PRIMS Full-text transcription (HTML)
Der Büttnerbauer
Schloß Ober-Cunewalde Vom 1. April 1894 bis 31. März 1895.
Der Büttnerbauer
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Berlin WF. Fontane & Co.1895

Dem deutſchen Nährſtande gewidmet

Erſtes Buch.

[1]

I.

Der Großbauer Traugott Büttner ging mit ſeinen zwei Söhnen zur Kirche.

Die drei Männer konnten ſich ſehen laſſen. Der Büttner¬ bauer ſelbſt war ein Sechziger, groß, hager, bartlos, rotbraun im Geſicht, mit graugelbem Haupthaar, das er nach alt¬ modiſcher Weiſe lang ins Genick hinab wachſen ließ. Breit¬ ſpurig und wuchtig trat er mit ſchwerem Stiefel auf, wie es ihm, dem Beſitzer des größten Gutes im Dorfe, zu¬ kam. Seine ſtarken, etwas eckigen Gliedmaßen, die ſich aus¬ nahmen wie knorrige Eichenäſte, waren in einen Rock von dunkelblauer Farbe, mit langen Schößen, gezwängt. Die engen Ärmel behinderten ihn offenbar in der Freiheit der Bewegung. Dafür war das auch der nämliche Rock, in welchem der Büttnerbauer vor mehr als dreißig Jahren getraut worden war. Daß der Rock inzwiſchen etwas knapp geworden in den Schultern und über die Bruſt, ſtörte den Alten nicht, im Gegenteil! dieſe Gebundenheit und enge Verſchnürung des Leibes ſtimmte ſo recht zu der Weihe und feierlichen Gemeſſenheit, die nun einmal zum Sonntagmorgen gehört. Auf dem langen ſtraffen Haar trug er einen Cylinder, den das Alter nicht glatter, ſondern recht wider¬ haarig gemacht hatte.

Der Bauer ſchritt zwiſchen ſeinen beiden Söhnen: Karl und Guſtav.

W. v. Polenz, Der Büttnerbauer. 12

Karl, der ältere, war in gleicher Größe mit dem Vater, aber beleibter und fleiſchiger, als dieſer. Auch er raſierte ſich, nach guter Bauernweiſe, den ganzen Bart. Seine großen, etwas verſchlafenen Augen und die vollen roten Wangen gaben ihm das Ausſehen eines großen gutgearteten Jungen. Aber, wer ſich die Fäuſte des Mannes näher betrachtete, dem verging wohl die Luſt, mit ſolchem Burſchen anzubinden. Heute trug er, wie der Alte, ein dickleibiges Geſangbuch in der Hand. Auch er war in einen langſchößigen Kirchenrock gekleidet, und trug einen breitkrämpigen Cylinder auf dem runden Kopfe. Im ganzen war Karl Büttner die wohlgenährtere und um dreißig Jahre jüngere Ausgabe von Traugott Büttner.

Verſchieden von den beiden zeigte ſich der jüngere Sohn, Guſtav, Unteroffizier in einem Küraſſierregiment. Vielleicht war es die ſchmucke Uniform, die ſeine Figur hob, ihm etwas Gewandtes und Nettes gab, daß er ſich von den beiden plumpen Bauerngeſtalten vorteilhaft abhob. Er war etwas kleiner, als Vater und Bruder, ſehnig, gut gewachſen, mit offenem ein¬ nehmendem Geſichtsausdruck. Guſtav wiegte ſeinen ſchlanken Oberkörper erſichtlich in dem Bewußtſein, ein hübſcher Kerl zu ſein, auf den heute die Augen der geſamten Kirchfahrt von Halbenau gerichtet waren. Nicht ſelten fuhr ſeine behand¬ ſchuhte Rechte nach dem blonden Schnurrbart, wie um ſich zu vergewiſſern, daß dieſe wichtigſte aller Manneszierden noch an ihrem Platze ſei. Im Heimatdorfe hatte man ihn noch nicht mit den Treffen geſehen. Zum heurigen Oſterurlaub zeigte er ſich der Gemeinde zum erſtenmale in der Unteroffiziers¬ würde.

Geſprochen wurde ſo gut wie nichts während des Kirch¬ ganges. Hin und wieder grüßte mal ein Bekannter durch Kopfnicken. Zum Oſterſonntage war ganz Halbenau auf den Beinen. In den kleinen Vorgärten rechts und links der Dorfſtraße blühten die erſten Primeln, Narziſſen und Leber¬ blümchen.

In der Kirche nahm der Büttnerbauer mit den Söhnen die der Familie angeſtammten Kirchenplätze ein, auf der erſten3 Empore, nahe der Kanzel. Die Büttners gehörten zu der alteingeſeſſenen Bauernſchaft von Halbenau.

