Die in verſchiedenen Arbeiten zerſtreuten, meiſt nur gelegent - lichen, aphoriſtiſchen und polemiſchen Gedanken des Verfaſſers über Religion und Chriſtenthum, Theologie und ſpeculative Religionsphiloſophie findet der geneigte und ungeneigte Leſer im vorliegendem Werke concentrirt, aber jetzt ausgebildet, durch - geführt, begründet — conſervirt und reformirt, beſchränkt und erweitert, gemäßigt und geſchärft, je nachdem es eben ſachge - mäß und folglich nothwendig war, aber keineswegs wohlge - merkt! vollſtändig erſchöpft und zwar ſchon aus dem Grunde nicht, weil der Verfaſſer, abgeneigt allen nebuloſen Allgemein - heiten, wie bei allen ſeinen Schriften, ſo auch bei dieſer nur ein ganz beſtimmtes Thema verfolgte.
Vorliegendes Werk enthält die Elemente wohlgemerkt! nur die und zwar kritiſchen Elemente zu einer Philoſophie der poſitiven Religion oder Offenbarung, aber natürlich, wie ſich im Voraus erwarten läßt, einer Religions-Philoſophie weder in dem kindiſch phantaſtiſchen Sinne unſerer chriſtlichen My - thologie, die ſich jedes Ammenmährchen der Hiſtorie als That - ſache aufbinden läßt, noch in dem pedantiſchen Sinne unſerer ſpeculativen Religionsphiloſophie, welche, wie weiland die Scholaſtik, den Articulus fidei ohne weiteres als eine logiſch - metaphyſiſche Wahrheit demonſtrirt.
Die ſpeculative Religionsphiloſophie opfert die Religion der Philoſophie, die chriſtliche Mythologie die Philoſophie der Religion auf, jene macht die Religion zu einem Spielball der ſpeculativen Willkühr, dieſe die Vernunft zum Spielball eines phantaſtiſchen religiöſen Materialismus, jene läßt die Reli -*IVgion nur ſagen, was ſie ſelbſt gedacht und weit beſſer ſagt, dieſe läßt die Religion anſtatt der Vernunft reden, jene un - fähig, aus ſich heraus zu kommen, macht die Bilder der Re - ligion zu ihren eigenen Gedanken, dieſe, unfähig, zu ſich zu kommen, die Bilder zu Sachen.
Es verſteht ſich allerdings von ſelbſt, daß Philoſophie oder Religion im Allgemeinen, d. h. abgeſehen von ihrer ſpeci - fiſchen Differenz identiſch ſind, daß, weil es ein und daſſelbe Weſen iſt, welches denkt und glaubt, auch die Bilder der Re - ligion zugleich Gedanken und Sachen ausdrücken, ja, daß jede beſtimmte Religion, jede Glaubensweiſe auch zugleich eine Denkweiſe iſt, indem es völlig unmöglich iſt, daß irgend ein Menſch Etwas glaubt, was wirklich wenigſtens ſeinem Denk - und Vorſtellungsvermögen widerſpricht. So iſt das Wunder dem Wundergläubigen nichts der Vernunft Wider - ſprechendes, vielmehr etwas ganz Natürliches, als eine ſich von ſelbſt ergebende Folge der göttlichen Allmacht, die gleich - falls für ihn eine ſehr natürliche Vorſtellung iſt. So iſt dem Glauben die Auferſtehung des Fleiſches aus dem Grabe ſo klar, ſo natürlich als die Wiederkehr der Sonne nach ihrem Untergang, das Erwachen des Frühlings nach dem Winter, die Entſtehung der Pflanze aus dem in die Erde gelegten Samen. Nur wann der Menſch nicht mehr in Harmonie mit ſeinem Glauben iſt, fühlt und denkt, der Glaube alſo keine den Menſchen mehr penetrirende Wahrheit iſt, nur dann erſt wird der Widerſpruch des Glaubens, der Religion mit der Vernunft mit beſonderm Nachdruck hervorgehoben. Aller - dings erklärt auch der mit ſich einige Glaube ſeine Gegen - ſtände für unbegreiflich, für widerſprechend der Vernunft; aber er unterſcheidet zwiſchen chriſtlicher und heidniſcher, erleuchte - ter und natürlicher Vernunft. Ein Unterſchied, der übrigens nur ſo viel ſagt: dem Unglauben nur ſind die Glaubensgegen - ſtände vernunftwidrig; aber wer ſie einmal glaubt, der iſt von ihrer Wahrheit überzeugt, dem gelten ſie ſelbſt für die höchſte Vernunft.
VAber auch inmitten dieſer Harmonie zwiſchen dem chriſt - lichen oder religiöſen Glauben und der chriſtlichen oder religiö - ſen Vernunft bleibt doch immer ein weſentlicher Unterſchied zwiſchen dem Glauben und der Vernunft übrig, weil auch der Glaube ſich nicht der natürlichen Vernunft entäußern kann. Die natürliche Vernunft iſt aber nichts andres als die Vernunft κατ̛ ἐζοχὴν, die allgemeine Vernunft, die Vernunft mit allgemeinen Wahrheiten und Geſetzen, der chriſtliche Glaube, oder, was eins iſt, die chriſtliche Vernunft dagegen iſt ein In - begriff beſonderer Wahrheiten, beſonderer Privilegien und Ex - emptionen, alſo eine beſondere Vernunft. Kürzer und ſchär - fer: die Vernunft iſt die Regel, der Glaube die Ausnahme von der Regel. Selbſt in der beſten Harmonie iſt daher eine Col - liſion zwiſchen beiden unvermeidlich, denn die Specialität des Glaubens und die Univerſalität der Vernunft decken ſich, ſätti - gen ſich nicht vollkommen, ſondern es bleibt ein Ueberſchuß von freier Vernunft, welcher für ſich ſelbſt, im Widerſpruch mit der an die Baſis des Glaubens gebundenen Vernunft, wenigſtens in beſondern Momenten, empfunden wird. So wird die Differenz zwiſchen Glauben und Vernunft ſelbſt zu einer pſychologiſchen Thatſache.
Und nicht das, worin der Glaube mit der allgemeinen Vernunft übereinſtimmt, begründet das Weſen des Glaubens, ſondern das, wodurch er ſich von ihr unterſcheidet. Die Be - ſonderheit iſt die Würze des Glaubens — daher ſein Inhalt ſelbſt äußerlich ſchon gebunden iſt an eine beſondere, hiſto - riſche Zeit, einen beſondern Ort, einen beſondern Namen. Den Glauben mit der Vernunft identificiren, heißt den Glau - ben diluiren, ſeine Differenz auslöſchen. Wenn ich z. B. den Glauben an die Erbſünde nichts weiter ausſagen laſſe, als dieß, daß der Menſch von Natur nicht ſo ſei, wie er ſein ſoll, ſo lege ich ihm nur eine ganz allgemeine rationaliſtiſche Wahr - heit in den Mund, eine Wahrheit, die jeder Menſch weiß, ſelbſt der rohe Naturmenſch noch beſtätigt, wenn er auch nur mit einem Felle ſeine Schaam bedeckt, denn was ſagt er durchVI dieſe Bedeckung anders aus, als daß das menſchliche Indivi - duum von Natur nicht ſo iſt, wie es ſein ſoll. Freilich liegt auch der Erbſünde dieſer allgemeine Gedanke zu Grunde, aber das, was ſie zu einem Glaubensobject, zu einer religiö - ſen Wahrheit macht, dieß iſt gerade das Beſondere, das Diffe - rente, das nicht mit der allgemeinen Vernunft Uebereinſtim - mende.
Allerdings iſt immer und nothwendig das Verhältniß des Denkens zu den Gegenſtänden der Religion als ein ſie be - und erleuchtendes, in den Augen der Religion, oder wenigſtens der Theologie, ein ſie diluirendes und deſtruirendes Verhältniß — ſo iſt es auch die Aufgabe dieſer Schrift, nach - zuweiſen, daß den übernatürlichen Myſterien der Religion ganz einfache, natürliche Wahrheiten zu Grunde liegen — aber es iſt zugleich unerläßlich, die weſentliche Differenz der Philoſophie und Religion ſtets feſtzuhalten, wenn man anders die Religion, nicht ſich ſelbſt expectoriren will. Die weſent - liche Differenz der Religion von der Philoſophie begründet aber das Bild. Die Religion iſt weſentlich dramatiſch. Gott ſelbſt iſt ein dramatiſches, d. h. perſönliches Weſen. Wer der Religion das Bild nimmt, der nimmt ihr die Sache, hat nur das Caput mortuum in Händen. Das Bild iſt als Bild Sache.
Hier in dieſer Schrift nun werden die Bilder der Reli - gion weder zu Gedanken — wenigſtens nicht in dem Sinne der ſpeculativen Religionsphiloſophie — noch zu Sachen ge - macht, ſondern als Bilder betrachtet — d. h. die Theologie wird weder als eine myſtiſche Pragmatologie, wie von der chriſtlichen Mythologie, noch als Ontologie, wie von der ſpeculativen Religionsphiloſophie, ſondern als pſychiſche Pa - thologie behandelt.
Die Methode, die aber der Verfaſſer hiebei befolgt, iſt eine durchaus objective — die Methode der analytiſchen Chemie. Daher werden überall, wo es nur nöthig und mög - lich war, Documente, theils gleich unter dem Text, theils inVII einem beſondern Anhange, angeführt, um die durch die Ana - lyſe gewonnenen Concluſionen zu legitimiren, d. h. als ob - jectiv begründete zu erweiſen. Findet man daher die Reſultate ſeiner Methode auffallend, illegitim, ſo ſei man ſo billig, die Schuld nicht auf ihn, ſondern auf den Gegenſtand zu ſchieben.
Daß der Verf. dieſe ſeine Zeugniſſe aus dem Archiv längſt vergangner Jahrhunderte herholt, das hat ſeine guten Gründe. Auch das Chriſtenthum hat ſeine claſſiſchen Zeiten gehabt — und nur das Wahre, das Große, das Claſſiſche iſt würdig gedacht zu werden; das Unclaſſiſche gehört vor das Forum der Komik oder Satyre. Um daher das Chriſten - thum als ein denkwürdiges Object fixiren zu können, mußte der Verf. von dem feigen, charakterloſen, comfortabeln, belle - triſtiſchen, coquetten, epikureiſchen Chriſtenthum der modernen Welt abſtrahiren, ſich zurückverſetzen in Zeiten, wo die Braut Chriſti noch eine keuſche, unbefleckte Jungfrau war, wo ſie noch nicht in die Dornenkrone ihres himmliſchen Bräutigams die Roſen und Myrten der heidniſchen Venus einflocht, um über den Anblick des leidenden Gottes nicht in Ohnmacht zu verſinken; wo ſie zwar arm war an irdiſchen Schätzen, aber überreich und überglücklich im Genuſſe der Geheimniſſe einer übernatürlichen Liebe.
Das moderne Chriſtenthum hat keine andern Zeugniſſe mehr aufzuweiſen als — Testimonia paupertatis. Was es allenfalls noch hat — das hat es nicht aus ſich — es lebt vom Allmoſen vergangner Jahrhunderte. Wäre das moderne Chriſtenthum ein der philoſophiſchen Kritik würdiger Gegen - ſtand, ſo hätte ſich der Verfaſſer die Mühe des Nachdenkens und Studiums, die ihm ſeine Schrift gekoſtet, erſparen kön - nen. Was nämlich in dieſer Schrift ſo zu ſagen a priori be - wieſen wird, daß das Geheimniß der Theologie die An - thropologie iſt, das hat längſt a posteriori die Geſchichte der Theologie bewieſen und beſtätigt. „ Die Geſchichte des Dogmas “allgemeiner ausgedrückt: der Theologie überhaupt iſt die „ Kritik des Dogmas “der Theologie überhaupt. DieVIII Theologie iſt längſt zur Anthropologie geworden. So hat die Geſchichte realiſirt, zu einem Gegenſtande des Bewußtſeins gemacht, was an ſich — hierin iſt die Methode Hegels voll - kommen richtig, hiſtoriſch begründet — das Weſen der Theo - logie war.
Obgleich aber „ die unendliche Freiheit und Perſönlichkeit “der modernen Welt ſich alſo der chriſtlichen Religion und Theologie bemeiſtert hat, daß der Unterſchied zwiſchen dem producirenden heiligen Geiſt der göttlichen Offenbarung und dem conſumirenden menſchlichen Geiſt längſt aufgehoben, der einſt übernatürliche und übermenſchliche Inhalt des Chriſten - thums längſt völlig naturaliſirt und anthropomorphoſirt iſt; ſo ſpukt doch immer noch unſrer Zeit und Theologie, in Folge ihrer unentſchiedenen Halbheit und Charakterloſigkeit, das übermenſchliche und übernatürliche Weſen des alten Chriſten - thums wenigſtens als ein Geſpenſt im Kopfe. Allein es wäre eine Aufgabe ohne alles philoſophiſche Intereſſe geweſen, wenn der Verfaſſer den Beweis, daß dieſes moderne Geſpenſt nur eine Illuſion, eine Selbſttäuſchung des Menſchen iſt, zum Ziele ſeiner Arbeit ſich geſetzt hätte. Geſpenſter ſind Schatten der Vergangenheit — nothwendig führen ſie uns auf die Frage zurück: was war einſt das Geſpenſt, als es noch ein Weſen von Fleiſch und Blut war?
Der Verf. muß jedoch den geneigten, insbeſondere aber den ungeneigten Leſer erſuchen, nicht außer Acht zu laſſen, daß er, wenn er aus der alten Zeit herausſchreibt, darum noch nicht in der alten, ſondern in der neuen Zeit und für die neue Zeit ſchreibt, daß er alſo das moderne Geſpenſt nicht außer Augen läßt, während er ſein urſprüngliches Weſen be - trachtet, daß überhaupt zwar der Inhalt dieſer Schrift ein pathologiſcher oder phyſiologiſcher, aber doch ihr Zweck zu - gleich ein therapeutiſcher oder praktiſcher iſt.
Dieſer Zweck iſt — Beförderung der pneumatiſchen Waſſerheilkunde — Belehrung über den Gebrauch und Nutzen des kalten Waſſers der natürlichen Vernunft —IX Wiederherſtellung der alten einfachen joniſchen Hydrologie auf dem Gebiete der ſpeculativen Philoſophie, zunächſt auf dem der ſpeculativen Religionsphiloſophie. Die alte joniſche, ins - beſondere Thales’ſche Lehre lautet aber bekanntlich in ihrer urſprünglichen Geſtalt alſo: das Waſſer iſt der Urſprung aller Dinge und Weſen, folglich auch der Götter; denn der Geiſt oder Gott, welcher nach Cicero dem Waſſer bei der Geburt der Dinge als ein beſonderes Weſen aſſiſtirt, iſt offenbar nur ein Zuſatz des ſpätern heidniſchen Theismus.
Nicht widerſpricht das ſokratiſche Γνῶϑι σαυτὸν, wel - ches das wahre Epigramm und Thema dieſer Schrift iſt, dem einfachen Naturelement der joniſchen Weltweisheit, wenn es wenigſtens wahrhaft erfaßt wird. Das Waſſer iſt nämlich nicht nur ein phyſiſches Zeugungs - und Nahrungsmittel, wo - für es allein der alten beſchränkten Hydrologie galt; es iſt auch ein ſehr probates pſychiſches und optiſches Remedium. Kaltes Waſſer macht klare Augen. Und welche Wonne iſt es, auch nur zu blicken in klares Waſſer! wie ſeelerquickend, wie geiſterleuchtend ſo ein optiſches Waſſerbad! Wohl zieht uns das Waſſer mit magiſchem Reize zu ſich hinab in die Tiefe der Natur, aber es ſpiegelt auch dem Menſchen ſein eignes Bild zurück. Das Waſſer iſt das Ebenbild des Selbſt - bewußtſeins, das Ebenbild des menſchlichen Auges — das Waſſer der natürliche Spiegel des Menſchen. Im Waſſer entledigt ſich ungeſcheut der Menſch aller myſtiſchen Umhül - lungen; dem Waſſer vertraut er ſich in ſeiner wahren, ſeiner nackten Geſtalt an; im Waſſer verſchwinden alle ſupranatu - raliſtiſchen Illuſionen. So erloſch auch einſt in dem Waſſer der joniſchen Naturphiloſophie die Fackel der heidniſchen Aſtro - theologie.
Hierin eben liegt die wunderbare Heilkraft des Waſſers — hierin die Wohlthätigkeit und Nothwendigkeit der pneumati - ſchen Waſſerheilkunſt, namentlich für ſo ein waſſerſcheues, ſich ſelbſt bethörendes, ſich ſelbſt verweichlichendes Geſchlecht, wie großen Theils das gegenwärtige iſt.
XFern ſei es jedoch von uns, über das Waſſer, das helle, ſonnenklare Waſſer der natürlichen Vernunft uns Illuſionen zu machen, mit dem Antidotum des Supranaturalismus ſelbſt wieder ſupranaturaliſtiſche Vorſtellungen zu verbinden. Ἄϱιστον ὕδωϱ, allerdings; aber auch ἄϱιστον μέτϱον. Auch die Kraft des Waſſers iſt eine in ſich ſelbſt begränzte, in Maaß und Ziel geſetzte Kraft. Auch für das Waſſer gibt es unheilbare Krankheiten. So iſt vor Allem incurabel die Venerie, die Luſtſeuche der modernen Frömmler, Dichtler und Schöngeiſt - ler, welche, den Werth der Dinge nur nach ihrem poetiſchen Reize bemeſſend, ſo ehr - und ſchamlos ſind, daß ſie ſelbſt auch die als Illuſion erkannte Illuſion, weil ſie ſchön und wohlthätig ſei, in Schutz nehmen, ſo weſen - und wahrheits - los, daß ſie nicht einmal mehr fühlen, daß eine Illuſion nur ſo lange ſchön iſt, ſo lange ſie für keine Illuſion, ſondern für Wahrheit gilt. Doch an ſolche grundeitle, luſtſüchtige Sub - jecte wendet ſich auch nicht der pneumatiſche Waſſerheilkünſtler. Nur wer den ſchlichten Geiſt der Wahrheit höher ſchätzt als den gleißneriſchen Schöngeiſt der Lüge, nur wer die Wahrheit ſchön, die Lüge aber häßlich findet, nur der iſt würdig und fähig, die heilige Waſſertaufe zu empfangen.
Die Religion beruht auf dem weſentlichen Unterſchiede des Menſchen vom Thiere — die Thiere haben keine Reli - gion. Die ältern kritikloſen Zoographen legten wohl dem Ele - phanten unter andern löblichen Eigenſchaften auch die Tugend der Religioſität bei; allein die Religion der Elephanten gehört in das Reich der Fabeln. Cuvier, einer der größten Kenner der Thierwelt, ſtellt, geſtützt auf eigne Beobachtungen, den Ele - phanten auf keine höhere Geiſtesſtufe als den Hund.
Was iſt aber dieſer weſentliche Unterſchied des Menſchen vom Thiere? Die einfachſte und allgemeinſte, auch populärſte Antwort auf dieſe Frage iſt: das Bewußtſein — aber Be - wußtſein im ſtrengen Sinne; denn Bewußtſein im Sinne des Selbſtgefühls, der ſinnlichen Unterſcheidungskraft, der Wahr - nehmung der äußern Dinge nach beſtimmten ſinnfälligen Merk - malen, ſolches Bewußtſein kann den Thieren nicht abgeſpro - chen werden. Bewußtſein im ſtrengſten Sinne iſt nur da, wo einem Weſen ſeine Gattung, ſeine Weſenheit Gegen - ſtand iſt. Das Thier iſt wohl ſich als Individuum — darum hat es Selbſtgefühl — aber nicht als Gattung Gegenſtand — darum mangelt ihm das Bewußtſein, welches ſeinen NamenFeuerbach. 12vom Wiſſen ableitet. Wo Bewußtſein, da iſt Fähigkeit zur Wiſſenſchaft. Die Wiſſenſchaft iſt das Bewußtſein der Gattungen. Im Leben verkehren wir mit Individuen, in der Wiſſenſchaft mit Gattungen. Aber nur ein Weſen, dem ſeine eigene Gattung, ſeine Weſenheit Gegenſtand iſt, kann andere Dinge oder Weſen nach ſeiner weſentlichen Natur zum Gegenſtande machen.
Das Thier hat daher nur ein einfaches, der Menſch ein zweifaches Leben: bei dem Thiere iſt das innere Leben eins mit dem äußern — der Menſch hat ein inneres und äußeres Leben. Das innere Leben des Menſchen iſt das Leben im Verhältniß zu ſeiner Gattung, ſeinem allgemeinen Weſen. Der Menſch denkt, d. h. er converſirt, er ſpricht mit ſich ſelbſt. Das Thier kann keine Gattungsfunction verrichten ohne ein anderes Individuum außer ihm; der Menſch aber kann die Gattungsfunction des Denkens, des Sprechens — denn Denken, Sprechen ſind wahre Gattungsfunctionen — ohne einen Andern verrichten. Der Menſch iſt ſich ſelbſt zu - gleich Ich und Du; er kann ſich ſelbſt die Stelle des Andern vertreten, eben deßwegen, weil ihm ſeine Gattung, ſein We - ſen, nicht nur ſeine Individualität Gegenſtand iſt.
Die Religion im Allgemeinen, als identiſch mit dem Weſen des Menſchen, iſt identiſch mit dem Selbſtbewußt - ſein, mit dem Bewußtſein des Menſchen von ſeinem Weſen. Aber die Religion iſt, allgemein ausgedrückt, Bewußtſein des Unendlichen; ſie iſt alſo und kann nichts andres ſein als das Bewußtſein des Menſchen von ſeinem, und zwar nicht end - lichen, beſchränkten, ſondern unendlichen Weſen. Ein wirk - lich endliches Weſen hat keine, auch nicht die entfernteſte Ahnung, geſchweige Bewußtſein von einem unendlichen3 Weſen, denn die Schranke des Weſens iſt auch die Schranke des Bewußtſeins. Das Bewußtſein der Raupe, deren Leben und Weſen auf eine beſtimmte Pflanzenſpecies eingeſchränkt iſt, erſtreckt ſich auch nicht über dieſes beſchränkte Gebiet hinaus. Sie unterſcheidet wohl dieſe Pflanze von an - dern Pflanzen, aber mehr weiß ſie nicht. Solches beſchränk - tes, aber eben wegen ſeiner Beſchränktheit infallibles, untrüg - liches Bewußtſein nennen wir darum auch nicht Bewußtſein, ſondern Inſtinkt. Bewußtſein im ſtrengen oder eigentlichen Sinne und Bewußtſein des Unendlichen iſt identiſch. Beſchränktes Bewußtſein iſt kein Bewußtſein; das Bewußt - ſein iſt weſentlich unendlicher Natur*)Objectum intellectus esse illimitatum sive omne verum ac, ut loquuntur, omne ens ut ens, ex eo constat, quod ad nul - lum non genus rerum extenditur, nullumque est, cujus cog - noscendi capax non sit, licet ob varia obstacula multa sint, quae re ipsa non norit. Gassendi. (Opp. omn. Phys.) . Das Bewußtſein des Unendlichen iſt nichts andres als das Bewußtſein von der Unendlichkeit des Bewußtſeins. Oder: im Bewußtſein des Unendlichen iſt dem Bewußten nur die Unendlichkeit des eignen Weſens Gegenſtand. **)Der geiſtloſe Materialiſt ſagt: „ Der Menſch unterſcheidet ſich vom Thiere nur durch Bewußtſein, er iſt ein Thier, aber mit Be - wußtſein “, er bedenkt alſo nicht, daß in einem Weſen, das zum Be - wußtſein erwacht, eine qualitative Veränderung und Differen - zirung des ganzen Weſens vor ſich geht. Uebrigens ſoll mit dem Ge - ſagten keineswegs das Weſen der Thiere herabgeſetzt werden. Hier iſt der Ort nicht, tiefer einzugehen.
Aber was iſt denn das Weſen des Menſchen, deſſen er ſich bewußt iſt, oder was conſtituirt die Gattung, die eigent - liche Menſchheit im Menſchen? Die Vernunft, der Wille,1*4das Herz. Zu einem vollkommenen Menſchen gehört die Kraft des Denkens, die Kraft des Willens, die Kraft des Herzens. Die Kraft des Denkens iſt das Licht der Erkennt - niß, die Kraft des Willens die Energie des Charakters, die Kraft des Herzens die Liebe. Vernunft, Liebe, Willenskraft ſind Vollkommenheiten, die Vollkommenheiten des menſch - lichen Weſens, ja abſolute Weſensvollkommenheiten. Wollen, Lieben, Denken ſind die höchſten Kräfte, ſind das abſolute Weſen des Menſchen qua talis, als Menſchen, und der Grund ſeines Daſeins. Der Menſch iſt, um zu denken, um zu lieben, um zu wollen. Was aber der Endzweck, iſt auch der wahre Grund und Urſprung eines Weſens. Aber was iſt der Zweck der Vernunft? die Vernunft. Der Liebe? die Liebe. Des Willens? die Willensfreiheit. Wir denken, um zu denken, lieben, um zu lieben, wollen, um zu wollen, d. h. frei zu ſein. Wahres Weſen iſt denkendes, liebendes, wollendes Weſen. Wahr, vollkommen, göttlich iſt nur, was um ſein ſelbſt willen iſt. Aber ſo iſt die Liebe, ſo die Vernunft, ſo der Wille. Die göttliche Dreieinigkeit im Menſchen über dem individuellen Menſchen iſt die Einheit von Vernunft, Liebe, Wille. Vernunft (in ihren ſinnlichen Formen: Einbildungs - kraft, Phantaſie, Vorſtellung, Meinung)*)Toute opinion est assez forte pour se faire esposer au prix de la vie. Montaigne. , Wille, Liebe oder Herz ſind keine Kräfte, welche der Menſch hat — denn er iſt nichts ohne ſie, er iſt, was er iſt, nur durch ſie — ſie ſind als die ſein Weſen, welches er weder hat, noch macht, conſtituirenden Kräfte, Elemente oder Principien, die ihn be - ſeelenden, beſtimmenden, beherrſchenden Mächte —5 göttliche, abſolute Mächte, denen er keinen Widerſtand entgegenſetzen kann.
Wie könnte der gefühlvolle Menſch dem Gefühl, der Lie - bende der Liebe, der Vernünftige der Vernunft widerſtehen? Wer hat nicht die zermalmende Macht der Töne erfahren? Aber was iſt die Macht der Töne als die Macht der Gefühle? Die Muſik iſt die Sprache der Gefühle — der Ton das laute Gefühl, das Gefühl, das ſich mittheilt. Wer hätte nicht die Macht der Liebe erfahren oder wenigſtens von ihr gehört? Wer iſt ſtärker? die Liebe oder der individuelle Menſch? Hat der Menſch die Liebe, oder hat nicht vielmehr die Liebe den Menſchen? Wenn die Liebe den Menſchen bewegt, ſelbſt mit Freuden für den Geliebten in den Tod zu gehen, iſt dieſe den Tod überwindende Kraft ſeine eigne individuelle Kraft oder nicht vielmehr die Kraft der Liebe? Und wer, der je wahrhaft gedacht, hätte nicht die Macht des Denkens, die freilich ſtille, geräuſchloſe Macht des Denkens erfahren? Wenn Du in tiefes Nachdenken verſinkeſt, Dich und was um Dich vergeſ - ſend, beherrſcheſt Du die Vernunft oder wirſt Du nicht von ihr beherrſcht und verſchlungen? Iſt die wiſſenſchaftliche Be - geiſterung nicht der ſchönſte Triumph, den die Vernunft über Dich feiert? Iſt die Macht des Wiſſenstriebs nicht eine ſchlechterdings unwiderſtehliche, Alles überwin - dende Macht? Und wenn Du eine Leidenſchaft unterdrückſt, eine Gewohnheit ablegſt, kurz einen Sieg über Dich ſelbſt er - ringſt, iſt dieſe ſiegreiche Kraft Deine eigne perſönliche Kraft, für ſich ſelbſt gedacht, oder nicht vielmehr die Willensenergie, die Macht der Sittlichkeit, welche ſich gewaltſam Deiner be - meiſtert und Dich mit Indignation gegen Dich ſelbſt und Deine individuellen Schwachheiten erfüllt?
6Der Menſch iſt nichts ohne Gegenſtand. Große, exemplariſche Menſchen — ſolche Menſchen, die uns das We - ſen des Menſchen offenbaren, beſtätigten dieſen Satz durch ihr Leben. Sie hatten nur eine dominirende Grundleidenſchaft: die Verwirklichung des Zwecks, welcher der weſentliche Ge - genſtand ihrer Thätigkeit war. Aber der Gegenſtand, auf welchen ſich ein Subject weſentlich, nothwendig bezieht, iſt nichts andres, als das eigne, aber gegenſtändliche Weſen dieſes Subjects. Iſt derſelbe ein mehreren der Gattung nach gleichen, der Art nach aber unterſchiedenen Individuen gemeinſchaftlicher Gegenſtand, ſo iſt er wenigſtens ſo, wie er dieſen Individuen je nach ihrer Verſchiedenheit Object iſt, ihr eignes aber gegenſtändliches Weſen.
So iſt die Sonne das gemeinſchaftliche Object der Planeten, aber ſo, wie ſie dem Merkur, der Venus, dem Saturn, dem Ura - nus, ſo iſt ſie nicht der Erde Gegenſtand. Jeder Planet hat ſeine eigne Sonne. Die Sonne, die und wie ſie den Ura - nus erleuchtet und erwärmt, hat kein phyſiſches (nur ein aſtro - nomiſches, wiſſenſchaftliches) Daſein für die Erde; und die Sonne erſcheint nicht nur anders, ſie iſt auch wirklich auf dem Uranus eine andere Sonne als auf der Erde. Das Ver - halten der Erde zur Sonne iſt daher zugleich ein Verhalten der Erde zu ſich ſelbſt oder zu ihrem eignen Weſen, denn das Maaß der Größe und der Intenſität des Lichts, in welchem die Sonne der Erde Gegenſtand iſt, iſt das Maaß der Ent - fernung, welches die eigenthümliche Natur der Erde begrün - det. Die Sonne jedes Planeten iſt der Spiegel ſeines eignen Weſens.
An dem Gegenſtande wird daher der Menſch ſeiner ſelbſt bewußt: das Bewußtſein des Gegenſtands iſt das7 Selbſtbewußtſein des Menſchen. Aus dem Gegenſtande erkennſt Du den Menſchen; an ihm erſcheint Dir ſein We - ſen: der Gegenſtand iſt ſein offenbares Weſen, ſein wah - res objectives Ich. Und dieß gilt keineswegs nur von den geiſtigen, ſondern auch den ſinnlichen Gegenſtänden. Auch die dem Menſchen fernſten Gegenſtände ſind, weil und wie - fern ſie ihm Gegenſtände ſind, Offenbarungen des menſchli - chen Weſens. Auch der Mond, auch die Sonne, auch die Sterne rufen dem Menſchen das Γνῶϑι σαυτὸν zu. Daß er ſie ſieht und ſie ſo ſieht, wie er ſie ſieht, das iſt ein Zeug - niß ſeines eignen Weſens. Das Thier wird nur ergriffen von dem das Leben unmittelbar afficirenden Lichtſtrahl, der Menſch dagegen auch noch von dem kalten Strahl des entfernteſten Sternes. Nur der Menſch hat reine, intellectuelle, intereſſe - loſe Freuden und Affecte — nur der Menſch feiert theoretiſche Augenfeſte. Das Auge, das in den Sternenhimmel ſchaut, jenes nutz - und ſchadenloſe Licht erblickt, welches nichts mit der Erde und ihren Bedürfniſſen gemein hat, dieſes Auge blickt in dieſem Lichte in ſein eignes Weſen, ſeinen eignen Urſprung. Das Auge iſt himmliſcher Natur. Darum erhebt ſich der Menſch über die Erde nur mit dem Auge; darum beginnt die Theorie mit dem Blicke nach dem Himmel. Die erſten Philoſophen waren Aſtronomen. Der Himmel erinnert den Menſchen an ſeine Beſtimmung, daran, daß er nicht blos zum Handeln, ſondern auch zur Beſchauung beſtimmt iſt.
Das abſolute Weſen des Menſchen iſt ſein eignes Weſen. Die Macht des Gegenſtandes über ihn iſt daher die Macht ſeines eignen Weſens. So iſt die Macht des Gegenſtands der Liebe die Macht der Liebe, die Macht des Gegenſtands der Vernunft die Macht der Vernunft ſelbſt. 8Den Menſchen, deſſen Weſen der Ton beſtimmt, beherrſcht das Gefühl — wenigſtens das Gefühl, welches im Tone ſein entſprechendes Element findet. Nicht der Ton für ſich ſelbſt, nur der inhaltsvolle, der ſinn - und gefühlvolle Ton hat Macht auf das Gefühl. Das Gefühl wird nur durch das Gefühl - volle, d. h. durch ſich ſelbſt, ſein eignes Weſen beſtimmt. So auch der Wille, ſo auch und unendlich mehr die Vernunft. Was für eines Gegenſtandes wir uns daher auch nur immer bewußt werden: wir werden ſtets zugleich auch unſres eignen Weſens uns bewußt. Wir können nichts Anderes bethäti - gen, ohne uns ſelbſt zu bethätigen. Und weil Wollen, Füh - len, Denken Vollkommenheiten ſind, Perfectionen, Realitäten, ſo iſt es unmöglich, daß wir mit Vernunft die Vernunft, mit Gefühl das Gefühl, mit Willen den Willen als eine beſchränkte, endliche d. i. nichtige Kraft empfinden, oder wahrnehmen. Endlichkeit nämlich und Richtigkeit ſind iden - tiſch. Endlichkeit iſt nur ein Euphemismus für Nichtigkeit. Endlichkeit iſt der metaphyſiſche, der theoretiſche, Nichtig - keit der pathologiſche, praktiſche Ausdruck. Was dem Verſtande endlich, iſt nichtig dem Herzen. Es iſt aber unmöglich, daß wir uns des Willens, des Gefühls, der Ver - nunft als endlicher Kräfte bewußt werden, weil jede Vollkom - menheit, jede urſprüngliche Kraft und Weſenheit die unmit - telbare Bewahrheitung und Bekräftigung ihrer ſelbſt iſt. Man kann nicht lieben, nicht wollen, nicht denken, ohne dieſe Thätigkeiten als Vollkommenheiten zu empfinden, nicht wahrnehmen, daß man ein liebendes, wollendes, denkendes Weſen iſt, ohne darüber eine unendliche Freude zu empfin - den. Bewußtſein iſt das ſich ſelbſt Gegenſtand Sein eines Weſens; daher nichts Apartes, nichts von dem Weſen, das9 ſich ſeiner bewußt iſt, Unterſchiednes. Wie könnte es ſonſt ſich ſeiner bewußt ſein? Unmöglich iſt es darum, einer Voll - kommenheit als einer Unvollkommenheit ſich bewußt zu wer - den, unmöglich, das Gefühl als beſchränkt zu empfin - den, unmöglich, das Denken als beſchränkt zu denken.
Bewußtſein iſt Selbſtbethätigung, Selbſtbejahung, Selbſtliebe, — Selbſtliebe nicht im Sinne der thieriſchen — Freude an der eignen Vollkommenheit. Bewußtſein iſt das charakteriſtiſche Kennzeichen eines vollkommnen Weſens. Bewußtſein iſt nur in einem geſättigten, vollendeten Weſen. Selbſt die menſchliche Eitelkeit beſtätigt dieſe Wahr - heit. Der Menſch ſteht in den Spiegel. Er hat einen Wohl - gefallen an ſeiner Geſtalt. Dieſes Wohlgefallen iſt eine noth - wendige, unwillkührliche Folge von der Vollendung, von der Schönheit ſeiner Geſtalt. Die ſchöne Geſtalt iſt in ſich geſät - tigt, ſie hat nothwendig eine Freude an ſich, ſie ſpiegelt ſich nothwendig in ſich ſelbſt. Eitelkeit iſt es nur, wenn der Menſch ſeine eigne individuelle Geſtalt beliebäugelt, aber nicht wenn er die menſchliche Geſtalt überhaupt bewundert. Er ſoll ſie bewundern. Allerdings liebt jedes Weſen ſich, ſein Sein und ſoll es lieben. Sein iſt ein Gut. Quidquid essentia dignum est, scientia dignum est. Alles was iſt hat Werth, iſt ein Weſen von Diſtinction. Wenigſtens gilt dieß von der Species, von der Gattung. Darum bejaht, behauptet es ſich. Aber die höchſte Form der Selbſtbejahung, die Form, welche ſelbſt eine Auszeichnung iſt, eine Vollkommenheit, ein Glück, ein Gut, iſt das Bewußtſein.
Jede Beſchränkung der Vernunft oder überhaupt des Weſens des Menſchen beruht auf einer Täuſchung, einem Irrthum. Wohl kann und ſoll ſelbſt das menſchliche Indi -10 viduum — hierin beſteht ſein Unterſchied von dem thieri - ſchen — ſich als beſchränkt fühlen und erkennen; aber es kann ſich ſeiner Schranken, ſeiner Endlichkeit nur bewußt werden, weil ihm die Vollkommenheit, die Unendlichkeit der Gattung Gegenſtand iſt, ſei es nun als Gegenſtand des Gefühls, oder des Gewiſſens, oder des denkenden Bewußtſeins. Macht es gleichwohl ſeine Schranken zu Schranken der Gattung, ſo beruht dieß auf der Täuſchung, daß es ſich mit der Gat - tung unmittelbar identificirt — eine Täuſchung, die mit der Bequemlichkeitsliebe, Trägheit, Eitelkeit und Selbſtſucht des Individuums aufs innigſte zuſammenhängt. Eine Schranke nämlich, die ich blos als meine Schranke weiß, demüthigt, beſchämt und beunruhigt mich. Um mich daher von die - ſem Schamgefühl, von dieſer Unruhe zu befreien, mache ich die Schranken meiner Individualität zu Schranken des menſchlichen Weſens ſelbſt. Was mir unbegreiflich, iſt auch den Andern unbegreiflich; was ſoll ich mich weiter kümmern? es iſt ja nicht meine Schuld; es liegt nicht an mei - nem Verſtande; es liegt am Verſtande der Gattung ſelbſt. Aber es iſt Wahn, lächerlicher und zugleich frevelhafter Wahn, das, was die Natur des Menſchen conſtituirt, das Weſen der Gattung, welches das abſolute Weſen des Individuums iſt, als endlich, als beſchränkt zu beſtimmen. Jedes Weſen iſt ſich ſelbſt genug. Kein Weſen kann ſich d. h. ſeine Weſenheit negiren; kein Weſen iſt ſich ſelbſt ein beſchränktes. Jedes Weſen iſt vielmehr in ſich und für ſich unendlich. Jede Schranke eines Weſens exiſtirt nur für ein andres Weſen außer und über ihm. Das Leben der Ephemeren iſt außerordentlich kurz im Vergleich zu länger lebenden Thie - ren; aber gleichwohl iſt für ſie dieſes kurze Leben ſo lang, als11 für Andere ein Leben von Jahren. Das Blatt, auf dem die Raupe lebt, iſt für ſie eine Welt, ein unendlicher Raum.
Was ein Weſen zu dem macht, was es iſt, das iſt eben ſein Talent, ſein Vermögen, ſein Reichthum, ſein Schmuck. Wie wäre es möglich, ſein Sein als Nichtſein, ſeinen Reich - thum als Mangel, ſein Talent als Unvermögen zu gewahren? Hätten die Pflanzen Augen, Geſchmack und Urtheilskraft — jede Pflanze würde ihre Blume für die ſchönſte erklären; denn ihr Verſtand, ihr Geſchmack würde nicht weiter reichen als ihre producirende Weſenskraft. Was die producirende We - ſenskraft als das Höchſte hervorbrächte, das müßte auch ihr Geſchmack, ihre Urtheilskraft als das Höchſte bekräftigen, an - erkennen. Was das Weſen bejaht, kann der Verſtand, der Geſchmack, das Urtheil nicht verneinen; ſonſt wäre der Verſtand, die Urtheilskraft nicht mehr der Verſtand, die Ur - theilskraft dieſes beſtimmten, ſondern irgend eines andern We - ſens. Das Maaß des Weſens iſt auch das Maaß des Verſtandes. Iſt das Weſen beſchränkt, ſo iſt auch das Ge - fühl, auch der Verſtand beſchränkt. Aber einem beſchränkten Weſen iſt ſein beſchränkter Verſtand keine Schranke; es iſt viel - mehr vollkommen glücklich und befriedigt mit demſelben; es empfindet ihn, es lobt und preiſt ihn als eine herrliche, gött - liche Kraft; und der beſchränkte Verſtand preiſt ſeinerſeits wie - der das beſchränkte Weſen, deſſen Verſtand er iſt. Beide paſ - ſen aufs genauſte zuſammen; wie ſollten ſie mit einander zerfal - len können? Der Verſtand iſt der Geſichtskreis eines Weſens. So weit Du ſiehſt, ſo weit erſtreckt ſich Dein Weſen, und um - gekehrt. Das Auge des Thieres reicht nicht weiter, als ſein Be - dürfniß, und ſein Weſen nicht weiter, als ſein Bedürfniß. Und ſo weit Dein Weſen, ſo weit reicht Dein unbeſchränk -12 tes Selbſtgefühl, ſo weit biſt Du Gott. Der Zwieſpalt von Verſtand und Weſen, von Denkkraft und Productions - kraft im menſchlichen Bewußtſein iſt einerſeits ein nur indivi - dueller, ohne allgemeine Bedeutung, andrerſeits nur ein ſchein - barer. Wer ſeine ſchlechten Gedichte als ſchlecht erkennt, iſt, weil in ſeiner Erkenntniß, auch in ſeinem Weſen nicht ſo beſchränkt, wie der, welcher ſeine ſchlechten Gedichte in ſei - nem Verſtande approbirt.
Kein Weſen kann alſo in ſeinen Gefühlen, Vorſtellungen, Gedanken ſeine Natur verläugnen. Was es auch ſetzt — es ſetzt immer Sich ſelbſt. Jedes Weſen hat ſeinen Gott, ſein höchſtes Weſen in ſich ſelbſt. Preiſeſt Du die Herrlichkeit Gottes, ſo preiſeſt Du die Herrlichkeit des eignen Weſens. Alle Bewunderung iſt im Grunde Selbſtbewunderung, alles Lob Selbſtlob; jedes Urtheil, das Du über Anderes fällſt, ein Urtheil über Dich ſelbſt. Rühmliches zu rühmen, iſt ſelbſt Ruhm, Tugenden eines Andern anzuerkennen, zu fühlen, ſelbſt Tugend. Was des Lichtes ſich freut, das iſt in ſich ſelbſt ein illuminirtes, aufgeklärtes Weſen. Gleich und Gleich ge - ſellt ſich gern. Nur der helle Kopf verlangt nach Licht; nur Licht vernimmt Licht.
Denkſt Du folglich das Unendliche, ſo denkſt und be - ſtätigſt Du die Unendlichkeit des Denkvermögens; fühlſt Du das Unendliche, ſo fühlſt und beſtätigſt Du die Unend - lichkeit des Gefühlsvermögens. Der Gegenſtand der Vernunft iſt die ſich gegenſtändliche Vernunft, der Ge - genſtand des Gefühls das ſich gegenſtändliche Gefühl. Haſt Du keinen Sinn, kein Gefühl für Muſik, ſo vernimmſt Du auch in der ſchönſten Muſik nicht mehr, als in dem Winde, der vor Deinen Ohren vorbeiſauft, als in dem Bache, der vor13 Deinen Füßen vorbeirauſcht. Was ergreift Dich alſo, wenn Dich der Ton ergreift? Was vernimmſt Du in ihm? was anders, als die Stimme Deines eignen Herzens? Darum ſpricht das Gefühl nur zum Gefühl, darum iſt das Gefühl nur dem Gefühl, d. h. ſich ſelbſt verſtändlich — darum, weil der Gegenſtand des Gefühls ſelbſt nur Gefühl iſt. Die Mu - ſik iſt ein Monolog des Gefühls. Aber auch der Dialog der Philoſophie iſt in Wahrheit nur ein Monolog der Ver - nunft. Der Gedanke ſpricht nur zum Gedanken. Der Far - benglanz der Kryſtalle entzückt die Sinne; die Vernunft inter - eſſiren nur die Geſetze der Kryſtallonomie. Der Vernunft iſt nur das Vernünftige Gegenſtand.
Alles daher, was im Sinne der hyperphyſiſchen trans - cendenten Speculation und Religion nur die Bedeutung des Secundären, des Subjectiven, des Mittels, des Or - gans hat, das hat im Sinne der Wahrheit die Bedeutung des Primitiven, des Weſens, des Gegenſtandes ſelbſt. Iſt z. B. das Gefühl das weſentliche Organ der Religion, ſo drückt das Weſen Gottes nichts andres aus, als das We - ſen des Gefühls. Der wahre, aber verborgene Sinn der Rede: „ das Gefühl iſt das Organ des Göttlichen, “lautet: das Gefühl iſt das Nobelſte, Trefflichſte, d. h. Göttliche im Menſchen. Wie könnteſt Du das Göttliche vernehmen durch das Gefühl, wenn das Gefühl nicht ſelbſt göttlicher Na - tur wäre? Das Göttliche wird ja nur durch das Göttliche, Gott nur durch ſich ſelbſt erkannt. Das göttliche Weſen, wel - ches das Gefühl vernimmt, iſt in der That nichts als das von ſich ſelbſt entzückte und bezauberte Weſen des Ge - fühls — das wonnetrunkene, in ſich ſelige Gefühl.
Es erhellt dieß ſchon daraus, daß da, wo das Gefühl14 zum Organ des Unendlichen, zum ſubjectiven Weſen der Re - ligion gemacht wird, der Gegenſtand derſelben ſeinen objecti - ven Werth verliert. So iſt, ſeitdem man das Gefühl zur Hauptſache der Religion gemacht, der ſonſt ſo heilige Glau - bensinhalt des Chriſtenthums gleichgültig geworden. Wird auch auf dem Standpunkt des Gefühls dem Gegenſtand noch Werth eingeräumt, ſo hat er doch dieſen nur um des Gefühls willen. Würde ein anderer Gegenſtand dieſelben Gefühle er - regen, ſo wäre er eben ſo willkommen. Der Gegenſtand des Gefühls wird aber eben nur deßwegen gleichgültig, weil, wo einmal das Gefühl als das ſubjective Weſen der Religion ausgeſprochen wird, es in der That auch das objective We - ſen derſelben iſt, wenn es gleich nicht als ſolches, wenigſtens direct, ausgeſprochen wird. Direct ſage ich; denn indirect wird dieß allerdings eingeſtanden, indem, wenn einmal das Gefühl für das Organ des Göttlichen gilt, das Gefühl als ſolches, jedes Gefühl als Gefühl für religiös erklärt, alſo der Unterſchied zwiſchen ſpecifiſch religiöſen und irreli - giöſen oder wenigſtens nicht religiöſen Gefühlen aufgehoben wird und aufgehoben werden muß. Warum denn anders als we - gen ſeines Weſens, ſeiner Natur machſt Du das Gefühl zum Or - gan des unendlichen, des göttlichen Weſens? Iſt aber nicht die Natur des Gefühls überhaupt auch die Natur jedes ſpeciellen Ge - fühls, ſein Gegenſtand ſei nun welcher er wolle? Was macht alſo dieſes Gefühl zum religiöſen? der beſtimmte Gegenſtand? Mit nichten, denn dieſer Gegenſtand iſt ſelbſt nur ein reli - giöſer, wenn er nicht ein Gegenſtand des kalten Verſtandes oder Gedächtniſſes, ſondern des Gefühls iſt. Was alſo? die Natur des Gefühls, an der jedes Gefühl, ohne Unterſchied des Gegenſtandes, Theil hat. Das Gefühl iſt alſo heilig ge -15 ſprochen, lediglich weil es Gefühl iſt; der Grund der Reli - gioſität iſt die Natur des Gefühls, liegt in ihm ſelbſt. Iſt aber dadurch nicht das Gefühl als das Abſolute, als das Göttliche ſelbſt ausgeſprochen? Wenn das Gefühl durch ſich ſelbſt gut, religiös, d. h. heilig, göttlich iſt, hat das Ge - fühl ſeinen Gott nicht in ſich ſelbſt?
Wenn Du aber dennoch ein Object des Gefühls feſtſetzen, zugleich aber Dein Gefühl wahrhaft auslegen willſt, ohne mit Deiner Reflexion etwas Fremdartiges hineinzulegen, was bleibt Dir übrig, als zu unterſcheiden zwiſchen Deinen indi - viduellen Gefühlen und zwiſchen dem allgemeinen Weſen, der Natur des Gefühls, als abzuſondern das Weſen des Gefühls von den ſtörenden, verunreinigenden Einflüſſen, an welche in Dir, dem bedingten Individuum, das Gefühl gebunden iſt? Was Du daher allein vergegenſtändlichen, als das Unend - liche ausſprechen, als deſſen Weſen beſtimmen kannſt, das iſt nur die Natur des Gefühls. Du haſt hier keine andere Be - ſtimmung für Gott als dieſe: Gott iſt das reine, das un - beſchränkte, das freie Gefühl. Jeder andre Gott, den Du hier ſetzeſt, iſt ein von Außen Deinem Gefühl aufgedrun - gener Gott. Das Gefühl iſt atheiſtiſch im Sinne des or - thodoxen Glaubens, als welcher die Religion an einen äußern Gegenſtand anknüpft. Das Gefühl läugnet einen gegen - ſtändlichen Gott — es iſt ſich ſelbſt Gott. Die Nega - tion des Gefühls nur iſt auf dem Standpunkt des Gefühls die Negation Gottes. Du biſt nur zu feige oder zu be - ſchränkt, um mit Worten einzugeſtehen, was Dein Gefühl im Stillen bejaht. Gebunden an äußere Rückſichten, in den Banden des gemeinſten Empirismus noch befangen, unfähig die Seelengröße des Gefühls zu begreifen, erſchrickſt Du vor16 dem religiöſen Atheismus Deines Herzens und zerſtörſt in dieſem Schrecken die Einheit Deines Gefühls mit ſich ſelbſt, indem Du Dir ein vom Gefühl unterſchiednes, objecti - ves Weſen vorſpiegelſt, und Dich ſo nothwendig wieder zu - rückwirfſt in die alten Fragen und Zweifel: ob ein Gott iſt oder nicht iſt? Fragen und Zweifel, die doch da verſchwun - den, ja unmöglich ſind, wo das Gefühl als das Weſen der Religion beſtimmt wird. Das Gefühl iſt Deine innigſte und doch zugleich eine von Dir unterſchiedene, unabhängige Macht, es iſt in Dir über Dir: es iſt ſelbſt ſchon das Objective in Dir, Dein eigenſtes Weſen, das Dich als und wie ein an - deres Weſen ergreift, kurz Dein Gott — wie willſt Du alſo von dieſem objectiven Weſen in Dir noch ein an - deres objectives Weſen unterſcheiden? wie über Dein Gefühl hinaus?
Das Gefühl wurde aber hier nur als Beiſpiel hervorge - hoben. Dieſelbe Bewandtniß hat es mit jeder andern Kraft, Fähigkeit, Potenz, Realität, Thätigkeit — der Name iſt gleich - gültig — welche man als das weſentliche Organ eines Gegenſtandes beſtimmt. Was ſubjectiv die Bedeutung des Weſens, das hat eben damit auch objectiv die Bedeutung des Weſens. Der Menſch kann nun einmal nicht über ſein wahres Weſen hinaus. Wohl mag er ſich vermittelſt der Phantaſie Individuen anderer, angeblich höherer Art vorſtel - len, aber von ſeiner Gattung, ſeinem Weſen kann er nimmer - mehr abſtrahiren; die Weſensbeſtimmungen, die poſitiven letz - ten Prädicate, die er dieſen andern Individuen gibt, ſind im - mer aus ſeinem eignen Weſen geſchöpfte Beſtimmungen — Beſtimmungen, in denen er in Wahrheit nur ſich ſelbſt abbil - det und vergegenſtändlicht.
Was im Allgemeinen, ſelbſt in Beziehung auf die ſinn - lichen Gegenſtände, von dem Verhältniß des Subjects zum Object bisher behauptet wurde, das gilt insbeſondere von dem Verhältniß des Subjects zum religiöſen Gegenſtande.
Im Verhältniß zu den ſinnlichen Gegenſtänden iſt das Bewußtſein des Gegenſtandes wohl unterſcheidbar vom Selbſt - bewußtſein; aber bei dem religiöſen Gegenſtand fällt das Be - wußtſein mit dem Selbſtbewußtſein unmittelbar zuſammen. Der ſinnliche Gegenſtand iſt außer dem Menſchen da, der religiöſe in ihm, ein ſelbſt innerlicher — darum ein Ge - genſtand, der ihn eben ſo wenig verläßt, als ihn ſein Selbſt - bewußtſein, ſein Gewiſſen verläßt — ein intimer, ja der al - lerintimſte, der allernächſte Gegenſtand. „ Gott, ſagt Augu - ſtin und Malebranche, iſt uns näher als wir uns ſelbſt. Gott iſt enger mit uns verbunden als der Leib mit der Seele, als wir mit uns ſelbſt. “ Der ſinnliche Gegenſtand iſt an ſich ein indifferenter, unabhängig von der Geſinnung, von der Urtheilskraft; der Gegenſtand der Religion aber iſt ein aus - erleſener Gegenſtand: das vorzüglichſte, das erſte, das höchſte Weſen; er ſetzt weſentlich ein kritiſches Urtheil voraus, den Unterſchied zwiſchen dem Göttlichen und Nichtgöttlichen, dem Anbetungswürdigen und Nichtanbetungswürdigen*)Unusquisque vestrum non cogitat, prius se debere Deum nosse, quam colere. M. Minucii Felicis Octavianus. c. 24. . Und hier gilt daher ohne alle Einſchränkung der Satz: der Gegen - ſtand des Subjects iſt nichts andres als das gegenſtänd - liche Weſen des Subjects ſelbſt. Wie der Menſch ſich Gegenſtand, ſo iſt ihm Gott Gegenſtand; wie er denkt, wie erFeuerbach. 218geſinnt iſt, ſo iſt ſein Gott. So viel Werth der Menſch hat, ſo viel Werth und nicht mehr hat ſein Gott. Das Bewußt - ſein Gottes iſt das Selbſtbewußtſein des Menſchen, die Erkenntniß Gottes die Selbſterkenntniß des Men - ſchen*)Wenn daher in der Hegel’ſchen Religionsphiloſophie auf dem Standpunkt der myſtiſch-ſpeculativen Vernunft der oberſte Grundſatz der iſt: „ das Wiſſen des Menſchen von Gott iſt das Wiſſen Got - tes von ſich ſelbſt, “ſo gilt dagegen hier auf dem Standpunkt der natürlichen Vernunft der entgegengeſetzte Grundſatz: das Wiſſen des Menſchen von Gott iſt das Wiſſen des Menſchen von ſich ſelbſt.. Aus ſeinem Gotte erkennſt Du den Menſchen, und hinwiederum aus dem Menſchen ſeinen Gott; beides iſt iden - tiſch. Was dem Menſchen Gott iſt, das iſt ſein Geiſt, ſeine Seele, und was des Menſchen Geiſt, ſeine Seele, ſein Herz, das iſt ſein Gott: Gott iſt das offenbare Innere, das ausgeſprochne Selbſt des Menſchen; die Reli - gion iſt die feierliche Enthüllung der verborgnen Schätze des Menſchen, das Eingeſtändniß ſeiner innerſten Gedanken, das öffentliche Bekenntniß ſeiner Liebesgeheimniſſe.
Wenn aber die Religion, das Bewußtſein Gottes, als das Selbſtbewußtſein des Menſchen bezeichnet wird, ſo iſt dieß nicht ſo zu verſtehen, als wäre der religiöſe Menſch ſich direct bewußt, daß ſein Bewußtſein von Gott das Selbſtbewußtſein ſeines Weſens iſt, denn der Mangel dieſes Bewußtſeins be - gründet eben die differentia specifica der Religion. Um die - ſen Mißverſtand zu beſeitigen, iſt es beſſer zu ſagen: die Re - ligion iſt die erſte und zwar indirecte Selbſterkenntniß des Menſchen. Die Religion geht daher überall der Philoſophie voran, wie in der Geſchichte der Menſchheit, ſo auch in der19 Geſchichte der Einzelnen. Der Menſch verlegt ſein Weſen zu - erſt außer ſich, ehe er es in ſich findet. Das eigne Weſen iſt ihm zuerſt als ein andres Weſen Gegenſtand. Der geſchicht - liche Fortgang in den Religionen beſteht deßwegen darin, daß das, was der frühern Religion für etwas Objectives galt, als etwas Subjectives, d. h. was als Gott angeſchaut und an - gebetet wurde, jetzt als etwas Menſchliches erkannt wird. Die frühere Religion iſt der ſpätern Götzendienſt: der Menſch hat ſein eignes Weſen angebetet. Der Menſch hat ſich ver - objectivirt, aber den Gegenſtand nicht als ſein Weſen erkannt; die ſpätere Religion thut dieſen Schritt. Jeder Fortſchritt in der Religion iſt daher eine tiefere Selbſterkenntniß. Aber jede beſtimmte Religion, die ihre ältern Schweſtern als Götzendie - nerinnen bezeichnet, nimmt ſich ſelbſt — und zwar nothwen - dig, ſonſt wäre ſie nicht mehr Religion — von dem Schick - ſal, dem allgemeinen Weſen der Religion aus; ſie ſchiebt nur auf die andern Religionen, was doch — wenn an - ders Schuld — die Schuld der Religion überhaupt iſt. Weil ſie einen andern Gegenſtand, einen andern Inhalt hat, weil ſie über den Inhalt der frühern ſich erhoben, wähnt ſie ſich er - haben über die nothwendigen und ewigen Geſetze, die das Weſen der Religion conſtituiren, wähnt ſie, daß ihr Gegen - ſtand, ihr Inhalt ein übermenſchlicher ſei. Aber dafür durch - ſchaut das ihr ſelbſt verborgne Weſen der Religion der Denker, dem die Religion Gegenſtand iſt, was ſich ſelbſt die Religion nicht ſein kann. Und unſre Aufgabe iſt es eben, nachzuweiſen, daß der Gegenſatz des Göttlichen und Menſch - lichen ein durchaus illuſoriſcher, daß folglich auch der Gegen - ſtand und Inhalt der chriſtlichen Religion ein durchaus menſch - licher iſt.
2*20Die Religion, wenigſtens die chriſtliche, iſt das Ver - halten des Menſchen zu ſich ſelbſt, oder richtiger: zu ſeinem (und zwar ſubjectiven*)Die Bedeutung dieſer parenthetiſchen Beſchränkung wird im Ver - laufe erhellen. Weſen, aber das Verhalten zu ſeinem Weſen als zu einem andern Weſen. Das göttliche Weſen iſt nichts andres als das menſchliche Weſen oder beſſer: das Weſen des Menſchen, gereinigt, befreit von den Schranken des individuellen Menſchen**)Les perfections de Dieu sont celles de nos ames, mais il les possede sans bornes .... il y a en nous quelque puis - sance, quelque connaissance, quelque bonté, mais elles sont toutes entieres en Dieu. Leibnitz. (Theod. Préface.) Nihil in anima esse putemus eximium, quod non etiam divinae naturae pro - prium sit .... Quidquid a Deo alienum, extra definitionem animae. S. Gregorius Nyss. (Krabingerus Lips. 1837. p. 43.) , verobjectivirt, d. h. angeſchaut und verehrt als ein and - res von ihm unterſchiednes, eignes Weſen — alle Be - ſtimmungen des göttlichen Weſens ſind darum menſchliche Beſtimmungen.
In Beziehung auf die Beſtimmungen, die Prädicate des göttlichen Weſens wird dieß denn auch ohne Anſtand zugege - ben, aber keineswegs in Beziehung auf das Subject dieſer Prädicate. Die Negation des Subjects gilt für Irreligioſität, ja für Atheismus, nicht aber die Negation der Prädicate. Aber was keine Beſtimmungen hat, das hat auch keine Wir - kungen auf mich; was keine Wirkungen, auch kein Daſein für mich. Alle Beſtimmungen negiren, iſt ſo viel als das Weſen ſelbſt negiren. Ein beſtimmungsloſes Weſen iſt ein unge - genſtändliches Weſen, ein ungegenſtändliches ein nichtiges Weſen. Wo der Menſch alle Beſtimmungen von Gott ent -21 fernt, da iſt ihm Gott nur noch ein negatives Weſen. Dem wahrhaft religiöſen Menſchen iſt Gott kein beſtimmungsloſes Weſen, weil er ihm ein gewiſſes, wirkliches Weſen iſt. Die Beſtimmungsloſigkeit und mit ihr identiſche Unerkennbarkeit Gottes iſt daher nur eine Frucht der neuern Zeit, ein Product der modernen Ungläubigkeit.
Wie die Vernunft nur da als endlich beſtimmt wird und be - ſtimmt werden kann, wo dem Menſchen der ſinnliche Genuß oder das religiöſe Gefühl oder die äſthetiſche Anſchauung oder die mo - raliſche Geſinnung für das Abſolute, das Wahre gilt: ſo kann nur da die Unerkennbarkeit oder Unbeſtimmbarkeit Gottes als ein Dogma ausgeſprochen und fixirt werden, wo dieſer Ge - genſtand kein Intereſſe mehr für die Erkenntniß hat, wo die Wirklichkeit allein den Menſchen in Anſpruch nimmt, das Wirkliche allein für ihn die Bedeutung des weſentlichen, des abſoluten, göttlichen Gegenſtandes hat, aber doch zugleich noch im Widerſpruch mit dieſer rein weltlichen Tendenz ein alter Reſt von Religioſität vorhanden iſt. Der Menſch ent - ſchuldigt mit der Unerkennbarkeit Gottes vor ſeinem noch übrig - gebliebenen religiöſen Gewiſſen ſeine Gottvergeſſenheit, ſein Verlorenſein in die Welt; er negirt Gott praktiſch durch die That — all ſein Sinnen und Denken hat die Welt inne — aber er negirt ihn nicht theoretiſch; er greift ſeine Exiſtenz nicht an; er läßt ihn beſtehen. Allein dieſe Exiſtenz tangirt und incommodirt ihn nicht; ſie iſt eine nur negative Exiſtenz, eine Exiſtenz ohne Exiſtenz, eine ſich ſelbſt widerſprechende Exiſtenz, — ein Sein, das ſeinen Wirkungen nach nicht un - terſcheidbar vom Nichtſein iſt. Die Negation beſtimmter, po - ſitiver Prädicate des göttlichen Weſens iſt nichts andres als eine Negation der Religion, welche aber noch einen Schein22 von Religion für ſich hat, ſo daß ſie nicht als Negation erkannt wird — nichts andres als ein ſubtiler, verſchlag - ner Atheismus. Die angeblich religiöſe Scheu, Gott durch beſtimmte Prädicate zu verendlichen, iſt nur der irreligiöſe Wunſch, von Gott nichts mehr wiſſen zu wollen, Gott ſich aus dem Sinne zu ſchlagen. Wer ſich ſcheut, endlich zu ſein, ſcheut ſich zu exiſtiren. Alle reale Exiſtenz, d. h. alle Exiſtenz, die wirklich, re vera Exiſtenz iſt, die iſt qua - litative, beſtimmte und deßwegen endliche Exiſtenz. Wer ernſtlich, wirklich, wahrhaft an die Exiſtenz Gottes glaubt, der ſtößt ſich nicht an den ſelbſt derbſinnlichen Eigenſchaf - ten Gottes. Wer nicht durch ſeine Exiſtenz beleidigen, wer nicht derb ſein will, der verzichte auf die Exiſtenz. Ein Gott, der ſich durch die Beſtimmtheit beleidigt fühlt, hat nicht den Muth und nicht die Kraft zu exiſtiren. Die Qualität iſt das Feuer, die Lebensluft, der Sauerſtoff, das Salz der Exi - ſtenz. Eine Exiſtenz überhaupt, eine Exiſtenz ohne Quali - tät iſt eine geſchmackloſe, eine abgeſchmackte Exiſtenz. In Gott iſt aber nicht mehr als in der Religion iſt. Nur da, wo der Menſch den Geſchmack an der Religion verliert, die Religion ſelbſt alſo geſchmacklos wird, nur da wird daher auch die Exiſtenz Gottes zu einer abgeſchmackten Exiſtenz.
Es gibt übrigens noch eine gelindere Weiſe der Negation der göttlichen Prädicate als die directe, eben bezeichnete. Man gibt zu, daß die Prädicate des göttlichen Weſens endliche, insbeſondre menſchliche Beſtimmungen ſind; aber man ver - wirft ihre Verwerfung; man nimmt ſie ſogar in Schutz, weil es dem Menſchen nothwendig ſei, ſich beſtimmte Vorſtellun - gen von Gott zu machen, und weil er nun einmal Menſch ſei, ſo könne er ſich auch keine andern als eben menſchliche23 Vorſtellungen von ihm machen. In Beziehung auf Gott, ſagt man, ſind dieſe Prädicate freilich ohne objective Bedeu - tung, aber für mich kann er, weil und wenn er für mich ſein ſoll, nicht anders erſcheinen als ſo, wie er mir erſcheint, nämlich als ein menſchliches oder doch menſchenähnliches Weſen. Allein dieſe Unterſcheidung zwiſchen dem, was Gott an ſich und dem, was er für mich iſt, zerſtört den Frieden der Religion, und iſt überdem an ſich ſelbſt eine grund - und haltungsloſe Diſtinction. Ich kann gar nicht wiſſen, ob Gott etwas andres an ſich oder für ſich iſt, als er für mich iſt; wie er für mich iſt, ſo iſt er Alles für mich. Für mich liegt eben in dieſen Prädicaten, unter welchen er für mich iſt, ſein Anſichſelbſtſein, ſein Weſen ſelbſt; er iſt für mich ſo, wie er für mich nur immer ſein kann. Der religiöſe Menſch iſt in dem, was Gott in Bezug auf ihn iſt — von einer andern Beziehung weiß er als Menſch nichts — vollkommen be - friedigt, denn Gott iſt ihm, was er dem Menſchen über - haupt ſein kann. In jener Diſtinction ſetzt ſich der Menſch über ſich ſelbſt, d. h. über ſein Weſen, ſein abſolutes Maaß hinweg; aber dieſe Hinwegſetzung iſt nur eine Illuſion. Den Unterſchied nämlich zwiſchen dem Gegenſtande, wie er an ſich, und dem Gegenſtand, wie er für mich iſt, kann ich nur da ma - chen, wo ein Gegenſtand mir wirklich anders erſcheinen kann, als er erſcheint; aber nicht, wo er mir ſo erſcheint, wie er mir nach meinem abſoluten Maaße erſcheint, wie er mir erſcheinen muß. Wohl kann meine Vorſtellung eine ſub - jective ſein, d. h. eine ſolche, an welche die Gattung nicht gebunden iſt. Aber wenn meine Vorſtellung dem Maaße der Gattung entſpricht, ſo fällt die Unterſcheidung zwiſchen An - ſichſein und Fürmichſein weg; denn dieſe Vorſtellung iſt ſelbſt24 eine abſolute. Das Maaß der Gattung iſt das abſolute Maaß, Geſetz und Kriterium des Menſchen. Aber die Reli - gion hat eben die Ueberzeugung, daß ihre Vorſtellungen, ihre Prädicate von Gott ſolche ſind, die jeder Menſch haben ſoll und haben muß, wenn er die wahren haben will, daß ſie die nothwendigen Vorſtellungen der menſchlichen Natur, ja, die objectiven, die gottgemäßen Vorſtellungen ſind. Jeder Religion ſind die Götter der andern Religionen nur Vorſtel - lungen von Gott, aber die Vorſtellung, die ſie von Gott hat, iſt ihr Gott ſelbſt, Gott, wie ſie ihn vorſtellt, der ächte, wahre Gott, Gott, wie er an ſich iſt. Die Religion begnügt ſich nur mit einem ganzen, rückhaltsloſen Gott. Die Re - ligion will nicht eine bloße Erſcheinung von Gott; ſie will Gott ſelbſt, Gott in Perſon. Die Religion gibt ſich ſelbſt auf, wenn ſie das Weſen Gottes aufgibt. Sie iſt keine Wahrheit mehr, wo ſie auf den Beſitz des wahren Gottes verzichtet. Der Skepticismus iſt der Erzfeind der Religion. Aber die Unterſcheidung zwiſchen Object und Vorſtellung, zwi - ſchen Gott an ſich und Gott für mich iſt eine ſkeptiſche irreli - giöſe Unterſcheidung.
Was dem Menſchen die Bedeutung des Anſichſeienden hat, was ihm das höchſte Weſen iſt, das, worüber er nichts Höheres ſich vorſtellen kann, dieſes iſt ihm eben das gött - liche Weſen. Wie könnte er alſo bei dieſem Gegenſtande noch fragen: was er an ſich ſei? Wenn Gott dem Vogel Gegen - ſtand wäre, ſo wäre er ihm nur als ein geflügeltes Weſen Gegenſtand: der Vogel kennt nichts Höheres, nichts Selige - res als das Geflügeltſein. Wie lächerlich wäre es, wenn die - ſer Vogel urtheilte: mir erſcheint Gott als ein Vogel, aber was er an ſich iſt, weiß ich nicht. Das höchſte Weſen iſt dem25 Vogel eben das Weſen des Vogels. Nimmſt Du ihm die Vorſtellung vom Weſen des Vogels, ſo nimmſt Du ihm die Vorſtellung des höchſten Weſens. Wie könnte er alſo fragen: ob Gott an ſich geflügelt ſei? Fragen: ob Gott an ſich ſo iſt, wie er für mich iſt, heißt fragen: ob Gott Gott iſt? heißt über ſeinen Gott ſich erheben, gegen ihn ſich em - pören.
Wo ſich daher einmal das Bewußtſein des Menſchen be - mächtigt, daß die religiöſen Prädicate nur Anthropomorphis - men ſind, da hat ſich ſchon der Zweifel, der Unglaube des Glaubens bemächtigt. Und es iſt nur die Inconſequenz der Herzensfeigheit und der Verſtandesſchwäche, die von dieſem Bewußtſein aus nicht bis zur förmlichen Negation der Prädi - cate und von dieſer bis zur Negation des zu Grunde liegenden Subjects fortgeht. Bezweifelſt Du die objective Wahrheit der Prädicate, ſo mußt Du auch die objective Wahrheit des Subjects dieſer Prädicate in Zweifel ziehen. Sind Deine Prädicate Anthropomorphismen, ſo iſt auch das Subject der - ſelben ein Anthropomorphismus. Sind Liebe, Güte, Perſön - lichkeit u. ſ. w. menſchliche Beſtimmungen, ſo iſt auch das Subject derſelben, welches Du ihnen vorausſetzeſt, auch die Exiſtenz Gottes, auch der Glaube, daß überhaupt ein Gott iſt, ein Anthropomorphismus — eine durchaus menſchliche Vorausſetzung. Woher weißt Du, daß der Glaube an Gott überhaupt nicht eine Schranke der menſchlichen Vorſtellungs - weiſe iſt? Höhere Weſen — und Du nimmſt ja deren an — ſind vielleicht ſo ſelig in ſich ſelbſt, ſo einig mit ſich, daß ſie ſich nicht mehr in der Spannung zwiſchen ſich und einem hö - hern Weſen befinden. Gott zu wiſſen und nicht ſelbſt Gott zu ſein, Seligkeit zu kennen und nicht ſelbſt zu genießen, das iſt26 ein Zwieſpalt, ein Unglück. Höhere Weſen wiſſen nichts von dieſem Unglück; ſie haben keine Vorſtellung von dem, was ſie nicht ſind.
Du glaubſt an die Liebe als eine göttliche Eigenſchaft, weil Du ſelbſt liebſt, Du glaubſt, daß Gott ein weiſes, ein gütiges Weſen iſt, weil Du nichts Beſſeres von Dir kennſt als Güte und Verſtand, und Du glaubſt, daß Gott exiſtirt, daß er alſo Subject iſt — was exiſtirt, iſt ein Subject, werde dieſes Subject nun als Subſtanz oder Perſon oder Weſen oder ſonſtwie beſtimmt und bezeichnet — weil Du ſelbſt exiſtirſt, ſelbſt Subject biſt. Du kennſt kein höheres menſchliches Gut, als zu lieben, als gut und weiſe zu ſein, und eben ſo kennſt Du kein höheres Glück, als überhaupt zu exiſtiren, Subject zu ſein; denn das Bewußtſein aller Realität, alles Glückes iſt Dir an das Bewußtſein des Subjectſeins, der Exiſtenz gebun - den. Gott iſt Dir ein Exiſtirendes, ein Subject aus demſel - ben Grunde, aus welchem er Dir ein weiſes, ein ſeliges, ein perſönliches Weſen iſt. Der Unterſchied zwiſchen den göttli - chen Prädicaten und dem göttlichen Subject iſt nur dieſer, daß Dir das Subject, die Exiſtenz nicht als ein Anthropo - morphismus erſcheint, weil in dieſem Deinem Subjectſein die Nothwendigkeit liegt, daß Dir Gott ein Exiſtirendes, ein Subject iſt, die Prädicate dagegen als Anthropomorphis - men erſcheinen, weil die Nothwendigkeit derſelben, die Nothwendigkeit, daß Gott weiſe, gut, bewußt u. ſ. w. iſt, keine unmittelbare, mit dem Sein des Menſchen identiſche, ſondern durch ſein Selbſtbewußtſein, die Thätigkeit des Denkens ver - mittelte Nothwendigkeit iſt. Subject bin ich, ich exiſtire, ich mag weiſe oder unweiſe, gut oder ſchlecht ſein. Exiſtiren iſt dem Menſchen das Erſte, das Subject in ſeiner Vorſtellung,27 die Vorausſetzung der Prädicate. Die Prädicate gibt er da - her frei, aber die Exiſtenz Gottes iſt ihm eine ausgemachte, unantaſtbare, ſchlechterdings unbezweifelbare, abſolut gewiſſe, objective Wahrheit. Aber gleichwohl iſt dieſer Unterſchied nur ein ſcheinbarer. Die Nothwendigkeit des Subjects liegt nur in der Nothwendigkeit des Prädicats. Du biſt Subject nur als menſchliches Subject. Die Gewißheit und Realität Deiner Exiſtenz liegt nur in der Gewißheit und Realität Dei - ner menſchlichen Eigenſchaften. Was das Subject iſt, das liegt nur im Prädicat; das Prädicat iſt die Wahrheit des Subjects. Das Subject iſt nun das perſonificirte, das exiſti - rende Prädicat. Subject und Prädicate unterſcheiden ſich nur wie Exiſtenz und Weſen. Die Negation der Prädi - cate iſt daher die Negation des Subjects. Was bleibt Dir vom menſchlichen Subject übrig, wenn Du ihm die menſch - lichen Eigenſchaften nimmſt? Selbſt in der Sprache des ge - meinen Lebens ſetzt man die göttlichen Prädicate: die Vorſe - hung, die Weisheit, die Allmacht ſtatt des göttlichen Subjects.
Die Gewißheit der Exiſtenz Gottes, von welcher man geſagt hat, daß ſie dem Menſchen ſo gewiß, ja gewiſſer, als die eigne Exiſtenz ſei, hängt daher nur ab von der Gewißheit der Qualität Gottes — ſie iſt keine unmittelbare Gewiß - heit. Dem Chriſten iſt nur die Exiſtenz des chriſtlichen, dem Heiden die Exiſtenz des heidniſchen Gottes eine Ge - wißheit. Der Heide bezweifelte nicht die Exiſtenz Jupiters, weil er an dem Weſen Jupiters keinen Anſtoß nahm, weil er ſich Gott in keiner andern Qualität vorſtellen konnte, weil ihm dieſe Qualität eine Gewißheit, eine göttliche Realität war. Die Realität des Prädicats iſt allein die Bürgſchaft der Exi - ſtenz. Ein wahrer Atheiſt iſt daher auch nur der, welchem28 die göttlichen Prädicate, die Liebe, die Weisheit, die Gerech - tigkeit Nichts ſind, aber nicht der, welchem das Subject die - ſer Prädicate Nichts iſt.
