulen im Aufſteckrahmen der Maſchine eingeſetzt und gehen von hier die Fäden über Führungsdrähte dem Streckwerk zu, um ausgezogen zu werden. Die Spindeln, bis zu 800 und darüber, aber befinden ſich in einem Wagen, der auf Geleiſen von dem Streckwerk entfernt und demſelben wieder zugefahren werden kann. Sie tragen keine hölzernen Spulen, vielmehr wird der Faden auf die blanke Spindel, auf welche nur eine dünne papierne Röhre geſteckt wird, aufgebracht und zwar in Geſtalt eines birnförmigen oder cylindriſchen, mit koniſchen Enden verſehenen Körpers, der nach Fertigſtellung mit der Innenröhre abgezogen wird und Cop oder Kötzer heißt. Die Spindeln drehen ſich ſehr ſchnell und wird beim Ausfahren des Wagens dadurch, daß das Streckwerk Faden durchzieht und dieſer an der äußerſten Spindelſpitze unter ſtumpfem Winkel gegen die Spindelaxe gehalten wird, dem Faden Drehung erteilt, ohne daß aufgewickelt wird. Wenn der Wagen ſeinen Auszug vollendet hat, wird die Bewegung des Streckwerkes unterbrochen, der Faden iſt eingeklemmt, und es legt ſich oben über die ſämtlichen Fäden ein Draht, wodurch dieſelben rechtwinklig zur Spindelaxe zu liegen kommen. Wird der Wagen nun eingefahren und drehen ſich die Spindeln fortgeſetzt, ſo wickeln ſich die Fäden auf ihnen auf, wobei der Draht mit Hinzunahme eines Gegendrahtes ab -Das Buch der Erfindungen. 23354Die Textil-Induſtrie.wärts und dann wieder aufwärts geführt wird, ſo daß die Bewicklung die gewünſchte Form erhält. Das Spiel beginnt von neuem, nachdem der Wagen wieder vor den Streckwalzen angelangt iſt. Es leuchtet ein, daß man das Streckwerk auch ſchon vor Beendigung des Wagenauszuges ab - ſtellen und ſo die Fäden beliebig verfeinern, auch daß man dem Wagen, wenn derſelbe am Ende der Ausfahrt angelangt iſt, noch mehr oder

Fig. 207.

Mulemaſchine.

weniger langen Stillſtand geben kann, bevor der Einzug bewerkſtelligt wird, wodurch die Fäden mehr gedreht werden (Nachdraht). So hat man es denn in der Hand, beliebig feine Garne und ſolche von größerem oder geringerem Draht auf der Mulemaſchine zu verfertigen. Alle Bewegungen führt die heutige Mulemaſchine ſelbſtthätig aus, weshalb ſie auch Selfaktor genannt wird, während bei den erſten Maſchinen das Aus - und Einfahren des Wagens, das Niederdrücken der Drähte und ähnliches durch die Hand des Arbeiters verrichtet wurden, ſpäter355Die Flachs -, Hanf - und Juteſpinnerei.auch wohl teilweiſe die eine oder andere Manipulation durch die Maſchine beſorgt wurde, ohne daß letztere ganz ſelbſtthätig war. Dann hatte man den Halfſelfaktor. Die von der Watermaſchine kommenden feſter gedrehten und kräftigeren Garne, welche ausſchließlich zur Kette von Geweben benutzt werden, bezeichnet man als Watergarne, die von der Mulemaſchine als Mulegarne. Letztere werden aber nicht nur zu Schuß verwendet, ſondern auch, wenn ſie ſtärker gedreht ſind, zur Kette. Sie führen dann den Namen Mediogarne, Halbkettgarne.

Die Flachs -, Hanf - und Juteſpinnerei.

Wie bereits früher erwähnt, geſchieht das Hecheln meiſt in den Spinnereien mit Zuhülfenahme der Hechelmaſchinen, wobei jedoch die Handhechelei, ſo wie beſchrieben, nicht in Wegfall kommt. Als älteſte Hechelmaſchine wird diejenige von Peters bezeichnet, welche der im Jahre 1810 von Girard konſtruierten weichen mußte. Auch dieſes nach und nach vielfach verbeſſerte Syſtem iſt bald verlaſſen und durch die von Taylor, Wordsworth & Co. in Leeds 1840 gebauten Maſchinen verdrängt worden. Heute gern benutzte Hechelmaſchinen ſind die von Combe & Barbour in Belfaſt, Horner in Belfaſt u. a. Das Prinzip derſelben beſteht darin, daß der geſchwungene Flachs in Partieen, Riſten, Bärten, in Kluppen eingeſpannt wird, ſo daß etwa die Hälfte der Bärte herunterhängt, wenn die Kluppen in eine obere Bahn der Maſchine eingeſetzt werden. Über horizontale Walzen laufen zwei ein - ander zugekehrte, vertikale endloſe Hecheltücher, d. h. aus Querlatten zuſammengeſetzte Flächen, welche mit ſpitzen Nadeln garniert ſind. Die Bärte hängen mit ihren Spitzen zwiſchen den Hecheltüchern und dieſe bewegen ſich hier abwärts, ſo daß ſie die Flachsfaſern teilen und die Unreinigkeiten herausarbeiten. Allmählich ſenkt ſich die Bahn mit den Kluppen, wodurch die Nadeln die Bärte mehr und mehr nach der Mitte zu faſſen. Sind dieſelben tief genug gekommen, ſo hebt ſich die Bahn mit ſämtlichen Kluppen wieder in die Anfangsſtellung und es werden nun dieſe um ein Hechelfeld verſchoben. Denn die Hecheltücher haben nicht durchgehends dieſelbe Garnitur, ſondern ſind in Längsfelder ein - geteilt, von denen jedes folgende einen feineren Nadelbeſatz hat. So wird der Flachs denn mehr und mehr ausgehechelt, zuerſt die untere Hälfte der Bärte, hernach durch Umſpannen derſelben die andere Hälfte. Die durch die Bearbeitung herausgeholten Schäbeteile und kurze Faſern ſetzen ſich zum Teil an den Hechelnadeln feſt und werden von dieſen durch beſondere Vorrichtungen abgeſtreift. Der Abfall iſt die Hechelhede, das Hechelwerg.

Der möglichſt vollkommen ausgehechelte Flachs gelangt zuvörderſt auf die Anlegemaſchine zwecks Bildung eines Bandes. Letztere iſt unter der Vorausſetzung von Regelmäßigkeit und Gleichförmigkeit des Bandes bei der Glätte und Länge der Faſern bedeutend ſchwieriger,23*356Die Textil-Induſtrie.als bei der Baumwolle. Der Flachs wird in gleichen Portionen gerade ausgeſtreckt auf ein horizontales Zuführtuch gebracht, ſo daß die ſpitzen Enden gehörig über einander greifen und einem Walzenpaar zugeführt. Eine Reihe ſich nahezu horizontal fortbewegender Hechel - ſtäbe, das ſind Stäbe mit ſpitzen Nadeln, ergreifen ihn, und zieht ihn ein zweites Walzenpaar wieder heraus. Dabei haben die Hechelſtäbe eine größere Geſchwindigkeit, als der vorbeiziehende Flachs; dieſer wird demnach fortgeſetzt ausgehechelt. Infolge einer höheren Geſchwindigkeit auch des zweiten Walzenpaares wird er auf dem Wege dorthin bedeutend geſtreckt und gelangt, durch einen Trichter zuſammengeſchnürt, als ſchmales Band in eine blecherne Kanne. Die auf der Anlegemaſchine gewonnenen Bänder werden alsdann auf den Zug - oder Streckmaſchinen weiter ge - ſtreckt und dabei zu 3 bis 5 oder noch mehr doubliert, ſo wie es bei der Baumwolle geſchieht. Während jedoch bei den Streckmaſchinen für dieſes Material die Streckwalzen nahe zuſammenliegen, der Länge der Baumwollfaſer entſprechend, haben dieſe Walzen hier einen ſehr großen Abſtand von einander, da die Flachsfaſer ſehr viel länger iſt und jeden - falls die Diſtanz der Walzen größer ſein muß, als die Faſerlänge, um ein Zerreißen der Faſern zu verhüten. Auf der großen Entfernung müſſen ſie deshalb unterſtützt werden, was durch Hechelſtäbe geſchieht, deren Nadelſpitzen in die Flachsbänder eintauchen und durch größere Ge - ſchwindigkeit wieder beſtändig aushecheln. Die Streckmaſchinen gleichen daher vollſtändig der Anlegemaſchine, nur daß bei letzterer das Zu - führtuch die Flachspartieen aufnimmt, während die erſteren die Kannen mit den Bändern vorgeſetzt erhalten. Man benutzt 2 oder 3 ſolcher Streckmaſchinen aufeinanderfolgend, um die Bänder immer gleichmäßiger und ſchöner zu machen. Nun folgt das Vorſpinnen, alſo die Ge - ſtaltung eines groben Fadens aus dem Bande. Es erfolgt auf der Spindelbank, Flyerbank, dem Differentialflyer, wobei nur bei feinen Garnen die Bänder doppelt in die Maſchine laufen, um einen Faden abzugeben. Das Streckwerk des Flyers iſt den bei den Anlege - und Zug - maſchinen üblichen gleich, d. h. Hechelſtäbe beſorgen die Unterſtützung zwiſchen den Streckwalzen, und hecheln dabei die Flachsbänder weiter aus. Im übrigen ſtimmt die Spindelbank im Prinzip mit der für Baumwolle benutzten überein. Bekannt und häufig in den Flachs - ſpinnereien zu finden ſind die Maſchinen von Combe. Das Fein - ſpinnen geſchieht heutzutage hier und da noch mit Spindel und Rocken, ſo wie in den älteſten Zeiten, z. B. in Böhmen und Schleſien, noch häufiger aber auf dem Spinnrad, namentlich dem Trittrad, iſt aber im allgemeinen durch die Maſchinenſpinnerei, welche bei guter Vor - bereitung des Materials bedeutend beſſeres Garn liefert, verdrängt worden. Dem Spinnen durch Hand geht ein Schaben und Bürſten des geröſteten, geſchwungenen und gehechelten Flachſes voran. Beim Spinnen ſelbſt muß der Flachs befeuchtet werden, am beſten mit Speichel, ſonſt durch irgend eine ſchleimige Flüſſigkeit. Die Maſchinen -357Die Flachs -, Hanf - und Juteſpinnerei.ſpinnerei hat ſich verhältnismäßig ſpät entwickelt, indem bis vor ca. 75 Jahren die Flachsſpinnerei lediglich Hausinduſtrie war. Philip de Girard nahm 1810 ein Patent auf eine Flachsſpinnmaſchine, und 1815 wurde er von Paris nach Wien berufen, um dort in der Nähe eine Flachsſpinnerei einzurichten. John Faltis gründete 1837 in Jungbuch bei Trautenau in Böhmen die erſte Flachsſpinnerei mit engliſchen Maſchinen. Heute ſind dieſe Betriebe überall verbreitet und üben die beſprochenen Vorarbeiten und das Feinſpinnen in hoher Vollkommenheit aus. Letzteres geſchieht ausſchließlich auf Watermaſchinen, wie ſie für die Baumwolle in Anwendung ſind. Es wird trocken oder naß ausgeführt, d. h. die Bildung des Fadens ge - ſchieht in trockenem Zuſtande, und empfiehlt ſich ſolches nur für gröbere Garne, oder aber man leitet die zu ſpinnenden Fäden durch heißes Waſſer; der Klebſtoff der Faſer löſt ſich und man erhält einen ſehr guten und runden Faden. An Stelle des heißen Waſſers nimmt man auch kaltes. Die naß geſponnenen Garne müſſen ſofort von den Spulen abgehaſpelt und getrocknet werden, was in Trockenräumen zu ge - ſchehen pflegt. Aus den Abfällen, dem Werg, ſpinnt man ein minderwertiges Garn, Werggarn, Towgarn. Das Werg wird, wie die Baumwolle, auf Krempelmaſchinen gekratzt, um geordnet zu werden, nachdem es zuvor gründlich durch Schütteln und Klopfen gereinigt worden iſt. Die Kratzenbeſchläge der Krempel ſind hier dem gröberen Spinnmaterial angemeſſen viel ſtärker, ſowie auch die Maſchinen be - deutend kräftiger gebaut. Als Vließ oder weiche Watte jedoch wird das gekratzte Werg nicht von der Maſchine abgegeben, ſondern immer in Form von Bändern. Die weitere Bearbeitung dieſer meiſt zweimal hinter einander gekratzten Bänder durch Strecken und Dou - blieren, Vorſpinnen und Feinſpinnen weicht in keiner Weiſe von der für Flachs beſchriebenen ab.

Was die Hanfſpinnerei anbelangt, ſo ſtimmt dieſelbe, ſolange es ſich um Herſtellung von Garnen handelt, mit der des Flachſes über - ein. Wegen der großen Faſerlänge muß er zerſtoßen oder zerſchnitten werden, was auch in gewiſſen Fällen beim Flachs geſchieht. Sollen jedoch grobe Hanfgarne, insbeſondere zu Seilerwaren erzeugt werden, ſo werden in der neueren Zeit abweichende Maſchinen benutzt, welche zuerſt von Sam. Lawſon & Sons in Leeds eingeführt worden ſind.

Auch die Juteſpinnerei, welche in England 1832, in Deutſchland 1861 zu Vechelde bei Braunſchweig aufkam, ſtimmt im weſentlichen unter Hinzunahme der Teilung der ſehr langen Faſern mit der des Flachſes überein, wenn man beſſeres Garn, ſog. Jute-Leinengarn haben will, oder aber ſie findet unter Benutzung von Karden, die das Material in kurze Faſern zerreißen und dann zu einem Bande vereinigen, mehr nach Art der Wergſpinnerei ſtatt und liefert das kardierte oder Jute - Towgarn. Stets müſſen aber den Vorarbeiten noch ein Einweich - und Quetſchprozeß vorangehen. Der erſtere beſteht darin, daß man die358Die Textil-Induſtrie.Faſern in kleineren Partieen ſchichtenweiſe lagert und die Schichten mit Waſſer und Öl beſprengt. Zur Ausführung des zweiten Prozeſſes dient die Jutequetſchmaſchine, welche mittelſt vieler hinter einander an - geordneter geriffelter Walzenpaare das eingeweichte Material mürbe macht.

Die Wollſpinnerei.

Man unterſcheidet Streichwollſpinnerei und Kammgarnſpinnerei. Veranlaſſung zu dieſer Trennung hat die Kräuſelung, eine der wichtig - ſten Eigenſchaften der Wolle gegeben. Dieſelbe iſt bei den Wollhaaren ſehr verſchieden und kann größer und geringer ſein. Stärker gekräu - ſelte Wollhaare, welche eine weniger beträchtliche Länge haben, als ſchlichte, werden zu Streichgarn verarbeitet, ſchlichte Haare von größerer Länge zu Kammgarn. Aus Streichgarn verfertigte Gewebe, Tuche, laſſen ſich einfilzen, einwalken, d. h. wenn man ſie mit Seife, Urin, Walkerde, behandelt und auf ſie Druck und Stoß einwirken läßt, ſo verfangen ſich die gekräuſelten Härchen in den Fäden und diejenigen der benachbarten Fäden in der Ware und halten ſich, da die Ober - fläche eines Wollhaares ſchuppig iſt, gegenſeitig feſt, ſchließen allmählich die Poren zwiſchen Kette - und Schußfäden und bilden die ſog. Filz - decke. Das Gewebe wird hierdurch dicker, läuft in der Länge und Breite ein, und die Ware kennzeichnet ſich dadurch, daß in ihr die ein - zelnen Fäden nicht mehr ſichtbar ſind. Dagegen läßt ſich das mit den langen, ſchlichten Wollhaaren und daraus hergeſtellten Garnen und Waren nicht oder doch nur in ganz geringem Grade erreichen. Kammgarnſtoffe laſſen daher immer die Bindung der Fäden, d. i. die Kreuzung von Kette und Schuß mehr oder weniger deutlich erkennen. Außer den genannten beiden Arten der Wollſpinnerei exiſtiert noch eine dritte, die Kunſtwollſpinnerei, welche die in wollenen und halbwollenen Lumpen befindlichen Wollhaare ausſcheidet und wieder zu Garnen ver - arbeitet, die unter dem Sammelnamen Kunſtwolle bekannt ſind.

Was die Streichwollſpinnerei anbelangt, ſo ſind die in Betracht zu ziehenden Operationen: das Waſchen, die Fabrikwäſche; das Färben, wenn ſolches ſchon in der Wolle ſtatthaben ſoll; das Wolfen, d. i. das Entfernen anhängender Verunreinigungen und das Auflockern der Wolle; das Einfetten, Fetten, Schmalzen derſelben; das Kratzen, Krem - peln; das Vorſpinnen und das Feinſpinnen, Operationen, wie wir ſie zum Teil auch in der Baumwollſpinnerei gefunden haben. Die Fabrik - wäſche, welche eine gründliche Reinigung der Wolle von dem Fettſchweiß bezweckt, zerfällt in das Entſchweißen, Spülen und Trocknen. Zum Entſchweißen bedient man ſich in kleineren Betrieben, wie ſeit langen Jahrhunderten des gefaulten Urins, in größeren Betrieben der Laugen aus Soda, wo auch die Handarbeit durch maſchinelle erſetzt iſt. Große, in mehrere Behälter zerfallende Maſchinen, unter dem Namen Leviathane bekannt, nehmen die Lauge auf, und wird die Wolle mechaniſch aus359Die Wollſpinnerei.einem Behälter in den anderen befördert, um zuerſt eingeweicht und dann ausgewaſchen zu werden. Als eine der neueſten Konſtruktionen iſt die von Mc. Naught anzuführen. Iſt die Wolle gehörig rein aus - geſpült, ſo wird ſie getrocknet, wenn ſie nicht gleich gefärbt werden ſoll; ſonſt reiht ſich dem Spülen das Färben an, und folgt dann erſt der Trockenprozeß. Man entwäſſert zunächſt die naſſe Wolle in Centrifugen, d. ſ. perforierten Trommeln auf vertikaler Axe, welche die Wolle auf - nehmen und ſchnell in Rotation verſetzt werden, wobei ein beträcht - liches Waſſerquantum ausgeſchleudert wird. Darauf folgt das eigentliche Trocknen in Trockenböden oder mittelſt beſonderer Trocken - maſchinen. Seit noch nicht langer Zeit iſt der Karboniſations - prozeß eingeſchoben worden, welcher gegenwärtig faſt überall durch - geführt wird. Die gewaſchene und getrocknete Wolle iſt zwar von dem Fett und Schmutz befreit, doch ſind die ſog. Kletten, d. ſ. Samenkapſel - teilchen von Diſteln und ähnliche vegetabiliſche Anhängſel, welche beim Lagern des Schafes oder durch andere Zufälligkeiten ſich in den Haaren verfangen haben, nicht herausgeſchafft worden. Früher mußte dies nach Möglichkeit beim Krempeln geſchehen. Das heutige Entklettungs - verfahren beſteht in der Behandlung der Wolle mit einem Salzſäure - oder Schwefelſäurebad in einer Grädigkeit, daß zwar die vegetabiliſche Subſtanz zerſtört, verkohlt, karboniſiert, dagegen die Wollfaſer nicht ge - ſchädigt wird. Hierauf ſchleudert man die Wolle aus, trocknet ſie ſcharf in Heizkammern und klopft ſie auf Schlagmaſchinen, Klopfwölfen, wo - durch die verkohlten Teilchen in Staub zerfallen, den ein Exhauſtor fortführt. Die in der Wolle zurückgebliebene Säure neutraliſiert man durch ein Sodabad. Man entklettet aber auch auf Klettenwölfen nur mechaniſch, ohne zu karboniſieren, und ſucht hierdurch die Beimengungen auszuſcheiden. Durch den nun folgenden Prozeß des Wolfens will man dasſelbe erreichen, wie in der Baumwollſpinnerei durch das Öffnen, nämlich Auflockerung und weitere Reinigung. Ferner miſcht man ver - ſchiedene Sorten Wolle, insbeſondere mehrfarbige mit einander. Endlich muß die Wolle vor dem Kardieren eingefettet werden. Alles das ge - ſchieht durch Maſchinen, die Wölfe heißen, und ſo kennt man denn Reiß -, Schlag - oder Klopfwölfe für den erſten, Miſch - oder Melier - wölfe für den zweiten und Ölwölfe für den letzten Zweck. Im weſent - lichen gleichen die Wölfe den für Baumwolle benutzten, d. h. ihr Haupt - teil iſt eine ſchnell rotierende mit einer hölzernen Kappe bedeckte cylin - driſche Trommel, welche mit einigen Reihen gerader oder gekrümmter Zähne garniert iſt, durch welche die Wollflocken zerteilt werden. Un - reinigkeiten fallen durch einen unteren Siebboden. Das Einfetten findet ſtatt, wenn die Wolle gehörig aufgelockert und gereinigt iſt. Früher diente Rüböl dazu, doch wird es ſeiner harzigen Beſtandteile halber und der böſen Folgen gelegentlich des Krempelns oder ſpäteren Walkens nicht mehr benutzt. Das empfehlenswerteſte Mittel iſt Baumöl, doch iſt es teuer und wird deshalb nur für feinſte Wollen gebraucht, während360Die Textil-Induſtrie.man für mittlere Sorten Ölſäure, Oleïn nimmt. Neuerdings führen ſich Mineralöle aus Petroleumrückſtänden ſehr gut ein. Mit dem Schmelzmittel wird die Wolle beſprengt und dann zwecks gleich - mäßiger Verteilung durch die Hand und den Wolf durcheinander ge - arbeitet, oder aber man bedient ſich des Ölwolfes, welcher alle zum Schmelzen erforderlichen Arbeiten vereinigt. Nach Beendigung des Einfettens kann das Krempeln folgen, welches denſelben Zweck hat, wie der gleichbenannte Prozeß in der Baumwollſpinnerei, obſchon die für Wolle dienenden Karden manche Mechanismen hinzunehmen, welche dem längeren, gekräuſelteren und gröberen Material, ſowie dem höheren Preiſe desſelben Rückſicht tragen und die Arbeit mit eingehendſter Sorg - falt ausführen. Denn das Krempeln ſpielt bei der Streichwolle eine viel größere Rolle, als bei den bisher beſprochenen Materialien. Ur - ſprünglich war, wie auch bei der Baumwolle, das Kratzen Handarbeit und wurde dieſelbe mittelſt Brettern ausgeführt, welche mit Kratzen - beſchlag verſehen waren. Die Krempel der Neuzeit ſind derartig ver - vollkommnet, daß ſie kaum der Verbeſſerung fähig ſein dürften. Auch hier muß mehrmals hintereinander gekratzt werden, und heißt die zuerſt benutzte die Reißkrempel, die zweite die Fein - oder Pelzkrempel und die dritte Vorſpinnkrempel oder Continue. Erſtere liefert die Wolle als eine dünne, in mehreren Lagen auf eine Trommel gewickelte Watte von beträchtlicher Breite, die Decke oder den Pelz. Durch Aufſchneiden erhält man Stücke, welche dem Zuführtiſch der zweiten Krempel ange - paßt ſind. Sie entläßt die Wolle gleichfalls in Form einer Decke, welche jedoch bedeutend größere Länge hat, als die Decke der Reißkrempel. Als letzte Krempel dient die Continue, welche die Decke, den Flor, des Feinkrempels erhält und die Wolle in einer Menge nebeneinander liegender ſchmaler, unten ſich getrennter Bänder abgiebt, welche durch hin und her gehende Walzen, Würgelwalzen, ſofort in grobe Fäden zuſammen - gerollt und auf dünne Walzen aufgewickelt werden. Die Wirkung der Würgel - oder Nitſchelwalzen iſt gerade ſo, als ob man ein Band zwiſchen die flachen Hände legt und dieſe hin und herreibt. Hier iſt alſo die Krempel, die Vorſpinnmaſchine. Übrigens geſchieht ähnliches in einzelnen Fällen auch bei der Baumwolle, man läßt dort auch die Fein - ſpinnkrempel die Vorſpinnmaſchine ſein und ſpart ſo das Vorſpinnen auf dem Flyer, doch läßt ſich das nur für mittlere Ware verwenden. Bei den Wollkrempeln iſt heute faſt überall die hübſche und Arbeit und Transport erſparende Einrichtung getroffen, daß die Decke der Reißkrempel durch verbindende Mechanismen auf die Feinkrempel überführt wird, oder daß ſolches zwiſchen letzterer und Continue geſchieht. Höchſt mannigfach ſind die Konſtruktionen, welche ſich auf die Trennung des abgeholten Flors der Continue in ſchmale Bänder beziehen und die man als Florteiler bezeichnet. Aus den groben Fäden werden nun durch Bearbeitung auf der Feinſpinnmaſchine die feinen Fäden gebildet. Als ſolche verwendet man meiſt die Selfaktoren,361Die Wollſpinnerei.wie ſie bei der Baumwollſpinnerei beſprochen worden ſind, doch fehlen bei ihnen die Streckwalzen, und ſind dieſe durch ein einfaches Walzen - paar erſetzt. Das Ausziehen der Fäden erfolgt demnach nicht durch ein Streckwerk, ſondern durch Stillſetzen des Walzenpaares, während der Spindelwagen noch weiter ausfährt. Watermaſchinen, und zwar nach dem Prinzip der Ringſpinnmaſchinen, ſind erſt ſeit der Mitte der 60er Jahre in der Streichgarnſpinnerei durch A. Vimont in Vine (Calvados) verſucht worden und haben ſich ſeit Anfang der 70er Jahre durch die Konſtruktion von C. Martin in Verviers mehr und mehr eingeführt. Teppichgarne und Deckengarne ſpinnt man auch wohl gleich auf der Continue fertig und iſt die verbreitetſte hierher gehörige Continue mit Spinnapparat die von O. Schimmel in Chemnitz.

Die Kunſtwolle, alſo die aus wollenen und halbwollenen Lumpen und Garnabfällen wiedergewonnene Wolle iſt, obgleich minderwertig, von hoher Bedeutung in der Wollinduſtrie geworden. Die Er - zeugniſſe aus ihr ſind ungleich billiger, als aus guter Schurwolle, und das Ausſehen der Ware wird kaum beeinträchtigt, wohl aber die Haltbarkeit, doch ſpielt letztere bei der heutigen ſchnell wechſelnden Mode eine untergeordnetere Rolle als in früheren Zeiten, insbeſondere, wenn es ſich um Damenſtoffe handelt. Die Fabrikation der Kunſtwolle hat man ſeit ca. 50 Jahren erfunden. Man unterſcheidet Schoddy, Mungo und Extraktwolle, je nachdem zur Gewinnung Lumpen aus Kammgarnſtoffen, geſtrickten und gewirkten Waren oder aber aus ſtreichwollenen Tuchen oder endlich aus halbwollenen Geweben benutzt wurden. Bei Shoddy und Mungo brauchen die Lumpen nur auf dem Lumpenwolfe von ihnen anhaftenden Unreinigkeiten entſtäubt und zer - kleinert, und allenfalls ausgewaſchen zu werden. Dann werden die erhaltenen Fadenſtücke durch Kratzen in Haare aufgelöſt und weiter verarbeitet, wie die Streichwolle. Dagegen hat bei der Extraktwolle vor der Zerfaſerung noch der bereits früher beſchriebene Karboniſations - prozeß zu erfolgen, durch welchen unter Anwendung von Säuren die vegetabiliſchen Faſern, Baumwolle oder Leinen, zerſtört werden.

Während bei der Streichgarnſpinnerei die Hauptvorbereitungs - arbeit das Kratzen oder Krempeln bildet, iſt diejenige der Kammgarn - ſpinnerei das Kämmen. Eine ſcharfe Grenze läßt ſich zwiſchen beiden Wollen nicht ziehen. Die auſtraliſchen und die Buenos-Ayres-Wollen liefern das beſte Material. Cheviotkammwollen, von auſtraliſchen Croßbred-Schafen herrührend, auch von England als Lüſtrewollen von dort gezüchteten Schafen kommend, dienen gleichfalls als vorzügliches Material für Kammgarne. Die Kammwolle muß gehörig ſortiert werden und zwar hauptſächlich in Bezug auf ihre Länge und den Grad ihrer Schlichtheit, ſelbſtredend auch auf denjenigen ihrer Feinheit, doch iſt letzteres nicht ſo wichtig, als bei der Streichwolle, welche möglichſt in Partieen von gleicher Feinheit zuſammenzuſtellen iſt. Zu - nächſt iſt die ſortierte Kammwolle zu reinigen und aufzulockern, was362Die Textil-Induſtrie.mittels eines Wolfes, Schlagwolfes, ausgeführt wird. Bei ſtarker Verunreinigung durch Kletten, Kot, Staub, tritt, wie in der Streich - wollſpinnerei, der Klettenwolf an ſeine Stelle. Auch hier wird die Fabrikwäſche ausgeübt, nämlich die Wolle gründlich entſchweißt, und dient hierzu die als Leviathan benannte große Waſchmaſchine, nur daß das kalte Waſſer zum Ausſpülen hier fortfällt und ſämtliche 3 bis 4 Be - hälter mit verſchieden-grädigen Laugen gefüllt ſind. Mit dem Leviathan iſt gleich ein Trockenapparat verbunden, welcher die Wolle beim Trocknen ſtets auflockert, wobei die feuchten Dämpfe abgeſaugt werden.

Ferner beſitzt die Maſchine als Schlußorgan einen Einölapparat, welcher auf die ihn paſſierende Kammwolle Olivenöl mit Seifenwaſſer oder letzteres allein tröpfelt. Um die Wolle vollends zu öffnen und die Faſern parallel zu ordnen, auch noch weiter zu reinigen, wird ſie auf der bekannten Krempel der Streichwollſpinnerei gekratzt, doch begnügt man ſich hier mit einem einmaligen Durchgang durch dieſe Maſchine. Man erhält von ihr Bänder oder Wickel, welche einer Strecke übergeben werden. Die Streckmaſchine gleicht der in der Flachsſpinnerei gebräuch - lichen; eine Nadelwalze oder Nadelkette, Hechelkette, Gillbox, unterſtützt das zu ſtreckende, doublierte Band, wie dort, und ordnet die Haare, indem das Band ſchnellere Geſchwindigkeit hat, als die Nadelkette. Dieſem Vorſtrecken folgt das Kämmen, in früheren Zeiten durch Hand unter Benutzung der Wollkämme, heute durch Kämmmaſchinen ausgeführt. Das Prinzip des Kämmens beſteht in der Trennung der langen, ſpinn - baren Wollhaare von den kürzeren, wertloſeren, oder ganz unbrauch - baren, und der Beſeitigung noch vorfindlicher Klettenteile. Als erſte brauchbare Kämmmaſchine darf die von Heilmann gelten, nachher durch Schlumberger verbeſſert. Neben dieſem Syſtem exiſtiert gegenwärtig eine ganze Menge von anderen Syſtemen, ſo das von Noble, Holden, Liſter, Little und Hübner. Im großen ganzen hat die Heilmann-Schlum - bergerſche Kämmmaſchine folgende Einrichtung: Die auf der Krempel gewonnenen ſchmalen Bänder laufen zu etwa 16 zu einem breiten Vließ vereinigt in eine Zange, deren einer Teil einen Deckel mit Nadeln hat, die in das über den unteren Teil geführte Vließ einſtechen, ſo daß ein Stück desſelben, ein Wollbart, am Ende dieſes Teiles herabhängt. Dieſer Bart wird durch Aufſetzen des zweiten am unteren Ende geriffelten Teiles der Zange auf den erſten, mit Deckel verſehenen, eingeklemmt und feſtgehalten, und durch eine ſich drehende, ſtückweiſe mit Nadeln beſetzte Trommel, die Kämmwalze, ausgekämmt. Nach - dem ſich währenddem der Nadeldeckel von ſeinem Zangenteil abge - hoben, durch die erforderlichen Nebenbewegungen friſches Vließ in denſelben zugelaſſen, ſich dann der Deckel wieder geſenkt hat, und der Bart fertig ausgekämmt worden iſt, öffnet ſich die Zange, zwei ſich drehende Walzen ergreifen den Anfang desſelben und ziehen ihn ein. Hierbei ſticht da, wo das unausgekämmte Vließ beginnt, von oben ein mit Nadeln beſetzter Kamm in dasſelbe und wird es in -363Die Wollſpinnerei.folge des Durchziehens durch ihn vorgekämmt. Die Zange ſchließt ſich wieder, die Drehung der Walzen hört auf, dagegen entfernen ſie ſich mit dem eingeklemmten Band. Dieſes reißt hierdurch ab und hängt ein Bartende, nur vorgekämmt, aus der Walzenfuge herunter, während von der Zange wieder ein wie zuerſt beſprochener Bart frei geworden iſt. Dem Auskämmen dieſes letzteren durch die rotierende Trommel folgt dann immer unmittelbar das Auskämmen des erſteren. Die Be - wegungen gehen dergeſtalt vor ſich, daß ſich das abgeriſſene Ende mit dem Anfang des neuen Bartes beim Einziehen durch die Walzen deckt und ſo die Bärte kontinuierlich mit verſetzten Fugen auf einander gelegt werden, wodurch die Walzen demnach wieder ein fortlaufendes ge - kämmtes Vließ liefern, das mittelſt eines Trichters zu einem ſchmäleren Bande zuſammengefügt wird. Eine Kanne nimmt dieſen ſog. Kamm - zug auf. Die ausgekämmten Haare und Unreinigkeiten werden von der Kämmwalze durch einen Reinigungsapparat abgenommen und bilden die Kämmlinge. Nun folgt wieder Strecken der Bänder auf Streck - maſchinen. War die Wolle mit Öl behandelt, ſo muß ſie entfettet und geplättet werden, ſonſt fällt dieſe Operation fort. Die Plättmaſchine, Liſſeuſe, nimmt die Wickel oder Spulen mit den geſtreckten Bändern auf, letztere paſſieren zwei mit Seifenwaſſer angefüllte Bottiche und werden über dampfgeheizte, kupferne Röhren gezogen, geplättet, getrocknet und auf Spulen aufgewickelt, nachdem ſie durch ein Streckwerk noch geordnet wurden. Weitere Streckmaſchinen legen die verwirrten Haare mehr und mehr parallel, was man auch die Entfilzung, Defeutrage, nennt. Wenn das zu erzeugende Kammgarn nicht rohweiß bleiben, ſondern farbig werden ſoll, ſo können die Kammzüge nach dieſem dritten Strecken gefärbt werden. Jedoch findet das Färben auch häufig im fertigen Garn ſtatt. Auch Melangen werden fabriziert und zwar durch Anlegen verſchieden farbiger Bänder auf den Streckmaſchinen und durch Strecken von Bändern, welche in Zwiſchenräumen farbig bedruckt ſind. Nach dem Färben oder Drucken der Kammzüge muß nochmals geſtreckt werden; erſt jetzt kann das Vorſpinnen von ſtatten gehen. Die Vor - ſpinnmaſchine gleicht einer Strecke, die das Ausziehen der Bänder be - ſorgt, jedoch iſt ſie mit einem Würgelapparat, wie die Vorſpinnkrempel der Streichwollſpinnerei, ausgeſtattet, um die Bänder zu groben Fäden umzuwandeln. Es wird nicht eine ſolche Maſchine benutzt, ſondern deren 9 bis 10, wobei wiederholt doubliert wird. Auf Water - oder Mulemaſchinen, welche dieſelbe Bauart aufweiſen, wie für Baumwolle, aber dem längeren Faſermaterial Rechnung tragen, wird feingeſponnen. Die beſprochenen Maſchinen werden in ſehr verſchiedener Zuſammen - ſtellung und Reihenfolge verwendet, je nach der Beſchaffenheit des Materials und der Feinheit der zu produzierenden Garne und haben ſich dadurch in den einzelnen Ländern beſtimmte Spinnſyſteme aus - gebildet, von welchen das deutſche, engliſche und franzöſiſche von Be - deutung geworden ſind.

364Die Textil-Induſtrie.

Die Seidenſpinnerei.

Spricht man von Seidenſpinnereien, ſo verſteht man darunter vielfach diejenigen Anſtalten, welche ſich mit dem Abhaſpeln der Cocons und der Verarbeitung der Fäden zu Rohſeide, Grège, befaſſen, obgleich eine Spinnerei im eigentlichen Sinne wegen des fertig auf dem Cocon befind - lichen Fadens nicht erforderlich iſt. Doch hat ſich das ſo eingebürgert. Streng genommen ſollte die Bezeichnung Seidenſpinnerei nur denjenigen fabrikativen Etabliſſements zukommen, die die Floret - oder Chappeſeide und die Bouretteſeide bereiten, welche einem wirklichen Spinnprozeß unterliegen; doch bezeichnet man ſolche Spinnereien als Floret - oder Chappeſpinnereien und als Bouretteſpinnereien. Die zum Abhaſpeln beſtimmten Cocons werden in drei Klaſſen geteilt: die ſchönſten, feſteſten, ſeidenreichſten, welche den feinſten und glänzendſten Faden liefern, dienen zur Anfertigung der Kettenſeide, Organzin, diejenigen von mittlerer Güte und Stärke geben die Schußſeide, Trama, und die ſchwächſten Cocons mit grobem Faden liefern die Pelſeide, eine zum Stricken, Nähen und dergleichen verwendete Seide. Das Abhaſpeln geſchah in den älteſten Zeiten in der Weiſe, daß die Cocons in ein Gefäß mit warmem Waſſer geworfen, die Fadenanfänge derſelben durch Klopfen oder Schlagen mit einer Rute oder einem Stäbchen auf - gefangen und die Fäden zu 3 bis 8 und mehr durch ein Auge ge - zogen wurden, wobei ſie zu einem einzigen Faden zuſammenleimten. Der ſo gewonnene Faden wurde auf einem Haſpel aufgewickelt. War einer der Cocons abgehaſpelt, ſo mußte ein neuer angeworfen werden. Auch heute geſchieht das Abhaſpeln noch in gleicher Weiſe, doch ſind die Apparate, welche dazu verhelfen, nicht mehr ſo primitiv, wie ehedem. Vielfach führen die Arbeit aber Maſchinen aus, welche mechaniſche Seidenhaſpel heißen. Der Haſpel, welcher den Faden aufzunehmen hat, wird mechaniſch betrieben, die Arbeiterin hat nur die geleerten Cocons durch Anwerfen friſcher zu erneuern und kann gleichzeitig 4 bis 8 Fäden beherrſchen. Auch das Aufſuchen der Fadenanfänge wird mittelſt einer mechaniſch bewegten Bürſte ausgeführt, obgleich die Handarbeit hierfür vorzuziehen iſt, weil ſie weniger Abfall giebt. Die Rohſeide -, Grège - fäden, werden dann noch, bevor ſie gezwirnt werden, auf der ſog. Zwirnmühle mehr oder minder ſtark gedreht, mouliniert, um dem Spalten in die einzelnen Coconfäden vorzubeugen. Aus den Abfällen beim Abhaſpeln der Cocons, ferner den nicht abwickelbaren, fehlerhaften und ſchlechten Cocons gewinnt man durch Spinnen die oben berührte Floret - oder Chappeſeide, eine minderwertige Seide, welche jedoch heute in der Seideninduſtrie nicht mehr entbehrlich iſt, und aus den bei dieſer Fabrikation entſtehenden Rückſtänden gleichfalls durch Spinnen die Bouretteſeide. So wie man aus wollenen und halbwollenen Lumpen die Kunſtwolle gewinnt, ſo verwertet man auch die ſeidenen und halbſeidenen Lumpen in gleicher Weiſe und erhält den Seiden -365Die Seidenſpinnerei.ſhoddy. Während die Bouretteſpinnerei in ſteter Entwickelung begriffen iſt, hat ſich die Shoddyſpinnerei bislang nicht einzuführen vermocht. Für die Floretſpinnerei, deren Hauptſitz zur Zeit die Schweiz iſt, machen ſich eine Menge von Vorarbeiten nötig, die je nach den ge - wählten Abfällen verſchiedener Art ſind. Nimmt man Doppelcocons, d. h. ſolche, in welchen ſich gleichzeitig zwei Raupen eingeſponnen haben und die beiden Fäden verwirrt durch einander liegen oder die beim Abhaſpeln der Cocons und die beim Moulinieren der Seide entſtehenden Abfälle das geſamte Material bezeichnet man als Struſen ſo iſt der Vorbereitungsprozeß ein anderer, als wenn man nur Cocons nimmt, die in Folge von Fehlern, wie Flecken, Unreifheit, Unvollendung, Durchbeißung durch den entwickelten und ausgeſchlüpften Schmetterling für reine Seide untauglich ſind. Die Struſen werden einem Fäulnis - prozeß, Macérage, unterworfen, um den Seidenleim zu zerſtören, dann mit warmem Seifenwaſſer unter Anwendung von Stampfen und hierauf mit reinem Waſſer gut ausgewaſchen und getrocknet. Ein Öffner, Fillingmaſchine, nimmt das mit Seifenwaſſer eingeſprengte und längere Zeit ſtehen gelaſſene Material auf, zerteilt und lockert es. Nun folgt ein Kämmen auf der Kämmmaſchine, Dreſſingmaſchine, in ähnlicher Weiſe wie bei der Kammwolle; es ergeben ſich Kammbärte und als Abfall Kämmlinge. Die erſteren werden zwecks Miſchung verſchiedener Sorten des Materials einer Anlegemaſchine übergeben, welche eine kurze Watte von 6 bis m Länge und 20 cm Breite bildet. Abgeſehen von der Form des Produktes erinnert dieſe Maſchine an die gleichbenannte, für Flachs benutzte. Durch die Wattenmaſchine werden alsdann dieſe Watten doubliert, geſtreckt und in ſchmale Bänder verwandelt, die in Kannen aufgefangen werden. Auf Streckmaſchinen wird wiederholt geſtreckt, auf einer Flyervorſpinnmaſchine, wie in der Flachs - und Kammgarnſpinnerei üblich, der grobe Faden gebildet und letzterer ſchließlich auf der Feinſpinnmaſchine verfeinert und ſtärker gedreht. Faſt ausnahmslos wählt man hierfür die Watermaſchine. Hat man Cocons als Rohmaterial, ſo kommt das Fäulen in Wegfall; ſie werden nur mit warmem Seifenwaſſer gewaſchen und geſtampft, her - nach mit reinem kalten Waſſer ausgeſpült, getrocknet und alsdann auf einer Dreſch - oder Klopfmaſchine behandelt, nachdem die Maſſe vorher mit Seifenwaſſer beſprengt wurde. Der dann folgende Cocon - öffner veranlaßt eine völlige Auflöſung der Cocons und nun reihen ſich die gleichen Operationen an, welche die Struſen durchzumachen haben, nachdem ſie geöffnet worden ſind, nämlich Kämmen, An - legen, Bänderbilden, Strecken, Vorſpinnen und Feinſpinnen. Für die Bouretteſpinnerei bilden die Kämmlinge das Geſpinſtfaſer - material.

Die Schlußoperationen in den Spinnereien irgend welcher Art beſtehen in dem Sortieren der Garne, dem Numerieren, d. i. die Be - ſtimmung ihrer Feinheit, dem Abhaſpeln der Fäden von den hölzernen366Die Textil-Induſtrie.Spulen in Strahnform zum Zwecke des bequemeren Transportes, während die Cops meiſt als ſolche verſandt werden, und dem Ver - packen der fertigen Garne.

Weitere Behandlung der Garne.

Die in den Spinnereien hergeſtellten Garne werden in den ſelteneren Fällen in rohem Zuſtande verwendet, d. h. in der der Ge - ſpinſtfaſer eigenen Farbe. Waren die Geſpinſtfaſern bereits gefärbt, ſo hatte der Faden ſchon beim Verlaſſen der Spinnmaſchine die vor - geſchriebene Farbe. Sonſt aber übernimmt jetzt die Färberei die Arbeit und färbt die Garne. Vielfach müſſen dieſelben auch noch ge - zwirnt, d. h. zu zweien oder mehreren zuſammengedreht werden zu dem Zweck, einen glatteren und feſteren, auch runderen Faden zu er - zielen. Das kann Sache der Spinnerei ſein oder aber beſonderer Fabriken, der Zwirnereien, doch befaſſen ſich auch Webereibetriebe für ihren eigenen Bedarf damit. Andere Garne, wie aus Baumwolle, vor allem aber aus Leinen, jedoch auch aus Wolle, wandern in rohem Zuſtande in die Bleicherei, um dort eine erhöht weiße Farbe zu er - halten. Auch die Druckereien nehmen teil an der Fertigſtellung der Garne und bedrucken ſolche, ſtellen geflammte, melierte, chinierte Garne her. Für Phantaſiewaren, Poſamenten ꝛc. werden Garne in beſonderer Weiſe zuſammengezwirnt zu ſogen. Effekt - oder Phantaſiegarnen, wie Schleifengarne, Knotengarne, wobei alle nur möglichen Fadenmaterialien in Benutzung treten, auch ſolche mineraliſcher Natur, und führen das Zuſammenzwirnen die Kunſtzwirnereien, auch wohl Webereien aus. In früheren Zeiten diente das Trittrad zur Herſtellung von Zwirnen, während für die Verfertigung ſtärkerer Schnüre, Kordeln, Seile, das Drehrad Anwendung fand, ein noch heute ſowohl in der Seilerei, als auch in der Poſamentiererei benutzter Apparat. Als jedoch die Spinnmaſchinen erfunden waren, wurde das Zwirnen von Fäden für Webe - und dergleichen Zwecke auf ihnen vorgenommen, und kann jede der beſtehenden Konſtruktionen als Zwirnmaſchine verwendet werden, wenn man ſtatt eines Fadens deren zwei oder mehrere gleichzeitig zu demjenigen Organ führt, welches die Drehung erteilt. Es hat ſich aber nur die Watermaſchine zu beregtem Zweck eingeführt und zwar mit Flügelſpindel und mit Ringſpindel, ſo daß man heute Flügel - zwirnmaſchinen und Ringzwirnmaſchinen unterſcheidet. Führt man einer ſolchen Maſchine unter Beigabe der erforderlichen Einrichtungen den einen Faden mit einer anderen Geſchwindigkeit zu, als den oder die anderen Fäden, ſo erhält man einen Zwirn, der je nach dem Ge - ſetz der Zufuhr verſchiedenartig ausfällt, und das iſt der Kunſtzwirn, Effektzwirn. Glatte Zwirne, auch wohl häufig einfache Fäden, werden zur Erzielung einer höheren Glätte der Oberfläche geſengt, d. h. durch eine Flamme gezogen, und zwar mit einer Geſchwindigkeit, welche eine367Weitere Behandlung der Garne.Beſchädigung des Fadens nicht zuläßt. Früher nahm man Spiritus hierzu, ſeltener Öl, weil dieſes rußte; heute wird das Leuchtgas, dem man, um das Blaken zu verhüten, atmoſpäriſche Luft zuführt, wie es in den bekannten Bunſenſchen Brennern geſchieht, zum Sengen des Garnes benutzt und wird letzteres in einer Maſchine, der Gaſier - maſchine, bearbeitet. Geſpinſtfaſern und die daraus gebildeten Fäden ſind ſehr hygroſkopiſch. Durch Anziehen der Feuchtigkeit aus der Luft erhöht ſich ihr Gewicht. Iſt das nun auch bei dem billigen Preiſe der Garne aus vegetabiliſchen Faſern nicht von großer Wichtigkeit, ſo fällt dieſer Umſtand für die teure Seide insbeſondere, aber auch für die nicht billigen Wollgarne ſehr in die Wagſchale. Man unterwirft deshalb zur Vermeidung von Streitigkeiten zwiſchen Käufer und Verkäufer die Seide ſtets, die Wolle gegenwärtig ſchon vielfach einem beſonderen Verfahren, welches die Konditionierung heißt. Proben der reſp. Garne werden in den unter öffentlicher Autorität ſtehenden Konditionieranſtalten vollkommen ausgetrocknet und dann gewogen. Zu dem Trockengewicht wird ein beſtimmter feſtſtehender Zuſchlag ge - macht, der dem Normalzuſtand des Garnes entſpricht und das er - haltene Geſamtgewicht auf die eingelieferten, zu konditionierenden Garn - ballen verrechnet.

So ſind denn eine Menge von Bearbeitungsmethoden nötig, um aus den Rohmaterialien die Garne zu bilden, welche die Textilinduſtrie gegenwärtig für ihre Fabrikate verlangt. Waren dieſe Methoden auch zum Teil ſchon in den älteſten Zeiten bekannt mußte doch jedes Material eine vorgeſchriebene Bearbeitung erfahren, um einen Faden abzugeben ſo hat doch erſt die Erfindung der Spinnmaſchine und daran anſchließend der einſchlägigen Hilfsmaſchinen dazu geführt, dieſe Bearbeitung richtig zu zergliedern und die Reihenfolge der Einzel - operationen ſo zu ordnen, daß die produzierten Garne unvergleichlich viel billiger und die aus ihnen verfertigten Waren auch dem weniger Bemittelten zugänglich geworden ſind. Letzteres iſt natürlich nicht die Errungenſchaft der Spinnerei allein, ſondern die entſprechend entwickelte Weberei hat gleichfalls ihren Anteil daran.

Die Weberei und ihre Vorbereitungsarbeiten.

Wenn man ein gewebtes Stück Zeug betrachtet, ſo unterſcheidet man leicht zwei Syſteme von Fäden. Eines derſelben läuft in paralleler Richtung der Länge nach, das andere zieht ſich der Breite nach hin. Die Fäden des erſten Syſtemes bilden die Kette, die des letzteren den Schuß. Es leuchtet ein, daß die Kettfäden gleiche Länge haben müſſen, auch auf ſolche im Gewebe abgeſchnitten erſcheinen, während der Schuß ohne ſichtbare Unterbrechung in der Kette hin und her geht und an den beiden Rändern, den Kanten, Leiſten, umkehren kann. Kette und Schuß werden beim Weben in der Weiſe mit einander vereinigt, daß368Die Textil-Induſtrie.alle Kettfäden, parallel geordnet, aufgeſpannt und nach gewiſſen Regeln teils gehoben, teils geſenkt werden; dann wird der Schuß in den ſchrägen Zwiſchenraum, die Kehle, das Fach, eingeführt. Schließt ſich nun dieſes Fach, ſchiebt man den eingetragenen Schuß an den bereits fertigen Warenrand, und wiederholt das Spiel, indem man dabei nach den gebotenen Regeln das Heben und Senken der Kettfäden anders erfolgen läßt, ſo erzeugt man Webware, man webt. Die Vorrichtung, welche die aufgeſpannte Kette aufnimmt, das Fach bildet, den Schuß einträgt und anſchlägt, wenn hier nur die hauptſächlichſten Punkte aufgezählt werden, heißt der Webſtuhl. Selbſtverſtändlich müſſen die für die Kette beſtimmten Garne ſo angeordnet und zugerichtet werden, wie es die Operation des Webens erfordert und hat auch das Schußmaterial eine derartige Zurichtung nötig. Die hierher gehörigen Arbeiten werden die Vorbereitungsarbeiten für die Weberei genannt.

Als das erſte und einfachſte Produkt der Textilarbeit iſt der aus geflochtenen Zweigen hergeſtellte Zaun zu betrachten, der den Menſchen Schutz gegen die Angriffe wilder Tiere bot, als die darauf folgende Entwicklungsſtufe die Matte aus Rohr oder Binſen, welche ihn gegen die Witterungseinflüſſe ſchützen ſollte. Aus dieſen Uranfängen der textilen Leiſtung hat ſich die heutige Weberei allmählich entwickelt. Beſaß man anfänglich keine beſondere Vorrichtung zur Anfertigung der genannten Erzeugniſſe, ſo war man doch gezwungen, eine ſolche aus - findig zu machen, als man die Wolle der Schafe mittels der Spindel zu Fäden zuſammendrehen lernte, der feine Seidenfaden, dann der Flachs und ſpäter die Baumwolle verarbeitet werden ſollten. Wenn auch die erſten als Webſtühle zu bezeichnenden Konſtruktionen höchſt primitive waren, ſo wie wir ſie noch jetzt bei unkultivierten Völkern in Benutzung finden, ſo war es doch infolge dieſer Vorrichtung möglich geworden, die Kett - fäden in anderer Weiſe zu heben und zu ſenken, als dies die einfache Mattenbindung beanſprucht, d. h. die Bindungen und Muſterungen der Gewebe wurden vielſeitigere. Hinzu trat, daß man die Garne und Stoffe färben lernte, die letzteren auch dem jeweiligen Zweck angepaßt, appretiert, oder durch Stickereien und Beſätze reicher und reicher ausgeſtattet wurden, und ſo finden wir denn die Weberei in allen Materialien, die in Verwendung kamen, bereits ſehr früh in einem überraſchend hohen Grade der Vollkommenheit ausgebildet, ſo die Wollweberei bei den Ägyptern 1500 v. Chr., die Leinenweberei bei den Phöniziern bereits 2000 v. Chr., die Seide ſogar bei den Chineſen 4000 v. Chr. und die Baumwolle 1000 v. Chr.

Während die Spinnerei der verſchiedenen Materialien getrennt be - handelt werden mußte, um ein möglichſt gründliches Verſtändnis der von einander abweichenden Prozeſſe zu geben, iſt das bei Beſprechung der Webereieinrichtungen nicht allein nicht nötig, ſondern nicht einmal gut durchführbar. Wenn es auch für die Vorbereitungsarbeiten der ver - ſchiedenen Garne beſondere Konſtruktionen giebt, auch die Webſtühle ſich in ihren Einzelheiten der Natur der zu verarbeitenden Garne an -369Die Weberei und ihre Vorbereitungsarbeiten.paſſen, ſo ſind die Abweichungen im großen ganzen nicht derart, daß ſie hier nicht übergangen werden könnten. Thatſächlich werden auch Vorbereitungsapparate und Maſchinen ſowohl, als Webſtühle bald für dieſes, bald für jenes Material benutzt, ſo daß es für den vorliegenden Zweck genügt, das allgemeine Weſen derſelben zu beleuchten. Die Vor - bereitungsarbeiten für die Kette beſtehen im Spulen, Scheren, Schlichten oder Leimen und Bäumen. Da die Garne häufig im Strahn bezogen werden, ſo muß man ſie zuvörderſt auf hölzerne Spulen bringen, um ſie bei der nächſten Operation, dem Scheren, bequemer und geeigneter handhaben zu können. Von dieſen Spulen oder, wenn man Cops hat, von dieſen, werden die einzelnen Fäden abgezogen und parallel nebenein - ander liegend, dem Farbmuſter der gewünſchten Ware entſprechend, auf einer Trommel geordnet und erhalten hierdurch auch eine gleiche Länge, nämlich diejenige, welche die nachherige Warenlänge ausmacht. Das iſt die Operation des Scherens. Vielfach müſſen die Kettfäden, welche im Webſtuhl manche ſie ſtark angreifenden Widerſtände zu erdulden haben, gegen dieſe haltbarer gemacht werden. Deshalb tränkt man baum - wollene und leinene Garne mit Stärkekleiſter, wollene mit Leimwaſſer, wodurch die Fäden an der Oberfläche glatter und ſo widerſtandsfähiger für das Verweben werden. Hierin beſteht das Schlichten und Leimen. Seide bedarf infolge ſeiner großen Glätte dieſer Bearbeitung nicht. Dem Scheren, wenn Schlichten und Leimen fortfällt, oder dieſer letzteren Operation folgt das Bäumen; es wird die geordnete Kette in der Breite der zu erzeugenden Ware auf eine Walze, einen Baum, ge - wickelt und iſt dieſer derjenige Teil des Webſtuhles, von welchem ſich die Kette beim Weben gemäß der Warenherſtellung allmählich abwickelt. Hiermit ſind zwar nicht alle Vorbereitungsarbeiten erſchöpft, doch ſind es die Hauptarbeiten. Die genannten Operationen geſchahen in den älteſten Zeiten lediglich durch Hand; man ſpannte Faden für Faden zwiſchen zwei feſtgelegte Stangen aus, um die Kette ſo zu ordnen, wie es der Webſtuhl verlangte. Später entſtand das Spulrad, mit welchem das Abholen des Garnes vom Strahn auf die Spule erfolgte. Mittelſt des Scherrahmens, einer aufrechtſtehenden, ſich um die vertikale Axe drehenden Lattentrommel, wurden die Kettfäden partieenweiſe in Band - form etwas ſchräg liegend, aufgeſchert und durch Rückwärtsdrehen der Trommel wieder zum Ausgangspunkte zurückgebracht, nachdem ſie zur Ermöglichung der Rückkehr um hölzerne Nägel geſchlungen und durch die Anzahl der Umdrehungen die Kettenlänge berückſichtigt worden war. Durch Wiederholung des Spieles ſcherte man nach und nach die Kette in ihrer vollen Fadenzahl auf dieſe Trommel und wickelte das abge - nommene Band vermöge einer einfachen Vorrichtung, des Bäumgeſtells, auf den Kettbaum, welchen man dann in den Webſtuhl einlegte. Stärken und Schlichten beſorgte man an den Garnſträhnen vor dem Spulen oder im Webſtuhl ſtückweiſe an dem aufgeſpannten Teil der Kette. Noch heute geſchieht die Kettenvorbereitung vielfach, wenn auch mitDas Buch der Erfindungen. 24370Die Textil-Induſtrie.bedeutend verbeſſerten Apparaten in gleicher Weiſe. Statt des Spul - rades verwendet man eine durch Hand -, Fuß - oder Elementarkraft be - wegte Spulmaſchine, die durch Einlegen von mehreren Spulen ſehr viel ſchneller letztere zu füllen vermag. Der Handſcherrahmen iſt häufig als ſelbſtthätiger zu finden; bei ihm wird das Auf - und Abwärtsführen der Kettfäden nicht durch die Hand des Arbeiters ausgeführt, ſondern von dem Apparat ſelbſt, der mittelſt Kurbel von dem Scherer einmal vorwärts, einmal rückwärts gedreht wird. Unſere Zeichnung (Fig. 208) ſtellt

Fig. 208.

Selbſtthätiger Handſcherrahmen.

einen ſolchen Scherrahmen dar. Das Bäumen pflegt man im Bäum - geſtell vorzunehmen oder aber in einer Bäummaſchine, welche die Arbeit ſchneller fördert und gleichmäßiger ausübt. Ketten, welche im Hand - webſtuhl verarbeitet werden, werden nicht ſo lang genommen, als ſolche im mechaniſchen Stuhl. Erſterer arbeitet ungleich langſamer, als letzterer, und genügt deshalb zumeiſt die geſchilderte Handvorbereitung nicht, um gleichen Schritt zu halten mit der Produktion der mechaniſchen Web - ſtühle. In kleineren mechaniſchen Webereien oder in beſonderen Fällen betreibt man das Scheren noch mit dem Handſcherrahmen, ſtärkt auch371Die Weberei und ihre Vorbereitungsarbeiten.wohl im Strahn oder im Stuhl, doch reicht das für mittelgroße oder Großbetriebe nicht aus. Hier werden ſämtliche Vorbereitungsarbeiten, die übrigens für den mechaniſchen Stuhl überaus ſorgfältig geſchehen müſſen, weil die Fäden in demſelben viel heftigere Angriffe zu erdulden haben, als im Handſtuhl, mittels Maſchinen ausgeführt, welche als Spulmaſchinen, Schermaſchinen und Schlicht - oder Leimmaſchinen be - zeichnet werden, und mit denen mit Ausſchluß der erſteren gleich Bäum - maſchinen verbunden ſind. Die letzten Jahrzehnte haben auch dieſen ſämtlichen Maſchinen eine Menge von Verbeſſerungen zu teil werden laſſen, ſo daß man Garne jedweder Art und Feinheit ſchnell für den mechaniſchen Stuhl vorzubereiten vermag. Die Hand des Arbeiters iſt nicht im ſtande, viel Fäden beim Scheren zu faſſen und ſo zu regieren, wie es dieſe Operation bedingt. Auch wird ſeine Aufmerkſam - keit bezüglich des Laufes der Fäden und ihres Reißens durch die Be - wegungen, die er machen muß, abgelenkt. Ganz anders die Scher - maſchine. Sie nimmt 200 bis 400 und darüber, ſogar bis zu 800 Fäden von dem Spulengeſtell und bringt ſie geordnet und auf gleiche Länge auf die horizontale Schertrommel, braucht alſo das nur einigemale zu wiederholen, um die ganze Fadenzahl der Kette zu erreichen. Die mit der Maſchine verbundene Bäummaſchine wickelt alsdann die ge - ſamte Kette von der Schertrommel auf den Kettenbaum des Webſtuhls. Schlicht - oder Leimmaſchinen, anfangs unſeres Jahrhunderts von Radcliff, Roſt, Johnſon und Adam in Stockport erfunden, führen, wenn dieſe Arbeit erforderlich iſt, die Kette in der vollen Breite und Fadenzahl durch einen mit Stärkemaſſe oder Leimwaſſer angefüllten Trog, bürſten die naſſen Fäden glatt, trocknen ſie und bäumen die Kette alsdann. Man findet in Mittel - und Großwebereibetrieben in der Jetztzeit häufig ſog. kombinierte Syſteme, welche die vorberegten Arbeiten der Reihenfolge nach mechaniſch zur Ausführung bringen. Übrigens beſchäftigen ſich nicht nur Webereien mit der Kettenvorbereitung für ihren Eigenbedarf, ſondern üben dieſelbe auch wohl die Baumwoll - und Flachsſpinnereien aus, ſo daß man von dieſen gleich rohe oder gebleichte, geſcherte und geſchlichtete Ketten in Wickelform beziehen kann, welche man dann nur noch umzubäumen hat. So haben ſich denn auch dieſe für die Weberei wichtigen und notwendigen Operationen durch die Erfindung und Verbeſſerung der einſchlägigen Maſchinen dem heutigen Standpunkt der Weberei völlig angepaßt.

Viel einfacher geſtaltet ſich die Hauptvorbereitung des Schuſſes. Er muß in eine Form gebracht werden, die geſtattet, ihn in das ge - öffnete Fach der Kette einzutragen. Man bedient ſich zum Durchwerfen des Schuſſes eines Werkzeuges, des Schützens, in welchen derſelbe in thunlichſt großer Menge eingebracht wird, und aus dem er ſich beim Verweben nach Bedürfnis abzieht. Zu dieſem Zweck muß er auf eine kleine hölzerne Spule, die Schußſpule, oder eine papierne Röhre gewickelt oder endlich als Schlauchknäuel geformt werden. Während24*372Die Textil-Induſtrie.man in der Handweberei noch häufig das Spulrad benutzt, auf welches die Schußſpule geſteckt und durch Bewegung des Rades ſchnell Faden aufwindend gedreht wird, verlangt der mechaniſche Webſtuhl infolge ſchnellerer Abarbeitung der in den Schützen eingelegten Schußſpule auch eine ſchnellere Herſtellung der letzteren, und erfolgt dieſe auf den Schußſpulmaſchinen, welche gleichzeitig mehrere Spulen aufnehmen. Solche Maſchinen ſind außerordentlich vollkommen eingerichtet. Bricht ein Faden oder iſt eine Spule gefüllt, ſo ſetzt ſich die zugehörige Spindel ohne Zuthun des Arbeiters ſtill. Überhaupt ſind nach dieſer Richtung hin auch an den Kettenvorbereitungsmaſchinen zahlreiche

Fig. 209.

Trittwebſtuhl.

Erfindungen zu verzeichnen, welche bezwecken, die Thätigkeit der Maſchinen mehr und mehr ſelbſtändig zu machen und dem Arbeiter immer weniger zur ſelben Zeit auszuübende Beobachtungen aufzuerlegen.

Der Handwebſtuhl der Alten war von rahmenförmigem Aufbau; die Kette war in ihm vertikal aufgeſpannt, den Schuß trug man mittels eines Stäbchens ein und ſchlug ihn durch ein zinkenartiges Werkzeug feſt an den Warenrand an. Das Trennen der Fäden bei der Fach - bildung führten zwiſchen die Kette geſteckte Stäbe aus. Aus dieſer primitiven Konſtruktion bildete ſich nach und nach der einfache und erweiterte Trittwebſtuhl aus, mit welchem nicht nur leinwandartige373Die Weberei und ihre Vorbereitungsarbeiten.oder glatte Gewebe hergeſtellt zu werden vermochten, ſondern auch ſolche anderer Bindung, wie wir ihn heute noch benutzen und von deſſen mannichfachen beſtehenden Konſtruktionen die Fig. 209 eine zeigt. Die Kette iſt nur in ſeltenen Fällen vertikal aufgeſpannt, wie z. B. bei den Stühlen für Smyrna-Knüpfteppiche oder bei Gobelinſtühlen, meiſt horizontal; die nötige ſtraffe Spannung der Kette wird durch der Art des Materials und der Ware entſprechende Kettbaumbremſen hervorgerufen; der nach dem Arbeiterſtande zu liegende Warenbaum zum Aufwickeln der Ware iſt häufig mit ſelbſtthätig wirkenden Auf - windevorrichtungen, Regulatoren, ausgerüſtet; das Heben und Senken der Kettfäden geſchieht durch Treten von Tritten oder Schemeln, welche ſich unten im Stuhl befinden und bis nach vorn reichen, mit Zuhilfenahme teils unten, teils oben angeordneter mit den Tritten durch Schnüre vereinigter kürzerer und längerer Hebel, Wippen, und daran wieder mittels Schnüre angehängter Schäfte oder Flügel. Dieſes ſind zwiſchen zwei Leiſten gebundene, mit Augen verſehene, dicht neben einander gruppierte Bindfaden, Litzen genannt, durch deren Augen die einzelnen Kettfäden gehen. Ein Flügel nimmt diejenigen Kettfäden auf, welche gleichzeitig gehoben reſp. geſenkt werden, und entſpricht das Treten eines der Schemel, manchmal bis zu 16, dem Hochgang eines Teils der Flügel und damit ihrer Kett - fäden, ſowie dem Niedergang des anderen Teils; es wird Fach ge - bildet, durch welches der Schützen mit dem Schußmaterial geworfen, geſchnellt wird. Je nach der Natur des letzteren iſt die Größe und Geſtalt des Webſchützens verſchieden. Zur richtigen Führung des Schützens dient die Lade mit dem Rieth, die oben aufgehängt iſt und, wenn Fach gebildet worden, nach hinten gebracht wird, um dem Schützen die nötige Fachhöhe für den Durchgang zu gewähren. Er läuft dabei auf der oberen glatten Fläche der Ladenbahn, auf welcher die tief ge - zogenen Kettfäden liegen, alſo über dieſen, während er die gehobenen über ſich liegen läßt. Das Rieth der Lade, ein aus vielen vertikalen metallenen Stäben beſtehender Teil, welcher die Kettfäden zu zwei oder mehreren durch ſeine Lücken paſſieren läßt, giebt dem Schützen die gerade Richtung beim Durchgang und es wird ſchließlich der einge - tragene Schlußfaden durch Vorwärtsbewegen der Lade durch das Rieth angeſchlagen, d. h. an den letzten in der Ware befindlichen Schußfaden gebracht. Selten mehr wird der Handſchützen verwendet, wirft man den Schützen mit der Hand durch, ſondern meiſt bedient man ſich des 1783 von John Kay erfundenen Schnellſchützens, der vermittelſt einer Art Peitſche bald von rechts nach links, bald zurück getrieben wird, und während des Anſchlags der Lade in einem der links und rechts an der Lade angebrachten Schützenkäſten ruht. Um mehrere Schuß - farben oder ſolche ungleicher Art eintragen zu können, erfand man die Wechſelladen, Laden mit mehreren über oder neben einander liegenden Schützenzellen, welche ſich nach Bedürfnis in die Ladenbahn ſtellen374Die Textil-Induſtrie.laſſen, um bald die eine, bald die andere Farbe oder Art einbringen zu können. Durch Einlegen mehrerer Kettbäume mit verſchiedener Kett - ſpannung wurde man in den Stand geſetzt, die mannigfaltigſten Gewebe, Doppelgewebe, Samte, Plüſche, Schleifen - oder Noppengewebe ꝛc. zu verfertigen. Sinnreiche Einrichtungen an der Lade mit mehreren kleinen Spulen laſſen es zu, die Schußfäden nur ſo weit im Gewebe einzu - tragen, als es die Figuren erfordern, alſo brochierte Stoffe herzuſtellen u. dgl. m. Doch ſind dieſe letzteren Einrichtungen erſt ſpäterhin er - funden worden.

Schon vor Anfang dieſes Jahrhunderts wurden reicher gemuſterte, façonnierte Stoffe in den Handel gebracht, welche mit dem einfachen Trittſtuhl nicht herſtellbar ſind; die hierfür dienlichen Apparate, der Sempelſtuhl, der Kegelſtuhl und der Trommelſtuhl waren jedoch ſo kompliziert und die Arbeit einerſeits ſo zeitraubend, andererſeits für den Weber höchſt anſtrengend, daß der Preis der fabrizierten Waare ein für gewöhnliche Verhältniſſe unerſchwinglicher war. Erſt Carl Marie Jacquard ſtellte 1806 in Lyon einen Stuhl mit einer Vorrichtung, der Jacquardmaſchine auf, welcher im ſtande war, façonnierte Stoffe jed - weder Art verhältnismäßig einfach und ſchnell zu erzeugen. Die eigent - liche Einführung der genannten Maſchine fällt einige Jahre ſpäter, etwa 1814, und verdanken wir ihr den erſtaunenswerten Aufſchwung der Weberei und die Vielſeitigkeit der gemuſterten Waren. Wurde die Maſchine zunächſt nur an Handwebſtühlen angewendet, ſo hat ſie ſich, als die mechaniſchen Stühle mehr und mehr vervollkommnet wurden, auch dieſe zu eigen gemacht, und werden heute auch auf letzteren mit ihrer Hülfe die herrlichſten Stoffe zur Ausführung gebracht. Das Prin - zip der Jacquardmaſchine (Fig. 210) iſt folgendes: Die Litzen, durch welche die Kettfäden gehen, ſind unten jede durch ein Bleigewicht beſchwert, oben ſind ſie an Schnüre gebunden und dieſe durch ein Brett mit feinen Löchern, das Harniſch - oder Chorbrett, ſo geführt, daß ſich die Litzen vertikal auf - und abbewegen laſſen. Von hier aus laufen die Schnüre der Jacquardmaſchine zu und bilden auf dieſem Wege insge - ſamt das, was man den Harniſch nennt. In einem Gewebe wieder - holt ſich in der Breite das Muſter mehr oder weniger häufig und heißt eine ſolche Wiederholung ein Rapport. Die gleichwertigen Kett - fäden in den einzelnen Rapports erheiſchen offenbar dieſelbe Hebung reſp. Senkung und ſind die zugehörigen Harniſchſchnüre mittelſt eines Ringes oder Hakens an je eine Schnur, die Platinenſchnur gebunden. Hebt ſich dieſe, ſo werden auch die mit ihr verbundenen Harniſchſchnüre, Litzen und Kettfäden gehoben. Meiſt macht man es ſo, daß die Kettfäden in ihrer Ruhelage ſo tief ſind, daß ſie bei der Fachbildung nicht noch tiefer geſenkt zu werden brauchen, vielmehr nur durch Heben der der Bindung gemäß nach oben zu bringenden Fäden Fach gebildet wird; doch giebt es auch Einrichtungen, welche bei horizontal aufgeſpannter Kette durch Heben und Senken der Fäden Fachbildung erreichen. Eine Jacquard -375Die Weberei und ihre Vorbereitungsarbeiten.maſchine beſitzt 100, 200, 400, 600, 800, 1000, 1200 ſolcher Platinen - ſchnüre, ſo daß damit beiſpielsweiſe bei 6 Rapporten und 800er Maſchine 4800 einzelne Fäden regiert werden können. Die Platinenſchnüre hängen an hölzernen oder eiſernen flachen Stäbchen a unſerer Figur, Platinen genannt, welche unten auf dem hölzernen Brett A', dem Platinenboden, aufruhen und oben mit Naſen verſehen ſind. Unter - halb der letzteren befinden ſich eiſerne, horizontale, ſchneidige Stäbe d,

Fig. 210.

Jacquardmaſchine.

Meſſer, welche in einem Rahmen, dem Meſſerkaſten, vereinigt ſind und mit dieſem gehoben werden können. Jede Platine a ſteht mit einem horizontalen Draht, der Platinennadel, in Verbindung und dieſe Nadeln werden bei g mittels Spiralfedern ſtets nach vorne gedrängt, ſo daß die Platinen mit ihren Naſen über den Meſſern zu ſtehen kommen. Drängt man dagegen einen Teil der Platinennadeln nach hinten, wobei ſich die Federn g zuſammendrücken, ſo werden die Platinen a376Die Textil-Induſtrie.gleichfalls nach hinten gehen, nicht mehr mit ihren Naſen über die Meſſer ragen, und wird nun beim Heben des Meſſerkaſtens nur ein Teil der Platinen gehoben, während der andere auf dem Platinen - boden A' ruhen bleibt. Die Harniſchſchnüre, die Litzen und die zuge - hörigen Kettfäden werden demnach zum Teil gehoben, zum Teil bleiben ſie geſenkt, es wird Fach gebildet. Um es in der Hand zu haben, beſtimmte Platinen zu heben, wie es das beabſichtigte Muſter verlangt, gehen die Platinennadeln ſämtlich durch ein Brett m, das Nadelbrett, und treten mit ihren Spitzen in die Löcher eines 4 - oder 6 eckigen Holz - körpers, des Kartencylinders. Wenn man nun zwiſchen dieſen Cylinder und das Nadelbrett m eine teilweiſe durchlöcherte, teilweiſe ungelochte Pappkarte legt, ſo werden die Platinennadeln, wie oben geſchildert, auf die Platinen einwirken und beim Ausheben des Meſſerkaſtens die Kettfäden, wie es die Karte beſtimmt, hoch gehen reſp. liegen bleiben. Für jede Fachbildung, d. h. für jeden neuen Schuß iſt auch eine neue Karte erforderlich. Sämtliche das Muſter repräſentierende Karten ſind in einem Kartenzuge als Band ohne Ende verſchnürt, und es wird der Kartencylinder vor jedem folgenden Schuß um eine Seite gewendet, wodurch eine neue Karte vorgelegt wird. Es muß aber hierfür der Cylinder vom Nadelbrett entfernt werden. Das geſchieht auch und zwar dann, wenn der Arbeiter einen unter dem Stuhl befindlichen Tritt mit dem Fuß niederdrückt, hierdurch die Meſſer hochbringt und Fach bildet. Läßt er dann nach geſchehener Schußeintragung dieſen Tritt los, läßt er die Maſchine einfallen, ſo geht auch der Karten - cylinder mit der neuen Karte gegen das Nadelbrett und ſtellt die Platinen für den folgenden Schuß richtig ein. Beim Einfallen der Maſchine ziehen die Bleigewichte die Litzen, Schnüre und Platinen wieder abwärts. Die ehemalige Jacquardmaſchine wird, wenn auch wohl Verbeſſerungen an ihr vorgenommen worden ſind, zur Haupt - ſache heute noch ſo benutzt, wie ſie Jacquard bereits konſtruiert hat, und iſt noch kein Erſatz für ſie geſchaffen worden, der die Arbeit ein - facher und zweckgemäßer geſtaltete. Verſuche, das Heben der Kett - fäden durch Apparate mit Zuhülfenahme der Elektrizität zu bewirken, ſind bisher ohne Erfolg geblieben. Außer den Trittſtühlen und den Jacquardſtühlen hat man noch ſog. Schaftmaſchinenſtühle. Bei dieſen ſind die Litzen, wie beim Trittſtuhl, in Schäften vereinigt, doch werden letztere nicht durch Schemel gehoben und geſenkt, ſondern durch eine Maſchine von ähnlicher Einrichtung wie die Jacquardmaſchine, nur gröber dimenſioniert und mit höchſtens 40 Hebeplatinen ausge - ſtattet, alſo für 40 Flügel berechnet. Im übrigen aber wirkt dieſe Schaftmaſchine genau ſo wie die Jacquardmaſchine, wenngleich auch ihre Bauart eine abweichende iſt. Die für die Jacquardmaſchine er - forderlichen Karten werden auf Kartenſchlagmaſchinen ausgeſtanzt, wobei man eine Zeichnung in klein karriertem Papier, Patronenpapier vor ſich liegen hat, vom Deſſinateur oder Patroneur angefertigt, und377Die Weberei und ihre Vorbereitungsarbeiten.in der jeder durch Farbe markierte Punkt ein Loch in der Karte be - deutet, alſo Hochgang des zugehörigen Kettfadens.

Bereits im 15. Jahrhundert bemühte ſich Leonardo da Vinci, einen mechaniſchen Webſtuhl zu erfinden, doch ohne Erfolg. 1687 erfand de Gennes eine Webemaſchine, welche er durch Waſſerkraft bewegen wollte; ſie gelangte jedoch ebenſo, wie die 1747 von Vaucanſon erfundene Maſchine nicht zur Ausführung. Durch die Erfindung der Spinn - maſchine trat die Notwendigkeit ein, Stühle zu bauen, welche ſchneller als der Handwebſtuhl das mittelſt der Spinnmaſchinen in größeren Maſſen fabrizierte Garn aufzuarbeiten fähig waren. Ein Geiſtlicher, Namens Dr. Cartwright ließ ſich 1784 einen Maſchinenwebſtuhl patentieren und wurden ſeine Stühle 1786 in Doncaſter mit Dampfkraft betrieben. Grimſhaw verbeſſerte Cartwrights Stühle 1791, kam jedoch nicht zur Ingangſetzung der Stühle, indem die neuerrichtete Fabrik durch Arbeiter vernichtet wurde. Zu gleicher Zeit nahm ein Arzt Dr. Sheffray die Ver - beſſerung der Stühle auf und gründete Bell in Glasgow 1794 mit dieſen ſog. Federſchlagſtühlen eine mechaniſche Weberei. Weſentliche Vervoll - kommnung gab den Stühlen 1796 Rob. Miller in Glasgow durch An - bringung einer Sicherung für den Fall des Steckenbleibens des Schützens im geöffneten Fach. Auch wandelte er die Federſchlagſtühle in Excenter - ſchlagſtühle um, ließ den Webſchützen nicht mehr durch Einwirkung von Federn durch das Fach ſchnellen, ſondern durch unrunde Scheiben, Excenter. 1813 beſeitigte Harwood Horrocks in Stockport auch die Federn, welche den Ladenanſchlag vollzogen, verband die Lade mit Kurbeln der Antriebs - welle, welche den Stuhl in Bewegung ſetzt, und der Kurbelſtuhl war fertig. Derartige Stühle waren in Fabriken Schottlands in Thätigkeit. Man ſchlichtete die Kettenfäden im Stuhl, ſo wie man es heute wohl noch als Notbehelf macht. Erſt als die Schlichtmaſchine erfunden worden und infolge deſſen die baumwollenen Garne, für deren Verarbeitung die mechaniſchen Stühle naturgemäßer Weiſe durch die Erfindung der Baum - wollſpinnmaſchine zuvörderſt beſtimmt waren, mit weniger Zeitverluſt und gleichmäßiger vorbereitet werden konnten, führte ſich der Kurbel - oder engliſche Stuhl mehr und mehr ein, und wurden zahlreiche Verbeſſerungen an ihm angebracht. 1821 wurde derſelbe, anfänglich nur einfache, glatte Stoffe, Taffet, herſtellend, auch für Köperſtoffe eingerichtet, 1823 gab man ihm Regulierungs-Vorrichtungen für die Kettſpannungen, 1824 ver - ſah man ihn mit Breithaltern, d. h. Vorrichtungen, welche die durch das Eintragen von Schuß mehr oder weniger einſaugende Ware der Breite nach ſtraff halten, und 1825 erfand man die erſte Schaft - maſchine, in ähnlicher Weiſe wirkend, wie das bei den Handſtühlen be - ſchrieben wurde. Bis zum Jahre 1830 benutzte man mechaniſche Stühle, in welchen die Lade wie beim Handſtuhl oben aufgehängt war. Von da ab wandelte man den Maſchinenſtuhl ſo um, wie wir ihn heute meiſt finden, nämlich mit der Ladenachſe unten, ſtatt oben, machte die Breithalter ſelbſtthätig wirkend, verbeſſerte die Warenaufwindevor -378Die Textil-Induſtrie.richtungen oder Regulatoren und erfand weiterhin den ſog. Schuß - wächter, der den Stuhl ſtill ſetzt, wenn der Schußfaden reißt oder durch Abweben der Schußſpule fehlt, den Wechſel, der wie beim Hand - ſtuhl die Eintragung verſchiedenartiger Schußfarben oder Sorten er - möglicht, verband ihn mit der Jacquardmaſchine, und kam ſo verhältnis - mäßig ſchnell dazu, Stoffe jeglicher Art und jeglichen Materials auf mechaniſchen Stühlen zu erzeugen, wie überhaupt die Jetztzeit faſt alle dahin gehörigen Schwierigkeiten überwunden hat. Aus dem Geſagten

Fig. 211.

Mechaniſcher Trittwebſtuhl

erhellt, daß in der mechaniſchen Weberei dieſelben Unterſchiede für die Webſtühle gelten, wie in der Handweberei, daß es einfache oder Tritt - ſtühle, dann Schaftmaſchinenſtühle und endlich Jacquardſtühle giebt. Von erſteren zeigt uns die Fig. 211, von letzteren Fig. 212 ein Bild. An der Vervollkommnung der Webſtühle und der weiteren Ausbildung der Stuhlſyſteme hat Deutſchland hervorragenden Anteil. Vornehmlich ſind es die ſächſiſchen Maſchinenfabriken, wie Schönherr, Hartmann, Zſchille u. a. geweſen, welche ſich die Verbeſſerung, ins -379Die Weberei und ihre Vorbereitungsarbeiten.beſondere der breiten ſog. Buckskinſtühle ſehr angelegen haben ſein laſſen. Aber auch andere Nationen haben höchſt Beachtenswertes geleiſtet. So hat in dem letzten Jahrzehnt ein ruſſiſcher Stuhl von Laeſerſon viel Aufſehen erregt, da er einer der exakteſt wirkenden und feinfühlendſten mechaniſchen Stühle iſt, welche jemals konſtruiert worden ſind, daher er ſich gerade für feine Garne und beſſere

Fig. 212.

Mechaniſcher Jacquardwebſtuhl.

Ware eignet. Anfänglich war derſelbe als halbmechaniſcher Stuhl gebaut, worunter man einen ſolchen Webſtuhl verſteht, der wie ein mechaniſcher ausgerüſtet iſt, auch ſo arbeitet, bei welchem aber der Antrieb nicht durch einen Riemen geſchieht, ſondern von dem Weber und zwar durch ein Trittbrett oder den Angriff an einer hin - und herbewegbaren Stange. Solche Stühle ſollten infolge ihrer größeren380Die Textil-Induſtrie.Leiſtungsfähigkeit dem Handweber die Konkurrenz mit dem mechaniſchen Stuhl möglich machen und ſo die mehr und mehr verſchwindende Hausinduſtrie retten. Die angeſtellten Verſuche haben jedoch ergeben, daß dieſes rühmliche Streben fruchtlos iſt, der mechaniſche Betrieb nun einmal nicht aufhaltbar, und derſelbe, wenn er auch manche Schäden nach ſich zieht, wie Überproduktion, doch auch ſeine guten Seiten hat, die vor allem in der Möglichkeit der Beſchäftigung einer ungeheuren Anzahl von Menſchen und der Leiſtung von jedermann zugänglichen Ware beſtehen.

Das Wirken und Stricken.

Von den Arbeiten, welche zur Erzeugung von Gebrauchsgegen - ſtänden aus Fäden dienen, iſt nächſt dem Weben das Wirken die bedeutendſte geworden. Weben und Wirken unterſcheiden ſich weſent - lich von einander. Während durch Weben hergeſtellte Stoffe ſtets die beiden rechtwinklig zu einander liegenden Fadenſyſteme, Kette und Schuß, aufweiſen, entſteht ein gewirkter Stoff durch die Verbindung eines einzigen Fadens mit ſich ſelbſt durch in einander hängende Maſchen, oder auch vieler nur ein Syſtem bildender Fäden unter einander gleichfalls durch Maſchen. Hiernach unterſcheidet man Kulier - ware und Kettenware, je nachdem nämlich nur ein Faden oder deren viele benutzt wurden. Stricken und Häkeln ſind dem Wirken bezüglich der Erzeugniſſe ähnlich und ſind die geſtrickten Sachen mit den Kulier - waren, die gehäkelten mehr mit den Kettenwaren zu vergleichen. Man kann annehmen, daß das Stricken mit der Hand älter als das Wirken iſt. Schon 1254 ſoll es in Italien bekannt geweſen ſein; 1594 ſoll es in Deutſchland Hoſen - und Strumpfſtricker gegeben haben. Andere führen das Stricken ſogar bis in die Zeit der alten Griechen zurück. Vom Wirken ſteht ziemlich feſt, daß es in England erfunden worden iſt, und zwar von William Lee in Cambridge. Dieſer betrieb 1589 mit ſeinem Handkulierſtuhl in Calverton bei Nottingham Wirkerei, ging aber zu Beginn des 17. Jahrhunderts nach Frankreich und führte die Wirkerei dort ein, jedoch mit geringem Erfolge. Nach ſeinem Tode wurde die Wirkerei ſowohl in Frankreich, als auch in England weiter geübt, und nach der Flucht der Proteſtanten 1685 nach Heſſen, Thü - ringen, Sachſen und Württemberg verpflanzt. Die Apparate, mit welchen man Kulier - und Kettenwaren darſtellte, waren aus Holz ge - baut, und ſaß der Arbeiter, wie beim Weben, auf einem Brett; des - halb nannte man ſolche Apparate Wirkſtühle, und werden derartige Handwirkſtühle, ſowohl Kulier - als Kettenſtühle heute noch verwendet, obgleich ſie mehr und mehr durch mechaniſche Wirkſtühle verdrängt worden ſind. Das Prinzip der Kulierſtühle iſt folgendes: In dem Stuhle liegen dicht neben einander viele der Breite und Feinheit der Ware entſprechende, horizontale Nadeln mit nach vorn umgebogenen381Das Wirken und Stricken.Haken. Wird ein Faden über dieſe Nadeln gelegt, und es treten zwiſchen die Lücken derſelben dünne Metallſtäbchen, Platinen, ſo drängen ſie den Faden nach unten und bilden eine über den Nadeln hängende Schleifenreihe. Schon erzeugte Ware befindet ſich hinter dieſer Reihe und hängt gleichfalls über den Nadeln. Man ſchiebt nun die neue Schleifenreihe unter die Haken der Nadeln, drückt die Haken herunter, ſo daß ſie die Reihe in ſich ſchließen, und ſchiebt die alte Ware, d. h. die letzte fertige Maſchenreihe über die gepreßten Nadeln herüber, bis ſie von denſelben abſchlägt, wobei ſie über die neue Schleifenreihe ſtürzt und dabei hängen bleibt eine neue Maſchenreihe iſt gebildet. Die Ware wird wieder wie zu Anfang nach hinten gebracht, nachdem der Druck auf die Haken der Nadeln bereits aufgehört hatte und das Spiel beginnt von neuem. Beim Ketten - ſtuhl, vermutlich 1775 von Crane erfunden, ſind die Kettfäden mehr vertikal laufend durch die Öhren von Lochnadeln geführt, welche unter - halb der feſten Hakennadeln, angebracht, in einer Schiene befeſtigt ſind und mit dieſer nach links und rechts verſchoben, ſowie nach oben und unten durch die Nadellücken bewegt werden können. Die Fäden werden mittels dieſer Schiene teils über, teils unter die Nadeln ge - legt, über 2, 3 oder mehr und wird hierdurch die Schleifenbildung erreicht. Im übrigen wird wieder durch Unterbringung der neuen Schleifenreihe unter die Haken der feſten Nadeln, Preſſen derſelben und Herüberſchieben der alten Maſchenreihe eine neue hergeſtellt. Während man zuerſt nur dieſe einfachſte Kulier - und Kettenware zu erzeugen vermochte, erfand man ſpäter Vorrichtungen, welche die Her - ſtellung von Wirkmuſtern ermöglichten. Solche Erfindungen waren die Preßmaſchine 1740, die Ränder - oder Fangmaſchine von Jedediah Strutt 1755, die Petinet - oder Stechmaſchine von Butterworth um 1760 herum, die Deckmaſchine von Dumont zur gleichen Zeit, doch ſtehen dieſe Angaben nicht ganz feſt, und werden auch andere Er - finder für dieſelben Maſchinen geltend gemacht. Die vorerwähnten Einrichtungen ſind heute noch in Verwendung, wenn auch in ſehr vervollkommneterer Kon - ſtruktion. Aus der Handwirkerei ent - wickelte ſich die mechaniſche Wirkerei. 1769 nahm der Engländer Sam. Wiſe ein Patent auf einen flachen, d. h. dem Handkulierſtuhl nachgebildeten Drehkulier - ſtuhl, 1798 der Franzoſe Decroix ein ſolches auf einen Rundſtuhl. Letzterer hat die Nadeln im Kreiſe herum an -

Fig. 213.

Rundwirkſtuhl.

382Die Textil-Induſtrie.geordnet; mittels einer Kurbel werden die Nadeln in gleicher Weiſe ge - dreht, Platinen bilden die Schleifen aus dem fortgeſetzt über die Nadeln gelegten Faden und es wird die neue Maſchenreihe ähnlich ſo wie beim Handkulierſtuhl gebildet, aber ohne Unterbrechung. Solche Rundſtühle, vielfach mit Dampf betrieben, auch Tricotſtühle genannt, haben ſich in verbeſſerter Form in der Praxis ſehr verbreitet. Man ſtellt heute auf ihnen nicht allein einfache Tricotware her, ſondern auch gemuſterte. Es darf nicht auffallen, daß in der umſtehenden Fig. 213 eines ſolchen Stuhles mehrere Spulen die Fäden abgeben. Erſtens muß das ge - ſchehen, wenn man mehrfarbige Waren oder ſolche mit verſchiedenem Material haben will, zweitens geſchieht es aber auch ſtets bei einfarbiger Ware, da die Maſchenbildung gleichzeitig an mehreren Stellen des Kreiſes vorgenommen wird. Der hierzu erforderliche Apparat heißt Mailleuſe, und hat man Stühle mit 3, 4, 5 Mailleuſen. Rundſtühle werden an einem Balken mit ihrer vertikalen Axe aufgehängt. Flache mechaniſche Kulierſtühle haben ſich zunächſt keinen Eingang verſchaffen können, ſind vielmehr erſt in Aufnahme gekommen, als ſie mit ſelbſt - thätigen und ſicher arbeitenden Mindervorrichtungen ausgeſtattet wurden. Im Handkulierſtuhl kann man nämlich ſehr leicht die Breite der Ware dadurch erweitern oder verkürzen, daß man Endmaſchen von den Nadeln abnimmt und ſie nach auswärts oder einwärts auf Nachbarnadeln bringt. Man kann hierdurch ſog. reguläre Ware herſtellen, d. h. Teilen von Bekleidungsgegenſtänden, wie Hoſen, Strümpfe, Handſchuhe, gleich ihre richtige Form geben, ſo daß ſie nur zuſammengenäht zu werden brauchen, um den Gegenſtand zu ergeben. Im Gegenſatz hierzu ſteht die geſchnittene Ware; es werden die beregten Teile aus einem größeren Warenſtück herausgeſchnitten und gleichfalls durch Nähen vereinigt. Einleuchtend iſt, daß die letztere Ware im Innern wulſtige, drückende Nähte haben muß, die bei der regulären Ware nicht vorhanden ſind. 1857 iſt nun zuerſt eine derartige Mindervorrichtung Luke Barton patentiert worden, worauf ſehr ſchnell zahlreiche dahin zielende Er - findungen folgten. Auch Wirkmuſter kann man heute auf ſolchen

Fig. 214.

Flacher mechaniſcher Strumpfſtuhl.

383Das Wirken und Stricken.flachen mechaniſchen Kulierſtühlen er - zeugen. Strümpfe werden beiſpielsweiſe zu vielen neben einander auf ihnen ge - wirkt, wie unſere Fig. 214 zeigt, und zwar gleich in derjenigen Form mit Hinzunahme der Ferſen und Spitzen, daß ſie fertig zum Zuſammennähen ſind, was auf einer Ankettelmaſchine ausge - führt wird. Flache mechaniſche Ketten - ſtühle ſind gleichfalls konſtruiert worden; der erſte wurde 1807 dem Engländer S. Orgill patentiert. Die älteſte Strick - maſchine zum Stricken von Strümpfen rührt von A. Eiſenſtuck 1857 her; ſie beſaß ſehr große Ähnlichkeit mit der ſpäteren von Lamb, welche gegenwärtig die verbreitetſte iſt. Eine Strickmaſchine, bei der dieſes Syſtem zu Grunde gelegt iſt, bietet die beigefügte Fig. 215.

Fig. 215.

Strickmaſchine.

Das Häkeln, Knüpfen, Klöppeln.

Außer den Operationen des Webens, Wirkens und Strickens, welche die Herſtellung von Gebrauchsgegenſtänden aus Fäden bezwecken, giebt es noch einige andere von untergeordneter Bedeutung, die aber doch hier kurz berührt werden ſollen. Das Häkeln iſt Handarbeit geblieben, wenn nicht der Gegenſtand nach Art der Wirkerei erzeugt wird. Man kennt allerdings Häkelmaſchinen zu Poſamentierzwecken, doch haben die darauf verfertigten Beſatzartikel häufig nur entfernte Ähnlichkeit mit dem, was man für gewöhnlich unter Häkelware verſteht. Knüpfen oder Netzen betrifft die Herſtellung von Netzwerk durch Zuſammenknoten von Fäden, und kann dieſes durch Handarbeit oder durch Netzmaſchinen ausgeführt werden. Eine ſolche hatte 1804 der durch ſeine Webe - maſchine berühmte Jacquard konſtruiert. Jouanin verbeſſerte dieſe Konſtruktion außerordentlich und können auf ſeiner Maſchine Netze mit kleineren oder größeren Maſchen aus Zwirn verfertigt werden. Die hier unter Klöppeln verſtandene Arbeit bezieht ſich auf die Fabrikation von Spitzen, alſo durchbrochene auf Zellengrund gemuſterte Gewebe, die meiſt zu Randbeſätzen von Stoffen dienen und als Hand - und Maſchinenſpitzen unterſchieden werden, je nachdem ſie durch Hand oder durch die Maſchine gearbeitet wurden. Handſpitzen können übrigens auf höchſt mannigfaltige Weiſe gearbeitet werden, nicht allein durch Klöppeln, ſondern auch durch Häkeln, Stricken, Wirken, Knüpfen und Nähen, je nachdem die Zellen verſchiedenartig ausfallen dürfen, doch ſind das Klöppeln und Nähen die wichtigſten und älteſten Verfahren384Die Textil-Induſtrie.und von beiden wieder das letztere das ältere aus der Stickerei hervor - gegangene. Hiernach trennt man die Spitzen als Klöppelſpitzen und als Näh - oder Nadelſpitzen. Die älteſten Nadelſpitzen wurden aus einem dichten, leinwandartigen Stoff durch geeignetes Ausſchneiden von Fadenſtücken und gruppenweiſe Vereinigung der übrigen durch Um - wickeln mit Nähfäden hergeſtellt, wobei das Muſter Berückſichtigung fand. Solche Ausziehſpitzen wurden im 15. und 16. Jahrhundert in Italien getragen. Bei den eigentlichen ſpäteren Nadelſpitzen iſt dieſer leinwandartige Grund nicht mehr vorhanden, ſondern halten ſich die einzelnen Fadengebilde gegenſeitig. Zu ihrer Anfertigung bedient man ſich einer Patrone, welche die Umriſſe des Muſters durch Nadelſtiche angedeutet zeigt und durch ſehr feine Fäden auf zwei über einander liegende Tuchſtücke aufgenäht wird. Ein ſtarker Doppel - faden wird den Konturen der Zeichnung folgend gleichfalls mittels eines feinen Fadens feſtgeheftet. Die ſo eingegrenzten Muſterflächen werden dann, die Schattierungen derſelben berückſichtigend, mit Spitzen - ſtichen, das ſind kunſtvoll geſchlungene Sticharten, ausgefüllt, und der Art der Spitze entſprechende Befeſtigungen ausgeführt. Endlich wird die fertige Spitze dadurch gelöſt, daß man die beiden Tuchſtücke aus - einanderreißt, wodurch die Heftfäden mit zerreißen und die Muſter - zeichnung frei wird. Geklöppelte Spitzen, die eine große Mannigfaltig - keit des Grundes geſtatten, ſtellt man mittels des Klöppelkiſſens, der Klöppel und der Klöppelnadeln dar. Auf dem Kiſſen iſt die Patrone, eine Zeichnung mit die Kreuzungsſtellen der Fäden markierenden Nadelſtichen aufgeheftet. Die Klöppelfäden ſind auf der Klöppel, einer dünnen Holzſpindel, aufgewickelt und werden mittels der Klöppelnadeln auf der Patrone, den Nadelſtichen gemäß, angeheftet, wobei die Nadeln an den markierten Stellen in das Kiſſen geſteckt ſind, und nach ver - ſchiedenen Methoden verflochten. Maſchinenſpitzen können auf der Klöppelmaſchine, dem Wirkſtuhl oder der Bobbinetmaſchine erzeugt werden, unterſcheiden ſich aber hiernach auch in ihrem Ausſehen. Erſtere liefert Spitzen von dem Ausſehen der durch Hand geklöppelten Spitzen. Auf dem Wirkſtuhl laſſen ſich nur Spitzen in Form von Kettenware, alſo Schleifenware, herſtellen. Der Bobbinetſtuhl findet gegenwärtig die größte Benutzung für die Anfertigung von Maſchinenſpitzen, Tüll - ſpitzen und auch der Gardinen. Dieſe Stühle ſind ſehr kompliziert, arbeiten mit Grund - und Dreherkette und vielen Schußſpulen, welche bald über mehr, bald über weniger Kettfäden hingleiten, wobei die Dreherfäden ſich um die Grundfäden ſchlingen, und da, wo die Schüſſe über erſtere gehen, die Befeſtigung geben. Eine Art Jacquardmaſchine beſtimmt die Länge der Verſchiebung der Schußfäden.

Die Poſamentiererei.

Man begreift unter Poſamentierarbeiten eine Menge von Arbeiten, die keiner beſonderen Verfahrungsarten bedürfen, vielmehr bald die eine,385Die Poſamentiererei. Das Sticken.bald die andere der bereits behandelten Methoden zur Herſtellung der Fabrikate benutzen. Letztere kennzeichnen ſich dadurch, daß ſie zumeiſt zur Ausſchmückung gewebter oder gewirkter und daraus verfertigter Gebrauchsgegenſtände dienen. Manchmal geſchehen dieſe Arbeiten am Gegenſtand ſelbſt, wie das Franzenknüpfen an Tüchern, Schawls ꝛc., meiſtens jedoch werden ſie für ſich vorgenommen und die ſo verfertigten Sachen durch An - oder Aufnähen auf die Gegenſtände zur Verzierung verwendet. Franzen, Borden, Bänder, Quaſten, Schnüre, Roſetten, überſponnene Knöpfe, Treſſen und vieles andere gehören hierher. Dieſe Arbeiten ſind zumeiſt Handarbeiten, doch hat man auch für den einen oder anderen Zweck Maſchinen erfunden. So ſtellt man geflochtene Rund - und Flachſchnüre auf Flecht - oder Klöppelmaſchinen, Litzen - maſchinen, dar, überſpinnt Fäden mit anderen buntfarbigen oder mit Silber -, Goldfäden ꝛc. auf der Gimpenmaſchine. Um ſtärkere Schnüre für Möbel - und Tapezierzwecke zu gewinnen, dreht man Fäden zu Litzen, d. h. ſtärkeren Schnüren zuſammen und dieſe, wenn nötig, wieder zu noch ſtärkeren Seilen. Franzen und glatte Borden werden auf dem Bordenwebſtuhl, einem Handwebſtuhl von geringer Breite gewebt, hernach, wenn es ſich um eine Franzenborde handelt, die an einer Seite loſe flatternden Schußfäden mit der Hand gedreht und geknüpft, oder man ſtellt ſolche Franzen ganz und gar auf Brettern mit der Hand durch Knüpfen über Nadeln her, welche in dieſe Bretter nach Muſter eingetrieben ſind. Quaſten und Roſetten werden teils durch Hand, teils durch Apparate, teils durch Maſchinen bearbeitet, Knöpfe oder ähnliche Holzformen auf dem Knopfſpinnrad oder der Knopfſpinn - maſchine mit Garn überzogen. Die zu Franzen oder Tapezierzwecken dienende einfache oder Façonchenille liefert die Chenillemaſchine. Treſſen, Ordensbänder u. dgl. geben die Treſſenſtühle, Handwebſtühle von ge - ringer Breite. Glatte, façonnierte Bänder, bandförmige Beſatzartikel werden gleichfalls auf ſolchen Stühlen verfertigt, doch hat man an Stelle ihrer auch Bandmühlen, welche gleichzeitig mehrere Bänder neben einander liegend, aber getrennt von einander erzeugen, und die meiſt mechaniſch betrieben werden, geſetzt, und gehören dieſe Bandſtühle viel - fach dem Gebiete der Weberei an. Gallons, Damenkleider-Beſatzartikel, werden häufig auf der bereits erwähnten Häkelmaſchine angefertigt.

Das Sticken.

Als eine beſondere Art, Stoffe an der freien Oberfläche durch Muſter zu verzieren, iſt die Stickerei zu nennen. Dieſe Muſter entſtehen durch Aufnähen von mehr oder minder dicken, farbigen Fäden. Ab - geſehen von der verſchiedenen Art des Grundſtoffgewebes oder der Stickfäden Gold - und Silberſtickerei, Leinen -, Seiden - und Woll - ſtickerei, Tüll - und Kanevasſtickerei, Lederſtickerei ꝛc. oder der Farbe derſelben Weiß - und Buntſtickerei oder des angewendeten StichesDas Buch der Erfindungen. 25386Die Textil-Induſtrie. Glattſtich -, Kreuzſtich -, Kettenſtichſtickerei ꝛc. und von dem Effekt des Muſters Flach -, Relief -, Applikationsſtickerei ꝛc. unterſcheidet man Hand - und Maſchinenſtickerei. Erſtere iſt ſchon ſehr alt, auch gegenwärtig noch im Gebrauch, doch hat ſie durch letztere ſtarke Einbuße erlitten. 1829 erfand Joſua Heilmann im Elſaß, derſelbe welcher die Kämmmaſchine für Kammwolle erfand, die Plattſtichſtick - maſchine, faſt ſo, wie ſie noch heute benutzt wird. 1864 wurde von A. Voigt in Chemnitz der Feſtonierapparat daran angebracht. Derſelbe gab auch einige Jahre ſpäter die Kettenſtichſtickmaſchine mit Öhrnadeln an, welche Billweiler in St. Gallen und andere mit Verbeſſerungen verſahen, während 1866 St. Antoine Bonnaz eine ſolche Maſchine mit Hakennadeln konſtruierte.

Das Nähen.

Mehrfach iſt bereits dieſer höchſt wichtigen Operation gedacht worden, welche bis zum Jahre 1845 ausſchließlich durch die Hand ausgeführt wurde, von da ab mehr und mehr durch Nähmaſchinen. Zwar hatten bereits früher Verſuche von Stone und Henderſon dahin gezielt, die Handarbeit auf Maſchinen nachzuahmen, hatte Maderſperger Ende der 30 er Jahre eine ſolche gebaut, wurden die Sticharten von Thimonnier und von Boſtnick geändert, um zum Ziele zu gelangen, hatte weiter W. Hunt 1834 eine von den bisherigen Konſtruktionen unabhängige geſchaffen, doch alles ohne praktiſchen Erfolg.

Erſt Elias Howe 1845 war es vorbehalten, eine Nähmaſchine zu erfinden, welche thatſächlich zur Zufriedenheit funktionierte; er erntete leider, wie die meiſten berühmten Erfinder, keinen Dank. Seine Erfin - dung beuteten andere aus, insbeſondere der Amerikaner J. M. Singer, welcher einige Verbeſſerungen anbrachte und die Maſchine nach ſich be - nannte und verwertete. 1852 erhielt A. B. Wilſon ein Patent auf die Greifernähmaſchine, dann Grover auf die Doppelkettenſtichmaſchine und etwas ſpäter A. Gibbs auf die Einfadenkettenſtichmaſchine mit Dreh - haken. Die urſprüngliche Konſtruktion der Nähmaſchine hat ſich in - zwiſchen durch zahlreiche Verbeſſerungen in einer Weiſe vervollkommnet, daß die Handarbeit hinſichtlich der Gleichmäßigkeit und Schnelligkeit in gar keinem Verhältnis zur Maſchinenarbeit ſteht und die Maſchine heut für jeden, auch noch ſo kleinen Haushalt, geradezu unentbehrlich geworden iſt.

Die Appretur.

Die dem Webſtuhl entnommenen Gewebe haben faſt durchgängig nicht diejenige Beſchaffenheit, welche von ihnen für die beſtimmten, äußerſt verſchiedenen Zwecke verlangt werden. Abgeſehen von Färberei, Bleicherei und Druckerei, welche lediglich das Ausſehen verändern, giebt es eine große Zahl von Bedingungen, welche zu erfüllen ſind, um die gewebte Ware markt - und handelsfähig zu machen. Zwar betrifft das387Die Appretur.auch die gewirkten oder in anderer Weiſe verfertigten Waren, aber in ſo geringem Grade, daß hier von dieſen Abſtand genommen werden kann. Alle diejenigen Prozeduren nun, welchen eine Ware, insbeſondere alſo Webware, nach der Entnahme vom Stuhl unterliegt, um derſelben dasjenige Ausſehen, denjenigen Griff (Anfühlen) und die Beſchaffenheit zu erteilen, welche man von ihr für den jeweiligen Zweck verlangt, faßt man zuſammen in dem Worte Appretur (adparare, zurichten, zurüſten). Schon im grauen Altertum war die Zurichtung von Geweben nach der einen oder anderen Richtung hin bekannt, bewegte ſich jedoch in un - gleich engeren Grenzen, als ſolche heutzutage beſtehen. Die vielſeitige Verwendung anderer Geſpinſtfaſermaterialien, minderwertigere mit ein - geſchloſſen, die Verfertigung von Stoffen, welche bezüglich der Art ihrer Zuſammenſetzung immer mannigfaltiger geworden ſind, vor allem aber die hohen Anforderungen der ſchnell wechſelnden Mode, ſowohl was Ausſehen, als auch Charakter der Stoffe anbelangt, haben die Zahl der Appreturoperationen auf eine gerade - zu erſtaunliche Höhe getrieben. In demſelben Maße iſt natürlich die Menge der dieſe Prozeduren ausführenden Maſchinen, Appreturmaſchinen, ge - wachſen, denn die ehemals übliche Handarbeit iſt faſt ganz und gar aus der Appreturbranche verdrängt worden. Selbſt das Preſſen von fertigem Stoff zu dem Zweck, dieſelben zu glätten, oder gewiſſe andere Effekte, Glanz, Moirée, hervorzubringen, ge - ſchieht heute vielfach in hydrauliſchen Preſſen, deren Pumpen durch Ma - ſchinenbetrieb in Bewegung geſetzt werden, wie die nebenſtehende Fig. 216

Fig. 216.

Hydrauliſche Preſſe.

durch die der Pumpe gegebenen Riemſcheiben erkennen läßt. Das Trocknen von gewaſchenen oder feuchten Geweben und das gleich - zeitig notwendige Breitſpannen derſelben wird heute immer ſeltener an den Trockenrahmen, an welche die Stoffe angeſchlagen wurden, bewirkt, es dienen vielmehr dieſem Zweck großartige Spann - und Trockenmaſchinen, die die Gewebe in Etagen in langem Zuge paſſieren laſſen und unter Anwendung von Wärme, Exhauſtoren zum Abführen der feuchten Dämpfe und Vorrichtungen zum Ausſpannen des Gewebes in der Breite ſchnell zum Ziel führen, ohne allzuviel Bodenfläche und die Handarbeit vieler Perſonen zu beanſpruchen. Unſer Bild (Fig. 217) zeigt eine derartige Maſchine. Nicht immer ſtattet man die Appreturmaſchinen mit Riemſcheiben aus, um ſie mittelſt Riemen von einer Kraftwelle, Transmiſſionswelle, aus zu treiben, ſondern verbindet man mit ihnen25*388Die Textil-Induſtrie.

Fig. 217.

Spann - und Trockenmaſchine.

kleine Dampfmaſchinen, Lilliput-Dampfmaſchinen, welche direkt auf die Antriebswelle der Arbeitsmaſchine einwirken und letztere hierdurch in Bewegung bringen. Der Vorteil dieſer Einrichtung iſt der, daß man der Appreturmaſchine durch Zulaſſung von mehr oder weniger Dampf in den Dampfcylinder bequem jede Geſchwindigkeit erteilen, ſie ſchneller oder langſamer laufen laſſen kann, je nachdem ſolches das in der Maſchine

Fig. 218.

Kalander.

zu bearbeitende Gewebe durch ſein Material und ſeine Art be - dingt. Die beigefügte Fig. 218 giebt einen ſog. Kalander in Ver - bindung mit einer Dampfmaſchine. Zur Erklärung ſei hinzugefügt, daß ein Kalander das Gewebe durch die Fugen der ſchweren, noch durch Hebel - und Gewichts - druck ſtark belaſteten eiſernen und Papierwalzen paſſieren läßt, um ſie zu glätten oder andere Effekte hervorzubringen, wie in der hy - drauliſchen Preſſe. Bei den Römern und Griechen waren die Hauptappreturprozeduren für Wollſtoffe bekannt, das Walken, Rauhen, Waſchen, Trocknen, Bürſten und Scheren, d. h. das Einfilzen derſelben, um ſie dicker und dichter zu machen, die Ausſtattung der gefilzten Ware mit einer mehr oder minder langen Haardecke durch Aufkratzen des Schuſſes, die Reinigung der Stoffe von Fettbeſtandteilen und anderen Unreinigkeiten und das hierauf folgende Trockenmachen, das Niederlegen der gerauhten Haare nach einer Richtung, ſowie das Ab - nehmen hervorſtehender Härchen, um entweder ganz glatte Gewebe oder aber die Haardecke der hochflurigen Gewebe gleichmäßig zu erhalten. 389Die Appretur.Außerdem ſchwefelten ſie Wollſtoffe, um ſie zu bleichen, ihnen die nötige Weiße zu geben. Für Leinen wurden Schlagen, Waſchen, Glänzend - machen, vermutlich auch Bleichen benutzt. Durch Schlagen erhielt das Leinen eine größere Weichheit, einen beſſeren Griff, gleichzeitig wurde der Staub entfernt. Das Glänzendmachen geſchah durch Reiben und Klopfen der Stoffe mit glatten Holzkeulen. Andere Stoffe waren ihnen damals unbekannt. Zur Reinigung von Geweben bediente man ſich je nach der Art der Verunreinigung verſchiedener Mittel als Zuſätze zum Waſchwaſſer, ſo der Holzaſche, der Walkerde, des Urins ꝛc. Man trat die Stoffe in Waſſergruben, oder ſchlug die naſſen Gewebe, wie die Ägypter, und wie ſolches heute noch bei den Indiern üblich iſt. Nur ſelten wird gegenwärtig noch in fabrikativen Etabliſſements die Handwäſcherei benutzt, höchſtens in der Leineninduſtrie. Waſchmaſchinen der verſchiedenſten Art, den jeweiligen Zwecken angepaßt, führen faſt durchweg den Waſchprozeß aus. Das Waſchmittel iſt meiſt Seife, während zum Reinſpülen das bloße Waſſer verwendet wird. Wann die erſte dieſer Maſchinen erfunden worden, iſt nicht bekannt; feſt ſteht nur, daß im engliſchen Patentregiſter von 1691 John Tyzacke als Erfinder aufgeführt iſt, und 1767 eine Waſchmaſchine von Schaeffer in Augsburg thätig war. Die Reinigung der Gewebe von mechaniſch bei - gemengten Verunreinigungen, wie Staub, erfolgte durch Klopfen, jetzt vielfach durch Klopfmaſchinen. Das mehrfach erwähnte Karboniſations - verfahren verhilft dazu, in Stoffen aus animaliſcher Geſpinſtfaſer Klettenteile und Beimengungen vegetabiliſchen Urſprungs zu beſeitigen, ein heute in der Wollinduſtrie häufig angewandtes Verfahren. Hervor - ſtehende Fadenendchen, Härchen ꝛc. entfernt man mittels Abſengens durch Sengemaſchinen, wobei das Gewebe durch eine breite, nicht rußende, ſchneidige Gasflamme geht und zwar mit einer Geſchwindigkeit, die ein Anbrennen nicht befürchten läßt, und ſengt man gegenwärtig Ge - webe jeglichen Materials. Neuerdings will man ſich die Elektrizität für dieſen Zweck dienſtbar machen, verbindet einen Metalldraht mit einer Elektro-Dynamomaſchine, wodurch er glühend wird, und läßt das Gewebe über ihn laufen. Eine wichtige Rolle hat zu allen Zeiten das Einfilzen von Streichwollſtoffen, das Walken, geſpielt. Es beſtand bei den Alten im Waſchen, Schlagen, darauf folgenden Stampfen der Gewebe mit den Füßen in Walkgruben oder ſteinernen Trögen und Ausſpülen in reinem Waſſer. Nitron, Walkerde oder verfaulter Urin waren die Walkmittel. Das mühevolle Treten iſt zweifelsohne ſehr früh durch erleichternde Vorrichtungen erſetzt worden. Bereits im 12. Jahrhundert gedenken franzöſiſche Verordnungen der Walkmühlen; in England arbeitete eine ſolche 1322, in Deutſchland 1430 in Augs - burg, in Amerika 1643 zu Rowley. Die Thätigkeit des Tretens führten dabei auf das im Walkloch liegende Gewebe fallende Hämmer aus, Hammerwalken. Stampfwalken traten etwa 1700 zuerſt in Holland auf. Erſt zu Anfang dieſes Jahrhunderts kamen andere Syſteme zur Geltung,390Die Textil-Induſtrie.1804 die Doppelkurbelwalke durch John Dyer, und hat letztere den Grund für die heutigen Cylinderwalken gegeben, während neben dieſen als zweites Syſtem die Hammerkurbelwalken beſtehen, beide Arten in einer faſt unübertrefflichen Vollkommenheit. Außer den genannten Walkmitteln iſt Seife als vorzüglichſtes zu erwähnen. Das Rauhen von Stoffen war gleichfalls bereits im grauen Altertum bekannt und wurde dieſe Operation mit der noch heute für den gleichen Zweck verwendeten Kardendiſtel, wenn auch in einer anderen Spezies, vorgenommen. Man befeſtigte die Karden in einem Kreuz mit Handgriff und bearbeitete das der Länge nach herunterhängende Gewebe in Richtung der Kette, riß alſo die Schußfäden auf, wodurch die Haardecke entſtand. Wenn auch höchſt ſelten, ſo geſchieht das Rauhen für kleinere Gewebeſtücke in Kleinbetrieben heute noch in gleicher oder ähnlicher Weiſe. Die Maſchinenrauherei ſoll 1684 mit James Dabadies Patent begonnen haben. 1797 wurde Walter Burt in Amerika eine Rauhmaſchine patentiert. Von 1800 ab ſind eine ganze Reihe von derartigen Pa - tenten erteilt worden, und haben ſich allmählich die vorzüglichen Kon - ſtruktionen der Gegenwart entwickelt, deren Hauptbeſtandteil immer eine oder zwei große mit Kardendiſteln garnierte und ſchnell rotierende

Fig. 219.

Rauhmaſchine.

Trommeln, an denen das der Länge nach durch die Maſchine gehende Gewebe vorbeiſtreicht, bilden. Eine ſolche Rauh - maſchine, bei denen ſich die Karden, die man übrigens auch durch metallene von annähernder Form erſetzt hat, auf Spindeln drehen, bietet die beiſtehende Fig. 219. Ferner hat man ſtatt der Karden Drahthäkchenbe - ſchlag, Krempelbeſchlag, als Be - ſatz für die angreifenden Organe genommen und die Kratzenrauhmaſchine konſtruiert. Eine Operation, die dem Sengen gleich kommt, aber auch, wie bereits erwähnt, dazu dient, hochflurige Gewebe gleichmäßig hoch zu bekommen, iſt das Scheren. Seit Jahrhunderten ſind dazu ſcherenartige Werkzeuge benutzt worden. Wie es dagegen im Altertume ausgeführt worden iſt, wiſſen wir nicht; daß es aber damals ſchon bekannt war, iſt ſicher. Die Tuchſcherer ſpielten beſonders im Mittelalter eine hervorragende Rolle. Nachrichten von ihnen haben wir aus dem 8. Jahrhundert. 1684 ſoll die Tuchſchere zuerſt durch Elementarkraft betrieben worden ſein. James Delabadie nahm ein Patent auf eine ſolche Schermaſchine. Die ſpäterhin und heute vorfindlichen Schermaſchinen haben ein ganz anderes Prinzip. Die eigentliche Schere iſt fortgefallen. Ein mit ſpiralförmigen Meſſern ausgeſtatteter Cylinder dreht ſich ſchnell gegen ein darunter befind -391Die Appretur.liches, feſtes, horizontales Meſſer von gleicher Länge, nämlich der Breite des Gewebes und bilden beide Teile zuſammen ein Art Schere, die kontinuierlich geſchloſſen wird, alſo ſtetig ſchneidet. Das Gewebe zieht dabei über eine Schiene unterhalb des feſten Meſſers und bietet die abzuſchneidenden Härchen emporgerichtet der Schere dar. Es ſei erwähnt, das man auch Schermaſchinen hat, bei welchen Meſſercylinder und Meſſer über das horizontal darunter ausgeſpannte Gewebe ge - fahren werden. Häufig müſſen Stoffe noch mit beſonderen Mitteln behandelt werden, um denjenigen Griff und dasjenige Ausſehen zu er - halten, welche man von ihnen wünſcht. Dieſe Appreturmittel dienen dazu, gewiſſe natürliche Mängel der Gewebe, Magerkeit der Fäden, Ungleichmäßigkeit derſelben u. ſ. w. in reeller Weiſe zu verdecken. Das betrifft vornehmlich Baumwoll - und Leinenwaren, in geringerem Grade Wollen - und Seidenwaren, obgleich auch hier derartige Mittel Ver - wendung finden können. Es ſind zumeiſt ſtärkehaltende, mehlige, ſchleimgebende Subſtanzen, welche als Abkochungen benutzt und mit denen die vegetabiliſchen Stoffe beſtrichen, getränkt und imprägniert werden, während man für die animaliſchen Stoffe mehr die Leim - und Gummiabkochungen oder dergl. wählt. Zuſätze mineraliſcher Natur zu den Appreturmaſſen geſtatten eine Erſchwerung des Ge - webes, welche ſich jedoch immer in reellen Grenzen halten ſollte. Leider iſt und wird dagegen viel gefehlt und vermehrt man das Gewicht der Waren häufig in unerlaubtem Grade mit Mitteln, die nicht haltbar und ſo - gar geſundheitsſchädlich ſind. Die Chemie hat bezüglich der richtigen Wahl der Appreturmittel für dieſen oder jenen Zweck vieles gefördert und deckt im Zuſammenhang mit mikroſkopiſchen Unterſuchungen manche Ver - fälſchung auf. Eine hochwichtige Entdeckung der letzten Jahrzehnte ſoll aber hier beſonders hervorgehoben werden, d. i. die Vermeidung des Ausſchlagens lagernder appretierter Stoffe. Mehle und Stärken, auch Leim u. dgl. haben nämlich die böſe Eigenſchaft, ſich leicht zu zerſetzen, wenn Feuchtigkeit und Wärme auf ſie einwirken, und verlieren dieſe Eigenſchaft auch nicht, wenn ſie als Appreturmaſſe gebraucht und die Gewebe getrocknet wurden. Lagern nun ſolche Stoffe, ſo treten dieſe Pilze und Schimmel auf, überziehen das Gewebe, und bilden ſich auch Säuren, welche die Farbe zerſtören. Erſt durch das Studium der ſog. antiſeptiſchen Subſtanzen, Carbolſäure, Salicylſäure, Chlor - verbindungen u. a., iſt es möglich geworden, dem vorzubeugen, indem man derartige Mittel der Appreturmaſſe zuſetzt.

Geebnet und geglättet werden die zugerichteten Waren entweder kalt oder heiß oder aufeinanderfolgend beides in der hydrauliſchen Preſſe, in dem Kalander oder in der Mangel, auch ſucht man hier - durch, wenn nötig, die Oberfläche matter oder glänzender zu machen und gewiſſe Effekte, wie Moirée, hineinzubringen. Der Preſſe und und des Kalanders wurde bereits kurz gedacht und mag das für hier genügen. Was die Mangel betrifft, ſo iſt ſie eine Kaſten - oder eine392Die Farben und das Färben.Walzenmangel. Das Gewebe wird auf Holzkeulen feſt aufgewickelt, auf eine horizontale Tiſchplatte gelegt und durch Hin - und Herbewegen eines ungemein ſchweren, darauf gebrachten Kaſtens hin - und hergerollt, oder aber es wird die Keule zwiſchen zwei unter Druck befindliche Walzen gelegt und durch Hin - und Herdrehen dieſer letzteren gleich - artig behandelt. Zum Ebenen und Glätten der Waren gehören allerdings noch eine Reihe von Nebenoperationen, insbeſondere das Einſprengen, zuweilen Dämpfen ꝛc., doch können dieſe hier nicht be - handelt werden. Eine häufig erforderliche Zwiſchenoperation zwiſchen anderen Appreturprozeduren bildet das Trocknen der Gewebe. Durch äußerſt verſchiedenartig konſtruierte Maſchinen wird das gegenwärtig beſorgt, und gab bereits Fig. 217 ein Bild einer ſolchen Maſchine. Sind die Gewebe mit Waſſer oder Waſchflüſſigkeit geſättigt, ſo entnäßt man ſie auch wohl vor der Überlieferung in den eigentlichen Trocken - apparat oder der Trockenmaſchine mittels Centrifugen. Das ſind im großen ganzen die Hauptappreturoperationen, welche die Gewebe je nach ihrer Beſchaffenheit und ihrem Material durchzumachen haben. Den Schluß der Appretur bilden meiſtens das Falten, Legen, Meſſen der fertigen Waren, Operationen, für deren Ausübung zahlreiche Maſchinen erfunden worden ſind.

2. Die Farben und das Färben.

Zu allen Zeiten, unter allen Himmelsſtrichen und bei allen Völkern finden wir den Sinn für Farben, wenn auch in mehr oder minder entwickelter Form. Die Natur giebt die Anregung, indem uns das Sonnenlicht von allen Gegenſtänden gebrochen, d. h. farbig zurückſtrahlt. Der erwachende Intellekt des Menſchen war aber nicht mit dem zu - frieden, was die Natur bot, der Menſch wollte ſelbſt nach ſeinem Ge - ſchmacke eingreifen. Sein erſtes Ziel war die Schmückung des eigenen Leibes, das weitere der Aufputz der ihn zunächſt umgebenden Gegen - ſtände. In Ermangelung von Kleidungsſtücken begann der auf niederer Kulturſtufe ſtehende Menſch mit der Bemalung des eigenen Körpers, ſei es in Form bloßer wirklicher Bemalung oder in Form der dauer - hafteren Tättowierung. Die Reſte beider Liebhabereien finden wir ja noch heute bei den ziviliſierteſten Völkern. Die Modedame bemalt ſich, der Soldat, der Handwerker ꝛc. läßt ſich auf den Arm ein mehr oder weniger kunſtvolles Bild tättowieren. Als die Bekleidung begann, erwachte natürlich auch das Streben, dieſer einige Buntheit zu ver - leihen. Man machte aber die Beobachtung, daß die Farben, die zum393Farben zum Bemalen.Bemalen dienten, nicht auch zum Färben zu gebrauchen waren, und ſo ergab ſich eine naturgemäße Einteilung aller Farbmaterialien in ſolche, die zum Bemalen, und in ſolche, die zum Färben geeignet ſind. Die Grenzen beider Gruppen ſind natürlich keine ſcharfen, aber immer - hin gewährt dieſe Gruppierung eine gute Einteilung, und das umſo - mehr, als dieſe Einteilung gleichzeitig mit einer anderen zuſammen - fällt, die ſich aus dem Urſprung der Farben ergiebt. Als Farben zum Bemalen dienen die mineraliſchen oder anorganiſchen Farben, während die zum Färben gebrauchten organiſchen Farbſtoffe dem Tier - oder Pflanzenreich entſtammen.

a) Farben zum Bemalen.

Als Material für Malfarben boten ſich dem farbebedürftigen Menſchen eine Reihe in der Natur vorkommender Mineralien. Für Blau diente der koſtbare Laſurſtein (lapis lazuli) und die Kupferlaſur, ein ſchönes Grün lieferte der Malachit (Berggrün). Gelbe, rote und braune Farben finden ſich zahlreich in Form von verſchiedenen Eiſen - mineralien, als Rot wurde auch der Zinnober benutzt. Schwarz lieferte die Kohle, weiß vor allem die Kreide. War man früher ausſchließ - lich auf die natürlichen Funde angewieſen, ſo blieb ſpäteren Jahr - hunderten, insbeſondere dem unſrigen, das man nicht nur als Zeitalter des Dampfes, ſondern auch als Zeitalter der Chemie bezeichnen muß, vorbehalten, die Gewerbe und Künſte in ihrem Farbenbedarf von den Launen der Natur unabhängig zu machen.

Eine der wichtigſten induſtriellen Erfindungen war die künſtliche Darſtellung des Laſurſteins (lapis lazuli) oder Ultramarins. 1827 ent - deckten gleichzeitig Gmelin und Köttig in Deutſchland und Guimet in Frankreich den Weg, der zum künſtlichen Ultramarin führte, und als - bald wurde das Verfahren auch praktiſch verwertet. Der Erfolg war natürlich in erſter Linie ein koloſſaler Preisſturz der bis dahin äußerſt koſtbaren Farbe. Während das Kilogramm des natürlichen Laſur - ſteins 240 Mark gekoſtet hatte, war zwei Jahre nach der Erfin - dung der Preis bereits auf 30 Mark geſunken, und heute koſtet das Kilogramm des uns unentbehrlich gewordenen Blaus weniger als eine Mark. Man gewinnt das Ultramarin, indem man Porzellan - thon (Kaolin) mit Schwefel und Soda zuſammen erhitzt, meiſt unter Zuſatz von Glauberſalz und Kohle. Dabei erhält man zuerſt grünes Ultramarin, und dieſes geht bei weiterem Erhitzen mit Schwefel in das blaue über. Indem man der Miſchung auch noch Kieſelſäure (Infuſorienerde) zuſetzte, gelangte man zu rötlichblauen und violetten Ultra - marinen, aus denen man dann weiter durch Behandlung mit Säuren ſogar rotes Ultramarin gewinnen lernte. In den chemiſchen Laboratorien hat man auch gelbe und graue Ultramarine dargeſtellt, ſo daß man394Die Farben und das Färben.jetzt über eine vollſtändige Farbenſkala Ultramarin ähnlicher Farben verfügt.

Als Malfarben nicht mehr gebräuchlich ſind der unechte Laſur - ſtein (die Kupferlaſur) und der Malachit, beides Verbindungen von Kupfer und Kohlenſäure. Von den ſonſtigen kupferhaltigen Farben (z. B. Grünſpan, Bremer Blau, Scheeleſches Grün) hat eine größere Bedeutung nur das Schweinfurter Grün. Dieſe außerordentlich ſchöne und feurige Farbe iſt eine Verbindung von Kupfer, Arſenik und Eſſig - ſäure und deshalb ſehr giftig. Sie wurde 1814 von Ruß und Sattler in Schweinfurt entdeckt und fand wegen ihrer Schönheit vielfache Ver - wendung als Anſtrich - und Druckfarbe, beſonders für Tapeten. Man verſuchte ſogar, ſie zum Färben von Kleidern zu benutzen, indem man die Farbe mit Eiweiß auf dem Stoffe befeſtigte. Leider war aber dieſe Art der Färberei von äußerſt geringer Haltbarkeit; die Farbe ſtäubte von den ſchönen grünen Ballkleidern beim Tanzen ab oder wurde durch den Schweiß zerſetzt, zum ſchweren Schaden für die Trägerinnen ſowohl als für die übrigen Tänzer. Die vielfachen Ver - giftungen, die eine Folge dieſer grünen Kleider waren, führten bald dazu, das Schweinfurter Grün und mit ihm alle andern grünen Farben in Verruf zu bringen. In Deutſchland und vielen anderen Ländern darf das Schweinfurter Grün jetzt nur noch als Ölfarbe verwendet werden, und da es ſich dazu ſchlecht eignet, ſo wird es bei uns wenig mehr gebraucht. Immerhin werden noch bedeutende Mengen für den Ver - ſand nach dem Orient und nach China hergeſtellt, wo man nicht ſo ſkrupulös iſt und auf Vergiftungen weniger Gewicht legt.

Eine der früher am häufigſten gebrauchten blauen Farben iſt das Kobaltblau, die Smalte. Als Erfinder derſelben (1540) wird der böhmiſche Glasmacher Chriſtoph Schürer in Neudeck bezeichnet. Sein Geheimnis wurde den Holländern bekannt, deren Betriebſamkeit bald in Schneeberg einen lebhaften Kobalterzbergbau ins Leben rief. Die Smalte (Schmelze) wird durch Zuſammenſchmelzen von Sand, Pott - aſche und geröſtetem Kobalterz (Zaffer) dargeſtellt, ſie iſt alſo ein blaugefärbtes Glas. Die Induſtrie nahm bis zum dreißigjährigen Kriege einen bedeutenden Aufſchwung, ſowohl auf der ſächſiſchen als auf der böhmiſchen Seite des Erzgebirges, um dann durch den Krieg allerdings faſt gänzlich zu Grunde zu gehen. Erſt gegen Ausgang des großen Krieges entſtanden neue Blaufarbenwerke, von denen jetzt noch zwei beſtehen. Der Verbrauch an Smalte iſt durch die Ein - führung des künſtlichen Ultramarins bedeutend zurückgegangen.

Von blauen Farben iſt außer den bereits genannten nur noch zu nennen das Berliner Blau, eine Eiſenverbindung der Blauſäure (welche letztere ihren Namen vom Berliner Blau herleitet). Man gewinnt das Berliner Blau aus dem gelben Blutlaugenſalz (gelbes blauſaures Kali, Ferrocyankalium); dieſes entſteht, wenn man Pottaſche mit Kohle und tieriſchen, ſtickſtoffhaltigen Abfällen (Horn, Haut, Leder) unter395Farben zum Bemalen.Zuſatz von Eiſen ſchmilzt. Verſetzt man eine Löſung dieſes Blut - laugenſalzes mit einer Eiſenlöſung, ſo fällt ein je nach dem ange - wandten Eiſenſalze weißer bis dunkelblauer Niederſchlag. Auch der weiße Niederſchlag geht langſam an der Luft, ſchnell bei Behandlung mit Oxydationsmitteln (Salpeterſäure) in dunkelblau über, und gerade die ſo erhaltene Farbe bildet das wertvolle Handelsprodukt. Das Berliner Blau findet ausgedehnteſte Anwendung zum Färben von Papier, ſowie zum Drucken. Die feinſte Sorte (Pariſer Blau) bildet blaue Stücke, die beim Reiben Kupferglanz annehmen, eine Eigenſchaft, die ſie mit dem Indigo gemeinſam haben. Das Berliner Blau wurde 1704 von Diesbach in Berlin entdeckt. Eine techniſch nicht verwendete Abart desſelben, welche aus rotem Blutlaugenſalz (Ferricyankalium) und Eiſenvitriol erhalten wird, führt zwar den Namen Turnbulls Blau, iſt aber nicht von Turnbull erfunden worden.

Von roten Mineralfarben, die in der Natur vorkommen, ſind nur gewiſſe Arten von Eiſenocker, ſowie der Zinnober zu erwähnen. Letzterer wird aber in größeren Mengen künſtlich dargeſtellt, indem man Queckſilber und Schwefel entweder trocken oder naß zuſammenreibt und das entſtehende Schwefelqueckſilber ſublimiert. Unter Sublimieren verſteht man eine Art Deſtillation, bei der aber die Körper nicht ſchmelzen, ſondern direkt aus dem feſten in den gasförmigen Zuſtand übergehen und ſich dann wieder in feſtem Zuſtande niederſchlagen. Auf dieſem Wege erhält man den Zinnober als die bekannte ſchöne rote Farbe.

Neben dem Zinnober ſpielt eine rote Bleifarbe, die Mennige (minium), eine große Rolle. Wie der Zinnober iſt ſie ſeit früher Zeit bekannt. Man ſtellt ſie dar, indem man Blei an der Luft bis faſt zum Glühen erhitzt. Dabei verbindet ſich das Blei mit dem Sauerſtoff der Luft zuerſt zu Bleioxyd, der bekannten Bleiglätte (Maſſicot), dann aber mit mehr Sauerſtoff zu Mennige. Auch durch Erhitzen von Bleiweiß kann man letztere erhalten. In neuerer Zeit ſtellt man aus Mennige beſonders eine Zinnober-Imitation her, indem man ſie mit der Bleiverbindung eines Teerfarbſtoffes, des Eoſins, vermiſcht. Dieſe Nachahmung hat vor echtem Zinnober den Vorteil bedeutend größerer Billigkeit. Außer der Mennige findet noch eine andere rote Blei - verbindung techniſche Verwendung, das Chromrot, eine Verbindung von Blei mit Chromſäure. Man ſtellt ſie aus dem Chromgelb dar, das aus den gleichen Beſtandteilen zuſammengeſetzt iſt und ſeiner ſchönen Farbe und großen Deckkraft wegen ausgedehnte Verwendung als Anſtrich - und Druckfarbe findet. Man gewinnt das Chromgelb, indem man eine Löſung von Bleieſſig mit Löſungen von chromſauren Salzen fällt. Je nachdem man dabei Säuren oder Ätzlaugen zuſetzt, erhält man Töne vom reinſten Schwefelgelb bis zum leuchtendſten Rot. Das Chromgelb dient ganz beſonders auch zur Herſtellung grüner Farben durch Miſchen mit Berlinerblau. Mit einer ſolchen Grün - miſchung ſind z. B. unſere 5 Pfennig-Briefmarken und Poſtkarten396Die Farben und das Färben.gedruckt. Neben dem Chromgelb ſpielen die anderen gelben Farben nur eine untergeordnete Rolle, obgleich man für die Zwecke der Malerei noch eine ganze Reihe ſolcher herſtellt, z. B. das Kadmiumgelb. Mit Hilfe der chromſauren Salze ſtellt man auch direkt ein ſchönes, von Guignet 1859 angegebenes und nach ihm benanntes Grün her. Man erhitzt zu dieſem Zwecke rotes chromſaures Kalium mit Borſäure zum ſchwachen Glühen und wäſcht das Produkt mit Waſſer aus. Es hinterbleibt dann Chromoxyd in Form eines ſmaragdgrünen Pulvers, das ſich zum Erſatz des giftigen Schweinfurter Grüns eignet.

Für braune Farben benutzt man faſt nur natürlich vorkommende Eiſen - oder Manganmineralien, die meiſt mehr oder weniger gebrannt werden. Für Schwarz kommt ausſchließlich die Kohle in Betracht, und zwar in der Form von Ruß. Zu dieſem Zwecke unterwirft man in beſonderen Öfen Kienholz und andere harzreiche Hölzer, Weinreben, Pech u. dgl. einer langſamen (rußenden) Verbrennung. Der Rauch wird in Kammern verdichtet, wo ſich der Ruß, der aus feinen Kohlen - ſtoffſtäubchen beſteht, abſetzt. Er wird dann noch mit Laugen aus - gekocht, um ihn von ſetten, teerigen Beſtandteilen zu befreien. Unſere geſamte Druckerſchwärze wird ſo gewonnen.

Von weißen Farben haben wir ſchon der Kreide gedacht. Daneben finden von natürlich vorkommenden Rohmaterialien noch Gips und weißer Thon Verwendung. Außerdem ſind aber noch drei künſtlich erzeugte weiße Farben von größter Wichtigkeit, das Permanentweiß (blanc fixe), das Bleiweiß und das Zinkweiß. Das Permanentweiß iſt eine Verbindung von Schwefelſäure und Baryt; die gleiche Ver - bindung kommt zwar in der Natur als Schwerſpat vor, allein dieſes Mineral iſt ſelbſt in fein gemahlenem Zuſtande nicht als Farbe zu gebrauchen, da es keine Deckkraft beſitzt. Man erhitzt es daher mit Kohle, wobei es in lösliches Schwefelbaryum übergeht. Die Löſung des letzteren, mit Schwefelſäure niedergeſchlagen, liefert das künſtliche Barytweiß, deſſen Hauptvorzug darin beſteht, daß es abſolut unver - änderlich iſt. Hierdurch iſt es weſentlich überlegen dem ſonſt in mancher Hinſicht vorteilhafteren Bleiweiß (Kremſer Weiß), welches leider durch Schwefelwaſſerſtoff, der ja oft in der Luft vorhanden iſt, gelblich bis braun und ſogar ſchwarz wird. Das Bleiweiß iſt ſchon ſeit alter Zeit bekannt, wenn auch ſeine fabrikmäßige Gewinnung kaum über 400 Jahre alt iſt. Zur Darſtellung des Bleiweißes benutzt man ver - ſchiedene Methoden, welche nach den Ländern, wo ſie zuerſt ausgeübt wurden, benannt ſind. Man hat ein holländiſches, deutſches, engliſches und franzöſiſches Verfahren. Die beiden erſteren ſind die älteſten und unterſcheiden ſich nur in unweſentlichen Einzelheiten. Sie beruhen darauf, daß man Bleiplatten bei erhöhter Temperatur Eſſigdämpfen ausſetzt, während gleichzeitig Luft und Kohlenſäure Zutritt haben. Zu dieſem Behufe rollt man beim holländiſchen Verfahren Bleiplatten ſpiralig auf und ſetzt ſie in Töpfe, die etwas Eſſig oder Bierhefe397Farben zum Bemalen.enthalten. Von ſolchen Töpfen ſetzt man eine größere Anzahl in eine gemauerte Kammer, deren Boden mit Pferdedung oder gebrauchter Lohe bedeckt iſt. Über die Töpfe kommt eine mehrfache Lage von Bleiplatten, darauf wieder Lohe u. dgl., in die wieder die Eſſigtöpfe eingeſetzt ſind u. ſ. f., bis die Kammer (Looge) gefüllt iſt. Nach 4 7 Wochen ſind die Bleiplatten größtenteils zerfreſſen und in Blei - weiß umgewandelt.

Beim deutſchen (öſterreichiſchen) Verfahren hängt man die Platten dachförmig gebogen in geheizten Kammern auf, in die man dann die Dämpfe von kochendem Eſſig und die Verbrennungsgaſe von Holz - kohlen oder Koks hineinſtreichen läßt. Beim engliſchen Verfahren ver - wendet man nicht metalliſches Blei, ſondern Bleioxyd (Bleiglätte); man feuchtet dieſelbe mit einer Löſung von Bleizucker (eſſigſaurem Blei) an und leitet Kohlenſäure darüber. Dabei wird die Maſſe fortwährend gut durchgemiſcht und ſo ſehr raſch in Bleiweiß übergeführt. Das franzöſiſche Verfahren geht ganz auf naſſem Wege vor ſich. Man löſt in Eſſig ſo viel Bleiglätte auf, als ſich eben löſen will, und leitet dann Kohlenſäure in die Flüſſigkeit. Dabei fällt der größere Teil des ge - löſten Bleies als Bleiweiß aus; in der übrigbleibenden Löſung wird wieder friſche Bleiglätte gelöſt, durch Kohlenſäure gefällt u. ſ. f. Das Bleiweiß iſt zwar vom techniſchen Standpunkt eine ſehr brauchbare Farbe, es hat aber den Nachteil, ſehr giftig zu ſein und darf deshalb jetzt nur noch als Ölfarbe gebraucht werden. Als Erſatz iſt dafür das Zinkweiß in Aufnahme gekommen, das zuerſt von Leclaire in großem Maßſtabe hergeſtellt wurde. Da es nicht giftig iſt, ſo ſchädigt es weder die mit der Herſtellung beſchäftigten Arbeiter, noch bedingt es Beſchränkungen in der Verwendung. Man gewinnt es, indem man Zink in thönernen Retorten verdampft, die Zinkdämpfe mittelſt heißer Luft verbrennt, und den dabei entſtehenden Rauch von Zinkoxyd in große Kammern leitet, in denen es ſich abkühlt und verdichtet. Das Zinkweiß teilt mit dem Permanentweiß die Eigenſchaft, gegen Schwefel - waſſerſtoff unempfindlich zu ſein, dagegen wird es, wie das Bleiweiß, von Säuren angegriffen.

b) Farben zum Färben.

Woran liegt es, daß eine ſo große Anzahl farbiger Körper nicht zum Färben geeignet iſt? Um dieſe Frage zu beantworten, müſſen wir uns mit dem Begriff des Färbens bekannt machen. Das Färben beſteht darin, einen Körper oder Stoff der ſowohl weiß als auch bereits farbig ſein kann ſo mit einer beſtimmten Farbe zu ver - einigen, daß die letztere auf rein mechaniſchem Wege durch Abkratzen oder Abwaſchen mit Waſſer nicht mehr zu entfernen iſt. Während beim Bemalen die Farbe an der Oberfläche haftet, dringt ſie beim398Die Farben und das Färben.Färben in die Gegenſtände ein, ſie verbindet ſich mit ihnen. Über die Vorgänge, die dabei ſtatthaben, werden wir zum Schluß in einem be - ſonderen Abſchnitt zu ſprechen haben.

Während für die Farben zum Bemalen vorwiegend mineraliſche anorganiſche Materialien in Betracht kommen, ziehen wir die Farben zum Färben vorwiegend man kann faſt ſagen ausſchließlich aus der Tier - und Pflanzen -, alſo der organiſchen Welt. Die Tierwelt iſt freilich bei dieſer Lieferung nur ſehr ſchwach beteiligt. Wir haben nur zwei Vertreter zu nennen, die im Altertume hochberühmte Purpurſchnecke und die ſeit der Entdeckung Amerikas uns bekannt gewordene Cochenille - Schildlaus mit ihrer bei uns heimiſchen Verwandten, der Kermes - Schildlaus.

1. Die tieriſchen Farbſtoffe.

Der Purpur war die bei weitem hervorragendſte zur Färberei gebrauchte Farbe des Altertums. Er wurde aus verſchiedenen Schnecken - arten gewonnen, die den Gattungen Purpura, Murex und Buccinium angehören. Dieſe Tiere ſondern in ihren Zellen ein farbloſes oder ſchwach gelbliches Ausſcheidungsprodukt ab, welches unter der Ein - wirkung von Licht und Luft in Fäulnis übergeht, und dabei unter Entwickelung eines ſtarken Knoblauchgeruches nach und nach gelb, grün, blau, violett und ſchließlich rot wird. Die wichtigſte Eigenſchaft des ſo entſtandenen Farbſtoffes iſt, daß er ſehr echt iſt, ohne weitere Be - feſtigungsmittel (Beizen) die Faſer färbt und durch Waſchen mit Seife und ähnlichen alkaliſchen Reinigungsmitteln ſogar an Glanz und Schön - heit gewinnt. Übrigens war die Farbe kein reines Rot, ſondern ſtets mit Blau gemiſcht, und näherte ſich deshalb mehr unſerem Violett. Der Farbenton und die ſonſtigen Eigenſchaften des Purpurs ſchwankten je nach dem Urſprungsort, der im Orient gewonnene war ſchöner als der in Italien hergeſtellte; unter den orientaliſchen Sorten hatte wieder der tyriſche, aus der phönikiſchen Stadt Tyrus, den größten Ruf. Als eine Luxusfarbe war der Purpur ſtets nur den be - vorzugten Bevölkerungsklaſſen zugänglich und erlaubt. In erſter Linie galt das Tragen purpurner Gewänder als Vorrecht der Könige, wie ja noch heute der Purpur als Symbol der höchſten Gewalt angeſehen wird, nennen wir doch den Inhaber derſelben kurzweg Purpurträger . Im alten Rom war der Purpur eine Auszeichnung der Senatoren, ſpäter freilich dehnte ſich mit dem zunehmenden Luxus auch der Gebrauch des Pur - purs aus, ſo daß zur Kaiſerzeit das Tragen desſelben geſetzlich be - ſchränkt und ſogar ganz verboten wurde. Jetzt iſt die Gewinnung des Purpurs aus den Schneckenarten völlig in Vergeſſenheit geraten.

Das Cochenillerot wird aus einem Inſekte gewonnen, das zur Klaſſe der Schildläuſe gehört und den wiſſenſchaftlichen Namen Coccus cacti führt. Dasſelbe lebt ausſchließlich auf einer in Mexiko heimiſchen399Die tieriſchen Farbſtoffe.Kaktusart, der Opuntia, welche in ihrer Heimat den Namen Nopal führt. Da ſich unter günſtigen Witterungsverhältniſſen innerhalb ſechs Wochen eine neue Generation der Cochenillelaus entwickelt, die Ver - mehrung alſo ganz außerordentlich groß iſt, ſo kann man in einem Jahre drei - bis fünfmal ernten. Das Einſammeln der Tierchen iſt außerordentlich einfach; man fegt die Inſekten mit einem Pinſel oder anderen geeigneten Inſtrumenten von den Pflanzen herunter in Blech - butten und tötet ſie durch heißes Waſſer, durch Trocknen an der Sonne oder durch trockene Ofenhitze. Letzteres Verfahren liefert das beſte Produkt, da dabei der ſilbergraue Hauch, der auf den Läuſen liegt und in einer Wachsausſchwitzung beſteht, erhalten bleibt, während er bei den anderen Tötungsmethoden verloren geht, ſo daß das Produkt dann braunrot und unanſehnlicher wird. Die Handelsware erſcheint in Form runzliger Körner. Man gewinnt die Farbe daraus, indem man dieſelben pulvert, und mit Waſſer unter Zuſatz von Alkalien (Ammoniak, Soda u. dgl. ) extrahiert. Die Cochenille giebt ſchöne, lebhafte, rote Töne und wurde vor Einführung der Azofarben (ſ. ſpäter) in großen Mengen verbraucht. Die Hauptländer für die Cochenillegewinnung waren Mexiko, wo die Nopalpflanze und das Inſekt heimiſch ſind iſt doch die Nopalſtaude ſogar im mexikaniſchen Wappen vertreten ferner Guatemala und Honduras. Von dort aus ſind der Nopal, und mit ihm die Läuſe, auch nach anderen Ländern verpflanzt und ſogar in Europa in Südſpanien angebaut worden. Sogar in Deutſchland iſt es gelungen, in Treibhäuſern die Nopalſtaude mit den Inſekten zu züchten, doch iſt dies natürlich nur ein wiſſenſchaftlich intereſſanter Verſuch, nicht aber ein Kulturverfahren für induſtrielle Zwecke. Die Ausfuhr allein aus Mexiko belief ſich früher auf etwa 440000 kg jährlich, was einer Zahl von etwa 62 Milliarden Schildläuſen entſpricht. Das Färben mit Cochenille war bereits den Azteken be - kannt; von ihnen lernten es die Spanier, welche die Farbe nach Europa brachten, wo ſie großen Anklang fand. Jetzt hat der Verbrauch außer - ordentlich nachgelaſſen, und nur für wenige Zwecke, insbeſondere für Scharlachaufſchläge an Uniformen, ſowie zum Färben von Zuckerwaren und für Schminken wird Cochenille verwendet, während ſie im übrigen durch die billigeren Anilinfarben verdrängt iſt. Ganz ähnlich der Cochenille war die Verwendung des Kermes, der aber weniger glänzende Farben lieferte.

Außer dem Purpur und der Cochenille iſt nur noch eine Farbe zu nennen, die mit dem Tierreich in Verbindung ſteht, nämlich das Indiſchgelb (jaune indienne oder purée genannt); es wird aus den Exkrementen von Wiederkäuern in Indien und China gewonnen. Der färbende Beſtandteil dieſer Farbe führt den Namen Euxanthinſäure. Die Verwendung dieſes Produktes iſt nur eine beſchränkte.

400Die Farben und das Färben.

2. Die pflanzlichen Farbſtoffe.

Weit ergiebiger als in der Tierwelt iſt die Farbenausbeute in der Pflanzenwelt, aus der wir an hervorragenden Vertretern den Indigo, den Krapp, die verſchiedenen Farbhölzer (Blau -, Rot -, Gelbholz), die Flechtenfarbſtoffe (Orſeille) nennen wollen.

Die Nachrichten über den Indigo reichen bis ins Altertum zurück. Er wird von Plinius und Dioskorides unter dem Namen Indicum beſchrieben, während er bei arabiſchen Schriftſtellern den Namen Nil (hindoſtaniſch = blau) führt. Man ſchätzte ihn als Farbe ſehr hoch und ſtellte ihn gleich hinter den Purpur. Der Indigo kommt in der Natur nicht fertig gebildet vor. Eine Anzahl von Pflanzengattungen, obenan die Indigofera-Arten, dann aber Iſatis (Waid) und Poly - gonum enthalten in den Blättern einen in Waſſer löslichen Körper, der den Indigo liefert. Zu dieſem Zwecke werden die abgeſchnittenen Pflanzen mit Waſſer übergoſſen und die Miſchung ſich ſelbſt überlaſſen, wobei ſie in Gährung gerät. Wenn die Gährung einige Zeit gedauert hat, läßt man die Flüſſigkeit in große offene Ciſternen ab, wo man ſie mit Schlaghölzern gründlich durcharbeitet, um ſie möglichſt mit der Luft in Berührung zu bringen. Dabei ſcheidet ſich allmählich der Indigo als blauer Schaum ab, wird ſchließlich auf einem Filter ge - ſammelt, gewaſchen und gepreßt. Die gepreßten Kuchen werden in Stückchen geſchnitten und an der Luft getrocknet, und bilden dann den fertigen Indigo, wie er im Handel erſcheint. Das Haupt - produktionsland des Indigos iſt Oſtindien, das ihm ja auch den Namen gegeben hat. Namentlich Bengalen liefert ein durch ſeine Güte ausgezeichnetes Produkt, weshalb man die feinſten Indigoſorten als Bengalindigo bezeichnet. Außer auf dem indiſchen Feſtland wird be - ſonders auf Java guter Indigo gewonnen, ferner baut man ihn auch auf den Philippinen, am Senegal, in Guatemala und Venezuela, ſo - wie in verſchiedenen anderen Ländern. In Mexiko wurde der Indigo ſchon vor der Entdeckung des Landes durch die Spanier von den Azteken kultiviert und verwendet. Der in den Handel kommende In - digo bildet dunkelblaue Stücke, welche auf den Bruchflächen, beſonders beim Reiben, mehr oder weniger Kupferglanz zeigen. Je höheren Glanz der Indigo entwickelt, um ſo beſſer iſt er. Er verdampft beim Erhitzen auf 250 300°C. und ſetzt ſich an kalten Flächen in Form kleiner blauer Kryſtällchen ab, welche aus chemiſch reinem Indigo be - ſtehen. Die Handelsware iſt nämlich nichts weniger als ein reines Produkt. Abgeſehen von äußerlichen Beimengungen, enthält ſie noch verſchiedene andere Körper, die bei der Bereitung des Indigos neben dieſem entſtehen; dazu gehört ein zweiter purpurner Farbſtoff, das Indigorot, ferner eiweißartige (Indigleim) und humusartige (Indig - braun) Verbindungen. Alle dieſe verkohlen beim Erhitzen, während allein das Indigblau (Indigotin) ſich verflüchtigen läßt. Das Indig -401Die pflanzlichen Farbſtoffe.blau iſt vollſtändig unlöslich in Waſſer, Spiritus, verdünnten Säuren und Alkalien, dagegen löslich in konzentrierter Schwefelſäure, in Anilin und einigen anderen, dem gewöhnlichen Sterblichen nicht ohne weiteres zugänglichen Flüſſigkeiten. Beim Auflöſen in Schwefelſäure, beſonders wenn man ſogenannte rauchende anwendet oder bei höherer Temperatur arbeitet, löſt ſich der Indigo nicht unverändert auf. Er verbindet ſich vielmehr mit der Schwefelſäure zu verſchiedenen neuen Körpern, den Indigſchwefelſäuren, welche im Gegenſatz zum Indigo ſelbſt in Waſſer und Alkalien löslich ſind. Dieſe Indigſchwefelſäuren (Indigſulfo - ſäuren) eignen ſich ſehr gut zum Färben von Wolle, und man benutzt die Anziehungskraft der Wolle ſogar zur Reindarſtellung der Farbe. Zu dieſem Zwecke löſt man unreinen, rohen Indigo in ſtarker Schwefelſäure und gießt die Flüſſigkeit nach der Auflöſung in viel Waſſer; alsdann hängt man Wolle in die Löſung, welche den Farbſtoff vollkommen der Flüſſigkeit entzieht, und nachher mit Waſſer gewaſchen werden kann, ohne die Farbe zu verlieren. Behandelt man dagegen die gefärbte Wolle mit ganz dünner Sodalöſung, ſo wird das Blau vollkommen abgezogen , indem es ſich in der Flüſſigkeit auflöſt. Aus der letzteren ( abgezogene Kompoſition ) gewinnt man es dann durch Zuſatz von Säuren wieder, wobei ganz reine Indig - ſchwefelſäure ausfällt, die im Handel den Namen Indigkarmin, früher auch Sächſiſchblau genannt, führt. Man ſieht ſchon aus dieſer Dar - ſtellungsweiſe, daß das mit Indigkarmin erzeugte Sächſiſchblau trotz ſeiner Schönheit nicht waſchecht iſt. Die Kunſt, Wolle mit in Schwefel - ſäure gelöſtem Indigo zu färben, wurde 1740 von Barth in Großen - hain (Sachſen) entdeckt, daher der Name Sächſiſchblau .

Ganz echte Färbungen liefert die zweite, ſehr viel ältere Methode der Indigofärberei, die ſogenannten Küpe . Der Indigo als ſolcher löſt ſich nicht in alkaliſchen Flüſſigkeiten auf. Reduziert man ihn aber, ſo geht er in das Indigweiß über, welches in Alkalien löslich iſt. Wie wir früher geſehen haben, wird auch bei der Gewinnung des Indigos zuerſt Indigweiß erhalten, das dann an der Luft in Blau übergeht, die Küpe iſt alſo eigentlich nichts weiter als eine Wieder - holung dieſes erſten Prozeſſes. Weſentliche Vorbedingung zum guten Gelingen der Küpe iſt, daß der Indigo ganz fein gemahlen ſei; dies geſchieht in ſogenannten Naßmühlen: man giebt den Indigo in eine durch Maſchinenkraft drehbare eiſerne Trommel nebſt etwas Waſſer und einigen eiſernen Kugeln; beim Drehen der Trommel wird er dann zu einem feinen Schlamm zermahlen, der ſich ſpäter in der Küpe ſehr gut verteilt. Als Alkalien benutzt man für die Küpen entweder Kalk, oder Soda, früher nahm man wohl auch Pottaſche. Die Reduktion des Indigos bewirkt man entweder dadurch, daß man der Küpe gährungsfähige Subſtunzen zuſetzt, welche in der Küpe in Gährung geraten (Krapp, Kleie), oder durch mineraliſche Subſtanzen (Eiſenvitriol, Zinnſalz, Operment) oder endlich mittelſt Traubenzucker (Stärkezucker). ErſtereDas Buch der Erfindungen. 26402Die Farben und das Färben.Art von Küpen bezeichnet man als warme oder Gährungsküpen, letztere als kalte Küpen. Die letzteren haben den großen Vorzug, daß man mit genau bekannten Materialien arbeitet und die Küpe daher beliebig groß wählen kann, während im erſten Falle, bei den Gährungsküpen, Störungen mannigfacher Art eintreten können, wenn die Gährung zu langſam oder zu ſchnell verläuft. Hängt man nun in eine ſolche Küpe, welche alſo den Indigo in reduzierter Form, als Indigweiß, enthält, Wolle oder Baumwolle ein, ſo übt dieſelbe auf das Indigweiß eine Anziehung aus, und dieſes bleibt an den Faſern haften; nimmt man die Stoffe oder Garne dann aus der Küpe und hängt ſie in der Luft auf, ſo geht das Indigweiß wieder in Indigblau über, es wird oxydiert , und die Farbe haftet nunmehr ſo feſt auf der Faſer, daß man ſie durch Waſchen und auch durch andere Mittel nicht mehr ab - ziehen kann, ohne die Faſer oder die Farbe zu zerſtören. Auf dieſer Unlöslichkeit des Indigos beruht die außerordentliche Echtheit der da - mit gefärbten Stoffe, wie wir alltäglich an den Uniformen unſerer Soldaten wahrnehmen können. Selbſt die fünfte Garnitur hält immer noch Farbe, ſo ſchäbig ſie ſonſt auch ausſehen mag. Es hat daher einige Berechtigung, wenn die Militärverwaltung zähe an der An - wendung des Indigos zum Färben der Militärtuche feſthält; die vor - geſchlagenen Erſatzmittel, die ſich bedeutend billiger ſtellen würden, er - reichen den Indigo noch nicht ganz in allen Eigenſchaften, doch iſt anzunehmen, daß die raſtlos fortſchreitende Farbentechnik bald in der Lage ſein wird, Erſatzmittel zu liefern, welche dem Indigo nach jeder Richtung gleichſtehen. Es iſt dies eine wirtſchaftlich ſehr wichtige Frage, denn für den Indigo müſſen wir heute noch ſehr bedeutende Summen ans Ausland zahlen, die im anderen Falle, bei Verwendung von Teerfarbſtoffen, im Lande bleiben würden. Die Verſuche, den Indigo ſelbſt künſtlich herzuſtellen, um uns dadurch von der Einfuhr vom Auslande unabhängig zu machen, haben leider noch nicht zu dem gewünſchten praktiſchen Reſultate geführt. Zwar ſind verſchiedene Verfahren entdeckt worden, nach denen Indigo leicht genug zu ge - winnen wäre, allein ſtets ſtellt ſich das Ausgangsmaterial zu teuer. Die erſte künſtliche Darſtellung gelang Baeyer 1879; ſie rief großes Aufſehen und hochgeſpannte Erwartungen hervor, die aber leider nicht erfüllt werden konnten. Das Ausgangsmaterial für Baeyers Syntheſe bildet das ſpäter zu erwähnende Toluol; aus dieſem ſtellt man der Reihe nach Benzaldehyd (Bittermandelöl), Zimtſäure, Nitrozimt - ſäure, Nitropropiolſäure dar, die letztere liefert dann mit Al - kalien und Reduktionsmitteln behandelt, alſo in einer Art Küpe, den Indigo. Es iſt, wie geſagt, leider nicht gelungen, die Schwierig - keiten, die ſich der Erzeugung künſtlichen Indigos nach dieſem Verfahren im Großen darſtellen, zu überwinden. Es ſind daher von verſchiedenen Seiten weitere Verſuche unternommen worden, um das verlockende Ziel zu erreichen. Man hat auch ſchon neue Wege403Die pflanzlichen Farbſtoffe.aufgefunden. doch ſind die Arbeiten noch nicht abgeſchloſſen, und bisher ſcheint es nicht, als ob dem natürlichen Indigo ſchon jetzt eine ernſt - liche Konkurrenz drohe, und dies um ſo weniger, als der Preis des Indigos an ſich ſeit 10 Jahren gefallen iſt, ſo daß die an die Billig - keit eines künſtlichen Darſtellungsprozeſſes zu ſtellenden Anforderungen noch geſtiegen ſind.

Zu den ſeit dem Altertume bekannten und in neuerer Zeit zu großer Bedeutung gelangten Farben gehören die Farbſtoffe des Krapps (Färberröte). Schon Dioskorides beſchreibt die Pflanze und ihre Anwendung zum Färben, erwähnt auch, daß ſie ſo - wohl wild, als angebaut vorkäme. Plinius giebt ihr den latei - niſchen Namen Rubia, der ſich als wiſſenſchaftliche Bezeichnung (rubia tinctorum) bis heute erhalten hat. Im Mittelalter hieß der Krapp Varantia (Garance), dann aber kam aus der Levante die Be - nennung Lizari oder Alizari, die von den Chemikern ſpäter zur Bezeich - nung des färbenden Prinzips des Krapps, des Alizarins verwendet worden iſt. In Frankreich und Süddeutſchland (Elſaß) wurde der Krappanbau erſt ſeit dem vorigen Jahrhundert betrieben. Der den Farb - ſtoff liefernde Beſtandteil der Pflanze iſt die Wurzel, man zieht ſie daher auch dem entſprechend ſo, daß die Blattſtiele nur ganz wenig aus der Erde herausragen. Nach 2 bis 6 Jahren je älter die Wurzel, um ſo ergiebiger iſt ſie wird geerntet, indem man mit Hacke und Spaten die Wurzeln ausgräbt. So wenig, wie in den Blättern des Indigo, iſt in den Wurzeln der Färberröte der Farbſtoff als ſolcher fertig gebildet vorhanden. Die Wurzeln enthalten eine komplizierte Verbindung, die Ruberythrinſäure, welche beim Zerfall durch Lagern (Gährung) oder beim Erhitzen mit ſtark verdünnten Säuren ſich in Zucker und Alizarin ſpaltet. Daneben entſteht ein zweiter Farbſtoff, das Purpurin, das zum Alizarin in naher Beziehung ſteht und chemiſch als Oxydationsprodukt desſelben aufzufaſſen iſt. Die eingeernteten Wurzeln werden getrocknet, wobei ſie etwa ¾ ihres Gewichts verlieren, und dann gemahlen und in eichene Fäſſer verpackt werden. In letzteren hält ſich der Krapp am beſten; beim Lagern erleidet er eine Art Nachreife, (er wächſt ), die darin beruht, daß ſich die Ruberythrinſäure allmäh - lich zerſetzt und dadurch das Alizarin freimacht. Die Hauptlieferanten des Krapps waren früher Deutſchland, Frankreich, Holland, Ungarn und die Levante (Kleinaſien). In Frankreich wurde der Krappbau von Staatswegen ſo begünſtigt, daß man beim franzöſiſchen Militär rote Hoſen einführte, um der Krappinduſtrie ein großes und ſicheres Abſatz - gebiet zu verſchaffen. Seitdem freilich die künſtliche Fabrikation des Alizarins aus dem Kohlenteer aufgekommen iſt, iſt der Krappbau mehr und mehr zurückgegangen, und wird heute nur mehr in kleinem Maß - ſtabe betrieben, da ſeine Kultur nicht mehr lohnt. Die Farbſtoffe des Krapps, das Alizarin und Purpurin, ſind Beizenfarbſtoffe (ſ. Abſchnitt c). Als Beizen kommen hauptſächlich Thonerde (das Oxyd des ſo modernen26*404Die Farben und das Färben.Aluminiums), Eiſenoxyd und Chromoxyd in Betracht. Purpurin giebt mit allen dreien ein mehr oder weniger braunes Purpurrot, Alizarin dagegen giebt mit Thonerde ein leuchtendes Rot (Türkiſchrot), mit Eiſenoxyd Violett und mit Chromoxyd ein ſchönes Rotbraun. Bevor man die künſtliche Darſtellung der beiden Farbſtoffe kannte, war ihre Abſonderung und Trennung aus dem Krapp mit großen Schwierigkeiten verbunden, aber notwendig, wenn man reine Töne erzielen wollte. Jetzt natürlich miſcht man einfach die beiden künſtlich dargeſtellten Beſtand - teile in dem gewünſchten Mengenverhältniſſe.

Neben Indigo, Cochenille und Krapp ſpielten früher die Farb - hölzer eine bedeutende Rolle, die ihnen größtenteils von den Teer - farben abgenommen worden iſt. Am meiſten davon wird heute noch das Blauholz (zum Schwarzfärben) benutzt. Das Blauholz oder Campecheholz ſtammt von einem in Centralamerika und auf den An - tillen heimiſchen Baume, Haematoxylon (Blutholz), ab. Das Rotholz (Fernambuk - oder Braſilienholz) wird von Caeſalpinia-Arten, beſonders in Braſilien gewonnen, während das Gelbholz (Cubaholz) von Morus tinctoria herrührt. Gleich der Indigopflanze und dem Krapp enthalten auch dieſe Hölzer nicht den fertigen Farbſtoff, ſondern Verbindungen desſelben mit Zucker und anderen Körpern, aus denen erſt durch den Einfluß von Waſſer und Luft die eigentlichen Farbſtoffe frei gemacht werden. Die Löſung des Blauholzes für ſich liefert auf dem Zeug nur eine trübe, unbrauchbare Farbe; behandelt man aber das gefärbte Zeug nachträglich mit Eiſen - oder Chromverbindungen, ſo erhält man ein recht gutes und billiges Schwarz, dem nur neuerdings vom Anilin - ſchwarz Konkurrenz gemacht wird. An dieſe Hölzer ſchließt ſich noch das Quercitron an, die gepulverte Rinde verſchiedener nordamerikaniſcher Eichen. Von einigem Intereſſe als früher vielfach verwandte Farbe iſt auch noch die Orſeille (getrocknet Perſio genannt), die Seide ſchön rot färbt. Man gewinnt ſie aus verſchiedenen Flechtenarten (Roccella, Lecanora), die an den Küſten des mittelländiſchen Meeres und in den Tropen geſammelt werden. Man behandelt dieſe Flechten mit alka - liſchen Flüſſigkeiten (Ammoniak und Kalk) und unterwirft ſie einer Gährung, bei der ſich der Farbſtoff entwickelt. Auf die gleiche Weiſe gewinnt man den bekannten Lakmus, der durch Säuren rot, durch Alkalien aber blau gefärbt wird.

3. Die Teerfarbſtoffe.

Die gewaltigſte Umwälzung in der Induſtrie der Farben und in der Färberei wurde hervorgerufen durch die Entdeckung und techniſche Verwertung der aus den Produkten des Steinkohlenteers ſich ableitenden organiſchen Farbſtoffe. Die Erſchließung dieſer ſozuſagen unerſchöpf - lichen Quelle lehrte nicht nur ganz neue Farbentöne kennen, von einem Glanz und einer Reinheit, wie ſie bis dahin völlig unbekannt, ja un -405Die Teerfarbſtoffe.geahnt geweſen waren, ſondern erweiterte auch den Anwendungskreis der Farben in ganz außerordentlicher Weiſe. Nur langſam freilich begann die Erforſchung der im ſchwarzen, ſchmutzigen Teere ſchlummern - den Farbenpracht. Die beiden älteſten hierher gehörenden Farbſtoffe leiten ſich vom Phenol, im Volksmunde auch Kreoſot oder Karbolſäure genannt, ab. Der eine davon, der älteſte künſtlich hergeſtellte orga - niſche Farbſtoff überhaupt, iſt die Pikrinſäure. Sie wurde ſchon im vorigen Jahrhundert dargeſtellt, indem man Harze mit Salpeterſäure behandelte. Die Pikrinſäure entſteht nämlich faſt überall, wo Salpeter - ſäure mit organiſchen Subſtanzen in Berührung kommt. Die gelben Flecke, welche auftreten, wenn Salpeterſäure auf die Haut, auf Wolle, auf Seide u. dgl. gelangt, verdanken ihre Färbung der Pikrinſäure. Dieſer Körper hat nebenbei einen äußerſt bitteren Geſchmack und iſt wohl gelegentlich von gewiſſenloſen Brauern als Erſatz des Hopfens gebraucht worden. Abgeſehen von ihrer Giftigkeit hat die Pikrin - ſäure auch noch die unter Umſtänden wenig angenehme Eigenſchaft, exploſiv zu ſein, beſonders in Form ihrer Verbindungen mit Metallen. Andrerſeits hat aber dieſe Eigenſchaft wieder zu einer ausgedehnten Verwendung der Säure in der Sprengſtoffinduſtrie geführt. Als Farb - ſtoff wird ſie heutzutage kaum mehr angewandt, da ſie längſt durch beſſere, vor allen Dingen dauerhaftere Farben erſetzt iſt, als der Veteran unter den Teerfarbſtoffen verdient ſie aber wenigſtens, daß man ihr eine freundliche Erinnerung bewahrt. Ihr eigentlicher Ent - decker iſt Hausmann (1788), aber erſt 1842 wurde von Laurent ihre Zugehörigkeit zu den Teerabkömmlingen erkannt.

Nächſt der Pikrinſäure iſt als älteſter Teerfarbſtoff die Roſolſäure zu nennen. Schon der Name deutet darauf hin, daß wir es hier mit einem roten Farbſtoff zu thun haben. Sie wurde im Jahre 1836 von Runge entdeckt, hat aber niemals eine große Rolle für die Färberei geſpielt. Wieder liegt eine längere Pauſe 20 Jahre zwiſchen der Entdeckung der Roſolſäure und dem zunächſt bekannt gewordenen Teerfarbſtoffe. Bildete bei den erſten beiden Vertretern der Gruppe die Karbolſäure das Ausgangsmaterial, ſo kam nunmehr die Reihe an das Anilin. Der engliſche Forſcher Perkin sen. war es, der im Jahre 1856 bei der Einwirkung oxydierender, d. h. Sauerſtoff ab - gebender Agentien auf das Anilin einen violetten Farbſtoff, das Mau - veïn, entdeckte. Das Mauveïn iſt auch der erſte Teerfarbſtoff, der vom Kohlenteer ausgehend, fabrikmäßig dargeſtellt wurde, denn die Pikrin - ſäure erhielt man, wie ſchon erwähnt, früher aus Harzen. Freilich war dem Mauveïn nur eine beſchränkte Verwendung beſchieden. Sein hoher Preis es iſt noch heute einer der teuerſten Farbſtoffe ſtand einer ausgedehnten Verwendung im Wege, umſomehr, als es bald ge - lang, ſchönere und billigere Violette auf anderen Wegen zu erzeugen. Immerhin findet das Mauveïn noch heute Anwendung zum Weißen der Seide, deren gelblichen Naturton es vollkommen aufhebt, ſowie zum406Die Farben und das Färben.Druck von Briefmarken. So ſind z. B. die bekannten engliſchen violetten Pennymarken mit Mauveïn gedruckt.

Zwei Jahre ſpäter wie das Mauveïn wurde von A. W. Hof - mann ein zweiter Anilin-Farbſtoff, das Fuchſin, dargeſtellt, bis zum heutigen Tage eine der wichtigſten Anilinfarben für die Färberei. Es dauerte allerdings noch ein Jahr, bis es gelang, das Fuchſin techniſch im Großen darzuſtellen. Das Fuchſin entſteht näm - lich nicht aus dem Anilin allein, ſondern nur in Gegenwart eines dem Anilin ſehr ähnlichen Körpers, des Toluidins. Erhitzt man ein Ge - miſch dieſer beiden Körper z. B. mit Arſenſäure, ſo erhält man Fuchſin. Das Fuchſin, deſſen Name ſich von der Blume Fuchſia ableitet, färbt prachtvoll karminrot; es wird in Form von Kryſtallen gewonnen, welche auf der Oberfläche einen intenſiv grünen Metallglanz zeigen, ſo daß man alles andere eher dahinter vermutet, als einen roten Farbſtoff. Die Eigentümlichkeit, in feſtem Zuſtande eine von der eigentlichen Farbe vollkommen verſchiedene Oberflächenfarbe zu beſitzen, teilen übri - gens ſehr viele andere Teerfarbſtoffe mit dem Fuchſin. Man glaubte anfangs gewiſſe Beziehungen zwiſchen dem Tone des Farbſtoffs und ſeiner Oberflächenfarbe zu finden, indem man annahm, die Ober - flächenfarbe ſei zur Nüance des Farbſtoffs ſelbſt komplementär*)Unter komplementären Farben verſteht man ſolche, deren Miſchung weiß giebt.; mit den fortſchreitenden Entdeckungen neuer Farben ſtellte ſich aber dieſe Annahme bald als irrig heraus. So hat z. B. das Malachitgrün, ein dem Fuchſin nahe verwandter Körper, eine dieſem faſt ganz gleiche Oberflächenfarbe, ſo daß man äußerlich beide Farbſtoffe ver - wechſeln könnte, während der eine karminrot, der andere blaugrün färbt. Wie erwähnt, wurde das Fuchſin urſprünglich mit Hülfe von Arſen - ſäure dargeſtellt. Dieſe Fabrikationsmethode hatte aber den großen Übelſtand, daß dabei aus der Arſenſäure die arſenige Säure entſtand, welche letztere nichts anderes iſt, als weißer Arſenik, alſo eins der hef - tigſten Gifte. Da es nicht möglich war, den Arſenik wieder vollkommen aus der Farbe zu entfernen, da andererſeits die arſenikhaltigen Rück - ſtände der Fabrikation große Schwierigkeiten und Beläſtigungen im Gefolge hatten, ſo ſann man natürlich darauf, die Arſenſäure durch ein anderes, minder gefährliches Material zu erſetzen. Dies gelang Coupier, indem er ſtatt der Arſenſäure Nitrobenzol anwandte. Zum beſſeren Verſtändnis dieſer chemiſchen Verbindungen, wollen wir zu - nächſt den Urſprung derſelben betrachten. Wird der Teer, wie man ihn bei der Leuchtgasbereitung als Nebenprodukt erhält, der Deſtilla - tion unterworfen, ſo geht zuerſt das ſogenannte Leichtöl über. Dies iſt eine waſſerhelle, ſtark lichtbrechende, auf Waſſer ſchwimmende und außerordentlich leicht entzündliche Flüſſigkeit. Sie iſt aber kein einheitlicher Körper, ſondern ein Gemiſch verſchiedener, einander ſehr ähnlicher Ver - bindungen. Wird dieſes Gemiſch nochmals deſtilliert, unter Anwendung407Die Teerfarbſtoffe.von Apparaten, wie ſie bei der Spiritusreinigung in Gebrauch ſind (Kolonnenapparate), ſo läßt es ſich in mehrere Beſtandteile zerlegen, welche unter ſich hauptſächlich durch den Siedepunkt verſchieden ſind. Der erſte Körper der Reihe, das Benzol, ſiedet ſchon bei 80°C., alſo 20° niedriger als Waſſer, der zweite, das Toluol, bei 111°, alſo ſchon 11° höher als Waſſer, dann folgen bei 140° das Xylol, und weiterhin noch mehrere andere ähnliche Verbindungen. Das Benzol und das Toluol ſind es, die für die Darſtellung des Fuchſins von Wichtigkeit ſind; die höher ſiedenden Anteile dienen teilweiſe ebenfalls zur Gewinnung von Farbſtoffen, außerdem aber als Löſungsmittel für Fette u. ſ. w. (Brönnerſches Fleckwaſſer). Bringt man das Benzol oder Toluol unter geeigneten Bedingungen mit Salpeterſäure zuſammen, ſo entſtehen zwei neue Körper von ganz verſchiedenen Eigenſchaften, das Nitrobenzol und das Nitrotoluol. Es ſind gelbliche Öle, welche um 125° höher ſieden, als das Benzol oder Toluol, aus dem ſie erhalten wurden; insbeſondere das Nitrobenzol hat einen ſtarken, bittermandel - artigen Geruch, und findet deshalb unter dem Namen Mirbanöl in der Seifenfabrikation ausgedehnte Verwendung zum Parfümieren der gewöhnlichen Seifen. Unterwirft man die beiden Nitrokörper der Ein - wirkung von Eiſen und Salzſäure, ſo entſtehen aus ihnen die beiden Verbindungen, welche wir als zur Fuchſingewinnung notwendig kennen gelernt haben, das Anilin und Toluidin. Wir ſehen alſo, wie Nitrobenzol und Anilin mit einander in engſtem Zuſammenhange ſtehen. Kehren wir zum Fuchſin zurück. Die Fabrikation aus Anilin (Toluidin) und Nitrobenzol iſt heute die faſt ausſchließlich gebräuch - liche und ſie liefert jährlich ganz bedeutende Mengen dieſes wichtigen Farbſtoffes.

Das Fuchſin dient nicht nur als ſolches zum Färben, ſondern es wird auch noch auf blaue Farben weiter verarbeitet. Zu dieſem Zwecke erhitzt man es mit Anilin auf höhere Temperatur (180° C.). Je nach der Intenſität der Einwirkung erhält man rötere oder grünere Blaus. Die Entdecker dieſes Prozeſſes waren Girard und de Laire 1860. Die ſo erhaltenen Farben ſind aber nicht in Waſſer, ſondern nur in Spiritus löslich, und konnten daher nur zur Seiden - färberei verwendet werden. 1862 entdeckte aber Nicholſon, daß ſich das Anilinblau waſſerlöslich machen ließ, wenn man es mit ſtarker Schwefelſäure erhitzte; erſt ſeit dieſer Zeit erhielt der ſchöne Farbſtoff ſeine eigentliche Bedeutung, da er nunmehr in der Woll - und Baum - wollfärberei ausgedehnte Anwendung finden konnte und auch bis heute findet.

Im Jahre 1862 fand A. W. Hofmann, daß man vom Fuchſin aus auch zu violetten und grünen Farbſtoffen gelangen könne. Das Hülfsmittel hier - zu war das Jodaethyl, ein Körper, der bei der gemeinſamen Einwirkung von Jod und Phosphor auf unſeren gewöhnlichen Spiritus erhalten wird. Bei der Einwirkung des Jodaethyls auf Fuchſin in der Wärme ent -408Die Farben und das Färben.ſteht zuerſt ein prachtvoller violetter Farbſtoff, nach ſeinem Entdecker Hofmanns Violett genannt. Wendet man aber einen Überſchuß von Jodaethyl an, ſo geht das Violett in ein Grün (Jodgrün genannt) über. Dieſes Grün hat die Eigenſchaft, ſich bei höherer Temperatur wieder in Jodaethyl und Violett zu zerlegen, eine Eigentümlichkeit, die es auch nach dem Färben beibehält. Taucht man daher ein mit Jodgrün gefärbtes Gewebe in kochendes Waſſer, ſo wird es violett. Wegen dieſer unangenehmen Eigenſchaft, blieb die Verwendung des Jodgrüns natürlich eine beſchränkte. Schon vor Hofmann, hatte Lauth entdeckt, daß man auch auf anderen Wege aus Anilin violette Farben erhalten könne. Indeſſen blieb ſeine Entdeckung zunächſt ohne Bedeutung, da es erſt ſehr viel ſpäter gelang, das Lauthſche Ver - fahren techniſch zu verwerten. Jetzt freilich werden die Anilinvioletts ausſchließlich nach dem Lauthſchen Prinzipe hergeſtellt, während das Hofmannſche Verfahren längſt verlaſſen iſt.

Faſt gleichzeitig mit den Hofmannſchen Entdeckungen fand ein Färber Cherpin einen Weg zur Darſtellung eines grünen Farbſtoffes aus Fuchſin. Während aber Hofmann zu ſeinen Entdeckungen auf Grund wiſſenſchaftlicher Verſuche kam, beruht Cherpins Fund auf reinem Zufall. Cherpin hatte als Färber große Mühe, das Fuchſin auf Baumwolle dauerhaft zu fixieren. In ſeiner Not ſprach er mit einem Freunde, einem Photographen, über die Sache, der ihm riet, es einmal mit Fixierſalz (Antichlor, Natriumthioſulfat) zu verſuchen. Geſagt, gethan. Cherpin nahm auch etwas Spritvorlauf dazu, der viel Aldehyd enthält, und ſiehe da, das Fuchſin wurde fixiert , aber es war dabei grün geworden. Indeſſen hat auch dieſes Aldehyd - grün kein langes Daſein gehabt, da es zu teuer kam. Erſt 15 Jahre ſpäter gelang es, ſchöne dauerhafte Anilingrüne zu erzeugen.

Wie wir geſehen haben war es in den Jahren 1856 1862 be - reits gelungen, vom Anilin ausgehend, rote, blaue, violette und grüne Farben zu erhalten. Auch ein Gelb wurde 1859 von Grieß ent - deckt, doch war dasſelbe nicht zum Färben zu gebrauchen. 1863 ge - ſellte ſich zu dieſen Farben das Anilinſchwarz, welches von Lightfood entdeckt wurde, und bald darauf ein Anilinbraun (Veſuvin, ſpäter und noch jetzt Bismarckbraun genannt), eine Entdeckung Grieß und Caros. Fügen wir noch das 1868 von Perkin sen. entdeckte, ſchön ſcharlach - rote Safranin hinzu, ſo können wir damit die erſte Periode der Teer - farben abſchließen. Dieſe Periode iſt die eigentliche der Anilin farben, denn alle dieſe Farbſtoffe wurden aus dem Anilin durch Einwirkung der verſchiedenſten Reagentien erhalten. Alle Entdeckungen waren mehr oder weniger zufällige, durch Herumprobieren gemachte, alle ſtammen aus England und Frankreich, wenn auch zum Teil von deutſchen Chemikern.

Mit der Periode von 1869 ab trat aber ein völliger Umſchwung der Dinge ein. Das klaſſiſche Land der Teerfarben wurde jetzt Deutſch -409Die Teerfarbſtoffe.land: deutſcher Fleiß und deutſche Gründlichkeit bauten das Gebäude auf, welches ſowohl in wiſſenſchaftlicher, als in techniſcher Hinſicht ein Muſterbau genannt werden kann. Zum Unterſchied gegen die mehr oder weniger planloſen Verſuche der erſten Periode beginnt in der zweiten die planmäßige Forſchung, welche von bekannten Grundlagen ausgehend, allmählich auf neuen, aber ſorgfältig erkundeten Wegen dem geſteckten Ziele zuſtrebt, und ſo eine ſichere Grundlage ſchaffte, welche bei weiteren Arbeiten ſtets willkommene Stützpunkte bot. In dieſe Periode fallen auch die erſten künſtlichen Darſtellungen von in der Natur fertig vorkommenden, wichtigen Farben. Gleich die erſte Entdeckung der zweiten Periode gehört hierzu. Nach vielen Mühen gelang es 1869 Graebe und Liebermann, den wichtigen Farbſtoff der Krappwurzel, das Alizarin, künſtlich aus einem Produkte des Stein - kohlenteers, dem Anthracen, darzuſtellen. Von welch enormer Be - deutung dieſe Entdeckung geworden iſt, geht am beſten daraus hervor, daß der Krappbau, der früher beſonders in Frankreich große Länder - ſtrecken in Anſpruch nahm und eine bedeutende Einnahmequelle dar - ſtellte, jetzt zurückgegangen iſt und überhaupt kaum noch lohnt. Man bemüht ſich zwar in Frankreich, ihn aufrecht zu erhalten, um nicht das deutſche Alizarin kaufen zu müſſen, allein was früher ein Quelle des Wohlſtandes war, iſt jetzt nur noch ein mit Mühe gefriſteter Er - werbszweig. Dieſer Fall iſt zugleich das glänzendſte Beiſpiel der Verdrängung eines Naturprodukts durch ein damit identiſches Kunſt - produkt.

Nächſt dem Krapp hatte man beſonders die künſtliche Darſtellung des Indigos ins Auge gefaßt. Aber obwohl es 1879 Baeyer nach jahrelangen Verſuchen gelang, den Indigofarbſtoff künſtlich aufzubauen, und obwohl ſeitdem noch mehrere Verfahren zur Darſtellung des Indigos entdeckt worden ſind, ſo ſind doch alle dieſe Wege noch zu teuer, um einen konkurrenzfähigen künſtlichen Indigo zu beſchaffen. Wie die Verhältniſſe liegen, dürfte auch noch geraume Zeit vergehen, bis dem natürlichen Indigo das Schickſal des Krapps zu teil wird. Dagegen iſt ein anderer, früher ſehr geſchätzter Farbſtoff ebenfalls völlig verdrängt worden, nämlich die Cochenille. Zwar hat man nicht den Farbſtoff der Cochenille ſelbſt künſtlich dargeſtellt, wohl aber andere Farben, welche an Schönheit und Echtheit dem Cochenillerot gleichkommen oder es übertreffen, dabei aber erheblich billiger ſind.

Während ſo einerſeits der Erfindungsgeiſt und die Induſtrie darauf ausgingen, einen künſtlichen Erſatz für Naturprodukte zu finden, waren beide auch in der Richtung der früheren Periode thätig, indem ſie immer neue Ausgangsmaterialien in die Bearbeitung zogen und den Kreis der Teerfarbſtoffe nach allen Richtungen hin er - weiterten. Man beſchränkte ſich nicht mehr auf das Anilin, man kann vielmehr ſagen, daß jeder neue Körper, den man den Deſtillations - produkten des Teers abgewann, auf ſeine Fähigkeit, Farbſtoffe zu410Die Farben und das Färben.liefern, unterſucht wurde. Wiſſenſchaft und Technik arbeiteten ſich in einer Weiſe in die Hände, wie es außer bei der Teerfarbeninduſtrie höchſtens noch in der Induſtrie der optiſchen Gläſer vorgekommen iſt. Die erſte glänzende Entdeckung bildeten die Eoſinfarbſtoffe, deren Aus - gangsprodukt, das Fluoresceïn 1871 von Baeyer, deren erſter Re - präſentant, das Eoſin ſelbſt, 1874 von E. Fiſcher entdeckt wurde. Dieſe Farbſtoffe zeichnen ſich durch eine Eigentümlichkeit aus, die in gleich hohem Maße keine andere Farbengruppe beſitzt, nämlich durch die Fluorescenz. Dieſe beſteht darin, daß die Löſung des Farbſtoffs im auffallenden Lichte eine andere Farbe zeigt, als im durchſcheinenden. Eine Löſung von Eoſin z. B. iſt beim Hindurchſehen roſa bis rot; von außen betrachtet, alſo im auffallenden Lichte, erſcheint ſie grün. Ein ſehr hübſcher Effekt entſteht, wenn man etwas Eoſin (oder Fluoresceïn) auf die Oberfläche eines mit Waſſer gefüllten Glaſes ſtreut; von jedem Körnchen rinnt eine grüne Schlange zu Boden, welche beſonders im Sonnenſcheine metalliſch funkelt. Allmählich ſieht das Waſſer wolkig getrübt aus, beim Hindurchſehen erkennt man aber, daß es trotzdem vollkommen klar iſt. Die Fähigkeit des Eoſins, und noch mehr des Fluoresceïns, dem Waſſer die grüne Fluorescenz zu erteilen, iſt ſo groß, daß man den grünen Schimmer noch bei faſt millionenfacher Verdünnung wahrnimmt. Man hat daher davon Gebrauch gemacht, um den Lauf unterirdiſch ver - ſchwindender Flüſſe zu verfolgen, indem man oberhalb der zu unterſuchenden Stelle eine größere Menge Fluoresceïn im Waſſer verſenkte, um dann zu beobachten, wo das fluorescierend ge - machte Waſſer wieder zu Tage trat. Am bekannteſten iſt der erſte Verſuch dieſer Art 1877, bei welchem es ſich um die Feſtſtellung des Zuſammenhangs zwiſchen dem Bodenſee und der Donau handelte. Man verſenkte zwiſchen Möhringen und Immendingen 10 kg Fluores - ceïn in die Donau. Nach Verlauf von 60 Stunden zeigte das Waſſer der Ach, eines Zufluſſes des Bodenſees, deutlich die grüne Fluorescenz.

Die Fluorescenz der Löſungen bewahren die Eoſinfarbſtoffe auch beim Färben auf der Faſer, beſonders auf Seide. Man kann auf dieſe Weiſe ganz wunderbare Effekte erzielen, da die Seide je nach der Beleuchtung roſa, grün und goldig ſchimmert. In Verbindung mit Metallen, namentlich Blei und Zinn, liefern die Eoſine prachtvolle roſa Lacke, die für den Druck, für Tapeten u. dgl. ausgedehnte An - wendung finden. Auch in der Papierfärberei ſpielen die Eoſine eine große Rolle. Die dünnen roſa Bindfaden, welche zu eleganten Ver - packungen ſo gern verwendet werden, ſind ebenfalls mit Eoſin gefärbt.

Der Entdeckung der Eoſingruppe folgte die einer Farbſtoffklaſſe, welche infolge ihrer Vielſeitigkeit jetzt den Hauptplatz in der Induſtrie der Teerfarben einnimmt, der Azofarbſtoffe. Obwohl ſich bei den Reaktionen, nach welchen man dieſelben erhält, Verbindungen ver - ſchiedenſter Abſtammung einführen laſſen, ſo ſind es doch vorwiegend411Die Teerfarbſtoffe.Abkömmlinge eines bis dahin faſt garnicht verwendeten Anteils der Teer - deſtillation, welche den Hauptſtamm der wertvollen Azofarbſtoffe liefern. Das Naphthalin war bis zur Entdeckung der Azofarbſtoffe der läſtigſte Beſtandteil des Teerdeſtillats, um ſo mehr, als es der Menge nach darin am ſtärkſten vertreten iſt. Selbſt als Mottenſchutzmittel war es damals noch nicht gebräuchlich. Sobald aber das Naphthalin einmal in die Farbſtoffinduſtrie eingeführt war, wuchs ſein Verbrauch von Tag zu Tag. Verſchwände es heute plötzlich von der Bildfläche, ſo könnten dreiviertel aller Teerfarbenfabriken geſchloſſen werden. Die erſten Azo - farbſtoffe waren zwar ſchon lange vor 1875 entdeckt worden, es waren das früher erwähnte Anilingelb und das Bismarckbraun. Aber einer - ſeits wußte man nicht, daß es Azofarbſtoffe waren, dann aber waren ſie auch auf ganz anderen Wegen erhalten worden, als auf dem für die eigentlichen Azofarbſtoffe typiſchen. Der erſte als ſolcher darge - ſtellte Azofarbſtoff war das Chryſoïdin, welches 1875 gleichzeitig von Witt und von Caro entdeckt wurde; es färbt ebenſo, wie die zunächſt nach ihm dargeſtellten Glieder der Gruppe, orange. Der nächſte Schritt vorwärts wurde von Caro und Baum gethan, welche die erſten roten Azofarben (Echtrot, Ponceau und Bordeaux) entdeckten und in die Technik einführten.

Eine ganz neue Bedeutung erhielten die Azofarben ſeit der von Boettiger 1883 gemachten Erfindung des Kongorots. Dieſes bildet den erſten Körper einer beſonderen Gruppe unter den Azofarbſtoffen, welcher die Eigentümlichkeit zukommt, Baumwolle direkt ohne jeden Zuſatz, im Seifenbade zu färben. Alle billigen roten Baumwollſtoffe ſind heutzutage mit den Kongofarbſtoffen, wie man ſie wohl genannt hat, gefärbt. In neuerer Zeit iſt es auch gelungen, blaue, violette, ſchwarze, ja ſelbſt grüne Azofarbſtoffe darzuſtellen, ſo daß man die ganze Stufenfolge des Regenbogens mit ihnen färben kann, und noch immer iſt kein Ende in den Entdeckungen neuer Azofarben abzuſehen, wenn auch wirklich epochemachende Neuerungen kaum noch zu erwarten ſind. Gegenüber der Ausdehnung, welche die Fabrikation der Azofarb - ſtoffe angenommen hat, treten alle ſpäter entdeckten Farbſtoffklaſſen zurück. Indeſſen befinden ſich darunter immerhin einige, welche große techniſche Bedeutung beſitzen. In erſter Linie gehört dazu eine Gruppe von ſchwefelhaltigen Farbſtoffen, deren wichtigſter Repräſentant das Methylenblau iſt. Der erſte Körper aus der Reihe der Thionine, wie man die Gruppe genannt hat (vom griechiſchen ϑειον thion = Schwefel), wurde von Ch. Lauth dargeſtellt und führt nach ſeinem Entdecker den Namen Lauthſches Violett. Wegen ſeines hohen Preiſes hat es keine techniſche Anwendung gefunden. Dagegen gelang es Caro 1878 durch Übertragung der Lauthſchen Reaktion auf einen durch ihn, Caro, zugänglich gemachten Körper, das Amidodimethylanilin, einen pracht - vollen grünblauen Farbſtoff, das Methylenblau, zu gewinnen. Zwar verurſachte deſſen Herſtellung im Großen bedeutende Schwierigkeiten,412Die Farben und das Färben.beſonders wegen der notwendigen Anwendung des Schwefelwaſſerſtoff - gaſes, eines ſehr heftigen Giftes, dem verſchiedene Menſchenleben zum Opfer fielen; nach Überwindung der Hinderniſſe aber nahm die Fabrikation einen großen Aufſchwung, der ſich noch ſteigerte, als ſieben Jahre ſpäter ein neues Fabrikationsverfahren erfunden wurde, welches nicht nur die Verwendung des Schwefelwaſſerſtoffs umging, ſondern ſich auch be - deutend billiger ſtellte. Bis heute, alſo ſeit faſt 15 Jahren, hat, ein ſeltener Fall in der Teerfarbeninduſtrie, das Methylenblau ſeine Stellung in der Färberei und Zeugdruckerei behauptet, ohne durch einen neuen Farbſtoff verdrängt zu werden.

Ein Jahr früher als das Methylenblau wurden die grünen Anilinfarben entdeckt, und zwar gleichzeitig auf etwas verſchiedenen Wegen von O. Fiſcher und von Döbner. Bis zur Entdeckung des Malachitgrüns, wie der erſte Repräſentant der Gruppe genannt wurde, fehlte es in der Färberei vollſtändig an einheitlichen grünen Farben, denn das früher erwähnte Aldehydgrün kam nicht in Betracht, und die wohl auch zur Herſtellung grüner Zeuge verwendeten Mineralfarben färbten nicht die Stoffe, ſondern klebten nur darauf. Man war alſo genötigt, grüne Töne durch Miſchungen von Blau und Gelb zu erzeugen. Die neuen Anilingrüne lieferten zuerſt reine grüne Farben in den ver - ſchiedenen Schattierungen nach blau, wie nach gelb hin, und erleichterten dadurch die Grünfärberei bedeutend. Leider haben dieſe Farben neben ihrem Glanze den Fehler, ſchnell zu verbleichen. Sie kommen in dieſer Hinſicht gleich nach den Eoſinfarbſtoffen, welche die glänzendſten, aber auch die vergänglichſten Vertreter der Teerfarbſtoffe ſind.

Von den ſpäter entdeckten Teerfarbſtoffen mögen ihrer großen Wichtigkeit wegen nur noch die Alizarinfarbſtoffe erwähnt werden, die ſich an das ſchon beſprochene Alizarin und Purpurin in ihren chemiſchen und färberiſchen Eigenſchaften anſchließen. Die Reihe derſelben umfaßt gegenwärtig ſo ziemlich alle Farbentöne: Blau, Grün, Gelb, Orange, Braun, Schwarz. Ihrer Echtheit wegen gewinnen ſie eine täglich wachſende Bedeutung; ſie ſind zugleich die Hauptvertreter der Beizen - farbſtoffe, über die im nächſten Abſchnitt geſprochen werden wird.

c) Färben und Drucken.

Die Farben, wie wir ſie in den vorhergehenden Abſchnitten kennen gelernt haben, ſind in der Regel nicht ohne weiteres anwendbar, um Faſerſtoffe (Garne oder Gewebe) zu färben. Es bedarf dazu einer Vor - bereitung der Faſer, durch welche dieſelbe einerſeits von ſtörenden Ver - unreinigungen befreit, andererſeits mit Stoffen getränkt wird, welche die Vereinigung von Faſer und Farbe ermöglichen.

Ganz allgemein müſſen alle Faſern vor ihrer Verwendung ge - waſchen werden. An das Waſchen ſchließt ſich in den meiſten Fällen413Färben und Drucken.das Bleichen, erſt dann kommt das Färben oder Bedrucken, ſowie andere Verſchönerungsmittel (Appretieren). Das Verfahren, welches einzu - ſchlagen iſt, richtet ſich in jedem Falle nach der ſpäteren Verwendung der zu bearbeitenden Faſer, vor allem aber nach der Art der Faſer ſelbſt. Darnach müſſen wir zwei große Gruppen unterſcheiden: pflanzliche und tieriſche Faſer; bei letzteren ſind dann noch zwei Hauptgruppen auseinanderzuhalten, Wolle und Seide.

Unter den Pflanzenfaſern, die zum menſchlichen Gebrauche dienen, ſteht obenan die Baumwolle. Der rohen Baumwolle, auch der ver - ſponnenen und gewebten, haften außer dem von der Arbeit herrührenden Schmutz und Schweiß noch natürlicher (brauner) Farbſtoff, harzartige Körper und die Schlichte an, mit der die Baumwolle beim Spinnen und Weben getränkt wurde. Zur Entfernung dieſer Stoffe, welche ein gleichmäßiges Färben unmöglich machen, wird die Baumwolle zuerſt in Waſſer eingeweicht. Dabei löſt ſich beſonders die anhaftende Schlichte auf, außerdem aber wird die Baumwolle leichter durchdringbar für die folgenden Reinigungsmittel. Die Baumwolle wird gewöhnlich im fertig gewebten Stück gefärbt und bedruckt und kommt daher auch als Stück zur Reinigung. Man näht, da die Reinigung mittelſt Maſchinen vor ſich geht, welche den Stoff über Walzen führen, die einzelnen Stücke an einander und bildet ſo ein Band von beträchtlicher Länge (bis zu 30 km). Vor dem Waſchen wird das Gewebe häufig noch geſengt. Man läßt die Stücke ſchnell über rotglühende Platten laufen oder führt ſie an Gasflammen vorbei (letzteres beſonders bei feinen Geweben); dabei werden alle vorſtehenden Fäſerchen fortgeſengt und eine ganz glatte Fläche erhalten, was beſonders für den Druck von Wichtigkeit iſt. Nach dem Sengen kommt die ſchon erwähnte Behandlung mit Waſſer. An dieſe ſchließt ſich das Kalken an, indem die Stücke in großen Keſſeln mit Kalkwaſſer gekocht werden. Der Zweck des Kalkens iſt die Aufſchließung der im Gewebe enthaltenen Fett - und Harzſubſtanzen; dieſelben verbinden ſich nämlich mit dem Kalk zu Seifen, die ſich bei der weiteren Behandlung auflöſen und ſo entfernt werden. Nach dem Kalken werden die Stücke wiederum mit Waſſer gewaſchen und dann geſäuert. Die Säure (gewöhnlich Salzſäure), die natürlich ſehr ſtark verdünnt iſt, zerſetzt die durch den Kalk gebildeten Seifen, indem ſie daraus die Fettſäuren abſcheidet, die ſich zwar nicht in Waſſer löſen, aber nunmehr ſo fein zerteilt ſind, daß ſie ſich bei der folgenden Operation des Bäuchens leicht löſen. Unter Bäuchen verſteht man das Kochen der Stücke mit Laugen und Seifen. Als Lauge dient Natronlauge oder Soda. Gewöhnlich wird die Lauge dreimal erneuert, indem man zuerſt und zuletzt reine Lauge, dazwiſchen aber ein Gemiſch von Lauge und Seife anwendet. Durch das Bäuchen werden alle noch in der Baumwolle vor - handenen Fettſtoffe, ſowie der noch anhaftende natürliche Farbſtoff gelöſt und entfernt. Die Baumwolle iſt nunmehr rein, jedoch haftet414Die Farben und das Färben.ihr noch ein gelblicher Schein an, der durch die Bleiche beſeitigt werden muß. Natürlich iſt es nicht möglich, die gewaltigen Maſſen von Stoff, die heutzutage verarbeitet werden, nach altväteriſcher Sitte auf dem Raſen an der Sonne zu bleichen, man muß alſo zu ſchneller wirkenden und bequemeren Mitteln greifen. Ein ſolches beſitzen wir ſeit faſt hundert Jahren in dem Chlorkalk. Für die Zwecke der Bleiche ſtellt man eine ſehr dünne, klare Löſung deſſelben her, durch welche die Baumwollſtücke hindurchgezogen werden. Man läßt ſie dann einige Zeit an der Luft liegen, wodurch die in den Faſern aufgeſaugte Chlor - kalklöſung zur Entfaltung ihrer Wirkſamkeit gelangt. Um die bleichende Wirkung zu vervollſtändigen und um zugleich den etwa überſchüſſigen Chlorkalk zu zerſtören, läßt man auf das Chloren wieder eine Säuerung folgen und wäſcht dann die nun ſchön weißen Stücke gründlich mit Waſſer, um jede Spur noch vorhandener Säuren und ſonſtiger Ver - unreinigungen zu entfernen. Soll das Zeug ſpäter weiß (ungefärbt) bleiben, ſo ſetzt man dem letzten Waſchwaſſer etwas Blau, ſowie die zur Appretur nötige Stärke u. dgl. zu, bei Stücken, die gefärbt oder bedruckt werden ſollen, iſt ein ſolcher Zuſatz natürlich überflüſſig, worauf das Zeug getrocknet wird und nunmehr zur weiteren Verwendung fertig iſt.

Ähnlich wie Baumwolle werden auch die anderen Pflanzenfaſern behandelt, unter denen als wichtigſte noch das Leinen erwähnt ſei. Die Leinenbleiche iſt ungleich ſchwieriger als die Baumwollenbleiche, da die rohe Leinenfaſer ſehr feſt von einem braunen harzartigen Körper, der Pektinſäure, umhüllt wird, die nur durch ſehr langes und wieder - holtes Waſchen mit Kalk und Laugen löslich zu machen iſt. Beim Leinen muß man auch heute noch die Raſenbleiche anwenden, um ein gutes Zeug zu erhalten; wollte man allein mit Chlorkalk die Weiße erzielen, ſo müßte man ſoviel von demſelben nehmen, daß dabei die Leinenfaſer ſelbſt geſchädigt würde. Dem entſprechend dauert auch die Leinenbleiche 5 bis 10 mal ſo lange als die Baumwollbleiche.

Weſentlich verſchieden verläuft die Wäſche und Bleiche der tieriſchen Faſern. Der Unterſchied wird hauptſächlich dadurch bedingt, daß die tieriſche Faſer: Wolle, Seide, Haare, Federn, von Laugen angegriffen und von ſtarken Laugen ſogar aufgelöſt, außerdem aber durch Chloren zerſtört werden. (Vergl. S. 344.) Aus den Waſchflüſſigkeiten der Wolle, beſonders aus dem erſten Waſſer, das den Schweiß aufgenommen hat, ſtellt man ſeit 1886 das für Wunden aller Art und als allgemeines Haut - verſchönerungsmittel ſo vorzügliche Wollfett (Lanolin) dar. Neuerdings hat man andere Methoden zum Entfetten der Wolle verſucht, indem man die Wolle mit fettlöſenden Flüſſigkeiten [Schwefelkohlenſtoff*)Schwefelkohlenſtoff iſt eine ſehr flüchtige, ſtark lichtbrechende und ſehr ent - zündliche Flüſſigkeit, ſchwerer als Waſſer und von durchdringendem, betäubendem Geruch. Man gewinnt ſie, indem man Schwefeldampf über glühende Kohlen leitet, Benzin,415Färben und Drucken.Fuſelöl] in geſchloſſenen Apparaten behandelte. Beſonders T. J. Mullings hat ein ſolches Verfahren ausgearbeitet, indem er die Wolle erſt mit Schwefelkohlenſtoff behandelt und dann den letzteren durch Waſſer verdrängt. Die Schwierigkeit dieſes Verfahrens liegt darin, daß man es mit leicht entzündlichen, flüchtigen Flüſſigkeiten zu thun hat, indeſſen dürften die Hinderniſſe wohl überwunden werden. Soll die Wolle noch gebleicht werden, ſo wird ſie in Kammern den Dämpfen brennenden Schwefels ausgeſetzt, oder mit einer Auflöſung ſolcher Dämpfe in Waſſer (ſchwefliger Säure) behandelt. In letzter Zeit hat man auch mit gutem Erfolge Waſſerſtoffſuperoxyd das bekannte Mittel zum Blondfärben der Haare als Bleichmittel benutzt.

Ähnlich wie Wolle, wird die Seide behandelt. Da dieſelbe aber gegen alkaliſche Flüſſigkeiten (Laugen) noch viel empfindlicher iſt als Wolle, ſo darf das Reinigen nur mit beſter Olivenſeife (Marſeiller Seife) ge - ſchehen. Die rohe Seidenfaſer iſt von dem ſogenannten Seidenleim umhüllt, der vollkommen entfernt werden muß, damit die Seide Glanz und Griff erhält. Dieſe Operation nennt man das Entſchälen oder Degummieren der Seide. Die mit Seidenleim geſättigten Seifen - wäſſer (die Baſtſeife) werden vielfach beim ſpäteren Färben der Seide als Zuſatz benutzt. Dem Degummieren folgt eine zweite Wäſche mit Seife, das Weißkochen , wobei die letzten Reſte von Leim und natür - lichem Farbſtoff entfernt werden. Durch das Entleimen verliert die rohe Seide bis zu ihres urſprünglichen Gewichts, erhält aber dabei den Glanz und die Geſchmeidigkeit, die wir an der Seide ſo hoch ſchätzen. Da der große Gewichtsverluſt den Preis der Seide bedeutend verteuert, ſo hat man verſucht, der Seide die Eigenſchaft entleimter Seide zu geben, ohne ihr Gewicht ſo ſtark herabzumindern. Zu dieſem Zwecke wird die Seide erſt mit einem Gemiſch von Salz - ſäure und Salpeterſäure behandelt, dann geſchwefelt, und ſchließlich in einer ganz verdünnten Weinſteinlöſung gekocht. Derartige Seide bezeichnet man als Souple-Seide.

Durch die vorſtehend beſchriebenen Reinigungsverfahren ſind nun die verſchiedenen Faſern zum Färben vorbereitet. Das Färben ſelbſt war früher eine große Kunſt, da man zum Färben nicht fertige Farb - ſtoffe zur Verfügung hatte, ſondern mit Rohmaterialien arbeitete, die in ihren Eigenſchaften nicht immer gleichmäßig waren. Vor allem kannte man außer dem Purpur des Altertums keine Farbe, die ſich ohne weiteres von ſelbſt auf der Faſer dauerhaft niederſchlug. Das Färben der Faſern beſteht entweder in einer Verbindung der Faſern mit dem Farbſtoffe ſelbſt (direkte Farbſtoffe), oder es beruht darauf, daß auf der Faſer farbige Verbindungen (Lacke) niedergeſchlagen werden (Beizenfarbſtoffe).

Hat man es mit direkten Farbſtoffen zu thun, ſo iſt das Färben eine einfache Sache. Die Farbſtoffe werden in Waſſer (in ſeltenen Fällen bei der Seidenfärberei auch in Spiritus) gelöſt, und der Strang416Die Farben und das Färben.oder das Gewebe in die Löſung hineingebracht, und darin bewegt (um - gezogen). Meiſtens ſetzt man, um ein gleichmäßiges Aufgehen der Farbe zu erzielen, dem Färbebade Säuren (Schwefelſäure, Eſſigſäure) oder Salze (Kochſalz, Glauberſalz) hinzu. Es giebt nämlich Farbſtoffe, die von der Wolle oder Seide ſo begierig aufgenommen werden, daß ſie ſich ſofort an den Teilen niederſchlagen, die der Flüſſigkeit zunächſt ſind, während die im Innern des Garnes oder Gewebes liegenden Faſern nur wenig Farbſtoff abbekommen. Derartige Färbungen ſind natürlich unbrauchbar. Man mildert die Wirkung eben durch Zuſätze, welche die Anziehungskraft der Faſer vermindern, ſo daß der Farbſtoff nur langſam aufgenommen wird. Dieſes direkte Färben iſt faſt aus - ſchließlich durch die Teerfarbſtoffe möglich geworden, vor der Ein - führung derſelben war der Färber nur in wenigen Ausnahmefällen ſo glücklich, auf dieſem einfachſten Wege ſein Ziel zu erreichen. Die meiſten Farbſtoffe bedürfen zu ihrer Befeſtigung der Beizen. Wie ſchon er - wähnt, beruht die Wirkung der Beize darauf, daß ſie mit dem Farb - ſtoff eine unlösliche Verbindung bildet, und da die chemiſche Natur der Farbſtoffe ſehr verſchieden iſt, ſo weichen auch die Beizen in ihrem chemiſchen Charakter ſtark von einander ab. Für Wolle und Seide verwendet man hauptſächlich Farbſtoffe von ſaurem Charakter. Dieſes ſauer iſt natürlich nicht ſo zu verſtehen, als ob der Farbſtoff ſauer ſchmeckte, ſondern man verſteht darunter die Eigenſchaft, ſich mit Baſen zu verbinden. Als Baſen gelten vor allem die Metalloxyde, man kann daher ſagen, ein ſaurer Farbſtoff iſt ein ſolcher, der ſich mit Metalloxyden zu meiſt unlöslichen Verbindungen vereinigt. Die Beizen für ſaure Farbſtoffe beſtehen daher auch aus löslichen Verbindungen (Salzen) der verſchiedenen Metalle (Eiſen, Aluminium, Blei, Kupfer, Nickel, Zink u. ſ. w.) Beſonders die Wollfaſſer hat nun die Eigentüm - lichkeit, ſolche löslichen Metallſalze zu zerlegen, indem ſich das Metall - oxyd, die Baſe, auf der Faſer niederſchlägt, während die Säure im Waſſer gelöſt bleibt. Bringt man die mit der Baſe beladene Wolle in die Löſung eines ſauren Farbſtoffs, ſo tritt zwiſchen dem Farbſtoff und der Baſe eine Verbindung ein, und da dieſelbe in der Faſer in feinſter Verteilung vor ſich geht, ſo erſcheint nachher die Faſer gefärbt. Als Gegenſatz zu den ſauren Farbſtoffen giebt es nun aber auch baſiſche Farbſtoffe. Um dieſe auf die Faſer niederzuſchlagen (zu fixieren ), be - darf man natürlich einer ſauren Beize, und als ſolche dient allgemein die Gerbſäure. Letzteres Verfahren wird ausſchließlich für die Baum - wollfärberei verwendet, während das oben geſchilderte für tieriſche und pflanzliche Faſerſtoffe in Gebrauch iſt. Mit dem Färben unter Zu - hülfenahme einer Beize läßt ſich das öfters angewandte Erzeugen von Mineralfarben auf dem Zeuge ſelbſt vergleichen. Man beizt z. B. Baumwolle mit einem Eiſenſalze, und färbt ſie dann gewiſſermaßen in Blutlaugenſalz aus; dabei bildet ſich das an ſich unlösliche Berliner Blau auf der Faſer und haftet infolge deſſen ſo feſt wie ein Farbſtoff. 417Färben und Drucken.Ahnlich kann man Chromgelb und andere Farben auf dem Stoffe be - feſtigen, indem man ſie innerhalb des Gewebes entſtehen läßt.

Außer durch Färben ſtellt man farbige Gewebe nun auch auf einem andern Wege, der ſich mehr dem Bemalen an die Seite ſtellt, nämlich durch Bedrucken mit Farben, her. Das Bedrucken von Geweben findet mittels Platten oder Walzen in derſelben Weiſe ſtatt, wie der Buchdruck, nur wendet man natürlich andere Farbenmiſchungen an. Während für den Papierdruck Firnisfarben dienen, wird für den Zeug - druck die Farbmaſſe mit Eiweiß, Mehl, Stärke, Gummi und ähnlichen Klebemitteln angerieben. Bei der einfachſten Art des Zeugdrucks be - gnügt man ſich damit, die aufgedruckte Farbe einfach trocknen zu laſſen. In der Regel werden die bedruckten Gewebe dem Dämpfen unter - worfen, deſſen Hauptzweck es iſt, die aufgedruckte Farbmaſſe unlöslich und ſomit dauerhaft zu machen. Das Dämpfen beſteht darin, daß man das Zeug in geſchloſſenen Keſſeln aufhängt, durch die man dann geſpannten Dampf ſtreichen läßt. Man muß vor allen Dingen darauf achten, daß ſich auf dem bedruckten Stoffe kein Waſſer verdichtet, da ſonſt die Farbe auslaufen und ſchmieren würde, eben deshalb wendet man Dampf von höherer Temperatur als 100°C. an.

Das Buch der Erfindungen 27[418]

V. Ernährung.

1. Die künſtlichen Düngeſtoffe und die Chemie des Bodens in Bezug auf die Pflanzenernährung.

Wenn als unbeſtritten angenommen werden darf, daß es eine der vornehmſten Aufgaben eines jeden Landes iſt, ſeine Einwohner zu er - nähren, ſo iſt damit gleichzeitig die hohe Bedeutung der Landwirtſchaft gekennzeichnet. Früher, als der wenig ausgenützte Boden noch eine große Anſammlung der ſog. alten Kraft beſaß, war die Löſung dieſer Aufgabe einfacher, heute iſt ſie durch Jahrhunderte lang fort - geſetzte Entziehung einzelner Bodenbeſtandteile ohne, daß man gleichzeitig für genügenden Erſatz derſelben ſorgte ſo ſchwierig ge - worden, daß ſie nur durch eine ganz intenſive Kultur gelöſt werden kann. Dieſe ſetzt wiederum einen ſehr intelligenten Landwirt voraus, der ſowohl verſteht den neueſten Forſchungen der Wiſſenſchaft zu folgen, als auch dieſelben in der Praxis zu verwerten, bez. dieſe wiſſenſchaft - lichen Forſchungen durch praktiſche Feld - und Vegetationsverſuche zu unterſtützen.

In den erſten Jahrzehnten dieſes Jahrhunderts war es, wo die ſtetig abnehmenden Erträge des Bodens ſich endlich in ſo einſchneidender Weiſe bemerkbar machten, daß die Aufmerkſamkeit der Wiſſenſchaft darauf hingelenkt wurde, und kein geringerer, als der berühmte Chemiker Juſtus v. Liebig bahnbrechend vorging, um Abhilfe zu ſchaffen; heute ſehen wir ein gewaltiges Heer von bedeutenden Forſchern und in - telligenten Landwirten die damals betretene Bahn weiter verfolgen. Faſt ſo alt die Landwirtſchaft iſt, ſo lange wußte man, daß der Boden mehr Nährſtoffe für die Pflanze bedarf, als er an und für ſich hat, um bei dem kontinuierlichen Aufbrauch durch die Ernten gleichmäßig hohe Ernteerträge zu liefern; man begnügte ſich aber damit, dem Acker den produzierten Dung wiederzugeben, und glaubte nun neben mehr oder weniger genügender mechaniſcher Bearbeitung des Bodens ſeine Pflicht gethan zu haben. Das war ein folgenſchwerer Irrtum, der,419Entſtehung des Bodens.durch Jahrhunderte fortgeſetzt, ſich ſchließlich bitter rächte! Der Enkel glaubte vor einem unerklärlichen Wunder zu ſtehen und beſchwerte ſich in lauten Klagen, daß ſein Acker, den er doch genau ſo behandelte wie ſein Großvater und alle Vorfahren desſelben, ihm nicht mehr dieſelben reichen Ernteerträge wie einſt dieſen liefern wollte. Liebig erklärte dieſes ſcheinbare Wunder als eine ganz natürliche Folge der bisher betriebenen Wirtſchaft, bei der man dem Acker ſtets vieles entzogen, und nur weniges wiedergegeben hatte, denn um die Stoffe aller Produkte, die der Landwirt nicht ſelbſt verwandte, ſondern verkaufte, wie z. B. Futter, Korn, Handelsgewächſe, Fleiſch ꝛc. war der Boden ſtets ärmer geworden. Er rief warnend hinaus, daß ſich der Landwirt darüber klar werden müßte, daß er mit jedem Scheffel Roggen ein Stück ſeines Gutes ver - kaufe, nannte die bisher betriebene Wirtſchaft ſehr bezeichnend Raub - bau und riet dringend den Verluſt durch käufliche Düngemittel ſolche ſtehen zahlreich in verſchiedenen Formen zur Verfügung zu erſetzen. Damals wurden ſeine Anſichten nicht nur von den Land - wirten ſelbſt, ſondern ſogar von einem Teile der Lehrer an landwirt - ſchaftlichen Schulen bekämpft; heute iſt das anders und beweiſen höchſte Ernteerträge alſo großer Gewinn der intelligenten Landwirte ſelbſt auf minderwertigem Boden die Richtigkeit des Satzes: Wer die Natur erkennt, dem muß ſie dienen!

Auch in nicht genügender mechaniſcher Bearbeitung des Bodens Pflügen, Eggen ꝛc. kann viel geſündigt werden, denn dieſe ſoll den Boden locker machen und dadurch das Eindringen der atmoſphäriſchen Luft ermöglichen, welche durch ihren Gehalt an Kohlenſäure die Thätigkeit des Bodens und ſomit die ſo wichtige Humusbildung ver - anlaßt, bez. erhöht. Aber ſelbſt die beſte mechaniſche Bearbeitung des Bodens erſetzt die Zufuhr der chemiſchen Stoffe nicht, ſondern verlangt dieſelben im Gegenteil in höherem Maße, denn ſie erzeugt höhere Ernteerträge und entzieht ſomit dem Boden auch die hierzu nötigen größeren Mengen ſeiner Nährſtoffe, welche eben wiederum durch Zufuhr erſetzt werden müſſen.

a) Entſtehung des Bodens.

Wichtig iſt es nun, den Boden erſt einmal an und für ſich zu betrachten, ſowohl die Art, wie er entſteht, als auch ſeine Zuſammen - ſetzung, welche letztere ſelbſtverſtändlich von der Geſteinsart abhängen wird, aus welcher der Boden entſtanden iſt. Der geſamte, mehr oder weniger fruchtbare Ackerboden iſt aus nackten, unfruchtbaren Felſen ent - ſtanden und zwar haben hierbei ſowohl phyſikaliſche, als auch chemiſche Kräfte mitgewirkt, deren gemeinſame Arbeit wir Verwitterung nennen. Es iſt eine rein mechaniſche Kraft, welche den erſten Angriff mit Hilfe des Waſſers auf den Felſen ausübt, indem letzteres irgend einen kleinen Riß desſelben ausfüllt, beim Sinken der Temperatur zu Eis gefriert, da -27*420Die künſtlichen Düngeſtoffe und die Chemie des Bodens.bei bekanntlich ein größeres Volumen einnimmt und ſo den Riß erweitert. In langſamer, aber ſteter Arbeit vergrößert ſich dieſer Riß von Jahr zu Jahr und reißt nicht nur endlich ein häufig gewaltig großes Stück vom Felſen los, ſondern zerlegt dieſes auf dem eben beſchriebenen Wege wiederum in kleinere Teile, bis es endlich ganz gepulvert iſt. Während des ganzen Ganges dieſer Arbeit haben aber zwei wichtige chemiſche Kräfte mitgewirkt und zwar eine auflöſende und eine oxydierende, dadurch das Reſultat nicht nur beſchleunigt, ſondern ſpeziell zur Voll - kommenheit desſelben beigetragen, indem gerade ihnen die Feinheit des Bodens im weſentlichen zu verdanken iſt. Die im Waſſer enthaltene Kohlenſäure hat gewiſſe Beſtandteile der Geſteinsart aufgelöſt und der in der atmoſphäriſchen Luft enthaltene Sauerſtoff hat andere oxydiert, wodurch der Verwitterungsprozeß ſehr gefördert wurde. Dieſen drei vereinten Kräften kann ſelbſt der feſteſte Granitblock nicht widerſtehen und zerbröckelt ſchließlich zu einem feinen Pulver von Thon und Sand; die jahrtauſendlange Arbeit dieſer Kräfte haben uns die großen Flächen Ackerboden geliefert und arbeiten täglich fort und fort an ihrer Auf - gabe. Je nach der Geſteinsart des betreffenden Felſens entſtehen nun die verſchiedenen Bodenarten, ſo wird z. B. aus dem Sandſtein ein ſchwerer Sandboden, aus dem Keuper ein milder thoniger Boden, aus dem Granit oder Baſalt ein ſandiger Thonboden gebildet ꝛc. Bleibt dieſer Boden an ſeinem Entſtehungsorte liegen, ſo wird er Ver - witterungsboden genannt, während wir ihn angeſchwemmten Boden nennen, wenn er durch die Bewegung des Waſſers von ſeinem Ent - ſtehungsorte fortgeſpült und wo anders angeſchwemmt wurde. Letzterer iſt gewöhnlich fruchtbarer, weil er auf dem Wege zu ſeinem Ablagerungs - orte ſich mit anderen Bodenarten vermiſcht und ſo eine reichere Zuſammen - ſetzung in Bezug auf die den Pflanzen notwendigen Nährſtoffe erhält.

Aber nicht nur die anorganiſchen Beſtandteile des Bodens ſind wichtig für die Fruchtbarkeit desſelben, ſondern auch einige organiſche, welche wir Humus nennen, wenn man auch die ältere Anſicht, daß Humus eine unbedingte Notwendigkeit für die Fruchtbarkeit iſt, längſt und mit Recht aufgegeben hat, denn zahlreiche Verſuche und die kräftige Entwickelung von Bäumen und Sträuchern auf nackten Felſen haben längſt das Gegenteil bewieſen. Humus nennen wir die Geſamt - menge der organiſchen und ſomit verbrennlichen Subſtanz des Bodens, welche aus Kohlenſtoff, Waſſerſtoff, Sauerſtoff und Stickſtoff beſteht und als Zerſetzungsprodukt zahlreicher, verſchiedenartiger, abgeſtorbener Organismen im Boden entſtanden iſt. Humus iſt ſomit ein Produkt der Vegetation, und kann ſeine Bildung dieſe erhöht die Frucht - barkeit des Bodens weſentlich durch den Anbau gewiſſer Pflanzen leicht gefördert werden.

Die Fruchtbarkeit eines Bodens iſt bei noch zu betrachtenden phyſikaliſchen Eigenſchaften desſelben bedingt durch die in ihm ent - haltenen Nährſtoffe für Pflanzen und wird um ſo größer ſein, je mehr421Entſtehung des Bodens.dieſelben in genügender Menge und Löslichkeit, wie auch in einem richtigen Verhältnis zu einander vorhanden ſind. Sehr bald werden wir nämlich ſehen, daß die Pflanze nur im ſtande iſt lösliche Nähr - ſtoffe aufzunehmen, und ferner, daß für die Menge der Aufnahme derjenige entſcheidend iſt, der in geringſter Menge geboten wird. Nur dieſem entſprechend nimmt die Pflanze die Menge der anderen Nähr - ſtoffe auf, und ſelbſt wenn letztere in übermäßig großer Menge vor - handen ſind, bleiben ſie dennoch unberückſichtigt. Die Pflanze kränkelt und entwickelt ſich nur kümmerlich, wenn ihr auch nur einer der weſentlichen Nährſtoffe fehlt oder in nicht genügender Menge ge - geben wird.

Von den phyſikaliſchen Eigenſchaften des Bodens im weſent - lichen bedingt durch ſeinen Gehalt an Thon, Sand, Kalk und Humus kommen beſonders folgende in Betracht:

  • 1. Die Abſorptionsfähigkeit,
  • 2. die waſſerfaſſende Kraft,
  • 3. die Farbe des Bodens und endlich
  • 4. die Konſiſtenz des Bodens und des Untergrundes.

Die Abſorptionsfähigkeit des Bodens iſt abhängig von ſeinem Gehalt an lehmigen und humusartigen Subſtanzen und iſt eine außer - ordentlich wichtige Eigenſchaft desſelben. Filtriert man eine gelbe, übelriechende Jauche durch eine Schicht Ackererde von gewiſſer Dicke, ſo fließt dieſe Flüſſigkeit faſt rein und farblos ab, da die Ackererde ihr alles entzogen hat, was für die Ernährung der Pflanzen zu verwerten iſt. Hierdurch werden alle für die Pflanze geeigneten Nährſubſtanzen zuſammengehalten und es wird verhindert, daß ſie durch Regen ꝛc. ausgewaſchen werden, oder in die Tiefe verſickern, bevor die Pflanze Ge - legenheit hatte ſie aufzunehmen. Bei zu großer Trockenheit verhindert aber dieſelbe Eigenſchaft die Bildung von konzentrierten Nährſalzen, welche den jungen, zarten Teilen der Pflanze außerordentlich ſchädlich ſind, und ſehr bezeichnend hat Emil Wolff die Abſorptionsfähigkeit Polizei im Boden genannt. Aber auch Gaſe ſaugt der Boden wie alle feinpulveriſierten Subſtanzen auf, was ſehr wichtig für die Aufnahme von Kohlenſäure und Sauerſtoff aus der atmoſphäriſchen Luft iſt, weil die Kohlenſäure nicht nur ein direkter Nährſtoff für die Pflanzen iſt, ſondern beide auch die weitere Zerſetzung des Bodens in außerordentlich hohem Maße befördern.

Die waſſerfaſſende Kraft des Bodens beruht auf Kapillarwirkung und ermöglicht denſelben, Flüſſigkeiten aus dem Untergrunde, welche der Pflanzenwurzel unerreichbar ſind und ſomit verloren gehen würden, in die Höhe zu ſaugen. Es iſt dies eine ſehr wohlthätige Wirkung, be - ſonders wenn bei anhaltender Trockenheit die obere Schicht des Bodens, in welcher die Pflanze wurzelt, bereits trocken geworden iſt, während der Untergrund noch Feuchtigkeit enthält. Allerdings kann wenn auch in ſeltenen Fällen dieſe Eigenſchaft ſchädlich wirken, nämlich422Die künſtlichen Düngeſtoffe und die Chemie des Bodens.dort, wo den Pflanzen ſchädliche Flüſſigkeiten in den Untergrund ver - ſickert ſind, was zuweilen in der Umgebung mancher chemiſchen Fabriken, welche größere Mengen gewiſſer Löſungen fortlaufen laſſen müſſen, wohl vorkommen kann.

Die Farbe des Bodens kommt inſofern in Betracht, als ein dunkler Boden ſich viel leichter erwärmt, als ein heller und die aufgenommene Wärme auch viel länger behält. Ferner iſt die dunkle Farbe gewöhn - lich ein Zeichen eines größeren Gehaltes an Humus, welcher wie bereits vorher geſagt durch fortwährende Zerſetzung Kohlenſäure entwickelt, und dieſe iſt nicht nur an und für ſich ein wichtiger Nährſtoff, ſondern auch ein vorzügliches Löſungsmittel für andere Nährſtoffe.

Die Konſiſtenz des Bodens und des Untergrundes ſchließlich iſt ſowohl für die Ausbreitung der Wurzeln, als auch für die Regulierung des Waſſergehaltes wichtig. Iſt der Boden zu locker, ſo läßt er zu viel Waſſer durch, ein leichter Boden wird um ſo ſchneller trocken, ja ſchließlich ſogar dürr werden; iſt er dagegen zu feſt, ſo werden die Wurzeln bei ihrer Ausbreitung Widerſtände zu überwinden haben, denen ſie nicht immer gewachſen ſind und ein zu dichter Untergrund kann das Abfließen des Waſſers derartig hindern, daß ſchließlich eine Verſumpfung eintritt. Er iſt die weſentliche Veranlaſſung zur Bildung weiter Moorſtrecken, welche lange Zeit unfruchtbar lagen und erſt neuerdings beſonders nach der Methode von Rimpau-Cunrau kultiviert werden.

Die chemiſchen Mängel des Bodens können durch Zufuhr von künſtlichen Düngemitteln, die phyſikaliſchen durch Meliorations-Methoden verbeſſert werden. Die wichtigſten der letzteren wollen wir hier kurz erwähnen, um uns dann eingehender mit den erſteren, wie mit der Ernährung der Kulturpflanzen überhaupt zu beſchäftigen.

Eine der am häufigſten angewendeten Meliorations-Methoden iſt die Bodenmiſchung. Dieſe wird überall dort angewendet, wo dem Boden gewiſſe Beſtandteile ganz oder teilweiſe fehlen und iſt auf ſehr ver - ſchiedenen Wegen zu erzielen. Durch Tiefpflügen mit dem eigens hierzu konſtruierten Untergrundpflug miſcht man den Untergrund mit den oberen Schichten und erreicht das noch vollkommener durch ſog. Rajolen, d. h. die Erde in einen tiefen und breiten Graben auswerfen, denſelben mit Erde des benachbarten Teiles ſo füllen, daß der unterſte Teil derſelben obenauf zu liegen kommt, u. ſ. f., bis das ganze Feld auf dieſe Art umgeſtochen iſt. Häufig wird auch guter Boden von anderen Orten zum Miſchen herbeigeſchafft und ebenſo in gewiſſen Fällen Kalk oder Mergel. Der Kalk hat dann eine ſehr wichtige Rolle, denn er iſt ſowohl direkt Nährſtoff, als er auch auflöſend auf viele Minera - lien wirkt und ſchließlich die ſaure Beſchaffenheit des Bodens neutra - liſiert. Hierbei muß auch erwähnt werden, daß jede mechaniſche Be - arbeitung des Bodens, wie alle Arten des Pflügens, Eggens ꝛc. zu den Meliorations-Methoden zu zählen ſind, und nimmt man hierbei423Entſtehung des Bodens.häufig auch direkt Naturkräfte zu Hilfe, wie z. B. beim Pflügen im Spätherbſt, um den ſo aufgeworfenen Acker im Winter ausfrieren zu laſſen und dadurch die Bodenthätigkeit zu erhöhen.

Bei ſehr ſchwerem Lehmboden, welcher der Bearbeitung großen Widerſtand entgegenſetzt und daher eine große Kraftaufwendung bean - ſprucht, wird das Brennen, d. h. ein teilweiſes Ausglühen des Bodens angewendet, wodurch er weſentlich gelockert und ſeine Kieſelſäurever - bindungen zerſetzt werden.

Hervorragend wichtig unter den Meliorationsmethoden ſind die - jenigen, welche die Waſſerregulierung veranlaſſen ſollen. Waſſer iſt nicht nur ſelbſt, beſonders infolge ſeines Gehaltes an verſchiedenen Mineralien, welche es aufgelöſt hat, ein wertvoller Nährſtoff für die Pflanze, ſondern iſt gleichzeitig eine Hauptbedingung für die Aufnahme aller übrigen Nährſtoffe, da dieſe nur in flüſſigem Zuſtande aufgenommen werden können, wie wir ſpäter noch eingehender beobachten werden. Zu trockene Ländereien werden daher berieſelt, d. h. durch vorhandene oder herzuſtellende Waſſerläufe je nach Bedürfnis überſchwemmt. Aber auch zuviel Waſſer, beſonders im Untergrunde, iſt nicht wünſchenswert und führt ſehr bald zu Verſumpfungen bezw. Moorbildungen, welche nur durch eine künſtliche Ableitung des Waſſers für die Kultur zurück - gewonnen werden können. Es geſchieht dies durch Drainieren, d. h. Einlegen von Thonröhren, Reiſigbündeln ꝛc., welche dem Waſſer des Untergrundes einen bequemen Abfluß geſtatten und ſein Anſtauen ver - hindern. Früher befürchtete man, daß gleichzeitig mit dem durch den Acker geſickerten Drainwaſſer auch die wertvollen Nährſtoffe fortgewaſchen würden, welche im Dünger dem Boden zugeführt werden. Dieſe Anſicht konnte ſich aber nur ſo lange halten, als man die wichtige Eigenſchaft des Bodens ſeine Abſorptionsfähigkeit nicht genügend kannte. Neuere Forſchungen haben ergeben, daß ein Verluſt bei den meiſten Nährſtoffen durch das Drainwaſſer nicht eintritt, weil dasſelbe, bis es durch den Ackerboden filtrierend in den Untergrund gelangt iſt, alle Nährſtoffe, die es enthält, bereits unterwegs abgegeben hat. Es iſt allerdings nicht zu verkennen, daß das nicht für alle Nährſtoffe zutrifft, ſondern gewiſſe derſelben, und zwar recht wichtige, neigen dazu, bei zu langem Verweilen im Boden aber auch nur dann ſich mit fortwaſchen zu laſſen. Dieſe ſind aber genügend bekannt und der Verluſt wird vollſtändig und ſicher vermieden, wenn ſie nicht ſchon im Herbſt, ſondern erſt im Frühjahr kurz vor der Einſaat dem Boden zugeführt werden.

b) Beſtandteile und Nahrungsmittel der Pflanze.

Die rapide allgemeine Entwickelung unſerer Geſamtverhältniſſe iſt an der Landwirtſchaft nichts weniger als ſpurlos vorübergegangen, ſie hat dieſelbe im Gegenteil kräftig mit ſich fortgeriſſen und zwingt ſie zu424Die künſtlichen Düngeſtoffe und die Chemie des Bodens.einer rationellen und intenſiven Kultur, wenn ſie ihre Aufgabe löſen will, d. h. im allgemeinen das Land fähig machen, ſeine Einwohner zu ernähren und im ſpeziellen ein Gut für den Beſitzer rentabel zu machen. Die Frage, ob dies überhaupt möglich ſei, iſt mit ja zu beantworten, denn die Wiſſenſchaft hat in zahlreichen, mühſeligen und vorzüglichen Forſchungen den Weg hierzu ſicher und ſcharf gekennzeichnet; ſchlimmer ſieht es aber mit der Beantwortung der Frage aus, ob dieſe wiſſen - ſchaftlichen Errungenſchaften auch überall in die Praxis übertragen werden. Wenn auch heute nicht mehr verkannt werden darf, daß ein großer Teil intelligenter Landwirte dieſe Forſchungen zum allgemeinen, wie zu ihrem eigenen Vorteil verwertet und ihre Zahl ſtetig zunimmt, ſo iſt doch immer noch der überwiegend große Teil derſelben im alten Schlendrian begriffen, und große Strecken unſeres Vaterlandes, deren intenſivere Kultur eine Einfuhr vom Auslande ganz unnötig machen würde wie wir am Schluſſe dieſes Abſchnittes nachweiſen werden bringen heute noch nicht annähernd den Ertrag, den ſie produzieren könnten.

Die Landwirtſchaft hat die Aufgabe, aus anorganiſchen Subſtanzen organiſche zu machen, denn erſtere im Boden enthalten bilden Pflanzen und durch Verfütterung derſelben Fleiſch, deren Abfall und Verweſungs - produkte dem Boden zurückgegeben den Kreislauf von neuem beginnen, ohne daß etwas in der Natur verloren gehen kann. Aber die einem beſtimmten Orte entnommenen Stoffe werden nur zum Teil eben - demſelben wiedergegeben, denn alle Produkte, die der Landwirt ver - kauft, kommen nicht leicht wieder in denſelben Acker und da ſie zum größten Teil von den Städtern konſumiert werden, welche in erſter Linie die ſanitäre Frage und erſt in zweiter die rationelle Verwertung der Fäkalien berückſichtigen müſſen, ſo geht ein großer Teil derſelben für die Landwirtſchaft ganz verloren. Welche ſind das nun aber und in welcher Menge geſchieht das? Um dieſe Frage beantworten zu können, müſſen wir uns einmal die Beſtandteile und Nahrungsmittel der Pflanze etwas näher betrachten. Hierbei werden wir gleichzeitig erkennen, welche Nährſtoffe der Pflanze überhaupt, alſo auch aus anderen Gründen dem Boden außer den natürlichen Abfällen, wie dem Stallmiſt ꝛc. zuzuführen ſind, z. B. aus dem am häufigſten eintretenden Grunde, daß der Boden von dieſem oder jenem Nährſtoffe niemals eine genügende Menge beſeſſen hat, bez. an welchem er mit der Zeit durch die vor Liebig allgemein üblich geweſene Wirtſchaft erſchöpft wurde.

Die Pflanze beſteht aus organiſchen und anorganiſchen Subſtanzen, die wir durch Verbrennen leicht von einander trennen können, wobei ſich erſtere zerſetzen und verflüchtigen, während die letzteren in der Aſche zurück - bleiben. So mannigfaltig und kompliziert zuſammengeſetzt die organiſchen Beſtandteile auch ſind, ſo beſtehen ſie doch nur aus vier Elementen, nämlich aus Kohlenſtoff, Waſſerſtoff, Sauerſtoff und Stickſtoff, wahrend die Beſtandteile der Aſche, alſo die anorganiſchen viel zahlrecher ſind. 425Beſtandteile und Nahrungsmittel der Pflanze.Als die wichtigſten ſind hier zu nennen Phosphorſäure, Kali und Kalk, ferner Magneſia, Natron, Eiſenoxyd, Thonerde, Kieſelſäure, Schwefel - ſäure, Chlor ꝛc., wobei ſelbſtverſtändlich die Säuren niemals frei vor - kommen, ſondern ſtets an Baſen gebunden ſind, wie z. B. an Calcium, Kalium, Natrium ꝛc. Alle dieſe Stoffe muß die Pflanze Gelegenheit haben aufzunehmen und zwar in dem jeder Gattung eigentümlichen richtigen Verhältniſſe, wobei das bloße Vorhandenſein dieſer Stoffe nicht genügt, ſondern noch manches andere zu berückſichtigen iſt. So iſt z. B. die Pflanze nur im ſtande flüſſige Nahrung aufzunehmen, woraus ſich ergiebt, daß die vorhandenen Nahrungsſtoffe nur dann einen Wert haben, wenn ſie löslich ſind und Feuchtigkeit genug im Boden vorhanden iſt, um ſie zu löſen. Ferner wirken alle konzentrierten Nährſtoffe direkt ſchädlich, alſo iſt gehörige Verdünnung geboten, und muß die direkte Berührung mit den jungen, zarten Pflanzenteilchen vermieden werden. Dieſer Umſtand wurde z. B. bei Einführung der käuflichen künſtlichen Düngeſtoffe häufig nicht genügend beachtet, wobei die naturgemäß dadurch entſtehenden Mißerfolge dieſe neuen Dünge - mittel ſehr diskreditierten, und doch ganz mit Unrecht, denn der Land - wirt wußte ja von jeher, daß es ſich ſelbſt mit dem Stallmiſt und der Jauche ganz genau ſo verhält und nannte das Feld, das mit zu konzentrierter Jauche gedüngt war, verbrannt .

Von der Nahrungsaufnahme der Menſchen und Tiere unterſcheidet ſich diejenige der Pflanzen ſehr weſentlich. Während erſtere organiſche und anorganiſche Stoffe aufnehmen, nehmen die Pflanzen nur an - organiſche Stoffe auf, ferner dieſe wie bereits erwähnt nur gelöſt oder als Gaſe, und ſchließlich ſind die Pflanzen nicht im ſtande, ſich ihre Nahrung an beliebigen Orten zu ſuchen, ſondern können dieſelbe nur dann aufnehmen, wenn ſie von den Wurzeln oder anderen für dieſen Zweck beſtimmten Organen erreichbar iſt.

Eine ganz unerſchöpfliche Quelle für einen ſehr wichtigen Beſtandteil der Pflanze, nämlich für den Kohlenſtoff, liefert die atmoſphäriſche Luft. Dieſe iſt ein Gemenge verſchiedener Gaſe und beſteht dem Volumen nach aus ca. 79,1 % Stickſtoff, 20,9 % Sauerſtoff und 0,04 % Kohlen - ſäure, ferner aus wechſelnden Mengen Waſſerdampf und Spuren von kohlenſaurem Ammoniak und Schwefelammonium, welche ſich bei der Zerſetzung organiſcher Körper bilden, und daher hauptſächlich dort zu finden ſind, wo ſolche Zerſetzungen vor ſich gehen, wie ſchließlich auch Spuren von ſalpeterſaurem und ſalpetrigſaurem Ammoniak, gebildet durch elektriſche Vorgänge in der Atmoſphäre. Dieſe Stickſtoff-Ver - bindungen werden durch die Niederſchläge im Boden gewaſchen und hier von der Pflanze aufgenommen. Iſt auch die Menge dieſer Stoffe ſcheinbar gering, ſo wird ſie doch zu einer nicht unbeträchtlichen, wenn man das gewaltige Volumen der ganzen Atmoſphäre berückſichtigt und dabei beſonders in Betracht zieht, daß jene Stickſtoff-Verbindungen kontinuierlich erzeugt werden.

426Die künſtlichen Düngeſtoffe und die Chemie des Bodens.

Die drei Hauptbeſtandteile der atmoſphäriſchen Luft, Sauerſtoff, Stickſtoff und Kohlenſäure haben für die Ernährung der Pflanze eine ſehr verſchiedene Bedeutung, und zwar der in ſo großer Menge vor - handene Sauerſtoff, der für die Reſpiration von Menſchen und Tieren von ſo ungeheurer Wichtigkeit iſt, die allergeringſte. Er wird zwar beim Keimen der Samenkörner und während der Blütezeit und des Aus - reifens der Früchte, hauptſächlich in der Nacht, wo die Aufnahme anderer Nährſtoffe faſt ganz aufgehört hat, eingeatmet und auch bei dem Wachstum der Wurzeln ſpielt er eine gewiſſe Rolle, aber ein eigentlicher Nährſtoff iſt er nicht, denn er veranlaßt keine Gewichts - zunahme, ſondern wird im Gegenteil wie wir bei der Kohlenſäure ſehen werden unter dem Einfluſſe des Lichtes von der Pflanze erzeugt und ausgeſchieden. Auch der Stickſtoff, der dem Boden in Geſtalt ſehr teurer Düngemittel zugeführt werden muß, hatte wie man bisher annahm als freier Stickſtoff der Atmoſphäre für die Pflanzen keine Bedeutung, und erſt allerneueſte Forſchungen, die wir ſpäter genauer behandeln werden, haben ergeben, daß er in der That für gewiſſe Pflanzen unter geeigneten Umſtänden von ſehr großer Be - deutung werden kann, und hat man dieſe Pflanzen ſtickſtoffſammelnde genannt, im Gegenſatz zu den übrigen, den ſtickſtoffzehrenden Pflanzen. Die Kohlenſäure hingegen iſt von überaus großer Wichtigkeit für die Pflanzenernährung, denn ſie iſt der einzige Kohlenſtofflieferant derſelben und dazu reicht die in der Atmoſphäre enthaltene Menge aus, ſo gering ſie auch dem Prozentſatze nach iſt, denn jener kleine Bruchteil beträgt vom Geſamtgewicht der Atmoſphäre 3150 Billionen Kilogramm und das entſpricht 860 Billionen Kilogramm Kohlenſtoff. Auch wird ihre Menge trotz der kontinuierlichen Verarbeitung durch die Pflanzen nicht geringer, denn das abſorbierte Quantum wird ſtets wieder durch Reſpiration, Verbrennung, Verweſungs - und Fäulnisprozeſſe ergänzt, wobei die im Humus ſich bildende Kohlenſäure nicht nur den Gehalt der atmoſphäriſchen Luft vermehrt, ſondern auch gleichzeitig noch eine ſehr wichtige Aufgabe löſt, indem ſie auf andere im Boden enthaltene Nährſtoffe löſend wirkt. Mittels der Blätter nimmt die Pflanze die Kohlenſäure auf, verarbeitet ſie unter dem Einfluße von Licht und Wärme durch einen eigentümlichen Stoff, das Blattgrün, das der Chemiker Chlorophyll nennt, zu Kohlenſtoff, dem wichtigen Beſtandteil für den Aufbau der Pflanzen und giebt den freigewordenen Sauerſtoff der Atmoſphäre zurück, als Lebensbedingung für die Atmung der Menſchen und Tiere, welche denſelben während der Atmung mit Hülfe des ihnen von den Pflanzen in den Nahrungsmitteln gelieferten Kohlenſtoffes zu Kohlenſäure verbrennen, und dieſe ausatmend wiederum den Pflanzen überliefern und ſo im ewigen Kreislauf ſich gegenſeitig unterhalten.

427Das Waſſer als Nährmittel der Pflanze.

Das Waſſer als Nährmittel der Pflanze.

Von überaus großer Bedeutung für die Ernährung der Pflanzen iſt das Waſſer, und fallen ihm beſonders vier weſentliche Auf - gaben zu. Es dient als Vegetationswaſſer, indem es unverändert durch die Pflanze hindurchgeht, zur direkten Ernährung infolge ſeines Waſſerſtoff-Gehaltes, als Vermittler zur Aufnahme aller übrigen Nähr - ſtoffe und ſchließlich zur Kühlung der Pflanzen bei großen Hitzen. Als Vegetationswaſſer wird die Feuchtigkeit des Bodens von den Wurzeln aufgeſaugt, durch die Pflanze hindurch nach oben geführt und verdunſtet, aus den Blättern, wie aus allen ſaftig grünen Teilen austretend. Nur ſo lange dies geſchieht, iſt die Pflanze lebensfähig, und ſie welkt, ſobald dieſe Thätigkeit aufhört, ſei es aus Waſſermangel im Boden, ſei es, daß ſie zur Zeit der Reife nachläßt. 80 96 % der Pflanze beſtehen während ihres Wachstums aus Waſſer und un - geheure Mengen desſelben gehen als Vegetationswaſſer durch die Pflanze hindurch. Nach Wolff*)Emil Wolff; Praktiſche Düngerlehre. Verlag von Paul Parey, Berlin. werden auf dieſe Weiſe bei den Halmfrüchten 0,5 1,5 Millionen kg Waſſer pro Morgen während der Vegetationszeit verdunſtet und bei den blattreichen, hochwachſenden Pflanzen, wie Obſtbäumen, Hopfen ꝛc. ſogar 1,5 2 Millionen kg. Das iſt ein größeres Quantum als durchſchnittlich während der Vege - tationszeit, d. h. während 5 bis 7 Monaten an Niederſchlägen fällt, ſo - mit muß das während des Winters gefallene und im Boden an - geſammelte Waſſer zur Ernährung mitwirken, was wiederum eine lockere Beſchaffenheit des Bodens und ſeine möglichſt tiefe Bearbeitung vorausſetzt.

Als Vermittler für andere Nährſtoffe iſt das Waſſer ſo wichtig, daß jene ohne dieſes überhaupt nicht zur Geltung kämen, wie ſie auch unwirkſam bleiben, wenn ſie nicht löslich ſind, oder es mit der Zeit werden. Nur auf dem vorher beſchriebenen Wege des Vegetations - waſſers können ſie das Innere der Pflanze erreichen, und das geſchieht bis zu einem gewiſſen Maximum in demſelben Maße, als das Vege - tationswaſſer zur Verfügung ſteht. Unter gewiſſen Verhältniſſen kann man das auch äußerlich der Pflanze anſehen, nämlich, wenn nach großer Dürre plötzlich ſtarker und kurzer Regen eintritt, um wiederum einer großen Hitze zu weichen. Dann werden von der Pflanze plötz - lich ſo große Waſſermengen aufgenommen und nach dem Wege durch die Pflanze von den ſaftig grünen Teilen derſelben verdunſtet, daß die Menge der darin gelöſten Nährſtoffe zu groß iſt, um von der Pflanze in der ſo kurzen Zeit aufgenommen und verarbeitet zu werden. Ein Teil der Nährſtoffe tritt dann mit dem zu verdunſtenden Waſſer aus, und da er nicht verdunſten kann, ſo lagert er ſich auf der Ver - dunſtungsſtelle, d. h. alſo auf den Blättern ꝛc. als feiner weißer Niederſchlag ab.

428Die künſtlichen Düngeſtoffe und die Chemie des Bodens.

An und für ſich aber enthält das Waſſer, beſonders das Fluß - Quell - und Trinkwaſſer zahlreiche den Pflanzen dienliche Stoffe in ſehr wechſelnder Menge aufgelöſt und kann infolge des Gehaltes daran als direktes Düngemittel betrachtet werden. Hierbei entſcheidet über ſeinen Wert nicht die Menge der gelöſten Pflanzennährſtoffe überhaupt, ſondern ſpeziell der Gehalt an ſolchen, welche gewöhnlich im Boden fehlen, wie z. B. Kali, Phosphorſäure ꝛc., während andererſeits der gewöhnlich ſehr große Gehalt an Kalk und Eiſen weniger in Betracht kommt, trotzdem auch dieſe unerläßliche Nährſtoffe ſind und zwar, weil der Boden an dieſen Stoffen häufig ſchon an und für ſich einen Überſchuß hat. Für die Brauchbarkeit des Waſſer in dieſer Beziehung geben die an den Ufern der Bäche, Flüſſe und Teiche wild wachſenden Pflanzen häufig einen ſicheren Anhalt; wachſen dort z. B. Süßgräſer und allerlei Blattpflanzen ſehr üppig, oder finden ſich Seeroſen und Schwimmkraut auf der Oberfläche des Waſſers, ſo kann es als ſehr fruchtbar betrachtet werden. Endlich iſt die Thätigkeit des Vegetations - waſſers zur Kühlung der Pflanze zu erwähnen. Je höher die Tem - peratur in den Sommermonaten ſteigt, deſto größer iſt auch die ver - dunſtende Menge des Vegetationswaſſers, und die daher entſtehende Verdunſtungskälte wirkt kühlend und erfriſchend auf die Pflanze, wo - durch das Welken derſelben in den heißen Sommermonaten ver - hindert wird.

Die übrigen Nährſtoffe der Pflanze.

Alle ſich in der Pflanzenaſche findenden Beſtandteile ſind nicht zu den unentbehrlichen zu rechnen, welcher Umſtand in Bezug auf die dem Boden zuzuführenden künſtlichen Düngemittel wohl zu berückſich - tigen iſt. So rechnen wir die Phosphorſäure, Schwefelſäure, den Stick - ſtoff in Form von Salpeterſäure oder Ammoniak, das Kali, den Kalk, die Magneſia und das Eiſen zu den unentbehrlichen Nährſtoffen, während die ſich häufig in der Aſche findenden Mengen von Chlor, Natron und Kieſelerde in den meiſten Fällen leicht entbehrlich ſind. Die unentbehr - lichen Stoffe aber genügen in ihrem bloßen Vorhandenſein im Boden nicht, ſondern großer Wert iſt auf das für die zu kultivierende Pflanze paſſende Mengenverhältnis zu legen. Ferner kann der Umſtand nicht genug berückſichtigt werden, daß das Fehlen oder auch nur nicht genügend Vorhandenſein eines einzigen weſentlichen Nährſtoffes den Wert aller anderen ſtark beeinträchtigt, denn die Pflanze kann dann nicht gedeihen, und die Ernte wird unter ſolchen Umſtänden ſtets nur eine ſehr mangelhafte werden. Über den Wert und die Aufgabe der genannten Mineralſtoffe iſt nach Wolff folgendes zu erwähnen. Der Kalk iſt nicht nur ein direkter Nährſtoff, ſondern wirkt auch gleichzeitig indirekt ſehr nützlich, indem er den Boden auflockert und die Ver - witterung desſelben, wie auch die Verweſung der in ihm enthaltenen organiſchen Stoffe ſehr beſchleunigt. Während der Kalk ſich haupt -429Die übrigen Nährſtoffe der Pflanze.ſächlich in den Blättern und Stengeln findet, iſt ſein faſt ſteter Begleiter, die Bittererde (Magneſia) vornehmlich in den Samenkörnern enthalten. Einige dolomitiſche Kalkſteine enthalten 10 bis 20 % Magneſia, aber faſt jeder Kalk 0,5 bis 5 % davon. Trotzdem die Pflanzenaſche nur 0,5 bis 1,5 % Eiſenoxyd enthält, ſo iſt dieſe Subſtanz doch als ganz unentbehrlich für den Aufbau der Pflanze und ſpeziell zur Erzeugung der grünen Farbe zu betrachten. Die laugenartige Beſchaffenheit der Aſche die ja bei der Pottaſche allgemein bekannt iſt verdankt dieſelbe ihrem hohen Gehalt an Kali, der bis 50 % geht. Dieſer Stoff iſt von außerordentlicher Wichtigkeit für die Körner und faſt noch mehr für Blätter, Kraut und Stroh, woraus ſich ſein Dungwert, beſonders für alle Futterarten und Wieſen von ſelbſt ergiebt. Von ebenſo hoher Bedeutung, beſonders für die Körner iſt die Phosphor - ſäure, denn die Aſche der Roggen - und Weizenkörner enthält bis 50 %, während die der Stengel und Blätter 5 bis 16 % davon enthalten. Es ergiebt ſich hieraus zur Genüge, daß für höchſte Ernteerträge bei den Halmfrüchten die Stallmiſtdüngung allein nicht genügt, ſondern dem Boden Phosphorſäure in Geſtalt der käuflichen Phosphate, bez. Superphosphate zugeführt werden muß. Die Schwefelſäure wird größtenteils als Gips, das iſt ſchwefelſaures Calcium dem Boden ge - geben und iſt gleichfalls der Pflanze unentbehrlich.

Trotzdem die Kieſelſäure von den körnertragenden Halmfrüchten in reichlicher Menge aufgenommen wird, iſt ſie dennoch als unentbehrlich nicht zu betrachten und überdies in jedem Boden ſtets in weit mehr als ausreichender Menge enthalten. Ihre Thätigkeit für die Entwicke - lung der Pflanze iſt eine ſehr nutzbringende, denn ſie beſchleunigt die Reife derſelben, indem ſie frühzeitig ihre Lebensthätigkeit vermindert. Hierdurch wird die Entwickelung der Pflanze von manchen ſpäter ein - tretenden ungünſtigen Witterungsverhältniſſen unabhängig gemacht und die Ernten werden gleichmäßiger. Natron und Chlor ſind gleichfalls entbehrlich, trotzdem ſie ſich faſt in jeder Aſche finden, was auch ganz natürlich iſt, da faſt jedes Waſſer Kochſalz (Chlornatrium) enthält und beſonders der Stallmiſt ſchon infolge des den Tieren gegebenen Viehſalzes.

Da nun alle Pflanzen ſehr dazu neigen, ſelbſt in übermäßiger Weiſe dem Boden die vorhandenen Nährſtoffe zu entziehen, ſo wechſeln die Mengen der Aſchenbeſtandteile häufig ſogar bei einer und derſelben Pflanze je nach den Verhältniſſen des Bodens, der Düngung und der Witterung. Das praktiſche Ergebnis aus dem Erkennen der Neigung zum übermäßigen Konſum iſt, daß man eine ſehr reiche Ernte nicht etwa als Beweis dafür annehmen darf, daß nun der Boden genügend gedüngt iſt, ſondern im Gegenteil denſelben ſofort wieder um ſo reicher düngen muß, weil die durch die reiche Ernte dem Boden entzogenen größeren Mengen ſeiner wertvollen Beſtandteile wieder erſetzt werden müſſen. Indes iſt für gewiſſe Pflanzen der Gehalt gewiſſer Stoffe ſo über - wiegend, daß man ganze Arten danach nennt, ſo bezeichnet man z. B. 430Die künſtlichen Düngeſtoffe und die Chemie des Bodens.die Kartoffeln und alle rübenartigen Gewächſe als Kalipflanzen, hin - gegen die Kleearten, Luzerne, Eſparſette und alle Hülſenfrüchte als Kalk - pflanzen.

Einer der wichtigſten, vielleicht der allerwichtigſte Pflanzennährſtoff, der dem Boden bei intenſiver Kultur durch käufliche Düngemittel zu - geführt werden muß, iſt der Stickſtoff, trotzdem er in der Aſche nicht nachgewieſen werden kann, da ſeine Verbindungen ſich beim Verbrennen zerſetzen und er ſomit in den Verbrennungsgaſen zu finden iſt. Von den Pflanzen wird er nur durch die Wurzeln und zwar in Form von ſalpeterſauren Salzen aufgenommen.

c) Die Düngung.