Guſtav ſah ſich während des Geſanges, der mit ſeinem ausgiebigen Zwiſchenſpiel der Beſchaulichkeit reichlichen Spiel¬ raum gab, in der kleinen Kirche um. Die Geſichter waren ihm alle bekannt. Hie und da vermißte er unter den älteren Leuten einen oder den anderen, den der Tod wohl abgerufen haben mochte.

Sein Blick ſchweifte auch gelegentlich nach dem Schiffe hinab, wo die Frauen ſaßen. Die bunten Kopftücher, Hauben und Hüte erſchwerten es, das einzelne Geſicht ſofort heraus¬ zuerkennen. Unter den Mädchen und jungen Frauen war manch eine, mit der er zur Schule gegangen, andere kannte er vom Tanzboden her.

Guſtav Büttner hatte es bisher gefliſſentlich vermieden, nach einer beſtimmten Stelle im Schiffe zu blicken. Er wußte, daß dort eine ſaß, die, wenn ſie überhaupt in der Kirche war, ihn jetzt ganz ſicher beobachtete. Und er wollte ſich doch um keinen Preis den Anſchein geben, als kümmere ihn das nur im geringſten. Wenn er dorthin blicken wollte, wo ſie ihren Kirchenſtand hatte, mußte er den Kopf ſcharf nach links wenden, denn ſie ſaß ſeitlings von ihm, beinahe unter der Empore. Bis zum Kanzelvers that er ſich Zwang an, dann aber hielt er es doch nicht länger aus, er mußte wiſſen, ob Katſchners Pauline da ſei.

Er beugte ſich ein wenig vor, ſo unauffällig wie möglich. Richtig, dort ſaß ſie! Und natürlich hatte ſie gerade auch nach ihm hinaufblicken müſſen.

Guſtav war errötet. Das ärgerte ihn erſt recht. Zu einfältig! Warum mußte er ſich auch um das Mädel kümmern! Was ging die ihn jetzt noch an! Wenn man ſich um jedes Frauenzimmer kümmern wollte, mit dem man mal was ge¬ habt, da konnte man weit kommen. Überhaupt, Katſchners Pau¬ line! In der Stadt konnte man ſich mit ſo einer gar nicht ſehen laſſen. In der Kaſerne würden ſie ihn ſchön auslachen, wenn er mit der angezogen käme. Nicht viel beſſer, als eine1*4Magd war ſie! wochentags womöglich barfuß und mit kurzen Röcken!

Er nahm eine hochmütige Miene an, im Geiſte die ehe¬ malige Geliebte mit den Fräuleins vergleichend, deren Be¬ kanntſchaft er in den Kneipen und Promenaden der Provinzial¬ hauptſtadt gemacht hatte. In der Stadt hatte, weiß Gott, das einfachſte Dienſtmädel mehr Lebensart, als hier draußen auf dem Dorfe die Frauenzimmer allezuſammen. Er verachtete Katſchners Pauline ſo recht aus Herzensgrunde.

Und einſtmals war die dort unten doch ſein Einund¬ alles geweſen!

Auf einmal zog durch ſeinen Kopf die Erinnerung an das Abſchiednehmen damals, als er mit den Rekruten weggezogen in die Garniſon. Da hatten ſie gedacht, das Herz müſſe ihnen brechen beim letzten Kuſſe. Und dann, als er wiederkam, zum erſten Urlaub, nach einjähriger Trennung. Was er da ange¬ ſtellt hatte vor Glückſeligkeit! Und das Mädel! Sie waren ja wie verrückt geweſen, beide. Was er ihr da alles ver¬ ſprochen und zugeſagt hatte!

Er verſuchte die Gedanken daran zu verſcheuchen. Da¬ mals war er ja ſo dumm geweſen, ſo fürchterlich dumm! Was er da verſprochen hatte, konnte gar nicht gelten. Und außerdem hatte ſie ihm ja ſelbſt auch nicht die Treue gehalten. Was ging ihn der Junge an! Überhaupt, wer ſtand ihm denn dafür, daß das ſein Kind ſei! Er war ja ſo lange weg ge¬ weſen.

Na, mit der war er fertig! Mochten die Leute ſagen, was ſie wollten! Mochte ſie ſelbſt ſich beklagen, und Briefe ſchreiben und ihm zu ſeinem Geburtstage und zu Neujahr Glückwunſchkarten ſchicken das ſollte ihn alles nicht rühren. So dumm! Er hatte ganz andere Damen in der Stadt, feine Damen, die gebildet ſprachen und Hochwalzer tanzen konnten. Was ging ihn Katſchners Pauline an, deren Vater armſeliger Stellenbeſitzer geweſen war.