Wenn es nun aber ausgemacht iſt, daß, was das Subject iſt, lediglich in den Beſtimmungen des Subjects liegt, d. h. daß das Prädicat es iſt, wodurch das Subject uns allein in ſei - nem Weſen Gegenſtand iſt; ſo iſt auch erwieſen, daß, wenn die göttlichen Prädicate Beſtimmungen des menſchlichen We - ſens ſind, auch das Subject derſelben menſchlichen We - ſens iſt. Die göttlichen Prädicate ſind aber einerſeits allge - meine, andererſeits perſönliche. Die allgemeinen ſind die me - taphyſiſchen, aber dieſe dienen nur der Religion zum äußer - ſten Anknüpfungspunkte; ſie ſind nicht die charakteriſtiſchen Beſtimmungen der Religion. Die perſönlichen Prädicate allein ſind es, welche das Weſen der Religion conſtituiren, in welchen das göttliche Weſen der Religion Gegenſtand iſt. Solche Prädicate ſind, z. B. daß Gott Perſon, daß er der moraliſche Geſetzgeber, der Vater der Menſchen, der Heilige, der Gerechte, der Gütige, der Barmherzige iſt. Es erhellt nun aber ſogleich von dieſen und andern Beſtimmungen, oder wird wenigſtens im Verlaufe erhellen, daß ſie, namentlich als perſönliche Beſtimmungen, rein menſchliche Beſtimmungen ſind und daß ſich folglich der Menſch in der Religion im Ver - halten zu Gott zu ſeinem eignen Weſen verhält, denn der Religion ſind dieſe Prädicate nicht Vorſtellungen, nicht Bilder, die ſich der Menſch von Gott macht, unterſchieden von dem, was Gott an ſich ſelbſt iſt, ſondern Wahrheiten, Sachen, Realitäten. Die Religion weiß nichts von Anthro - pomorphismen: die Anthropomorphismen ſind ihr keine An - thropomorphismen. Das Weſen der Religion iſt gerade, daß29 ihr dieſe Beſtimmungen das Weſen Gottes ausdrücken. Nur der über die Religion reflectirende, ſie, indem er ſie vertheidigt, vor ſich ſelbſt verläugnende Verſtand erklärt ſie für Bil - der. Aber der Religion iſt Gott wirklicher Vater, wirk - liche Liebe und Barmherzigkeit, denn er iſt ihr ein wirkliches, ein lebendiges, perſönliches Weſen, ſeine wahren Beſtimmun - gen ſind daher auch lebendige, perſönliche Beſtimmungen. Ja die adäquaten Beſtimmungen ſind gerade die, welche dem Verſtande den meiſten Anſtoß geben, welche er in der Reflexion über die Re - ligion verläugnet. Die Religion iſt weſentlich Affect; noth - wendig iſt ihr daher auch objectiv der Affect göttlichen Weſens. Selbſt der Zorn iſt ihr kein Gottes unwürdiger Affect, wofern nur dieſem Zorne ein religiöſer Zweck zu Grunde liegt. *)Quodsi (igitur) irae detrahatur imperfectio, quae in rationis ob - nubilatione dolorisque sensu consistit, tantumque vidicandi voluntas relinquatur, Deo tribui potest, scripturae sacrae exemplo. .... Omnis scil. affectus, exceptis illis, qui per se mali aliquid involvunt, qua - lis est invidia, quam veteres (nein! auch die Chriſten, nur nicht dem Namen nach) inepte diis suis tribuebant, si pro appetitu rationali ha - beatur, seposito nempe sensitivo tumulto, Deo adscribi potest. Leib - nitz L. ad Placcium.
Es iſt aber hier ſogleich weſentlich zu bemerken, daß — und dieſe Erſcheinung iſt eine höchſt merkwürdige, das innerſte Weſen der Religion charakteriſirende — je menſchlicher im Weſen das göttliche Subject iſt, um ſo größer ſcheinbar die Differenz iſt, welche zwiſchen Gott und dem Menſchen ge - ſetzt wird, um ſo mehr das Menſchliche, wie es als ſolches dem Menſchen Gegenſtand ſeines Bewußtſeins iſt, negirt wird. Der Grund hievon iſt: weil das Poſitive in der An - ſchauung des göttlichen Weſens allein das Menſchliche, ſo kann die Anſchauung des Menſchen, wie er Gegenſtand des30 Bewußtſeins iſt, nur eine negative ſein. Um Gott zu be - reichern, muß der Menſch arm werden; damit Gott Alles ſei, der Menſch nichts ſein. Aber er braucht auch nichts für ſich ſelbſt zu ſein, weil Alles, was er ſich nimmt, in Gott nicht verloren geht, ſondern in ihm erhalten wird. Der Menſch hat ſein Weſen in Gott, wie ſollte er es alſo in ſich und für ſich haben? Warum wäre es nothwendig, daſſelbe zwei - mal zu ſetzen, zweimal zu haben? Je ähnlicher daher Gott in der Wahrheit dem Menſchen iſt, deſto unähnlicher wird der Menſch Gott gemacht oder erſcheint er ſich ſelbſt. Allein dieſe Selbſtverneinung iſt nur Selbſtbejahung. Was der Menſch ſich entzieht, was er an ſich ſelbſt entbehrt, genießt er nur in um ſo unvergleichlich höherem und reicheren Maaße in Gott.
Die Mönche gelobten die Keuſchheit dem göttlichen We - ſen, ſie negirten die Geſchlechterliebe an ſich, aber dafür hatten ſie im Himmel, in Gott, an der Jungfrau Maria das Bild des Weibes — ein Bild der Liebe. Sie konnten um ſo mehr des wirklichen Weibes entbehren, je mehr ihnen ein ideales, vor - geſtelltes Weib ein Gegenſtand wirklicher Liebe war. Je größere Bedeutung ſie auf die Negation der Sinnlichkeit legten, je größere Bedeutung hatte für ſie die himmliſche Jungfrau: ſie trat ih - nen ſelbſt an die Stelle Chriſti, an die Stelle Gottes. Je mehr das Sinnliche negirt wird, deſto ſinnlicher iſt der Gott, dem das Sinnliche geopfert wird. Aber dieſe himmliſche Jungfrau iſt nur eine ſinnfällige Erſcheinung einer allgemeinen, das Weſen der Religion betreffenden Wahrheit. Der Menſch negirt nur von ſich, was er in Gott ſetzt. So negirt der Menſch in der Religion ſeine Vernunft: er weiß nichts aus ſich von Gott, ſeine Gedanken ſind nur weltlich, irdiſch: er kann nur glauben, was Gott ihm geoffenbart. 31Aber dafür ſind die Gedanken Gottes menſchliche, irdiſche Ge - danken; er hat Plane wie der Menſch im Kopf; er accomo - dirt ſich den Umſtänden und Verſtandeskräften, wie ein Lehrer ſeinen Schülern; er berechnet genau den Effect ſeiner Gaben und Offenbarungen; er beobachtet den Menſchen in all ſeinem Thun und Treiben; er weiß Alles — auch das Irdiſchſte, das Gemeinſte, das Schlechteſte. Kurz der Menſch negirt Gott gegenüber ſein Wiſſen, ſein Denken, um in Gott ſein Wiſſen, ſein Denken zu ſetzen. Der Menſch gibt ſeine Perſon auf, aber dafür iſt ihm Gott, das allmächtige, unbeſchränkte We - ſen, ein perſönliches Weſen; er negirt die menſchliche Ehre, das menſchliche Ich; aber dafür iſt ihm Gott ein ſelbſtiſches, egoiſtiſches Weſen, das in Allem nur ſich, nur ſeine Ehre, ſeinen Nutzen ſucht, Gott alſo die Selbſtbefriedi - gung der eignen, gegen alles Andere mißgünſtigen Selbſtiſch - keit, Gott der Selbſtgenuß des Egoismus*)Gloriam suam plus amat Deus quam omnes creaturas. „ Gott kann nur ſich lieben, nur an ſich denken, nur für ſich ſelbſt arbeiten. Gott ſucht, indem er den Menſchen macht, ſeinen Nutzen, ſeinen Ruhm “u. ſ. w. S. P. Bayle. Ein Beitrag zur Geſchichte der Philoſ. u. Menſchh. p. 104 — 107.. Die Reli - gion negirt ferner das Gute als eine Beſchaffenheit des menſch - lichen Weſens: der Menſch iſt ſchlecht, verdorben, unfähig zum Guten; aber dafür iſt Gott nur gut, Gott das gute Weſen. Es wird die weſentliche Forderung gemacht, daß das Gute als Gott dem Menſchen Gegenſtand ſei; aber wird denn da - durch nicht das Gute als eine weſentliche Beſtimmung des Menſchen ausgeſprochen? Wenn ich abſolut, d. h. von Na - tur, von Weſen böſe, unheilig bin, wie kann das Heilige, das Gute mir Gegenſtand ſein? gleichgültig ob dieſer Gegenſtand von Außen oder von Innen mir gegeben iſt. Wenn mein32 Herz böſe, mein Verſtand verdorben iſt, wie kann ich was hei - lig, als heilig, was gut, als gut wahrnehmen und empfin - den? Wie kann ich ein ſchönes Gemälde als ſchönes wahr - nehmen, wenn meine Seele eine abſolute äſthetiſche Schlech - tigkeit iſt? Wenn ich auch ſelbſt kein Maler bin, nicht die Kraft habe, aus mir ſelbſt Schönes zu produciren, ſo habe ich doch äſthetiſches Gefühl, äſthetiſchen Verſtand, indem ich Schö - nes außer mir wahrnehme. Entweder iſt das Gute gar nicht für den Menſchen, oder iſt es für ihn, ſo offenbaret ſich hierin dem einzelnen Menſchen die Heiligkeit und Güte des menſch - lichen Weſens. Was abſolut meiner Natur zuwider iſt, wo - mit mich kein Band der Gemeinſchaft verknüpft, das iſt mir auch nicht denkbar, nicht empfindbar. Das Heilige iſt mir nur als Gegenſatz gegen meine Perſönlichkeit, aber als Ein - heit mit meinem Weſen Gegenſtand. Das Heilige iſt der Vorwurf meiner Sündhaftigkeit; ich erkenne mich in ihm als Sünder; aber darin tadle ich mich, erkenne ich, was ich nicht bin, aber ſein ſoll, und eben deßwegen an ſich, meiner Be - ſtimmung nach, ſein kann; denn ein Sollen ohne Können tangirt mich nicht, iſt eine lächerliche Chimäre, ohne Affection des Gemüths. Aber eben indem ich das Gute als meine Be - ſtimmung, als mein Geſetz erkenne, erkenne ich, ſei es nun be - wußt oder unbewußt, daſſelbe als mein eignes Weſen. Ein anderes, ſeiner Natur nach von mir unterſchiednes Weſen tangirt mich nicht. Die Sünde kann ich als Sünde nur em - pfinden, wenn ich ſie als einen Widerſpruch meiner mit mir ſelbſt, d. h. meiner Perſönlichkeit mit meiner Weſenheit empfinde. Als Widerſpruch mit dem abſoluten, als einem andern Weſen gedacht, iſt das Gefühl der Sünde unerklärlich, ſinnlos.
33Der Unterſchied des Auguſtinianismus vom Pelagianis - mus beruht im Grunde nur auf einer religiöſen Illuſion. Beide ſagen Daſſelbe; nur der eine rationaliſtiſch, der andere myſtiſch illuſoriſch; beide haben das nämliche Ziel, das näm - liche Object; nur kommt der eine in gerader und darum kürze - ſter Linie zum Ziel, während der andere Umwege macht. So lange das Gute als eine Weſensbeſtimmung Gottes ausge - ſprochen wird, ſo lange iſt die auguſtiniſche Lehre eine Lüge, und ihr Unterſchied vom Pelagianismus in der Grundbe - ſtimmung nur eine religiöſe Illuſion*)Eine Illuſion, die aber, wie aus dieſer Schrift ſich ergibt, das eigen - thümliche Weſen der Religion, und daher inſofern einen weſentlichen Unter - ſchied begründet.. Denn was dem Gott des Menſchen gegeben wird, das wird in Wahrheit dem Menſchen ſelbſt gegeben; was der Menſch von Gott ausſagt, das ſagt er in Wahrheit von ſich ſelbſt aus. Der Auguſtinianismus wäre nur dann eine Wahrheit, wenn der Menſch den Teufel zu ſeinem Gotte hätte, den Teufel, und zwar mit dem Bewußtſein, daß er der Teufel iſt, als ſein höchſtes Weſen verehrte und feierte. Aber ſo lange der Menſch ein gutes Weſen als Gott verehrt, ſo lange ſchaut er in Gott ſein eignes gutes Weſen an.
Wie mit der Lehre von der Grundverdorbenheit des menſch - lichen Weſens, iſt es mit der damit identiſchen Lehre, daß der Menſch nichts Gutes, d. h. in Wahrheit Nichts aus ſich ſelbſt, aus eigner Kraft vermöge. So wie die Lehre von der Grundverdorbenheit des Menſchen nur dann, wie eben geſagt, eine Wahrheit wäre, wenn der Menſch den Ausbund der Häßlichkeit mit Bewußtſein und Wohlgefallen als das Ideal der höchſten Schönheit und Liebenswürdigkeit, als ſeinFeuerbach. 334wahres und höchſtes Weſen verehrte und anbetete: ſo wäre die Negation der menſchlichen Kraft und Thätigkeit nur dann eine wahre Negation, wenn der Menſch auch in Gott die mo - raliſche Thätigkeit negirte und ſagte, wie der orientaliſche Nihiliſt oder Pantheiſt: das göttliche Weſen iſt ein abſolut willen - und thatloſes, indifferentes, nichts von Discrimen des Böſen und Guten wiſſendes Weſen. Aber wer Gott als ein thätiges Weſen beſtimmt und zwar als ein moraliſch thätiges, moraliſch kritiſches Weſen, als ein Weſen, welches das Gute liebt, wirkt, belohnt, das Böſe beſtraft, verwirft, verdammt, wer Gott ſo beſtimmt, der negirt nur ſcheinbar die menſchliche Thätigkeit, in Wahrheit macht er ſie zur höchſten, reellſten Thätigkeit. Wer Gott menſchlich handeln läßt, erklärt die menſchliche Thätigkeit für eine göttliche; der ſagt: ein Gott, der nicht thätig iſt und zwar moraliſch oder menſchlich thätig, iſt kein Gott und macht daher vom Begriffe der Thätigkeit, re - ſpective der menſchlichen — denn eine höhere kennt er nicht — den Begriff der Gottheit abhängig. Was ich zu einer Eigen - ſchaft, einer Beſtimmung Gottes mache, das habe ich ſchon vorher für etwas Göttliches erkannt. Eine Qualität iſt nicht dadurch göttlich, daß ſie Gott hat, ſondern Gott hat ſie, weil ſie an und für ſich, durch ſich ſelbſt göttlich iſt, weil Gott nicht Gott iſt, wenn ſie ihm mangelt. Der Menſch — dieß iſt das Geheimniß der Religion — vergegenſtändlicht ſich ſein Weſen und macht dann wieder ſich zum Object die - ſes vergegenſtändlichten, in ein Subject verwandelten Weſens; er denkt ſich, iſt ſich Object, aber als Object eines Objects, eines andern Weſens. So hier. Der Menſch iſt ein Object Gottes. Daß der Menſch gut oder ſchlecht, das iſt Gott nicht gleichgültig; nein! er hat ein lebhaftes, inniges Intereſſe35 daran, daß er gut iſt; er will, daß er gut, daß er ſelig ſei — denn ohne Güte keine Seligkeit. Die menſchlichen Geſinnun - gen und Handlungen ſind alſo Gott nicht gleichgültig; ſie ſind Gegenſtände Gottes, alſo göttliche Gegenſtände, Gegenſtände von höchſtem Werthe und Intereſſe, weil ſie für Gott Werth und Intereſſe haben. Die Nichtigkeit der menſchlichen Thä - tigkeit widerruft alſo der religiöſe Menſch wieder dadurch, daß er ſeine Geſinnungen und Handlungen zu einem Gegenſtande Gottes, den Menſchen zum Zweck Gottes — denn was Ge - genſtand im Geiſte, iſt Zweck im Handeln — die göttliche Thätigkeit zu einem Mittel des menſchlichen Heils macht. Gott wirkt auf den Menſchen, iſt thätig, damit der Menſch gut und ſelig werde. So wird der Menſch, indem er ſchein - bar aufs Tiefſte erniedrigt wird, in Wahrheit aufs Höchſte erhoben! Der Menſch bezweckt ſich ſelbſt in und durch Gott. Der Menſch bezweckt Gott, aber Gott bezweckt nichts, als das moraliſche und ewige Heil des Menſchen, alſo be - zweckt der Menſch nur ſich ſelbſt. Die göttliche Thätigkeit un - terſcheidet ſich nicht von der menſchlichen.
Wie könnte aber auch die göttliche Thätigkeit auf mich als ihr Object, ja in mir ſelber wirken, wenn ſie eine andere, eine weſentlich andere wäre, wie einen menſchlichen Zweck haben, den Zweck, den Menſchen zu beſſern, zu beglücken, wenn ſie nicht ſelbſt eine menſchliche wäre? Beſtimmt der Zweck nicht die Handlung? Wenn der Menſch ſeine moraliſche Beſſerung ſich zum Zwecke ſetzt, ſo hat er göttliche Entſchlüſſe, göttliche Vorſätze, wenn aber Gott des Menſchen Heil bezweckt, ſo hat er menſchliche Zwecke und dieſen Zwecken entſprechende menſch - liche Thätigkeit. So iſt dem Menſchen in Gott nur ſeine eigene Thätigkeit Gegenſtand. Aber weil er die eigne3*36Thätigkeit nur als eine objective, das Gute nur als Object anſchaut, ſo empfängt er nothwendig auch den Impuls, den Antrieb nicht von ſich ſelbſt, ſondern von dieſem Object. Er ſchaut ſein Weſen außer ſich und dieſes Weſen als das Gute an; es verſteht ſich alſo von ſelbſt, es iſt nur eine Tautologie, daß ihm der Impuls zum Guten auch nur daher kommt, wo - hin er das Gute verlegt.
Gott iſt das ab - und ausgeſonderte ſubjectivſte Weſen des Menſchen, alſo kann er nicht aus ſich handeln, alſo kommt alles Gute aus Gott. Je ſubjectiver Gott iſt, deſto mehr entäußert der Menſch ſich ſeiner Subjectivität, weil Gott per se ſein entäußertes Selbſt iſt, welches er aber doch zu - gleich ſich wieder vindicirt. Wie die arterielle Thätigkeit das Blut bis in die äußerſten Extremitäten treibt, die Venenthätig - keit wieder zurückführt, wie das Leben überhaupt in einer fort - währenden Syſtole und Diaſtole beſteht, ſo auch die Religion. In der religiöſen Syſtole ſtößt der Menſch ſein eignes Weſen von ſich aus, er verſtößt, verwirſt ſich ſelbſt; in der religiöſen Diaſtole nimmt er das verſtoßne Weſen wieder in ſein Herz auf. Gott nur iſt das aus ſich handelnde, aus ſich thätige Weſen — dieß iſt der Act der religiöſen Repulſionskraft, Gott iſt das in mir, mit mir, durch mich, auf mich, für mich handelnde Weſen, das Princip meines Heils, meiner guten Geſinnungen und Handlungen, folglich mein eignes gutes Princip und Weſen — dieß iſt der Act der religiöſen Attrac - tionskraft.
Die Religion iſt das bewußtloſe Selbſtbewußtſein des Menſchen. In der Religion iſt dem Menſchen ſein eignes Weſen Gegenſtand, ohne daß er weiß, daß es das ſeinige iſt; das eigne Weſen iſt ihm Gegenſtand als ein andres We - ſen. Die Religion iſt die Entzweiung des Menſchen mit ſich: er ſetzt ſich Gott als ein ihm entgegengeſetztes Weſen gegenüber. Gott iſt nicht, was der Menſch iſt — der Menſch nicht, was Gott iſt. Gott iſt das unendliche, der Menſch das endliche Weſen, Gott vollkommen, der Menſch unvollkom - men, Gott ewig, der Menſch zeitlich, Gott allmächtig, der Menſch unmächtig, Gott heilig, der Menſch ſündhaft. Gott und Menſch ſind Extreme: Gott das ſchlechthin Poſitive, der Inbegriff al - ler Realitäten, der Menſch das ſchlechtweg Negative, der In - begriff aller Nichtigkeiten.
Aber der Menſch vergegenſtändlicht in der Religion ſein eignes geheimes Weſen. Es muß alſo nachgewieſen werden, daß auch dieſer Gegenſatz, dieſer Zweiſpalt, mit welchem die Religion anhebt, ein Zwieſpalt des Menſchen mit ſei - nem eignen Weſen iſt.
Die innere Nothwendigkeit dieſes Beweiſes ergibt ſich übrigens ſchon daraus, daß, wenn wirklich das göttliche We - ſen, welches Gegenſtand der Religion iſt, ein andres wäre, als das menſchliche, eine Entzweiung, ein Zwieſpalt gar nicht ſtatt finden könnte. Iſt Gott wirklich ein andres Weſen, was kümmert mich ſeine Vollkommenheit? Entzweiung findet38 nur ſtatt zwiſchen Weſen, welche mit einander zerfallen ſind, aber Eins ſein ſollen, Eins ſein können und folglich im We - ſen, in Wahrheit Eins ſind. Es muß alſo ſchon aus dieſem allgemeinen Grunde das Weſen, mit welchem ſich der Menſch entzweit fühlt, ein ihm eingebornes Weſen ſein, obwohl es zugleich anderer Beſchaffenheit ſein muß, als das Weſen oder die Kraft, welche ihm das Gefühl, das Bewußtſein der Einheit, der Verſöhnung mit Gott oder, was eins iſt, mit ſich ſelbſt gibt.
Dieſes Weſen iſt die Intelligenz — der Verſtand*)Abſichtlich wird hier der in neuerer Zeit mit Unrecht ſo zurückge - ſetzte Verſtand als Ausdruck der Intelligenz überhaupt genommen, weil dieſer Ausdruck ein höchſt ſcharfer, beſtimmter, pikanter und doch zugleich populärer iſt.. Gott als Extrem des Menſchen gedacht, iſt das objective Weſen des Verſtandes. Das reine, vollkommne, mangelloſe gött - liche Weſen iſt das Selbſtbewußtſein des Verſtandes, das Bewußtſein des Verſtandes von ſeiner eignen Vollkom - menheit. Der Verſtand weiß nichts von den Leiden des Herzens; er hat keine Begierden, keine Leidenſchaften, keine Bedürfniſſe und eben darum keine Mängel und Schwächen, wie das Herz. Reine Verſtandesmenſchen, Menſchen, die uns das Weſen des Verſtandes perſonificiren und verſinnbildlichen, ſind enthoben den Gemüthsqualen, den Paſſionen, den Exceſ - ſen der Gefühlsmenſchen; ſie ſind für keinen endlichen, d. i. be - ſtimmten Gegenſtand leidenſchaftlich eingenommen; ſie „ ver - pfänden “ſich nicht; ſie ſind frei. „ Nichts bedürfen, “„ nicht ſich den Dingen, ſondern die Dinge ſich unterwerfen, “„ Alles iſt eitel, “dieſe und ähnliche Sätze ſind Mottos von Verſtan - desmenſchen. Der Verſtand iſt das neutrale, apathiſche, unbe -39 ſtechliche, unverblendete Weſen in uns — das reine affectloſe Licht der Intelligenz. Der Verſtand iſt das kategoriſche rück - ſichtsloſe Bewußtſein der Sache als Sache, weil er ſelbſt objectiver Natur, das Bewußtſein des Widerſpruchloſen, weil er ſelbſt widerſpruchsloſe Einheit, die Quelle der logiſchen Identität iſt, das Bewußtſein des Geſetzes, der Nothwen - digkeit, der Regel, des Maaßes, weil er ſelbſt Geſetzesthä - tigkeit, die Nothwendigkeit der Natur der Dinge als Selbſt - thätigkeit, die Regel der Regeln, das abſolute Maaß, das Maaß der Maaße iſt. Durch den Verſtand nur kann der Menſch im Widerſpruch mit ſeinen theuerſten perſönlichen und menſchlichen Gefühlen urtheilen und handeln, wenn es alſo der Verſtandesgott, das Geſetz gebietet. Der Vater, welcher ſeinen eignen Sohn, weil er ihn ſchuldig erkannt, als Richter zum Tode ſelbſt verurtheilt, vermag dieß nur als Verſtandes - nicht als Gefühlsmenſch. Der Verſtand zeigt uns die Fehler ſelbſt unſrer Geliebten — ſelbſt unſre eignen. Er verſetzt uns deßwegen ſo oft in peinliche Colliſion mit uns ſelbſt, mit unſerm Herzen. Wir wollen dem Verſtande nicht Recht laſſen: wir wollen nicht aus Schonung, aus Nachſicht das wahre, aber harte, aber rückſichtsloſe Urthel des Verſtandes vollſtrecken. Der Verſtand iſt das eigentliche Gattungsvermögen — das Herz vertritt die beſondern Angelegenheiten, die Indi - viduen, der Verſtand die allgemeinen Angelegenheiten; er iſt die übermenſchliche, unperſönliche Kraft oder Weſen - heit im Menſchen. Nur durch den Verſtand und in dem Ver - ſtande hat der Menſch die Kraft, von ſich ſelbſt, d. h. von ſeinem ſubjectiven Weſen zu abſtrahiren, ſich zu erheben zu all - gemeinen Begriffen und Verhältniſſen, den Gegenſtand zu un - terſcheiden von den Eindrücken, die er auf das Gemüth macht,40 ihn an und für ſich ſelbſt, ihn ohne Beziehung auf den Menſchen zu betrachten. Die Philoſophie, die Mathematik, die Aſtronomie, die Phyſik, kurz die Wiſſenſchaft überhaupt, iſt der thatſächliche Beweis, weil das Product, dieſer in Wahrheit unendlichen und göttlichen Thätigkeit. Dem Verſtande wider - ſprechen daher auch die religiöſen Anthropomorphis - men; er negirt ſie von Gott. Aber dieſer anthropomor - phismenfreie, rückſichtsloſe, affectloſe Gott iſt nichts andres, als das eigne gegenſtändliche Weſen des Ver - ſtandes.
Das Weſen des Verſtandes, wie es dem Menſchen in - nerhalb der Religion Gegenſtand wird, iſt Gott als allge - meines, unperſönliches, abſtractes, d. i. metaphyſi - ſches Weſen, Gott als Gott, Gott als Gegenſatz der menſch - lichen Nichtigkeit. Aber dieſes Weſen hat für die Religion nicht mehr Bedeutung, als für eine beſondere Wiſſenſchaft ein allgemeiner Grundſatz, von welchem ſie anhebt: es iſt nur der oberſte, letzte Anhalts - und Anknüpfungspunkt, gleichſam der mathematiſche Punkt der Religion. Das Bewußtſein der menſch - lichen Nichtigkeit, welches ſich mit dem Bewußtſein dieſes We - ſens verbindet, iſt keineswegs ein religiöſes Bewußtſein; es bezeichnet vielmehr den Skeptiker, den Materialiſten, den Na - turaliſten, den Pantheiſten. Der Skeptiker, der Materialiſt verliert den Glauben an Gott — wenigſtens den Gott der Religion — weil er den Glauben an den Menſchen, we - nigſtens den Menſchen der Religion, verliert. So wenig es daher der Religion mit der menſchlichen Nichtigkeit Ernſt iſt und ſein kann, ſo wenig iſt ihr Ernſt mit dem Weſen, wel - ches eins iſt mit dem Bewußtſein dieſer Nichtigkeit. Ernſt iſt es der Religion nur mit den Beſtimmungen, welche dem Men -41 ſchen das Weſen des Menſchen und zwar das ſubjective We - ſen, ſein Gemüth vergegenſtändlichen.
Es liegt wohl im Intereſſe der Religion, daß das Weſen, welches ihr Gegenſtand, ein andres ſei als der Menſch; aber es liegt eben ſo, ja noch mehr in ihrem Intereſſe, daß dieſes andre Weſen zugleich ein menſchliches ſei. Daß es ein andres ſei, dieß betrifft nur die Exiſtenz, daß es aber ein menſchliches ſei, die innere Weſenheit deſſelben. Wenn es ein andres dem Weſen nach wäre, was könnte dem Menſchen an ſeinem Sein oder Nichtſein gelegen ſein? Wie könnte er an der Exiſtenz deſſelben ſo inniges Intereſſe nehmen, wenn nicht ſein eignes Weſen dabei betheiligt wäre? Der Menſch verhält ſich in der Religion zum Weſen des Menſchen als ei - nem andern Weſen, aber eben ſo verhält er ſich wieder zu dieſem andern als dem eignen Weſen. Er will, daß Gott ſei, aber eben ſo will er, daß er ſein Gott, ein Weſen für ihn, ein menſchliches Weſen ſei.
Ein ſpecielles, aber gleichwohl allgemeingültiges Bei - ſpiel beſtätige dieß. „ Wenn ich das glaube, daß allein die menſchliche Natur für mich gelitten hat, ſo iſt mir der Chriſtus ein ſchlechter Heiland, ſo bedarf er wohl ſelbſt ei - nes Heilandes. “ Es wird alſo über den Menſchen hinaus - gegangen, ein andres vom Menſchen unterſchiednes Weſen aus Heilsbedürfniß poſtulirt. Aber ſo wie dieſes andre Weſen geſetzt iſt, ſo entſteht auch ſogleich das Verlangen des Men - ſchen nach ſich ſelbſt, nach ſeinem Weſen, ſo wird auch ſo - gleich der Menſch wieder geſetzt. „ Hie iſt Gott, der nicht Menſch iſt und noch nie Menſch worden. Mir aber des Gottes nicht .... Es ſollt mir ein ſchlechter Chriſtus bleiben, der .... allein ein bloßer abgeſonderter Gott42 und göttliche Perſon .... ohne Menſchheit. Nein Ge - ſell, wo Du mir Gott hinſetzeſt, da mußt Du mir die Menſchheit mit hinſetzen. “*)Luther. Concordienbuch. Art. 8. Erklär.
Der Menſch will in der Religion ſich in Gott befriedi - gen. Aber wie könnte er in ihm Troſt und Frieden finden, wenn er ein weſentlich andres Weſen wäre? Wie kann ich den Frieden eines Weſens theilen, wenn ich nicht ſeines We - ſens bin? Wenn ſein Weſen ein andres, ſo iſt auch ſein Friede ein weſentlich andrer, kein Frieden für mich. Wie kann ich alſo ſeines Friedens theilhaftig werden, wenn ich nicht ſeines Weſens theilhaftig werden kann, wie aber ſeines Weſens theilhaftig werden, wenn ich wirklich andern Weſens bin? Frieden empfindet alles was lebt nur in ſeinem eignen Weſen, nur in ſeinem eignen Element. Empfindet alſo der Menſch Frieden in Gott, ſo empfindet er ihn nur, weil Gott erſt ſein wahres Weſen, weil er hier erſt bei ſich ſelbſt iſt, weil Alles, worin er bisher Frieden ſuchte und was er bisher für ſein Weſen nahm, ein andres fremdes Weſen war. Und ſoll und will daher der Menſch in Gott ſich befriedigen, ſo muß er Sich in Gott finden.
Ein Gott, welcher nur das objective Weſen des Ver - ſtandes ausdrückt, befriedigt darum nicht die Religion, iſt nicht der Gott der Religion. Der Verſtand intereſſirt ſich nicht nur für den Menſchen, ſondern auch für die Weſen au - ßer dem Menſchen, für die Natur. Der Verſtandes - menſch vergißt ſogar über der Natur ſich ſelbſt. Die Chriſten verſpotteten die heidniſchen Philoſophen, weil ſie ſtatt an ſich, an ihr Heil, nur an die Dinge außer ihnen gedacht hätten. 43Der Chriſt denkt nur an ſich*)Ate incipiat cogitatio tua et in te finiatur, nec frustra in alia distendaris, te neglecto. Praeter salutem tuam nihil cogites. De int. Domo. (Unter den unächten Schriften des heil. Bernhard). Si te vigilanter homo attendas, mirum est, si ad aliud unquam inten - das. Divus Bernardus (Tract. de XII gradibus humil. et superbiae.) . Der Verſtand betrachtet mit demſelben Enthuſiasmus den Floh, die Laus, als das Ebenbild Gottes, den Menſchen. Nicht der Religionsbegei - ſterung, dem Verſtandesenthuſiasmus verdanken wir das Daſein einer Botanik, einer Zoologie, einer Mineralogie, ei - ner Aſtronomie. — Kurz der Verſtand iſt ein univerſa - les, pantheiſtiſches Weſen, die Liebe zum Univerſum, aber die Religion, insbeſondere die chriſtliche, ein durchaus anthropotheiſtiſches Weſen, die Liebe des Menſchen zu ſich ſelbſt, die ausſchließliche Selbſtbejahung des menſchlichen und zwar des ſubjectiv menſchlichen Weſens; denn allerdings bejaht auch der Verſtand das Weſen des Men - ſchen, aber das objective, das auf den Gegenſtand um des Gegenſtandes willen ſich beziehende Weſen, deſſen Darſtellung eben die Wiſſenſchaft iſt. Es muß auch noch etwas ganz Andres, als das Weſen des Verſtandes, dem Menſchen in der Religion Gegenſtand werden, wenn er ſich in ihr befriedigen ſoll und will, und dieſes Etwas wird und muß den eigentli - chen Kern der Religion enthalten.
Die in der Religion, zumal der chriſtlichen, vor allen an - dern objectiven Beſtimmungen hervortretende Verſtandes - oder Vernunftbeſtimmung iſt diejenige, welche, indem ſie Gott vom Menſchen unterſcheidet, unmittelbar zugleich eine weſentliche Beziehung auf den Menſchen ausdrückt. Dieſe Beſtimmung44 iſt die der moraliſchen Vollkommenheit. Gott iſt der Religion als moraliſch vollkommnes Weſen Gegenſtand. Gott wohnt nur in einem reinen Herzen; nur dem reinen Sinne iſt er zugänglich. Warum, wenn er nicht ſelbſt das reine mora - liſche Weſen iſt? *)Nihil est autem quod hominem adeo Deo dissimilem faciat, quemadmodum peccatum. Augustin. (bei Petrus Lombardus Sent. I. II. dist. 35. c. 7.) Qui innocentiam colit, Domino supplicat, qui justi - tiam, Deo libat; qui fraudibus abstinet, propitiat Deum, qui hominem pe - riculo subripit, opimam victimam caedit. Haec nostra sacrificia, haec Dei sacra sunt: sic apud nos religiosior est ille qui justior. M. Minu. Felicis Octav. c. 32. Uebrigens finden ſich ähnliche Gedanken genug auch bei den ſogenannten Heiden.Die Sünde iſt ein Widerſpruch mit dem göttlichen Weſen — in der Sprache der Religion, die Alles perſonificirt: Gott haßt die Sünde, ſie iſt ihm zuwider. War - um iſt ſie aber ein Widerſpruch mit dem göttlichen Weſen? weil ſie die Natur des Menſchen iſt? weil ſie in ſeinem Weſen liegt? Mit Nichten. Wenn der Menſch in der Sünde ſeiner Natur gemäß handelte, ſo handelte er, wie er handeln ſoll, ſo wäre ſeine Sünde ein comme il faut, ein Wohlklang, kein Mißton in der Welt. Alſo widerſpricht nur die Sünde dem göttlichen Weſen, weil ſie dem menſchlichen Weſen, dem, was der Menſch ſein ſoll, ſein kann, widerſpricht. Die Sünde beleidigt Gott, weil ſie des Menſchen Weſen beleidigt. Wäre das göttliche Weſen ein andres, vom menſchlichen unterſchie - denes, ſo könnte die Sünde, wie ſchon entwickelt, keinen Wi - derſpruch gegen das göttliche Weſen ausdrücken; ſie wäre demſelben abſolut indifferent. Der Widerſpruch der Sünde mit Gott iſt daher nur der Widerſpruch des individuellen Men - ſchen mit ſeinem Weſen. Das religiöſe Bewußtſein ſetzt ſein eignes Weſen ſich als Object entgegen, als mangel - und ſünd -45 loſes, vollkommen heiliges Weſen — es iſt ſein eignes We - ſen, denn es iſt das Geſetz des Menſchen, es ſtellt die Forde - rung an ihn zu ſein, wie es ſelbſt iſt: „ Heilig iſt Gott, ihr ſollt heilig ſein wie Gott; “ſein eignes Gewiſſen, denn wie könnte es ſonſt vor dieſem Weſen erzittern, wie vor ihm ſich anklagen, wie es zum Richter ſeiner innerſten Gedanken und Geſinnungen machen? Aber es wird angeſchaut als ein andres objectives Weſen. Indem nun der religiöſe Menſch ſein Weſen ſich entgegenſetzt als abſolut heiliges Weſen, em - pfindet er ſich, wie er iſt, wie er ſich ſeiner bewußt iſt, im Wi - derſpruch mit dieſem Weſen, nicht entſprechend dieſer Forderung, dieſem Geſetze, ihm zu gleichen, als unvollkommen, als ſünd - haft. Der Menſch iſt entzweit mit ſeinem eignen Weſen; er iſt nicht, wie er ſein ſoll und folglich ſein kann, und in die - ſem Zwieſpalt fühlt er ſich unglücklich, nichtig, verdammt, um ſo mehr, als ihm in der Religion das moraliſche Geſetz nicht nur als Geſetz und als ſein eignes, wahres Weſen, ſondern als ein andres perſönliches Weſen Gegenſtand iſt, welches die Sünder haßt, von ſeiner Gnade, der Quelle alles Heils und Glücks ausſchließt.
Das Bewußtſein der moraliſchen Vollkommenheit iſt herz - los, denn es iſt das Bewußtſein meiner perſönlichen Nich - tigkeit und zwar der allerempfindlichſten, der moraliſchen Nichtigkeit. Das Bewußtſein der göttlichen Allmacht und Ewigkeit im Gegenſatze zum Bewußtſein meiner Beſchränkt - heit in Zeit und Kraft thut mir nicht wehe; denn die Allmacht, die Ewigkeit iſt für mich nicht das Geſetz, ſelbſt ewig, ſelbſt allmächtig zu ſein. Aber der moraliſchen Vollkommenheit kann ich mir nicht bewußt werden, ohne derſelben zugleich als eines Geſetzes für mich bewußt zu werden, denn das Bewußtſein46 der moraliſchen Vollkommenheit iſt im Grunde nichts andres als das Bewußtſein deſſen, was ich ſein ſoll. Die morali - ſche Vollkommenheit hängt, wenigſtens für das moraliſche Be - wußtſein, nicht von der Natur, ſondern vom Willen ab; ſie iſt eine Willensvollkommenheit, der vollkommne Wille. Den vollkommnen Willen, den Willen, der eins mit dem Geſetze, der ſelbſt Geſetz iſt, kann ich nicht denken, nicht mir vorſtellen, ohne ihn zugleich als Willensobject, d. h. als Sollen für mich zu denken. Kurz die Vorſtellung des moraliſch vollkommnen Weſens iſt keine nur theoretiſche, friedliche, ſondern zugleich praktiſche, zur Handlung, zur Nacheiferung auffordernde, mich in Spannung, Differenz, Zwieſpalt mit mir ſelbſt verſetzende Vorſtellung; denn indem ſie mir zuruft: was ich ſein ſoll, ſagt ſie mir zugleich ohne alle Schmeichelei ins Geſicht: was ich nicht bin.
Aber in dieſer Zwietracht mit ſich ſelbſt kann es der Menſch nicht aushalten; er empfindet vielmehr das dringende Bedürf - niß, den unheilvollen Zwieſpalt zwiſchen ſich, dem Sünder, und dem vollkommnen Weſen aufzuheben. Der Gedanke des ſchlechthin vollkommnen Weſens läßt den Menſchen kalt und leer, weil er die Lücke zwiſchen ſich und dieſem Weſen ge - wahrt, fühlt; d. h. er widerſpricht dem menſchlichen Her - zen. Der Menſch muß daher nicht nur die Macht des Ge - ſetzes, das Weſen des Verſtandes, er muß auch die Macht der Liebe, das Weſen des Herzens bejahen, vergegen - ſtändlichen, wenn er anders in der Religion ſich befriedigen, zur Ruhe kommen will und ſoll.
Der Verſtand urtheilt nur nach der Strenge des Geſetzes; das Herz accommodirt ſich, iſt nachſichtig, rückſichtsvoll, billig, κατ̕ ἄνϑϱωπον. Dem Geſetze, das nur die moraliſche Voll -47 kommenheit uns vorhält, genügt Keiner, aber darum genügt auch nicht das Geſetz dem eigentlichen Menſchen im Men - ſchen, dem Herzen. Das Geſetz verdammt; das Herz erbarmt ſich auch des Sünders. Das Herz gibt mir das Bewußtſein, daß ich Menſch bin, das Geſetz nur das Bewußtſein, daß ich nichtig, daß ich Sünder bin*)Omnes peccavimus. ..... Parricidae cum lege coeperunt et illis facinus poena monstravit. Seneca. .
Wodurch alſo erlöſt ſich der Menſch von der Pein des Sündenbewußtſeins, von der Qual des Nichtigkeitsgefühles? wodurch ſtumpft er der Sünde ihren tödtlichen Stachel ab? Nur dadurch, daß er ſich des Herzens, der Liebe als der höchſten, als der abſoluten Macht und Wahrheit be - wußt wird, daß er das göttliche Weſen nicht nur als Geſetz, als moraliſches Weſen, als Verſtandesweſen, ſondern vielmehr als ein liebendes, herzliches, ſelbſt ſubjectiv menſch - liches Weſen anſchaut.
Die Liebe iſt der Terminus medius, das ſubſtanzielle Band, das Vermittelungsprincip zwiſchen dem Vollkommnen und Unvollkommnen, dem ſündlichen und ſündhaften Weſen, dem Allgemeinen und Individuellen, dem Geſetz und dem Herzen, dem Göttlichen und Menſchlichen. Die Liebe iſt Gott ſelbſt und außer ihr iſt kein Gott. Die Liebe macht den Menſchen zu Gott und Gott zum Menſchen. Die Liebe ſtärket das Schwache und ſchwächet das Starke, erniedrigt das Hohe und erhöhet das Niedrige, idealiſirt die Materie und materialiſirt den Geiſt. Die Liebe iſt die wahre Einheit von Menſch und Gott, Natur und Geiſt. In der Liebe iſt die gemeine Natur Geiſt und der vornehme Geiſt Materie. Lieben heißt vom48 Geiſte aus: den Geiſt, von der Materie aus: die Materie ne - giren. Liebe iſt Materialismus. Immaterielle Liebe iſt ein Unding. Aber zugleich iſt die Liebe der Idealismus der Natur*)Der Unterſchied zwiſchen dem Idealismus — wenigſtens dem wah - ren, naturbegründeten Idealismus — und dem Materialismus iſt nur die - ſer, daß jener ein geiſt - und ſinnvoller Materialismus, dieſer aber, der gewöhnlich ſo genannte Materialismus aber geiſtloſer Materialismus iſt.. Liebe iſt Esprit. Nur die Liebe macht die Nach - tigall zur Sängerin; nur die Liebe ſchmückt die Befruchtungs - werkzeuge der Pflanze mit einer Blumenkrone. Und welche Wunder thut nicht die Liebe ſelbſt in unſerm gemeinen bürger - lichen Leben! Was der Glaube, die Confeſſion, der Wahn trennt, verbindet die Liebe. Selbſt unſre hohe Nobleſſe iden - tificirt humoriſtiſch genug die Liebe mit dem bürgerlichen Pö - bel. Was die alten Myſtiker von Gott ſagten, daß er das höchſte und doch das gemeinſte Weſen ſei, das gilt in Wahr - heit von der Liebe, und zwar nicht einer erträumten, imaginä - ren Liebe, nein! von der wirklichen Liebe, von der Liebe, die Fleiſch und Blut hat, von der Liebe, die alle lebendigen Weſen als eine allgemeine Macht durchbebt.
Das Bewußtſein der Liebe iſt es, wodurch ſich der Menſch mit Gott oder vielmehr mit ſich, mit ſeinem Weſen, welches er im Geſetz als ein andres Weſen ſich gegenüberſtellt, ver - ſöhnt. Die Anſchauung, das Bewußtſein der göttlichen Liebe, oder, was eins iſt, Gottes als eines ſelbſt menſchlichen Weſens — dieſe Anſchauung iſt das Geheimniß der49 Incarnation. Die Incarnation iſt nichts andres als die thatſächliche ſinnliche Erſcheinung von der menſchlichen Na - tur Gottes. Die Incarnation war nur eine Folge der gött - lichen Liebe und Barmherzigkeit. Seinetwegen iſt Gott nicht Menſch geworden. Die Noth, das Bedürfniß des Menſchen — ein Bedürfniß, das übrigens heute noch ein Bedürfniß des religiöſen Gemüths — war der Grund der Incarnation. Aus Barmherzigkeit wurde er Menſch — er war alſo ſchon in ſich ſelbſt ein menſchlicher Gott, ehe er wirklicher Menſch wurde; denn er fühlte das menſchliche Bedürfniß; es ging ihm das menſchliche Elend zu Herzen. Die Incarnation war eine Thräne des göttlichen Mitleids, alſo nur eine Erſcheinung ei - nes menſchlich fühlenden, darum weſentlich menſchlichen We - ſens.
Wenn der menſchgewordne Gott in der Incarnation als das Erſte geſetzt und betrachtet wird, ſo erſcheint freilich die Menſchwerdung Gottes als ein unerwartetes, frappirendes, wunderbares, geheimnißvolles Ereigniß. Allein der menſch - gewordne Gott iſt nur die Erſcheinung des gottgeword - nen Menſchen, was freilich im Rücken des religiöſen Be - wußtſeins liegt; denn der Herablaſſung Gottes zum Men - ſchen geht nothwendig die Erhebung des Menſchen zu Gott vorher. Der Menſch war ſchon in Gott, war ſchon Gott ſelbſt, ehe Gott Menſch wurde. Wie hätte ſonſt Gott Menſch werden können? Ex nihilo nil fit. Ein Gott, der ſich nicht um Menſchliches kümmert, wird nicht um des Menſchen willen Menſch werden. Ein König, der nicht auf ſeinem Herzen das Wohl ſeiner Unterthanen trägt, der nicht ſchon auf dem Throne mit ſeinem Geiſte in den Wohnungen derſelben weilt, nicht ſchon in ſeiner Geſinnung, wie das Volk ſpricht, ein gemei -Feuerbach. 450ner Mann iſt, ein ſolcher König wird auch nicht körperlich von ſeinem Throne herabſteigen, um ſeine Untergebenen zu be - glücken mit ſeiner perſönlichen Gegenwart. Iſt alſo nicht ſchon der Unterthan zum König emporgeſtiegen, ehe der König zum Unterthan herabſteigt? Und wenn ſich der Unterthan durch die perſönliche Gegenwart ſeines Königs geehrt und beglückt findet, bezieht ſich dieſes Gefühl nur auf dieſe ſichtbare Erſchei - nung als ſolche, oder nicht vielmehr auf die Erſcheinung der Geſinnung, des menſchenfreundlichen Weſens, welches der Grund dieſer Erſcheinung iſt?
Das Tiefe, d. h. das Widerſprechende, das Unbegreifliche, welches man in dem Satze: Gott iſt oder wird Menſch, fin - det, kommt nur daher, daß man den Begriff oder die Beſtim - mungen des allgemeinen, uneingeſchränkten, d. i. lediglich me - taphyſiſchen Weſens mit dem Begriffe oder den Beſtimmungen des religiöſen Gottes unmittelbar verbindet oder vielmehr vermiſcht — eine Vermiſchung, die überhaupt die Einſicht in das Weſen der Religion erſchwert. Aber es handelt ſich in der That nur um die menſchliche Geſtalt eines Gottes, der ſchon ein Weſen, im tiefſten Grunde ſeiner Seele ein barm - herziger, d. i. menſchlicher Gott iſt.
In der kirchlichen Lehre wird dieß ſo ausgedrückt, daß es nicht die erſte Perſon der Gottheit, ſondern die zweite iſt, welche ſich incarnirt — die zweite Perſon, welche die Welt geſchaffen, welche der zum Menſchen redende Gott iſt, welche den Menſchen in und vor Gott vertritt*)S. hierüber z. B. Tertullian. adv. Praxeam c. 15. 16., kurz nichts andres als der göttliche Menſch iſt — die zweite Perſon, die aber fürwahr, wie ſich zeigen wird, der eigentliche Gott, die wahre,51 erſte Perſon der Religion iſt. Und nur ohne dieſen Termi - nus medius, welcher aber der Terminus a quo der Incarna - tion, erſcheint die Incarnation unbegreiflich, myſteriös, „ ſpecu - lativ, “während ſie im Zuſammenhang mit demſelben eine ſich von ſelbſt verſtehende Folge iſt. Die Behauptung daher, daß die Incarnation eine rein empiriſche Thatſache ſei, von der man nur aus der Offenbarung Kunde erhalte, iſt eine Aeuße - rung des ſtupideſten religiöſen Materialismus, denn die In - carnation iſt ein Schlußſatz, der auf einer ſehr begreiflichen Prämiſſe beruht. Aber eben ſo verkehrt iſt es, wenn man aus puren ſpeculativen, d. i. metaphyſiſchen Gründen die Incar - nation der kirchlichen, orthodoxen Theologie deduciren will, denn die Metaphyſik gehört nur der erſten Perſon an, welche ſich nicht incarnirt, keine dramatiſche Perſon iſt.
Aus dieſem Exempel erhellt, wie ſich die genetiſch-kri - tiſche, die ſpeculativ-rationelle oder ſpeculativ-empiriſche Methode, die Methode der pneumatiſchen Waſſerheilkunde, von der purlautern ſpeculativen Methode unterſcheidet. Die gene - tiſch-kritiſche oder ſpeculativ-rationelle Methode philoſophirt nicht über die Menſchwerdung als ein beſonderes, ſtupen - des Myſterium, wie die vom myſtiſchen Schein verblendete Speculation; ſie zerſtört vielmehr die Illuſion, als ſtecke ein ganz beſondres Geheimniß dahinter, ſie kritiſirt das Dogma und reducirt es auf ſeine natürlichen Elemente, auf ſeinen innern Urſprung — auf die Liebe. Der Mittelpunkt der In - carnationslehre, des myſtiſchen „ Gottmenſchen “iſt die Liebe Gottes zum Menſchen; inwiefern Gott den Menſchen liebt, Gott an den Menſchen denkt, Gott für den Menſchen fürſorgt, iſt er ſchon Menſch; Gott begibt ſchon in ſich ſeiner Gottheit, entäußert, anthropomorphirt ſich, indem er liebt. 4*52Die wirkliche Incarnation iſt nun das geiſtliche Argument ad hominem von dieſer innerlichen weſentlichen Menſchheit Gottes.
Das Dogma aber oder die Religion ſtellt uns zweierlei dar: Gott und die Liebe. Gott iſt die Liebe; was heißt aber das? Iſt Gott noch Etwas außer der Liebe? ein von der Liebe unterſchiedenes Weſen? Iſt es ſo viel, als wie ich auch von einer menſchlichen Perſon im Affect ausrufe: ſie iſt die Liebe ſelbſt? Allerdings; ſonſt müßte ich den Namen: Gott, der ein beſondres perſönliches Weſen, ein Subject im Unter - ſchiede von Prädicat ausdrückt, fahren laſſen. Alſo wird die Liebe zu etwas Beſondren gemacht. Gott hat aus Liebe ſeinen eingebornen Sohn geſandt. Die Liebe wird ſo zurück und herabgeſetzt, verfinſtert durch den dunkeln Hintergrund: Gott. Sie wird nur zu einer perſönlichen, wenn auch weſen - beſtimmenden Eigenſchaft; ſie behält daher im Geiſte und Ge - müthe, objectiv und ſubjectiv, den Rang nur eines Prädicats, nicht des Subjects, nicht der Subſtanz; ſie verſchiebt ſich mir als eine Nebenſache, ein Accidenz aus den Augen; bald tritt ſie als etwas Weſentliches vor mich hin; bald verſchwindet ſie mir wieder. Gott erſcheint mir auch noch in andrer Geſtalt, als in der der Liebe, auch in der Geſtalt der Allmacht, einer finſtern, nicht durch die Liebe gebundnen Macht, einer Macht, an der auch, wenn gleich in geringerem Maaße, die Dämone, die Teufel participiren.
So lange die Liebe nicht zur Subſtanz, zum Weſen ſelbſt erhoben wird, ſo lange lauert im Hintergrunde der Liebe ein Subject, das auch ohne Liebe noch Etwas für ſich iſt, ein liebloſes Ungeheuer, ein dämoniſches Weſen, deſſen von der Liebe unterſcheidbare und wirklich unterſchiedene Per -53 ſönlichkeit an dem Blute der Ketzer und Ungläubigen ſich ergötzt — das Phantom des religiöſen Fanatismus. Aber gleichwohl iſt das Weſentliche in der Incarnation, ob - wohl noch gebunden an die Nacht des religiöſen Bewußtſeins, die Liebe. Die Liebe beſtimmte Gott zur Entäußerung ſeiner Gottheit*)So, in dieſem Sinne feierte der alte unbedingte begeiſterungsvolle Glaube die Incarnation. Amor triumphat de Deo, ſagt der heil. Bernhard. Und nur in der Bedeutung einer wirklichen Selbſtentäußerung, Selbſtver - läugnung der Gottheit liegt die Realität, die Vis der Incarnation, wenn gleich dieſe Selbſtnegation nur eine Phantaſievorſtellung iſt, denn bei Lichte betrachtet negirt ſich in der Incarnation Gott nicht, ſondern er zeigt ſich nur als das, was er iſt, als ein menſchliches Weſen. Was die Lüge der ſpätern rationaliſtiſch-orthodoxen und bibliſch-pietiſtiſch-ratio - naliſtiſchen Theologie gegen die wonnetrunknen Vorſtellungen und Aus - drücke des alten Glaubens in Betreff der Incarnation vorgebracht, ver - dient keine Erwägung, geſchweige eine Widerlegung. Wie aber ſelbſt der alte charaktervolle Glaube die Wahrheit der Incarnation, die Wahrheit des Gottmenſchen wieder geläugnet — darüber im Anhang.. Nicht aus ſeiner Gottheit als ſolcher, nach wel - cher er das Subject iſt in dem Satze: Gott iſt die Liebe, ſon - dern aus der Liebe, dem Prädicat kam die Verläugnung ſeiner Gottheit; alſo iſt die Liebe eine höhere Macht als die Macht der Gottheit. Die Liebe überwindet Gott. Die Liebe war es, der Gott ſeine göttliche Majeſtät aufopferte. Und was war das für eine Liebe? eine andere als die unſrige? als die, der wir Gut und Blut opfern? War es die Liebe zu ſich? zu ſich als Gott? Nein! die Liebe zum Menſchen. Aber iſt die Liebe zum Menſchen nicht menſchliche Liebe? Kann ich den Menſchen lieben, ohne ihn menſchlich zu lieben, ohne ihn ſo zu lieben, wie er ſelbſt liebt, wenn er in Wahrheit liebt? Wäre ſonſt nicht die Liebe vielleicht teufliſche Liebe? Der Teufel liebt ja auch die Menſchen, aber nicht um des Men - ſchen, ſondern um ſeinet willen, alſo aus Egoismus, um ſich54 zu vergrößern, ſeine Macht auszubreiten. Aber Gott liebt, indem er den Menfchen liebt, den Menſchen um des Menſchen willen, um ihn gut, glücklich, ſelig zu machen. Liebt er alſo nicht ſo den Menſchen, wie der wahre Menſch den Menſchen liebt? Hat die Liebe überhaupt einen Plural? Iſt ſie nicht überall ſich ſelbſt gleich? Was iſt alſo der wahre, reine Text der Incarnation als der Text der Liebe ſchlechtweg, ohne Bei - ſatz, ohne Differenz von göttlicher und menſchlicher Liebe; denn wenn es auch eine eigennützige Liebe unter den Menſchen gibt, ſo iſt doch die wahre menſchliche Liebe, die allein dieſes Namens würdige diejenige, welche dem Andern zu Liebe das Eigne opfert. Wer iſt alſo unſer Erlöſer und Verſöhner? Gott oder die Liebe? Die Liebe, denn Gott als Gott hat uns nicht erlöſt, ſondern die Liebe, welche über die Differenz von göttlicher und menſchlicher Perſönlichkeit erhaben iſt. Wie Gott ſich ſelbſt aufgegeben aus Liebe, ſo ſollen wir auch der Liebe Gott aufopfern; denn opfern wir nicht Gott der Liebe auf, ſo opfern wir die Liebe Gott auf, und wir haben trotz des Prädicats der Liebe den Gott, das böſe Weſen des religiöſen Fanatismus.
Indem wir nun aber dieſen Text aus der Incarnation gewonnen, ſo haben wir zugleich das Dogma in ſeiner Un - wahrheit und Nichtigkeit dargeſtellt, die Illuſion aufgehoben, als ſtecke ein ganz beſondres Geheimniß dahinter, das ſchein - bar übernatürliche und überverſtändige Myſterium auf eine einfache, dem Menſchen natürliche Wahrheit reducirt — eine Wahrheit, die nicht der chriſtlichen Religion allein, ſon - dern jeder Religion als Religion mehr oder minder angehört. Jede Religion ſetzt nämlich voraus, daß Gott nicht gleichgül - tig iſt gegen die Weſen, die ihn verehren, daß alſo Menſchliches55 ihm nicht fremd, daß er als ein Gegenſtand menſchlicher Ver - ehrung ſelbſt ein menſchlicher Gott iſt. Jedes Gebet enthüllt das Geheimniß der Incarnation, jedes Gebet iſt in der That eine Incarnation Gottes. Im Gebete ziehe ich Gott in das menſchliche Elend herein; ich laſſe ihn Theil neh - men an meinen Leiden und Schwächen. Gott iſt nicht taub gegen meine Klagen; er erbarmt ſich meiner; er verläugnet alſo ſeine göttliche Majeſtät, ſeine Erhabenheit über alles Menſchliche und Endliche; er wird Menſch mit dem Menſchen; denn erhört er mich, erbarmt er ſich meiner, ſo wird er afficirt von meinem Leiden.
Die Theologie freilich, welche die metaphyſiſchen Ver - ſtandesbeſtimmungen der Apathie, der Immutabilität, Ewigkeit und andere dergleichen abſtracte Weſensbeſtimmungen im Kopfe hat und feſthält, die Theologie freilich läugnet die Paſſibi - lität Gottes, läugnet aber eben damit auch die Wahrheit der Religion*)Der heilige Bernhard hilft ſich mit einem köſtlich ſophiſtiſchem Wortſpiel: Impassibilis est Deus, sed non incompassibilis cui proprium est misereri semper et parcere (Super Cantica. Sermo 26.) als wäre nicht Mitleiden Leiden, freilich Leiden der Liebe, Leiden des Her - zens. Aber was leidet, wenn nicht das theilnehmende Herz? Ohne Liebe keine Leiden. Die Materie, die Quelle des Leidens, iſt eben das allgemeine Herz, das allgemeine Band der Natur.. Denn die Religion, der religiöſe Menſch glaubt im Acte der Andacht des Gebets an eine wirkliche Theilnahme des göttlichen Weſens an ſeinen Leiden und Be - dürfniſſen, glaubt an einen durch die Innigkeit des Gebets, d. h. durch die Kraft des Gemüths beſtimmbaren Wil - len Gottes, glaubt an eine wirkliche, gegenwärtige, durch das Gebet bewirkte Erhörung. Der wahrhaft religiöſe Menſch legt unbedenklich ſein Herz in Gott; Gott iſt ihm ein Herz,56 ein Gemüth, das für alles Menſchliche empfänglich iſt. Das Herz kann nur zum Herzen ſich wenden; das Gemüth findet nur in ſich ſelbſt, in ſeinem Weſen, nur in einem Gotte, der iſt, wie und was das Gemüth, ſeine Befriedigung. „ Wir be - dürfen einen willkührlichen Gott. “
Die Behauptung, daß die Erfüllung des Gebetes von Ewigkeit her ſchon beſtimmt, ſchon in den Plan der Welt - ſchöpfung urſprünglich mit aufgenommen ſei, iſt eine leere ab - geſchmackte Fiction einer mechaniſchen Denkart, die abſolut dem Weſen der Religion widerſpricht. Ueberdem iſt ja auch in dieſer Fiction Gott eben ſo ein vom Menſchen beſtimmbares Weſen, als in der wirklichen, gegenwärtig auf die Kraft des Gebets erfolgten Erhörung; nur daß der Widerſpruch mit der Immutabilität und Unbeſtimmbarkeit Gottes, d. h. die Schwie - rigkeit in die täuſchende Ferne der Vergangenheit oder Ewig - keit hinausgeſchoben wird. Ob Gott jetzt auf mein Gebet hin ſich zur Erfüllung meines Gebets entſchließt oder ſich einſt da - zu entſchloſſen hat, das iſt im Grunde ganz eins.
Es iſt die größte Inconſequenz, die Vorſtellung eines durch das Gebet, d. h. die Kraft des Gemüths beſtimmbaren Gottes als eine unwürdige anthropomorphiſtiſche Vorſtellung zu ver - werfen. Glaubt man einmal ein Weſen, welches Gegenſtand der Verehrung, Gegenſtand des Gebetes, Gegenſtand des Ge - müthes iſt, ein Weſen, welches ein vorſehendes, fürſor - gendes iſt — eine Vorſehung, welche nicht ohne Liebe denk - bar — ein Weſen alſo, welches ein liebendes iſt, die Liebe zum Beſtimmungsgrunde ſeiner Handlungen hat, ſo glaubt man auch ein Weſen, welches, wenn auch nicht ein anato - miſches, doch ein pſychiſches menſchliches Herz hat. Das57 religiöſe Gemüth legt überhaupt Alles in Gott — Das aus - genommen, was es ſelbſt verſchmäht. Die Chriſten gaben ihrem Gotte zwar keine ihren moraliſchen Begriffen widerſpre - chende Affecte, aber die Empfindungen und Gemüthsaffecte der Liebe, der Barmherzigkeit gaben ſie ihm ohne Anſtand und mußten ſie ihm geben. Und die Liebe, die das religiöſe Ge - müth in Gott ſetzt, iſt eine eigentliche, nicht nur ſo vorgeſpie - gelte, vorgeſtellte, eine wirkliche, wahrhafte Liebe — Gott wird geliebt und liebt wieder; in der göttlichen Liebe vergegenſtänd - licht, bejaht ſich nur die menſchliche Liebe. In Gott vertieft ſich nur die Liebe in ſich als die Wahrheit ihrer ſelbſt.
Gegen die eben entwickelte Bedeutung der Incarnation kann man erwidern, daß es mit der chriſtlichen Incarnation doch eine ganz beſondre, wenigſtens andre Bewandtniß habe — was allerdings auch in gewiſſer Hinſicht wahr iſt, wie ſelbſt ſpäter gezeigt werden wird — als mit den Menſchwerdungen der heidniſchen, etwa griechiſchen oder indiſchen Götter. Dieſe ſeien bloße Menſchenproducte oder vergötterte Menſchen; aber im Chriſtenthum ſei die Idee des wahren Gottes gegeben; hier werde die Vereinigung des göttlichen Weſens mit dem menſch - lichen erſt bedeutungsvoll und „ ſpeculativ. “ Jupiter verwandle ſich auch in einen Stier; die heidniſchen Menſchwerdungen ſeien bloße Phantaſien. Im Heidenthum ſei nicht mehr in dem Weſen Gottes als in der Erſcheinung Gottes; im Chriſten - thum dagegen ſei es Gott, ſei es ein andres, übermenſchliches Weſen, welches als Menſch erſcheine. Aber dieſer Einwurf widerlegt ſich durch die bereits gemachte Bemerkung, daß auch die Prämiſſe der chriſtlichen Incarnation ſchon das menſchliche Weſen enthält. Gott liebt den Menſchen; Gott hat überdem einen Sohn in ſich; Gott iſt Vater; die Verhältniſſe der58 Menſchlichkeit ſind von Gott nicht ausgeſchloſſen; Menſchliches iſt Gott nicht unbekannt, nicht ferne. Es iſt daher auch hier nicht mehr im Weſen Gottes als in der Erſcheinung. In der Incarnation geſteht die Religion nur ein, was ſie au - ßerdem nicht Wort haben will, daß Gott ein durchaus menſch - liches Weſen iſt. Die Incarnation, das Geheimniß des Gott - menſchen, iſt daher keine myſteriöſe Compoſition von Ge - genſätzen, kein ſynthetiſches Factum, wofür es der ſpecu - lativen Religionsphiloſophie gilt, weil ſie eine beſondere Freude am Widerſpruch hat; ſie iſt ein analytiſches Factum — ein menſchliches Wort mit menſchlichem Sinne. Wäre ein Wi - derſpruch vorhanden, ſo läge dieſer ſchon vor und außer der Incarnation; der Widerſpruch läge ſchon in der Verbindung der Vorſehung, der Liebe mit der Gottheit; denn iſt dieſe eine wirkliche, ſo iſt ſie keine von unſrer Liebe we - ſentlich unterſchiedene — es ſind nur die Schranken zu be - ſeitigen — und ſo iſt die Incarnation nur der kräftigſte, in - tenſivſte, offenherzigſte Ausdruck dieſer Vorſehung, dieſer Liebe. Die Liebe weiß ihren Gegenſtand nicht mehr zu beglücken, als daß ſie ihn mit ihrer perſönlichen Gegenwart erfreut, daß ſie ſich ſehen läßt. Den unſichtbaren Wohlthäter von Angeſicht zu Angeſicht zu ſchauen, iſt das heißeſte Verlangen der Liebe. Seligkeit liegt im bloßen Anblick des Geliebten. Der Blick iſt die Gewißheit der Liebe. Und die Incarnation ſoll nichts ſein, nichts bedeuten, nichts wirken als die zweifelloſe Gewiß - heit an der Liebe Gottes zum Menſchen. Die Liebe bleibt, aber die Incarnation auf der Erde geht vorüber; die Erſchei - nung war eine zeitlich und räumlich beſchränkte, Wenigen zu - gängliche; aber das Weſen der Erſcheinung iſt ewig und all - gemein. Wir ſollen noch glauben an die Erſcheinung, aber59 nicht um der Erſcheinung, ſondern um des Weſens willen; denn uns iſt nur geblieben — die Anſchauung der Liebe.
Der klarſte, unwiderſprechlichſte Beweis, daß der Menſch in der Religion ſich als göttlicher Gegenſtand, als gött - licher Zweck Object iſt, daß er alſo in der Religion nur zu ſeinem eignen Weſen, nur zu Sich ſelbſt ſich verhält — iſt die Liebe Gottes zum Menſchen: der Grund und Mit - telpunkt der Religion. Gott entäußert ſich um des Menſchen willen ſelbſt ſeiner Gottheit. Hierin liegt der erhebende Ein - druck der Incarnation: das höchſte, das bedürfnißloſe Weſen demüthigt, erniedrigt ſich um meinetwillen. In Gott kommt daher mein eignes Weſen mir zur Anſchauung; ich habe für Gott Werth; die göttliche Bedeutung meines Weſens wird mir offenbar. Wie kann denn der Werth des Menſchen höher ausgedrückt werden, als wenn Gott um des Menſchen willen Menſch wird, wenn der Menſch der Endzweck, der Ge - genſtand der göttlichen Liebe iſt? Die Liebe Gottes zum Men - ſchen iſt eine weſentliche Beſtimmung des göttlichen We - ſens: Gott iſt ein mich, den Menſchen überhaupt, lieben - der Gott. Darauf ruht der Accent, darin liegt der Grundaf - fect der Religion. Gottes Demuth macht mich demüthig, ſeine Liebe liebend. Nur die Liebe iſt der Gegenſtand der Liebe: nur was liebt, wird wieder geliebt. Die Liebe Gottes zum Menſchen iſt der Grund der Liebe des Menſchen zu Gott: die göttliche Liebe verurſacht, erweckt die menſchliche Liebe. „ Laſ - ſet uns ihn lieben, denn Er hat uns erſt geliebet. “ *)1. Johannes 4, 19.Was liebe ich alſo in und an Gott? Die Liebe und zwar die Liebe zum Menſchen. Wenn ich aber die Liebe liebe und anbete, mit welcher Gott den Menſchen liebt, liebe ich60 nicht den Menſchen, iſt meine Gottesliebe nicht, wenn auch indirecte, Menſchenliebe? Iſt denn nicht der Menſch der Inhalt Gottes, wenn Gott ihn liebt? Iſt nicht das mein Innigſtes, was ich liebe? Habe ich ein Herz, wenn ich nicht liebe? Nein! Die Liebe nur iſt das Herz des Menſchen. Aber was iſt die Liebe ohne Das, was ich liebe? Was ich alſo liebe, das iſt mein Herz, das iſt mein Inhalt, das iſt mein Weſen. Warum trauert der Menſch, warum verliert er die Luſt zum Leben, wenn er den geliebten Gegenſtand ver - liert? Warum? weil er mit dem geliebten Gegenſtande ſein Herz, das Princip des Lebens, verloren. Liebt alſo Gott den Menſchen, ſo iſt der Menſch das Herz Gottes — des Men - ſchen Wohl ſeine innigſte Angelegenheit. Iſt alſo nicht, wenn der Menſch der Gegenſtand Gottes iſt, der Menſch ſich ſelbſt in Gott Gegenſtand, nicht der Inhalt des göttli - chen Weſens das menſchliche Weſen, wenn Gott die Liebe, der weſentliche Inhalt dieſer Liebe aber der Menſch iſt, nicht die Liebe Gottes zum Menſchen, der Grund und Mittelpunkt der Religion, die Liebe des Menſchen zu ſich ſelbſt, vergegenſtändlicht, angeſchaut als die höchſte objective Wahrheit, als das höchſte Weſen des Menſchen? Iſt denn nicht der Satz: „ Gott liebt den Menſchen “ein Orientalismus — die Religion iſt weſentlich orientaliſch — welcher auf Deutſch heißt: das Höchſte iſt die Liebe des Menſchen? —
Der Glaube an den aus Liebe Menſch gewordnen Gott — und dieſer Gott iſt der Mittelpunkt der chriſtlichen Religion — iſt nichts andres als der Glaube an die Liebe,61 der Glaube aber an die Liebe der Glaube an die Wahr - heit und Gottheit des menſchlichen Herzens. Der ſei - ner ſelbſt bewußte, der denkende Menſch erkennt das Herz als Herz, den Verſtand als Verſtand, beide in der Einheit ih - rer Weſenheit und Wirklichkeit, als göttliche, abſolute Mächte. Aber die Religion, ihrer ſich nicht bewußt, und beruhend auf der Scheidung der Weſenheit von der Wirklichkeit des Weſens des Menſchen, als eines andern Weſens, vom wirk - lichen individuellen Menſchen, vergegenſtändlicht auch das Weſen des Herzens, wie des Verſtandes, als ein andres, ob - jectives und zwar perſönliches Weſen.
Eine Weſensbeſtimmung des menſchgewordnen oder, was eins iſt, des menſchlichen Gottes, alſo Chriſti, iſt die Paſſion. Die Liebe bewährt ſich durch Leiden. Alle Gedanken und Empfindungen, die ſich zunächſt an Chriſtus anſchließen, con - centriren ſich in dem Begriffe des Leidens. Gott als Gott iſt der Inbegriff aller menſchlichen Vollkommenheit, Chriſtus der Inbegriff alles menſchlichen Elends. Die heidniſchen Phi - loſophen feierten die Actuoſität, die Spontaneität der Intelli - genz als die höchſte, als die göttliche Thätigkeit; die Chriſten heiligten das Leiden, ſetzten das Leiden ſelbſt in Gott. Wenn Gott als Actus purus der Gott der Philoſophie, ſo iſt dage - gen Chriſtus, der Gott der Chriſten, die Passio pura — der höchſte metaphyſiſche Gedanke, das être suprême des Her - zens. Denn was macht mehr Eindruck auf das Herz als Leiden? und zwar das Leiden des an ſich Leidloſen, des über alles Leiden Erhabenen, das Leiden des Unſchuldigen, des Sün - denreinen, das Leiden lediglich zum Beſten Anderer, das frei - willige Leiden, das Leiden der Liebe, der Selbſtaufopferung? Aber eben deßwegen weil die Paſſionsgeſchichte die ergreifendſte62 Geſchichte für das menſchliche Herz oder überhaupt für das Herz iſt — denn es wäre ein lächerlicher Wahn des Menſchen, ſich ein andres Herz als das menſchliche vorſtellen zu wollen — ſo folgt daraus aufs unwiderſprechlichſte, daß in ihr nichts ausgedrückt, nichts vergegenſtändlicht iſt als das Weſen des Herzens, daß ſie zwar nicht in dem menſchlichen Verſtande oder Dichtungsvermögen, aber doch im menſchlichen Herzen ihren Urſprung hat. Das Chriſtenthum, ſeinem beſſern Theil nach, gereinigt von den widerſprechenden eigenthümli - chen Elementen des religiöſen Bewußtſeins, die erſt ſpäter in Betracht kommen, iſt eine Invention des menſchlichen Herzens. Aber das Herz erfindet nicht, wie die freie Phantaſie oder In - telligenz; es verhält ſich leidend, empfangend; alles, was aus ihm kommt, erſcheint ihm als gegeben, tritt gewaltſam auf, wirkt mit der Kraft der dringenden Nothwendigkeit. Das Herz bewältigt, bemeiſtert den Menſchen; wer einmal von ihm er - griffen, iſt von ihm als ſeinem Dämon, ſeinem Gotte ergriffen. Das Herz kennt keinen andern Gott, kein trefflicheres Weſen als ſich, als einen Gott, deſſen Name zwar ein beſonderer, ein andrer ſein mag, deſſen Weſen, deſſen Subſtanz aber das eigne Weſen des Herzens iſt. Und aus dem Herzen, aus dem innern Drange, Gutes zu thun, für die Menſchen zu leben und ſterben, aus dem göttlichen Triebe der Wohlthätig - keit, die Alle beglücken will, die Keinen, auch den Verworfen - ſten, den Niedrigſten nicht, von ſich ausſchließt, aus der ſittli - chen Pflicht der Wohlthätigkeit im höchſten Sinne, wie ſie zu einer innern Nothwendigkeit, d. i. zum Herzen geworden, aus dem menſchlichen Weſen alſo, wie es ſich als Herz und durch das Herz offenbart, iſt die Pars melior, der beſſere Theil des Chriſtenthums entſprungen.
63Was nämlich die Religion zum Prädicat macht, Das dürfen wir nur immer zum Subject, und, was ſie zum Sub - ject, zum Prädicat machen, alſo die Orakelſprüche der Reli - gion umkehren, als contre-véritez auffaſſen, ſo haben wir das Wahre. Gott leidet — Leiden iſt Prädicat — aber für die Menſchen, für Andere, nicht für ſich. Was heißt das auf Deutſch? nichts andres als: Leiden für Andere iſt gött - lich*)Die Religion ſpricht durch Exempel. Das Exempel iſt das Geſetz der Religion. Was Chriſtus gethan, iſt Geſetz. Chriſtus hat gelitten für Andere, alſo ſollen wir daſſelbe thun ..... Quae necessitas fuit ut sic exinaniret se, sic humiliaret se, sie abbreviaret se Dominus majestatis, nisi ut vos similiter faciatis? (Bernardus in Die nat. Domini.) Aber dieſe Wahrheit negirt die Eiferſucht der Religion auf den Menſchen, auf die Moral dadurch wieder, daß ſie das Handeln und Leiden für Andere, für die Menſchen nur zu einem Handeln und Leiden für Chriſtus, für Gott und ſeine Ehre macht. Doch davon erſt ſpäter.; wer für Andere leidet, ſeine Seele läßt, handelt gött - lich, iſt den Menſchen Gott. Aber leidende, ſich ſelbſt auf - opfernde Liebe iſt das höchſte Weſen des Herzens. Chriſtus alſo das ſich ſelbſt gegenſtändliche Herz — der Eindruck und Inhalt ſeiner Leidensgeſchichte ein rein menſchlicher. Denn daß Chriſtus zugleich Gott war, Gott im Sinne der Religion oder Dogmatik, iſt eine vage, nichtige, phantaſtiſche Vorſtel - lung. Der poſitive, reale Eindruck auf Kopf und Herz, der Eindruck, der allein den objectiven Inhalt in ſeiner Wahr - heit ausdrückt, iſt: daß er freiwillig litt, daß er nicht zu leiden brauchte, wenn er nicht hätte leiden wollen, daß er litt unver - ſchuldet, daß er litt für Andere, litt aus freier Liebe. Aber ſolches Leiden geht wohl über den gemeinen, aber nicht über den Menſchen an ſich, über den wahren Menſchen. Denke ich dagegen zugleich mit dieſem menſchlichen Leiden den ſuprana - turaliſtiſchen religiöſen oder dogmatiſchen Inhalt, den leidenden64 Chriſtus zugleich als Gott, ſo geht alle Wahrheit verloren, ſo litt er, ſo zu ſagen, nur auf der einen Seite, auf der andern aber nicht — denn was war für ihn als Gott, als den ſeiner Gottheit, ſeiner Ewigkeit und himmliſchen Seligkeit Bewußten ſein Leiden? — ſo war ſein Leiden nur ein Leiden für ihn als Menſchen, nicht als Gott, nur ein ſcheinbares, kein wahres Leiden — kurz eine bloße Komödie.
Das Leiden Chriſti repräſentirt jedoch nicht nur das ſitt - liche Leiden, das Leiden der Liebe, der Kraft, ſich ſelbſt zum Wohle Anderer aufzuopfern: es repräſentirt auch das Leiden als ſolches, das Leiden inwiefern es ein Ausdruck der Paſ - ſibilität überhaupt iſt. Die chriſtliche Religion iſt ſo wenig eine übermenſchliche, daß ſie ſelbſt die menſchliche Schwachheit ſanctionirt. Wenn der heidniſche Philoſoph ſelbſt bei der Nach - richt von dem Tode des eignen Kindes die Worte ausruft: Ich wußte, daß ich einen Sterblichen gezeugt; ſo vergießet dagegen Chriſtus Thränen über den Tod des Lazarus — einen Tod, der doch in Wahrheit nur ein Scheintod war. Wenn Sokra - tes mit unbewegter Seele den Giftbecher leert, ſo ruft dagegen Chriſtus aus: „ wenn es möglich, ſo gehe dieſer Kelch von mir. “ *)Haerent plerique hoc loco .... Ego autem non solum excusan - dum non puto, sed etiam nusquam magis pietatem ejus majestatemque demiror. Minus enim contulerat mihi, nisi meum suscepisset af - fectum. Ergo pro me doluit, qui pro se nihil habuit, quod doleret .... Suscepit enim tristitiam meam, ut mihi suam laetitiam largiretur .... Non me fefellit, ut aliud esset et aliud videretur. Tristis videbatur ettristis erat. Ambrosius. (Exposit. in Lucae Evangel. l. X. c. 22.) Chriſtus iſt in dieſer Beziehung das Selbſtbekenntniß der menſchlichen Senſibilität. Der Chriſt hat, ganz im Ge - genſatz gegen das heidniſche, namentlich ſtoiſche Princip mit ſeiner rigoroſen Willensenergie und Selbſtſtändigkeit, das Be -65 wußtſein der eignen Reizbarkeit und Empfindlichkeit in das Bewußtſein Gottes aufgenommen; in Gott findet er ſie, wenn ſie nur keine ſündliche Schwachheit, nicht negirt, nicht ver - dammt*)Quando enim illi (Deo) appropinquare auderemus in sua impassibilitate manenti. Bernardus (Tract. de XII grad. hum. et sup.) .