Aus allem vorſtehenden geht hervor, von welch eminenter Be - deutung für die Ernteerträge, alſo auch für das Nationalvermögen eine richtige Düngung iſt, denn nur durch dieſe allein ſind aller - höchſte Ernteerträge zu erzielen. Die älteſte Methode, die Stall - miſtdüngung, iſt zweifellos eine ſehr wirkſame, denn durch dieſelbe wird nicht nur dem Boden eine ganze Reihe wertvoller Stoffe zugeführt, ſondern der Boden wird auch gleichzeitig durch das darin enthaltene Stroh gelockert und ſchließlich werden durch die ſich kontinuierlich bildende Kohlenſäure zahlreiche wertvolle, im Boden enthaltene Mineralſtoffe löslich gemacht. Aber genügend iſt die Stallmiſtdüngung allein nicht, denn ihr fehlen alle die Subſtanzen, welche als Marktware verkauft werden, und die bloße Stallmiſtwirtſchaft iſt das, was Liebig Raub - bau nannte, wobei jedes Jahr ein Teil des Gutes verkauft wird. Der Erlös dieſer Marktwaren, wie Getreide, Fleiſch ꝛc. liefert ja auch dem Landwirt das Betriebskapital und die Rente für ſein Gut; wie außer - ordentlich ſie aber den Boden erſchöpfen, das weiſt Wolff quantitativ in überaus ſchlagender Weiſe, wie folgt, nach:

Es enthalten 1000 kg lufttrockene Subſtanz durchſchnittlich an in Betrachk kommenden Pflanzennährſtoffen in kg:

431Die Düngung.

Dieſe Zahlen auf einen mittleren Ertrag und für die Fläche eines preußiſchen Morgens berechnet geben in kg:

Bei der Viehzucht kommen als Verkaufware hauptſächlich in Betracht: Milch, lebende Tiere, Wolle und Käſe (Butter ſoll unberück - ſichtigt bleiben, weil ſie nur ſehr wenig Stickſtoff und Mineralſubſtanzen enthält). Dieſe enthalten die Tiere in gut genährtem Zuſtande ge - dacht durchſchnittlich pro 1000 kg in kg:

Bei der Mäſtung von volljährigen Tieren erfordern 1000 kg Gewichtszunahme bei ausgewachſenen Tieren:

Für den Geſamtverluſt des Bodens ſoll ein Gut angenommen werden, das 300 Morgen unter dem Pfluge hat, wovon der Reinertrag von alſo von 120 Morgen verkauft werden ſoll und zwar der Ertrag von 30 Morgen Weizen, 35 Morgen Roggen, 25 Morgen Gerſte, 20 Morgen Raps und 10 Morgen Erbſen. Das Stroh dieſer Früchte, ſowie der Ertrag der Kleefelder, der Kartoffel - und Rübenkultur ꝛc., ſoll der Wirtſchaft verbleiben und als Futter oder Streumaterial mit ſeinen Beſtandteilen dem Stallmiſt und durch denſelben wiederum dem432Die künſtlichen Düngeſtoffe und die Chemie des Bodens.Felde zu gute kommen, jedoch mit Ausnahme derjenigen Stoffe, welche in die Milch von 20 Kühen (pro Stück jährlich 2000 kg) übergehen und außerdem mit dem Verkauf von 4 Stück Großvieh (pro Kopf 600 kg ſchwer), die auf dem Hofe aufgezogen worden ſind, ausgeführt werden. Die Rechnung ergiebt alsdann auf Grund der obigen Zahlen in kg:

Von dieſen für einen Morgen genannten jährlichen Verluſten an verſchiedenen Nährſubſtanzen, ſind beſonders die Verluſte an Stickſtoff, Kali und Phosphorſäure zu betonen, und dieſe müſſen unbedingt durch Zufuhr künſtlicher Düngemittel erſetzt werden, wenn das betreffende Gut nicht geradezu ruiniert werden ſoll. Denn es geht klar aus der vor - ſtehenden Zuſammenſtellung hervor, was dem Boden bei reiner Stall - miſtwirtſchaft an zu erſetzenden Nährſtoffen jährlich entzogen wird, und geradezu erſchreckend müſſen dieſe Zahlen wirken, wenn man bedenkt, daß ein ſolcher Raubbau Jahrhunderte hindurch fortgeſetzt wurde, und ſo iſt es leicht verſtändlich, daß ſich die mittleren Ernteerträge von Jahr zu Jahr verringern müſſen. Indes hat die Wiſſenſchaft eine ganz ſichere Abhülfe hierfür geſchaffen, nämlich nächſt Angaben über Konſervierungsmittel für den Stallmiſt ſelbſt, dieſen vor großen Ver - luſten, beſonders an Stickſtoff zu ſchützen durch Verwendung der käuflichen, ſog. konzentrierten Düngeſtoffe.

Selbſt bei der bloßen Stallmiſtwirtſchaft wird bei der Lagerung und Behandlung des Stallmiſtes ſehr viel geſündigt und in häufigen Fällen kommt er nach Monate langer falſcher Behandlung viel ärmer auf den Acker, als er erzeugt wurde. Zuſätze, wie humoſe Erde, Thon - mergel, Torfpulver, Kaliſalze, ganz beſonders aber der ſog. Superphos - phat-Gips, ein Nebenprodukt der Superphosphat-Fabriken, beſtehend aus 60 % Gips und 6 8 % Phosporſäure, verhüten ſowohl den Ver - luſt des ſo wertvollen Stickſtoffs, indem ſie das Ammoniak binden und es am Entweichen hindern, als ſie auch gewiſſe Mineralſubſtanzen beſſer zuſammenhalten und ſchließlich die Zerſetzung des Dunges ver - langſamen und gleichmäßiger vor ſich gehen laſſen. Wie ungeheuer433Die konzentrierten Düngemittel.groß der Verluſt an Stickſtoff ohne beſondere Behandlung des Miſtes iſt, ſoll ſpäter in Zahlen ausgedrückt werden. Ein ſo konſervierter Stallmiſt hat ſchon ganz ſichtbar andere Erfolge, als der gewöhnliche, bezw. gar nicht behandelte, ganz anders aber noch ſtellen ſich die Ernteerträge bei Verwendung der konzentrierten Düngemittel.

Die konzentrierten Düngemittel.

Durch die mehrfach geſchilderte falſche Wirtſchaft iſt der Wert des Bodens hauptſächlich dadurch vermindert, daß eine Entmiſchung des - ſelben ſtattgefunden hat, das heißt ſeine urſprünglich gute Zuſammenſetzung iſt inſofern verändert, als ihm ſtets von allen entzogenen Beſtandteilen nicht immer dieſelben wiedergegeben wurden und dadurch dieſe dem Prozentſatze nach zurückgegangen bezw. ganz verſchwunden ſind. Er - ſatz hierfür zu liefern ſind die konzentrierten Düngemittel ganz vor - züglich geeignet, denn in ihnen giebt man dem Boden nur einen ganz beſtimmten Nährſtoff und kann mit Leichtigkeit ſtets denjenigen aus - wählen, der dem Boden mit Rückſicht auf die zu kultivierende Pflanze gerade fehlt. Auf dem von den neueſten wiſſenſchaftlichen Forſchungen ſo ſcharf gekennzeichneten Wege können auch alle diejenigen Boden - arten weſentlich verbeſſert werden, welche infolge ihrer natürlichen Zu - ſammenſetzung von vornherein nicht geeignet waren, hohe Ernteerträge zu liefern, oder ſich zur Kultur überhaupt nicht eigneten, und in dem - ſelben Maße, als ſich die Verwendung der konzentrierten Düngemittel immer mehr ausbreitet, haben ſich auch deutlich bemerkbar die Erträge des Bodens und damit die Rentabilität der Landwirtſchaft erhöht; denn der durch eine ſchlechte Wirtſchaft erſchöpfte Boden wurde wieder geſtärkt und auch ein richtiges Miſchungsverhältnis der einzelnen Nährſtoffe im Boden herbeigeführt. Außerdem hat man aber hier - durch gleichzeitig ein Mittel an der Hand Saaten, deren Stand nicht befriedigt, durch Überdüngung zu verbeſſeren, und endlich kann man durch Verwendung ſchnell wirkender Düngemittel an Orten, deren rauhes Klima manche Kultur überhaupt nicht zuläßt, ſolche mit Vor - teil betreiben. Heute iſt nämlich nicht nur bei den einzelnen Dünge - mitteln die Art ihrer Wirkung, ſondern auch die Schnelligkeit derſelben genau bekannt.

Nun muß aber beſonders betont werden, daß bei der außer - ordentlichen Mannigfaltigkeit der Bodenarten, wie der zu kultivierenden Pflanzen, welche alle andere Anſprüche in Bezug auf die Düngung ſtellen, allgemeine Rezepte zur Verwendung der künſtlichen Düngemittel nicht gegeben werden können, ſondern die rationelle Anwendung der - ſelben für jeden Fall durch eigene Verſuche ermittelt werden muß. Solche Verſuche ſind nach den durch die moderne Wiſſenſchaft er - mittelten Wegen anzuſtellen und die hierfür aufgewendete Mühe wird reich belohnt. Für dieſe Verſuche ſei hier erwähnt, daß nebenDas Buch der Erfindungen. 28434Die künſtlichen Düngeſtoffe und die Chemie des Bodens.den gedüngten Verſuchsparzellen auch ungedüngte liegen müſſen, und die Verſuche erſt dann als richtig durchgeführt zu bezeichnen ſind, wenn die Reſultate der erſteren und letzteren unter ſich nur wenig von einander abweichen, bezw. dieſe Abweichungen infolge genauer Be - obachtungen leicht zu erklären ſind. Bei manchen nicht ſofort lös - lichen Düngemitteln, wie z. B. bei gewiſſen, ſpäter näher zu betrachtenden Phosphaten muß auch die Nachwirkung mit in Betracht gezogen werden, welche manchmal erſt nach 3 bis 4 Jahren eintritt; daher kann bei ſolchen Düngemitteln auch nur das Geſamtreſultat von vierjährigen Verſuchen entſcheidend ſein. Endlich iſt es ſelbſtverſtändlich, daß dieſe Verſuche auf einem möglichſt gleichartigen Boden angeſtellt werden müſſen, und das erzielt man leichter, wenn man das Verſuchsfeld in lange, ſehr ſchmale Streifen teilt, als wie früher in Quadrate, weil durch dieſe Einteilung etwa ungleichmäßige Stellen des Verſuchs - ackers ſich eher auf alle Verſuchsparzellen verteilen, anſtatt auf einer einzigen zur Geltung zu kommen. Dieſe Verſuche zeigen für jeden Fall den Gehalt des Bodens an disponiblen Nährſtoffen und danach hat man die Zufuhr für die Nährſtoffmenge, welche die Pflanze be - darf, einzurichten. Hierbei muß man mit der Stickſtoff-Zufuhr mög - lichſt vorſichtig verfahren, denn der zu viel gegebene und den Winter über im Boden verbleibende Stickſtoff geht verloren, da er durch Regen ꝛc. ausgewaſchen wird. Anders verhält es ſich mit der Phosphorſäure und dem Kali; hiervon muß man ſtets einen Über - ſchuß, geben, und alles zu viel gegebene bleibt im Boden infolge ſeiner Abſorbtionsfähigkeit aufbewahrt und erhalten.

Als käufliche Düngemittel kommen natürlich nur diejenigen in Betracht, welche dem Boden fehlen, und das ſind hauptſächlich der Stickſtoff, die Phosphorſäure und das Kali, alſo kann es ſich nur um Chemikalien oder Abfälle handeln, welche dieſe genannten Stoffe ent - halten. Als Stickſtoffdünger haben wir Chiliſalpeter, Ammoniak - ſalze und gewiſſe tieriſche Abfälle; als Phosphorſäure-Dünger zahl - reiche Guano-Arten, Knochenaſche, die aus dieſen dargeſtellten Super - phosphate, den phosphorſauren Kalk der Leim - und chemiſchen Fa - briken, wie das ſogen. Thomasphosphat; als Kali-Düngemittel endlich die Staßfurter Kaliſalze und gewiſſe Rückſtände chemiſcher Fabriken. Nun giebt es aber auch ſehr wichtige Düngemittel, welche zwei der vorhergenannten Stoffe gleichzeitig enthalten. So iſt z. B. im Peru - Fiſch - und Fray-Bentos-Guano Knochenmehl und im Ammoniak - Superphosphat ꝛc. Stickſtoff und Phosphorſäure enthalten; die Holz - aſche und das Kali-Superphosphat enthalten Kali und Phosphor - ſäure, und endlich enthält der Kaliſalpeter Kali und Stickſtoff. Im Handel befinden ſich allerdings noch ſehr zahlreiche Düngemittel, welche künſtlich gemengt alle drei Stoffe in ſehr wechſelndem Mengenverhältnis enthalten, aber dieſe können hier nicht in Betracht kommen, weil ſie keine Gewähr für eine konſtante Zuſammenſetzung bieten, und auch vom435Die konzentrierten Düngemittel.Konſumenten ſelbſt leicht für das gerade auf ſeinem Acker vorhandene Düngebedürfnis aus den eigentlichen Düngemitteln gemiſcht werden können. Die wichtigſten dieſer Düngemittel ſollen nun einzeln in drei Gruppen als Phosphorſäure -, Stickſtoff - und Kali-Dünge - mittel betrachtet werden, vorher iſt aber noch für alle gemeinſam folgendes zu erwähnen. Es iſt kein einziger Stoff imſtande, wenn er an und für ſich auch noch ſo wichtig für die Ernährung der Pflanze iſt, einen anderen zu erſetzen, ſondern jeder einzelne muß im Boden in genügender Menge vorhanden ſein. Für die Wirkung der Geſamtdüngung iſt derjenige Stoff entſcheidend, welchen der Boden im Verhältnis zum Verbrauch durch die Pflanze in geringſter Menge enthält. Höchſte Ernteerträge laſſen ſich aber nur dann erzielen, wenn ſtets die mehrfache Menge derjenigen Pflanzennährſtoffe im Boden enthalten iſt, welche ihm durch die jedesmalige Ernte entzogen wird. Als wirklich vorhanden kann man aber die Nährſtoffe nur dann be - trachten, wenn ſie ſich im Boden in einer ſolchen Form befinden, daß ſie von der Pflanze leicht aufgenommen werden können und dazu müſſen ſie ſowohl löslich, als auch ſehr feinpulvrig und gleichmäßig verteilt ſein. Schließlich genügt in den überwiegend meiſten Fällen ihr bloßes Ausſtreuen nicht, ſie müſſen vielmehr gut mit der Ackererde gemiſcht, d. h. eingeeggt und, wenn irgend möglich, untergepflügt werden.

Von welcher Bedeutung die Phosphate als Düngemittel ſind, geht zur Genüge aus dem Umſtande hervor, daß einerſeits Phosphorſäure in jeder Pflanze und in jedem Teile derſelben enthalten und andererſeits der Boden gewöhnlich mehr oder weniger arm an Phosphorſäure iſt. Hauptſächlich kommen als Düngemittel die Calciumſalze der Phosphor - ſäure in Betracht, von denen es wie von allen Salzen derſelben ihrem Waſſerſtoffgehalt entſprechend, 3 Reihen giebt, nämlich baſiſche, halbſaure und ſaure Salze. Sämtliche Phosphate werden in Bezug auf ihren Düngewert in baſiſche und Superphosphate eingeteilt, deren Unterſcheidung folgende iſt. Die in der Natur vorkommenden Phosphate ſind alle baſiſche Phosphate, d. h. die in ihr enthaltene Phosphorſäure hat mit Calcinm, Eiſen, Magneſium oder anderen Baſen geſättigte Salze gebildet. Dieſe phosphorſauren Salze ſind aber in Waſſer un - löslich und haben ſomit nur geringen Düngewert, weil die Pflanze ja nur lösliche Nährſtoffe aufnehmen kann. Liebig ſchlug vor, die von der Natur gebotenen rohen, unlöslichen Phosphate durch Behandeln mit Schwefelſäure beim Knochenmehl kann die Schwefelſäure auch durch Dämpfen erſetzt werden in lösliche zu verwandeln. Dieſes Verfahren nennt man Aufſchließen und die aufgeſchloſſenen rohen Phosphate: Superphosphate . Der chemiſche Vorgang hierbei iſt ein ſehr einfacher und kann durch folgende Formel angedeutet werden: 〈…〉 Die Schwefelſäure hat alſo mit dem Calcium der rohen Phosphate ein Calciumſalz gebildet und ihr Waſſerſtoff iſt an Stelle des Calciums28*436Die künſtlichen Düngeſtoffe und die Chemie des Bodens.getreten, ein ſaures Calciumphosphat bildend, welches löslich iſt. Dieſe Formel giebt auch gleichzeitig einen Anhalt zur Berechnung der zu verwendenden Menge Schwefelſäure, wobei aber auch der im Roh - phosphat enthaltene kohlenſaure Kalk berückſichtigt werden muß, da dieſer nach der Formel: 〈…〉 gleichfalls Schwefelſäure abſorbiert.

Bei längerem Lagern aber kann bei Gegenwart von Eiſenoxyd oder Thonerde ꝛc. ein Teil dieſer künſtlich löslich gemachten Phosphor - ſäure wieder unlöslich werden und man nennt deshalb dieſe Phos - phorſäure zurückgegangene ; aus dieſem Grunde eignen ſich auch alle Rohphosphate, welche genannte Subſtanzen enthalten, wie z. B. der Lahnphosphorit ſehr ſchlecht zur Darſtellung von Superphosphaten. Schließlich muß noch die ſogenannte präzipitierte Phosphorſäure, das iſt auf chemiſchem Wege gefällte, erwähnt werden.

Wie außerordentlich groß der Unterſchied in der Löslichkeit der Superphosphate und Rohphosphate iſt, hat Dietrich in Verſuchen nachgewieſen; nach ihm löſen 100 l kohlenſäurehaltiges Waſſer von nachſtehend genannten Phosphaten an Phosphorſäure auf:

Trotzdem alſo der rohe Baker-Guano zu den am leichteſten lös - lichen Rohphosphaten zählt, ſo iſt doch die Löslichkeit des halbſauren Kalkphosphats 3,5 mal ſo groß.

Es iſt zweifellos, daß die kohlenſäurehaltige Bodenfeuchtigkeit ſchließlich auch die rohen Phosphate auflöſt, aber dazu gehören ſehr große Waſſermengen und ſehr lange Zeit, ſodaß gerade die junge Pflanze, bei der es am wichtigſten iſt, ſie reichlich mit Nahrung zu verſorgen, die Phosphorſäure noch nicht gelöſt vorfindet.

Außer der löslichen und unlöslichen Phosphorſäure muß noch die bodenlösliche genannt werden, d. h. eine Phosphorſäure, die in Waſſer nicht wie die lösliche aufgelöſt wird, wohl aber wenn auch in etwas längerer Zeit von der Bodenflüſſigkeit, worauf es doch hier im weſentlichen ankommt. Hierher iſt die bereits erwähnte zu - rückgegangene Phosphorſäure zu zählen und diejenige, die in der Thomasſchlacke enthalten iſt. Für letztere kommen daher im erſten Jahre437Die konzentrierten Düngemittel.nach Wagner nur ca. 50 % zur Geltung und muß zur Düngung deshalb das doppelte Quantum gegenüber den Superphosphaten verwendet werden; ihr Preis iſt allerdings auch nur ca. halb ſo hoch.

Den Einfluß der Phosphorſäure auf die Pflanzen ſchildert Maercker, der auf dem Gebiete der Agrikulturchemie ſo hervorragende Forſcher, wie folgt:

Man ſchreibt der Phosphorſäure in der Pflanze einen Einfluß auf die Bildung und Umſetzung der ſtickſtoffhaltigen Stoffe zu, weil man dieſelbe als niemals fehlenden Begleiter des Stickſtoffs in der Pflanze kennen gelernt hat. Überall, wo man die ſtickſtoffhaltigen Stoffe auftreten ſah, waren ſie meiſtens ſogar in einem beſtimmten Verhältniſſe (1 P2 O5: 2,5 N) begleitet von der Phosphorſäure; wo die ſtickſtoffhaltigen Stoffe aus Pflanzenteilen auswandern, ziehen ſie regel - mäßig die Phosphorſäure mit ſich, wie beim Welken der Blätter, kurz, an einer Wechſelbeziehung zwiſchen der Phosphorſäure und den ſtick - ſtoffreichen Stoffen iſt nicht zu zweifeln. Es iſt daher in gewiſſem Sinne berechtigt, wenn man der Phosphorſäure eine ſpeziſiſche Rolle z. B. bei der Körnerbildung zuſchreibt, denn in den Körnern findet ja die ſtärkſte Ablagerung der ſtickſtoffhaltigen Stoffe und damit auch ihres Begleiters, der Phosphorſäure, ſtatt. Freilich dürfen wir die körner - bildende Rolle der Phosphorſäure nur unter der Vorausſetzung als ſpezifiſch anerkennen, daß genügende Mengen Stickſtoff vorhanden waren; würde z. B. ein Überfluß an löslicher Phosphorſäure und ein Mangel an Stickſtoff vorliegen, ſo würden wir mit demſelben Recht den Stick - ſtoff als den körnerbildenden Stoff bezeichnen können. Da wir aber Grund haben, häufiger einen Mangel an disponibler Phosphorſäure als an Stickſtoff im Boden anzunehmen, ſo mag die körnerbildende Rolle in dem obigen Sinne anerkannt werden.

Einen wie tief eingreifenden Einfluß aber die Phosphorſäure auf die chemiſche Zuſammenſetzung der Pflanze beſitzt, hebt Maercker be - ſonders hervor, indem er betont, daß nicht nur durch die Phosphor - ſäure die Quantität der Ernte vermehrt, ſondern auch die Qualität weſentlich verbeſſert wird, indem z. B. die Zuckerrübe an Zuckergehalt und die Kartoffel an Stärkemehl reicher werden.

Unter den überaus zahlreichen Erfolgen, welche die praktiſche Land - wirtſchaft durch die Phosphorſäuredüngung zu verzeichnen hat, wollen wir hier nur zwei hervorheben, weil dieſelben auf Bodenarten erzielt wurden, welche man ihrer Geringwertigkeit wegen vor noch nicht langer Zeit überhaupt unfähig für eine lohnende Kultur hielt, nämlich ſehr leichter Sandboden und Moorboden. Schultz-Lupitz und Rimpau - Cunrau, beides praktiſche Landwirte von hervorragender Bedeutung auf dem Gebiete der praktiſchen Verwendung der wiſſenſchaftlichen Forſchungen ernteten Hafer pro Hektar in Kilo:438Die künſtlichen Düngeſtoffe und die Chemie des Bodens.

Beide hatten außer der Phosphorſäure noch 600 kg Kainit (= ca. 75 kg Kali) pro Hektar verwendet und Schultz-Lupitz außerdem noch Stickſtoff durch Gründüngung mit Lupinen, was auf dem Moorboden, der genügend Stickſtoffnahrung hat, unnötig war.

Es erübrigt nun noch, die gebräuchlichſten Rohphosphate aufzu - zählen, welche in drei große Gruppen eingeteilt werden können:

1. Die Knochenphosphate, wie Knochenkohle, Knochenaſche, der phosphorſaure Kalk der Leimfabriken und die foſſilen Knochen.

2. Die Guano-Phosphate, welche von der Küſte des ſtillen Ozeans importiert werden und ſtickſtoffrei ſind im Gegenſatz zum Peru-Guano. Sie ſind aus den Exkrementen und Leibern der Vögel entſtanden und waren zweifellos bei ihrer Entſtehung gleichfalls ſtickſtoffhaltig, aber da ſie durch die Brandung des Meeres ſtets feucht gehalten wurden, verwandelte ſich ihr Stickſtoff ſehr bald in Ammoniak und ſchließlich in Salpeterſäure, wovon erſteres verdunſtete und letztere mit den vorhandenen Baſen Salze bildend, ausgewaſchen wurde und in den Boden verſickert iſt.

3. Die mineraliſchen Phosphate, welche mit Ausnahme des Thomasphosphats gleichfalls tieriſchen Urſprungs ſind, aber durch die Länge der Zeit vollſtändig in Mineralien verwandelt wurden. Hierher gehören die Kruſten-Guanos, die Koprolithe, das ſind vollſtändig ver - ſteinerte Exkremente längſt abgeſtorbener Tiergeſchlechter, der Lahnphos - phorit, auch nach ſeinem Fundort Staffelit genannt, und andere.

Die Thomasſchlacke iſt ein Nebenprodukt der Stahlfabrikation im Beſſemer-Prozeß. Nach Thomas und Gilchriſt wird behufs Entphos - phorierung des geſchmolzenen Eiſens die Beſſemer-Birne mit Steinen von Dolomit ausgekleidet. Der Phosphor des Eiſens wird infolge der hohen Temperatur und des zugeführten Sauerſtoffes der atmoſphäriſchen Luft zu Phosphorſäure oxydiert, und dieſe verbindet ſich mit dem Kalk der Dolomitſteine und außerdem mit direkt hinzugegebenem Kalk zu phos - phorſaurem Kalk, welcher nach Beendigung des Prozeſſes als Schlacke gewonnen fein gemahlen als Düngemittel in den Handel kommt. Die Produktion iſt jetzt in Deutſchland jährlich 5 bis 6 Millionen Zentner und deckt ungefähr ¼ des Bedarfs der Landwirtſchaft an Phosphorſäure.

Wenn auch für eine intenſive Kultur die Zufuhr von konzentrierten Stickſtoffdüngemitteln abſolut unerläßlich iſt, ſo ſollen doch hier auch diejenigen Mittel erwähnt werden, mit deren Hülfe man den Boden außer durch die käuflichen Düngemittel mit Stickſtoff bereichern kann. Solche439Die konzentrierten Düngemittel.ſind die Verwendung von gekauften ſtickſtoffreichen Futtermitteln, wie Träber ꝛc., der Anbau ſtickſtoffſammelnder Pflanzen, welche ſpäter ein - gehender behandelt werden ſollen, und vor allen Dingen die Verhinderung des Stickſtoffverluſtes im Stallmiſt. Wie ſchon vorher erwähnt, iſt dies durch Zuſatz von Superphosphat-Gips oder Kali ꝛc. leicht zu erzielen, und hier ſoll nur noch mit Zahlen belegt werden, welch ein unge - heures Vermögen bei nachläſſiger Behandlung des Stallmiſtes jährlich verloren geht. Holdefleiß weiſt nach, daß ganz abgeſehen von den Verluſten, welche durch Abfließen und Verſickern der Jauche entſtehen, allein 20 % des Stickſtoffs und mehr bei nicht rationell behandeltem Stallmiſt verdunſtet, d. h. jährlich pro Stück Großvieh ein Verluſt von 15 bis 16 kg Stickſtoff, welche einer Menge von 2 Zentnern Chiliſalpeter im Preiſe von ca. 20 Mark entſprechen. Preußen allein hat dadurch bei einem Beſtand von 8,700,000 Stück Großvieh einen Verluſt von jährlich 174 Millionen Mark. Würde man danach den Verluſt von ganz Deutſchland oder gar für alle kultivierten Länder berechnen, ſo erhält man ſo erſchreckend große Zahlen, daß es in der That ganz unbe - greiflich iſt, wie die überwiegend größten Kreiſe heute noch ſo einfache und ſo ſicher wirkende Hilfsmittel in ihrer unverantwortlichen Läſſigkeit unbenutzt laſſen.

Die Lieferanten der käuflichen Stickſtoffdüngemittel ſind der Chili - ſalpeter, die Ammoniakſalze und zahlreiche tieriſche Abfälle, wie Blut, Fleiſch, Lederabfälle, Horn, Haare, Wolle ꝛc.

Da die Pflanze ihren Stickſtoff-Bedarf in Geſtalt von ſalpeter - ſauren Salzen aufnimmt, ſo iſt der Chiliſalpeter d. i. ſalpeterſaures Natron, das wichtigſte der genannten Düngemittel. Er, wie alle anderen ſalpeterſauren Salze entſtehen durch Oxydation des Ammoniaks oder des Stickſtoffs in tieriſchen Abfällen durch den Sauerſtoff der atmoſphäriſchen Luft. Seine Wirkung iſt eine ſehr ſchnelle und ihn vollſtändig auf - brauchende, alſo eine Nachwirkung dieſes Düngemittels iſt daher nicht nur nicht zu erwarten, ſondern es verlangt im Gegenteil reichliche Zu - fuhr auch aller anderen Nährſtoffe, weil es gerade durch ſeine ſchnelle Wirkung den Boden ſtark erſchöpft. Beſonders muß es gleichzeitig mit den Phosphaten gegeben werden, denn dieſe neutraliſieren durch ihre die Frühreife bedingende Wirkung ſeine Eigenſchaft, die Vegetationszeit zu verlängern.

Die Ammoniakſalze in der Landwirtſchaft ſchlechtweg ſo ge - nannt ſind immer ſchwefelſaures Ammonium und werden als Nebenprodukt bei der Leuchtgasfabrikation, neuerdings auch bei den Kokereien und dem Hochofenbetriebe aus der Steinkohle gewonnen. Das ſich bei der trockenen Deſtillation derſelben bildende Ammoniak wird in Schwefelſäure aufgefangen und kryſtalliſiert dann beim Ein - dampfen heraus: die Bildung des ſchwefelſauren Ammoniak iſt alſo eine einfache Addition, wie folgende Formel zeigt: 〈…〉

440Die künſtlichen Düngeſtoffe und die Chemie des Bodens.

Da uns dieſe Stickſtoffquelle im Inlande in ausreichender Menge zur Verfügung ſteht, während der Chiliſalpeter importiert werden muß und für denſelben jährlich große Summen an das Ausland bezahlt werden, ſo ſind zahlreiche Verſuche von hervorragenden Forſchern wie Maercker, Stutzer, Wagner, Wolff u. a. darüber angeſtellt worden, wie ſich die Wirkungen dieſer beiden Stickſtoff-Düngemittel zu einander verhalten, bez. ob es nicht möglich ſei, den Chiliſalpeter ganz durch das Ammoniakſalz zu erſetzen. Alle dieſe Verſuche haben aber im weſentlichen ergeben, daß der Chiliſalpeter bedeutende Vorteile vor dem Ammoniakſalz bietet. So wirkt er z. B. ſchneller, und das iſt ganz erklärlich, weil er bereits ein fertiges ſalpeterſaures Salz iſt, während das Ammoniak erſt zu Salpeterſäure oxydiert werden muß. Ferner wirkt der Stickſtoff im Chiliſalpeter in den allermeiſten Fällen intenſiver, als dieſelbe Stickſtoff-Menge in dem Ammoniakſalz. So hat z. B. Stutzer bei je 100 kg Chiliſalpeter in 144 Felddüngungsverſuchen 940 kg Zuckerrüben mehr erhalten, als bei derſelben Stickſtoff-Menge im Ammoniak; bei der Futterrübe nach Verſuchen in England war der Mehrertrag ca. 1700 kg, bei den Kartoffeln 164 kg u. ſ. f., endlich bei den Halmfrüchten nimmt man ſogar einen ca. 20 % geringeren Dünge - wert für das Ammoniakſalz an. Dieſe geringere Wirkung für den Stickſtoff im Ammoniak erklärt ſich daraus, daß nicht überall die Ver - hältniſſe der notwendigen Umbildung des Ammoniak zur Salpeterſäure günſtig ſind, daß ferner während dieſer Umbildung ca. 10 % Stickſtoff für den vorliegenden Zweck verloren gehen, und daß endlich in manchen Fällen das im Chiliſalpeter enthaltene Natron das Kali zu erſetzen ſcheint, wo dieſes im Boden fehlt, und ſogar eine eigene günſtige Wirkung auch neben dem Kali äußert. Sehr überſichtlich ſtellt Wagner die von ihm nach dieſer Richtung hin gemachten Verſuche in ſeiner Broſchüre: Wie wirkt das ſchwefelſaure Ammoniak im Vergleich zum Chiliſalpeter ? zuſammen und giebt darin zahlreiche photographiſche Abbildungen der von ihm hierbei erzielten Erntereſultate, von denen hier nur (Fig. 220) die Verſuche mit Gerſte gezeigt werden mögen. Die gleiche Menge ein und desſelben in Gefäße gefüllten Bodens wurde vorher gleichmäßig mit Phosphorſäure und Kali gedüngt und erhielten die mit O bezeichneten Gefäße gar keine Stickſtoffdüngung, die mit S bezeichneten ½ g Stickſtoff in Form von Chiliſalpeter und die mit A bezeichneten 1,5 g Stickſtoff in Form von ſchwefelſaurem Ammoniak. Trotzdem letztere die dreifache Stickſtoffmenge erhalten hatten, ſieht man an der Abbildung doch deutlich die ſchwächere Wirkung und gleich - zeitig bei Vergleich aller Gefäße die eminente Wirkung der Stickſtoff - düngung überhaupt.

Die tieriſchen Abfälle endlich wirken infolge ihres Stickſtoffgehaltes wie die oben beſchriebenen Düngemittel, nur weſentlich langſamer, da ihre Zerſetzung viel Zeit in Anſpruch nimmt. Sie ſind ſehr zahlreich, und ſei nur im allgemeinen erwähnt, daß der Reichtum, den ſie in[441]

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g Stickſtoff. Fig. 220. 0,5 g Stickſtoff in Form von Chiliſalpeter. 1,5 g Stickſtoff in Form von ſchwefelſaurem Ammoniak.

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Düngungsverſuche mit Gerſte. Die Gefäße wurden gedüngt mit Phosphorſäure, Kali und:

442Die künſtlichen Düngeſtoffe und die Chemie des Bodens.Bezug auf das Nationalvermögen enthalten, noch inſofern bei weitem nicht genug berückſichtigt wird, als ihre Verwendung eine viel umfang - reichere ſein könnte.

Bei allen dieſen Stickſtoff-Düngemitteln, welche erſt ſalpeterſaure Salze bilden müſſen, hat außer der ſelbſtverſtändlichen Zufuhr von Phosphorſäure und Kali, der Kalk eine überaus günſtige Wirkung, weil er die Bildung der Salpeterſäure ſehr fördert. So erhielt Märcker folgende Ernteerträge als Mehrerträge gegen die Parzellen ohne Kalk und Ammoniakſalz pro Hektar im Durchſchnitt an Körnern oder Knollen in Kilo bei Düngung mit:

Die Zahlen der dritten Rubrik, welche die Mehrerträge bei Zuſatz von Kalk und Ammoniakſalz angeben, ſind ſo überwiegend, daß ſie eines Kommentars nicht bedürfen, und gleichzeitig beſtätigen dieſe Verſuche, daß Ammoniakſalze in ſaurem Boden nicht zur Geltung kommen, ſondern dieſer erſt gut gekalkt werden muß.

Als eine der wichtigſten Errungenſchaften der neueren Zeit iſt die Stickſtoff-Düngung zu betrachten, zu welcher bei den ſtickſtoffſammelnden Pflanzen die atmoſphäriſche Luft den Stickſtoff liefert. Bouſſingault, Gilbert, Hellriegel, Lawes, Märcker, Schultz-Lupitz, Wagner, Wolff u. a. haben hierüber zahlreiche Verſuche angeſtellt und im weſentlichen folgendes gefunden. Die Leguminoſen und Futterarten ſind ſtickſtoffſammelnde Pflanzen, d. h. ſie ſind nicht nur imſtande, trotzdem ihre Subſtanz ſelbſt ſehr ſtickſtoffreich iſt, ohne die ſo wichtige, aber auch teure künſtliche Stickſtoffdüngung zu gedeihen, ſondern ſie bereichern den Boden noch direkt an Stickſtoffnahrung. Der Stickſtoff der atmoſphäriſchen Luft wird von ihren Wurzeln unter Mithülfe gewiſſer Mikroben zu Salpeterſäure verarbeitet und als ſolche aufgenommen. Werden nun nach der Ernte dieſe ſehr ſtickſtoffreichen Futtermittel falls man nicht vorzieht, ſie direkt einzuackern verfüttert, ſo kehrt ihr Stick - ſtoff im Stallmiſt auf den Acker zurück, während ihre noch ſtickſtoff - reicheren Wurzeln beim Umackern von vorn herein dem Boden verbleiben, und ſo kommt der geſamte, aus der atmoſphäriſchen Luft entnommene Stickſtoff den nachfolgenden Kulturpflanzen zu gute. Dieſe Methode anwendend, hat Schultz-Lupitz durch Kultur von Le -443Die konzentrierten Düngemittel.guminoſen und geeigneten Kleearten alſo ſtickſtoffſammelnden Pflanzen auf ſehr armem, leichtem Sandboden bei Zufuhr von Kali und Phosphorſäure in der darauf folgenden Kultur von Kartoffeln und Halmfrüchten ſo reiche Ernten erzielt, wie man noch bis vor kurzem bei dieſer Bodenart niemals für möglich gehalten hätte. Fig. 221 iſt eine weitere Abbildung der von Wagner*)Die rationelle Düngung der landwirtſchaftlichen Kulturpflanzen. Prof. Dr. Paul Wagner. Verlag T. Winter, Darmſtadt. photographierten Erntereſultate und zeigt deutlich, wie Erbſen gegenüber dem Hafer die Stickſtoffdüngung entbehren können. Die mit O bezeichneten Gefäße erhielten keine Düngung, die mit K P bezeichneten, eine Düngung von Kali und Phosphorſäure, die mit K P S bezeichneten eine ſolche von Kali, Phos - phorſäure und Stickſtoff. Hierbei entwickelte ſich der Hafer in den un - gedüngten und den mit Kali und Phosphorſäure gedüngten Gefäßen nur äußerſt kümmerlich, während die Zufuhr von Stickſtoff ihn zu höchſtem Ertrage brachte. Die Erbſen zeigen hingegen ſchon ein vor - zügliches Reſultat ohne Stickſtoffdüngung, bei bloßer Zufuhr von Kali und Phosphorſäure, indem ſie aus dem unerſchöpflichen Vorrat der atmoſphäriſchen Luft den Stickſtoff entnehmen und ſich daraus die auch ihnen ſo notwendige Stickſtoffnahrung ſelbſt bereiten. Es darf aber aus dieſen an und für ſich ſo wertvollen Forſchungen nicht etwa ge - ſchloſſen werden, daß eine intenſive Kultur der ſtickſtoffzehrenden Pflanzen, wie der Halmfrüchte ꝛc. ohne Stickſtoffdüngung durch Chiliſalpeter oder Ammoniakſalz möglich ſei, denn das iſt nicht der Fall. Ja ſelbſt die ſtickſtoffſammelnden Pflanzen entwickeln ſich bei einer, wenn auch noch ſo geringen Stickſtoffzufuhr namentlich auf ſtickſtoffarmem Boden weſentlich beſſer, weil ſie durch dieſe in ihrer früheſten Jugend, wo ihre Wurzeln noch nicht genügend ausgebildet ſind, um den Stickſtoff der atmoſphä - riſchen Luft verbreiten zu können, über manche Fährniſſe hinweg kommen.

Als Stickſtoff und gleichzeitig Phosphorſäure enthaltende Düngemittel ſind noch der Peru-Guano, die Knochen und endlich die ammoniakaliſchen wie Salpeter-Superphosphate zu nennen.

Für die dem Boden nötige Kalizufuhr haben wir in den Staß - furter Kaliſalzen eine reiche Quelle. Es iſt nicht zu verkennen, daß die Verwendung dieſer Salze in der Landwirtſchaft zuerſt großes Miß - trauen begegnete, und daß dieſelben ſelbſt heute noch an vielen Orten nicht beliebt werden. Dieſes Mißtrauen entſtand nicht etwa wie ſo häufig aus Voreingenommenheit, ſondern reſultierte aus direkten Mißerfolgen, aber die Unterſuchungen aller dieſer Mißerfolge bewieſen unwiderleglich, daß dieſelben nur durch die falſche Verwendungsart veranlaßt wurden. Teils waren es den Pflanzen ſchädliche Ver - unreinigungen dieſer Salze, teils im Boden fehlende andere Nährſtoffe, wie Stickſtoff und Phosphorſäure, welchen dieſe Mißerfolge zuzuſchreiben444Die künſtlichen Düngeſtoffe und die Chemie des Bodens.

Kali-Phosphat-Düngungsverluche mit Erbſen und Hafer.

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Ohne Düngung. Fig. 221. Kali-Phosphat-Düngung ohne Stickſtoff. Kali-Phosphat-Düngung mit Stickſtoff.

445Die konzentrierten Düngemittel.ſind, und endlich eignet ſich nicht jede Bodenart zur Kalidüngung. Heute ſind alle Bedingungen, unter welchen das Kali günſtig wirken muß, genügend bekannt und unter Berückſichtigung derſelben gute Er - folge garantiert. Für gewiſſe Bodenarten, wie z. B. Wieſen und vor allen Dingen Moorboden, iſt die Kalidüngung geradezu unerläßlich und die Rimpauſche Kulturmethode für Moorboden, welche gewaltige Moore, die bisher nicht bebaut werden konnten, der Kultur aufſchließt, iſt ohne Kalidüngung überhaupt nicht denkbar.

Von welch eminenter Bedeutung für die Geſamterträge eines Landes die richtige Anwendung der vorher beſchriebenen agrikultur - chemiſchen Lehren ſind, zeigen die Feld - und Vegetationsverſuche, von welchen hier zum Schluß einige angeführt werden mögen. England iſt uns auf dieſem Gebiete Jahrzehnte voraus, und ſchon zu einer Zeit, in welcher in Deutſchland noch ein für die Entwicklung der Landwirtſchaft ſo hervorragender Mann, wie Albert Thaer, die Düngung mit Knochen bez. deren Produkten eine Kapitalverſchwendung nannte, wanderten dieſe Knochen zu möglichſt billigen Preiſen in die chemiſchen Fabriken Englands, wohin 1822 die Schlachtfelder der Freiheitskriege allein 33,000 Tons lieferten. Die erſten exakt und konſequent durch - geführten Felddüngungsverſuche wurden während 26 Jahren von 1852 1877, in Rothamſted von Lawes und Gilbert gemacht und lieferten im Durchſchnitt pro Hektar in Kilo:

In Woburn, einem Gute des Herzogs von Bedford, wurden unter Völkers Leitung im Durchſchnitt bei 10 aufeinanderfolgenden Verſuchen von 1877 1886 gleichfalls pro Hektar in Kilo erzielt:

446Die künſtlichen Düngeſtoffe und die Chemie des Bodens.

Der Mineraldünger beſtand bei dieſen Verſuchen aus Kalkſuper - phosphat, Kali, ſchwefelſaurem Natron und Bitterſalz; einfaches Ammoniakſalz oder Chiliſalpeter bedeutet, daß 48 kg Stickſtoff pro Hektar, doppeltes , daß 96 kg Stickſtoff pro Hektar gegeben wurden.

Ferner zeigen 22 Jahre lang durchgeführte Verſuche auf Wieſen, daß auch hier die Wirkung der künſtlichen Düngeſtoffe von ganz eminenter Bedeutung iſt, und zwar wie bei den anderen Kulturen nicht nur für die Quantität, ſondern auch für die Qualität des gewonnenen Futters. Sowohl Schmackhaftigkeit wie Nährkraft wurden weſentlich verbeſſert, was ſofort einleuchtend iſt, wenn man berückſichtigt, daß bei dieſen Verſuchen, wenn vorherrſchend mit Phosphorſäure und Kali gedüngt wurde, Graswieſen in Klee - und Wickenwieſen verwandelt worden ſind. Hierdurch ſoll nicht etwa geſagt werden, daß genannte Düngemittel im - ſtande ſeien, Klee - und urſprünglich zu erzeugen, ſondern vielmehr, daß ſie die Bedingungen gewähren, unter welchen dieſe ſich entwickeln können, anſtatt ſich von dem Graſe überwuchern zu laſſen.

Für das Düngebedürfnis der Pflanzen, das ja wie wir z. B. bei den ſtickſtoffſammelnden Pflanzen geſehen haben häufig ein ganz anderes iſt, als ihr Nahrungsbedürfnis, hat Wolff folgendes, ſehr inſtruktives Schema aufgeſtellt:

Dieſe Verteilung der drei weſentlichen konzentrierten Düngemittel bedeutet, daß die Halmfrüchte unter den durchſchnittlich vorhandenen Verhältniſſen, wenn ſie gute Ernten liefern ſollen, vorzugsweiſe eine reichliche Menge Stickſtoff verlangen, zunächſt kommt dann die Phosphor - ſäure in Betracht und zuletzt erſt das Kali. Klee, Luzerne, ähnliche Futterkräuter und Wieſen verlangen in erſter Linie Kali, in zweiter Phosphorſäure und die geringſte Bedeutung hat hier der Stickſtoff. Rübenartige Gewächſe geben guten Ertrag nach Phosphorſäure, wobei Stickſtoff und Kali ebenfalls von Wert ſind, jedoch der Stickſtoff von höherem als das Kali. Kartoffeln verlangen gleichzeitig Stickſtoff und Phosphorſäure, weniger direkte Kalizufuhr; die körnertragenden Hülſen - früchte hingegen Kali und Phosphorſäure, während hier Stickſtoff weniger in Betracht kommt. Den Ölfrüchten und anderen Handels - gewächſen, wie Tabak, Geſpinſtpflanzen ꝛc. endlich, muß man alle drei dieſer wichtigen Düngemittel in reichlicher Menge und leicht löslicher Form zuführen, wenn man ohne Raubbau zu treiben, lohnende Ernteerträge erzielen will.

Um den Wert der Düngung mit konzentrierten Düngemitteln noch recht anſchaulich vor Augen zu führen und gleichzeitig zu beweiſen,447Die konzentrierten Düngemittel.daß die Verwendung dieſer Düngemittel eine unnütze Verſchwendung iſt, wenn auch nur einer der weſentlichen Nährſtoffe fehlt, ſeien noch zwei der bereits erwähnten Wagnerſchen Photographieen ſeiner Ver - ſuche hier nachgebildet. Fig. 222 zeigt Verſuche mit Sommerweizen und Gerſte ohne und mit Stickſtoffdüngung. In die Vegetationsgefäße wurde im Frühjahr ein ſtickſtoffarmer Ackerboden gefüllt; die mit O bezeichneten erhielten nur eine Kaliphosphat-Düngung, die mit S be - zeichneten außerdem noch 10 g Chiliſalpeter in jedes Gefäß. Der Unter - ſchied in der Entwickelung der Pflanzen iſt überaus auffallend, denn Weizen und Gerſte entwickelten ſich ohne Stickſtoff, trotz der Kaliphosphat - Düngung nur kümmerlich, während bei Zufuhr von Stickſtoff eine

Stickſtoff-Düngungsverſuche mit Weizen. mit Gerſte.

Fig. 222.

Kali-Phosphat-Düngung ohne Stickſtoff. Kali-Phosphat-Düngung mit Stickſtoff. (10 g Chiliſalpeter per Gefäß.) Kali-Phosphat-Düngung ohne Stickſtoff. Kali-Phosphat-Düngung mit Stickſtoff. (10 g Chiliſalpeter per Gefäß.)

geradezu üppige Vegetation eintrat; der Ertrag hatte ſich hierbei um das Dreifache geſteigert!

Fig. 223 zeigt Kali-Düngungsverſuche mit Sommerroggen auf Lehm - und Sandboden, welchen das Maximalquantum an Stickſtoff und Phosphorſäure zugeſetzt war. Auch hier ſieht man wie überaus üppig ſich der Roggen entwickelt, nachdem man pro Gefäß 0,75 g zugeſetzt hatte, während er ohne Kali beſonders auf dem Sandboden nur ſehr kümmerlich fortkam. Der Lehmboden war von Natur aus reicher an Kali, als der Sandboden, denn er hatte 0,23 % davon, während der Sandboden nur 0,04 % Kali enthielt. Gerade dieſe letzten Ver - ſuche ſind aus den zahlreichen Verſuchen Wagners herausgegriffen, weil man bis in neuerer Zeit annahm, und an vielen Orten vielleicht heute noch annimmt, daß das Düngebedürfnis der Halmfrüchte für Kali ein448Die künſtlichen Düngeſtoffe und die Chemie des Bodens.ſehr untergeordnetes ſei: Schultz-Lupitz behauptet das Gegenteil und die Abbildungen in Fig. 223 zeigen die Richtigkeit ſeiner Anſicht, nämlich, daß die Kalidüngung für Halmfrüchte nichts weniger als unweſentlich iſt.

Zum Schluſſe ſoll noch die hohe volkswirtſchaftliche Bedeutung der richtigen und eingehenden Verwendung der konzentrierten Dünge mittel erwähnt werden. Schultz-Lupitz*)Schultz-Lupitz: Die Kalk-Kali-Phosphatdüngung. Dresden, G. Schönfelds Verlag. berechnet, daß die großen Summen, welche Deutſchland jährlich für notwendige Nahrungsmittel an das Ausland bezahlt 1890 waren es 720 Millionen Mark leicht erſpart werden können durch genügende Produktion im Inlande, womit gleichzeitig die ſo viel umſtrittene Frage der Kornzölle gelöſt wäre. Die Produktion im Inlande würde bei einer Mehrernte von

Kali-Düngungsverſuche mit Roggen auf Lehmboden. mit Roggen auf Sandboden.

Fig. 223.

Ohne Kali-Düngung. Gedüngt mit 0,75 g Kali. Ohne Kali-Düngung. Gedüngt mit 0,75 g Kali.

durchſchnittlich 100 kg pro Hektar der angebauten Körnerfrüchte an Korn genügen, um den geſamten Bedarf zu decken, und ſomit wäre eine Ein - fuhr vom Auslande überflüſſig. Iſt das zu erzielen wohl möglich? Mit den Hülfsmitteln, welche der heutige Stand der Wiſſenſchaft ge - währt, außerordentlich leicht, man muß nur wirklich ernſt wollen und darf gewiſſe Ausgaben nicht ſcheuen, zumal man ſicher iſt, das Vielfache dieſer Summen ſchon bei der nächſten Ernte zurückzuerhalten. Schultz - Lupitz ſagt darüber wörtlich: Unternehmen Sie, meine Herren, eine Reiſe in das Land, ſehen Sie, wie ausgedehnte Bodenflächen, Flächen,449Die konzentrierten Düngemittel.welche zum Teil gar nicht ſo ſchlechten und durchweg enorm verbeſſerungs - fähigen Boden haben, daliegen, eine ſchwache, kümmerliche verunkrautete Ernte aufweiſend. Iſt es da nicht klar, daß dieſe Flächen mit relativ geringem Aufwand ganz andere Ernten zu tragen vermögen? Alles das iſt möglich bei ausreichendem Erſatz der Pflanzennährſtoffe im Boden, eine für die weitaus meiſten Böden Deutſchlands völlig dringliche Bedingung. Gelingt es, dieſe Errungenſchaften der Wiſſen - ſchaft in die Praxis überzuführen und zwar bis in die kleinſten bäuer - lichen Wirtſchaften hinein, ſo wird der eigene Boden leicht imſtande ſein, eine reichliche und billige Frucht hervorzubringen, welche genügt, das ganze Volk billig zu ernähren.

Wir glauben dieſe Abhandlung nicht beſſer ſchließen zu können, als mit den lichtvollen Worten Wolffs: Ein heller Kopf und ein klares Auge, ein durch Wiſſenſchaft aufgeklärter Geiſt und durch reiche Erfahrung und eigene Beobachtung geſchärfter Blick, das ſind Dinge, welche der Landwirt der Jetztzeit beſitzen und fort und fort in immer höherem Grade ſich anzueignen beſtrebt ſein muß, wenn er ſeinem Be - rufe genügen und nicht dem Schlendrian verfallen will, nicht gedankenlos nur nachahmen will, was ſeine Vorgänger vor ihm getrieben haben. Nur an der Hand und im richtigen Verſtändnis der neuen Lehre von der Erſchöpfung des Bodens und von dem Erſatz, welchen man dem - ſelben für die mit den Ernten entzogene Pflanzennahrung zu gewähren hat, iſt es dem Landwirt möglich, fortdauernd die höchſte Rente für Feld und Wieſen zu erzielen! Dr. Max Weitz.

2. Die landwirtſchaftlichen Maſchinen und Geräte.

Im vorhergehenden Kapitel iſt die Wichtigkeit einer zweckmäßigen mechaniſchen Bearbeitung des Bodens betont worden unter Erwähnung der verſchiedenen Meliorationsmethoden und der durch dieſelben beab - ſichtigten Veränderungen in der phyſikaliſchen Beſchaffenheit des Bodens. Im nachſtehenden ſollen nun die heute für dieſen Zweck verwendeten Maſchinen und Geräte beſchrieben werden. Dieſelben ſind in neuerer Zeit zu ſehr hoher Vollkommenheit verbeſſert worden, und hat die Ein - führung von Maſchinen für die bei dem Feldbau vorzunehmenden Arbeiten ſich ſchon lange nicht mehr damit begnügt, nur bei der mechaniſchen Bearbeitung des Bodens ſelbſt Hilfe zu leiſten, ſondern wir finden heute auch ſehr genial konſtruierte und vollkommene Ma - ſchinen, ſowohl im Dienſte der Arbeit des Säens, als auch der Ernte. Das Buch der Erfindungen. 29450Die landwirtſchaftlichen Maſchinen und Geräte.Nach dieſem Geſichtspunkte können alle landwirtſchaftlichen Maſchinen in drei Gruppen geteilt werden, die ſich als Bodenbearbeitungs -, als Saat - und Erntemaſchinen bezeichnen laſſen.

a) Die Bodenbearbeitungsmaſchinen.

Die wichtigſte der Bodenbearbeitungsmaſchinen, iſt der Pflug, und es iſt beſonders intereſſant, die Entwickelung dieſes Gerätes zu be - trachten. Der Pflug hat die Aufgabe, einen beſtimmten Erdſtreifen völlig umzuwenden, und zwar je nach dem vorliegenden Zweck und der vorhandenen Beſchaffenheit des Bodens dieſe Arbeit mehr oder weniger tief, aber ſtets von einer ganz beſtimmten Tiefe auszuführen. Ein ſolcher Erdſtreifen muß für den umzuwendenden Teil wagerecht und ſenkrecht ſcharf abgegrenzt werden und die zwiſchen je zwei ſolcher umgewendeten Erdſtreifen entſtehenden Furchen müſſen vollſtändig rein und ausgeräumt erſcheinen. Je vollkommener nun bei möglichſt ge - ringem Kraftaufwand der Pflug dieſe Aufgabe löſt, deſto beſſer iſt er natürlich, und recht zahlreiche Konſtruktionen ſind für die Löſung dieſer Aufgabe in Konkurrenz getreten.

Als der Menſch anfing, den Boden zu bearbeiten, wurde die heute vom Pfluge verrichtete Arbeit unter Zuhilfenahme verſchiedener Gerätſchaften bewerkſtelligt, und zwar waren es Spaten, Schaufel, Hacke und ſchließlich Rechen, welche dem Menſchen hierzu dienten und deren Arbeit der Pflug übernommen hat, indem gleichzeitig an Stelle der verſchiedenen Kräfte, welche zur Handhabung jener Gerätſchaften notwendig waren, nunmehr eine einzige, nämlich die Zugkraft, trat.

Soweit unſere Forſchungen zurückreichen, finden wir den erſten Pflug bei den Ägyptern und zwar in Abbildungen auf altägyptiſchen Denkmälern, gleichzeitig ein Beweis dafür, daß der Ackerbau ſchon damals in hohen Ehren ſtand. Dieſer Pflug (Fig. 224) beſtand aus einem ſtarken, gekrümmten und an einem Ende zugeſpitzten Baumzweige a, deſſen anderes Ende in zwei Äſte b b auslief, die als Handhaben dienten, und an welche die Zugſtange c mit dem für das Anſpannen des Zugtieres notwendigem Querholz d angebracht war. Die Über - lieferungen der römiſchen Schriftſteller, ganz beſonders die ſo vor - züglichen des Plinius, dem wir zahlreiche, ſehr ſchätzenswerte Mit - teilungen über den Ackerbau der Römer und Griechen verdanken, machen uns auch mit der erſten Verbeſſerung des ägyptiſchen Pfluges durch die Römer bekannt. Sie ſetzten, wie es Fig. 225 zeigt, an dem unteren Teile des Baumes a die Pflugſchar b aus Eiſen an, ohne zuerſt die Zugführung c d weſentlich zu verändern. Gerade dieſer Pflug iſt ſehr inſtruktiv für die Entſtehung des Pfluges aus der Schaufel, denn er zeigt faſt das Bild einer ſchräg in den Boden geſtoßenen Schaufel, deren Herausheben, wie es vorher nach jedem Spatenſtich notwendig war, unterbleibt, und bei welcher für die ſtoßende Kraft des Menſchen die451Die Bodenbearbeitungsmaſchinen.

Fig. 224.

Ägyptiſcher Pflug.

Fig. 225.

Römiſcher Pflug.

Fig. 226.

Römiſcher Pflug der ſpäteren Zeit.

Fig. 227.

Ruchadlo-Pflug.

Fig. 228.

Kultur-Pflug.

Fig. 229.

Amerikaner Pflug.

29*452Die landwirtſchaftlichen Maſchinen und Geräte.von einem Tiere geleiſtete Zugkraft getreten iſt. Die nächſte weſent - liche Verbeſſerung, auch noch von den Römern ſelbſt vorgenommen, beſtand darin, daß ſie den vorderen Teil des Pfluges auf Räder legten und die Pflugſchar, aus zwei Eiſenſtücken beſtehend, an einem ſchlittenartigen Klotz befeſtigten, wie es Fig. 226 zeigt. Mit dieſer Konſtruktion ſind wir denjenigen der modernen Pflüge bereits ſo nahe gekommen, daß wir die weitere Entwickelung des Pfluges ver - laſſen und zur Beſchreibung der heute üblichen Konſtruktionen der - ſelben übergehen können. Der Wert dieſer modernen Pflüge liegt hauptſächlich darin, daß ſie bei großer Krafterſparnis jede gewünſchte Art des Pflügens durch beſonders zu dieſem Zwecke gewählte Bauarten ermöglichen.

Schon die Form und Größe des Pflugkörpers wird nicht mehr beliebig gewählt, ſondern der betreffenden Bodenart entſprechend, und unterſcheidet man danach die in den Figuren 227 229 dargeſtellten drei Hauptarten. Der Ruchadlo-Pflug (Fig. 227) iſt ein kurzer, breiter, gedrungener Keil, bei welchem Schar - und Streichbrett in faſt cylin - driſcher Form ſteil und ſchaufelförmig aufwärts ſteigen. Hierdurch iſt der von der Schar aufgenommene Boden gezwungen, am Streich - brett emporzuſteigen, wird durch die Krümmung desſelben zerkrümelt und fällt dann ſich überſtürzend in die offene Furche. Man ver - wendet dieſe Form der Schar beſonders auf naturlockeren, leichten und mittelſchweren Bodenarten, Sand - und Geröllboden, ſowie auf mildem Lehmboden. Der Kulturpflug (Fig. 228) hat ein längeres und weniger ſteiles Streichbrett, als der Ruchadlo-Pflug, wodurch der von der Schar aufgenommene Boden über die Kante des Streichbrettes in die Furche fällt, wobei er gekrümelt wird. Dieſer Pflug eignet ſich be - ſonders für nicht zu bindigen Boden. Der Amerikaner-Pflug (Fig. 229) endlich iſt für Thon - und Lehmboden, ſowie rohen Boden jeder Art geeignet. Der Körper dieſes Pfluges bildet einen langen ſpitzen Keil; Schar und Streichbrett ſteigen in flachem Bogen aufwärts, wobei ſich letzteres in ſchraubenförmiger Windung nach rückwärts zieht. Der Boden gleitet an dem Streichbrett entlang, wird der Windung des - ſelben folgend, gewendet und in die Furche gedrängt, wobei er je nach ſeiner Bindigkeit mehr oder weniger bricht.

Der Normalpflug (Fig. 230) iſt ſo konſtruiert, daß alle mit dem - ſelben gezogenen Furchen ganz gleichlaufend werden müſſen. Zu dieſem Zweck läuft das eine der beiden Räder, auf welchen der Pflug ruht, in der letzten der gezogenen Furchen, während das andere auf dem feſten Lande läuft und der gewünſchten Furchentiefe entſprechend mittelſt eines ſinnreich konſtruierten Hebelmechanismus genau eingeſtellt werden kann. Beim Ausrücken ſtellen ſich die beiden unteren Rad - bahnen wieder in eine Horizontale, wie es Fig. 231 zeigt, wo auch gleichzeitig das hinten anzubringende kleine Rad ſichtbar iſt, welches für den Transport des Pfluges dient.

453Die Bodenbearbeitungsmaſchinen.
Fig. 230.

Normalpflug.

Fig. 231.

Normalpflug in Transportſtellung.

Der Rajolpflug (Fig. 232) krümelt und wendet bei einer relativ ſehr geringen Kraftaufwendung die Ackerfurche ſehr vollſtändig um, und leiſtet bei ſchon einmaliger Anwendung ganz erheblich mehr, als die ſo mühſame Spatenkultur. Er ſchneidet die zu kultivierenden Furchen - ſtreifen in zwei Hälften und zwar derartig, daß die obere Bodenſchicht mit den Stoppeln, Gras und Dünger gelockert nach unten gelegt, die untere Erdſchicht hingegen gehoben und loſe gekrümelt darüber ge - deckt wird. Die Form des Schar - und des Streichbrettes wird der betreffenden Bodenart entſprechend gewählt. Das ſich verhältnis -

Fig. 232.

Rajolpflug.

454Die landwirtſchaftlichen Maſchinen und Geräte.mäßig beſonders an dem unteren Teile ſchnell abnutzende Streichbrett dieſer Pflüge iſt nach einer neueren Konſtruktion von W. Flöther in zwei Teile geteilt und mittels Schrauben am Körper befeſtigt, ſo daß beide Teile einzeln erſetzt werden können. Eine weſentliche Verbeſſerung (Fig. 233) der für geringen Tiefgang beſtimmten Pflüge, wodurch die vor - zunehmende Arbeit ſehr rationell verrichtet wird, beſteht darin, daß man an denſelben zwei bis vier Schare anbringt. Fig. 233 zeigt einen ſolchen zweiſcharigen, Fig. 234 einen dreiſcharigen Saatpflug, bei denen die

Fig. 233.

Zweiſchariger Pflug.

Fig. 234.

Dreiſchariger Pflug.

455Die Bodenbearbeitungsmaſchinen.hinteren Stelzräder nur für den Transport des Pfluges angebracht ſind. Dieſe Stelzräder können bei allen Pflügen auch durch Transportkarren er - ſetzt werden, welche gleichzeitig die Pflugſchar während des Transportes ſchützen, und zeigt Fig. 235 einen Pflug, deſſen Schar durch einen Transportkarren gehoben und geſchützt iſt, während A den Karren vor

Fig. 235.

Transportkarre.

dem Gebrauche darſtellt. Im Gegenſatz zu den ſehr flach gehenden mehr - ſcharigen Pflügen ſteht der Untergrund - oder Mineur-Pflug (Fig. 236). Er dient zum Lockern des Untergrundes und wird in der Furche hinter einem gewöhnlichen Pfluge angewendet. Dieſer Pflug lockert und miſcht den Untergrund bis zu einer Tiefe von 10 bis 25 cm, ſo daß, wenn der vorhergehende Pflug eine Furche von 20 cm Tiefe gemacht hat, eine Lockerung des Bodens bis auf 45 cm Tiefe erreicht werden kann. Bei dieſem Tiefpflügen ſind allerdings große Wider - ſtände zu überwinden, welche wie auch etwa vorhandene Steine die Scharſpitze ſchnell abnutzen. Aus dieſem Grunde beſteht die Schar - ſpitze des Untergrundpfluges, wie es bei Fig. 236 erſichtlich iſt, aus einem kräftigen, verſtellbaren Meſſer, welches leicht geſchärft, nachge - ſtellt, oder auch ganz erſetzt werden kann. Zu den bisher beſprochenen

Fig. 236.

Mineur oder Untergrundpflug.

456Die landwirtſchaftlichen Maſchinen und Geräte.Pflügen iſt von den neueren Konſtruktionen noch der Wendepflug (Fig. 237) zu erwähnen. Dieſer Wende - auch Zwillings - oder Kehrpflug genannt, iſt für Gebirgsgegenden konſtruiert, wo das Auf - und Abwärtswenden an den Hängen bisher eine ſehr mühſame Arbeit war. Mit dem

Fig. 237.

Wende - und Zwillingspflug.

Wendepflug wird das Wenden hingegen ſehr leicht, da er aus zwei am Gründel vollſtändig drehbar angebrachten Pflugkörpern beſteht. Die Drehſtelle iſt gegen das Einfallen von Erde geſchützt und die Räder an dem Vorderkarren ſind bei dieſem Pfluge natürlich gleich groß, da ſie ja abwechſelnd in der Furche gehen müſſen.

Außer zu direkten Lockerungen des Bodens, zu welchen die vor - ſtehend beſchriebenen Pflüge dienen, wird der Pflug in der Landwirt - ſchaft jetzt auch noch zu einigen anderen Arbeiten verwendet und ſollen zum Schluſſe drei ſolcher Pflüge aufgeführt werden. Da iſt vor allem der Jäte - und Häufelpflug (Fig. 238), welcher ſowohl zum Behacken der Pflanzen bei Reihenkulturen, d. h. alſo zum Entfernen des Unkrautes zwiſchen den Reihen, wie auch zum Behäufeln der Pflanzen ſelbſt dient. Das Ausjäten des Unkrautes veranlaſſen die

Fig. 238.

Jäte - und Häufelpflug.

457Die Bodenbearbeitungsmaſchinen.ſeitlichen Hackmeſſer, welche mittels eiſerner Kloben an dem Pflug - balken befeſtigt ſind und der Entfernung der Reihen entſprechend feſt eingeſtellt werden können. Soll der Pflug als Häufelpflug benutzt werden, ſo werden dieſe Hackmeſſer ganz abgenommen und an Stelle der hinteren Hackſchar wird der Häufelkörper befeſtigt. Ferner ge - hört hierher der ſog. Waſſerfahrenpflug (Fig. 239), der beſonders für größere Güter mit ſchwerem, undurchläſſigem Boden eine hohe Be - deutung gewonnen hat. Bei dieſen Gütern iſt nämlich die Herſtellung

Fig. 239.

Waſſerfahrenpflug.

der Waſſerfahren eine ſehr zeitraubende Arbeit, für welche aber, wenn die Witterung das Aufgehen der Saat beſonders begünſtigt, nur eine ſehr kurze Zeit gegeben iſt. Der Waſſerfahrenpflug löſt dieſe Aufgabe leicht und ſchnell, denn ein zweimaliges Vorgehen genügt, um eine Furche von 18 cm Tiefe mit 20 cm breiter Sohle herzuſtellen. An den Streichbrettern dieſes Pfluges ſind ſtellbare Streicheiſen mit Eggenarmen angebracht, welche den ausgehobenen Boden ausbreiten und ebnen. Schließlich gehört der Forſtkulturpflug (Fig. 240) hierher. Er hat die Aufgabe, eine ca. 42 cm tiefe trapezförmige Furche mit ebener Sohle herzuſtellen, wobei dieſe letztere zur Aufnahme der Saat locker bleiben

Fig. 240.

Forſtkulturpflug.

458Die landwirtſchaftlichen Maſchinen und Geräte.muß. Um dieſen Anſprüchen zu genügen, muß der Pflug ſehr kräftig gebaut und eigenartig konſtruiert ſein. Zum Aufreißen des Bodens dient ein Sech oder Rolter, welches in jeder beliebigen Lage durch einen Keil feſtgehalten wird. Eine flachgeſtellte Schar ſchält den Boden ab, und an dieſe ſchließen ſich zu beiden Seiten zwei ſchraubenförmig gewundene Streichbretter aus Stahlblech an, welche den Erdſtreifen allmählich nach beiden Seiten umlegen. Beide Streichbretter ſind durch je einen ſtellbaren eiſernen Abſtreicher nach außen verlängert, welche den umgelegten Erdſtreifen feſtdrücken und ein Zurückfallen desſelben in die Furche verhindern. Der Tiefgang des Pfluges kann durch Stellung eines Ringes auf der von der Karrenachſe aufwärtsſtehenden Spindel beliebig beſtimmt und fixiert werden.

Mit der Vervollkommnung der Pflüge, ganz beſonders mit der Zunahme der Pflugſchare und des Tiefganges, mußte naturgemäß auch die Größe der zur Bewegung des Pfluges nötigen Zugkraft wachſen, und nicht ſelten ſah man, beſonders bei Untergrundpflügen 4, ja ſelbſt 6 Pferde vor einem Pfluge ziehen. Das wiederum mußte in einem Zeitalter, in dem der Dampf zur Kraftleiſtung eine ſo ungeheuer große Rolle ſpielte, auf den Gedanken bringen, auch den Pflug durch Dampf zu bewegen. So entſtand der erſte Dampfpflug, bei welchem der Pflug direkt anſtatt von Pferden oder Rindern von einer Dampf - maſchine über den Acker hin - und hergezogen wurde. Dieſes Syſtem bewährte ſich indes nicht, konnte aber erſt verlaſſen werden, nachdem David & Thomas Fisken, zwei Schullehrer, 1855 den Balancierpflug erfanden, aus welchem ſich ſehr bald das ſog. indirekte Dampfpflug - ſyſtem entwickelte. Fowler und Howard bildeten, ſcharf untereinander konkurrierend, dieſes Syſtem zu großer Vollkommenheit aus, und leiſten

Fig. 241.

Drei-Furchen-Dampfpflug für Tiefkultur, von John Fowler & Co. in Magdeburg.

459Die Bodenbearbeitungsmaſchinen.dieſe Dampfkultivatoren heute der Landwirtſchaft ſehr weſentliche Dienſte, nicht nur durch rationelle Verwertung der Zugkraft, ſondern noch bei weitem mehr dadurch, daß ſie Tiefkulturen ermöglichen, wie ſie vorher nie erreicht wurden, und hierdurch bei richtiger Verwendung von Dünge - ſtoffen die Ertragsfähigkeit des Bodens weſentlich erhöhen. Von den verſchiedenen Syſtemen der Dampfkultivatoren ſei hier das Fowlerſche kurz beſchrieben. Der Balancierpflug (Fig. 241) hat zwei mal drei oder mehr Schare, von denen die eine Hälfte ſtets in der Luft ſchwebt, wenn die andere den Boden berührt. Auf der einen Seite des Ackers ſteht die den Motor bildende Lokomotive (Fig. 242) und kann auf Schienen

Fig. 242.

Lokomotive zum Dampfpflug.

Fig. 243.

Ankerwagen zum Ein-Maſchinen-Dampfpflug-Syſtem von John Fowler & Co. in Magdeburg.

460Die landwirtſchaftlichen Maſchinen und Geräte.

Fig. 244.

Ein-Maſchinen-Dampfpflug-Syſtem von John Fowler & Co. in Magdeburg.

461Die Bodenbearbeitungsmaſchinen.

Fig. 245.

Zwei-Maſchinen-Dampfpflug-Syſtem von John Fowler & Co. in Magdeburg

462Die landwirtſchaftlichen Maſchinen und Geräte.oder auf ſehr breiten Rädern montiert, auch direkt auf den Acker, an der Grenze desſelben vorwärts gerückt werden. Auf der anderen Seite, der Lokomotive gerade gegenüber, ruht ein ſchwerer Karren, ſog. Ankerwagen (Fig. 243), welcher eine horizontal montierte Seilſcheibe trägt. Zwiſchen dieſer Seilſcheibe, der anderen Ecke des Ackers und der Lokomotive läuft ein Drahtſeil, an welches der Balancierpflug angebracht und ſo quer über den Acker gezogen wird. Auf dem Wege von der Lokomobile zum Karren durchfurcht die eine Hälfte der ange - brachten Pflugſchare den Acker, während die andere in die Luft ragt, um auf dem Rückwege zur Lokomotive, dieſe ablöſend, die Furche zu ziehen. Bei einmaligem Hin - und Rückwege des Pfluges werden ſomit eine der Geſamtzahl der Pflugſchare entſprechende Anzahl Furchen gezogen und Lokomotive wie Ankerwagen hierauf um die Breite der hergeſtellten Furchen vorgerückt. Das iſt das ſog. Ein - maſchinenſyſtem des Dampfpfluges (Fig. 244), und unterſcheidet ſich hiervon das Zweimaſchinenſyſtem (Fig. 245) dadurch, daß bei dieſem auch der Ankerwagen durch eine Lokomotive erſetzt iſt und der Balancier - pflug zwiſchen dieſen beiden Maſchinen an einem Drahtſeile angekoppelt hin - und hergezogen wird. Der Dampfpflug findet immer größere Verbreitung, nicht nur in den größeren, ſondern auch durch Einführung der Lohnpflüge für die mittleren und kleineren Wirtſchaften.

Die Bearbeitung des Ackers mit dem Pfluge iſt noch keine voll - kommene und wird erſt mit Eggen und Walzen vollendet. Die Egge hat hierbei die Harke zu erſetzen, wie der Pflug den Spaten, und ſoll den Boden nicht nur ebnen, ſondern auch lockern, pulvern und von Unkraut befreien. Zu dieſem Zweck ſitzen Zinken der verſchiedenſten Art an loſe ſtehenden Balken, wobei ein zu hohes Gewicht gern ver - mieden wird, da die Zinken nur bis höchſtens 10 cm tief in den Boden eingreifen ſollen. Je nach der Art des Bodens haben wie beim Pfluge auch die Eggen ſehr verſchiedene Geſtalt. Da iſt die in ihrer Anordnung den Krümmern ähnliche Grubber-Egge (Fig. 246) welche ſich insbeſondere für eine oberflächliche Lockerung des Bodens empfiehlt. Sie iſt infolge der Anbringung des Zuges an der einen Ecke des loſe verſchraubten Rahmens ſehr beweglich und vermeidet deshalb nach Möglichkeit jede Verſtopfung der Zinken durch mit -

Fig. 246.

Grubber-Egge.

463Die Bodenbearbeitungsmaſchinen.gerafftes Unkraut ꝛc. Die Zickzackegge (Fig. 247) hat den Vorteil, daß infolge der Stellung der Zinken jede derſelben eine beſondere Furche zieht, wie dieſe auf der Zeichnung punktiert ſind, wodurch ſchon mit verhältnismäßig wenig Zinken eine feine Teilung des Bodens erreicht werden kann. Zwei oder auch drei Felder können an einen Rahmen gehängt werden, und zeigt Fig. 247 eine ſolche Zuſammen - ſtellung mit zwei Feldern. Die Acme-Egge (Fig. 248) hat eine von

Fig. 247.

Vierbalkige, zweifelderige Zickzackegge.

Fig. 248.

Acme-Egge.

464Die landwirtſchaftlichen Maſchinen und Geräte.den gewöhnlichen Eggen ſehr abweichende Form und wird zum Zer - kleinern und Ebenen des Ackers, wie auch zur Saatunterbringung be - nutzt. Sie beſteht aus einer Anzahl eigentümlich geformter Stahl - meſſer, welche an zwei parallel hintereinander liegenden Schienen be - feſtigt ſind. Die Meſſer beider Schienen ſind verſchieden geformt und ergänzen ſich dadurch gegenſeitig in ihrer Wirkungsweiſe. Auch die Tiefe, in welcher die Meſſer in den Boden greifen ſollen, kann ganz beſtimmt fixiert werden, da die beiden Schienen beweglich mit einander verbunden ſind und mittels eines Hebels in ihrer Neigung zum Boden feſt eingeſtellt werden können. Die Wieſeneggen werden benutzt, um Wieſen von Moos zu reinigen, dieſelben zu lüften, wie auch zur Ver - teilung von Maulwurfshaufen und zur Unterbringung der künſtlichen Düngemittel. Ihre Konſtruktionen ſind ſehr zahlreich und können in zwei große Gruppen, nämlich in ſchwere und leichte Eggen eingeteilt werden. Von jeder dieſer Gruppen ſoll hier eine Egge beſchrieben werden und zwar die böhmiſche oder Athausſche Wieſenegge und die leichte Wieſenegge. Die erſtere, in Fig. 249 dargeſtellt, beſteht aus

Fig. 249.

Böhmiſche oder Athausſche Wieſenegge.

gußeiſernen Platten, deren Zinken aus geſchmiedetem Stahl mit Muttern an den Platten befeſtigt ſind. Die einzelnen Platten ſind mit ein - ander durch Kettenglieder verbunden, wodurch es ermöglicht wird, daß die Egge ſich allen Bodenunebenheiten anſchmiegen kann, welche Mög - lichkeit noch dadurch erhöht wird, daß die Plattenreihen nicht feſt an der Zugſtange ſitzen, ſondern mittels Ketten an dieſe angehängt ſind. Die leichte Wieſenegge (Fig. 250) zeichnet ſich[durch] beſondere Leichtig - keit aus und hat aus Stahl gefertigte Zinken, welche in der Mitte an ſchmiedeeiſernen Gliedern ſitzen, und die ſo angeordnet ſind, daß jede Zinke ihre eigene Bahn beſchreibt, ähnlich wie bei der Zickzack-Egge, (Fig. 247) d. h. ſehr vollkommen wirkend. Die Zinken ſelbſt ſind an dem einen Ende mit meißelartiger Spitze, an dem anderen hingegen mit einer meſſerartigen Schneide verſehen, und da ſie in der Mitte an den Gliedern befeſtigt ſind, ſo kann dieſe Egge auf beiden Seiten be -465Die Bodenbearbeitungsmaſchinen.

Fig. 250.

Leichte Wieſenegge.

nutzt werden. Die meißelartige Form der Zinken dient zum Beſeitigen von Moos, zum Auseinanderziehen der Maulwurfshügel, ſo wie auch zur Vorbereitung des Ackers für die bei den Saatmaſchinen näher zu beſchreibende Drillkultur. Die meſſerartigen Zinken hingegen eignen ſich beſſer zum Lüften und Aufarbeiten von Wieſen, wie zur Unter - bringung der künſtlichen Düngemittel.

Vollendet wird die Bearbeitung des Bodens erſt durch die Walze, denn dieſe veranlaßt die Krümelung des Bodens auch an denjenigen Stellen, wo ſie weder durch den Pflug noch durch die Egge erzielt wurde, indem ſie ſelbſt die härteſten Schollen zertrümmert. Aber noch zahlreiche andere Aufgaben hat die Walze zu löſen, ſo z. B. das Feſt - drücken und Ebenen des Bodens, das Andrücken der durch den Froſt gehobenen Saaten und die Verteilung, wie Unterbringung feiner Sämereien. Je nach der zu löſenden Aufgabe iſt nun auch die Form der Walze eine verſchiedene, und ſollen hier die wichtigſten derſelben

Fig. 251.

Schlichtwalze.

Das Buch der Erfindungen. 30466Die landwirtſchaftlichen Maſchinen und Geräte.beſchrieben werden. Da ſind die einfachen Schlicht-Walzen, früher eine aus Holz angefertigte einfache Walze, welche jetzt aus Eiſen dar - geſtellt, aus drei Walzen beſteht, wie es Fig. 251 zeigt. Ferner die Ringelwalze, welche aus einzelnen gußeiſernen Ringeln beſteht, die in einer größeren Anzahl auf einer Achſe neben einander befeſtigt, eine Walze bilden. Zwei ſolcher Walzen werden in einem Geſtell, wie es Fig. 252 zeigt, ſo hintereinander gelagert, daß die eine die andere

Fig. 252.

Doppelte Ringelwalze.

während des Betriebes von der daran haftenden Erde reinigt, indem die Erhöhungen der einen Walze in den Rinnen der anderen laufen. Dieſe Walzen werden bei genau derſelben Lagerung der Ringel auch in kürzeren Stücken als drei Paare ſo angeordnet, wie es Fig. 253 zeigt und ſind für den Transport mit Rädern verſehen, welche ent - weder auf dem Acker abgezogen oder mittels einer Zahnſtange in die

Fig. 253.

Dreiteilige doppelte〈…〉〈…〉 gelwalze

Höhe gehoben werden können. Endlich ſei hier noch die Cambridge - Walze, eine Kombination von Ringel - und Zackenwalze erwähnt, welche ſowohl einteilig als auch dreiteilig (Fig. 254) beſonders zur Be - arbeitung der Weizenfelder im Frühjahr verwendet wird. Dieſe Walze beſteht aus einzelnen gußeiſernen Ringen in zwei verſchiedenen Größen und Formen, welche loſe auf eine ſchmiedeeiſerne Achſe geſteckt ſind. Die breiteren dieſer Ringe haben einen Durchmeſſer von 40 cm und eine Breite von 8 cm, ſie ſind am Rande mit einer Schneide ver - ſehen und drehen ſich gleich einem Rade auf der Achſe. Die ſchmalen Ringe haben einen Durchmeſſer von 42 cm und eine Breite von 2 cm; ihr Rand iſt zackenförmig ausgeſchnitten, und ſie haben in der467Die Bodenbearbeitungsmaſchinen.

Fig. 254.

Dreiteilige Cambridge-Walze.

Mitte eine große Öffnung, welche ihnen einen Spielraum auf der Achſe geſtattet. Infolge dieſer Anordnung ſchmiegt ſich die Walze allen Bodenunebenheiten an, zerkleinert und ebnet den Boden ſehr vollkommen, drückt ihn feſt und giebt ihm endlich trotzdem eine lockere Oberfläche.

Bevor wir nun nach Beſchreibung der Bodenbearbeitungsmaſchinen zu denjenigen übergehen, welche die Handarbeit beim Säen und Ernten erſetzen, iſt es notwendig noch eine Art der Maſchinen zu erwähnen, welche noch vor der Saat verwendet werden, nämlich die Dünger - ſtreumaſchinen. Es iſt in der vorſtehenden Arbeit über die künſtlichen Düngemittel beſonders betont, daß dieſelben ſehr gleichmäßig verteilt werden müſſen, und es lag nahe, für dieſe Arbeit, welche mit der Hand vorgenommen ſtets ſehr mangelhaft iſt, Maſchinen zu kon - ſtruieren. Von dieſen ſoll hier die ſogen. Bandboden-Düngerſtreu - Maſchine (Patent Lins) beſchrieben und in Fig. 255 in der äußeren Anſicht, wie in Fig. 256 in der inneren Einrichtung dargeſtellt werden. An eine ſolche Düngerſtreu-Maſchine wird darum eine ſo hohe An - forderung geſtellt, weil mit derſelben jedes Düngemittel, ſei es trocken und ſtaubig, wie z. B. Knochenmehl und Thomasſchlacke, oder ſei es

Fig. 255.

Bandboden-Düngerſtreu-Maſchine.

30*468Die landwirtſchaftlichen Maſchinen und Geräte.

Fig. 256.

Querſchnitt der Bandboden-Düngerſtreu-Maſchine.

feucht und klebrig, wie Guano und Superphos - phat, nicht nur dauernd und gleichmäßig fein ver - teilt, geſtreut werden muß, ſondern dieſelbe muß auch zu jedem Quan - tum geeignet ſein, da die Menge des auszu - ſtreuenden Düngemittels ſehr variabel iſt und zwiſchen 15 und 300 kg pro Morgen liegt. Die Bandboden-Dünger - ſtreu-Maſchine löſt dieſe Aufgabe infolge ihrer in Fig. 256 dargeſtellten inneren Konſtruktion, welche im weſentlichen in folgendem beſteht. Unter einem Kaſten, der, wie Fig. 255 zeigt, von Fahrrädern getragen wird, ſind der Länge nach drei Walzen parallel nebeneinander laufend angebracht. Über dieſe Walzen iſt ein in der Richtung der Pfeile laufendes Band ohne Ende gezogen, welches gleichzeitig den Boden des über ihm ſtehenden Kaſtens bildet. An der hinteren Wand des Kaſtens iſt ein verſtell - barer Schieber angebracht, der hochgezogen einen Schlitz über dem Bandboden bildet, deſſen Breite von der Stellung des Schiebers ab - hängt und je nach dem auszuſtreuenden Quantum eingeſtellt wird. Wird der Kaſten nun mit den betreffenden Düngemitteln gefüllt nach vorwärts gefahren, ſo bewegt ſich das Band über die rotierenden Walzen nach hinten und nimmt das Düngemittel in der Höhe des Schlitzes kontinuierlich mit heraus, wo es am Ausgange von einer in der Richtung des Pfeiles rotierenden Verteilungswalze erfaßt und fein verteilt auf den Boden geſtreut wird. Das Bodenband iſt von ſehr feſter Leinwand und hat zum Schutze gegen die in den Dünge - mitteln häufig enthaltenen Ätzſtoffe einen Gummiüberzug erhalten.

b) Die Saatmaſchinen.

Die Saatmaſchinen ſind viel älter, als man allgemein annimmt, denn China, Japan und Oſtindien ſollen ſchon lange vor Europa ſolche Maſchinen im Gebrauch haben, und da wir unter den heutigen Saatmaſchinen die Drillmaſchine als eine weſentliche Verbeſſerung der Breitſäemaſchine betrachten müſſen, ſo iſt es in Bezug auf die Geſchichte der Saatmaſchinen um ſo intereſſanter, daß ein im Londoner technolo - giſchen Muſeum befindliches hindoſtaniſches Modell einer Saatmaſchine als Vorläufer unſerer heutigen Drillmaſchinen betrachtet werden kann. Um den Wert der Drillmaſchinen den Breitſäemaſchinen gegenüber ver -469Die Saatmaſchinen.ſtändlich zu machen, wollen wir kurz die Drillkultur erläutern. Eine jede Pflanzenart beanſprucht für das Aufgehen eines Saatkornes und fernere Ausbildung der Pflanze einen ganz beſtimmten Raum, und haben genaue Verſuche ergeben, daß dieſer Raum für die verſchiedenen Pflanzen auch ein ſehr verſchiedener iſt und z. B. für Lein 6 7, für Klee 25 50, für Gerſte 47, für Roggen 54, für Hafer 60, für Weizen 68 und für Mais ſogar 197 cm beträgt. Es iſt einleuchtend, daß, wenn die einzelnen Saatkörner enger geſtreut werden, jede einzelne Pflanze ſomit den ihr zur Entwickelung notwendigen Raum nicht er - hält, und eine ſolche Ausſaat nicht nur eine Saatvergeudung an und für ſich iſt, ſondern auch gleichzeitig der Entwickelung der einzelnen Pflanze ſehr hinderlich ſein muß, da ganz abgeſehen von den Vor - gängen im Boden ſelbſt, ſchon über demſelben den zu eng ſtehenden Pflanzen Luft und Licht fehlen wird. Mit der Hand konnte eine rationelle Ausſaat nur vorgenommen werden, indem man Längs - und Querreihen vorher über das Feld zog, an den Schnittpunkten derſelben mit dem Pflanzſtock Löcher ſtieß und in dieſe die Saatkörner legte. Die Drillmaſchinen veranlaſſen eine ſolche Reihenſaat und die Dibbel - maſchine iſt eine Abart derſelben.

Die Breitſäemaſchinen ſind noch ſehr viel im Gebrauch, ſie ge - währen zwar keine Saaterſparnis, aber ſie bewirken doch das Ausſtreuen der Saat viel gleichmäßiger, als es ſelbſt dem geſchickteſten Säemanne möglich iſt, auch ſind ſie gewöhnlich einfacher und leichter als die Drill -

Fig. 257.

Breitſäemaſchine.

Fig. 258.

Ausſtreu-Apparat. (Querſchnitt.)

Fig. 259.

Ausſtreu-Apparat. (Längsſchnitt und Anſicht.)

470Die landwirtſchaftlichen Maſchinen und Geräte.maſchinen. Fig. 257 zeigt eine Breitſäemaſchine, deren innere Einrich - tung im Quer - und Längsſchnitt in Fig. 258 und 259 dargeſtellt iſt. Der Ausſtreu-Apparat beſteht aus einer Säewelle mit 22 Säeſcheiben, welche ſich dicht über einen am Boden der Maſchine befindlichen ſtellbaren mit Löcher verſehenen Schieber drehen. Dieſe Schieber bewirken bei Drehung der Welle durch ihre eigentümliche wellenartige Form ein ſtetiges Hin - und Herſchieben und dadurch ein ganz gleichmäßiges Aus - fließen der Körner. Die Saatkörner fallen auf das unter der Maſchine hängende Streubrett und werden durch dieſes gleichmäßig auf den Acker verteilt und zugleich durch ein waſſerdichtes Tuch vor Wind und Regen geſchützt. Die Menge der ausgeſtreuten Körner hängt von der Stellung des Schiebers, d. h. davon ab, wie weit ſich die in Fig. 258 und 259 ſichtbaren Löcher des Bodens und Schiebers decken. Die genaue Stellung des Schiebers iſt aber von großer Wichtigkeit und erfolgt mittelſt eines hinten an der Maſchine befindlichen Stellhebels, welcher auf einer Skala gleitet, die mit einem Stellkloben verſehen iſt. Eine zur Maſchine gehörige Saattabelle giebt die Stellung des Stellklobens auf der Skala für jedes beſtimmte Saatquantum an, und gleichzeitig dient der Stellhebel auch als Ausrücker, um mit demſelben den Schieber vollkommen zu ſchließen. Für den Transport der Maſchine auf ſchma - len Wegen iſt dieſelbe mit einer durch die Mitte des Kaſtens gehenden

Fig. 260.

Transportſtellung der Breitſäemaſchine.

Querachſe verſehen, auf welche die Räder beim Transport ge - ſteckt werden, wie es Fig. 260 zeigt, während die eine Deichſel in die am rechten Ende der Maſchine befindlichen Bügel geſchoben und mittelſt eines Vorſteckers befeſtigt wird. Eine andere Konſtruktion der Breit - ſäemaſchine bezweckt ein gleichmäßiges Ausſtreuen der Saat in ſtets gleichmäßiger Menge unabhängig von dem langſamen oder ſchnellen Gange des Zugtieres und ſchließt automatiſch beim Stillſtand der Maſchine die Ausflußöffnungen. Der Säeapparat dieſer Maſchine be - ſteht aus 12 gußeiſernen Gehäuſen, in welchen ſich Schaufelräder drehen. Letztere ſitzen auf einer gemeinſchaftlichen Welle und können mittelſt eines Hebels ſeitlich verſchoben werden, ſo daß entweder das ganze Schaufelrad oder nur ein Teil desſelben in das Gehäuſe tritt, wodurch das auszuſträuende Saatquantum reguliert wird. Die durch die Schaufelräder ausgeworfene Saat fällt auf ein verdecktes Streubrett und wird durch dieſes gleichmäßig auf den Acker verteilt. Endlich ſei hier noch die ſehr einfache Klee-Säemaſchine erwähnt, welche auch für Raps und Grasſamen viel verwendet wird. Hier erfolgt das Aus - ſtreuen des Samens durch eine rotierende Bürſte, und wird dieſe Maſchine nicht nur für den Betrieb mit Zugtieren, ſondern auch ſehr471Die Saatmaſchinen.leicht gebaut, auf einer Karre ruhend, für den Handbetrieb angefertigt, wie es Fig. 261 zeigt.

Zur Drillkultur, d. i. alſo zur Kultur in Reihen, gehören nicht nur die Drill - und die aus dieſen entſtandenen Dibbelmaſchinen, ſondern

Fig. 261.

Klee-Säemaſchine.

auch die während der Vegetationszeit zwiſchen den Reihen verwendeten Hackmaſchinen. Es iſt nicht einer der geringſten Vorteile der Drill - kultur, daß ſie ein bequemes Hacken ꝛc. mit Maſchinen zwiſchen den Reihen zuläßt, was bei der mit der Breitſäemaſchine oder Hand aus - geſtreuten Saat ganz unmöglich iſt, außerdem aber bedingt ſie neben ſehr großer Samenerſparnis aus den vorher erwähnten Gründen auch einen gleichmäßigen Aufgang, wie Stand der Saat und eine vorzüg - liche Verteilung von Luft und Licht zwiſchen den Pflanzen. Schon 1710 wurden die erſten Drillmaſchinen von dem Engländer Jethro Tull konſtruiert und bis heute ganz weſentlich vervollkommnet, nicht nur in Bezug auf die gleichmäßige Abgabe der Saatkörner, ſondern auch darin, daß ſie gleichzeitig den Samen mit Erde bedecken und ſomit die Säe - arbeit ganz vollenden.

Fig. 262 zeigt den äußeren Anblick einer Drillmaſchine, und ſieht man bei dieſer im Gegenſatz zur Breitſäemaſchine eine Anzahl Röhren an dem Saatkaſten hängen. Die Anzahl dieſer Röhren entſpricht der Anzahl der Reihen, welche geſät werden ſollen, während die Röhren ſelbſt zur Saatführung nach unten dienen, in einer Scharform enden und an Hebeln montiert, ſo leicht ſind, daß ein zu tiefes Eindringen im leichten Boden vermieden wird, während ſie für ſchweren Boden durch Gewichte belaſtet werden. Fig. 263 zeigt eine ſolche zum Ziehen der Furchen beſtimmte Schar d an dem Scharhebel befeſtigt. Für das gleichmäßige Arbeiten der Drillmaſchine iſt es unbedingt notwendig, daß der Saatkaſten ſtets in wagerechter Stellung bleibt, und wird dies bei einzelnen Maſchinen durch eine ſinnreich konſtruierte Schrauben - ſtellung erzielt, welche indes neuerdings durch eine automatiſch wirkende Vorrichtung zur wagerechten Haltung des Kaſtens verdrängt zu werden472Die landwirtſchaftlichen Maſchinen und Geräte.

Fig. 262.

Drillmaſchine.

ſcheint. Innerhalb dieſes Kaſtens befindet ſich ein Säeapparat, welcher den Zweck hat, dafür zu ſorgen, daß nur eine ganz beſtimmte Anzahl Saatkörner in ganz beſtimmten Zwiſchenräumen in die Saatleitungs - röhren und durch dieſe zur Erde gelangen. Dieſe Säeapparate werden

Fig. 263.

Schare und Hebel der Drillmaſchine.

ſtets durch Verbindung mit einem Fahrrade in Thätigkeit geſetzt und ſind von ſehrverſchiedener Kon - ſtruktion, erſtreben aber alle denſelben Zweck, näm - lich ein ganz gleichmäßiges Säen unter allen Um - ſtänden, alſo auch bei Ab - hängen, welche eine ſchiefe Stellung des Saatkaſtens veranlaſſen, bei wechſeln - der Fahrgeſchwindigkeit, bei Hacken und Stoßen während des Fahrens ꝛc. Fig. 264 zeigt den Durchſchnitt einer Drill - maſchine und zwar der ſog. Nutenwalzen-Drillmaſchine, ſo genannt nach dem von Lins erfundenen Nutenwalzen-Säeapparat, welchen dieſelbe ent - hält. Hierbei iſt a b die Umſetzung vom Fahrrade zum Säeapparat k, und zwar ſind dieſe die Umſetzung bewirkenden Räder durch Wechſel - räder zu erſetzen, wenn eine andere Geſchwindigkeit der Nutenwalze für ein verändertes Saatquantum gewünſcht wird. Die furchenziehenden Schare ſind mit d bezeichnet, und t endlich iſt die Saatführungsröhre, durch welche die vom Säeapparat ausgeworfenen Saatkörner genau an der gewünſchten Stelle in den Boden gelangen. Ein anderer von473Die Saatmaſchinen.

Fig. 264.

Durchſchnitt der Drillmaſchine.

Flöther konſtruierter Säeapparat hat anſtatt der Nutenwalzen eine Konſtruktion, bei welcher Schöpfräder der weſentlichſte Teil ſind und iſt gleichfalls ſehr verbreitet. Dieſe Drillmaſchinen können auf jede be - liebige Reihenweite von 90 mm ab eingeſtellt und ſehr leicht für alle Getreidearten umgeſtellt werden. Bei den Dibbelmaſchinen, welche den Zweck haben, eine beſtimmte Anzahl Körner in ganz beſtimmten Ab - ſtänden von einander in die Erde zu bringen, wie z. B. bei der Rüben - kultur, iſt die Einrichtung eine ähnliche wie bei der Drillmaſchine und nur der Säeapparat den für das Dibbeln geſtellten Anforderungen entſprechend geändert. Es giebt auch zahlreiche Konſtruktionen, welche durch ſehr einfache Auswechſelung des Säeapparates und einiger ſon - ſtigen Teile in ſehr kurzer Zeit das Umändern einer Drillmaſchine zu einer Dibbelmaſchine geſtatten.

Wie ſchon vorerwähnt, ermöglichte die Saat in genau gehaltenen Reihen auch die Einführung von Hackmaſchinen, welche verhältnis - mäßig leicht zwiſchen den Pflanzenreihen geführt werden können. Von den zahlreichen Konſtruktionen der Hackmaſchinen ſei hier die Eckert patentierte und in Fig. 265 dargeſtellte, beſchrieben. Die Meſſer derſelben ſind aus Stahl und an beweglichen Parallelogrammen ſo befeſtigt, daß ſie ſich allen Unebenheiten des Bodens anſchmiegen, ohne ihre Schnittrichtung gegen denſelben zu verändern. Die Parallelo - gramme ſind verſchiebbar auf einem Rahmen befeſtigt und werden für474Die landwirtſchaftlichen Maſchinen und Geräte.

Fig. 265.

Hackmaſchine.

jede beliebige Reihenentfernung paſſend auf demſelben eingeſtellt. Der Hackrahmen wird durch Rollen an zwei eiſernen Röhren geführt; dieſe ſind mittelſt Ketten an Hebeln aufgehängt, welche durch Drehen an einem Handrade beliebig geſtellt werden können, ſo daß hierdurch der ganze Hackapparat jederzeit beliebig gehoben und geſenkt werden kann. Durch einen Handhebel iſt außerdem die Neigung des Rahmens und dadurch die Schnittrichtung der Meſſer gegen den Boden während des Ganges leicht und ſchnell zu regulieren. Der Hackrahmen ſelbſt ge - ſtattet durch ſeine ganz außerhalb der Räder befindliche Lage eine große ſeitliche Bewegung, ſo daß der ganze Apparat geſchickt geführt, das Behacken der Reihen in ſehr kurzer Zeit und ganz vorzüglich beſorgt.

Bei den Saatmaſchinen ſei noch ſchließlich Rings Kartoffelpflanz - lochmaſchine (Fig. 266) erwähnt, welche in ſehr genialer Weiſe die Hand - arbeit bei der Herſtellung der Kartoffellöcher erſetzt. Dieſe Maſchine beſteht aus einem mit Vorderrädern verſehenen Hinterwagen von ſchmiedeeiſernen Rädern, die ſich auf einer gemeinſchaftlichen Achſe drehen, und auf welchen 10 bis 15 cm lange Pflanzeiſen ſitzen. Je nach der gewünſchten Reihenweite werden dieſe Räder auf der Achſe ver - ſchoben und tragen auf dem Radreifen die erforderlichen Löcher für 7, 8, 10 oder 12 Pflanzeiſen. Durch dieſe Anordnung können Pflanz - löcher von 10 bis 15 cm Tiefe, in Reihen von jeder Entfernung zwiſchen475Die Saatmaſchinen. Die Erntemaſchinen.

Fig. 266.

Fünfreihige Kartoffel-Pflanzlochmaſchine.

55 und 70 cm und endlich in Abſtänden von 30 bis 55 cm hergeſtellt werden, denn ſieben Pflanzeiſen auf dem Rade entſprechen einer Ent - fernung des hergeſtellten Loches, vom nächſten derſelben von genau 55 cm u. ſ. f. bis zu 12 Pflanzeiſen, welche einem Zwiſchenraume von 30 cm zwiſchen je zwei Löchern entſprechen. Dieſe Maſchine kann auf jeder Art Acker verwendet werden und wird ihre Leiſtung auch durch friſch untergepflügten Stall - oder Gründünger nicht beeinträchtigt; für den Transport werden zwei hohe Räder an dem Hinterwagen befeſtigt, welcher zu dieſem Zwecke an beiden Seiten kurze Achſen trägt, von denen die linke auf der Zeichnung ſichtbar iſt.

c) Die Erntemaſchinen.

Geht auch aus dem Vorſtehenden bereits hervor, daß die land - wirtſchaftlichen Maſchinen im allgemeinen ſich ganz hervorragend ent - wickelt haben, ſo iſt dies doch bei den nun noch zu betrachtenden Erntemaſchinen ganz beſonders der Fall, und können daher von den überaus zahlreichen Arten derſelben hier nur einige der wichtigſten be - handelt werden.

Von den Mähemaſchinen muß, wie bei den Säemaſchinen bemerkt werden, daß auch ſie viel älter ſind, als man im allgemeinen glaubt. Schon die Römer kannten für dieſen Zweck, nach den Berichten von Plinius, eine Maſchine, welche die Ähren abſchnitt und in einen Kaſten warf. Ferner ſind faſt alle Konſtruktionen unſerer neueren Maſchinen, trotz ihrer ganz hervorragenden Vervollkommnung entweder auf die 1755 von Derffer oder 1800 von Boyce konſtruierten Mähemaſchinen zurückzuführen. Dieſe modernen Mähemaſchinen (Fig. 267) haben zwei Hauptteile, nämlich die Schneidevorrichtung, welche den Schnitt der Halme bewirkt und den Ablegeapparat, welcher die Halme geordnet neben einander ablegt und das Binden derſelben ſehr erleichtert; beide werden durch die Rotation der Fahrräder getrieben. Als neueſte Verbeſſerung476Die landwirtſchaftlichen Maſchinen und Geräte.

Fig. 267.

Woods Getreidemaher.

iſt hier noch ein dritter Teil zu nennen, nämlich der Garbenbinder, welcher die Halme gleich während des Ablegens zu Garben bindet, und welcher ſpäter eingehend beſchrieben werden ſoll. Die Schneidevorrich - tung beſteht aus dem an einem flachgehenden Tiſche befeſtigten Meſſer -477Die Erntemaſchinen.balken, an welchem eine die Senſe erſetzende größere Anzahl Meſſer ſitzen. An dem Meſſerbalken anliegend iſt ein Fingerbalken montiert, deſſen Finger das Getreide teilen und an die, ſich hin - und her - bewegende Meſſer drücken, welche es auf dieſe Weiſe ſcheren - artig abſchneiden. Die Ablegevorrichtung beſteht gewöhnlich aus vier gemeinſchaftlich von einem Punkte ſtrahlenförmig ausgehenden Hölzern, welche ſich um den Befeſtigungspunkt drehen und an deren äußeren Enden bewegliche Rechen angebracht ſind. Die geſchnittenen Halme fallen auf den Tiſch, werden von dem gerade darüber hinſtreichenden Rechen zuſammengerafft, und ſeitlich von dem Tiſch heruntergeſchoben, geordnet nebeneinander gelegt. Da während des Mähens durch das Drehen um den Unterſtützungspunkt der Hölzer kontinuierlich ein Rechen dem anderen folgt, ſo wird der ganze Schnitt auf dieſe Weiſe geordnet auf den Boden in Reihen gelegt und kann leicht zu Garben gebunden werden. Während des Transportes werden Rechen und Tiſch ſenkrecht hoch geklappt und das Getriebe von der Umſetzung zu

Fig. 268.

Adriance - Getreidemäher mit aufgeklapptem Tiſch.

478Die landwirtſchaftlichen Maſchinen und Geräte.den Fahrrädern losgelöſt, ſo daß der ganze Apparat, wie es Fig. 268 zeigt, leicht transportiert werden und während des Transportes eine Bewegung des Mechanismus nicht ſtattfinden kann. Die vorſtehend beſchriebenen Konſtruktionen ſind die von Wood’s und Adriance Ge - treidemäher; es giebt noch zahlreiche andere mehr oder weniger von dieſen abweichende, gewöhnlich nach ihren Erfindern genannt, deren Hauptbeſtandteile aber ſtets Schneide - und Ablegevorrichtung ſind. Bei den Grasmähmaſchinen fehlt die letztere und wird der Antrieb hierbei nicht von den Fahrrädern, ſondern von eigens dafür konſtruierten Kammrädern beſorgt, wie es in Fig. 269 abgebildet iſt.

Fig. 269

Grasmähemaſchine.

Der Garbenbinder, an der Ablegevorrichtung der Mähemaſchinen angebracht, veranlaßt, daß dieſelbe das geſchnittene Getreide gleich zu Garben gebunden ablegt und ſoll von den verſchiedenen hierfür exiſtierenden Konſtruktionen gleichfalls der Adriance Garbenbinder beſchrieben werden. Das geſchnittene Getreide wird mittels eines end - loſen Tuches (Canvas Apron), in Fig. 270 im Vertikalſchnitt dar - geſtellt, zu einer mit Greifſternen (Revolving Sprockets) verſehenen Walze geführt, an deren vorderem Ende ſich eine als Halmenebner479Die Erntemaſchinen.

Fig. 270.

Garbenbinder (Vertikalſchnitt).

dienende Scheibe (Butter Disk) dreht. Hierauf wird das Getreide von den Greifern gefaßt und durch einen Hohlweg (Feeder Throat) auf eine Reihe ſchräg liegender Arme A gehoben, welche den Sammel - platz für das Getreide (Grain Recepticle) bilden und gleichzeitig dazu dienen, die Greifer beſtändig rein zu halten, ſowie ein Wickeln der Halme zu verhüten. Die über den Sammelarmen befindliche Nadel umſpannt jetzt ſich ſenkend, das geſammelte Getreide mit Bindfaden und bewegt ſich gleichzeitig nach dem nahe am Fahrrade befindlichen Binderdeck zu. In Fig. 271 ſieht man die Nadel mit der Garbe etwa a[u]f halbem Wege zum Binderdeck, und beginnt damit die Trennung der zu bindenden Garbe x von der nächſten ſich anſammelnden z. Fig. 272 zeigt die Garbe B auf dem Binderdeck feſtgepreßt und zum Binden bereit, ferner den Seitenpreſſer C, wie er den Druck von der Nadel nimmt. Sobald die Nadel und die Ablegegabel ihre Arbeit vollendet haben und in ihre erſte Stellung zurückkehren, wird der Knoten geſchürzt, wobei die Nadel nicht auf dem Hinwege zurückgeht, ſondern auf dem in Fig. 272 punktiert bezeichnetem Wege über die ſich an - ſammelnde nächſte Garbe hinweggeführt wird. Fig. 273 endlich zeigt die beginnende Ablage und endgültige Trennung der Garben. Hier - bei iſt erſichtlich, wie die eine Garbe ſich dem Binderdeck nähert, und480Die landwirtſchaftlichen Maſchinen und Geräte.

Fig. 271.

Garbenbinder.

Fig. 272.

Garbenbinder.

481Die Erntemaſchinen.von Nadel, oberem Preſſer und Bindfaden feſtgehalten wird, während die andere, ſchon feſt gebunden, durch die Ablegegabel vom Binder - deck gehoben und umgedreht mit dem Schnittende zuerſt rückwärts zur Erde gelegt wird.

Fig. 273.

Garbenbinder.

Für die Ernte des Heues ſind beſonders die Heuwender und die Pferderechen zu erwähnen, welche letztere auch zum Zuſammenbringen von Getreide und Klee, wie zum Aufharken von Lupinen, Kartoffel - kraut ꝛc. verwendet werden. Der Heuwender hat, wie es Fig. 274 zeigt, eine größere Anzahl Zinken an zwei röhrenförmigen Balken ſitzen. Dieſe Zinken beſtehen aus Stahldraht, deſſen inneres Ende in einer Spirale um die Befeſtigungsachſe gewunden iſt; hierdurch weicht die etwa ein Hindernis antreffende Zinke für ſich allein aus, ohne daß die Funktion der anderen an demſelben Balken angebrachten Zinken ge - hemmt würde. Die drehbar montierten Balken werden an beiden Enden in eine eigentümliche Kurve geführt, welche eine möglichſt günſtige Stellung der Zinken und ein derartiges Heraustreten derſelben aus dem Heu bewirken, daß dasſelbe beim Ablegen vollſtändig ab - geſtreift wird. Der Betrieb der Zinkentrommel, durch deren RotationDas Buch der Erfindungen. 31482Die landwirtſchaftlichen Maſchinen und Geräte.

Fig. 274.

Heuwender.

das Heu ſehr ſachgemäß gewendet wird, erfolgt von Zahnkränzen in den Fahrrädern aus auf kleine Getriebe, welche an den Enden der Trommelachſe aufgeſetzt ſind. Sobald der Arbeiter ſeinen Sitz ein - nimmt, balanciert die Maſchine vollſtändig, und die Trommel liegt dann ſoweit nach hinten, daß die beiden äußerſten entſprechend gekröpften Zinken in der Radſpur arbeiten, wodurch auch das von den Rädern gepreßte Heu aufgenommen wird. Weſentlich einfacher iſt die Kon - ſtruktion des Pferderechens (Fig. 275), da hier das Heu ꝛc. nicht ge - wendet, ſondern nur zu einzelnen Haufen zuſammengeharkt werden ſoll. An einem aus zähem Eichenholz beſtehenden Geſtell ſitzen aus Stahl gefertigte lange Zinken, welche mit ihren Spitzen den Boden berühren und leicht nach vorn gekrümmt ſind. Jede dieſer Zinken iſt für ſich beweglich und ſchmiegt ſich allen Bodenunebenheiten an, ſodaß alle vorkommenden Hinderniſſe, ſelbſt Baumwurzeln, den Gang dieſes Gerätes nicht ſtören. Sobald die Zinken ſoviel Heu aufgenommen haben, daß ſie entleert werden müſſen, werden ſie mit der Hand auf - gehoben, oder auch, bei einer neueren Vorrichtung, durch den Zug des Pferdes. Dieſe Vorrichtung iſt ſo eingerichtet, daß ſie durch einen leichten Tritt des Führers auf eine Kette in Funktion geſetzt werden kann, was der älteren Konſtruktion gegenüber den Vorteil hat, daß der Führer beide Hände für die Führung des Pferdes frei behält. 483Die Erntemaſchinen

Fig. 275.

Pferderechen.

Für den Transport des Rechens wird das Geſtell ſo herumgeklappt, daß die Zinken nach oben gerichtet ſind.

Das Ausgraben der reifen Rüben durch Menſchenarbeit beanſprucht nicht nur große Kraftaufwendung und verhältnismäßig lange Zeit, welche die Witterung nicht immer geſtattet, ſondern bringt auch einen nicht unerheblichen Verluſt von Rüben ſelbſt mit ſich durch das ganz unvermeidliche Überſehen einzelner Rüben, und man veranſchlagt dieſen Verluſt auf ca. 5 %. Das hat dazu geführt, auch dieſe Arbeit durch Maſchinen zu erſetzen, und giebt es jetzt Rübenhebemaſchinen ver - ſchiedener Konſtruktionen. Dieſe Maſchinen heben die Rüben nicht vollſtändig heraus, lockern ſie aber ſo, daß ſie ſehr leicht ſogar von Kindern ausgehoben werden können. Fig. 276 zeigt die Rübenhebe - maſchine von Siedersleben, mit nach rückwärts geklappter Deichſel, welche im weſentlichen aus zwei ſehr ſtarken tief greifenden Eiſen be -

Fig. 276.

Rübenheber für Geſpann.

31*484Die landwirtſchaftlichen Maſchinen und Geräte.ſteht, die auf einem ſehr kräftig gebauten Wagen montiert ſind, welche für den Transport mittelſt einer durch eine Kurbel aufwickelbaren Kette gehoben werden können. Dieſe Maſchine hebt zwei Reihen Rüben gleichzeitig aus, ohne irgend welche derſelben ſtehen zu laſſen und zwar pro Tag zwei Hektar bei gleichzeitiger ſehr tiefer Lockerung des Ackers, worin in Bezug auf die nächſtfolgende Kultur ein hoher Wert liegt. Natürlich iſt während der Arbeit dieſer Maſchine auch ein ſehr großer Widerſtand zu überwinden und gehören vier Zugtiere zum Bewegen derſelben, was den Erfinder veranlaßt hat, dieſen Heber auch für Dampfbetrieb zu konſtruieren, mit welchem täglich 10 Hektar Rübenfeld bearbeitet werden können.

Daß endlich das Ausdreſchen des Getreides mit dem Dreſchflegel längſt durch von Motoren betriebene Dreſchmaſchinen erſetzt iſt, iſt, wie dieſe Maſchine ſelbſt, ſo allgemein bekannt, daß hier aus dem vorher angegebenen Grunde nicht näher darauf eingegangen werden kann.

Dr. Max Weitz.

3. Nahrungs - und Genußmittel.

a) Die gegohrenen Getränke: Bier, Branntwein und Wein.

Die Bierbrauerei.

Das Bier gehört zu den wenigen Nährſubſtanzen, welche gleichzeitig Nahrungs - und Genußmittel ſind. Wir unterſcheiden nämlich bei den Stoffen, welche wir behufs unſerer Ernährung zu uns nehmen, ſehr ſcharf zwiſchen Nahrungs - und Genußmitteln, und nur ſehr wenige Speiſen bezw. Getränke ſind beides zu gleicher Zeit. Während die Nahrungsmittel uns direkt ernähren, d. h. die aufgebrauchten Teile unſeres Körpers erſetzen, oder dieſen vor dem Aufgebrauchtwerden ſchützen, indem ſie ſelbſt an ſeiner Stelle durch den eingeatmeten Sauer - ſtoff zerſetzt werden, haben die Genußmittel dieſe Fähigkeit nicht, denn ſie haben gar keinen oder im günſtigſten Falle nur einen ſehr geringen Nährwert. Nichtsdeſtoweniger dürfen ſie nicht als Luxusartikel be - trachtet werden, denn ihre Bedeutung für die Ernährung überhaupt iſt eine ſo hohe, daß eine Ernährung ohne dieſelben ganz undenkbar wäre.

Das Bier iſt alſo gleichzeitig Nahrungs - und Genußmittel, denn zu erſterem macht es ſein Extraktgehalt, welcher direkt ernährend wirkt, zu letzterem ſein Alkoholgehalt. Dasſelbe iſt unter den alkoholiſchen Getränken deswegen ſo empfehlenswert, weil es den Alkohol in ver -485Die Bierbrauerei.dünnteſter Form darbietet. Die Phyſiologen ſind nämlich darüber einig, daß, ſo nützlich uns der Alkohol als Genußmittel mäßig ge - noſſen auch ſein kann, er doch nur in ſehr verdünnter Form ge - noſſen werden darf. Als dritter weſentlicher Beſtandteil des Bieres iſt die Kohlenſäure zu nennen, welcher dasſelbe ſeine labende und er - quickende Eigenſchaft verdankt. Die Bildung dieſer Subſtanzen Extrakt, Alkohol und Kohlenſäure im Biere iſt die Aufgabe des Brauers und ſoll im nachſtehenden beſchrieben werden.

Die Rohmaterialien für die Bierbereitung.

Die Rohmaterialien für die Bereitung des Bieres ſind Getreide oder andere ſtärkemehlhaltige Subſtanzen, Hopfen, Hefe und Waſſer.

Das Getreide und unter dieſem die Gerſte haben für die Bereitung des Bieres den Vorzug vor allen anderen ſtärkemehl - oder zuckerhaltigen Subſtanzen, obgleich ſich auch dieſe dazu eignen. Die Cerealien und unter dieſen wiederum die Gerſte haben deshalb den Vorzug, weil ihr Stärkemehl-Gehalt ein ziemlich konſtanter, wenigſtens der am wenigſten ſchwankende iſt, und ſie laſſen ſich auch am leichteſten vermälzen. Die Beſtandteile der Gerſte ſeien hier nach W. Pillitz angegeben. 100 Teile lufttrockener Gerſte enthalten:

  • Waſſer ....... 13,88 %
  • Stärke ....... 54,07
  • Unlösliche Aſche .... 1,07
  • Fett ........ 2,66
  • Zellſtoffe ....... 7,76
  • Unlösliches Albumin .. 12,43
  • Dextrin ....... 1,70
  • Zucker ....... 2,43
  • Lösliches Albumin ... 1,77
  • Lösliche Aſche ..... 1,26
  • Extraktivſtoffe ..... 1,50
  • 100,53 %

100 Teile Gerſtenaſche enthalten an weſentlichen Beſtandteilen:

  • Kali ......... 17 %
  • Phosphorſäure ..... 30
  • Kieſelſäure ....... 33
  • Magneſia ....... 7
  • Kalk ......... 3

Von den verſchiedenen Gerſtenarten iſt die große zweizeilige Gerſte (Hordeum distichon) die ergiebigſte, und kommen nächſt der Gerſte noch Weizen, zuweilen auch Reis als Rohmaterialien in Betracht, weniger Kartoffelzucker, der in der Verwendung immer mehr abnimmt, wie über - haupt die Verwendung der Surrogate für die Bierbereitung von Jahr zu Jahr nachläßt.

Der Hopfen, der in der Bierbrauerei verwendet wird, beſteht nur aus den weiblichen Blüten auch Kätzchen oder Zapfen genannt der Hopfenpflanze (Humulus lupulus) d. i. eine perennierende Pflanze486Nahrungs - und Genußmittel.aus der Familie der Urticaceen. Dieſe Hopfenblüten enthalten unter ihren ſchuppenartigen Blättchen goldgelbe, nierenförmige Körner, das ſog. Hopfenbitter. Die für die Brauer in Betracht kommenden Beſtandteile des Hopfens ſind das Hopfenöl, die Gerbſäure und einige mineraliſche Subſtanzen. Das Hopfenöl oxydiert außerordentlich raſch und bildet Valerianſäure, welche die Urſache der Minderwertigkeit des alten Hopfens iſt und dieſem auch den eigentümlichen Käſegeruch verleiht. Gerbſäure enthalten die verſchiedenen Hopfenſorten 2 bis 5 %. Den bitteren Geſchmack, den ſie auch dem Biere mitteilen, verdanken ſie dem ſo - genannten Hopfenharz. Die mineraliſchen Beſtandteile des Hopfens 100 Teile lufttrockenen Hopfens enthalten 9 bis 10 % Aſche ſind ca. 17 % Kali, 15 % Phosphorſäure ꝛc.

Die Qualität des Hopfens iſt von außerordentlich hoher Bedeutung für Feinheit, Geſchmack und Haltbarkeit des Bieres, und da die Qualität ſelbſt des beſten Hopfens mit der Zeit leidet, ſo war man ſtets auf die neue Ernte angewieſen, was je nach Ausfall derſelben zu außerordentlich ſchwankenden Preiſen führte, welche in neuerer Zeit einigermaßen durch die Konſervierungsmethoden des Hopfens geregelt werden. Der Hopfen wird, um ihn haltbar zu machen, geſchwefelt d. h. man ſetzt den getrockneten Hopfen den Dämpfen brennenden Schwefels aus und preßt ihn, nachdem er abgedarrt iſt, feſt in luftdichtverſchließ - bare große Metallcylinder. Dieſer ſogenannte Büchſenhopfen iſt beſonders kühl und trocken aufbewahrt jahrelang haltbar.

Die Hefe (Saccharomyces cerevisiae) gehört zur Gruppe der Sproßpilze und ſoll bei der Bereitung des Bieres ſelbſt und zwar bei der Gährung näher beſchrieben werden.

Das Waſſer iſt je nach ſeinen Beimengungen von großem Einfluß auf die Bierbereitung. Wir unterſcheiden zwiſchen hartem und weichem Waſſer. Letzteres ſetzt beim Kochen keinen Pfannenſtein ab und iſt kalkfrei, während hartes Waſſer einen mehr oder weniger hohen Gehalt an kohlenſaurem oder ſchwefelſaurem Calcium hat. In den meiſten Fällen ſind daher Quellwaſſer und Brunnenwaſſer hartes Waſſer, während Flußwaſſer und beſonders Regenwaſſer zu den weichen Wäſſern zählen. Für die Bereitung des Malzes iſt weiches Waſſer vorzuziehen, während zum Einmaiſchen ein gewiſſer Kalkgehalt nicht ſchadet; auf jeden Fall aber iſt ein Waſſer, das durch organiſche Sub - ſtanzen verunreinigt iſt, als zur Bierbereitung ganz ungeeignet zu ver - werfen, und wo kein anderes Waſſer zur Verfügung ſteht, muß es vor der Verwendung durch geeignete Behandlung auf die hier nicht näher eingegangen werden kann gereinigt werden.

Die Bereitung des Bieres ſelbſt zerfällt in drei von einander ge - trennte Abſchnitte, und zwar in:

  • 1. die Malzbereitung,
  • 2. die Bereitung der Bierwürze und
  • 3. die Gährung der Bierwürze.
487Die Rohmaterialien für die Bierbereitung. Die Mälzerei.

Die Malzbereitung geht in der Mälzerei, die Bereitung der Bier - würze im Sudhauſe und die Gährung in der Kellerei vor ſich. Dieſe drei Hauptabſchnitte ſollen nun der Reihe nach unter Berückſichtigung der neueſten Erfindungen und Verbeſſerungen beſchrieben werden.

Die Mälzerei.

Die Aufgabe der Mälzerei im chemiſchen Sinne iſt es, das Stärkemehl des Kornes befähigt zu machen, ſich unter geeigneten Um - ſtänden in Zucker zu verwandeln. Dieſe Verwandlung ſelbſt geht dann während des Prozeſſes im Sudhauſe vor ſich, und der Zucker der hier gebildeten Zuckerlöſung wird ſchließlich im Gährkeller mittelſt Gährung in Alkohol und Kohlenſäure geſpalten.

Die Malzbereitung ſelbſt zerfällt wiederum in drei Unterabteilungen, nämlich in das Einweichen, das Keimen und das Darren der Gerſte.

Die Gerſte wird vor dem Einweichen in Putz - und Sortier - maſchinen gereinigt und je nach Größe der Körner in verſchiedene Sorten getrennt, von denen mit Vorteil nur die beſte Sorte, d. h. die - jenige, welche die größten und vollſten Körner enthält, vermälzt werden kann. Dieſe Sortiermaſchinen trennen gleichzeitig auch alle halben Körner, welche ſeit Einführung der Dampfdreſchmaſchinen ſich recht häufig finden, und das iſt für die weitere Verarbeitung ſehr wichtig. Ein ſolch zerſchlagenes Korn hat nämlich ſeine Keimfähigkeit einge - büßt und ſchimmelt bei der zum Mälzen nötigen Behandlung, die Schimmelbildung dann beſonders wenn zahlreiche halbe Körner vorhanden ſind über den ganzen Malzhaufen fortpflanzend, was die Qualität des Malzes außerordentlich verringert.

Die für das beabſichtigte Wachstum notwendige Feuchtigkeit er - hält die Gerſte durch Einweichen. Sie wird in große eiſerne oder ge - mauerte und auscementierte, mit Waſſer gefüllte Gefäße geſchüttet und ſinkt darin unter. Alle nicht geſunden Körner und ſonſtige Un - reinlichkeiten ſchwimmen hingegen auf der Oberfläche des Waſſers, werden abgeſchöpft und finden als ſog. Abſchöpf - oder Schwimmgerſte beſonders als Futter für Geflügel Verwendung. Bei Anwendung gut wirkender Sortier - und Putzmaſchinen iſt übrigens die Menge der Schwimmgerſte nur ſehr unbedeutend. Das Waſſer muß in den Quell - ſtöcken oder Weichen wie die oben erwähnten Gefäße genannt werden einige Centimeter über der Gerſte ſtehen und einige Male gewechſelt werden, weil es gewiſſe Beſtandteile der Hülſe des Kornes auslaugt und hierdurch ſowohl eine braune Farbe, als auch einen eigentümlichen Geruch annimmt. Die Dauer des Einweichens iſt be - dingt durch das Alter der Gerſte, die Stärke der Hülſen, die Temperatur des Waſſers ꝛc. und daher ſehr variabel (48 bis 72 Stunden).

Hat die Gerſte die genügende Weiche erhalten, ſo kommt ſie auf die Tennen, um dort zu keimen. Dieſe Tennen ſind ſehr große Säle488Nahrungs - und Genußmittel.oder Keller, deren Boden mit ganz gleichmäßigen Platten belegt oder ſehr glatt cementiert iſt. Hier wird die Gerſte zuerſt in einen mög - lichſt hohen Haufen, den ſog. Naßhaufen geſchüttet und ſpäter zu immer flacheren Haufen umgeſchaufelt. Infolge der dem Korne in den Weichen gegebenen Feuchtigkeit und der während des Wachstums ſelbſt produzierten Wärme beginnt ein wunderbares Leben in dem - ſelben. An der Spitze des Kornes ſchießen Wurzelfäſerchen heraus, und unterhalb der Hülſe belebt ſich der Blattkeim, derſelbe, der wenn dieſes Leben nicht rechtzeitig unterbrochen wird zum Halme auswächſt und unſerem Auge den Anblick des wogenden Ährenmeeres der mit Getreide beſäten Felder bietet. Das Wachstum muß für alle Körner im ganzen Haufen ſehr gleichmäßig vor ſich gehen, aus welchem Grunde für eine gleichmäßige Temperatur in demſelben Sorge getragen werden muß. Nun ſind ſelbſtverſtändlich die unteren Schichten des Haufens wärmer, als die oberen, während die mittleren mit ihrer Temperatur zwiſchen ihnen ſtehen. Auf ſehr kunſtvolle Weiſe wird aber der Haufen in gewiſſen Zeiträumen ſo umgeſchaufelt, daß ſeine unterſte Schicht oben auf, die oberſte nach unten, die mittlere aber wiederum in ihre frühere Lage zurückkommt.

Seit einem Jahre hat man für dieſe Arbeit auf den Tennen Wendeapparate eingeführt, welche durch Maſchinenkraft betrieben das Wenden des Haufens ſehr exakt beſorgen. Ein ſolcher Wende - apparat beſteht im weſentlichen aus einer über die ganze Tenne reichenden eiſernen Stange, welche ſich auf an den Seiten der Tenne laufenden Zahnrädern, um die eigene Axe drehend, langſam über den Haufen fortbewegt und, ſobald ſie denſelben überſchritten hat, zurückgeführt werden kann. Klammerartige oder anders konſtruierte Anſätze, welche die Stange trägt, greifen das Malz und wenden es genau ſo, wie der beabſichtigte Zweck es verlangt, d. h. alſo die oberſte Schicht nach unten u. ſ. w. wie vorher beſchrieben. Durch dieſe Apparate wird nicht nur die gewünſchte Arbeit vorzüglich geleiſtet, ſondern man arbeitet auch in Bezug auf die für das Wenden des Haufens zu verausgabenden Löhne weſentlich billiger, als es bisher geſchah, und muß man ſich über eine ſo ſpäte Ausführung eines ſolchen Apparates um ſo mehr wundern, als die Brauerei einen ganz ähnlichen Apparat auf den Darr - herden zum Wenden des zu darrenden Malzes bereits ſeit mehr als zehn Jahren verwendet. (Siehe Fig. 278.)

Der vorher erwähnte, bei dem Keimen ſich bildende Blattkeim ver - braucht zu ſeiner Ernährung das Stärkemehl des Kornes, und gerade dieſes muß der Brauer erhalten, denn aus ihm will er ſpäter Zucker bilden, und der ganze Prozeß des Wachstums iſt ihm ja nur ein Mittel zum Zweck, welches dieſe Zuckerbildung ermöglichen ſoll. Darum unter - bricht man das Wachstum des Kornes, wenn der Blattkeim unter der Hülſe ca. der Länge des ganzen Kornes erreicht hat, indem man ſo viel friſche Luft und zwar kalte, denn man mälzt, um das Wachs -489Die Mälzerei.tum des Haufens überhaupt regulieren zu können, nur im Winter über den immer dünner und zuletzt recht dünn geführten Haufen ſtreichen läßt, ſo daß die zum ferneren Wachſen unbedingt notwendige Wärme und Feuchtigkeit fehlen.

Um dieſe Luftzufuhr, welche gleichzeitig dem Haufen ſo viel von der Feuchtigkeit nimmt, daß er lufttrocken wird, recht intenſiv hervor - bringen zu können, wird der Haufen von den ſtets zu ebener Erde oder im Keller gelegenen Tennen mittels Fahrſtuhl nach dem oberſten Boden, dem ſogenannten Schwelkboden gebracht. Dieſer Boden liegt gewöhnlich hart unter dem Dache und ſteht durch einen Mauer - einſchnitt mit der oberſten Darrhorde (Fig. 277, b) in Verbindung, ſo daß das hier getrocknete Grünmalz ohne weiteren Motor gleich auf die Darrhorde geſchüttet werden kann, ſobald es lufttrocken geworden iſt. Die Luftzufuhr veranlaſſen zahlreiche zur ebenen Erde dieſes Schwelk - bodens einander gegenüberliegende Fenſteröffnungen und eine intenſive Wirkung derſelben wird durch 4 bis 6 maliges tägliches Umſchaufeln des auf der Schwelke nur 3 bis 5 cm dicken Haufens hervorgebracht. Die Dauer des ganzen Keimens iſt von der Außentemperatur abhängig und dauert um ſo länger, je niedriger dieſelbe iſt, im ganzen 7 bis 14 Tage.

Das Luftmalz wird auf den Darren einem Röſtprozeß unterworfen und hier - bei in Darrmalz übergeführt. Die Darre (Fig. 277) iſt ein turmartiger Bau, welcher ſich an die Böden des Brauereigebäudes anlehnt und mittels einer eigenartig kon - ſtruierten Feuerung heiße Luft herſtellt, welche durch das zu darrende Malz ſtreicht, ohne es mit den Feuergaſen in Berührung zu bringen. Die Darre be - ſteht aus der Feuerung c, bei welcher die Feuergaſe durch eiſerne Röhren in der Richtung der Pfeile geleitet werden, und in auf Fig. 277 nicht ſichtbaren Mauerkanälen zum Schornſtein g ge - führt, aus dieſem entweichen. Ferner aus den Lufträumen f, in welchen die Luft erhitzt zu der ſog. Sau d einem unter den Horden liegenden Raume und durch f in die untere Darrhorde a und die obere b geführt wird, um ſchließ - lich mit den beim Darren entwickelten

Fig. 277.

Malzdarre.

Waſſerdämpfen durch f im Schornſteine zu entweichen. Der Boden der Horden a und b beſteht aus ſiebähnlichen Drahtgeflechten oder aus durchlochten Eiſenblechen.

490Nahrungs - und Genußmittel.
Fig. 278.

Darrwender.

Das lufttrockene Malz wird zuerſt auf die obere Horde b gebracht, um hier in einer weit niedrigeren Tempe - ratur, als ſie in a herrſcht und zwar bei 30 bis 40°C. vorgetrocknet zu werden, und um auch zu verhüten, daß die ſich zuerſt ſehr ſtark ent - wickelnden Waſſerdämpfe das auf der darüber liegenden Horde befindliche Malz treffen. Würde man nämlich das Malz ſofort ſtark erhitzen, dann würde ſein Stärkemehl in Kleiſter übergehen und eine hornartige, für Waſſer undurch - dringliche Subſtanz bilden. Ein ſolches fehlerhaft dar - geſtellte Malz iſt für den Brauprozeß unbrauchbar und wird Steinmalz oder auch Glasmalz genannt. Das auf der oberen Horde b ſo vor - getrocknete Malz wird durch eine Öffnung im Boden auf die untere Horde a gebracht, um hier langſam auf 50 bis 90°C. je nach der Art des Bieres, das gebraut werden ſoll erwärmt zu werden. Auch auf beiden Darrhorden iſt das Malz regelmäßig um - zuwenden, wenn es gleichmäßig gedarrt werden ſoll, was ſehr wichtig iſt, und geſchieht dies durch einen ähnlichen Wende - apparat, wie er beim Malzwenden auf der Tenne beſchrieben worden iſt, und wie ihn Fig. 278 zeigt.

Das ſo fertiggeſtellte Darrmalz muß nun, bevor es im Sudhauſe weiter verarbeitet werden kann, von den Wurzelfäſerchen, welche ſich während des Keimens gebildet haben, befreit werden. Dieſe Arbeit geht auf den ſogen. Malzputz - und Entkernungsmaſchinen verhältnis - mäßig leicht vor ſich, da dieſe Wurzelfäſerchen in der hohen Tempe - ratur, bei welcher das Malz abgedarrt wurde, ſehr ſpröde geworden491Die Mälzerei.ſind. In dieſen Maſchinen wird das Malz zwiſchen gerippten Tellern leicht gerieben und mit den auf dieſe Weiſe losgeriebenen Wurzel - fäſerchen in einen ſchräg liegenden, ſich um die eigene Axe drehenden Siebcylinder geführt. Die Wurzelfäſerchen fallen hierbei durch das Sieb in einen dieſen umgebenden Kaſten, während das geputzte und entkeimte Malz das Sieb am unteren Ende verläßt. Die gedarrten Keime ſind ihres hohen Stickſtoffgehaltes wegen ein ſehr geſuchtes Viehfutter.

Als eine hervorragende Neuerung auf dem Gebiet der Mälzerei, welche geeignet iſt, den ganzen Betrieb derſelben umzugeſtalten, iſt das pneumatiſche Malzverfahren von Galland zu nennen. Galland hebt die handarbeit auf der Tenne vollſtändig auf, indem er das Keimen in geſchloſſenen Trommeln unter Zuführung gleichmäßig feuchter Luft von ſtets derſelben Temperatur vor ſich gehen läßt. Dieſe Luft ſtellt Galland dar, indem er dieſelbe durch einen mit Koks angefüllten Turm

Fig. 279.

Keimtrommel. (Querſchnitt.)

Fig. 280.

Keimtrommel. (Längsſchnitt.)

leitet, wo ſie von einem fein zerteilten Regen getroffen wird. Mittels Ventilators wird nun dieſe ſo gereinigte und angefeuchtete Luft, deren Temperatur und Feuchtigkeitsgehalt man durch die Waſſerzufuhr im Koksturme regulieren kann, in geſchloſſene Trommeln geführt, und zwar ſo, daß ſie dieſelben und die darin befindliche keimende Gerſte durchſtreichen muß. Fig. 279 zeigt den Querſchnitt, Fig. 280 den Längsſchnitt einer ſolchen Trommel. Die Luft tritt bei a (Fig. 280) in die Trommel, wird in der Richtung der Pfeile nach der äußeren Wand des Cylinders geführt, tritt bei b b durch die, die keimende Gerſte begrenzende durchlochte Wandung, durchſtrömt die keimende Gerſte, um bei c c in das Innere der Trommel zu gelangen und dieſelbe bei d in der Richtung der Pfeile wieder zu verlaſſen. Dieſer Luftſtrom führt auch gleichzeitig die ſich während des Keimens bildende Kohlenſäure, deren Verbleib in den Trommeln dem ferneren Wachs - tum ſehr ſchädlich wäre, mit fort, während das Wenden des Malzes in ſehr gleichmäßiger Weiſe durch langſames Drehen der Trommeln492Nahrungs - und Genußmittel.um die eigene Achſe beſorgt wird. Solche Trommeln werden in einer größeren Anzahl nebeneinander aufgeſtellt, und Fig. 281 zeigt die ge - ſchloſſenen Trommeln in einer ſolchen Anordnung.

Fig. 281.

Keimtrommeln.

Die Bereitung der Bierwürze.

Während des Keimens nun hat ſich ein ganz merkwürdiger Stoff im Korne gebildet, den der Chemiker Diaſtaſe nennt, und der die Eigenſchaft hat, unter der Einwirkung von Säuren oder des tieriſchen Speichels oder auch bei einer Temperatur von ca. 75°C das Stärke - mehl des Malzes in Zucker zu verwandeln. Im Sudhauſe, wo die Bildung des Zuckers aus dem Stärkemehl vorgenommen wird, brüht der Brauer das geſchrotene Malz mit heißem Waſſer auf, und ſoll der Sudhausbetrieb mit ſeinen modernen Einrichtungen nachfolgend be - ſchrieben werden. Vorher darf aber nicht unerwähnt bleiben, daß nicht alle Völker von den drei genannten Hülfsmitteln, den Zucker aus dem Stärkemehl zu erzeugen, gerade die erhöhte Temperatur wählen. So erzählt uns z. B. v. Tſchudi in ſeinem Werke Reiſen in Peru , daß in gewiſſen Teilen der Sierra aus Maismalz ein Bier gebraut wird, welches man dort Chika nennt und deſſen beſte Sorte dar - geſtellt wird, indem alle Mitglieder der Familie, wie auch eigens da - für engagierte, möglichſt zahnloſe, alte Frauen das Maismalz im Munde zerkauen und dann in ein Gefäß, Kalabaſche genannt, zurückſpeien, welchen Brei man dann nach Zuſatz von heißem Waſſer gähren läßt. Dieſe Chika wird Chika maskada d. h. gekaute Chika genannt und ſehr hoch geſchätzt, ſo daß der Serrano, wenn er einen Gaſt recht gut bewirten will, ihm ſtets dieſen Trank mit der beſonderen493Die Bereitung der Bierwürze.Empfehlung vorſetzt, daß er das Malz dazu mit ſeiner eigenen Familie ſelbſt gekaut habe.

Um die inneren Teile des Malzes für das Aufbrühen im Sud - hauſe von der ſie ſchützenden Hülle zu befreien und gleichzeitig dem heißen Waſſer eine größere Angriffsfläche zu geben, wird das Malz geſchroten. Hierbei iſt ein zu feines Mahlen zu vermeiden, trotzdem der beabſichtigte Zweck bei einem möglichſt feinen Mehl beſſer erreicht würde, weil das ſpäter notwendige klare Abziehen der Würze durch die Teigſchicht, die ein feines Mehl bildet, unmöglich gemacht wird. Das Malz wird alſo nur grob aufgebrochen, und das geſchieht mittels Schrotmühlen (Fig. 282), in welchen ſich zwei Walzen von ver - ſchiedenem Durchmeſſer hart an einander gerückt gegen - einander bewegen, wie es die Richtung der Pfeile in Fig. 282 anzeigt. Wenn das Malz in die trichterartige Öffnung a, welche offen oder geſchloſſen ſein kann, hinein - läuft, zwiſchen den Walzen aufgebrochen wird, ſo fließt es dann durch die auf der Zeich - nung nicht ſichtbare, unten angebrachte Ausflußöffnung um ein Verſtauben des geſchrotenen Malzes zu ver - meiden in geſchloſſener Röhre in den Vormaiſch - apparat Fig. 283. Dieſer Vormaiſchapparat, welcher

Fig. 282.

Schrotmühle.

über dem Maiſchbottich ſteht, hat den Zweck, das geſchrotene Malz aus einem trockenen Staube in einen naſſen Teig zu verwandeln, damit auch hier nichts verſtauben kann, wenn das Malz aus der unteren, hier gleichfalls nicht ſichtbaren Öffnung in den Maiſchbottich fällt. Das geſchrotene Malz fällt durch die mit der Schrotmühle verbundene Holzrinne in den Vormaiſchapparat, und trifft hier mit dem eintretenden Waſſer zuſammen. Bevor es nun in den Maiſchbottich fällt, wird es durch die, auf der Welle ſitzenden meſſerartigen Schaufeln innig mit dem Waſſer gemengt und ſo in einen ſtaubfreien Teig verwandelt.

Im Maiſchbottich ſoll nun das geſchrotene Malz während des Aufbrühens mit dem heißen Waſſer möglichſt innig gemengt werden, um ſowohl die Zuckerbildung zu erleichtern, als auch den gelöſten Zucker dem Malz möglichſt vollkommen zu entziehen. Dem Maiſch - bottich (Fig. 284), einem eiſernen runden Gefäß, iſt zu dieſem Zwecke ein Rührwerk eingebaut, welches die durchquirlende Arbeit beſorgt. Daß494Nahrungs - und Genußmittel.

Fig. 283.

Vormaiſch-Apparat.

es nicht leicht iſt, ein genügend inniges Durchrühren zu erzielen, wird ſofort einleuchten, wenn man berückſichtigt, daß in großen Sudwerken 70 Zentner und mehr trockenes Malzſchrot auf einmal alſo außer der dazu gehörigen Waſſermenge eingemaiſcht werden. Man hat daher Rührwerke von verſchiedenen Konſtruktionen eingeführt, und iſt in Fig. 284 das vollkommenſte derſelben dargeſtellt. Dieſes Rührwerk dreht ſich vor allem um die Hauptachſe a b; außerdem drehen ſich aber die an der ſenkrechten Achſe c d und an der wagerechten Achſe e f be - feſtigten eiſernen Schaufeln noch um dieſe beiden Achſen, ſo daß in der Maiſche Bewegungen nach drei gegeneinander ſtrömenden Richtungen hin entſtehen. g iſt der auf dem Maiſchbottich montierte Vormaiſch - apparat (vergl. Fig. 283).

Unter ſtetem Umrühren wird das mit kaltem Waſſer angemaiſchte Malzſchrot durch Nachgießen von heißem Waſſer unter Innehaltung verſchiedener Ruhepauſen langſam auf die für die Verzuckerung des Stärkemehls geeignetſte Temperatur von 70 bis 75°C. gebracht. Geſchieht dies wie eben beſchrieben ohne einen Teil der Maiſche zu kochen, ſo nennt man dieſes Verfahren die Infuſionsmethode , während die viel häufiger angewendete Dekoktionsmethode darin be - ſteht, daß man einen Teil der aus der Maiſchpfanne in die Bierpfanne übergeſchöpften Maiſche kocht und die Temperatur der geſamten Maiſche durch Zurückpumpen dieſer kochenden Maiſche bis zu den gewünſchten495Die Bereitung der Bierwürze.

Fig. 284.

Maiſchbottich.

Graden erhöht. Der Maiſchprozeß iſt beendet, wenn alles Stärkemehl des Malzes in Zucker verwandelt iſt, und kann man dies durch Be - handeln der Maiſche mit Jodkali leicht erkennen. Man nimmt zu dieſem Zwecke einige Tropfen der Maiſche in ein Reagenzgläschen und gießt einige Tropfen einer verdünnten Jodkalilöſung hinzu. Dieſe hat die Eigenſchaft, Stärkemehl blau zu färben, und weiſt ſomit eine etwa eintretende Blaufärbung noch vorhandenes Stärkemehl nach. Erſt wenn dieſe Blaufärbung ganz aufgehört hat, iſt alles Stärkemehl des Malzes in Zucker verwandelt und der Maiſchprozeß als beendet zu betrachten. In dieſem Falle muß die Zuckerlöſung, welche jetzt Würze genannt wird, von den Hülſen Treber genannt klar abgezogen werden, und das geſchieht im Läuterbottich. Dieſer Läuter - bottich (Fig. 285) iſt gleichfalls ein rundes Gefäß aus Eiſen oder Holz, welches bei a b hohl auf dem Boden aufliegend, einen aus mehreren Teilen zuſammenſetzbaren durchlöcherten Boden (Fig. 286), gewöhnlich aus Kupfer, trägt. Überläßt man die übergepumpte Maiſche eine Zeit lang der Ruhe, ſo ſinken alle Treberteile zu Boden und bilden auf dem durchlöcherten Einſatz a b (Fig. 285) eine Filterſchicht, durch welche496Nahrungs - und Genußmittel.

Fig. 285.

Läuterbottich.

die Würze hindurch filtriert, die ſich unter dem Einſatz ſammelt, um von hier aus durch vier oder mehr Röhren c, welche im Boden des Läuterbottichs eingeſchraubt ſind, in ein Sammelgefäß Grand genannt und von hier aus in die Braupfanne zu fließen, wo ſie

Fig. 286.

Läuterbottichboden.

ſpäter gekocht werden ſoll. Da es für den ſpäteren Verlauf des Pro - zeſſes unbedingt notwendig iſt, daß die Würze ganz klar abläuft, ſo iſt es nicht möglich, die Treber, die zuletzt noch eine nicht unbeträcht - liche Menge Würze ſchwammartig aufgeſaugt enthalten, auszupreſſen, und man muß dieſe Würze, die man nicht verloren geben darf, daher mit Waſſer auswaſchen. Dieſes Verfahren nennt man Anſchwänzen und Fig. 287 zeigt einen ſolchen Anſchwänzapparat. Das Rohr a iſt497Die Bereitung der Bierwürze.

Fig. 287.

Anſchwänz-Apparat.

mit dem Heißwaſſer-Reſervoir verbunden und läßt das heiße Waſſer in das auf den Arm d drehbar aufgeſetzte Gefäß b fließen. Von b aus ſtrömt das heiße Waſſer in die vier daran befeſtigten und an den äußeren Enden geſchloſſenen Röhren c, welche alle nur an einer und zwar an derſelben Seite mit feinen Löchern verſehen, ſich ſofort mit dem Gefäße b zu drehen beginnen, und ſo das heiße Waſſer in ſehr feinen Strahlen gleichmäßig über die Treber ſtrömen laſſen, welche es durchſickernd auswäſcht, und ſo alle noch darin enthaltene Zuckerlöſung aufnimmt und in die Braupfanne führt.

Die Treber ſind ein außerordentlich wertvolles Viehfutter, aber auch, beſonders in den heißen Sommermonaten leicht zur Säuerung geneigt, wobei ſie vollſtändig verderben. Dieſes Futtermittel iſt aber gerade in den Sommermonaten des vorhandenen Grünfutters wegen wenig begehrt und war überdies nur in der allernächſten Umgegend abſetzbar, weil es, ganz abgeſehen von ſeiner leichten Verderbbarkeit ſchon der enthaltenen Waſſermengen wegen nicht verſendbar war.

Der Erlös der Treber aber iſt für die Rentabilität einer Brauerei ein ſo weſentlicher Faktor, daß die Brauereien gezwungen ſind, die Anzahl der Sude von der Möglichkeit des Treberverkaufs abhängig zu machen. Nachdem durch Anwendung von Kühlmaſchinen der Brauereibetrieb längſt von der Außentemperatur unabhängig war, wurde es um ſo ſchwerer empfunden, daß die Entwickelung des Betriebes nun durch die Treberabſatzfrage im Sommer dennoch eingeengt blieb. Von verſchiedenen Seiten arbeitete man daher gleichzeitig daran, eine Behand - lungsweiſe für die Treber zu finden, welche dieſelbe haltbar und für den Transport geeignet machte. Hierdurch ſollte ſowohl das beliebig häufige Brauen in der heißen Jahreszeit, wie auch der Umſtand er - möglicht werden, die Treber verſenden und auch aufbewahren zu können, um ſie nicht im Sommer verkaufen zu müſſen, ſondern für den Winter, wo ſie höher bezahlt werden, aufbewahren zu können.

Man ſtellte nun durch Preſſen und Trocknen der naſſen Treber ſog. Trockentreber dar, die ſowohl recht haltbar als auch verſendbar waren, und damit war anſcheinend dieſe Frage gelöſt; aber ſehr bald fand man, daß die Treber durch das Preſſen an Nährwert verloren hatten, ſodaß der Landwirt mit Recht behauptete, dieſe getrockneten Treber ſeien vielDas Buch der Erfindungen. 32498Nahrungs - und Genußmittel.minderwertiger als die früheren, dem Läuterbottich direkt entnommenen. So ergab z. B. eine in der landwirtſchaftlichen Verſuchsſtation ausge - führte Analyſe des aus den Trebern herausgepreßten Waſſers, welches ja nun für Futterzwecke verloren war, einen Gehalt an Nährſtoffen von 0,91 % Fett, 2,38 % Proteïn und 2,43 % ſtickſtoffhaltige Extrakt - ſtoffe. Nach manchen weiteren Verſuchen iſt es endlich gelungen, die Treber haltbar zu machen, ohne einen Verluſt an Nährwert herbeizu - führen und zwar durch gelindes und langſames Trocknen der Treber mittelſt Dampfes ohne vorheriges Preſſen derſelben.

Fig. 288 zeigt den Henckeſchen Trebertrocken-Apparat. Derſelbe führt den in die trichterartige Mulde a geſchütteten naſſen Treber

Fig. 288.

Trebertrocken-Apparat.

zwiſchen zwei mit Dampf von innen geheizte und ſehr langſam gegen einander rotierende Trockenwalzen b, welche ſich nicht berühren, einen ſehr großen Durchmeſſer haben, und von denen in Fig. 288 nur die eine ſichtbar iſt. Hierbei legen ſich die Treber in dünner Schicht an die Walzen an, trocknen ſchnell und fallen nach einer einzigen Um - drehung der Walze, von den mit Gewichten beſchwerten Abſtreichern c abgeſtrichen, in die unter den Walzen befindliche Nachtrockenmulde d. Dieſe iſt doppelwandig und gleichfalls mit Dampf geheizt und in ihrer ganzen Länge mit einer Wendevorrichtung e verſehen, welche ſo - wohl das Trocknen gleichmäßig macht und beſchleunigt, als auch in der etwas geneigt liegenden Mulde die Treber in ihrer Achſe vorwärts ſchiebt und an der Stirnwand derſelben gut getrocknet ſpreuartig her - ausfallen läßt. Sollen größere Mengen Treber getrocknet werden, ſo werden eine größere Anzahl ganz wie d konſtruierter Mulden neben d horizontal übereinander montiert, und die aus d in einen Kaſten fallen - den Treber werden mittelſt Becherwerkes gehoben und in die oberſte dieſer Mulden geſchüttet. Auch dieſe Mulden ſind etwas geneigt gegen ein - ander montiert, ſo daß die Wendevorrichtung einer jeden Mulde die immer trockener werdenden Treber in derſelben entlang und der nächſten Mulde zuführt, bis ſie die letzte Mulde vollſtändig trocken verlaſſen. 499Die Bereitung der Bierwürze.An den Dampfzuführungsröhren f ſitzen Manometer g, um den Druck ſowohl in den Walzen, als auch in den Muldenwandungen beobachten und ſo eine Exploſion derſelben verhüten zu können.

Wir kehren nun zu der Bierwürze zurück, welche wir nach dem Abläutern aus dem Läuterbottich in der Braupfanne verlaſſen haben. Die Stärke dieſer Würze, d. h. ihr Zuckergehalt, wird mittelſt Saccharo - meter feſtgeſtellt und natürlich nach der Art des Bieres bemeſſen, welches gebraut werden ſoll. Der Extraktgehalt der verſchiedenen Biere variiert von 4 bis 15 %, ihr Alkoholgehalt von 2 bis 8 %, und 1 % Zucker in der Würze liefert bei der ſpäter zu beſchreibenden geiſtigen Gährung derſelben ca. 0,5 % Alkohol. Beim Kochen der Würze mit Hopfen werden abgeſehen von einigen anderen Wirkungen des letzteren die in ihr enthaltenen Eiweißſtoffe durch die Gerbſäure des Hopfens koaguliert und in großen Flocken herausgefällt. Dieſe Flocken ſetzen ſich dann beim Abkühlen des gekochten Bieres auf dem Kühlſchiff zu Boden, von dem ſie als ſog. Kühlgeläger abgefegt zu Viehfutter Verwendung finden. Dieſes Ausſcheiden der Eiweißſtoffe iſt ſehr wichtig, denn ſie ſind wie alle ſtickſtoffhaltigen Subſtanzen ſehr geneigt in Fäul - nis überzugehen und würden die Haltbarkeit des Bieres nicht nur be - einträchtigen, ſondern ſogar vollſtändig unmöglich machen. Anderſeits iſt dieſe techniſche Notwendigkeit ſehr zu bedauern, denn könnte man die Eiweißſtoffe im Biere laſſen, ſo würde der Nährwert desſelben ein weſentlich höherer ſein, als er es jetzt iſt.

Die Bierpfanne iſt eine große runde oder viereckige eiſerne Pfanne, unter welcher ſich eine Feuerungsanlage befindet, welche ſo konſtruiert iſt, daß die Flamme nicht nur den Boden der Pfanne, ſondern auch einen Teil der Seitenwandung beſtreicht, und das iſt notwendig, weil das Kochen der Würze ein ſehr langes und ſehr intenſives ſein muß. Wird die Bierpfanne wie in ſehr häufigen Fällen auch gleichzeitig zum Kochen der Maiſche benutzt, ſo befindet ſich in derſelben ein Rührwerk, welches durch auf dem Boden der Pfanne ſchleifende bewegliche Hämmer oder Ketten ein Anbrennen der ſich auf den zu Boden ſetzenden Treberteilchen der Maiſche ver - hindert. Mit großem Vorteil iſt neuerdings für die direkte Feuerung die Dampfkochpfanne (Fig. 289) eingeführt. Dieſe be -

Fig. 289.

Dampf-Kochpfanne.

32*500Nahrungs - und Genußmittel.ſteht am Boden und einem Teile der Wandungen aus doppelten Eiſen - blechen, zwiſchen welche der Dampf, der bei a in der Richtung des Pfeils eintritt, nach b gelangen kann. c iſt ein Ventil zur Regulierung der Dampfzufuhr, d ein Manometer und e ein Sicherheitsventil zur Regulierung des Dampfdruckes zwiſchen den Wandungen der Pfanne. Mittelſt des Rädchens f kann das am Boden der Pfanne angebrachte Ventil g geöffnet werden, um nach Beendigung des Kochens das Bier durch das Rohr h abfließen zu laſſen. Endlich iſt i der Antrieb des in der Pfanne befindlichen, zum Kochen der Maiſche notwendigen Rührwerks.

Von der Pfanne wird das heiße Bier behufs Abkühlung auf das Kühlſchiff gepumpt. Das Kühlſchiff iſt ein ſehr großes offenes und nur 20 bis 24 cm tiefes eiſernes Gefäß, welches ſehr hoch gelegen und möglichſt freiſtehend montiert wird, um der Luft von allen Seiten freien Zutritt zu geſtatten. Da nun aber das Bier zwiſchen 25° und 30°C. ſehr zur Milchſäurebildung neigt und die Abkühlung auf dem Kühl - ſchiffe beſonders im Sommer nur ſehr langſam vor ſich geht, ſo wird die Würze ſchon bei einer Temperatur von mehr als 30°C vom Kühl - ſchiffe abgelaſſen, um auf ihrem Wege zum Gährkeller Kühlapparate zu paſſieren, welche den Namen Gegenſtrom-Apparate führen, weil die zum Kühlen verwendete Flüſſigkeit dem Biere entgegenſtrömt. Fig. 290 zeigt einen ſolchen Kühlapparat im Längsſchnitt und Fig. 291 im Quer -

Fig. 290.

Bierkühl-Apparat (Längsſchnitt).

Fig. 291.

Bierkühl-Apparat (Querſchnitt).

ſchnitt. Er beſteht aus ſenkrecht aufgerichteten, wellenförmig gebogenen und ſo aneinander gelegten Blechen, daß ſie im Innern einen Hohl - raum bilden, deſſen oberer Teil bei a von dem unteren Teile getrennt iſt. Dieſe Bleche ſtehen in einer größeren Mulde b und tragen eine kleinere Mulde c. Das Bier fließt vom Kühlſchiff durch das Rohr d in die Mulde c, tritt dann aus feinen ſeitlichen Öffnungen derſelben501Die Bereitung der Bierwürze.heraus, um außen an den Wellblechen herab in die Mulde b zu laufen und von hier aus durch das Rohr e in den Gährkeller zu gelangen. Während nun das Bier außerhalb der Wellbleche den Weg von c nach b macht, geht in dem Innenraum zwiſchen den Blechen eine kalte Flüſſigkeit von unten nach oben, und zwar Brunnenwaſſer, welches bei f ein - und bei g austritt, den oberen Innenraum in der Richtung der Pfeile durchſtrömend, während Eiswaſſer für den unteren Innenraum bei h ein - und bei i austritt.

In demſelben Maße aber, wie die Kenntnis der zahlreichen, dem Biere im allgemeinen und der Gährung im ſpeziellen ſo ſchädlichen Bakterien zunimmt, muß auch die Abgeneigtheit gegen das Kühlſchiff überhaupt wachſen, da das Bier in demſelben mit ſehr großer offener Fläche ſtundenlang dem Zutritte der Luft ausgeſetzt iſt und ſo alle Bedingungen einer möglichſt großen Infizierung vorhanden ſind. In der That beſteht die allerneueſte Verbeſſerung der Brauerei-Apparate darin, das Kühlſchiff ganz zu beſeitigen und dasſelbe durch einen luft - dicht geſchloſſenen Kühl - und Steriliſierapparat zu erſetzen. Derſelbe iſt aus Eiſenblech montiert, hat die ungefähre Form einer mit dem koniſchen Ende nach unten gerichteten Birne und iſt ſo groß, daß er den ganzen Sud auf einmal aufnehmen kann. Nachdem die in dem Apparate enthaltene Luft mittelſt Dampf ſteriliſiert iſt, wird der Sud hineingelaſſen und unter vollkommenem Luftabſchluß erſt mit Hülfe von Brunnenwaſſer und zuletzt mittelſt Eiswaſſer abgekühlt.

Die Gährung der Bierwürze.

Vom Kühlſchiff kommt das Bier in den Gährkeller, wo nach Zuſatz von Hefe die Gährung, d. h. im chemiſchen Sinne die Spaltung eines Teiles des im Sudhauſe erzeugten Zuckers in Alkohol und Kohlenſäure veranlaßt wird. Der Ausdruck Spaltung iſt hier abſichtlich gewählt, denn ſehen wir von verſchiedenen ſich bei der Gährung bildenden Nebenprodukten auf welche bei der Brennerei und Weinbereitung näher eingegangen werden ſoll ab, ſo finden wir, daß ein Molekül Zucker ſich ſpaltet zu je 2 Moleküle Äthyl-Alkohol und 2 Moleküle Kohlenſäure, was ſich durch folgende Formel ausdrücken läßt: 〈…〉

Dieſe ſog. Hauptgährung geht in großen oben offenen Gähr - bottichen vor ſich, dauert 6 bis 8 Tage und wird nicht ganz zu Ende geführt, damit das Bier dann noch fähig iſt, im Lagerkeller, wohin es vom Gährkeller aus in große Lagerfäſſer geſchlaucht wird, eine Nach - gährung durchzumachen, die je nach der Zeit, in welcher das Bier konſumiert werden ſoll mitunter monatelang dauert. Bei der Haupt - gährung tritt eine weſentliche Temperaturerhöhung ein, welche durch künſtliche Kühlung in den Bottichen reguliert werden muß, während die502Nahrungs - und Genußmittel.Lagerkeller ſelbſt durch ein an der Decke angebrachtes und von großen Kühlmaſchinen geſpeiſtes Röhrenſyſtem auf einer Temperatur von 1 bis C gehalten werden.

Die Gährung iſt gleichzeitig eine Hefenkultur, denn die Hefe ver - mehrt ſich während derſelben bedeutend, und je nachdem man bei höherer oder niedriger Temperatur mit verſchiedenen Arten der Hefe die Gährung mehr oder weniger ſtürmiſch verlaufen läßt, findet man die Hefe an der Oberfläche oder auf dem Boden des Gährgefäßes. Nach dieſer Art der Gährung unterſcheidet man obergährige oder untergährige Biere, bez. Oberhefe und Unterhefe . Fig. 292 und

Fig. 292.

Oberhefe.

Fig. 293.

Unterhefe.

293 zeigen dieſe beiden Hefenarten ſtark vergrößert; die Oberhefe bildet runde, ſchwere Zellen, während die Zellen der Unterhefe leichter und von länglicher Form ſind.

Der ganze Verlauf der Gährung und beſonders die Art der Hefe ſelbſt ſind außerordentlich wichtig für die Güte der Biere und haben gerade in allerneueſter Zeit zu ſehr intereſſanten Forſchungen geführt. Die durch Profeſſor Koch hervorgerufene Zeit der mikroſkopiſchen Unterſuchungen der Pilze, zu welchen auch die Hefe Saccharomyces cerevisiae gehört, iſt an den modernen wiſſenſchaftlichen Hülfs - mitteln der Bierbereitung nicht ſpurlos vorübergegangen, und ſtand vorher von den exakten Naturwiſſenſchaften beſonders die Chemie im Dienſte der Bierbrauerei, ſo ſpielt heute die Pflanzenphyſiologie eine faſt nicht minder wichtige Rolle. Prof. Hanſen in Kopenhagen gebührt das Verdienſt, den Gedanken des berühmten franzöſiſchen Chemikers Paſteur, Reinkulturen der Hefe zu züchten, in die richtige Bahn geleitet und für die Brauerei praktiſch verwendbar gemacht zu haben. Paſteur verſtand unter Reinkulturen Hefe, frei von irgend welchen anderen Spaltpilzen; Hanſen wies die zahlreichen Arten dieſer Hefe ſelbſt nach und verſteht unter Reinkultur die Hefe einer einzigen Art derſelben. Dieſe kann man nur gewinnen, wenn man die Hefe unter abſolutem Abſchluß aller Bakterien der Luft von einer einzigen mikroſkopiſchen Hefezelle aus züchtet. Das bot ſchon bei Laboratoriums-Verſuchen große Schwierigkeiten und ſchien für den Großbetrieb infolge der dort503Die Gährung der Bierwürze.notwendigen Mengen ganz undurchführbar. Dennoch hat dieſer geniale Forſcher in überraſchend kurzer Zeit alle Schwierigkeiten überwunden, und heute ſchon arbeiten zahlreiche Brauereien mit ſeinen ſog. Hefe - Reinzucht-Apparaten, welche ihnen in kontinuierlichem Betriebe alle für die Bierproduktion notwendigen Hefemengen liefern, deren Urſprung eine einzige winzig kleine Zelle war, welche bei 100 maliger Vergrößerung unter dem Mikroſkop ungefähr ſo groß ausſieht, als ein Stecknadelkopf!

Von den Lagerfäſſern wird das fertige Bier auf Verſandfäſſer ge - gefüllt und in dieſen oder in Flaſchen dem Konſum übergeben. In - folge der Nachgährung hat ſich in den Lagerfäſſern das ſog. Faß - geläger gebildet und dort zu Boden geſetzt. Um nun das Bier vollſtändig klar abziehen zu können, werden neuerdings Filtrier-Abzieh - Apparate verwendet, wie Fig. 294 einen ſolchen, von Stockheim konſtruierten, zeigt. Dieſer Apparat wird mit dem Schlauche an das Zapfenloch des Lagerfaſſes angeſchraubt, und das Bier muß, bevor es aus den Ausflußöffnungen b b in zwei Verſandfäſſer gleich - zeitig gefüllt werden kann, die Trommel c durchſtrömen. In dieſer Trommel befinden ſich einige ihre ganze Fläche

Fig. 294.

Filtrier - und Abzieh-Apparat.

bedeckende, durchlöcherte Metallplatten, zwiſchen welchen ein aus Celluloſe beſtehendes Filtermaterial gepreßt liegt, und dieſes hält alle Hefeteilchen und ſonſtige das Bier trübe machenden Subſtanzen zurück. Natürlich bedarf das Bier eines gelinden Druckes, um dieſen Filtrier - Apparat zu durchſtrömen, und zwar iſt hierzu ein Überdruck von ca. ½ Atmoſphäre nötig. Dieſer Druck wird durch eine Luftpumpe erzeugt, welche mit dem Spundloch des Faſſes verbunden wird und kann am Manometer e beobachtet werden; d endlich ſind Schaugläſer von ver - ſchiedenen Durchmeſſern, an welchen die Klarheit des Bieres geprüft werden kann.

Was die Geſchichte des Bieres anbetrifft, ſo iſt es wohl allgemein bekannt, daß Gambrinus, König von Brabant, welcher von den Brauern als Erfinder des Bieres verehrt wird, in das Reich der Mythe gehört; das Bier iſt älteren Urſprungs. Schon die alten Ägypter verſtanden es ein ſehr gutes Bier zu brauen, und Peluſium, eine Stadt an einer der Nilmündungen, war das München der damaligen Zeit. Von504Nahrungs - und Genußmittel.Ägypten aus hat ſich dieſe Induſtrie über alle Völker verbreitet und beſonders in Deutſchland eine Stätte gefunden, an welcher die Art und Weiſe der Bereitung ſehr vervollkommnet worden iſt. Im Mittelalter und ſpäter noch, waren es beſonders die Klöſter, welche dieſes Hand - werk pflegten, und ſie lieferten ſchon darum ein ſehr vorzügliches Bier, weil es weniger für den Handel, als für den Selbſtkonſum beſtimmt war. Die Brauerei entwickelte ſich von Jahr zu Jahr mehr, und die kulturhiſtoriſche Bedeutung des Bieres iſt nicht zu unterſchätzen. Wir ſehen nämlich Moral, Familienglück, Wohlſtand in den hauptſächlich Schnaps trinkenden Gegenden in demſelben Maße zunehmen, als es dem Biere gelingt, den Schnapskonſum einzudämmen, ſo daß die ſtetig wachſenden Zahlen des Bierkonſums erfreulich wirken müſſen. Hiermit ſoll allerdings durchaus nicht beſtritten werden, daß auch das Bier, im Übermaße genoſſen, ſehr viel Unheil anrichten kann.

Das Deutſche Reich produzierte 1872 rund 33½ Millionen Hekto - liter, 1882 bereits 39½ Millionen, 1887 45 Millionen und 1891 endlich 53 Millionen. Dieſer Zuwachs iſt nicht etwa auf die gleich - zeitig gewachſene Einwohnerzahl zurückzuführen, denn 1872 wurden pro Kopf und Jahr 81,7 Liter, 1882 ſchon 84,7 Liter, 1887 94,6 Liter und 1891 endlich 106 Liter konſumiert. Bei ſo be - deutender Entwickelung einer Induſtrie, welche eine ſo große kultur - hiſtoriſche Aufgabe hat, muß die Reinheit des Fabrikats gerade in einer Zeit wie der unſeren, wo Surrogate ſo vieles erſetzen ſollen, beſonders angenehm berühren. Es giebt nämlich nur wenige Nahrungs - bezw. Genußmittel, welche fabrikmäßig, im großen hergeſtellt, ſo rein geliefert werden als das Bier, und alle ſo häufig genannten Ver - fälſchungen mögen wohl zum Teil früher vorgekommen ſein, gehören aber jetzt in das Reich der Fabel, wenigſtens für die große Anzahl der Großbrauereien, welche mit ihrer Produktion faſt den ganzen Konſum decken.

Die Branntweinbrennerei.

Sobald eine zuckerhaltige Flüſſigkeit zufällig mit Gährungserregern, wie ſie unzählbar in der atmoſphäriſchen Luft enthalten ſind, in Be - rührung kommt, oder ihr ſolche, wie z. B. die Hefe, abſichtlich zugeſetzt werden, ſo beginnt die Gährung dieſer Flüſſigkeiten. Beim Wein z. B. wird die Gährung durch diejenigen Fermente oder Gährungserreger hervorgerufen, welche in der atmoſphäriſchen Luft vorhanden ſind und aus verſchiedenen Arten beſtehen, die der Botaniker unter dem Mi - kroſkope genau von einander unterſcheidet. Die Weinhefe unterſcheidet ſich wiederum ſcharf von der Hefe, welche die Gährung im Biere hervorruft und dieſem wie wir im vorigen Kapitel erläutert haben in möglichſt rein gezogener Raſſe zugeſetzt wird. Daß alle dieſe kleinen Pflänzchen die Eigenſchaft haben, eine Gährung in einer Zucker - löſung hervorzurufen, kann den Botaniker ebenſowenig veranlaſſen, ſie505Die Branntweinbrennerei.für identiſch untereinander zu halten, als ein Laie z. B. eine Roſe und ein Veilchen nur darum mit einander verwechſeln könnte, weil beides Blumen ſind und angenehm riechen.

Für den Chemismus der Gährung ſelbſt aber iſt die Art des Gährungserregers bis zu einer gewiſſen Grenze gleichgiltig, denn beim Weine, wie beim Biere und bei allen anderen Zuckerlöſungen, welche in den Maiſchen der verſchiedenen Getreidearten, der Kartoffeln, in dem Safte der Früchte ꝛc. enthalten ſind, gehen der Hauptſache nach die - ſelben chemiſchen Umſetzungen vor ſich. Mit dem Fortſchreiten der Gährung verſchwindet der Zuckergehalt dieſer Flüſſigkeiten immer mehr, und ſie werden immer alkoholreicher, während große Mengen Kohlen - ſäure frei werden und entweichen. Näheres über die Entſtehung des Alkohols und der Kohlenſäure aus der Zuckerlöſung findet ſich gleich - falls in dem vorſtehenden Aufſatz über Bierbrauerei. In Wirklichkeit geht aber die Spaltung des Alkohols nicht ſo rein und glatt vor ſich, denn neben dem Alkohol bilden ſich gleichzeitig je nach der Art der Gährung und des zu vergährenden Rohmaterials noch ver - ſchiedene andere Körper, wie z. B. das ſog. Fuſelöl, einige Äther - arten ꝛc. Das hat ſein Angenehmes und Unangenehmes. So verdankt z. B. der Wein ſein ſo beliebtes Aroma auch die Blume genannt jenen Ätherarten, welche als Nebenprodukt der Gährung entſtehen, aber auch das Fuſelöl, dieſe unſerm Organismus ſo ſchädliche Ver - unreinigung des Branntweins, bildet ſich auf dieſe Weiſe und muß bei der Deſtillation von dieſem getrennt werden.

Alle durch die Gährung entſtehenden Flüſſigkeiten enthalten den Alkohol nur in ſehr verdünnter Form, und Aufgabe der Brennerei iſt es, denſelben aus den weingaren Maiſchen durch Deſtillation mehr oder weniger konzentriert und rein zu gewinnen. Bevor wir uns aber mit der Deſtillation ſelbſt beſchäftigen, müſſen wir die für die Branntweinbrennerei verwendeten Rohmaterialien und die Dar - ſtellung der weingaren Maiſchen aus denſelben, näher betrachten. Es ſind bei der Spiritusfabrikation drei Hauptoperationen zu unterſcheiden und zwar:

  • 1. die Darſtellung der zuckerhaltigen Flüſſigkeit,
  • 2. die Gährung derſelben und
  • 3. die Abſcheidung des Alkohols durch Deſtillation.

Als Rohmaterial für die Spiritusfabrikation ſind alle feſten oder flüſſigen Körper zu verwenden, welche zuckerbildende Subſtanzen enthalten, oder ſchon fertigen Zucker oder auch ſchließlich fertigen Alkohol, nach - dem ſie bereits eine Gährung durchgemacht haben. Im Großbetriebe kommen hauptſächlich die Wurzeln und Knollen der Kartoffeln für den Kartoffel-Spiritus und von den Cerealien Roggen, Weizen und Gerſte, ſeltener Hafer, Mais und Reis für den Getreide - oder Kornbranntwein in Betracht.

506Nahrungs - und Genußmittel.

Bei Darſtellung des Kornbranntweins miſcht man wenigſtens 2, am häufigſten alle 3 der genannten Getreidearten, weil dadurch die Ausbeute an Alkohol größer wird, und zwar rechnet man gewöhnlich auf einen Teil Grünmalz, zwei Teile ungemälztes Getreide. Dieſes Gemenge wird geſchroten, eingeteigt und wenigſtens in Deutſchland mit den Trebern vergohren, nachdem die Maiſche auf Kühlſchiffen durch Kühlapparate ſo ſchnell als möglich abgekühlt iſt. Als Gährungs - erreger wird entweder Bierhefe oder in heißem Waſſer aufgelöſte Preß - hefe verwendet. Nach 3 bis 5 Stunden tritt die Gährung ein und dauert bei einer Temperaturſteigerung bis ca. 30°C ungefähr 4 Tage, bis nach dem Aufhören der Entwickelung der Kohlenſäure alle ſchwereren Teile zu Boden ſinken. Die darüber ſtehende Maiſche bezeichnet man als reif oder weingar und die Deſtillation derſelben muß dann ſofort vorgenommen werden.

Die Kartoffeln enthalten neben 72 % Waſſer 28 % Trocken - ſubſtanz und in dieſen 21 % Stärkemehl, aus welchem der Kartoffel - ſpiritus gewonnen werden ſoll. Zur Umbildung des Stärkemehls in Zucker muß da ja Diaſtaſe nicht vorhanden iſt gleichfalls etwas Malz zugeſetzt werden; die Operation mit verdünnter Schwefelſäure, welche denſelben Dienſt leiſtet, ſoll hier als ſehr wenig angewendet unberückſichtigt bleiben. Die Kartoffeln werden gewaſchen, gekocht, zerkleinert, gleichfalls mit Grünmalz eingemaiſcht und die Maiſche auf dem Kühlſchiff abgekühlt. Auch dieſe Maiſche wird im Gährbottich mit Bier oder Preßhefe zur Gährung angeſtellt und iſt nach ca. 60 bis 70 Stunden weingar d. h. zur Deſtillation reif.

Unter Deſtillation verſtehen wir das Verdampfen einer Flüſſigkeit bei Siedetemperatur und Kondenſieren der ſo erhaltenen Dämpfe durch Abkühlung zu einer Flüſſigkeit, und zeigt Fig. 295 einen Deſtillier - apparat allereinfachſter Konſtruktion. Die zu deſtillierende Flüſſigkeit wird in einem großen Hohlgefäß B Blaſe genannt erwärmt. Dieſe Blaſe iſt durch einen ſog. Helm A, an deſſen Ausflußrohr C das Kühlrohr D eingeſchraubt iſt, verſchloſſen, ſo daß die ſich entwickelnden Dämpfe gezwungen ſind, durch dieſes Kühlrohr D zu gehen. Das Kühlrohr liegt in ſchlangenartigen Windungen in einem von kontinuierlich fließendem kalten Waſſer durchſtrömten Bottich, aus welchem es bei O herausragt, ſo daß hier ein Gefäß, die ſog. Vorlage, angeſetzt werden kann. In dieſer Vorlage wird die Flüſſigkeit aufgefangen, die ſich infolge der Abkühlung des Kühlrohrs durch Kondenſation der ſein Inneres durchſtrömenden Dämpfe gebildet hat. An dieſer, wie geſagt, einfachſten Form eines Deſtillierapparates ſind ganz weſentliche Ver - beſſerungen vorgenommen worden und ſollen ſpäter einige derſelben beſchrieben werden.

Da nun der Alkohol ſchon bei 78,3°C ſiedet, das Waſſer aber bekanntlich erſt bei 100°, ſo wird von der in der Deſtillierblaſe er - hitzten Flüſſigkeit, welche den Alkohol verdünnt enthält, zuerſt der507Die Branntweinbrennerei.

Fig. 295.

Deſtillierapparat.

Alkohol allerdings mit Waſſerdämpfen in die Vorlage über - deſtilliert. Die Temperatur ſteigt in der Deſtillierblaſe nicht eher auf die Siedetemperatur des Waſſers, als bis aller Alkohol über - deſtilliert iſt, wodurch derſelbe jetzt Lutter genannt von der Hauptmenge des Waſſers getrennt wird. Dieſer Lutter wird nun von neuem der Deſtillation jetzt Rektifikation genannt unterworfen. Auch die bei der Gährung ſich bildenden Nebenprodukte, wie Äther - arten und Fuſelöl, haben andere Siedetemperaturen, als der Alkohol und werden mit Hülfe dieſer von dem Lutter mittelſt fraktionierter Deſtillation getrennt. Der Siedepunkt der betreffenden Ätherarten liegt niedriger, der des Fuſelöls höher, als derjenige des Alkohols, ſo daß alſo beim wiederholten Deſtillieren zuerſt die Ätherarten, dann der immer noch ſtark mit Waſſer verſetzte Alkohol und endlich das Fuſelöl über - deſtillieren. Sobald nun die einzelnen Flüſſigkeiten überdeſtilliert ſind, wird nach dem Auffangen einer jeden derſelben die Vorlage gewechſelt, wodurch man ſie getrennt erhält, welche Unterbrechung der Deſtillation durch das Wechſeln der Vorlage ihr auch den Namen fraktionierte Deſtillation gegeben hat. Das bei der Rektifikation des Lutter zuerſt übergehende, ſehr alkoholreiche Deſtillat heißt Vorlauf, das ſpätere Nachlauf . Zur vollkommenen Trennung des Alkohols vom Fuſelöl und beſonders von den letzten Teilen Waſſer, welche der Alkohol außer - ordentlich feſt hält, iſt bei der Rektifikation die Zuhilfenahme von Kohle, häufig auch verſchiedener oxydierend wirkender Chemikalien er - forderlich. Letztere zerſtören das Fuſelöl und bilden durch Oxydation desſelben verſchiedene Ätherarten. Deutſchland hat außerordentlich hohe Verdienſte um die Verbeſſerung der Verfahren, welche zur Reinigung des Spiritus und zur Darſtellung eines ganz reinen Sprits dienen, weshalb letzterer auch viel exportiert wird. So geht z. B. eine nicht508Nahrungs - und Genußmittel.unbeträchtliche Menge nach Spanien, dient dort zum Verſchneiden der ſtarken ſpaniſchen Weine und kehrt in dieſen wiederum nach Deutſch - land zurück, was den berühmten Chemiker A. W. v. Hofmann zu dem ſehr bezeichnenden Ausſpruch veranlaßte: Das Feuer der ſpaniſchen Weine wächſt auf den märkiſchen Kartoffelfeldern!

Die zu den landwirtſchaftlichen Betrieben gehörigen Brennereien erzeugen indes nur den gewöhnlichen Spiritus, ſeine Reinigung durch Rektifikation bez. die Herſtellung von Feinſprit wird hingegen in den ſog. Spritfabriken betrieben, an welche jene Brennereien den Spiritus liefern. Die hierzu nötigen Apparate ſind weſentlich verbeſſert worden, und iſt es hier nicht möglich, die ganze Entwickelung dieſer Apparate zu ſchildern, vielmehr müſſen wir uns damit begnügen, die letzten und vollkommenſten derſelben zu beſchreiben. Da iſt vor allen Dingen der

Fig. 296.

2 Elemente eines Kolonnenapparates.

ſog. Kolonnenapparat, der ſchon zur Gewinnung des Rohſpiritus dient. Fig. 296 zeigt die innere Konſtruktion zweier aus der Mitte herausgegriffenen Elemente eines ſolchen Kolonnen - apparates, von denen eine größere Anzahl übereinander gebaut iſt. Aus dem auf Fig. 296 nicht mehr ſichtbarem Element A tropft die Maiſche durch das Rohr a in das Element B, bis ſie den Boden derſelben ſo hoch be - deckt, daß ſie durch das Rohr b nach dem Element 1 überfließen kann, wo - rauf ſie, ſobald auch hier der Boden genügend bedeckt iſt, durch das Rohr c nach dem hier nicht mehr ſichtbaren Element D überfließt und ſo fort, bis alle Elemente des Apparates mit der von oben nach unten fließenden Maiſche gefüllt ſind. Die dem Apparat zugeführten Dämpfe machen den entgegengeſetzten Weg; ſie treten in das unterſte Element ein und durchſtreichen alle Elemente der Reihe nach von unten nach oben. Die in die Elemente führenden Eintrittsöffnungen ſind aber, wie es bei d und e ſichtbar iſt, nach unten gebogen, und zwar ſo tief, daß die aus - tretenden Dämpfe die den Boden eines jeden Elementes bedeckende Maiſche durchſtrömen müſſen. Auf dieſe Weiſe werden die Dämpfe nach oben zu immer alkoholreicher, da ſie immer mehr Maiſche durchſtrömt haben und ihr Waſſer in den nach oben zu kälter werdenden Elementen immer mehr kondenſiert wird, während die Maiſche nach unten zu immer alkoholärmer und waſſerreicher wird. Dieſe Kolonnenapparate werden auch für kontinuierlichen Betrieb eingerichtet zur Rektifikation von Spiritus verwendet.

Vorher war bereits erwähnt, welche verbeſſernde Wirkung oxy - dierende Chemikalien auf das Fuſelöl haben. Aber auch nach Entfer - nung des Fuſelöls bleiben noch andere Nebenprodukte der Gährung509Die Branntweinbrennerei.wie Äther, Aldehyde ꝛc., die ohne Zuhilfenahme von Chemikalien welche aber leicht ein geſchmack - und geruchloſes Fabrikat zu erzielen verhindern ſchwer zu entfernen ſind. R. Eiſenmann iſt ein Verfahren patentiert worden, nach welchem eine große Menge Ozon in ſehr ſtarkem Luftſtrom erzeugt wird. Das Ozon verbrennt dabei alle genannten Ver - unreinigungen des Spiritus, und die luftförmigen Verbrennungsprodukte werden von dem ſtarken Luft - ſtrom vollſtändig heraus - geblaſen. Fig. 297 zeigt die Kombination des Ozoni - ſations-Apparates von Eiſen - mann, mit dem Savalleſchen Deſtillations-Apparat. A iſt die Blaſe, B die Kolonne, C der Dephlegmator, D der Kühler, E der Regulator, F der Spiritusabfluß des Savalleſchen Deſtillations - Apparates. G iſt das Re - ſervoir, in welchem die Ge - winnung des Sprits vor - genommen wird, und mit G in Verbindung ſind H der Dephlegmator, I der Kühler und K der Spiritusabfluß.

Fig. 297.

Ozoniſations-Apparat zur Reinigung des Spiritus nach Eiſenmann.

Zur Erwärmung des Spiritus im Reſervoir G dient die Dampfleitung a, welche innerhalb des Reſervoirs in einen durchlöcherten Röhrenkranz b endet, und wird durch das Thermometer c die erzielte Temperatur angezeigt. Eine zweite Dampfleitung d ſetzt das Dampfſtrahlgebläſe e in Thätigkeit. Der von dieſem erzeugte kräftige Luftſtrom entweicht aus den zahlreichen Öffnungen des innern Röhrenkranzes f, durchſtrömt in vielen Blaſen den erwärmten Spiritus im Reſervoir G und gelangt durch das Rohr g in den Dephlegmator H, woſelbſt die flüchtigen Spiritusteile wieder kondenſiert werden und durch das Rohr h zum Reſervoir zurückfließen, während ſich die herausgeblaſenen, leichtflüchtigen Zerſetzungsprodukte erſt im Kühler I verdichten und durch den Abfluß K nach beſonderen Sammelgefäßen abfließen.

Um den Sauerſtoff der Luft nun in den ozoniſierten Zuſtand zu verſetzen, paſſiert dieſelbe, bevor ſie durch den Spiritus geblaſen wird, einen Apparat i, in welchem durch langſame elektriſche Entladung einer Batterie k in Verbindung mit dem Funkengeber l die Ozoniſation ſtattfindet. Nach erfolgter Reinigung fließt der Spiritus aus dem Reſervoir, alsdann durch das Rohr m in die Blaſe A, um in be - kannter Weiſe deſtilliert zu werden. Hierbei reſultiert ein geruch - und geſchmackloſer Sprit von 96 bis 97 %, der von allen Verunreinigungen510Nahrungs - und Genußmittel.frei iſt, da ſein Fuſelöl durch die Holzkohle abſorbiert wurde und alle Aldehyde, Äther und ſonſtige leicht flüchtige Verunreinigungen bei der Ozoniſation zerſtört und durch den kräftigen Luftſtrom fortgeführt wurden.

Aber gerade bei der mit ſo vielen Vorteilen angewendeten Filtra - tion durch Holzkohle werden durch den in den Poren der Kohle kon - denſiert enthaltenen, die Oxydation des Alkohols veranlaſſenden Sauer - ſtoff Aldehyde gebildet, und dieſen Fehler vermeidet ein an R. Eiſen - mann und Joſeph Bendix erteiltes Patent, nach welchem dieſe ſo not - wendige und nützliche Filtration des Spiritus durch Holzkohle unter Ausſchluß der atmoſphäriſchen Luft bewirkt werden kann.

Die Verwendung des Alkohols zu techniſchen Zwecken iſt eine außerordentlich vielſeitige, wie z. B. in der Parfümerie, zum Auflöſen fetter und ätheriſcher Öle, bei der Lack - und Firnisfabrikation, als Brenn - ſpiritus, zum Verſchneiden ſehr ſchwerer Weine, wo, wie wir bereits vorher erwähnt, gerade der deutſche, ſo gut gereinigte Sprit eine hervor - ragende Rolle ſpielt ꝛc. ꝛc. Leider wird aber auch ein großer Teil des Spiritus häufig nur recht mangelhaft gereinigt als Schnaps getrunken. Der Alkohol iſt nämlich als Genußmittel nur dann zu empfehlen, wenn er nächſt dem Maßhalten darin in ganz ver - dünnter Form genoſſen wird, wie z. B. im Biere, welches 2 bis 8 %, oder im Weine, der, wenn er leicht iſt, ca. 8 % enthält, während der Alkoholgehalt ſehr ſchwerer Weine bis 20 % ſteigt. Die Schnäpſe aber, welche 30 bis 70 % Alkohol enthalten, ſind nur zuläſſig, wenn ſie ſehr ſelten und nur nach ſehr ſchwer verdaulichen Speiſen genommen werden. In ſolchen Fällen unterſtützen ſie unſern Verdauungsapparat dadurch weſent - lich, daß ſie die inneren Magenwände zur möglichſt großen Abſonderung von Verdauungsſäften reizen. Gewöhnt der Menſch ſich aber be - ſonders bei ungenügender Ernährung an den regelmäßigen Alkohol - genuß, ſo begiebt er ſich auf eine ſo ſtark abſchüſſige Bahn, daß er bald keinen Halt mehr finden kann, ſondern phyſiſch und moraliſch elend zu Grunde gehen muß. Ein dem Menſchen ganz unwürdiges Daſein führend, verfällt er der chroniſchen Alkoholvergiftung, die mit dem Säuferwahnſinn delirium tremens genannt und auf dem Kirch - hofe endet, wohin nicht ſelten der Weg durch das Irrenhaus oder gar durch das Zuchthaus führt. Auch eine akute Alkoholvergiftung iſt be - kannt und tritt dann ein, wenn zu große Mengen auf einmal genommen werden. Der Rauſch iſt das kleinſte Stadium derſelben, nicht ſelten endet ſie aber bei größeren Mengen mit dem plötzlichem Tode des Vergifteten, wie derſelbe leider ſchon häufig genug durch leicht - ſinnige Wetten veranlaßt wurde und ſchon manches blühende, zu Hoffnungen berechtigende Menſchenleben vernichtet hat.

Nun muß beſonders hervorgehoben werden, daß gerade die un - genügende Ernährung eine beſondere Veranlaſſung iſt, der chroniſchen Alkoholvergiftung zu verfallen. Der Kohlenſtoff und der Waſſerſtoff511Die Branntweinbrennerei.des genoſſenen Alkohols verbrennen mittels des eingeatmeten Sauerſtoffes direkt zu Kohlenſäure und Waſſer, um als ſolche ausgeatmet zu werden. Hierdurch ſchützt der Alkohol den durch die Nahrungsmittel dem Körper zugeführten Kohlenſtoff und Waſſerſtoff vorläufig vor dieſer Verbrennung, und ſomit wird eine Nahrung bei gleichzeitigem Alkoholgenuß länger vorhalten als ohne dieſen. Auch verfügt der mangelhaft Ernährte nach dem Schnapsgenuß augenblicklich über Kräfte, welche aber der Schnaps nicht erzeugt, ſondern welche bereits im Körper vorhanden waren und nur plötzlich geſammelt werden, um nachher einer um ſo größeren Er - mattung zu weichen. Der berühmte Chemiker Juſtus v. Liebig ſagt darüber im zweiunddreißigſten ſeiner ſo klaſſiſch geſchriebenen Chemiſchen Briefe in lichtvollen Worten: Der Darbende, welcher Schnaps trinkt, um die Kraft für die Arbeit zu finden, behandelt ſeinen Körper, wie der Unbarmherzige, der ſein vor Hunger erſchöpftes Pferd mit der Peitſche zu neuen Leiſtungen zwingt. Der Branntwein iſt ein Wechſel, ausgeſtellt auf die Geſundheit, der immer prolongiert werden muß, weil er aus Mangel an Mitteln nicht eingelöſt werden kann. Der ſchnapstrinkende Arbeiter verzehrt das Kapital anſtatt der Zinſen kein Wunder, daß endlich der Bankerott des Körpers unvermeid - lich iſt!

Es iſt ſchließlich ein allgemein verbreiteter Irrtum, anzunehmen, daß der Schnaps Wärme erzeugt, denn das iſt nicht der Fall. Der Alkohol ruft nur durch Erweiterung gewiſſer Gefäße eine ſchnellere Blutcirkulation hervor und führt dadurch die im Körper bereits vor - handene Wärme ſchneller den einzelnen Gliedmaßen zu, was wir be - ſonders an frierenden Gliedern als Wärme empfinden. Aber genau wie bei der zu ſchnell und auf einmal verbrauchten Kraft, iſt es gerade nach dieſem ſchnellen Wärmeverbrauch dringend notwendig, dieſelbe zu ergänzen.

Iſt es denn aber mit dem Schnapskonſum überhaupt ſo ſchlimm? Faſt unglaublich ſcheinen die Zahlen, welche die für dieſen Zweck ver - geudeten Summen angeben, und ſie wirken um ſo erſchreckender, wenn man berückſichtigt, daß dieſe Summen zum allergrößten Teil von armen Leuten, deren Ernährung ſchon an und für ſich eine ſehr mangelhafte iſt, gezahlt werden. Wenn auch aus dieſen Zahlen deutlich hervor - geht, daß der Schnapskonſum infolge des Geſetzes über die Beſteuerung des Branntweins vom 24. Januar 1887 merklich nachgelaſſen hat, ſo iſt doch das Übel auch heute noch geradezu unerträglich groß. Den neueſten offiziellen Angaben darüber entnehmen wir folgendes: der Durchſchnittskonſum in den Jahren 1880 bis 1886, alſo vor dem Inkrafttreten des obengenannten Geſetzes, betrug pro Kopf und Jahr im ganzen deutſchen Reichsgebiete bei einer Einwohnerzahl von rund 38 Millionen 6,58 Liter und ging infolge des Geſetzes auf 4,64 Liter pro Kopf und Jahr zurück. Wie aber ſieht es trotz dieſer Beſſerung ſelbſt jetzt noch mit dem Geſamtkonſum und den dafür verausgabten512Nahrungs - und Genußmittel.Summen aus? Jene 4,64 Liter pro Kopf entſprechen bei 49 096 000 Einwohnern einen Geſamtkonſum von 2 279 828 Hektolitern reinen Alkohols, welcher mit der doppelten Menge Waſſer verdünnt wird, be - vor er als Schnaps in den Handel kommt und ſomit zu 6 839 484 Hektolitern anwächſt. Nehmen wir nun als Detailpreis, wie er beim Verkauf des einzelnen Schnapſes in der Schänke berechnet wird, pro Liter eine Mark an, ſo werden alſo jährlich allein im deutſchen Reichs - gebiete 683 948 400 Mark zum größten Teil vergeudet und der not - wendigen Ernährung armer Leute entzogen. Will man ſich nun noch daran erinnern, welch großer Prozentſatz der Verbrechen im Rauſche begangen werden in England z. B. nach amtlichen Berichten ¾ bis aller Vergehen ſo muß man mit einſtimmen in den Ausſpruch William Parkers: Das gelbe Fieber iſt gegenüber der Trunkſucht ein ſehr mildes Leiden für die Menſchheit!

Die Weinbereitung.

Es giebt hauptſächlich drei Arten Weine, die man nach dem Roh - material, aus welchem ſie bereitet werden, als die Traubenweine, die Obſtweine und die Palmen - oder ähnliche Weine bezeichnet. Alle drei Arten Weine unterſcheiden ſich vom Bier durch folgende drei weſent - lichen Merkmale. Sie enthalten nur ſehr wenig feſten Nahrungsſtoff, der beim Bier neben der durſtſtillenden und erregenden Eigenſchaft desſelben gleichzeitig ernährend wirkt. Ferner werden ſie nicht künſtlich durch Zuſatz von Gährungserregern zur Gährung gebracht, ſondern ſie gähren von ſelbſt bez. ihre Gährung wird durch die aus der Luft auf - genommenen Hefekeime veranlaßt, und endlich fehlt ihnen der bittere, narkotiſche Beſtandteil, der dem Biere durch den Hopfen gegeben wird. Hingegen hat der Wein gegenüber dem Branntwein mit dem Biere das gemeinſam, daß er ohne Deſtillation gewonnen wird.

Als Rohmaterial der Traubenweine dient die vom Weinſtock, einer Pflanze aus der Familie der Sarmentaceen, gelieferte Weintraube. Der Weinſtock gedeiht weder in der kalten, noch in der tropiſchen Zone und erzeugt in der gemäßigten Zone nur unter beſtimmten, ſich auf Boden und Klima beziehende Bedingungen eine Traube, aus der ſich ein trinkbarer Wein erzeugen läßt. Abgeſehen von einer gewiſſen Fertigkeit bei der Darſtellung des Weines ſelbſt aus der Traube reſultieren, je nachdem dieſe Bedingungen mehr oder weniger erfüllt ſind, die ſo zahlreichen Arten der Weine, deren Güte bez. Wert ſo ſehr ver - ſchieden iſt.

Die Traubenleſe geſchieht erſt bei ſehr reifem Zuſtande der Beeren, denn in demſelben Maße wie ſie reifen, nimmt ihr Zuckergehalt zu und liefert dadurch bei der ſpäteren Gährung nicht nur einen höheren Alkoholgehalt, ſondern mit ſeinem Zunehmen geht auch gleichzeitig der Säuregehalt der Beeren zurück. Bei der Reife der Trauben werden513Die Weinbereitung.die Beeren welk, ebenſo die Stiele, welche dann leicht abzubrechen ſind, ferner löſen ſich die Kerne leicht vom Fleiſch und die Beeren nehmen eine dunklere Farbe an, indem diejenige der weißen Traube bräunlichgelb und diejenige der roten und blauen faſt ſchwarz er - ſcheint. Der richtige Reifezuſtand der Beere iſt von ſehr weſentlichem Einfluß auf die Qualität des Weines, da hierdurch hauptſächlich der Zuckergehalt erhöht und der Gehalt an freier Säure vermindert wird.

Bevor durch Preſſen der Trauben ihr Saft gewonnen wird, müſſen bei rationeller Weinbereitung die Stiele entfernt werden. Dieſe Arbeit früher mit der Hand, ſpäter mit einer weitzinkigen Gabel vorgenommen, wird jetzt durch die ſogen. Traubenraſpel, welche gleichzeitig die Beeren zerquetſcht, beſorgt. Ähnliche neue Apparate beruhen, wie die Trauben - raſpel, im weſentlichen darauf, daß die Trauben in einem Kaſten (Fig. 298), deſſen Boden aus ſcharfkantigen Holzſtäben beſteht, ſo lange

Fig. 298.

Traubenmühle.

mit der Hand oder durch Motorenkraft hin und her bewegt werden, bis alle Beeren zerquetſcht durch den gitterartigen Boden gefallen ſind, während die Stiele Kämme genannt in dem Kaſten zurück - bleiben. Dieſes Zerdrücken der Beeren muß ſtets dem Preſſen voran -Das Buch der Erfindungen. 33514Nahrungs - und Genußmittel.gehen und geſchieht, wo die Kämme nicht erſt entfernt werden, in großen Bottichen durch Zerſtampfen mit Keulen oder dem ſehr un - ſauberen Zertreten mit den Füßen. Das Auspreſſen der Beeren wird in ſehr verſchieden konſtruierten Preſſen, wie Baumpreſſen, Hebelkeltern, Schlittenpreſſen, oder Schraubenpreſſen ꝛc. vorgenommen, welche alle mehr oder weniger primitiv ſind, und bei welchen entweder ein Hebel, oder eine Schraube oder ein mit Steinen belaſteter Schlitten den er - forderlichen Druck auf die Beeren ausübt. Sehr vollſtändig und ſchnell werden Moſt und Treſter, d. i. Saft und alle feſten Beſtandteile der Beere bei Anwendung von Centrifugalmaſchinen getrennt. Ob - gleich die alten Preſſen noch vielfach in Gebrauch ſind, ſo ſind die - ſelben doch in neuerer Zeit vielfach verbeſſert und u. a. auch die hydrau - liſchen Preſſen eingeführt worden. Eine viel verwendete Preſſe iſt die ſogen. Univerſal Wein-Preſſe von Wm. Platz Söhne in Wein - heim i. B. (Fig. 299), bei welcher die Druckplatte unter einer runden, eiſernen und mit Löchern verſehenen Scheibe ſitzt und durch dieſe vertikal an einer in einem Bottich feſtmontierten eiſernen Spindel bewegt wird. Die Scheibe ſelbſt hingegen wird durch einen Hebel, der in die Löcher der Scheibe eingreift, gedreht.

Unter den Beſtandteilen des Moſtes iſt der Zucker der hervor - ragendſte: der Gehalt daran beträgt je nach Art der Traube bei voll - kommener Reife 12 bis 30 %. Derjenige an Säure wechſelt gleichfalls ſowohl nach Art der Trauben, als auch nach der Reife der Jahrgänge und verhält ſich nach Freſenius zum Zuckergehalt wie 1: 16 bis 1: 29. Dieſe Säure beſteht zum größten Teile aus doppelt weinſaurem Kali und ſcheidet ſich mit der Zeit als ſogen. Weinſtein aus dem Wein ab. Der ausgepreßte Moſt erſcheint niemals klar, ſondern iſt ſtets durch die darin ſuſpendierten Pflanzenteilchen getrübt. Die übrigen Be - ſtandteile des Moſtes ſind bis 0,43 % freie Säure, bis 0,22 % Eiweiß - körper, bis 0,47 % Mineralbeſtandteile, beſtehend aus Kali, Phosphor - ſäure ꝛc., bis 4,11 % gebundene organiſche Säuren und Extraktiv - ſtoffe und endlich bis 76,72 % Waſſer.

Wie bemerkt, veranlaſſen die zahlreichen in der atmoſphäriſchen Luft enthaltenen Keime und Hefezellen, welche ſich ſchon während des Wachstums der Traube auf den Beeren ſelbſt abgeſetzt hatten, und welche ferner in den Moſt geraten, während dieſer der Luft aus - geſetzt iſt, die Gährung. Der Chemismus der Gährung iſt bei dem Biere ausführlich beſprochen und ſei hier nur geſagt, daß die Gährung des Moſtes in Deutſchland und Frankreich eine Unter - gährung iſt und bei 10 bis 15° C. beginnt. Man unterſcheidet bei dieſer Gährung drei Stadien, nämlich die Hauptgährung, welche 3 bis 4 Wochen dauert, ferner die ſtille oder Jungwein-Gährung, welche nach ca. 6 Monaten beendet iſt, und endlich die Lagergährung, welche bis zur vollkommenen Reife des Weines währt. Die Gährung des Moſtes geſchieht je nach der Art des Weines entweder, nach -515Die Weinbereitung.

Fig. 299.

Univerſal-Weinpreſſe.

dem er von den Treſtern getrennt iſt, oder auch mit dieſen, und wird in letzterem Falle in großen, offenen Bottichen aus verſchiedenem Material oder in geſchloſſenen aufrecht ſtehenden Gefäßen, deren Ein - richtung Fig. 300 zeigt, vorgenommen. Ein durchlöcherter, eingeſetzter Boden c verhindert das Emporſteigen der Treſter und ebenſo ein vor dem Hahn a von innen angebrachtes, durchlöchertes Brett b das Mitfließen derſelben beim Ablaſſen des Moſtes nach beendeter33*516Nahrungs - und Genußmittel.

Fig. 300.

Geſchloſſenes Gährgefäß mit doppeltem Boden.

Hauptgährung. Ein in Waſſer mündendes Steigrohr e ermöglicht das Entweichen der ſich während der Gährung bildenden Kohlen - ſäure und verhindert gleichzeitig das Ein - dringen der atmoſphäriſchen Luft. Bei Her - ſtellung von Rotwein läßt man den Moſt mit den Treſtern vergähren, um ſo den Schalen den Farbſtoff und den Kernen die Gerbſäure zu entziehen. Zu dieſem Zwecke bleiben die Treſter auch noch nach der Hauptgährung längere Zeit mit dem Weine in Berührung, und derſelbe wird erſt abgelaſſen, wenn der Wein durch Löſen einer genügenden Menge Farbſtoff die gewünſchte dunkelrote Farbe erhalten hat.

Die offenen Gährgefäße ſind nicht ſo zweckdienlich, wie die luftdichtverſchloſſenen, weil bei Anwendung der erſteren ſich ſtets kleine Mengen Eſſigſäure bilden. Das in Fig. 300 gezeichnete Steigrohr e iſt neuer - dings ſehr vorteilhaft durch einen ſogen. Gährſpund (Fig. 301) erſetzt. Derſelbe beſteht aus einem trichterartigen Gefäß b b, deſſen Aus - flußrohr c nach oben verlängert iſt und ſo verhindert, daß das in

Fig. 301.

Gährſpund.

b gegoſſene Waſſer in den Bottich fließen kann. Ein Gefäß d, deſſen umgebogener Rand eingekerbt iſt, wird umgekehrt über c geſtülpt und auf dieſe Weiſe ein Waſſerverſchluß hergeſtellt, durch welchen die ſich bei der Gährung bildende Kohlenſäure in der Richtung der Pfeile ent - weicht, ohne daß die Luft zu dem gährenden Moſte treten kann, wenn der Gährſpund in das Spundloch a a luftdicht eingeſetzt wird. Das517Die Weinbereitung.durch die entweichenden Kohlenſäurebläschen entſtehende Geräuſch iſt gleichzeitig ein Anzeichen für den mehr oder weniger heftigen Verlauf der Gährung. Die Gährung des Weißweines wird, von vornherein von den Treſtern getrennt, größtenteils in Fäſſern vorgenommen, und hierbei kann der eben beſchriebene Gährſpund gleichfalls verwendet werden.

In demſelben Maße als die Spaltung des Zuckers in Alkohol und Kohlenſäure fortgeſchritten iſt und ſchließlich nachläßt, ſinkt auch die Temperatur des gährenden Moſtes wieder, und iſt zuletzt nicht mehr höher als die Temperatur des Gährlokales ſelbſt. Aber nur während der ſtürmiſchen, ſogen. Hauptgährung wird genügend Kohlenſäure erzeugt, um den Zutritt der atmoſphäriſchen Luft und da - mit die Eſſigſäurebildung zu verhindern. Zum Schutze gegen dieſe, wird nun der Wein auf Fäſſer umgefüllt, wo er die Nachgährung vollendet. Der von den Treſtern getrennte und auf Fäſſer gefüllte Wein wird täglich aufgefüllt, ſo daß die Fäſſer ſtets voll ſind und die ſich etwa dennoch bildenden Eſſigſäurepilze, der auf der Oberfläche des Weines ſchwimmende ſogen. Kahn , beim Auffüllen mit überlaufen und ſo aus den Fäſſern entfernt werden. Während dieſer zweiten Gährung nun ſetzt ſich die Hefe ſchwammartig und der Weinſtein kryſtalliſiert an den Wänden der gewöhnlich ſehr großen Fäſſer ab, worauf der Wein, ſobald dieſe Nachgährung beendet iſt, durch Ab - ſtechen oder Abziehen von dieſem Faßgelager getrennt und in die Lagerfäſſer gebracht wird, wo die dritte, die ſogen. Lagergährung ſtatt - findet. Durch dieſe wird nicht nur der Alkoholgehalt noch etwas ver - mehrt und durch vollkommenes Abſetzen der Hefe und des Weinſteins der Wein klar, ſondern es bilden ſich auch während dieſer Gährungs - periode lieblich duftende Stoffe, welche dem Wein ſein Aroma, das ſogen. Bouquet oder die Blume verleihen. Von hier aus werden die weniger feinen Sorten in kleinere, vorher geſchwefelte Fäſſer gezogen, die beſſeren hingegen auf Flaſchen gefüllt, welche horizontal liegend aufbewahrt werden.

Der Wein enthält faſt alle Beſtandteile des Moſtes und außer dieſen noch Alkohol, aromatiſche Beſtandteile, Glycerin und Bernſtein - ſäure, welche ſich während der Gährung gebildet haben. Iſt aller Zucker, der in dem Weine enthalten war, vergohren, ſo hat ſich ein ſog. trockener oder ſaurer Wein gebildet, zu welchen Weinarten die Franken - und Rheinweine zählen; iſt hingegen durch irgend welchen äußeren Umſtand, wie zu niedrige Temperatur, Mangel an Hefe - ſubſtanz oder Waſſer, die Gährung nicht ganz zu Ende geführt, ſo daß ein Teil des Zuckers erhalten blieb, ſo reſultieren aus einer ſolchen Gährung die ſüßen Weine. Aber auch künſtlich werden ſüße Weine erzeugt durch teilweiſes Eindampfen des Moſtes, durch Vermiſchen des Moſtes mit ca. 20 % Alkohol oder auch durch direkten Zuſatz von Zucker.

518Nahrungs - und Genußmittel.

Nachfolgend wird die mittlere Zuſammenſetzung des Weines auf - geführt, und je nachdem einzelne der genannten Beſtandteile vorherrſchen, iſt der Wein ein ſüßer, ſaurer, herber, adſtringierender, mouſſierender ꝛc.

In 1000 Teilen ſind enthalten:

  • Waſſer ......... 891 bis 900 Teile
  • Alkohol (gewöhnlicher) + .. 70 80
    • Propyl - und Butylalkohol +.
    • Ather .........
    • Ätheriſche Öle ......
    • Traubenzucker ......
    • Glycerin + .......
    • Gummi ........
    • Pektin .........
    • Farbſtoff - und Fettſubſtanz ..
    • Proteïnkörper ......
    • Kohlenſäure + ......
    • Weinſäure und Traubenſäure.
    • Apfelſäure .......
    • Gerbſäure .......
    • Eſſigſäure + ......
    • Bernſteinſäure + .....
    • Anorganiſche Salze ....
    30 bis 20 Teile

Diejenigen der vorſtehend genannten Stoffe, welche mit + bezeichnet ſind, haben ſich erſt während der Gährung gebildet.

Fehler in der Behandlung und Aufbewahrung des Weines können in demſelben Krankheiten erzeugen, welche, wie z. B. das Zähe - oder Langwerden des Weines und auch das Bitterwerden, auf Mikro - organismen zurückzuführen ſind, die bei der fehlerhaften Behandlung des Weines günſtige Umſtände für ihre Entwickelung fanden. Aber auch das Material der Lagerfäſſer ſelbſt kann ſchädlich auf den Wein wirken, denn der Faßgeſchmack, wie Faß - und Schimmelgeruch werden durch alte, anrüchige Dauben der Lagerfäſſer, oder auch durch das Schimmligwerden derſelben in dumpfigen Kellern erzeugt.

Von den Konſervierungsmethoden des Weines iſt vor allen Dingen das Paſteuriſieren zu nennen. Dieſes nach ſeinem Erfinder, dem franzöſiſchen Chemiker Paſteur genannte Verfahren beruht darauf, daß die im Weine enthaltenen Pilzkeime und Sporen bei einer Temperatur von 50 bis 60° C getötet werden, und iſt beim Biere bereits beſprochen. Da aber wegen des ſehr großen Druckes, welchen die im Biere ent - haltene Kohlenſäure bei der Erwärmung ausüben würde, das Paſteuri - ſieren des Bieres in Fäſſern unmöglich iſt und daher nur auf die Flaſchenbiere beſchränkt bleibt, während der Wein hauptſächlich in Fäſſern paſteuriſiert wird, ſo haben die Paſteuriſierapparate für Wein eine ſehr weitgehende Benutzung gefunden und ſind in ſehr vollkommenen Konſtruktionen faſt allgemein im Gebrauch.

Auch die antiſeptiſch wirkenden Eigenſchaften der Salicylſäure ſind zur Konſervierung des Weines verwendet worden, und da 25 bis 30 gr derſelben genügen, um ein Hektoliter Wein jahrelang vor dem Ver -519Die Weinbereitung.derben zu ſchützen, ſo glaubt man, daß eine ſo geringe Menge der Salicylſäure durchaus keinen ſchädlichen Einfluß auf die Geſundheit ausüben kann. Die Anſichten hierüber ſind indes geteilt, und in Frankreich z. B. iſt die Verwendung der Salicylſäure für dieſen Zweck geſetzlich verboten.

Das Klarwerden der Weine geſchieht bei den ſog. trockenen Weinen, welche keinen Zucker mehr enthalten, von ſelbſt, indem ſich die hefigen Teile zu Boden ſetzen; bei den ſüßen und dickflüſſigeren Weinen hin - gegen wird durch Klären oder Schönen nachgeholfen und zwar durch Zuſatz von leim - oder eiweißähnlichen Körpern, wie Hauſenblaſe, Leim, Eiweiß, Blut, Milch oder Miſchungen aus dieſen Subſtanzen. Das Gipſen des Weines hat den Zweck, die Farbe der Rotweine zu erhöhen und die Weine klarer und haltbarer zu machen. Der gebrannte Gips bekanntlich ſchwefelſaurer Kalk ſetzt ſich mit dem weinſauren Kali in weinſauren Kalk um, welcher unlöslich iſt und ſich abſcheidet, während ſchwefelſaures Kali gelöſt bleibt. Auch über die Nützlichkeit oder Schädlichkeit des Gipſens iſt ein heftiger Streit entbrannt, und in Frankreich iſt ein höherer Gehalt als 2 gr ſchwefelſaures Kali im Liter Wein unzuläſſig.

Die wichtigſten Methoden der künſtlichen Verbeſſerung des Moſtes und des Weines ſind folgende:

  • 1. Zuſatz von Zucker zu zuckerarmem Moſte und Entziehung der zu großen Säuremengen des Moſtes durch Zuſatz von Marmor - ſtaub, nach ſeinem Erfinder Chaptal Chaptaliſieren genannt;
  • 2. Zuſatz von Zucker und Waſſer zu zuckerarmem und ſäurereichem Moſte, nach Gall Galliſieren genannt;
  • 3. die Treſter nochmals mit Zuckerwaſſer gähren zu laſſen, nach Petiot Petiotiſieren genannt;
  • 4. Entziehung von Waſſer durch Froſt und Gips;
  • 5. Entziehung von Säuren durch chemiſch wirkende Mittel;
  • 6. Zuſatz von Alkohol zu ſchwachen Weinen;
  • 7. Verſetzen des fertigen Weines mit Glycerin, ein Verfahren, das Scheeliſieren (nach Scheele, dem Entdecker des Glycerins) genannt wird, und endlich
  • 8. das Elektriſieren des Weines, wodurch ſowohl die Haltbarkeit des Weines erhöht, als auch die Qualität durch Vermehrung des Bouquets verbeſſert werden ſoll. Zu dieſem Zweck leitet man einen konſtanten elektriſchen Strom durch den Wein; die Leitungsdrähte ſind mit einem Gummiüberzug verſehen und tragen an den Enden Elektroden aus Platin.

Die Rückſtände der Weinbereitung ſind die Treſter, beſtehend aus den Kämmen, Stielen und Ranken der Trauben, wie aus den Häuten und Kernen der Beeren, und das Weingeläger, beſtehend aus Hefe und Weinſtein. Die mit Waſſer noch nicht ausgelaugten Treſter ent - halten noch nicht unbedeutende Mengen Moſt und dienen zur Bereitung520Nahrungs - und Genußmittel.von petiotiſiertem Wein, von Branntwein, zur Fabrikation von Grün - ſpan, zur Eſſigfabrikation und als Viehfutter. Die Traubenkerne liefern ein fettes Öl und infolge ihres Gerbſäuregehaltes die ſog. Weinkerngerbſäure. Aus dem Weingeläger werden der eigentümlich riechende Druſenbranntwein, der Weinſtein und die Weinſäure gewonnen.

Als Rohmaterial des Obſtweines dienen hauptſächlich Äpfel, ſie geben den in Frankreich ſo verbreiteten Cider; aber auch Birnen werden verwendet, und von den Beerenweinen ſind beſonders der

Fig. 302.

Obſtmühle.

Fig. 303.

Saftpreſſe.

Johannisbeer - und der Stachelbeerwein zu nennen. Der aus den genannten Früchten erzielte Saft wird der Selbſt - gährung überlaſſen und dann wie der Traubenwein weiter behandelt. Der Saft dieſer Früchte wird in den meiſten Gegenden heute noch durch die allerprimitivſten Vor - richtungen gewonnen, indes verbreitet ſich neuerdings die Obſtquetſche und Mühle von Wm. Platz Söhne in Weinheim, Baden, immer mehr. Auf einem Geſtell aus feſten Holzbalken iſt eine Quetſchmühle ange - bracht, von welcher aus das gequetſchte Obſt in einen darunter ſtehenden Preßkorb fällt. Sobald dieſer gefüllt iſt, wird er unter die Scheibe einer Preßſpindel ge - ſchoben, deren Mutter in einen neben der521Die Weinbereitung.Quetſchmühle liegenden Balken eingefügt iſt. Die Preßkörbe ſtehen auf einem mit Rand und Ablauf verſehenen, etwas geneigten Brette, welches den herausgepreßten Saft auffängt und in einen vorgeſtellten Kübel fließen läßt. Fig. 302 zeigt die Obſtmühle, auf eine Karre montiert, ohne dieſe Preßvorrichtung, welche in Fig. 303 allein abge - bildet iſt.

Auch aus dem ſehr zuckerreichen Safte der Kokospalmen (Cocos nucifera) wird ein Wein erzeugt, der Palmenwein oder Toddy genannt wird, ebenſo aus dem Zuckerrohr (Saccharum officinarum), Guarapo genannt, und endlich auch aus der amerikaniſchen Aloe (Agave Ameri - cana), der die Namen Pulque, Octli oder Agavenwein führt.

Dr. Max Weitz.

b) Die Aufgußgetränke: Kaffee, Thee und Kakao (Schokolade).

Es genügt bei unſerer Ernährung nicht, die ſich kontinuierlich verbrauchenden Teile unſeres Körpers durch Zufuhr der in den Nah - rungsmitteln enthaltenen Beſtandteile desſelben wieder zu ergänzen, ſondern die Nahrungsmittel müſſen gleichzeitig durch die Wirkung der Genußmittel unterſtützt werden. Trotzdem die letzteren alkoholiſche Getränke, Aufgußgetränke, Gewürze, Tabak ꝛc. mit Ausnahme des Bieres auch nicht den geringſten direkten Nährwert haben, ſo ſind ſie es doch eigentlich, welche unſeren Körper einerſeits befähigen, die ihm zugeführten Nahrungsmittel überhaupt ohne Widerwillen aufzunehmen und zu verdauen, andererſeits aber auch uns geiſtig anregen und erregen. Sie ermöglichen es uns, unſere erſchlaffenden Kräfte gerade dann zu ſammeln und zu verwenden, wenn es darauf ankommt, in irgend einem Augenblick nicht müde zu ſein, ſondern trotz der uns beſchleichenden Mattigkeit auszuharren. Man hat daher die Wirkung dieſer Genußmittel ſehr bezeichnend mit der Wirkung eines Peitſchen - hiebes verglichen, den wir einem Pferde gerade dann verſetzen, wenn dasſelbe ſeine letzten Kräfte ſammeln ſoll, um vorliegende Hinderniſſe momentan zu überwinden. Ohne daß dem Pferde durch den Peitſchen - hieb irgend welche Kraft erteilt würde, wird doch durch dieſes Mittel ſehr häufig der beabſichtigte Zweck erreicht. Natürlich tritt nach dieſem Sammeln und Verwenden des letzten Reſtes der Kraft auch ſpäter eine um ſo größere Erſchlaffung ein, und wer mit den Kräften ſeines Pferdes haushälteriſch umgeht, wird demſelben durch nachfolgende Ruhe und Pflege Gelegenheit geben, das Übermaß von verbrauchter Kraft wiederum zu ergänzen. Ebenſo müſſen wir unſerem Körper durch nachfolgende Ruhe Zeit zur Wiedererholung gönnen, wenn wir ſeine körperlichen und geiſtigen Leiſtungen durch Zuhilfenahme von Genußmitteln auf mehr als normale Höhe gebracht haben.

522Nahrungs - und Genußmittel.

Der Inſtinkt, der bei den Tieren ſo häufig unſer höchſtes Er - ſtaunen hervorruft, geht auch bei den Menſchen ſtets dem bewußten Handeln voraus und hat ganz unkultivierte Völker bereits auf die Genußmittel hingewieſen, ohne daß dieſelben ſich die Notwendigkeit dieſer Art der Ernährung erklären konnten oder es auch nur verſuchten. So bereiteten z. B. verſchiedene auf den allerniedrigſten Kulturſtufen ſtehende Völker des inneren Afrikas, bevor ſie durch die unter ſie ge - drungenen Reiſenden zu ihrem großen Nachteile die alkoholiſchen Getränke kennen lernten, Aufgußgetränke aus ſehr giftigen Pilzen, welche unſerm Kaffee oder Thee vollſtändig entſprachen. Denn auch dieſe verdanken ihre erregende Wirkung einem heftigen Gifte, welches der Chemiker Kaffeïn oder Theïn nennt es iſt nämlich ein und derſelbe Stoff, welcher ſowohl im Kaffee als im Thee wirkt , und dieſes an und für ſich ſo furchtbare Gift ſchadet nur infolge ſeiner außerordentlichen Verdünnung unſerem Organismus ebenſowenig, wie das durch den Aufguß ſehr verdünnte, extrahierte Gift der Pilze jenen Barbaren. Unſer Körper iſt eben nicht nur eine Maſchine, welche bloß geheizt zu werden braucht, ſondern dieſer hochkomplizierte Or - ganismus verlangt mehr, als die bloße Zufuhr der verbrauchten Teile, wenn er dauernd funktionieren ſoll. Aus dieſem Grunde iſt die abſolute Notwendigkeit der Genußmittel auch von allen modernen Phyſiologen anerkannt und ein gewiſſes Maßhalten vorausgeſetzt ihr Gebrauch ſogar auf das Wärmſte empfohlen worden. So ſagt z. B. der be - rühmte Naturforſcher Funke in lichtvollen Worten von den Genuß - mitteln: Es iſt thöricht und unberechtigt auch den beſcheidenen Genuß der genannten Reizmittel zu verwerfen. Man braucht ſie nicht damit in Schutz zu nehmen, daß der Trieb, ſie in irgend welcher Form ſich zu verſchaffen, wiederum der Ausfluß eines unvertilgbaren Menſchen - inſtinktes iſt, der ſich zu allen Zeiten bei allen Völkern geltend gemacht hat. Man braucht ſich nur zu fragen: Muß denn unſere Maſchine, wie das Pendel der Uhr, immer in demſelben monotonen, langweiligen Tempo arbeiten? Was ſchadet es ihr denn, wenn ſie von Zeit zu Zeit mit etwas ſtärker geſpanntem Dampf etwas raſcher pumpt, ſobald ſie nur in den darauf folgenden Intervallen bei langſamerer Arbeit die kleine Luxusausgabe von Kraft aus dem genügenden Vorrat wieder einbringen und etwaige kleine Defekte ihres Mechanismus wieder ausbeſſern kann! Wahrlich, manche leuchtende, fruchtbringende Idee iſt ſchon aus einem Römer duftenden Rheinweines geboren, welche vielleicht nie den nüchternen Waſſerkrügen der Vegetarianer ent - ſtiegen wäre; manch bitteres Herzweh, das bei Himbeerlimonade tiefer und tiefer gefreſſen hätte, hat ein Schälchen Kaffee gemildert; manche Sorge, manche Grille hat ſich mit dem Rauche einer Zigarre ver - flüchtigt, und das iſt doch auch etwas wert in ſo mancher armſeligen Menſchenexiſtenz!

523Der Kaffee.

Der Kaffee.

Die Aufgußgetränke und beſonders der unter dieſen die erſte Stelle einnehmende Kaffee bieten die Vorteile der Wirkung der alkoholiſchen Getränke, ohne bis zu einer gewiſſen Grenze die Nachteile der - ſelben zu haben. Wenngleich auch ſie, im Übermaße genoſſen, ſehr ſchädlich wirken können, ſo iſt doch ein Übermaß hierin nicht ſobald erreicht und tritt im Verhältnis zu dem Übernehmen mit alkoholiſchen Getränken auch nur äußerſt ſelten ein. Die ſich neuerdings bemerkbar machende Beſtrebung, Kaffeehäuſer für die arbeitende Bevölkerung einzurichten, iſt daher ſehr anzuerkennen, und zweifellos eine ſehr wert - volle Waffe im Kampfe gegen den Schnaps.

Die phyſiologiſche Wirkung des Kaffees beſteht darin, das Gehirn und das geſamte Nervenſyſtem wohlthätig zu beeinfluſſen, wie auch durch erhöhte Thätigkeit des Herzens den Kreislauf des Blutes und dadurch den geſamten Stoffwechſel zu befördern. Im Übermaß ge - noſſen, veranlaßt der Kaffee nicht nur Schlafloſigkeit, ſondern auch mitunter eine Aufgeregtheit, in welcher uns die wirrſten Bilder und Gedanken peinigen, ſchließlich eine ſo überaus verſtärkte Herzthätig - keit, daß ein ſtürmiſcher Kreislauf des Blutes und viele damit ver - bundene, ſehr ſtörende Erſcheinungen auftreten.

Die Kaffeebohne iſt die Frucht des hauptſächlich in den Tropen wachſenden Kaffeeſtrauches zu der Familie der Coffeaceae gehörig, und Fig. 304 ſtellt den Zweig der Coffea arabica dar. Die Bohne beſteht ihrer chemiſchen Zuſammenſetzung nach aus Pflanzenzellſtoff oder Celluloſe, welche hier aber viel hornartiger auftritt, als bei den meiſten übrigen Pflanzen, ferner aus Kaffeegerbſäure, Eiweißſtoffen und einem ätheriſchen Öl, das ſich zwar erſt während des Brennens des Kaffees bildet, welches aber das Aroma desſelben bedingt und ſehr wichtig für ſeine Wertbeſtimmung iſt. Der wichtigſte Beſtandteil des Kaffees aber iſt das bereits vorher genannte Kaffeïn. Dieſes an und für ſich ſo giftige Alkaloïd enthält er zwar nur in überaus geringer Menge, verdankt ihm aber die vorher genannten, ſo wertvollen phyſiologiſchen Wirkungen. So - weit unſere Forſchungen zurückreichen, ſtammt der allgemeine Gebrauch des Kaffees aus Perſien und kam erſt im 17 ten Jahrhundert nach Europa, und zwar über England nach Frankreich. Die verſchiedenen Kaffeearten unterſcheiden ſich beſonders durch Größe und

Fig. 304.

Zweig des Kaffeeſtrauches.

524Nahrungs - und Genußmittel.Farbe der Bohne; ſo hat z. B. der aus Arabien ſtammende Mokka - kaffee eine ſehr kleine und dunkelgelbe Bohne, welche bei dem aus Oſt - indien ſtammenden Javakaffee größer und heller gelb iſt, während die Kaffeearten aus Weſtindien, Ceylon und Braſilien eine grünliche bis bläuliche Färbung zeigen. Aber nicht allein durch eine gute Sorte Kaffee wird der Wohlgeſchmack des bereiteten Aufguſſes bedingt, ſondern wird auch ſehr durch die Art des Brennens und Ausziehens des geröſteten und gemahlenen Kaffees beeinflußt.

Jeder Kaffee ſollte vor dem Brennen erſt gewaſchen und zwiſchen Tüchern getrocknet werden, um ihn von allen ihm anhaftenden Ver - unreinigungen zu befreien. Dieſe Verunreinigungen ſind nicht immer zufällig an den Kaffee gekommen, ſondern werden demſelben, um ihm eine für den Handel möglichſt vorteilhafte Färbung zu geben, nicht ſelten abſichtlich hinzugeſetzt, wodurch ſowohl eine billigere Sorte den teueren ähnlich gemacht, als auch dem verdorbenen Kaffee ein beſſeres Ausſehen gegeben wird. Zu derartigen Färbungen des Kaffees werden Gemenge von Indigo, Kohle, Chromgelb, Curcum, Berliner Blau und Porzellanerde verwendet. Gegen alle dieſe den Geſchmack des Kaffees ſehr nachteilig beeinfluſſenden Zuſätze iſt das Waſchen und Trocknen des Kaffees zwiſchen Tüchern ein ebenſo einfaches als ſicher wirkendes Mittel. Das Brennen des Kaffees hat nicht nur den Zweck, eine phyſikaliſche Veränderung der Bohne hervorzurufen, welche ſie ſpröde und dadurch geeignet macht, in der Kaffeemühle gepulvert zu werden, ſondern bewirkt gleichzeitig ſo wichtige chemiſche Umſetzungen in den Beſtandteilen der Bohne, daß dieſe Manipulation von der höchſten Wichtigkeit iſt. Der Kaffee muß in gut geſchloſſenen Trommeln unter kontinuierlichem Drehen derſelben über freiem Feuer gebrannt werden, und ein eigentümliches Kniſtern wie das Hervortreten einer hellbraunen Farbe zeigen die Beendigung der Operation an. Wird das Brennen zu weit fortgeſetzt, ſo verliert die Güte des Kaffees ſehr, und zwar beſonders durch Hervortreten eines brenzlichen Geruches, welcher das ſehr angenehme Aroma des Kaffees verdeckt. Dieſes Aroma iſt überhaupt ſehr empfindlich und geht häufig auch dadurch verloren, daß der gebrannte Kaffee Gerüche aus ſeiner Umgebung anzieht, weshalb er in hermetiſch ſchließenden Büchſen aufbewahrt werden muß.

Der nach dem Brennen möglichſt fein gemahlene Kaffee darf nicht gekocht, ſondern nur aufgebrüht werden, weil durch das Kochen ſein ätheriſches Öl vollſtändig verflüchtigt wird. Andererſeits muß aber auch das Aufbrühen mit großer Sorgfalt ausgeführt werden, wenn alle extrahierbaren Beſtandteile auch wirklich ausgezogen werden ſollen. Hierbei darf nicht unerwähnt bleiben, daß die nahrhaften Eiweißſtoffe, von denen der Kaffee ca. 13 % enthält, in heißem Waſſer unlöslich ſind und ſomit für uns verloren gehen. Einige Arten Waſſer, wie z. B. die von Prag und Karlsbad, liefern unleugbar einen ſtärkeren525Der Kaffee.und wohlriechenderen Kaffee, als manches andere Waſſer, und einige Chemiker ſchreiben dieſe Wirkung dem Gehalte des betreffenden Waſſers an alkaliſchen Stoffen zu. Dieſe Anſicht hat dazu geführt, dem un - geeigneteren Waſſer geringe Mengen Soda zuzuſetzen und werden 2,4 gr kalcinierte Soda oder 5 gr kryſtalliſierte Soda für die Waſſer - menge empfohlen, welche zu einem Pfund Kaffee verwendet wird.

In neuerer Zeit ſind zahlreiche Verſuche gemacht worden, dem Kaffee eine kompendiöſere Form zu geben, um ihn ſo für weite Seereiſen ꝛc. in zum Gebrauche fertigem Zuſtande gegen die äußeren Einflüſſe wider - ſtandsfähig zu machen. So wird z. B. gemahlener Kaffee unter ſtarkem Druck auf ſeines urſprünglichen Volumens gepreßt und wohlverpackt in Geſtalt kleiner Tafeln für Seereiſen empfohlen. Bei einer anderen Komprimierungsmethode wird der gebrannte Kaffee vor dem Preſſen mit ſeinem Öl, 1 % doppeltkohlenſaurem Natron und bis - weilen auch mit Zucker gemiſcht. Auch flüſſige Kaffeeextrakte ſind neuerdings dargeſtellt und werden erzeugt, indem aus dem geröſteten und gemahlenen Kaffee durch kaltes Waſſer das Kaffeïn und die flüchtigen Öle ausgezogen werden. Dieſer Extrakt wird dann mit einem anderen Auszug gemiſcht, der behufs Gewinnung der Bitterſtoffe durch Auskochen des Rückſtandes erhalten wurde. Nach einer anderen Methode wird der geröſtete und gemahlene Kaffee mit einer in heißem Waſſer gelöſten Konſervenmaſſe aus Fruchtzucker ausgezogen und der gewonnene Extrakt filtriert.

Die Erzeugung von Kaffeeſurrogaten hat ſich zu einer großen Induſtrie entwickelt, leider in den allermeiſten Fällen zum Nachteile des konſumierenden Publikums. Da iſt eine Miſchung von geröſtetem Roggenbrot, Erbſen und Karamel, ferner geröſtetes Malz; der ſog. Saladinkaffee beſteht aus geröſtetem Maismalz; der Kraftkaffee aus entbitterten und ſorgfältig geröſteten Samen der gelben Lupine und der Magdadkaffee aus den Samen der Cassia occidentalis. Die beiden zuletzt genannten Surrogate kommen den geringeren Sorten des indiſchen Kaffees in Geſchmack, Geruch und Wirkung auf den Organismus ſehr nahe. Sehr zu empfehlen als ein ganz vorzügliches Surrogat iſt der Feigenkaffee, der, aus getrockneten und geröſteten Feigen bereitet, ſich beſonders als Zuſatz zu den Kaffeebohnen eignet, wie auch ſchon deren hoher Preis eine reine Verwendung nicht gut geſtattet. Er verleiht dem Kaffee nicht nur eine ſehr ſchöne Farbe, ſondern auch einen ſehr angenehmen und vollen Geſchmack, wird aber leider in vielen Fällen durch Zuſatz von Birnenmehl, Rübengries, Leindotterſamen ꝛc. gefälſcht. Das verbreitetſte und zugleich am wenigſten berechtigte Surrogat iſt die Cichorie, von der man im günſtigſten Falle ſoweit ſie nicht auch gefälſcht iſt ſagen kann, daß ſie abſolut unſchädlich iſt, womit ihr Lob aber auch erſchöpft iſt. Da ſie auch nicht die geringſte dem Kaffee eigentümliche Wirkung aus - üben kann, ſo hat ſie auch nicht die geringſte Berechtigung, und ihre526Nahrungs - und Genußmittel.Verwendung iſt um ſo mehr zu beklagen, als ſie ja bekanntlich haupt - ſächlich von den ärmeren Klaſſen konſumiert wird, und dieſe von den zu ihrer Ernährung beſtimmten Geldern nichts zum Fortwerfen haben. Crismann nennt daher ſehr treffend den Gebrauch der Cichorie ein nationalökonomiſches Unglück, indem ſie den Leuten, die ſich Milch und Mehlſuppe anſchaffen ſollten, ein gemeines Spülwaſſer liefert, das nicht einmal den Gaumen reizt ! Der Ausdruck nationalökonomiſches Un - glück iſt durchaus kein übertriebener, denn die Statiſtik ergiebt in Bezug auf den Konſum der Cichorie, daß nach Abzug der exportierten Mengen in Deutſchland allein jährlich über 20000000 Mark für Cichorie verausgabt werden, wenn man annimmt, daß der Konſument beim Einkauf das Pfund Cichorie mit Mk. 0,20 bezahlt. Iſt nun die freiwillige Verwendung der Cichorie als thöricht zu bezeichnen, ſo kann es doch vorkommen, daß wir ſie auch gegen unſern Willen erhalten und zwar, wenn ſie beim Einkauf von bereits gemahlenem Kaffee unter dieſen gemiſcht wurde, und in dieſem Falle iſt ſie dann eine Ver - fälſchung. Hat man Verdacht, daß gemahlener Kaffee mit Cichorie gefälſcht ſei, ſo darf man zur Unterſuchung desſelben ihn nur in ein Glas kaltes Waſſer ſchütten. Reiner Kaffee wird dieſes Waſſer nicht ſärben und ſich eine Zeit lang an der Oberfläche halten, während die Cichorie ſofort zu Boden ſinkt und das Waſſer mehr oder weniger braun färbt. Auch bei mikroſkopiſcher Unterſuchung des Kaffeeſatzes kann die Verfälſchung mit Cichorie, wie auch mit anderen Materialien leicht erkannt werden. Fig. 305 zeigt den Kaffeeſatz von reinem Kaffee unter dem Mikroſkop. Fig. 306 den Kaffeeſatz mit Cichorie und

Fig. 305.

Kaffeeſatz von reinem Kaffee.

Eichelpulver gefälſcht, beide bei 140 maliger Vergrößerung.

Zwei Arten von Ver - fälſchungen des Kaffees indes ſind jetzt ſo üblich und beſonders die letztere in allerneueſter Zeit ſo häufig geworden, daß es unbedingt notwendig iſt, dieſe Verfälſchungen ein - gehend zu behandeln. Bei der erſteren handelt es ſich um eine be - trügeriſche Verbeſſerung gewiſſer Rohkaffees, bei der zweiten um eine höchſt verwerfliche Ma - nipulation beim Röſten beliebiger Kaffeeſorten. 527Der Kaffee.Bei den Rohkaffees iſt das Färben derſelben, um ihr Ausſehen zu ver - beſſern, wie bereits vor - her erwähnt wurde, leider nicht die einzige Ver - fälſchung und tritt hinter der Wiederherſtellung des ſog. havarierten Kaffees weit zurück. Unter hava - riertem Kaffee verſteht man einen ſolchen, wel - cher aus irgend welchem Grunde längere Zeit mit Seewaſſer in Berührung war: dazu kann während des Seetransportes ſo - wohl das Leckwerden des Schiffes, als auch der gänzliche Untergang des - ſelben die Veranlaſſung ſein. Das Seewaſſer übt

Fig. 306.

a Satz des reinen Kaffees. b Satz der Cichorie. c Satz des Eichelpulvers.

nun nicht nur auf die Beſtandteile der Bohne einen ſo nachteiligen Einfluß aus, daß ein ſolcher Kaffee faſt als ganz verdorben zu betrachten iſt, ſondern beeinflußt glücklicherweiſe auch die Farbe des Kaffees derart, daß derſelbe leicht als durch Seewaſſer beſchädigt zu erkennen iſt, oder treffender geſagt früher zu erkennen war. Man hat nämlich Methoden erfunden, dieſen Kaffee zu verbeſſern , um ihn dann als guten Kaffee in den Handel zu bringen, und in Holland wie in England beſchäftigen ſich hoch entwickelte Induſtrieen mit der Verbeſſerung von havariertem Kaffee. Die Behandlung eines ſolchen Kaffees iſt im weſentlichen folgende: zuerſt werden die gar zu ſehr beſchädigten Bohnen herausgeleſen, das Salz des Meerwaſſers abgewaſchen, die Bohnen durch Kalkwaſſer entfärbt und hierauf der zurückgebliebene Kalk durch abermaliges Auswaſchen entfernt. Nachdem der Kaffee dann durch Erwärmen in einem Luftzuge getrocknet iſt, giebt man ihm durch ganz gelindes Röſten oder durch direktes Färben mittelſt eines Azo - farbſtoffes eine geeignete Farbe. Die Azofarbſtoffe ſind außerordentlich leicht in Alkohol löslich, und daher das Färben mit denſelben ſehr einfach dadurch nachzuweiſen, daß man den Kaffee in Alkohol ſchüttet und beim Umrühren darauf achtet, ob dieſer ſich färbt.

Wenn es dem Chemiker auch immerhin möglich iſt, die vorſtehend beſchriebene Behandlung des Kaffees auch dann nachzuweiſen, wenn man ihn nicht direkt gefärbt hatte, ſo ſetzen doch die hierbei in Betracht kommenden Methoden weitgehende chemiſche Kenntniſſe, wie die An -528Nahrungs - und Genußmittel.wendung verſchiedener Apparate voraus und ſind daher für den Laien nicht durchführbar. So lange aber der Laie ſich nicht ſelbſt auf ſehr einfache Weiſe von der Verfälſchung der Nahrungsmittel überzeugen und ſomit den Wert derſelben kontrolieren kann, iſt für die Einſchränkung des Handels damit nur wenig gethan. Sehr dankenswert ſind daher für die Kaffeeunterſuchungen in hier intereſſierender Richtung die Arbeiten der franzöſiſchen Chemiker Padé und Dupré. Dieſe haben gefunden, daß das ſpezifiſche Gewicht des Kaffees für gewiſſe Unterſuchungen große Dienſte leiſten kann. Sie haben dasſelbe von verſchiedenen guten, rohen Kaffeeſorten beſtimmt und gefunden, daß dieſe je nach ihrer Art ein ſpezifiſches Gewicht von 1,04 bis 1,37 hatten, ſomit alle ſchwerer waren als Waſſer und infolgedeſſen in dieſem unterſinken mußten. Sie fanden ferner, das das ſpezifiſche Gewicht, des, wie vorher be - ſchrieben, behandelten havarierten Kaffees weſentlich geringer war und nur 0,9 betrug und ſtellten infolge ihrer zahlreichen Unterſuchungen den Satz auf, daß alle rohen Kaffeeſorten, deren ſpezifiſches Gewicht unter 1,0 liegt, verdächtig ſind. Da nun die zuläſſige Grenze gerade bei 1,0 liegt, ſo iſt die Prüfung ſehr einfach, denn man hat nur nötig, den zu prüfenden Kaffee in ein Glas kalten Waſſers zu ſchütten und zu beobachten, ob er auf demſelben ſchwimmt oder untergeht. Iſt es ein guter, geſunder Kaffee, ſo liegt ſein ſpezifiſches Gewicht über 1,0, d. h. er iſt ſchwerer als das Waſſer und ſinkt daher in demſelben zu Boden, im anderen Falle aber ſchwimmt er auf dem Waſſer. Der geröſtete Kaffee ſchwimmt ſtets auf dem Waſſer, denn ſein ſpezifiſches Gewicht beträgt nur 0,5 bis 0,65.

Viel häufiger nun als die beſchriebene Behandlung des havarierten Kaffees ſind die ſehr verwerflichen Manipulationen beim Röſten des Rohkaffees, welche direkt darauf hinausgehen, den Konſumenten zu übervorteilen. Vorher war betont, wie wichtig das richtige Röſten des Kaffees für die Güte desſelben iſt, und daß es erforderlich ſei, dieſes Röſten bis zu einer beſtimmten Grenze fortzuſetzen. Während des Röſtens verliert nun der Kaffee ſehr ſtark an Gewicht und zwar je nach Alter und Sorte 17 bis 19 %, welcher Verluſt ja auch zum größten Teile den höheren Preis des geröſteten Kaffees dem ungeröſteten gegen - über bedingt. Nun werden verſchiedene Methoden angewendet, um das verringerte Gewicht des geröſteten Kaffees durch Beſchwerungs - mittel auszugleichen und auf dieſe Weiſe 10 bis 20 % anderer Sub - ſtanzen natürlich viel billigere, vollſtändig wertloſe und im günſtigſten Falle unſchädliche zum Preiſe des Kaffees mitzuverkaufen. Zum Beiſpiel wird als ein ſolches Beſchwerungsmittel Waſſer angewendet, zwar nicht tropfbar flüſſiges Waſſer, denn dieſes würde den Zweck bei der heißen Bohne, welche doch nach dem Erkalten nicht feucht ſein darf, nicht erfüllen, ſondern die Fälſchung wird durch Verdichtung von Waſſerdampf in den heißen Bohnen ausgeführt, und ſo eine Gewichts - vermehrung von mehr als 20 % erzielt, ohne daß der Kaffee feucht529Der Kaffee.erſcheint. Damit das Waſſer dann beim Liegen an der Luft nicht wieder zum Teile verdunſtet, werden die Bohnen in dünne Schichten von Glycerin, Palmöl oder Vaſeline eingehüllt. Die Beſtimmung des ſpezifiſchen Gewichtes läßt auch hier mitunter die Fälſchung erkennen, iſt aber für den Laien nicht ausführbar, weil das ſpezifiſche Gewicht nur ſehr wenig höher geworden iſt und zwiſchen 0,65 bis 0,77 liegt. Noch weniger kann der Laie die abſolut ſichere Erkennung der Fälſchung, nämlich die quantitative Waſſerbeſtimmung, ſelbſt ausführen, aber ein äußeres Erkennungszeichen iſt es immerhin, daß ſolche waſſerhaltige Bohnen weder ſo hart ſind als reell geröſtete, noch beim Zerbeißen wie dieſe zwiſchen den Zähnen krachen; ſie haben vielmehr eine mehr elaſtiſche und hornartige Konſiſtenz angenommen.

Die am häufigſten angewendete Manipulation aber iſt das Über - ziehen des Kaffees während des Röſtens mit Löſungen von Zucker und ähnlichen Flüſſigkeiten, wodurch ganz leicht eine Gewichtsvermehrung von 8 bis 10 % erzielt werden kann. Wie ſo häufig, ſo iſt auch in dieſem Falle die Fälſchung aus einem urſprünglich geſunden Gedanken hervorgegangen. Urſprünglich wollte man durch derartige Überzüge das Verflüchten der aromatiſchen Beſtandteile der geröſteten Kaffee - bohne verhüten, was aber ganz unnötig iſt, denn das geſchieht bereits, ſo weit es ſich überhaupt ermöglichen läßt, durch das bei dem Röſten hervortretende und die Bohne umhüllende vegetabiliſche Fett derſelben. Heute dient dieſe Manipulation nur noch dazu, den Konſumenten nach verſchiedenen Richtungen hin zu benachteiligen, denn derſelbe bezahlt nicht nur den zu wertloſem Karamel verbrannten Zucker mit dem hohen Preiſe des Kaffees, ſondern durch das Glaſieren , wie dieſe Mani - pulation einſchmeichelnd genannt wird, kann leicht eine geringere Qua - lität des Kaffees verdeckt werden, wodurch es möglich wird, ſchlechtere Kaffeeſorten unter die beſſeren zu miſchen. Der zum Glaſieren des Kaffees verwendete Zucker hat in dem Röſtſirup ſchon einen Kon - kurrenten erhalten; er wird bereits fabrikmäßig im großen dargeſtellt und ſoll dem zu röſtenden Kaffee in Mengen von 3 bis 25 % (!) zu - geſetzt werden, je nachdem man matt bis ſchwarz glänzend gebrannten Kaffee herſtellen will. Dieſer Röſtſirup ſoll nun noch im Waſſer und zwar in dem doppelten bis vierfachen Quantum gelöſt werden. Wenn auch dieſe Mengen teils vor dem Röſten, teils während desſelben zu - geſetzt werden ſollen, und wie beſonders das hinzugeſetzte Waſſer zu einem Teile wieder verdunſten bezw. zu karamelähnlichen Subſtanzen einbrennen, ſo iſt doch die zurückbleibende Menge mehr als groß genug, um eine bedeutende Gewichtsvermehrung zu veranlaſſen, und muß das Verfahren ſomit eine grobe Fälſchung genannt werden. Ferner dient ein ſolcher Überzug häufig dazu, das Ausſehen von nicht gar gebranntem Kaffee zu verdecken und durch dieſes Nichtgarbrennen wird wiederum ein Ge - wichtsverluſt auf unreelle Weiſe vermieden. Nun herrſcht leider noch bei ſehr vielen Konſumenten die falſche Anſicht, daß ein Kaffee, derDas Buch der Erfindungen. 34530Nahrungs - und Genußmittel.nach dem Aufgießen recht dunkel ausſieht auch, recht ſtark ſein muß, weil ein ſehr hell ausſehender Kaffeeaufguß ſtets auch ſehr ſchwach iſt. Ein ſtarker Kaffee muß allerdings dunkel ausſehen, aber jeder dunkel ausſehende Kaffee braucht noch durchaus nicht ſtark zu ſein. Gerade die tinktoriale Eigenſchaft hat nicht wenig dazu beigetragen, der ſo wertloſen Cichorie ein ſo großes Abſatzgebiet zu erringen, und in dieſer Hinſicht leiſten der gebrannte Zucker und der Röſtſirup auch das ihre. Daß ein braun gebrannter Karamel das Waſſer und das iſt ja der Hauptbeſtandteil des Kaffeeaufguſſes dunkel färbt, iſt eine längſt bekannte Thatſache, welche in der Technik häufig genug zum Dunkel - färben verſchiedener Flüſſigkeiten Anwendung findet, wie z. B. zum Färben mancher Biere, und hat dieſes Fabrikat im Handel den Namen Zuckercouleur erhalten. Ein ſolches Färben des Kaffees hat aber mit der Güte desſelben gar nichts zu thun, ja, es kann ihn ſogar weſentlich verſchlechtern, falls die hinzugeſetzten Subſtanzen ſchädlich ſind. Bei dem Glaſieren des Kaffees mit ſelbſt bereiteten Zucker - löſungen hat man trotz der vorher genannten Nachteile dieſer Mani - pulation, wenigſtens die Gewißheit, daß dieſelbe nicht direkt ſchädlich iſt, was vom Röſtſirup bis heute nicht behauptet werden kann, weil Analyſen desſelben leider noch fehlen. Wollte man durchaus eine dunkle Farbe des Kaffees erzielen, ohne die hierzu erforderliche Menge desſelben zu verwenden, dann wäre die mit Recht ſo energiſch be - kämpfte Cichorie noch vorzuziehen, denn ſie färbt den Kaffee gleichfalls dunkel und wird bei ihrer vollſtändigen Wertloſigkeit doch wenigſtens nicht mit dem hohen Preiſe des Kaffees ſelbſt bezahlt.

Der Thee.

Der Genuß des Thees ſoll nach einer Uberlieferung in China ſchon ſeit dem dritten Jahrhundert bekannt geweſen ſein, allgemein wurde derſelbe dort aber erſt im ſiebenten Jahrhundert und von dieſem Lande 810 nach Japan eingeführt. Erſt im ſiebzehnten Jahrhundert kam der Thee durch eine nach China geſchickte ruſſiſche Geſandt - ſchaft nach Europa, wo aber ſchon vorher beſonders in England und Holland viel Salbeithee getrunken wurde. Nichtsdeſtoweniger be - trachtete die Königin von England zwei Pfund Thee, welche ſie im Jahre 1664 von der oſtindiſchen Kompagnie erhielt, als ein wertvolles Geſchenk.

Die Wirkung des Thees iſt derjenigen des Kaffees außerordentlich ähnlich, nur iſt derſelbe als Genuß - und Reizmittel weſentlich milder, als der Kaffee, da der Thee viel weniger Röſtprodukte enthält.

Die verſchiedenen Länder benutzen ſehr verſchiedene Theearten, von denen aber der chineſiſche Thee der weitverbreitſte iſt; nach ihm ſpielt noch der Paraguaythee oder Maté die wichtigſte Rolle, während verſchiedene andere Theearten weniger in Betracht kommen. Die Thee -531Der Thee.pflanze gedeiht am beſten in den weniger heißen Gegenden der tropi - ſchen Zone, kommt aber auch in der gemäßigten Zone ſelbſt bis zum 40ſten Grad nördlicher Breite vor. Fig. 307 zeigt einen Zweig mit Blatt und Blüte des chineſiſchen Thee - ſtrauches (Thea chinensis) [in der Hälfte der natürlichen Größe], deſſen Blätter vom vierten bis zwölften Jahre zur Bereitung des Thees dienen, und zwar werden ſie in jedem Jahre durch Pflücken mit der Hand einmal eingeſammelt. Von dieſen Blättern ſind die jüngſten die begehrteſten, da ſie den beſten Thee geben, während die älteren holziger und bitterer ſind. Auch der Abfall von ſchlechten und verwelkten Blättern wird in Formen gepreßt als Ziegelthee, oder nach Zuſatz von Blut als Bindemittel als ſog. Backſteinthee in den Handel gebracht. Die grünen Blätter haben noch nichts von dem uns bekannten angenehmen Geſchmack und lieblichen Saft des Thees, ſondern dieſe entwickeln ſich erſt gerade wie beim Kaffee während des Röſtens derſelben.

Die Behandlung der Theeblätter iſt bei dem grünen und ſchwarzen Thee eine

Fig. 307.

Zweig, Blatt und Blüte des Theeſtrauches.

weſentlich verſchiedene und wird von dem engliſchen Reiſenden Fortune wie folgt beſchrieben. Bei dem grünen Thee werden die Blätter in dünnen Schichten auf flachen oder ſchräg ſtehenden Bambushorden ausgebreitet, um die ihnen anhängende Feuchtigkeit zu trocknen; hier bleiben ſie aber nur ſehr kurze Zeit, nämlich je nach dem Wetter, ein bis zwei Stunden liegen. Von dieſen Horden aus kommen ſie in Röſtpfannen, welche mit ſchnell brennendem Holzfeuer geheizt werden, und worin ſie raſch herumbewegt und aufgelockert werden. Nach vier bis fünf Minuten werden ſie auf einem Tiſch mit den Händen zuſammengerollt, um hierauf von neuem in denſelben Pfannen, aber über einem gleich - mäßigen Holzkohlenfeuer gerührt und gewendet zu werden. Nachdem dieſe Behandlung ungefähr eine Stunde oder auch etwas länger ge - dauert hat, iſt die Farbe des Thees fixiert, d. h. es iſt keine Gefahr mehr vorhanden, daß ſeine dunkelgrüne Farbe, welche ſpäter noch etwas heller wird, in eine ſchwarze übergehe. Nach dieſer Be - handlung ſchwingt man den Thee, um ihn von Staub und anderen Unreinlichkeiten zu befreien, und ſcheidet ihn mittels engerer und weiterer Siebe in verſchiedene Sorten, welche unter den Namen Twankay, Hyſon, Hyſonskin, Young Hyſon, Gunpowder ꝛc. in den Handel kommen.

34*532Nahrungs - und Genußmittel.

Bei dem ſchwarzen Thee bleiben die ausgebreiteten Theeblätter auf den Bambushorden weſentlich länger, nämlich ca. 12 Stunden liegen, um darauf längere Zeit mit den Händen behufs Lockerung ſo durch die Luft geworfen zu werden, daß ſie einzeln niederfallen; dann werden ſie leicht mit der Hand geklopft. Sind ſie auf dieſe Weiſe ganz weich und welk geworden, ſo werden ſie in Haufen geſchichtet, eine Stunde liegen gelaſſen, wobei eine leichte Gährung eintritt, die ſich durch Veränderung der Farbe der Blätter und durch einen duftigen Geruch bemerkbar macht. Vor dem Rollen werden die Blätter in Klumpen zuſammen - geballt, und auf einem Rohrtiſch von dem in ihnen enthaltenen Saft befreit, dann wiederholt auseinander geſchüttelt und endlich gerollt, und kommen nach kurzem Verweilen auf flachen Horden in die Röſtpfannen, um hier genau ſo, wie der grüne Thee behandelt zu werden. Hierauf werden ſie auf Sieben in dünne Schichten ausgebreitet und im Freien ca. 3 Stunden lang unter fleißigem Wenden der Luft ausgeſetzt. Bei dieſem Lüften verlieren die Blätter den größten Teil ihrer Feuchtigkeit und werden dann noch einmal 3 bis 4 Minuten lang geröſtet und von neuem gerollt. Nun werden Siebe, welche ca. 3 cm hohe Schichten Thee - blätter tragen, in den oberen Teil röhrenförmiger Körbe, welche in der Mitte verengt ſind, geſetzt und ſo unter ſorgfältiger Beobachtung 5 bis 6 Minuten über ein Kohlenfeuer geſtellt. Hierauf werden die Blätter von neuem gerollt und noch einmal etwas längere Zeit dem Feuer ausgeſetzt, wobei ſie eine dunkle Farbe annehmen. Schließlich wird der Thee in dickeren Schichten mit einem Korbe bedeckt, noch einmal

Fig. 308.

Zweig und Blüte des Paraguay-Theeſtrauches.

über ein teilweiſe bedecktes Kohlenfeuer gebracht und ſo lange gleichmäßig er - hitzt, bis er vollkommen trocken iſt, und die ſchwarze Farbe, welche ſpäter noch ſchöner wird, langſam hervortritt. Damit iſt die Behandlung beendet, worauf das Trennen der Sorten durch Sieben geſchieht, wie es bei dem grünen Thee beſchrieben wurde.

Den Südamerikanern, beſonders den Braſilianern iſt der Paraguaythee, auch Maté genannt, dasſelbe, was der chineſiſche Thee den Völkern des nördlichen Aſiens iſt. Er ſtammt aus den trockenen Blättern der braſilia - niſchen Stechpalme (Ilex Paraguayen - sis), welche Fig. 308 zeigt. Der Baum, welcher die Theeblätter Yerba ge - nannt liefert, wächſt in den Wäldern Paraguays wild, und Indianer werden dazu verwendet, ſeine Blätter einzu -533Der Thee.ſammeln. Dieſe trocknen und röſten die Yerbazweige auf einem aus Flechtwerk beſtehenden Gewölbe Barbaqua genannt über freiem Feuer, aber ohne dieſelben zu verſengen. So getrocknet und gedörrt, werden die Blätter durch Dreſchen mit Stöcken von den Zweigen los - geſchlagen und dabei teilweiſe gepulvert. Nun werden ſie in Säcken aus feuchten Häuten feſt eingeſtampft, wo ſie, nachdem ſie ſo einige Tage getrocknet ſind, faſt ſteinhart werden und ſich in dieſem Zuſtande ſehr gut halten. Je nach den Teilen des verwendeten Laubes unter - ſcheidet man folgende 3 Sorten des Paraguaythees. Die beſte Sorte Caa-cuys genannt ( Caa bedeutet Blatt ) wird nur aus den halb entfalteten Knoſpen bereitet und muß in Paraguay ſelbſt konſumiert werden, da ſie nicht haltbar iſt; die zweite Sorte Caa-miri iſt aus den ſorgfältig gepflückten und vor dem Röſten abgerippten Blättern hergeſtellt; die dritte Sorte endlich Caa-guayza beſteht aus dem ganzen Laube, das, wie vorher beſchrieben, verarbeitet wird. Der Maté heißt auch Jeſuitenthee, weil die Jeſuiten während ihrer Nieder - laſſung in Paraguay ſich um die Bereitung desſelben, beſonders des Caa-miri, ſehr verdient gemacht haben. Zum Export eignet ſich der Paraguaythee wenig, da er während desſelben an Kraft, Wohlgeruch und aromatiſcher Bitterkeit ſehr viel einbüßt und bisher noch keine Methode gefunden iſt, welche dieſe Fehler vermeidet.

Die Beſtandteile des Thees erinnern ſehr an die chemiſche Zuſam - menſetzung der Kaffee - bohne und auch ſein wertvollſter Beſtandteil iſt das Theïn, bez. Kaffeïn, von dem es aber durchſchnittlich 2 bis 2,8 % enthält, wäh - rend ſich im Kaffee nur 1 bis 1,5 % finden. Außerdem enthält der geröſtete Thee durch - ſchnittlich 6 % Waſſer, 20 % Gummi und Zucker, 21 % Kleber, 15 % Gerbſäure, 4 % fettes und ätheriſches Öl, 24 bis 26 % Holz - faſer und 5,5 % Mi - neralbeſtandteile.

Auch die Bereitung des Thees iſt derjenigen

Fig. 309.

Blätter des Theeſtrauches.

534Nahrungs - und Genußmittel.

Fig. 310.

Blätter einiger, zur Fälſchung des Thees benutzter Pflanzen.

des Kaffees ſehr ähn - lich, denn ſie beſteht im weſentlichen darin, daß die Blätter mit heißem Waſſer ausgezogen wer - den, und gerade wie beim Kaffee hat man auch ver - ſucht ihn in eine Form zu bringen, welche ihn zur Verwendung auf Reiſen beſſer geeignet macht. So giebt es z. B. im Handel Theeſorten, welche aus einem unter ſtarkem Drucke zu Schei - ben gepreßtem Gemiſch von Theeblättern und Zucker beſtehen.

Es wird nicht Wunder nehmen, daß ein ſo ver - breitetes Produkt, wie der Thee, auch zahlreichen Verfälſchungen ausgeſetzt iſt. Am häufigſten werden die beſſeren Theeſorten mit geringerem oder gar bereits ausgezogenem Thee vermiſcht. Letztere Manipulation nimmt immer mehr überhand, und mehrere Fabriken in London beſchäftigen

Fig. 311.