Inzwiſchen hatte der Paſtor zu predigen begonnen. Guſtav verſuchte nun, ſeine Gedanken auf das Gotteswort zu richten. 5Er war in der Garniſon noch nicht gänzlich verdorben worden. Immer hatte er eine rühmliche Ausnahme vor den Kameraden gemacht, welche das Kirchenkommando meiſt zu Schlaf, oder aller¬ hand Unfug benutzten. Er war vom Elternhauſe her an gute Zucht gewöhnt, auch in dieſen Dingen. Der alte Bauer ging den Seinen mit gutem Beiſpiele voran; er fehlte kaum einen Sonntag auf ſeinem Platze und verpaßte kein Wort der Predigt. Auch im Singen ſtand er noch ſeinen Mann; freilich mit einer Stimme, die durch das Alter etwas krähend geworden. Karl allerdings, der etwas zur Trägheit neigte, war von einem Kirchenſchläfchen nicht abzuhalten. Bald nach dem erſten der drei angekündigten Teile der Predigt, ſah ihn Guſtav bereits ſanft vor ſich hin nicken.

Nachdem der Gottesdienſt vorüber, ſtand man noch eine geraume Weile vor der Kirchthür. Der Büttnerbauer ſah mit Behagen, daß ſein Guſtav der Gegenſtand allgemeiner Aufmerkſamkeit war. Alte und junge Männer umſtanden den Unteroffizier. Der Anblick der Uniform erweckte die Erinne¬ rung an die eigene Dienſtzeit, oder auch bei den Älteren, an die Kriegsjahre. Der Büttnerbauer ſelbſt führte die Denk¬ münzen der beiden letzten Feldzüge. Auch Karl Büttner hatte ſeine drei Jahre weggemacht , aber, bis zur Charge hatte es bisher noch kein Büttner gebracht.

Guſtav mußte auf viele Fragen Rede und Antwort ſtehen. Ob er's nicht bald dicke habe, und wann er nach Halbenau zu¬ rückkehre, fragte man ihn. Der junge Mann meinte mit dem Selbſtbewußtſein, das die Uniform den gewöhnlichen Leuten giebt, vorläufig gefalle es ihm noch ſo gut bei der Truppe, daß er nicht daran denke, den Pallaſch mit der Miſtgabel zu vertauſchen.

Zwei Frauen kamen auf die Männer zu, eine Ältere, im bunten Kopftuch und eine Jüngere, mit einem ſchwarzen Hut, auf dem roſa Blumen leuchteten. Guſtav hatte den Hut ſchon von der Empore aus wiedererkannt. Vor Jahren, als er noch mit Pauline Katſchner gut war, hatte er ihr den Hut in der Garniſon gekauft und, als er auf Urlaub nach Hauſe ging,6 mitgebracht. Die ältere Frau war die Witwe Katſchner, Paulinens Mutter.

Gutentag och, Guſtav! ſagte Frau Katſchner. Guten¬ tag! erwiederte er ſtirnrunzelnd, ohne ihr die Hand zu geben. Das Mädchen hatte den Kopf geſenkt und blickte errötend auf ihr Geſangbuch. No, biſt De och wiedermal in Halbenau, Guſtav! meinte die Witwe und lachte dabei, um ihre Ver¬ legenheit zu verbergen. Ja! ſagte Guſtav kühl, und fragte einen der jungen Männer irgend etwas Gleichgültiges.

Die Frauen zögerten noch eine Weile, wohl eine Anrede von ihm erwartend. Dann zog das Mädchen, dem das Weinen nahe ſchien, die Mutter am Rocke, Kumm ack Mutter, mir wollen gihn! Darauf entfernten ſich die beiden Frauen.

Die kennſt Du wohl garnich mehr Guſtav? fragte einer der jungen Leute mit ſpöttiſchem Lächeln den Unteroffizier. Der zuckte die Achſeln, wiegte ſich in den Hüften, und gab ſich Mühe, ſo gleichgültig auszuſehen, wie nur möglich.

Nun ſetzte man ſich langſam in Bewegung, ein Trupp von zehn, zwölf jungen Männern, meiſt Schulkameraden Guſtavs. Im Kretſcham wurde ein Stehbier getrunken, und die Cigarren in Brand geſetzt. Dann gings wieder auf die Dorfſtraße hinaus. Einer nach dem anderen ſuchte nun ſein Haus auf, denn die Mittagsſtunde war herangekommen. Abends wollte man ſich auf dem Tanzboden wieder treffen.

Das Büttnerſche Bauerngut lag am oberſten Ende des Dorfes. Der Bauer und Karl waren bereits vorausgegangen. Guſtav wollte in einen Feldweg einbiegen, der ihn in kürzeſter Friſt nach Haus geführt hätte, da hörte er ſeinen Namen rufen.

Er wandte ſich. Katſchners Pauline war nur wenige Schritte hinter ihm. Sie keuchte, beinahe atemlos vom ſchnellen Laufen.

Er nahm eine finſtere Miene an, und fragte in barſchem Tone, was ſie von ihm wolle. Guſtav! rief ſie, und ſtreckte ihm die Hand entgegen. Bis doch nicht ſo! Du thuſt ja ge¬ rade, als kennt'ſt De mich am Ende garnich.