Leiden iſt das höchſte Gebot des Chriſtenthums — die Geſchichte des Chriſtenthums ſelbſt die Leidensgeſchichte der Menſchheit. Wenn bei den Heiden das Jauchzen der ſinnlichen Luſt ſich in den Cultus der Götter miſchte, ſo gehö - ren bei den Chriſten, natürlich den alten Chriſten, die Seufzer und Thränen des leidenden Herzens, des Gemüths zum Gottesdienſt. Wie aber ein ſinnlicher Gott, ein Gott des Lebens, der Lebensfreude da verehrt wird, wo ſinnliches Freu - dengeſchrei zu ſeinem Cultus gehört, ja wie dieſes Freudenge - ſchrei nur eine ſinnliche Definition iſt von dem Weſen der Götter, denen dieſes Geſchrei gilt: ſo ſind auch die Herzens - ſeufzer der Chriſten Töne, die aus der innerſten Seele, dem innerſten Weſen ihres Gottes kommen. Der Gott des Gottes - dienſtes, bei den Chriſten des innern Gottesdienſtes, nicht der Gott der ſophiſtiſchen Theologie iſt der wahre Gott des Men - ſchen. Aber mit Thränen, den Thränen der Reue und Sehnſucht, glaubten die Chriſten, natürlich die alten Chri - ſten, ihrem Gott die höchſte Ehre anzuthun. Die Thränen ſind alſo die ſinnlichen Glanzpunkte des chriſtlich religiöſen Gemüths, in denen ſich das Weſen ihres Gottes abſpiegelt. Aber ein Gott, der an Thränen Gefallen hat, iſt nichts andres als das gegenſtändliche Weſen des leidenden Herzens — des Gemüths. Zwar heißt es in der chriſtlichen Religion:Feuerbach. 566Chriſtus hat Alles für uns gethan, hat uns erlöſt, verſöhnt mit Gott; und es ließe ſich daher hieraus der Schluß ziehen: Laſſet uns fröhlichen Sinnes ſein, was brauchen wir uns dar - über zu kümmern, wie wir uns mit Gott verſöhnen ſollen; wir ſind es ja ſchon. Aber das Imperfectum des Leidens macht einen ſtärkern, anhaltendern Eindruck, als das Perfectum der Erlöſung. Die Erlöſung iſt nur das Reſultat des Leidens; das Leiden der Grund, die Quelle der Erlöſung. Das Lei - den befeſtigt ſich daher tiefer im Gemüthe; das Leiden macht ſich zu einem Gegenſtande der Nachahmung, die Erlöſung nicht. Wenn Gott ſelber litt um meinetwillen, wie ſoll ich fröhlich ſein, wie mir eine Freude gönnen, wenigſtens auf dieſer ver - dorbnen Erde, die der Schauplatz ſeiner Leiden war*)Deus meus pendet in patibulo et ego voluptati ope - ram dabo? (Formula hon. vitae. Unter den unächten Schriften des heil. Bernhard.)? Soll ich beſſer ſein als Gott? ſoll ich alſo ſein Leiden mir nicht an - eignen? Iſt was Gott, mein Herr thut, nicht mein Vorbild? Oder ſoll ich nur den Gewinn, nicht auch die Koſten tragen? Weiß ich nur, daß er mich verſöhnt, erlöſt hat? Iſt mir ſeine Leidensgeſchichte nicht auch Gegenſtand? Soll ſie mir nur ein Gegenſtand kalter Erinnerung ſein oder gar ein Gegenſtand der Freude, weil dieſes Leiden mir die Seligkeit erkauft? Aber wer kann ſo denken, wer ſich ausſchließen wollen von den Lei - den ſeines Gottes, außer der verworfenſte religiöſe Egois - mus?
Die chriſtliche Religion iſt die Religion des Leidens. Die Bilder des Gekreuzigten, die uns heute noch in allen Kirchen begegnen, ſtellen uns keinen Erlöſer, ſondern nur den Gekreu - zigten, den Leidenden dar. Selber die Selbſtkreuzigungen unter67 den Chriſten ſind pſychologiſch tief begründete Folgen ihrer religiöſen Anſchauung. Wie ſollte dem nicht die Luſt kommen, ſich ſelbſt oder Andere zu kreuzigen, der ſtets das Bild eines Gekreuzigten im Sinne hat? Wenigſtens ſind wir zu dieſem Schluſſe eben ſo gut berechtigt, als Auguſtin und andere Kir - chenväter zu dem Vorwurf gegen die heidniſche Religion, daß die unzüchtigen religiöſen Bilder die Heiden zur Unzucht auf - forderten.
Aber ſo ſehr dem objectiven Gemüthe, dem Herzen des natürlichen oder ſelbſtbewußten Menſchen das Leiden wider - ſpricht, weil in ihm der Trieb zur Selbſtthätigkeit, zur Kraft - äußerung der vorherrſchende iſt: ſo ſehr entſpricht dem ſub - jectiven, nur einwärts gekehrten, weltſcheuen, nur auf ſich concentrirten Herzen, d. i. dem Gemüthe das Leiden. Leiden iſt eine Selbſtnegation, aber eine ſelbſt ſub - jective, dem Gemüthe wohlthätige — auch ganz abgeſehen davon, daß das chriſtliche Leiden, ſelbſt das Leiden des Mär - tyrerthums identiſch iſt mit der Hoffnung der himmli - ſchen Seligkeit*)S. z. B. I. Petri 4, 1. 13. Römer 8, 17. 18. II. Korinth. 4, 10. 17. Abstine … ab omnibus seculi delectationibus, ut post hanc vitam in coelo laetari possis cum angelis. (de modo bene viv. Serm. 23. Unter den unächten Schriften des heil. Bernhard.) — die Anſchauung eines leidenden Got - tes daher die höchſte Selbſtbejahung, die höchſte Wol - luſt des leidenden Herzens.
Gott leidet, heißt aber nichts andres als: Gott iſt ein Herz. Das Herz iſt die Quelle, der Inbegriff aller Lei - den. Ein Weſen ohne Leiden iſt ein Weſen ohne Herz. Im Verſtande ſind wir ſelbſtthätig; im Herzen leiden, d. i. empfin - den wir. Das Geheimniß des leidenden Gottes iſt5*68daher das Geheimniß der Empfindung. Ein leidender Gott iſt ein empfindender, empfindſamer Gott*)Pati voluit, ſagt der „ letzte Kirchenvater “der katholiſche Luther, der heil. Bernhard (in der cit. Schrift de grad. ) pati voluit, ut com - pati sciret, miser fieri, ut misereri disceret (Hebrae. 5, 15.). Aber was der Religion nur Prädicat, das iſt in Wahrheit das Subject, die Sache ſelbſt, das Weſen. Der Satz: Gott iſt ein empfin - dendes Weſen, iſt nur die religiöſe Periphraſe des Satzes: die Empfindung iſt abſoluten, göttlichen Weſens. Die Religion iſt nichts andres als das vergegenſtändlichte Selbſt - bewußtſein des Menſchen — ſo verſchieden daher, als verſchie - den das Selbſtbewußtſein des Menſchen, d. h. der Gegenſtand, deſſen der Menſch ſich als ſeines höchſten Weſens bewußt iſt. Der Menſch hat aber nicht nur das Bewußtſein einer Thätig - keitsquelle, ſondern auch Leidensquelle in ſich. Ich empfinde; und empfinde die Empfindung, nicht blos das Wollen, nicht blos das Denken, welches nur zu oft im Gegenſatze mir mir und meinen Empfindungen iſt, als zu meinem Weſen gehörig, und obwohl als die Quelle aller Leiden und Schmerzen, doch zugleich als eine herrliche, göttliche Macht und Vollkommen - heit. Was wäre der Menſch ohne Empfindung? Sie iſt die muſikaliſche Macht im Menſchen. Aber was wäre der Menſch ohne den Ton? So gut der Menſch einen muſikaliſchen Trieb, eine innere Nöthigung in ſich fühlt, im Tone, im Liede ſeine Empfindungen auszuhauchen, ſo nothwendig ſtrömt er in reli - giöſen Seufzern und Thränen das Weſen der Empfindung als gegenſtändliches göttliches Weſen aus.
Die Religion iſt die Reflexion, die Spiegelung des menſchlichen Weſens in ſich ſelbſt. Was iſt, hat69 nothwendig einen Gefallen an ſich. Weil es iſt, iſt es vor - trefflich. Sein iſt ein Glück, ein Vorzug. Was iſt, liebt ſich. Tadelſt Du, daß es ſich liebt, ſo machſt Du ihm den Vorwurf, daß es iſt. Sein heißt Sich bejahen, Sich lieben. Wer des Lebens überdrüſſig, nimmt ſich das Leben. Wo die Empfin - dung daher nicht zurückgeſetzt oder unterdrückt wird, wie bei den Stoikern, wo ihr Sein gegönnt wird, da iſt ihr auch ſchon religiöſe Macht und Bedeutung eingeräumt, da iſt ſie auch ſchon auf die Stufe erhoben, auf welcher ſie ſich in ſich ſpiegeln und reflectiren, in Gott in ihren eignen Spiegel blicken kann. Gott iſt der Spiegel des Menſchen.
Was für den Menſchen weſentlichen Werth hat, was ihm für das Vollkommne, das Treffliche gilt, woran er wahres Gefallen hat, das allein iſt ihm Gott. Wem die Empfin - dung für eine herrliche Eigenſchaft, für eine Realität gilt, dem gilt ſie eben damit für eine göttliche Eigenſchaft, eine gött - liche Eſſenz. Der empfindende, gefühlvolle Menſch glaubt an einen empfindenden, gefühlvollen Gott, glaubt nur an die Wahrheit ſeines eignen Seins und Weſens, denn er kann nichts andres glauben, als was er ſelbſt in ſeinem Weſen iſt. Sein Glaube iſt das Bewußtſein deſſen, was ihm heilig iſt. Aber heilig iſt dem Menſchen nur, was ſein In - nerſtes, ſein Eigenſtes, der letzte Grund, das Weſen ſeiner Individualität iſt. Dem empfindungsvollen Menſchen iſt ein empfindungsloſer Gott ein leerer, todter, abſtracter, ne - gativer Gott, weil ihm das fehlt, was dem Menſchen werth und heilig iſt, und weil nur der Gott den Menſchen befrie - digt, welcher des Menſchen eignes Weſen enthält und aus - drückt. Gott iſt dem Menſchen das Collectaneenbuch ſeiner höchſten Gedanken und Empfindungen, das Stammbuch,70 in welches er die Namen der ihm theuerſten, heiligſten Weſen einträgt.
Es iſt ein Zeichen einer haushälteriſchen Gemüthlichkeit, ein weiblicher Trieb, zu ſammeln und das Geſammelte zuſam - men zu halten, nicht den Wogen der Vergeßlichkeit, dem Zu - fall der Erinnerung, überhaupt nicht ſich ſelbſt zu überlaſ - ſen und anzuvertrauen, was man Werthes hat kennen lernen. Der Freigeiſt iſt der Gefahr eines diſſoluten Lebens ausgeſetzt, der Religiöſe, weil er Alles in Eins zuſammenfaßt, iſt der Ge - fahr, ſich im ſinnlichen Leben zu verlieren, entnommen, aber dafür der Gefahr der Illiberalität, der geiſtlichen Selbſt - und Gewinnſucht ausgeſetzt. Der Ir - oder wenigſtens Nichtreli - giöſe erſcheint daher auch, wenigſtens dem Religiöſen, als der Menſchliches Vergötternde, als der Subjective, Eigenmächtige, Hochmüthige, nicht deßwegen, weil ihm nicht auch an ſich heilig wäre, was dem Religiöſen heilig iſt, ſondern nur, weil Das, was der Nicht-religiöſe nur in ſeinem Kopfe behält, der Religiöſe außer ſich als Object ſich gegenüber und zugleich über ſich ſetzt, daher das Verhältniß der Subordination, der Subjection in ſich aufnimmt. Kurz der Religiöſe hat, weil ein Collectaneenbuch, einen Sammelpunkt, einen Zweck. Ohne Religion erſcheint den Menſchen das Leben als ein zweckloſes. In der That ſetzten auch alle tüchtigen Menſchen ſich einen höchſten Zweck. Das Geheimniß eines im höhern Sinne ſitt - lichen Lebens beruht auf dieſer Teleologie. Nicht der Wille als ſolcher, nicht das vage Wiſſen, nur der Zweck, in dem ſich die theoretiſche Thätigkeit mit der praktiſchen verbindet, gibt dem Menſchen einen ſittlichen Grund und Halt, d. h. Cha - rakter. Der gewöhnliche Menſch verliert ſich ohne Religion (im gewöhnlichen, aber weltgültigen Sinne), es fehlt ihm der71 Punkt der Sammlung, des Zuſammenhalts. Jeder Menſch muß ſich daher einen Gott d. h. einen Endzweck ſetzen. Der Endzweck iſt der bewußte und gewollte weſentliche Lebenstrieb, der Genieblick, der Lichtpunkt der Selbſterkenntniß — die Ein - heit von Natur und Geiſt im individuellen Menſchen. Wer einen Endzweck, hat ein Geſetz über ſich: er leitet ſich nicht ſelbſt nur; er wird geleitet. Wer keinen Endzweck, hat keine Heimath, kein Heiligthum. Größtes Unglück iſt Zweckloſigkeit. Selbſt wer ſich gemeine Zwecke ſetzt, kommt beſſer durch, auch wenn er nicht beſſer iſt, als wer keinen Zweck ſich ſetzt. Der Zweck beſchränkt; aber die Schranke iſt der Tugend Meiſterin. Wer einen Zweck hat, einen Zweck, der an ſich wahr und we - ſenhaft iſt, der hat darum eo ipso Religion — wenn auch nicht im Sinne der gewöhnlichen, der herrſchenden Religion, aber doch im Sinne der Vernunft, der Wahrheit, der univer - ſellen Liebe, der allein wahren Liebe.
So wenig ein Gott ohne Empfindung, ohne Leidensver - mögen einem empfindenden, leidenden Weſen genügt, ſo wenig genügt auch wieder ein Weſen nur mit Empfindung, ein We - ſen ohne Activität und Spontaneität, als auf welcher allein der Begriff der Intelligenz, der Willenskraft, des Selbſtbe - wußtſeins beruht. So ſehr es den Menſchen drängt, die Em - pfindung zu vergöttern, d. h. zu bejahen, ſo ſehr drängt es ihn, den Geiſt, den Verſtand, den Willen, das Selbſtbewußtſein, die Selbſtthätigkeit in ihrer Weſenheit zu vergegenſtändlichen. Kurz nur ein Weſen, welches den ganzen Menſchen in ſich trägt, kann auch den ganzen Menſchen befriedigen. Das72 Bewußtſein des Menſchen von ſich in ſeiner Totalität iſt das Bewußtſein der Trinität. Das Geheimniß dieſes Myſte - riums iſt nichts andres als das Geheimniß des Menſchen ſelbſt. Was als Abdruck, Bild, Aehnlichkeit, Gleichniß von der Religion und Theologie bezeichnet wird, dürfen wir nur als die Sache ſelbſt, das Weſen, das Urbild, das Original erfaſſen, ſo haben wir das Räthſel gelöſt. Die angeblichen Bilder, durch die man die Trinität zu veranſchau - lichen, begreiflich zu machen ſuchte, waren vorzüglich: Geiſt, Verſtand, Gedächtniß, Wille, Liebe, mens, intellectus, me - moria, voluntas, amor.
Gott denkt und zwar denkt er ſich, erkennt er ſich, und das Gedachte, das Erkannte iſt Gott ſelbſt. Die Vergegen - ſtändlichung des Selbſtbewußtſeins iſt das Erſte, was in der Trinität uns begegnet. Das Selbſtbewußtſein drängt ſich nothwendig, unwillkührlich dem Menſchen als etwas Abſolutes auf. Sein iſt für ihn eins mit Selbſtbewußtſein, Sein mit Bewußtſein iſt für ihn Sein ſchlechtweg. Der Unterſchied von Sein und Nichtſein iſt für ihn an das Bewußtſein gebunden. Ob ich gar nicht bin, oder bin, ohne daß ich weiß, daß ich bin, iſt gleich. Selbſtbewußtſein hat für den Menſchen, hat in der That an ſich ſelbſt abſolute Bedeutung. Ein Gott, der ſich nicht weiß, ein Gott ohne Bewußtſein, iſt kein Gott. Wie der Menſch ſich nicht denken kann ohne Bewußtſein, ſo auch nicht Gott. Das göttliche Selbſtbewußtſein iſt nichts andres als das Bewußtſein des Bewußtſeins als abſoluter Weſenheit.
Uebrigens iſt damit keineswegs die Trinität erſchöpft. Wir würden vielmehr ganz willkührlich verfahren, wenn wir darauf allein das Geheimniß der Trinität zurückführen und73 einſchränken wollten. Das Bewußtſein in ſeiner abſtracten Bedeutung iſt nur Sache der Philoſophie. Die Religion aber iſt das Bewußtſein des Menſchen von ſich in ſeiner empiri - ſchen Totalität, in welcher die Identität des Selbſtbewußtſeins nur als die beziehungsreiche, erfüllte Einheit von Ich und Du exiſtirt.
Die Religion, wenigſtens die chriſtliche, abſtrahirt von der Welt; ſie bezieht ſich auf die Dinge in ihrer Erſcheinung, nicht in ihrem Weſen, denn dieſes iſt nur Gegenſtand des Denkens, der Wiſſenſchaft; die Welt und Alles, was in der Welt, iſt ihr nichtig; nur Gott allein das Weſen. Der reli - giöſe Menſch zieht ſich vor der Welt in ſich zurück. Innerlich - keit gehört zum Weſen der Religion. Der religiöſe Menſch führt ein abgezogenes, in Gott verborgenes, ſtilles, weltfreu - denleeres Leben. Tritt er auch in die Welt, ſo tritt er doch nur in polemiſche Verhältniſſe zu ihr; er ſucht die Welt, die Men - ſchen anders zu machen, als ſie ſind, der Welt abzugewinnen, Gott zuzuführen. Er bezieht alle Dinge und Weſen nur auf Gott; er liebt die Menſchen, aber nicht um ihret - ſondern um Gottes willen; er liebt in ihnen nicht ſie ſelbſt, ſondern ih - ren Vater, ihren Erlöſer. Der religiöſe Menſch ſondert ſich aber nur von der Welt ab, und zwar von der Welt nicht nur im gemeinen Sinne, in jenem Sinne, in welchem die Nega - tion der Welt zum Leben jedes wahren ernſten Menſchen ge - hört, ſondern auch in jenem Sinne, in welchem die Wiſſen - ſchaft dieſes Wort nimmt, ſich ſelbſt Weltweisheit nennend; er ſondert ſich nur ab von der Welt, weil Gott ſelbſt ein von der Welt abgeſondertes, d. i. ein außer - und überwelt - liches Weſen iſt. Gott als Gott iſt ein abgeſondertes, unweltliches Weſen — ſtreng, abſtract philoſophiſch ausge -74 drückt, das Nichtſein der Welt. Um ſich mit Gott zu verbin - den, löſt der Menſch alle Bande mit der Welt. Gott ſelbſt als außerweltliches Weſen iſt nichts andres als das von der Welt in ſich zurückgezogene, aus allen Banden und Ver - wicklungen mit der Welt herausgerißne, über die Welt hinweg ſich ſetzende, d. i. weltloſe Innere des Menſchen, geſetzt als gegenſtändliches Weſen.
Aber der Menſch kann nur abſtrahiren von der menſch - lichen Individualität, nicht vom menſchlichen Weſen, von der Erſcheinung der Welt, aber nicht von ihrem Weſen. Er muß alſo in die Abſtraction Das, wovon er abſtrahirt oder zu ab - ſtrahiren glaubt, wieder aufnehmen. Und ſo ſetzt denn auch wirklich die Religion Alles, was ſie bewußt negirt, unbewußt wieder in Gott, aber mit dem Merkmale der Abſonderung, der Abſtraction.
Gott als Gott, Gott der Vater iſt der abgeſonderte Gott, das a - und antikosmiſche, anthropomorphismenloſe Weſen, Gott in Beziehung nur auf ſich; Gott der Sohn die Beziehung Gottes auf uns, aber er erſt der wirkliche Gott. In Gott als Gott wird der Menſch beſeitigt, im Sohne kehrt er wieder. Der Vater iſt die metaphyſiſche Eſſenz, wie ſich an ſie die Re - ligion anſchließt, weil ſie unvollſtändig wäre, wenn ſie nicht auch das metaphyſiſche Element in ſich aufnähme; im Sohne iſt er erſt Gegenſtand der Religion; Gott, als Gegenſtand der Religion, als religiöſer Gott, iſt Gott als Sohn. Im Sohne wird der Menſch Gegenſtand; in ihm concentriren ſich alle menſchliche Bedürfniſſe.
So ſehr der religiöſe Menſch vor der Außenwelt ſich ver - birgt, in ſein einſames Innere ſich zurückzieht, ſo iſt ihm doch ein weſentliches Bedürfniß das Andre, die Welt, der Menſch. 75Er iſt ſich ſelbſt ein abſtractes Du; er hat eben deßwegen ein Bedürfniß nach einem wirklichen Du. Verſchmäht der reli - giöſe Menſch auch die natürliche Freundſchaft und Liebe; ſo iſt ihm doch wenigſtens religiöſe Gemeinſchaft ein Bedürfniß. Gott als Gott, als einfaches Weſen, iſt allein, ein einſa - mer Gott. Gott als Gott iſt ſelbſt nichts andres als die ab - ſolute, hypoſtaſirte Einſamkeit und Selbſtſtändigkeit, denn einſam kann nur ſein, was ſelbſtſtändig iſt. Einſam ſein können, iſt ein Zeichen von Denk - und Charkaterkraft. Ein - ſamkeit iſt das Bedürfniß des Denkens, Geſellſchaft das Bedürfniß des Herzens. Denken kann man allein, lieben nur ſelbander. Einſamkeit iſt Autarkie — bedürf - nißlos ſind wir nur in der Intelligenz, nur im Acte des Denkens.
Gott als Gott iſt nichts andres als das Bewußtſein der Denkkraft, der Kraft, von allen Andern zu abſtrahiren und für ſich allein mit ſich ſein zu können, wie ſie inner - halb der Religion, d. h. als ein vom Menſchen unterſchied - nes, apartes Weſen den Menſchen Gegenſtand wird. Aber von einem einſamen Gott iſt das dem Menſchen weſentliche Bedürfniß der Liebe, der Gemeinſchaft, des realen, erfüll - ten Selbſtbewußtſeins, des Alter Ego im engſten und weiteſten Sinne ausgeſchloſſen*)Gott ohne Sohn iſt Ich, Gott mit Sohn iſt Du. Ich iſt Ver - ſtand, Du iſt Liebe. Liebe aber mit Verſtand und Verſtand mit Liebe iſt Geiſt; Geiſt aber die Totalität des Menſchen als ſol - chen, der totale Menſch.. Dieſes Bedürfniß daher befriedigt; aufgenommen in die ſtille Einſamkeit des göttlichen Weſens, iſt Gott der Sohn — ein anderes, zweites Weſen,76 unterſchieden vom Vater der Perſönlichkeit nach, aber dem Weſen nach mit ihm identiſch — ſein Alter Ego.
Gemeinſchaftliches Leben nur iſt wahres, in ſich befriedigtes, göttliches Leben, Gott iſt ein ζῶον πο - λιτικὸν — dieſer einfache Gedanke, dieſe natürliche Wahr - heit iſt das Geheimniß des übernatürlichen Myſteriums der Trinität. Aber die Religion ſpricht auch dieſe, wie jede andere Wahrheit verkehrt, d. h. indirect aus, indem ſie eine all - gemeine Wahrheit zu einer beſondern und das wahre Subject nur zum Prädicat macht, indem ſie ſagt: Gott iſt ein gemein - ſchaftliches Leben, ein Leben und Weſen der Liebe und Freundſchaft. Die dritte Perſon in der Trinität drückt ja nichts weiter aus als die Liebe der beiden göttlichen Perſonen zu einander, iſt die Einheit des Vaters und Sohns, der Be - griff der Gemeinſchaft, widerſinnig genug ſelbſt wieder als ein perſönliches, beſondres Weſen geſetzt*)Der heil. Geiſt verdankt ſeine perſönliche Exiſtenz nur einem Na - men, einem Worte. Selbſt die älteſten Kirchenväter identificirten bekannt - lich noch den Geiſt mit dem Sohne. Auch ſeiner ſpätern dogmatiſchen Perſönlichkeit fehlt die Conſiſtenz. Er iſt die Liebe, mit der Gott ſich und die Menſchen und hinwiederum die Liebe, mit welcher der Menſch Gott und den Menſchen liebt. Alſo die Identität Gottes und des Menſchen, wie ſie innerhalb der Religion dem religiöſen Menſchen, d. i. als ein ſelbſt beſon - deres Weſen, Gegenſtand wird. Aber für uns liegt dieſe Einheit ſchon im Vater, noch mehr im Sohne. Wir brauchen daher den heil. Geiſt nicht zu einem beſondern Gegenſtande unſerer Unterſuchung zu machen. Nur dieſe Bemerkung noch. Inwiefern der heil. Geiſt die ſubjective Seite repräſen - tirt, ſo iſt er eigentlich die Repräſentation des religiöſen Gemüths vor ſich ſelbſt, der religiöſen Begeiſterung, des religiöſen Affects, oder die Perſonification, die Bejahung, die Vergegenſtändlichung der Reli - gion in der Religion. Der heil. Geiſt iſt daher die ſeufzende Creatur, die Sehnſucht der Creatur..
Das Myſterium der Trinität war eben deßwegen für den religiöſen Menſchen ein Gegenſtand der überſchwänglichſten77 Bewunderung, Begeiſterung und Entzückung, weil ihm hier die Befriedigung der innerſten menſchlichen Bedürfniſſe, welche er in der Wirklichkeit negirte, des Bedürfniſſes der naturgemä - ßen, der intenſivſten Liebe, des wirklichen Selbſtbewußtſeins, welches nichts andres als die Anſchauung oder das Gefühl des Andern als meinen eignen Weſens iſt, zur Anſchauung kam. Nur ein dreieiniger Gott iſt für den religiöſen Menſchen ein Gegenſtand der Liebe, weil ihm in der Trinität ſelbſt die Liebe Gegenſtand iſt. Daß es im Grunde nicht mehr als zwei Perſonen ſind, denn die dritte Perſon repräſentirt, wie geſagt, nichts andres als die Liebe, obwohl ſelbſt wieder als ein beſondres Weſen vorgeſtellt, dieß liegt darin, daß dem ſtrengen Begriffe der Liebe das Zwei genügt. Zwei iſt das Princip und eben damit der vollkommne Erſatz der Vielheit. Würden mehrere Perſonen geſetzt, ſo würde nur die Kraft der Liebe geſchmälert; ſie würde ſich zerſtreuen. Aber Liebe und Herz ſind identiſch. Ohne Liebe kein Herz. Das Herz iſt kein beſondres Vermögen — das Herz iſt der Menſch, der in ſofern er liebt. Die zweite Perſon iſt daher die Selbſtbe - jahung des menſchlichen Herzens, das Princip des gemeinſchaftlichen Lebens, der Liebe — die Wärme, der Vater das Licht, obwohl das Licht hauptſächlich ein Prädicat des Sohns war, weil in ihm die Gottheit erſt dem Menſchen licht, klar, verſtändlich wird. Aber deſſen ungeachtet können wir dem Vater, als dem Repräſentanten der Gottheit als ſol - cher, des kalten Weſens der Intelligenz, das Licht als hyper - telluriſches Princip, dem Sohne die telluriſche Wärme zuſchrei - ben. Gott als Sohn erwärmt erſt den Menſchen, hier wird Gott aus dem Object des Auges, des kalten indifferenten Licht - ſinnes ein Object des Gefühls, des Affects, der Begeiſterung,78 der Entzückung, aber nur weil der Sohn ſelbſt nichts andres iſt als die Glut der Liebe, der Begeiſterung*)Exigit ergo Deus timeri ut Dominus, honorari ut pater, ut spon - sus amari. Quid in his praestat, quid eminet? Amor. Bernardus (Sup. Cant. Ser. 83.) . Gott als Sohn iſt die primitive Incarnation, die primitive Selbſtver - läugnung Gottes; denn als Sohn iſt er endliches Weſen; denn er iſt ab alio, von einem Grunde; der Vater dagegen grundlos, a se, von ſich ſelbſt. Es wird alſo in der zweiten Perſon die weſentliche Beſtimmung der Gottheit, die Beſtim - mung des von ſich ſelbſt Seins aufgegeben. Aber Gott der Vater zeugt ſelbſt den Sohn; er reſignirt alſo auf ſeine rigo - roſe ausſchließliche Göttlichkeit; er iſt herablaſſend, erniedrigt ſich, ſetzt das Princip der Endlichkeit, des von einem Grunde Seins in ſich; er wird im Sohne Menſch, zwar zuvörderſt nicht der Geſtalt, doch dem Weſen nach. Aber eben dadurch wird auch Gott erſt Gegenſtand des Menſchen, Gegenſtand des Gefühls, des Herzens.
Das Herz ergreift nur, was aus dem Herzen ſtammt. Aus der Beſchaffenheit des ſubjectiven Verhaltens iſt untrüg - lich der Schluß auf die Beſchaffenheit des Objects dieſes Ver - haltens. Der reine, freie Verſtand negirt den Sohn, der durch das Gefühl beſtimmte, vom Herzen überſchattete Verſtand nicht; er findet vielmehr die Tiefe der Gottheit im Sohne, weil er in ihm das Gefühl findet, das Gefühl, das an und für ſich etwas Dunkles iſt und darum dem Menſchen für etwas My - ſteriöſes gilt. Der Sohn ergreift das Herz, weil der wahre Vater des göttlichen Sohnes das menſchliche Herz iſt, der Sohn ſelbſt nichts iſt als das göttliche Herz, das ſich als göttliches Weſen gegenſtändliche menſchliche Herz.
79Ein Gott, in dem nicht ſelbſt das Weſen der Endlichkeit, das Weſen des Abhängigkeitsgefühls, das Princip der Empirie, des nicht von ſich ſelbſt Seins iſt, ein ſolcher Gott iſt kein Gott für ein empiriſches, endliches Weſen. So wenig der religiöſe Menſch einen Gott lieben kann, der nicht das Weſen der Liebe in ſich hat, ſo wenig kann der Menſch, kann überhaupt ein endliches Weſen Gegenſtand eines Gottes ſein, der nicht den Grund, das Princip der Endlichkeit in ſich hat. Es fehlt einem ſolchen Gott der Sinn, der Verſtand, die Theil - nahme für Endliches. Wie kann Gott der Vater der Men - ſchen ſein, wie, ſo zu ſagen, ſeine entfernteren Verwandten lie - ben, wenn er nicht ſelbſt einen Sohn in ſich hat, wenn er nicht aus eigner Erfahrung, nicht in Beziehung auf ſich ſelbſt weiß, was Lieben heißt? So nimmt auch der ver - einzelte Menſch weit weniger Antheil an den Familienleiden eines Andern, als wer ſelbſt im Familienbande lebt. Gott der Vater liebt daher die Menſchen nur im Sohne und um des Sohnes willen. Die Liebe zu den Menſchen iſt eine von der Liebe zum Sohne abgeleitete Liebe.
Der Vater, der Sohn in der Trinität ſind darum auch nicht im bildlichen Sinne, ſondern im allereigentlichſten Sinne Vater und Sohn. Der Vater iſt wirklicher Vater in Beziehung auf den Sohn; der Sohn wirklicher Sohn in Beziehung auf den Vater. Ihr weſentlicher perſönli - cher Unterſchied beſteht nur darin, daß jener der Erzeuger, dieſer der Erzeugte iſt. Nimmt man dieſe natürliche empi - riſche Beſtimmtheit weg, ſo hebt man ihre perſönliche Exiſtenz und Realität auf. Die Chriſten, natürlich die al - ten Chriſten, welche die heutigen verliebten, galanten, zucker - ſüßen, geſchwätzigen, geſellſchaftsſüchtigen Chriſten wohl ſchwer -80 lich als ihre Brüder in Chriſto anerkennen würden, ſetzten an die Stelle der natürlichen Liebe und Einheit eine nur reli - giöſe Liebe und Einheit; ſie verwarfen das wirkliche Fami - lienleben, die innigen Bande der naturſittlichen Liebe als ungöttliche, unhimmliſche, d. h. in Wahrheit nichtige Dinge. Aber dafür hatten ſie zum Erſatz in Gott einen Vater und Sohn, die ſich mit innigſter Liebe umfingen, mit jener inten - ſiven Liebe, welche nur die Naturverwandtſchaft einflößt.
Ganz in der Ordnung war es daher auch, daß um die göttliche Familie, den Liebesbund zwiſchen Vater und Sohn zu ergänzen, noch eine dritte und zwar weibliche Perſon in den Himmel aufgenommen wurde; denn die Perſönlichkeit des heiligen Geiſtes iſt eine zu vage und precäre, eine zu ſichtliche blos poetiſche Perſonification der gegenſeitigen Liebe des Va - ters und Sohns, als daß ſie dieſes dritte ergänzende Weſen hätte ſein können. Die Maria wurde zwar nicht ſo zwiſchen den Vater und Sohn hingeſtellt, als hätte der Vater den Sohn vermittelſt derſelben erzeugt, weil die Vermiſchung des Man - nes und Weibes den Chriſten etwas Unheiliges, Sündhaftes war; aber es iſt genug, daß das mütterliche Princip neben Vater und Sohn hingeſtellt wurde.
Es iſt in der That auch nicht abzuſehen, warum die Mutter etwas Unheiliges, d. i. Gottes Unwürdiges ſein ſoll, wenn einmal Gott Vater, Gott Sohn iſt. Wenn gleich der Vater nicht Vater im Sinne der natürlichen Zeugung, die Zeugung Gottes vielmehr eine andere ſein ſoll, als die natür - liche, menſchliche und daher aus ſehr begreiflichen Gründen eine unbegreifliche, übernatürliche, myſteriöſe Zeugung iſt; ſo iſt er doch immerhin wirklicher, nicht nomineller oder bildlicher Vater in Bezug auf den Sohn. Und die uns jetzt ſo befremd -81 liche Compoſition der Mutter Gottes iſt daher nicht mehr be - fremdlich oder paradox als der Sohn Gottes, widerſpricht nicht mehr den allgemeinen metaphyſiſchen Beſtimmungen der Gott - heit, als die Vater - und Sohnſchaft. Die Maria paßt viel - mehr ganz in die Kategorie der Dreieinigkeitsverhältniſſe, weil ſie ohne männliche Befruchtung den Sohn gebar, wie Gott Vater ohne weiblichen Schooß den Sohn erzeugte, ſo daß alſo die Maria eine nothwendige, innerlich herausgeforderte, ergänzende Antitheſe zum Vater im Schooße der Dreieinigkeit bildet. Auch haben wir ja ſchon, wenn auch nicht in concreto und explicite, doch in abstracto und implicite das weibliche Princip im Sohne. Der Sohn Gottes iſt das milde ſanfte Weſen, das weibliche Gemüth Gottes; im Sohn gibt Gott ſein rigoroſes, ausſchließliches Selbſtbewußtſein auf. Gott als Vater iſt nur Zeuger, das Activum, das Princip der männlichen Spontaneität; aber der Sohn iſt gezeugt, ohne ſelbſt zu zeugen, Deus genitus, das Paſſivum, das leidende empfangende We - ſen: der Sohn empfängt vom Vater ſein Sein. Der Sohn iſt als Sohn, natürlich nicht als Gott, abhängig vom Vater, der väterlichen Autorität unterworfen*)In der ſtrengen Orthodoxie wird allerdings jede Subordination des Sohnes aufs ſorgfältigſte vermieden, aber eben dadurch, wie überhaupt durch die völlige Einheit und Gleichheit, geht auch die Realität der Unter - ſchiede und Perſonen, hiemit der myſtiſche Reiz der Trinität verloren. Uebrigens iſt dieſe Bemerkung überflüſſig. Alle Einwendungen, die man gegen die Auffaſſungsweiſe im erſten Theil dieſer Schrift vorbringen kann, kommen im zweiten Theil zwar nicht ausdrücklich, was zu langweilig wäre, aber dem Princip nach zur Sprache.. Der Sohn iſt alſo das weibliche Abhängigkeitsgefühl in Gott; der Sohn dringt uns daher auch unwillkührlich das Bedürfniß nach einem wirklichen weiblichen Weſen auf**)In der jüdiſchen Myſtik iſt Gott nach einer Partei ein männliches,.
Feuerbach. 682Der Sohn, auch der natürliche menſchliche Sohn, iſt an und für ſich ein Mittelweſen zwiſchen dem männlichen Weſen des Vaters und dem weiblichen der Mutter; er iſt gleichſam noch halb Mann, halb Weib, indem er noch nicht das volle rigoroſe Selbſtſtändigkeitsbewußtſein hat, welches den Mann charakteriſirt, und mehr zur Mutter als zum Vater ſich hinge - zogen fühlt. Die Liebe des Sohnes zur Mutter iſt die erſte Liebe des männlichen Weſens zum weiblichen. Die Liebe des Mannes zum Weibe, des Jünglings zur Jungfrau empfängt ihre religiöſe — ihre einzig wahre religiöſe — Weihe in der Liebe des Sohns zur Mutter. Die Mutterliebe des Sohnes iſt die erſte Sehnſucht, die erſte Demuth des Mannes vor dem Weibe.
Nothwendig iſt daher auch mit dem Gedanken an den Sohn Gottes der Gedanke an die Mutter Gottes verbun - den — daſſelbe Herz das eines Sohnes Gottes, bedarf auch einer Mutter Gottes. Wo der Sohn iſt, da kann auch die Mutter nicht fehlen. Dem Vater iſt der Sohn eingeboren, aber dem Sohne die Mutter. Dem Vater erſetzt der Sohn das Be - dürfniß der Mutter, aber nicht der Vater dem Sohne. Dem Sohne iſt die Mutter unentbehrlich; das Herz des Sohnes iſt das Herz der Mutter. Warum wurde denn Gott der Sohn nur im Weibe Menſch? Hätte der Allmächtige nicht auf an - dere Weiſe, nicht unmittelbar als Menſch unter den Menſchen erſcheinen können? Warum begab ſich alſo der Sohn in einen weiblichen Schooß? Warum anders, als weil der Sohn die**)der heilige Geiſt ein weibliches Urweſen, aus deren geſchlechtlicher Vermi - ſchung der Sohn und mit ihm die Welt entſtanden. Gfrörer Jahrh. d. H. I. Abth. p. 332 — 34. Auch die Herrnhuter nannten den heil. Geiſt die Mutter des Heilands.83 Sehnſucht nach der Mutter iſt, weil ſein weibliches, liebevolles Herz nur in einem weiblichen Leibe den entſprechenden Aus - druck fand? Zwar weilt der Sohn nur neun Monden lang unter dem Obdach des weiblichen Herzens, aber die Eindrücke, die er hier empfängt, ſind unauslöſchlich. Die Mutter kommt dem Sohne nimmer aus dem Sinne und Herzen. Wenn da - her die Anbetung des Sohnes Gottes kein Götzendienſt, ſo iſt auch die Anbetung der Mutter Gottes kein Götzendienſt. Schämt ſich Gott nicht einen Sohn zu haben, ſo braucht er ſich auch nicht einer Mutter zu ſchämen. Wenn wir daraus die Liebe Gottes zu uns erkennen ſollen, daß er ſeinen einge - bornen Sohn, d. h. das einzige Kind, das Liebſte und Theuerſte, was er hatte, für uns zum Heile dahin gab; ſo können wir dieſe Liebe noch weit beſſer erkennen, wenn uns in Gott ein Mutterherz entgegenſchlägt. Die höchſte und tiefſte Liebe iſt die Mutterliebe. Der Vater tröſtet ſich über den Verluſt des Sohnes; er hat ein ſtoiſches Princip in ſich. Die Mutter dagegen iſt untröſtlich; die Mutter iſt die Schmerzenreiche, aber die Troſtloſigkeit die Wahrheit der Liebe.
Wo der Glaube an die Mutter Gottes ſinkt, da ſinkt auch der Glaube an den Sohn Gottes und den Gott Vater. Der Vater iſt nur da eine Wahrheit, wo die Mutter eine Wahr - heit iſt. Die Liebe iſt an und für ſich weiblichen Geſchlechts und Weſens. Der Glaube an die Liebe Gottes iſt der Glaube an das weibliche als ein göttliches Princip. Liebe ohne Natur iſt ein Unding, ein Phantom. An der Liebe er - kennt die heilige Nothwendigkeit und Tiefe der Natur!
Der Proteſtantismus*)Es iſt hier wie anderwärts natürlich immer nur der religiöſe oder theologiſche Proteſtantismus gemeint. hat die Mutter Gottes auf die6*84Seite geſetzt*)Im Concordienbuch Erklär. Art. 8. heißt es jedoch noch von ihr: „ Darum ſie wahrhaftig Gottes Mutter und gleichwohl eine Jungfrau geblieben iſt. “; aber das zurückgeſetzte Weib hat ſich dafür ſchwer an ihm gerochen. Die Waffen, die er gegen die Mut - ter Gottes gebraucht, haben ſich gegen ihn ſelbſt, gegen den Sohn Gottes, gegen die geſammte Dreieinigkeit gekehrt. Wer einmal die Mutter Gottes dem Verſtande aufopfert, hat nicht mehr weit hin, auch das Myſterium des Sohnes Gottes als einen Anthropomorphismus aufzuopfern. Der Anthropomor - phismus wird allerdings verſteckt, indem das weibliche Weſen ausgeſchloſſen wird, aber nur verſteckt, nicht aufgehoben. Frei - lich hatte der Proteſtantismus auch kein Bedürfniß nach einem himmliſchen Weibe, weil er das irdiſche Weib mit offnen Armen in ſein Herz aufnahm. Aber eben deßwegen hätte er auch ſo ehrlich und conſequent ſein ſollen, mit der Mutter auch den Vater und Sohn dahin zu geben. Nur wer keine irdi - ſchen Eltern hat, braucht himmliſche Eltern. Der dreieinige Gott iſt der Gott des Katholicismus; er hat eine innige, inbrünſtige, nothwendige, wahrhaft religiöſe Bedeu - tung nur im Gegenſatze zur Negation aller ſubſtanziellen**)Sit monachus quasi Melchisedech sine patre, sine matre, sine genealogia: neque patrem sibi vocet super terram. Imo sic se existemet, quasi ipse sit solus et Deus. (Speculum Monach. unter den unächten Schriften des heil. Bernh.) Melchisedech .... refertur ad exemplum, ut tanquam sine patre et sine matre sacerdos esse debeat. Ambrosius (irgendwo.) Bande, im Gegenſatze zum Anachoreten -, Mönchs - und Non - nenweſen. Der dreieinige Gott iſt ein inhaltsvoller Gott, deßwegen da ein Bedürfniß, wo von dem Inhalt des wirkli - chen Lebens abſtrahirt wird. Je leerer das Leben, deſto85 voller, deſto concreter, wie man zu reden beliebt, deſto reicher iſt Gott. Die Entleerung der wirklichen Welt und die Er - füllung der Gottheit iſt ein Act. Gott entſpringt aus dem Gefühl eines Mangels; was der Menſch vermißt — ſei dieſes nun ein beſtimmtes, bewußtes oder unbeſtimmtes Ver - miſſen — das iſt Gott. So bedarf das troſtloſe Gefühl der Leere und Einſamkeit einen Gott, in dem Geſellſchaft, ein Verein ſich innigſt liebender Weſen iſt.
Hier haben wir den wahren Erklärungsgrund, warum die Trinität in der neuern Zeit zuerſt ihre praktiſche und end - lich auch ihre theoretiſche Bedeutung verlor.
Die weſentliche Bedeutung der Trinität für die Religion concentrirt ſich in dem Begriffe der zweiten Perſon. Das warme Intereſſe der chriſtlichen Menſchheit an der Trinität war hauptſächlich nur das Intereſſe an dem Sohne Gottes. Der heftige Streit über das Homouſios und Homoiouſios war kein leerer, obwohl nur ein Buchſtabe den Unterſchied aus - macht. Es handelte ſich hier um die Gottebenbürtigkeit, um die göttliche Würde der zweiten Perſon, hiemit um die Ehre der chriſtlichen Religion ſelbſt*)Aus demſelben Grunde beſtand auch die lateiniſche Kirche ſo feſt auf dem Dogma, daß der heil. Geiſt nicht vom Vater allein, wie die grie - chiſche Kirche behauptete, ſondern zugleich auch vom Sohne ausgehe. S. hierüber J. G. Walchii Hist. Contr. Gr. et Lat. de proc. Spiritus s. Jenae 1751.; denn ihr weſentlicher cha - rakteriſtiſcher Gegenſtand iſt eben die zweite Perſon; was aber der weſentliche Gegenſtand einer Religion, das iſt auch86 ihr weſentlicher, wahrer Gott. Der wahre, reale Gott einer Religion iſt überhaupt erſt der ſogenannte Mittler, weil dieſer nur der unmittelbare Gegenſtand der Religion iſt. Wer ſich ſtatt an Gott, an den Heiligen wendet, der wendet ſich an den Heiligen nur in der Vorausſetzung, daß dieſer Al - les über Gott vermag, daß, was er bittet, d. h. wünſcht und will, Gott gutwillig vollſtreckt, d. h. daß Gott in den Händen des Heiligen iſt. Die Bitte iſt das Mittel, unter dem Scheine der Demuth und Unterwürfigkeit, ſeine Herr - ſchaft und Superiorität über ein andres Weſen auszuüben. Der König herrſcht, aber regiert nicht — dieſer Grundſatz gilt auch von dem Regiment der Heiligen. Woran ich mich zu - erſt in meinem Geiſte wende, das iſt mir auch in Wahrheit das erſte Weſen. Ich wende mich an den Heiligen, nicht weil der Heilige von Gott, ſondern weil Gott von dem Heiligen abhängig iſt, Gott von den Bitten, d. h. von dem Willen und Herzen des Heiligen beſtimmt und beherrſcht wird. Die Unterſchiede, welche die katholiſchen Theologen zwiſchen Latria, Dulia, Hyperdulia machen, ſind abgeſchmackte, grundloſe Sophismen. Kurz, der Gott hinter dem Mittler iſt nur eine abſtracte müßige Vorſtellung, die Vorſtellung oder Idee der Gottheit; und nicht, um ſich mit dieſer Idee zu verſöhnen, ſondern um ſie zu entfernen, zu negiren*)Dieß iſt beſonders deutlich in der Menſchwerdung ausgeſprochen. Gott gibt auch, negirt ſeine Majeſtät und überweltliche Macht, d. i. ſeine Unendlichkeit, um Menſch zu werden, d. h. der Menſch negirt den Gott, der nicht ſelbſt Menſch iſt, bejaht nur den Gott, welcher den Menſchen be - jaht. Exinanivit, ſagt der heil. Bernhard, majestate et potentia, non bo - nitate et misericordia. Das Unveräußerliche, das nicht zu Negirende iſt die göttliche Güte und Barmherzigkeit, d. i. die Selbſtbejahung des menſchlichen Herzens., um87 einzugeſtehen, daß ſie kein Gegenſtand für die Religion iſt, tritt der Mittler dazwiſchen. Der Gott über dem Mittler iſt nichts andres als der kalte Verſtand über dem Herzen — ähnlich dem Fatum über den olympiſchen Göttern.
Gott als Vater, d. i. Gott als Gott — denn der Vater iſt das Princip der ganzen Dreieinigkeit, principium totius trinitatis — iſt, um dieſen Gegenſtand noch einmal aufzu - nehmen, nur Gegenſtand des Denkens. Er iſt das un - ſinnliche, geſtaltloſe, unfaßbare, bildloſe Weſen, das abſtracte, negative Weſen; er wird nur durch Abſtraction und Ne - gation (via negationis) erkannt, d. i. Gegenſtand. Warum? weil er nichts iſt als das gegenſtändliche Weſen der Denk - kraft, überhaupt der Kraft oder Thätigkeit, wodurch ſich der Menſch der Vernunft, des Geiſtes, der Intelligenz bewußt wird*)Wer ſich daher an die Denkmacht ſtößt, der ſetze dafür irgend eine andre geiſtige Macht, etwa die Willensmacht oder was ihm ſonſt beliebt. So ſchrieben einige Theologen dem heil. Geiſt vorzugsweiſe die Liebe, dem Sohne die Weisheit, dem Vater die Macht potentia zu.. Der Menſch kann keinen andern Geiſt, d. h. — denn der Begriff des Geiſtes iſt lediglich der Begriff der Erkenntniß, der Vernunft, jeder andre Geiſt ein Geſpenſt der Phantaſie — keine andre Intelligenz oder Vernunft ahn - den, vorſtellen, glauben, denken als die Vernunft, die ihn er - leuchtet. Er kann nichts weiter als die Intelligenz abſon - dern von den Schranken ſeiner Individualität. Gott als Gott iſt daher nichts andres als die von den Schranken der Individualität, der Leiblichkeit — denn Individua - lität und Leiblichkeit ſind untrennbar — abgeſonderte In - telligenz. Gott, ſagten die Scholaſtiker, die Kirchenväter und lange vor ihnen ſchon die heidniſchen Philoſophen: Gott iſt88 Geiſt, reiner Geiſt, immaterielles Weſen, Intelligenz. Von Gott als Gott kann man ſich kein Bild machen; aber kannſt Du Dir von der Vernunft, von der Intelligenz ein Bild ma - chen? Hat ſie eine Geſtalt? Iſt ihre Thätigkeit nicht die un - faßbarſte, die undarſtellbarſte? Gott iſt unbegreiflich; aber kennſt Du das Weſen der Intelligenz? Haſt Du die geheim - nißvolle Operation des Denkens, das geheime Weſen des Selbſtbewußtſeins erforſcht? Iſt nicht das Selbſtbewußtſein, die Intelligenz das Räthſel der Räthſel? Haben nicht ſchon die alten Myſtiker, Scholaſtiker und Kirchenväter die Unfaß - lichkeit und Undarſtellbarkeit Gottes mit der Unfaßlichkeit und Unbegreiflichkeit der menſchlichen Seele verglichen, erläutert? nicht alſo in Wahrheit das Weſen Gottes mit dem Weſen der Seele identificirt?
Der Unterſchied zwiſchen dem „ unendlichen und end - lichen Geiſt, “welcher ſo ſehr die hyperphyſiſchen Speculanten torquirt, iſt nichts als der Unterſchied zwiſchen dem Geiſte an ſich, der Intelligenz an ſich, abgeſondert von den Schran - ken der Individualität, und dem ſeiner Schranken ſich be - wußten Individuum. Der religiöſe Menſch faßt alle Dinge, weil er ſich nicht in ihr Weſen vertieft, nur auf den überwelt - lichen Gott ſich bezieht, nur im Scheine auf; der Schein iſt ihm das Weſen; das wirkliche Weſen der Dinge an ſich daher ein andres Weſen, ein von ihnen unterſchiednes Weſen — Gott. Die Intelligenz, der Verſtand oder die Vernunft, wie der Religiöſe ſie mit Bewußtſein faßt, iſt ihm, weil nur in ihrem Scheine Gegenſtand, nicht Gott, ſon - dern vielmehr etwas Endliches, Menſchliches; aber das ihm unbekannte Weſen der Intelligenz, die Intelligenz, wie ſie nicht Gegenſtand ſeines Bewußtſeines iſt, als ein andres89 gegenſtändliches Weſen geſetzt, das iſt ihm Gott überhaupt, Gott im Allgemeinen, Gott der Vater, d. i. die Idee der Gottheit oder der abſtracte Gott.
Aber die Intelligenz als ſolche entſpricht, als eine abge - zogne unſinnliche Thätigkeit und Weſenheit, nicht dem ſinnli - chen und gemüthlichen Menſchen. Den ſinnlichen und gemüth - lichen Menſchen beherrſcht und beſeligt nur das Bild. Die bildliche, die gemüthliche, die ſinnliche Vernunft iſt die Phan - taſie. Das zweite Weſen in Gott, in Wahrheit das erſte Weſen der Religion, iſt das gegenſtändliche Weſen der Phantaſie. Die Beſtimmungen der zweiten Perſon ſind vorzüglich Bilder. Und dieſe Bilder kommen nicht her von dem Unvermögen des Menſchen, den Gegenſtand nicht anders denken zu können als bildlich — was eine ganz falſche Inter - pretation iſt — ſondern die Sache ſelbſt kann gar nicht an - ders gedacht werden, denn bildlich, weil die Sache ſelbſt Bild iſt. Der Sohn heißt daher auch expreß das Ebenbild Gottes*)Proprium est filio esseimaginem, quia illi convenit se - cundum proprietatem originis. .... Filius ex eo, quod ab alio est, habet quem imitetur ..... ideo dicit Augustinus, quod eo imago est quo filius. Albertus M. de mir. sci. Dei. P. I. Tr. VIII. Qu. 35. m. 2. . Sein Weſen iſt, daß er Bild iſt. Der Sohn iſt das befriedigte Bedürfniß der Bilderſchau; das vergegenſtänd - lichte Weſen der Bilderthätigkeit als einer abſoluten, gött - lichen Thätigkeit. Der Menſch macht ſich ein Bild von Gott, d. h. er verwandelt das abſtracte Vernunftweſen, das Weſen der Denkkraft in ein Phantaſieweſen. Er ſetzt aber dieſes Bild in Gott ſelbſt, weil es natürlich nicht ſeinem Bedürfniß entſprechen würde, wenn er dieſes Bild nicht als objective Realität wüßte, wenn dieſes Bild für ihn nur ein90 ſubjectives, von Gott unterſchiednes, von ihm gemachtes wäre. In der That iſt es auch kein gemachtes, kein willkühr - liches; denn es drückt die Nothwendigkeit der Phantaſie aus, die Nothwendigkeit, die Phantaſie als eine göttliche Macht zu bejahen. Der Sohn iſt der Abglanz der Phantaſie, das Lieb - lingsbild des Herzens; aber eben deßwegen, weil er nur der Phantaſie Gegenſtand, iſt er nur das gegenſtändliche Weſen der Phantaſie.
Es erhellt hieraus, wie befangen die dogmatiſche Specu - lation iſt, wenn ſie, völlig überſehend die innere Geneſis des Sohnes als des Gottesbildes, den Sohn als ein metaphyſi - ſches Ens, als eine Gedankenweſenheit demonſtrirt, da eben der Sohn das Bedürfniß nach einem andern Weſen, als das metaphyſiſche Weſen iſt, ausdrückt, gewiſſer Maaßen ein Ab - ſprung, ein Abfall von der Idee der Gottheit iſt — ein Abfall, den aber natürlich der religiöſe Menſch in Gott ſelbſt ſetzt, um den Abfall zu rechtfertigen, nicht als Abfall zu empfinden. Der Sohn iſt das oberſte und letzte Princip des Bilderdienſtes; denn er iſt das Bild Gottes; das Bild tritt aber nothwen - dig an die Stelle der Sache. Die Verehrung des Heiligen im Bilde iſt die Verehrung des Bildes als des Heili - gen. Das Bild iſt das Weſen der Religion, wo das Bild der weſentliche Ausdruck, das Organ der Religion iſt.
Das Concilium zu Nicäa führte unter andern Gründen für den religiöſen Gebrauch der Bilder als Autorität auch den Gregor von Nyſſa an, welcher ſagt, daß er ein gewiſſes Bild, welches Iſaaks Opferung darſtellte, nie habe anſehen können, ohne darüber bis zu Thränen gerührt zu werden, weil es ihm ſo lebendig dieſe heilige Geſchichte vergegenwärtigt habe. Aber die Wirkung des abgebildeten Gegenſtandes iſt nicht die Wirkung91 des Gegenſtandes als ſolche, ſondern die Wirkung des Bildes. Der heilige Gegenſtand iſt nur der Heiligen - ſchein, in welchen das Bild ſeine geheimnißvolle Macht ver - hüllt. Der religiöſe Gegenſtand iſt nur ein Vorwand der Phantaſie, um ihre Herrſchaft über den Menſchen ungehin - dert ausüben zu können. Für das religiöſe Bewußtſein knüpft ſich freilich und zwar nothwendig die Heiligkeit des Bildes nur an die Heiligkeit des Gegenſtandes. Aber das religiöſe Bewußtſein iſt nicht der Maaßſtab der Wahrheit. So ſehr übrigens auch die Kirche zwiſchen dem Bilde und dem Gegen - ſtand des Bildes unterſchieden, geläugnet hat, daß dem Bilde die Verehrung gelte, ſo hat ſie doch zugleich nolens volens die Wahrheit indirect wenigſtens eingeſtanden und die Heilig - keit des Bildes ausgeſprochen*)Sacram imaginem Domini nostri Jesu Christi et omnium salva - toris aequo honore cum libro sanctorum evangeliorum adorari decerni - mus. … Dignum est enim ut … propter honorem qui ad principalia refertur, etiam derivative imagines honorentur et adorentur. Gener. Const. Conc. VIII. Act. 10. can. 3. .
Aber das letzte, höchſte Princip der Bilderverehrung iſt die Verehrung des Gottesbildes in Gott. Der „ Abglanz Got - tes “iſt der entzückende Glanz der Phantaſie, der in den ſicht - baren Bildern nur zur äußern Erſcheinung gekommen. Wie innerlich, ſo war auch äußerlich das Bild des Gottesbildes das Bild der Bilder. Die Bilder der Heiligen ſind nur opti - ſche Vervielfältigungen des einen und ſelben Bildes. Die ſpeculative Deduction des Gottesbildes iſt daher nichts als eine unbewußte Deduction und Begründung des Bilderdien - ſtes, denn die Sanction des Princips iſt nothwendig auch die Sanction ſeiner nothwendigen Conſequenzen; aber die Sanction92 des Urbildes iſt die Sanction des Abbildes. Wenn Gott ein Bild von ſich hat, warum ſoll ich kein Bild von Gott haben? Wenn Gott ſein Ebenbild wie ſich ſelbſt liebt, warum ſoll auch ich das Bild Gottes nicht wie Gott ſelbſt lieben? Wenn das Bild Gottes Gott ſelbſt iſt, warum ſoll das Bild des Heiligen nicht der Heilige ſelbſt ſein? Wenn es keine Superſtition iſt, daß das Bild, welches ſich Gott von ſich macht, kein Bild, kein Gedanke, ſondern Subſtanz, Perſon iſt, warum ſoll es denn Superſtition ſein, daß das Bild des Hei - ligen die empfindende Subſtanz des Heiligen ſelbſt iſt? Das Bild Gottes iſt lebendig; warum ſoll denn das Bild des Hei - ligen todt ſein? Das Bild Gottes thränt und blutet; warum ſoll denn das Bild des Heiligen nicht auch thränen und blu - ten? Soll der Unterſchied daher kommen, daß das Heiligenbild ein Product der Hände? Ei; die Hände haben dieſes Bild nicht gemacht, ſondern der Geiſt, der dieſe Hände beſeelte, die Phantaſie, und wenn Gott ſich ein Bild von ſich macht, ſo iſt dieſes Bild auch nur ein Product der Einbildungskraft. Oder ſoll der Unterſchied daher kommen, daß das Gottesbild ein von Gott ſelbſt producirtes, das Heiligenbild aber ein von ei - nem andern Weſen gemachtes iſt? Ei; das Heiligenbild iſt auch eine Selbſtbethätigung des Heiligen; denn der Heilige erſcheint dem Künſtler; der Künſtler ſtellt ihn nur dar, wie er ſich ſelbſt ihm dargeſtellt.
Eine andere mit dem Weſen des Bildes zuſammenhän - gende Beſtimmung der zweiten Perſon iſt, daß ſie das Wort Gottes iſt*)Ueber die Bedeutung des Wortes: Logos im N. T. iſt viel geſchrie - ben worden. Wir halten uns hier an das Wort Gottes als die im Chri -.
93Das Wort iſt ein abſtractes Bild, die imaginäre Sache, oder inwiefern jede Sache immer zuletzt auch ein Object der Denkkraft iſt, der eingebildete Gedanke, daher die Menſchen, wenn ſie das Wort, den Namen einer Sache kennen, ſich ein - bilden, auch die Sache ſelbſt zu kennen. Das Wort iſt eine Sache der Einbildungskraft. Schlafende, die lebhaft träumen, Kranke, die phantaſiren, ſprechen. Was die Phantaſie erregt, macht redſelig, was begeiſtert, beredt. Sprachfähigkeit iſt ein poe - tiſches Talent. Die Thiere ſprechen nicht, weil es ihnen an Poeſie fehlt. Der Gedanke äußert ſich nur bildlich; die Aeußerungs - kraft des Gedankens iſt die Einbildungskraft; die ſich äußernde Einbildungskraft aber die Sprache. Wer ſpricht, bannt, fasci - nirt den, zu dem er ſpricht; aber die Macht des Worts iſt die Macht der Einbildungskraft. Ein Weſen, ein geheimnißvolles, magiſch wirkendes Weſen war nur den alten Völkern, als Kin - dern der Einbildungskraft, das Wort. Selbſt die Chriſten noch und nicht nur die gemeinen, ſondern auch die gelehrten, die Kirchenväter, knüpften an den bloßen Namen: Chriſtus geheimnißvolle Heilkräfte*)Tanta certe vis nomini Jesu inest contra daemones, ut non - nunquam etiam a malisnominatum sit efficax. Origenes adv. Cel - sum. I. I. S. auch I. III. . Und noch heute glaubt das ge - meine Volk, daß man durch bloße Worte den Menſchen be -*)ſtenthum geheiligte Bedeutung. Ueber den Logos bei Philo ſ. Gfrörer. Philo ſetzt ſtatt Logos auch ῥημα ϑεοῦ. S. auch Tertullian. adv. Praxeam c. 5, wo er zeigt, daß es auf Eins hinauskommt, ob man Logos mit Sermo oder Ratio überſetzt. Daß übrigens das Wort der richtige Sinn des Logos iſt, geht ſchon daraus hervor, daß die Schöpfung im A. T. von einem ausdrücklichen Befehl abhängig gemacht wird und daß man von jeher in dieſem ſchöpferiſchen Worte den Logos erblickt hat. Freilich hat der Logos auch den Sinn von Virtus, Spiritus, Kraft, Verſtand u. ſ. w., denn was iſt das Wort ohne Sinn, ohne Verſtand, d. i. ohne Kraft?94 zaubern könne. Woher dieſer Glaube an eingebildete Kräfte des Wortes? nur daher, weil das Wort ſelbſt nur ein Weſen der Einbildungskraft iſt, aber eben deßwegen narkotiſche Wir - kungen auf den Menſchen äußert, ihn unter die Herrſchaft der Phantaſie gefangen nimmt. Worte beſitzen Revolutionskräfte, Worte beherrſchen die Menſchheit. Heilig iſt die Sage; aber verrufen die Sache der Vernunft und Wahrheit.
Die Bejahung oder Vergegenſtändlichung des Weſens der Phantaſie iſt daher zugleich verbunden mit der Bejahung oder Vergegenſtändlichung des Weſens der Sprache: des Wortes. Der Menſch hat nicht nur einen Trieb, eine Nothwendigkeit, zu denken, zu ſinnen, zu phantaſiren; er hat auch den Trieb zu ſprechen, ſeine Gedanken zu äußern, mitzutheilen. Gött - lich iſt dieſer Trieb, göttlich die Macht des Wortes. Das Wort iſt der bildliche, der offenbare, der ausſtrahlende, der glän - zende, der erleuchtende Gedanke. Das Wort iſt das Licht der Welt. Das Wort leitet in alle Wahrheit, erſchließt alle Geheimniſſe, veranſchaulicht das Unſichtbare, vergegenwärtigt das Vergangne und Entfernte, verendlicht das Unendliche, ver - ewigt das Zeitliche. Die Menſchen vergehen, das Wort be - ſteht; das Wort iſt Leben und Wahrheit. Dem Wort iſt alle Macht übergeben: das Wort macht Blinde ſehend, Lahme gehend, Kranke geſund, Todte lebendig — das Wort wirkt Wunder und zwar die allein vernünftigen Wunder. Das Wort iſt das Evangelium, der Paraklet der Menſchheit. Denke Dich, um Dich von der göttlichen Weſenheit der Sprache zu überzeugen, einſam und verlaſſen, aber der Sprache kundig und Du hörteſt zum erſten Male das Wort eines Menſchen: würde Dir nicht dieſes Wort als ein Engel erſcheinen, nicht als die Stimme Gottes ſelbſt, als die himmliſchſte Muſik er -95 klingen? Das Wort iſt in der That nicht ärmer, nicht ſeelen - loſer als der muſikaliſche Ton, obwohl der Ton unendlich mehr zu ſagen ſcheint, als das Wort, und deßwegen, weil ihn dieſer Schein, dieſe Illuſion umgibt, tiefer und reicher als das Wort erſcheint.
Das Wort hat erlöſende, verſöhnende, beglückende Kraft. Die Sünden, die wir bekennen, ſind uns vergeben kraft der gött - lichen Macht des Wortes. Verſöhnt ſcheidet der Sterbende, der noch die längſt verſchwiegene Sünde bekannt. Die Verge - bung der Sünde liegt im Eingeſtändniß der Sünde. Die Schmerzen, die wir dem Freunde offenbaren, ſind ſchon halb geheilt. Worüber wir ſprechen, darüber mildern ſich unſre Leidenſchaften; es wird helle in uns; der Gegenſtand des Zor - nes, des Aergers, des Kummers erſcheint uns in einem Lichte, in welchem wir die Unwürdigkeit der Leidenſchaft erkennen. Worüber wir im Dunkel und Zweifel ſind, wir dürfen nur darüber ſprechen — oft in dem Augenblick ſchon, wo wir den Mund aufthun, um den Freund zu fragen, ſchwinden die Zwei - fel und Dunkelheiten. Das Wort macht endlich den Menſchen frei. Wer ſich nicht äußern kann, iſt ein Sklav. Sprachlos iſt darum die übermäßige Leidenſchaft, die übermäßige Freude, der übermäßige Schmerz. Sprechen iſt ein Freiheitsact; das Wort iſt ſelbſt Freiheit. Mit Recht gilt deßwegen die Sprachbildung für die Wurzel der Bildung. Wo das Wort cultivirt wird, da wird die Menſchheit cultivirt. Die Barbarei des Mittelalters ſchwand mit der Bildung der Sprache.
Wie wir nichts Andres als göttliches Weſen ahnden, vorſtellen, denken können, denn das Vernünftige, welches wir denken, denn das Gute, welches wir lieben, das Schöne, wel - ches wir empfinden; ſo kennen wir auch keine höhere, geiſtige,96 wirkende Macht und Kraftäußerung, als die Macht des Wor - tes. Gott iſt der Inbegriff aller Realität. Alles, was der Menſch als Realität empfindet oder erkennt, muß er in Gott ſetzen. Die Religion muß ſich daher auch der Macht des Wortes als einer göttlichen Macht bewußt werden. Das Wort Gottes iſt die Göttlichkeit des Wortes, wie ſie in - nerhalb der Religion dem Menſchen Gegenſtand wird; denn es gehört, wie bereits gezeigt, zur differentia specifica der Religion, daß ſie überall das eigentliche Subject zum Prädi - cat und eine allgemeine Wahrheit zu einer particulären macht — ſo hier das allgemeine Weſen des Wortes zu einem beſon - dern, perſönlichen Weſen — aber zugleich ſo, daß doch immer die allgemeine Wahrheit, die Natur der Sache, durch die par - ticuläre Wahrheit hindurch ſchimmert.
Die zweite Perſon iſt als der ſich offenbarende, äußernde, ſich ausſprechende Gott (Deus se dicit) das weltſchöpferi - ſche Princip in Gott. Das heißt aber nichts Andres als: die zweite Perſon iſt das Mittelweſen zwiſchen dem un - ſinnlichen Weſen Gottes und dem ſinnlichen Weſen der Welt, das göttliche Princip des Endlichen, des von Gott Unterſchiedenen. Die zweite Perſon hat einen, obwohl der Vorſtellung nach zeitloſen, Anfang, einen Grund; ſie iſt ge - zeugt, das erſte der erzeugten Weſen. Sie hat alſo als ge - zeugt, als nicht a se, von ſich ſeiend, die allgemeine Grund - beſtimmung des Endlichen in ſich*)Hylarius .... Siquis innascibilem et sine initio dicat filium, quasi duo sine principio et duo innascibilia, et duo innata dicens, duos. Aber zugleich iſt ſie noch97 nicht ein wirkliches endliches Weſen, außer Gott geſetzt; ſie iſt vielmehr noch identiſch mit Gott — ſo identiſch als es mit dem Vater der Sohn iſt, der zwar eine andre Perſon, aber doch gleiches Weſen mit dem Vater hat. Die zweite Perſon repräſentirt uns daher nicht den reinen Begriff der Gottheit, aber auch nicht den reinen Begriff der Menſchheit oder Wirklichkeit überhaupt — ſie iſt ein Mittelweſen zwiſchen beiden Gegen - ſätzen. Der Gegenſatz von dem unſinnlichen oder unſichtbaren göttlichen Weſen und dem ſinnlichen oder ſichtbaren Weſen der Welt iſt aber nichts andres als der Gegenſatz zwiſchen dem Weſen der Abſtraction und dem Weſen der ſinnlichen Anſchauung, das die Abſtraction mit der ſinnlichen Anſchau - ung Verknüpfende aber die Phantaſie oder Einbildungs - kraft: folglich iſt der Uebergang von Gott zur Welt ver - mittelſt der zweiten Perſon nur der vergegenſtändlichte Uebergang von der Abſtractionskraft vermittelſt der Phantaſie zur Sinnlichkeit. Die Phantaſie iſt es allein, durch die der Menſch den Gegenſatz zwiſchen Gott und Welt aufhebt, vermittelt. Alle religiöſen Kosmogonien ſind Phanta - ſien — jedes Mittelweſen zwiſchen Gott und Welt, es werde nun beſtimmt, wie es wolle, ein Phantaſieweſen. Die pſycho - logiſche Wahrheit und Nothwendigkeit, die allen dieſen Theo - und Kosmogonien zu Grunde liegt, iſt die Wahrheit und Nothwendigkeit der Einbildungskraft als des Ter - minus medius zwiſchen dem Abſtracten und Concre - ten. Und die Philoſophie, die ihrer ſelbſtbewußte Philoſophie*)faciat Deos, anathema sit. Caput enim quod est principium omnium, filius. Caput autem quod est principium Christi, deus. .... Fi - lium innascibilem confiteri impiissimum est. Petrus Lomb. Sent. I. I. dist. 31. c. 4. Feuerbach. 798hat daher, in Beziehung auf dieſe Materie, wenn ſie dieſelbe zu einem Gegenſtande ihrer Unterſuchung macht, nur die all - gemeine Aufgabe, das Verhältniß der Einbildungskraft zur Vernunft, die Geneſis des Bildes, wodurch ein Object des Gedankens zu einem Object des Sinnes, des Gefühls wird, zu begreifen.
Das Weſen der Einbildungskraft iſt jedoch die volle er - ſchöpfende Wahrheit des kosmogoniſchen Weſens nur da, wo der Gegenſatz von Gott und Welt nichts ausdrückt als den unbeſtimmten Gegenſatz von dem unſinnlichen, unſichtbaren, unfaßlichen Weſen, Gott, und dem ſichtbaren, handgreiflichen Weſen der Welt. Wird dagegen das kosmogoniſche Weſen abſtracter erfaßt und ausgedrückt, ſo, wie es von der religiöſen Speculation geſchieht, ſo haben wir auch eine abſtractere pſycho - logiſche Wahrheit als ſeine Grundlage zu erkennen.
Die Welt iſt nicht Gott, ſie iſt das Andere, der Gegen - ſatz Gottes, oder wenigſtens — wenn dieſer Ausdruck zu ſtark ſein ſollte, weil er das Kind beim rechten Namen nennt — das von Gott Unterſchiedene. Aber das von Gott Unterſchie - dene kann nicht unmittelbar aus Gott kommen, ſondern nur aus einem Unterſchied von Gott in Gott. Die andere Per - ſon iſt der ſich in ſich von ſich unterſcheidende, ſich ſelbſt ſich gegenüber und entgegen ſetzende, darum ſich Gegenſtand ſeiende, bewußte Gott. Die Selbſtunterſcheidung Gottes von ſich iſt der Grund des von ihm Unterſchiedenen — das Selbſtbewußtſein alſo der Urſprung der Welt. Gott denkt die Welt erſt dadurch, daß er ſich gedacht — ſich Denken iſt ſich Zeugen, die Welt denken die Welt ſchaffen. Die Zeugung geht der Schöpfung vor. Die productive Idee der Welt, ei -99 nes anderen Weſens, das nicht Gott iſt, wird vermittelt durch die productive Idee eines anderen Weſens, das Gott gleich iſt.
Dieſer kosmogoniſche Proceß iſt nun aber nichts andres als die myſtiſche Periphraſe eines pſycho-logiſchen Proceſ - ſes, nichts andres als die Vergegenſtändlichung der Einheit des Bewußtſeins und Selbſtbewußtſeins. Gott denkt ſich — ſo iſt er bewußt, ſelbſtbewußt — Gott iſt das Selbſt - bewußtſein als Object, als Weſen geſetzt; aber indem er ſich weiß, ſich denkt, ſo denkt er auch damit zugleich ein Andres als Er ſelbſt iſt; denn Sich wiſſen iſt Sich unterſcheiden von Anderem, ſei dieſes nun ein mögliches, nur vorgeſtelltes, oder ein wirkliches. So iſt alſo zugleich die Welt — wenigſtens die Möglichkeit, die Idee der Welt — geſetzt mit dem Bewußt - ſein oder vielmehr vermittelt durch daſſelbe. Der Sohn, der von ſich gedachte, der gegenſtändliche, der urabbildliche, der an - dere Gott iſt das Princip der Weltſchöpfung. Die Wahrheit, die zu Grunde liegt, iſt das Weſen des Menſchen: die Iden - tität ſeines Selbſtbewußtſeins mit dem Bewußtſein von einem Andern, welches mit ihm identiſch, und von einem Andern, welches nicht mit ihm identiſch iſt. Und das zweite, das we - ſensgleiche Andre iſt nothwendig das Mittelglied, der Termi - nus medius zwiſchen dem Erſten und Dritten. Der Gedanke eines Andern überhaupt, eines weſentlich Andern ent - ſteht mir erſt durch den Gedanken eines im Weſen mir glei - chen Andern.
Das Bewußtſein der Welt iſt das Bewußtſein meiner Beſchränktheit — wüßte ich nichts von einer Welt, ſo wüßte ich nichts von Schranken — aber das Bewußtſein meiner Be - ſchränktheit ſteht im Widerſpruch mit dem Triebe meiner Selbſt -7*100heit nach Unbeſchränktheit. Ich kann alſo von der Selbſtheit, ſie abſolut gedacht — Gott iſt das abſolute Selbſt — nicht unmittelbar zu ihrem Gegentheil übergehen; ich muß dieſen Widerſpruch einleiten, vorbereiten, mäßigen durch das Bewußt - ſein eines Weſens, welches zwar auch ein anderes iſt und in ſofern mir die Anſchauung meiner Beſchränktheit gibt, aber ſo, daß es zugleich mein Weſen bejaht, mein Weſen mir vergegen - ſtändlicht. Das Bewußtſein der Welt iſt ein demüthigendes Bewußtſein — die Schöpfung war ein „ Act der Demuth “— aber der erſte Stein des Anſtoßes, an dem ſich der Stolz der Ichheit bricht, iſt das Du, der Alter Ego. Erſt ſtählt das Ich ſeinen Blick in dem Auge eines Du, ehe es die Anſchauung eines Weſens erträgt, welches ihm nicht ſein eignes Bild zu - rückſtrahlt. Der andere Menſch iſt das Band zwiſchen mir und der Welt. Ich bin und fühle mich abhängig von der Welt, weil ich zuerſt von andern Menſchen mich abhängig fühle. Bedürfte ich nicht des Menſchen, ſo bedürfte ich auch nicht der Welt. Ich verſöhne, ich befreunde mich mit der Welt nur durch den andern Menſchen. Ohne den Andern wäre die Welt für mich nicht nur todt und leer, ſondern auch ſinn - und verſtandlos. Nur an dem Andern wird der Menſch ſich klar und ſelbſtbewußt; aber erſt, wenn ich mir ſelbſt klar, wird mir die Welt klar. Ein abſolut für ſich allein exiſtirender Menſch würde ſich ſelbſtlos und unterſchiedslos in dem Ocean der Na - tur verlieren; er würde weder ſich als Menſchen, noch die Natur als Natur erfaſſen. Der erſte Gegenſtand des Menſchen iſt der Menſch. Der Sinn für die Natur, der uns erſt das Bewußt - ſein der Welt als Welt erſchließt, iſt ein ſpäteres Erzeugniß; denn er entſteht erſt durch den Act der Abſonderung des Men - ſchen von ſich. Den Naturphiloſophen Griechenlands gehen101 die ſogenannten ſieben Weiſen voran, deren Weisheit ſich un - mittelbar nur auf das menſchliche Leben bezog.