Blätter einiger zur Fälſchung des Thees benutzter Pflanzen.

ſich damit, alten gebrauchten Thee wieder verkäuflich zu machen. Durch die Beſtimmung des Theïngehaltes läßt ſich dieſe Verfälſchung ſicher nachweiſen. Ferner werden Blätter zahlreicher anderer Pflanzen, wie der wilden Roſe (Rosa canina), des Schlehdorns (Prunus spinosa), der Eſche535Der Thee. Der Kakao und die Schokolade.(Fraxinus excelsior), des Weidenröschens (Epilobium angustifolium), der Erdbeere (Fragaria vesca) geröſtet und mit den Theeblättern gemiſcht als Thee in den Handel gebracht. Leicht ſind dieſe Fälſchungen zu erkennen, wenn man eine kleine Menge des fraglichen Thees in heißem Waſſer aufweicht, die Blätter aufrollt und nun ihre Form genau mit dem Ver - größerungsglaſe betrachtet. Schon der Laie wird die Blätter anderer Pflanzen von denjenigen des Thees unterſcheiden, und der Botaniker dieſelben unſchwer beſtimmen können. Fig. 309 zeigt Theeblätter in verſchiedenen Größen; man wird ſich leicht ſelbſt ein Urteil bilden können, wenn man mit dieſen die Blätter einiger Bäume vergleicht, die außer den obengenannten Arten, ebenfalls vielfach zur Fälſchung des Thees benutzt werden, ſo zeigt Fig. 310 die Blätter der Weide a und der Pappel b; Fig. 311 endlich der Platane c und der Eiche d.

Der Kakao und die Schokolade.

Von den Kakaoarten iſt die mexikaniſche Kakaobohne (Theobroma Cacao) für den Genuß die wichtigſte, außerdem aber ſpielt noch der braſilianiſche Kakao, auch Guarana genannt, eine größere Rolle, während andere Stoffe, welche den Kakao erſetzen können, bisher wenig bekannt ſind und ſpäter erwähnt werden ſollen.

Die mexikaniſche Kakaobohne iſt der Same des Kakaobaumes, von dem Fig. 312 einen Zweig mit Blättern und Frucht darſtellt. Dieſer Baum wächſt in Weſtindien, Mittelamerika und in Südamerika, be - ſonders am Orinoko und am Amazonenſtrome; in Demerara bildet er ganze Wälder und wächſt auch jetzt noch in Mexiko und an der Küſte von Caraccas wild. Die Spanier fanden bei ihrer An - ſiedelung in Mexiko bei den Eingeborenen ein aus der Kakaobohne bereitetes Getränk unter den Namen Chocollatl im allge - meinen Gebrauch und zwar ſchon ſeit ſo langer Zeit, daß ſich der Anfang der Be - reitung dieſes Getränkes nicht mehr be - ſtimmen ließ. 1520 brachten die Spanier die Kakaobohne nach Europa, wo ſie ſich ſehr bald allgemein verbreitete. Ihren wiſſen - ſchaftlichen Namen verdankt ſie der Vorliebe des berühmten Botanikers Linné für dieſes Getränk, denn er nannte es Theobroma d. h. Götterſpeiſe.

Die Frucht (Fig. 312), von der Geſtalt einer kleinen, länglichen Melone, enthält den Samen in Form von 6 bis 30 reihenweiſe in ein ſchwammiges Gewebe eingebetteten

Fig. 312.

Zweig des Kakaobaumes.

536Nahrungs - und Genußmittel.Bohnen, und dieſe ſind es, welche weiter verarbeitet werden. Getrocknet werden ſie entweder direkt auf den Markt gebracht oder vorher in die Erde vergraben, einer leichten Gährung unterworfen und dann getrocknet, wobei ſie einen Teil ihrer natürlichen Bitterkeit und Schärfe verlieren. Die nach Europa gebrachte Kakaobohne iſt ſpröde, innen von dunkel - brauner Farbe und hat einen leicht zuſammenziehenden und deutlich bitteren Geſchmack.

Unter den Beſtandteilen der Kakaobohne iſt der Wirkung nach das Alkaloid das wichtigſte, welches dem Kaffeïn entſpricht und nach dem Gattungsnamen des Kakaobaumes Theobromin genannt wird. Weſent - lich unterſcheidet ſich der Kakao aber vom Kaffee und Thee durch ſeinen hohen Gehalt (bis 50 %) an einen Fettſtoff Kakaobutter genannt und einer bedeutenden Menge Stärke, wie eiweiß - oder klebeartiger Stoffe, durch welche derſelbe eine direkt ernährende Wirkung hat, die ja bekanntlich dem Kaffee und Thee fehlen. Die durchſchnittlichen Beſtandteile der geſchälten Kakaobohne ſetzen ſich, abgeſehen von ganz unweſentlichen Subſtanzen, aus 1 bis 1,5 % Theobromin, ca. 50 % Kakaobutter, 14 bis 18 % Stärke, 13 bis 18 % Proteïnverbindungen ꝛc. zuſammen. Dieſer hohe Fettgehalt macht den Kakao bezw. die aus ihm bereitete Schokolade für ſchwache Magen ſehr ſchwer verdaulich und hat dazu geführt, entweder das Fett aus der Kakaomaſſe zu entfernen, oder auch dieſelbe mit Zuckerſtärke oder Mehl zu verſetzen, um ſie auf dieſe Weiſe verdaulicher zu machen.

Die Zubereitung des Kakaos iſt eine ſehr mannigfache, je nach - dem derſelbe mit der Schale, oder enthülſt oder ſchließlich unter Zu - ſatz verſchiedener anderer Stoffe verarbeitet wird. Mit der Schale wird die Kakaobohne geröſtet, in einem heißen Mörſer zu Teig zer - ſtoßen und dann zwiſchen heißen Walzen gequetſcht. So erhält man einen erhärteten Teig, die ſog. Kakaomaſſe, welche auch häufig noch mit Zucker, Stärke und ähnlichen Beſtandteilen vermiſcht wird. Die aus der Kakaobohne mit den Hülſen gewonnene Kakaomaſſe iſt aber häufig nicht nur ſandig infolge der den Hülſen anhaftenden erdigen Beimengungen, ſondern hat nicht ſelten einen gradezu erdigen Geſchmack. Neuerdings hat man bei dem ſog. holländiſchen oder leicht löslichen Kakao nicht nur dieſen Fehler aufgehoben, ſondern die Maſſe für das ſpätere Ausziehen mit Waſſer bei Bereitung des Getränkes ſelbſt auch viel ergiebiger gemacht durch vorheriges Einquellen der Kakaobohnen mit Pottaſche oder Soda unter Zuſatz von etwas Magneſia. Dieſe Stoffe beſeitigen nicht nur den erdigen Geſchmack und laſſen das eigent - liche Aroma des Kakao viel mehr zur Geltung kommen, ſondern ſie ermöglichen gleichzeitig ein viel feineres Zerreiben des Zellgewebes. Im reinſten Zuſtande gewinnt man den Kakao, wenn derſelbe nach dem Röſten und vor dem Mahlen enthülſt wird, wobei allerdings etwa 11 % an Gewicht verloren gehen. Eine andere Methode der Zube - reitung iſt, daß man den Kakaobohnen erſt einen gewiſſen Teil ihres537Der Kakao und die Schokolade.Fettes entzieht und den Reſt dann pulvert. So erhält man den ent - ölten oder entfetteten Kakao, der mit Milch oder Zucker gekocht ein angenehmes, leicht verdauliches Getränk liefert, das von vielen der eigentlichen Schokolade vorgezogen wird.

Die Schokolade ſelbſt wird bereitet, indem die geröſteten und ent - hülſten Bohnen zwiſchen heißen Walzen gemahlen werden, worauf man die Kakaomaſſe mit Zucker, Vanille und häufig auch noch mit anderen Gewürzen ſehr innig vermiſcht. Dieſe innige Miſchung wird in einem Apparat, Melangeur genannt, erzielt, wie ihn Fig. 313 zeigt, einem runden, beckenartigen Gefäß, in dem die Kakaomaſſe mit den genannten Zuſätzen ſtundenlang von zwei rotierenden Granitwalzen

Fig. 313

Apparat zum Mengen der Schokolade. (Melangeur.)

zuſammengeknetet wird. Auch die Löslichkeit aller Subſtanzen der Schokolade wird, wie vorher beim Kakao erwähnt, durch Zuſatz von Alkalien ſehr erhöht, ein Verfahren, das neuerdings viel verwendet wird. Aus der Kakaomaſſe wird hierbei zuerſt durch warmes Preſſen das Fett es ſchmilzt bei 29 bis 30°C. entfernt, hierauf eine wäſſerige Löſung von Alkalien hinzugeſetzt, das Waſſer verdampft und ſchließlich das abgepreßte Kakaofett wieder in die Maſſe gemiſcht.

Die bei Verarbeitung der beſſeren Kakaoſorten entfernten Schalen ſind eine unter dem Namen Miſerables beſonders von italieniſchen538Nahrungs - und Genußmittel.Häfen nach Irland ausgeführte Ware. Hier wird aus denſelben von der ärmeren Bevölkerung durch Abkochen ein theeartiges Getränk be - reitet, daß einen angenehmen Geſchmack haben und der Geſundheit ſehr zuträglich ſein ſoll. Auch dienen die Schalen leider in gemahlenem Zuſtande zur Verfälſchung der billigeren Schokoladenſorten.

Fig. 314.

Echtes Schokoladenpulver ohne Hülſen.

Fig. 315.

Echtes Schokoladenpulver mit Hülſen.

Verfälſchungen des Kakao ſind bei dem hohen Preiſe desſelben nicht ſelten. So wird z. B. das der Bohne ent - zogene Fett durch Ham - meltalg und andere ge - ringwertige Fette erſetzt; dieſe ſind wenig haltbar und machen ſich bald durch einen ranzigen Ge - ruch, wie auch dadurch bemerkbar, daß ſie beim Kochen Fettaugen ab - ſetzen. Ferner wird eine übergroße Menge Zucker hinzugeſetzt, welche ab - geſehen von dem ſehr ſüßen Geſchmack, ſich nur auf chemiſchem Wege be - ſtimmen läßt. Erdige Bei - mengungen, wie Ocker, Thon - und Ziegelmehl ꝛc. ſind hingegen leicht an dem Bodenſatz zu er - kennen, der ſich beim Kochen bildet. Die am häufigſten vorkommende Verfälſchung endlich be - ſteht in einem Zuſatz von geröſtetem Getreidemehl ſehr verſchiedener Körner und iſt ſowohl durch chemiſche Reaktionen, als auch in dem Bilde unter dem Mikroſkop nachzu - weiſen. Fig. 314 zeigt das mikroſkopiſche Bild von echtem Schokoladen - pulver, welches ohne Zu -539Der Kakao und die Schokolade.ſatz der Hülſe allein aus der Bohne bereitet wurde; a ſind die Zellen der Bohne, b die Teile der Membran, welche die Lappen der Bohne bekleidet, c Zellen der Keimſtelle der Bohne und d Maſſen freien Stärkemehls. Fig. 315 zeigt gleichfalls ein unverfälſchtes Schokoladen - pulver, bei deſſen Bereitung aber die Hülſen der Bohnen nicht entfernt wurden. Hier ſind a Röhrenfaſern der Hülſen - oberfläche, b Teile der zweiten Hülſenmembran, c Spiralgefäße, d Boh - nenzellen, e Membran von der Oberfläche der Bohnenlappen, f Keim - zellen und endlich g freie Gruppen von Stärke - mehl. Fig. 316 zeigt ein mit Kartoffelſtärke und Sagomehl verfälſchtes Schokoladenpulver, wo - bei in a die Zellen der Kakaobohne, in b die der Kartoffelſtärke und in c das Sagomehlabgebildet ſind. Fig. 317 endlich zeigt andere zur Ver - fälſchung benutzte Stärke - mehle und läßt gleich - zeitig einen Vergleich derſelben mit den Stärke - körperchen des Kakao ſelbſt in ſcharfer Weiſe zu. Die Zellen und Stärkekörperchen des Kakao ſind in a abge - bildet, in b die Stärke von Canna-Arrowroot und in c die Tapiocca - ſtärke. Alle vier Abbil - dungen zeigen eine Ver - größerung von 220 mal im Durchmeſſer und geben nur einen Teil der zur Verfälſchung be - nutzten geröſteten Mehl - arten.

Fig. 316.

Verfälſchtes Schokoladenpulver.

Fig. 317.

Verfälſchtes Schokoladenpulver.

540Nahrungs - und Genußmittel.

Wie ſchon im Anfang geſagt, kennt man bisher nur ſehr wenige Erſatzmittel für die Kakaobohne und ſelbſt über dieſe fehlen genauere Angaben. So wird eine Erdeichel Südkarolinas (Arachis hypogaea), deren Samen unter der Erde reift, geröſtet und wie der Kakao zu - bereitet; in Spanien dient die geröſtete, ſehr ölige Wurzelknolle von

Fig. 318.

Zweig der Doboa.

Cyperus esculentus, einer Grasart, als beſagtes Surrogat. Endlich be - richten Afrikareiſende, daß im weſtlichen Sudan die Frucht der Dodoa (Parkia africana) in Fig. 318 mit Zweig und Blättern abgebildet als Erſatz für Schokolade allgemein im Gebrauche iſt.

Vergleichen wir die drei Aufguß - getränke, Kaffee, Thee und Schokolade mit einander, ſo finden wir, daß ſie alle drei durch ihren Gehalt an Kaffeïn bezw. Theobromin anregend wirken, wobei quantitativ der Gehalt an Theo - bromin beim Kakao die Mitte zwiſchen Thee und Kaffee hält. Das nahrhaf - teſte Getränk von allen dreien iſt die Schokolade infolge ihres hohen Gehaltes an Fett und Eiweißkörpern, während der Thee mitunter ſtörend auf die Verdauung wirken kann, da er die meiſte Gerbſäure enthält, und dieſe unter gewiſſen Umſtänden die für die Verdauung notwendige Verwandlung der Eiweißkörper in Peptone hindert.

Dr. Max Weitz.

c) Die narkotiſchen Genußmittel: Tabak, Opium, Hanf, Koka, Hopfen.

Den vorher beſchriebenen Genußmitteln ſtehen noch diejenigen einer anderen Klaſſe, nämlich die narkotiſchen Genußmittel ſehr nahe, denn auch ſie haben die Eigenſchaft, in kleinen Mengen genoſſen, uns an - zuregen, unſer Kraftgefühl zu ſteigern, wohlthätig auf unſer ganzes Nervenſyſtem zu wirken und uns über manche Beſchwerlichkeit des Lebens hinwegzuhelfen. Anderſeits wirken aber auch ſie im Übermaß genoſſen ſehr ſchädlich und erzeugen ſchließlich Rauſch und Betäubung. Aber ſtreng genommen kann man ſie nicht für unentbehrlich halten, und werden ſie, wie z. B. das wichtigſte und verbreitetſte unter ihnen, der Tabak, erſt durch die Angewöhnung in gewiſſem Sinne unentbehr - lich, oder es hält doch wenigſtens dann ſehr ſchwer dieſe Gewohnheit aufzugeben. Anderſeits kann man gewiß nicht behaupten, daß zahl - reiche Menſchen, die ſich niemals den Tabakgenuß in irgend welcher541Der Tabak.Form angewöhnten, ihn alſo auch ganz leicht entbehren, hinſichtlich ihrer geiſtigen und körperlichen Fähigkeiten hinter denjenigen zurück - ſtänden, welche dieſem Genuſſe fröhnen.

Der Tabak.

Der Tabak iſt wie bereits geſagt das wichtigſte und ver - breitetſte der narkotiſchen Genußmittel und von ganz hervorragender volkswirtſchaftlicher Bedeutung. Schon aus dieſem Grunde iſt der Rückgang des Konſums eines ſo wichtigen Handelsartikels, deſſen An - bau, Verarbeitung und Vertrieb viele Tauſende ernährt, nicht zu wünſchen und in der That iſt in den letzten Jahrzehnten gerade das Gegenteil eingetreten, denn der Konſum des Tabaks hat ſich in den letzten 25 Jahren faſt verdoppelt. Es iſt nicht mehr zu beſtimmen, ſeit wann der Genuß des Tabaks bei den Menſchen üblich iſt, wir wiſſen nur daß Kolumbus im Jahre 1492 die Indianer Cubas Tabak rauchen ſah, und daß dieſe den Genuß desſelben damals ſchon lange kannten. Auch Cortez fand ſpäter den Tabakgenuß in Mexiko, und es läßt ſich auch nicht mit Beſtimmtheit ſagen, wann derſelbe zuerſt von dort nach Spanien kam. Den Gattungsnamen Nicotiana erhielt die Tabak - pflanze nach Jean Nicot, welcher 1560 den erſten Tabakſamen nach Paris brachte. 1586 brachte Francis Drake den Tabak nach Eng - land, es dauerte aber noch 50 Jahre, bis er dort näher bekannt wurde, und erſt während des dreißigjährigen Krieges verbreitete ſich der Tabak - genuß über Deutſchland und ungefähr zur ſelben Zeit über die Türkei und Arabien. Seine Heimat iſt der zwiſchen den Wendekreiſen ge - legene Teil Amerikas, aber heute kann dieſe Pflanze ſelbſt noch bis zum 52. Grade nördlicher Breite kultiviert werden, wenn auch die beſten Tabakſorten noch jetzt die amerikaniſchen und unter dieſen beſonders diejenigen aus Virginien, Varinas, Havanna und Portorico ſind.

Von den Arten des Tabaks ſind drei botaniſch von einander ver - ſchiedene zu nennen, nämlich:

1. Der virginiſche Tabak (Nicotiana tabacum), wie ihn Fig. 319 zeigt, deſſen große lanzettförmige Blätter direkt am Stengel ſtehen, ſich in der Mitte meiſt umbiegen, und deſſen breite Rippen mit ſpitz - ablaufenden Nebenrippen verſehen ſind.

2. Der Marylandtabak (Nicotiana macrophylla), zwar mit breiteren, aber doch ſo zugeſpitzten Blättern, wie die des vorigen.

3. Der Bauern - oder Veilchentabak (Nicotiana rustica) mit eirunden, blaſigen Blättern (Fig. 320), welche auf einem längeren Stiele ſitzen als die der vorigen Arten und mit grüngelben, kürzeren Blüten.

Die Güte des Tabaks iſt abgeſehen von der Art des Samens ſehr beeinflußt durch Klima, Beſchaffenheit des Bodens und Lage der Felder, wie überhaupt der Einfluß der Kultur für den Tabaksbau von ganz entſcheidender Wichtigkeit iſt.

542Nahrungs - und Genußmittel.
Fig. 319.

Virginiſcher Tabak.

Fig. 320.

Bauerntabak.

Vor allem ſind es drei Subſtanzen, welche als die wichtigſten für die chemiſche Zuſammenſetzung des Tabaks zu betrachten ſind. Das Nikotianin oder der Tabakskampfer iſt eine fettartige Subſtanz, welche bei einem bitteren, aromatiſchen Geſchmack den angenehmen Geruch des Tabakdampfes hat, ſeine Menge iſt ſehr maßgebend für die Güte des Tabaks. Ein ferneres, ſchon in ganz geringer Doſis tödlich wirkendes Gift iſt das Nikotin, eine organiſche Baſe, welche in reinem Zuſtande ein farbloſes Öl von ätzendem Geſchmack und betäubendem Tabakgeruch darſtellt. Die in den Blättern ſich findende Menge des Nikotins ſcheint keinen Einfluß auf die Güte des Tabaks zu haben, denn die verſchiedenen Tabaksarten haben einen Nikotingehalt von weniger als 2 (wie z. B. der Havanna-Tabak) bis faſt 8 %, welche Menge ſich in ſehr guten franzöſiſchen Tabaken findet, während der virginiſche Tabak 6,87 % Nikotin enthält. Das Nikotin iſt im Tabak nicht frei ent - halten, ſondern in Geſtalt eines Salzes an die Tabakſäure das iſt der dritte weſentliche Beſtandteil gebunden. Die Tabakſäure hat große Ähnlichkeit mit der Äpfelſäure und iſt vielleicht mit ihr identiſch. Außer dieſen drei weſentlichen Beſtandteilen enthalten die Tabaksblätter noch eiweißartige Subſtanzen, Holzfaſer, Gummi, Harz und ſchließlich 19 bis 27 % (der trockenen Blätter) Mineralbeſtandteile.

Erſt durch die Zubereitung erhalten die Tabaksblätter diejenigen Eigenſchaften, welche man von einem guten Rauchtabak verlangt. Dieſe beſtehen in einem angenehmen Geruch und dem Fehlen des beißenden Geſchmackes, wie der Unbehaglichkeiten, welche ein zu großer Gehalt543Der Tabak.an Nikotin hervorruft. Die eiweißhaltigen Beſtandteile des Blattes ſind es, welche den unangenehmen Geruch nach verbranntem Horn erzeugen, dieſe müſſen alſo zerſtört und der Nikotingehalt muß vermindert werden, wodurch gleichzeitig das Aroma des Tabaks mehr hervortritt. Eine fernere Aufgabe der Zubereitung iſt es, daß man den Blättern die für die Fabrikation von Rauch - und Schnupftabak geeignete Form giebt. Die geernteten Blätter müſſen erſt in hellen Räumen bis auf ca. 12 % ihres Waſſergehaltes getrocknet werden, wobei ſie gleichzeitig ihre grüne Farbe verlieren und eine braune annehmen. Beides geſchieht aber nur dann ganz gleichmäßig, wenn ſich die Blätter während des Trocknens nicht berühren, ſie werden deshalb entweder auf Bindfäden aufgezogen, nebeneinander aufgehängt, oder auch je 2 Blätter, durch ein kleines Querhölzchen verbunden, an langen Stöcken aufgereiht. Die ſo getrockneten Blätter werden in ca. 60 cm hohen Haufen mit Brettern und Steinen beſchwert einige Tage lang gepreßt, darauf in Bezug auf ihre Farbe und Dicke ſortiert, entrippt, um die hauptſächlich aus Holzfaſern beſtehenden Blattrippen zu entfernen und endlich die vorher erwähnte Umſetzung der Blattbeſtandteile auf chemiſchem Wege vorgenommen.

Dieſe chemiſche Behandlung beſteht im weſentlichen aus dem Saucieren oder Beizen und Gähren der Blätter. Sie werden hierzu mit einer Sauce getränkt, die aus Kochſalz, Salmiak, Salpeter und ſalpeter - ſaurem Ammoniak beſteht, außerdem aber noch weingeiſtige, organiſch - ſaure und gewürzhafte Subſtanzen enthält. Das Saucieren geſchieht entweder durch wiederholtes Beſprengen der Blätter mit der Sauce oder durch Eintauchen in dieſelbe, welch letztere Manipulation Docken genannt wird. Die mit dieſer Sauce getränkten Blätter werden, in Fäſſer verpackt, einer Gährung unterworfen, bei welcher die Temperatur bis auf 35°C ſteigt und alle die gewünſchten chemiſchen Umſetzungen vor ſich gehen, wie Zerſtörung der Eiweißſtoffe, Verminderung des Nikotingehaltes, Entwickelung des Aromas ꝛc. Nach dieſer Gährung werden die Blätter auf Herden bei mäßiger Wärme getrocknet und nun je nach ihrer Beſtimmung mechaniſch weiter verarbeitet.

Der für die Pfeifen - oder Cigarrettenfabrikation beſtimmte Rauch - tabak wird durch einfaches Schneiden der Blätter in die bekannte kurze Form gebracht. Bei größerem Betriebe dienen hierzu mit der Hand zu drehende Maſchinen, welche einer Häckſelſchneidemaſchine ſehr ähnlich ſehen und auch, in großem Maßſtabe mit Dampf be - trieben werden. Der ſo beliebte Kraustabak wird aus dem geſchnittenen Tabak hergeſtellt, indem man denſelben eine Reihe von erhitzten Eiſen - cylindern paſſieren läßt, wodurch die Blätter zuſammenſchrumpfen und ein kriſpliges Ausſehen erhalten; aber nicht ſelten verliert der Tabak durch dieſe Behandlung an Güte. Der jetzt immer mehr abkommende Rollentabak wird durch Spinnen dargeſtellt, nachdem die Blätter durch Befeuchten mit Waſſer geſchmeidig gemacht wurden. Der erſte Teil der Rolle wird durch Drehen mit der Hand hergeſtellt, hierauf an544Nahrungs - und Genußmittel.einer horizontale Spindel befeſtigt und während des Drehens derſelben unter Zuführung ſtets neuer Blätter durch Streichen mit einem Brettchen auf dem Tiſche zu einem Taue weiter geſponnen.

Die in Deutſchland verbreitetſte Art des Tabakkonſums iſt das Rauchen desſelben in Form von Cigarren, und ſoll daher auch die Cigarren-Fabrikation kurz beſchrieben werden. Die entrippten Tabaks - blätter werden mit der Hand ſo auf dem Tiſche gerollt, daß die Mitte etwas dicker wird, als die beiden Enden, hierauf mit dem ſog. Umblatt verſehen und ſchließlich mit dem aus dem vollen Tabaksblatte ſauber geſchnittenen, ganz fehlerfreien Deckblatte umwickelt. So einfach dieſe Arbeit ſcheint, ſo verlangt ſie doch ſehr große manuelle Geſchicklichkeit, wenn die Cigarre gut Luft haben und gleichmäßig brennen ſoll; auch muß ſehr auf die Lage der Rippen und die Richtung geachtet werden, in welcher die Blätter aufzuwickeln ſind. Das Rollen des inneren Teiles der Cigarre wird jetzt durch die ſog. Formarbeit anſtatt mit der Hand vorgenommen, während ſich für das Umlegen des Deckblattes bisher die Handarbeit durch Zuhilfenahme irgend welcher Maſchinen nicht erſetzen ließ. Auch färbt man jetzt durch Beſtreichen mit einer braunen Farbe die Deckblätter häufig braun, um ihnen ſo ein beſſeres Ausſehen zu geben. Dieſes Verfahren iſt beſtimmt zu tadeln, da es ſelbſt unter der Vorausſetzung einer unſchädlichen Farbe immerhin eine Täuſchung iſt. Die fertigen Cigarren werden, nachdem ſie in gleiche Länge geſchnitten und ſortiert wurden, in Trockenräume gebracht, welche durch Lüften im Sommer und Heizen im Winter auf einer möglichſt gleichmäßige Temperatur erhalten werden. Durch das Ablagern der Cigarre gewinnt dieſelbe weſentlich an Güte, und zwar nicht nur durch das Austrocknen des Tabaks, ſondern auch dadurch, daß derſelbe hier - bei eine Art Nachgährung durchmacht, wodurch ſowohl Subſtanzen, welche die Güte des Tabaks beeinträchtigen, zerſtört, als auch andere, ihm vorteilhafte, entwickelt werden. In den letzten zwei Jahrzehnten hat auch in Deutſchland der in Rußland und dem ganzen ſüdlichen Europa ſo groß entwickelte Konſum der Cigarretten und damit auch die Fabrikation derſelben ganz außerordentlich zugenommen. Infolge davon ſind zahlreiche Maſchinen zum Wickeln und Verkleben der Papierhülſen und Mundſtücke konſtruiert worden.

Zur Darſtellung des Schnupftabaks werden die Blätter ähnlich wie beim Rauchtabak behandelt, nur wird die Sauce hier vorzugsweiſe aus Ammoniakſalzen und aromatiſchen Subſtanzen hergeſtellt. Nach - dem die Gährung der Blätter vorbei iſt, und dieſe getrocknet ſind, werden ſie geſchnitten und dann auf Mühlen verſchiedener Konſtruktion oder auch zwiſchen Steinen fein zermahlen. Eine der beſten Tabak - mühlen beſteht aus einem zur Aufnahme des geſchnittenen Tabaks be - ſtimmten Trichter, in deſſen unterem Teile gerade wie bei der Kaffeemühle ein gekerbter, nußförmiger Körper ſich um die eigene Achſe dreht. Der hier ſehr fein gemahlene Tabak gleitet auf einem545Der Tabak.ſchiefen Brette in einen unten angebrachten Behälter, von wo er durch eine archimediſche Schraube in geſchloſſener Rinne nach dem Verpackungs - raume transportiert wird. Durch Sieben wird der Schnupftabak dann in gröbere und feinere Sorten geſchieden. Der Schnupftabak enthält ca. 2 % Nikotin und zwar teils frei, teils als neutrales oder baſiſches Salz; auch das darin enthaltene Ammoniak iſt an eine Säure gebunden, und dieſe beiden Salze ſind es, welchen der Schnupftabak ſeine Reiz - wirkung auf die Schleimhaut der Naſe verdankt. Schließlich darf nicht unerwähnt bleiben, daß die Bedeutung des Schnupftabaks dem Rauch - tabak gegenüber eine ſehr untergeordnete iſt.

Über die Wirkungen des Tabaks bezw. über deſſen Nützlichkeit oder Schädlichkeit iſt ſehr viel hin - und hergeſtritten worden, und that - ſächlich iſt es nicht leicht, zu einem beſtimmten Reſultat den Angreifern des Tabakgenuſſes gegenüber zu kommen, weil ſein Gebrauch nicht nur durch eine gewiſſe Mäßigkeit desſelben wie bei allen Genuß - mitteln und ferner durch die Art des Tabaks ſelbſt bedingt iſt, ſondern auch ganz weſentlich durch die Perſönlichkeit des Genießenden beeinflußt wird. Zu jugendliche Organismen z. B. werden zweifellos ebenſo unter dem Gebrauche des Tabaks ſelbſt auch ſchon bei einem mäßigen Genuſſe leiden, als er dem vollſtändig ausgewachſenen Organismus zahlreiche Vorteile bietet. Er verlängert unter gewiſſen Bedingungen die Arbeitsfähigkeit, läßt leichter die Gedanken ſammeln, ſtillt bis zu einer gewiſſen Grenze ſowohl den Durſt, als er auch vorübergehend den Hunger beſchwichtigt, und erhöht ſomit die Ausdauer bei körperlichen Anſtrengungen und Beſchwerden. Ferner ſei von manchen anderen Vor - teilen nur noch erwähnt, daß er die Luſt zu Näſchereien beſchränkt und ſchließlich Mäßigkeit wie Nüchternheit befördert, indem er den Genuß geiſtiger Getränke vielfach entbehrlich macht. Selbſtverſtändlich wirkt der Tabak, wie die allermeiſten der übrigen Genußmittel, im Übermaß genommen, durchaus ſchädlich.

Die Verfälſchungen des Tabaks beſtehen darin, ihm eine beſſere Farbe und ein künſtliches Aroma zu geben, wie auch durch Beſchwerungs - mittel ſein Gewicht zu erhöhen. Das Braunfärben der Deckblätter iſt bereits bei der Fabrikation der Cigarren erwähnt, und zur Erzielung des künſtlichen Aromas dienen zahlreiche aromatiſche Flüſſigkeiten. Als Beſchwerungsmittel werden verſchiedene Zuckerſtoffe, Blätter zahlreicher anderer Pflanzenarten, aber auch anorganiſche Subſtanzen verwendet. Mit zahlreichen Verfälſchungen anderer Art wird der Schnupftabak gemiſcht, und iſt Nieswurz die ſchädlichſte derſelben.

Das Opium.

Von den narkotiſchen Genußmitteln iſt der Tabak das einzige empfehlenswerte. Alle anderen ſind zu verwerfen; unter ihnen alſo auch und ſogar ganz beſonders der Genuß des Opiums. Der GebrauchDas Buch der Erfindungen. 35546Nahrungs - und Genußmittel.des Opiums als Genußmittel beſchränkt ſich allerdings hauptſächlich auf China, und wenn auch vielleicht mit Recht behauptet wird, daß der Opiumgenuß weit verbreiteter ſei, als man im allgemeinen glaubt und ſogar in Europa heimliche Anhänger zählt, ſo kann man wohl doch zum Glück im eigentlichen Sinne nicht behaupten, daß der Opiumkonſum in Europa von irgend welcher Bedeutung ſei.

Zur Gewinnung des Opiums dienen die halbreifen Köpfe des Mohns (Papaver somniferum), der in Fig. 321 dargeſtellt iſt. In dieſe

Fig. 321.

Der Schlafmohn.

Köpfe werden, ſo lange die Rinde derſelben noch eine helle Farbe hat, Einſchnitte gemacht, aus welchen ein Pflanzenſaft quillt, der aufgefangen und eingedickt wird. So erhält man eine braune Salbe von lange nach - haltendem, ſtreng bitterem Geſchmack, welche von den Arabern afioum genannt wird, und aus dieſer Be - zeichnung iſt das Wort Opium entſtanden.

Opium wird wie Tabak hauptſächlich geraucht, während einige Völker Aſiens auch den Saft direkt irgend welchen geiſtigen Getränken hinzuſetzen, um hier - durch die berauſchende Wirkung derſelben zu erhöhen. Der Opiumraucher benutzt als Pfeife ein kleines Rohr, an deſſen unterem Ende ein durchbohrter Metallknopf mit ſo kleiner Höhlung ſitzt, die gerade groß genug iſt, die kleine Opiumpille, welche als einmalige Doſis dient, aufzunehmen. Dieſe Pfeife in der Hand, ſucht er eine Lagerſtätte auf, und raucht ſo lange, bis er von den gewünſchten Träumen umgaukelt, bewußtlos auf die Lagerſtätte ſinkt. Dieſe ſo angenehmen Träume werden aber ſehr teuer bezahlt, denn die Erſchlaffung und der Ekel, welche beim Erwachen den Opiumraucher be - herrſchen, können nur durch neue und zwar immer größer werdende Mengen Opium betäubt werden, bis endlich ſämtliche Organe des Körpers, beſonders die Eingeweide, alle Kräfte eingebüßt haben und der geſamte Organismus an Erſchlaffung zu Grunde geht. Es läßt ſich nach dieſer ſo ſchädlichen Wirkung des Opiums auf den ganz aus - gewachſenen Organismus leicht beurteilen, wie thöricht unwiſſende Mütter handeln, wenn ſie ſchreiende Säuglinge mittelſt eines Getränkes durch Abkochen aus unreifen Mohnköpfen bereitet, in den Schlaf wiegen. So verdünnt das in dieſem Getränke enthaltene Opium auch immerhin iſt, ſo ſteht es doch anderſeits einem um ſo zarteren Organismus gegen - über und bereitet dieſem für die ganze ſpätere Entwickelung außerordent - lich große Nachteile.

Trotz aller dieſer den menſchlichen Organismus zu Grunde richtenden Wirkungen, darf aber die Vorzüglichkeit des Opiums als Arzneimittel nicht verkannt werden. Es iſt ein vorzügliches Gegen - mittel bei Durchfall und ſein wirkſamſter Beſtandteil, das Morphium,547Das Opium.übt bei Einſpritzungen unter die Haut eine wohlthuende, ſchmerzſtillende Wirkung aus.

Von den chemiſchen Beſtandteilen des Opiums iſt das ſoeben ge - nannte Morphium, von dem das Opium ca. 6 % enthält, das wichtigſte, weil es dieſem hauptſächlich ſeine Wirkung verdankt. Aber noch andere organiſche Baſen, wie das Narkotin (ca. 7 %), das Kodeïn (faſt 1 %) und endlich das Narceïn (ca. 9 %), deren Wirkungen dem Morphium ſehr nahe kommen, ſind darin enthalten, neben organiſchen Säuren, Fetten, Harzen, gummiähnlichen Extraktivſtoffen und Waſſer.

Der Hanf, die Koka und der Hopfen.

An der Seite des Opiums müſſen auch noch Hanf, Koka und Hopfen genannt werden. Aus dem Safte der Hanfpflanze (Cannabis sativa) wird eine Subſtanz gewonnen, die Haſchiſch genannt wird und deren Bereitung und Wirkung dem Opium ſehr ähnlich iſt. Den Genuß des Haſchiſch findet man hauptſächlich in Perſien, Indien, Arabien und in den meiſten Teilen Afrikas. Die Blätter der Koka (Erythroxylon Coca) werden hauptſächlich von den Bergindianern benutzt und ſollen ſehr mäßig verwendet zu außerordentlichen körperlichen Anſtren - gungen befähigen, während größere Doſen dem Opium ähnliche Wirkungen bervorrufen. Der Genuß der Koka geſchieht durch Kauen der getrockneten, oder friſchen, mit etwas ungelöſchtem Kalk beſtreuten Blätter. Schließlich gehört auch der Hopfen unter die narkotiſchen Genußmittel, wenn er ſich auch von allen anderen ganz weſentlich da - durch unterſcheidet, daß er niemals allein genoſſen wird, ſondern ſtets in Gemeinſchaft mit anderen Stoffen, wie im Biere, bei dem wir ihn kennen lernten.

Dr. Max Weitz.

d) Butter und Kunſtbutter.

Die Butter und der Erſatz derſelben, die Kunſtbutter oder Mar - garine , wie die geſetzlich vorgeſchriebene Bezeichnung für letztere lautet, gehören zweifellos zu den wichtigſten für unſere Ernährung beſtimmten Fetten. Die Kunſtbutter wird von vielen Seiten, beſonders von wiſſen - ſchaftlicher, ebenſo warm verteidigt, als von manchen anderen Seiten hart angegriffen, und iſt auch der für die unteren Kreiſe ſehr unglücklich gewählte Ausdruck Margarine für Kunſtbutter ſehr wahrſcheinlich nur dem Wunſche entſprungen, bei der Benennung dieſes Surrogates das Wort Butter überhaupt zu vermeiden.

Um den wirklichen Wert der Kunſtbutter zu erkennen, muß man erſt unterſuchen, ob wir überhaupt einen Erſatz für die Butter nötig haben, wobei wir als unbeſtritten annehmen wollen, daß die Butter unter den zum Kochen verwendeten Fettarten die wohlſchmeckendſte iſt,35*548Nahrungs - und Genußmittel.und den erſten Platz unter denſelben einnimmt. Ferner muß man die Entſtehungsart der Butter ſelbſt kennen, und wollen wir daher eine ganz kurze Beſchreibung derſelben voraus ſchicken.

Zur Bereitung der Butter dient bekanntlich die Milch als Rohmaterial, und dieſe kennen wir alle als eine weiße undurchſichtige Flüſſigkeit. Wollen wir das Ausſehen der Milch aber genauer kennen lernen, ſo müſſen wir ein Tröpfchen derſelben unter dem Mikroſkop betrachten; wir ſehen dann in einer waſſerähnlichen Flüſſigkeit unzählige Fett - kügelchen herumſchwimmen, von denen jedes einzelne mit einer zarten Haut umgeben iſt. Läßt man die Milch ſo lange ruhig ſtehen, daß die in ihr enthaltenen Körper von verſchiedenem ſpezifiſchen Gewichte ſich trennen können, ſo kommen dieſe Fettkügelchen, weil ſie leichter ſind als die übrige Flüſſigkeit, an die Oberfläche und bilden den Rahm. Dieſer Rahm wird abgeſchöpft, und aus ihm die Butter bereitet, und zwar durch eine Manipulation, welche man das Buttern nennt, wo durch ſchlagende und ſtoßende Bewegung jene feinen, die einzelnen Fettkügelchen umgebenden Häutchen zerreißen. Hierdurch bildet der bloßgelegte Inhalt dieſer Kügelchen eine kompakte Fettmaſſe die Butter. So wurde und wird auch heute noch im Kleinbetriebe die Butter bereitet. Im Großbetriebe hingegen wird die friſch gemolkene Milch durch Schleudern mittels Centrifugalmaſchinen in wenigen Minuten entrahmt, dadurch wird nicht nur Zeit gewonnen, ſondern auch gleichzeitig dem Sauerwerden der Milch, einer Gefahr, welche bei längerem Stehen beſonders im Sommer häufig eintritt, vorgebeugt. Die Entrahmungsmaſchinen beſtehen im weſentlichen aus einem auf einer vertikalen Axe ſitzenden Gefäß, welches von einem zweiten, weiteren Gefäß umſchloſſen iſt. Das mit Milch gefüllte innere Gefäß wird nun mittels der Axe, auf welcher es ruht, in ſehr ſchnelle Drehung verſetzt, und zwar bis zu 6000 Umdrehungen pro Minute. Die Centrifugalkraft, welche die ganze Flüſſigkeit an dem Rande des Gefäßes nach oben zu ſteigen zwingt, ſchleudert die leichteren Teilchen, hier alſo das den Rahm bildende Fett, bei dem kontinuierlichen Zufließen von neuer Milch über den Rand des rotierenden Gefäßes in ein zweites, welches mit einer Abflußrinne verſehen iſt. Auch die entrahmte Milch, welche ja nun ſchwerer iſt, als die nachfließende Vollmilch, wird auf dieſe Weiſe von letzterer getrennt und an einem geſonderten Abfluſſe aufgefangen. Der auf dieſe Weiſe in ſehr kurzer Zeit gewonnene Rahm wird nicht mehr durch ſtundenlanges Bearbeiten im Butterfaß mit der Hand, ſondern in wenigen Minuten gleichfalls durch Maſchinen verbuttert, die durch Walzen, welche mit Anſätzen irgend welcher Art verſehen ſind, den Rahm bearbeiten. Fig. 322 zeigt eine ſolche Buttermaſchine für den Handbetrieb. Der Rahm wird in den halben mit einem drehbaren Deckel verſchließbaren Cylinder B gebracht und hier durch die auf der Welle befindlichen Flügel C ge - peitſcht. Die Welle wird mittels der Kurbel und der Zahnräder E F549Butter und Kunſtbutter.in ſchnelle Drehung verſetzt, während A endlich ein Waſſerbad iſt, welches man je nach der Jahreszeit mit warmem oder kaltem Waſſer füllt, um den Rahm auf der für das Buttern günſtigſten Temperatur zu erhalten. Dieſe Ma - ſchinen werden auch in größerem Maßſtabe für Motorenbetrieb gebaut und ferner mit verän - derten Konſtruktionen, welche im weſentlichen darin beſtehen, daß die den Rahm bearbeiten - den Körper nicht hori - zontal, wie in Fig. 322 angegeben, ſondern ver - tikal bewegt werden. Dieſe Art der Hand - habung der Butterbe - reitung iſt ſchneller, ſicherer und ſauberer,

Fig. 322.

Buttermaſchine.

als das frühere Buttern; ſie entſpricht unſerer raſchlebigen Zeit, welche auf allen Gebieten ſo weſentliche Verbeſſerungen geſchaffen hat.

Die auf dem ſoeben beſchriebenen Wege gewonnene natürliche Butter iſt ein vorzügliches Nahrungsmittel und hat unſeren Eltern und Voreltern vollſtändig genügt; was kann uns alſo veranlaſſen, dafür ein Surrogat einzuführen? Das Mißverhältnis zwiſchen Produktion und Konſumtion iſt es, welches ſich ſchon zu Anfang dieſes Jahr - hunderts für die weniger bemittelten Klaſſen bemerkbar machte und von Jahr zu Jahr unangenehmer und in ſtets weiter werdenden Kreiſen empfunden wird. Die Butterproduktion eines Landes iſt natürlich ab - hängig von ſeinem Viehſtande, und nur ſehr wenige Länder, wie z. B. die Niederlande, die Schweiz und Tirol, halten ſo viel Melkvieh, daß die Butterproduktion nicht nur dem eigenen Bedarf genügt, ſondern ſogar noch einen Export ermöglicht, in allen andern europäiſchen Ländern aber iſt das Verhältnis gerade ein umgekehrtes. Das beſte Beiſpiel, um den Beweis hierfür zu führen, dürfte uns das ſtark be - völkerte England bieten; trotzdem dort Ackerbau und Viehzucht auf der höchſten Stufe ſtehen und Irland und Schottland nur mäßig bevölkert ſind, ſo iſt die Butterproduktion doch nicht hinreichend, um den Konſum zu decken, ſondern nur durch ganz bedeutende Einfuhr von Butter, beſonders aus Holland und der Schweiz, kann dieſes Mißverhältnis ausgeglichen werden. Ähnliche Verhältniſſe, wenn auch vorläufig noch nicht in dem hohen Maße, finden ſich im geſamten Weſteuropa, und dieſe Verhältniſſe verſchlimmern ſich von Jahr zu Jahr aus dem ganz natürlichen Grunde, daß nicht nur die Bevölkerung im allgemeinen550Nahrungs - und Genußmittel.ſtets wächſt, ſondern durch das Vergrößern der Städte überdies noch der Produktionskreis der Butter eingeſchränkt wird.

Verlangen nun dieſe allerdings unbeſtreitbaren Thatſachen auch gleich das Einführen eines Surrogats für ein ſo wertvolles Nahrungs - mittel? Iſt es nicht viel näher liegend, dasſelbe aus denjenigen wenig bevölkerten Ländern zu beziehen, welche hauptſächlich Ackerbau treiben, wie z. B. aus dem Weſten und Süden Amerikas, wie es ja auch ſchon längſt mit dem dort friſch geſchlachteten Fleiſche geſchieht? Leider iſt uns dieſer Weg vorläufig noch verſchloſſen, denn es iſt bis heute noch nicht gelungen, eine Konſervierungsmethode für die Butter zu finden, welche es ermöglicht, dieſelbe für ſo lange Zeit und ſo weite Reiſen haltbar zu machen. Wie aus allen Fetten, bilden ſich auch aus denjenigen der Butter die ſog. Fettſäuren, eine Zerſetzung, welche man mit dem Ausdrucke Ranzigwerden bezeichnet. Im Vergleich zu anderen Fetten wird die Butter beſonders leicht ranzig, denn es ge - lingt bei ihrer Bereitung nicht, ſie von allen Käſeteilchen der Milch Kaſeïn wird dieſer ſtickſtoffhaltige Körper genannt zu befreien, und dieſe ſind, wie alle ſtickſtoffhaltigen Subſtanzen, beſonders geneigt, ſich zu zerſetzen und ſomit auch das Verderben der Butter zu ver - anlaſſen. Ebenſo enthält ſie in den eingeſchloſſenen Milchteilen den Milchzucker und das Milchſäureferment derſelben, und der Gehalt an dieſen Stoffen iſt es auch, welcher uns zwingt, für ihre Haltbarkeit zu ſorgen, ſelbſt wenn die Butter auch nur in nächſter Nähe von ihrem Produktionsorte auf den Markt gebracht werden ſoll. Das geſchieht in Norddeutſchland durch Einſalzen, in Süddeutſchland durch Aus - ſchmelzen der Butter, und je nach der gewählten Behandlungsart wird die Butter dann als Salz -, bezw. Schmelzbutter bezeichnet. Schon hierbei muß erwähnt werden, daß es ein ganz weſentlicher Vorteil einer beſonderen Art der Kunſtbutter der ſog. Marinebutter vor der natürlichen iſt, viel haltbarer als dieſe zu ſein und ſich daher beſonders für Seereiſen und dergl. zu eignen, weil ſie nur aus Fetten beſteht und in ihr keine ſtickſtoffhaltigen Subſtanzen enthalten ſind.

In gerechter Erwägung des vorſtehenden kommt man zweifellos zu der Anſicht, daß wir ein Surrogat für die Butter haben müſſen, wenn nicht alle weniger begüterten Kreiſe auf dieſes ſo wertvolle Nahrungsmittel verzichten ſollen. Unter ſolchen Verhältniſſen iſt es entſchieden als ein glücklicher Umſtand zu bezeichnen, daß es dem Chemiker nach mühſeligen und vielen vergeblichen Arbeiten endlich ge - lungen iſt, ein ſolches Surrogat zu ſchaffen und zwar unter der Vor - ausſetzung, daß es reell dargeſtellt wird, ein recht brauchbares.

Die Erfindung der Kunſtbutter verdanken wir indirekt Napoleon III., da derſelbe durch die vorſtehend entwickelten Gründe veranlaßt, einen Preis für die Auffindung eines Surrogates für Butter ausſetzte, an welches ſehr hohe Anſprüche geſtellt wurden, denn es ſollte wohl - ſchmeckend, nahrhaft, unſchädlich, haltbar und billig ſein. Dem fran -551Butter und Kunſtbutter.zöſiſchen Chemiker Mège-Mouriès gelang es im Jahre 1869 dieſe Preisfrage zu löſen; es bildete ſich auch ſogleich in Frankreich eine Geſellſchaft zur Ausnutzung dieſes Verfahrens, ſtellte aber infolge des deutſch-franzöſiſchen Krieges den Betrieb wieder ein, um ihn erſt 1875 wieder aufzunehmen. Seit damals hat ſich die Fabrikation faſt über

Fig. 323.

Talgſchneidemaſchine (Seitenanſicht).

ganz Deutſchland verbreitet und nur ganz unweſentliche Verbeſſerungen er - fahren, denn der Hauptſache nach arbeitet

Fig. 324.

Talgſchneidemaſchine (Queranſicht).

man heute noch nach der Mège - Mouriès’ſchen Methode. Das Roh - material zur Kunſtbutterfabrikation iſt das Nierenfett des Rindes, welches ganz friſch, alſo ſofort nach dem Schlachten des Rindes verarbeitet werden muß. Durch intenſives Waſchen wird dieſes Fett von Blut, Schleimteilen u. dergl. gut gereinigt, woran ſich ein Zer - ſchneiden des Talges und Zerreißen der Gewebeteile mittelſt Maſchinen ſchließt, um hierdurch die von den Gewebeteilen eingeſchloſſenen Fett - partikelchen freizulegen. Fig. 323 zeigt die Seitenanſicht, Fig. 324 die Quer - anſicht einer Talgſchneidemaſchine. Die Talgſtücke werden auf den Zuführungs - tiſch a h gebracht, und von hier aus zwiſchen den grob gerippten Walzen A A zu den ſchräg geſtellten Meſſern B B der Walze C geführt. Durch das Ge -

Fig. 325.

Talgzerreißmaſchine.

triebe D S wird die Walze C in ſchnelle Umdrehung verſetzt, wobei die Meſſer B B den an ſie herangedrückten Talg in kleine Stückchen zerſchneiden; J j ſind die Zahnradumſetzungen, welche die Walzen A A von dem Getriebe D S aus treiben. Das Zerreißen des Gewebes der552Nahrungs - und Genußmittel.ſo zerkleinerten Fettſtücke muß nun ſehr vollkommen geſchehen, damit das von ihm eingeſchloſſene Fett für die ſpäter folgenden Prozeſſe voll - ſtändig freigelegt wird. Fig. 325 zeigt eine ſehr vollkommen arbeitende Zerreißmaſchine. In einem eiſernen, innen mit ſcharfen Meſſern beſetzten Mantel A, in welchen die kleingeſchnittenen Talgſtücke von oben gebracht werden, rotiert ein gleichfalls mit Meſſern beſetzter, oben abgeſtumpfter Kegel C, während der ganze Apparat auf dem Geſtelle B ruht. Das Getriebe K I L D H dient dazu, den Kegel C in drehende Bewegung zu ſetzen, und quetſcht gleichzeitig den zwiſchen den Meſſern des Mantels und des Kegels zerriſſenen Talg nach unten durch den ſchmalen Raum, welcher zwiſchen Mantel und Kegel bleibt. Hier fällt der Talg auf einen im Geſtelle B befeſtigten horizontalen Boden, welcher durch die Vorrichtung G F nach oben geſchraubt werden kann und es ſo er - möglicht, den Raum, in welchem ſich der herausgefallene Talg ſammeln muß, zu verringern. Hierdurch iſt es möglich, den Talg zu einer voll - ſtändig breiigen Maſſe zu zerreißen.

Das ſo in einen Brei verwandelte Fett wird hierauf in geſchloſſene Gefäße auf 45°C erwärmt, wobei es ſchmilzt und ſich während des ruhigen Stehens infolge ſeines geringen ſpezifiſchen Gewichtes von den Gewebeteilen und dem Waſſer trennt, von welchem es dann ab - geſchöpft wird. Dieſes Fett beſteht aus verſchiedenen Fettarten, von denen beſonders Stearin, Palmitin, Margarin und Oleïn zu nennen ſind. Nur die beiden letzteren eignen ſich zur Kunſtbutter - fabrikation und müſſen von den beiden erſteren, welche das Rohmaterial zur Kerzenfabrikation bilden, getrennt werden. Dieſe Trennung iſt ſehr einfach, da der Schmelzpunkt des Stearins und Palmitins über 25°C, derjenige des Margarins und Oleïns aber unter dieſer Tem - peratur liegt. Nach Abkühlung des abgeſchöpften Fettes auf 25°C gießt man die noch flüſſigen Fettarten von den bei dieſer Temperatur bereits erſtarrten ab und gewinnt die in dem bereits erſtarrten Fette noch eingeſchloſſenen flüſſigen Fette durch Auspreſſen derſelben.

Das ſo gewonnene, bei 25°C noch flüſſige Fett beſteht nur noch aus Margarin und Oleïn und wird, nachdem es nochmals durch gegenſtrömendes Waſſer ſehr gut ausgewaſchen iſt, entweder ohne Milchzuſatz wie z. B. bei der vorhererwähnten Marinebutter größtenteils aber nach einem Zuſatz bis zu 50 % Milch durch Waſchen, Kneten und Salzen weiter zu Butter verarbeitet. Das Buttern ge - ſchieht bei der Fabrikation der Kunſtbutter größtenteils in Fäſſern, wie ein ſolches in Fig. 326 dargeſtellt iſt. Das Faß ſteht, von einer Welle getragen, auf einem feſten Bock, dieſe Welle fällt aber nicht mit der Faßachſe zuſammen, ſondern weicht wie die Abbildung es zeigt, inſofern von der Lage derſelben ab, als ein Teil der Welle höher, der andere aber tiefer als die Faßachſe liegt. Hierdurch erhält die Füllung des Faſſes beim Drehen der Welle durch die von einem Motor in Be - wegung geſetzte Riemſcheibe eine ſchleudernde Bewegung, welche das553Butter und Kunſtbutter.Buttern veranlaßt. An - ſtatt des Spundloches hat das Faß einen großen vier - eckigen Ausſchnitt, welcher durch ein genau paſſen - des Brett feſt verſchloſſen werden kann. Dieſe Öff - nung dient zum Füllen des Faſſes und gleichzeitig zum Reinigen desſelben; die Reinigung wird mit Zuhilfenahme von Che - mikalien weſentlich erleich - tert und kann recht gründ - lich vorgenommen werden,

Fig. 326.

Buttermaſchine für Kunſtbutter.

wenn man das Faß, bevor es in Betrieb geſetzt wird, innen mit Paraffin überzieht. Nachdem der Prozeß des Butterns bei gleich - mäßiger Temperatur, welche 17° C nicht überſteigen ſoll, ca. 2 Stunden, lang gedauert hat, iſt er gewöhnlich beendet, und das Faß muß nun entleert werden. Hierzu giebt man ihm eine ſolche Lage, daß das mit einem Hahn verſehene Zapfenloch den tiefſten Punkt einnimmt und läßt die halbflüſſige, weiche Maſſe in möglichſt kaltes Waſſer fließen, deſſen Temperatur höchſtens 8 bis 10° C ſein darf. Hier erſtarrt die Kunſtbutter vollſtändig und nimmt eine Konſiſtenz an, wie ſie die ge - wöhnliche Butter zeigt. Aber wie dieſe, ſchließt ſie noch, wenn ſie unter Milchzuſatz verarbeitet wurde, nicht unbeträchtliche Mengen Buttermilch ein und da letztere durch ihren Ge - halt an Milchzucker, Milchſäure - ferment und wenn auch noch ſo geringe Mengen von Kaſeïn die Ver - anlaſſung zum Ranzigwerden der Butter iſt, ſo muß ſie entfernt werden. Es geſchieht dies durch ſorgfältiges Auswaſchen und Auskneten, von denen die erſte Manipulation in folgendem, in Fig. 327 im Vertikal - ſchnitt abgebildeten Apparate vorge - nommen wird. Die zu waſchende Kunſtbutter wird in den mit einem genau paſſenden Deckel verſchließ - baren Kaſten K gebracht und durch Belaſtung des Deckels aus dem unten im Kaſten befindlichen ſchmalen Schlitz S als breites Band heraus -

Fig. 327.

Butterwaſchmaſchine.

554Nahrungs - und Genußmittel.gepreßt. Dieſes Band wird von den beiden Walzen W, welche ſich mit gleicher Geſchwindigkeit in der Richtung der Pfeile gegeneinander be - wegen, erfaßt, noch breiter gedrückt und das Anhaften an den Walzen durch geeignet angebrachte Abſtreicher verhindert. Von hier aus gleitet dieſes ſehr breite und dünne Butterband auf der geneigten Fläche F in den Kaſten G, wird aber auf dieſem Wege von zahlreichen Waſſer - ſtrahlen, welche aus dem mit durchlöchertem Verſchluß verſehenen Waſſer - rohre R unter ſtarkem Drucke ſtrömen, hart getroffen und gründlich aus - gewaſchen. Nach dem Ablaſſen des Waſſers aus dem Kaſten G, wird die Butter entweder direkt, oder nach nochmaligem Waſchen geknetet und in die kloßartige Form gebracht, in welcher ſie im Handel bekannt iſt.

Eine ſo dargeſtellte Kunſtbutter iſt ein durchaus empfehlenswertes, ſehr wertvolles und billiges Nahrungsmittel, und nur der Produzent der natürlichen Butter, für deſſen Fabrikat ja nach Erfindung dieſes Surrogats eine weitere Preisſteigerung ausgeſchloſſen erſcheint, verſucht es zu diskreditieren. Sehr leicht kann aber der unreelle Fabrikant die Kunſtbutter in Verruf bringen, wenn er aus Gewinnſucht oder Nachläſſigkeit nicht die größte Sorgfalt auf die Herſtellung ſeines Fabrikates verwendet. Dr. Max Weitz.

e) Die Brotbäckerei.

Als Rohmaterial für die Brotbereitung dient das aus den Cerealien gewonnene Mehl, nebſt Waſſer, Gährungsmitteln und Salz, ev. unter Zufügung gewiſſer Gewürze. Das Weißbrot wird aus Weizen - mehl und Hefe, das Schwarzbrot aus einem Gemiſch von Roggenmehl, Weizenmehl und Sauerteig hergeſtellt. Die Bereitung ſelbſt hat den Zweck, das Mehl phyſikaliſch und chemiſch ſo zu verändern, daß unſere für die Zerkleinerung und Verdauung der Speiſen beſtimmten Organe ihre Aufgabe möglichſt vollkommen zu löſen imſtande ſind. Gleich - zeitig ſoll aber auch der dem mit Waſſer angerührten Mehl anhaftende fade Geſchmack beſeitigt und in einen ſolchen verwandelt werden, der den menſchlichen Organismus zur Aufnahme dieſer Speiſe reizt, und endlich ſoll auch eine gewiſſe Haltbarkeit des Gebäckes erzielt werden. Das Backen löſt alſo im weſentlichen folgende Aufgaben: Durch Erhitzen geht das Stärkemehl in den aufgeſchloſſenen Zuſtand, den wir Kleiſter nennen, über; der Teig wird gehindert, ſich in eine ſpröde oder wäſſerige Maſſe zu verwandeln, dahingegen durch Zuſatz von Hefe oder gewiſſer, ſpäter näher zu beſprechender Surrogate dafür gezwungen, ſich aufzu - blähen und eine lockere, ſchwammige Beſchaffenheit anzunehmen. Endlich wird die Oberfläche des Brotes geröſtet und dadurch die Rinde oder Kruſte gebildet, welche den Wohlgeſchmack des Brotes nicht nur ganz weſentlich erhöht, ſondern auch den inneren Teil nicht ſo leicht austrocknen läßt und ſomit ſeine Haltbarkeit für eine gewiſſe Zeit bedingt.

555Die Brotbäckerei.

Die Bereitung des Brotes beginnt mit dem Anmachen des Teiges und dem Kneten desſelben. Dabei wird das Mehl mit Waſſer zu einem Teig verarbeitet, wodurch einige Beſtandteile des ſelben chemiſch, andere phyſikaliſch verändert werden. Das Dextrin, die Dextroſe und einige eiweißartige Körper werden von dem Waſſer aufgelöſt und durchdringen in aufgelöſtem Zuſtande die unlöslichen Beſtandteile des Mehles, wie Kleber und Stärkemehl. Der Kleber bildet das Bindemittel im Teige, und ſind daher auch nur ſolche Mehl - arten zum Backen geeignet, welche dieſen Stoff enthalten. Dieſe beiden in Waſſer unlöslichen Stoffe des Mehles, der Kleber und das Stärkemehl, laſſen ſich ſehr leicht getrennt von ein - ander darſtellen, wenn man, wie es in Fig. 328 ange - deutet iſt, den Teig unter einem Waſſerſtrahl in einem Beutel aus Muſſelintuch ſo lange durchknetet, bis das ablaufende Waſſer nicht mehr milchig er - ſcheint. Die in dem Beutel dann zurückbleibende zähe, weiße Maſſe iſt der Kleber, während das ſich im Waſſer mit der Zeit auf dem Boden des Gefäßes abſetzende weiße Pulver aus der Stärke beſteht. Mit dem Waſſer zugleich hat man beim Anmachen des Teiges als Gährungsmittel entweder Hefe oder Sauerteig hinzugeſetzt. Sauerteig iſt ein durch Hefe in Gährung verſetzter Teig, welchen man von einem Backen zum anderen auſſpart, um auf dieſe Weiſe durch Fortpflanzung der Gäh -

Fig. 328.

Darſtellung des Klebers.

rung die ganze Menge des neuen Teiges in Gährung zu verſetzen. Die Menge des zuzuſetzenden Sauerteiges hängt ſowohl von der Art des herzuſtellenden Brotes, als auch von dem Säuregrade des Sauer - teiges ſelbſt ab. Dieſer nimmt nämlich beim Liegen des Sauerteiges ſtetig zu, bis dieſer ſchließlich in Fäulnis übergeht.

Nun überläßt man den mit Mehl beſtreuten Teig an einem mäßig warmen Orte ca. 12 Stunden lang der Gährung. Dieſe ſpaltet, wie beim Biere eingehend beſchrieben, die Dextroſe in Alkohol und Kohlen -556Nahrungs - und Genußmittel.ſäure, wobei die ſehr geringen Mengen des erſteren gar nicht in Betracht kommen, während die Kohlenſäure eine ſehr wichtige, aber rein mechaniſche Aufgabe zu löſen hat. Sie ſucht zu entweichen, wird daran aber durch die Zähigkeit des Mehlteiges verhindert, wodurch ſie dieſen aufbläht, und, indem ſie die bei der Krume bekannten zahl - reichen größeren und kleineren Höhlungen in denſelben reißt, macht ſie ihn ſehr porös und damit für unſere Verdauung geeigneter. Bei einem neuen Verfahren wird die Gährung im luftverdünnten Raume vorge - nommen, wodurch ſie vollkommener werden ſoll. Nach der Gährung, zu welcher man nur ungefähr ein Drittel des zu verarbeitenden Teiges nahm, wird dieſer mit den anderen zwei Dritteln durchgeknetet, noch - mals einer etwa halb ſo lange dauernden Gährung unterworfen und nach dem Kneten ſofort in die Form des Brotes gebracht. Während der Gährung hat ſich das Volumen des Teiges auf das Doppelte er - höht und durch Beſtreichen mit lauem Waſſer, eine Manipulation, welche vor dem Einſchieben des Teiges in den Ofen wiederholt wird, verhindert man, daß die Oberfläche desſelben bei der Volumenvergröße - rung Riſſe erhält. Gleichzeitig wird hierdurch die Kruſtenbildung und der Glanz der Kruſte erzielt, da das Waſſer etwas Dextrin der Rinde unter Erweichen derſelben aufgelöſt hat und dieſes bei ſeinem Ver - dunſten zurückläßt.

Das Abteilen der Teigſtücke zu je einem Brote wird in dem Großbetriebe der Bäckerei jetzt durch Teilmaſchinen vorgenommen, und muß hierbei, da die Brote ein beſtimmtes Gewicht haben ſollen, die während des Backens verdunſtende Waſſermenge berückſichtigt werden. Dieſelbe beträgt je nach der Größe des Brotes bis zu 25 %, und zwar beeinflußt die Größe des Brotes den Gewichtsverluſt, weil bei einem kleineren Brote das Verhältnis der Kruſte zu dem der Krume ein größeres iſt, als bei einem großen Brote, und bei Bildung der Kruſte während des Backens mehr Waſſer verloren geht, als bei der Bildung der Krume. Auch das Kneten des Teiges wird im Groß - betriebe jetzt durch Maſchinen beſorgt, und zwar giebt es recht zahl - reiche Konſtruktionen derſelben, von welchen hier in Fig. 329 die -

Fig. 329.

Knetmaſchine.

557Die Brotbäckerei.jenige von Clayton erläutert werden möge. Der zu knetende Teig wird in den cylindriſchen Backtrog A gebracht, in welchem ſich ein mit ſchräg ſtehenden Meſſern i verſehener Rahmen befindet. Mittels der Kurbeln P und O können der Backtrog und der die Meſſer tragende Rahmen in ent - gegengeſetzter Richtung um die Achſe g h gedreht werden, wobei der Teig von den Meſſern i gut durchgeknetet wird. Die Zahnradumſetzung m k l dient dazu, die entgegengeſetzte Bewegung der Cylinder auch durch Drehung der Kurbel O allein zu ermöglichen, und ſchließlich iſt es ſelbſtverſtändlich, daß die Knetmaſchine, nachdem für die Kurbel O eine Riemſcheibe aufgezogen iſt, auch durch Motorenkraft betrieben werden kann.

Aus dem aufgegangenen und gekneteten Teig wird durch Backen das Brot erzeugt. Der Backofen beſteht aus einem ovalen oder auch runden Herde, der mit einem Gewölbe überſpannt iſt, und an deſſen vorderem Ende ſich ein mit einer eiſernen Thüre verſchließbares Mund - loch zum Einſchieben des Brotes und gleichzeitig zur Einführung des Brennmaterials befindet. Die für die Verbrennung des letzteren not - wendige Luft ſtrömt durch den unteren Teil des Mundloches ein, die Verbrennungsgaſe und der Rauch hingegen aus dem oberen Teile des Mundloches aus und beläſtigen den Bäcker in ganz unangenehmer Weiſe. Eine weſentliche Verbeſſerung des Backofens iſt es daher, daß man den Bau desſelben dahin abgeändert hat, daß das Mundloch nur noch zur Einführung des Brennmaterials und ſpäter des Brotes dient, während der Rauch durch die im hinteren Teile des Gewölbes ange - brachten und mit Schieber verſchließbaren Öffnungen entweicht. Fig. 330 zeigt den Längsſchnitt eines ſolchen neueren Ofens, und Fig. 331 den Quer - ſchnitt der Backſohle desſelben. A iſt die Backſohle, B das Mundloch, e e e ſind die Züge, durch welche die Verbrennungsgaſe von dem hinteren Teile

Fig. 330.

Backofen (Längsſchnitt).

Fig. 331.

Backjohle (Querſchnitt).

558Nahrungs - und Genußmittel.der Backſohle aus in den Schornſtein D gelangen, und u iſt der Schieber zum Verſchließen derſelben. E iſt die Backſtube, in welcher man den Teig vor dem Backen aufgehen läßt, und welche durch die darunter liegende Backſohle A die für dieſen Zweck günſtige Erwärmung erhält. Die vor dem Ofen bei x angebrachte Vertiefung ermöglicht dem Bäcker einen bequemen Stand einzunehmen und der Raum M, die vor dem Backen ſelbſt aus der Backſohle A herausgezogenen glühenden Kohlen unterzubringen. Das Backen des Brotes beſteht nun darin, daß in der Backſohle A trockenes und weiches, feingeſpaltenes Holz verbrannt wird, bis der Ofen ſo heiß iſt, daß ſich beim Reiben des Gewölbes mit einem Holzſtabe Funken zeigen. Der Ofen hat dann die zum Backen günſtigſte Temperatur von 200 bis 225° C. erreicht, und nun werden die glühenden Kohlen herausgezogen, nach dem Raume M gebracht und der Ofen ſelbſt mittels eines naſſen Wiſchers von Aſche ꝛc. gereinigt. Die mit Waſſer, welchem etwas Mehl beigemiſcht iſt, beſtrichenen Brote, werden mittels eines mit langem Stiele verſehenen Brettes in den Ofen geſchoben und hier durch die in demſelben herrſchende Temperatur gebacken. Die Hitze wirkt hierbei zuerſt auf das dem Brote aufgeſtrichene Waſſer, welches ver - dunſtend das Aufſpringen der Kruſte verhütet, gleichzeitig aber bewirken die den Ofen ſehr bald anfüllenden Waſſerdämpfe die chemiſchen Um - ſetzungen des äußeren Teiles des Teiges, welchem wir die Entſtehung der ſo ſchmackhaften Kruſte des Brotes verdanken. Die zum Backen nötige Zeit richtet ſich nach der Form, Größe und Art des Brotes, wobei Schwarzbrot eine längere Backzeit erfordert als Weißbrot, und ebenſo ein kugelförmiges mehr als ein längliches, da bei erſterem die Oberfläche im Vergleich zur Maſſe eine kleinere iſt. Im Großbetriebe der Bäckerei ſind auch dieſe Öfen bereits verlaſſen und durch kontinuierlich betriebene, d. h. ſolche, bei denen Back - und Feuerraum getrennt ſind, erſetzt. Man hat bei dieſer Konſtruktion nicht nötig, das Backen zu unterbrechen, ſobald der Ofen nicht mehr heiß genug iſt, bis man ihn wieder genügend angeheizt hat, ſondern backt in dem vom Feuerraume getrennt liegenden Backraume kontinuierlich fort und ſpart hierbei viel Zeit und Brennmaterial. Um die Hitze des Backraumes bei dieſem Ofen für jedes der Brote möglichſt gleichmäßig auszunutzen, ordnet eine neue Konſtruktion einen Wagen an, der in den Backraum geſchoben wird, und auf welchem endloſe Ketten um vieleckige Scheiben gelegt ſind. Dieſe Ketten tragen an Armen die pendelnd aufgehängten Backbleche, welche alſo durch Drehung der Kettenſcheiben in eine krei - ſende Bewegung verſetzt und dadurch in den verſchieden heißen Teilen des Ofens herumgeführt werden. Ein neuer Apparat zum Backen endlich beſteht darin, daß der Teig zwiſchen zwei hohle Platten ge - bracht wird, deren Ränder feſt aufeinander gepreßt werden. Unter Druck läßt man nun in dem Hohlraume Dampf cirkulieren, und ſoll bei Anwendung eines Druckes von ſechs Atmoſphären das Backen ſo ſchnell, als bei den mit direktem Feuer geheizten Öfen vor ſich gehen.

559Die Brotbäckerei.

Die Gährung des Brotes, welche, wie vorher angegeben, einzig und allein den Zweck hat, durch die entweichende Kohlenſäure die Krume ſchwammig und porös zu machen, vermindert den Stärkegehalt des Mehles im Teige, denn aus dieſem wird der Stärkezucker gebildet, aus welchem wiederum die Kohlenſäure bei der Gährung entſteht. Auch iſt der Hefezuſatz dem Teige doch nur zur Einleitung der Gährung gegeben der Zuſammenſetzung des Teiges in Bezug auf die ſpätere Verdauung desſelben nicht ſehr vorteilhaft. Das hat zu zahlreichen Verſuchen veranlaßt, das Ferment durch Surrogate zu erſetzen, die in der Hitze, alſo während des Backens Kohlenſäure entwickeln, ſomit alſo durch die entweichende Kohlenſäure die Gährung des Teiges vollſtändig erreichen, ohne die Nährkraft des Brotes zu beeinträchtigen. Dieſe Aufgabe iſt vollſtändig gelöſt, und zahlreiche Präparate befinden ſich heute unter dem Namen Backpulver im Handel, deren weſentlicher Beſtandteil ſtets ein kohlenſaures Salz iſt, welches dem Teige zugeſetzt wird und beim Erwärmen desſelben die Kohlenſäure abgiebt. Ein nicht zu unterſchätzender Vorteil dieſer Backpulver iſt auch die Zeit - erſparnis bei der Bereitung des Gebäckes, da die ganze auf Gährung des Teiges verwendete Zeit bei Benutzung dieſer Backpulver fortfällt. Mit ihrer Hilfe kann man in 2 Stunden fertiges Brot aus Mehl her - ſtellen und erhält dabei eine 10 bis 12 % höhere Ausbeute, als bei Anwendung der Gährung. Endlich darf nicht unerwähnt bleiben, daß dieſe Backpulver beliebig lange aufbewahrt werden können, was bei der Hefe oder dem Sauerteige nicht der Fall iſt und daher auf Schiffen und in Dörfern, wo nicht regelmäßig gebacken wird, nicht ſelten Mangel daran iſt. Auch für den Küchengebrauch ſind die Backpulver wegen der Einfachheit ihrer Verwendung und vor allem wegen der Schnelligkeit ihrer Wirkung ſehr zu empfehlen. Solche Backpulver beſtehen aus Hirſchhornſalz d. i. ſaurem kohlenſaurem Ammonium, ferner aus doppeltkohlenſaurem Natron und Salzſäure. Das Liebigſche Backpulver beſteht aus zwei Präparaten, nämlich einem Säure - pulver, und zwar aus ſaurem Calciumphosphat gemengt mit ſaurem Magneſiumphosphat und einem Alkalipulver, beſtehend aus einem Ge - miſch von doppeltkohlenſaurem Natron und Chlorkalium. Dieſes Pulver ſcheint ſehr vorteilhaft zu wirken und werden auf 100 kg Mehl 2,6 kg Säurepulver und 1,6 kg Alkalipulver hinzugeſetzt. Es bilden ſich beim Aufeinanderwirken dieſer beiden Pulver zuerſt aus dem doppelkohlenſauren Natron und dem Chlorkalium das doppel[l]kohlen - ſaure Kalium und Chlornatrium, von denen das erſtere dann unter Freiwerden der Kohlenſäure durch das ſaure Phosphat zerſetzt wird. Das unter dem Namen Schnellhefe bekannte Backpulver beſteht aus 33 % doppeltkohlenſaurem Natron, 19,7 % Weinſteinſäure, wie 47,3 % Weizen - und Reisſtärke, und ſetzt hierbei die Weinſteinſäure die Kohlen - ſäure in Freiheit, gerade ſo, wie es bei Verwendung eines gewöhn - lichen Brauſepulvers geſchieht. Schließlich werden auch neuerdings560Nahrungs - und Genußmittel.alaunhaltige Backpulver verwendet, aber auch gleichzeitig von anderer Seite davor gewarnt, weil der Alaungehalt derſelben auf unſeren Organismus ſchädlich wirken ſoll. Die zahlreich angeſtellten Verſuche, Kohlenſäuregas direkt in den Teig ſtrömen zu laſſen, ein Gedanke, der ſehr nahe liegt, haben befriedigende Reſultate bisher nicht gegeben.

Die chemiſche Zuſammenſetzung des Brotes zeigt dem Mehle gegen - über vor allem einen viel höheren Waſſergehalt, da z. B. 100 kg Weizenmehl ſich mit 50 kg Waſſer verbinden und 150 kg Brot geben. Das friſche Weizenbrot enthält 9 % Dextrin und lösliche Stärke, 40 % Stärke, 6,5 % Proteïnkörper und 40 bis 45 % Waſſer. Das Altbackenwerden des Brotes wird nicht durch einen Waſſerverluſt des - ſelben hervorgerufen, wie es häufig angenommen wird, ſondern durch eine Veränderung im Molekularzuſtande, beſonders der Krume, denn der Waſſergehalt des altbackenen Brotes iſt nach Bouſſingault nicht geringer als derjenige des friſchen.

Beim Brote kommen, wenn auch nicht übermäßig häufig, gewiſſe Verfälſchungen vor. So iſt z. B. im nördlichen Frankreich und Belgien eine ſehr verwerfliche Methode üblich, und wird in Deutſchland hin und wieder nachgeahmt, verdorbenes Mehl zum Backen geeignet zu machen. In dieſem Mehle iſt der Kleber verändert und ſo weich ge - worden, daß er beim Gähren des Teiges die Kohlenſäure nicht feſt halten kann, ſondern entweichen läßt, wodurch das Brot derb wird und weniger weiß erſcheint. Dieſen Fehler des Mehles ſucht man durch einen, wenn auch nur ganz geringen Zuſatz von ſchwefelſaurem Kupfer aufzuheben, und dieſer Zuſatz iſt trotz ſeiner geringen Menge, denn er beträgt nur 1 / 15000 bis 1 / 30000 des zu verbackenden Mehles, unſerem Organismus ſehr ſchädlich. Nachweiſen läßt ſich die Ver - fälſchung für den Chemiker ſehr leicht durch Trocknen und Verbrennen des zu unterſuchenden Brotes und Abſchlämmen der zurückbleibenden Aſche. In England iſt Alaunzuſatz zu dem Mehl üblich, in Deutſch - land aber beides geſetzlich unterſagt. Nicht ſelten ſind die Verfälſchungen der beſſeren Mehlſorten mit minderwertigen, wie Kartoffelmehl, Kartoffel - ſtärke ꝛc. und können unter dem Mikroſkope ſicher nachgewieſen werden, da die Stärkekörperchen aller Mehlſorten eine für jede derſelben ganz charakteriſtiſche Form haben. Außer den vorher genannten mineraliſchen Zuſätzen zu verdorbenem Mehle, um es wieder zum Backen geeignet zu machen, kommen auch noch ſolche bei geſundem Mehle, wie Kreide, Gips, Schwerſpat ꝛc. vor, um das Gewicht desſelben zu erhöhen und werden gleichfalls durch Einäſcherung des Brotes und Prüfung der Aſche nachgewieſen.

Es muß noch erwähnt werden, daß die fabrikmäßige Her - ſtellung des Brotes, von genial konſtruierten Maſchinen unterſtützt, ſich in den letzten Jahren zu hoher Blüte entwickelt hat. Hierzu kommen die Erleichterungen und Einrichtungen der Verſendung, welche gleich - falls unter Berückſichtigung der einzelnen Fabrikate gehandhabt werden,561Die Brotbäckerei. Das Fleiſch.und durch alles dieſes zuſammen iſt das Brot wenigſtens gewiſſe beliebte Arten desſelben ſchon längſt nicht mehr ein Produkt, das wie früher auf jeden Fall am Produktionsorte konſumiert wurde, ſondern es wird heute nicht ſelten auf weite Entfernungen verſchickt. Noch viel weiter, ja ſelbſt überſeeiſch iſt der Export von Backwaren, welche wie Biskuits, Cakes ꝛc. an und für ſich haltbar und dem Verderben nicht ausgeſetzt ſind, und die Fabrikation derſelben wird noch bei weitem mehr, als diejenige des Brotes, durch einen ausgebildeten Maſchinen - betrieb unterſtützt. Dr. Max Weitz.

f) Das Fleiſch.

Die Hauptbeſtandteile des Fleiſches ſind außer den Knochen, welche ungefähr 10 % des Geſamtgewichtes desſelben betragen, Waſſer, Fleiſchſaft, Fleiſchfaſer und Fett, neben verſchiedenen Salzen und leim - gebenden Geweben. Im Fleiſchſafte und der Faſer ſind verſchiedene Eiweißſtoffe enthalten, von denen beſonders das Fibrin und das Myoſin, letzteres iſt der Muskeleiweißſtoff, zu nennen ſind. Dieſe Zu - ſammenſetzung, von welcher ſowohl der Nährwert, als auch die Ver - daulichkeit des Fleiſches abhängt, iſt ſehr wechſelnd, und zwar nicht nur bei dem Fleiſche der verſchiedenen Tierarten, von welchen wir uns nähren, und bei ein und demſelben Tiere, je nach Raſſe, Alter, Fütterung und dergl., ſondern auch je nachdem das Fleiſch von den verſchiedenen Körperteilen des betreffenden Tieres entnommen iſt. Nach letzterem Geſichtspunkt wird daher auch der Wert des Fleiſches im Handel be - ſtimmt und zeigt Fig. 332 die Einteilung des Rindfleiſches in vier

Fig. 332.

Zerlegung des Rindes.

Klaſſen mit 18 Unterabteilungen, wie ſie in London eingeführt iſt. Dieſe vier Klaſſen A bis D ſind auf der Abbildung durch beſondere Schraffierung gekennzeichnet und beſtehen aus der Unterabteilung für A: 1. Schwanzſtück, 2. Lendenbraten, 3. Vorderrippe, 4. Hüftenſtück undDas Buch der Erfindungen. 36562Nahrungs - und Genußmittel.5. Hinterſchenkel; B: 6. Oberweiche, 7. hinter-s Weichſtück, 8. Waden - ſtück, 9. Mittelrippe und 10. Oberarmſtück; C: 11. Flankenſtück, 12. Schulterblatt und 13. Bauchſtück; endlich D: 14. Wamme, 15. Hals, 16. und 17. Vorder - und Hinterbeine und 18. Kopf. In Paris ſind drei Klaſſen mit 7 Unterabteilungen eingeführt, nach welchen das Kalb (Fig. 333) wie folgt eingeteilt wird: A: 1. Keule, 2. Nierenbraten und 3. Vorderviertel; B: 4. Schulterblatt und endlich C: 5. Bauchſtück,

Fig. 333.

Zerlegung des Kalbes.

Fig. 334.

Zerlegung des Schafes.

6. Kopf und 7. Hals. Die drei in Paris für Zerlegung des Schafes eingeführten Klaſſen ſind den ſoeben aufgeführten ähnlich; ſie beſtehen (Fig. 334) in A: 1. Keule und 2. Rücken; B: 3. Vorderblatt und endlich C: 4. Bauchſtück, 5. Hals und 6. Kopf.

Das Fleiſch der jüngeren Tiere iſt im allgemeinen waſſerreicher, als dasjenige der älteren und daher weniger nahrhaft, ſo enthält z. B. das Kalbfleiſch ca. 80 % Waſſer, während das Fleiſch eines gewöhnlichen Zugochſen nur ca. 60 % und das eines gemäſteten Ochſen ſogar nur ca. 40 % Waſſer enthält. Dieſem hohen Waſſergehalte verdankt das Kalbfleiſch auch den Namen Halbfleiſch , welchen es im Volksmunde erhalten hat, aber es darf doch nicht unterſchätzt werden, daß bei jungen Tieren auch die Fleiſchfaſer viel zarter und leichter ver - daulich iſt, als bei ältern Tieren, weil ſie dünner, weicher und feuchter iſt, als jene, und gerade dieſe Beſchaffenheit der Fleiſchfaſern beeinflußt den Nährwert ganz beträchtlich, weshalb man dieſelben auch bei älteren Tieren während der Zubereitung künſtlich mürbe zu machen verſucht, ſowohl durch längeres Liegenlaſſen des Fleiſches an der Luft, als auch durch Zuſatz von Säuren, wie z. B. von ſaurer Sahne oder Eſſig. Auch das längere Liegenlaſſen des Fleiſches an der Luft ver - anlaßt die Einwirkung einer Säure auf dasſelbe, und zwar der ſog. Fleiſchmilchſäure, welche ſich bei Zerſetzung des Fleiſches bildet. Dieſe Säure bildet ſich unter gewiſſen Umſtänden auch ſchon im Fleiſche der lebenden Tiere z. B. bei heftiger und andauernder Bewegung derſelben. Daher kommt es auch, das das Fleiſch des Wildbrets bez. aller kurz vor dem Tode gehetzten Tiere mürber iſt, als dasjenige der geſchlachteten, weil die Fleiſchmilchſäure, welche ſich in dieſem Falle ſchon vor dem Tode des Tieres gebildet hat. ſofort nach dem Tode desſelben auf563Das Fleiſch.die Fleiſchfaſer einzuwirken beginnt. Fütterung und Pflege des Tieres wirken ganz beſonders günſtig auf die Beſchaffenheit der Fleiſchfaſer ein, dahingegen wird dieſelbe durch fortdauernde Anſtrengung der Muskeln, wie z. B. bei Zugtieren härter, zäher und dadurch ſchwerer verdaulich, als bei dem Maſtvieh, welches derartigen Anſtrengungen nicht ausgeſetzt iſt.

Der am leichteſten zu verdauende Beſtandteil des Fleiſches iſt der zwiſchen den Fleiſchfaſern ſich befindende Fleiſchſaft, den man durch Aus - preſſen des rohen, friſch geſchlachteten Fleiſches als eine wäſſrige, rote Flüſſigkeit gewinnen kann, und der die Eiweißſtoffe, wie die Salze des Fleiſches, gelöſt enthält. Als Nahrungsmittel hat der ſo dargeſtellte Fleiſchſaft aus rein praktiſchen Gründen keine Bedeutung, wohl aber dient er unter Zuſatz von Fett und Kohlehydraten wie Stärkemehl und Zucker, als vorzügliches Stärkemittel für Kranke.

Auch vom Fettgehalte des Fleiſches hängen Nahrhaftigkeit und Verdaulichkeit desſelben ab, und zwar erhöht der größere Fettgehalt die erſtere, indem er den Waſſergehalt zurückdrängt, verringert aber gleich - zeitig die letztere dadurch, daß er das Fleiſch, im Magen mit einer Fettſchicht bedeckend, vor der Einwirkung der Verdauungsſäfte ſchützt. Wie ſehr dieſer Fettgehalt des Fleiſches künſtlich durch eine geeignete Fütterung und Pflege des betreffenden Tieres erhöht werden kann, iſt durch das ſo zahlreich bei Maſtvieh, Stopfgänſen u. dgl. vorgenommene Verfahren genügend bekannt. In Bezug auf jene, die Verdauung er - ſchwerende Wirkung, ſind aber die verſchiedenen Fettarten einander nicht gleich, ſondern die weichen Fette den härteren vorzuziehen. Die Begriffe weich und hart hängen einzig und allein von dem Schmelzpunkt der betreffenden Fette ab, und man wird in dem hierbei in Betracht kommenden Falle alle Fette weich nennen, deren Schmelzpunkt unter unſerer Körpertemperatur liegt, wie z. B. das Gänſefett, Hühnerfett und die Butter, während andererſeits z. B. Ochſen - und Hammeltalg, deren Schmelzpunkt über unſerer Körpertemperatur liegt, als harte Fette zu bezeichnen ſind.

Wir genießen im allgemeinen das Fleiſch der Pflanzenfreſſer, be - ſonders der wiederkäuenden Haustiere, wie dasjenige der Vögel und Fiſche. Alle dieſe Fleiſcharten haben qualitativ faſt dieſelbe Zuſammen - ſetzung, zeigen aber quantitativ, wie auch im Geſchmack, ſehr weſentliche Unterſchiede. Ohne an dieſer Stelle auf die genannten Unterſchiede näher einzugehen, darf für die Volksernährung nicht unerwähnt bleiben, daß das Vorurteil, welches gegen das Pferdefleiſch beſteht, ein durch - aus unberechtigtes und dieſes Fleiſch um ſo mehr zu empfehlen iſt, da es als ein ganz vorzügliches Nahrungsmittel gleichzeitig einen ſehr billigen Preis hat. Es wird natürlich hierbei vorausgeſetzt, daß das betreffende Fleiſch nicht von einem kranken Pferde herſtammen darf, das iſt ja aber auch bei allen anderem Schlachtvieh eine ganz ſelbſt - verſtändliche Vorausſetzung. In Frankreich hat man während des letzten36*564Nahrungs - und Genußmittel.deutſch-franzöſiſchen Krieges in den größeren, belagerten Feſtungen, ganz beſonders in Paris, kennen gelernt, daß das Pferdefleiſch ein ſehr wert - volles Nahrungsmittel iſt, trotzdem man damals infolge des Futter - mangels nur ſehr heruntergekommene Tiere ſchlachten konnte, und die damals gemachten Erfahrungen werden dort dauernd fortbenutzt, denn ſeit den letzten zwanzig Jahren ſpielt das Pferdefleiſch in der Volks - ernährung Frankreichs eine viel größere Rolle als vorher, oder bei uns.

In Bezug auf die Verdaulichkeit des Fleiſches, begegnet man noch hin und wieder der Anſicht, daß rohes Fleiſch beſonders leicht verdau - lich ſei, eine Anſicht, welche durchaus irrig iſt. Das rohe Fleiſch dürfte nur in einem Falle, nämlich wenn es ſehr fein geſchabt und von allen Sehnen befreit iſt, einem gut zubereiteten Fleiſche in dieſer Be - ziehung gleichkommen, in allen anderen Fällen aber wird es ſchwerer verdaulich ſein als dieſes. Hieraus ergiebt ſich die außerordentliche Wichtigkeit der guten Zubereitung des Fleiſches von ſelbſt, abgeſehen davon, daß die bei der Zubereitung verwendete Temperatur bis zu einer gewiſſen Grenze ein ſehr guter Schutz gegen manche Krankheits - ſtoffe und Paraſiten iſt, welche ſich vielleicht im Fleiſche befinden, bis zu einer gewiſſen Grenze nur, weil das Fleiſch ſelbſt ein ſehr ſchlechter Wärmeleiter iſt, es ſomit ſehr lange dauert, bis die hohe Temperatur das ganze Fleiſch durchdrungen hat, und das unbedingt notwendig iſt, wenn jene Krankheitsſtoffe bezw. Paraſiten unſchädlich gemacht werden ſollen. Dieſes vollſtändige Durchdringen der Hitze geſchieht aber nur ſehr ſelten und mit Recht, denn wie ſogleich auseinander geſetzt werden ſoll widerſpricht dasſelbe in vielen Fällen einer ratio - nellen Zubereitung. Es iſt nämlich durchaus falſch, anzunehmen, daß das Fleiſch, wenn es nicht beim Kochen ſchnell weich wird, durch längeres Kochen doch ſchließlich weich werden muß; das wird aus demſelben Grunde nie geſchehen, aus welchem es beim Hühnerei nicht geſchieht. Wie das Eiweiß des Hühnereies durch das Kochen gerinnt koaguliert , wie der wiſſenſchaftliche Ausdruck lautet ſo auch das Eiweiß der Fleiſchfaſern, welche natür - lich durch längeres Kochen hart und zäh werden müſſen. Die rationelle Zubereitung des Fleiſches muß beim Braten und Kochen be - ſtrebt ſein, dieſes Eiweiß gelöſt zu erhalten, aber auch von dem für die Ernährung ſo wichtigen Fleiſchſafte nichts zu verlieren; das erreicht man am beſten, wenn man das Fleiſch plötzlich, aber nur für ſehr kurze Zeit, einer ſehr hohen Temperatur ausſetzt, wobei ſich die Zeit - dauer natürlich nach der Größe der zu behandelnden Stücke richten muß. Hierdurch gerinnt nur das Eiweiß, welches ſich auf der Ober - fläche des Stückes befindet und bildet dadurch eine ſchützende Hülle für den Fleiſchſaft, den es nun vollkommen einſchließt, ſo daß dieſer wert - volle Beſtandteil des Fleiſches ohne nennenswerten Verluſt erhalten bleibt. Ein durch ſolche Zubereitung erhaltenes Fleiſch iſt ſowohl nahr -565Das Fleiſch.haft, als es auch durch die in Löſung gebliebenen Eiweißſtoffe bezw. durch die weich gebliebenen Fleiſchfaſern, leicht verdaulich iſt.

Hat man das Braten oder auch Kochen des Fleiſches ſo gehand - habt, alſo den Fleiſchſaft faſt vollſtändig im Fleiſche behalten, ſo wird natürlich die gleichzeitig beim Kochen gewonnene Fleiſchbrühe nicht be - ſonders wertvoll ſein können, und wenn es darauf ankommt, eine gute Brühe zu erhalten, ſo wird man alſo ganz anders verfahren müſſen. In dieſem Falle will man möglichſt allen Fleiſchſaft mit den darin enthaltenen Salzen und Extraktivſtoffen aus dem Fleiſche extrahieren und daher vor allen Dingen verhüten, daß die ſich beim Braten ab - ſichtlich erzeugte, ſchützende Hülle durch geronnene Eiweißſtoffe um das Fleiſch herum bildet; wenigſtens dürfen dieſe Eiweißſtoſſe nicht früher gerinnen, als bis aller Fleiſchſaft aus dem Fleiſche ausgezogen iſt. Zu dieſem Zwecke legt man das in möglichſt kleine Stücke zerſchnittene Fleiſch in kaltes Waſſer, deſſen Temperatur man nur ganz langſam bis zur Siedehitze, welche man ſchließlich erreichen muß, ſteigen läßt. Auf dieſe Weiſe entzieht man dem Fleiſche alle jene Säfte und Extraktiv - ſtoffe, welche uns die Brühe mit Recht ſo wertvoll erſcheinen laſſen, behält aber natürlich ein an Nahrungsſtoffen nur ziemlich wertloſes Fleiſch zurück. Hieraus ergiebt ſich von ſelbſt, daß es unmöglich iſt, gleichzeitig aus ein und demſelben Stücke rohen Fleiſches eine gute Brühe und einen guten Braten oder nahrhaft gekochtes Fleiſch zu bereiten. Auch der Wert der Brühe wird durch die Fleiſchart beſtimmt, aus der dieſelbe gewonnen wird, und ſo kommt z. B. der höhere Wert der Hühnerbrühe im Verhältnis zu der aus Ochſenfleiſch gewonnenen da - her, daß das Hühnerfleiſch mehr lösliche Stoffe enthält als jenes.

Da aber ſelbſt bei dieſer rationellen Bereitung der Fleiſchbrühe dieſelbe doch ſchließlich zum Kochen kommt, ſo gerinnen auch hierbei endlich die auf dem vorher beſchriebenem Wege langſam extrahierten Eiweißſtoffe. Sie bilden jenen bekannten ſchmutziggrauen Schaum, welcher bei der Bereitung der Brühe faſt immer ſo ſorgfältig abge - ſchöpft wird und welcher ſich ſo lange wieder erneuert, als noch Eiweiß - ſtoffe in Löſung vorhanden ſind. Da aber die Eiweißſtoffe das einzig direkt Nahrhafte in der Brühe waren und durch Abſchöpfen aus der - ſelben entfernt wurden, ſo enthält die Brühe keine Nahrungsſtoffe mehr, und kann deshalb auch nicht mehr zu den Nahrungsmitteln gerechnet werden. Wir zählen ſie auch in der That nicht zu dieſen, ſondern zu den Genußmitteln, weshalb aber ihr hoher Wert für die Ernährung keineswegs als ein geringerer zu betrachten iſt. Außer den verſchiedenen Salzen und Extraktivſtoffen, welche unſere Verdauung in ſehr hohem Maße befördern, enthält die Fleiſchbrühe noch einen Stoff, den der Chemiker Kreatin nennt, und welcher eine ähnliche erregende Wirkung hat, wie derjenige Stoff, der unter dem Namen Kaffeïn als wirk - ſamer Beſtandteil des Kaffees und des Thees, bei den Aufgußgetränken beſchrieben iſt. Eine gute Fleiſchbrühe reizt daher nicht nur, wie kein566Nahrungs - und Genußmittel.zweites Genußmittel, unſere Magenwände, die nötigen Verdauungsſäfte abzuſondern, und wird darum auch mit Recht gewöhnlich beim Beginn der Hauptmahlzeit genommen, ſondern ſie iſt gleichzeitig das einzige Genuß - mittel, daß, trotzdem es uns belebt und erregt, keine nachteiligen Wir - kungen zurückläßt. Ihren hohen Wert bezeichnet der berühmte Chemiker Juſtus von Liebig mit folgenden Worten: Eine Taſſe Fleiſchbrühe hat häufig eine kräftigende Wirkung, nicht darum, weil ihre Beſtandteile Kraft erzeugen, wo keine iſt, ſondern weil ſie auf unſere Nerven ſo wirkt, daß wir uns der vorhandenen Kraft bewußt werden und empfinden, daß dieſe Kraft verfügbar iſt.

Von den zur Unterſtützung der Zubereitung des Fleiſches gemachten Erfindungen ſind vor allen Dingen die Fleiſchhackmaſchinen zu erwähnen. Für den Großbetrieb iſt bei denſelben an der Konſtruktion wenig ge - ändert, denn das große, ſechs oder achtklingige Wiegemeſſer und der runde Holzklotz, auf dem es die Fleiſchmaſſen zerwiegt, ſind geblieben. Anſtatt daß es aber von zwei langſam um den Wiegeblock herumgehenden Männern gehandhabt wird, ſetzt es heute die Motorenkraft in wiegende Bewegung und führt gleichzeitig den Wiegeblock, ihn um die eigene Achſe drehend, unter dem ſtets auf derſelben Stelle arbeitenden Wiegemeſſer durch, wobei immer eine andere Stelle des auf dem Block ausgebreiteten Fleiſches von den Meſſern getroffen wird. Die kleineren, für die Wirtſchaft beſtimmten Hackmaſchinen, beſtehen im weſentlichen aus Walzen, auf welchen in ſpiralförmiger Windung Meſſerklingen ſitzen, und welche in einem hohlen, aufklappbaren Cylinder gedreht werden, deſſen obere Hälfte eine Offnung zur Einführung des Fleiſches hat. Die neueſte Verbeſſerung dieſer Konſtruktion beſteht darin, daß anſtatt der Meſſer an der Walze ſcharfkantige, viereckige Stifte befeſtigt ſind, welche beim Drehen der Walze genau durch den Zwiſchenraum gehen, den je zwei an dem Cylinder ſelbſt ſitzende Meſſer bilden. Dieſe Meſſer nehmen, durch den genannten Zwiſchenraum getrennt, die ganze Länge des Cylinders ein, und ihre Anzahl iſt daher durch die Länge desſelben beſtimmt.

Weſentlich wichtiger ſind die Erfindungen auf chemiſchem Gebiete, welche für die Zubereitung des Fleiſches gemacht wurden, und welche durch Herſtellung von Fleiſchpräparaten das Fleiſch oder wenigſtens ſeine wirkſamen Beſtandteile für weitere Entfernungen verſendbar machen wollen. Da iſt vor allen Dingen der Fleiſchextrakt, welcher in Buenos-Ayres, Mexiko, Auſtralien, Podolien ꝛc. von den dort ge - ſchlachteten Rindern, an Ort und Stelle dargeſtellt und weit verſandt, auch in Europa viel konſumiert wird. Beſonders hat dieſe Fabrikation in Süd-Amerika durch ſpezielle Anleitung Liebigs außerordentliche Dimenſionen angenommen. Dieſer Fleiſchextrakt iſt nicht mit jenen Präparaten zu verwechſeln, welche die Brühe erſetzen ſollen und ge - wöhnlich in der Form von Tafeln oder Kapſeln in den Handel gebracht werden. Hierbei handelt es ſich darum, die Brühe in eine feſte, leicht567Das Fleiſch.transportable und bequem verwendbare Form zu bringen. Neuerdings gewinnt die Heppſche Fleiſchgallerte immer größere Verwendung, be - ſonders für Kranke und Rekonvalescenten. Sie wird dargeſtellt, indem gutes, knochen - und fettfreies Ochſenfleiſch auf dem Waſſerbade ſehr lange Zeit gekocht wird, wobei die Maſſe ſchließlich zu einer angenehm ſchmeckenden Gallerte erſtarrt.

Wie alle organiſchen Subſtanzen, ſo unterliegt auch das Fleiſch gewiſſen Zerſetzungen, welche ſich ſchließlich bis zur Verweſung ſteigern. Auch was wir beim Wildbret Hautgout zu nennen pflegen, iſt nicht etwa eine Eigentümlichkeit, die dieſem allein zukommt, ſondern nichts weiter, als der Anfang der Zerſetzung überhaupt, welche auch bei jedem anderen Fleiſche unter den dafür günſtigen Bedingungen eintritt. Beim Wildbret geſchieht das nur viel ſchneller, und zwar infolge der Ein - wirkung der Fleiſchmilchſäure, welche ſich hier, wie vorher beſchrieben, ſchon häufig bei Lebzeiten des Tieres gebildet hat. Zahlreiche Mittel ſind beſonders in neuerer Zeit für die Konſervierung des Fleiſches erdacht, und iſt es klar, daß ſolche Mittel, wenn ſie ihre Aufgabe löſen ſollen, nicht nur fäulnishindernd wirken müſſen, ſondern auch dem Fleiſche keinen Beigeſchmack geben dürfen. Alle dieſe ſchon längſt bekannten oder auch erſt neu erfundenen Mittel laſſen ſich ihrer Wirkung nach in vier Gruppen einteilen, denn dieſe beruht entweder auf Luftabſchluß, oder Waſſerentziehung, oder auf Zuſatz von Chemikalien, wie Kochſalz u. a. oder endlich auf Einwirkung einer ſehr niedrigen Temperatur. Manche dieſer Konſervierungsmittel wirken auch auf zwei der genannten Gebiete gleichzeitig, wie z. B. das Räuchern, welches infolge der Wärme des Rauches ſowohl trocknend, alſo waſſerentziehend wirkt, als auch durch das im Holzrauche vorhandene Kreoſot eine antiſeptiſche Wirkung hat. Es ſollen nun die wichtigſten dieſer Konſervierungsmittel be - ſchrieben werden.

Von den Methoden, bei welchen die Konſervierung des Fleiſches durch Luftabſchluß bewirkt wird, hat die von Appert angegebene die weiteſte Verbreitung gefunden. Nach dieſer werden fertig gekochte Fleiſchwaren in Blechbüchſen gefüllt und zwar dergeſtalt, daß die Fleiſchbrühe alle Räume der Büchſe vollſtändig ausfüllt, ſodaß nach dem Verlöten derſelben weder Luft in denſelben enthalten iſt, noch nachträglich eindringen kann. Hierdurch ſind alle Fäulniserreger der Luft abgeſchloſſen, und die in dem Fleiſche ſelbſt durch vorherige Berührung mit der Luft enthaltenen Keime, werden dadurch getötet, daß dieſe wohlverſchloſſenen Blechbüchſen mehrere Stunden lang in einem Salz - bade, alſo bei einer Temperatur, welche höher liegt, als der Siedepunkt des Waſſers, gekocht werden. Dieſe Methode iſt von Jones dadurch verbeſſert, daß er die im Salzbade befindlichen Blechbüchſen mittels einer Metallröhre mit einem luftleeren Raume verbindet. Durch dieſes mechaniſche Ausſaugen der Luft aus dem Fleiſche, wird ein Teil des ſonſt ſehr lange dauernden Kochens erſpart, und dadurch die Schmack -568Nahrungs - und Genußmittel.haftigkeit desſelben weniger beeinflußt. F. Robert ſetzt das Fleiſch, nachdem es in eine Löſung von Natriumhypoſulfit getaucht iſt, in hermetiſch verſchließbaren Gefäßen einer Atmoſphäre aus, welcher der Sauerſtoff und die die Fäulnis verurſachenden Keime entzogen ſind. Die Gefäße werden dann in dieſer Atmoſphäre geſchloſſen, und ſoll dieſe Methode ein ſich ſehr lange haltendes und ſchmackhaft bleibendes Fleiſch liefern. Rooſen bringt Fleiſch aus überſeeiſchen Ländern nach Europa, das in ſtarkwandigen Gefäßen unter Zugabe einer antiſeptiſch wirkenden Löſung verpackt iſt, und welchem vor dem Verſchließen der - ſelben die Luft ausgepumpt wird. Street endlich bringt das friſch ge - ſchlachtete Fleiſch in einen Raum, der luftleer gemacht wird, und ſetzt es hierauf der expandierenden Wirkung eines konſervierenden Gaſes, z. B. der ſchwefligen Säure, aus, wodurch es für mehrere Monate haltbar gemacht ſein ſoll.

Die Waſſerentziehung des Fleiſches wird entweder durch Trocknen oder Einſalzen desſelben erzielt. Durch Trocknen ſind zahlreiche, in den anderen Erdteilen ſehr bekannte Fleiſchpräparate dargeſtellt, ſo der Pemmikan in Nordamerika, Taſſajo in Südamerika und Biltongue in Südafrika. In Europa hat dieſe Methode bisher noch wenig Feld erobert, obgleich der Fleiſchzwieback von Gail-Borden und derjenige von E. Jacobſen auch hier bekannt ſind.

Die älteſte der Konſervierungsmethoden, das Einſalzen oder Pökeln, iſt auch inſofern ein Trocknen des Fleiſches, als das Salz einen Teil der Fleiſchflüſſigkeit aufnimmt, zugleich aber tritt ein Teil des Salzes in die Fleiſchfaſer ein. Fälſchlich nahm man bisher an, daß der Nährwert des Fleiſches durch das Pökeln weſentlich verringert werde, bis in neuerer Zeit E. Voit das Irrige dieſer Anſicht nachwies. Er legte Fleiſch 14 Tage lang in eine 6 % ige Kochſalzlöſung und unter - ſuchte dann dasſelbe. Bei dieſer Unterſuchung fand er, daß 1000 gr Fleiſch 43 gr Kochſalz aufnahmen und 10,4 % Waſſer, 2,1 % organiſche Stoffe, 1,1 % Eiweiß, 13,5 % Extraktivſtoffe, wie 8,5 % Phosphorſäure abgaben, wodurch der Nährwert desſelben nicht weſentlich beeinträchtigt wird. In neuerer Zeit iſt dieſe alte Methode durch zahlreiche Er - findungen weſentlich verändert worden, beſonders durch Hinzufügung anderer Chemikalien, von denen manche auch ſchließlich gar keine waſſer - entziehende Wirkung mehr haben, ſondern eine rein antiſeptiſche. Eine neuere Methode beſteht darin, das Fleiſch erſt luftleer zu machen, um ſo der Kochſalzlöſung das intenſivere Eindringen in die Poren zu er - möglichen, und eine andere empfiehlt zu 80 % Kochſalz, 10 % Kali - ſalpeter und 10 % Salicylſäure hinzuzuſetzen. Zahlreiche andere Methoden empfehlen die Verwendung anderer Chemikalien, und von dieſen ſoll hier nur noch die Wickersheimerſche Flüſſigkeit genannt werden, welche aus einer Löſung von Pottaſche, Kochſalz und Alaun, wie einer zweiten aus Salicylſäure, Methylalkohol und Glycerin beſteht. Die Ver - wendung dieſer Flüſſigkeit geſchieht durch Einſpritzen derſelben.

569Das Fleiſch.

Das Räuchern, deſſen Wirkung bereits vorhin erwähnt wurde, hat nur inſofern Verbeſſerungen erfahren, als der Bau der Raucher - kammern verändert wurde. Dieſe Verbeſſerungen gehen alle darauf hinaus, ſowohl das Feuermaterial rationeller auszunutzen, als auch den Zweck des Räucherns ſelbſt durch die Art des erzeugten Rauches in höherem Maße zu erreichen.

Das Konſervieren des Fleiſches mittels Froſtes hingegen hat in den letzten Jahren, der Vervollkommnung der Eismaſchinen entſprechend, ganz weſentliche Erweiterungen erfahren. Was im nördlichen Rußland von jeher auf natürlichem Wege möglich und üblich war, das Fleiſch in gefrorenem Zuſtande auf ungeheuer weite Entfernungen unverdorben und ſchmackhaft zu Markte zu bringen, iſt jetzt durch künſtliche Er - zeugung der Kälte auch für andere Länder eingeführt, und heute paſſiert das Fleiſch im gefrorenen Zuſtande ſogar die Tropen, denn es wird gefrorenes Fleiſch aus Auſtralien und Südamerika auf dem Londoner Markte verkauft. Die in dieſen Ländern geſchlachteten Tiere läßt man in Schiffen, welche mit großen Kältemaſchinen verſehen ſind, einfrieren, und erhält das Fleiſch durch dieſe Maſchinen während der ganzen Zeit der Reiſe im gefrorenen Zuſtande, in welchem ein Verderben desſelben bekanntlich ganz ausgeſchloſſen iſt.

Die den anderen Nahrungsmitteln entſprechenden Verfälſchungen giebt es bei dem unzubereiteten Fleiſche nicht, wohl aber eine Minder - wertigkeit bezw. direkte Schädlichkeit desſelben durch Behaftung mit Krankheitsſtoffen oder Paraſiten, wie Finnen und Trichinen, endlich kann die Minderwertigkeit auch dadurch bedingt ſein, daß das be - treffende Fleiſch von zu jungen Tieren ſtammt. Als Schutz hiergegen giebt es nur ein wirklich ausreichendes Mittel, und das iſt die obli - gatoriſche Fleiſchbeſchau, welche wiederum nur nach Aufhebung aller Privatſchlachthäuſer und Einrichtung von öffentlichen Schlachthäuſern für eine jede Stadt in genügender Weiſe durchführbar iſt. In den großen Städten ſind dieſe öffentlichen Schlachthäuſer ſchon vielfach ein - geführt, und werden bei dem großen Wert, der heute mit Recht von den Behörden auf Beachtung aller ſanitären Vorſchriften gelegt wird, bald allgemein verbreitet ſein. Dr. Max Weitz.

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VI. Wehr - und Werkzeuge.

1. Die Rohgewinnung der Metalle.

Allgemeines.

Bevor wir die Rohgewinnung der einzelnen Metalle und der Erze, aus welchen ſie gewonnen werden, betrachten, iſt es nötig, einige all - gemeine Begriffe zu erläutern, welche ſich auf alles Nachfolgende gleichmäßig beziehen.

Unter Metallurgie verſtehen wir die Lehre von zahlreichen, teils mechaniſchen, teils chemiſchen Prozeſſen, durch welche die Metalle in den Hüttenwerken aus ihren Erzen dargeſtellt werden. Die nähere Beſchreibung dieſer Prozeſſe nennen wir Hüttenkunde . Es giebt nur ſehr wenige Metalle, welche ſich in der Natur gediegen , d. h. rein finden; die meiſten kommen in Verbindungen mit begleitendem Geſtein und anderen Subſtanzen, wie z. B. ſehr häufig mit Sauerſtoff und Schwefel vor; dieſe Verbindungen der Metalle nennt man Erze .

Die Erze ſind nicht nur mit dem ſie begleitenden Geſtein, der ſog. Gangart oder dem tauben Geſtein gemengt, ſondern auch unter ſich, ſo daß ſie, nachdem ſie losgebrochen und zu Tage gefördert ſind, ſowohl von einander getrennt, als auch von der Gangart gereinigt werden müſſen. Dieſe Trennung und Reinigung geſchieht auf ganz mecha - niſchem Wege und heißt Aufbereitung. Sie beſteht im weſentlichen in Zerkleinern, Auswaſchen und Ausſortieren der einzelnen Stücke nach ihrem Gehalt an taubem Geſtein in verſchiedene Haufen, von denen der reinſte Stuferze genannt gewöhnlich direkt ohne weitere Vorbereitungen in der Hütte verſchmolzen werden kann, während der unreinſte ſo arm an dem zu gewinnenden Metall iſt, daß er überhaupt nicht weiter verarbeitet wird. Dieſe Aufbereitung, früher faſt nur mit den Händen und ſpäter durch Pochwerke, Setzſiebe ꝛc. beſorgt, bedient ſich jetzt im rationellen Betriebe faſt nur der Maſchine. Eine ſolche Maſchine zum Zerbrechen der Erze zeigt Fig. 335. a iſt eine kleine Dampf - maſchine, welche eine ſtarke eiſerne Schwinge b und dieſe wiederum die an ihr hängende Backe c in eine pendelnde Bewegung ſetzt. Die571Allgemeines.ſchwingende Backe c ſteht trichterförmig zur feſtſtehen - den Backe d und zermalmt alle in dieſe trichterförmige Öffnung geworfenen Erz - ſtücke, welche zerkleinert aus der verſtellbaren unteren Öff - nung herausfallen.

Dieſelbe Aufgabe in viel vollkommenerer Art löſt der Deſintegrator von Carr (Fig. 336). Die beiden ein -

Fig. 335.

Steinbrecher.

ander gegenüberſtehenden und mit ſtarken Stahlſtiften beſetzten Scheiben cc1 werden durch die Riemſcheiben AA1 in ſehr ſchnelle und zwar entgegen - geſetzte Rotierung verſetzt. Die zu zerkleinernden Erze fallen durch

Fig. 336.

Deſintegrator von Carr.

den Fülltrichter F zwiſchen die Stahlſtifte, werden von dieſen zerbrochen und zur Thür D hingeſchleudert, aus welcher ſie entfernt werden.

Ein von Siemens & Halske konſtruierter Apparat dient zur Trennung magnetiſcher Erze von nicht magnetiſchen Subſtanzen, z. B. des Magneteiſenſteins von ſeinen Gangarten. Die den Erzen anhaftenden lehmigen Beſtandteile werden unter Zuhilfenahme eines ſtarken Waſſer - ſtrahles durch Waſchapparate verſchiedener Konſtruktion von dieſen ab - geſondert. Auch ein mittelſt Ventilators erzeugter ſtarker Luftſtrom dient zur Trennung des leichteren tauben Geſteines von den ſchwereren Erzen. Dieſe fallen von einer beſtimmten Höhe auf ein ſich horizontal be - wegendes Band und werden im Fallen, wie auf dem Bande ſelbſt, von einem ſtarken Windſtrom, welcher in einer der Bewegung des Bandes entgegengeſetzten Richtung bläſt, ſenkrecht getroffen. Hierbei werden während des Fallens der Staub und die kleineren Stücke des tauben Geſteins entfernt, während auf dem Bande ſelbſt die Erze auf der572Die Rohgewinnung der Metalle.einen, das taube Geſtein aber auf der anderen Seite herabrollen, und ſo die geſamte Maſſe in drei Haufen getrennt wird.

War die Aufbereitung der Erze rein mechaniſcher Art, ſo beſteht die nun folgende Vorbereitung derſelben in chemiſchen Prozeſſen und zwar im Röſten und Brennen. Hierdurch ſollen die Erze aufgelockert, alſo poröſer gemacht werden, um ſo den Gaſen während des Schmelz - prozeſſes zugänglicher zu ſein, oder es ſoll auch ihre chemiſche Zuſammen - ſetzung überhaupt geändert werden. Dieſe Prozeſſe werden in ſog. Röſtöfen vorgenommen, deren Konſtruktion je nach der Art des Erzes verſchieden iſt und daher bei den einzelnen Erzen ſelbſt erwähnt werden ſoll. Sie haben im weſentlichen alle den Zweck, gewiſſe Beſtandteile des Erzes zu verflüchtigen, und zwar, indem ſie die Erze entweder oxydieren, oder reduzieren, oder ſie endlich in Chlormetalle umwandeln. Das Zugutemachen der Erze, d. h. die Gewinnung des Metalles oder einer Verbindung desſelben, iſt der Hüttenprozeß. Hierfür werden ärmere und reichere Erze derſelben Art gemiſcht, welche Arbeit man Gattieren nennt, und durch welche die den Erzen noch anhaftenden Beimengungen zur Schlackenbildung geeignet gemacht werden ſollen. Sehr ſelten iſt dies ohne gewiſſe Zuſätze möglich, und dieſe ſind für den Röſtprozeß andere, als für den Schmelzprozeß und werden Zuſchläge genannt. Schließ - lich giebt man abgeſehen von den für Schachtöfen notwendigen Mengen mit dem Brennmaterial ſelbſt auch noch andere Zuſätze, Flüſſe genannt, welche die Aufgabe haben, das ausgeſchmolzene Erz leichter abzuſcheiden und flüſſig zu machen. Dieſes Gemenge wird in den Schachtofen oder in einen Flammenofen gebracht und hier durch Schmelzen in mehr oder weniger reine Metalle und Schlacken das ſind die Abfälle geſchieden. Bei den Schachtöfen wird das Erz mit dem Brennmaterial gemiſcht in denſelben Raum gebracht, während bei den Flammenöfen das Erz mit dem Brennmaterial ſelbſt nicht in Berührung kommt, ſondern auf einem Herde durch die darüber ſtreichende Flamme erhitzt wird.

Nachdem im vorſtehenden die ſich auf alle Erze gemeinſam be - ziehenden Prozeſſe erklärt ſind, ſoll nun die Rohgewinnung der Metalle ſelbſt für jedes einzelne der in Betracht kommenden beſchrieben werden, und zwar unter Berückſichtigung der Erze, in welchen ſie vorkommen.

a) Unedle Metalle.

Das Eiſen.

Das Eiſen iſt ganz zweifellos das wichtigſte von allen Metallen und unſere geſamte, ſo hoch entwickelte Technik wäre in den allermeiſten Fällen ohne das Eiſen gar nicht denkbar. Dieſe hervorragende Wir - kung verdankt das Eiſen ſowohl ſeinem häufigen Vorkommen, als auch ſeinen Eigenſchaften, welche es befähigen, unter ganz verändertem573Das Eiſen.Charakter ſehr verſchiedenen Zwecken zu dienen. Dieſe verſchiedenen Modifikationen des Eiſens reſultieren aus ſeinem Kohlenſtoffgehalte, und nach demſelben unterſcheidet man abgeſehen von chemiſch reinem Eiſen, welches für die Technik keine Bedeutung hat drei Arten, nämlich das Roheiſen mit 5 % Kohlenſtoff, das Schmiedeeiſen mit höchſtens 0,5 % Kohlenſtoff und endlich den Stahl mit 0,5 bis 1,5 % Kohlenſtoff.

Vorkommen. Die Eiſenerze beſtehen hauptſächlich aus Ver - bindungen des Eiſens mit Sauerſtoff Oxyde oder Schwefel Schwefelmetalle in ſehr verſchiedenem Verhältnis, von denen für die Verhüttung nur die Oxyde in Betracht kommen. Gediegen, d. h. rein findet ſich das Eiſen nur ſehr ſelten in den Meteorſteinen. Da bei Nennung der die Verhüttung lohnenden Erze ſtets die quantitative Zuſammenſetzung ſehr wichtig iſt denn nur durch dieſe unterſcheiden ſich z. B. faſt alle nachſtehend erwähnten Eiſenoxyde von einander ſo iſt die Nennung der chemiſchen Formel hierbei nicht zu umgehen und wird bei allen Erzen angegeben werden. Dieſe Angaben werden aber durchaus verſtändlich ſein, da nicht unterlaſſen werden ſoll, jede neu erwähnte Bezeichnung zu erläutern; ſo ſei hier gleich bemerkt, daß die Formel für Eiſen Fe (von ferrum abgeleitet) und diejenige für Sauerſtoff O (von oxygenium abgeleitet) iſt.

Die wichtigſten Eiſenerze ſind:

1. Magneteiſenſtein Fe3O4 enthält 72 % Eiſen, iſt magnetiſch und wird in Dannemora in Schweden gefunden.

2. Eiſenglanz Fe2O3 findet ſich in Elba (Böhmen) und in Schweden.

3. Roteiſenſtein Fe2O3 kommt in Sachſen, im Harz und in Naſſau vor, häufig mit faſerigem Gefüge, in welchem Falle er roter Glaskopf oder Blutſtein genannt wird.

4. Spateiſenſtein FeCO3 (d. h. kohlenſaures Eiſenoxydul) findet ſich in Stahlberg bei Müſen, Steiermark, Kärnthen, Schottland und Weſtfalen; auch mit Kohle und Schieferthon vermengt unter dem Namen Blackband.

5. Brauneiſenſtein H6Fe4O9 (H bedeutet Waſſerſtoff von hydro - genium abgeleitet) iſt ſehr verbreitet und wird in nierenförmiger Geſtalt mit faſeriger Struktur ebenfalls Glaskopf genannt.

6. Gelbeiſenſtein iſt eine thonige Varietät des vorigen.

7. Bohnerz beſteht aus Kieſelſäure, Eiſenoxydul und Waſſer und bildet längliche Körner.

8. Raſeneiſenſtein endlich, auch Wieſen -, Moraſt - oder Sumpferz genannt, findet ſich viel verbreitet in der norddeutſchen Ebene, als ſehr jugendliches Gebilde, welches auch jetzt noch im Entſtehen begriffen iſt.

Darſtellung. Der Hochofenprozeß, durch welchen das Roheiſen gewonnen wird, hat die Aufgabe, das Eiſenoxyd zu reduzieren, d. h. den Sauerſtoff desſelben zu entfernen und die Beimengungen der Erze wie Thon, Kieſelſäure ꝛc. von denſelben als Schlacken zu trennen.

574Die Rohgewinnung der Metalle.

Der Hochofen (Fig. 337) iſt ein Schachtofen, welcher aus zwei konzentriſch gebauten und aus feuerfeſtem Material gemauerten Schächten beſteht, nämlich dem Kernſchachte B und dem ihn umgebenden Rauh - ſchachte A. Der Zwiſchenraum zwiſchen dieſen beiden Schächten iſt mit ſchlechten Wärmeleitern ausgefüllt aus den S. 266 angeführten Gründen. Dieſer bildet zwei Kegel, welche mit der Baſis aufeinander ruhen, und haben die einzelnen Teile derſelben, in welchen ganz verſchiedene Tempera - turen herrſchen, beſtimmte Namen. Der Raum von D bis E wird die Raſt genannt, der von C bis D der Kohlenſack oder Bauch, der von

Fig. 337.

Hochofen.

B bis C der Schacht und die Öffnung bei A die Gicht. Die Raſt ſteht auf dem Geſtelle F, welches bei G durch die Herdſohle abge - ſchloſſen wird. Die Vorderſeite des Geſtelles iſt durchbrochen und wird durch den Wallſtein M begrenzt, in welchem die während des Betriebes mit Thon geſchloſſene Abſtichöffnung angebracht iſt, und über welchem der Tümpelſtein liegt. Nach beendigtem Prozeſſe wird die Abſtich - öffnung durchſtoßen, ſo daß das geſchmolzene Eiſen, welches ſich hier angeſammelt hat, abfließen kann. Das auf der entgegengeſetzten Seite einmündende Rohr führt die Luft des Gebläſes von unten in die575Das Eiſen.Flamme und ſo dem Ofen die zur Erzielung der hohen Temperatur notwendige Sauerſtoffmenge zu. P iſt die Gichtbrücke, von welcher aus der Hochofen beſchickt wird.

Für die im Innern des Ofens vorgehenden Prozeſſe können fünf verſchiedene Zonen mit nach unten zu ſteigenden Temperaturen unter - ſchieden werden. In der Vorwärmezone (Fig. 338) wird die Beſchickung getrocknet und vorgewärmt; bei 400° C. gelangt ſie in die Re - duktionszone, wo das Eiſenoxyd durch das hier vorhandene Kohlen - oxyd und Waſſerſtoffgas zu metalliſchem Eiſen reduziert wird. In der Kohlungszone nimmt das Eiſen bei 1000 bis 1200° C. Kohlen - ſtoff auf, und wird dadurch ſtahl - haltig, um endlich in der Schmelz - zone bei 1600 bis 1800° C. Roh - eiſen zu werden. In der Ver - brennungszone trifft die eingeblaſene atmoſphäriſche Luft auf den bei 2000 bis 2650° C. glühenden Kohlenſtoff und verbrennt ihn zu Kohlenſäure. Dieſe ſteigt nach oben und wird beim Paſſieren der Schmelzzone durch die in dieſer glühende Kohle zu Kohlen - oxyd reduziert, und dieſes reduziert wiederum in der Kohlungs - und Reduktionszone das Eiſenoxyd zu

Fig. 338.

Schema eines Hochofens.

metalliſchem Eiſen, indem es durch den Sauerſtoff desſelben wiederum zu Kohlenſäure oxydiert wird. Die gleichfalls hier reduzierend wirkenden Kohlenwaſſerſtoffgaſe bilden ſich aus dem Kohlenſtoff des Brennmaterials und aus dem Waſſerſtoff der mit der Luft eingeführten Feuchtigkeit. Alle anderen ſich bildenden Verbrennungsgaſe entweichen durch die Gicht als ſog. Gicht - oder Hochofengaſe, welche aber nicht verloren gegeben werden, ſondern zum Erwärmen der Gebläſeluft, zum Röſten der Eiſenſteine ꝛc. Verwendung finden.

Während ſich nun auf der Sohle des Herdes das reduzierte, ge - ſchmolzene Eiſen anſammelt, wird es von der ſich bildenden Schlacke hautartig überzogen und dadurch gleichzeitig vor einer neuen Oxy - dation durch die vom Gebläſe zugeführte Luft geſchützt. Nach been - digtem Prozeß wird die Schlacke über dem Wallſtein abgezogen und ſchon ihre Farbe läßt erkennen, ob der Hochofenprozeß gut verlaufen iſt, bezw ob die Miſchungsverhältniſſe der Beſchickung richtige waren. Das Reſultat iſt um ſo beſſer, je weniger Eiſenoxydul die Schlacke enthält und in demſelben Maſſe iſt auch ihre Farbe heller. Das ge -576Die Rohgewinnung der Metalle.wonnene Roh - oder Gußeiſen läßt man in langen Formſandkanälen oder in flachen eiſernen Vertiefungen erkalten. Das Roh - oder Guß - eiſen enthält außer dem Kohlenſtoff noch geringe Mengen von Kieſel, Schwefel und Phosphor, ſelten auch Stickſtoff.

Eigenſchaften. Die Art, wie es den Kohlenſtoff enthält, iſt ent - ſcheidend für ſeine Eigenſchaften, und danach unterſcheidet man drei Arten von Roheiſen. In dem weißen Roheiſen iſt der Kohlenſtoff chemiſch gebunden, es iſt hart, ſpröde und von ſtarkem weißen Glanz, deſſen beſte Sorte Spiegeleiſen genannt wird, und hauptſächlich zur Gewinnung von Stabeiſen und Rohſtahl dient. Das graue Roheiſen enthält den Kohlenſtoff nur mechaniſch als Graphit beigemengt, iſt nicht ſo hart als das vorige und hat eine hellgraue bis ſchwarzgraue Farbe; es wird beſonders zu Gußwaren verwendet. Drittens endlich, das halbierte Roheiſen, iſt ein Gemenge der beiden vorher genannten. Alle drei Arten ſind ſchmelzbar, aber nicht ſchweiß - oder ſchmiedbar, ſpröde und nicht elaſtiſch.

Aus dem weißen Roheiſen wird das Schmiedeeiſen, auch Stab - oder Friſcheiſen genannt, gewonnen, und zwar, indem man demſelben den Kohlenſtoff bis auf wenigſtens 0,5 % entzieht. Dieſes Austreiben des Kohlenſtoffes geſchieht in hoher Temperatur durch den Sauerſtoff der atmoſphäriſchen Luft, indem dieſelbe den vorhandenen Kohlenſtoff zu Kohlenſäure oder Kohlenoxydgas oxydiert, welche entweichen. Gleich - zeitig wird aber auch ein Teil des Eiſens zu Eiſenoxydul oxydiert, und dieſes bildet mit dem ebenfalls zu Kieſelſäure oxydierten Kieſel kieſel - ſaures Eiſenoxydul, welches als Schlacke entfernt wird. Dieſe Her - ſtellung des Schmiedeeiſens kann nach zwei Methoden bewerkſtelligt werden, und zwar entweder auf Herden im ſog. Friſchprozeß oder in Flammenöfen im ſog. Puddlingsprozeß .

Der Friſchherd (Fig. 339) bildet bei a einen tiefen, mit eiſernen Platten ausgelegten Herd, in welchen die Düſe eines Gebläſes c führt.

Fig. 339.

Friſchherd.

Dieſer Düſe gegenüber - liegend, befindet ſich ein höher liegender Herd b, in welchen das Roheiſen gebracht wird, und von dem es geſchmolzen, lang - ſam nach dem tiefer liegen - den Herd a abtropft. Beim Fallen der einzelnen Tropfen durch die Luft gehen die vorher beſchriebenen Oxydationen vor ſich, und auch hier ſchützt die Schlacke durch Bedecken des flüſſigen Eiſens im Herde a dasſelbe vor weiterer Oxydation. Dieſe Schlacke wird nach beendetem Prozeß abge - zogen und Garſchlacke genannt, ſie enthält ziemlich viel Eiſenoxydul und wird als Zuſatz bei der nächſten Operation benutzt. Der letzte577Das Eiſen.Reſt der Schlacke aus der entkohlten Eiſenmaſſe, jetzt Luppe oder Wolf genannt, wird durch Auspreſſen unter dem Dampfhammer entfernt.

Der Flammenofen für den Puddlingsprozeß iſt ein überdeckter Herd, in welchem fortwährend atmoſphäriſche Luft auf das geſchmolzene Roheiſen ſtrömt, während auf der Herdſohle das flüſſige Eiſen mit Krücken umgerührt gepuddelt wir. Hierbei bildet ſich zuerſt Eiſenoxydul und giebt dann ſeinen Sauerſtoff an den Kohlenſtoff ab, welcher zu Kohlenoxyd verbrennt. In demſelben Maße, wie die Ent - kohlung fortſchreitet, wird die Eiſenmaſſe zäher und dickflüſſiger, bis ſie ſchließlich mittels der Krücken zu mehreren Ballen zuſammengehäuft werden kann. Die Schlacke wird von Zeit zu Zeit abge - laſſen und hier der Reſt der - ſelben unter dem Dampf - hammer herausgepreßt, wobei die Luppen gleichzeitig dichter werden.

Die Handarbeit beim Puddeln wird beim rotieren - den Puddelofen von Danks durch Maſchinenkraft erſetzt; Fig. 340 ſtellt den Vertikal - ſchnitt, Fig. 341 die Vorder -

Fig. 340.

Puddelofen (Vertikalſchnitt).

anſicht dieſes Ofens dar. A iſt der Herd mit dem Roſt für die Feuerung, in welchen die Luft eingeblaſen wird. B iſt der Drehherd, der auf zwei Rollen läuft und mit dem Zahnrad E, welches durch das kleine Zahnrad F in Bewegung geſetzt wird, feſt verbunden iſt.

Fig. 341.

Puddelofen (Vorderanſicht).

Das Buch der Erfindungen. 37578Die Rohgewinnung der Metalle.Dieſer Drehherd iſt aus gußeiſernen Platten zuſammengeſetzt und in - wendig mit feuerfeſtem Material ausgekleidet; D iſt der Schornſtein, durch welchen die Verbrennungsgaſe entweichen.

Eigenſchaften. Das ſo erhaltene Schmiedeeiſen enthält nur 0,1 bis 0,5 % Kohlenſtoff, ſchmilzt erſt bei 1500 bis 1600° C., hat eine hellgraue Farbe, ein ſpezifiſches Gewicht von 7,7, iſt hämmerbar, dehnbar und ſchweißbar, d. h. es laſſen ſich zwei oder mehrere Stücke im weißglühenden Zuſtande unter dem Hammer zu einem vereinigen. Es hat eine ſehnige Struktur, welche es ſehr feſt macht, aber leider bei anhaltender Erſchütterung wie z. B. bei den Eiſenbahn - achſen in eine viel leichter brechende, körnige Struktur übergeht. Ge - wiſſe Verunreinigungen beeinträchtigen die Feſtigkeit des Eiſens ſehr, ſo macht es z. B. Schwefel und Arſen rotbrüchig , d. h. es zerbröckelt, wenn es rotglühend gehämmert wird; Kieſel macht es faulbrüchig , d. h. hart und mürbe, und endlich eine kleine Menge Phosphor kalt - brüchig , d. h. es bricht durch Stoß und Schlag oder beim Biegen.

Der Stahl enthält 1 bis 1,5 % Kohlenſtoff, ſteht alſo mit ſeinem Kohlenſtoffgehalt zwiſchen dem Roh - und dem Schmiedeeiſen, und damit iſt gleichzeitig auf die Methoden ſeiner Gewinnung hingedeutet. Man entkohlt nämlich das Roheiſen und gewinnt den ſog. Roh - oder Schmelz - ſtahl, oder man vermehrt den Kohlenſtoffgehalt des Schmiedeeiſens, wie bei Gewinnung des Cement - oder Brennſtahls, und endlich kann man Roh - und Schmiedeeiſen im richtigen Verhältnis zuſammen - ſchmelzen und dadurch den Kohlenſtoffgehalt des Stahles erzielen.

Der Rohſtahl durch teilweiſe Entkohlung des Roheiſens ge - wonnen kann wiederum nach drei verſchiedenen Methoden dar - geſtellt werden, nämlich im Friſchverfahren, im Puddlingsverfahren oder nach dem Beſſemerprozeß. Je nach dem angewendeten Verfahren nennt man den gewonnenen Stahl Friſchſtahl, Puddelſtahl oder

Fig. 342.

Beſſemerbirne (Vertikalſchnitt).

Beſſemerſtahl, und ſoll hier nur die letzte Methode beſchrieben werden, da die erſten beiden dieſelben ſind, wie bei der Gewinnung des Schmiedeeiſens aus dem Roheiſen, nur mit dem Unterſchiede, daß die Entkohlung des Roheiſens nicht bis zu Ende durchgeführt, und dieſes unter dem Winde vorgenommen wird.

Nach dem Beſſemer-Verfahren wird der Kohlenſtoff des Roheiſens in der Weißglüh - hitze mit dem Sauerſtoff der Luft in Ver - bindung gebracht. Dies geſchieht in der ſog. Beſſemerbirne oder dem Converter, welcher uns Fig. 342 im Vertikalſchnitt zeigt, und welcher mit feuerfeſtem Thon ausgekleidet, auf dem Boden für den Eintritt der zugeführten Luft ein Syſtem von Öffnungen beſitzt. Iſt579Das Eiſen.der Prozeß beendet, ſo wird der Inhalt des Converters ausgegoſſen und iſt derſelbe zu dieſem Zweck bei d (Fig. 343) in einer Achſe dreh - bar aufgehängt. In dieſer Zeichnung iſt auch das Rohr D ſichtbar, welches den ſehr ſtark gepreßten Luftſtrom in den Converter leitet. Durch den in der atmoſpäriſchen Luft zugeführten Sauerſtoff werden in den erſten 8 10 Minuten Schlacken gebildet; dieſe geben in den darauf folgenden 6 bis 8 Minuten ihren Sauerſtoff an den Kohlen - ſtoff des Roheiſens ab und oxydieren denſelben zu Kohlenoxydgas. In den darauf folgenden 20 Minuten wird der Reſt des Kohlen - ſtoffes verbrannt und nachdem der Wind abgeſtellt iſt, die Birne

Fig. 343.

Beſſemerbirne.

umgeklappt, um ihr noch ca. 10 % geſchmolzenes Spiegeleiſen zu - zuſetzen. Nun wird der Wind noch einmal angelaſſen und nach kurzer Zeit iſt der Prozeß, deſſen Beendigung man an ſeiner Flamme mittels Spektralapparates erkennt, vollendet. Dieſes Verfahren iſt zweifellos das rationellſte von allen zur Stahlbereitung angewendeten, denn nach dem - ſelben produziert man 10 12000 kg in weniger als einer Stunde, in welcher Zeit im Puddelofen nur ca. 50 kg produziert werden. Hieran ſchließt ſich das von Uchatius angegebene Verfahren, wonach der ſog. Uchatiusſtahl direkt aus dem Roheiſen dargeſtellt wird, indem das aus Magneteiſenſtein dargeſtellte Roheiſen mit Spateiſenſteinpulver be - ſchickt im Graphittiegel geſchmolzen wird. Nach Martin wird das Schmelzen nicht mehr in Tiegeln, ſondern auf der muldenförmigen Sohle eines Flammenofens mit Hilfe eines Siemensſchen Regenerativ - Gasofens ausgeführt. Der ſo gewonnene Stahl hat unter dem Namen37*580Die Rohgewinnung der Metalle. Martinſtahl oder auch Flußſtahl eine große Bedeutung erlangt. Der Tunnerſche Glühſtahl, auch hämmerbares Gußeiſen genannt, wird ohne Schmelzung durch Glühen aus weißem Roheiſen mit Sauerſtoff - abgebenden Subſtanzen, wie Eiſenoxyd, Braunſtein, Zinkoxyd ꝛc. dar - geſtellt. Heaton friſcht das Roheiſen mit Natronſalpeter und entkohlt hierdurch dasſelbe nicht nur, ſondern treibt gleichzeitig auch Phosphor und Schwefel in die Schlacke; dieſer Stahl wird Heatonſtahl genannt.

Die Fabrikation des Cementſtahls, durch Vermehrung des Kohlen - ſtoffgehaltes des Schmiedeeiſens dargeſtellt, beſteht darin, daß man Schmiedeeiſen in Käſten von feuerfeſtem Thon in Kohlepulver ſog. Cementierpulver lagert und dieſe Käſten, luftdicht verſchloſſen, längere Zeit in einem Ofen erhitzt. Bei der dritten Art der Stahlgewinnung wird einfach gutes Schmiedeeiſen mit Spiegeleiſen zuſammengeſchmolzen.

Die ſo gewonnenen Stahlſorten ſind in ihrer Maſſe nicht homogen und müſſen deshalb noch weiter verarbeitet werden. Sie werden in Stücke geſchlagen, zu flachen dünnen Stäben ausgereckt und weiß - glühend wieder zuſammengeſchweißt; ſo behandelt, geben ſie den Gerb - ſtahl. Der Gußſtahl hingegen wird durch Umſchmelzen in feuerfeſten Tiegeln ohne Gebläſe erzeugt.

Eigenſchaften. Der Stahl iſt der feſteſte aller Eiſenarten, von grauweißer Farbe, ſehr feinkörnig und höchſt politurfähig. Sobald man ihn glühend ſchnell in kaltes Waſſer taucht, wird er ſehr hart und elaſtiſch, welche Eigenſchaften bei nochmaligem Erhitzen und lang - ſamem Abkühlen wieder verloren gehen. Der polierte Stahl nimmt beim Erhitzen an der Luft verſchiedene Farben an, welche Operation man das Anlaſſen des Stahles nennt; bei 200° C. wird er blau - gelb, bei 240° ſtrohgelb, bei 260° purpurrot, bei 280° hellblau, bei 300° dunkelblau und bei 320° endlich ſchwarzblau.

Die bereits vorher erwähnten Gasgeneratoren, welche ein gas - förmiges[Brennmaterial] liefern, indem ſie aus der Steinkohle Kohlen - oxyd entwickeln, finden immer mehr Aufnahme und werden zu den vorſtehend beſchriebenen Prozeſſen bei den Puddel - und Schweißöfen jetzt viel verwendet, da man die hierbei erzeugte Flamme, je nach Re - gulierung der Luftzufuhr beliebig zu einer oxydierenden oder redu - zierenden machen kann. Auch ſind mit den wachſenden Dimenſionen der Hochöfen die Konſtruktionen der Gebläſemaſchinen weſentlich ver - beſſert worden, und heute liefern dieſelben 100 cbm Wind in der Minute von einer Preſſung, welche einer Queckſilberſäule von 22 cm Höhe das Gleichgewicht hält. Fig. 344 zeigt eine ſolche Balancier - Gebläſemaſchine, in welcher der Dampfcylinder c den Balancier d in Bewegung ſetzt, wodurch wiederum der Kolben im Luftcylinder a die Luft durch das Windrohr b in ein Reſervoir preßt, wo dieſelbe vor der weiteren Verwendung wie weiter unten näher beſchrieben vorgewärmt wird. Ein Schwungrad e mittels Pleuelſtange an d befeſtigt reguliert die Gleichmäßigkeit der Bewegung.

581Das Eiſen.
Fig. 344.

Balancier-Gebläſemaſchine.

Schon vorher war geſagt, daß die abziehenden Gichtgaſe benutzt werden, um durch ihre hohe Temperatur die durch das Gebläſe zu - geführte Luft vorzuwärmen, was, wie leicht einzuſehen iſt, eine große Erſparnis an Brennmaterial bedeutet. Es geſchah dies größtenteils durch ſog. Röhrenapparate, welche den kalten Wind durch von den Feuergaſen von außen umſpielte Röhren ſtreichen ließen. Neuerdings ſind dieſe Röhrenapparate durch den Whitwellſchen oder auch Regenerator - Winderhitzungsapparat genannt, faſt vollſtändig verdrängt. Dieſer Apparat beſteht aus zwei großen gemauerten Kammern, welche zwiſchen der Gebläſemaſchine und dem Hochofen eingeſchaltet ſind und durch582Die Rohgewinnung der Metalle.Ventile die Richtung des Windes und der Gichtgaſe ſo regulieren laſſen, daß ſie abwechſelnd bald die eine, bald die andere der Kammern durchſtreichen. Man läßt nun erſt die Gichtgaſe die eine der Kammern heizen, führt dann die Gebläſeluft durch dieſelbe, während welcher Zeit durch Umſtellung der Ventile die Gichtgaſe die zweite Kammer heizen. Iſt dieſe nun heiß und die erſte durch die durchſtreichenden Luftmengen wieder abgekühlt, ſo werden die Ventile wieder umgeſtellt, ſo fort und fort ſtets heiße Luft dem Hochofen ꝛc. zuführend. Um die Hitze des Gicht - gaſes möglichſt rationell auszunutzen, werden möglichſt viele Wände in die Kammern ſo eingebaut, daß die Gaſe an allen vorbeiſtreichen müſſen, und zeigt Fig. 345 Vertikalſchnitt und Anſicht einer ſolchen Gebläſekammer. Die Gichtgaſe treten bei b in die Kammer ein und werden unter Luftzutritt hier verbrannt, um, nachdem ſie die Kammer bei a in der Richtung der Pfeile durchſtrichen haben, bei e

Fig. 345.

Gebläſekammer.

in den Schornſtein zu gelangen. Iſt die Kammer genügend heiß ge - worden, ſo tritt nach Umſtellung der Ventile die Gebläſeluft bei e ein, durchſtreicht die Kammer in entgegengeſetzter Richtung, um bei d aus - tretend ca. 700° C. heiß in die Hochöfen ꝛc. zu ſtrömen.

Die neueren Hochöfen haben anſtatt der vorher beſchriebenen Rauh - mauern jetzt Eiſenmäntel und ſtehen auf gußeiſernen Säulen. Mehrere ſolcher Hochöfen werden nebeneinander errichtet, und zeigt Fig. 346 acht ſolcher Hochöfen, welche in der Grafſchaft Cumberland in Eng - land auf dem Furneßwerk ſtehen und täglich 14000 Zentner Roh - eiſen produzieren. Die hierbei ſichtbaren, ſchiefen Ebenen dienen zum Aufziehen der Beſchickung, denn auch dieſe Aufzüge haben mit der Zu - nahme der Höhe der Hochöfen bis zu 25 m manche Veränderung er - fahren. Büttgenbach läßt auch noch den eiſernen Mantel der Hoch - öfen fort, um beſſer den Schacht an jedem Punkte des Geſtelles kon - trollieren zu können und legt das Gichtplateau auf hohle eiſerne Säulen, welche gleichzeitig als Ableitungsröhren für die Gichtgaſe583Das Eiſen.

Fig. 346.

Hochöfen des Furneßwerkes.

dienen. Um die Gichtgaſe, welche immer rationeller ausgenützt werden, abzufangen, hat man zahlreiche Apparate konſtruiert, von denen hier der Hoffſche Apparat erwähnt werden möge.

Die ſehr ſchwierige Aufgabe, auch die letzten Reſte Phosphor, welcher wie vorher angegeben das Eiſen kaltbrüchig macht, aus dem Eiſen zu entfernen, haben Thomas und Gilchriſt gelöſt. Sie verwarfen die bisher benutzte Ausmauerung des Convertes im Beſſemer-Prozeß, welche aus kieſelſäurehaltigen Subſtanzen beſtand und wendeten dafür baſiſche Subſtanzen an, indem ſie ſehr richtig an - nahmen, daß der durch die hohe Temperatur und den Sauerſtoff der atmoſphäriſchen Luft zu Phosphorſäure oxydierte Phospor des Eiſens, als phosporſaures Salz in die Schlacke gehen würde, wenn die Phosphorſäure eine Baſe fände, mit der ſie ſich verbinden könnte. Zur Ausmauerung nimmt man deshalb jetzt den Dolomit, eine Miſchung von kohlenſaurem Kalk und kohlenſaurer Magneſia und giebt um dieſe Ausmauerung nicht zu ſchnell abzunutzen, denn ſie muß ergänzt werden, wenn die Baſen aufgebraucht ſind noch überdies Dolomit oder Kalk zu den Zuſchlägen. Aller Phosphor geht auf dieſe Weiſe als phosphorſaurer Kalk und phosphorſaure Magneſia in die Schlacken, und dieſe bilden fein gemahlen ein von der Landwirtſchaft ſehr be - gehrtes Dungmaterial. (Siehe Die künſtlichen Düngeſtoffe. ) Zur ferneren Schonung der Ausmauerung wird der Zuſatz von 3 % Silicium welches ſich ja ebenfalls, zu Kieſelſäure oxydiert, mit den Baſen verbindet fortgelaſſen, und der Phosphor erſetzt ihn als für den Beſſemerprozeß ſo notwendigen Wärmeentwickler vollkommen.

584Die Rohgewinnung der Metalle.

Zur Reinigung von Eiſen und Stahl ſind zahlreiche Patente er - teilt, welche im weſentlichen alle zu dem geſchmolzenen Eiſen und Stahl gewiſſe Beimengungen geben, mit welchen ſich die Verunreinigungen des Eiſens verbinden ſollen. So wird z. B. auf 160° erhitztes Blei - amalgam hinzugefügt, oder auch das Eiſen und der Stahl werden in Tiegeln oder anderen Behältern geſchmolzen, welche mit gewiſſen Kom - poſitionen, wie z. B. aus Mennige, Zinnober und Formſand ꝛc. be - ſtehend ꝛc., ausgefüttert ſind.

Geſchichtliches. Das Eiſen iſt ſeit den älteſten Zeiten bekannt, denn ſchon Moſes ſpricht von eiſernen Waffen und aus einer Stelle im Homer ſcheint hervorzugehen, daß auch das Meteoreiſen ſeinen Zeit - genoſſen bereits bekannt war.

Legierungen. Das Eiſen wird in neuerer Zeit viel mit anderen Metallen legiert, d. h. gemiſcht, ſo z. B. mit Nickel, Kupfer, Zink, Zinn, Blei, Antimon, Kobalt und Aluminium. Dieſe Legierungen ſind bei den anderen Metallen, beſonders beim Kupfer, beſchrieben.

Das Kobalt.

Vorkommen. Das Kobalt findet ſich gediegen nur im Meteor - eiſen und iſt in den wichtigſten, zur Verhüttung gelangenden Kobalt - erzen ſtets von Arſen deſſen chemiſche Formel As iſt be - gleitet. Dieſe Erze ſind Arſenkobalt Co2As3, Speiskobalt CoAs2, Glanzkobalt CoAsS (S iſt die Formel für Schwefel) und Kobaltblüte Co3As2O8 + 8H2O (H2O iſt die Formel für Waſſer).

Darſtellung. Dieſe Erze werden, nachdem ſie geröſtet und ge - pulvert ſind, mit ſaurem ſchwefelſaurem Kalk erhitzt. Hierbei bildet ſich ſchwefelſaures Kobaltoxydul, welches löslich iſt und daher mit Waſſer leicht ausgezogen werden kann. Setzt man nun zu dieſer Löſung ſaures oxalſaures Kali, ſo fällt oxalſaures Kobaltoxydul von ſchwach roſenroter Farbe heraus. Dieſes oxalſaure Kobaltoxydul wird unter Luftabſchluß geglüht und liefert hierbei das Metall. Haben die ver - hütteten Erze auch Kupfer und Wismut enthalten, ſo finden ſich dieſe Metalle in der wäſſrigen Löſung des ſchwefelſauren Kobaltoxyduls, aus welcher ſie vor der weiteren Behandlung derſelben mittelſt Schwefel - waſſerſtoff als Schwefelmetalle gefällt und dann ſo weiter behandelt werden, wie es bei Abhandlung dieſer Metalle näher beſchrieben werden ſoll.

Eigenſchaften. Das Kobalt hat eine rötliche, ſtahlgraue Farbe, ein ſpezifiſches Gewicht von 8,7, ſchmilzt erſt bei ſehr hoher Temperatur, iſt ſchmiedbar und magnetiſch. Sehr viele Kobalterze enthalten 35 % Nickel und werden dann Zaffer oder Safflor genannt. In der Technik findet das Kobalt keine Verwendung.

Geſchichtliches. Schon die Alten kannten die Kobalterze und ihre Eigenſchaft, Glasflüſſe blau zu färben. Das Metall jedoch585Das Kobalt. Das Nickel.in unreinem Zuſtande ſtellte Brand 1733 dar; die Reindarſtellung und namentlich die Scheidung von Nickel gaben erſt Liebig und Wöhler an.

Das Nickel.

Vorkommen. Auch das Nickel findet ſich gediegen nur im Meteoreiſen und iſt ein ſteter Begleiter des Kobalts. Das wichtigſte ſeiner Erze iſt das Kupfernickel, NiAs. Dieſe Formel zeigt, daß es nur aus einem Teil Nickel und einem Teil Arſen beſteht, alſo gar kein Kupfer enthält, und ſtammt der Name Kupfernickel auch nur von ſeiner kupferroten Farbe her, welche die Bergleute früherer Zeit täuſchte und ſie glauben machte, daß ſie es mit einem Kupfererze zu thun hätten. Andere Nickelerze ſind Nickelglanz NiAsS, Haarkies NiS, Antimonnickel NiSb (Sb, abgeleitet von stibium, iſt die Formel des Antimons), Weißnickel NiAs3 ꝛc.

Darſtellung. Das Nickel wird als Metall in derſelben Weiſe, wie vorher beim Kobalt beſchrieben, gewonnen. Dieſer Gewinnung geht aber meiſt erſt ein Konzentrationsſchmelzen voraus, bei welchem man, wenn die Erze Schwefel enthalten, Schwefelarſen und, wenn ſie Arſen enthalten, das Arſen als Konzentrationsmittel verwendet. Das hierbei erhaltene Produkt nennt man im erſten Falle Stein und im zweiten Falle Speiſe .

Nach einem an Wiggin und Johnſtone erteilten Patent kann Nickel und Kobalt auch auf elektrolytiſchem Wege dargeſtellt werden. Das Kupfer wird danach aus den Löſungen dieſer Metalle, welche beſonders als Chloride verwendet werden, durch Elektrolyſe entfernt. Die Eintritts - ſtelle beſteht aus Kohle oder unreinem Nickel, die Austrittsſtelle aus Kupfer oder Meſſing. Der Prozeß erfolgt in einer Reihe von Gefäßen, welche die Löſung nach einander durchfließt, wobei das an der Anode frei werdende Chlor mittels einer Haube oder ähnlichen Vorrichtung auf - gefangen wird. Nach einem an D. Mendeleff erteilten Patent, werden die Nickel - und Kobalterze in einem geſchloſſenen und erhitzten Raume mit gasförmigen Kohlenwaſſerſtoffen behandelt, gepulvert und mit Waſſer zu einem konſiſtenten Brei verrührt, aus welchem man dann die metalliſchen Partikel mittels eines elektro-magnetiſchen Separators abſcheidet.

Nach dem Patent von W. Brondreth werden die zerkleinerten Erze mit 25 % gepulvertem Graphit gemiſcht und ein geeignetes Flußmittel zugegeben. Dieſes Gemenge wird in einem Ofen mit einem Herde aus Graphit geſchmolzen und das Metall abgezogen. Das im Converter erzeugte Nickel iſt nicht ganz rein, ſondern enthält 92 bis 98 % Nickel; es muß daher vor ſeiner Verwendung noch raffiniert werden. Dies geſchieht nach einem Patente von P. Mauhès, indem man das in Platten von 10 mm Stärke gegoſſene Rohnickel in oxydierender Flamme 6 bis 10 Stunden glüht, nachdem man etwas Salpeter auf die Platten gegeben hat. Die ſo oxydierten Platten werden dann im586Die Rohgewinnung der Metalle.Tiegel oder im Flammofen unter Zuſatz eines alkaliſchen Flußmittels, z. B. Borax, geſchmolzen. Während des Schmelzens nun werden alle Stoffe oxydiert, die leichter oxydierbar ſind, als das Nickel ſelbſt, z. B. Schwefel zu ſchwefliger Säure und Eiſen zu Eiſenoxyd, welche ſich in dem Flußmittel auflöſen.

Nickel und Kobalt in ſehr konzentrierten Löſungen vollkommen eiſenfrei zu gewinnen, iſt nach dem Patent von W. Schoeneis möglich. Die ſchwefel - und arſenhaltigen Erze werden gut geröſtet, die oxydiſchen Erze hingegen zur Vertreibung des hygroſkopiſchen Waſſers nur ge - glüht. Das Röſtgut wird hierauf gemahlen, mit Eiſenchlorür gemiſcht, mit einer Eiſenchlorürlöſung angefeuchtet und getrocknet. Nun wird die Maſſe gut geglüht, wobei die zu gewinnenden Metalle in Chlorüre übergehen und in Waſſer gelöſt werden können, um dann wie vorher beſchrieben weiter bearbeitet zu werden.

Eigenſchaften. Das Nickel iſt faſt ſilberweiß mit einem geringen Stich ins Gelbliche, es hat ein ſpezifiſches Gewicht von 8,9 bis 9,2, iſt ſehr politurfähig, walzbar und ſchmiedbar und läßt ſich zu Draht ziehen. Seine Zähigkeit verhält ſich zu der des Eiſen wie 9: 7, es iſt aber gegen chemiſche Agentien und Witterungseinflüſſe viel widerſtands - fähiger als das Eiſen. Es findet in der Technik zahlreiche Ver - wendungen, ſo z. B. zur Darſtellung von Legierungen (das Neuſilber oder Argentan beſteht aus 60 % Kupfer, 30 % Zink und 10 % Nickel) zum Überziehen anderer Metalle, zur Darſtellung der Scheidemünzen im Deutſchen Reich, in der Schweiz, in Belgien, in den Vereinigten Staaten und in der Republik Honduras.

Geſchichtliches. Cronſtedt und Bergmann erkannten 1731 das Nickel als eigentümliches Metall.

Legierungen. Das Nickel wird viel zu Neuſilber oder Argentan, welches beim Kupfer näher beſchrieben werden ſoll, verwendet. Eine neue Legierung von Eiſen und 2,5 50 % Nickel iſt J. F. Hall darzuſtellen gelungen, während bisher höchſtens 3 % Nickel enthaltende Eiſen - legierungen bekannt waren. Dieſe neue Legierung ſoll zur Herſtellung von Kanonen, Gewehrläufen, Panzerplatten ꝛc. ſehr geeignet ſein. Zur Herſtellung von Clichés wird jetzt eine neue Legierung von Nickel, Blei und Antimon verwendet, welche auf je 100 Teile Schriftmetall 5 Teile Nickel enthält.

Das Kupfer.

Vorkommen. Das Kupfer hat ſeinen Namen von der Inſel Cypern, von welcher es ſchon die alten Römer und Griechen bezogen und es Cyprium nannten, woraus der Name Cuprum entſtand. Gediegen findet es ſich in großer Menge unter dem Namen Kupfer - ſand oder Kupferbarilla mit 60 bis 80 % Kupfer und 20 bis 40 % Quarz am Oberen See und in Chile, ferner in zahlreichen Kupfer - erzen. Solche ſind Rotkupfererz Cu2O, mit Eiſenocker gemengt587Das Kupfer.auch Ziegelerz genannt; Kupferlaſur 2CuCO3 (d. i. kohlenſaures Kupfer) + Cu (OH) 2 (d. i. Kupferhydroxyd) mit ſchöner, blauer Farbe (Cornwallis und Südauſtralien), dem ähnlich zuſammengeſetzten Ma - lachit CuCO3 + Cu (OH) 2 von ſchöner grüner Farbe (Ural, Auſtralien und Kanada), Kupferglanz Cu2S, Kupferkies Cu2S + Fe2S3; das Bunt - kupfererz enthält Cu2S, CuS und FeS; der Kupferſchiefer iſt ein bi - tuminöſer Mergelſchiefer und enthält Kupferglanz, Kupferkies und Buntkupfererz (im Mansfeldſchen, in Stolberg am Harz und in Heſſen), die Fahlerze endlich, welche beim Silber noch näher betrachtet werden ſollen, enthalten außer Cu2S noch Silber, Antimon, Arſen und Eiſen (Chile und Südauſtralien). Auch der bei dem Blei näher zu be - trachtende Bournonit enthält 12,7 % Kupfer.

Darſtellung. Die Methoden zur Gewinnung des Kupfers ſind je nach der Zuſammenſetzung der Kupfererze ſehr verſchiedenartig und zerfallen in drei Hauptgruppen, nämlich in Gewinnung aus oxydierten Erzen, aus geſchwefelten oder kieſigen Erzen und endlich auf naſſem Wege.

Die Gewinnung des Kupfers aus den oxydierten oder ockrigen Erzen iſt die einfachſte, denn dieſe Erze werden unter Zuſatz eines Flußmittels nur durch Kohle reduziert. Allerdings iſt ihr Vorkommen ſo gering, daß ſie in den allermeiſten Fällen mit den geſchwefelten Erzen verſchmolzen und dann mit dieſen zuſammen verhüttet werden. Wo ſie aber allein verarbeitet werden ſollen, werden dieſelben, nachdem man ſie mit den erforderlichen, eine leichtflüſſige Schlacke bildenden Zuſchlägen verſetzt hat, mit Kohle in einem Schachtofen geſchmelzt. Das reduzierte Kupfer hier Schwarzkupfer genannt wird in ſog. Spleißöfen gargemacht und in Blöcken als Roſettenkupfer auf den Markt gebracht.

Die Kupfergewinnung aus den geſchwefelten oder kieſigen Erzen, wird entweder in Schachtöfen oder in Flammenöfen vorgenommen. In beiden Fällen wird zuerſt der Kupfergehalt des Erzes im Kupfer - ſtein konzentriert und dann das Kupferoxyd des geröſteten Kupferſteins im Schachtofen mittelſt Kohle, im Flammenofen mittelſt Schwefel reduziert. Der Schachtofen liefert daher ein kohlehaltiges Kupfer, der Flammenofen ein übergares, Kupferoxydul enthaltendes Kupfer; beide alſo liefern kein hammergares Kupfer und muß das gewonnene Kupfer erſt auf ganz verſchiedene Art zu dieſem verarbeitet werden.

Für die Gewinnung des Kupfers in dem Schachtofen werden die Erze zuerſt geröſtet und dann das Röſtgut nach Zuſatz von ſchlacke - bildenden Materialien geſchmolzen. Hierbei wird das während des Röſtens gebildete Kupferoxyd zu metalliſchem Kupfer reduziert, während die anderen beim Röſten entſtandenen Verbindungen, wie ſchwefelſaure, arſenſaure und antimonſaure Salze ꝛc. nachdem erſtere wieder Schwefelmetalle gebildet haben, mit dem metalliſchen Kupfer den kupfer - reichen ſog. Rohſtein bilden, während die arſen - und antimonſauren Salze zu ihren Metallen reduziert, die ſog. Speiſe erzeugen. Die588Die Rohgewinnung der Metalle.übrigen Metalloxyde verbinden ſich mit den Zuſchlägen zur Schlacke. Durch Wiederholung des Röſt - und des reduzierenden Schmelzprozeſſes erhält man ſchließlich metalliſches Kupfer, Roh - oder Schwarzkupfer genannt. Dieſes wird durch ein oxydierendes Schmelzen, das Roh - garmachen genannt von den noch darin enthaltenen fremden Metallen befreit, welche teils als Oxyde verflüchtigt werden, teils in die ſog. Garſchlacke gehen. Das Garkupfer, auch Roſetten - oder Scheibenkupfer genannt, enthält noch Kupferoxydul, von dem es durch ein ſchnelles, reduzierendes Schmelzen befreit werden muß, weil ſeine Dehnbarkeit durch dasſelbe vermindert wird, und erſt nach Entfernung des Kupfer - oxyduls wird es hammergar genannt. Raffiniert man das Kupfer aber in Flammenöfen, ſo wird ſehr rationell das Roh - und Hammer - garmachen zu einem einzigen Prozeße vereinigt.

Fig. 347, 348 und 349 zeigen einen Schachtofen, wie er zum Roh - ſchmelzen der geröſteten Erze zu Rohſtein dient, und zwar zeigt Fig. 347 den Vertikalſchnitt, Fig. 348 die äußere Anſicht, bei welcher die vordere Mauer nicht mitgezeichnet iſt, um einen Blick in das Innere zu geſtatten und Fig. 349 den unteren Teil des Ofens. Die Öffnungen für die Düſen des Ge -

  • Fig. 347.
    Fig. 348.
    Fig. 349.
Schachtofen für Kupfer.

bläſes t ermöglichen die Luftzufuhr; das geſchmolzene Metall läuft durch o Augen und zwei kurze Kanäle Spuren genannt in die beiden ſchalenförmigen Vertiefungen (Fig. 349), welche den Namen Spurtiegel führen.

Das Schwarz - oder Rohkupfer wird durch oxydierendes Schmelzen von Schwefel und anderen Verunreinigungen, welche alle früher ver - ſchlacken als das Kupfer ſelbſt, befreit. Dieſe Operation wird auf einem Garherde (Fig. 350) vorgenommen, bei welchem a die Herd - grube, eine halbkugelige Vertiefung bildet und durch eine gußeiſerne Deckplatte b begrenzt iſt; h iſt eine der beiden Düſen, welche die Luft aus dem Gebläſe zuführen. Weſentlich vollkommener arbeitet der ſog. Spleißofen (Fig. 351); A zeigt den Schmelzherd, B den Spleißherd, t den Feuerungsraum mit dem Roſt für das Brennmaterial und n iſt die Luftzuführung des Gebläſes.

589Das Kupfer.
Fig. 350.

Garherd.

Fig. 351.

Spleißofen.

Ein weſentlich verbeſſerter Ofen zur Röſtung der Kupfererze iſt der Kupfererz-Doppelofen. Vom Roſt aus ſtreicht die Flamme über den unteren Herd, geht in einem vertikalen Kanal nach einem darüber - liegenden Herd und von hieraus zur Eſſe. Die Erze werden durch die Decke des oberen Herdes eingeſchüttet und durch eine Krählvorrichtung, welche ihren Antrieb unter dem Herde hat, ge - wendet. Bei einem ähnlich konſtruierten Ofen iſt die Krählvorrichtung hohl und dient dazu, Waſſerdampf einſtrömen zu laſſen. Dieſer Waſſer - dampf zerſetzt ſich in Waſſerſtoff und Sauerſtoff, welche mit dem Arſen und Antimon flüchtige Verbindungen bilden, wodurch das Kupfer von dieſen beiden Metallen gereinigt wird. Zugleich wirkt der Dampf mechaniſch, indem er das geſchmolzene Metall in Wallung erhält und ſo alle Teile desſelben leichter oxydierbar macht.

H. Schliephacke empfiehlt zur Darſtellung von Kupfer aus Schwefel - kupfer, in das ſchmelzende Schwefelkupfer überhitzten Waſſerdampf zu leiten. Hierbei wird dasſelbe unter Bildung von ſchwefliger Säure in metalliſches Kupfer übergeführt, welches noch einen Reſt Kupferoxydul enthält. Durch Rühren des geſchmolzenen Kupfers mit Birkenholz wird auch dieſer Reſt Kupferoxydul zu metalliſchem Kupfer reduziert. Die Beendigung des Prozeſſes iſt am Verſchwinden der charakteriſtiſchen Waſſerſtoffflamme erkennbar, da die Zerſetzung des Waſſerdampfes aufhört, wenn alles Schwefelkupfer in metalliſches Kupfer verwandelt iſt. Nach W. Gentles wird das Arſen aus dem Kupfer entfernt, indem man zu dem geſchmolzenen Metall ein Gemiſch von Manganoxyd und einem Alkali oder einem Alkaliſalz fügt. Als ein ſolches Gemiſch werden gleiche Teile Mangandioxyd und Natriumkarbonat empfohlen. Nach F. Garnier ſoll zum Raffinieren von Kupfer dasſelbe in einem baſiſch gefütterten Ofen mit Kohle und einer baſiſchen Schlacke, beſtehend aus 70 % Baſe und 30 % Kieſelſäure, ſowie Flußſpat geſchmelzt werden.

Die Gewinnung des Kupfers auf naſſem Wege wird hauptſächlich dort angewendet, wo wegen Kupferarmut der Erze der trockene Weg nicht lohnend erſcheint. Die Cementation, welche das ſog. Cement - kupfer liefert, beſteht darin, daß das Kupfer aus ſeinen Löſungen durch590Die Rohgewinnung der Metalle.metalliſches Eiſen gefällt wird. Solche Löſungen kommen häufig fertig gebildet als Grubenwäſſer oder Cementwäſſer vor, und überzieht das darin enthaltene Kupfer das hineingelegte alte Eiſen mit einer Haut, welche durch zeitweiliges Bewegen der Eiſenſtücke abgeſtoßen wird (vgl. S. 132). Das Anhaften an dem Eiſen kann auch durch angebrachte Rührvor - richtungen überhaupt vermieden werden. Die Erze müſſen für das naſſe Verfahren erſt inſofern vorbereitet werden, als die Kupferverbindung der - ſelben in eine lösliche übergeführt werden muß; dies geſchieht je nach der Art der Erze durch Verwittern oder durch Röſten. Die ſo behandelten Erze werden ausgelaugt, und kann dies ſowohl durch Waſſer, als auch durch verdünnte Salzſäure, Schwefelſäure, Eiſen - chlorid, oder Eiſenchlorür haltige Mutterlaugen ꝛc. geſchehen. Aus dieſen Löſungen wird das Kupfer entweder durch Eiſen wie beim Cementkupfer als metalliſches Kupfer gefällt oder auch mittelſt Schwefelwaſſerſtoff als Schwefelkupfer und dann weiter verarbeitet. P. Price empfiehlt, das Kupfer aus der dargeſtellten Löſung durch fein verteiltes Eiſen zu fällen, wobei ein Dampf - oder Luftſtrom die Löſung in lebhafte Bewegung verſetzt. Nach H. Doetſch wird das Kupfer aus ſeinen Erzen durch eine Löſung von Eiſenſulfat gelöſt, indem man dieſe zu Haufen aufgeſchichteten Erze in gewiſſen Zwiſchen - räumen mit der genannten Löſung begießt und die abfließende Flüſſig - keit dann nach einer der vorher angegebenen Methoden weiter auf Kupfer verarbeitet.

Die elektrolytiſchen Methoden zur Gewinnung des Kupfers, haben in den letzten Jahren eine hohe Vervollkommnung erreicht, und in demſelben Maße hat auch ihre praktiſche Verwendung zugenommen. Dieſe Methoden ſind S. 169 bis 171 näher beſchrieben.

Eigenſchaften. Von den Eigenſchaften des Kupfers iſt beſonders zu erwähnen, daß es einen ſtarken Glanz und ein ſpezifiſches Gewicht von 8,9 hat, ſehr ſchweißbar, geſchmeidig und dehnbar iſt; es wird deshalb zu ſehr feinen Drähten ausgezogen und zu ſehr feinen Blättchen ausgewalzt oder auch ausgeſchlagen. Ein Draht von nur 2 mm Dicke zerreißt erſt bei einer Belaſtung von 140 kg. Das Kupfer ſchmilzt bei 1100° C, und überzieht ſich leicht an der atmoſphäriſchen Luft mit einer dünnen Schicht von Grünſpan, d. i. kohlenſaures Kupferoxyd. Es iſt das einzige Metall von roter Farbe und überzieht ſich beim ſchwachen Erhitzen mit einer roten Schicht von Kupferoxydul, welches bei ſtärkerem Erhitzen in Oxyd von ſchwarzer Farbe übergeht. Ver - dünnte Schwefelſäure und organiſche Säuren löſen das Kupfer bei Luftzutritt langſam, Salpeterſäure und erwärmte, konzentrierte Schwefel - ſäure ſehr ſchnell auf, Salzſäure hingegen greift es nicht an.

Geſchichtliches. Das Kupfer und auch ein Teil ſeiner Legierungen, namentlich die Bronze waren ſchon im Altertume bekannt.

Legierungen. Das Kupfer legiert ſich mit den meiſten Metallen und die am häufigſten verwendeten aller Legierungen ſind in der That591Das Kupfer.diejenigen des Kupfers. Seine Legierung mit Zink bildet das Meſſing, mit Zinn das Kanonenmetall, Glockenmetall, Spiegelmetall und Medaillenbronze. Aus Kupfer, Zinn und Zink beſtehen das Mannheimer Gold und die Bronze zu Statuen, aus Kupfer, Zink und Nickel das Argentan, aus Kupfer, Zinn und Antimon das Bri - tanniametall, welches zuweilen auch noch Zink und Wismut enthält. Das Minargent, eine neue ſilberähnliche Legierung enthält kein Silber, ſondern beſteht aus 100 Teilen Kupfer, 70 Teilen Nickel, 5 Teilen Wolfram und einem Teile Aluminium. Eine goldähnliche Legierung geben 16 Teile Kupfer, 1 Teil Zink und 7 Teile Platin. O. Mouckel ändert den Härtegrad des Kupfers nach Belieben durch Zuſatz wechſelnder Mengen von Chrom. G. Guillemin legiert das Kobalt mit dem Kupfer, Th. Schaw Aluminium und Phosphor mit demſelben, um ſeine wünſchenswerten Eigenſchaften zu erhöhen. Das neu dar - geſtellte Ferro-Neuſilber beſteht aus Eiſen, Nickel und Kupfer oder hat auch noch einen Zinkzuſatz. Das Platinoïd , ein neues Metall, iſt aus Kupfer, Wolfram, Nickel und Zink zuſammengeſetzt. A. Bauer ſtellt eine Stahlkompoſition durch Zuſammenſchmelzen von Stahl - ſpähnen, Kupfer, Queckſilber, Zinn, Blei, Zink und Antimon dar. H. Schliephacke erzeugt eine Legierung von goldähnlicher, unver - änderlicher Färbung aus Kupfer, Zink und Schwefelſtrontium; A. Krupp ein Lagermetall aus Kupfer, Zink und Zinn, dem er für gewiſſe Zwecke auch Blei zuſetzt. Eine ſäurebeſtändige Bronze ſtellt Débré dar aus 15 Teilen Kupfer, 2,34 Teilen Zink, 1,82 Teilen Blei und einem Teil Antimon. Nach W. Hampe beſteht der Silicium-Telephondraht (vergl. S. 241) aus 97,12 % Kupfer, 1,14 % Zinn, 0,05 % Silicium, 1,62 % Zink und einer Spur Eiſen; das Silicium-Meſſing aus 71,30 % Kupfer, 26,65 % Zink, 0,74 % Blei, 0,57 % Zinn, 0,38 % Eiſen und 0,14 % Silicium; endlich das Delta-Metall aus 55,94 % Kupfer, 0,72 % Blei, 0,87 % Eiſen, 0,81 % Mangan, 41,61 % Zink, 0,013 % Phosphor und einer Spur Eiſen. Eine ſchöne Legierung von violetter Farbe geben gleiche Teile Kupfer und Antimon. Nach L. Dienelt erhält man eine Legierung von ſehr homogenem Gefüge aus 50 % Kupfer, 6 % Nickel, 10 % Blei, 32 % Zink und 2 % Zinn. Die neue Legierung Metallin beſteht aus 30 % Kupfer, 35 % Kobalt, 25 % Aluminium und 10 % Eiſen. Endlich iſt das Kupfer das geeignetſte Metall zu allen Gold - und Silberlegierungen, da es zu den wenigen Metallen gehört, welche die Duktilität und Dehnbarkeit der genannten Edel - metalle nicht beeinträchtigen.

Das Blei.

Vorkommen. Auch das Blei findet ſich nur äußerſt ſelten ge - diegen, ſondern hauptſächlich in folgenden Erzen: Bleiglanz an Schwefel gebunden Pb S (P b iſt die Formel für Blei von plumbum 592Die Rohgewinnung der Metalle.abgeleitet); Bournonit, auch Spießglanzbleierz genannt, beſteht aus Blei, Kupfer, Antimon und Schwefel; dieſes Erz wird wie ſchon beim Kupfer erwähnt auf Blei und Kupfer verarbeitet. Weißblei - erz Pb C O3 d. i. kohlenſaures Blei, auch Ceruſſit genannt. Grünbleierz iſt phosphorſaures Bleioxyd und Chlorblei 3 (P2 O5, 3 Pb O) + Pb Cl2 wird auch Pyromorphit oder Bleiphosphat genannt. Vitriolbleierz oder Angleſit iſt ſchwefelſaures Bleioxyd Pb S O4; Mimeteſit iſt arſen - ſaures Bleioxyd und Chlorblei 3 (As2 O5, 3 Pb O) + Pb Cl2; Gelb - bleierz iſt molybdänſaures Bleioxyd Pb Mo O4 und endlich Rotbleierz iſt chromſaures Bleioxyd Pb Cr O4 auch Krokoit genannt.

Darſtellung. Von allen dieſen Erzen iſt für die Gewinnung des Bleies der Bleiglanz das wichtigſte und dient faſt ausſchließlich zur Verhüttung, welche nach zwei verſchiedenen Methoden, Niederſchlag - arbeit und Röſtarbeit genannt, betrieben wird.

Die Gewinnung des Bleies aus dem Bleiglanz beruht auf der größeren Affinität, welche der Schwefel zum Eiſen, als zum Blei beſitzt. Derſelbe verbindet ſich nämlich, wenn Schwefelblei mit Eiſen erhitzt wird, mit dieſem zu Schwefeleiſen, wobei das Blei frei wird: 〈…〉

Man ſtellt zu dieſer Operation Eiſengranalien dar, indem man geſchmolzenes Roheiſen in Waſſer gießt, mengt dieſe mit dem durch Ausſchmelzen oder Schlemmen von dem Geſtein getrennten Bleiglanz und ſchmilzt dies Gemenge in einem Schachtofen nieder. Anſtatt des metalliſchen Eiſens werden auch Eiſenerze und Eiſenfriſchſchlacken ver - wendet, deren Sauerſtoff gleichzeitig zur Verbrennung des Schwefels dient. Das Schmelzen des Gemenges findet in einem ſogenannten Sumpfofen ſtatt, welchen Fig. 352, 353 und 354 in ſeinen einzelnen Teilen darſtellen. Die mit Eiſengranalien gemengten Erze werden in den Ofen B eingetragen, die flüſſigen Produkte ſammeln ſich ſodann auf dem Sumpfteile C D, von dem ein Teil außerhalb des Ofens liegt. Die Schlacken fließen hier - bei über eine geneigte Ebene ab, und die Pro - dukte werden, ſobald der Sumpfherd angefüllt iſt,

    • Fig. 352.
    • Fig. 353.
    • Fig. 354.
    Sumpfofen.

593Das Blei.mittels Durchſtoßens einer Öffnung in den tiefer liegenden Stichtiegel E (Fig. 354) abgelaſſen. Bei O (Fig. 352) führt das Gebläſe in den Ofen B, und die aus dem Schachte nach der Eſſe T entweichenden Gaſe müſſen erſt die ſog. Fluggeſtübbekammern in der Richtung der Pfeile durchſtreichen, in welchen ſich die durch das Gebläſe mit fortgeriſſenen Erz - teilchen abſetzen. Nachdem der zu Scheiben erſtarrte Bleiſtein abgehoben iſt, wird das darunter befindliche Blei, Werkblei genannt welches u. a. ca. 3 % Silber enthält, ſpäter weiter auf Silber ver - arbeitet, wie es beim Silber näher beſchrieben werden ſoll. Bei der Röſtarbeit, welche in Flammenöfen vorgenommen wird, oxydiert der Sauerſtoff der atmoſphäriſchen Luft einen Teil des Bleiglanzes zu Bleioxyd, ſchwefliger Säure und ſchwefelſaurem Blei. Der Sauerſtoff des entſtandenen Bleioxyds oxydiert den Schwefel im Schwefelblei zu ſchwefliger Säure, ſo daß ſich (neben freiem Sauerſtoff) metalliſches Blei bildet: 〈…〉

Die Schwefelſäure des ſchwefelſauren Bleies hingegen bildet mit dem Schwefel des Schwefelbleies metalliſches Blei und ſchweflige Säure: 〈…〉

Auch hierbei wird, wie bei der Niederſchlagsarbeit ſog. Werkblei gewonnen, welches noch Silber, Kupfer, Antimon ꝛc. enthält und auch weiter auf Silber verarbeitet wird.

Ch. Havemann empfiehlt bei Gewinnung des Bleies aus Schwefel - blei durch Zuſatz von Eiſen anſtatt des bisher verwendeten ſtarren Eiſens geſchmolzenes zu nehmen. Behufs Reinigung und Entſilberung des Bleies ſchmilzt G. Lomer dasſelbe in einem Bade flüſſigen Eiſens. Das geſchmolzene Blei ſinkt in demſelben infolge ſeines höheren ſpezi - fiſchen Gewichtes unter und wird dabei auf dem Wege zum Boden des Bades gereinigt. Das Silber ſteigt nach oben und findet ſich in der oberſten Schicht des Eiſens; gleichzeitig ſchützt das deckende Eiſen das Blei vor Oxydation. H. H. Schlapp empfiehlt ein ähnliches Verfahren, indem er anſtatt des Eiſenbades ein Zinkbad anwendet. Zur direkten und vollſtändigen Entſilberung des Werkbleies wird dasſelbe geſchmelzt, und in das flüſſige Werkblei wiederholt eine Zinkaluminiumlegierung eingerührt. Das Aluminium verhindert eine Oxydation des Zinks, ſodaß die bekannte Zinkſilber-Bildung leichter und ſchneller ſtattfindet.

Auch für die Bleigewinnung iſt in neuerer Zeit die elektrolytiſche Methode angewendet worden. Nach Keith werden Anodenbleiplatten in konzentriſchen Kreiſen an einem Träger in weite Bottiche aus Asphaltcement gehängt, in welchen ſich eine Löſung von ſchwefelſaurem Blei in eſſigſaurem Natron befindet. Das hierbei ausgeſchiedene Blei wird durch kreiſende Bürſten abgeſtreift, während die Löſung dadurch in Bewegung gehalten wird, daß ſie in ein unterirdiſches SyſtemDas Buch der Erfindungen. 38594Die Rohgewinnung der Metalle.von Röhren abfließt, aus welchem ſie durch eine Pumpe in die oberirdiſche Leitung wieder zurückgepumpt wird. Auch iſt zur Entſilberung des Bleies die Elektrolyſe von F. D. Bottome verwendet worden. Die Anoden (Eintrittsſtelle des Stromes) werden aus dem zu ent - ſilbernden Blei angefertigt und in eine Löſung von Ammoniakſalzen getaucht, welche durch Einleiten von Kohlenſäure mit dieſer ſtets geſättigt gehalten wird. Durch den elektriſchen Strom wird das Blei abgeſchieden und fällt als kohlenſaures Blei, während ſich das Silber auf den Kathoden (Austrittsſtelle des Stromes) abſetzt.

Eigenſchaften. Das Blei iſt ſehr weich und abfärbend, von bläulich-grauer Farbe, hat ein ſpezifiſches Gewicht von 11,37, iſt auf der noch nicht oxydierten Fläche ſtark glänzend, überzieht ſich aber ſchnell, beſonders in feuchter Luft, mit einer dünnen Oxydſchicht, welche dann das darunter liegende Metall vor weiterer Oxydation ſchützt. Es iſt hämmerbar, läßt ſich zu dünnen Blättchen auswalzen und zu Draht ausziehen; es ſchmilzt bei 332°C. und verdampft in der Weiß - glühhitze. Beim Schmelzen bedeckt ſich das Blei mit einer grauen Haut, Bleiaſche genannt, welche aus Bleiſuperoxyd beſteht und allmählich in Bleioxyd übergeht. Hartes Waſſer greift das Blei faſt gar nicht an, dahingegen weiches Waſſer und beſonders deſtilliertes Waſſer unter Bildung von Bleihydroxyd, welches giftig iſt; zu Waſſerleitungsröhren darf das Blei alſo nur für hartes Waſſer verwendet werden. Verdünnte Salpeterſäure und Eſſigſäure löſen das Blei leicht auf, Salzſäure und Schwefelſäure hingegen greifen es wenig an.

Geſchichtliches. Das Blei iſt ſchon ſeit den älteſten Zeiten bekannt.

Legierungen. Das Blei legiert ſich mit faſt allen Metallen. So beſteht z. B. das Schnelllot aus gleichen Teilen Blei und Zinn; das Metall der Orgelpfeifen aus 96 % Blei und 4 % Zinn; das Zapfen - lagermetall aus Teilen Blei, 4 Teilen Zinn und einem Teile Antimon; die Legierung zu den Schiffsnägeln aus 2 Teilen Blei, 3 Teilen Zinn und einem Teile Antimon; das Kalain der Chineſen, mit welchem die Theekiſten ausgefüttert werden, beſteht aus 126 Teilen Blei, 17,5 Teilen Zinn, 1,25 Teilen Kupfer und einer Spur Zink. Andere Legierungen des Bleies ſind bei dem Kupfer und Antimon erwähnt, und ſei hier noch eine ganz neue Legierung für Antifriktions - zwecke genannt, beſtehend aus 36 Teilen Blei, 7 Teilen Antimon, 2,25 Teilen Zinn, 0,115 Teilen Wismut und 0,23 Teilen Graphit, welchen eventuell noch 0,115 Teile Silber und 0,115 Teile Aluminium hinzugefügt werden.

Das Zinn.

Vorkommen. Das Zinn, deſſen chemiſche Formel Sn (von stannum abgeleitet) iſt, findet ſich in der Natur niemals gediegen und kommt entweder an Sauerſtoff gebunden SnO2 als Zinnſtein auch Stannit und Caſſiterit genannt in England, Böhmen, Sachſen,595Das Zinn.Oſtindien, Malakka und auf der Inſel Banca vor, oder als Schwefel - zinn mit anderen Schwefelmetallen verbunden unter dem Namen Zinn - kies. Der Zinnſtein wird je nach ſeinen Vorkommen im geologiſchen Sinne Bergzinnerz oder Seifenzinn genannt und enthält in beiden Fällen außer dem Zinnoxyd noch Schwefel, Arſen, Zink, Eiſen, Kupfer und andere Metalle. Er findet ſich aber auch in England, in Neu - Süd-Wales, in Auſtralien ꝛc. als faſt chemiſch reine Zinnſäure. Im allgemeinen iſt das Seifenzinn ein weit reineres Erz als das Berg - zinnerz, weil bei erſterem die Umſtände, unter welchen es ſich findet, bereits eine mechaniſche Scheidung von den Verunreinigungen durch die Natur bedingen. Der in Sachſen vorkommende Zinnſtein Zinn - zwitter genannt iſt gewöhnlich von Wolfram, Molybdänglanz, Schwefel - und Arſenkies begleitet.

Darſtellung. Bei der Darſtellung des Zinns, wird das Berg - zinnerz zuerſt durch Pochen und Schlämmen von der anhängenden Gangart und dann durch Röſten von dem Schwefel, Arſen und Antimon befreit. Das ſo vorbereitete Berg - zinnerz oder reinere Zinnerze direkt werden in eigenartig konſtruierten, ca. 3 m hohen Schachtöfen verſchmelzt, wie Fig. 355 einen ſolchen darſtellt. Die Erze werden mit Kohle und Zinn - ſchlacken geſchichtet in den Schacht A gebracht, deſſen Sohle aus einem muldenförmig ausgehauenen Boden - ſtein D beſteht. Das geſchmolzene und reduzierte Zinn ſammelt ſich auf dem Vorderherd B, von welchem es durch eine Durchſtichöffnung nach dem eiſernen Keſſel C fließen kann; o be - zeichnet die Einmündung der Düſe des Gebläſes. Das in C geſammelte re - duzierte Zinn enthält noch Eiſen und

Fig. 355.

Schachtofen.

Arſen, von welchen es auf einem mit glühenden Kohlen bedeckten Herde ausgeſaigert wird. Hierbei fließt das reine Zinn, welches zuerſt ſchmilzt, durch die Kohle und ſammelt ſich auf dem Stichherde, während die ſtrengflüſſigere Legierung des Zinns und ſeiner Verunreinigungen Dörner genannt in Körnern zurückbleibt. Das ſo gewonnene Zinn iſt ſehr rein, denn es enthält kaum 0,1 % fremder Metalle und kommt unter den Namen Körnerzinn in den Handel, während die zurück - bleibende ſchwer ſchmelzbare Legierung, welche neben dem Zinn haupt - ſächlich noch Eiſen enthält, nachdem ſie nochmals umgeſchmelzt iſt, als Blockzinn auf den Markt kommt. In Böhmen und Sachſen führt das Zinn, je nach der Geſtalt, in welcher es geliefert wird, den Namen Stangenzinn oder Rollzinn ; letzteres iſt in dünne Blätter gegoſſen.

38*596Die Rohgewinnung der Metalle.

Das Zuſammenſchmelzen des fein verteilten Zinnes bereitet häufig Schwierigkeiten, weil die einzelnen Metallpartikel ſich mit einer Oxydul - ſchicht bedeckt haben, welche das Zuſammenſchmelzen derſelben ver - hindert. L. Vignon hebt dieſen Mißſtand auf, indem er dem zu ſchmelzenden Zinn eins der beim Verzinnen oder Löten gebräuchlichen Mittel, wie Chlorzink, Salmiak, Harz ꝛc. hinzuſetzt. Durch Chlorzink oder Salmiak wird das die Metallpartikel überziehende Zinnoxydul in Chlorzinn übergeführt, während dasſelbe durch das Harz zu metalliſchem Zinn reduziert wird. Zur Gewinnung des Zinns aus den Zinn - ſchlacken wendet J. Shears die Elektrolyſe an. Man ſchmelzt die Schlacken mit einem Alkali oder Alkalikarbonat und laugt die ge - ſchmolzene Maſſe mit Waſſer aus. Beim Dekantieren der Löſung bildet ſich ein Bodenſatz, welcher auf Nickel, Kobalt und Eiſen weiter behandelt werden kann, während ſich aus der Löſung ſelbſt beim Elek - trolyſieren in eiſernen Behältern das Zinn ausſcheidet. Das hierbei verwendete Alkali wird aus der Löſung mittels Fällen durch Kalkmilch, Kieſelerde und Thonerde wiedergewonnen und etwa vorhanden geweſenes Wolfram kryſtalliſiert beim Verdampfen der Alkalilöſung heraus.

Eigenſchaften. Das Zinn iſt ein weiches Metall und nur etwas härter als Blei, es ſchmilzt bei 230°C. und kryſtalliſiert beim Erſtarren. Dieſe Kryſtalle reiben ſich beim Biegen einer Zinnſtange, wodurch ein eigentümliches Geräuſch das Zinngeſchrei genannt entſteht. Erhitzt man verzinntes Weißblech, kühlt es dann ſchnell in Waſſer ab und ätzt es hierauf mit verdünnter Säure, ſo werden dieſe Kryſtalle den Eis - blumen am Fenſter ähnlich ſichtbar (moiré métallique). Das Zinn hat eine ſilberweiße Farbe von ſtarkem Glanz und verändert ſich an der Luft und im Waſſer nicht. Längere Zeit an der Luft geſchmolzen, überzieht es ſich mit einer grauen Haut, der Zinnaſche, und verbrennt in der Weißglühhitze mit heller, weißer Flamme zu Zinnoxyd. Es iſt ſehr geſchmeidig und läßt ſich zu dünnen Blättchen Stanniol auswalzen, wird aber bei 200° ſpröde und zerfällt auch der Kälte aus - geſetzt in ein grobkörniges, kryſtalliniſches Pulver. Salzſäure und konzentrierte Schwefelſäure löſen es auf; Salpeterſäure oxydiert es zu Zinnoxyd, welches in Salpeterſäure unlöslich iſt und als weißes Pulver zu Boden fällt. Sein ſpezifiſches Gewicht iſt 7,28.

Geſchichtliches. Das Zinn iſt ſchon ſeit den älteſten Zeiten bekannt.

Legierungen. Das Zinn wird viel mit Blei legiert (ſiehe dieſes) um die Härte beider Metalle zu erhöhen. Mit Zink legiert, verarbeitet man es zu dem unechten Blattſilber; Britanniametall beſteht aus 90 % Zinn und 10 % Antimon, häufig hat es auch noch einen Kupferzuſatz, und ſind die zahlreichen Legierungen des Zinns mit dem Kupfer bei letzterem Metalle erwähnt. Das Tombak-Metall beſteht aus 87,5 % Zinn, 5,5 % Nickel, 5 % Antimon und 22 % Wismut; dieſem ſehr ähn - lich iſt das Warneſche Metall. Es werden auch Legierungen von Zinn,597Das Zinn. Das Wismut.Chrom und Kupfer dargeſtellt, und als vorzügliches Metall für Lager aller ſich ſchnell drehenden Wellen eine Legierung von Zinn und Mangan.

Das Wismut.

Vorkommen. Das Wismut, deſſen chemiſche Formel Bi (von Bismuthum abgeleitet) iſt, findet ſich ſehr ſelten und zwar im Erz - gebirge, in Peru, Auſtralien, meiſt gediegen, auch kommt es mit Sauer - ſtoff verbunden als Wismutocker BiO3 und mit Schwefel als Wismut - glanz BiS3 und als Wismutkupfererz vor.

Darſtellung. Die Gewinnung iſt ſehr einfach, da es gediegen nur von ſeiner Gangart durch Schmelzen Ausſaigern genannt getrennt zu werden braucht, und das bietet bei ſeinem niedrigen Schmelz - punkt (264°C. ) keine Schwierigkeiten. Die Wismuterze werden mög - lichſt gut von der Gangart befreit, zerkleinert und in die ſchräg liegende gußeiſerne Röhre A (Fig. 356) gebracht. Durch die Flammen des

Fig. 356.

Wismutſaigerofen.

darunter liegenden Herdes wird das Wismut geſchmelzt und fließt in die eiſernen Näpfe B, welche gleichfalls von unten erwärmt werden, und in welchen ſich Kohlepulver befindet, wodurch das Wismut vor Oxydation geſchützt wird. D iſt ein mit Waſſer gefüllter Kaſten, in welchen die aus A mit der Krücke herausgezogenen, zurückbleibenden Erze fallen. Auch bei der Verarbeitung der ſog. Kobaltſpeiſe, wie aus der Glätte und Teſtaſche beim Silberfeinbrennen (hier auf naſſem Wege) wird das Wismut als Nebenprodukt gewonnen. Wo das Wismut mit Kupfer verunreinigt iſt, ſchmelzt man es mit Schwefelwismut zuſammen, wobei ſich das Kupfer als Schwefelkupfer ausſcheidet. Da hierzu eine ziemlich hohe Temperatur erforderlich iſt, ſo empfiehlt Matthey zur Ausſcheidung des Kupfers mehrmals Schwefelnatrium hinzu - zuſetzen und das Gemenge durchzurühren. Hierbei bildet ſich gleichfalls Schwefelkupfer und ſcheidet ſich aus.

598Die Rohgewinnung der Metalle.

Eigenſchaften. Das Wismut hat eine rötlich-weiße Farbe, ſtarken Glanz, große Härte und iſt ſo ſpröde, daß es gepulvert werden kann. Es ſchmilzt wie bereits geſagt bei 264°C und erſtarrt wieder mit bedeutender Volumvergrößerung bei 242°C. Von Salpeterſäure und Königswaſſer wird es leicht aufgelöſt; ſein ſpezifiſches Gewicht iſt 9,79.

Geſchichtliches. Das Wismut iſt ſeit dem fünfzehnten Jahr - hundert bekannt, wurde aber erſt 1739 von Pott näher ſtudiert.

Legierungen. Das Wismut giebt mit anderen Metallen ſehr leicht ſchmelzbare Legierungen; ſo ſchmilzt das Roſeſche Metall, be - ſtehend aus zwei Teilen Wismut, einem Teile Blei und einem Teile Zinn, ſchon bei 94°C und ein Zuſatz von Kadmium giebt Woods Metall, das ſchon bei 70°C ſchmilzt. In neuerer Zeit ſind zahlreiche ähnliche Legierungen zuſammengeſetzt worden, aber ihr Schmelzpunkt liegt nicht oder doch wenigſtens nicht weſenlich unter 70°C

Das Zink.

Vorkommen. Das Zink (chemiſche Formel Zn) findet ſich in der Natur niemals gediegen. Es kommt als kohlenſaures Zink ZnCO3 Galmei oder Zinkſpat genannt und als Kieſelzinkerz, d. i. eine Verbindung der Kieſelſäure mit dem Zink und Waſſer Zn2SiO4, H2O in Weſt - falen vor, ebenſo als Zinkblende ZnS, und ſchließlich findet es ſich als Rotzinkerz d. i. ein durch Mangan rötlich gefärbtes Zinkoxyd und als Gahnit d. i. eine Verbindung des Zinks mit dem Aluminium und Sauerſtoff in manchen Fahlerzen.

Darſtellung. Zur Gewinnung des Zinks werden der Zinkſpat oder die Zinkblende geröſtet, wobei ſich Zinkoxyd bildet. Dieſes wird durch Erhitzen mit Kohle zu Metall reduziert, welches ſich verflüchtigt, und in Vorlagen kondenſiert, aufgefangen wird. Schleſien, Belgien und England nehmen dieſes Erhitzen bez. Deſtillieren nach drei verſchiedenen Methoden vor.

In Oberſchleſien, Stolberg bei Aachen und in Weſtfalen geſchieht die Reduktion und Deſtillation des Zinks in muffelähnlichen Deſtillations - gefäßen aus feuerfeſtem Thon, wie ſie Fig. 357 in der äußeren Anſicht und Fig. 358 im Längsſchnitt zeigen. Dieſe Muffeln haben an der Stirnwand zwei Öffnungen a und b, von denen a während der Deſtillation geſchloſſen dazu dient, nach beendetem Verfahren die Deſtillationsrückſtände zu entfernen. Bei b mündet ein knieförmiges Rohr, durch welches die Zinkdämpfe ſtreichen und in welchem ſie ſich kondenſieren, ſodaß das flüſſige Zink bei d abtropft. Am Knie dieſes Rohres iſt bei c eine Öffnung angebracht, welche zur Beſchickung der Muffel dient, und welche während der Deſtillation gleichfalls geſchloſſen iſt. Bis 20 ſolcher Muffeln werden in einen Muffelofen (Fig. 359) ſo eingeſchoben, daß ſie von der Flamme ſo viel als möglich umſpielt599Das Zink.werden können und t t zeigen die Räume dieſes Ofens, in welchen das aus den Muffeln bei d abtropfende flüſſige Zink aufgefangen wird. So lange der Ofen im Anfang der Operation noch ſehr kühl iſt, ver - dichten ſich die Zinkdämpfe ohne flüſſig zu werden ſofort zu feſtem, fein verteiltem Zink, Zinkſtaub oder Zinkrauch genannt. Das

Fig. 357.

Muffel.

Fig. 358.

Muffel (Läugsſchnitt).

Fig. 359.

Muffelofen.

Tropfzink wird zuſammengeſchmelzt und in Form von Tafeln als Werkzink in den Handel gebracht. Das das Zink faſt ſtets begleitende Kadmium befindet ſich im erſten ſich bildenden Zinkoxyd als Kadmium - oxyd und wird weiter auf Kadmium verarbeitet.

Bei der belgiſchen, auf der Vieille montagne angewendeten Methode, wird der Galmei in cylindriſche Thonröhren gebracht, welche ca. 1 m lang ſind, eine lichte Weite von 18 cm haben und an einer Seite ge - ſchloſſen ſind, wie es Fig. 360 zeigt. An dem offenen Ende der beſchickten Röhre wird eine koniſche, 25 cm lange Anſatzröhre von Gußeiſen befeſtigt, und auf dieſe endlich eine engere, gleich -

Fig. 360.

Deſtillationsröhre.

falls koniſche 20 cm lange Röhre aus Eiſenblech, welche inwendig mit Lehm ausgefüttert iſt, geſchoben. Dieſe Deſtillierröhren werden mit dem geſchloſſenen Ende in 8 Reihen etwas geneigt im Innern des Deſtillationsofen, von dem Fig. 361 einen Vertikalſchnitt zeigt, befeſtigt. Dieſelben ruhen auf an der Mauer b d angebrachten acht Bänken und werden hier von dem Feuer umſpielt. Das in denſelben verdampfende Zink kondenſiert ſich in den koniſchen Anſätzen wieder und wird aus dem vorderſten derſelben von Zeit zu Zeit abgelaſſen.

In England läßt man die Zinkdämpfe direkt nach unten deſtillieren. Man beſchickt die aus feuerfeſtem Thon geformten 1,5 m hohen Tiegel c (Fig. 362) und bringt ſie in einen Reduktionsofen, deſſen Herd mit einer Wölbung verſehen iſt. Dieſe Wölbung iſt durchlöchert, ſo daß man durch dieſe Löcher zu den Tiegeln gelangen kann. Auch die Tiegel bleiben ſolange geöffnet, bis man die beginnende Reduktion an einer Blaufärbung der Flamme erkennt, was ungefähr nach zwei Stunden der Fall iſt. Die Tiegel c haben in der Mitte des Bodens eine Öffnung, welche beim Beſchicken derſelben durch einen Holzpfropfen ver -600Die Rohgewinnung der Metalle.ſchloſſen iſt, und in welche von unten die Abtropfröhre t geſteckt wird. Dieſe Holzpfropfen brennen während der Operation fort und das deſtillierende Zink tropft durch die Abtropfröhren in ein darunter ſtehendes Gefäß, welches teilweiſe mit Waſſer angefüllt iſt, um das Ver -

Fig. 361.

Zinkdeſtillationsofen (Vertikalſchnitt).

ſpritzen der herabfallenden Zinktropfen zu verhüten. Hier ſammelt ſich das deſtillierende Zink als feines Pulver mit Zinkoxyd gemengt und wird in eiſernen Gefäßen umgeſchmelzt, wobei ſich das Zinkoxyd an der Oberfläche ab - ſcheidet und abgeſchöpft werden kann.

Fig. 362.

Engliſcher Zinkdeſtillierofen

Das vorher beſchriebene Siemensſche Syſtem der Gasfeuerung wird jetzt auch viel bei der Zinkfabrikation und zwar mit großem Erfolge verwendet.

Die Zinkblende konnte nach dem Röſten wie vorher geſagt wie der Galmei nach einer der drei ſoeben beſchriebenen Methoden ver - arbeitet werden, man kann ſie aber auch und zwar ſehr vorteilhaft direkt verarbeiten. Zu dieſem Zwecke werden der Zinkblende ge - brannter Kalk und hinreichende Mengen ganz waſſer - und kohlenſäure - freier Eiſenerze zugeſetzt. Das Eiſen entſchwefelt die Zinkblende voll - kommen und das freiwerdende Zink kann nicht wieder oxydiert werden, da weder Sauerſtoff noch ſauerſtoffabgebende Subſtanzen vorhanden ſind. Auch werden anſtatt der Eiſenerze direkt Roh - und Schmiedeeiſen ver - wendet. Nach Swindell wird die Zinkblende mit Kochſalz geröſtet und das ſich hierbei bildende Glauberſalz und Chlorzink gelöſt. Aus dieſer Flüſſigkeit kryſtalliſiert das Glauberſalz zuerſt heraus, und das Zink wird durch Kalk als Zinkoxyd niedergeſchlagen und nach dem Trocknen601Das Zink.auf gewöhnliche Weiſe reduziert. Arſenfreies Zink ſtellt Fr. Stolba dar, indem er aus einem innigen Gemenge von gebranntem Gips, Schwefel und Waſſer, geformte und an Stöcken befeſtigte Kugeln im ſchmelzenden Metall bis auf den Boden der Schmelztiegel verſenkt. Es entwickeln ſich dann alsbald große Mengen von Schwefel - und Waſſer - dämpfen, welche das flüſſige Metall in lebhafte Bewegung bringen. Bei eventueller Wiederholung dieſer Operation geht alles Arſen und der größte Teil des Bleies und Eiſens in die Schlacke. L’Hote ſetzt zu demſelben Zwecke dem geſchmolzenen Metall 1 bis 1,5 % waſſer - freies Magneſiumchlorid hinzu. Hierbei entweichen weiße Dämpfe von Chlorzink, welche alles Arſen und auch das allerdings ſeltener vor - kommende Antimon mitnehmen. L. v. Neuendahl gewinnt Zink und Blei gleichzeitig, indem er die betreffenden Erze in einem mit Generatoren - gas geheizten Schachtofen ſchmelzt. Hierbei fließt das geſchmolzene Blei in den Thonrinnen ab, welche auf der geneigten Sohle liegen, während die Zinkdämpfe durch die Gicht entweichen und von hier aus nach einem der vorher beſchriebenen Kondenſations-Syſtemen geleitet werden. Hampe trennt das Zink von anderen Metallen, indem er die Metalle in ameiſenſaure Salze überführt und die Löſung derſelben mit Schwefel - waſſerſtoff behandelt, wobei nur das Zink als Schwefelzink gefällt wird, wenn die Löſung eine genügende Menge freier Ameiſenſäure enthält.

Nach Ch. H. Murray wird zur Deſtillation des Zinks aus ſeinen Erzen durch dieſe unter Druck erhitzter Waſſerdampf geleitet, wodurch unter Mitwirkung einer hohen Temperatur die Erze reduziert werden, und das Zink überdeſtilliert. Nach M. Weſtmann werden die Zinkerze in einer Miſchung mit Kohle der Einwirkung von hoch erhitztem Kohlen - oxyd unterworfen. Hierauf wird das reduzierte Zink von dem aus - tretenden Kohlenoxyd durch Kondenſation getrennt. Zur Gewinnung von reinem Zink auf naſſem Wege werden die Erze nach Ch. F. Croſelmire gepulvert und im Ofen im Gebläſewind geröſtet. Hierauf werden ſie mit verdünnter Säure übergoſſen und die Verunreinigungen durch hineingepreßte Luft oxydiert; aus der darauf abgelaſſenen Zinklöſung wird dann das Zink gefällt. Ed. Walsh führt den Zinkdämpfen, wo ſie mit oxydierend wirkenden Gaſen gemiſcht ſind, um das Zink vor der Oxydation zu ſchützen, kontinuierlich eine Schicht Kohle entgegen, welche bei der Berührungsſtelle mit den Gaſen auf 815°C erhitzt iſt. Am anderen Ende der Kohlenſchicht, wo die Gaſe und Zinkdämpfe dieſelben verlaſſen, iſt die Temperatur ſo niedrig, daß letztere kondenſiert werden und das Zink hier geſchmolzen abfließt. Zur mechaniſchen Trennung der im Grünſtein vorkommenden Zinkblende von ihrem Nebengeſtein, benutzt man neuerdings den Unterſchied zwiſchen der Kohäſion der Blende und der Kohäſion des Grünſteins. Dieſer Unterſchied ermöglicht es beim Quetſchen die Blende in Mehl von weit geringerer Korngröße zu zerkleinern, als den ſie begleitenden Grünſtein. Mittels eines Siebes von 0,5 qmm602Die Rohgewinnung der Metalle.Maſchenweite wird nun die Blende vom Nebengeſtein getrennt, um un - mittelbar geröſtet und auf Zink verarbeitet zu werden.

Wie für die allermeiſten Metalle, ſo wird in neuerer Zeit auch zur Gewinnung des Zinks die elektrolytiſche Methode vielfach ver - wendet. So werden nach R. P. Herrmann die Zinkerze in Mineral - ſäuren gelöſt, die Löſung dann mit einem Alkali - oder Erdalkaliſalz verſetzt und das ſich hierbei bildende Doppelſalz durch den elektriſchen Strom zerlegt. M. Kiliani digeriert eine mit Ammoniakkarbonat ver - ſetzte Ammoniaklöſung oder auch eine Ätznatron - oder Ätzkali-Löſung mit den Zinkerzen in mit Blei ausgekleideten Holzbottichen. In dieſen Bottichen ſättigt ſich die Löſung mit Zink und fließt von hier durch Filter in ein Reſervoir, aus dem ſie kontinuierlich in die einzelnen Elektrolyſierkäſten geleitet wird. Hier ſcheidet der elektriſche Strom auf der aus Zink oder Meſſing beſtehenden Kathode metalliſches Zink ab, während ſich an der aus Eiſenblech beſtehenden Anode Sauerſtoff entwickelt. Die aus den Elektrolyſierkäſten abfließende Lauge wird wieder in die mit den Zinkerzen gefüllten Sättigungskäſten zurück - gepumpt. Lea und Hammond elektrolyſieren eine Zinkchloridlöſung, welche ſie durch Löſen von Zinkerzen in Salzſäure oder in einer wäſſrigen Chlorlöſung dargeſtellt haben. A. Watt verwendet als Elektrolyt Pflanzenſäure, namentlich Eſſigſäure, mit welcher er die Zinkerze auslaugt, bez. in welcher er rohes Zink, welches gereinigt werden ſoll, löſt. Um rohes Zink zu reinigen, benutzt er dasſelbe als Anode und reines Zink als Kathode. Ch. A. Burghardt trägt Zink - oxyd oder geröſtete Zinkerze, welche mit 3 bis 4 % Kohle gemiſcht ſind, allmählich in geſchmolzenes Ätznatron ein und erhitzt die Maſſe unter Umrühren längere Zeit. Die ſo dargeſtellte Zinkatlöſung wird durch den elektriſchen Strom elektrolyſiert, wobei die Anoden aus Eiſenblech und die von dieſen durch poröſe Scheidewände getrennten Kathoden aus Zink - bez. Zinnblechen beſtehen. Lange und Koßmann endlich behandeln die geröſteten Zinkerze mit ſchwefliger Säure und Waſſer, und elektrolyſieren die ſo erhaltene Zinkſulfitlöſung. Hierbei ſchlägt ſich das metalliſche Zink nieder, während der frei werdende Sauerſtoff die ſchweflige Säure zu Schwefelſäure oxydiert.

Eigenſchaften. Das Zink hat eine bläulich-weiße Farbe und einen ſtarken Metallglanz, der ſich an der atmoſphäriſchen Luft verliert, indem ſich das Zink mit einer weißen, aus kohlenſaurem Zinkoxyd beſtehenden Schicht überzieht. Dieſe Schicht ſchützt aber das darunter liegende Metall vor weiterer Oxydation. Das Zink ſchmilzt bei 412°C. und iſt bei gewöhnlicher Temperatur ſpröde, zwiſchen 100 und 150°C. wird es dehnbar, bei 200°C. aber wieder ſo ſpröde, daß es im Mörſer gepulvert werden kann. In ſtarker Glühhitze verdampft es und ſeine Dämpfe brennen mit bläulich-weißer Farbe; gegoſſen hat es ein kryſtalliniſches, großblättriges Gefüge. Es iſt etwas härter als das Silber, aber weniger hart als Kupfer; ſein ſpezifiſches Gewicht603Das Zink. Das Kadmium.iſt 7,1, kann aber durch Hämmern und Walzen bis auf 7,3 erhöht werden. In verdünnten Säuren löſt ſich das Zink auf und zwar um ſo leichter, je mehr es durch fremde Metalle verunreinigt iſt. Das käufliche deſtillierte Zink iſt niemals ganz eiſenfrei und dieſer Eiſen - gehalt modifiziert ſeine Eigenſchaften bedeutend. L’Hôte ſtellt eiſen - freies Zink dar durch Deſtillation eines Gemenges von reinem gefällten Zinkoxyd mit gebranntem Kienruß. Das ſo erhaltene Zink entwickelt ſelbſt bei anhaltendem Sieden mit Waſſer keinen Waſſerſtoff und wird von verdünnter Schwefelſäure nicht angegriffen. Rührt man aber das ſo rein dargeſtellte Zink nur mit einem Eiſenſtab um, wodurch es 0,0003 bis 0,0005 % Eiſen aufnimmt, ſo zerſetzt es bereits Waſſer in der Siedehitze unter Entwickelung von Waſſerſtoff und wird auch von verdünnter Schwefelſäure angegriffen. Ebenſo verhält ſich reines Zink, ſobald es nur mit ganz geringen Mengen Arſen oder Antimon legiert wird. Ein geringer Bleigehalt bis 0,5 % macht das Zink geſchmeidiger, aber ſchon 0,25 % Blei machen es zur Meſſingfabrikation ſehr ungeeignet, da die Feſtigkeit des Meſſings mit dem Bleigehalt ſehr abnimmt.

Geſchichtliches. Schon die alten Griechen verwandten den Galmei zur Bereitung des Meſſings. Das erſte metalliſche Zink ſcheint aus dem Orient nach Europa gekommen zu ſein und wird in Europa erſt ſeit dem achtzehnten Jahrhundert dargeſtellt.

Legierungen. Durch Legierungen des Zinks mit Arſen, oder auch mit Arſen und Phosphor wird der Schmelzpunkt des Zinks weſentlich erhöht. 5 % Arſenzuſatz zum Zink ermöglichen auch eine 18 % ige Eiſenlegierung, während bisher höchſtens 10 % Eiſen mit dem Zink legiert werden konnten; auch Phosphor hat eine ähnliche Wirkung. Zahlreiche andere Legierungen des Zinks ſind bei dem Kupfer genannt.

Das Kadmium.

Vorkommen. Das Kadmium (chemiſche Formel Cd) iſt ein faſt ſteter Begleiter des Zinks und findet ſich in den Zinkerzen beſonders im Galmei und in der Zinkblende.

Darſtellung. Es iſt auch flüchtig, wie das Zink, verdampft aber ſchon bei niedrigerer Temperatur, ſo daß es alſo mit den erſten Zinkdämpfen, bei der Deſtillation desſelben übergeht. Der hierbei ſich bildende bräunliche Rauch enthält neben kohlenſaurem Zink das Kadmium und dient zur Darſtellung des letzteren. Nachdem der Rauch wieder zu Metall kondenſiert iſt, wird dasſelbe in kleinen, guß - eiſernen, cylindriſchen Retorten mittels Holzkohle reduziert und in einem koniſchen, aus Eiſenblech beſtehenden Vorſtoße dieſer Retorten aufgefangen. Das hier kondenſierte Kadmium wird in fingerdicken, kleinen Stangen in den Handel gebracht. Auch auf naſſem Wege wird das Kadmium aus kadmiumhaltigem Zink durch Behandlung desſelben mit Salzſäure gewonnen. Hierbei löſt ſich das Zink auf und das604Die Rohgewinnung der Metalle.Kadmium kann, ſo lange Zink im Überſchuß vorhanden iſt, ausgefällt werden.

Eigenſchaften. Das Cadmium iſt von weißer Farbe und ſtarkem Glanze, den es aber an der Luft nach einiger Zeit verliert. Es iſt dehnbar, hämmerbar, ſchmilzt bei 360°C. und ſiedet bei 860°C. Seine Dämpfe verbrennen mit brauner Flamme zu braunem Kadmium - oxyd. Sein ſpezifiſches Gewicht iſt 8,6.

Legierungen. Mit Blei, Zinn und Wismut bildet es eine Legierung, Woods Legierung genannt, deren Schmelzpunkt weſentlich niedriger liegt, als der des Kadmiums, denn eine ſolche Legierung, beſtehend aus 3 Teilen Kadmium, 4 Teilen Zinn, 15 Teilen Wismut und 8 Teilen Blei, ſchmilzt ſchon bei 70°C. Eine andere Legierung des Kadmiums, beſtehend aus 50 Teilen Blei, 36 Teilen Zinn und 22,5 Teilen Kadmium, liefert das Metall zur Darſtellung der Clichés.

Geſchichtliches. 1818 wurde das Kadmium von Stromeyer und Hermann gleichzeitig entdeckt.

Das Antimon.

Vorkommen. Das Antimon, deſſen chemiſche Formel (von stibium abgeleitet) Sb iſt, findet ſich wenn auch ſelten gediegen. Häufiger kommt es mit Schwefel verbunden als Antimonglanz oder Grauſpießglanzerz Sb2 S3 und auch mit Sauerſtoff Sb2 O3 als Valentinit und Senarmontit vor.

Darſtellung. Man gewinnt das Antimon hauptſächlich aus dem Grauſpießglanzerz und trennt es von ſeiner Gangart durch den Saigerprozeß, da es viel leichter ſchmelzbar iſt, als das begleitende Geſtein. Zu dieſem Zwecke wird es mit dem Geſtein in Tiegeln erhitzt, deren Boden durchlöchert iſt, und welche zwiſchen zwei mit Zuglöchern verſehenen Mauern ſtehen. Fig. 363 zeigt dieſe Anordnung, bei welcher unter dem Schmelztiegel b ein kleinerer Tiegel c ſteht, um das aus dem durchlöcherten Boden des Tiegels b ausfließende Schwefelantimon auf -

Fig. 363.

Antimonſchmelzofen.

Fig. 364.

Antimonſchmelzofen (Vertikalſchnitt)

605Das Antimon.zufangen. Dieſer kleinere Tiegel c iſt mit heißem Sande oder heißer Aſche umgeben. Rationeller wird das Brennmaterial in einem, in Fig. 364 im Vertikalſchnitt dargeſtellten, vollſtändig ummauerten Ofen ausgenutzt. Hierbei werden die größeren Tiegel, welche mit dem Erze beſchickt ſind, auf dem Herde eines Flammenofens von der Flamme vollſtändig beſtrichen, während die unteren kleineren Tiegel, mit den Böden der oberen durch Thonröhren ver - bunden, außerhalb des Feuers in der Außenwand des Ofens ſtehen. Am rationellſten aber geſchieht die Ausſaigerung direkt auf dem Herde eines Flammenofens (Fig. 365), von deſſen tiefſtem Punkte eine Ab - flußröhre e nach dem außerhalb des Ofens ſtehenden Gefäße f führt,

Fig. 365.

Flammenofen.

durch welche nach beendetem Schmelzen das flüſſige Schwefelantimon abfließen kann.

Aus dem ſo gewonnenen Schwefelantimon, welches auch direkt unter dem Namen Antimonicum crudum in den Handel kommt, wird das metalliſche Antimon gewonnen, indem man es röſtet und mit Kohle oder Soda reduziert. Nach A. J. Shannon werden die Erze mit Brennſtoff gemiſcht und in einem mit feuerfeſtem Thon gefütterten Schachtofen mit ſtark wirkendem Gebläſe erhitzt. Das hierbei gebildete Oxyd wird in Zügen oder Kondenſatoren geſammelt, mit einem reduzierend wirkenden Agens gemiſcht und in einem Flammen - ofen geſchmelzt. Sehr einfach iſt auch das Verfahren, den Schwefel durch Eiſen zu entfernen, wobei ſich Schwefeleiſen bildet: 〈…〉

Nach H. Borchers kann das Antimon auch auf elektrolytiſchem Wege gewonnen werden. Es wird hierbei Schwefelnatrium von ganz beſtimmtem Gehalt als Löſungsmittel verwendet, für welches das Grauſpießglanzerz das geeignetſte Antimonerz iſt. Die aus Eiſen beſtehenden Zerſetzungszellen werden gleichzeitig als Kathode benutzt und können zur Vergrößerung der Kathodenfläche noch eiſerne Platten eingehängt werden. Als Anoden dienen iſoliert eingeſtellte Bleipatten. Das Antimon wird hierbei je nach der Stromſtärke pulverförmig oder ſchuppenförmig erhalten und dann zuſammengeſchmelzt.

Eigenſchaften. Das Antimon iſt ein großblätteriges Metall von glänzend bläulich-weißer Farbe, deſſen kryſtalliniſche Struktur man auf den im Handel vorkommenden Broten als farnkrautähnliche Figuren ſehen kann. Es hat ein ſpezifiſches Gewicht von 6,7, iſt ſehr ſpröde und läßt ſich leicht pulvern. Es ſchmilzt bei 450°C., oxydiert ſich bei gewöhnlicher Temperatur nicht, bildet aber, an der Luft erhitzt, einen606Die Rohgewinnung der Metalle.ſtarken weißen Rauch von Antimonoxyd. Salzſäure und Schwefel - ſäure greifen es nur in der Wärme an, Salpeterſäure oxydiert es zu in Salpeterſäure unlöslichen Oxyden und Königswaſſer endlich löſt es auf.

Legierungen. Zu Legierungen verwendet, macht das Antimon die Metalle glänzender, härter und ſpröder. Das Metall der Buch - druckerlettern Schriftgießermetall genannt beſteht aus 80 % Blei und 20 % Antimon, und nimmt die Härte des ſog. Hartbleies über - haupt mit ſeinem Antimongehalt zu. Das ſog. Britanniametall beſteht aus 10 % Antimon und 90 % Zinn, das Pewtermetall aus 89,3 % Zinn, 7,1 % Antimon, 1,8 % Kupfer und 1,8 % Wismut, das Métal argentin aus 85,5 % Zinn und 14,5 % Antimon. Eine in England viel zu Lagermetall für Lokomotiven ꝛc. verwendete Legierung beſteht aus 77,8 % Zinn, 19,4 % Antimon und 2,8 % Zink, ferner gilt als Surrogat für Neuſilber eine Legierung von 5,5 % Antimon, 5 % Nickel, 2 % Wis - mut und 87,5 % Zinn. Zum Ausfüllen kleinerer Löcher und ſchlechter Stellen im Gußeiſen, wird eine Legierung von 9 Teilen Blei, 2 Teilen Antimon und 2 Teilen Wismut verwendet, da dieſelbe die Eigenſchaft hat, ſich beim Erkalten auszudehnen. Als Magnolia-Lagermetall be - findet ſich eine Legierung von 78 % Blei, 16 % Antimon und 6 % Zinn im Handel, dieſelbe ſchmilzt bei 340°C, fließt gut und füllt die Formen gut aus. Endlich wird als Lötzinn eine Legierung von 0,5 % Kupfer, 7 % Antimon, 24,5 % Zinn und 68 % Blei hergeſtellt.

Geſchichtliches. Schon die Alten ſcheinen einige Verbindungen des Antimons gekannt zu haben, das Metall ſelbſt wurde aber erſt im 15. Jahrhundert von Baſilius Valentinus beſchrieben. Prouſt und Berzelius haben die Verbindungen des Antimons näher kennen gelehrt.

Das Arſen.

Vorkommen. Das Arſen (chemiſche Formel As) findet ſich ge - diegen als Scherbenkobalt, meiſt jedoch in Verbindung mit anderen Elementen wie im Arſenkies Fe As S, Arſenikalkies Fe2 As3, Realgar As S, Auripigment As2 S3, Speiskobalt Co As2, Glanzkobalt Co As S, Kupfer - nickel Ni As, in den Fahlerzen und als Beimengung vieler anderer Erze.

Darſtellung. Das im Handel vorkommende Arſen iſt entweder direkt Scherbenkobalt oder aus dem Arſenkies und dem Arſenikalkies durch Sublimation dargeſtellt. Der Arſenkies wird zur Gewinnung des Arſens in thönernen Röhren erhitzt und das übergehende Metall in Vorlagen aufgefangen. So dargeſtellt führt es im Handel den Namen Fliegenſtein. Reines Arſen gewinnt man durch Sublimation eines innigen Gemenges arſeniger Säure (As2 O3) mit Kohle, wobei dieſe unter Bildung von Kohlenoxyd zu Arſen reduziert wird.

〈…〉

607Das Arſen. Das Mangan.

Eigenſchaften. Das Arſen iſt ſpröde, ſtahlgrau und glänzend; ſein ſpezifiſches Gewicht iſt 5,6. Beim Erhitzen unter Luftabſchluß verflüchtigt es ſich bei 180°C, ohne zu ſchmelzen und verdichtet ſich beim Erkalten zu Kryſtallen; wird es an der Luft erhitzt, ſo verbrennt es mit bläulich-weißer Flamme zu arſeniger Säure.

Geſchichtliches. Gewiſſe Verbindungen des Arſens waren ſchon den Alten bekannt, das Metall ſelbſt wurde 1694 von Schröder und 1733 von Brand aus dem Arſenik dargeſtellt.

Das Mangan.

Vorkommen. Das Mangan (chemiſche Formel Mn) wird haupt - ſächlich aus dem Braunſtein Mn O2 dargeſtellt, welcher häufig mit Baryt, Kieſelerde, Waſſer, Nickel, Kobalt und Thallium verunreinigt iſt. Ferner dienen, wenn auch ſeltener, zur Darſtellung Braunit Mn2 O3, der Manganit Mn2 O3, H2 O und der Hausmannit Mn3 O4. Der Braun - ſtein des Handels iſt gewöhnlich ein Gemenge von Pyroluſit Mn O2 mit Hausmannit, Braunit und anderen Manganerzen.

Darſtellung. Zur Darſtellung des Mangans werden die Mangan - oxyde, beſonders der Braunſtein durch ſtarkes Erhitzen mit Kohle - pulver reduziert. Zur Aufbereitung geringhaltiger Manganerze empfiehlt Dehl das Erhitzen derſelben mit waſſerhaltigem Chlormagneſium behufs Bildung von Manganchlorür, Schmelzen desſelben unter Einwirkung von Luft und Waſſerdampf, wobei ſich Manganoxyduloxyd und Chlor bildet.

Eigenſchaften. Das metalliſche Mangan iſt ſpröde, von grauer Farbe und hat ein ſpezifiſches Gewicht von 8.

Legierungen. Eine Legierung von Mangan, Eiſen und Kupfer vermehrt Feſtigkeit, Zähigkeit und Härte der ſpäter aus ſolchem Kupfer gefertigten Bronze. G. A. Dick ſtellt eine Manganbronze dar, indem er reines Kupfer in einem Tiegel mit manganreichem Ferromangan und Silicium zuſammenſchmelzt, O. M. Thowleß, indem er Ferro - mangan mit Silex, einem Metall und einem Flußmittel miſcht, die Miſchung in einem geeigneten Behälter erhitzt und die entſtandene Le - gierung im geſchmolzenen Zuſtande durch Ausgießen von den übrigen Stoffen trennt. Cowles ſetzt den Manganlegierungen 5 % Aluminium hinzu, wodurch ſie eine weiße Farbe und Silberglanz erhalten, feſter, elaſtiſcher, leichter gießbar und weniger leicht angreifbar werden. Endlich ſtellt derſelbe aus 18 Teilen Mangan, 1,2 Teilen Aluminium, 5 Teilen Silicium, 13 Teilen Zink und 67,5 Teilen Kupfer eine Silberbronze dar, welche ſich zu ſehr dünnen Blechen auswalzen und zu ſehr feinem Draht ausziehen läßt.

Geſchichtliches. Schon die älteſten Chemiker kannten den Braun - ſtein, zählten ihn aber zu den Eiſenerzen, bis 1774 Scheele nachwies, daß er ein eigentümliches Metall enthalte, welches Gahn einige Jahre608Die Rohgewinnung der Metalle.ſpäter darſtellte. Die zweckmäßigen Methoden, durch welche das Mangan rein gewonnen werden konnte, gaben erſt vor ca. zwei Jahr - zehnten H. St. Claire-Déville und Brunner an.

Das Aluminium.

Vorkommen. Das Aluminium (chemiſche Formel Al) bildet in ſeinen Verbindungen den verbreitetſten Beſtandteil aller Mineralien. An Sauerſtoff und Kieſelſäure gebunden, bildet es den ja jedermann bekannten Thon, und dieſer findet ſich nächſt dem Sauerſtoff und der Kieſelſäure wohl am häufigſten auf unſerm Planeten. Gediegen kommt es aber nicht vor, und die Darſtellung des reinen Metalles hat bis in die neuere Zeit hinein ſehr große Schwierigkeiten gemacht. Wie ſehr dieſelbe aber gerade in den letzten Jahren vervollkommnet iſt, geht wohl am deutlichſten aus nachfolgenden Angaben hervor.

Geſchichtliches. Als es 1828 von Wöhler zuerſt dargeſtellt wurde, gab es nur ſo geringe Quantitäten, daß der Preis für ein Kilo überhaupt nicht feſtgeſetzt werden konnte. Als es Deville 1854 gelang, das Aluminium im kompakten Zuſtande darzuſtellen, galt das Kilo 2400 Mark, und heute koſtet es infolge der außerordentlichen Vervollkommnung der Darſtellungsmethoden nur noch fünf Mark.

Darſtellung. Die Darſtellung nach Wöhler beſtand darin, daß er Thonerde mit Holzkohle gemengt, glühte und über dieſe glühende, poröſe Thonerde Chlorgas leitete. Hierbei bildete ſich Chloraluminium, welches mit metalliſchem Natrium oder Kalium ſtark geglüht, unter Bildung von Chlornatrium, bez. Chlorkalium zu metalliſchem Aluminium reduziert wurde. Nachdem H. Deville 1854 bei der Darſtellung ge - funden hatte, daß es ſich weit weniger leicht oxydiere als man bisher glaubte und dadurch von ſehr großer Wichtigkeit für die Technik ſei, ſtellte man das Metall in Javelle für Rechnung des Kaiſers Napoleon III. fabrikmäßig dar und zwar im weſentlichen nach der vorher angegebenen Methode. Da nun die Aluminium-Legierungen gleichfalls von ſehr hoher Bedeutung für die Technik ſind, ſo iſt es in vielen Fällen nicht nötig, das Aluminium rein zu gewinnen, und daher gehen viele der Verbeſſerungen ſeiner Darſtellung darauf hinaus, es mit irgend einem Metalle legiert darzuſtellen. So miſcht H. Niewerth Ferroſilicium mit Fluoraluminium und ſchmelzt das Gemenge, wobei ſich Fluorſilicium bildet, welches ſich verflüchtigt, während eine Legierung von Eiſen und Aluminium zurückbleibt. Schmelzt man dieſe Eiſen-Aluminium-Legierung mit Kupfer zuſammen, ſo erhält man die wertvolle Kupfer-Aluminium - Legierung Aluminiumbronze genannt während das Eiſen aus - ſcheidet. W. Weldon ſchmelzt Kryolith das iſt ein Mineral, welches eine Verbindung vom Fluoraluminium mit Fluornatrium darſtellt und ſchon von H. Roſe zur Darſtellung des Aluminiums anſtatt der Thon - erde benutzt wurde mit Calciumchlorid zuſammen. Hierbei bildet609Das Aluminium.ſich Aluminiumchlorid, welches dann zu metalliſchem Aluminium redu - ziert wird. H. A. Gadsden reduziert das erhaltene Aluminiumchlorid zu metalliſchem Aluminium, indem er Natriumdämpfe darauf einwirken läßt, welche er durch Erhitzen einer Miſchung von Natriumkarbonat mit Holzkohle erzeugt. Emerſon Foote erzeugt in zwei verſchiedenen Gefäßen Natriumdampf und eine flüchtige Aluminium-Verbindung, welche ſich in einem dritten Gefäße unter Bildung von Aluminium miſchen. Nach J. J. Seymour wird zerkleinertes Kaolin mit einem geröſteten und gleichfalls zerkleinertem Zinkerz, Kohle und Fluß - mitteln gemiſcht. Dieſe Miſchung wird in feuerfeſten Retorten, deren koniſche Verſchlußſtopfen eine kleine Öffnung beſitzen, ſtark erhitzt, wobei ſich eine Aluminium-Zink-Legierung bildet, welche als ſolche benutzt oder durch Deſtillation in ihre Beſtandteile zerlegt werden kann. F. Lauterbom ſtellt Aluminium aus Aluminiumſulfat dar, indem er letzteres, um es vom Waſſer zu befreien in Tiegeln oder auf Herden erhitzt und die ſo erhaltene poröſe Maſſe pulvert. Hierauf wird die - ſelbe mit Kohle, Antimon und Flußmitteln gemengt, bis zum Schmelzen erhitzt und durch ein Gebläſe im Fluß erhalten, wobei ſich metalliſches Aluminium bilden ſoll. R. Grätzel ſchmelzt Aluminiumnatriumfluorid mit Magneſium oder leitet Magneſiumdampf in das geſchmolzene Doppelfluorid, wodurch dasſelbe zu metalliſchem Aluminium reduziert wird. Auf demſelben Wege kann auch Aluminiumbronze erzeugt werden, wenn man von vornherein eine genügende Menge Kupfer hinzuſetzt.

R. de Montgelas bringt granuliertes Zink in eine Schmelze von Aluminiumchlorid und Aluminiumnatriumchlorid, wobei ſich eine Zink - Alumiumlegierung bildet, welche 50 % Aluminium enthält. Dieſe Legierung wird wieder mit dem Doppelchlorid und einer geringen Menge Magneſium verſchmelzt und das Verfahren ſo lange wieder - holt, bis alles Zink aus der Legierung entfernt iſt. O. M. Towleß miſcht Aluminiumchlorid oder Aluminiumfluorid mit Kalk, Kohle, Soda und Kryolith, worauf dieſe Miſchung in geſchloſſenen Gefäßen auf ſtarke Rotglut erhitzt wird. Hierbei ſchmilzt die Miſchung zuſammen, und wird dann aus der Schmelze durch Waſchen und Löſen des Fluſſes das reduzierte Aluminium gewonnen. Nach Reillon wird über in einer Retorte hoch erhitzte thonerdehaltige Kohle ein Strom von gasförmigem Schwefelkohlenſtoff geleitet. Hierbei bildet ſich Schwefelaluminium, aus welchem mittels Kohlenwaſſerſtoffgaſes bei lebhafter Glühhitze der Schwefel entfernt wird. Nach S. Pearſon wird ein Gemiſch von Kryolith, Bauxit oder Kaolin oder Thonerdehydrat, Chlorcalcium, Calciumkarbonat und Kohle auf dunkle Rotglut erhitzt, wodurch das Aluminium reduziert wird, aber in der ganzen Maſſe verteilt bleibt. Zur Abſcheidung desſelben werden Kupfer oder Zink hinzugeſetzt, welche ſich bein Schmelzen mit dem Aluminium legieren. Soll das Metall rein dargeſtellt werden, ſo wird es mit Zink verſetzt, welches aus dem Gemenge dann durch Deſtillation ausgeſchieden wird.

Das Buch der Erfindungen. 39610Die Rohgewinnung der Metalle.

Von ganz hervorragender Bedeutung für die Darſtellung des Aluminiums aber iſt die in neuerer Zeit ſo ſehr ausgebildete elek - triſche Methode geworden. Ohne dieſelbe wäre es nicht möglich, das Aluminium zu einem ſo billigen Preis darzuſtellen, und ihm damit die zahlreichen Verwendungsarten zu erſchließen, welche es in letzter Zeit gefunden hat (vergl. darüber S. 171 bis 173).

Eigenſchaften. Das Aluminium hat eine bläulich-weiße Farbe und einen ſtarken Glanz, der ſich an der Luft ſelbſt in der Glühhitze unverändert erhält. Es iſt ſehr leicht und hat ein ſpezifiſches Gewicht von nur 2,5; es iſt ſehr dehnbar und hämmerbar, ſo daß man es zu dünnem Draht ausziehen und zu feinen Blättchen auswalzen kann. Es iſt härter als das Zinn, aber weicher als das Zink und Kupfer, nicht ſehr biegſam und bricht mit unebener, zackiger, feinkörniger Bruch - fläche. Es ſchmilzt bei ca. 700°C. und löſt ſich in Salzſäure, Natron - und Kalilauge auf.

Legierungen. Da ſich das Aluminium mit vielen Metallen gut legiert und dieſe Legierungen manche wertvollen Eigenſchaften haben, ſo ſind zahlreiche derſelben dargeſtellt worden, welche alle eine mehr oder weniger hohe Bedeutung für die Technik haben. Die bereits erwähnte Aluminiumbronze, aus 90 bis 95 % Kupfer und 5 bis 10 % Aluminium beſtehend, hat eine goldähnliche Farbe und einen Glanz von großer Haltbarkeit. Dieſe Aluminiumbronze wird auch ſehr häufig zu den verſchiedenſten Zwecken weiter legiert, ſo bereitet O. Hofmann eine Legierung zur Herſtellung von Formerwerkzeugen aus 100 Teilen 10 prozentiger Aluminiumbronze, 2 Teilen Zink, 0,5 Teilen Mangan, 1,5 Teilen Blei, 2 Teilen Zinn und 0,25 Teilen Phosphor, welche Stoffe bei 800°C. zuſammen und mehrere Male umgeſchmelzt werden. Silber - Aluminium-Legierungen ſind härter und politurfähiger als reines Alu - minium und haben vor der Silber-Kupferlegierung die Vorteile, ihre weiße Farbe zu behalten und an der Luft völlig unveränderlich zu ſein. Die phyſikaliſchen Eigenſchaften dieſer Legierungen wechſeln mit den Mengenverhältniſſen beider Stoffe, ſo iſt z. B. eine ſolche Legierung aus 169 Teilen Aluminium und 5 Teilen Silber beſtehend, ſehr elaſtiſch und daher zur Fabrikation feinerer Federn ſehr geeignet. Eine Legie - rung aus 100 Teilen Aluminium und 10 Teilen Zinn ſoll alle Schwierig - keiten, welche das Aluminium beim Schweißen bietet, aufheben, dabei weißer als das Aluminium ſelbſt und bei einem ſpezifiſchen Gewicht von 2,85 nur wenig ſchwerer als dieſes ſein. Eine nickel - und kupfer - haltige Aluminiumlegierung wird beſonders für Patronenhülſen empfohlen. A. Baldwin empfiehlt, zur direkten Darſtellung von Aluminiumlegierungen Thon oder ähnliche aluminiumhaltige Stoffe mit kohlenſtoffhaltigem Material und einem Überſchuß von Natriumchlorid zu ſchmelzen und in dieſe geſchmolzene Maſſe das mit dem Aluminium zu verbindende Metall gleichfalls geſchmolzen einzutragen. C. A. Burghardt ſtellt eine Aluminiumbronze dar durch Elektrolyſe einer Löſung des Doppel -611Das Aluminium. Das Magneſium.cyanides von Kupfer und Aluminium. John Clark ſtellt Legierungen des Aluminiums mit Eiſen und Stahl dar. Ein Zuſatz von Aluminium zu Neuſilber giebt ein Metall, das ſich ſeiner Härte und Schärfbarkeit wegen gut zu Meſſerklingen eignet; ein Zuſatz des Aluminiums zu Meſſing macht dasſelbe widerſtandsfähiger gegen ätzende Flüſſigkeiten. L. O. Brin ſtellt Aluminiumlegierungen direkt aus Thonerde dar, indem er dieſelbe mit Borax und dem zu legierenden Metall zuſammen ſchmelzt unter gleichzeitiger Durchleitung von reduzierend wirkenden Gaſen durch den Schmelztiegel. R. Falk ſtellt durch galvaniſchen Niederſchlag Legie - rungen des Aluminiums mit zahlreichen anderen Metallen dar. L. Petit - Devaucelle ſchmilzt eine Legierung von Kupfer mit Zinn, Zink oder Blei und ſetzt Schwefelaluminium hinzu, wodurch er eine 5 bis 10 pro - zentige Aluminiumkupferlegierung erhält. G. Bamberg legiert das Alu - minium mit Eiſen, Zink, Blei oder Kupfer, indem er Aluminiumchlorid in Dampfform oder Pulver in das betreffende hoch erhitzte, geſchmolzene Metall einführt. J. W. Langley endlich ſtellt Legierungen aus Alu - minium mit Titan und Chrom dar.

Das Magneſium.

Vorkommen. Das Magneſium bildet als Silikat den Haupt - beſtandteil vieler Geſteine, und findet ſich ferner als Sulfat im Kieſerit, Schoenit und Kainit, als Chlor - und Brom-Magneſium im Meerwaſſer und im Karnallit und endlich als Karbonat in dem Magneſit und den Dolomiten.

Darſtellung. Seine Darſtellung iſt ganz analog derjenigen des Aluminiums, indem man eine geeignete Magneſiumverbindung, beſon - ders das Chlormagneſium mittels Natriums reduziert. In neuerer Zeit iſt noch eine andere Darſtellungsmethode mit Vorteil verſucht worden und zwar von E. v. Püttner. Nach dieſer Methode wird das magne - ſiumhaltige Mineral oder Produkt mit Eiſenoxyd und Kohle innig ge - mengt und in geſchloſſenen Gefäßen zur Weißglut erhitzt. Hierbei wird das Magneſium reduziert, verdampft, und ſeine Dämpfe werden in Vorlagen von bekannter Form aufgefangen und wieder kondenſiert. Auch auf elektrolytiſchem Wege wird es von Gerhard gewonnen. Der - ſelbe benutzt Ammonium-Magneſiumſulfat in Waſſer gelöſt als leitende Flüſſigkeit und erwärmt das Bad auf 65 bis 100°C. Für die Abſcheidung eines weißen Metalles wird eine Nickelanode benutzt, während man bei Verwendung einer Kupferanode Magneſiumbronze erhält, in welch letzterem Falle aber der elektrolytiſchen Flüſſigkeit noch Cyankalium und Ammoniumkarbonat hinzuzuſetzen iſt.

Eigenſchaften. Das Magneſium gehört zu den leichteſten Metallen, ſein ſpezifiſches Gewicht beträgt nur 1,7. Es iſt von ſilberweißer Farbe, verliert aber ſeinen Glanz ſehr bald, da es an der Luft etwas anläuft. Über ſeinen Schmelzpunkt ſind die Anſichten ſehr verſchieden, denn39*612Die Rohgewinnung der Metalle.während man bisher annahm, daß derſelbe nur etwas über 400°C. läge, behauptet V. Meyer neuerdings, daß derſelbe erſt bei ca. 800°C. zu ſuchen ſei. Über den Schmelzpunkt hinaus erhitzt, entzündet es ſich und verbrennt mit blendend weißem Lichte zu Magneſia; ungefähr bei 1020°C. verdampft es. Es iſt ſehr duktil und läßt ſich zu Draht aus - ziehen und zu Blech ausſchlagen.

Legierungen. Nach Fleiſchmann ſoll ein Zuſatz von Magneſium - legierungen, beſonders von einer Nickel-Magneſiumlegierung, zu Metall - bädern dieſe Metalle für den Guß inſofern geeigneter machen, als ſie dadurch ſehr dehnbare, blaſenfreie Gußſtücke liefern. J. F. Holtz hin - gegen fand, daß das Magneſium zur Darſtellung von Legierungen ſehr ungeeignet ſei, weil die betreffenden Metalle, wie z. B. Eiſen, Stahl, Kupfer, Meſſing und Bronze durch Zuſatz von Magneſium ſpröder, ſtatt ſchmiedbarer und weicher würden.

Geſchichtliches. Die erſten Verſuche zur Iſolierung des Magne - ſiums aus ſeinen Verbindungen ſtellte Davy an, dieſelben gelangen aber erſt Liebig und Buſſy. 1852 fand Bunſen die Reindarſtellung des Magneſiums auf elektrolytiſchem Wege.

b) Edle Metalle.

Alle vorſtehend behandelten Metalle werden unedle Metalle genannt, während die vier nun noch zu beſchreibenden, nämlich Queck - ſilber, Platin, Silber und Gold edle Metalle genannt werden. Ihr allgemeiner Charakter wird beſtimmt durch ihr ſeltenes Vorkommen, ihr hohes ſpezifiſches Gewicht und ihre geringe Affinität zum Sauer - ſtoff, wodurch ſie ſich an der Luft nicht verändern und auch das Waſſer nicht zerſetzen, weder bei gewöhnlicher noch bei höherer Temperatur und endlich auch nicht bei Gegenwart von Säuren.

Das Queckſilber.

Vorkommen. Das Queckſilber (chemiſche Formel Hg, von hy - drargyrum abgeleitet) iſt nicht ſehr verbreitet. Es findet ſich nur in geringen Quantitäten gediegen, hauptſächlich an Schwefel gebunden im Zinnober HgS und kommt beſonders zu Idria in Illyrien, zu Almaden in Spanien und auch in China, Peru und Kalifornien vor. Ferner findet es ſich in der bayeriſchen Rheinpfalz, Weſtfalen, Kärnthen, Steiermark, Böhmen, Ungarn, Siebenbürgen und am Ural. Zu er - wähnen ſind noch das Queckſilberlebererz, ein mit thonigen und bitu - minöſen Teilen verunreinigter Zinnober und das Queckſilberfahlerz, welches 2 bis 15 % Queckſilber enthält.

Darſtellung. Das Queckſilber wird hauptſächlich aus dem Zinnober dargeſtellt, und zwar in Idria durch Röſten desſelben in613Das Queckſilber.Schachtöfen und Verdichtung der ſich hierbei entwickelnden Queckſilber - dämpfe in eiſernen oder gemauerten Kammern; in Spanien werden die Dämpfe in röhrenartig zuſammengefügten Thongefäßen verdichtet. In Böhmen und der Pfalz wird der Zinnober in geſchloſſenen Räumen durch Zuſchläge, wie Eiſenhammerſchlag oder Kalk zerlegt.

Fig. 366 und 367 zeigen den in Idria angewendeten Apparat im Vertikalſchnitt, und zwar iſt Fig. 367 nur eine Vergrößerung des Mittel -

Fig. 366.

Queckſilber-Röſtofen.

baues von Fig. 366. Der zu röſtende Zinnober wird auf den Wölbungen über dem Herd A derartig angehäuft, daß der erſte Raum V voll - ſtändig damit angefüllt iſt, auf der Wölbung p p1 die größeren Stücke und endlich auf der Wölbung r r1 der Staub und die Rückſtände der letzten Fabrikation gebracht werden. Dieſe Wölbungen ſind zahlreich durchlöchert, und die ſich entwickelnden Gaſe gelangen durch einen über der oberſten Wölbung liegenden Kanal und durch die zahlreichen Seiten - kammern C C zu beiden Seiten nach den Räumen D. Sobald der Ofen beſchickt iſt, wird auf dem Roſt bei A ein Feuer, gewöhnlich

Fig. 367.

Queckſilber-Röſtofen.

mit Buchenholz entzündet, und der in dem ganzen Bau herrſchende Zug führt genügende atmoſphäriſche Luft in den Zinnober, um bei der 10 bis 12 Stunden anhaltenden Dunkelrotglut durch den Sauer - ſtoff derſelben den Schwefel des Zinnobers zu ſchwefliger Säure zu oxydieren, wobei das Queckſilber frei wird, was ſich durch folgende chemiſche Formel ausdrücken läßt: 〈…〉

Die Verbrennungsprodukte entweichen in die Seitenkammern C C, auf deren in der Mitte vertieftem Boden das Queckſilber in einen Be -614Die Rohgewinnung der Metalle.hälter aus Porphyr abfließt, während aus einem Waſſerreſervoir kaltes Waſſer kontinuierlich zu den äußeren Kammern ſtrömt. Die letzten Spuren des Queckſilbers verdichten ſich in den Rauchkammern D D.

In Almaden in Spanien werden die Queckſilberdämpfe in birnen - förmigen kurzen Röhren aus Thon Aludeln genannt verdichtet. Dieſe Aludeln werden mit ihren offenen Enden ſo ineinandergeſchoben, wie es Fig. 368 zeigt, und in dieſer Anordnung Aludelſchnüre genannt.

Fig. 368.

Aludelſchnur.

Der Ofen, den Fig. 369 im Vertikal - ſchnitt und Fig. 370 im Horizontal - ſchnitt zeigt, beſteht aus einem mittels durchbrochenen Gewölbes in zwei Abteilungen geteilten, cylindriſchen Schachtofen, in deſſen unterer Ab - teilung das Feuer angemacht, und deſſen obere Abteilung mit Zinnober beſchickt wird. Dieſer Ofen ſteht durch den ſog. Aludelplan, auf welchem

Fig. 369.

Queckſilber-Röſtofen (Vertikalſchnitt).

Fig. 370.

Queckſilber-Röſtofen (Horizontalſchnitt).

12 Aludelſchnüre liegen, mit den Kammern B in Verbindung. Jede dieſer Aludelſchnüre enthält bei 20 bis 22 m Länge 44 Aludeln. Die beim Röſten ſich bildenden Dämpfe treten nun durch die Kammern c c in die Aludelſchnüre, in welchen ſich das Queckſilber verdichtet und bei615Das Queckſilber.der am tiefſten liegenden Aludel f durch die Rinnen g g in die ſteinernen Behälter h h abfließt. Das letzte Queckſilber wird in Kammern B ver - dichtet, während der Rauch durch den Schornſtein b entweicht.

In Böhmen wird durch Erhitzen des Zinnobers mit Eiſen aus dem Schwefel desſelben Schwefeleiſen gebildet, wobei gleichfalls das Queckſilber frei wird, wie es folgende chemiſche Formel zeigt: 〈…〉

Dieſes Verfahren wird in einem Glockenofen, wie ihn Fig. 371 zeigt, ausgeführt. Auf einer eiſernen Säule ruhen eiſerne Teller b b, welche mit einer unten in Waſſer tauchenden Glocke bedeckt ſind. Die Glocken, von denen ſechs in einem gemauerten Ofen ſtehen, werden durch das Geſtell g in die Öfen verſenkt, an ihrem oberen Teile von der Mauer f aufwärts mit Steinkohle bedeckt und hier, nachdem der Zin - nober auf die Teller b b gebracht war, zum Glühen erhitzt, wobei das Queck - ſilber in das Waſſer a tropft, welches nach been - deter Operation und, nach - dem die Glocke mittels g gehoben worden iſt, mit dem Kaſten d heraus - gezogen werden kann.

Eigenſchaften. Das Queckſilber iſt das einzige Metall, welches bei ge -

Fig. 371.

Glockenofen.

wöhnlicher Temperatur flüſſig iſt; es erſtarrt erſt bei 39° C., ſiedet bei 360° C., verdunſtet aber ſchon bei gewöhnlicher Temperatur. Es hat eine ſilberweiße Farbe, ſtarken Glanz und fließt in runden Tropfen über glatte Flächen. Es verändert ſich bei gewöhnlicher Temperatur an der Luft nicht, wird von Salzſäure und Schwefelſäure bei gewöhnlicher Temperatur nicht angegriffen, von Schwefelſäure aber beim Erhitzen und von Salpeterſäure ſchon in der Kälte aufgelöſt. Sein ſpezifiſches Gewicht iſt 13,5.

Geſchichtliches. Das Queckſilber iſt ſeit den älteſten Zeiten be - kannt, und der Zinnober fand ſchon bei den Alten als Farbe Ver - wendung.

616Die Rohgewinnung der Metalle.

Die Verbindungen des Queckſilbers mit anderen Metallen werden Amalgame genannt, welche feſt oder flüſſig ſind, je nach der Menge des darin enthaltenen Queckſilbers. Es verbindet ſich leicht mit Blei, Wismut, Zink, Zinn, Silber und Gold, ſchwer mit Kupfer, gar nicht mit Eiſen, Nickel, Kobalt und Platin. Die Amalgame mit Gold und Silber werden bei Gewinnung dieſer Metalle benutzt, um dieſe von den Erzen zu ſcheiden, wie bei dieſen Metallen ſelbſt näher auseinandergeſetzt werden ſoll.

Das Platin.

Vorkommen. Das Platin findet ſich nur gediegen, meiſtens in Form von Körnern im angeſchwemmten Sande von Flußbetten, ge - wöhnlich als Platinerz, d. i. Platin mit kleinen Beimengungen der ſog. Platinmetalle, worunter Palladium, Iridium, Rhodium, Osmium und Ruthenium verſtanden werden. Auch Eiſen und Kupfer begleiten es häufig. Seine Fundorte ſind beſonders Südamerika, Kolumbia, Peru und Braſilien, wie das aufgeſchwemmte Land am Ural. Aber es findet ſich auch unter dem Waſchgold in Kalifornien, im Oregon - gebirge, in Braſilien, auf Haïti, in Auſtralien, auf der Inſel Borneo, in Norwegen und endlich im Sande des Ivalofluſſes im nördlichen Lappland. v. Pettenkofer hat nachgewieſen, daß das Platin überhaupt viel verbreiteter iſt, als man früher annahm, denn ſeine Unterſuchungen haben ergeben, daß alles Silber, welches nicht direkt aus einer Scheidung herrührt, von einer geringen Menge Platin begleitet iſt. Seine chemiſche Formel iſt Pt.

Darſtellung. Die Gewinnung des Platins aus dem Platinerz kann nach zwei Methoden, nämlich auf dem naſſen oder auf dem trockenen Wege geſchehen.

Nach der erſten Methode behandelt man das Platinerz mit Königswaſſer, wodurch man eine ſaure Löſung von Platinchlorid (PtCl4) erhält. Aus dieſer Löſung fällt man mittels Salmiak (NH4Cl) einen gelben Niederſchlag von Platinſalmiak (2NH4Cl, PtCl4), welcher, nachdem er gut ausgewaſchen und geglüht iſt, ein graues, poröſes Metall, den ſog. Platinſchwamm, liefert. Dieſer wird zuſammengepreßt, zum Weißglühen erhitzt und unter wiederholtem Ausglühen zwiſchen Holzkohlen in einem Schmiedefeuer gehämmert, wobei das Metall dicht und geſchmeidig wird.

Weit vollkommener iſt die von Deville und Debray 1861 ein - geführte Methode, das Platin auf trockenem Wege zu gewinnen. Das Platinerz wird hiernach mit Bleiglanz auf einem Flammenofen zu - ſammengeſchmelzt, wobei ſich das im Platinerz enthaltene Eiſen mit dem Schwefel des Bleiglanzes zu Schwefeleiſen verbindet, während das Platin und die es begleitenden Metalle ſich mit dem Blei legieren. Auf einem Treibherde, wie er bei der Gewinnung des Silbers näher617Das Platin.beſchrieben werden ſoll, wird nun das Blei nebſt den anderen Metallen entfernt. Das ſo dargeſtellte Platin iſt aber noch nicht ganz rein, denn es enthält noch eine geringe Menge von Blei, Osmium, Iridium und Rhodium und muß auch noch von dieſen Beimengungen befreit werden. Das geſchieht, indem das Platin in einem kleinen Kalkofen im Knallgasgebläſe ſo lange geſchmelzt wird, bis ſich keine Dämpfe von Blei und anderen Metallen letztere erkennt man an dem eigentümlichen Geruch der Osmiumdämpfe aus der geſchmolzenen Maſſe mehr entwickeln.

Eigenſchaften. Das Platin iſt von weißer, etwas ins ſtahl - graue gehender Farbe, von hohem Glanze, ſehr hämmerbar und läßt ſich zu ſehr feinen Drähten ausziehen. Es iſt ſo weich wie das Kupfer und in der Weißglühhitze ſchweißbar. Sein Schmelzpunkt aber liegt ſehr hoch, und es konnte früher nur im Knallgebläſe geſchmelzt werden, wodurch das Gießen von größeren Platinblöcken ſehr erſchwert, wenn nicht unmöglich war. Jetzt ſind von Deville, Debray, Schlöſing u. a. Öfen konſtruiert, in welchen das Platin in größeren Maſſen geſchmelzt werden kann, und zwar durch eine Leuchtgas - oder Waſſerſtoffflamme, welche von Sauerſtoff oder auch nur von atmoſphäriſcher Luft an - geblaſen wird. Die Schmelztiegel in dieſen Öfen beſtehen aus Kalk oder Magneſia. An der Luft bleibt das Platin ganz unverändert und wird auch von Waſſer oder von Säuren mit Ausnahme von Königswaſſer, welches es auflöſt nicht angegriffen; wohl aber greifen es die Alkalien in der Glühhitze an. Sein ſpezifiſches Gewicht iſt 21,2.

In fein verteiltem Zuſtande, wie das Platin bei der Darſtellung auf naſſem Wege gewonnen wird, nennt man es Platinſchwamm. Dieſes hat die Eigenſchaft, Gaſe und beſonders Sauerſtoff in ſehr großer Menge in die Poren aufzunehmen und zu verdichten. Der Sauerſtoff der atmoſphäriſchen Luft wird im Platinſchwamm ſo ver - dichtet, daß er von einem Waſſerſtoffſtrom getroffen, mit dieſem Waſſer bildet und durch die dabei erzeugte hohe Temperatur den Waſſerſtoff entzündet. Auf dieſer Eigenſchaft des Platinſchwammes beruht das Döbereinerſche Feuerzeug. Das Platinmohr beſitzt die Eigenſchaft, Sauerſtoff zu abſorbieren, in noch höherem Grade als der Platin - ſchwamm und iſt wie dieſes höchſt fein verteiltes Platin, aber von vollſtändig ſchwarzer Farbe. Es wird gewonnen, indem man ſchwefel - ſaures Platinoxyd mit kohlenſaurem Natron und Zucker kocht, wodurch das Platinmohr als ſchwarzes Pulver zu Boden fällt, oder indem man Zink mit Platin zuſammen ſchmelzt und dieſe Legierung mit verdünnter Schwefelſäure behandelt. Dieſe löſt das das Platin voll - ſtändig durchſetzende Zink auf und läßt das Platin ſelbſt in dem oben beſchriebenen, fein verteilten Zuſtande zurück.

Geſchichtliches. Das Platin wurde von Anton d’Ulloa, einem Mathematiker, in dem goldführenden Sande des Fluſſes Pinto in Südamerika entdeckt, aber von ihm für Silber gehalten, bis 1752618Die Rohgewinnung der Metalle.Scheffer und Wollaſton nachwieſen, daß es kein Silber, ſondern ein eigentümliches Metall ſei. Dieſer Verwechslung verdankt es auch ſeinen Namen, der von dem ſpaniſchen Worte platiña , das heißt ſilber - ähnlich abgeleitet iſt. Seine Eigenſchaften haben Tennant, Wollaſton, Berzelius und Döbereiner näher kennen gelehrt.

Legierungen. Das Platin bildet mit den meiſten Metallen Legierungen von ſehr wertvollen Eigenſchaften. So ſtellte Deville eine Legierung von 78,7 % Platin und 21,3 % Iridium dar, welche hart und hämmerbar iſt und ſelbſt vom Königswaſſer nicht angegriffen wird. Legierungen von 10 bis 15 % Iridium widerſtehen den Reagentien und dem Feuer beſſer als das reine Platin, während ſie zugleich ſtrengflüſſiger und härter als dieſes ſind. Chapuis hat eine Legierung von 92 % Platin, 5 % Iridium und 3 % Rhodium von ähnlichen Eigenſchaften dargeſtellt. Aus 3 Teilen Platin und 13 Teilen Kupfer ſtellt Bolzani eine dem Golde in Bezug auf dauernden Glanz und Farbe ähnliche Legierung dar. 50 % Platin und 50 % Stahl geben eine weiße Legierung, welche als Spiegelmetall unübertroffen iſt. H. Oſtermann ſtellt eine Legierung aus Platin, Nickel, Kupfer und Kadmium dar, denen er dann Wolfram und Kobalt hinzuſetzt, und erhält ſo ein Metall, das die Eigenſchaften des Stahles hat, nur nicht oxydierbar und nicht magnetiſch iſt, ſich daher beſonders zur Herſtellung von Uhrenteilen eignet. Endlich beſteht eine für Tiegel und chemiſche Utenſilien empfohlene neue Platinlegierung, Platinid genannt, aus 60 % Platin, 35 % Nickel, 2 % Gold und 3 % Eiſen.

Das Silber.

Vorkommen. Das Silber, deſſen chemiſche Formel von argentum abgeleitet Ag iſt, findet ſich in der Natur ſowohl gediegen, als auch in zahlreichen Erzen an Schwefel, Arſen und Antimon gebunden, ſehr ſelten dagegen als Oxyd und an Säuren gebunden. Gediegen kommt es in größeren oder kleineren Stücken baumförmig, drahtförmig und kryſtalliſiert vor; von den Erzen ſind die wichtigſten Silbererze die folgenden: Silberglanz oder Glaserz Ag2S, auch Schwefelſilber genannt; dunkles Rotgiltigerz oder Pyrargyrit Ag3SbS3; lichtes Rotgiltigerz oder Prouſtit Ag3AsS3; Schwarzgiltigerz oder Sprödglaserz Ag12Sb2S9; Miargyrit Ag2S + Sb2S3; Polybaſit (Ag2S, Cu2S) 9, Sb2S3 ꝛc. Die Fahlerze haben die Formel R4Sb2S7, wobei R für Silber, Kupfer, Eiſen oder Zink geſetzt iſt, und endlich enthält der Bleiglanz ſehr häufig 0,01 bis 1,0 % und auch verſchiedene Kupfererze 0,02 bis 1,1 % Silber.