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Ich hab 'keine Zeit! ſagte er, wandte ſich und wollte an ihr vorbei.

Aber, ſie vertrat ihm den Weg. Ne Guſtav! Aber, Guſtav, bis doch nicht ſo mit mir! Sie ſtand da mit fliegendem Buſen und ſah ihm voll in die Augen. Er hielt ihren Blick nicht aus, mußte wegſehen.

Sie griff nach ſeiner Hand und meinte: Ene Hand hätt'ſt De mir immer geben kennen, Guſtav!

Das ſei gar keine Manier, ihm ſo nachzulaufen und ihn am hellen lichten Tage anzureden, ſagte er, und ſie ſolle ſich wegſcheren. Er gab ſich alle Mühe, entrüſtet zu erſcheinen.

Pauline ſchien keine Furcht vor ihm zu haben. Sie ſtand dicht vor ihm. Eine Bewegung ſeines Armes hätte genügt, ſie bei Seite zu ſchieben. Aber, er hob die Hand nicht.

Iber Iohr und Tog is es nu ſchon, Guſtav, daß mer uns niche geſehn haben! Und geontwortet haſt Du och nich, ſuviel ich Dir och geſchrieben habe. Du thuſt doch gerade, als wär'ch a ſchlechtes Madel, Guſtav! die Augen ſtanden ihr auf einmal ganz voll Thränen.

Heulen! das hatte grade noch gefehlt! Weiberthränen waren für ihn etwas Entſetzliches. Er war ja ſowieſo ſchon halb gewonnen durch ihren bloßen Anblick, durch den ver¬ trauten Klang ihrer Stimme. Was für Erinnerungen rief ihm dieſes Geſicht zurück! Er hatte ſo glücklich mit ihr gelebt, wie noch mit keiner anderen. Sie war doch ſeine Erſte geweſen. Es lag in dem Gefühle ſo etwas ganz Be¬ ſonderes, ſo etwas wie Heimweh, wie Dankbarkeit für ihre Güte gegen ihn. Daß ſie jetzt weinte, war ſchlimm! Er kam ſich ſchlecht vor und grauſam. Das verdroß ihn. Nun würde er das Mädel ſchwer wieder los werden, fürchtete er.

Sie wiſchte ſich die Thränen mit einer Ecke ihrer ſchwarzen Schürze ab, und fragte: Was haſt De denn egentlich gegen mich Guſtav? Sag merſch nur a enzigſtes mal, was De haſt, daß De ſo biſt!

Er kaute an ſeinem Schnurrbarte mit verdüſterter Miene. Es wäre ein leichtes geweſen, ihr auf den Kopf zu¬8 zuſagen, ſie habe es inzwiſchen mit einem anderen getrieben. Aber, in dieſem Augenblick, unter den Blicken ihrer treuen Augen, fühlte er mit einemmale, auf wie ſchwachen Füßen dieſer Verdacht eigentlich ſtehe. Er hatte ja die ganze Geſchichte, die ihm von anderen hinterbracht worden war, nie recht ge¬ glaubt. Das war ja nur ein willkommener Vorwand für ihn geweſen, auf gute Art von ihr los zu kommen.

Als ſie nun jetzt ſo vor ihm ſtand, einen Kopf kleiner als er, friſch und geſund, wie ein Apfel, mit ihren guten großen Augen, und den leuchtenden Zähnchen, da befand er ſich wieder ganz unter ihrem Banne.

Ich habe mich ſu ärgern miſſen über Dich! ſagte ſie leiſe, und ſchluchzte auf einmal auf. Die Thränen ſaßen ſehr locker bei ihr. Zwiſchen dem Weinen durch konnte ſie ſo lieb und ſchmeichelnd dreinblicken, wie eine zahme Taube. Niemand hatte dem Mädchen dieſe Künſte gelehrt, aber, die raffinierteſte Kokette hatte keine wirkſameren Mittel, das Herz eines Mannes zu beſtricken, als dieſes ſchlichte Naturkind.

Plötzlich ſenkte ſie den Kopf, errötend und noch leiſer als vorher, meinte ſie: Willſt De Dir nich Deinen Jungen an¬ ſehn, Guſtav? Er is nu bald een Jahr!

Der junge Mann ſtand unſchlüſſig, im Innerſten beſtürzt. Er fühlte ſehr deutlich, daß dieſer Augenblick für ihn die Ent¬ ſcheidung bedeute. Wenn er ihr jetzt den Willen that, mit ihr ging und ſich den Jungen anſah, dann bekannte er ſich zur Vaterſchaft. Bisher hatte er das Kind nicht als das ſeine anerkannt, ſich hinter der Ausflucht verſchanzend, daß man ja gar nicht wiſſen könne, von wem es ſei.