Das Bewußtſein der Welt iſt alſo für das Ich vermittelt durch das Bewußtſein des Du. So iſt der Menſch der Gott des Menſchen. Daß er iſt, verdankt er der Natur, daß er Menſch iſt, dem Menſchen. Wie er nichts phyſiſch vermag ohne den andern Menſchen, ſo auch nichts geiſtig. Vier Hände vermögen mehr als zwei; aber auch vier Augen ſehen mehr als zwei. Und dieſe vereinte Kraft unterſcheidet ſich nicht nur quantitativ, ſondern auch qualitativ von der vereinzel - ten. Einzeln iſt die menſchliche Kraft eine beſchränkte, ver - einigt eine unendliche Kraft. Beſchränkt iſt das Wiſſen des Einzelnen, aber unbeſchränkt die Vernunft, unbeſchränkt die Wiſſenſchaft, denn ſie iſt ein gemeinſchaftlicher Act der Menſch - heit, und zwar nicht nur deßwegen, weil unzählig Viele an dem Bau der Wiſſenſchaft mit arbeiten, ſondern auch in dem innerlichen Sinne, daß das wiſſenſchaftliche Genie einer be - ſtimmten Zeit die Gedankenkräfte der vorangegangenen Genies in ſich vereinigt, wenn auch ſelbſt wieder auf eine beſtimmte, individuelle Weiſe, ſeine Kraft alſo keine vereinzelte Kraft iſt. Witz, Scharfſinn, Phantaſie, Gefühl, als unterſchieden von der Empfindung, Vernunft als ſubjectives Vermögen, alle dieſe ſogenannten Seelenkräfte ſind Kräfte der Menſchheit, nicht des Menſchen als eines Einzelweſens, ſind Culturproducte, Producte der menſchlichen Geſellſchaft. Nur wo ſich der Menſch am Menſchen ſtößt und reibt, entzündet ſich Witz und Scharf - ſinn — mehr Witz iſt daher in der Stadt als auf dem Lande, mehr in großen, als kleinen Städten — nur wo ſich der Menſch am Menſchen ſonnt und wärmt, entſteht Gefühl und Phan - taſie — die Liebe, ein gemeinſchaftlicher Act, ohne Erwiederung102 darum der größte Schmerz, iſt der Urquell der Poeſie — und nur wo der Menſch mit dem Menſchen ſpricht, nur in der Rede, einem gemeinſamen Acte, entſteht die Vernunft. Fragen und Antworten ſind die erſten Denkacte. Zum Denken gehö - ren urſprünglich Zwei. Erſt auf dem Standpunkt einer höhern Cultur verdoppelt ſich der Menſch, ſo daß er jetzt in und für ſich ſelbſt die Rolle des Andern ſpielen kann. Denken und Sprechen iſt darum bei allen alten und ſinnlichen Völkern identiſch; ſie denken nur im Sprechen, ihr Denken iſt nur Converſation. Gemeine Leute, d. h. nicht abſtract gebildete Leute verſtehen noch heute Geſchriebenes nicht, wenn ſie nicht laut leſen, nicht ausſprechen, was ſie leſen. Wie richtig iſt es in dieſer Be - ziehung, wenn Hobbes den Verſtand des Menſchen aus den Ohren ableitet!
Auf abſtracte logiſche Kategorien reducirt, drückt das kos - mogenetiſche Princip in Gott nichts weiter aus als den tau - tologiſchen Satz: das Verſchiedene kann nur aus einem Prin - cip der Verſchiedenheit, nicht aus einem einfachen Weſen kommen. So ſehr die chriſtlichen Philoſophen und Theologen der Schöpfung aus Nichts das Wort geredet, ſo haben ſie doch wieder den alten Grundſatz: aus Nichts wird Nichts, weil er ein Geſetz des Denkens ausſpricht, nicht ganz umgehen kön - nen. Sie haben zwar keine wirkliche Materie als Princip der unterſchiednen materiellen Dinge geſetzt, aber ſie haben doch den göttlichen Verſtand — der Sohn aber iſt die Weisheit, die Wiſſenſchaft, der Verſtand des Vaters — als den Inbe - griff aller Dinge, als die geiſtige Materie zum Princip der wirklichen Materie gemacht. Der Unterſchied zwiſchen der heidniſchen Ewigkeit der Materie und der chriſtlichen Schöpfung in dieſer Beziehung iſt nur, daß die Heiden der Welt eine103 reale, objective, die Chriſten eine nicht ſinnliche Ewigkeit vindi - cirten. Die Dinge waren, ehe ſie exiſtirten, aber nicht als Object des Sinnes, ſondern des ſubjectiven Verſtandes. Die Chriſten, deren Princip das Princip der abſoluten Subjectivi - tät, denken Alles nur durch dieſes Princip vermittelt. Die durch ihr ſubjectives Denken geſetzte, die vorgeſtellte, ſub - jective Materie iſt ihnen daher auch die erſte Materie — weit vorzüglicher als die wirkliche objective Materie. Aber deſſen ungeachtet iſt dieſer Unterſchied nur ein Unterſchied in der Weiſe der Exiſtenz. Die Welt iſt ewig in Gott. Oder iſt ſie etwa in ihm entſtanden, wie ein plötzlicher Einfall, eine Laune? Allerdings kann ſich auch dieß der Menſch vorſtellen, aber dann vergöttlicht der Menſch nur ſeinen eignen Unſinn. Bin ich dagegen bei Vernunft, ſo kann ich die Welt nur ableiten aus ihrem Weſen, ihrer Idee, d. h. eine Art ihrer Exiſtenz aus einer andern Art — mit andern Worten: ich kann die Welt immer nur aus ſich ſelbſt ableiten. Die Welt hat ihren Grund in ſich ſelbſt, wie Alles in der Welt, was auf den Namen einer Gattungsweſenheit Anſpruch hat. Die differen - tia specifica, das eigenthümliche Weſen, das, wodurch ein be - ſtimmtes Weſen iſt, was es iſt, dieß iſt immer ein im gemei - nen Sinne Unerklärliches, Unableitbares, iſt durch ſich, hat ſeinen Grund in ſich.
So iſt es nun auch mit der Vielfachheit und Verſchie - denheit, wenn wir die Welt auf dieſe abſtracte Kategorie im Gegenſatz zur Einfachheit und Identität des göttlichen Weſens reduciren. Die wirkliche Verſchiedenheit kann nur abgeleitet werden aus einem in ſich ſelbſt verſchiedenen Weſen. Aber ich ſetze die Verſchiedenheit nur in das urſprüngliche Weſen, weil mir ſchon urſprünglich die Verſchiedenheit eine poſitive104 Realität iſt. Wo und wenn die Verſchiedenheit an ſich ſelbſt Nichts iſt, da wird auch im Princip keine Verſchiedenheit ge - dacht. Ich ſetze die Verſchiedenheit als eine weſentliche Kate - gorie, als eine Wahrheit, wo ich ſie aus dem urſprünglichen Weſen ableite und umgekehrt: beides iſt identiſch. Der ver - nünftige Ausdruck iſt: die Verſchiedenheit liegt eben ſo noth - wendig in der Vernunft, als die Identität.
Da nun aber eben die Verſchiedenheit eine poſitive Ver - nunftbeſtimmung iſt, ſo kann ich die Verſchiedenheit nicht ab - leiten, ohne ſchon die Verſchiedenheit vorauszuſetzen; ich kann ſie nicht erklären außer durch ſich ſelbſt, weil ſie eine ur - ſprüngliche, durch ſich ſelbſt einleuchtende, durch ſich ſelbſt ſich bewährende Realität iſt. Wodurch entſteht die Welt, das von Gott Unterſchiedene? durch den Unterſchied Gottes von ſich in Gott ſelbſt. Gott denkt ſich, er iſt ſich Gegenſtand, er unter - ſcheidet ſich von ſich — alſo entſteht dieſer Unterſchied, die Welt, nur von einem Unterſchied anderer Art, der äußere von einem innerlichen, der ſeiende von einem thätigen, einem Un - terſcheidungsacte, alſo begründe ich den Unterſchied nur durch ſich ſelbſt, d. h. er iſt ein urſprünglicher Begriff, ein Non plus ultra meines Denkens, ein Geſetz, eine Nothwendigkeit, eine Wahrheit. Der letzte Unterſchied, den ich denken kann, iſt der Unterſchied eines Weſens von und in ſich ſelbſt. Der Un - terſchied eines Weſens von einem andern verſteht ſich von ſelbſt, iſt ſchon durch ihr Daſein geſetzt, eine ſinnfällige Wahrheit: es ſind zwei. Für das Denken begründe ich aber erſt den Un - terſchied, wenn ich ihn in ein und daſſelbe Weſen aufnehme, wenn ich ihn mit dem Geſetze der Identität verbinde. Hierin liegt die letzte Wahrheit des Unterſchieds. Das kos - mogenetiſche Princip in Gott, auf ſeine letzten Elemente105 reducirt, iſt nichts andres als der nach ſeinen einfachſten Mo - menten vergegenſtändliche Denkact. Wenn ich den Un - terſchied aus Gott entferne, ſo gibt er mir keinen Stoff zum Denken; er hört auf ein Denkobject zu ſein; denn der Unter - ſchied iſt ein weſentliches Denkprincip. Und wenn ich daher Unterſchied in Gott ſetze, was begründe, was verge - genſtändliche ich anders, als die Wahrheit und Nothwendigkeit dieſes Denkprincipes?
Einen intereſſanten Stoff zur Kritik der kosmo - und theo - goniſchen Phantaſien liefert die von Schelling aufgefriſchte, aus Jacob Böhm geſchöpfte Lehre von der ewigen Natur in Gott.
Gott iſt reiner Geiſt, lichtvolles Selbſtbewußtſein, ſittliche Perſönlichkeit; die Natur dagegen iſt, wenigſtens ſtellenweiſe, verworren, finſter, wüſte, unſittlich oder doch nicht ſittlich. Es widerſpricht ſich aber, daß das Unreine aus dem Reinen, die Finſterniß aus dem Lichte komme. Wie können wir alſo aus Gott dieſe offenbaren Inſtanzen gegen eine göttliche Abkunft ableiten? Nur dadurch, daß wir dieſes Unreine, dieſes Dunkle in Gott ſetzen, in Gott ſelbſt ein Princip des Lichtes und der Finſterniß unterſcheiden. Mit andern Worten: nur dadurch können wir den Urſprung des Finſtern erklären, daß wir über - haupt die Vorſtellung eines Urſprungs aufgeben, die Finſterniß als ſeiend von Anbeginn an vorausſetzen*)Es liegt außer unſerm Zwecke, dieſe craß myſtiſche Anſicht zu kriti - ſiren. Es werde hier nur bemerkt, daß die Finſterniß nur dann erklärt wird, wenn ſie aus dem Lichte abgeleitet wird, daß aber nur dann die.
106Das Finſtere in der Natur iſt aber das Irrationelle, Materielle, die eigentliche Natur im Unterſchiede von der In - telligenz. Der einfache Sinn dieſer Lehre iſt daher: die Natur, die Materie kann nicht aus der Intelligenz erklärt und abgeleitet werden; ſie iſt vielmehr der Grund der Intelligenz, der Grund der Perſönlichkeit, ohne ſelbſt einen Grund zu haben; der Geiſt ohne Natur iſt ein unreelles Abſtractum; das Bewußtſein ent - wickelt ſich nur aus der Natur. Aber dieſe materialiſtiſche Lehre wird dadurch in ein myſtiſches, aber gemüthliches Dun - kel gehüllt, daß ſie nicht allgemein, nicht mit den klaren ſchlich - ten Worten der Vernunft ausgeſprochen, ſondern vielmehr mit dem heiligen Empfindungsworte Gottes betont wird. Wenn das Licht in Gott aus der Finſterniß in Gott entſpringt, ſo entſpringt es nur, weil es in dem Begriffe des Lichts über - haupt liegt, daß es Dunkles erhellt, alſo das Dunkle voraus - ſetzt, aber nicht macht. Wenn Du alſo einmal Gott einem allgemeinen Geſetze unterwirfſt — was denn nicht anders als nothwendig iſt, wofern Du nicht Gott zum Tummelplatz der ſinnloſeſten Einfälle machen willſt — wenn alſo eben ſo gut in Gott, als an und für ſich, als überhaupt, das Selbſtbe - wußtſein durch ein natürliches Princip bedingt iſt, warum ab - ſtrahirſt Du nicht von Gott? Was einmal Geſetz des Be - wußtſeins an ſich, iſt Geſetz für das Bewußtſein jedes perſön - lichen Weſens, es ſei Menſch, Engel, Dämon, Gott oder was Du nur immer Dir ſonſt noch als Weſen einbilden magſt. Worauf reduciren ſich denn, bei Lichte beſehen, die beiden Prin -*)Ableitung des Dunkeln in der Natur aus dem Lichte als eine Unmöglichkeit erſcheint, wenn man ſo blind iſt, daß man nicht auch in der Finſterniß noch Licht erblickt, nicht bemerkt, daß das Dunkel der Natur kein abſolutes, ſon - dern gemäßigtes, durch das Licht temperirtes Dunkel iſt.107 cipien in Gott? Das eine auf die Natur, wenigſtens die Na - tur, wie ſie in Deiner Vorſtellung exiſtirt, abſtrahirt von ihrer Wirklichkeit, das andere auf Geiſt, Bewußtſein, Perſönlichkeit. Nach ſeiner einen Hälfte, nach ſeiner Rück - und Kehrſeite nennſt Du Gott nicht Gott, ſondern nur von ſeiner Vorder - ſeite, ſein Geſicht, wornach er Dir Geiſt, Bewußtſein zeigt: alſo iſt ſein ſpecifiſches Weſen, das worin er Gott iſt, Geiſt, Intelligenz, Bewußtſein. Warum machſt Du denn aber, was das eigentliche Subject in Gott als Gott, d. i. als Geiſt iſt, zu einem bloßen Prädicat, als wäre Gott als Gott, auch ohne Geiſt, ohne Bewußtſein Gott? warum anders als weil Du denkſt als Sklave der myſtiſch religiöſen Imagination, weil das primäre Princip in Dir die Imagination, das ſecun - däre, formelle nur, das Denken iſt, weil es Dir nur wohl und heimlich iſt im trügeriſchen Zwielicht des Myſticismus?
Myſticismus iſt Deuteroſkopie. Der Myſtiker ſpeculirt über das Weſen der Natur oder des Menſchen, aber in und mit der Einbildung, daß er über ein anderes, von beiden unterſchiedenes, perſönliches Weſen ſpeculirt. Der Myſtiker hat dieſelben Gegenſtände, wie der einfache, ſelbſtbewußte Denker; aber der wirkliche Gegenſtand iſt dem Myſtiker nur Object, nicht als er ſelbſt, ſondern als ein eingebildeter, und daher der eingebildete Gegenſtand ihm der wirkliche Gegenſtand. So iſt hier, in der myſtiſchen Lehre von den zwei Principien in Gott, der wirkliche Gegenſtand die Pa - thologie, der eingebildete die Theologie; d. h. die Pa - thologie wird zur Theologie gemacht. Dagegen ließe ſich nun eigentlich nichts ſagen, wenn mit Bewußtſein die wirkliche Pathologie als Theologie erkannt und ausgeſprochen würde; unſre Aufgabe iſt es ja eben, zu zeigen, daß die Theologie108 nichts iſt als eine ſich ſelbſt verborgene, als die eſoteriſche Pa - tho -, Anthropo - und Pſychologie, und daß daher die wirkliche Anthropologie, die wirkliche Pathologie, die wirkliche Pſycho - logie weit mehr Anſpruch auf den Namen Theologie haben, als die Theologie ſelbſt, weil dieſe doch nichts weiter iſt als eine imaginäre Pſychologie und Anthropologie. Aber es ſoll der Inhalt dieſer Lehre oder Anſchauung — und darum iſt ſie eben Myſtik und Phantaſtik — nicht Pathologie, ſondern Theologie, Theologie im alten oder gewöhnlichen Sinne des Wortes ſein; es ſoll hier das Leben eines andern von uns unterſchiednen Weſens aufgeſchloſſen werden, und es wird doch nur unſer eignes Weſen aufgeſchloſſen, aber zugleich wieder verſchloſſen, weil es das Weſen eines andern Weſens ſein ſoll. Bei Gott, nicht bei uns menſchlichen Individuen — das wäre eine viel zu triviale Wahrheit — ſoll ſich die Vernunft erſt nach der Leidenſchaft der Natur einſtellen, nicht wir, ſondern Gott ſoll ſich aus dem Dunkel verworrner Gefühle und Triebe zur Klar - heit der Erkenntniß emporringen, nicht in unſrer ſubjectiven beſchränkten Vorſtellungsweiſe, ſondern in Gott ſelbſt ſoll der Nervenſchrecken der Nacht eher ſein, als das freudige Bewußt - ſein des Lichtes; kurz, es ſoll hier nicht eine menſchliche Krank - heitsgeſchichte, ſondern die Entwicklungs - d. i. Krankheits - geſchichte Gottes — Entwicklungen ſind Krankheiten — dargeſtellt werden. Leider! gehört aber das Sollen der Einbildung, die Wahrheit, die Objectivität nur dem patholo - giſchen Element an.
Wenn daher der kosmogenetiſche Unterſcheidungsproceß in Gott uns das Licht der Unterſcheidungskraft als eine göttliche Weſenheit zur Anſchauung bringt; ſo repräſentirt uns dagegen die Nacht oder Natur in Gott die Leibnitz’ſchen109 Pensées confuses als göttliche Kräfte oder Poten - zen. Aber die Pensées confuses, die verworrnen, dunkeln Vorſtellungen und Gedanken, richtiger Bilder repräſentiren das Fleiſch, die Materie: eine reine, von der Materie abgeſon - derte Intelligenz hat nur lichte, freie Gedanken, keine dunkeln, d. i. fleiſchliche Vorſtellungen, keine materiellen, die Phan - taſie erregende, das Blut in Aufruhr bringende Bilder. Die Nacht in Gott ſagt daher nichts andres aus, als: Gott iſt nicht nur ein geiſtiges, ſondern auch materielles, leibli - ches, fleiſchliches Weſen; aber wie der Menſch Menſch iſt und heißt nicht nach ſeinem Fleiſch, ſondern ſeinem Geiſt, ſo auch Gott.
Aber die Nacht ſpricht dieß nur in dunkeln, myſtiſchen, unbeſtimmten, hinterhaltigen Bildern aus. Statt des kräftigen, aber eben deßwegen präciſen und picanten Ausdrucks Fleiſch ſetzt ſie die vieldeutigen, abſtracten Worte: Natur und Grund. „ Da nichts vor oder außer Gott iſt, ſo muß er den Grund ſeiner Exiſtenz in ſich ſelbſt haben. Das ſagen alle Philoſophien, aber ſie reden von dieſem Grund als einem bloßen Begriff, ohne ihn zu etwas Reellem und Wirk - lichem zu machen. Dieſer Grund ſeiner Exiſtenz, den Gott in ſich hat, iſt nicht Gott abſolut betrachtet, d. h. ſofern er exiſtirt; denn er iſt ja nur der Grund ſeiner Exiſtenz. Er iſt die Natur — in Gott; ein von ihm zwar unabtrennliches, aber doch unterſchiednes Weſen. Analogiſch (?) kann dieſes Verhältniß durch das der Schwerkraft und des Lichts in der Natur erläutert werden. “ Aber dieſer Grund iſt das Nicht - intelligente in Gott. „ Was der Anfang einer Intelligenz (in ihr ſelber) iſt, kann nicht wieder intelligent ſein. “ „ Aus dieſem Verſtandloſen iſt im eigentlichen Sinne der Verſtand110 geboren. Ohne dieß vorausgehende Dunkel gibt es keine Realität der Creatur. “ „ Mit ſolchen abgezognen Begrif - fen von Gott als Actus purissimus, dergleichen die ältere Philoſophie aufſtellte, oder ſolchen, wie ſie die neuere, aus Für - ſorge, Gott ja recht weit von aller Natur zu entfernen, immer wieder hervorbringt, läßt ſich überall nichts ausrichten. Gott iſt etwas Realeres, als eine bloße moraliſche Weltord - nung und hat ganz andre und lebendigere Bewegungs - kräfte in ſich, als ihm die dürftige Subtilität abſtracter Idealiſten zuſchreibt. — Der Idealismus, wenn er nicht ei - nen lebendigen Realismus zur Baſis erhält, wird ein eben ſo leeres und abgezogenes Syſtem, als das Leibnitziſche, Spi - noziſche oder irgend ein anderes dogmatiſches. “ „ So lange der Gott des modernen Theismus das einfache, rein weſenhaft ſein ſollende, in der That aber weſenloſe — Weſen bleibt, das er in allen neuern Syſtemen iſt, ſo lange nicht in Gott eine wirk - liche Zweiheit erkannt und der bejahenden, ausbreitenden Kraft eine einſchränkende, verneinende entgegengeſetzt wird; ſo lange wird die Läugnung eines perſönlichen Gottes wiſſen - ſchaftliche Aufrichtigkeit ſein. “ „ Alles Bewußtſein iſt Concen - tration, iſt Sammlung, iſt Zuſammennehmen, Zuſammenfaſſen ſeiner ſelbſt. Dieſe verneinende, auf es ſelbſt zurückgehende Kraft eines Weſens, iſt die wahre Kraft der Perſönlichkeit in ihm, die Kraft der Selbſtheit, der Egoität. “ „ Wie ſollte eine Furcht Gottes ſein, wenn keine Stärke in ihm wäre? Daß aber Etwas in Gott ſei, das bloß Kraft und Stärke ſei, kann nicht befremden, wenn man nur nicht behauptet, daß er allein dieſes und ſonſt nichts andres ſei. “*)Schelling über das Weſen der menſchlichen Freiheit. 429. 432. 427. Denkmal Jacobi’s S. 82, 97 — 99.
111Aber was iſt denn nun Kraft und Stärke, die nur Kraft und Stärke iſt im Unterſchiede von der geiſtigen Macht der Güte und Intelligenz, als die leibliche Kraft und Stärke? Iſt denn eine bloße Kraft, eine bloße Stärke ohne ein wirk - liches leibliches Subſtrat nicht auch „ dürftige Subtilität eines abſtracten Idealismus? “ Kennſt Du im Unterſchiede von der Macht der Güte und der Macht der Vernunft eine andere Dir zu Gebote ſtehende Kraft als die Muskelkraft? Wenn Du durch Güte und Vernunftgründe nichts ausrichten kannſt, ſo mußt Du zur Stärke Deine Zuflucht nehmen. Kannſt Du aber etwas „ ausrichten “ohne kräftige Arme und Fäuſte? Kennſt Du im Unterſchiede von der Macht der morali - ſchen Weltordnung „ andere und lebendigere Bewegungs - kräfte “als die Hebel der peinlichen Halsgerichtsord - nung? Gibt es ein anderes Syſtem „ lebendigen Realis - mus’s “als das Syſtem des organiſchen Leibes? Iſt Natur ohne Leib nicht ein leerer, abgezogner Begriff? das Geheimniß der Natur nicht das Geheimniß des Leibes? Kennſt Du eine andere Exiſtenz, ein anderes Weſen der Na - tur, als die leibliche Exiſtenz, als das leibliche Weſen? Iſt aber nicht der höchſte, der realſte, der lebendigſte Leib der Leib von Fleiſch und Blut? Kennſt Du eine andere der Intelligenz ent - gegengeſetzte Kraft, als die Kraft von Fleiſch und Blut, eine andere Stärke der Natur als die Stärke der ſinnlichen Triebe? Iſt aber nicht der ſtärkſte, der der Intelligenz entgegengeſetzteſte Naturtrieb der Geſchlechtstrieb? Wer erinnert ſich nicht an den alten Spruch: Amare et Sapere vix Deo competit? Wenn wir alſo eine Natur, ein dem Lichte der Intelligenz ent - gegengeſetztes Weſen in Gott ſetzen wollen, können wir uns einen lebendigeren, realeren Gegenſatz denken, als den Gegen -112 ſatz von Amare und Sapere, von Geiſt und Fleiſch, von Freiheit und Geſchlechtstrieb? Du entſetzeſt Dich über dieſe Descendenzen und Conſequenzen? O! ſie ſind die legitimen Sproſſen von dem heiligen Ehebündniß zwiſchen Gott und Natur. Du ſelbſt haſt ſie gezeugt unter den günſtigen Auſpi - cien der Nacht. Ich zeige ſie Dir jetzt nur im Lichte.
Perſönlichkeit, Egoität, Bewußtſein ohne Natur iſt Nichts oder, was eins, ein hohles, weſenloſes Abſtractum. Aber die Na - tur iſt, wie bewieſen und von ſelbſt klar iſt, nichts ohne Leib. Der Leib iſt allein jene verneinende, einſchränkende, zuſammenziehende, beengende Kraft, ohne welche keine Perſönlichkeit denkbar iſt. Nimm Deiner Perſön - lichkeit ihren Leib — und Du nimmſt ihr ihren Zuſammen - halt. Der Leib iſt der Grund, das Subject der Per - ſönlichkeit. Nur durch den Leib unterſcheidet ſich die reale Perſönlichkeit von der eingebildeten eines Geſpenſtes. Was wären wir für abſtracte, vage, leere Perſönlichkeiten, wenn uns nicht das Prädicat der Impenetrabilität inhärirte, wenn an demſelben Orte, in derſelben Geſtalt, worin wir ſind, zugleich Andere ſich befinden könnten? Nur durch die räumliche Aus - ſchließung bewährt ſich die Perſönlichkeit als eine wirkliche. Aber der Leib iſt nichts ohne Fleiſch und Blut. Fleiſch und Blut iſt Leben, und Leben allein die Realität, die Wirklichkeit des Leibes. Aber Fleiſch und Blut iſt nichts ohne den Sauerſtoff der Geſchlechtsdifferenz. Die Ge - ſchlechtsdifferenz iſt keine oberflächliche oder nur auf gewiſſe Kör - pertheile beſchränkte; ſie iſt eine weſentliche; ſie durchdringt Mark und Bein. Die Subſtanz des Mannes iſt die Männ - lichkeit, die des Weibes die Weiblichkeit. Sei der Mann auch noch ſo geiſtig und hyperphyſiſch — er bleibt doch immer Mann;113 eben ſo das Weib. Die Perſönlichkeit iſt daher nichts ohne Geſchlechtsdifferenz; die Perſönlichkeit unterſcheidet ſich weſentlich in männliche und weibliche Perſönlichkeit. Wo kein Du, iſt kein Ich; aber der Unterſchied von Ich und Du, die Grundbedingung aller Perſönlichkeit, alles Bewußt - ſeins, iſt nur ein realer, lebendiger, feuriger als der Unterſchied von Mann und Weib. Das Du zwiſchen Mann und Weib hat einen ganz andern Klang, als das mo - notone Du zwiſchen Freunden.
Natur im Unterſchiede von Perſönlichkeit kann gar nichts anderes bedeuten als Geſchlechtsdifferenz. Ein perſönliches Weſen ohne Natur iſt eben nichts andres als ein Weſen ohne Geſchlecht, und umgekehrt. Natur ſoll von Gott prädicirt wer - den „ in dem Sinne wie von einem Menſchen geſagt wird, er ſei eine ſtarke, eine tüchtige, eine geſunde Natur. “ Aber was iſt krankhafter, was unausſtehlicher, was naturwidriger als eine Perſon ohne Geſchlecht oder eine Perſon, die in ihrem Charakter, ihren Sitten, ihren Gefühlen ihr Geſchlecht verläug - net? Was iſt die Tugend, die Tüchtigkeit des Menſchen als Mann? die Männlichkeit. Des Menſchen als Weibes? die Weiblichkeit. Aber der Menſch exiſtirt nur als Mann und Weib. Die Tüchtigkeit, die Geſundheit des Menſchen beſteht demnach nur darin, daß er als Weib ſo iſt, wie er als Weib ſein ſoll, als Mann ſo, wie er als Mann ſein ſoll. Du ver - wirfſt „ den Abſcheu gegen alles Reale, der das Geiſtige durch jede Berührung mit demſelben zu verunreinigen meint. “ Alſo verwirf vor allem Deinen eignen Abſcheu vor dem Geſchlechts - unterſchied. Wird Gott nicht durch die Natur verunreinigt, ſo wird er auch nicht durch das Geſchlecht verunreinigt. Deine Scheu vor einem geſchlechtlichen Gott iſt eine falſcheFeuerbach. 8114Schaam — falſch aus doppeltem Grunde. Einmal, weil die Nacht, die Du in Gott geſetzt, Dich der Schaam überhebt; die Schaam ſchickt ſich nur für das Licht; dann, weil Du mit ihr Dein ganzes Princip aufgibſt. Ein ſittlicher Gott ohne Na - tur iſt ohne Baſis. Aber die Baſis der Sittlichkeit iſt der Geſchlechtsunterſchied. Selbſt das Thier wird durch den Ge - ſchlechtsunterſchied aufopfernder Liebe fähig. Alle Herrlichkeit der Natur, all’ ihre Macht, all’ ihre Weisheit und Tiefe con - centrirt und individualiſirt ſich in der Geſchlechtsdifferenz. Warum ſcheuſt Du Dich alſo, die Natur Gottes bei ihrem wahren Namen zu nennen? Offenbar nur deßwegen, weil Du überhaupt eine Scheu vor den Dingen in ihrer Wahr - heit und Wirklichkeit haſt, weil Du Alles nur durch den trügeriſchen Nebel des Myſticismus erblickſt. Aber eben deß - wegen, weil die Natur in Gott nur ein trügeriſcher, weſen - loſer Schein, ein phantaſtiſches Geſpenſt der Natur iſt, — denn ſie ſtützt ſich, wie geſagt, nicht auf Fleiſch und Blut, nicht auf einen realen Grund — alſo auch dieſe Be - gründung eines perſönlichen Gottes eine fehlgeſchoſſene iſt: ſo ſchließe auch ich mit den Worten: „ die Läugnung eines per - ſönlichen Gottes wird ſo lange wiſſenſchaftliche Aufrichtig - keit, “ich ſetze hinzu: wiſſenſchaftliche Wahrheit ſein, als man nicht mit klaren, unzweideutigen Worten ausſpricht und beweiſt, erſtens a priori, aus ſpeculativen Gründen, daß Ge - ſtalt, Oertlichkeit, Fleiſchlichkeit, Geſchlechtlichkeit nicht dem Be - griffe der Gottheit widerſprechen, zweitens a posteriori — denn die Realität eines perſönlichen Weſens ſtützt ſich nur auf empiriſche Gründe — was für eine Geſtalt Gott hat, wo er exiſtirt — etwa im Himmel — und endlich welchen Ge - ſchlechtes er iſt, ob er ein Männlein oder Weiblein oder115 gar ein Hermaphrodit. Uebrigens hat ſchon anno 1682 ein Pfarrer die kühne Frage aufgeworfen: „ Ob Gott auch ehelich ſei und ein Weib habe? Und wie viel er Wei - ſen (modos) habe, Menſchen zu Wege zu bringen? “ Mögen ſich daher die tiefſinnigen ſpeculativen Reli - gions-Philoſophen Deutſchlands dieſen ehrlichen, ſchlichten Pfarrherrn zum Muſter nehmen! Mögen ſie den gênanten Reſt von Rationalismus, der ihnen noch im ſchreiendſten Wi - derſpruch mit ihrem innerſten Weſen anklebt, muthig von ſich abſchütteln und endlich die myſtiſche Potenz der Natur Got - tes in einen wirklich potenten, zeugungskräftigen Gott reali - ſiren! Amen.
Die Lehre von der Natur in Gott iſt Jakob Böhm ent - nommen. Aber im Original hat ſie eine weit tiefere und in - tereſſantere Bedeutung als in ihrer zweiten caſtrirten und mo - derniſirten Auflage. J. Böhm iſt ein tiefinniges, tiefſinniges religiöſes Gemüth; die Religion iſt das Centrum ſeines Lebens und Denkens. Aber zugleich hat ſich die Bedeutung, welche die Natur in neuerer Zeit erhielt — im Studium der Naturwiſ - ſenſchaften, im Spinozismus, Materialismus, Empirismus — ſeines religiöſen Gemüthes bemächtigt. Er hat ſeine Sinne der Natur geöffnet, einen Blick in ihr geheimnißvolles Weſen geworfen, aber ſie erſchreckt ihn; und er kann dieſen Schrecken der Natur nicht zuſammenreimen mit ſeinen religiöſen Vorſtel - lungen. „ Als ich anſchauete die große Tiefe dieſer Welt, darzu die Sonne und Sternen, ſowohl die Wolken, darzu Regen und Schnee, und betrachtete in meinem Geiſte die ganze Schöpfung dieſer Welt; darinnen ich dann in allen Dingen Böſes und Gutes fand, Liebe und Zorn, in den unvernünftigen Creatu -8*116ren, als in Holz, Steinen, Erden und Elementen, ſowohl als in Menſchen und Thieren. .... Weil ich aber befand, daß in allen Dingen Böſes und Gutes war, in den Elementen ſo - wohl als in den Creaturen und daß es in der Welt dem Gott - loſen ſo wohl ginge als den Frommen, auch die Barbariſchen Völker die beſten Länder inne hätten und daß ihnen das Glück noch wohl mehr beyſtünde als den Frommen: ward ich dero - wegen ganz melancholiſch und hoch betrübet und konnte mich keine Schrift tröſten, welche mir doch faſt wohl bekannt war: darbey dann gewißlich der Teufel nicht wird gefeyret haben, welcher mir dann oft Heidniſche Gedanken einbleuete, deren ich allhie verſchweigen will. “ *)Kernhafter Auszug … J. Böhms. Amſterdam 1718. p. 58.Aber ſo ſchrecklich ſein Gemüth das finſtre, nicht mit den religiöſen Vorſtellungen eines himm - liſchen Schöpfers zuſammenſtimmende Weſen der Natur er - greift, ſo entzückend afficirt ihn andrerſeits die Glanzſeite der Natur. J. Böhm hat Sinn für die Natur. Er ahndet, ja empfindet die Freuden des Mineralogen, die Freuden des Bo - tanikers, des Chymikers, kurz die Freuden der „ gottloſen Na - turwiſſenſchaft. “ Ihn entzückt der Glanz der Edelſteine, der Klang der Metalle, der Geruch und Farbenſchmuck der Pflan - zen, die Lieblichkeit und Sanftmuth gewiſſer Thiere. Ich kann es (nämlich die Offenbarung Gottes in der Lichtwelt, den Pro - ceß wo „ aufgehet in der Gottheit die wunderliche und ſchöne Bildung des Himmels in mancherley Farben und Art und er - zeiget ſich jeder Geiſt in ſeiner Geſtalt ſonderlich “) ich kann es, ſchreibt er an einer andern Stelle, mit nichts vergleichen als mit den alleredelſten Steinen als Jerubin, Schmaragden, Del - fin, Onir, Saffir, Diamant, Jaspis, Hyacinth, Amethyſt,117 Berill, Sardis, Carfunkel und dergleichen. “ Wo anders: „ Anlangend aber die köſtlichen Steine, als Carfunkel, Jeru - bin, Schmaragden, Delfin, Onyr und dergleichen, die die al - lerbeſten ſeynd, die haben ihren Urſprung wo der Blitz des Lichtes in der Liebe auffgangen iſt. Dann derſelbe Blitz wird in der Sanfftmuth geboren und iſt das Hertze im Centro der Quellgeiſter, darum ſeynd dieſelben Steine auch ſanffte, kräftig und lieblich. “ Wir ſehen, J. Böhm hatte keinen übeln mine - ralogiſchen Geſchmack. Daß er aber auch an den Blumen Wohlgefallen, folglich botaniſchen Sinn hatte, beweiſen unter Anderm folgende Stellen: „ Die himmliſchen Kräfte gebären himmliſche freudenreiche Früchte und Farben, allerley Bäume und Stauden, darauf wächſt die ſchöne und liebliche Frucht des Lebens: Auch ſo gehen in dieſen Kräfften auf allerley Blu - men mit ſchönen himmliſchen Farben und Geruch. Ihr Schmack iſt mancherley, ein jedes nach ſeiner Qualität und Art, ganz heilig, Göttlich und Freudenreich. “ „ So du nun die himm - liſche Göttliche Pomp und Herrlichkeit willſt betrachten, wie die ſey, was für Gewächſe, Luſt oder Freude da ſey, ſo ſchaue mit Fleiß an dieſe Welt, was für Früchte und Gewächſe aus dem Salniter der Erden wächſt von Bäumen, Stauden, Kraut, Wurzeln, Blumen, Oehle, Weine, Getreide und alles was da iſt und dein Herz nur forſchen kann: Das iſt alles ein Vorbild der himmliſchen Pomp. “*)L. c. p. 480. 338. 340. 323.
J. Böhm’n konnte nicht ein despotiſcher Machtſpruch als Erklärungsgrund der Natur genügen; die Natur lag ihm zu ſehr im Sinne und auf dem Herzen; er verſuchte daher eine natürliche Erklärung der Natur; aber er fand na -118 türlicher und nothwendiger Weiſe keine andern Erklärungs - gründe als eben die Qualitäten der Natur, die den tiefſten Eindruck auf ſein Gemüth machten. J. Böhm — dieß iſt ſeine weſentliche Bedeutung — iſt ein myſtiſcher Naturphilo - ſoph, ein theoſophiſcher Vulkaniſt*)Merkwürdiger Weiſe wandelte der Philosophus teutonicus wie geiſtig, ſo auch phyſiſch auf vulkaniſchem Grunde. „ Die Stadt Gör - litz iſt durchaus mit lauter Baſalt gepflaſtert. “ Charpentier Mineral. Geographie der Churſächſiſchen Lande. p. 19. und Neptuniſt, denn im „ Feuer und Waſſer urſtänden nach ihm alle Dinge. “ Die Natur hatte Jakob’s religiöſes Gemüth fascinirt — nicht umſonſt empfing er von dem Glanze eines zinnernen Geſchir - res ſein myſtiſches Licht — aber das religiöſe Gemüth webt nur in ſich ſelbſt; es hat nicht die Kraft, nicht den Muth, zur Anſchauung der Dinge in ihrer Wirklichkeit zu dringen; es erblickt Alles durch das Medium der Religion, Alles in Gott, d. h. Alles im entzückenden, das Gemüth ergreifenden Glanze der Imagination, Alles im Bilde und als Bild. Aber die Natur afficirte ſein Gemüth entgegengeſetzt; er mußte dieſen Gegenſatz daher in Gott ſelbſt ſetzen — denn die Annahme von zwei ſelbſtſtändig exiſtirenden entgegengeſetzten Urprinci - pien hätte ſein religiöſes Gemüth zerriſſen — er mußte in Gott ſelbſt unterſcheiden ein ſanftes, wohlthätiges und ein grimmiges, verzehrendes Weſen. Alles Feurige, Bittere, Herbe, Zuſammenziehende, Finſtere, Kalte kommt aus einer göttlichen Herbigkeit, Bitterkeit, alles Milde, Glänzende, Erwärmende, Weiche, Sanfte, Nachgiebige aus einer milden, ſanften, erleuch - tenden Qualität in Gott. „ Das ſeynd nun die Creaturen auf Erden, im Waſſer und in der Luft, die Vögel, eine jede Crea - tur aus ſeiner eignen Scientz, aus Gutem und Böſem .....119 wie man das vor Augen ſiehet, daß gute und böſe Creaturen ſeynd; als gifftige Thiere und Würmer nach dem Centrum der Natur der Finſterniß, aus Gewalt der grimmen Eigen - ſchaft, welche auch nur begehren im Finſtern zu wohnen, als da ſind diejenigen, ſo in den Löchern wohnen und ſich vor der Sonnen verbergen. An jedes Thieres Eſſen und Wohnung ſiehet man, woraus das herkommen ſey, denn eine jede Creatur begehret in ſeiner Mutter zu wohnen und ſehnet ſich nach ihr, wie das klar vor Augen iſt. “ „ Das Gold, Silber, Edelgeſteine und alles lichte Ertzt hat ſeinen Ur - ſprung vom Lichte, welches vor den Zeiten des Zornes ꝛc. geſchienen hat. “ „ Alles was im Weſen dieſer Welt weich, ſanft und dünn iſt, das iſt ausfließend und ſich ſelber ge - bend und iſt deſſen Grund und Urſtand nach der Einheit der Ewigkeit, da die Einheit immerdar von ſich ausfleußt, wie man dann an dem Weſen der Dünnheit, als am Waſſer und Lufft keine Empfindlichkeit oder Peinen verſtehet, was daſſelbe Weſen einig in ſich ſelber iſt. “ *)L. c. p. 468, 617 — 18.Kurz, der Himmel iſt ſo reich als die Erde. Alles was auf der Erde, iſt im Himmel, was in der Natur, in Gott. Aber hier iſt es göttlich, himmliſch, dort irdiſch, ſichtbarlich, äußerlich, materiell, aber doch daſſelbe. „ Wann ich nun ſchreibe von Bäumen, Stau - den und Früchten, ſo mußt Du es nicht irdiſch, gleich dieſer Welt verſtehen, dann das iſt nicht meine Meinung, daß im Himmel wachſe ein todter harter hölzerner Baum oder Stein der in irdiſcher Qualität ſtehet. Nein, ſondern meine Meinung iſt himmliſch und geiſtlich, aber doch wahrhaftig und eigentlich, alſo ich meine kein ander120 Ding, als wie ich’s in Buchſtaben ſetze, “d. h. im Him - mel ſind dieſelben Bäume und Blumen, aber die Bäume im Himmel ſind die Bäume, wie ſie in meiner Imagination duften und blühen, ohne grobe materielle Eindrücke auf mich zu machen; die Bäume auf Erden die Bäume in meiner ſinn - lichen, wirklichen Anſchauung. Der Unterſchied iſt der Unterſchied zwiſchen Imagination und Anſchauung. „ Nicht iſt das mein Fürnehmen, ſagt er ſelbſt, daß ich wollte aller Sternen Lauff, Ort oder Namen beſchreiben oder wie ſie jährlich ihre Conjunction oder Gegenſchein oder Quadrat und dergleichen haben, was ſie jährlich und ſtündlich wirken. Wel - ches durch die lange Verjährung iſt erfahren worden von den hochweiſen und klugen Geiſtreichen Menſchen, durch fleißiges Anſchauen und Auffmerken und tiefen Sinn und Rechnen. Ich habe daſſelbe auch nicht gelernet und ſtudiret und laſſe daſſelbe die Gelehrten handeln: ſondern mein Fürnehmen iſt nach dem Geiſt und Sinne zu ſchreiben, und nicht nach dem Anſchauen. “*)L. c. p. 339, p. 69.
Die Lehre von der Natur in Gott will durch den Natu - ralismus den Theismus, namentlich den Theismus, wel - cher das höchſte Weſen als ein perſönliches Weſen betrachtet, begründen. Der perſönliche Theismus denkt ſich aber Gott als ein von allem Materiellen abgeſondertes perſönliches We - ſen; er ſchließt von ihm alle Entwicklung aus, weil dieſe nichts andres iſt als die Selbſtabſonderung eines Weſens von Zu - ſtänden und Beſchaffenheiten, die ſeinem wahren Begriffe nicht entſprechen. Aber in Gott findet dieß nicht ſtatt, weil in ihm Anfang, Ende, Mitte ſich nicht unterſcheiden laſſen, weil er121 mit einem Mal iſt, was er iſt, von Anbeginn an ſo iſt, wie er ſein ſoll, ſein kann; er iſt die reine Einheit von Sein und Weſen, Realität und Idee, That und Wille. Deus suum Esse est. Der Theismus ſtimmt hierin mit dem Weſen der Religion überein. Alle auch noch ſo poſitiven Religionen beruhen auf Abſtraction; ſie unterſcheiden ſich nur in Dem, was geſetzt wird als Das, wovon abſtrahirt werden ſoll. Auch die Homeriſchen Götter ſind bei aller Lebenskräftigkeit und Menſchenähnlichkeit abſtracte Geſtalten; ſie haben Leiber wie die Menſchen, aber doch keine ſo plumpe, beſchwerliche, beſchränkte, keine ſterbliche. Die erſte Beſtimmung des gött - lichen Weſens iſt: es iſt ein abgeſondertes, deſtillirtes Weſen. Es verſteht ſich von ſelbſt, daß dieſe Abſtraction keine willkührliche, ſondern durch den weſentlichen Standpunkt des Menſchen beſtimmte iſt. So wie er iſt, ſo wie er über - haupt denkt, ſo abſtrahirt er.
Die Abſtraction drückt ein Urtheil aus — ein bejahen - des und verneinendes zugleich, Lob und Tadel. Was der Menſch lobt und preiſt, das iſt ihm Gott;*)Quidquid enim unus quisque super caetera colit: hoc illi Deus est. (Origenes Explan. in Epist. Pauli ad Rom. c. l.) was er tadelt, verwirft, das Ungöttliche. Die Religion iſt ein Urtheil — die Affirmation deſſen, was der Menſch als ſein Weſen an - ſchaut. Was dem Menſchen werth und theuer, das gibt er nicht den zerſtörenden Elementen der Außenwelt preis; er ver - wahrt es in ſein Schatzkäſtchen, d. h. er macht es zu einem unantaſtbaren Heiligthum. Die weſentlichſte Beſtimmung in der Religion, in der Idee des göttlichen Weſens iſt demnach die Abſcheidung des Preiswürdigen vom Tadelhaften, des Vollkommnen vom Unvollkommnen, kurz des Poſitiven vom122 Negativen. Der Cultus ſelbſt beſteht in nichts Anderm als in der fortwährenden Erneuerung des Urſprungs der Religion — in der kritiſchen, aber feierlichen Sonderung des Göttlichen vom Ungöttlichen.
Das göttliche Weſen iſt das durch den Tod der Ab - ſtraction verklärte menſchliche Weſen — der abgeſchie - dene Geiſt des Menſchen. In der Religion befreit ſich der Menſch von den Schranken des Lebens; hier läßt er fallen, was ihn drückt, hemmt, widerlich afficirt; Gott iſt das von aller Widerlichkeit befreite Selbſtgefühl des Men - ſchen; frei, glücklich, ſelig fühlt ſich der Menſch nur in ſeiner Religion, weil er nur hier ſeinem Genius lebt, ſeinen Sonn - tag feiert. Die Vermittlung, die Begründung der göttlichen Idee liegt für ihn außer dieſer Idee — die Wahrheit derſel - ben ſchon im Urtheil, darin, daß Alles, was er von Gott ausſchließt, die Bedeutung des Ungöttlichen, das Ungöttliche aber die Bedeutung des Nichtigen hat. Würde er die Ver - mittlung dieſer Idee in die Idee ſelbſt aufnehmen, ſo würde ſie ihre weſentlichſte Bedeutung, ihren wahren Werth, ihren beſeligenden Zauber verlieren. Das göttliche Weſen iſt die reine, von allem Andern, allem Objectiven losgemachte, ſich nur zu ſich ſelbſt verhaltende, nur ſich ſelbſt genie - ßende, ſich ſelbſt feiernde Subjectivität des Menſchen — ſein ſubjectivſtes Selbſt, ſein Innerſtes. Der Proceß der Abſonderung, der Scheidung des Intelligenten vom Nicht-in - telligenten, der Perſönlichkeit von der Natur, des Vollkomm - nen vom Unvollkommnen fällt daher nothwendig in das Sub - ject, nicht in das Object, und die Idee der Gottheit nicht an den Anfang, ſondern an das Ende der Sinnlichkeit, der Welt, der Natur — „ wo die Natur aufhört, fängt Gott an “123— weil Gott das Non plus ultra, die letzte Gränze der Abſtraction iſt. Das, wovon ich nicht mehr abſtrahiren kann, iſt Gott, — der letzte Gedanke, den ich zu faſſen fähig bin — der letzte, d. i. der höchſte. Id quo majus nihil cogi - tari potest, Deus est. Daß nun dieſes Omega der Sinn - lichkeit auch das Alpha wird, iſt leicht begreiflich, aber das Weſentliche iſt, daß es das Omega iſt. Das Alpha iſt erſt die Folge; weil es das Letzte, ſo iſt es auch das Erſte. Und das Prädicat: das erſte Weſen hat keineswegs ſogleich kosmo - goniſche Bedeutung, ſondern nur die Bedeutung des höchſten Ranges. Die Schöpfung in der moſaiſchen Religion hat den Zweck, Jehovah das Prädicat des höchſten und erſten, des wahren, ausſchließlichen Gottes im Gegenſatz zu den Götzen zu ſichern*)„ Ich bin der Herr, der alles thut. “ „ Ich bin der Herr und iſt keiner mehr. “ „ Ich bin Gott und keiner mehr. “ „ Ich bin es der Herr, beides der Erſte und der Letzte. “ Jesaias c. 41 — 47. Hieraus ergibt ſich die erſt ſpäter ausführlicher zu entwickelnde Bedeutung der Creation..
Dem Beſtreben, die Perſönlichkeit Gottes durch die Natur begründen zu wollen, liegt daher eine unlautere, heilloſe Ver - miſchung der Philoſophie und Religion, eine völlige Kritik - und Bewußtloſigkeit über die Geneſis des perſönlichen Gottes zu Grunde. Wo die Perſönlichkeit für die weſentliche Beſtimmung Gottes gilt, wo es heißt: ein unperſönlicher Gott iſt kein Gott, da gilt die Perſönlichkeit ſchon an und für ſich für das Höchſte und Realſte, da liegt das Urtheil zu Grunde: was nicht Perſon, iſt todt, iſt Nichts; nur perſönliches Sein iſt reales, iſt abſolutes Sein, iſt Leben und Wahrheit; die Natur iſt aber unperſönlich, alſo ein nich -124 tiges Ding. Die Wahrheit der Perſönlichkeit ſtützt ſich nur auf die Unwahrheit der Natur: die Perſönlichkeit iſt Alles, weil die Natur Nichts iſt. Die Perſönlichkeit von Gott prä - diciren heißt nichts andres als die Perſönlichkeit für das ab - ſolute Weſen erklären; aber die Perſönlichkeit wird nur im Unterſchiede, in der Abſtraction von der Natur erfaßt. Freilich iſt ein nur perſönlicher Gott ein abſtracter Gott; aber das ſoll er ſein, das liegt in ſeinem Begriffe; denn er iſt nichts andres als das ſich außer allen Zuſammenhang mit der Welt ſetzende, ſich von aller Abhängigkeit von der Natur freimachende perſönliche Weſen des Menſchen. In der Perſönlichkeit Gottes feiert der Menſch die Ueber - natürlichkeit, Unſterblichkeit, Unabhängigkeit, Unbe - ſchränktheit ſeiner eignen Perſönlichkeit.
Das Bedürfniß eines perſönlichen Gottes hat überhaupt darin ſeinen Grund, daß der perſönliche Menſch erſt in der Perſönlichkeit bei ſich ankommt, erſt in ihr Sich findet. Sub - ſtanz, reiner Geiſt, bloße Vernunft genügt ihm nicht, iſt ihm zu abſtract, d. h. drückt nicht ihn ſelbſt aus, führt ihn nicht auf ſich zurück. Befriedigt, glücklich iſt aber der Menſch nur, wo er bei ſich, bei ſeinem Weſen iſt. Je perſönlicher daher ein Menſch, deſto ſtärker iſt für ihn das Bedürfniß eines perſön - lichen Gottes. Der freie Geiſt kennt nichts Höheres, als die Freiheit; er braucht ſie nicht an ein perſönliches Weſen anzu - knüpfen; die Freiheit iſt ihm durch ſich ſelbſt, als ſolche, ein reales, poſitives Weſen. Ein mathematiſcher, aſtronomiſcher Kopf, ein reiner Verſtandesmenſch, ein objectiver Menſch, der nicht in ſich befangen iſt, der frei und glücklich ſich nur fühlt in der Anſchauung objectiv vernünftiger Verhältniſſe, in der Vernunft, die in den Dingen ſelbſt liegt, ein ſolcher wird125 die Spinoziſche Subſtanz oder eine ähnliche Idee als ſein höch - ſtes Weſen feiern, voller Antipathie gegen einen perſönlichen, d. i. ſubjectiven Gott. Jacobi war darum ein claſſiſcher, weil (in dieſer Beziehung wenigſtens) conſequenter, mit ſich einiger Philoſoph. Wie ſein Gott, ſo war ſeine Philoſophie — per - ſönlich, ſubjectiv. Der perſönliche Gott kann nicht anders wiſſenſchaftlich begründet werden, als wie ihn Jacobi und ſeine Schüler begründeten. Die Perſönlichkeit bewährt ſich nur auf ſelbſt perſönliche Weiſe.
Sicherlich läßt ſich, ja ſoll ſich die Perſönlichkeit auf na - türlichem Wege begründen; aber nur dann, wann ich aufhöre, im Dunkeln des Myſticismus zu munkeln, wenn ich heraus - trete an den hellen lichten Tag der wirklichen Natur, und den Begriff des perſönlichen Gotres mit dem Begriff der Perſön - lichkeit überhaupt vertauſche. Aber in den Begriff des per - ſönlichen Gottes, deſſen poſitiver Begriff eben die befreite, abgeſchiedene, von der einſchränkenden Kraft der Na - tur erlöſte Perſönlichkeit iſt, eben dieſe Natur wieder ein - zuſchwärzen, das iſt eben ſo verkehrt, als wenn ich in den Nektar der Götter Braunſchweiger Mumme miſchen wollte, um dem ätheriſchen Trank eine ſolide Grundlage zu geben. Allerdings laſſen ſich nicht aus dem himmliſchen Safte, der die Götter nährt, die Beſtandtheile des animaliſchen Blutes ableiten. Allein die Blume der Sublimation entſteht nur durch Verflüchtigung der Materie; wie kannſt Du alſo in der ſubli - mirten Subſtanz eben die Stoffe vermiſſen, von welchen Du ſie geſchieden? Allerdings läßt ſich das unperſönliche Weſen der Natur nicht aus dem Begriffe der Perſönlichkeit erklären. Erklären heißt Begründen; aber wo die Perſönlichkeit eine Wahrheit oder vielmehr die abſolute Wahrheit iſt, da hat die126 Natur keine poſitive Bedeutung und folglich auch keinen poſitiven Grund. Die eigentliche Schöpfung aus Nichts iſt hier allein der zureichende Erklärungsgrund; denn ſie ſagt nichts weiter als: die Natur iſt Nichts, ſpricht alſo präcis die Bedeutung aus, welche die Natur für die abſolute Perſön - lichkeit hat.
Die Schöpfung iſt das ausgeſprochene Wort Gottes, das ſchöpferiſche kosmogenetiſche Wort, das innerliche, mit dem Gedanken identiſche Wort. Ausſprechen iſt ein Willensact, die Schöpfung alſo ein Product des Willens. Wie der Menſch in dem Worte Gottes die Göttlichkeit des Wortes, ſo bejaht er in der Schöpfung die Göttlichkeit des Willens, und zwar nicht des Willens der Vernunft, ſondern des Willens der Einbildungskraft, des abſolut ſubjectiven, unbe - ſchränkten Willens. Der höchſte Gipfel des Subjectivi - tätsprincips iſt die Schöpfung aus Nichts. Wie die Ewigkeit der Welt oder Materie nichts weiter bedeutet als die Weſen - haftigkeit der Materie; ſo bedeutet die Schöpfung der Welt aus Nichts weiter nichts als die Nichtigkeit der Welt. Mit dem Anfang eines Dings iſt unmittelbar dem Begriffe, wenn auch nicht der Zeit nach, das Ende deſſelben geſetzt. Der An - fang der Welt iſt der Anfang ihres Endes. Wie gewonnen, ſo zerronnen. Der Wille hat ſie ins Daſein gerufen, der Wille ruft ſie wieder zurück ins Nichts. Wann? die Zeit iſt gleich - gültig. Das Schwert, das ihr Todesurtheil vollſtreckt, ſchwebt ſtets über ihrem Nacken. Ihr Sein oder Nichtſein hängt127 nur vom Willen ab. Aber dieſer Wille iſt nicht ihr eigner Wille — kein Ding kann ſein Nichtſein wollen — aber auch ſchon deßwegen nicht, weil ſie ſelbſt willenlos iſt. Daß ſie alſo nichtig iſt, das iſt nur die Kraft des Willens. Der Wille, daß ſie iſt, iſt in Einem der Wille, wenigſtens der mögliche Wille, daß ſie nicht iſt. Die Exiſtenz der Welt iſt daher eine momentane, willkührliche, unzuverläſſige, d. h. eben nichtige Exiſtenz.
Die Schöpfung aus Nichts iſt der höchſte Ausdruck der Allmacht. Aber die Allmacht iſt nichts als die allen objecti - ven Beſtimmungen und Begränzungen ſich entbindende, dieſe ihre Ungebundenheit als die höchſte Macht und Weſenheit feiernde Subjectivität — die Macht des Vermögens, ſubjectiv alles Wirkliche als ein Unwirkliches, alles Vorſtellbare als ein Mögliches zu ſetzen — die Macht der Einbildungskraft oder des mit der Einbildungskraft identiſchen Willens, die Macht der Willkühr*)Der tiefere Urſprung der Schöpfung aus Nichts liegt im Gemüth — was eben ſo wohl direct als indirect in dieſer Schrift ausgeſprochen und be - wieſen wird. Die Willkühr aber iſt eben der Wille des Gemüths, die Kraftäußerung des Gemüths nach Außen.. Der bezeichnendſte, ſtärkſte Aus - druck ſubjectiver Willkühr iſt das Belieben, das Wohlgefallen. — „ Es hat Gott beliebt, eine Körper - und Geiſterwelt ins Daſein zu rufen “— der unwiderſprechlichſte Beweis, daß die eigne Subjectivität, die eigne Willkühr als das höchſte We - ſen, als allmächtiges Weltprincip geſetzt wird. Die Schöpfung aus Nichts als ein Werk des allmächtigen Wil - lens fällt aus dieſem Grunde in eine Kategorie mit dem Wunder**)Creatio est miraculosa. Albertus M. (I. P. Summae de qua - tuor coaequaevis. Qu. I. art. 8.) Darum iſt auch die Schöpfung aus Nichts, oder vielmehr ſie iſt das erſte Wunder nicht128 nur der Zeit, ſondern auch dem Range nach — das Prin - cip, aus dem ſich alle weitern Wunder von ſelbſt ergeben. Der Beweis iſt die Geſchichte ſelbſt. Alle Wunder hat man aus der Allmacht, die die Welt aus Nichts geſchaffen, gerechtfer - tigt, erklärt und veranſchaulicht. Wer die Welt aus Nichts gemacht, wie ſollte der nicht aus Waſſer Wein machen, aus einem Efel menſchliche Worte hervorbringen, aus einem Felſen Waſſer hervorzaubern können? Aber das Wunder iſt, wie wir weiter ſehen werden, nur ein Product und Object der Ein - bildungskraft — alſo auch die Schöpfung aus Nichts als das primitive Wunder. Man hat deßwegen die Lehre von der Schöpfung aus Nichts für eine übernatürliche erklärt, auf welche die Vernunft nicht von ſelbſt hätte kommen können und ſich auf die heidniſchen Philoſophen berufen, als welche aus einer ſchon vorhandenen Materie die Welt durch die göttliche Vernunft bilden ließen. Allein dieſes übernatürliche Princip iſt kein andres, als das Princip der Subjectivität, welches ſich im Chriſtenthume zur unbeſchränkten Univerſalmonarchie erhob, während die alten Philoſophen nicht ſo ſubjectiv waren, das abſolut ſubjective Weſen als das ſchlechtweg, das ausſchließlich abſolute Weſen zu erfaſſen, weil ſie durch die Anſchauung der Welt oder Wirklichkeit die Subjectivität beſchränkten — weil ihnen die Welt eine Wahrheit war.
Die Schöpfung aus Nichts iſt, als identiſch mit dem Wunder, eins mit der Vorſehung; denn die Idee der Vor - ſehung iſt — urſprünglich, in ihrer wahren religiöſen Bedeu - tung, wo ſie noch nicht bedrängt und beſchränkt worden durch den ungläubigen Verſtand — eines mit der Idee des**)der natuͤrlichen Vernunft unbegreiflich, nur ein Articulus fidei, wie der - ſelbe ſagt: de mirab. sci. Dei. P. I. Tract. 13. Qu. 53. membr. I. 129 Wunders. Der Beweis der Vorſehung iſt das Wunder*)Certissimum divinae providentiae testimonium praebent miracula. H. Grotius de verit. rel. christ. l. I. §. 13.. Der Glaube an die Vorſehung iſt der Glaube an eine Macht, der alle Dinge zu beliebigem Gebrauche und Gebote ſtehen, deren Kraft gegenüber alle Macht der Wirklichkeit Nichts iſt. Die Vorſehung hebt die Geſetze der Natur auf; ſie un - terbricht den Gang der Nothwendigkeit, das eiſerne Band, das unvermeidlich die Folge an die Urſache knüpft; kurz ſie iſt der - ſelbe unbeſchränkte, allgewaltige Wille, der die Welt aus Nichts ins Sein gerufen. Das Wunder iſt eine Crea - tio ex nihilo, eine Schöpfung aus Nichts. Wer Wein aus Waſſer macht, der macht Wein aus Nichts, denn der Stoff zum Wein liegt nicht im Waſſer; widrigensfalls wäre die Her - vorbringung des Weins keine wunderbare, ſondern natürliche Handlung. Aber nur im Wunder bewährt, beweiſt ſich die Vorſehung. Daſſelbe, was die Schöpfung aus Nichts, ſagt daher die Vorſehung aus. Die Schöpfung aus Nichts kann nur im Zuſammenhang mit der Vorſehung, mit dem Wunder begriffen und erklärt werden; denn das Wunder will eigentlich nichts weiter ausſagen, als daß der Wunderthäter Derſelbe iſt, welcher die Dinge durch ſei - nen bloßen Willen aus Nichts hervorgebracht — Gott, der Schöpfer.
Die Vorſehung bezieht ſich aber weſentlich auf den Menſchen. Um des Menſchen willen macht die Vor - ſehung mit den Dingen, was ſie nur immer will, um ſeinet - willen hebt ſie die Gültigkeit und Realität des ſonſt allmäch - tigen Geſetzes auf. Die Bewunderung der Vorſehung in der Natur, namentlich der Thierwelt, iſt nichts andres als eineFeuerbach. 9130Bewunderung der Natur und gehört daher nur dem, wenn auch religiöſen, Naturalismus an*)Der religiöſe Naturalismus iſt allerdings auch ein Moment der chriſtlichen — mehr noch der moſaiſchen, ſo thierfreundlichen Religion. Aber er iſt keineswegs das charakteriſtiſche, das chriſtliche Moment der chriſtlichen Religion. Die chriſtliche, die religiöſe Vorſehung iſt eine ganz andere, als die Vorſehung, welche die Lilien kleidet und die Raben ſpeiſt. Die natürliche Vorſehung laͤßt den Menſchen im Waſſer unterſin - ken, wenn er nicht ſchwimmen gelernt hat, aber die chriſtliche, die religiöſe Vorſehung führt ihn an der Hand der Allmacht über das Waſſer hinweg.; denn in der Natur offen - bart ſich auch nur die natürliche, nicht die göttliche Vor - ſehung, die Vorſehung, wie ſie Gegenſtand der Reli - gion. Die religiöſe Vorſehung offenbart ſich nur im Wunder — vor Allem im Wunder der Menſchwerdung, dem Mittelpunkt der Religion. Aber wir leſen nirgends, daß Gott um der Thiere willen Thier geworden ſei — ein ſolcher Ge - danke ſchon iſt in den Augen der Religion ein ruchloſer, gott - loſer — oder daß Gott überhaupt Wunder um der Thiere oder Pflanzen willen gethan habe. Im Gegentheil: wir le - ſen, daß ein armer Feigenbaum, weil er keine Früchte trug zu einer Zeit, wo er keine tragen konnte, verflucht wurde, nur um den Menſchen ein Beiſpiel zu geben, was für eine Macht der Glaube über die Natur ſei, daß die dämoniſchen Plage - geiſter zwar den Menſchen aus -, aber dafür den Thieren eingetrieben wurden. Wohl heißt es: „ kein Sperling fällt ohne des Vaters Willen vom Dach; “aber dieſe Sperlinge ha - ben nicht mehr Werth und Bedeutung, als die Haare auf des Menſchen Haupt, die alle gezählt ſind.
Das Thier hat — abgeſehen vom Inſtinkt — keinen an - dern Schutzgeiſt, keine andere Vorſehung als ſeine Sinne oder überhaupt Organe. Ein Vogel, der ſeine Augen verliert, hat131 ſeine Schutzengel verloren; er geht nothwendig zu Grunde, wenn nicht ein Wunder geſchieht. Aber wir leſen wohl, daß ein Rabe dem Propheten Elias Speiſen gebracht habe, nicht jedoch (wenigſtens meines Wiſſens), daß je um ſeinetwillen ein Thier auf andere Weiſe als natürliche erhalten worden ſei. Wenn nun aber ein Menſch glaubt, daß auch er keine andere Vorſehung habe, als die Kräfte ſeiner Gattung, ſeine Sinne, ſeinen Verſtand; ſo iſt er in den Augen der Religion und aller Derer, welche der Religion das Wort reden, ein ir - religiöſer Menſch, weil er nur eine natürliche Vorſehung glaubt, die natürliche Vorſehung aber eben in den Augen der Religion ſo viel als keine iſt. Die Vorſehung bezieht ſich darum weſentlich nur auf den Menſchen — ſelbſt unter den Menſchen eigentlich nur auf die religiöſen. „ Gott iſt der Heiland aller Menſchen, ſonderlich aber der Gläubigen. “ Sie gehört wie die Religion nur dem Menſchen an — ſie ſoll den weſentlichen Unterſchied des Menſchen vom Thiere ausdrücken, den Menſchen der Gewalt der Naturmächte ent - reißen. Jonas im Leibe des Fiſches, Daniel in der Löwen - grube ſind Beiſpiele, wie die Vorſehung den (religiöſen) Men - ſchen vom Thiere unterſcheidet. Wenn daher die Vorſehung, welche in den Fang - und Freßwerkzeugen der Thiere ſich äu - ßert und von den frommen chriſtlichen Naturforſchern ſo ſehr bewundert wird, eine Wahrheit iſt, ſo iſt die Vorſehung der Bibel, die Vorſehung der Religion eine Lüge, und umgekehrt. Welch’ erbärmliche und zugleich lächerliche Heuchelei, leider, Natur und Bibel zugleich huldigen zu wollen! Die Natur, wie widerſpricht ſie der Bibel! die Bibel, wie widerſpricht ſie der Natur! Der Gott der Natur offenbart ſich darin, daß er dem Löwen die Stärke und ſchicklichen Organe gibt, um zur Erhal -9*132tung ſeines Lebens im Nothfall ſelbſt ein menſchliches Indivi - duum erwürgen und freſſen zu können; der Gott der Bibel aber offenbart ſich darin, daß er das menſchliche Individuum den Freßwerkzeugen des Löwen wieder entreißt*)Der Verfaſſer hatte bei dieſer Entgegenſetzung der religiöſen oder bibliſchen und natürlichen Vorſehung beſonders die fade, bornirte Theologie der engliſchen Naturforſcher vor Augen.!
Die Vorſehung iſt ein Vorzug des Menſchen; ſie drückt den Werth des Menſchen im Unterſchied von den andern na - türlichen Weſen und Dingen aus; ſie entreißt ihn dem Zu - ſammenhange des Weltganzen. Die Vorſehung iſt die Ueberzeugung des Menſchen von dem unendlichen Werth ſei - ner Exiſtenz — eine Ueberzeugung, in der er den Glauben an die Realität der Außendinge aufgibt — der Idealismus der Religion — der Glaube an die Vorſehung daher eins mit dem Glauben an die perſönliche Unſterblichkeit, nur mit dem Unter - ſchiede, daß hier in Beziehung auf die Zeit der unendliche Werth als unendliche Dauer des Daſeins ſich beſtimmt. Wer keine beſondern Anſprüche macht, wer gleichgültig gegen ſich iſt, wer ſich mit der Natur identificirt, wer ſich als einen Theil im Ganzen verſchwinden ſieht, der glaubt keine Vorſehung, d. h. keine beſondere Vorſehung; aber nur die beſondere Vor - ſehung iſt Vorſehung im Sinne der Religion. Der Glaube an die Vorſehung iſt der Glaube an den eignen Werth — daher die wohlthätigen Folgen dieſes Glaubens, aber auch die falſche Demuth, der religiöſe Hochmuth, der ſich zwar nicht auf ſich verläßt, aber dafür dem lieben Gott die Sorge für ſich überläßt — der Glaube des Menſchen an ſich ſelbſt. Gott bekümmert ſich um mich; er beabſichtigt mein Glück, mein Heil; er will, daß ich ſelig werde; aber Daſſelbe will ich133 auch; mein eignes Intereſſe iſt alſo das Intereſſe Gottes, mein eigner Wille Gottes Wille, mein eig - ner Endzweck Gottes Zweck; — die Liebe Gottes zu mir nichts als meine vergötterte Selbſtliebe. Woran glaube ich alſo in der Vorſehung, als an die göttliche Realität und Bedeutung meines eignen Weſens?
Aber wo die Vorſehung geglaubt wird, da wird der Glaube an Gott von dem Glauben an die Vorſehung abhängig ge - macht. Wer läugnet, daß eine Vorſehung iſt, läugnet, daß Gott iſt; oder — was daſſelbe — Gott Gott iſt; denn ein Gott, der nicht die Vorſehung des Menſchen, iſt ein lächer - licher Gott, ein Gott, dem die göttlichſte, anbetungswürdigſte Weſenseigenſchaft fehlt. Folglich iſt der Glaube an Gott nichts als der Glaube an die menſchliche Würde*)Qui Deos negant, Nobilitatem generis humani destruunt. (Baco. Verul. Serm. Fidel. 16.), der Glaube des Menſchen an die abſolute Realität und Bedeutung ſeines Weſens. Aber der Glaube an die (re - ligiöſe) Vorſehung iſt der Glaube an die Schöpfung aus Nichts und vice versa: dieſe kann alſo auch keine andere Bedeutung haben, als die eben entwickelte Bedeutung der Vorſehung, und ſie hat auch wirklich keine andere. Die Religion ſpricht dieß hinlänglich dadurch aus, daß ſie den Menſchen als den Zweck der Schöpfung ſetzt**)Bekanntlich ſagten auch die Stoiker: deorum et hominum causa factum esse mundum, quaeque in eo sint omnia. (Cicero de nat. Deor. l. II.). Alle Dinge ſind um des Menſchen willen, nicht um ihretwillen. Wer dieſe Lehre, wie die from - men chriſtlichen Naturforſcher, als Hochmuth bezeichnet, erklärt das Chriſtenthum ſelbſt für Hochmuth; denn daß die134 „ materielle Welt “um des Menſchen willen iſt, das will unendlich weniger ſagen, als daß Gott oder wenigſtens, wenn wir Paulus folgen, ein Weſen, das faſt Gott, kaum zu un - terſcheiden von Gott iſt, um des Menſchen willen Menſch wird.
Wenn aber der Menſch der Zweck der Schöpfung, ſo iſt er auch der wahre Grund derſelben, denn der Zweck iſt das Princip der Thätigkeit. Der Unterſchied zwiſchen dem Menſchen als Zweck der Schöpfung und dem Menſchen als Grund derſelben iſt nur, daß der Grund der verborgne, inner - liche Menſch, das Weſen des Menſchen, der Zweck aber der ſich offenbare, der empiriſche, individuelle Menſch iſt, daß der Menſch ſich wohl als den Zweck der Schöpfung weiß, aber nicht als den Grund, weil er den Grund, das Weſen als ein andres perſönliches Weſen von ſich unterſcheidet*)Bei Clemens Alex. (Coh. ad gentes) findet ſich eine intereſ - ſante Stelle. Sie lautet in der lateiniſchen Ueberſetzung (der ſchlechten Würzburger Ausgabe 1778): At nos ante mundi constitutionem fuimus, ratione futurae nostrae productionis, in ipso Deo quodammo - do tum praeexistentes. Divini igitur Verbi sive Rationis, nos crea - turae rationales sumus, et per eum primi esse dicimur, quoniam in principio erat Verbum. Hier iſt das menſchliche Weſen — denn dieſes iſt das Geheimniß des Logos, als welcher nichts will und denkt, als das Heil des Menſchen — deutlich genug als das ſchöpferiſche Princip ausgeſprochen.. Allein dieſes andre Weſen, dieſes ſchöpferiſche Princip iſt in der That nichts andres als ſein von den Schranken der Individualität und Materialität, d. i. Objectivität abgeſondertes ſubjec - tives Weſen, der unbeſchränkte Wille, die außer allen Zu - ſammenhang mit der Welt geſetzte Perſönlichkeit, welche ſich durch die Schöpfung, d. h. das Setzen der Welt, der Objec - tivität, des Andern als eines unſelbſtſtändigen, endli - chen, nichtigen Daſeins die Gewißheit ihrer Allein -135 wirklichkeit gibt. Bei der Creation handelt es ſich nicht um die Wahrheit und Realität der Natur oder Welt, ſondern um die Wahrheit und Realität der Perſönlichkeit, der Subjectivität im Unterſchiede von der Welt. Es han - delt ſich um die Perſönlichkeit Gottes; aber die Perſönlichkeit Gottes iſt die von allen Beſtimmungen und Begrän - zungen der Natur befreite Perſönlichkeit des Menſchen. Daher die innige Theilnahme an der Creation, der Ab - ſcheu vor pantheiſtiſchen Kosmogonien; die Creation iſt, wie der perſönliche Gott überhaupt, keine wiſſenſchaftliche, ſon - dern perſönliche Angelegenheit, kein Object der freien Intelligenz, ſondern des Gemüthsintereſſes; denn es han - delt ſich in der Creation nur um die Garantie, die letzte denk - bare Bewährung und Beſcheinigung der Perſönlichkeit oder Subjectivität als einer ganz aparten, gar nichts mit dem We - ſen der Natur gemein habenden, einer ſupra - und extramun - danen Weſenheit*)Hieraus erklärt es ſich, warum alle Verſuche der ſpeculativen Theo - logie und der ihr gleichgeſinnten Philoſophie, von Gott auf die Welt zu kommen oder aus Gott die Welt abzuleiten, mißglücken und mißglücken müſſen. Nämlich darum, weil ſie von Grund aus falſch und verkehrt ſind, nicht wiſſen, worum es ſich eigentlich in der Creation handelt..
Der Menſch unterſcheidet ſich von der Natur. Die - ſer ſein Unterſchied iſt ſein Gott — die Unterſchei - dung Gottes von der Natur nichts andres als die Unterſcheidung des Menſchen von der Natur. Der Gegenſatz von Pantheismus und Perſonalismus oder Anthro - potheismus löſt ſich in die Frage auf: iſt das Weſen des Men - ſchen ein transcendentes oder immanentes, ein ſupra - naturaliſtiſches oder naturaliſtiſches Weſen? Unfrucht -136 bar, eitel, kritiklos, ekelhaft ſind darum die Speculationen und Streitigkeiten über die Perſönlichkeit oder Unperſönlichkeit Got - tes; denn die Speculanten nennen das Kind nicht beim rechten Namen; ſie ſtellen das Licht unter den Scheffel; ſie ſpeculiren in Wahrheit nur über ſich ſelbſt, ſpeculiren ſelbſt nur im Intereſſe ihres eignen Glückſeligkeitstriebes, und doch wollen ſie es nicht Wort haben, daß ſie ſich nur über ſich ſelbſt die Köpfe zerbrechen, ſpeculiren in dem Wahne, die Ge - heimniſſe eines andern Weſens auszuſpähen. Der Pantheis - mus identificirt den Menſchen mit der Natur — ſei es nun mit ihrer augenfälligen Erſcheinung oder ihrem abgezoge - nen Weſen — der Perſonalismus iſolirt, ſeparirt ihn von der Natur, macht ihn aus einem Theile zum Ganzen, zu einem abſoluten Weſen für ſich ſelbſt. Dieß iſt der Unter - ſchied. Wollt ihr daher über dieſe Dinge ins Reine kommen, ſo vertauſcht eure myſtiſche, verkehrte Anthropologie, die ihr Theologie nennt, mit der wirklichen Anthropologie und ſpeculirt im Lichte des Bewußtſeins und der Natur über die Differenz oder Identität des menſchlichen Weſens mit dem Weſen der Natur. Ihr gebt ſelbſt zu, daß das Weſen des pantheiſtiſchen Gottes nichts iſt als das Weſen der Natur. Warum wollt ihr denn nun nur die Splitter in den Augen eurer Gegner, nicht aber die doch ſo leicht wahrnehmbaren Balken in euren eignen Augen bemerken, warum bei euch eine Ausnahme von einem allgemein gültigen Geſetz machen? Alſo gebt auch zu, daß euer perſönlicher Gott nichts andres iſt als euer eigenes perſönliches Weſen, daß ihr, indem ihr die Ueber - und Außernatürlichkeit eures Gottes glaubt und conſtruirt, nichts andres glaubt und conſtruirt als die Ueber - und Außernatürlichkeit eures eignen Selbſtes.