Darſtellung. Die Darſtellung des Silbers wird nach ſehr zahlreichen Methoden bewerkſtelligt, welche ſich außer der neu hinzu - gekommenen Darſtellung auf elektriſchem Wege in zwei Gruppen, nämlich in Darſtellungen auf naſſem und auf trockenem Wege einteilen laſſen. Dieſe beiden Gruppen haben folgende Unterabteilungen:

619Das Silber.

A. Darſtellungen auf naſſem Wege.

  • a) Mittels Queckſilbers:
    • 1. Europäiſche Amalgamation,
    • 2. Amerikaniſche Amalgamation.
  • b) Mittels Auflöſung und Fällung:
    • 1. Auguſtinſche Methode,
    • 2. Ziervogelſche Methode,
    • 3. Sonſtige Methoden.

B. Darſtellungen auf trockenem Wege.

  • a) Gewinnung von ſilberhaltigem Blei,
  • b) Abſcheidung des Silbers aus ſilberhaltigem Blei.
    • 1. Abtreiben auf dem Treibherde,
    • 2. Pattinſonieren,
    • 3. Entſilbern des Werkbleies durch Zink,
    • 4. Feinbrennen des Blickſilbers.

Der Amalgamationsprozeß wird beſonders bei ſilberarmen Erzen ausgeführt, und beſteht die europäiſche Amalgamation, welche haupt - ſächlich in Freiberg üblich war, im weſentlichen aus folgendem: die Erze werden mit Kochſalz d. i. Chlornatrium geröſtet, wobei Arſen und Antimon ſich verflüchtigen und ſich als Oxyde in beſondern Räumen ſammeln, während das Chlor des Kochſalzes mit dem Silber der Erze Chlorſilber bildet. Das Chlorſilber wird unter Zuſatz von Waſſer und metalliſchem Eiſen in die ſog. Amalgamierfäſſer gebracht, welche 16 bis 18 Stunden lang ſchnell um die eigene Achſe rotieren. Hierbei verbindet ſich das Eiſen mit dem Chlor zu Eiſenchlorür, während ſich das Silber als metalliſches Silber in außerordentlich feiner Verteilung ausſcheidet. Um dieſe feinen Partikel zu ſammeln, wird Queckſilber hinzu - geſetzt, welches mit denſelben ein Silberamalgam bildet, und aus dieſem das Queckſilber in einem ſog. Tellerofen geſchieden. Dieſen Tellerofen, auch Glockenofen genannt, den Fig. 371 zeigt, haben wir bereits bei Gewinnung des Queckſilbers kennen gelernt und dort erfahren, daß die Queckſilber - Verbindung in dieſem Falle das Silberamalgam auf die Teller b b gebracht wird, wodurch das die Glocke umgebende Feuer das Queckſilber verdampft, und ſich kondenſiert in dem Waſſer a des Kaſtens d ſammelt, während das zurückbleibende Silber, jetzt Tellerſilber ge - nannt, von den Tellern b b nach Abkühlung und Herausheben der Glocke aus dem Ofen e abgenommen wird. Dieſer Apparat iſt faſt vollſtändig durch einen neueren verdrängt, in welchem die Deſtillation des Queckſilbers aus dem Silberamalgam in einer weiten gußeiſernen Röhre vorgenommen wird. Dieſe Röhre liegt in einem Ofen und hat an ihrem einen Ende eine zweite rechtwinklig nach abwärts ge - bogene Röhre aufgeſetzt, welche aus dem Ofen heraus unter Waſſer620Die Rohgewinnung der Metalle.führt, und in welcher ſich das verdampfte Queckſilber wieder kon - denſiert, während das andere Ende der Röhre, nachdem ſie mit dem Silberamalgam beſchickt iſt, luftdicht verſchloſſen wird. Auch werden geſpannte Waſſerdämpfe zur Deſtillation des Queckſilbers aus dem Amalgam verwendet.

Das ſo erhaltene Tellerſilber enthält noch fremde Metalle und wird von dieſen mit Ausnahme des Kupfers durch Umſchmelzen in Graphittiegeln, nachdem es mit Kohlenpulver beſtreut iſt, befreit. Nun wird es Raffinatſilber genannt und enthält nur noch Kupfer, welches durch Abtreiben oder Affinieren, eine Operation, die ſpäter beſchrieben werden ſoll, entfernt wird.

Nach der in Mexiko, Peru und Chile üblichen amerikaniſchen Amalgamation werden hauptſächlich Rotgiltigerz und Fahlerze ver - arbeitet. Hierbei müſſen die zu verarbeitenden Erze ſehr gut zer - kleinert ſein, weshalb ſie trocken gepocht und dann mit Waſſer auf Erzmühlen, deren Steine aus Porphyr oder Baſalt beſtehen, ſehr fein gemahlen werden. Das Waſſer des ſo erhaltenen feinſchlammigen Breies läßt man auf ſchräg liegenden Steinplatten abfließen und ſetzt nach einigen Tagen Kochſalz und geröſteten, fein gemahlenen Kupfer - kies Magiſtral genannt unter innigem Mengen und Kneten und ſchließlich Queckſilber in einzelnen Rationen hinzu, eine Manipulation, die die Inkorporation genannt wird. Das Mengen wird hauptſächlich mittels Durchtretens vorgenommen, was 2 bis 5 Monate lang jeden zweiten Tag geſchehen muß, bis man glaubt, daß die Entſilberung be - endet iſt. Aus dem ſo erhaltenen Quickbrei wird das Amalgam durch Waſchen in ausgemauerten Ciſternen geſchieden, durch Preſſen in Zwillichſäcken vom überſchüſſigen Queckſilber befreit und ſchließlich das im Silberamalgam befindliche Queckſilber abdeſtilliert. Der chemiſche Vorgang aller dieſer Operationen iſt folgender. Die Wirkung des Magiſtrals beruht auf ſeinem Gehalt an ſchwefelſaurem Kupferoxyd (CuSO4), welches mit dem Kochſalz (NaCl) ſchwefelſaures Natron und Kupferchlorid bildet. Dieſes wiederum giebt einen Teil ſeines Chlors an das Silber ab, indem es Kupferchlorür und Chlorſilber bildet, von welchem das Chlorſilber in der überſchüſſigen Kochſalzlöſung gelöſt bleibt. Sobald das Chlorſilber mit dem Queckſilber in Berührung kommt, wird es unter Bildung von Queckſilberchlorür und Silber - amalgam zerſetzt. Dieſe amerikaniſche Amalgamation hat die Nach - teile eines ſehr großen Zeitaufwandes und eines ſehr hohen Queck - ſilberverbrauchs, welchen aber als Vorteile der geringe Brennmaterial - verbrauch gegenüberſteht und vor allen Dingen der Umſtand, daß nach dieſer Methode, ſo ſilberarme Erze verarbeitet werden können, wie nach keiner anderen.

F. Gutzkow deſtilliert das Queckſilber des Silberamalgams im Vakuum ab und hat einen Apparat konſtruiert, der das Retortieren des Silberamalgams unter vermindertem Druck erlaubt. Hierdurch621Das Silber.wird das Queckſilber viel vollſtändiger aus den Retorten herausgebracht und die Arbeiter werden beim Einſchmelzen des Silbers vor den ſo ſchädlichen Einwirkungen der Queckſilberdämpfe geſchützt. H. S. Myers befreit auf chemiſchem Wege die Silbererze (auch Golderze) von den die Amalgamation ſo erſchwerenden, ihnen anhaftenden Stoffen. Nach ſeiner Methode wird das zerſtampfte oder gepulverte Erz vor dem Röſten mit einer Löſung von Salmiak und nach dem Röſten mit einem Gemiſch von Schwefelſäure und Waſſer befeuchtet, wodurch die Metall - partikel für vollkommene Amalgamation geeignet werden. Für die Amalgamation reinerer Erze (Silber und Gold) empfiehlt Mühlenberg einen Cyankaliumzuſatz bis 5 %, da dadurch alle Gold - und Silber - ſalze beſſer gelöſt werden.

Es ſollen nun diejenigen Methoden der Silberdarſtellung auf naſſem Wege beſprochen werden, bei welchen das Silber durch Auf - löſen und Fällen gewonnen wird.

Nach Auguſtin werden die durch Pochen und Mahlen in ein feines Pulver verwandelten Silbererze geröſtet, wobei ſich ſchwefel - ſaures Silberoxyd bildet. Dieſes wird von neuem unter Zuſatz von Kochſalz d. i. Chlornatrium geröſtet, wodurch das ſchwefelſaure Silber - oxyd in Silberchlorid übergeführt wird. Das ſo gewonnene Chlor - ſilber wird durch Ausziehen des Röſtgutes mit heißer, konzentrierter Kochſalzlöſung aufgelöſt und aus der Löſung mittels metalliſchen Kupfers als metalliſches Silber gefällt. Aus der zurückbleibenden kupferchlorürhaltigen Lauge wird das Kupfer durch Eiſen gefällt. Die von Ziervogel angegebene Methode iſt der Auguſtinſchen ähnlich, nur unterläßt Ziervogel das zweite Röſten mit Kochſalz und zieht das ſich beim erſten Röſten bildende ſchwefelſaure Silberoxyd direkt mit heißem Waſſer aus, in welchem ſich dieſes und das ſchwefelſaure Kupferoxyd auflöſen. Aus dieſer Löſung wird gleichfalls durch metalliſches Kupfer das Silber niedergeſchlagen und Kupferſulfat als Nebenprodukt erhalten. Dieſes Verfahren erfordert weniger Röſtkoſten und Arbeitslöhne, als das vorſtehende, aber es iſt nur für reichere Erze verwendbar, und auch die Rückſtände ſind ſilberhaltiger. Ein Bleigehalt der Erze erſchwert wegen der leicht eintretenden Sinterung das Röſten nach dieſem Verfahren ſehr, und Arſen wie Antimon in den Erzen machen es überhaupt unanwendbar, weil ſich dann die be - treffenden Arſen - und Antimonverbindungen des Silbers bilden, und dieſe in Waſſer unlöslich ſind. Patera und v. Hauer ſchlagen vor, das Silber aus mit Kochſalz geröſteten Erzen mittels unterſchweflig - ſauren Natrons zu löſen und dann das Silber aus der Löſung wie vorher geſagt niederzuſchlagen.

Die Schwefelkieſe oder Pyrite, welche bei der Schwefelſäure - fabrikation zur Darſtellung der ſchwefligen Säure benutzt werden, ent - halten häufig Kupfer und geringe Mengen Silber, weshalb die Röſtrückſtände dieſer Fabrikation, Kiesabbrände genannt, auch auf622Die Rohgewinnung der Metalle.Kupfer verarbeitet wurden, wobei ihr Silbergehalt unberückſichtigt blieb. F. Claudet hat ein Verfahren entdeckt, auch dieſe geringen Mengen Silber zu gewinnen und zwar, indem er das in den Laugen in Form von Chlorſilber-Chlornatrium befindliche Silber vor der Fällung des Kupfers vermittelſt Jodkalium als Silberjodid abſcheidet. Der Nieder - ſchlag enthält außer dem Silberjodid noch Kupferchlorür und Kupfer - oxychlorid, weshalb er mit Salzſäure behandelt wird, um die Kupfer - verbindungen zu löſen. Beim Erhitzen des nun noch reſtierenden Niederſchlages mit Waſſer und metalliſchem Zink, wird unter Bildung von löslichem Jodzink metalliſches Silber ausgeſchieden; das Jodzink dient dann weiter zum Fällen neuer Silbermengen.

Um eine wie vorher beſchriebene weiter zu behandelnde Chlor - verbindung des Silbers (auch Goldes) in den Erzen ohne Röſten zu erhalten, empfiehlt F. Manhès, die feingemahlenen Erze mit pulveri - ſiertem Salmiak zu miſchen. Dieſes Gemiſch wird dann bei niedriger Temperatur ſolange erhitzt, bis keine Ammoniakdämpfe mehr auftreten, und nun ſind die genannten Edelmetalle in ihre Chlorverbindungen übergeführt. Nach G. Thomſon wird das feingemahlene Erz geröſtet, mit Schwefelſäure erhitzt und dann mit einer Kochſalzlöſung ſolange behandelt, bis alles Silberſulfat in Silberchlorid übergeführt iſt. Aus der Silberchlorid-Löſung wird dann, wie vorher beſchrieben, das Silber gewonnen. H. Haſſenot empfiehlt die Fällung des metalliſchen Silbers aus ſeinen Salzen durch Einſtellen eines Kupferbleches in die ammo - niakaliſche Löſung derſelben. Silberſalze, welche in Ammoniak nicht löslich ſind, werden mit konzentrierter Schwefelſäure zum Sieden erhitzt, mit überſchüſſigem Ammoniak verſetzt und hierauf der Einwirkung des Kupfers ausgeſetzt. R. Pearce ſtellt das weiter zu verarbeitende Silber - ſulfat aus den feingepulverten Erzen dar, indem er ſie, mit 2 bis 5 % Natrium - oder Kaliumſulfat gemiſcht, röſtet und das Röſtgut mit heißem Waſſer auslaugt. S. W. Cragg behandelt die Erzmaſſen mit trockenem Chlorgas bei einer Temperatur von 100 bis 150° C., ohne daß das Chlorgas oder die zu chlorierenden Erze mit dem Erwärmungsmittel in Berührung kommen. Es bildet ſich hierbei Chlorſilber, welches in hölzernen Gefäßen, die einen Asphaltüberzug haben, ausgelaugt wird. Nach Mac Arthur endlich werden die Erze mit Kali oder Kalk bis zur Neutralität behandelt, und dann wird das Silber (auch Gold) mittels Chlorid - löſungen ausgezogen. Die Löſung wird filtriert und über fein ver - teiltes Zink geleitet, durch welches das Silber (bez. Gold) gefällt wird. Durch Deſtillation wird dann das Zink von den Metallen getrennt.

Bei der Gewinnung des Silbers auf trockenem Wege wird erſt ſilberhaltiges Blei, ſog. Werkblei, dargeſtellt und dann aus dieſem nach verſchiedenen Methoden das Blei entfernt. Der erſte Teil dieſes Ver - fahrens beruht auf der Eigenſchaft des Bleies, Schwefelſilber beim Schmelzen unter Bildung von Schwefelblei und ſilberhaltigem Blei zu zerſetzen. Letzteres iſt ſehr leichtflüſſig und bildet ſich auch beim Zu -623Das Silber.ſammenſchmelzen von Blei und ſilberhaltigem Kupfer unter gleichzeitiger Bildung einer ſchwerer ſchmelzbaren Blei-Kupferlegierung. Zu dieſem Zwecke ſchmelzt man das ſilberhaltige Schwarzkupfer mit Blei zu Scheiben, wie ſie Fig. 372 zeigen, aus welchen dann auf dem Saigerherde (Fig. 373) das ſilberhaltige Blei ausgeſaigert wird. Fig. 372 zeigt gleichzeitig die Art der Aufſtellung der Scheiben oder Saigerſtücke D auf dem Herde, auf welchem das bleihaltige Silber aus - ſchmilzt und in die Bleigruben c c (Fig. 373) fließt. Von hieraus wird es in die Ver - tiefung e geſchöpft, um dann nach einer der

Fig. 372.

Anordnung der Saigerſtücke.

ſogleich zu beſchreiben - den Methoden verar - beitet zu werden. Die viel ſchwerer ſchmelz - bare Blei-Kupfer - legierung bleibt auf dem Herde zurück und die ſie enthaltenden Scheiben werden Kien - ſtöcke genannt.

Die nun vorzu - nehmende Entſilberung

Fig. 373.

Saigerherd.

des Werkbleies kann nach einer der vorher genannten drei verſchiedenen Methoden geſchehen, nämlich auf dem Treibherde, oder durch Pattin - ſonieren oder endlich vermittelſt Zink.

Die Entſilberung des Werkbleies auf dem Treibherde wird ſowohl in den Silberhüttenwerken, als auch in den Bleihüttenwerken vorge - nommen. Fig. 374 zeigt den Vertikalſchnitt eines ſolchen Treibherdes, der aus einem Gebläſeflammenofen mit einer Feuerung F beſteht. A iſt der Herd, auf welchem das Werkblei geſchmelzt wird, B eine durch die Vorrichtung D zu hebende und zu ſenkende Haube, P das Schürloch, auch Blech - loch genannt, und a a ſind die Düſen des in den Herd mündenden Gebläſes. Die Wirkung dieſer Treibherd - arbeit beruht nun darauf, daß die ſich ſtets von neuem auf der Oberfläche des Me - tallbades bildende Schicht von Bleioxyd durch das in Fig. 374 nicht ſichtbare

Fig. 374.

Treibherd (Vertikalſchnitt).

624Die Rohgewinnung der Metalle. Glättloch abfließen kann. Läßt die Menge des Werkbleies nach, ſo wird das Glättloch durch Auskratzen vertieft, und ſchließlich iſt die Operation beendet, wenn ſich kein neues Häutchen von Blei - glätte mehr bildet. Das letzte ſich bildende Häutchen iſt ſchon ſo dünn, daß die Oberfläche in allen Regenbogenfarben ſchillert und beim Zer - reißen das weiße Silber durchblicken läßt, welchen Augenblick man den Silberblick und das ſo erhaltene Silber Blickſilber nennt. Das letztere wird, nachdem das Feuer aus dem Ofen gezogen iſt, durch Be - ſprengen mit Waſſer abgekühlt und aus dem Ofen gehoben; während das inzwiſchen abgefloſſene Bleioxyd zu einer blättrigen Maſſe von gelber oder rötlichgelber Farbe (Bleiglätte) erſtarrt.

Die Arbeit auf dem Treibherde iſt bei ſilberarmem Werkblei nicht mehr lohnend, und nimmt man im allgemeinen an, daß die Grenze hierfür bei einem Silbergehalt von 0,12 % liegt. Das nach ſeinem Erfinder Pattinſon genannte Verfahren, das Pattinſonieren , ermöglicht auch noch weit ärmerem Werkblei das Silber zu entziehen und zwar bis zu einem Gehalte von 0,009 %. Es beruht auf einem Kryſtalli - ſierprozeß und wird ausgeführt, indem man das ſilberarme Werk - blei ſchmelzt und es dann langſam abkühlen läßt. Hierbei bilden ſich Bleikryſtalle, die faſt ganz ſilberfrei ſind und nach deren Entfernung Abheben mittels Schaumlöffels ſilberreicheres Blei zurückbleibt. Durch mehrmalige Wiederholung dieſer Operation kann man das Silber vollſtändig vom Blei trennen. Das Pattinſonieren wird aber auch angewendet, um ſilberarmes Werkblei ſilberreicher und damit für die Treibherdarbeit geeignet zu machen.

Das Entſilbern des Werkbleies durch Zink endlich beruht darauf, daß die Affinität des Zinks zum Silber größer iſt, als diejenige des Bleies, während Blei und Zink miteinander keine Legierungen bilden. Hierüber haben Karſten und ſpäter Parkes Verſuche angeſtellt, während Rosway, Cordurié u. a. dieſes Verfahren für die Praxis ausgebildet haben. Danach wird Zink in das geſchmolzene Werkblei gethan und nach tüchtigem Umrühren die an der Oberfläche erſtarrende Zink-Silber - legierung abgehoben. Aus dieſer Legierung wird dann das Zink durch Deſtillation getrennt, oder nach Cordurié durch überhitzten Waſſerdampf in der Glühhitze in Zinkoxyd übergeführt. Hierbei zerſetzt nämlich das Zink den Waſſerdampf in Sauerſtoff, mit welchem es ſich zu Zinkoxyd verbindet, und Waſſerſtoff, wie es folgende chemiſche Formel zeigt: 〈…〉

Das nach der Entſilberung des Werkbleies durch Zink zurück - bleibende zinkhaltige Blei wird nach Herbſt und Waſſermann durch Erhitzen mit Chlorblei unter Bildung von Chlorzink wieder vom Zink gereinigt: 〈…〉

625Das Silber.

Nach H. H. Schlapp wird das Werkblei mittels Zinks entſilbert, indem man das geſchmolzene Werkblei in fein verteiltem Zuſtande durch das Zinkbad fallen läßt und dann das entſilberte Blei vom Boden des Bades aus abzieht. In der deutſchen Gold - und Silberſcheide - Anſtalt in Frankfurt a / M. endlich wird anſtatt des Zinks eine Zink - aluminiumlegierung verwendet, indem dieſelbe wiederholt in das flüſſige Werkblei eingerührt wird. Das Aluminium verhindert hierbei die Oxydation des Zinks, wodurch die Bildung und Abſonderung des Zinkſilbers viel leichter und ſchneller vor ſich geht.

Das ſo erhaltene Blickſilber iſt noch nicht vollſtändig rein, ſondern enthält noch geringe Mengen anderer Metalle, welche durch Fein - brennen , auch Raffinieren genannt, entfernt werden müſſen. Dieſes Feinbrennen geſchieht je nach den Verunreinigungen des Silbers ent - weder in Teſten, Schalen oder eiſernen Ringen, welche mit Knochenaſche ausgefüttert ſind, unter Anwendung eines Gebläſes, oder unter der Muffel, oder endlich am vorteilhafteſten und einfachſten im Flammen - ofen. Das ſo gereinigte Silber heißt dann Brandſilber und erhält man bei dieſen Operationen 96,8 % des Blickſilbers. Zur Reinigung des Blickſilbers von Blei und Wismut wendet die deutſche Gold - und Silber - Scheideanſtalt ſchwefelſaures Silberoxyd an. Dieſes wird geſchmolzen allmählich in das im Graphittiegel gleichfalls geſchmolzene Blickſilber eingerührt. Hierbei entſtehen ſchwefelſaures Bleioxyd und Wismut - oxyd, welche an der Oberfläche des Metallbades eine Schlacke bilden.

Auch der elektriſche Strom iſt im großen zur Gewinnung des Silbers aus ſeinen Erzen durch Elektrolyſe in neuerer Zeit viel ange - wendet worden. Nach einem Verfahren von Höpfner wird außer dem Kupfer das Silber direkt und ſehr rationell aus ſeinen Erzen gewonnen. Bei dem Kupfer geſtattet das Verfahren einſchließlich eines 10 prozen - tigen Stromverluſtes die Gewinnung von faſt 33 kg chemiſch reinen Kupfers mit 30 kg Kohle, ein Reſultat, das bisher ganz unerreicht daſteht und noch die Verwertung der ärmſten Erze ermöglicht. Für die Silbergewinnung fehlen die diesbezüglichen Zahlenangaben noch. Luckow trennt auf elektrolytiſchem Wege Silber und Blei in einer 15 % freie Salpeterſäure enthaltenden, ſalpeterſauren Löſung, welche mit einigen Tropfen konzentrierter Oxalſäurelöſung verſetzt iſt. Endlich iſt der elektriſche Strom auch zum Raffinieren des Silbers angewendet worden. In ein gewöhnliches elektrolytiſches Bad werden Anoden von dem betreffenden ſilberhaltigen Metall und als Kathode eine dünne Platte reinen Silbers gebracht. Das Bad beſteht aus einer ſehr ſchwachen, etwa einprozentigen Salpeterſäure, und die Anoden ſind von Mouſſelinſäckchen umgeben, in welchen das Gold, Platin, Bleiſuper - oxyd und andere in dem zu raffinierenden Silber enthaltenen fremden Metalle mit Ausnahme des Kupfers zurückbleiben. War auch Kupfer im Silber enthalten, ſo wird dieſes zwar von der Salpeterſäure ge - löſt, aber nicht auf der Kathode niedergeſchlagen.

Das Buch der Erfindungen. 40626Die Rohgewinnung der Metalle.

Eigenſchaften. Das Silber hat von allen Metallen die weißeſte Farbe, den ſtärkſten Glanz, und iſt ſehr politurfähig; es ſchmilzt bei ca. 1000° C und verflüchtigt ſich bei ſehr hohen Temperaturen. Es abſorbiert während des Schmelzens Sauerſtoff, und zwar ſein zwei - undzwanzigfaches Volumen, wenn es in reinem Sauerſtoff geſchmelzt wird; dieſen Sauerſtoff giebt es beim Erſtarren wieder ab, wodurch das noch flüſſige Metall umhergeſchleudert wird, eine Erſcheinung, die man das Spratzen des Silbers nennt. Es iſt weicher als Kupfer, aber härter als Gold und mit Ausnahme dieſes Metalles das ge - ſchmeidigſte und dehnbarſte aller Metalle; es läßt ſich zu Blattſilber von 0,01 m m Dicke auswalzen und von einem Gramm Silber kann man einen Draht von 2200 m Länge ziehen. Die Dehnbarkeit und Geſchmeidigkeit werden aber ſchon durch geringe Beimiſchungen anderer Metalle mit Ausnahme des Kupfers ſehr verringert; Gold hingegen erhöht dieſelben. Salzſäure greift das Silber auch bei höherer Tem - peratur nur ſehr wenig an, Schwefelſäure beim Erhitzen, und Salpeter - ſäure löſt es ſchon bei gewöhnlicher Temperatur ſchnell auf. Sehr leicht verbindet es ſich mit Schwefel, weshalb es ſich in ſchwefelwaſſer - ſtoffhaltiger Luft mit einer dünnen Schicht von ſchwarzem Schwefel - ſilber überzieht. Sein ſpezifiſches Gewicht iſt 10,5, kann aber durch Hämmern bis auf 10,62 erhöht werden.

Geſchichtliches. Das Silber iſt ſchon ſeit den älteſten Zeiten bekannt.

Legierungen. Da das Silber zu weich iſt, um rein verarbeitet zu werden, ſo wird es faſt ſtets mit anderen Metallen, wie Blei, Zink, Nickel, Zinn, Wismut, Aluminium, Gold ꝛc., beſonders aber mit Kupfer legiert. Dieſe Legierungen ſind härter und klingender als das reine Silber, und ſind die Legierungsverhältniſſe derſelben in den meiſten Ländern geſetzlich vorgeſchrieben. Das Silber von dem vorgeſchriebenen Feingehalt wird Probeſilber genannt. Eine neue für die Juweliere beſtimmte Legierung heißt Roſeïn und beſteht aus 10 % Silber, 40 % Nickel, 30 % Aluminium und 20 % Zinn. Einige Legierungen, in denen ſich Silber in geringerer Menge findet, ſind bei den Legierungen der anderen Metalle. beſchrieben.

Das Gold.

Vorkommen. Das Gold deſſen chemiſche Formel von aurum abgeleitet Au iſt iſt ziemlich verbreitet, findet ſich aber faſt immer nur in ſehr geringer Menge, meiſt gediegen oder mit etwas Silber in Siebenbürgen, Sibirien, beſonders aber in Kalifornien, Mexiko und Auſtralien. Es findet ſich entweder auf Gängen und Lagern in den älteſten Geſteinen der Erde oder in den Zerſetzungsprodukten derſelben, ferner im Flußſande und im angeſchwemmten Lande. Auch Eiſenkies und die meiſten Silber -, Kupfer - und Bleierze enthalten Gold, wenn auch nur in ſehr geringen Mengen.

627Das Gold.

Darſtellung. Die Gewinnung des Goldes geſchieht auf ſehr verſchiedene Arten und richtet ſich nach dem Vorkommen desſelben. Das in dem Goldſande und den verwitterten Felsarten vorkommende Gold wird aus dieſen ausgewaſchen, indem man viel Waſſer durch auf ſchiefen Tafeln ſtehende ſog. Wiegen, welche die goldführende Geſteinsart enthalten, fließen läßt, oder auch in hölzernen Näpfen, welche man ſo lange mit Waſſer ſchüttelt, bis die größte Menge des Sandes fortgewaſchen iſt. Das ſo erhaltene Waſchgold enthält noch Körner von Titaneiſen und Magneteiſen.

Auch durch Queckſilber wird das Gold aus dem goldhaltigen Sande, nachdem dieſer aufgeſchwemmt iſt, unter Bildung von Gold - amalgam ausgezogen. Es geſchieht dies in den ſog. Quick - oder Goldmühlen, in welchen durch Herumſchleudern die Goldkörnchen mit dem Queckſilber in Berührung gebracht werden. In Beuteln von Leder oder dergleichen, wird dann durch Preſſen das Goldamalgam von dem überſchüſſigen Queckſilber getrennt und ſchließlich das Queck - ſilber aus dem Amalgam nach denſelben Methoden entfernt, welche bereits beim Silberamalgam beſchrieben ſind. Nach H. Wurtz wird durch Zuſatz von Natrium zum Queckſilber unter Bildung von Natrium - amalgam das Ausziehen des Goldes erleichtert und auch viel voll - ſtändiger erreicht. Einen ſehr vollkommen arbeitenden Amalgamotor hat H. Mc. Dougall konſtruiert. Bei demſelben gelangen der gold - führende Sand oder die Erze durch einen Trichter in die innere Pfanne eines Syſtems konzentriſcher Pfannen, welche ſich in raſcher Umdrehung befinden und deren Seitenwände geneigt und amalgamiert ſind. Die Centrifugalkraft ſchleudert das Erz von der innerſten Pfanne an der Seitenwand derſelben aufſteigend in die zweite, von hier aus in die dritte u. ſ. w., bis es alle Pfannen paſſiert hat. Der Amalgamüberzug der Seitenwände hat dann auch alles Gold amalgamiert.

Bei weitem rationeller als die Methode des Auswaſchens und Amalgamierens iſt diejenige des Ausſchmelzens. Nach derſelben wird das Gold mit Flußmitteln in Hochöfen auf goldhaltiges Roheiſen ver - ſchmelzt und aus dieſem dann mittels Schwefelſäure abgeſchieden. G. Sweanor ſtellt bei 315° C. durch Zuſammenſchmelzen eine leicht ſchmelzbare Legierung von vier Teilen Wismut, zwei Teilen Blei, einem Teile Zinn und einem Teile Kadmium dar, hält ſie bei ca. 88° C. flüſſig und trägt in dieſes Metallbad den gepulverten goldführenden Quarz ꝛc. ein. Das Gold ſinkt in demſelben unter, während die Gangart auf der Legierung ſchwimmt.

Die Kupfer - und Bleierze, in welchen Gold eingeſprengt vorkommt, werden, wie bei ihrer Verarbeitung angegeben worden, geröſtet und gewaſchen, und ſind es goldreiche Erze, ſo werden ſie durch Amalga - mation weiter behandelt, während aus goldarmen Erzen das Gold mittelſt der Eintränkungsarbeit gewonnen wird. Dieſelbe beſteht darin, daß man die goldhaltigen Schwefelmetalle, nach dem Röſten und40*628Die Rohgewinnung der Metalle.Schmelzen Rohſtein genannt, abermals röſtet und nun mit Blei - glätte zuſammenſchmilzt. Dieſe verbindet ſich mit dem in dem Roh - ſteine enthaltenen Golde und wird von dieſem dann auf dem Treib - herde mittelſt Abtreibens geſchieden. E. T. Levis empfiehlt, die zer - kleinerten Erze unter Lufteinblaſen zu röſten, den entweichenden Staub zu ſammeln und dieſen mit der geröſteten Maſſe und mit baſiſchen Flußmitteln gemiſcht in einem Schachtofen niederzuſchmelzen. D. Clark chloriert die goldhaltigen Erze, indem er ſie vor dem Röſten mit Koch - ſalz und Eiſen - oder Kupferchlorür miſcht, und ſie nach dem Röſten auslaugt oder amalgamiert. Ein Verfahren von O. Brien hat ſich beſonders für goldhaltige Pyrite bewährt. Danach werden die Kieſe, nachdem ſie 24 bis 30 Stunden lang geröſtet wurden, mit Schweflig - ſäureanhydrid behandelt, mit Waſſer ausgelaugt und dann in gewöhnlicher Weiſe amalgamiert. Die hierzu erforderliche ſchweflige Säure liefern die Kieſe während des Röſtens ſelbſt. Zur Gewinnung des Goldes aus Arſeneiſen endlich ſchmelzt E. Probert dasſelbe und läßt es dann in eiſerne, mit feuerfeſtem Material ausgefütterte Gefäßen ab. In die noch flüſſige Maſſe wird dann gekörnte Glätte oder Blei eingeführt, welches ſich mit dem Golde verbindet und von dieſem wie vorher geſagt auf dem Treibherde abgetrieben wird.

Sehr armen goldhaltigen Erzen wird das Gold auf naſſem Wege entzogen, indem dieſelben mit Chlorwaſſer oder einer angeſäuerten Chlorkalklöſung behandelt werden. Hierbei löſt ſich das Gold als Goldchlorid (AuCl3) auf und wird aus der Löſung durch Eiſenvitriol oder Schwefelwaſſerſtoff niedergeſchlagen. Nach dieſer Methode kann man aus Kieſen, welchen man nachdem ſie geröſtet wurden durch Behandlung mit Schwefelſäure das Eiſen, Zink, Kupfer ꝛc. ent - zogen hat, noch 0,0001 gr Gold extrahieren. Nach Mac Arthur wird das Gold aus den Erzen durch Cyanid gelöſt und aus dieſer Löſung mittelſt Zink niedergeſchlagen. J. B. Spence löſt das Gold aus den geröſteten und fein gemahlenen Erzen in einer heißen Löſung von Eiſenhyperchlorid, und ſchlägt es aus dieſer Löſung durch geeignete Agentien nieder. Cl. T. J. Vautin endlich erhöht die Wirkung der zur Auflöſung des Goldes verwendeten wäſſerigen Chlorlöſung weſentlich dadurch, daß er die Behandlung der Erze mit derſelben unter einem Druck bis zu vier Atmoſphären vor ſich gehen läßt.

Das nach allen den vorſtehend genannten Methoden gewonnene Gold iſt nicht abſolut rein, ſondern enthält noch kleine Beimengungen anderer Metalle und ſtets Silber, von welchem es gereinigt werden kann. Dieſe Reinigung wird nach ſehr verſchiedenen Methoden vor - genommen, von denen die wichtigſten nachfolgende ſind.

Mittelſt Schwefelantimons kann das verunreinigte Gold oder die Legierung gereinigt werden, wenn ſie mindeſtens 60 % Gold enthält. In das geſchmolzene Metall wird gepulvertes Schwefelantimon ein - getragen und bewirkt beim Erkalten die Bildung von zwei Schichten629Das Gold.der Maſſe, von denen die obere, Plachmal genannt, aus den Schwefelmetallen der Verunreinigungen beſteht, während die untere, König genannt, Antimongold iſt. Das Antimon verdampft man aus dem Antimongold durch Erhitzen der Legierung vor dem Gebläſe oder unter der Muffel.

Eine andere Scheidung iſt diejenige durch Cementation, wobei ſog. Cementpulver, beſtehend aus 4 Teilen Ziegelmehl, einem Teile Kochſalz und einem Teile geglühten Eiſenvitriols mit feinen Granalien oder dünnen Blechen des Goldes in einem Tiegel geſchichtet, mehrere Stunden lang erhitzt wird. Hierbei wird das Chlor des Kochſalzes entwickelt und bildet mit dem Silber Chlorſilber, welches das Ziegelmehl aufſaugt. Nach dem Erkalten der Maſſe wird das Gold aus derſelben durch Auskochen mit Waſſer gewonnen.

Eine durchaus falſche Bezeichnung trägt die ſog. Scheidung in die Quart, welche durch Salpeterſäure geſchieht, weil man fälſchlich annahm, daß ſie nur dann ausführbar ſei, wenn der Silbergehalt der betreffenden Legierung das dreifache des Goldgehaltes betrage. Es genügt aber ſchon die doppelte Menge von Silber in der Legierung, um es durch Kochen mit konzentrierter Salpeterſäure aufzulöſen. Bei Anwendung dieſer Methode wird die betreffende Legierung mit der erforderlichen Menge Silber zuſammengeſchmelzt, granuliert und in einem Platinkeſſel mit vollkommen chlorfreier Salpeterſäure übergoſſen. Dieſe löſt das Silber auf, ohne das Gold anzugreifen, welches dann mit Borax und Salpeter umgeſchmelzt wird. Das Silber wird aus der ſalpeterſauren Löſung durch Zink oder Kupfer gefällt und ſo wieder gewonnen.

Die wichtigſte unter allen Scheidungsmethoden iſt die ſog. Affinierung , welche durch Schwefelſäure geſchieht, denn dieſelbe iſt nicht nur die einfachſte und billigſte, ſondern ſie geſtattet auch die Scheidung einer Legierung von ganz geringem Goldgehalte, vorausgeſetzt, daß dieſelbe nicht über 20 % Gold und 10 % Kupfer enthält. Beim Er - hitzen mit Schwefelſäure wird das Silber und das Kupfer vollſtändig gelöſt, während das Gold nicht angegriffen wird. Dasſelbe wird darauf mit Natriumkarbonat gekocht und mit Salpeterſäure behandelt, wodurch es von dem beigemengten Eiſenoxyd, Schwefelkupfer und Bleiſulfat befreit wird. Aus der das Silber und Kupfer enthaltenden Löſung wird das Silber mittelſt Kupferblechſtreifen herausgefällt und das Kupfer auf Kupferſulfat verarbeitet. Auch die ſich bei der zuerſt ſtattfindenden Behandlung der Legierung mit Schwefelſäure entwickelnden Dämpfe von Schwefelſäure und ſchwefliger Säure werden nicht verloren ge - geben, ſondern aufgefangen und auf Schwefelſäure oder deren Präparate weiter verarbeitet. Durch die Affinierung kann das Gold aus den betreffenden Legierungen noch gewonnen werden, wenn dieſelben auch nur 1 / 12 % davon enthalten. Das ſo gewonnene Gold enthält nach M. v. Pettenkofer allerdings noch 2,8 % Silber und 0,2 % Platin,630Die Rohgewinnung der Metalle.kann aber von dieſen Metallen leicht durch Umſchmelzen mit Salpeter und Natriumbiſulfat befreit werden.

Wie zur Gewinnung des Silbers und der meiſten anderen Metalle iſt in neuerer Zeit auch zur Gewinnung des Goldes im großen die Elektrolyſe verwendet worden. A. E. Scott wendet amalgamierte Zink - elektroden an, welche in eine mit einer dünnen Schicht Benzin bedeckten Salzlöſung oder in Seewaſſer tauchen. Die Erze werden in dieſe Flüſſigkeit hineingegeben, und das während der Elektrolyſe aus der - ſelben entwickelte Chlor löſt das Gold auf. Die geſättigte Löſung wird dann abgedampft, der Rückſtand kalciniert, mit Waſſer ausgezogen und ſchließlich auf Gold verarbeitet, oder das Gold wird aus der Löſung direkt gefällt. A. Schanſchieff wendet als erregende Flüſſig - keit einer galvaniſchen Batterie die Löſung von Queckſilberſulfat an, in welcher die Erze gethan ſind. Das frei werdende Queckſilber amal - gamiert ſich mit dem Gold und Silber der Erze, während die anderen in ihnen enthaltenen Metalle in Löſung gehen. Die Batterie wird hauptſächlich aus einem Eiſenbehälter gebildet, in welchen das Erz gebracht wird, und aus einer Kohlenplatte, welche die Löſung von oben gerade berührt. H. F. Julian endlich behandelt die Erze mit Chlor, amalgamiert ſie, und behandelt ſie dann elektrolytiſch auf folgende Weiſe. Das zerkleinerte Erz kommt in ein rotierendes Faß, durch deſſen Hohlachſe Luft oder Dampf tritt, um hier mit Chlor oder einer chlorerzeugenden Subſtanz behandelt zu werden. Sodann führt man Queckſilber oder Natriumamalgam in das Faß ein, und läßt es von neuem rotieren, worauf das Erz durch elektrolytiſche Zellen und über amalgamierte Platten geleitet wird. Die Kathoden dieſer Zellen be - ſtehen aus Queckſilber oder Amalgam und das Erz wird in den Zellen durch die aus einer perforierten Röhre tretenden Waſſerſtrahlen be - wegt. Durch eine Löſung eines Kalium - oder Natriumſalzes wird die Wirkſamkeit des Queckſilbers ſehr erhöht.

Eigenſchaften. Das Gold hat eine gelbe, als Pulver eine braune Farbe, welche erſtere ſchon durch die Beimengung geringer Mengen anderer Metalle modifiziert wird, und iſt bei großer abſoluter Feſtig - keit noch weicher, dehnbarer und ſtreckbarer als das Silber wie auch ſehr politurfähig. Es läßt ſich zu Blattgold von 0,0001 mm Dicke auswalzen und iſt in dieſem Zuſtande mit grüner Farbe durchſcheinend. Aus einem Gramm Gold kann ein Draht von 2500 m Länge gezogen werden. Es ſchmilzt bei 1100° C., nimmt dabei eine meergrüne Farbe an und dehnt ſich ſchmelzend ſtark aus; in ſehr hoher Temperatur kann es verflüchtigt werden. Von Säuren wird es nicht angegriffen, ſondern nur von Chlor liefernden Flüſſigkeiten, und unter dieſen beſonders von dem ſog. Königswaſſer, d. i. eine Miſchung von einem Teil konzen - trierter Salpeterſäure und 2 bis 4 Teilen konzentrierter Salzſäure. Sein ſpezifiſches Gewicht iſt 19,25, kann aber durch Bearbeitung bis auf 19,6 erhöht werden.

631Das Gold.

Geſchichtliches. Das Gold iſt ſeit den älteſten Zeiten be - kannt, und ſeine vergeblich angeſtrebte künſtliche Darſtellung war das Hauptziel der Alchimiſten, welche eine ganz beſondere Epoche in der Geſchichte der Chemie hervorriefen.

Legierungen. Da die aus reinem Gold dargeſtellten Gegen - ſtände ſich infolge ſeiner geringen Härte ſehr bald abnutzen würden, ſo muß es ſtets legiert werden. Es legiert ſich auch mit zahlreichen anderen Metallen, aber mit Ausnahme von Silber und Kupfer be - einträchtigen ſchon kleine Mengen faſt aller anderen Metalle ſeine Dehn - barkeit beträchtlich, und beſonders wirken Blei, Antimon, Wismut und Arſen ſchädlich nach dieſer Richtung. Bei der Berechnung des Goldes in den Legierungen nach Karat , wird die Kupferlegierung des Goldes rote Karatierung , die Silberlegierung weiße Karatierung und ein Gemiſch beider gemiſchte Karatierung genannt. Auch für das Gold wird wie bei dem Silber erwähnt der Gehalt der Legierungen in den meiſten Ländern durch das Geſetz beſtimmt. Eine Legierung von rotbrauner Farbe und Eiſenhärte beſteht aus 18 Teilen Gold, 13 Teilen Kupfer, 11 Teilen Silber und 6 Teilen Palladium. Grünes Gold in allen Nuancen wird durch geeignete Proportionierung von Gold, Silber und Kadmium erhalten. H. Oſtermann ſetzt eine Legierung zuſammen aus 30 bis 45 Teilen Gold, 20 bis 30 Teilen Palladium, 0,1 bis 5 Teilen Rhodium, 10 bis 20 Teilen Kupfer, 1 bis 10 Teilen Nickel, 0,1 bis 5 Teilen Mangan, 0,1 bis 5 Teilen Silber und 0,1 bis 2,5 Teilen Platin.

Dieſe vorſtehend erwähnten Legierungen ſind aber nur als die aller - neuſten derſelben erwähnt worden, während in der That außerordentlich zahlreiche Legierungen des Goldes, beſonders im wechſelnden Ver - hältnis mit Silber und Kupfer exiſtieren, denn die Herſtellung der - ſelben zur Erhöhung des Härtegrades und zur Veränderung der Farbe iſt uralt. Schon die antiken Schmuckſachen beſtehen größtenteils aus Legierungen von Gold mit Silber und Kupfer, ja ſelbſt mit Blei.

Dr. Max Weitz.

2. Die Metallverarbeitung.

a) Die rohere Formgebung der Metalle.

Das Metall hat ſich die Welt erobert. Überall, in den Hütten der Armut, wie in den Paläſten der Reichen tritt es uns entgegen, bald in beſcheidenſter Geſtalt als Blechlöffel, bald als koſtbare Bronze - ſtatue, deren Erwerb dem glücklichen Beſitzer viele Tauſende von Mark koſtete. Schier unendlich mannigfaltig ſind die Formen, die es anzu -632Die Metallverarbeitung.nehmen vermag; was immer des Künſtlers Auge ſchaut, vermag ſeine Hand in Erz nachzubilden, iſt es doch ein Stoff von einer Bildſamkeit wie faſt kein anderer und doch wieder von einer Feſtigkeit, die ihn Jahrtauſende überdauern läßt. Wir haben ihn nun im vorigen Ab - ſchnitt auf ſeinem Leidenswege verfolgt, den ihn der Menſch wandeln läßt, erſt losgeriſſen von ſeiner Mutter Erde, dann zerpocht, geröſtet ꝛc., bis endlich ein Metallblock entſtand, ſo rein, daß er zu weiterer Ver - arbeitung ſich eignet; denn noch iſt der Pfad nicht zu Ende und ehe aus dem Blocke ein Kunſtwerk entſteht, das dem Menſchen Bewunderung abzwingt, koſtet es noch manchen Schweiß. Da wird gegoſſen, ge - hämmert, geſchmiedet, die verſchiedenen Metalle werden gemiſcht ꝛc., unerſchöpflich erſcheint faſt jetzt ſchon die Fülle der Methoden, nach denen Metalle verarbeitet werden, und noch jedes Jahr bringt neue Erfindungen hervor.

Das Gießen.

Unter Metallgießen verſteht man die Kunſt, dem Metall im ge - ſchmolzenen Zuſtande eine Form zu geben, die es nach dem Erſtarren behält. Man füllt zu dieſem Zwecke eine Höhlung, der man eine be - ſtimmte Geſtalt gegeben hat, mit dem flüſſigen Metalle aus und erhält dann ein Gußſtück, das dieſer Höhlung, der Gußform, vollkommen gleicht. Auf die Herſtellung der Form muß daher die größte Sorgfalt verwendet werden, und ſo haben ſich denn im Laufe der Zeit die ver - ſchiedenſten Methoden herausgebildet, die Formen ſo zweckentſprechend wie möglich zu geſtalten und dabei doch den geringſten Aufwand an Zeit und Arbeitskraft zu machen. Die Form iſt eine Art Kunſtwerk für ſich, und entſpricht ſie nicht allen Anforderungen, ſo mißlingt der Guß, und Mühe und Fleiß ſind vergeblich geopfert. Bildſam ſoll das Material der Form ſein, damit es ſich mit Leichtigkeit in beſtimmte Formen drücken läßt; und doch feſt dabei, damit es durch den Druck des Metalls nicht auseinander gepreßt werde; porös, damit die Gaſe, welche oft in großen Mengen vom Metall abſorbiert ſind, leicht ent - weichen können, und unſchmelzbar in der Temperatur, bei welcher das Metall hineingegoſſen wird. Wenige ſolche Materialien giebt die Natur dem Menſchen direkt an die Hand. In älteren Zeiten benutzte man hauptſächlich Lehm, wie ja auch Schiller in der Glocke erwähnt, aber da Lehm undurchläſſig iſt, ſo miſcht man ihn mit Pferdedünger, der ſich in der Hitze zerſetzt und dann Hohlräume übrig läßt. Lehmformen werden vor dem Gebrauche getrocknet, nicht ſo die Formen aus Sand, die ſeit der Mitte des 18. Jahrhunderts vielfach in Aufnahme ge - kommen ſind. Der Sand bekommt erſt durch einen richtigen Feuchtig - keitsgrad die genügende Bildſamkeit, man nimmt ihn recht fein, aber ſcharfkantig und ſplittrig, damit Hohlräume bleiben, durch welche der Waſſerdampf und die Gaſe entweichen können. Enthält der Sand viel Thonerde, ſo wird er fett genannt und heißt auch Maſſe. Die Maſſe633Das Gießen.iſt bildſamer, aber weniger durchläſſig. Eiſerne Formen, welche mit Luftkanälen verſehen ſind, kommen ſeit Anfang dieſes Jahrhunderts vor und werden zum ſogenannten Hartguß benutzt.

Zum Herſtellen der Formen bedient man ſich meiſt hölzerner Modelle, mit jeder größeren Gießerei iſt daher auch eine Modelltiſchlerei verbunden. Nach dem einfachſten Verfahren wird Formſand unmittel - bar vor dem Ofen in einer gehörig dicken Schicht auf dem Fußboden der Hütte, dem Herde ausgebreitet, durchnäßt und dann das Modell hineingedrückt. Durch Kanäle läuft das Metall in die Form und er - ſtarrt an der Luft, feines Kohlenpulver, mit dem die Form beſtäubt wird, verhindert das Anbacken von Sandkörnchen an das Gußſtück. Von der Seite her ſind durch den Sand mit einer feinen langen Nadel, dem Luftſpieß, in die Form feine Öffnungen geſtochen, die Wind - pfeifen, um den Abzug des Waſſerdampfes zu erleichtern. Mit dieſer offenen Art der Herdformerei laſſen ſich natürlich nur einfache Gußſtücke, namentlich Platten herſtellen. Bei allen komplizierten Gußſtücken bedient man ſich des Kaſten - oder Flaſchenguſſes. Man legt das Modell auf ein Brett, das Formbrett, mit derjenigen Fläche nach oben, welcher die Form des Werkſtückes gegeben iſt. Dann ſtülpt man den Kaſten darüber, und füllt ihn mit Formſand, der gehörig feſtgeſtampft wird. Bei großen Gußſtücken iſt der Kaſten mit eiſernen Querrippen verſehen, um dem Sande größere Haltbarkeit zu verleihen. Kehrt man darauf den Kaſten um, ſo hat man in der Sandoberfläche einen vertieften Abdruck des Modells. Einen zweiten Kaſten von gleicher Größe ſtampft man ebenfalls mit Sand voll und ſetzt ihn als Oberkaſten darauf. Durch den Sand des Oberkaſtens geht ein Kanal, durch welchen das Metall eingegoſſen wird. Hat das Gußſtück kompliziertere Profile, iſt es namentlich geſchweift und ſo geſtaltet, daß man nach dem Guß die Form nicht ohne weiteres abnehmen kann, ſo ſchneidet man es der Dicke nach quer durch, formt jeden Teil einzeln und ſetzt dann die Formkäſten aufeinander, nachdem ihre Oberflächen mit Ziegelmehl beſtreut ſind, damit der Sand nicht zuſammenbacke. So werden z. B. Kugeln, Walzen und ähn - liche Gegenſtände geformt. Fig. 375 zeigt die zweiteilige Form einer Riemenſcheibe mit einem Kerne a b. Dieſe hölzernen oder eiſernen Käſten ſollen verhindern, daß die

Fig. 375.

Zweiteilige Gußform einer Riemenſcheibe.

Form durch den ſtarken Metall - oder Dampfdruck zerſprengt wird. Auch hier wird die Form vor dem Gebrauch mit Kohlenſtaub bepudert. Der Kaſtenguß wird außerordentlich häufig angewandt. Bei hohlen Gegenſtänden, Mörſern, Röhren u. dgl. wird in die den äußeren Umfang des Gußſtückes begrenzende Form noch eine zweite innere634Die Metallverarbeitung.hineingeſetzt, der Kern. Der Kern muß beſonders ſtark gearbeitet werden, er beſteht meiſt aus gebranntem Lehm weil das Metall beim Erkalten ſich mehr oder minder ſtark zuſammenzieht und dann einen ungeheuren Druck auf den Kern ausübt.

Der Maſſeguß wird, weil das benutzte Material feinkörniger iſt, hauptſächlich für feinere Gießwaren, Ringe, Leuchter, Münzen ver - wertet. Da die Formen wegen ihres feſteren Gefüges weniger durch - läſſig ſind, ſo werden ſie vor dem Gebrauch in eigenen Trockenkammern ſtark getrocknet, bis aller Waſſerdampf entwichen iſt.

Bei den bisher beſchriebenen Verfahren kann die Form nur ein - mal gebraucht werden, dasſelbe findet auch beim Lehmguß ſtatt. Die Lehmform beſteht aus drei Teilen. Der Kern hat Größe und Geſtalt des Innern, des Hohlraumes des Gußſtückes. Über den Kern wird mit Lehm ein Modell ausgeformt, das dem zu fertigenden Gußſtücke vollkommen der äußeren Geſtalt nach gleicht und deſſen Schicht ſo dick iſt, wie die Metallſtärke des Gegenſtandes werden ſoll. Dies iſt das Hemde, die Dicke, auch Stärke genannt. Über das Hemde endlich wird eine ſtärkere Lehmſchicht aufgetragen, der Mantel. Der Mantel wird dann vorſichtig mit einem dünnen Meſſer zerſchnitten, abgenommen und das Hemde vom Kern entfernt. Endlich ſtülpt man den Mantel wieder über den Kern und hat nun einen Hohlraum, der in jeder Beziehung dem Gußſtücke ähnlich iſt. Große Formen werden in eine Grube, die Dammgrube geſetzt und dann mit feſtgeſtampfter Erde um - geben; auch mauert man wohl den Kern gleich in der Grube aus Lehm - ziegeln auf. Lehmformen werden vor dem Gebrauch ſtark getrocknet und mit einer Miſchung von Waſſer und Kohlenpulver bepinſelt, geſchwärzt.

Formen aus Metall, wie ſie beim ſogenannten Schalenguß gebraucht werden, haben den Vorzug, daß ſie eine mehrmalige Benutzung ge - ſtatten, ſie werden trotzdem wenig angewendet, weil die Gußwaren durch das ſchnelle Abkühlen das Abſchrecken in den gut leitenden Formen unanſehnlich und rauh ausfallen und bis in eine gewiſſe Tiefe eine große Härte und Sprödigkeit erlangen, wenigſtens beim Eiſen. Damit iſt das Formmaterial noch nicht erſchöpft, bei Metallen mit niedrigen Schmelztemperaturen benutzt man Papier, Gips, Holz, Schiefer oder leicht ſchmelzbare Metalle, für ſchwer ſchmelzbare Metalle ver - wendet man Meſſing, Schmiedeeiſen, Gußeiſen, Sand, Lehm, gebrannten Thon, für Edelmetalle auch Sepia; bei den einzelnen Metallen ſoll darauf zurückgekommen werden.

Um Zeit und Arbeitslohn zu ſparen, hat man geſucht, beim Her - ſtellen der Formen die menſchliche Hand durch Maſchinen zu erſetzen. So erfand 1827 Frankenfeld in Rothehütte im Harz zuſammen mit Heyder und Flantje die Modellplattenformerei, 1854 erfand Brown in Nordamerika die erſte Röhrenformmaſchine, dieſe iſt ſpäter von Waltjen verbeſſert und unter deſſen Namen weithin bekannt geworden. Die635Das Gießen.größte Verbreitung haben aber die Räderformmaſchinen für Zahnräder gefunden, für welche eine große Anzahl von Patenten genommen ſind.

Das Gießen ſelbſt iſt eine verhältnismäßig einfache Sache. Die Formen erhalten ein Gießloch, und bei kleinen Gegenſtänden wird mit Schöpfkelle oder Eimer das flüſſige Metall durch dasſelbe hinein - gegoſſen. Größere Gußſtücke werden durch viele Öffnungen gleichzeitig gefüllt, meiſt direkt aus Hochöfen, und das Metall durch in den Hütten - boden gegrabene Kanäle zugeführt. Da das Metall beim Erkalten ſich zuſammenzieht, ſchwindet, ſo wird die Form etwas größer gebaut, wie das Gußſtück; vielfach wird ſie auch noch mit einem Aufſatz verſehen, dem verlorenen Kopf, der nach dem Guß beſeitigt wird, und aus welchem das Metall nachfließen kann. Immer iſt darauf zu achten, daß die ſich entwickelnden Dämpfe und die aus dem Metall hervorbrechenden Gaſe, ſo ſchnell wie möglich abziehen können; die Zahl der Windpfeifen muß alſo genügend groß ſein.

Die Eiſengießerei war im Altertum unbekannt, denn man war damals nicht imſtande, ſo hohe Hitzegrade zu erzielen, daß man ver - mocht hätte, Eiſen zu ſchmelzen. Erſt aus dem Jahre 1490 kommt die Nachricht, daß im Elſaß eiſerne Öfen gegoſſen wurden. 1547 fertigte man in England eiſerne Kanonen, 1780 goß man auf der Hütte Lauch - hammer die erſten eiſernen Statuen. Den Feinguß betrieb zuerſt die Anfang des 19. Jahrhunderts angelegte königliche Eiſengießerei zu Berlin. Die erſte Eiſenbrücke wurde in England 1773 1777 über den Severnfluß geſchlagen. Früher goß man Eiſen ausſchließlich in Lehmformen, jetzt kommen alle oben genannten Methoden in Anwendung. Heutigen Tages kann man ſich kaum eine Vorſtellung davon machen, wie unſere Vorfahren ohne Eiſen haben durchkommen können, denn ſeit der Erfindung des Guſſes hat dieſes Metall ſich im Fluge die Welt erobert. Zum Segen der Menſchheit hat es namentlich das Holz erfolgreich aus dem Felde geſchlagen; denn was ſollte aus den Wäldern werden, würden nicht Streben und Träger, ja ſelbſt ganze Gebäude und Schiffe, landwirtſchaftliche und andere Maſchinen, Brunnen - röhren u. ſ. w. aus Eiſen verfertigt, lauter Gegenſtände, zu deren Her - ſtellung früher ausſchließlich Holz benutzt wurde. Auch mit anderen Metallen, namentlich mit der Bronze, iſt das Gußeiſen erfolgreich in Konkurrenz getreten und die zierlichſten Kunſtwerke von außerordent - licher Feinheit der Ausführung werden in den Eiſengießereien an - gefertigt. In allerjüngſter Zeit hat eine Abart des Eiſens, der Stahl, einen erfolgreichen Wettbewerb mit demſelben angefangen.

Der Stahlguß geht in gleicher Weiſe vor ſich, wie der Eiſenguß, nur daß man ſich hier ausſchließlich der Formen aus fettem Sande oder aus Lehm bedient, die ganz beſonders feuerbeſtändig ſein müſſen. Stahl iſt bedcutend widerſtandsfähiger wie Eiſen, bei gleichen An - forderungen an die Leiſtungsfähigkeit können daher Gußſtahlſtücke von ſehr viel geringeren Dimenſionen gewählt werden. Man benutzt alſo636Die Metallverarbeitung.Stahl überall, wo bei Verwendung von Gußeiſen die Werkſtücke ſelbſt ſchon zu ſchwer werden würden, oder wo letzteres Metall ſich zu ſchnell abnutzen würde. 1824 beſchäftigte ſich Needham in London zuerſt mit dem Gießen von Stahl, aber erſt ſeit der Erfindung des Beſſemer Verfahrens finden wir Stahlſchienen, Stahlkanonen, Turmglocken, Rad - kränze, Scheibenräder, Walzen und andere große Gegenſtände. Sicherlich ſteht man hier erſt am Anfang und der Fortgang iſt noch nicht ab - zuſehen, namentlich beim Brückenbau blüht dem Stahl noch eine große Zukunft.

Von geringerer Bedeutung iſt das Gießen von Meſſing und Neu - ſilber, das gleichfalls in Sand oder in Lehmformen vor ſich geht; der Gebrauch dieſer Metalle iſt allerdings auch ein ziemlich großer, aber doch auf einen verhältnismäßig geringen Kreis beſchränkt.

Von höchſtem Intereſſe iſt der Bronzeguß. Bronze wird haupt - ſächlich für Kanonen, Glocken und Bildſäulen verwertet. Gegoſſen wird Bronze wie die anderen Metalle, und nur beim Glocken - und Statuenguß findet ein beſonderes Verfahren Platz, das hier näher erläutert werden ſoll. Glocken werden in der Dammgrube geformt und gegoſſen, mit der Mündung nach unten. Auf dem für den Mittelpunkt der Form beſtimmten Platz ſchlägt man einen Pfahl ein, um den ein ringförmiges Mauerwerk aufgeführt wird, über welches der hohle, ebenfalls gemauerte Kern ſich aufbaut, den man außen mit Lehm beſtreicht. Auf ein quer über den Pfahl gelegtes und in den Kern eingemauertes Eiſen ſtützt man eine ſenkrechte eiſerne Spindel, deren oberes Ende in einem wagerecht über der Grube liegenden Balken läuft. An der Spindel wird ein Brett befeſtigt, das genau die Form des inneren Querſchnitts der Glocke hat; führt man alſo mit der Spindel dieſe Lehre um den Kern, ſo wird ſie allen überſchüſſigen Lehm fortnehmen, ſo daß der Kern jetzt dem Glockeninnern vollkommen gleicht. Dann macht man Feuer in dem Kern an, damit derſelbe trockne, und beſtreicht ihn mit in Waſſer gelöſter Aſche, damit das Hemde nicht am Kern feſthafte. Das Hemde wird aus Lehm gemacht und ebenfalls mit einer Lehre, die natürlich die äußere Glockenform nachahmt, abgeſtrichen. Endlich bekommt dieſes Hemde oder Modell einen Überzug aus Talg oder Wachs, der flüſſig aufgetragen und mit der Lehre geglättet wird. Bilder, Schrift, Verzierungen werden in naſſen hölzernen, gipſenen oder meſſingenen Formen aus Wachs gedrückt, mit Terpentin auf das Modell aufgeklebt, das dadurch der äußeren Glocke vollkommen gleicht. Endlich wird über das Hemd Lehm ſchichtenweiſe aufgetragen und der Mantel gebildet und mit einer dritten Lehre abgedreht. Durch ge - lindes Heizen des Kernes trocknet der Mantel, indem gleichzeitig die wächſernen Verzierungen ausſchmelzen und ihnen gleiche Vertiefungen im Mantel zurücklaſſen. Auf die Öffnung, welche die Form oben, entſprechend der Höhlung des Kerns, immer noch hat, wird die Form zu den Henkeln aus Lehm über hölzernen oder wächſernen Modellen637Das Gießen.gebildet, die in ihrem Innern die vollkommene Geſtalt der Glocken - krone haben. Dieſe enthält den Einguß und mehrere Windpfeifen. Zur Verſtärkung werden Mantel und Henkelform mit eiſernen Schienen und Reifen verſteift, an welchen ſich Haken befinden, mittels deren man dieſe Rüſtung mit Mantel und Henkelform mit einem Flaſchenzug in die Höhe ziehen kann. Sodann ſchneidet man das Hemde in Stücken los, beſſert, wenn nötig, Kern und Mantel noch aus, füllt den Kern mit Erde und verſchmiert ihn oben mit Lehm. Endlich läßt man den Mantel wieder herab und macht durch Verſtreichen aller Fugen mit Lehm und Vollſtampfen der Dammgrube mit Erde und Sand die Form zum Guß fertig.

Der Statuenguß iſt noch komplizierter. Mannigfaltig ſind die Methoden, nach denen die Gußformen hergeſtellt werden. Nach einer kleinen Skizze wurde über einem Gerüſt aus Eiſenſtäben ein Gips - modell mit aller Sorgfalt hergeſtellt, in der wirklichen Größe, die die gegoſſene Statue haben ſollte. Über dieſem Modell wurde eine aus vielen Teilen beſtehende Gipsform gemacht, deren Hohlraum alſo jetzt dem Gußſtück gleicht. Vor dem Zuſammenſetzen kleidete man jedes Stück mit Wachs von der Dicke aus, die die Statue bekommen ſollte. Dieſes Wachsmodell gleicht nun in jeder Beziehung äußerer, innerer Form, Dicke der Statue. Iſt man ſo weit, ſo ſetzt man die ganze Form um ein Gerüſt von Eiſenſtäben in die Dammgrube und füllt ſie innen mit der Kernſchlichte, einer Miſchung von Gips, Ziegelmehl und Waſſer. Da Gips allein dem Feuer nicht widerſtehen kann, ſo wird der Gipsmantel abgenommen, das Wachsmodell bleibt auf dem Kern, da es innen mit einer großen Anzahl kleiner Öſen und Häkchen ver - ſehen iſt, die im Kern feſtſitzen. Das Wachsmodell wird erſt noch nachgearbeitet und dann etwa 20 mm dick mit Formkitt, einer Miſchung aus Lehm, Ziegelmehl und Leimwaſſer, überzogen. Jetzt umgiebt man das Ganze mit Lehm und umbaut es mit Lehmſteinen. Ein gelindes, außen angemachtes Feuer läßt das Wachs innen ſchmelzen und eine Höhlung zurückbleiben, die dem anzufertigenden Gußſtück gleicht. Dieſer ſogenannte italieniſche Guß wird heute noch angewendet, er hat den Vorzug, daß alle Feinheiten des Bildwerkes aufs beſte, ohne Nach - arbeit hervortreten und das Ganze in einem Stücke gegoſſen werden kann, andererſeits iſt aber auch bei einem ja niemals ausgeſchloſſenen Mißlingen des Guſſes die ganze mühevolle Arbeit verloren, das Modell allerdings bleibt erhalten. Man gießt daher jetzt die Kernſchlichte direkt in die Gipsform und arbeitet nach dem Erkalten vom Kern ſoviel herunter, als die Metalldicke betragen ſoll und gießt dann den Raum zwiſchen Kern und Mantel mit Wachs aus oder, und das iſt das in der Neuzeit meiſt angewendete Verfahren, man führt den Guß ſtück - weiſe aus. Der Hauptkörper wird in einfachere Teile zerlegt und ebenſo werden kleinere Nebenteile, die ſtark hervortreten, wie Pferde - ſchwänze, vorgeſtreckte Arme u. ſ. w. getrennt gegoſſen. Man wendet638Die Metallverarbeitung.auch Thon ſtatt des koſtſpieligen Wachſes an. Bei kleinen Statuen, bei Büſten, Vaſen und allen Gegenſtänden, die fabrikmäßig in großer Zahl hergeſtellt werden ſollen, greift man zum Sandguß. Dieſe Stücke werden aus Wachs in einer mehrteiligen Gipsform hohl gegoſſen, indem man die Form ſtürzt, d. h. nach teilweiſem Erſtarren des Wachſes umkehrt und das noch Flüſſige auslaufen läßt. Die Form wird dann mit einem warmen Meſſer zerſchnitten, über einem Kern von Lehm oder feſtem Sande wieder zuſammengeſetzt und nun mit einem Lehm - mantel umgeben oder in einem zweiteiligen Formkaſten in feſtem Sande eingeformt. Endlich wird das Wachs ausgeſchmolzen. Wunderlich ſieht eine Form bei ſehr gegliederten und verwickelten Güſſen aus, indem ſie aus einer Unzahl von Keilſtücken zuſammengeſetzt wird, die hinten von Lehm umgeben ſind. Bei einer Adlerſchwinge z. B. muß für jede Feder ein beſonderer Keil eingeſetzt werden. Das Gußſtück erhält dadurch eine große Zahl von Gußnähten, die nachher erſt wieder wegciſeliert werden müſſen.

Der Geſchützguß hat ebenfalls eine Reihe von Wandlungen durch - machen müſſen. Die erſten deutſchen Bronzegeſchütze ſollen 1372 von Aarau in Augsburg hergeſtellt ſein. Man goß ſie bis Mitte des 17. Jahrhunderts hohl über einen Kern, ſeit 1740 und 1748 aber werden ſie nach dem Vorgehen des franzöſiſchen Marine-Inſpektors Maritz maſſiv ausgeführt und nachher ausgebohrt. Der Modellkörper wird aus Lehm über einem viereckigen Eiſengerüſt hergeſtellt und Inſchrift und Verzierungen aus Wachs aufgeklebt. Um dies Hemde wird, wie beim Glockenguß der Mantel geformt. Seit Anfang dieſes Jahr - hunderts wendet man Bronzemodelle an, die in Stücke geteilt und einzeln in Formkäſten in der oben beſchriebenen Weiſe mit Maſſe um - ſtampft werden. Die Käſten werden dann zuſammengeſetzt. Beim Gießen iſt das dicke Ende unten, und oben noch ein verlorener Kopf aufgeſetzt.

Der Zinkguß wurde in früheren Zeiten ſehr wenig betrieben, kommt aber immer mehr in Aufnahme, namentlich als Erſatz für die teure Bronze. Statuen, Kronleuchter, Kunſtgegenſtände aller Art werden aus Zink gearbeitet und dann bronziert. Dieſe ſogenannte unechte Bronze ſieht gut aus und iſt gegenüber der echten ſehr billig. Zink gießt ſich mit ſehr glatter Oberfläche und giebt alle feinen Züge des Modells wieder, es bedarf daher nur geringer Nacharbeit. Sehr beliebt ſind in neuerer Zeit für Maſſenartikel die Stürzformen. Über ein Gipsmodell wird ein Bronzemantel gegoſſen, der dann inwendig von einem Ciſeleur ſehr ſorgfältig nachgearbeitet wird, eine beſonders ſchwierige Arbeit, da alle Erhöhungen des Guſſes als Vertiefungen in der Form und umgekehrt erſcheinen. Beim Guß wird die Form gedreht, ſo daß nur eine dünne Metallſchicht an der Wandung der Form ſitzen bleibt. Das überſchüſſige Metall wird durch Umkehren der Form entfernt. Sehr beliebt ſind die elaſtiſchen Leimmodelle,639Das Gießen.die auch beim Bleiguß vielfache Verwendung finden. Über einem Gipsmodell wird aus mehreren Stücken eine Form aus gebranntem Gips und Waſſer hergeſtellt, innen gefirnißt und mit heißer Leimauf - löſung, der man auch wohl etwas Sirup zuſetzt, vollgegoſſen. Nach dem Erkalten nimmt der Leim die Konſiſtenz einer zähflüſſigen Gallerte an und läßt ſich dann das Leimmodell leicht herausziehen. Über dieſes Modell werden Formen aus einer Zuſammenſetzung von Ziegelmehl, feinem Formſand, Gips und Waſſer gegoſſen, die aber und hierin liegt der Hauptvorteil wegen des elaſtiſchen Modelles nur aus ſehr wenigen Teilen zu beſtehen brauchen.

Eine ganz hervorragende Bedeutung hat der Bleiguß, der einzige, bei dem auch ohne Form Güſſe zuſtande kommen. Teils rein, teils mit anderen Metallen gemiſcht, hat Blei eine ungeheure Verbreitung gefunden. Bleiröhren, Bleipapier, Gewehrkugeln in allen Größen bis zum feinſten Schrot, Orgelpfeifen, Schriftlettern mögen als Beweis für dieſe Behauptung gelten. Bleiplatten werden ſeit 1827 nach dem Vorgehen von Voiſin auf einer Sandſteinplatte gegoſſen, Platten aus Orgelmetall, einer Legierung von Blei mit Zinn auf einem mit Leine - wand überzogenen aus mehreren Bohlen zuſammengeſetzten Holzbrett. Kugeln werden ſeit 1840 meiſt nach Rapier durch Maſchinen aus kaltem Blei durch Preſſen hergeſtellt. Eine ganz eigne Methode wird beim Schrotguß angewendet. Wenn man aus einem Blechlöffel Blei in Waſſer gießt, und wer hätte dies nicht ſchon einmal am Sylveſter - abend gethan, ſo wird man bemerken, daß kleinere Bleitropfen zu Gebilden erſtarren, die einem Getreidekorn ähnlich ſehen. Läßt man aber den Bleitropfen aus größerer Höhe herabfallen, ſo rundet er ſich und gewinnt mehr die Kugelform. Beim Herſtellen des Schrotes verfährt man ähnlich. Man gießt flüſſiges Blei in ein rundes oder viereckiges Sieb von Eiſenblech, mit runden ſcharfrandigen Löchern, die um das dreifache ihres übrigens bei allen gleichen Durchmeſſers von einander abſtehen. Nach der Größe der Löcher richtet ſich die Feinkörnigkeit des Schrotes. Vor dem Gießen wird die Form mit Lehmwaſſer geſtrichen und wieder getrocknet, damit das Blei nicht anbacke. Dann bedeckt man erſt den Boden derſelben mit Bleikrätze, wie ſie als Schaum beim Schmelzen auf der Oberfläche des Bleies entſteht. Würde man das Blei ohne weiteres in die Form gießen, ſo würde es in einem kontinuierlichen Strome herauslaufen, durch dieſes lockere Material aber kann es nur in Tropfen durchſickern. Die Form ſteht auf der Höhe eines Turmes, des Schrotturmes, ſo daß die Tropfen eine Höhe von 30 bis 40 Metern durchfallen müſſen, ehe ſie in ein untenſtehendes Waſſergefäß hineinfallen. Dadurch iſt ihnen Zeit ge - laſſen, ſich in der Luft zu einer Kugel zu runden und abzukühlen. Dieſes Patentſchrot iſt eine engliſche Erfindung von William Wetts in Briſtol 1782 und giebt ſehr regelmäßige Körner. Noch beſſer und faſt ausſchußfrei ſoll das Schrot werden, wenn das Waſſer mit einer640Die Metallverarbeitung.15 cm hohen Ölſchicht oder einer 30 cm hohen beſtändig flüſſig er - haltenen Talgſchicht bedeckt wird. David Smith in Newyork, geb. 1849, gab ein Verfahren an, dem fallenden Blei einen ſtarken Luftſtrom entgegen zu treiben, wodurch der Fall verlangſamt wird, ſo daß man die Fallhöhe um die Hälfte geringer wählen kann. Nachher wird das Schrot getrocknet, vom Ausſchuß befreit, nach der Größe geſichtet und endlich poliert.

Eine noch viel größere Bedeutung wie der Schrotguß hat der Schriftguß in ſeinen verſchiedenen Formen erlangt. Die einzelnen Teile, aus welchen die Formen zum Bücherdruck zuſammengeſetzt werden, bezeichnet man mit dem Namen Typen, oder wenn beſonders von Buchſtabentypen die Rede iſt, ſo ſpricht man von Lettern; ſie beſtehen aus einer Miſchung von Blei und Antimon, enthalten aber manchmal noch andere Zuſätze. Die Anfertigung dieſer Typen iſt ziemlich verwickelt. Zunächſt wird jeder Buchſtabe und jedes Zeichen erhaben in Stahl geſchnitten; von dieſer Patrize, auch Stempel genannt, ſchlägt man in ein Kupferſtück einen vertieften Abdruck, den Abſchlag. Alsdann wird dieſes Kupferſtück, die Matrize, genau rechtwinklig befeilt und in eine aus meſſingenen, eiſernen und hölzernen Beſtandteilen zuſammen - geſetzte Gießform hineingelegt. Die Gießform, Gießinſtrument, iſt ſo eingerichtet, daß ſie durch bloßes Auswechſeln einzelner Teile für Matrizen und Buchſtaben jeder Größe paſſend gemacht werden kann. Alle Metallbeſtandteile ſind in zwei hölzerne Schalen eingeſchloſſen, gamit die Hände des Gießers vor der Hitze geſchützt ſeien; die Schalen dienen auch dazu, das Ganze augenblicklich in zwei Teile zu zerlegen, oder zuſammenzuſetzen. Das flüſſige Schriftmetall wird durch einen hohen trichterartigen Kanal eingegoſſen, welcher auf dem beim Guſſe nach oben gekehrten Fußende der Letter ſein Ende findet. Bei der ungeheuren Wichtigkeit, welche der Schriftguß für das geſamte öffentliche Leben hat, kann es nicht Wunder nehmen, daß eine große Reihe von Erfindungen und Verbeſſerungen gerade auf dieſem Gebiete gemacht wurden und noch gemacht werden. In ſeiner einfachſten Form geht der Schriftguß in der Weiſe vor ſich, daß der Arbeiter das Gieß - inſtrument in ſeiner linken Hand hält, während er mit einem Löffel in ſeiner Rechten etwas Metall aus einem Keſſel ſchöpft und in den Einguß ſo gießt, daß dieſer ſich ganz füllt. Durch eine eigentümlich ſchwingende Bewegung befördert er das Metall bis in die feinſten Linien der Matrize, öffnet dann die Form und läßt die friſch gegoſſene Type herausfallen. Durch einfaches Schließen iſt die Form ſofort zum weiteren Gebrauch wieder fertig. Dieſe ganze Reihe von Hand - griffen geht mit ſolcher Geſchwindigkeit vor ſich, daß ein geübter Arbeiter bei zehnſtündiger Arbeitszeit gegen 4000 Lettern zu gießen vermag. Berte in England 1806 und Tarbé in Paris 1835 verſuchten das Metall aus einem Rohr durch Öffnung eines Hahnes oder Ventils durch ſeine eigene Schwere in die Form hineinzutreiben, um das Löffel -641Das Gießen.gießen und das Inſtrumentſchwingen zu umgehen, und da der Druck der Metallſäule nicht ausreichte, um die feinſten Vertiefungen genügend auszufüllen, ſo ließ man einen ſchweren Gegenſtand auf das Metall fallen, das dadurch mit großer Vehemenz in die Form getrieben ward. Von dieſem Prinzip machten Lehmann und Mohr in Berlin bei der Erfindung ihrer ſogenannten Kliſchiermaſchine Gebrauch. Bei letzterer iſt die Gießform, in welche die Matrize mit dem Abſchlag nach unten von oben hineingeſetzt iſt, auf einer gußeiſernen Grundplatte befeſtigt. Neben der Form befindet ſich eine große Einflußöffnung, die mittels eines engen Kanals durch die Seitenwand der Form hindurch mit dieſer in Verbindung ſteht. Über der großen Eingußöffnung iſt eine vollkommene Ramme eingerichtet. In ſenkrechten Leitungen bewegt ſich eine Eiſenſtange auf und ab, die oben mit einer Eiſenkugel beſchwert iſt, unten aber einen würfelförmigen, eiſernen, genau in die Einguß - öffnung paſſenden Klotz, den Rammbär, trägt. Läßt man jetzt ſo viel Metall in die Einflußöffnung wie nötig iſt, um die Form ganz zu füllen, ſo wird beim Herabfallen des Bären das Metall durch den Seitenkanal mit großer Gewalt in die Form gedrückt. Feine Luft - kanälchen in der Form, ſorgen für ſchnelles Entweichen der einge - ſchloſſenen Luft. Namentlich für große Buchſtaben hat die Kliſchier - maſchine vielfache Anwendung gefunden.

Im Jahre 1844 kam eine Vorrichtung auf, bei welcher das Schriftmetall durch eine kleine eiſerne Druckpumpe mit Handbetrieb in die Formen geſpritzt wurde, aber bei dem raſchen Eindringen des Metalls in das Inſtrument vermag die Luft nicht ſchnell genug zu entweichen, ſo daß in den Lettern Höhlungen und Blaſen entſtehen. Die Gießpumpe für den Handbetrieb wenigſtens hat daher nicht recht Eingang gefunden.

Als das Zeitungsweſen eine immer größere Verbreitung gewann, da reichte die Leiſtung eines Handarbeiters nicht mehr aus, um dem Letternverbrauch Genüge zu leiſten; und man ſann darauf, Lettern - gießmaſchinen zu erfinden. Dieſelben verwerten alle die Gießpumpe; und alle Bewegungen, das Pumpen, das Öffnen und Schließen der Form, das Heranbringen derſelben an das Mundſtück der Pumpe, das Zurückziehen und Herauswerfen der gegoſſenen Typen, alles wird durch beſondere Mechanismen bewirkt, die durch Umdrehung der Kurbel an einem Schwungrade in Bewegung geſetzt werden. Die Maſchine liefert etwa fünfmal ſo viel wie ein geübter Arbeiter, alſo bis zu 20000 Typen bei zehnſtündiger Arbeitszeit. Der erſte, der Gießmaſchinen einführte, war 1815 Didot in Paris. Die erſte wirklich allen Anforderungen entſprechende konſtruierte 1835 der Amerikaner White zu Boſton. Bis zum heutigen Tage ſind inzwiſchen eine große Anzahl teils neuer Maſchinen erfunden, teils älterer verbeſſert.

Nachdem die Typen gegoſſen ſind, werden ſie durch Abbrechen des pyramidenförmigen Gußzapfens, Abſchleifen des Grates und end -Das Buch der Erfindungen. 41642Die Metallverarbeitung.liches Beſtoßen zum Gebrauch fertig gemacht, Arbeiten, welche meiſt durch Knaben, bald durch Handbetrieb ausgeführt werden, bald unter Zuhilfenahme eigens konſtruierter Maſchinen.

Ohne die koſtſpieligen Stahlpatrizen ſtellt man ſich Matrizen auch über Typen auf galvanoplaſtiſchem Wege in Geſtalt dünner Plättchen her, die nachher mit Schriftmetall umgoſſen werden. Auf gleichem Wege vervielfältigt man in Holz oder Metall geſchnittene Zeichnungen, z. B. Titelvignetten und dergl. Bei Stahl - und Kupferſtichen prägt oder preßt man das Original auch in Blei und ſtellt ſich ſo eine Matrize her. Dieſe Operationen bilden das eigentliche Abklatſchen oder Kliſchieren. Aus der Matrize wird die Type meiſt nicht durch Guß hergeſtellt, ſondern ebenfalls durch Preſſen. Man läßt ſie mittels eines Fall - oder Schlagwerkes auf ein leichtflüſſiges Metall nieder - fallen in dem Augenblicke, wo dasſelbe eben zu erſtarren beginnt; ſo hergeſtellte Abdrücke erhalten eine außerordentliche Schärfe und geben das Original höchſt getreu wieder. Beim Druck werden die Kliſchees auf Holz genagelt oder auf Unterlagen von Schriftmetall gelötet. Ähnlich verfährt man beim Stereotypieren. Stereotypen ſind metallene Formen zum Buchdruck, welche aus einer größeren Anzahl von Typen zu einem Ganzen vereint ſind, alſo nicht einzelne Typen, ſondern Typenplatten. Der aus Einzeltypen zuſammengeſtellte Satz wird in eine weiche Maſſe, Gips oder neuerdings meiſt feuchte Pappe ein - gedrückt und dieſer vertiefte Abdruck mit Schriftmetall gefüllt. Die ſo gewonnene Stereotypplatte gleicht dann dem Schriftſatze vollkommen. Der größeren Haltbarkeit wegen pflegt man dieſelben zu vernickeln. Näheres darüber leſe man unter Buchdruck.

Über den Kunſtguß aus Blei, zu dem die ſogenannte Weichbronze eine Miſchung von Blei mit Antimon oder mit Antimon und Zinn gehört, iſt ſchon beim Zinkguß alles Erforderliche angedeutet, ins - beſondere auch über die Anwendung elaſtiſcher Leimformen.

Die Zinngießerei hat nicht die Bedeutung erlangt, wie ſie der Wichtigkeit des Metalls entſpricht. Zinn beſitzt eine ſchöne, faſt ſilber - weiße Farbe und bleibt unter den Einflüſſen der Luft beinahe unver - ändert, aber es iſt ſelten und daher ziemlich teuer. Man vermiſcht es meiſt mit Blei; doch iſt überall der Bleigehalt desſelben wegen der giftigen Eigenſchaften des Bleis ſtrengen geſetzlichen Vorſchriften unterworfen, ſobald es ſich um Verwendung zu Gegenſtänden handelt, in denen Nahrungsmittel bereitet oder aufbewahrt werden, wie Koch - geſchirre, Teller, Bierkrugdeckel u. ſ. w. Große Verbreitung hat auch eine Miſchung aus Zinn, Antimon und Kupfer, die unter dem Namen Britannia-Metall bekannt iſt, gefunden. Zum Gießen des Zinnes bedient man ſich der Sandformen überall da, wo ein Modell vorhanden iſt und nur wenige Abgüſſe gemacht werden ſollen; handelt es ſich, wie wohl meiſt beim Zinn, um Maſſenartikel, ſo benutzt man bleibende Formen. Früher gebrauchte man vielfach einen643Das Gießen. Das Schmelzen.feinkörnigen Sandſtein oder gebrannten Thon; auch Gips, Serpentin und Schiefer ſind vielfach in Anwendung gekommen, haben aber den Meſſing - und namentlich den billigen und dauerhaften Gußeiſenformen weichen müſſen. Größere hohle Stücke gießt man in Teilen, die nach - her zuſammengelötet werden. Die weiteſte Verbreitung hat das Zinn wohl in der Form von Zinnfolie (Stanniol) gewonnen. Maſſon in Paris hat 1860 für die Herſtellung derſelben einen mechaniſchen Apparat konſtruiert, der eine große Arbeitsbeſchleunigung geſtattet. Dieſes Papier wird ebenſo wie Bleipapier gegoſſen. Man beſpannt einen Rahmen ſtraff mit Leinewand, die mit einer Miſchung von Kreide und Eiweiß überſtrichen iſt, und ſtellt ihn unter einem Winkel von 15°, bei der Zinn - folie ſehr ſteil unter einem Winkel von 75° gegen die Wagerechte geneigt auf und fährt dann mit einem Käſtchen ohne Boden und Hinter - wand, in welches das Blei bez. Zinn eingegoſſen iſt, raſch darüber fort. Je ſteiler der Rahmen, je flüſſiger das Metall, je ſchneller die Be - wegung des Käſtchens, um ſo dünner fällt das an der Leinewand hängen bleibende Plättchen aus. Maſſon läßt an einem Riemen ohne Ende zwei Zinkkäſtchen ſich bewegen, von welchen das eine oben auf die Gießtafel tritt und mit Zinn gefüllt wird, ſobald das andere unten angekommen iſt und ſeinen Überſchuß an Zinn ausgeleert hat. Mit Hilfe dieſer Vorrichtung ſollen zwei Männer, von einem Kinde unter - ſtützt, täglich 300 Blätter von 2,4 m Länge und 1 mm Dicke gießen.

Die Edelmetalle werden ſelten gegoſſen, höchſtens in Form von Stäbchen oder Platten, die man zur weiteren Verarbeitung braucht; hierbei kommen ſchmiedeeiſerne Formen zur Verwendung. Maſſive Ringe gießt man auch wohl in mit Kohlenſtaub eingepulverten Formen aus Oſſa Sepia, in welche das Modell, in zwei Platten je zur Hälfte eingedrückt iſt. Ebenſo ſelten werden Aluminium, Kupfer und Neuſilber gegoſſen. Schmiedeeiſen iſt, wie ja auch ſein Name ſchon beſagt, der Formgebung durch Gießen überhaupt ganz unzugänglich.

Das Schmelzen.

Im vorangegangenen war überall vorausgeſetzt, daß man flüſſiges Metall zur Verfügung habe, es ſollen nachträglich auch die Apparate Erwähnung finden, welche dazu dienen, das Metall flüſſig zu machen. Einen finden wir ſchon erwähnt, den gigantiſchen Hochofen, in welchem aus den Erzen die Metalle ausgeſchmolzen werden; auch dieſer findet beim Gießen Anwendung, aber nur da, wo es ſich um gewaltige Guß - ſtücke handelt. Überall da, wo kleinere und kleinſte Erzeugniſſe her - geſtellt werden, wird man auch kleinere Öfen anwenden, und wo man leichtflüſſige Metalle vor ſich hat, wird man ſich nicht der die höchſten Temperaturen hervorbringenden Hochöfen bedienen.

Zwei Gruppen von Schmelzapparaten haben wir zu unterſcheiden, diejenigen, bei denen die Metalle in Gefäßen geſchmolzen werden und41*644Die Metallverarbeitung.diejenigen, bei denen dies im Ofen ſelbſt geſchieht. Leichtflüſſige Metalle kann man ja ſchon in einem Blechlöffel über einer Spiritusflamme zum Schmelzen bringen, aber doch nur in geringen Mengen; braucht man größere Mengen flüſſigen Metalls, ſo wendet man Keſſel oder Tiegel an. Die Schmelzkeſſel werden meiſt aus Gußeiſen hergeſtellt, weil dieſes Metall eine bedeutende Wärmeleitungsfähigkeit beſitzt und deshalb wenig Feuerungsmaterial verbraucht. Natürlich kann man in dieſen Keſſeln nur ſolche Metalle flüſſig machen, deren Schmelztemperatur unter der des Gußeiſens liegt, alſo Zinn, Blei, Zink und die Legierungen dieſer drei mit Antimon und Wismut. Die Keſſel werden von unten geheizt und ſind entweder mit Handhaben verſehen, damit man ſie zum Gebrauche herausnehmen und entleeren kann, oder ſie ſind feſt ein - gemauert und haben dann unten eine Entleerungsvorrichtung.

Für ſchwer ſchmelzbare Metalle benutzt man Tiegel aus Graphit (Paſſauer Tiegel) oder aus feuerfeſtem Thon (heſſiſche Tiegel). Die Keſſel ſind meiſt halbkugelförmig und nur mit einem dünnen Deckel verſehen zum Schutze der Metalle gegen die oxydierenden Wirkungen der atmoſphäriſchen Luft. Die Tiegel ſind längliche, etwas ausge - bauchte Cylinder und mit einem feſtaufſitzenden Deckel aus gleichem Materiale verſehen, ſo daß dieſelben von allen Seiten der gleichen Hitze ausgeſetzt werden können. In Tiegeln ſchmelzt man Gußſtahl,

Fig. 376.

Tiegelſchachtofen.

Kupfer, Meſſing, Nickel, Silber, Gold u. ſ. w. Bei Tiegeln wendet man keine Unterfeuerung an, ſondern umgiebt ſie ganz mit dem Feuerungs - material. Fig. 376 ſtellt einen Tiegel - ſchachtofen dar. C iſt eine Roſte, auf welche der Tiegel geſetzt wird. Durch die Öffnung G wird das Feuerungs - material eingeſchüttet, durch F werden kleine Tiegel hereingebracht, große werden ebenfalls durch G eingeſetzt. E iſt die Eſſe, durch welche die Gaſe entweichen und I der Aſchenfall. Bei Betrieben im größeren Umfange be - nutzt man Tiegelherdöfen (Tiegel - flammöfen), in welchen vier bis acht Tiegel in einem gemeinſchaftlichen Ofen vereinigt werden. Bei dieſen ſtehen die Tiegel auf einem horizontalen, von einem Gewölbe über - ſpannten Tiſche, das Brennmaterial befindet ſich daneben auf einem Roſte, ſo daß die Tiegel nur von den brennenden Gaſen desſelben umſpült werden, die auf der anderen Seite wieder abziehen. Die Tiegel müſſen zum Guſſe ſtets herausgenommen und von Arbeitern an den Ort ihrer Beſtimmung hingetragen werden. Ein ſolcher645Das Schmelzen.Tiegel hält meiſt nur 3 Schmelzen aus und der Ofen wird durch die koloſſale Hitze bereits nach viermaligem Gebrauch reparatur - bedürftig. Aus den Tiegeln kommt das Metall in ein vorgewärmtes Sammelgefäß, und aus dieſem erſt läuft es in die Gußformen. Der Tiegelguß iſt überall da in Anwendung, wo das Metall rein und un - verändert bleiben muß oder wo gleichzeitig wegen der Koſtbarkeit des Materials ein Entweichen von Metalldämpfen möglichſt verhindert werden ſoll, wie z. B. in den Münzwerkſtätten.

Wegen der Umſtändlichkeit des Tiegelguſſes hat man Öfen kon - ſtruiert, in denen das Metall frei geſchmelzt wird, direkt den Einwir - kungen einer offenen Flamme ausgeſetzt, und man iſt ſo zu den tiegel - loſen Herdflammöfen und den Schacht - oder Kupolöfen gekommen. Bei erſteren liegt das Metall frei auf einem geneigten Tiſche, neben demſelben, (in der Fig. 377 links) vom Metall durch eine nicht allzu

Fig. 377.

Herdflammofen.

hohe Wand, die Feuerbrücke, getrennt, befindet ſich auf einer Roſte das Brennmaterial. Der Zug des Ofens geht ſo, daß die Flammen über die Brücke ſchlagen und das Metall überſpielen. An der tiefſten Stelle ſammelt ſich das Metall vor einer mit Lehm verſchmierten Öffnung, dem Einſtich, Stichloch, Abſtichloch. Über dem Stichloch befindet ſich ein Schauloch. Bei Steinkohlen und ähnlichen Feuerungen wird dieſelbe vorn durch eine Thür eingeworfen, bei Holzfeuerung von oben her durch einen Schacht. Dieſe Flammöfen werden beſonders beim Eiſen - und Bronzeguß verwendet. Soll das Metall ausfließen, ſo wird der Lehmpfropf mit einer Eiſenſtange durchgeſtoßen, wie Schiller in der Glocke ſagt: Stoßt den Zapfen aus. Das Metall rinnt dann durch Kanäle in die, in die Dammgrube eingebaute Form in mehreren Ver - zweigungen hinein.

Mehr den Hochöfen nähert ſich die letzte Gattung der Schmelz - öfen, die Schacht - oder Kupolöfen. Der Schmelzraum des Ofens be - ſteht aus einem ſenkrecht ſtehenden Schachte, der oben eine Offnung, die Gicht, hat. Wie beim Hochofen füllt man Brennmaterial und Schmelzmaterial in abwechſelnden Schichten in den Ofen. Unten brennt der Ofen und ſchmilzt das Metall; die Gaſe, die ſich beim Verbrennen646Die Metallverarbeitung.entwickeln, ziehen nach oben und entweichen durch die Gicht, während gleichzeitig Brennmaterialien und Metall nach unten ſinken. Die Schmelzmaterialien werden alſo durch die glühenden Gichtgaſe ſchon ſehr ſtark vorgewärmt, ehe ſie zur Flamme kommen. So lange das Schmelzen dauern ſoll, wird oben fortgeſetzt Material nachgefüllt. Das geſchmolzene Metall ſammelt ſich entweder auf der Sohle des Ofens, dem Herde, oder in einem mit dem Ofen durch einen beſonderen Kanal verbundenen Sammelraum, dem Vorherde, und wird durch ein am tiefſten Punkte des Herdes bez. Vorherdes angebrachtes Stichloch ab - gelaſſen. Im Kupolofen wird faſt ausſchließlich Gußeiſen geſchmolzen. Zum Einführen der Brennluft dienen eigene Gebläſe.

Flammöfen ſind in England ſchon ſeit 1612 bekannt, Kupol - öfen, die mit erhitztem Wind bedient werden, kennt man in England ſeit 1834.

Das Schmieden.

Die Kunſt des Schmiedens iſt uralt, wohl ſo alt wie die Kennt - nis der Erze überhaupt. Eine wie große Wichtigkeit dieſer Kunſt bei - gelegt wurde, erſieht man daraus, daß eines von den drei Kindern, die Juno ihrem Gemahle, dem Götterkönige Jupiter, ſchenkte, als Gott der Schmiedekunſt verehrt wurde; ſo hatten die Griechen ihren Hephäſtos, die Römer ihren Vulkan. Auch bei den Deutſchen war der Schmiede - hammer das Symbol der Kraft, das der gewaltige Gott Thor als Attribut führte. Im Altertum freilich kannte man nur eine Art des Schmiedens, nämlich das Bearbeiten der Metalle mit dem Hammer. Neuerdings vermag man die Erze aber auch durch langſam wirkenden Druck um - zugeſtalten und bezeichnet dieſe Formveränderung ebenfalls als Schmieden, mit alleiniger Ausnahme des Walzens. Beim Schmieden bedarf man nur weniger Werkzeuge von größter Einfachheit, und lediglich dadurch, daß man die Möglichkeit hat, die Schläge des Hammers nach ſeinem Willen ungleich auf verſchiedene Teile des Metalles einwirken zu laſſen, iſt man imſtande die mannigfaltigſten Formen herzuſtellen, während umgekehrt beim Walzen wie beim Gießen für jedes Werkſtück beſonderer Geſtalt auch eine Walze beſonderer Geſtalt nötig iſt. Walzwerke be - dingen größere maſchinelle Einrichtungen, das Schmieden kann mit der Hand geſchehen. Was beim Gießen mit der Form, wird beim Schmieden mit dem Hammer, beim Walzen mit der Walze hervor - gebracht. Wie man beim Gießen zur Hervorbringung verſchiedener Geſtalten verſchiedener Formen bedurfte, ſo ſind auch beim Schmieden je nach dem Zwecke, den man mit den Hammerſchlägen erreichen will, verſchiedene Hämmer nötig. Neben dem Hammer iſt der Am - boß ein unerläßliches Werkzeug. Hammer und Amboß müſſen im allgemeinen beide in ihren wirkſamen Teilen härter als das zu ver - arbeitende Metall ſein, damit ſie nicht von dem Werkſtücke Eindrücke empfangen.

647Das Schmieden.

Der Amboß beſteht, wenn er nur für kleine Hämmer benutzt wird aus einem ſchweren in die Erde eingerammten Holzklotze, dem Hammer - ſtock; bei ſchweren Hämmern nimmt man einen Gußeiſenkörper, die Chabotte, welcher gewöhnlich auf ein elaſtiſches Fundament aus hölzernen Balken aufgeſetzt iſt. Die Oberfläche des Amboſſes bezeichnet man als ſeine Bahn, dieſelbe wird gehärtet und ganz eben geſchliffen, damit nicht zurückbleibende Unebenheiten ſich im Werkſtücke abdrücken. Der gewöhnliche Amboß, Amboß ohne Horn, hat eine rechtwinklige Bahn von 400 bis 450 mm Länge und 100 bis 120 mm Breite. An einem Ende befindet ſich ein ebenfalls rechtwinklig ausgearbeitetes Loch, in welches beſondere Schmiedeeiſenunterlagen, wie ſie für einige Werk - ſtückformen erforderlich ſind, mittels eines an denſelben befindlichen Zapfens eingeſteckt werden können. Damit ſich der Amboß auf ſeinem Stocke nicht verſchieben kann, trägt letzterer einen Zapfen, welcher in eine Öffnung in die Unterſeite des Amboßes hineinpaßt.

Läuft die eine Seite des Amboſſes in eine koniſche Verlängerung aus, ſo hat man den Amboß mit einem Horn (Fig. 378), beim Amboß mit zwei Hörnern iſt gegenüber dem erſten Horn ein zweites ange - bracht, das aber vierſeitigen Querſchnitt und keilförmige Geſtalt beſitzt. Machen endlich die Hörner den Hauptteil des Amboſſes aus, ſo ſpricht man von einem Sperrhorn. Beim Herſtellen feiner Bleche aus Edelmetallen benutzt man auch Amboſſe aus Granit und Marmor mit abgeſchliffener Bahn.

Bei den Hämmern unter - ſcheidet man zwei Hauptgruppen, Stielhämmer und Rahmen oder Parallelhämmer. Der Stielhammer

Fig. 378.

Amboß mit Horn.

beſteht aus zwei Hauptteilen, dem Stiele oder Helm, der aus zähem Holze gefertigt wird, und dem Hammerkopf, der aus Schmiedeeiſen mit verſtählter Arbeitsfläche hergeſtellt iſt. Die Öffnung des Kopfes, in welche der Stiel geſteckt wird, iſt das Hammerauge. Iſt die arbeitende Fläche in der Länge und Breite nicht zu ſtark abweichend, ſo heißt ſie Hammerbahn, hat ſie aber Keilform, und iſt ſie ſehr ſchmal im Verhältnis zur Breite, ſo nennt man ſie Finne. Je nach der Form der Bahnen und nach der Lage der Finne zur Bahn unterſcheidet man eine große Anzahl für beſondere Zwecke beſtimmter Hämmer, welche aber weniger zum Schmieden als zum ſpäteren Vollenden der Form benutzt werden.

Wenn man einen jener rußigen Geſellen ſieht, ſeine nervigen Arme, ſeine Muskeln wie Stahl, ſo ſollte man meinen, ſie könnten ſpielend mit Centnern umgehen, wie ein Kind mit Gummibällen, und doch be - trägt das Gewicht eines Hammers, welchen ein Schmied mit beiden648Die Metallverarbeitung.Händen zu ſchwingen vermag, höchſtens 20 Kilogramm. Dieſe Zuſchlag - hämmer führt ein Gehilfe des Schmiedes, während beim eigentlichen Schmieden nur Hämmer von 1 bis 2 Kilogramm Gewicht zur Ver - wendung kommen. Eine ſolche Handſchmiede bietet einen recht maleriſchen Anblick, namentlich am Abend; die lodernde Eſſe, deren Flamme die wunderlichſten Schatten an die Wände malt, das glühende Metall, die rußigen Geſtalten, und endlich der taktgemäße Hammer - ſchlag. Ja, wozu eigentlich der Takt?

Obgleich derſelbe mit der Verarbeitung ſelbſt nichts zu ſchaffen hat, iſt er, namentlich überall da dringend nötig, wo mehrere Zuſchläger helfend thätig ſind, weil ſonſt leicht mehrere gleichzeitig zuſchlagen und dann wohl ihre Hämmer nicht aber das Werkſtück treffen. So müſſen die Schmiede taktvolle Leute ſein.

Solange man nur Handhämmer zur Verfügung hatte, waren der Größe der zu verarbeitenden Werkſtücke ſehr ſchnell Grenzen geſteckt, aber der erfinderiſche Menſchengeiſt bleibt vor keiner Schwierigkeit ſtehen, und nicht allzu lange mag es gedauert haben, bis man das Waſſer zwang, der Menſchen Muskeln zu erſetzen und Hammerwerke zu treiben. Nach und nach hat man an dieſen Hammerwerken eine Reihe von Verbeſſerungen eingeführt. Das Gewicht der Hämmer wurde vergrößert, der Hammerſtiel wurde mit dem Kopf zuſammen aus einem Ganzen von Eiſen gegoſſen, die Holzgeſtelle wurden durch eiſerne Gerüſte erſetzt. Bei den Handhämmern erhebt man den Stiel ſamt dem Kopfe, bei allen Maſchinenhämmern iſt der Stiel in einem Punkte, dem Dreh - punkte unterſtützt, und kann ſich in dieſem um eine horizontale Achſe drehen; der Hammerkopf bewegt ſich alſo beim Auf - und Niederfallen in einer Kreislinie. Das Anheben geſchieht durch eine Trommel, auf welcher Daumen befeſtigt ſind, die den Hammerſtiel ergreifen. Je nach - dem der Angriff am Kopfe des Hammers, zwiſchen Kopf und Dreh - punkt oder hinter dem Drehpunkt ſtattfindet, unterſcheidet man Stirn - hämmer, Aufwerfhämmer und Schwanzhämmer. Alle dieſe Hämmer ſind Stielhämmer, und ihre Wirkung iſt keine geringe. Es muß ſchon ein ganz beträchtliches Stückchen Eiſen ſein, das ihren gewaltigen Streichen Widerſtand entgegen zu ſetzen wagt, aber was wollen ſie ſagen gegen die Cyklopen der Neuzeit, jene gewaltigen Rieſen, denen faſt nichts zu widerſtehen vermag, die ungeheuren Dampfhämmer. Hier iſt der Stiel verſchwunden und der Hammerkopf iſt direkt mit der Kolbenſtange eines über ihm befindlichen Dampfcylinders verbunden, und mit dem Kolben hebt und ſenkt er ſich. Faſt ins Unermeßliche vermag bei dieſen Hämmern das Gewicht des Hammers geſteigert zu werden, ſeine Wirkung kann vergrößert werden durch eine beträchtliche Höhe, aus der man ihn fallen läßt, ja noch mehr: während bei den Stielhämmern der Kopf allein durch ſeine eigene Schwere nieder - ſauſte, vermag man bei den Dampfhämmern, indem im richtigen Augen - blicke der Dampf über den Kolben tritt, dem Hammer noch außer649Das Schmieden.ſeiner Schwere von oben her einen mächtigen Antrieb zu verleihen. Endlich aber vermag man den Schwung des Hammers beliebig zu regulieren. Als Kaiſer Wilhelm II die Kruppſchen Eiſenwerke beſich - tigte, ließ er ſich auch den Rieſenhammer vorführen, und ſiehe da, nachdem dieſer ſoeben eine große Eiſenmenge faſt zu Brei zermalmt, be - rührte er im Momente darauf des Kaiſers goldene Uhr ſo leiſe und zart, daß ſie unverſehrt unter dem Hammer hervorgeholt wurde. Alle dieſe Vorzüge haben den Dampfhämmern unter allen Konkurrenten den Vorrang geſichert.

James Watt, der Erfinder der Dampfmaſchine, war es, der 1784 das Projekt zu einem Dampfhammer aufſtellte, das aber nicht zur Ausführung kam. Erſt 1842 wurde zu Creuſot in Frankreich von dem Mechaniker Bourdon ein Dampfhammer ausgeführt und dem Beſitzer der dortigen Eiſenwerke, Schneider, patentiert. Die Idee rührte allerdings nicht von Bourdon her, ſondern von James Nasmyth zu Patricroft bei Mancheſter, der ſchon 1832 die Zeichnungen dazu hergeſtellt hatte. Bei dieſem Hammer bewirkte der Dampf nur das Heben, das Fallen geſchah durch die eigene Schwere. Im ſelben Jahre 1842 trat Nasmyth ſchon mit einer neuen Idee hervor, indem er auch beim Fallen noch den Dampf fördernd mitwirken ließ. Später haben dann beſonders W. Nagler zu Storwich 1854, Condie in Glasgow 1846 und neuerdings eine große Reihe anderer Männer neue und ver - beſſerte Methoden teils vorgeſchlagen, teils auch in Ausführung gebracht.

Die Dampfhämmer ſind Rahmen - oder Parallelhämmer. Der Hammer geht nicht in einer Kreislinie, ſondern bewegt ſich zwiſchen zwei ſenkrecht ſtehenden Gleitſchienen auf und nieder. Der Amboß iſt entweder mit dem Gerüſt, das die Schienen, und oben auf einem Quergerüſt den Dampfcylinder trägt, feſt verbunden, oder aber, wenn man vermeiden will, daß Hammer, Gerüſt und Dampfmaſchine durch die Schläge mit erſchüttert werden, ſo iſt der Amboß auf einem beſonderen Fundament aufgebaut, das in einer Grube liegt, die mit Sand voll - geſtampft iſt, der jede Übertragung der Erſchütterungen verhindert. Die größten Dampfhämmer hat wohl die Kruppſche Werkſtatt in Eſſen, das bedeutendſte induſtrielle Etabliſſement im Deutſchen Reiche. Hier findet man Giganten bis zu einer Schwere von 1000 Centnern. Iſt es nicht ein erhebendes Bewußtſein, wenn ſolche Koloſſe dem leiſeſten Winke des Menſchen Folge leiſten?

Nicht überall ſind übrigens dieſe großen Hämmer anwendbar. Die Metalle laſſen ſich ausſchmieden, ſo lange ſie glühen, wie es ja auch im Sprichwort heißt: man muß das Eiſen ſchmieden, ſo lange es noch warm iſt, alſo werden überall da, wo es ſich nicht um große Maſſen handelt, die lange ihre Hitze behalten, große Hämmer, die natürlich nur verhältnismäßig langſam ſich auf und nieder bewegen können, vorteilhaft durch kleine Hämmer erſetzt, die dafür aber um ſo ſchneller arbeiten. Dieſe Schnellhämmer bieten einen Erſatz für Hand -650Die Metallverarbeitung.hämmer, ſie werden auch durch Dampf oder Federkraft emporgeſchnellt und meiſt durch Dampf von oben wieder heruntergetrieben. Ein Schnellhammer macht 300 bis 400 Schläge in einer Minute.

Beim Schmieden verfolgt man einen doppelten Zweck, einerſeits greift es direkt in die Arbeiten über, welche zur Gewinnung des Eiſens dienen, andererſeits beabſichtigt man eine weitere Formgebung. Im erſteren Falle dient es dazu, die Schlacken auszuquetſchen und beim Schweißeiſen die Schweißung der einzelnen Teile herbeizuführen, oder aber die durch Blaſenbildung beim Gießen entſtandenen Poren zuzu - quetſchen, wie beim Flußeiſen. Neben den Hämmern werden hierbei noch zwei andere Inſtrumente benutzt, die ſich für dieſen Zweck als äußerſt praktiſch bewährt haben. Man hat dieſe Maſchinen nach ver - ſchiedenen Prinzipien eingerichtet. Bei der einen Hauptform geſchieht die Bearbeitung durch Drücken mit einem gewaltigen Hebel, gerade wie in einer Rieſenzange. John Hartop in England hat dieſe Quetſch - werke 1805 zuerſt angewendet, Allarton ſie 1841 verändert, in Frank - reich wurden ſie durch Flahat, Cavé und Guillemin gebaut. Der wiegenartig geſtaltete Hebel der Luppenquetſche hat an der Unter - ſeite ſeines rechten Armes eine breite Fläche, unter welcher eine ſolide Amboßplatte feſtliegt. Der linke, längere Arm wird durch Ver - mittelung einer Kurbel von einer Dampfmaſchine auf und nieder be - wegt, während der rechte kürzere Arm die in glühendem Zuſtande hin - untergeſchobenen weichen Eiſenluppen mit unwiderſtehlicher Gewalt zuſammenpreßt, ſo daß die Schlacken auf beiden Seiten herausfließen. Je weiter nach hinten man die Luppen bringt, um ſo größer iſt der Druck. Nach jedem Druck, deren in der Minute bis zu 90 ausgeübt werden können, kann der Arbeiter das Werkſtück ſo drehen und wenden, wie es ihm für den neuen Druck am vorteilhafteſten erſcheint. Das iſt ein Vorzug, den die Hebelluppenpreſſen vor den Luppen - oder Zäng - mühlen voraus haben. Bei dieſen, wie ſie von den Engländern Ralſton 1840, Thorneycroft 1843, Dorrel 1855 und Abbot 1857 kon - ſtruiert ſind, dreht ſich in einer feſtliegenden gerieften Trommel eine außerachſig gelagerte Walze mit längslaufenden kantigen Rippen. An der Seite, wo der größere Abſtand zwiſchen Walze und Trommel iſt, ſchiebt man die Luppe ein, und nun zieht die Walze die Luppen vor - wärts, ſie immer mehr und mehr quetſchend, bis ſie dieſelben, wenn ſie an der engſten Stelle des Zwiſchenraumes angekommen ſind, wieder auswirft. 20 Umgänge macht die Luppenmühle in einer Minute, gerade genug, um die Eiſenmaſſen mit größter Energie zu zängen. An Stelle von Trommel und Walze benutzte zuerſt der Nordamerikaner Burden zwei Walzen zu dem gleichen Zwecke. Auch dieſe Maſchinen ſind inzwiſchen vielfach verändert und haben manche Verbeſſerungen erfahren.

Zum Formengeben können, wie ſchon erwähnt, dieſe Maſchinen nicht benutzt werden, dazu dienen die Hämmer, aber neben dieſen auch651Das Schmieden.noch einige Ergänzungsſtücke, die hier nicht unerwähnt bleiben dürfen. Da ſind zunächſt die Setzhämmer, welche auf das zu bearbeitende Werkſtück geſetzt werden und den Schlag des Hammers auf dieſes fort - pflanzen. Man braucht ſie, wenn es darauf ankommt, daß die Schläge immer genau auf dieſelbe Stelle treffen, oder auch, wenn durch eine beſondere Form der Bahn des Setzhammers Eindrücke erzielt werden ſollen, wie ſie mit dem einfachen Hammer nicht hervorgebracht werden können. Als Unterlage dient hierbei das Stöckchen, ein viereckiges Stück Gußeiſen oder Stahl mit flacher oder geformter Bahn, das mit einem Zapfen in der Öffnung des Amboſſes befeſtigt wird.

Neben den Setzhämmern finden die Geſenke vielfach Anwendung, ſie entſprechen vollkommen den Formen beim Gießen. Wie man offene und geſchloſſene Formen hat, ſo hat man einfache und doppelte Ge - ſenke. Die Innenflächen der Geſenke entſprechen genau den Außen - flächen der Werkſtücke; wird die offene Fläche durch die Bahn des Hammers geſchloſſen, ſo hat man einfache Geſenke. Das untere Geſenke wird mit einem Zapfen in das Loch des Amboſſes geſteckt, während das obere Geſenke, wie es beim doppelten Geſenke benutzt wird, genau wie ein Setzhammer angewendet wird, und wie dieſer mit einem Stiel verſehen iſt, wie Fig. 379. zeigt.

Der Schrotmeißel, ein Setzhammer mit verſtählter, ſchneidenförmig zuge - ſpitzter unterer Kante, dient zum Los - trennen einzelner Stücke, als Unterlage entſpricht ihm ein ähnlich geformtes Stück, der Abſchrot. Der Durchſchlag dient zum Schlagen eines Loches, er beſteht aus

Fig. 379.

Ober - und Untergeſenk zum Schmieden cylindriſcher Stäbe.

einem Stahlſtempel, deſſen untere polierte Fläche ſo groß iſt, wie das Loch werden ſoll, als Unterlage dient ein Ring, in welchen der Stempel hineinpaßt, der Lochring, das herausgeſchlagene Stück nennt man Putzen.

Auch beim Schmieden hat man bereits die Handarbeit durch Maſchinenarbeit erſetzt. Wenn man eine Anzahl Geſenke, die bei ihrer nacheinander folgenden Benutzung eine beſtimmte Geſtalt hervorbringen, mit einer ebenſo großen Anzahl von Hämmern verbindet, die in einem gemeinſchaftlichen Gerüſte lagern und gemeinſam durch Elementar - kraft getrieben werden, ſo erhält man eine Schmiedemaſchine.

An Stelle der Hämmer werden meiſtens Stempel benutzt, die an einer gemeinſchaftlichen Welle ſitzen und durch Excenter eine auf - und niedergehende Bewegung erhalten. Die Maſchinen üben bei langſamem Gange eine preſſende Wirkung, gewöhnlich aber machen ſie in einer652Die Metallverarbeitung.Minute 200 bis 400 Auf - und Niedergänge, ſo daß die Stempel wie Hämmer auf die Werkſtücke ſchlagen. Die Oberſtempel können mit einem formgebenden Werkzeuge (Geſenk, Meißel, Abſchrot) verſehen werden, das in eine Öffnung des Stempels eingeſetzt und mit einer Schraube befeſtigt wird. Es kann daher leicht ausgewechſelt und die

Fig. 380.

Schmiedemaſchine.

Maſchine für eine neue Form zurecht gemacht werden. Die Unterſtempel haben ebenſo wie die Oberſtempel in dem Gerüſt Führung, ſie ſitzen auf dem oberen glatten Ende einer ſchmiedeeiſernen Schraubenſpindel mit einer Hülſe auf, in welcher ſich die Spindel frei drehen kann. Im Gerüſt lagert eine zugehörige Schrauben - mutter feſt, ſo daß bei einer Drehung der Schraube, dieſe und der Stempel auf und ab bewegt werden können. Vor den Stempeln iſt ein eiſerner Tiſch am Gerüſt befeſtigt, als Unterlage und Führung für die zu ſchmiedenden Werkſtücke. Schmiedemaſchinen wendet man überall da an, wo es ſich um die Herſtellung von Maſſenartikeln handelt, wo Markt - ware von einfacher Form in großer Anzahl durch Schmieden verfertigt werden ſoll. Die leichte Um - wechslung der formgebenden Teile, der ſchnelle Gang der Maſchine, die durch Anwendung von Ge - ſenken bewirkte Verringerung menſchlicher Arbeitsleiſtung ver - bürgen ihnen die weiteſte Ver - breitung. Es kommt noch hinzu, daß man auf den verſchiedenen Stempeln der Maſchine mehrere Werkſtücke gleichzeitig bearbeiten kann, ſo daß man in kurzer Zeit eine große Stückzahl herſtellen kann. Ryder zu Bolton in Lancaſhire hat 1841 dieſe Maſchinen erfunden (Fig. 380).

Nicht alle Metalle können geſchmiedet werden, ſondern nur die dehnbareren unter denſelben, alſo Schmiedeeiſen, Stahl, Kupfer, Meſſing und ſeine Legierungen, Zink, Zinn, Blei, Aluminium, Gold, Silber, Platin. Am häufigſten werden Schmiedeeiſen und Stahl ge - ſchmiedet, weil bei dieſen außer der Geſtaltung auch eine Vereinigung ſtattfinden kann. Man kann zwei Stücke ſo zuſammenſchmieden, daß653Das Schmieden.ſie nachher ein einziges untrennbares Ganze bilden, man kann ſie ſchweißen. Bei dieſen Metallen alſo erſetzt das Schmieden das Gießen vollkommen. Nicht ſchmiedbar ſind Gußeiſen und Gußſtahl.

Die einfachſten Formen, wie Stäbe, werden jetzt nicht mehr durch Schmieden hergeſtellt, das Blattgold allein, wie es zum Vergolden von Bücher-Einbänden, Holzwerk ꝛc. angewendet wird, wird mit dem Hammer verfertigt. Bei der Gold - (Silber -, Platin -, Aluminium -) Schlägerei legt man eine größere Anzahl von Plättchen übereinander, nur getrennt durch dazwiſchen gelegte Blätter, weil ſonſt die dünnen Bleche an - einanderhaften und ſich nicht ohne Beſchädigung trennen laſſen würden. Solange die Bleche noch ſtärker ſind, benutzt man hierzu Pergament, ſpäter aber Goldſchlägerhaut, d. h. das feine Oberhäutchen vom Blinddarme des Ochſen, welches gereinigt, aufgeſpannt, getrocknet, mit Alaunwaſſer gewaſchen, endlich mit Wein, worin man Hauſenblaſe und einige Gewürze aufgelöſt hat, beſtrichen und mit Eiweiß überzogen iſt. Man benutzt zum Ausſchlagen Handhämmer mit kreisrunder etwas ge - wölbter Bahn. Dieſes Arbeitsverfahren, bei welchem durch Hammerſchläge eine Verdünnung des Querſchnitts und ſomit eine Ausdehung in der Länge ſtattfindet, nennt man das Ausſtrecken oder Zainen. Das Zainen geſchieht mit der Finne des Hammers, indem man Schlag neben Schlag ſetzt; es entſtehen dadurch eine große Anzahl ſchmaler Kerbe neben - einander, das Metall wird gerieft, man gleicht daher dieſe Unebenheiten durch Schlichten wieder aus, d. h. man ſchmiedet noch einmal mit der Bahn des Hammers nach.

Führt man gegen irgend eine Stelle einer Metallplatte einen Hammerſchlag, ſo wird an dieſer Stelle eine Verdünnung, gleichzeitig aber auch ein Strecken ſtattfinden, und da die umgebenden vom Hammer nicht getroffenen Teile nicht ausweichen können, ſo entſteht eine Ver - tiefung, eine Beule. Führt man aber gegen die Mitte der Platte mit einer kugligen Hammerbahn eine große Reihe von Schlägen, ohne den Rand zu berühren, ſo wird der ganze mittlere Teil ausgebaucht, und die Platte erhält die Form einer Schale oder eines Keſſels. Man nennt das Treiben oder Auftiefen. Je nachdem man auf verſchiedene Stellen mehr oder weniger ſtarke oder häufige Hammerſchläge fallen läßt, kann man verſchiedenartig geformte Hohlkörper erzeugen.

Stellt man ein Metallſtück ſenkrecht auf den Amboß und ſchlägt mit dem Hammer darauf, ſo wird ſich das Stück verkürzen und gleich - zeitig verdicken. Soll nur ein Teil geſtaucht werden, ſo wird dieſer vorher erwärmt und zieht ſich daher kräftiger zuſammen wie die anderen. Nach dem Stauchen wird ſtets noch überſchmiedet. Das Stauchen iſt die entgegengeſetzte Behandlung wie das Strecken. Ebenſo hat man eine dem Treiben entgegengeſetzte Bearbeitungsmethode. Wenn man eine flache Scheibe rings ſo hämmert, daß eine Aufbiegung des Randes entſteht, ſo bekommt man einen Hohlkörper, deſſen Durchmeſſer kleiner iſt, als der der urſprünglichen Platte, denn es findet hier eine Ver -654Die Metallverarbeitung.größerung der Querſchnittsſtärke infolge der Zuſammendrückung ſtatt. Dieſe Methode nennt man das Aufziehen.

Soll an ein Metallſtück ein Anſatz z. B. ein Zapfen angebracht werden, ſo benutzt man einen Setzhammer. Glatte Anſätze werden auf der Kante des Amboſſes geſchmiedet, bei profilierten Anſätzen werden be - ſonders geformte Setzhämmer ſowie Stöckchen als Unterlage gebraucht. Dieſes Schmieden bezeichnet man als Anſetzen.

Zum Biegen gebraucht man bei runden Biegungen das Horn oder Sperrhorn, indem man das Werkſtück quer darüberlegt und auf die nicht unterſtützte Stelle hämmert. Man benutzt auch wohl einen runden Stahlſtab, den Dorn, um welchen man das Metall herumhämmert. Scharfe Biegungen bringt man durch Umklopfen über die Kante des Amboſſes oder eines Stöckchens hervor.

Beim Lochen benutzt man den Durchſchlag, der koniſch geſtaltet iſt. Bei ſtarken Stücken locht man von einer Seite zur Hälfte, und treibt dann von der anderen Seite den Putzen heraus. Um das nun in der Mitte am ſchwächſten erſcheinende Loch cylindriſch zu machen, treibt man einen Dorn hindurch, man muß es ausdornen. Natürlich wendet man auch viereckige oder ſonſtwie geſtaltete Durchſchläge an. Man führt das Lochen auch mit dem Schrotmeißel aus, und nennt es dann Aufhauen.

Beim Schweißen ſollen zwei Metallſtücke derartig zuſammen - gefügt werden, daß ſie nachher ein untrennbares Ganze bilden. Es leuchtet ohne weiteres ein, daß dies am beſten gelingt, je größer die Schweißflächen ſind. Man ſchrägt daher die Endflächen ab, oder man ſpaltet die eine und ſchiebt die andere hinein, nachdem man ſie zu - geſpitzt. Am intereſſanteſten iſt aber, wie man aus allerlei Abfällen, alten Schienen u. ſ. w. wieder neues Material herſtellt. Man bringt hierbei das ganze Gerümpel zu einem viereckigen Paket zuſammen, das man mit Draht umwickelt, damit es nicht auseinander falle. Dann wird das Paket ſchweißwarm gemacht, unter den Dampfhammer gebracht und erſt mit vorſichtigen ſchwachen Schlägen zuſammengeſchweißt, endlich mit kräftigen Schlägen weiter verdichtet und gereckt. Über das elektriſche Schweißen vgl. Seite 176 ff.

Das Preſſen.

Wenn das Schmieden nicht durch einzelne mehr oder minder ſchnell aufeinander folgende Schläge, ſondern durch fortdauernd wirkenden Druck vor ſich geht, ſo bezeichnet man es als Preſſen; die Größe des Druckes muß daher, da derſelbe nur einmal wirkt, ein ſehr bedeutender ſein. Um denſelben hervorzubringen, benutzt man Hebel oder Preſſen, und zwar beſonders hydrauliſche Preſſen, weil man mit dieſen den ſtärkſten Druck hervorzubringen imſtande iſt. Schon im Jahre 1856 verfertigte Pollenz in Aachen Eiſenbahnwagenräder mittelſt einer Knie - hebelpreſſe und entſprechender Preßklötze aus Gußeiſen. Den erſten ſo -655Das Preſſen. Das Walzen.genannten Preßhammer oder die Schmiedepreſſe ſcheint Haswell in Wien angewendet zu haben. Er arbeitete ſchon 1861 damit, während die Engländer Fairbairne 1861, Wilſon 1862 und Yates 1863 Patente darauf nahmen. Schon 1854 benutzte Smith in Smethwick bei Birming - ham die hydrauliſche Preſſe, um Naben und Speichen zu Eiſenbahn - rädern aus weißglühendem Eiſen in gußeiſernen Formen oder Matrizen herzuſtellen. Da man beim Preſſen das Werkſtück während der Arbeit nicht drehen und wenden kann, ſo muß für jede Form desſelben, die hervorgebracht werden ſoll, ein beſonderes Geſenke, eine Matrize benutzt werden, gerade wie beim Gießen die Form, welche die äußere Geſtalt des Arbeitsſtückes innen hat. Überall da, wo es ſich um komplizirtere Formen handelt, die man mit dem Hammer gar nicht, oder doch nur ſchwer und unter beſonders großem Zeitaufwande herſtellen könnte, tritt die Preſſe mit vollem Erfolge ein. Treibt man noch obenein die hydrauliſche Preſſe mit Dampf, ſo iſt die Wirkung derſelben faſt eine ungemeſſene.

Das Walzen.

Für beſondere Formen der zu erzeugenden Werkſtücke, namentlich auch für ſolche, welche in großer Anzahl in möglichſt genau gleicher Geſtalt hergeſtellt werden ſollen, hat ſich das Walzen der Metalle in neuerer Zeit außerordentlich eingebürgert. Das Walzen beſteht der Hauptſache nach in einem Strecken des Stückes, indem man dasſelbe zwiſchen zwei ſich in entgegengeſetzter Richtung drehenden Walzen hin - durchführt, deren gegenſeitiger Abſtand geringer iſt, als die Dicke des Metalles. Die Walzen wirken hier wie die Hammerfinne beim Zainen, die Streckung erfolgt daher in erſter Linie in der Richtung quer gegen die Achſen der Walzen, ſie iſt nur gering in der Achſenrichtung derſelben. Hierbei findet eine Querſchnittsverdünnung ſtatt, eine Zuſammendrückung, in der Richtung, in welcher der Druck thätig iſt, eine Ausdehnung nach allen Richtungen. Dieſe Ausdehnung iſt beim Walzen kalter Metalle am größten, entſprechend iſt aber auch die Streckung in die Länge geringer, das Metall wird dabei hart und ſpröde. Ausglühen ſtellt die Dehnbarkeit und Weichheit wieder her. Beim Walzen glühender Metalle treten dieſe Übelſtände nicht auf.

Die Walzwerke werden in erſter Linie zur Verarbeitung des Eiſens benutzt, aber nur wenig zur definitiven Formgebung, ſie geben dem Techniker das Material in die Hand, wie er es weiter verwerten kann, und je nach der Form, in welcher dies geſchieht, unterſcheidet man die Eiſenſorten, die verſchiedenen Arten des Formeiſens. Man kauft drei - eckige, runde, halbrunde, dreiviertelrunde, ovale Eiſen, keilförmiges, Winkel - oder Eckeiſen

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, T-Eiſen

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, Doppel-T-Eiſen

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, auch H-Eiſen genannt, J-Eiſen

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, Kreuzeiſen

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und wie die vielen Arten ſonſt noch heißen mögen. Auch die Eiſenbahnſchienen gehören zu dieſen Formeiſen, ebenſo wie die runden und quadratiſchen Röhren.

656Die Metallverarbeitung.

Das Walzwerk (Fig. 381) in ſeiner einfachſten Form beſteht aus einem feſten Gerüſt, auf welchem mit Zapfen Walzen in Lagern ruhen, die durch irgend eine elementare Kraft in Bewegung geſetzt werden, ſo daß ſie ſich in entgegengeſetztem Sinne drehen. Als treibende Kraft wird meiſt der Dampf angewendet. Die Walzen lagern entweder in unveränder - licher Entfernung von einander, oder ſie laſſen ſich nähern und entfernen; zu letzterem Zwecke pflegt die obere Walze beweglich zu ſein. Je nach

Fig. 381.

Walzwerk.

der Form des Fabrikats, das man her - zuſtellen gedenkt, unterſcheidet man ver - ſchiedene Walzenformen. Einfache glatte Walzen werden zur Blecherzeugung ver - wendet, hier kommt es nur darauf an, daß das fertige Stück eine gewiſſe vor - geſchriebene Dicke habe, nicht aber, welche Ausmeſſungen es nach den anderen Richtungen beſitze. Wird aber eine ganz beſtimmte Geſtalt des Werkſtückes verlangt, ſo müſſen auch die Walzen entſprechend geſtaltet ſein, ganz wie man beim Schmieden und Preſſen Geſenke von beſtimmter Form benutzt. Die Walzen ſind weiter nichts wie Geſenke, allerdings Geſenke ohne Ende; die untere Walze giebt das Untergeſenke, die obere Walze das Obergeſenke. Ent - hält eine Walze mehrere Kaliber ſo nennt man die Öffnung, welche infolge der Furchung der Walzen zwiſchen beiden frei bleibt, alſo die Form, die das Werkſtück erhalten ſoll ſo ſind die einzelnen durch 10 bis 25 mm breite Ringe von einander getrennt. (Siehe Fig. 381.) Enthält jede Walze die Hälfte des Kalibers, ſo laufen die Ringe auf einander und das Kaliber iſt ein offenes; enthält dagegen die Unter - walze die Hauptform, die nur durch die Oberwalze geſchloſſen wird, ſo laufen die Ringe der Unterwalze in Furchen der Oberwalze, das Kaliber iſt ein geſchloſſenes. Nun ſieht ſich das Walzen von weitem ganz wundervoll an. Man ſollte meinen, es ginge ſo, daß man auf der einen Seite das Gußſtück hineinleitet, dann läuft es zwiſchen den Walzen durch und auf der anderen Seite kommt das fertige Kunſtwerk heraus, juſt wie man beim 10 Pfennig -657Das Walzen.Automaten oben den Nickel einwirft, und unten kommt die Schokolade an. Aber das Walzen hat ſo ſeine Schikanen. Iſt das Gußſtück von vornherein, oder wird es durch den Walzendruck breiter als das Kaliber, ſo dringt das Metall zwiſchen den Ringen an den Seiten durch, es entſtehen Bärte, Nähte, Grate. Zur Sicherheit ſchließen daher auch die Ringe niemals ganz dicht auf einander, denn wenn man auch durch die Praxis gewitzigt, die Seitenausdehnung ziemlich kennt, läßt ſie ſich doch nicht ganz genau berechnen und hat das Metall keinen Ausweg, ſo drückt es eben die Walzen auseinander. Ferner aber kann man das Metall nicht zwingen, ſofort die verlangte Geſtalt anzunehmen, man müßte denn einen ungeheuren Druck anwenden: ein Gußſtück von 25 cm Dicke läßt ſich nicht mit einem Male zu einem Bleche von 1 mm Dicke auswalzen, oder zu einer Schiene umformen, ſondern erſt nach und nach kann man es durch verſchiedene andere Formen hindurch bis zu dem verlangten Querſchnitte bringen. Man benutzt daher zunächſt Vorwalzen und bringt dann erſt das vor - gearbeitete Stück zu den Fertigwalzen. Beim Fertigwalzen tritt übrigens dieſelbe Erſcheinung ein, wie beim Gießen, das heiße Metall ſchrumpft noch nachträglich beim Erkalten zuſammen, alſo müſſen auch hier die Kaliber um das Schwindmaß größer ſein, als das Werkſtück werden ſoll.

Walzen wendet man in den verſchiedenſten Abmeſſungen an. Bet den kleinſten Walzwerken haben ſie einen Durchmeſſer von 40 bis 50 mm bei einer Länge von 75 mm; ſolche gebrauchen die Goldarbeiter zum Herſtellen ihrer feinen Bleche; bei der Herſtellung der gewaltigen Panzerplatten ſind die Walzen natürlich etwas größer, ſie haben einen Durchmeſſer von faſt 1 m bei einer Länge von 3 m; das ſind aber die größten.

Der erſte, der Kaliberwalzen zum Schweißen und Strecken von Stäben in Anwendung brachte, war Henry Cort in Lancaſter im Jahre 1783, derſelbe, der auch auf dem Gebiete des Eiſenbereitens durch die Einführung des Puddelns ſich einen Namen erworben hat. In Frankreich gewannen die Walzwerke zu Ende des 18ten Jahrhunderts, in Deutſchland und Öſterreichs erſt am Anfange dieſes Jahrhunderts Verbreitung.

Das Vorwärmen des Metalls.

Wie fürs Gießen, ſo muß auch fürs Schmieden und Walzen in vielen Fällen das Metall vorgewärmt werden. Es kommt aber nicht darauf an, eine ſo hohe Temperatur zu erzielen, daß das Metall in den flüſſigen Zuſtand übergeht, es ſoll nur weich und dehnbar werden, ohne jedoch den Zuſammenhang zu verlieren, ferner ſoll es die durch Hämmern, Preſſen oder Walzen erhaltene Härte und Sprödigkeit durch Glühen verlieren, damit es zu weiterer Verarbeitung tauglich werde. Das Buch der Erfindungen. 42658Die Metallverarbeitung.Auch hier unterſcheidet man Feuerungsanlagen, bei denen das Metall direkt mit den Brennmaterialien in Berührung kommt, und ſolche bei denen es vor der Berührung mit denſelben geſchützt iſt.

Die einfache Schmiedeeſſe (Fig. 382) mit gemauertem Herde iſt wohl allgemein bekannt. Die Feuergrube F iſt aus feuerfeſten Steinen

Fig. 382.

Schmiedeeſſe.

gebaut, B iſt die Brandmauer, d die Windform, durch welche der Gebläſewind in das Feuer eintritt, g der Rauchfang und e die Eſſe. L iſt ein Löſchtrog, der mit Waſſer gefüllt iſt, die Öffnung A wird zum Aufbewahren von Brennmaterialien benutzt. Vielfach liegen auch mehrere Feuer auf einem Herde und unter einem Rauchfang. Der Bequemlichkeit wegen hat man auch eiſerne Eſſen konſtruiert, die mit Rädern verſehen ſind und daher überall hin mit Leichtigkeit transportiert werden können.

Den Wind beſorgt meiſt ein Blaſe - balg, doch ſind auch Ventilatorgebläſe ein - geführt. Die Windſtärke läßt ſich regulieren, der Wind ſofort ab - ſtellen, wenn das Metall aus dem Feuer genommen iſt.

Mannigfaltig ſind die Erzeugniſſe, welche durch Schmieden im weiteren Sinne hergeſtellt werden, es mögen daher hier nur einige der einfachſten und im allgemeinen Verkehrsleben wichtigſten Platz finden.

Die Blecherzeugung.

Blech iſt ein bedeutender Handelsartikel, und die Art ſeiner An - wendung und Benutzung eine mehr wie reichhaltige. Nicht nur wird es benutzt, ſo wie es iſt, zum Schutze minder widerſtandsfähiger Stoffe, ſondern faſt noch mehr als Übergangsform für andere kunſtvollere Induſtrieerzeugniſſe. Blech nagelt man vor den Ofen, um den Fuß - boden vor der Entzündung gegen Feuer zu ſchützen, den gleichen Zweck haben eiſerne Vorhänge und Thüren, die ganz aus Wellblechplatten beſtehen. Wie gegen Feuer, ſo ſoll es gegen Waſſer ein Schirm ſein. Mit Blecheinſätzen verſehen wir Waſchtoiletten und Blumentiſche. Gegen Diebesgefahr benagelt man die Thüren mit Blech, nimmt Well - blechjalouſieen vor Schaufenſter und Eingänge und verwahrt ſein Geld in Schränken, die aus Stahlblech hergeſtellt ſind. Zur Sicherung vor feindlichen Kugeln umkleidet man die Kriegsſchiffe mit eiſernen Panzern, ja man ſetzt ganze Schiffe nur aus Blechplatten zuſammen, kurz wohin das Auge blickt, begegnet man dem Blech in ſeiner wahren Geſtalt. Noch viel häufiger ſieht man es verarbeitet, durch Biegen, Drücken, Preſſen, Prägen, Stanzen, Hämmern ꝛc., bald in einfacher Form als659Die Blecherzeugung.Blechlöffel, Regenrinne, Teller, bald zu den feinſten und kunſtvollſten Ornamenten umgewandelt.

Die Erzeugung des Bleches ſelbſt geſchieht durch Hämmern oder Walzen. Geſchlagenes Blech kommt mehr und mehr in Abnahme, da es niemals ganz gleichmäßig werden kann. Schlägt der Hammer einmal ſtärker zu, ſo wird das Blech an dieſer Stelle dünner und die Platte wird beulig. Vielfach aber wird das Blech erſt mit dem Hammer vorgearbeitet und verdichtet, ehe es ſeine eigentliche Verarbeitung durch die Walzen erfährt, umgekehrt erfahren die feinſten Bleche, wie Zinnfolie, Blattgold und ähnliche ihre letzte Bearbeitung mit dem Hammer. Die Blechwalzwerke unterſcheiden ſich von anderen durch das Fehlen der Walzringe, ſie haben keine ſeitliche Begrenzung. Die Walzen ſind möglichſt genau und glatt gearbeitet. Die untere Walze ruht feſt in ihren Lagern, während ihr die obere nach jedem Durchgange des Bleches genähert wird, bis die verlangte Dicke erreicht iſt. Hierzu dienen Stellſchrauben, welche von oben auf die Lager der Walzen drücken und ſie dadurch verhindern, weiter als bis zu einem beſtimmten Punkte nach oben nach zu geben. Die kleinen Walzwerke mit Walzen von 30 bis 40 mm Länge, wie ſie in den Münzanſtalten, Schmuckfabriken, Goldarbeiter - werkſtätten ꝛc. vorhanden ſind, werden auch Plättwerke genannt. Je geringer der Walzendurchmeſſer, um ſo größer die Längenſtreckung, gerade wie mit der ſchmalſten Finne ebenfalls die größte Streckung erreicht wird. Bei einfachen Walzwerken wird das Metallſtück vor die Walzen gebracht, und nachdem es zwiſchen denſelben durchgelaufen iſt, ſchleunigſt über die obere Walze hinweg hinübergereicht, geſchwind die Entfernung der Walzen verringert und nun von neuem das Blech durchgeſchickt. Hier iſt größte Fixigkeit am Platze, ſonſt wird das Metall kalt und zur Weiterverarbeitung zunächſt ungeeignet. Nun iſt das Hinüberheben großer und ſchwerer Bleche auch nicht zu den Annehmlichkeiten zu rechnen, man hat daher verſucht, mechaniſche Überhebvorrichtungen in Anwendung zu bringen, zuerſt Vigor in Montataire 1854, ſpäter Borſig in Berlin u. a. Dann hat man auch Walzwerke mit 3 Walzen übereinander konſtruiert, die allerdings mehr bei den Stabwalzwerken Anwendung finden. Bei dieſen liegt entweder die mittlere Walze feſt und die obere und untere ſind verſtellbar Syſtem Fritz oder die obere und untere Walze ſind feſt, und nur die mittlere läßt ſich verſtellen Syſtem Holleg. Das Überheben vermeiden neben dieſen Triowalzwerken auch die Kehrwalzwerke, bei denen ſofort nach dem Durchgange des Bleches die Umdrehungsrichtung der Walzen geändert werden kann, ſo daß nun das Blech von derſelben Seite wieder zwiſchen die Walzen hineingeführt werden kann, auf welcher es herauskam. Letzteres Verfahren wurde 1792 zuerſt von dem Engländer John Wilkinſon an - gewendet. Endlich ſtellte Samuel Lees 1848 zwei Walzwerke mit ent - gegengeſetzter Drehrichtung nebeneinander mit einer Vorrichtung, um die Bleche wechſelweiſe dem einen oder anderen Walzwerke zuzuführen.

42*660Die Metallverarbeitung.

Eiſen wird immer glühend gewalzt, auch Kupfer vielfach, Zink bei der Temperatur ſeiner größten Dehnbarkeit zwiſchen 125° und 150°, alle übrigen Metalle werden kalt den Walzen übergeben.

Zur Herſtellung des Eiſenbleches nimmt man Stürze, d. h. breite, nicht zu dicke Stäbe, die mit einer durch Waſſer oder Dampf bewegten Schere zurechtgeſchnitten ſind. Man ſteckt ſie ſo hinein, daß die Richtung der Bewegung der urſprünglichen Breite entſpricht, die alſo nachher die Länge der Tafeln wird. Sind ſie mehrmals durch die immer enger werdenden Walzen durchgegangen, ſo biegt man ſie mit dem Hammer in der Mitte zuſammen, taucht ſie in Lehmwaſſer, ſteckt zwei oder mehrere in einander und walzt ſie weiter aus, indem man das Glühen erneuert, ſobald es wieder nötig wird. Nach jedem Glühen wird der Glühſpan mit einem Handhammer abgeklopft, damit er nicht mit in das Eiſen eingewalzt werde und die Bleche beim nach - herigen Losplaſtern unanſehnlich und rauh mache. Die gewaltigen Platten, wie ſie zur Panzerung von Schiffen dienen, werden durch eiſerne auf Schienen laufende Wagen an die Walzen gebracht. Die Krümmung wird den Blechen dadurch genommen, daß man ſie auf gußeiſerne Platten legt und mit Gewichten beſchwert. Die Platten der Geldſchränke werden auf einer Seite gehärtet, damit ſie den In - ſtrumenten Widerſtand leiſten, an der inneren Seite müſſen ſie aber geſchmeidig bleiben, damit ſie auch bei Schlägen und Stößen nicht zerſplittern.

Stahlblech wird genau wie Eiſenblech behandelt und gewalzt. Beim Kupferblech werden die gegoſſenen Platten zunächſt unter dem Hammer bis zu einer Dicke von 15 mm vorgeſchlagen, dann erſt rot - glühend oder noch beſſer kalt gewalzt und wiederum bei ausreichender Dünne zuſammengebogen.

Wie Kupfer behandelt man Meſſing, nur werden hier die Walzen mit Öl abgerieben, um ein Anbacken des Bleches zu verhüten. Das ganz dünne Meſſingblech, das zur Weihnachtszeit viel benutzte Rauſch - oder Knittergold, wird unter den Walzen papierdünn ausgezogen, blank abgebeizt und dann in Lagen bis zu 20 und mehr Tafeln über - einander gelegt und unter dem Schnellhammer gebracht, wodurch es nicht nur breiter und dünner wird, ſondern auch ſeine Steifigkeit und ſeinen Glanz erhält.

Blei kann ſeiner Weichheit wegen nur gewalzt, nicht gehämmert werden, doch müſſen auch hier Walze und Platte mit Öl beſtrichen werden. Eine Methode zur Herſtellung des Tabakbleies fand beim Gießen bereits Erwähnung; gewalztes Blei wird noch dünner, indem man 20 und mehr übereinander gelegte Platten durch die Walzen gleichzeitig laufen läßt.

Die Herſtellung der Zinnplatten geſchieht wie die des Bleibleches, die ganz dünne Zinnfolie, Stanniol, wurde auch ſchon beim Gießen erwähnt, hier war ihre Behandlungsweiſe wie die der Bleifolie. 661Die Blecherzeugung. Die Staberzeugung.Beim Schmiedeprozeß werden ſie ganz wie Rauſchgold behandelt. Entweder wird in Stäbe gegoſſenes Zinn von Anfang bis zum Ende mit dem Hammer behandelt, oder gegoſſene Platten werden vorgewalzt und erhalten ihre letzte Bearbeitung mit dem Hammer. Bei großen Spiegeln benutzt man zum Belegen Platten von 0,5 mm Dicke; die zum Einwickeln von Schokolade benutzte Zinnfolie hat aber oft nur eine Dicke von 0,008 mm.

Sehr viel benutzt zu allerlei Gefäßen, zu Eimern, Gießkannen, Dachrinnen ꝛc. wird Zinkblech. Deſſen Herſtellung macht die meiſte Mühe, weil ſeine größte Dehnbarkeit innerhalb ziemlich enger Tempe - raturgrenzen liegt. Dasſelbe muß immer vorgewärmt und Sorge getragen werden, daß ſeine Temperatur durch den Walzdruck nicht über den günſtigen Wärmegrad hinaus geſteigert werde. Auch hier werden die Walzen geölt.

Edelmetalle werden in Blechform vielfach zu Schmuckſachen ver - arbeitet, die über einem Harzkern plattiert werden. Auch hier findet eine vorherige und nachherige Bearbeitung der gewalzten Bleche ſtatt. Über die Herſtellung des Blattgoldes wurde bereits ausführlicher ge - ſprochen.

Die Staberzeugung.

Stabeiſen, Façoneiſen werden nur noch ſelten mit dem Hammer hergeſtellt, ja viele Formen, ſo z. B. die Eiſenbahnſchienen, würden ſich überhaupt nicht durch Hämmern in die vorgeſchriebene Form bringen laſſen, hier iſt man ausſchließlich auf Kaliberwalzen angewieſen. Von anderen Metallen, wie Eiſen, kommen Stäbe nicht unter die Walzen; wo ſie einen Handelsartikel ausmachen, ſind ſie unmittelbar durch Guß hergeſtellt. Was bei der Blecherzeugung geſagt wurde, gilt auch hier, man benutzt Duowalzwerke, Triowalzwerke und Kehrwalzwerke. Diejenigen Teile des Eiſenſtückes, welche von der Walze unmittelbar getroffen werden, erleiden eine Verdichtung des Gefüges, während diejenigen Teile, welche ſeitwärts ausweichen müſſen, eine Lockerung erfahren. Man dreht daher den Stab nach jedem Durchgange um einen be - ſtimmten Winkel, der meiſt 90° beträgt, damit alle Teile gleichmäßig beeinflußt werden. Vor dem Walzwerk bringt man Eiſenplatten an, welche dem Werkſtück nur geſtatten, in einer beſtimmten Lage hindurch zu gehen, die alſo als Führung dienen. Für jeden einzelnen Quer - ſchnitt des Eiſens iſt auch ein beſonderes Kaliber nötig, ſo daß in einer größeren Werkſtatt, die die verſchiedenſten Sorten von Eiſen auf den Markt bringt, eine bedeutende Anzahl von Walzwerken Aufſtellung finden, oder wenigſtens von Walzen vorhanden ſein muß. Für Stab - eiſen mit rechteckigem Querſchnitt beſeitigt dieſe unangenehme Not - wendigkeit das Univerſalwalzwerk von R. Däelen zu Hörde in Weſt - falen (1848). Bei dieſem wird das Flacheiſen durch zwei Paar glatte Walzen erzeugt, von denen die eine wagerecht, die zweite ſenkrecht662Die Metallverarbeitung.gelagert iſt, ſo daß alſo das Eiſen bei jedem Durchlaufen ſowohl in ſenkrechter, als auch in wagerechter Richtung Druck erfährt. Die Lagerungen der Walzen ſind verſtellbar eingerichtet, ſo daß mit einem Univerſalwalzwerk Flacheiſen von jeder Dicke und Breite angefertigt werden kann.

Wenngleich die Herſtellung von Blechen und Stäben die Haupt - thätigkeit der Walzwerke ausmacht, ſo iſt ihre Anwendung damit noch lange nicht erſchöpft, Schraubenmuttern, façonnierte Geländer und Gitter - ſtäbe, Radreifen, ja ganze Scheibenräder werden aus roh vor - geſchmiedeten Eiſenſtücken nur durch Walzen fertig hergeſtellt, ja neuer - dings iſt ein Verfahren erfunden, welches nicht nur geſtattet, Röhren zu walzen, ſondern auch dieſelben nach Belieben abwechſelnd als Hohl - und Vollcylinder zu geſtalten. Bei der Röhrenfabrikation wird dieſes Mannesmannverfahren noch eingehendere Beſprechung finden.

Das Ziehen.

Das dritte und letzte Verfahren, bei Metallen eine rohere Form - gebung zu erzielen, iſt das Ziehen. Das Ziehen nähert ſich dem Preſſen und Walzen, denn auch hier findet eine Querſchnittsverringerung und Veränderung eines Metalles durch Zuſammendrücken ſtatt. Das Ziehen geſchieht in der Weiſe, daß man ein ſtabförmiges Metallſtück an einem Ende zuſpitzt, ſo daß es in eine engere Öffnung, als ſein eigener Querſchnitt iſt, ſich hineinſtecken läßt, und dann den ganzen Stab durch dieſe Öffnung hindurchzieht, indem man ihn an dem zu - geſpitzten Ende ergreift. Hierbei wird der Stab dünner, gleich - zeitig aber auch länger werden. Dieſe Löcher ſind meiſt in eine Guß - ſtahlplatte hineingearbeitet und je nach dem Querſchnitt, den der gezogene Stab erhalten ſoll, verſchieden weit. Sie müſſen ſehr genau gearbeitet und vor allen Dingen innen glatt ſein, daß ſie keine Spähne abreißen. Zunächſt ſind ſie trichterförmig geſtaltet, dann folgt eine cylindriſche Strecke, die ſich wieder erweitert, um dem Stabe den Austritt zu erleichtern. Das gezogene Stück iſt ſtets dicker wie das Loch, denn vermöge ſeiner Elaſtizität dehnt ſich das Metall wieder etwas aus. Die vordere Öffnung iſt das Auge des Zieh - eiſens, wie die Platte heißt; ein Zieheiſen enthält bis zu 100 Löchern von 4 bis 25 mm Durchmeſſer. Bei feinen Drähten aus Edelmetallen wird ſtatt des Zieheiſens eine Meſſingplatte benutzt, in welche ein durchlochter Saphir oder Rubin eingelaſſen iſt; natürlich ſind dieſe Steinlöcher dauerhafter wie die Zieheiſen. Beim Ziehen pflegt man die Metalle kalt zu laſſen, weil in kaltem Zuſtande der Widerſtand, den ſie der Zerreißung entgegenſetzen, ein größerer iſt. Die Werkzeuge, die zum Ziehen benutzt werden, ſind außer dem Zieheiſen noch Zieh - bänke, und je nach der Art, wie auf dieſen der Zug ausgeübt wird. unterſcheidet man Schleppzangen - und Scheiben - oder Leierziehbänke.

663Das Ziehen. Die Drahterzeugung.

Die Schleppzangenziehbank beſteht aus einer Bank, an deren einem Ende ein Zieheiſen angebracht iſt; vor demſelben befindet ſich ein kleiner Wagen mit einer Zange, deren Maul ſich ſchließt, ſobald der Wagen vom Zieheiſen fortbewegt wird. Unter der Bank befinden ſich zwei Räder, ein gezahntes und ein ungezahntes, über welche eine endloſe Kette läuft. Sobald das Zahnrad durch ein Getriebe in Bewegung geſetzt wird, bewegt ſich auch die Kette und mit ihr der Wagen, der mit einem aushebbaren Finger in dieſelbe eingreift. Iſt der Wagen am Ende der Bank angekommen, ſo ſchaltet er ſich ſelbſtthätig aus. Dieſe Bänke waren in England ſchon 1563 eingeführt. 1834 ver - beſſerte Michel in Paris die Zangen und 1830 Hohnbaum in Hannover die Bankkonſtruktion. Die Schleppzangenziehbank wird hauptſächlich für Röhren angewendet, ihr Wirkungskreis iſt dadurch beſchränkt, daß ſie eben nicht länger ziehen kann, als es die Länge der Bank geſtattet. Iſt der Wagen am Ende angekommen, ſo muß er wieder zum Zieh - eiſen zurückgeführt werden, und die Zange muß von neuem einbeißen, wodurch die Zugſtücke unſchön werden.

Praktiſcher ſind die Scheiben - oder Leierziehbänke (Figur 383), die aber nur für Drähte Verwendung finden können. Hier befindet

Fig. 883.

Leier - oder Scheibenziehbank.

ſich auf einer Seite einer hölzernen Bank ein Haſpel, in der Mitte ein Zieheiſen, auf der anderen Seite die Leier, eine Trommel aus Guß - eiſen. Der Draht wird erſt auf die drehbare Trommel aufgewickelt, dann zugeſpitzt, durch das Zieheiſen geſteckt und auf die Haſpel auf - wunden.

Die Drahterzeugung.

Der Draht, wie er in den Handel gebracht wird, hat meiſt einen kreisrunden Querſchnitt, allerdings kommen auch anders geſtaltete Drähte vor, doch werden dieſe meiſt in den Werkſtätten nur zur ſofortigen664Die Metallverarbeitung.Weiterverarbeitung hergeſtellt. Drähte werden faſt ausſchließlich ge - zogen, nur dünnere Drähte werden gewalzt. Bevor ſie dem Zieheiſen überliefert werden, ſucht man ſie möglichſt ſchon in diejenige Form zu bringen, welche ſie nachher annehmen ſollen. Deshalb werden runde Stäbe gegoſſen und dann nachgeſchmiedet, wie es beim Kupfer, Silber und Gold geſchieht, oder gewalzt, wie es beim Stahl und Eiſen üblich iſt. Man ſchneidet auch Streifen aus Blechen, und rundet ſie mit der Feile ab. Da ſich die Drähte beim Ziehen ſtark verdichten und da - durch ſpröde werden, ſo müſſen ſie von Zeit zu Zeit ausgeglüht werden, um ihre vorige Weichheit wieder zu erlangen, namentlich bei Eiſen, Stahl und Meſſing iſt dies öfters nötig. Nach dem Glühen muß dann der Glühſpan durch Abſcheuern, Abbröckeln oder Abbeizen mit ver - dünnter Schwefelſäure losgetrennt werden.

Eine ganze Reihe von Verwandlungen muß das rohe Eiſenſtück durchmachen, ehe es als Glühdraht beim Spengler weitere Verwendung finden kann. Nachdem es der Hochofenhitze glücklich entronnen, dachte es ſich als ſchmucker Eiſenblock ſchon wunder etwas Schönes zu ſein, um ſo mehr, als man es unter der Luppenquetſche von allen Unreinigkeiten und Schlacken gründlich befreit hatte. Aber nun geht es erſt los. Jetzt wird es in den Schweißofen geworfen, und nachdem es die richtige Schweißtemperatur erlangt hat, mit großen Zangen ergriffen und vor ein Drahtwalzwerk gebracht. Da drehen ſich drei über - einander gelagerte Walzen mit großer Geſchwindigkeit herum, und in die Walzen ſind tiefe Furchen (Kaliber) um den ganzen Umkreis einge - ſchnitten, deren Öffnungen ſtufenweiſe immer kleiner und kleiner werden. Nun ſollte man meinen, was ein Draht werden will, das rundet ſich bei Zeiten, aber nein. Erſt muß ſich das Eiſen durch quadratiſche Kaliber durchwinden, dann wird es oval gepreßt, und erſt die letzte Form - gebung bewirken kreisrunde Furchen. Hierbei muß es lernen, ſich tüchtig zu biegen, denn während ſein Ende noch im vorigen Kaliber ſteckt, wird der Anfang ſchon umgewendet und in das folgende Kaliber geführt, und all dieſe Drehungen und Quetſchungen gehen mit einer ſolchen Geſchwindigkeit vor ſich, daß ein vorgewalzter Quadratſtab von 25 mm Dicke und etwa 70 cm Länge ſchon nach einer einzigen Minute als ein Draht von 15 m Länge noch rotglühend aus dem letzten Kaliber heraustritt. Flugs wickelt man ihn auf eine Art Haſpel, be - ſtehend aus vier auf einem Kreuz ſtehenden Eiſenſtäben, wo man ihn erkalten läßt, um ihn alsdann durch Scheuern und Beizen vom Zunder und Glühſpan zu befreien und blank zu machen, ſo daß er nun ſchon ein ſtattliches Ausſehen erhält. Will man nur dicken Walzdraht haben, ſo iſt er jetzt fertig, denn bis zu einem Durchmeſſer von drei Milli - meter vermag er es ſchon auf guten Walzen zu bringen, aber meiſt muß er noch weiter, zur Ziehbank. Hier wird er um den meiſt koniſch geformten Cylinder gewickelt, und muß, ſo gut es geht, ſich durch das Zieheiſen durchpreſſen und zwar durch 9 bis 12 Löcher,665Die Drahterzeugung.die oft gleich ſo hintereinander angeordnet ſind, daß der Draht erſt nach Verlaſſen des letzten Loches um die Haſpel gewunden wird, oft ſitzt aber auch zwiſchen je zwei Ziehlöchern eine Haſpel. Zuweilen ſträubt ſich der Draht gegen dieſes Verfahren und reißt entzwei. Das iſt in doppelter Weiſe unangenehm, es bringt Zeitverluſt mit ſich, da der Draht neu angeſpitzt und durch das Zieheiſen geſteckt werden muß, und der Käufer will keine kurzen Enden haben, wenn er einen Ring Draht kauft, ſondern verlangt nur ein Stück, oder jedenfalls doch nur wenige Adern. Aus geeignetem Eiſen hat man ſchon Ringe in einer Ader bis zu einer Fadenlänge von faſt einer geographiſchen Meile ausgezogen. So ſchnell wie das Walzen geht das Ziehen nicht, denn ehe alle 12 Löcher paſſiert ſind, muß der Draht in - zwiſchen mehrmals, bis viermal friſch geglüht und entſprechend ge - reinigt werden.

Eiſen - und Stahldrähte haben eine Stärke von 1 mm, als Seil - drähte bis zu 0,1 mm, die Klavierdrähte ſind 0,1 bis 0,7 mm dick, meſſingene Klavierſeiten 0,25 mm. Sehr viel feiner ſind die Drähte aus echten und halbechten Metallen, wie ſie zu Geſpinſten, Treſſen u. dergl. dienen. Neuerdings hat man für wiſſenſchaftliche Zwecke Platindraht hergeſtellt, der faſt ſchwer mit bloßem Auge zu er - kennen iſt. Nachdem nämlich der Platindraht aus einem gegoſſenen Stäbchen oder aus mit der Schere aus einem Blech herausgeſchnittenen Streifen in der gewöhnlichen Weiſe ſchon zu beträchtlicher Feinheit aus - gezogen iſt, umzieht man denſelben mit Silber, oder hüllt ihn in mehr - fach herumgelegtes Silberblech ein, und zieht ihn nun nochmals ſo fein als nur irgend möglich aus. Dann legt man ihn in ein Bad von Salpeterſäure, welche das Silber auflöſt, das Platin dagegen nicht angreift. So gelingt es Draht von faſt unglaublicher Feinheit zu erzeugen. Ebenſo wird Platiniridiumdraht hergeſtellt.

Benutzt man ſtatt des Zieheiſens den Seckenzug, ſo können auch Stäbe und Streifen in gleicher Weiſe verfertigt werden. Der Secken - zug beſteht aus zwei ſtählernen Backen, die mit Einſchnitten verſehen ſind. Sie werden in einen eiſernen Rahmen geſchoben und dann mittels einer oder zweier Schrauben ſoweit genähert, wie es der vor - liegende Zweck gerade erfordert. Der obere und untere Einſchnitt bilden dann zuſammen eine Öffnung, durch welche das Metall mit der Schleppzange gezogen wird. Auch hier erfolgt die Formgebung nur nach und nach, indem bei jedem neuen Durchgange auch die Backen einander wieder mehr genähert werden. Dünnes Blech biegt ſich hierbei einfach und bildet Hohlkörper, bei denen den Vertiefungen außen genau gleiche Erhöhungen im Innern entſprechen[und] umgekehrt; dicke Blöcke werden eingedrückt oder durch Abnehmen von Spähnen geformt, wobei die innere Fläche eben bleibt.

666Die Metallverarbeitung.

Die Röhrenerzeugung.

Röhren ſpielen im Haushalte der Menſchen eine höchſt wichtige Rolle. Tauſende von Kilometern ſind in einer Großſtadt allein in die Erde gegraben. Da liegen Waſſerleitungsrohre, Kanaliſationsrohre und Gasrohre; Telegraphenkabel und Kabel für elektriſche Beleuchtung ſind in Röhren eingeſchloſſen, durch Röhren fliegt die Rohrpoſt; ebenſoviele Kilometer ſind in den Wänden der Häuſer eingemauert, oder laufen außen an den Häuſern entlang; da giebt es neben den genannten noch Röhren für Centralheizungen, für Ventilation, Röhren, welche Druck - luft als Betriebskraft von einer Centralſtelle in die Werkſtätten führen, auf dem Hofe findet man Brunnenröhren; und welche Unmengen von Röhren ſind erſt an den Maſchinen aller Art, kurz Röhren hier und Röhren da, Röhren überall, wohin das Auge blickt. Kein Wunder alſo, wenn der Röhrenfabrikation die größte Aufmerkſamkeit zugewendet wird, und faſt jede Woche neue Verfahren erſonnen und zum Patent an - gemeldet werden.

Gußeiſerne Röhren konnte man ſchon in früher Zeit herſtellen. Dieſelben ſollen vollkommen blaſenfrei ſein, damit ſie dicht halten und weder Gas noch Waſſer durchſickern laſſen, ſie ſollen aber auch bei Er - ſchütterungen, wie ſie bei der Waſſerleitung durch das Waſſer ausgeübt werden, wie ſie aber auch beim Dichten der Verbindungsſtellen nicht zu vermeiden ſind, nicht zerbrechen. Man gießt daher die Röhren meiſt ſtehend, die Muffe der erweiterte Anſatz, in welchen die folgende Röhre hineingeſchoben wird nach unten. Dann ſteigen die Blaſen nach oben, alle Unreinigkeiten und Fremdkörper ſchwimmen oben und bleiben nicht in der Röhre, namentlich wird die Muffe, die gerade beim Dichten die Schläge auszuhalten hat, frei von Verunreinigungen ſein. Ferner hat der ſtehende Guß den Vorteil, daß man den Kern hineinhängen kann, ohne ihn weiter zu verſteifen und zu ſtützen. Die Formen, meiſt aus Sand hergeſtellt, werden zuvor getrocknet, um die Dampfentwicklung zu vermindern. Man wendet durchweg Kaſtenguß an, der Kaſten iſt cylindriſch, zweiteilig und ſein Durchmeſſer ſo ge - wählt, daß die Sandſchicht nur ſchmal, 20 bis 30 mm breit iſt ſo wird Material an Sand geſpart und das Trocknen geht ſchneller vor ſich. So werden in Deutſchland allein über eine Million Centner Röhren jährlich hergeſtellt.

Gegoſſene Röhren haben natürlich immer eine ziemliche Wand - ſtärke, man hat deshalb ſchon ſeit Anfang dieſes Jahrhunderts Röhren gezogen, gerade wie man Draht zieht. Ein kurzer kräftiger Hohl - cylinder wird gegoſſen und auf die Schleppzangenziehbank gebracht. Das Zieheiſen, welches das Rohr paſſieren muß, heißt hier Zieh - ring. Um ein Verbiegen und Krümmen des Rohres zu ver - hindern, und um ihm gleichzeitig genau die verlangte Wandſtärke zu erteilen, wird das Rohr nicht bloß durch den Ring, ſondern gleichzeitig667Die Röhrenerzeugung.noch über einen Volleylinder, den ſogenannten Dorn, der der inneren Weite desſelben entſpricht, gezogen. Sollen die Röhren größere Weite haben, ſo wird der Dorn ſehr ſchwer, die untere Wandung der Röhre infolgedeſſen dünner als die obere. Man verwendet daher ſtatt der Horizontalziehbänke auch ſenkrecht ſtehende. Dann läuft eine Kette über eine Trommel, welche oben an einem ſtarken. Gerüſt angebracht iſt. Entweder benutzt man einen langen Dorn, der mit dem Rohr durch den Ziehring gezogen wird, oder der Dorn iſt nur kurz, bleibt feſt in der Öffnung des Ringes, und nur das Rohr wird durch die Aufwick - lung des Seiles über beide geſtreckt, endlich läßt man auch Dorn und Rohr feſt und läßt einen, auch zwei Ringe über das Rohr gleiten.

Die beiden vorgenannten Arten von Röhren ſind nahtlos, aus einem Stück hergeſtellt und für viele Zwecke, namentlich da, wo ein ſtarker Druck auszuhalten iſt, ſind nur nahtloſe Röhren im Gebrauch. Man kann Röhren aber auch aus Blechen herſtellen und zwar auf die allerverſchiedenſte Weiſe.

Bei langen Röhren ſchneidet man einen Blechſtreifen zurecht, be - feilt ihn an den Rändern, klopft ihn über einem Dorn, bei ſehr engen Röhren auch über einem Drahte rund und läßt endlich das Ganze durch ein Zieheiſen laufen, damit die Ränder ſich glatt übereinander preſſen. Man ſpart ſich wohl auch die Vorbereitung und läßt das Blech gleich durch fünf bis ſechs immer enger werdende Ziehlöcher laufen, was außerordentlich ſchnell geht, aber leicht Veranlaſſung giebt, daß die Fuge ſpiralig verläuft.

Dickere und größere Röhren werden ebenfalls erſt zuſammen - gebogen, dann mit Schlaglot gelötet und jetzt auf der Röhrenziehbank über den Dorn in der oben erwähnten Weiſe gezogen. Das Ende der Röhre wird hierbei umgeſchlagen, damit die Röhre ſich nicht abſtreifen kann, wenn Dorn und Röhre durch den Ziehring geſtreckt werden. Bei ſchmiedeeiſernen Röhren iſt natürlich ein Löten nicht nötig. Die roh mit dem Handhammer oder auf andere Weiſe in rot - warmem Zuſtande in Röhrenform gebrachten Schienen werden weiß - glühend auf die Ziehbank gebracht, ſodaß beim Ziehen auch gleichzeitig ein Zuſammenſchweißen der Ränder ſtattfindet.

Die älteſten Röhren, wenn man von den gegoſſenen abſieht, waren die aus Blech gebogenen und dann zuſammengelötet, endlich über einen Dorn durch das Zieheiſen gezogen, alſo diejenigen Röhren, welchen beim Ziehen nur noch eine geringe Streckung gegeben wird, wo vielmehr das Ziehen hauptſächlich nur den Zweck erfüllt, die Röhren gerade zu biegen. Früher fand das Biegen ſtets mit dem Handhammer ſtatt, bequemer und ſchneller gelingt es mittels eines aus drei dünnen Eiſencylindern beſtehenden Walzwerkes. Auch die weitere Verfertigung und Vollendung der Röhren läßt ſich mit einem Walz - werk erreichen. Doch findet dieſes Verfahren der Hauptſache nach nur für geſchweißte ſchmiedeeiſerne Röhren Anwendung.

668Die Metallverarbeitung.

Das Röhrenwalzwerk iſt im allgemeinen ebenſo konſtruiert, wie das Stabwalzwerk. In einem feſten Geſtell ruhen zwei, auch wohl drei Walzen mit ringsherumlaufenden Furchen, deren Geſtalt dem halben Querſchnitt der Röhre entſpricht, ſo daß kreisrunde, quadratiſche, ovale u. ſ. w. Kaliber entſtehen. Da die Röhren gleichzeitig geſtreckt werden ſollen, ſo ſind die Kaliber der Größe nach abgeſtuft. Man nimmt einen gewalzten oder von einem Bleche abgeſchnittenen Streifen und richtet ihn für das Schweißen zu, d. h. man ſchrägt die beiden Seiten ab, ganz wie man will, z. B. indem man den Streifen auf einer Art Ziehbank an zwei Sticheln entlang zieht, welche Spähne los - reißen. Jetzt geht’s ans Biegen, dazu macht man die beiden Enden des Streifens warm und krümmt ihn mit Hülfe eines Geſenkes ſo ſtark, daß der entſtehende Rundkörper einen kleineren Durchmeſſer be - kommt, als die nachherige Röhre haben ſoll. Immer mehr heizt man alsdann dem Werkſtück ein, denn es folgt eine Erhitzung bis zur Rot - glut; bei welcher es durch einen Trichter gezogen wird, der einen vor - ſpringenden Rand hat, und die Streifen abſchrägt und über einander biegt. Wieder geht es in den Ofen zurück, aber zum Schweißen, das jetzt an die Reihe kommt, iſt Weißglut erforderlich, und weiß - glühend wird der vorbereitete Streifen in die Walzen gebracht. Ohne weitere Hülfsmittel ſind dieſe allerdings nicht zu benutzen, da ſie das Rohr unregelmäßig zuſammendrücken könnten, ſondern auch hier kommt ein Dorn in Anwendung, wie ihn Fig. 384 zeigt.

Fig. 384.

Wirkungsweiſe des Röhrenwalzwerks.

Der Dorn ſitzt feſt an einer Stange und ragt in das Kaliber hinein, das Rohr geht in der Richtung der Pfeile in die Walzenfurchen, welche es feſt an den Dorn preſſen, der ſeinerſeits dieſen Druck durch Gegendruck gegen die Walzen vergilt. So werden die abgeſchrägten Seiten zuſammengeſchweißt. Einmal iſt natürlich auch hier keinmal, denn man ſetzt dieſes Verfahren fort, indem man erſt die entſtandene Röhre um 60 Grad dreht, damit die Wände gleichmäßig werden, dann669Die Röhrenerzeugung.aber ein engeres Kaliber und einen dickeren Dorn auswählt. Soll die Röhre jetzt wieder durch, ſo muß ſie ſich ſtrecken und während die Wandungen dünner werden, wird ſie bei jedem Durchgange länger. Dreimal bis viermal eilt ſie mit großer Geſchwindigkeit durch die Walzen und wird zuletzt, damit ſie ſich beim Erkalten nicht verziehe, mehrere Male auf der Kratzbank durch Hartgußringe mit ſcharfen ge - ſchliffenen Rändern gezogen, wobei auch der Glühſpan abgeſchabt wird. Die Schweißnaht iſt hierbei ganz unbedenklich, die Röhren haben ſich für Gasleitungen in den Gebäuden, für Siederöhren bei Dampf - keſſeln u. ſ. w. vorzüglich bewährt, aber wie es überall geht, ſo iſt auch hier das Beſſere der Feind des Guten und das Beſſere iſt das Mannesmannſche Verfahren, Röhren ohne weitere Vorbereitung aus einem vollen Blocke durch bloßes Walzen herzuſtellen. Die ganzen vorbereitenden Arbeiten, das Blechwalzen, das Biegen, mehrmalige Erhitzen, und was ſonſt noch alles nötig war, fällt einfach fort. Das Mannesmannſche Verfahren bedeutet eine vollſtändige Umwälzung auf dieſem Gebiete, es iſt in jeder Richtung neu und originell, es ver - einfacht das ganze Verfahren, indem es geſtattet, in einem Durchgange eine faſt unbegrenzte Streckung zu erzielen, und noch obendrein die Röhre völlig ohne Naht herſtellt.

Bei den bisher angeführten Walzwerken liegen die Walzen ſo, daß ihre Achſen einander vollkommen parallel ſind. Laufen dieſelben in entgegengeſetzter Richtung, ſo wird ein rechtwinklig zur Walzen - achſe eingeführtes Werkſtück je nach der Schnelligkeit der Umdrehung mit mehr oder minder großer Geſchwindigkeit hindurchgezogen; laufen dagegen Ober - und Unterwalze in derſelben Umdrehungsrichtung, ſo wird ein in der Walzenrichtung eingebrachtes Werkſtück ſich zwar eben - falls in eine drehende Bewegung verſetzen, aber auf ſeiner Stelle liegen bleiben. Beide Methoden werden zur Formgebung benutzt, bei beiden aber hütet man ſich davor, das Werkſtück in Schrauben - bewegung geraten zu laſſen, mit welcher eine Faſerdrehung, und ein leichtes Zerbröckeln des Materials verbunden wäre, namentlich dann, wenn die Querſchnittsverringerung und Streckung eine erhebliche iſt. Bei Mannesmann wird das Umgekehrte erſtrebt, nämlich größte Faſer - drehung mit größter Streckung und Querſchnittsverringerung. Beides wird erreicht durch eine beſondere Walzenanordnung. Die Walzen - achſen ſind nicht mehr einander parallel, ſondern bilden einen Winkel mit einander, ja ſie liegen nicht einmal in derſelben Ebene, ſondern ſie kreuzen ſich. Man kann ſich eine Vorſtellung von dieſer An - ordnung in folgender Weiſe machen. Beim gewöhnlichen Walzwerk hebt man die Oberwalze an einem Ende, während man die Unter - walze an demſelben Ende ſenkt, dann bilden die Achſen in der - ſelben Ebene einen Winkel. Darauf zieht man an demſelben Ende die Oberwalze nach rechts, die Unterwalze nach links, dann liegen die anderen Enden nicht mehr bei einander, ſondern die Walzen670Die Metallverarbeitung.kreuzen ſich. Führt man jetzt in den Walzenwinkel ein Werkſtück ein, ſo gerät es in eine drehende Bewegung und bei der Streckung ſetzt ſich die drehende und vorwärtsſchreitende Bewegung desſelben zu einer ſchraubenförmigen Faſerdrehung zuſammen, es würde alſo aus einem runden Block ein runder Stab entſtehen, deſſen Faſern nicht längs lagern, ſondern gewunden ſind. Eine Röhre entſteht hierbei noch nicht. Nun ſind die Mannesmannſchen Walzen noch obendrein koniſch. Es iſt ohne weiteres klar, daß ein Punkt auf dem Umfange eines kleinen Kreiſes eine kleinere Geſchwindigkeit hat, wie ein ſolcher auf dem Umfange eines großen Kreiſes, wenn beide in derſelben Zeit denſelben Winkel machen ſollen, denn der letztere Punkt muß in der - ſelben Zeit eine ſehr viel größere Wegſtrecke durcheilen. Verhalten ſich die Durchmeſſer wie 1 zu 10, ſo verhalten ſich die Geſchwindigkeiten wie 1 zu 100. Führt man daher zwiſchen die koniſchen Walzen einen Rundblock, ſo wird das Werkſtück, wenn es von dem dünneren Walzen - ende hereingebracht wird, vorn ſehr viel ſchneller ſich drehen müſſen, wie am hinteren Ende, es kann hinten gar nicht ſo viel Material zugeführt werden, wie vorn verbraucht wird. Und die Folge davon? Der äußere Teil des Materiales muß, ob er will oder nicht, entſprechend ſeiner Drehung vorwärts, aber der innere Kern kann nicht folgen, er bleibt zurück, während der Mantel ſich vorſchiebt. So entſteht eine Röhre, deren hinteres Ende geſchloſſen iſt. Weiter kann auf dieſes intereſſante Verfahren, über welches, obwohl es erſt ſeit 5 Jahren be - ſteht, ſchon eine kleine Bibliothek geſchrieben und noch mehr geredet iſt, hier nicht eingegangen werden, es genüge zu wiſſen, daß es mit demſelben möglich iſt, einen Block ganz in eine Röhre auszuwalzen, aber auch die Röhre an einem, an beiden Enden, ja an jeder be - liebigen Stelle vollzulaſſen, was z. B. für Träger, die in der Mitte voll bleiben können, von höchſter Bedeutung iſt. Die Anwendung des - ſelben iſt alſo faſt unbeſchränkt.

Nicht unerwähnt mag es bleiben, daß Röhren auch geſtanzt und, was namentlich bei Bleiröhren der Fall iſt, kalt oder warm in die verlangte Form gepreßt werden.

b) Die letzte Formgebung der Metalle.

Aus tiefem Bergesſchachte hat der Bergmann das Metall hervor - geholt, mühſam mußte er es von der Erde Rippen losreißen, dann ſtieg es ans Tageslicht, um in des Hochofens Gluten von Schlacken befreit zu werden, und bald lag ein Metallblock vor uns, ſeiner weiteren Beſtimmung harrend. Nun wurde dieſer durch Gießen und Hämmern, durch Walzen und Preſſen in eine Form gebracht, die ihn befähigte, auf dem Weltmarkte zu erſcheinen. Vielfach iſt dieſe oft ſchon recht vollendete Form bereits die endgültige, die Schrotkugel, die Schrift -671Die Trennungsarbeiten.type wird ſo in Benutzung genommen, wie ſie aus dem Guſſe hervor - geht; die Glocke, die Statue erfährt weiter keine Formveränderung; aber meiſt bedeuten alle die bisher dargeſtellten Arbeitsverfahren doch nur einen Übergang, und noch harren die Metalle ihrer letzten Be - arbeitung, bis ſie als vollendetes Ganze ihrer Beſtimmung entgegen gehen. Nicht ſelten, namentlich da, wo es ſich um weitere Form - veränderungen handelt, wird man ſchon bekannten Inſtrumenten be - gegnen: Hammer und Walze, Preſſe ꝛc. ſpielen auch hier eine große Rolle, und nur die Art ihrer Anwendung iſt mannigfach verſchieden. Man gelangt hier auf das große Gebiet der Werkzeugmaſchinen, das ſo recht einen Beweis für die ſchöpferiſche Erfindungskraft des Menſchen liefert. Welch ein Weg von dem einfachen Feldſtein, mit dem unſere Vorväter klopften, bis zum Kruppſchen Rieſendampfhammer. Ein gemeinſamer Zug aber geht durch alle die Erfindungen hindurch, nämlich der Wunſch, die langſame und trotzdem unſichere Handarbeit durch die ſehr viel ſchneller vor ſich gehende und in ihren Ergebniſſen ſehr viel ſicherere maſchinelle Thätigkeit zu erſetzen.

Die Trennungsarbeiten.

Zwei Formen ſind es hauptſächlich von den bisher kennen gelernten, in denen die Metalle zur weiteren Verarbeitung gelangen, beide, das Blech und der Stab ſollen nun auf ihrem Gange weiter verfolgt werden.

Haben ſie das Walzwerk oder den Hammer verlaſſen, ſo wird ihnen zunächſt diejenige Größe gegeben, deren ſie zur weiteren Ver - arbeitung benötigen. Dies geſchieht durch Scheren. Zum Schneiden dünner Bleche hat man auch nur Handſcheren nötig, die nicht viel anders konſtruiert ſind, wie die Scheren, die der Schneider zum Zu - ſchneiden ſchweren Stoffe benutzt. Für dickere Bleche benutzt man Scheren, die in einem niedrigen hölzernen Klotze feſtgemacht ſind, die Stock - oder Bockſcheren. Bei dieſen liegt der Drehpunkt meiſt am Ende, das untere Blatt iſt feſt, das obere ein ſehr langer, einarmiger Hebel. Wo man auch mit den Stockſcheren noch nicht auskommt, treten die mit Elementarkraft betriebenen Maſchinenſcheren in Thätigkeit, und zwar zumeiſt die Parallel - oder Guillotinenſcheren, die, wie ſchon ihr Name beſagt, wahrſcheinlich franzöſiſchen Urſprungs ſind, oder die aus England herübergekommenen Kreisſcheren. Bei der Parallelſchere liegt die untere Schneide feſt und horizontal, die obere bewegt ſich zwiſchen zwei ſenkrechten Führungen auf und nieder. Wollte man aber die Schneide ebenfalls horizontal legen, ſo würde ſie in ihrer ganzen Länge gleichzeitig angreifen und müßte einen ungeheuren Druck über - winden; man läßt ſie alſo mit der unteren Schneide einen Winkel bilden, ſo daß das Metall nach und nach durchſchnitten wird, ſo weit die Schneide reicht. Durch die Länge der Schneiden wird auch die Länge des Schnittes begrenzt, ein Übelſtand, den die Kreisſcheren672Die Metallverarbeitung.vermeiden, bei denen zwei um ihren Mittelpunkt bewegliche Scheiben, die übereinandergreifen, ſich in entgegengeſetzter Richtung drehen, ſo daß jeder Teil des Umfangs zum Schneiden kommt. Das Werkſtück wird den Scheren entgegengeſchoben und kann natürlich unbegrenzt

Fig. 385.

Kreisſchere.

lang ſein. Fig. 385 wird die Wirkungs - weiſe noch weiter verdeutlichen.

Wenn geſchloſſene Figuren aus - geſchnitten werden ſollen, ſo wird die Benutzung der erwähnten Scheren be - ſchwerlich, man wendet dann eine in ſich ſelbſt zurückkehrende Schneide an, den Durchſchlag oder den Schneide - ſtempel, der mit einem Schlage die Form aus dem Blech austrennt. Das Metall liegt auf einer Scheibe, die mit einem Loch verſehen iſt, das wie der Stempel genau die Umriſſe der gewünſchten Figur hat, der Loch - ſcheibe. Die Verwendung der im 17ten Jahrhundert erfundenen Loch - maſchinen iſt eine faſt unbegrenzte. Runde Plättchen ſchneidet man in Münzen und Metallknopffabriken aus, man benutzt ſie ferner zur Herſtellung von Sägeblättern, Blechſieben, Scheren - klingen, Stahlfedern, Schnallenringen, Uhrzeigern, Nietlöchern in Keſſelwandungen, durchbrochenen Gold - arbeiten ꝛc. ꝛc., kurz unendlich vielſeitig ſind die Formen, die die Loch - maſchine hervorzubringen imſtande iſt. Alle dieſe Modifikationen des Durchſchlags ſind freilich faſt ohne Ausnahme Kinder des 19ten Jahr - hunderts.

Schwerere und im Querſchnitt größere Metallſtäbe, laſſen ſich mit keiner der genannten Methoden durchteilen, hier tritt die Metallſäge in Thätigkeit. Bei den Metallſägen berühren ſich die Gegenſätze. Ganz feine Laubſägen, deren Blatt aus einer Uhrfeder hergeſtellt iſt, ſchneiden aus dünnen Blechen die zierlichſten Figuren aus; geradezu großartig, ſowohl in ihren Abmeſſungen, wie in ihren Wirkungen, ſind die Säge - maſchinen, welche dazu dienen, die friſchgewalzten und noch glühenden Schienen auf die richtige Länge zu bringen. Eine gewaltige Kreisſäge von ¾ bis 1 ½ m Durchmeſſer macht, durch Elementarkraft getrieben, 800 bis 2000 Umdrehungen in einer Minute und in 10 bis 15 Sekunden ſind die ſtärkſten Schienen und Stabeiſen durchgeſchnitten; nur beſter Stahl vermag ſolche Arbeit zu verrichten.

Wie die Säge bei ſtarken Metallen die Schere erſetzt, ſo tritt in gleichem Falle der Bohrer an die Stelle des Durchſtoßes. Zum673Die Trennungsarbeiten.Bohren von Löchern benutzt man den bekannten Drillbohrer oder die Bohrknarre, ſchneller kommt man mit der Bohrmaſchine vorwärts. Fig. 386 zeigt eine einfache Vertikal-Handbohrmaſchine, wie ſie vielfach in mechaniſchen Werkſtätten Benutzung findet. Bei größeren Arbeits - ſtücken, genügen dieſelben natürlich nicht, und ſo fing man ſeit Anfang dieſes Jahrhunderts, namentlich in England, von wo ja faſt alle neueren Werkzeugmaſchinen herſtammen an, Lochbohrmaſchinen für Elementar - kraft-Betrieb herzuſtellen. Bewegt man das Werkſtück während des Bohrens, ſo entſteht kein Loch, ſondern ein beliebig langer Einſchnitt, und die Maſchinen heißen Langloch - oder Schlitzbohrmaſchinen.

Beſondere Schwierigkeiten treten auf, wo ein ſehr langes und dabei doch breites Loch herzuſtellen iſt, wie z. B. bei den Kanonen. Früher wurden dieſelben hohl gegoſſen; da indeſſen beim Gießen immer Blaſen und Hohlräume bleiben, die erſt dann entdeckt wurden, wenn die Kanone zerſprang, ſo goß zuerſt der franzöſiſche Marine-Inſpektor

Fig. 386.

Handbohrmaſchine.

Maritz 1740 die Geſchütze maſſiv und bildete die Höhlung gänzlich durch Bohren. Die Schwierigkeiten liegen darin, daß aus dem Vollen angefangen werden muß, und daß das eine Ende geſchloſſen bleibt, der Bohrer muß alſo freiſtehend ſo lang ſein wie die Höhlung. Wie leicht kann ein ſolcher Bohrer ins Zittern oder Schwanken geraten und die Arbeit, bei der es ja gerade hierbei auf äußerſte Gleichförmig - keit ankommt, zu einer verfehlten machen. Verſchiedene Kanonen - bohrmaſchinen ſind daher in Anwendung gekommen. Bei den wage - rechten, die wohl den Vorzug verdienen, iſt der Bohrer feſt und das wagerecht liegende Kanonenrohr dreht ſich ganz langſam, nur zwölf - mal in einer Minute, um ſeine Achſe; durch Schrauben, Gewinde oder Zahnſtangen wird der Bohrer allmählich vorwärts gerückt, ab und zu zieht man ihn heraus, um die Bohrſpähne zu beſeitigen. Man ſtellt den Bohrer aber auch ſenkrecht auf und läßt die Kanone, während ſie oder der Bohrer ſich dreht, durch ihre eigene Schwere über den letzteren herunterrutſchen. Bei den ſenkrechten Maſchinen fallen die Spähne von ſelbſt heraus. Für kleinere Geſchütze genügen 3 Bohrer - größen um den Lauf fertig zu machen, bei größeren aber iſt oft eine bedeutende Anzahl von Bohrern nacheinander in Anwendung zu bringen.

Das Buch der Erfindungen. 43674Die Metallverarbeitung.

Wie Kanonen, werden auch Gewehrläufe gebohrt, aber bei dieſen iſt nur eine ſchon vorhandene Höhlung nachzuarbeiten. Bei den Flinten - laufbohrmaſchinen dreht ſich der wagerechte Bohrer mit großer Ge - ſchwindigkeit, während man den Lauf vorwärtsſchiebt. So entſteht ſchnell ein genau kreisrundes Loch, das allerdings nicht immer ganz gerade ver - läuft; nachheriges Hämmern richtet dann erſt die fertigen Läufe gerade.

Den Sägemaſchinen ſchließen ſich die Fräsmaſchinen an, hier wie dort iſt ein gekerbtes Rädchen das arbeitende Werkzeug. Schon ſeit ſehr langer Zeit benutzt man zum Herſtellen der Zähne an kleineren Zahnrädern, namentlich auch ſolchen, wie ſie in Uhrwerken laufen, das ſogenannte Räderſchneidezeug, eine gekerbte Stahlſcheibe, die mit großer Geſchwindigkeit um ihre Achſe rotiert. Dieſe bedeuten den Anfang der Fräsmaſchinen, die ſeitdem eine immer noch ſich vergrößernde Be - deutung erlangt haben. Man kann ſie in ihrer Vielſeitigkeit allein mit den Lochmaſchinen vergleichen. Wo die Sägemaſchine roh vor - gearbeitet hat, arbeitet die Fräſe nach, ſo z. B. beim genaueren Ab - meſſen der Eiſenbahnſchienen, ferner erſetzt ſie die Feile beim Glätten von Metallflächen, aber auch alle möglichen Formen, die ſich früher nur durch Handarbeit herſtellen ließen, werden mit Hilfe der Fräſe fertig geſtellt. Freilich wird für jede beſondere Form auch eine be - ſondere Fräſe benötigt, und ſo iſt denn die Fräsmaſchine überall da die nützlichſte und wichtigſte Werkzeugmaſchine, wo eine größere Anzahl

Fig. 387.

Fräſe.

gleicher Körper hergeſtellt werden ſollen, alſo für Markt - und Maſſenartikel. Die Fräſen haben Scheiben -, Cylinder -, Kegel - oder Kugelgeſtalt. Fig. 387 zeigt eine cylindriſche Fräſe mit Schneiden auf der Stirn - und Mantelfläche, mit welcher zwei rechtwinklig gegeneinander gerichtete Flächen gleichzeitig bearbeitet werden können, und die daher zur Herſtellung rechtwinkliger Anſätze gebraucht wird. Im Konſtruieren von Fräſen für beſondere Zwecke haben ſich beſonders die Nordamerikaner hervorgethan.

Alle bisher genannten Maſchinen dienten in erſter Linie dazu, Werkſtücke in ihren Längen - und Breitenausdehnungen zu verändern, und nur die Fräſe kann auch eine Dicken - veränderung hervorrufen, ſonſt aber ſind für dieſen Zweck die Hobelmaſchinen beſtimmt. Hier iſt das arbeitende Werkſtück der Meißel oder der Stichel. Verſieht man den Meißel mit einer Vorrichtung, durch welche ſeine Bewegung geſichert iſt, und die das mit jedem Hammerſchlage ſtoßartig erfolgende Vorwärtsgehen und Spanabheben des Meißels in ein ſtetiges Vorrücken und ununterbrochenes Schneiden längs der ganzen Bahn in geradliniger Richtung verwandelt, ſo hat man den Hobel. Der Hobel des Tiſchlers iſt ja ein bekanntes Werkzeug. In der Metallbearbeitung kommen Handhobel nicht vor, ſondern der Hobel wird ſtets durch Maſchinen geführt. Hebt der Hobel ſehr dicke Spähne ab, und iſt die einzelne675Die Trennungsarbeiten.Arbeitsbewegung erheblich lang, ſo ſpricht man von eigentlichen Hobel - oder Planhobelmaſchinen, hebt der Stichel dünnere Spähne auf einer kurzen Bahn ab, bei ſenkrechter Bewegung desſelben, ſo heißen die Maſchinen Stoßmaſchinen, Feilmaſchinen endlich, wenn die Verſchiebung des Stichels in derſelben Weiſe wagerecht vor ſich geht. Die Hobel - maſchinen ſind aus England herübergekommen, Murray zu Leeds hatte ſchon 1814 eine ſolche in Gebrauch, ebenſo Fox in Derby, eine dritte kon - ſtruierte 1817 Roberts in Mancheſter. Die Stoßmaſchinen ſcheinen 1830 in England aufgekommen zu ſein, die erſten Feilmaſchinen führte Reichen - bach um 1810 ein, doch werden erſt ſeit 1840 größere Maſchinen gebaut.

Einen Gegenſatz zu allen Werkzeugmaſchinen, bei denen die Be - wegung des Werkſtückes oder Werkzeuges eine geradlinige war, bildet die Drehbank. Schon das Wort drehen deutet an, daß hier eine um - laufende Bewegung ſtattfindet, und zwar macht dieſe ſtets das Werk - ſtück. Die Drehbank iſt wohl die älteſte, aber auch heute noch wichtigſte Maſchine, die in keiner Metallfabrik fehlen darf. In ihrer einfachſten Form, wie ſie beiſpielsweiſe in Uhrmacherwerk - ſtätten gebraucht wird, zeigt ſie Fig. 388. Auf einem prismatiſchen Eiſenſtäbchen C ſitzen zwei Docken A und B, A verſchiebbar auf C, B mit C feſt verbunden und einen Anſatz h tragend, vermittels deſſen dieſer Drehſtuhl in den Schraubſtock geklemmt werden kann. Jede Docke trägt ein bewegliches und feſtſtellbares

Fig. 388.

Drehſtuhl.

Stäbchen. Die Stäbchen haben koniſche, einander zugekehrte Spitzen a b, die in genau gleicher Höhe liegen. Zwiſchen die Spitzen wird das Arbeitsſtück, das man vorher an den entſprechenden Stellen mit zwei feinen Grübchen verſehen hat, feſtgeklemmt. Verſieht man das Werk - ſtück mit einem Schnurröllchen und wickelt um letzteres eine Schnur, deren beide Enden an einem Bogen befeſtigt ſind, ſo muß beim Hin - und Herziehen des Bogens das Werkſtück um die Spitzen als Drehpunkte ſich vorwärts und rückwärts abwechſelnd drehen. Drückt man mit der anderen Hand einen Stichel Schneideſtahl gegen das Werkſtück, ſo muß dieſer Spähne ablöſen. Zur ſicheren Führung und Unterſtützung des Schneideſtahls iſt zwiſchen den beiden Docken die Auflage D verſchiebbar angebracht, auf deren in ver - tikaler Richtung beweglicher Krücke d der Stahl ruhen kann. Bei den durch Elementarkraft bewegten, überhaupt bei allen größeren Dreh - bänken iſt die eine Spitze direkt mit dem Schwungrad in Verbindung und dreht ſich mit dieſem, ſeine Bewegung dem Werkſtück mitteilend; es findet hier alſo kein Vor - und Rückwärtsdrehen ſtatt, ſondern eine ſtändige drehende Bewegung. Großartig in ihren Dimenſionen ſind die Maſchinendrehbänke, man hat deren bis zu 10 Meter Länge, um ſehr lange Walzen abzudrehen, oder Gewinde in lange Schrauben - ſpindeln zu ſchneiden.

43*676Die Metallverarbeitung.

Die Biegungs - und Drehungsarbeiten.

Dieſe Bearbeitungen bedürfen, ſoweit ſie von Menſchenhänden ausgeführt werden, nur weniger ſchon angeführter Werkzeuge. Recht - winklige Ecken und Kanten biegt man mit dem Hammer über die Amboßkante, runde Formen in derſelben Weiſe über das Amboßhorn, zur Herſtellung komplizierterer Figuren hat man Geſenke oder vertiefte ſtählerne Formen, die Stanzen, in welche das Blech mit dem Hammer hineingetrieben wird. Auch hier zwang die Langſamkeit und Unſicher - heit der Handarbeit und der Maſſenverbrauch gleichartiger Artikel zur Erfindung von Maſchinen, doch gehören dieſelben faſt durchweg dem 19. Jahrhundert an. Die älteſte war wohl das Fallwerk, der Vater der ſchon geſchilderten Maſchinenhämmer, in ſeiner einfachen Form, wie man ſie noch heute beim Einrammen von Pfählen findet. Der Hammer trägt hierbei meiſt die erhabene Form, das Blech liegt auf der vertieften Stanze; namentlich zur Herſtellung der meſſingenen Möbelbeſchläge fanden die Fallwerke ausgebreitetſte Verwendung.

Der Prägeſtock oder das Stoßwerk wurde zuerſt in Münzen an - gewendet, ging aber ſchon Anfang des 18. Jahrhunderts in die Knopf - fabriken, Gürtler - und Goldarbeiterwerkſtätten über, wird aber auch zum Prägen metallener Theebretter, ſilberner Löffel und Gabeln, Schmuck - ſachen, Doſen u. ſ. w. verwendet. Beim Prägen drückt die Maſchine einen erhaben oder vertieft gearbeiteten Stempel mit einem kräftigen Schlage auf das Blech; hat auch die Unterlage eine Zeichnung, ſo ſind beide Seiten gleichzeitig geprägt.

Handelt es ſich um die Herſtellung tieferer Gefäße aus einem Blechſtück, ſo würde ein einziger ſtarker Stoß dasſelbe leicht zerreißen, man treibt daher das Blech durch eine Reihe von Einzelſtößen und benutzt an Stelle der Fallwerke und Prägeſtöcke die Druckpreſſen. Die ein - fachen Preſſen, wie man ſie bei jedem Kaufmann als Kopierpreſſen findet, wirken mit Schrauben, ſoll ein ſehr ſtarker Druck hervorgerufen werden, ſo benutzt man hydrauliſche Preſſen. Hierbei haben die guß - eiſernen Stanzen keinen Boden, ſondern ſind ringförmig unten offen, die auf ſie gelegte Blechſcheibe wird am Rande ringsum eingeklemmt und durch den Stempel in die Stanzenhöhlung hineingetrieben. Beim Herſtellen von eiſernen und kupfernen Kaſſerollen und Waſchbecken, von Röhren, zinnernen Weinflaſchenkapſeln, Pommadetiegeln, kupfernen Zündhütchen u. ſ. w. nimmt man erſt einen weiten Ring und ent - ſprechend weiten Stempel und macht das Biegen ſchrittweiſe, indem man die Werkzeuge immer enger wählt; eine Verdünnung des Bleches findet dann nicht ſtatt.

Sogar zum Herſtellen ganz einfacher Formen, wie des bekannten Wellblechs, der Regenrinnen auf den Dächern, der Wagenfedern u. a. ſind Biegemaſchinen erfunden, welche die Handarbeit ganz in den Hintergrund gedrängt haben.

677Die Biegungs -, Drehungs - und Zuſammenfügungsarbeiten.

Für bauchige Formen, Thee -, Kaffee -, Waſſerkannen, kann man Stanzen und Stempel natürlich nicht verwenden, hier findet das Metalldrücken paſſende Verwendung. Die Erfindung desſelben wo und von wem dieſelbe ausging, iſt unbekannt rief eine förmliche Revolution in der Metallverarbeitung hervor. An die rotierende Dreh - bankſpindel bringt man ein meiſt hölzernes Modell das Futter an, an welchem man vorn eine Scheibe des zu verarbeitenden Bleches be - feſtigt hat. Während man nun das Futter mit großer Geſchwindigkeit in Umlauf erhält, zwingt man das Blech durch Anhalten ſtumpfer ſtählerner Werkzeuge, der Drückſtähle, ſich demſelben nach und nach feſt anzuſchmiegen. Die Arbeit geht mit bedeutender Schnelligkeit und Exaktheit vor ſich. Iſt das Werkſtück fertig, ſo wird es vom Futter abgezogen. Bei bauchigen Gegenſtänden nimmt man nach dem Vorgange von Duval in Paris ein aus mehreren Teilen zuſammengeſetztes Futter.

Auch die Univerſalhelfer im Gebiete der Metallverarbeitung, die Walzwerke, hat man in den Dienſt des Metallbiegens geſtellt. So zeigt Fig. 389 eine Walzen - anordnung zum Biegen von Cylindern oder von Kegeln, wenn man die Biege - walze c ſchräg ſtellt. Namentlich werden Walzwerke überall da angewendet, wo man auf Gegenſtände von Blech hohle Reliefverzierungen preſſen will, was ſonſt mittels Stanzen im Fallwerk geſchehen müßte, und wo gleichzeitig eine gebogene oder geſchloſſene Form hergeſtellt werden

Fig. 389.

Biegewalzwerk.

ſoll, wie bei Armbändern, Siegelringen u. a. Die Walzen ſind ſehr kurz, mehr ſcheibenförmig und tragen die entſprechenden Zeichnungen eingraviert, man nennt dieſe letzteren kleinen Walzwerke auch Rändel - maſchinen.

Die Zuſammenfügungsarbeiten.

Im vorangehenden ſind alle diejenigen Arbeiten der Beſprechung unterzogen, durch welche ein Metallſtück eine Formveränderung erleidet, häufig wird es auch nötig, mehrere Metallſtücke, wohl auch verſchiedene Teile desſelben Metallſtückes zu einem Ganzen zu vereinen. Schon bei der Herſtellung von Röhren war dieſer Gegenſtand geſtreift. Beim Walzen ſchmiedeeiſerner Röhren werden die Ränder aufeinandergeſchweißt. Beim Schweißen, das ſtets im ſchweißwarmen Zuſtande vor ſich geht, werden die beiden Metalle durch Hammerſchläge oder Walzen ſo feſt aufeinandergepreßt, daß ſie untrennbar verbunden bleiben. Nicht alle Metalle laſſen ſich ſchweißen, der Hauptſache nach nur Eiſen, Stahl,678Die Metallverarbeitung.Platin, Gold, Kupfer, Nickel. Vor einigen Jahren machte ein neues, das elektriſche Schweißverfahren viel von ſich reden, bei welchem die zu verbindenden Metallſtücke mittels des elektriſchen Lichtbogens ge - ſchweißt werden. Es findet hierbei ein faſt momentanes Zuſammen - ſickern des Metalles ſtatt, beinahe ohne Hinterlaſſung irgend einer Fuge. Beſonders für Dampfkeſſel, zum Zuſammenſchweißen der einzelnen Platten ſollte es geeignet ſein, man hört aber jetzt nur wenig davon und nietet die Dampfkeſſel nach wie vor.

Das Nieten kann man mit dem Nageln des Holzes vergleichen. Die einfachſte Nietung entſteht, wenn man einen zapfenförmigen Anſatz des einen Stückes durch ein entſprechend großes Loch des zweiten Stückes hindurchſteckt und dann das hervorragende Ende des Zapfens mit dem Hammer zu einem übergreifenden Kopfe ſchlägt. Meiſt haben beide Teile Öffnungen, durch welche ein beſonderer Niet oder Niet - bolzen hindurchgeſteckt wird. Die Niete werden mit eigenen Maſchinen ſeit 1840 aus ſtarkem Eiſendraht oder gewalztem Rundeiſen angefertigt, und zwar gleich mit einem Kopf. Aber auch für das Nieten ſelbſt er - fand Fairbairn in Mancheſter 1838 eine Maſchine, jetzt hat man nicht nur feſtſtehende, ſondern auch transportable Nietmaſchinen für Röhren, Keſſel, Eiſenkonſtruktionen der Brücken ꝛc. in Benutzung, und während früher vier Arbeiter ſtündlich 20 bis 40 Niete einzuziehen imſtande waren, ſchaffen drei mit der Maſchine 400 bis 500 Stück.

Genietet werden ſtarke Bleche, ſchwächere kann man falzen, d. h. man biegt die Ränder um und legt ſie dann übereinander, ſei es ein -

Fig. 390.

Einfacher Falz.

Fig. 391.

Falz mit Klammer.

Fig. 392.

Doppelfalze.

fach wie in Fig. 390, unter Benutzung eines klammerartigen Hülfs - ſtückes, des Falzſtreifens, den man überſchiebt, wie in Fig. 391, ſei es endlich mit doppelter Biegung des Bleches, wie in Fig. 392.

Endlich ſei auch des Lötens noch gedacht, durch welches zwei Metalle derſelben oder verſchiedener Art durch ein anderes, im ge - ſchmolzenen Zuſtande zwiſchen dieſelben gebrachtes und nachher wieder erſtarrtes Metall vereinigt werden.

679Die Verſchönerungs - und Erhaltungsarbeiten.

Die Verſchönerungs - und Erhaltungsarbeiten.

Wenn durch eine Reihe der vorgedachten Verfahren ein Gegenſtand ſeiner Form nach vollendet iſt, ſo zeigt er meiſt noch ein recht un - ſcheinbares Gewand; iſt er gegoſſen, ſo zeigt er Gußnähte und die Gußhaut, bei geſchmiedeten und gewalzten Gegenſtänden mißfällt der Glühſpan; Stichel und Meißel haben auch ihre Spur hinterlaſſen, und ſo bedarf denn der Gegenſtand noch einer letzten, der verſchönernden Bearbeitung, damit er auch dem Auge gefällig wirke. Andrerſeits ſind die Gegenſtände häufig Einwirkungen ausgeſetzt, denen das reine Metall nicht zu widerſtehen vermag, Eiſen roſtet, Meſſing ſetzt Grünſpan an ꝛc., da wird denn ein Überzug nötig, um das Metall vor ſeinen Feinden zu ſchützen.

Handelt es ſich darum, einen unſchönen Oxydüberzug Glüh - ſpan, Zunder fortzubringen, um die reine Metalloberfläche zum Vorſchein zu bringen, ſo greift man zum Abbeizen oder Abbrennen, d. h. man überläßt den Gegenſtand der Einwirkung einer verdünnten Säure ſo lange, bis das Oxyd aufgelöſt iſt. Beim Meſſing nennt man dieſes Verfahren Gelbbrennen, beim Silber Weißſieden. Silber iſt meiſt mit Kupfer legiert, und daher mit einer dunklen Haut von Kupfer - oxyd überzogen; löſt man dieſes in verdünnter Schwefelſäure auf, ſo kommt das weiße Silber zum Vorſchein. Dieſes Verfahren wird zwei - mal in der Siedehitze angewendet. Soll die Oberfläche matt werden, ſo glüht man den Gegenſtand nach dem erſten Sieden, nachdem man ihn in einen Brei von Pottaſche und Waſſer eingepackt hat, löſcht in Waſſer ab und ſiedet zum zweitenmale. Auch Gold wird ähnlich behandelt.

Überläßt man nur einen Teil des Gegenſtandes dem Einfluſſe der Säure, ſo wird nur dieſer angegriffen, und das Metall wird geätzt. Beim Ätzen handelt es ſich meiſt um das Hervorbringen ornamentaler Verzierungen, man überzieht die ganze Oberfläche mit einer ſchützenden Schicht, gewöhnlich einer harzigen Subſtanz, dem Ätzgrund und ſchabt die zu bildenden Figuren aus dieſem ſo heraus, daß das Metall frei - liegt. Gießt man Ätzwaſſer darauf, ſo werden nur die unbedeckten Stellen angefreſſen und erſcheinen nach Abſpülung und Entfernung des Ätzgrundes als vertiefte Ornamente. Man kann auch umgekehrt die Figuren aus Ätzgrund ſtehen laſſen und ringsherum das Metall frei ſchaben, dann erſcheinen die Figuren erhaben. Erſteres Verfahren heißt Tiefätzen, letzteres Hochätzen.

Gegenſtände mit rauher Oberfläche werden unter Benutzung des Schleifſteines abgeſchliffen, wobei alle Unebenheiten fortgeriſſen werden; haben ſie unregelmäßige Begrenzungsflächen, ſo iſt namentlich bei kleineren Körpern dieſe Methode nicht anwendbar, man führt dann ein Stäbchen von hartem Material mit glatter, glänzender Arbeits - fläche, den Polierſtahl, unter Druck über die Oberfläche, ſo daß alle680Die Metallverarbeitung.vorſtehenden Teilchen niedergedrückt werden und ein Glätten ent - ſteht, das dem Gegenſtande Glanz verleiht, man poliert ihn.

Eine ſehr beliebte und viel in Anwendung gebrachte Art der Metallverſchönerung und Schützung beſteht in dem Überziehen eines minderwertigen Metalles mit einem wertvolleren, ſei es des beſſeren Ausſehens wegen oder um dem geringeren eine größere Widerſtands - fähigkeit zu verleihen. Was ſtellt man nicht alles aus Eiſen her, und doch wird Eiſen von Feuchtigkeit nicht minder wie von allen atmo - ſphäriſchen Einflüſſen, von Säuren u. ſ. w. aufs leichteſte angegriffen. Trotzdem iſt Eiſen eins der wichtigſten und häufigſt benutzten Materialien, nur muß man es eben mit einer Schutzhülle verſehen. Eiſen überzieht man meiſt nach der direkten oder mechaniſchen Methode, d. h. man reinigt es ſehr ſauber und taucht es dann in ein Bad des geſchmolzenen Metalles, das als Überzug dienen ſoll. So werden Eimer, Blech - löffel, Nägel, Schnallen, Draht, Koch - und Zinkgeſchirre, Hohlmaße verzinnt. Auch Kupfer und Meſſing werden auf gleiche Weiſe durch Verzinnung geſchützt. Bei dieſer Methode bildet ſich eine zwar dünne, aber äußerſt dauerhafte Lage des flüſſigen Metalles auf dem feſten. Das Verzinnen kupferner Gefäße war ſchon im Altertum bekannt und wird bereits von Plinius erwähnt, das jetzt zu ſo großer Bedeutung gelangte Verzinnen von Eiſen ſcheint aber erſt im 16. Jahrhundert aufgekommen zu ſein, angeblich in Böhmen. 1670 wurde ein Eng - länder Yarrenton nach Sachſen geſchickt, um dieſe Kunſt zu erlernen, wie dem Engländer dies gelungen, beweiſt die Thatſache, daß das engliſche Weißblech bis in die neueſte Zeit den Weltmarkt beherrſcht hat. Im allgemeinen hängt man das zu verzinnende Stück einfach in die geſchmolzene Maſſe, aber auch das von Morewood und Rogers in England 1843 angegebene Verfahren, im Zinnkeſſel noch Walzen an - zubringen, zwiſchen welchen die Bleche bei ihrem Austritt durchgeführt werden, hat ſich für die Abgleichung des Zinnüberzuges und die Ver - meidung von Tropfen gut bewährt.

Das Überziehen auf naſſem Wege lieferte in ſeiner früheren An - wendungsform zu ſchwache und vor allen Dingen zu wenig haftende Überzüge, als daß es ſich hätte dauernd halten können. Hierbei hängt man das Metall in die Löſung eines Salzes des zweiten Metalles, z. B. erhält Eiſen in einer Kupfervitriollöſung einen roten Überzug, (vergl. S. 132), Zink wird in einer Platinchloridlöſung tiefſchwarz von ausgeſchiedenem Platin. Dieſe Methode des Überziehens auf naſſem Wege gewann erſt wirkliche Bedeutung, als man den galvaniſchen Strom benutzte, um die Metallſalze zu zerlegen und ein Metall auf dem anderen niederzuſchlagen. Galvaniſche Uberzüge werden äußerſt gleichmäßig, laſſen ſich in beliebiger Dicke herſtellen und ſind dauerhaft, worüber S. 131 ff nachgeleſen werden kann.

Die dauerhafteſten Überzüge erreicht man aber durch das Amal - gamationsverfahren, das indeſſen nur beim Verſilbern und Vergolden681Die Verſchönerungs - und Erhaltungsarbeiten.benutzt wird. Die Feuervergoldung, wie man es auch nennt, iſt zu - gleich die älteſte unter allen Metallüberziehungen und wird ſchon von Plinius erwähnt. Man benutzt dazu möglichſt reines Gold, wenn eine gelbe Vergoldung hervorgebracht werden ſoll; eine Legierung von Gold und Silber giebt eine grüne, eine Kupferlegierung eine mehr rötliche Färbung. Zum Gebrauche wird das Gold in kleine Stäbchen geſchnitten, in einem Tiegel bis zur Rotglut erhitzt, dann das acht - fache Gewicht reinen Queckſilbers hinzugethan und unter Umrühren noch einige Minuten erwärmt. Das ſo entſtandene Amalgam gießt man in kaltes Waſſer, damit eine ſchnelle Abkühlung und keine Kryſtalli - ſation erfolge. Das überſchüſſige Queckſilber wird entfernt durch Drücken und Kneten, das ſo lange fortgeſetzt wird, bis das kalte Amalgam eine teigartige Konſiſtenz erlangt hat. Da das Amalgam auf einer matten Oberfläche beſſer haftet als auf einer glatten, ſo wird der zu vergoldende Gegenſtand erſt erhitzt, dann gebeizt und abgetrocknet und dann erſt das Amalgam mit einer Meſſingbürſte aufgetragen, die vorher in Quickwaſſer getaucht wurde, d. h. in eine verdünnte Auf - löſung von ſalpeterſaurem Queckſilber. Dann wird die Säure ab - geſpült, der Gegenſtand getrocknet und über Holzkohlenfeuer ſoweit erhitzt, daß das Queckſilber ſich verflüchtigt, er wird abgeraucht. Dieſes Verfahren wird mehrfach wiederholt, wenn die Vergoldung ſtärker ausfallen ſoll. Soll der Gegenſtand glänzend werden, ſo wird er mit Blutſtein poliert, oder aber er wird mattiert, mit einem Gemiſch von Salpeter, Kochſalz, Alaun und etwas Waſſer in Breiform über - zogen und abermals erhitzt.

Diejenigen Stellen, welche blank bleiben ſollen, werden mit einem Überzuge von einem Brei aus Kreide, Zucker, Gummi und Waſſer be - deckt, die Stücke wieder getrocknet und bis zum Braunwerden des Überzuges erhitzt, man nennt dies das Ausſparen. Iſt beim Erhitzen die ſalzige Kruſte völlig geſchmolzen, ſo taucht man denſelben ſchnell in die mit kaltem Waſſer gefüllte Mattiertonne, worin ſowohl die Salz - löſung als auch die Ausſparung ſich ablöſen. Beim Feuervergolden geht eine ganze Menge des edlen Metalles verloren; in der Aſche des Abrauchofens und des Mattierofens, im Kehricht von den Arbeits - tiſchen und auf dem Fußboden der Werkſtätte, in der Flüſſigkeit und dem Bodenſatze der Mattiertonne, in den Kratzbürſten und im Schornſtein - ruß, überall ſind Goldſpuren vorhanden, ſo daß nur 74 Teile von dem in das Amalgam hineingelegten Golde auch auf dem Werkſtück ſich wieder vorfinden. Aber man gewinnt das Gold aus den Abfällen wieder und nur 4 Prozent gehen wirklich und unwiederbringlich ver - loren

Ähnlich wie das Vergolden wird auch das Verſilbern und Ver - platinieren gemacht.

Es iſt faſt ſelbſtverſtändlich, daß auch auf dem Gebiete des Über - ziehens der Metalle mit anderen Metallen das Mädchen für alles in682Die Metallverarbeitung.der Metallverarbeitung, das Walzwerk, eine große Rolle ſpielt: das Walzwerk macht in der That eben alles. Man nennt dieſes Arbeits - verfahren das Plattieren. Plattieren laſſen ſich allerdings nur Bleche, am häufigſten Kupferbleche mit Gold oder Silber. Man walzt eine Kupferplatte bis auf eine Stärke von 12 bis 20 mm, und nachdem man ſie durch Schaben vollkommen gereinigt hat, belegt man ſie mit einer eben - falls vollſtändig reinen Gold - oder Silberplatte aus reinſtem Metall und klopft die Ränder derſelben um die Ränder der Kupferplatte. Die Vereinigung findet nur dann ſtatt, wenn die Metallflächen abſolut rein ſind, man vergoldet auch wohl vorher die Kupferplatte durch Über - ſtreichen mit einer konzentrierten Löſung von Goldchlorid oder verſilbert ſie mit Silbernitrat. Die beiden Platten werden dann vorſichtig bis zur Rotglut erwärmt und die Oberfläche wird mit einer eiſernen Krücke gerieben, damit ein vollkommenes Aneinanderſchmiegen erreicht wird. Erſt wenn man ſich durch Klopfen mit einem Hämmerchen überzeugt hat, daß keine Hohlräume geblieben ſind, läßt man die Platten raſch mehrmals durch ein Walzwerk laufen unter jedesmaliger Annäherung der Walzen, wodurch eine vollkommene Verbindung ſtattfindet. Nach - her wird dann die zuſammengeſetzte Platte kalt zu der verlangten Stärke ausgewalzt.

Wie Kupfer, ſo überzieht man auch Aluminiumblech mit Gold - und Silberplatten, ſonſt kommen in der Hauptſache noch Zinn - und Nickelplattierungen vor.

Nächſt den metalliſchen Überzügen findet man auf Metallen auch Überzüge von zuſammengeſetzten Körpern, die ihnen Schutz verleihen ſollen. Es iſt eine ganz merkwürdige Thatſache, daß eine ganze Reihe von Metallen gegen Witterungseinflüſſe und Säuren äußerſt empfindlich ſind, während ihr Roſt ihre Oxyde im höchſten Grade widerſtands - fähig ſich erweiſen. So z. B. iſt beim Eiſen das ſogenannte Eiſenoxydul - oxyd, das eine blauſchwarze, mattglänzende Farbe beſitzt (Magneteiſen - ſtein) höchſt unempfindlich, allerdings iſt es höchſt ſchwierig, dasſelbe als Überzug auf Eiſenwaren herzuſtellen (vergl. S. 146). Weit bekannter und auch geſchätzter iſt ein Kupferprodukt. Wem wäre nicht ſchon auf Dächern von Kirchen und Türmen die wundervolle grüne Farbe aufgefallen, welche die Kupferplatten zeigen; aber dieſe iſt nicht nur dem Auge wohl - gefällig, ſondern ſie ſchützt vor allen Dingen das Kupfer vor weiterer Zerſtörung (vergl. S. 141). Dieſe Patina iſt nun freilich erſt durch den Einfluß der Jahrhunderte entſtanden, aber man hat auch den Verſuch gemacht, dieſelbe künſtlich herzuſtellen, mit mehr oder minder gutem Erfolge. Sie genau auf chemiſchem Wege zu erzeugen, wird vielleicht niemals vollkommen gelingen. Ähnlich liegen die Verhältniſſe bei Bronzeſtatuen.

Daß man Metalle durch Anſtreichen, Firniſſen, Lackieren, Asphal - tieren ebenfalls zu ſchützen oder zu verſchönern ſucht, ſei nur nebenbei erwähnt, genauer ſei nur noch eingegangen auf ein Verfahren, das683Die Stahlſchreibfedern.für die Hausfrauen von ganz beſonderem Intereſſe ſein muß, das Emaillieren oder Glaſieren. Es wurde zuerſt im Jahre 1783 von dem ſchwediſchen Bergwerksbeamten Rinman verſucht, doch ſoll man noch 1828 in England und Frankreich zu keinen Reſultaten gekommen ſein; wogegen in Deutſchland zu Lauchhammer ſchon 1815 bis 1820 emaillierte, gußeiſerne Geſchirre hergeſtellt wurden. Emaille oder Glas - ſchmelz dient ebenſo zum Schutz wie bei allen Kochgeſchirren wie zur Verzierung, wie bei den mannigfaltigen Schmuckſachen, Zifferblättern und ähnlichen Gegenſtänden. Das Arbeitsverfahren beim Emaillieren iſt höchſt einfach, man pulveriſiert die Emaille ganz, rührt ſie mit Waſſer zu einem dünnen Brei an, den man mit einem Pinſel in gehöriger Stärke auf das Metall aufträgt, dann trocknet man die Emaillemaſſe und erhitzt ſie mit dem Metall ſo ſtark, bis ſie eine geſchmolzene Decke bildet, worauf alles wieder langſam abgekühlt wird. Was iſt nun aber Emaille? Der Hauptſache nach ein durchſichtiges leicht flüſſiges Glas, am beſten hergeſtellt durch Zuſammenſchmelzen von Quarzpulver mit kohlenſauren Alkalien und Bleioxyd, oder mit Thonerde, Kalk - erde u. ſ. w., überall da, wo Blei wegen ſeiner Giftigkeit keine An - wendung finden darf, wie z. B. bei Kochgefäßen. Soll die Emaille weiß werden, ſo fügt man Zinnoxyd hinzu, Kobaltoxyd macht ſie blau, Kupfer - oder Chromoxyd grün, antimonſaures Kali gelb, Eiſenoxyd, Kupferoxydul oder Goldpurpur rot, Braunſtein violett, Hammerſchlag mit Braunſtein ſchwarz. Das Gemiſch wird im Tiegel geſchmolzen, und nach dem Erkalten gemahlen. Auch beim Emaillieren muß das Metall abſolut rein ſein.

So hätten wir denn das Metall auf ſeiner ganzen Laufbahn von ſeinem Herauskommen aus der Erde bis zum Kunſtwerk verfolgt, das vollendet in der Form und wohlgeſchmückt und verziert vor uns ſteht, einige der gebräuchlichſten Metallwaren mögen noch als Beiſpiele für die dargelegten Bearbeitungsweiſen und die vorgeführten Methoden dienen.

Die Stahlſchreibfedern.

Von wem zuerſt der Gedanke gefaßt wurde, den Gänſekiel durch ein metallenes Inſtrumentchen in der Form nachzuahmen und dasſelbe zum gleichen Zwecke zu verwenden, das iſt leider, wie bei ſo vielen welt - erſchütternden Erfindungen nicht mehr ausfindig zu machen, trotzdem iſt es ſicher nachweisbar, daß im Anfang des 19. Jahrhunderts meſſin - gene und auch ſilberne Federn in Gebrauch waren, die ihren Zweck jedoch noch ſo ſchlecht erfüllten, daß ſie die Gänſekiele nicht zu ver - drängen vermochten. Für Zeichner und Kalligraphen verfertigte man aber bald auch ſtählerne Federn, mit denen man auch auf Steine zum Steindruck ſchrieb. Alles dies waren nur Verſuche, erſt James Perry in London vervollkommnete 1830 die Stahlfedern ſo, daß ſie bald ihre früheren Konkurrenten verdrängten. Perry iſt der eigentliche684Die Metallverarbeitung.Begründer der jetzt ſo gewaltigen Stahlfederinduſtrie geworden. Bis zum Jahre 1846 war England, beſonders Birmingham der alleinige Sitz derſelben, in dieſem Jahre begann ſie auch in Frankreich, und 1856 errichteten Heintze & Blankertz die erſte deutſche Stahlfederfabrik in Berlin.

Die Stahlfedern werden aus Cementſtahl hergeſtellt, der im Walz - werke zu Blechſtreifen ausgearbeitet wird von etwas geringerer Breite als die doppelte Federlänge und von der Stärke, welche die Feder erhalten ſoll. Die Platten werden dann geglüht und alsbald in den Schneide - ſaal gebracht, wo eine Anzahl Mädchen mit kleinen Lochmaſchinen aus ihnen Plättchen ausſtoßen, die in ihren Umriſſen genau die Geſtalt der fertigen Federn haben. Jeder Stahlſtreifen giebt zwei Reihen Plättchen, von denen die Arbeiterin erſt eine Reihe ausſtößt, indem ſie das Blech ruckweiſe in gerader Linie unter dem Stempel entlang führt. Am Ende angekommen, wird der Streifen umgekehrt und rückwärts die zweite Plättchenreihe ausgeſtoßen. 4000 bis 4500 Stück ſolcher Plättchen vermag eine geübte Arbeiterin in einer Stunde fertig zu ſtellen.

Nun kommen die Platten in den zweiten Saal, wo ihnen der Stempel eines einfachen Fallwerks die Firma und Bezeichnung mit einem Stoße aufprägt. Wieder kommen ſie unter eine zweite Loch - maſchine, wo das Durchſtoßen des Loches in der Mitte der Federn oder des Spaltes, d. h. nicht des Schreibſpaltes, vor ſich geht, auch die Seitenſchlitzchen, welche die Federn häufig zur Erhöhung der Elaſtizität haben, werden hier eingeſtoßen. Nach dieſen Handhabungen bedarf der Stahl abermals des Ausglühens, denn durch die vielen Stöße iſt er inzwiſchen hart geworden. Die geglühten Platten kommen unter eine Schraubenpreſſe, wo ſie ein konvexer Stempel in eine kon - kave Matrize eindrückt und ihnen ſo die erforderliche Wölbung erteilt. Durch das Glühen ſind ſie weich geworden, alſo unbenutzbar, und müſſen daher von neuem gehärtet werden, zu welchem Zwecke ſie aber - mals erhitzt und dann in mit Thran gefüllte Tonnen geworfen werden. In einer mit Sägeſpähnen gefüllten rotierenden Trommel werden ſie vom Thran wieder befreit und in einer eiſernen Trommel über Kohlen - feuer angelaſſen, gelb oder blau, je nach der Härte, die ſie bekommen ſollen. Abermals müſſen ſie in eine Trommel, die mit zerſtoßenen Schmelztiegelſcherben gefüllt iſt, um einer energiſchen Reinigung unter - zogen zu werden. Dann geht es in den Schleifſaal. Zum Schleifen dienen durch Maſchinenkraft in Bewegung geſetzte Schmirgelſcheiben mit großer Umlaufsgeſchwindigkeit. Erſt werden die Federn von der Spitze bis zum Loche in der Mitte auf einem konkaven Steine, dann von einer Seite nach der anderen hinüber auf einer flachrandigen Scheibe abgeſchliffen, um durch dieſe Verdünnung der Spitze eine noch weitere Elaſtizität derſelben hervorzurufen; ein einmaliges Anhalten an den Stein wirkt ſchon vollkommen ausreichend. Die Schreibſpalte685Die Stahlſchreibfedern. Die Münzen.erhalten die Federn zuletzt und zwar durch eine kleine mit der Hand bewegte Parallelſchere. Nun ſind ſie fertig, aber ehe ſie in den Handel gelangen, werden erſt noch die Böcke von den Schafen ge - ſondert, was im Sortierſaale vor ſich geht. Jedes einzelne Exemplar wird mit der Spitze auf ein Stück Elfenbein gedrückt, die guten werden in Käſtchen verpackt, die ſchlechten bei Seite geworfen. Goldfedern und ähnliche werden zuvor noch galvaniſch überzogen.

Die Münzen.

So alt wohl beinahe, wie das Menſchengeſchlecht, ſind auch die Münzen. Die Zeiten, in denen der Menſch allein von dem leben konnte, was die Natur ihm darbot, gingen ſchnell vorüber, und gar bald machte mit ſteigender Kultur ſich das Bedürfnis geltend, Waren, Lebens - mittel, Kleider, Waffen u. ſ. w., Sachen, die man nicht ſelbſt beſaß oder ſich anfertigen konnte, von anderen auf dem Wege des Handels zu erwerben. Anfangs war der Handel wohl Tauſchhandel, aber nicht immer waren geeignete Tauſchobjekte vorhanden, man mußte alſo zu einer anderen Wertbeſtimmung greifen, und wenn auch zunächſt Muſcheln als Geld eine große Verbreitung fanden, bald ging man dazu über, wirkliche Münzen aus Metall herzuſtellen. Die Chineſen ſollen ſchon 2000 Jahre v. Chr. Münzen in Gebrauch gehabt haben, ſonſt finden wir ſie zuerſt bei den Phöniziern. Als Metalle für Münzen wurden und werden auch heute noch der Hauptſache nach Gold, Silber und Kupfer verwertet. Bei den Spartanern waren einmal zu Lykurgs Zeiten eiſerne Geldſtücke im Gebrauch, 1828 bis 1845 hatte Rußland Platinmünzen, auch Bronzemünzen kommen in mehreren Ländern vor; neben den oben genannten Metallen hat aber nur in allerneueſter Zeit eine ſtark kupferhaltige Nickellegierung Eingang gefunden. Auch die anderen Metalle kommen nicht rein zur Verwendung, weil ſie zu weich ſind und daher eine zu ſchnelle Abnutzung der Prägung befürchten laſſen. Auf die Herſtellung der Münzen wird die größte Sorgfalt verwandt, denn durch den aufgedrückten Stempel garantiert der Staat für den Wert derſelben. Der Gehalt an Edelmetall Feingehalt und das Gewicht ſind daher in allen Kulturſtaaten geſetzlich feſtgeſtellt, ferner aber iſt der Stempel ſo angebracht, daß jede Wegnahme von Spähnchen von der Oberfläche ſich ſofort bemerkbar machen muß, auch dem Be - feilen der Ränder, dem Beſchneiden iſt dadurch vorgebeugt, daß der Rand eine herumgehende Schrift oder Verzierung Rändelung trägt, endlich ſind die Ränder erhaben, damit beim Aufliegen auf einer Platte ſich nur die Ränder abnutzen und nicht der Stempel.

Bei der Anfertigung der Münzen ſtellt man erſt die Legierungen her. Man ſchmilzt dieſelben in einem Tiegel, meiſt in einem mit Coaks oder Holzkohlen geheizten Tiegelſchachtofen. In Benutzung kommen Graphittiegel, für Silber auch wohl ſchmiedeeiſerne oder gußeiſerne686Die Metallverarbeitung.Tiegel, deren Inhalt 200 bis 1000 kg beträgt. Erſt erhitzt man die Tiegel bis zur Rotglut, bringt das Metall hinein und bedeckt ſie mit Holzkohlenlöſche. Iſt alles flüſſig genug, ſo nimmt man mit einem Schöpflöffel eine kleine Probe heraus und prüft ſie auf den Fein - gehalt. Fällt die Prüfung zufriedenſtellend aus, ſo wird das Metall in aufrechtſtehende gußeiſerne zweiteilige Formen gegoſſen zu Stäben Zainen von 400 bis 600 mm Länge, 4 bis 8 mm Dicke und einer Breite, die ſich nach dem Durchmeſſer der Münzen richtet. Die erkalteten Zaine kommen dann in ein Walzwerk, wo ſie ſo lange geſtreckt und gleichzeitig verdichtet werden, bis ein ausgeſtoßenes Plättchen das genaue Normalgewicht einer Münze gleicher Größe hat. Iſt dies er - reicht, ſo folgt das Ausſtückeln, das natürlich mittels einer Loch - maſchine vor ſich geht. Die dabei verbleibenden Reſte wandern in den Schmelztiegel zurück. Obgleich nun die Walzwerke, deren Walzen etwa 150 bis 250 mm Durchmeſſer und 200 bis 400 mm Länge haben, aufs genaueſte gearbeitet ſind, ſo fallen die Platten doch nicht unbe - dingt gleichmäßig aus, ſie gelangen daher vor ihrer Weiterverarbeitung in den Juſtierſaal. Hier ſitzt ein Arbeiter an einem Tiſche, vor ſich eine Wage, auf deren einer Schale das Normalgewicht liegt. Auf die andere legt er das Plättchen, iſt dasſelbe zu leicht, ſo muß es ſeine Laufbahn von neuem im Schmelztiegel beginnen; iſt es zu ſchwer, ſo wird es vorſichtig ſo lange befeilt, bis es das richtige Gewicht zeigt. Dieſe Bearbeitungen werden aber auch ſelbſtthätig von Maſchinen aus - geführt, die Plättchen auf Plättchen auf die Wage legen und wieder weg - ſchnellen, die leichten in ein beſtimmtes, die zu ſchweren in ein anderes ge - ſondertes Behältnis. Derſelben Wage bedient man ſich auch, um bei den ſchon im Umlauf geweſenen Münzen, die noch vollwichtigen von den zu leichten zu ſondern. Auch das Juſtieren beſorgt ein Automat. Bei Nickel - und Kupfermünzen giebt man ſich übrigens nicht ſo große Mühe; ob das einzelne Stück ganz genau iſt, wird nicht unterſucht, man trägt nur Sorge, daß auf 1 kg die richtige Anzahl Münzen kommen, ohne ſie einzeln nachzuſehen. Alsdann werden zuerſt die Ränder, welche natürlich rauh und uneben aus dem Durchſtoß hervorgehen, einer weiteren Bearbeitung ausgeſetzt, ſie werden gerändelt auf der Rändel - maſchine. Dieſe enthält als Arbeitszeug zwei gehärtete, gradlinige oder kreisbogenförmige Stahlſchienen, die Rändeleiſen, deren eine feſtliegt, während die andere derſelben parallel ſich ſoweit vorſchieben läßt, daß die Münze um eine halbe Umdrehung fortgerollt wird. Der Abſtand der Schienen iſt nach dem Durchmeſſer der zu rändelnden Münzen ver - ſtellbar. Das Rändelwerk iſt übrigens eine Erfindung des franzöſiſchen Ingenieurs Caſſaing aus dem Jahre 1685. Beim Rändeln wird der Rand gleichzeitig durch die polierten Schienen geglättet und etwas nach beiden Seiten aufgeworfen. Nach dem Rändeln, manchmal auch ſchon vorher, werden die Platten ausgeglüht, wobei ſie mit Kohlen - ſtaub bedeckt in kupfernen oder eiſernen Kaſten liegen, und in einer687Die Münzen. Die Nähnadeln.geneigten hölzernen Tonne, die man um ihre Achſe dreht, mit ver - dünnter Schwefelſäure gebeizt, wo bei den Silbermünzen zugleich ein Weißſieden ſtattfindet. Goldmünzen reinigt man auch wohl nach dem Glühen nur in Seifenwaſſer, ſie bleiben dann rötlich, während die gebeizten eine ſchöne gelbe Farbe zeigen. Nach dem Beizen werden die Münzen auf ein leinenes Tuch geſchüttet und mit Bürſten trocken gerieben, wobei ſie zugleich Glanz erhalten. Der bei dieſem Verfahren entſtehende Gewichtsverluſt iſt natürlich erfahrungsmäßig feſtgeſtellt und beim Juſtieren bereits berückſichtigt. Jetzt geht es ans Prägen; erſt der Rand, wieder auf einem anderen Rändeleiſen, das auf jeder Schiene die Hälfte der Schrift oder Verzierung in umgekehrter Anordnung zeigt, dann die Flächen auf einem Prägwerk. Dieſes hat zwei einander zugekehrte Stempel, jeden mit der entſprechenden Schrift oder Zahl in umgekehrter Anordnung. Die Platte liegt auf dem unteren feſten Stempel und wird von dem oberen mit ſtarkem Drucke gepreßt, ſo daß gleichzeitig beide Seiten die Prägung erhalten. Hierbei wird die Münze dünner und indem ſie gezwungen wird, ſeitwärts auszuweichen, ver - ändert ſie auch ihre Form, ſo daß die Münzen nicht gleich groß er - ſcheinen. Man ſucht dieſen Übelſtand durch die Ringprägung zu ver - meiden, indem man die Platte während des Prägens in einen Stahl - ring einſchließt, deſſen innerer Durchmeſſer genau gleich dem Durchmeſſer der Münze und des Stempels iſt. Erhabene Schrift würde allerdings hierbei verloren gehen, faſt alle im Ringe geprägte Münzen haben daher vertiefte Randſchrift. Bei den kleineren Münzen benutzt man den Kerbring. Die Prägeſtempel nutzen ſich beim Gebrauch beträcht - lich ab, und da die Prägung immer ſcharf ſein ſoll, ſo ſind ſie nur für eine beſchränkte Anzahl Münzen, höchſtens bis zu 500 000 Stück zu benutzen und müſſen dann durch neue erſetzt werden. Da ein ſolcher aber ſehr ſchwer herzuſtellen iſt, er iſt ja ein Kunſtwerk im wahren Sinne des Wortes, und ſeine Anfertigung lange Zeit in Anſpruch nimmt, ſo wird mit dem Originalſtempel überhaupt nicht gearbeitet, ſondern dieſer nur dazu benutzt, um einen Modellſtempel herzuſtellen. Beide ſind aus beſtem Gußſtahl. Der Originalſtempel wird in ein kräftiges Prägewerk eingeſetzt, und ſo langſam durch eine große Anzahl einzelner Stöße der Modellſtempel geprägt, der genau wie die Münze aus - ſieht. In derſelben Weiſe werden nun mit dem Modellſtempel die eigentlichen Prägeſtempel hergeſtellt.

Die Nähnadeln.

Zur Herſtellung derſelben wird Stahldraht benutzt, wie ihn die Drahtziehereien in Form von Ringen liefern. Ein ſolcher Ring wird über eine große Trommel von etwa 1,5 m Durchmeſſer gerollt, ſo daß abermals ein Ring entſteht, der aber ſehr groß iſt und gewöhn - lich ſo etwa 100 Windungen enthält, die man auf zwei Seiten mit688Die Metallverarbeitung.einer geeigneten Schere durchſchneidet, ſo daß zwei Drahtbündel von je etwa 2,5 m Länge entſtehen. Dieſe kommen in das Schaft - oder Schachtmodell, d. h. eine halbcylindriſche Büchſe oder Rinne, deren Boden ſo weit vom oberen Rande entfernt iſt, als die doppelte Länge der Näh - nadeln beträgt. Ein einziger Schnitt mit der Bock - oder Maſchinen - ſchere am Rande teilt das ganze Drahtbüſchel in Schafte. Sind die Schafte geſchnitten, ſo werden ſie gerichtet, d. h. es werden 10 000 Stück in zwei eiſerne Ringe feſt hineingeſteckt und im Holzkohlenfeuer erſt geglüht und dann, wenn der Stahl weich geworden iſt, auf eine gußeiſerne, gut gehobelte Platte gelegt, die Einſchnitte für die Ringe hat. Eine zweite ebenſolche Platte mit Handhaben an der Seite legt man darauf, und ſchiebt ſie mehrere Male hin und her, wodurch das Drahtbündel in rollende Bewegung verſetzt wird. Dadurch erreicht man den doppelten Vorteil, daß die Drahtbündel gradlinig werden und die größte Menge Glühſpan verlieren. Nach dem Glühen kommt das Schleifen, welches trocken geſchehen muß, weil ſonſt die Nadeln ſo - fort roſten würden. Man benutzt 125 mm breite Schleifſteine aus hartem Sandſtein, die man nach dem Vorgange von Elliot ſeit 1823 gänz - lich in einen eiſernen Kaſten einſchließt, ſo daß nur eine kleine Öffnung zum Heranhalten der Schafte freibleibt. An der Rückſeite des Steines iſt ein Kanal, der zu einem für mehrere Steine gemeinſchaftlichen Schornſtein führt, durch welchen durch den ſtarken beim Drehen hervor - gerufenen Luftzug der Schleifſtaub ins Freie gebracht wird. So wird die Luft des Arbeitsſaales von den ſchädlichen Stahl - und Stein - ſplitterchen freigehalten. Der Arbeiter nimmt immer eine größere An - zahl Schafte auf einmal und indem er fortwährend dreht, ſpitzt er ſie alle gleichzeitig an und erreicht ſo eine Arbeitsleiſtung von 100 000 Stück täglich. Man hat aber auch Schleifmaſchinen, die dieſe Arbeit ſelbſtthätig ausführen und in einer Stunde 30 000 Nadeln bewältigen. Sind die Schafte geſpitzt, ſo werden ſie auf der Mitte ihrer Länge mit der Hand oder der Mittenſchleifmaſchine etwas blank geſchliffen und dann dieſelbe Stelle unter einem kleinen Fallwerk breit geſchlagen und zugleich mit einem Stempel mit den Umriſſen der beiden Nadel - öhre und mit Furchen verſehen, wobei durch das Preſſen ein geringes ſeitliches Aufwerfen entſteht, ein Bart oder Grat ſich bildet. Nun fehlt nur noch das Durchſtoßen der Öhre, das auf einer kleinen Loch - maſchine durch zwei parallele Stiftchen am Stempel und entſprechende Löcher in der Matrize oder dem Unterſtempel geſchieht. Sind die Schafte ſo geöhrt, ſo zieht man ihrer 100 auf zwei Stahldrähte, legt ſie auf ein feſtgeſtopftes Kiſſen oder Brett und klammert ſie durch zwei darüber - geſpannte Eiſenſchienen, die den mittleren Teil freilaſſen, feſt. Dadurch wird die Stelle, wo der Bart ſitzt, etwas nach oben gebogen, und es iſt ein Leichtes, die ſämtlichen Bärte auf einmal mit einer flachen Feile oder einem Schleifſtein abzuſchleifen und gleichzeitig in der Mitte zwiſchen beiden Öhren einen Einſchnitt zu machen. Iſt dies geſchehen,689Die Nähnadeln.ſo wendet man das Bündel und macht dieſelbe Arbeit von der anderen Seite noch einmal, wodurch der Zuſammenhang der Schafte ſo weit gelockert wird, daß man ſie bequem auseinanderbrechen kann, und nun die einzelnen Nadeln zu je 100 auf einem Drahte aufgereiht vor ſich hat. Dieſelben werden dann nur noch oben abgefeilt oder abgeſchliffen, und ſind ſo in ihrer Form vollendet. Durch Hin - und Herwirbeln zwiſchen den Fingern prüft man, ob ſie nicht krumm geworden ſind, in welchem Falle ſie durch Schläge mit einem kleinen Hammer wieder gerade ge - richtet werden. Noch ſind die Nadeln vom Glühen weich, ſie müſſen alſo erſt wieder gehärtet werden, zu welchem Zwecke ſie erſt in einer eiſernen Mulde bis zur Rotglut erwärmt und dann in ein Gefäß mit Rüböl geſchüttet werden. Nachdem ſie dort wieder herausgefiſcht ſind, werden ſie gelb oder blau angelaſſen, in Waſſer abgekühlt und mit Sägeſpähnen getrocknet, der entſtandene Glühſpahn wird durch Scheuern entfernt. Man packt eine große Anzahl Nadeln mit ſcharfem Sande oder auch mit Schmirgel und Öl in Ballen von etwa 10 mm Durch - meſſer und von länglicher Form, und läßt eine Anzahl ſolcher Ballen 12 bis 18 Stunden lang auf einer Art Drehrolle oder Wäſchemangel hin - und herrollen. Dann nimmt man ſie heraus, packt ſie mit neuem Schleifmaterial ein und überliefert ſie abermals der Schauer - mühle, und wiederholt dieſes Verfahren 8 bis 10 Mal, ſo lange mit immer feineren Schleifmitteln bis die Nadeln aufs feinſte poliert ſind, worauf man ſie in Seifenwaſſer wäſcht und mit Sägeſpähnen trocknet. Bevor ſie in den Handel kommen, werden ſie noch ſortiert, und die - jenigen, deren Spitzen etwa abgebrochen ſind, entfernt, und wenn dies geſchehen iſt, werden nun noch mindeſtens fünferlei Arbeiten mit ihnen vorgenommen. Erſt läßt man die Köpfe, damit die Nadeln wegen ihrer Sprödigkeit nicht gleich an der dünnen Stelle am Öhre ab - brechen, nochmals blau an, um ſie geſchmeidiger zu machen, wozu man ſie in eine rotierende Scheibe ſteckt und von einer Gasflamme erhitzen läßt (Blaumachmaſchine). Dann werden die Nadeln verſenkt, d. h. die Öhre, welche beim Durchſtoßen ſo ſcharfkantig geworden ſind, daß ſie den Faden leicht zerſchneiden würden, werden mittels einer kleinen ſpitzen Reibahle, welche an der Spindel einer ſchnell umlaufenden kleinen Drehbank befeſtigt iſt, von beiden Seiten her nachgebohrt. Man be - nutzt auch Schmirgelſtäbchen zu dem nämlichen Zwecke. Abermals geht es zum Schleifſtein, wo die Spitzen nachgeſchliffen und die Köpfe von der blauen Farbe befreit werden. Schließlich werden ſie auf einer Lederſcheibe mit feinſtem Schmirgel poliert. Endlich ſind ſie, nachdem ſie faſt hundertmal in die Hand genommen ſind, vollkommen gebrauchs - fertig und können abgezählt und verpackt werden. Beim Abzählen benutzt man ein eiſernes Lineal mit 25 und 100 Furchen auf einer Seite, in welchen genau eine Nadel Platz findet. Man nimmt eine Anzahl Nadeln zwiſchen Daumen und Zeigefinger, ſtreicht über dasDas Buch der Erfindungen. 44690Die Sprengſtoffe und ihre Verwendung.Lineal hin, und es bleibt in jeder Furche eine Nadel liegen. Auch hierzu giebt es Maſchinchen, welche die ganze Arbeit ſoweit allein beſorgen, daß ſie die Nadeln ſogar noch in Papier ſtecken, ſo daß der Arbeiter nur die Kurbel dreht und das Papier hinlegt und fortnimmt.

3. Die Sprengſtoffe und ihre Verwendung in der Technik und im Kriege.

Wenn es wahr iſt, daß die ſiegende Intelligenz, welche den Menſchen über alle anderen Geſchöpfe erhebt, ihr höchſtes Ziel in der Beherrſchung der Naturkräfte findet, ſo muß die Erfindung der Sprengſtoffe als einer der größten Triumphe der menſchlichen Geiſtes - kraft angeſehen werden. Denn auf keinem anderen Gebiete iſt das Material, mit welchem der ſpekulative Verſtand zu arbeiten hat, ein derartig ſprödes, in ſeiner feſſelfreien Entfaltung furchtbares und ver - nichtendes, bei keiner anderen Erfindung der Einfluß auf die Schickſale der Menſchheit ein ſo gewaltiger und in wunderbarer Weiſe zwiſchen Fluch und Segen geteilter, wie gerade hier. Derſelbe Stoff, der in der Hand des fleißigen Arbeiters eine ſegenſpendende Kraft von gigan - tiſcher Leiſtungsfähigkeit darſtellt, wird in der Waffe des Kriegers zum zerſtörenden, die Weltgeſchichte beherrſchenden Dämon, und in der Fauſt des politiſchen Schwärmers zum Werkzeug fluchwürdiger Ver - brechen.

Die Sprengſtoffe ſind im weſentlichen eine Erfindung des gegen - wärtigen Jahrhunderts; beſonders iſt es erſt ſeit verhältnismäßig kurzer Zeit gelungen, einen genaueren Einblick in die Wirkungsweiſe dieſer Körper zu gewinnen und, geſtützt auf die Fortſchritte der Chemie, ihre Eigenſchaften mit derſelben Sicherheit zu beherrſchen, mit der wir andere natürliche Kraftquellen für unſere Zwecke ausnutzen. Nur die Erfindung des bekannteſten aller Sprengſtoffe, des Schießpulvers, gehört früheren Zeiten an, und ihre Spur verliert ſich im ſagenhaften Altertum. Wie wir aber einerſeits das Pulver in hiſtoriſcher Be - ziehung als das Urbild der Sprengſtoffe anſehen müſſen, ſo iſt anderer - ſeits ſeine verhältnismäßig langſame Wirkungsart beſſer, als diejenige anderer neuerer Sprengſtoffe geeignet, einen Begriff von den Prozeſſen zu geben, welche ſich bei der Zerſetzung explodierender Körper abſpielen. Wir beginnen daher mit der Betrachtung des Pulvers, um dann die wichtigſten anderen Sprengſtoffe folgen zu laſſen.

691Das Schießpulver.

Das Schießpulver.

Die frühere Annahme, daß das Pulver von den der Alchimie ergebenen Mönchen des Mittelalters, als deren Perſonifikation Berthold Schwarz gilt, erfunden ſei, iſt ſicher als falſch erwieſen, obgleich dem genannten Erfinder, von dem man weder Geburtsort noch Lebenszeit kennt, in Freiburg ein Denkmal geſetzt worden iſt. Die Entſtehungs - geſchichte des Pulvers gehört überhaupt nicht einer beſtimmten Zeit an, ſondern dürfte ſich über lange Jahrhunderte erſtrecken. Von den zur Pulverfabrikation notwendigen Ingredienzien, der Kohle, dem Schwefel und dem Salpeter, ſind die beiden erſteren den abendländiſchen Kulturvölkern ſeit Urzeiten bekannt, während der Salpeter, welcher fertig gebildet, als Auswitterung des Bodens, ſich nur in Indien und China findet, auch nur der Bevölkerung dieſer Länder ſo nahe ſtand, daß ſie auf ſeine eigentümlichen Eigenſchaften aufmerkſam werden mußte. Jedenfalls hat man den Salpeter im Abendlande erſt durch die Vermittelung arabiſcher Alchimiſten, alſo nicht vor dem achten Jahrhundert, kennen gelernt.

Hieraus ergiebt ſich mit größter Wahrſcheinlichkeit, daß die Chineſen die erſten geweſen ſind, welche von der wichtigſten Eigenſchaft des Salpeters, mit brennbaren Körpern aller Art bei der Entzündung ſehr raſch abzubrennen oder zu verpuffen, Kenntnis hatten und, ihrer noch heute beobachteten großen Vorliebe für Feuerwerkskünſte folgend, die gemachte Entdeckung in dieſer Richtung verwendeten. Marco Polo, der berühmte Reiſende des Mittelalters, welcher auch Oſtaſien beſuchte, erzählt allerhand wunderbare Dinge, welche auf die erwähnte An - wendung von Salpetermiſchungen in der chineſiſchen Feuerwerkerei hindeuten. Während nun die Chineſen den Salpeter, welcher übrigens in arabiſchen Handſchriften geradezu Chinaſalz oder Chinaſchnee genannt wird, nur zu friedlichen Zwecken verwendeten, ſcheinen andere kriegeriſchere Völker, denen die Erfindung allmählich bekannt wurde, dieſe im weſentlichen zu Angriffs - und Verteidigungszwecken benutzt zu haben. Es iſt kaum zu bezweifeln, daß das berüchtigte und über - aus gefürchtete griechiſche Feuer der Byzantiner, welches ſchon in den Kriegen des frühen Mittelalters, ganz beſonders aber in den Kämpfen der Kreuzzüge eine beſonders wichtige Rolle ſpielte, auch nichts weiter geweſen iſt, als eine Miſchung von Salpeter mit Kohle, Schwefel und vielleicht noch anderen brennbaren Körpern. Es gelang den Byzan - tinern, ihr koſtbares Geheimnis Jahrhunderte hindurch zu bewahren, und in den Kriegen, die ſie führten, das griechiſche Feuer als un - widerſtehliches Schreckmittel zu benutzen. Sie ſchleuderten es in Töpfen aus Wurfmaſchinen auf die Feinde, befeſtigten es an Pfeilen oder ſteckten es an lange Stangen, um auf dieſe Weiſe die Schiffe der Gegner direkt in Brand zu ſetzen; eine Verwendungsweiſe, die im letzten Falle lebhaft an die noch im türkiſch-ruſſiſchen Kriege von 187744*692Die Sprengſtoffe und ihre Verwendung.angewendeten Spierentorpedos erinnert. Erſt im 13 ten Jahrhundert wandten auch andere Völker das griechiſche Feuer an, ſo daß erſt zu dieſer Zeit das Geheimnis desſelben ſich weiter verbreitet zu haben ſcheint. Außerdem haben wir aber aus derſelben Epoche Handſchriften, welche über die Zuſammenſetzung der Feuermiſchungen genauere An - gaben machen; es iſt gewiß ſehr merkwürdig, daß ſich in dieſen Rezepte finden, welche ſich denen unſeres Pulvers in ganz überraſchender Weiſe nähern.

Wahrſcheinlich aber wird bei dem Gebrauche des griechiſchen Feuers eine Beobachtung gemacht worden ſein, welche vielleicht dem erſten Entdecker gar nicht ſehr imponierte, welche aber in der Folge viel ſtärker ausgenutzt worden iſt, als die anderen Eigenſchaften des merk - würdigen Körpers. Wir meinen die treibende Kraft der Feuerwerks - ſätze, welche ſich am einfachſten in dem heftigen Sprühen der Flamme und in der unabhängigen Richtung derſelben, dann aber auch in der Erſcheinung zeigte, daß die Brandpfeile durch das Brennen des Satzes eine erheblich größere Geſchwindigkeit erlangten, als ſie von der ſchleudernden Wurfmaſchine empfangen hatten. Nachdem dieſe Er - ſcheinungen bekannt geworden waren, war zu der Erfindung der Rakete, dem aus eigner Kraft vorwärts eilenden feurigen Geſchoß, nur noch ein kurzer Schritt. Bei der fortſchreitenden Vervollkommnung der Raketen aber konnte es nicht unbemerkt bleiben, daß, wenn die Rakete an der Bewegung gehindert wurde, alle Körper, welche von dem brennenden Satz getroffen wurden, mit Heftigkeit fortgeſchleudert wurden, und daß dieſe Wirkung bedeutend ſtärker auftrat, wenn der Satz gekörnt war. So kam man in der zweiten Hälfte des 13 ten Jahr - hunderts auf den Gedanken, den in der noch heute üblichen Weiſe bereiteten Pulverſatz in eine Röhre zu laden und ein darauf geſetztes Geſchoß vermittelſt ſeiner Kraft fortzutreiben. Wir finden die neue Erfindung im Laufe des nächſten Jahrhunderts bereits in den meiſten europäiſchen Staaten; es iſt bekannt, daß die engliſchen Geſchütze den Sieg von Crecy, 1346, hauptſächlich entſchieden. In der zweiten Hälfte des 14 ten Jahrhunderts wurde ſchon an vielen Orten Deutſch - lands Pulver fabriziert und allgemein im Kriege verwendet. Auch von den Gefahren, die mit der Herſtellung und Aufbewahrung des neuen Kriegsmittels verknüpft ſind, haben wir ſchon aus dieſer frühen Zeit Kunde; 1360 wurde das Lübecker Rathaus das Opfer einer Pulver - exploſion.

Ehe wir auf die hochintereſſante Entwickelung der Verwendung des Pulvers für die Schußwaffen näher eingehen, iſt es nötig, ſeine Herſtellung und Wirkungsweiſe genau zu erörtern.

Von den notwendigen Rohmaterialien muß die Kohle vor allem ſo leicht entzündlich, wie nur möglich ſein; daher eignet ſich am beſten die poröſe, welche weichen Holzarten entſtammt. Man erzeugt die Pulverkohle gewöhnlich nicht durch Brennen der Hölzer (beſonders693Das Schteßpulver.von Pappeln, Haſelſträuchern, Faulbäumen) in Meilern (ſ. S. 323), ſondern durch Deſtillieren in eiſernen Cylindern, durch welches Ver - fahren ein ſicherer Brand verbürgt iſt. Das Produkt, die ſogenannte Notkohle, iſt bräunlich-ſchwarz und leitet die Wärme gut; es iſt rein von Sandkörnern und anderen harten Verunreinigungen, welche bei der ſpäteren Verarbeitung des Pulverſatzes die Gefahr einer Exploſion hervorrufen würden.

Der Schwefel, welcher meiſt Sicilien entſtammt, erfährt an Ort und Stelle eine Reinigung von den anhängenden erdigen Verunreini - gungen. Zu dieſem Zwecke deſtilliert man ihn aus irdenen Gefäßen und kondenſiert die Dämpfe in Vorlagen. Das Produkt, der Roh - ſchwefel, welcher noch einige Prozente erdiger Teile enthält, kommt in den Handel und muß einer nachträglichen Reinigung unterzogen werden. Dieſelbe erfolgt durch eine zweite, vorſichtigere Deſtillation, bei welcher die Dämpfe in große gemauerte Kammern geleitet werden. So lange deren Wände kälter ſind, als 110°, die Temperatur des Schmelzpunktes des Schwefels, kondenſieren ſich die Dämpfe zu feſtem Schwefelpulver, den Schwefelblumen; nachher ſammelt ſich geſchmolzener Schwefel, welchen man in cylindriſche Formen gießt und unter dem Namen Stangenſchwefel in den Handel bringt. Man ſondert die beiden Formen des gereinigten Schwefels rechtzeitig von einander, da man zur Pulverfabrikation die Schwefelblumen, wegen eines geringen Gehaltes an Schwefelſäure, nicht verwendet. Der erhaltene Stangen - ſchwefel wird häufig einer nochmaligen Deſtillation unterworfen.

Der Salpeter, von welchem ſchon erwähnt wurde, daß er ſich als Mineral in geringer Menge in einigen Gegenden Aſiens findet, wird ſtets künſtlich erzeugt. Früher geſchah dies in den Salpeter - plantagen , deren Wirkſamkeit auf der chemiſchen Umwandlung ammoniakhaltiger, organiſcher Körper in Salpeterſäure beruht; dieſe Umwandlung iſt jedoch nur in Gegenwart alkaliſcher Subſtanzen mög - lich. Man ſammelte mit faulenden, ſtickſtoffhaltigen Subſtanzen durch - ſetztes Erdreich oder ſchichtete Erde mit allerlei tieriſchen und pflanz - lichen Abfällen in Haufen; in beiden Fällen ſorgte man durch Aufgießen von Jauche und anderen faulenden Flüſſigkeiten für ſtete Feuchthaltung der Erde. Endlich mengte man Schutt, Mergel, Kalkreſte darunter, und überließ das Ganze unter ſtetem Begießen längere Zeit der Ein - wirkung der Luft. Die Wirkung zeigte ſich durch einen weißlichen Überzug von auswitternden ſalpeterſauren Salzen. Dann hörte man auf zu begießen und laugte die reife Erde mit Waſſer aus. Die gewonnene Lauge, welche alle möglichen ſalpeterſauren Salze enthielt, wurde durch das Brechen in Kaliſalpeter verwandelt; man ſetzte einfach Pottaſche oder Chlorkalium hinzu, worauf die Umſetzung leicht vor ſich ging. Endlich erhielt man durch Verſieden und Raffinieren den Salpeter als Kryſtallmehl. Die beſchriebene Methode iſt faſt ganz verdrängt durch ein anderes Verfahren, welches von dem in Chile in694Die Sprengſtoffe und ihre Verwendung.gewaltigen Lagern vorkommenden Chileſalpeter oder Natronſalpeter ausgeht. Leider iſt dieſer für die Pulverfabrikation wegen ſeiner hygroſkopiſchen Eigenſchaften nicht ſelbſt verwendbar. Schon vor 1850 ſtellte man aber aus ihm kleine Mengen Kaliſalpeter dar, indem man ſeine Löſung mit Pottaſchenlauge vermiſchte; aus Natronſalpeter und kohlenſaurem Kalium bildete ſich hierbei durch einen Austauſch der Beſtandteile Kaliſalpeter und kohlenſaures Natrium (Soda). Gegen - wärtig benutzt man nicht mehr Pottaſche zu dieſem Converſions - prozeß , ſondern das aus den Staßfurter und anderen Salzlagern in Menge gewonnene Chlorkalium. Miſcht man nämlich heiße geſättigte Löſungen von Natronſalpeter und Chlorkalium, ſo entſteht Kaliſalpeter und Chlornatrium, welche ſich beide durch ihre ſehr verſchiedene Lös - lichkeit in Waſſer ſehr leicht trennen laſſen. Aus der heißen Löſung ſondert ſich nämlich eine große Menge Chlornatrium, als das in heißem Waſſer minder lösliche Salz, ab; beim Erkalten der ab - gegoſſenen Lauge ſcheidet ſich dann aber der in kaltem Waſſer ſchwer lösliche Salpeter in Kryſtallen aus, während das in kaltem, wie in warmem Waſſer etwa gleich leicht lösliche Chlornatrium in Löſung bleibt. Durch wiederholtes Auflöſen und Umkryſtalliſieren reinigt man den ſo gewonnenen Converſionsſalpeter ; derſelbe findet heute faſt ausſchließliche Anwendung bei der Darſtellung des Pulvers und wird

Fig. 393.