Pauline hatte den Kopf wieder aufgerichtet und bat ihn mit den Augen. Dann mit ihrer weichen Mädchenſtimme: Ich ha' dem Jungen nu ſchun ſu viel vun Dir vorderzahlt. Er kann noch ne raden. Aber Papa! das kann er duch ſchun ſagen. Komm ack, Guſtav, ſieh der'n wen'gſtens a mal an!

Sie nahm ihn an der Hand und zog ihn nach der Rich¬ tung, wohin ſie ihn haben wollte. Komm ack, Guſtav,9 komm ack mitte! ſo ermunterte ſie den immer noch Zau¬ dernden.

Er folgte ihr ſchließlich. Dabei ärgerte er ſich über ſich ſelbſt, daß er ſo nachgiebig war. Er verſtand ſich darin ſelbſt nicht. Es gab in der ganzen Unteroffiziersabteilung keinen ſchneidigeren Reiter als ihn. Remonte dreſſieren das war ſeine Luſt. Und dabei konnte er ſo weich ſein, daß ihn der Wachtmeiſter ſchon mal einen naſſen Waſchlappen genannt hatte. Das war damals geweſen, als ſeine Charge die Kaſtanie den Spat bekommen und zum Roßſchlächter ge¬ mußt. Da hatte er geweint wie ein kleines Kind.

Pauline ſchien ſich darauf zu verſtehen, ihm beizu¬ kommen. Sie konnte, wenn ſie wollte, ſowas recht Be¬ thuliches haben. Sie that, als habe es niemals eine Ab¬ kühlung zwiſchen ihnen gegeben. Kein weiteres Wort des Vorwurfes kam über ihre Lippen. Um keinen Preis wollte ſie ihn in ſchlechte Laune verſetzen. Ihr Beſtreben war, ihn gar nicht erſt zur Beſinnung kommen zu laſſen. Sie erzählte von der Mutter, von ihrem Jungen, allerhand Luſtiges und Gutes, brachte ihn ſo mit kleinen Liſten, deren ſie ſich kaum bewußt wurde, bis vor ihre Thür.

Pauline wohnte mit ihrer Mutter, der Witfrau Katſchner, in einer ſtrohgedeckten Fachwerkhütte, einem der kleinſten und unanſehnlichſten Anweſen des Ortes. Es war nur eine Garten¬ nahrung, nicht genug zum Leben und zuviel zum Sterben. Die beiden Frauen verdienten ſich etwas durch Handweberei. Früher war Pauline zur Arbeit auf das Rittergut gegangen, aber in letzter Zeit hatte ſie das aufgegeben.

Pauline hatte ihr eigenes Stübchen nach hinten hinaus. In Guſtav rief hier jeder Schritt, den er that, Erinne¬ rungen wach. Durch dieſes niedere Thürchen, das er nur gebückt durchſchreiten konnte, war er getreten, als ſie ihn in einer warmen Julinacht zum erſtenmale in ihre Kammer ein¬ gelaſſen. Und wie oft war er ſeitdem hier aus und ein gegangen! Zu Tag - und Nachtzeiten, ehe er zu den Soldaten ging und auch nachher, wenn er auf Urlaub daheim geweſen war.

10

In dem kleinen Raume hatte ſich wenig verändert, während des letzten Jahres. Sauberkeit und peinlichſte Ordnung herrſchten hier. Er kannte genau den Platz eines jeden Stückes. Dort ſtand ihr Bett, da das Spind, daneben die Lade. Der Spiegel mit dem Sprung in der Ecke unten links, über den eine Neu¬ jahrskarte geſteckt war, hing auch an ſeinem alten Platze.

Unwillkürlich ſuchte Guſtavs Blick das Zimmer ſpürend ab. Aber er fand nicht, was er ſuchte. Pauline folgte ſeinen Augen und lächelte. Sie wußte ſchon, wonach er ſich umſah.

Sie ging auf das Bett zu und drückte die bauſchigen Kiſſen etwas nieder. Ganz am oberen Ende, tief verſenkt in den Betten, lag etwas Rundliches, Dunkles.

Sie gab ihm ein Zeichen mit den Augen, daß er heran¬ treten ſolle. Er begriff, daß der Junge ſchlafe und bemühte ſich infolgedeſſen leiſe aufzutreten, den Pallaſch ſorgſam hoch¬ haltend. Das is er! flüſterte ſie und zupfte glückſelig lächelnd an dem Kiſſen, auf dem der Kopf des Kleinen lag.

Der junge Mann ſtand mit verlegener Miene vor ſeinem Jungen. Der Anblick benahm ihn ganz; nicht einmal den Helm abzuſetzen, hatte er Zeit gefunden. Hinzublicken wagte er kaum. Das ſollte ſein Sohn ſein! Er hatte ein Kind! Der Gedanke hatte etwas eigentümlich Bedrückendes, etwas Dumpfes und Beengendes legte ſich auf ihn, wie eine große noch unüberſehbare Verantwortung.