137Wie überall, ſo verdecken auch in der Creation die beigemiſch - ten, allgemeinen, metaphyſiſchen oder ſelbſt pantheiſtiſchen Beſtimmungen das eigentliche Princip der Creation. Aber man braucht nur aufmerkſam zu ſein auf die nähern Beſtimmungen, um ſich zu überzeugen, daß das Princip der Creation nichts andres als die Selbſtbewährung der Subjectivität im Unter - ſchiede von der Natur iſt. Gott producirt die Welt außer ſich — zuerſt iſt ſie nur Gedanke, Plan, Entſchluß, jetzt wird ſie That und damit tritt ſie außer Gott hinaus als ein von ihm unterſchiednes, relativ wenigſtens, ſelbſtſtändiges Object. Aber eben ſo ſetzt die Subjectivität überhaupt, die ſich von der Welt unterſcheidet, ſich als ein von ihr unterſchiednes Weſen, erfaßt die Welt außer ſich als ein andres Weſen — ja dieſes Außerſichſetzen und das Sichunterſcheiden iſt Ein Act. Indem daher die Welt außer Gott geſetzt wird, ſo wird Gott für ſich ſelbſt geſetzt, unterſchieden von der Welt. Was iſt alſo Gott anders als euer ſubjectives Weſen, wenn die Welt außer ihn tritt*)Man kann hiegegen auch nicht einwenden die Allgegenwart Got - tes, das Sein Gottes in allen Dingen, oder das Sein der Dinge in Gott. Denn abgeſehen davon, daß durch den einſtigen wirklichen Untergang der Welt das außer Gott Sein der Welt, d. h. ihre Ungöttlichkeit deutlich ge - nug ausgeſprochen iſt — Gott iſt nur im Menſchen auf ſpecielle Weiſe; aber nur da bin ich zu Hauſe, wo ich ſpeciell zu Hauſe bin. Und das Sein der Dinge in Gott iſt, wo es keine pantheiſtiſche Bedeutung hat, die aber hier wegfällt, eben ſo nur eine Vorſtellung ohne Realität, drückt nicht die ſpeciellen Geſinnungen der Religion aus.? Was anders wird durch dieſe That einge - ſtanden, als was mit Worten geläugnet wird, nämlich, daß das göttliche Weſen das Weſen der eignen Subjectivität iſt? Indem die liſtige Reflexion hinzutritt, ſo wird freilich der Unterſchied zwiſchen Extra und Intra als ein endlicher, menſchlicher (?) 138Unterſchied geläugnet. Aber auf das Läugnen des Verſtandes, der ein purer Miß - und Unverſtand der Religion, iſt nichts zu geben. Iſt es ernſtlich gemeint, ſo zerſtört es das Fundament des religiöſen Bewußtſeins; es hebt die Möglichkeit, ja das Princip der Schöpfung auf, denn ſie beruht nur auf der Rea - lität dieſes Unterſchieds. Ueberdieß geht der Effect der Schö - pfung, die ganze Majeſtät dieſes Actes für Gemüth und Phan - taſie verloren, wenn das Außerſichſetzen nicht im wirklichen Sinne genommen wird. Was heißt denn machen, ſchaffen, hervorbringen anders als etwas, was zunächſt nur ein Sub - jectives, inſofern Unſichtbares, Nichtſeiendes iſt, gegenſtändlich machen, verſinnlichen, ſo daß nun auch andre, von mir unter - ſchiedne Weſen es kennen und genießen, alſo Etwas außer mich ſetzen, zu etwas von mir Unterſchiedenem machen? Wo nicht die Wirklichkeit oder Möglichkeit eines Außer mir Seins iſt, da iſt von Machen, Schaffen keine Rede. Gott iſt ewig, aber die Welt entſtanden; Gott war, als die Welt noch nicht war; Gott iſt unſichtbar, unſinnlich; aber die Welt iſt ſinnlich, ma - teriell; alſo außer Gott; denn wie wäre das Materielle als ſolches, die Maſſe, der Stoff in Gott? Die Welt iſt in dem - ſelben Sinne außer Gott, in welchem der Baum, das Thier, die Welt überhaupt außer meiner Vorſtellung, außer mir ſelbſt iſt — ein von der Subjectivität unterſchiednes Weſen. Nur da, wo ein ſolches Außerſichſetzen zugegeben wird, wie bei den ältern Theologen, haben wir daher die unverfälſchte, unver - miſchte Lehre des religiöſen Bewußtſeins. Die ſpeculativen Theologen dagegen ſchwärzen allerlei pantheiſtiſche Beſtim - mungen mit ein, obwohl ſie das Princip des Pantheismus negiren, aber ſie bringen deßwegen auch nur ein abſolut ſich widerſprechendes, unausſtehliches Geſchöpf zur Welt.
139Die Schöpfung der Welt drückt nichts aus als die Sub - jectivität, welche ſich durch das Bewußtſein, daß die Welt er - ſchaffen, ein Product des Willens, d. h. eine ſelbſtloſe, machtloſe, nichtige Exiſtenz iſt, die Gewißheit der eignen Realität und Unendlichkeit gibt. Das Nichts, aus dem die Welt hervorgebracht wurde, iſt ihr eignes Nichts. Indem Du ſagſt: die Welt iſt aus Nichts gemacht, denkſt Du Dir die Welt ſelbſt als Nichts, räumſt Du alle Schranken Deiner Phantaſie, Deines Gemüths, Deines Willens aus dem Kopfe; denn die Welt iſt die Schranke Deines Willens, Dei - nes Gemüths; die Welt allein bedrängt Deine Subjectivi - tät; ſie allein iſt die Scheidewand zwiſchen Dir und Gott, Deinem ſeligen vollkommen Weſen. Du ver - nichteſt alſo ſubjectiv die Welt; Du denkſt Dir Gott allein für ſich, d. h. die ſchlechthin unbeſchränkte Subjecti - vität, die Subjectivität, die ſich ſelbſt allein genießt, die nicht der Welt bedarf, die nichts weiß von den ſchmerz - lichen Banden der Materie. Im innerſten Grunde Dei - ner Seele willſt Du, daß keine Welt ſei; denn wo Welt iſt, da iſt Materie, und wo Materie, da iſt Druck und Stoß, Raum und Zeit, Schranke und Nothwendigkeit. Gleichwohl iſt aber doch eine Welt, doch eine Materie. Wie kommſt Du aus der Klemme dieſes Widerſpruchs hinaus? Wie ſchlägſt Du Dir die Welt aus dem Sinne, daß ſie Dich nicht ſtört in dem Wonnegefühl der unbeſchränkten Subjectivität? Nur dadurch, daß Du die Welt ſelbſt zu einem Willensproduct machſt, daß Du ihr eine willkührliche, ſtets zwiſchen Sein und Nicht - ſein ſchwebende, ſtets ihrer Vernichtung gewärtige Exiſtenz gibſt. Allerdings läßt ſich die Welt, oder die Materie — denn beide laſſen ſich nicht trennen — nicht aus dem Creationsacte er -140 klären; aber es iſt gänzlicher Mißverſtand, ſolche Forderung an die Creation zu ſtellen; denn es liegt dieſer der Gedanke zu Grunde: es ſoll keine Welt, keine Materie ſein; und es wird daher auch täglich ihrem Ende ſehnlichſt entgegengeharrt. Die Welt in ihrer Wahrheit exiſtirt hier gar nicht; ſie iſt nur als der Druck, die Schranke der Subjectivität Gegenſtand; wie ſollte die Welt in ihrer Wahrheit und Wirklichkeit aus ei - nem Princip, das die Welt negirt, ſich deduciren, begründen laſſen?
Um die entwickelte Bedeutung der Creation zu erkennen, bedenke man nur dieß Eine ernſtlich, daß es ſich in der Crea - tion keineswegs um die Schöpfung von Kraut und Vieh, von Waſſer und Erde, für die ja kein Gott iſt, ſondern um die Schöpfung von perſönlichen Weſen, von Geiſtern, wie man zu ſagen pflegt, handelt. Gott iſt der Begriff oder die Idee der Perſönlichkeit als ſelbſt Perſon, die in ſich ſelbſt ſeiende von der Welt abgeſchloſſene Subjectivität, das als ab - ſolutes Sein und Weſen geſetzte bedürfnißloſe Fürſichſelbſtſein, das Ich ohne Du. Da aber das abſolute nur für ſich ſelbſt Sein dem Begriffe des wahren Lebens, dem Begriffe der Liebe widerſpricht, da das Selbſtbewußtſein weſentlich gebunden iſt an das Bewußtſein eines Du, da in die Dauer wenigſtens die Einſamkeit ſich nicht vor dem Gefühle der Langweiligkeit und Einförmigkeit bewahren kann: ſo wird ſogleich von dem göttlichen Weſen fortgeſchritten zu andern bewußten Weſen, der Begriff der Perſönlichkeit, der zuvörderſt nur in Ein We - ſen condenſirt iſt, zu einer Vielheit von Perſonen erweitert*)Hier iſt auch der Punkt, wo die Creation uns nicht nur die göttliche Macht, ſondern auch die göttliche Liebe repräſentirt. Quia bonus est (Deus), sumus. (Augustin.) Anfangs, vor der Welt war Gott allein für. 141Wird die Perſon phyſiſch gefaßt, als wirklicher Menſch, als welcher ſie ein bedürftiges Weſen iſt, ſo tritt ſie erſt am Ende der phyſiſchen Welt, wenn die Bedingungen ihrer Exiſtenz vor - handen, als der Endzweck der Creation auf. Wird dagegen der Menſch abſtract als Perſon gedacht, wie es von der reli - giöſen Speculation geſchieht, ſo iſt dieſer Umweg abgeſchnit - ten; es handelt ſich in gerader Linie um die Deduction der Perſon, d. h. um die Selbſtbegründung, die letzte Selbſt - bewährung der menſchlichen Perſönlichkeit. Zwar wird die göttliche Perſönlichkeit auf alle mögliche Weiſe von der menſch - lichen diſtinguirt, um ihre Identität zu verſchleiern; aber dieſe Unterſchiede ſind entweder rein phantaſtiſche oder bloße Ver - ſicherungen, Vorſpiegelungen, welche die That der Deduction in ihrer Nichtigkeit zeigt. Alle poſitiven Gründe der Creation reduciren ſich nur auf die Beſtimmungen, auf ſolche Gründe, welche dem Ich das Bewußtſein der Nothwendigkeit eines an - dern perſönlichen Weſens aufdrängen. Speculirt ſo viel als ihr wollt: ihr werdet nie eure Perſönlichkeit aus Gott heraus - bringen, wenn ihr ſie nicht ſchon vorher hineingebracht habt, wenn nicht Gott ſelbſt ſchon der Begriff eurer Perſönlichkeit, euer eignes ſubjectives Weſen iſt.
Die Creationslehre ſtammt aus dem Judenthum; ſie iſt ſelbſt die charakteriſtiſche Lehre, die Fundamentallehre der jüdi - ſchen Religion. Das Princip, das ihr hier zu Grunde liegt, iſt aber nicht ſowohl das Princip der Subjectivität, als viel - mehr des Egoismus. Die Creationslehre in ihrer charakte - riſtiſchen Bedeutung entſpringt nur auf dem Standpunkt, wo der Menſch praktiſch die Natur nur ſeinem Willen und Be - dürfniß ſubjicirt, und daher auch in ſeiner Vorſtellungskraft zu einem bloßen Machwerk, einem Product des Willens degra - dirt. Jetzt iſt ihm ihr Daſein erklärt, indem er ſie aus ſich, in ſeinem Sinne erklärt und auslegt. Die Frage: woher iſt die Natur oder Welt? ſetzt eigentlich eine Verwunderung dar - über voraus, daß ſie iſt, oder die Frage: warum ſie iſt? Aber dieſe Verwunderung, dieſe Frage entſteht nur da, wo ſich der Menſch bereits von der Natur ſeparirt und ſie zu einem bloßen Willensobject gemacht hat. Der Verfaſſer des Buchs der Weisheit ſagt mit Recht, daß „ die Heiden vor Bewun - derung der Schönheit der Welt ſich nicht zum Begriffe des Schöpfers erhoben hätten. “ Wem die Natur ein ſchönes Object iſt, dem erſcheint ſie als Zweck ihrer ſelbſt, für den hat ſie den Grund ihres Daſeins in ſich ſelbſt, in dem entſteht nicht die Frage: warum iſt ſie? Der Begriff der Na - tur und Gottheit identificirt ſich in ſeinem Bewußtſein, ſeiner Anſchauung von der Welt. Die Natur, wie ſie in ſeine Sinne fällt, iſt ihm wohl entſtanden, erzeugt, aber nicht er - ſchaffen im eigentlichen Sinne, im Sinne der Religion, nicht ein willkührliches Product, nicht gemacht. Und mit dieſem Entſtandenſein drückt er nichts Arges aus; die Entſtehung in - volvirt für ihn nichts Unreines, Ungöttliches; er denkt ſich143 ſeine Götter ſelbſt als entſtanden. Die zeugende Kraft iſt ihm die erſte Kraft: er ſetzt als Grund der Natur daher eine Kraft der Natur; eine reale, gegenwärtige, in ſeiner Anſchauung ſich bethätigende Kraft als Grund der Realität. So denkt der Menſch, wo er ſich äſthetiſch oder theoretiſch — denn die theo - retiſche Anſchauung iſt urſprünglich die äſthetiſche, die Aeſthetik die prima philosophia — zur Welt verhält, wo ihm der Be - griff der Welt der Begriff des Kosmos, der Herrlichkeit, der Göttlichkeit ſelbſt iſt. Nur da, wo ſolche Anſchauung Grund - princip war, konnten Gedanken gefaßt und ausgeſprochen wer - den, wie der des Anaxagoras: der Menſch ſei geboren zur Anſchauung der Welt*)Bei Diogenes L. lib. II. c. III. §. 6. heißt es wörtlich „ zur An - ſchauung der Sonne, des Mondes und des Himmels. “ Aehnliche Gedanken bei andern Philoſophen. So ſagten auch die Stoiker: Ipse autem homo ortus est ad mundum contemplandum et imitandum. (Cic. de nat.) . Der Standpunkt der Theorie iſt der Standpunkt der Harmonie mit der Welt. Die ſub - jective Thätigkeit, diejenige, in welcher der Menſch ſich be - friedigt, ſich freien Spielraum läßt, iſt hier allein die ſinnliche Einbildungskraft. Er läßt hier, indem er ſich befriedigt, zu - gleich die Natur in Frieden gewähren und beſtehen, indem er ſeine Luftſchlöſſer, ſeine poetiſchen Kosmogonien nur aus na - türlichen Materialien zuſammenſetzt. Wo dagegen der Menſch nur auf den praktiſchen Standpunkt ſich ſtellt und von dieſem aus die Welt betrachtet, den praktiſchen Standpunkt ſelbſt zum theoretiſchen macht, da iſt er entzweit mit der Natur, da macht er die Natur zur unterthänigſten Dienerin ſei - nes ſelbſtiſchen Intereſſes, ſeines praktiſchen Egoismus’s. Der theoretiſche Ausdruck dieſer egoiſtiſchen, praktiſchen An - ſchauung, welcher die Natur an und für ſich ſelbſt Nichts144 iſt, iſt: die Natur oder Welt iſt gemacht, geſchaffen, ein Pro - duct des Befehls. Gott ſprach: es werde die Welt und es ward die Welt, d. i. Gott befahl: es werde die Welt und ohne Verzug ſtand ſie auf dieſen Befehl hin da*)Hebraei Numen verbo quidquid videtur efficiens describunt et quasi imperio omnia creata tradunt, ut facilitatem in eo quod vult efficiendo, summamque ejus in omnia potentiam ostendant. Psal. 33, 6. Verbo Jehovae coeli facti sunt. Ps. 148, 5. Ille jussit eaque creata sunt. J. Clericus. Comment. in Mosem. Genes. I. v. 3. .
Aber der Utilismus iſt die weſentliche Anſchauung des Judenthums. Der Glaube an eine beſondere göttliche Vor - ſehung iſt charakteriſtiſcher Glaube des Judenthums; der Glaube an die Vorſehung der Glaube an Wunder; der Glaube an Wunder aber iſt es, wo die Natur nur als ein Object der Willkühr, des Egoismus, der eben die Natur nur zu willkühr - lichen Zwecken gebraucht, angeſchaut wird**)Quidquid est creatum, δυνάμει tale est, ut possit ex quocun - que fieri quodlibet, respectu omnipotentiae Dei et misericor - diae. C. Peucer de praec. divinationum generibus. p. 81. Servestae 1591.. Das Waſſer theilt ſich entzwei oder ballt ſich zuſammen, wie eine feſte Maſſe, der Staub verwandelt ſich in Läuſe, der Stab in eine Schlange, der Fluß in Blut, der Felſen in eine Quelle, an demſelben Orte iſt es zugleich Licht und Finſterniß, die Sonne ſteht bald ſtille in ihrem Laufe, bald geht ſie zurück. Und alle dieſe Widernatürlichkeiten geſchehen zum Beſten Iſraels, le - diglich auf Befehl Jehovah’s, der ſich um nichts als Iſrael kümmert, nichts iſt als die perſonificirte Selbſtſucht des iſraeli - tiſchen Volks, mit Ausſchluß aller andern Völker, die abſolute Intoleranz — das Geheimniß des Monotheismus.
Die Griechen betrachteten die Natur mit den theoretiſchen Sinnen; ſie vernahmen himmliſche Muſik in dem harmoniſchen145 Laufe der Geſtirne; ſie ſahen aus dem Schaume des allgebä - renden Oceans die Natur in der Geſtalt der Venus Anadyo - mene emporſteigen. Die Iſraeliten dagegen öffneten der Na - tur nur die gaſtriſchen Sinne; nur im Gaumen fanden ſie Ge - ſchmack an der Natur; nur im Genuſſe des Manna wurden ſie ihres Gottes inne. „ Zwiſchen Abend ſollt ihr Fleiſch zu eſſen haben und am Morgen Brots ſatt werden und inne werden, daß ich der Herr euer Gott bin. “ *)Moſe II. c. 16, 12.Eſſen iſt der feierlichſte Act oder doch die Initiation der jüdiſchen Religion. Im Eſſen feiert und erneuert der Iſraelite den Creationsact; im Eſſen erklärt der Menſch die Natur für ein an ſich nich - tiges Object. Als die ſiebenzig Aelteſten mit Moſe den Berg hinanſtiegen, da „ ſahen ſie Gott und da ſie Gott ge - ſchauet hatten, tranken und aßen ſie. “ **)Moſe II. 24, 10, 11. Tantum abest, bemerkt ein Exeget, ut mor - tui sint, ut contra convivium hilares celebrarint.Der Anblick des höchſten Weſens beförderte alſo bei ihnen nur den Appetit zum Eſſen. „ Und Jacob that ein Gelübde und ſprach: So Gott wird mit mir ſein und mich behüten auf dem Wege, den ich reiſe, und Brot zu eſſen geben und Kleider anzuziehen und mich mit Frieden wieder heim zu meinem Vater bringen, ſo ſoll der Herr mein Gott ſein. “***)Moſe I. c. 28, 20.
Der Grieche trieb Humaniora, die Artes liberales, die Philoſophie; der Iſraelite erhob ſich nicht über das Brotſtu - dium der Theologie. Dem Griechen war die Natur ein Diamant; er konnte ſich nicht ſatt ſehen an ſeinem wundervol - len Farbenſpiel, an ſeinen regelmäßigen Formen, an ſeinerFeuerbach. 10146himmliſchen Klarheit und Durchſichtigkeit; er erblickte in ihm ſeinen reinen, von keinem praktiſchen Egoismus getrübten Geiſt im Spiegel; er erkannte Vernunft, Geiſt in der Natur; er blickte in ihre Tiefe — darum war ihm die Natur ewig. Kurz, der Grieche betrachtete die Natur mit den Augen des enthu - ſiaſtiſchen Mineralogen, der Jude mit den Augen des ſeinen Vortheil berechnenden Mineralienhändlers.
Die Juden haben ſich in ihrer Eigenthümlichkeit bis auf den heutigen Tag erhalten. Ihr Princip, ihr Gott iſt das praktiſchſte Princip von der Welt — der Egoismus und zwar der Egoismus in der Form der Religion. Der Egoismus iſt der Gott der ſeine Diener nicht zu Schanden werden läßt. Der Egoismus iſt weſentlich monotheiſtiſch, denn er hat nur Eines, nur Sich zum Zweck. Der Egoismus ſammelt, concentrirt den Menſchen auf ſich; er gibt ihm ein con - ſiſtentes Lebensprincip; aber er macht ihn theoretiſch bornirt, weil gleichgültig gegen Alles, was nicht unmittelbar auf das Wohl des Selbſt ſich bezieht. Die Wiſſenſchaft entſteht daher — wie die Kunſt, nur aus dem Polytheismus, denn der Polytheismus iſt der offne, neidloſe Sinn für alles Schöne und Gute ohne Unterſchied, der Sinn für die Welt, für das Univerſum. Die Griechen ſahen ſich in der weiten Welt um, um ihren Geſichtskreis zu erweitern; die Juden beten noch heute mit gen Jeruſalem gekehrtem Geſichte. Kurz, der monotheiſti - ſche Egoismus raubte den Iſraeliten den freien theoretiſchen Trieb und Sinn. Salomo allerdings übertraf „ alle Kinder gegen Morgen “an Verſtand und Weisheit und redete (han - delte, agebat) ſogar „ von Bäumen, von der Ceder zu Li - banon bis zu dem Yſop, der an der Wand wächſt, “auch von147 „ Vieh, Vögeln, von Gewürme und von Fiſchen. “ (I. Könige 4, 30 — 34.) Aber Salomo diente auch dem Jehovah nicht mit ganzem Herzen; Salomo huldigte fremden Göttern und Weibern; Salomo hatte alſo polytheiſtiſchen Sinn und Geſchmack. Der polytheiſtiſche Sinn iſt die Grundlage der Wiſſenſchaft. Naturſtudium iſt vom Standpunkt des Jehovah aus Götzendienſt; denn der Naturforſcher vertieft ſich in den Gegenſtand um des Gegenſtandes willen; er wid - met ihm enthuſiaſtiſche, göttliche Verehrung. Kein Studium iſt wahr, fruchtbar, productiv ohne Enthuſiasmus. Ein der Wiſſenſchaft unwürdiges, ein feiles Subject iſt Jeder, dem ſein Gegenſtand nicht der höchſte, der abſolute iſt. Heilig muß dem Menſchen ſein, was er zum weſentlichen Gegenſtand ſeines Lebens und Denkens macht. Heuchelei iſt alle Wiſſen - ſchaftlichkeit mit einer ihrem Gegenſtande fremden Religioſität. In der Wiſſenſchaft gilt keine andre als die wiſſenſchaft - liche Frömmigkeit — die Pietät gegen die Wiſſenſchaft, die Geſinnung der Gründlichkeit, der Treue, der Aufrichtigkeit, der Wahrhaftigkeit, mit welcher ſich der Menſch ſeinem Gegen - ſtande ergibt.
Eins nun mit dieſer Bedeutung, welche die Natur überhaupt für den Hebräer hatte, iſt auch die Bedeutung ihres Urſprungs. In der Art, wie ich mir die Geneſis eines Dings erkläre, ſpreche ich nur unverhohlen meine Meinung, meine Geſinnung von demſelben aus. Denke ich deſpectirlich davon, ſo denke ich mir auch einen deſpectirlichen Urſprung. Das Ungeziefer, die In - ſecten leiteten ſonſt die Menſchen vom Aas und ſonſtigem Un - rath ab. Nicht weil ſie das Ungeziefer von einem ſo unappe - titlichen Urſprung ableiteten, dachten ſie ſo verächtlich davon, ſondern weil ſie ſo dachten, weil ihnen ihr Weſen ſo verächt -10*148lich erſchien, dachten ſie ſich einen, dieſem Weſen entſprechen - den, einen verächtlichen Urſprung. Den Juden war die Natur ein bloßes Mittel zum Zwecke des Egoismus, ein bloßes Wil - lensobject. Das Ideal, der Abgott des egoiſtiſchen Willens iſt aber der Wille, welcher unbeſchränkt gebietet, welcher, um ſeinen Zweck zu erreichen, ſein Object zu realiſiren, keiner Mit - tel bedarf, welcher, was er nur immer will, unmittelbar durch ſich ſelbſt, d. h. den bloßen Willen ins Daſein ruft. Den egoiſtiſchen Menſchen ſchmerzt es, daß die Befriedigung ſeiner Wünſche und Bedürfniſſe eine vermittelte iſt, daß für ihn eine Kluft vorhanden iſt zwiſchen der Realität und dem Wunſche, zwiſchen dem Zwecke in der Wirklichkeit und dem Zwecke in der Vorſtellung. Er ſetzt daher, um dieſen Schmerz zu heilen, um ſich frei zu machen von den Schranken der Wirklichkeit als das wahre, als ſein höchſtes Weſen das Weſen, welches durch das bloße: Ich will den Gegenſtand hervorbringt. Deßwegen war dem Hebräer die Natur, die Welt das Product eines dic - tatoriſchen Wortes, eines kategoriſchen Imperativs, eines zauberiſchen Machtſpruchs.
Was für mich keine theoretiſche Bedeutung hat, was mir kein Weſen in der Theorie iſt, dafür habe ich auch keinen theoretiſchen, keinen poſitiven Grund. Durch den Wil - len bekräftige, realiſire ich nur ſeine theoretiſche Nich - tigkeit. Was wir verachten, das würdigen wir keines Blickes. Was man anſieht, achtet man. Anſchauung iſt Anerken - nung. Was man anſchaut, das feſſelt durch geheime An - ziehungskräfte, das überwältigt durch den Zauber, den es auf das Auge ausübt, den frevelnden Uebermuth des Willens, der Alles nur ſich unterwerfen will. Was einen Eindruck auf den theoretiſchen Sinn, auf die Vernunft macht, das entzieht ſich149 der Herrſchaft des egoiſtiſchen Willens; es reagirt, leiſtet Wi - derſtand. Was der vertilgungsſüchtige Egoismus dem Tode weiht, das gibt die liebevolle Theorie dem Leben wieder.
Die ſo ſehr verkannte Ewigkeit der Materie oder Welt bei den heidniſchen Philoſophen hat keinen andern Sinn, als daß ihnen die Natur eine theoretiſche Realität war*)Uebrigens dachten ſie bekanntlich verſchieden hierüber. (S. z. B. Aristoteles de coelo l. I. c. 10.) Aber ihre Differenz iſt eine untergeord - nete, da das ſchaffende Weſen bei ihnen mehr oder weniger ſelbſt ein kosmi - ſches Weſen iſt.. Die Heiden waren Götzendiener, d. h. ſie ſchauten die Natur an; ſie thaten nichts andres, als was die tiefchriſtlichen Völ - ker heute thun, wenn ſie die Natur zum Gegenſtande ihrer Bewunderung, ihrer unermüdlichen Forſchung machen. „ Aber die Heiden beteten ja die Naturgegenſtände an. “ Allerdings; allein die Anbetung iſt nur die kindliche, die religiöſe Form der Anſchauung. Anſchauung und Anbetung unterſcheiden ſich nicht weſentlich. Was ich anſchaue, vor dem demüthige ich mich, dem weihe ich das Herrlichſte, was ich habe, mein Herz, meine Intelligenz zum Opfer. Auch der Naturforſcher fällt vor der Natur auf die Kniee nieder, wenn er eine Flechte, ein Inſect, einen Stein ſelbſt mit Lebensgefahr aus der Tiefe der Erde hervorgräbt, um ihn im Lichte der Anſchauung zu verherrlichen und im Andenken der wiſſenſchaftlichen Menſch - heit zu verewigen. Naturſtudium iſt Naturdienſt, und Götzendienſt nichts als die erſte Naturanſchauung des Menſchen; denn die Religion iſt nichts andres als die erſte, darum kindliche, volksthümliche, aber befangene, unfreie Natur - und Selbſtanſchauung des Menſchen. Die Hebräer dagegen150 erhoben ſich über den Götzendienſt zum Gottesdienſte, über die Creatur zur Anſchauung des Creators, d. h. ſie erhoben ſich über die theoretiſche Anſchauung der Natur, welche den Götzendiener bezauberte, zur rein praktiſchen Anſchauung, welche die Natur nur den Zwecken des Egoismus unterwirft. „ Daß Du auch nicht Deine Augen aufhebeſt gen Himmel und ſeheſt die Sonne und den Mond und die Sterne, das ganze Heer des Himmels und falleſt ab und beteſt ſie an und dieneſt ih - nen, welche der Herr, dein Gott verordnet hat (d. i. geſchenkt, largitus est) allen Völkern unter dem ganzen Himmel. “ *)Deuteron, c. 4, 19.Nur in der unergründlichen Tiefe und Gewalt des hebräi - ſchen Egoismus hat alſo die Schöpfung aus Nichts, d. h. die Schöpfung als ein bloßer befehlshaberiſcher Act, ihren Ur - ſprung.
Aus dieſem Grunde iſt auch die Schöpfung aus Nichts kein Object der Philoſophie — wenigſtens in keiner andern Weiſe, als in welcher ſie hier es iſt — denn ſie ſchneidet mit der Wurzel alle wahre Speculation ab, bietet dem Denker, der Theorie keinen Anhaltpunkt dar; ſie iſt eine für die Theorie bodenloſe, aus der Luft gegriffene Lehre, die nur den Utilismus, den Egoismus bewahrheiten ſoll, nichts enthält, nichts andres ausdrückt, als den Befehl, die Natur nicht zu einem Gegen - ſtande des Denkens, der Anſchauung, ſondern der Nutznießung zu machen. Aber freilich je leerer ſie für die natürliche Phi - loſophie, um ſo tiefer iſt ihre „ ſpeculative “Bedeutung; denn eben weil ſie keinen theoretiſchen Anhaltspunkt hat, läßt ſie der Speculation einen unendlichen Spielraum zu willkührlicher bodenloſer Deutelei.
151Es iſt in der Geſchichte der Dogmen und Speculationen, wie in der Geſchichte der Staaten. Uralte Gebräuche und In - ſtitute ſchleppen ſich mit fort, nachdem ſie längſt ihren Sinn verloren. Was einmal geweſen, das will ſich nicht mehr das Recht nehmen laſſen, für immer zu ſein; was einmal gut war, das will nun auch für alle Zeiten gut ſein. Hinterdrein kom - men dann die Deutler, die Speculanten und ſprechen von dem tiefen Sinne, weil ſie den wahren Sinn nicht mehr kennen*)Aber natürlich nur bei der abſoluten Religion, denn bei den andern Religionen heben ſie die uns fremden, ihrem urſprünglichen Sinn und Zweck nach unbekannten Vorſtellungen und Gebräuche als ſinnlos und lächerlich hervor. Und doch iſt in der That die Verehrung des Kuhurins, den der Parſe und Indier trinkt, um Vergebung der Suͤnden zu erhalten, nicht lächerlicher als die Verehrung des Haarkamms oder eines Fetzens vom Rocke der Mutter Gottes.. So betrachtet auch die religiöſe Speculation die Dogmen, los - geriſſen aus dem Zuſammenhang, in welchem ſie allein Sinn haben; ſie reducirt ſie nicht kritiſch auf ihren wahren innern Urſprung; ſie macht vielmehr das Secundäre zum Primitiven und das Primitive zum Secundären. Gott iſt ihr das Erſte; der Menſch das Zweite. So kehrt ſie die natürliche Ordnung der Dinge um! Das Erſte iſt gerade der Menſch, das Zweite das ſich gegenſtändliche Weſen des Menſchen: Gott. Nur in der ſpätern Zeit, wo die Religion bereits Fleiſch und Blut geworden, kann man ſagen: wie der Gott ſo der Menſch, ob - wohl auch dieſer Satz immer nur eine Tautologie ausdrückt. Aber im Urſprung iſt es anders und nur im Urſprung kann man Etwas in ſeinem wahren Weſen erkennen. Erſt ſchafft der Menſch Gott nach ſeinem Bilde und dann erſt ſchafft wieder dieſer Gott den Menſchen nach ſeinem Bilde. Dieß152 beſtätigt vor Allem der Entwicklungsgang der iſraelitiſchen Religion. Daher der Satz der theologiſchen Halbheit, daß die Offenbarung Gottes gleichen Schritt mit der Entwicklung des Menſchengeſchlechts hält. Natürlich; denn die Offenbarung Gottes iſt nichts andres als die Offenbarung, die Selbſtent - faltung des menſchlichen Weſens. Nicht aus dem Creator ging der ſupranaturaliſtiſche Egoismus der Juden hervor, ſon - dern umgekehrt jener aus dieſem: in der Creation rechtfertigte nun gleichſam vor dem Forum ſeiner Vernunft der Iſraelite ſeinen Egoismus.
Allerdings konnte ſich auch der Iſraelite als Menſch, wie leicht begreiflich, ſelbſt ſchon aus praktiſchen Gründen, nicht der theoretiſchen Anſchauung und Bewunderung der Natur ent - ziehen. Aber er feiert nur die Macht und Größe Jehovahs, indem er die Macht und Größe der Natur feiert. Und dieſe Macht Jehovahs hat ſich am herrlichſten gezeigt in den Wun - derwerken, die ſie zum Beſten Iſraels gethan. Es bezieht ſich alſo der Iſraelite in der Feier dieſer Macht immer zuletzt auf ſich ſelbſt; er feiert die Größe der Natur nur aus demſelben Intereſſe, aus welchem der Sieger die Stärke ſeines Gegners vergrößert, um dadurch ſein Selbſtgefühl zu ſteigern, ſeinen Ruhm zu verherrlichen. Groß und gewaltig iſt die Natur, die Jehovah gemacht, aber noch gewaltiger, noch größer iſt Iſraels Selbſtgefühl. Um ſeinetwillen ſteht die Sonne ſtille; um ſeinetwillen erbebt nach Philo bei der Verkündigung des Geſetzes die Erde; kurz, um ſeinetwillen verändert die ganze Natur ihr Weſen. „ Die ganze Creatur, ſo ihre eigene Art hatte, veränderte ſich wieder nach Deinem Ge - bote, dem ſie dient, auf daß Deine Kinder unverſehrt153 bewahrt würden. “ *)Weisheit, 19, 6.Gott gab Moſe nach Philo Macht über die ganze Natur. Jedes der Elemente gehorchte ihm als dem Herrn der Natur. **)S. Gfrörer’s Philo.Iſraels Bedürfniß iſt das all - mächtige Weltgeſetz, Iſraels Nothdurft das Schickſal der Welt. Jehovah iſt das Bewußtſein Iſraels von der Heilig - keit und Nothwendigkeit ſeiner Exiſtenz — eine Nothwendig - keit, vor welcher das Sein der Natur, das Sein anderer Völ - ker in Nichts verſchwindet — Jehovah die Salus populi, das Heil Iſraels, dem Alles was im Wege ſteht aufgeopfert wer - den muß, Jehovah das ausſchließliche, monarchiſche Selbſtge - fühl, das vernichtende Zornfeuer in dem racheglühenden Auge des vertilgungsſüchtigen Iſraels, kurz, Jehovah das Ich Iſraels, das ſich als der Endzweck und Herr der Natur Gegenſtand iſt. So feiert alſo der Iſraelite in der Macht der Natur die Macht Jehovahs und in der Macht Jehovahs die Macht des eignen Selbſtbewußtſeins. „ Gelobt ſei Gott! Iſt Hülfsgott uns, ein Gott zu unſerm Heil. “ „ Jehovah Gott iſt meine Kraft. “ „ Gott ſelbſt des Helden (Joſua) Wort gehorchte, denn Er, Jehovah ſelbſt ſtritt mit vor Iſrael. “ „ Jehovah iſt Kriegsgott. “***)Nach Herder.
Wenn ſich gleich im Verlaufe der Zeit der Begriff des Jehovah in einzelnen Köpfen erweiterte und ſeine Liebe, wie von dem Verfaſſer des Buchs Jona, auf die Menſchen über - haupt ausgedehnt wurde, ſo gehört dieß doch nicht zur weſent - lichen Charakteriſtik der iſraelitiſchen Religion. Der Gott der Väter, an den ſich die theuerſten Erinnerungen knüpfen, der154 alte hiſtoriſche Gott bleibt doch immer die Grundlage einer Religion*)Die Bemerkung ſtehe noch hier, daß allerdings die Bewunderung der Macht und Herrlichkeit Gottes überhaupt, ſo auch Jehovahs in der Natur zwar nicht im Bewußtſein des Iſraeliten, aber doch in Wahr - heit nur die Bewunderung der Macht und Herrlichkeit der Natur iſt. (S. hierüber P. Bayle, Ein Beitrag ꝛc. p. 25 — 29.) Aber dieß förmlich zu beweiſen, liegt außer unſerm Plan, da wir uns hier nur auf das Chriſten - thum, d. h. die Verehrung Gottes im Menſchen (Deum colimus per Christum. Tertullian. Apolog. c. 21.) beſchränken. Gleichwohl iſt jedoch das Princip dieſes Beweiſes auch in dieſer Schrift ausgeſprochen..
Iſrael iſt die hiſtoriſche Definition der ſpecifiſchen Natur des religiöſen Bewußtſeins, nur daß dieſes hier noch mit der Schranke eines beſondern, des Nationalintereſſes behaftet war. Wir dürfen daher dieſe Schranke nur fallen laſſen, ſo haben wir die chriſtliche Religion. Das Judenthum iſt das welt - liche Chriſtenthum, das Chriſtenthum das geiſtliche Ju - denthum. Die chriſtliche Religion iſt die vom National - egoismus gereinigte jüdiſche Religion, allerdings zugleich eine neue, andere Religion; denn jede Reformation, jede Reinigung bringt, namentlich in religiöſen Dingen, wo ſelbſt das Unbe - deutende Bedeutung hat, eine weſentliche Veränderung her - vor. Dem Juden war der Iſraelite der Mittler, das Band zwiſchen Gott und Menſch; er bezog ſich in ſeiner Beziehung auf Jehovah auf ſich als Iſraeliten; Jehovah war ſelbſt nichts andres als die Identität, das ſich als abſolutes Weſen gegen - ſtändliche Selbſtbewußtſein Iſraels, das Nationalgewiſſen, das155 allgemeine Geſetz, der Centralpunkt der Politik*)„ Der größte Theil der hebräiſchen Poeſie, den man oft nur fuͤr geiſtlich hält, iſt politiſch. “ Herder.. Laſſen wir die Schranke des Nationalbewußtſeins fallen, ſo bekommen wir ſtatt des Iſraeliten — den Menſchen. Wie der Iſraelite in Jehovah ſein Nationalweſen vergegenſtändlichte, ſo vergegen - ſtändlichte ſich der Chriſt in Gott ſein von der Schranke der Nationalität befreites, menſchliches und zwar ſubjectiv menſch - liches Weſen. Wie Iſrael das Bedürfniß, die Noth ſeiner Exiſtenz zum Geſetz der Welt machte, wie es in dieſem Bedürf - niß ſelbſt ſeine politiſche Rachſucht vergötterte; ſo machte der Chriſt die Bedürfniſſe des menſchlichen Gemüths zu den abſo - luten Mächten und Geſetzen der Welt. Die Wunder des Chriſtenthums, die eben ſo weſentlich zur Charakteriſtik deſſel - ben gehören, als die Wunder des A. T. zur Charakteriſtik des Judenthums, haben nicht das Wohl einer Nation zu ihrem Gegenſtande, ſondern das Wohl des Menſchen — aller - dings nur des chriſtgläubigen, denn das Chriſtenthum an - erkannte den Menſchen nur unter der Bedingung, der Be - ſchränkung der Chriſtlichkeit, im Widerſpruch mit dem wahr - haft, dem univerſell menſchlichen Herzen, aber dieſe verhäng - nißvolle Beſchränkung kommt erſt ſpäter zur Sprache. Das Chriſtenthum hat den Egoismus des Judenthums zur Sub - jectivität vergeiſtigt — obwohl ſich auch innerhalb des Chri - ſtenthums dieſe Subjectivität wieder, z. B. im Herrnhutianis - mus, als purer Egoismus ausgeſprochen — das Verlangen nach irdiſcher Glückſeligkeit, das Ziel der iſraelitiſchen Religion, in die Sehnſucht himmliſcher Seligkeit, das Ziel des Chriſtenthums, verwandelt.
156Der höchſte Begriff, der Gott eines politiſchen Gemein - weſens, eines Volks, deſſen Politik aber in der Form der Religion ſich ausſpricht, iſt das Geſetz, das Bewußtſein des Geſetzes als einer abſoluten, göttlichen Macht; der höchſte Begriff, der Gott des unweltlichen, unpolitiſchen menſchlichen Gemüths, die Liebe — die Liebe, die dem Geliebten alle Schätze und Herrlichkeiten im Himmel und auf Erden zum Opfer bringt, die Liebe, deren Geſetz der Wunſch des Ge - liebten und deren Macht die unbeſchränkte Macht der Phan - taſie, der intellectuellen Wunderthätigkeit iſt.
Gott iſt die Liebe, die unſre Wünſche, unſre Gemüthsbe - dürfniſſe befriedigt — Er iſt ſelbſt der realiſirte Wunſch des Herzens, der zur Gewißheit ſeiner Erfüllung, ſeiner Realität, zur zweifelloſen Gewißheit, vor der kein Widerſpruch des Ver - ſtandes, kein Einwand der Erfahrung, der Außenwelt beſteht, geſteigerte Wunſch. Gewißheit iſt für den Menſchen die höchſte Macht; was ihm gewiß, das iſt ihm das Seiende, das Gött - liche. Gott iſt die Liebe — dieſer Ausſpruch, der höchſte des Chriſtenthums — iſt nur der Ausdruck von der Selbſt - gewißheit des menſchlichen Gemüthes, von der Gewiß - heit ſeiner als der allein ſeienden, d. i. abſoluten, göttli - chen Macht — der Ausdruck von der Gewißheit, daß des Menſchen innere Herzenswünſche objective Gültigkeit und Rea - lität haben, daß es keine Schranke, keinen poſitiven Gegenſatz des menſchlichen Gemüths gibt, daß die ganze Welt mit aller ihrer Herrlichkeit und Pracht Nichts iſt gegen das menſchliche Gemüth. Gott iſt die Liebe — d. h. das Gemüth iſt der Gott des Menſchen, ja Gott ſchlechtweg, das abſolute Weſen. Gott iſt das ſich gegenſtändliche Weſen des Gemüths, das ſchrankenfreie, reine Gemüth — Gott157 iſt der in das Tempus finitum, in das gewiſſe ſelige Iſt verwandelte Optativ des menſchlichen Herzens, die rückſichts - loſe Allmacht des Gefühls, das ſich ſelbſt erhörende Gebet, das ſich ſelbſt vernehmende Gemüth, das Echo unſerer Schmerzenslaute. Aeußern muß ſich der Schmerz; unwill - kührlich greift der Künſtler nach der Laute, um in ihren Tö - nen ſeinen eignen Schmerz auszuhauchen. Er befriedigt ſei - nen Schmerz, indem er ihn vernimmt, indem er ihn vergegen - ſtändlicht; er erleichtert die Laſt, die auf ſeinem Herzen ruht, indem er ſie der Luft mittheilt, ſeinen Schmerz zu einem all - gemeinen Weſen macht. Aber die Natur erhört nicht die Klagen des Menſchen — ſie iſt gefühllos gegen ſeine Leiden. Der Menſch wendet ſich daher weg von der Natur, weg von den ſichtbaren Gegenſtänden überhaupt — er kehrt ſich nach Innen, um hier verborgen und geborgen vor den gefühlloſen Mächten, Gehör für ſeine Leiden zu finden. Hier ſpricht er ſeine drückenden Geheimniſſe aus, hier macht er ſeinem ge - preßten Herzen Luft. Dieſe freie Luft des Herzens, die - ſes ausgeſprochne Geheimniß, dieſer entäußerte Seelen - ſchmerz iſt Gott. Gott iſt eine Thräne der Liebe in tiefſter Verborgenheit, vergoſſen über das menſchliche Elend. „ Gott iſt ein unausſprechlicher Seufzer, im Grund der Seelen gelegen “— dieſer Ausſpruch*)Sebaſtian Frank von Wörd in Zinkgrafs Apophthegmata deutſcher Nation. iſt der merkwürdigſte, tiefſte, wahrſte Ausſpruch der chriſtlichen Myſtik.
Das tiefſte Weſen der Religion offenbart der einfachſte Act der Religion — das Gebet — ein Act, der unendlich mehr oder wenigſtens eben ſo viel ſagt, als das Dogma der158 Incarnation, obgleich die religiöſe Speculation daſſelbe als das größte Myſterium anſtiert. Aber freilich nicht das Gebet vor und nach der Mahlzeit, das Maſtgebet des Egoismus, ſondern das ſchmerzensreiche Gebet, das Gebet der troſtloſen Liebe, das Gebet, welches die den Menſchen zu Boden ſchmet - ternde Macht ſeines Herzens ausdrückt, das Gebet, welches in der Verzweiflung beginnt und in der Seligkeit endet.
Im Gebet redet der Menſch Gott mit Du an; er erklärt alſo laut und vernehmlich Gott für ſein Alter Ego; er beich - tet Gott, als dem ihm nächſten, innigſten Weſen ſeine geheim - ſten Gedanken, ſeine innigſten Wünſche, die er außerdem ſich ſcheut, laut werden zu laſſen. Aber er äußert dieſe Wünſche, in der Zuverſicht, in der Gewißheit, daß ſie erfüllt werden. Wie könnte er ſich an ein Weſen wenden, das kein Ohr für ſeine Klagen hätte? Was iſt alſo das Gebet, als der mit der Zuverſicht in ſeine Erfüllung geäußerte Wunſch des Herzens?*)Es wäre ein ſchwachſinniger Einwand, zu ſagen, Gott erfülle nur die Wünſche, die Bitten, welche in ſeinem Namen oder im In - tereſſe der Kirche Chriſti geſchehen, kurz nur die Wünſche, welche mit ſeinem Willen übereinſtimmen; denn der Wille Gottes iſt eben der Wille des Menſchen, oder vielmehr Gott hat die Macht, der Menſch den Willen: Gott macht den Menſchen ſelig, aber der Menſch will ſelig ſein. Ein einzelner, dieſer oder jener Wunſch kann allerdings nicht erhört werden; aber darauf kommt es nicht an, wenn nur die Gattung, die weſentliche Tendenz genehmigt iſt. Der Fromme, dem eine Bitte fehlſchlägt, tröſtet ſich daher damit, daß die Erfüllung derſelben ihm nicht heilſam geweſen wäre. Nullo igitur modo vota aut preces sunt irritae aut infrugiferae et recte dicitur, in petitione rerum corporalium aliquando Deum exaudire nos, non ad volunta - tem nostram, sed ad salutem. Oratio de precatione. in Decla - mat. Melanchthonis. T. III. was anders das Weſen, das dieſe Wünſche er - füllt, als das ſich ſelbſt Gehör gebende, ſich ſelbſt genehmi -159 gende, ſich ohne Ein - und Widerrede bejahende menſch - liche Gemüth? Der Menſch, der ſich nicht die Vorſtellung der Welt aus dem Kopf ſchlägt, die Vorſtellung, daß Alles hier nur vermittelt iſt, jede Wirkung ihre natürliche Urſache hat, jeder Wunſch nur erreicht wird, wenn er zum Zweck ge - macht und die entſprechenden Mittel ergriffen werden, ein ſol - cher Menſch betet nicht; er arbeitet nur: er verwandelt die er - reichbaren Wünſche in Zwecke reeller Thätigkeit, die übrigen Wünſche, die er als ſubjective erkennt, negirt er oder betrach - tet ſie eben nur als ſubjective, fromme Wünſche. Kurz, er be - ſchränkt, bedingt ſein Weſen durch die Welt, als deren Mit - glied er ſich denkt, ſeine Wünſche durch die Vorſtellung der Nothwendigkeit. Im Gebete dagegen ſchließt der Menſch die Welt und mit ihr alle Gedanken der Vermittlung, der Abhän - gigkeit, der traurigen Nothwendigkeit von ſich aus; er macht ſeine Wünſche, ſeine Herzensangelegenheiten zu Gegenſtänden des unabhängigen, allvermögenden, des abſoluten Weſens, d. h. er bejaht ſie unbeſchränkt. Gott iſt das Jawort des menſch - lichen Gemüths — das Gebet die unbedingte Zuverſicht des menſchlichen Gemüthes zur abſoluten Identität des Sub - jectiven und Objectiven, die Gewißheit, daß die Macht des Herzens größer als die Macht der Natur, daß das Her - zensbedürfniß die abſolute Nothwendigkeit, das Schickſal der Welt iſt. Das Gebet verändert den Na - turlauf — es beſtimmt Gott zur Hervorbringung einer Wir - kung, die mit den Geſetzen der Natur im Widerſpruch ſteht. Das Gebet iſt das abſolute Verhalten des menſch - lichen Herzens zu ſich ſelbſt, zu ſeinem eigenen We - ſen — im Gebete vergißt der Menſch, daß eine Schranke ſei - ner Wünſche exiſtirt, und iſt ſelig in dieſem Vergeſſen.
160Das Gebet iſt die Selbſttheilung des Menſchen in zwei Weſen — ein Dialog des Menſchen mit ſich ſelbſt, mit ſeinem Herzen. Es gehört mit zur Wirkung des Gebets, daß es laut, deutlich, nachdrucksvoll ausgeſprochen wird. Un - willkührlich quillt das Gebet über die Lippen heraus — der Druck des Herzens zerſprengt das Schloß des Mundes. Aber das laute Gebet iſt nur das ſein Weſen offenbarende Gebet: das Gebet iſt weſentlich, wenn auch nicht äußerlich ausge - ſprochene Rede — das lateiniſche Wort oratio bedeutet bei - des — im Gebete ſpricht ſich der Menſch unverhohlen aus über das, was ihn drückt, was ihm überhaupt nahe geht; er vergegenſtändlicht ſein Herz; — daher die moraliſche Kraft des Ge - bets. Sammlung, ſagt man, iſt die Bedingung des Gebets. Aber ſie iſt mehr als Bedingung: das Gebet iſt ſelbſt Sammlung — Beſeitigung aller zerſtreuenden Vorſtellungen, aller ſtörenden Einflüſſe von Außen, Einkehr in ſich ſelbſt, um ſich nur zu ſeinem eignen Weſen zu verhalten. Nur ein zuverſichtliches, aufrichtiges, herzliches, inniges Gebet, ſagt man, hilft, aber dieſe Hülfe liegt im Gebete ſelbſt. Wie überall in der Reli - gion das Subjective, Secundäre, Bedingende die prima causa, die objective Sache ſelbſt iſt — ſo ſind auch hier dieſe ſubjectiven Eigenſchaften das objective Weſen des Gebets ſelbſt*)Aus ſubjectiven Gründen vermag auch mehr das gemein - ſchaftliche als einzelne Gebet. Gemeinſamkeit erhöht die Gemüths - kraft, ſteigert das Selbſtgefühl. Was man allein nicht vermag, ver - mag man mit Andern. Alleingefühl iſt Beſchränktheitsgefühl; Ge - meingefühl Freiheitsgefühl. Darum drängen ſich die Menſchen, von Naturgewalten bedroht, zuſammen. Multorum preces impossibile est, ut non impetrent, inquit Ambrosius … Sanctae orationis fervor quanto inter plures collectior, tanto ardet diutius ac inten -.
161Die oberflächlichſte Anſicht vom Gebet iſt, wenn man in ihm nur einen Ausdruck des Abhängigkeitsgefühles ſieht. Allerdings drückt es ein ſolches aus, aber die Abhängigkeit des Menſchen von ſeinem Herzen, von ſeinen Gefüh - len. Wer ſich nur abhängig fühlt, der öffnet ſeinen Mund nicht zum Gebete; das Abhängigkeitsgefühl nimmt ihm die Luſt, den Muth dazu; denn Abhängigkeitsgefühl iſt Noth - wendigkeitsgefühl. Das Gebet wurzelt vielmehr in dem unbedingten, um alle Nothwendigkeit unbekümmerten Ver - trauen der Subjectivität, daß ihre Angelegenheiten Gegen - ſtand des abſoluten Weſens ſind, daß das allmächtige unend - liche Weſen der Vater der Menſchen, ein theilnehmendes, gefühlvolles, liebendes Weſen iſt, daß alſo die dem Menſchen theuerſten, heiligſten Empfindungen göttliche Reali - täten ſind. Das Kind fühlt ſich aber nicht abhängig von dem Vater als Vater; es hat vielmehr im Vater das Gefühl ſeiner Stärke, das Bewußtſein ſeines Werths, die Bürgſchaft ſeines Daſeins, die Gewißheit der Erfüllung ſeiner Wünſche; auf dem Vater ruht die Laſt der Sorge; das Kind dagegen lebt ſorglos und glücklich im Vertrauen auf den Vater, ſeinen lebendigen Schutzgeiſt, der nichts will, als des Kindes Wohl und Glück. Der Vater macht das Kind zum Zweck, ſich ſelbſt zum Mittel ſeiner Exiſtenz. Das Kind, welches ſeinen Vater um Etwas bittet, wendet ſich nicht an ihn als ein von ihm unterſchiedenes, ſelbſtſtändiges Weſen, als Herrn, als Perſon überhaupt, ſondern an ihn, wie und wiefern er ab - hängig beſtimmt iſt von ſeinen Vatergefühlen, von der*)sius cor Divinum penetrat … Negatur singularitati, quod conceditur charitati. Sacra Hist. de gentis hebr. ortu. P. Pau I. Mezger. Aug. Vind. 1700. p. 668. 669.Feuerbach. 11162Liebe zu ſeinem Kinde*)Trefflich iſt der Begriff des Abhängigkeitsgefühles, der All - macht, des Gebetes, der Liebe in der leſenswuͤrdigen Schrift: Thean - thropos. Eine Reihe von Aphorismen. Zürich. 1838 entwickelt.. Die Bitte iſt nur ein Ausdruck von der Gewalt, die das Kind über den Vater ausübt — wenn man anders den Ausdruck Gewalt hier anwenden darf, da die Gewalt des Kindes nichts iſt, als die Gewalt des Vaterherzens ſelbſt. Die Sprache hat für Bitten und Befehlen dieſelbe Form — den Imperativ. Die Bitte iſt der Imperativ der Liebe. Und der amatoriſche Imperativ hat unendlich mehr Macht als der despotiſche. Die Liebe befiehlt nicht; die Liebe braucht ihre Wünſche nur leiſe anzu - deuten, um ſchon der Erfüllung derſelben gewiß zu ſein; der Despot muß ſchon in den Ton eine Gewalt hineinlegen, um andere, gegen ihn an ſich gleichgültige Weſen zu Vollſtreckern ſeiner Wünſche zu machen. Der amatoriſche Imperativ wirkt mit elektro-magnetiſcher Kraft, der despotiſche mit der mecha - niſchen Kraft eines hölzernen Telegraphen. Der innigſte Ausdruck Gottes im Gebet iſt das Wort: Vater — der innigſte, weil ſich hier der Menſch zu dem abſoluten Weſen als dem ſeinigen verhält, das Wort Vater eben ſelbſt der Ausdruck der innigſten, intenſivſten Identität iſt, der Ausdruck, in dem unmittelbar die Gewähr meiner Wünſche, die Garantie meines Heils liegt. Die Allmacht, an die ſich der Menſch im Gebete wendet, iſt nichts als die Allmacht der Güte, die zum Heile des Menſchen auch das Unmögliche möglich macht — in Wahrheit nichts andres als die Allmacht des Her - zens, des Gefühls, welches alle Verſtandesſchranken durch - bricht, alle Gränzen der Natur überflügelt, welches will, daß163 nichts Andres ſei als Gefühl, nichts ſei, was dem Herzen widerſpricht. Der Glaube an die Allmacht iſt der Glaube an die Irrealität der Außenwelt, der Objectivität, — der Glaube an die abſolute Realität des Gemüths. Das Weſen der Allmacht drückt nichts aus als das Weſen des Gemüths. Die Allmacht iſt die Macht, vor der kein Geſetz, keine Determination gilt und beſteht, aber dieſe Macht iſt eben das Gemüth, welches jede Determination, jedes Geſetz als Schranke empfindet und deßwegen aufhebt. Die Allmacht thut nichts weiter, als daß ſie den innerſten Willen des Ge - müths vollſtreckt, realiſirt. Im Gebete wendet ſich der Menſch an die Allmacht der Güte — das heißt alſo nichts andres als: im Gebete betet der Menſch ſein eignes Herz an, ſchaut er das Weſen ſeines Gemüths als das ab - ſolute Weſen an.
Der Glaube an die Macht des Gebets — und nur da, wo dem Gebete eine Macht und zwar eine objective Macht zugeſchrieben wird, iſt noch das Gebet eine religiöſe Wahr - heit — iſt eins mit dem Glauben an die Wundermacht und der Glaube an Wunder eins mit dem Weſen des Glaubens überhaupt. Nur der Glaube betet; nur das Gebet des Glau - bens hat Kraft. Der Glaube iſt aber nichts andres als die Zuverſicht zur Realität des Subjectiven im Gegen - ſatz zu den Schranken, d. i. Geſetzen der Natur und Ver - nunft, d. h. der natürlichen Vernunft. Das ſpecifiſche Ob - ject des Glaubens iſt daher das Wunder — Glaube iſt11*164Wunderglaube, Glaube und Wunder abſolut unzer - trennlich. Was objectiv das Wunder, oder die Wunder - macht, das iſt ſubjectiv der Glaube — das Wunder iſt das äußere Geſicht des Glaubens, der Glaube die innere Seele des Wunders — der Glaube das Wunder des Geiſtes, das Wunder des Gemüths, das ſich im äußern Wunder nur vergegenſtändlicht. Dem Glauben iſt nichts unmöglich — und dieſe Allmacht des Glaubens verwirklicht nur das Wunder. Das Wunder iſt nur ein ſinnliches Beiſpiel von dem, was der Glaube vermag. Unbegränztheit, Uebernatür - lichkeit der Subjectivität, Ueberſchwänglichkeit des Gefühls, — Transcendenz iſt daher das Weſen des Glaubens. Der Glaube bezieht ſich nur auf Dinge, welche, im Widerſpruch mit den Schranken, d. i. Geſetzen der Natur und Vernunft*)Talis quippe homo est, qui simul est Deus, Qui contra conditiones corporis humani, clausas fores Penetravit, omnibus Euclideis demonstrationibus Contemptis, qui lapidem sepul - chralem transivit, Aristotele Longum valere jusso, qui aquis marinis non aliter ac terrae solo inambulavit, omnibus Philosophis neglectis. N. Frischlini Phasma. Act. III. Sc. III. S. hieruͤber auch im Anhang. Es iſt daher unverzeihliche Willkühr, wenn die ſpecu - lative Theologie das Wunder als etwas dem Glauben Aeußerliches auf die Seite ſetzt. Allerdings iſt das äußerliche factiſche Wunder als ſolches nur ein Phänomen, aber ein Phänomen von dem innerſten Weſen des Glau - bens., die Realität des menſchlichen Gemüths, der menſchlichen Wün - ſche vergegenſtändlichen. Der Glaube entfeſſelt die Wünſche der Subjectivität von den Banden der natürlichen Vernunft. Er genehmigt, was Natur und Vernunft verſagen; er macht den Menſchen darum ſelig, denn er befriedigt ſeine ſubjectiv - ſten Wünſche. Und kein Zweifel beunruhigt den wahren Glau - ben. Der Zweifel entſteht nur da, wo ich aus mir ſelbſt her -165 ausgehe, die Gränzen meiner Subjectivität überſchreite, wo ich auch dem Andern außer mir, dem von mir Unterſchiedenen Realität und Stimmrecht einräume, wo ich mich als ein ſub - jectives, d. i. beſchränktes Weſen weiß und nun durch das Andere außer mir meine Gränzen zu erweitern ſuche. Aber im Glauben iſt das Princip des Zweifels ſelbſt verſchwunden, denn dem Glauben gilt eben an und für ſich das Subjective für das Objective, das Abſolute ſelbſt. Der Glaube iſt eben nichts andres als der Glaube an die abſolute Rea - lität der Subjectivität. Die rauhe Wirklichkeit exiſtirt gar nicht für ihn, das Wirkliche iſt ihm das Unwirkliche; wie ſollte alſo das Audiatur et altera pars hier ſtatt finden können? Der Glaube beſchränkt ſich nicht durch die Vorſtellung einer Welt, eines Weltganzen, einer Nothwendigkeit. Für den Glauben iſt nur Gott, d. h. die ſchrankenfreie Subjectivität. Wo der Glaube im Menſchen aufgeht, da geht die Welt unter, ja ſie iſt ſchon untergegangen. Der Glaube an den wirklichen Untergang und zwar an einen demnächſt bevorſtehenden, dem Gemüth präſenten Untergang dieſer den chriſtlichen Wünſchen widerſpre - chenden Welt iſt daher ein Phänomen von dem innerſten Weſen des chriſtlichen Glaubens, ein Glaube, der ſich gar nicht abtrennen läßt von dem übrigen Inhalt des chriſtli - chen Glaubens, mit deſſen Aufgebung das wahre poſitive Chriſtenthum aufgegeben, verläugnet wird*)Dieſer Glaube iſt der Bibel ſo weſentlich, daß ſie ohne ihn gar nicht begriffen werden kann. Die Stelle 2. Petri 3, 8. ſpricht nicht, wie dieß aus dem ganzen Capitel hervorgeht, gegen einen nahen Unter - gang, denn wohl ſind 1000 Jahre wie ein Tag vor dem Herrn, aber auch ein Tag wie 1000 Jahre, und die Welt kann daher ſchon morgen nicht. Das Weſen166 des Glaubens, welches ſich durch alle ſeine Gegenſtände bis ins Speciellſte hinein beſtätigen läßt, iſt: daß das iſt, was der Menſch wünſcht — er wünſcht unſterblich zu ſein, alſo iſt er unſterblich; er wünſcht, daß ein Weſen ſei, welches alles vermag, was der Natur und Vernunft unmög - lich iſt, alſo exiſtirt ein ſolches Weſen; er wünſcht, daß eine Welt ſei, welche den Wünſchen des Gemüths entſpricht, eine Welt der unbeſchränkten Subjectivität, d. i. der unge - ſtörten Empfindung, der ununterbrochnen Seligkeit; nun exi - ſtirt aber dennoch eine dieſer ſubjectiven Welt entgegengeſetzte Welt, alſo muß dieſe Welt vergehen — ſo nothwendig ver - gehen als nothwendig ein Gott, das abſolute Weſen der Sub - jectivität, beſteht. Glaube, Liebe, Hoffnung iſt die chriſtliche Dreieinigkeit. Die Hoffnung bezieht ſich auf die Erfüllung der Verheißungen — der Wünſche, die noch nicht erfüllt ſind, aber erfüllt werden; die Liebe auf das Weſen, wel - ches dieſe Verheißungen gibt und erfüllt, der Glaube auf die Verheißungen, die Wünſche, welche bereits erfüllt, hiſto - riſche Thatſachen ſind.
Das Wunder iſt ein weſentlicher Gegenſtand des Chri - ſtenthums, weſentlicher Glaubensinhalt. Aber was iſt das Wun - der? Ein realiſirter ſupranaturaliſtiſcher Wunſch — ſonſt nichts. Der Apoſtel Paulus erläutert das Weſen des chriſtlichen Glaubens an dem Beiſpiel Abrahams. Abraham konnte auf natürlichem Wege nimmer auf Nachkommenſchaft hoffen. Jehovah verhieß ſie ihm gleichwohl aus beſonderer*)mehr ſein. Daß überhaupt in der Bibel ein ſehr nahes Weltende er - wartet und prophezeiht, obgleich nicht Tag und Stunde beſtimmt wird, kann nur ein Lügner oder ein Blinder läugnen. S. hierüber auch Lützelberger’s Schriften.167 Gnade. Und Abraham glaubte, der Natur zum Trotz. Darum wurde ihm auch dieſer Glaube zur Gerechtigkeit, zum Ver - dienſt angerechnet; denn es gehört viele Kraft der Subjectivi - tät dazu, etwas im Widerſpruch mit Erfahrung, wenigſtens vernünftiger, geſetzmäßiger Erfahrung dennoch als gewiß an - zunehmen. Aber was war denn der Gegenſtand dieſer gött - lichen Verheißung? Nachkommenſchaft: der Gegenſtand eines menſchlichen Wunſches. Und woran glaubte Abraham, wenn er Jehovah glaubte? an ein Weſen, welches alles vermag, alle menſchlichen Wünſche erfüllen kann. „ Sollte dem Herrn etwas unmöglich ſein*)1. Moſe 18, 14.? “
Doch wozu verſteigen wir uns bis zu Abraham hinauf? Die ſchlagendſten Beweiſe haben wir ja viel näher. Das Wunder ſpeiſt Hungrige, heilt von Natur Blinde, Taube, Lahme, errettet aus Lebensgefahren, belebt ſelbſt Todte auf die Bitten ihrer Verwandten. Es befriedigt alſo menſchliche Wün - ſche — Wünſche, die aber zugleich, zwar nicht immer an ſich ſelbſt, wie der Wunſch, den Todten zu beleben, doch inſo - fern, als ſie die Wundermacht, wunderbare Hülfe anſprechen, transcendente, ſupranaturaliſtiſche Wünſche ſind. Aber das Wunder unterſcheidet ſich dadurch von der natur - und vernunftgemäßen Befriedigungsweiſe menſchlicher Wünſche und Bedürfniſſe, daß es die Wünſche des Menſchen auf eine dem Weſen des Wunſches entſprechende, auf die wünſchens - wertheſte Weiſe befriedigt. Der Wunſch bindet ſich an keine Schranke, kein Geſetz: er iſt ungeduldig; er will unverzüg - lich, augenblicklich erfüllt ſein. Und ſiehe da! ſo ſchnell als der Wunſch, ſo ſchnell iſt das Wunder. Die Wunderkraft rea -168 liſirt augenblicklich, mit einem Schlag, ohne alles Hin - derniß die menſchlichen Wünſche. Daß Kranke geſund wer - den, das iſt kein Wunder, aber daß ſie unmittelbar auf einen bloßen Machtſpruch hin geſund werden, das iſt das Ge - heimniß des Wunders. Nicht alſo durch das Product oder Object, welches ſie hervorbringt — würde die Wundermacht etwas abſolut Neues, nie Geſehenes, nie Vorgeſtelltes, auch nicht einmal Erdenkbares verwirklichen, ſo wäre ſie als eine weſentlich andere und zugleich objective Thätigkeit fac - tiſch erwieſen — ſondern allein durch den Modus, die Art und Weiſe unterſcheidet ſich die Wunderthätigkeit von der Thätigkeit der Natur und Vernunft. Allein die Thätigkeit, welche dem Weſen, dem Inhalt nach eine natürliche, ſinn - liche, nur dem Modus nach eine übernatürliche, über - ſinnliche iſt, dieſe Thätigkeit iſt nur die Phantaſie oder Ein - bildungskraft. Die Macht des Wunders iſt daher nichts andres als die Macht der Einbildungskraft.
Die Wunderthätigkeit iſt eine Zweckthätigkeit. Die Sehn - ſucht nach dem verlornen Lazarus, der Wunſch ſeiner Ver - wandten, ihn wieder zu beſitzen, war der Beweggrund der wunderbaren Erweckung — die That ſelbſt, die Befriedigung dieſes Wunſches, der Zweck. Allerdings geſchah zugleich das Wunder „ zur Ehre Gottes, daß der Sohn Gottes dadurch geehret werde, “aber die Schweſtern des Lazarus, die nach dem Herrn ſchicken mit den Worten: „ ſiehe, den du lieb haſt, der liegt krank “und die Thränen, die Jeſus vergoß, vindi - ciren zugleich dem Wunder einen menſchlichen Urſprung und Zweck. Der Sinn iſt: der Macht, die ſelbſt Todte erwecken kann, iſt kein menſchlicher Wunſch unerfüllbar. Die Zweck - thätigkeit beſchreibt bekanntlich einen Kreis: ſie läuft im Ende169 auf ihren Anfang zurück. Aber die Wunderthätigkeit unter - ſcheidet ſich dadurch von der gemeinen Verwirklichung des Zwecks, daß ſie einen Zweck ohne Mittel realiſirt, daß ſie eine unmittelbare Identität des Wunſches und der Er - füllung bewirkt, daß ſie folglich einen Kreis beſchreibt, aber nicht in krummer, ſondern in gerader, folglich der kürzeſten Linie. Ein Kreis in gerader Linie iſt das mathematiſche Sinn - und Ebenbild des Wunders. So lächerlich es daher wäre, einen Kreis in gerader Linie conſtruiren zu wollen, ſo lächer - lich iſt es, das Wunder philoſophiſch deduciren zu wollen. Das Wunder iſt für die Vernunft ſinnlos, undenkbar, ſo un - denkbar als ein hölzernes Eiſen, ein Kreis ohne Peripherie. Ehe man die Möglichkeit beſpricht, ob ein Wunder geſchehen kann, zeige man die Möglichkeit, ob das Wunder, d. h. das Undenkbare denkbar iſt.
Was dem Menſchen die Einbildung der Denkbarkeit des Wunders beibringt, iſt, daß das Wunder als eine ſinnliche Begebenheit vorgeſtellt wird und der Menſch daher ſeine Ver - nunft durch, zwiſchen den Widerſpruch ſich einſchiebende, ſinn - liche Vorſtellungen täuſcht. Das Wunder der Verwandlung des Waſſers in Wein z. B. ſagt in Wahrheit nichts andres als: Waſſer iſt Wein, nichts andres als die Identität zweier ſich abſolut widerſprechender Prädicate oder Subjecte; denn in der Hand des Wunderthäters iſt kein Unterſchied zwiſchen beiden Subſtanzen; die Verwandlung iſt nur die ſinnliche Er - ſcheinung von dieſer Identität des ſich Widerſprechenden. Aber die Verwandlung verhüllt den Widerſpruch, weil die natür - liche Vorſtellung der Veränderung ſich dazwiſchen einſchiebt. Allein es iſt ja keine allmählige, keine natürliche, ſo zu ſagen organiſche, ſondern eine abſolute, ſtoffloſe Verwandlung —170 eine reine creatio ex nihilo. In dem geheimniß - und verhängnißvollen Wunderact, in dem Act, der das Wunder zum Wunder macht, iſt urplötzlich, ununterſcheidbar Waſſer Wein — was eben ſo viel ſagen will, als Eiſen iſt Holz oder ein hölzernes Eiſen.
Der Wunderact — und das Wunder iſt nur ein flüchti - ger Act — iſt daher kein denkbarer, denn er hebt das Princip der Denkbarkeit auf — aber eben ſo wenig ein Object des Sinnes, ein Object wirklicher oder nur möglicher Erfahrung. Waſſer iſt wohl Gegenſtand des Sinnes, auch Wein; ich ſehe jetzt wohl Waſſer, hernach Wein; aber das Wunder ſelbſt, das was dieſes Waſſer urplötzlich zum Wein macht, dieß iſt, weil kein Naturproceß, ein reines Perfectum ohne vorherge - hendes Imperfectum ohne Modus, ohne Mittel und Weiſe iſt, kein Gegenſtand wirklicher oder nur möglicher Erfahrung. Das Wunder iſt ein Ding der Einbildung — eben deßwegen auch ſo gemüthlich, denn die Phantaſie iſt die dem ſubjec - tiven Gemüthe allein entſprechende Thätigkeit, weil ſie alle Schranken, alle Geſetze, welche dem Gemüthe wehethun, be - ſeitigt, und ſo dem Menſchen die unmittelbare, ſchlechthin un - beſchränkte Befriedigung ſeiner ſubjectivſten Wünſche vergegen - ſtändlicht*)Freilich iſt dieſe Befriedigung — eine Bemerkung, die ſich übri - gens von ſelbſt verſteht — inſofern beſchränkt, als ſie an die Religion, den Glauben an Gott gebunden iſt. Aber dieſe Beſchränkung iſt in Wahr - heit keine Beſchraͤnkung, denn Gott ſelbſt iſt das unbeſchränkte, das ab - ſolut befriedigte, in ſich geſättigte Weſen des menſchlichen Gemüthes.. Gemüthlichkeit iſt die weſentliche Eigenſchaft des Wunders. Wohl macht auch das Wunder einen erhabnen, erſchütternden Eindruck, inſofern als es eine Macht ausdrückt, vor der nichts beſteht — die Macht der Phantaſie. Aber die -171 ſer Eindruck liegt nur in dem vorübergehenden Act des Thuns — der bleibende, weſenhafte Eindruck iſt der gemüthliche. In dem Momente, wo der geliebte Todte aufgeweckt wird, erſchrecken wohl die umſtehenden Verwandten und Freunde über die au - ßerordentliche, allmächtige Kraft, die Todte in Lebende ver - wandelt; aber in demſelben ungetheilten Momente — denn die Wirkungen der Wundermacht ſind abſolut ſchnell — wo er auferſteht, wo das Wunder vollbracht iſt, da fallen auch ſchon die Verwandten dem Wiedererſtandnen in die Arme und füh - ren ihn unter Freudenthränen nach Hauſe, um hier ein ge - müthliches Feſt zu feiern. Aus dem Gemüthe entſpringt das Wunder, auf das Gemüth geht es wieder zurück. Selbſt in der Darſtellung verläugnet es nicht ſeinen Urſprung. Die adäquate Darſtellung iſt allein die gemüthliche. Wer ſollte in der Erzählung von der Erweckung des Lazarus, des größten Wunders, den gemüthlichen, behaglichen Legendenton verkennen*)Die Legenden des Katholicismus — natürlich nur die beſſern, wahrhaft gemüthlichen — ſind gleichſam nur das Echo von dem Grundton, der ſchon in dieſer neuteſtamentlichen Erzählung herrſcht. — Das Wun - der könnte man füglich auch definiren als den religiöſen Humor. Be - ſonders hat der Katholicismus das Wunder von dieſer ſeiner humoriſtiſchen Seite ausgebildet.? Gemüthlich iſt aber eben das Wunder, weil es, wie geſagt, ohne Arbeit, ohne Anſtrengung die Wünſche des Menſchen befriedigt. Arbeit iſt gemüthlos, ungläubig, ratio - naliſtiſch; denn der Menſch macht hier ſein Daſein abhängig von der Zweckthätigkeit, die ſelbſt wieder lediglich durch den Begriff der gegenſtändlichen Welt vermittelt iſt. Aber das Gemüth kümmert ſich nichts um die objective Welt; es geht nicht außer und über ſich hinaus; es iſt ſelig in ſich. Das Element der Bildung, das nordiſche Princip der Selbſtentäu -172 ßerung geht dem Gemüthe ab. Die Apoſtel und Evangeli - ſten waren keine wiſſenſchaftlich gebildete Männer. Bildung überhaupt iſt nichts andres als die Erhebung des Indivi - duums über ſeine Subjectivität zur objectiven univerſalen Anſchauung, zur Anſchauung der Welt. Die Apoſtel waren Volksmänner; das Volk lebt nur in ſich, im Gemü - the; darum ſiegte das Chriſtenthum über die Völker. Vox populi vox Dei. Hätte das Chriſtenthum über einen Philo - ſophen, einen Geſchichtſchreiber, einen Dichter der claſſiſchen Zeit geſiegt? Die Philoſophen, die zum Chriſtenthum übergin - gen, waren ſchwache, ſchlechte Philoſophen. Alle diejenigen, die noch claſſiſchen Geiſt in ſich hatten, waren feindſelig oder doch gleichgültig gegen das Chriſtenthum. Der Untergang der Bildung war identiſch mit dem Sieg des Chriſtenthums. Der claſſiſche Geiſt, der Geiſt der Bildung iſt der ſich ſelbſt durch Geſetze — freilich nicht willkührliche, endliche, ſondern wahrhafte, an und für ſich gültige Geſetze beſchränkende, durch die Nothwendigkeit, die Wahrheit der Natur der Dinge Gefühl und Phantaſie beſtimmende, kurz der objective Geiſt. An die Stelle dieſes Geiſtes trat mit dem Chriſtenthum das Princip der unbeſchränkten, maaßloſen, überſchwänglichen, ſu - pranaturaliſtiſchen Subjectivität — ein in ſeinem innerſten Weſen dem Princip der Wiſſenſchaft, der Bildung entgegen - geſetztes Princip*)Bildung in dem Sinne, in dem ſie hier genommen wird. Welt - bildung wäre der richtige Ausdruck, wenn dieſer nicht im Sprachgebrauch eine zu gemeine und oberflaͤchliche Bedeutung erhalten hätte. — Höchſt charakteriſtiſch für das Chriſtenthum — ein populärer Beweis des Geſag - ten — iſt es, daß nur die Sprache der Bibel, nicht die eines Sophokles oder Plato, alſo nur die unbeſtimmte geſetzloſe Sprache des Ge - müths, nicht die Sprache der Kunſt und Philoſophie für die Sprache,. Mit dem Chriſtenthum verlor der Menſch173 den Sinn, die Fähigkeit, ſich in die Natur, das Univerſum hineinzudenken. So lange das wahre, ungeheuchelte, un - verfälſchte, rückſichtsloſe Chriſtenthum exiſtirte, ſo lange das Chriſtenthum eine lebendige, praktiſche Wahrheit war, ſo lange geſchahen wirkliche Wunder, und ſie geſcha - hen nothwendig, denn der Glaube an todte, hiſtoriſche, ver - gangne Wunder iſt ſelbſt ein todter Glaube, der erſte Anſatz zum Unglauben oder vielmehr die erſte und eben deßwegen ſchüchterne, unwahre, unfreie Weiſe, wie der Unglaube an das Wunder ſich Luft macht. Aber wo Wunder geſchehen, da verfließen alle beſtimmten Geſtalten in den Nebel der Phan - taſie und des Gemüths; da iſt die Welt, die Wirklichkeit Nichts, da iſt das objective, wirkliche Weſen allein das wunderthätige, gemüthliche, d. i. ſubjective Weſen.