Pulverſtampfwerk.

den Pulvermühlen im Zuſtande ge - nügender Reinheit geliefert. Man fordert von gutem Salpeter, daß er ganz frei von Natronſalpeter und Chlornatrium ſei.

Die drei genannten Ingredien - zien des Schießpulvers müſſen zu - nächſt fein gepulvert werden. Es geſchah dies früher durch Bearbeiten der Materialien unter Stampfwerken (Fig. 393), welche durch Waſſer be - wegt wurden, oder zwiſchen Mühl - ſteinen. Beide Methoden werden zwar noch hier und dort ange - wendet, ſie ſind aber faſt vollkommen verdrängt von der Zerkleinerung nach dem Revolutionsverfahren, welches ſeit der franzöſiſchen Revolution ſich immer mehr Bahn ge - brochen hat. Hiernach verbindet man das Zerkleinern häufig gleich mit dem Miſchen des Satzes.

Das Verhältnis der Miſchung iſt in den verſchiedenen Staaten und für verſchiedene Pulverſorten ein wechſelndes. Auf 100 Gewichts - teile Salpeter nimmt man 12 25 Teile Kohle und 15 22 Teile Schwefel; als mittleres Verhältnis dürfte ſich für 100 Teile fertiges Pulver 75: 12: 13 herausſtellen. Man bringt die abgewogenen695Das Schießpulver.Gemengteile in die Pulveriſiertrommeln (Fig. 394), faßartige, horizontal liegende Cylinder von Holz, welche an ihrer inneren Wand mit hervor - tretenden abgerundeten Längsleiſten verſehen und mit Leder aus -

Fig. 394.

Pulveriſiertrommel.

geſchlagen ſind. Man fügt eine beſtimmte Menge kleiner Bronzekugeln hinzu, welche beim ſchnellen Drehen der Trommel die Maſſe des Satzes zerkleinern. Häufig zerkleinert man zuerſt die Kohle, fügt dann den Schwefel hinzu und mengt endlich das ſchon vorher beſonders zer - kleinerte Salpetermehl bei. Indeſſen iſt die Praxis der Pulvermühlen in dieſer Beziehung eine überaus mannigfaltige und es läßt ſich kaum eine Methode anführen, welche überwiegend angewendet würde. Auch die Menge der Bronzekugeln, deren Gewicht nach den meiſten Angaben etwa zwei Drittel von dem Gewicht des ganzen zu zerkleinernden Satzes betragen ſoll, wird ſehr verſchieden gewählt. Die Wirkung der Trommeln iſt ſehr einfach. Jede Kugel wird von einer Leiſte der Trommel ein kurzes Stück in die Höhe geführt und fällt dann herab, die Maſſe zerkleinernd. Hieraus folgt auch, daß die Umdrehungs - geſchwindigkeit nicht ſo groß werden darf, daß die Kugeln durch die Schwungkraft an die Wände gedrückt werden und demnach keine Wirkung äußern. Die Zeit der Arbeit iſt ziemlich lang. Einige Fabriken wenden zum vollſtändigen Miſchen der Satzteile beſondere Trommeln an, welche zinnerne anſtatt der bronzenen Kugeln enthalten; in vielen Fällen zerkleinert man auch die einzelnen Satzteile, beſonders den Salpeter, für ſich allein zwiſchen Steinen, um dann in den Trommeln nur das Miſchen vorzunehmen.

Der fertig gemiſchte und ſtaubfein zerkleinerte Satz, das ſogenannte Mehlpulver, wird nun, zur Erhöhung ſeiner Wirkung, dem Dichtungs - prozeß unterworfen. Das Mehlpulver wird mit ſo vielem Waſſer ver - miſcht, daß ein Teig entſteht, welcher mittels eines Leinentuches ohne Ende zwiſchen zwei horizontale Walzen geführt wird. Die obere be - ſteht aus Bronze, die untere aus Holz; zwiſchen beiden wird der Pulverteig kräftig zuſammengepreßt. Er hat dann Anſehen und Härte696Die Sprengſtoffe und ihre Verwendung.des Thonſchiefers und läßt ſich nur mit ziemlichem Kraftaufwand zwiſchen den Händen zerbrechen. Die Operation des Dichtens hat erſtens den ſehr wichtigen Zweck, einer Entmiſchung der ſpezifiſch ver - ſchieden ſchweren Gemengteile des Pulvers bei deſſen Transport vor - zubeugen; ſodann wird bei dieſer Arbeit der Pulverſatz auf einen kleineren Raum zuſammengedrängt, alſo die Entzündlichkeit und die Wirkung weſentlich erhöht.

Der zerbrochene Pulverkuchen wird nun gekörnt, um dem Pulver die für ſeine verſchiedene Verwendung paſſende Korngröße zu geben und hierdurch dafür zu ſorgen, daß ein ſpäteres Zerbröckeln zu Mehl - pulver unmöglich gemacht wird. Es iſt nämlich leicht einzuſehen, daß die Schnelligkeit, mit welcher das Pulver abbrennt, zum großen Teil davon abhängt, ob zwiſchen den einzelnen Körnern Spielraum für die durch - ſchlagende Flamme vorhanden iſt, oder nicht. In der That hat man gefunden, daß das häufig zu Feuerwerksſätzen verwendete Mehlpulver viel langſamer abbrennt, als hinreichend gekörntes Pulver, und daß bei feſt eingepreßtem Mehlpulver die Exploſionswirkung ſogar eine viel geringere ſein kann. Das Körnen erfolgt zunächſt durch Zerkleinern des Pulverkuchens auf dem Schrotſiebe. Es iſt dies ein ziemlich grobes Sieb, in welchem der Kuchen durch den Läufer, eine linſen - förmige Scheibe von hartem Holz, die man oft noch mit Blei be - ſchwert, zerſchrotet wird. Die Stücke fallen durch die Löcher des fort - während in rüttelnder Bewegung befindlichen Schrotſiebes auf ein Kornſieb von Meſſingdraht, in welchem das Pulverkorn die richtige Größe erhält, um auch durch die Löcher dieſes Siebes zu gleiten und endlich auf dem Staubſiebe von den Staubteilen getrennt zu werden. Für beſſere Pulverſorten, beſonders Jagdpulver, welches durch ſeinen höheren Preis koſtſpieligere Einrichtungen geſtattet, hat man vollſtändige Körnmaſchinen, die aus acht ſelbſtändig arbeitenden Apparaten be - ſtehen. Die erſten Kornſiebe liefern noch grobe Stücke, damit nicht zuviel Staub entſteht; erſt die mittleren geben dem Korn die richtige Größe und laſſen es durchpaſſieren, während das auf ihnen liegen - bleibende Grobkorn den Schrotſieben noch einmal zugeführt wird. Das gute Korn wird durch Laufſchläuche aus der Maſchine weg - geführt. Das Schütteln der Siebe wird durch Excenter oder Krumm - zapfen einer gemeinſamen Welle bewirkt (ſ. Fig. 395). Auch die Einrichtung der Körnvorrichtungen der einzelnen Pulverfabriken iſt, wenn ſie ſich auch im weſentlichen den geſchilderten anſchließen, faſt bei einer jeden verſchieden. Beſonders zu erwähnen iſt höchſtens die von der allgemein üblichen abweichende Congreveſche Körnmethode, bei welcher der Pulverkuchen zwiſchen zwei mit vierkantigen Spitzen beſetzten Meſſingwalzen zerrieben wird.

Beſondere Behandlung und Vorrichtungen ſind für das Körnen derjenigen Pulverſorten notwendig, deren Verwendung ein möglichſt langſames Abbrennen erfordert, alſo beſonders der Geſchützpulver. Es697Das Schießpulver.

Fig. 395.

Pulverkörnmaſchine.

iſt nämlich leicht einzuſehen, daß ein Pulver von beſtimmter Kornform deſto ſchneller abbrennen wird, je kleiner die Körner ſind, vorausge - ſetzt, daß eine gewiſſe Kleinheit nicht überſchritten wird, weil in dieſem Falle wieder ähnliche Umſtände, wie beim Mehlpulver, das Brennen verlangſamen und was am ſchlimmſten die Leiſtung vermindern würden. Vergrößert man daher das Korn, ſo kann man beliebig lang - ſame Abbrennzeiten erreichen. Das Reſultat dieſer Überlegung iſt das von dem Amerikaner Rodman erfundene prismatiſche Pulver, welches man durch Preſſen des Pulverkuchens in eine ſechseckige prismatiſche Form von 1,5 bis 2,5 cm Durchmeſſer und etwa 2,5 cm Höhe er - hält. Um einen gleichmäßigeren Brand zu bewirken, enthält das Korn noch ſieben Längskanäle. Bei den neueſten Monſtregeſchützen iſt man mit den Dimenſionen des Pulverkorns noch über die angegebenen ge - gangen, während man bei den leichten Feldgeſchützen geringere Größen gebraucht. Beſonders günſtige Reſultate hat man durch das braune prismatiſche Pulver erhalten, welches einen geringeren Gehalt an Schwefel und einen höheren an Kohle hat, als der gewöhnliche Pulver - ſatz. Die Kohle zu dieſem Pulver gewinnt man durch ſehr unvoll - kommene Verkohlung von Stroh; hieraus erklärt ſich auch die bräun - lich ſchwarze Farbe des Pulvers und ſein langſames Abbrennen.

Das gekörnte Pulver färbt ab und bedarf noch einer beſonderen Behandlung, um ihm dieſe unangenehme Eigenſchaft zu nehmen. Die ganz grobkörnigen Sorten werden zwar ſo vorſichtig behandelt und verpackt, daß ſie weniger leiden, die feinkörnigen aber bedürfen des Glättens oder Polierens. Das gekörnte Pulver, welches womöglich698Die Sprengſtoffe und ihre Verwendung.einen ganz geringen Feuchtigkeitsgehalt beſitzen muß, kommt in die Rollfäſſer, welche ſich mit mäßiger, erſt ſpäter geſteigerter Geſchwindig - keit um vertikale Achſen drehen. Hierdurch erhalten die Körner, indem ſie gegen einander gerieben werden, eine dichtere und glänzende Ober - fläche, welche für Feuchtigkeit weniger empfänglich iſt, als diejenige der unpolierten Körner; dieſem wichtigen Vorteil ſteht nur der Nach - teil etwas geringerer Entzündbarkeit gegenüber, welcher aber durch einen Gewinn an Dichtigkeit, welchen das Polieren mit ſich bringt, ausgeglichen wird. Da ſich das Pulver durch die Reibung nicht un - beträchtlich erhitzt, ſo läßt man häufig die Fäſſer zuletzt eine Zeit lang langſamer laufen.

Das friſch gekörnte und polierte Pulver enthält mehr Waſſer, als für ſeinen Gebrauch nützlich iſt. Daher wird es zunächſt an der Luft getrocknet und hierauf einem künſtlichen Trockenverfahren unterworfen, welches den Waſſergehalt auf höchſtens 2 % reduzieren muß. Man benutzt große Käſten, in welchen das Pulver auf ausgeſpannten Trocken - tüchern liegt, und welche von einem mäßig warmen Luftſtrom durch - zogen werden. Es kommt weſentlich darauf an, daß die Temperatur nur ſehr allmählich geſteigert wird; im entgegengeſetzten Falle leidet die Güte des Pulvers erheblich. Erſt gegen Ende des Trocknens, welches 4 bis 6 Stunden währt, erhöht man die Wärme bis auf 50°C. Das fertige Pulver wird dann in Fäſſer, Säcke oder Blechbüchſen verpackt.

Wenn auch die Güte des Pulvers von einer Menge Faktoren abhängt, welche ſich größtenteils der oberflächlichen Beobachtung ent - ziehen, ſo kann doch ſchon aus ſeinem Anſehen und ſeiner äußerlichen Beſchaffenheit auf ſeine Qualität ein ungefähr zutreffender Schluß gezogen werden. Die Farbe ſoll dunkelgrau bis dunkelbraun, vollkommen gleichförmig ſein; die Körner dürfen nicht durch weiße Flecke ein Ausblühen des Salpeters verraten, dürfen nicht abfärben, ſollen ſich ſchwierig und unter Knirſchen zerdrücken laſſen und leicht abbrennen.

Die Anlage der Pulverfabriken muß ſtets ſo erfolgen, daß die einzelnen, durchweg aus leichten Materialien aufzuführenden Gebäude durch hohe Erdwälle von einander getrennt ſind, damit bei einer zu - fällig in einer Abteilung eintretenden Exploſion eine Fortwirkung auf Nebenräume möglichſt ausgeſchloſſen ſei. Von hervorragender Be - deutung iſt ferner, daß alle Umſtände, durch die das Pulver bei ſeiner Herſtellung unverſehens entzündet werden könnte, ſorgfältig vermieden werden. Hierher gehört beſonders die Auswahl des Materials der Stampfen, bei welcher gewiſſe Metalle, z. B. Eiſen, Meſſing, Blei gänzlich ausgeſchloſſen ſind, weil ſie Selbſtentzündung bewirken können, während Kupfer oder Bronze, ſowohl gegen einander, als auch auf Holz, noch nie Exploſionen hervorgerufen haben. Daß die Annähe - rung von glimmenden oder gar brennenden Körpern, wie Laternen699Das Schießpulver.und dergleichen, an eine Pulverfabrik auf das ſorgfältigſte vermieden werden muß, iſt ſelbſtverſtändlich.

Um die Wirkungsweiſe des Schießpulvers kurz erklären zu können, müſſen wir an dieſer Stelle auf diejenigen Ausführungen verweiſen, welche über die Entzündung exploſiver Gasgemiſche in dem Kapitel Beleuchtung und Heizung (S. 283) gegeben ſind. Wir haben näm - lich bei dem Pulver einen ganz ähnlichen Fall, wie beiſpielsweiſe dort bei der Verbrennung eines Gemenges von Waſſerſtoff und Sauerſtoff. Auch hier ſind zwei leicht entzündbare Subſtanzen, Kohle und Schwefel, mit einem außerordentlich viel Sauerſtoff enthaltenden Körper, dem Salpeter, innig gemengt, ſo daß bei einem geringen äußeren Anſtoß, z. B. bei der Entzündung, plötzlich das Gemenge ſich chemiſch zerſetzt und eine derartige Wärme frei macht, daß die Produkte der Zerſetzung, welche im weſentlichen aus Gaſen beſtehen, auf das heftigſte ausge - dehnt und gewaltſam auseinander getrieben werden. Es entſteht alſo ganz unvermittelt ein überaus hoher Gasdruck auf die Umgebung der Ladung, welcher ſich als Exploſion oder Detonation äußert. Iſt die Ladung von allen Seiten von Wänden eingeſchloſſen, ſo werden dieſe verſchoben oder zertrümmert werden, und zwar offenbar dort am meiſten, wo ſie den geringſten Widerſtand leiſten. So wirkt das Pulver in der That; nur feſt eingeſchloſſen äußert es ſeine volle Energie. Dagegen finden wir, daß es frei daliegend bei der Entzündung nur ſchwach verpufft und keine mechaniſche Wirkung zeigt. Es erklärt ſich dies einfach dadurch, daß die Luft, als ein überaus elaſtiſcher Körper, dem Gasdruck nach oben zu mit der größten Leichtigkeit ausweicht, ſo daß auf die Unterlage ſo gut wie gar keine Wirkung ausgeübt wird; vorausgeſetzt muß hierbei natürlich werden, daß das Abbrennen des Pulvers ſo langſam erfolgt, daß die Luft Zeit hat auszuweichen. Wäre dies nicht der Fall, ſo würde die Wirkung nach unten um ſo ſtärker ſein, je weniger die Luft dem Exploſionsſtoß auswiche. In der That haben eingehende Unterſuchungen gezeigt, daß die Ver - brennungsgeſchwindigkeit des Pulvers, verglichen mit derjenigen der neueren Sprengſtoffe eine verhältnismäßig ſehr geringe iſt; ſie beträgt z. B. nur den 500. Teil derjenigen, welche die Schießbaumwolle ent - wickelt.

Was den chemiſchen Prozeß beim Abbrennen des Pulvers betrifft, ſo iſt derſelbe höchſt kompliziert, und man hat ihn bisher trotz ein - gehender Verſuche noch nicht völlig erforſchen können. Es iſt nur das unzweifelhaft feſtgeſtellt, daß die gasförmigen Zerſetzungsprodukte im weſentlichen aus Stickſtoff und Kohlenſäure beſtehen. Das Volumen der Gasmenge von 1 gr Schießpulver, reduziert auf C. und 760 mm Luftdruck beträgt nach der allgemeinen Annahme 331 ccm; aber ſowohl Bunſen als auch Nobel und Abel, von welchen ſich beſonders die beiden letzteren ſehr große Verdienſte um die Unterſuchung der Spreng - ſtoffe erworben haben, haben kleinere Zahlen gefunden (193 reſp. 700Die Sprengſtoffe und ihre Verwendung.280 ccm). Die durch die Exploſion entwickelte Wärme, ein für die Kraftleiſtung ſehr wichtiger Faktor, wurde von Bunſen auf 3340°, von Nobel und Abel nur auf 2200°C. geſchätzt. Durch beſondere Apparate, ſogenannte Gasdruckmeſſer, hat Nobel verſucht, die bei der Verbrennung von Schießpulver ſtattfindende Gasſpannung zu be - ſtimmen. Dieſe Maſchinen beſtehen im weſentlichen aus Metallcylindern, welche durch die Exploſionswirkung deformiert oder geſtaucht werden, ſo daß man aus der Größe der Stauchung auf den Gasdruck unge - fähre Schlüſſe ziehen kann. Nobel fand den Druck auf dieſem aller - dings anfechtbarem Wege zu 6400 Atmoſphären, während derſelbe nach Bunſen 4373 Atmoſphären betragen ſoll. Wie aus dieſen Beträgen erſichtlich, ſind die Kraftmeſſungen für Pulver noch außerordentlich unzuverläſſig, und es fehlt bisher an einer wirklich brauchbaren Methode für dieſelben.

Gehen wir nun zu den Anwendungen des Pulvers über, ſo müſſen wir vorweg bemerken, daß unſer altes Schießpulver gerade heutezutage, nachdem es Jahrhunderte hindurch die Sprengtechnik im Frieden und im Kriege unumſchränkt beherrſcht hat, an dem Ende ſeiner Regierung angekommen zu ſein ſcheint. Nachdem ihm durch Dynamit und Schießwolle ſchon ſeit Jahrzehnten eine ſiegreiche und immer ſtärker anwachſende Konkurrenz auf dem Gebiete der friedlichen Sprengarbeit bereitet worden war, beginnt es jetzt auch als Kriegspulver vor einem kräftigeren Gegner den Platz zu räumen. Während die erſtere Thatſache uns eigentlich nicht in Erſtaunen ſetzen kann, da beim Sprengen die größte Kraftentwicklung das einzige Ziel des Technikers iſt und das Pulver gerade in dieſer Hinſicht längſt durch andere Sprengſtoffe überholt worden iſt, ſo läßt ſich die letztere nur begreifen, wenn wir die innige und ſubtile Beziehung, welche zwiſchen der Leiſtung der Schußwaffe und den verſchiedenen Eigentümlichkeiten des zum Forttreiben des Geſchoſſes angewendeten Sprengſtoffes beſteht, genauer kennen lernen.

Es iſt bekannt, daß die Wirkung eines Geſchoſſes, ſeine lebendige Kraft , einmal von ſeinem Gewicht, dann aber, und zwar hauptſächlich, von der Geſchwindigkeit abhängt, mit welcher es das Rohr verläßt, der Anfangsgeſchwindigkeit . Die Phyſik lehrt, daß die Leiſtung mit dem Geſchoßgewicht in einfachem, mit der Anfangsgeſchwindigkeit im quadratiſchen Verhältnis ſteigt, daß alſo ein doppelt ſo ſchweres Geſchoß auch doppelt ſo ſtark, ein doppelt ſo ſchnelles aber viermal ſo ſtark wirkt. Dieſe Verhältniſſe berückſichtigte man früher nicht; daher finden wir die mittelalterlichen Schußwaffen, wenn auch häufig künſt - leriſch ſehr vollendet gebaut, in phyſikaliſcher Hinſicht höchſt unvollkommen konſtruiert. Es iſt hier nicht der Ort, der Entwickelung der Schuß - waffen im einzelnen zu folgen, nur die wichtigſten Fortſchritte können erwähnt werden, und zwar immer nur hinſichtlich ihrer Beziehung zu der Fortentwickelung der Sprengſtoffe.

701Das Schießpulver.

Die Geſchütze, offenbar die erſten und einfachſten Schußwaffen, ſollten im Anfange weiter nichts leiſten, wie die antiken Wurfmaſchinen, d. h. Steine oder ſchwere Körper gegen Mauern ſchleudern. Erſt ſpäter erkannte man, daß nicht nur die Vergrößerung der Ladung die Wirkung verſtärkt, ſondern beſonders die innere Beſchaffenheit und die Länge des Laufes. So finden wir zur Zeit des dreißigjährigen Krieges ſchon Geſchütze von relativ großer Treffſicherheit; man gab ſich alle Mühe, einen guten Anſchluß des Geſchoſſes an die Rohrwände zu be - wirken und hierdurch an Ladung zu ſparen. Aber erſt unſerem Jahr - hundert iſt es vorbehalten geweſen, eine überaus wichtige Änderung herbeizuführen, welche die Anfangsgeſchwindigkeit und die Treffſicher - heit der Geſchütze ganz außerordentlich vermehrte; wir meinen die Ein - führung der Laufzüge, welche in den fünfziger Jahren durch Napoleon III geſchah. Dadurch, daß man das Geſchoß zwang, beim Abfeuern den Zügen zu folgen, erreichte man einerſeits einen überaus feſten und ſehr gasdichten Anſchluß, andererſeits wurde die Bewegung außerhalb des Laufes durch die mitgeteilte Drehung eine konſtantere und von Hinderniſſen unabhängigere. Angeſichts dieſer Sachlage war der Gedanke, daß man die errungenen Vorzüge durch Einführung der Hinterladung noch bedeutend verſtärken könne, recht nahe gelegt, umſomehr, als dieſe bei den Handfeuerwaffen ſchon überaus wichtige Erfolge aufzuweiſen hatte. Der Krieg von 1870, welcher Hinter - ladungs - und Vorderladungsgeſchütze gegen einander ins Feld führte, hat die gewaltige Überlegenheit der erſteren gezeigt und nicht wenig zum Erringen der deutſchen Siege beigetragen. Was die Geſchoſſe betrifft, ſo iſt man bekanntlich von der anfänglichen Kugelgeſtalt zu anderen Formen übergegangen, um dem Widerſtand der Luft weniger Angriffsfläche zu bieten. Die ſchon frühzeitig gebrauchten Hohlgeſchoſſe, deren Größe, nach einer internationalen Übereinkunft, unter ein be - ſtimmtes Maß nicht heruntergehen darf, ſind gerade in der neueren Zeit bedeutend vervollkommnet worden. Nachdem man die früher für die Granaten angewandte Zündungsart mittels eines beim Ab - feuern entzündeten und in beſtimmter Zeit abbrennenden Zündſatzes, die ſogenannten Tempierzünder, durch die viel ſicherer wirkenden an der Spitze des Geſchoſſes befeſtigten und beim geringſten Anprall zündenden Perkuſſionszünder erſetzt hatte, iſt man dazu übergegangen, die Sprengladung der Granaten, die bisher auch aus Kornpulver be - ſtand, durch erheblich kräftiger wirkende Sprengſtoffe, beſonders durch die ſpäter zu erwähnenden Pikrinſäureverbindungen, zu erſetzen. Die Tempierzünder, die man eine Zeit lang ganz verlaſſen hatte, oder höchſtens für ganz ſchwere Feſtungsgeſchütze anwandte, ſind neuer - dings bei einer beſonderen Art von Geſchoſſen, den Schrapnells, wieder zu Ehren gekommen, und man hat es verſtanden, auch dieſe früher unzuverläſſige Zündungsart bis zu hoher Vollkommenheit aus - zubilden.

702Die Sprengſtoffe und ihre Verwendung.

Während man im Feldkrieg die Treffſicherheit, Sprengwirkung und Beweglichkeit der Geſchütze auf die höchſte Potenz zu bringen be - ſtrebt ſein muß, ſteht bei dem Feſtungskrieg und Seekrieg die Durch - ſchlagskraft der Geſchoſſe im Vordergrunde. Hier entſcheidet einzig Tragweite, Ladung und Geſchoßgewicht. So konnte denn jener Wett - kampf zwiſchen Geſchütz und Eiſenpanzer beginnen, der Jahrzehnte hindurch an die Fabrikanten immer größere und größere Anforderungen ſtellte. Jede Verſtärkung auf der einen Seite mußte notwendig eine ſolche auf der anderen hervorrufen; je größer Kaliber und Ladung gewählt wurden, deſto dicker und widerſtandsfähiger wurden die Panzer - wände gebaut, deſto ſchwerfälliger die Schlachtſchiffe, deſto maſſiger die Armierung der Feſtungen. Es iſt natürlich, daß man in dieſem Kampfe auch das Pulver das ſeinige zur Verbeſſerung der Geſchütz - leiſtungen beitragen ließ, und gerade die oben erwähnten geformten Pulver haben ihr Daſein dieſem Beſtreben zu verdanken. Die koloſſalen Geſchütze, die den Namen Krupp weltberühmt gemacht haben, bedürfen nämlich ganz beſonders eines langſam brennenden und erſt in dem Momente, in welchem das Geſchoß das Rohr verläßt, ſeine höchſte Kraft entfaltenden Pulvers, wenn nicht der Laderaum und die Spreng - ladung gefährdet werden ſollen. Es iſt intereſſant, daß eine Art rieſiger Geſchoſſe, die Hartgußgranaten, gar keine Zünder gebrauchen; durch das Eindringen der Granate in die Panzerwand wird genügend Wärme entwickelt, um die Sprengladung auch ohne direkte Zündung zur Exploſion zu bringen. Das Gegenſtück zu dieſen Rieſenkanonen ſind die kleinen ſchnell feuernden Revolverkanonen, deren winzige Sprenggeſchoſſe nur die dünne Eiſenhaut der Torpedoboote zu durch - ſchlagen vermögen und daher zur Abwehr dieſer unheimlichen An - greifer gebraucht werden. Es ſei endlich der Maximkanone gedacht, eines Schnellfeuergeſchützes, welches den eigenen Rückſtoß beim Ab - ſchießen dazu benutzt, ſich wieder ſchußfertig zu machen und von neuem abzufeuern. Daß derartige Mechanismen, nicht nur bei der genannten Kanone, ſondern auch bei anderen Maſchinengeſchützen, beſonders den Mitrailleuſen, ſehr leicht Störungen unterworfen ſind, welche ihren Gebrauch im offenen Gefecht mitunter gänzlich in Frage ſtellen, iſt leicht begreiflich und wird bei aller ihrer ſonſtigen Vollkommenheit ein ſtetes Hindernis für ihre allgemeine Verwendung ſein.

Die Handfeuerwaffen, in den früheſten Zeiten ihres Daſeins noch ungefügiger als die Geſchütze, haben ſich viel ſpäter Bahn ge - brochen als dieſe, ſo daß eine Zeit lang die Armbrüſte ſich noch recht gut neben ihnen behaupten konnten. Erſt im Anfang des vorigen Jahrhunderts war die Konſtruktion der Gewehre ſo weit vorgeſchritten, daß dieſe als allgemeine Waffe des Fußvolks eingeführt und vermöge der Anbringung des Bajonetts zum Nah - und Fernkampfe gebraucht werden konnten. Das Laden war eine zeitraubende Arbeit, welche die Krieg Führenden die Aufſtellung viele Glieder tief zu703Das Schießpulver.nehmen zwang; erſt nachdem man ſich an die Waffe gewöhnt hatte, wagte man bis auf drei Glieder herunter zu gehen, aber wohl erſt Friedrich II war es, der das Infanteriefeuer im weſentlichen zur Entſcheidung der Schlachten zu benutzen verſuchte. Noch war das Steinſchloß mit der offenen, durch Feuchtigkeit leicht unbrauchbar wer - denden Zündpfanne ein großes Hindernis für den Gebrauch der Waffe, und erſt die unſerem Jahrhundert angehörende Erfindung des Per - kuſſionsſchloſſes mit der durch den Schlag des Hahns explodierenden und die Ladung entzündenden Zündmaſſe machte die Handgewehre zu allgemein brauchbaren Waffen. Das war im Anfange des Jahrhunderts. Und nun begann jene rapide Entwicklung der Gewehre, welche heute die - ſelben auf eine Höhe der Vollkommenheit gebracht hat, die man vor 50 Jahren nicht ahnen konnte. Dadurch, daß man den Lauf mit Zügen verſah und die bis dahin gebrauchte Kugel durch das Lang - bleigeſchoß erſetzte, erhöhte man die Trefffähigkeit bedentend. In den fünfziger Jahren erfolgte ſodann in Preußen die Einführung des Dreyſeſchen Zündnadelgewehres, des erſten Hinterladers ſeit 1360, wo man dieſe Waffen ſchon kannte. Das ungeheure Übergewicht der Hinterladungsgewehre, welches ſich in den Kriegen von 1864 und 1866 in ſo in die Augen ſpringender Weiſe bemerkbar machte, bewirkte die von allen Staaten mit fieberhafter Eile betriebene Einführung der ver - ſchiedenſten Konſtruktionen von Hinterladern, unter denen ſich beſonders das franzöſiſche Chaſſepotgewehr im Kriege von 1870 dem Zündnadel - gewehr zwar nicht in der Trefffähigkeit, um ſo mehr aber in der Trag - weite und Feuergeſchwindigkeit weit überlegen zeigte. Die politiſche Lage ſeit 1870 hat natürlich nicht dazu beigetragen, einen Ruhepunkt für die Gewehrtechnik herbeizuführen; was der eine Staat eben ein - führte, wurde von dem anderen nachgeahmt, ja womöglich übertroffen. So hat denn erſt die neueſte Zeit wieder einen Fortſchritt auf dieſem Gebiete zu verzeichnen, ſo einſchneidend und epochemachend, wie ſeit der Erfindung des Pulvers kein anderer erlebt wurde; wir meinen die Ein - führung der Magazingewehre und des rauchloſen Pulvers.

Um zu begreifen, wie es geſchehen konnte, daß man das durch die Praxis von Jahrhunderten eingeführte Triebmittel für den Gewehr - ſchuß ſo leicht und plötzlich fallen ließ, muß man die beiden Ziele kennen, auf welche, abgeſehen von der Feuergeſchwindigkeit, die Kriegs - technik ſeit der Mitte unſeres Jahrhunderts hindrängte; wir meinen die Vergrößerung der Tragweite und der Raſanz , d. h. der Streckung der Geſchoßbahn. Beſonders der letztgenannte Punkt war wichtig, weil jedes Gewehr erfahrungsmäßig um ſo präziſer ſchießt, je weniger gekrümmt, je raſanter die Flugbahn iſt. Beide Ziele ſind nur erreichbar, indem man zwiſchen Geſchoßmaſſe und Anfangsgeſchwindigkeit das richtige Verhältnis zu treffen ſucht. Verkleinert man nun das Geſchoß, ſo wird die Luft dieſem weniger Widerſtand bieten und die Forderung704Die Sprengſtoffe und ihre Verwendung.größerer Raſanz iſt erfüllt; leider aber verliert das Geſchoß dabei auch an Durchſchlagskraft, weil ſeine Wirkung bekanntlich von ſeiner Maſſe abhängt. Da aber doch zur Erreichung möglichſt großer Raſanz kein anderes Mittel bekannt iſt, ſo bleibt nichts weiter übrig, als die aus der durchaus notwendigen Verkleinerung des Geſchoſſes reſul - tierende Minderleiſtung durch Vergrößerung der Anfangsgeſchwin - digkeit zu heben. Dies letztere kann natürlich zunächſt durch Vergrößerung der Pulverladung geſchehen; aber man begreift, daß auch das eine Grenze hat. In der That ſehen wir, wie das Kaliber der Gewehre, welches z. B. nach 1846 in Frankreich 17,5 mm betrug, im Laufe der nächſten Jahre immer mehr herabgeſetzt wurde; die Schweiz ging ſchon 1853 auf 10,5 mm herab. Die anderen Staaten blieben bis 1866 auf 14 mm ſtehen; erſt dann verkleinerte ſich der Laufdurchmeſſer rapide. Seit 1870 iſt derſelbe auf 11 mm geſunken, ſeit der Mitte der achtziger Jahre hat man allgemein Geſchoſſe von 8 bis 7,5 mm eingeführt. Es war ſelbſtverſtändlich, daß die äußerſten Anſtrengungen gemacht wurden, um die durch die Verkleine - rung des Geſchoſſes verlorene lebendige Kraft durch Vergrößerung der Anfangsgeſchwindigkeit zu erſetzen. Als ſchließlich das alte Pulver ſich dieſem Beſtreben nicht mehr zugänglich erwies, mußte man ſich notgedrungen nach einem neuen umſehen und man benutzte die Ge - legenheit, um von dieſem Pulver der Zukunft noch eine andere Eigen - ſchaft zu fordern, welche man an dem alten ſchmerzlich vermißt hatte, nämlich die Rauchloſigkeit. Schneller, als man geglaubt hatte, ſollte die geſtellte Forderung erfüllt werden. Die enormen Fortſchritte der organiſchen Chemie boten Exploſivſtoffe in Fülle dar, Stoffe von einer ſo gewaltigen Kraftleiſtung, daß es merkwürdiger Weiſe darauf ankam, deren Wirkung zu mäßigen, um ſie überhaupt als Pulver benutzen zu können. Einen dieſer Stoffe müſſen wir erſt näher kennen lernen, ehe wir das rauchloſe Pulver und ſeine Anwendung betrachten: die Schieß - baumwolle.

Im Jahre 1845 entdeckte Schönbein in Baſel und kurze Zeit nach ihm Böttger in Frankfurt a. M., daß Baumwolle beim Eintauchen in ein Gemiſch aus Schwefelſäure und Salpeterſäure exploſive Eigen - ſchaften bekommt, nachdem ſchon 1832 Braconnot, nach ihm Pelouze und Dumas ähnliches bei Stärke, Holzfaſer und Papier beobachtet hatten. Nach dem ſorgfältigen Auswaſchen der geſäuerten Baumwolle mit Waſſer zeigte ſich ihre äußere Beſchaffenheit nicht verändert; dagegen verbrannte ſie nach dem vorſichtigen Trocknen beim Entzünden ſehr ſchnell ohne Hinterlaſſung eines Rückſtandes, ſowie ohne Rauchentwick - lung, und explodierte äußerſt heftig durch Schlag oder Stoß. Die letztere Eigenſchaft lenkte die Blicke der ganzen Welt auf den neu ent - deckten Sprengſtoff, und nachdem durch Sprengungen, welche bei Gelegenheit von Eiſenbahnbauten in der Schweiz mittels Schießwolle705Das Schießpulver.vorgenommen wurden, erwieſen war, daß ihre Sprengkraft die des Pulvers um das Vierfache überſteigt, machte man die energiſchſten Verſuche, ſie zu Kriegszwecken zu verwerten. Als aber mehrere fürchter - liche Exploſionen trocknender oder ſchon fertiger Schießwolle, z. B. in Le Bouchet bei Paris und in Faverſham zeigten, wie gefährlich der neue Stoff ſei, wurde die bis dahin ſehr rege Fabrikation weſentlich eingeſchränkt. Obgleich Otto in Braunſchweig und, wie ſich erſt neuer - dings herausgeſtellt hat, W. von Siemens die Darſtellungsmethode gleichzeitig mit Böttger verbeſſerten, gelang es damals doch noch nicht, ein reines Produkt zu erzielen und Folgen davon ſind, wie man ſpäter mit größter Wahrſcheinlichkeit nachwies, jene Exploſionen ge - weſen. Der öſterreichiſche General von Lenk war der erſte, dem es gelang, die Bedingungen feſtzuſtellen, welche zur Herſtellung einer kon - ſtanten Schießwolle erfüllt ſein müſſen; aber eine neue Exploſion in der Nähe von Wien, durch welche mehr als 5000 Centner Schießwolle auf einmal vernichtet wurden, ſetzte auch ſeinen Verſuchen eine Grenze. Von da an benutzte man die Schießwolle, welche nur in kleinen Mengen fabriziert wurde, nur zu Sprengungen. Erſt der Engländer Abel war es, welcher dem bis dahin unbrauchbaren Sprengſtoff im Anfange der ſiebziger Jahre wieder Eingang zu Kriegszwecken verſchaffte. Dadurch, daß er die Baumwolle außerordentlich rein herſtellte und das fertige Produkt im Holländer in einen Brei verwandelte, welcher nachträglich unter ſtarken hydrauliſchen Preſſen faſt ganz entwäſſert wurde, hat er in ſeiner komprimierten Schießwolle einen Sprengſtoff geliefert, welcher ebenſo ungefährlich bei der Behandlung, Verſendung und Auf - bewahrung, wie furchtbar bei der Verwendung zu Sprengungen iſt. Die erſte deutſche Schießwollfabrik, welche nach Abels Verfahren arbeitete, war die zu Kruppamühle in Oberſchleſien.

Die Schießwolle unterſcheidet ſich in ihrer Wirkung von dem Pulver weſentlich dadurch, daß ſie briſanter iſt. Die Exploſion eines frei auf einer ſteinernen Unterlage ruhenden Prismas komprimierter Schießwolle zermalmt die Unterlage völlig. Man muß alſo annehmen, daß die Verbrennungsgeſchwindigkeit ſo gewaltig iſt, daß die Luft trotz ihrer Elaſtizität nicht imſtande iſt, dem Exploſionsſtoß auszuweichen; derſelbe wirkt daher nach allen Seiten und trifft alſo auch die Unter - lage oder jeden anderen Körper, der den Sprengſtoff unmittelbar berührt, mit voller Gewalt. Man nennt exploſive Körper von der be - ſchriebenen Art, die offenbar einen Gegenſatz zu dem Pulver bilden, briſante . Ihre ſtärkere, auf die ins Ungeheure geſteigerte Schnellig - keit der Verbrennung zurückzuführende Wirkung erklärt ſich daraus, daß alle briſanten Sprengſtoffe einfache chemiſche Verbindungen ſind, während Sprengkörper von der Art des Pulvers ſtets, trotz ihrer feinen Zerteilung, nur Gemenge ſind. Im erſteren Fall iſt das ganze zur Exploſion nötige Material in jedem einzelnen Molekül vereinigt, während im letzteren ſtets getrennte Moleküle auf einander wirken. Das Buch der Erfindungen. 45706Die Sprengſtoffe und ihre Verwendung.Für dieſe Auffaſſung ſpricht auch die Thatſache, daß Pulver ſchon durch einfache Entzündung explodiert, während dieſe nicht ausreicht, die briſanten Sprengſtoffe zur Exploſion zu bringen; ſie bewirkt eben nur eine Verbrennung. Um dieſe Körper zu detonieren , iſt eine ſtärkere Erſchütterung, der Initialſtoß nötig, welcher am beſten mittels eines anderen briſanten Sprengkörpers, am beſten des Knallqueckſilbers, geführt wird. Nur auf dieſe Weiſe iſt der Zerfall der ruhenden Moleküle zu bewirken.

Die Schießwolle wie überhaupt alle anderen briſanten Spreng - körper, mit alleiniger Ausnahme des Knallqueckſilbers iſt ein Nitrierungsprodukt, d. h. das ſalpeterſaure Salz einer organiſchen Ver - bindung, in dieſem Falle der Celluloſe, aus der ſich die Baumwolle zuſammenſetzt. Nun iſt dem Chemiker bekannt, daß bei der Ein - wirkung einer Säure auf eine Baſe welche letztere in dieſem Falle die Celluloſe vorſtellt neben dem Salz auch Waſſer gebildet wird. Es iſt dies von Wichtigkeit für die Herſtellung der Schießwolle. Beim Zuſammentreffen von Salpeterſäure mit Celluloſe bilden ſich nämlich nicht weniger als ſechs verſchiedene, durch ihren Gehalt an Salpeter - ſäure von einander abweichende Verbindungen beider Subſtanzen, von denen nur die ſäurereichſte, das Hexanitrat der Celluloſe, ausgiebig exploſiv iſt. Da dieſes aber erfahrungsmäßig nur bei höchſter Kon - zentration der angewendeten Salpeterſäure entſteht, ſo kommt es vor allem darauf an, das ſich bei dem Prozeß bildende Waſſer zu beſeitigen. Dies gelingt durch Zufügung von Schwefelſäure, welche das Waſſer bindet. Trotzdem iſt es unmöglich, ganz reines Hexanitrat zu erhalten; die beſte Schießwolle iſt immer nur ein Gemenge aller ſechs Nitrate und deſto wirkſamer, je mehr Hexanitrat ſie enthält. Zur Beſtimmung der Leiſtungsfähigkeit hat man zu unterſuchen, wie viel Stickſtoff die Schieß - wolle enthält. Gute Schießbaumwolle enthält davon 12 13 %; die theoretiſch richtige Menge von 14,14 %, welche dem reinen Celluloſe - hexanitrat entſpricht, wird nie erreicht. Die Nitration muß bei niedriger Temperatur erfolgen und ſchnell vor ſich gehen; im ent - gegengeſetzten Falle bilden ſich ausſchließlich ſäureärmere Nitrate der Celluloſe, die ſich durch ihre Löslichkeit in Ätheralkohol von dem exploſiven Nitrat unterſcheiden; dieſe Löſung iſt unter dem Namen Kollodium bekannt und findet umfaſſende Anwendung in der Heil - kunde und Photographie. Sie hinterläßt beim Trocknen ein dünnes, zähes Häutchen.

Die Fabrikation der Schießwolle beginnt mit der eingehenden Reinigung der Baumwolle, welche völlig entfettet und durch Maſchinen aufs feinſte zerkleinert wird. Sie wird dann in ein gut gekühltes Gemiſch ſtärkſter Salpeterſäure und Schwefelſäure eingetaucht, nach wenigen Minuten herausgezogen, gut ausgedrückt und in Töpfen 24 Stunden ſich ſelbſt überlaſſen. Dann wird ſie in Centrifugen ausgeſchleudert, ſchnell in einen großen Bottich mit kaltem Waſſer geworfen und ſorg -707Das Schießpulver.fältig, zuletzt unter Zuſatz einer geringen Menge Kreide, ausgewaſchen. Nun bringt man ſie in Holländer (ſ. Papierfabrikation), in welchen ſie zu einem feinen Brei zermahlen wird. Dieſer wird durch Centri - fugen entwäſſert und unter großen hydrauliſchen Preſſen, welche einen Druck bis zu 1000 Atmoſphären ausüben, zu prismatiſchen, papier - machéartigen Körpern zuſammengepreßt. In dieſem Zuſtande ent - halten die Prismen 15 16 % Waſſer, welches für gewöhnlich abſichtlich nicht entfernt wird. Abel hat nämlich gefunden, daß die Schießwolle gerade in dieſem Zuſtande ſehr ſtark wirkt; wenn man auf eine Ladung aus feuchten Prismen ein lufttrocknes befeſtigt und dieſes letztere durch eine Knallqueckſilberkapſel von 1 gr Ladung detoniert, ſo explodiert die ganze Ladung mit der größten Gewalt. Ganz reine, feuchte Schieß - wolle lagert unzerſetzt und brennt nur bei ſehr ſtarker Erhitzung ab; die lufttrockene iſt allerdings feuergefährlich, aber beim Anzünden nicht exploſiv. Die Exploſionsgaſe beſtehen im weſentlichen aus Kohlen - oxyd, Kohlenſäure und Waſſerdampf. Daneben treten Grubengas, Stick - ſtoff und Stickoxyd auf.

Die Schießwolle iſt in dem Zuſtande, wie ihn Abel kennen lehrte, für den Verteidigungskrieg, beſonders zur See, unentbehrlich; man kennt kein anderes ebenſo ungefährlich zu behandelndes und doch ſo wirkſames Sprengmittel. Man benutzt ſie zur Füllung von unter - ſeeiſchen Verteidigungs - und Angriffskörpern, auf deren Einrichtung und Entwicklung deshalb an dieſer Stelle ein kurzer Blick geworfen werden muß.

Unter dem Namen Torpedo wurde abgeſehen von wenig belangreichen früheren vereinzelten Verſuchen zuerſt in dem ameri - kaniſchen Bürgerkriege der ſechziger Jahre eine Art ſubmariner Spreng - körper angewendet. Man füllte größere Gefäße mit Pulver, verankerte ſie an geeigneten Stellen und ſorgte dafür, daß ſie beim Antreffen an ein Schiff explodieren mußten. Derartige Körper wurden auch noch im Kriege von 1870 benutzt, bis Abels bahnbrechende Arbeiten über die Schießwolle eine totale Umgeſtaltung bewirkten. Schon gegen die Mitte der ſiebziger Jahre tauchte die Idee auf, die gewaltige Kraft der mit Schießwolle geladenen Torpedos nicht nur zu Verteidungs -, ſondern auch zu Angriffszwecken zu verwenden. Der Engländer Whitehead war der erſte, welcher dieſen Gedanken verwirklichte. Seit - dem bezieht man den Namen Torpedo nicht mehr auf ſämtliche ſubmarine Sprengkörper; vielmehr unterſcheidet man ſcharf zwiſchen den zur Verteidigung von Sperren dienenden Minen und den für Offenſiv - zwecke berechneten Torpedos.

Die jetzt im Gebrauch befindlichen Minen ſind ziemlich dünne eiſerne Gefäße von der Geſtalt eines umgekehrten Kegels mit gewölbter Grundfläche. Die Sprengladung, aus naſſer Schießwolle beſtehend, füllt die Höhlung der Mine aus und ſteht in naher Berührung mit der Sprengbüchſe, welche die zur Detonierung der Ladung nötigen45*708Die Sprengſtoffe und ihre Verwendung.trocknen Prismen und die Sprengkapſel enthält. Die letztere wird elektriſch gezündet; zwei Leitungsdrähte ſind an ein winziges Stückchen ſehr dünnen Platindraht gelötet, welches ſich im Satze der Spreng - kapſel befindet und zu glühen beginnt, ſowie ein Strom durch die Drähte cirkuliert. Den Strom liefert die Mine ſelbſt. Auf ihrer oberen, ſchwach gewölbten Fläche trägt ſie fünf cylindriſche Bleikapſeln, deren jede ein mit Chromſäure gefülltes zugeſchmolzenes Glas um - ſchließt; dicht unter jedem Glaſe liegt ein kleines Zinkkohleelement ohne Flüſſigkeit, deſſen Pole mit den Drähten der Sprengkapſel verbunden ſind. Stößt nun irgend ein Körper gegen die Bleikapſel, ſo zerbricht das darin liegende Glas, die Chromſäure läuft in das Element und der entſtehende Strom bewirkt das Glühen des Platindrahts und damit die Sprengung der Mine. Um beim Auslegen einer Mine gegen das immerhin mögliche Auffliegen geſichert zu ſein, ſchaltet man in die Leitung ein Sicherheitskabel von einiger Länge ein; der Strom muß dann noch die innere und äußere Belegung des Kabels durch - laufen, um zu wirken. Man hält daher beide Belegungen am Ende des Kabels ſorgfältig getrennt und vereinigt ſie erſt, nachdem man ſich in genügender Entfernung von der Mine befindet. Die Minen - ſperren ſind ſehr wirkſame Hafenverteidigungen, die der Feind nur durch Auswerfen von Contreminen beſeitigen kann. Sprengt er eine ſolche nämlich in der Nähe der Minen, ſo können durch die Erſchütterung die letzteren mit auffliegen und dadurch unſchädlich werden. Man hat die Sperren auch mit willkürlich von einem Punkte aus zu dirigierender Zündung verſehen, welche man in dem Momente in Thätigkeit treten läßt, wo ſich ein feindliches Schiff über der Mine befindet.

Der Whiteheadſche Torpedo, ſchon von Anfang an ein Muſter - beiſpiel maſchineller Konſtruktion, hat in den letzten 15 Jahren noch erhebliche Verbeſſerungen erhalten und kann jetzt als ein höchſt voll - kommenes Inſtrument der modernen Kriegführung angeſehen werden. Der runde, geſtreckte, etwa m lange, an der dickſten Stelle etwa m im Durchmeſſer haltende hohle Körper beſteht aus Bronze und ſpitzt ſich nach vorne und hinten zu. Die vordere Spitze trägt die Perkuſſionszündung, welche der einer Granate ähnelt; darauf folgt die Sprengladung, welche urſprünglich aus 20 bis 30 kg Schießwolle beſtand, neuerdings aber vermehrt worden iſt. Der nächſte hohle cylindriſche Teil birgt den geheimnisvollſten Apparat des Ganzen, eine Pendel - vorrichtung, welche geſtattet, den Torpedo vor dem Ablaufen auf eine beſtimmte, zwiſchen 1 und 3 m ſchwankende Tiefenlage einzuſtellen, welche zugleich ſeinen Lauf im Waſſer ſtets horizontal erhält oder, wenn er die horizontale Richtung aus irgend einem Grunde verläßt, ihn zwingt, in dieſe zurückzukehren. Das Mittel hierzu ſind zwei beweg - liche, im Schwanzſtück liegende Floſſen, welche herausſpringen oder wagerecht liegen, je nachdem der Tiefenapparat eingreift oder nicht. Auf den letzteren folgt nach hinten der ziemlich m lange Keſſel,709Das Schießpulver.welcher die mittelſt einer beſonderen Luftpumpe bis auf 90 Atmoſphären komprimierte, zur Bewegung der Maſchine notwendige Preßluft enthält. Die Maſchine liegt hinter dem Keſſel; ſie bewegt eine horizontale, bis in das Schwanzſtück reichende Welle, deren Drehung ſich auf ein Paar dicht hintereinander liegender, in entgegengeſetzter Richtung rotierender, aber auch entgegengeſetzt gewundener und daher in demſelben Sinne wirkender Schraubenpropeller überträgt. Der Torpedo wird in der Regel aus Metallkanonen vermittelſt komprimierter Luft in ſchräger Richtung in das Waſſer geſtoßen; erſt beim Austritt ſpringt die Maſchine an, deren Bewegung den Torpedo mit einer Geſchwindigkeit von etwa 15 m in der Sekunde bis auf 500 m zu treiben vermag. Stößt er nun gegen eine Schiffswand, ſo erfolgt die Exploſion; verfehlt er ſein Ziel, was bei der großen Sicherheit, mit der man ihn abzuſchießen verſteht, nur ſelten vorkommen dürfte, ſo öffnet ſich, nachdem er ſeinen Lauf beendet hat, ein Bodenventil; er füllt ſich mit Waſſer und verſinkt, damit er nicht den eignen Fahrzeugen ſchaden kann. Man ſchießt die Torpedos direkt von den großen Schlachtſchiffen, viel häufiger aber von ſogenannten Torpedobooten, welche ſich, durch geringes Hervor - ragen über Waſſer und dunkle Farbe gedeckt, an die Geſchwader heranzuſchleichen vermögen. Die letzteren verſuchen ſich ihrerſeits durch Ausſtellen von metallenen Schutznetzen zu ſichern, durch welche der Torpedo im gegebenen Falle ſchon in einer ſo großen Entfernung von der Schiffswand explodiert, daß ſeine Wirkung nicht zum Schlagen eines Lecks genügt. Es iſt gewiß bemerkenswert, daß man den Torpedo 15 Jahre hindurch kannte, ohne eine Probe von ſeiner Wirkung im Ernſtfalle zu haben; erſt der neueſte chileniſche Krieg von 1891 hat eine ſolche geliefert, indem ein Schiff der Kongreßpartei durch einen wohlgezielten Torpedo getroffen und vernichtet wurde. (Vergl. elektriſcher Torpedo S. 226.)

Die furchtbare Kraftleiſtung der komprimierten Schießwolle läßt dieſe von vornherein für Schießzwecke untauglich erſcheinen; trotzdem hat es ſeit ihrer Entdeckung nicht an Verſuchen gefehlt, um ſie als Pulver zu verwenden. Man vermiſchte ſie bei der Fabrikation mit indifferenten Subſtanzen und mäßigte hierdurch ihre Wirkung; in - deſſen gelang es auf dieſem Wege nicht, ein gleichmäßig wirkendes Pulver, wie es für Kriegszwecke nötig geweſen wäre, zu erhalten. Als aber im Jahre 1886 die franzöſiſche Regierung mit der Einführung des Lebelgewehres plötzlich von dem früheren Kaliber von 11 mm auf 8 mm herabging, war es nötig, den Mangel, welcher ſich aus der Verminderung des Geſchoßgewichts von 25 g auf 14 g ergab, durch erhebliche Erhöhung der Anfangsgeſchwindigkeit auszugleichen. Man führte ein neues Pulver, das Poudre B. ein, welches aller Wahr - ſcheinlichkeit nach, d. h. ſo weit man dem Geheimnis auf die Spur kommen konnte, aus einer Miſchung von Pikrinſäure und Schießbaum - wolle beſtand. Auch die Pikrinſäure iſt eine Nitroverbindung, nämlich710Die Sprengſtoffe und ihre Verwendung.dreifach nitriertes Phenol, und wirkt höchſt exploſiv. Das Poudre B. erregte die Sprengtechniker aller Länder auf das Lebhafteſte; und der Umſtand, daß es ſich beim Lagern nicht unzerſetzt halten ſollte, be - wirkte, daß man alle nur möglichen Anſtrengungen machte, um die Schießwolle allein zu Pulver zu verarbeiten. Dieſe Aufgabe kann heute als vollkommen gelöſt gelten. Nachdem ſchon 1870 die Ameri - kaner Gebrüder Hyatt durch Auflöſen ſchwach nitrierter Baumwolle in geſchmolzenem Kampher eine gelatinöſe, nach dem Trocknen elaſtiſche Subſtanz dargeſtellt hatten und hierdurch die Erfinder des zur Her - ſtellung aller möglichen Imitationen dienenden Celluloids geworden waren, gelang es nun, auch die Schießwolle mittels verſchiedener Löſungsmittel, wie Aceton, Eſſigäther und anderer, zu gelatinieren . Sie quillt in dieſen Mitteln, ohne ſich eigentlich zu löſen, auf und geht in eine gallertartige Maſſe über, welche nach Entfernung des Löſungs - mittels plaſtiſch genug iſt, um ſie in Tafeln auswalzen und dann in kleine viereckige, nach dem völligen Trocknen hornartig erſcheinende Blättchen zerſchneiden zu können. Es iſt leicht begreiflich, daß man es völlig in der Hand hat, durch Zuſatz von indifferenten Körpern, beſonders von Kampher, die Wirkung dieſes neuen rauchloſen Pulvers ganz nach Belieben zu verkleinern und den Waffen, für welche es beſtimmt iſt, anzupaſſen.

Es war natürlich, daß dieſe Waffen, nachdem die Anfangsgeſchwin - digkeit des Geſchoſſes um das Doppelte erhöht war, gegen die früheren Änderungen erleiden mußten. Während das deutſche Magazingewehr 84 gegen das Mauſergewehr 71 abgeſehen von der Magazin - einrichtung eigentlich nichts Neues bot, muß das neue deutſche Gewehr 88 als eine vollſtändig neue Waffe angeſehen werden, deren Schilderung in wenigen Zügen hier folgen möge, weil wir ſie als die vollkommenſte Leiſtung auf dem Gebiete der Handfeuerwaffen betrachten können.

Die Waffe (Fig. 396 u. 397) hat ein Kaliber von 7,9 mm und vier Züge, die ſchon auf je 240 mm Lauflänge eine Umdrehung vollenden. Der Lauf iſt, um ihm Freiheit zur Ausdehnung durch die unvermeid - liche Erwärmung zu geſtatten, von dem ſtählernen Laufmantel loſe umgeben und nur am vorderſten Ende eng umſchloſſen. Die zwiſchen - liegende Luftſchicht vermindert auch die Verbreitung der Wärme des Laufes nach außen zu. Der Verſchluß am hinteren offenen Laufende e wird, ähnlich wie ſchon bei dem alten Zündnadelgewehr, durch die Kammer k gebildet, welche ſich zurückziehen läßt (Fig. 396). Der Patronenrahmen p, welcher das frühere Magazin vertritt, faßt fünf Patronen; er beſteht aus dünnem Stahlblech und wird durch den federnden, an der unterſten Patrone angreifenden Zubringer z ſtetig nach oben gedrückt, zugleich aber durch den Rahmenhalter g, deſſen Kralle in einen Haft des Rahmens greift, an der Bewegung nach oben gehindert. Nachdem die Kammer zurückgezogen iſt, befindet ſich das711Das Schießpulver.Schloß in der in Fig. 396 dargeſtellten Lage. Stößt man nun die Kammer mit dem geſpannten Schloß nach vorn, ſo faßt der Verſchlußkopf v den Kopf der oberſten Patrone und ſchiebt ſie nach vorn in das Patronen - lager c, worauf durch Herunterdrücken des Kammerknopfes nach rechts der völlige Schluß der Kammer bewirkt wird. Zugleich ſind die vier

Fig. 396.

Deutſches Gewehr 88, vor dem Schließen der Kammer.

Fig. 397.

Deutſches Gewehr 88, abgeſchoſſen.

übrigen Patronen durch den Zubringer um eine Patronendicke in die Höhe geſchoben worden. Nun folgt das Abfeuern, indem durch Zurück - ziehen des Abzuges der Schlagbolzen mit ſeiner Spitze auf das, am hinteren Ende der Patrone liegende Zündhütchen geſchleudert wird. Die Lage der Schloßteile in dieſem Augenblick zeigt Fig. 397. Wird nun712Die Sprengſtoffe und ihre Verwendungder Kammerknopf wieder nach oben gerichtet und die Kammer zurückgezogen, ſo faßt die Kralle des in dem Lager i (Fig. 398) liegenden, hier nicht abgebildeten Ausziehers den Vorſprung der leeren Patronenhülſe und zieht ſie aus dem Patronenlager zurück, bis beim völligen Zurückziehen der Kammer der Knopf l des Auswerfers nach vorn geſtoßen wird

Fig. 398.

Verſchlußkopf.

und die Hülſe nach rechts herausſchleudert. Nun iſt das Gewehr zum nächſten Laden fertig. Nachdem die unterſte der fünf Pa - tronen verſchoſſen iſt, fällt der leere Rahmen, der nun keinen Halt mehr nach unten hat, aus dem Kaſten des Gewehrs heraus und wird durch einen vollen erſetzt. Dieſen ſetzt man bei geöffneter Kammer von oben ein, während man den Rahmenhalter g durch einen Druck auf deſſen Druckſtück f zurückbiegt. Die Patrone enthält vorn das 32 mm lange Geſchoß aus Hartblei, welches von einem nickelplattierten Stahlmantel umgeben iſt, dahinter, durch ein Pappblättchen geſondert, die Ladung von 2,75 g neuem Blättchenpulver und ſchließt mit dem Zündhütchen. Das Geſchoß wiegt 14,5 g, die ganze Patrone, bei einer Länge von 82,5 mm, 27,3 g, ein gefüllter Rahmen 154 g, die Kriegsausrüſtung von 150 Patronen etwa 5 kg. Das Gewicht des Gewehres beträgt nur 3,8 kg.

Das Knallqueckſilber.

Dieſer Sprengſtoff hat nur inſofern eine Bedeutung, als er als Detonierungsmittel für die briſanten Sprengſtoffe und als Zündmaſſe für viele Kriegszwecke unentbehrlich iſt. Er muß als die Queckſilber - verbindung eines komplizierten organiſchen Körpers, des Nitroaceto - nitrils, betrachtet werden. Im feuchten Zuſtande ſogar durch ſtarken Druck nicht zerſetzbar, explodiert er, getrocknet, ſchon durch gelinden Stoß mit furchtbarer Gewalt. Es wurde 1799 von Howard entdeckt. Kekulé wies ſeine chemiſche Konſtitution nach.

Man ſtellt Knallqueckſilber dar, indem man zu einer Auflöſung von Queckſilber in Salpeterſäure Alkohol hinzufügt. Es erfolgt eine ſehr heftige Reaktion, durch welche viele Dämpfe entwickelt werden. Nach dem Erkalten ſcheidet ſich ein ſeidenglänzender, kryſtalliniſcher Niederſchlag von Knallqueckſilber ab, welcher durch Abgießen getrennt und ausgewaſchen wird. Im feuchten Zuſtande wird er mit chlor - ſaurem Kalium oder Salpeter gemiſcht und direkt in die kupfernen Zündkapſeln eingepreßt, welche man dann ſehr vorſichtig trocknet. Während die fertigen Zündhütchen für Gewehre bekanntlich nur ſehr geringe Dimenſion und Ladung haben, ſtellt man für Sprengzwecke ſolche bis zu 10 cm Länge und 2 g Ladung her.

713Das Knallqueckſilber. Das Nitroglycerin.

Das Nitroglycerin.

Dieſer kräftigſte aller bisher bekannt gewordenen Sprengkörper wurde von Sobrero in Pelouzes Laboratorium in Paris im Jahre 1847 entdeckt. Die neue Subſtanz fand lange Zeit gar keine Beachtung, vielleicht, weil ihre gefährlichen Eigenſchaften vor einer fabrikmäßigen Herſtellung zurückſchreckten. Erſt 1863 wurde der Verſuch von dem Schweden Alfred Nobel gewagt und glücklich zu Ende geführt. Das Nitroglycerin wurde unter dem Namen Nobels Sprengöl ſchnell bekannt und fand beſonders im Bergbau umfaſſende Anwendung. Da explodierte 1864 Nobels eigene Fabrik in Stockholm; eine ganze An - zahl furchtbarer Unglücksfälle gleicher Art in den verſchiedenſten Welt - gegenden folgte nach, ſo daß ſchnell die günſtige Aufnahme, die man dem Sprengöl bisher bereitet hatte, in das Gegenteil umſchlug. Nobels großes Verdienſt beſtand nun darin, daß er trotz der ungünſtigen Ver - hältniſſe ſein Ziel mutig weiter verfolgte. Er wies zunächſt durch unwiderlegbare Verſuche nach, daß die ſtattgefundenen Exploſionen allein grenzenloſem Leichtſinn zuzuſchreiben ſeien; dann aber gelang es ihm, in der Infuſorienerde, dem Kieſelgur, einen Körper zu ent - decken, welcher das Sprengöl mit Leichtigkeit aufſaugt und hierbei eine leicht und verhältnismäßig gefahrlos zu behandelnde und doch ſehr ſprengkräftige Maſſe, das Dynamit, ergiebt. Zugleich zeigte er, daß man mittels eines Zündhütchens das Dynamit leicht und gefahrlos zur Detonation bringen kann. 1866 wurde Dynamit zum erſtenmale zum Sprengen verwendet; ſeitdem iſt es in der Technik das beliebteſte Sprengmittel geworden, welches in vielerlei Formen und Miſchungen gebraucht wird und das Pulver gänzlich verdrängt hat.

Das Nitroglycerin, oder wie man es richtiger nennen ſollte, das ſalpeterſaure Glycerin, iſt eine der Schießwolle durchaus analoge Ver - bindung, welche in ähnlicher Weiſe, wie dieſe, gewonnen wird. Zur Fabrikation nach dem heute als das beſte anerkannte Verfahren des Amerikaners Mowbray benutzt man Glycerin, welches durch Zerlegung der Fette mittels überhitzter Waſſerdämpfe gewonnen und nachträglich raffiniert wird. Es muß abſolut farb - und geruchlos ſein und völlig reinen, ſüßen Geſchmack beſitzen; ebenſo muß es ganz frei von Waſſer ſein. Man läßt das Glycerin ſehr langſam in Steinkrüge einfließen, welche ein kaltes Gemiſch von zwei Volumen Schwefelſäure und einem Volum Salpeterſäure enthalten und in mit einer Kältemiſchung aus Eis und Kochſalz gefüllten hölzernen Bottichen ſtehen. Durch be - ſondere Röhren wird in jeden Krug ein kalter Luftſtrom geleitet und hierdurch eine innige Mengung bewirkt; vor allem wird hierdurch jede Spur von ſalpetriger Säure entfernt, welche nachgewieſenermaßen gerade zu Exploſionen Anlaß giebt. Die Arbeiter müſſen die Tem - peratur während der Zerſetzung genau überwachen und hindern den Glycerinzufluß, ſowie ſich Erwärmung bemerkbar macht. Nach andert -714Die Sprengſtoffe und ihre Verwendung.halb Stunden etwa werden alle Krüge in eine große Kufe mit Waſſer entleert; das Öl ſinkt zu Boden, wird abgezogen und in ſchwingenden Bottichen zuerſt mit Waſſer, endlich mit Sodalöſung ſorgfältig ge - waſchen. Dann ſchafft man es in Krüge, in denen es drei Tage ver - bleibt; während dieſer Zeit ſteigen alle Verunreinigungen an die Ober - fläche und werden abgeſchöpft. Das ſo gewonnene reine Sprengöl iſt farblos, giftig, durch Entzündung brennbar; bei raſcher Erhitzung, ſowie durch Schlag und Stoß[explodiert] es mit furchtbarer Gewalt. Es gefriert ſchon bei C. und iſt in dieſem Zuſtande vollkommen un - gefährlich, ſo daß man es gefroren verſenden kann, vorausgeſetzt natürlich, daß man ein ganz reines Produkt hat. Zum Auftauen verwendet man Waſſer von etwa 30° C., mit welchem man die Verſand - gefäße, in der Regel Blechkannen, umgiebt; jede andere Art bringt die größten Gefahren mit ſich und iſt in der Regel die Veranlaſſung zu den vielen ſchon vorgekommenen Unglücksfällen geweſen. Kurtz in Köln hat ein Verfahren angegeben, welches ebenſo gutes Sprengöl erzielt, wie das Mowbrayſche, ſo daß heute die deutſche Fabrikation auch in dieſer Be - ziehung auf der Höhe der Situation ſteht. Unreines Sprengöl iſt ein höchſt gefährlicher Körper, weil es leicht Zerſetzungen unterliegt, in deren Gefolge Exploſionen auftreten können. Die Exploſionsgaſe beſtehen aus Kohlenſäure, Waſſerdampf, Stickſtoff und Sauerſtoff; die Kraft der Ex - ploſion iſt 13mal ſo ſtark, wie die eines gleichen Volums Pulver und mehr als doppelt ſo ſtark wie die eines gleichen Gewichts Schießwolle.

Man benutzt das Nitroglycerin, deſſen Transport in Deutſchland ganz verboten iſt, gar nicht mehr zu Sprengzwecken, ſeitdem man es durch das weit ungefährlichere Dynamit erſetzt hat. Die letztere Be - zeichnung erſtreckt ſich aber im allgemeinen nicht auf einen beſtimmten Sprengſtoff, ſondern auf eine ganze Gruppe ſolcher, welche durch Auf - ſaugung von Nitroglycerin vermittelſt aller möglichen anderen Stoffe erhalten werden. Der Aufſaugeſtoff iſt entweder indifferent, wie beim gewöhnlichen Kieſelgurdynamit, oder er beſteht ſelbſt aus einem Sprengſtoff. Hieraus ergeben ſich eine große Menge neuer Spreng - ſtoffe, von denen hier nur die wichtigſten erwähnt werden können. Das gewöhnliche Kieſelgurdynamit wird durch Mengen mit der Hand hergeſtellt, obgleich die Geſundheit der Arbeiter dabei leidet. Die weißen Quarzſandlager der Lüneburger Heide werden ſeit einigen Jahren für die Dynamitfabrikation ausgebeutet. Die gewöhnlichen Dynamitpatronen haben 3 10 cm Länge bei 2 cm Dicke; die Zündung geſchieht mittelſt einer Sprengkapſel und Zündſchnur, der Gehalt an Nitroglycerin beträgt 75 %. Durch Feuer explodiert Dynamit nicht, wohl aber durch ſehr harte Stöße. Unter C. wird es hart und muß unter denſelben Vorſichtsmaßregeln wie Nitroglycerin aufgetaut werden. Man kennt kein Sprengmittel, welches in der Technik in ſolchem Umfange angewendet wird; ja auch bei dem Minenkriege zu Lande braucht man es häufiger, als Schießwolle.

715Das Nitroglycerin. Die Pikrinſäurepräparate.

Die Nitroglycerinpräparate mit chemiſch wirkſamem Aufſaugeſtoff ſind ſehr zahlreich. Die unter den Namen Lithofrakteur, Dualin, Lignoſe, Celluloſedynamit, Gelatinedynamit, Sprenggelatine bekannten Subſtanzen gehören hierher. Das wichtigſte und kräftigſte Mittel unter ihnen iſt die Sprenggelatine, dadurch erhalten, daß man Schießwolle mit Nitro - glycerin gelatiniert. Es iſt eine gummiartige Maſſe, welche das Nitro - glycerin auch unter dem ſtärkſten Druck nicht frei giebt. Nobel hat dieſen Sprengſtoff in regelmäßig geformte Stücke zerſchnitten und als Kanonenpulver verwendet. Genau ſo, wie bei dem neuen Gewehr - pulver, iſt man durch Beimiſchung indifferenter Subſtanzen imſtande, die Kraftleiſtung dieſes Pulvers nach Belieben zu regulieren. Es wird hierdurch auch fähig, zur Füllung von Granaten zu dienen und hält den Stoß beim Abfeuern aus, ohne zu explodieren.

Die Pikrinſäurepräparate.

Gerade ſo, wie man durch Nitrierung der Celluloſe die Schieß - wolle, des Glycerins das Nitroglycerin erhält, entſteht durch Behandeln von Phenol (Karbolſäure) mit ſtarker Salpeterſäure ein Sprengſtoff, welcher als Trinitrophenol oder Pikrinſäure bezeichnet wird. Bereits im Jahre 1771 durch Behandeln von Indigo mit Salpeterſäure ge - wonnen, wurde ſie zuerſt von Laurent nach dem oben angegebenen Verfahren aus Phenol dargeſtellt. Die Pikrinſäure kriſtalliſiert in gold - gelben Blättchen, welche Stoffe ſchön gelb färben, bei 117° ſchmelzen und bei raſcher Erhitzung ſehr heftig explodieren. Noch viel exploſiver ſind ihre Verbindungen mit Metallen, die pikrinſauren Salze. Im Jahre 1869 flog durch Exploſion von Kaliumpikrat ein ganzes Häuſer - viertel in Paris in die Luft, und dieſes Unglück ſchreckte die Techniker eine Zeitlang vor weiteren Verſuchen zurück. Trotzdem verſuchte man wiederholt die Pikrinſäureverbindungen zu Kriegszwecken, beſonders zu Granatfüllungen zu verwenden. Das ſchon oben erwähnte Poudre B. des Lebelgewehrs iſt ein neueres Produkt ſolcher Beſtrebungen; hierher gehört auch das Melinit, welches durch die vielen Reklamen, welche für dieſen Sprengſtoff gemacht wurden, ſowie in neueſter Zeit durch den Turpinprozeß viel von ſich reden machte. Da die reine Pikrin - ſäure weniger leicht explodiert, als ihre Salze, und, wie wiederum Nobel nachwies, ſelbſt bei einem Waſſergehalt von 15 % durch einen kräftigen Initialſtoß noch detoniert werden kann, ſo lenkte ſich die Aufmerkſamkeit am meiſten auf ſie. Trotzdem die Rolle des Melinits, als eines Spreng - ſtoffes von ſehr zweifelhafter Haltbarkeit, ausgeſpielt ſein dürfte, ſo iſt es doch zweifellos, daß die meiſten europäiſchen Staaten die Verſuche, ihre Hohlgeſchoſſe mit Pikratpulvern zu füllen, nicht nur nicht aufgegeben, ſondern zum Teil zu einem erfolgreichen Ende geführt haben. Indeſſen dürften, gerade ſo wie bei den neuen Waffen, welche wir oben ſchilderten, erſt künftige Kriege und länger andauernde Einführung über die Brauch - barkeit dieſer neuen Sprengmittel entſcheiden.

[716]

VII. Das Verkehrsweſen.

Allgemeines.

Das Bedürfnis der Menſchheit nach Verkehr unter einander iſt ſo alt, wie die Geſchichte des menſchlichen Geſchlechtes. Mit der Zunahme des Verkehres und der Bildung wuchs auch das Streben, jenen ſo leicht und ſo bequem als nur irgend möglich zu geſtalten. Das Produkt dieſes durch die lange Reihe der Jahrhunderte erfolgreich fortgeſetzten Strebens iſt das Verkehrsweſen von heute, der Stolz der jetzigen Generation, das charakteriſtiſche Kennzeichen des neunzehnten Jahrhunderts.

Je nach der Art des gewählten Verkehrsweges haben wir zu unterſcheiden:

  • 1. den Verkehr zu Lande,
  • 2. den Verkehr zu Waſſer und
  • 3. die modernſte, noch in der Entwicklung begriffene Art: den Verkehr durch die Luft.

Was den Verkehr zu Lande betrifft, ſo vollzog ſich derſelbe zunächſt zu Fuße auf mehr oder weniger geebnetem Pfade. Alsbald wurde die Kraft der Tiere dem Verkehrsbedürfniſſe nutzbar gemacht, und zum Tragen und Ziehen von Perſonen und Laſten herangezogen. Dieſe Art des Verkehrs entwickelte ſich im Laufe der Zeit zu immer größerer Vollkommenheit, bis die Kraft der Zugtiere in weitgehendem Maße durch die Kraft des geſpannten Waſſerdampfes erſetzt wurde. Hiermit vollzog ſich ein das Verkehrsweſen von Grund aus umwälzender Umſchwung. Es währte nicht lange, ſo war der geſamte über größere Entfernungen ſich erſtreckende Verkehr auf die Eiſenbahnen übergegangen. Wir haben demnach zunächſt uns mit den Straßen und Wegen, ſowie deren Fahrzeugen und hierauf mit den Eiſenbahnen und deren Betriebsmitteln zu befaſſen.

Jedoch auch der auf den gewöhnlichen Straßen und Wegen ſich vollziehende Verkehr geſchieht nicht allein durch Zugtiere. Wir haben hier vielmehr als beſondere Art der Verkehrsmittel zunächſt die717Allgemeines. Der Bau von Straßen und Wegen.Motorenwagen zu betrachten, d. h. Wagen, welche ihren Antrieb durch irgend eine motoriſche Kraft, Dampf oder Gas, erhalten. Als letzte und neueſte Gattung der Straßenfuhrwerke folgen ſodann die Draiſinen oder Velocipeden.

Bei den Eiſenbahnen haben wir zu unterſcheiden, ob der Betrieb auf gewöhnlichen glatten Schienen oder unter Zuhilfenahme der Zahnſtange erfolgt. Als beſondere Art des Betriebes iſt ſodann noch der pneumatiſche des näheren zu betrachten und zwar beſonders um deswillen, weil aus demſelben ſich die für unſer modernes Verkehrs - weſen ſo ſehr wichtige Rohrpoſt entwickelt hat.

Was den Verkehr zu Waſſer betrifft, ſo erfolgt derſelbe entweder auf den natürlichen Waſſerflächen, den Meeren, Seeen und Flüſſen, oder auf den künſtlichen Waſſerſtraßen der Kanäle. Auch hier voll - zog ſich durch die Einführung der Dampfkraft derſelbe Umſchwung des Verkehrsweſens wie zu Lande; an Stelle der urſprünglichen Ruder - und Segelſchiffe trat alsbald in weitgehendſtem Maße das Dampf - ſchiff.

Was ſchließlich die jüngſte Art des Verkehrs, die Luftſchiffahrt betrifft, ſo nimmt dieſe gegenwärtig noch die bei weitem niedrigſte Stellung ein und hat mit dem Mißtrauen der überwiegenden Mehrzahl der Bevölkerung zu kämpfen. Bei der Behandlung des ihr gewidmeten Abſchnittes werden wir von den zahlreichen problematiſchen Vorſchlägen völlig Abſtand nehmen und uns nur mit erfolgreichen, bewährten Einrichtungen befaſſen.

1. Der Verkehr zu Lande.

a) Straßen, Wege und ihre Fahrzeuge.

1. Der Bau von Straßen und Wegen.

Läßt man den Blick rückwärts ſchweifen in die älteſten Zeiten des beginnenden Verkehrs der Menſchen und Völker untereinander, ſo iſt hier ein beſtimmter Abſchnitt, welchen man als den Anfang des Straßen - und Wegebaues bezeichnen könnte, nicht zu erkennen und feſtzulegen. Weder der erſte Erbauer der Straßen und Wege, noch der Erfinder des Wagens iſt uns durch die geſchichtliche Tradition überliefert worden. Zwar wird von der Königin Semiramis berichtet, daß das Innere ihres weiten Reiches durch ein Syſtem von plan - mäßig angeordneten Straßen durchzogen geweſen ſei, wohl rühmt man dem Könige Salomo nach, daß er ſein Land durch den Bau von718Der Verkehr zu Lande.Straßennetzen erſchloſſen habe, auch von den Chineſen, den Perſern und den Phöniziern wird ähnliches berichtet, eine genaue Angabe über die Technik dieſer älteſten Straßenbauten fehlt jedoch; eine ſolche finden wir zuerſt bei den Griechen, und bei dieſen beginnt daher unſere Kenntnis von der Wegebaukunſt der Alten.

In Hellas waren es die die Tempel und heiligen Ortſchaften untereinander und mit der Küſte in Verbindung ſetzenden heiligen Straßen, welche uns zuerſt das Bild einer Kunſtſtraße darbieten. Was dieſe heiligen Straßen uns ſo außerordentlich intereſſant erſcheinen läßt, das iſt der Umſtand, daß in ihnen uns das Urbild unſerer modernen Spurbahnen, der Straßen - und der Eiſenbahnen, aus dem Dunkel der Anfänge der Geſchichtsſchreibung entgegen tritt. Um nämlich den Widerſtand des auf der Erdoberfläche dahin bewegten Fahrzeuges auf das Äußerſte zu beſchränken, legten ſchon die Griechen für jedes Wagenrad ein beſonderes Gleis, eine beſondere Fahrbahn an, welche entweder in den Fels eingearbeitet oder in dem lockeren Erdreiche durch Pflaſterung wohl befeſtigt wurde; die hierbei zur An - wendung kommende Spurweite betrug durchgängig etwa 1,625 Meter. Im Laufe der folgenden Jahrhunderte faſt völlig in Vergeſſenheit ge - raten, ſollte dieſe alte Bauart der Hellenen erſt wieder gegen Ende des vorigen und im Laufe des jetzigen Jahrhunderts in unſeren Eiſen - und Pferdebahnen von neuem zu Ehren und zu weitgehendſter Anwendung kommen.

Wie Curtius in ſeiner klaſſiſchen Abhandlung Geſchichte des Wege - baues bei den Griechen mitteilt, unterſchied man beſtimmt zwiſchen der im loſen Erdreiche ſich bildenden Fahrſpur, der ἁρματροχία und dem künſtlich angelegten, durch Pflaſterung befeſtigten Gleiſe, dem ἴχνος. So wurden die Wagen in feſt vorgeſchriebener Bahn dahingezogen. Begegneten ſich zwei Fuhrwerke, ſo machte dieſes erheblich mehr Schwierigkeiten, als bei den jetzigen glatten Fahrſtraßen, da die Räder die tiefen Gleiſe verlaſſen und eine gewiſſe Wegeslänge auf weichem, unbefeſtigtem Boden zurücklegen mußten. Auch dieſem Umſtande hat man bereits bei den heiligen Straßen Griechenlands Rechnung getragen, indem in gewiſſen Abſtänden ſogenannte ἓκτροπαι, d. h. Ausweichungen angeordnet waren, welche im Bogen nach rechts und links abzweigten und ſo die ſich begegnenden Fuhrwerke aneinander vorüberführten. Wem fällt hier nicht das Geſchick des Ödipus ein, der in einem wegen des Ausweichens auf offener Heerſtraße entbrannten Streite zum Mörder des Vaters wurde? Auch dieſe altgriechiſchen ἓκτροπαι treten uns in den Weichen unſerer Eiſenbahnen in moderner Umgeſtaltung wiederum entgegen.

Das Verdienſt, den Wegebau der weiteren und durchgreifenden Vervollkommnung entgegengeführt zu haben, gebührt den Römern. In richtiger Erkenntnis der hohen Wichtigkeit guter Straßen für die Beherrſchung der von ihnen eroberten gewaltigen Ländermaſſen, ließen719Der Bau von Straßen und Wegen.ſich die Römer es ſchon von den erſten Zeiten ihrer Herrſchaft ab angelegen ſein, überall da, wo ſie feſten Fuß gefaßt hatten, ein plan - mäßig projektirtes und durchgearbeitetes Netz wohl befeſtigter Straßen zu erbauen. In erſter Linie hatten ſie hierbei den Zweck im Auge, daß ihre Legionen in möglichſter Schnelle von ihren Standorten in die entfernteſten Gegenden des Reiches gelangen konnten.

Es entſtand ſo im Laufe der Jahre die einen eigenartigen Typus bildende Römerſtraße; noch heute gilt dieſelbe als das Vorbild einer muſtergiltigen Ausführung von Wegebauten. Eine ſolche Römer - ſtraße erforderte ein erhebliches Maß von Arbeit und Sorgfalt; ihre Ausführung beſchäftigte lange Zeit hindurch die Kräfte der die Beſatzung der eroberten Länder bildenden Legionen. Noch heute erregen die zahl - reichen Überbleibſel dieſer alten Kunſtſtraßen die Bewunderung der Fachleute wegen der Dauerhaftigkeit und Sorgfalt ihrer Ausführung. Das bei dem Bau der Römerſtraße befolgte Verfahren war folgendes: Nachdem das Erdreich in der Breite der zu erbauenden Straße ſo tief ausgehoben war, bis man einen hinreichend feſten und widerſtands - fähigen Untergrund gefunden hatte, wurden auf dem Boden des ſo gebildeten flachen Grabens zunächſt ein bis drei Schichten kleiner Steine verlegt und dieſe dann mit feuchtem Sande überſchüttet. Erforderlichen Falles wurde die Zahl der auf dem Boden verlegten Steinſchichten noch vermehrt. Die eben erwähnte Sandſchicht wurde auf das ſorgfältigſte feſtgeſtampft und in dieſe nun das eigentliche Pflaſter eingelegt. Letzteres beſtand aus rohen oder aus bearbeiteten Steinen, welche in gehörigem Verbande neben einander verlegt wurden, oft ſogar noch unter Hinzufügung eines beſonderen Bindemittels. Die Römerſtraße unterſchied ſich alſo von der heiligen Straße der Griechen weſentlich dadurch, daß ſie keine Gleiſe oder Rinnen für die Wagen - räder beſaß, ſondern nur eine einzige, ſtark gepflaſterte Oberfläche hatte, auf welcher die Wagen frei und ohne Umſtände einander aus - weichen konnten. Zu den beiden Seiten dieſes Fahrweges zogen ſich dann erhöhte Wege für die Fußgänger hin; in gewiſſen Abſtänden waren aufrecht ſtehende prismatiſche Steine angebracht, welche den Reitern das Aufſteigen auf das Pferd bei dem damaligen Mangel der Steigbügel erleichtern ſollten. Im weiteren Verlaufe der Jahr - hunderte, als der Glanz Roms ſich immer mehr ſteigerte, da bildeten dieſe Straßen in der Nähe der großen Städte eine hohe Zierde für die Landſchaft, denn es hatte ſich die ſchöne Sitte herausgebildet, an den wichtigeren Wegen den Göttern Heiligtümer zu erbauen und Denkmäler zu Ehren hervorragender Bürger zu errichten. Als das glänzendſte Beiſpiel einer ſolchen Römerſtraße bringen wir in Fig. 399 eine Abbildung der Königin der Straßen , der von Rom nach Brun - duſium führenden via Appia. Noch heute bilden die Trümmer dieſer hochwichtigen Heerſtraße des Altertums einen der größten Reize der Umgebung der ewigen Stadt.

720Der Verkehr zu Lande.

Als fernere Beiſpiele berühmter Straßen der Römer führen wir noch an: die vom aureliſchen Thore zum tyrrheniſchen Meere, ſpäter über die Alpen nach Gallien führende via Aurelia, ferner die via Flaminia,

Fig. 399.

Die via Appia.

welche Rom mit Rimini verband und die von Rom nach Aquileja führende via Aemilia.

Den Mittelpunkt des römiſchen Straßennetzes bildete ein neben dem Saturntempel auf dem Forum Romanum er - richteter Meilenzeiger, das milliarium aureum. Hier waren auf zahl - reichen Bronzetafeln die Entfernungen der wich - tigſten Städte der Welt angegeben. Aus den Angaben dieſes älteſten Meilenzeigers entwickel - ten ſich dann ſpäter, be - ſonders unter Auguſtus, die ſogenannten Itinera - rien; es waren dieſes Zu - ſammenſtellungen wich - tiger Reiſerouten mit An - gabe der Entfernungen, ſowie mit Einfügung my - thologiſcher oder hiſto - riſcher Reminiscenzen. Aus dieſen Itinerarien läßt ſich entnehmen, daß während der Glanz - periode des römiſchen Kaiſerreiches dieſes über ein Syſtem feſtgefügter und ſolider Reiſeſtraßen von etwa 76000 Kilo - meter Länge verfügte.

In den Stürmen der Völkerwanderung und des Mittelalters iſt im großen und ganzen von einer Straßenbaukunſt,721Der Bau von Straßen und Wegen.geſchweige denn von einem Fortſchritte des Verkehrsweſens nichts zu ſpüren. Man begnügte ſich meiſt mit dem von den Vorfahren Ererbten und beſchränkte ſich im übrigen auf das Allernotwendigſte, ja es galt zu Zeiten das Reiten als die einzig zuläſſige und würdige Art des Reiſens, ſo daß ein Bedürfnis nach guten und ſyſtematiſch angelegten Wegen für weite Kreiſe der Bevölkerung überhaupt nicht vorlag. Hervorzuheben ſind nur die Leiſtungen Karls des Großen im Abendlande und der Kalifen im Orient. Die von Karl dem Großen erbauten Straßen zeichneten ſich dadurch aus, daß ihre Fahrbahn in der Weiſe hergeſtellt wurde, daß Steine nebeneinander in Kalk ein - geſetzt wurden, die nach dem Erhärten dieſes Bindemittels im Verein mit letzterem ein feſtes Ganze bildeten. Dieſe Straßen erhielten nach der eigenartigen und weitgehenden Verwendung des Kalkes den Namen: calciata , franzöſiſch caucié , woraus ſich dann allmählich die Be - zeichnung Chauſſee entwickelte.

Sieht man von Nebenſtraßen lediglich lokaler Bedeutung ab, ſo bildete nach den Kreuzzügen Nürnberg den Mittelpunkt des geſamten deutſchen Straßennetzes. Die einzelnen Straßenzüge konnten ſich jedoch hinſichtlich der Güte der Bauausführung nicht mit den alten feſten Römerſtraßen meſſen, und laute Klagen über die ſchlechte Beſchaffenheit der Wege bildeten das ſtändige Thema der Tagebücher der wenigen Reiſenden. Eine durchgreifende Verbeſſerung der Verkehrswege bahnte ſich in Deutſchland erſt im Laufe des achtzehnten Jahrhunderts an. Man rühmte zunächſt die gute Beſchaffenheit der Fahrſtraßen Württem - bergs. Die erſte nach allen Regeln der Kunſt erbaute Straße wurde im Jahre 1753 zwiſchen den ſchwäbiſchen Städten Öttingen und Nörd - lingen dem Verkehr übergeben.

In Frankreich hatte ſich ein Wandel zum Beſſern bereits im ſiebzehnten Jahrhundert vollzogen; dort verwendete man unter Hein - rich IV im Jahre 1603 ſchon 3 Millionen Francs, d. i. mehr als den zwölften Teil der geſamten Staatseinnahmen, auf den Bau von Straßen. Colbert ging ſpäter, da ihm das Wegebau-Budget auf 400000 Francs vermindert wurde, dazu über, die Gemeinden zu den Koſten des Wegebaues heranzuziehen.

Weniger gut ſtanden die Verhältniſſe in England; auch hier voll - zog ſich ein endgültiger Umſchwung erſt gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts. Bemerkenswert iſt jedoch, daß dort zuerſt die für die Regelung eines intenſiven Verkehres ſo ſehr wichtige Regel des Rechts - fahrens und des Ausweichens nach der rechten Seite hin eingeführt wurde; auch legte man zuerſt in England mit Recht einen beſonderen Wert auf eine angemeſſene Feſtſetzung des auf den Wagen zu trans - portierenden Gewichtes.

In der Gegenwart geht man bei dem Bau eines Landweges, das iſt derjenigen Art von Kunſtſtraßen, welche man allgemein als Chauſſee bezeichnet, in folgender Weiſe vor. Zunächſt wird die vonDas Buch der Erfindungen. 46722Der Verkehr zu Lande.der Straße einzuhaltende Richtung ganz genau feſtgelegt, worauf man mit der Vornahme der erforderlichen Felsſprengungen, der Ausführung der nötigen Aufſchüttungen und Einſchnitte vorgeht, wobei zu beachten iſt, daß die Steigung den Höchſtbetrag von 1: 20 wenn irgend möglich nicht überſchreiten ſoll. Iſt dieſes geſchehen, ſo empfiehlt es ſich, dem Erdreich Zeit zu laſſen, ſich zu ſetzen und zu feſtigen; zu dieſem Zwecke läßt man den Bau während des Winters ruhen und beginnt nunmehr erſt mit der Herſtellung der eigentlichen Fahrbahn, des Oberbaues. Dieſer wird im großen und ganzen in derſelben Weiſe gebildet, wie wir dies bei den Römerſtraßen gezeigt haben. Es wird zunächſt das ſogenannte Planum des Weges, welches durch den Froſt des Winters und den Regen ſich gehörig geſetzt hat, an den Seiten mit Steinen, den ſogenannten Bordſteinen, eingefaßt. Hierauf werden zwiſchen dieſen mehrere Schichten von Steinen, deren Größe von der tiefſten zur höchſten Schicht abnimmt, eingebracht, wobei die tiefſte Steinlage ſorg - fältig nebeneinander verlegt wird, ähnlich wie es bei dem Pflaſtern der Straßen geſchieht. Auf die oberſte Lage wird ſchließlich eine etwa 8 cm ſtarke Schicht von Kies gebracht, und dieſe mit großen Walzen, die entweder durch Menſchen und Pferde oder durch Dampf - kraft bewegt werden, geglättet.

Bei der Herſtellung der gepflaſterten Straßen hat man zu unter - ſcheiden, wenn wir von dem hin und wieder angewendeten eiſernen Pflaſter abſehen, das Steinpflaſter, das Holzpflaſter und das Asphalt - pflaſter. Hinſichtlich des Steinpflaſters iſt das weſentliche bereits bei der Herſtellung der Römerſtraßen und der Chauſſeeen geſagt. Auch hier werden zunächſt mehrere Steinlagen über einander gepackt, auf dieſe eine Kiesſchicht gebracht, und in dieſe werden alsdann die Steine verlegt. Die zwiſchen denſelben verbleibenden Fugen werden bei beſſeren Ausführungen mit Kies angefüllt und ſchließlich noch mit einem ge - eigneten Materiale, z. B. flüſſigem Pech, ausgegoſſen. In der neueren Zeit iſt an Stelle des Steinpflaſters vielfach das Holzpflaſter getreten. Bei dieſer Art von Pflaſterung werden Holzblöcke, welche zuvor mittels Teer oder Chlorzink gegen Fäulnis geſchützt ſind, in derſelben Weiſe unter Benutzung von Hartpech als Bindemittel neben einander in regelmäßigem Verbande verlegt, wie dies bei dem Steinpflaſter ge - ſchieht.

Eine beſondere Art der in den Städten zur Anwendung kommenden Pflaſter bildet das ſogenannte Asphaltpflaſter. Der hierzu benutzte Rohſtoff iſt der u. A. bei Limmer in der Provinz Hannover, bei See - feld in Tirol, bei Lobſann im Elſaß gewonnene Asphaltſtein, ein mit Erdharz oder Bergteer ſtark verſetztes Kalkgeſtein. Der Asphalt - ſtein wird zu Pulver zerkleinert und nun ſo weit erwärmt, bis er zu erweichen beginnt. In dieſem Zuſtande wird er auf die durch Stein - lager und Sandſchüttungen ſorgfältig hergeſtellte und geebnete Unter - lage gebracht, worauf alsdann eine Glättung der Asphaltſchicht durch723Der Bau von Straßen und Wegen.ſchwere geheizte Walzen, Stampfen und nach Art der Bügeleiſen ein - gerichtete Werkzeuge erfolgt.

Wenngleich die raſtlos an der Zerſtörung des Hergebrachten arbeitenden Eiſenbahnen von Jahr zu Jahr die Bedeutung der gewöhn - lichen Heerſtraßen zurückdrängen, ſo wird dadurch die Bewunderung, welche wir den Erbauern der alten, die gewaltigen Hinderniſſe der Ge - birge mit den einfachſten Mitteln überwindenden Straßen ſchuldig ſind, in keiner Weiſe beeinträchtigt. Im Gegenteil: was jene mit den primitivſten Hilfsmitteln ausführten, ſtellt ſich hinſichtlich der Schwierig - keit der Ausführung den modernen Eiſenbahnbauten, welche die die Völker trennenden Gebirge durchqueren, würdig zur Seite. Wir er - wähnen nur die großartigen Straßen, welche von unſeren Vorfahren über den St. Gotthard, den Simplon, den Bernhardiner und den Splügen geführt wurden.

2. Die von Zugtieren bewegten Jahrzeuge.

Das älteſte Mittel, um einen Gegenſtand von einem zum andern Orte, ſei es auf einem geebneten Wege, ſei es ohne Benutzung von Weg und Steg zu befördern, iſt der Schlitten oder die Schleife. Die hierbei in ſehr ſtarkem Maße auftretende Reibung und die infolge deſſen erforderliche Anwendung einer großen Zugkraft ließen ſchon früh auf Mittel und Wege ſinnen, den Transport zu erleichtern. So kam man zunächſt auf den Gedanken, zwiſchen die Schlittenkufen und die Fahr - bahn Rollen einzulegen und auf dieſen den Schlitten vorwärts zu ziehen; hierdurch war die gleitende Reibung in die erheblich weniger hinderliche rollende Reibung verwandelt, mithin ein außerordentlicher Fortſchritt erzielt. Dieſe erſte Einfügung der Rolle in das Verkehrs - weſen dürfte, ſo geringfügig dieſelbe dem Laien erſcheinen mag, zu den größten Erfindungen zu zählen ſein, die jemals dem Haupte eines Sterblichen entſprangen. Derartiger Erfindungen, welche man heut zu Tage geneigt iſt, als ſelbſtverſtändlich anzuſehen, giebt es noch eine große Zahl. Lazarus Geiger bringt dieſes an einem anderen Gegen - ſtande, dem Hammer, in ſeinen Vorträgen zur Entwicklungsgeſchichte der Menſchheit ſehr treffend mit folgenden Worten zum Ausdruck: So groß der Gegenſatz einer Dampfmaſchine unſerer Tage mit dem älteſten Steinhammer immer ſein mag, dasjenige Geſchöpf, welches zuerſt ſeine Hand mit einem ſolchen Hammer bewaffnete, welches vielleicht einen Fruchtkern zum erſtenmal auf dieſe Weiſe einer harten Schale entnommen, es mußte, ſo ſcheint es, einen Hauch jenes Geiſtes in ſich verſpüren, welcher einen Entdecker unſerer Zeit unter dem Aufblitzen eines neuen Gedankens beſeelt. Leider iſt der Erfinder des auf Rollen bewegten Schlittens ebenſo wenig bekannt, wie der Erfinder des Hammers, des Waſſerrades, der Windmühle und ſo vieler anderer grundlegender Konſtruktionen.

46*724Der Verkehr zu Lande.

In Fig. 400 iſt die Hälfte einer Abbildung wiedergegeben, welche den Transport einer altägyptiſchen Koloſſalſtatue mittels Schlittens darſtellt. Um die Reibung zwiſchen den Schlittenkufen und der aus Brettern gebildeten Bahn thunlichſt zu vermindern, gießt hier ein zu Füßen der Bildſäule ſtehender Arbeiter ein geeignetes Schmiermittel,

Fig. 400.

Transport einer altägyptiſchen Koloſſalſtatue.

Waſſer oder Öl, auf die Bahn, während ein auf den Knieen der Statue ſtehender Aufſeher die an vier Zugſeilen angreifen - den 172 Arbeiter (die - ſelben ſind in der Figur nur zum Teil dargeſtellt) durch Zuruf und Zeichen leitet.

So unvollkommen dieſes Transportmittel uns erſcheint, ſo erſtaun - lich ſind die Leiſtungen, welche die alten Ägypter mit demſelben, allerdings unter Aufwendung un - geheurer Arbeitermaſſen, erzielten. So wurde auf dieſe Weiſe einer der großen Obelisken des Tempels zu Karnak im Gewichte von 29700 Kilo - gramm 28 deutſche Meilen weit befördert. Als ferneres Beiſpiel führen wir an, daß König Amaſis von Elefantine nach Sais ein aus einem einzigen Stein beſtehendes Haus ſchaffen ließ; hierzu gebrauchten 2000 Mann einen Zeitraum von drei Jahren.

Aus der unter die Schlittenkufen gelegten Rolle entwickelte ſich alsbald das an dem Schlitten befeſtigte drehbare Rad, denn die der Rolle naturgemäß anhaftenden Mängel waren ſehr ſchwer wiegender Natur. Man wird daher ſchon im hohen Altertum mit der Rolle die gleichen böſen Erfahrungen gemacht haben, wie dies dem bekannten Architekten Fontana im Jahre 1586 bei der Aufſtellung des 10000 Centner ſchweren vatikaniſchen Obelisken widerfuhr. Zunächſt erfordern die Rollen ſtets eine feſte Unterlage, da ſie anderen Falles zu tief in das Erdreich ſich einpreſſen; dann aber haben ſie beim Vorwärts - ſchieben ſtets die Neigung, ſich zu verſchieben und ſich ſchräg ein - zuſtellen, und ſchließlich ermöglichen ſie nur unter großen Schwierig - keiten die Ausführung von Schwenkungen beim Paſſieren von Wege - krümmungen.

725Die von Zugtieren bewegten Fahrzeuge.

Die älteſten Räder waren Scheibenräder; bei dieſen beſtand der ganze Radkörper aus einem einzigen Stück. Dieſe primitivſte Art der Räder finden wir noch heute in Gegenden geringer Kultur. Merk - würdiger Weiſe aber haben dieſe alten Scheibenräder bei den Eiſen - bahnwagenrädern in zahlreichen Exemplaren wiederum Anwendung gefunden, da die Herſtellung derſelben eine ſehr bequeme und leichte iſt. Alsbald trat an die Stelle des unſchönen Scheibenrades das graziöſere Speichenrad. Weder der Erfinder des einen noch des andern iſt uns bekannt.

Die älteſten auf Rädern ruhenden Wagen hatten nur eine Achſe und zwei Räder. Die Figuren 401 und 402 ſtellen einen römiſchen Renn - wagen dar; das Original desſelben befindet ſich im vatikaniſchen Muſeum.

Fig. 401.

Römiſcher Rennwagen.

Fig. 402.

Römiſcher Rennwagen.

Der eigentliche Wagenkaſten iſt aus Holz angefertigt und mit Bronze bekleidet; die Deichſel iſt mit der Achſe feſt verbunden. Vor dieſe zweiachſigen Wagen ſpannte man zwei, drei, auch vier Pferde, und zwar ſämtlich nebeneinander in einer Reihe; man unterſchied demnach Zweiſpänner (bigae), Dreiſpänner (trigae), und Vierſpänner (quadrigae). Im allgemeinen galt in der älteren Zeit der Griechen und Römer die Benutzung von Wagen als ein Zeichen beſonderer Ehrung oder aber der Verweichlichung. So durften in Rom innerhalb der Haupt - ſtadt nur Triumphatoren, Veſtalinnen, Prieſter und Senatoren Perſonen - wagen benutzen; auch war, wohl mit Rückſicht auf den ſtarken Verkehr innerhalb der engen Straßen, der Transport von Laſten auf ganz beſtimmte Stunden beſchränkt. Mit dem wachſenden Luxus nahm auch die Benutzung der Wagen für den Perſonentransport zu. Hierzu diente die oft auf das prunkvollſte ausgeſtattete vierrädrige carruca (Karoſſe). Von Nero wird erzählt, daß er auf ſeinen Reiſen fünfhundert ſolcher Wagen mit ſich geführt habe. Der erſte mit Schlafvorrichtung ver - ſehene Wagen, alſo der älteſte Vorläufer unſerer modernen waggons lits, wird dem Verres zugeſchrieben.

726Der Verkehr zu Lande.

Von erheblichem Einfluß auf das Verkehrsweſen und die techniſchen Einrichtungen zur Beförderung von Perſonen und Sachen war die im weſentlichen durch Auguſtus bewirkte Ausgeſtaltung des römiſchen Poſtweſens. Man unterſchied zweierlei Formen der römiſchen Staats - poſt, nämlich den cursus celer (die Schnellpoſt) und den cursus clavularis (die Frachtpoſt); dem entſprechend diente die leichte zweirädrige rheda dem Schnelldienſte und für den gewöhnlichen Perſonendienſt das carpentum. Zur Bewältigung der Frachtverkehrs verwendete man die clavularia Leiterwagen.

Das zur Perſonenbeförderung dienende carpentum war bereits mit einem die Inſaſſen gegen die Unbilden der Witterung ſchützenden Dache verſehen. Nach dieſer Richtung iſt die ſpäter in Deutſchland benutzte Art von Reiſewagen als ein erheblicher Rückſchritt zu betrachten. So bediente ſich Karl der Große, wenn er einmal ausnahmsweiſe eine Reiſe nicht zu Pferde zurücklegte, eines einfachen, offenen Karrens. Primitiv wie die Wege, ſo waren auch die Wagen des Mittelalters. Nur Frauen und Geiſtliche, welche übrigens ebenfalls meiſt das Pferd oder den Eſel beſtiegen, bedienten ſich des Wagens. Es währte bis in das fünfzehnte Jahrhundert hinein, ehe man wieder dazu überging, die Wagen etwas komfortabler einzurichten. Stets aber war bei der mangelhaften Beſchaffenheit der Wege eine ſolche Reiſe nichts weniger als ein Genuß. Einer der bekannteſten Reiſeunfälle, welche aus jener Zeit überliefert wurden, iſt derjenige, welcher den Papſt Johannes auf ſeiner Reiſe zum Konſtanzer Konzil am Arlberg betraf. Hier fiel auf dem durch Schnee unpaſſierbar gewordenen Wege plötzlich der päpſtliche Wagen um, ſo daß Johannes in die unwilligen Worte aus - brach: Jaceo hic in nomine diaboli. Nebenſtehende Fig. 403 ſtellt dieſe Scene nach einem im Jahre 1536 zu Augsburg erſchienenen Werke Ulrich Reichenthals: Das Koncilium, ſo zu Konſtanz gehalten iſt worden dar. Was uns dieſes ziemlich draſtiſch gehaltene Bildchen beſonders intereſſant macht, das iſt der Umſtand, daß der Künſtler auf demſelben das Untergeſtell des Wagens mit größter Gewiſſen - haftigkeit abgebildet hat. Wir ſehen hieraus zunächſt, daß die Achſe vierkantig geſtaltet war, und daß die Räder auf derſelben ſich drehten und durch Vorſteckſtifte gehalten wurden. Des weiteren erſehen wir, daß die Deichſel an der Vorderachſe befeſtigt war und ſich mit dieſer um einen an dem Wagen angebrachten Stift drehen konnte. Was wir aber bei einem weiteren Vergleiche mit den modernen Perſonen - fahrzeugen an dieſem päpſtlichen Wagen ganz beſonders vermiſſen, das iſt die jetzt ſchon ſeit langem allgemein eingeführte elaſtiſche Auf - hängung des Wagenkaſtens. Fürwahr es gehörte das eiſerne Nerven - ſyſtem unſerer Vorfahren dazu, um in einem ſolchen ſchwerfälligen Fahrzeuge ſämtliche Stöße und Schwankungen, die der entſetzliche Zuſtand der grundloſen Wege verurſachte, ungemildert mit dem eigenen Körper aufzufangen. Es war als ein ganz gewaltiger Fortſchritt zu727Die von Zugtieren bewegten Fahrzeuge.begrüßen, als man das Obergeſtell des Wagens von den Achſen emporhob und oberhalb derſelben in Ketten aufhängte. Alsbald erſetzte man in Ungarn dieſe Trageketten, welche den ſeitlichen Schwankungen nachgaben, durch ſtarke Riemen; hierdurch erzielte man eine elaſtiſche Aufhängung des Wagenkaſtens und milderte ſo die aus den Unebenheiten des Weges entſpringenden zahlreichen Stöße, die in

Fig. 403.

Der Reiſeunfall des Papſtes Johann auf dem Arlberge.

früheren Zeiten nicht ſelten zu Knochenbrüchen Veranlaſſung gegeben hatten. Dieſe komfortablere Art der Fuhrwerke ſoll zuerſt in der Ort - ſchaft Kotſe gebaut ſein und erhielt daher die Bezeichnung Kutſche . Gegenwärtig legt man das Obergeſtell des Wagens allgemein auf ſtählerne Federn; ja man ſchreibt die Anbringung derartiger elaſtiſcher Tragfedern ſogar bei Laſtfuhrwerken vor, da hierdurch auch die von den Rädern auf das Straßenpflaſter ausgeübten Stöße erheblich728Der Verkehr zu Lande.gemildert werden, was naturgemäß eine längere Haltbarkeit der Pflaſterung zur Folge hat. Außerdem wird bei ſtarkem Verkehr die Umgebung der Straßen durch das Vorüberfahren bei weitem weniger beläſtigt, als wenn keine Tragfedern vorhanden ſind.

Veredarius führt in ſeinem intereſſanten Werke Das Buch von der Weltpoſt die aus dem Jahre 1673 ſtammende Erfindung des Fürſtlich ſächſiſchen Architektur-Direktors u. ſ. w. Erhard Weigel zu Jena an, welche darauf abzielte, durch künſtliche Polſterung eine Milderung der Püffe und Stöße der ſchlechten Wege herbeizuführen. Auch ſollte der nach den Prinzipien des Erfinders konſtruierte Wagen nicht umfallen können, weil die in demſelben Sitzenden durch ent - ſprechende Verlegung ihres Sitzes und durch Hinüberneigen auf die Gegenſeite jederzeit das Gleichgewicht herzuſtellen vermöchten. Vor allem anderen iſt nachſtehender Satz der Weigelſchen Schrift hoch er - götzlich: Ja wenn auch durch Verwahrloſung des Knechtes der Wagen auſſer dem Geleiſt oder über einen hohen Stein und Hügel geführet, nothwendig ümbfallen müſte, zumahl an einer Seite des Berges: ſo können dennoch die drinnen ſitzenden ohne Schaden des mit ümbfallens ſeyn. Denn die zur andren Seiten können den Schlag geſchwind auf - machen, zugleich alle mit einander heraus ſpringen (welches in den gemeinen Kutſchen nicht möglich), die bei der fallenden Seiten aber können ſich bald umbwenden, zugleich nach jenen herausſpringen oder in dem ümbfallenden Wagen nur contra weltzen, ſo werden ſie von dem Wagen frey. Man ſieht, daß dieſer als ſo ſehr vollkommen gerühmte Reiſewagen, der, wie der Erfinder an andrer Stelle ſich ausdrückt das Schuttern in ein lieblich Hetzſchen verwandelte , doch ſeine Schattenſeiten beſaß.

Übrigens bildeten die aus der ſchlechten Beſchaffenheit der Verkehrs - mittel entſpringenden Beſchädigungen von Menſchen, Tieren und Sachen eine keineswegs zu mißachtende Einnahmequelle der Straßenanwohner. Als man in England mit der Verbeſſerung der Straßen und Fuhr - werke im achtzehnten Jahrhundert vorzugehen begann, erfolgten daher zahlreiche Vorſtellungen an die Regierung, in welchen dieſe darauf hingewieſen wurde, daß ein großer Teil der Bevölkerung der an den Haupt-Landſtraßen liegenden Städte und Ortſchaften durch eine Ver - beſſerung der Wege dem Hungertode ausgeliefert werden würde, da ihnen die bisherige Einnahme, welche ihnen aus ihrer Beſchäftigung als Feldſchere, Hufſchmiede und Wagenbauer entſprungen ſei, entzogen werden würde. Nicht minder beklagten ſich die Pferdezüchter und Pferdehändler, da der bisherige ſtarke Verbrauch an Pferden bei beſſerer Beſchaffenheit der Wege ſich ſtark vermindern würde.

Für Deutſchland wird der Eintritt einer entſcheidenden Wendung zum Beſſern durch die einheitliche Ausbildung des Poſtweſens bezeichnet, welche dieſes durch die Familie Thurn und Taxis erfuhr. Bis zu den Zeiten Maximilian I. erfolgte die Beförderung von Briefſchaften729Die von Zugtieren bewegten Fahrzeuge.durch das Nachrichtenweſen eines jeden der zahlreichen Ländchen, aus welchen das damalige heilige römiſche Reich deutſcher Nation zuſammen - geſetzt war. Ein jedes derſelben hatte ſeine eigenen Botenpoſten, einen durchgehenden Verkehr durch mehrere ſolcher Ländchen, alſo z. B. von Wien nach Stuttgart gab es nicht. Von einer ordnungsmäßigen Beförderung von Perſonen verlautbarte überhaupt nichts.

Es war im Jahre 1516, als Maximilian I. dem an ſeinem Hofe lebenden Francesco de Taſſis, genannt Torriani, die koſtenfreie Be - förderung von Briefen von Wien nach den Niederlanden übertrug, mit der Maßgabe, daß jenem, ſowie deſſen Nachkommen der aus - ſchließliche Beſitz und die geſamten Einkünfte der neuen Verkehrs - anſtalt zufallen ſollten. Dieſes Privilegium hatte der Kaiſer kurzer Hand erteilt, ohne zuvor die Genehmigung der einzelnen Fürſten und Reichsſtände, durch deren Gebiete die reitenden Boten Torrianis paſſieren mußten, einzuholen. Infolgedeſſen hatte dieſer erſte Beginn eines durchgehenden Poſtverkehrs viel Anfechtung von ſeiten der einzelnen Fürſtentümer und Ländchen zu erleiden. Allmählich aber erweiterte die Familie Taxis ihre Poſtkurſe und nachdem ſie bereits früher unter dem Namen der Herren von Thurn und Taxis naturaliſiert war, erhielt im Jahre 1595 Leonhard von Taxis die Würde eines General - Poſtmeiſters, ſowie den Beſitz der Poſtgerechtſamen in ſämtlichen Ländern des habsburgiſchen Kaiſerhauſes. Im Laufe der Zeit haben verſchiedene Länder, unter denen in erſter Linie Kur-Brandenburg zu nennen iſt, ihre Poſten in eigene Verwaltung genommen; immerhin aber gebührt der Familie Thurn und Taxis das große Verdienſt, in Deutſchland einen geordneten Poſtdienſt eingeführt und bis in unſere Tage durchgeführt zu haben.

Ein beſonderes Verdienſt der Taxisſchen Poſtverwaltung beſteht darin, daß ſie an Stelle der früher benutzten ſogenannten Hauderer - wagen, der öffentlichen Landkutſchen, welche bunt durcheinander lebendige und tote Fracht in höchſt mangelhaften Fuhrwerken beförderten, die Poſtkutſchen einführte. Die erſte derſelben kurſierte im Jahre 1690 zwiſchen Frankfurt a. M. und Nürnberg. Jedoch auch in Branden - burg ging man mit der Schaffung einer regelrechten, vom Staate betriebenen Perſonenbeförderung energiſch vor. Zu erwähnen iſt hier die vom Jahre 1754 ab zwiſchen Berlin und Potsdam täglich, zunächſt einmal, ſpäter zweimal, verkehrende Journalière, welche die 26 Kilometer betragende Entfernung in vier Stunden zurücklegte. Ganz beſondere Verdienſte um die Hebung der Perſonenbeförderung hat ſich der Miniſter Ludwigs XVI, Turgot, erworben. Er ſchuf im Jahre 1791 die nach ihm benannten Turgotinen; vergl. Fig. 404. Dieſelben wieſen inſofern gegen früher einen weſentlichen Fortſchritt auf, als ſie auch bei Nacht fuhren; ſie legten im Durchſchnitt 4 Kilometer in jeder Stunde zurück.

Dieſe Turgotine iſt das Vorbild der guten, alten, gelben Poſt - kutſche geweſen, die noch jetzt in den entlegenen Gegenden den geregelten730Der Verkehr zu Lande.

Fig. 404.

Franzöſiſche Turgotine aus dem Jahre 1791.

731Die Motorwagen.Perſonenverkehr beſorgt und die Verbindung mit der Außenwelt her - ſtellt. Früher der Gegenſtand der Lieder von poetiſch und nicht poetiſch veranlagten Geiſtern, nähert ſie ſich mit unaufhaltſamem Schritte ihrem völligen Verſchwinden. Angeſichts der ſtetig zunehmenden Verbreitung der modernen Verkehrsmittel, der Eiſenbahnen, der Pferdebahnen, der elektriſchen Bahnen, exiſtiert ſie nur noch in wenigen Exemplaren als ein Zeichen der mit Unrecht ſo oft gerühmten guten alten Zeit.

3. Die Motorwagen.

Als die Erkenntnis der dem Waſſerdampfe innewohnenden Kraft ſich immer mehr Bahn brach, da kam zuerſt Savery, deſſen Vor - richtung zum Heben von Waſſer wir bei der Geſchichte der Erfindung der Dampfmaſchine des näheren erläutert haben, auf die Idee, die Dampfkraft zur Fortbewegung von Straßenfuhrwerken anzuwenden. Er kam jedoch über die Verſuche nicht hinaus. Der erſte, welcher einen mit Dampfkraft betriebenen Straßenwagen thatſächlich ausführte und in Betrieb ſetzte, war der Franzoſe Cugnot, und zwar geſchah dieſes auf Koſten der franzöſiſchen Regierung im Jahre 1769. Dieſe Maſchine mußte jedoch alsbald wieder bei Seite gelaſſen werden, da ſie nur vier Perſonen mit einer Geſchwindigkeit von 4 Kilometer in der Stunde auf dem Pariſer Straßenpflaſter zu befördern vermochte. Das Modell dieſes Cugnotſchen Dampfwagens befindet ſich noch heut im Pariſer Conservatoire des Arts et Métiers.

Von beſſeren Erfolgen waren die Beſtrebungen des Amerikaners Olivier Evans und des Engländers Trevithick begleitet, leider aber ohne nachhaltige Wirkung. Von erſterem wird berichtet, daß er während der Jahre 1803 / 1804 in Philadelphia in Gegenwart Tauſender Probefahrten angeſtellt habe; von einer weiteren Verwendung ſeiner Erfindung verlautet jedoch nichts.

Der von Trevithick konſtruierte Dampfwagen iſt in Fig. 405 dar - geſtellt. Man hat Trevithick, der entſchieden ein geborenes mechaniſches Genie war, nicht mit Unrecht, als den eigentlichen Vater der Lokomotive bezeichnet, denn in der That wies ſein Dampfwagen, den er 1801 erbaute und im Jahre 1803 weſentlich verbeſſerte, bereits alle diejenigen Merkmale auf, welche ſpäter die Stephenſonſche Lokomotive zum Siege über ihre Rivalinnen führten. Trevithick wurde durch einen Zufall der Gehilfe Murdocs, des Werkführers von James Watt, und hatte hier die Reparatur eines von Murdoc in müßigen Stunden angefertigten, wenig brauchbaren Dampfwagens auszuführen. Es war dieſes ein vierrädriges Geſtell, auf welchem ein Dampfkeſſel mit ſtehendem Dampf - cylinder angeordnet war, von deſſen Kolben aus die Räder durch eine Triebſtange bewegt wurden. Im Jahre 1801 hatte Trevithick eine Dampfkutſche konſtruiert, welche 6 Perſonen zu befördern vermochte. Dieſelbe war inſofern das Vorbild der ſpäteren Lokomotive Stephen -732Der Verkehr zu Lande.

Fig. 405.

Trevithicks Dampfwagen.

ſons, als ſie einen liegenden Cylinder beſaß, ferner einen Dampfkeſſel für höheren Dampfdruck, eine Speiſepumpe und eine Einrichtung, durch welche der Dampf aus dem Cylinder nach vollbrachter Arbeit durch den Schornſtein entwich und auf dieſe Weiſe das Feuer ſtetig anfachte. Wie wir ſpäter noch ſehen werden, war dieſe letzterwähnte Einrichtung dasjenige, was den Sieg Stephenſons entſchied. Trevithick hatte zur Entfachung des Feuers zuerſt beſondere Blaſebälge angewendet und war höchlichſt erſtaunt über die günſtige Wirkung des durch den Schornſtein abziehenden Dampfes. Seinen verbeſſerten Dampfwagen ließ Trevithick im Jahre 1803 auf einer Schienenbahn in London laufen und zeigte ihn dem erſtaunten Publikum für Geld; merkwürdiger Weiſe war die Stelle dieſer eigenartigen Schauſtellung derſelbe Ort, wo ſich jetzt einer der größten Bahnhöfe der South-West-Railway in London ausdehnt.

Trevithick endete gleich Dionyſius Papin in tiefem Elend. Beide hochbegabten Männer, denen die Nachwelt zu größtem Danke verpflichtet bleibt, litten an einer Unſtetigkeit, welche einen anhaltenden Erfolg nicht zu erzielen vermochte. Mit Hinterlaſſung einer Schuldenlaſt von 60 Pfd. Sterling ſtarb Trevithick im Jahre 1833. Die Idee, die ge - wöhnlichen Straßenfuhrwerke mit Dampfkraft zu betreiben, iſt dann in neuerer Zeit wiederum in der Bolléeſchen Dampfdroſchke, jedoch ohne durchſchlagenden Erfolg zur Ausführung gebracht worden.

Eine beſondere Anwendung findet die Dampfkraft in der von Savery, Cugnot und Trevithick angegebenen Weiſe, bei den Straßen - walzen und den Straßenlokomotiven. Die Einrichtung iſt teils die gleiche, wie diejenige der ſpäter zu beſchreibenden Eiſenbahn-Locomotive,733Die Motorwagen.teils lehnt ſie ſich direkt an die in Fig. 405 dargeſtellte Dampfdroſchke Trevithicks an. Stets wird durch die Kolbenſtange des Dampfcylinders unter Vermittelung von Zahnrädern u. dergl. eine Achſe angetrieben.

In der neueſten Zeit hat ein eigenartiger Motorwagen das Intereſſe weiteſter Kreiſe mit Recht für ſich in Anſpruch genommen; derſelbe iſt in Fig. 406 dargeſtellt und wird von der rheiniſchen Gas - motoren-Fabrik Benz & Co. in Mannheim fabriziert. Dieſer durch einen Motor angetriebene Wagen ruht auf drei Rädern, von denen das vordere als Lenkrad dient. Zwiſchen den Hinterrädern iſt der den Antrieb des Wagens bewirkende Motor angeordnet. Derſelbe iſt im Gegenſatz zu vorſtehend beſchriebenen Dampfkutſchen ein Gasmotor, zu deſſen Betriebe

Fig. 406.

Motorwagen (Syſtem Benz & Co.).

alle Petroleumöle, wie Benzin, Naphta u. ſ. w. im ſpezifiſchen Gewicht von 0,70 dienen können. Durch die Verwendung des Gaſes als Motorkraft iſt in einfacher Weiſe die Beläſtigung der Paſſagiere durch Hitze und Rauch vermieden worden; man iſt in dieſer Richtung inſofern noch einen Schritt weiter gegangen, als die Entzündung des Gaſes in einem geſchloſſenen Cylinder durch den elektriſchen Funken erfolgt. Die Übertragung der Bewegung der Triebwelle des Motors auf die hinteren Räder des Wagens erfolgt durch eine Gliederkette.

Die Handhabung des Fuhrwerks geſchieht in folgender Weiſe: Zunächſt wird der Motor durch Drehung einer Handkurbel in Thätigkeit geſetzt; nachdem die Paſſagiere Platz genommen, wird derſelbe durch einen bequem zu handhabenden Hebel eingerückt, und das Fahrzeug734Der Verkehr zu Lande.ſetzt ſich in Bewegung, wobei die Geſchwindigkeit durch Verſtellen des oben[erwähnten] Hebels den Umſtänden nach reguliert werden kann. Die erreichbare Leiſtung beträgt 16 Kilometer und mehr in der Stunde. Während der Fahrt erzeugt der Motor ſelbſtſtändig das erforderliche Gas. Die Handhabung iſt eine ſehr leichte und ſichere; beſonders ins Gewicht fällt die ſofortige Betriebsbereitſchaft.

Zur Überwindung von Steigungen iſt ein beſonderer Bergſteige - Apparat vorgeſehen worden, welcher während der Fahrt beliebig ein - und ausgeſchaltet werden kann.

4. Die Draiſinen oder Velocipede.

Im Jahre 1817 erfand der Forſtmeiſter Freiherr von Drais, geboren 1785 zu Sauerbronn, geſtorben 1851 zu Mannheim, ein zwei - rädriges Fahrzeug zum Selbſtfahren. Dasſelbe beſaß zwei hinter - einander liegende Räder, die durch ein als Reitſitz dienendes Geſtell miteinander verbunden waren. Der dieſes Fahrzeug Benutzende nahm auf demſelben rittlings Platz und bewegte ſich durch wechſel - ſeitiges Abſtoßen der Füße vom Erdboden vorwärts. Bei einer weiteren Vervollkommnung ſeiner Fahrvorrichtung ordnete Herr v. Drais das Vorderrad um ſeine vertikale Achſe drehbar an, um das Fahren von Kurven zu geſtatten. In England wurde die Erfindung Drais durch einen gewiſſen Johnſon zum Patent angemeldet und erhielt hier die volkstümliche Bezeichnung Dandy-horse , ohne jedoch eine irgend - wie erhebliche Bedeutung und Verbreitung zu gewinnen.

Erſt im Jahre 1862 tauchte die nach ihrem erſten Erfinder als Draiſine bezeichnete Jahrvorrichtung in einer zweckmäßig abgeänderten Geſtalt von neuem auf; zu dieſer Zeit war der Franzoſe Michaux auf den glücklichen Gedanken gekommen, an dem einen Rade eine Kurbel anzubringen und dieſe durch die Füße des Fahrenden betreiben zu laſſen. Im Jahre 1867 erregten die von Michaux konſtruierten, neuartigen Fahrräder auf der Pariſer Weltausſtellung ein ganz beſonderes Intereſſe, infolgedeſſen ſich alsbald die Compagnie Pariſienne, ancienne maison Michaux & Comp., zur Ausnutzung der neuen Erfindung bildete. Die erſten Michauxſchen Fahrräder, die nunmehr die Bezeichnung Velocipede erhielten, waren ganz aus Holz angefertigt; es hat ſich jedoch alsbald ein völliger Umſchwung zur ausſchließlichen Anwendung des Stahles vollzogen, und zwar in ſo durchgreifendem Maße, daß das Velociped häufig bildlich als Stahl - roß bezeichnet wird.

In Fig. 407 bringen wir eine Abbildung eines zweirädrigen Velo - cipeds (Bicycle) der Fahrräder-Fabrik von Dürkopp & Co. in Bielefeld. Fig. 408 und 409 ſtellen dreirädrige Velocipede derſelben Fabrik dar.

Die Velocipede ſind ein ſprechendes Beiſpiel dafür, wie leicht bei thatſächlich vorliegendem Bedürfnis und bei wirklich vorhandener735Die Draiſinen oder Velocipede.

Fig 407.

Renn-Zweirad.

Fig. 408.

Einſitziges Dreirad.

736Der Verkehr zu Lande.

Fig. 409.

Zweiſitziges Dreirad.

Zweckmäßigkeit eine Neuerung Verbreitung und Anerkennung zu[ge - winnen] vermag. Als ſie vor einigen zwanzig Jahren zuerſt bekannt wurden und an die Öffentlichkeit traten, da begegneten ſie dem Miß - trauen weiteſter Kreiſe, ja diejenigen, welche ſich zuerſt ohne Vorurteil dieſes neuen Verkehrsmittels bedienten, luden den Fluch der Lächerlich - keit auf ſich. Heutzutage haben das Zwei - und das Dreirad ſich bereits eine geſicherte Stellung unter den Fahrzeugen errungen, ja ſie ſind bereits in zahlreichen Staaten gleichſam offiziell anerkannt als Mittel zur Überbringung von Stafetten. Selbſt nicht das Dampfroß hat ſich ſo ſchnell einzubürgern verſtanden und ſeinen Wirkungskreis zu erobern vermocht, als das Stahlroß.

b) Die Eiſenbahnen und ihre Betriebsmittel.

Allgemeines.

Als die älteſten Vorläufer unſerer Eiſenbahnen müſſen die im vorigen Abſchnitte beſchriebenen heiligen Straßen der alten Griechen gelten, welche zuerſt für die Räder der Fahrzeuge beſonders befeſtigte Rinnen oder Gleiſe anordneten, um den Widerſtand, welcher aus der unebenen Beſchaffenheit der Straßen ſich ergab, thunlichſt zu beſchränken. Dieſe Bauart der alten Hellenen iſt zugleich mit ihrer Kultur ver - ſchwunden, ja es ſcheint ſich kaum eine Überlieferung dieſer alten Kunſtſtraßen während des Mittelalters erhalten zu haben, denn die erſte Mitteilung von dem Vorhandenſein von Spurbahnen ſtammt erſt wieder aus den Zeiten, wo in Deutſchland der Bergbau ſich zu737Allgemeines.hoher Blüte emporgeſchwungen hatte. Steiner giebt in ſeinen Bildern aus der Geſchichte des Verkehrs aus dem alten Bergwerksbuch von Georg Agricola und Philipp Bechius (in deutſcher Überſetzung erſchienen anno 1557) folgende Beſchreibung der in den Bergwerken zum Erztransport dienenden Karren, der ſogenannten Hunde und Gleiſe:

Zumletſten ſo die Erdt - oder Steinſchollen mit dem Karren heraußgeführt werden / ſo legt man Brett zuſammen gemacht / auf die Stegen / ſo den Hunden zwey Geſtengen einer ſpannen dick und breit / welche an dieſem Theile da ſie zuſammen gethon außgehauen werden / das in dem Gleiß / wie in einen gewiſſen weg / die Leitnägel der Hunden mögendt fürlauffen / mit welchen Leitnegel / das verhüt wird / das nicht die Hundt / von dem gebandten Weg das iſt auß der gleiß zu rechten oder zur lincken abweichen / ja auch eben vnter den Stegen / werden Waſſerſeige gleit / durch welche das Waſſer herauß - lauffe.

So hoch entwickelt der Bergbau der Römer war, ſo kannten dieſe doch nicht die Benutzung des auf Gleiſen laufenden Transportwagens; bei ihnen geſchah die Förderung des Erzes aus der Grube an das Tageslicht lediglich auf den Schultern der Sklaven. Erſt dem deutſchen Bergmann war es vorbehalten, die Schienenbahn wieder in die Zahl der Verkehrswege einzuführen.

Als infolge ſeines großen Kohlenreichtums England das Land des Bergbaues par excellence wurde, da erhielten die Schienenwege eine weitere Ausbildung. So verfügte man bereits gegen das Jahr 1650 zu Newcastle upon Tyne über eine große Anzahl von railways , welche mit hölzernen Schienen ausgeſtattet waren, auf denen die Kohlen von der Grube zu den auf dem Fluſſe liegenden Schiffen geſchafft wurden. Als Erbauer dieſer erſten oberirdiſchen Schienen - bahn wird ein gewiſſer Beaumont genannt. Dieſe hölzernen Gleiſe mußten bei dem ſtarken Verkehr ſich notwendigerweiſe bald abnutzen, und ſo ging man denn alsbald dazu über, die Balken mit Eiſen zu beſchlagen. Im Jahre 1738 traten die erſten gußeiſernen Schienen auf und zwar in zweierlei Form, einmal als Flachſchienen mit er - höhtem Seitenrande und zweitens als Flachſchienen mit einer erhöhten Mittelrippe. Gleichzeitig führte man eine weitere hochbedeutſame Neuerung ein, indem man auch die Wagenräder mit einem erhöhten Rande verſah, mittelſt deſſen ſie ſich in den Schienen ſicher führten.

Als die Dampfmaſchine durch James Watt ihrer Vervollkommnung mit ſicherer Hand entgegengeführt wurde, da tauchte auch der Plan, den Dampf dem Verkehrsweſen dienſtbar zu machen, in verſchiedenen erfinderiſchen Köpfen auf; wir verweiſen auf die in dem vorhergehenden Abſchnitte beſprochenen Dampf-Straßenfahrzeuge von Cugnot, Evans und Trevithick.

Hat letzterer das große Verdienſt, zuerſt ein für den Verkehr auf gewöhnlichen Wegen wirklich brauchbares Dampf-Fuhrwerk erfundenDas Buch der Erfindungen. 47738Der Verkehr zu Lande.und gebaut zu haben, ſo hat derſelbe auch für die Schienenwege den erſten Dampfwagen erbaut. Wir haben bereits in Fig. 405 ein Bild und auf S. 731 eine kurze Beſchreibung des von Trevithick im Jahre 1803 in London vorgeführten Dampfwagens gebracht. Fig. 410 bringt die von Trevithick im Jahre 1809, nach andrer Quelle im Jahre 1808, des

Fig. 410.

Trevithicks Dampfwagen für Schienenbahnen.

weiteren vervollkommnete Konſtruktion ſeines Dampfwagens, und zwar ſpeziell für den Betrieb auf Schienenwegen. Wir ſehen auf dem hinteren Teile des cylin - driſchen Keſſels einen aufrechtſtehenden Dampfcylinder, deſſen Kolben bei dem Auf - und Niedergange durch eine lange Kurbelſtange das Hinterrad antreibt und auf dieſe Weiſe den Wagen in Bewegung ſetzt. Man ſagt, daß Trevithick durch den Bau dieſer erſten Lokomotive eine Wette von 500 Guineen gewonnen habe. Die Maſchine ſoll ein Gewicht gehabt haben von etwa 100 Centnern, und 70 Menſchen und 200 Centner Eiſen fort - bewegt haben mit einer Geſchwindigkeit von 5 engliſchen Meilen in der Stunde. Es war dieſes bereits eine höchſt an - ſehnliche Leiſtung, und jedenfalls würde es ſchon damals Trevithick geglückt ſein, das Problem der Einführung der Dampfkraft in das Verkehrsweſen endgültig zu löſen, hätte es dieſem nicht an einer gewiſſen Beharrlichkeit gemangelt. Es traten nämlich unter dem be - deutenden Gewichte der Maſchine ſehr häufig Brüche der gußeiſernen Schienen ein. Statt nun ſtärkere Schienen zu beſchaffen, verließ Trevithick kurzer Hand ſein Lokomotivprojekt und ſtellte die Fahrten ein.

Es iſt eine merkwürdige Thatſache, daß, obgleich Trevithick durch die That bewieſen hatte, daß die zwiſchen der glatten Schiene und dem Triebrade ſeines Dampfwagens beſtehende Reibung völlig genügte, um dieſen ſamt einer Zahl von Laſtwagen vorwärts zu bewegen, die ſpäteren Konſtrukteure zunächſt von der ſonderbaren Vorſtellung befangen waren, daß dieſe Reibung oder Adhäſion künſtlich erhöht werden müſſe. So baute Blenkinſop im Jahre 1812 eine Eiſenbahn in der Nähe von Leeds, bei welcher zwiſchen den Schienen eine Zahnſtange lag, in welche ein an der Maſchine angebrachtes, durch Dampf angetriebenes Räderwerk eingriff. Bei dieſer Anordnung zog ſich die Maſchine ſamt ihrer Laſt an der Zahnſtange entlang und kletterte gleichſam ihres Weges dahin. Blenkinſop hatte die Einrichtung um deswillen ge - wählt, weil er fürchtete, daß das Triebrad auf der glatten Schiene gleiten, alſo eine Vorwärtsbewegung der Maſchine nicht bewirken würde. Um dieſes Gleiten des Triebrades zu vermeiden, brachte er739Allgemeines.die gezahnte Stange an und ließ in dieſe das als Zahnrad aus - gebildete Treibrad eingreifen. In der neueſten Zeit hat dieſe alte Blenkinſopſche Eiſenbahn in Geſtalt der die Gebirge überſteigenden Zahnradbahnen gleichſam von neuem das Licht der Welt erblickt.

Eine noch eigenartigere Konſtruktion wies die Lokomotive von Brunton auf. Wenn man mit einer poetiſchen Wendung die Lokomotive häufig als Dampfroß bezeichnet, ſo ahnen wohl wenige, daß in der That zahlreiche Konſtrukteure ſich bemüht haben, that - ſächlich den Bau des Pferdes für die Konſtruktion einer Lokomotive nachzuahmen. Der erſte, welcher auf dieſe Idee verfiel, war Brunton; derſelbe ordnete an dem hinteren Ende des Dampfkeſſels einen Dampf - cylinder an, an deſſen Kolbenſtange eine Anzahl durch Gelenke mit einander verbundener Stangen angriff. Die Wirkung dieſer Stangen ging bei dem Vor - und Rückwärtsgange des Kolbens in der Weiſe vor ſich, daß dieſelben ſich gegen den Erdboden ſtemmten, ſich hoben und wiederum gegen den Boden ſtemmten, gleichſam die Bewegung der Beine des Pferdes nachahmend und hierbei den Dampfwagen vorwärts - ſchiebend. Bis über die Mitte des zweiten Jahrzehntes dieſes Jahr - hunderts hat die Idee des metallenen Zugpferdes die Köpfe zahl - reicher Konſtrukteure erfolglos beſchäftigt. Bruntons im Jahre 1813 erbautes Dampfpferd wurde inſofern noch von einem beſonderen tragiſchen Geſchick ereilt, als während einer Probefahrt der Keſſel in Folge Überlaſtung des Sicherheitsventiles explodierte, wobei mehrere Perſonen den Tod fanden.

Eine andere Idee der Transportbeförderung mittels Dampfkraft ging von den Gebrüdern Chapman aus; dieſelben ordneten unterhalb der Maſchine eine Trommel an, auf welche eine längs des Schienen - weges angebrachte Kette ſich aufwickeln konnte. Wurde alſo die Trommel in Drehung verſetzt, ſo zog ſich die Maſchine mit ihrer Laſt an der Kette nach vorwärts. Der erſte, welcher nach dem Vorgange Trevithicks wieder dazu überging, die Triebräder der Lokomotive auf den glatten Schienen laufen zu laſſen, ohne Vermittlung von Zahnrädern, Zahn - ſtangen, Ketten und dergl., war der Engländer Blackett, allerdings ohne durchgreifenden Erfolg.

So weit war die Einführung des Dampfes in das Verkehrsweſen vorbereitet, als George Stephenſon begann, ſein Genie dieſem Gegenſtande zuzuwenden. Langſamkeit, hohe Koſten und Unbequem - lichkeit kennzeichneten in hohem Maße den damaligen Dampfverkehr. Mit ſicherem Blicke erkannte Stephenſon die mannigfachen Gründe dieſer Mängel, und mit der Kraft des Genius überwand er dieſelben. Kaum eine zweite Erfindung iſt ſo formvollendet von einem Erfinder der Nachwelt überliefert, als die Lokomotive George Stephenſons. Die an dieſer von den Nachfolgern des großen Northumberlandman nach - träglich angebrachten Änderungen ſind ſo geringfügig, daß das Weſen der Erfindung jenes nur um ſo bedeutender erſcheint.

47*740Der Verkehr zu Lande.

George Stephenſon wurde am 9. Juni 1781 zu Wylam in Northumberland geboren, wo ſein Vater auf einer Kohlengrube als Heizer beſchäftigt war. Schon früh machte ſich in dem Knaben das angeborene mechaniſche Talent geltend, und es entſprach ſeiner innerſten Neigung, als er ſpäter ebenfalls neben ſeinem Vater in dem Maſchinen - betriebe zu Dewley Beſchäftigung fand. Hier wurde ihm alsbald wegen ſeiner Zuverläſſigkeit und Kaltblütigkeit die Wartung und Be - dienung der Fördermaſchine übertragen. Im Jahre 1803, am 16. De - zember, wurde ihm ſein Sohn Robert, der ſpätere Teilhaber ſeiner großen Triumphe, geboren. Trotz ſeiner Tüchtigkeit wäre George Stephenſon dennoch vielleicht im Elende verſunken, hätte ihn nicht in der Zeit höchſter Not ein glücklicher Zufall im Jahre 1810 zu den Gruben von Killingworth geführt. Hier war eine neue Pumpmaſchine aufgeſtellt worden, hatte jedoch die auf ſie geſetzten Erwartungen derartig getäuſcht, daß ein neu abgeteufter Schacht überhaupt nicht in Betrieb genommen werden konnte. Was zahlreiche hervorragende Maſchineningenieure nicht vermocht hatten, das brachte Stephenſon in 4 Tage zu ſtande; in dieſer kurzen Zeit gab er der Maſchine die gewünſchte Leiſtungs - fähigkeit, infolge deſſen er ſofort das Amt eines Maſchinenmeiſters der Killingworther Gruben erhielt. Hier fand er Muße, ſich im Zeichnen und in der Theorie weiter auszubilden, ſo daß er bereits im Jahre 1812 zum Grubeningenieur aufrückte. Dieſe Stellung ließ ihn alsbald auf Mittel und Wege ſinnen, den Transport der Kohlen nach Möglichkeit zu erleichtern. Die Frucht dieſes Strebens war die von ihm innerhalb 10 Monaten erbaute, als Travelling Machine ( Reiſemaſchine ) be - zeichnete Lokomotive Blutcher . Dieſelbe zog bei einer am 25. Juli 1814 angeſtellten Probefahrt bei einer Steigung von 1: 450 acht Wagen von 30 Tonnen Gewicht mit einer Geſchwindigkeit von 4 engliſchen Meilen in der Stunde.

Wenngleich dieſe Maſchine regelmäßigen Dienſt auf der Killing - worther Grubenbahn verrichtete, ſo wies dieſelbe dennoch ſehr ſchwer - wiegende Mängel auf, an deren Beſeitigung Stephenſon während der folgenden Jahre eifrigſt arbeitete. Was dieſen vor ſeinem Vorläufer Trevithick ganz beſonders auszeichnet, und was auch in erſter Linie die Urſache ſeiner ſpäteren Erfolge war, das iſt der Umſtand, daß Stephenſon ſich nicht einſeitig auf die Vervollkommnung der Lokomotive warf, ſondern daß er auch den Oberbau der Schienenbahn, alſo die Konſtruktion der Geleiſe, in den Kreis ſeiner Thätigkeit zog. Er war daher eine mehr univerſelle und dabei zugleich ſehr nachhaltige Natur und vermochte die Verhältniſſe von einer höheren Warte zu überblicken als ſeine Vorgänger. Es möge hier kurz erwähnt werden, daß Stephenſon in jener Zeit gleichzeitig mit Davy die Erfindung der die Gefahr der Exploſion ſchlagender Wetter weſentlich vermindernden Sicherheitslampe (ſ. Fig. 189, S. 297) machte. Inzwiſchen brachte John Berkinshaw durch die Erfindung der erheblich widerſtandsfähigeren,741Allgemeines.aus Schmiedeeiſen gewalzten Schienen im Jahre 1820 einen weiteren weſentlichen Fortſchritt.

Als im Jahre 1821 einem Konſortium der Bau einer zunächſt mit Pferden zu betreibenden Eiſenbahn von Stockton nach Darlington konzeſſioniert worden war, da gelang es Stephenſon, die maßgebenden Perſönlichkeiten dazu zu bewegen, daß ein weſentlicher Teil des Betriebes mit Lokomotiven ausgeführt wurde. Stephenſon ſelbſt trat im Jahre 1823 mit einem jährlichen Gehalte von 300 Pfund Sterling als Ingenieur in die Dienſte dieſer Stockton Darlington-Eiſenbahngeſellſchaft, projek - tierte und baute die Linie und richtete auch ſchließlich den Lokomotiv - betrieb ein. Da hier die Verhältniſſe bei weitem größer ſich ge - ſtalteten, als bei den Killingworther Gruben, ſo war hier eine gute Gelegenheit geboten, die Verwendbarkeit der Dampfkraft im größeren Maße zu prüfen. Am 27. September 1825 wurde die neue Bahn eröffnet. Die auf das Unternehmen geſetzten Hoffnungen bewährten ſich vollkommen; die Maſchine erreichte bei einem Zuggewichte von 90 Tonnen und einer Paſſagieranzahl von 450 Perſonen die anſehnliche Geſchwindigkeit von 12 engliſchen Meilen in der Stunde. Das Miß - trauen, welches ſich faſt allgemein gegen dieſes neue Beförderungsmittel geltend machte, und die Furcht, welche auch die Unternehmer der Eiſen - bahn für ihr Leben wie für ihr gutes Geld befangen hielt, fand einen ſehr bezeichnenden Ausdruck durch die Deviſe, welche dieſe ihrem Unter - nehmen gaben. Dieſelbe lautete, in einem gerade nicht ſehr klaſſiſchen Latein: Periculum privatum utilitas publica und prangte auf einem während der Einweihungsfeier mit der Muſik beſetzten Wagen. Man kann den Sinn dieſes Wahlſpruches in doppelter Weiſe auslegen, einmal derart, daß das finanzielle Riſiko, welches der Privatmann übernahm, ſich in einen öffentlichen Nutzen umſetzen werde; dann aber auch in dem Sinn, daß die perſönliche Gefahr, welcher die den erſten Probefahrten ſich anvertrauenden Staatsbürger ſich ausſetzten, eine Erhöhung des Gemeinwohles durch Schwinden des gegen die Eiſen - bahnen beſtehenden Mißtrauens herbeiführen werde.

In der That war der Widerſtand, welcher ſeitens der Gegner der Eiſenbahnen, der Landleute, der Gaſtwirte, der Pferdezüchter, der Jagdintereſſenten u. ſ. w., ins Werk geſetzt wurde, ein ſehr energiſcher. Mußte doch die zuerſt projektierte Linie der Stockton-Darlington-Bahn verlegt werden, weil der Herzog von Cleveland dort einen Fuchsbau beſaß!

Wenngleich die eben genannte Bahn gegen die früheren Kohlen - bahnen einen erheblichen Fortſchritt aufwies, ſo war ſie doch noch ſehr weit davon entfernt, eine Eiſenbahn im heutigen Sinne zu ſein. Der Betrieb erfolgte nur zum Teil durch Lokomotiven; an gewiſſen Stellen, wo ſtarke Steigungen vorhanden waren, wurden die Wagen an Seilen durch große feſtſtehende Dampfmaſchinen emporgezogen. Zwiſchen den Endſtationen verkehrte täglich nur zweimal ein Perſonen - wagen, der nach den Schilderungen der Zeitgenoſſen große Ähnlichkeit742Der Verkehr zu Lande.mit einem Menageriewagen zeigte. Eine Beförderung eigentlicher Güter - züge erfolgte überhaupt nicht; die Bahn ſtellte vielmehr nur die Loko - motive und jeder hatte das Recht, ſeine eignen Wagen gegen ein gewiſſes Fahrgeld auf der Bahn zu befördern.

Immerhin aber waren die hier gemachten Erfahrungen derartiger Natur, daß ſie alsbald zu dem Bau der erſten wirklichen Perſonen - eiſenbahn, derjenigen von Liverpool nach Mancheſter führten. Auch hier war alles in die Hände George Stephenſons gelegt.

Der Bau dieſer Eiſenbahn von Liverpool nach Mancheſter machte erhebliche Schwierigkeiten; unter anderem mußte ein großes Moor durch - ſchnitten werden, während an anderen Stellen große Felsſprengungen auszuführen waren. Alle dieſe Schwierigkeiten aber wurden durch Stephenſons Energie und Genie ſiegreich überwunden.

Man war ſich alsbald bewußt, daß die bei der Stockton-Darlington - Bahn verwendete Lokomotive für dieſe neue Bahn nicht zu benutzen ſein würde, und ſetzte daher einen Preis von 500 Pfund Sterling für die beſte Lokomotive aus. Die Bedingungen dieſes Konkurrenz - ausſchreibens lauteten:

  • 1) Die Maſchine muß ihren Rauch ſelbſt verbrennen.
  • 2) Dieſelbe muß bei einem Eigengewichte von 6000 Kilogrammen täglich zwanzigtauſend Kilogramm Laſt, einſchließlich Tender und Waſſerkaſten, mit 10 Meilen Geſchwindigkeit in der Stunde, mit einer Dampfſpannung, welche höchſtens 50 Pfund auf den Quadratzoll betragen darf, ziehen können.
  • 3) Der Keſſel muß zwei Sicherheitsventile beſitzen, von denen keines befeſtigt ſein darf, und von denen eines der Kontrole des Maſchiniſten entzogen werden kann.
  • 4) Maſchine und Keſſel ſollen auf Federn und 6 Rädern ruhen. Das obere Ende des Schornſteins darf nicht höher als 15 Fuß über der Bahn liegen.
  • 5) Das Gewicht der Maſchine darf bei gefülltem Keſſel 6000 Kilo - gramm nicht überſchreiten. Einer leichteren Maſchine wird, falls ſie eine verhältnismäßige Laſt zu ziehen vermag, der Vorzug gegeben.
  • 6) An der Maſchine iſt ein Queckſilber-Manometer anzubringen, an welchem Dampfſpannungen von mehr als 45 Pfund auf den Quadratzoll abgeleſen werden können.
  • 7) Die Maſchine iſt probebereit bis zum 1. Oktober 1829 an das Liverpooler Ende der Bahn zu ſchaffen.
  • 8) Der Preis der Maſchine darf 550 Pfund Sterling nicht über - ſchreiten.

Auf Grund dieſes Preisausſchreibens fanden ſich 4 Lokomotiven zu feſtgeſetzter Zeit ein, und es fand zwiſchen denſelben der in der Geſchichte der Eiſenbahnen hochbedeutſame Lokomotivſtreit von Rainhill am 6. Oktober 1829 ſtatt.

743Allgemeines.

Die vier um die Palme des Sieges ringenden Lokomotiven waren:

  • The Rocket, die Rakete, von Stephenſon in ſeiner Fabrik zu Newcaſtle erbaut;
  • The Novelty, die Neuigkeit, von Braithwaite und Ericſon;
  • The Sanspareil, die Unvergleichliche, von Hackworth;
  • The Perseverance, die Beharrlichkeit, von Burſtall.

Der Wettbewerb dieſer vier Maſchinen fand in Gegenwart einer großen Menge von Gelehrten, Fachmännern und Laien ſtatt und endete mit einem vollſtändigen Siege der Stephenſonſchen Lokomotive The Rocket . Dieſelbe hatte bei einem Eigenwicht von Tonnen einen 12¾ Tonnen ſchweren Zug mit einer Geſchwindigkeit von 13,8 engliſchen Meilen in der Stunde befördert. Ja, als die eigentlichen Verſuchs - fahrten bereits beendet waren, führte Stephenſon ſeine Maſchine noch einmal vor und legte nun 25 Meilen in der Stunde zurück. Von dieſem Tage an war der Sieg der Eiſenbahnen endgiltig entſchieden; die Aktien der Liverpool-Mancheſter-Bahn ſtiegen ſofort um 10 %.

Einen erheblichen Teil ſeines Erfolges hatte Stephenſon der eigenartigen Konſtruktion des Keſſels der Rocket zu verdanken; dieſelbe rührte merkwürdiger Weiſe von einem Nichttechniker, dem kaufmänniſchen Sekretär der Liverpool-Mancheſter-Bahn Henry Booth her, und es erhielt daher letzterer einen beſonderen Anteil von dem ausgeſetzten Preiſe. Dieſer neuartige Keſſel gelangt noch jetzt bei den Lokomotiven allgemein zur Anwendung; ſein weſentlichſtes Merkmal beſteht darin, daß der Waſſerraum desſelben von zahlreichen Röhren durchzogen wird, in welchen die Feuergaſe zum Schornſtein entlang ſtreichen. Des weiteren wurde Stephenſons Sieg noch dadurch entſchieden, daß jener den entweichenden Dampf zum Anfachen des Feuers ausnutzte.

So war die Welt in den Beſitz eines neuen gewaltigen Verkehrs - mittels gelangt. Stephenſon war der Held des Tages, und von nun ab begann das Dampfroß unaufhaltſam ſeinen Siegeslauf um die Erde. Man betrachtete dasſelbe als einen lebenden Dämon, die Stahl und Eiſen gewordene Nachahmung des Pferdes, des bisherigen voll - kommenſten Repräſentanten des Verkehrsweſens zu Lande. Was an der Dampfmaſchine , ſo ſagt Ernſt Kapp in ſeinem vortrefflichen Werke Grundlinien einer Philoſophie der Technik , die hohe Bewunderung einflößt, das ſind ja nicht jene techniſchen Einzelheiten, wie etwa die Nachbildung einer organiſchen Gelenkverbindung durch metallene Dreh - flächen mit Ölglätte, nicht die Schrauben, Arme, Hebel, Kolben, ſondern es iſt die Speiſung der Maſchine, die Umſetzung der Brenn - ſtoffe in Wärme und Bewegung, kurz der eigentümlich dämoniſche Schein ſelbſteigener Arbeitsleiſtung. Hier ſpricht die Erinnerung an höhere Herkünfte, die den Menſchen, deſſen Hand das eiſerne Ungetüm gebaut und freigegeben hat zum Wettlauf mit Sturm und Wind und Wogen, in ſich ſelbſt erkennen macht.

744Der Verkehr zu Lande.

Am 16. September 1830 fand dann die feierliche Eröffnung der Liverpool-Mancheſter-Bahn, der erſten Eiſenbahn im heutigen Sinne ſtatt. Leider wurde die Feſtſtimmung erheblich getrübt, denn ſchon hier zeigte ſich die in den Dienſt der Menſchheit gebannte, gewaltige Kraft des Dampfes in ihrer dämoniſchen Eigenſchaft: einerſeits Segen ſpendend, andrerſeits Tod und Verderben ſpeiend. Auf einer Zwiſchen - ſtation wurde das Parlamentsmitglied Huskiſſon durch die Zuglokomotive getötet. Stephenſon ſelbſt fuhr den Sterbenden nach Liverpool zurück und zwar mit der erſtaunlichen Geſchwindigkeit von 30 engliſchen Meilen in der Stunde!

Es möge uns geſtattet ſein, hier die Aufzeichnungen eines Teil - nehmers dieſer erſten Eiſenbahnfahrt zum Teil folgen zu laſſen:

Obgleich die ganze Tour zwiſchen Liverpool und Mancheſter eine Reihe von Bezauberungen iſt, weit wunderbarer als die in Tauſend und eine Nacht , da ſie Wahrheit, nicht Dichtung ſind, ſo ſind doch gewiſſe Momente von beſonders anregendem Reiz.

Es ſind dies die Abfahrt, die Steigungen, die Gefälle, die Tunnels, das Chat-Moor, die Begegnungen.

Im Augenblicke der Abfahrt bläſt das Automatroß eine Exploſion von Dampf empor dann ſcheint es für eine oder zwei Sekunden zu ruhen. Bald wiederholen ſich aber die Exploſionen in immer kürzeren Intervallen, bis ſie zu ſchnell werden, um gezählt werden zu können, obgleich ihr Schlag noch deutlich unterſcheidbar bleibt. Dieſe Ausſtöße oder Exploſionen gleichen weit mehr kurz ausgeſtoßenem Löwen - oder Tigergebrüll, als einem anderen Tone, deſſen ich mich entſinne. Bei der Steigung werden ſie langſamer und langſamer, bis der rieſige Automat bei der gewaltigen Anſtrengung, die Höhe zu erreichen, arbeitet wie ein atemloſes Pferd. Die Schnelligkeit mindert ſich dem angemeſſen, und kurz vor dem Überſchreiten des Höhepunktes bewegt ſich die Maſchine nicht ſchneller, als daß man im Schritt nebenher reiten könnte. Mit der langſameren Bewegung der Maſchine wird auch ihre Atmung beſchwerlicher, dem Stöhneu ähnlicher, bis zuletzt das Tier erſchöpft wird und röchelt wie der Tiger, der vom Büffel erdrückt wird.

Im Augenblicke aber, wo die Höhe erreicht iſt und der Herabſtieg beginnt, werden die Schläge raſcher, die Maſchine mit ihrem Zuge beginnt zu eilen, und in wenig Sekunden fliegt ſie das Gefäll hinab wie ein Blitz und wie mit einem ununterbrochenen Knallen von einem fernen Geſchützfeuer. Zu dieſer Zeit ſtürmt der Zug mit 35 bis 40 Miles Geſchwindigkeit in der Stunde dahin. Ich ſaß außen auf dem erſten Wagen ſozuſagen über der Maſchine. Die Scene war jetzt gewaltig, ich hätte faſt geſagt ſchrecklich. Obgleich tote Windſtille herrſchte, blies uns doch ein Orkan entgegen, mit ſolcher Schnelligkeit ſchoſſen wir durch die Luft. Aber alles war gleichförmig ſtreng gemeſſen, und es war etwas in der Präciſion der Maſchine, das die Empfindung einen Punkt weit vor der Furcht ſtillhalten, die Sicherheit ein wenig größer als die Gefahr erſcheinen ließ.

Man mag vom Pole zum Äquator, von der Straße von Malacca bis zum Iſthmus von Darien reiſen und wird nicht ſo Bewunderungswürdiges ſehen, als dieſe Eiſenbahn.

Alsbald vollzog ſich in ſchneller Folge der Bau weiterer Eiſenbahn - linien. In Deutſchland wurde die erſte Eiſenbahn zwiſchen Nürnberg und Fürth am 7. Dezember 1835 eröffnet; auch dieſe Feier, von der wir in Fig. 411 eine charakteriſtiſche Zeichnung eines Augenzeugen bringen, bildete einen Triumph für die Erbauer der Bahn, Johannes Scharrer und Paul Denis. Wohl ſelten iſt die Prophezeiung eines745Allgemeines.

Fig. 411.

Eröffnung der Eiſenbahn Nürnberg-Fürth am 7. Dezember 1835.

746Der Verkehr zu Lande.Poeten ſo vollſtändig in Erfüllung gegangen, als die des Nürnberger Buchbindermeiſters und Magiſtratsrates, Jakob Schnerr. Dieſer hatte ein Feſtgedicht für das an die Einweihung ſich anſchließende Bankett nach der Melodie: Am Rhein, am Rhein, da wachſen unſre Reben geliefert, aus welchem hier folgende zwei Strophen Platz finden mögen:

Ja! alle Ketten, Feſſeln, Wehr und Waffen
Aus roher, harter Zeit,
Sie werden einſt in Schienen umgeſchaffen,
Zum Preis der Menſchlichkeit.
Mit Schienen, Freunde, webet ohne Bangen
Ein Netz von Pol zu Pol!
Sieht ſich Europa einſt darin gefangen,
Dann wird es ihr erſt wohl.

Nur wenige Zahlen mögen hier folgen, um den Siegeszug zu kennzeichnen, welchen alsbald das Dampfroß um die Erde begann. Nachdem im Jahre 1825 die 41 Kilometer lange Strecke Stockton - Darlington als die erſte, wenn auch noch unvollkommene, Eiſenbahn eröffnet worden, waren im Jahre 1840 auf der geſamten Erde bereits 8641 Kilometer Eiſenbahnen im Betriebe. Zwei Jahrzehnte ſpäter, am Schluſſe des Jahres 1860, war dieſe Länge auf 107,935 Kilometer und nach weiteren zwei Jahrzehnten, am Schluſſe des Jahres 1880, auf 367,105 Kilometer geſtiegen. Die Ausdehnung der Schienengleiſe war alſo in den 20 Jahren, von 1840 1860, um 99,264 Kilometer und in den 20 Jahren, von 1860 1880, um 259,080 Kilometer gewachſen.

Am Schluſſe des Jahres 1887 waren auf der Erde im ganzen 547,832 Kilometer Eiſenbahnen im Betriebe. Von Intereſſe iſt die Zunahme, welche die Eiſenbahnnetze der verſchiedenen Länder noch jetzt erfahren. So betrug dieſe Zunahme in den Jahren 1883 1887:

  • In Deutſchland ........ 3792 km = 10,6 %
  • Öſterreich-Ungarn einſchl. Bosnien 3834 = 18,6
  • Großbritannien und Irland .. 1445 = 4,8
  • Frankreich ......... 4520 = 15,2
  • Rußland ......... 3396 = 13,5
  • Italien .......... 2309 = 24,4
  • Belgien ......... 440 = 10,2
  • Riederlande und Luxemburg .. 437 = 17,3
  • Schweiz ......... 74 = 2,6
  • Spanien ......... 1058 = 12,8
  • Amerika ......... 64917 = 28,8
  • Auſtralien ......... 4937 = 47,7
  • Europa ......... 24794 = 13,6
  • Aſien .......... 7893 = 41,5
  • Afrika .......... 2079 = 36,9

Die Anlagekoſten der am Schluſſe des Jahres 1887 im Betriebe befindlichen Eiſenbahnen betrugen:

  • Für Europa ....... 61,747,899,452 Mark,
  • die übrigen Länder der Erde 52,304,531,262
  • insgeſamt rund 114 Milliarden Mark
747Allgemeines.

Die Dichtigkeit der Eiſenbahnnetze der verſchiedenen Länder läßt ſich aus folgender kleiner Zuſammenſtellung entnehmen:

Bevor wir uns der Beſprechung der verſchiedenen Einrichtungen der Eiſenbahnen zuwenden, mögen noch einige kurze Bemerkungen folgen, aus denen der Einfluß zu erſehen iſt, welchen die Eiſenbahnen nach verſchiedenen Richtungen hin ausübten.

Nach Picards Traité de chemin de fer betrug die Fahr - geſchwindigkeit der Perſonenbeförderung in Frankreich pro Stunde:

  • im 17. Jahrhundert ..... 2 km
  • am Ende des 18. Jahrhunderts 3
  • im Jahre 1814 ....... 4
  • 1830 ....... 6
  • 1848 ....... 9

Beim Gütertransport betrug dieſe Geſchwindigkeit vor Einführung der Eiſenbahnen nicht mehr als 3 bis 4 km pro Stunde. In England legte man bereits in alten Zeiten auf die Herſtellung guter Perſonen - beförderung ganz beſonderes Gewicht, und es betrug hier die Geſchwindig - keit der alten Diligencepoſten 15 bis 16 km die Stunde.

In dieſe Verhältniſſe brachte nun die Eiſenbahn einen plötzlichen Wandel. Die Geſchwindigkeit der Perſonenbeförderung ſtieg nunmehr ſofort auf 30 km, diejenige des Güterverkehrs auf 20 bis 30 km. Heutzutage fahren unſere Kurierzüge mit 90 km und mehr in der Stunde. Dieſe außerordentliche Vermehrung der Geſchwindigkeit brachte auf der einen Seite allerdings einen außerordentlichen Gewinn, auf der anderen Seite aber zwang ſie die Eiſenbahntechniker, auf Mittel und Wege zu ſinnen, um die gewaltigen entfeſſelten Kräfte leicht und bequem regeln und bändigen zu können.

Picard berechnet die Erſparnis der Reiſenden an Zeit infolge der Abkürzung der Reiſedauer im Jahre 1883 für Frankreich auf 17 Millionen Tage zu 24 Stunden oder auf 10 bis 11 Stunden pro748Der Verkehr zu Lande.Einwohner. Engel ſchätzt die aus der Beſchleunigung des Perſonen - verkehrs ſich ergebende Erſparnis für die Zeit bis 1878 für Deutſch - land auf 955 Millionen Mark. Beiläufig möge hier noch bemerkt werden, daß der thatſächliche, d. h. direkte und indirekte Vorteil einer Eiſenbahn von dem bekannten franzöſiſchen Miniſter Freycinet (welcher gleich dem Präſidenten Carnot aus dem Ingenieurfache hervorgegangen iſt) als das Vierfache der geſamten Bruttoeinnahme der Bahn be - rechnet wurde.

Man iſt in den Kreiſen der Laien ſehr geneigt, die Eiſenbahnen als ein höchſt gefährliches Transportmittel zu betrachten. Mit Unrecht! denn die Statiſtik lehrt das Gegenteil. So ſtellte man für Frankreich feſt, daß durch die Eiſenbahnen eine Steigerung der körperlichen Sicherung um das 13 16fache gegenüber dem Reiſen in der Poſt - kutſche bewirkt worden iſt. Für England iſt nachgewieſen worden, daß es bei weitem nicht ſo gefährlich iſt, einen Tag mit der Eiſenbahn zu reiſen, als während derſelben Zeit in den belebteren Teilen Londons zu gehen, woſelbſt durch Pferdewagen jährlich 7 8mal ſo viel Menſchen umkommen, als auf den ſämtlichen Eiſenbahnen Großbritanniens. Durch die Eiſenbahnen iſt der Komfort und die Gelegenheit zum Reiſen ſo gewaltig gewachſen, daß z. B. in Frankreich vom Jahre 1841 bis bis zum Jahre 1890 die Zahl der Reiſenden ſich um das 381 fache vermehrte.

1. Der Bau der Eiſenbahnen.

Handelt es ſich darum, zwei Städte unter einander durch eine Eiſenbahn zu verbinden, ſo ſind zunächſt diejenigen zwiſchenliegenden Punkte zu beſtimmen, welche wegen ihrer wirtſchaftlichen Bedeutung durch die Eiſenbahn berührt und in den Verkehr einbezogen werden ſollen. Die auf dieſe Weiſe feſtgelegte Linie nennt man die kommerzielle Trace. Nunmehr iſt es Sache des Bauingenieurs dieſe kommerzielle Trace ſo zu legen, daß dieſelbe mit den zur Verfügung ſtehenden techniſchen Mitteln gebaut und betrieben werden kann, und zwar ſo, daß ein angemeſſener Nutzen erzielt werden kann. Aus dem Kom - promiſſe zwiſchen der kommerziellen und der thatſächlich ausführbaren Trace entſpringt dann ſchließlich das endgültige Projekt. Als Grund - ſätze für den Bau der Eiſenbahnen gelten im allgemeinen folgende:

1. Die Krümmungsradien der Kurven müſſen möglichſt groß ſein, damit die Fahrzeuge möglichſt leicht hindurch paſſieren können; man nimmt für dieſe Radien im flachen Lande eine Größe von 1100 Metern, im Hügellande von 600, im Gebirge von 300 Metern; in Deutſchland ſind Kurvenradien von weniger als 180 Metern überhaupt nicht zuläſſig.

2. Die Steigungen ſollen im Flachlande in der Regel den Betrag von 1: 200 nicht überſchreiten, d. h. die Eiſenbahn ſoll auf einer Länge von 200 Metern höchſtens 1 Meter anſteigen. Im Hügellande geht man bis 1: 100, im Gebirge bis auf 1: 40, ja in der neueren Zeit bis749Der Bau der Eiſenbahnen.auf 1: 20. Iſt mit Hülfe dieſer Steigungen die Bahn nicht zu er - bauen, ſo muß man das gewöhnliche Eiſenbahnſyſtem mit glatten Schienen verlaſſen und zum Bau einer Zahnradbahn oder Seilbahn, oder einer Kombinierung dieſer Syſteme ſchreiten.

Der den Bau einer Eiſenbahn projektierende Ingenieur iſt durch dieſe Rückſichten außerordentlich gebunden im Vergleich zu ſeinen den Wegebau betreibenden Kollegen. Es iſt dieſes aber eine Folge des Weſens der Schienenbahn, und man muß daher bei dem Bau derſelben gewaltige Bauwerke, Einſchnitte, Aufſchüttungen, Tunnels, Brücken u. ſ. w. ausführen, um die oben angegebenen Krümmungsradien und Steigungen nicht zu überſchreiten.

Die größten Hinderniſſe bilden die hohen Gebirge, ſowie die großen Flüſſe und Meeresarme: erſtere müſſen durchtunnelt werden, letztere bezwingt man dadurch, daß entweder gewaltige, früher für unmöglich gehaltene Brückenbauten ausgeführt werden, oder daß man den Eiſen - bahnzug auf großen Dampfſchiffen, ſogenannten Trajektdampfern, über das Waſſer transportiert.

Von den Tunnels ſind die großartigſten der Mont Cenis-Tunnel von 12,2 Kilometer Länge, eröffnet am 17. September 1871, der St. Gotthard-Tunnel von 15 Kilometer Länge, eröffnet im Juni 1882, und der Arlberg-Tunnel von 10,25 Kilometer Länge, eröffnet im Jahre 1884.

Auf dem Gebiete des Brückenbaues hat die Einführung der Eiſen - bahnen eine vollſtändig neue Ära herbeigeführt. Hatte in früheren Jahrhunderten bei der Verwendung von Holz und Stein ſchon die Uberbrückung kleiner Ströme ein erhebliches Maß von Zeit und Arbeit erfordert, ſo brachte das Zeitalter des Dampfes auch hier alsbald einen derartigen Aufſchwung, daß bereits ein ernſtgemeintes Projekt einer Überbrückung des Kanals zwiſchen England und Frankreich auftauchen konnte. Es iſt dieſes in erſter Linie eine Folge der Einführung des Schmiedeeiſens und des Stahles in die Brückenbautechnik.

Als den gewaltigſten Repräſentanten dieſes Teiles des Eiſenbahn - weſens laſſen wir nachſtehend die über den Firth of Forth bei Edin - burg vor wenigen Jahren erbaute Brücke folgen. Der Umſtand, daß dieſes gewaltige Werk überhaupt unternommen und ausgeführt wurde, iſt eine lebendige Illuſtration für den Wert, welchen gegenwärtig die Zeit in unſerem Leben beſitzt, da der durch die Brücke beſeitigte Umweg nur 40 Kilometer, das Anlagekapital dagegen 2325000 Pfund Sterling betrug.

Die Forth-Brücke iſt erbaut von den Ingenieuren Sir John Fowler und Benjamin Baker; die Überſpannung des einen zahlreichen Schiffsverkehr aufweiſenden Meeresarmes geſchieht in 2 koloſſalen Öffnungen von je 521,2 m lichter Weite. Als erſchwerend für die Ausführung der Brücke kam in Betracht, daß dieſelbe wegen der Schiffahrt ſowie wegen der Tiefe des Waſſers (60 m) ohne irgend welche Rüſtung750Der Verkehr zu Lande.von den Ufern aus allmählich vorgebaut werden mußte; als günſtiger Umſtand kam dem Bau die zwiſchen beiden Ufern gelegene kleine Felſeninſel Garvie zu gute; dieſelbe iſt denn auch zur Aufnahme des

Fig 412.

Die Forth-Brücke

einzigen Zwiſchenpfeilers benutzt worden. Wie aus der in Fig. 412 gegebenen Skizze zu er - ſehen iſt, beſteht die Brücke aus drei großartigen Pfeilerkonſtruktionen, von denen je eine auf dem ſüdlichen bezw. nördlichen Ufern und eine auf der eben erwähnten Inſel Garvie errichtet iſt. Das Charakteriſtiſche der Konſtruktion beſteht darin, daß von jedem Pfeiler aus Konſolen nach beiden Seiten hin vorgebaut ſind, und der zwiſchen den Endpunkten der Konſolen noch zu überbrückende Teil der Spannweite durch einen mit Hilfe von Gelenken eingeſchalteten Fachwerks - träger überſpannt wird. Die Gelenkigkeit dieſer Verbindung iſt erforderlich, um den Ver - änderungen der Höhenlage der Stützpunkte und den durch die Temperaturſchwankungen hervor - gerufenen Ausdehnungen der Eiſenkonſtruktionen entgegentreten zu können. Dieſes Syſtem des Brückenbaues, bekannt als Cantilever-Brücke oder Konſolbrücke mit frei ſchwebenden Stütz - punkten, iſt berufen, eine hervorragende Rolle bei der Überbrückung ſolcher Verkehrshinderniſſe zu bieten, bei denen aus irgend welchen Gründen die Errichtung eines Baugerüſtes zwiſchen den Stützpunkten ausgeſchloſſen iſt. In der That hat dasſelbe bereits mehrfach Anwendung ge - funden, wie z. B. bei der Überbrückung des Niagara und des St. Johnfluſſes in Neu-Braun - ſchweig. Die Grundidee iſt ſehr alt und ſoll bereits vor Hunderten von Jahren von den Chineſen benutzt worden ſein. Als Baker, der eine Erbauer der Forth-Brücke, den durch ſeine außereuropäiſchen Feldzüge bekannten engliſchen General Lord Napier of Magdala auf die Bau - ſtelle führte und ihm das Prinzip der Kon - ſtruktion darlegte, äußerte derſelbe, daß die gleiche Bauweiſe ihm mehrfach bei wilden Völkern zum Zwecke der Überbrückung reißender, unwegſamer Flüſſe bekannt geworden ſei.

Fig. 413 giebt die Art und Weiſe wieder, wie Baker gelegentlich eines in London ge - haltenen Vortrages die Wirkungsweiſe der751Der Bau der Eiſenbahnen.Cantilever-Brücke erklärte. Man erkennt unſchwer, daß die beiden auf Stühlen ſitzenden Perſonen den beiden Hauptpfeilern entſprechen, während der mittlere, gelenkige Teil der Brücke durch den Sitz der mittleren Perſon repräſentiert wird. Die Arme der beiden erſtgenannten Per - ſonen ſind als Konſolen ausgebildet und zwar derartig, daß die über

Fig. 413.

Bakers lebendes Modell der Forth-Brücke.

dem Waſſerſpiegel liegenden das gelenkige Zwiſchenglied tragen, während die den Ufern zugewandten durch am Lande errichtete Fundamente ge - ſichert ſind. Es möge hier bemerkt werden, daß die Übertragung dieſes in Aſien für Holzbrücken und kleine Spannweiten angeblich bereits ſeit Jahr - hunderten bekannten Konſtruktionsprinzipes auf eiſerne Brücken mit großen Spannweiten zuerſt von einem deutſchen Ingenieur Gerber, dem Erbauer der bereits erwähnten Niagara-Brücke, herrührt. Nachdem ſich dieſe Bauweiſe für immer größere Spannweiten erfolgreich bewährt hat, läßt dieſelbe die Möglichkeit der Überbrückung noch größerer Meeresarme unzweifelhaft erſcheinen.

Was die Fundierung der Pfeiler anbetrifft, ſo iſt jeder derſelben in der Weiſe unterſtützt, daß unter jeder Ecke ein cylindriſcher Mauer - werkspfeiler von durchſchnittlich 15 m Durchmeſſer angebracht iſt. Die Verbindung dieſer Mauerkörper mit den eiſernen Pfeilern erfolgt durch 48 Stahlbolzen von 65 mm Stärke.

Die 3 Fundamente des ſüdlichen Pfeilers ſind ſämtlich auf eiſernen Caiſſons aufgebaut, welche bis auf den feſten Baugrund, durch die darüber gelagerte Schlammſchicht hinabgeſenkt wurden. Der Durch - meſſer dieſer Caiſſons beträgt 21,3 m. Die nähere Einrichtung eines ſolchen Caiſſons iſt aus Fig. 414 erſichtlich. Dasſelbe beſteht aus einem der unteren Fläche des Brückenpfeilers entſprechend bemeſſenen ſtarken eiſernen Kaſten, welcher mit ſcharfen Schneiden verſehen iſt, ſo752Der Verkehr zu Lande.daß er ſich in das Erdreich des Meeresgrundes eindrückt. Iſt dieſes Caiſſon an derjenigen Stelle verſenkt, wo der Brückenpfeiler errichtet werden ſoll, ſo wird das Waſſer aus demſelben herausgepumpt. Nun - mehr wird das Caiſſon ſorgfältig verſchloſſen, und hierauf Luft in das -

Fig. 414.

Fundierung eines Brückenpfeilers auf einem Caiſſon.

ſelbe hineingepreßt, welche durch ihren Überdruck verhindert, daß durch das Erdreich Waſſer unterhalb der Schneiden des Caiſſons in dieſes eindringe. Nun wird von Arbeitern das Erdreich unterhalb des Caiſſons gelockert und nach oben befördert, infolgedeſſen das Caiſſon immer tiefer in das Erdreich einſinkt, bis guter Baugrund erreicht iſt. Der Aufenthalt in einem ſolchen Caiſſon iſt infolge des in demſelben herrſchenden Überdruckes ein der Geſundheit ſchädlicher, ſo daß die Arbeiter oft abgelöſt werden müſſen.

Das Verſenken ging bei dem Bau der Forth-Brücke bei 3 Caiſſons ohne Unfall von ſtatten; bei dem vierten trat jedoch ein eine lange Verzögerung mit ſich bringender Zwiſchenfall ein. Am Neujahrstage 1885, als man das Caiſſon an Ort und Stelle gebracht hatte, ſetzte ſich derſelbe bei Eintritt der Flut derartig tief in dem Schlamm feſt, daß die darauf folgende Ebbe nicht imſtande war, ihn zu heben; er füllte ſich daher mit Waſſer, neigte ſich zur Seite und wurde außer - dem noch um 4,5 m von der für ihn beſtimmten Stelle fortgeführt. Der Verſuch, das Caiſſon durch Auspumpen wieder flott zu machen, mißlang und koſtete zwei Arbeitern das Leben. Endlich im Oktober gelang es, dasſelbe an ſeinen Ort zu bringen und dort zu feſſeln.

Die Fundierungsarbeiten waren im März 1886 beendet und hatten gerade 2 Jahre in Anſpruch genommen.

Von nun ab begann man mit der Anbringung der großartigen eigentlichen Brückenkonſtruktionen, indem man zunächſt die Pfeiler, deren mittlerer in Fig. 415 dargeſtellt iſt, errichtete und von dieſen aus die753Der Bau der Eiſenbahnen.Überbrückung nach der Mitte der Öffnungen zu vorwärts trieb. Die Ausführung der beiden Anſchluß Landbrücken bietet kein beſonderes Intereſſe und kann daher übergangen werden.

Die Pfeiler ſowie die Konſolen ſind aus röhrenförmigen Säulen und Streben zuſammengeſetzt. Wenn man bedenkt, daß der Durch - meſſer dieſer Röhren bis zu 3,66 m beträgt, ſo kann man ſich eine

Fig. 415.

Der mittlere Pfeiler der Forth-Brücke.

Vorſtellung davon machen, wie außerordentlich kompliziert die Knoten - punkte der Pfeiler und der Konſolſtreben ausfallen mußten. Es giebt an der Brücke Punkte, wo 10 verſchiedene Konſtruktionsteile von un - gewöhnlicher Größe zuſammenſtoßen und durch Nietung miteinander in feſte Verbindung gebracht wurden; zur Erzielung einer leichteren Vernietung gehen die Rohre in der Nähe der Knotenpunkte in eine viereckige Form über. Das Vorbauen der Konſolen erfolgte in der Weiſe, daß die einzelnen Rohrſtücke und Bleche durch hydrauliſche Nietmaſchinen allmählich vor einander gebracht wurden, wobei allemal, ehe ein feſter Dreiecksverband erzielt werden konnte, dieſer durch ſpäterDas Buch der Erfindungen. 48754Der Verkehr zu Lande.wieder zu entfernende Hilfskonſtruktionen vorläufig hergeſtellt wurde. Die Nietmaſchine ſowie ein die Bleche während des Nietens tragender Krahn wurden mit dem Fortſchreiten der Arbeit hydrauliſch vorwärts bewegt. Aus der in Fig. 416 wiedergegebenen Anſicht, welche einen Krahn nebſt Nietmaſchine darſtellt, erſieht man eine der wie Schwalben -

Fig. 416.

Krahn und Nietmaſchine für Brückenbauten.

neſter an den Pfeilern und Streben haftenden Arbeitsſtellen. Eine Hauptſchwierigkeit bei dieſer Art des Brückenbaus, bei welcher man ſich von zwei Seiten auf halbem Wege entgegenkommt, beſteht darin, daß die Richtung genau innegehalten wird und die beiden vorgebauten Konſolen nicht an einander vorbeigehen.

Bei den gewaltigen Größenverhältniſſen der Brücke die Höhe der Pfeiler über dem Hochwaſſerſpiegel beträgt 110 Meter, während diejenige des Berliner Rathausturms z. B. nur 88 Meter beträgt iſt die Ausdehnung, welche die Brücke bei Erhöhung der Temperatur erfährt, ſehr beträchtlich; man ſchätzt dieſelbe im Sommer auf 800 Millimeter.

Hinſichtlich der Eiſenbahntrajekte können wir uns kurz faſſen. Bei dieſen wird der Transport von Eiſenbahnwagen in der Weiſe aus - geführt, daß dieſe auf das mit Schienengleiſen verſehene Verdeck des Trajektſchiffes geſchoben und nunmehr wie jede andere Laſt an das gegenüberliegende Ufer befördert werden. Hier wird der Zug von den Schiffsgleiſen auf die am Lande befindlichen Gleiſe hinübergeſchafft und ſetzt dann ſeinen Weg fort.

755Der Bau der Eiſenbahnen.

Iſt die Bahnlinie ſoweit hergeſtellt, daß die Tunnel, die Ein - ſchnitte, die Aufſchüttungen, die Brücken fertig ſind, ſo beginnt die Ver - legung des Oberbaues, d. h. der Gleiſe. Dieſes geſchieht in der Weiſe, daß die Schienen auf hölzernen oder eiſernen Schwellen, welche in einer ſtarken Kieslage eingebettet ſind, befeſtigt werden. Die Konſtruktionen des Oberbaues ſind außerordentlich zahlreich; man unterſcheidet gegen - wärtig nach dem zur Verwendung gelangenden Materiale den hölzernen und den eiſernen Oberbau; bei erſterem liegen die Schwellen quer zur Richtung des Gleiſes, während bei dem eiſernen Oberbau ſowohl querliegende als auch unterhalb der Schienen mit dieſen in gleicher Richtung verlaufende eiſerne Schwellen (Langſchwellen) zur Anwendung kommen. Die Spurweite zwiſchen den Schienen beträgt bei der über - wiegenden Mehrzahl der Eiſenbahnen 1,435 Meter; man nennt dieſe die Normalſpur im Gegenſatz zu der Schmalſpur, welche zwiſchen 0,6 bis 1,25 Metern ſchwankt und bei den Eiſenbahnen untergeordneter Bedeutung, den ſogenannten Sekundär - und Tertiärbahnen, Anwendung findet. Die ſo verlegten Gleiſe ſind, um einen gehörigen Verkehr zu ermöglichen, noch mit Vorrichtungen zu verſehen, welche einem Fahr - zeuge geſtatten, von dem einen Gleiſe auf ein anderes überzugehen. Dieſe Vorrichtungen ſind die Drehſcheiben, die Schiebebühnen und die Weichen. Die beiden erſteren ſind beweglich angeordnete Gleisteile, welche durch Menſchenkraft oder durch Elementarkraft ſamt dem auf ihr befindlichen Fahrzeuge von einem zum anderen Gleiſe gedreht, oder auf Rädern gefahren werden. Die dritte Gattung, die Weichen, iſt die wichtigſte, denn mit Hülfe dieſer können ganze Züge von einem zum anderen Gleiſe übergehen. In der Fig. 417 iſt eine Weichenanlage dargeſtellt. Um von dem Gleiſe A B auf das Gleis C D ganze Wagen - züge überführen zu können, iſt ein mit H H bezeichnetes Zwiſchengleis angeordnet; dasſelbe hat an ſeinen beiden Enden bewegliche Zungen z z1, welche mittels der Zugſtangen s ſo verlegt werden können, daß die Wagen entweder auf den Gleiſen A B bezw. C D verbleiben oder über H von dem einen zum anderen Gleiſe übergehen. Fig. 417 giebt ferner die eigentliche Weiche in größerem Maßſtabe wieder. Der Teil H heißt das Herzſtück, während die Teile Z den Namen Zwangsſchienen führen, weil ſie die Räder bei dem Paſſieren der Weichen in die richtige Bahn zwängen und am Entgleiſen verhindern. Je nachdem die Ablenkung des Zuges, wenn man gegen die Spitze der Weiche ſieht, nach rechts oder nach links erfolgt, unterſcheidet man Rechts - bezw. Linksweichen. Laufen, wie in dem unteren Teile von Fig. 417 dargeſtellt iſt, beide Gleiſe hinter der Weiche aus einander, ſo heißt die Weiche eine ſymmetriſche.

Eine große Anzahl der leider unvermeidlichen Eiſenbahnunfälle iſt auf unrichtige Bedienung der Weichen zurückzuführen. Um dieſe Gefahr thunlichſt zu beſchränken, iſt man in neuerer Zeit dazu über - gegangen, die Weichen der größeren Bahnhöfe durch lange Draht - leitungen und Geſtänge zu vereinigen und thunlichſt in die Hand eines48*756Der Verkehr zu Lande.einzigen Mannes zu legen, ſo daß alſo die durch das Mißverſtändnis mehrerer leicht herbeigeführten Unfälle nunmehr fortfallen; man nennt eine ſolche Einrichtung eine centrale Weichenſtellvorrichtung. Auch mit den die Ankunft und Abfahrt der Züge anzeigenden Signalen hat man jetzt die Weichen derartig verbunden, daß das Signal nicht eher ge - geben werden kann, als bis die zugehörige Weiche in die richtige

Fig. 417.

Weichen.

757Der Bau der Eiſenbahnen.Stellung gebracht iſt. Durch dieſe höchſt ſinnreiche Vorrichtung iſt der Eiſenbahnbetrieb während der letzten Jahrzehnte ein erheblich ſicherer geworden. (Vergl. auch S. 255 und 256.)

Zum Schluß dieſes dem Eiſenbahnbau gewidmeten Abſchnittes müſſen wir noch einer beſonderen Art von maſchinellen Vorrichtungen kurz gedenken, welche auf jedem Bahnhofe vorhanden ſein müſſen und welche für eine prompte Beſorgung des Verkehrs, ſpeziell des Güter -

Fig. 418.

Fahrbarer Drehkrahn.

verkehrs von der allergrößten Wichtigkeit ſind. Wir meinen die zum Be - und Entladen der Eiſenbahnwagen dienenden Krahne und Ent - ladevorrichtungen. Fig. 418 ſtellt einen vom Gruſonwerk in Magdeburg - Buckau gebauten fahrbaren Drehkrahn mit hydrauliſchem Betrieb dar. Wie aus der Abbildung zu erſehen, beſitzt das aus Schmiedeeiſen her - geſtellte Krahngerüſt die Geſtalt eines Portales, deſſen lichte Weite ſo bemeſſen iſt, daß auf dem darunter liegenden Eiſenbahngleiſe beladene Wagen verkehren können. Die Verſchiebung des Krahnes auf ſeinen Gleiſen geſchieht durch Menſchenhand. Das Heben der Laſten dagegen758Der Verkehr zu Lande.erfolgt durch einen vertikalen Cylinder, deſſen mittels Waſſerdruckes be - wegte Kolbenſtange auf einen Flaſchenzug wirkt; die Drehbewegung des Krahnes wird durch zwei horizontale hydrauliſche Cylinder erreicht. Sollen nur kleine Laſten gehoben werden, ſo kann durch eine beſondere Vorrichtung der Verbrauch von Druckwaſſer entſprechend vermindert werden. An dem Krahngleiſe iſt eine Rohrleitung angebracht, welche das erforderliche Druckwaſſer hinzuführt.

Fig. 419 zeigt eine ebenfalls vom Gruſonwerk gebaute Entlade - vorrichtung. Mit Hülfe derſelben können die mit 10000 kg befrachteten

Fig. 419.

Entladevorrichtung.

759Die Lokomotiven und Eiſenbahn-Wagen.Güterwagen, nachdem ſie auf die Schienen einer ſchmiedeeiſernen, in das Eiſenbahngleis eingebauten Plattform aufgefahren ſind, in einer Neigung gekippt werden, daß der Inhalt ſich binnen 5 Minuten durch eine Schüttrinne entleert. Auch dieſe Vorrichtung wird mit Hülfe von gepreßtem Waſſer betrieben. (Vergl. auch S. 214.)

2. Die Lokomotiven und Eiſenbahn-Wagen.

Bereits bei der Beſprechung des Wettſtreites von Rainhill hatten wir kurz erwähnt, daß der Sieg Stephenſons weſentlich durch den von Booth und jenem konſtruierten Röhrenkeſſel entſchieden wurde. In Fig. 420 iſt die innere Einrichtung eines ſolchen für eine amerikaniſche

Fig. 420.

Lokomotivkeſſel.

Lokomotive beſtimmten Röhrenkeſſels gegeben. Wir ſehen hier am hinteren Ende des Keſſels die zur Aufnahme des Feuers dienende Feuerkiſte A, von welcher aus die Heizgaſe durch zahlreiche, den Waſſer - raum C des Keſſels durchziehende Röhren zu der Rauchkammer ab - ziehen. Aus dieſer ſtrömt ſodann der Rauch durch den Schornſtein D ins Freie. Der in dem Keſſel ſich bildende Dampf ſammelt ſich in dem ſogenannten Dome U und wird von hier aus den rechts und links am Geſtell der Lokomotive angeordneten Dampfcylindern zugeführt. In dieſen wirkt dann der Dampf genau wie in einer Zwillingsdampf - maſchine; die Kolbenſtangen der Cylinder greifen an die Treibſtangen an, welche die Räder der Lokomotive in Drehung verſetzen und ſo die Bewegung derſelben nebſt den angehängten Wagen bewirken. Der Dampf tritt, nachdem er in den Cylindern ſeine Arbeit verrichtet hat, durch die Rauchkammer zum Schornſtein hinaus. Auch dieſe Einrich - tung hatte bereits die Rocket Stephenſons und verdankte derſelben einen großen Teil ihres Erfolges, da durch den mit großer Geſchwin - digkeit aus dem Schornſtein hinausgetriebenen Dampf das Feuer in760Der Verkehr zu Lande.der Feuerkiſte mächtig angefacht wurde und infolge deſſen ſehr vielen Dampf produzierte.

Was den Bau der Lokomotive zu einem ſehr ſchwierigen macht, das iſt der Umſtand, daß die Bedienung ſämtlicher Teile während der Fahrt von einer einzigen Stelle, von dem Führerſtande aus leicht und bequem gehandhabt werden muß; der Lokomotivführer kann nicht wie der Wärter einer ſtationären Maſchine nach Belieben zu jeder Zeit um ſeine Lokomotive herumgehen und hier die einzelnen Ventile, Hähne, Klappen ꝛc. bedienen. So bietet denn das in Fig. 421 dargeſtellte Innere eines Lokomotivführerhauſes ein ſehr buntes Bild dar.

Fig. 421.

Das Innere eines Lokomotivführerhauſes. 1 bis 3. Leinen für die Signalglocken. 4. Dampfpfeifenhebel. 5. Manometer für den Keſſel. 6. Mano - meterlaterne. 7. Manometer für die Luftdruckbremſe. 8. Ventil für die Brems-Dampfpumpe. 9. Schmier - vorrichtung. 10. Dampfhahn für die Schmiervorrichtung. 11. Sandſtreuer, um bei Glatteis Sand auf die Schienen zu ſtreuen. 12. Hebel zum Öffnen der Cylinder-Waſſerhähne. 13. Ventil zum Anfachen des Feuers. 14. Hebel zum Einlaſſen des Dampfes in die Dampfcylinder. 15. Feſtſtellvorrichtung für Hebel 14. 16. Injektorventil. 17. Steuerhebel. 18. Feſtſtellvorrichtung für den Steuerhebel. 19. Waſſer - ſtandshähne. 20. Cylinderſchmierhähne. 21 bis 23. Injektorhebel. 24. Ölkannenbehälter. 25 bis 31. Hebel für die Luftdruckbremſe. 32. Vorrichtung zur Regulierung des Schornſteinzuges. 33. Vorrichtung zum Heben und Senken der Schneeräumer. 34. Hebel zum Kontrolieren der Injekteure. 35. Waſſerſtands - laterne. 36. Lufteinlaß für die Feuerkiſte. 37, 38. Ölkannen. 39. Wärmvorrichtung für die Ölkannen. 40. Feuerthür. 41. Kette zum Öffnen und Schließen der Feuerthür. 42. Hebel zum Öffnen und Schließen der Aſchenfallklappen. 43. Schmiervorrichtung für die Luftpumpe der Bremſe. 44. Ventil, um behufs Anfachen des Feuers Dampf in den Schornſtein einzulaſſen. 45 bis 49. Heizventil für die Wagen des Zuges. 50, 51. Waſſerſtandszeiger. 52. Hahn zum Ausblaſen von Schmutz aus dem Keſſel.

761Die Lokomotiven und Eiſenbahn-Wagen.

Die in den Figuren 422 und 423 dargeſtellten modernen Lokomotiven haben einen ſogenannten Schlepptender (bei Fig. 422 nicht dargeſtellt), welcher das erforderliche Waſſer und Brennmaterial aufnimmt. Das Gegenſtück zu dieſen Lokomotiven mit beſonderen Tendern bilden die

Fig. 422.

Preußiſche Perſonenzug-Lokomotive.

Fig. 423.

Amerikaniſche Perſonenzug-Lokomotive.

ſogenannten Tendermaſchinen, bei denen die Behälter für das Waſſer und das Brennmaterial um den Keſſel und am Führerhauſe ange - ordnet ſind. Je nach der Anzahl der mit den Kolbenſtangen der Dampf - cylinder gekuppelten Räderpaare unterſcheidet man einfach, zweifach, dreifach ꝛc. gekuppelte Maſchinen. Je mehr Laſt eine Lokomotive ziehen ſoll, deſto mehr gekuppelte Räder - paare muß dieſelbe haben. Man trifft daher unter den Güterzug - maſchinen meiſt nur dreifach ge - kuppelte Maſchinen. Das Kenn - zeichen der Schnellzugmaſchinen be - ſteht darin, daß ſie meiſt nur ein - oder zweifach gekuppelt ſind762Der Verkehr zu Lande.und große Räder beſitzen, welche während eines jeden Kolbenhubes eine große Weglänge zurücklegen. Die in Fig. 423 dargeſtellte amerika - niſche Lokomotive iſt noch dadurch bemerkenswert, daß dieſelbe vorn ein ſogenanntes Drehgeſtell, Truck, aufweiſt. Es hat dieſes den Zweck, die Lokomotive zu befähigen, die Krümmungen der Bahn thunlichſt leicht zu paſſieren; auch der Tender iſt mit zwei derartigen Dreh - ſchemeln ausgeſtattet. Das große gitterartige, über den Schienen an - geordnete Geſtell dient dazu, Hinderniſſe, insbeſondere auf das Geleiſe geratenes Vieh daher auch cow-catcher genannt zur Seite zu ſchleudern. Die mächtige Glocke dient dazu, Paſſanten auf das Heran - nahen des Zuges aufmerkſam zu machen, eine Maßnahme, welche in Amerika, wo Bahnwärter nur vereinzelt vorhanden ſind, dringend er - forderlich iſt.

Bei der deutſchen Lokomotive iſt noch zu bemerken, daß bei der - ſelben unmittelbar am Führerhauſe eine Luftpumpe zu ſehen iſt; dieſe dient dazu, die erforderliche Menge an Preßluft für die ſpäter noch zu beſchreibende Luftdruckbremſe zu beſchaffen.

In der neueſten Zeit hat man das bei den Dampfmaſchinen des näheren beſprochene Compound - oder Verbundſyſtem auch auf Lokomo - tiven übertragen. Ein weſentliches Verdienſt hierfür gebührt dem Königlichen Eiſenbahn-Bauinſpektor von Borries in Hannover, ſowie dem Engländer Webb und dem Franzoſen Mallet. Die gebräuch - lichſte Art dieſer Verbundlokomotiven arbeitet mit zwei ungleich großen Dampfcylindern; hat der Dampf in dem kleinen Cylinder, dem Hoch - druckcylinder ſeine Arbeit verrichtet, ſo tritt er in den größeren, den Nieder - druckcylinder über, um hier des weiteren noch ausgenutzt zu werden. Die hierdurch erzielte Kohlenerſparnis ſtellt ſich auf 10 bis 20 %.

Was die Wagen der Eiſenbahnen betrifft, ſo ſind ſie im weſentlichen den auf den Landwegen gebräuchlichen Fahrzeugen nachgebildet, unter ſcheiden ſich jedoch, abgeſehen von der Größe und der feſten Bauart, beſonders dadurch von jenen, daß die Räder ſich nicht auf ihren Achſen drehen, ſondern mit dieſen feſt verbunden ſind. Es iſt dieſes um deswillen geſchehen, damit eine ſichere Führung der Räder in den Gleiſen mög - lich iſt. Außerdem ſind die Räder an ihrem Umfange nicht glatt, ſondern beſitzen einen umlaufenden Anſatz, den ſogenannten Radflanſch, welcher ſich gegen die Schienen legt und das Rad in den Gleiſen ſicher leitet. In der neuen Zeit geht man nach amerikaniſchem Muſter dazu über, auch bei den Wagen ſogenannte Drehgeſtelle oder Trucks zu verwenden, da hierdurch ein ſehr ruhiger Gang der Wagen erzielt wird.

Je nach der Anordnung der Plätze werden unterſchieden: Coupé - wagen, Durchgangswagen und Wagen mit innerer Verbindung. Jede Art bietet Vorteile in der einen und Nachteile in der anderen Be - ziehung, ſo daß man nicht behaupten kann, daß die eine unbedingt den Vorzug vor der anderen verdient. Es ſind hier beſonders fol - gende Punkte hervorzuheben:

763Die Lokomotiven und Eiſenbahn-Wagen.

Vorteile der Coupéwagen: Vollſtändige Trennung der Abteilungen für Raucher, Nichtraucher, Frauen; Herſtellung bequemer Liegeplätze.

Nachteile der Coupéwagen: Möglichkeit der Beraubung ꝛc. einzelner Reiſenden; Nötigung fortwährenden Sitzens während der Fahrt.

Vorteile der Durchgangswagen: Herſtellung großer Räume; Mög - lich des Bewegens der Reiſenden während der Fahrt; größere Sicherheit gegen Beraubung.

Nachteile der Durchgangswagen: Ungünſtige Anordnung der Ab - orte; kurze Sitze, welche das Liegen nicht geſtatten; Beläſtigung durch die Mitreiſenden und das Zugperſonal; Zugluft.

Vorteile der Wagen mit innerer Verbindung: Günſtige Anord - nung der Aborte; Herſtellung bequemer Liegeplätze; doppelte Thüren nach außen, daher keine Zugluft und Abkühlung beim Öffnen der Thüren.

Nachteile der Wagen mit innerer Verbindung: Beläſtigung durch die Mitreiſenden, wenn auch in geringerem Maße als bei den Durch - gangswagen; ſchmälere Sitze als in den Coupéwagen.

Gewöhnlich werden Coupéwagen für Fernzüge, Durchgangswagen für den Nahverkehr und Wagen mit innerer Verbindung für Nachtzüge vorgezogen.

Gegenwärtig iſt man in der Anbringung von Bequemlichkeiten für die Reiſenden ſehr weit vorgeſchritten; Toilettenräume, beſondere

Fig. 424.

Innere eines Salonwagens.

Schlafwagen, Reſtaurationswagen ſorgen dafür, das Unbequeme des Reiſens thunlichſt zurückzudrängen. Als Beiſpiel bringen wir in Fig. 424 das Innere eines modernen Salonwagens.

764Der Verkehr zu Lande.

Was die für die Beförderung von Gütern dienenden Eiſenbahn - wagen betrifft, ſo iſt die Konſtruktion derſelben je nach dem Zweck, dem ſie dienen, eine ſehr verſchiedene; ſo unterſcheidet man bedeckte und offene Güterwagen, Coaks - und Kohlenwagen, Schienenwagen, Langholzwagen u. ſ. w.

Einen für die Sicherheit des Eiſenbahnbetriebes hoch wichtigen Gegenſtand bilden die zur Vernichtung oder Verminderung der Ge - ſchwindigkeit des dahinbrauſenden Zuges dienenden Bremſen.

Die älteſten Eiſenbahnwagenbremſen waren denjenigen der ge - wöhnlichen Straßenfuhrwerke nachgebildet und alſo Handbremſen, welche durch eine Schraubenſpindel angezogen bezw. gelöſt wurden. Dieſe Art der Bremſen iſt noch heutzutage vielfach in Gebrauch und hat im Laufe der Jahre zahlreiche weſentliche Verbeſſerungen erfahren.

Gerade die Bremſen der Eiſenbahnen haben die Thätigkeit der Erfinder ſehr ſtark gereizt. Zum Beweiſe führen wir an, daß wir gegenwärtig folgende Klaſſen von Bremſen, nach den auf das Brems - geſtänge einwirkenden, d. h. nach den für die Bremſung benutzten Kräften, unterſcheiden können:

1. Handbremſen; 2. Gewichtsbremſen; 3. Federbremſen; 4. Frik - tionsbremſen; 5. Schaltwerksbremſen; 6. Bufferbremſen; 7. Luftdruck - bremſen; 8. Luftſaugebremſen; 9. Dampfbremſen; 10. Lokomotiv - bremſen.

Jedoch auch nach anderen Geſichtspunkten, als nach der zum Be - trieb benutzten Kraft, können wir die Bremſen unterſcheiden in:

1. Einzelbremſen. Hierher gehören diejenigen, welche an jedem einzelnen Wagen angebracht ſind, und welche jede für ſich einzeln be - dient werden müſſen (z. B. die Spindelbremſe).

2. Durchgehende oder kontinuierliche Bremſen. Es ſind dieſes diejenigen, welche in neueſter Zeit zu immer allgemeiner ſich ge - ſtaltenden Einführung gelangen. Das Charakteriſtiſche dieſer durch - gehenden oder kontinuierlichen Bremſen beſteht darin, daß dieſelben für den ganzen Zug von einem einzigen Punkte, z. B. von der Lokomotive, vom Packwagen oder von einem beliebigen Coupé aus, in Thätigkeit geſetzt werden können. Man unterſcheidet dieſe kontinuierlichen Bremſen nochmals in:

  • 1. nicht automatiſche und
  • 2. automatiſche.

Bei erſteren wird das Eintreten der Bremswirkung bedingt durch eine von dem Perſonale bezw. den Paſſagieren zu verrichtende Mani - pulation, z. B. das Umlegen eines Hebels, Ziehen an einer Schnur. Die automatiſchen Bremſen dagegen treten ſelbſtthätig in Kraft bei Eintritt eines äußeren Zufalles, z. B. bei dem Reißen der Kuppelung, bei Störungen im Bremsapparate.

Aus der großen Zahl der Bremskonſtruktionen können wir hier nur zwei der verbreitetſten herausgreifen.

765Die Lokomotiven und Eiſenbahn-Wagen.

In Fig. 425 bringen wir in verſchiedenen Anſichten die zu den Friktions - oder Reibungsbremſen zählende Bremſe von Heberlein, welche bei den preußiſchen Sekundärbahnen eingeführt iſt.

Dieſe Bremſe beruht auf dem dem Laien von Haus aus etwas paradox erſcheinenden Prinzip, die lebendige Kraft des dahineilenden

Fig. 425.

Friktionsbremſe von Heberlein.

766Der Verkehr zu Lande.Zuges zum Bremſen, d. h. zu ihrer Selbſtvernichtung zu benutzen. Zur Erreichung dieſes Zieles wird auf einer Radachſe eine Friktionsſcheibe feſt aufgekeilt; ſoll nun gebremſt werden, ſo bringt man mit dieſer feſten Friktionsſcheibe eine bewegliche Scheibe in Berührung, letztere wird durch die Reibung in Drehung verſetzt und wickelt hierbei eine Kette auf, an welcher die ſämtlichen Bremſen angehängt ſind und bringt ſo die letzteren zum Anliegen gegen die Radreifen.

Die in den Figuren 426, 427 und 428 dargeſtellte Weſtinghouſe - Bremſe erfreut ſich gegenwärtig der größten Verbreitung.

Die für den Betrieb der Bremſe angewendete Kraft iſt gepreßte Luft. Sämtliche Bremſen eines Zuges können ſowohl von der Loko - motive, als auch vom Zuge aus gleichzeitig in Thätigkeit geſetzt werden, und bei Zugtrennungen, ſowie bei Brüchen von weſentlichen Teilen der Luftleitung und der Bremsapparate kommen alle Bremſen des Zuges ſelbſtthätig zur Wirkung.

Die erforderliche Luft wird durch eine an der Lokomotive ange - brachte Luftpumpe A, B in den Hauptluftbehälter C gepreßt. Von hier aus gelangt dieſelbe durch das Führer-Bremsventil D in die Haupt - leitung E, welche ſich über den ganzen Zug erſtreckt, und füllt an jedem gebremſten Fahrzeuge einen Hilfsluftbehälter G mittels eines damit ver - bundenen ſogenannten Funktionsventils F (Fig. 428). Jedes Funktions - ventil ſteht ferner mit einem Bremscylinder H in Verbindung, deſſen Kolbenſtange bei R an das Bremsgeſtänge angreift.

Im Innern des Bremscylinders H befindet ſich ein Kolben, welcher durch eine Spiralfeder in der gezeichneten Lage gehalten wird. Tritt

Fig. 426.

Luftdruckbremſe von Weſtinghouſe.

767Die Lokomotiven und Eiſenbahn-Wagen.

Fig. 427.

Luftdruckbremſe von Weſtinghouſe.

gepreßte Luft in den Cylinder ein, ſo wird der Bremskolben vorwärts getrieben, und dadurch werden die Bremsklötze gegen die Räder ge - preßt. Entweicht die Preßluft aus dem Cylinder, ſo ſchiebt die ſich wieder ausdehnende Spiralfeder den Kolben zurück, wodurch die Bremſe gelöſt wird.

Die im Hilfsluftbehälter G aufgeſpeicherte Preßluft bildet den Kraft - vorrat für die betreffende Bremſe. Das Funktionsventil F regelt beim Bremſen das Einſtrömen der Preßluft in den Bremscylinder und beim Löſen das Entweichen der Luft aus dem Bremscylinder ins Freie. Das Anziehen der Bremſen erfolgt, ſobald durch das Führer-Brems - ventil Luft aus der Hauptleitung ausgelaſſen, oder in der letzteren anderweitig eine Druckverminderung verurſacht wird.

Das Löſen der Bremſen erfolgt durch Steigerung des Luftdruckes in der Hauptleitung, indem Preßluft aus dem Luftbehälter C der Loko - motive durch das Bremsventil D in die Rohrleitung E eingelaſſen und dadurch in der letzteren der urſprüngliche Druck wieder hergeſtellt wird. Infolgedeſſen laſſen die Funktionsventile die in den Brems - cylindern wirkſame Preßluft ins Freie entweichen, wodurch der Druck auf die Bremskolben aufgehoben wird, während gleichzeitig die Hilfs - luftbehälter G wieder mit Luft gefüllt werden.

Mit dieſer Weſtinghouſe-Bremſe iſt man nach angeſtellten Ver - ſuchen imſtande, einen aus 50 Wagen und 1 Lokomotive beſtehenden Zug bei einer ſtündlichen Geſchwindigkeit von 58 Kilometer auf 141 Meter und zwar innerhalb 15½ Sekunden zum Stillſtande zu bringen.

768Der Verkehr zu Lande.
Fig. 428.

Funktionsventil der Luftdruckbremſe von Weſtinghouſe.

Die bisher beſprochenen Einrichtungen ſind im großen und ganzen die der gewöhnlichen Eiſenbahnen. Es bleibt uns nunmehr noch übrig, die außergewöhnlichen Eiſenbahnſyſteme kurz zu muſtern.

3. Außergewöhnliche Eiſenbahnſyſteme.

Die Verwendung der gewöhnlichen Eiſenbahnen mit glatten Schienen der ſogenannten Adhäſionsbahnen iſt inſofern eine beſchränkte, als dieſelbe nur für gewiſſe Steigungsverhältniſſe an - gängig iſt. Die Grenze für die Möglichkeit des gewöhnlichen Adhäſions - betriebes tritt dann ein, wenn diejenige Kraft, welche erforderlich iſt,769Außergewöhnliche Eiſenbahnſyſteme.um den Zug nebſt der Lokomotive vorwärts zu bewegen, die ſogenannte Zugkraft, größer iſt als die Reibung der Triebräder der Maſchine auf den Schienen. Um alſo größere Steigungen mittels Eiſenbahnen zu überwinden, muß die Reibung der Maſchinenräder auf den Schienen, die Adhäſion, vermehrt werden, und bedient man ſich hierzu des Zahnſtangenbetriebes, bei welchem ein Zahnrad in eine zwiſchen den Schienen angeordnete Zahnſtange eingreift und auf dieſe Weiſe die Steigung ſozuſagen erklimmt.

Wenngleich erſt die neueſte Zeit eine durchſchlagende Entwickelung des Zahnradbetriebes gebracht hat, ſo iſt letzterer doch bereits im Jahre 1812 auf einer Kohlenbahn in der Nähe von Leeds, durch Blenkinſop zur Anwendung gelangt. Auch in Amerika wurde vom Jahre 1848 ab während einiger Zeit durch die Madiſon Indiano - polis Railway eine kurze Strecke von 1: 17 Steigung mit Zahnrad - lokomotiven betrieben. Am bekannteſten wurde das Zahnradbahn - ſyſtem zuerſt durch die im Jahre 1871 eröffnete Rigibahn mit einer Maximalſteigung von 1: 4 und einer Durchſchnittsſteigung von 1: 5. In der Folge hat ſich das Syſtem immer mehr verbreitet und z. B. im Harz, am Niederwald, am Drachenfels Anwendung ge - funden. Bei den erſten dieſer Bahnen iſt das Syſtem Riggenbach benutzt, bei welchem das Triebrad ſich um eine horizontale Achſe dreht und in eine leiterförmige Zahnſtange eingreift. In neuerer Zeit hat das Syſtem Abt die Aufmerkſamkeit der Fachleute erregt; bei dieſem iſt die Zahnſtange aus drei einzelnen Stangen zuſammengeſetzt, welche um der Zahnteilung gegeneinander verſetzt ſind; hierdurch wird in - ſofern die Sicherheit bedeutend gehoben, als ein längerer Eingriff er - zielt wird. Beide Syſteme, Riggenbach wie Abt, erfahren jedoch da - durch eine Beſchränkung ihrer Anwendbarkeit, daß bei außerordentlichen Steigungen alsbald das Zahntriebrad durch den aufwärts wirkenden Zahndruck außer Eingriff gebracht, letzterer alſo aufgehoben wird.

Von ganz beſonderem Intereſſe iſt die Bahn des Oberſt Locher, welche vom Ufer des Vierwaldſtädter Sees mit einer Maximalſteigung von faſt 1: 2 und einer mittleren Steigung von 1: bis auf 53 m unterhalb der Spitze des 2123 m hohen Pilatusberges emporſteigt.

Die Hälfte der Bahn, welche insgeſamt 7 Tunnel von 10 bis 97 m Länge aufweiſt, liegt in Krümmungen von 80 bis 100 m Radius. Die Spurweite beträgt 80 cm. Um das tote Gewicht der Fahrzeuge auf das Geringſtmaß zu beſchränken, iſt die Lokomotive, wie Fig. 429 zeigt, mit dem 32 Perſonen faſſenden Wagen vereinigt; das ſo ge - bildete Fahrzeug hat im belaſteten Zuſtande ein Gewicht von 10,5 t. Die aus Martinflußeiſen in Stücken von 3 m hergeſtellte Zahnſtange iſt, wie aus Fig. 429 zu erſehen iſt, nicht mit einer nach oben ge - richteten Verzahnung, ſondern nach beiden Seiten hin mit Zähnen von 85,7 mm Teilung und 40 mm Breite verſehen. Es greift alſo nicht wie bei den Syſtemen von Riggenbach und Abt ein einziges ZahnradDas Buch der Erfindungen. 49770Der Verkehr zu Lande.in die Zahnſtange von oben ein, ſondern von jeder Seite der Zahn - ſtange iſt je ein beſonderes Triebrad RR angebracht.

Neben den Zahnradbahnen ſind von beſonderer Wichtigkeit die Seilbahnen; beide werden des öfteren bei dem Bau von Gebirgs - bahnen von beſonders ſtarken Steigungen mit einander vereinigt. Bei den Seilbahnen beſteht die Laufbahn aus einem Drahtſeile oder einer Schiene, welche auf beſonderen Gerüſten in einer gewiſſen Höhe über dem Terrain gelagert iſt. Es giebt zweierlei Arten von Seilbahnen, nämlich ſolche mit endloſem Seile und ſolche mit feſtem Seile. Bei

Fig. 429.

Die Pilatusbahn.

771Außergewöhnliche Eiſenbahnſyſteme.den erſteren wird das Seil gleichzeitig mit der Laſt bewegt. Bei den letzteren liegt das die Wagen führende Seil feſt und werden die Wagen auf dieſem durch ein zweites Seil dahingezogen.

Wir übergehen eine Anzahl hier und da aufgetauchter Vorſchläge, ſo z. B. die Einſchienenbahn Lartigues und das nach Art der bekannten Rutſchbahnen geplante Gravity-Syſtem von Thompſon, um uns zu - nächſt noch kurz mit der Girardſchen gleitenden Eiſenbahn zu be - ſchäftigen, ehe wir dann zu der letzten Gattung der Bahnen, der pneumatiſchen Eiſenbahn, übergehen. Die gleitende Eiſenbahn Girards erregte auf der letzten Pariſer Weltausſtellung mit Recht allgemeines Erſtaunen, ob ſie aber berufen ſein wird, einmal thatſächlich Aufnahme unter den Verkehrsmitteln zu finden, bleibt höchſt zweifelhaft.

Es handelt ſich bei dieſer Eiſenbahn um nichts Geringeres, als um die Beſeitigung der Räder und der Lokomotiven. Dieſelbe erfolgt in der Weiſe, daß die einzelnen Wagen auf Schlitten geſetzt werden, welche hohl ſind und von einem Reſervoir mittels Luftdrucks mit Waſſer von hoher Spannung gefüllt werden. Unter dem Einfluß des im Innern der Schlitten herrſchenden hohen Waſſerdruckes heben ſich die Fahrzeuge um ½ Millimeter, und es ſtrömt ein freier Waſſerſtrahl auf die Fahrbahn aus. Hierdurch wird erreicht, daß die der Be - wegung der Fahrzeuge ſich entgegenſtellende Reibung auf ein Minimum ſich verringert, ſo daß naturgemäß nur eine außerordentlich geringe motoriſche Kraft zur Fortbewegung des aus derartigen Wagen zu - ſammengeſetzten Zuges erforderlich iſt. Bei Thalfahrten kann einfach durch Benutzung des Gefälles eine ſehr hohe Geſchwindigkeit erzielt werden. Soll der Zug zum Stillſtand kommen, ſo wird der Zufluß des Druckwaſſers zu den Gleitſchuhen abgeſperrt.

Der Antrieb des Zuges erfolgt ebenfalls durch Waſſerkraft. Zu dieſem Zwecke befindet ſich in den Schienen der Eiſenbahn gleichfalls Druckwaſſer, welches durch Ventile, welche in gewiſſen Entfernungen angeordnet ſind, zum Ausſtrömen gebracht werden kann. Der aus - tretende, hoch geſpannte Waſſerſtrahl ſchlägt gegen Schaufeln, welche ähnlich einer Zahnſtange an der Unterſeite der Wagen angebracht ſind, und ſchiebt die Wagen vorwärts. Die Ventile werden beim Heran - nahen des Zuges durch dieſen ſelbſtthätig geöffnet und nach deſſen Paſſieren in gleicher Weiſe wieder geſchloſſen.

Die Erwartungen, welche man an dieſe höchſt eigenartige neue Eiſenbahn knüpft, ſind zum Teil außerordentlich weitgehende; ſo wurde in franzöſiſchen Blättern behauptet, daß man bei derſelben eine Zug - geſchwindigkeit von 200 km in der Stunde, das wäre mehr als das Doppelte derjenigen unſerer ſchnellſten Expreßzüge, erreichen könne.

Girard ſelbſt iſt während des deutſch-franzöſiſchen Krieges gefallen; die vorliegende Fortſetzung ſeiner Idee rührt von einem Ingenieur, Namens Barre her. Es iſt nicht das erſte Mal, daß die gleitende Eiſenbahn Girards die Runde durch die techniſchen Blätter macht. So49*772Der Verkehr zu Lande.fanden wir z. B. im Génie industriel vom Jahre 1862 bereits eine kurze Erwähnung dieſes neuen Eiſenbahnſyſtems; eine Überſetzung des betreffenden Artikels brachte bald darauf Dinglers Polytechniſches Journal.

Auch damals erregte die Erfindung Girards großes Aufſehen. Napoleon III unterſtützte das junge Unternehmen durch einen namhaften Zuſchuß, ſo daß ſchon damals eine Verſuchsſtrecke gebaut werden konnte. Der Erfolg entſprach jedoch nicht den Erwartungen und es blieb Barre vorbehalten, nach Einführung mehrerer praktiſcher Neuerungen Girards gleitende Eiſenbahn wieder an die Öffentlichkeit zu bringen. Mit welchem praktiſchen Erfolge, bleibt abzuwarten.

Das letzte der außergewöhnlichen Eiſenbahnſyſteme, mit welchem wir uns noch kurz beſchäftigen wollen, iſt das pneumatiſche.

Im Jahr 1810 machte der Engländer Medhurſt den Vorſchlag, die in einem geſchloſſenen Kanal enthaltene Luft zu verdünnen, und die hierdurch erzeugte Differenz zwiſchen dem Druck der äußeren Luft und der in dem Kanal enthaltenen Luft alſo den Überdruck der atmoſphäriſchen Luft zum Transport von Gegenſtänden zu benutzen.

Später tauchte ſeitens des Amerikaners Pinkus im Jahre 1834 ein ähnlicher Vorſchlag auf; jedoch befanden ſich die zu transportierenden Gegenſtände, nicht innerhalb ſondern außerhalb des Kanales. Dieſer hatte die Geſtalt einer Röhre, welche oberhalb einen Schlitz hatte. Durch dieſen ragte ein Arm hindurch, welcher einen im Innern der Röhre bewegten Kolben mit dem zu transportierenden, außerhalb der Röhre befindlichen Gegenſtande, z. B. einem Wagen, verband.

Eine erhöhte praktiſche Bedeutung gewann das pneumatiſche Syſtem erſt vom Jahre 1838 ab durch die Engländer Samuda und Clegg, welche thatſächlich mehrere Linien zur Ausführung brachten und in Betrieb ſetzten. Es ſtellte ſich jedoch bald heraus, daß für Perſonenbeförderung die pneumatiſche Eiſenbahn hinſichtlich der Zu - verläſſigkeit und Ökonomie weit hinter dem Lokomotivenbetrieb zurück - ſtand, ein Ergebnis, welches Georg und Robert Stephenſon bereits ſeit langem vorhergeſagt hatten. Dahingegen hat das pneumatiſche Syſtem in Geſtalt der modernen Rohrpoſt eine ausgedehnte Anwendung zur Beförderung von Briefſchaften gefunden. Das Prinzip dieſer Be - förderungsweiſe beruht darauf, daß die Briefe in kleine metallene Büchſen gelegt, und dieſe durch die in einem geſchloſſenen, unterirdiſch verlegten Rohre mittels einer Luftpumpe erzeugte Luftdruckdifferenz von einer Station zur andern befördert werden.

In Fig. 430 iſt eine derartige Rohrpoſtanlage dargeſtellt. K iſt die ſogenannte Empfangskammer, in welcher die die Schriftſtücke ent - haltenden Metallhülſen angelangen. M iſt das unter dem Straßen - pflaſter liegende Verbindungsrohr. Mit Z iſt eine Abzweigekammer bezeichnet, welche, zur Aus - oder Einſtrömung der Luft in den Rohr - ſtrang dienend, mittels des Rohres N mit dem Hauptbeförderungs -773Außergewöhnliche Eiſenbahnſyſteme.

Fig. 430.

Rohrpoſtanlage.

774Der Verkehr zu Lande.hahne B verbunden iſt. Durch das Rohr R wird die unterirdiſche Rohrleitung M mit der Empfangskammer K verbunden. Bei H werden die zu befördernden Sendungen in das Rohr R eingelegt. Das Rohr S dient zur Vermittelung noch anderweitiger Luftwege; zu dieſem Zwecke iſt an demſelben zunächſt der Hauptbeförderungshahn B an - gebracht, welcher durch das Rohr N1 mit der atmoſphäriſchen Luft in Verbindung ſteht; des weiteren iſt noch ein zweiter Hahn A angebracht, der Luftwechſelhahn, welcher durch die Rohre T und T1 mit den Be - hältern für verdichtete und verdünnte Luft in Verbindung ſteht. Schließ - lich führt von dem Rohre S noch ein Röhrchen u zu der Einlege - klappe H. Ein in dieſes Röhrchen eingeſchalteter Hahn D ſtellt ent - weder die Verbindung der Einlegeklappe H mit der im Rohre S be - findlichen verdichteten Luft oder durch das Rohr r mit der atmoſphä - riſchen Luft her. Wird eine Sendung durch verdichtete Luft befördert, ſo wird der Hahn A, der den Luftbehälter von der Rohrleitung ab - ſchließt, geöffnet, ſo daß die Preßluft direkt auf die die Sendung ent - haltende Metallhülſe drücken kann. Wird dagegen die Beförderung mit Hülfe der Luftverdünnung vorgenommen, ſo wird der luftleere Behälter mit der Rohrleitung in Verbindung gebracht. Der Betrieb bei dem Empfange und bei der Abſendung von Rohrpoſtſendungen geht in folgender[Weiſe] vor ſich:

Trifft eine durch komprimierte Luft bewegte Sendung bei M ein, ſo tritt die vor den Transporthülſen befindliche Luft durch die Rohr - leitungen ZN1 BN aus; auch die die Sendung treibende komprimierte Luft tritt, ſobald Z erreicht iſt, auf demſelben Wege aus, während die Sendung ſelbſt infolge der ihr innewohnenden lebendigen Kraft in die Empfangskammer K geſchleudert wird. Hier werden die für das be - treffende Rohrpoſtamt beſtimmten Sendungen entnommen, während die übrigen, nach telegraphiſcher Verſtändigung, weiter befördert werden.

Wird mit Hülfe von Luftverdünnung eine Sendung befördert, ſo wird auf der Empfangsſtation der Hauptbeförderungshahn B geſchloſſen, die atmoſphäriſche Luft tritt hinter die Transporthülſen und treibt dieſe über Z und B R in die Empfangskammer K.

2. Der Verkehr zu Waſſer.

a) Die Waſſerwege.

Die dem Verkehr zu Gebote ſtehenden Waſſerwege ſind: die Flüſſe und Seen, die Meere, die Kanäle; die erſten drei ſind die von der Natur gebotenen, die letztgenannten die von Menſchenhand künſtlich geſchaffenen.

775Die Waſſerwege.

Jedenfalls gehörte ein beſonderer Mut dazu, zuerſt ſich dem un - zuverläſſigen Element auf ſchwankendem Fahrzeuge anzuvertrauen:

Illi robur et aes triplex Circum pectus erat, qui fragilem truci Commisit pelago ratem Primus. (*)Horaz. Carm. I 3.)

Die zunächſt zu Waſſer ſich darbietenden Verkehrsſtraßen waren jedenfalls die ſchiffbaren Flüſſe, auf deren Rücken ſchon im früheſten Altertum der Handelsverkehr ſich entſpann. Es war dann ein großer Fortſchritt, als man auch begann das Meer zu durchkreuzen und die entlegenen Küſten der Anwohner aufzuſuchen.

Erforderte der Verkehr auf den Flüſſen nur in untergeordnetem Maße den Bau beſonderer Verkehrseinrichtungen, ſo war dieſes bei dem Meere in bedeutend höherem Maße der Fall. Hier galt es, Häfen zu bauen für die ſichere Unterkunft zu Zeiten von Stürmen. Die Landungseinrichtungen mußten ſich dem verſchiedenen Stande von Ebbe und Flut anpaſſen.

Ganz beſonders aber zeitigte der Verkehr auf dem Meere bereits in den früheſten Zeiten eine genaue Kenntnis des Himmels und ſeiner Geſtirne und eine Ausbildung des Signalweſens. Nach dieſer Rich - tung giebt uns folgende Stelle aus dem neunzehnten Geſange von Homers Ilias den erſten Anhalt:

Wie wenn draußen im Meere der Glanz herleuchtet den Schiffern Von aufloderndem Feuer, das hoch am Berge entflammet, Brennt in einſamer Hürd, indes mit Gewalt ſie der Sturmwind Durch fiſchwimmelnde Fluten entfernt von dem Freunde hinwegträgt.

Die letzte Art der Waſſerwege, die künſtlich hergeſtellten Kanäle, beginnt gerade in der Neuzeit eine erhöhte Bedeutung zu gewinnen, und man ſieht in allen Kulturländern der Erde mächtige Kanalanlagen entſtehen.

Will man die Aufgabe, welche den Kanälen in der Gegenwart zufällt, kurz bezeichnen, ſo kann man dieſelbe abgeſehen von den außergewöhnlichen Verhältniſſen des Suezkanals, des Nord-Oſtſeekanals, desjenigen durch den Iſthmus von Korinth dahin präciſieren, daß im allgemeinen den Kanälen der Transport der Rohſtoffe, den Eiſen - bahnen dagegen der Transport der fertigen Produkte zufällt.

Die Zahl der im Betriebe befindlichen Schiffahrtskanäle wäre un - ſtreitig eine bedeutend größere, wenn denſelben nicht verſchiedene, be - ſonders ſchwerwiegende Mängel anhafteten. Neben der Beſchaffung der nötigen Waſſermenge und neben der langſamen Beförderung der zu transportierenden Güter iſt es beſonders die Schwierigkeit, die Höhenzüge der Gebirge mit Kanälen zu überſchreiten, welche natur - gemäß in vielen Fällen hindernd in den Weg treten und nicht um -776Der Verkehr zu Waſſer.gangen werden können. Für die Überwindung der Terrainhinderniſſe in Geſtalt von Gebirgszügen können bei dem Bau von Kanälen ver - ſchiedene Einrichtungen Anwendung finden:

1. Schiefe Ebenen.

Bei dieſer Anordnung wird zwiſchen die Enden der beiden mit - einander zu verbindenden Kanalſtrecken der ſogenannten Haltungen eine geneigte, mit Schienengleiſen verſehene ſchiefe Ebene eingelegt. Auf dieſer Bahn laufen große, ſtark gebaute Wagen, welche entweder eine Waſſerkammer tragen, in welcher das Schiff ſchwimmt, oder welche die Schiffe direkt, alſo ohne Vermittelung eines Waſſerbeckens auf - nehmen. Die Schiffe werden unmittelbar aus dem Waſſer der unteren Kanalſtrecke herausgezogen, können jedoch naturgemäß nicht ohne wei - teres in das Waſſer der oberen Haltung eingeführt werden, ſondern werden zunächſt in eine mit dieſer verbundene Kammer einge - fahren, von wo ſie dann erſt in den eigentlichen Oberkanal übergehen. Dieſe Kammer muß demnach abwechſelnd gefüllt und geleert werden. Die ſchiefen Ebenen ſind vielfach praktiſch angewendet, ſo z. B. bei zahlreichen engliſchen Kanälen, ſowie auch bei dem 175 km langen oberländiſchen Kanal in Preußen. Eine der großartigſten Anwendungen der ſchiefen Ebenen war ſeitens des Kapitäns Eads für den Panama - kanal projektiert worden; hiernach ſollten die transatlantiſchen Schiffe in fahrbaren Baſſins durch Drahtſeilbetrieb über die Gebirgskette der Kordilleren gezogen werden.

2. Schleuſen.

Dieſe Art der Überwindung der den Kanalverkehr hemmenden Terrainerhöhungen iſt die bei weitem verbreitetſte.

Eine Schleuſe beſteht aus einer meiſt in Mauerwerk ausgeführten Kammer, welche in die tiefer liegende Kanalſtrecke zwiſchen beiden Haltungen eingebaut iſt und genügend Platz für ein oder mehrere Schiffe bietet. Die beiden Stirnſeiten der Schleuſe ſind mit waſſer - dichten Thoren verſehen, welche einen Abſchluß gegen das Unter - bez. gegen das Oberwaſſer ermöglichen. Soll nun beiſpielsweiſe ein Schiff von der einen Kanalſtrecke auf den Waſſerſpiegel einer höher gelegenen gehoben werden, ſo geſchieht dieſes in der Weiſe, daß dasſelbe, nach - dem das untere, d. h. das nach der tiefer gelegenen Strecke gelegene Thor geöffnet wurde, in die Schleuſe hineinfährt. Nun wird das obere Thor geöffnet; die Folge hiervon iſt, daß das Oberwaſſer ſich in die Schleuſe ergießt und das Schiff allmählich auf die Höhe des in der oberen Kanalhaltung befindlichen Waſſerſpiegels hebt. Bei der Thal - fahrt der Schiffe, d. h. bei dem Hinabſteigen von der oberen zu der unteren Strecke, wird in umgekehrter Weiſe vorgegangen.

Die Schleuſen haben in dem Laufe der Zeit eine ſehr ausgedehnte Verwendung gefunden. So beſitzt z. B. der unter Ludwig Philipp er - baute 315 km lange Rhein-Rhonekanal 172, der Canal du midi eben - falls mehr als 100, der Rhein-Marnekanal 180 Schleuſen. Belgien777Die Waſſerwege.und die Niederlande hatten im Jahre 1878 2240 km Kanäle mit 220 Kammerſchleuſen; in Deutſchland ſind zu nennen der 45 km lange Finowkanal zwiſchen Oder und Havel mit 15 Schleuſen, der 141 km lange Main-Donaukanal (Ludwigskanal) mit 87 Schleuſen. Von hervor - ragendem Intereſſe ſind die großartigen Schleuſenanlagen des Trolhätta - und des Götakanals in Schweden.

Durch die Schleuſen ſind die Schiffahrtskanäle überhaupt erſt lebensfähig geworden; über die Perſon des Erfinders liegen die ver - ſchiedenſten Angaben vor. Meiſt wird als ſolcher der holländiſche Ingenieur Simon Stevin und als Zeitpunkt ihrer erſten Ausführung das Jahr 1618 genannt.

Jedoch mit der Zunahme des Verkehrs traten die großen Mängel, welche dem Schleuſenbetriebe anhaften, immer klarer zu Tage. Neben den großen Anlagekoſten iſt es vor allen Dingen der erhebliche Auf - wand an Zeit, ſowie die geringe erreichbare Hubhöhe.

Man verwendet daher in der neueſten Zeit mehrfach:

3. Mechaniſche Schiffshebewerke.

Dieſe der neueſten Zeit angehörigen Vorrichtungen kennzeichnen ſich beſonders dadurch, daß bei ihnen das Schiff in ein Baſſin ein - gefahren wird, das auf einem Kolben gelagert iſt, welcher durch Waſſerdruck auf die gewünſchte Höhe emporgehoben wird. Zu beſſerer Ausnutzung des Betriebswaſſers werden zwei ſolcher Schiffshebewerke nebeneinander angeordnet, ſo zwar, daß das eine ſich ſenkt, während das andere ſich aufwärts bewegt. Bekanntlich ermöglicht die An - wendung des Prinzips der hydrauliſchen Preſſe die Hervorbringung eines außerordentlich hohen Druckes, ſo daß man imſtande iſt, mit Hilfe dieſer Vorrichtung auch bei großen Laſten eine bedeutende Hub - höhe mit einem Male zu überwinden, was eine bedeutende Verminderung des Zeitaufwandes und der Anzahl der einzelnen zur Überwindung einer Steigung erforderlichen Kanalſtrecken zur Folge hat.

Es war zuerſt Edwin Clark, ein bekannter engliſcher Konſtrukteur, welcher im Jahre 1872 eine ſolche Schiffshebevorrichtung zu Cheſhire bei Anderton ausführte, mit deren Hilfe Schiffe von 100 Tonnen aus dem Weaverfluſſe in Baſſins von 23,4 m Länge und 4,6 m Breite und 1,5 m Tiefe auf das Niveau eines um 15,3 m höher liegenden Kanals gehoben werden; die Zeit, welche für jede Hebung erforderlich iſt, beträgt nur 3 Minuten; die Geſamtdauer einer Schleuſung beträgt 8 Minuten.

Inzwiſchen haben die mechaniſchen Schiffshebewerke immer weiter - gehende Verbeſſerungen erfahren und gelangen mehr und mehr in Aufnahme. Zunächſt iſt das ebenfalls von Clark erbaute, in Fig. 431 ſchematiſch dargeſtellte Hebewerk von Les Fontinettes bei St. Omer zu nennen; dasſelbe dient dazu, im Kanal von Neufoſſé einen Niveau - unterſchied von 13,13 m in einer einzigen Hebung zu überwinden.

In der Fig. 431 iſt das Hebewerk gerade in einer ſolchen Stellung abgebildet, daß das eine Baſſin F ſich in ſeiner tiefſten Lage befindet,778Der Verkehr zu Waſſer.während das andere bis zur Höhe der oberen Kanalhaltung gehoben iſt. Der Betrieb geſchieht nun in folgender Weiſe: Das zu hebende Schiff fährt nach Öffnung des Schiebers H in das an ſeiner ent - gegengeſetzten Stirnſeite durch einen anderen Schieber geſchloſſene Baſſin F hinein; nun wird der Schieber H heruntergelaſſen, ſo daß

Fig. 431.

Schiffshebewerk bei Les Fontinettes.

der Behälter F von allen Seiten feſt geſchloſſen iſt. Hierauf wird das Baſſin F ſamt dem Schiffe mittels des Treibcylinders D in Führungen, welche an den gemauerten Türmen F angebracht ſind, bis zur Höhe der oberen Kanalhaltung AB gehoben, während gleichzeitig das andere Baſſin hinabſinkt. Iſt das Baſſin F oben angelangt, ſo wird der dasſelbe gegen B abſchließende Schieber H geöffnet, und das Schiff kann nun ohne weiteres ſeinen Kurs in der höher gelegenen Kanal - ſtrecke AB fortſetzen.

Eine durchweg in Eiſenkonſtruktion ausgeführte Schiffshebevor - richtung ſtellt Fig. 432 dar; dieſelbe liegt bei Houdeng-Goegnies in Belgien und dient dazu, in dem Kanal du Centre einen Niveau - unterſchied von 15,397 m zu überwinden. Außer dem dargeſtellten gelangen noch drei derartige Aſcenſeure, wie man dieſelben auch wohl nennt, von je 16,993 m Hubhöhe zur Anwendung. Der Antrieb erfolgt dadurch, daß der Waſſerſpiegel des obenſtehenden beweglichen Behälters um 0,30 m erhöht wird, was eine Gewichtsvermehrung um 74 Tonnen zur Folge hat. Der Durchmeſſer der Treibcylinder beträgt 2,06 m; der Druck in[demſelben] beträgt gegen 14 Atmoſphären; die Abmeſſungen der Cylinder ꝛc. ſind für 80 Atmoſphären berechnet. Die Hebung eines Schiffes erfolgt in Minuten bei einem Waſſerverbrauche von 74 Tonnen. Die Ausführung dieſes Hebewerkes erfolgte durch die bekannte Société Cockerill in Seraing nach den Patenten und Angaben der Herren Standfield und Clark.

Unter den gegenwärtig in der Ausführung begriffenen Kanal - bauten nimmt der Nord-Oſtſee-Kanal ein beſonderes Intereſſe für ſich in Anſpruch, deſſen Verlauf aus Fig 433 zu entnehmen iſt.

779Die Waſſerwege.

Es iſt von beſonderem Intereſſe, daß der älteſte Plan einer aller - dings nur für flachgehende Schiffe benutzbaren Verbindung der Nord - und Oſtſee thatſächlich zur Ausführung gelangt und noch gegenwärtig im Betriebe iſt. Es iſt dieſes der gegen Ende des 14. Jahrhunderts

Fig. 432.

Schiffshebewerk bei Houdeng-Goegnies.

780Der Verkehr zu Waſſer.

Fig. 433.

Der Nord-Oſtſee-Kanal.

781Die Waſſerwege.

Fig. 434.

Baggermaſchine beim Bau des Nord-Oſtſee-Kanals.

782Der Verkehr zu Waſſer.erbaute Stecknitz-Kanal, welcher die Trave unter Benutzung der Delvenau mit der Elbe verbindet. Derſelbe genügt allerdings nicht für die heutigen Schiffsverhältniſſe, iſt jedoch, wie eben ſchon geſagt, für flache Fahrzeuge noch heute in Gebrauch.

Im Anfange des 16. Jahrhunderts ſoll dann noch eine zweite Verbindung der beiden Meere, und zwar zwiſchen Trave und Beſte kurze Zeit beſtanden haben. Neben den Dänen waren es die Engländer, welche in den ſpäteren Jahrhunderten den Bau eines für große See - ſchiffe befahrbaren Nord-Oſtſee-Kanals zu wiederholten Malen beab - ſichtigten. Auch Wallenſtein ſoll einen ſolchen Plan gehegt und bereits begonnen haben. Der von den Dänen erbaute Eider-Kanal iſt nur für kleinere Seeſchiffe benutzbar. Der Bau des jetzigen Kanals wurde durch Reichsgeſetz vom 10. März 1886 beſtimmt. Fig. 434 ſtellt einen der gewaltigen bei der Aushebung des Kanals in Betrieb befindlichen Dampfbagger dar.

b) Der Schiffsbau.

Nachdem als erſtes Fahrzeug zu Waſſer jedenfalls der ſchwimmende Baumſtamm und in weiterer Folge das aus mehreren zuſammen - gebundenen Baumſtämmen beſtehende Floß gedient hatte, ging man alsbald dazu über, den Baumſtamm mit Hilfe von Schneidewerkzeugen und des Feuers auszuhöhlen. Das ſo geſchaffene Fahrzeug iſt noch jetzt unter dem Namen Einbaum vielfach im Gebrauch.

Die Fortbewegung der älteſten Schiffe erfolgte durch Ruder. Jedoch gebrauchten bereits die Phönizier auf ihren großen Seereiſen ſowohl Ruder als auch Segel. Sie waren auch die erſten, welche die Fahrt bei Nacht nicht unterbrachen, ſondern an dem Stande der Ge - ſtirne ſich auf dem Meere orientierten.

Wohl das gewaltigſte Schiff, von welchem geſchichtliche Über - lieferungen uns vorliegen, iſt das Prachtſchiff des Ptolomäers Philo - pater. Dasſelbe, in Fig. 435 im Schnitt dargeſtellt, hatte eine Länge von 128 m, eine Breite von 18 m und einen inneren Hohlraum von 22 m Tiefe. Zur Fortbewegung dieſes gewaltigen Koloſſes dienten 400 Ruder, welche von 2400 Ruderknechten bedient wurden. Wie aus Fig. 435 zu erſehen iſt, waren dieſe Ruderer in fünf Etagen über einander verteilt; da dieſelben von Zeit zu Zeit abgelöſt werden mußten, ſo zählte die geſamte Schiffsmannſchaft allein gegen 4000 Ruder - knechte.

Bei den Römern, welche bekanntlich der Schiffahrt geringere Auf - merkſamkeit ſchenkten, ſind die kleinen ſchnellſegelnden Schiffe zu er - wähnen, welche im Anſchluß an die Landpoſt, den cursus publicus, Briefſchaften und Nachrichten über die Meere brachten.

Die kühnen Meerfahrten der Phönizier[finden] ein Gegenbild in den zu Anfang des neunten Jahrhunderts beginnenden kriegeriſchen783Schiffsbau.

Fig. 435.

Galeere des Philopater.

Wickingerfahrten. Von Nordgermanien aus unternahm das kühne Volk der Wickinger Streifzüge über das Meer nach den Küſten Englands, Frankreichs und Spaniens; ja auch die Küſte des Mittelländiſchen Meeres wurde wiederholt von ihnen heimgeſucht.

Über die Konſtruktion eines Wickingerſchiffes ſind wir durch einen intereſſanten Fund, welcher bei Öffnung eines altnorwegiſchen Grabes in der Nähe des Seebades Sandefjord gemacht wurde, ziemlich genau unterrichtet. Dieſes alte Wickingerſchiff hatte ein Länge von 22 m und eine Breite von 5 m. Es hatte einen Maſt und entbehrte des Ver - decks, ſo daß die Beſatzung den Unbilden der Witterung ſchutzlos gegenüber ſtand. Meiſt bewegte man ſich durch Rudern vorwärts.

Jedenfalls haben dieſe kriegeriſchen Wickingerfahrten einen erheb - lichen Einfluß auf die ſpätere Entwickelung der dem Werke des Friedens dienenden Schiffahrt ausgeübt. Auch die Kreuzzüge mit ihren wieder - holten weiten Meeresfahrten wir weiſen nur auf die von den eng - liſchen Kreuzfahrern zurückzulegende Wegeslänge hin brachten der Schiffahrt weiteren Impuls.

Die Größe der Schiffe wuchs immer mehr; gleichzeitig wurde das plumpe Ruderſchiff erſetzt durch das graziös vor dem Winde dahin ſchwebende Segelſchiff. Die Erfindung des Kompaſſes trug im übrigen dazu bei, daß die Küſtenfahrzeuge ſich allmählich in den weiten unbekannten Ocean hinauswagten.

Als ein Beiſpiel aus der Epoche der erſten großen Seefahrten bringen wir in Fig. 436 die Abbildung des Admiralſchiffes des Kolumbus.

Über die Fahrzeuge, mit denen der kühne Entdecker Amerikas ſeine denkwürdige Fahrt ausführte, iſt erſt in neueſter Zeit etwas Gewiſſes feſtgeſtellt und zwar durch R. Monleón, welcher die Schriften von784Der Verkehr zu Waſſer.Navarrette u. a. in der Revista general de Marina zuſammengeſtellt hat und deſſen Abhandlung in den Mitteilungen aus dem Gebiete des Seeweſens wiedergegeben wurde. Hiernach hat eine direkte

Fig. 436.

Admiralſchiff des Kolumbus.

Überlieferung einer Be - ſchreibung der Schiffe des Kolumbus nicht ſtattge - funden.

Allerdings ſind uns mancherlei Kenntniſſe über die Formen und die Eigen - ſchaften der zu jener Zeit gebräuchlichen Schiffsgat - tungen erhalten geblieben; es fehlten jedoch die An - haltspunkte, um die Fahr - zeuge des Kolumbus in eine der damals vorhandenen Gattungen einzureihen. Es iſt nun hiſtoriſch feſtgeſtellt, daß die drei Schiffe, mit welchen Kolumbus am 3. Auguſt 1492 den Anker - platz bei Huelva verließ, die Santa Maria , die Nina und die Pinta ſo - genannte Caravellen waren, eine Bezeichnung, welche uns über deren Eigen - ſchaften keinerlei Anhalt bietet.

Die erſte auf uns ge - kommene Erwähnung der Caravelle ſtammt aus dem Jahre 1444, als Heinrich der Seefahrer ein derartig benanntes Fahrzeug unter dem Befehle des Vincente de Lago, der einen venetianiſchen Edelmann Namens Luigi de Cadamoſto in ſeiner Begleitung hatte, auf Länderentdeckung in See gehen ließ.

Auf dieſer Reiſe, wo man die Kanarien, Madeira, Porto Santo beſuchte und in den Gambiafluß einlief, ſoll das Fahrzeug nach den Chroniken einmal eine Strecke von 600 italieniſchen Meilen in einem Zeitraum von 36 Stunden durchlaufen haben, was einer mittleren Geſchwindigkeit von 12,5 Knoten*)Ein Knoten = 1852 m. gleichkommt. Aber auch die Cara -785Der Schiffsbau.vellen des Kolumbus hatten, wie aus dem Tagebuche des Admirals zu entnehmen iſt, ähnliche Leiſtungen aufzuweiſen und zählten ſomit zu den Schnellſeglern der damaligen Zeit; zudem waren ſie nach da - maligen Begriffen nicht die ſchlechten, nicht einmal mit einem Deck ver - ſehenen Fahrzeuge, als welche ſie oft noch heutzutage hingeſtellt werden, ſondern in ihrer Art ganz tüchtige Schiffe.

Auch über die Beſegelung derſelben giebt das Tagebuch uns Auf - ſchluß; ſo erfahren wir daraus, daß die Santa Maria und die Nina eine aus fünf Segeln beſtehende Beſegelung hatten, welche an den drei Maſten und an dem Bugſpriet geführt wurden.

Die Frage hinſichtlich der Größenverhältniſſe des Admiral - ſchiffes des Kolumbus hat Fernandez Duro unter Entwickelung vieler Geiſtesſchärfe einer in Spanien allgemein acceptierten Löſung entgegen - geführt.

Als einziger Anhaltspunkt bot ſich ihm eine in den Schriften des Admirals befindliche Bemerkung, nach welcher das große Boot der Santa Maria eine Länge von fünf Faden hatte. Nun ſind aber in dem uns erhalten gebliebenen, im Jahre 1587 erſchienenen Werke des Diego Garcia del Palacio über Schiffbau die gegenſeitigen Ver - hältniſſe der Dimenſionen der Schiffskörper und der großen Boote, wie ſie damals innegehalten wurden, ausführlich behandelt, wonach Herr Fernandez Duro zu dem Schluſſe kommt, daß die Santa Maria folgende Dimenſionen beſeſſen habe: Kiellänge 19 m, Länge zwiſchen den Perpendikeln 23 m, größte Breite 6,7 m, Raumtiefe 4,5 m, ferner eine Zuladungsfähigkeit von 120 130 Tonnen bei einer Bemannung von 70 90 Mann; außerdem konnte dieſelbe große Vorräte an Lebens - mitteln und Trinkwaſſer an Bord nehmen. Die Santa Maria war demnach ohne Zweifel eine große Caravelle, da die ſonſtigen aus jener Zeit uns bekannt gewordenen Fahrzeuge dieſer Art zumeiſt nur 30 bis 60 Tonnen Zuladungsfähigkeit hatten, und ſelbſt die berühmte Viktoria welche die erſte Weltumſegelung ausführte, nur eine ſolche von 85 Tonnen beſaß.

Wie ſchon bemerkt wurde, waren die Caravellen des Kolumbus gute Segler; in dem Tagebuche des Admirals findet man oft eine Fahrgeſchwindigkeit von 15 italieniſchen Meilen (etwas mehr als 11 Knoten) angegeben, was bei dem Umſtand, daß die drei Schiffe im Geſchwaderverbande ſegelten, ſicherlich eine bedeutende Geſchwindig - keit iſt.

Über die Form der Schiffskörper exiſtiert keine beſondere Über - lieferung, und es konnte dieſelbe erſt nach mühevoller Sammlung und aufmerkſamer Sichtung der zerſtreut anzutreffenden Daten und Behelfe einigermaßen feſtgeſtellt werden.

Wenn Kolumbus in ſeinen Schriften die Santa Maria oft als nao oder navio, die beiden anderen Fahrzeuge aber als carabelas be - zeichnet, ſo mag dieſes nicht ſeinen Grund in einer VerſchiedenheitDas Buch der Erfindungen. 50786Der Verkehr zu Waſſer.der Schiffstypen gehabt haben, ſondern er wollte hiermit wahrſcheinlich nur der hierarchiſchen Stellung der Geleitſchiffe zum Admiralſchiff Ausdruck geben.

Daß die drei Schiffe in der Mitte niedrigen Freibord, vorn und hinten aber hohe Aufbaue hatten, erhellt nicht nur aus Zeichnungen (Fig. 436) Juan de la Coſa’s, des Piloten des Kolumbus, ſondern auch aus dem mehrfach ſchon citierten Tagebuche.

Dort findet ſich nämlich am 11. Oktober die Notiz: Als ſich der Admiral um 10 Uhr nachts am Hüttendecke befand, nahm er ein Licht wahr und ſpäterhin: Der Admiral ſchärfte ihnen ein, guten Auslug am Vorkaſtelle zu halten . Die Hütte befand ſich damals, wie noch heutzutage auf den meiſten Fahrzeugen, hart am Heck; ſie war auf einem Deck aufgebaut, daß ſich von Achter bis zum Großmaſte er - ſtreckte, diente Schiffsoffizieren und diſtinguierten Perſonen zur Unter - kunft und wurde in Spanien Alcazar genannt. Das Vorkaſtell ſtand auf einem zum Schutze des Mannſchaftsraums aufgebauten Wetterdeck.

Wir erwähnen noch, daß man zu jener Zeit auf die Segel ge - wiſſe Bilder zu malen pflegte, eine von den Phöniziern und Ägyptern übernommene Sitte, die bei den Fiſcherbooten der Adria bis auf den heutigen Tag ſich erhalten hat und den Zweck hat, die Schiffe zu ſchmücken und auf weite Entfernungen hin kenntlich zu machen. Bei den Spaniern und Portugieſen wählte man hierzu mit Vorliebe das Zeichen des Kreuzes, um ſich dadurch von den Ungläubigen zu unter - ſcheiden.

Leider ſind die Aufzeichnungen über die Beſtückung der Schiffe des Kolumbus ſehr mangelhafte; dieſelbe beſtand aus mittelſchweren und leichten Geſchützen, ſogenannten Spingarden und Lombarden.

So hatte das Schiff ſich zu einer Vollkommenheit entwickelt, welche dasſelbe befähigte, die größten Entfernungen zurückzulegen. Noch heute wird ein erheblicher Teil des Verkehrs auf dem Meere wie auf den Binnengewäſſern von Segelſchiffen beſorgt.

Je nach der Anzahl der Maſten unterſcheidet man die Dreimaſter (Voll - ſchiffe); nur ausnahmsweiſe kommen auch wohl mehr als drei Maſten zur Anwendung. Eine beſondere Art des Dreimaſters bildet die Bark; bei dieſer iſt der eine der drei Maſten nicht mit Volltakelage ausgeſtattet. Schiffe mit zwei mit Volltakelage ausgeſtatteten Maſten nennt man Briggs; eine beſondere Art derſelben bilden die Schoner, welche durch eine geringere Beſegelung gekennzeichnet ſind. Unter Kuff verſteht man ein zweimaſtiges Küſtenfahrzeug, und mit Kutter und Jacht bezeichnet man die einmaſtigen Segler.

Die Größe eines Schiffes kennzeichnet ſich durch ſeine Tragfähig - keit. Man drückt dieſe in Tonnen aus. Nach den Lehren der Phyſik iſt das Gewicht der von einem auf dem Waſſer ſchwimmenden Körper verdrängten Waſſermenge gleich dem Gewichte dieſes Körpers. Das von einem Schiffe verdrängte Waſſerquantum nennt man das Depla -787Der Schiffsbau.cement oder die Verdrängung desſelben. Die Summe des Eigen - gewichtes des Schiffes und der Tragfähigkeit oder Ladungsfähigkeit ꝛc. iſt gleich dem Deplacement.

Nach dieſen wenigen allgemeinen Zwiſchenbemerkungen wenden wir uns nunmehr dem Schiffe der Gegenwart, dem Dampfſchiffe zu.

Bereits bei der Geſchichte der Dampfmaſchine hatten wir erwähnt, daß Papin der erſte war, welcher die Dampfkraft zur Fortbewegung eines Schiffes ausnutzte. Leider wurde dieſer erſte Verſuch ſchon im Keime erſtickt.

Der erſte von durchſchlagendem Erfolge gekrönte Verſuch der Dampfſchiffahrt rührt von dem Amerikaner Fulton her, welcher im Jahre 1807 einen Schaufelraddampfer Clermont auf dem Hudſon zwiſchen New-York und Albany in regelmäßigen Betrieb ſetzte. Noch

Fig. 437.

Schaufelrad für Dampfſchiffe.

heute werden derartige Raddampfer, bei denen ein Schaufel - oder Ruderrad durch die Dampfmaſchine in ſchnelle Drehung verſetzt wird und das Schiff vorwärts treibt, auf den Binnengewäſſern in zahl - reichen Exemplaren benutzt.

Fulton ſoll ſchon damals Napoleon dem Erſten den Vorſchlag gemacht haben, die franzöſiſche Kriegsflotte mit Dampfmaſchinen aus - zurüſten, ohne jedoch Gehör zu finden.

Die erſte Oceanfahrt eines ſolchen Raddampfers erfolgte im Jahre 1819. Es waren die Gebrüder Searborough, welche als die Erſten die Fahrt von Savannah in Georgien in Nordamerika nach Liverpool unter teilweiſer Zuhilfenahme der Segel in 26 Tagen zurücklegten.

Dieſe wahrhaft außerordentliche Leiſtung blieb bis zum Jahre 1829 ohne Nachahmung. In den dreißiger Jahren häufte ſich die Zahl der von der Neuen zur Alten Welt ausgeführten Dampferfahrten und im Jahre 1840 ſchloß die engliſche Regierung mit dem Rheder Samuel Cunard in Halifax den Vertrag der erſten ſubventionierten, einmal regelmäßig im Monat ſtattfindenden Poſtverbindung zwiſchen Liverpool und Halifax ab. Im Jahre 1847 wurde die Hamburg-Amerika - niſche Paketfahrt-Aktiengeſellſchaft gegründet; dieſelbe richtete im Jahre 1856 ebenfalls eine regelmäßige Dampferverbindung zwiſchen Ham - burg und New-York ein. Im Jahre 1857 bildete ſich alsdann in Bremen ein mächtiger Konkurrent unter dem Namen Norddeutſcher Lloyd.

50*788Der Verkehr zu Waſſer.

Eine große Umwälzung auf dem Gebiete des Schiffsbaues brachte die Einführung der Schiffsſchraube oder Propellerſchraube als Erſatz des Schaufelrades. Als Erfinder derſelben werden genannt der Öſterreicher Joſeph Reſſel, der bereits im Jahre 1812 dieſelbe zuerſt praktiſch angewendet haben ſoll. Auch der Amerikaner Ericſon wird häufig als Erfinder oder doch als glücklicher Verbeſſerer des Schrauben - propellers genannt. Das erſte Schraubenſchiff gebaut und ſeetüchtig fertiggeſtellt zu haben, dieſes Verdienſt gebührt dem Engländer Smith, welcher im Jahre 1838 mit dem Dampfer Archimedes die Küſte Englands befuhr. Die erſte bahnbrechende Anwendung der Schiffs - ſchraube erfolgte im Jahre 1847.

In Fig. 438 geben wir die Anſicht eines Schraubendampfers; das den Dampfer ausnehmende Dock iſt von der bekannten Hoppeſchen Maſchinenfabrik in Berlin erbaut. Die Wirkung einer Schiffsſchraube iſt die gleiche, wie diejenige einer gewöhnlichen in ihrer Mutter gedrehten Schraube, nur daß an die Stelle der Mutter das Waſſer tritt. Hält man die Mutter einer Schraube feſt und dreht man gleichzeitig die Schraube, ſo ſchraubt ſich die Schraube je nach der ihr erteilten Drehrichtung aus der Mutter hinaus oder in dieſelbe hinein. Das gleiche geſchieht bei der Schiffsſchraube; je nach der ihr von der Schiffsmaſchine erteilten Drehung treibt ſie das Schiff im Waſſer, welches, wie oben erwähnt, die Stelle der Mutter einnimmt, nach vorwärts oder nach rückwärts.

Die Vorzüge, welche die Schraube vor dem Ruderrade auszeichnen, ſind ſehr weſentliche und ſchwerwiegende; dieſelben haben es bewirkt, daß die Raddampfer aus dem transatlantiſchen Verkehr gänzlich verſchwunden ſind. In der neueren Zeit verwendet man häufig zwei Schrauben, deren eine rechts, deren andere links von der Längsachſe des Schiffes an - geordnet iſt. Derartige Doppelſchraubenſchiffe ſind beſonders bei den Kriegsflotten anzufinden, da ſie eine ſehr hohe Manövrierfähigkeit beſitzen.

Was die oben erwähnten Vorzüge der Schiffsſchraube betrifft, ſo beſtehen dieſelben im weſentlichen in folgendem: Die Breite des Schiffes iſt eine bei weitem geringere als bei Verwendung von Schaufelrädern. Die Schraube liegt ſtets geſchützt im Waſſer, ein Umſtand, der nament - lich bei Kriegsſchiffen von der größten Bedeutung iſt. Der Gang des Schiffes iſt ein ſehr ruhiger. Bei hoher See tritt bei ſtarken Schwankungen des Schiffes häufig das eine der beiden Schaufelräder aus dem Waſſer heraus, wodurch eine ſehr ungünſtige einſeitige In - anſpruchnahme der Dampfmaſchine eintritt; dieſer Übelſtand fällt bei der Schraube fort. Endlich liegt der Schwerpunkt der Schrauben - dampfer tiefer als der der Raddampfer, ſo daß jene nicht ſo leicht von hoher See zum Kentern gebracht werden können.

Als Beiſpiel eines modernen transatlantiſchen Doppelſchrauben - ſchnelldampfers bringen wir in Fig. 439 die auf der Werft der Vulkan in Bredow bei Stettin erbaute Auguſta Viktoria des Hamburg-Amerikaniſchen Paketfahrt-Aktiengeſellſchaft.

789Der Schiffsbau.
Fig. 438.

Schraubendampfer im Dock.

790Der Verkehr zu Waſſer.
Fig. 439.

Schnelldampfer Auguſta Viktoria .

791Der Schiffsbau.

Dieſem gewaltigen ſchwimmenden Koloß iſt alsbald der Fürſt Bismarck derſelben Werft und derſelben Aktien-Geſellſchaft als der größte in Deutſchland erbaute Dampfer gefolgt. Derſelbe hat eine Länge in der Waſſerlinie von 153,1 Meter, eine Breite von 17,52 Meter und eine Tiefe bis zum Oberdeck von 11,58 Meter. Die Maſchinen von insgeſammt 14000 Pferdeſtärken verleihen dem Schiffe eine Geſchwindigkeit von 19 Knoten in der Stunde. Das Deplacement beträgt 12900 Tonnen. Das zur Verwendung gelangte Material iſt Stahl. Um ein Sinken des Schiffes bei Verletzung desſelben zu verhindern, iſt dasſelbe in 17 gegen einander waſſerdicht abgedichtete Abteilungen geteilt.

Das Schiff hat im ganzen 5 Decks. In den beiden Speiſeſälen der 1. Klaſſe können zuſammen 240 Perſonen ſpeiſen; in dem Speiſe - ſaal 2. Klaſſe 88 Perſonen. Die Zahl der zu befördernden Paſſagiere beträgt 1214 und zwar 400 in der 1. Klaſſe, 114 in der 2. Klaſſe und 700 in der 3. Klaſſe. Die Bemannung zählt 250 Köpfe. Alle Räume werden elektriſch und zwar durch 800 Glühlampen erleuchtet. An Trinkwaſſer werden 200000 Liter mitgenommen; ein Deſtillierapparat vermag außerdem täglich 18000 Liter Waſſer zu deſtillieren.