Sie half ihm, nahm ihm zunächſt den Helm ab, rückte das Kind etwas aus den Betten heraus, daß er es beſſer ſehen ſolle, führte ſelbſt ſeine große Hand, daß er ſein eigenes Fleiſch und Blut betaſten möchte. Dann fragte ſie, ſich an ihn ſchmiegend, wie es ihm gefalle.

Er erwiederte nichts, ſtand immer noch ratlos, beſtürzt vor ſeinem Sprößling.

Jetzt ging ein Lächeln über die Züge des Kleinen, er bewegte im Schlafe ein paar Finger des winzigen Händchens. Nun erſt begriff der Vater, daß es wirklich ein lebendiges Weſen ſei, was da lag. Der Gedanke rührte ihn auf einmal11 in tiefſter Seele. So ein kleines Ding, mit ſolch winzigen Gliedmaßen, und das lebte doch und war ein zukünftiger Menſch, würde ein Mann ſein ſein Sohn! Pauline und er hatten es hervorgebracht; aus ſeinem und ihrem Gebein ſtammte dieſes neue Weſen. Das ewige Wunder des Werdens trat vor ihn in ſeiner ganzen unheimlichen Größe.

Guſtav merkte, wie ihm die Thränen in die Augen traten, es würgte ihn im Halſe, es kitzelte ihn an der Naſe. Er biß die Zähne feſt aufeinander und ſchluckte die Rührung hin¬ unter; weinen wollte er um keinen Preis.

Pauline eilte derweilen geſchäftig auf und ab im Zimmer. Sie hatte den ſchwarzen Hut mit den roſa Blumen abgelegt, die Ärmel ihres Kleides aufgeknöpft und bis an die Ellebogen zurückgeſchlagen und eine weiße Schürze vorgeſteckt. Ohne Hut ſah ſie noch hübſcher aus. Ihr blondes Haar, von ſelten ſchöner Färbung, kam jetzt erſt zur Geltung, ſie trug es nach Art der Landmädchen, ſchlicht in der Mitte geſcheitelt und hinten zu einem Neſt von vielen kleinen Flechten verſchlungen. Das ſchwarze Kleid war ihr Konfirmationskleid. Nur durch Aus¬ laſſen und Anſetzen hatte ſie es zu Wege gebracht, daß es ihre frauenhaft entwickelte Fülle auch jetzt noch faßte.

Jetzt eilte ſie wieder an das Bett. Sie meinte, der Junge habe nun genug geſchlafen, er müſſe die Flaſche bekommen. Sie weckte den Kleinen, indem ſie ihn ſanft aus den Kiſſen hob und ihn auf die Stirn küßte. Das Kind ſchlug ein Paar große dunkle Augen auf, ſah ſich verwundert um, und be¬ gann ſofort zu ſchreien. Der Vater, der an ſolche Töne noch nicht gewöhnt war, machte ein ziemlich verdutztes Geſicht hierzu.

Pauline meinte, das ſei nicht ſo ſchlimm, das Kind habe nur Hunger. Sie nahm eine Blechkanne aus der Röhre. Das Zimmerchen hatte keinen eigenen Ofen, ſondern nur eine Kachel¬ wand, mit einer Röhre, die vom Nebenzimmer aus erwärmt wurde. In der Blechkanne befand ſich ein Fläſchchen Milch. Pauline, auf dem einen Arm das Kind, führte die Flaſche zum Munde, koſtete ſchnell, ſtülpte einen Gummizulp über den12 Flaſchenhals. Dann legte ſie den Kleinen wieder aufs Bett deſſen Blicke und Hände begierig nach der wohlbekannten Flaſche ſtrebten. Nun endlich ſteckte ſie dem Schreihals den Zulp zwiſchen die Lippen. Sofort verſtummte das Gezeter und machte behaglich glurkſenden Lauten Platz.

Guſtav atmete erleichtert auf. Der ganze Vorgang hatte etwas Beklemmendes für ihn gehabt. Während Pauline voll Wonne und Stolz war, konnte er ſich einer gewiſſen Gedrückt¬ heit nicht erwehren. Mit dem Ausdrucke einer Zärtlichkeit, wie ſie nur eine Mutter hat, beugte ſich das Mädchen über das kleine Weſen, deſſen ganze Kraft und Aufmerkſamkeit jetzt auf den Nahrungsquell gerichtet war, und richtete ihm die Kiſſen.

Erſt nachdem der Kleine völlig glücklich zu ſein ſchien, kam Guſtav wieder an die Reihe für Pauline. Sie wiſchte ihm einen Stuhl ab mit ihrer Schürze und bat ihn, ſich zu ſetzen. Er hatte noch immer kein Wort über den Jungen ge¬ äußert; jetzt nötigte ſie ihn geradezu, ſich auszuſprechen.