Für den bloßen Gemüthsmenſchen iſt unmittelbar, ohne daß er es will und weiß, die Einbildungskraft die höchſte Thä - tigkeit, die ihn beherrſchende; als die höchſte, die Thätigkeit Gottes, die ſchöpferiſche Thätigkeit. Sein Gemüth iſt ihm eine unmittelbare Wahrheit und Realität; ſo real ihm das Gemüth iſt — und es iſt ihm das Realſte, Weſenhafteſte; er*)die Offenbarung des göttlichen Geiſtes im Chriſtenthum galt und heute noch gilt. — Aber waren denn nicht viele Kirchenväter, wie z. B. Ter - tullian, Clemens A., Hieronymus, Origenes ſehr gelehrte Leute? Ver - danken wir nicht ihnen ſogar viele Kenntniſſe des heidniſchen Alterthums? Wer wird dieß läugnen? Aber iſt der ein Freund und Beförderer des Pie - tismus, der die Tractätlein der Pietiſten ſammelt und citirt, um ſie zu proſtituiren? Nur auf den wiſſenſchaftlichen Sinn allein kommt es an. Aber dieſen ſollten ſie auch ihrer Zeit und Beſtimmung nach nicht haben. Richtig; aber ſie konnten auch ihrem Grundprincip nach keinen ha - ben. — Wenn die Concilien von den Geiſtlichen Kenntniſſe verlangen, ſo verſtehen ſie darunter natürlich immer nur kirchliche oder theologiſche Kenntniſſe.174 kann nicht von ſeinem Gemüthe abſtrahiren, nicht darüber hinaus — ſo real iſt ihm die Einbildung. Die Phantaſie oder Einbildungskraft, (die hier nicht unterſchieden werden, ob - wohl an ſich verſchieden) iſt ihm nicht ſo, wie uns Verſtan - desmenſchen, die wir ſie als die ſubjective von der objectiven Anſchauung unterſcheiden, Gegenſtand; ſie iſt unmittelbar mit ihm ſelbſt, mit ſeinem Gemüthe identiſch, und als iden - tiſch mit ſeinem Weſen, ſeine weſentliche, gegenſtändliche, nothwendige Anſchauung ſelbſt. Für uns iſt wohl die Phan - taſie eine willkührliche Thätigkeit, aber wo der Menſch das Princip der Bildung, der Weltanſchauung nicht in ſich aufge - nommen, wo er nur in ſeinem Gemüthe lebt und webt, da iſt die Phantaſie eine unmittelbare, unwillkührliche Thätig - keit.
Die Erklärung der Wunder aus Gemüth und Phantaſie gilt Vielen heutigen Tags freilich für oberflächlich. Aber man denke ſich hinein in die Zeiten, wo noch lebendige, gegenwär - tige Wunder geglaubt wurden, wo die Realität der Dinge außer uns noch kein geheiligter Glaubensartikel war, wo die Menſchen ſo abgezogen von der Weltanſchauung lebten, daß ſie tagtäglich dem Untergang der Welt entgegen ſahen, wo ſie nur lebten in der wonnetrunknen Ausſicht und Hoffnung des Himmels, alſo in der Einbildung — denn mag der Himmel ſein, was er will, für ſie wenigſtens exiſtirte er, ſo lange ſie auf Erden waren, nur in der Einbildungskraft — wo dieſe Einbildung keine Einbildung, ſondern Wahrheit, ja die ewige, allein beſtehende Wahrheit, nicht ein thatloſes müßiges Troſtmittel nur, ſondern ein praktiſches, die Handlun - gen beſtimmendes Moralprincip war, welchem die Men - ſchen mit Freuden das wirkliche Leben, die wirkliche Welt mit175 allen ihren Herrlichkeiten zum Opfer brachten — man denke ſich da hinein und man muß in der That ſelbſt ſehr oberfläch - lich ſein, wenn man die pſychologiſche Geneſis für oberflächlich erklärt. Kein ſtichhaltiger Einwand iſt es, daß dieſe Wunder im Angeſicht ganzer Verſammlungen geſchehen ſind oder geſchehen ſein ſollen: Keiner war bei ſich, Alle erfüllt von überſchwänglichen, ſupranaturaliſtiſchen Vorſtellungen, Empfindungen; Alle beſeelte derſelbe Glaube, dieſelbe Hoffnung, dieſelbe Phantaſie. Wem ſollte es aber unbekannt ſein, daß es auch gemeinſchaftliche oder gleich - artige Träume, gemeinſchaftliche oder gleichartige Viſionen gibt, zumal bei gemüthlichen, in und auf ſich beſchränkten, enge zuſam - menhaltenden Individuen? Doch dem ſei wie es wolle. Iſt die Erklärung der Wunder aus Gemüth und Phantaſie ober - flächlich, ſo fällt die Schuld der Oberflächlichkeit nicht auf den Erklärer, ſondern auf den Gegenſtand ſelbſt — auf das Wun - der; denn das Wunder drückt, bei Lichte beſehen, eben gar nichts weiter aus, als die Zaubermacht der Phantaſie, die ohne Widerſpruch alle Wünſche des Herzens erfüllt.
Die Qualität der Gemüthlichkeit gilt nicht nur von den praktiſchen Wundern, wo von ſelbſt dieſe Qualität in die Augen ſpringt, da ſie unmittelbar das Wohl, den Wunſch des menſchlichen Individuums betreffen; ſie gilt auch von den theoretiſchen oder eigentlich dogmatiſchen Wundern. So von dem Wunder der Auferſtehung und übernatürlichen Geburt.
Der Menſch hat, wenigſtens im Zuſtande des Wohl - ſeins, den Wunſch, nicht zu ſterben. Dieſer Wunſch iſt ur -176 ſprünglich eins mit dem Selbſterhaltungstriebe. Was lebt, will ſich behaupten, will leben, folglich nicht ſterben. Dieſer erſt negative Wunſch wird in der ſpätern Reflexion und im Ge - müthe, unter dem Drucke des Lebens, beſonders des bürgerli - chen und politiſchen Lebens, zu einem poſitiven Wunſche, zum Wunſche eines Lebens und zwar beſſern Lebens nach dem Tode. Aber in dieſem Wunſche liegt zugleich der Wunſch nach Gewißheit dieſer Hoffnung. Die Vernunft kann dieſe Hoffnung nicht erfüllen. Man hat daher geſagt: alle Be - weiſe für die Unſterblichkeit ſind ungenügend, oder ſelbſt, daß ſie die Vernunft gar nicht aus ſich erkennen, viel weniger beweiſen könne. Und mit Recht: die Vernunft gibt nur all - gemeine Beweiſe; die Gewißheit meiner perſönlichen Fortdauer kann ſie mir nicht geben, und dieſe Gewißheit ver - langt man eben. Aber zu ſolcher Gewißheit gehört eine un - mittelbare perſönliche Verſicherung, eine thatſächliche Beſtäti - gung. Dieſe kann mir nur dadurch gegeben werden, daß ein Todter, von deſſen Tode wir vorher verſichert waren, wieder aus dem Grabe auferſteht, und zwar ein Todter, der kein gleichgültiger, ſondern vielmehr das Vorbild der Andern iſt, ſo daß auch ſeine Auferſtehung das Vorbild, die Garantie der Auferſtehung der Andern iſt. Die Auferſtehung Chriſti iſt daher der realiſirte Wunſch des Menſchen nach unmittel - barer Gewißheit von ſeiner perſönlichen Fortdauer nach dem Tode — die perſönliche Unſterblichkeit als eine ſinnliche, unbezweifelbare Thatſache.
Die Frage nach der Unſterblichkeit war bei den heidniſchen Philoſophen eine Frage, bei welcher das Intereſſe der Perſön - lichkeit außer dem Spiele blieb. Es handelte ſich hier nur177 um die Natur der Seele, des Geiſtes, des Lebensprincipes. Im Gedanken von der Unſterblichkeit des Lebensprincipes liegt keineswegs der Gedanke, geſchweige die Gewißheit der perſön - lichen Unſterblichkeit. Darum drücken ſich die Alten ſo unbe - ſtimmt, ſo widerſprechend, ſo zweifelhaft über dieſen Gegen - ſtand aus. Die Chriſten dagegen in der zweifelloſen Gewiß - heit, daß ihre perſönlichen, gemüthlichen Wünſche erfüllt wer - den, d. h. in der Gewißheit von dem göttlichen Weſen ihres Gemüths, ihrer Perſönlichkeit, von der Wahrheit und Unan - taſtbarkeit ihrer ſubjectiven Gefühle, machten, was bei den Alten die Bedeutung eines theoretiſchen Problems hatte, zu einer unmittelbaren Thatſache, eine theoretiſche, eine an ſich freie Frage zu einer bindenden Gewiſſens - ſache, deren Läugnung dem Majeſtätsverbrechen des Atheis - mus gleich kam. Wer die Auferſtehung läugnet, läugnet die Auferſtehung Chriſti, wer Chriſti Auferſtehung läugnet, läug - net Chriſtus, wer aber Chriſtus läugnet, läugnet Gott. So machte das „ geiſtige “Chriſtenthum eine geiſtige Sache zu einer geiſtloſen Sache! Den Chriſten war die Unſterblichkeit der Vernunft, des Geiſtes viel zu abſtract und negativ; den Chriſten lag nur die perſönliche, gemüthliche Unſterblichkeit am Herzen; aber die Bürgſchaft dieſer liegt nur in der fleiſchlichen Auferſtehung. Die Auferſtehung des Fleiſches iſt der höchſte Triumph des Chriſtenthums über die erhabene, freilich ab - ſtracte, Geiſtigkeit und Objectivität der Alten. Darum wollte auch die Auferſtehung den Heiden durchaus nicht in den Kopf.
Aber wie die Auferſtehung, das Ende der heiligen Ge - ſchichte — eine Geſchichte, die aber nicht die Bedeutung einer Hiſtorie, ſondern der Wahrheit ſelber hat — ein realiſirterFeuerbach. 12178Wunſch, ſo iſt es auch der Anfang derſelben, die übernatür - liche Geburt, obgleich dieſe ſich nicht auf ein unmittelbar per - ſönliches Intereſſe, ſondern mehr nur auf ein particuläres ſubjectives Gefühl bezieht.
Je mehr ſich der Menſch der Natur entfremdet, je ſubjec - tiver, d. i. über - oder widernatürlicher ſeine Anſchauung wird, deſto größere Scheu bekommt er vor der Natur oder wenig - ſtens vor gewiſſen natürlichen Dingen und Proceſſen, die ſei - ner Phantaſie mißfallen, ihn widerlich afficiren. Der freie, objective Menſch findet allerdings auch Ekelhaftes und Wider - liches in der Natur, aber er begreift es als eine natür - liche, unvermeidliche Folge und überwindet in dieſer Einſicht ſeine Gefühle als nur ſubjective, unwahre Gefühle. Der ſubjective, nur im Gemüthe und in der Phantaſie lebende Menſch dagegen fixirt, beanſtandet dieſe Dinge mit einem ganz beſondern Widerwillen. Er hat das Auge jenes un - glücklichen Findlings, welcher auch an der ſchönſten Blume nur die kleinen „ ſchwarzen Käferchen “, die auf ihr herumlie - fen, bemerkte und durch dieſe Wahrnehmung den Genuß an der Anſchauung der Blume ſich verbitterte. Der ſubjective Menſch macht aber ſeine Gefühle zum Maaßſtab deſſen, was ſein ſoll. Was ihm nicht gefällt, was ſein transcendentes, über - oder widernatürliches Gemüth beleidigt, das ſoll nicht ſein. Kann auch das, was ihm wohlgefällt, nicht ſein ohne das, was ihm mißfällt — der ſubjective Menſch richtet ſich nicht nach den langweiligen Geſetzen der Logik und Phyſik, ſondern nach der Willkühr der Phantaſie — er läßt daher das Mißfällige an einer Sache weg, das Wohlgefällige aber hält er feſt. So gefällt ihm wohl die reine, unbefleckte Jungfrau; aber wohl gefällt ihm auch die Mutter, jedoch nur die Mut -179 ter, die keine Beſchwerden leidet, die Mutter, die ſchon das Kindlein auf den Armen trägt.
An und für ſich iſt die Jungfrauſchaft im innerſten Weſen ſeines Geiſtes, ſeines Glaubens ſein höchſter Begriff, das Cornu copiae ſeiner ſupranaturaliſtiſchen Gefühle und Vor - ſtellungen, ſein perſonificirtes Ehr - und Schamgefühl vor der gemeinen Natur*)Tantum denique abest incesti cupido, ut nonnullis rubori sit etiam pudica conjunctio. M. Felicis Oct. c. 31. Der Pater Gil war ſo außerordentlich keuſch, daß er kein Weib von Geſicht kannte, ja er fürchtete ſich ſogar, nur ſich ſelbſt anzufaſſen, se quoque ipsum attingere quodammodo horrebat. Der Pater Coton hatte einen ſo feinen Geruch in dieſem Punkte, daß er bei Annäherung von unkeuſchen Perſonen einen unerträglichen Geſtank wahrnahm. (Bayle Dict. Art. Mariana Rem. C.) Aber das oberſte, das göttliche Princip dieſer hyperphyſiſchen Delicateſſe iſt die Jungfrau Maria; daher ſie bei den Katholiken heißt: Virginum gloria, Virginitatis coro - na, Virginitatis typus et forma puritatis, Virginum ve - xillifera, Virginitatis magistra, Virginum prima, Virgi - nitatis primiceria. . Aber zugleich regt ſich doch auch ein natürliches Gefühl in ſeiner Bruſt, das barmherzige Gefühl der Mutterliebe. Was iſt nun in dieſer Herzensnoth, in dieſem Zwieſpalt zwiſchen einem natürlichen und über - oder widernatürlichen Gefühl zu thun? Der Supranatura - liſt muß Beides verbinden, in einem und demſelben Subjecte zwei ſich gegenſeitig ausſchließende Prädicate zuſammenfaſ - ſen**)Salve sancta parens, enixa puerpera Regem, Gaudia matris habens cum Virginitatis honore. (Theol. schol. Mezger T. IV. p. 132.) . O welche Fülle gemüthlicher, holdſeliger, überſinnlich ſinnlicher Gefühle liegt in dieſer Verknüpfung!
Hier haben wir den Schlüſſel zu dem Widerſpruch im12*180Katholicismus, daß zugleich die Ehe, zugleich die Eheloſigkeit heilig iſt. Der dogmatiſche Widerſpruch der jungfräu - lichen Mutter oder mütterlichen Jungfrau iſt hier nur als ein praktiſcher Widerſpruch verwirklicht. Aber gleichwohl iſt dieſe wunderbare, der Natur und Vernunft widerſprechende, dem Gemüthe und der Phantaſie aber im höchſten Grade ent - ſprechende Verknüpfung der Jungferſchaft und Mutterſchaft kein Product des Katholicismus; ſie liegt ſelbſt ſchon in der zweideutigen Rolle, welche die Ehe in der Bibel, namentlich im Sinne des Apoſtels Paulus ſpielt. Die Lehre von der übernatürlichen Zeugung und Empfängniß Chriſti iſt eine weſentliche Lehre des Chriſtenthums, eine Lehre, die ſein inneres dogmatiſches Weſen ausſpricht, die auf demſelben Fundament, wie alle übrigen Wunder und Glaubensartikel beruht. So gut die Chriſten an dem Tode, den der Philo - ſoph, der Naturforſcher, der freie, objective Menſch überhaupt für eine natürliche Nothwendigkeit erkennt, überhaupt an den Gränzen der Natur, welche dem Gemüthe Schranken, der Vernunft aber vernünftige Geſetze ſind, Anſtoß nahmen und ſie daher durch die Macht der Wunderthätigkeit beſeitig - ten, ſo gut mußten ſie auch an dem Naturproceß der Zeugung Anſtoß nehmen und ihn durch die Wundermacht negiren. Und wie die Auferſtehung, ſo kommt auch die übernatürliche Geburt Allen, nämlich Gläubigen, zu Gute; denn die Empfängniß der Maria, als unbefleckt durch das männliche Sperma, welches das eigentliche Contagium der Erbſünde iſt, war ja der erſte Neinigungsact der ſünden -, d. i. naturbeſchmutzten Menſchheit. Nur weil der Theanthropos nicht angeſteckt war von der Erb - ſünde, konnte Er, der Reine, die Menſchheit reinigen in den Augen Gottes, welchen der natürliche Zeugungsproceß ein181 Gräuel, weil er ſelbſt nichts andres als das übernatürliche Gemüth iſt.
Selbſt die trocknen, ſo willkührlich kritiſchen proteſtanti - ſchen Orthodoxen betrachteten noch die Empfängniß der gott - gebärenden Jungfrau als ein großes, verehrungs - und an - ſtaunungswürdiges, heiliges, übervernünftiges Glaubensmyſte - rium*)S. z. B. J. D. Winckler Philolog. Lactant. s. Brunsvigae. 1754. p. 247 — 254.. Aber bei den Proteſtanten, welche den Chriſten nur auf den Glauben reducirten und beſchränkten, im Leben aber Menſch ſein ließen, hatte auch dieſes Myſterium nur dogma - tiſche, nicht mehr praktiſche Bedeutung. Sie ließen ſich durch dieſes Myſterium in ihrer Heirathsluſt nicht irre ma - chen. Bei den Katholiken, überhaupt den alten unbeding - ten unkritiſchen Chriſten war, was ein Myſterium des Glaubens auch ein Myſterium des Lebens, der Mo - ral**)S. hierüber auch „ Philoſ. und Chriſtenthum “von L. Feuer - bach.. Die katholiſche Moral iſt chriſtlich, myſtiſch, die pro - teſtantiſche Moral war ſchon von Anfang an rationali - ſtiſch. Die proteſtantiſche Moral iſt und war eine fleiſchliche Ver - miſchung des Chriſten mit dem Menſchen — dem natürlichen, politiſchen, bürgerlichen, ſocialen Menſchen oder wie ihr ihn ſonſt im Unterſchiede vom chriſtlichen nennen wollt — die katholiſche Moral bewahrte auf ihrem Herzen das Geheim - niß der unbefleckten Jungfräulichkeit. Die katholiſche Moral war die Mater dolorosa, die proteſtantiſche eine wohlbeleibte, kindergeſegnete Hausfrau. Der Proteſtantismus iſt von Grund aus der Widerſpruch zwiſchen Glauben und Leben. 182Nicht ſo der Katholicismus. Die übernatürlichen Glaubens - principien waren ihm zugleich übernatürliche Moralprin - cipien. Eben deßwegen weil das Myſterium der Virgo Deipara bei den Proteſtanten nur noch in der Theorie oder vielmehr in der Dogmatik, aber nicht mehr in praxi galt, ſag - ten ſie, daß man ſich nicht vorſichtig, nicht zurückhaltend genug darüber ausdrücken könne, daß man es durchaus nicht zu einem Object der Speculation machen dürfe. Was man praktiſch negirt, hat keinen wahren Grund und Beſtand mehr im Menſchen, iſt nur noch ein Geſpenſt der Vorſtellung. Deßhalb verbirgt, entzieht man es dem Verſtande. Geſpen - ſter vertragen nicht das Tageslicht.
Selbſt auch die ſpätere, übrigens ſchon in einem Briefe an den heiligen Bernhard, der ſie aber verwirft, ausgeſpro - chene, Glaubensvorſtellung, daß auch die Maria unbefleckt ohne Erbſünde empfangen worden ſei, iſt keineswegs eine „ ſon - derbare Schulmeinung, “wie ſie Ranke in ſeiner Ge - ſchichte der Reformation nennt. Sie ergab ſich vielmehr aus einer natürlichen Folgerung und einer frommen dankbaren Geſinnung gegen die Mutter Gottes. Was ein Wunder, was Gott gebiert, muß ſelbſt wunderbaren, göttlichen Ur - ſprungs und Weſens ſein. Wie hätte Maria die Ehre ha - ben können vom heiligen Geiſte beſchattet zu werden, wenn ſie nicht vorher ſchon von Hauſe aus wäre purificirt worden? Konnte der heil. Geiſt in einem von der Erbſünde beſudelten Leibe Wohnung nehmen? Wenn ihr das Princip des Chri - ſtenthums, die heil - und wundervolle Geburt des Heilands nicht ſonderbar findet — o! ſo findet doch auch die naiven, einfältigen, gutmüthigen Folgerungen des Katholicismus nicht ſonderbar.
Die Grunddogmen des Chriſtenthums ſind realiſirte Her - zenswünſche — das Weſen des Chriſtenthums iſt das Weſen des Gemüths. Es iſt gemüthlicher, zu leiden als zu handeln, gemüthlicher, durch einen Andern erlöſt und befreit zu werden, als ſich ſelbſt zu befreien, gemüthlicher, von einer Perſon als von der Kraft der Selbſtthätigkeit ſein Heil abhängig zu ma - chen, gemüthlicher ſtatt des Objects des Strebens ein Object der Liebe zu ſetzen, gemüthlicher, ſich von Gott geliebt zu wiſ - ſen, als ſich ſelbſt zu lieben mit der einfachen, natürlichen Selbſtliebe, die allen Weſen eingeboren, gemüthlicher, ſich in den liebeſtrahlenden Augen eines andern perſönlichen We - ſens zu beſpiegeln, als in den Hohlſpiegel des eignen Selbſts oder in die kalte Tiefe des ſtillen Oceans der Natur zu ſchauen, gemüthlicher überhaupt, ſich von ſeinem eignen Gemüthe als von einem andern, aber doch im Grunde demſelbigen Weſen afficiren zu laſſen, als ſich ſelbſt durch die Vernunft zu beſtimmen. Das Gemüth iſt über - haupt der Casus obliquus des Ich, das Ich im Accuſativ. Das Fichte’ſche Ich iſt gemüthlos, weil der Accuſativ dem Nominativ gleich iſt, weil es ein Indeclinabile. Aber das Gemüth iſt das von ſich ſelbſt afficirte und zwar das von ſich als wie von einem andern Weſen afficirte Ich — das paſſive Ich. Das Gemüth verwandelt das Activum im Menſchen in ein Paſſivum, und das Paſſivum in ein Activum. Das Denkende iſt dem Gemüthe das Gedachte, das Gedachte das Denkende. Das Gemüth iſt träumeriſcher Natur; darum weiß es auch nichts Seligeres, nichts Tieferes184 als den Traum. Aber was iſt der Traum? Die Umkeh - rung des wachen Bewußtſeins. Im Traume iſt das Han - delnde das Leidende, das Leidende das Handelnde; im Traume nehme ich meine Selbſtaffectionen als Affectionen von Außen, die Gemüthsbewegungen als Ereigniſſe, meine Vorſtellungen und Empfindungen als Weſen außer mir wahr, leide ich, was ich außerdem thue. Der Traum bricht die Strahlen des Lichts doppelt — daher ſein unbeſchreiblicher Reiz. Es iſt daſſelbe Ich, daſſelbe Weſen im Traume, wie im Wachen; der Unterſchied iſt nur, daß im Wachen das Ich ſich ſelbſt af - ficirt, im Traume von ſich ſelbſt, als wie von einem andern Weſen afficirt wird. Ich denke mich — iſt gemüthlos, rationaliſtiſch; ich bin gedacht von Gott und denke mich nur als gedacht von Gott — iſt gemüthvoll, iſt religiös. Das Gemüth iſt der Traum mit offnen Augen; die Religion der Traum des wahren Bewußtſeins; der Traum der Schlüſ - ſel zu den Geheimniſſen der Religion.
Das höchſte Geſetz des Gemüths iſt die unmittelbare Einheit des Willens und der That, des Wunſches und der Wirklichkeit. Dieſes Geſetz erfüllt der Erlöſer. Wie das äußerliche Wunder im Gegenſatz zur natürlichen Thätigkeit die phyſiſchen Bedürfniſſe und Wünſche des Menſchen unmit - telbar realiſirt; ſo befriedigt der Erlöſer, der Verſöhner, der Gottmenſch im Gegenſatze zur moraliſchen Selbſtthätigkeit des natürlichen oder rationaliſtiſchen Menſchen unmittelbar die innern moraliſchen Bedürfniſſe und Wünſche, indem er den Menſchen der Vermittlungsthätigkeit ſeinerſeits überhebt. Was Du wünſcheſt, iſt bereits ein Perfectum. Du willſt Dir die Seligkeit erwerben, verdienen. Du kannſt es nicht — d. h. in Wahrheit: Du brauchſt es nicht. Es iſt ſchon185 geſchehen, was Du erſt machen willſt. Du haſt Dich nur paſ - ſiv zu verhalten, Du brauchſt nur zu glauben, nur zu genie - ßen. Du willſt Dir Gott geneigt machen, ſeinen Zorn be - ſchwichtigen, Frieden haben vor Deinem Gewiſſen. Aber die - ſer Friede exiſtirt ſchon; dieſer Friede iſt der Mittler, der Gott - menſch — Er iſt Dein beſchwichtigtes Gewiſſen, Er die Erfül - lung des Geſetzes und damit die Erfüllung Deines eignen Wunſches und Strebens.
Als der Erfüller des Geſetzes iſt aber jetzt nicht mehr das Geſetz, ſondern der Erfüller das Muſter, die Richtſchnur, das Geſetz Deines Lebens. Wer das Geſetz erfüllt, annullirt das Geſetz. Das Geſetz hat nur Autorität, nur Gültigkeit der Geſetzwidrigkeit gegenüber. Wer aber das Geſetz vollkommen erfüllt, der ſagt zum Geſetz: was du willſt, das will ich von ſelbſt, und was du nur befiehlſt, bekräftige ich durch die That; mein Leben iſt das wahre, das lebendige Geſetz. Der Erfül - ler des Geſetzes tritt daher nothwendig an die Stelle des Ge - ſetzes, und zwar als ein neues Geſetz, ein Geſetz, deſſen Joch ſanft und milde iſt. Denn ſtatt des nur commandirenden Geſetzes ſtellt er ſich ſelbſt als Beiſpiel, als ein Object der Liebe, der Bewunderung und Nacheiferung hin und wird dadurch zum Erlöſer von der Sünde. Das Geſetz gibt mir nicht die Kraft, das Geſetz zu erfüllen; nein! es iſt bar - bariſch; es befiehlt nur, ohne ſich darum zu bekümmern, ob ich es auch erfüllen kann und wie ich es erfüllen ſoll; es über - läßt mich rath - und hülflos nur mir ſelbſt. Aber wer mir mit ſeinem Beiſpiel voranleuchtet, der greift mir unter die Arme, der theilt mir ſeine eigne Kraft mit. Das Geſetz lei - ſtet keinen Widerſtand der Sünde, aber Wunder wirkt das Beiſpiel. Das Geſetz iſt todt; aber das Beiſpiel animirt,186 begeiſtert, reißt den Menſchen unwillkührlich mit ſich fort. Das Geſetz ſpricht nur zum Verſtande und ſetzt ſich direct den Trieben entgegen; das Beiſpiel dagegen ſchmiegt ſich an einen mächtigen, ſinnlichen Trieb — an den unwillkühr - lichen Nachahmungstrieb an. Das Beiſpiel wirkt auf Ge - müth und Phantaſie. Kurz, das Beiſpiel hat magiſche, d. h. ſinnliche Kräfte; denn die magiſche, d. i. unwillkührliche An - ziehungskraft iſt eine weſentliche Eigenſchaft, wie der Materie überhaupt, ſo der Sinnlichkeit insbeſondre.
Die Alten ſagten, wenn die Tugend ſich ſehen laſſen könnte oder würde, ſo würde ſie durch ihre Schönheit Alle für ſich gewinnen und begeiſtern. Die Chriſten waren ſo glück - lich, auch dieſen Wunſch erfüllt zu ſehen. Die Heiden hatten ein ungeſchriebenes, die Juden ein geſchriebenes Geſetz, die Chriſten ein Exempel, ein Vorbild, ein ſichtbares, perſönlich lebendiges Geſetz, ein Fleiſch gewordnes, ein menſchliches Ge - ſetz. Daher die Freudigkeit namentlich der erſten Chriſten — daher der Ruhm des Chriſtenthums, daß nur es allein die Kraft habe und gebe, der Sünde zu widerſtehen. Und dieſer Ruhm ſoll ihm nicht abgeſtritten werden. Nur iſt zu bemer - ken, daß die Kraft des Tugendexempels nicht ſowohl die Macht der Tugend, als vielmehr die Macht des Beiſpiels über - haupt iſt, gleichwie die Macht der religiöſen Muſik nicht die Macht der Religion, ſondern die Macht der Muſik iſt*)Intereſſant iſt in dieſer Beziehung das Selbſtbekenntniß Au - guſtins. Ita fluctuo inter periculum voluptatis et experimentum salubritatis: magisque adducor .... cantandi consuetudinem appro - bare in ecclesia, ut per oblectamenta aurium infirmior animus in affectum pietatis assurgat. Tamen cum mihi accidit, ut nos am - plius cantus, quam res quae canitur moveat, poenaliter me pec - care confiteor. Confess. I. X. c. 33. ,187 daß daher das Tugendbild wohl tugendhafte Handlungen zur Folge hat, aber ohne die Geſinnungen und Beweggründe der Tugend. Aber dieſer einfache und wahre Sinn von der erlö - ſenden und verſöhnenden Macht des Beiſpiels im Unterſchiede von der Macht des Geſetzes, auf welchen wir reducirten den Gegenſatz von Geſetz und Chriſtus, iſt keineswegs der volle erſchöpfende Sinn der religiöſen oder dogmatiſchen Erlöſung und Verſöhnung. Hier reducirt ſich Alles auf die perſönliche Kraft jenes wunderbaren Mittelweſens, welches weder Gott, noch Menſch allein, ſondern ein Menſch iſt, der zugleich Gott und ein Gott, der zugleich Menſch iſt, und welches daher nur im Zuſammenhang mit der Bedeutung des Wunders begrif - fen werden kann*)Die Theologen beſchränkten zwar den Ausdruck μέσος, μεσίτης, medius, mediator nur auf das Munus und Officium Christi. Aber gleichwohl iſt in ſeiner Subſtanz die menſchliche und göttliche Natur auf eine myſtiſche, d. i. wunderbare Weiſe verknüpft. (S. hierüber im Anhang.) Wie hätte er auch dieſes vermittelnde Amt übernehmen können, wenn er nicht ſeiner Natur nach ein Mittelweſen wäre?. Das Wunder iſt der realiſirte Wunſch des Menſchen, frei zu ſein von den Bedingungen, Schranken, Geſetzen, an welche der Vernunft und Natur nach die Befrie - digung der phyſiſchen Bedürfniſſe geknüpft iſt; der wunderbare Erlöſer iſt der realiſirte Wunſch des Gemüths, frei zu ſein von den Geſetzen der Moral, d. h. von den Bedingungen, an welche die Tugend auf dem natürlichen Wege gebunden iſt, der realiſirte Wunſch, von den moraliſchen Uebeln augen - blicklich, unmittelbar, mit einem Zauberſchlag, d. h. auf abſo - lut ſubjective, gemüthliche Weiſe erlöſt zu werden. Der höchſte Selbſtgenuß der Subjectivität, die höchſte Selbſtgewißheit des Menſchen überhaupt iſt, daß Gott für ihn handelt, für ihn leidet, für ihn ſich opfert.
188Daß die Wunderkraft eins iſt mit dem Begriffe des Mit - telweſens, iſt hiſtoriſch ſelbſt ſchon dadurch erwieſen, daß die Wunder des Alten Teſtaments, die Geſetzgebung, die Vorſe - hung, kurz alle die Elemente, welche das Weſen der Religion conſtituiren, ſchon vor dem Chriſtenthum in die göttliche Weis - heit, in den Logos verlegt wurden. Die Gottheit, an welche der Logos ſelbſt wieder angeknüpft wurde, iſt nur das Be - wußtſein der Vernunft, eine abſtracte metaphyſiſche Idee kein Weſen, keine Perſon; mit dem Logos erſt beginnt die Reli - gion. Dieſer Logos ſchwebt bei Philo noch in der Luft zwi - ſchen Himmel und Erde, bald als ein Abſtractum, bald als ein Concretum, d. h. Philo ſchwankt zwiſchen ſich ſelbſt als Philoſoph und ſich als religiöſen Iſraeliten, zwiſchen dem po - ſitiven Element der Religion und der metaphyſiſchen Idee, je - doch ſo, daß das abſtracte Element ſelbſt bei ihm ein mehr oder weniger phantaſtiſches iſt. Im Chriſtenthum kam erſt dieſer Logos zu vollkommner Conſiſtenz, das Abſtractum wurde ein entſchiednes Concretum, d. h. die Religion concentrirte ſich jetzt ausſchließlich auf das Element, das Object, welches ihre weſentliche Differenz begründet. Der Logos iſt das perſonifi - cirte Weſen der Religion, der Logos daher das Weſen des Chriſtenthums. Die Kirche hat hierin einen ſehr guten Tact bewieſen, daß ſie ſo ſehr auf die Weſenseinheit des Logos (Chriſtus) mit Gott drang*)Negas ergo Deum, si non omnia filio, quae Dei sunt, deferuntur. Cum enim dixerit: omnia quae pater habet mea sunt, cur tu non omnia quae divinae naturae sunt etiam in filio confiteris? Ambrosius de Fide ad Gratianum. l. III. c. 7. . Die Unterordnung Chriſti un - ter Gott bei Paulus war nur ein Reſt noch jüdiſch alexandri - niſcher Bildung, jedenfalls nur eine theoretiſche, ohne prakti -189 ſche Bedeutung in Bezug auf das weſentliche Thema, den eigentlichen religiöſen Text ſeines Lebens. Kurz, der Logos iſt erſt der Gott im Sinne der Religion, der offenbare, der wirk - liche Gott. Wenn daher Gott als das Weſen des Ge - müths beſtimmt wurde, ſo hat dieß erſt im Logos ſeine volle Wahrheit.
Gott als Gott iſt noch das verſchloßne, verborgne Ge - müth; das aufgeſchloßne, offne, ſich gegenſtändliche Ge - müth oder Herz iſt erſt Chriſtus — es verſteht ſich übrigens von ſelbſt, daß auch hier wieder, denn Das conſtituirt eben das Weſen der Religion, dieſes ſich offenbare Herz als ein andres, ſelbſtſtändiges Weſen angeſchaut wird; aber in Beziehung auf Gott als Gott, relativ, iſt erſt in Chriſtus das Gemüth voll - kommen ſeiner ſelbſt gewiß und verſichert, außer al - lem Zweifel über die Wahrhaftigkeit und Göttlichkeit ſeines eignen Weſens; denn Chriſtus ſchlägt nichts dem Gemüthe ab; er erfüllt alle ſeine Bitten. In Gott verſchweigt noch das Gemüth, was ihm auf dem Herzen liegt; es ſeufzt nur; aber in Chriſtus ſpricht es ſich vollkommen aus; hier be - hält es nichts mehr für ſich zurück. Der Seufzer iſt der noch ängſtliche Wunſch; er drückt ſich mehr durch die Klage aus, daß das nicht iſt, was er wünſcht, als daß er offen, poſitiv herausſagt, was er will; im Seufzer zweifelt noch das Ge - müth an der Rechtskräftigkeit ſeiner Wünſche. Aber in Chri - ſtus iſt alle Seelenangſt verſchwunden; Er iſt der in Siegesge - ſang über ſeine Erfüllung übergegangne Seufzer, die frohlo - ckende Gewißheit des Gemüths von der Wahrheit und Wirk - lichkeit ſeiner in Gott verborgnen Wünſche; der thatſächliche Sieg über den Tod, über alle Gewalt der Welt und Natur, die nicht mehr nur gehoffte, die bereits vollbrachte Auferſte -190 hung*)Quod est Christus, erimus Christiani, si Christum fuerimus sequuti. C. Cyprianus de idolorum vanitate. cap. 7. ; Er iſt das Herz, das aller drückenden Schranken, aller Leiden frei und ledig iſt, das ſelige Gemüth — die ſichtbare Gottheit.
Gott zu ſehen, dieß iſt der höchſte Wunſch, der höchſte Triumph des Herzens. Chriſtus iſt dieſer erfüllte Wunſch, dieſer Triumph. Gott nur gedacht, nur als Denkweſen, d. i. Gott als Gott iſt immer nur ein entferntes Weſen, das Verhältniß zu ihm ein abſtractes, gleich dem Freundſchafts - verhältniß, in welchem wir zu einem räumlich entfernten, per - ſönlich uns unbekannten Menſchen ſtehen. So ſehr auch ſeine Werke, die Beweiſe von Liebe, die er uns gibt, uns ſein We - ſen vergegenwärtigen; es bleibt doch ſtets eine unausgefüllte Lücke, das Herz unbefriedigt; wir ſehnen uns darnach, ihn zu ſehen. So lange uns ein Weſen nicht von Angeſicht zu An - geſicht bekannt iſt, ſind wir doch immer noch im Zweifel, ob es wohl iſt und ſo iſt, wie wir es vorſtellen; erſt im Sehen liegt die letzte Zuverſicht, die vollſtändige Beruhigung. Chri - ſtus iſt der perſönlich bekannte Gott, Chriſtus daher die ſelige Gewißheit, daß Gott iſt und ſo iſt, wie es das Ge - müth will und bedarf, daß er iſt. Gott als Gegenſtand des Gebets iſt wohl ſchon ein menſchliches Weſen, indem er an menſchlichem Elend Theil nimmt, menſchliche Wünſche erhört, aber er iſt doch noch nicht als wirklicher Menſch dem reli - giöſen Bewußtſein Gegenſtand. Erſt in Chriſtus iſt daher der letzte Wunſch der Religion realiſirt, das Geheimniß des reli - giöſen Gemüthes aufgelöſt — aufgelöſt aber in der der Re - ligion eigenthümlichen Bilderſprache — denn, was Gott191 im Weſen iſt, das iſt in Chriſtus zur Erſcheinung gekom - men. In ſofern kann man die chriſtliche Religion die abſo - lute nennen. Daß Gott, der an ſich nichts andres als das Weſen des Menſchen iſt, auch als ſolches verwirklicht werde, als Menſch dem Bewußtſein Gegenſtand ſei, das iſt das Ziel der Religion. Und dieſes erreichte die chriſtliche Religion in der Menſchwerdung Gottes, die keineswegs ein vorüberge - hender Act iſt, denn Chriſtus bleibt auch noch nach ſeiner Himmelfahrt Menſch, Menſch von Herzen und Menſch von Geſtalt, nur daß jetzt ſein Leib nicht mehr ein irdiſcher, dem Leiden unterworfner Körper iſt.
Die Menſchwerdungen Gottes bei den Orientalen, wie namentlich den Indern, haben keine ſo intenſive Bedeutung als die chriſtliche. Eben weil ſie oft geſchehen, werden ſie gleichgültig, verlieren ſie ihren Werth. Die Menſchheit Gottes iſt ſeine Perſönlichkeit. Gott iſt ein perſön - liches Weſen, heißt: Gott iſt ein menſchliches Weſen, Gott iſt Menſch. Die Perſönlichkeit iſt ein Abſtractum, das nur als wirklicher Menſch Realität hat*)Hieraus erhellt die Unwahrhaftigkeit und Eitelkeit der modernen Speculation uͤber die Perſönlichkeit Gottes. Schämt ihr euch nicht eines perſönlichen Gottes, ſo ſchämt euch auch nicht eines fleiſchlichen Got - tes. Eine abſtracte farbloſe Perſönlichkeit, eine Perſönlichkeit ohne Fleiſch und Blut iſt ein hohles Geſpenſt.. Der Sinn, der den Menſchwerdungen Gottes zu Grunde liegt, iſt daher un - endlich beſſer erreicht durch eine Menſchwerdung, eine Per - ſönlichkeit. Wo Gott in mehreren Perſonen nach einander erſcheint, da ſind dieſe Perſönlichkeiten verſchwindende. Aber es handelt ſich eben um eine bleibende Perſönlichkeit, eine ausſchließende Perſönlichkeit. Wo viele Incarnationen vor -192 kommen, da iſt Raum gegeben für noch unzählig viele andere; die Phantaſie iſt nicht beſchränkt; da treten auch die bereits wirklichen in die Kategorie der nur möglichen oder vorſtellba - ren, in die Kategorie von Phantaſien oder von bloßen Er - ſcheinungen. Wo aber ausſchließlich eine Perſönlichkeit als die Incarnation der Gottheit geglaubt und angeſchaut wird, da imponirt dieſe ſogleich mit der Macht einer hiſtoriſchen Perſönlichkeit; die Phantaſie iſt abgethan, die Freiheit, noch andere ſich vorzuſtellen, aufgegeben. Dieſe Eine Perſönlich - keit nöthigt mir den Glauben an ihre Wirklichkeit auf. Der Charakter der wirklichen Perſönlichkeit iſt eben die Ausſchließ - lichkeit — das Leibnitz’ſche Principium des Unterſchieds, daß nichts Exiſtirendes dem andern vollkommen gleich iſt. Der Ton, der Nachdruck, mit dem die Eine Perſönlichkeit ausge - ſprochen wird, macht einen ſolchen Effect auf das Gemüth, daß ſie unmittelbar als eine wirkliche ſich darſtellt, aus einem Object der Phantaſie zu einem Object der gemeinen hiſtori - ſchen Anſchauung wird.
Die Sehnſucht iſt die Nothwendigkeit des Ge - müths; und das Gemüth ſehnt ſich nach einem perſönlichen Gott. Aber dieſe Sehnſucht nach der Perſönlichkeit Gottes iſt nur eine wahre, ernſte, tiefe, wenn ſie die Sehnſucht nach Einer Perſönlichkeit iſt, wenn ſie ſich mit Einer begnügt. Mit der Mehrheit der Perſonen ſchwindet die Wahrheit des Bedürfniſſes, wird die Perſönlichkeit zu einem Luxusar - tikel der Phantaſie. Was aber mit der Gewalt der Nothwendigkeit, das wirkt mit der Gewalt der Wirk - lichkeit auf den Menſchen. Was namentlich dem Gemüth ein nothwendiges, das iſt ihm unmittelbar auch ein wirk - liches Weſen. Die Sehnſucht ſagt: es muß ein perſönli -193 cher Gott ſein, d. h. er kann nicht nicht ſein, das befriedigte Gemüth: er iſt. Die Bürgſchaft ſeiner Exiſtenz liegt für das Gemüth in der Nothwendigkeit ſeiner Exiſtenz — die Nothwendigkeit der Befriedigung in der Gewalt des Bedürf - niſſes. Die Noth kennt kein Geſetz außer ſich. Die Noth bricht Eiſen. Das Gemüth kennt keine andere Nothwendig - keit, als die Gemüthsnothwendigkeit, die Sehnſucht: es per - horrescirt die Nothwendigkeit der Natur, die Nothwendigkeit der Vernunft. Nothwendig iſt alſo dem Gemüthe ein ſubjec - tiver, gemüthlicher, perſönlicher Gott; aber nothwendig nur Eine Perſönlichkeit, und dieſe Eine nothwendig eine hiſtoriſche, wirkliche Perſönlichkeit. Nur in der Einheit der Perſönlich - keit befriedigt, ſammelt ſich das Gemüth. Die Mehrheit zer - ſtreut.
Wie aber die Wahrheit der Perſönlichkeit die Einheit, die Wahrheit der Einheit die Wirklichkeit — ſo iſt die Wahr - heit der wirklichen Perſönlichkeit — das Blut. Der letzte, von dem Verfaſſer des vierten Evangeliums mit beſonderm Nachdruck hervorgehobne Beweis, daß die ſichtbare Perſon Gottes kein Phantasma, ſondern wirklicher Menſch geweſen, iſt, daß Blut aus ſeiner Seite am Kreuze gefloſſen. Wo der perſönliche Gott eine wahre Herzensnoth iſt, da muß er ſelbſt Noth leiden. Nur in ſeinem Leiden liegt die Gewißheit ſeiner Wirklichkeit; nur darauf der weſentliche Ein - und Nach - druck der Incarnation. Gott zu ſehen genügt dem Gemüthe nicht. Die Augen geben noch keine hinlängliche Bürgſchaft. Die Wahrheit der Geſichtsvorſtellung bekräftigt nur das Ge - fühl. Aber wie ſubjectiv das Gefühl, ſo iſt auch objectiv die Fühlbarkeit, Antaſtbarkeit, Paſſibilität das letzte Kriterium der Wirklichkeit — das Leiden Chriſti daher die höchſte Wonne,Feuerbach. 13194die letzte Zuverſicht, der höchſte Selbſtgenuß, der höchſte Troſt des Gemüthes; denn nur im Blute Chriſti iſt der Durſt nach einem perſönlichen, d. i. menſchlichen, theilnehmenden, empfindenden Gotte geſtillt.
„ Darum wir es für einen ſchädlichen Irrthum halten, da Chriſto nach ſeiner Menſchheit ſolche (nämlich göttliche) Majeſtät entzogen, dadurch den Chriſten ihr höchſter Troſt ge - nommen, den ſie in … Verheißung von der Gegenwärtigkeit und Beiwohnung ihres Haupts, Königs und Hohenprieſters haben, der ihnen verſprochen hat, daß nicht allein ſeine bloße Gottheit, welche gegen uns arme Sünder, wie ein verzehren - des Feuer gegen dürre Stoppeln iſt, ſondern Er, Er, der Menſch, der mit ihnen geredet hat, der alle Trübſal in ſei - ner angenommenen menſchlichen Geſtalt verſucht hat, der dahero auch mit uns, als mit Menſchen und ſeinen Brü - dern ein Mitleiden haben kann, der wolle bei uns ſein in allen unſern Nöthen, auch nach der Natur, nach welcher er unſer Bruder iſt und wir Fleiſch von ſeinem Fleiſche ſind*)Concordienb. Erklär. Art. 8.. “
Oberflächlich iſt es, wenn man geſagt, das Chriſtenthum ſei nicht die Religion von einem perſönlichen Gott, ſondern von drei Perſönlichkeiten. Dieſe drei Perſönlichkeiten haben allerdings in der Dogmatik Exiſtenz; aber auch hier iſt die Per - ſönlichkeit des heil. Geiſtes nur ein willkührlicher Machtſpruch, welcher durch die unperſönlichen Beſtimmungen, wie z. B. die, daß der heil. Geiſt die Gabe, das donum des Vaters und Sohnes ſei, widerlegt wird**)Schon Faustus Socinus hat dieß aufs Trefflichſte gezeigt. S. deſ -. Schon der Ausgang des195 heil. Geiſtes ſtellt ſeiner Perſönlichkeit ein ſchlechtes Prognoſti - kon, denn nur durch die Zeugung, nicht aber durch das unbe - ſtimmte Aus - und Hervorgehen oder durch die Spiratio wird ein perſönliches Weſen hervorgebracht. Und ſelbſt der Vater, als Repräſentant des rigoroſen Begriffes der Gottheit, iſt nur der Einbildung und Behauptung nach, aber nicht ſeinen Be - ſtimmungen nach ein perſönliches Weſen: er iſt ein abſtracter Begriff, ein rein rationaliſtiſches Weſen. Die plaſtiſche Perſönlichkeit iſt nur Chriſtus. Zur Perſönlichkeit ge - hört Geſtalt. Die Geſtalt iſt die Wirklichkeit der Perſönlich - keit. Chriſtus allein iſt der perſönliche Gott — Er der wahre, wirkliche Gott der Chriſten, was nicht oft genug wiederholt werden kann. In ihm allein concentrirt ſich die chriſtliche Religion, das Weſen der Religion überhaupt. Nur Er entſpricht der Sehnſucht nach einem perſönlichen Gott; nur Er iſt eine mit dem Weſen des Gemüths identiſche Exi -**)ſen Defens. Animadv. in Assert. Theol. Coll. Posnan. de trino et uno Deo Irenopoli. 1656. cap. 11. Man leſe in dieſer Beziehung beſonders die Schriften der chriſtlichen Orthodoxen gegen die Heterodoxen, z. B. gegen die Socinianer. Neuere Theologen erklären bekanntlich auch die kirchliche Gottheit Chriſti für unbibliſch; aber gleichwohl iſt dieſe unläugbar das charakteriſtiſche Princip des Chriſtenthums, und wenn ſie auch nicht ſo in der Bibel ſchon ſteht, wie in der Dogmatik, dennoch eine nothwendige Conſequenz der Bibel. Was kann ein Weſen, welches die leibhafte Fülle der Gottheit, welches allwiſſend (Joh. 16, 30.) und allmächtig iſt (Todte erweckt, Wunder wirkt), welches allen Dingen und Weſen der Zeit und dem Range nach vorangeht, welches das Leben in ſich ſelbſt hat (wenn auch als gegeben) gleichwie der Vater das Leben in ſich hat, was kann dieſes Weſen, conſequent gefolgert, anders als Gott ſein? „ Chriſtus iſt dem Willen nach mit dem Vater eins; “aber Willenseinheit ſetzt Weſenseinheit voraus. „ Chriſtus iſt der Abgeſandte, der Stellvertreter Gottes; “aber Gott kann ſich nur durch ein göttliches Weſen vertreten laſſen. Nur den, in welchem ich gleiche oder doch ähnliche Eigenſchaften wie in mir finde, kann ich zu meinem Stellvertreter wählen, ſonſt blamire ich mich ſelbſt.13*196ſtenz; nur auf ihn häufen ſich alle Freuden der Phanta - ſie und alle Leiden des Gemüths; nur in ihm erſchöpft ſich das Herz und erſchöpft ſich die Phantaſie. Chriſtus iſt die Identität von Herz und Phantaſie.
Dadurch unterſcheidet ſich das Chriſtenthum von andern Religionen, daß in dieſen Herz und Phantaſie auseinander gehen, im Chriſtenthum aber zuſammenfallen. Die Phantaſie vagirt hier nicht ſich ſelbſt überlaſſen herum; ſie folgt dem Zuge des Herzens; ſie beſchreibt einen Kreis, deſſen Mittel - punkt das Gemüth iſt. Die Phantaſie iſt hier beſchränkt durch Herzensbedürfniſſe, realiſirt nur die Wünſche des Gemüths, bezieht ſich nur auf das Eine, was Noth iſt; kurz ſie hat, we - nigſtens im Ganzen, eine praktiſche, concentriſche, keine aus - ſchweifende, nur poetiſche Tendenz. Die Wunder des Chri - ſtenthums, empfangen im Schooße des nothleidenden, bedürf - tigen Gemüths, keine Producte nur der freien, willkührlichen Selbſtthätigkeit, verſetzen uns unmittelbar auf den Boden des gemeinen, wirklichen Lebens; ſie wirken auf den Gemüthsmen - ſchen mit unwiderſtehlicher Gewalt, weil ſie die Nothwendig - keit des Gemüths für ſich haben. Kurz, die Macht der Phan - taſie iſt hier zugleich die Macht des Herzens, die Phantaſie nur das ſiegreiche, triumphirende Herz. Bei den Orien - talen, bei den Griechen ſchwelgte die Phantaſie, unbekümmert um die Noth des Herzens, im Genuſſe irdiſcher Pracht und Herrlichkeit; im Chriſtenthume ſtieg ſie aus dem Pallaſte der Götter herab in die Wohnung der Armuth, wo nur die Noth - wendigkeit des Bedürfniſſes waltet, demüthigte ſie ſich unter die Herrſchaft des Herzens. Aber je mehr ſie ſich extenſiv be - ſchränkte, um ſo mehr gewann ſie an intenſiver Stärke. An der Noth des Herzens ſcheiterte der Muthwille der olympiſchen197 Götter; aber allmächtig wirkt die Phantaſie im Bunde mit dem Herzen. Und dieſer Bund der Freiheit der Phantaſie mit der Nothwendigkeit des Herzens iſt Chriſtus. Alle Dinge ſind Chriſto unterthan; Er iſt der Herr der Welt, der mit ihr macht, was er nur will; aber dieſe über die Natur unbe - ſchränkt gebietende Macht iſt ſelbſt wieder unterthan der Macht des Herzens: Chriſtus gebietet der tobenden Natur Stillſchweigen, aber nur um zu erhören die Seufzer der Noth - leidenden*)Ueber den Unterſchied von Herz und Gemüth im Anhange..
Chriſtus iſt die Allmacht der Subjectivität, das von allen Banden und Geſetzen der Natur erlöſte Herz, das mit Aus - ſchluß der Welt nur auf ſich allein concentrirte Gemüth, die Realität aller Herzenswünſche, die Himmelfahrt der Phanta - ſie, das Auferſtehungsfeſt des Herzens — Chriſtus daher der Unterſchied des Chriſtenthums vom Heidenthum.
Im Chriſtenthum concentrirte ſich der Menſch nur auf ſich ſelbſt; erfaßte er ſich als das allein berechtigte, allein we - ſenhafte Weſen; löſte er ſich vom Zuſammenhang des Weltganzen los; machte er ſich zu einem ſelbſtgenügſamen Ganzen, zu einem abſoluten, außer - und überweltlichen Weſen. Eben dadurch, daß er ſich nicht mehr als einen Theil der Welt anſah, den Zuſammenhang mit ihr unterbrach, fühlte er ſich als unbeſchränktes Weſen — denn die Schranke der Subjectivität iſt eben die Welt, die Objectivität — hatte er keinen Grund mehr, die Wahrheit und Gültigkeit ſeiner198 ſubjectiven Wünſche und Gefühle zu bezweifeln. Die Heiden dagegen, nicht auf ſich zurückgezogen, nicht in ſich ſelbſt vor der Natur ſich verbergend, beſchränkten ihre Subjectivität durch die Anſchauung der Welt. So ſehr die Alten die Herrlichkeit der Intelligenz, der Vernunft feierten, ſo waren ſie doch ſo liberal, ſo objectiv, auch das Andere des Geiſtes, die Ma - terie leben und zwar ewig leben zu laſſen, im Theoretiſchen, wie im Praktiſchen; die Chriſten bewährten ihre, wie prakti - ſche, ſo theoretiſche Intoleranz auch darin, daß ſie ihr ewi - ges ſubjectives Leben nur dadurch zu ſichern glaubten, daß ſie, wie z. B. in dem Glauben an den Untergang der Welt, den Gegenſatz der Subjectivität, die Natur vernichteten. Die Al - ten waren frei von ſich, aber ihre Freiheit war die Freiheit der Gleichgültigkeit gegen ſich; die Chriſten frei von der Natur, aber ihre Freiheit war nicht die Freiheit der Vernunft, die wahre Freiheit — die wahre Freiheit iſt nur die durch die Weltanſchauung ſich beſchränkende — ſondern die Frei - heit des Gemüths und der Phantaſie, die Freiheit des Wunders. Die Alten entzückte der Kosmos ſo ſehr, daß ſie ſelbſt ſich darüber aus dem Auge verloren, ſich im Ganzen ver - ſchwinden ſahen; die Chriſten verachteten die Welt; was iſt die Creatur gegen den Creator? was Sonne, Mond und Erde gegen die menſchliche Seele? Die Welt vergeht, aber der Menſch und zwar der individuelle, perſönliche Menſch iſt ewig. Wenn die Chriſten den Menſchen aus aller Gemeinſchaft mit der Natur losriſſen und dadurch in das Extrem einer vornehmen Delicateſſe verfielen, die ſchon die entfernte Vergleichung des Menſchen mit dem Thiere als gottloſe Verletzung der Men - ſchenwürde bezeichnete; ſo verfielen dagegen die Heiden in das andere Extrem, in die Gemeinheit, welche den Unterſchied zwi -199 ſchen Thier und Menſch aufhebt, oder gar, wie z. B. Celſus, der Gegner des Chriſtenthums, den Menſchen unter die Thiere degradirt.
Die Heiden betrachteten aber den Menſchen nicht nur im Zuſammenhang mit dem Univerſum; ſie betrachteten den Men - ſchen, d. h. das Individunm nur im Zuſammenhang mit an - dern Menſchen, in Verbindung mit einem Gemeinweſen. Sie unterſchieden ſtrenge das Individuum von der Gattung, das Individuum als Theil vom Ganzen des Menſchengeſchlechts und ſubordinirten dem Ganzen das einzelne Weſen. Wie willſt Du klagen über den Verluſt Deiner Tochter? ſchreibt Sulpi - cius an Cicero. Große, weltberühmte Städte und Reiche ſind untergegangen und Du geberdeſt Dich ſo über den Tod eines homunculi, eines Menſchleins. Wo iſt Deine Philoſophie? Der Begriff des Menſchen als Individuum war den Alten ein durch den Begriff der Gattung vermittelter, ſecundärer Be - griff. Dachten ſie auch hoch von der Gattung, hoch von den Vorzügen der Menſchheit, hoch und erhaben von der Intelli - genz, ſo dachten ſie doch gering vom Individuum. Das Chri - ſtenthum dagegen ließ die Gattung fahren, hatte nur das In - dividuum im Auge und Sinne. Das Chriſtenthum, frei - lich nicht das heutige Chriſtenthum, welches nur noch den Namen und einige allgemeine Sätze vom Chriſtenthum behal - ten hat, iſt der directe Gegenſatz des Heidenthums — es wird nur wahrhaft erfaßt, nicht verunſtaltet durch will - kührliche, ſpeculative Deutelei, wenn es als Gegenſatz er - faßt wird; es iſt wahr, ſo weit als ſein Gegenſatz falſch iſt, aber falſch, ſo weit ſein Gegenſatz wahr iſt. Die Alten opferten das Individuum der Gattung auf; die Chri - ſten die Gattung dem Individuum. Oder: das Heidenthum200 dachte und erfaßte das Individuum nur als Theil im Unter - ſchiede von dem Ganzen der Gattung, das Chriſtenthum da - gegen nur in ſeiner unmittelbaren, unterſchiedloſen Einheit mit der Gattung.
Dem Chriſtenthum war das Individuum Gegenſtand einer unmittelbaren Vorſehung, d. h. ein unmittelbarer Gegenſtand des göttlichen Weſens. Die Heiden glaub - ten eine Vorſehung des Einzelnen nur vermittelſt der Gattung, des Geſetzes, der Weltordnung, alſo nur eine mittelbare, na - türliche, nicht wunderbare Vorſehung*)Allerdings glaubten auch die heidniſchen Philoſophen, wie Plato, Sokrates, die Stoiker (ſ. z. B. J. Lipsius Physiol. Stoic. l. I. diss. XI. ), daß die göttliche Vorſehung ſich nicht nur auf das Allgemeine, ſondern auch das Einzelne, Individuelle erſtrecke; aber ſie identificir - ten die Vorſehung mit der Natur, dem Geſetz, der Nothwendig - keit. Allerdings glaubten auch die Stoiker, die ſpeculativen Ortho - doxen des Heidenthums, Wunder der Vorſehung (ſ. Cic. de nat. Deor. I. II. u. de Divinat. l. I.); aber ihre Wunder hatten doch keine ſolche ſupranaturaliſtiſche Bedeutung, wie bei den Chriſten, obwohl auch ſie ſchon an die ſupranaturaliſtiſche Vorſtellung: Nihil est quod Deus ef - ficere non possit appellirten. Was überhaupt die übereinſtimmenden Gedanken der Heiden und Chriſten betrifft, ſo verweiſe ich auf die (freilich meiſt ſehr kritikloſen) Zuſammenſtellungen derſelben in den Schriften älterer Theologen und Philoſophen, z. B. Aug. Steuchi Eugub. etc. de perenni philosophia I. X. Basil. 1542 (intereſ - ſant beſonders wegen des für jene Zeit ſo merkwürdigen Gedankens: Hi (die heidniſchen Philoſophen) loquuntur natura rationeque ma - gistra, quod litterae sacrae oraculo .... pene miraculum (sit) eos ratione vidisse, quod post nuntius coelestis revelavit.) Theoph. Galeus Philos. gener. Londini 1676, der mit orthodoxer Bornirtheit und Mißgunſt Alles aus der Bibel ableitet, Hugo Gro - tius Annotationes in N. T., der ſtets zu den Ausſprüchen der Bibel die verwandten Ausſprüche der Heiden geſellt.; die Chriſten aber lie - ßen die Vermittlung fallen, ſetzten ſich in unmittelbaren Con - nex mit dem vorſehenden, allumfaſſenden, allgemeinen Weſen;201 d. h. ſie identificirten unmittelbar mit dem allgemeinen We - ſen das einzelne Weſen.
Aber der Begriff der Gottheit fällt mit dem Begriff der Menſchheit in Eins zuſammen. Alle göttlichen Beſtimmun - gen, alle Beſtimmungen, die Gott zu Gott machen, ſind Gat - tungsbeſtimmungen — Beſtimmungen, die in dem Ein - zelnen, dem Individuum beſchränkt ſind, aber deren Schranken in dem Weſen der Gattung und ſelbſt in ihrer Exiſtenz — in - wiefern ſie nur in allen Menſchen zuſammengenommen ihre entſprechende Exiſtenz hat — aufgehoben ſind. Mein Wiſſen, mein Wille iſt beſchränkt; aber meine Schranke iſt nicht die Schranke des Andern, geſchweige der Menſchheit; was mir ſchwer, iſt dem Andern leicht; was einer Zeit unmöglich, un - begreiflich, iſt der kommenden begreiflich und möglich. Mein Leben iſt an eine beſchränkte Zeit gebunden, das Leben der Menſchheit nicht. Die Geſchichte der Menſchheit beſteht in nichts anderm als einer fortgehenden Ueberwindung von Schranken, — Schranken, die immer der vorangegang - nen Zeit für Schranken der Menſchheit, und darum für abſolute, unüberſteigliche Schranken galten. Die Zu - kunft enthüllt aber immer, daß die angeblichen Schranken der Gattung nur Schranken der Individuen waren. Die Ge - ſchichte der Wiſſenſchaften, namentlich der Philoſophie und Naturwiſſenſchaft liefern hiefür die intereſſanteſten Belege. Es wäre höchſt intereſſant und lehrreich, eine Geſchichte der Wiſ - ſenſchaften lediglich aus dieſem Geſichtspunkt zu ſchreiben, um den Wahn des Menſchen, als könnte er etwas Höheres als ſeine Gattung denken, ſeine Subſtanz beſchränkt denken und fühlen, in ſeiner ganzen Nichtigkeit zu zeigen. Unbeſchränkt iſt alſo die Gattung, beſchränkt nur das Individuum.
202Aber das Gefühl der Schranke iſt ein peinliches; von die - ſer Pein befreit ſich das Individuum in der Anſchauung des vollkommnen Weſens; in dieſer Anſchauung beſitzt es, was ihm außerdem fehlt. Gott iſt nichts andres bei den Chriſten als die Anſchauung von der unmittelbaren Einheit der Gattung und Individualität, des allgemeinen und individuellen Weſens. Gott iſt der Begriff der Gattung als eines Individuums, der Begriff oder das Weſen der Gattung, welche als Gattung, als allgemeines Weſen, als der Inbegriff aller Vollkommenheiten, aller von den Schranken, die in das Bewußtſein und Gefühl des In - dividuums fallen, gereinigten Eigenſchaften oder Realitäten, zugleich wieder ein individuelles, perſönliches Weſen iſt. Ipse suum Esse est. Weſen und Exiſtenz iſt bei Gott iden - tiſch, d. h. eben nichts andres, als er iſt der Gattungsbegriff, das Gattungsweſen unmittelbar zugleich als Exiſtenz, als In - dividuum. Der höchſte Gedanke von dem Standpunkt der Religion aus iſt: Gott liebt nicht, er iſt ſelbſt die Liebe; er lebt nicht, er iſt das Leben; er iſt nicht gerecht, ſondern die Gerechtigkeit ſelbſt, nicht eine Perſon, ſondern die Perſönlich - keit ſelbſt — das Abſtractum, die Idee unmittelbar als Con - cretum*)Dicimur amare et Deus; dicimus nosse et Deus. Et multa in hunc modum. Sed Deus amat ut charitas, novit ut veritas etc. Bernhard (de consider. l. V.). .
Eben wegen dieſer unmittelbaren Einheit der Gattung und Individualität, dieſer Concentration aller Allgemeinhei - ten und Realitäten in ein perſönliches Weſen iſt Gott ein tief gemüthliches, die Phantaſie entzückendes Object, während die Idee der Menſchheit eine gemüthloſe iſt, weil die Menſchheit203 nur als ein Abſtractum, als das Wirkliche aber, im Unter - ſchied von dieſem Abſtractum, die unzählig vielen einzelnen beſchränkten Individuen uns in unſerer Vorſtellung erſchei - nen*)Der Ausdruck: Menſchheit, Gattung führt allerdings manche unangemeſſene Vorſtellungen mit ſich, aber ſie verdienen keine Berück - ſichtigung, da ſie nur auf einer oberflächlichen Anſicht von dem ſo geheimnißvollen, unbegriffnen Weſen der Gattung beruhen.. In Gott dagegen befriedigt ſich unmittelbar das Ge - müth, weil hier Alles in Eins zuſammengefaßt, Alles mit einem Mal, d. h. weil hier die Gattung unmittelbar Exi - ſtenz, d. i. Individualität iſt. Gott iſt die Liebe, die Gerech - rigkeit als ſelbſt Subject, das vollkommne, allgemeine Weſen als ein Weſen, die unendliche Extenſion der Gattung als ein compendiariſcher Inbegriff. Aber Gott iſt nur die Anſchauung des Menſchen von ſeinem eignen Weſen, Gott ſein wahres Weſen — die Chriſten unterſcheiden ſich alſo dadurch von den Heiden, daß ſie das Individuum unmittelbar mit der Gattung identificirten, daß bei ihnen das Individuum die Bedeutung der Gattung hat, das Individuum für ſich ſelbſt für das vollkommne Daſein der Gattung gilt — dadurch, daß ſie das menſchliche Individuum vergötterten, zum abſoluten Weſen machten.
Charakteriſtiſch beſonders iſt die Differenz des Chriſten - thums und Heidenthums in Betreff des Verhältniſſes des In - dividuums zur Intelligenz, zum Verſtande, zum Νοῦς. Die Chriſten individualiſirten den Verſtand, die Heiden mach - ten ihn zu einem univerſalen Weſen. Den Heiden war der Verſtand, die Intelligenz das Weſen des Menſchen, den Chriſten nur ein Theil ihrer ſelbſt, den Heiden war darum204 nur die Intelligenz, die Gattung, den Chriſten das In - dividuum unſterblich, d. i. göttlich. Hieraus ergibt ſich von ſelbſt die weitere Differenz zwiſchen heidniſcher und chriſt - licher Philoſophie.
Der unzweideutigſte Ausdruck, das charakteriſtiſche Sym - bolum dieſer unmittelbaren Identität der Gattung und Indivi - dualität im Chriſtenthum iſt Chriſtus, der reale Gott der Chriſten. Chriſtus iſt das Urbild, der exiſtirende Begriff der Menſchheit, der Inbegriff aller moraliſchen und göttlichen Vollkommenheiten, mit Ausſchluß alles Negativen, reiner, himmliſcher, ſündloſer Menſch, Gattungsmenſch, der Adam Kadmon, aber nicht an - geſchaut als die Totalität der Gattung, der Menſchheit, ſondern unmittelbar als Individuum, als eine Perſon. Chriſtus, d. h. der chriſtliche, religiöſe Chriſtus iſt daher nicht der Mittelpunkt, ſondern das Ende der Geſchichte. Dieß geht eben ſo aus dem Begriffe, als der Hiſtorie hervor. Die Chriſten erwarteten das Ende der Welt, der Geſchichte. Chri - ſtus ſelbſt prophezeit in der Bibel, allen Lügen und Sophis - men unſerer Exegeten zum Trotz, klar und deutlich das nahe Weltende. Die Geſchichte beruht nur auf dem Unterſchiede des Individuums von der Gattung. Wo dieſer Unterſchied aufhört, hört die Geſchichte auf, geht der Verſtand, der Sinn der Geſchichte aus. Es bleibt dem Menſchen nichts weiter übrig, als die Anſchauung und Aneignung dieſes realiſirten Ideals und der formelle, quantitative Ausbreitungstrieb — die Predigt, daß Gott erſchienen und das Ende der Welt ge - kommen iſt.
Deßwegen, weil die unmittelbare Identität der Gattung und des Individuums über die Gränzen der Vernunft und Natur hinausgeht, war es auch ganz natürlich und nothwen -205 dig, dieſes univerſale, ideale Individuum für ein überſchwäng - liches, übernatürliches, himmliſches Weſen zu erklären. Ver - kehrt iſt es daher, aus der Vernunft die unmittelbare Identi - tät der Gattung und des Inviduums deduciren zu wollen; denn es iſt nur die Phantaſie, die dieſe Identität bewerkſtelligt, die Phantaſie, der nichts unmöglich — dieſelbe Phantaſie, die auch die Schöpferin der Wunder iſt; denn das größte Wun - der iſt das Individuum, welches zugleich die Idee, die Gat - tung, die Menſchheit in der Fülle ihrer Vollkommenheit und Unendlichkeit, d. h. der Gottheit iſt. Verkehrt iſt es daher auch, den hiſtoriſch dogmatiſchen Chriſtus beizubehalten, aber die Wunder auf die Seite zu ſchieben. Wenn Du das Prin - cip feſthältſt, wie willſt Du ſeine nothwendigen Conſequenzen verläugnen?
Die gänzliche Abweſenheit des Begriffes der Gattung im Chriſtenthum bekundet beſonders die charakteriſtiſche Lehre deſ - ſelben von der allgemeinen Sündhaftigkeit der Menſchen. Es liegt nämlich dieſer Lehre die Forderung zu Grunde, daß das Individuum nicht ein Individuum ſein ſoll, eine Forderung, die aber ſelbſt wieder zu ihrem Fundament die Vorausſetzung hat, daß das Individuum für ſich ſelbſt ein vollkommnes Weſen, für ſich ſelbſt die adäquate Darſtellung oder Exiſtenz der Gattung iſt*)Allerdings iſt das Individuum etwas Abſolutes, in der Sprache Leibnitz’s, der Spiegel des Univerſums, des Unendlichen. Aber als exiſtirendes iſt das Individuum ſelbſt wieder nur ein beſtimmter, indi - vidueller, darum endlicher Spiegel des Unendlichen. Darum gibt es viele Individuen.. Es fehlt hier gänzlich die objective An - ſchauung, das Bewußtſein, daß das Du zur Vollkommenheit des Ich gehört, daß die Menſchen erſt zuſammen den Men -206 ſchen ausmachen, die Menſchen nur zuſammen das ſind und ſo ſind, was und wie der Menſch ſein ſoll und ſein kann. Alle Menſchen ſind Sünder. Ich gebe es zu; aber ſie ſind nicht Sünder alle auf gleiche Weiſe; es findet vielmehr ein ſehr großer, ja weſentlicher Unterſchied ſtatt. Der eine Menſch hat Neigung zur Lüge, der Andere aber nicht: er würde eher ſein Leben laſſen, als ſein Wort brechen oder lügen; der Dritte hat Neigung zur Trinkluſt, der Vierte zur Geſchlechts - luſt, der Fünfte aber hat alle dieſe Neigungen nicht — ſei es nun durch die Gnade der Natur oder die Energie ſeines Cha - rakters. Es compenſiren ſich alſo auch im Moraliſchen, wie im Phyſiſchen und Intellectuellen, gegenſeitig die Men - ſchen, ſo daß ſie im Ganzen zuſammengenommen ſo ſind, wie ſie ſein ſollen, den vollkommnen Menſchen darſtellen.
Darum beſſert und hebt der Umgang unwillkührlich, ohne Verſtellung iſt der Menſch ein anderer im Umgang, als allein für ſich. Wunder wirkt namentlich die Liebe und zwar die Geſchlechterliebe. Mann und Weib berichten und ergänzen ſich gegenſeitig, um ſo vereint erſt die Gattung, den vollkomm - nen Menſchen darzuſtellen*)Bei den Indern (Menu Geſ. ) iſt erſt derjenige „ ein voll - ſtändiger Mann, der aus drei vereinigten Perſonen, ſeinem Weibe, ſich ſelbſt und ſeinem Sohne beſteht. Denn Mann und Weib und Vater und Sohn ſind Eins. “ Auch der altteſtamentliche, irdiſche Adam iſt unvollſtändig ohne das Weib, ſehnt ſich nach ihm. Aber der neu - teſtamentliche, der chriſtliche, der himmliſche, der auf den Untergang dieſer Welt berechnete Adam hat keine geſchlechtlichen Triebe und Functionen mehr.. Ohne Gattung iſt die Liebe undenkbar. Die Liebe iſt nichts andres als das Selbſtge - fühl der Gattung innerhalb der Geſchlechtsdifferenz. In207 der Liebe iſt die Realität der Gattung, die ſonſt nur eine Vernunftſache, ein Gegenſtand des Denkens iſt, eine Ge - fühlsſache, eine Gefühlswahrheit, denn in der Liebe ſpricht der Menſch ſeine Ungenügſamkeit an ſeiner Individua - lität für ſich aus, poſtulirt er das Daſein des Andern als ein Herzensbedürfniß, rechnet er den Andern zu ſeinem eignen Weſen, erklärt er nur ſein durch die Liebe mit ihm verbund - nes Leben für wahres menſchliches, dem Begriffe des Men - ſchen, d. i. der Gattung entſprechendes Leben. Mangelhaft, unvollkommen, ſchwach, bedürftig iſt das Individuum; aber ſtark, vollkommen, befriedigt, bedürfnißlos, ſelbſtgenugſam, unendlich die Liebe, weil in ihr das Selbſtgefühl der Individualität das geheimnißvolle Selbſtgefühl der Vollkom - menheit der Gattung iſt. Aber wie die Liebe, wirkt auch die Freundſchaft, wo ſie wenigſtens intenſiv iſt, wie ſie es bei den Alten war — daher wir auch nicht den Chriſten, ſondern den Heiden den tiefen Ausſpruch verdanken, daß der Freund der Alter Ego ſei. Freunde compenſiren ſich; Freundſchaft iſt ein Tugendmittel und mehr: ſie iſt ſelbſt Tugend, aber eine gemeinſchaftliche Tugend. Nur zwiſchen Tugendhaften kann Freundſchaft ſtatt finden, wie die Alten ſagten. Aber doch kann nicht vollkommne Gleichheit, es muß vielmehr Un - terſchied ſtatt finden, denn die Freundſchaft beruht auf einem Ergänzungstriebe. Der Freund gibt ſich durch den Andern, was er ſelbſt nicht beſitzt. Die Freundſchaft ſühnt durch die Tugenden des Einen die Fehler des Andern. Der Freund rechtfertigt den Freund vor Gott. Er liebt in dem Freunde die ſeinen Fehlern entgegengeſetzten Tugenden. So fehlerhaft auch ein Menſch für ſich ſelbſt ſein mag: er beweiſt doch darin ſchon einen guten Kern, wenn er tüchtige Menſchen zu Freun -208 den hat. Wenn ich auch ſelbſt nicht vollkommen ſein kann, ſo liebe ich doch wenigſtens an Andern die Tugend, die Voll - kommenheit. Wenn daher einſt der liebe Gott wegen mei - ner Sünden, Schwächen und Fehler mit mir rechten will, ſo ſchiebe ich als Fürſprecher, als Mittelsperſonen die Tugenden meiner Freunde ein. Wie barbariſch, wie unvernünftig wäre der Gott, der mich verdammte wegen Sünden, welche ich wohl begangen, aber ſelbſt in der Liebe zu meinen Freunden, die frei von dieſen Sünden waren, verdammte.
Wenn nun aber ſchon die Freundſchaft, die Liebe, die ſelbſt nur ſubjective Realiſationen der Gattung ſind, aus für ſich unvollkommnen Weſen ein, wenigſtens relativ, vollkomm - nes Ganzes machen, wie viel mehr verſchwinden in der Gat - tung ſelbſt, welche nur in der Geſammtheit der Menſchheit ihr adäquates Daſein hat und eben darum nur ein Gegenſtand der Vernunft iſt, die Sünden und Fehler der einzelnen Men - ſchen! Das Lamento über die Sünde kommt daher nur da an die Tagesordnung, wo das menſchliche Individuum in ſeiner Individualität ſich als ein für ſich ſelbſt vollkommnes, completes, des Andern nicht zur Realiſirung der Gat - tung, des vollkommenen Menſchen, bedürftiges Weſen Gegen - ſtand, wo an die Stelle des Bewußtſeins der Gattung das ausſchließliche Selbſtbewußtſeins des Indivi - duums getreten iſt, wo das Individuum ſich nicht als einen Theil der Menſchheit weiß, ſondern ſich mit der Gattung identificirt, und deßwegen ſeine Sünden, ſeine Schranken, ſeine Schwächen zu allgemeinen Sünden, zu Sünden, Schran - ken und Schwächen der Menſchheit ſelbſt macht. Aber gleich - wohl kann der Menſch das Bewußtſein der Gattung nicht verlieren, denn ſein Selbſtbewußtſein iſt weſentlich an das209 Bewußtſein des Andern gebunden. Wo darum dem Men - ſchen nicht die Gattung als Gattung Gegenſtand iſt, da wird ihm die Gattung als Gott Gegenſtand. Den Man - gel des Begriffs der Gattung ergänzt er durch den Begriff Gottes, als des Weſens, welches frei iſt von den Schranken und Mängeln, die das Individuum, und, nach ſeiner Meinung, die das Individuum mit der Gattung identificirt, die Gattung ſelbſt drücken. Aber dieſes von den Schranken der Individuen freie, unbeſchränkte Weſen iſt eben nichts andres als die Gat - tung, welche die Unendlichkeit ihres Weſens darin offenbart, daß ſie ſich in unbeſchränkt vielen und verſchiedenartigen In - dividuen verwirklicht. Wären alle Menſchen abſolut gleich, ſo wäre allerdings kein Unterſchied zwiſchen der Gattung und dem Individuum. Aber dann wäre auch das Daſein vieler Menſchen ein reiner Luxus. Ein Einziger genügte hinläng - lich dem Zweck der Gattung. Alle miteinander hätten an dem Einen, der das Glück der Exiſtenz genöſſe, ihren hinreichenden Erſatzmann.