Die beiden Maſchinen leiſten je 7000 Pferdeſtärken; ſie ſind drei - fache Compoundmaſchinen; der Hochdruckcylinder hat 1100, der Mittel - druckcylinder 1700 und der Niederdruckcylinder 2700 Millimeter Durch - meſſer. Der Kolbenhub beträgt 1600 Millimeter und die Zahl der Umdrehungen 85 in der Minute. Das mitgeführte Kohlenquantum beträgt 2700 Tonnen. Das Heizerperſonal iſt 100 Köpfe ſtark. Die Koſten des Schiffes ſtellen ſich auf 6 Millionen Mark; hiervon entfallen 500000 Mark auf die innere Ausſtattung.

Um das Bild des gegenwärtigen Standpunktes des Dampfſchiff - baus noch zu vervollſtändigen, bringen wir in Fig. 440 nach einem auf der 1891 in der Royal Naval Exhibition ausgeſtellten Modell die Anſicht des engliſchen Kriegsſchiffes Viktoria . Dasſelbe hat eine Länge von 360 Fuß (109 m) und eine Breite von 70 Fuß (21 m); der mittlere Tiefgang beträgt 27 Fuß (7 m) und das Deplacement 10700 Tonnen. Bei den angeſtellten Verſuchen entwickelte die Maſchine während vier Stunden 14244 indizierte Pferdekräfte bei einer Geſchwindigkeit von 17 Knoten. Das Schiff kann 1000 Tonnen Kohlen einnehmen, ein Quantum, welches genügt, um 8000 bis 9000 Knoten unter Dampf zurückzulegen.

In einem aus der Abbildung erſichtlichen Drehturme ſind zwei Geſchütze angebracht; jedes 110 Tonnen wiegend; hinter dieſem Dreh - turme iſt auf zwei Drittel der Schiffslänge noch ein Batteriebau angeordnet mit zahlreichen kleineren Geſchützen: einem zehnzölligen, 12 ſechszölligen Geſchützen, 12 Sechspfünder-Schnellfeuer-Kanonen und 9 Dreipfünder-Schnellfeuer-Kanonen, neben einer größeren Anzahl von Nordenfeltſchen Revolverkanonen.

Ferner beſitzt das Schiff vier Geſchütze zum Abfeuern von Tor - pedos über Waſſer und ebenſo viele zum Abfeuern unter Waſſer.

792Der Verkehr zu Waſſer.

Die Räume, welche zur Aufnahme der vorſtehend aufgeführten kleineren Geſchütze dienen, ſind mit einem 3 Zoll ſtarken Panzer ver - ſehen; der Panzer des eigentlichen Schiffskörpers iſt 18 Zoll, derjenige des Drehturmes 17 Zoll ſtark; letzterer ruht zur Erzielung eines thun - lichſt elaſtiſchen Widerlagers auf einer Unterlage von Teakholz.

Fig. 440.

Engliſches Panzerſchiff Viktoria .

793Der Schiffsbau.

Ein ſtark in die Augen ſpringendes Merkmal der modernen Schiffs - baukunſt beruht auf der möglichſt weitgehenden Ausnutzung der Maſchinenkraft als Erſatzmittel der Menſchenkraft. Wo nur irgend möglich, übernimmt die Maſchine die Verrichtung aller derjenigen Arbeiten, welche auf den Schiffen früherer Jahrhunderte der Muskel - kraft der Bemannung anheimfiel.

Die gewaltigen Geſchütze werden in allen Bewegungen durch hydrauliſchen Druck bethätigt, ſowohl für die Ausführung des Ladens wie für die Erfaſſung des Zieles. Dieſelbe Art des Antriebs wird auch für die Drehung des bedeutenden Gewichtes des Turmes benutzt, und zwar iſt das dieſem Zweck dienende Handrad derartig angebracht, daß der am Auslug ſtehende Offizier durch einen leichten Händedruck den Turm in jede gewünſchte Lage bringen kann. Dieſe Bewegungs - vorrichtung iſt derartig angeordnet, daß ſowohl jedes Geſchütz allein für ſich, als auch beide gemeinſam gerichtet werden können. Das Ab - feuern der Turmgeſchütze geſchieht mit Hülfe der Elektrizität, und zwar entweder gleichzeitig oder getrennt. Der hydrauliſche Druck dient des weiteren auch zu den verſchiedenſten anderen Zwecken, ſo z. B. zum Transportieren der Geſchoſſe aus dem Magazinraum zu den Geſchützen, zum Entfernen der Aſche aus dem Keſſelraum, zum Heben und Nieder - laſſen der Bote u. ſ. w.

An Stelle der ehemals gebräuchlichen Bemaſtung und reichen Be - ſegelung iſt die Dampfkraft getreten; der eine hinter dem Drehturm ſichtbare Maſt dient lediglich als Auslug, ſowie zum Erteilen von Signalen.

Das Bild eines modernen Kriegsſchiffes wird erſt ein vollſtändiges durch die rings um dasſelbe angebrachten Stahldrahtnetze, welche dazu dienen, die mörderiſchen Torpedos von dem Rumpf abzuhalten. Es iſt nicht ohne Intereſſe, hier zu erwähnen, daß die erſte praktiſche Probe dieſes zu den neueſten Errungenſchaften der Waffentechnik gehörenden Zerſtörungsmittels während des letzten chileniſchen Bürgerkrieges erfolgt iſt.

Als ferneres Mittel zur Fortbewegung der Schiffe iſt neben dem Winde und dem Dampf in neueſter Zeit noch die Reaktionswirkung des austretenden Waſſers in Vorſchlag gebracht und in beſchränktem Maße auch zur praktiſchen Anwendung gelangt. Der Erfinder dieſes neuen Syſtems iſt E. Fleiſcher in Dresden. Das Charakteriſtiſche desſelben beſteht darin, daß in der Richtung der Mittellinie des Schiffes Röhren angeordnet ſind, aus welchen Waſſer mit einer erheblichen Geſchwindigkeit, etwa 20 m in der Sekunde, ausgetrieben wird. In - folge der Reaktion des austretenden Waſſers, wird das Schiff nach vorwärts getrieben.

794Der Verkehr zu Waſſer.

c) Die Sicherung der Schiffahrt.

Der beſtändige Kampf mit den launiſchen und tückiſchen Elementen, deren gewaltige tragende und treibende Kraft nutzbar zu verwenden zu den bedeutendſten Aufgaben des Weltverkehrs gehört, war ganz dazu angethan, dem Lenker eines Schiffes die Notwendigkeit vor Augen zu führen, den an ſich gefahrvollen Beruf des Seefahrers möglichſt ſicher und ſorglos zu geſtalten. Hier wie überall machte die Not erfinderiſch. Mit dem Moment, wo ein Schiff die Nähe der Küſte zu verlaſſen wagte, mußte der Menſch auf Mittel ſinnen, welche ihn befähigten, den einmal eingeſchlagenen Kurs ſeines Schiffes in der Richtung auf das Ziel unverändert feſtzuhalten und den zurückgelegten Weg genau zu kontrollieren. Heute nun kann man mit Fug und Recht ſagen, ge - hört der Beruf des Seefahrers kaum noch zu den gefahrdrohendſten. Auf hoher See wenigſtens trotzt ein gutes Schiff, ohne beſonderen Schaden zu nehmen, ſelbſt dem wütendſten Anprall von Sturm und Wogen; in der Nähe des Zieles leitet der mit allen Eigentümlichkeiten ſeines heimat - lichen Fahrwaſſers innig vertraute Lotſe das ſeinem Befehl unter - ſtellte Fahrzeug ſicher und ungefährdet an ſeinen Ankerplatz. Eigentlich gefahrbringend iſt nur die Nähe der Küſte mit ihren verſteckten und wechſelnden Untiefen und Klippen, ihren Strömungen und ihrem Nebel, ihrer beſtändigen Änderungen unterworfenen Fahrſtraße und den brandenden Wogen, welchen das Schiff machtlos im Angeſichte des rettenden Feſtlandes preisgegeben iſt.

Die Sicherung der Seeſchiffahrt macht die eingehendſte Kenntnis aller dieſer Verhältniſſe bei denjenigen zur Vorausſetzung, deren Obhut und Leitung ein Fahrzeug anvertraut iſt. Gleichwohl iſt man dieſem Ziele nur ſehr langſam näher gekommen, und erſt die neuere Zeit hat uns in den glücklichen Beſitz der ausgedehnten kartographiſchen Hülfsmittel geſetzt, die eines der unerläßlichſten und unentbehrlichſten Erforderniſſe bei allen Operationen des Seefahrers ſind. Die Herſtellung der Seekarten, d. h. der in geeignetem Maßſtabe an - gefertigten Darſtellungen der Erdoberfläche, ſoweit dieſelben den inter - nationalen Schiffsverkehr angehen, liegt im allgemeinen zwar den Regierungen der einzelnen ſeefahrenden Nationen, wenigſtens innerhalb ihres Hoheitsgebietes ob, iſt aber zu einem nicht geringen Teile auch eine Frucht der gemeinſamen Arbeit und des uneigennützigſten Zu - ſammenwirkens aller Nationen, die ein gleiches Intereſſe zum gemein - ſchaftlichen Werke vereinigt hat.

Je nach dem Maßſtabe, welcher für die Seekarten gewählt iſt,[und] dem beſonderen Zwecke, welchem ſie dienen ſollen, unterſcheidet man General - oder Überſegelkarten, denen die Spezial -, Hafen - und Küſtenkarten, auch Pläne genannt, gegenüberſtehen. Sie enthalten neben795Die Sicherung der Schiffahrt.den genauen Umriſſen der Küſte und ihren Höhenverhältniſſen, vor - nehmlich die beſonders auffallenden und den Hülfsmitteln des Schiffers bequem zugänglichen Landobjekte, wie Leuchttürme, Kirchtürme, hervor - ragende Gebäude, in gleicher Weiſe die im Intereſſe der Sicherheit des Ver - kehrs ausgelegten oder errichteten See - und Warnungszeichen, die in der verſchiedenſten Form, als Bojen, Baken, Feuer - und Leuchtſchiffe u. ſ. w., auftreten, kurzum alle die ausgezeichneten Objekte, die für eine ſchnelle und ſichere Orientierung in Bezug auf den jeweiligen Schiffs - ort von Wichtigkeit und Bedeutung ſein können.

Die Projektionsweiſe, d. h. die Art der Darſtellung, welche für die Seekarten faſt allgemein zur Anwendung kommt, wurde bereits 1569 von dem deutſchen Geographen Gerhard Mercator (Cremer) an - gegeben und iſt auch nach ihrem Erfinder genannt worden. Die durch gerade Linien dargeſtellten Breitenkreiſe und Meridiane ſchneiden ſich bei dieſer Art der Abbildung der Erdoberfläche unter rechten Winkeln. Während aber die Meridiane überall den nämlichen Abſtand von ein - ander haben, wächſt derjenige der Parallel - oder Breitenkreiſe nach den Polen zu immer mehr und würde ſchließlich unendlich groß werden; dementſprechend nimmt nach den Polen auch die Verzerrung außer - ordentlich ſtark zu. Dafür gewähren ſie aber den nicht hoch genug anzuſchlagenden Vorteil, daß die Kurslinie, die ſogenannte Loxodrome, alle aufeinanderfolgenden Meridiane ſtets unter demſelben Winkel ſchneidet, ſodaß die geradlinige Verbindung zwiſchem dem Ausgangs - und dem gewählten Endpunkt der Seereiſe auf der Karte direkt den vom Schiffe einzuſchlagenden Kurs angiebt und beſtimmt.

Nicht minder wichtig und bedeutſam erſcheinen diejenigen Hülfs - mittel, welche den Seefahrer über die klimatiſchen und allgemein meteorologiſchen Verhältniſſe, vor allem über die mehr oder weniger große Regelmäßigkeit gewiſſer Windrichtungen, über die Dauer derſelben und ihre Stärke, über die Strömungs - und Tiefenverhältniſſe des Meeres, die Regenverteilung, kurz über alles nur irgend Wiſſenswerte, was zur Beſchleunigung und Sicherung der Reiſe von Bedeutung ſein kann, zu orientieren beſtimmt ſind. Hier war es namentlich der ameri - kaniſche Aſtronom Maury, der eine in der Folgezeit außerordentlich fruchtbar gewordene Organiſation mit unermüdlichem Eifer ins Leben zu rufen verſtanden hatte. Mit Hülfe der Aufzeichnungen von zahl - reichen Log - oder Schiffstagebüchern ermittelte er dank der Unterſtützung der Regierung der Vereinigten Staaten von Nordamerika alle für eine beſtimmte Gegend typiſchen Witterungs-Erſcheinungen, die magnetiſchen Vorkommiſſe, die Verhältniſſe der Meerestiefen und Meeresſtrömungen, die Geſtaltung des Meeresbodens und ſeine Beſchaffenheit, mit einem Worte alles, was in irgend einer Beziehung zur Phyſik des Meeres und der Luft ſteht. Auf dieſe Weiſe entſtanden die Stromkarten und die Segel-Anweiſungen für eine Reihe der wichtigſten Verkehrs - wege, die ſich im Gebrauche außerordentlich gut bewährt haben. Um796Der Verkehr zu Waſſer.aber die ziemlich regellos oder doch nicht nach einem beſtimmten Plane durchgeführten Beobachtungen für die Folge wenigſtens möglichſt plan - mäßig geſtalten und nutzbringender verwerten zu können, wählte man den einfachen Weg, die von Maury geſchaffenen Hülfsmittel auf Staats - koſten drucken zu laſſen und an Reflektanten nur gegen Abgabe eines nach beſtimmtem Muſter und in aller Vollſtändigkeit geführten Log - buches an das nautiſche Inſtitut in Waſhington auszuhändigen. Auf dieſe Weiſe gelang es, alle ſeefahrenden Nationen zur Mitarbeit heran - zuziehen, die an ſich bedeutungsloſen Erfahrungen und Beobachtungen des einzelnen in kritiſcher Zuſammenfaſſung der Geſamtheit zu gute kommen zu laſſen.

Übrigens hat man dem Meere ſelbſt einen Teil der zu ſeiner Er - forſchung notwendigen Arbeit geſichert, wenigſtens, ſoweit es ſich um die Feſtſtellung ſeiner Strömungsverhältniſſe handelt. Hier leiſten die ſogenannten Flaſchenpoſten vortreffliche Dienſte, die ehedem ein Schiff angeſichts ſeines Unterganges auszuſetzen pflegte, um eine letzte Nach - richt zu hinterlaſſen. Heute geſchieht auf hoher See die Ausſetzung der feſt verkorkten Flaſchen oder Käſtchen, welche in ihrem Inneren einen Zettel mit dem Namen des ausſetzenden ſchiffes und der vollſtändigen Angabe von Zeit und Ort der Entſendung enthalten, in durchaus planmäßiger, ſyſtematiſcher Weiſe in der ausgeſprochenen Abſicht, zur beſſeren und vollſtändigeren Erkennung und Erforſchung der Meeres - ſtrömungen ein möglichſt umfaſſendes Material bereit zu ſtellen.

Die Rückſicht auf die Sicherheit und Schnelligkeit einer Seereiſe verlangt im weſentlichen Einhaltung des einmal eingeſchlagenen Weges oder Kurſes, mit anderen Worten genaue Ermittelung des jeweiligen Schiffsortes und der damit zuſammenhängenden Kontrolle, nötigenfalls auch die Veränderung des Kurſes. Hand in Hand damit geht die Feſt - ſtellung der für das Schiff beſonders geeigneten Fahrſtraße, was auf Grund der Stromkarten und der Segel-Anweiſungen vor Antritt der Reiſe vor - genommen wird; die genaue Einhaltung derſelben kann ſelbſtverſtänd - lich infolge widriger meteorologiſcher oder anderer Umſtände gelegentlich vollkommen illuſoriſch werden, muß aber gleichwohl mit allen Mitteln angeſtrebt werden.

Die wichtigſten und unbedingt notwendigen Hülfsmittel, welche zur Löſung dieſer recht vielſeitigen und bedeutungsvollen Aufgabe er - fordert werden, ſind zunächſt Kompaß, Log und Lot, weiterhin die zur Anſtellung aſtronomiſcher Ortsbeſtimmungen benötigten Winkel - und Zeitmeßinſtrumente. Alle dienen dem ausgeſprochenen, gemeinſamen Zweck, die Ermittelung des Schiffsbeſtecks in der Seemannsſprache die durch geographiſche Länge und Breite bezeichnete Poſition des Schiffes in einer für die praktiſchen Zwecke der Schiffahrt hinreichen - den Genauig keit zu aewährleiſten.

797Der Kompaß.

1. Der Kompaß.

Der Kompaß iſt jedenfalls eine chineſiſche Erfindung, wenngleich ein direkter Nachweis hierfür nicht beigebracht werden kann. Ganz verſtreut finden ſich in der chineſiſchen Litteratur Andeutungen, daß die magnetiſchen Eigenſchaften von eiſernen Nadeln ſchon 21 Jahrhunderte vor unſerer Zeitrechnung in China bekannt geweſen ſein müſſen; aber erſt etwa 1700 Jahre ſpäter geſchieht einer Nadel Erwähnung, die nach Süden weiſt, von der als von etwas ganz Bekanntem geſprochen wird, ohne daß indeſſen von einer beſtimmten Anwendung die Rede iſt. Als wirklicher Kompaß erſcheint die Magnetnadel nicht vor dem 8. Jahrhundert. Ein ſolcher Kompaß beſtand aus einer in einem Gefäß mit Waſſer ſchwimmenden Nadel; auf dem Rande des Gefäßes war eine Einteilung in die zwölf Doppelſtunden des Tages angebracht.

Solange indeſſen die von Ort zu Ort variierende, mit dem Namen der magnetiſchen Deklination bezeichnete Abweichung der Magnet - nadel von der genauen Nord-Süd-Richtung, deren Entdeckung einem chineſiſchen Aſtronomen zugeſchrieben wird, unbekannt war, konnte ſie in ihrer eigentlichen Verwendung als Kompaß, d. h. als Wegweiſer, kaum großen Eingang finden. Als ſolcher erſcheint ſie deshalb auch nicht vor dem 12. Jahrhundert; wenigſtens ſtammt der früheſte vorhandene Bericht darüber erſt aus dem Jahre 1122, wo ein nach Korea gereiſter chineſiſcher Geſandter auf einem Schiff ein als Kompaß zu bezeichnendes Inſtrument als Wegweiſer in Gebrauch ſah. Erſt geraume Zeit nachher mögen arabiſche Kaufleute den Waſſer-Kompaß nach Europa gebracht haben, von wo aus dann das Inſtrument in weſentlich verbeſſerter Form nach China zurückwanderte.

Allmählich trat nämlich an die Stelle des Waſſer-Kompaſſes die zweifellos erheblich vorteilhaftere Form des trockenen Kompaſſes, eine Form, die bekanntlich durch eine auf einer Spitze innerhalb einer Grad - oder Strichteilung freiſchwebend aufgeſetzte Magnetnadel repräſentiert wird. Heute iſt man an viel kompendiöſere Inſtrumente gewöhnt, die allerdings auch erheblich höheren Anſprüchen zu genügen haben. In der Regel werden bei denſelben mehrere einander möglichſt parallele Magnete an der Scheibe der Windroſe, die ganz neuerdings eine Aluminium - Peripherie erhält und die Grad-Teilung ſowie die Einteilung in 32 Striche, (ſ. Fig. 441) entſprechend den Haupthimmelsrichtungen, auf Seidenpapier trägt, mit Seidenfäden befeſtigt, um das Gewicht möglichſt klein zu machen; das ganze ruht mit einem genau zentrierten Edelſtein - hütchen auf einer feinen, ſorgfältig geſchliffenen Spitze, der Pinne, welche in der Mitte des bei allen Schwankungen des Schiffes alſo ſtets horizontal bleibenden Kompaßhäuschens oder Keſſels ſteht. Dieſe Form des Kompaſſes (Patent Hechelmann) erfüllt die Bedingung, möglichſt träge, d. h. gegen die Schwankungen des Schiffes unempfindlich zu ſein und dabei gleichwohl eine hinreichend große Richtungsfähigkeit zu beſitzen, auf ſehr zufriedenſtellende Weiſe.

798Der Verkehr zu Waſſer.
Fig. 441.

Kompaßroſe.

Am unempfindlichſten ſelbſt gegen die heftigſten Erſchütterungen des Schiffes haben ſich die ſog. Fluid - oder Schwimmkompaſſe von Bamberg in Friedenau bei Berlin erwieſen, weshalb ſie auch in der Kaiſerlich Deutſchen Marine zur Einführung gebracht wurden. Die

Fig. 442.

Fluidkompaß von Bamberg.

799Der Kompaß.gleichfalls mit den Magnetnadeln feſtverbundene Kompaßroſe, welche ſich ſehr leicht in die Richtung des magnetiſchen Meridians ſtellt, iſt mit Schwimmdoſen verſehen, welche ihr, da ſie in einer das Kompaßgehäuſe vollſtändig erfüllenden Miſchung von Alkohol und Waſſer ruhen, einen erheblichen Auftrieb verleihen, der ſie mit faſt verſchwindendem Gewicht auf der Pinne ſchweben läßt. Wegen der unvermeidlichen Reibung der Roſe an der Flüſſigkeit iſt das Trägheitsmoment ſehr groß, und gerade das wollte man erreichen. Einen ſolchen Fluid - Kompaß, der überdies mit Viſiervorrichtung zum Anviſieren oder, wie es in der Seemannsſprache heißt, zum Peilen ſowohl irdiſcher als himmliſcher Objekte eingerichtet iſt, ſtellt die Fig. 442 dar.

Noch jetzt bildet der Kompaß das wichtigſte und unentbehrlichſte nautiſche Inſtrument, mitunter ſogar das einzige, welches als Weg - weiſer dienen kann. Bei der gewaltigen Verkehrsentwicklung, der wirklich ſtaunenswerten, nur noch mit Tagen und Stunden rechnenden Schnelligkeit, welche die jüngſten Dampfſchiffahrten beſonders im trans - atlantiſchen Perſonenverkehr erreicht haben, iſt es oftmals wegen un - günſtiger meteorologiſcher Verhältniſſe geradezu unmöglich, den Ort des Schiffes durch aſtronomiſche Beobachtungen zu kontrollieren. Hier bleibt der Schiffsführer einzig und allein auf die Angaben von Kompaß, Log und Lot angewieſen; hier kann und muß alſo der Kompaß ſeinen eigentlichen, urſprünglichen Beruf als Wegweiſer aufs beſte erfüllen, und deshalb iſt von ihm zu verlangen, daß ſeine Angaben abſolut ſicher und zuverläſſig ſind.

Da die bereits erwähnte magnetiſche Deklination oder Miß - weiſung an jedem Orte der Erde einen beſtimmten Wert hat, ſo müßte eigentlich an allen Punkten dieſe Größe ihrem wirklichen Betrage nach ermittelt werden. Wegen der Unausführbarkeit dieſer Forderung begnügt man ſich mit einer begrenzten Anzahl von Punkten, für welche man die geſuchte Größe möglichſt ſcharf zu beſtimmen hat, und verbindet alsdann diejenigen Orte auf der Karte, für welche ſie den - ſelben Wert erreicht, durch krumme Linien, welche den Namen Iſogonen erhalten haben. Daraus ergiebt ſich ein Bild von der Änderung der Mißweiſung mit den jeweiligen Ortsveränderungen des Schiffes, und man iſt in den Stand geſetzt, ihren Wert an einem Orte, für welchen keine direkte Beſtimmung vorliegt, wenigſtens angenähert aus der Karte zu ermitteln. Wegen der hohen Wichtigkeit, welche den Iſogonen in der Schiffahrt zukommt, haben ſie ebenfalls in den Seekarten Aufnahme gefunden.

Mit der größeren Verwendung von Eiſenmaſſen beim Schiffsbau ſtellte ſich eine ſehr ſtörende Unbequemlichkeit im Gebrauch des Kompaſſes auf dem Schiffe ein, die ſich in einer zunächſt ganz unkontrollierbaren Ablenkung der Magnetnadel von der Richtung des magnetiſchen Meridians je nach dem Orte der Aufſtellung an Bord bemerkbar machte und meiſtensteils auch während einer Reiſe noch be -800Der Verkehr zu Waſſer.trächtliche Veränderungen zeigte. Die durch die Eiſenmaſſen hervor - gerufene Ablenkung der Magnetnadel aus ihrer regulären Richtung, welche erſt zu Anfang dieſes Jahrhunderts durch Matthew Flinders entdeckt worden iſt und allgemein nach Roß als Deviation bezeichnet wird, iſt auf das eingehendſte theoretiſch und praktiſch unterſucht worden; in Deutſchland hat dieſer Erſcheinung die Deutſche Seewarte beſondere Aufmerkſamkeit zu teil werden laſſen. Um die Einwirkung der Eiſenmaſſen unſchädlich zu machen, hat man durch Kompenſations - magnete die infolge der Deviation geſchwächte Richtkraft des Kompaſſes zu verſtärken, womöglich vollſtändig wiederherzuſtellen verſucht. Dieſe Bemühungen, welche andauernd fortgeſetzt werden, ſcheinen aber bisher von wenig günſtigem Erfolge begleitet geweſen zu ſein. Praktiſch er - mittelt man an Bord die Größe der Deviation, die mit der Kurs - richtung veränderlich iſt, indem man den Kurs des ruhenden Schiffes auf jeden einzelnen der 32 Striche der Windroſe, deren jedem ſomit ein Winkel von 11¼ % zukommt, einſtellt und dann bekannte Küſten - objekte peilt. Man wird verſtehen, daß eine Zeitlang, ehe man nämlich die Deviationswirkungen in ihrer Bedeutung vollſtändig er - kannt hatte, der Kompaß in Gefahr war, ſeinen Ruf als unentbehr - licher Wegweiſer einzubüßen oder doch ſehr in Mißachtung kam; heute iſt dieſe Kriſis als überwunden zu bezeichnen.

2. Das Log und das Lot.

Während der Kompaß die Feſthaltung oder Beſtimmung des Schiffskurſes ermöglicht, dient das Log lediglich dem Zwecke der wieder - holten Ermittelung der Geſchwindigkeit des Schiffes und damit der Länge des zurückgelegten Weges. In ſeiner urſprünglichſten, auch heute noch faſt allgemein gebräuchlichen Form, welche trotz ihrer Einfachheit ſich gleichwohl erſt gegen Ende des 16. Jahrhunderts Eingang in die Schiffahrt verſchafft hat, beſteht dasſelbe aus einem am bogen - förmigen Rande mit Blei beſchwerten Holzbrettchen in Form eines Kreisausſchnittes, dem ſogenannten Logſcheit, und einer von einer Rolle leicht abwickelbaren Leine, der Logleine, die in beſtimmten Abſtänden durch Umwicklung, meiſt aber durch Anbringung farbiger Lappen oder kurzer mit Knoten verſehenen Schnüre eingeteilt iſt. Durch ein Schnurdreieck, deſſen Schnüre an den Ecken des Logbrettes befeſtigt ſind und ſich in dem Ende der Logleine vereinigen, iſt dafür geſorgt, daß das Brett ſeine breite Seite ſtets dem Schiffe zukehrt, wodurch der Widerſtand gegen das Waſſer vergrößert wird. Soll die Meſſung vorgenommen werden, ſo wird das Logſcheit vom Hinterteil des Schiffes aus ins Waſſer geworfen, und die im Anfang, dem ſogenannten Vorlauf, un - geteilte Leine bis zu einer beſtimmten Marke abgewickelt. Um die Meſſung von dem Einfluſſe der Bewegung des mitgenommenen Waſſers zu befreien, iſt dieſer Vorlauf ſo lang gewählt, daß das Logſcheit801Das Log und das Lot.außerhalb des Bereiches des Kielwaſſers zu liegen kommt. In dem Moment, wo das Brett ſtill zu ſtehen ſcheint oder wirklich ruht, wird auf ein beſtimmtes Zeichen hin das Logglas, eine gewöhnliche kleine Sanduhr, welche 14 oder 28 Sekunden zum Ablaufen (vergl. S. 35) braucht, umgedreht, alſo in Thätigkeit geſetzt: die Meſſung beginnt. Iſt das Glas abgelaufen, ſo wird ſchnell die Leine feſtgehalten und mitſamt dem Logſcheit eingezogen. Um dies leicht und ohne Gefahr des Reißens der Leine zu bewerkſtelligen, iſt dafür geſorgt, daß bei kräftigem Anziehen die eine Seite des Schnurdreiecks ſich löſt, alſo das Brett flach durch das Waſſer gezogen werden kann. Die Anzahl der ab - gewickelten und gezählten Knoten giebt direkt die Zahl der Seemeilen zu 1852 m, welche das Schiff bei gleichbleibender Geſchwindigkeit in einer Stunde zurücklegen würde. Da übrigens das Logbrett niemals vollſtändig zur Ruhe kommt, ſondern ſtets von dem Schiffe ein wenig mitgeſchleppt wird, ſo muß man eine praktiſch zu ermittelnde Ver - beſſerung an der Knotenzahl anbringen, indem man einfach die Knoten - abſtände etwas kleiner macht, als ſie eigentlich ſein müßten.

Nach dem neueſten und beſten Muſter, welches eine hohe Genauig - keit, namentlich bei ſchnellfahrenden Schiffen geſtattet, beſteht das Log aus einer Meſſingkapſel, die an einer ſeitlich ausgelegten Stange im Waſſer nachgeſchleppt wird und unten einen in einem Gelenk nach allen Seiten drehbaren Haken trägt. An demſelben wird eine Leine befeſtigt, die an ihrem Ende eine richtige Schiffsſchraube, nur in erheblich ver - kleinertem Maßſtabe, nachſchleift. Sobald das Schiff in Bewegung iſt, fängt die Schraube an ſich zu drehen, und zwar um ſo ſchneller, je größer die Geſchwindigkeit des Schiffes iſt. Die Drehung teilt ſich der Leine und weiter dem Haken mit, von dem ſie auf ein in der Kapſel befindliches Zählwerk übertragen wird. Der größeren Bequemlichkeit halber wird die Einrichtung ſo getroffen, daß nicht die Anzahl der Umdrehungen, ſondern direkt diejenige der in einer Stunde zurück - gelegten Seemeilen an letzterem abgeleſen werden kann. Die geſchilderte Form des Patent - oder immerwährenden Logs rührt von einem in San Franzisko lebenden Deutſchen, dem Kapitän Oskar Kuſtel, her, der das Zählwerk indeſſen an Bord ſelbſt anbringt; die erſte Anregung zu dieſer hochverfeinerten Form ging von Maſſey aus.

Auf einem weſentlich anderen Prinzip beruht der von dem deutſchen Marine-Ingenieur Strangmeyer konſtruierte Geſchwindigkeitsmeſſer, der in ſeiner Form auch nicht die geringſte Ähnlichkeit mit dem gewöhn - lichen Log hat. Bei dieſem neuen Apparat wird davon Gebrauch gemacht, daß der Druck des Waſſers gegen das in Bewegung befind - liche Schiff mit wachſender Geſchwindigkeit ſich vergrößert. Ein vorn am Schiff unter der Waſſerlinie befeſtigtes offenes Röhrchen vermittelt den Druck des Waſſers auf ein mit einem Windkeſſel in Verbindung ſtehendes Manometer, wie ſolche in bekannter Form bei jeder Dampf - maſchine Verwendung finden; aus dem Stande des Queckſilbers oderDas Buch der Erfindungen. 51802Der Verkehr zu Waſſer.des Waſſers in dem Rohre des Manometers kann man dann auf die jeweilige Schiffsgeſchwindigkeit ſchließen.

In Verbindung mit Kompaß und Log wird ſtets das Lot (in ſeiner gewöhnlich üblichen Form auch Senkblei genannt) angeführt, das zum Meſſen der Fahrwaſſertiefen unſchätzbare Dienſte leiſtet, gleichzeitig aber meiſt noch eine Einrichtung zur Ermittelung der Beſchaffenheit des Meeresgrundes beſitzt. Ein ſchwerer geſtreckter Bleikörper wird an einer ſtarken Leine oder einem Draht thunlichſt ſenkrecht in die Tiefe hinabgelaſſen, zu welchem Zweck bei größeren Tiefen die Fahrt ver - langſamt oder gar das Schiff beigedreht, alſo angehalten werden muß. Eine an der Grundfläche befindliche kleine Höhlung wird mit Talg ausgefüllt, an welchem beim Aufſtoßen des Lotes auf den Grund Bodenbeſtandteile haften bleiben und mit herausgezogen werden, um auf ihre Beſchaffenheit unterſucht und mit den Angaben der Karte verglichen zu werden. Die Tiefe läßt ſich an der Leine, welche eine nach Metern oder nach Faden (gleich ſechs Fuß oder nahe zwei Meter) fortſchreitende Einteilung trägt, direkt ableſen. Bei niedrigem Fahr - waſſer, namentlich aber da, wo jeden Augenblick ein Feſtſitzen oder Auflaufen des Schiffes auf Sandbänke oder ſonſtige Untiefen zu be - fürchten iſt, muß mit Hülfe eines kleineren oder Handlotes fort und fort gelotet werden. Meiſt wird die ſenkrechte Lage des Lotes erreicht, indem die kegelförmige Bleiſpindel in der Fahrtrichtung vorausgeworfen wird, wobei die Leine ſtets ſtraff geſpannt bleiben muß; die Ableſung geſchieht dann im geeigneten Moment.

Bei Anwendung des größeren und ſchwereren Tief-Lotes, deſſen Leine oft bis zu 400 m Länge hat, muß das Schiff ausnahmslos beigedreht werden, damit die Genauigkeit der Meſſung nicht durch die von der Vertikalen abweichende Richtung der Leine beeinträchtigt werde. Für die allergrößten Meerestiefen, deren Erforſchung allerdings mehr ein weſentlich wiſſenſchaftliches, kein eigentlich nautiſches Intereſſe hat, ſind dieſe primitiven Einrichtungen durchaus unangebracht, einmal weil das Aufſtoßen auf den Grund kaum noch bemerkt wird, vor allem aber, weil unterſeeiſche Strömungen die Leine außerordentlich weit entführen können. Der bereits erwähnte Maury umging dieſen Übel - ſtand dadurch, daß er auf Grund genauer Experimente feſtſtellte, welche Zeit ein Gewicht braucht, um in verſchiedenen Meerestiefen um je 100 Faden oder um eine beſtimmte andere Größe zu fallen. Die hierauf gegründete Methode würde auch vollſtändig ausreichen, wenn man nicht gleichzeitig mit den immerhin recht ſchwierigen Tiefſeelotungen noch den Zweck der Unterſuchung des Meeresgrundes verbinden würde. Der Amerikaner Brooke verſenkte deshalb durchbohrte Kanonenkugeln, die ſich auf einem kurzen, cylindriſchen Stabe verſchieben ließen und an einem eigentümlichen, gabelförmigen Scharnier hingen. Sobald das Aufſtoßen des Stabes auf den Grund erfolgte, klappte das Scharnier nach unten und die Kugel fiel ab, mußte alſo bei jedem neuen Verſuch803Das Log und Die Ortsbeſtimmung zur See.durch eine andere bereitgehaltene Kugel erſetzt werden. Der Cylinder mit den Grundproben ließ ſich leicht und ohne Mühe heraufholen.

Da der Druck der auf einem beſtimmten Querſchnitt ruhenden Waſſerſäule mit größerer Tiefe ſchnell zunimmt, ſo hat man mit Er - folg dieſe Druckzunahme bei der Konſtruktion neuer Tiefſee-Lote zu Grunde gelegt. Dieſelben bieten gleichzeitig den Vorteil, daß ſie ein Beidrehen des Schiffes entbehrlich machen, da ihre Angaben von der ſenkrechten Stellung der Leine unabhängig ſind. Am gebräuch - lichſten waren bisher die Apparate von William Thomſon und diejenigen von Bamberg, bei denen mit Luft gefüllte Glasröhren ver - ſenkt wurden, welche an einem Ende eine enge Öffnung hatten oder mit einem Ventil verſehen waren. Indem ſie dem Waſſer den Eintritt geſtatteten, wurde mit zunehmender Tiefe die Luftſäule immer kleiner; beſondere Vorrichtungen, bei denen teilweiſe chemiſche Eigenſchaften des Seewaſſers eine Rolle ſpielen, erlauben, die Tiefe an den Röhren ab - zuleſen oder aus den erhaltenen Angaben abzuleiten. Die Ergeb - niſſe der Lotung gewähren dem Schiffsführer die Möglichkeit, die Tiefe und Beſchaffenheit des Meeresgrundes mit den Angaben der Seekarten zu vergleichen, gegebenenfalls die Reſultate der Beſtecks-Rechnung da - nach zu verbeſſern.

3. Die Ortsbeſtimmung zur See.

Die Aufmachung eines Schiffsbeſtecks, d. h. die Ermittelung des momentanen Schiffsortes, iſt in Sicht des Landes eine einfache Auf - gabe, die mittels Konſtruktion oder durch einfache Rechnung gelöſt werden kann und auch hinreichende Genauigkeit gewährt. Zwei leicht erkennbare Landobjekte werden mit den Viſiervorrichtungen des Kompaſſes gepeilt und die erhaltenen Richtungen in die Karten ein - getragen; der Schnittpunkt der beiden Linien ergiebt die Poſition des Schiffes. Im Notfalle genügt auch die Peilung eines einzigen Objektes, deſſen Höhe dann aber mit einem Winkelinſtrument zur Beſtimmung des Abſtandes gemeſſen werden muß. Mehrfache Wiederholungen dieſer Beſtimmung unter Berückſichtigung der in der Zwiſchenzeit eingetretenen Ortsveränderung des Schiffes, die für dieſen Zweck mit der erforder - lichen Genauigkeit aus den Angaben von Kompaß und Log abzuleiten iſt, wird die Schiffspoſition innerhalb derjenigen Genauigkeit finden laſſen, welche überhaupt vom Seemann erreicht werden kann. Auf hoher See können nur die in die Karten einzutragenden und aus den Angaben von Kompaß und Log zu entnehmenden Werte für die Kurs - richtung und den zurückgelegten Weg Verwendung finden; ſelbſtverſtänd - lich muß der Ausgangspunkt des Schiffes auf das genaueſte bekannt ſein, wenn man auf dieſe Weiſe den Schiffsort beiſpielsweiſe für einen beſtimmten Zeitpunkt ermitteln will. Bei der Berechnung hat man ſtets nur mit rechtwinkligen Dreiecken zu thun, deren Katheten die51*804Der Verkehr zu Waſſer.Änderung der Poſition des Schiffes in geographiſcher Länge und Breite vorſtellen, während die Hypotenuſe die Länge der innerhalb des be - trachteten Zeitraumes zurückgelegten Entfernung repräſentiert und ihrem Werte nach durch das Loggen bekannt iſt. Iſt innerhalb kürzerer Zeit - räume der Kurs mehrmals gewechſelt worden, ſo wird nicht für jeden einzelnen die Rechnung getrennt durchgeführt, ſondern man koppelt die Kursrichtungen zu einem ſog. Generalkurs und arbeitet mit dieſem; natürlich bedarf in ſolchem Fall auch der zurückgelegte Weg einer Reduktion, ehe er in die Karte eingetragen werden kann. Es verbietet ſich hier von ſelbſt, eingehender die beſonderen Kunſtgriffe und Eigenheiten bei Ausführung der Beſteck-Rechnung zu beſprechen; die gegebenen allgemeinen Darlegungen mögen genügen, um den Gang des Verfahrens zu charakteriſieren.

Die geſchilderte einfache Art der Ortsbeſtimmung würde aber namentlich bei längeren Seereiſen und bei häufigen Kursänderungen ſchließlich zu recht wenig zuverläſſigen Reſultaten führen, wenn man nicht in der Lage wäre, ihre Ergebniſſe fortlaufend durch aſtronomiſche Beobachtungen einer genauen Kontrolle zu unterziehen. Die aſtrono - miſchen Ortsbeſtimmungen beſtehen in der Beſtimmung der geographiſchen Breite des Schiffsortes und der Ermittelung des Standes des Schiffs - chronometers gegen die Ortszeit. Der Sextant als Winkelmeßinſtrument und der Zeitmeſſer oder das Chronometer ſind überhaupt neben Log und Kompaß die wichtigſten nautiſchen Hilfsmittel auf offenem Meere, ohne deren verſtändige Handhabung die ſchnelle und geſicherte Be - endigung einer Seereiſe vornehmlich bei längerer Dauer ganz und gar dem Zufall überlaſſen ſein würde.

Verhältnismäßig am einfachſten geſtaltet ſich an Bord die Be - ſtimmung der geographiſchen Breite, wenngleich die Erreichung einer Genauigkeit, wie ſie auf dem feſten Lande verlangt werden muß, wegen der andauernden Schwankungen des Schiffes vollſtändig ausgeſchloſſen iſt. Die Breite ergiebt ſich aus der Beobachtung der Höhe eines bekannten, hinreichend hellen Geſtirns, beſonders der Sonne, in der Nähe des Ortsmeridians, d. h. möglichſt genau zur Zeit des höchſten Standes mit Hülfe des Sextanten und durch Vergleichung der beobachteten Geſtirnshöhe mit den in aſtronomiſchen Tafeln enthaltenen Angaben. Die Methode ſetzt eine wenigſtens annähernde Kenntnis der Ortszeit der Beobachtung voraus; aber ein kleiner Fehler iſt nahezu bedeutungs - los, umſomehr, da fortlaufend bei günſtigem Wetter auch der Stand des Chronometers durch direkte Beobachtungen kontrolliert wird.

Der Spiegel-Sextant, der bei dieſen Winkelmeſſungen faſt aus - ſchließlich an Bord zur Anwendung kommt, iſt im weſentlichen eine Er - findung von Iſaac Newton. Derſelbe ſandte eine Beſchreibung und Zeichnung des von ihm erdachten Inſtrumentes an Halley zur Be - gutachtung und Äußerung über den Wert desſelben; doch ſcheint dieſer die Wichtigkeit der Erfindung nicht erkannt und der Angelegenheit weiter805Die Ortsbeſtimmung zur See.keine Bedeutung beigelegt zu haben, denn erſt nach Halleys Tode fand man unter ſeinen Papieren die von Newton angegebene Kon - ſtruktion. Inzwiſchen erfand ein Glaſer, namens Thomas Godfrey, der 1749 in Philadelphia ſtarb, ein ähnliches Inſtrument, nämlich einen Spiegel-Quadranten, von dem die erſte Mitteilung i. J. 1730 in die Öffentlichkeit gelangte. Auch die königliche Geſellſchaft in London er - hielt von der Erfindung Kenntnis und ſetzte ihrerſeits dem Erfinder eine Belohnung von 200 Pfund aus. Durch Godfreys Bruder ſoll der Schiffskapitän Hadley die Konſtruktion des neuen Inſtrumentes kennen gelernt und ſeinem Bruder John, einem Mechaniker, Mitteilung davon gemacht haben. Sicher iſt nur, daß letzterer 1731 der Royal Society in London ein von ihm konſtruiertes, auf ähnlichen Erwägungen beruhendes Inſtrument zur Winkelmeſſung bei ſchwankender Bewegung der Gegenſtände vorlegte, das ſich unter dem Namen Hadleys Spiegel - Sextant ſehr bald Eingang zu verſchaffen wußte. Es iſt wohl denk - bar, daß infolge des erwieſenermaßen ſehr intimen Verkehrs des Erfinders mit Halley der erſtere von der Newtonſchen Konſtruktion Kenntnis erhalten und ſpäterhin zu ſeinem eigenen Vorteil davon Gebrauch gemacht hat; indeſſen laſſen ſich hierüber ſtets nur mehr oder minder zutreffende Vermutungen anſtellen.

Wenngleich in der Folge wiederholt der Verſuch gemacht wurde, die Spiegelſextanten wegen der mannigfachen ihnen anhaftenden Mängel durch Spiegelkreiſe zu erſetzen, alſo ſtatt der Kreisbogen volle Kreiſe zu verwenden, ſo haben ſich dieſe Inſtrumente doch niemals recht ein - bürgern wollen. Ein erſter Verſuch wurde von Tobias Mayer 1754 der engliſchen Admiralität vorgelegt und von Borda zur Anwendung empfohlen; die Herſtellung wurde beſonders von Piſtor in Berlin in größerem Maßſtabe betrieben. In beſcheidener Ausdehnung haben wenigſtens die 1822 von Amici vorgeſchlagenen Prismenkreiſe Eingang in die Nautik gefunden; aber erſt die 1845 von der Firma Piſtor und Martins in den Handel gebrachten Prismenkreiſe, deren Konſtruk - tion geradezu vollkommen genannt zu werden verdient, haben wenigſtens teilweiſe mit dem Sextanten zu konkurrieren vermocht, obſchon ſie den - ſelben keineswegs zu verdrängen imſtande geweſen ſind.

Der Spiegelſextant beſteht, wie aus Fig. 443 zu erſehen iſt, und wie auch aus dem Namen hervorgeht, aus einem Kreisſektor A A, deſſen Bogen ungefähr ein Sechſtel des Kreiſes umfaßt und auf ein - gelegtem Silberſtreifen eine feine Einteilung trägt. Um den Mittelpunkt B dieſes Kreisbogens dreht ſich ein Lineal mit einem durch den Mittel - punkt gehenden, zur Sektor-Ebene ſenkrecht geſtellten Spiegel, von welchem die von links auffallenden Strahlen zurückgeworfen werden. Der gabelförmige Nonienträger iſt überdies noch mit einer Klemme und einer Feinbewegungs-Einrichtung zum Feſtſtellen des Lineals reſp. zu genaueren Einſtellungen verſehen. Das feſt mit dem Sektor verbundene Fernrohr D E, deſſen Augenglas oder Okular ſich bei E befindet, iſt auf806Der Verkehr zu Waſſer.

Fig. 443.

Spiegelſextant.

einen zweiten, kleineren Spiegel b gerichtet, der wie der erſt erwähnte ebenfalls ſenkrecht zur Sex - tantenebene ſteht. H ſtellt den meiſt hölzernen Hand - griff dar; K und L ſind dunkle, ſatt gefärbte Gläſer, die zur Abblendung der Sonnenſtrahlen nach Be - lieben in den Gang der Lichtſtrahlen gebracht wer - den können.

Durch die obere, nicht mit Spiegelmetall belegte Hälfte des kleineren Spie - gels erblickt das Auge mit Hülfe des Fernrohrs ein beſtimmtes Objekt direkt, während die von einem anderen Objekte kommenden Strahlen erſt durch zweimalige Spiegelung, an B und der ſpiegelnden unteren Hälfte von b, nach E gelangen. Bei den Meſſungen iſt es Regel, das weniger helle Objekt direkt zu beobachten; bei Höhen - meſſungen auf See läßt man das zweimal geſpiegelte Bild des Objektes, deſſen Höhe gefunden werden ſoll, mit der direkt anviſierten Kimme, d. h., dem ſcheinbaren Horizont zuſammenfallen. Bei mangelhaft ſichtbarem Horizont erſetzt man den an Land üblichen künſtlichen Queckſilberhorizont, der wegen der ſchwankenden Bewegungen des Schiffes an Bord keine Verwendung finden kann, neuerdings verſuchsweiſe durch eine ſcharfe Licht - linie, die durch einen mit dem Sextanten verbundenen, ſchnell rotierenden Kreiſel hergeſtellt wird. Den in dieſer Beziehung zu ſtellenden An - forderungen genügte bisher am meiſten der von dem franzöſiſchen Linienſchiffskapitän Fleuriais erfundene Kreiſel-Sextant oder Gyroſcop - collimator.

Die Chronometer ſind als Erzeugniſſe der Uhrmacherkunſt bereits eingehend beſprochen worden. Die Schiffschronometer, deren ein Schiff oft mehrere mit ſich führt, werden in allen möglichen Lagen und Temperaturen zunächſt an Land auf ihren Gang unterſucht und demnächſt an Bord an einem möglichſt ſicheren Ort untergebracht, ſo daß ſie durch die Stöße und Schwankungen des Schiffes möglichſt wenig geſtört werden, wie ſie denn auch vor ſchnellen Feuchtigkeits - und Temperatur-Veränderungen ſorgfältig gehütet werden müſſen.

Die Chronometer, welche meiſt Greenwicher mittlere Zeit anzeigen, werden vor der Ausreiſe ſcharf mit den im Hafen befindlichen und durch aſtronomiſche Beobachtungen kontrollierten Zeitſignalen oder Pendel - uhren verglichen. Mit Hülfe der bekannten Länge eines anderen Ortes807Die Ortsbeſtimmung zur See.gegen Greenwich, die allerdings an Bord nur genähert durch die Beſtecksrechnung ermittelt werden kann, erhält man aus der Angabe der Uhr unter Berückſichtigung der jeweiligen Korrektion, welche dieſelbe wegen der Gangänderung erfordert, die mittlere Beobachtungszeit an dem betreffenden Orte. Direkte Höhenbeobachtungen eines Geſtirnes nahe im Weſten oder Oſten ergeben ihrerſeits die Korrektion oder den Stand der Uhrangabe gegen die mittlere Ortszeit mit aller wünſchens - werten Genauigkeit und geſtatten einen Schluß auf die mehr oder minder große Regelmäßigkeit des Ganges des Chronometers, welcher übrigens meiſt an Bord eine Beſchleunigung gegen den am Lande beob - achteten Wert erfährt. Die bei dieſem Verfahren vorauszuſetzende Kenntnis der geographiſchen Breite wird innerhalb der erforderlichen Genauigkeits-Grenzen von der Beſtecksrechnung geliefert.

Die Beſtimmung der Länge auf See würde das denkbar ein - fachſte Problem darbieten, wie S. 48 nachzuleſen iſt. Nun wird zwar durch fortgeſetzte Zeitbeſtimmung die Erlangung einer abſolut genauen Kenntnis des Uhrganges angeſtrebt; gleichwohl aber bedürfen die Reſultate der einfachen Chronometerübertragung, einerſeits wegen der Schwierigkeit und der begrenzten Genauigkeit der Beobachtung, anderer - ſeits wegen der manchmal recht beträchtlichen Unzuverläſſigkeit der Chronometer in Bezug auf den Gang, infolge mangelhafter Kompen - ſation oder heftiger Stöße, von Zeit zu Zeit einer ſorgfältigen Kontrolle. Dieſe ergiebt ſich aus der Beobachtung gewiſſer Phänomene, für welche in den aſtronomiſchen Jahrbüchern oder Ephemeridenſammlungen genaue Vorausberechnungen gegeben ſind. Übrigens wird ſich der Seefahrer der meiſt ſehr kompendiöſen und recht teuren Hilfsmittel der Aſtronomie, auch weil dieſelben vieles für ihn Überflüſſige enthalten, nur ſelten bedienen, vielmehr den erheblich billigeren, vollkommen ausreichenden und eigens für die Zwecke der Seeſchiffahrt bearbeiteten Sammlungen, welche überdies die zu nautiſchen Berechnungen erforderlichen Hilfstafeln und vieles andere für ihn Wiſſenswerte bieten, unzweifelhaft den Vorzug geben.

Eine verhältnismäßig zuverläſſige Kontrolle gewähren in erſter Linie die Monddiſtancen, alſo Meſſungen der Abſtände des Mondes von der Sonne oder von hellen Fixſternen reſp. Planeten, die wegen der ſchnellen Ortsveränderung des Mondes am Himmel für beſtimmte Greenwicher Zeiten vorausberechnet ſind, und deren Vergleichung mit den direkt beobachteten Werten den Längenunterſchied annähernd ergiebt. Daß die für verſchiedene Orte zu verſchiedenen Zeiten eintretenden Sonnenfinſterniſſe und Sternbedeckungen durch den Mond ebenfalls Ver - gleichungen ermöglichen, bedarf kaum der Erwähnung. Leider ſind aber die letzteren Phänomene, deren Beobachtung den Beſitz eines leidlich guten Fernrohrs vorausſetzt, für einen Ort verhältnismäßig ſelten und ſtehen namentlich auch bei den meiſt geringen optiſchen Hilfsmitteln des Seefahrers an Genauigkeit der Methode der Längenbeſtimmung durch Chronometer -808Der Verkehr zu Waſſer.übertragung weit nach; zudem machen ſie ziemlich zeitraubende und mühſame Berechnungen nötig, die ſich der Schiffsleiter gern zu er - ſparen ſucht.

Die Möglichkeit einer zuverläſſigen und ſorgfältigen Prüfung der aſtronomiſchen, nicht minder der magnetiſchen und meteorologiſchen In - ſtrumente an den ſtaatlicherſeits organiſierten Marineinſtituten hat ſpeziell für die Kriegsmarine eine außerordentlich hohe Bedeutung erlangt und erfreut ſich der weitgehendſten Fürſorge ſeitens der Regierungen. Vorzüg - liche Reſultate ſind vor allem mit den Konkurrenzprüfungen von Chrono - metern erzielt worden, welche die verſchiedenſten wegen ihrer Fabrikate beſonders geſchätzten Künſtler zu einem anregenden und bedeutſamen Wettbewerbe herausgefordert haben, indem die beſten Erzeugniſſe der Uhrmacherkunſt mit Prämien bedacht und zum Ankauf vorgeſchlagen werden. Um aber andererſeits auch bei den in Gebrauch befindlichen Chronometern eine möglichſt vielſeitige Kontrolle ausüben zu können, ſind wichtigere Stationen oder Hafenorte mit einer Einrichtung ver - ſehen, welche dem Schiffer geſtattet, den Stand ſeines Zeitmeſſers auf die einfachſte und bequemſte Weiſe feſtzuſtellen und auf die Genauigkeit ſeiner direkten Beſtimmungen durch aſtronomiſche Beob - achtung zu ſchließen. Dieſem Zweck dienen die Zeitſignale und Zeit - bälle, wie ſolche vielfach, z. B. in Swinemünde und Bremerhaven, zum Nutzen aller Seefahrer in Funktion ſind. Entweder wird die Zeit des Ortsmittags durch Löſung eines Kanonenſchuſſes bekannt gegeben, oder es ſind leicht erkennbare hohe Stangen reſp. Türme er - richtet, von deren Spitze man zu einem beſtimmten, in den nautiſchen Jahrbüchern ein für allemal feſtgeſetzten Zeitpunkte einen großen Ball oder dergleichen niederfallen läßt. Durch langſames, geringes Senken des Zeitballes werden die Beobachter auf die bevorſtehende Auslöſung des Zeitſignals aufmerkſam gemacht, welche neuerdings vielfach auf elektriſchem Wege erfolgt.

4. Das Signalweſen.

Die Sicherheit des internationalen Schiffsverkehrs bedingt auf hoher See, namentlich bei nebligem Wetter oder in ſtürmiſchen Nächten, beſondere Vorkehrungen, welche hier im Zuſammenhang mit den ge - legentlich außerordentlich wichtig werdenden Mitteln zur Verſtändigung zwiſchen mehreren ſich begegnenden Schiffen zu behandeln ſind. Oftmals würde durch die Unmöglichkeit einer ſolchen Verſtändigung die Exiſtenz und Sicherheit von Schiff und Ladung in Frage geſtellt ſein, wie es andererſeis notwendig werden kann, daß ein Schiff dem anderen Nachrichten von vielleicht unberechenbarer Wichtigkeit übermittele, ohne doch genötigt zu ſein, ſeinen Kurs erheblich zu ändern oder gar ſich dem anzurufenden Schiff auf Rufweite zu nähern. Bei hinreichend kleiner Entfernung bedient man ſich zum Anrufen oder Preien wohl809Das Signalweſen.eines großen Sprachrohrs und erreicht dadurch die Möglichkeit einer direkten Verſtändigung. Doch gehört dieſe Art der Mitteilung zu den Seltenheiten und wird faſt allgemein durch ein international ver - abredetes Syſtem von Flaggenſignalen erſetzt. Verſchiedene dieſem Zwecke dienende Syſteme haben dem jetzt allgemein giltigen, auf die Initiative von Frankreich und England zurückzuführenden Signalſyſtem weichen müſſen, bei dem die ſämtlichen Konſonanten von B bis W ein - ſchließlich durch 18 Flaggen oder Wimpel von verſchiedener Form dargeſtellt werden, die in geeigneter Kombination die Farben Weiß, Gelb, Rot und Blau führen. Mehr als 4 Flaggen kommen niemals gleichzeitig zur Anwendung, meiſt nur eine oder zwei, und doch ſtehen auf dieſe Weiſe mehr als 78600 verſchiedene Flaggenſignale zur Ver - fügung, welche für die Verſtändigung ausreichen, und deren Bedeutung der Sicherheit halber in einem Signalcodex zuſammengeſtellt iſt.

Bei Nacht werden die Signalwimpel durch Signallaternen erſetzt, die in Verbindung mit akuſtiſchen Signalen, wie ſolche durch Läuten von Glocken oder mit den Dampfnebelhörnern reſp. Dampfpfeifen gegeben werden, der Gefahr eines Zuſammenſtoßes zweier ſich begegnenden Schiffe vorbeugen ſollen.

Um aber auch bei Nacht oder bei nebligem Wetter, wo die Flaggen - ſignale nicht erkannt werden können, eine Verſtändigung zu ermöglichen, hat man, ganz nach Art des Morſealphabets (vergl. S. 247), durch Zu - ſammenſtellung verſchiedenfarbiger Lampen, für welche meiſt nur Weiß, Rot und Grün in Betracht kommen, ein geeignetes Signalſyſtem feſtzu - ſtellen geſucht. Die vielen Hunderte von Verſuchen in dieſer Richtung haben ſich aber noch keiner internationalen Einführung zu erfreuen gehabt, trotz - dem manche von ihnen unter Umſtänden recht gute Leiſtungen verſprechen.

Bei einem der neueſten Nacht-Signaliſierungs-Apparate können drei in Abſtänden von 1,5 m durch Drahtſeil mit einander verbundene elektriſche Glühlampen, die zur Hälfte weißes, zur Hälfte rotes Licht geben, durch eine kleine Dynamo-Maſchine in Thätigkeit geſetzt werden. Je nachdem man den Strom in die eine oder andere Hälfte leitet und ſo rotes oder weißes Licht erzeugt, und je nach der Kombination, in welcher man die drei Lampen verwendet, können die für die Ver - ſtändigung am Tage wichtigſten Flaggenſignale vollſtändig wieder - gegeben werden. Um den Betrieb dieſes Apparates nach Möglichkeit zu ſichern und jedes Vergreifen zu verhüten, ſitzt der denſelben be - dienende Mann auf Deck vor einer von unten durch eine kleine Glüh - lampe erleuchteten Glasplatte, auf welcher die verſchiedenen Kombi - nationen aufgetragen ſind, ſodaß nur ein als Umſchalter dienender Hebel auf das momentan gewünſchte Signal gedreht zu werden braucht, um dieſes erſcheinen zu laſſen.

Die bisher erwähnten Vorkehrungen der jüngſt von ver - ſchiedenen Seiten angebahnten internationalen Kursvereinbarung, der Vorſchriften über das Ausweichen einander begegnender Schiffe, die es810Der Verkehr zu Waſſer.namentlich dem Dampfſchiff zur Pflicht machen, dem Segler die Paſſage frei zu geben, gar nicht zu gedenken werden zur Genüge dargethan haben, welche Wichtigkeit man der Sicherung des Seever - kehrs auch auf offenem Meere beimißt. Daß damit auch die Fürſorge für das Leben nnd die Erhaltung der Mannſchaft Hand in Hand geht, beweiſen die zahlreichen Vorſchläge, überall Schwimmgürtel und Korkjacken bereit zu halten, womöglich Matratzen und andere geeignete Gegenſtände aus Kork oder mit Korkeinlagen herzuſtellen, vor allem aber ein Schiff aufs vollſtändigſte mit den nötigen Rettungsbooten und Rettungsapparaten auszuſtatten, welche im Falle der Not von Nutzen ſein können. Stets wird aber ein geſchultes, erfahrenes Per - ſonal, dem die Leitung und Führung eines Schiffes unbedenklich übertragen werden kann, die größte Gewähr für die Sicherheit der Seereiſe bieten, die trotz aller Vorbeugungs-Maßregeln und Siche - rungen mehr oder minder in ihrem Erfolge dem Spiel der Elemente überlaſſen bleibt. Von der Erkenntnis der hohen Bedeutung eines theoretiſch und praktiſch wohlerfahrenen Schiffsperſonals durch - drungen, haben deshalb auch die Regierungen derjenigen Nationen, deren Handel und Wohlſtand auf das innigſte mit der Entwicklung des Schiffsverkehrs verknüpft iſt, es ſich angelegen ſein laſſen, ihrerſeits dafür Sorge zu tragen, daß den Seefahrern die Aneignung einer gründlichen, theoretiſchen und praktiſchen, wiſſenſchaftlichen und tech - niſchen Bildung erleichtert wird. Zu dieſem Zwecke ſind beſondere Inſtitute, Seefahrts - oder Navigationsſchulen genannt, errichtet worden, an denen Lotſen, Steuerleute und Maſchiniſten eine ihrem beſonderen Amte angepaßte Unterweiſung empfangen, nachdem ſie ſich vorher auf einem Schiffe die unerläßlichſten praktiſchen Kenntniſſe erworben haben. In beſonders hoher Blüte ſtehen natürlich die dem Zwecke der Kriegs - marine dienenden Anſtalten.

Der umfaſſendſten Fürſorge nicht allein ſeitens der ſtaatlichen Inſtitutionen, ſondern auch von ſeiten kommunaler und privater Ver - bände erfreut ſich die Sicherung der Seeſchiffahrt an gefährlichen Küſtenpunkten und ſchwierigen Hafeneinfahrten; hier werden aber auch beſonders hohe Anforderungen an die Opferwilligkeit und Thatkraft des einzelnen und der Geſamtheit geſtellt, um die Küſte thunlichſt der Gefahren und Schreckniſſe zu entkleiden, welche ſie infolge des beſtändig an ihr ſelbſt oder in ihrer Nähe ſich vollziehenden Geſtaltwechſels für ein Schiff haben kann. Namentlich die Dampfſchiffe ſind ja bei der heutzutage erreichten Schnelligkeit des Verkehrs und der vielſeitigen Konkurrenz gezwungen, auch dann, wenn Nacht und Nebel die Küſte verhüllen, ihre Reiſe mit unverminderter Geſchwindigkeit dem Landungs - hafen entgegen fortzuſetzen; ſicherlich aber könnten ſie dies ohne die treffliche Organiſation des Sicherungs - und Wachtdienſtes an den vornehmlich gefahrdrohenden Küſtenorten nicht wagen. Um ſo größer iſt naturgemäß auch das Intereſſe und die Bedeutung, welche die Sicherungs -811Das Signalweſen.einrichtungen, die teilweiſe nicht einmal in den Segelkarten Aufnahme finden können, für ſich in Anſpruch nehmen; ſind dieſelben doch nicht ſelten nur mit großen pekuniären Opfern und unter faſt unüberwindlichen techniſchen Schwierigkeiten herzuſtellen, und verlangt doch die unerläßliche, andauernde Überwachung und Kontrolle der Schiffahrts - und Warnungs - zeichen oftmals die unerſchrockenſte Opferfreudigkeit im gefahrvollen Beruf, ein todesmutiges Ausharren auf dem verantwortlichen Poſten.

Meiſt bedient ſich ein Schiff, namentlich bei ſchwierigen Hafen - und Einfahrtsverhältniſſen, wie es das Seerecht eigentlich allgemein als Regel vorſchreibt, eines kundigen Lotſen, deren mehrere gewöhnlich in unmittelbarſter Nähe der gefährlichſten Punkte auf einem Lotſen - ſchiffe Wacht halten. Kommt ein Schiff in Sicht, ſo wird auf Ver - langen ein Lotſe als Führer entſendet, der mit dem Augenblick, wo er das Schiff betritt, volle Verantwortung für die ungefährdete Leitung desſelben übernimmt. Die Wachtſchiffe ſelbſt bleiben möglichſt dauernd an einem beſtimmten Punkte ſtationiert und werden nur in Fällen eigener Gefahr auf kurze Zeit eingezogen; die von ihnen abgegebenen Lotſen werden übrigens je nach der Verpflichtung, welche ſie übernehmen, und der von ihnen auszuübenden Thätigkeit als Seelotſen - und Hafen - oder Revierlotſen unterſchieden.

Die zur Kennzeichnung vereinzelter Sandbänke oder anderer ge - fährlicher Stellen errichteten Baken ſind hohe, leicht ſichtbare, in Holz oder Eiſen konſtruierte Gerüſte, die zur beſſeren Unterſcheidung von einander in der verſchiedenſten Form hergeſtellt und auch ſonſt noch mit beſonders charakteriſtiſchen Merkmalen ausgeſtattet werden. In einigen Fällen hat ſogar die Privatwohlthäigkeit dafür Sorge getragen, daß Schiffbrüchige, welchen es gelingt, ſich auf gewöhnlich überflutete, durch ſolche Baken kenntlich gemachte Sandbänke zu flüchten, Waſſer und Schiffszwieback zu einer erſten Stärkung und Kräftigung vorfinden, bis ſie glücklich an Land gerettet werden.

Dieſe humanen Beſtrebungen der Privatrettungsgeſellſchaften leiten darauf, der verhältnismäßig neuen Organiſation des Küſtenrettungs - weſens wenigſtens mit einigen Worten zu gedenken. Hier iſt England allen anderen Nationen mit gutem Beiſpiel[vorangegangen] und hat dieſe leitende und führende Stellung bisher unbeſtritten bewahrt. Deutſchland hat erſt ziemlich ſpät entſprechende Einrichtungen angebahnt; umſo erfreulicher iſt aber die ſegensreiche Thätigkeit, welche die am 29. Mai 1865 gegründete Deutſche Geſellſchaft zur Rettung Schiff - brüchiger in der kurzen Zeit ihres Beſtehens zu entfalten Gelegenheit gehabt hat. Zur praktiſchen Ausübung der gemeinſamen Ziele aller Rettungsgeſellſchaften ſind an beſonders wichtigen Küſtenpunkten Rettungsſtationen eingerichtet, welche außer mit Rettungsbooten mit allen Erforderniſſen einer erfolgreichen Thätigkeit mehr oder minder vollſtändig ausgerüſtet ſind. Die in erſter Linie zu erſtrebende Ver - bindung mit einem geſtrandeten Schiff, einem hilfloſen Wrack wird in812Der Verkehr zu Waſſer.der Regel zunächſt durch Hinüberwerfen von Leinen mittels geeigneter Mörſer - oder Raketenapparate hergeſtellt; ſtarke Taue können von den auf dem Wrack etwa noch befindlichen Perſonen nachgezogen und in geeigneter Weiſe feſt verkoppelt werden. Da aber, wo die Entfernung zu groß iſt, oder wo dieſe Art der Verbindung eine Möglichkeit der Rettung auszuſchließen ſcheint, tritt die Rettungsmannſchaft ein, welche in ihrem ſchwanken Boote, oft unter Einſetzung des Lebens und im aufreibendſten ſtundenlangen Kampfe mit der toſenden Brandung an das Schiff heranzukommen ſucht. Wie überaus ſegensreich das Küſten - rettungsweſen wirkt, geht am beſten aus den Jahresberichten der ver - ſchiedenen Geſellſchaften hervor: viele Tauſende von Schiffbrüchigen verdanken demſelben die Erhaltung ihres Lebens, und alljährlich mehrt ſich der Prozentſatz derer, die auf ſolche Weiſe dem drohenden Unter - gange entriſſen wurden, deren Exiſtenz den aufgeregten wütenden Ele - menten im wahren Sinne des Wortes abgerungen iſt.

Mit dem meiſt privater Initiative entſprungenen Rettungsweſen ſteht in engſtem Zuſammenhang das in erfreulichſter Entwicklung be - griffene, in den Händen des Staates ruhende Sturmwarnungsweſen. Dasſelbe iſt im eigentlichſten Sinne eine Errungenſchaft der neueſten Zeit und in ſeiner Entſtehung kaum weiter als bis zum Jahre 1854 zurückzuführen; ein am 14. November genannten Jahres im Schwarzen Meere orkanartig aufgetretener Sturm, welcher der franzöſiſchen Kriegs - flotte bedeutenden Schaden zufügte, gab die direkte Veranlaſſung zu ſeiner Inaugurierung. Dem ermutigenden Beiſpiele Frankreichs folgten mit verſchieden großem Eifer bald die übrigen Staaten nach. Zwar beruhte das Sturmwarnungsweſen in ſeinen erſten Anfängen auf wenig wiſſenſchaftlichen Grundlagen und war eine Zeit lang ſogar nahe daran, in Vergeſſenheit oder Mißachtung zu geraten; dennoch ſprachen ſich auf dem Wiener Kongreß im Jahre 1873 faſt alle Stimmen zu Gunſten der Beibehaltung desſelben aus.

Zur praktiſchen Ausübung des Sturmwarnungsweſens ſind an be - ſonders wichtigen Punkten, namentlich in Hafenorten, mehr oder minder vollſtändig ausgerüſtete Signalſtationen eingerichtet, die ſämtlich mit den notwendigſten meteorologiſchen Inſtrumenten, wie Barometer, Thermo - meter und Regenmeſſer, verſehen werden. Die Signalſtellen erſter Klaſſe haben einen Signalmaſt mit einem vollſtändigen Apparat zum Signaliſieren der Stürme in die Ferne, nämlich zwei Kegel, eine Kugel und zwei rote Flaggen, während bei Nacht durch eine oder mehrere rote Lampen gleich - mäßig alle Tagesſignale erſetzt werden. Die telegraphiſch von der Central - ſtation, in Deutſchland z. B. von der Seewarte in Hamburg, übermittelten Warnungen beſagen allgemein, daß etwa im Umkreiſe von 100 km eine atmoſphäriſche Störung aller Vorausſicht nach zu erwarten iſt. Die Signalſtellen zweiter Klaſſe ziehen einfach an einer Signalſtange einen Ball als Nachricht auf, daß ein Warnungstelegramm eingegangen iſt, deſſen Wortlaut im übrigen auf der Station ſelbſt eingeſehen werden kann.

813Das Signalweſen.

Eines tritt ergänzend zum anderen; und ſo würde denn auch die Bedeutung des Sturmwarnungsweſens völlig illuſoriſch ſein, wenn man nicht gebührend dafür Sorge tragen wollte, daß einem Schiff, welches trotz der Warnung einen Not - oder Zufluchtshafen nicht recht - zeitig mehr erreichen kann, auch im wildeſten Aufruhr der Elemente, in gefahrdrohendſter Nähe der Küſte ſicher und unverlierbar der Weg ge - wieſen wird. Dieſem Zweck dienen die Leuchtfeuer, in der verſchiedenſten Form und Ausführung, als Leuchttürme, Feuerſchiffe, Leuchtbojen u. ſ. w. bekannt.

Der erſte hiſtoriſch beglaubigte Leuchtturm iſt der zu den ſieben Wunderwerken des Altertums gezählte, auf der Inſel Pharos bei Alexandrien, der ungefähr 300 v. Chr. erbaut wurde, und deſſen Höhe von dem Araber Edriſi, der ihn noch im 12. Jahrhundert n. Chr. be - ſuchte, auf 500 Fuß angegeben wird, was ſicher übertrieben iſt. Nach dem Muſter dieſes älteſten Turmes ſind dann von den Römern ſpäter zahlreiche Leuchttürme an den Meeren ihres weiten Reiches erbaut worden.

Die Bojen oder Schwimmkörper, ehedem als wirkliche Tonnen aus Holz, jetzt meiſt in der Form von abgeſtumpften Doppelkegeln oder als Kugeln in Eiſen konſtruiert, werden zur Bezeichnung des Fahrwaſſers ausgelegt, an ſtarken Ketten am Grunde verankert und zur beſſeren Unterſcheidung mit verſchiedenfarbigem Anſtrich oder anderen bequemen Merkmalen verſehen. Verborgene Klippen, die ja gegebenen - falls durch unterſeeiſche Sprengung beſeitigt werden können, aber auch jedes andere Hindernis mitten im Fahrwaſſer ein geſunkenes Schiff oder beiſpielsweiſe ein verlorener Anker werden durch ausgeſetzte Bojen kenntlich gemacht. Erſt ſeit verhältnismäßig kurzer Zeit verſieht man mit Vorliebe die Bojen mit Glocken oder mit verſchiedenfarbigen Lichtern, welche dieſelben auch bei Nacht auf mäßige Entfernungen un - zweifelhaft erkennen laſſen. Zu Beleuchtungszwecken füllt man ſie mit kom - primiertem Fettgas, wodurch ſich auch die Schwimmfähigkeit weſentlich erhöht; die Gaszufuhr reguliert ſich automatiſch durch den (bekanntlich auch auf den Königlich Preußiſchen Eiſenbahnen allgemein eingeführten) Patentgasbrenner von Julius Pintſch in Berlin oder eine ähnliche Vorrichtung, ſodaß das Gas ſtets unter dem nämlichen Druck aus - ſtrömt; ſelbverſtändlich muß die Füllung in geeigneten Zeiträumen er - ſetzt werden.

Die wichtigſten Schützer in der Nacht und bei ſtürmiſchem, nebligem Wetter, die vielſeitigſten Helfer in der Not ſind unzweifelhaft die Leucht - feuer; ſie orientieren den Schiffer darüber, an welcher Stelle der Küſte er ſich gerade befindet, die Richtung, in welcher das Feuer auf - flammt, belehrt ihn, welchen Kurs er einzuſchlagen hat, um ſicher ſeinem Ziele zuſteuern zu können.

Die Aufgaben, welche ein Feuer zu erfüllen hat, ſind recht vielſeitige, und neben der Forderung der möglichſt weiten Sichtbarkeit hat die - jenige der unbedingten Betriebsſicherheit die größte Bedeutung. 814Der Verkehr zu Waſſer.Wegen der Krümmung der Erdoberfläche darf man unter eine ge - wiſſe Höhe der zu errichtenden Bauwerke nicht heruntergehen; der Platz ſelbſt, auf den man ſie zu ſtellen gedenkt, muß nach ſorgfältigſten Erwägungen ausgewählt und

Fig. 444.

Schwimmender eiſerner Leuchtturm im Hafen von Liverpool.

auf ſeine den Beſtand des Ge - bäudes gewährleiſtende Be - ſchaffenheit eingehend unter - ſucht werden. Da, wo der natürliche Untergrund nicht den an ihn zu ſtellenden Beding - ungen genügt, muß mit künſt - lichen Anlagen dem Mangel abgeholfen werden. Ein be - redtes Zeugnis für die gewal - tigen Fortſchritte, welche auch auf dieſem Gebiete die Technik zu verzeichnen hat, iſt der be - kannte Leuchtturm auf Rother - Sand in der Weſermündung, welcher ſich nicht auf Felſenriffe ſtützt, ſondern auf den ſandigen Meeresboden aufgeſetzt iſt und ſich dort ſozuſagen erſt ſelbſt feſtgewurzelt hat; einen weſent - lich anderen Typus ſtellt Fig. 444 dar.

Die durchdringende Wir - kung der Lichtſtrahlen eines Leuchtfeuers iſt ſchon infolge der je nach dem Luftzuſtande mehr oder minder beträcht - lichen Abſorption eines Teils des Lichtes begrenzt; dazu kommt, daß nur auf künſtlichem Wege parallele Strahlenbündel hergeſtellt werden können, welche allein ein hinreichend intenſives Licht geben, um ſo inten - ſiver natürlich, je kleiner die Entfernung des zu beleuchtenden ſchmalen Streifens des Horizontes iſt. Man erreicht dies durch Anbringung von Hohlſpiegeln, in deren Brennpunkt die Flamme zu ſtehen kommt, oder durch geeignete Linſenſyſteme vor derſelben, womit aber notwendiger - weiſe ſtets ein beträchtlicher Lichtverluſt verbunden iſt. Auch würden der - artig große Linſen, wie ſie für wichtige Leuchtfeuer erforderlich ſind, kaum in entſprechender Güte und Größe, jedenfalls nur unter Auf - wendung ganz enormer Geldkoſten herzuſtellen ſein; dazu kommt, daß bei815Das Signalweſen.der unvermeidlich ſtarken Erhitzung des dicken Glaskörpers Um - lagerungen innerhalb des Glaſes, welche Trübungen oder gar ein Springen hervorrufen, kaum vermieden werden könnten. Aus dieſem Grunde wendet man nach Fresnels Vorgange nur noch eine verhältnis - mäßig kleine und dünne Linſe an, um welche konzentriſch Prismen in geeigneter Stellung angeordnet ſind, welche gleichſam die einzelnen Zonen einer großen Linſe erſetzen ſollen. Ähnliche Einrichtungen trifft man auch bei Schiffslaternen und den weiterhin noch zu beſprechenden Scheinwerfern an. Die gewaltigſten Lichtmengen für die Zwecke der Leuchtfeuer bietet natürlich eine elektriſche Lichtquelle; doch ſind auch ſehr bedeutende Feuer mit Petroleumlicht in Betrieb, während Gas ſeltener zur Anwendung kommt.

Als Lichtquelle benutzte man bis in das Mittelalter hinein aus - ſchließlich Holzfeuer. Später ging man zum Steinkohlenfeuer und zu Talgkerzen über. So wurde der berühmte Eddyſtone-Leuchtturm bei Plymouth im Kanal la Manche bei ſeinem in Jahre 1756 erfolgten Neubau durch 24 Talgkerzen erhellt. Erſt in der letzten Hälfte des 18. Jahrhunderts geſchah eine weſentliche Verbeſſerung der Lichtquelle und zwar durch Verwendung der paraboliſchen Reflektoren. Ein er - heblicher Fortſchritt vollzog ſich weiter durch die Erfindung der Argand - Lampen mit doppeltem Luftzug. Beſonders hervorzuheben ſind die Fresnelſchen Glasapparate. Bei dieſen iſt eine einzige große mit ſieben konzentriſchen Dochten verſehene Lichtquelle vorhanden, dieſe wird von geſchliffenen, den Brenngläſern ähnlichen Gläſern umgeben, die das Licht zuſammenfaſſen und in die Ferne werfen. In neuerer Zeit iſt auch für die Beleuchtung der Leuchttürme das elektriſche Licht zur An - wendung gebracht, doch leidet dasſelbe an dem großen Mangel, daß es den Nebel ſchwerer durchdringt als das Öllicht. Es hat dieſes ſeinen Grund in folgendem: Das elektriſche Licht enthält viel weniger rote Strahlen als das Öllicht, es liegt vielmehr dem Blau näher. Nun läßt aber der Nebel, wovon man ſich leicht überzeugen kann, nur die roten Strahlen hindurch, hält dagegen die blauen Strahlen zurück, ſo daß die Mehrzahl der dem elektriſchen Lichte innewohnenden Strahlen durch den Nebel nicht hindurchdringt. Trotzdem iſt die all - gemeine Einführung des elektriſchen Lichtes bei den Leuchttürmen nur noch eine Frage der Zeit.

Um die einzelnen Leuchtfeuer, namentlich da, wo ſie zahlreich ſind, von einander unterſcheiden zu können, hat man die verſchiedenſten Hilfsmittel erſonnen. Die Anwendung roter Gläer iſt nur ausnahms - weiſe üblich, weil dieſelben zu viel Licht verſchlucken; wo es nötig ſchien, ſich rotgefärbten Lichtes zu bedienen, hat man mit Erfolg ganz dünne Flüſſigkeitszellen mit roter Füllung vor der Lichtquelle ange - bracht. Gebräuchlicher iſt indeſſen die zeitweilige Verdunkelung oder das Verfahren, bei dem man in beſtimmten Intervallen das Licht an Intenſität ab - und zunehmen oder auch ganz momentan auf wenige816Der Verkehr zu Waſſer.Sekunden aufblitzen und dann wieder verſchwinden läßt Während die feſten Feuer ein annähernd gleichmäßiges Licht beſtändig aus - ſtrahlen oder nur auf Momente verlöſchen, läßt man bei den Wechſel - feuern Licht und Dunkelheit abwechſelnd in regelmäßiger Folge hinter - einander erſcheinen. Beim Blickfeuer nimmt die Lichtintenſität allmäh - lich ab und zu, um dann längere Zeit der Dunkelheit zu weichen; auch die weitere Kombination von weißen und roten Blicken iſt in Gebrauch. Unter Umſtänden kann es ſogar wünſchenswert erſcheinen, neben dem Hauptlicht zeitweilig kleinere Lichter in Thätigkeit zu ſetzen; doch kann auf die Vielſeitigkeit der in Anwendung befindlichen Charakte - riſtiken hier nicht weiter eingegangen werden.

Überall da, wo die Errichtung von Leuchttürmen mit zu großen Koſten verknüpft ſein würde oder andere Verhältniſſe maßgebend ſind, werden an den betreffenden Punkten mit Vorliebe Feuer - oder Leucht - ſchiffe ſtationiert, plumpe, feſtgebaute, am Tage durch ihren roten An - ſtrich kenntliche, außerordentlich feſt verankerte Fahrzeuge, deren Mann - ſchaft von Zeit zu Zeit abgelöſt wird. Der Dienſt auf einem ſolchen Schiffe iſt recht beſchwerlich und die Verantwortung ſehr groß; unter den Unbilden der Witterung haben die Feuerſchiffe oft ſchwer zu leiden. Auch auf ihnen ſind die verſchiedenſten Formen der Feuer üblich, natürlich vornehmlich als Unterſcheidungsmerkmale.

Anſtatt der Leuchtſchiffe kommen auch, namentlich bei vereinzelten Sandbänken oder Riffen mitten im Fahrwaſſer, neuerdings vielfach ſo - genannte Scheinwerfer in Anwendung, einfache Spiegelvorrichtungen, welche von einem am Lande befindlichen Feuer (ſog. Holophoten) parallele Lichtſtrahlen empfangen und dieſelben in beſtimmter Richtung weiter - ſenden, ſo den Anſchein erweckend, als ob ſich an ihrer Stelle ein wirk - liches Feuer befände. Eine weſentlich andere Einrichtung beſitzen die - jenigen Scheinwerfer, welche ſeit kurzem zur Vervollſtändigung der Ausrüſtung großer Schiffe, namentlich der Kriegsmarine, beſtimmt ſind und dem Zweck dienen, das Fahrwaſſer in der Fahrtrichtung zu beleuchten, die Poſition eines feindlichen Schiffes zu erſpähen oder bei nebligem Wetter den Zuſammenſtoß mit einem entgegenkommenden Schiff zu vermeiden. Derartige Apparate, von welchen Fig. 445 eine Anſicht giebt, und die für Terrainbeleuchtungen allmählich eine große Bedeutung gewonnen haben, beſtehen gewöhnlich aus einer künſtlichen Lichtquelle, die ſich im Brenn - punkt eines paraboliſchen Hohlſpiegels befindet; da das Licht des elek - triſchen Flammenbogens auch noch in die Breite gezogen werden muß, ſo kommt ein eigentümlicher Glaskörper, der gleichſam aus einzelnen cylindriſch geſchliffenen Stäben beſteht, die ſogenannte Zerſtreuungsſcheibe, zur Anwendung. Andere Scheinwerfer ſind wieder mit dem Fresnelſchen Linſenſyſtem ausgeſtattet. Die aus der Abbildung erſichtlichen Beigaben dienen vornehmlich zur Regulierung der elektriſchen Beleuchtung; das ganze wird von einem geeigneten Behälter eingeſchloſſen, deſſen Richtung und Neigung gegen den Horizont beliebig verändert werden kann.

817Das Signalweſen.
Fig. 445.

Scheinwerfer von Schuckert.

In aller Kürze ſeien ſchließlich noch einige Worte den, eigentlich nicht direkt der Sicherung der Schiffahrt dienenden Einrichtungen ge - widmet, die zum Wohle der Seefahrer und zum Schutze gegen unvorher - geſehene Unglücksfälle begründet worden ſind. Die Schiffsverſicherungs - oder Aſſekuranzgeſellſchaften, die zwar in erſter Linie als Erwerbsgenoſſen - ſchaften zu bezeichnen ſind, und die gegen eine angemeſſene Prämie den Erſatz eines geſtrandeten Schiffes oder einer verlorenen Ladung übernehmen, haben in vielen Fällen eine recht ſegensreiche Thätigkeit entfaltet, und die Bergungsgeſellſchaften mit ihren mit allen HilfsmittelnDas Buch der Erfindungen. 52818Der Verkehr zu Waſſer.der Technik aufs beſte ausgerüſteten Bergungsdampfern haben ſchon ſo manches aufgefahrene oder geſunkene Schiff wieder flott gemacht oder gehoben und in das Dock zur Wiederherſtellung geſchleppt. Daß hierbei die Thätigkeit der Taucher, ſowohl für die Erkundung der Lage des Schiffes, als für die Verſtopfung eines etwa vorhandeneu Lecks oder gar die Bergung der wertvollſten Teile der Ladung, unter Umſtänden ganz unentbehrlich und von höchſtem Nutzen ſein kann, liegt in der Natur der Sache.

Das Taucherweſen ſelbſt iſt ſehr alt, und ſchon aus der erſten Hälfte des 16. Jahrhunderts wird über Verſuche mit einer Taucher - glocke berichtet. Wenn man ein Trinkglas mit der Öffnung nach unten in ein Gefäß mit Waſſer ſtülpt, ſo wird die abgeſchloſſene Luft um ſo mehr zuſammengedrängt, je ſtärker der aufgewendete Druck iſt, je weiter man alſo das Glas hinabzudrücken verſucht. Wird dieſer Verſuch in hinreichend großem Maßſtabe angeſtellt, ſo kann ein Menſch innerhalb der abgeſchloſſenen Luftmenge ſo lange exiſtieren, als der für die Lebensthätigkeit notwendige Sauerſtoff noch nicht verzehrt iſt. Um demnach ein längeres Verweilen in der Taucherglocke, die für die praktiſche Anwendung mit mehreren Sitzbänken im Innern verſehen wurde, zu ermöglichen, muß alſo von außen ſtets friſche Luft zugeführt und für ein regelmäßiges Entweichen der ausgeatmeten verdorbenen Luft Sorge getragen werden. Wegen des mit der Tiefe zunehmenden Luftverbrauchs iſt die Anwendung der Taucherglocke, welche jetzt meiſt die Form einer abgeſtumpften Pyramide erhält, auf mäßige Tiefen, höchſtens bis zu 50 m beſchränkt; die Luft wird durch eine geeignet konſtruierte Kom - preſſionspumpe erneuert und die Luftzufuhr ſelbſt dem in der Arbeits - tiefe herrſchenden Waſſerdruck entſprechend geregelt. Die außerordentlich komplizierten Apparate, welche ein Hinabſteigen in noch größere Tiefen, bis zu 250 m und darüber erlauben, können hier, wo lediglich die nautiſchen Zwecken dienenden Vorrichtungen beſprochen werden ſollen, keine Berückſichtigung finden; zu erwähnen ſind nur noch die übrigens ziemlich allgemein bekannten Taucherapparate, die im weſentlichen aus einem waſſerdichten Anzuge und einem feſt mit demſelben verbundenen Metallhelm beſtehen und bei geregelter Luftzufuhr in nicht zu beträcht - lichen Tiefen ein mehrſtündiges Arbeiten geſtatten. Allerdings iſt hier eine außerordentlich intenſive Thätigkeit der Lungen und eine kräftige Körperbeſchaffenheit Bedingung, um den koloſſalen Waſſerdruck einiger - maßen erträglich und für den menſchlichen Organismus unſchädlich zu machen. Der in Fig. 446 abgebildete Taucheranzug (oberer Teil) wird ohne beſondere Erläuterung verſtändlich ſein; ſchwere Bleigewichte auf Bruſt, Rücken und unter der Fußbekleidung ſollen den Taucher am Boden feſthalten und innerhalb des beträchtlichen Waſſerdruckes ſeine Bewegungsfähigkeit herſtellen helfen. Um übrigens den Taucher, der nach oben hin durch Signalleine, Sprachrohr oder Telephon ſich ver - ſtändlich machen und Anordnungen erteilen kann, von dem regelrechten819Das Taucherweſen.Funktionieren und der Intaktheit ſowohl der Pumpe als des Luft - zuleitungsſchlauches möglichſt unabhängig und vor allem auch in ſeinen Bewegungen ſelbſtändiger zu machen, hat man bei neueren Taucher - apparaten Käſten mit komprimierter Luft eingeführt und dafür Sorge getragen, daß die dem unter Waſſer Arbeitenden zuſtrömende Luft ſtets

Fig. 446.

Taucher-Apparat.

unter einem, durch die Lungenthätigkeit direkt regulierten Druck aus dem Behälter austritt. Zur Beleuchtung des Arbeitsfeldes in großen Tiefen oder bei Nachtarbeiten erhält der Taucher eine Lampe, die jetzt wohl faſt ausſchließlich mit Elektrizität geſpeiſt wird, obgleich auch die eigens zu dieſem Zweck konſtruierten unterſeeiſchen Petroleumlampen, namentlich diejenigen von der für die Fortbildung des Taucherweſens hochbedeutenden Firma L. von Bremer & Co. in Kiel, ganz vorzüg - liche Dienſte leiſten.

Die Fülle derjenigen Einrichtungen, die im Intereſſe der Sicherung des Seeverkehrs, zum Wohl vieler Tauſende, deren Exiſtenz ſonſt auf das höchſte gefährdet ſein würde, notwendig und unerläßlich geworden ſind, hat zwar in dem vorliegenden kurzen Abſchnitt nicht entfernt erſchöpft werden können; dennoch wird der Leſer ſich ein Bild davon machen können, welcher gewaltigen Anſtrengungen es bedurfte, wieviel Erfindungen ideeenreichen Köpfen entſpringen mußten, um auch nur annähernd das erſtrebte Ziel, die unbedingteſte und vollſtändigſte Ver - kehrsſicherung auf der Hauptweltverkehrsſtraße, dem Meere, zu erreichen.

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3. Die Luftſchiffahrt.

Der Erfindungsſinn des Menſchen iſt nicht bei den auf der Erd - oberfläche zu Gebote ſtehenden Verkehrswegen ſtehen geblieben. An - geregt durch das leichte Spiel der Segler der Lüfte, hat derſelbe es unternommen, auch die unſeren Planeten umgebende Luftſchicht zum Tummelplatz eigenartiger Verkehrseinrichtungen zu machen.

Gegenwärtig nimmt bei normalen Verhältniſſen die Luftſchiffahrt einen ſehr untergeordneten Stand ein. Dieſes Verhältnis ändert ſich aber ſofort in dem Falle, wo durch Belagerung oder eine ſonſtige Abſperrung ein Verkehr mit der Außenwelt zu Waſſer oder zu Lande unmöglich gemacht iſt. In dieſem Fall tritt als letztes Verkehrsmittel das Luftſchiff hilfeſpendend ein. Am überzeugendſten läßt ſich dieſes an dem Beiſpiele der Belagerung von Paris während des deutſch-fran - zöſiſchen Krieges nachweiſen. Hier haben in der Zeit vom 23. Sep - tember 1870 bis zum 28. Januar 1871 64 Ballons mit 155 Perſonen, 363 Brieftauben und 9000 kg Poſtſachen die Stadt verlaſſen. Von den Brieftauben kehrten 57 zurück mit 100000 Depeſchen.

Leider krankt das geſamte Luftſchiffahrtsweſen gegenwärtig noch an einer großen Unzuverläſſigkeit; dieſelbe wird erſt gehoben ſein, wenn das Problem der Lenkbarkeit des Luftſchiffes gelöſt ſein wird. Trotzdem aber beginnt das letztere immer mehr Aufnahme unter die Verkehrsmittel zu finden, ſo daß dasſelbe füglich hier nicht übergangen werden darf.

Schon im grauen Altertum tritt uns die Sehnſucht und das Streben des Menſchen den Äther durchfliegen zu können in der Sage vom Bellerophontes und in der Erzählung von der fliegenden künſt - lichen Taube des Archytas von Tarent entgegen. Wie ſo manche Erfindung, ſo wird auch diejenige des Luftballons von manchen Schriftſtellern den Chineſen zugeſchrieben; ſo ſoll bereits im Jahre 1306 nach den Berichten des Franzoſen Vaſſon zu Peking ein Luftballon aufgeſtiegen ſein.

Sieht man ab von den nur ein theoretiſches Intereſſe in Anſpruch nehmenden Veröffentlichungen des Jeſuitenpaters Franzisko Lana vom Jahre 1670 und des Dominikaners Joſeph Galien vom Jahre 1755, ſo müſſen als die eigentlichen Erfinder der Luftſchiffahrt die Gebrüder Mongolfier zu Annonay gelten, welche am 5. Juni 1783 den erſten mit warmer Luft angefüllten Ballon zum Steigen brachten. Die gleiche Idee hatte im Jahre 1769 Bartolomeo Lourenço de Guzman auszuführen unternommen, jedoch mit unglücklichem Erfolge, ſodaß der Luftballon als eine Erfindung der Gebrüder Montgolfier gilt821Die Luftſchiffahrt.infolge deſſen auch früher allgemein mit dem Namen Montgolfière be - zeichnet wurde.

Stephan und Joſeph Mongolfier gingen bei ihrem erſten Ballon von der irrtümlichen Annahme aus, daß der Auftrieb desſelben durch den Rauch des Feuers bewirkt werde, und verwendeten daher als Brennſtoff eine ſtark qualmende Miſchung von Stroh und Wolle. Hiervon kam man jedoch alsbald ab, und als kurze Zeit darauf die Gebrüder Roberts und Profeſſor Charles mit öffentlichen Mitteln einen zweiten Ballon konſtruierten, da bedienten ſie ſich hierbei des von Cavendiſh im Jahre 1776 entdeckten Waſſerſtoffgaſes, welches ſich bekanntlich durch ſein ſehr geringes ſpezifiſches Gewicht auszeichnet und bis auf den heutigen Tag zur Füllung des Luftballons Verwendung findet. Nebenbei vervollkommneten aber auch die Gebrüder Mongolfier ihr Syſtem der Ballonfüllung mittels warmer Luft.

Nachdem man ſich zuvor an lebendigen Tieren verſichert hatte, daß der Aufſtieg mit dem Ballon keine unmittelbaren nachteiligen Folgen äußerte, ſtiegen am 21. November 1783 Pilâtre de Roziers und der Marquis d’Arlandes als die erſten Luftſchiffer auf. De Roziers war ſpäter der erſte derjenigen, welche nachher in ſo großer Anzahl im Dienſte der Luftſchiffahrt ihren Tod fanden.

Die erſten ſchweren Unglücksfälle führten auf die Erfindung des Fallſchirms, eines nach Art eines Regenſchirms konſtruierten Apparates, welcher beim Niederfallen ſich ſelbſtthätig durch den Widerſtand der Luft aufſperrt und ſo die Schnelligkeit des Abſturzes mildert.

Nachdem man den Luftballon bereits in der Schlacht bei Fleurus ſowie bei der Belagerung von Valenciennes mit Erfolg zum Zwecke der militäriſchen Rekognoszierung verwendet hatte, kam Napoleon I. infolge der außerordentlichen Schwerfälligkeit des erforderlichen Apparates von dieſer Art der Benutzung des Luftballons völlig wieder ab; er löſte die der Armee beigegebene Luftſchifferabteilung auf, weil ſie den Bewegungen nicht zu folgen vermochte. Gerade aber die militäriſche Verwendbarkeit des Luftballons iſt diejenige Eigenſchaft desſelben, welche denſelben gegenwärtig der weiteren Vervollkommnung würdig macht, und aus welcher heraus in erſter Linie die neueſten Fortſchritte entſprungen ſind. Wir laſſen daher die verſchiedenen bislang frucht - los verlaufenen Verſuche der Konſtruktion eines lenkbaren Luftſchiffes bei Seite und wenden uns der Beſprechung eines militäriſchen Luft - ſchiffahrtsdetachements zu. Ein derartiger moderner Luftſchifferpark beſteht im weſentlichen aus drei Spezialwagen: deren einer den Luft - ballon, deren zweiter den zur Erzeugung des Waſſerſtoffgaſes dienenden Apparat, deren dritter die Dampfwinde trägt, welche den Ballon an einem Seile feſthält und nach Beendigung der Beobachtung wieder zur Erde hinabzieht.

Zur Darſtellung des Waſſerſtoffgaſes bedient man ſich meiſt der Zerſetzung von Waſſer durch Eiſen und verdünnte Schwefelſäure. 822Die Luftſchiffahrt.Da dieſe Materialien in erheblichem Maße zur Stelle ſein müſſen, ſo ſind aber neben jenen eben genannten drei Spezialwagen noch 6 Transport - wagen und ein Packwagen mit 42 Pferden erforderlich. Da auch dieſer Park noch zu umfangreich ſich geſtaltet, ſo iſt man neuerdings dazu über - gegangen, die Abmeſſungen des Ballons ſo zu vermindern, daß der - ſelbe nur eine einzige Perſon zu tragen imſtande iſt. Hierdurch iſt erreicht, daß ein ſolcher Train nur aus 5 Fahrzeugen beſteht. Das vollkommenſte der im Gebrauch befindlichen Syſteme dürfte dasjenige von Richter und Majert ſein. Soweit dasſelbe nicht als Geheimnis be -

Fig. 447.

Luftſchifferpark.

handelt wird, beſteht das weſentliche dieſes Verfahrens darin, daß das zur Füllung des Ballons dienende Gas auf trockenem Wege durch Erhitzung eines Gemiſches von Zinkſtaub und trockenem Kalkhydrat hergeſtellt wird. Dieſes Gemiſch wird in Blechcylinder (Patronen) 823Die Luftſchiffahrt.gepackt, worauf dann die Erhitzung in einem eigenartig konſtruierten Ofen vorgenommen wird. Das Nähere iſt aus der Fig. 447 zu er - ſehen; im Vordergrunde liegen die eben erwähnten Patronen, während im Hintergrunde der Feſſelballon ſich an dem auf der fahrbaren Winde aufwickelbaren Seile in die Lüfte erhebt. Früher vermochte man mit 120 ſolchen Patronen in zwei Stunden 250 cbm Gas zu ent - wickeln, wobei noch bemerkt wird, daß für eine beobachtende Perſon ein Ballon von 300 cbm Inhalt erforderlich iſt. In der letzten Zeit ſoll dieſes von dem Deutſchen Reiche angekaufte Verfahren noch außerordentliche Verbeſſerungen erfahren haben, welche jedoch ſtrengſtens geheim gehalten werden.

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VIII. Aus der chemiſchen Induſtrie.

1. Die chemiſche Induſtrie der Säuren und Alkalien.

Die chemiſche Induſtrie der heutigen Zeit umfaßt bekanntlich ein koloſſales Gebiet, deſſen Grenzen ſich jeden Tag erweitern. Ihre Ge - ſamtdarſtellung kann daher unmöglich einen Teil dieſes Buches bilden, weil eine ſolche die Grenzen desſelben ſchon für ſich allein ſelbſt bei knapper Darſtellung weit überſchritte. Indeſſen giebt es, ab - geſehen von denjenigen, beſtimmten Gewerben dienenden Zweigen, welche an anderen Stellen dieſes Werkes abgehandelt werden, doch gewiſſe Teile der chemiſchen Induſtrie, welche wegen der allgemeinen Wichtigkeit der aus ihnen hervorgehenden Produkte, ſowie wegen der manchmal ganz eigentümlichen Art ihrer hiſtoriſchen Entwicklung unſer Intereſſe in hervorragender Weiſe in Anſpruch nehmen. Es handelt ſich hierbei um ſolche Stoffe, deren außerordentlich kräftige chemiſche Wirkung ſelbſt ſchon im Kindheitsalter der Chemie deutlich zu Tage trat und ſie daher ſchon frühzeitig hervorragend tauglich erſcheinen ließ, anderen Zweigen der Technik zu dienen.

Die Chemie kennt aber keine Subſtanzen von ſtärkerer Wir - kung, als einerſeits die unter dem Namen Säuren , wie andererſeits die als Alkalien bekannten Körper. Mit der fabrikmäßigen Dar - ſtellung der wichtigſten unter dieſen Stoffen, ſowie zum Teil mit ihrer chemiſch-techniſchen Verwendung hat es dieſer Abſchnitt unſeres Buches zu thun. Von wichtigen Säuren ſind es die Schwefel - ſäure, die Salpeterſäure und die Salzſäure, deren Darſtellung beſonders intereſſiert. Die Alkalien, eigentlich Verbindungen des Kaliums und Natriums mit den Elementen des Waſſers, ſpielen in ihren kohlen - ſauren Verbindungen eine Hauptrolle in der Technik, weil dieſe ganz beſonders reaktionsfähig, d. h. chemiſch wirkſam ſind. Nach den Säuren werden wir daher dieſe Körper, nämlich die Soda und die Pottaſche zu betrachten und deren wichtigſten Anwendungen kennen zu lernen haben. 825Die Fabrikation der Schwefelſäure.Da die letzteren aber zum Teil an anderen Stellen dieſes Buches be - ſprochen werden, ſo wird nur ein ſpezieller Zweig der Alkaliinduſtrie, die Seifenſiederei, für die genauere Betrachtung in dieſem Abſchnitt übrig bleiben.

a) Die Fabrikation der Schwefelſäure.

Dieſe ſtärkſte der Mineralſäuren, welche ſchon den Chemikern des 17. Jahrhunderts bekannt war, wurde urſprünglich durch Röſtung und ſtarkes Glühen des bekannten Eiſenvitriols, ſowie durch Auffangen der frei werdenden weißen Dämpfe in Waſſer erhalten. Das Produkt hieß rauchendes Vitriolöl (Oleum Vitrioli). Erſt im vorigen Jahrhundert gelang es dann, beſonders in England, Schwefel - ſäure auf einem anderen Wege, nämlich durch Oxydation und Wäſſe - rung von ſchwefligſaurem Gas, dem Verbrennungsprodukt des bekannten gewöhnlichen Schwefels, zu erhalten; daher der Name engliſche Schwefel - ſäure für das Produkt dieſes letzteren Verfahrens. Das Verhältnis des chemiſchen Beſtandes der beiden Säurenarten ergiebt ſich ſehr ein - fach in folgender Weiſe:

Verbrennt man Schwefel, ſo bildet ſich ein farbloſes, erſtickend riechendes Gas, eine Verbindung des Schwefels mit dem Sauerſtoff der Luft, Schwefeldioxyd (SO2). Bringt man dasſelbe unter geeigneten Verhältniſſen mit noch mehr Sauerſtoff zuſammen, ſo geht es in die höchſte Schwefelſauerſtoffverbindung, Schwefeltrioxyd (SO3) über, einen weißen Dampf, welcher ſich mit Waſſer unter heftiger Erhitzung zu Schwefelſäure (SO3 + H2O = H2SO4) verbindet. Leitet man aber mehr Schwefeltrioxyd in Waſſer, als zur Bildung von gewöhnlicher Schwefelſäure nötig iſt, ſo löſt ſich noch einmal ſo viel davon in der entſtandenen Schwefelſäure auf; man erhält dann alſo eine Auflöſung von Schwefeltrioxyd in Schwefelſäure (H2SO4 + SO3), welche unter dem Namen rauchende Schwefelſäure bekannt iſt. Wir beginnen mit der Darſtellung der letzteren, als der länger bekannten.

A. Rauchende Schwefelſäure. Man erhält den für den Prozeß nötigen Eiſenvitriol, ſchwefelſaures Eiſenoxydul (FeSO4, 7 H2O), eine in mattgrünen Kryſtallen vorkommende Subſtanz, zum Teil als Abfall verſchiedener chemiſcher Prozeſſe, zum Teil auch als aus Grubenwäſſern der Pyritgruben anſchießende Kryſtallmaſſen. Der Eiſenvitriol iſt Schwefelſäure, deren Waſſerſtoff (H2) durch Eiſen (Fe) erſetzt iſt und enthält noch eine erhebliche Menge Kryſtallwaſſer. Das Salz würde beim ſofortigen Glühen zunächſt ſein Waſſer frei geben und dann in ein entweichendes Gemenge von Schwefeldioxyd und Schwefeltrioxyd, ſowie in zurückbleibendes feſtes Eiſenoxyd (Fe2O3), ein rotes Pulver, zerfallen. Hierbei würde man alſo nur etwa die halbe Ausbeute von Schwefeltrioxyd haben. Statt deſſen beginnt man daher damit, daß man den Eiſenvitriol längere Zeit an der Luft lagern läßt und ihn dann bei gelinder Hitze röſtet, d. h. bei Luftzug erhitzt. Hierdurch826Die chemiſche Induſtrie der Säuren und Alkalien.nimmt er Sauerſtoff aus der Luft auf und geht in ein Gemenge von ſchwefelſaurem Eiſenoxyd (Fe23SO4) und Eiſenoxyd über. Beim nun - mehrigen heftigen Glühen des ſchon waſſerfreien Gemenges entweicht nur Schwefeltrioxyd und Eiſenoxyd bleibt zurück.

Das Röſten des Vitriols geſchieht in der Regel nicht in Öfen, ſondern in Haufen (Stadeln). Der Glühprozeß erfolgt meiſt in thöneruen Retorten von ½ m Länge, welche zu vielen neben einander in ſoge - nannten Galeerenöfen erhitzt werden; ihre Mündung wird luftdicht in entſprechende thönerne, mit Waſſer oder engliſcher Schwefelſäure gefüllte Vorlagen eingeführt. Jede Retorte erhält 1 2 kg waſſerfreien Vitriol; erſt wenn die dicken Dämpfe des Schwefeltrioxyds erſcheinen, ſchlägt man die Vorlagen vor und erhitzt bis zum ſtarken Weißglühen. Der Rückſtand iſt rotbraunes Eiſenoxyd und kommt als Kolkothar oder Polierrot in den Handel; man verwendet ihn als Farbe und Polier - maſſe.

Die rauchende Schwefelſäure iſt ölig (daher Oleum Vitrioli ge - nannt) und bräunlich; das in ihr enthaltene Schwefeltrioxyd entweicht in Dämpfen ſchon an der Luft, ſtärker beim ſchwachen Erwärmen.

B. Engliſche Schwefelſäure. Während man im ganzen nur kleine Mengen rauchender Schwefelſäure fabrikmäßig darſtellt, hat ſich die Fabrikation der engliſchen Schwefelſäure infolge der innigen Ver - bindung, in welcher ſie mit verſchiedenen anderen wichtigen Zweigen der chemiſchen Produktionstechnik ſteht, zu einem der wichtigſten Teile dieſer Induſtrie herangebildet.

Die Rohprodukte, mit denen man arbeitet, ſind Schwefeldioxyd, Salpeterſäure, Waſſerdampf und Luft. Der chemiſche Vorgang iſt ein ziemlich komplizierter und erſt neuerdings klargeſtellt worden. Kommt nämlich Schwefeldioxyd mit Salpeterſäure (HNO3) zuſammen, ſo ver - wandelt das erſtere ſich in Schwefelſäure, indem es aus der letzteren Sauerſtoff aufnimmt. Der Salpeterſäurereſt iſt im weſentlichen Stick - ſtofftrioxyd (N2O3), ein brauner Dampf, welcher in weiterer Berührung mit Schwefeldioxyd, wenig Waſſerdampf und atmoſphäriſchem Sauer - ſtoff einen feſten Körper von kryſtalliniſcher Struktur, die Nitroſyl - ſchwefelſäure bildet. Dieſer merkwürdige Körper zerfällt aber beim Zuſammentreffen mit reichlichem Waſſerdampf ſofort wieder in Schwefel - ſäure und Stickſtofftrioxyd. Man erſieht hieraus leicht, daß, wenn man für den richtigen Zufluß von Waſſerdampf ſorgt, die ſich fort - während bildende Nitroſylſchwefelſäure immer wieder in Schwefelſäure und Stickſtofftrioxyd zerfällt, daß alſo durch eine kleine Menge des letzteren bei fortwährendem Zufluſſe von Schwefeldioxyd, Waſſerdampf und Luft, kontinuierlich Schwefelſäure entſtehen wird. Man gebrauchte alſo die Salpeterſäure eigentlich nur einmal, um nämlich das nötige Quantum Stickſtofftrioxyd zu erhalten, welches dann fortlaufend, wie ein Ferment, das Schwefeldioxyd in Schwefelſäure verwandelt; die Unregelmäßigkeiten, die unvermeidlich auch mit dem beſten Betriebe827Die Fabrikation der Schwefelſäure.verbunden ſind, erfordern aber doch, daß die eintretenden Verluſte an Stickſtofftrioxyd hin und wieder durch neue Salpeterſäure erſetzt werden.

Auf Grund der geſchilderten chemiſchen Vorgänge hat man eine moderne Schwefelſäurefabrik ſich aus folgenden weſentlichen Teilen be - ſtehend zu denken:

  • 1) aus einem Apparate zur Darſtellung des Schwefeldioxyds (Schwefelherd);
  • 2) aus einer Kammer, welche Salpeterſäure enthält (Nitrierungs - kammer);
  • 3) aus einer Reihe anderer Kammern, in welcher der Haupt - prozeß, d. h. das fortwährende Entſtehen und Zerfallen der Nitroſylſchwefelſäure vor ſich geht;
  • 4) aus Apparaten zum Zwecke der Wiedergewinnung des ſonſt verloren gehenden Stickſtofftrioxyds (Gay-Luſſac-Turm, Glover - turm);
  • 5) aus Apparaten zur Erzeugung des Waſſerdampfes und des nötigen Luftzuges.

Hiernach gliedert ſich die Anlage in eine Anzahl von Teilen, deren Lage aus den Figuren 448 und 449 hervorgeht.

Das Schwefeldioxyd erhält man durch Verbrennen von Schwefel auf beſonderen Herden A, welche ihren Luftzug durch den am Ende der ganzen Anlage befindlichen hohen Schornſtein mit regulierbarem Zuge erhalten. Der hohe Preis des ſizilianiſchen Schwefels hat aber be - wirkt, daß man vielfach ſtatt desſelben den ſehr billigen Schwefelkies oder Pyrit (Doppeltſchwefeleiſen) benutzt, welchen man in permanent wirkenden Herdöfen bei ſtarkem Luftzutritt röſtet; die Hälfte des Schwefelgehalts verbrennt zu Schwefeldioxyd, welches weiter geführt wird.

Dasſelbe ſtrömt nun zunächſt durch einen 10 m hohen Turm, den Gloverturm, deſſen Bedeutung erſt ſpäter erläutert werden kann, und zur Abſetzung des ſtets vorhandenen Staubes durch eine Flugſtaubkammer E1 von etwa 5 m im Geviert und tritt dann in die Nitrierungskammer E3, in welcher es ſich mit dem Zerſetzungsprodukt der Salpeterſäure, dem Stickſtofftrioxyd, belädt. In dieſer Kammer rieſelt entweder die Sal - peterſäure, welche in mäßiger Quantität durch enge Röhren von außen zuſtrömt, in dünnen Kaskaden g herab, oder es finden ſich weite, flache Schalen, welche mit der Säure oder auch einem Gemenge von Chile - ſalpeter und Schwefelſäure gefüllt ſind. Die Wände der prismatiſch geſtalteten Kammer wie die aller übrigen Kammern beſtehen aus an einander gelöteten oder irgendwie luftdicht verbundenen Blei - platten, welche durch ein Holzgerüſt gehalten werden. Ihr Inhalt beträgt bei 8 m Länge gegen 210 cbm und iſt dem der Flugſtaub - kammer ziemlich gleich. Auf die Nitrierungskammer folgen noch drei Kammern, in welchen die Schwefelſäureproduktion hauptſächlich erfolgt. 828Die chemiſche Induſtrie der Säuren und Alkalien.

Fig. 448.

Bleikammeranlage einer chemiſchen Fabrik (vordere Hälfte).

Die erſte derſelben F iſt die größte; ſie hat bei etwa 30 m Länge einen Inhalt von 4500 cbm. Die beiden letzten haben jede etwa den doppelten Inhalt der Nitrierungskammer. Die größte Kammer liegt829Die Fabrikation der Schwefelſäure.

Fig. 449.

Bleikammeranlage einer chemiſchen Fabrik (hintere Hälfte).

am tiefſten, ſo daß ſich in ihr die flüſſige Schwefelſäure ſammeln kann. Jede der Kammern hat eine Waſſerdampfzuleitung, welche von einem gemeinſamen, ſtarken, unter den Kammern hinziehenden Dampfrohre ſich abzweigt.

830Die chemiſche Induſtrie der Säuren und Alkalien.

In den eigentlichen Bleikammern, den drei letzten, erfolgt der oben beſchriebene Hauptprozeß, welcher nur beim Fehlen des Waſſerdampfes eine Unterbrechung erleidet; dann ſchlägt ſich die Nitroſylſchwefelſäure, der zur weiteren Zerlegung Waſſer fehlt, in Form von eisblumenartigen Kryſtallen, welche man Bleikammerkryſtalle nennt, an den Wänden der Kammern nieder. Verſtärkter Zufluß von Waſſerdampf zerſtört ſofort die Kryſtalle und ſtellt das Gleichgewicht wieder her.

Obgleich man ſtets auch für mäßigen Zufluß von Salpeterſäure in die Nitrierungskammer ſorgt, muß man doch der Erſparnis wegen darauf bedacht ſein, das durch zu ſtarken Luftzug entweichende Stick - ſtofftrioxyd noch zu verwerten. Zu dieſem Zwecke läßt man die ab - ziehenden Gaſe aus der letzten Kammer, bevor ſie den Schornſtein durchziehen, in den Gay-Luſſac-Turm J1 treten, der dieſelben Dimen - ſionen wie der oben genannte Gloverturm hat. In ihm fließt über Coaksſtücke oder Bimsſtein langſam Schwefelſäure herab, welche das Stickſtofftrioxyd der abziehenden Gaſe abſorbiert und ſich hierdurch in ſogenannte nitroſe Schwefelſäure, eine Auflöſung von Nitroſylſchwefel - ſäure in Schwefelſäure, verwandelt. Die nitroſe Säure ſammelt ſich unten im Gay-Luſſac-Turm und wird durch ein Pumpwerk über den Gloverturm gehoben, um in dieſem über ſäurefeſte Steine herabzu - rieſeln. Dabei fließt ſie dem eintretenden heißen Schwefeldioxyd ent - gegen und wird durch dieſes denitriert, d. h. des Stickſtofftrioxyds beraubt, welches wieder in die Kammern geführt wird; zu gleicher Zeit wird der heiße Gasſtrom im Gloverturm bis auf die zur Schwefel - ſäurebildung günſtige Temperatur abgekühlt. Unten im Gloverturm ſammelt ſich reine, ziemlich konzentrierte Schwefelſäure.

Das Hauptprodukt des Verfahrens, die in der Hauptkammer ſich ſammelnde Kammerſäure, hat ein ſpezifiſches Gewicht von 1,5 und iſt etwa 54 prozentig. Sie muß, ehe man ſie in den Handel bringt, mög - lichſt vollkommen entwäſſert werden. Zu dieſem Zwecke wird ſie zu - nächſt in Bleipfannen eingedampft, bis ſie gegen 65 % reine Säure enthält; hierbei wird ſie zugleich von den anhaftenden gasförmigen Verunreinigungen befreit. Die weitere Entwäſſerung erfolgt dann, da Blei angegriffen und Glas durch das Stoßen der ſiedenden Säure leicht zertrümmert würde, in Platinkeſſeln von 200 bis 500 kg Gehalt. Aus ihnen wird die heiße konzentrierte Säure durch ſtark gekühlte Heber in die Ballons geſchafft, in denen man ſie verſendet. Sie hat ein ſpezifiſches Gewicht von 1,81 bis 1,84 und enthält noch 2 bis 6 % Waſſer.

Die beſchriebene Art der Schwefelſäuredarſtellung, deren Prinzip allerdings ſchon gegen Ende des 17. Jahrhunderts bekannt war, datiert im fabrikmäßigen, d. h. kontinuierlichem Betriebe erſt ſeit der Erfindung der Bleikammern durch Roebuck, welcher die erſte Anlage 1774 in Birmingham aufſtellte. Gay-Luſſac erfand 1846 den nach ihm benannten Turmapparat und Glover lehrte 1871 die hierdurch831Die Fabrikation der Salpeterſäure.gewonnene nitroſe Säure in demſelben Fabrikbetriebe vermittelſt ſeines Denitratorturms unmittelbar ausnutzen. Durch dieſe Vervollkomm - nungen ſind die Fabrikationsverluſte minimale geworden, indem man z. B. nur gegen 5 % des verwendeten Schwefels und kaum 3 % der Salpeterſäure verliert. Eine Schwefelſäureanlage von den beſchriebenen Dimenſionen liefert in 24 Stunden 8000 bis 10000 kg Säure.

b) Die Fabrikation der Salpeterſäure.

Wie die Schwefelſäure, iſt auch die Salpeterſäure ſchon den Chemikern des Mittelalters bekannt geweſen, beſonders in dem mit dem Namen Scheidewaſſer bezeichneten verdünnten Zuſtande, in welchem die Säure aus einer Legierung von Gold und Silber nur das letztere Metall auflöſt.

Alle Salpeterſäure (HNO3) wird durch Erhitzen von Schwefelſäure mit einer ihrer Alkaliverbindungen, entweder dem Kaliſalpeter (KNO3) oder dem Natron - oder Chileſalpeter (NaNO3) dargeſtellt. (Vgl. S. 693 ff.) Das erſtgenannte Salz giebt eine reinere Säure; es ſtellt ſich aber weſentlich teurer, weil es faſt durchgängig ein Fabrikationserzeugnis iſt und giebt auch eine etwas geringere Ausbeute, als der Natronſalpeter. Aus dieſen Gründen wendet man faſt ausſchließlich den letzteren, welcher in gewaltigen Maſſen an der Weſtküſte des mittleren Südamerika ſich mineraliſch findet, zur Fabrikation an, obgleich die erhaltene Säure unreiner iſt.

Der chemiſche Prozeß der Salpeterſäurefabrikation iſt ſehr einfach. Man kann ſich am beſten vorſtellen, daß das Metallatom des Salpe - ters mit einem Waſſerſtoffatom der Schwefelſäure (H2SO4) den Platz tauſcht; es bildet ſich alſo aus dem Salpeter Salpeterſäure (HNO3), aus der Schwefelſäure doppelt ſchwefelſaures Natrium (NaHSO4). Wie leicht erſichtlich, könnte man, da ja das zweite Waſſerſtoffatom der Schwefelſäure auch durch ein Metallatom erſetzbar ſein muß, die doppelte Menge Salpeter gegenüber derſelben Quantität Schwefelſäure anwenden und ſo die doppelte Ausbeute erhalten. Beim Kaliſalpeter iſt dies nicht gut möglich, da die zweite Menge desſelben ihre Säure erſt bei einer Temperatur freigiebt, welche eine Zerſetzung der Säure in braunes gasförmiges Stickſtoffdioxyd (NO2), Sauerſtoff und Waſſer bewirkt; dann erhält man eine Löſung des erſtgenannten Zerſetzungsproduktes in reiner Salpeterſäure, welche unter dem Namen rauchende Salpeter - ſäure eine rote braune Flüſſigkeit bildet. Beim Chileſalpeter hingegen wird nur eine geringe Quantität Säure zerſetzt, ſo daß man in dieſem Falle auch bei Anwendung der doppelten Menge Salpeter mit nur wenig Stickſtoffdioxyd verunreinigte Salpeterſäure erhält. Als Rückſtand bleibt dann ſchwefelſaures Natrium (Na2SO4).

Zum Erhitzen des Gemenges von Chileſalpeter, Schwefelſäure und wenig Waſſer benutzt man jetzt meiſtenteils liegende gußeiſerne Cylinder,832Die chemiſche Induſtrie der Säuren und Alkalien.die, ähnlich wie die Gasretorten, verſchließbar ſind und ebenſo zu mehreren in einem Ofen liegen (ſ. Fig. 450). Der vordere Deckel des Cylinders iſt mit einem gläſernen eingekitteten Abzugsrohr verſehen, durch welches die Dämpfe der freiwerdenden Salpeterſäure in ſoge - nannte Wulfſche Flaſchen geleitet werden. Dies ſind große dreihalſige

Fig. 450.

Apparat zur Darſtellung der Salpeterſäure.

Gefäße von Steingut; der erſte Hals nimmt das Zuleitungsrohr, der mittelſte häufig noch ein gerades, das Zurückſteigen der kondenſierten Säure verhinderndes Sicherheitsrohr, der dritte das die erſte Flaſche mit der nächſtfolgenden verbindende Ableitungsrohr auf. Dieſe Kon - denſationsgefäße werden mit Waſſer gut gekühlt.

Die Leitung der möglichſt gleichmäßig zu haltenden Feuerung er - folgt unter ſteter Beobachtung des gläſernen Ausſtrömungsrohres; treten ſehr dunkle Dämpfe auf, ſo iſt die Hitze zu ſtark geworden. Zuerſt entweichen, infolge der Reduktion der Salpeterſäure durch Staub und andere organiſche Verunreinigungen, rote Dämpfe, die man in beſonderen Vorlagen auffängt; erſt wenn die Farbe der Dämpfe bräun - lich geworden iſt, legt man die eigentlichen Vorlagen, meiſt mit ein wenig Waſſer beſchickt, an die Retorten. Stockt endlich die Entwicklung und erſcheinen beim ſtärkeren Erhitzen wieder rote Dämpfe, ſo unter - bricht man die Operation.

Die gewonnene Salpeterſäure iſt verunreinigt. Die ſchon erwähnte Braunfärbung durch Stickſtoffdioxyd beſeitigt man durch ſtarkes Ein - blaſen von Luft. Das Chlor, welches ſich infolge des ſteten geringen833Die Fabrikation der Salpeterſäure, der Salzſäure und der Soda.Kochſalzgehaltes des Chileſalpeters vorfindet, läßt ſich zum allergrößten Teil durch Deſtillation kleiner Portionen der unreinen Säure entfernen; es geht mit den erſten Säureteilen über. Mineraliſche Verunreinigungen, die durch Überſpritzen aus den Cylindern entſtehen, kann man gleich - falls durch Deſtillieren beſeitigen.

Die Darſtellung der Salpeterſäure, welche früher hauptſächlich nur bei der Schwefelſäurefabrikation und in der Metallinduſtrie benutzt wurde, hat in neuerer Zeit, infolge der umfaſſenden Anwendung der Säure bei der Herſtellung vieler Sprengſtoffe, einen ſehr bedeutenden Aufſchwung genommen. (Vergl. S. 704 ff.)

c) Die Fabrikation der Salzſäure.

Die Darſtellung dieſer Säure wird nicht beſonders betrieben, weil ſie als Nebenprodukt bei der Sodafabrikation gewonnen wird. Bei dieſer Gelegenheit wird daher von ihr die Rede ſein. Hier intereſſiert nur ihr chemiſcher Beſtand und der Prozeß ihrer Bildung.

Die Salzſäure, die wichtigſte der des Sauerſtoffs ganz entbehren - den, ſogenannten Waſſerſtoffſäuren, iſt die wäſſerige Löſung einer Ver - bindung von Chlor und Waſſerſtoff, des Chlorwaſſerſtoffgaſes (HCl). Dasſelbe löſt ſich bei der Lufttemperatur zu nicht weniger als 450 Volumen in 1 Volum Waſſer zu der käuflichen Salzſäure. Ob - gleich die letztere von den übrigen Säuren durch ihren Sauerſtoffmangel weſentlich abweicht, ſo gehorcht ſie doch denſelben Geſetzen wie jene. Durch Erſetzung ihres Waſſerſtoffatoms durch Metalle entſtehen z. B. ſalzartige Körper (Haloide), aus denen die Salzſäure wiederum durch Schwefelſäure abgeſchieden wird. Man gewinnt daher die Säure, in - dem man das mineraliſch in gewaltigen Maſſen vorkommende Steinſalz oder Chlornatrium (NaCl), mit Schwefelſäure behandelt. Chlorwaſſer - ſtoffgas wird frei, und es bleibt derſelbe Rückſtand, wie bei der Salpeterſäurefabrikation, nämlich Natriumſulfat (Na2SO4).

d) Die Sodafabrikation.

Außerordentlich viele Gewerbe zählen zu ihren wichtigſten Be - dürfniſſen das Natron, ein Alkali, welches ſowohl im feſten Zuſtande, als auch in Löſung ſeine kauſtiſchen Eigenſchaften in ſo kräftiger Weiſe äußert, daß ſeine Wirkung häufig gemäßigt werden muß, um es brauchbar zu machen. Aber ſelbſt im entgegengeſetzten Falle iſt das Natron nicht haltbar, ſondern geht an der Luft bald in kohlenſaures Natrium über. Da dieſes letztere nur ſehr mäßige ätzende Kraft beſitzt und aus ihm andererſeits reine Natronlauge jederzeit herſtellbar iſt, ſo liefert der Handel alles in der Technik nötige Natron heute in Form von kohlen - ſaurem Natrium oder Soda (Na2CO3).

Nur an ſehr wenigen Orten der Erde kommen ſpärlich Subſtanzen mineraliſch vor, deren Zuſammenſetzung der der Soda gleich oderDas Buch der Erfindungen. 53834Die chemiſche Induſtrie der Säuren und Alkalien.ähnlich iſt. Daher iſt man ſchon frühzeitig beſtrebt geweſen, Soda in möglichſt großer Menge künſtlich zu gewinnen.

Da eine Menge von Pflanzen, und zwar beſonders Strandpflanzen, das in der Erde ihres Standortes enthaltene Kochſalz aſſimilieren, ſo findet man in dieſen Gewächſen reichliche Mengen organiſcher Natrium - ſalze, welche beim Einäſchern der Pflanzen in Soda übergehen. Letztere verbleibt daher in der Aſche und kann durch Waſſer ausgezogen werden. Auf dieſem Wege gewann man früher und gewinnt man in einzelnen Ländern ſogar noch heute Soda aus der Aſche des Seetangs und anderer Pflanzenarten. Sie iſt unter verſchiedenen Namen (Barilla, Blanquette, Salicor) im Handel. Alle dieſe Sodaarten ſind ſehr unrein und ſtellen ſich trotz ihrer einfachen Darſtellung doch noch zu teuer.

Heute gewinnt man faſt alle Soda aus Kochſalz, Chlornatrium (NaCl), und zwar hauptſächlich nach zwei verſchiedenen Verfahren, von denen das erſte im Anfang, das zweite gegen die Mitte unſeres Jahr - hunderts erfunden wurde. Es ſind dies der Leblancſche Sodaprozeß und das Solvayſche Ammoniakverfahren.

1. Darſtellung der Soda nach Leblancs Verfahren.

Dieſes Verfahren, welches fünfzig Jahre die Technik unumſchränkt beherrſcht hat, heute aber von dem neueren Verfahren zum Teil ſchon verdrängt iſt, verdankt ſeine Erfindung, wie ſo viele andere wichtige Zweige der Technik, der Not. Als nämlich der jungen Republik Frankreich im Jahre 1793 durch ihre mit faſt allen anderen Ländern Europas geführten Kriege die Zufuhr der bis dahin allein benutzten Pflanzenſoda abgeſchnitten war und alle im Inlande erzeugte Pottaſche, welche allenfalls als Erſatz hätte dienen können, durch die Salpeter - fabriken zur Herſtellung von Kriegspulver abſorbiert wurde, forderte der Wohlfahrtsausſchuß, angeregt durch einen Vorſchlag von Carny, durch einen beſonderen Erlaß alle Bürger auf, alle ihnen etwa be - kannten Mittel und Wege der Sodadarſtellung zum Beſten des Gemein - wohls und mit Übergehung aller eigenen Pläne und Abſichten einer Kommiſſion mitzuteilen. Der Bericht dieſer Behörde erkannte unter den Vorſchlägen einer großen Anzahl uneigennütziger Techniker dem - jenigen von Nicolas Leblanc, als dem einfachſten und für den Groß - betrieb am meiſten geeigneten, den Preis zu.

Der Leblancſche Sodaprozeß zerfällt im weſentlichen in zwei Hauptteile:

  • 1. die Erzeugung des Natriumſulfats aus Kochſalz;
  • 2. die Gewinnung der Rohſoda aus Natriumſulfat.

Hieran reihen ſich dann das Auslaugen, das Eindampfen und das Kalcinieren.

Zur Fabrikation des Natriumſulfats erhitzt man Kochſalz im zerkleinerten Zuſtande mit Schwefelſäure. Wie ſchon oben erläutert, entweicht ſalzſaures Gas, während Natriumſulfat zurückbleibt.

835Die Sodafabrikation.

Zur Erhitzung dienen Ofen von der in Fig. 451 abgebildeten Form. Sie gehören zur Kategorie der Flammöfen, bei welchen die Feuerung mit gewöhnlichem Roſt durch eine Feuerbrücke von dem ſeitlich davon liegenden Erhitzungsraum getrennt iſt. Die Erwärmung erfolgt

Fig. 451.

Sulfatofen einer Sodafabrik.

daher nur durch die über die Feuerbrücke fortſchlagende, den Erhitzungs - raum von oben her treffende Flamme; dies bedingt, daß die Flamm - öfen einen ſehr ſtarken Zug haben müſſen.

Bei dem Sulfatofen zerfällt der Erhitzungsraum in einen kleinen vorderen und einen größeren hinteren, mit Blei ausgefütterten Raum, welcher ſeinerſeits durch die Zuglöcher mit dem gleich zu beſchreibenden Kondenſationsapparat für die Salzſäure und durch dieſen mit dem hohen Schornſtein in Verbindung ſteht. Das Steinſalz kommt in Ladungen von 150 bis 400 kg in den hinteren Raum und wird durch eine obere Öffnung dieſes Raumes mit der nötigen Menge Schwefel - ſäure übergoſſen. Sofort beginnt eine heftige Gasentwicklung, welche ſich durch verſtärktes Heizen ſteigert, um nach einigen Stunden nach - zulaſſen. Dann läßt man durch eine unten liegende Öffnung die Maſſe herausfallen, erkalten, und bringt ſie nun in den vorderen Ofenraum, während der hintere von neuem beſchickt wird. In dieſem vorderen Raum wird alle überſchüſſige Säure, ſowie alles Waſſer aus dem Sulfat vertrieben und dieſes ſelbſt endlich bis zum Schmelzen erhitzt. In der geſchilderten Weiſe arbeitet der Ofen kontinuierlich fort.

Da die Schwefelſäure am beſten nicht konzentriert gebraucht wird, ſo iſt jede größere Sodafabrik gleichzeitig mit Bleikammern ausgerüſtet; ſie gewinnt auf dieſe Weiſe ihre Schwefelſäure zu viel billigerem Preiſe, da ſie die Kammerſäure direkt verwenden, alſo die beträchtlichen Abdampf - koſten ſparen kann.

Die mit Chlorwaſſerſtoffgas reichlich beladenen Feuergaſe ſtrömen gewöhnlich aus dem Feuerraume zunächſt in mit Waſſer gefüllte aus Sandſtein aufgemauerte Kammern, in welchen ſich der größte Teil des Chlorwaſſerſtoffs auflöſt. Man gewinnt ſo Salzſäure, die zu vielen noch zu erwähnenden Zweigen der chemiſchen Technik benutzt wird. Um die letzten Spuren des ſalzſauren Gaſes, welche den Umgebungen der Fabrik ſehr läſtig und ſchädlich ſein würden, zu vertilgen, führt53*836Die chemiſche Induſtrie der Säuren und Alkalien.man die Gaſe weiter durch ein paar Abſorptionstürme von der Art der bei der Schwefelſäurefabrikation beſchriebenen, durch welche Waſſer herabrieſelt, und dann in den Schornſtein.

Das gewonnene Sulfat wird grob zermahlen und mit etwa der gleichen Menge kohlenſauren Kalks und der Hälfte ſeines Gewichts Kohle innig gemengt. Man kann Kreide, gepulverten Kalkſtein oder Kalktuff verwenden; bei dem hohen Preiſe der Holzkohle nimmt man ſtatt dieſer auch gutes Grubenklein von Braun - oder Steinkohle.

Das Gemenge kommt in einen Flammofen, den Sodaofen, welcher dem Sulfatofen ähnelt. Indeſſen ſind die zwei Feuerräume nicht ſo ſcharf getrennt, ſondern der vordere liegt in der Regel nur eine Stein - ſtärke tiefer, als der hintere, ſo daß man die Schmelze direkt gegen die Feuerbrücke hinziehen kann. Der ganze Feuerraum iſt durch ſeitliche Öffnungen zugänglich, damit das Gemenge gründlich mit Rührhaken durchgearbeitet werden kann; eine Operation, welche für das Gelingen des Prozeſſes unerläßlich iſt. Zur Regulierung des Zuges iſt in dem Schornſtein eine verſtellbare Klappe, das Regiſter, vorhanden.

Sowie die Oberfläche des eingetragenen Gemenges, 100 200 kg, zu erweichen anfängt, wird behutſam umgerührt, bis eine lebhafte Ent - wicklung von Kohlenoxydgas, an blauen Flämmchen erkennbar, beginnt. Dann muß durchgearbeitet werden, bis die ganze Maſſe ruhig fließt und ſo die Beendigung der Operation ankündigt. Nun wird die Schmelze in untergeſtellte Blechkäſten gezogen, in welchen ſie erſtarrt.

Man kann ſich den bei dieſem Verfahren ſtattfindenden chemiſchen Prozeß, der durchaus noch nicht vollkommen erforſcht iſt, am einfachſten folgendermaßen vorſtellen: Die Kohle reduziert das Natriumſulfat (Na2SO4), indem ſie ſich mit dem Sauerſtoff desſelben zu entweichendem Kohlenoxyd (CO) verbindet, zu Schwefelnatrium (Na2S). Dieſes ſetzt ſich dann mit dem kohlenſauren Kalk (CaCO3) zu Schwefelcalcium (CaS) und kohlenſaurem Natrium oder Soda (Na2CO3) um. Gleichzeitig wird der überſchüſſige, nicht an dieſer Zerſetzung teilnehmende kohlenſaure Kalk gebrannt, d. h. unter Entweichen von Kohlenſäure (CO2) in ge - brannten Kalk (CaO) verwandelt. Demnach beſteht die gewonnene Rohſoda aus Soda, Schwefelcalcium und Kalk.

Das Auslaugeverfahren, dem die Rohſoda nunmehr unterworfen werden muß, hat den Zweck, die lösliche Soda von dem Schwefel - calcium und Kalk zu trennen. Die beiden letztgenannten Beſtandteile ſind zwar auch an ſich löslich; ſie haben aber die Eigentümlichkeit, in Berührung mit Waſſer eine ganz unlösliche Doppelverbindung, das Calciumoxyſulfid, zu bilden. Dieſer günſtige Umſtand, deſſen Ein - treten von dem Vorhandenſein einer genügenden Menge Kalk in der Rohſoda abhängt, ermöglicht die gewünſchte Trennung. Das Auslaugen ſelbſt erfolgt in einer Reihe terraſſenartig über - und hintereinander angeordneter Bottiche (ſ. Fig. 452), welche ſiebartig durchlöcherte und herausnehmbare Einſätze haben, mittels Waſſers von etwa 40° C. Das837Die Sodafabrikation.Waſſer läuft zuerſt durch den höchſt ſtehenden Bottich, ſättigt ſich hier zum Teil mit Soda aus der in dem Einſatz befindlichen zerkleinerten Rohſoda und läuft dann durch einen Heber in den nächſten ein wenig tiefer liegenden Bottich, wo die Sättigung weiter erfolgt. Iſt nach einiger Zeit die Rohſoda im oberſten

Fig. 452.

Auslaugeanlage einer Sodafabrik.

Bottich erſchöpft, ſo nimmt man den Einſatz heraus, beſchickt ihn mit neuer Maſſe, läßt alle übrigen Einſätze um je eine Stufe in die Höhe rücken und ſetzt den neu beſchickten in den auf dieſe Weiſe frei gewordenen[unterſten] Bottich. Durch dieſes einfache Verfahren erreicht man, daß die Rohſoda vollſtändig ausgenutzt wird; denn durch das beſchriebene Arrangement wird immer die bereits am meiſten erſchöpfte Roh - ſoda mit dem kräftigſten Löſungsmittel, nämlich reinem Waſſer, in Berührung gebracht, während die weiterhin folgenden, noch gehaltreicheren Teile mit zum Teil ſchon geſättigter Löſung überſtrömt werden. Das oben eintretende Waſſer wird alſo beim Abwärtsrieſeln all - mählich zu einer Lauge von ſteigender Stärke, während der Gehalt der in den Einſätzen be - findlichen Rohſoda nach oben zu ſtufenweiſe ab - nimmt. Ein gemeinſames Dampfrohr, welches Zweigleitungen in die einzelnen Bottiche ent - ſendet, ſorgt dafür, daß die Temperatur auf der urſprünglichen Höhe bleibt.

Die gewonnene Lauge iſt mehr oder weniger mit etwas Schwefelnatrium verun - reinigt, welches die beim Abdampfen erhaltene Soda durch Bildung von Schwefeleiſen (aus einem geringen Eiſengehalt der Lauge) bräunt, ſo daß ſie heute die Konkurrenz mit der ſchönen weißen, durch das Ammoniakverfahren produ - zierten Soda nicht aushalten könnte. Daher verfährt man beim Abdampfen ſo, daß man eine beſtimmte Konzentration der Lauge ab - wartet, bei welcher kleine Kryſtalle von einfach gewäſſerter Soda (Na2CO3 + H2O) nieder zu fallen beginnen. Dieſe Kryſtalle werden herausgeſchöpſt (das Soggen ), getrocknet, nochmals gelöſt und die ſo erhaltene Löſung entweder zur Kryſtalliſation oder zur Trockenheit eingedampft. Im erſteren Falle erhält man kryſtalliſierte Soda (Na2CO3 + 10H2O), im letzteren kalcinierte, d. h. waſſerfreie. Die838Die chemiſche Induſtrie der Säuren und Alkalien.beim Abdampfen der Rohſodalauge ſich ausſcheidenden Verunreinigungen, wie Kieſelſäure und Thonerde, entfernt man ſchon vor dem Soggen durch Dekantieren. Die endlich zurückbleibende Mutterlauge wird auf Ätznatron verarbeitet.

Da in einem rationellen chemiſchen Fabrikbetrieb womöglich alle Rückſtände verwertet werden müſſen, ſo geſchieht dies auch mit den in der Fabrik ſich zu Bergen anhäufenden, durch Schwefelwaſſerſtoff - entwicklung die Luft verpeſtenden Auslaugerückſtänden der Rohſoda, welche in der That den wertvollen, aus der Schwefelſäure herſtammenden Schwefel enthalten. Um ihn, wenigſtens zum großen Teil, wieder - zugewinnen, werden die Rückſtände in Käſten durchlüftet und von neuem ausgelaugt. Die Lauge enthält nun verſchiedene Verbindungen des Schwefels mit Calcium, welche durch Zuſatz von Salzſäure zerſetzt werden. Der Schwefel ſcheidet ſich als Bodenſatz aus, wird unter Kalkwaſſer geſchmolzen und zu Stangen geformt.

Das Leblancſche Verfahren iſt weſentlich gefördert worden durch die zuerſt in England erfolgte Einführung eines Sodaofens mit rotierendem Herd. Zwiſchen der Feuerung und dem Abzug iſt ein mit feuerfeſten Steinen ausgefütterter Cylinderherd eingeſetzt, der durch ein Maſchinenwerk mit beliebiger Geſchwindigkeit gedreht werden kann. Man umgeht hierdurch das Rühren des Gemenges bei bedeutend beſchleunigter Arbeit. Der Cylinderofen hat dazu beigetragen, das Leblancverfahren dem konkurrierenden Ammoniakverfahren gegenüber zu ſtützen.

2. Darſtellung der Soda nach dem Ammoniakverfahren.

Eine größere Anzahl von Chemikern hat verſucht, den Umſtand, daß Kochſalz durch doppelt kohlenſaures Ammonium, unter gleichzeitiger Abſcheidung von Salmiak, in doppelt kohlenſaures Natrium umgewandelt wird, für die Sodafabrikation auszubeuten. Unter den zahlreichen Arten, dieſes Prinzip praktiſch zu verwerten, hat aber nur eine wirk - lichen und großen Erfolg gehabt, nämlich das dem Belgier Solvay im Jahre 1863 patentierte Verfahren, welches heute in ſo großem Umfange ausgeübt wird, daß z. B. in Deutſchland heute vier Fünftel aller erzeugten Soda nach dem Solvayſchen Verfahren dargeſtellt werden; nur in England hat ſich die Leblancſche Methode noch in größerem Maße behauptet.

Das Ammoniakverfahren beginnt mit der Herſtellung einer Koch - ſalzlöſung durch Auflöſen von rohem Steinſalz im Waſſer; in Gegenden, wo Salzwerke vorhanden ſind, iſt es ſehr lohnend, gleich die rohe Salzſole anzuwenden. Die geklärte Salzlöſung leitet man in Gefäße mit durchlöchertem Boden, durch welchen Ammoniakgas von unten her zugeleitet wird. Die Löſung abſorbiert das Gas unter nicht unbeträcht - licher Erwärmung und wird deshalb vor der weiteren Verarbeitung ab -839Die Sodafabrikation.gekühlt. Dann leitet man ſie in die Solvayſchen Cylinderapparate, 12 bis 18 m hohe, ziemlich weite Cylinder von Eiſen, welche eine große Anzahl übereinander liegender, ſiebartig durchlöcherter, nach unten zu konkav geſtalteter, metallener Querwände enthalten. Die ammoniakaliſche Salz - ſole wird durch das Zuſtrömungsrohr etwa der Mitte des Cylinders zugeführt. Hierauf läßt man durch ein Rohr von unten her Kohlen - ſäure in den unterſten Teil des Cylinders einſtrömen. Das Gas, welches einen Druck von 1,5 2 Atmoſphären hat, dringt in ſehr feinen Bläschen durch die Siebböden in die Höhe und wird lebhaft von der Flüſſigkeit abſorbiert. Es bildet ſich aus Ammoniak und einem Über - ſchuß von Kohlenſäure doppelt kohlenſaures Ammonium, welches ſofort mit dem Kochſalz (Chlornatrium) ſich in doppelt kohlenſaures Natrium und Salmiak (Chlorammonium) umſetzt. Das letztere Salz iſt leicht löslich und bleibt daher unverändert in Löſung; das viel ſchwerer lösliche doppelt kohlenſaure Natrium dagegen ſcheidet ſich als weißes Pulver aus. Zieht man nach Beendigung der Einwirkung den Inhalt des Cylinders ab und leitet ihn auf Vakuumfilter, d. h. Filter, deren Wirkung durch einen luftverdünnten Raum unter ihnen erheblich be - ſchleunigt wird, ſo bleibt das doppelt kohlenſaure Natrium zurück, während die Salmiaklöſung durchläuft. Das weiße Pulver wird ein - mal gewaſchen, dann entweder auf Darren oder in beſonders kon - ſtruierten Keſſeln getrocknet[und] endlich in eiſernen Behältern ſtärker erhitzt. Bei dieſer letzteren Operation verliert das Salz Waſſer und Kohlenſäure, und es bleibt einfach kohlenſaures Natrium, d. h. Soda, zurück.

Der außerordentlich große Vorteil des Ammoniakverfahrens liegt einesteils in der Reinheit des erhaltenen Produktes, andererſeits in dem Umſtande, daß ſämtliche Nebenprodukte direkt wieder ausgenutzt werden können. Die für den erſten Teil des Verfahrens nötige Kohlen - ſäure wird zum größten Teil durch das Glühen des erhaltenen doppelt kohlenſauren Natriums geliefert; ebenſo erhält man das erforderliche Ammoniak aus der ablaufenden Salmiaklöſung, indem dieſe eingedampft und mit Kalk erhitzt wird. Wird man erſt imſtande ſein, das bei dieſem letzten Prozeß ſich bildende Chlorcalcium in genügend gewinn - bringender Weiſe, beſonders zur Darſtellung von Chlor, zu verwerten, ſo wird damit der vollſtändige Sieg des Verfahrens über das Leblancſche entſchieden ſein.

Außer den beiden genannten Methoden, Soda darzuſtellen, exiſtieren eine Menge anderer Vorſchläge für den gleichen Zweck. Einzig er - wähnenswert von dieſen iſt eine Methode, deren Rohprodukt der in ge - waltigen Lagern verbreitete Kryolith, eine Doppelverbindung von Fluor - natrium und Fluoraluminium, iſt. Durch Glühen dieſes Minerals mit Kreide im Flammofen und Auslaugen der Schmelze mit Waſſer erhält man eine Löſung, aus welcher durch Einleiten von Kohlenſäure Thonerde - hydrat gefällt wird, während Soda gelöſt bleibt. In ähnlicher Weiſe840Die chemiſche Induſtrie der Säuren und Alkalien.hat man in der Neuzeit ein anderes thonerdehaltiges Mineral, den Bauxit von Südfrankreich, zu Soda und als Nebenprodukt Thonerde verarbeitet.

e) Die Pottaſchefabrikation.

Die Pottaſche, das der Soda analoge Kaliumſalz, erhält man zum größeren Teil aus Mineralkörpern, zum kleineren aber auch aus organiſchen Stoffen. Die erſte Art der Darſtellung, welche von dem in den ſogenannten Abraumſalzen des Staßfurter Salzlagers vor - kommenden Carnallit, einem Doppelſalz von Chlorkalium und Chlor - magneſium, ſowie von dem an mehreren Orten ſtark verbreiteten Sylvin, reinem Chlorkalium, ausgeht, iſt der Sodadarſtellung aus Kochſalz nach dem Leblancſchen Verfahren völlig analog und braucht daher hier nicht mehr erörtert zu werden. Es ſei nur erwähnt, daß man im Carnallit die beiden Chloride durch Löſen und Kryſtalliſieren trennt, ſowie daß eine nicht unbedeutende Menge Kaliumſulfat, ſtatt durch den Sulfat - prozeß aus Sylvin, direkt aus anderen Staßfurter Abraumſalzen, z. B. dem Kainit, erhalten wird.

Zu den organiſchen Stoffen, aus denen man Pottaſche fabriziert, gehört in erſter Linie die Holzaſche. Dieſelbe wird mit Waſſer aus - gelaugt, die gewonnene Löſung eingedampft und im Flammofen kalci - niert. Durch wiederholtes Auflöſen und Eindampfen des erhaltenen Produktes wird dieſe rohe Pottaſche raffiniert. Die Fabrikation iſt gegen früher ſehr zurückgegangen, da man infolge der verbeſſerten Kommunikationsmittel heute für die Waldhölzer günſtigere Verwendung hat. Nur einzelne Länder, wie Rußland und Amerika, liefern noch erhebliche Quantitäten Holzpottaſche.

Die unter dem Namen Melaſſe bekannte Mutterlauge von dem Kryſtalliſationsprozeß des Rübenzuckers enthält Kaliumkarbonat (Pott - aſche). Hierauf gründet ſich die Fabrikation der Pottaſche aus Melaſſe. Letztere wird mit Salzſäure verſetzt und durch Hefenzuſatz in Gährung gebracht. Der hierdurch gebildete Sprit wird abdeſtilliert, das Zurück - bleibende eingedampft und verkohlt und die erhaltene Kohle heftig ge - glüht. Der Rückſtand, das Salin , wird gelöſt und die Löſung ein - gedampft; ſie liefert durch auf einander folgende Partialkryſtalliſationen: Kaliumſulfat, Soda, Chlorkalium, wiederum Soda, endlich Pottaſche.

Außer aus Holzaſche und Melaſſe hat man auch aus dem Schweiß der Rohwolle Pottaſche gewonnen. Durch Waſchen der Wolle mit alkaliſcher Lauge erhält man eine Löſung, deren Eindampfrückſtand ähnlich wie das Salin weiter verarbeitet wird.

Wie ſchon in der Einleitung dieſes Abſchnittes erwähnt wurde, ſind mit den bisher erwähnten chemiſchen Produkten die der Alkali - induſtrie angehörigen Stoffe von allgemeiner Bedeutung erſchöpft. Die ſonſtigen Alkaliverbindungen, wie z. B. der Salpeter, das Kochſalz und die Phosphate dienen ganz beſonderen Zweigen der Technik und841Die Pottaſchefabrikation. Die Seifenfabrikation.ihre Bereitung iſt Sache der betreffenden ſpeziellen Kapitel und wird bei dieſen abgehandelt.

Von den Anwendungen der beſprochenen chemiſchen Produkte ſind einige ſo umfangreich, daß ſie gleichfalls, wie z. B. die Glasfabrikation und die Pulverfabrikation, beſondere Abſchnitte beanſpruchen. Nur eine läßt ſich bequem als direkter Anhang des vorliegenden Kapitels behandeln; es iſt dies

f) die Seifenfabrikation.

Unter Seifen verſteht man zunächſt die Alkaliſalze der Fettſäuren, welche durch Einwirkung der ätzenden Alkalien auf die natürlich vor - kommenden Fette gewonnen werden. Im allgemeinen bezeichnet aber die Wiſſenſchaft die fettſauren Verbindungen aller Metalloxyde, auch diejenigen der Schwermetalle, als Seifen. Obgleich die letzteren in einzelnen Gewerben, ſowie in der Heilkunde Anwendung finden, ſo intereſſieren uns an dieſer Stelle doch beſonders die erſteren.

Die Fabrikation der Alkaliſeifen iſt ſehr alt. Plinius bezeichnet ſie als eine galliſche Erfindung und erwähnt bereits harte und weiche Seife, kennt auch ihre Herſtellung aus Aſche und Talg. Dagegen iſt es mehr als zweifelhaft, ob noch früher die Seife bekannt war; höchſt wahrſcheinlich ſind derartige Berichte durch Verwechſelung der Seife mit anderen, im Altertum zu Reinlichkeitszwecken dienenden Sub - ſtanzen, wie Pottaſche und Soda, entſtanden.

Die Grundlagen der Seifenfabrikation ſind einerſeits die Fette, andererſeits die Alkalilaugen. Beide können nicht immer ſo angewandt werden, wie ſie dem Seifenſieder geliefert werden; beſonders muß er ſich die Lauge aus Soda und Pottaſche ſelbſt herſtellen. Aber auch die Fette unterliegen häufig noch beſonderer Vorbereitung.

Von den Fetten iſt eine ganze Anzahl ſchon bei den Leucht - materialien (auf S. 285 ff. ) genauer betrachtet worden, ſo daß ſie hier übergangen werden können; hierher gehören Talg, Leinöl, Olivenöl und Harz. Außer ihnen dient zur Seifenfabrikation eine ſehr große Zahl anderer Fette, deren wichtigſten Palmöl, Kokosnußöl und Knochen - fett ſind.

Palmöl wird aus den Früchten gewiſſer Palmenarten aus - geſchmelzt. Früher nur als Seltenheit bekannt, bildet es wegen ſeiner Anwendung in der Seifenſiederei heute einen ſehr wichtigen Handels - artikel der weſtafrikaniſchen Küſte. Das den Kern umgebende Fleiſch der Frucht wird mit Waſſer ausgekocht, worauf ſich das Palmöl als ein rotgelbes, bei etwa 30° erſtarrendes Fett von Butterkonſiſtenz obenauf ſammelt und abgeſchöpft wird. Der Farbſtoff des Palmöls wird von dem Seifenſieder als ein Hindernis betrachtet und daher durch Bleichen entfernt. Man bleicht entweder mit Chlorkalk oder, beſſer, durch längeres Schmelzen bei 110 bis 120° C., welches durch Hochdruckdampf unterhalten wird. Auch wird die Bleichung842Die chemiſche Induſtrie der Säuren und Alkalien.mittels einer Chromſäurelöſung, ähnlich der zu gewiſſen galvaniſchen Elementen gebrauchten, als ſchnellſte Art der Entfärbung benutzt. Von ähnlicher Abſtammung wie das Palmöl iſt das Illipeöl und die Galambutter.

Das Kokosnußöl, ein weißes Fett von blättriger Beſchaffenheit wird aus den Kernen der Kokospalme, alſo beſonders in Oſtindien, gewonnen. Man preßt es entweder in der Heimat der Pflanze, oder auch aus den im Handel nach Europa gebrachten Kernen (Copperah) erſt hier aus.

Die tropiſchen Pflanzenfette ſind ſtets ranzig, d. h. ſie beſtehen nicht durchweg aus Verbindungen der drei (S. 285) erwähnten Fett - ſäuren mit Glycerin, ſondern enthalten auch freie Fettſäure.

Die Alkalilaugen ſtellt ſich der Seifenſieder heute ausſchließlich aus der im Handel befindlichen Soda und Pottaſche dar, während er früher auf die eigene Darſtellung aus Holzaſche angewieſen war. In eiſernen Gefäßen wird die auf eine beſtimmte Verdünnung gebrachte Sodalöſung mit Ätzkalk vermiſcht, tüchtig umgerührt und ſo lange ſich ſelbſt überlaſſen, bis eine Probe der überſtehenden klaren Flüſſigkeit mit einer Säure kein Aufbrauſen, alſo keine Spur von Kohlenſäure, mehr zeigt. Die Kohlenſäure der Soda, reſp. Pottaſche hat ſich mit dem Kalk als unlöslicher kohlenſaurer Kalk niedergeſchlagen, während Ätznatron, reſp. Ätzkali in Löſung bleibt. Für das Gelingen der Operation iſt eine beſtimmte Konzentration der Flüſſigkeit nötig, ſo daß heute ſchon viele Fabrikanten, um dieſe Schwierigkeit zu umgehen, ſich ihr Ätznatron in feſter Form direkt aus den Sodafabriken kommen laſſen und einfach auflöſen.

Ehe wir zur Beſchreibung des nun beginnenden Siedens über - gehen, iſt eine kurze Betrachtung des chemiſchen Prozeſſes der Seifen - bildung nötig. Die letztere beruht einfach darauf, daß ſich die Glycerin - verbindungen der Fettſäuren in Berührung mit Alkali zerſetzen; es entſtehen die Alkaliverbindungen der Fettſäure, während Glycerin ab - geſchieden wird. Die erſteren ſetzen die Seife zuſammen[und] zwar ſind die Kaliſeifen ſtark hygroſkopiſch (weiche Seifen oder Schmierſeifen), während die Natronſeifen ſchnell feſt und kernig werden (harte Seifen oder Kernſeifen). Man benutzt daher heute Ätzkalilauge, reſp. Pottaſche nur noch zur Herſtellung der in viel geringerer Menge gebrauchten Schmierſeifen, ſo daß der Bedarf an Soda der bei weitem größere iſt. Früher dagegen machte man alle Seife aus Pottaſche und verwandelte die erhaltene Kaliſeife erſt durch Zuſatz von Kochſalz (Chlornatrium) in die kernige Natronſeife; es bildete ſich nebenbei Chlorkalium. Nach ihrer chemiſchen Zuſammenſetzung erfordern die verſchiedenen Fette ſehr verſchiedene Mengen Lauge; auch die Konzentration der letzteren iſt von weſentlichem Einfluß. Die Verſeifung erfolgt nicht ſofort beim Zuſammenkommen des Fettes mit der Lauge; es bilden ſich zuerſt Verbindungen des Alkalis mit überſchüſſiger Fettſäure, welche erſt843Die Seifenfabrikation.allmählich in die normalen fettſauren Alkalien übergehen. Eine eigen - tümliche Wirkung hat auf die erhaltene gleichartige Miſchung von Seife mit überſchüſſiger Lauge und Glycerin, den ſogenannten Seifenleim, das Kochſalz. Schon bei geringem Zuſatz desſelben wird die Seife als weißliche flockige Maſſe abgeſchieden; ſie wird alſo durch das Kochſalz unlöslich gemacht. Man kennt kein beſſeres Mittel, um die Kernſeife aus dem Seifenleim abzuſcheiden, als das Ausſalzen derſelben, welches daher als ein beſonders wichtiger Akt der Seifenfabrikation betrachtet werden muß. Es ergiebt ſich hieraus, daß die ſogenannten Leimſeifen auch nach dem Erſtarren neben der Seife große Mengen von Waſſer, Alkali und Glycerin enthalten, während Kernſeifen, eben infolge des Ausſalzens, überwiegend aus reiner Seife beſtehen.

Nach dieſen Erörterungen wollen wir an einem Beiſpiel, der Herſtellung der Talgkernſeife, die praktiſchen Handgriffe des Seifen - ſieders näher betrachten.

Das Kochen der Seife, wozu Natronlauge und Talg gebraucht werden, erfolgt in einem nach unten verjüngten eingemauerten Metall - keſſel (ſ. Fig. 453), welcher am oberen Ende einen aus hölzernen

Fig. 453.

Seifenkeſſel.

Dauben beſtehenden Aufſatz, den Sturz , trägt, um das Überſteigen der ſchäumenden Maſſe zu verhüten. Zur Heizung verwendet man freies Feuer oder auch hoch geſpannten Dampf von 150 bis 160° C. Man kocht das Fett unter allmählichem Zuſatz von ſtarker Lauge, bis eine herausgeholte Probe des Seifenleims auf Glas klar erſtarrt. Dann fügt man zum Ausſalzen etwa 12 % Kochſalz hinzu und be - fördert durch das Klarſieden bei bedecktem Keſſel die vollſtändige Aus - ſcheidung der Seife. Iſt endlich der Schaum verſchwunden, und ſteigen nur noch hin und wieder große Blaſen auf (das Aufpoltern ), ſo hat844Die chemiſche Induſtrie der Säuren und Alkalien.die Seife körnige Beſchaffenheit und ſondert ſich von der klaren Flüſſig - keit ab, welche nach kurzer Ruhe durch den unteren Hahn des Keſſels abgelaſſen wird. Hierauf ſchöpft man die oben befindliche Seifenmaſſe in Formen von der in Fig. 454 abgebildeten Art. Dieſe beſtehen aus

Fig. 454.

Seifenform.

prismatiſchen auseinander - nehmbaren Käſten, welche durch Schrauben zuſammen - gehalten werden, und in welchen man die Seife völlig erſtarren läßt. Nachdem dies geſchehen iſt, öffnet man die Form und zerſchneidet den ganzen, oft ein Kubikmeter und mehr haltenden ſtarren Seifenblock mittels geſpannter dünner Eiſendrähte in Stücke von der gewünſchten Größe.

Bei den Leimſeifen oder, wie man ſie wegen ihres Gehaltes an Waſſer, Lauge, Glycerin und beſonderen Zuſätzen nennt, den gefüllten Seifen, fällt das Ausſalzen entweder ganz fort oder die fertige Seife wird vor dem Erſtarren mit Lauge verdünnt. Man ſiedet ſie gewöhn - lich mit Kokosöl und ſtarken Laugen, worauf die Verſeifung äußerſt raſch eintritt; ja man kann dieſe Seifen, zu welchen z. B. die Toilette - ſeifen gehören, ſogar auf kaltem Wege erhalten, indem man das ge - ſchmolzene Fett direkt in die Form gießt, unter gutem Umrühren die Lauge hinzufügt und, wenn die Maſſe dicklich wird, Farbſtoffe und Parfüms zuſetzt. Beſonders ſtark verbreitet ſind unter den gefüllten Seifen die aus Gemiſchen der Palmöle mit anderen Fetten gewonnenen, weil ſie trotz hohen Waſſergehalts recht feſt und trocken ſind. Sie werden beim Sieden mit allen möglichen Dingen, beſonders mit Stärke, Kreide, Thon und Waſſerglas verſetzt oder gefüllt . Eine der be - kannteſten dieſer künſtlichen Kernſeifen iſt die nach ihrem erſten Her - ſtellungsorte benannte Eſchweger Seife, welche beim Sieden ausgeſalzen und, um ihr den hohen Waſſergehalt mitzuteilen, mit verdünnter Lauge und Salzwaſſer gefüllt wird.

Alle gefüllten oder, wie man die etwas weniger waſſerreichen unter ihnen nennt, geſchliffenen Seifen erſtarren in der Form nicht, wie die Kernſeife, zu einer gleichmäßigen, weißlich gelben Maſſe, ſondern es ſcheidet ſich bei ihnen die Seife der feſten Fette (Palmitin - und Stearinſäure) von der der flüſſigen (Oleinſäure). Die erſtere ſondert ſich in zarten Kryſtallen aus, während die Oleinſeife die vorhandenen färbenden Verunreinigungen einſchließt. Auf dieſe Weiſe, welche der Fabrikant Kern - und Flußbildung nennt, entſteht eine eigentümliche Marmorierung der Seife, welche durch Zuſatz färbender Stoffe, wie Eiſenvitriol, Bolus und anderer, bedeutend verſtärkt werden kann. Dies845Die Seifenfabrikation.geſchieht in der That, ja auch die Kernſeife wird häufig durch Zuſätze nnd regelmäßiges Aufrühren der in der Form befindlichen erſtarrenden Maſſe gemandelt ; ſie zeigt dann dunkle Flecke auf hellem Grunde.

Die Schmierſeifen werden allgemein aus Leinöl, Brennöl, Thran mit Kalilauge hergeſtellt. Indeſſen fügt man ſtets ein wenig Natron - lauge zu, weil die erhaltene Seife dadurch, bei gleich hohem Waſſer - gehalt, weniger flüſſig wird, als ohne Natronzuſatz. Man kocht zuerſt mit ſchwacher, dann mit ſtärkerer Lauge; auch hierbei wird mit ver - ſchiedenen Füllungen gearbeitet. Häufig ſetzt man auch beim Sieden Harz (Kolophonium) zu, oder man vermiſcht die fertige Seife mit be - ſonders gekochter Harzſeife. Die Schmierſeifen ſind ſtark und un - angenehm riechende weiche Maſſen von dunkler, grüner bis ſchwarz - brauner Farbe, welche gegen 50 % Waſſer enthalten.

Außer den ſchon oben erwähnten Toiletteſeifen, gefüllten oder nur geſchliffenen Seifen mit Parfümzuſatz, fabriziert man einige beſondere Arten. Hierzu gehören die transparenten Seifen, z. B. die Glycerinſeife, die man durch Löſen der Kernſeife in Glycerin und Erſtarrenlaſſen erhält; die Bimsſteinſeife, welche Bimsſteinpulver enthält; die Mandelſeife, aus Palmöl und Talg unter Zuſatz von Nitrobenzol (Eau de Mirban) ge - wonnen; endlich die durch ihre Reinheit berühmte Marſeiller Seife, welche aus minderwertigen Sorten Olivenöl mit Natronlauge fabriziert und durch ſehr geringen Zuſatz von Eiſenvitriol marmoriert wird. Die letztere Wirkung erklärt ſich daraus, daß ſich durch den geringen Ge - halt der Soda an Schwefelnatrium ſchwarzes Schwefeleiſen bildet, welches die gewünſchte dunkle Äderung hervorruft.

2. Die Fabrikation und Verarbeitung des Glaſes.

Allgemeines.

Die Erzählung, daß phöniziſche auf der Reiſe begriffene Kauf - leute, indem ſie ihre Kochgeſchirre auf Sodaſtücken, mit denen ſie handelten, erhitzten, ein Zuſammenfließen der Soda mit dem Sande des Bodens beobachteten und ſo die Erfinder des Glaſes wurden, beruht auf einem Irrtum, da freies Feuer ganz unmöglich das Flüſſig - werden des Glaſes bewirken kann. Dennoch iſt die Erfindung der Glas - macherkunſt zweifellos in die älteſten Zeiten zu verſetzen. Wir haben beſtimmte Nachrichten, daß in Sidon und Alexandria Glashütten exiſtierten, in welchen man das Produkt nicht nur einfach herſtellte, ſondern auch zu ſchleifen, zu färben und zu vergolden verſtand. Trotz alle - dem war das Glas im Altertum ein verhältnismäßig koſtbarer Gegen - ſtand, der vom alltäglichen Gebrauche ausgeſchloſſen war. Im Mittelalter ſcheint die Glasfabrikation zunächſt nach Venedig verpflanzt worden zu846Die Fabrikation und Verarbeitung des Glaſes.ſein, wo die Hütten auf der Inſel Murano, noch heute wegen ihrer Fabri - kate hoch geſchätzt, bald weit berühmt wurden. Böhmen, Frankreich und England folgten zunächſt nach, bis gegen Ende des Mittelalters das Glas allgemein verbreitet war. Scheiben von Glas, ſchon in Pompeji gefunden, haben erſt viele Jahrhunderte ſpäter allgemeine Verwendung erlangt; ſie erſcheinen z. B. erſt gegen 1200 in England, um 1450 in Wien. Die erſten großen Hütten, wie wir ſie noch heute haben, ſind erſt im 16. Jahrhundert errichtet worden.

Glas im allgemeinſten Sinne wird durch Zuſammenſchmelzen von Kieſelerde mit Metalloxyden, wie Kali, Natron, Kalk, Magneſia, Baryt, Bleioxyd, Zinnoxyd, Eiſenoxydul, Manganoxydul, Thonerde, erhalten. Beim Abkühlen erſtarrt die Schmelze zu einer durchſichtigen Maſſe von verſchiedener Färbung, welche große Härte beſitzt und dem zer - ſtörenden Einfluße der Luft, des Waſſers, ſowie vieler chemiſchen Rea - gentien in hohem Grade widerſteht. Infolge dieſer Eigenſchaften, denen nur Sprödigkeit und Zerbrechlichkeit als unangenehme Beigaben gegen - überſtehen, iſt das Glas ſowohl für das praktiſche Leben, wie für die Wiſſenſchaft gewiſſermaßen unerſetzbar. Ja, man muß bei einiger Überlegung erkennen, daß einzelne Wiſſenſchaften, wie z. B. die Phyſik, die Chemie und ganz beſonders die Aſtronomie ohne das Glas ſich nicht bis zu ihrem heutigen Standpunkte hätten entwickeln können.

Das Glas ſtellt eine Verbindung von Salznatur dar. Die Kieſel - erde, eine Verbindung des Elementes Silicium mit Sauerſtoff, kann auf Umwegen zur chemiſchen Aufnahme von Waſſer gezwungen werden; es entſteht dadurch eine Säure, die Kieſelſäure, deren Waſſerſtoff, wie der anderer Säuren, durch Metalle erſetzbar iſt und hierdurch Salze, die Silikate, liefert. Die letzteren entſtehen einfacher durch Zuſammen - ſchmelzen der Oxyde mit Kieſelerde. Da die Kieſelſäure, welche ſonſt bei gewöhnlicher Temperatur chemiſch ſehr unwirkſam und ſchwach iſt, in der Glühhitze, wegen ihrer Feuerbeſtändigkeit, eine ſehr ſtarke Säure darſtellt, ſo treibt ſie bei hoher Temperatur andere ſonſt ſtärkere Säuren, wegen deren flüchtiger Natur, leicht aus ihren Verbindungen aus und vereinigt ſich mit den freigewordenen Metalloxyden. Weſentlich für das Glas, ein künſtlich erhaltenes Silikat, iſt die nicht kryſtalliniſche Beſchaffenheit, der amorphe Zuſtand; durch ihn unterſcheidet ſich eben das Glas von den äußerſt zahlreich als Mineralien vorkommenden natürlichen Silikaten.

Um dem Glaſe die charakteriſtiſchen ſchätzenswerten Eigenſchaften mit - zuteilen, muß es kieſelſaure Verbindungen ganz beſtimmter Metalloxyde enthalten. Die Silikate der Alkalien ſind zwar leicht flüſſig, aber in heißem Waſſer löslich (Waſſerglas) und daher als Glas unbrauchbar. Auch die Erdſilikate, beſonders das Kalkſilikat, ſind leicht angreifbar; am beſtändigſten, aber ſehr ſchwer ſchmelzbar, iſt die kieſelſaure Thon - erde. Die letztere hat zudem eine Eigenſchaft, welche ſie von den anderen Silikaten weſentlich unterſcheidet; ſie nimmt nämlich leicht847Allgemeines.kryſtalliniſche Beſchaffenheit an, iſt daher auch zur Glasfabrikation an ſich nicht brauchbar. Nun hat aber die Erfahrung gezeigt, daß man durch Miſchen der bisher genannten Silikate eine Maſſe erhält, welche die ſchädlichen Eigenſchaften der einzelnen Verbindungen, nämlich einer - ſeits leichte Angreifbarkeit, andererſeits Neigung zum Kryſtalliſieren, ſo gut wie gar nicht mehr zeigt, während wiederum ſich in ihr die charakteriſtiſchen Eigenſchaften der Einzelſilikate treu abſpiegeln. Während alſo in den unter dem Namen Glas bekannten mehrfachen Silikaten die Kieſelſäure konſtanter Beſtandteil iſt, beſtimmen die angewendeten Metalloxyde die Eigenſchaften des Glaſes. So giebt z. B. Natron hohen Glanz, ſchwach grünliche Färbung, Kali ſchwachen Glanz und Farbloſigkeit; beide Gläſer ſind leichtflüſſig. Kalk erzielt härteres und glänzenderes Glas von geringerer Leichtflüſſigkeit, als die Alkalien, Thonerde ſehr ſtrengflüſſiges Glas. Bleioxyd und in geringerem Grade Baryt geben ſehr weiche, d. h. gut ſchleifbare, leichtflüſſige, farbloſe, glänzende Glasſorten, die ſich durch beſonders ſtarkes Licht - brechungsvermögen auszeichnen und daher für optiſche Inſtrumente verwendet werden. Die anderen Metalloxyde, welche man ſtets nur in kleinſter Menge gebraucht, wirken hauptſächlich auf die Farbe des Glaſes; ſo gebraucht man z. B. das Manganoxyd, weil es die geringe Farbe der gemeinen Glasſorten abſchwächt oder auch ganz aufhebt. Je nach der Beſtimmung des zu fabrizierenden Glaſes wird man die einzelnen Materialien abwägen und nach Qualität und Quantität ver - wenden. So erhält man die verſchiedenen Glasſätze, deren Zuſammen - ſetzung nicht im entfernteſten theoretiſch-chemiſchen Grundſätzen ent - ſpricht, ſondern lediglich auf der Erfahrung beruht. Nur das hat ſich, hinſichtlich der Flüſſigkeit des Glaſes, als allgemein richtig heraus - geſtellt, daß ein ſteigender Überſchuß von Kieſelerde das Glas ſchwer flüſſig bis zur Zähigkeit macht, während Zuſatz von Metalloxyden dieſe Eigenſchaft ſtufenweiſe verringert. Daher nennen die Glasmacher auch die in Form von Salzen zugeſetzten Metalloxyde ſchlechtweg Flußmittel; dieſe Materialien erleichtern ihnen die Arbeit und helfen Brennſtoff erſparen. Sie wiſſen aber auch ſehr genau, daß ein zu großer Zuſatz der Flußmittel die Angreifbarkeit des Fabrikates weſentlich vermehrt; die Notwendigkeit, auf der einen Seite zu ſparen, auf der anderen für die Güte des Glaſes beſorgt zu ſein, lehrt den Glas - macher, bei der Zuſammenſetzung des Satzes die richtige Mitte zu halten.

Setzt man Glas von einer Durchſchnittszuſammenſetzung dem ſtärkſten Ofenfeuer aus, ſo wird es ziemlich dünnflüſſig, ſo daß ſich Verunreinigungen gut abſetzen und man es leicht gießen kann. Bei geringerer Hitze, etwa ſtarker Rotglut, bildet das Glas dagegen eine zähflüſſige Maſſe, die ſich beſonders gut ziehen, formen und aufblaſen läßt; auch laſſen ſich verſchiedene Stücke durch Aneinanderdrücken gut zu einem einzigen vereinigen. Jedes Glas hat im geſchmolzenen Zu - ſtande die wenn auch nur geringe Neigung zum Kryſtalliſieren. 848Die Fabrikation und Verarbeitung des Glaſes.Beim Erkalten kann dieſem Beſtreben, bei dem ſchnellen Übergang in den erwähnten zähflüſſigen Zuſtand, nicht genügt werden und die Moleküle ſind alſo gezwungen, entgegen ihrem natürlichen Drange, in derjenigen Lage zu verbleiben, in welche ſie beim Verarbeiten gerieten, in einem Zuſtand, den wir eben den amorphen nennen. Es iſt klar, daß dieſe Zwangslage bei jedem Glaſe vorhanden iſt, daß ſie aber einen beſonders hohen Grad bei raſcher Abkühlung erreichen wird. Daher kommt es, daß der Spannungszuſtand, welcher allen Glasſorten eigen iſt, bei genügend ſchneller Kühlung ein ſo hoher werden kann, daß ſchon die geringſte äußere Urſache genügt, um den Molekularverband der erkalteten Maſſe völlig zu zerſprengen (Glasthränen). Selbſtver - ſtändlich wird die Sprödigkeit auch von der Dicke der ſich abkühlenden Glasmaſſe abhängen und mit dieſer ſteigen. Durch dieſe Verhältniſſe iſt man gezwungen, die eben fertig gewordenen Glaswaren in einen beſonderen, nicht bis zur Schmelztemperatur geheizten Ofen, den Kühl - ofen, zu bringen und ſie in und mit dieſem ſo langſam wie irgend möglich erkalten zu laſſen. Wenn hierdurch die molekulare Spannung des Glaſes auch nicht vollſtändig aufgehoben wird, ſo wird ſie doch erheblich genug vermindert, um bei einiger Vorſicht beim Gebrauch ſich nicht mehr fühlbar zu machen. Schläge, Stöße und jäher Temperatur - wechſel wirken dann nur noch mäßig.

Da durch ſehr langſames Abkühlen des erhitzten Glaſes das Kryſtalliſieren desſelben bis zu einem gewiſſen Grade begünſtigt wird, ſo kann durch Übertreibung dieſer Maßregel in der That der amorphe Zuſtand zum großen Teil verſchwinden, um dem kryſtalliniſchen Platz zu machen. Das Anſehen ſolcher entglaſten Stücke iſt ſehr eigen - tümlich; ſie erſcheinen rauh oder doch glanzlos, ihr Bruch faſerig. Vielleicht wirkt indeſſen entglaſend nicht allein das Kryſtalliſations - beſtreben, ſondern auch ein Verluſt an Alkali oder eine Trennung der ein - zelnen Silikate des Glaſes von einander. Das Entglaſen zeigt ſich nicht ſelten beim wiederholten Erhitzen der verarbeiteten Stücke; ſie erſcheinen dann matt, werden aber gegen Temperaturwechſel ſehr unempfindlich.

Hinſichtlich ihrer Verwendung teilt man die Gläſer in mehrere Gruppen ein, welche in ihrer chemiſchen Zuſammenſetzung erheblich von einander abweichen. Die wichtigſten ſind:

1. Das Hohlglas, welches zu Gläſern, Flaſchen und ähnlichen Waren verarbeitet wird. Es iſt, je nach ſeiner Verwendung, verſchieden durchſichtig und zerfällt in grünes, halbweißes und weißes Hohlglas. Der Satz beſteht aus Kieſelerde, Kali, Natron, Kalk und bei den ſchlechteren Sorten noch aus Thonerde und Eiſenoxydul.

2. Das Hartglas. Sein Satz iſt der des halbweißen Hohlglaſes; es iſt aber durch große Widerſtandsfähigkeit ausgezeichnet und wird beſonders zu Lampencylindern und Kochgefäßen verarbeitet.

3. Das Fenſterglas, deſſen Satz in ſeiner Zuſammenſetzung dem des halbweißen Hohlglaſes ſehr nahe kommt.

849Allgemeines.

4. Das Spiegelglas, von ähnlichem Satz wie das Fenſterglas. Man ſieht aber auf große Reinheit der Materialien und völlige, durch entfärbende Zuſätze bedingte Farbloſigkeit und Klarheit.

5. Das Kryſtallglas, deſſen Satz Kieſelerde, Kali und Bleioxyd enthält. Man verwendet es zu gepreßten und geſchliffenen Gefäßen, Tellern und dergleichen.

6. Das Flintglas, deſſen Satz von dem des Kryſtallglaſes durch viel höheren Bleigehalt, oft auch durch geringen Gehalt an Borſäure abweicht.

7. Der Straß, ein Kalibleiſilikat, deſſen Bleigehalt 50 % über - ſteigt und welches zum Nachahmen der Edelſteine benutzt wird. Man färbt es verſchiedenartig durch Zuſatz von Metalloxyden und gebraucht ähnliche Silikate von beſonders großer Leichtflüſſigkeit in der Glas - und Porzellanmalerei.

8. Der Schmelz (Email) von ähnlicher Zuſammenſetzung, aber durch Zuſatz von Zinnoxyd oder Antimonoxyd undurchſichtig gemacht.

Die Rohmaterialien der Glasfabrikation können nur in wenigen Fällen, bei denen es auf die Höhe der Koſten nicht ankommt, rein er - halten und angewendet worden. Im übrigen gebraucht man dieſelben in dem gewöhnlichen unreinen Zuſtande und überläßt es dem Schmelz - prozeß, die Verunreinigungen zu beſeitigen.

Die Kieſelerde wird bei guten Gläſern in Form von Bergkryſtall, reinem Quarzſand, Feuerſtein und anderen eiſenfreien Quarzſorten an - gewendet. Größere Stücke werden glühend in Waſſer abgelöſcht und dadurch ſo mürbe, daß man ſie leicht pulvern kann. Häufig wird auch die Kieſelerde einem Vorglühprozeß unterworfen, um alle organiſchen Verunreinigungen zu beſeitigen. Eiſengehalt ſchadet der Farbe des Glaſes und iſt vorſichtig zu vermeiden. Nicht ganz ſo ſchlimm iſt ein nicht zu bedeutender Thongehalt, welcher höchſtens die Flüſſigkeit ver - mindert. Für gemeine Gläſer gebraucht man zerkleinerten Feldſpat, Baſalt, Granit und Lehm.

Das Kali benutzt man als Pottaſche von verſchiedener Reinheit, in ſehr holzreichen Gegenden nimmt man auch wohl Holzaſche, natürlich nur bei gewöhnlichen Gläſern.

Das Natron kann als gereinigte Soda oder auch in Form von Natriumſulfat (Glauberſalz) in den Glasſatz gebracht werden. Im letzteren Falle iſt aber, weil die Schwefelſäure des Glauberſalzes nicht ganz leicht durch die Kieſelſäure ausgetrieben wird, ein Zuſatz von Kohle nötig, durch welche das Glauberſalz zu leicht zerſetzbarem ſchwefligſaurem Natrium reduziert wird. Da die Kohle aber ſtark dunkelfärbend auf das Glas wirkt, ſo darf der Zuſatz unter keinen Umſtänden die zur Reduktion nötige Menge, etwa 9 % des Glauberſalzes, überſchreiten.

Der Kalk kann zwar als ungebrannter Kalkſtein oder Kreide an - gewendet werden; man zieht aber gebrannten, an der Luft zerfallenen Kalkſtein vor, weil er feiner iſt und weniger Kohlenſäure entwickelt. EinDas Buch der Erfindungen. 54850Die Fabrikation und Verarbeitung des Glaſes.größerer Überſchuß des Kalks greift die Schmelzgefäße erheblich an und iſt daher zu vermeiden.

Das Blei der bleihaltigen Gläſer wird dem Glasſatz als Bleiglätte (Bleioxyd) oder als Mennige zugefügt. Die letztere zieht man vor, da ſie einmal feiner iſt und dann während des Schmelzens in Blei - oxyd und Sauerſtoff zerfällt, welcher als Reinigungsmittel ſehr will - kommen iſt. Da die Oxyde des Bleis ſehr häufig mit anderen Metallen verunreinigt ſind, welche ſchädlich auf den Glasſatz wirken, ſo ſtellt man ſie für die Fabrikation feiner Glasſorten durch Glühen von reinem Blei in Flammöfen beſonders dar. Die bleihaltigen Gläſer dürfen kein Natron enthalten, weil dieſes eine bläuliche Farbe hervorruft.

Die Entfärbungsmittel ſind nötig, um bei den feineren Gläſern die unvermeidliche, beſonders durch Gehalt an Kohle und Eiſenoxydul - verbindungen bedingte Färbung des Fluſſes zu beſeitigen. Sie wirken ausnahmslos durch ihre oxydierenden Eigenſchaften, indem ſie die Kohle in Kohlenoxyd, das grüne Eiſenoxydulſilikat in farbloſes Eiſenoxydſilikat verwandeln. Man benutzt beſonders Arſenikmehl, Braunſtein und Sal - peter. Ein Überſchuß von Braunſtein iſt aber zu vermeiden, weil der - ſelbe violettes Glas erzeugt. Vortrefflich ſind ſolche Entfärbungsmittel, welche die ſchädliche Farbe durch ihre eigene verdecken.

Als letzter Beſtandteil der Glasſätze ſind endlich Glasbrocken zu nennen, welche man zu etwa einem Drittel anwendet. Sie befördern den Fluß erheblich und müſſen ſehr ſorgfältig ſortiert werden, da ſelbſt kleine Zuſätze minderwertiger Brocken einen guten Glasſatz ſtark ſchädigen können. Die Glasbrocken beſtehen zum Teil aus dem eignen Abfall der Hütte, zum Teil werden ſie außerhalb derſelben aufgekauft und dann ſortiert.

Man ſchmelzt den Glasſatz meiſt in ſogenannten Glashäfen, erſt in der neueren Zeit iſt in einzelnen größeren Hütten an Stelle der einzelnen, in einem Ofen ſtehenden Häfen eine gemeinſame Glaswanne getreten, welche aber eine beſondere, ſpäter näher zu beſchreibende Feuerungsanlage erfordert. Die Glashäfen zeigen gewöhnlich die Form eines abgekürzten Kegels; bei einer Höhe von 70 cm müſſen ſie eine durchgängige Dicke von 8 cm haben. Noch größere Dimenſionen wendet man für Flaſchenglas und Spiegelglas an. Das Material der Häfen iſt der beſte feuerfeſte Thon; derſelbe wird bis zu einem Drittel mit gebranntem und nachträglich wieder gepulvertem Thon (Chamotte) ver - miſcht und aus der erhaltenen Maſſe die Häfen in hölzernen Formen hergeſtellt. Beim Einkneten wird die Thonmaſſe durch Schlagen möglichſt dicht gemacht und nach dem Auseinandernehmen der Form der feuchte Hafen mehrere Monate hindurch an der Luft getrocknet. Vor dem Einſetzen in den Glasofen wird er nun erſt bei ſehr langſam ſteigender Wärme in einem Nebenofen der Hütte, dem Temperofen allmählich bis zum Glühen erhitzt und dann in den eigentlichen Ofen eingefahren Die ſo behandelten neuen Häfen würden, ſofort mit Glasſatz beſchickt,851Allgemeines.durch die freien Alkalien des letzteren mit Heftigkeit angegriffen und ſchnell zerfreſſen werden. Um dies zu verhindern, werden die Häfen zuvörderſt mit Glasbrocken beſchickt; die geſchmolzene Maſſe dringt einige Millimeter tief in den Thon ein und bildet mit ihm eine dünne Schicht ſehr ſchwer ſchmelzbaren Glaſes, welches nun weiterhin die Hafenmaſſe wie eine Glaſur vor den freien Alkalien ſchützt. Dieſe Operation nennen die Glasmacher das Einglaſieren der Häfen. Bei der bedeutenden Größe der Glashäfen iſt es aber außerdem nötig, den ſtarken Temperatur - wechſel, welchem dieſelben beim Eintragen von mehreren Centnern kalten Glasſatzes unterliegen würden, zu umgehen, um ein Reißen der Thon - maſſe zu verhindern. Man erhitzt daher den Satz vorgängig in einem anderen ſeitlichen Ofen und trägt ihn erſt rotglühend in die Häfen ein. Gute Glashäfen können längere Zeit gebraucht werden; die Dauer hängt von der Beſchaffenheit des Thons und der Güte der Arbeit ab. Die deutſchen Häfen halten in der Regel bis zu ſechs Wochen; einige engliſche Sorten ſollen ein Alter von gegen ſechs Monaten erreichen.

Die Glasöfen haben nicht nur den Zweck, die Teile des Glas - ſatzes durch ſtarke Erhitzung chemiſch zu verbinden, ſondern ſie ſollen auch genügende Hitze liefern, um das fertige Glas bei ſeiner weiteren Verarbeitung auf der nötigen hohen Temperatur zu erhalten. Schon der letztere Zweck allein würde notwendig einen Flammofen erheiſchen; aber auch der Umſtand, daß eine unmittelbare Berührung der Glas - häfen mit dem Brennmaterial Verunreinigungen der Glasmaſſe hervor - rufen würde, bedingt eine ſolche Konſtruktion. Der Feuerungsraum und der Arbeitsraum der Gasöfen ſind deshalb von einander getrennt. Um Verluſte an Hitze möglichſt zu vermeiden, ſind die Öfen gewöhn - lich mit niedriger, kuppelförmiger Decke konſtruiert und die Häfen ſtehen in ſymmetriſch geordneten Gruppen auf Bänken, unterhalb deren die Flamme der Feuerung Zutritt hat. Bei der hohen Temperatur, welche die Öfen auszuhalten haben, iſt ihre Herſtellung mit Schwierigkeiten verknüpft. Der Hauptgrund des Zerfalls der Öfen liegt aber in dem Umſtande, daß ſich erhebliche Mengen von Alkalien während des Schmelzprozeſſes verflüchtigen und die Wände des Ofens raſch zerfreſſen; das gebildete Thonſilikat trieft fortwährend herunter, ſo daß man bei feineren Glas - ſorten auf die fallenden zähen Tropfen durch beſondere Konſtruktion der Ofen - wand und geeignete Stellung der Häfen Rückſicht nehmen muß (ſ. Fig. 455, in welcher die Tropfen des Thonglaſes nur den Rand, nicht aber das Innere des Hafens treffen können). Der ſchnelle Zer - fall der Wände bewirkt, daß die Glasöfen

Fig. 455.

Stellung eines Glashafens im Ofen.

54*852Die Fabrikation und Verarbeitung des Glaſes.nur eine verhältnismäßig kurze Dauer haben können. Die engliſchen Öfen für leichtflüſſiges Glas werden bei vorzüglichem Baumaterial bis zu vier Jahren alt, während die deutſchen für gewöhnliches (ſchwerer ſchmelzbares) Glas höchſtens 18 Monate aushalten.

Bei den Glasöfen liegen der Feuerungsraum und der Schmelz - raum übereinander. Die Roſte, deren mindeſtens zwei gegenüber - liegende vorhanden ſind, empfangen den Brennſtoff; die entwickelten Flammen ſchlagen durch eine gemeinſame, in der Mitte des Ofens liegende, längliche Öffnung, die Pipe, hinauf in die Mitte des Feuerungsraums. An jeder Längsſeite der Pipe ſtehen auf einem Geſims, der Bank, die Glashäfen in einer Reihe von 2 bis 4 Stück (Fig. 456). Die Flamme trifft die Häfen zunächſt von der Seite, dann

Fig. 456.

Grundriß eines Glasofens für Holzfeuerung.

aber auch, indem ſie ſich an dem niedrigen Kuppelgewölbe des Ofens bricht, von oben her, um endlich durch ſeitwärts angebrachte Öffnungen in nebenliegende Öfen zu entweichen, welche zum Vorwärmen, Kühlen der fertigen Glaswaren, Trocknen ꝛc. dienen, ohne beſondere Heizung zu erfordern. Beim Errichten der Öfen iſt beſonders darauf zu ſehen, daß das Fundament möglichſt trocken liegt und Kanäle zum Abzug der Feuchtigkeit erhält. Darüber baut man den Ofen aus eiſen - und kalkfreiem Thon, den man ganz wie bei dem Bau der Häfen mit gepulverter Schamotte (vgl. S. 275), außerdem aber mit reinem Sand mengt. Am haltbarſten ſind die Öfen, die man mit noch feuchten, aus dem erwähnten Baumaterial bereiteten Steinen konſtruiert. Die letzteren werden einfach auf einander gelegt und kräftig angedrückt, wo dann ein Bindematerial ganz unnötig wird und der ganze Ofen wie aus einem Stück geknetet erſcheint. Der Bau erfordert aber eine ſehr lange853Allgemeines.Trockenzeit, wenn nicht Riſſe infolge ungleicher Zuſammenziehung der Thonmaſſe entſtehen ſollen. Erſt nach einem halben Jahre darf man das Trocknen durch ſehr ſchwaches Feuer unterſtützen, bis man nach weiteren zwei Monaten die Hitze allmählich bis auf die Schmelz - temperatur des Glaſes ſteigert. Bedeutend ſchneller wird der Bau ge - fördert, wenn man aus dem Thonmaterial lufttrockene oder gebrannte Steine fertigt und dieſe verwendet. In dieſem Falle iſt jedoch als Bindematerial ein Mörtel von Thonbrei nötig, ſo daß, ſelbſt bei lang - ſamem Trocknen, das Schwinden nicht ganz gleichmäßig erfolgt und die entſtehenden Fugen und Riſſe ſorgfältig nachgebeſſert werden müſſen. Ein neuer Ofen erzielt trotz beſter Feuerung in den erſten Wochen noch nicht die volle Schmelztemperatur, ſo daß man die Häfen zuerſt nur mit Glasbrocken, ſpäter mit leichtflüſſigem Satze und erſt nach einiger Zeit mit Sätzen von beliebiger Zuſammenſetzung beſchicken darf. Eine ähnliche Abſchwächung der Wirkung zeigt ſich gegen Ende der Cam - pagne , wie der Glasmacher die Geſamtarbeitsdauer des Ofens nennt.

Das Feuerungsmaterial der gewöhnlichen Glasöfen iſt entweder gut getrocknetes, lang geſpaltenes Holz, welches früher ausſchließlich gebraucht wurde, oder Torf oder endlich Steinkohle. Man trocknet (darrt) das Holz im Vorwärmofen bis zum Bräunlichwerden; nur dann iſt man ſicher, eine intenſive Schmelzhitze zu erzielen. Der Torf muß wenig Aſche geben und durchaus trocken ſein. Die beſonders in England und Frankreich angewendete Steinkohle darf nicht backend ſein, um Verſtopfungen der Roſte zu vermeiden.

Sowie in anderen Zweigen der Technik, wo es auf Entwicklung bedeutender Hitzegrade ankommt, hat man auch im Glashüttenbetriebe die Generatorfeuerung eingeführt und mit derſelben große Erfolge er - zielt. Hinſichtlich der ſpeziellen Konſtruktion dieſer Gasfeuerungs - anlagen muß hier auf die in dem Abſchnitt Beleuchtung und Heizung (S. 299) gegebene Beſchreibung verwieſen werden. Bei der Generator - feuerung kann man aber wegen ihrer bedeutenden Wärmeentwicklung die Glashäfen durch eine einzige Wanne erſetzen. Bei dem Siemens - ſchen Wannenofen zerfällt die Wanne in drei Abteilungen; in der erſten wird der eingetragene Satz geſchmolzen, in der zweiten geläutert, in der dritten zur Verarbeitung geſchöpft. Der größte Vorteil der Gas - öfen liegt aber einmal in der Möglichkeit, allerhand ſchlechte Feuerungs - abfälle zur Gasproduktion zu verwenden, und dann in dem Umſtande, daß Materialien, wie Feldſpat, Granit und andere, die im gewöhn - lichen Ofenfeuer kaum flüſſig werden, auf ordinäres Glas verſchmelzt werden können.

a) Das Hohlglas.

Unter dieſer Bezeichnung vereinigt man Glasſorten von den ver - ſchiedenſten Graden der Feinheit, deren Bearbeitungsart aber, inſofern aus ihnen hohle Geräte aller Art, wie Gläſer, Flaſchen, Cylinder,854Die Fabrikation und Verarbeitung des Glaſes.Glasröhren und chemiſche Geräte gefertigt werden, im weſentlichen über - einſtimmend iſt.

Der Hohlglasofen iſt an ſeinen vier Ecken mit je einem Neben - ofen verbunden; von dieſen vier Öfen dienen zwei als Temperöfen, d. h. zum Vorwärmen der neuen Häfen und des Satzes, die beiden anderen als Kühlöfen für die gefertigten Glaswaren. In dem Kuppel - gewölbe des Ofens befindet ſich dicht über dem Rande eines jeden Hafens ein verſchließbares Arbeitsloch, durch welches der Arbeiter zu dem geſchmolzenen Glaſe im Hafen gelangen kann. Unter jedem Arbeitsloch, in gleicher Höhe mit der Sohle der Häfen, liegt ein Auf - brechloch, durch welches man die auszufahrenden, ſchadhaft gewordenen Häfen, wenn ſie auf den Bänken feſtbacken, losbrechen kann. Für das Ein - und Ausfahren der Häfen ſelbſt ſind zwei ſogenannte Hafenthore frei gelaſſen, welche für gewöhnlich vermauert ſind und nur bei der Benutzung aufgebrochen werden. Die Kuppel des Ofens iſt mit Sand bedeckt und dieſer mit einem Gewölbe aus gewöhnlichen Ziegeln übermauert.

Sobald die im Temperofen vorgewärmten neuen Häfen glühend geworden ſind, werden ſie in den Ofen eingefahren, die Hafenthore vermauert und die Hitze geſteigert, bis die Schmelztemperatur erreicht iſt. Sodann trägt man mittels Schaufeln durch die Arbeitslöcher den kaleinierten Satz zuerſt zu einem Drittel ein und fügt das übrige hinzu, ſobald das eingetragene niedergeſchmolzen iſt. Nun ſetzt man die Arbeitslöcher zu und ſchürt ſtärker. Endlich zieht man mittels eines unten abgeplatteten Eiſenſtabes, des Randkolbens, eine Probe aus den Häfen und unterſucht, ob die Maſſe nach dem Erkalten klar erſcheint oder noch unangegriffene Sandkörner enthält. Da die Hitze im oberen Teile der Häfen ſtärker iſt, ſo muß man die Glasmaſſe hin und wieder mit der Schöpfkelle umrühren. Iſt die Maſſe endlich gleichmäßig, ſo enthält ſie doch noch viele kleine Luftblaſen und iſt zur Verarbeitung unbrauchbar. Obenauf ſchwimmt die Glasgalle , welche hauptſächlich aus den von der Kieſelſäure nicht gebundenen Alkali - verbindungen beſteht; tritt ſie ſtark auf, ſo deutet dies auf ſchlechte Beſchaffenheit des Satzes hin. Die Galle wird abgeſchöpft und die Glasmaſſe nun dem Läutern unterzogen. Bei dieſem Prozeſſe ver - ſtärkt man einfach durch das Heißſchüren die Temperatur bis zum höchſten erreichbaren Maß; alle Luftblaſen ſteigen in dem ſehr dünn - flüſſigen Glaſe auf, und die Maſſe wird nun ganz klar und gleich - förmig. Nach mehrſtündigem Heißſchüren bleibt nichts weiter übrig, als die Glasmaſſe bis zu demjenigen Grade der Zähflüſſigkeit erkalten zu laſſen, welcher für die Verarbeitung notwendig iſt. Dies geſchieht durch das Kaltſchüren , während deſſen man kurze Zeit ganz mit Feuern aufhört und dann ſehr langſam fortſchürt.

Wir wenden uns nun zu den Operationen, durch welche man die wichtigſten Formen der Hohlglaswaren gewinnt.

855Das Hohlglas.

Das Flaſchenglas erhält man, da es hierbei nur auf Wohl - feilheit ankommt, durch Zuſammenſchmelzen von ziemlich unreinen Materialien. Das Produkt iſt gewöhnlich durch Eiſenoxydul grün gefärbt. Die Verfertigung einer gewöhnlichen Flaſche bietet in ihren Einzelnheiten eine günſtige Gelegenheit, um die wichtigſten, auch bei anderen Fällen ſich wiederholenden Handgriffe des Hohlglasmachens kennen zu lernen.

Das wichtigſte Werkzeug des Glasmachens iſt die Pfeife, ein m langes, 2 cm dickes Eiſenrohr mit knopfförmigen Enden, auf deren eines ein langer Holzgriff c aufgeſchoben iſt (Fig. 457). Der Arbeiter befeſtigt durch wiederholtes

Fig. 457.

Glasbläſerpfeife.

Eintauchen des unteren Endes der Pfeife in den Hafen ſoviel Glas - maſſe, wie etwa zum Blaſen einer Flaſche gehört. Um die Maſſe gleichmäßig zu runden, wird ſie in der aus dem Arbeitsloch heraus - ſchlagenden Flamme erweicht und dann in den halbkugeligen Ver - tiefungen des Marbels (Fig. 458 b), eines angefeuchteten, dicken Brettes gleichmäßig gedreht, während der Arbeiter ſie durch ſehr gelindes Einblaſen von Luft in die Pfeife vor dem Zuſammenſinken bewahrt. So erhält er eine ſehr dickwandige Hohlkugel a, deren Wand nach der Pfeife zu ſchwächer wird. Er wärmt nun von neuem an und zwar ſo, daß die Wölbung der Kugel am ſtärkſten erhitzt wird; hier - auf verlängert er ſie zur Flaſchenform c durch drei gleichzeitig ausgeführte Ope - rationen, nämlich durch ſtärkeres Blaſen, Schwenken und Drehen der Pfeife. Der letztgenannte Hand - griff, welcher beim Glas - blaſen ganz allgemein an - gewendet wird, bezweckt die Wirkung des Blaſens zu

Fig. 458.

Anfertigung einer Flaſche.

einer gleichmäßigen zu machen; ohne das Drehen würde der von dem Arbeitsſtück aufſteigende heiße Luftſtrom bewirken, daß die oberen Teile ſich ſtärker ausdehnten, als die unteren, was beſonders bei mehr wagerechter Lage der Pfeife ſchädlich wäre. Iſt die Flaſche ſo weit wie beſchrieben gediehen, ſo ſenkt der Arbeiter ihren unteren Teil in eine glatte cylindriſche Holzform d, an deren Wände er durch ſtarkes Blaſen das Glas angepreßt, während er durch einen Ruck nach oben den Hals verlängert. Die mittlerweile erſtarrte Flaſche wird aus856Die Fabrikation und Verarbeitung des Glaſes.der Form gezogen, ein Eiſenſtab, das Nabeleiſen, mittels etwas Glas in der Mitte ihres Bodens befeſtigt, dieſer etwas hineingedrückt und die Pfeife ſamt dem oberſten Teil des Halſes durch Anlegen eines kalten, halbringförmig gebogenen Eiſens abgeſprengt (Fig. 458 f). Der ſcharf - kantige Hals der nun auf dem Nabeleiſen feſtſitzenden Flaſche wird nun unter drehender Bewegung des Eiſens in der Flamme des Arbeitsloches für ſich allein erweicht, mittels einer Schere erweitert und endlich ein aus dem Hafen geholter Glastropfen als Wulſt herumgewickelt. Die fertige Flaſche g wird am Nabeleiſen in den Kühlofen getragen und dort durch einen kurzen Schlag von dem Eiſen getrennt; durch die letztere Operation behält jede Flaſche den ſcharfkantigen Nabel im Boden. (Fig. 458 g.)

Das Formen kugeliger Flaſchen iſt ganz der freien Kunſt des Bläſers überlaſſen und geſchieht ohne Form. Sehr große Flaſchen, wie z. B. Säureballons, werden geblaſen, indem der Arbeiter ein wenig Waſſer in die Pfeife ſpritzt, dieſe zuhält und es dem Dampf überläßt, die Flaſche aufzublaſen.

Das halbweiße und weiße Hohlglas wird mittelſt reinerer Materialien hergeſtellt und der Satz erhält Entfärbungsmittel, gewöhn - lich Braunſtein, als Zuſatz. Das halbweiße Glas iſt meiſt ein Natriumcalciumſilikat, während das rein weiße, welches man zu Medizin - gläſern, zu Schleifwaren und chemiſchen Geräten verwendet, an Stelle des Natriums Kalium enthält. Möglichſte Freiheit des Satzes von Eiſen und Thonerde iſt Hauptbedingung. Das Blaſen der chemiſchen Geräte geſchieht aus freier Hand. So fertigt man z. B. Kolben durch einfaches, unter den oben angegebenen Vorſichtsmaßregeln vorgenommenes Aufblaſen und Verlängern des Halſes. Wenn man dann, während der Kolben noch weich iſt, unter fortwährendem Einblaſen die Pfeife umkehrt, ſo ſenkt ſich der Bauch des Kolbens einſeitig und man erhält eine Retorte. Beſonders wichtig iſt auch das Ziehen der Glasröhren. Wird ein hohles weiches Glasſtück raſch auseinander gezogen, ſo er - hält man eine Röhre, ſelbſt bei haarfeinen Fäden. Hierauf beruht die Fabrikation der gewöhnlichen Glasröhren. Ein Arbeiter ſammelt an der Pfeife die nötige Menge Glas und bläſt dieſe zu einer engen Hohlkugel von ſehr bedeutender Wanddicke auf (Fig. 459). Während er dann die erſtarrte Kugel wieder anwärmt, hat ein zweiter Arbeiter an einem Nabeleiſen B einen Glastropfen geſchöpft; beide ziehen ihre Geräte gleichzeitig aus dem Feuer und ſtoßen dieſelben horizontal gegen einander, ſo daß das Nabeleiſen an dem Bauch der Kugel feſthaftet (Fig. 460). Dann laufen beide Arbeiter ſo ſchnell wie möglich auseinander, während ſie ihre Werkzeuge fortgeſetzt drehen (Fig. 461). Das Reſultat iſt eine Röhre, die ſich in der Mitte etwas ſenkt und an den Enden dicker iſt, als in der Mitte. Durch ſchnelles Niederlegen der noch nicht erſtarrten Röhre auf den Boden begegnet man dem erſteren Übelſtande. Die fertige Röhre wird in bis 2 m lange Stücke zerſchnitten.

857Das Hohlglas. Das Hartglas.

Das reinſte weiße Glas iſt das beſonders zu Schleifwaren be - ſtimmte Crownglas, welches in Böhmen in vorzüglicher Güte ge - fertigt wird und daher auch böhmiſches Glas heißt. Man gebraucht es aber auch, als das feinſte bleifreie Glas, zu optiſchen Zwecken;

Fig. 459.

Fig. 460.

Fig. 461.

Glasröhrenziehen.

man ſchleift aus ihm die für die achromatiſchen Fernrohrobjektive nötigen Crownglaslinſen. Die Materialien des Satzes müſſen für dieſes Glas auf das Sorgfältigſte ausgewählt werden; auch iſt auf Güte der Häfen und große Vollkommenheit des Läuterungsprozeſſes zu ſehen. Man fertigt die Crownglaswaren meiſt durch Einblaſen in Formen und nachfolgendes Feinſchleifen genau ſo, wie bei dem ſpäter zu erwähnenden Kryſtallglas, bei welchem auch dieſe Operationen beſchrieben werden.

b) Das Hartglas.

Wie oben erwähnt, iſt es ſelbſt durch das vollkommenſte Kühlen nicht möglich, die unangenehmſte Eigenſchaft des Glaſes, ſeine Sprödig - keit und Zerbrechlichkeit, ganz zu beſeitigen. Trotzdem hat es nicht an Verſuchen gefehlt, durch beſondere Verfahren das Glas zu härten, d. h. ihm eine bedeutende Elaſtizität, Härte und Widerſtandsfähigkeit gegen Temperaturwechſel mitzuteilen.

Das Härten erfolgt gewöhnlich durch Eintauchen des aus ge - wöhnlichem Glas gefertigten noch glühenden Stückes in ein Temper - bad von hoher Temperatur. Zu dem letzteren gebraucht man ver - ſchiedene Stoffe von hohem Siedepunkt, z. B. Margarine. In dem Bade läßt man das Glas dann ſehr langſam erkalten. Die ſo ge - härteten Waren erfahren alſo zuerſt eine verhältnismäßig raſche, dann erſt eine langſamer fortſchreitende Kühlung. Sie zeigen dies auch in ihren Eigenſchaften deutlich. Obgleich ſie nämlich in der That härter ſind wie gewöhnliches Glas, ſo werden ſie doch bei gewaltſamer Ver - letzung vollſtändig, faſt exploſionsartig, zertrümmert ein Anzeichen, daß das anfängliche Kühlen einen bedeutenden Spannungszuſtand zurückgelaſſen hat.

Eine andere Art gehärteten Glaſes, das Preßhartglas, wird beim Formen durch Preſſen zwiſchen heißen Metallplatten gedichtet und dann langſam gekühlt. Trotz mancher Vorzüge des Hartglaſes hat858Die Fabrikation und Verarbeitung des Glaſes.dasſelbe die anfänglich ſehr hohen Erwartungen, welche man auf das - ſelbe ſetzte, nicht erfüllt. Jedenfalls iſt bisher nicht daran zu denken, es allgemein als Material für Kochgefäße ſicherlich die wichtigſte Anwendung benutzt zu ſehen. Am meiſten findet man Lampen - cylinder aus Hartglas verbreitet.

c) Das Fenſterglas.

Dasjenige Glas, welches zur Fabrikation von Fenſterſcheiben dienen ſoll, iſt in ſeiner Zuſammenſetzung dem farbloſen oder ſchwach gefärbten Hohlglaſe ſehr ähnlich. Es unterſcheidet ſich im weſentlichen nur durch verſtärkten Kalkgehalt, welcher erfahrungsmäßig verhindert, daß die Scheiben durch die Witterung zu ſchnell blind werden. Von den Alkalien bevorzugt man das Kali, ſo daß man Soda gewöhnlich von den Sätzen ganz ausſchließt. Nur für die feineren Sorten fügt man auch ein Entfärbungsmittel hinzu. Am meiſten wird aber grünes oder halbweißes Glas zu Scheiben verarbeitet, deren Dünne die Färbung ja nur ſehr ſchwach zur Geltung kommen läßt. Von Arbeitsmethoden kennt man zwei, von denen die erſte das Mondglas, die zweite das Walzenglas liefert; dieſe letztere hat das Mondglasmachen faſt ganz verdrängt.

Die Fabrikation des Mondglaſes beginnt ähnlich, wie die Her - ſtellung einer großen Flaſche. Die erhaltene dickwandige Kugel wird dann bei horizontal liegender und ſich ſchnell drehender Pfeife in das Arbeitsloch gehalten, ſo daß nur der Boden erweicht und ſich flach in die Breite dehnt. Nach dem Zurückziehen, welches unter ſtetiger raſcher Drehung vor ſich geht, heftet ein Gehilfe ein Nabeleiſen in die Mitte des erhaltenen flachen Gefäßes, worauf der erſte Arbeiter die Pfeife abſprengt und die Halsöffnung mittels eines Holzes ſo viel wie mög - lich erweitert. Nun wird die erhaltene flache Glocke mit der Hals - öffnung dem aus dem Arbeitsloch dringenden Feuer entgegen gehalten und ſehr ſchnell um das Nabeleiſen gedreht. Zuerſt erweicht der Hals, welcher ſich dann, der gewaltigen Schwungkraft folgend, flach umlegt, bis endlich die ganze, nun frei von der Flamme getroffene Fläche ſich zu einer vollkommen ebenen bis 2 m im Durchmeſſer haltenden Scheibe erweitert. Dieſelbe muß unter fortwährender raſcher Drehung ſeitwärts vom Ofen fortbewegt und in den Kühlofen befördert werden, wo man ſie auf ein flaches Bett von heißer Aſche legt. Dann wird das Nabeleiſen abgeſprengt und die Scheibe zum völligen Verkühlen auf die hohe Kante geſtellt. Das Mondglas iſt glänzend und gleichmäßig dünn und kann ſchwächer gearbeitet werden, als das Walzenglas. Seine Herſtellung erfordert aber ſehr geübte Arbeiter; auch iſt es ein ſehr großer Nachteil, daß es beim Zerſchneiden in rechteckige Scheiben ſehr viel ganz unbrauchbaren Abfall giebt, während Walzenglas ganz in Scheiben aufgeht. Aus dieſem Grunde wird es jetzt nur noch wenig859Das Fenſterglas.fabriziert; in England, wo das Glas nach dem Gewicht verſteuert wird, hat es ſich am längſten gehalten.

Die Herſtellung des Walzenglaſes, aus welchem heute faſt alle Scheiben mit Ausnahme der Spiegelſcheiben gefertigt werden, beginnt gleichfalls mit dem Blaſen einer Kugel, deren Boden aber be - ſonders dick gehalten wird. Durch das Schränken wird die Glas - maſſe etwas von der Pfeife weggezogen, ſo daß ſie durch eine Hohl - kehle mit der letzteren zuſammenhängt. Nachdem die Kugel noch am Marbel gerundet iſt, wird ſie im Arbeitsloch erweicht und aufgeblaſen. Dies geſchieht aber ſo, daß der Arbeiter die Pfeife mit dem Glasballen ſenkrecht über ſeinen Kopf erhebt. Daher wird ſich der ſchwerere Boden weniger ausdehnen und es entſteht eine abgeplattete, breite und ſehr niedrige Flaſche (Fig. 462). Die Pfeife wird nun raſch wieder ſenkrecht

Fig. 462.

Fig. 463.

Fig. 464.

Fig. 465.

Fig. 466.

Anfertigung des Walzenglaſes.

Fig. 467.

nach unten gekehrt und unter ſtetigem Einblaſen umgeſchwenkt. Hierdurch ſenkt ſich der Boden allein, ſo daß ein Gefäß von der in Figur 463 abgebildeten Form entſteht. Durch weiteres Anwärmen, Schwenken und Blaſen erhält man ſchließlich einen faſt walzenartigen Körper, der ſich nur gegen das Ende wenig verjüngt. Dadurch, daß der Arbeiter nun nur das Ende ſtark anwärmt und einbläſt, ſprengt er dasſelbe heraus (Fig. 464), ſo daß nun ein unten offener Cylinder entſteht, der durch wiederholtes Anwärmen und Schwenken überall den - ſelben Durchmeſſer erhält (Fig. 465). Nunmehr, nachdem noch etwaige unregelmäßige Hervorragungen der Öffnung mit einer Schere wegge - ſchnitten ſind, ſteckt ein Gehilfe einen hölzernen Stab in die fertige Walze, welche nun noch an dem geſchloſſenen Ende geöffnet werden muß. Zu dieſem Zweck dreht man ſie einige Male in einem weiten ringförmig gebogenen glühenden Eiſen und läßt auf die erhitzte Kreis - linie einen Waſſertropfen fallen (Fig. 466), welcher die Kappe ablöſt. In genau derſelben Weiſe erzeugt man in dem erhaltenen beiderſeits offenen Glascylinder einen Längsſprung. Nun iſt die Walze zum Strecken fertig (Fig. 467).

860Die Fabrikation und Verarbeitung des Glaſes.

Dieſe wichtige Operation wird in einem beſonderen Ofen, dem Streckofen, vorgenommen. Die Feuerung des viereckig gebauten Ofens liegt im unteren Teile. Darüber liegt unmittelbar der Streckherd; er empfängt die ſtärkſte Hitze, welche dann in den Kühlofen tritt und aus dieſem durch einen langen Kanal, die Aufwärmröhre, abzieht. Der Kühlofen empfängt auch noch direktes Feuer von unten her. Die ganze Anlage iſt überwölbt und die einzelnen Teile durch Arbeitsöffnungen zugänglich. Auf dem Streckherd liegt der wichtigſte Teil des Ofens, der Streckſtein, eine Platte aus feuerfeſtem Thon, welche gebrannt und nachträglich vollkommen eben geſchliffen wird. Sie muß etwas größer ſein, als die zu erzielenden Glastafeln. Um jeder Verletzung beim Hinſchieben der Tafeln über den Streckſtein vorzubeugen, läßt man die erſte geſtreckte Glastafel, die man gewöhnlich etwas dicker macht, als Lager auf dem Streckſtein liegen, um als Unterlage für die folgenden zu dienen. Das Lager entglaſt allmählich, wird rauh und muß dann ausgewechſelt werden. Es wird hin und wieder, um ein Anhaften

Fig. 468.

Fig. 469. Strecken des Walzenglaſes.

der Scheiben zu verhindern, durch Einwerfen einer Hand voll Kalk in das Feuer mit einer feinen Schicht Kalkſtaub überdeckt. Die Tempe - ratur im Streckherd darf nur bis zum gelinden Erweichen des Glaſes gehen; im Kühlofen darf ſie dieſe Höhe nicht erreichen.

Man führt die aufgeſchnittenen Walzen durch die Aufwärmröhre nach einander ein. Sie werden um ſo heißer, je weiter ſie vorrücken. Hat die erſte den Herd erreicht, ſo hebt ſie der Strecker mit einem Eiſen C auf das Lager (Fig. 468). Sie öffnet ſich von ſelbſt und wird mittels des angefeuchteten glatten Polierholzes D vollſtändig geebnet (Fig. 469). Dann ſchiebt der Strecker die fertige Tafel in den Kühl - ofen, in welchem ſie ſofort erſtarrt, aufgerichtet und auf die Kante ge - ſtellt wird. So fährt man fort, bis der Kühlofen voll iſt.

d) Das Spiegelglas.

Obgleich man ſchon im Altertum Verſuche machte, Spiegel aus Glas herzuſtellen, ſo hatten dieſe Beſtrebungen doch ſo geringen Erfolg, daß die Metallſpiegel allgemein herrſchend blieben. Erſt im Mittelalter861Das Fenſterglas. Das Spiegelglas.kamen mit Blei belegte Glasſpiegel auf. Italieniſche Phyſiker des ſechzehnten Jahrhunderts erwähnten mit Blei ausgegoſſene ſpiegelnde Glaskugeln als einen Nürnberger Handelsartikel. Das Belegen von Glastafeln mit Zinnfolie wurde zuerſt in Venedig ausgeübt, ging gegen Ende des 17. Jahrhunderts nach Frankreich über, bis im Jahre 1688 Thévart durch die Erfindung des Spiegelguſſes den Grund zu der heute ſo vollkommen daſtehenden Spiegelinduſtrie legte.

Man kennt jetzt geblaſene und gegoſſene Spiegel. Die Herſtellung der erſteren iſt, abgeſehen natürlich von dem Belegen, dieſelbe wie beim Fenſterglaſe. Man iſt bei dieſen Spiegeln an gewiſſe Dimenſionen gebunden, die nicht überſchritten werden dürfen. Größere Spiegel können daher nur mittels des Gießverfahrens hergeſtellt werden. Die Spiegeltafeln müſſen, bei ihrer bedeutenden Größe, eine nicht un - beträchtliche Stärke beſitzen; ſie müſſen ferner abſolut durchſichtig und ſo farblos wie nur möglich ſein. Dieſe Eigenſchaften erfordern eines - teils einen Satz aus den reinſten Materialien und ſchließen alle Stoffe aus, die das Blindwerden befördern; andererſeits ſetzen ſie einen ſehr vollkommenen Läuterungsprozeß voraus. Der Spiegelglasſatz dürfte wegen der ſchwach färbenden Eigenſchaft des Natrons eigentlich keine Soda enthalten. Dieſe läßt ſich aber nicht gut entbehren, da ſie dem Glaſe einen Grad der Leichtflüſſigkeit mitteilt, welcher das Läutern und beſonders das Gießen weſentlich erleichtert. Die Hauptbeſtandteile ſind daher reinſter Sand, reine Soda, ſehr wenig Kalk, viele Spiegelglas - brocken und eine geringe Menge Entfärbungsmittel.

Der Spiegelglasofen enthält zweierlei Schmelzgefäße: runde Häfen von der gewöhnlichen Form und viereckige Wannen. Die Häfen dienen zum Schmelzen des Satzes, welcher kalt in drei Portionen eingetragen wird. Brennt man Steinkohlen, ſo muß der Fluß durch Bedecken der Häfen vor Verunreinigung geſchützt werden. Während des Einſchmelzens ſtehen die Wannen leer im Ofen. Iſt der Fluß vollkommen, ſo werden die Wannen mit Zangen ausgefahren, ſorgfältig geſäubert und wieder eingefahren. Die Arbeiter reinigen nun das Glas von den an der Oberfläche befindlichen Verunreinigungen und ſchöpfen es dann mit kupfernen Löffeln in die Wannen; alle Körner und Verunreinigungen, die ſich am Grunde der Häfen befinden, bleiben zurück und dürfen nicht aufgerührt werden. Das Einſchmelzen dauert 12 15 Stunden, die Läuterung, welche gleich nach dem Über - ſchöpfen mit dem Heißſchüren beginnt, 20 40 Stunden, bis die Proben ganz tadellos erſcheinen. Dann folgt ein Kaltſchüren von 3 4 Stunden.

Den Spiegelguß nimmt man vor dem mit beſonderer Feuerung ver - ſehenen Kühlofen (Fig. 470) vor. Die Sohle des letzteren muß die genügende Breite haben, um alle einzuſchiebenden Tafeln nebeneinander liegend zu beherbergen und muß mit der vor dem Ofen befindlichen Gießtafel in derſelben Ebene liegen. Die Gießtafel T, der teuerſte Apparat der Spiegelfabrik, beſteht aus Bronze, Gußeiſen oder Stahl, iſt vollkommen862Die Fabrikation und Verarbeitung des Glaſes.eben gemacht und muß in ihren Dimenſionen die größten zu gießenden Spiegelplatten überragen. Sie bildet die untere Seite der Gießform, deren ſeitliche Grenze durch zwei ſtarke, an den Längskanten der Gieß - tafel hinlaufende, der Dicke des zu fertigenden Spiegels entſprechende

Fig. 470.

Spiegelglasfabrikation.

Metallleiſten N N gebildet wird. Oben iſt die Form offen; für die Ebnung der oberen Fläche der Spiegelplatte ſorgt eine hohle, mehrere Centner ſchwere glatte Metallwalze F, welche auf den Längsleiſten geführt werden kann. Das ganze ſteht auf einem Gerüſt mit Rollen und kann leicht vor einen beliebigen Kühlofen gefahren werden.

Kurz vor Beginn des Guſſes wird die Gießtafel durch Aufſchütten glühender Kohlen vorgewärmt; während derſelben Zeit holen einige Arbeiter die Wanne A mit dem Fluß vermittels eines Kettenkrahnes D E aus dem Ofen. Neben der Tafel ſchwebend wird die Wanne ſehr wenig geneigt und der Fluß ſo lange mit einer metallenen Klinge abgeſtrichen, bis das klare Glas, das Metall , zum Vorſchein kommt. Nun fährt man die Wanne über die Gießtafel und beginnt, während die Walze an dem dem Ofen zugekehrten Ende liegt, mit dem Guß. Das flüſſige Glas breitet ſich langſam aus, während die Walze gegen das andere863Das Spiegelglas.Ende der Tafel hingeführt wird und den überſchüſſigen Fluß vor ſich her ſchiebt. Ein mit Lappen umwickelter Wiſcher H wird vor dem Glaſe hergeführt, um alles Unreine auf der Tafel zu beſeitigen. Der Über - ſchuß gleitet über das Ende der Tafel und fällt in Waſſer; es bildet ſich infolge deſſen an dieſem Ende eine Wulſt, welche kurz vor dem Erſtarren aufgebogen wird. Mehrere Arbeiter ſtemmen einen Rechen dagegen und ſchieben die erſtarrte Platte über die Gießtafel fort in den Kühlofen, in welchem ſie 1 bis 2 Wochen verbleibt. Ihre untere Fläche iſt ganz glatt, die obere ſtets etwas rauh und höckerig.

Die aus dem Kühlofen herausgezogenen Platten werden genau unterſucht, um fehlerhafte Stellen herauszufinden und mit deren Be - rückſichtigung die Platten auf das vorteilhafteſte zu teilen, ſo nämlich, daß dieſe Stellen an den Rand kommen. Dann beginnt das Schleifen, zu welcher Operation immer zwei Tafeln gehören, eine größere und eine bedeutend kleinere. Die große wird mit Gips in die Schleifbank, einen großen feſten Tiſch, eingekittet; die kleine befeſtigt man in der - ſelben Weiſe in dem Boden des Oberſteins, eines mit Gewichten ſtark beſchwerten Kaſtens, ſo daß die beiden Tafeln ſich ihre entgegengeſetzt beſchaffenen Flächen, d. h. eine glatte und eine rauhe zukehren. Nun wirft man groben Sand auf die untere Tafel, fügt Waſſer hinzu und bewegt den Oberſtein hin und her ziehend und zugleich um ſeine ſenk - rechte Achſe drehend über die ganze Fläche der Schleifbank; die Be - wegung kann mit der Hand oder auch durch beſondere Maſchinen aus - geführt werden. Iſt allmählich der Sand fein geworden, ſo nimmt man weniger groben Sand man hat bis zu ſieben Nummern bis damit das Rauhſchleifen beendet iſt. Dies iſt der Fall, wenn die Fläche der unteren Tafel ſich beim Prüfen mit einer Setzwage als vollkommen eben zeigt. Nun folgt in ganz derſelben Weiſe das Klar - ſchleifen mit immer feiner werdenden Nummern von Smirgel; hierdurch wird die Platte glatt, erſcheint aber noch blind und halbdurchſichtig. Dieſe Eigenſchaft wird endlich durch das Polieren beſeitigt. Man be - nutzt dazu reines geſchlämmtes Eiſenoxyd, ſogenanntes Polierrot, welches mit einem hölzernen, mit Wolle bewickelten und mit Gewichten be - ſchwerten Brette aufgerieben wird. Jede der beſchriebenen Operationen wird nach einander zuerſt an der einen, dann an der anderen Seite der Spiegelplatte vorgenommen; es kommt daher weſentlich darauf an, daß die Platte beim jedesmaligen Umkehren wieder genau horizontal in die Schleifbank eingekittet wird, da ſonſt die beiden Flächen nicht parallel ausfallen können. Bei dem Schleifen verliert eine Platte, in - folge der Rauhigkeit ihrer Flächen, beſonders der gewalzten, oberen, faſt die Hälfte ihrer ganzen Maſſe. Die polierten Tafeln zeigen nun erſt alle Fehler, ſo daß in einer zweiten Prüfung eine neue Auswahl ſtattfinden muß. Die ſo gewonnenen Platten werden dann belegt.

Auf einem ganz glatten Tiſch breitet man Stanniol (Zinnfolie) von der Größe der zu belegenden Tafel aus, ſtreicht es vollkommen864Die Fabrikation und Verarbeitung des Glaſes.glatt und verteilt mittels einer Bürſte Queckſilber über die ganze Fläche. Iſt ganz gleichförmige Benetzung eingetreten, ſo gießt man noch Queck - ſilber nach und ſtreicht mit dem Lineal über die Fläche, welche nun ſpiegelblank erſcheinen muß. Dann ſchiebt man die ſorgfältig gereinigte Platte von der Seite her, mit der Längskante voran, auf die Belegung. Der Spiegel wird nun, um den erheblichen Überſchuß an Queckſilber zu beſeitigen, vorſichtig mit Gewichten beſchwert und der Belegetiſch ſchwach geneigt. So fließt das meiſte Queckſilber ab. Zuletzt wird der Spiegel auf die hohe Kante geſtellt, um die letzten Metallreſte zu entfernen. Das Belegen eines großen Spiegels iſt eine ſehr ſchwierige und zeitraubende Arbeit, die Wochen in Anſpruch nehmen kann.

Statt die Spiegeltafeln zu walzen, hat man auch die Walze durch eine zweite Metallplatte erſetzt, welche den halbflüſſigen Guß niederpreßt; der Vorteil, den dieſe Methode mit ſich bringt, liegt darin, daß auch die obere Fläche glätter ausfällt, was einen geringeren Maſſenverluſt und eine kürzere Arbeitszeit beim Schleifen bedingt. Indeſſen iſt dies Verfahren bei größeren Spiegeln nicht leicht ausführbar und wird daher nur bei kleineren angewendet.

e) Das Kryſtallglas.

Da die engliſchen Glasmacher von alters her auf die Steinkohle als Brennmaterial für ihre Öfen angewieſen waren, ſo mußten ſie, um ihre Glasflüſſe gegen die blakende Flamme zu ſchützen, ihre Häfen bedecken; da aber hierdurch ein erheblicher Wärmeverluſt hervorgerufen wurde, ſo verſuchten ſie das Glas durch alle nur möglichen Zuſätze leichtflüſſiger zu machen. Bei dieſer Gelegenheit, alſo zufällig, wurden die hervorragenden optiſchen Eigenſchaften der bleihaltigen Gläſer ent - deckt. Seitdem fabriziert man überall bleihaltige Gläſer gerade ihres ſtarken Lichtbrechungsvermögens halber. Beträgt der Gehalt an Blei - oxyd etwa ein Drittel des ganzen Satzes, ſo erhält man das zu den feinen Schleifwaren benutzte, heute aber auch häufig durch das gute böhmiſche Glas erſetzte Kryſtallglas.

Der Satz des Kryſtallglaſes beſteht, neben Kieſelerde und Mennige (oder Bleioxyd), nur noch aus gereinigter Pottaſche. Die Kieſelerde muß völlig frei von Eiſen ſein; als Entfärbungsmittel dient nicht Braunſtein, ſondern Salpeter. In gleicher Weiſe zieht man die Mennige, wegen ihres durch den Sauerſtoffgehalt bedingten Entfärbungsvermögens, dem Bleioxyd vor. Die Schmelzung und die Läuterung erfolgen ent - weder in demſelben Hafen, oder, falls die Koſten nicht ins Gewicht fallen, in Hafen und Wanne, wie bei der Fabrikation des Spiegel - glaſes. Der Fluß muß vor dem Rauch der Feuerung ſorgfältig be - wahrt werden; ebenſo muß man ihn vor der Berührung mit eiſen - haltigen Stoffen hüten, da dieſe eine Braunfärbung veranlaſſen. Die Verarbeitung des Kryſtallglaſes geſchieht ſelten durch Blaſen allein;865Das Kryſtallglas.meiſt wendet man das Blaſen oder auch den Guß in Formen an. Die Formen, von denen Fig. 471 ein Beiſpiel darſtellt, ſind ſehr ſorg - fältig aus Metall gearbeitet. Sie beſtehen aus einzelnen Teilen, welche ſich auf - und zuklappen laſſen. In die geöffnete Form führt der Bläſer den an der Pfeife hängenden hohlen Glasballen ein; ein Ge - hülfe ſchließt die Form, worauf der Bläſer durch kräftiges Einblaſen das Glas in alle inneren Teile der Form hineinpreßt. Das über - flüſſige tritt als Wulſt oben aus der Form. Nachdem das ge - blaſene Glasſtück erſtarrt iſt, wird die Form geöffnet und das Stück

Fig. 471.

Klappform.

von der Pfeife abgeſprengt. Ganz maſſive Geräte, z. B. Teller, Salz - fäſſer und dergleichen, werden durch Eingießen des flüſſigen Glaſes in eine aus zwei Hälften beſtehende Form hergeſtellt; dann werden die beiden Hälften ſcharf auf einander gepreßt, ſo daß das überſchüſſige aus den Fugen hervordringt.

Geblaſene und gepreßte Kryſtallglaswaren zeigen nur eine unvoll - kommene Gravierung und keinen beſonders hohen Glanz. Der Grund hierfür iſt der Umſtand, daß das Glas erſtarrt, ehe es ſich völlig an alle Feinheiten der Form anlegen kann; die Flächen werden nicht völlig eben und die Kanten ſind unregelmäßig gekrümmt. Bei dem Kryſtall - glas iſt dieſer Umſtand wegen ſeiner Leichtflüſſigkeit noch nicht einmal von ſo ſtarkem Einfluß; viel mehr zeigt er ſich bei dem früher erwähnten viel ſtrengflüſſigeren Crownglas und dem böhmiſchen Glaſe, welche beide gerade ebenſo verarbeitet werden, wie das Kryſtallglas. Aus dieſem Grunde müſſen die feinen Glasſtücke, welche aus den Formen kommen, nach dem Kühlen geſchliffen werden, um ihnen höheren Wert zu verleihen.

Das Schleifen erfolgt heute mittels Scheiben von Metall oder von Sandſtein, welche in einer maſſiv gebauten Drehbank, der Schleif - bank, ſehr raſch umlaufen. Am Rande werden ſie mit einem Brei aus Waſſer und Sand für das Rauhſchleifen, von Öl und Smirgel für das Feinſchleifen betupft. Zum Polieren wendet man ähnlich ge - formte Scheiben von weichem Metall oder Kork an, welche mit Bims - ſtein oder Polierrot arbeiten. Es iſt natürlich, daß dem Schleifer eine ſehr große Auswahl der verſchiedenſt geformten großen und kleinen, dünnen und ſtarken, glatten und gerippten Schleifſcheiben zur Verfügung ſtehen muß, damit er alle Feinheiten des Schleifſtückes genügend heraus - arbeiten kann. Auch das Bohren von Löchern und das Zerſägen wird auf der Schleifbank ausgeführt.

Ein höchſt eigenartiges, von Tilghman erfundenes und der neueſten Zeit angehörendes Schleifverfahren, welches beſonders für Scheiben angewendet wird, iſt das Sandblasverfahren. Bei demſelben ſchleudertDas Buch der Erfindungen. 55866Die Fabrikation und Verarbeitung des Glaſes.eine Maſchine mittels hochgeſpannter Luft oder eines ſehr ſchnell ro - tierenden Wurfrades fortgeſetzt ſcharfen Sand gegen das zu ſchleifende Stück, an welchem die Stellen, welche klar bleiben ſollen, mit einer Schablone aus Blech oder Kautſchuk bedeckt werden. Die getroffenen Stellen werden rauh geſchliffen, ſo daß ſich dieſe Methode vorzüglich zur Anbringung mattgehaltener Inſchriften und Zeichnungen auf aller - hand Glaswaren eignet und ſich als Hülfsmittel des älteren Schleif - verfahrens bereits ſehr eingebürgert hat. Jedenfalls iſt das Tilghmanſche Verfahren auch ein ſehr praktiſcher Erſatz für das Glasätzen mittels Flußſäure, deren man ſich früher (ſchon ſeit 1670) zur Herſtellung feiner rauher Zeichnungen auf Luxusglaswaren bediente. Dieſes Ver - fahren, auf der auflöſenden Eigenſchaft der Flußſäure gegenüber dem Glas beruhend, wird wegen der geſundheitsſchädlichen Eigenſchaften der Säure heute nur noch beim Teilen von Glasinſtrumenten ange - wandt, indem man die Stücke mit einem Ätzgrund von Wachs oder Asphalt überzieht, die Zeichnung eingraviert und nun die Flußſäure, die man durch Erhitzen von Flußſpat und Schwefelſäure in Bleiſchalen erhält, einwirken läßt. An den freigelegten Stellen wird das Glas rauh, indem die Flußſäure mit dem Silicium des Glaſes Fluorkieſel - gas bildet.

f) Das Flintglas.

Die Notwendigkeit, achromatiſche Linſen für die optiſchen Inſtru - mente herzuſtellen, hat ſchon in ziemlich früher Zeit die Glastechniker veranlaßt, nach zwei Glasſorten zu ſuchen, welche in Bezug auf das Verhältnis ihres Lichtbrechungsvermögens zu ihrer farbenzerſtreuenden Kraft möglichſt ſtark von einander abweichen. Zwei ſolche Glasarten hat man einerſeits in dem oben genannten bleifreien und aus den reinſten Satzteilen hergeſtellten Crownglas, andererſeits in einem ſehr bleireichen Glaſe gefunden, welches, weil man zu ſeiner Darſtellung früher gemahlenen Flintſtein benutzte, mit dem Namen Flintglas belegt worden iſt. Während die Fabrikation des Crownglaſes keine Schwierig - keiten bietet, häufen ſich dieſe in ſehr ſtarker Weiſe bei der Herſtellung des für die optiſchen Inſtrumente hochwichtigen Flintglaſes. Es hat dies ſeinen Grund in dem Beſtreben, ein möglichſt bleireiches Glas (mit 50 und mehr Prozent Bleioxyd) darzuſtellen. Leider zeigt ſich aber beim Einſchmelzen des betreffenden Satzes die ſtörende Erſchei - nung, daß ſich am Boden des Hafens ein bleireicheres, ſchwereres, ſtärker brechendes Glas abſcheidet, während ein bleiärmeres, leichteres, ſchwächer brechendes weiter oben liegt. Selbſt durch Umrühren iſt es, bei den ſo verſchiedenen Temperaturen in den einzelnen Regionen des Hafens, nicht möglich, den Übelſtand ganz zu beſeitigen, beſonders, da die eiſernen Rührer das Glas färben. Die Folge davon iſt, daß das Glas beim Erſtarren Schlieren und Streifen zeigt, welche ſeine Anwendung zu optiſchen Zwecken vollſtändig in Frage ſtellen. Faraday,867Das Flintglas.welcher 1824 als erſtes Mitglied einer Kommiſſion der Royal Society of arts in London die Frage genau unterſuchte, ſchlug vor, ein Flint - glas aus Borſäure, Kieſelſäure und Bleioxyd in Platingefäßen zu ſchmelzen. Seine Methode hat wegen der Koſten und des zu hohen Bleigehaltes des Glaſes keine praktiſche Verwendung gefunden. Bereits einige Zeit vorher hatte Fraunhofer in München ſchlierenfreie Flintlinſen hergeſtellt, aber ſein Geheimnis bewahrt. Sein Mitarbeiter Guinand gründete bei Paris eine Werkſtatt, welche ſpäter an deſſen Sohn über - ging und von dieſem an Bontemps verkauft wurde. Dem letzteren, welcher ſchon 1828 tadelloſe, wenn auch noch kleine Blaſen zeigende Linſen bis zu 13 Zoll Durchmeſſer herſtellte, verdanken wir die wichtigſte Neuerung in der Flintglasfabrikation, die Einführung eines Rührers aus Hafenmaſſe, deſſen Erfindung übrigens wahrſcheinlich von dem älteren Guinand herrührt. Das Guinandſche Verfahren, welches ſich im weſentlichen bis heute erhalten hat, wendet als Glasſatz eine Miſchung von reinſtem Sand, ebenſo viel Mennige und etwa dem dritten Teil kalcinierter Soda an. An Stelle der letzteren haben ſpätere Fabrikanten häufig Pottaſche geſetzt.

Das Schmelzen erfolgt in einem Ofen mit Steinkohlenfeuerung (Fig. 472), in welchem nur ein einziger, mittels einer Haube ver - ſchloſſener Hafen ſteht. Die ſeitliche Öffnung der Haube paßt in das Arbeitsloch, ſo daß das Glas durch den Rauch gar nicht berührt werden kann, von außen aber leicht zugänglich iſt. Der Satz wird allmählich eingetragen. Nach etwa 12 bis 16 Stunden iſt völliger Fluß eingetreten. Dann wartet man, bis die Feuerung keinen Rauch mehr giebt, nimmt die Haube ab, ſetzt den vorher bis zur Weiß - glut erhitzten Rührer ein und verſchließt den Hafen wieder. Mittels eines in den hohlen Rührer eingeſetzten eiſernen Hakens rührt man nun um, wobei eine vor der Arbeits - öffnung aufgeſtellte Rolle die Arbeit weſentlich erleichtert. Der Rührer bleibt nun ſchwimmend in dem Fluß,

Fig. 472.

Flintglasofen.

55*868Die Fabrikation und Verarbeitung des Glaſes.der Haken wird weggenommen und das Feuer zum Zwecke der Läuterung mehrere Stunden geſchürt. Jetzt erſt beginnt das eigentliche Rühren, welches man nur unterbricht, um die weißglühend gewordenen Eiſen - haken durch neue zu erſetzen. Nach 6 Stunden unterbricht man das Feuern durch Kaltſchüren , um nach weiteren 2 Stunden wieder heiß zu ſchüren. Endlich beginnt der Fluß dick zu werden; man hört auf zu rühren, ſchließt den Ofen gänzlich und läßt ihn verkühlen. Hierzu gehört eine Zeit von 6 bis 8 Tagen. Nunmehr bildet das Glas im Hafen meiſt eine zuſammenhängende Maſſe, an welche man, nach dem Zerſchlagen des Hafens, zwei parallele, an entgegengeſetzten Enden liegende Flächen ſchleift und poliert. So kann man genau unterſuchen, wo das Innere, welches wohl nie ganz homogen ausgefallen ſein wird, Streifen und Schlieren zeigt, um hiernach reine Stücke heraus - zuſägen. Dieſe werden in einem beſonderen Ofen bis zum gelinden Erweichen aufgewärmt, in einer zweiklappigen Form in Geſtalt einer Linſe gepreßt, recht gut gekühlt und endlich, dem ſpeziellen Zweck ent - ſprechend, geſchliffen und poliert.

Durch das Verfahren von Bontemps iſt der Preis der rohen Flintglaslinſen, welcher früher ein ganz außerordentlich hoher war, auf den 70. Teil geſunken. Eine ganze Reihe von verdienſtvollen Männern, beſonders Döbereiner und Steinheil, haben es ſich angelegen ſein laſſen, nach zum Teil noch verbeſſerten Methoden, die aber nur in unweſentlichen Punkten von der beſchriebenen abweichen, Linſen von großer Reinheit und bedeutender Ausdehnung herzuſtellen. Über die neueſten Einführungen auf dieſem Gebiete ſehe man das nähere in dem die optiſchen Inſtrumente behandelnden Abſchnitt dieſes Buches.

g) Der Straß.

Derſelbe iſt ein Kalibleiſilikat von großem Bleireichtum und leichter Schmelzbarkeit, Er dient, mit verſchiedenen Metalloxyden gefärbt, zur Herſtellung künſtlicher Edelſteine (Pierre de Strass). Um gute und klare Farben zu erhalten, iſt die Auswahl der reinſten Ingredienzien dringend geboten; ſo benutzt man z. B. an Stelle der Kieſelerde Berg - kryſtall. Das Schmelzen erfolgt in Öfen, die nur einen oder doch wenige Häfen enthalten und bedarf eines ſehr ſorgfältigen Läuterungs - prozeſſes; die Herſtellung iſt im weſentlichen dieſelbe, wie beim Flintglas.

Setzt man dem Straß Zinnoxyd zu, ſo verliert er ſeine Durch - ſichtigkeit, behält aber ſeinen hohen Glanz und heißt in dieſem Zuſtande Schmelz (Email).

Wenn auch in der bisherigen Schilderung der Glasinduſtrie die ſämtlichen wichtigen Gebiete derſelben in Betracht gezogen wurden, ſo bleiben doch noch einige Einzelheiten von Intereſſe übrig, welche in869Der Straß. Das Färben der Gläſer.dem folgenden ganz kurz zuſammengefaßt werden ſollen. Es iſt dies die Herſtellung der überwiegend Luxuszwecken dienenden Glaswaren, unter welchen manche wichtige Artikel des Welthandels bilden.

Gefärbte Gläſer können entweder durch Färben in der ganzen Maſſe gewonnen werden oder durch ſogenanntes Überfangen des farblos bleibenden Glaſes mit einer dünnen Schicht gefärbten Fluſſes. Das erſtere geſchieht, indem man dem Glaſe den färbenden Beſtandteil, gewöhnlich ein Metalloxyd, ſogleich bei der Fabrikation einverleibt. Gelbes Glas erhält man durch Zuſatz von antimoniger Säure oder von Chlorſilber; rotes am ſchönſten durch Überfangen der fertigen farbloſen Waren mit einem durch Kupferoxydul rot gefärbten Glaſe, welches übrigens nach dem Erkalten noch farblos bleibt und erſt durch neues ſchwaches Anwärmen ſeine prächtige Rubinfarbe erhält. Aus ſo behandelten Waren kann man durch teilweiſes Wegſchleifen der Überfangſchicht ſehr ſchön gemuſterte und geſchätzte Stücke herſtellen. Andere rote Nuancen giebt Eiſenoxyd und Goldpurpur. Das erſtere färbt bräunlich, der letztere, durch Fällen einer Goldlöſung mit Zinn - chlorürchlorid erhalten, roſa - bis karminrot. Violett färbt man in der Maſſe mit Braunſtein; grün mittelſt Eiſenoxydul, ſchöner mittelſt Kupfer - oxyd oder Chromoxyd. Ein ſchönes und reines Blau wird nur durch Kobaltoxydul erhalten. Die prächtige Farbe desſelben hat bewirkt, daß man beſondere Fabriken zum Zwecke der Darſtellung feingemahlenen blauen Glaſes angelegt hat und dieſes letztere unter dem Namen Smalte als Farbmaterial in der Glas - und Porzellanmalerei ver - wendet. Dieſe Induſtrie iſt bereits ſeit dem 16. Jahrhundert bekannt und wird beſonders in Sachſen betrieben, wo man die häufig anſtehenden Kobalterze direkt auf dieſem Wege ausbeutet. Man röſtet die Erze, um ſie zu oxydieren und verglaſt ſie dann durch Schmelzen mit Alkali und Kieſelerde. Es folgt endlich das Mahlen und Schlemmen der fertigen Smalte. Außer zu Malereizwecken wird die Smalte auch als dauerhafte Anſtrichfarbe, ſowie zum Bläuen des Papiers, der Wäſche u. ſ. w. gebraucht. Das ſogenannte Milchglas, welches zu Lampenglocken und dergleichen verarbeitet wird, iſt dem Email ähnlich, wird aber erhalten, indem man dem gewöhnlichen Glasſatz bis zu 20 % weiß gebrannte Knochen zuſetzt (Beinglas); auch hier iſt der Fluß klar und die Undurchſichtigkeit entſteht erſt beim Blaſen und Anwärmen der Stücke.

Hämatinon - und Aventuringlas ſind halbdurchſichtige Gläſer mit glänzenden Flittern in der Maſſe. Es ſind Kupferoxydulgläſer, in welchen die Kieſelſäure bedeutend überwiegt und das Kupferoxydul zum Teil durch Zuſatz einer reduzierenden Subſtanz als metalliſches Kupfer ausgeſchieden iſt. Das ähnliche, aber farbloſe Perlmutterglas enthält eingeſtreut glänzende Glimmerblättchen, während das Filigran - glas in farbloſem oder ſchwach gefärbtem Fluß anders gefärbte Fäden zeigt.

870Die Fabrikation und Verarbeitung des Glaſes.

Frisglas erhält man, wenn man die geformten, noch glühenden Stücke Dämpfen von Zinnſalz ausſetzt. Die letzteren greifen die Ober - fläche an und erzeugen ein ſehr feines Häutchen, welches Interferenz - farben zeigt.

Eisglas erhält man aus gewöhnlichem Glasfluß, indem man das Stück beim Blaſen noch glühend in kaltes Waſſer taucht, es dann von neuem erwärmt, bis die zerſprungenen Stücke ſich wieder verbunden haben und es fertig bläſt. Sehr gutes Kühlen iſt bei den ſehr ge - ſchätzten Eisglaswaren Hauptbedingung, beſonders dann, wenn man, um ihm recht viele Sprünge zu verleihen, das Eintauchverfahren wieder - holt angewendet hat.

Glasperlen bilden einen wichtigen Artikel des Handels. Die Perleninduſtrie ſtammt von den venetianiſchen Hütten auf Murano, wo man Perlen aus Glasröhren zuerſt herſtellte. Die Arbeiter ziehen in der oben geſchilderten Art Röhren aus allen möglichen gefärbten Gläſern; dieſe werden mittels eines Meſſers in Stücke von gleicher Länge und Breite zerteilt. Um die gewonnenen Perlen abzuſtumpfen, mengt man ſie mit gepulvertem Thon und Kohle und erhitzt das ganze in einem eiſernen rotierenden Cylinder bis zum Glühen. Nach dem Erkalten erfolgt das Sieben, Sortieren und Aufreihen auf Fäden. Anders als dieſe maſſiven oder venetianiſchen Perlen werden die als Imitation der echten Perlen dienenden franzöſiſchen Perlen hergeſtellt. Nach einem von Jaquin 1656 erfundenen Verfahren bläſt man hohle Glasperlen und füllt ſie mit einer aus den Schuppen der Weißfiſche (Üklei) bereiteten Tinktur, welche der Wand der Kugel den matten Glanz der echten Perlen mitteilt. Früher gewann man die Tinktur durch Ausziehen und Schütteln der Schuppen mit Waſſer, heute wendet man ſtatt deſſen beſſer Salmiakgeiſt mit etwas Fiſchleim an. Übrigens werden die künſtlichen hohlen Perlen auch mit Wachs ausgegoſſen oder erhalten als Füllung irgend eine ſehr leichtflüſſige Metalllegierung.

Daß man Glas zu außerordentlich feinen Fäden ausziehen kann, iſt bekannt. Dieſe Fäden, deren Durchmeſſer oft nur 0,01 mm beträgt, ſind höchſt elaſtiſch. Da ſie zudem allen chemiſchen Einflüſſen trotzen, ſo hat man den Verſuch gemacht, ſie zu verſpinnen. Das erhaltene Gewebe zeigt einen außerordentlich ſchönen Glanz, iſt aber für die Verwendung im allgemeinen ungeeignet, weil die Fäden nie ganz gleich ausfallen und doch hier und da brechen. Nur einzelne Schmuckgegen - ſtände ſtellt man daher aus Glasfäden her. Die ſogenannte Glaswolle dient in der Chemie zu verſchiedenen Zwecken.

Die Glasmalerei, der am meiſten an die bildende Kunſt ſich anlehnende Zweig der Glastechnik, iſt ſchon in alten Zeiten betrieben und in gewiſſer Hinſicht zu hoher Vollendung gebracht worden. Die Erzeugniſſe dieſer Kunſt, die Glasmoſaiken, findet man beſonders in den älteſten Kirchenbauten des Mittelalters. Die einzelnen Partieen des Bildes wurden aus Scheiben von der entſprechenden Farbe aus -871Glasperlen. Glasmalerei.geſchnitten, die Zeichnung und Schattierung mit Schmelzfarbe auf - getragen, dieſe eingebrannt und die einzelnen Scheiben durch Bleizüge, welche möglichſt mit den Konturen des Bildes zuſammenfielen, ver - bunden. Erſt ſpäter brannte man nicht nur Schwarz ein, ſondern auch andere Farben. Berühmte Kunſtheroen, wie z. B. Dürer und van Dyk, haben dazu beigetragen, die Glasmalerei auf eine hohe Stufe der Vollendung zu bringen; im 15. und 16. Jahrhundert er - reichte dieſe Kunſt ihre höchſte Blüte, um dann gründlich vernachläſſigt zu werden und endlich faſt ganz in Vergeſſenheit zu geraten. Erſt in unſerem Jahrhundert iſt es durch die energiſchen Anſtrengungen ein - zelner Männer gelungen, den Kunſtzweig der Glasmalerei, welchem heute die Chemie mit ihren umfaſſenden Entdeckungen zur Seite ſteht, wieder aufleben zu laſſen. Man kennt jetzt eine ſo große Menge von bunten Glasflüſſen, daß es mit deren Hülfe gelungen iſt, die früheren Glasmalereien in Bezug auf Mannigfaltigkeit der Farben und techniſche Vollendung womöglich noch zu übertreffen.

Bei der Glasmalerei kommt weſentlich ein Punkt in Betracht: daß nämlich die einzubrennende Farbe mittels eines ſo leichtflüſſigen Glaſes aufgetragen wird, daß bei dem ſpäteren Brennen zwar dieſes leichtflüſſige Glas ſchmilzt, nicht aber die Glastafel oder der Gegen - ſtand, welcher die Malerei erhalten ſoll. Die Unterlage der Darſtellung wird daher nie aus bleihaltigem Glas, ſondern ſtets aus dem blei - freien, ſehr ſchwer ſchmelzbaren böhmiſchen Glaſe hergeſtellt. Dagegen enthält der Fluß, d. h. die gefärbte Schicht, zur Beförderung der Leichtflüſſigkeit ſtets viel Blei, Wismutoxyd und Borax. Der Maler legt unter die Glastafel, auf der das Bild ausgeführt werden ſoll, den Karton der Zeichnung und trägt die nach Art der Smalte zube - bereiteten, d. h. verglaſten und fein geriebenen Farben mittels Ter - pentinöls auf. Nach dem Trocknen kommt die Tafel in einen kleinen Muffelofen von Thon, in welchem ſie in einer auf dem Roſte des Ofens ſtehenden prismatiſchen, kaſtenförmigen Muffel bis zum Schmelz - punkt des farbigen Fluſſes erhitzt wird. Die in braun oder ſchwarz gehaltenen Umriſſe des Gemäldes werden auf die eine, die klaren Farben auf die andere Seite der Tafel aufgetragen. Auf dieſe Weiſe erhält man ſtets eine ſcharfe Zeichnung. Es muß noch bemerkt werden, daß man in der Neuzeit Glasgemälde aus Bildern von der beſchrie - benen Herſtellungsart mit Glasmoſaiken nach Art der mittelalterlichen Ausführung kombiniert und damit ſehr ſchöne Wirkungen erzielt hat. Der preußiſche General Vogel v. Falkenſtein, einer der Führer des deutſch-öſterreichiſchen Krieges, ſei hier als derjenige Mann genannt, welcher ſich um das Wiederaufleben der Glasmalerei in Preußen die größten Verdienſte erworben hat.

872Die Thonwaren.

3. Die Thonwaren.

a) Die Thonwarenfabrikation im allgemeinen.

Wie frühe in dem Menſchen der Wunſch erwachte, ſich Behälter für ihm dienende Stoffe anzuſchaffen, das wiſſen wir nicht. Vorerſt mußte er wohl für die flüſſigen, durch ihre Beweglichkeit ſich uns ſo leicht entziehenden Körper nach einer Berge ſuchen, und den Schädel wie das Horn der erlegten Jagdbeute fand er für dieſen Zweck paſſend. Jenes Bedürfnis rief alſo die Anfänge der heute ſo entwickelten Horn - induſtrie ins Daſein. Daß im Erdboden Stoffe ſeien, die in Formen gebracht werden konnten und, getrocknet und gebrannt, ihre Geſtalt behielten, das war, wie die Geſchichte der Backſteine uns lehrt, eine Erfindung, die in den erſten hiſtoriſchen Bauten bereits verwertet ward. Daß die Kunſt, jene Stoffe zu Geſchirren zu verarbeiten, ſogar vor - hiſtoriſche Exiſtenz beſaß, das lehren die nicht unbedeutenden Reſte von Thongeräten, welche wir in den Pfahlbauten finden. In dieſen An - fängen der keramiſchen Kunſt ſind auch die erſten Elemente der Orna - mentik verwertet. Das Geſchirr ward hier noch mit bloßer Hand geformt, es zeigt ſich zuerſt als durchaus unregelmäßig in der Dicke der Böden und Wände; aber gebrannt iſt es in einer ſelbſt ſtrengere Forderungen befriedigenden Weiſe. Die nächſte Erfindung auf dieſem Gebiete, die Töpferſcheibe, war bereits um 1900 v. Chr. in Ägypten bekannt, denn auf dortigen Wandgemälden erblicken wir ihre An - wendung. Von dort iſt ſie in Griechenland eingeführt worden, wo der göttliche Sänger Homer ihre Drehung mit dem Rundtanze verglich. Sie hat ihr Ausſehen ſo weit nicht Maſchinenkraft die menſchliche erſetzte inzwiſchen nicht weſentlich geändert. Die vertikale Welle eines wagerechten Schwungrades trägt an ihrem oberen Ende eine Platte. Der Arbeiter, welcher vor dem Apparate ſitzt, kann durch eine Stange, den Fuß oder mit Hülfe einer Übertragung das Rad in Schwung verſetzen. Zugleich ſetzt er die Maſſe, welche geformt werden ſoll, auf die Platte. Derſelben muß durch Bearbeiten mittels der Hände während der Drehung die gewünſchte Geſtalt gegeben werden. Sie wird vermöge der Schwungkraft zuerſt zu einem ſtumpfen Kegel und durch den Druck der beiden Daumen auf den Oberteil und der übrigen Finger auf die Seiten zu einem ausgehöhlten Gegenſtande von beliebiger Form ausgearbeitet. Die Geſchwindigkeit der Drehung wird der Former natürlich ſo regulieren, daß keine Teile der Maſſe davonfliegen, und daß ſie genügt, um der Schwungkraft Einfluß auf die Formgebung zu verſchaffen. Auch die durch Maſchinenkraft be - wegten Drehſcheiben ſind in Bezug auf ihre Geſchwindigkeit leicht zu regulieren. Wenn es auf genaue Arbeit ankommt, ſo wird freilich die Hand nicht alles thun können, man macht dann von Schablonen aus873Die Thonwarenfabrikation im allgemeinen.Blech Gebrauch, welche den Umriß des zu formenden Gegenſtandes angeben und gegen die ſich drehende Thonmaſſe gehalten werden. Iſt die Formgebung vollbracht, ſo kann man den Körper durch einen dünnen Draht von der Unterlage abſchneiden und zum Trocknen bringen.

Sahen wir, daß die Bildſamkeit des Thons der Grund iſt, warum man ihn zu den mannigfachſten Dingen verarbeiten kann, ſo muß noch eins hinzukommen, um die Brauchbarkeit der geformten Gegenſtände zu garantieren. Das iſt die Feſtigkeit. Wir wiſſen zwar, daß keines unſerer irdenen Geſchirre unzerbrechlich iſt, aber ſie beſitzen doch den hinreichenden Grad von Widerſtandskraft, der ihnen lange Lebensdauer ſichert. Woher ſchreibt ſich dieſe Eigenſchaft? Der rote Thon iſt ſeiner chemiſchen Beſchaffenheit nach aus der kieſelſauren Thonerde zuſammen - geſetzt ſamt größeren oder geringeren Mengen von anderen Salzen der Kieſelſäure, von Sand und anderen Geſteinsreſten. Wie der Hauptbeſtandteil ſich der Formung gefügig zeigt, ſo iſt er es, der durch ſein Bindevermögen die anderen Körperchen in ſich aufnimmt und ſchließlich bei hoher Temperatur, das ihm beigemengte Waſſer auf - gebend, zuſammenſintert. Mit dieſem Ausdruck bezeichnet man die folgende Erſcheinung. Ein Teil der den Thon zuſammenſetzenden Materialien ſchmilzt beim Brennen, ein anderer, weit überwiegender Teil bleibt in feſtem Zuſtande, die erſteren aber verkitten dieſe zu einer beim Erſtarren große Feſtigkeit gewinnenden Maſſe. Jene Bei - mengungen aber dienen als Flußmittel, d. h. ſie bewirken, daß der Thon beim Brande an ſeiner Oberfläche ganz ſchmelzen, alſo ſich mit einer harten Schutzhülle, der Glaſur, umgeben kann, die ihm zugleich Schönheit verleiht. So unterſcheidet ſich der Thon vom Glaſe dadurch, daß dieſes ſich aus einer gleichmäßigen Schmelze bildet, während im ſinternden Thon die ungeſchmolzenen Körperchen überwiegen. Daher ſchreiben ſich die Vorzüge der Thonwaren gegenüber dem ſpröden Glaſe. Es vermag eine ungleichmäßige Erwärmung leicht zu ertragen, die das Glas zum Springen bringen würde. Die Sprödigkeit der Thonprodukte richtet ſich ſogar ganz genau nach der Menge der Teilchen, welche beim Brande ungeſchmolzen geblieben ſind. Iſt dieſe ſehr groß, ſo ſind dieſelben nicht hinreichend mit einander verkittet, und die Maſſe wird beim Anſtoßen leicht zerbrechen, wie auch beim unvorſichtigen Erhitzen zerſpringen, ebenſowenig aber vertragen die Thonwaren, welche beim Brande faſt völlig durchgeſchmolzen ſind und die darum faſt durchſichtig erſcheinen, die ungleichmäßige Erwärmung. Am beſten ſind in dieſer Beziehung die Produkte daran, bei welchen das Ver - hältnis in der Mitte ſteht.