Er meinte, das Kind ſehe ja ſoweit ganz geſund und kräftig aus. Aber das genügte ihrem mütterlichen Stolze nicht. Sie begann, ihrerſeits das Lob des Jungen zu ſingen, wie wohlgebildet er ſei und ſtark. Ja, ſie behauptete ſogar, er ſei ein Wunder an Klugheit, und führte dafür einige ſeiner kleinen Streiche an. Groß ſei er für ſein Alter, wie kein anderes Kind, ſchon bei der Geburt ſei er ſolch ein Rieſe geweſen. Und ſehr viel Not habe er ihr gemacht, beim Kommen, ſetzte ſie etwas leiſer mit geſenktem Blicke hinzu. Dann erzählte ſie, daß ſie ihn bis zum ſechſten Monate ſelbſt genährt habe.

Er hörte dieſem Berichte von Dingen, die für ſie von größter Bedeutung und Wichtigkeit waren, nur mit halbem Ohre zu. Er hatte ſeine eignen Gedanken bei alledem. Was ſollte nun eigentlich werden, fragte er ſich. Er hatte ſich zu dieſem Kinde bekannt. Als anſtändiger Menſch mußte er nun auch dafür ſorgen. Burſchen, die ein Kind in die Welt ſetzen, und dann Mädel und Kind im Stiche ließen, hatte er immer für Lumpe gehalten. Einſtmals hatte13 er Paulinen ja auch die Ehe verſprochen. Und wenn er ſie ſo anſah, wie ſie hier ſchaltete und waltete, ſauber und nett, geſchickt, ſorgſam und dabei immer freundlich und voll guten Mutes, da konnte ihm der Gedanke einer Heirat ſchon gefallen. Daß ſie ein durch und durch braves Mädel ſei, das wußte er ja.

Aber, überhaupt heiraten! Er dachte an das Elend der meiſten Unteroffiziersehen. Da hätte man ſich ja ſchütteln mögen bei dem bloßen Gedanken.

Und dann gab es da noch eins: er hätte mit verſchie¬ denen Frauenzimmern in der Garniſon brechen müſſen. Das alles machte ihm den Kopf ſchwer.

Pauline fing jetzt an, von ihren eigenen Angelegenheiten zu ſprechen, ſie erzählte, wie einſam und traurig der letzte Winter für ſie geweſen ſei, die Mutter wochenlang bettlägerig, dazu kein Geld im Hauſe, kein Mann in der Nähe, der ihnen geholfen hätte. Sie ſelbſt durch die Pflege des Kindes abge¬ halten, viel zu ſchaffen. Und zu alledem habe er nichts mehr von ſich hören laſſen. Was er denn eigentlich gehabt habe gegen ſie, verlangte das Mädchen von neuem zu wiſſen. Er wich der Antwort aus, fragte ſeinerſeits, warum ſie denn gar nicht mehr aufs Rittergut zur Arbeit gegangen ſei.

Das habe ſeinen guten Grund, erklärte ſie, und ſprach auf einmal mit gedämpfter Stimme, als fürchte ſie, das Kind könne etwas verſtehen. Der Eleve dort, habe ſich Unan¬ ſtändigkeiten gegen ſie erlaubt, deshalb ſei ſie lieber aus der Arbeit fortgeblieben, obgleich ſie den Verdienſt ſchwer ver¬ mißt hätte.

Guſtav horchte auf. Das war ja gerade die Geſchichte, über die er gern etwas Genaueres erfahren hätte. Mit dieſen Ele¬ ven nämlich hatte man ihm das Mädchen verdächtigt. Er forſchte weiter: Was hatte ſie mit dem Menſchen gehabt, wie weit war er gegangen?

Pauline zeigte ſich im Innerſten erregt, als dieſe Dinge zur Sprache kamen. Sie ſprach in den ſchärfſten Ausdrücken über den jungen Herrn, der ſeine Stellung ausgenutzt hatte, ihr in zudringlicher Weiſe Anträge zu machen. Mehr noch als14 ihre Worte, ſagten es ihm ihre Mienen, und die ganze Art, in der ſie ſich äußerte, daß ſie ihm treu geblieben ſei.

Guſtav ließ ihr ſeine Befriedigung durchblicken, daß nichts an dem Gerede ſei. Nun erfuhr ſie erſt, daß er darum gewußt habe. Deshalb alſo hatte er mit ihr gegrollt! Wer hatte ſie denn nur ihm gegenüber ſo angeſchwärzt?

Er ſagte ihr nur, daß er's gehört hätte von den Leuten . Daß die Verdächtigung aus ſeiner eigenen Familie gekommen, welche ſein Verhältnis mit Pauline niemals gern geſehen hatte, verſchwieg er.

Pauline nahm die Sache ernſt. Daß er ſie in ſolch einem Verdachte gehabt und noch dazu ſo lange und ohne ihr ein Wort davon zu ſagen, daß kränkte ſie. Das Mädchen wurde auf einmal ganz ſtill. Sie empfand die Ungerechtigkeit und Erniedrigung, die in ſeiner Auffaſſung lag, wie Frauen ſolche Dinge empfinden, jäh und leidenſchaftlich. Sie machte ſich im Hintergründe des Zimmers zu ſchaffen, ohne ihn anzuſehen.