Allerdings iſt das Weſen der Menſchen Eines, aber dieſes Weſen iſt unendlich; ſein wirkliches Daſein daher unendliche, ſich gegenſeitig ergänzende Verſchiedenartigkeit, um den Reichthum des Weſens zu offenbaren. Die Einheit im Weſen iſt Mannigfaltigkeit im Daſein. Zwiſchen Mir und dem Andern — aber der Andere iſt der Repräſentant der Gattung, auch wenn er nur Einer iſt, er erſetzt mir das Be - dürfniß nach vielen Andern, hat für mich univerſelle Bedeutung, iſt der Deputirte der Menſchheit, der in ihrem Namen zu mir Einſamen ſpricht, ich habe daher, auch nur mit Einem verbunden, ein gemeinſames, menſchliches Leben — zwiſchen Mir und dem Andern findet daher ein weſentlicher,Feuerbach. 14210qualitativer Unterſchied ſtatt. Der Andere iſt mein Du — ob dieß gleich wechſelſeitig iſt — mein Alter Ego, der mir gegenſtändliche Menſch, mein aufgeſchloſſenes Innere — das ſich ſelbſt ſehende Auge. An dem Andern habe ich erſt das Bewußtſein der Menſchheit. Durch ihn erſt erfahre, fühle ich, daß ich Menſch bin; in der Liebe zu ihm wird mir erſt klar, daß er zu mir und ich zu ihm gehöre, daß wir beide nicht ohne einander ſein können, daß nur die Gemein - ſamkeit die Menſchheit conſtituirt. Aber eben ſo findet auch moraliſch ein qualitativer, ein kritiſcher Unterſchied zwi - ſchen dem Ich und Du ſtatt. Der Andere iſt mein gegen - ſtändliches Gewiſſen: er macht mir meine Fehler zum Vor - wurf, auch wenn er ſie mir nicht ausdrücklich ſagt: er iſt mein perſonificirtes Schaamgefühl. Das Bewußtſein des Moralgeſetzes, des Rechtes, der Schicklichkeit, der Wahrheit ſelbſt iſt nur an das Bewußtſein des Andern gebunden. Wahr iſt, worin der Andere mit mir übereinſtimmt — Uebereinſtimmung iſt das erſte Kriterium der Wahrheit, aber nur deßwegen, weil die Gattung das letzte Maaß der Wahrheit iſt. Was ich nur denke nach dem Maaße meiner Individualität, daran iſt der Andere nicht gebunden, das kann anders gedacht werden, das iſt eine zufällige, nur ſubjective Anſicht. Was ich aber denke im Maaße der Gattung, das denke ich, wie es der Menſch überhaupt nur immer denken kann und folglich der Einzelne denken muß, wenn er normal, geſetzmäßig und folg - lich wahr denken will. Wahr iſt, was mit dem Weſen der Gattung übereinſtimmt, falſch, was ihr widerſpricht. Ein anderes Geſetz der Wahrheit gibt es nicht. Aber der Andere iſt mir gegenüber der Repräſentant der Gattung, der Stellvertreter der Andern im Plural, ja ſein Urtheil kann211 mir mehr gelten, als das Urtheil der zahlloſen Menge. „ Mache der Schwärmer ſich Schüler, wie Sand am Meere; der Sand iſt Sand; die Perle ſei mein, Du o vernünftiger Freund! “ Die Beiſtimmung des Andern gilt mir daher für das Krite - rium der Normalität, der Allgemeinheit, der Wahrheit meiner Gedanken. Ich kann mich nicht ſo von mir abſondern, um vollkommen frei und intereſſelos mich beurtheilen zu können; aber der Andere hat ein unpartheiiſches Urtheil; durch ihn be - richtige, ergänze, erweitre ich mein eignes Urtheil, meinen eignen Geſchmack, meine eigne Erkenntniß. Kurz, es findet eine qualitative, kritiſche Differenz zwiſchen den Men - ſchen ſtatt. Aber das Chriſtenthum löſcht dieſe qualitativen Unterſchiede aus, es ſchlägt alle Menſchen über einen Leiſten, betrachtet ſie wie ein und daſſelbe Individuum, weil es keinen Unterſchied zwiſchen der Gattung und dem Individuum kennt: ein und daſſelbe Heilmittel für alle Menſchen ohne Unterſchied, ein und daſſelbe Grund - und Erbübel in allen.
Eben deßwegen, weil das Chriſtenthum aus überſchwäng - licher Subjectivität nichts weiß von der Gattung, in welcher allein die Löſung, die Rechtfertigung, die Verſöhnung und Heilung der Sünden und Mängel der Individuen liegt, be - durfte es auch einer übernatürlichen, beſondern, ſelbſt wieder nur perſönlichen ſubjectiven Hülfe, um die Sünde zu überwin - den. Wenn ich allein die Gattung bin, wenn außer mir keine anderen, qualitativ anderen Menſchen exiſtiren oder, was völ - lig eins iſt, wenn kein Unterſchied zwiſchen mir und den An - dern iſt, wenn wir Alle vollkommen gleich ſind, wenn meine Sünden nicht neutraliſirt und paralyſirt werden durch die entgegengeſetzten Eigenſchaften anderer Menſchen; ſo iſt frei -14*212lich meine Sünde ein himmelſchreiender Schandfleck, ein em - pörender Greuel, der nur durch außerordentliche, außermenſch - liche, wunderbare Mittel getilgt werden kann. Glücklicher Weiſe gibt es aber eine natürliche Verſöhnung. Der An - dere iſt per se der Mittler zwiſchen mir und der heiligen Idee der Gattung. Homo homini Deus est. Meine Sünde iſt dadurch ſchon in ihre Schranke zurückgewieſen, in ihr Nichts verſtoßen, daß ſie eben nur meine, aber deßwegen noch nicht auch die Sünde des Andern iſt.
Der Begriff der Gattung und mit ihm die Bedeu - tung des Gattungslebens war mit dem Chriſtenthum ver - ſchwunden. Der früher ausgeſprochne Satz, daß das Chri - ſtenthum das Princip der Bildung nicht in ſich enthält, erhält dadurch eine neue Beſtätigung. Wo der Menſch die Gattung unmittelbar mit dem Individuum identificirt und dieſe Iden - tität als ſein höchſtes Weſen, als Gott ſetzt, wo ihm alſo die Idee der Menſchheit nur als die Idee der Gottheit Gegenſtand iſt: da iſt das Bedürfniß der Bildung verſchwunden; der Menſch hat Alles in ſich, Alles in ſeinem Gotte, folglich kein Bedürfniß, ſich zu ergänzen durch den Andern, den Repräſen - tanten der Gattung, durch die Anſchauung der Welt über - haupt — ein Bedürfniß, auf welchem allein der Bildungstrieb beruht. Allein für ſich erreicht der Menſch ſeinen Zweck — er erreicht ihn in Gott, Gott iſt ſelbſt dieſes erreichte Ziel, dieſer realiſirte höchſte Zweck der Menſchheit; aber Gott iſt jedem Individuum allein für ſich gegenwärtig. 213Gott nur iſt das Bedürfniß des Chriſten, — den Andern, die Menſchengattung, die Welt bedarf er nicht nothwendig dazu. Das innere Bedürfniß des Andern fehlt. Gott vertritt mir eben die Gattung, den Andern; ja in der Abkehr von der Welt, in der Abſonderung werde ich erſt recht gottesbedürf - tig, empfinde ich erſt recht lebendig die Gegenwart Gottes, empfinde ich erſt, was Gott iſt, und was er mir ſein ſoll. Wohl iſt dem Religiöſen auch Gemeinſchaft, gemeinſchaftliche Erbauung Bedürfniß, aber das Bedürfniß des Andern iſt an ſich ſelbſt doch immer etwas höchſt Untergeordnetes. Das Seelenheil iſt die Grundidee, die Hauptſache des Chriſten - thums, aber dieſes Heil liegt nur in Gott, nur in der Con - centration auf ihn. Die Thätigkeit für Andere iſt eine gefor - derte, iſt Bedingung des Heils, aber der Grund des Heils iſt Gott, die unmittelbare Beziehung auf Gott. Und ſelbſt die Thätigkeit für Andere hat nur eine religiöſe Bedeutung, hat nur die Beziehung auf Gott zum Grund und Zweck — iſt im Weſen nur eine Thätigkeit für Gott — Verherrlichung ſeines Namens, Ausbreitung ſeines Ruhmes. Aber Gott iſt die abſolute Subjectivität, die von der Welt abgeſchiedene, überweltliche, von der Materie befreite, von dem Gat - tungsleben und damit von der Geſchlechtsdifferenz ab - geſonderte Subjectivität. — Die Scheidung von der Welt, von der Materie, von dem Gattungsleben iſt daher das weſentliche Ziel des Chriſten*)Cui Deus portio est, nihil debet curare, nisi Deum .... Deus enim est sine peccato, Et ideo qui peccatum fugit, ad ima - ginem est Dei ..... Melius fugit qui fugit illecebram saecula - rem .... Fuga ergo mors est .... Hoc est fugere hinc: mori. Und dieſes Ziel realiſirte ſich auf ſinnliche Weiſe im Mönchsleben.
214Es iſt Selbſtbetrug, das Mönchthum nur aus dem Orient ableiten zu wollen. Wenigſtens muß man, wenn dieſe Ab - leitung gelten ſoll, dann auch ſo gerecht ſein und die dem Mönchthum entgegengeſetzte Tendenz der Chriſtenheit nicht aus dem Chriſtenthum, ſondern aus dem Geiſte, aus der Na - tur des Occidents überhaupt ableiten. Aber wie erklärt ſich dann die Begeiſterung des Abendlandes für das Mönchsleben? Das Mönchthum muß vielmehr geradezu aus dem Chriſten - thum ſelbſt abgeleitet werden: es war eine nothwendige Folge von dem Glauben an den Himmel, welchen das Chriſtenthum der Menſchheit verhieß. Wo das himmliſche Leben eine Wahrheit, da iſt das irdiſche Leben eine Lüge — wo Alles die Phantaſie, die Wirklichkeit Nichts. Wer ein ewiges himmliſches Leben glaubt, dem verliert dieſes Leben ſeinen Werth. Oder vielmehr es hat ſchon ſeinen Werth ver - loren: der Glaube an das himmliſche Leben iſt eben der Glaube an die Nichtigkeit und Werthloſigkeit dieſes Lebens. Das Jenſeits kann ich mir nicht vorſtellen, ohne mich nach ihm zu ſehnen, ohne mit einem Blicke des Mitleids oder der Verachtung auf dieſes erbärmliche Leben herabzuſchauen. Das himmliſche Leben kann kein Gegenſtand, kein Geſetz des Glau - bens ſein, ohne zugleich ein Geſetz der Moral zu ſein: es muß meine Handlungen beſtimmen*)Eo dirigendus est spiritus quo aliquando est iturus. Meditat. sacrae Joh. Gerhardi. Med. 46. , wenn anders mein Leben mit meinem Glauben übereinſtimmen ſoll: ich darf mich nicht hängen an die vergänglichen Dinge dieſer Erde. Ich darf nicht, aber ich mag auch nicht, denn was*)elementis hujus mundi, abscondere vitam in Deo. Am - brosius. Liber de fuga seculi. c. 2. 4. 7. 215 ſind alle Dinge hienieden gegen die Herrlichkeit des himmli - ſchen Lebens*)Affectanti coelestia, terrena non sapiunt. Aeternis inhianti, fastidio sunt transitoria. Bernhard. (Epist. Ex persona Heliae mo - nachi ad parentes). Nihil nostra refert in hoc aevo, nisi de eo quam celeriter excedere. Tertullian. Apol. adv. Gentes. c. 41. ?
Allerdings hängt die Qualität jenes Lebens von der Qua - lität, der moraliſchen Beſchaffenheit dieſes Lebens ab, aber die Moralität iſt ſelbſt beſtimmt durch den Glauben an das ewige Leben. Und dieſe dem überirdiſchen Leben entſprechende Mo - ralität iſt nur die Abkehr von dieſer Welt, die Negation dieſes Lebens. Die ſinnliche Bewährung dieſer geiſtigen Abkehr aber iſt das klöſterliche Leben. Alles muß ſich zuletzt äußerlich, ſinnlich darſtellen**)Ille perfectus est qui mente et corpore a saeculo est elon - gatus. De modo bene vivendi ad Sororem. S. VII. (Unter den unächten Schriften Bernhards.). Was innere Geſinnung, muß ſich prak - tiſch realiſiren. Das klöſterliche, überhaupt ascetiſche Leben iſt das himmliſche Leben, wie es ſich hienieden bewährt und bewähren kann. Wenn meine Seele dem Himmel angehört, warum ſoll ich, ja wie kann ich mit dem Leibe der Erde ange - hören? Die Seele animirt den Leib. Wenn aber die Seele im Himmel iſt, ſo iſt der Leib verlaſſen, todt — abgeſtorben alſo das Medium, das Verbindungsglied zwiſchen der Welt und der Seele. Der Tod, die Scheidung der Seele vom Leibe, wenigſtens von dieſem groben materiellen, ſündhaften Leibe, iſt der Eingang zum Himmel. Wenn aber der Tod die Be - dingung der Seligkeit und moraliſchen Vollkommen - heit iſt, ſo iſt nothwendig die Abtödtung, die Mortification das einzige Geſetz der Moral. Der moraliſche Tod iſt die nothwendige Anticipation des natürlichen Todes —216 die nothwendige; denn es wäre die höchſte Immoralität, dem ſinnlichen Tod, der kein moraliſcher, ſondern natürlicher, dem Menſchen mit dem Thiere gemeiner Act iſt, den Erwerb des Himmels zu überlaſſen. Der Tod muß daher zu einem mo - raliſchen Act, einem Act der Selbſtthätigkeit erhoben werden. „ Ich ſterbe täglich, “ſagt der Apoſtel. Und die - ſen Spruch machte der heilige Antonius, der Gründer des Mönchthums*)S. indeß hierüber Hieronymus de vita Pauli primi Eremitae., zum Thema ſeines Lebens.
Aber das Chriſtenthum, entgegnet man, hat nur eine geiſtige Freiheit gewollt. Richtig; aber was iſt die geiſtige Freiheit, die nicht in die That übergeht, die ſich nicht ſinnlich bewährt? Die ſinnliche Freiheit iſt allein die Wahrheit der geiſtigen Freiheit. Ein Menſch, der an den irdiſchen Schätzen das geiſtige Intereſſe wirklich verloren, der wirft ſie auch bald zum Fenſter hinaus, um vollkommen ſein Herz zu entledigen. Was ich nicht mehr mit der Geſinnung habe, das iſt mir zur Laſt, wenn ich es dennoch habe, denn ich habe es im Widerſpruch mit meiner Geſinnung. Alſo weg damit! Was die Geſinnung entlaſſen, das halte auch die Hand nicht mehr feſt. Nur die Geſinnung iſt die Schwerkraft des Händedrucks; nur die Geſinnung heiligt den Beſitz. Wer ſein Weib ſo ha - ben ſoll, als habe er es nicht, der thut beſſer, wenn er ſich gar kein Weib nimmt. Haben, als habe man nicht, heißt haben ohne die Geſinnung des Habens, heißt in Wahrheit nicht haben. Und wer daher ſagt: man ſolle ein Ding haben ſo, als habe man es nicht, der ſagt nur auf eine feine, ſchlaue, ſchonende Weiſe: man ſoll es gar nicht haben. Was ich aus dem Herzen fahren laſſe, das iſt nicht mehr mein, das iſt vo -217 gelfrei. Der heilige Antonius faßte den Entſchluß, der Welt zu entſagen, als er einſt den Spruch hörte: „ Willſt Du voll - kommen ſein, ſo gehe hin, verkaufe, was Du haſt und gib es den Armen, ſo wirſt Du einen Schatz im Himmel haben und komm und folge mir nach. “ Der heilige Antonius gab die allein wahre Auslegung dieſes Ausſpruchs. Er ging hin und verkaufte ſeine Reichthümer und gab ſie den Armen. Nur ſo bewährte er ſeine geiſtige Freiheit von den Schätzen dieſer Welt*)Natürlich hatte das Chriſtenthum nur ſolche Kraft, als, wie Hieronymus an die Demetrias ſchreibt, domini nostri adhuc ca - lebat cruor et fervebat recens in credentibus fides..
Solche Freiheit, ſolche Wahrheit widerſpricht nun freilich dem heutigen Chriſtenthum, welchem zufolge der Herr nur eine geiſtige Freiheit gewollt, d. h. eine Freiheit, die durchaus keine Opfer erheiſcht, die bei vollem Wanſte frei iſt von den Be - gierden des Fleiſches, bei vollem Geldbeutel frei von den irdiſchen Sorgen. Deßwegen ſagte ja auch der Herr: „ mein Joch iſt ſanft und leicht. “ Wie barbariſch, wie unſinnig wäre das Chriſtenthum, wenn es den Menſchen zumuthete, die Schätze dieſer Welt aufzuopfern! Dann paßte ja das Chri - ſtenthum gar nicht für dieſe Welt. Aber das ſei ferne! Das Chriſtenthum iſt höchſt praktiſch und weltklug. Es überläßt die Freiheit von den Schätzen und Lüſten dieſer Welt dem natürlichen Tode, — die Selbſttödtung der Mönche iſt un - chriſtlicher Selbſtmord — aber der Selbſtthätigkeit den Erwerb und Genuß der irdiſchen Schätze. Die ächten Chriſten zwei - feln zwar nicht an der Wahrheit des himmliſchen Lebens, Gott bewahre! Darin ſtimmen ſie noch heute mit den alten Mön -218 chen überein; aber ſie erwarten daſſelbe geduldig, ergeben in den Willen Gottes, d. h. in den Willen der Selbſtſucht, der wohlbehaglichen Genußſucht dieſer Welt*)Wie anders die alten Chriſten! Difficile, imo impossibile est, ut et praesentibus quis et futuris fruatur bonis. Hie - ronymus. (Epist. Juliano.) Aber freilich ſie waren abſtracte Chri - ſten. Und jetzt leben wir im Zeitalter der Verſöhnung! Ja wohl!. Doch ich wende mich mit Ekel und Verachtung weg von dem moder - nen Chriſtenthum, wo die Braut Chriſti bereitwillig ſelbſt der Polygamie huldigt, wenigſtens der ſucceſſiven Polygamie, die ſich aber nicht weſentlich in den Augen des wahren Chri - ſten von der gleichzeitigen unterſcheidet, aber doch zugleich — o ſchändliche Heuchelei! — auf die ewige, allverbindende, un - widerſprechliche, heilige Wahrheit des Wortes Gottes ſchwört, und kehre zurück mit heiliger Scheu zur verkannten Wahrheit der keuſchen Kloſterzelle, wo noch nicht die dem Himmel angetraute Seele mit einem fremden Leibe ſich ver - miſchte**)Alle Ausdrücke ſind erlaubt in der Schrift, wo ſie bezeichnend, wo ſie nothwendig ſind.!
Das unweltliche, übernatürliche Leben iſt weſentlich auch eheloſes Leben. Das Cälibat — freilich nicht als Geſetz — liegt gleichfalls alſo im innerſten Weſen des Chriſtenthums. Hinlänglich iſt dieß ſchon in der übernatürlichen Herkunft des Heilands ausgeſprochen. In dieſem Glauben heiligten die Chriſten die unbefleckte Jungfräulichkeit als das heil - bringende Princip, als das Princip der neuen, der chriſtlichen Welt. Komme man nicht mit ſolchen Stellen der Bibel wie etwa: Mehret euch, oder: was Gott zuſammen - gefügt, ſoll der Menſch nicht ſcheiden, um damit die Ehe zu219 ſanctioniren! Die erſte Stelle bezieht ſich, wie ſchon Tertullian und Hieronymus bemerkten, nur auf die menſchenleere, nicht aber bereits erfüllte Erde, nur auf den Anfang, nicht aber auf das mit der unmittelbaren Erſcheinung Gottes auf Erden ein - getretne Ende der Welt. Und auch die zweite bezieht ſich nur auf das Alte Teſtament. Juden ſtellten die Frage: ob es auch recht ſei, daß ſich ein Menſch ſcheide von ſeinem Weibe: die zweckmäßigſte Abfertigung dieſer Frage war obige Antwort. Wer einmal eine Ehe ſchließt, der ſoll ſie auch heilig halten. Schon der Blick nach einer andern iſt Ehebruch. Die Ehe iſt an und für ſich ſchon eine Conceſſion gegen die Schwachheit der Sinnlichkeit, ein Uebel, das daher ſo viel als möglich be - ſchränkt werden muß. Die Unauflöslichkeit der Ehe iſt ein Nimbus, ein Heiligenſchein, welcher gerade das Gegentheil von Dem ausſpricht, was die vom Scheine geblendeten und perturbirten Köpfe dahinter ſuchen. Die Ehe iſt an ſich eine Sünde, eine Schwachheit, die Dir nur unter der Bedingung erlaubt und verziehen wird, daß Du Dich auf ein einziges — bedenke es wohl! — ein einziges Weib für immer beſchränkſt. Kurz, die Ehe iſt nur im Alten, aber nicht mehr im Neuen Teſtament geheiligt: das N. T. kennt ein höheres, ein über - natürliches Princip, das Geheimniß der unbefleckten Jung - fräulichkeit. „ Wer es faſſen mag, der faſſe es. “ „ Die Kin - der dieſer Welt freyen und laſſen ſich freyen, welche aber würdig ſein werden, jene Welt zu erlangen in der Auferſtehung von den Todten, die werden weder freyen, noch ſich freyen laſſen. Denn ſie können hinfort nicht ſterben, denn ſie ſind den Engeln gleich und Got - tes Kinder, dieweil ſie Kinder ſind der Auferſtehung. “ Im Himmel freyen ſie alſo nicht; vom Himmel iſt das Princip220 der Geſchlechtsliebe als ein irdiſches, weltliches aus - geſchloſſen. Aber das himmliſche Leben iſt das wahre, das beſtändige, ewige Leben des Chriſten. Warum ſoll alſo ich, der ich für den Himmel beſtimmt bin, ein Band knüpfen, das in meiner wahren Beſtimmung aufgelöſt iſt? Warum ſoll ich, der ich an ſich, der Potenz nach ein himmliſches Weſen bin, nicht hier ſchon dieſe Möglichkeit verwirklichen*)Praesumendum est hos qui intra Paradisum recipi volunt, tandem debere cessare ab ea re, a qua Paradisus intactus est. Tertullian. de exhort. cast. c. 13.? Ja die Ehe iſt ſchon aus meinem Sinne, meinem Herzen verbannt, indem ſie aus dem Himmel, dem weſentlichen Gegenſtand meines Glaubens, Hoffens und Lebens verſtoßen iſt. Wie kann in meinem vom Himmel erfüllten Herzen noch ein irdi - ſches Weib Platz haben? Wie kann ich mein Herz zwiſchen Gott und dem Menſchen theilen? Die Liebe des Chriſten zu Gott iſt nicht eine abſtracte oder allgemeine Liebe, wie die Liebe zur Wahrheit, zur Gerechtigkeit, zur Wiſſenſchaft; ſie iſt die Liebe zu einem ſubjectiven, perſönlichen Gott, alſo ſelbſt eine ſubjective perſönliche Liebe. Ein weſentliches Attri - but dieſer Liebe iſt es, daß ſie eine ausſchließliche, eifer - ſüchtige Liebe iſt, denn ihr Gegenſtand iſt ein perſönliches und zugleich das höchſte Weſen, dem kein andres gleich kommt. „ Halte Dich zu Jeſus (aber Jeſus Chriſtus iſt der Gott des Chriſten) im Leben und im Tode; verlaß Dich auf ſeine Treue: er allein kann Dir helfen, wenn Dich Alles ver - läßt. Dein Geliebter hat die Eigenſchaft, daß er keinen An - dern neben ſich dulden will: er allein will Dein Herz haben, allein in Deiner Seele wie ein König auf ſeinem Throne herr -221 ſchen. “ Was kann Dir die Welt ohne Jeſus nützen? „ Ohne Chriſtus ſein, iſt Höllenpein; mit Chriſtus ſein, himmliſche Sü - ßigkeit. “ „ Ohne Freund kannſt Du nicht leben; aber wenn Dir nicht Chriſti Freundſchaft über Alles geht, ſo wirſt Du über Maaßen traurig und troſtlos ſein. “ „ Liebe Alle um Jeſu willen, aber Jeſus um ſeinetwillen. Jeſus Chri - ſtus allein iſt der Liebenswerthe. “ „ Mein Gott, meine Liebe (mein Herz): ganz biſt Du mein und ganz bin Ich Dein. “ „ Die Liebe … hofft und vertraut immer auf Gott, auch wenn ihr Gott nicht gnädig iſt (oder bitter ſchmeckt non sapit); denn ohne Schmerz lebt man nicht in der Liebe ..... “ „ Um des Geliebten willen muß der Liebende Alles, auch das Harte und Bittere gern ſich gefallen laſſen. “ „ Mein Gott und mein Alles .... In Deiner Gegenwart iſt mir Alles ſüß, in Deiner Abweſenheit Alles widerlich ..... Ohne Dich kann mir nichts gefallen. “ „ O wann wird endlich jene ſelige, jene erſehnte Stunde kommen, daß Du mich ganz mit Deiner Gegenwart erfüllſt und mir Alles in Allem biſt! So lange mir dieß nicht vergönnt iſt, iſt meine Freude nur Stück - werk. “ „ Wo war es mir je wohl ohne Dich? oder wann in Deiner Gegenwart wehe? Ich will lieber arm ſein um Dei - netwillen, als reich ohne Dich. Ich will lieber mit Dir auf der Erde ein Pilger, als ohne Dich Beſitzer des Himmels ſein. Wo Du biſt, iſt der Himmel; Tod und Hölle, wo Du nicht biſt. Nur nach Dir ſehne ich mich. “ „ Du kannſt nicht Gott dienen und zugleich am Vergänglichen Deine Freude ha - ben: Du mußt Dich entfernen von allen Bekannten und Freun - den und von allem zeitlichen Troſte Deinen Geiſt abſondern. Die Gläubigen Chriſti ſollen ſich nach der Ermahnung des heiligen Apoſtels Petrus nur als Pilger und Fremd -222 linge dieſer Welt anſehen*)Thomas a Kempis de imit. (l. II. c. 7. c. 8. l. III. c. 5. c. 34. c. 53. c. 59.) Felix illa conscientia et beata virginitas, in cujus corde praeter amorem Christi .... nullus alius ver - satur amor. Hieronymus. (Demetriadi, virgini Deo conse - cratae.) Aber freilich das iſt wieder eine ſehr abſtracte Liebe, die im Zeitalter der Verſöhnung, wo Chriſtus und Belial ein Herz und eine Seele ſind, nicht mehr ſchmeckt. O wie bitter iſt die Wahrheit!. “ Die Liebe zu Gott als einem perſönlichen Weſen iſt alſo eine eigentliche, förmliche, perſönliche, ausſchließliche Liebe. Wie kann ich alſo Gott, ſage Gott, und zugleich ein ſterbliches Weib lieben. Setze ich dadurch nicht Gott auf gleichen Fuß mit dem Weib? Nein! einer Seele, die Gott wahrhaft liebt, iſt die Liebe zum Weibe eine Unmöglichkeit — ein Ehebruch. Wer ein Weib hat, ſagt der Apoſtel Paulus — den man nicht unrich - tig den eigentlichen Stifter des Chriſtenthums genannt hat — denket, was des Weibes iſt, wer keines hat, denkt nur, was des Herrn iſt. Der Verheirathete denkt daran, daß er dem Weibe gefalle, der Unverheirathete daran, daß er Gott gefalle.
Der wahre Chriſt hat, wie kein Bedürfniß der Bildung, weil dieſe ein dem Gemüthe widerliches, weltliches Princip iſt, ſo auch kein Bedürfniß der (natürlichen) Liebe. Gott erſetzt ihm den Mangel, das Bedürfniß der Bildung, Gott deßglei - chen den Mangel, das Bedürfniß der Liebe, des Weibes, der Familie. Der Chriſt identificirt unmittelbar mit dem Indivi - duum die Gattung: er ſtreift daher die Geſchlechtsdifferenz als einen läſtigen, zufälligen Anhang von ſich ab. Mann und Weib zuſammen machen erſt den wirklichen Menſchen aus, Mann und Weib zuſammen iſt die Exiſtenz der Gattung — denn ihre Verbindung iſt die Quelle der Vielheit, die Quelle ande -223 rer Menſchen. Der Menſch daher, der ſeine Mannheit nicht negirt, der ſich fühlt als Mann und dieſes Gefühl als ein natur - und geſetzmäßiges Gefühl anerkennt, der weiß und fühlt ſich als ein Theilweſen, welches eines andern Theilweſens zur Hervorbringung des Ganzen, der wahren Menſchheit, bedarf. Der Chriſt dagegen erfaßt ſich in ſeiner überſchwäng - lichen, transcendenten Subjectivität als ein für ſich ſelbſt vollkommnes Weſen. Aber dieſer Anſchauung war der Ge - ſchlechtstrieb entgegen; er ſtand mit ſeinem Ideal, ſeinem höch - ſten Weſen in Widerſpruch; der Chriſt mußte daher dieſen Trieb negiren.
Wohl empfand auch der Chriſt das Bedürfniß der Ge - ſchlechterliebe, aber nur als ein ſeiner himmliſchen Beſtimmung widerſprechendes, nur natürliches — natürlich in dem gemei - nen, verächtlichen Sinne, den dieſes Wort im Chriſtenthum hat — nicht als ein moraliſches, inniges Bedürfniß, nicht als ein, um mich ſo auszudrücken, metaphyſiſches, d. i. weſentliches Bedürf - niß, welches der Menſch aber nur da empfinden kann, wo er die Geſchlechtsdifferenz nicht von ſich abſondert, ſondern vielmehr zu ſeinem innern Weſen rechnet. Heilig iſt darum nicht die Ehe im Chriſtenthume — wenigſtens nur ſcheinbar, illuſoriſch — denn das natürliche Princip der Ehe, die Geſchlechterliebe — mag auch die bürgerliche Ehe unzählige Mal dieſem Prin - cip widerſprechen — iſt im Chriſtenthum ein unheiliges, vom Himmel ausgeſchloſſenes. Was aber der Menſch von ſeinem Himmel ausſchließt, das ſchließt er von ſeinem wahren Weſen aus*)Dieß läßt ſich auch ſo ausdrücken: die Ehe hat im Chriſten - thum nur eine moraliſche, aber keine religiöſe Bedeutung, kein. Der Himmel iſt ſein Schatz -224 käſtchen. Glaube nicht dem, was er auf der Erde etablirt, was er hier erlaubt und ſanctionirt: hier muß er ſich accomo - diren; hier kommt ihm Manches in die Quere, was nicht in ſein Syſtem paßt; hier weicht er Deinem Blick aus, denn er befindet ſich unter fremden Weſen, die ihn ſchüchtern machen. Aber belauſche ihn, wo er ſein Incognito abwirft und ſich in ſeiner wahren Würde, ſeinem himmliſchen Staate zeigt. Im Himmel ſpricht er, wie er denkt; dort vernimmſt Du ſeine wahre Meinung. Wo ſein Himmel, iſt ſein Herz — der Himmel iſt ſein offnes Herz. Der Himmel iſt nichts, als der Begriff des Wahren, Guten, Gültigen, deſſen, was ſein ſoll; die Erde nichts als der Begriff des Unwahren, Ungültigen, deſſen, was nicht ſein ſoll. Der Chriſt ſchließt vom Himmel das Gattungsleben aus: dort hört die Gattung auf, dort gibt es nur reine, geſchlechtsloſe Individuen, Geiſter, dort herrſcht die abſolute Subjectivität — alſo ſchließt der Chriſt von ſeinem wahren Leben das Gattungsleben aus; er negirt*)religiöſes Princip und Vorbild. Anders bei den Griechen, wo z. B. „ Zeus und Here das große Urbild jeder Ehe (Creuzer Symb. ), bei den alten Parſen, wo die Zeugung als „ die Vermehrung des Men - ſchengeſchlechts, die Verminderung des Arhimaniſchen Reichs, “alſo eine religiöſe Pflicht und Handlung iſt (Zend-Aveſta), bei den Indern, wo der Sohn der wiedergeborne Vater iſt. So der Frau ihr Gemahl nahet, wird er wiedergeboren ſelbſt Von der, die Mutter durch ihn wird. (Fr. Schlegel.)Bei den Indern darf kein Wiedergeborner in den Stand eines Sa - nyaſſi, das iſt eines in Gott verſunkenen Einſiedlers treten, wenn er nicht vorher drei Schulden bezahlt, unter andern die, daß er recht - licher Weiſe einen Sohn gezeugt hat. Bei den Chriſten dage - gen, wenigſtens den katholiſchen, war es ein wahres religiöſes Freu - denfeſt, wenn Verlobte oder ſchon Verheirathete — vorausgeſetzt, daß es mit beiderſeitiger Einwilligung geſchah — den ehelichen Stand auf - gaben, der religiöſen Liebe die eheliche Liebe aufopferten.225 das Princip der Ehe als ein ſündiges, ein zu negirendes; denn das ſündloſe, das poſitive Leben iſt das himmliſche*)Inſofern das religiöſe Bewußtſein alles zuletzt wieder ſetzt, was es anfangs aufhebt, das jenſeitige Leben daher zuletzt nichts andres iſt als das wiederhergeſtellte dießſeitige Leben, ſo muß conſequent auch das Geſchlecht wiederhergeſtellt werden. Erunt … similes angelorum. Ergo homines esse non desinent .... ut apostolus apostolus sit et Maria Maria. Hieronymus (ad Theodoram viduam.) Aber wie der jenſeitige Körper ein unkörperlicher Körper, ſo iſt nothwendig das dortige Geſchlecht ein differenzloſes, d. i. geſchlechtloſes Geſchlecht..
Das eheloſe, überhaupt ascetiſche Leben iſt der directe Weg zum himmliſchen unſterblichen Leben, denn der Himmel iſt nichts andres als das übernatürliche, gattungsfreie, geſchlechtsloſe, abſolut ſubjective Leben. Dem Glauben an die perſönliche Unſterblichkeit liegt der Glaube zu Grunde, daß die Geſchlechtsdifferenz nur ein äußerlicher Anflug der Indi - vidualität, daß an ſich das Individuum ein geſchlechtsloſes, für ſich ſelbſt vollſtändiges, abſolutes Weſen iſt. Wer aber keinem Geſchlecht angehört, gehört keiner Gattung an — die Geſchlechtsdifferenz iſt die Nabelſchnur, durch welche die Indi - vidualität mit der Gattung zuſammenhängt — und wer keiner Gattung angehört, der gehört nur ſich ſelbſt an, iſt ein ſchlecht - hin bedürfnißloſes, göttliches, abſolutes Weſen. Nur da daher, wo die Gattung aus dem Bewußtſein verſchwindet, wird das himmliſche Leben zur Gewißheit. Wer im Bewußtſein der Gattung und folglich ihrer Realität lebt, der lebt auchFeuerbach. 15226im Bewußtſein der Realität der Geſchlechtsdifferenz. Er betrachtet dieſelbe nicht als einen mechaniſch eingeſprengten zufälligen Stein des Anſtoßes; er betrachtet ſie als einen inni - gen, einen chemiſchen Beſtandtheil ſeines Weſens. Er weiß ſich wohl als Menſch, aber zugleich in der Beſtimmtheit der Geſchlechtsdifferenz, die nicht nur Mark und Bein durchdringt, ſondern auch ſein innerſtes Selbſt, die weſentliche Art ſeines Denkens, Wollens, Empfindens beſtimmt. Wer daher im Bewußtſein der Gattung lebt, wer ſein Gemüth und ſeine Phantaſie beſchränkt, beſtimmt durch die Anſchauung des wirk - lichen Lebens, des wirklichen Menſchen, der kann ſich kein Leben denken, wo das Gattungsleben und damit die Ge - ſchlechtsdifferenz aufgehoben iſt: er hält das geſchlechtsloſe In - dividuum, den himmliſchen Geiſt für eine gemüthliche Vor - ſtellung der Phantaſie.
Aber eben ſo wenig, wie von der Geſchlechtsdifferenz, kann der reale Menſch von ſeiner ſittlichen oder geiſtigen Be - ſtimmtheit, die ja aufs innigſte mit ſeiner natürlichen Be - ſtimmtheit zuſammenhängt, abſtrahiren. Eben, weil er in der Anſchauung des Ganzen lebt, ſo lebt er in der Anſchauung ſeiner nur als eines Theilweſens, das nur iſt, was es iſt, durch die Beſtimmtheit, die es eben zum Theil des Ganzen oder zu einem relativen Ganzen macht. Jeder hält daher mit Recht ſein Geſchäft, ſeinen Stand, ſeine Kunſt oder Wiſſen - ſchaft für die höchſte: denn der Geiſt des Menſchen iſt nichts als die weſentliche Art ſeiner Thätigkeit. Wer etwas Tüchti - ges in ſeinem Stande, ſeiner Kunſt iſt, wer, wie man im Leben ſagt, ſeinen Poſten ausfüllt, mit Leib und Leben ſeinem Berufe ergeben iſt, der denkt ſich auch ſeinen Beruf als den höchſten und ſchönſten. Wie ſollte er in ſeinem Geiſte ver -227 läugnen, in ſeinem Denken erniedrigen, was er durch die That celebrirt, indem er mit Freuden demſelben ſeine Kräfte weiht? Was ich gering ſchätze, wie kann ich dem meine Zeit, meine Kräfte weihen? Muß ich dennoch, ſo iſt meine Thätig - keit eine unglückliche, denn ich bin zerfallen mit mir ſelbſt. Arbeiten iſt Dienen. Wie kann ich aber einem Gegenſtand dienen, mich ihm ſubjiciren, wenn er mir nicht im Geiſte hoch ſteht? Kurz, die Beſchäftigungen beſtimmen das Urtheil, die Denkart, die Geſinnung des Menſchen. Und je höher die Art der Beſchäftigung, deſto mehr identificirt ſich der Menſch damit. Was überhaupt der Menſch zum weſentlichen Zweck ſeines Lebens macht, das erklärt er für ſeine Seele; denn es iſt das Princip der Bewegung in ihm. Durch ſeine Zwecke, durch die Thätigkeit, in welcher er dieſe Zwecke reali - ſirt, iſt aber der Menſch zugleich, wie Etwas für ſich, ſo Etwas für Andere, für das Allgemeine, die Gattung. Wer daher in dem Bewußtſein der Gattung als einer Realität lebt, der hält ſein Sein für Andere, ſein öffentliches, gemein - nütziges Sein für das Sein, welches eins iſt mit dem Sein ſeines Weſens, für ſein unſterbliches Sein. Er lebt mit ganzer Seele, mit ganzem Herzen für die Menſchheit. Wie könnte er eine beſondere Exiſtenz für ſich noch im Rückhalt ha - ben, wie ſich von der Menſchheit ſcheiden? Wie ſollte er im Tode verläugnen, was er im Leben bekräftigte? Aber ſein Glaube im Leben war: Nec sibi sed toti genitum se credere mundo.
Das himmliſche Leben oder — was wir hier nicht unter - ſcheiden — die perſönliche Unſterblichkeit iſt eine charakteri - ſtiſche Lehre des Chriſtenthums. Allerdings findet ſie ſich zum Theil auch ſchon bei den heidniſchen Philoſophen, aber hier15*228hat ſie nur die Bedeutung einer ſubjectiven Phantaſie, weil ſie nicht mit ihrer Grundanſchauung zuſammenhing. Wie widerſprechend äußern ſich nicht z. B. die Stoiker über dieſen Gegenſtand! Erſt bei den Chriſten fand die perſönliche Unſterblichkeit das Princip, woraus ſie ſich mit Nothwendig - keit als eine ſich von ſelbſt verſtehende Wahrheit ergibt. Den Alten kam die Anſchauung der Welt, der Natur, der Gattung ſtets in die Quere, ſie unterſchieden zwiſchen dem Lebensprin - cip und dem lebenden Subject, zwiſchen der Seele, dem Geiſte und ſich ſelbſt; während der Chriſt den Unterſchied zwiſchen Seele und Perſon, Gattung und Individuum aufhob, unmit - telbar in ſich ſelbſt daher ſetzte, was nur der Totalität der Gattung angehört. Aber die unmittelbare Einheit der Gat - tung und Individualität iſt eben das höchſte Princip, der Gott des Chriſtenthums — das Individuum hat in ihm die Bedeutung des abſoluten Weſens — und die noth - wendig immanente Folge dieſes Princips eben die perſönliche Unſterblichkeit.
Oder vielmehr: der Glaube an die perſönliche Un - ſterblichkeit iſt ganz identiſch mit dem Glauben an den perſönlichen Gott — d. h. daſſelbe, was der Glaube an das himmliſche, unſterbliche Leben der Perſon ausdrückt, daſ - ſelbe drückt Gott aus, wie er den Chriſten Gegenſtand war — das Weſen der abſoluten, uneingeſchränkten Subjecti - vität. Die uneingeſchränkte Subjectivität iſt Gott, aber die himmliſche Subjectivität iſt nichts andres als die uneinge - ſchränkte, die von allen irdiſchen Beſchwerden und Schranken erledigte Subjectivität — der Unterſchied nur der, daß Gott der geiſtige Himmel, der Himmel der ſinnliche Gott iſt, daß in Gott nur in abstracto geſetzt wird, was im Himmel229 mehr ein Object der Phantaſie iſt. Gott iſt nur der im - plicirte, involvirte Himmel, der wirkliche Himmel der explicirte Gott. Gegenwärtig iſt Gott das Himmelreich, in Zukunft der Himmel Gott. Gott iſt die Bürgſchaft, die, aber noch abſtracte, Präſenz und Exiſtenz der Zukunft — der anticipirte compendiöſe Himmel. Unſer eignes zukünftiges, aber von uns, wie wir gegenwärtig in dieſer Welt, in dieſem Leibe exiſtiren, unterſchiednes, nur ideal gegen - ſtändliches Weſen iſt Gott — Gott iſt der Gattungsbegriff, der ſich dort erſt realiſiren, individualiſiren wird. Gott iſt die himmliſche, reine, freie Weſenheit, die dort als himmliſche reine Weſen exiſtiren wird, die Seligkeit, die dort in einer Fülle ſeliger Individuen ſich entfaltet. Gott iſt alſo nichts andres als der Begriff oder das Weſen des abſoluten, des ſeligen, himmliſchen Lebens, das aber hier ſelbſt noch zuſam - mengefaßt wird in eine ideale Perſönlichkeit. Deutlich genug iſt dieß ausgeſprochen in dem Glauben, daß das ſelige Leben die Einheit mit Gott iſt. Hier ſind wir unterſchieden und getrennt von Gott, dort fällt die Scheidewand; hier ſind wir Menſchen, dort Götter; hier iſt die Gottheit ein Monopol, dort ein Gemeingut; hier eine abſtracte Einheit, dort eine concrete Vielheit*)Bene dicitur, quod tunc plene videbimus eum sicuti est, cum similes ei erimus, h. e. erimus quod ipse est. Quibus enim potestas data est filios Dei fieri, data est potestas, non quidem ut sint Deus, sed sint tamen quod Deus est: sint sancti, futuri plene beati, quod Deus est. Nec aliunde hic sancti, nec ibi futuri beati, quam ex Deo qui eorum et sanctitas et beatitudo est, De vita solitaria (Unter den unächten Schriften des h. Bernhard). Finis autem bonae voluntatis beatitudo est: vita aeterna ipse Deus. Augustin. (bei Petrus Lomb. l. II. dist. 38. c. 1.).
230Was die Erkenntniß dieſes Gegenſtandes erſchwert, iſt nur die Phantaſie, welche einerſeits durch die Vorſtellung der Perſönlichkeit Gottes, anderſeits durch die Vorſtellung der vie - len Perſönlichkeiten, welche ſie zugleich gewöhnlich in ein mit ſinnlichen Farben ausgemaltes Reich verlegt, die Einheit des Be - griffs auseinandertrennt. Aber in Wahrheit iſt kein Unter - ſchied zwiſchen dem abſoluten Leben, welches als Gott und dem abſoluten Leben, welches als der Himmel ge - dacht wird, nur daß im Himmel in die Länge und Breite aus - gedehnt wird, was in Gott in Einen Punkt concentrirt iſt. Der Glaube an die Unſterblichkeit des Menſchen iſt der Glaube an die Göttlichkeit des Menſchen, und umgekehrt der Glaube an Gott der Glaube an die reine, von allen Schranken erlöſte und folglich eo ipso unſterbliche Subjec - tivität. Die Unterſchiede, die man ſetzt zwiſchen der unſterb - lichen Seele und Gott, ſind entweder nur ſophiſtiſche oder phantaſtiſche, wie wenn man z. B. die Seligkeit der Himmels - bewohner wieder in Schranken einſchließt, in Grade eintheilt, um einen Unterſchied zwiſchen Gott und den himmliſchen We - ſen zu etabliren.
Die Identität der göttlichen und himmliſchen Subjectivi - tät erſcheint ſelbſt in den populären Beweiſen der Unſterblich - keit. Wenn kein andres beſſeres Leben iſt, ſo iſt Gott nicht gerecht und gut. Die Gerechtigkeit und Güte Gottes wird ſo abhängig gemacht von der Fortdauer der Individuen; aber ohne Gerechtigkeit und Güte iſt Gott nicht Gott — die Gottheit, die Exiſtenz Gottes wird daher abhängig gemacht von der Exiſtenz der Individuen. Wenn ich nicht un - ſterblich bin, ſo glaube ich keinen Gott; wer die Unſterblich - keit läugnet, läugnet Gott. Aber das kann ich unmöglich231 glauben: ſo gewiß Gott iſt, ſo gewiß iſt meine Seligkeit. Gott iſt eben die Gewißheit meiner Seligkeit. Das Inter - eſſe, daß Gott iſt, iſt eins mit dem Intereſſe, daß ich bin, ewig bin. Gott iſt meine geborgne, meine gewiſſe Exi - ſtenz: er iſt die Subjectivität der Subjecte, die Perſönlichkeit der Perſonen. Wie ſollte daher den Perſonen nicht zukom - men, was der Perſönlichkeit zukommt? In Gott mache ich eben mein Futurum zu einem Präſens oder vielmehr ein Zeitwort zu einem Subſtantiv; wie ſollte ſich eins vom andern trennen laſſen? Gott iſt die meinen Wünſchen und Gefühlen ent - ſprechende Exiſtenz: er iſt der Gerechte, der Gütige, der meine Wün - ſche erfüllt. Die Natur, dieſe Welt iſt eine meinen Wünſchen, meinen Gefühlen widerſprechende Exiſtenz. Hier iſt es nicht ſo, wie es ſein ſoll — dieſe Welt vergeht — Gott aber iſt das Sein, welches ſo iſt, wie es ſein ſoll. Gott erfüllt meine Wünſche — dieß iſt nur populäre Perſonification des Satzes: Gott iſt der Erfüller, d. i. die Realität, das Erfülltſein meiner Wünſche. Aber der Himmel iſt eben das meinen Wünſchen, meiner Sehnſucht adäquate Sein — alſo kein Unterſchied zwiſchen Gott und Himmel. Gott iſt die Kraft, durch die der Menſch ſeine ewige Glückſeligkeit reali - ſirt — Gott die abſolute Perſönlichkeit, in der alle einzelnen Perſonen die Gewißheit ihrer Abſolutheit, ihrer Seligkeit und Unſterblichkeit haben — Gott die höchſte letzte Gewißheit der Subjectivität von ihrer abſoluten Wahrheit und Weſenhaftigkeit.
Die Unſterblichkeitslehre iſt die Schlußlehre der Reli - gion — ihr Teſtament, worin ſie ihren letzten Willen äußert. Hier ſpricht ſie darum unverhohlen aus, was ſie ſonſt ver - ſchweigt. Wenn es ſich ſonſt um die Exiſtenz eines andern Weſens handelt, ſo handelt es ſich hier offenbar nur um die eigne232 Exiſtenz; wenn außerdem der Menſch in der Religion ſein Sein vom Sein Gottes abhängig macht, ſo macht er hier die Realität Gottes von ſeiner eignen Realität abhängig; was ihm ſonſt die primitive, unmittelbare Wahrheit, das iſt ihm daher hier eine abgeleitete, ſecundäre Wahrheit: wenn ich nicht ewig bin, ſo iſt Gott nicht Gott, wenn keine Unſterblichkeit, ſo iſt kein Gott. Und dieſen Schluß hat ſchon der Apoſtel gemacht. Wenn wir nicht auferſtehen, ſo iſt Chriſtus nicht auferſtanden und Alles iſt Nichts. Edite, bibite. Allerdings kann man das ſcheinbar oder wirklich Anſtößige, was in der populären Argumentation liegt, beſeiti - gen, indem man die Schlußform vermeidet, aber nur dadurch, daß man die Unſterblichkeit zu einer analytiſchen Wahr - heit macht, ſo daß eben der Begriff Gottes, als der abſo - luten Perſönlichkeit oder Subjectivität, per se ſchon der Begriff der Unſterblichkeit iſt. Gott iſt die Bürgſchaft meiner zukünftigen Exiſtenz, weil er ſchon die Gewißheit und Realität meiner gegenwärtigen Exiſtenz, mein Heil, mein Troſt, mein Schirm vor den Gewalten der Außenwelt iſt; ich brauche alſo die Unſterblichkeit gar nicht expreß zu folgern, nicht als eine aparte Wahrheit herauszuſtellen; habe ich Gott, ſo habe ich Unſterblichkeit. So war es bei den tiefern chriſtlichen Myſtikern: ihnen ging der Begriff der Unſterblichkeit in dem Begriff Gottes auf: Gott war ihnen ihr unſterbliches Leben — Gott ſelbſt die ſubjective Seligkeit, alſo das für ſie, für ihr Bewußtſein, was er an ſich ſelbſt, d. i. im Weſen der Religion iſt.
Somit iſt bewieſen, daß Gott der Himmel iſt, daß beide[identiſch] ſind. Leichter wäre der umgekehrte Beweis geweſen, nämlich, daß der Himmel der eigentliche Gott der Menſchen233 iſt. Wie der Menſch ſeinen Himmel denkt, ſo denkt er ſeinen Gott; die Inhaltsbeſtimmtheit ſeines Himmels iſt die Inhalts - beſtimmtheit ſeines Gottes, nur daß im Himmel ſinnlich aus - gemalt, ausgeführt wird, was in Gott nur Entwurf, Con - cept iſt. Der Himmel iſt daher der Schlüſſel zu den innerſten Geheimniſſen der Religion. Wie der Himmel objectiv das aufgeſchloßne Weſen der Gottheit, ſo iſt er auch ſubjectiv die offenherzigſte Ausſprache der innerſten Gedanken und Geſin - nungen der Religion. Daher ſind die Himmelreiche ſo ver - ſchieden als die Religionen und ſo viel unterſchiedne Religio - nen, als weſentliche Menſchenunterſchiede ſind. So unter - ſchieden Das iſt, was für die Menſchen die Bedeutung des Höchſten, des Guten, Wahren, Heiligen hat, ſo unterſchieden iſt der Himmel, ſo unterſchieden der Gott. Auch die Chriſten ſelbſt denken ſich ſehr verſchiedenartig den Himmel*)Und eben ſo verſchiedenartig ihren Gott. So haben die from - men chriſtlichen Deutſchthümler einen „ deutſchen Gott “nothwen - dig, alſo auch die frommen Spanier einen ſpaniſchen Gott, die Franzoſen einen franzöſiſchen Gott. In der That exiſtirt auch ſo lange Vielgötterei, ſo lange es viele Völker gibt. Der reale Gott eines Volks iſt der Point d’honneur ſeiner Nationalität..
Nur die Pfiffigen unter ihnen denken und ſagen gar nichts Beſtimmtes über den Himmel oder das Jenſeits über - haupt, weil es unbegreiflich ſei und daher immer nur nach einem dießſeitigen, nur für das Dießſeits gültigen Maaßſtab gedacht werde. Alle Vorſtellungen hienieden ſeien nur Bilder, mit denen ſich der Menſch das ſeinem Weſen nach unbekannte, aber ſeiner Exiſtenz nach gewiſſe Jenſeits vergegenwärtige. Es iſt hier eben ſo wie mit Gott: das Daſein Gottes ſei ge - wiß — aber was er ſei oder wie er ſei, das ſei unerforſch - lich. Aber wer ſo ſpricht, der hat ſich das Jenſeits ſchon aus234 dem Kopfe geſchlagen; er hält es nur noch feſt, entweder weil er über ſolche Dinge gar nicht denkt, oder weil es ihm nur noch ein Herzensbedürfniß iſt; aber er ſchiebt es, zu ſehr er - füllt mit realen Dingen, ſo weit als möglich ſich aus dem Geſichte; er negirt mit ſeinem Kopfe, was er mit ſeinem Herzen bejaht; denn er negirt das Jenſeits, indem er dem - ſelben ſeine Beſchaffenheiten nimmt, durch die allein ein Gegenſtand ein für den Menſchen wirklicher und wirkſamer iſt. Die Qualität iſt nicht vom Sein unterſchieden — die Quali - tät iſt nichts als das wirkliche Sein. Sein ohne Beſchaf - fenheit iſt eine Chimäre — ein Geſpenſt. Durch die Qualität wird mir erſt das Sein gegeben; nicht erſt das Sein und hin - tendrein die Qualität. Die Lehre von der Unerkennbarkeit und Unbeſtimmbarkeit Gottes, wie die von der Unerforſchlichkeit des Jenſeits ſind daher keine urſprünglich religiöſen Lehren: ſie ſind vielmehr Producte der Irreligioſität, die aber ſelbſt noch in der Religion befangen iſt oder vielmehr hinter der Religion ſich verſteckt, und zwar eben deßwegen, weil urſprüng - lich das Sein Gottes nur mit einer beſtimmten Vorſtel - lung Gottes, das Sein des Jenſeits nur mit einer be - ſtimmten Vorſtellung deſſelben gegeben iſt. So iſt dem Chriſten nur die Exiſtenz ſeines Paradieſes, des Paradieſes, welches die Qualität der Chriſtlichkeit hat, nicht aber das Paradies der Muhamedaner oder das Elyſium der Griechen eine Gewißheit. Die erſte Gewißheit iſt überall die Quali - tät; das Sein verſteht ſich von ſelbſt, wenn einmal die Qua - lität gewiß iſt. Im Neuen Teſtament kommen keine Beweiſe oder ſolche allgemeine Sätze vor, worin es heißt: es iſt ein Gott oder es iſt ein himmliſches Leben; ſondern es werden nur Beſchaffenheiten aus dem Leben des Himmels angeführt:235 „ dort werden ſie nicht freyen. “ Das iſt natürlich, kann man entgegnen, weil ſchon das Sein vorausgeſetzt iſt. Allein man trägt hier ſchon eine Diſtinction der Reflexion in den urſprüng - lich nichts von dieſer Diſtinction wiſſenden religiöſen Sinn hinein. Freilich iſt das Sein vorausgeſetzt, aber nur weil die Qualität ſchon das Sein iſt, weil das ungebrochne reli - giöſe Gemüth nur in der Qualität lebt, gleichwie dem na - türlichen Menſchen nur in der Qualität, die er empfindet, das wirkliche Sein, das Ding an ſich liegt. So iſt in jener neu - teſtamentlichen Stelle das jungfräuliche oder vielmehr ge - ſchlechtsloſe Leben als das wahre Leben vorausgeſetzt, das jedoch nothwendig zu einem zukünftigen wird, weil dieſes wirk - liche Leben dem Ideal des wahren Lebens widerſpricht. Aber die Gewißheit dieſes zukünftigen Lebens liegt nur in der Ge - wißheit von der Beſchaffenheit dieſer Zukunft als des wahren, höchſten, dem Ideal adäquaten Lebens.
Wo das jenſeitige Leben wirklich geglaubt wird, wo es ein gewiſſes Leben, da iſt es; eben weil ein gewiſſes, auch beſtimmtes. Wenn ich nicht weiß, was und wie ich einſt bin, wenn ein weſentlicher, abſoluter Unterſchied zwiſchen meiner Zukunft und Gegenwart iſt; ſo weiß ich auch einſt nicht, was und wie ich ehedem war, ſo iſt die Einheit des Bewußtſeins aufgehoben, ein andres Weſen dort an meine Stelle getreten, mein künftiges Sein in der That nicht vom Nichtſein unterſchieden. Iſt dagegen kein weſentlicher Unter - ſchied, ſo iſt auch das Jenſeits ein von mir beſtimmbarer und erkennbarer Gegenſtand. Und ſo iſt es auch wirklich: ich bin das bleibende Subject in dem Wechſel der Beſchaffenheiten, ich bin die Subſtanz, die Dießſeits und Jenſeits zur Einheit verbindet. Wie ſollte mir alſo das Jenſeits unklar ſein? Im236 Gegentheil: das Leben dieſer Welt iſt das dunkle, unbegreif - liche Leben, das erſt durch das Jenſeits klar und licht wird; hier bin ich ein vermummtes, verwickeltes Weſen; dort fällt die Maske; dort bin ich, wie ich in Wahrheit bin. Die Be - hauptung daher, es ſei wohl ein anderes, ein himmliſches Le - ben, aber was und wie es ſei, das bleibe hier unerforſchlich, iſt nur eine Erfindung des religiöſen Skepticismus, der auf abſolutem Mißverſtand der Religion beruht, weil er ſich gänzlich ihrem Weſen entfremdet hat. Das, was die irreli - giös-religiöſe Reflexion nur zum bekannten Bilde einer unbe - kannten, aber dennoch gewiſſen Sache macht, das iſt im Ur - ſprung, im urſprünglichen wahren Sinn der Religion nicht Bild, ſondern die Sache, das Weſen ſelbſt. Der Unglaube, der zugleich noch Glaube iſt, ſetzt die Sache in Zweifel, aber er iſt zu gedankenlos und feig, um ſie direct zu bezweifeln: er ſetzt ſie nur ſo in Zweifel, daß er das Bild oder die Vorſtel - lung bezweifelt, d. h. das Bild nur für ein Bild erklärt. Aber die Unwahrheit und Nichtigkeit dieſes Skepticismus iſt ſchon hiſtoriſch conſtatirt. Wo man einmal zweifelt an der Reali - tät der Bilder der Unſterblichkeit, zweifelt, daß man ſo exiſti - ren könne, wie es der Glaube vorſtellt, z. B. ohne materiellen, wirklichen Leib oder ohne Geſchlechtsdifferenz, da zweifelt man auch bald an der jenſeitigen Exiſtenz überhaupt. Mit dem Bilde fällt die Sache — eben weil das Bild die Sache ſelbſt iſt.
Der Glaube an den Himmel oder überhaupt ein jenſeiti - ges Leben beruht auf einem Urtheil. Er ſpricht Lob und Tadel aus; er iſt kritiſcher Natur; er macht eine Blumen - leſe aus der Flora dieſer Welt. Und dieſes kritiſche Florile - gium iſt eben der Himmel. Was der Menſch ſchön, gut, an - genehm findet, das iſt für ihn das Sein, welches allein ſein237 ſoll; was er ſchlecht, garſtig, unangenehm findet, das iſt für ihn das Sein, welches nicht ſein ſoll und daher, wenn und weil es dennoch iſt, ein zum Untergang verdammtes, ein nich - tiges iſt. Wo das Leben nicht im Widerſpruch gefunden wird mit einem Gefühl, einer Vorſtellung, einer Idee und dieſes Gefühl, dieſe Idee nicht für abſolut wahr und berechtigt gilt, da entſteht nicht der Glaube an ein andres, himmliſches Le - ben. Das andere Leben iſt nichts andres als das Leben im Einklang mit dem Gefühl, mit der Idee, welcher die - ſes Leben widerſpricht. Das Jenſeits hat keine andere Bedeutung, als dieſen Zwieſpalt aufzuheben, einen Zuſtand zu realiſiren, der dem Gefühl entſpricht, in dem der Menſch mit ſich im Einklang iſt. Ein unbekanntes Jenſeits iſt eine lächerliche Chimäre: das Jenſeits iſt nichts weiter als die Realität einer bekannten Idee, die Befriedigung eines bewußten Verlangens, die Erfüllung eines Wunſches*)Ibi nostra spes erit res. Augustin (irgendwo).: es iſt nur die Beſeitigung der Schranken, die hier der Rea - lität der Idee im Wege ſtehen. Wo wäre der Troſt, wo die Bedeutung des Jenſeits, wenn ich in ihm in ſtockfinſtere Nacht blicke? Nein! dort ſtrahlt mir mit dem Glanze des gediegenen Metalls entgegen, was hier nur mit den trüben Farben des oxydirten Erzes glänzt. Das Jenſeits hat keine andere Be - deutung, keinen andern Grund ſeines Daſeins, als den, zu ſein die Scheidung des Metalls von ſeinen beigemengten frem - den Beſtandtheilen, die Scheidung des Guten vom Schlech - ten, des Angenehmen vom Unangenehmen, des Lobenswürdi - gem vom Tadelnswerthen. Das Jenſeits iſt die Hochzeit, wo der Menſch den Bund mit ſeiner Geliebten ſchließt. Längſt238 kannte er ſeine Braut, längſt ſehnte er ſich nach ihr; aber äußere Verhältniſſe, die gefühlloſe Wirklichkeit ſtand ſeiner Verbindung mit ihr entgegen. Auf der Hochzeit wird ſeine Geliebte nicht ein anderes Weſen; wie könnte er ſonſt ſo heiß nach ihr ſich ſehnen? Sie wird nur die Seinige, ſie wird jetzt nur aus einem Gegenſtand der Sehnſucht ein Gegenſtand des wirklichen Beſitzes. Das Jenſeits iſt hienieden allerdings nur ein Bild, aber nicht ein Bild eines fernen, unbekannten Dings, ſondern ein Porträt von dem Weſen, welches der Menſch vor allen andern bevorzugt, liebt. Was der Menſch liebt, das iſt ſeine Seele. Die Aſche geliebter Todten ſchloß der Heide in Urnen ein; bei den Chriſten iſt das himmliſche Jenſeits das Mauſoleum, in das er ſeine Seele verſchließt.
Zur Erkenntniß eines Glaubens, überhaupt der Religion, iſt es nothwendig, ſelbſt die unterſten, rohſten Stufen der Re - ligion zu beachten. Man muß die Religion nicht nur in einer aufſteigenden Linie betrachten, ſondern in der ganzen Breite ihrer Exiſtenz überſchauen. Man muß die verſchie - denen Religionen auch bei der abſoluten Religion gegenwär - tig haben, nicht hinter ihr, in der Vergangenheit zurücklaſſen, um eben ſowohl die abſolute als die andern Religionen rich - tig würdigen und begreifen zu können. Die ſchrecklichſten Ver - irrungen, die wildeſten Ausſchweifungen des religiöſen Be - wußtſeins laſſen oft die tiefſten Blicke auch in die Geheimniſſe der abſoluten Religion werfen. Die ſcheinbar rohſten Vor - ſtellungen ſind oft nur die kindlichſten, unſchuldigſten, wahr - ſten Vorſtellungen. Dieß gilt auch von den Vorſtellungen des Jenſeits. Der „ Wilde, “deſſen Bewußtſein nicht über die Gränzen ſeines Landes hinaus geht, der ganz mit ihm zuſam - mengewachſen iſt, nimmt auch ſein Land in das Jenſeits auf239 und zwar ſo, daß er entweder die Natur läßt wie ſie iſt, oder ſie ausbeſſert, und ſo die Beſchwerden ſeines Lebens in der Vorſtellung des Jenſeits überwindet*)Aeltern Reiſebeſchreibungen zufolge denken ſich jedoch manche Völker das künftige Leben nicht identiſch mit dem gegenwärtigen oder beſſer, ſondern ſogar noch elender. — Parny (Oeuv. chois. T. I. Me - lang. ) erzählt von einem ſterbenden Negerſclaven, der ſich die Ein - weihung zur Unſterblichkeit durch die Taufe mit den Worten verbat: je ne veux point d’une autre vie, car peut-être y serais-je en - core votre esclave.. Es liegt in dieſer Beſchränktheit der uncultivirten Völker ein ergreifender Zug. Das Jenſeits drückt hier nichts andres aus als das Heim - weh. Der Tod trennt den Menſchen von den Seinigen, von ſeinem Volke, ſeinem Lande. Aber der Menſch, der ſein Be - wußtſein nicht erweitert hat, kann es in dieſer Trennung nicht aushalten; er muß wieder zurück in ſein Heimathland. Die Neger in Weſtindien entleibten ſich, um in ihrem Vaterlande wieder aufzuleben. Auch „ nach Oiſians Vorſtellung ſchweben die Geiſter Derer, die in einem fremden Lande ſterben, nach ihrer Heimath zurück**)Ahlwardt (Oſſian Anm. zu Carthonn.).. “ Es iſt dieſe Beſchränktheit das directe Gegentheil von dem phantaſtiſchen Spiritualismus, welcher den Menſchen zu einem Vagabunden macht, der, gleich - gültig ſelbſt gegen die Erde, von einem Stern zum andern läuft. Und es liegt ihr allerdings eine reelle Wahrheit zu Grunde. Der Menſch iſt, was er iſt, durch die Natur, ſo viel auch ſeiner Selbſtthätigkeit angehört; aber auch ſeine Selbſt - thätigkeit hat in der Natur, reſpective ſeiner Natur, ihren Grund. Seid dankbar gegen die Natur! Der Menſch läßt ſich nicht von ihr abtrennen. Der Germane, deſſen Gottheit die Spontaneität iſt, verdankt ſeinen Charakter eben ſo gut240 ſeiner Natur, als der Orientale. Der Tadel der indiſchen Kunſt, der indiſchen Religion und Philoſophie iſt ein Tadel der indiſchen Natur. Ihr beklagt euch über den Recenſenten, der eine Stelle in euren Werken aus dem Zuſammenhang reißt, um ſie dadurch dem Spotte Preis zu geben. Warum thut ihr ſelbſt, was ihr an Andern tadelt? Warum reißt ihr die indiſche Religion aus dem Zuſammenhang, in welchem ſie eben ſo vernünftig iſt als eure abſolute Religion?
Der Glaube an ein Jenſeits, an ein Leben nach dem Tode iſt daher bei den „ wilden “Völkern im Weſentlichen nichts weiter als der directe Glaube an das Dießſeits, der unmittelbare, ungebrochne Glaube an dieſes Leben. Die - ſes Leben hat für ſie, ſelbſt mit ſeinen Localbeſchränktheiten, allen, abſoluten Werth; ſie können nicht davon abſtrahiren, ſich keine Abbrechung denken; d. h. ſie glauben geradezu an die Unendlichkeit, die Unaufhörlichkeit dieſes Le - bens. Erſt dadurch, daß der Glaube der Unſterblichkeit ein kritiſcher Glaube wird, daß man nämlich unterſcheidet zwiſchen dem, was hier zurück und dort übrig bleibt, hier vergehen, dort beſtehen ſoll, erſt dadurch geſtaltet ſich der Glaube an das Leben nach dem Tode zum Glauben an ein anderes Leben. Aber gleichwohl fällt auch dieſe Kritik, dieſe Unterſcheidung ſchon in dieſes Leben. So unterſchieden die Chriſten zwiſchen dem natürlichen und chriſtlichen, dem ſinnlichen, weltlichen und geiſtlichen, heiligen Leben. Das himmliſche, das andere Leben iſt kein andres Leben, als das hier ſchon von dem nur natürlichen Leben unterſchiedne, aber hier zugleich noch mit demſelben behaftete geiſtliche Leben. Was der Chriſt ſchon hier von ſich ausſchließt, wie das Geſchlechtsleben, das iſt auch vom andern Leben ausgeſchloſſen. Der Unterſchied iſt241 nur, daß er dort davon frei iſt, wovon er hier frei zu ſein wünſcht und ſich durch den Willen, die Andacht, die Ca - ſteiung frei zu machen ſucht. Darum iſt dieſes Leben für den Chriſten ein Leben der Qual und Pein, weil er hier noch mit ſeinem Gegenſatz behaftet iſt, mit den Lüſten des Fleiſches, den Anfechtungen des Teufels zu kämpfen hat.
Der Glaube der cultivirten Völker unterſcheidet ſich alſo nur dadurch von dem Glauben der uncultivirten, wodurch ſich überhaupt die Cultur von der Uncultur unterſcheidet — da - durch, daß der Glaube der Cultur ein unterſcheidender, ausſondernder, abſtracter Glaube iſt. Wo unterſchieden wird, da wird geurtheilt; wo aber geurtheilt, da entſteht die Scheidung zwiſchen Poſitivem und Negativem. Der Glaube der wilden Völker iſt ein Glaube ohne Urtheil. Die Bildung dagegen urtheilt: dem gebildeten Menſchen iſt nur das gebil - dete Leben das wahre, dem Chriſten das chriſtliche. Der rohe Naturmenſch tritt ohne Anſtand, ſo wie er ſteht und geht, ins Jenſeits ein: das Jenſeits iſt ſeine natürliche Blöße. Der Gebildete dagegen nimmt an einem ſolchen ungezügelten Le - ben nach dem Tode Anſtand, weil er ſchon hier das ungezü - gelte Naturleben beanſtandet. Der Glaube an das jenſeitige Leben iſt daher nur der Glaube an das dießſeitige wahre Leben: die weſentliche Inhaltsbeſtimmtheit des Dießſeits iſt auch die weſentliche Inhaltsbeſtimmtheit des Jenſeits; der Glaube an das Jenſeits demnach kein Glaube an ein an - deres unbekanntes Leben, ſondern an die Wahrheit, Un - endlichkeit, folglich Unaufhörlichkeit des Lebens, das ſchon hier für das authentiſche Leben gilt.
Feuerbach. 16242Wie Gott nichts andres iſt als das Weſen des Men - ſchen, gereinigt von dem, was dem menſchlichen Individuum, ſei es nun im Gefühl oder Denken als Schranke, als Uebel erſcheint: ſo iſt das Jenſeits nichts andres als das Dießſeits, befreit von Dem, was als Schranke, als Uebel erſcheint. So beſtimmt und deutlich die Schranke als Schranke, das Uebel als Uebel von dem Individuum gewußt wird, eben ſo be - ſtimmt und deutlich wird von ihm das Jenſeits, wo dieſe Schranken wegfallen, gewußt. Das Jenſeits iſt das Gefühl, die Vorſtellung der Freiheit von den Schranken, die hier das Selbſtgefühl, die Exiſtenz des Individuums beeinträchtigen. Der Gang der Religion unterſcheidet ſich nur dadurch von dem Gang des natürlichen Menſchen, daß ſie den Weg, wel - chen dieſer in gerader als der kürzeſten Linie macht, in einer krummen und zwar der Kreislinie beſchreibt. Der natürliche Menſch bleibt in ſeiner Heimath, weil es ihm hier wohlge - fällt, weil er vollkommen befriedigt iſt; die Religion, die in einer Unzufriedenheit, einer Zwietracht anhebt, verläßt die Heimath, geht in die Ferne, aber nur um in der Entfernung das Glück der Heimath um ſo lebhafter zu empfinden. Der Menſch trennt ſich in der Religion von ſich ſelbſt, aber nur, um immer wieder auf denſelben Punkt zurückzukom - men, von dem er ausgelaufen. Der Menſch negirt ſich, aber nur um ſich wieder zu ſetzen, und zwar jetzt in verherr - lichter Geſtalt; je mehr er ſich in ſeinen Augen erniedrigt, deſto höher ſteigt er in den Augen Gottes. Und er negirt ſich, weil der poſitive Menſch, der Poſitivus der Menſchheit Gott iſt; er erniedrigt ſich, weil Gott der erhöhte Menſch iſt. Gott iſt Menſch: darum muß der Menſch von ſich ſelbſt ſo niedrig als möglich denken. Er braucht nichts für ſich zu ſein, weil243 das, was er iſt, ſchon ſein Gott iſt. Gott iſt ſein Ich; darum muß er ſich verläugnen. So negirt der Menſch auch das Dießſeits, aber nur um am Ende es als Jenſeits wieder zu ſetzen*)Dort wird daher Alles wieder hergeſtellt. Qui modo vi - vit, erit, nec me vel dente, vel ungue Fraudatum revomet pa - tefacti fossa sepulchri. Aurelius Prud. (Apotheos. de resurr. carnis hum.) Und dieſer in euren Augen rohe, fleiſchliche und deß - wegen von euch desavouirte Glaube iſt der allein conſequente, der allein redliche, der allein wahre Glaube. Zur Identität der Perſon gehört die Identität des Leibes.. Das verlorne aber wiedergefundne und in der Freude des Wiederſehens um ſo heller ſtrahlende Dießſeits iſt das Jenſeits. Der religiöſe Menſch gibt die Freuden dieſer Welt auf; aber nur um dafür die himmliſchen Freuden zu ge - winnen, oder vielmehr er gibt ſie deßwegen auf, weil er ſchon in dem wenigſtens idealen Beſitze der himmliſchen Freuden iſt. Die himmliſchen Freuden ſind allerdings andere Freuden, als die irdiſchen, aber es ſind doch immerhin Freuden; die Gattung, die Subſtanz haben ſie gemein mit den irdiſchen; ſie ſind nur anderer, höherer Art. Die Religion kommt ſo, aber auf einem Umweg zu dem Ziele, dem Ziele der Freude, worauf der natürliche Menſch in gerader Linie zueilt. Das Weſen im Bilde iſt das Weſen der Religion. Die Re - ligion opfert die Sache dem Bilde auf. Das Jenſeits iſt das Dießſeits im Spiegel der Phantaſie — das bezaubernde Bild, im Sinne der Religion das Urbild des Dießſeits: dieſes wirk - liche Leben nur ein Schein, ein Schimmer jenes idealen bild - lichen Lebens. Das Jenſeits iſt das im Bilde angeſchaute, von aller groben Materie gereinigte — das verſchönerte Dieß - ſeits, oder poſitiv ausgedrückt: das ſchöne Dießſeits κατ̕ ἐξοχην.
16*244Die Verſchönerung, die Verbeſſerung ſetzt einen Tadel, ein Mißfallen voraus. Aber das Mißfallen iſt nur ein ober - flächliches. Ich ſpreche der Sache nicht Werth ab; nur ſo, wie ſie iſt, gefällt ſie mir nicht; ich negire nur die Beſchaffen - heiten, nicht die Subſtanz, ſonſt würde ich auf Vertilgung dringen. Ein Haus, das mir abſolut mißfällt, laſſe ich ab - tragen, aber nicht verſchönern. Der Glaube an das Jenſeits gibt die Welt auf, aber nicht ihr Weſen; nur ſo, wie ſie iſt, gefällt ſie nicht. Die Freude gefällt dem Jenſeitsgläubiger — wer ſollte die Freude nicht als einen Poſitiv empfinden? — aber es mißfällt ihm, daß hier auf die Freude entgegengeſetzte Empfindungen folgen, daß ſie vergänglich iſt. Er ſetzt daher die Freude auch ins Jenſeits, aber als ewige, ununterbrochne göttliche Freude — das Jenſeits heißt darum das Freuden - reich — wie er hier ſchon die Freude in Gott ſetzt; denn Gott iſt nichts als die ewige, ununterbrochene Freude als Subject. Die Individualität gefällt ihm, aber nur nicht die mit objectiven Trieben belaſtete; er nimmt daher die Indivi - dualität auch mit, aber die reine, die abſolut ſubjective. Das Licht gefällt; aber nicht die Schwere, weil ſie als eine Schranke dem Individuum erſcheint, nicht die Nacht, weil in ihr der Menſch der Natur gehorcht; dort iſt Licht, aber keine Schwere, keine Nacht — reines, ungeſtörtes Licht.