Hieraus ergiebt ſich eine große Verſchiedenheit der Thonwaren ſo - wohl nach dieſer Eigenſchaft der Beſchaffenheit des Scherbens , dann nach der Natur des verwendeten Thons, der natürlich, je un - reiner er gebraucht wird, eine deſto geringere Sorgſamkeit beim Brennen874Die Thonwaren.erfordert; ſchließlich auch nach dem Vorhandenſein oder Fehlen einer Glaſur. Enthält der Scherben viele geſchmolzene Teilchen, ſo wird er dem Glaſe auch darin nahe kommen, daß er ein geſchloſſenes, für Flüſſigkeiten durchaus unpaſſierbares Ganze bildet, das alſo an die Zunge gelegt, dort nicht feſtkleben wird. Wenn ſolche Waren angeſtoßen werden, ſo klingen ſie. Von dieſer Art ſind das echte und das weiche Porzellan, ſowie das Steinzeug. Die andern, welche nur wenig ge - ſchmolzene Teile enthalten, werden dagegen porös erſcheinen und, ſoweit ſie nicht glaſiert ſind, Flüſſigkeiten in ſich eintreten laſſen, alſo auch an der Zunge feſthaften; ſie haben auch nicht den Klang jener. So ſind die Fayence, das Steingut, das gewöhnliche Töpfergeſchirr und die Backſteine beſchaffen, welche letzteren wir bereits als Baumaterialien behandelt haben. Wir werden dieſelben der Reihe nach durchgehen. Zuvor aber wollen wir in Kürze den Gang angeben, den man bei der Fabrikation der einzelnen einzuſchlagen haben wird.

Zuerſt wird man den Thon, je feinere Waren man erzeugen will, deſto ſorgfältiger von den ihm anhaftenden Verunreinigungen befreien müſſen. Man wird ihn dazu zerkleinern und ſchlämmen, wie das auch ſchon bei dem minderwertigen Thon für die Backſteine nötig war. Man bedient ſich dazu großer über einander angelegter Bottiche. In dem oberſten wird das zerkleinerte Material mit Waſſer gemengt, die Milch, in welcher die feineren Teile ſchwebend bleiben, läßt man in den folgenden Bottich eintreten u. ſ. f., bis man nach dem Setzen in den verſchiedenen Baſſins Material von immer größerer Feinheit hat, welches nun je nach Bedürfnis in verſchiedenem Verhältnis unter einander gemiſcht weiter verwendet wird. Die Bildſamkeit zu erhöhen, läßt man den Thon im allgemeinen erſt faulen, d. h. man durchtränkt ihn mit einer ſich leicht zerſetzenden Flüſſigkeit, etwa mit Jauche, und läßt ihn an einem kühlen, feuchten Orte liegen. Dabei färbt er ſich unter Gasentwicke - lung erſt dunkel und dann wieder hell und erlangt größere Bildſamkeit und Gleichförmigkeit. Soll das Endprodukt einen geſchloſſenen Scherben beſitzen, ſo wird man dafür ſorgen müſſen, daß es leicht ſchmelze, und wird als Flußmittel der Thonmaſſe Feldſpat, Kalk, Gips, auch Knochen - aſche zuſetzen. Dieſes Durchkneten geſchieht jetzt faſt überall in be - ſonderen Maſchinen. Sonſt genügt es, den Thon allein mit Waſſer zu verkneten und weiter zu verarbeiten. Er kommt jetzt auf die Dreh - ſcheibe, ſoweit er nicht durch Eindrücken in beſondere Gipsformen oder durch Preſſen in Meſſing - und Eiſenformen oder ſchließlich durch Aus - gießen der zähflüſſigen Maſſe in Gipsformen, die ihm durch ihre Poroſität das Waſſer entziehen, ſeine Geſtalt erhält. Nur die feinſten Verzierungen, wie die Blumen aus Porzellan, werden aus freier Hand mit Zuhilfenahme des Griffels geformt. Sodann wird der geformte Körper an der Luft getrocknet und ſchließlich im Ofen gebrannt, um den für jede Thonware eigentümlichen Scherben zu bilden. In den meiſten Fällen wird er dabei auch mit der Glaſur verſehen, die man,875Die dichten Thonwaren.da ſie ja leichter als die übrige Maſſe ſchmelzen ſoll, beſonders auf - tragen muß. Man rührt die Glaſur, die beim echten Porzellan ein Gemenge von Thon und Kaliumwaſſerglas iſt und für weniger feine Waren kieſelſaures Blei enthält, mit Waſſer zu einem dünnen Brei an, und taucht den durch das ſog. Verglühen erſt vorläufig, aber noch nicht gar gebrannten Scherben in denſelben, oder man begießt ihn damit, ſtäubt ihn in die Glaſurmaſſe ein, oder ſchließlich man ver - dampft Kochſalz im Ofen, das dann mit Thonmaſſe eine Glaſur gibt.

b) Die dichten Thonwaren.

Wir beginnen mit demjenigen Produkt, welches von jeher als das feinſte gegolten hat, mit dem echten Porzellan. Es iſt zuerſt in China heimiſch geweſen, und wenn es auch nicht ſo lange bekannt iſt, wie man früher allgemein glaubte, ſo iſt es doch möglich, daß es bereits im zweiten Jahrhundert v. Chr. dort fabriziert wurde, und fällt ſeine Erfindung keinesfalls ſpäter als 89 n. Chr. Von hier aus wird ſie natürlich auch in das gewerbreiche Nachbarland Japan über - gegangen ſein, aber fabriziert wurde jenes dort erſt ſeit Beginn des 16. Jahrhunderts. Marco Polo, der bekannte venetianiſche Seefahrer, welcher um 1380 lange Jahre in chineſiſchen Dienſten ſtand, beſchreibt die Herſtellung des Porzellans. Unter der Ming-Dynaſtie, da alle Künſte in China blühten, nahm auch die Porzellan-Fabrikation den höchſten Aufſchwung: 1431 ward das vielbewunderte Bauwerk, der 100 m hohe Porzellanturm von Nanking gebaut, der jetzt zerſtört iſt. In Europa ſah man dieſe Waren zuerſt im 16. Jahrhundert und ver - ſuchte ſofort, ſie ſelbſtſtändig herzuſtellen.

Die kunſtſinnigen Medizäer in Florenz vor allem ſcheuten keine Koſten, um Porzellan hervorzubringen. Im 17. Jahrhundert war in Japan die ſogenannte Holländerzeit, und in dem lebhaften Verkehr mit dem Abendlande bildete das Porzellan ein Hauptzahlungsmittel. Die Fabrikation im Morgenlande aber paßte ſich zugleich dem Geſchmacke der Beſteller immer mehr an.

Erſt im Jahre 1706 gelang es dem Alchimiſten Joh. Friedrich Böttger zu Dresden, den lang geſuchten Stoff aufzufinden. Er ſuchte den Stein der Weiſen und fand das ſogenannte rote Porzellan, und diesmal wenigſtens mangelte der Weiſe nicht dem Stein . Erlaubte dieſe Erfindung bereits die Entwickelung eines beſondern Zweiges der Keramik, ſo ward durch die im Jahre 1709 erfolgte Entdeckung Böttgers, daß ein Hauptbeſtandteil des Haarpuders Porzellanerde ſei, und die nun - mehr dadurch erleichterte Auffindung eines großen Lagers derſelben, die Porzellaninduſtrie im Abendlande vollends eingebürgert. In Meißen ge - langte dieſelbe ſchnell zu hoher Blüte unter Böttger, dem in der Albrechts - burg die erſte Fabrik eingerichtet wurde. Streng wurde daſelbſt das Geheimnis der koſtbaren Induſtrie bewahrt, bis es einzelnen Arbeitern876Die Thonwaren.zu entkommen gelang und durch ſie die Sache offenkundig ward. Bald darauf hatte jedes Land ſeine eigene Porzellanfabrik. Die erſte in Preußen ward 1750 von Wegely zu Berlin eingerichtet, ging aber nach ſieben Jahren wieder ein; erſt die 1761 von Gotzkowsky gegründete Fabrik in der Leipziger Straße, welche zwei Jahre ſpäter der Staat übernahm, hielt ſich, es iſt die heute noch blühende Königliche Por - zellan-Manufaktur. Am Ende des 17. Jahrhunderts war bereits das weiche Porzellan in Frankreich erfunden worden, und es wurde bis 1740 in St. Cloud, bis 1753 in Vincennes und von da an in der berühmten Fabrik zu Sèvres fabriziert.

Was die Erfindung des Porzellans im Auslande hintanhielt, das war der Mangel des geeigneten Materials. Dieſes iſt der reinſte Thon, die Porzellanerde oder das Kaolin, welches unvermiſcht in Europa nicht eben häufig vorkommt, und bei dem Stande der chemi - ſchen Kenntniſſe im Anfange des vorigen Jahrhunderts nur ſchwer zu entdecken war. Das Lager bei Meißen verſah die ſächſiſche, dasjenige bei Halle die preußiſche Manufaktur. Um dieſen für ſich unſchmelz - baren Stoff beim Brande zur Sinterung zu bringen, mußte man ihm die geeigneten Flußmittel zuſetzen, als welche die Chineſen längſt Gips und Feuerſtein erkannt hatten, während z. B. in Berlin Feldſpat und Quarz verwendet werden. Das gute Berliner und Meißener Porzellan enthält nur verhältnismäßig wenig Flußmittel, braucht daher eine ſehr hohe Temperatur, um gar zu brennen. Es zeichnet ſich dafür durch eine große Widerſtandsfähigkeit gegen raſche Temperaturveränderungen aus, es iſt gewaltig hart, und da in dünnen Schichten die ungeſchmolzenen Teilchen nicht auffallen, durchſcheinend. Bevor es mit der Glaſur ver - ſehen wird, muß es zunächſt bei einer Wärme von 1000° C geglüht werden. Die Glaſur hat eine ganz ähnliche Zuſammenſetzung, wie der Scherben, nur daß ſie ein wenig mehr Flußmittel enthält, alſo daß ſie zwar etwas leichter ſchmilzt, aber auch bei ungleichmäßiger Erwärmung dem Scherben ſich anſchmiegt und nicht riſſig wird. Nur beim Por - zellan findet das Glaſieren und Garbrennen zugleich ſtatt, und das bedingt mit die großen Vorzüge dieſes Produkts. Nur wenig Por - zellan wird ohne Glaſur gar gebrannt; man nennt dasſelbe Biskuit; es iſt eine dem Marmor äußerlich ähnliche Maſſe, aus der man Büſten herſtellt. Das Garbrennen geſchieht bei einer gewaltigen Glut, welche die Glaſur ganz und den Scherben wenigſtens teilweiſe zum Schmelzen bringt und wohl höher als bei 1600° C liegt, eine Hitze, welche das Schmiedeeiſen längſt verflüſſigen würde.

Das Brennen, bei dem es ſich ſowohl um die Erzielung einer ſehr hohen als auch einer möglichſt gleichmäßigen Hitze handelt, ge - ſchieht in beſonders für dieſen Zweck konſtruierten Öfen. Wir bilden in Fig. 473 u. 474 denjenigen ab, der in der Fabrik zu Sèvres ange - wendet und für Holzkohlenfeuerung beſtimmt war. Der Durchſchnitt läßt uns drei Stockwerke erkennen, welche durch Gewölbe von einander877Die dichten Thonwaren.getrennt ſind: in dem oberſten L″ wird das Porzellan verglüht, in den beiden unteren dagegen gar gebrannt. Es ſind Öffnungen c c in dem Gewölbe gelaſſen, durch welche die Luft von der einen zur andern Etage hindurchwandern kann. P P ſind Thüren an den Seiten, durch die man in die drei Kammern gelangen kann, um die zu brennenden Gegenſtände darin aufzuſtapeln. Während des Brandes ſind dieſelben jedoch zugemauert. Die Feuerkäſten f, welche mit Holzkohlen beſchickt

Fig. 473.

Porzellanofen von außen.

Fig. 474.

Porzellanofen (Durchſchnitt).

werden, ſind durch eiſerne Schieber verſchließbar. Das Brennmaterial wird nur beim Beginn des Vorgangs durch die ſeitlichen Öffnungen eingebracht; ſobald das Feuer in Gang gekommen iſt, wird dasſelbe von oben nachgefüllt und der Kaſten gegen ſeitliche Kommunikation mit der Atmoſphäre geſichert, die oben zuſtrömende Luft iſt es, die jetzt den Brand im Gange erhält. Durch Kanäle wird den Feuer - gaſen der Weg in den Ofen gewieſen und ihre richtige Verteilung garantiert. Die einzelnen Stücke, welche zu brennen ſind, dürfen,878Die Thonwaren.wenn die Glaſur rein erhalten werden ſoll, nicht mit dem Feuer in direkte Berührung kommen, ſie werden daher in beſonderen Kapſeln oder in ähnlichen Muffeln, wie der Galmei bei der Zinkbereitung (vergl. S. 599) eingeſchloſſen und dann erſt in den Ofen einge - ſetzt, und zwar ſind die Kapſeln ſo über einander geſchichtet, daß ſie möglichſt wenig Raum zwiſchen ſich laſſen, nur ſo viel, daß das Feuer zwiſchen die einzelnen Stöße tretend, alle Kapſeln umzüngeln kann. Die Fig. 475 zeigt die Anordnung dieſer Kapſeln. Nach vollbrachtem Dienſt ziehen die Feuergaſe durch die Eſſe ab, deren Deckel beweglich iſt und je nach dem nötigen Zuge mehr oder weniger geöffnet wird. Es iſt nicht zu verwundern, daß das Beſtreben, auch andere Brennſtoffe als die wenig Brennwert beſitzende Holzkohle, in die Thon -

Fig. 475.

Anordnung der Kapſeln in einem Porzellanofen.

Induſtrie einzuführen und dieſelben gehörig auszunutzen, in unſeren Tagen andere Öfen hervorgebracht hat, wie z. B. den Gasringofen von Mend - heim, der ſich in der Konſtruktion an Hoffmanns, S. 272 beſchriebenen Ziegelofen anlehnt. Ganz neuerdings ſind Öfen mit abſteigender oder überſchlagender Flamme verwendet worden. Bei dieſen ſteigt die Flamme von dem unteren Raum L L nicht direkt zum Verglühraum L″ empor, ſondern erſt auf einem Umwege durch Kanäle in der Ofenſohle, die dann in der Mauer ſenkrecht emporſteigen, nach L″ hinauf, ſo daß gleichzeitig unten das Porzellan gar gebrannt werden kann, und oben bei einer Temperatur von 1000º die Ware nur verglüht wird. Der Ofen iſt derart eingerichtet, daß die ſich aus dem Brennmaterial (Holz und Kohlen) entwickelnden Gaſe erſt, nachdem ſie eine Strecke geſtiegen ſind, zur Verbrennung gelangen ähnlich wie bei den auf S. 299 be - ſchriebenen Regeneratoröfen. Das Brennen in dieſem Ofen dauert für879Die dichten Thonwaren.das Verglühen 12 Stunden, während der Garbrand noch 14 Stunden erfordert.

Nur recht wenige von den gebrannten Stücken befriedigen übrigens durchaus alle an ſie geſtellten Anforderungen. Wenn man Malereien aufträgt, ſo läßt ſich freilich ein guter Teil der Fehler noch verdecken. Wie aber geſchieht dies? Man hat zwei Arten von Farben für das Porzellan: Die Scharffeuerfarben, deren es verhältnismäßig wenige giebt, vertragen die volle Glut des Garbrandes, die meiſten aber, die ſogenannten Muffelfarben müſſen nach demſelben auf die Glaſur auf - getragen und in einem nachfolgendem Brande bei geringerer Hitze in Muffeln eingebrannt werden. Meiſtens verwendet man Metalloxyde zum Brennen. Das lange Zeit ein Geheimnis des Reiches der Mitte geweſene Chineſiſchrot iſt vor wenigen Jahren durch Prof. Seger in Berlin als vornehmlich in Kupferoxydul beſtehend erkannt worden. Die Porzellanmalerei, urſprünglich im fernen Oſten heimiſch, hat die Kunſtinduſtrie des Abendlandes in den letzten Jahrzehnten beſonders beſchäftigt. Bis vor kurzem wurde es als ein großer Übelſtand empfunden, daß die meiſten Farben in der vollen Hitze des Ofens ſich nicht aufbrennen ließen, weil die Metalloxyde durch dieſelbe in ihre Beſtandteile, das Metall und den Sauerſtoff getrennt wurden. Deshalb hat nun Seger eine neue Porzellanmaſſe angegeben, welche eine weit geringere Hitze zum Garbrennen verlangt (1450°), bei der die meiſten Farben noch beſtehen können. Er miſcht dazu den Thon in einem anderen Verhältnis mit den Flußmitteln; auch die Glaſur iſt dabei eine leichter ſchmelzbare. Damit iſt der keramiſchen Kunſt ein neues Feld eröffnet worden. In Frankreich und England hat man auch lange Zeit bis auf den heutigen Tag ein leichter flüſſiges Porzellan, das Frittenporzellan erzeugt, welches dieſelben Vorzüge hat. Das franzöſiſche, bereits am Ende des 17. Jahrhunderts erfunden und in Sèvres beſonders gepflegt, iſt freilich kein Thonprodukt, ſondern ähnelt vielmehr dem Glaſe in ſeiner Hervorbringung. Das engliſche, dem gewöhnlich Knochenaſche als Flußmittel beigegeben wird, iſt da - gegen eine echte Thonware. Die Kunſtinduſtrie iſt durch die Erfindung dieſer beiden Thonwaren beſonders gefördert worden. Das neueſte Erzeugnis der franzöſiſchen Manufaktur, die ſogenannten pâte sur pâte, erhält man durch Auftragung und Modellierung einer weißen Thon - ſchicht als Relief auf einen farbigen Thongrund und nachheriges Brennen. Die Erzeugniſſe ſind den antiken Kameen täuſchend ähnlich. In England iſt die Porzellaninduſtrie und beſonders dieſer Zweig derſelben im Pottery-Bezirk am Trent ſo entwickelt, daß der Künſtler das Pfund Thon zum Werte eines Pfundes Gold erhebt. In Berlin ſind durch Seger noch die geriſſenen, ſogenannten Kraqueléglaſuren mit mehreren übereinanderliegenden Farbentönen zur Blüte gebracht worden.

Wer kennt nicht die thönernen Bierkrüge, die ſchöngeformten und unter der Glaſur bunt bemalten Urnen? Sie ſind aus einer Maſſe880Die Thonwaren.verfertigt, die dem Porzellan in der Zuſammenſetzung am nächſten kommt, dem ſogen. Steinzeug. Der Scherben iſt freilich nicht durch - ſcheinend, wie der des Porzellans, ſondern undurchſichtig und gelb bis braun gefärbt. Die Glaſur geſchieht hier weit einfacher als bei jenem. Das Geſchirr kommt nämlich unglaſiert in den Ofen, in welchen Koch - ſalz geſchüttet wird. Indem dieſes verdampft, bildet es mit der Maſſe des Scherbens ein Glas, welches an der Oberfläche des Geſchirrs feſthaftet, und die Salzſäure, welche entweicht. So ſind die Waren in einem einzigen Brande und zwar bei der Glut der Stahlſchmelze herzuſtellen. Das Steinzeug hat eine geringere Widerſtandskraft gegen raſchen Temperaturwechſel als das echte Porzellan, aber da es wegen der geringen Koſten des Rohſtoffs und des Brandes viel billiger iſt, ſo findet es eine große Verwendung zu chemiſchen Apparaten, als z. B. zu Abdampfſchalen und Kühlſchlangen. In dieſem Falle muß man freilich eine andere Glaſur anwenden, da ſalzglaſierte Geſchirre von Säuren und Alkalien angegriffen werden. Man glaſiert dann mit einem ſehr leichtflüſſigen Ziegelthon, der beim Brennen eine rotbraune, wenig durchſichtige Farbe annimmt. Dies geſchieht in beſonderen, aber ähnlich wie die Porzellanöfen gebauten Öfen, welche gewöhnlich mit Kohlen, für ſolche Geſchirre, bei denen es auf Reinhaltung der Ober - fläche weſentlich ankommt, wie den bemalten und den weißen Stein - zeugen, aber mit Holz geſchehen muß, da beſonders die aus Stein - kohlen freiwerdende Schwefelſäure ſchädlich wirkt.

c) Die poröſen Thonwaren.

Von den Steinzeugen iſt das Steingut weſentlich zu unterſcheiden. Obgleich es bei ziemlich hoher Temperatur gebrannt iſt, etwa derſelben wie das Steinzeug, ſind doch ſeine Teilchen ſo wenig geſintert, daß der Scherben des Steinguts porös erſcheint und an der Zunge haftet. Das iſt die Folge der weſentlich anderen Zuſammenſetzung desſelben: es iſt entweder aus vielem Thon mit geringen Sandbeimengungen oder umgekehrt aus viel Sand und wenig Thon gebildet. Da es von ſchlechterer Qualität als die vorher behandelten Waren iſt, ſo erfordert es keine ſo ſorgfältigen Vorarbeiten. Die Glaſur wird hier erſt bei einem zweiten Brande aufgetragen, der im Gegenſatz zur Porzellanfabrikation bei einer niedrigeren Temperatur ſtattfindet, als der erſte Brand, näm - lich bei der Silberſchmelze. Die Glaſur war hier bisher ein blei - haltiges Glas und, da das Blei mit ſeinen Verbindungen giftige Eigenſchaften beſitzt, ſo war die Anwendung ſolcher Geſchirre immerhin mit Gefahren für die Geſundheit verknüpft. Wir dürfen es daher als einen vom hygieniſchen Standpunkte aus freudig zu begrüßenden Fortſchritt anſehen, daß neuerdings auf Anregung von Prof. Seger bleifreie Glaſuren gebrannt werden, deren weſentliche Beſtandteile bor - ſaure Alkalien und Erden ſind. Da dieſe Glaſuren auch an Härte881Die poröſen Thonwaren.hervorragen, ſo wird damit der Gebrauch des Steingutes weſentlich zunehmen. Es war in Deutſchland bisher weniger gebraucht, in Eng - land waren Tafelgeſchirre aus feinem Steingute Wedgwood ge - nannt dagegen längſt verbreitet. Man vermag dasſelbe in der mannigfachſten Weiſe zu färben und zu ornamentieren. Wenn es rein weiß iſt, ſo mag es manchmal ſchwer halten, es von dem echten Por - zellan zu unterſcheiden, dann braucht man aber nur auf die Kanten zu achten, die wegen der ſchwachen Verſinterung hier niemals durch - ſcheinend ſind. In der Kunſtinduſtrie ſpielt es eine ſehr unbedeutende Rolle. Hier erfreuen ſich andere Thonwaren mit poröſen, klebenden Scherben einer wohlverdienten Berühmtheit. Es ſind die Fayencen und Majoliken.

Fayence nannten die Franzoſen ein Produkt, das ſie zuerſt am Ausgange des Mittelalters aus der Stadt Faënza in Italien kennen lernten. Der Name Majolika kommt von der Baleareninſel Majorka, wo in eben jener Periode ein reicher Markt an dieſen Thonwaren ge - halten worden zu ſein ſcheint. Der Anteil dieſer Waren an der Kunſt - induſtrie war und iſt bis heute noch ſo bedeutend, wie ſelbſt der des Porzellans, wiewohl beide Stoffe von einander total verſchieden ſind, der letzgenannte durchſcheinend, dicht und klingend iſt und eine harte, nie Riſſe bekommende Glaſur beſitzt, die Fayence dagegen von allen dieſen Eigenſchaften das Gegenteil beſitzt, und, ſchon weil die Glaſur zum Riſſigwerden neigt, zu Geſchirren viel weniger brauchbar ſich erweiſt. Man unterſcheidet eine feinere Ware, welche einen weißen Scherben und eine weiße, durchſichtige Glaſur beſitzt, und eine ge - meinere Sorte mit gelbem oder rotem Scherben, deren Glaſur undurch - ſichtig eine Emaille iſt.

Die Herſtellung dieſer Waren geſchieht aus geringeren Thonſorten, als die des Porzellans, welche für feinere Produkte mit Sand und Feldſpat, für minderwertige mit gewöhnlichem Töpferthon verknetet werden. Dem Formen fügt ſich die Maſſe leichter als die Porzellan - maſſe. Der Brand iſt auch hier ein doppelter, aber, wie beim Stein - gut, iſt der erſte der ſtärkere, während der folgende zum Auftragen der Glaſur dient, die einen viel niedrigeren Schmelzpunkt hat, alſo ohne bedeutende Erhitzung ſich bilden läßt, dafür aber auch beim Gebrauche leicht von dem Scherben abſpringt. Will man die Glaſur aufbrennen, ſo kann man hier mehrere Geſchirre zuſammenbringen, während die Porzellanſtücke in den Kapſeln einzeln zu brennen ſind, weil ihr zweiter Brand zu hohes Feuer verlangt, und man das Zu - ſammenſchmelzen der Gegenſtände befürchten müßte. Die einzelnen Fayenceſtücke brauchen dagegen nur durch feinſpitzige Pinnen von Thon getrennt zu ſein. Man kann daher einen Porzellan - von einem Fayenceteller leicht unterſcheiden, da der untere Rand des erſteren unglaſiert, der des letzteren bis auf drei Stellen, wo die Pinnen ſaßen, glaſiert erſcheint. Oft wird die Fayence rot in den Ofen gebracht undDas Buch der Erfindungen. 56882Die Thonwaren.kommt meiſt mit undurchſichtiger weißer Glaſur verſehen zurück. Man malt die Fayence vor und nach der Glaſur. Man verwendet ſie zu allen möglichen Geſchirren. Doch iſt die ordinäre Ware, der z. B. die Ofen - kacheln angehören, wegen ihrer geringen Widerſtandskraft für Koch - geſchirre nicht zu benutzen. Unter Majolika verſteht man heutzutage die verſchiedenſten Gattungen der minderwertigen Fayenceſorten.

Ihre Verwertung zu künſtleriſchen Erzeugniſſen läßt ſich bis zu der Zeit der arabiſchen Herrſchaft in Iberien zurückführen. Die Wände des gewaltigſten Reſtes mauriſcher Baukunſt, der Alhambra, ſind mit bunten Flieſen bedeckt, ebenſo wie die morgenländiſchen Moſcheen. Das ſind Fayencen, welche mit Zinnglaſur bedeckt und mit eingebrannten Farben bemalt ſind. Die Kunſt der Fayencemalerei wurde um den Ausgang des Mittelalters immer mehr verbreitet und ausgebildet. In Deutſchland waren es vor allem Veit Hirſchvogel und ſeine Söhne in Nürnberg, deren Hirſchvogelkrüge und kunſtvolle Ofenkacheln um die Wende des 16. Jahrhunderts berühmt waren. Man malte glatte Stücke oder Reliefs und gab dieſen beim Brande der Emailleglaſur die warmen Töne, die wir noch heute bei ihnen bewundern. Ihnen ahmte der Franzoſe Paliſſy nach und übertraf ſie ſogar in der Technik der Farbengebung. Die franzöſiſchen Fayencen waren während der folgenden Jahrhunderte, immer unter der Anregung der orientaliſchen Völker ſtehend, die ſchönſten. Als in der Holländerzeit die chineſiſchen Produkte in Europa bekannter wurden, das Porzellan aber noch nicht erfunden war, gaben jene immer neue Muſter für die Entwicklung der verſchiedenſten Arten der Fayence und ihrer künſtleriſchen Behandlung. Im vorigen Jahrhundert wurden in Deutſchland Blumenmuſter und Landſchaftsbilder am meiſten gepflegt. Heutzutage pflegt die Kunſt - induſtrie die Majoliken, wiewohl gerade in den letzten Jahren in der Porzellanmalerei die größten Fortſchritte gemacht ſind, nur noch mehr, denn es läßt ſich mit dieſer nie die Wärme der Tongebung erreichen, welche den Majoliken eigen iſt. Dieſe ſind unſerm Geſchmack etwa in demſelben Maße mehr angepaßt, wie uns der Kupferſtich mehr als der Stahlſtich gefällt. Fayenceteller von Deck in Paris werden mit 2000 bis 4000 Francs bezahlt.

Von der ſtolzen Höhe der Kunſt ſteigen wir zur Fabrikation der ordinärſten aller Thonwaren, des Töpfergeſchirrs, herab. Wenn wir von den Blumentöpfen abſehen, an denen wir ſo recht die poröſe Struktur des Scherbens erkennen können, ſo ſind alle dieſe Waren mit einer leider bleihaltigen Glaſur überzogen. Man kann alle möglichen, noch ſo unreinen Thone zu dieſem Geſchirr brennen, erhält aber eine feuerbeſtändige Ware das Bunzlauer Geſchirr nur, wenn die - ſelben nicht zu viele Beimengungen enthalten. Man nennt dieſen Zweig der Thoninduſtrie die Brauntöpferei und bezeichnet mit Weiß - töpferei denjenigen, welcher die ſchlechteſten Küchengeſchirre liefert. Die Farbe erhalten die auf der Töpferſcheibe geformten Gegenſtände,883Die poröſen Thonwaren.indem man ſie mit einem Schlamm aus weißem oder farbigem Thon begießt. Gewöhnlich brennt man nur einmal, und zwar ohne Kapſeln, und muß dabei natürlich dafür ſorgen, daß die Geſchirre nicht an die Unterlage oder an einander anſchmelzen. Für den Brand haben ſich in neuerer Zeit auch hier die Ringöfen mit fortwährendem Betriebe, die wir bei der Ziegelfabrikation kennen lernten, als die geeignetſten erwieſen.

Bis zuletzt haben wir uns die ſogenannten Terrakotten aufbehalten, unter welchem Namen man die verſchiedenartigſten Thonwaren, Porzellan ſo gut wie Ziegel verſteht, welche bei Bauten und als Zier - ſtücke eine mannigfache Verwendung haben. Man giebt ihnen für den erſteren Zweck, als Kapitäle, Konſolen u. ſ. w. eine Färbung, die vom hellſten Gelb bis zum Schwarz variieren kann und brennt ſie, weil ſie den Unbilden der Witterung ausgeſetzt ſind, bis zur Sinterung. Die Zierterrakotten ſind die kleineren Figuren und Vaſen von gelber bis roter Farbe, welche natürlich feiner gearbeitet ſein müſſen, ſich aber ſonſt wenig von den erſteren unterſcheiden. Beide Arten haben in der Geſchichte der Kunſt eine hervorragende Bedeutung von der Zeit der alten Babylonier und Ägypter bis auf den heutigen Tag.

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IX. Die optiſchen Inſtrumente.

1. Die Spiegelung des Lichtes.

Welche Empfindung mag jenes Urmenſchen Herz durchzogen haben, der am Rande des friſch ſprudelnden Quells ruhend zum erſtenmale verwundert ſein Ebenbild im Waſſer erblickte und welch eine Fülle von geiſtiger Arbeit in jahrhundertelangem Sinnen mußte aufgewendet werden, ehe die erſte ſpiegelnde Fläche geſchaffen war, welche dem eitlen Drang des Menſchenherzens Genüge that?! Es war zweifellos ein gewaltiger Schritt in der kulturellen Entwicklung des Menſchen - geſchlechtes, der durch die Erfindung des Spiegels bezeichnet wird, und doch blieben die Vorſtellungen von dem geheimnisvollen Etwas, das zum Sehen unbedingt notwendig iſt, weit entfernt von geiſtiger Klarheit. Erſt verhältnismäßig ſpät mag die Vorſtellung, daß vom Auge gewiſſermaßen unſichtbare Fühler ausgingen, welche die gleichſam taſtend empfangenen Eindrücke unſerem Vorſtellungsvermögen über - mitteln, in den Köpfen der alten Philoſophen aufgetaucht ſein, um ſchließlich derjenigen Anſchauung Platz zu machen, welche den Vorgang des Sehens auf die Bewegung eines unſichtbaren Mediums zurück - führte. So richtig an ſich die letztere Deutung war die An - ſchauung, welche man damit verband, war falſch; ſollten doch von dem leuchtenden Körper nach allen Richtungen Stoffteilchen ausgeſendet werden, die wie Pfeile auf unſer Auge prallen und dort die Empfindung des Lichtes hervorrufen. Noch Newton verharrte trotz aller Angriffe auf dem Standpunkte dieſer Emanationstheorie. Aber Kepler bereits äußerte ſeine Zweifel, und ſo trat allmählich an die Stelle dieſer Anſicht die von Huyghens 1690 begründete, von Euler energiſch verteidigte Undulations - oder Wellentheorie, die allerdings erſt 1854 durch Foucault die rechte Sanktion erhielt und ſeitdem unbeſtrittene Geltung hat.

Nach der Undulationstheorie des Lichtes beſteht dieſes in Schwin - gungen des den Weltenraum ſtetig erfüllenden Äthers, von deſſen885Die Spiegelung des Lichtes.Beſchaffenheit wir im übrigen keine Vorſtellung haben, die ſich ähnlich wie die Schallwellen der Luft verbreiten. Dieſe Fortpflanzung geſchieht mit einer zwar außerordentlich großen, aber immerhin noch meßbaren Geſchwindigkeit, und zwar in gerader Richtung; damit iſt alſo geſagt, daß ein leuchtender Punkt von einem Beobachter nur dann wahr - genommen werden kann, wenn ſich in der Verbindungslinie zwiſchen demſelben und dem Auge kein undurchſichtiger Körper befindet. Alle in der Folge zu beſprechenden optiſchen Inſtrumente ohne Ausnahme, gleichviel welchem Zweck ſie dienen, haben nun die Aufgabe, einen Licht - ſtrahl von dem ihm eigenen geraden Wege abzulenken. Das geſchieht vornehmlich durch die Spiegelung und die Brechung des Lichtes.

Die meiſten Körper werden uns nur dadurch ſichtbar, daß ſie das von anderen, ſelbſtleuchtenden Körpern auf ſie fallende Licht zurück - ſtrahlen, reflektieren; diejenigen Körper dagegen, welche alles Licht verſchlucken oder abſorbieren, ſind dunkel. Eine Reihe von Körpern laſſen den größten Teil des auf ſie fallenden Lichtes ungehindert durch - gehen, und dieſe nennen wir durchſichtig, während andere dem Licht den Durchgang verwehren und als undurchſichtig bezeichnet werden. Daß dieſer Unterſchied indeſſen nur ein relativer iſt, geht unter anderem ſchon daraus hervor, daß ſelbſt die undurchſichtigſten Körper, die Metalle, durchſichtig erſcheinen, ſobald ſie zu hinreichend dünnen Blättchen verarbeitet werden, und daß andrerſeits das durchſichtigſte und klarſte Quellwaſſer in großen Tiefen nichts mehr zu unterſcheiden geſtattet.

Wenngleich die Reflexion des Lichtes an jeder noch ſo unregel - mäßigen Fläche ſtattfindet und dieſe dann ſichtbar werden läßt, ſo geſchieht dies doch um ſo vollkommener, je regelmäßiger die reflek - tierende Fläche geſtaltet iſt. Überall aber herrſcht dasſelbe einfache Geſetz: Der einfallende und der reflektierte Strahl liegen in einer Ebene, welche auf der ſpiegelnden Fläche ſenkrecht ſteht; der Winkel welchen der reflektierte Strahl mit dem im Einfallspunkte auf der Fläche errichteten ſogenannten Einfallslote bildet, iſt gleich dem Einfalls - winkel . Wird der Einfachheit halber zunächſt eine reflektierende Ebene betrachtet, ſo beſagt das Geſetz demnach, daß (Fig. 476) die drei Geraden CD, CE und CF, alſo einfallender Strahl, Einfallslot und reflektierter Strahl, in einer gemeinſamen Ebene liegen, und daß der Reflexionswinkel F C E gleich dem Einfallswinkel D C E iſt.

Fig. 476.

Der ebene Spiegel.

Fig. 477.

Das Zuſtandekommen des Bildes beim ebenen Spiegel.

886Die optiſchen Inſtrumente.

Glatte Flächen nun, welche infolge möglichſt vollkommener Reflexion imſtande ſind, von Gegenſtänden Bilder zu erzeugen, nennt man Spiegel; dieſelben können ſowohl eben als gekrümmt ſein. Stellt M N in Fig. 477 den Durchſchnitt eines vollkommen ebenen Spiegels dar, ſo werden unter den unendlich vielen Strahlen, welche von dem leuchtenden Punkte A ausgehen, nur einige infolge der Spiegelung in das Auge eines Beobachters gelangen; die in Betracht kommenden Grenzſtrahlen D c und FE des Bündels ſind in der Figur bezeichnet. Denken wir uns dieſe über den Spiegel hinaus verlängert, ſo ſchneiden ſie ſich in einem Punkte a, der, wie leicht zu ſehen iſt, eben ſo weit hinter der Spiegelfläche liegen wird, wie der leuchtende Punkt A vor derſelben. Da nun das Auge die Lichtquelle oder den leuchtenden Punkt ſtets in der Verlängerung der in dasſelbe gelangenden Strahlen ſucht, ſo folgt hieraus, daß ein Beobachter in dem Punkte a ein Bild des leuchtenden Punktes A erblicken wird. Was hier für einen leuchtenden Punkt nachgewieſen wurde, läßt ſich ebenſo leicht für eine beſtändige Folge von leuchtenden Punkten, alſo eine leuchtende Linie, und ſchließlich ganz allgemein zeigen, da man nur für jeden einzelnen Punkt eines Gegenſtandes die vorſtehend durchgeführte Betrachtung zu wieder - holen hat.

Die Geſchichte des Spiegels, der als wichtiges Kulturmittel bei civiliſierten und bei unkultivierten Völkern von jeher eine bedeutende Rolle geſpielt hat, iſt zweifellos uralt, und die auf uns überkommenen vielgeſtaltigen Muſter und Formen aus der Zeit der alten Griechen und Römer beweiſen, welche hohe Fertigkeit man ſchon frühzeitig in ihrer Herſtellung erlangt, und welchen Luxus man mit ihnen zu treiben verſtanden hatte.

Selbſt die allerbeſten ſpiegelnden Flächen können niemals ſo voll - kommen hergeſtellt werden, auch wenn ſie auf das ſorgfältigſte poliert ſind, daß der Anblick des Bildes im Spiegel denjenigen des Gegen - ſtandes zu erſetzen vermöchte, da ſtets ein Teil des auffallenden Lichtes abſorbiert, ein anderer zerſtreut reflektiert wird. Die bekannten Glas - ſpiegel, deren Fabrikation auf S. 860 ff. eingehend behandelt worden iſt, ſtehen in dieſer Beziehung den vollkommeneren Metallſpiegeln namentlich auch deswegen erheblich nach, weil nicht bloß ihre mit Zinnamalgam bedeckte Rückſeite ſpiegelnd wirkt, ſondern auch die vordere Fläche, wiewohl in geringerem Maße, dieſe Eigenſchaft beſitzt. Des - halb giebt man für wiſſenſchaftliche und techniſche Zwecke, wo man zur Verwendung möglichſt vollkommener Spiegel genötigt iſt, faſt aus - nahmslos den polierten Metallflächen oder den auf der Vorderſeite mit einem Metallüberzuge verſehenen ebenen Gläſern, deren Herſtellung ſpäter zu beſprechen ſein wird, den Vorzug.

Noch einer anderen aus den obigen Darlegungen leicht zu folgernden Eigenſchaft ebener Spiegel, die beſonders häufig in der Praxis Anwendung findet, muß an dieſer Stelle gedacht werden. Wird887Die Spiegelung des Lichtes.nämlich ein Spiegel, auf welchen ein Lichtſtrahl fällt, um einen ge - wiſſen Winkel gedreht, während der einfallende Strahl ſeine Richtung unverändert beibehält, ſo dreht ſich der reflektierte Strahl um den doppelten Betrag. Dies wird vornehmlich zur Meſſung ſehr kleiner Schwankungen oder Winkelbewegungen in der ſubmarinen Telegraphie benutzt, wo man mit außerordentlich ſchwachen elektriſchen Strömen zu arbeiten gezwungen iſt. Die große Zahl der ähnlichen Anwendungen des Spiegels, die alle auf dieſem einfachen Prinzip beruhen, kann hier unmöglich eingehender behandelt werden; es ſei nur darauf hingewieſen, daß die Genauigkeit dieſer Methode beliebig weit getrieben werden kann, da man es in der Hand hat, den Lichtzeiger dem gewünſchten Zwecke entſprechend hinreichend groß zu machen.

Eine beſonders intereſſante Anwendung hat die erwähnte Eigen - ſchaft der Spiegel zur Beſtimmung des Winkels zwiſchen zwei Objekten gefunden. Das dieſem Zwecke dienende Inſtrument, der Spiegelſextant, welches ſowohl für die praktiſchen Zwecke der Aſtronomie, als für die Nautik von höchſter Wichtigkeit geworden iſt, bedarf hier nur der Er - wähnung, da es auf S. 805 ff. bereits eingehende Berückſichtigung ge - funden hat.

Zwei unter einem beſtimmten Winkel gegeneinander geneigte Spiegel geben von einem zwiſchen ihnen befindlichen Objekte mehrfache Bilder, deren Anzahl gleich dem Bruchteil iſt, welchen der gegenſeitige Neigungswinkel von 360° oder dem ganzen Kreisumfang ausmacht. Auf dieſer Eigenſchaft der Winkelſpiegel beruht ein ſinnreiches wohl - bekanntes Spielzeug, das Kaleidoſkop, das im weſentlichen aus drei unter einem Winkel von 60° zuſammenſtoßenden Spiegeln beſteht, die in eine Pappröhre eingeſchloſſen werden und ihre ſpiegelnden Flächen einander zukehren. In die durch Glas abgeſchloſſene Röhre bringt man, natürlich zwiſchen die Spiegel, bunte Glasſtückchen u. dergl. und betrachtet von der anderen, ebenfalls durch Glas verſchloſſenen Seite der Röhre aus die entſtehenden Spiegelbilder, die ſich zu den mannig - fachſten Formen und Geſtaltungen in faſt unerſchöpflicher Fülle und wunderbarer Regelmäßigkeit zuſammenfügen, welche die Phantaſie ſelbſt des geſchickteſten Muſterzeichners zu übertreffen imſtande ſind. Nach mehrfach vorangegangenen ähnlichen Verſuchen, deren u. a. Porta ſchon um die Mitte des 17. Jahrhunderts gedenkt, wurde das Inſtrument im Jahre 1817 durch Brewſter von Paris aus in den Handel ge - bracht und hat ſich als beliebtes Spielzeug bis in die neuſte Zeit be - haupten können. Auf demſelben Prinzip beruht das Debuſkop, deſſen Konſtruktion 1860 von Debus angegeben wurde, das aber eigentlich weiter nichts als ein gewöhnlicher Winkelſpiegel, aus zwei Spiegeln beſtehend, iſt und deshalb auf eine eigene Bezeichnung keinen Anſpruch erheben darf.

Das Reflexionsgoniometer, ein von Wollaſton zur Beſtimmung der Winkel zwiſchen Kryſtallflächen erfundenes Inſtrument, benutzt die888Die optiſchen Inſtrumente.ſpiegelnde Eigenſchaft der regelmäßigen Kryſtallflächen, deren gegenſeitige Neigung beſtimmt werden ſoll. Der Kryſtall wird auf einem geteilten Kreiſe ſo aufgeſtellt, daß die Schnittkante der zu unterſuchenden Kryſtallflächen ſenkrecht auf der Ebene des Kreiſes ſteht. Auf dieſe Schnittkante läßt man dann von einer Lichtquelle ein Strahlen - bündel ſymmetriſch auffallen, ſodaß es nach beiden Seiten hin teilweiſe reflektiert wird. Ein mit dem Kreiſe drehbar verbundenes Fernrohr dient dazu, nacheinander die beiden ſchmalen reflektierten Lichtbündel einzuſtellen; an dem geteilten Kreiſe ſelbſt wird der Drehungswinkel des Fernrohres und damit der doppelte Winkel abgeleſen, welchen die Kryſtallflächen einſchließen.

Der Helioſtat iſt in ſeiner einfachſten Form ein ebener Spiegel, welcher mit einem Uhrwerk in Verbindung gebracht und in geeigneter Weiſe ſo aufgeſtellt wird, daß die von der Sonne auf die Spiegelfläche fallenden Strahlen nach der Reflexion unverändert dieſelbe Richtung behalten. Bei Beobachtungen oder Experimentalverſuchen bewirkt das Inſtrument alſo gleichſam, wie das auch ſchon der Name andeutet, ein Stillſtehen der Sonne. Die Konſtruktion der Helioſtaten iſt verhältnis - mäßig neu und in ihren weſentlichen Zügen von van Graveſande erſt im Jahre 1717 angegeben.

Einem weſentlich anderen Zweck dient der Heliotrop, deſſen Er - findung wir unſerm großen Mathematiker Gauß (1821) verdanken. Dieſes Inſtrument ſoll optiſche Signale, Lichtblitze, namentlich für die Zwecke der Feldmeßkunſt, auf große Entfernungen, bis zu 100 km, vermitteln. Am meiſten eignet ſich dazu wegen der beträchtlichen Intenſität und wohl beſtimmten Form ein von einem Spiegel reflektiertes Sonnen - bild, das einem entfernten Beobachter zugeworfen und von demſelben in einem geeigneten Fernrohr betrachtet wird. Um ſicher ſein zu können, daß die Strahlen auch thatſächlich das Auge des Beobachters erreichen, iſt an der Ausgangsſtation ein ähnliches Fernrohr aufgeſtellt und mit dem Spiegel überdies ein genau ſenkrecht dazu ſtehender zweiter Spiegel feſt verbunden. Werden die beiden Fernrohre direkt auf einander ge - richtet, ſo hat der das Signal entſendende Beobachter nur dafür Sorge zu tragen, daß durch geeignete Drehung des Doppelſpiegels ein Sonnen - bild von dem einen Spiegel in ſeinem Fernrohr ſichtbar wird; die von dem anderen Spiegel ausgehenden Strahlen müſſen dann notwendiger - weiſe ihr Ziel erreichen.

Statt der gewöhnlichen ebenen Spiegel kommen auch oft durch - ſichtige Glasplatten zur Verwendung, die zwar weniger vollkommen ſpiegelnd wirken, in manchen Fällen aber einer wichtigen Anwendung fähig ſind. Namentlich zur Hervorzauberung von Geiſtererſcheinungen im Theater ſind ſie unerläßlich. Um einen ganz einfachen Fall zu be - ſchreiben, denke man ſich einen auf einem Tiſch liegenden Gegenſtand, hinter welchem man einen Spiegel geneigt aufſtellt; bei einer beſtimmten Neigung wird man ein ſenkrechtes Spiegelbild erblicken. Auf dieſe Weiſe889Die Spiegelung des Lichtes.erklärt ſich auch das häufig gezeigte Künſtſtück einer frei im Raum ſchwe - benden Perſon, welche die verwickeltſten Bewegungen ſcheinbar mühelos ausführt, bald aufrecht ſchwebt, bald wieder mit dem Kopfe nach unten gleichſam in das Meer hinabzutauchen im Begriffe ſteht. Auf der voll - kommen verdunkelten Bühne iſt eine große Glastafel geneigt aufgeſtellt, welche dem Zuſchauer ſcheinbar einen ungehinderten Blick auf die that - ſächlich durch Spiegelung ſichtbar werdenden Dekorationen geſtattet, im übrigen aber durch geeignete Draperieen abgegrenzt iſt. Von einer mehr oder weniger wagerecht liegenden Perſon, welche die genau vorgeſchriebenen Bewegungen ausführt, vielleicht gar auf einer drehbaren, im übrigen unſichtbaren Scheibe ruht und nun durch eine intenſive Lichtquelle be - leuchtet wird, erblickt der Zuſchauer ein ſenkrechtes Spiegelbild, ohne von der Täuſchung ſelbſt eine Ahnung zu haben, da er die ſpiegelnde Scheibe nicht zu erkennen vermag. Für die Geiſtererſcheinungen hat man meiſt etwas kompliziertere Einrichtungen erſonnen, um das Zu - ſammenwirken der Geiſtererſcheinung mit den auf der Bühne beſchäf - tigten Schauſpielern, die von jener ſelbſt nichts wahrnehmen, zu er - möglichen.

Wie durch ebene Spiegel, ſo können auch durch regelmäßig gekrümmte Flächen Bilder von leuchtenden Gegenſtänden erzeugt werden; natürlich bleiben die früher bereits ermittelten Geſetze für die Spiegelung in Geltung und finden ohne weiteres und ohne irgend - welche Einſchränkung auch hier Anwendung. Gleichwohl werden wir uns auf die Betrachtung ſolcher ſpiegelnden Flächen beſchränken, welche einen Teil einer Kugelfläche ausmachen, weil dieſe die einfachſten Verhältniſſe darbieten und für die Praxis faſt ausſchließlich von Wichtigkeit ſind. Denken wir uns die Innenſeite eines Teils einer Kugel poliert und ſpiegelnd gemacht, ſo haben wir einen Hohl - oder Konkavſpiegel; iſt die erhabene Seite ſpiegelnd, ſo nennen wir den Spiegel konvex. Da die letztere Art für optiſche Anwendungen aber nicht in Betracht kommt, ſo werden wir nur die Hohlſpiegel in der erforderlichen Ausführlichkeit zu behandeln haben.

Stellt A B in der Fig. 478 den Durchſchnitt eines Hohlſpiegels, C den Kugel - oder Krümmungsmittelpunkt und D den Mittelpunkt der Spiegelfläche dar, ſo nennt man C D die Axe des Spiegels und den Halbierungspunkt F dieſer Strecke den Brennpunkt. Ein zur Axe paralleler Strahl E G wird im Punkte G vom Spiegel reflektiert. Um die Richtung des reflektierten Strahles zu erhalten, denke man ſich die Linie C G, welche in dieſem Falle das Einfallslot darſtellt, gezogen und trage den Ein - fallswinkel E G C nach der anderen Seite an C G an. Es läßt ſich nun

Fig. 478.

Der Hohlſpiegel als Brennſpiegel.

890Die optiſchen Inſtrumente.einfach zeigen, daß alsdann ſtets die Richtung des reflektierten Strahles durch F hindurchgehen wird, ganz ohne Rückſicht darauf, in welchem Abſtande wir den Strahl E G von der Axe annehmen. Daraus folgt der ſehr wichtige Satz, daß alle Strahlen, welche parallel auf einen Hohlſpiegel auffallen oder mit anderen Worten aus dem Unendlichen kommen, ſich nach der Reflexion in einem gemeinſamen Punkte ver - einigen; da man in dieſem durch reflektierte Sonnenſtrahlen wegen der beträchtlich vermehrten Wärmeentwickelung Körper zum Entzünden bringen kann, ſo hat man eben für ihn die Bezeichnung Brennpunkt gewählt. Umgekehrt werden natürlich Strahlen, welche vom Brennpunkte aus - gehen, nach der Reflexion parallel zur Axe des Hohlſpiegels verlaufen.

Betrachten wir weiter einen leuchtenden Punkt in der Axe ſelbſt, zwar nicht mehr in unendlicher, aber immer noch in beträchtlicher Entfernung vom Spiegel, und greifen wir den Strahl heraus, welcher in G auf den Spiegel fällt, ſo wird der Einfallswinkel dieſes Strahles notwendig kleiner ſein, als bei dem parallel zur Axe einfallenden Strahl; demgemäß muß auch der reflektierte Strahl zwiſchen G C und G F fallen. Es läßt ſich auch hier wieder nachweiſen, daß ſämtliche von einem leuchtenden Punkte der Spiegelaxe ausgehenden Strahlen ebenfalls einen gemeinſamen Vereinigungspunkt haben, der zwiſchen F und C fällt, wenn der leuchtende Punkt jenſeits von C liegt. Im letzteren Punkte ſelbſt würden leuchtender Punkt und Bild zuſammen - fallen; rückt aber jener näher an F heran, ſo entfernt ſich der Ver - einigungspunkt der reflektierten Strahlen beſtändig von C, bis ſchließlich das Bild von F ins Unendliche ſelbſt fällt, die Strahlen alſo parallel zur Axe verlaufen.

Immer indeſſen erhalten wir noch, abgeſehen von dem letzten Grenzfall, wie wir ſehen, für die Strahlen einen reellen Vereinigungs - punkt, für den leuchtenden Punkt alſo ein reelles Bild. Nehmen wir nun aber den leuchtenden Punkt zwiſchen F und D an, ſo finden wir, daß die reflektierten Strahlen auseinandergehen; einem vor dem Spiegel befindlichen Auge ſcheinen mithin die Strahlen von einem jenſeits des Spiegels liegenden Punkt auszugehen, und in dieſem Falle haben wir nur einen ſogenannten virtuellen Bildpunkt.

Was von einem leuchtenden Punkte geſagt wurde, gilt, wie an einem einzigen Beiſpiel gezeigt werden möge, nun auch allgemein für leuchtende Körper. So lange der Gegenſtand nicht in den Raum F D rückt, erhält man von demſelben ein reelles, aber umgekehrtes Bild, das um ſo größer ſein wird, je näher dem Brennpunkte ſich der Gegenſtand befindet, während ein zwiſchen D und F befindlicher Körper ſtets nur ein aufrechtes virtuelles Bild erzeugen kann.

Es ſei in Figur 479 a b der leuchtende Gegenſtand; der Punkt a möge in der Axe des Spiegels angenommen werden. · Der von a durch den Mittelpunkt C gehende ſogenannte Hauptſtrahl a D wird in ſich ſelbſt zurückgeworfen; er giebt aber, wie aus der Konſtruktion des891Die Spiegelung des Lichtes.zu a G gehörigen reflektierten Strahles folgt, ein Bild in a'. Durch ganz analoge Betrachtungen findet man, daß der Hauptſtrahl b C H ein Bild des Punktes b in b' erzeugt. Verbindet man a' und b' mit einander, ſo hat man offenbar ein reeles, aber umgekehrtes, in dieſem beſonderen Fall übrigens verkleinertes Bild von a b; dasſelbe wird mit der Verringerung des Abſtandes F a immer größer, wie bereits oben angedeutet wurde.

Fig. 479.

Das Zuſtandekommen des Bildes beim Hohlſpiegel.

Ähnlich erhellt aus der einfachen Konſtruktion, daß von einem zwiſchen D und F befind - lichen leuchtenden Gegenſtande ein aufrechtes, vergrößertes, aber virtuelles Bild hinter dem Spiegel entſteht.

In Wirklichkeit werden übrigens auch die parallel auffallenden Strahlen nicht alle genau in dem Brennpunkte zur Vereinigung gebracht; es entſpricht demnach einem leuchtenden Punkte nicht wieder ein Punkt im Bilde, ſondern ein mehr oder minder großer leuchtender Kreis. Dieſe Eigenſchaft der ſphäriſchen oder Kugelſpiegel nennt man die ſphäriſche Aberration oder Abweichung; ſie wird um ſo auffälliger, je ſtärker die Krümmung des Spiegels iſt, und je größer man die Öffnung oder den Durchmeſſer der Kugelkappe macht. Ver - mieden wird die ſphäriſche Aberration, die uns weiterhin auch noch bei den optiſchen Linſen beſchäftigen wird, indem man ſtatt der ſphäriſchen Spiegel paraboliſch gekrümmte ſpiegelnde Flächen anwendet oder die Öffnung und die Krümmung des Spiegels möglichſt klein macht. Bei paraboliſchen Spiegeln findet nämlich, was für praktiſche Anwendungen mitunter von Wichtigkeit iſt, die Vereinigung der von einem unendlich fernen Punkte ausgehenden Strahlen theoretiſch in aller Strenge nach der Reflexion wieder im Brennpunkte ſtatt; um ſo größer ſind dafür wieder die praktiſchen Schwierigkeiten, welche ſich der Herſtellung der - artiger Spiegelflächen entgegenſtellen.

Eine große Rolle ſpielen die Hohlſpiegel namentlich zu Beleuch - tungszwecken, unter anderem bei den zur Sicherung der Seeſchiffahrt getroffenen Einrichtungen. Die bedeutendſte Anwendung aber finden die Konkavſpiegel wohl in den ſpäterhin im Zuſammenhange mit den dioptriſchen Fernrohren zu behandelnden Spiegelteleſkopen.

2. Die Brechung des Lichtes.

Bisher haben wir ausſchließlich die Bewegung des Lichtes inner - halb eines und desſelben Mittels, in der Luft, betrachtet. Wie geſtalten892Die optiſchen Inſtrumente.ſich nun aber die Verhältiſſe, wenn ein Strahl aus einem durchſichtigen Körper in einen anderen überzutreten gezwungen iſt? Was dabei geſchieht, erkennen wir ſehr einfach, wenn wir einen Stab in Waſſer tauchen: wir bemerken nämlich, daß der Stab an der[Trennungsfläche] zwiſchen Luft und Waſſer eingeknickt erſcheint. Was hier für den Stab aber nur zu ſein ſcheint, iſt für den Lichtſtrahl wirklich der Fall. So beob - achten wir allgemein, daß ein Lichtſtrahl, der aus einem Medium in ein anderes von verſchiedener Dichtigkeit übergeht, an der Trennungs - fläche ſeine Richtung verändert, und zwar um ſo ſtärker, je größer der Winkel iſt, welchen der einfallende Strahl mit dem Einfallslote bildet. Das einfache Geſetz, nach welchem dieſe Brechung vor ſich geht, wurde im Jahre 1620 von Snellius entdeckt, aber erſt 1637 von Descartes

Fig. 480.

Brechung eines einfallenden Strahles in Waſſer.

veröffentlicht. Betrachten wir z. B. die ein - fachen Verhältniſſe bei Luft und Waſſer, ſo ergiebt ſich nach Fig. 480 für jeden einfallenden Strahl der zugehörige gebrochene Strahl durch folgende höchſt einfache Konſtruktion, die wir im folgenden ſtets als bekannt vorausſetzen werden. Wir beſchreiben um den Punkt c, in welchem der einfallende Strahl die Trennungs - fläche m n trifft, einen Kreis mit beliebig großem Radius und ziehen durch den Schnittpunkt a des einfallenden Strahles mit der Peripherie parallel zur Trennungsfläche die Sehne a d; alsdann tragen wir auf der andern Seite ¾ von derſelben an und fällen endlich von dem Endpunkt g dieſer Strecke ein Lot auf die Trennungs - fläche, deſſen Verlängerung die Kreisperipherie in b trifft. Dann ſtellt c b die Richtung des gebrochenen Strahles vor, die demnach näher am Einfallslote liegt, als der einfallende Strahl. Ganz analog ſind natürlich die Verhältniſſe, wenn man den Übergang eines Strahles aus Waſſer rückwärts in Luft verfolgt, nur kann dabei gelegentlich der Fall eintreten, daß der Strahl, wenn er zu ſchräg auf die Trennungsfläche fällt, überhaupt nicht mehr in die Luft übertritt, ſondern reflektiert wird. Aus dem Brechungsgeſetz ſelbſt ergiebt ſich die Größe des Winkels für den äußerſten Strahl, welcher noch eben ſtreifend austreten kann; alle andern Strahlen erfahren, wie man ſagt, eine totale Reflexion. Dieſelbe iſt es z. B., welche uns die Luftbläschen im Waſſer als glänzende Perlen ſichtbar werden läßt, während die Erſcheinungen der Fata morgana auf der einfachen Brechung der Licht - ſtrahlen in verſchieden dichten Schichten der Atmoſphäre und die pracht - volle Erſcheinung des Regenbogens gleichzeitig auf der Brechung und totalen Reflexion des Sonnenlichtes an den Waſſerkügelchen der Wolken beruht.

Von der Eigenſchaft der totalen Reflexion macht man beſonders häufig bei ovtiſchen Inſtrumenten Gebrauch. Man bedient ſich dazu893Die Brechung des Lichtes.in der Regel der Prismen, d. h. durchſichtiger Körper, an denen zwei unter einem beſtimmten Winkel gegeneinander geneigte Flächen an - geſchliffen ſind. Ihre Form iſt hinläglich aus den bekannten Glas - oder Bergkryſtallprismen bekannt, die wir an unſern Kronleuchtern häufig als Zierrat angebracht finden.

Für die praktiſche Anwendung kommen faſt ausſchließlich Prismen aus Glas in Betracht, bei denen für jene Konſtruktion das Einfallslot auf verkürzt werden mußte. Läßt man durch ein ſolches Prisma weißes Sonnenlicht fallen, und konſtruiert man zu jedem Strahl nach dem früher geſchilderten Verfahren den zugehörigen gebrochenen Strahl, ſowohl beim Eintritt in das Glas als beim Austritt aus dem Glaſe wieder in Luft, ſo ſieht man, daß der Richtungsunterſchied der beiden in der Luft verlaufenden Strahlenbündel um ſo beträchtlicher wird, je größer der Einfallswinkel war. Der Richtungsunterſchied des ein - fallenden und des gebrochenen Strahles, wenn man von dem innerhalb des Prismas verlaufenden Strahl als nebenſächlich abſieht, iſt abhängig von der Größe des brechenden Winkels, d. h. desjenigen Winkels, welchen die Prismenflächen einſchließen.

Am intereſſanteſten iſt aber die Erſcheinung, daß man von der Sonne nicht etwa ein weißes Bild erhält, ſondern ein in die Länge gezogenes farbiges Band, das allgemein unter dem Namen Spektrum bekannt iſt. Dieſe Zerlegung des weißen Sonnenlichtes in ſeine, aus der Erſcheinung des Regenbogens bekannten vielfarbigen Beſtandteile hat uns Newton gelehrt. Ein in den Gang der farbigen Strahlen eingeſchaltetes zweites, dem erſten genau gleichgeformtes Prisma von entgegengeſetzter Lage vereinigt die einzelnen Teile des Spektrums wieder zu einem weißen Bilde. Die allgemeine Eigenſchaft der brechenden Körper, Sonnenlicht oder allgemein weißes Licht in verſchiedene Farben aufzulöſen, nennt man Disperſion oder Farbenzerſtreuung; ſie beruht darauf, daß die das Sonnenlicht zuſammenſetzenden Strahlen von ver - ſchiedener Farbe verſchieden ſtark abgelenkt werden. In dem durch die Farbenzerſtreuung des Prismas entſtehenden glänzenden Farbenbande erkennt man bei aufmerkſamer Betrachtung eine Unzahl dunkler Linien, die quer durch dasſelbe hindurchgehen, und die nach ihrem Entdecker (1814) den Namen Fraunhoferſche Linien bekommen haben. Es kann hier nur angedeutet werden, daß dieſe Linien je nach ihrer Lage im Spektrum für dieſen oder jenen Grundſtoff charakteriſtiſche Merkmale ſind, ſo daß aus ihrer Anweſenheit auf das Vorhandenſein jener Grundſtoffe inner - halb derjenigen Lichtquelle geſchloſſen werden kann, in deren Spektrum ſolche Linien beobachtet werden. So kann man, wie S. 579 geſagt iſt, beim Beſſemer-Verfahren den Kohlegehalt des Stahls am Spektrum der ſich dabei bildenden Flammen beobachten. Um übrigens ein möglichſt ſtark in die Länge gezogenes Spektrum zu erhalten, und um andererſeits Meſſungen der Lage der einzelnen Frauenhoferſchen Linien anſtellen zu können, bedient man ſich eines ſogenannten Spektralapparates, wie894Die optiſchen Inſtrumente.derſelbe in etwas kompendiöſerer Form in Fig. 481 dargeſtellt iſt. Ein mit einer ſchmalen Spaltöffnung verſehenes Fernrohr A dient dazu, von irgend einer Lichtquelle kommende Strahlen parallel auf die geeignet aufgeſtellten vier oder mehr Prismen zu werfen. Das durch ſtarke

Fig. 481.

Spektralapparat.

Ablenkung und Farbenzerſtreuung entſtandene Spektrum wird mit dem Fernrohre B betrachtet, mit welchem überdies eine geeignete Meß - vorrichtung in Verbindung gebracht werden kann.

Für die Anwendung optiſcher Prismen wird oft die Farben - zerſtreuung ſehr unbequem. Nun beobachtete man, daß, entgegen der von Newton vertretenen Anſchauung, zwiſchen dem Brechungs - und dem Farbenzerſtreuungsvermögen verſchiedener Körper ein einfaches Verhältnis nicht ſtattfindet; daher mußte es möglich ſein, durch Prismen von ver - ſchieden ſtark brechenden Glasſorten, die entgegengeſetzt aneinander gefügt werden, bei geeigneter Wahl ihrer brechenden Winkel die Ablenkung des Strahles aufzuheben, ohne daß das Spektrum beſeitigt wird. Derartige Prismenkombinationen werden mehrfach ſeit einiger Zeit angewendet, namentlich für die Herſtellung der bekannten Spektroſkope à vision directe, die zwar weniger vollkommen, aber wegen der geraden Durchſicht erheblich bequemer ſind. Solche geradſichtigen Spektroſkope wurden zuerſt von Hoffmann im Jahre 1863 konſtruiert und erfreuen ſich noch heute einer großen Beliebtheit. Ein ſehr wirkſames Inſtru - ment dieſer Art mit 7 Prismen iſt in Fig. 482 abgebildet. Anderer - ſeits kann natürlich durch ähnliche Überlegungen gefolgert werden, daß ein doppeltes Prisma unter Umſtänden imſtande ſein wird, immer noch895Die Brechung des Lichtes.eine Ablenkung eines Strahles herbeizuführen und dabei doch, wenig - ſtens angenähert, das Spektrum zu zerſtören, alſo ein nahe farbloſes Bild von einem Gegenſtand zu erzeugen. Eine ſolche achromatiſche Prismenkombination, welche zwar das Licht bricht, aber keine Farben -

Fig. 482.

Taſchenſpektroſkop.

zerſtreuung beſitzt, iſt zuerſt von dem Optiker Dollond im Jahre 1757 konſtruiert worden, nachdem von Euler die Möglichkeit dazu nach - gewieſen worden war; für die ganze Entwickelung der optiſchen In - ſtrumente iſt dieſe Erfindung, wie ſpäterhin noch zu zeigen ſein wird von beſonderer Wichtigkeit geworden, obgleich ſelbſt Newton die Möglichkeit einer Vermeidung der Farben - zerſtreuung durchaus verneint hatte. Für die Her - ſtellung einer achromatiſchen Prismenkombination, wie eine ſolche in Fig. 483 dargeſtellt iſt, kommen vor - nehmlich böhmiſches oder Kronglas und das erheblich ſtärker zerſtreuende, ſtark bleihaltige Flintglas, deſſen Disperſionsvermögen bedeutend größer iſt, in An - wendung. Daß eine ſolche Kombination den ge - dachten Zweck wenigſtens annähernd erfüllen kann,

Fig. 483.

Achromatiſche Prismen - kombination.

erhellt aus der Betrachtung der Spektren der beiden Prismen in Fig. 484. Aus dem faſt vollſtändigen Zuſammenfallen der den Linien A, C, F und G entſprechenden Farben: rot, blau und violett

Fig. 484.

Spektren des Kron - und des Flintglaſes.

folgt allerdings, daß zum größten Teile das Flintglasprisma im - ſtande ſein wird, das durch das Kronglasprisma entſtehende Spektrum zu vernichten.

Wichtiger als die Prismen für die Zwecke der praktiſchen Optik ſind die optiſchen Linſen, regelmäßig geſtaltete Glaskörper, die meiſt von ſphäriſchen oder Kugelflächen begrenzt werden, und deren Formen zur Genüge aus den bekannten Brillengläſern erhellen. Die verſchiedenen vorkommenden Linſenformen ſind in Fig. 485 zur896Die optiſchen Inſtrumente.Darſtellung gebracht: a, a' und a″ werden als Sammellinſen bezeichnet und, je nach den Begrenzungsflächen, als bikonvexe (a), plankonvexe (a')

Fig. 485.

Formen der Linſen.

und konkavkonvexe (a″) Linſen unterſchieden; die übrigen 3 Formen ſind ſogenannte Zer - ſtreuungslinſen und werden ähnlich als bikon - kave (b), plankonkave (b') und konvexkonkave (b″) bezeichnet. Die Mittelpunkte der Kugeln, zu denen die Begrenzungsflächen gehören, ſind die ſogenannten Krümmungsmittelpunkte; die zugehörigen Radien geben ein Maß für die mehr oder minder ſtarke Krümmung der brechenden Flächen. Die Verbindungslinie der beiden Krümmungsmittelpunkte heißt die Axe der Linſe; der zu einer ebenen Be - grenzungsfläche gehörige Krümmungsmittel - punkt liegt im Unendlichen.

Für die Erörterung der Brechungserſcheinungen werden wir uns auf die Betrachtung der bikonvexen oder Sammellinſen im eigentlichen Sinne beſchränken können, da für die übrigen Formen die Betrach - tungen analog zu führen ſind. Es ſeien in Fig. 486 M und M' die Krümmungsmittelpunkte und C die Mitte einer Sammellinſe. Wählen wir zunächſt einen Strahl a b, der parallel zur Axe einfällt,

Fig. 486.

Die bikonvexe Linſe als Brennglas.

ſo wird derſelbe zum Einfallslote M b gebrochen, alſo die Richtung b d annehmen. Beim Austritt aus der Linſe geſchieht das Umgekehrte; der Strahl wird von dem Einfalls - lote M' d weggebrochen und ſchneidet in F die Axe. Dieſer Punkt F führt, weil ſich in ihm alle parallel zur Axe einfallenden Strahlen ſchneiden, den Namen Brennpunkt. Umgekehrt folgt natürlich, daß alle von F ausgehenden Strahlen nach der Brechung durch die Linſe parallel zur Axe verlaufen werden. Von einem ſehr weit entfernten Punkte werden ebenfalls ſämtliche Strahlen, aber jenſeits des Brennpunktes, vereinigt, erzeugen alſo ein reelles Bild des leuchtenden Punktes, das weiter von der Linſe entfernt iſt als der Punkt F. In dem Maße, wie der leuchtende Punkt an die Linſe heranrückt, entfernt ſich der Bildpunkt nach der entgegengeſetzten Seite. Es iſt klar, daß die Linſe gleichmäßig wirken wird, von welcher Seite man auch die Strahlen auf ſie fallen läßt, daß ſie demnach auch zwei gleichweit vom Mittelpunkt entfernte Brenn - punkte F haben muß.

In Fig. 487 werde nun noch der Fall betrachtet, wo von einem leuchtenden Gegenſtande a c b Strahlen auf eine Sammellinſe fallen. 897Die Brechung des Lichtes.Von dem leuchtenden Punkte c wird ein Bild in c 'erzeugt, ähnlich von b in b' und von a in a', wovon man ſich nach den vorigen Darlegungen überzeugen kann. Es entſteht alſo von einem außerhalb

Fig. 487.

Das Zuſtandekommen des Bildes bei der bikonvexen Linſe.

des Brennpunktes liegenden Gegenſtande ein umgekehrtes, reelles Bild, das um ſo kleiner wird, je weiter der Gegenſtand von der Linſe ent - fernt iſt.

Von einem innerhalb der Brennweite liegenden leuchtenden Punkte entſteht überhaupt kein reelles Bild mehr, da die nach der Brechung auseinander gehenden Strahlen nur noch einen virtuellen Vereinigungs - punkt beſitzen.

Zerſtreuungslinſen können niemals reelle, ſondern ſtets nur virtuelle oder geometriſche Bilder erzeugen, die ſämtlich innerhalb der Brenn - weite liegen und aufrecht ſein werden. Durch eine Zerſtreuungslinſe betrachtet, erſcheinen folglich alle Gegenſtände aufrecht, verkleinert und näher gerückt.

Es ſei hier wenigſtens mit einigen Worten der außerordentlich intereſſanten Induſtrie gedacht, welche ſich mit der Spiegel - und Linſen - ſchleiferei beſchäftigt. Die rohen Glasblöcke, welche namentlich zu großen Linſen verarbeitet werden ſollen, müſſen abſolut klar, durch - ſichtig und blaſenfrei ſein; genügen ſie den zu ſtellenden Anforderungen, ſo werden ſie nochmals bis zur Zähflüſſigkeit erwärmt und in die ge - wünſchte Form gebracht, um nach dem Erkalten auf einer Schleif - oder Poliermaſchine der letzten, aber ſchwierigſten Behandlung unterzogen zu werden. Hier wird das Glasſtück in gleichmäßig drehende Bewe - gung geſetzt und dem Druck einer ſehr genau gearbeiteten Form unter Anwendung von feinem und immer feinerem Schmirgel ausgeſetzt, bis die verlangten Krümmungen erreicht ſind. Kleine Mängel werden ſchließlich durch Polieren aus freier Hand beſeitigt. Die zu Spiegeln beſtimmten Glaskörper werden dann noch in eine geeignete Ver - ſilberungsflüſſigkeit getaucht und der feine Überzug durch Polieren möglichſt vollſtändig ſpiegelnd gemacht.

Von der Eigenſchaft der Sammellinſen macht man einige ſehr wichtige Anwendungen, die im folgenden beſchrieben werden ſollen. Wenn man in ein verdunkeltes Zimmer durch eine kleineDas Buch der Erfindungen. 57898Die optiſchen Inſtrumente.Öffnung Strahlen von einem Gegenſtande fallen läßt und dieſelben auf einem weißen Schirm auffängt, ſo erhält man, wie man ſich leicht überzeugen kann, ein umgekehrtes Bild der betreffenden Objekte, das um ſo ſchärfer begrenzt, aber auch um ſo lichtſchwächer ſein wird, je kleiner die Öffnung iſt. Dieſes Bild kann bedeutend ſchärfer und lichtſtärker gemacht werden, wenn man an die Stelle der Öffnung eine Sammel - linſe bringt und den auffangenden Schirm in geeigneter Entfernung aufſtellt. So entſtand die Camera obscura, in welcher eine Sammellinſe die von dem eingeſtellten Objekt kommenden Strahlen auf einen geneigten Spiegel wirft und nach oben auf eine matte Glas - ſcheibe reflektiert, auf welcher ein Bild des Gegenſtandes er - ſcheint. Zur Abhaltung fremden Lichtes wird über dieſer Glasplatte ein Schirm geneigt aufgeſtellt. Die Camera obscura, die vordem eigentlich mehr als Spielzeug dem Zeitvertreib diente, heute aber in den photographiſchen Apparaten eine ungeahnte Vervollkommnung und Verwertung gefunden hat, wurde um das Jahr 1650 von dem Neapo - litaner Porta erfunden, und iſt zu einem der nützlichſten und unentbehr - lichſten Hilfsmittel für alle Zweige menſchlichen Schaffens geworden.

In Verbindung hiermit behandeln wir einen eigentümlichen Apparat, deſſen Wirkungsweiſe auf ganz anderem, mehr phyſiolo - giſchem Wege zu erklären iſt, und in dem die Verwendung von Linſen nur untergeordnete Bedeutung hat. Wenn wir einen Körper mit beiden Augen gleichmäßig betrachten, ſo müſſen die auf den Netzhäuten entſtehenden Bilder notwendig von einander verſchieden ſein, da ſie von verſchiedenen Standpunkten aus erhalten ſind. Ohne daß wir den Vorgang genauer beſchreiben könnten, vereinigt unſer Vorſtellungs - vermögen dieſe beiden Bilder zu einer einzigen körperlichen Auffaſſung, worin es durch die verſchiedenartige Beleuchtung der einzelnen Teile, durch die Verteilung von Licht und Schatten unterſtützt wird. Zwar können wir auch mit einem Auge einen Gegenſtand körperlich, d. h. nach allen drei Dimenſionen wahrnehmen, aber nur infolge der langen Gewöhnung und mit Hilfe der unſerem Denkvermögen eingeprägten Vorſtellungen. Aus dem Geſagten geht hervor, daß wir den Eindruck eines körperlichen Gebildes haben werden, wenn wir den beiden Augen zwei Bilder desſelben Gegenſtandes ſo darbieten, wie ſich dieſelben mit dem einen und dem anderen Auge allein geſehen darſtellen würden. Hiervon wird eine intereſſante Anwendung in dem von Wheatſtone 1838 erfundenen Stereoſkop gemacht, in welchem durch zwei unter einem Winkel von 90° zuſammenſtoßende Spiegel von an den Seitenwänden eines Kaſtens befeſtigten Bildern Strahlen in beide Augen geworfen werden und den Eindruck des Körperlichen erzeugen. Jetzt iſt allgemein wohl nur die von Brewſter angegebene Form üblich, der wir in jeder optiſchen Handlung begegnen. In zwei Öffnungen, die ſich im Augenabſtande von einander, an der Vorderſeite eines Kaſtens befinden, ſind die Hälften einer Sammellinſe eingelaſſen, wodurch bewirkt wird, daß die899Die Brechung des Lichtes. Das Mikroſkop.an der Hinterwand aufgeſtellten Stereoſkopbilder infolge der Brechung ſcheinbar zur Deckung gebracht werden. Dieſer Apparat kann, abge - ſehen von ſeiner Bedeutung als nützlicher Zeitvertreib, unter anderem auch dazu dienen, falſches von echtem Papiergeld zu unterſcheiden oder die Frage zu löſen, ob zwei Drucke desſelben Werkes einer oder verſchiedenen Auflagen angehören; auch für wiſſenſchaftliche Zwecke dürfte das Stereoſkop unter Umſtänden erſprießliche Dienſte leiſten.

3. Das Mikroſkop.

Abgeſehen von ihrer Bedeutung für die hochentwickelte photogra - phiſche Technik finden die Eigenſchaften der Sammellinſen ausgedehnte Verwendung für den wichtigen Zweck, von ſehr kleinen oder ſehr weit entfernten Gegenſtänden Bilder in beträchtlicher Vergrößerung oder in unmittelbarer Nähe zu erzeugen.

Das Auge erkennt deutlich nur ſolche Gegenſtände, die ſich in einer beſtimmten Entfernung befinden, weil nur von dieſen deutliche Bilder auf der Netzhaut entſtehen; für ein normales Auge geſchieht dies in der deutlichen Sehweite von etwa 25 cm, während dieſelbe für ein kurzſichtiges Auge geringer iſt. An ſich würde es nun genügen, einen ſehr kleinen Gegenſtand ganz dicht an das Auge zu bringen, um ihn deutlich zu erkennen; denn dadurch würde der Winkel, unter welchem das Objekt erſcheint, beliebig vergrößert werden können, und darauf allein kommt es an. Thatſächlich aber beſitzt das Auge nur in mäßigem Grade die Fähigkeit, ſich zu accommodieren; denn von ſolchen Gegenſtänden, die nicht genau in der deutlichen Sehweite liegen, kann es die Strahlen zu einem ſcharfen Bilde auf der Netzhaut nicht ver - einigen. Sobald deshalb dieſe bei verſchiedenen Augen verſchieden große Accommodationsfähigkeit nicht mehr ausreicht, pflegt man zwiſchen Auge und Gegenſtand eine Sammellinſe von kurzer Brenn - weite einzuſchalten, deren Wirkſamkeit aus der Figur ſich mit Leichtig - keit ergiebt; eine ſolchermaßen verwendete Konvexlinſe hat die Bezeich - nung Lupe oder einfaches Mikroſkop erhalten. Von dem Gegen - ſtande a b, der innerhalb der Brennweite der Linſe liegen muß, entſteht nach früheren Betrachtungen ein ver - größertes, aufrechtes, aber virtuelles Bild (Fig. 488), das vom Auge in der deutlichen Sehweite vermutet wird. Daraus folgt denn auch, daß dieſelbe Lupe für ein kurz - ſichtiges Auge eine geringere Vergrößerung ergeben wird als für ein normales; es hängt danach alſo die Vergrößerung des einfachen Mikroſkopes außer von der Brenn - weite der Sammellinſe auch noch von der deutlichen Sehweite des Auges ab.

Fig. 488.

Die Lupe

57*900Die optiſchen Inſtrumente.

Das Sonnenmikroſkop, deſſen Erfindung in das Jahr 1738 ver - legt und dem Amſterdamer Lieberkühn zugeſchrieben wird, ſteht in der Mitte zwiſchen der Lupe und dem weiterhin zu betrachtenden zuſammen - geſetzten Mikroſkop und dient vornehmlich dem Zweck, von ſehr kleinen Objekten reelle vergrößerte Bilder zu entwerfen. Da mit zunehmender Vergrößerung die Lichtſtärke des Bildes ſehr ſchnell abnimmt, ſo muß bei einigermaßen beträchtlichen Vergrößerungen dem Objekt künſtlich Licht von hoher Intenſität zugeführt werden, ſei es nun, indem man durch eine Öffnung im Fenſterladen des verdunkelten Zimmers mittels eines Helioſtaten Sonnenlicht auf den Gegenſtand leitet, das zuvor durch eine Sammellinſe konzentriert worden iſt, ſei es, daß man dem ſehr intenſiven Drummondſchen Kalklicht oder dem elektriſchen Bogen - licht den Vorzug giebt. Das zu unterſuchende Objekt befindet ſich beim Sonnenmikroſkop nur wenig außerhalb der Brennweite einer ſtark gekrümmten Sammellinſe, die von demſelben ein umgekehrtes, ſtark vergrößertes, reelles Luftbild erzeugt, welches auf einem weißen Schirm aufgefangen werden kann. Mit derartigen höchſt einfachen Apparaten hat man bei Anwendung ganz vorzüglicher Linſen von ſehr kurzer Brennweite unter Umſtänden eine 3000 fache Vergrößerung erreicht.

Zur Vermeidung ſtörenden fremden Lichtes ſchließt man die künſt - liche Lichtquelle gewöhnlich in einem viereckigen Kaſten ein und bringt ſie in den Brennpunkt eines Hohlſpiegels, der die Strahlen parallel nach vorn reflektiert. Natürlich ſtehen Apparat und auffangender Schirm im vollſtändig verdunkelten Zimmer. Vorn trägt der Kaſten einen verſchiebbaren Auszug, in welchem das mehr oder weniger kom - plizierte Linſenſyſtem von kurzer Brennweite ſich befindet. Die Röhre ſelbſt beſitzt zwiſchen dem Linſenſyſtem, das die Stelle der einfachen Sammellinſe vertritt, und dem Beleuchtungskörper einen ſeitlichen Ein - ſchnitt, der zur Aufnahme des durchſichtigen Objektes dient. In dieſer Form iſt der Apparat, der allgemein unter dem Namen Laterna magica oder Zauberlaterne bekannt iſt, wahrſcheinlich von Athanaſius Kircher um das Jahr 1640 erfunden worden. Beſonders häufig fand die Zauberlaterne früher zur Darſtellung von Geiſtererſcheinungen auf der Bühne, beiſpielsweiſe in der beſonderen Form des Robertſonſchen Phantaſkops, Verwendung, bei welchem von einem durchſichtigen Glas - gemälde, von einem möglichſt dunkelen Raume aus, ein Bild auf einer die Apparatenkammer und den verdunkelten Zuſchauerraum oder die Bühne trennenden Fläche von durchſcheinender Leinewand entworfen wurde; ſelbſtverſtändlich mußte dafür Sorge getragen werden, daß die Projektionsfläche unter allen Umſtänden unſichtbar blieb. Heutzutage iſt wohl faſt ausſchließlich, wenigſtens auf größeren Bühnen, das früher bereits geſchilderte Verfahren üblich. Natürlich hat man darauf zu achten, daß ſtets die Glasbilder, die jetzt in beſonderer Feinheit und Vollendung auf dem Wege der Photographie erhalten werden und wohl auch901Das Mikroſkop.mit durchſcheinenden Farben ausgemalt ſind, verkehrt in den Rahmen eingeſetzt werden, weil auf dem Schirm ganz wie beim Sonnen - mikroſkop umgekehrte Bilder erſcheinen.

Im deutſch-franzöſiſchen Kriege hat die Laterna magica weſentliche Dienſte geleiſtet zur Vergrößerung und Entzifferung von Depeſchen, welche, von den belagerten Pariſern in mikroſkopiſcher Feinheit her - geſtellt, durch Brieftauben aus der belagerten Hauptſtadt befördert wurden. Gegenwärtig baut man viel kompendiöſere Apparate, die als Sciopticon oder noch allgemeiner unter der Bezeichnung Projektions - apparate bekannt ſind. In einer beſonderen Form aber findet man die Zauberlaterne auch heute noch, namentlich bei Schauſtellungen für Kinder, mehrfach in Gebrauch, nämlich als Nebelbilderapparat. Die Wirkungsweiſe erklärt ſich ganz nach Art des Phantaſkops, nur daß zwei genau gleich gebaute Apparate gleichzeitig auf dieſelbe Stelle der auffangenden Bildfläche gerichtet werden. Wird der eine Apparat verdeckt, ſo entſteht von der einen Glaszeichnung eine ſcharfes Bild; ſetzt man aber beide Apparate mit verſchiedenen Objekten gleichzeitig in Thätigkeit, ſo wird ein ganz verwaſchenes und undeutliches Bild entſtehen müſſen. Auf dieſe Weiſe wird es möglich, faſt unmerklich durch allmähliches Verdecken der einen Lampe die Darſtellungen zu wechſeln und intereſſante Verwandlungen vorzunehmen. Andererſeits kann die geſchilderte Einrichtung dazu Verwendung finden, gewiſſe Teile des Bildes Bewegungen ausführen zu laſſen oder drehbar eingeſetzte, in verſchiedenen Farben bemalte Scheiben mit regelmäßig geſtalteten Muſtern abzubilden, die infolge der ihnen erteilten entgegengeſetzten Drehung eigentümlich auf - und abwogende Bewegungen auszuführen ſcheinen.

Wichtiger erſcheint vor allem das Beſtreben, ähnliche Apparate zu konſtruieren, welche auch undurchſichtige und horizontale Gegenſtände objektiv abzubilden geſtatten. Die ſehr komplizierten, vielfach von ein - ander abweichenden Konſtruktionen haben im weſentlichen das gemein - ſam, daß von einer künſtlichen intenſiven Lichtquelle Licht ſchräg auf das Objekt geworfen und durch Spiegel weitergeleitet wird, ſo daß ein reelles vergrößertes Bild, analog dem Vorgange bei der Zauber - laterne oder dem Sonnenmikroſkop, umgekehrt auf dem auffangenden Schirm entſtehen kann. In dieſer einfachſten Form, welche von ihrem Verfertiger, dem Optiker Krüß in Hamburg, die Bezeichnung Wunder - camera erhielt, hat ſich der Apparat viele Freunde erworben.

Den Gang der Strahlen in dem nunmehr zu beſprechenden zuſammen - geſetzten Mikroſkop zu erläutern, diene Fig. 489. Die dem Gegenſtand zu - gekehrte Sammellinſe e von ſehr kurzer Brennweite, das ſog. Objektiv, erzeugt von einem nur wenig außerhalb der Brennweite befindlichen Gegenſtand a b ein ſtark vergrößertes, aber umgekehrtes reelles Bild A B, das mit einer Lupe O, dem ſog. Okular oder Augenglas, betrachtet wird und ein, zum zweitenmale vergrößertes virtuelles Bild in der902Die optiſchen Inſtrumente.deutlichen Sehweite ergiebt. Da das Bild A B an ſich ſchon durch das Objektiv beträchtlich vergrößert iſt, ſo erhält das Okular nur eine ſchwache Krümmung, alſo geringe Vergrößerung, vornehmlich ſchon, um nicht die aus der mehr oder minder beträchtlichen Unvollkommenheit des Objektivs hervorgehenden Bildfehler zu erheblich hervortreten zu laſſen.

Fig. 489.

Zuſtandekommen des Bildes im zuſammengeſetzten Mikroſkop.

Für die praktiſche Anwendung iſt das Mikroſkop mit einer Reihe von Vorrichtungen verſehen, die hier nur kurz angedeutet werden mögen. Zunächſt iſt das Okular mit ſeiner Faſſung in einer Röhre verſchiebbar, welche am andern Ende das Objektiv trägt, um nach Belieben den Ab - ſtand zwiſchen Augenglas und Ob - jektiv verändern zu können; durch eine Schraube läßt ſich überdies das

Fig. 490.

Mikroſkop.

Rohr mit dem Objektiv gemeinſam höher oder tiefer ſtellen, ſo daß der Abſtand des Objektes von letzterem innerhalb beſtimmter Grenzen korri - giert werden kann. Der Objektträger oder Objekttiſch, auf dem das Objekt befeſtigt wird, iſt mit einer Öffnung verſehen, durch welche von einem drehbaren Spiegel reflektiertes Licht einer Lampe auf das Objekt geworfen wird. In einer beſonders häufigen Anordnung ſind die an - gedeuteten notwendigſten Einrichtungen, für die im übrigen die einzelnen Fabrikanten ihre beſonderen Formen haben, aus der Fig. 490 erſichtlich.

903Das Mikroſkop.

Die Erfindung des Mikroſkops, für welche mehrere Nationen die Priorität in Anſpruch nehmen, dürfte vermutlich nur wenige Jahre nach der Erfindung des Fernrohrs anzuſetzen ſein; zweifellos aber iſt ſie durch die Erfindung der Brillen angebahnt worden, welche Armati aus Florenz das Daſein verdanken ſollen, und von denen die erſte authentiſche Mitteilung aus dem Jahre 1299 ſtammt. Bisher iſt es nicht möglich geweſen, den zeitweilig mit großer Erbitterung ge - führten Prioritätsſtreit zu Gunſten des einen oder anderen Volkes einer glücklichen Löſung entgegenzuführen; nur ſoviel ſteht feſt, gleichviel ob dieſelbe nun von Janſen oder Drebbel oder Lippershey gemacht ſein mag, daß Galilei um 1620 weſentlich dazu beigetragen hat, die wichtige Erfindung in weiteren Kreiſen bekannt zu geben. Zu der un - geahnten Bedeutung, welche das Mikroſkop heutzutage erlangt hat, konnte es trotz aller Bemühungen des Optikers erſt gelangen, ſeitdem man entgegen der von Newton vertretenen Anſicht von der Anſchauung ausging, daß es möglich ſein müſſe, die früher ſo ſtörend auftretenden Fehler der ſphäriſchen und chromatiſchen Aberration wenigſtens an - nähernd zu beſeitigen. Um ſo unentbehrlicher iſt das einfache Inſtru - ment heute nicht bloß für viele Zweige der Technik, ſondern auch für die Wiſſenſchaft, und es iſt gar nicht abzuſehen, welche ungeahnten Aufſchlüſſe über viele Dinge dem Mikroſkop noch vorbehalten ſein mögen.

Wie bereits bei den ſphäriſchen Spiegeln andeutungsweiſe bemerkt wurde, entſpricht auch bei den Linſen einem leuchtenden Punkte nicht in aller Strenge ein Bildpunkt, und zwar um ſo weniger, je größer Krümmung und Öffnung der Linſe ſind. Die einzelnen Bildkreiſe, welche infolge der ſphäriſchen Abweichung entſtehen, lagern ſich demnach teilweiſe übereinander und laſſen das Bild unſcharf erſcheinen. Daß man durch geeignete Wahl der Krümmungsradien der brechenden Flächen dieſem Übelſtande begegnen kann, iſt im vorſtehenden ſchon angedeutet; man nennt Linſenſyſteme, welche vom Kugelgeſtaltfehler frei ſind, aplanatiſche.

Andererſeits erzeugt aber auch jede Linſe notwendigerweiſe ein farbiges Bild; denn wenn man ſich eine Linſe etwa in ſehr viele kleine Prismen zerlegt denkt, ſo erzeugt jedes derſelben ein Spektrum. So - weit dieſe ſich aber übereinanderlagern, ergänzen ſie ſich wieder zu weiß, und nur der äußerſte Saum des Bildes kann farbig bleiben. Dieſe Verhältniſſe werden beſonders deutlich, wenn wir in dem Vereinigungs - punkt f (Fig. 491) der roten Strahlen einen Schirm aufſtellen würden; es iſt klar, daß das Bild nach einander die Spektralfarben zeigen und außen mit violett abſchließen wird; das Umgekehrte würde in f ein - treten. Ganz analog dem beim Prisma üblichen Verfahren kann man auch hier die chromatiſche Aberration, von welcher die Spiegel frei ſind, dadurch beſeitigen, daß man 2 Linſen von verſchiedenem Zer - ſtreuungsvermögen, alſo wieder etwa Kron - und Flintglas, zu einem904Die optiſchen Inſtrumente.Syſtem vereinigt, oder indem man eine bikonkave Flintglaslinſe in zwei Sammellinſen von Flintglas einſchließt, wie dies aus Fig. 492 erſichtlich wird. Bei Mikroſkopen, wo man zur Anwendung von ver - hältnismäßig ſtark gekrümmten Objektiven genötigt iſt, vereinigt man

Fig. 491.

Die chromatiſche Aberration.

Fig. 492.

Achromatiſche Linſen.

mehrere achromatiſche Linſen, wodurch man gleichzeitig auch der ſphä - riſchen Aberration beſſer abhelfen kann. Dieſer ſehr vorteilhafte und gegenwärtig durchaus übliche Weg iſt zuerſt von Selligue im Jahre 1824 eingeſchlagen worden.

Auch bei den Okularen kombiniert man mindeſtens 2 Linſen mit einander, um die Linſenfehler unſchädlich zu machen. Hier können nur die beiden wichtigſten Formen in Betracht kommen, welche faſt ausſchließlich Anwendung finden. Demnach iſt die Zahl der Gläſer im zuſammengeſetzten Mikroſkop beträchtlich größer, als bei der Er - klärung der Wirkungsweiſe desſelben vorausgeſetzt war.

Das Huyghensſche, Campaniſche oder negative Okular beſteht aus zwei plankonvexen Linſen von verſchiedener Krümmung, welche ihre ebenen Begrenzungsflächen dem Auge zukehren. Die beiden Linſen ſind ſo mit einander verbunden, daß ihre ähnlich gelegenen Brenn - punkte zuſammenfallen; die Brennweite der größeren, ſchwächer ge - krümmten Linſe iſt das Dreifache von derjenigen der kleineren, die als eigentliche Lupe wirkt. Die erſtere gehört, da ſie die vom Objektiv kommenden Strahlen auffängt, ehe ſie ſich zu einem Bilde vereinigen, eigentlich noch zum Objektiv und hat die Bezeichnung Kollektiv er - halten. Das Bild des Gegenſtandes entſteht hier zwiſchen Kollektiv und eigentlicher Okularlupe, erſcheint alſo umgekehrt.

Von dieſer Okularkombination unterſcheidet ſich das Ramsdenſche Okular zunächſt nur inſofern, als die beiden Linſen ihre gekrümmten Flächen einander zukehren, ſodaß ſich das Auge alſo zunächſt der ebenen Fläche der vorderen Linſe befindet. Die Brennweiten der feſt ver - bundenen Gläſer, die hier aber wie eine einfache Lupe wirken, ver - halten ſich wie 9: 5; das Bild entſteht zwiſchen Objektiv und Okular, bleibt alſo auch umgekehrt. Es hat aber dieſes Okular den nicht zu905Das Mikroſkop.unterſchätzenden Vorzug vor dem erſterwähnten, daß ſich mit ihm auf bequemſte Weiſe Meßvorrichtungen verbinden laſſen.

Es iſt unmöglich, auf kleinem Raume von der immenſen Bedeu - tung des Mikroſkops, das lange Zeit neben dem hochgeachteten Schweſterinſtrument, dem Fernrohr, nur eine untergeordnete Stellung einnehmen konnte, durch eine zuſammengedrängte Schilderung der Forſchungen und bahnbrechenden Entdeckungen auf den verſchiedenſten Gebieten der Wiſſenſchaft auch nur annähernd ein vollſtändiges Bild zu entwerfen. An einigen wenigen Beiſpielen müſſen wir uns genügen laſſen, um zu zeigen, daß jetzt ſchon kaum ein Wiſſenszweig, eine In - duſtrie das Mikroſkop entbehren kann, das nicht bloß Erkenntnis wichtigſter Art, ſondern auch Entdeckungen vermittelte, welche für die ganze Welt nutzbar gemacht werden konnten und die geſamte Ent - wicklung mächtig gefördert haben. So iſt aus der unſcheinbaren Er - findung das populärſte wiſſenſchaftliche Inſtrument geworden, das ſowohl in der Hand des Gelehrten als im Haushalte, ſowie im wirt - ſchaftlichen Leben noch zu ungeahnten Erfolgen führen wird.

Bringen wir einen einzigen Tropfen Flußwaſſers unter das Mikroſkop! und wir bewundern die ſchier unerſchöpfliche Fülle von einfachen Formen, von winzigen Weſen niedrigſter Art pflanzlichen und tieriſchen Charakters, die im engſten Raume ihr kurzes Daſein friſten. Derſelbe Kampf ums Daſein hier im kleinen, der das Leben im großen be - herrſcht! Dasſelbe Schaffen und Treiben, dieſelbe Entwicklung; ein ſtetiges Werden und Vergehen! Beſonderen Reichtum an derartigen kleinſten Organismen birgt das Meer, und deshalb hat auch eine vor einigen Jahren mit Unterſtützung der preußiſchen Regierung ins Werk geſetzte Expedition ſich gerade die Erforſchung der zahlloſen Organismen niedrigſter Art, die willenlos im Meere umhergetrieben werden, und die man allgemein unter dem Namen Plankton zuſammenfaßt, zur Aufgabe gemacht. Es ſind vornehmlich zwei große Gruppen, deren Auffindung wir dem Mikroſkop verdanken: die Nahrungskonſumenten und die Urnahrung, von denen die zur letzteren Klaſſe gehörigen Lebe - weſen die zu ihrem Aufbau nötigen Stoffe ſelbſt zu erzeugen ver - mögen. In der Tiefe des Meeres herrſcht eine ſtille Thätigkeit, deren Spuren oft erſt nach umfaſſenden Zeiträumen, dann aber meiſt in ge - waltiger Form, zum Vorſchein kommen. Ein bekanntes Beiſpiel dieſes mikroſkopiſchen Schaffens bieten die Korallen, die in jahrtauſendelanger Arbeit Riff auf Riff fügen und unermüdlich neue Stockwerke den alten Bauten aufſetzen. Und noch an einem anderen naheliegenden Beiſpiel erkennen wir die Daſeinsſpuren winziger Lebeweſen, deren Produkte heute einen relativ hohen Wert im Haushalte des Menſchen repräſentieren. Im Staub der Schreibkreide, in den Bruchſtücken der Kreidefelſen, aus denen jene gewonnen und als Kunſtprodukt hergeſtellt wird, finden wir unter dem Mikroſkrop die Reſte von Millionen und aber Millionen Kreidetierchen, die mit ihren Kalkſchalen und - Panzern, mit ihren906Die optiſchen Inſtrumente.Skeletten nach dem Abſterben für nachfolgende Generationen den Bau - grund abgegeben und ſo zum Aufwachſen der gewaltigen Kreidefelſen aus dem Meeresgrunde beigetragen haben, bis einſt der raſtloſen Thätigkeit durch das Emporheben der Rieſengräber über das Meeres - niveau infolge eines gewaltigen Naturereigniſſes, in einer der vielen Entwicklungsperioden der Erde, ein plötzliches Ziel geſetzt wurde.

Das Mikroſkop iſt dem Mineralogen und Geologen zur Er - forſchung der Geſteinsarten, namentlich zur Erkenntnis des kryſtal - liniſchen Gefüges der das Geſteinsgemenge bildenden Einzelbeſtandteile unentbehrlich geworden; aus den von ihm geſammelten Felsproben ſtellt er ſich ſog. Dünnſchliffe her, Blättchen von einer Feinheit, daß ſie gleich den dünn ausgewalzten Metallen durchſichtig erſcheinen. Die Palaeontologie ſpürt den vorweltlichen Lebeweſen nach, die als foſſile Bildungen, als Verſteinerungen uns in den Geſteinsſchichtungen urwelt - licher Schöpfungs - und Entwicklungsperioden erhalten ſind. So wandelbar die Formen und Arten auch ſein mögen, in einem Punkte iſt der Zuſammenhang der wunderbar prächtigen Pflanzenformen früherer Epochen der Erdgeſchichte mit den pflanzlichen Daſeinsformen der Gegenwart unverkennbar: hier wie dort ſtets dasſelbe Grund - und Elementargebilde, die Zelle, aus denen ſich hoch und niedrig organiſierte Lebeweſen gleichmäßig aufbauen. Täglich und immer von neuem haben wir Gelegenheit, mit Bewunderung die rapide Entwicklungs - fähigkeit der Zellen zu verfolgen, ſei es am Gärbottich, wo die Hefe - zellen durch ihre Lebensthätigkeit, ihr Wachstum, den Gährungsprozeß einleiten und bedingen, oder in der zerſtörenden Wirkung, welche andere Zellengebilde auf den menſchlichen, tieriſchen oder pflanzlichen Organismus durch Erregung von Eiter - und Fäulnisbildung auszu - üben vermögen.

Welche weſentliche Förderung hat namentlich die Heilwiſſenſchaft ſeit der Benutzung des Mikroſkops zur grundlegenden Erforſchung der Zuſammenſetzung und der Wirkungsweiſe der einzelnen Organe des menſchlichen und tieriſchen Körpers erfahren! Man kann getroſt ſagen, daß erſt ſeit Begründung der Hiſtologie oder Gewebelehre, deren Auf - gabe in der Ermittelung des Baus vom Pflanzen - und Tierkörper beſteht, eine vernünftige wiſſenſchaftliche Behandlung der Gewebe - krankheiten datiert; aus dem eingehenden Studium der Lebens - und Daſeinsbedingungen der Bakterien und Bacillen, namentlich in Bezug auf ihre zerſtörende Wirkung bei geeignetem Nährboden, hat die Medizin eine tiefere Kenntnis der Infektionskrankheiten und der Mittel zu ihrer Heilung und Verhütung gewonnen. Es darf nur an die epoche - machenden Arbeiten eines Koch und ſeiner Schüler auf dieſem Gebiete aus den letzten Jahren, an die Entdeckung der in das Leben von Menſch und Tier ſo verheerend eingreifenden niedrigſten Daſeins - formen erinnert zu werden, welche Milzbrand, Typhus, Tuber - kuloſe, Cholera und die übrigen mörderiſchen Seuchen erzeugen, um907Das Mikroſkop. Das Fernrohr.auch hier die ſchätzbaren Dienſte des Mikroſkops erkennen zu laſſen. Die Diagnoſen auf beſtimmte Krankheitsformen haben dadurch erſt diejenige Zuverläſſigkeit erlangt, welche allein eine vernunftgemäße Behandlung möglich macht.

Technikern, Fabrikanten und Gewerbetreibenden wird das Mikroſkop je länger je mehr unentbehrlich; es ſetzt ſie in den Stand, ſich vor Fälſchungen und Betrug zu ſchützen, holzfreies Papier von minder - wertigen, dem Vergilben ausgeſetzten Papierſorten zu unterſcheiden und die billigſten und zweckmäßigſten Materialien für den Betrieb kennen zu lernen und auszuwählen. Namentlich aber auf dem Gebiete der Lebensmittelverfälſchung hat das Mikroſkop eine ganz eminente Be - deutung gewonnen, nicht allein wegen der Bequemlichkeit, ſondern auch wegen der den meiſten anderen Methoden weit überlegenen Sicherheit, die Verfälſchungsprodukte nachzuweiſen und vom Gebrauche auszu - ſchließen. Dieſes ſanitären Rückſichten entſprungene Beſtreben macht ſich ebenfalls in der faſt überall obligatoriſch eingeführten Fleiſchſchau geltend, deren Aufgabe in der Erkennung und Vernichtung trichinen - haltigen oder auf andere Weiſe infizierten und zum Genuß unbrauch - baren Fleiſches beſteht.

Es würde uns zuweit führen, wenn wir hier auch nur mit wenigen Worten der Bedeutung des Mikroſkopes für den Phyſiker und Chemiker, namentlich in der Hand des letzteren auch im Dienſte der Rechtspflege, Erwähnung thun wollten; die Zahl der Anwendungen iſt eben enorm und noch in beſtändigem Zunehmen begriffen. So greift das Mikroſkop in ſeiner Vielſeitigkeit in faſt alle Gebiete menſchlichen Wiſſens und menſchlicher Thätigkeit als ein wichtiger Faktor von nicht genug zu ſchätzender Bedeutung ein. Schon hat es das Fernrohr in manchen Dingen weit überholt, und noch befinden wir uns eigentlich erſt in einem Anfangsſtadium, noch iſt gar nicht abzuſehen, wozu dieſes unſcheinbare Inſtrument berufen ſein kann, welche gewaltigen Aufſchlüſſe wir von demſelben über den Entwicklungsgang aller Organismen dereinſt noch zu erwarten haben.

4. Das Fernrohr.

Die Erde mit allem, was in und auf ihr iſt, hat der Menſch ſich dienſtbar gemacht und die Entwicklung des Irdiſchen mehr beeinflußt als irgend eine andere Kraft. Und unzufrieden mit der Herrſchaft über ſeinen Planeten, trug er die Grenzen derſelben bis an die fernſten Geſtade des Weltalls. Seine Herrſchaft? Hat er ſich wirklich alle anderen Weltkörper in derſelben Weiſe unterthänig gemacht wie die Erde? Seine Herrſchaft iſt eine geiſtige: beſcheiden damit, auf die irdiſchen Ereigniſſe zu wirken, weil er die Unmöglichkeit, von ſeinem Standpunkte aus vorläufig das Weltall zu beeinfluſſen, einſieht, hat er doch die Dinge um ſich zu erkennen geſtrebt. Und iſt Erkennen908Die optiſchen Juſtrumente.nicht Beherrſchen? iſt die Erfahrung nicht Macht? ſetzt nicht das Können das Wiſſen voraus? Geſchichte der Wiſſenſchaft iſt Kulturgeſchichte, und nicht die Großthaten kühner Eroberer haben den gewaltigſten Einfluß auf die Entwicklung unſeres Geſchlechtes geübt, ſondern die Großthaten des Geiſtes. Entdeckungen und Erfindungen ſind es, welche die Grenzen großer Kulturepochen markieren.

Und ſomit war die Erfindung des Fernrohrs eine geſchichtliche Großthat. Wohl gab es auch vorher eine in ihrer Bedeutung nicht zu unterſchätzende aſtronomiſche Wiſſenſchaft, wohl hatte der menſchliche Geiſt aus der Betrachtung der Himmelskörper den Stoff zu kühnen Problemen entlehnt und, dieſelben löſend, ſeine Kraft erprobt, aber die gewaltigſten Aufgaben ſtellten ſich dem wohl Erprobten erſt, ſeitdem er viel ſehen und genau ſehen lernte. Galileis Beſuch in Venedig im Jahre 1609 bezeichnet die Scheide zwiſchen alter und moderner Be - obachtungskunſt: denn dort erfuhr er, daß im vorhergehenden Jahre in Holland ein Werkzeug erfunden ſei, mit deſſen Hilfe der Beobachter einen fernen Gegenſtand ſich näher rücken könne. Noch im Auguſt des - ſelben Jahres hatte der berühmte Phyſiker von Padua ein vollkomme - neres Inſtrument gefertigt, als jene holländiſchen Fernröhre waren. Die Entdeckung der vier Jupitertrabanten, der Mondberge, der wechſelnden Geſtalt des Planeten Venus, der Sonnenflecke und die Auflöſung der Milchſtraße in Myriaden einzelner Sterne, das waren Entdeckungen, die jetzt einander auf dem Fuße folgten. Der Jahr - hunderte hindurch fortgeführte Prioritätsſtreit um die Erfindung des Fernrohrs iſt erſt neuerdings zu Gunſten des Brillenmachers Franz Lippershey zu Middelburg entſchieden worden, doch geſchah Galileis Erfindung von der holländiſchen durchaus unabhängig. Den Gang der Strahlen in dieſem Galileiſchen oder dem holländiſchen Fernrohr er - ſehen wir aus der Fig. 493. Eine konkave Objektivlinſe ſammelt die Strahlen, die von dem Objekte herkommen; ein konkaves Okularglas

Fig. 493.

Gang der Strahlen im Galileiſchen Fernrohr.

ſorgt dafür, daß dieſe Strahlen ſich vor ihm bereits vereinigen und ſo ein aufrechtes Bild innerhalb der deutlichen Sehweite des Auges geben, das uns deshalb vergrößert erſcheint. Heutzutage wird dieſe Anordnung zu Operngläſern und als Feldglas noch viel gebraucht; wiſſenſchaftliche Bedeutung hat ſie dagegen nicht mehr. Kaum zwei Jahre ſpäter gab der berühmte Aſtronom Kepler in Prag diejenige Form des aſtronomiſchen Fernrohrs an, die heute die gebräuchlichſte iſt. Wir entnehmen den Gang der Strahlen bei dieſem Fernrohr aus Fig. 494. Das von dem konvexen Objektiv gelieferte Bild, welches909Das Fernrohr.umgekehrt iſt und mit einem Schirme aufgefangen werden kann, wird durch ein konvexes Okular, das ähnlich wie beim Mikroſkop in ver - ſchiedenen Konſtruktionen zur Anwendung kommt, betrachtet und ver -

Fig. 494.

Gang der Strahlen im Keplerſchen Fernrohr.

größert. Wahrſcheinlich iſt das erſte derartige Inſtrument von dem Jeſuitenpater Scheiner 1613 gebaut worden, während der Kapuziner - mönch Schyrläus de Rheyta ein Mittel angab, um das Bild dieſes Fernrohrs zu einem aufrechten zu machen. Er wandte nämlich als Okular zwei Linſen ſtatt einer an, und der Gang der Strahlen iſt jetzt

Fig. 495.

Gang der Strahlen im terreſtriſchen Fernrohr.

aus Fig. 495 erſichtlich. Dieſes Fernrohr iſt wegen der aufrechten Bilder für die Beobachtung in weite Fernen auf der Erde vorzüglich ge - eignet und führt den Namen des terreſtriſchen, d. h. Erdfernrohrs. Während eines Zeitraums von anderthalb Jahrhunderten wetteiferten die Künſtler dieſer Zeit, einer den andern durch die Größe der von ihnen gefertigten Werke zu übertreffen. Diejenigen von Campani in Rom, mit welchen Caſſini, der Pariſer Aſtronom, 1648 fünf Saturntrabanten ſah, waren 11 bis 41 Meter lang, und Auzout konſtruierte gar ein ſolches von 180 Meter Länge, obgleich man gar kein Mittel hatte, eine ſo ge - waltige Maſchine auf den Himmel zu richten.

Uberlegen wir, von welchen Geſichtspunkten aus die Erbauer zur Herſtellung ſolcher Fernrohrrieſen gelangten. Natürlich liefert die Objektivlinſe eines Keplerſchen Fernrohrs, um das es ſich handelt, viel mehr Licht, wenn ſie recht groß iſt; aber damit iſt ein anderer Übelſtand verbunden, den die Inſtrumentenbauer wohl bemerkten, ohne ſeinen inneren Grund klar einzuſehen. Die älteren Optiker fanden nämlich, daß, wenn ſie zu gleicher Zeit die Länge des Fernrohrs ver - größerten, der Fehler der ſphäriſchen Abweichung weniger ſtörend wurde, weil dabei die Linſe weniger ſtark gekrümmt zu ſein brauchte. Dieſe Abweichung iſt freilich nicht der einzige Fehler, den die älteren Inſtrumente hatten, und daß dem ſo iſt, ergiebt ſich leicht aus der Vergleichung eines älteren Fernrohrs mit einem kleineren neuen. Das910Die optiſchen Inſtrumente.Fernrohr, welches der berühmte Phyſiker Huyghens für die engliſche Geſellſchaft der Wiſſenſchaften fertigte, und welches im Jahre 1718 wohl das vorzüglichſte ſeiner Zeit war, hatte eine Linſe von 15 cm Durchmeſſer bei einer Länge von faſt 38 m, und es giebt keine beſſeren Bilder als eines unſerer heutigen Liebhaberfernröhre von 10 cm Durch - meſſer und 1⅓ m Länge. Der Hauptfehler der damaligen Inſtrumente war anderswo zu ſuchen, und der große Newton, der Begründer der mathematiſchen Phyſik und der himmliſchen Mechanik, war es, der ihn anzugeben vermochte. Die chromatiſche Abweichung, welche hier ganz dieſelbe Bedeutung hat wie beim Mikroſkop, war der Haupt - fehler der Refraktoren, und Newton, der in ihm ein unüberwindliches Hindernis erblickte, ſah die einzige Abhilfe in der Ausbildung ſeines Spiegelteleſkops, das er wenige Jahre vorher erfunden hatte. Hier iſt

Fig. 496.

Gang der Strahlen im Newtonſchen Spiegelteleſkop.

das Objektiv durch einen Hohlſpiegel erſetzt, und die chromatiſche Ab - weichung iſt vermieden. Die Fig. 496 zeigt in welcher Weiſe hier das Bild zuſtande kommt. Die von einem Hohlſpiegel zurückgeworfenen Lichtſtrahlen prallen auf ihrem Wege auf einen ebenen Spiegel auf und bringen ein ſeitliches Bild hervor, welches durch die konvexe Okularlinſe betrachtet, vergrößert erſcheint. In der That hat der An - ſtoß, den der bedeutende Phyſiker der Entwicklung der Fernrohrtechnik damit gab, während des ganzen vorigen Jahrhunderts nachgewirkt. Unbeſtritten war damals die Überlegenheit des Spiegelteleſkops; aber die wiſſenſchaftliche Ernte war gleich Null, wahrſcheinlich weil der hohe Preis dieſer Teleſkope ihren Gebrauch nur wenigen Begüterten geſtattete. Erſt als Wilhelm Herſchel, der frühere Muſiker und ſpätere Glasſchleifer und Inſtrumentenbauer, auf dem Höhepunkte ſeiner Lauf - bahn angelangt war, änderte ſich die Sachlage. Schon einer von den kleinſten Spiegeln deren Herſchel nicht weniger als vierhundert in911Das Fernrohr.allen Größen von 15 bis 102 cm angefertigt hat half ihm im Jahre 1781 den Planeten Uranus entdecken, eine neue Welt den ſeit den älteſten Zeiten bekannten hinzufügen. Der gewaltige Spiegel von 102 cm Durchmeſſer, zu dem ein Rohr von 12 m Länge gehörte, und deſſen Vollendung in das Jahr 1789 fällt, hat zwei Saturntrabanten finden helfen, bei der Suche nach Nebelflecken hervorragende Dienſte geleiſtet und manchen Doppelſtern zum wiſſenſchaftlichen Daſein ge - bracht. Nur zehn Jahre hat er indeſſen ſeinem Zwecke gedient, denn die Metallſpiegel zeigten nie eine ſolche Konſtanz, um lange brauchbar zu bleiben. Mit Herſchels Rieſenſpiegel war der Höhepunkt in der Entwickelung dieſer Art Fernröhre erreicht. Zwar hat man neuerdings in den verſilberten Glasſpiegeln einen vorzüglichen verhältnismäßig billigen Erſatz gefunden, und damit ſind die Koſten eines Spiegel - teleſkops weit geringer geworden als die eines ebenbürtigen Refraktors; aber ihre Konſtanz iſt nicht weſentlich gewachſen, und für die Aus - breitung unſerer Herrſchaft am Himmel haben ſie deshalb wenig mehr vermocht. Nur in der Himmelsphotographie ſcheinen ſie zur Zeit noch den Refraktoren überlegen zu ſein, und die ſchönen Lichtbilder von Nebeln, welche Roberts in Liverpool mit einem Spiegel von 50 cm und Common in Ealing bei London mit einem ſolchen von faſt 1 m Durchmeſſer erlangt haben, ſind die beſten, die bisher bekannt geworden ſind. Es erübrigt nur, die größten derartigen In - ſtrumente zu erwähnen, um von den Fortſchritten, die auch hier die Technik gemacht hat, eine Ahnung zu geben. Lord Roſſe zu Par - ſonstown in Irland fertigte drei Spiegel, deren zwei 90 cm meſſen, während der dritte im Jahre 1845 vollendete gar die doppelte Aus - dehnung erreicht das größte im Gebrauch befindliche aſtronomiſche Werkzeug. Seit 1870 beſitzt die Sternwarte zu Melbourne ein Spiegel - teleſkop von 120 cm Öffnung, welches dem Geſchick des engliſchen Mechanikers Grubb ſeine Entſtehung verdankt. Alle bisher erwähnten Spiegel wurden aus einer beſonderen Metallmiſchung, dem Spiegel - metall, hergeſtellt. Die erſten größeren Glasſpiegel entſtanden in Amerika, wo Draper 1858 einen von 38 cm und bald nachher einen ſolchen von 70 cm fertigte. Die größten Glasſpiegel befinden ſich jetzt in Frankreich, darunter einer von 120 cm auf der Pariſer Sternwarte, welchen wir in Fig. 497 abbilden, während in England Spiegel bis zu 150 cm Durchmeſſer mit dem nötigen Zubehör für die gehörige genaue Bewegung im Gebrauche ſind. Für die feineren Unterſuchungen, bei denen die Struktur der Geſtirne näher ergründet werden ſoll, iſt und bleibt aber der Refraktor ohne Nebenbuhler. Zwei Nachteile des Spiegelteleſkops liegen ja auf der Hand. Einmal wirft nämlich jeder Spiegel nur einen Teil der auffallenden Strahlen zurück, während er die übrigen verſchluckt man muß daher die Ausdehnung der Spiegel fortdauernd ſteigern, um eine genügende Wirkung zu erzielen, und dann werden die Inſtrumente ihrer Größe wegen ſehr unhandlich; Ver -912Die optiſchen Inſtrumente.

Fig. 497.

Spiegelteleſkop der Pariſer Sternwarte.

biegungen ſind bei großen Spiegeln im Laufe der Zeit faſt unver - meidlich, und daher gerade kommt es, daß die Feinheiten des Details im Spiegelbilde verloren gehen.

Aber der Refraktor hatte ja auch Fehler, die gerade in den Augen Newtons ihn als unverbeſſerlich erſcheinen ließen. Iſt es möglich, das913Das Fernrohr.Bild, welches eine Linſe liefert, von ſeinem farbigen Rande zu befreien, ſo iſt damit ſchon ſehr viel gethan, um die Deutlichkeit des Bildes zu heben. Newton hatte ſeine Verſuche überhaupt nicht dahin gerichtet, weil er ja annahm, daß allen Subſtanzen dieſelbe farbenzerſtreuende und brechende Kraft zukomme. Der berühmte Mathematiker Euler fand theoretiſch, daß aus zwei Linſen von verſchiedenem Brechungs - vermögen ſich eine achromatiſche müſſe zuſammenſetzen laſſen, d. h. eine ſolche, die ein weißes Bild von einem weißen Gegenſtande liefert. Die Verſuche, die Hall und Dollond in dieſer Richtung anſtellten, hatten zwar einen gewiſſen Erfolg, konnten aber nicht genügend nutz - bar gemacht werden, weil man die Größe reiner Glaslinſen eben erſt bis zu 10 cm treiben konnte. Dieſelbe zu vermehren, erſchien aber durchaus notwendig, wenn die Deutlichkeit der Refraktorbilder mit derjenigen, welche die großen Reflektoren erzeugten, konkurrieren ſollte. Hier ſetzte Fraunhofer die Hebel ſeiner Kraft an. Dieſer war der Sohn armer Eltern, die ihn zu einem Spiegelmacher in die Lehre gaben. Als das Haus des Meiſters zuſammenſtürzte und Fraunhofer unter den Trümmern hervorgeholt wurde, machte der Kammerrat Utz - ſchneider den Mechaniker Reichenbach auf den ſtrebſamen Knaben auf - merkſam, welcher aus ihm den bedeutendſten Mechaniker ſeiner Zeit machte. Fraunhofer erfuhr, daß der Schweizer Uhrmacher Guinand 1805 größere und ſchönere Glasſcheiben geſchmelzt habe, als je zuvor gefertigt waren. Letzteren zog der Münchener Gelehrte nach Bayern, und der gemeinſamen Arbeit beider entſtammen jene vielbewunderten Gläſer, die lange Zeit als die beſten galten. Auch in den Linſen der modernſten Fernröhre ſteckt noch Geiſt von Fraunhofers Geiſte. Bis vor wenigen Jahren iſt nämlich die Erzeugung optiſchen Glaſes noch das Myſterium weniger Eingeweihten geweſen. Der bedeutendſte deutſche Fabrikant desſelben, Herr Merz in München, deſſen Vater der langjährige Gehülfe und Nachfolger Fraunhofers in der Leitung der optiſchen Werkſtätten war, erzeugte in ſeinen Öfen immer nur ſo viel Glas, als in ſeiner Werkſtatt verarbeitet wurde. Neben ihm waren bisher nur Feil in Paris und Chance in Birmingham als die In - haber bedeutender Schmelzöfen zu nennen, und auch dieſe beiden ſind in ähnlicher Weiſe als von deutſchem Geiſte inſpiriert anzuſehen. Feil iſt der jetzige Inhaber jenes Inſtituts, welches der Schweizer Guinand zu Paris begründete, und iſt mit einer Enkelin Guinands verheiratet. Erſt ganz neuerdings beginnt die Kenntnis in der Anfertigung optiſchen Glaſes Gemeingut zu werden, und das haben wir beſonders der Munificenz der preußiſchen Regierung zu verdanken, die das optiſche Inſtitut der Herren Abbe und Schott in Jena lebensfähig machte. Die Nachrichten, die über die dortigen Leiſtungen bisher in die Öffent - lichkeit gelangt ſind und es wird alles mit einer bemerkenswerten Offenheit mitgeteilt laſſen erhoffen, daß die ferneren Fortſchritte der praktiſchen Optik wieder von Deutſchland ausgehen werden, wo ſie vorDas Buch der Erfindungen. 58914Die optiſchen Inſtrumente.zwei Menſchenaltern durch Fraunhofer zu ſo ungeahnter Blüte ge - langten. Das Streben wird vor allem immer weiter dahin gerichtet ſein müſſen, die Reſte von farbigen Rändern, welche weder Theorie noch Praxis völlig zu entfernen fähig ſind, ſoweit einzuſchränken, daß ſie der Deutlichkeit der Bilder möglichſt wenig Eintrag thun.

Seit jener Zeit iſt die Refraktorentechnik rapid vorangeſchritten. Bereits 1823 verließ Fraunhofers Werkſtatt das Dorpater Glas von 24 cm, welches ſeinen allerbeſten ſpiegelnden Vorgängern zur Seite geſtellt werden muß: kaum einer oder zwei der Herſchelſchen Spiegel haben jemals größere Kraft gehabt, während der neue Refraktor ihnen an Bequemlichkeit des Gebrauchs weit überlegen war. Aus der Münchener Werkſtatt gingen ferner die in ihrer Zeit mächtigſten Fernröhre hervor: 1837 das Münchener Glas von 30 cm, 1839 das von 38 cm Durch - meſſer für die Harvard-Sternwarte zu Cambridge in Amerika, 1847 ein ebenſolches für die Sternwarte zu Pulkowa, die bedeutendſte Europas. Aber in die Fußſtapfen der Münchener Meiſter trat bald eine ganze Reihe geſchickter Optiker, deren Fernröhre ſeit Mitte des Jahrhunderts den Weg durch die Welt gemacht haben. Wir erwähnen die Deutſchen Steinheil und Schröder, die Franzoſen Cauchoix, Martin und die Ge - brüder Henry von der Pariſer Sternwarte. Letztere ſtellten zuerſt eines jener Fernröhre von 32 cm Öffnung zum Zwecke photographiſcher Aufnahmen am Himmel her, von denen heute faſt zwanzig von ver - ſchiedenen Erbauern der Aufnahme der photographiſchen Himmels - karte dienen ſollen, die durch internationales Zuſammenwirken vieler Sternwarten zu Stande kommen wird. Ihre übrigen Werke ſind viele ſchöne Spiegel und Linſen und vorzüglich die vollkommen ebenen Spiegel von beliebiger Größe, denen Loewys neues Fernrohr, das gebrochene Äquatoreal, ſeine ſchönen Erfolge verdankt. Der Engländer Cook vollendete 1863 das Inſtrument von 63 cm Durchmeſſer, das jetzt die Cambridger Univerſität beſitzt. Sein Landsmann Grubb in Dublin hat gleichfalls viele Refraktoren gebaut, u. a. jenen von 70 cm Durchmeſſer in Wien. In Amerika endlich ſind es Alvan Clarke & Sons in Boſton, die heute als die bedeutendſten Glas - ſchleifer der Welt anzuſehen ſind. Der bedeutende Ruf dieſes Hauſes datiert von jenem Momente, da es dem älteſten Sohne ſeines Begründers, dem noch heute in der Werkſtatt thätigen Alvan Clarke gelang, den Be - gleiter des Sirius zu entdecken, mit Hülfe des großen Refraktors, den er im Jahre 1862 für die Sternwarte der Miſſiſippi-Univerſität zu Chicago in Arbeit genommen hatte, noch bevor derſelbe vollendet war. Das Objektivglas dieſes Fernrohrs hatte einen Durchmeſſer von 46 cm, übertraf alſo die größten Merzſchen Gläſer noch um 8 cm. Seit jener Zeit hat ſich der Weltruf der Werkſtatt ſtetig gehoben. Im Jahre 1873 verließ die Werkſtatt eine Rieſenlinſe, welche bereits einen Durchmeſſer von 66 cm hatte, für die Marineſternwarte zu Waſhington, und mit ihrer Hülfe fand Aſaph Hall vor 13 Jahren die treuen Gefährten des915Das Fernrohr.Mars, der eben der Erde ganz beſonders nahe kam. Vor wenigen Jahren erſt ging aus der Werkſtatt von Repſold & Söhne in Hamburg eine Linſe von 76 cm an die Sternwarte zu Pulkowa, und dann hat Clarke die Rieſenaufgabe vollendet, ein Objektiv von 91 ½ cm Durch - meſſer anzufertigen, welches ſeit drei Jahren in der Lick-Sternwarte auf dem Berge Hamilton in Kalifornien in der ſtattlichen Höhe von 1300 m im Dienſte der Himmelsforſchung ſteht.

Die Schwierigkeiten, welche die Herſtellung großer Fernröhre noch bietet, läßt ſich am beſten durch Anführung einiger Einzelheiten aus der Geſchichte des neuen Fernrohrs illuſtrieren. Clarke vollendete die Kron - und die Flintglaslinſe, welche das achromatiſche Objektiv zu - ſammenſetzen, etwa ein Jahr nachdem ihm von Feil das Material zu - gegangen war. Noch eine dritte Linſe aus Kronglas wollte er dann dem Inſtrumente beigeben, die im Verein mit den beiden anderen gerade die violetten und ultravioletten Strahlen des Spektrums ver - einigen ſollte. Dieſe Strahlen ſind nämlich ganz vorzüglich zu chemiſchen Wirkungen befähigt, ſie greifen die üblichen photographiſchen Platten beſonders ſtark an, und durch ihre Konzentrierung kann man daher in kürzerer Zeit ein Photogramm erhalten, das an Schärfe nichts zu wünſchen übrig läßt. Die Lick-Sternwarte ſoll ſich in der That nach dem Wunſche ihres Stifters viel mit photographiſchen Aufnahmen be - ſchäftigen, und welche Effekte darf man nicht zu erzielen hoffen, wenn man ein ſo gewaltiges Inſtrument als Camera benutzt? Aber es zeigte ſich, daß die Herſtellung optiſchen Glaſes trotz ihrer bedeutenden Fortſchritte noch immer den ſchädlichen Einflüſſen unberechenbarer Zu - fälligkeiten unterworfen iſt. Als Clarke die Kronglasmaſſe zu bearbeiten anfing, ſprang ſie in zwei Stücke. Wahrſcheinlich iſt ſie ſchlecht ge - kühlt geweſen, daher waren einzelne Teile im Verhältnis zu anderen ſtärker geſpannt und mußten dieſe auseinander treiben, als das Schleifen begann. Übrigens iſt es für die Ausdauer des großen Optikers be - zeichnend, daß er die Korrektionslinſe für photographiſche Zwecke noch nachgeliefert hat. Das photographiſche Sonnenbild im Brennpunkte hat nicht weniger als 13 cm Durchmeſſer. Ein ſo zarter Gegenſtand, wie die Rieſenlinſe, mußte natürlich für die Fahrt nach ſeinem Beſtimmungs - orte in Kalifornien, die Fahrt von Ozean zu Ozean, in jeder Weiſe gegen Stöße geſchützt werden. Mehrere Lagen Leinwand und Papier umſchloſſen die Linſe, die in eine Holzkiſte gebettet ward. Außerdem aber war ſie noch in zwei Stahlkiſten eingeſchachtelt, deren Wände mit Stahlfedern verſehen waren, um jede heftige Erſchütterung wirkungslos zu machen. Zudem wurde die äußere Stahlkiſte während der Fahrt durch ein beigegebenes Uhrwerk im Laufe einer beſtimmten Zeit um eine feſte Achſe herumgedreht. Während der acht Tage dauernden Fahrt mußte nämlich das Glas ſo und ſo viele Male in der Richtung des Zuges hin - und hergeſchüttelt werden. Folgen die Stöße in be - ſtimmten regelmäßigen Zeiträumen aufeinander, ſo ſummieren ſich ihre58*916Die optiſchen Inſtrumente.Wirkungen. Wenn auch nicht gerade ein Springen der Linſe durch jene Stöße zu befürchten war, ſo hätte doch ihre gleichmäßige Be - ſchaffenheit leiden können; denn wie ſtarr auch immer ein Material erſcheinen mag, es finden trotzdem Umlagerungen ſeiner kleinſten Teilchen ſtatt, wenn ſie fortwährend in demſelben Sinne hin - und hergeſtoßen werden Änderungen, welche wieder elaſtiſche Nachwirkungen hervor - rufen, und damit die Bilder, auf deren Deutlichkeit doch alles ankommt, entſtellen müſſen. Gab man aber jenes Uhrwerk bei, ſo war man ſicher, daß die Stöße fortwährend ihre Richtung wechſelten, und ſomit konnte von einem Summieren derſelben keine Rede ſein.

Neuerdings haben um dies gleich zu erwähnen die Clarkes eine Linſe von 1 m Durchmeſſer in Arbeit genommen; es iſt dies eine von einem Paar, das für das große Fernrohr auf dem Wilſon-Peak in der Sierra Madre beſtimmt iſt. Dort, in einer Seehöhe von 1900 m, in einer Entfernung von zwölf bis fünfzehn Meilen von Los Angeles, der ſüdkaliforniſchen Univerſität, ſoll eine neue Sternwarte für dieſe errichtet werden. Das Glas iſt in der Mitte 6 cm und am Rande 4 cm ſtark; der Glaswert der beiden nötigen rohen Scheiben ſtellt ſich auf 10000 Dollar, und er iſt bei zwei Hauptgeſellſchaften Boſtons verſichert worden. Wenn erſt beide Linſen des Objektivs vollendet und gefaßt ſein werden, ſo wird dieſer Teil des großen Fernrohrs gegen 65000 Dollar koſten. Die Clarkes waren noch unſchlüſſig, ob ſie die Scheiben in ihrer Werkſtatt in Boſton ſchleifen oder eine neue Werkſtatt am Wilſonberge direkt für dieſen Zweck errichten ſollten. Sie würden ſo die beträchtlichen Koſten und Gefahren des Transports erſparen. Auch dieſes Teleſkop wird dann noch eine photographiſche Linſe erhalten. Wenn dieſes Fernrohr vollendet ſein wird, ſo ſoll es eine Länge von 18 m haben, etwa dieſelbe, wie das Lick-Teleſkop. Das fertige Rohr ſoll 100000 Dollar koſten, während der Bau und die innere Einrichtung der Sternwarte für den drei - bis vierfachen Preis wird geſchaffen werden können. Der Wilſonberg verſpricht durch ſeine Lage dem neuen Inſtrumente noch größere Vorzüge als der Berg Hamilton dem ſeinigen. Hoffen wir, daß in der That die Luft dort oben an Beſtändigkeit ſo wenig zu wünſchen übrig laſſe, daß das neue Rohr zur Erweiterung der Himmelsherrſchaft weſentlich beitrage.

Sollen jene großen Teleſkope in den Händen des Himmelsforſchers ihre Dienſte leiſten, ſo muß auch die Aufſtellung ihre Handlichkeit ſo - wohl wie ihre Feſtigkeit voll garantieren. Die Geſchichte dieſer Fern - rohraufſtellungen enthält viele intereſſante Einzelheiten, ſie führt uns bei den geſchickteſten Mechanikern und Maſchinenbauern der letzten Jahrhunderte vorbei: hier begegnen wir Huyghens als dem Erfinder des Luftteleſkops, und ſeinem Rivalen Robert Hook, wir finden Herſchel mit der Aufgabe beſchäftigt, ſein 13 m langes Rieſenfernrohr zu lenken, Laſſels, Roſſes und Commons gleichgerichtete Anſtrengungen werden uns nicht entgehen, und wir ſehen Sir Howard Grubb bei917Das Fernrohr.der Arbeit, das optiſche Ungetüm von Melbourne, das Spiegelteleſkop von 120 cm Öffnung aufzuſtellen. Wo die Newtonſche Form des Fernrohrs verwendet wird, da iſt die Gegenwart des Beobachters am hohen Ende des Fernrohrs erforderlich, und das Problem, ihn dort mit Sicherheit in unmittelbarer Nähe des Augenglaſes zu erhalten, iſt noch nicht genügend gelöſt.

Die Geſchichte der Aufſtellung von großen Refraktoren erreicht ihren Glanzpunkt wieder bei Fraunhofer, der den heute noch allgemein gebräuchlichen Typus für die Aufſtellung des Dorpater Äquatoreals erfand. In dem Maße, wie die Größe dieſer Fernröhre wuchs, ver - mehrte ſich auch die Fülle und Verwicklung der mechaniſchen Probleme ſo erſtaunlich, daß die beſten Kräfte der geſchickteſten Mechaniker ihnen gerade gerecht werden konnten. Von ihnen ſeien die Repſolds in Hamburg und Sir Howard Grubb genannt. Daß man das Fern - rohr in vollkommen gleichmäßiger Bewegung erhält, ſo daß das Sternbild im Geſichtsfelde bleibt, das erfordert zunächſt eine äqua - toreale Aufſtellung, d. h. die Umdrehungsachſe des Fernrohrs muß mit der Erdachſe parallel liegen. Vermag man das Fernrohr außerdem in einer mit der Erdachſe parallelen Ebene einzuſtellen, ſo läßt ſich dasſelbe nach allen Teilen des Himmels richten; dann kann das Rohr jedem Himmelskörper folgen, wenn man nur die Polarachſe des Rohres mit derſelben Geſchwindigkeit, wie ſie die Erdachſe beſitzt, aber in entgegengeſetzter Richtung in fortwährender Bewegung erhält; wir haben ſo die vollendete äquatoreale Bewegung. Es giebt verſchiedene Wege, dieſen Zweck zu erreichen. Das große Nizzaer Teleſkop der Gebrüder Henry und das Lick-Fernrohr haben kurze, ſtarke Achſen, die durch Gegengewichte ausbalanciert ſind, wie Fig. 498 lehrt. Werfen wir einen Blick auf die letztere. Die gußeiſerne Säule, welche das Lick-Fernrohr trägt, iſt an der Baſis 5,3 m lang und 3,1 m breit, das obere Ende hat 2,5 m und 1,3 m als entſprechende Ausdehnungen; die Säule wiegt 400 Centner. Der Kopf dieſer rechtwinkligen Säule, auf welchem die Polarachſe aufliegt, wiegt 80 Centner. Um dieſen Kopf geht eine Gallerie für den Aſſiſtenten des Beobachters. Durch ein verwickeltes Syſtem von Rädern vermag er mit dem leiſeſten Druck das Inſtrument auf jeden Himmelskörper hin zu ſtellen und die Lage desſelben an den elektriſch erleuchteten Mikroſkopen abzuleſen. Die Polarachſe von Stahl hat 36 cm Durchmeſſer, 3 m Länge und wiegt 27 Centner; die andere, ebenfalls ſtählerne Achſe iſt ebenſo lang und wiegt 23 Centner. Das Rohr iſt von Stahl und 18 m lang; ſein Durch - meſſer beträgt in der Mitte 120 cm und an den Enden 95 cm. Das vollſtändige Rohr mit allem, was daran zu ſehen iſt, wiegt nicht weniger als 100 Centner, und die Uhr, welche ſeine Bewegung kontrolliert, 20 Centner. Sie ſteht innerhalb der Säule, nahe ihrem oberen Ende, und iſt von der Plattform aus leicht zu erreichen. Der Bewegungs - mittelpunkt des Rohres liegt 11 m über dem Boden, und wenn es918Die optiſchen Inſtrumente.

Fig. 498.

Refraktor der Lickſternwarte auf dem Hamiltonberge in Kalifornien.

nach dem Zenith gerichtet wird, ſo liegt das Objektiv 19,5 m über dem Boden der Säule. Zur Seite des großen Rohres befinden ſich drei kleinere Fernröhre mit Öffnungen von 15, 10 und 7,5 cm, die als Sucher dienen. Das Geſamtgewicht des Rieſenfernrohrs mit der tragenden Säule iſt 800 Centner. Die Aufſtellung wurde nicht919Das Fernrohr.von den Clarkes beſorgt, ſondern von der rühmlichſt bekannten Firma Warner & Swaſey in Cleveland.

Natürlich muß auch dafür Sorge getragen ſein, daß der Beobachter während der beträchtlichen Bewegungen des Rohres denſelben leicht zu folgen imſtande iſt und auch Objekte in der Nähe des Horizontes erreichen kann. Da er für dieſen Zweck nicht ſtets die 11 m wird emporklettern können, ſo iſt hier eine geniale Idee Sir Howard Grubbs ausgeführt worden. Der Boden der ganzen Sternwarte läßt ſich nämlich durch hydrauliſche Maſchinen vom Beobachter leicht auf - und abbewegen eine angenehme, aber nicht billige Art, die Schwierig - keiten zu löſen, ſoweit die Sicherheit ins Spiel kommt, die aber noch nicht auf den fortwährenden Wechſel in horizontaler Richtung genügend Rückſicht nimmt, den die Stellung des Augenendes des Rohres bei ſeiner rotierenden Bewegung erfahren muß. Der Durchmeſſer der Kuppel, welche den Fernrohrrieſen überdeckt, mißt nicht weniger als 35 m, und ſie wiegt die Kleinigkeit von 1800 Centnern. Dabei muß ſie jedoch noch drehbar eingerichtet ſein, damit ihre Öffnung nach einer beſtimmten Himmelsrichtung eingeſtellt werden könne. Die Rieſenkuppel auf dem Hamiltonberge ſoll trotz ihres großen Gewichtes bereits durch einen Druck von 67 kg ſich bewegen laſſen. Die Koſten dieſes Baues allein belaufen ſich auf 56800 Dollar.

In neueſter Zeit hat man die Aufſtellung der Äquatoreale weſent - lich zu vereinfachen getrachtet, indem man nur einen geringeren Teil derſelben beweglich herſtellt, den größeren Teil aber feſt läßt. Man kann dies, indem man zwiſchen Augenende und Objektiv ſchief gegen das Rohr eine bewegliche, ſpiegelnde Glasplatte einſetzt und nun nur das Objektivende beweglich macht. Dieſes Inſtrument, das gebrochene Äquatoreal des Herrn Loewy von der Pariſer Sternwarte, iſt jetzt mit einer Öffnung von 57 cm ausgeführt worden. Freilich wird durch den Planſpiegel immer ein Verluſt an Lichtkraft und Deutlichkeit herbei - geführt werden, aber die Gebrüder Henry machen dieſelben bereits in ſolcher Vollkommenheit, daß jener Verluſt gering erſcheint gegen die offenbaren Vorteile der Leichtigkeit der zu bewegenden Teile. Wir ſind daher berechtigt, in dieſem Werkzeuge das Fernrohr der Zukunft zu erblicken, das mit der Zeit nicht nur bei den allgemein aſtronomiſchen, ſondern auch bei photographiſchen und ſpektroſkopiſchen Aufgaben der Himmelsforſchung vorzügliche Dienſte leiſten wird.

Verſuchen wir, uns ein Urteil über die Wirkungen eines großen Inſtrumentes zu bilden. Wir werden dabei zunächſt an die Mittel denken, durch welche die Sehſchärfe des unbewaffneten Auges ſich feſt - ſtellen läßt. In einer alten arabiſchen Himmelsbeſchreibung wird ein Stern im großen Bären erwähnt, nach dem die Menſchen ihr Geſicht prüfen . Es iſt dies ein Stern fünfter Größe, der für gute Augen und bei günſtiger Witterung bei uns immer ſichtbar iſt. Da für ein ſcharfes Auge ſogar noch einige Sterne von der ſiebenten Größe ſichtbar920Die optiſchen Inſtrumente.ſind, ſo würde das Auffinden jenes Sternes durchaus nicht ſchwer fallen, kämen nicht zwei erſchwerende Umſtände hinzu. Einmal ſteht er überhaupt einem andern Stern ziemlich nahe ihr Abſtand beträgt ein drittel Mondesbreite und andererſeits iſt der benachbarte Stern von der zweiten Größe, überſtrahlt alſo durch ſeinen Glanz den kleineren dermaßen, daß dieſer ſchwer noch einen Eindruck macht. Ganz ähnlich wächſt nun die Schwierigkeit, mit dem Fernrohr zwei nahe Sterne als getrennt wahrzunehmen, nicht bloß in dem Maße, als ſie einander näher kommen, ſondern auch als der eine vom andern an Helligkeit übertroffen wird. Daß der Siriusbegleiter, die Marsmonde und der fünfte Jupitertrabant ſo lange auf ihre Entdecker warten mußten, das lag keineswegs an ihrer Lichtſchwäche, auch nicht daran, daß ſie zu dicht an dem Hauptkörper ſtanden, um ſich von ihm unterſcheiden zu laſſen, ſondern hauptſächlich an der beträchtlichen Lichtſtärke dieſer gegenüber ihren Begleitern.

Als man das Lick-Inſtrument noch in der Werkſtatt prüfte, ward es zunächſt auf einen Doppelſtern im Bilde der nördlichen Krone ein - geſtellt, deſſen beide Sternchen eine Entfernung von nur ¼ Sekunde beſitzen, aber von ziemlich gleicher Helligkeit ſind. Ohne Schwierig - keit wurden ſie getrennt geſehen. Was das heißen will, mag ein Bei - ſpiel klar machen. Stellen wir uns dazu zwei Leuchtkäfer vor, die um eine Spanne von einander getrennt dahinfliegen. Wenn ihre Leuchtkraft ſonſt genügend iſt, ſo müßte man ſie durch das Fernrohr noch in einer Entfernung von 15 Meilen von einander unterſcheiden können. Nähere Doppelſterne kannte man aber damals noch nicht, zu ihrer Entdeckung wird das Inſtrument erſt beitragen. Wenn ein Stern von einem andern bedeutend überſtrahlt wird, ſo hat man ſich bisher meiſt in der Weiſe geholfen, daß man die Strahlen des Haupt - ſterns vom Auge fernhielt, daß man alſo ſein Bild im Fernrohr ver - deckte. Auf dieſe Weiſe hatte z. B. Winnecke den Begleiter der Vega, eines Sternes erſter Größe, gefunden, und nur ſo hatte man ihn bis - her zur Sichtbarkeit bringen können. Bei der Prüfung des Lick-Fern - rohrs gelang es auch ohne Verdeckung, den lichtſchwachen Stern zu erblicken. Die Vergrößerung, welche das Inſtrument erlaubt, geht vom 180 - bis zum 3000 fachen. Der Direktor der Lick-Sternwarte Holden ſchreibt darüber: Während die Vergrößerung, die man mit Erfolg bei einem Inſtrumente von 12 cm Öffnung anwenden kann, nicht mehr als 400 beträgt, erlaubt das Lick-Fernrohr eine ſolche von 2000 bei paſſenden Objekten, z. B. bei Fixſternen. Beim Monde und den Planeten kann man aus vielen Gründen eine ſolche Vergrößerung nicht mit Vorteil verwenden, ſondern wahrſcheinlich höchſtens eine ſolche von 1000 bis 1500. Der Mond erſcheint uns bei dieſer Vergrößerung ſo, als ob er mit freiem Auge aus einer Entfernung von etwa 40 Meilen geſehen würde, oder mit anderen Worten: man kann Objekte von 90 m im Quadrat darauf erkennen. 921Das Fernrohr.Kein Dorf, kein großer Kanal, ja nicht einmal ein großes Gebäude würde ohne unſere Kenntnis auf dem Monde angelegt werden können. Hoch organiſiertes Leben wird ſich, wenn es auf dem Monde vor - handen iſt, auf dieſem indirekten Wege bekannt geben.

Wie geſagt, iſt die direkte Beobachtung nicht die einzige Arbeit, die den großen Fernröhren obliegt. Dazu gehört auch die photo - graphiſche Aufnahme himmliſcher Objekte, bei welcher das Lick-Teleſkop auch bereits ſeine Überlegenheit gezeigt hat. Ferner gehört die ſpektro - ſkopiſche Forſchung dazu, welcher das Spektrometer dient. Mag es weiter zur Erkenntnis der phyſikaliſchen Beſchaffenheit und der Ge - ſchwindigkeit der Welten beitragen, gleich ſeinen Genoſſen! Möge die Arbeit der Rieſenfernröhre unſere Herrſchaft über die Welten weiter tragen, und mag der ſpekulative Geiſt Schritt halten mit den objektiven Erfahrungen, die wir ſolchen Hülfsmitteln verdanken!

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X. Das Papier und die vervielfältigenden Künſte.

1. Die Erfindung des Papiers.

Wenn in einem Geſpräch gelegentlich das Wort Papier ge - braucht wird, ſo iſt im allgemeinen von derjenigen Verwendung des Papiers die Rede, die die urſprünglichſte und älteſte iſt, von der Ver - wendung zu Schreib - oder Druckzwecken. In der That iſt die unge - heure Bedeutung der Erfindung des Papiers gerade für die Entwicklung der graphiſchen Künſte am erſichtlichſten und in die Augen ſpringendſten, ohne daß aber darum die heutige Verwendung des Papiers zu hundert anderen Zwecken minder bedeutungsvoll wäre. Man ſtellt ſich im ge - wöhnlichen Leben gar nicht vor, was alles aus Papier gemacht wird, welche wunderbaren Eigenſchaften dieſes Produkt menſchlichen Erfin - dungsgeiſtes in ſich trägt. Dem Hutmacher, dem Schuhmacher, dem Porzellanfabrikanten, dem Bandagiſten, dem Schneider, dem Moſaik - bildner und unzähligen andern gewöhnlichen oder Kunſthandwerkern iſt das Papier zu mannigfaltigen Zwecken ein oft unentbehrlicher Gebrauchsgegenſtand geworden. Tafeln, Figuren, Töpfe, Wäſche, Fäſſer von enormer Widerſtandskraft, Eiſenbahnſchienen, Wagenräder, kurz und gut die verſchiedenartigſten Sachen, an deren Feſtigkeit außer - ordentliche Anſprüche geſtellt werden, werden heutigen Tages aus dieſem Stoffe gemacht, den in früheren Zeiten jemand als zu ſolchen Dingen geeignet nicht hätte bezeichnen dürfen, ohne verlacht zu werden.

Wenden wir uns der Geſchichte der Papierinduſtrie zu, ſo ſehen wir, daß es zunächſt das Bedürfnis nach beſſerem Schreibmaterial war, das zur Erfindung des Papiers führte. In den älteſten Zeiten mußten Steine, Metallplatten, Thonſtücke, Holztafeln, Baumrinden den Skri - benten für ihre Schriftſtücke und Schreibkünſte genügen. Auch das Palmblatt, das in Indien und auch in Weſtaſien und Ägypten ſchon in alten Zeiten als vorzüglicher Schreibſtoff bekannt und beliebt war und ſelbſt heutzutage namentlich in Ceylon noch ſehr viel in Gebrauch923Die Erfindung des Papiers.iſt, dürfte auf den Namen Papier kaum Anſpruch machen, da ihm weſentliche Eigenſchaften eines ſolchen, die leichte Biegſamkeit, die Brechbarkeit, ſowie die Brauchbarkeit für ſchnellſtes Schreiben abgehen. Ebenſo befriedigte das Pergament, das ja vielfach ſogar Pergament - papier genannt wird, ſolche Erforderniſſe nur zum Teil, wenn es auch, zwar zumeiſt aus Billigkeitsrückſichten, neben den älteſten Papierſorten, beſonders derjenigen, welche in Ägypten aus der Papyrusſtaude her - geſtellt wurde, ſeinen Rang feſt behauptete.

Die Bereitung von Papier aus dem Zellengewebe der binſen - artigen, durchſchnittlich 5 m hohen Papyrusſtaude (Cyperus Papyrus) datiert wahrſcheinlich bis in das vierte Jahrtauſend vor Chr. zurück. Man ſchnitt aus dem Zellengewebe ſchmale Streifen, die ziemlich dicht neben einander gelegt wurden. Nachdem man über eine ſolche Schicht eine andere in kreuzweiſer Anordnung darübergelegt hatte, durchtränkte man das ganze mit Waſſer, in dem Gummi aufgelöſt war. Darauf wurde die Maſſe gepreßt und getrocknet, mit einer dünnen Miſchung von Stärkekleiſter überſtrichen, nochmals gepreßt und getrocknet und ſchließlich mit Elfenbein oder ähnlichem Material geglättet, was aber nur bis zu einem gewiſſen Grade gelang. Auch hatte der Papyrus außer der Streifigkeit noch den Übelſtand, nicht weiß, ſondern graubraun zu ſein. Erwähnt ſei noch, daß die Papyrusſtaude auch zur Herſtellung von Kleidern, Stricken und Geflechten diente. Leinwand und Seide dienten übrigens in Ägypten, wie in China ſchon in alten Zeiten zum Schreiben. In China wurde dann vor etwa 2000 Jahren, wenn nicht früher, ſelbſtändig ein Papier erfunden, das mit dem heutigen Fabrikat ſchon mehr Ähnlichkeit hat, als der Papyrus. Es wurde aus dem Baſt des Papiermaulbeerbaums (Broussonetia papyrifera) mit Beimengung von Seidenlumpen, vielleicht auch Baumwolle hergeſtellt. Dieſe Fabrikation verpflanzte ſich in den erſten Jahrhunderten unſerer Zeitrechnung über Samarkand und Damaskus zu den Arabern und Ägyptern fort und wurde wohl zu Anfang des Mittelalters von den Arabern nach Spanien gebracht. Die Anwendung von Lumpen oder, wie der techniſche Ausdruck lautet, Hadern ſtatt roher Baumwolle mag ſchon vorher erfolgt ſein; z. B. bot ſich den Ägyptern in dem alten Leinenzeug, das in ungeheuren Maſſen in den Felſengräbern aufgeſpeichert war, ein vorzügliches Papiermaterial; doch kann man nicht ſagen, wann zuerſt Lumpen - und Leinenpapier in Gebrauch gekommen iſt. Im 14., beſonders aber im 15. Jahrhundert nach Erfindung der Buchdruckerkunſt nahm die Papierinduſtrie, die Anlage und Verbeſſerung von Papiermühlen be - ſonders in Frankreich, Deutſchland und Holland einen großen Auf - ſchwung. Nach letzterem Lande wird der weſentlichſte Apparat der heutigen Papierfabrikation, der Holländer , benannt, der, vorher in Deutſchland erfunden, erſt von Holland aus in der Mitte des vorigen Jahrhunderts auch bei uns Eingang fand und an die Stelle der alten Stampfwerke trat. Der größte Fortſchritt auf dieſem Gebiete trat924Das Papier und die vervielfältigenden Künſte.natürlich mit der Einführung der Maſchinenfabrikation ein. Als Er - finder der noch heute gebräuchlichen, wenn auch mehrfach umgeänderten Papiermaſchine iſt der Franzoſe Louis Roberts in Eſſonne zu nennen, der im Jahre 1799 durch ſeine Maſchine eine vorher von Leiſten - ſchneider in Poncey erfundene Cylindermaſchine völlig verdrängte, die eigentlich nur zur Pappenfabrikation geeignet und auch dazu in Gebrauch geblieben iſt. Die weſentlichſten Verbeſſerungen an der Papiermaſchine machten Léger-Didot im Jahre 1819, Fourdrinier im Jahre 1830 und Donkin im Jahre 1835. Als bedeutſame Erfindung iſt auch diejenige der Büttenleimung von den Gebrüdern Illig in Erbach im Jahre 1806 zu bezeichnen, indem ſie an Stelle der zeit - raubenden Leimung der einzelnen Papierbogen ein Verfahren ſetzten, bei dem ein geeigneter Leimzuſatz zu der noch unfertigen Papiermaſſe gefügt wurde. Im übrigen ſind im 19. Jahrhundert verſchiedene Stoffe gefunden worden, die einen Erſatz für die kaum mehr den Papierbedarf deckenden Baumwollen - und Leinenlumpen bieten ſollen Wir wollen den geſchliffenen Holzſtoff von Keller (1847), die chemiſch gewonnenen Celluloſeſtoffe und die Verwendung von Stroh zu dem gleichen Zwecke erwähnen. Gehen wir zur Papierfabrikation ſelbſt über und folgen der Umwandlung der Hadern zum feinſten Schreibpapier von Schritt zu Schritt. Zunächſt handelt es ſich darum, die Hadern, die in den mannigfaltigſten Beziehungen, wie Farbe, Stoff, Feinheit u. ſ. w. Verſchiedenheiten zeigen, zu ſortieren. Es giebt Fabriken, die mehr als 30 Sorten unterſcheiden, wobei natür - lich die Abſicht der Herſtellung ſo viel verſchiedener Papierſorten maß - gebend iſt. So werden z. B. zur Anfertigung von Seiden -, Cigaretten - und Banknotenpapier nur die kräftigſten Leinen - oder Hanfhadern, die nicht durch Bleichen angegriffen ſind, verwendet, dagegen für Grob - papier und Pappe Holzzeug, zerkleinertes Stroh, Kartoffelkraut, Moos, Föhrennadeln, Weinreben und ähnliches. Nächſt oder gleichzeitig mit dem Sortieren wird das Schneiden der Lumpen vorgenommen, wobei es einerſeits darauf ankommt, alles Unbrauchbare, wie Knopflöcher, Nähte, Knöpfe u. dergl. wegzuſchneiden, andererſeits darauf, das ganze Material in Stücke von ziemlich gleicher Größe, 3 bis 5 Centimeter lang, zu zerkleinern. Das erſtere geſchieht meiſtens mit der Hand, das letztere gewöhnlich mit einem mechaniſchen Meſſerapparat, dem Lumpenſchneider . Sehr notwendig iſt außerdem das Aus - ſtauben, das manchmal ſchon teilweiſe ganz am Anfang der Be - arbeitung, meiſt aber und vollſtändig nach dem Schneiden erfolgt. Es geſchieht dies erſtens im Lumpenwolf , in dem die Lumpen von einer mit eiſernen Pflöcken verſehenen Rolle gegen eiſerne Roſte geſchleudert und dadurch aufgelockert werden, und dann in der Siebmaſchine , in der der vorher aufgelockerte Staub ganz entfernt wird. Die Sieb - maſchine beſteht aus einer großen ſechs - oder achtſeitigen Trommel, deren Wände Drahtgitter bilden. Im Innern befindet ſich eine mit925Die Erfindung des Papiers.vielen, faſt bis an die Drahtgitter heranreichenden Stäben verſehene Axe. Der ganze Apparat wird mit den Lumpen gefüllt und darauf in ziemlich ſchnelle Rotation verſetzt. Die Geſchwindigkeit, mit der die Umdrehungen der Axe erfolgen, muß aber eine größere, wie die der Trommel ſein. Dadurch erfolgt eine außerordentlich gründliche Durch - ſchüttelung und Reinigung der Lumpen.

Es iſt nunmehr aber ein Waſchen der Lumpen nicht zu umgehen, und zwar genügt nur in den ſeltenſten Fällen, wenn nämlich die Hadern beſonders ſauber ſind, ein mehrſtündiges Auswaſchen mit kaltem Waſſer. Im allgemeinen iſt aus mehreren Gründen ein vollkommenes Kochen der Lumpen in einer alkaliſchen Flüſſigkeit, z. B. Soda oder Ätzkalk erforderlich. Erſtens läßt ſich nämlich nicht aller Schmutz mechaniſch entfernen, beſonders werden aber die fettigen Beſtandteile erſt durch heiße Alkalien aufgelöſt, ſodaß ſie dann durch weiteres Waſchen aus den Hadern herausgebracht werden können. Ferner wird die ſogenannte Intercellularſubſtanz, durch welche die Pflanzenfaſern der Hadern zuſammengehalten werden, durch die alka - liſche Flüſſigkeit ſtark angegriffen, reſp. zerſtört, wodurch eine für den weiteren Papierfabrikationsprozeß ſehr erwünſchte Auflockerung und Erweichung der Lumpen eintritt. Schließlich werden die zum Färben angewandten mineraliſchen oder vegetabiliſchen Farbſtoffe durch ein ſolches Kochen beſeitigt. Dies iſt ſehr vorteilhaft, da das Papier meiſt eine gleichmäßige weiße oder gelbe Färbung erhalten ſoll, zu welchem Zwecke allerdings ſpäter noch ein beſonderes Bleichverfahren angewendet wird. Der Apparat zum Kochen, der Hadernkocher , beſteht gewöhnlich aus einem in ſich ge - ſchloſſenen cylinder - oder trommelartigen Keſſel, in den ſoviel Lumpen mit einem nach den Umſtänden verſchieden bemeſſenen Zuſatz von Alkalien eingefüllt werden, daß nur etwa ein Viertel des verfügbaren Raumes frei bleibt. Der Keſſel wird dann in langſame Rotation verſetzt, während gleichzeitig heißer Dampf unter einem Druck von 3 bis 6 Atmoſphären in ihn hineingeleitet wird. Es entſteht dadurch im Innern des Keſſels eine Temperatur, die über die gewöhnliche Siedehitze der alkaliſchen Flüſſigkeit hinausgeht, ſodaß die Hadern völlig durchgekocht werden.

Jetzt ſind die vorbereitenden Arbeiten ſoweit beendet, daß man an die Hauptaufgabe der Fabrikation, die Zerkleinerung der Lumpen - maſſe herangehen kann. In früheren Zeiten geſchah dies mittels des Hammergeſchirrs , eines Stampfwerkes, das die mit Waſſer vermiſchten Hadern durch eiſenbeſchlagene Hämmer unaufhörlich bearbeitete, wo - bei ſich die Lumpen allmählich in ihre Faſern auflöſten. Wie oben erwähnt trat an die Stelle der Stampfwerke etwa ſeit Mitte vorigen Jahrhunderts der weit leiſtungsfähigere Holländer , der auf dem Prinzip des Zerſchneidens der Lumpen beruht. Es läßt ſich allerdings nicht leugnen, daß die ältere Methode langfaſerigeres und daher halt -926Das Papier und die vervielfältigenden Künſte.bareres Papier lieferte; indeſſen ſind die Vorteile des Holländers ſo große, daß er bald allgemein eingeführt wurde. Die meiſten Papier - ſorten durchlaufen nun eine ganze Reihe von Holländern, in denen ſie zu Halb - und Ganzzeug verarbeitet, gebleicht, gefärbt und geleimt werden. Man unterſcheidet vor allem den Halbzeug - und Ganzzeugholländer, die aber nur in dem Grade der Zerkleinerung der Hadern von ein - ander abweichen. Will man z. B. Packpapier verfertigen, ſo genügt es, nach den bisherigen Operationen die Hadern ſofort der Einwirkung des Ganzzeugholländers auszuſetzen, in dem die Zerkleinerung der Lumpen gleich, ſoweit als es überhaupt nötig iſt, erfolgt. Für Her - ſtellung feineren Papiers paſſiert aber das Material vorher den Halb - zeugholländer, in dem es zum Halbzeug umgewandelt wird, d. h. zu einer Maſſe, in der ſich keine Gewebereſte, ſondern nur noch Faſern und Fäden von etwa 3 Centimeter Länge befinden. Im weſentlichen beſteht der Holländer aus einer mit radial ſtehenden Meſſern verſehenen raſch rotierenden Walze, welche andern feſtſtehenden Meſſern, dem Grundwerk, mehr oder weniger genähert werden kann, wodurch der größere oder geringere Grad der Zerkleinerung der Lumpen bewirkt wird. Fig. 499

Fig. 499.

Holländer.

ſtellt den Längendurchſchnitt eines Holländers vor. T iſt die Walze oder Meſſertrommel, G das erwähnte Grundwerk, K der ſogenannte Kropf, eine eigentümlich geformte Ausbuchtung des Bodens, die einerſeits die Stellung des Grundwerks erhöhen und andererſeits eine beſſere Cirkulation der Lumpenmaſſe veranlaſſen ſoll. In dem ſanft anſteigenden Teil des Kropfes iſt der durch ein Sieb gedeckte Sandfang oder Sandkaſten S angebracht, in dem ſich Sand und ähnliche Unreinlichkeiten abſondern ſollen. Es erfolgt nämlich gleich - zeitig mit dem Zerkleinern im Holländer auch ein Waſchen. Darum iſt auch ein Holzkaſten H über die Walze geſetzt, der das Umherſpritzen des mit Waſſer vermiſchten Hadernzeuges verhindert. In dieſen Kaſten iſt die Waſchſcheibe w eingeſetzt, gegen welche bei der Umdrehung der Trommel Waſſer und Zeug geſpritzt werden. Das Zeug wird durch die Waſch - oder Siebſcheibe zurückgehalten, während das Waſſer durch dieſelbe hindurchfließt. Will man mit dem Waſchen aufhören, ſo ſetzt927Die Erfindung des Papiers.man die Blindſcheibe b vor die Waſchſcheibe w. Die Walze T kann durch einen Hebel, der mit einem Kurbelrädchen in Thätigkeit geſetzt wird, gehoben oder geſenkt werden. Beim Ganzzeugholländer findet letzteres ſtatt, ſodaß die Meſſer einander mehr genähert werden; außerdem wird dann die Trommel T in ſchnellere Rotation verſetzt. Während man dieſelbe im Halbzeugholländer nur höchſtens 180 Umdrehungen in der Minute machen läßt, ſteigert man dieſe Zahl im Ganzzeug - holländer bis auf 220. Die Meſſer an der Trommel ſind übrigens mit ihrer Schärfe derjenigen der feſten Meſſer entgegengeſetzt, ſodaß nicht wie bei einer Schere ein Zerſchneiden, ſondern vielmehr ein Zer - reißen der Hadern ſtattfindet.

Was geſchieht nun mit der ſo gewonnenen wäſſerigen Faſermaſſe, dem Halbzeug? Dasſelbe muß zunächſt entwäſſert und gebleicht werden. Die Entwäſſerung findet entweder durch gewaltſames kreiſendes Schleudern ſtatt oder beſſer durch Preſſen in der Halbzeugpreſſe, die eine Art Pappe liefert, welche ſich ſehr gut bleichen läßt. Das Bleichen erfolgte in früherer Zeit unmittelbar nach dem Kochen, jetzt aber erſt nach der Halbzeugbereitung im Bleichholländer. Man unterſcheidet die Gasbleiche und die Naßbleiche. Der Gasbleiche muß eine gute Ent - wäſſerung vorangehen, während dieſe, im Falle man die weit praktiſchere Naßbleiche anwendet, erſt nachher vor ſich geht. Zur Gasbleiche wird Chlor in gasförmigem Zuſtand verwandt, während bei der Naßbleiche Chlorkalk zur Benutzung gelangt. Man ſetzt gewöhnlich, um eine ſtärkere Bleichung zu erzielen, dem Chlorkalk Schwefelſäure zu. Dieſe bindet nämlich einen großen Teil des Kalkes, ſo daß die in Chlorkalk thatſächlich bleichend wirkende Subſtanz, das Chlor in größerer Menge frei wird. Iſt die Bleiche beendet, ſo iſt es erforderlich, das Chlor und die Säure wieder völlig aus dem Halbzeug zu entfernen. Dies findet durch mehrfaches Waſchen teils mitreinem Waſſer, teils mit ſchweflig - oder unterſchwefligſaurem Natron ſtatt.

Jetzt iſt das Halbzeug ſoweit präpariert, um in den Ganzzeug - holländer zu kommen, in dem außer der oben ſchon erwähnten weiteren Zerkleinerung des Halbzeugs zu Ganzzeug meiſt noch gleichzeitig andere Operationen vorgenommen werden. Erſtens erfolgt gewöhnlich das Miſchen der verſchiedenen Papierſorten, ſoweit dieſelben zu einem und demſelben Papier Verwendung finden ſollen, im Ganzzeugholländer und zwar in der Weiſe, daß die Sorten, die noch am meiſten mechaniſcher Verarbeitung bedürfen, zuerſt, die feineren aber erſt ſpäter in den Apparat gethan werden. Manche Fabrikanten miſchen erſt das fertige Ganzzeug, wobei ſie ſich eines beſonderen Holländers, des Miſch - holländers, bedienen. Ferner muß das Papier geleimt werden, da ſonſt zu leicht Flüſſigkeiten in ſeine Poren eindringen würden, wie es bei dem ungeleimten Löſch - und Fließpapier der Fall iſt. Wir haben bereits oben erwähnt, daß in früheren Zeiten die fertigen Bogen einzeln geleimt wurden, was natürlich ſehr zeitraubend war. Die jetzt an -928Das Papier und die vervielfältigenden Künſte.gewandte Stoff - oder Büttenleimung geſchieht im Ganzholländer, indem man zunächſt Harzſeife zu der Halbzeugmaſſe zuſetzt und nach erfolgter Miſchung noch eine Löſung von Alaun oder ſchwefelſaurer Thonerde. Schließlich findet im Ganzzeugholländer im allgemeinen noch das Bläuen, ein ſchwaches Blaufärben, ſtatt, um dem Papier einen etwas bläulichen Stich zu geben, während ein wirkliches Färben durch Zuſatz von kräftigen Farbſtoffen nur dann erfolgt, wenn man buntes Papier haben will.

Wir haben jetzt einen völlig homogenen Papierbrei, der im großen und ganzen nur noch ausgebreitet, gepreßt und getrocknet zu werden braucht, um als fertiges Papier zu erſcheinen. Hier müſſen wir aber zwei Methoden der Fabrikation unterſcheiden: die Hand - oder Bütten - Fabrikation und die Maſchinenpapierfabrikation, die im Jahre 1799 von Louis Roberts erfunden wurde. Beide Verfahren haben ihre Vorteile und ihre Nachteile, das Büttenpapier iſt meiſt feiner und feſter, aber rauher als das Maſchinenpapier und wird daher z. B. für Wert - papiere und beſonders gut ausgeſtattete Werke immer noch dem letzteren vorgezogen. Dieſes, das Maſchinenpapier, iſt zwar durchſcheinender, aber zum Schreiben wegen ſeiner größeren Glätte weit geeigneter.

Das Büttenpapier wird in folgender Weiſe hergeſtellt. Das fertige Ganzzeug, ein wäſſeriger Papierbrei wird in die ſogenannten Schöpf - bütten übergeleitet, große Behälter, in denen durch geeignete Rühr - und Drehvorrichtungen die Maſſe in beſtändiger Bewegung erhalten wird, damit ſich nicht die dickeren Beſtandteile unten abſetzen. Aus dieſer Bütte ſchöpft man den Brei auf eine ſiebartige Fläche, deren Rand der gewünſchten Papierdicke entſprechend hoch gewählt wird. Ein Teil des Waſſers wird alſo ſchon durch das Sieb, die Form , abfiltrieren, ſodaß eine feuchte Platte von Papierſtoff zurückbleibt. Wenn man Velinpapier, d. h. möglichſt glattes Papier ohne irgend welche Ein - drücke herſtellen will, dann beſteht die Form aus einem ſehr feinen Drahtnetz, das auf dem Webſtuhl gemacht wird, während die Form für Bereitung von geripptem Papier aus einer Anzahl eng aneinander liegender Meſſingdrähte beſteht, die mit einer Reihe quer zu ihnen ge - lagerter, weiter auseinander liegender Drähte durchflochten ſind. Im fertigen Papier erſcheinen dann die Eindrücke dieſer Drähte, beſonders die der höher liegenden Querdrähte als hellere Linien. Auch die ſonſtigen Waſſerzeichen werden oft in ähnlicher Weiſe hervorgebracht, indem man dieſelben in Drahtform auf das Sieb legt. Häufiger allerdings geſchieht dies wohl erſt beim Preſſen, indem man die betreffen - den Formen auf Zinkplatten legt, zwiſchen denen das Papier gepreßt wird, an den Stellen, wo die Form des Waſſerzeichens liegt, natürlich ſtärker, wie auf ſeiner übrigen Fläche.

Von der Schöpfform gelangt nun die Papiermaſſe zum Preſſen auf einen Filz aus Wollengewebe, wobei dieſer über die gefüllte Form gelegt, deren Rand abgenommen und das ganze umgeſtülpt929Die Erfindung des Papiers.wird. Eine Reihe ſolcher Lagen von Filz und Papiermaſſe werden zu einem Haufen oder, wie der techniſche Ausdruck lautet, zu einem Pauſcht übereinander geſchichtet und dann unter eine Preſſe gebracht. Es wird durch das Preſſen erſtens das Waſſer aus den Faſern ge - trieben, dann aber auch erſt Glätte, Dichte und Zuſammenhang des Papiers hervorgerufen.

Wenn das Preſſen genügend oft wiederholt iſt, werden die Bogen, zu 4 bis 5 übereinander gelegt, über Schnüre von Pferdehaar oder Kokosbaſt gehängt, um zu trocknen, indem man die Feuchtigkeit an der Luft, bei naſſer Witterung in geheizten Räumen verdunſten läßt.

Es erübrigt nun nur noch die Appretur, die der Erhöhung der Brauchbarkeit und Schönheit des Papiers dient. Erſt muß das Papier jetzt noch einmal geleimt, mit lauwarmem Leim überſtrichen, dann geputzt werden. Letzteres iſt eine ſehr mühſame Arbeit, da bei jedem einzelnen Bogen die Knötchen, Filzfaſern und ähnliche ſchlechte Reſte ausgeſucht und fortgeſchabt werden müſſen. Hierauf wird das Papier zur Erhöhung ſeiner Glätte noch einmal kräftig trocken gepreßt oder auch ſatiniert, indem es, zwiſchen Glanzpappen oder Bleche gelegt, durch kräftige, glatte Eiſenwalzen hindurchgezogen wird.

Das Büttenpapier iſt nun fertig und kann abgezählt und verpackt werden. Schreibpapiere legt man zu einem Ries, enthaltend 20 Buch, zu je 24 Bogen, zuſammen, Druckpapier zu einem Ballen von 10 Ries, enthaltend je 20 Buch zu je 25 Bogen. Ein Neubuch bedeutet 100 Bogen für beide Papierſorten.

Wie das Maſchinenpapier hergeſtellt wird, ſoll durch Fig. 500 illuſtriert werden. A bezeichnet das Faß oder die Bütte, in die der Papierbrei, das Ganzzeug, überführt wird. Damit ſich nicht

Fig. 500.

Papiermaſchine.

Schichtungen von verſchiedener Dichte bilden, findet ſich in der Bütte eine kreuzähnliche Vorrichtung, der Agitator, durch die der Brei dauernd gerührt wird. Eine gleiche Vorrichtung iſt auch im Faſſe B, in dem der Brei mit Waſſer verdünnt wird. Aus dieſem wird dieDas Buch der Erfindungen. 59930Das Papier und die vervielfältigenden Künſte.Maſſe durch eine Pumpe in dem Rohre C in die Höhe getrieben und in den viereckigen Kaſten a übergeleitet. An der vorderen Seite dieſes Kaſtens iſt ein querlaufender Spalt angebracht, durch den der Brei in die eigentliche Maſchine abfließen kann, zunächſt in den Sandfang b. Durch einen mechaniſchen Regulator kann es leicht erreicht werden, daß in gleicher Zeit ſtets die gleiche Menge Brei durch den Spalt in den Sandfang läuft, damit das Papier gleich dick werde. Je nach der gewünſchten Dicke des Papiers reguliert man die Menge der in be - ſtimmter Zeit durchfließenden Maſſe. Im Sandfang b verteilt ſich der Brei langſam und fließt ruhig dahin, ſodaß ſich Unreinlichkeiten, wie Sand und ähnliches, gut auf dem Boden abſetzen können. Aus dem Sandfang gelangt die Maſſe in den Knotenfang c durch eine Reihe von Meſſingſtäbchen hindurch, die einen gleichmäßigen Abfluß be - wirken ſollen. Auf dem Boden des Knotenfangs befinden ſich lange, feine, ſpaltartige Öffnungen, durch die der Brei auf das Metalltuch d abfließen kann, während mechaniſche Beimiſchungen, beſonders Knoten, auf dem Knotenfang zurückbleiben. Damit ſich die Spalten nicht ver - ſtopfen, wird der Knotenfang dauernd in auf - und abſteigender und in hin - und herrüttelnder Bewegung erhalten. Das Metalltuch beſteht aus einem dichten, in ſich ſelbſt zurücklaufenden, alſo endloſen Maſchen - werk von Meſſingdrähten, das ſich über eine große Anzahl eng an - einander befindlicher dünner Walzen fortbewegt. Die Breite des Metalltuchs richtet ſich nach der erforderlichen Breite des Papiers. Die Ränder des Metalltuchs ſind ebenfalls ohne Ende und laufen über die Rollen e, die an der Seite angebracht ſind. Zur Beförderung des Waſſerabfluſſes, der in dieſem Teile der Maſchine in beſonders ſtarkem Maße ſtattfinden muß, ſowie zur Beförderung einer gleich - mäßigen Verteilung des Papierbreies tritt ein Schüttelwerk f in Thätigkeit. Die bisher beſchriebenen Maſchinenteile dienten nur der Reinigung des Ganzzeuges und der teilweiſen, groben Entwäſſerung. Nunmehr beginnt das Preſſen und Trocknen. Neuerdings wird zu dieſem Zweck auch der Luftdruck in Dienſt geſtellt.

Das Papier läuft nun mit dem Metalltuch erſt durch die Walze g, dann unter ſtärkerem Druck durch die mit Filz über - zogene Walze h. Dann geht das Metalltuch nach dem vorderen Teil der Maſchine zurück, während der nunmehr ſchon etwas konſiſtente Papierbrei auf das endloſe Filztuch i, das mit g und h zuſammen die ſogenannte Naßpreſſe bildet, gelangt. Das Filztuch be - wegt ſich mit dem Papier über ein Syſtem von Walzen, das eine ſehr ſtarke Preſſung und Glättung des Papiers hervorruft. Etwaige Un - reinlichkeiten, z. B. Papierfaſern, die ſich an das Filztuch anſetzen können, werden durch eine beſondere Vorrichtung, den Doktor, welcher aus einem geſchärften Lineal beſteht, vom Filztuch abgeſchabt und mit Waſſer abgeſpült, ehe dasſelbe wieder neue Papiermaſſe aufnimmt. Nunmehr erfolgt die Trockenpreſſe auf dem ſogenannten Trockenſtuhl,931Die Erfindung des Papiers.wonach das Papier über drei hohle Cylinder m, n und o geleitet wird, die durch Dampf erhitzt werden. Es wird dadurch das völlige Verdunſten des noch in der Papiermaſſe befindlichen Waſſers veran - laßt. Das ſich in den Cylindern niederſchlagende Waſſer wird durch Rohrleitungen aus ihnen fortgeſchafft.

Schließlich kommt das jetzt fertige Papier auf die Walze p, den Haſpel, auf dem es ſich aufrollt, um für maſchinelle Verwertung, als Druckpapier direkt verwendbar zu ſein. Soll es aber zum Schreiben dienen, ſo muß es noch in der Papierſchneidemaſchine in das gewünſchte Bogenformat zerſchnitten, und dann noch eventuell, wie das Bütten - papier, ſatiniert werden. Statt der oben erwähnten Zinkplatten, die viel Arbeits - kräfte verlangen und ſich leicht abnutzen, wendet man in neueſter Zeit ein Syſtem von 8 bis 10 übereinander liegen - den Walzen, den Rollkalander (ſ. Fig. 501) an. Die Hälfte der Walzen beſteht aus glatt - poliertem Hartguß, während die andere Hälfte durch hy - drauliſchen Druck feſtgepreßte und auf der Drehbank ab - gedrehte, elaſtiſche Papier - rollen ſind. Läßt man das Papier durch dieſen ab -

Fig. 501.

Rollkalander.

wechſelnd aus beiden Sorten Walzen zuſammengeſetzten Apparat hin - durch gehen, ſo erhält man Papier von außerordentlicher Glätte.

Die Papierfabrikation, wie ſie in China geübt wird, weicht von der in den anderen, neuen Kulturländern angewandten ziemlich erheb - lich ab. Hat das chineſiſche Papier auch manche Vorteile, z. B. für zeichneriſche Zwecke, ſo iſt doch der induſtrielle Betrieb ein bei weitem nicht ſo entwickelter, wie bei uns. Sind doch die Leiſtungen einer Papiermaſchine ganz außerordentliche, da von einer ſolchen in einer Stunde ein anderthalb Meter breiter Streifen feinen Schreibpapiers von 2000 Meter Länge geliefert wird. Im Jahre würde das bei ununterbrochener Thätigkeit der Maſchine 5475 Doppelcentner Papier in 52½ Million Bogen ergeben.

Bezüglich der zur Papierfabrikation dienenden Rohſtoffe iſt in der geſchichtlichen Darſtellung ſchon genug geſagt. Nur über die Ver - wendung des Holzes als Surrogat möchten wir noch einiges nach -59*932Das Papier und die vervielfältigenden Künſte.holen. Die aufmerkſame Betrachtung der Natur war es, die den Webermeiſter Gottfried Keller in Sachſen dazu führte, das geſchliffene Holz zu erfinden. Weſpen waren ſeine Lehrmeiſter, die ihn auf den Gedanken brachten, ähnlich wie dieſe zernagte Holzfaſern zum Bau ihres Neſtes verwandten, durch Schleifen von Holz gutes Papiermaterial zu erhalten. Sein Mitarbeiter Heinrich Völter in Heidenheim erfand dann im Jahre 1846 einen Holzſchleifapparat, der ſich bald Eingang in die Induſtrie verſchaffte. Am beſten eignet ſich zur Darſtellung des Holzſtoffes Fichtenholz. Der Zuſatz an Holzſtoff, den man je nach der erforderlichen Güte des Papiers zu dem Lumpenmaterial macht, beträgt 25 bis 75 %, manchmal noch mehr, wodurch die Dauerhaftig - keit des Papiers allerdings ſehr leidet. In neuerer Zeit hat man dann auch Holzſtoff auf chemiſchem Wege hergeſtellt, d. h. man hat das Holz durch chemiſche Mittel in ſeine Faſern aufzulöſen und von ſeinen harzigen Beſtandteilen zu befreien verſucht. Am vorteilhafteſten iſt zur Herſtellung eines ſolchen chemiſchen Holzſtoffs oder der Cellu - loſe das neueſte Verfahren von Mitſcherlich.

Wir haben nun noch einiges über die Pappfabrikation, über Herſtellung von Papiermaché und überhaupt über die Verwendung von Papier zu den verſchiedenſten Gebrauchsgegenſtänden zu erzählen.

Man unterſcheidet 3 Bereitungsarten der Pappe. Entweder wird ſie direkt, wie Papier, aus einem Brei mittels Schöpf - oder Maſchinen - verfahrens es wird neuerdings eine von Strobel in Chemnitz im Jahre 1860 erfundene Cylindermaſchine dazu angewandt hergeſtellt. Eine ſolche Pappe nennt man geſchöpfte Pappe im Gegenſatz zur ge - gautſchten Pappe, die durch Übereinanderlegen mehrerer Schichten Papier - maſſe zwiſchen die Filze in der Preſſe gewonnen wird. Eigentlich muß man mit dieſem Namen auch ſchon ſtarkes Zeichen - und Muſik - notenpapier und ähnliche Sorten, die aus zwei - bis dreifachen Lagen Ganzzeug beſtehen, bezeichnen. Die gegautſchte Pappe iſt bedeutend feiner, wie die geſchöpfte, ſteht aber der dritten Art, der geleimten Pappe oder Kartenpappe, an Feinheit noch nach. Dieſe wird direkt durch Aufeinanderleimen oder Kleiſtern fertiger Papierlagen und darauf folgendes Preſſen erzeugt. Beſonders Spielkarten werden aus ſolcher Pappe verfertigt.

Ganz ähnlich wird Papiermaché hergeſtellt, das nur durch Zu - ſatz von mineraliſchen Beſtandteilen, wie Thon, Kreide, feinem Sand und ähnlichem, ſowie von leimigen Beſtandteilen und durch beſonders ſtarkes Preſſen zu einer außerordentlichen Feſtigkeit gebracht wird. Das mit den erwähnten Zuſätzen vermiſchte Ganzzeug wird in Formen von Gips, hartem Holz oder Metall, die innen mit Leinöl ausgeſchmiert ſind, eingefüllt, gepreßt, dann herausgenommen, an der Luft getrocknet, mit Leinölfirnis überſtrichen und ſo auf ein Drahtgeſtell geſetzt, in einer Art Backofen einer ziemlich ſtarken Hitze ausgeſetzt. Das Fabrikat hat dann die Feſtigkeit von hartem Holz und iſt von brauner Farbe. Nach933Die Erfindung des Papiers.Belieben kann es lackiert, bemalt oder vergoldet werden. Noch härteres Papiermaché ſtellt man durch Übereinanderlegen von Papierblättern oder Papierſtreifen über Formen her, indem man die einzelnen Lagen mit Kleiſter zuſammenklebt, bei mäßiger Wärme trocknet, mit ſchwarzem Teerfirnis überſtreicht und dann in größerer Hitze trocknet. Es werden beſonders Gas - und Waſſerröhren aus ſolchen übereinandergeklebten Papierſtreifen, die durch geſchmolzenen Asphalt gezogen werden, ver - fertigt. Sie halten einen Druck von 15 Atmoſphären aus. Sehr viel Verwendung findet die Erfindung von Allen in Chicago (1860), Papiermaché für Eiſenbahnräder zu verwenden. Es wird die Nabe aus Gußeiſen gemacht, auf ihr werden zwei Scheiben aus Eiſen oder Stahl befeſtigt, zwiſchen die die Papiermaſſe gebracht wird, die aus 100 bis 200 Bogen feſt zuſammengepreßten ſtarken Papiers beſteht. Das ganze wird mit einem eiſernen Reifen umgeben und liefert dann ein Rad, das ſeiner größeren Elaſticität halber beſonders für Schlaf - wagen den Vorzug vor eiſernen Rädern verdient, an Dauerhaftigkeit die letzteren aber bedeutend, nach neueren Verſuchen etwa um das ſechs - fache übertrifft. In China und Japan hat man übrigens ſchon ſeit vielen Jahrhunderten Papier als Material zur Herſtellung aller mög - lichen Haushaltungsgegenſtände benutzt.

Ganz neu, ungefähr erſt 20 Jahre alt iſt die Verwendung von Papier zu Papierwäſche, wozu nur ſtarke, ganz weiße Papierbogen gebraucht werden können. Jeder Bogen wird mit einer dünnen Email - ſchicht mittelſt einer Bürſte überſtrichen und dann zum Trocknen in einem durch Dampfröhren geheizten Raum über Geſtelle gehängt. Auf dieſe Bogen wird alsdann ein webſtoffartiges Muſter aufgepreßt, indem eine Anzahl Bogen zwiſchen ebenſoviele mit Mouſſelingewebe beklebte Zinkplatten gelegt und zwiſchen Stahlwalzen kräftig gepreßt werden. Nachdem nun noch das Material durch feine, ſchnell rotierende Bürſten poliert iſt, iſt es ſo weit fertig, um wie Leinewand weiter bearbeitet, geſchnitten, umgelegt und mit Knopflöchern verſehen zu werden. In ähnlicher Weiſe werden neuerdings auch feine Spitzen aus Papier her - geſtellt, beſonders für theatraliſche Zwecke; z. B. gelingt die Nach - ahmung der alten Venezianer Reliefſpitzen ganz ausgezeichnet.

2. Die vervielfältigenden Künſte.

Schon frühzeitig entwickelte ſich bei den verſchiedenen Kulturnationen des Menſchengeſchlechts der Trieb zu einer der Vervielfältigung fähigen Darſtellung von Ereigniſſen, Gefühlen und Gedanken. Es waren zunächſt rein praktiſche Zwecke, die eine Befriedigung erheiſchten. Als die Sprache erfunden war, und mit ihrer Hilfe ein Gedankenverkehr934Das Papier und die vervielfältigenden Künſte.von Menſch zu Menſch, von Hütte zu Hütte, von Dorf zu Dorf er - möglicht war, ſtellte ſich bald das Bedürfnis heraus, auch jemandem, den man nicht ſprechen oder ſehen konnte, ohne Vermittlung eines dritten, Nachrichten zukommen zu laſſen. Vielleicht iſt es die Sehn - ſucht zweier Liebenden, die durch beſondere Umſtände am mündlichen Verkehr verhindert waren, geweſen, die ſie zuerſt zu dem großen Schritt führte, Zeichen mit einander zu verabreden, die, in Baumrinde ein - geritzt oder in weiches Geſtein eingehauen, dem einen Kunde vom andern geben ſollten. War ſo in irgend einer Art die erſte Idee ge - geben, ſo mußte notwendig im Anſchluß daran allmählich der Über - gang zur vollkommenen Schrift erfolgen, die wir ſich in der That bei den verſchiedenſten Völkern in den mannigfachſten Formen, aber immer im Übergange von der Zeichenſchrift zur Buchſtabenſchrift entwickeln ſehen.

Neben der zunächſt rein praktiſchen Erfindung der Schrift entſtand aber bald eine künſtleriſche, die der Skulptur und Malerei. Bei manchen Völkern hat der dieſen Künſten zu Grunde liegende Trieb der Nach - ahmung der in der Natur vorhandenen Gegenſtände ſogar gewiß die Grundlage zur Erfindung der Schrift abgegeben. Mehr und mehr erſtarkt nun das Schönheitsgefühl im Menſchen, ſodaß Skulptur und Malerei mit der Zeit unentbehrliche Errungenſchaften der Menſchheit werden, die ſich bei manchen Völkern in ihren erhabenſten Erzeugniſſen zu wunderbarer Vollkommenheit ausbildeten, andererſeits aber in un - geahnter Weiſe bei jedem, auch dem kleinſten Gebrauchsgegenſtand Verwendung fanden.

War man nun durch die Kunſt der Schrift, Bildhauerei und Malerei in den Stand geſetzt, ſeine Gedanken, Gefühle, Empfindungen und Auffaſſungen ſeinen Mitmenſchen mitzuteilen, ſo war doch der Kreis dieſer Mitmenſchen ein recht beſchränkter, ſolange die Verviel - fältigung eines ſolchen Werkes immer noch in der gleichen Weiſe er - folgen mußte, wie das Werk zuerſt entſtanden war. Die notwendige Folge immer weiteren Kulturfortſchritts war das Streben, Methoden zu erfinden, die eine ſchnelle und häufige mechaniſche Vervielfältigung von Kunſt -, und Schriftwerken geſtatteten. Der Anfang dazu wurde in der Kunſt durch die Erfindung des Holzſchnitts gemacht, aber auch nur der Anfang, während auf dem Gebiete der Schrift nicht viel ſpäter der große Schritt geſchah, aber auch gleich in außerordentlich vollkommener Form. Die Buchdruckerkunſt erblickte das Licht der Welt in einem methodiſch ſo abgerundeten und vorzüglichen Zuſtande, wie ſelten eine Erfindung. Im Laufe der letzten Jahrhunderte mehrte ſich die Zahl der vervielfältigenden Künſte außerordentlich. Kupferſtich, Stahlſtich, Lithographie, Öldruck, Farbendruck, Heliogravüre, Zinko - graphie ꝛc. wurden Eigentum der ringenden Menſchheit.

Gekrönt wurden aber alle ſolche Beſtrebungen durch die Erfindung der Photographie, die es ermöglichte, ein naturgetreues Abbild eines Gegenſtandes ohne das Zwiſchenglied eines von Menſchenhänden an -935Die Schreibkunſt.gefertigten Bildwerkes in beliebig großer Zahl mechaniſch zu verviel - fältigen. Natürlich fand dieſe Erfindung auch bei den neueſten der oben genannten Methoden, die die Vervielfältigung eines Kunſtwerkes bezwecken, vielfach Anwendung.

Die ganze neuere Entwickelung drängt dahin, alle Körper der Natur nicht körperlich, ſondern nur ſcheinbar dadurch unzählige Male zu vervielfältigen, daß man einen Apparat, einen Fernſeher, erfindet, mit dem man ſich das Bild eines mit rein optiſchen Mitteln nicht ſichtbaren Gegenſtandes vor das Auge zaubern kann. Die Erfindung dieſes Gegenſtückes zum Telephon, das es beiſpielsweiſe ermöglichen würde, einen in Amerika weilenden Verwandten in Berlin wirklich zu ſehen, wie er dort ſteht und geht, wird hoffentlich in nicht zu ferner Zukunft wieder ein glänzendes Zeugnis menſchlichen Erfindungsgeiſtes liefern.

a) Die Schreibkunſt.

1. Die Schreibſchrift.

Welch ungeheurer Fortſchritt von der Erfindung der Sprache, die in ihren erſten Anfängen wohl aus inſtinktiven, faſt tieriſchen Natur - lauten beſtand, bis zur Erfindung der Schrift, bei der von der Aus - übung inſtinktiver Fähigkeiten gar keine Rede mehr ſein kann, vielmehr der von Bewußtſein getragene Verſtand des Menſchen in deutlichem Gegenſatz zu den dumpfen Inſtinkten der Tiere tritt. Von wem und wo dieſe große Erfindung zuerſt gemacht iſt, durch die es dem Menſchen möglich wurde, ſeine Gedanken und Gefühle anderen Menſchen mitzu - teilen, darüber herrſcht völliges Dunkel. Aller Wahrſcheinlichkeit nach iſt ſie bei verſchiedenen Volksſtämmen zu verſchiedenen Zeiten unab - hängig ans Licht der Welt getreten, erſt als ſchüchternes Knöſplein, um ſpäter allmählich auf meiſt gleichartigem Wege zu dem gewaltigen Kulturmittel zu erſtarken, das ſie in den letzten beiden Jahrtauſenden ge - worden iſt. Daß wir es aber mit einer wirklichen Erfindung zu thun haben, nicht mit einer jedem Menſchen angeborenen Fähigkeit, die nur einer gewiſſen Zeit der Entwicklung bedurfte, das ſehen wir daraus, daß man noch in der jüngſten Zeit manche wilde Völkerſchaften gefunden hat, die ſich noch immer nicht zu dieſer Erfindung emporgeſchwungen haben und ſich daher noch heute in einem Zuſtande des geſellſchaftlichen Lebens befinden, in den ſich nur in Gedanken zurückzuverſetzen für uns Civiliſierte faſt zur Unmöglichkeit geworden iſt.

Die erſten Anfänge der Schrift ſcheinen auf dem Gedanken zu be - ruhen, die vergangenen Ereigniſſe im Gedächtnis lebendig zu erhalten, indem körperliche Gegenſtände, in beſtimmter Weiſe angeordnet, eine geſchichtliche Begebenheit darzuſtellen beſtimmt wurden, oder indem rohe bildliche Darſtellungen demſelben Zwecke dienten. Ein weiter Sprung von außerordentlicher Wichtigkeit beſtand darin, daß man ſich nicht936Das Papier und die vervielfältigenden Künſte.mehr darauf beſchränkte, Vergangenes figürlich darzuſtellen, ſondern anfing, auch für Gegenwart und Zukunft ſeine Gedanken und Gefühle zu fixieren und ſeinen Mitmenſchen ſichtbar zu machen. Kaum einer weiteren Entwicklung fähig war die primitivſte derartige Schrift, die Knoten - ſchrift (ſiehe Fig. 502), die wir bei den verſchiedenſten Völkern: Chineſen, Mexikanern, Peruanern u. a. in alten Zeiten, bei manchen Indianer - ſtämmen und Südſeeinſulanern bis in die neueſte Zeit hinein finden.

Fig. 502.

Knotenſchrift.

Sie beſteht im allge - meinen darin, daß man Schnüre zu einem be - ſtimmten Syſtem von Knoten zuſammenſchürzt, deren Zahl, Anordnung und gegenſeitige Entfernung beſtimmte Vorſtellungen erwecken, beſtimmte Be - gebenheiten in unſer Gedächtnis zurück - rufen ſollen. Beſteht doch noch heut - zutage bei vielen Völkern die Sitte, durch Schürzen eines Knotens die Er - innerung an eine Sache wach zu er - halten. Die urſprüngliche Bedeutung dieſes Verfahrens war aber wohl eine rein zahlenmäßige, wie auch noch jetzt die peruaniſchen Hirten mit der - artigen Knoten über den Zu - und Abgang ihrer Herden gewiſſermaßen Buch führen. Zu einem wirklichen Schriftſyſtem konnte ſich aber die Knotenſchrift nicht entwickeln, das war erſt der Bilderſchrift vorbehalten, aus der faſt überall die erſten Schrift - ſyſteme hervorgegangen ſind. Die Bilderſchrift iſt zunächſt keineswegs kunſtvolle Malerei geweſen, vielmehr ſollte ſie nur durch ein möglichſt be - quem zu zeichnendes oder zu malendes Zeichen, das auf einen beſtimmten Gegenſtand unzweideutig hinwies, bei anderen Menſchen die Vorſtellung dieſes Gegenſtandes zwecks Ver - ſtändigung oder Belehrung erwecken. Wenn bei manchen Völkern gewiſſen künſtleriſchen Rückſichten bei der Bilderſchrift mehr oder weniger Genüge geleiſtet wurde, ſo entſprang das wohl erſt nachträg - lich dem Schönheitsgefühl einzelner Individuen, die auch viel Zeit darauf verwenden konnten. Andererſeits iſt die große Verſchieden - heit der Schriftentwicklung bei den verſchiedenen Völkern teilweiſe auf937Die Schreibſchrift.ihre verſchiedene künſtleriſche Begabung und Neigung zurückzuführen, die zu ſehr abweichender Auffaſſung und Darſtellung in der Natur vor - handener Gegenſtände führte, während allerdings einen beſonderen Ein - fluß nach dieſer Richtung die Art des Schreibmaterials übte.

Notwendigerweiſe mußte ſich mit der Verallgemeinerung dieſes Kulturmittels, mit ſeiner zunehmenden Wichtigkeit, mit der Verbeſſerung des Schreibmaterials, das, wie an anderer Stelle (ſiehe S. 923) be - richtet werden wird, namentlich in Ägypten im Pergamentpapier und im Papyrus ſicherlich ſchon mehrere Jahrtauſende vor Chr. Geb. zu hoher Vollkommenheit gelangte, das Streben nach Vereinfachung der unbequemen und ſchwierigen Bilderſchrift gebieteriſch geltend machen. Am deutlichſten tritt die Entwickelung einer bequemen ſyſtematiſchen

Fig. 503.

Hieroglyphen.

Schrift aus der Bilderſchrift bei den Ägyptern, Aſſyrern und Chineſen hervor. Aus den urſprünglichen Hieroglyphen (ſiehe Fig. 503) der alten Ägypter entſtand durch Abſchleifung der Bilderformen zu kaum mehr als Sym - bole erkennbaren Zeichen die hieratiſche Schrift, deren älteſte nachweis - bare Anwendung bis ins dritte Jahrtauſend v. Chr. zurückgeht, während die durch weitere Vereinfachung der vorhandenen Zeichen entſtandene demotiſche Schrift, die Volksſchrift, erſt im 9. Jahrhundert v. Chr. in den uns bekannten Schriftdenkmälern auftaucht. Eine große Schwierigkeit bot nun aber bei dieſer Symbolſchrift die Wiedergabe von abſtrakten Begriffen, Gefühlen und Gedanken. Sie wurde teilweiſe dadurch über - wunden, daß man die Urſache ſtatt der Wirkung, oder irgend ein ſinn - liches Objekt hinzeichnete, das den betreffenden Begriff zu charakteriſieren beſonders geeignet erſchien.

Ein ganz erheblicher Fortſchritt erfolgte durch die Erfindung der Silbenſchrift, die einen rebusartigen Charakter hat, indem man begann, die Wörter in Silben zu zerlegen und gleichlautende Silben in ver - ſchiedenen Wörtern unabhängig von ihrer jeweiligen Bedeutung durch ein und dasſelbe Zeichen darzuſtellen, das dann erſt durch Zuſammen - ſetzung mit anderen Zeichen einen beſtimmten Sinn erhielt. Anderer - ſeits wurde vielfach wegen der Wortarmut der Schriften und Sprachen erſt durch Hinzuſetzung eines den betreffenden Gegenſtand charak - teriſierenden Zeichens, eines Determinativs, die ſpezielle Bedeutung eines Wortes verdeutlicht. Aber die Ägypter gelangten im Gegenſatz zu den Babyloniern und Chineſen letztere ſind noch heute nicht über die Rebus - oder Silbenſchrift hinausgekommen über dieſe hinaus zur Lautſchrift, zur Fixierung von Konſonanten und Vokalen, wenn ſie auch noch kein vollkommenes alphabetiſches Syſtem aufſtellten.

Der bedeutendſte Schritt nach der Richtung der Vervollkommnung des Schriftgedankens war damit gethan. Zur vollſtändigen Durchführung, zur Aufſtellung eines Alphabets kam das phonetiſche Syſtem der Schreibung, alſo die Lautſchrift erſt bei den Phöniziern, die bei ihrem938Das Papier und die vervielfältigenden Künſte.großen Verkehr mit den Ägyptern entweder von dieſen das Lautſyſtem übernahmen und dann ihrer Sprache anpaßten oder mindeſtens durch die Kenntnisnahme dieſer ägyptiſchen Erfindung bei der Durchführung des Lautſyſtems in ihrer Sprache ſtark beinflußt wurden. Die älteſten hiſtoriſchen Denkmäler eines vollkommenen Alphabets, des phöniziſchen, moabitiſchen und althebräiſchen reichen nur bis ins 9. Jahrhundert vor Chr. Geb. zurück; doch iſt anzunehmen, daß der thatſächliche Urſprung derſelben in viel ältere Zeiten zu verlegen iſt. Die Benennung der Buchſtaben des Alphabets iſt offenbar auf die alte Bilderſchrift zurück - zuführen. So erinnerte z. B. das Zeichen

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an einen Stierkopf, den es in der urſprünglichen Bilderſchrift direkt darſtellte, während es ſpäter in der Lautſchrift zum erſten Buchſtaben des Alphabets aleph, anfangs ein Hauchlaut, wurde, weil der Stier aleph hieß, und dieſes Wort mit demſelben Hauchlaute anfing.

Daß die Lautſchrift, einmal erfunden, ſchnell ihren Siegeslauf von Volk zu Volk nahm, war natürlich und wurde beſonders begünſtigt durch die außerordentlich lebhaften Handelsverbindungen, die gerade das Volk, welches dieſe Schriftart zur vollkommenen Ausbildung brachte, die die Phönizier mit einem großen Teile der gebildeten Welt im Altertume unterhielten. Von den Phöniziern erhielten die Griechen das Alphabet, das ſie freilich mit manchen Schwierigkeiten für ihre eigene Sprache umwandeln mußten, da in den ſemitiſchen Sprachen faſt gar keine Vokale vorhanden waren, an deren Stelle Hauchlaute ſtanden. Von den Griechen erhielten die Römer durch Vermittelung der griechiſchen Kolonieen in Unteritalien das Alphabet und über - mittelten es ihrerſeits wieder vor allem den keltiſchen und germaniſchen Völkerſchaften, mit denen ſie ſchon im letzten Jahrhundert vor Chr. Geb. in vielfache, wenn auch meiſt unliebſame Berührung kamen. So ent - ſtand bei unſeren Vorfahren die Runenſchrift, die als Geheimnis von Herrſchern und Prieſtern gewahrt und gehütet wurde. Aus der Runen - ſchrift entſtand das gotiſche Alphabet, das der Biſchof Ulfilas in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts aufſtellte, wobei er von dem Be - ſtreben geleitet wurde, die Runenſchrift, die bis dahin mit ſpitzen Werk - zeugen eingeritzt oder eingegraben wurde, ſo umzuformen, daß man die neue Schrift bequem mit Rohrfeder und Tinte auf Papier malen oder zeichnen konnte. Die Entwickelung der mannigfachen Schriftarten in den verſchiedenen Ländern beſteht nur in allmählichen Vervollkommnungen und Veränderungen, denen das Merkmal einer Erfindung, der wirklich originelle, neue Gedanke, abgeht. Die Erfindung der gewöhnlichen Schreibkunſt hat in dem phöniziſchen Lautalphabet und deſſen Übertragung auf andere Sprachen ihren Abſchluß gefunden.

Von Intereſſe für uns ſind nun noch einige beſondere Schrift - gattungen, die ſpeziellen Bedürfniſſen ihre Erfindung verdanken. Es939Die Schreibſchrift.iſt zuerſt zu nennen die Chiffernſchrift, die den Zweck hat, nur ganz beſtimmten Perſonen die Entzifferung einer Botſchaft zu ermöglichen. Schon bei den alten Griechen ſehen wir die Anfänge einer ſolchen Geheimſchrift. Es wurde nämlich ein ſchmaler Pergamentſtreifen auf einen Stock ſo aufgerollt, daß ſich die Ränder der verſchiedenen Spiral - windungen des Streifens gerade berührten. Darauf beſchrieb man das Pergament der Länge des Stockes nach, ſo daß alſo Teile desſelben Wortes an ganz verſchiedenen Stellen des Streifens ſtanden, wickelte den Streifen wieder ab und rollte ihn in ſich zuſammen. Es konnte dann nur derjenige die Schrift leſen, der ſich im Beſitz eines gleich dicken Stabes befand, auf den er den Streifen wieder aufrollte. Die neueren Chiffernſchriften beruhen meiſt auf der Erſetzung aller oder einzelner Buchſtaben durch eine beſtimmte Zahlenfolge, die natürlich vorher zwiſchen den Beteiligten verabredet iſt. Es laſſen ſich dadurch ſo kom - plizierte Geheimſchriften herſtellen, daß es nur dem ſchärfſten Nach - denken und langen Bemühungen manchmal gelingt, eine ſolche Schrift zu entziffern, wenn man ſich nicht im Beſitz des dazu nötigen Schlüſſels , d. h. der Erklärung der angewandten Chiffern befindet. Recht ingeniös erdacht iſt eine Art Geheimſchrift, die noch in der Mitte dieſes Jahr - hunderts viel in Gebrauch war. Sie beruht darauf, daß ſich in den Händen zweier Korreſpondenten zwei gleiche Gitter mit einer in un - regelmäßigen Zwiſchenräumen angebrachten größeren Anzahl Öffnungen befinden. Man legt die Gitter auf das Papier und ſchreibt in jede Öffnung einen oder mehrere Buchſtaben hinein, ſo daß eine Folge von Öffnungen gerade durch ein Wort ausgefüllt wird. Hat man alles, was man mitteilen wollte, in die Öffnungen hineingeſchrieben, ſo nimmt man das Gitter fort und füllt die Zwiſchenräume zwiſchen den ſchon daſtehenden Buchſtaben mit anderen ganz beliebigen Buchſtaben aus, ſo daß die Schrift nur für den lesbar iſt, der, im Beſitze eines gleichen Gitters, wieder die ungiltigen Buchſtaben mit demſelben verdecken kann.

Eine ſehr wichtige humanitäre Erfindung, die viel Kopfzerbrechen verurſacht hat, iſt die Blindenſchrift. Nachdem der Franzoſe Valentin Hauy, dem der große Ruhm gebührt, zuerſt das ſtaatliche Intereſſe zur Errichtung von Blindenanſtalten erregt zu haben, im Jahre 1785 die Erfindung gemacht hatte, durch Anwendung erhabener Buchſtaben den Blinden das Leſen zu ermöglichen, wurden von ihm und ſpäteren Denkern vielfache Verſuche unternommen, den Blinden auch das Schreiben und gleichzeitig das Leſen des Geſchriebenen angängig zu machen. Aber erſt im Jahre 1830 gelang es dem Franzoſen Charles Barbier die Grundlage zur heutigen Blindenſchrift zu legen. Seine Methode beſteht darin, daß die Buchſtaben durch Punkt-Anordnungen erſetzt werden, deren Fixierung auf Papier durch ein durchlöchertes Lineal hindurch mittels eines ſpitzen Inſtrumentes geſchieht. Zwiſchen den Buchſtaben wird ein kleiner, zwiſchen den Wörtern ein größerer Zwiſchenraum gelaſſen.

940Das Papier und die vervielfältigenden Künſte.

Schließlich ſei noch die Notenſchrift erwähnt, die in alter Zeit allerdings nur eine Umbildung der gewöhnlichen Schrift war. Die alten Griechen brauchten, da ſie die oktavenmäßige Wiederkehr derſelben Töne noch nicht kannten, außerdem für Vokal - und Inſtrumentalmuſik andere Zeichen hatten, nicht weniger als 990 verſchiedene Noten, die ſie durch zuſammengeſetzte Anwendung des Alphabets und der Accente und durch Höher - oder Tieferſtellung einzelner Buchſtaben herſtellten. Erſt im 6. Jahrhundert nach Chr. Geb. führte Papſt Gregor I das heutige Oktavenſyſtem ein und bezeichnete die ſieben Töne einer ganzen Oktave mit den 7 erſten Buchſtaben des Alphabets, deren verſchiedene Schreibweiſe, ſpäter auch auf verſchiedenen Parallellinien die ver - ſchiedenen Oktaven er angab. Das heutige Syſtem der Notenſchrift mit Punkten, deren Stellung auf einem fünffachen Linienſyſtem die Höhe oder Tiefe des Tones angiebt, iſt nachweislich zuerſt von Guido v. Arezzo, einem italieniſchen Mönch, im Anfang des 11. Jahr - hunderts angewandt, vielleicht auch von ihm erfunden worden. Erſt im 13. Jahrhundert aber wahrſcheinlich wurde auch die Erfindung gemacht, durch die verſchiedene Geſtaltung der Punkte als Vollpunkte oder offene Ringe mit oder ohne gerade oder krumme Striche die ver - ſchiedene Dauer des betreffenden Tones zu bezeichnen. Damit war im großen und ganzen unſere heutige Methode der Notenſchrift gegeben.

Die Stenographie.

Kehren wir nun zum allgemeinen Schriftweſen zurück, ſo müſſen wir jetzt noch von einem großartigen Fortſchritt, deſſen dasſelbe fähig war, berichten, von der Kurzſchrift oder Stenographie. Was der - ſelben zu Grunde liegt, iſt der Wunſch, einerſeits die Reden anderer ſo leſerlich nachſchreiben zu können, daß man ſelbſt oder andere, des be - treffenden Syſtems Kundige, das Stenogramm unzweideutig wieder entziffern können, und andererſeits auch jedem, der viel zu ſchreiben hat, dieſe Mühe durch ein abgekürztes Schriftſyſtem zu erleichtern. Es iſt z. B. für einen Gelehrten von unſchätzbarem Vorteil, bei der Kom - poſition eines Buches in ſeiner Gedankenfolge nicht immerwährend durch das langdauernde Niederſchreiben in gewöhnlicher Schrift geſtört zu werden.

Als Erfinder der älteſten bekannten Geſchwindſchrift dürfen wir wohl den begabten Freigelaſſenen des berühmten römiſchen Redners Cicero, den Marcus Tullius Tiro anſehen, der im Jahre 63 v. Chr. Geb. mit mehreren Schülern eine Rede des jüngeren Cato in Rom aufnahm und dadurch dem Gedächtnis der Nachwelt überlieferte. Es iſt das die erſte bekannte ſtenographiſche Leiſtung. Die Grundlage des tironiſchen Syſtems beruht auf einer Verkürzung, Verſtümmelung und teilweiſen Umformung der damals üblichen großen lateiniſchen Buch - ſtaben. Das Zeichen

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gleich QPN z. B. bedeutet bei ihm: Quousque941Die Stenographie.Patientia Nostra (Anfang der berühmten Ciceroniſchen Rede gegen Katilina: Wie lange wirſt Du noch unſere Geduld mißbrauchen, Katilina?). Die Wörter tandem, abuteris und Catilina ſind überhaupt nicht angedeutet, mußten vielmehr bei der Übertragung mit Hülfe des Ge - dächtniſſes hinzugefügt werden. Die Tironiſchen Noten fanden mannig - faltige Anwendung im öffentlichen und privaten Leben und hielten ſich wahrſcheinlich auch bis in die Verfallzeit des Mittelalters hinein. Die letzten Urkunden über ihre Anwendung reichen nur in das 10. Jahrhundert unſerer Zeitrechnung zurück. Von einer ſpäter er - fundenen griechiſchen Kurzſchrift wiſſen wir nur, daß ſie im 3. Jahr - hundert nach Chr. Geb. in Gebrauch war. Viele Fingerzeige deuten darauf hin, daß auch im ſpäteren Mittelalter eine Stenographie be - kannt und angewandt war, ohne daß wir aber über ihr Weſen näheres wiſſen. Das durch die religiöſen Kämpfe und durch die Anfänge eines parlamentariſchen Syſtems in England geſteigerte öffentliche geiſtige Leben rief im Jahre 1602 ein neues ſtenographiſches Syſtem von Willis hervor, das im weſentlichen in einer vereinfachten Schreibweiſe der Konſonanten und in der Bezeichnung der Vokale durch verſchiedene Stellung der Konſonanten beſtand. Von den folgenden Verſuchen in England iſt erſt wieder der Taylors im Jahre 1786 zu erwähnen, der den inlautenden, d. h. von 2 Konſonanten eingeſchloſſenen Vokal, über - haupt unbezeichnet ließ. Trotzdem dieſes Syſtem dem Leſen große Schwierigkeiten entgegenſetzte, wurde es in viele andere Sprachen über - tragen. Einen Abſchluß fanden dieſe engliſchen Beſtrebungen in der Phonographie von Iſaac Pitman, ſo genannt, weil er die ſtreng lautliche Schreibweiſe einführte, was ja gerade für die engliſche Sprache von ſehr großer Bedeutung iſt. Seine Konſonanten waren im allge - meinen verſchieden lange Linien oder verſchieden große Stücke des Kreiſes, während er die Vokale durch Punkte und Striche in verſchiedenen Stellungen bezeichnete. Die franzöſiſchen älteren Syſteme baſieren meiſtenteils auf den engliſchen. Erwähnt ſei nur Coſſards Methode, ſo ſchnell zu ſchreiben, als man ſpricht aus dem Jahre 1641, Ram - ſays Tachygraphie aus dem Ende des 17. Jahrhunderts und Prevoſts Umarbeitung des Taylorſchen Syſtems aus dem Jahre 1827. Weit origineller iſt das Syſtem von Duployé aus dem Jahre 1868, das den großen Vorteil beſſerer Verbindungsfähigkeit der Konſonanten und Vokale hat.

Doch da haben wir eigentlich ſchon der Entwicklung vorgegriffen, zwar nur zeitlich. Denn zu einer vollen, originellen, wiſſenſchaftlich be - gründeten und praktiſch verwertbaren Entwicklung baute ſich der ſteno - graphiſche Gedanke ſchon vorher in Deutſchland in den Köpfen Gabels - bergers und Stolzes aus. Es iſt hier nicht der Ort, die Vorzüge und Nachteile des einen und anderen Syſtems gegen einander abzuwägen. Beide erfüllen die Aufgaben einer guten Stenographie, ſowohl für den gewöhnlichen privaten Gebrauch eine leicht erlernbare, flüſſig ſchreib -942Das Papier und die vervielfältigenden Künſte.bare, unſchwer lesbare Kurzſchrift zu liefern, als auch als Schnellſchrift zum wörtlichen Aufzeichnen ſelbſt ſchnell geſprochener Reden ohne zu große Schwierigkeiten brauchbar zu ſein.

Im Jahre 1817 begann der Lehrer Franz Xaver Gabelsberger (geb. 9. Februar 1789, geſt. 4. Januar 1849), damals Kanzliſt im Generalkommiſſariat des Iſarkreiſes in Bayern, ſein Syſtem aus - zuarbeiten, das praktiſch zu erproben und demgemäß weiter zu ver - beſſern ihm ſchon vom Jahre 1819 an im bayriſchen Landtage geſtattet war, ſodaß ſeine im Jahre 1834 herausgegebene An - leitung zur deutſchen Redezeichenkunſt oder Stenographie ihre praktiſche Feuerprobe ſchon lange hinter ſich hatte. Der große Vorzug der Gabelsbergerſchen Stenographie liegt in der großen Flüchtigkeit, d. h. bequemen Schreibbarkeit der Zeichen, die meiſt nach beiden Richtungen eine leichte Verbindung mit andern Zeichen zulaſſen. Die Formen der Buchſtaben hat er ſo gewählt, daß ſie möglichſt den Charakter derſelben wiedergeben, daß z. B. Zeichen mit ſanfter Rundung weiche Laute vertreten. Die Vokale werden im allgemeinen ſymboliſch be - zeichnet, überflüſſige, nicht geſprochene Buchſtaben, wie das e in Tier, das h in Hohn werden gar nicht geſchrieben. Außerdem ſtellte er auf grammatikaliſchen Regeln beruhende Wortkürzungen auf, die bei den am häufigſten gebrauchten Wörtern ziemlich weit gehen, ſodaß ein direktes Auswendiglernen derſelben, der ſogenannten Sigel erforderlich iſt. Um die notwendige Geſchwindigkeit für die Kammerſchrift zu er - reichen, mußte Gabelsberger ſogar noch zur Satzkürzung greifen, wobei es alſo natürlich ſehr auf die perſönliche Geſchicklichkeit des be - treffenden Stenographen ankommt.

Heinrich Auguſt Wilhelm Stolze (geb. 20. Mai 1798, geſt. 8. Januar 1867) beſchäftigte ſich ſeit dem Jahre 1820 mit ähnlichen Verſuchen, wie Gabelsberger, war aber weniger von dem Beſtreben geleitet, eine vollkommene Parlamentsſchrift zu erfinden, als an die Stelle der zeitraubenden gewöhnlichen Schrift eine für das ganze Volk leicht er - lernbare, unzweideutige Kurzſchrift zu ſetzen. Seine Bemühungen waren auch von Erfolg gekrönt und ließen ihn ein auf wiſſenſchaftlichen Prin - zipien beruhendes Syſtem finden, das die erforderlichen Anſprüche außerordentlich gut erfüllte. Die von ihm gewählten Zeichen für die Buchſtaben lehnen ſich möglichſt nahe an die gewöhnlichen Zeichen der Kurrentſchrift an, ſo iſt

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= m,

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= l. Eine gewiſſe Schwierigkeit liegt für den Anfänger in der Anwendung eines dreifachen Linien - ſyſtems, die aber bald bei praktiſcher Ausübung der Stenographie überwunden wird. Stolze bezeichnet nämlich den Vokal der Haupt - ſilbe eines Wortes ſymboliſch 1) durch die Stellung des Wortes auf, über oder unter der Linie, 2) durch eventuelle ſtarke Schreibweiſe des vorhergehenden Konſonanten, während an und für ſich die Konſonanten - zeichen ohne Druck geſchrieben werden und 3) durch enge oder weite Verbindung der den Vokal oder Diphtong umſchließenden Konſonanten. 943Die Stenographie. Das Schreibmaterial.Wir haben oben die Zeichen für m und l kennen gelernt; die enge Verbindung derſelben auf der Linie z. B. ohne Druck, alſo

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giebt das Wort Mehl, mit Druck, alſo

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das Wort Mal, die weite Ver - bindung auf der Linie, alſo

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Meile, eng, unter der Linie, ohne Druck

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Mole, weit, unter der Linie, mit Druck

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Mühle, u. ſ. w Vor - und Nachſilben werden gekürzt, ebenſo häufig vorkommende Wörter, wie: ſein, haben, können, mein, ich, du, aber und ähnliche. 1872 trat eine Vereinfachung des Syſtems nach mehreren Richtungen ein, die beſonders der leichteren Erlernbarkeit des Syſtems zugute kommen ſollte, aber zunächſt allerdings eine Trennung in Alt - und Neu-Stolzeaner zur Folge hatte. Eine weitere Umformung des Syſtems für die gewöhnlichen Zwecke des Lebens fand im Jahre 1888 ſtatt, während die weitere Ausbildung des Syſtems nach der Seite der Parlamentsſchrift hin in dem Buche von Dr. Simmerlein: Das Kürzungsweſen in der ſtenographiſchen Praxis nach dem Stolzeſchen Syſtem (1880) erfolgte, in dem den angehenden Parlamentsſteno - graphen Anleitungen, Ratſchläge, nebſt Regeln zu weiteren, über die Schulſchrift hinausgehenden Kürzungen gegeben wurden.

Von den neueren Syſtemen, von denen keines das Gabelbergers oder Stolzes, die beide auch vielfach in fremde Sprachen übertragen wurden, zu verdrängen vermochte, ſei nur noch als bedeutendſtes das von Leopold Arends aus dem Jahre 1850 erwähnt, das auch durch - aus originell und in ſeiner Art vortrefflich iſt, an Leichtigkeit der Er - lernbarkeit aber den beiden älteren wohl nachſtehen dürfte.

Das Schreibmaterial.

Schon früher haben wir geſehen, daß für die Entwickelung der Schrift das vorhandene Schreibmaterial von ungeheurem Einfluß ge - weſen iſt. Es liegt daher nahe, auch auf dieſe Seite der Schrift - entwicklung einzugehen. Über den weſentlichſten Stoff, der dabei in Betracht kommt, das Papier, iſt vorher ausführlich berichtet worden. Während den alten Ägyptern die Natur ſchönes Schreibmaterial in den Sandſtein - und Kalkfelſen darbot, das für künſtleriſche Bear - beitung außerordentlich geeignet war, mußten ſich die Babylonier mit gebrannten Ziegeln begnügen, deren geringe Härte beim Gebrauch zur

Fig. 504.

Unglück für Aſſyrien (in Keilſchrift).

Anwendung von Buchſtaben aus lauter ſpitzen, keilförmigen Strichen führte, zur Keilſchrift (ſiehe Fig. 504). Bei den alten Chineſen waren Bambustafeln, die mit Firnis überzogen waren, in Gebrauch. Man ritzte mit einem ſpitzen Griffel in dieſelben die Buchſtaben ein. Ähnlich ver - fuhren die Römer mit ihren Wachstafeln. Alle dieſe und ähnliche Materialien konnten aber keinen Vergleich aushalten mit dem ſchon in alten Zeiten, meiſt aber nur in Aſien, beſonders in Indien be -944Das Papier und die vervielfältigenden Künſte.kannten Palmblatt, das ſchon gegen die erwähnten Schreibmaterialien einen bedeutenden Fortſchritt bezeichnete. Auch iſt ſeine Herſtellung mit außerordentlicher Einfachheit zu bewerkſtelligen. Man ſchneidet aus den großen, lederartigen Palmblättern, namentlich zweier Palm - arten, der Borassus flabelliformis und der Corypha umbraculifera, paſſende Stücke aus, die man darauf im Schatten trocknen läßt und dann mit Öl einreibt. Das Papier, um unſer heutiges Wort zu ge - brauchen, iſt dann fertig. Man ritzt mit einem ſpitzen Griffel in das Palmblatt die Schrift ein, die ſich in demſelben, ſogar ohne mit irgend einem Safte geſchwärzt zu werden, ſehr deutlich abhebt. Man kann natürlich auch, ähnlich wie die Chineſen vor 2000 Jahren mit Tuſche auf Seide ſchrieben, mit einem feſthaftenden Farbſtoffe auf den Palm - blättern ſchreiben. Ein gewaltiger Fortſchritt beſtand aber in der Er - findung des Pergaments, die übrigens ſehr weit in das Altertum zurückreicht, vielleicht weiter als die der Bereitung von Papier aus der Papyrusſtaude. Es wurde hergeſtellt, indem ungegerbte Tierhäute, beſonders Schaf -, Ziegen -, Hammel - oder Kalbfelle durch Schaben ent - haart, dann gereinigt und ſpäter mit Kalk gebeizt und gut geglättet wurden. Die Möglichkeit zur vollen Entfaltung der Schriftentwickelung wurde aber erſt durch die allerdings wahrſcheinlich uralte, bis ins 4. Jahrtauſend v. Chr. Geburt zurückdatierende Erfindung des Papiers gegeben, das zunächſt aus dem Zellengewebe der in Ägypten beſonders häufigen, binſenartigen Papyrusſtaude verfertigt wurde. Über die weitere Verbeſſerung dieſes Materials durch Anwendung anderer, aber immer pflanzenartiger Rohſtoffe iſt an anderer Stelle (ſiehe S. 923) berichtet.

Wenden wir uns nun zu den Inſtrumenten, mit denen geſchrieben wurde und wird, ſo hängen dieſe natürlich weſentlich von dem Schreib - material ab. Es war ein harter, ſpitzer Griffel für Stein - oder Metall - ſchrift, ein dünner Stift für Wachstafeln, ein vorn erweichtes Stäbchen für Leinewand und Seide, das frühere Schreibmaterial der Chineſen, und ſo fort. Für Pergament und Papyrus fand aber neben dem Pinſel, mit dem getuſcht wurde, bald die zugeſpitzte Rohr - oder Kielfeder Anwendung, die in eine gefärbte Flüſſigkeit, die Tinte, getaucht die Schriftzüge leicht auf das Papier zu übertragen erlaubte. An Stelle dieſer Federn, zu denen in neueren Zeiten beſonders Gänſe - kiele genommen wurden, traten erſt Ende der zwanziger Jahre dieſes Jahrhunderts die Stahlfedern, die zuerſt in England fabrikmäßig aus dünnem Stahlblech angefertigt wurden (ſiehe S. 683 bis 685), wenn auch bereits im 16. Jahrhundert Verſuche auftauchten, Schreibfedern aus Metall herzuſtellen. Als beſtes Erzeugnis der Federinduſtrie iſt die Goldfeder mit harter Iridiumſpitze zu erwähnen, die den zerſtörenden Einflüſſen der Tinte einen außerordentlichen Widerſtand entgegenſetzt. Eine ausnehmend glückliche Erfindung, ſtreng genommen nur Ent - deckung, die für unſere heutige ſo geſteigerte Schreibthätigkeit und für945Das Schreibmaterial.beſonders ſchnelles Schreiben, wie Stenographieren, von ungeheurer Bedeutung iſt, war die Herſtellung von Bleiſtiften, mit denen man ja allerdings meiſt nur auf kürzere Zeit lesbare, leicht vergängliche Schrift hervorrufen kann. Anfänge dieſer Induſtrie finden wir ſchon im 14. Jahrhundert, aber der wirkliche Bleiſtift wurde zuerſt im 16. Jahrhundert fabriziert, als man in Cumberland in England den Graphit entdeckt hatte. Man verfährt in dreifacher Weiſe bei der Her - ſtellung von Bleiſtiften. Entweder ſchneidet man die in unſeren Bleien enthaltenen Stäbchen direkt aus der Graphitmaſſe heraus oder man formt die Abfallſtoffe dieſes Geſteins zu ſolchen Stäbchen um oder man ſetzt zu dem Graphitpulver einen Teil Thon hinzu, wodurch die Güte des Bleies erheblich gewinnt. Letztere Erfindung iſt von dem Franzoſen Conté im Jahre 1795 gemacht. Keinen großen Eingang haben die ziemlich neuen Kopier-Bleiſtifte gefunden, die durch einen Zuſatz von Anilin die beſondere Eigenſchaft gewinnen, auf trockenem Papier unausradierbar zu ſein, bei Befeuchtung dagegen die Abnahme von Kopien zu ermöglichen.

Intereſſant dürften wohl einige ſtatiſtiſche Angaben über die Blei - ſtiftfabrikation ſein, die, beſonders in Bayern von der Regierung kräftigſt unterſtützt, einen großen Aufſchwung genommen hat. In Nürnberg, wo auch der Bleiſtiftkönig A. W. Faber anſäſſig iſt, zählte man im Jahre 1888 ſchon 25 größere und kleinere Fabriken, die zu - ſammen 5500 Arbeiter beſchäftigten und jährlich 250 Millionen Blei - ſtifte lieferten. Dieſe Menge repräſentiert einen Wert von 8 Millionen Mark.

b) Die Buchdruckerkunſt.

1. Die Erfindung der Buchdruckerkunſt.

Eine der größten Erfindungen, die überhaupt menſchlicher Geiſt erdacht hat, muß man die Erfindung der Buchdruckerkunſt nennen. Der Sprung von der handſchriftlichen Vervielfältigung von Schrift - zeichen zu ihrer mechaniſchen Vervielfältigung iſt faſt ein ebenſo großer, wie der vom rein mündlichen Gebrauch der Sprache zur Er - findung der Schrift. Wunderbar iſt es vor allem, in welcher relativen Vollkommenheit dieſe Erfindung im 15. Jahrhundert das Licht der Welt erblickte, wie armſelige und das Weſen der Sache kaum ſtreifende Vorläufer mechaniſcher Vervielfältigung von Schriftſtücken oder Kunſt - werken ſie hatte. Iſt es nicht kaum begreiflich, daß ſo manche der erſt in dieſem Jahrhundert erfundenen Methoden zur beſchränkten Vervielfältigung von Schriftſtücken, z. B. die Hektographie und ähn - liche Künſte nicht früher erfunden, nicht der großen, welterlöſenden That der Erfindung der Buchdruckerkunſt vorausgegangen ſind? Doch die Weltgeſchichte geht ihre eigenen Wege, und der menſchliche Genius überſpringt oft in einzelnen Geiſtern und in einzelnen GeſchehniſſenDas Buch der Erfindungen. 60946Die vervielfältigenden Künſte.Jahrhunderte, während wieder auf der anderen Seite oft die kulturelle Entwicklung ganzer Völker durch den plötzlichen Ausbruch jener im Menſchen noch ſchlummernden tieriſchen Rohheit, die ſich nach Erprobung der in ihm ſteckenden körperlichen Kraft ſehnt, auf Jahrhunderte oder wenigſtens Jahrzehnte hinaus in Frage geſtellt wird.

Die Notwendigkeit einer Vervielfältigung mancher Schrift -, Dicht - und Kunſtwerke hatte man ſchon frühzeitig erkannt. Das Gefühl der Verpflichtung der Menſchheit, ihrer Nachkommenſchaft den Fonds der Erfahrungen, Annehmlichkeiten, kurz der Lebensweisheit, in unantaſt - barer Weiſe zu hinterlaſſen, den ihre Vorfahren ihnen mündlich überliefert, und den ſie ſelbſt ſchließlich gewonnen hatten, dieſes Gefühl durchdrang ſchon in den älteſten Zeiten die Menſchen. Es wurden beſondere Perſonen angeſtellt, die für die gute Erhaltung von wichtigen Staats - dokumenten, Denkmälern und Annalen zu ſorgen und im Falle ihrer Beſchädigung die Erneuerung zu bewirken hatten. Man erkannte bald, daß zur Sicherung ſolcher Dokumente ihre Vervielfältigung notwendig war. Beſonders aber die mehr und mehr anwachſende und die All - gemeinheit intereſſierende Litteratur verlangte dringend eine Ver - vielfältigung, fand dieſelbe im Altertum, wie bis ſpät ins Mittelalter hinein, aber nur durch vielmaliges Abſchreiben. Im alten Rom ſehen wir, wie Sklaven zu dieſer Arbeit verwendet werden, während im Mittelalter faſt allein die Mönche in den Klöſtern mühſelig durch Ab - ſchreiben in meiſt künſtleriſcher Form für die Verbreitung der alten Handſchriften ſorgten.

Einige ſchüchterne Verſuche zur mechaniſchen Vervielfältigung ſehen wir allerdings ſchon in alten Zeiten; ſo bedienten ſich die alten Ägypter einer Art Schablone, um die Inſchriften mehrfach gleichmäßig herzu - ſtellen. Schablonen, die ausgetuſcht wurden, finden wir auch früh bei den Chineſen. Dem Typendruck ähnlicher iſt ſchon die wiederholte Herſtellung eines Zeichens mittels eines Stempels, die wir bereits bei den alten Babyloniern, dann bei den Ägyptern, Griechen, Römern und auch im Mittelalter finden. Oft wurden Initialen mit ſolchen Stempeln gedruckt, aber es war dies doch immer noch eine Art der Ver - vielfältigung, die das Schreiben nicht erſetzte, und etwa nur unſerm heute üblichen Siegeln vergleichbar war. Der direkte Vorläufer der Buchdruckerkunſt war aber die Holzſchneidekunſt, die in China ſchon ſehr früh, im 6. oder 10. Jahrhundert nach Chr. Geb. zu ziemlicher Vollkommenheit gelangt zu ſein ſcheint. Bei der unendlichen Zahl der chineſiſchen Schriftzeichen iſt dieſe Methode der Vervielfältigung bei dieſem Volke bis auf den heutigen Tag die gebräuchliche geblieben, trotzdem, wie man annehmen darf, die Herſtellung beweglicher Typen aus gebrannten Ziegeln in China ſchon im 11. Jahrhundert von Piſching erfunden iſt. Es fehlte aber die Erfindung der Druckerpreſſe, der Druckerſchwärze und vor allem auch eine Methode, die Typen, die Buchſtaben, mechaniſch zu vervielfältigen. Dieſe Punkte bedingen auch947Die Buchdruckerkunſt.den großen Unterſchied und den gewaltigen Fortſchritt der Erfindung der Buchdruckerkunſt gegenüber der der Holzſchneidekunſt, die im Abend - lande ſelbſtändig etwa im 14. Jahrhundert erfunden zu ſein ſcheint. Dieſe, wie die wahrſcheinlich noch ältere Kunſt des Metallſchnitts wurde zunächſt zum Bilderdruck verwandt. Spielkarten einerſeits, Heiligen - bilder andererſeits waren es, deren Anfertigung im 14. und 15. Jahr - hundert durch Holz - oder Metallſchnitt von den ſogenannten Briefmalern oder Briefdruckern geübt wurde. Hin und wieder ſetzte man unter ein Andachtsbild auch wohl den Namen des Heiligen oder ein frommes Sprüchlein; allmählich ging man auch weiter und druckte auf dieſe Weiſe ganze Büchelchen, Leſe - oder Spruchbücher und Auszüge aus einer Sammlung grammatikaliſcher Schriften des berühmten römiſchen Gelehrten Älius Donatus, der im 4. Jahrhundert n. Chr. gelebt hatte, die ſogenannten Donaten. Das berühmteſte derartige Werk, das von großen Holzſchnitttafeln abgedruckt iſt, iſt die Armenbibel , die bildliche Darſtellungen aus dem alten und neuen Teſtament enthält.

Die wahre Buchdruckerkunſt, die Typographie, wurde aber erſt von dem Mainzer Bürger Henne Gensfleiſch zum Gudenberg, genannt Johann Gutenberg, erfunden und von ihm und ſeinen Mitarbeitern Johann Fuſt und Peter Schöffer gleich zu einer Vollendung gebracht, an der die nächſten drei Jahrhunderte kaum etwas zu verbeſſern hatten. Über Gutenbergs Jugend iſt nur wenig bekannt. Als ſein wahr - ſcheinlichſtes Geburtsjahr läßt ſich das Jahr 1397 bezeichnen. Im Jahre 1421 zwang ihn ein Aufſtand gegen den Adel, Mainz zu ver - laſſen. Erſt 1435 finden wir ihn in Straßburg wieder, vielbeſchäftigt mit mancherlei mechaniſchen Künſten, Edelſteinſchleifen, Spiegelbelegen und manchen geheimen Künſten, wozu wohl vor allem die Verſuche ge - hörten, die Buchdruckerkunſt zu erfinden. Wenigſtens ergiebt ſich aus Prozeßakten des Jahres 1438, daß ihm die Brüder eines Mitarbeiters oder Schülers, namens Dritzehn, den Beſitz einer Preſſe und einer Anzahl Bleiformen ſtreitig machten, die bei dem Tode Dritzehns in deſſen Hauſe ſich befanden, aber von Gutenberg reklamiert wurden. Guten - berg bekam Recht, ließ aber Preſſe und Formen auseinandernehmen, damit nicht ein anderer in das Geheimnis dringen ſollte.

Im Jahre 1445 kehrte er ohne alle Mittel nach Mainz zurück, behielt aber ſeine Erfindung ſtets im Auge und verband ſich 5 Jahre ſpäter mit dem wohlhabenden und unternehmenden Johannes Fuſt, deſſen Bruder Jakob als Goldſchmied ihm wohl oft mit Rat zur Seite ſtand, und mit dem talentvollen, künſtleriſch und techniſch hochbegabten Peter Schöffer zur Ausführung ſeiner Ideen. Zuerſt hatte wohl Gutenberg mit Holz - typen gearbeitet, alſo die alten Holzſchnitte nur in ihre Beſtandteile zerſchnitten, bald erkannte er aber die Notwendigkeit, die Typen auf mechaniſchem Wege aus Metall herzuſtellen. Er wandte zunächſt weiches Metall zum Schneiden der Buchſtaben an, umgoß dieſen Stempel mit flüſſigem Blei oder drückte ihn in ſolches ein und bekam60*948Die vervielfältigenden Künſte.ſo eine Form, um beliebig viele Typen der betreffenden Art gießen zu können. Hier, auf dem Gebiete der Schriftgießerei, war es Peter Schöffer, der das noch heute übliche Verfahren (ſiehe weiter unten) erſann, mittels Stahlſtempel die Form in Kupfer zu treiben. Auch hinſichtlich der Druckerſchwärze vervollkommnete Schöffer das Gutenbergſche Ver - fahren ſo ſehr, daß die von ihm angewandte Druckerfarbe noch heute in Gebrauch iſt. Der vierte große und notwendige Schritt, den Gutenberg that, war die Erfindung der Druckpreſſe zur mechaniſchen Herſtellung der Druckabzüge. Hat dieſelbe auch im Lauf der Zeiten manche Veränderung erfahren, das Prinzip iſt immer dasſelbe geblieben, auch in den mächtigen Rotationspreſſen der Neuzeit, die allerdings in ihrer Leiſtungsfähigkeit den alten Handpreſſen gegenüber ganz ungeheuer überlegen ſind.

Im Jahre 1452 hatte Gutenberg bereits einige kleinere Werke, Donaten und ähnliches, fertiggeſtellt und begann nun das große Werk des erſten Bibeldrucks, das auch raſch fortſchritt, deſſen Vollendung ihm aber nicht vergönnt ſein ſollte, da ihn im Jahre 1455 ſein Mitarbeiter Fuſt, der ihn jetzt nicht mehr brauchte, auf Zahlung einer größeren Summe Geldes verklagte, die Gutenberg nicht leiſten konnte. Gutenberg mußte infolgedeſſen Fuſt die Druckerei überlaſſen, während er ſelbſt mit Unterſtützung des Mainzer Stadtſyndikus Dr. Humery eine neue Druckerei einrichtete. Fuſt und ſein Schwiegerſohn Schöffer übergaben zwiſchen dem Jahre 1455 und 1460 der Welt die beiden erſten Bibeldrucke, die ſogenannte 36zeilige und die 42zeilige Bibel und im Jahre 1457 das erſte, mit dem Namen des Druckers, mit dem Druckort und dem Datum des Erſcheinens verſehene prächtig ausgeſtattete Pſalterium. Gutenberg gab auch ſchon wieder 1460 nach einigen kleineren ein größeres Werk heraus, das Catholicon, eine lateiniſche Grammatik mit etymologiſchem Wörterbuch. Im Jahre 1462 aber ging bei der Einnahme von Mainz durch den Kurfürſten Adolf von Naſſau die große Fuſtſche Buchdruckerei in Flammen auf. Sie wurde zwar wieder neu eingerichtet, indeſſen hatten ſich die Gehülfen über ganz Deutſchland zerſtreut, ſo daß wir nun bald an vielen Orten Deutſchlands und ſpäter Italiens Buchdruckereien entſtehen ſehen. Guten - berg ſelbſt blieb nur noch kurze Zeit in Mainz, da ihn der Kurfürſt Adolf von Naſſau 1465 als Kavalier an ſein Hoflager zu Eltville im Rheingau nahm. Dort ſtarb er Ende des Jahres 1467 oder Anfang 1468 nach einem mühevollen Leben, in dem er bis auf die letzten Jahre nicht im geringſten die Anerkennung und Unterſtützung gefunden hatte, die ihm bei ſeinen unſterblichen Verdienſten um die geſamte Menſchheit gebührte.

Die mächtige Entwicklung der Buchdruckerkunſt, die nach der Ein - nahme und teilweiſen Zerſtörung von Mainz begann, verdankte nicht zum geringſten äußeren Ereigniſſen ihren Aufſchwung. Nach der 1453 erfolgten Eroberung Konſtantinopels durch die Türken hatten ſich die949Die Buchdruckerkunſt.dortigen Gelehrten, mit den litterariſchen Schätzen des klaſſiſchen Alter - tums beladen, meiſt nach Italien geflüchtet und lieferten ſo der jungen Kunſt ſofort ein ungeheures, der Vervielfältigung wertes Material. Bald begannen auch die großen Geiſteskämpfe der Reformation, die in der Buchdruckerkunſt ein mächtiges Hilfsmittel fand, ohne das ſie vielleicht nie, ſicherlich nicht ſo ſchnell zum Siege gelangt wäre.

Wir können hier nicht die Namen aller derer nennen, die ſich um die weitere Entwickelung der Buchdruckerkunſt Verdienſte erworben haben. Ihre Thätigkeit beſtand vornehmlich in einer Vervollkommnung der Stempelſchneidekunſt, die allerdings allmählich ganz herrliche Re - ſultate gezeitigt hat. Von einſchneidender Bedeutung ſind nur drei große Fortſchritte auf dem Gebiete der Buchdruckerkunſt: die Erfindung des Stereotypierens, die Erfindung von Maſchinen zum Gießen der Typen und von ſolchen zum Drucken, während die zum Setzen er - fundenen aus ſpäter zu beſprechenden Gründen noch nicht als voll - kommen bezeichnet werden können. Die Erfindung des Stereotypierens wurde hervorgerufen durch die Notwendigkeit, bei Büchern, die mehr - fach zur Auflage kamen, der Koſtenerſparnis halber den Satz ſtehen zu laſſen. Dies hatte aber zwei Übelſtände. Erſtens war es immer noch ſehr koſtſpielig, das ganze Typenmaterial ſo lange ungenutzt ſtehen zu laſſen, und zweitens konnte der Satz im Laufe der Zeit leicht auseinanderfallen. Im vorigen Jahrhundert machte man viele Ver - ſuche, dem abzuhelfen, aber ohne Erfolg, bis im Jahre 1804 Lord Stanhope die Gipsſtereotypie und vollends im Jahre 1829 Genoux in Lyon die Papierſtereotypie erfand, die er zu einem unentbehrlichen Hülfsmittel der heutigen Buchdruckerkunſt geſtaltete. Eine Gießmaſchine für die Typenherſtellung erfand 1805 Wing und White; dieſelbe wurde 1828 von Bruce praktiſch umgeſtaltet und ſpäter von Kiſch in Berlin noch weſentlich verbeſſert. Auf dem Gebiete der Druckerpreſſe war der erſte weſentliche Fortſchritt die Einführung einer eiſernen Preſſe an Stelle der bis dahin gebrauchten hölzernen durch Stanhope im Jahre 1800, der zweite größere die Erfindung der erſten Dampfdruckpreſſe von König im Jahre 1810, aus der ſich dann allmählich die gewaltigen Rotationspreſſen der neueſten Zeit entwickelten.

Wir wollen nun im folgenden das geſamte Verfahren des Buch - drucks vom Gießen der Typen bis zum Falzen der fertigen Druckbogen beſchreiben und machen naturgemäß den Anfang mit der Schriftgießerei.

2. Die Schriftgießerei.

(Vergl. auch S. 640 bis 642).

Die Typen ſelbſt, vierſeitige rechtwinklige Stäbchen von beſtimmter Höhe, müſſen, um mit ihnen drucken zu können, die Buchſtaben oder Zeichen, welche ſie darſtellen ſollen, in erhabener Form und umgekehrter Schreibweiſe, bei unſerer Schrift alſo von rechts nach links wieder - geben. Das Metall, aus dem ſie gegoſſen werden, muß leichte Schmelz - barkeit mit einer gewiſſen Härte verbinden, um einerſeits einen guten950Die vervielfältigenden Künſte.Guß zu ermöglichen und um andererſeits genügend dauerhaft zu ſein, um ſcharfe, vollkommene Abdrücke zu liefern. Ferner muß es die Druckerſchwärze leicht annehmen und abgeben und darf nicht leicht oxydieren, damit die Typen lange aufbewahrt werden können. Alle dieſe Eigenſchaften vereinigt in mehr oder minder hohem Maße das ſogenannte Schriftgießermetall oder Schriftzeug , eine Legierung von Blei und Antimon. Man nimmt meiſt 4 bis 5 Teile Blei und 1 Teil Antimon, zuweilen auch noch, um die Oxydierbarkeit noch mehr zu vermindern, einen Zuſatz von Zinn. Die Herſtellung ſolcher Typen geſchieht nun in der Weiſe, daß man zunächſt den betreffenden Buch - ſtaben oder das betreffende Zeichen in einem harten Metall erhaben und umgekehrt ſchneidet, die ſogenannte Patrize anfertigt, dieſe in ein weicheres Metall, meiſt Kupfer einſchlägt, ſodaß in dieſem die Type in richtiger Stellung, wie im Druck, aber vertieft als Matrize er - ſcheint, und ſchließlich mit Hilfe der Matrize im Gießinſtrument die Typen vervielfältigt.

In erſter Linie kommt es auf die Anfertigung guter Patrizen an, wenn man einen guten Druck erzielen will, da die Typen ſich ganz nach jenen bilden. Als Material für die Patrizen wählt man den beſten Gußſtahl aus, den man in vierkantige Stäbchen von beſtimmter Breite, Höhe und Dicke zerſchneidet. Man legt dieſe Stäbchen in einen eiſernen, mit Holzkohlenſtaub gefüllten Kaſten, der luftdicht ver - ſchloſſen iſt, und läßt ſie bei langſamem Feuer 5 bis 6 Stunden lang glühen. Nun wird nach allmählicher Abkühlung die Füllung heraus - genommen und vom Schriftſchneider in der Weiſe bearbeitet, daß er auf der ebenen, glatt abgeſchliffenen Endfläche den Buchſtaben umge - kehrt mit Feder und Tuſche aufzeichnet oder, wenn er ſehr klein iſt, mit einer ſcharfen Nadel einritzt und dann mit dem Grabſtichel die zu vertiefenden Stellen, z. B. beim o das innere Oval ausſticht. Die größeren Zwiſchenräume werden meiſt mit einem ſehr harten Stempel, der Gegenpunze eingeſchlagen und dann erſt nachgefeilt. Es iſt ſehr ſchwierig, den Vertiefungen die richtige Höhe und ihren Rändern die notwendige Steilheit zu geben. Nunmehr kommt die Patrize wieder

Fig. 505.

Patrize.

in einen mit Kohlenſtaub gefüllten Blechkaſten, wird in demſelben bis zur Rotglut erhitzt, dann in nicht ganz kaltem Waſſer abgekühlt, abge - trocknet und an der Bildfläche ſorgfältig ge - reinigt, dann mit einem rotglühenden Eiſen ſtark gelblich angelaſſen, wieder in Waſſer abge - kühlt, getrocknet und ſchließlich noch einer ge - nauen Reviſion auf kleine Unregelmäßigkeiten und Unreinlichkeiten unterzogen. Fig. 505 ſtellt eine fertige Patrize dar.

Dieſe Patrize ſchlägt man mit dem Hammer in genau fixierter Richtung an einer beſtimmten Stelle eines etwa 4 cm langen Kupfer - ſtückchens ein, deſſen Breite und Dicke von der gewünſchten Schriftart951Die Schriftgießerei.abhängt. Das Einſchlagen erfordert eine ſehr geübte Hand; beſonders ſchwierig iſt es nun aber, die Matrize zu juſtieren, d. h. das Kupfer - ſtückchen ſo lange zu bearbeiten, bis es an allen Seiten wohl geebnet und ſo gerichtet iſt, daß es einerſeits genau in das ſpäter zu beſchrei - bende Gießinſtrument hineinpaßt, und daß andererſeits der Buchſtabe

Fig. 506.

Matrize.

an der paſſenden Stelle ſteht, und bis der Buchſtabe die richtige Tiefe hat. Nun iſt die Matrize (ſ. Fig. 506) fertig.

In neuerer Zeit dienen noch zwei andere Ver - fahren zur Herſtellung der Patrizen und Matrizen. Man arbeitet vielfach die Patrize in einem leichter zu behandelnden Stoff, Schriftgießermetall oder Holz z. B. aus, oder nimmt auch eine fertige Type als Patrize und macht daraus auf galvanoplaſtiſchem Wege eine Matrize, indem ſie, mit flüſſigem Wachs beſtrichen, in den galvanoplaſtiſchen, mit einer Kupferlöſung gefüllten Apparat gebracht wird, in dem ſich ſodann auf ihr das Kupfer nieder - ſchlägt und allmählich die Matrize bildet. Ferner iſt neuerdings eine ähnliche Bohrmaſchine konſtruiert, mit der man folgendermaßen ver - fährt. Man führt eine Spitze, den Storchſchnabel, um das richtige Modell eines Buchſtabens herum, dann bohrt ein kleiner Bohrer das Buchſtaben - bild als Patrize an der entgegengeſetzten Seite des Apparates aus.

Es erübrigt noch die Gießmaſchine zu beſchreiben, deren ſehr viele er - funden ſind. Wir wollen den Typus der von David Bruce in Brooklin im Jahre 1828 erbauten Gießmaſchine (Fig. 507) näher betrachten. Auf einem etwa 1 m hohen eiſernen Geſtell befindet ſich ein eiſernes Gerippe mit der Gießpfanne a und der Feuerung a1. In Verbindung mit der Pfanne ſteht das Pumpwerk b, mittels deſſen das flüſſige Metall durch einen Kanal in das am Kopfe c befindliche Gießinſtrument übergeleitet wird. d iſt ein Zählſcheibchen, das bei neueren Maſchinen die Zahl der gegoſſenen Lettern angiebt. Der Mechanismus wurde früher von einem Arbeiter mit einer Kurbel in Bewegung geſetzt, neuerdings arbeitet er mit Dampfkraft. Fig. 508 ſtellt das ſogenannte Gießinſtrument dar, deren der Gießer eine große Reihe für die ver - ſchiedenen Schriftarten und Typendicken haben muß. Die Matrize wird in die Öffnung e zwiſchen die Kerne c und d und die Boden - ſtücke a und b eingeſetzt. Der genaue Schluß wird durch die Bäckchen f hergeſtellt. Nun wird das Gießinſtrument mit der Mater und dem dieſe feſthaltenden Materkaſten mit der hinteren Seite an die Gieß - pfanne gelegt, ſodaß nun durch die Öffnung k in Fig. 508 das flüſſige Metall auf die Mater ſtrömt. Die Maſſe erſtarrt ſofort und wird als fertige Type mit einem Häkchen herausgeholt, nachdem die Boden - ſtücke a und b mechaniſch auseinandergegangen ſind. Die Type muß nun noch zugerichtet werden. Dazu gehört zunächſt, daß der Guß - zapfen teilweiſe abgebrochen und die übrigbleibende Letter auf der abgebrochenen, alſo dem Buchſtaben entgegengeſetzten Seite abgeſchliffen952Die vervielfältigenden Künſte.

Fig. 507.

Gießmaſchine.

Fig. 508.

Gießinſtrument.

953Die Schriftgießerei und das Setzen.wird. Ferner wird die richtige Höhe, Breite der Type, die richtige Stellung des Zeichens noch einmal nachgeſehen. Vielfach geſchehen alle dieſe Arbeiten auf mechaniſchem Wege in der Komplett-Gießmaſchine, die am beſten von J. M. Hepburn und P. M. Shanks aus - geführt iſt. Die oben beſchriebene Bruceſche Gieß - maſchine gießt in ihrer von Kiſch in Berlin neuerdings verbeſſerten Geſtalt etwa 12 bis 20000 Buchſtaben pro Tag, während die Komplett-Gießmaſchine ungefähr 40000 Typen (Fig. 509) täglich vollkommen fertig ſtellt.

Fig. 509.

Typen.

3. Das Setzen.

Das Zuſammenſetzen der Typen zu einer Druckform, von der man, nachdem ſie mit Druckerſchwärze eingerieben iſt, mit der Drucker - preſſe beliebig viele Abzüge machen kann, nennt man ſetzen . Außer den mannigfaltigen Sorten von Typen, die von der gewünſchten Druckart abhängen, braucht der Setzer noch die ſogenannten Aus - ſchließungen , um die Buchſtaben und die Wörter von einander zu trennen. Dieſe Typenkegel ſind niedriger als die Buchſtabenkegel, ſo daß nachher beim Drucken die von ihnen beſetzten Stellen auf dem Papier leer bleiben, haben aber wie jene unter ſich alle genau dieſelbe Höhe. Sie heißen, wenn ſie quadratiſche Oberfläche haben, Gevierte,

Fig. 510.

Tenakel mit Diviſorium und Manuſkript.

bei einem Seitenverhältnis von 1: 2 Halb - gevierte, entſprechend Viertelgevierte und dann noch Sechſtel - und Achtel-Spatien. Je nach der Weite des Druckes wendet der Setzer dieſe oder jene Sorte Aus - ſchließungen an.

Der Setzer hat nun vor ſich den Schriftkaſten (etwa 1 m lang, 65 cm breit und 5 cm hoch) zu ſtehen, in dem die verſchiedenen Zeichen möglichſt ſo in ein - zelnen Fächern angeordnet ſind, daß die, welche er am häufigſten braucht, ihm am nächſten liegen. Etwa in der Mitte des Setzkaſtens wird ein mit einer Spitze ver - ſehenes Holzlineal, das Tenakel , ein - geſetzt, an dem das zu druckende Manuſkript durch ein geſpaltenes Querholz, das Diviſorium , feſtgehalten wird (Fig. 510). Der Setzer ſchiebt das Diviſorium immer an die Stelle, die er eben geſetzt hat.

In der linken Hand hält der Setzer den Winkelhaken (Fig. 511), in dem die Breite des offenen Zwiſchenraums durch die Stellſchraube s ſo reguliert wird, daß ſie gerade der Breite einer Zeile entſpricht. Mit der rechten Hand ergreift er nun die Type, ſetzt ſie ſo in den954Die vervielfältigenden Künſte.Winkelhaken, daß die Schrift nach vorn, die ſog. Signatur, das iſt die Einkerbung, die wir in Fig. 511 mit s bezeichnet ſehen, nach oben ſteht. Die Signatur hat erſtens den Zweck, daß der Setzer,

Fig. 511.

Winkelhaken.

indem er ſie beim Setzen mit dem Finger an der vorderen Seite der Reihe fühlt, dadurch die Gewißheit erhält, daß die Type richtig ſteht. Außerdem werden durch Breite und Form der Signaturen Verſchiedenheiten zweier Schriftſorten bezeichnet, die man ſonſt nicht ſehen könnte. Je nach der Weite des Drucks nimmt der Setzer nun eine Ausſchließung von entſprechender Breite, dann wieder einen Buch - ſtaben u. ſ. f., nach einem Worte eine größere Ausſchließung, ein Halb - geviert gewöhnlich, bei geſperrtem Druck zwiſchen je zwei Buchſtaben ein Spatium.

Das Ausſchließen iſt diejenige Arbeit des Setzers, von der die Schönheit, die Regelmäßigkeit des Druckes in erſter Linie abhängt. Bleibt z. B. am Ende der Zeile noch ein kleiner Raum übrig, ſo muß er dieſen geſchickt durch Anwendung ſehr dünner Ausſchließungen über die ganze Zeile verteilen oder er muß die von ihm gebrauchten Ausſchließungen durch kleinere erſetzen, ſodaß noch eine Silbe auf die Zeile geht. Beſondere Schwierigkeiten machen ihm ſpätere Kor - rekturen des Autors, da er ſchon den Raum eines von demſelben zugeſetzten Wortes meiſt auf mehrere Zeilen verteilen muß. Nach Vollendung einer Zeile, die alſo ein feſtes Gefüge von längeren Typen, den Buchſtaben oder Zeichen, und kürzeren Typen, den Aus - ſchließungen, darbieten, wird unterſucht, ob ſie genügend feſt zuſammen - hält, dann die Setzlinie , ein glatter Blechſtreifen von der Länge der Zeile und der Breite der Typenhöhe, auf die Zeile gelegt, und auf dieſer Setzlinie als Unterlage die nächſte Zeile begonnen. Satz, bei dem in dieſer Weiſe die Zeilen dicht an einander ſtehen, heißt kom - preſſer Satz. Meiſtenteils läßt man aber Raum zwiſchen den Zeilen, man durchſchießt ſie, wie man ſagt, indem man mehr oder weniger dünne Durchſchußſtücke, Regletten , zwiſchen ſie legt.

Wenn der Winkelhaken gefüllt iſt, wird die Klemmſchraube s (Fig. 511) gelockert, eine Setzlinie auf die oberſte Zeile gelegt, und dann der Satz mit beiden Händen feſt gefaßt und auf das ſog. Schiff übertragen. Dieſes iſt eine glatte Zinkplatte, die auf drei Seiten mit Leiſten umgeben iſt. Bei größerem Format iſt dieſelbe doppelt, die obere Platte aber mit einem Handgriff verſehen, an dem ſie ſich955Das Setzen.herausziehen läßt. Die Satzſtücke werden nun aus dem Winkelhaken ſo oft auf das Schiff übertragen und an einander gereiht, bis eine Seite oder Kolumne fertig iſt. Dann wird der Satz mit ſtarkem Bindfaden feſt umwickelt, ſodaß er nicht auseinanderfallen kann, wenn man ihn heraushebt. Man nimmt ihn mit der Hand, oder man zieht, wenn die erwähnten zwei Platten vorhanden ſind, an dem Handgriff lang - ſam die obere Platte mit dem Satz aus dem Schiff heraus und ſchiebt ſie auf das Setzbrett , worauf man, den Satz mit der linken Hand

Fig. 512.

Keilrahmen.

feſthaltend, die Platte ſchnell unter ihm fortzieht. Man überträgt ſo viele Seiten auf das Setzbrett, wie bei dem betreffenden Format zu einem Bogen gehören, muß dabei aber in der Anordnung vorſichtig ſein, damit nachher im Druck die Seiten die richtige Reihenfolge haben. Iſt die Druckform ſo weit fertig, ſo wird ein eiſerner Rahmen, der ſog. Schließrahmen herumgelegt, die Bindfaden werden abge - nommen und die Zwiſchenräume werden mit größeren Ausſchließungen, den Formatſtegen ausgefüllt. Mit Schrauben oder Keilen wird das ganze recht feſt zuſammengefügt, geſchloſſen . Es gibt ſehr viele derartige Rahmen; einen ziemlich gebräuchlichen Keilrahmen mit feſtem Mittelſteg veranſchaulicht Fig. 512.

Jetzt wird gewöhnlich ein ſog. Bürſtenabzug gemacht oft ge - ſchieht dies noch vor dem Schließen , d. h. die Form wird mittels einer Walze mit Druckerfarbe eingeſchwärzt, ſchlechtes Papier herüber - gelegt, darauf Filz oder Pappe, ſodann wird ein erſter Abzug her - geſtellt, indem man entweder mit einer Bürſte ſtark darüberſtreicht oder eine einfache Handpreſſe anwendet. Iſt dieſer Abzug vom Ver - faſſer korrigiert, ſo muß der Setzer mit der Ahle oder Pincette die falſchen Typen, Wörter und Zeichen herausnehmen und durch die richtigen erſetzen. Bei größeren Korrekturen muß er dabei oft wieder den Satz auf den Winkelhaken übertragen. Am günſtigſten iſt für den Setzer das Korrigieren, wenn der Autor in der Korrektur etwa ebenſoviel Neues hinzufügt, als er Daſtehendes fortſtreicht. Es werden dann noch gewöhnlich zwei Reviſionsabzüge geliefert, worauf der Satz druckfertig iſt.

Es iſt faſt ſelbſtverſtändlich, daß menſchlicher Erfindungsgeiſt ſich auch bemüht hat, die Arbeit des Setzens der Handthätigkeit zu ent - ziehen, indem er Setzmaſchinen an deren Stelle bringen wollte. Man kann aber nicht ſagen, daß dieſes Problem bisher ſchon vollkommen gelöſt ſei, daß Setzmaſchinen erfunden ſeien, die den Vergleich mit der Gießmaſchine oder der Druckerpreſſe aushalten könnten, wenn ſie auch meiſt ſehr ingeniös erdacht ſind. Als erſte praktiſch brauchbare Setz - maſchine muß man die von Chriſtian Sörenſen bezeichnen, die, im956Die vervielfältigenden Künſte.Jahre 1846 erfunden, auf der Pariſer Ausſtellung vom Jahre 1855 außerordentliches Aufſehen erregte und die große goldne Medaille erhielt. Einige Verwendung in der Praxis fanden dann noch die Setzmaſchine des Amerikaners Brown, die des Engländers Hattersley, die des Deutſchen Kaſtenbein und die des Engländers Mackie. Bis auf die letzte beruhen alle auf dem Klaviaturprinzip, d. h. der Setzer drückt auf eine Taſte, worauf ſich in einem beſtimmten Typen - kaſten eine Klappe öffnet, durch die gerade ein Buchſtabe herausfallen kann. Dieſer gelangt dann durch ein Syſtem von Kanälen auf den Winkelhaken oder das Schiff, welches ſich nach Aufnahme der Type gerade um deren Stärke fortbewegt.

Wir wollen hier nicht auf die Einzelheiten dieſer Maſchinen eingehen, weil ſie verſchiedene naturgemäße Mängel haben, die einer Verdrängung der Handarbeit durch jene vorläufig noch im Wege ſtehen. Erſtens ſind ſie meiſt nur für eine beſtimmte Typenform geeignet, andernfalls zu kompliziert. Ferner kann man nicht mit ihnen den Satz direkt korrigieren, die Reihe umbrechen, d. h. das Ende einer Zeile verlegen, und ſchließlich iſt es auch noch nicht gelungen, die Maſchine gleichzeitig zum Wiederauseinander - nehmen des Satzes und richtigen Verteilen der Typen in die Käſten einzurichten. Da die bisherigen Maſchinen nur vielleicht zwei - bis dreimal ſo ſchnell arbeiten, wie ein Setzer, ſo findet eine große Be - ſchleunigung des Setzens nicht ſtatt, zumal man nicht gleichzeitig ſo viel Kräfte in Arbeit ſtellen kann, wie beim Handſatz, wodurch dieſer in eiligen Sachen dem Maſchinenſatz immer noch überlegen iſt.

In den achtziger Jahren ſind dann noch zwei erwähnenswerte Setzmaſchinen erfunden worden, eine von Brackelsberg und eine mit Klaviatur von Fiſcher und v. Langen, denen manche Vorzüge nach - gerühmt werden. Beſonders gut konſtruiert ſoll bei der letzteren die ſogenannte Ablegemaſchine ſein, d. h. der Teil der Maſchine, der das Auseinandernehmen des gebrauchten Satzes zu beſorgen hat. Durch - greifende Verbreitung haben aber bisher auch dieſe Maſchinen nicht gefunden.

Bevor wir uns nun dem Drucken ſelbſt zuwenden, müſſen wir uns noch mit einer Art Umformung der Druckform, des Satzes be - ſchäftigen, die von der allergrößten Bedeutung iſt, wenn ſie auch nur in beſtimmten Fällen zur Anwendung kommt, dem Stereotypieren.

4. Das Stereotypieren.

Unter Stereotypieren verſteht man die Abformung des fertigen Schriftſatzes in einem zuſammenhängenden Material. Zu dieſem Zwecke iſt alſo erſt ein umgekehrter Abklatſch der Typenplatte in irgend einem weichen Material erforderlich, der Matrize, in die ſpäter, nachdem ſie ganz feſt geworden iſt, leichtflüſſiges Metall eingegoſſen wird, das dann erſtarrt ein getreues Abbild der Typenplatte giebt. Es liegt in dieſer Methode nun nicht etwa ein Rückſchritt von beweglichen Typen957Das Setzen und das Stereotypieren.zu feſten Platten, ſondern die Güte der letzteren iſt weſentlich bedingt durch die vorhergehende Anwendung einzelner Lettern. Die Wichtigkeit der Stereotypplatten iſt aber eine ganz ungeheure. Zunächſt war es früher für den Drucker ſehr koſtſpielig, Werke, die mit geringen Änderungen oft von neuem verlegt wurden, immer wieder neu zu ſetzen oder aber längere Zeit den Satz ungenutzt ſtehen zu laſſen. Auch konnte der Satz leicht im Lauf der Zeit auseinanderfallen. Andererſeits mußte der Drucker oft gleich eine ſehr große Auflage machen, die dann wiederum lange Zeit als totes Kapital beim Verleger ruhte. Alle dieſe Unannehmlichkeiten ſind gehoben, ſeitdem die Stereotypie es ermöglicht, eine mit dem Satz genau übereinſtimmende, zum Druck geeignete feſte Platte herzuſtellen, deren Aufbewahrung den Typen - beſtand der Druckerei unangegriffen läßt, vor allem aber gegen Ver - änderungen oder Zerſtörungen durch Auseinanderfallen völlig ſicher iſt. Die größte Bedeutung hat aber die Stereotypie gewonnen, als die neuen mächtigen Rotationspreſſen erfunden wurden, bei denen der Schriftſatz eine Cylinderfläche bilden muß. Alle Verſuche, derartigen Satz direkt mit Typen herzuſtellen, ſind geſcheitert, während hier die Papierſtereotypie, wie wir ſehen werden, helfend und rettend eintrat, ſodaß ſich gerade auch bei den flüchtigſten, vergänglichſten Leiſtungen der Buchdruckerkunſt, den Tageszeitungen, bei denen ein Stehenbleiben des Satzes gar nicht in Frage kommt, die Stereotypplatte im Großbetriebe das Feld erobert hat.

Die erſte praktiſch brauchbare Methode zur Herſtellung von Stereotypplatten rührt, wie oben erwähnt, von Lord Stanhope aus dem Jahre 1804 her und hat ſich bis in die neuere Zeit hinein ohne weſentliche Änderungen erhalten. Man gießt über die in einen Rahmen gelegte Druckform einen dünnflüſſigen Gipsbrei, der in wenigen Minuten erſtarrt, worauf er abgehoben werden kann und die Typen als Ver - tiefungen genau abgedrückt enthält. Vor dem Gießen des Gipsbreies wird die Druckplatte, die, je nach der Größe der Apparate, die man benutzt, eine, zwei oder mehr Seiten enthält, ordentlich geölt, damit ſich nicht der Gips feſt anſetzt. Meiſt nimmt man übrigens auch bei Satz, der ſtereotypiert werden ſoll, höhere Ausſchließungen, Spatien ꝛc., als ſonſt, damit die dort hineintretenden und ſpäter hervorſtehenden Gipszacken nicht zu lang werden, wodurch ſie leicht abbrechen könnten. Iſt nun alſo die Gipsmatrize ſo weit fertig, ſo läßt man ſie erſt an der Luft, dann ſorgfältig und langſam in einem Ofen völlig aus - trocknen. Eine Spur von Feuchtigkeit würde die Herſtellung der Stereotypplatte vereiteln oder mindeſtens ſehr ſchädlich beeinfluſſen, da die Feuchtigkeit, wenn nachher heißes Metall in die Matrize gegoſſen wird, in Dampf aufwallt und leicht ein Springen der Matrize oder die Bildung eines hohlen Raumes im Abguß verurſacht.

Die Herſtellung des Abguſſes kann nun in verſchiedener Weiſe erfolgen. Man läßt die Matrize mit ſtarkem Druck auf das dem958Die vervielfältigenden Künſte.Erſtarren nahe Gußmetall, das über eine ebene Platte ausgegoſſen iſt, fallen, ſodaß ſie ſich in dieſem dem Schriftmetall ähnlichen, aber etwas weicheren Material (etwa 6 Teile Blei und 1 Teil Antimon) abdrückt. Dieſes alte Didotſche Verfahren hat viele Nachteile, vor allem den, daß die Luft zwiſchen Matrize und Gußmetall nicht entweichen kann, infolge deſſen die Abdrücke nicht ſcharf werden. Beſſer iſt das Stan - hopeſche Verfahren, bei dem die Matrize mit ihrer Schriftſeite nach oben in flüſſiges Metall eingetaucht wird, das dann die Öffnungen ausfüllt. Die Matrize wird in eine ſtarke Form gelegt, über die ein mit vier Ausſchnitten an den Ecken verſehener Deckel geſchraubt wird, der nahe an die Matrize heranreicht. Das ganze wird nun mit einem ſtarken Druckapparat in einen Behälter, der das flüſſige Metall enthält, hineingetrieben, ſodaß dieſe Maſſe durch die Öffnungen einfließen kann und durch den ſtarken Druck, den die flüſſige Maſſe dem Hinabtreiben der Form entgegenſetzt, feſt an die Gipsmater herangedrückt wird. Die Luft kann bequem durch die Öffnungen entweichen. Nun hebt man die Form heraus, läßt das Metall völlig erkalten und nimmt oder ſchlägt die Gipsmatrize ab. Hobelt man jetzt die Gußplatte auf der unteren Seite glatt ab, ſo iſt die Stereotypplatte als ſolche fertig. Sie muß nur noch ſorgfältig geleſen werden, damit eventuelle Unregel - mäßigkeiten in ihr ausgeputzt werden können. Falſche oder ſchlechte Buchſtaben werden herausgefeilt oder herausgebohrt und durch die richtigen erſetzt, die man einlötet. Größere Korrekturen in den Stereotyp - platten anzubringen, hat aber große Schwierigkeiten, während ſich ja auf der anderen Seite bei ihrer Anwendung z. B. für den Druck von Rechentafeln oder Tabellen der große Vorteil darbietet, daß bei ſpäteren Auflagen nicht wieder neue Druckfehler in das Werk hineinkommen können. Die Höhe der Stereotypplatten iſt gewöhnlich nur 5 mm, alſo bedeutend geringer als die der ſonſtigen etwa 25 mm hohen Druck - platten, ſodaß in vielen Fällen beim Drucken unter die Stereotypplatten Metallunterlagen kommen müſſen.

Ein etwas einfacheres Verfahren als das Stanhopeſche iſt das von Daulé erfundene, bei welchem die Matrize in eine eiſerne Form mit hohem Rand gelegt wird, an der ein eiſerner Deckel mit einem Scharnier befeſtigt iſt. Der Deckel iſt an einer Ecke ausgeſchnitten und liegt, wenn er heruntergeklappt wird, nicht viel über der Matrize. Man gießt nun das Metall mit einem Löffel durch die Öffnung, indem man das ganze Inſtrument ſchräg hält. Läßt man etwas mehr als nötig einfließen, ſo bewirkt der Druck einen guten Einfluß des Metalls in alle Vertiefungen. Das überſchüſſige Metall bildet einen Angußzapfen, der abgeſägt werden muß.

Faſt ganz verdrängt ſind aber in neuerer Zeit die Gipsmatrizen durch die Papiermatrizen, die Genoux in Paris im Jahre 1829 erfand, die ſich aber zuerſt nur ſehr langſam Eingang verſchafften. Sein Ver - fahren beſteht in folgendem. Man klebt eine Anzahl Seidenpapier -959Das Stereotypieren und das Drucken.blätter mit einem dünnen Stärkekleiſter, der mit geſchlemmter Kreide vermiſcht iſt, aneinander, ſodaß das ganze etwa die Dicke eines ſchwachen Kartons hat, glättet ſie und befeuchtet ſie. Nun legt man ſie auf die Typenplatte und klopft ſie entweder mit einer Bürſte feſt an dieſelbe heran, oder man drückt ſie mit einer Preſſe gegen die Typen. Darauf ſchraubt man eine Eiſenplatte über Form und Papier und bringt das ganze in einen Ofen. In einigen Minuten iſt die Papier - matrize ſo weit trocken, daß ſie ohne Mühe von der Druckplatte ab - zunehmen iſt. Sie hat einen ſehr hohen Grad von Feſtigkeit, ſodaß ſie meiſt nachher mehrere Abgüſſe aushält. Die wichtigſte Eigenſchaft ſolcher Papiermatrizen iſt aber, daß ſie ſich bequem biegen laſſen, was, wie wir erwähnten, für die cylindriſchen Druckformen der Rotations - preſſen notwendig iſt. Man legt die Matrize feſt in einen Halbcylinder hinein, in den man darauf einen etwas kleineren Halbcylinder einſetzt. Zwiſchen dieſen und die Matrize läßt man das Gußmetall fließen, das dann alſo eine cylindriſch geformte Stereotypplatte liefert, die auf der Walze der Maſchine befeſtigt werden kann.

5. Das Drucken.

Wir hatten oben das Verfahren bereits ſoweit verfolgt, daß von der Druckform ein Korrektur - und zwei Reviſionsabzüge gemacht waren. Es wird dann meiſt das imprimatur , zu deutſch: der Druck kann beginnen , erteilt, worauf die Form, falls ſie nicht ſtereotypiert wird, auf eine horizontale eiſerne Platte, den Schließtiſch , gelegt und mit einem für den Druck geeigneten feſten Schließrahmen umgeben wird. Die Stege, an deren Stelle die weißen Ränder erſcheinen, müſſen nun noch genau nachgeſehen werden, damit ſie richtig ſtehen, und die Typen müſſen, falls ſie vorſtehen, mit einem Holz herunter - geklopft werden.

Die Druckerſchwärze oder - Farbe, mit der, ſei es mit einer Hand - walze oder auf mechaniſchem Wege, die Druckplatte eingeſchwärzt wird, muß ſehr viele Bedingungen erfüllen. Sie muß ſich leicht an die Typen anſetzen, ſodaß auch die feinſten Teile derſelben die Farbe an - nehmen, ſie darf nicht ſchmieren, muß ſchnell trocknen und einen dunkel - ſchwarzen Ton haben und ſchließlich auch gut auf dem Papier haften. Es ſei nur erwähnt, daß die gewöhnliche Druckerſchwärze meiſt aus Leinöl, das bis zur Sirupskonſiſtenz eingekocht iſt, und aus Lampen - ruß beſteht.

Das Papier, das zum Drucken verwendet wird, iſt meiſtens un - geleimt, muß dann aber befeuchtet werden, während geleimtes Papier in trockenem Zuſtande gebraucht werden kann. Geleimtes Papier verwendet man aber nur in ſeltenen Fällen, z. B. beim Buntdruck. Das Papier wird entweder vorher in Bogenformat geſchnitten, ſodaß es gerade die Typenplatte deckt, oder man nimmt bei den neueren960Die vervielfältigenden Künſte.großen Rotationspreſſen ſogenanntes endloſes Papier, d. h. große Ballen, von denen das Papier abrollt, durch die Maſchine läuft und erſt nach dem Druck in Bogen zerſchnitten wird.

Bei der Handpreſſe wird die Form auf den ſogenannten Karren gelegt, eine Einrichtung, auf der die Form unter den Tiegel , das iſt die Druckplatte der Preſſe, gefahren werden kann, während ſie vor der Preſſe genug Raum bietet, um dort die Druckform mit der Auftrag - walze , die die Farbe enthält, einzuſchwärzen. Iſt dies geſchehen, ſo wird zunächſt Poſtpapier darüber gelegt, der Karren unter den Tiegel gefahren und dieſer mit einem Schrauben - oder Hebelwerk bis in das 18. Jahrhundert hinein beſtand dies aus einer einfachen gewöhn - lichen hölzernen Schraube, die mit dem oben daran befindlichen Quer - holz hinabgedreht wurde an die Form gedrückt. Durch feine Spitzen, die Punkturſpitzen , entſtehen an mehreren Stellen feine Punktur - löcher im Papier, damit man ſeine Lage genau wieder von neuem her - ſtellen kann. Nun werden einige ganz dünne Bogen ebenſo bedruckt und dieſe an den Stellen, wo der Druck zu ſchwach geworden iſt, aus - geſchnitten. Dieſe Ausſchnitte werden an der genau entſprechenden Stelle auf das Poſtpapier geklebt, während dieſes ſelbſt an denjenigen Stellen, wo der Druck zu ſtark geworden iſt, ausgeſchnitten wird. Der ſo zugerichtete Bogen wird unter die Typen gelegt, wodurch dann dieſe Unterſchiede beſeitigt werden. Nach einigen blinden Drucken, ohne Farbe, die gemacht werden, damit das Zurichtepapier ſich ſetze wie man ſagt, wird nun ein Bogen auf die Form gelegt, bedruckt, abgenommen, ein neuer aufgelegt und ſo fort. Da der Bogen auf beiden Seiten bedruckt werden muß, verfährt man entweder ſo, daß man erſt hintereinander die erſte Seite, den ſogenannten Schöndruck druckt, dann mit derſelben Preſſe von einer anderen Form die andere Seite, den Wiederdruck, oder man druckt mit zwei Preſſen gleichzeitig auf der einen den Schön -, auf der andern den Wiederdruck. Iſt das Papier bedruckt, ſo muß es noch ſatiniert werden, damit es die beim Befeuchten meiſt verloren gegangene Glätte wiedererhalte, und damit die Buchſtaben nicht hervorſtehen. Es kommt der Druckbogen zu dieſem Zweck in einen ſogenannten Doppelkalander, einen ähnlichen Apparat, wie ſolcher in dem Artikel Erfindung des Papiers auf Seite 931 beſchrieben iſt. Das Papier geht dabei durch je ein Paar eng aneinander ſchließender Walzen von hartem Stahl und von feſter, aber doch elaſtiſcher Papiermaſſe hindurch.

Iſt nun auch das Prinzip der Preſſe , das Gutenberg zum Druck anwandte, bis heute faſt dasſelbe geblieben, ſo ſind doch in der Form, Brauchbarkeit und Leiſtungsfähigkeit der Druckpreſſe gewaltige Ver - änderungen und Fortſchritte in den letzten hundert Jahren eingetreten. An die Stelle der alten, einfachen hölzernen Tiegeldruckpreſſe, mit der Jahrhunderte hindurch die Druckwerke und zwar oft in vorzüglicher Ausführung hergeſtellt waren, trat Ende des vorigen Jahrhunderts die961Das Drucken.eiſerne Preſſe, die in recht vollkommener Form zuerſt von Lord Stanhope im Jahre 1800 verfertigt wurde. Fig. 513 ſtellt eine ſehr beliebte Art eiſerner Handpreſſe, die Hagarpreſſe , dar. Die beiden in

Fig. 513.

Hagarpreſſe.

der Figur ſich kreuzenden Pfeiler über der Druck - platte ruhen mit runden Köpfen oben und unten in Vertiefungen. Die oberen Vertiefungen ſind feſt ange - bracht, während die unteren ſich in einer Platte befinden, die mit einem Handgriff, einem Preßbengel, gedreht werden kann. Die Pfeiler nehmen beim Drehen eine immer geradere Stellung zu einander ein, werden da - durch gewiſſermaßen länger und drücken daher den Tiegel auf die Druckform herunter. Durch ſtarke Federn werden die Pfeiler nach dem Druck wieder in ihre alte Lage zurückgeführt.

Der nächſte große Fortſchritt beſtand dann in der Erfindung der erſten Schnellpreſſe durch Friedrich König aus Eisleben, (geboren am 17. April 1774). Der erſte Druck mit dieſer nur durch Dampfkraft betriebenen, an Leiſtungsfähigkeit die Handpreſſen ungeheuer über - treffenden Maſchine war die Nummer der Londoner Times vom 29. November 1814. Der Hauptunterſchied zwiſchen der Schnellpreſſe und der Handpreſſe beſteht aber in dem ſelbſtthätigen Auftragen der Druckerſchwärze auf die Form; ohne dieſes wäre eine mit Dampf, ſtatt mit Menſchenhand betriebene Preſſe nur ein halbes Werk. Zunächſt waren die Maſchinen im großen und ganzen ſo eingerichtet, daß die Farbe aus einem oberen Behälter auf eine ſtählerne Walze überging, welche ſie an eine ſich periodiſch hebende und ſenkende Walze aus Maſſe abgiebt. Dieſe verreibt beim Heruntergehen die Schwärze auf einer folgenden ähnlichen Walze, von der ſie über eine größere Walze wieder auf eine ſolche aus Stahl gelangt. Von dieſer erſt gelangt die Farbe auf die Auftragwalzen ſelbſt, die ſie an die Druckform ab - geben, wenn dieſe auf einem Schlittenwerk unter ſie gleitet. Nun geht die Druckform wieder vor, ein von Menſchenhand auf ein ſchräges Geſtell gelegter Bogen Papier gleitet, von fingerartigen Greifern er - faßt, gleichzeitig auf ſie herab und wird, während die Form weiter nach vorn gezogen wird, zwiſchen dieſer und der ſich an dieſelbe feſt anlegenden Druckwalze bedruckt. Während die Druckform wieder zur Farbwalze zurückkehrt, wird der bedruckte Bogen von Laufbändern aufDas Buch der Erfindungen. 61962Die vervielfältigenden Künſte.den Ausleger, d. i. eine um ein Scharnier bewegliche Platte oder Reihe von Stäben, weiter geführt. Sobald der Bogen auf dem Aus - leger liegt, klappt dieſer um und legt das einſeitig bedruckte Papier in einen Behälter, um dann wieder zurückzugehen. Alle Teile der Maſchine fügen ſich ſo organiſch ineinander, daß ſelten eine Störung im Betriebe eintritt. Es giebt auch ſolche Maſchinen, bei denen das Drucken ſelbſt, wie bei der Handpreſſe, durch eine Platte, nicht durch einen Cylinder bewirkt wird. Wir können aber hier auf die zahlloſen Verbeſſerungen und Neuerungen, die an den Schnellpreſſen gemacht ſind, nicht eingehen und müſſen uns auf die Erwähnung der wichtigſten neueren Fortſchritte beſchränken.

Der Amerikaner Bullock war der erſte, der eine praktiſch brauch - bare Rotationspreſſe oder Endloſe konſtruierte, die von dem Verleger der Times Walter eingeführt, den Namen Walterpreſſe erhielt. Das weſentliche bei dieſer Maſchine iſt, daß ein mächtiger Ballen Papier ohne Ende ſelbſtthätig ſich in ſie hinein abrollt und auch un - zerſchnitten bedruckt wird. Das letztere konnte Bullock nur dadurch erreichen, daß er die Schrift auf einer cylindriſchen Fläche, auf einer Walze an - ordnete, wozu die Möglichkeit, wie wir oben ſahen, erſt durch die Erfindung der Papierſtereotypie gegeben war. Auch erfolgt bei dieſen neueren Maſchinen der Schön - und Wiederdruck gleichzeitig in derſelben Preſſe. Erſt nach dem Druck wird das Papier auf mechaniſchem Wege zerſchnitten und bei neueren Maſchinen auch gleich doppelt gefalzt, d. h. doppelt zuſammengelegt, ſodaß eine Zeitung dann alſo fix und fertig zu ihrem halben Format zuſammengelegt, aus einer ſolchen Endloſen herauskommt. In allerneueſter Zeit hat man ſogar Maſchinen kon - ſtruiert, die die Zeitungen noch einmal, alſo völlig ſo zuſammenfalten, wie ſie meiſt in den Verkehr kommen.

Fig. 514 zeigt uns einen Längendurchſchnitt der Walterpreſſe. Rechts iſt die endloſe Papierrolle, die oft eine oder mehrere Meilen Papier

Fig. 514.

Walterpreſſe.

enthält. Das Papier wird durch die Bewegung der Walzen, wenn es erſt einmal zwiſchen die beiden erſten eingelegt iſt, immer weiter fortgeführt. Von der Walze B wird es befeuchtet, da B von der in963Das Drucken.einem Waſſerbehälter rotierenden Walze D benetzt wird. Das Papier geht nun durch die Cylinder EE, die durch den Druck, den ſie ausüben, die Feuchtigkeit gleichmäßig verteilen, weiter zu dem oberen großen Druckcylinder. Dieſer, der in einem Teile ſeines Umfangs die Schrift für den Schöndruck trägt, wie der untere Cylinder die für den Wiederdruck, iſt vorher durch die Walze I eingeſchwärzt. Auf dieſe wird, wie man ſieht, die Druckerſchwärze durch ein Syſtem von Walzen übertragen, das ſeinen Abſchluß in der Walze F findet; dieſe rotiert in dem Farbentrog G und wird durch das Meſſer H von der über - flüſſigen Farbe befreit. Iſt der Schöndruck fertig, ſo gelangt das Papier ſo auf die untere Walze, daß die andere Seite bedruckt wird. Dann kommt es weiter zwiſchen die Walzen A, wo es perforiert wird. Ein gezähntes Meſſer auf der unteren Walze greift in dem Moment, wo ein bedruckter Bogen vorbeigegangen iſt, in einen Einſchnitt der oberen Walze A ein und durchlocht ſo das Papier, das dann beim Durchgang durch die Walzen L und M durch einen Ruck vollends in einzelne Bogen zertrennt wird. Über die Rolle N gelangt nun der fertige Bogen auf den Rahmen O P, der hin - und herſchwingt und dabei je einen Bogen an die innere oder äußere Reihe Bänder R ab - giebt, von denen ſie durch den Ausleger S nach hinten und nach vorn ausgelegt werden.

Zur Falzung der Bogen dient neuerdings eine dreieckige Platte mit abgerundeten Rändern. Der Bogen gleitet von der oberen Dreieck - ſeite bis zur Spitze herab, wobei die auf beiden Seiten ſonſt mehr und mehr freiſchwebenden Teile desſelben mechaniſch an nach innen ſchräg ſich begegnende Seitenwände gedrückt werden. Die Dreiecks - ſpitze macht dann den notwendigen Kniff in der Mitte des Bogens

Fig. 515.

Tretpreſſe.

und dieſer, einmal zuſammen - gelegt, wandert nun zu einem ähnlichen Apparate weiter.

Wir wollen uns darauf beſchränken, nach der Er - örterung der rieſigen Ro - tationsmaſchinen, die oft 10000 Exemplare einer großen Zeitung in einer Stunde doppelt gefalzt liefern, ge - wiſſe Miniaturmaſchinen, die in neuerer Zeit für beſtimmte Zwecke ſehr in Aufnahme kommen, nur kurz zu er - wähnen. Zum ſchnellen Drucken von Viſiten -, Ein - ladungskarten[und] ähnlichem war es nötig, eine bequeme,61*964Die vervielfältigenden Künſte.handliche, ſchnell arbeitende Maſchine zu erfinden, wie ſie in einer be - ſonders in Deutſchland ſehr eingebürgerten Form Fig. 515 wiedergiebt. Das Fundament, auf dem die Schrift ruht und die Druckplatte oder der Tiegel ſtehen hier ſchräg zu einander, wie die Deckel eines aufgeſchlagenen Buches. Beim Treten kommen ſie beide zuſammen und der Druck erfolgt.

Zum Schluſſe wollen wir noch bemerken, daß es in neuerer Zeit auch gelungen iſt, Rotationsmaſchinen zu erfinden, die gleichzeitig mit mehreren Farben drucken, doch wird davon noch ſpäter die Rede ſein.

c) Die Schreibmaſchinen.

Eine Vereinigung von Schrift und Druck ſehen wir in der Er - findung und Anwendung der Schreibmaſchinen vor uns. Zunächſt hatten ſie ihre Entſtehung der Abſicht zu verdanken, den Blinden das Schreiben möglichſt bequem zu machen; in den letzten Jahrzehnten hat ſich aber bei der ſo ungeheuer anwachſenden Schreibthätigkeit der Menſchheit immer mehr das Bedürfnis herausgeſtellt, Schreibmaſchinen zu erfinden, die im geſchäftlichen Verkehr Anwendung finden können. Die Bedingungen, denen ſie genügen müſſen, ſind: 1. natürlich abſolut ſicheres Funktionieren des Werkes, 2. größere Schnelligkeit, als beim gewöhnlichen Schreiben zu erreichen iſt, 3. leichte Erlernbarkeit ihres Gebrauchs und 4. Lieferung einer gut lesbaren, gleichmäßigen und an - genehmen Schrift.

Die erſte Schreibmaſchine rührt von dem Franzoſen Foucault aus dem Jahre 1855 her. Größere Verbreitung verſchafften ſich erſt ſpäter die Malling-Hanſenſche Schreibkugel, der Sholesſche Typen - ſchreiber, die Remington-Maſchine, die Original-Hammonia - und die Weſtphalia-Schreibmaſchine. Bei den drei erſten Maſchinen iſt das Prinzip im allgemeinen das, daß die Typen ſich am Ende von Stäben befinden, die hebelartig mit dem Taſtwerk, der Klaviatur, verbunden, alle kreisförmig angeordnet ſind, ſo daß ſie, durch Druck auf die Taſten in Bewegung geſetzt, mit ihrem Ende, das die Type trägt, ſich genau in den Mittelpunkt des Kreiſes vorſchieben. Die Typen nehmen dann erſt von einem in Farbe getränkten Bande Farbe auf und drucken ſich dann auf dem Papier ab, das, ſobald ein Buchſtabe oder Zeichen geſchrieben oder vielmehr gedruckt iſt, um ein entſprechendes Spatium mechaniſch weiter geſchoben wird. Die Typenſchreibmaſchine Original Hammonia von Guhl & Harbeck in Hamburg und die Buchdruck - Schreibmaſchine Weſtphalia von E. W. Brackelsberg in Hagen ſind dadurch weſentlich einfacher, als die erſteren, daß die Typen direkt, ohne Farbe aufzunehmen, auf das Papier herabgedrückt werden, die notwendige Färbung der Schrift aber dadurch erreicht wird, daß über das zu beſchreibende Papier ein bei gehörigem Druck abfärbender, blau oder ſchwarz gefärbter Bogen gelegt wird, auf den die Typen herunter -965Die Schreibmaſchinen.fallen und ſo die Schrifteindrücke hervorrufen. In dieſer Weiſe laſſen ſich, wenn mehrere Schichten Kopier - und Schreibpapier abwechſelnd übereinander gelegt ſind, gleichzeitig mehrere Exemplare eines Schrift - ſtücks herſtellen.

Intereſſant iſt eine Schreibmaſchine, die nicht wie die bisher er - wähnten das gewöhnliche Schreiben, alſo z. B. auch das Übertragen von Stenogrammen in gewöhnliche Schrift erleichtern, ſondern das Steno - graphieren ſelbſt erſetzen ſoll. Wir meinen nicht die Stenographier - maſchine von Michela, die mit einer Klaviatur-Schreibmaſchine völlig identiſch iſt, nur daß ihre ganze Einrichtung einem ſtenographiſchen Schriftſyſtem angepaßt iſt, auch nicht die von Iſidor Mappi, die ſogar gleich die Worte in Zeichen gewöhnlicher Schrift wiedergiebt, ſondern den ſinnreich erdachten Gloſſographen, den der Italiener Amadeo Gentilli im Jahre 1881 praktiſch brauchbar herſtellte. Dieſer Apparat beſteht aus einem Syſtem von Hebeln und Flügelchen, die durch die menſchliche Sprache ſelbſt, wenn man den einen Teil des Mechanismus in den Mund nimmt, in Bewegung geſetzt werden. Jeder geſprochene Laut übt eine verſchiedenartige Einwirkung auf dieſe Teilchen aus, welche zum Ausdruck kommt, indem ihre Bewegung mechaniſch und durch Elektrizität auf Schreibſtifte übertragen wird, die auf einer von

Fig. 516.

Gloſſographiſche Zeichen.

ſechs neben einander laufen - den Linien (Fig. 516) jeden Laut auf einem durch Uhrwerk langſam abrollen - den Papierſtreifen, zum deutlichen, bei einiger Übung leicht zu entziffernden Ab - druck bringt. Es dürfte einem derartigen Apparate, der im Grunde auf dem Prinzip des Phonographen aufgebaut iſt, wohl zweifellos eine große Zukunft bevorſtehen, da ſeine Anwendung ja große Vorteile vor dem Stenographieren hat. Der Stenograph braucht nicht mehr zu ſchreiben und durch Gebrauch von Abkürzungen mit Aufwendung ſtarker geiſtiger Kräfte einem ſchnellen Redner zu folgen, ſondern er hat die bedeutend leichtere Aufgabe, die Worte des Redners leiſe in den Apparat nach - zuſprechen (vgl. S. 226 ff.).

Es ſei noch erwähnt, daß es auch nicht an Verſuchen gefehlt hat, das langwierige Notenſchreiben durch einen mechaniſchen Apparat zu erſetzen. Man nennt einen ſolchen Mechanismus einen Melo - graph .

966Die vervielfältigenden Künſte.

d) Der Holzſchnitt, Kupferſtich und Stahlſtich.

1. Der Holzſchnitt.

Der Holzſchnitt im weiteſten Sinne des Wortes iſt bereits im grauen Altertum erfunden. Viele alte Holzſchnitzereien, z. B. ſolche an den Särgen der alten Ägypter, ſind ganz entſprechend einem wirklichen Holzſchnitt der Jetztzeit, in der Weiſe hergeſtellt, daß die Oberfläche ebener Holzplatten durch Ausſtechen einzelner Holzteile den Anblick einer bildlichen Darſtellung gewährt. Würde man dieſe alten Arbeiten mit Druckerſchwärze einreiben, ſo könnte man von ihnen in gleicher Weiſe wie von den heutigen Clichés Abdrücke nehmen. Die Erfindung des wahren Holzſchnittes war aber erſt in dem Augenblicke gemacht, als man mit vollem Bewußtſein dies Verfahren zum Zwecke der Ver - vielfältigung anwandte. Es geſchah dies wohl unſtreitig zuerſt in China, wo man wahrſcheinlich ſchon in dem ſechſten Jahrhundert n. Chr. dieſe Kunſt anwandte, um Bücher zu drucken. Hat ſich doch bei den Chineſen, ſelbſt als ſie unſere Methode des Buchdrucks kennen lernten, vermöge der eigentümlichen Bildung ihrer Sprache, die eine außerordentlich große Anzahl von Typen zum Druck verlangt, bis zum heutigen Tage die Holzſchneidekunſt als hauptſächlichſtes Verviel - fältigungsmittel von Druckſchriften erhalten.

Unabhängig von chineſiſchem Einfluß ſehen wir die Anfänge der Holzſchneidekunſt im 12. oder 13. Jahrhundert ſich in Deutſchland ent - wickeln. Die Briefmaler oder Briefdrucker, welche Heiligenbilder und ähnliches, oft mit einigen erklärenden Zeilen verſehen, zeichneten, dann mit Schablonen herſtellten, kamen damals wohl durch Betrach - tung der Erfolge der Stempelſchneidekunſt auf den Gedanken, ihre Figuren und Zeichen in Holz einzuritzen, den ſo erhaltenen vertieften Holzſchnitt mit Leimfarbe mittels eines Reibers einzureiben und davon Abzüge zu machen, auf denen das Bild weiß auf ſchwarzem Grunde erſchien. Bald ging man dann zur heutigen erhabenen Holzſchnitt - manier über, die das Bild dunkel auf weißem Grunde erſcheinen läßt, indem man die Zwiſchenräume ausſticht und die Bildteile ſtehen läßt. Das älteſte Bild, das mit Sicherheit als Holzſchnitt erkannt worden iſt, ſtammt aus dem Jahre 1423 und ſtellt den heiligen Chriſtoph dar. Mit der Erfindung der Buchdruckerkunſt gewann erſt der Holzſchnitt die volle Bedeutung. Es fiel ihm die Aufgabe zu, die Vervielfältigung von Bildern in gleich vollkommener Weiſe zur Ausführung zu bringen, wie die Buchdruckerkunſt die Vervielfältigung der Schrift beſorgt, be - ſonders aber die Werke der letzteren mit Illuſtrationen zu verſehen. Es war für die weitere Entwicklung der Holzſchneidekunſt ſehr günſtig, daß ſich ein Holzſchnitt direkt mitten in einen Druckletternſatz hinein - ſetzen und mit jenem gleichzeitig abdrucken läßt, was bei Kupfer - und Stahlſtich nicht der Fall iſt.

967Der Holzſchnitt.

Wenn auch am Ende des 15. Jahrhunderts die Holzſchnitttechnik ſchon erhebliche Fortſchritte machte, wenn man auch ſchon begann, die Schatten durch einfache Schattenſtriche oder Kreuzlagen natürlicher und abwechslungsvoller zu geſtalten, ſo fehlte doch noch den Figuren die Proportion, der Landſchaft die Perſpektive. Das goldene Zeitalter des Holzſchnitts ſollte erſt im 16. Jahrhundert anbrechen, als vor allem der große Albrecht Dürer (geboren am 21. Mai 1471 zu Nürnberg, ge - ſtorben ebendaſelbſt am 6. April 1528) und Hans Holbein der Jüngere die bisherige Holzſchneidetechnik zu einer wahren Holzſchneidekunſt um - wandelten. Dürer erfand auch die Methode, zweifarbige, vielleicht auch die, dreifarbige Holzſchnitte herzuſtellen, während zu Anfang des 16. Jahr - hunderts von J. Dienecker noch die eigenartige Helldunkelmanier ein - geführt wurde, bei der man zwei oder drei Holzſtöcke von ver - ſchiedenartiger Färbung benutzt, durch deren Zuſammenwirken beim Abdruck eine braun, grau oder rötlich getuſchte, oft auch weiß erhöhte Zeichnung hervorgerufen werden kann.

In 17. Jahrhundert begann die ſchöne Kunſt wieder mehr und mehr in Verfall zu geraten, teils infolge Mangels an großen Künſtlern, die ſie pflegten und förderten, teils infolge der gewaltigen Konkurrenz des Kupferſtichs und wohl nicht zum mindeſten infolge der Kunſt und Wiſſenſchaft ſo ungeheuer ſchädigenden Einwirkung des dreißigjährigen blutigen Krieges. Erſt im vorigen Jahrhundert begann ſich die Holz - ſchneidekunſt wieder langſam zu heben. Wurde doch das Bedürfnis nach Illuſtrationen immer größer, ohne daß dieſem der Kupferſtich vollauf genügen konnte, da deſſen Anwendung zu koſtſpielig war. Auch erlaubt letzterer bei weitem nicht ſo oftmaligen Abdruck, auch nicht ſo ſchnellen Abdruck, wie der Holzſchnitt. Am Anfang dieſes Jahrhunderts fing eine neue Blütezeit des Holzſchnitts an, als deren Vater der Engländer Thomas Bewick anzuſehen iſt. Thomas Bewick und ſeine Schüler ſuchten durch feinmaleriſche Behandlung des Holzſchnitts, dieſen an Zartheit den beſten Erzeugniſſen der Kupferſtechkunſt ebenbürtig zu machen, und führten dadurch den koloſſalen Aufſchwung der Holz - ſchneidekunſt herbei, den dieſelbe bis in die Neuzeit genommen hat. Bewick verbeſſerte auch die Technik der Holzſchneidekunſt, zu der wir nunmehr übergehen wollen, indem er an Stelle des Meſſers den Grab - ſtichel und an Stelle des Langholzes das Hirnholz einführte.

Für die Technik der Holzſchneidekunſt iſt das wichtigſte Erfordernis ein gutes feſtes Holz, das einerſeits dem Meſſer oder Grabſtichel ge - nügenden Widerſtand entgegenſetzt, um ein feines Arbeiten zu ermög - lichen, andererſeits aber nicht ſo ſpröde iſt, daß es leicht dem Springen, Platzen und Sichwerfen ausgeſetzt iſt. Am beſten erfüllt dieſe An - ſprüche das Holz des Buchsbaumes , während als Erſatz - mittel die nordamerikaniſche Fiſchfrehme , das Sandelholz und vor allem auch durch ſtarken Druck komprimiertes und der Haltbarkeit wegen in beſonderer Weiſe behandeltes Birnbaumholz angeſehen968Die vervielfältigenden Künſte.werden kann. In früheren Zeiten verwandte man nun Längsſchnitte des Buchsbaumes, von oben nach unten ausgeſchnitten, das Langholz , während Thomas Bewick, wie erwähnt, die Anwendung von Hirn - holz, d. h. den Querſchnitt des Buchsbaumes einführte. Die Oberfläche des Hirnholzes bietet eine viel größere Widerſtandskraft als die des Langholzes dar. Allerdings liefern die Buchsbäume nur ſolche Platten von höchſtens 24 bis 30 cm Durchmeſſer, ſodaß es bei größeren Schnitten nötig wird, mehrere Blöcke zuſammenzuleimen.

Der Holzblock wird nun auf eine Unterlage gelegt, die nicht zu hart iſt, vielmehr bei einer gewiſſen Feſtigkeit doch dem Hin - und Her - ſchieben des Holzblocks keine Schwierigkeiten entgegenſetzt. Es wird dies erfüllt durch das ſogenannte Sandkiſſen , ein konvexes, unten etwas abgeflachtes Kiſſen von 15 bis 18 cm Durchmeſſer, das mit feinem Sand gefüllt iſt (Fig. 517). Die Figur zeigt auch die Art, in

Fig. 517.

Sandkiſſen.

welcher die linke Hand dem Block hält, während die rechte den Stichel führt, der vor allem durch die Thätigkeit des Daumens dieſer Hand ſeine Arbeit verrichtet. Der Grabſtichel (ſiehe Fig. 518) beſteht aus

Fig. 518.

Grabſtichel.

einem Heft oder dem Griff aus poliertem Holz und der Klinge aus hartem Stahl, deren einzelne Teile Spitze, Facette, Rücken und Bauch genannt werden. Ein Augenſchirm aus Pappe oder grüner Seide von bekannter Form wird zur Schonung der Augen um den Kopf gelegt, da der Holzſchneider nur bei ſehr hellem Lichte arbeiten kann.

Nicht viel jüngeren Datums, wie die europäiſche Holzſchneidekunſt, iſt die Kupferſtecherkunſt.

2. Der Kupferſtich.

Wer dieſe Kunſt erfunden hat, iſt ziemlich in Dunkel gehüllt. Viel Wahrſcheinlichkeit hat die Annahme, daß der Florentiner Gold - ſchmied Maſo Finiguerra ſie zuerſt geübt hat. Sie entwickelte ſich969Der Kupferſtich.dann jedenfalls ſehr ſchnell und zwar beſonders in Deutſchland, wo Albrecht Dürer auch dieſem Zweige künſtleriſchen Vervielfältigungs - verfahrens ein Förderer wurde und eine der wichtigſten Kupferſtech - manieren, die Radier - oder Ätzmanier, erfand. Einen beſonderen Auf - ſchwung und beſondere techniſche Vervollkommnung erfuhr ſie aber in der Zeit des großen Malers Rubens (1577 bis 1640); gelang es doch den damaligen Meiſtern, was man bis dahin nicht gekonnt hatte, die Farbentöne auf dem Kupferſtich durch die Art der Behandlung zum Ausdruck und zur Unterſcheidung zu bringen. Eine Blütezeit des Kupferſtichs brachte das vorige Jahrhundert. Aber auch in dieſem Jahrhundert haben der Stahlſtich und die vielen anderen Verviel - fältigungsmethoden es immer nur vermocht, auf kurze Zeit den Kupfer - ſtich zurückzudrängen, der aus dem ſich dann erhebenden Wettkampfe ſchließlich immer wieder als Sieger hervorging. Die Weichheit des Holzſchnitts und die Feinheit des Stahlſtichs vereinigt heute der Kupfer - ſtich in vollendetſter Weiſe.

Das weſentliche, was den Kupferſtich und ebenſo den Stahlſtich vom Holzſchnitt unterſcheidet, iſt, daß bei letzterem die Figuren, die Schatten, kurz alles, was im Druck ſchwarz erſcheinen ſoll, erhaben ſtehen bleibt, während bei Kupfer - und Stahlſtich gerade dieſe Stellen vertieft, mit dem Stichel oder der Nadel ausgearbeitet werden und die weißen Stellen erhaben ſtehen bleiben.

Der Druck von Kupferſtich und Stahlſtich kann daher auch nicht in direkter Verbindung mit dem gewöhnlichen Druck vorgenommen werden, wie das beim Holzſchnitt der Fall iſt. Es werden vielmehr die vertieften Stellen mit Druckerſchwärze angefüllt und dann wird dieſe glatt abgeſtrichen und von den hochſtehenden Teilen des Stichs ſauber abgewiſcht. Darauf wird das Druckpapier auf den Stich gelegt und mittels Preſſe ein Abdruck genommen. Zuweilen wird auch ein leichter Hauch von Druckerſchwärze auf den Erhöhungen belaſſen, um eine ſattere Tönung des Stiches zu erhalten. Leider iſt der Kupfer - ſtich gegen den Abdruck nicht ſehr widerſtandsfähig, ſodaß die ſpäteren Abzüge an Schönheit ſehr hinter den erſten, den ſogenannten avant la lettre zurückſtehen. Der Stahlſtich erlaubt, ungefähr 12 mal ſo viel Abzüge zu machen, wie der Kupferſtich. Doch hat man in neueſter Zeit in der Galvanoplaſtik (vgl. S. 137 ff. ) ein Mittel gefunden, dieſem Übelſtande abzuhelfen. Noch ein anderes Verfahren, das der Verſtählung der Kupferplatten auch auf galvaniſchem Wege iſt in den letzten Jahren erfunden, das in noch einfacherer Weiſe den gleichen Zweck erreichen läßt.

Wenden wir nun noch einen kurzen Blick auf die verſchiedenen Manieren der Kupferſtecherkunſt, ſo haben wir als weſentlichſte 1) die Linienmanier, 2) die Punktiermanier, 3) die Radiermanier oder Ätz - kunſt, 4) die Schwarzkunſt und 5) die Aquatinta - oder Tuſchmanier zu erwähnen.

970Die vervielfältigenden Künſte.

Die eigentliche Kupferſtecherkunſt iſt die Linien - oder Grabſtichel - manier. Die Kupferplatte muß vorerſt, wie bei allen Methoden außer der Schwarzkunſt, abſolut glatt poliert werden, da jede Unebenheit der Platte ſich im Druck hervorheben und die Wirkung des Stiches beein - trächtigen würde. Die Platte wird nun mit dem ſogenannten Grunde überzogen, d. h. einer dünnen Schicht von weißem Wachs, Pech und Maſtix. Auf dieſe wird, nachdem ſie mit einem Wachsſtock ſchwarz angeräuchert iſt, die Zeichnung rot durchgepauſt. Darauf ritzt der Stecher mit einer ſcharfen Radiernadel die Linien der Zeichnung durch den Grund hindurch ganz leicht in das Kupfer ein, wonach der Grund mit Terpentinöl fortgewaſchen wird. Nunmehr beginnt das eigentliche Stechen mit dem Grabſtichel in ähnlicher Weiſe, wie wir es beim Holzſchnitt ſahen. Die am Rande der Schnitte entſtehenden Er - höhungen, die ſogenannten Grate, werden mit einem Schabeiſen fort - genommen. Die Punktiermanier unterſcheidet ſich von der vorigen nur dadurch, daß man die Konturen der Zeichnung, die Schatten und Töne nicht durch Linien, ſondern durch Reihen von Punkten darſtellt, die man mit Punzen oder mit fein gezackten ſtählernen Rädchen auf auf die Platte bringt. Doch wird bei dieſer Manier die Zeichnung direkt auf die Kupferplatte übertragen.

Bei der Ätzkunſt beginnt man in gleicher Weiſe, wie bei der Linien - manier, ſticht aber mit der Radiernadel nach den Linien der Zeichnung den Grund nur eben durch, ſo daß das Kupfer zum Vorſchein kommt. Dann wird die Platte mit einem Wachsrand umgeben und mit einer Miſchung (ungefähr im Verhältnis von 1 zu 2) von Salpeterſäure und Waſſer, in dem etwas Kupfer aufgelöſt iſt, übergoſſen. Dieſes Scheidewaſſer frißt das Kupfer an den Stellen, wo es freiliegt, aus und zwar deſto tiefer, je länger es wirken kann. Man läßt es ſo lange ſtehen, daß die Wirkung, die man vorher ausprobiert hat, gerade hinreicht, die ſchwächſten Töne auf der Platte hervorzurufen. Dann werden dieſe Stellen von neuem mit Ätzgrund überzogen, ſodaß beim Wiederaufgießen des Scheidewaſſers dieſes nur auf die Stellen ein - wirken kann, die man noch weiter vertieft wünſcht. In dieſer Weiſe erreicht man die verſchiedenen Grade der Tönung und kann im ein - zelnen eventuell noch nach Beendigung des Ätzens mit Grabſtichel oder Radiernadel kleine Verbeſſerungen anbringen. Es iſt allerdings zu betonen, daß das Ätzen keineswegs eine leichte Arbeit iſt, da es große Schwierigkeiten hat, die Wirkung des Ätzwaſſers vorher genau zu ermitteln.

Die ſogenannte Schwarzkunſt iſt in der erſten Hälfte des 17. Jahr - hunderts von dem heſſiſchen Oberſtlieutenant L. v. Siegen erfunden und hat ihren Namen daher, weil man gewiſſermaßen die Zeichnung aus einem ſchwarzen Untergrunde herausarbeitet. Die Platte wird nämlich bei dieſem Verfahren vor oder nach der Übertragung der Zeichnung ganz rauh gemacht, ſodaß ſie zunächſt beim Abdruck ein971Der Stahlſtich und die Lithographie.völlig ſchwarzes Bild geben würde. Dann werden erſt die lichten Stellen mehr oder weniger glatt geſchabt, ſodaß die Lichteffekte durch die größere oder geringere Rauheit der Plattenoberfläche erzeugt werden und eine einer Kreidezeichnung ähnliche Wirkung hervorbringen

Schließlich war früher die Aquatintamanier mehrfach in Gebrauch, die wohl um die Mitte des 18. Jahrhunderts erfunden iſt. Bei ihr wird zunächſt verfahren, wie bei der Ätzmanier, aber die Umriſſe der Zeichnung werden nur ſchwach geätzt. Die ſo präparierte Platte wird mit feinem Harzpulver gleichmäßig überſtreut und dann erhitzt, ſodaß die kleinen Körnchen in den Ätzvertiefungen haften bleiben und nur geringe Zwiſchenräume zwiſchen ſich laſſen. Darauf wird die Platte mehrmals in gleicher Weiſe, wie bei der Radiermanier, dem Ätzwaſſer ausgeſetzt.

Die ſonſtigen Kupferſtichmanieren beruhen immer im großen und ganzen auf einer Verbindung mehrerer der beſchriebenen Manieren.

3. Der Stahlſtich.

Seine techniſche Behandlung iſt im Prinzip die gleiche wie die des Kupferſtichs. Über ſeine Vorzüge iſt ſchon oben die Rede geweſen. Wenn nun die Härte des Materials eine noch feinere Bearbeitung zuläßt, als ſie ſich beim Kupferſtich erreichen läßt, ſo iſt doch auch nicht zu verkennen, daß dieſe Härte des Materials nach manchen Rich - tungen hin die Bearbeitung ſehr erſchwert. Überhaupt darf die Stahl - platte nicht volle Stahlhärte haben, da ſie ſonſt leicht unter dem Druck der Preſſe zerſpringen würde, ſie muß daher etwas nachgelaſſen werden. Es geſchieht dieſes Erweichen, indem man dem Stahl ſeinen Kohlenſtoffgehalt entzieht, wofür erſt im Jahre 1820 von dem Eng - länder Heath ein Verfahren, das ſogenannte Dekarboniſieren , erfunden wurde. Man kann alſo die Geſchichte der Stahlſtecherkunſt eigentlich erſt von dieſem Zeitpunkte an rechnen. Am meiſten geübt wird dieſe Kunſt von den Engländern. Für das Ätzverfahren iſt ein ziemlich ſtarkes Dekarboniſieren des Stahles erforderlich, ſodaß die fertige Platte für den Druck erſt wieder gehärtet werden muß, was durch das auch von Heath erfundene ſogenannte Karboniſieren erreicht wird. Man kann übrigens auch von den ſo gehärteten Stahlplatten durch Preſſen einen Abdruck in weichem Stahl anfertigen und von dieſem Abdruck, nachdem er gehärtet iſt, wieder in weichem Stahl eine Kopie des urſprünglichen Stiches.

e) Die Lithographie oder der Steindruck.

Einem Zufalle verdankt eine der wichtigſten Methoden der Ver - vielfältigung, die Lithographie, wie ja auch ſo manche andere Er - findung ihre Entdeckung. Aloys Senefelder, der Erfinder der Litho -972Die vervielfältigenden Künſte.graphie, war am 6. November 1771 in Prag geboren, verließ nach dem Tode ſeines Vaters im Jahre 1790 die Univerſität, wo er die Rechte ſtudiert hatte, und ergriff den Schauſpielerberuf, den er jedoch nach zwei Jahren wieder aufgab, um ſich ganz der litterariſchen Be - ſchäftigung zu widmen. Wenn aber auch ſeine Erſtlingsarbeiten ge - fielen, ſo war er doch bald nicht mehr in der Lage, ſeine Werke drucken zu laſſen, weil ihm ſeine Kunſt zu wenig Geld einbrachte. Er faßte daher den kühnen Gedanken, ſeine Werke ſelbſt zu drucken, und übte ſich darum zunächſt im Radieren und Ätzen einer Kupferplatte. Da dieſe bald abgenutzt war, ging er zu billigerem Material über, nämlich zu dem Solnhofener Kalkſtein. Einſt ſchrieb er, in Ermangelung von Papier einen Wäſchezettel direkt mit der ſonſt als Ätzgrund be - nutzten Flüſſigkeit, die aus Wachs, Seife und Ruß beſtand, auf den Stein. Als er die Schrift ſpäter wieder abwaſchen wollte, kam er auf die Idee, einmal zu probieren, wie ſie ſich gegen eine Säure verhalten würde. Der Erfolg war erſtaunlich, die Schrift blieb erhaben ſtehen, während der Stein an allen anderen Stellen von der Säure etwas angegriffen und daher vertieft wurde. Es lag nun nahe, die erhabenen Stellen mit Druckerſchwärze einzureiben und einen Abzug von ihnen auf Papier zu machen. Im Jahre 1796 gab Senefelder den erſten lithographiſchen Notendruck, der mittels dieſes Hochätzverfahrens her - geſtellt war, heraus.

Der erſte Anfang zu Senefelders großer Erfindung, die auf der verſchiedenartigen chemiſchen Verwandtſchaft von Stoffen, beſonders auf der Abſtoßung von Fetten und Waſſer beruht, war gemacht. Der Abdruck von ſeinen Steinen war aber ſehr ſchwer, da von der ein - geſchwärzten Druckwalze leicht auch die tieferen Stellen des Steins geſchwärzt wurden, weil die Höhendifferenz nur ſehr gering war. In - folgedeſſen wurden viele Abzüge ganz ſchwarz, da die Preſſe das Papier auch noch mit den tiefer liegenden Teilen der Platte in Berührung brachte. Dieſe Schwierigkeit war es, die Senefelder zur Erfindung der wahren Lithographie führte. Er kam auf die Idee, ein beſſeres, reineres Drucken vielleicht dadurch zu ermöglichen, daß er die Schrift auf Papier ausführte und dann mechaniſch unter Benutzung der chemiſchen Eigen - ſchaften der angewandten Materialien auf den Stein übertrug. Er überzog nun das Papier vor dem Schreiben mit einer Miſchung von Stärke und Gummi, um ein beſſeres Übertragen auf den Stein zu er - möglichen. Als er zufällig einmal ein ſolches Blatt in Waſſer tauchte, auf dem einige Öltropfen ſchwammen, ſah er, wie letztere an der Schrift feſthafteten, am unbeſchriebenen Papier dagegen nicht. In der richtigen Annahme, daß Druckerſchwärze ſich wohl ähnlich, wie das Öl verhalten würde, wurde Senefelder ſo zur vollen Entdeckung der Lithographie geführt, die weder Hochdruck, wie Buchdruck und Holzſchnitt, noch Tiefdruck, wie Kupferſtich und Stahlſtich iſt. Es war nicht mehr nötig, den Stein an den unbeſchriebenen Stellen fortzuätzen, um dieſe gegen973Die Lithographie und der Steindruck.die Druckerſchwärze und den Abdruck unempfindlich zu machen, ſondern der chemiſche Gegenſatz von Waſſer und Druckerſchwärze bewirkte bei geeigneter Behandlung des Steines, daß nur die geſchriebenen oder gezeichneten Stellen der Platte zum Abdruck gelangten.

Senefelder ſelbſt ſollte erſt nach langen ſorgenvollen Kämpfen, während welcher andere bereits die Früchte ſeiner Erfindung ernteten, eine materiell geſicherte Exiſtenz erhalten, aber vorher wie nachher war er bemüht, ſeine Erfindung zu verbeſſern und zu erweitern und nach allen möglichen Richtungen auszunutzen. Faſt alle Anwendungen, die die Lithographie erfahren hat, hat bereits Senefelder erdacht und meiſt auch ſelbſt zu einem hohen Grade der Vollkommenheit ge - bracht. Senefelder ſtarb in München, wo ihm die bayriſche Regierung eine feſte Stellung gegeben hatte, am 26. Februar 1834.

Das heute übliche Verfahren iſt nun etwa folgendes: Mit litho - graphiſcher Tinte oder Farbe wird, natürlich umgekehrt wie gewöhn - liche Schrift, die Schrift oder Zeichnung auf den Stein aufgetragen. Die Tinte beſteht aus einer Miſchung von Seife und Fett, die, nachdem geſchrieben oder gezeichnet iſt, durch Säurebehandlung das Ätzen gegen Befeuchtung mit Waſſer unempfindlich gemacht wird. Daß beim Ätzen die freien Plattenteile etwas vertieft werden, hat bei dieſer vollkommenen Lithographie keine prinzipielle Bedeutung mehr. Man überzieht nun die Platte mit arabiſchem Gummi, das ſich an allen unbeſchriebenen Stellen feſtſetzt, befeuchtet darauf die Platte und kann ſie dann mit Druckerfarbe einſchwärzen, ohne daß von dieſer an irgend einer nicht beſchriebenen oder bezeichneten Stelle etwas haften bleibt, während bei einfacher Befeuchtung ohne Gummi während des Druckens leicht einzelne Stellen allmählich trocken gelegt und dadurch für die Druckerſchwärze empfänglich werden.

Es giebt natürlich auch in der Lithographie eine ganze Reihe von Zeichenmanieren, die meiſt alle von Senefelder ſelbſt herrühren und von denen wir nur einige, die Feder - oder Pinſelmanier, die Kreidemanier und die Graviermanier erwähnen wollen. Die erſte haben wir eigentlich ſchon eben beſchrieben; die Kreidemanier beſteht darin, daß man dem Stein durch Reiben mit feinem Sand ein zartes Korn giebt, auf dem man mit litho - graphiſchen, chemiſch präparierten Stiften in ähnlicher Weiſe zeichnet oder ſchreibt, wie man Kreidezeichnungen anfertigt. Bei der Graviermanier wird der Stein mit einem Grund aus Gummi und Ruß überzogen, in dieſen die Zeichnung ſo tief eingraviert, daß an den bezüglichen Stellen der Stein gerade freiliegt, darauf Leinöl über das ganze gegoſſen, das nur an den Stellen der Zeichnung den Stein gegen Waſſer unempfindlich und infolge deſſen gegen die Druckerſchwärze empfindlich macht. Dann wird die Platte gereinigt, mit Waſſer befeuchtet und eingeſchwärzt, worauf man mit dem Druck beginnen kann.

Außerdem kann man auch den Überdruck anwenden, wie es ſchon Senefelder gethan hat, d. h. eine Zeichnung oder Schrift in Holzſchnitt,974Die vervielfältigenden Künſte.Kupferſtich, Stahlſtich oder auf Papier, wenn ſie mit einem geeigneten chemiſchen Präparate behandelt wird oder mit geeigneter Tinte aus - geführt iſt, auf den lithographiſchen Stein direkt übertragen. Wir kommen dabei ſchon auf das Gebiet der zahlreichen

f) neueren Vervielfältigungsverfahren,

die im Anſchluß an die bereits beſprochenen weittragenden und viel - umfaſſenden Methoden: Buchdruck, Holzſchnitt, Kupferſtich, Stahlſtich, Lithographie und der ſpäter ausführlicher zu behandelnden neuen Kunſt, der Photographie, oft unter Benutzung der neuen Fortſchritte und Er - kenntnis der Wiſſenſchaft auf chemiſchem und galvaniſchem Gebiete erfunden ſind. Die eben erwähnte Manier des Überdrucks von Papier auf Stein, wodurch es jedem Menſchen ermöglicht wird, eine große Zahl von Abzügen eines Schreibens in ſeiner eigenen Handſchrift ſich vervielfältigen zu laſſen, gehört zu der Klaſſe derjenigen Verviel - fältigungsarten, die man unter dem Namen

Autographie

zuſammenfaßt. Es ſind auch Verfahren erfunden, um Schrift, die mit beſonders präparierter, autographiſcher Tinte hergeſtellt iſt, auf Metall - platten aus Kupfer oder Zink ſo zu übertragen, daß man von dieſen direkt Abdrücke nehmen kann (Metallographie). Hierbei ſei erwähnt, daß das Zink an Stelle des Steins auch ſchon von Senefelder bei ſeinem Verfahren Anwendung gefunden hat. Die aus ſeinen Verſuchen hervorgegangene Zinkographie iſt in neuerer Zeit mehr und mehr vervollkommnet worden, ſo daß ſie ſich heute ein recht großes Gebiet für ihre Thätigkeit erobert hat und beſonders dem Holzſchnitt große Konkurrenz macht. Ihre Technik iſt im Prinzip die gleiche, wie die der Lithographie, weshalb wir nicht näher auf ſie eingehen. Die größte Verbreitung von den autographiſchen Methoden hat die

Hektographie

erlangt. Dabei ſchreibt man mit einer Tinte, die es erlaubt, nach - dem ſie auf in beſonderer Weiſe bereitete Maſſe abgedrückt iſt, eine größere Anzahl Abdrücke zu nehmen. Dieſe Tinte wird aus konzentrierter Anilinfarbe bereitet, während die Maſſe, auf die das Schreiben abgedrückt wird, aus reiner Gelatine oder aus einer Miſchung von Glycerin, Waſſer, Leim, Barytweiß, Zucker und Karbolſäure beſteht. Neuerdings hat man den Hektographen ſo ſehr verbeſſert, daß man von der Gelatinemaſſe mittels Druckes Abzüge machen kann. Schließlich beruhen eine Reihe autographiſcher Ver - fahren, wie die Papyrographie von Zuccato, desſelben Trypographie, die Horographie und ähnliche darauf, das Originalpapier im ganzen975Autographie, Hektographie und Farbendruck.für die Druckfarbe durch chemiſche Behandlung undurchläſſig zu machen und nur an den Stellen der Schrift durch eine feine Durchlöcherung der Züge in der einen oder anderen, meiſt ſehr ſinnreichen, gleichzeitig mit dem Schreiben erfolgenden Weiſe, einem Durchdringen der Druck - farbe zugänglich zu machen, ſodaß man in augenfälliger Weiſe auf untergelegtem Papier einen Abdruck vom Original erhalten kann.

Ein ganz beſonderes Gebiet, das durch die Lithographie den größten Aufſchwung erhalten hat, bildet der

Farbendruck.

Die Chromolithographie iſt zu einem ganz unentbehrlichen Hülfsmittel der Befriedigung künſtleriſchen Verlangens und geſchäftlicher Praxis geworden. Dieſe Künſte beſchäftigen ſich ſowohl mit der Herſtellung von Öldrucken, die kaum von Ölgemälden zu unterſcheiden ſind, wie mit der Herſtellung von bunten Gratulationskarten, Geſchäftsanpreiſungen und ähnlichen Sachen, die mehr oder weniger künſtleriſchen Sinn und ge - ſchmackvolle Ausführung zeigen. Die Technik des Farbendrucks im allgemeinen iſt außerordentlich ſchwierig. Die ganze Manipulation zerfällt in drei Hauptteile: 1. die Zerlegung des farbigen Bildes in eine Reihe von Bildern, von denen jedes einzelne nur einen Farbenton ent - hält, die aber in dieſen Tönen übereinandergedruckt die gewünſchte mehr - farbige Kopie geben; 2. die Herſtellung guter, feſthaftender und leicht abdruckbarer Farben und 3. den Druck ſelbſt. Der erſte Teil läßt ſich direkt als eine Kunſt bezeichnen, denn nur durch eine richtige Abtönung der Einzelbilder in ihren beſonderen Farben läßt ſich eine gute Wirkung des Geſamtbildes erreichen. Sehr ſchwierig iſt aber auch die Her - ſtellung brauchbarer Farben. Meiſtens müſſen dieſelben zu - nächſt ganz beſonders präpariert werden, damit es möglich wird, ſie genügend fein zu verreiben. Letzteres geſchieht mit Maſchinen, von denen die Fig. 519 und 520 eine klare Anſchauung geben. Der Druck ſelbſt erfolgt in der Weiſe, daß eine Farbe über die andere gedruckt wird, wobei es natürlich hauptſächlich darauf an - kommt, daß die verſchiedenen Platten ſich an genau derſelben Stelle des Druckblatts abdrucken, da ſonſt eine Verzerrung und Verwiſchung des Bildes eintreten würde. Der Farbendruck wird mittels gewöhnlicher Druckplatten,

Fig. 519.

Farbreibmaſchine mit Reiber.

976Die vervielfältigenden Künſte.

Fig. 520.

Farbreibmaſchine mit zwei Reibern.

mittels Holzſchnitts oder mittels Lithographie hergeſtellt. Die ſoge - nannten Öl - und Aquarelldrucke werden meiſt auf lithographiſchem Wege hergeſtellt.

Keine bedeutenden Erfolge haben bisher aufzuweiſen die ver - ſchiedenen Methoden der

Chemitypie.

Dieſe Kunſt iſt in der erſten Hälfte dieſes Jahrhunderts von dem Dänen Piil erfunden in der Hoffnung, dadurch einen billigen Erſatz für den Holzſchnitt zu gewinnen. Das Prinzip iſt das folgende: Eine Zinkplatte wird zunächſt genau ſo behandelt, wie die Kupferplatte bei der Radiermanier (ſ. Kupferſtich S. 970), ſie wird mit dem Ätzgrund überzogen, darauf die Zeichnung durch den Ätzgrund hindurch mit der Radiernadel leicht in ſie eingeritzt und mit der Ätzflüſſigkeit mehr oder weniger an den verſchiedenen Stellen, wie oben beſchrieben, vertieft. Die ſo hergeſtellte vertiefte Zinkplatte wird vom Ätzgrund befreit und dann mit dem chemiſchen Metall , einer Miſchung aus Wismut, Zinn und Blei, die von Ätzflüſſigkeit nicht angegriffen wird, übergoſſen, das natürlich in die Vertiefungen hineinfließt. Das chemiſche Metall wird nun mit dem Schaber von der ganzen Platte ſo weit fortgeſchabt, daß es nur in den Vertiefungen ſtehen bleibt. Nunmehr wird wieder eine Ätzflüſſigkeit auf die Platte gegoſſen, die jetzt alle Teile vertieft, die vorher erhaben ſtehen geblieben waren. Es bleibt dann das chemiſche Metall erhaben an den Stellen der Zeichnung ſtehen, ſodaß man von der ſo gewonnenen hochgeätzten Platte Abzüge machen kann. Dem ganz ſinnreichen Verfahren fehlt es indeſſen bisher an der feineren Vervollkommnung, ohne die es mit den neuen Vervielfältigungsmethoden und mit den edlen Vervielfältigungskünſten, wie Holzſchnitt, Kupferſtich und Stahlſtich nicht konkurrieren kann.

977Heliographie. Naturſelbſtdruck. Photographie.

Zum Schluß wollen wir noch eines bedeutenden Zweiges der ver - vielfältigenden Künſte, der

Heliographie

Erwähnung thun. Unter dieſem Namen kann man ſämtliche Verfahren, die auf der Photographie baſieren, wie Lichtdruck (Alberttypie), Wood - burytypie, Phototypie, Photolithographie, Photogravüre, Dallas - typie ꝛc. zuſammenfaſſen. Es wird aber zweckmäßiger ſein, wenn wir dieſe Künſte erſt beſprechen, wenn wir näheres über die Erfindung und Entwicklung der Photographie erzählt haben. Nicht übergehen wollen wir aber den

Naturſelbſtdruck,

ein originelles Verfahren, flache körperliche Gegenſtände, wie Blätter, Spitzen, Ornamentumriſſe und ähnliches zu vervielfältigen, das in neueſter Zeit von dem Faktor Worring und dem Direktor der k. k. Hof - und Staatsdruckerei in Wien, A. Auer, erfunden iſt. Es beruht auf der Wahrnehmung, daß Gegenſtände von der erwähnten Art, wenn ſie, zwiſchen einer Kupfer - und einer Bleiplatte liegend, einem ſtarken Druck ausgeſetzt werden, einen außerordentlich feinen Eindruck mit allen Details auf der Bleiplatte hervorrufen. Wird die Bleiplatte, die ſelbſt zu weich iſt, um von ihr Abdrücke zu nehmen, auf galvaniſchem Wege verkupfert (ſ. S. 139), ſo kann man von der ſo gewonnenen Platte beliebig viele Abzüge nehmen, die an Feinheit außerordentliches leiſten.

g) Die Photographie.

1. Die Erfindung der Photographie.

In ſchwungvollen Verſen hat in jüngſter Zeit der Gelehrte und Dichter auf dem Stuhle des heiligen Petrus, Papſt Leo XIII, die Erfindung der Photographie beſungen. Es iſt dies recht charakteriſtiſch für den ungeheuren Fortſchritt, der ſich im geiſtigen Leben, in der Auffaſſung und Anſchauung aller Kulturvölker ſeit dem Mittelalter vollzogen hat. Wurde doch noch im Atrium der Neuzeit, im Anfang des 17. Jahrhunderts, der große Galilei ob ſeiner Entdeckung des Fernrohres und der Ergebniſſe, die er mit dieſem mächtigen Forſchungs - mittel erlangte, von dem damaligen Papſt Urban VIII ins Gefängnis geworfen und jahrelang vom Haß der Kirche verfolgt. Wie wäre es erſt einem Manne ergangen, den das Unglück betroffen hätte, in den dunkeln, traurigen Zeiten des Mittelalters die wunderbare Kunſt des Photographierens zu erfinden. Sicherlich wäre er als Hexenmeiſter verbrannt worden.

Indeſſen iſt die Erfindung der Photographie (Lichtzeichnung) nicht, wie ſo manche andere Erfindung, durch einen einzelnen glücklichen Zufall oder einen glücklichen Einfall eines geiſtreichen Mannes erfolgt, viel -Das Buch der Erfindungen. 62978Die vervielfältigenden Künſte.mehr hat ſie eine lange Geſchichte und bildet eine Kette von gedanken - reichen Entdeckungen und Erfindungen. Sie beruht in erſter Linie auf der chemiſchen Wirkung des Lichtes auf eine große Reihe von Sub - ſtanzen, auf der Wirkung des Lichtes, die Farbe dieſer Subſtanzen zu verändern, indem es die Bildung neuer oder die Trennung beſtehender chemiſcher Verbindungen fördert. Die Erkenntnis von einem ſolchen, die Farben gewiſſer Körper verändernden Einfluß des Sonnen - lichtes insbeſondere iſt uralt. Gehört doch zu dieſer Gruppe von Naturerſcheinungen, die man unter dem Namen Photochemie zuſammen - faßt, die ſchon den älteſten Völkern bekannte Thatſache, daß manche Stoffe, wenn ſie dem Sonnenlicht ausgeſetzt werden, allmählich aus - bleichen. Auch die Erkenntnis, daß das Grün der Blätter und Pflanzen eine Folge der Sonnenſtrahlung iſt, gehört in dieſes Gebiet; dieſe Erkenntnis finden wir aber ſchon in den Werken des Griechen Ariſtoteles ausgeſprochen. In den letzten Jahrhunderten v. Chr. Ge - burt wurde man auch bereits darauf aufmerkſam, daß manche Farben, beſonders Zinnoberrot, unter der Wirkung der Lichtſtrahlen von Sonne und Mond Farbenänderungen, das Zinnoberrot z. B. Schwärzung erleiden.

Erſt im Mittelalter ſehen wir dann eine weitere Entwickelung der Forſchung und Erkenntnis auf dem Gebiete der Photochemie. Be - ſondere Gelegenheit zu derartigen Entdeckungen hatten die Alchimiſten bei ihren Verſuchen, deren Ziele ja allerdings meiſt weit ab vom Wege der Wiſſenſchaft im Zauberland von Phantaſie und Myſtik lagen. Sicher war ſchon im 16. Jahrhundert die ſchwärzende Wirkung der Sonne auf Silberſalze bekannt, doch gelangte man noch nicht zur vollen Einſicht, daß das Licht die Urſache des Vorgangs ſei, machte ſich vielmehr unklare Vorſtellungen von einer dahingehenden Wirkung der Luft. Der Engländer Ray war der erſte, der im Jahre 1686 be - ſtimmt darauf hinwies, daß z. B. das Grün der Blätter eine Folge der Sonnenſtrahlung, nicht des Lufteinfluſſes ſei.

Der Entdecker der Lichtempfindlichkeit der Silberſalze aber war der deutſche Arzt J. H. Schulze (1687 1744), der bei einem chemiſchen Verſuch im Jahre 1727 bemerkte, daß ſich eine Löſung von Scheidewaſſer, Silber und Kreide an den Stellen, die von der Sonne belichtet waren, violett - ſchwarz färbte, während die von der Sonne abgewandten Teile weiß blieben. Schulze unterſuchte die Erſcheinung näher und ſtellte vor allem feſt, daß es nicht eine Wärme -, ſondern eine Lichtwirkung ſei, indem er ſeine Löſung in die Nähe eines heißen Ofens brachte, ohne eine Veränderung derſelben erzielen zu können. Bald fand er auch, daß eine reine, nicht kreidehaltige, ſalpeterſaure Silberlöſung ſich unter der Einwirkung des Lichtes ſchwarz färbte. Schulze ging aber weiter, ſchnitt Schablonen von Schriftzügen aus, klebte dieſelben auf eine mit Silberſalz gefüllte Flaſche und ſetzte dieſe der Sonne aus. Wurde dann im Dunkeln die Schablone abgenommen, ſo ſah man die Buch -979Die Photographie.ſtaben ſich weiß auf dunklem Grunde abheben, da nur in den Zwiſchen - räumen das Silberſalz durch die Sonne dunkel gefärbt war. Dieſe erſten Lichtbilder chemiſcher Natur waren aber ſchnell vergänglich, da jede Bewegung der Flüſſigkeit, ſowie jede weitere Belichtung dieſelben wieder zerſtörten. Trotzdem muß man J. H. Schulze als erſten in der Reihe der Männer nennen, die die Photographie erfunden haben.

Es folgten dann im weiteren Verlaufe des vorigen Jahrhunderts eine ganze Reihe Entdeckungen lichtempfindlicher Subſtanzen, ſo des Chlor - ſilbers durch Baptiſt Beccarius in Turin im Jahre 1757, der ganz ähnliche Verſuche wie Schulze anſtellte, und anderer. Erwähnenswert iſt, daß der berühmte ſchwediſche Chemiker Scheele (1742 1786) im Jahre 1777 zuerſt ein Fixiermittel erfand. Er bemerkte nämlich, daß das im Lichte geſchwärzte und das unverändert gebliebene Chlorſilber ſich verſchiedenartig gegen Ammoniak verhalten, wodurch die Möglichkeit der dauernden Feſthaltung von Bildern, die auf Chlorſilberpapier her - geſtellt waren, eigentlich ſchon gegeben war. Leider blieb ſeine Ent - deckung lange Zeit unbeachtet, ſo daß Wedgwood, als er 25 Jahre ſpäter die Schulzeſche Entdeckung in verbeſſerter Form zur Ausführung brachte, an der endgültigen Entdeckung der Photographie gerade darum ſcheiterte, weil er kein Fixiermittel finden konnte, nach deſſen Anwendung er ſeine Bilder ohne Gefahr wieder dem Lichte hätte ausſetzen dürfen.

Von größter Bedeutung für die Entwicklung der Photochemie waren die Verſuche des Genfer Gelehrten Senebier, die derſelbe im Jahre 1782 veröffentlichte und die zur Entdeckung einer ganzen Reihe lichtempfindlicher Subſtanzen geführt hatten. Beſonders wichtig aber war es, daß er zuerſt die verſchiedene Wirkſamkeit der verſchiedenen Farben auf lichtempfindliche Subſtanzen bemerkte, und dadurch der Vorläufer des Entdeckers der Photographie in natürlichen Farben, des Phyſikers Dr. Seebeck wurde, der in einem Anhang zu Göthes Farben - lehre im Jahre 1810 Experimente veröffentlichte, aus denen ſich ergab, daß grau angelaufenes Chlorſilber, ſogenanntes Silberſubchlorid fähig ſei, bei Belichtung mit verſchiedenen Farben dieſe Farben wiederzugeben. Seebeck entdeckte auch die chemiſche Wirkſamkeit der ſogenannten infra - roten Wärmeſtrahlen, d. h. der Strahlen, die bei ſpektraler Zerlegung des Lichtes dem Auge unſichtbar bleiben, aber neben den roten Teil des Spektrums fallend, wie Wollaſton im Jahre 1802 bekannt ge - macht hatte, dort Wärmewirkungen hervorbringen. Kurz zuvor, im Jahre 1801, hatte der Phyſiker Ritter entdeckt, daß jenſeits des violetten Endes des Spektrums noch Strahlen fielen, die zwar dem Auge un - ſichtbar, aber ſtarke chemiſche Wirkungen hervorzurufen imſtande wären. Man hat dieſe ultravioletten Strahlen als chemiſche Strahlen bezeichnet.

Inzwiſchen hatte, wie ſchon oben erwähnt, Wedgwood die Verſuche von Schulze in veränderter Weiſe wieder aufgenommen, indem er Glas - gemälde auf Papier oder Leder, das mit einer Silbernitratlöſung über - ſtrichen war, durch den Einfluß des Lichtes kopierte. Doch gelang es62*980Die vervielfältigenden Künſte.ihm und ſeinem Mitarbeiter Davy nicht, die Bilder zu fixieren, ſo daß man dieſelben im Dunkeln aufbewahren mußte. Ein gutes Fixiermittel für Chlorſilber, nämlich unterſchwefligſaures Natron entdeckte erſt Sir John Herſchel im Jahre 1819, ohne daß es aber zunächſt Beachtung fand.

Fig. 521.

Camera obscura.

Ein wirklicher Fortſchritt war es aber, daß Wedgwood auf die Idee kam, die Bilder der Camera obscura zu photo - graphieren, wenn dieſer Ver - ſuch auch mißlang, weil die Lichteindrücke in dieſem Falle zu ſchwach, d. h. ſeine licht - empfindlichen Subſtanzen zu wenig empfindlich waren. Doch war damit immerhin die An - regung gegeben, die Camera obscura zu photographiſchen Verſuchen zu verwenden. Die Wirkungs - weiſe der letzteren iſt aus Fig. 521 erſichtlich. Im Jahre 1589 machte Porto in einer neuen Ausgabe ſeines Werkes auf die Vorteile einer Camera mit Linſe oder Hohlſpiegel aufmerkſam. An die Stelle des Spaltes trat alſo eine Sammellinſe aus Glas, das Objektiv unſerer heutigen photographiſchen Cameras, durch die das Bild in beſtimmten, von den Krümmungsverhältniſſen der Linie abhängigen Dimenſionen auf die Wand geworfen wurde. (Vergl. auch S. 898 dieſes Werkes.)

2. Die Daguerreotypie.

Wenden wir uns nun der Erfindung der Daguerreotypie, des erſten vollkommenen photographiſchen Prozeſſes zu. Das Verdienſt der Erfindung dieſer Methode gebührt zwei Franzoſen, deren Namen in der Geſchichte der Erfindung der Photographie vereint immer den Ehrenplatz einnehmen werden: Nicéphore Niepce (1765 bis 1833) aus Chalons und Louis Jacques Mandé Daguerre (1787 bis 1851) aus Cormeilles. Niepce beſchäftigte ſich ſeit dem Jahre 1813 mit litho - graphiſchen Verſuchen und kam dabei bald auf die Idee, den Zeichner durch das Licht zu erſetzen. Er überzog Metallplatten mit einer Aſphaltmiſchung, legte über dieſelben eine durchſichtige Zeichnung und erhielt dann, wenn er Sonnenlicht darauf fallen ließ, auf der Aſphalt - platte ein Abbild der darüberliegenden Zeichnung, deren einzelne Stellen je nach ihrer Farbe und Kraft die Wirkung der Sonnenſtrahlen auf die lichtempfindliche Subſtanz, den Aſphalt, mehr oder weniger hinderten. Er fixirte dann das Bild mit einem Löſungsmittel, einem Öle, ätzte es mit Säuren ein und erhielt ſo eine Platte, die zur Vervielfältigung mittels Preſſe wohl geeignet war. Niepce hatte in dieſer Weiſe bereits im Jahre 1816 die Heliographie erfunden, d. h. die Kunſt, mit Hilfe981Die Daguerreotypie.des Sonnenlichts der Vervielfältigung fähige Kopieen von Zeichnungen und Malereien herzuſtellen. Er verſuchte aber auch, die Bilder der Camera obscura aufzunehmen und zu fixiren, doch ſtieß er dabei auf größere Schwierigkeiten, da die von ihm angewandten lichtempfind - lichen Subſtanzen tagelange Expoſitionszeiten verlangten. Doch iſt eine Zinnplatte aus dem Jahre 1825 erhalten, auf der eine Landſchaft zu ſehen iſt, die Niepce mittels Camera obscura aufgenommen hat. Im Jahre 1829 endlich vereinigte ſich Niepce mit dem Maler Daguerre, um gemeinſam einen einfachen photographiſchen Prozeß zu erfinden. Daguerre beſchäftigte ſich auch bereits längere Zeit mit photochemiſchen Studien, doch hatte er wohl bis dahin namentlich die Wirkungen des Lichtes auf phosphorescierende Subſtanzen ſtudiert. Außerdem arbeitete er eifrig an der Vervollkommnung der Camera obscura, indem er eine von Wollaſton 1812 erfundene Linſenkonſtruktion an die Stelle der bis dahin üblichen bikonvexen Linſe ſetzte. Niepce teilte Daguerre ſchriftlich genau ſein erreichtes Reſultat mit, das bereits ein völlig durchgearbeitetes photographiſches Verfahren, den heliographiſchen Aſphaltprozeß darſtellte.

Daguerre fand nun bald, daß das Jodſilber die Subſtanz ſei, die ſich beſonders zum Träger der Lichtwirkung eigne, doch hatte er erſt längere Zeit nach Niepces Tode das Glück, im Jahre 1837 durch einen Zufall einen geeigneten Entwickler für ſeine Jodſilberplatten in dem Queckſilber zu finden, deſſen Dämpfe ein durch Belichtung erzeugtes, aber dem Auge noch gar nicht ſichtbares Bild zum Vorſchein zu bringen vermögen. Die Jodſilberplatten ſelbſt ſtellte er her, indem er eine Silberplatte in Joddämpfen räucherte. Als Fixiermittel griff er auf das oben erwähnte, von Sir John Herſchel entdeckte unterſchwefligſaure Natron oder auf eine Kochſalzlöſung zurück. Das weſentliche an Daguerres Erfindung war, daß man nunmehr in wenigen Minuten Gegenſtände mit Hilfe einer Camera obscura aufnehmen, und das noch gar nicht oder kaum ſichtbare Bild entwickeln und nachher fixieren konnte. Im Jahre 1839 kaufte der franzöſiſche Staat Daguerre und ſeinem Mitarbeiter Iſidore Niepce, dem Sohne Nicéphore Niepces, ihr Geheimnis für eine lebensläng - liche Rente von 6000, reſp. 4000 Francs ab.

Für Perſonenaufnahmen dauerte die Expoſitionszeit, d. h. die Dauer der Aufnahme allerdings noch zu lange, da ein Menſch un - möglich etwa 5 bis 10 Minuten ſtillhalten kann. Aber ſehr bald wurde auch dieſe Schwierigkeit überwunden, als Profeſſor Petzval in Wien eine lichtſtarke Porträtlinſe berechnete, deren Ausführung durch den Optiker Voigtländer im Jahre 1840 es ermöglichte, Porträts im Ver - laufe von etwa ½ bis 1 Minute aufzunehmen. Da die hellen Queck - ſilberdämpfe ſich beſonders an den vom Licht am meiſten getroffenen und daher urſprünglich etwas geſchwärzten Stellen niederſchlagen, ſo wird ein poſitives Bild bei einer Daguerreotypie, wie man eine ſolche Photographie auf Metall nennt, erzeugt, indem an den den hellen Stellen982Die vervielfältigenden Künſte.des photographierten Objektes entſprechenden Partieen der Kopie die meiſten weißen Queckſilberteilchen haften. Das Bild bekam aber durch das Queckſilber einen etwas harten und kalten Ton und war außerdem noch nicht dauernd haltbar. Dies wurde erſt durch Fizeaus Ver - goldungsmethode im Jahre 1840 erreicht, die gleichzeitig dem Bilde einen ſchönen, warmen Ton verlieh. Die fertige Platte wurde mit einer verdünnten Chlorgoldlöſung übergoſſen und dieſe Löſung ſchnell über Spiritus zum Kochen gebracht. Das Chlor verbindet ſich dann mit dem Silber der Platte und das Gold legt ſich als feiner, ſchön wirkender Überzug über das ganze. Nach kurzer Zeit ſchon muß man die Platte herausnehmen und in kaltem Waſſer abwaſchen, worauf ſie ſehr wider - ſtandsfähig geworden iſt. Die Daguerreotypie erfuhr im Jahre 1841 noch eine weitere Vervollkommnung durch die Entdeckung von Claudet, daß die Anwendung von Jodchlor ein beſchleunigteres Aufnahmeverfahren erlaubt, ſodaß man mit wenigen Sekunden Expoſitionszeit ausreicht.

3. Die Talbottypie und die moderne Photographie.

Kurz vor der Veröffentlichung des Verfahrens von Daguerre legte der Engländer Fox Talbot am 20. Januar 1839 der Königlichen Ge - ſellſchaft in London ein Verfahren vor, das im ganzen und großen das Vorbild des heutigen photographiſchen Verfahrens geworden iſt. Zunächſt handelte es ſich bei ihm allerdings noch nicht um Aufnahmen nach der Natur mittels der Camera, ſondern er hatte nur ein Ver - fahren erfunden, Kupferſtiche, Stahlſtiche und ähnliches mit Hilfe des Lichtes beliebig oft zu vervielfältigen. Er legte den Kupferſtich auf Papier, das mit Chlorſilber und ſalpeterſaurem Silberoxyd getränkt war; in der Sonne wurde dann das Papier an allen hellen Stellen des Stichs geſchwärzt, an den Bildſtellen blieb es mehr oder weniger weiß, ſodaß

Fig. 522.

Negatives Bild.

Fig. 523.

Voſitives Bild.

983Die Talbottypie und die moderne Photographie.er ein ſogenanntes Negativ erhielt. Von dieſem Negativ konnte er, nachdem es fixiert war, eine beliebige Menge poſitiver Bilder in Wieder - holung des eben beſchriebenen Verfahrens erhalten. Fig. 522 und 523 zeigen ein ſolches negatives und poſitives Bild. Nachdem Talbot von der Daguerreotypie Kunde erhalten hatte, verſuchte er ſie mit ſeinem Verfahren zu verſchmelzen und auch direkt mit der Camera Photo - graphieen auf Jodſilberpapier zu erzeugen. Das unſichtbare Bild ent - wickelte er mit einer Miſchung von Gallusſäure und Silberſalz, wo - durch ſich ſchwarz gefärbtes Silber an allen belichteten Stellen nieder - ſchlägt, ſodaß wieder ein Negativ entſtand, von dem er nach ſeiner Fixierung mit Bromkali beliebig viele poſitive Abzüge im ſogenannten Kopierrahmen in der geſchilderten Weiſe machen konnte.

In den folgenden 50 Jahren bis jetzt ſind nun nach allen Richtungen hin ungeheure Fortſchritte auf dem Gebiete der Photographie gemacht worden. Die photographiſchen Apparate wurden für die verſchiedenen Zwecke des Gebrauchs bequem eingerichtet, es wurden die mannigfaltigſten Arten von Linſenkonſtruktionen für dieſen oder jenen Fall der Praxis berechnet, es wurde eine große Reihe neuer Stoffe als Träger des chemiſchen Lichtprozeſſes entdeckt, und die Entwicklungs -, Fixierungs - und Kopiermethoden wurden mehr und mehr verbeſſert. Nur das wichtigſte ſoll im folgenden dem Leſer mitgeteilt werden.

Die Papiernegative von Talbot erreichten nicht entfernt die Feinheit von Daguerreotypieen. Man ſuchte daher bald nach einem paſſenderen Träger der lichtempfindlichen Subſtanz und fand einen ſolchen in ganz rein geputzten durchſichtigen Glasplatten. Niepce de St. Victor, einem Neffen von Nicéphore Niepce gelang es im Jahre 1847, mit licht - empfindlicher Subſtanz überzogene Glasplatten herzuſtellen. Er überzog das Glas mit einer Miſchung aus Eiweiß und Jodkalium und legte die ſo präparierte Platte in eine Silberlöſung, wodurch ſie licht - empfindlich wurde. Die Entwicklung nach geſchehener Belichtung geſchah durch Gallusſäure, die Fixage durch Bromkali. Die Negative wurden dann über Chlorſilberpapier gelegt, auf dem das Poſitiv wie bei Talbot durch Einwirkung des Lichtes hervorgerufen wurde. Ein Jahr ſpäter erfand Blanquart-Evrard das noch jetzt gebräuchliche Albumin - oder Eiweißpapier, das weit beſſere Kopieen giebt, als gewöhnliches Papier. Bald wurden auch Eiſenvitriol und Pyrogallusſäure als gut ent - wickelnde Subſtanzen entdeckt. Einen weſentlichen Fortſchritt in der Geſchichte der Photographie bezeichnet aber die Erfindung des noch heute viel geübten Kollodiumverfahrens durch Fry und Archer im Jahre 1851. Das Kollodium, eine Miſchung von Schießbaumwolle und Äther oder Alkohol, wird über die Platte gegoſſen, dieſe darauf in eine jod - oder bromhaltige Silberlöſung getaucht, worauf ſich in der Kollodiumſchicht Jod oder Bromſilber niederſchlagen wird, ſodaß nun die Platte lichtempfindlich iſt. Als Entwickler wurde Eiſenvitriol984Die vervielfältigenden Künſte.oder Pyrogallusſäure, als Fixiermittel unterſchwefligſaures Natron oder eine Cyankalilöſung genommen.

Wir wollen an dieſer Stelle das Geheimnis der amerikaniſchen Schnellphotographen enthüllen. Ihre Bilder ſind nämlich nichts weiter, als unvollkommen entwickelte Negative. Man hatte die Bemerkung gemacht, daß ſolche undeutliche Negative gegen einen dunklen Hinter - grund gehalten ganz gute Bilder und zwar infolge des dunkeln Hinter - grundes poſitive Bilder geben, und kam dadurch auf den Gedanken, das Kollodiumhäutchen von der Glasplatte abzunehmen und auf dunkle Körper, wie ſchwarzes Wachstuch, dunkles Glas oder Eiſen aufzukleben. Man nannte die ſo entſtehenden poſitiven Bilder je nach der Unterlage Pannotypieen, Ambrotypieen oder Ferrotypieen. Ferro - typieen ſind die Produkte der amerikaniſchen Schnellphotographieen , die die Kollodiumſchicht auf dünne, ſchokoladenfarben lackierte Blechtafeln aufkleben und ſo in wenigen Minuten ſchon dem photographiebedürftigen Publikum ein Abbild liefern können, während ſonſt die vollſtändige Entwicklung, beſonders aber, wie wir ſpäter ſehen werden, die Her - ſtellung von wirklichen Poſitiven ſehr lange Zeit in Anſpruch nimmt.

Die mannigfaltigen Unbequemlichkeiten, die das naſſe Verfahren , das wir beſchrieben haben, mit ſich führte, z. B. beim Arbeiten im Freien, auf Reiſen u. ſ. w. ließen frühzeitig Trockenplatten herſtellen, die man bequem transportieren und auch noch längere Zeit nach ihrer Fertigſtellung benutzen konnte. Bei den erſten Verſuchen erreichte man aber keine genügende Haltbarkeit, vor allem aber keine ausreichende Empfindlichkeit. Erſt Taupenot veröffentlichte im Jahre 1855 ein brauchbares Verfahren, indem er das Kollodium mit einer Eiweißſchicht überzog. Seine Platten konnten ſchon länger als ein Jahr liegen bleiben, ehe ſie in Benutzung genommen wurden. Das Tanninver - fahren von Ruſſell aus dem Jahre 1861 lieferte noch dauerhaftere und beſſere Platten, verlangte aber immer noch eine Belichtungszeit von etwa Minute. Erſt das Kollodiumemulſionsverfahren von Gaudin, das derſelbe 1861 veröffentlichte und das von andern Forſchern vielfache Verbeſſerungen erfuhr, erfüllte recht wohl die Anforderungen, die man von einem realen Standpunkte aus an Trockenplatten ſtellen durfte.

Es beruht das Verfahren auf der Ausführung des Gedankens, die Glasplatten ſofort mit einer lichtempfindlichen Kollodiumſchicht zu übergießen, ſtatt erſt die mit Kollodium überzogenen Platten in einer Silberlöſung lichtempfindlich zu machen. Es wurde dies erreicht, indem man Kollodiumemulſionen herſtellte, d. h. eine Flüſſigkeit, be - ſtehend aus Kollodium, in dem ſich andere Körper, in dieſem Falle Jod - oder Bromſilber, in ungelöſtem Zuſtande fein und gleichmäßig verteilt lange Zeit halten. Die ſo hergeſtellten Platten bleiben Jahre - lang brauchbar und zeigen eine ziemlich ſtarke Empfindlichkeit.

An Stelle der Bromſilber-Kollodiumemulſion trat ſeit dem Jahre 1871 die Bromſilber-Gelatineemulſion, das wunderbare Ver -985Die moderne Photographie.fahren der Jetztzeit, das der engliſche Arzt Dr. Maddox erfunden hat und das nach manchen weſentlichen Richtungen die idealſten An - forderungen, die man an photographiſche Leiſtungen ſtellen kann, erfüllt. Die Bromſilbergelatine-Trockenplatten, die in Fabriken als Maſſenartikel hergeſtellt werden, können viele Jahre aufbewahrt werden und ſind in ſo eminentem Maße lichtempfindlich, daß die Aufnahmen mit ihnen ſich im allgemeinen auf wenige Sekunden und ſogar bei den ſpäter zu beſprechenden Momentphotographieen auf ganz geringe Bruchteile der Sekunde beſchränken.

Erſt durch die immer mehr geſteigerte Lichtempfindlichkeit der photographiſchen Platten gewann die Photographie die ungeheure Be - deutung für die Aſtronomie, die ſie ſich in neueſter Zeit errungen hat. Iſt es doch gelungen, Millionen von Himmelskörpern, von Sternen, deren Helligkeit zu ſchwach iſt, um ſelbſt in den ſtärkſten Fernröhren einen Eindruck auf das Auge hervorzurufen, wahrnehmbar zu machen, durch eine längere Expoſition, wobei ſich die chemiſche Wirkung der Lichtſtrahlen mehr und mehr ſtärkt, mit den neuen Trockenplatten photographiſch zu fixieren. Und in neueſter Zeit, im letzten Jahre hat man mit Hülfe ſolcher Platten, die man längere Zeit durch ein Uhr - werk auf ein und dieſelbe Stelle des Himmels richtete, eine größere Anzahl der kleinen Planeten, die zwiſchen den Bahnen des Jupiter und Mars um die Sonne eilen, und auch manche Nebelflecke entdeckt, deren Exiſtenz in manchen Fällen nachträglich durch direkte Beobachtung mit lichtſtarken Fernröhren beſtätigt wurde, in andern Fällen wohl noch lange Zeit nur durch ihr photographiſches Bild angezeigt bleiben wird.

Auch in der Erfindung von neuen Entwicklern wurden in den letzten beiden Jahrzehnten große Fortſchritte gemacht, die beſonders dem Trockenverfahren mit Bromſilbergelatine zu ſtatten kamen und deſſen außerordentliche Verbreitung bis in die weiteſten Schichten des Publikums hinein mächtig förderten. Es ſeien genannt der Eiſenoxalat - Entwickler von Carey Lea (1877) und Eder (1879), der Hydrochinon - Entwickler von Abney (1880), der Eikonogen-Entwickler von Andreſen (1889) und der neue Rodinal-Entwickler.

Die Platten werden in abſolut lichtdichten Käſten aufbewahrt und aus dieſen in einem dunkeln Raume in die ſogenannte Kaſſette ge - legt. Die Fig. 524 zeigt eine ſolche Kaſſette, die in den hinteren Teil der photographiſchen Camera eingeſchoben wird. Wenn die Thür b geöffnet wird, kann man die Platte in den Rahmen einlegen, in dem ſie bei geſchloſſener Thür und herabgelaſſener Schieberplatte a kein Lichtſtrahl treffen kann. Die Platte wird mit der lichtempfindlichen Schicht nach der Seite des Schiebers a zu gelegt und nach Schluß

Fig. 524.

Kaſſette.

986Die vervielfältigenden Künſte.der Thüre b durch die in ihrer Mitte befindliche Feder feſt gegen die Ränder des Geſtells gedrückt, ſodaß ſie keine Verſchiebungen während der Aufnahme erleiden kann. Sobald dieſe erfolgen ſoll, wird der Schieber a aufgezogen. Nach geſchehener Belichtung wird a wieder zugeſchoben und die Kaſſette aus der Camera herausgenommen. Man kann nun die Platte in der Kaſſette oder, wenn man dieſe weiter benutzen will, in größeren Behältern, ſogenannten Wechſelkäſten, in die man die Platte durch einen einfachen Mechanismus auch bei Tageslicht hineinfallen laſſen kann, ohne daß das Licht Zutritt zur Platte findet, oder in lichtdichten Käſten, in die man die Platten im Dunkeln oder bei ſchwachem dunkelroten oder gelben Licht hinein - legt, ſo lange aufbewahren, bis man ſie entwickeln will. Meiſt benutzen jetzt die Photographen, die auch im Freien und auf Reiſen arbeiten wollen, ſogenannte Doppelkaſſetten, die für die Aufnahme zweier Platten eingerichtet ſind, und verſehen ſich mit zwei oder drei Paar ſolcher Doppelkaſſetten.

Es iſt ſchon mehrfach davon die Rede geweſen, daß manche Manipu - lationen des Photographen, z. B. das Entwickeln, Fixieren, das Um - wechſeln der Platten u. ſ. w. in einem Raume, der ſog. Dunkelkammer, erfolgen müſſen, in dem eine Lichteinwirkung auf die überaus empfind - lichen Platten ausgeſchloſſen iſt. Glücklicherweiſe giebt es nun einige Farben, nämlich Rot und Gelb, die photographiſch nur ſehr langſam und ſchwach wirken. Es iſt dadurch die Möglichkeit gegeben, die Dunkel - kammer, ohne die Platten zu beſchädigen durch ein kleines Fenſter mit dunkelrotem oder gelbem Glas oder durch eine kleine Lampe mit Cylinder und Glocke von eben ſolchen Farben etwas zu erhellen, ſodaß man bequem in ihr arbeiten kann. Streng zu achten iſt aber darauf, daß nicht durch irgend einen Spalt in der Thür oder im Fenſter oder ſonſt woher Tageslicht in den Raum gelangt, auch muß durch einen Schirm oder Ähnliches verhütet werden, daß die Flamme der Lampe etwa die weiße Decke des Zimmers beleuchtet, deren Wiederſchein ſich ſehr gefährlich erweiſen, die Platte verſchleiern oder total belichten könnte.

Fig. 525.

Photographiſche Camera.

Der photographiſche Apparat ſelbſt ſetzt ſich aus folgenden Hauptteilen zuſammen: Camera mit matter Glasplatte, Objektiv mit Blenden, Kaſſette mit photo - graphiſcher Platte, Stativ. Die Camera beſteht, wie man aus der Fig. 525 erſieht, aus zwei Holzrahmen i, i, deren vorderer in einem verſchiebbaren, in der Figur nicht ſichtbaren Brette das Objektiv trägt, während der hintere durch eine matte987Die moderne Photographie.Glasplatte abgeſchloſſen wird, die hochgeklappt werden kann, wenn an ihre Stelle die Kaſſette mit der lichtempfindlichen Platte eingeſchoben werden ſoll. Der hintere Rahmen kann mittelſt des ziehharmonika - artigen Auszugs M auf dem unteren Schlitten n n durch Schrauben dem vorderen Rahmen je nach der Brennweite der Objektivlinſe ſo weit genähert oder von ihm entfernt werden, daß das vom Objektiv ent - worfene Bild des Gegenſtandes, den man photographieren will, auf der matten Glasplatte in ſcharfen Umriſſen zu ſehen iſt.

Wenden wir uns nun dem Objektiv zu, das an die Stelle der kleinen Öffnung in der Camera obscura getreten iſt, ſo müſſen wir be - züglich Bilderzeugung und Bildwirkung von Linſenſyſtemen die Leſer auf den optiſchen Teil dieſes Buches (S. 895 ff. ) verweiſen. Wir erwähnten ſchon früher, daß dieſe optiſche Seite der Photographie ſeit ihren Anfängen eine außerordentliche Entwicklung erfahren hat.

Fig. 526.

Aplanat und Blenden.

988Die vervielfältigenden Künſte.Praxis und Theorie wetteiferten, neue Linſenſyſteme zu erfinden, deren Wirkungen im allgemeinen oder für beſondere Zwecke Vorzüge vor den bis dahin beſtehenden boten. Das Objektiv beſteht aus einer Kom - bination mehrerer Linſen, die in eine metalliſche Faſſung eingeſchloſſen ſind, wie aus Fig. 526 erſichtlich iſt. In derſelben bezeichnen die Namen Flint und Crown die zu dem dargeſtellten, von Steinheil 1879 erfundenen Gruppen-Aplanaten verwendeten Glasſorten, deren Kombination, An - ordnung und Geſtaltung beſonders auf Erfüllung folgender Bedingungen Rückſicht nehmen muß: 1. Beſeitigung der ſphäriſchen Aberration, (ſiehe S. 891), 2. Beſeitigung der chromatiſchen Aberration (ſiehe S. 913) 3. Erzeugung eines Bildes von der gewünſchten Winkelweite, 4. Her - vorbringung eines möglichſt lichtſtarken Bildes. An Stelle dieſes für Gruppenaufnahmen beſtimmten Inſtrumentes mit ſeinen vier Linſen, von denen je zwei zuſammengekittet ſind, erfand Steinheil ſchon 1881 eine noch günſtigere Konſtruktion, den Antiplanaten. Zwiſchen den beiden Linſenpaaren des in Fig. 526 dargeſtellten Aplanaten ſehen wir einen Spalt das Objektiv durchziehen, der dazu beſtimmt iſt, die Blende aufzunehmen.

Die Blende iſt meiſt aus Metall, eine Platte von einer Form, die aus dem unteren Teil der Figur erſichtlich iſt. In das Objektiv geſteckt, läßt ſie Licht nur noch durch ihre mittlere Öffnung, die in der Figur durch die Kreiſe angedeutet iſt, hindurch. Man hat gewöhnlich ſechs verſchiedene Blenden, die ſich durch die Größe dieſer Öffnung, wie die Figur zeigt, unterſcheiden. Der Zweck der Blenden iſt, die ſeitlichen Linſenſtrahlen abzuhalten, die die Schärfe des Bildes verringern, und nur den beſten mittleren Teil des Objektivs zur Wirkung kommen zu laſſen. Was man ſo an Schärfe des Bildes gewinnt, büßt man zum Teil an Helligkeit ein, ſodaß man in der Wahl der Blenden in erſter Linie von den herrſchenden Lichtverhältniſſen ab - hängt. Die Blenden bewirken auch eine gleichmäßigere Lichtverteilung im Bilde, als ſie ohne Blenden erreicht wird.

Es könnte dem Leſer, der von dem Kampfe der Linſenfernröhre mit den Spiegelteleſkopen in der aſtronomiſchen Technik gehört hat, auffallen, wenn wir nicht erwähnten, daß auch in der photographiſchen

Fig. 527.

Der Hohlſpiegel im Dienſte der Photographie.

Technik Verſuche gemacht ſind, das Linſenobjektiv durch einen Hohlſpiegel zu erſetzen. Fig. 527 zeigt eine derartige Konſtruktion einer photographiſchen Camera von dem Amerikaner Draper. A iſt der an der Vorder - wand der Camera befind - liche elliptiſche Hohlſpiegel, auf den durch die ſeitliche Öffnung direkt die Strahlen von dem Objekt, das photographiert werden ſoll, fallen. 989Die moderne Photographie.Sie werden vom Spiegel reflektiert und entwerfen das Bild F auf der an der andern Seite der Camera eingeſchobenen photographiſchen Platte B. Praktiſche Anwendung haben ſolche Objekive aber nur für Spezialfälle gefunden.

Das Stativ iſt gewöhnlich ein dreibeiniges Geſtell, auf das die Camera aufgeſchraubt wird. Während es für Atelierzwecke maſſiv gearbeitet werden kann, muß es für die Zwecke eines reiſenden oder Landſchafts-Photographen möglichſte Leichtigkeit mit der nötigen Feſtigkeit verbinden. Man muß das Stativ hoch und niedrig und auch ſo ſtellen können, daß die Camera, wenn ſie auf das Stativ auf - geſchraubt iſt, nicht horizontal, ſondern ſchräg ſteht. Man hat be - ſonders in neueſter Zeit Stative für Liebhaber der Photographie kon - ſtruiert, die mit außerordentlicher Kompendiöſität und Leichtigkeit eine große Feſtigkeit der Aufſtellung verbinden.

Wie photographiert man denn nun eigentlich? Nehmen wir an, er habe den eben beſchriebenen Apparat zuſammengeſetzt und aufgeſtellt und auch lichtempfindliche Trocken-Gelatine-Platten, die er fertig gekauft hat, in Kaſſetten, wohlverwahrt gegen neugierige Licht - ſtrahlen, zur Hand. Er nimmt nun die Kappe, die gewöhnlich das Objektiv bedeckt, ab und verſtellt dann den hinteren Teil der Camera, ſowie auch das Stativ in Höhe und Entfernung ſo lange, bis er auf der oben erwähnten Glasplatte das Bild des zu photographierenden Gegenſtandes in gewünſchter Größe deutlich und ſcharf ſieht. Weder darf das Licht direkt in den Apparat hineinſcheinen, noch im all - gemeinen voll auf das Objekt, das photographiert werden ſoll, fallen. Iſt die Einſtellung erfolgt, wobei der Photograph, um das Bild auf der Glasplatte beſſer ſehen zu können, ſeinen Kopf und den hinteren Teil der Camera mit einem ſchwarzen Tuche bedeckt, ſo ſetzt er die Kappe wieder aufs Objektiv, klappt die matte Glasplatte hoch, ſchiebt an ihrer Stelle die Kaſſette ans Ende der Camera, zieht die eine Seite derſelben, die die lichtempfindliche Schicht der Platte bedeckt, auf und nimmt dann, je nach den äußeren Verhältniſſen, die Klappe eine längere oder kürzere Zeit vom Objektiv fort. Es wird in dieſer Zeit, da die Schiebevorrichtung ſo eingerichtet iſt, daß die lichtempfindliche Schicht genau an die Stelle kommt, wo vorher auf dem matten Glas das Bild entworfen wurde, auf der photographiſchen Platte ein negatives, vorläufig noch unſichtbares Bild hervorgerufen. Der Photograph ſchiebt nun die Kaſſette, während ſie noch in der Camera iſt, wieder zu, nimmt ſie heraus und geht mit ihr in die Dunkelkammer. Mit einer oder mehreren der oben erwähnten Subſtanzen übergießt er nun die in eine Schale gelegte Platte und läßt die Flüſſigkeit ſo lange über die Platte hin - und herfließen, bis er bei dem matten Scheine ſeiner Lampe das Bild völlig entwickelt ſieht. Darauf wird die Platte mit Waſſer tüchtig abgeſpült und z. B. in eine unterſchwefligſaure Natron - löſung gelegt, d. h. fixiert. Hat ſie nur kurze Zeit darin gelegen, ſo990Die vervielfältigenden Künſte.iſt die Fixage fertig; die noch nicht vorher vom Licht reduzierten Silber - ſalze ſind fortgenommen, ſodaß die Platte nunmehr dem Licht ausgeſetzt werden kann, ohne weitere Veränderungen zu erleiden. Die Entwicklung iſt eine keineswegs leichte Manipulation, man muß bei ihr ſehr vorſichtig und umſichtig ſein, da man es ſelten einmal mit einem Normalbild, d. h. einer gerade lange genug belichteten Platte zu thun hat, ſondern meiſt oder wenigſtens oft eine Unter - oder Überexpoſition, d. h. eine zu kurze oder zu lange Belichtung ſtattgefunden hat. Doch wollen wir hier auf dieſe techniſchen Einzelheiten nicht näher eingehen. Die fixierte Platte wird jetzt tüchtig gewaſchen, um alle Unreinlichkeiten fortzuſchaffen, das Negativ iſt fertig.

Es handelt ſich nun darum, von dieſem Negativ poſitive Abzüge zu fertigen. Das Negativ wird, wie ſchon früher erwähnt, nachdem es längere Zeit in laufendem Waſſer abgewaſchen iſt, in einem Holz - rahmen, dem Kopierrahmen , über ein in lichtempfindliche Silberlöſung getauchtes Papier gelegt. Der Rahmen wird ſo lange dem Lichte ausgeſetzt, bis dieſes auf dem Papier, das dem Negativ entſprechende Poſitiv hervorgerufen hat. Man kann auch ſchon vorher mit der Be - lichtung aufhören, und den letzten Teil derſelben durch eine dem beim Negativ angewandten Verfahren der Entwicklung ähnliche Methode fertig entwickeln. Um einen ſchöneren Ton zu erzielen und die Bilder dauerhafter zu machen, kommt nun das Poſitiv, das in der Dunkel - kammer aus dem Kopierrahmen genommen iſt, in ein Goldbad, das in 1000 Teilen deſtillierten Waſſers etwa ein Teil Chlorgold enthält. Dann wird das Bild in unterſchwefligſaurem Natron fixiert, mehrere Stunden gewaſchen, getrocknet, auf einen Karton geklebt und mit einer Satiniermaſchine (vergl. Erfindung des Papiers, S. 931) geglättet. Das Bild iſt fertig, bis auf die eventuelle Retouche . Die Retouche, die den Zweck hat, noch einzelne Feinheiten herauszubringen und Härten zu mildern, erfolgt entweder im fertigen Poſitiv, indem man mit Pinſel und Tuſche arbeitet, oder aber neuerdings meiſt ſchon auf dem Negativ, indem man mit dem Bleiſtift vorſichtig die gewünſchten Verbeſſerungen anbringt. In neuerer Zeit ſind Photographieen auf Platinpapier ſehr in Aufnahme gekommen, die eine große Ähnlichkeit mit einem Stahl - ſtich zeigen.

Es ſei erwähnt, daß das Kopieren auch bei elektriſchem Licht vor - genommen wird, wenn auch beim Poſitivprozeß künſtliches Licht weniger zur Anwendung kommt, wie bei dem Negativprozeß. Die Verſuche, künſtliches Licht zum Photographieren zu verwenden, datieren ſchon aus den vierziger Jahren. Praktiſchen Eingang fand die Anwendung elektriſchen Bogenlichtes in der Photographie erſt ſeit dem Jahre 1876, wo van der Weyde geeignete Einrichtungen zu dieſem Zwecke erſann. Die Photographie bei elektriſchem Licht iſt beſonders wichtig für Inſtitute, die auf photographiſchem Wege Pläne, Zeichnungen und Karten vervielfältigen, da ſie hierdurch in den Stand geſetzt ſind, auch bei ſchlechtem Wetter und in991Die Momentphotographie.ungünſtiger Jahreszeit zu arbeiten, und da ſie außerdem bei Anwendung künſtlichen Lichtes die günſtigſte Dauer der Expoſition beſſer beſtimmen können, wie bei Tageslicht. Nächſt dem elektriſchen Licht hat Magneſium - licht als künſtliche Lichtquelle viel Verwendung gefunden. Metalliſches Magneſium verbrennt ſehr intenſiv und entwickelt dabei beſonders ſtark photochemiſch wirkende Strahlen. Einen großen Aufſchwung nahm die Photographie bei Magneſiumlicht erſt ſeit dem Jahre 1883, als J. Gaedicke und A. Miethe in Berlin Magneſiumpulver einführten, das das ſogenannte Magneſiumblitzlicht erzeugt. Es verbrennt dieſes und ähnliche ſpäter erfundene Magneſiumpulver ſo ungeheuer ſchnell und intenſiv, daß es möglich iſt, bei ihrem Aufflammen ſogar Momentauf - nahmen zu machen, über die wir gleich näheres berichten werden. Für die Aufnahme in oder von dunklen Räumen, von Höhlen u. ſ. w. iſt das Magneſiumblitzlicht von großer Wichtigkeit.

4. Die Momentphotographie.

Die Momentphotographie hat es ermöglicht, ſchnell veränderliche Vor - gänge, ſchnell ſich bewegende Tiere oder lebloſe Gegenſtände zu photo - graphieren. Wenn auch ſchon Daguerre es verſucht hat, bewegliche Körper photographiſch aufzunehmen, ſo können wir die Geburt der Momentphotographie erſt von der Zeit an rechnen, wo die Einführung der Bromſilber-Gelatine-Platten dem Photographen ſo lichtempfindliches Material in die Hand gab, daß er in ganz geringen Bruchteilen der Sekunde, z. B. in 1 / 1000 Sekunde ein brauchbares Bild ſchnell beweglicher Gegenſtände aufzunehmen vermochte. Das weſentliche Erfordernis zur Momentphotographie iſt der Beſitz eines guten Momentverſchluſſes, der vor, hinter oder in der Mitte des Objektivs angebracht, es erlaubt, die gewünſchte kurze Belichtung mechaniſch erfolgen zu laſſen. Eine vierte Art der Anbringung des Momentverſchluſſes iſt die Anbringung desſelben vor der photographiſchen Platte. Einen derartigen Verſchluß, bei dem ſich ein Spalt vor der Platte vorbeibewegt, hat der fran - zöſiſche Aſtronom Janſſen zu ſeinen Sonnenauf - nahmen 1 / 2000 Sekunden und vielfach auch An - ſchütz bei ſeinen berühmten Momentbildern benutzt.

Um die verſchiedenen Erforderniſſe zu erfüllen, die an einen Momentverſchluß geſtellt werden, gleichmäßige Belichtung aller derjenigen Stellen der Platte, verſchieden kurze und leicht konſtatier - bare Belichtungszeiten je nach Wunſch, Fortfall jeglicher Erſchütterung des ganzen Apparates während des Öffnens des Momentverſchluſſes, hat man die verſchiedenartigſten Momentver - ſchlüſſe erfunden, von denen wir nur einige gebräuchliche beſchreiben wollen. Es ſei noch

Fig. 528.

Fallbrett.

992Die vervielfältigenden Künſte.vorher erwähnt, daß in der Praxis die Verſchlüſſe die häufigſte An - wendung finden, die vor dem Objektiv angebracht werden, weil dabei an dem übrigen photographiſchen Apparat gar keine Änderung vor - genommen zu werden braucht. Fig. 528 zeigt einen als Fallbrett bezeichneten Momentverſchluß. In einem metalliſchen Rahmen bewegt ſich ein Holzbrett mit einer kreisrunden Öffnung von oben nach unten. Das Herabfallen des Brettes wird durch pneumatiſche Auslöſung be - wirkt, indem man auf den in der Figur ſichtbaren Gummiball drückt. Der Fall erfährt noch eine Beſchleunigung durch Gummibänder, die von unten her das Brett halten und, wenn dasſelbe hochgezogen iſt, die Tendenz haben, es nach unten zu ziehen. Das Objektiv läßt nun nur Licht hindurch, wenn die kreisrunde Öffnung an ihm vorbeiſauſt. Da der Vorübergang einer kreisrunden Öffnung, wie eine anſchauliche Überlegung zeigt, eine nicht ſehr gleichmäßige Belichtung hervorruft, ſo macht man oft die Öffnung auch von anderer, günſtigerer Form.

Fig. 529.

Momentverſchluß nach Pritſchow und Steinheil.

Eine ganz andere Art Moment - verſchluß zeigt uns Fig. 529. Die - ſer Verſchluß, von Pritſchow und Steinheil im Jahre 1888 erfunden und als Univerſal-Objektivver - ſchluß bezeichnet, wird vor dem Objektive oder auch zwiſchen dem Linſenſyſtem angebracht und ver - urſacht gar keine nachteilige Er - ſchütterungen. Es bewegen ſich bei dieſem Apparat zwei metalliſche Schieber, die beide kreisrunde Öffnungen haben, an einander vorüber, ſobald der Verſchluß durch Drücken auf den Gummi - ball aus gelöſt wird. Die Aus - löſung kann aber erſt dann er -

Fig. 530.

Rotierender Momentverſchluß.

993Die Momentphotographie.folgen, wenn der Knopf a durch Drehen in eine beſtimmte Stellung gebracht iſt. An dem Knopfe b kann man die Geſchwindigkeit der Plattenbewegung regulieren und zwar ſo, daß der Verſchluß Belichtungs - zeiten von mehreren Sekunden bis herab zu 1 / 200 Sekunde geſtattet.

Es ſei ſchließlich noch ein rotierender Momentverſchluß erwähnt, wie ihn Fig. 530 veranſchaulicht. Die Scheibe A verdeckt für gewöhnlich das Objektiv, das ſich hinter ihr bei B befindet. In der Scheibe iſt aber ein rechtwinkliger Schlitz C C oder ein kreisſektorförmiger Aus - ſchnitt D D angebracht. Wird die Scheibe um ihre Axe O in Rotation verſetzt, ſo erfolgt die Belichtung in dem Moment, wo ſich der Schlitz oder der Ausſchnitt an dem Objektiv vorbeibewegt.

Welche wunderbaren Erfolge die Momentphotographie in jüngſter Zeit aufzuweiſen hat, iſt allgemein bekannt. Erſt durch ihre Anwendung vermögen wir die Flugbahn eines Geſchoſſes, die Einzelbewegungen von Menſchen und Tieren zu ſtudieren, Aufnahmen von Volksſcenen und Landſchaftsbildern zu machen, die fortwährendem Wechſel unter - liegen, ſo ſchnell bewegte Objekte, wie Sternſchnuppen und ſo intenſiv helle Objekte, wie die Sonne, zu photographieren. Kurz, die Dienſte, die die Momentphotographie ſpeziell der Wiſſenſchaft leiſtet, ſind ganz unſchätzbare. Wir haben in der Fig. 531 eine zwar nicht ganz ſcharfe, aber recht intereſſante Momentphotographie wiedergegeben, die einen

Fig. 531.

Momentaufnahmen.

Mann, der über ein Seil ſpringt, in neun Momenten der Aktion dar - ſtellt. Es iſt dieſe Aufnahme nach einem von Marey in Paris im Jahre 1883 angegebenen Verfahren durch neunmalige Vorbeibewegung des Momentverſchluſſes auf einer einzigen Platte gemacht.

Wir haben früher erwähnt, daß die verſchiedenen Farben ſehr verſchieden auf die photographiſchen Platten wirken, wodurch bei der Reproduktion farbiger Gegenſtände eine dem Original unähnliche Ver - teilung der Helligkeit im Bilde entſteht. Es wurden daher viele Ver -Das Buch der Erfindungen. 63994Die vervielfältigenden Künſte.ſuche gemacht, orthochromatiſche Bilder herzuſtellen, die die einzelnen Farben zwar nicht farbig, aber mit einer ihrer wahren Helligkeit ent - ſprechenden Intenſität, wiedergeben ſollten. Eine gute Löſung fand die Aufgabe erſt durch die Einführung der farbenempfindlichen Platten, deren Herſtellung beſonders durch die Arbeiten von Vogel Anfang der achtziger Jahre einen Aufſchwung erhielt. Es gelang, durch Beimengung von Farbſtoffen zu den Emulſionen Trockenplatten herzuſtellen, die auch für die ſonſt photochemiſch wenig wirkſamen Strahlen, wie rot und gelb, eine ſtarke Empfindlichkeit zeigen.

Fig. 532.

a) Aufnahme mittels Dr. Miethes telephotographiſchen Objektivs. (Diſtanz der Camera von der Brücke 350 m.)

995Die Photographie in natürlichen Farben. Die Telephotographie.

5. Photographie in natürlichen Farben.

Ein weiterer Fortſchritt auf dem Gebiete der Photographie wurde im Jahre 1891 gemacht, als Lippmann das Problem löſte, die Farben als Farben zu photographieren und zu fixieren. Das Problem hatte vorher ſeit den Seebeckſchen Verſuchen im Jahre 1810 verſchiedenartige, aber immer nur unvollkommene Löſungen gefunden. Erſt Lippmann gelang es, ein Prinzip, das ſchon Zenker im Jahre 1868 ausgeſprochen hatte, zur praktiſchen Verwirklichung zu bringen. Wir müſſen uns hier darauf beſchränken, anzugeben, daß Lippmann ſeinen Erfolg, z. B. das Spektrum in ſeinen natürlichen Farben zu photographieren, in der Weiſe erreicht, daß das Licht einerſeits direkt auf die völlig durchſichtige und kornfreie empfindliche Schicht fällt, andererſeits indirekt, indem es von einem dahinter befindlichen Queckſilberſpiegel reflektiert wird. Es entſtehen dann Interferenzerſcheinungen, die Anlaß zu farbigen Bildern geben.

6. Die Telephotographie.

In allerneueſter Zeit iſt es auch gelungen, photographiſche Auf - nahmen aus großer Entfernung in erheblicher Größe des Objekts zu machen. Mit Hülfe einer Fernrohrkombination war das freilich ſchon immer möglich, aber derartige komplizierte Apparate können natürlich

Fig. 533.

b) Vergleichs-Aufnahme mittels eines gewöhnlichen aplanat. Objektives vom ſelben Standpunkte aus.

63*996Die vervielfältigenden Künſte.nur in den ſeltenſten Fällen Verwendung finden. Ein photographiſches Objektiv, das größere Abbilder von Gegenſtänden, die einige hundert Meter entfernt ſind, geben ſoll, hatte eine ſehr große Brennweite, ſo daß die Camera ganz unförmliche Dimenſionen annehmen würde. Erſt Miethe in Potsdam gelang es im Jahre 1891 ein telephotographiſches Objektiv zu konſtruieren, das die erwähnten Übelſtände beſeitigt. Die beiden Aufnahmen des Münchener Bürgerbräu in Potsdam (Fig. 532 u. 533) mit einem Mietheſchen Teleobjektiv und mit einem gewöhnlichen apla - natiſchen Objektiv illuſtrieren die Vorzüge der Telephotographie in draſtiſcher Weiſe. Es betrug dabei die Auszugslänge der Camera nur 28 cm, während die Entfernung des Objektes vom Apparat 350 Meter ausmachte. Auch Steinheil und Dallmeyer haben Apparate konſtruiert, die günſtige Reſultate auf dem Gebiete der Telephotographie ergeben haben.

7. Die Vergrößerung von Photographieen.

Von ſehr großer Wichtigkeit ſowohl für die direkten Zwecke der Photographie, wie auch beſonders für Zwecke der mechaniſchen Reproduktion auf photographiſchem Wege iſt die Technik der Ver -

Fig. 534.

Skioptikon.

größerung von Photographieen. Es dienen dazu Vergrößerungs - oder Projektions-Apparate, wie Fig. 534 einen ſolchen, das ſog. Skioptikon darſtellt. Der vordere Teil der Figur iſt im Durchſchnitt, der hintere997Vergrößerung von Photographieen. Das photograph. Druckverfahren.perſpektiviſch gezeichnet. Im Behälter S befindet ſich das durch t ein - gegoſſene Petroleum, das zwei breite, ſchief gegen einander geneigte Dochte bei E 'ſpeiſt. C iſt der Ventilationsraum, I der Abzug. H iſt der auf - und niederzuklappende Verſchlußdeckel, an deſſen innerer Seite ein Reflektor angebracht iſt. Das Licht fällt durch die Kondenſations - linſen p und q auf das hinter den federnden Metallring o o' geſteckte Bild. Dieſes muß durchſichtig ſein; infolgedeſſen muß man für ſolche Zwecke Poſitive auf Glas, ſtatt auf Papier, ſogenannte Diapoſitive herſtellen. a b c d e f g iſt das Doppelobjektiv, mittels deſſen das Bild mehr oder weniger vergrößert auf eine gegenüberliegende Wand oder auf eine an deren Stelle befindliche photographiſche Platte geworfen wird. Das Skioptikon und ähnliche neuere Apparate ſind Vervollkommnungen der Laterna magica.

8. Das photographiſche Druckverfahren.

Daß die Kunſt, die ſo naturgetreue Bilder lieferte, bald nach ihrer Erfindung in den Dienſt der mechaniſch vervielfältigenden Künſte ge - ſtellt wurde, iſt nur natürlich. Das Problem, photographiſche Druck - platten herzuſtellen, beſchäftigte viele Geiſter und hat dementſprechend viele Löſungen gefunden. Die neueren Methoden, deren Geſamtheit unter dem Namen Heliographie oder Lichtdruck zuſammengefaßt werden kann, zerfallen in drei Hauptgruppen. Entweder ätzt man das photo - graphiſche Bild, ähnlich wie ein gezeichnetes (ſ. S. 976) in eine Kupfer - oder Zinkplatte z. B. ein, oder man formt das photographiſche Bild, dem man durch beſondere Manipulationen das Anſehen eines Reliefs gegeben hat, ab, oder man ſtellt auf phyſikaliſch-chemiſchem Wege, in der Art des lithographiſchen Verfahrens eine druckfertige Kopie her. Auf dieſe Prinzipien laſſen ſich die meiſten heliographiſchen Verfahren, wie Photozinkographie, Phototypie, Photogravüre, Wood - burytypie, Stannotypie, Photolithographie und ähnliche zurückführen, die einzeln zu erörtern uns zu weit führen würde. Wir wollen nur eines der intereſſanteſten Verfahren, den Woodbury - oder Reliefdruck kurz betrachten. Er ſtützt ſich auf die merkwürdige Eigenſchaft der Chromgelatine, nach der Belichtung an den belichteten Stellen ſeine ſonſtige Quellbarkeit in kaltem Waſſer und ſeine Löslichkeit in warmem Waſſer zu verlieren. Man legt eine Platte mit Chromgelatine unter das Negativ, ſodaß auf jener ein Poſitiv entſteht. Wäſcht man dieſes ſtark mit warmem Waſſer, ſo werden alle nicht belichteten Stellen fort - geſpült, und ein poſitives Relief bleibt zurück, in dem ſich die ver - ſchiedenen Helligkeitsgrade des photographierten Objektes als allmähliche Übergänge von Höhen und Tiefen markieren. Woodbury übertrug nun dieſe Reliefs durch ſtarken Druck auf Bleiplatten, von denen er dann direkt oder indirekt Abzüge machen konnte. Neuerdings werden998Die vervielfältigenden Künſte.ſolche Reliefs direkt zu Druckplatten umgeſtaltet, indem man Stanniol über ſie legt, dieſes feſt andrückt, ſodaß es ſich ganz den Formen des Reliefs anſchmiegt, und die ſo gewonnene Platte galvaniſch verkupfert. Dieſes Verfahren nennt man Stannotypie.

Seit der Lippmannſchen Erfindung der Farbenphotographie ſind wir der Möglichkeit, farbige Kunſtwerke, Ölgemälde und ähnliches naturgetreu in ſeinen Farben zu reproduzieren, bedeutend näher gerückt und dürfen auf eine baldige fruchtbare Ausnutzung ſeiner Entdeckung auch nach dieſer Richtung hin hoffen.

Die Photographie iſt heutigen Tages zu einem der wichtigſten Hülfsmittel techniſcher Thätigkeit und wiſſenſchaftlicher Forſchung ge - worden und gleichzeitig zu einer Quelle reinſten Vergnügens für einen großen Teil der Menſchheit.

[999]

Regiſter.

  • Seite.
  • Abbeizen des Metalls679
  • Abbrennen des Me - talls679
  • Aberration, ſphäriſche und chromatiſche903
  • Ablegemaſchine956
  • Ablenkung d. Magnet - nadel durch d. galv. Strom150
  • Abraumſalze840
  • Abſorptionsfähigkeit des Bodens421
  • Abſorptionstürme836
  • Achromatiſche Linſe913
  • Adhäſionsbahnen768
  • Agavenwein521
  • Akkumulatoren201
  • Alberttypie977
  • Albuminpapier983
  • Aldehydgrün408
  • Alizarin412
  • Alizarinfarbſtoffe412
  • Alkohol510
  • Alkoholometer24
  • Aludel614
  • Aluminium172.608 611
  • Amalgamation, Myers Methode der621
  • Amalgamationsver - fahren beim Über - ziehen von Metallen680
  • Ambrotypieen985
  • Ammoniakverfahren834. 838
  • Ampère154
  • Amylacetat317
  • Aneroidbarometer33
  • Anilinfarben405 412
  • Ankettelmaſchine383
  • Seite.
  • Ankerhemmung47
  • Ankerwagen459. 462
  • Anlegemaſchine355. 356
  • Annalith275
  • Anthracen409
  • Anthracit319. 322
  • Antifriktionsmetall594
  • Antimon604 606
  • Antimonglanz604
  • Antimonicum crudum605
  • Antimonlegierungen606
  • Antimonſchmelzofen604
  • Antiplanat988
  • Applikationsſtickerei386
  • Appretur335.386 392
  • Appreturmaſchine387
  • Aquarelldruck976
  • Aquatinta - oder Tuſch - manier969 971
  • Aräometer22
  • Arbeitsmaſchine59
  • Archimediſche Schraube545
  • Argandgasbrenner312
  • Argandlampe292. 815
  • Argand-Rundbrenner292
  • Argentan591
  • Armenbibel947
  • Arſen606
  • Arſenerze606
  • Arſenkobalt584
  • Asbeſt169
  • Asbeſtgeſpinſte339
  • Ascenſeure778
  • Asphaltplatte980
  • Asphaltpflaſter722
  • Asphaltſtein722
  • Äthylen280
  • Atmoſphärendruck27. 56
  • Ätzkunſt969
  • Seite.
  • Ätzmanier969
  • Auerſcher Brenner314. 315
  • Aufbereitung der Me - talle570
  • Aufgußgetränke, Wir - kung derſelben521
  • Aufhauen der Metalle654
  • Aufſchließen der un - löslichen Phosphate435
  • Auftiefen der Metalle653
  • Auftragwalze960
  • Aufziehen der Metalle654
  • Aufzüge, elektriſche213
  • Auguſtinſche Methode d. Silbergewinnung621
  • Ausgleich, elektriſcher127
  • Ausgleichmaſchinen207
  • Ausglühen (Münzen) 686
  • Auspreſſen (d. Beeren) 514
  • Ausſaigern595
    • (Silber) 623
    • (Wismut) 597
  • Ausſchlagen391
  • Ausſchließen954
  • Ausſchließungen953
  • Ausſchmelzen des Goldes627
  • Ausſchneiden ge - ſchloſſener Figuren672
  • Ausſparen681
  • Ausſtrecken der Metalle653
  • Ausſtückeln686
  • Auswaſchen d. Goldes627
  • Autographie974
  • Autoklaven285
  • Automatbrenner, Siemensſcher312
  • Avant la lettre969
  • Aventuringlas869
  • 1000
  • Seite.
  • Azofarbſtoffe399 .410411. 527
  • Backkohle299
  • Backofen557. 558
  • Backpulver, Liebigſches559
  • Backſteinthee531
  • Baggermaſchine781
  • Bahn (am Amboß) 647
  • Balancier43. 82
  • Balanciergebläſe580. 581
  • Balancierpflug458. 459
  • Bandmühle385
  • Barilla834
  • Bark786
  • Barometer28 33
  • Barytweiß396. 974
  • Baſtfaſern340
  • Baſtſeife415
  • Batterie, galvan .133. 134
  • Batterieſtröme, Koſten derſelben147
  • Bäuchen413
  • Baumaterialien261 276
  • Bäumen369
  • Bäumgeſtell369. 370
  • Bäummaſchine370
  • Baumwolle335 .338339. 413
  • Baumwollſpinnerei348 355
  • Bauſteine, künſtliche269
  • Bauten aus Holz und natürlichen Steinen261 264
  • Bedrucken (von Ge - weben) 417
  • Beizen (von Geweben) 416
  • (der Münzen) 687
  • (des Tabaks) 543
  • Bénier-Motor83
  • Benzin290
  • Benzinleuchter296
  • Benzol407
  • Bérandin338
  • Bergkryſtall868
  • Bergwerken, Elektrici - tät in 222. 256
  • Berliner Blau254. 394
  • Bergungsgeſellſchaften817
  • Beſſemer-Birne438. 578579
  • Beſſemer-Verfahren (Stahl)578 .579.583636. 893
  • Seite.
  • Beton220
  • Bicycle734
  • Biegemaſchine676
  • Biegen der Metalle654676. 677
  • Biegewalzwerk677
  • Bier, Extraktgehalt desſelben484
  • Bier als Nahrungs - und Genußmittel484
  • Bier, Hiſtoriſches darüber503. 504
  • Bier, ſein Nutzen und Schaden504
  • Bier, obergähriges502
  • Bier, untergähriges502
  • Bierbereitung, Roh - materialien für die485 487
  • Bierkühl-Apparat500
  • Bierpfanne499
  • Bierwürze-Bereitung492 501
  • Bilderſchrift937
  • Bildertelegraph254
  • Bimsſteinſeife845
  • Binſen338
  • Biskuit876
  • Bismarckbraun408
  • Blanc fixe396
  • Blanquette834
  • Blattgold653
  • Blattgrün426
  • Blattſilber, unechtes596
  • Blau, Berliner254. 394
  • Blau, Sächſiſch401
  • Blau, Turnbulls395
  • Blauholz404
  • Blecherzeugung658 661
  • Blechwalzwerk659
  • Blei, Darſtellung des - ſelben592 594
    • Eigenſchaften desſ. 594
    • gewalztes660
  • Blei, Kunſtguß aus 642
    • Legierungen desſ. 594
  • Bleiamalgam584
  • Bleiche414
  • Bleierze592
  • Bleigewinnung, elek - trolytiſche Methode der 593 u. 594
  • Bleiglätte624
  • Bleiguß639
  • Bleikammern830. 835
  • Seite.
  • Bleipapier, Gießen desſelben643
  • Bleiplatten, Gießen derſ. 639
  • Bleiſicherung207
  • Bleiſpindel802
  • Bleiſtifte945
  • Bleiſuperoxyd146
  • Blei-Walzen660
  • Bleiweiß396
  • Blende988
  • Blickfeuer816
  • Blickſilber624. 625
  • Blindenſchrift939
  • Blitzableiter129 131
  • Blockapparat, elek - triſcher255. 256
  • Blockzinn595
  • Bobbinetſtuhl384
  • Bockſchere671. 688
  • Boden, an - geſchwemmter420
    • Abſorptionsfähigkeit421
    • Entmiſchung433
    • Entſtehung419 423
    • Farbe422
    • Fruchtbarkeit420
    • Konſiſtenz422
    • waſſerfaſſende Kraft421
  • Bodenbearbeitungs - maſchinen450 468
  • Bogenlampe184 188
    • regulierte186
    • für Eiſenbahnen und Schiffe187
  • Bohnerz573
  • Bohrer672. 673
  • Bohrknarre673
  • Bohrmaſchine, Lang - loch -, Schlitz673
    • elektriſche211
  • Bojen795. 813
  • Bolus844
  • Borax871
  • Bordcaux (Farbe) 411
  • Bordenwebſtuhl385
  • Bordſteine722
  • Botten342
  • Bourette (Seide) 364
  • Bouretteſpinnerei365
  • Brandſilber625
  • Branntweinbrennerei504 512
  • Brauneiſenſtein573
  • Braunit607
  • Braunkohle321. 324
  • 1001
  • Seite.
  • Braunſtein146 .607. 869
  • Brauntöpferei882
  • Braupfanne496
  • Brechen (Flachs) 342
  • Brechmaſchine343
  • Brechung des Lichtes891
  • Brechungsvermögen913
  • Breitſäemaſchine469. 470
  • Bremſen, Automatiſche764
    • Durchgehende764
    • Einzel -764
    • Friktions -765
    • Heberlein -765
    • Kontinuierliche764
    • Luftdruck -767
    • Reibungs -765
    • Weſtinghouſe -766
  • Brennen (des Kaffees) 524
    • (der Metallerze) 572
  • Brenner
    • Auerſcher314. 315
    • Argandgas -312
    • Bunſenſcher282
    • Mitrailleuſen -295
    • Patentkosmos -294
    • Regenerativ -312
    • Rund -292
    • Zweiloch -311
  • Brennerei, landwirt - ſchaftliche508
  • Brennkraft319. 320
  • Brennpunkt890. 897
  • Brennweite897
  • Briefdrucker947. 966
  • Brigg786
  • Brillantgaslampe312
  • Britanniametall591 .596606. 642
  • Bromſilber-Gelatine - emulſion984
  • Brönnerſches Fleck - waſſer407
  • Bronze590. 591
  • - Guß636
  • unechte638
  • Brot, Backen desſelben558
    • Bäckerei554
    • Teilmaſchine556
    • Verfälſchungen des - ſelben560. 561
    • Zuſammenſetzung desſelben560
  • Brückenbau749
  • Brückenwage21
  • Buchdruckerkunſt945
  • Seite.
  • Buchſtabenkegel953
  • Bunſenbrenner282. 367
  • Bunſens Element147
  • Buntdruck959
  • Bürſtenabzug955
  • Bütte929
  • Büttenleimung924
  • Büttenpapier929
  • Butter547 554
    • Bereitung derſelben548
    • Beſtandteile derſelben550
    • Kunſtbutter547. 551
    • Ranzigwerden550
    • Surrogate derſ.550 554
  • Buttermaſchine548. 549
  • Butzkeſche Lampe313
  • Cambridgewalze466
  • Camera obscura898 .915. 980
  • Campecheholz404
  • Cantilever Brücke750
  • Caravellen des Kolumbus785
  • Carnallit840
  • Carnaubawachs287
  • Catholicon948
  • Celluloid710
  • Celluloſe503 .706. 932
  • - Dynamit715
  • Cement269
  • Cementation589
  • Cementſtahl580 .684.
  • Centralanlagen, elek - triſche199 209
  • Centrifugalkraft95
  • Centrifugalpumpe199
  • Centrifugen392
  • Cereſin287
  • Cetylalkohol286
  • Chabotte647
  • Chamotte850
  • Chappe (Seide) 364
  • Chemiſches Metall976
  • Chemitypie976
  • Chenille385
  • Cheviot335
  • Chiffernſchrift939
  • Chika492
  • Chiliſalpeter440
  • Chinagras337
  • Chloren414
  • Chlorophyll426
  • Chorbrett374
  • Chromatiſche Ab - weichung910
  • Seite.
  • Chromgelatine997
  • Chromgelb395
  • Chromgrün396
  • Chromrot395
  • Chromolithographie975
  • Chromoxyd869
  • Chronometer45 .48. 806
    • Kompenſation48
    • Konkurrenzprüfungen808
  • Chryſoïdin411
  • Cichorien525. 526
  • Cider520
  • Cigarren544
  • Cigaretten544
  • Ciſternen400
  • Cliché138. 966
  • Cochenille398
  • Cocons336. 364
  • Collodium706
  • Commutator156
  • Comparator5
  • Compound-Lokomo - tive762
  • Compoundmaſchine97
  • Congreveſche Körn - methode696
  • Continue360. 361
  • Converſionsſalpeter694
  • Converter578. 579
  • Cop353
  • Corvinniello144
  • Coupéwagen763
  • Cow-catcher762
  • Crownglas857
  • Cylinder (Lampen) 292
  • Cylinder (Uhr)42. 46
  • Cylinderhemmung46
  • Cylinderinduktor157. 159
  • Cylinderwalke390
  • Cypriſcher Goldfaden338
  • Dachziegel274
  • Daguerreotypie980
  • Dallastypie139
  • Dampf, geſättigter56
  • Dämpfen (Gewebe) 417
  • Dampfdruck55
  • Dampfhammer648. 649
  • Dampfheizung333
  • Dampfkeſſel102 109
    • Feuerung der 107
  • Dampfkochpfanne499. 500
  • Dampflampe296
  • Dampfmaſchinen84 109
  • Dampfpflug458
  • 1002
  • Seite.
  • Dampfröſte342
  • Dampfſchiff787
  • Dampfſpritze, elektriſche211
  • Dampfwagen731. 738
  • Darre (Malz)489. 490
  • Debuſkop887
  • Decke (Wolle) 360
  • Deckelkarden350
  • Deckengarn361
  • Deckmaſchine381
  • Defeutrage363
  • Degummieren (der Seide) 415
  • Dekarboniſieren971
  • Deklination, magne - tiſche799
  • Dekoktionsmethode494
  • Deltametall591
  • Dephlegmator509
  • Deſagaſche Metall - büchſe316
  • Desintegrator571
  • Deſtillation506. 507
  • trockene299
  • fraktionierte507
  • Deſtillations-Apparat von Savalle509
  • Deviation des Kom - paſſes800
  • Dextrin555
  • Dextroſe555
  • Dezimalwage22
  • Diapoſitive997
  • Diaſtaſe492
  • Dibbelmaſchine473
  • Dichtungsprozeß695
  • Dickenmeſſungen10 12
  • Didotſches Verfahren958
  • Diebesſicherung, elek - triſche255
  • Differentialflyer
    • (Baumwolle)351. 352
    • (Flachs) 356
  • Differentiallampe von v. Hefner-Alteneck187
  • Dinaſteine275
  • Disperſion893
  • Diviſorium953
  • Docken543
  • Döbereinerſches Feuerzeug617
  • Dodoa540
  • Doktor930
  • Donaten947
  • Doppelkalander960
  • Seite.
  • Doppelkaſſette986
  • Doppelkettenſtich - maſchine386
  • Doppelkurbelwalke390
  • Doppelofen (Kupfer) 589
  • Doppelſchrauben - ſchnelldampfer788
  • Doubliermaſchine349
  • Drahterzeugung663 665
  • Drahtwalzwerk664
  • Drainieren423
  • Drainröhren274
  • Draiſinen oder Velo - cipede734
  • Drehbank675
  • Drehgeſtell762
  • Drehkrahn757
  • Drehkulierſtuhl381
  • Drehſcheiben755
  • Drehſchemel762
  • Drehſtrom193
  • Drehſtromerzeuger195
  • Drehſtrom - maſchine196 198
  • Drehſtuhl675
  • Drehungsarbeiten676. 677
  • Dreileiterkabel205
  • Dreileiterſyſtem205
  • Dreimaſter (Vollſchiffe) 786
  • Dreſchmaſchine484
  • Dreſſingmaſchine365
  • Drillbohrer673
  • Drillkultur469
  • Drillmaſchine468.471 -473
    • Nutenwalzen-Drill - maſchine472
  • Droſſelmaſchine348
  • Drucken959
  • Drücken des Metalls677
  • Druckerpreſſe949
  • Druckerſchwärze959
  • Drucklampe293
  • Druckpreſſe676
  • Druckräder67. 68
  • Druckregulator307
  • Drückſtähle677
  • Druckverfahren, pho - tographiſches997
  • Drummondlicht315. 900
  • Dualin715
  • Düngemittel, konzen - trierte433 449
  • Düngemittel, ſtickſtoff - und phosphorſäure - reiche443
  • Seite.
  • Düngerſtreumaſchine467. 468
    • Bandboden-D. 468
  • Düngung430 449
  • Düngung mit Knochen445
  • Düngungsverſuche:
    • mit Erbſen u. Hafer444
    • mit Gerſte441
    • mit Roggen448
    • mit Weizen u. Gerſte447
  • Dunkelkammer986
  • Duplexmaſchine von Hunter263
  • Durchgangswagen763
  • Durchſchießen954
  • Durchſchlag651. 672
  • Dynamit713. 714
  • Dynamomaſchine116 .136141 .149 .164 178. 180
  • Dynamomaſchinen auf Telegraphenämtern252
  • Dynamometer60
  • Echtrot411
  • Eddyſtone-Leuchtturm815
  • Edelmetalle612 631
    • Gießen derſelben632
    • Walzen derſelben655
  • Ediſonſche Glühlampe180
  • Effektgarne366
  • Egge462 465
    • Acme-Egge463. 464
    • Grubber-Egge462
  • Egreniermaſchine339. 340
  • Einfadenkettenſtich - maſchine386
  • Einölapparat362
  • Einſalzen568
  • Einſchienenbahn771
  • Einſprengen392
  • Eintränkungs - arbeit627. 628
  • Einweichen der Gerſte487
  • Eiſen572
  • Eiſen, Darſtellung
    • desſelben573 ff.
    • Eigenſchaften desſ. 576
    • Entphosphorung583
    • Formeiſen655
    • Gicßen desſelben635
    • kaltbrüchiges583
    • Legierungen desſ. 584
    • Reinigung desſelben584
    • Verkupfern desſelben141
    • Walzen desſelben660
  • 1003
  • Seite.
  • Eiſenbahnen736
    • Bau der Eiſenbahnen748
    • Blenkinſopſche739
    • Girardſche, gleitende771
    • Pneumatiſche772
  • Eiſenbahn von Stock - ton nach Darlington741
  • Eiſenbahnbetrieb, elek - triſche Sicherung desſ. 255
  • Eiſenbahnſyſteme, außergewöhnliche768
  • Eiſenbahntrajekte754
  • Eiſenbahnwagen759
  • Eiſenbahnwagen - bremſen764
  • Eiſenblechfabrikation660
  • Eiſendraht338. 665
  • Eiſenerze573
  • Eiſenerze, Reducieren derſelben575
  • Eiſenglanz573
  • Eiſenocker395
  • Eisglaswaren870
  • Eiweißpapier983
  • Elaterometer33
  • Elektoralwolle335
  • Elektricität (poſitive, negative) 125
  • Elektricität, Leiter der126
  • Elektricitätsmenge133. 154
  • Elektricitätszähler208
  • Elektriſche Central - anlagen199 209
  • Elektriſche Eiſenbahn215 ff.
    • mit oberirdiſcher Leitung218
    • mit unterirdiſcher Leitung220
  • Elektriſche Eiſenbahn - wagen220
  • Elektriſche Kraftüber - tragung188 209
  • Elektriſche Läutewerke245
  • Elektriſches Schweiß - verfahren678
  • Elektromagnet150
  • Elektromagnetiſche Maſchine von v. Hefner-Alteneck158 161
  • Elektromagnetiſche Maſchine von Siemens157. 158
  • Elektromagnetiſche Sicherheitskuppelung256. 257
  • Seite.
  • Elektromotoren210
  • Elektromotoren im Eiſenbahndienſt214
  • Element, Bunſens147
  • Element, Faureſches202. 203
  • Elfenbeinmaſſe268
  • Email (Emaille)868. 881
  • Emaillieren683
  • Endmaße3
  • Entfetten (der Wolle)414. 415
  • Entkernungsmaſchine490. 491
  • Entladevorrichtungen757. 758
  • Endloſe962
  • Entrahmungsmaſchine548
  • Entſchälen (Seide) 415
  • Entſchweißen (Wolle)358. 362
  • Entſilbern des Werk - bleies durch Zink624
  • Eoſin410
  • Erdeichel540
  • Erdöllampe294
  • Erdwachs286
  • Erhalten der Metalle679
  • Erntemaſchinen475 484
  • Erze570
    • magnetiſche571
    • Röſten und Brennen derſelben572
    • Zugutemachen derſ. 572
  • Excenterſchlagſtuhl377
  • Excenterverſchlüſſe301
  • Exhauſtoren305 .343359. 387
  • Expanſionskraft80
  • Exploſionen295. 699
  • Expoſitionszeit981
  • Extraktwolle361
  • Fabrikwäſche (Wolle) 358
  • Façonchenille385
  • Façoneiſen661
  • Façonnierte Stoffe374
  • Fadentelephon234
  • Färben und Drucken412
  • Färben (Garne) 366
  • Färben (des Kaffees) 524
  • Färberröte403
  • Fahrräder, Michauxſche734
  • Fahrzeuge, von Zug - tieren bewegt723
  • Seite.
  • Fallbrett991. 992
  • Fallſchirm821
  • Fallwerk676
  • Falzen678
  • Fangmaſchine381
  • Farben und Färben392
  • Farben zum Bemalen393 397
  • zum Färben397 417
  • Farbendruck975
  • Farbenzerſtreuung893
  • Farbhölzer404
  • Farbreibmaſchine975
  • Farbſtoffe, pflanzliche400 404
  • Farbſtoffe, Teer -404 412
  • Farbſtoffe, tieriſche398 -399
  • Faſern, tieriſche414
  • Faßgeläger503
  • Faureſche Elemente202 203
  • Fayence874 .881. 882
  • Federwage22
  • Feigenkaffee525
  • Feilmaſchine675
  • Feinbrennen625
  • Feinſpinnmaſchine
    • (Baumwolle) 351
    • (Flachs) 356
    • (Wolle) 360
    • (Seide) 365
  • Feldmagnet163 165
  • Feldziegeleien272
  • Fenſterglas858
  • Ferment504
  • Fernrohr907
    • aſtronomiſches908 909
    • Erfindung desſelben908
    • Galileiſches908
    • hllländiſches908
    • Keplerſches909
    • terreſtriſches909
  • Fernröhre, Auſſtellung derſelben916 ff.
  • Fernſprechcentralen241
  • Fernſprechleitungen241
  • längſte242
  • Ferroſilicium608
  • Ferrotypieen984
  • Fertigwalzen657
  • Feſtonierapparat386
  • Feuer, griechiſches691
  • Feuermelder, elektriſche255
  • Feuerſchiffe816
  • 1004
  • Seite.
  • Feuerung der Dampf - keſſel107
  • Feuervergolden681
  • Feuerzeug, Doebereinerſches617
  • Fibrin561
  • Fillingmaſchine365
  • Filtrier-Abzieh - Apparat503
  • Fingerbalken477
  • Fiſchfrehme967
  • Fiſchſchwanzbrenner311
  • Fixiermittel979. 980
  • Fixierſalz408
  • Flachbrenner294
  • Flachringmaſchine167
  • Flachs337
    • Botten desſelben342
    • Brechen 342
    • Bürſten 356
    • Hecheln 344
    • Raufen 340
    • Ribben 343
    • Riffeln 340
    • Röſten 341
    • Rotten 341
    • Schaben 356
    • Schwingen 343
  • Flachsſpinnmaſchine357
  • Flaggen809
  • Flammbarkeit318. 319
  • Flammöfen572 .587. 605
  • Flaſchenglas885
  • Flaſchenguß633
  • Flaſchenpoſten796
  • Flechtmaſchine385
  • Fleckwaſſer407
  • Fledermausbrenner311
  • Fleiſch561 569
    • Beſtandteile desſ. 561
    • Braten desſelben564
    • Einteilung desſelben561
    • Einſalzen desſelben568
    • Fettgehalt desſelben563
    • Konſervieren des - ſelben567. 568
    • Krankheitsſtoffe desſ. 569
    • Räuchern desſelben567
    • Trocknen desſelben568
    • Zubereitung desſ. 564
  • Fleiſchbrühe565
  • Fleiſchextrakt566
  • Fleiſchgallerte567
  • Fleiſchpräparate566
  • Fleiſchhackmaſchine566
  • Seite.
  • Fleiſchſaft563
  • Fleiſchſorten562
  • Fleiſchzwieback568
  • Flintglas866
  • Floret (Seide) 364
  • Floretſpinnerei365
  • Florteiler360
  • Floß782
  • Flügel (Weberei) 373
  • Flügelzwirnmaſchine366
  • Flüſſe (Metallurgie) 572
  • Flüſſigkeitsthermo - meter25. 26
  • Fluggeſtübbekammern593
  • Fluid-Kompaß798
  • Fluoresceïn410
  • Flußmittel572. 873
  • Flußſäure866
  • Flußſtahl580
  • Flyer351
  • Flyerbank356
  • Flyervorſpinnmaſchine365
  • Formatſtege955
  • Formen, Herſtellung derſelben u. Material632
  • Formenfabrikation durch Maſchinen634
  • Formgebung der Metalle631. 670
  • Formſand633
  • Forſtkulturpflug457
  • Forth-Brücke749
  • Foucaultſche Ströme161
  • Fräſe674
  • Franzen385
  • Fraunhoferſche Linien893
  • Fresnelſche Glas - apparate816
  • Fresnelſches Linſen - ſyſtem816
  • Friſchherd576
  • Friſchprozeß576
  • Friſchſtahl578
  • Frittenporzellan879
  • Fuchſin406
  • Fühlhebel10
  • Fünfleiterſyſtem206
  • Fundierung751
  • Funktionsventil768
  • Fuſelöl507
  • Gährbottich501
  • Gähren (des Tabaks) 543
  • Gährgefäß, geſchloſſenes516
  • Seite.
  • Gährkeller501
  • Gährung der Bier - würze501 504
    • des Brotteiges555. 556
    • des Moſtes514 517
  • Gährung, Urſache derſ. 504
  • Galeere des Philopater783
  • Galileiſches Fernrohr908
  • Galmei598 .599. 878
  • Galvan. Batterie133. 134
  • Galvaniſche Formung einer Statue136
  • Galvaniſche Herſtellung einer Kupferplatte137
  • Galvaniſche Nieder - ſchläge auf Gips - abgüſſen140
  • Galvaniſche Nieder - ſchläge auf Natur - körpern140
  • Galvaniſcher Schutz des Eiſens146
  • Galvaniſcher Schutz des Kupfers145
  • Galvan. Strom131 134
  • Galvaniſches Element133
  • Galvaniſches Gravieren139. 140
  • Galvano138
  • Galvanoglyphie140
  • Galvanographie138
  • Galvanokauſtik140
  • Galvanoplaſtik131 .132135. 268
  • Galvanoplaſtiſches Niello144
  • Gangart (Metalle) 570
  • Ganzzeug927
  • Garbenbinder476 478
  • Garbrennen876
  • Garherd588. 589
  • Garkupfer588
  • Garn (Numerieren) 365
  • (Sortieren) 365
  • Garſchlacke576. 588
  • Gasbeleuchtung298 313
  • Gasbrenner311
  • Gasdruckmeſſer700
  • Gaſelin290
  • Gasgeneratoren114. 299580
  • Gasglühlicht313
  • Gasmeſſer309 311
  • Gasmotoren109
  • Gasofen300
  • 1005
  • Seite.
  • Gaſometer305
  • Gasreiniger304
  • Gasretorten299
  • Gas-Ringofen274
  • Gasuhr309 311
  • Gaszähler309
  • Gattieren572
  • Gautſchen932
  • Gay-Luſſac-Turm830
  • Gebläſemaſchine580 ff.
  • Gebrauchsnormale4
  • Gefäßbarometer29 .30. 32
  • Gefäßmanometer32
  • Gegengeſperre39
  • Gegenſtrom-Apparat500
  • Gehör227
  • Geiſtererſcheinungen888. 900
  • Gelatine974
  • Gelatinedynamit715
  • Gelbbrennen des Meſſings679
  • Gelbeiſenſtein573
  • Gelbholz404
  • Gelenkzirkel4
  • Generatorfeuerung299326. 601
  • Geographiſche Länge48
  • Gerbſäure416
  • Gerbſtahl580
  • Gerſte, Beſtandteile der485
    • Düngung447
    • als Material zur Be - reitung des Bieres485
  • Gerſtenaſche, Beſtand - teile der485
  • Geſchütze701
  • Geſchützguß638
  • Geſchützpulver696. 697
  • Geſenke zum Schmieden651
  • Geſichtsfeld917
  • Geſpinſtfaſern334
    • Mikroſkopiſche Unter - ſuchung derſelben346
  • Geſtein, taubes570
  • Getränke, ge - gohrene484 521
  • Getreide485
  • Getreidemäher, von Wood476
  • Adriance - Getreide - mäher477
  • Gewebe, Verfälſchungen derſ. 391
  • Seite.
  • Gewehr88710
  • Gewehrläufe, Bohren derſelben674
  • Gewichte1 33
  • Gewichtsaräometer23
  • Gewitter123 .124.127. 128
  • Gichtgaſe581
  • Gießen des Metalls632
  • Gießen von Edel - metallen643
  • Gießinſtrument952
  • Gießmaſchine641. 949
  • Gießpumpe641
  • Gießtafel861
  • Gillbox362
  • Gimpenmaſchine385
  • Gips267
  • Gipſen519
  • Gipsformen268
  • Gipsmörtel268
  • Gipsſtereotypie949
  • Glanzkobalt606
  • Glas845
    • Beinglas869
    • Böhmiſches871
    • Dorpater914
    • Feldglas908
    • Fenſterglas858
    • Flaſchenglas855
    • Flintglas866
    • Hartglas857
    • Hohlglas853
    • Jenenſer913
    • Irisglas870
    • Kryſtallglas864
    • Mondglas858
    • Optiſches913
    • Perlmutterglas869
    • Preßhartglas857
    • Spiegelglas860
    • Walzenglas858. 859
  • Glasbläſerlampe282. 283
  • Glasbläſerpfeife855
  • Glasfäden339. 870
  • Glasgalle854
  • Glasgeſpinſt339
  • Glaſieren683. 876
  • (Kaffee) 529
  • Glasmalerei870
  • Glasöfen851
  • Glasperlen870
  • Glasthränen848
  • Glaſur876
  • Glätten391
  • Glätten d. Pulvers697. 698
  • Seite.
  • Gleichgewicht12. 13
  • Gleichſtromerzeuger195
  • Gleichſtrommaſchine174 .193. 204
  • Gleichſtrommotor von Siemens & Halske210
  • Gleiſe755. 737
  • Glimmer869
  • Glocke762
  • Glockenguß636
  • Glockenmetall591
  • Glockenofen615
  • Gloſſographiſche Zeichen965
  • Gloverturm831
  • Glühen (Metallurgie) 679
  • Glühlampen,
    • elektriſche178 183
    • Ediſonſche180. 181
    • Swanſche180. 181
    • Anwendung der Glühlampe bei Eiſenbahnzügen183
    • Theaterbeleuchtung durch d. Glühlampe183
  • Glühſtahl, Tunner - ſcher580
  • Glycerinſeife845
  • Gnomon34
  • Gobelinſtuhl373
  • Göpel oder Roßwerk63
  • Göpel, elektriſcher222
  • Gold626 631
    • Affinieren desſelben629
    • Auswaſchen desſ. 627
    • Ausziehen desſelben durch Queckſilber627
    • Darſtellung desſ. 627
    • Eigenſchaften desſ. 627
    • Geſchichte desſ .629. 630
    • Karatierung desſ. 631
    • Legierungen desſ. 631
    • Vorkommen desſ. 626
  • Goldfaden, cypriſcher338
  • Goldlahn338
  • Goldpurpur869
  • Grabſtichel968
  • Grabſtichelmanier970
  • Gradmeſſung2. 3
  • Grammeſche Dynamo - maſchine166. 167
  • Grammeſcher Ring - anker162. 174
  • Grammophon232
  • Granate701
  • 1006
  • Seite.
  • Grand496
  • Graphit135 .585. 945
  • Grasmähmaſchine478
  • Grauſpießglanzerz604
  • Gravity-Syſtem771
  • Grège364
  • Greifernähmaſchine386
  • Greifſtern478
  • Griechiſches Feuer691
  • Grubenbahnen (elek - triſche)221. 222
  • Gründüngung438
  • Grundwerk926
  • Guano-Phosphate438
  • Guarapo521
  • Guignetſches Grün396
  • Guillotinenſchere671
  • Gußeiſen, hämmer - bares580
  • Gußform632 635
  • zweiteilige einer Riemenſcheibe633
  • Gußſtahl580
  • Güterwagen764
  • Gyroſkopcollimator806
  • Hackmaſchine471
  • Hadern-Kocher923. 925
  • Hagarpreſſe961
  • Halbkettgarn355
  • Halbgevierte953
  • Halbzeug927
  • Halbzeug-Holländer926
  • Halfſelfaktor355
  • Häkeln383
  • Hämatinon869
  • Hämmer647 651
  • Hammergeſchirr925
  • Hammermaſchine97
  • Hammerſtock647
  • Hammerwerke648 650
  • Hammonia-Schreib - maſchine964
  • Handbohrmaſchine673
  • Handfeuerwaffen702
  • Handkulierſtuhl von William Lee380
  • Handpreſſe960
  • Handſchere671
  • Handſcherrahmen370
  • Handſpitzen383
  • Handwebſtuhl372
  • Hanf337. 547
  • Hanfgarn357
  • Hanfſpinnerei357
  • Seite.
  • Harniſch (Weberei) 374
  • Härten der Nadeln689
  • Hartglas848. 857
  • Hartgußgranate702
  • Harz308
  • Haſchiſch547
  • Haſpel (Seide) 364
  • Haudererwagen729
  • Hauptgährung517
  • Hauptnormale4
  • Hausmannit607
  • Heatonſtahl580
  • Hebel13
  • Hebelluppenpreſſe650
  • Heberbarometer30. 31
  • Hebermanometer32
  • Heberſchreiber245
  • Hechelhede355
  • Hechelkette362
  • Hecheln344
  • Hechelmaſchine355
  • Hechelwerg355
  • Hefe486 .502. 555
  • Heilige Straßen718
  • Heißluftmaſchinen5380 84
  • Heizkraft321
  • Heizmaterialien318
  • Heizung318
    • Luftheizung331
  • Heizungsanlagen326
  • Hektographie974
  • Heliographie997
  • Heliogravüre234
  • Helioſtat888. 900
  • Heliotrop888
  • Hemmung37.44 48
  • Herdflammenofen645
  • Herdguß633
  • Heronsball85
  • Heſſiſcher Tiegel644
  • Heuwender481. 482
  • Hieratiſche Schrift937
  • Hieroglyphen937
  • Hintereinander - ſchaltung134
  • Hirſchhornſalz559
  • Hirſchvogelkrüge882
  • Hobel674
  • Hochätzverfahren972
  • Hochofen573 .574. 575
  • Hochöfen, neuere Konſtruktion582
  • Hoffſcher Apparat583
  • Hofmanns Violett408
  • Seite.
  • Hohlglas853
  • Hohlkopfbrenner311
  • Hohlſpiegel900. 988
  • Hohlweg479
  • Hökerwagen19. 20
  • Holländer705 .707.923. 926
  • Holmes Maſchine157
  • Holophoten816
  • Holz307. 321
  • Holzbauten262
  • Holzkohle323
  • Holzpflaſter722
  • Holzſchleifapparat932
  • Holzſchnitt966
  • Hopfen485. 547
  • Hopfenbitter486
  • Hopfenharz486
  • Hopfenöl486
  • Hopfenpflanze485
    • Bereitung des Büchſenhopfens486
  • Horn (am Amboß) 647
  • Horographie974
  • Humus420
  • Hunde737
  • Hüttenkunde570
  • Hydraulik oder Vor - lage301
  • Hydrauliſche Preſſe387 .654. 676
  • Hydrokarbongas309
  • Hydrooxygengaslicht315
  • Jacht786
  • Jacquardmaſchine374 376 .378. 379
  • Jakobis galv. Apparat135
  • Jaune indienne399
  • Jenny-Maſchine348
  • Jeſuitenthee533
  • Jet144
  • Imprimatur959
  • Indifferenzlinie163
  • Indifferenzpunkte162. 163
  • Indigbraun400
  • Indigkarmin401
  • Indigleim400
  • Indigo400. 409
  • Indigo, künſtlicher402. 409
  • Indigorot400
  • Indigotin400
  • Indigſchwefelſäure401
  • Indigweiß401
  • Indiſchgelb399
  • Induktion147 155
  • 1007
  • Seite.
  • Induktionsapparat153 155
  • Induktionsſtröme160. 162
  • Induktor156 160. 166
    • Cylinder-Induktor159
    • Doppel-T-Induktor157
    • Ring-Induktor162
  • Infuſionsmethode494
  • Initialen946
  • Injektor105. 106
  • Inkandescenzbrenner313. 314
  • Inkorporation620
  • Innenpol-Maſchine174 .176. 196
  • Interferenzfarben870
  • Jodaethyl407
  • Jodgrün408
  • Jodſilberplatte981
  • Johannisbeerwein520
  • Jonval-Turbinen172
  • Iridiumſpitze944
  • Irisglas870
  • Iſogonen799
  • Iſolatoren188
  • Iſolieren
    • der Baumwollfaſern339
    • d. übrigen[Baſtfaſern]344
    • des Flachſes340 ff.
  • Itinerarien720
  • Jungweingährung514
  • Juſtieren, Juſtier - ſaal686. 951
  • Jute337
  • Jute-Leinengarn357
  • Jutequetſchmaſchine358
  • Juteſpinnerei347. 357
  • Jute-Towgarn357
  • Kabel189
    • Dreileiterkabel205
  • Kabellegung, unter - ſeeiſche253
  • Kabelverbindung189
  • Kadmium603. 604
    • Legierungen604
  • Kadmiumgelb396
  • Kaffee523 530
    • Aufbrühen desſelben524
    • Beſchwerungsmittel desſelben528
  • Kaffee, Brennen desſ. 524
    • Extrakte desſelben525
    • Färben desſelben524
    • Glaſieren desſelben529
    • Seite.
    • Havarierter527
    • Komprimieren desſ. 525
    • Unterſuchungen desſ. 528
    • Verbeſſern desſelben527
    • Verfälſchungen des - ſelben526 530
  • Kaffeebohnen523
  • Kaffeïn522
  • Kaffeeſtrauch523
  • Kaffeeſurrogate525 530
  • Kahnhaut517
  • Kainit611
  • Kakao535 540
    • Surrogate desſelben540
    • Verfälſchungen des - ſelben538. 539
    • Zubereitung desſ. 536
  • Kakaobaum535
  • Kakaobohnen, Beſtand - teile derſelben536
  • Kakaopreſſe537
  • Kalabaſche492
  • Kalain594
  • Kalander388 .391. 931
  • Kalbfleiſch562
  • Kaleidoſkop887
  • Kalibermaßſtabe10
  • Kaliberwalzen656
  • Kaliumwaſſerglas875
  • Kalk264. 442
  • Kalkbrennen265
    • aus Küchenabfällen267
  • Kalk, Düngung damit442
  • Kalken413
  • Kalklicht, Drummondſches900
  • Kalklöſchen267
  • Kalköfen265
  • Kalkſandſteine275
  • Kalorie320
  • Kalorimeter320
  • Kaloriſche Maſchine80
  • Kältemaſchinen569
  • Kamelwolle336
  • Kamin329
  • Kämmen (Wolle) 362
  • Kammerſchrift942
  • Kammgarn358
  • Kämmlinge363
  • Kämmmaſchine362
  • Kammwolle361
  • Kammwollſpinnerei361
  • Kammzug363
  • Kanalbauten778
  • Kanäle775
  • Seite.
  • Kanalſchiffahrt, elek - triſche224
  • Kanevasſtickerei385
  • Kännelkohle299. 322
  • Kanonen-Bohren673. 674
  • Kanonenguß638
  • Kanonenmetall591
  • Kaolin393 .609. 876
  • Karat, Karatierung631
  • Karboniſation (Wolle) 309
  • Karboniſationsprozeß359. 361
  • Karboniſieren (Stahl - ſtich) 971
    • (Wolle)359. 389
  • Karburation309
  • Karden, Kardieren349
  • Kardendiſtel390
  • Karnallit611
  • Karren960
  • Karten, General - oder Überſegel -794
  • Kartenſchlagmaſchine376
  • Kartoffel, Düngung derſelben446
  • Kartoffel, Verwendung derſelben zur Spiri - tusbereitung506
  • Kartoffelpflanzloch - maſchine474. 475
  • Kartoffelzucker485
  • Kaſchmirwolle336
  • Kaſſette985
  • Kaſſiterit594
  • Kaſtenguß633
  • Kehrwalzwerk659
  • Keilrahmen955
  • Keilſchrift943
  • Keimen (Mälzerei)487. 488
  • Keimtrommel491. 492
  • Kermes399
  • Kern (Metallguß) 634
  • Kern - u. Flußbildung844
  • Kernſeifen, künſtliche844
  • Kerzen284
  • Kerzen, Angießen der,288
  • Gießen der,287. 288
  • Ziehen der,287
  • Kerzenflamme281
  • Kettbaum369
  • Kettbaumbremſe373
  • Kette (Weben) 367
    • Vorbereitung derſ. 371
  • Kettenſtich386
  • Kettenſtuhl380
  • 1008
  • Seite.
  • Kettenware380
  • Kienſtöcke623
  • Kiesabbrände621
  • Kieſerit611
  • Kilogramm3. 12
  • Klangfiguren227
  • Klären (des Weins) 519
  • Klavierdraht665
  • Kleber555
  • Kleeſäemaſchine470. 471
  • Kleidung334 417
  • Klette359
  • Klettenwölfe359
  • Kliſchee137 .138.604. 966
  • Kliſchieren640 642
  • Klopfmaſchine365
  • Klopfwölfe359
  • Klöppelmaſchine385
  • Klöppeln383
  • Knallgasgebläſe283. 617
  • Knallqueckſilber712
  • Knetmaſchine d. Brotes556
  • Knittergold660
  • Knochenphosphate438
  • Knopfſpinn-Rad, - Maſchine385
  • Knotenfang930
  • Knotenſchrift936
  • Knüpfen383
  • Kobalt584
  • Kobaltblau394
  • Kobaltoxydul869
  • Kodein547
  • Kohle393. 692
  • Kohle, elektriſcher Widerſtand derſelben237
  • Kohlenfaſern, Swanſche182
    • Ediſonſche181
  • Kohlenoxydgas172
  • Koka547
  • Kokosfaſern338
  • Kokosnußöl842
  • Kollektor161 .163. 166
  • Kollodium706. 983
  • Kollodiumemulſion984
  • Kollodiumverfahren983
  • Kolonnenapparat407. 508
  • Kolumne955
  • Kommutator156. 157
  • Komparator5 .8. 9
  • Kompaß149. 797
  • Kompaßroſe797 799
  • Komplett-Gießmaſchine953
  • Kompreſſionsmano - meter32
  • Seite.
  • Kompreſſoren72
  • Komprimierte Schieß - wolle705. 709
  • Kondenſator96 .101. 302
  • Konditionierung367
  • Kongofarbſtoffe411
  • Kongorot411
  • König (Gold) 629
    • Konſervierung des Fleiſches durch Luft - abſchluß567
    • durch Waſſer - entziehung568
    • mittels Froſtes569
  • Konſervierungsmetho - den des Hopfens486
  • Konſervierungsmetho - den des Weins518. 519
  • Konſervierungsmittel (für den Stallmiſt) 432
  • Konſolbrücke mit frei ſchwebenden Stütz - punkten750
  • Konſolen750
  • Kontrolnormale4
  • Konverſionsſalpeter694
  • Konvexlinſe899
  • Konzentrations - ſchmelzen585
  • Kopierbleiſtifte945
  • Kopierpreſſe676
  • Kopierrahmen983. 990
  • Kopiertelegraph254
  • Koprolithe438
  • Korkjacken810
  • Kornbranntwein506
  • Körnen des Pulvers696
  • Körnerzinn595
  • Körumaſchine696
  • Koruproduktion, Hebung derſ .448. 449
  • Korrektionslinſe915
  • Korrekturen954
  • Kötzer353
  • Kraftkaffee525
  • Kraftmaſchine59
  • Kraftübertragung188 -209
  • Krahn754. 757
  • elektriſcher213
  • Krapp403. 409
  • Kraqueléglaſur879
  • Kratzbank669
  • Kratzen349. 360
  • Kraustabak543
  • Kreatin565
  • Seite.
  • Kreide393. 396
  • Kreisſchere672
  • Krempel (Baumwolle) 349
  • (Flachs) 357
  • (Wolle) 360
  • Kremſer Weiß396
  • Kreoſot567
  • Kriegsſchiff791
  • Kryolith839
  • Kryſtallglas864
  • Kugelmühle170
  • Kühl - und Steriliſier - Apparat501
  • Kühlgeläger499
  • Kühlſchiff500. 501
  • Kulierſtuhl380. 381
  • Kulierware380
  • Kulturmethode, Rimpauſche445
  • Kulturpflug452
  • Kunſtbutterfabrikation551
  • Kunſtwolle358. 361
  • Kunſtzwirn366
  • Küpe401
  • Kupfer, Cementation589
    • Eigenſchaften desſ. 590
    • Gewinnung desſ. 587
    • Legierungen desſ. 590
    • Rohgarmachen desſ. 588
    • Walzen desſelben660
  • Kupfererze586
  • Kupfergewinnung, naſſe, Schliephackeſche589
  • Kupferlaſur393. 394
  • Kupfernickel585. 606
  • Kupferpol133
  • Kupferſtecherkunſt137 .968. 970
  • Kupolofen645. 646
  • Kurbelſtuhl377
  • Kurzſchrift940
  • Küſtenrettungsweſen811
  • Kutter786
  • Lade (Weberei) 373
  • Lahnphosphorit438
  • Lampen.
    • Moderateurlampe293
    • Patentreichslampe295
    • Reichslampe von Schuſter & Bär295
    • Sauglampe293
    • Schiebelampe293
    • Wandlampe296
    • Wenhamlampe313
    • 1009
    • Seite.
    • Sicherheitslampe296. 297
    • Studierlampe292
    • Unterſeeiſche Petro - leumlampen819
  • Längenbeſtimmung, geographiſche48
  • Längenmaße, Er - findung derſelben1 3
  • Längenmeſſungen und Längenmaßver - gleichungen3 9
  • Langholz968
  • Lanolin414
  • Lappingmaſchine350
  • Laſurſtein393
  • Laterna magica900
  • Laubſäge672
  • Lauffener Übertragung192 199
  • Lauge171
  • Laut226
  • Läuterbottich495
  • Läutewerk, elektriſches245
  • Lautſchrift938
  • Lehmmörtel267
  • Lehre10. 11
    • Palmerſche11
  • Leierziehbank663
  • Leimen (Garn) 369
  • Leimmaſchine371
  • Leitungen, elektriſche189 192
  • Letterngießmaſchine641. 957
  • Leuchtgas302
  • Leuchtſchiffe816
  • Leuchtturm813 815
  • Leviathan358 .359. 362
  • Lichtblitze888
  • Lichtempfindlichkeit der Silberſalze978
  • Lichtes, Brechung des891
  • Lichtes, Emanations - theorie des884
  • Lichtes, Spiegelung des884
  • Lichtes, Wellentheorie des884
  • Lick-Sternwarte915
  • Liebigſches Backpulver559
  • Lignoſe715
  • Ligroin290 .294. 295
  • Ligroinlampe296
  • Lilliput-Dampfmaſch. 388
  • Linienbatterie249
  • Seite.
  • Linienmanier970
  • Linſe, Pendel -,40. 41
  • Linſen896
    • Sammellinſen897
    • Zerſtreuungslinſen897
  • Lisseuse363
  • Lithofrakteur715
  • Lithographie971
  • Litzenmaſchine385
  • Lochen der Metalle654
  • Lochmaſchine672
  • Log und Lot800
  • Logbrett800
  • Logglas801
  • Logleine800
  • Logſcheit800
  • Lokalbatterie249
  • Lokalheizung329
  • Lokomobile101 103
  • Lokomotive738. 759
  • Lokomotivführerhaus760
  • Lokomotivkeſſel759
  • Lokomotivſtreit von Rainhill742
  • Lot802
    • Tieflot von Brooke802
    • Tieflot von Bamberg803
    • Tieflot nach William Thomſon803
  • Löten der Metalle678
  • Lotſe811
  • Lotſenwachtſchiff811
  • Lötzinn606
  • Loxodrome795
  • Luftdruck, Apparate zur Meſſung desſelben27 31
  • Luftheizung331
  • Luftmalz489
  • Luftſchiffahrt820
  • Luftſchifferpark821
  • Luftſteine272
  • Lumpenſchneider924
  • Lumpenwolf924
  • Lupe899
  • Luppe577
  • Luppenmühle650
  • Luppenquetſche650. 664
  • Lutter507
  • Macérage365
  • Magazingewehre703
  • Magiſtral620
  • Magneſit611
  • Magneſium-Legie - rungen612
  • Seite.
  • Magneſiumlicht, Mag - neſiumlampe314. 991
  • Magnet, künſtlicher149
  • Magneteiſenſtein146 .149. 573
  • Magnet-elektriſche Apparate155 164
  • Magnetinduktion152
  • Magnetiſches Feld157
  • Magnolia-Lagermetall606
  • Mähemaſchinen475 478
  • Mailleuſe382
  • Maiſche493 .494. 508
  • Majolika, Herſtellung desſelben881
    • Verwendung derſ. 882
  • Malachit393
  • Malachitgrün406. 412
  • Malz, lufttrockenes490
    • Schroten des Malzes493
  • Mälzerei487 492
  • Malzputzmaſchine490. 491
  • Malzverfahren, pneu - matiſches491
  • Mangan597. 607
  • Manganbronce607
  • Manganſuperoxyd146
  • Mangel391. 392
  • Mannesmannſches Verfahren669
  • Manometer31 .32.55105.499.503. 801
    • Gefäß-Manometer32
    • Geſchloſſenes Mano - meter32
    • Kompreſſionsmano - meter32
    • Metallmanometer33
  • Manometer, offenes32
  • Margarine547
  • Marinebutter550
  • Martinſtahl580
  • Maſchinendrehbank675
  • Maſchinenſchere671. 688
  • Maſchinenſpitzen384
  • Maße1
    • Vergleichung derſ.3 9
  • Maſſe, Lamingſche304
  • Maſſeguß634
  • Maßſtäbe5. 6
  • Maſſonſcher mecha - niſcher Apparat643
  • Maté533
  • Matrizen-Fabrikation642
  • Mauerſteine269
  • 1010
  • Seite.
  • Mauhes Patente für die Nickelgewinnung585
  • Mauveïn405
  • Maximkanone702
  • Maximſche Glühlampe180. 181
  • Mechaniſches Wärme - äquivalent58
  • Mediogarne355
  • Mehlpulver695
  • Meilenzeiger720
  • Meiler323. 324
  • Melangeur537
  • Melaſſe840
  • Melierwölfe359
  • Melinit715
  • Meliorationsmethode422. 423
  • Melograph965
  • Mercators Projektion795
  • Merinowolle335
  • Meſſen des Druckes eingeſchloſſener Gaſe31 33
  • Meſſerbalken477
  • Meſſerkaſten375
  • Meſſerklingen611
  • Meſſing591. 603
  • Meſſingblech660
  • Meſſingguß636
  • Meſſungen1 ff.
  • Meſſungen, Genauig - keit derſelben5
  • Meßbänder9
  • Meßkeil11
  • Meßkette9
  • Meßlatten9
  • Meßplatte9
  • Métal argentin606
  • Metall, Roſeſches598
  • Woodſches598. 604
  • Metalldrücken677
  • Metalle, edle612
  • gediegene570
  • unedle572 612
  • Rohgewin - nung derſelben570 631
  • Metallgießen632 643
  • Metallin591
  • Metall-Lava276
  • Metallographie974
  • Metallſäge672
  • Metallſchere671
  • Metallſpiegel886
  • Metalltuch930
  • Seite.
  • Metallurgie570
  • Metallverarbeitung631 690
  • Meter2
  • Methylenblau411
  • Mikrometerſchraube7
  • Mikrophon238
  • von Mix & Geneſt240
  • Mikroſkop, einfaches899
  • Sonnen -900
  • zuſammen - geſetztes901
  • Milchglas869
  • Minargent591
  • Mindervorrichtung382. 383
  • Minen707
  • Mirbanöl407
  • Miſchwölfe359
  • Miſerables537
  • Mittenſchleifmaſchine688
  • Modellplattenformerei634
  • Mohair336
  • Mohn546
  • Moirée391
  • Moment, ſtatiſches14
  • Momentphotographie991
  • Momentverſchluß992
  • Mondglas858
  • Morphium546
  • Mörſer oder Raketen - apparate812
  • Morſeſcher Schreib - apparat245 250
  • Mörtel264 267
  • Moſt, Gährung des - ſelben514 515
    • künſtliche Ver - beſſerung desſelben519
  • Motoren (Allgemeines) 50
    • Der Menſch als Motor60
    • Das Tier als Motor60
    • Bénier-Motor82
    • Benzinmotor116.121 -123
    • Benz Benzinmotor121
    • Kaſelowskys Gas - motor116
    • Kaſelowskys Petro - leummotor121
    • Heißluftmotor von Rider-Monski83 84
    • Hoppes Waſſer - motoren71
    • durch Preßluft be - triebene Motoren71. 72
    • Seite.
    • Ottos Gasmotor111 -114
    • Petroleummotoren116 120
    • Viertaktmotor113
    • Wärmemotoren80 109
    • Waſſermotoren63 72
    • Windmotoren72
    • Zweitaktmotor116
  • Muffel (Zink)598. 599
  • Muffen189
  • Mulegarn355
  • Mulemaſchine348 .353. 363
  • Multiplikator244
  • Mungo361
  • Münzen685 687
  • Münz-Legierungen685
  • Myoſin561
  • Nabeleiſen856
  • Nachdraht354
  • Nachgährung des Weines517
  • Nachlauf507
  • Nachtlampe292
  • Nacht-Signaliſierungs - Apparate für Schiffe809
  • Nadelbrett376
  • Nadelſpitzen384
  • Nähen386
  • Nähmaſchine386
  • Nähnadeln687 690
  • Nahrungs - und Ge - nußmittel484 569
  • Naphtalin411
  • Narcein547
  • Narkotika540 547
  • Narkotin547
  • Naßhaufen488
  • Naßpreſſe930
  • Natriumwaſſerglas275
  • Naturgas289. 299
  • Naturkräfte, Beherr - ſchung der50 260
  • Naturm[a]ße2
  • Naturſeloſtdruck139. 977
  • Navigationsſchulen810
  • Nebelbilderapparat901
  • Nebelhorn809
  • Negativ982
  • Neſſel337
  • Netzen383
  • Netzmaſchine383
  • Neuſilber586
  • Neuſilber-Guß636
  • 1011
  • Seite.
  • Neweomens Dampf - maſchine88
  • Nickel585
    • eiſenfreies586
    • Legierungen desſ. 586
  • Nickelerze585
  • Nickelgewinnung,
    • Schoeneis Patent für dieſelbe586
    • Brondreths Patent für dieſelbe585
  • Niellos, galvano - plaſtiſche144
  • Nieten des Metalls678
  • Nikotianin542
  • Nikotin542
  • Nitrobenzol407. 845
  • Nitroglycerin713
  • Nitrotoluol407
  • Nonius6. 11
  • Nopal399
  • Nord-Oſtſee-Kanal778
  • Nordpol149
  • Normaluhren, elek - triſche257
  • Noten, Tironiſche941
  • Notenſchrift940
  • Numerieren365
  • Nutenwalzen-Drill - maſchine472
  • Nutzeffekt60
  • Oberhefe502
  • Objekttiſch902
  • Objektiv, photogra - phiſches915. 987
  • Objektträger902
  • Obſtmühle, Obſt - quetſche520
  • Obſtwein520. 521
  • Ofenheizung329. 330
  • Öffner (öffnen)349. 362
  • Öhre, durchſtoßen der - ſelben688
  • Okular901. 904
  • Okular, Ramsdenſche904
  • Okular, Negative904
  • Olein360. 552
  • Öl-Iſolatoren188
  • Ölwölfe359
  • Opener von Chrigton349
  • Opium545 546
  • Optiſche Inſtrumente884
  • Optiſches Glas913
  • Seite.
  • Organzin364
  • Orgelmetall639
  • Orſeille404
  • Ortsbeſtimmung, aſtronomiſche, zur See803
  • Osmium616. 617
  • Oſſa Sepiae643
  • Ottoſche Gaskraft - maſchine110. 111
  • Ozokerit286. 290
  • Ozon509
  • Ozoniſations-Apparat509
  • Paketverkehr, elek - triſcher223
  • Palmenwein521
  • Palmitin552
  • Palmöl841
  • Pannotypieen984
  • Pantelegraph254
  • Panzerſchiff791
  • Papier, Erfindung desſelben922
  • Papiermaché932
  • Papiermaſchine929
  • Papiermatrizen958
  • Papiermaulbeerbaum923
  • Papiernegative von Talbot983
  • Papierſtereotypie949. 959
  • Papierwäſche933
  • Pappe932
  • Pappfabrikation932
  • Papyrographie974
  • Papyrus923. 937
  • Paraffin284 .285. 553
  • Paraguay-Thee530. 532533
  • Parallelhämmer648. 649
  • Parallelſchaltung134
  • Parallelſchere671
  • Paraſiten569
  • Parlamentsſchrift942
  • Paſſauer Tiegel644
  • Paſteuriſieren518
  • Pâte sur pâte879
  • Patina141 .142. 682
  • Patrize64. 950
  • Pattinſonieren624
  • Patronenhülſen610
  • Peilen799. 803
  • Pelſeide364
  • Pelz (Wolle) 360
  • Pemmikan568
  • Pendel36. 40
  • Seite.
  • Pendeluhr37. 39
  • Pergament923. 944
  • Perkuſſionszünder701
  • Permanentweiß396
  • Perſio404
  • Peruguano443
  • Petinetmaſchine381
  • Petiotiſieren d. Weines519
  • Petroleum289. 326
    • raffiniertes290. 291
    • Raffinierung, Rück - ſtände derſelben308
  • Petroleumäther290
  • Petroleummotor116 120
  • Petroleumöle309
  • Petroleumprober291
  • Petroleumſprit290
  • Pewtermetall606
  • Pferdefleiſch563
  • Pferdekraft59
  • Pferderechen482
  • Pferdeſtärke59
  • Pflanze, Beſtandteile und Nahrungsmittel423 426
    • Nahrungsaufnahme425
  • Pflanzen-Nährſtoffe428 430
  • Pflanzen, ſtickſtoff - ſammelnde426. 442
  • Pflug450 461
  • ägyptiſcher450
  • Amerikaner -451. 452
  • elektriſch. Schnee -214
  • Jäte - u. Häufel -456
  • Mineur -455
  • Normal -452
  • Rajol -453
  • römiſcher450. 452
  • Ruchadlo -452
  • Untergrund -455
  • Waſſerfahren -457
  • Wende - (Zwil - lings - od. Kehr - pflug) 456
  • zwei - u. dreiſcha - riger Saat -454
  • Phantaſiegarne366
  • Phantaſkop901
  • Phlogiſton278
  • Phonograph226 -233. 965
  • Phonographie941
  • Phosphate435. 840
  • zur Düngung429
  • mineraliſche438
  • 1012
  • Seite.
  • Phosphorſäuredünger434
  • Phosphorſäure, Ein - fluß derſelben auf die Pflanze437
    • bodenlösliche436
    • präzipitierte436
    • zurückgegangene436
  • Photochemie978
  • Photogalvanographie139
  • Photographie977. 982
    • Erfindung derſelben977
  • Photographie in na - türlichen Farben995
  • Photographien, Ver - größerung derſelben996
  • Photographieren989
  • Photograph. Apparat986
  • Photographiſches Druckverfahren997
  • Photogravüre997
  • Photolithographie997
  • Photometer315 317
  • Phototypie997
  • Photozinkographie997
  • Pikrinſäure405. 715
  • Pipe (Glas) 852
  • Plachmal629
  • Planhobelmaſchine675
  • Platin616 618
    • Darſtellung desſ .616. 617
    • Eigenſchaften desſ. 617
    • Geſchichte desſ. 617
    • Legierungen desſ. 618
    • Vorkommen desſ. 616
  • Platindraht665
  • Platinen (Weberei)375. 382
  • Platingas314
  • Platinid618
  • Platinmohr617
  • Platinſalmiak616
  • Platinſchwamm617
  • Platten, farben - empfindliche994
  • Plattieren682
  • Plättmaſchine363
  • Plattſtich386
  • Plättwerk659
  • Pochen595
  • Pökeln568
  • Polieren des Metalls679
  • Polieren des Pulvers697. 698
  • Polieren von Steinen264
  • Polierrot863
  • Polſchuh167
  • Seite.
  • Ponceau411
  • Poncelet-Rad66
  • Porcupine, Öffner349
  • Portelektricſyſtem224
  • Portlandcement269
  • Porzellan875 ff.
    • Brennen desſ .876. 877
    • rotes875
    • Fritten -879
  • Porzellanofen877
  • Poſamentieren384. 385
  • Poſitive997
  • Poſt, elektriſche Brief -223
  • Poſtkutſchen729
  • Poſtweſen, römiſches726
    • desgl. deutſches729
  • Pottaſche840
  • Poudre B. 715
  • Prachtſchiff des Ptolo - mäers Philopater782
  • Prägen676
  • Prägeſtock676
  • Prägwerk687
  • Präziſions-Glüh - zündung116
  • Präziſionsmaßſtäbe4
    • Form derſelben9
  • Präziſionswage16
  • Preien808
  • Preßbengel961
  • Preſſe960
  • Preſſen des Metalls654
  • Preßhammer655
  • Preßluftwerkzeuge264
  • Preßmaſchine381
  • Prisma893
  • Prismen, geradſichtige894
  • achromatiſche895
  • Prismenkreis805
  • Probeſilber626
  • Projektions-Apparat996
  • Propellerſchraube788
  • Prototyp, nationales und internationales4
  • Puddelofen (Stahl)577. 578
  • Puddlingsprozeß576
  • Pulque521
  • Pulver, Anwendungen700
    • Güte desſelben698
    • Körnen desſelben696
    • neues710
    • prismatiſches697
  • Pulverfabrik698
  • Pulveriſiertrommel695
  • Seite.
  • Pulverkuchen696
  • Pulverſorten, Miſchung derſelben694
  • Pulverſtampfwerk694
  • Pumpwerke79. 198
  • Punktiermanier969
  • Punkturſpitzen960
  • Punzen970
  • Purée399
  • Purpur398
  • Purpurin403. 412
  • Pyrit621. 827
  • Pyritgruben825
  • Pyroluſit607
  • Pyromagnetelektriſche Maſchine148
  • Pyrometriſcher Wärme - effekt321
  • Quandel323
  • Queckſilber612 616
    • Darſtellung desſ.612 -615
    • Eigenſchaften desſ. 615
    • Legierungen desſ. 616
    • Vorkommen desſ. 612
  • Queckſilber, Ausziehen des Goldes durch627
  • Queckſilberkompen - ſation40
  • Queckſilberuhr35
  • Quellſtock oder Weiche487
  • Quercitron404
  • Quetſchmühle521
  • Quetſchwerk650
  • Quickbrei620
  • Quickmühle627
  • Rad725
  • Raddampfer787
  • Räderformmaſchine für Zahnräder635
  • Räderſchneidezeug674
  • Radieren969. 970
  • Radiernadel970
  • Raffinatſilber620
  • Rahmenhämmer649
  • Rajolen422
  • Ramie337
  • Rändeleiſen687
  • Rändelmaſchine677. 686
  • Rändelwerk686
  • Rändermaſchine381
  • Randkolben854
  • Ranſomesſteine275
  • Rapport374
  • 1013
  • Seite.
  • Raſeneiſenſtein573
  • Raſt574
  • Räuchern569
  • Rauchtabak, Behand - lung desſelben543
    • Docken desſelben543
  • Rauchverzehrung durch Elektricität131
  • Rauhen388
  • Rauhmaſchine390
  • Rauhſchleifen863
  • Rauſchgold660
  • Reaktionsräder67
  • Realgar606
  • Rebus-Schrift937
  • Receivermaſchine97
  • Reduktionsofen599
  • Reflektoren913
  • Reflexion des Lichtes bei Anwendung von Hohlſpiegeln889
    • totale892
  • Reflexionsgoniometer887. 888
  • Reflexionswinkel885
  • Refraktor, Cambridger914
  • Waſhingtoner914
  • vom Mount Hamilton915.917 920
  • Refraktoren, Prüfung derſelben920
    • Vergrößerung der - ſelben920
  • Regenerativgas - brenner312
  • Regeneratoröfen300 .579. 878
  • Regenerator83
  • Regenerator-Wind - erhitzungsapparat581. 582
  • Reglette954
  • Regulator (Weberei) 373
  • Regulierapparate für das Bogenlicht185. 186
  • Regulierfüllöfen330
  • Reinigen (Gewebe) 389
    • d. Goldlegierung628. 629
    • der Münzen687
  • Reiniger304
  • Reinkultur der Hefe502
  • Reis485
  • Rektifikation507
  • Relais des Tele - graphen249
  • Seite.
  • Reliefdruck997
  • Reliefſchreiber246
  • Remington-Maſchine964
  • Remontoiruhr49
  • Rennwagen725
  • Retouche990
  • Rettungsſtationen811
  • Reviſionsabzüge955
  • Revolutionsverfahren694
  • Revolverkanone702
  • Rhodium616. 618
  • Ribben343
  • Rieth373
  • Rimpauſche Kultur - methode445
  • Ringanker162
  • Ringelwalze466
  • Ringofen272
  • Ringſpindel353
  • Ringſpinnmaſchine351. 353
  • Ringzwirnmaſchine366
  • Robertſonſches Phan - taskop900
  • Roggen, Düngung448
  • Roheiſen, halbiertes, graues576
  • Rohphosphate436
  • Röhren, gußeiſerne666
    • gezogene666. 667
    • aus Blechen hergeſtellt667
    • ſchmiedeeiſerne667
  • Röhrenapparate581
  • Röhrenerzeugung666 -670
  • Röhrenformmaſchine634
  • Röhrenkeſſel759
  • Röhrenwalzwerk668
  • Rohrpoſt772
  • Rohſeide364
  • Rohſtahl578
  • Rohſtein (Gold) 628
  • Rolle724
  • Rollerkarden350
  • Rollkalander931
  • Rollzinn595
  • Rolter458
  • Romancement269
  • Römerſtraße719
  • Roſeïn626
  • Roſeſches Metall598
  • Roſetten-Kupfer587
  • Roßwerk63
  • Röſte, Dampf - u. Heiß - waſſer -, von Watt342
    • gemiſchte, des Flachſes341
  • Seite.
  • Röſten (Flachs) 341
  • (Metalle) 572
  • des Zinnerzes595
  • Röſtofen (Erze) 572
    • (Queckſilber) 613
  • Roſtpendel41
  • Röſtſyrup529
  • Rotationspreſſe949. 962
  • Roteiſenſtein573
  • Rotholz404
  • Rotten341. 342
  • Rüben, Düngung derſ. 446
  • Rübenhebemaſchine483. 484
  • Rüböl288
  • Ruderrad787
  • Ruhmkorffſcher Apparat153
  • Rührwerk494
  • Rundbrenner292
  • Rundſtuhl382
  • Rundwirkſtuhl381
  • Runenſchrift938
  • Ruſſiſcher Stuhl von Laeſerſon379
  • Saatmaſchinen468 475
  • Sacharometer24. 499
  • Säeapparat von Flöther473
  • Safflor584
  • Safranin408
  • Sägemaſchine672
  • Saigerherd623
  • Saigern (Silber) 623
  • Saigerprozeß der Antimongewinnung604
  • Saladinkaffee525
  • Salicor834
  • Salinenweſen52. 78
  • Salonwagen763
  • Salpeter683
  • Salpeterſäure831
  • Salpeterſuperphos - phate443
  • Salycilſäure zur Kon - ſervierung d. Weines518
  • Salzſäure833
  • Sammellinſen896. 897
  • Sammler, elektriſcher201
  • Sammlerboote225
  • Sandblasverfahren865
  • Sandfang930
  • Sandform633
  • Sandkiſſen968
  • 1014
  • Seite.
  • Sanduhr35
  • Satinieren929
  • Sau (Brauerei) 489
  • Saucieren543
  • Sauerſtoff172
  • Sauerteig555
  • Saugfilter170
  • Saugperiode116
  • Saverys Dampf - apparat88
  • Schachtofen (Erze) 572
    • (Kupfer)587 .645. 646
    • (Zinnerze) 595
  • Schaftmaſchinenſtuhl376
  • Schalenguß634
  • Schalenwage14 16
  • Schamotteſteine274
  • Scharffeuerfarben879
  • Schauermühle689
  • Schaufelrad787
  • Scheibenkupfer588
  • Scheibenzichbank662. 663
  • Scheidewaſſer831
  • Scheidung durch Cementation629
  • Scheidung in die Quart629
  • Scheinwerfer816. 817
  • Schemel (Weberei) 373
  • Scherben873
  • Scheren (Garne) 369
  • (Tuche) 390
  • (Metall) 671
  • Schermaſchine371
  • Scherrahmen369
  • Schertrommel371
  • Schiebebühnen755
  • Schienen, gußeiſerne737
  • Schienenwege737
  • Schießbaumwolle704
  • Schießwolle706. 707
  • Schiffahrt, Sicherung derſelben794
    • elektriſche224 226
  • Schiffmühle64. 65
  • Schiffsbau782
  • Schiffsbeſteck803
  • Schiffshebewerke,777
  • Schiffslog v. Strang - meyer801
  • Schiffsnägel594
  • Schiffsſchraube788
  • Schlachthäuſer569
  • Schlacke572. 575
  • Schlagmaſchine (Baumwolle) 349
  • Seite.
  • Schlagwolf (Wolle) 362
  • Schlämmen595
  • Schleifbank863
  • Schleife723
  • Schleifen des Metalls679
  • Schleifen d. Nähnadeln688
  • Schlepptender761
  • Schleppzangenzieh - bank662 .663. 666
  • Schleuſen776
  • Schlichten (Garn) 369
  • Schlichtmaſchine371
  • Schlichtwalze466
  • Schließrahmen959
  • Schließtiſch959
  • Schließungsbogen133
  • Schlitten722. 723
  • Schmelz868
  • Schmelzapparate643 646
  • Schmelzkeſſel644
  • Schmelztiegel644
  • Schmiedeeiſen, Eigen - ſchaften578
  • Schmiedeeiſen,
    • Gewinnung576. 578
    • faulbrüchiges578
    • kaltbrüchiges578
    • rotbrüchiges578
  • Schmiedemaſchine651
  • Schmieden646
    • (Edelmetalle) 653
  • Schmiedeeſſe658
  • Schnapskonſum511 512
  • Schnecke (Uhr) 45
  • Schneideſtempel672
  • Schnelldampfer790. 791
  • Schnellhammer649. 650
  • Schnellhefe559
  • Schnelllot594
  • Schnellphotographie, amerikaniſche984
  • Schnellpreſſe961
  • Schnellſchütze373
  • Schnellwage19. 20
  • Schnittbrenner311
  • Schnupftabak544
  • Schokolade535 540
    • Zubereitung derſelben537
  • Schöndruck960. 963
  • Schoner786
  • Schönit611
  • Schöpfbütten928
  • Schraube7
  • Schraubendampfer788
  • Schraubenlehre11
  • Seite.
  • Schreibapparat, Morſe’ſcher245 250
  • Schreibkugel, Malling - Hanſen’ſche964
  • Schreibkunſt935
  • Schreibmaſchinen964
  • Schreibmaterial943
  • Schreibſchrift935
  • Schreibweiſe, lautliche941
  • Schriftgießermetall606
  • Schriftgießerei949
  • Schriftguß640
  • Schriftkaſten953
  • Schriftzeug950
  • Schroten493
  • Schrotguß639
  • Schrotmeißel651
  • Schrotmühle493
  • Schrotſieb696
  • Schublehre10
  • Schuß (Weben) 367
    • Vorbereitung desſ. 371
  • Schußſpule371
  • Schußſpulmaſchine372
  • Schüttelwerk930
  • Schützen (Weberei) 371
  • Schwarzbrot554
  • Schwarzkunſt970
  • Schwarzkupfer588
  • Schwefel693
  • Schwefelkies (Silber) 621
  • Schwefelſäure, Fabrikation der825
  • Schweinfurter Grün394
  • Schweißen654. 677
    • elektriſches176
  • Schwelkboden489
  • Schwerkraft12
  • Schwerpunkt13
  • Schwimmgürtel810
  • Schwingmaſchinen (Flachs) 343
  • Sech458
  • Seckenzug665
  • Seekarten794
  • Segel-Anweiſungen795
  • Seide336. 415
  • künſtliche337
  • Seidencocons345
  • Seidenhaſpel364
  • Seidenleim415
  • Seidenſhoddy364
  • Seidenſpinnerei364
  • Seife841 845
    • Bimsſtein -845
    • 1015
    • Seite.
    • Kern -844
    • Leim -844
    • Mandel -845
    • Marſeiller845
    • Toiletten -844
  • Seifenform844
  • Seifenkeſſel843
  • Seilbahn749. 770
  • Sekundärbatterien201
  • Sekundenpendel40
  • Selbſtſchreiber - telegraph251
  • Selfaktor351. 354
  • Senarmontit604
  • Sengemaſchine389
  • Sengen (Zwirne)367. 413
  • Senkwage22. 23
  • Setzbrett955
  • Setzen, das953
  • Setzhammer651
  • Setzlinie954
  • Setzmaſchinen955. 956
  • Sextant, Kreiſel -806
  • Sextant, Spiegel -887
  • Shoddy361
  • Shoddyſpinnerei365
  • Sicherheitskuppelung, elektromagnetiſche256
  • Siebmaſchine924
  • Siemensſches Prinzip164 165
  • Sigel942
  • Signalmaſt812
  • Signalweſen (Eiſen - bahnen) 756
  • Signalweſen (Schiffahrt) 808
  • Signatur954
  • Silbenſchrift937
  • Silber618 626
    • Darſtellung des - ſelben618 625
    • Eigenſchaften desſ. 626
    • elektriſche Herſtellung desſelben625
    • Erze desſelben618
    • Pattinſonieren des - ſelben624
    • Röſten desſelben621
    • Vorkommen desſ. 618
  • Silber-Aluminium - Legierungen610
  • Silberamalgam619
  • Silberblick624
  • Silberfaden338
  • Seite.
  • Silbergewinnung, Auguſtinſche Methode621
    • durch Auflöſen und Fällen621. 622
    • Claudetſches Verfahr. 622
    • Höpfnerſches Verfahr. 625
    • Ziervogelſche Methode621
  • Silberlahn338
  • Silex607
  • Silicium607
  • Siliciummeſſing591
  • Silikate846
  • Skalenaräometer23
  • Skioptikon901. 996
  • Skrubber302
  • Skulptur934
  • Smalte398. 869
  • Sodafabrikation833
  • Sodaofen836
  • Solaröl286
  • Solnhofener Kalkſtein972
  • Solvayſches Verfahr. 838
  • Sonnenmikroſkop900
  • Sortiermaſchine487
  • Soupleſeide415
  • Spaltpilze502
  • Spaltung (d. Zuckers) 501
  • Spannung der Elektricität128
  • Spann - und Trocken - maſchine387. 388
  • Spateiſenſtein573
  • Spatien953
  • Speiſe (Nickel)585. 587
  • Speiskobalt584. 606
  • Spektralapparat oder Spektroſkop893 895
  • Spektrum893
  • Sperrhorn647
  • Spezifiſches Gewicht28
  • Spiegel886
  • Hohl - od. Konkav -889
  • Kugel -891
  • Schleiferei897
  • ſphäriſcher891
  • Winkel -887
  • Spiegeleiſen576. 579
  • Spiegelglas860
  • Spiegelgalvanometer245
  • Spiegelquadrant805
  • Spiegel-Sextant804. 887
    • Erfindung desſelben805
  • Spiegelteleſkop910
  • Spiegelung des Lichts884
  • Spindel (Spinnen)352. 353
  • Seite.
  • Spindel (Uhr)44. 45
  • Spindelbank351. 356
  • Spinnen347
  • Spinnereien347
  • Spinnmaſchine348
  • Spinnrad347
  • Spirale, Uhr -41. 43
  • Spiritusfabrikation, Rohmaterialien derſ. 505
  • Spitzen, geklöppelte384
  • Spitzenfabrikation383. 384
  • Spitzenwirkung, elektriſche128
  • Spleißöfen587
  • Sprache226
  • Spratzen626
  • Sprengen mittels elek - triſchen Stromes158
  • Sprenggelatine715
  • Sprengſtoffe690
  • Spritfabriken508
  • Spulen369
  • Spulmaſchine370. 371
  • Spulrad369
  • Spurbahnen718
  • Staberzeugung661. 662
  • Stabthermometer26
  • Stachelbeerwein520
  • Staffelit438
  • Stahl, Beſſemer -578
    • Eigenſchaften des - ſelben578. 580
    • Heaton -580
  • Stahlblech660
  • Stahldraht665
  • Stahlguß635
  • Stahlſchreibfedern683 685
  • Stahlſtich137. 971
  • Stallmiſt-Düngung430
  • Stallmiſt, Verhin - derung des Stickſtoff - verluſtes im439
  • Stangenzinn595
  • Stangenzirkel4
  • Stanniol596 .643.660. 661
  • Stannit594
  • Stannotypie997
  • Stanzen676
  • Stärke555
  • Stativ989
  • Statuenguß637
  • Stauchen der Metalle653
  • Stearin285. 552
  • 1016
  • Seite.
  • Stechmaſchine381
  • Steigröhren302
  • Steinabricht - und Flachhobelmaſchinen263
  • Steinbauten262
  • Steinbohrmaſchinen263
  • Steinbrecher571
  • Steindruck971
  • Steingut874 .880. 881
  • Steinkohle299. 322
  • Steinmalz490
  • Steinpflaſter722
  • Steinſchneidemaſchinen263
  • Steinzeug880
  • Stenographie940
  • Stereoſkop898
  • Stereotypie138 .642.949. 956
  • Sternwarten, Ein - richtung derſelben919
  • Sticken385
  • Stickſtoff als Dünge - mittel430 ff.
  • Stielhammer647
  • Stilographie138
  • Stimmgabel234
  • Stockſchere671
  • Stoffe, façonnierte374
  • Stoßmaſchine675
  • Stoßrad67
  • Stoßwerk676
  • Straß849. 868
  • Straßen, gepflaſterte722
  • Straßenbahnen, elek - triſche219 221
  • Straßenbau717
  • Straßenwagen, mit Dampfkraft be - triebene731
  • Straßenwalzen732
  • Streckherd860
  • Streckmaſchine
    • (Baumwolle) 350
    • (Flachs) 356
    • (Seide) 365
  • Streichbrett von W. Flöther454
  • Streichgarn358
  • Streichwolle358
  • Streichwollſpinnerei358 361
  • Strichmaße3
  • Stricken380 383
  • Strickmaſchine383
  • Strom, galvaniſcher132 ff.
  • Seite.
  • Strom, inducierter161. 162
    • primärer153
    • ſekundärer153. 169
  • Stromkarten795
  • Strumpfſtuhl, flacher mechaniſcher382
  • Struſen (Seide) 365
  • Stundenzeiger39
  • Sturmwarnungs weſen812
  • Sublimation606
  • Sudhaus492
  • Südpol149
  • Sulfatofen835
  • Sumpfofen592
  • Superphosphate436
  • Tabak, Verfälſchungen desſelben545
    • Wirkungen desſ. 545
  • Tabakskampfer542
  • Tabakmühle544
  • Tabakſäure542
  • Tachygraphie941
  • Tafelwage22
  • Taffet377
  • Talbottypie982
  • Talg284
  • Talgſchneidemaſchine551
  • Talgzerreißmaſchine551
  • Tara18
  • Taſſajo568
  • Taſterzirkel10
  • Taucherglocke818
  • Taucherweſen818
  • Tauröſte341
  • Teakholz792
  • Teer302
  • Teerfarbſtoffe404
  • Teilmaſchine556
  • Telegraph, Bilder -254
    • elektriſcher242 257
    • elektromagnetiſcher246
    • Nadel -244
    • optiſcher243
    • v. Franklin243
    • v. Gauß & Weber244
    • v. Gray243
    • v. Sömmering243
    • v. Steinheil244
    • v. Winkler243
  • Telegraphenleitungen252
  • Telegraphenſchlüſſel247
  • Telegraphie, ſub - marine252. 887
  • Seite.
  • Telegraphieren von Bildern u. Hand - ſchriften253
  • Telegraphieren, doppeltes, vierfaches251
  • Teleobjektiv996
  • Telephon233
    • Anlagen239
    • v. Bell235
    • Faden -234
    • v. Reis235
    • Tiſch -240
  • Telephon, Wand -240
  • Telephondraht591
  • Telephotographie995
  • Teleſkop907 922
    • Newtons Spiegel -910
    • Rieſen -911. 912
  • Tellerſilber619
  • Temperofen850
  • Tempierzünder701
  • Tenakel953
  • Tender225
  • Tendermaſchinen761
  • Tenne487
  • Teppichgarn361
  • Terrakotta883
  • Textil-Erzeugniſſe334
  • Induſtrie334 392
  • Thee, chineſiſcher530. 531
  • ſchwarzer, Be - handlung desſ. 532
  • Verfälſchungen desſelben534. 535
  • Wirkung desſ. 530
  • Zuſammen - ſetzung desſ. 533
  • Theeblätter, Behand - lung derſelben531
  • Theeſtrauch531
  • Theïn522
  • Theobroma535
  • Thermobatterie148
  • Thermoelektricität148 149
  • Thermoelement148
  • Thermometer24. 25
    • Celſius -25
    • Centeſimal -26
    • Fahrenheit -25
    • Luft -27
    • Metall -26
    • Réaumur -25
  • Thionine411
  • Thomasſchlacke438. 583
  • 1017
  • Seite.
  • Thon608
  • Behandlung desſ. 874
  • Eigenſchaften desſelben873
  • Einſumpfen desſ. 270
  • Thonſchneidemaſchine271
  • Thonwarenfabrikation872 ff.
  • Tieflot802
  • Tiegel960
    • Heſſiſche, Paſſauer644
  • Tiegeldruckpreſſe960
  • Tiegelherdofen644
  • Tiegelſchachtofen644
  • Tironiſche Noten941
  • Toddy521
  • Toluidin407
  • Toluol407
  • Tombak596
  • Töpferei, Braun -882
  • Weiß -882
  • Töpfergeſchirr, Her - ſtellung desſ .882. 883
  • Töpferſcheibe872
  • Torf321
  • Torfkohle324
  • Torpedo708
  • elektriſches226
  • Towgarn357
  • Trajektſchiff754
  • Trama364
  • Transformator154
  • Transportkarre (für Pflüge) 455
  • Transverſalmaßſtab6
  • Trauben, Zerquetſchen derſelben513
  • Traubenkerne520
  • Traubenleſe512
  • Traubenmühle513
  • Traubenpreſſen514
  • Traubenraſpel513
  • Traubenweine512
  • Travelling Machine740
  • Treber495 497
    • Düngung damit439
    • als Viehfutter497
  • Trebertrocken-Apparat498
  • Treiben der Metalle653
  • Treibherd623
  • Trennungsarbeiten bei Metallen671
  • Treſſen385
  • Treſſenſtuhl385
  • Treſter514 .519. 520
  • Seite.
  • Tretpreſſe963
  • Tretrad62
  • Tricot382
  • Triebfeder (Uhr)42 .43. 45
  • Triowalzwerk659
  • Trittwebſtuhl372. 378
  • Trockenmaſchine387
  • Trockenplatten984
  • Trockenpreſſe930
  • Trockenrahmen387
  • Trockenſtuhl930
  • Trockentreber497
  • Trockenverfahren, künſtliches698
  • Trocknen des Fleiſches568
    • des Kaffees524
  • Trommelanker oder - induktor159
  • Trommelmaſchine161. 171
  • Trypographie974
  • Tunnel749
  • Turbine, Fourneyron -68
    • Henſchel -69
  • Turgotine729. 730
  • Türkiſchrol404
  • Tuſſahſeide336
  • Typen946
  • Typendruck946
  • Typengießmaſchine951
  • Typenſchreiber, Sholes’ſcher964
  • Überdruck56
  • Überhitzter Dampf57
  • Übertragung der Kräfte188 209
  • Übertragung der Kraft der Gezeiten200
  • Übertragung der Kraft des Windes200
  • Überziehen der Metalle mit Metall680
  • Uchatiusſtahl579
  • Uhr, Remontoir -49
  • Repetier -49
  • ſelbſtaufziehende49
  • Sonnen -34
  • Taſchen -42
  • Waſſer -35. 36
  • Uhren, elektriſche257 -260
    • pneumatiſche258
  • Uhrlampe293
  • Ultramarin393
  • Umſchlußthermometer26
  • Seite.
  • Undulations - oder Wellentheorie884
  • Univerſalwalzwerk661
  • Univerſal-Weinpreſſe514 516
  • Unruhe oder Balancier43 .44. 46
  • Untergrund - oder Mineur-Pflug455
  • Unterhefe502
  • Unterſtempel652
  • Valentinit604
  • Vaſeline291
  • Vegetationsverſuche445
  • Velocipede734
  • Ventil, Sicherheits -105
  • Ventilator, elektriſcher211
  • Verbindungsſtoffe264 -269
  • Verblender274
  • Verbrennungsproceß277 283
  • Verbund-Lokomotive762
  • Verbund-Maſchine97
  • Verdampfungskraft des Heizſtoffes320
  • Verfälſchung des
    • Kaffees526 530
    • des Kakaos538
    • des Tabaks545
    • des Thees534. 535
  • Vergolden141 146
  • Verkehr zu Lande717 ff.
    • unterirdiſcher222
    • zu Waſſer774 ff.
  • Verkehrsweſen716
  • Vernickeln141 146
  • Vernier6
  • Verſchönerungsarbeiten bei Metallen679
  • Verſilbern141 146
  • Verſinterung881
  • Verteilung, elektriſche126
  • Vertikal12
  • Vertikal-Handbohr - maſchine673
  • Vervielfältigende Künſte933 998
  • Verwitterungsboden420
  • Verzinnen680
  • Veſuvin408
  • Victoriaſteine276
  • Viertaktmotor115
  • Viertelgevierte953
  • Vigogne336
  • 1018
  • Seite.
  • Violett, Hoffmanns408
    • Lauthſches411
  • Virtuelles Bild899
  • Vitriol825
  • Vitrit276
  • Volt154
  • Vormaiſch-Apparat493
  • Vorſpinnmaſchine350. 360
  • Vorwalze657
  • Vorwärmen des Metalls657
  • Wachs286
    • japaniſches287
  • Wage14
    • Centeſimal -22
    • Dezimal -22
    • Empfindlichkeit derſ. 16
  • Wagen d. Eiſenbahnen762
    • mit innerer Ver - bindung763
  • Wägung12
    • Bordaſche18
    • Gaußſche19
    • ungenaue17
  • Waldwolle338
  • Walken388. 389
  • Walrat286
  • Walterpreſſe962
  • Walzenegrenier - maſchine339
  • Walzenglas859
  • Walzenrad37. 39
  • Walzwerk656
  • Wärmeäquivalent, mechaniſches58
  • Wärmeeffekt, abſoluter319. 320
  • Wärmemeſſung24 27
  • Wärmeſtrahlen, infrarote979
  • Warmwaſſerröſte342
  • Waſchen (Kaffee) 524
  • (d. rohen Wolle) 413
  • Waſchgold627
  • Waſchmaſchine389
  • Waſſerz. Bierbereitung486
  • hartes486
  • als Nährmittel der Pflanze427
  • weiches486
  • Waſſerdampf55
  • Waſſerelevator78
  • Waſſergas308. 309
  • Waſſerglas846
  • Seite.
  • Waſſerheizung333
  • Waſſerkompaß797
  • Waſſerräder,
    • horizontale67 71
    • oberſchlägige66. 67
    • rückenſchlägige64
    • unterſchlägige64 66
    • vertikale62. 63
  • Waſſerregulierung423
  • Waſſerrohrkeſſel106. 107
  • Waſſerrotte341
  • Waſſerſäulenmaſchine71
  • Waſſerwege774
  • Waterfeinſpinn - maſchine351
  • Watergarne355
  • Watermaſchine
    • (Baumwolle) 352
    • (Flachs) 357
    • (Seide) 365
    • (Wolle) 363
  • Watt165
  • Wattenmaſchine365
  • Watts Dampfmaſchine89 96
  • Weberei367
    • Anfänge derſelben368
  • Webſtuhl367
    • Borden -385
    • Geſchichte desſelben377
    • mechaniſcher373
  • Wechſelkaſten986
  • Wechſelladen373
  • Wechſelſtromcentralen208
  • Wechſelſtröme152
  • Wechſelſtrommaſchinen174 178
  • Wedgwood881
  • Wegebau717
  • Wehr - und Werkzeuge570 715
  • Weichbronce642
  • Weichen755
  • Wein512 521
  • Aufbewahrung desſelben518
  • Beſtandteile desſ. 517
  • Blume desſ .505. 517
  • Chaptaliſieren desſelben519
  • Elektriſieren desſ. 519
  • Galliſieren desſ. 519
  • Klären desſ. 519
  • Krankheiten des - ſelben518
  • Seite.
  • Wein, künſtliche Ver - beſſerung des - ſelben519
  • Paſteuriſieren desſelben518
  • ſaurer517
  • Scheeliſieren desſelben519
  • Schönen desſ. 519
  • ſüßer517
  • Weingeläger519
  • Weinpreſſe514
  • Weißbrot554
  • Weißkochen415
  • Weißſieden d. Silbers679
  • Weißtöpferei882
  • Weitenmeſſungen10 12
  • Weizen485
    • Sommer-Düngung447
  • Wellbaum43
  • Wendeapparate488
  • Werggarn357
  • Werkblei593. 622
    • Entſilbern desſelben624
  • Werkzink599
  • Weſtinghouſe-Bremſe766
  • Weſtinghouſe-Maſchine98. 99
  • Wetterinduktor183
  • Wheatſtones Selbſt - ſchreiber251
  • Whipper von Maſon349
  • Whitwellſcher Wind - erhitzungs-Apparat581. 582
  • Wickelmaſchine349
  • Wickersheimerſche Flüſſigkeit568
  • Wickingerfahrten783
  • Wiederdruck960
  • Wieſen, Düngung derſelben446
  • Wieſenegge, böhmiſche oder Athausſche464
    • leichte464. 465
  • Winderhitzungs - Apparat581. 582
  • Windmotoren78
  • Windmühlen74 80
  • deutſche74. 75
  • holländiſche75 78
  • Windpfeife633
  • Windroſe797
  • Winkelhaken953
  • Wirken380 383
  • 1019
  • Seite.
  • Wirkerei, mechaniſche381 383
  • Wirkſtuhl380
  • Wirkungsgrad60
  • Wismut597. 598
  • Wismutglanz597
  • Wismutkupfererz597
    • Ausſaigern desſelb. 597
  • Wismut-Legierungen598
  • Wismutſaigerofen597
  • Wohnung261 333
  • Wolf349 .359.362. 577
  • Wolkenelektricität127
  • Wollfett414
  • Wollhaare344
  • Wollſchweiß414
  • Wollſpinnerei358 363
  • Wollwäſche344
  • Woodburydruck997
  • Woods Getreidemäher476
  • Woods Metall - Legierung598. 604
  • Woolf’ſche Maſchine97
  • Wundercamera901
  • Würgelwalze360
  • Würze495
  • Zaffer584
  • Zahnradbahn739 .749. 769
  • Zahnradlokomotiven769
  • Zainen653. 686
  • Zängmühlen650
  • Seite.
  • Zapfenlagermetall594. 606
  • Zauberlaterne900
  • Zeigertelegraph245
  • Zeigerwage22
  • Zeitball808
  • Zeitmeßapparate33 49
  • Zeitſignale808
  • Zeitverſorgung, elektriſche259
  • Zerreißmaſchine (für Talg) 551
  • Zerſtreuungslinſen897
  • Zerſtreuungsſcheibe816
  • Zeugdruck417
  • Zickzackegge463. 464
  • Ziegel269
    • hohle274
  • Ziegelbrennen272
  • Ziegelpreſſen271
  • Zieheiſen662
  • Ziehen des Metalls662
  • Ziehring666
  • Zink598 603
    • Darſtellung desſ.598 602
    • Eigenſchaften desſ. 602
    • Erze desſ. 598
    • Legierungen desſ. 603
    • Vorkommen desſ. 598
  • Zinkblech661
  • Zink-Guß638
  • Zinkographie934. 974
  • Seite.
  • Zinkpol133
  • Zinkſpat598
  • Zink-Walzen661
  • Zinkweiß397
  • Zinn,
    • Darſtellung desſ .595. 596
    • Eigenſchaften desſ. 596
    • Legierungen desſ. 596
    • Vorkommen desſ. 594
  • Zinnamalgam886
  • Zinnerze594
  • Zinnfolie, Guß643
  • Zinnfolie, Walzen660. 661
  • Zinnkies595
  • Zinnlegierungen596
  • Zinnober393 .395. 612
  • Zinnſtein594
  • Zinnzwitter595
  • Zirkonlampe315
  • Zuckercouleur530
  • Zugbrücke, elektriſche214
  • Zugutemachen der Erze572
  • Zuſammenfügungs - arbeiten677. 678
  • Zuſchläge572
  • Zweileiterſyſtem204
  • Zwei-Maſchinenſyſtem462
  • Zwirnen366
  • Zwirnmaſchinen366
  • Zwirnmühle364
[1020]

Regiſter der Abbildungen.

  • Figur. Seite.
  • 105 Ablenkung einer Magnetnadel durch den elektriſchen Strom150
  • 492 Achromatiſche Linſen904
  • 483 Achromatiſche Prismenkombi - nation895
  • 248 Acme-Egge463
  • 436 Admiralſchiff des Kolumbus784
  • 268 Adriance Getreide-Mäher mit aufgeklapptem Tiſch477
  • 224 Ägyptiſcher Pflug451
  • 72 Altmanns Dampfmotor100
  • 368 Aludelſchnur614
  • 378 Amboß mit Horn647
  • 229 Amerikaniſcher Pflug451
  • 26 Aneroidbarometer33
  • 36 Ankerhemmung47
  • 243 Ankerwagen z. Ein-Maſchinen - Dampfpflug-Syſtem von John Fowler & Co. in Magdeburg459
  • 287 Anſchwänz-Apparat497
  • 363 u. 364 Antimonſchmelzofen604
  • 526 Aplanat u. Blenden987
  • 450 Apparat zur Darſtellung der Salpeterſäure832
  • 313 Apparat zum Mengen der Scho - kolade (Melangeur) 537
  • 97 Auffangeſtange eines Blitzab - leiters130
  • 136 Aufgewickeltes Bleikabel von Siemens & Halske189
  • 159 u. 160 Aufnahme von Tönen durch den Phonographen231
  • 126 b Aufriß des Heroult-Ofens zur Aluminium-Gewinnung172
  • 452 Auslageanlage einer Sodafabrik837
  • 259 Ausſtreu-Apparat (Längsſchnitt und Anſicht) 469
  • 258 Ausſtreu-Apparat (Querſchnitt) 469
  • 330 Backofen557
  • 331 Backſohle (Querſchnitt) 557
  • Figur. Seite.
  • 434 Baggermaſchine beim Bau des Nordoſtſee-Kanals781
  • 344 Balanciergebläſemaſchine581
  • 255 Bandboden - Düngerſtreu - Ma - ſchine467
  • 256 desgl. (Querſchnitt) 468
  • 320 Bauerntabak542
  • 202 Baumwolle346
  • 163 Bells Telephon236
    • 57 u. 58 Béniers Heißluftmaſch.81 u. 82
    • 96 Benzinmotor von Benz122
  • 343 Beſſemerbirne579
  • 342 Beſſemerbirne (Vertikalſchnitt) 578
  • 389 Biegewalzwerk677
  • 290 Bierkühlapparat (Längsſchnitt) 500
  • 291 Bierkühlapparat (Querſchnitt) 500
  • 486 Bikonvexe Linſe als Brennglas896
  • 310 u. 311 Blätter einiger z. Fälſchung des Thees benutzter Pflanzen534
  • 136 Bleikabel, aufgewickeltes von Siemens & Halske189
  • 448 Bleikammeranlage einer chemi - ſchen Fabrik (vordere Hälfte) 828
  • 449 Bleikammeranlage einer che - miſchen Fabrik (hintere Hälfte) 829
  • 149 Bleiſicherung207
  • 97 Blitzableiter-Auffangeſtange130
  • 98 Blitzableiter-Spitze130
  • 249 Böhmiſche oder Althausſche Wieſenegge464
  • 153 Bohrmaſchine der Allgem. Elek - tricitätsgeſellſchaft212
  • 62 Brancas Äolipile86
  • 480 Brechung eines einfallenden Strahles in Waſſer892
  • 257 Breitſäemaſchine469
  • 16 Brückenwage21
  • 182 Bunſenbrenner282
  • 322 Buttermaſchine549
  • 326 Buttermaſchine für Kunſtbutter553
  • 327 Butterwaſchmaſchine553
  • 1021
  • Figur. Seite.
  • 254 Cambridge-Walze, dreiteilige467
  • 521 Camera obſcura980
  • 525 Camera, photographiſche986
  • 491 Chromatiſche Aberration904
  • 37 Chronometerkompenſation48
  • 306 Cichorie, Satz der527
  • 74 Compound-Lokomobile103
  • 34 Cylinderhemmung46
  • 35 Cylinderuhr, Gang derſelben46
  • 67 u. 68 Dampfcylinder, Schnitt durch die Dampfkanäle des - ſelben95
  • 289 Dampf-Kochpfanne499
  • 64 Dampfmaſchine von Newcomen89
  • 71 Dampfmaſchine, ſchnelllaufende, von Weſtinghouſe. (Schnitt durch den Schieberkaſten) 99
  • 72 Dampfmotor von Altmann & Co. 100
  • 278 Darrwender490
  • 336 Deſintegrator von Carr571
  • 360 Deſtillationsröhre599
  • 295 Deſtillierapparat507
  • 8 Dicken - und Weitentaſter10
  • 318 Dodoa, Zweig der540
  • 392 Doppelfalze678
  • 75 78 Doppelflammrohrkeſſel104
  • 418 Drehkrahn, fahrbarer757
  • 139 Drchſtroms, Schematiſche Dar - ſtellung der Wirkung des194
  • 140 Drehſtrom-Erzeugers, Schema - tiſche Darſtellung eines195
  • 142 Drehſtrommaſchine für die Lauf - fener-Übertragung von der Fa - brik Örlikon (Zürich) 197
  • 388 Drehſtuhl675
  • 46 u. 47 Dreicylinder-Waſſerdruck - Motor von Hoppe, Rotierender72 u. 73
  • 241 Drei - Furchen - Dampfflug für Tiefkultur, von I. Fowler & Cv. in Magdeburg458
  • 147 Dreileiterkabels, Querſchnitt eines205
  • 146 Dreileiter-Syſtems, Schalt - ſchema eines205
  • 408 Dreirad, einſitziges735
  • 409 Dreirad, zweiſitziges736
  • 234 Dreiſchariger Pflug454
  • 262 Drillmaſchine472
  • 264 Drillmaſchine, Durchſchnitt der473
  • 220 Düngungsverſuche mit Gerſte441
  • 222 Düngungsverſuche, Stickſtoff -447
  • 121 Dynamomaſchine, Schuckerts Flachring -166
  • Figur. Seite.
  • 125 Dynamomaſchine mit Trommel - anker von Siemens & Halske, neuer Typus der171
  • 122 Dynamomaſchine mit Trommel - anker von Siemens & Halske, Älterer Typus der167
  • 158 Ediſons neuer Phonograph mit Zubehör230
  • 306 Eichelpulvers, Satz des527
  • 244 Ein-Maſchinen - Dampfpflug - Syſtem von John Fowler & Co. Magdeburg460
  • 32 Einrichtung einer Taſchenuhr43
  • 175 Einſumpfen des Thones270
  • 133 Elektriſche Bogenlampe185
  • 130, 131, 132 Elektriſche Glühlampen von Ediſon, Swan, Maxim181
  • 157 Elektriſche Grubenbahn von Siemens & Halske222
  • 150 Elektrizitätszähler v. Prof. Aron209
  • 107 Elektromagnet, hufeiſenförmiger151
  • 106 Elektromagnet, ſtabförmiger151
  • 152 Elektromotor mit Ventilator der Allgem. Elektrizitäts-Geſellſchaft211
  • 459 Entladevorrichtung758
  • 13 Entwäſſerung eines Stein - bruches durch einen Reinſch - ſchen Windmotor79
  • 99 Erdleitung eines Blitzableiters130
  • 411 Eröffnung der Eiſenbahn Nürn - berg-Fürth745
  • 528 Fallbrett991
  • 390 Falz, einfacher678
  • 391 Falz mit Klammer678
  • 519 Farbreibmaſchine mit Reiber975
  • 520 Farbreibmaſchine mit 2 Reibern976
  • 145 Faures Akkumulator203
  • 17 Federwage22
  • 294 Filtrier - und Abzieh-Apparat503
  • 203 Flachs346
  • 365 Flammenofen605
  • 458 Flaſche, Anfertigung einer855
  • 472 Flintglasofen867
  • 442 Fluidkompaß von Bamberg798
  • 485 Formen der Linſen896
  • 240 Forſtkulturpflug457
  • 412 Forth-Brücke750
  • 413 Forth-Brücke, Bakers lebendes Modell der751
  • 415 Forth-Brücke, der mittlere Pfeiler der753
  • 24 Fortinſches Barometer31
  • 43 u 44 Fourneyron-Turbine68 u. 69
  • 1022
  • Figur. Seite.
  • 387 Fräſe674
  • 425 Frictionsbremſe von Heberlein765
  • 339 Friſchherd576
  • 10 Fühlhebeltaſter11
  • 414 Fundierung eines Brückenpfeilers auf einem Caiſſon752
  • 148 Fünfleiter-Syſtems der Trienter Zentrale, Schaltſchema des206
  • 35 Gang der Cylinderuhr46
  • 493 Gang der Strahlen im Gali - leiſchen Fernrohr908
  • 494 Gang der Strahlen im Kepler - ſchen Fernrohr909
  • 495 Gang der Strahlen im terreſtri - ſchen Fernrohr909
  • 300 Gährgefäß, geſchloſſenes, mit doppeltem Boden516
  • 301 Gährſpund516
  • 435 Galeere des Philopater783
  • 270 Garbenbinder479
  • 271 u. 272 Garbenbinder480
  • 273 Garbenbinder481
  • 350 Garherd589
  • 194 Gasanlage303
  • 89 Gasgenerator, Ottos115
  • 90 Gasmotor nach Kaſelowskys Syſtem116
  • 192 Gasofen, Grundriß300
  • 191 Gasofen, Vorderanſicht300
  • 195 Gaſometer306
  • 190 Gasretorte im Ofen299
  • 196 Gasuhr (Durchſchnitt) 310
  • 197 Gasuhr (Seitenanſicht) 312
  • 345 Gebläſekammer580
  • 25 Gefäßmanometer32
  • 29 Gegengeſperre39
  • 193 Generatorfeuerung, Schema einer300
  • 194 Geſamtgasanlage303
  • 5 Geſtaltsänderungen rechteckiger Stäbe9
  • 397 Gewehr88, abgeſchoſſen, deutſches711
  • 396 Gewehr88, deutſches, vor dem Schließen der Kammer711
  • 507 Gießmaſchine952
  • 508 Gießinſtrument952
  • 183 Glasbläſerlampe283
  • 457 Glasbläſerpfeife855
  • 455 Glashafens im Ofen, Stellung eines851
  • 459, 460, 461 Glasröhrenziehen857
  • 456 Glasofen, Grundriß852
  • 141 Gleichſtrom-Erzeugers, Schema - tiſche Darſtellung eines195
  • Figur. Seite.
  • 151 Gleichſtrom-Motor von Sie - mens & Halske210
  • 371 Glockenofen615
  • 516 Gloſſographiſche Zeichen965
  • 130 Glühlampe, elektriſche, von Ediſon181
  • 132 Glühlampe, elektriſche, von Maxim181
  • 131 Glühlampe, elektriſche, von Swan181
  • 38 Göpel63
  • 162 Grammophon von Berliner232
  • 269 Grasmähemaſchine478
  • 246 Grubber-Egge462
  • 157 Grubenbahn, elektriſche von Siemens & Halske222
  • 265 Hackmaſchine474
  • 513 Hagarpreſſe961
  • 155 Halteſtelle der Halleſchen Straßenbahn219
  • 386 Handbohrmaſchine673
  • 263 Hebel der Drillmaſchine472
  • 23 Heberbarometer30
  • 118 v. Hefner-Altenecks magnetelek - triſche Maſchine161
  • 115 v. Hefner-Altenecks Trommel - Induktor159
  • 57 u. 58 Heißluftmaſchine von Bénier81 u. 82
  • 59 u. 60 Heißluftmotor von Rider - Monski83
  • 45 Henſchel-Turbinen70
  • 377 Herdflammofen645
  • 61 Heronsball85
  • 126 a Héroult-Ofen zur Aluminium - Gewinnung, Grundriß172
  • 126 b Héroult-Ofen zur Aluminium - Gewinnung, Aufriß172
  • 274 Heuwender482
  • 503 Hieroglyphen937
  • 101 Hintereinanderſchaltung von gal - vaniſchen Elementen, Schema für die134
  • 73 Hochdruck-Lokomobile von Wolf, Längenſchnitt102
  • 337 Hochofen574
  • 338 Hochofens, Schema eines575
  • 346 Hochöfen des Furneßwerkes583
  • 478 Hohlſpiegel als Brennſpiegel889
  • 527 Hohlſpiegel im Dienſte der Photographie988
  • 479 Hohlſpiegel, das Zuſtande - kommen des Bildes beim891
  • 499 Holländer926
  • 1023
  • Figur. Seite.
  • 52 Holländiſche Windmühle, mit ſelbſtthätiger Einſtellung des Windrades, Schnitt durch das Dach derſelben77
    • u. 47 Hoppes rotierender Drei - cylinder-Waſſerdruckmotor72 u. 73
  • 48 Hoppes Zweicylinder-Waſſer - druckmotor74
  • 216 Hydrauliſche Preſſe387
  • 210 Jacquardmaſchine375
  • 212 Jacquardwebſtuhl, mechaniſcher379
  • 102 Jakobis galvanoplaſtiſcher Apparat135
  • 238 Jäte & Häufelpflug456
  • 109 Induktion eines Stromes durch einen anderen Strom153
  • 108 Induktion eines Stromes durch einen Magnet152
  • 113 Induktor, Siemens Doppel-T -157
  • 81 Injektor von Körting, Univerſal -106
  • 80 Injektor von Giffard106
  • 83 Innenfeuerung für einen Flammrohrkeſſel108
  • 127 Innenpolmaſchine für die Ber - liner Centralen von Siemens & Halske173
  • 305 Kaffeeſatz von reinem Kaffee526
  • 306 Kaffees, Satz des reinen527
  • 304 Kaffeeſtrauches, Zweig des523
  • 312 Kakaobaumes, Zweig des535
  • 218 Kalander388
  • 333 Kalbes, Zerlegung des562
  • 11 Kalibermaßſtab oder Schublehre11
  • 223 Kali-Düngungsverſuche448
  • 221 Kali-Phosphat-Düngungsver - ſuche mit Erbſen und Hafer444
  • 171 Kalkofens, Aufriß eines perio - diſchen265
  • 179 Kalkofens, Aufriß eines vier - eckigen273
  • 173 Kalkofens, Beſchickung eines periodiſchen265
  • 172 Kalkofens, Grundriß eines periodiſchen265
  • 266 Kartoffel-Pflanzlochmaſchine, fünfreihige475
  • 524 Kaſſette985
  • 512 Keilrahmen955
  • 504 Keilſchrift, Unglück für Aſſyrien 943
  • 280 Keimtrommel (Längsſchnitt) 491
  • 279 Keimtrommel (Querſchnitt) 491
  • 281 Keimtrommeln492
  • Figur. Seite.
  • 181 Kerzenflamme281
  • 184 Kerzenform288
  • 471 Klappform865
  • 328 Klebers, Darſtellung des555
  • 261 Klee-Säemaſchine471
  • 329 Knetmaſchine556
  • 502 Knotenſchrift936
  • 116 Kollektor, der zum Trommel - induktor gehörige159
  • 296 Kolonnenapparates, 2 Elemente eines508
  • 400 Koloſſalſtatue, Transport einer altägyptiſchen724
  • 21 Kommunizierende Röhren28
  • 441 Kompaßroſe798
  • 416 Krahn - und Nietmaſchine für Brückenbauten754
  • 385 Kreisſchere672
  • 228 Kultur-Pflug451
  • 56 Landwirtſchaftliche Maſchinen - anlage mit Windmotorenbetrieb79
  • 138 Lauffener Übertragung, ſchema - tiſche Darſtellung der193
  • 285 Läuterbottich496
  • 286 Läuterbottichboden496
  • 383 Leier - oder Scheibenziehbank663
  • 444 Leuchtturm, ſchwimmender, eiſerner814
  • 187 Ligroinlampe296
  • 487 Linſe, das Zuſtandekommen des Bildes bei der bikonvexen897
  • 485 Linſenformen896
  • 423 Lokomotive, amerikaniſche Per - ſonenzug -761
  • 422 Lokomotive, preußiſche Per - ſonenzug -761
  • 242 Lokomotive zum Dampfpflug459
  • 421 Lokomotivführerhauſes, das Innere eines760
  • 420 Lokomotivkeſſel759
  • 426 u. 427 Luftdruckbremſe von Weſtinghouſe766,767
  • 428 Luftdruckbremſe von Weſting - houſe, Funktionsventil der768
  • 447 Luftſchifferpark822
  • 488 Lupe, die899
  • 198 Magneſiumlampe314
  • 114 Magnetelektriſche Maſchine mit Doppel-T-Induktor158
  • 284 Maiſch-Apparat494
  • 284 Maiſchbottich495
  • 277 Malzdarre489
  • 1024
  • Figur. Seite.
  • 154 Maſchinenhaus der Halleſchen Straßenbahn, der Allgemeinen Elektrizitäts-Geſellſchaft217
    • 1 Maßſtab mit gerader Kante6
    • 2 Maßſtab mit abgeſchrägter Kante6
  • 506 Matrize951
  • 211 Mechaniſcher Trittwebſtuhl378
  • 200 Meiler323
  • 20 Metallthermometer27
  • 164 Mikrophon238
  • 165 Mikrophon von Mix & Geneſt239
  • 490 Mikroſkop902
  • 489 Mikroſkop, Zuſtandekommen des Bildes im zuſammengeſetzten902
  • 236 Mineur oder Untergrundpflug455
  • 321 Mohn, Schlaf -546
  • 531 Momentaufnahme993
  • 529 Momentverſchluß nach Prit - ſchow & Steinheil992
  • 530 Momentverſchluß, rotierender992
  • 168 Morſes Schreibtelegraph246
  • 85 u. 88 Motor, Ottos neuer111 u. 114
  • 406 Motorwagen (Syſtem Benz & Co.) 733
  • 357 Muffel599
  • 358 Muffel (Längsſchnitt) 599
  • 359 Muffelofen599
  • 207 Mulemaſchine354
  • 522 Negatives Bild982
  • 64 Newcomens Dampfmaſchine89
  • 496 Newtonſchen Spiegelteleſkop, Gang der Strahlen im910
  • 18 Nicholſons Aräometer23
  • 4 Nonius oder Vernier
  • 433 Nord-Oſtſee Kanal, der780
  • 6 Normalmeters, Querſchnitt eines9
  • 230 Normalpflug453
  • 231 Normalpflug in Transport - ſtellung453
  • 292 Oberhefe502
  • 379 Ober - und Untergeſenk zum Schmieden cylindriſcher Stäbc651
  • 42 Oberſchlägiges Waſſerrad66
  • 533 Objectiv, aplanat., Vergleichs - aufnahme mittelſt eines ge - wöhnlichen995
  • 302 Obſtmühle520
  • 135 Öl-Iſolatoren188
  • 85 Ottos neuer Motor (liegende Anordnung) 111
  • 88 Ottos neuer Motor (ſtehende Anordnung) 114
  • Figur. Seite.
  • 297 Ozoniſations - Apparat zur Reinigung des Spiritus509
  • 12 Palmerſche Lehre11
  • 500 Papiermaſchine929
  • 100 Parallelſchaltung von galva - niſchen Elementen, Schema für die134
  • 501 Patrize950
  • 28 Pendeluhr (von der Seite geſehen) 37
  • 27 Pendeluhr (von vorn geſehen) 37
  • 94 Petroleum-Motor, liegender, (Syſtem Altmann-Küpper - mann) 120
  • 95 Petroleum-Motor (Syſtem Kaſe - lowsky) 121
  • 275 Pferderechen483
  • 224 Pflug, ägyptiſcher451
  • 229 Pflug, Amerikaner -451
  • 158 Phonograph mit Zubehör, Edi - ſons neuer230
  • 160 Phonographen, Aufnahme von Tönen durch den231
  • 161 Phonographiſcher Schrift, die Buchſtaben A, B, C, D in232
  • 199 Photometer von Bunſen316
  • 429 Pilatusbahn, die770
  • 112 Pixiis magnetelektriſche Maſchine156
  • 144 Plantés Accumulator202
  • 41 Poncelet-Rad66
  • 473 Porzellanofen von außen877
  • 474 Porzellanofen (Durchſchnitt) 877
  • 475 Porzellanofen, Anordnung der Kapſeln in einem878
  • 523 Poſitives Bild982
  • 91 u. 92 Präziſions-Glühzündung für den Gasmotor nach Kaſe - lowskys Syſtem117
  • 14 Präziſionswage16
  • 483 Prismenkombination, achro - matiſche895
  • 340 u. 341 Puddelofen577
  • 394 Pulveriſiertrommel695
  • 395 Pulverkörnmaſchine697
  • 393 Pulverſtampfwerk694
  • 143 Pumpwerk aus der Frankfurter Ausſtellung von Schuckert & Co. 198
  • 55 Pumpwerk mit Windmotoren - betrieb79
  • 366 u. 367 Queckſilber-Röſtofen613
  • 370 Queckſilber-Röſtofen (Horizontal - ſchnitt) 614
  • 369 Queckſilber-Röſtofen (Vertikal - ſchnitt) 614
  • 1025
  • Figur. Seite.
  • 232 Rajolpflug453
  • 219 Rauhmaſchine390
  • 69 Receiver-Maſchine von G. Hambruch97
  • 498 Refraktor der Lickſternwarte auf dem Hamiltonberge in Kali - fornien918
  • 134 Regulator für Bogenlampen von Schuckert & Co. 185
  • 403 Reiſeunfall des Papſtes Johann auf dem Arlberge727
  • 170 Relais der Morſeſchen Schreib - telegraphen249
  • 407 Renn-Zweirad735
  • 332 Rindes, Zerlegung des561
  • 252 Ringelwalze, doppelte466
  • 253 Ringelwalze, dreiteilige doppelte466
  • 177 Ringofen von rundem Quer - ſchnitt272
  • 179 Ringofens, Aufriß eines vier - eckigen273
  • 178 Ringofens, Grundriß eines viereckigen273
  • 180 Ringofens, Zuſammenhang der Teile eines viereckigen273
  • 384 Röhrenwalzwerkes, Wirkungs - weiſe des668
  • 430 Rohrpoſtanlage773
  • 501 Rollkalander931
  • 225 Römiſcher Pflug451
  • 226 Römiſcher Pflug d. ſpäteren Zeit451
  • 401 u. 402 Römiſcher Rennwagen725
  • 30 Roſtpendel41
  • 227 Ruchadlo-Pflug451
  • 276 Rübenheber für Geſpann483
  • 174 Rüdersdorfer Kalkofen266
  • 213 Rundwirkſtuhl381
  • 303 Saftpreſſe520
  • 373 Saigerheerd623
  • 372 Saigerſtücke, Anordnung der623
  • 424 Salonwagens, Innere eines763
  • 450 Salpeterſäure, Apparat zur Darſtellung der832
  • 517 Sandkiſſen968
  • 306 Satz des reinen Kaffees, der Cichorie, des Eichelpulvers527
  • 63 Saverys Dampfapparat88
  • 355 Schachtofen595
  • 347, 348, 349 Schachtofen für Kupfer588
  • 334 Schafes, Zerlegung des562
  • 204 Schafwolle346
  • 263 Schare und Hebel der Drill - maſchine472
  • Figur. Seite.
  • 437 Schaufelrad für Dampfſchiffe787
  • 383 Scheiben - oder Leierziehbank663
  • 445 Scheinwerfer von Schuckert817
  • 101 Schema für die Hintereinander - ſchaltung galvaniſcher Elemente134
  • 13 Schematiſche Darſtellung der Wage15
  • 186 Schiebelampe293
  • 156 Schienenſyſtem der Budapeſter Straßenbahn von Siemens & Halske220
  • 432 Schiffshebewerk bei Houdeng - Goegnies779
  • 431 Schiffshebewerk bei Les Fonti - nettes778
  • 39 u. 40 Schiffmühle64 u. 65
  • 321 Schlafmohn, der546
  • 251 Schlichtwalze465
  • 169 Schlüſſel zum Morſeſchen Schreibtelegraphen247
  • 382 Schmiedeeſſe658
  • 380 Schmiedemaſchine652
  • 439 Schnelldampfer Auguſta Vic - toria 790
  • 70 Schnelllaufende Dampfmaſchine von Weſtinghouſe. (Schnitt durch die Cylinder) 98
  • 15 Schnellwage20
  • 67 u. 68 Schnitt durch die Dampf - kanäle eines Dampfcylinders95
  • 314 Schokoladenpulver ohne Hülſen, echtes538
  • 315 Schokoladenpulver mit Hülſen, echtes538
  • 438 Schraubendampfer im Dock789
  • 282 Schrotmühle493
  • 11 Schublehre11
  • 121 Schuckerts Flachring-Dynamo - maſchine166
  • 205 Seide346
  • 454 Seifenform844
  • 453 Seifenkeſſel843
  • 208 Selbſtthät. Handſcherrahmen370
  • 189 Sicherheitslampe297
  • 79 Sicherheitsventil105
  • 113 Siemens Doppel-T-Induktor157
  • 123 Siemens & Halskes Maſchine zur Gewinnung der Rein - metalle168
  • 124 Siemens & Halskeſches Ver - fahren zur direkt. Gewinnung des Kupfers aus den Erzen170
  • 534 Skioptikon996
  • 452 Sodafabrik, Auslaugeanlage einer837
  • 1026
  • Figur. Seite.
  • 217 Spann - u. Trockenmaſchine388
  • 481 Spektralapparat894
  • 484 Spektren des Kron - und des Flintglaſes895
  • 476 Spiegel, der ebene885
  • 477 Spiegel, Zuſtandekommen des Bildes beim ebenen885
  • 443 Spiegelſextant806
  • 470 Spiegelglasfabrikation862
  • 497 Spiegeltelescop der Pariſer Sternwarte912
  • 33 Spindelhemmung44
  • 31 Spirale mit Schnecke42
  • 98 Spitze eines Blitzableiters130
  • 351 Spleißofen589
  • 106 Stabförmiger Elektromagnet151
  • 335 Steinbrecher571
  • 86 Steuerung von Ottos neuem Motor112
  • 222 Stickſtoff-Düngungsverſuche447
  • 215 Strickmaſchine383
  • 214 Strumpfſtuhl, flacher mecha - niſcher382
  • 185 Studierlampe292
  • 451 Sulfatofen einer Sodafabrik835
  • 352, 353, 354 Sumpfofen592
  • 320 Tabak, Bauern -542
  • 319 Tabak, Virginiſcher542
  • 324 Talgſchneidemaſchine (Quer - anſicht) 551
  • 323 desgl. (Seitenanſicht) 551
  • 325 Talgzerreißmaſchine551
  • 482 Taſchenſpektroſkop895
  • 32 Taſchenuhr, Einrichtung einer43
  • 9 Taſter mit Maßſtab10
  • 7 Taſterzirkel10
  • 446 Taucher-Apparat (Vorder - und Rückenanſicht) 819
  • 163 Telephon, Bells236
  • 532 Telephotographiſchen Objectivs, Aufnahme mittels Dr. Miethes994
  • 510 Tenakel mit Diviſorium und Manuſkript953
  • 310 Thee, Blätter einiger zur Fäl - ſchung desſ. benutzter Pflanzen534
  • 309 Theeſtrauches, Blätter des533
  • 307 Theeſtrauches, Zweig, Blatt und Blüte des531
  • 308 Theeſtrauches, Zweig und Blüte des Paraguay -532
  • 19 Thermometerſkalen, die drei25
  • 175 Thones, Einſumpfen des270
  • 376 Tiegelſchachtofen644
  • 167 Tiſchtelephon von Mix & Geneſt240
  • Figur. Seite.
  • 137 T-Muffe zur Verbindung von Kabeln190
  • 22 Torricellis Verſuch29
  • 235 Transportkarre455
  • 260 Transportſtellung der Breitſäe - maſchine470
  • 3 Transverſalmaßſtab6
  • 298 Traubenmühle513
  • 288 Trebertrocken-Apparat498
  • 374 Treibherd (Vertikalſchnitt) 623
  • 84 Treppenroſt108
  • 515 Tretpreſſe963
  • 405 Trevithicks Dampfwagen732
  • 410 Trevithicks Dampfwagen für Schienenbahnen738
  • 209 Trittwebſtuhl372
  • 43 u. 44 Turbine, Fourneyron -68 u. 69
  • 45 Turbine, Henſchel -70
  • 404 Turgotine, Franzöſiſche, aus dem Jahre1791730
  • 509 Typen953
  • 81 Univerſal-Injektor von Körting106
  • 299 Univerſal-Weinpreſſe515
  • 293 Unterhefe502
  • 124 Verfahren, Siemens & Halske - ſches, zur direkten Gewinnung des Kupfers aus den Erzen170
  • 316 u. 317 Verfälſchtes Schokoladen - pulver539
  • 398 Verſchlußkopf712
  • 103 Verſilbern und Vergolden, Kleiner Apparat zum gal - vaniſchen142
  • 104 Verſilbern und Vergolden, Größerer Apparat zum gal - vaniſchen142
  • 440 Victoria , Engl. Panzerſchiff795
  • 399 Via Appia, die792
  • 111 Vorgang, der, in einer magnet -20
    • elektriſchen Maſchine1
  • 283 Vormaiſch-Apparat446
  • 13 Wage, ſchematiſche Darſtellung der15
  • 514 Walterpreſſe962
  • 462 467 Walzenglaſes, Anferti - gung des859
  • 468 469 Walzenglaſes, Strecken des860
  • 381 Walzwerk656
  • 188 Wandlampe296
  • 166 Wandtelephon v. Mix & Geneſt240
  • 239 Waſſerfahrenpflug457
  • 201 Waſſerheizungsanlage332
  • 1027
  • Figur. Seite.
  • 49 Waſſermotor von Möller & Blum75
  • 42 Waſſerrad, oberſchlägiges66
  • 41 Waſſerrad, unterſchlägiges66
  • 82 Waſſerrohrkeſſel, Heines107
  • 54 Waſſerſtation mit Windmotor - betrieb79
  • 206 Watermaſchine352
  • 65 u. 66 Watts Dampfmaſchine93 u.94.
  • 129 Wechſelſtrommaſchine zum Schweißen der Metalle von Elihu Thomſon177
  • 128 Wechſelſtrommaſchine von Sie - mens & Halske mit der Gleich - ſtrommaſchine verbunden175
  • 110 Wechſelſtromtransformator von Siemens & Halske155
  • 417 Weichen756
  • 237 Wende - und Zwillingspflug456
  • 70 u. 71 Weſtinghouſe-Maſchine98 u. 99
  • 249 Wieſenegge, Böhmiſche oder Athausſche464
  • 250 Wieſenegge, leichte465
  • 53 56 Windmotoren, Reinſchs79
  • 52 Windmühle, Schnitt durch das Dach einer holländiſchen, mit ſelbſtthätiger Einſtellung des Windrades77
  • 50 u. 51 Windmühlenflügel (Seiten und Vorderanſicht) 76
  • 151 Winkelhaken954
  • Figur. Seite.
  • 139 Wirkung, ſchematiſche Dar - ſtellung der, des Dreh-Stromes194
  • 119 u. 120 Wirkungsweiſe des Pa - cinotti-Grammeſchen Ringes163
  • 117 Wirkungsweiſe des Trommel - Induktors160
  • 356 Wismutſaigerofen597
  • 267 Woods Getreidemäher476
  • 333 Zerlegung des Kalbes562
  • 332 Zerlegung des Rindes561
  • 334 Zerlegung des Schafes562
  • 247 Zickzackegge, vierbalkige, zwei - felderige463
  • 176 Ziegelpreſſe von L. Schmelzer271
  • 361 Zinkdeſtillationsofen (Vertikal - ſchnitt) 600
  • 362 Zinkdeſtillierofen, Engliſcher600
  • 87 Zündvorrichtung von Ottos neuem Motor113
  • 48 Zweicylinder-Waſſerdruckmotor von Hoppe74
  • 307 Zweig, Blatt und Blüte des Theeſtrauches531
  • 308 Zweig und Blüte des Paraguay - Theeſtrauches532
  • 245 Zwei-Maſchinen-Dampfpflug - Syſtem von John Fowler & Co. in Magdeburg461
  • 233 Zweiſchariger Pflug454
  • 93 Zweitaktmotor (Syſtem Benz) 118
  • 375 Zweiteilige Gußform einer Riemenſcheibe633

Stereotypendruck von Hallberg & Büchting in Leipzig.

About this transcription

TextDas Reich der Erfindungen
Author Heinrich Samter
Extent1049 images; 351786 tokens; 39894 types; 2597165 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationDas Reich der Erfindungen Heinrich Samter. . XI, 1027 S. UraniaBerlin1896.

Identification

Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz SBB-PK, 1 A 71471http://stabikat.de/DB=1/SET=12/TTL=1/CMD?ACT=SRCHA&IKT=1016&SRT=YOP&TRM=023613394

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationFachtext; Technik; Gebrauchsliteratur; Populärwissenschaft; core; ready; china

Editorial statement

Editorial principles

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

Publication information

Publisher
  • dta@bbaw.de
  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-09T17:34:21Z
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Holding LibraryStaatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
ShelfmarkSBB-PK, 1 A 71471
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