Wie der Menſch in der Entfernung von ſich, in Gott immer wieder nur auf ſich ſelbſt zurückkommt, immer nur ſich um ſich ſelbſt dreht; ſo kommt der Menſch auch in der Entfernung vom Dießſeits immer wieder zuletzt nur auf daſ - ſelbe zurück. Je außer - und übermenſchlicher Gott im Anfang erſcheint, deſto menſchlicher zeigt er ſich im Verlaufe oder Schluſſe. Ebenſo: je übernatürlicher im Anfang oder in der245 Ferne beſchaut das himmliſche Leben ausſieht, deſto mehr ſtellt ſich am Ende oder in der Nähe betrachtet die Identität des himmliſchen mit dem natürlichen Leben heraus — eine Iden - tität, die ſich zuletzt bis auf das Fleiſch, bis auf den Leib er - ſtreckt. Zunächſt handelt es ſich um die Scheidung der Seele vom Leibe, wie in der Anſchauung Gottes um die Scheidung des Weſens von dem Individuum — das Individuum ſtirbt einen geiſtigen Tod, der todte Leib, der zurückbleibt, iſt das menſchliche Individuum, die Seele, die ſich davon geſchieden, Gott. Aber die Scheidung der Seele vom Leibe, des Weſens vom Individuum, Gottes vom Menſchen iſt nicht von Beſtand. Jede Trennung thut wehe. Die Seele ſehnt ſich wieder nach ihrem verlornen Theile, nach ihrem Leibe, wie Gott, die abge - ſchiedene Seele, ſich wieder nach dem wirklichen Menſchen ſehnt. Wie Gott daher wieder Menſch wird, ſo kehrt die Seele wieder in ihren Leib zurück — und die vollkommene Iden - tität des Dieß - und Jenſeits iſt jetzt wieder hergeſtellt. Zwar iſt dieſer neue Leib ein lichtvoller, verklärter, wunderbarer Leib, aber — und das iſt die Hauptſache — es iſt ein ande - rer und doch derſelbe Leib*)Ipsum (corpus) erit et non ipsum erit. Augustinus. (v. J. Ch. Doederlein. Inst. Theol. Christ. Altorf. 1781. §. 280.), wie Gott ein anderes und doch daſſelbe Weſen als das menſchliche iſt. Wir kommen hier wieder auf den Begriff des Wunders, welches Wider - ſprechendes vereinigt. Der übernatürliche Körper iſt ein Kör - per der Phantaſie, aber eben deßwegen ein dem Gemüthe des Menſchen adäquater, weil ihn nicht beläſtigender — ein rein ſubjectiver Körper**)Caro et sanguis regnum Dei non possidebunt. Non quod car - nis illic substantia futura non sit, sed quod carnalis omnis. Der Glaube an das Jenſeits iſt nichts246 anderes als der Glaube an die Wahrheit der Phantaſie, wie der Glaube an Gott der Glaube an die Wahrheit und Unend - lichkeit des menſchlichen Gemüthes. Oder: wie der Glaube an Gott nur der Glaube an das abſtracte Weſen des Men - ſchen iſt, ſo der Glaube an das Jenſeits nur der Glaube an das abſtracte Dießſeits.
Aber der Inhalt des Jenſeits iſt die Seligkeit, die ewige Seligkeit der Individualität oder Subjectivität, die hier durch die Natur beſchränkt und beeinträchtigt exiſtirt. Der Glaube an das Jenſeits iſt daher der Glaube an die Freiheit der Subjectivität von den Schranken der Natur — alſo der Glaube an die Ewigkeit, Unendlichkeit, Abſolutheit der Subjectivität, und zwar nicht in ihrem Gattungsbegriffe, der ſich in immer neuen Individuen entfaltet, ſondern dieſer bereits exiſtirenden Individuen — folglich der Glaube des Men - ſchen an ſich ſelbſt. Aber der Glaube an das Himmelreich iſt eins mit dem Glauben an Gott — es iſt derſelbe Inhalt in beiden — Gott iſt die reine, abſolute, von allen Natur - ſchranken erledigte Subjectivität: er iſt ſchlechtweg, was die menſchlichen Individuen nur ſein ſollen, ſein werden — der Glaube an Gott iſt daher der Glaube des Menſchen an**)necessitudo sit defutura. Divus Bernhardus. Tract. de dili - gendo Deo. Resurgent ergo sanctorum corpora sine ullo vitio, sine ulla deformitate, sicut sine ulla corruptione, onere, difficultate .... una erit aetas omnium resurgentium, sc. juvenilis. Petrus L. I. IV. dist. 44. c. 2. Der himmliſche Leib iſt daher inſofern, nämlich als ein Leib ohne alle Beſchwerlichkeit und Begierlichkeit, d. h. alle Sinnlichkeit, nicht der wiederhergeſtellte gegenwärtige, ſondern ehe - malige, urſprüngliche, adamitiſche Leib. Inſofern iſt die Auferſtehung: ἡ εἰς τὸ ἀϱχαῖον τῆς φύσεως ἡμῶν ἀποκατάστασις. S. Gregorius de anima et resurr. (Lips. 1837. p. 142.) 247 ſein eignes Weſen, an die Unendlichkeit ſeiner ſelbſt — das göttliche Weſen das menſchliche und zwar ſubjectiv menſchliche Weſen in ſeiner abſoluten Freiheit und Unbe - ſchränktheit.
Unſere weſentlichſte Aufgabe iſt hiermit erfüllt. Wir haben das außerweltliche, übernatürliche und übermenſchliche Weſen reducirt auf die Beſtandtheile des menſchlichen Weſens als ſeine Grundbeſtandtheile. Wir ſind im Schluſſe wieder auf den Anfang zurückgekommen. Der Menſch iſt der Anfang der Religion, der Menſch iſt der Mittelpunkt der Religion, der Menſch iſt das Ende der Religion.
Die Religion iſt das von der Welt abgeſchloſſene Ver - halten des Menſchen zu ſeinem Weſen — das innere, das in ſich ſelbſt verborgene Leben des Menſchen. Die poſitive, wahre Bedeutung und Lehre der Religion iſt: Menſch gehe in Dich! ſei bei und in Dir ſelbſt zu Hauſe! ſammle Dich: bete! Beten heißt: ſich ſammeln, den zerſtreuenden Dialog des Lebens in den ernſten Monolog der Selbſtbeſin - nung überſetzen. Hierin ſtimmt die Philoſophie mit der Reli - gion überein; hierin und nur hierin allein liegt die ſittliche Heilkraft und die theoretiſche Wahrheit der Religion.
Die Religion iſt das Verhalten des Menſchen zu ſeinem eignen Weſen — darin liegt ihre Wahrheit — aber zu ſeinem Weſen nicht als dem ſeinigen, ſondern als einem andern, aparten, von ihm unterſchiedenen, ja entgegengeſetzten Weſen — darin liegt die Unwahrheit, darin die Schranke, darin das böſe Weſen der Religion, darin die unheilſchwangere Quelle des religiöſen Fanatismus, darin das oberſte, metaphyſiſche Princip der blutigen Menſchenopfer, kurz, darin die prima materia aller Gräuel, aller ſchaudererregenden Scenen in dem Trauerſpiel der Religionsgeſchichte.
Und dieſes Verhalten zu Gott als einem andern Weſen iſt einerſeits ein natürliches, unwillkührliches, unbewußtes, andererſeits ein bewußtes, durch Reflexion vermitteltes. Das unbewußte Verhalten wurzelt im Urſprung der Religion ſelbſt, beruht auf ihrem weſentlichen Standpunkt. Dieſer Standpunkt iſt der praktiſche. Der Zweck der Religion iſt das Wohl, das Heil, die Seligkeit des Menſchen; die Beziehung des Menſchen auf Gott nichts anderes als die Beziehung deſſelben auf ſein Heil: Gott iſt das realiſirte Seelenheil oder die un - beſchränkte Macht, das Heil, die Seligkeit des Menſchen zu verwirklichen*)Praeter salutem tuam nihil cogites; solum quae Dei sunt cures. Thomas a K. (de imit. 1. I. c. 23.) Contra salutem propriam cogites nihil. Minus dixi: contra, praeter díxisse de -. Alle poſitiven religiöſen Beſtimmungen Got -249 tes drücken dieſe Beziehung auf das Heil aus. Das Höchſte und Innigſte der Religion faßt ſich in dem Gedanken zuſam - men: Gott iſt die Liebe, die ſelbſt um des Menſchen willen Menſch wurde. Die chriſtliche Religion namentlich unter - ſcheidet ſich darin von andern Religionen, daß keine ſo nach - drücklich wie ſie das Heil des Menſchen hervorgehoben. Darum nennt ſie ſich auch nicht Wahrheits - oder Gotteslehre, ſondern Heilslehre. Aber dieſes Heil iſt nicht weltliches, irdiſches Glück und Wohl. Im Gegentheil die tiefſten, wahrſten Chri - ſten haben geſagt, daß irdiſches Glück den Menſchen von Gott abzieht, dagegen weltliches Unglück, Leiden, Krankheiten den Menſchen zu Gott zurückführen und daher ſich allein für den Chriſten ſchicken. Warum? weil im Unglück der Menſch nur praktiſch geſinnt iſt, im Unglück er ſich nur auf das Eine, was Noth, bezieht, im Unglück Gott als Bedürfniß des Menſchen empfunden wird**)Wer übrigens nur aus dem Unglück die Realität der Religion beweiſt, beweiſt auch die Realität des Aberglaubens. . Die Luſt, die Freude expandirt den Menſchen, das Unglück, der Schmerz contrahirt und concen - trirt ihn — im Schmerze verneint der Menſch die Realität der Welt; alle Dinge, welche die Phantaſie des Künſtlers und die Vernunft des Denkers bezaubern, verlieren ihren Reiz, ihre Macht für ihn; er verſinkt in ſich ſelbſt, in ſein Gemüth. Dieſes in ſich verſunkne, auf ſich nur concentrirte, in ſich nur ſich beruhigende, die Welt verneinende, gegen die Welt, die Natur überhaupt idealiſtiſche, in Beziehung auf den Menſchen realiſtiſche, nur auf ſein nothwendiges inneres Heilbedürfniß*)bueram. Bernhardus (De consid. ad Eugenium pontif. max. 1. II.) Qui Deum quaerit, de propria salute sollicitus est. Clemens Alex. (Cohort. ad gent.) 250 bezogene Weſen oder Gemüth iſt — Gott. Gott als Gott, Gott, wie er Gegenſtand der Religion und nur ſo, wie er dieſer Gegenſtand, iſt er Gott, nämlich Gott im Sinne eines Nomen proprium, nicht eines allgemeinen, metaphyſiſchen Weſens, Gott iſt weſentlich nur ein Gegenſtand der Reli - gion, nicht der Philoſophie, des Gemüthes, nicht der Vernunft, der Praxis, nicht der bedürfnißloſen Theorie, der Herzensnoth, nicht der Gedankenfreiheit, kurz ein Gegenſtand, ein Weſen, welches nicht das Weſen des theoretiſchen, ſondern des prak - tiſchen Standpunkts ausdrückt.
Die Religion knüpft an ihre Lehren Fluch und Segen, Verdammung und Seligkeit. Selig iſt, wer glaubt, unſelig, verloren, verdammt, wer nicht ihr glaubt. Sie appellirt alſo nicht an die Vernunft, ſondern an das Gemüth, an den Glück - ſeligkeitstrieb, an die Affecte der Furcht und Hoffnung. Sie ſteht nicht auf dem theoretiſchen Standpunkt; ſonſt müßte ſie die Freiheit haben, ihre Lehren auszuſprechen, ohne an ſie praktiſche Folgen anzuknüpfen, ohne gewiſſermaaßen zu ihrem Glauben zu nöthigen; denn wenn es heißt: ich bin verdammt, wenn ich nicht glaube, ſo iſt das ein feiner Gewiſſenszwang zum Glauben; die Furcht vor der Hölle zwingt mich zu glau - ben. Selbſt, wenn mein Glaube auch ſeinem Urſprung nach ein freier ſein ſollte — die Furcht miſcht ſich doch immer mit ein; mein Gemüth iſt immerhin befangen; der Zweifel, das Princip der theoretiſchen Freiheit erſcheint mir als Verbrechen. Der höchſte Begriff, das höchſte Weſen der Religion iſt aber Gott: das höchſte Verbrechen alſo der Zweifel an Gott oder gar der Zweifel, daß Gott iſt. Was ich mir aber gar nicht zu bezweifeln getraue, nicht bezweifeln kann, ohne mich in meinem Gemüthe beunruhigt zu fühlen, ohne mich einer Schuld251 zu zeihen, das iſt auch keine Sache der Theorie, ſondern eine Gewiſſensſache, kein Weſen der Vernunft, ſondern des Ge - müths.
Da nun aber der praktiſche Standpunkt allein der Stand - punkt der Religion iſt, da ihr folglich auch nur der praktiſche, vorſätzliche, nur nach ſeinen bewußten, ſei es nun phyſiſchen oder moraliſchen Zwecken handelnde und die Welt nur in Be - ziehung auf dieſe Zwecke und Bedürfniſſe, nicht an ſich ſelbſt betrachtende Menſch für den ganzen, weſentlichen Menſchen gilt; ſo fällt ihr Alles, was hinter dem praktiſchen Bewußt - ſein liegt, aber der weſentliche Gegenſtand der Theorie iſt — Theorie im urſprünglichſten und allgemeinſten Sinne, im Sinne der theoretiſchen Anſchauung und Erfahrung, der Vernunft, der Wiſſenſchaft überhaupt — außer den Menſchen und die Natur hinaus in ein beſonderes perſönliches Weſen. Alles Gute, doch hauptſächlich nur ſolches, welches unwill - kührlich den Menſchen ergreift, welches ſich nicht zuſammen - reimt mit Vorſatz und Abſicht, welches über die Gränzen des praktiſchen Bewußtſeins hinausgeht, kommt von Gott; alles Schlimme, Böſe, Ueble, doch hauptſächlich nur ſolches, welches ihn unwillkührlich mitten in ſeinen beſten moraliſchen Vorſätzen überfällt oder mit furchtbarer Gewalt fortreißt, kommt vom Teufel. Zur Erkenntniß des Weſens der Religion gehört die Erkenntniß des Teufels, des Satans, der Dämone*)Ueber die bibliſchen Vorſtellungen vom Satan, ſeiner Macht und Wirkung ſ. Lützelberger’s Grundzüge der Pauliniſchen Glaubenslehre und G. Ch. Knapp’s Vorleſ. über d. chriſtl. Glaubensl. §. 62 — 65. Hieher gehören auch die dämoniſchen Krankheiten, die Teufelsbeſitzungen. Auch dieſe Krankheiten ſind in der Bibel, der göttlichen Offenbarung, begründet. S. Knapp (§. 65. III. 2. 3.).. Man252 kann dieſe Dinge nicht weglaſſen, ohne die Religion gewaltſam zu verſtümmeln. Die Gnade und ihre Wirkungen ſind der Gegenſatz der Teufelswirkungen. Wie die unwillkührlichen, aus der Tiefe der Natur auflodernden ſinnlichen Triebe über - haupt alle ihr unerklärlichen Erſcheinungen des moraliſchen und phyſiſchen Uebels der Religion als Wirkungen des böſen Weſens erſcheinen, ſo erſcheinen ihr auch nothwendig die un - willkührlichen Bewegungen der Begeiſterung und Entzückung als Wirkungen des guten Weſens, Gottes, des heiligen Geiſtes oder der Gnade. Daher die Willkühr der Gnade — die Klage der Frommen, daß die Gnade ſie bald beſeligt, heimſucht, bald wieder verläßt, verſtößt. Das Leben, das Weſen der Gnade iſt das Leben, das Weſen des unwillkührlichen Gemüths. Das Gemüth iſt der Paraklet der Chriſten. Die gemüth - und be - geiſterungsloſen Momente ſind die von der göttlichen Gnade verlaſſenen Lebensmomente.
In Beziehung auf das innere Leben kann man übrigens auch die Gnade definiren als das religiöſe Genie; in Be - ziehung auf das äußere Leben aber als den religiöſen Zu - fall. Der Menſch iſt gut oder böſe keineswegs nur durch ſich ſelbſt, durch eigene Kraft, durch ſeinen Willen, ſondern zugleich durch jenen Complex geheimer und offenbarer Determinationen, die wir, weil ſie auf keiner innern Nothwendigkeit beruhen, der Macht „ Seiner Majeſtät des Zufalls, “wie Friedrich der Große zu ſagen pflegte, zuſchreiben*)Schelling erklärt in ſeiner Schrift über die Freiheit dieſes Räthſel durch eine in der Ewigkeit, d. h. vor dieſem Leben vollbrachte Selbſtbe - ſtimmung. Welche phantaſtiſche, illuſoriſche Suppoſition! Aber gerade ſolche puerile, bodenloſe Phantaſtik iſt das innerſte Geheimniß unſerer modernen religiöſen Speculanten, das Geheimniß der „ chriſtlich-germa - niſchen “Tiefe. Je ſchiefer, je tiefer.. Die göttliche Gnade253 iſt die myſtificirte Macht des Zufalls. Hier haben wir wieder die Beſtätigung von dem, was wir als das weſentliche Geſetz der Religion erkannten. Die Religion negirt, verwirft den Zufall, Alles von Gott abhängig machend, Alles aus ihm erklärend; aber ſie negirt ihn nur ſcheinbar; ſie verſetzt ihn nur in die göttliche Willkühr. Denn der göttliche Wille, welcher aus unbegreiflichen Gründen, d. h. offen und ehrlich herausgeſagt, aus grundloſer abſoluter Willkühr, gleichſam aus göttlicher Laune, die Einen zum Böſen, zum Un - glück, die Andern zum Guten, zur Seligkeit beſtimmt, prädeſtinirt, hat kein einziges poſitives Merkmal für ſich, welches ihn von der Macht „ Seiner Majeſtät des Zufalls “unterſchiede. Das Geheimniß der Gnadenwahl iſt alſo das Geheimniß, oder die Myſtik des Zufalls. Ich ſage die Myſtik des Zufalls; denn in der That iſt der Zufall ein Myſterium, obwohl überhudelt und ignorirt von unſerer ſpeculativen Religions-Philoſophie, welche über den illuſoriſchen Myſterien des abſoluten We - ſens, d. h. der Theologie die wahren Myſterien des Den - kens und Lebens, ſo auch über dem Myſterium der göttlichen Gnade oder Wahlfreiheit das profane Myſterium des Zufalls vergeſſen hat*)Man wird dieſe Enthüllung des Myſteriums der Gnadenwahl zweifelsohne verrucht, gottlos, teufliſch nennen. Ich habe nichts dage - gen: ich bin lieber ein Teufel im Bunde mit der Wahrheit, als ein Engel im Bunde mit der Lüge. .
Doch wieder zurück zu unſerem Gegenſtande. Der Teufel iſt das Negative, das Böſe, das aus dem Weſen, nicht dem Willen kommt, Gott das Poſitive, das Gute, welches aus dem Weſen, nicht dem bewußten Willen kommt — der Teufel das unwillkührliche, unerklärliche Böſe, Schlimme, Ueble,254 Gott das unwillkührliche, unerklärliche Gute. Beide haben dieſelbe Quelle — nur die Qualität iſt verſchieden oder ent - gegengeſetzt. Deßhalb hing auch faſt bis auf die neueſte Zeit der Glaube an den Teufel aufs innigſte zuſammen mit dem Glauben an Gott, ſo daß die Läugnung des Teufels eben ſo gut für Atheismus galt, als die Läugnung Gottes. Nicht ohne Grund; wenn man einmal anfängt, die Erſcheinungen des Böſen, Ueblen aus natürlichen Urſachen abzuleiten, ſo fängt man auch gleichzeitig an, die Erſcheinungen des Guten, des Göttlichen aus der Natur der Dinge, nicht aus einem übernatürlichen Weſen abzuleiten und kommt endlich dahin, entweder Gott ganz aufzuheben, oder wenigſtens einen andern als den Gott der Religion zu glauben, oder, was das Ge - wöhnlichſte iſt, die Gottheit zu einem müßigen, thatloſen We - ſen zu machen, deſſen Sein gleich Nichtſein iſt, indem es nicht mehr wirkend in das Leben eingreift, nur an die Spitze der Welt, an den Anfang als die erſte Urſache, die prima causa hingeſtellt wird. Gott hat die Welt erſchaffen — dieß iſt das Einzige, was hier von Gott noch übrig bleibt. Das Per - fectum iſt hier nothwendig; denn ſeitdem läuft die Welt wie eine Maſchine ihren Gang fort. Der Zuſatz: er ſchafft immer, er ſchafft noch heute, iſt nur der Zuſatz einer äußerlichen Re - flexion; das Perfectum drückt hier adäquat den religiöſen Sinn aus; denn der Geiſt der Religion iſt ein vergange - ner, wo die Wirkung Gottes zu einem Fecit oder Creavit gemacht wird. Anders; wenn das wirklich religiöſe Be - wußtſein ſagt: das Fecit iſt heute noch ein Facit; hier hat dieß, obwohl auch ein Product der Reflexion, doch einen geſetzmäßigen Sinn, weil hier Gott überhaupt handelnd ge - dacht wird.
255Die Religion wird überhaupt aufgehoben, wo ſich zwiſchen Gott und den Menſchen die Vorſtellung der Welt, der ſoge - nannten Mittelurſachen einſchleicht. Hier hat ſich ſchon ein fremdes Weſen, das Princip der Verſtandesbildung einge - ſchlichen — gebrochen iſt der Friede, die Harmonie der Reli - gion, welche nur im unmittelbaren Zuſammenhang des Menſchen mit Gott liegt. Die Mittelurſache iſt eine Capitu - lation des ungläubigen Verſtandes mit dem noch gläubigen Herzen. Der Religion zufolge. wirkt allerdings auch Gott vermittelſt anderer Dinge und Weſen auf den Menſchen. Aber Gott iſt doch allein die Urſache, allein das handelnde und wirkſame Weſen. Was Dir der Andere thut, das thut Dir im Sinne der Religion nicht der Andere, ſondern Gott. Der Andere iſt nur Schein, Mittel, Vehikel, nicht Urſache. Aber die Mittel - urſache iſt ein unſeliges Mittelding zwiſchen einem ſelbſtſtän - digen und unſelbſtſtändigen Weſen: Gott gibt wohl den erſten Impuls; aber dann tritt ihre Selbſtthätigkeit ein*)Hieher gehört auch die geiſt - und weſenloſe Lehre vom Concursus Dei, wo Gott nicht nur den erſten Impuls gibt, ſondern auch in der Handlung der causa sccunda ſelbſt mit wirkt. Uebrigens iſt dieſe Lehre nur eine beſondere Erſcheinung von dem widerſpruchsvollen Dualismus zwiſchen Gott und Natur, der ſich durch die Geſchichte des Chriſtenthums hindurchzieht..
Die Religion weiß überhaupt aus ſich ſelbſt nichts von dem Daſein der Mittelurſachen; dieſes iſt ihr vielmehr der Stein des Anſtoßes; denn das Reich der Mittelurſachen, die Sinnenwelt, die Natur iſt es gerade, welche den Menſchen von Gott trennt**)Dum sumus in hoc corpore, peregrinamur ab eo qui summe est. Bernard. Epist. 18. (in der Basler Ausgabe von 1552.) Der Begriff des Jenſeits iſt daher nichts als der Begriff der wahren, vollendeten, von den dießſeitigen Schranken und Hemmungen befreiten Religion, das Jen -. Darum glaubt die Religion, daß Einſt256 dieſe Scheidewand fällt. Einſt iſt keine Natur, keine Materie, kein Leib, wenigſtens kein ſolcher, der den Menſchen von Gott trennt: einſt iſt nur Gott und die fromme Seele allein. Die Religion hat nur aus der ſinnlichen, natürlichen, alſo un - oder wenigſtens nicht religiöſen Anſchauung Kunde vom Daſein der Mittelurſachen, d. h. der Dinge, die zwiſchen Gott und dem Menſchen ſind. Und wenn daher die Religion eine mittelbare Wirkung Gottes annimmt, ſo kommt dieß nur daher, daß ſich die empiriſche Anſchauung geltend macht, welche die Religion aber dadurch ſogleich niederſchlägt, daß ſie die Wirkungen der Natur zu Wirkungen Gottes macht. Gott allein iſt ihr das wahrhaft Seiende, Wirkende, Thätige. Dieſer religiöſen Idee widerſpricht aber der natürliche Verſtand und Sinn, welcher den natürlichen Dingen wirkliche Selbſt - thätigkeit einräumt. Und dieſen Widerſpruch der ſinnlichen mit ihrer, der religiöſen, Anſchauung löſt die Religion eben dadurch, daß ſie die unläugbare Wirkſamkeit der Dinge zu einer Wirkſamkeit Gottes vermittelſt dieſer Dinge macht. Der poſitive Begriff iſt hier der Begriff Gottes, der negative die Welt.
Dagegen da, wo die Mittelurſachen in Activität ge - ſetzt, ſo zu ſagen, emancipirt werden, da iſt der umgekehrte Fall — die Natur das Poſitive, Gott ein negativer Begriff. Die Welt iſt ſelbſtſtändig in ihrem Sein, ihrem Beſtehen; nur**)ſeits, wie ſchon oben geſagt, nichts als die wahre Meinung und Geſinnung, das offene Herz der Religion. Hier glauben wir; dort ſchauen wir; d. h. dort iſt nichts außer Gott, nichts alſo zwiſchen Gott und der Seele, aber nur deßwegen, weil nichts zwiſchen beiden ſein ſoll, weil die unmittel - bare Einheit Gottes und der Seele die wahre Meinung und Geſinnung der Religion iſt.257 ihrem Anfang nach noch abhängig. Gott iſt hier nur ein hypothetiſches, abgeleitetes, aus der Noth eines beſchränkten Verſtandes, dem das Daſein der von ihm zu einer Ma - ſchine gemachten Welt ohne ein ſelbſtbewegendes Princip un - erklärlich iſt, entſprungnes, kein urſprüngliches, abſolut noth - wendiges Weſen mehr. Gott iſt nicht um ſeinetwillen, ſon - dern um der Welt willen da, nur darum da, um als die prima causa die Meltmaſchine zu erklären. Der beſchränkte Verſtandesmenſch nimmt einen Anſtoß an dem urſprünglich ſelbſtſtändigen Daſein der Welt, weil er ſie nur vom prakti - ſchen Standpunkt aus, nur in ihrer Gemeinheit, nur als Werkmaſchine, nicht in ihrer Majeſtät und Herrlichkeit, nicht als Kosmos anſieht. Er ſtößt alſo ſeinen Kopf an der Welt an. Der Stoß erſchüttert ſein Gehirn — und in dieſer Er - ſchütterung hypoſtaſirt er denn außer ſich den eignen Anſtoß als den Urſtoß, der die Welt ins Daſein geſchleudert, daß ſie nun, wie die durch den mathematiſchen Stoß in Bewegung geſetzte Materie, ewig fortgeht, d. h. er denkt ſich einen mecha - niſchen Urſprung. Eine Maſchine muß einen Anfang haben; es liegt dieß in ihrem Begriffe; denn ſie hat den Grund der Bewegung nicht in ſich.
Alle Kosmogonie iſt Tautologie — dieß ſehen wir auch an dieſem Beiſpiel. In der Kosmogonie erklärt ſich oder rea - liſirt nur der Menſch den Begriff, den er von der Welt hat; ſagt er daſſelbe, was er außerdem von ihr ausſagt. So hier: iſt die Welt eine Maſchine, ſo verſteht es ſich von ſelbſt, daß ſie „ ſich nicht ſelbſt gemacht “hat, daß ſie vielmehr gemacht iſt, d. h. einen mechaniſchen Urſprung hat. Hierin ſtimmt allerdings das religiöſe Bewußtſein mit dem mechaniſchen überein, daß ihm auch die Welt ein bloßesFeuerbach. 17258Machwerk, ein Product des Willens iſt; denn die Religion betrachtet die Dinge nicht vom theoretiſchen, ſondern praktiſchen Standpunkt. Aber ſie ſtimmen nur einen Augenblick, nur im Moment des Machens oder Schaffens mit einander überein — iſt dieſes ſchöpferiſche Nu verſchwunden, ſo iſt auch die Harmonie vorüber. Der Mechanikus braucht Gott nur zum Machen der Welt; iſt ſie gemacht, ſo kehrt ſie ſogleich dem lie - ben Gott den Rücken, und freut ſich von Herzen ihrer gottlo - ſen Selbſtſtändigkeit. Aber die Religion macht die Welt, nur um ſie immer im Bewußtſein ihrer Nichtigkeit, ihrer Abhängigkeit von Gott zu erhalten. Die Schöpfung iſt bei dem Mechaniker der letzte dünne Faden, an dem die Reli - gion mit ihm noch zuſammenhängt; die Religion, welcher die Nichtigkeit der Welt eine gegenwärtige Wahrheit iſt (denn alle Kraft und Thätigkeit iſt ihr Gottes Kraft und Thätigkeit) iſt bei ihm nur noch eine Reminiscenz aus der Jugend; er verlegt daher die Schöpfung der Welt, den Act der Reli - gion, das Nichtſein der Welt — denn im Anfange, vor der Erſchaffung war keine Welt, war nur Gott allein — in die Ferne, in die Vergangenheit, während die Selbſt - ſtändigkeit der Welt, die all ſein Sinnen und Trachten abſorbirt, mit der Macht der Gegenwart auf ihn wirkt. Der Mechaniker unterbricht und verkürzt die Thätigkeit Gottes durch die Thätigkeit der Welt. Gott hat bei ihm wohl noch ein hiſtoriſches Recht, das aber ſeinem Natur - recht widerſpricht, er beſchränkt daher ſo viel als möglich die - ſes Gott noch zuſtehende Recht, um für ſeine natürlichen Ur - ſachen und damit für ſeinen Verſtand um ſo größern und freiern Spielraum zu gewinnen.
Es hat mit der Schöpfung im Sinne des Maſchiniſten259 dieſelbe Bewandtniß, wie mit den Wundern, die er ſich auch gefallen laſſen kann und wirklich gefallen läßt, weil ſie einmal exiſtiren, wenigſtens in der religiöſen Meinung. Aber — ab - geſehen davon, daß er ſich die Wunder natürlich, d. h. mechaniſch erklärt — er kann die Wunder nur verdauen, wenn und indem er ſie in die Vergangenheit verlegt. Für die Gegenwart aber bittet er ſich Alles hübſch natürlich aus. Wenn man etwas aus der Vernunft, aus dem Sinne verloren, etwas nicht mehr glaubt aus freien Stücken, ſondern nur glaubt, weil es geglaubt wird oder aus irgend einem Grunde geglaubt werden muß, kurz, wenn ein Glaube ein innerlich vergangner iſt; ſo verlegt man auch äußerlich den Gegenſtand des Glau - bens in die Vergangenheit. Dadurch macht ſich der Unglaube Luft, aber läßt zugleich noch dem Glauben ein, wenigſtens hiſtoriſches, Recht. Die Vergangenheit iſt hier das glück - liche Auskunftsmittel zwiſchen Glaube und Unglaube: ich glaube allerdings Wunder, aber Nota bene keine Wunder, die geſchehen, ſondern einſt geſchehen ſind, die Gottlob! be - reits lauter Plusquamperfecta ſind. So auch hier. Die Schöpfung iſt eine unmittelbare Handlung oder Wirkung Gottes, ein Wunder, denn es war ja noch nichts außer Gott. In der Vorſtellung der Schöpfung geht der Menſch über die Welt hinaus, abſtrahirt von ihr; er ſtellt ſie ſich vor als nichtſeiend im Momente der Erſchaffung; er wiſcht ſich alſo aus den Augen, was zwiſchen ihm und Gott in der Mitte ſteht, die Sinnenwelt; er ſetzt ſich in unmittelbare Berührung mit Gott. Aber der Maſchiniſt ſcheut dieſen unmittelbaren Contact mit der Gottheit; er macht daher das Praesens, wenn er ſich anders ſo hoch verſteigt, ſogleich zu einem Per - fectum; er ſchiebt Jahrtauſende zwiſchen ſeine natürliche oder17*260materialiſtiſche Anſchauung und zwiſchen den Gedanken einer unmittelbaren Wirkung Gottes ein.
Im Sinne der Religion dagegen iſt Gott allein die Urſache aller poſitiven Wirkungen, Gott allein der letzte aber auch einzige Grund, womit ſie alle Fragen, welche die Theorie aufwirft, beant - wortet oder vielmehr abweiſt; denn die Religion bejaht alle Fragen mit Nein: ſie gibt eine Antwort, die eben ſo viel ſagt wie keine, indem ſie die verſchiedenſten Fragen immer mit der nämlichen Antwort erledigt, alle Wirkungen der Natur zu un - mittelbaren Wirkungen Gottes, zu Wirkungen eines abſichtli - chen, perſönlichen, außer - oder übernatürlichen Weſens macht. Gott iſt der den Mangel der Theorie erſetzende Begriff. Er iſt die Erklärung des Unerklärlichen, die nichts erklärt, weil ſie Alles ohne Unterſchied erklären ſoll — er iſt die Nacht der Theorie, die aber dadurch Alles dem Gemüthe klar macht, daß in ihr das Maaß der Finſterniß, das unterſcheidende Ver - ſtandeslicht ausgeht; das Nichtwiſſen, das alle Zweifel löſt, weil es alle niederſchlägt, Alles weiß, weil es nichts Be - ſtimmtes weiß, weil alle Dinge, die dem Theoretiker imponi - ren, verſchwinden, ihre Individualität verlieren, im Auge der gött - lichen Macht nichts ſind. Die Nacht iſt die Mutter der Religion.
Der weſentliche Act der Religion, in dem ſie bethätigt, was wir als ihr Weſen bezeichneten, iſt das Gebet. Das Gebet iſt allmächtig. Was der Fromme im Gebete erſehnt, erfüllt Gott. Er betet aber nicht um geiſtige Dinge nur*)Nur der Unglaube an das Gebet hat das Gebet ſchlauer Weiſe nur auf Geiſtiges eingeſchränkt., die liegen ja ſo in der Macht des Menſchen; er betet auch um Dinge, die außer ihm liegen, in der Macht der Natur ſtehen, eine Macht, die er eben im Gebete überwinden will; er greift im Gebet261 zu einem übernatürlichen Mittel, um an ſich natürliche Zwecke zu erreichen. Gott iſt ihm nicht die causa remota, ſondern die causa proxima, die unmittelbare, allernächſte wir - kende Urſache aller natürlichen Wirkungen. Alle ſogenannte Mittelkräfte und Mittelurſachen ſind ihm im Gebete Nichts. Wären ſie ihm Etwas, ſo würde daran die Macht, die In - brunſt des Gebetes ſcheitern. Sie ſind ihm vielmehr gar nicht Gegenſtand; ſonſt würde er ja nur auf vermitteltem Wege ſei - nen Zweck zu erreichen ſuchen. Aber er will unmittelbare Hülfe. Er nimmt ſeine Zuflucht zum Gebete in der Gewiß - heit, daß er durchs Gebet mehr, unendlich mehr vermag als durch alle Anſtrengung und Thätigkeit der Vernunft und Natur, daß das Gebet übermenſchliche und übernatürliche Kräfte beſitzt*)In der rohſinnlichen Vorſtellung iſt daher das Gebet ein Zwangs - oder Zaubermittel. Dieſe Vorſtellung iſt aber eine unchriſtliche, (obwohl ſich auch bei vielen Chriſten die Behauptung findet, daß das Gebet Gott zwingt) denn im Chriſtenthum iſt Gott an und für ſich das ſelbſtbefriedigte Gemüth, die nichts dem (natürlich religiöſen) Gemüthe abſchlagende All - macht der Güte. Der Vorſtellung des Zwangs liegt aber ein gemüthloſer Gott zu Grunde.. Aber im Gebet wendet er ſich unmittelbar an Gott. Gott iſt ihm alſo die unmittelbare Urſache, das erfüllte Gebet, die Macht, die das Gebet realiſirt. Aber eine unmittelbare Wirkung Gottes iſt ein Wunder — das Wun - der liegt daher weſentlich in der Anſchauung der Religion. Die Religion erklärt Alles auf wunderbare Weiſe. Daß Wunder nicht immer geſchehen, das verſteht ſich von ſelbſt, wie, daß der Menſch nicht immer betet. Aber daß nicht immer Wunder geſchehen, das liegt außer dem Weſen der Religion, nur in der empiriſchen, oder ſinnlichen Anſchauung. Wo262 aber die Religion beginnt, beginnt das Wunder. Jedes wahre Gebet iſt ein Wunder, ein Act der wun - derthätigen Kraft. Das äußerliche Wunder ſelbſt macht nur ſichtbar die innerlichen Wunder, d. h. in ihm tritt nur in Zeit und Raum, darum als ein beſonderes Factum ein, was an und für ſich in der Grundanſchauung der Religion liegt, näm - lich daß Gott überhaupt die übernatürliche, unmittelbare Ur - ſache aller Dinge iſt. Das factiſche Wunder iſt nur ein af - fectvoller Ausdruck der Religion — ein Moment der Begei - ſterung. Die Wunder ereignen ſich nur in außerordentlichen Fällen, in ſolchen, wo das Gemüth exaltirt iſt — daher gibt es auch Wunder des Zorns. Mit kaltem Blute wird kein Wunder verrichtet. Aber eben im Affect offenbart ſich das Innerſte. Der Menſch betet auch nicht immer mit glei - cher Wärme und Kraft. Solche Gebete ſind deßwegen erfolg - los. Aber nur das affectvolle Gebet offenbart das Weſen des Gebetes. Gebetet wird, wo das Gebet an und für ſich für eine heilige Macht, eine göttliche Kraft gilt. So iſt es auch mit dem Wunder. Wunder geſchehen — gleichviel, ob wenige oder viele — wo eine wunderbare Anſchauung die Grund - lage iſt. Das Wunder iſt aber keine theoretiſche Anſchauung von der Welt und Natur; das Wunder realiſirt praktiſche Bedürfniſſe und zwar im Widerſpruch mit den Geſetzen, die dem Theoretiker imponiren; im Wunder unterwirft der Menſch die Natur als eine für ſich ſelbſt nichtige Exi - ſtenz der Realität ſeiner Zwecke; das Wunder iſt der Su - perlativus des geiſtlichen oder religiöſen Utilismus; alle Dinge ſtehen im Wunder dem nothleidenden Menſchen zu Dienſten. Alſo erhellt hieraus, daß die weſentliche Weltan - ſchauung der Religion die Anſchauung vom praktiſchen Stand -263 punkt aus iſt, daß Gott — denn das Weſen der Wunder - macht iſt eins mit dem Weſen Gottes — ein rein praktiſches Object iſt, aber ein ſolches, welches den Mangel und das Bedürfniß der theoretiſchen Anſchauung erſetzt, kein Object des Denkens, des Erkennens, ſo wenig als das Wunder, welches nur dem Nicht-Denken ſeinen Urſprung verdankt. Stelle ich mich auf den Standpunkt des Denkens, des Forſchens, der Theorie, wo ich die Dinge in ſich reflectire, in ihrer Bezie - hung auf ſich betrachte, ſo verſchwindet mir in nichts das wunderthätige Weſen, in nichts das Wunder — verſteht ſich, das religiöſe Wunder, welches abſolut verſchieden iſt vom natürlichen Wunder, ob man gleich beide immer mit einander verwechſelt, um die Vernunft zu bethören, unter dem Scheine der Natürlichkeit das religiöſe Wunder in das Reich der Vernünftigkeit und Wirklichkeit einzuführen.
Die Religion betrachtet alſo die Dinge nur von dem prakti - ſchen Standpunkt aus. Selbſt der Menſch iſt ihr nur als prakti - ſches, moraliſches Subject, darum nicht in ſeiner Gattung, nicht, wie er im Weſen iſt, ſondern nur in ſeiner beſchränkten, bedürftigen Individualität Gegenſtand. Aber eben deßwegen, weil ſie abſtrahirt von dem Standpunkt, von dem Weſen der Theorie, ſo beſtimmt ſich das ihr verborgene, nur dem theore - tiſchen Auge gegenſtändliche, wahre, allgemeine Weſen der Natur und Menſchheit zu einem andern, wunderbaren, übernatürlichen Weſen — der Begriff der Gattung zum Begriffe Gottes, der ſelbſt wieder ein individuelles Weſen iſt, aber ſich dadurch von den menſchlichen Individuen unterſcheidet, daß er die Eigenſchaften derſelben im Maaße der Gattung beſitzt. Nothwendig ſetzt daher in der Religion der Menſch ſein Weſen außer ſich, ſein Weſen als ein andres264 Weſen — nothwendig, weil das Weſen der Theorie außer ihm liegt, weil all ſein bewußtes Weſen aufgeht in die praktiſche Subjectivität. Gott iſt ſein Alter Ego, ſeine andere verlorne Hälfte; in Gott ergänzt er ſich; in Gott iſt er erſt vollkommner Menſch. Gott iſt ihm ein Bedürfniß; es fehlt ihm Etwas, ohne zu wiſſen, was ihm fehlt — Gott iſt dieſes fehlende Etwas, Gott ihm unentbehrlich; Gott gehört zu ſeinem Weſen. Die Welt iſt der Religion Nichts*)Man könnte dagegen die bekannte Stelle im erſten Capitel des Rö - merbriefes anführen. Aber auf die Einwürfe der theologiſchen Bibelſtellen - gelehrſamkeit iſt es nicht der Mühe werth zu antworten. — die Welt, die nichts andres iſt als der Inbegriff der Wirklichkeit, in ihrer Herrlichkeit offenbart nur die Theorie; die theoretiſchen Freuden ſind die ſchönſten intel - lectuellen Lebensfreuden, aber die Religion weiß nichts von den Freuden des Denkers, nichts von den Freuden des Natur - forſchers. Ihr fehlt die Anſchauung des Univerſums, das Bewußtſein des wirklichen Unendlichen, das Bewußtſein der Gattung. Nur in Gott ergänzt ſie den Mangel des Lebens, den Mangel eines weſenhaften Inhalts, den in unendlicher Fülle das wirkliche Leben den offnen Augen des ſchauluſtigen Theoretikers darbietet. Gott iſt ihr der Erſatz der verlornen Welt — Gott iſt ihr die reine Anſchauung, das Leben der Theorie.
Die praktiſche Anſchauung iſt eine ſchmutzige, vom Egoismus befleckte Anſchauung. Ich verhalte mich hier zu einem Dinge nur um meinetwillen. Um ſein ſelbſt willen ſchaue ich es nicht an; es iſt mir vielmehr im Grunde ein ver - ächtliches Ding, wie ein Weib, das nur um des ſinnlichen265 Genuſſes willen Gegenſtand iſt. Die praktiſche Anſchauung iſt eine nicht in ſich befriedigte Anſchauung, denn ich ver - halte mich hier zu einem mir nicht ebenbürtigen Gegenſtand. Die theoretiſche Anſchauung dagegen iſt eine freudenvolle, in ſich befriedigte, ſelige Anſchauung, denn ihr iſt der Gegenſtand ein Gegenſtand der Liebe und Bewunderung, er ſtrahlt im Lichte der freien Intelligenz wunderherrlich, wie ein Diamant, durchſichtig, wie ein Bergkryſtall; die Anſchauung der Theorie iſt eine äſthetiſche Anſchauung; die praktiſche dagegen eine unäſthetiſche. Die Religion ergänzt daher in Gott den Mangel der äſthetiſchen Anſchauung. Nich - tig iſt ihr die Welt für ſich ſelbſt, die Bewunderung, die An - ſchauung derſelben Götzendienſt; denn die Welt iſt ihr ein blo - ßes Gemächte*)Pulchras formas et varias, nitidos et amoenos colores amant oculi. Non teneant haec animam meam; teneat eam Deus qui haec fecit, bona quidem valde, sed ipse est bonum meum, non haec. Augustin. Confess. 1. X. c. 34. . Gott iſt ihr daher die reine unbeſchmutzte, d. i. theoretiſche oder äſthetiſche Anſchauung. Gott iſt das Object, zu dem ſich der religiöſe Menſch objectiv verhält; in Gott iſt ihm der Gegenſtand um ſein ſelbſt willen Gegenſtand. Gott iſt Selbſtzweck; Gott hat alſo für die Religion in specie die Bedeutung, welche für die Theorie der Gegenſtand über - haupt hat. Das allgemeine Weſen der Theorie iſt der Religion ein beſonderes Weſen. Allerdings bezieht ſich in der Religion der Menſch in der Beziehung auf Gott wie - der auf ſeine Bedürfniſſe ſowohl im höhern als niedern Sinne: „ gib uns unſer tägliches Brot; “aber Gott kann nur alle Bedürfniſſe des Menſchen befriedigen, weil er ſelbſt für ſich kein Bedürfniß hat — die bedürfnißloſe Seligkeit iſt.
Die Anſchauung des menſchlichen Weſens als eines an - dern, für ſich exiſtirenden Weſens iſt als identiſch mit dem Begriffe der Religion urſprünglich eine unwillkührliche, kind - liche, unbefangne. Aber, wenn die Religion an Jahren und mit den Jahren an Verſtande zunimmt, wenn innerhalb der Religion die Reflexion über die Religion erwacht, das Be - wußtſein von der Identität des göttlichen Weſens mit dem menſchlichen zu dämmern beginnt; ſo wird die urſprünglich unwillkührliche und harmloſe Scheidung Gottes vom Men - ſchen zu einer abſichtlichen, ausſtudirten Unterſcheidung, welche keinen andern Zweck hat, als dieſe bereits in das Bewußtſein eingetretne Identität wieder aus dem Bewußtſein wegzu - räumen.
Gott, das objective Weſen der Religion, iſt das ſich ſelbſt gegenſtändliche Weſen des Menſchen. Die Religion iſt das kindliche Weſen der Menſchheit. Das Kind ſieht ſein Weſen, den Menſchen außer ſich — als Kind iſt der Menſch ſich als ein andrer Menſch Gegenſtand. Die Religion bejaht, heiligt, vergöttert, d. i. vergegenſtändlicht das menſchliche Weſen. Dieß iſt das allgemeine Weſen der Religion. Die beſtimmte Reli - gion, den Unterſchied der Religionen begründet nur, was vom menſchlichen Weſen oder wie dieſes Was erfaßt und verge - genſtändlicht wird, z. B. ob in unmittelbarer Einheit mit der Natur oder im Unterſchiede von ihr. Je näher daher die Re - ligion ihrem Urſprunge nach ſteht, je wahrhafter, je aufrichtiger ſie iſt, deſto weniger verheimlicht ſie dieſes ihr Weſen. Das heißt: im Urſprunge der Religion iſt gar kein qualitativer oder weſentlicher Unterſchied zwiſchen Gott und dem Men -267 ſchen. Und an dieſer Identität nimmt der religiöſe Menſch keinen Anſtoß; denn ſein Verſtand iſt noch in Harmonie mit ſeiner Religion. So war Jehovah im alten Judenthum nur ein der Exiſtenz nach vom menſchlichen Individuum unter - ſchiednes Weſen; aber qualitativ, ſeinem innern Weſen nach war er völlig gleich dem Menſchen, hatte er dieſelben Leiden - ſchaften, dieſelben menſchlichen, ſelbſt körperlichen Eigenſchaf - ten. Erſt im ſpätern Judenthum trennte man aufs ſchärfſte Jehovah vom Menſchen und nahm ſeine Zuflucht zur Alle - gorie, um den Anthropopathismen einen andern Sinn un - terzuſtellen, als ſie urſprünglich hatten. So war es auch im Chriſtenthum. In den älteſten Urkunden deſſelben iſt die Gott - heit Chriſti noch nicht ſo entſchieden ausgeprägt, wie ſpäter. Bei Paulus namentlich iſt Chriſtus noch ein zwiſchen Him - mel und Erde, zwiſchen Gott und dem Menſchen oder über - haupt den dem Höchſten untergeordneten Weſen ſchwebendes, unbeſtimmtes Weſen — der Erſte der Engel, der Erſtgeſchaffne, aber doch geſchaffen; meinetwegen auch gezeugt, aber dann ſind auch die Engel, auch die Menſchen nicht geſchaffen, ſon - dern gezeugt; denn Gott iſt auch ihr Vater. Chriſtus iſt da - her hier noch ein familiäreres Weſen — wenn gleich mehr nur ein phantaſtiſches Weſen. Erſt die Kirche identificirte ihn ausdrücklich mit Gott, machte ihn zu dem ausſchließlichen Sohn Gottes, beſtimmte ſeinen Unterſchied von den Menſchen und Engeln, und gab ihm ſo das Monopol eines ewigen, un - creatürlichen Weſens.
Merkwürdig, aber wohl begründet iſt es hiebei, daß je mehr im Grunde und Weſen der Religion Gott ein menſchen - ähnliches, richtiger: nicht vom Menſchen unterſchiednes Weſen iſt, um ſo mehr von der Reflexion über die Religion, von der268 Theologie der Unterſchied Gottes vom Menſchen hervorge - hoben, die Identität geläugnet wird*)Inter creatorem et creaturam non potest tanta similitu - do notari, quin inter eos major sit dissimilitudo notanda. La - ter. Concil. can. 2. (Summa omn. Conc. B. Carranza. Antv. 1559. p. 326.) — Der letzte Unterſchied zwiſchen dem Menſchen und Gott, dem endlichen und unendlichen Weſen überhaupt, zu welchem ſich die religiös-ſpeculative Imagination emporſchwingt, iſt der Unterſchied zwiſchen Etwas und Nichts, Ens und Non-Ens; denn nur im Nichts iſt alle Gemeinſchaft aufgehoben. Jedes beſtimmte Prädicat drückt eine Gemeinſchaftlichkeit mit andern Weſen aus.. Da aber der Menſch nichts Höheres denken und faſſen kann, als das Weſen des Menſchen, ſo bleibt ihm, um Gott vom Menſchen recht zu diſtinguiren, zu einem andern, entgegengeſetzten, übermenſchli - chen Weſen zu machen, nichts übrig, als gerade Das in Gott als eine gute, ja göttliche Eigenſchaft zu ſetzen, was er im Menſchen als eine ſchlechte Eigenſchaft verwirft, ſo daß Gott aus einem menſchlichen zu einem unmenſchlichen Weſen, aus einem Vater der Liebe zu einem Tyrannen abſoluter, ſelbſt - ſüchtiger Willkühr, kurz, aus einem guten ein böſes Weſen wird. Merkwürdige Belege dieſer Behauptung liefert die Ge - ſchichte der Theologie.
Die dem Begriffe nach erſte Weiſe, wie die Reflexion über die Religion, die Theologie das göttliche Weſen zu einem andern Weſen macht, außer den Menſchen hinausſetzt, iſt die Exiſtenz Gottes, welche zum Gegenſtande eines förmlichen Beweiſes gemacht wird.
Die Beweiſe vom Daſein Gottes hat man für dem We - ſen der Religion widerſprechend erklärt. Sie ſind es; aber nur der Beweisform nach. Die Religion ſtellt unmittelbar das269 innere Weſen des Menſchen als ein gegenſtändliches, andres Weſen dar. Und der Beweis will nichts weiter, als bewei - ſen, daß die Religion Recht hat. Das vollkommenſte Weſen iſt das Weſen, über welches kein höheres gedacht werden kann — Gott iſt das Höchſte, was der Menſch denkt und den - ken kann. Dieſe Prämiſſe des ontologiſchen Beweiſes — des intereſſanteſten Beweiſes, weil er von Innen ausgeht — ſpricht das innerſte geheimſte Weſen der Religion aus. Das, was das Höchſte für den Menſchen iſt, wovon er nicht mehr abſtrahiren kann, was die poſitive Gränze ſeiner Vernunft, ſeines Gemüths, ſeiner Geſinnung iſt, das iſt ihm Gott — id quo nihil majus cogitari potest. Aber dieſes höchſte Weſen wäre nicht das höchſte, wenn es nicht exiſtirte; wir könnten uns dann ein höheres Weſen vorſtellen, welches die Exiſtenz vor ihm voraus hätte; aber zu dieſer Fiction geſtat - tet uns ſchon von Vorn herein der Begriff des vollkommenſten Weſens keinen Raum. Nicht ſein, iſt Mangel; Sein: Voll - kommenheit, Glück, Seligkeit. Einem Weſen, dem der Menſch Alles gibt, Alles opfert, was ihm hoch und theuer, kann er auch nicht das Gut, das Glück der Exiſtenz vorenthalten. Das dem religiöſen Sinn Widerſprechende liegt nur darin, daß die Exiſtenz abgeſondert gedacht wird, und dadurch der Schein entſteht, als wäre Gott nur ein gedachtes, in der Vorſtellung exiſtirendes Weſen, ein Schein, der übrigens ſo - gleich aufgehoben wird; denn der Beweis beweiſt eben, daß Gott ein vom Gedachtſein unterſchiednes Sein, ein Sein au - ßer dem Menſchen, außer dem Denken, ein reales Sein, ein Sein für ſich zukommt.
Der Beweis unterſcheidet ſich nur dadurch von der Reli - gion, daß er das geheime Enthymema der Religion in270 einen förmlichen Schluß faßt, explicirt und deßwegen un - terſcheidet, was die Religion unmittelbar verbindet; denn was der Religion das Höchſte, Gott, das denkt ſie nicht als einen Gedanken, in Abstracto, das iſt ihr unmittelbar Wahrheit und Wirklichkeit. Daß aber die Religion ſelbſt auch einen geheimen, unentfalteten Schluß macht, das geſteht ſie in ihrer Polemik gegen andere Religionen ein. Ihr Heiden habt euch eben nichts Höheres als eure Götter vorſtellen können, weil ihr in ſündliche Neigungen verſunken waret. Eure Götter be - ruhen auf einem Schluſſe, deſſen Prämiſſen eure ſinnlichen Triebe, eure Leidenſchaften ſind. Ihr dachtet ſo: das treff - lichſte Leben iſt, unbeſchränkt ſeinen Trieben zu leben, und weil auch dieſes Leben das trefflichſte, wahrſte Leben war, ſo machtet ihr es zu euerm Gott. Euer Gott war euer ſinnlicher Trieb; euer Himmel nur der freie Spielraum der im bürger - lichen, überhaupt wirklichen Leben beſchränkten Leidenſchaften. Aber in Beziehung auf ſich natürlich iſt ſie ſich keines Schluſ - ſes bewußt, denn der höchſte Gedanke, deſſen ſie fähig, iſt ihre Schranke, hat für ſie die Kraft der Nothwendigkeit, iſt ihr kein Gedanke, keine Vorſtellung, ſondern unmittelbare Wirklichkeit.
Die Beweiſe vom Daſein Gottes haben zum Zweck, das Innere zu veräußern, vom Menſchen auszuſcheiden*)Zugleich aber auch den Zweck, das Weſen des Menſchen zu bewahrheiten. Die verſchiedenen Beweiſe ſind nichts andres als ver - ſchiedene, höchſt intereſſante Selbſtbejahungsformen des menſchlichen Weſens. So iſt z. B. der phyſikotheologiſche Beweis die Selbſtbeja - hung des zweckthätigen Verſtandes. Jedes philoſophiſche Syſtem iſt in dieſem Sinne ein Beweis vom Daſein Gottes.. Durch die Exiſtenz wird Gott ein Ding an ſich: Gott iſt nicht nur ein Weſen für uns, ein Weſen in unſerm Glauben, unſerm271 Gemüthe, unſerm Weſen, er iſt auch ein Weſen für ſich, ein Weſen außer uns.
Wodurch die Wahrheit der Religion am meiſten begrün - det werden ſoll, dadurch gerade wird ihr wahres Weſen, die wahre Bedeutung, das Leben des Menſchen im Verhältniß zu ſeinem Weſen zu ſein, ihr genommen. Indem ſie des Menſchen Weſen zu einem andern, dem Menſchen entgegen - geſetzten Weſen macht, ſetzt ſie ſich mit dem Menſchen, mit der Vernunft, mit der Ethik, mit ſich ſelbſt in Widerſpruch. Alle ihre Lehren verkehren ſich in ihr Gegentheil, alle ihre Begriffe werden ſich ſelbſt aufhebende Widerſprüche. Ein ſolcher Be - griff iſt vor Allem der Begriff der Exiſtenz Gottes. Gott ſoll nicht blos Glaube, Gefühl, Gedanke, nicht blos Gemüth, Intelligenz ſein; er ſoll nicht nur ein geglaubtes, gefühltes, gedachtes, ſondern ein vom gefühlten, gedachten, d. i. innerli - chen Sein unterſchiednes, reales Sein haben. Aber ein vom Gedachtſein unterſchiednes Sein iſt kein andres als ſinnli - ches Sein.
Der Begriff der Sinnlichkeit liegt übrigens ſchon in dem charakteriſtiſchen Ausdruck des Außerunsſeins. Die ſophi - ſtiſche Theologie wird freilich das Wort: außer uns nicht in eigentlichem Sinne nehmen und dafür den unbeſtimmten Ausdruck des von uns unabhängig und unterſchieden Seins ſetzen. Allein wenn dieſes Außerunsſein nur uneigentlich iſt, ſo iſt auch die Exiſtenz Gottes eine uneigentliche. Und doch handelt es ſich ja eben nur um eine Exiſtenz im eigentlichſten Verſtande, und iſt der beſtimmte, reale, nicht ausweichende Ausdruck für Unterſchiedenſein allein Außerunsſein.
Reales, ſinnliches Sein iſt ſolches, welches nicht ab - hängt von meinem mich ſelbſt Afficiren, von meiner Thätig -272 keit, ſondern von welchem ich unwillkührlich afficirt werde, welches iſt, wenn ich auch gar nicht bin, es gar nicht denke, fühle. Das Sein Gottes müßte alſo örtliches, überhaupt qua - litativ, ſinnlich beſtimmtes Sein ſein. Aber Gott wird nicht geſehen, nicht gehört, nicht ſinnlich empfunden. Er iſt für mich gar nicht, wenn ich nicht für ihn bin. Wenn ich keinen Gott glaube, ſo iſt kein Gott für mich. Wenn ich nicht göttlich geſinnt und geſtimmt bin, wenn ich mich nicht erhebe über das ſinnliche Leben, ſo iſt er mir gar nicht Gegen - ſtand. Er iſt alſo nur, indem er gefühlt, gedacht, geglaubt wird — der Zuſatz: für mich iſt unnöthig. Alſo iſt ſein Sein ein reales, das doch zugleich kein reales — ein geiſtiges Sein, hilft man ſich. Aber geiſtiges Sein iſt eben nur Gedachtſein, Gefühltſein, Geglaubtſein. Alſo iſt ſein Sein ein Mittelding zwiſchen ſinnlichem Sein und Gedachtſein, ein Mittelding voll Widerſpruch. Oder: es iſt ein ſinnliches Sein, dem aber alle Beſtimmungen der Sinnlichkeit abgehen — alſo ein un - ſinnliches ſinnliches Sein, ein Sein, welches dem Be - griffe der Sinnlichkeit widerſpricht oder nur eine vage Exi - ſtenz überhaupt, die im Grunde eine ſinnliche iſt, aber, um dieſen Grund nicht zur Erſcheinung kommen zu laſſen, aller Prädicate einer realen ſinnlichen Exiſtenz beraubt wird. Aber eine ſolche Exiſtenz überhaupt widerſpricht ſich. Zur Exi - ſtenz gehört volle, beſtimmte Realität.
Eine nothwendige Folge dieſes Widerſpruchs iſt der Atheismus. Die Exiſtenz Gottes hat das Weſen einer empiriſchen Exiſtenz, ohne doch die Wahrzeichen derſelben zu haben; ſie iſt an ſich eine Erfahrungsſache und doch in der Wirklichkeit kein Gegenſtand der Erfahrung. Sie fordert den Menſchen ſelbſt auf, ſie in der Wirklichkeit aufzuſuchen;273 ſie ſchwängert ihn mit ſinnlichen Vorſtellungen und Präten - ſionen; werden dieſe daher nicht befriedigt, findet er vielmehr die Erfahrung im Widerſpruch mit dieſen Vorſtellungen, ſo iſt er vollkommen berechtigt, dieſe Exiſtenz zu läugnen.
Kant hat bekanntlich in ſeiner Kritik der Beweiſe vom Daſein Gottes behauptet, daß ſich das Daſein Gottes nicht aus der Vernunft beweiſen laſſe. Kant verdiente deßwegen keinen ſolchen Tadel, als er von Hegel erfuhr. Der Begriff der Exiſtenz Gottes in jenen Beweiſen iſt ein durchaus empi - riſcher. Aber aus einem Begriffe a priori kann ich nicht die empiriſche Exiſtenz ableiten. Nur in ſofern verdient Kant Tadel, als er damit etwas Beſonderes ausſagen wollte. Es verſteht ſich dieß von ſelbſt. Die Vernunft kann nicht ein Ob - ject von ſich zum Object der Sinne machen. Ich kann nicht im Denken das, was ich denke, zugleich außer mir als ein ſinnliches Ding darſtellen. Der Beweis vom Daſein Gottes geht über die Gränzen der Vernunft; richtig; aber in demſel - ben Sinne, in welchem Sehen, Hören, Riechen über die Grän - zen der Vernunft geht. Thöricht iſt es, der Vernunft darüber einen Vorwurf zu machen, daß ſie nicht eine Forderung be - friedigt, die nur an die Sinne geſtellt werden kann. Daſein, empiriſches Daſein geben mir nur die Sinne. Und das Da - ſein hat bei der Frage von der Exiſtenz Gottes nicht die Be - deutung der innern Realität, der Wahrheit, ſondern die Bedeutung einer förmlichen, äußerlichen Exiſtenz. Darum hat auch volle Wahrheit die Behauptung, daß der Glaube, daß Gott ſei oder nicht ſei, keine Folgen für die inneren mora - liſchen Geſinnungen habe. Wohl begeiſtert der Gedanke: es iſt ein Gott; aber hier bedeutet das Iſt die innere Realität; hier iſt die Exiſtenz ein Moment der Begeiſterung, ein Act derFeuerbach. 18274Erhebung. Aber ſo wie die Exiſtenz zu einer proſaiſchen, em - piriſchen Wahrheit geworden, ſo iſt auch die Begeiſterung er - loſchen.
Die Exiſtenz iſt an und für ſich eine indifferente Sache; darum keineswegs nothwendig, daß der Atheiſt, indem er läug - net, daß Gott iſt, auch die Wahrheit, die Gerechtigkeit, die Güte, die Weisheit verwirft. Dieſe Prädicate haben eine in - nere Realität; ſie dringen durch ihren Gehalt dem Menſchen ihre Anerkennung auf, erweiſen ſich ihm unmittelbar durch ſich ſelbſt als wahr; ſie bezeugen ſich ſelbſt die Güte, die Gerech - tigkeit. Die Weisheit iſt dadurch keine Chimäre, daß die Exi - ſtenz Gottes eine Chimäre iſt, noch dadurch eine Wahrheit, daß dieſe eine Wahrheit iſt. Der Begriff Gottes iſt abhän - gig von dem Begriffe der Gerechtigkeit, Güte u. ſ. w.; ein Gott, der nicht gerecht, nicht gütig, iſt kein Gott, aber nicht umgekehrt. Die Gerechtigkeit, überhaupt jede Beſtimmung, welche die Göttlichkeit Gottes ausmacht, wird durch ſich ſelbſt erkannt und beſtimmt, Gott aber durch die Gerechtigkeit; nur in dem Falle, daß ich Gott und Gerechtigkeit ſchon identificirt habe, Gott unmittelbar als die Realität der Idee der Ge - rechtigkeit denke, beſtimme ich Gott durch ſich ſelbſt.
Die Religion wird daher, inwiefern ſie ſich auf die Exi - ſtenz Gottes als eine empiriſche Wahrheit gründet, zu einer für die innere Geſinnung gleichgültigen Angelegenheit. Ja wie nothwendig in dem Cultus der Religion die Ceremonie, der Gebrauch, das Sacrament für ſich ſelbſt, ohne den Geiſt, die Geſinnung zur Sache ſelbſt wird: ſo wird endlich auch der Glaube nur an die Exiſtenz Gottes, abgeſehen von der innern Qualität, von dem geiſtigen Inhalt, zur Hauptſache der Religion. Wenn Du nur glaubſt an Gott, glaubſt über -275 haupt, daß Gott iſt, ſo biſt Du ſchon gerettet. Ob Du Dir unter dieſem Gott ein wirklich göttliches Weſen oder ein Un - geheuer, einen Nero oder Caligula denkſt, ein Bild Deiner Leidenſchaft, Deiner Rach - und Ruhmſucht, das iſt eins — die Hauptſache iſt, daß Du kein Atheiſt biſt. Die Geſchichte der Religion hat dieſe Folgerung, die wir hier aus dem Be - griffe der Exiſtenz ziehen, hinlänglich bewieſen. Hätte ſich nicht die Exiſtenz Gottes für ſich ſelbſt als religiöſe Wahr - heit in den Gemüthern befeſtigt, ſo würde man nie zu jenen ſchändlichen, unſinnigen, gräuelvollen Vorſtellungen von Gott gekommen ſein, welche die Geſchichte der Religion brandmar - ken. Die Exiſtenz Gottes war eine gemeine, empiriſche und doch zugleich heilige Sache — was Wunder, wenn auf die - ſem Grunde auch nur die gemeinſten, rohſten, unheiligſten Vorſtellungen und Geſinnungen aufkeimten.
Die Moralität befeſtigt ſich an einen ihr äußerlichen Grund, an die Exiſtenz Gottes. Der Atheismus galt und gilt noch jetzt für die Negation aller Moralprincipien, aller ſittlichen Gründe und Bande: wenn Gott nicht iſt, ſo hebt ſich aller Unterſchied zwiſchen Gut und Böſe, Tugend und Laſter auf. Der Unterſchied liegt alſo nur an der Exi - ſtenz Gottes; die Realität der Tugend nicht in ihr ſelbſt, ſondern außer ihr. Allerdings wird alſo an die Exiſtenz Got - tes die Realität der Tugend angeknüpft, aber nicht aus tu - gendhafter Geſinnung, nicht aus Ueberzeugung von dem in - nern Werth und Gehalt der Tugend. Im Gegentheil der Glaube an Gott, als die nothwendige Bedingung der Tugend, iſt der Glaube an die Nichtigkeit der Tugend für ſich ſelbſt.
Es iſt übrigens bemerkenswerth, daß der Begriff der em - piriſchen Exiſtenz Gottes ſich erſt in neuerer Zeit, wo über -18*276haupt der Empirismus und Materialismus in Flor kam, voll - kommen ausgebildet hat. Allerdings iſt auch ſchon im ur - ſprünglichen, einfältigen, religiöſen Sinne Gott eine empiri - ſche, ſelbſt an einem Orte befindliche Exiſtenz. Aber ſie hat doch hier nicht eine ſo nackte proſaiſche Bedeutung; die Einbildungskraft identificirt wieder den äußerlichen Gott mit dem Gemüthe des Menſchen. Die Einbildungskraft iſt überhaupt der wahre Ort einer abweſenden, den Sinnen nicht gegenwärtigen, aber gleichwohl dem Weſen nach ſinnlichen Exiſtenz. Nur die Phantaſie löſt den Widerſpruch zwiſchen einer zugleich ſinnlichen, zugleich unſinnlichen Exi - ſtenz; nur die Phantaſie bewahrt vor dem Atheismus. In der Einbildungskraft hat die Exiſtenz ſinnliche Wirkun - gen — die Exiſtenz bethätigt ſich als eine Macht; die Einbil - dungskraft geſellt zu dem Weſen der ſinnlichen Exiſtenz auch die Erſcheinungen derſelben. Wo die Exiſtenz Gottes eine lebendige Wahrheit, eine Sache der Einbildungskraft iſt, da werden auch Gotteserſcheinungen geglaubt. Wo dagegen das Feuer der religiöſen Einbildungskraft erliſcht, wo die mit einer an ſich ſinnlichen Exiſtenz nothwendig verbundnen ſinn - lichen Wirkungen oder Erſcheinungen wegfallen, da wird die Exiſtenz zu einer todten, ſich ſelbſt widerſprechenden Exiſtenz, die rettungslos der Negation des Atheismus anheim fällt.
Der Glaube an die Exiſtenz Gottes iſt der Glaube an eine beſondere, von der Exiſtenz des Menſchen und der Natur unterſchiedne Exiſtenz. Eine beſondere Exiſtenz kann ſich nur auf beſondere Weiſe conſtatiren. Dieſer Glaube iſt daher nur dann ein wahrer lebendiger, wenn beſondere Wirkun - gen, unmittelbare Gotteserſcheinungen, Wunder geglaubt werden. Nur da, wo der Glaube an Gott ſich identifi -277 cirt mit dem Glauben an die Welt, der Glaube an Gott kein beſonderer Glaube mehr iſt, wo das allgemeine Weſen der Welt den ganzen Menſchen einnimmt, verſchwindet natür - lich auch der Glaube an beſondere Wirkungen und Erſcheinun - gen Gottes. Der Glaube an Gott hat ſich gebrochen, iſt ge - ſtrandet an dem Glauben an die Welt, an die natürlichen als die allein wirklichen Wirkungen. Wie hier der Glaube an Wunder nur noch der Glaube an hiſtoriſche, vergangne Wun - der, ſo iſt auch die Exiſtenz Gottes hier nur noch eine hiſto - riſche, an ſich ſelber atheiſtiſche Vorſtellung.
Mit dem Begriff der Exiſtenz hängt der Begriff der Of - fenbarung zuſammen. Die Selbſtbezeugung der Exiſtenz, das authentiſche Zeugniß, daß Gott exiſtirt, iſt die Offenba - rung. Die nur ſubjectiven Beweiſe vom Daſein Gottes ſind die rationellen Beweiſe; der objective, der allein wahre Beweis von ſeinem Daſein iſt ſeine Offenbarung. Gott ſpricht zu dem Menſchen — die Offenbarung iſt das Wort Gottes — er gibt einen Laut von ſich, einen Ton, der das Gemüth ergreift und ihm die frohe Gewißheit gibt, daß Gott wirklich iſt. Das Wort iſt das Evangelium des Lebens — das Kri - terium von Sein und Nichtſein. Der Offenbarungsglaube iſt der Culminationspunkt des religiöſen Objectivismus. Die ſubjective Gewißheit von der Exiſtenz Gottes wird hier zu einer unbezweifelbaren, äußern hiſtoriſchen Thatſache. Die Exiſtenz Gottes iſt an ſich ſelbſt ſchon als Exiſtenz ein äußer - liches empiriſches Sein, aber doch nur noch ein gedachtes, vorgeſtelltes, darum bezweifelbares Sein, — daher die Be -278 hauptung, daß alle Beweiſe keine befriedigende Gewißheit geben — dieſes gedachte, vorgeſtellte Sein als wirkliches Sein, als Thatſache iſt die Offenbarung. Gott hat ſich geoffen - bart, ſich ſelbſt demonſtrirt. Wer kann alſo noch zweifeln? Die Gewißheit der Exiſtenz liegt mir in der Gewißheit der Offenbarung. Ein Gott, der nur iſt, ohne ſich zu offenbaren, der nur durch mich ſelbſt für mich iſt, ein ſolcher Gott iſt nur ein abſtracter, vorgeſtellter, ſubjectiver Gott: nur ein Gott, der mich durch ſich ſelbſt in Kenntniß von ſich ſetzt, iſt ein wirklich exiſtirender, ſich als ſeiend bethätigender, objectiver Gott. Der Glaube an die Offenbarung iſt die unmittelbare Gewißheit des religiöſen Gemüths, daß das iſt, was es glaubt, was es wünſcht, was es vorſtellt. Die Religion iſt ein Traum, in dem unſere eigenen Vorſtellungen als Weſen außer uns erſcheinen. Das religiöſe Gemüth unterſcheidet nicht zwiſchen Subjectiv und Objectiv — es zweifelt nicht; die Sinne hat es nur, nicht um Anderes zu ſehen, ſondern um ſeine Vorſtellungen außer ſich als Weſen zu er - blicken. Dem religiöſen Gemüth iſt eine an ſich theoretiſche Sache eine praktiſche, eine Gewiſſensſache — eine Thatſache. Thatſache iſt, was aus einem Vernunftgegenſtand zu einer Gewiſſensſache gemacht wird, Thatſache iſt, was man nicht bekritteln, nicht antaſten darf, ohne ſich eines Frevels*)Die Negation einer Thatſache hat keine unverfängliche, an ſich in - differente, ſondern eine ſchlimme moraliſche Bedeutung — die Bedeutung des Läugnens. Darin, daß das Chriſtenthum ſeine Lehren und Glau - bensartikel zu ſinnlichen, d. h. unläugbaren, unantaſtbaren That - ſachen machte, durch ſinnliche Thatſachen alſo die Vernunft über - wältigte, den Geiſt gefangen nahm, darin haben wir auch den wahren, den letzten, primitiven Erklärungsgrund, warum und wie ſich im Chriſtenthum, und zwar nicht nur im katholiſchen, ſondern auch prote - ſtantiſchen, in aller Förmlichkeit und Feierlichkeit der Grundſatz ausſpre -279 ſchuldig zu machen, Thatſache iſt, was man nolens volens glauben muß, Thatſache iſt ſinnliche Gewalt, kein Grund, Thatſache paßt auf die Vernunft, wie die Fauſt aufs Auge. O ihr armſeligen deutſchen Religions-Philoſophen, die ihr uns die Thatſachen des religiöſen Bewußtſeins an den Kopf werft, um unſre Vernunft zu betäuben und uns zu Knechten eures kindiſchen Aberglaubens zu machen, ſeht ihr denn nicht, daß die Thatſachen eben ſo relativ, ſo verſchieden, ſo ſubjectiv ſind als die Vorſtellungen der Religionen? Waren die Götter des Olymps nicht auch einſt Thatſachen, ſich ſelbſt bezeugende Exiſtenzen*)Praesentiam saepe divi suam declarant. Cicero (de nat. D. 1. II.) Ciceros Schriften de nat. D. und de divinatione ſind beſon - ders auch deßwegen ſo intereſſant, weil hier für die Realität der heidniſchen Glaubensgegenſtände im Grunde dieſelben Argumente geltend gemacht werden, welche noch heute die Theologen und Poſitiviſten überhaupt für die Realität der chriſtlichen Glaubensgegenſtände anführen.? Galten nicht auch die lächerlichſten Mirakelgeſchichten der Hei - den für Facta? Waren nicht auch die Engel, auch die Dämone hiſtoriſche Perſonen? Sind ſie nicht wirklich erſchienen? Hat nicht einſt der Eſel Bileams wirklich geredet? Wurde nicht ſelbſt von aufgeklärten Gelehrten noch des vorigen Jahrhunderts der ſprechende Eſel eben ſo gut als ein wirkliches Wunder geglaubt, als das Wunder der Incarnation oder ſonſt ein anderes Wunder? O ihr großen tiefſinnigen Philoſophen ſtudirt doch vor Allem die Sprache des Eſels Bileams! Sie klingt nur dem Unwiſ - ſenden ſo fremdartig, aber ich bürge euch dafür, daß ihr bei*)chen und geltend machen konnte, daß die Ketzerei, d. h. die Negation einer Glaubensvorſtellung oder Thatſache ein Strafobject der weltlichen Obrig - keit, d. h. ein Verbrechen ſei. Die ſinnliche Thatſache in der Theorie wird in der Praxis zur ſinnlichen Gewalt. Das Chriſtenthum ſteht hierin weit unter dem Muhamedanismus, welcher nicht das Verbrechen der Ketzerei kennt.280 näherm Studium in dieſer Sprache ſelbſt eure Mutterſprache erkennen und finden werdet, daß dieſer Eſel ſchon vor Jahr - tauſenden die tiefſten Geheimniſſe eurer ſpeculativen Weisheit ausgeplaudert hat. Thatſache, meine Herren! iſt, um es euch nochmals zu wiederholen, eine Vorſtellung, an deren Wahrheit man nicht zweifelt, weil ihr Gegenſtand kein Ob - ject der Theorie, ſondern des Gemüths iſt, welches wünſcht, daß iſt, was es wünſcht, was es glaubt, Thatſache iſt, was zu läug - nen verboten iſt, wenn auch nicht äußerlich, doch innerlich, That - ſache iſt jede Möglichkeit, die für Wirklichkeit gilt, jede Vorſtellung, die für ihre Zeit, da, wo ſie eben Thatſache iſt, ein Bedürfniß ausdrückt und eben damit eine nicht überſchreitbare Schranke des Geiſtes iſt, Thatſache iſt jeder realiſirte Wunſch, kurz That - ſache iſt Alles, was nicht bezweifelt wird, aus dem einfachen Grunde, weil es nicht bezweifelt wird, nicht bezweifelt werden ſoll.
Das religiöſe Gemüth iſt, ſeiner bisher entwickelten Natur zufolge, in der unmittelbaren Gewißheit, daß alle ſeine un - willkührlichen Selbſtaffectionen Eindrücke von Außen, Erſchei - nungen eines andern Weſens ſind. Das religiöſe Gemüth macht ſich zu dem leidenden, Gott zu dem handelnden Weſen. Gott iſt ſeine entäußerte Activität, die es nur in - ſofern ſich wieder aneignet, alſo indirect, daß es ſich zum Ob - ject dieſer Activität macht. Gott iſt die Activität; aber was ihn zur Thätigkeit beſtimmt, was ſeine Thätigkeit, die zu - vörderſt nur Allvermögen, potentia iſt, zur wirklichen Thä - tigkeit macht, das eigentliche Motiv, der Grund iſt nicht Er — er braucht nichts für ſich, er iſt bedürfnißlos — ſondern der Menſch, das religiöſe Subject oder Gemüth. Das Gott zur Thätigkeit Beſtimmende iſt der Menſch; aber zugleich wird wieder der Menſch beſtimmt von Gott, er macht ſich281 zum Paſſivum; er empfängt von Gott beſtimmte Offenbarun - gen, beſtimmte Beweiſe ſeiner Exiſtenz. Es wird alſo in der Offenbarung der Menſch von ſich, als dem Beſtimmungs - grund Gottes, als dem Gott Beſtimmenden beſtimmt, — d. h. die Offenbarung iſt nur die Selbſtbeſtimmung des Menſchen, nur daß er zwiſchen ſich den Beſtimmten und ſich den Beſtimmenden ein Object — Gott, ein anderes Weſen — einſchiebt. Der Menſch vermittelt durch Gott ſein eignes Weſen mit ſich — Gott