Ihm war nicht wohl dabei zu Mute. Er wußte zu gut, wieviel er ſich ihr gegenüber vorzuwerfen hatte. Er blickte verlegen auf ſeine Stiefelſpitzen.

Es entſtand eine Pauſe, während der man nur die leich¬ ten Atemzüge des Kindes, das inzwiſchen mit ſeiner Flaſche fertig geworden war, vernahm.

Plötzlich ging Pauline nach dem Bette. Sie nahm den Kleinen aus den Kiſſen. Du haſt den Jungen noch gar niche uf'n Arm gehat, Guſtav! ſagte ſie, unter Thränen lächelnd, und hielt ihm den Kleinen hin.

Er nahm das Kind in Empfang, wie man ein Paket nimmt. Der Junge blickte mit dem ſtarren leeren Blicke der kleinen Kinder auf die blanken Treſſen am Halſe des Vaters.

Getoft is er och ſchon, ſagte Pauline. Ich ha derſch ja damals geſchrieben, aber Du haſt niſcht geſchickt dazu. Der Paſter war erſcht böſe und hat tichtig gebiſſen uf mich, daß mer ſowas paſſiert wor.

Guſtav war inzwiſchen ins Reine mit ſich gekommen, daß er Kind und Mutter anerkennen wolle.

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Der Junge ſtreckte die kleine Hand nach dem Schnurrbart des Vaters, Pauline wehrte dem Händchen ſanft. Se ſprechen alle, daß er Dir ſu ähnlich[ſähe], Guſtav! Wie aus'n Geſichte geſchnitten, ſprechen de Leite.

Der junge Vater lächelte zum erſtenmale ſein Ebenbild an. Pauline hatte ſich bei ihm eingehängt, ihre Blicke gingen liebend von Guſtav zu dem Kleinen. Der Bengel hatte end¬ lich den Schnurrbart des Vaters erwiſcht und ſtieß einen ſchrillen Freudenſchrei aus.

So gewährten ſie das Bild einer glücklichen Familie.

[16]

II.

Guſtav Büttner kam heute viel zu ſpät nach Haus zum Mittagbrot. Die Familie hatte bereits vor einer Weile ab¬ gegeſſen. Der alte Bauer ſaß in Hemdsärmeln in ſeiner Ecke und ſchlummerte. Karl hielt die Tabakspfeife, die er eigentlich nur während des Eſſens ausgehen ließ, ſchon wieder im Munde. Die Frauen waren mit Abräumen und Reinigen des Geſchirrs beſchäftigt.

Die Bäuerin ſprach ihre Verwunderung darüber aus, daß Guſtav ſo lange ausgeblieben. In der Schenke ſitzen am Sonntag Vormittag, das ſei doch ſonſt nicht ſeine Art ge¬ weſen. Guſtav ließ den Vorwurf ruhig auf ſich ſitzen. Er wußte wohl warum; ſeine Leute brauchten gar nicht zu erfahren, was ſich inzwiſchen begeben hatte.

Schweigend nahm er auf der Holzbank, am großen vier¬ eckigen Familientiſche Platz. Dann heftelte er ſeinen Waffen¬ rock auf, wie um ſich Platz zu machen für das Eſſen. Die Mutter brachte ihm das Aufgewärmte aus der Röhre.

Die Büttnerbäuerin war eine wohlhäbige Fünfzigerin. Ihr Geſicht mochte einſtmals recht hübſch geweſen ſein, jetzt war es entſtellt durch Unterkinn und Zahnlücken. Sie ſah freundlich und gutmütig aus. Guſtav ſah ihr von den Kindern am ähnlichſten. In ihren Bewegungen war ſie nicht beſonders flink, eher ſteif und ſchwerfällig. Der ſchlimmſte Feind der Landleute, das Reißen, ſuchte ſie oftmals heim.

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Eine der Töchter wollte ihr behülflich ſein, aber ſie ließ es ſich nicht nehmen, den Sohn ſelbſt zu bedienen. Der Unteroffizier war ihr Lieblingskind. Sie ſetzte die Schüſſel, die noch verdeckt war, vor Guſtav hin und ſtützte die Hände auf die Hüften. Nu paß aber mal uf Guſt! rief ſie, und ſah ihm ſchmunzelnd zu, wie er den ſchützenden Teller abhob. Es war Schweinefleiſch mit Speckklößen und Birnen im Grunde des Topfes zu erblicken. Gelt, Dei Leibfraſſen Guſt! ſagte ſie und lachte den Sohn an. Sie ließ die Blicke nicht von ihm, während er zulangte und einhieb. Jeden Biſſen ſchien die liebevolle Mutter für ihn mitzuſchmecken. Geſprochen wurde nichts. Man hörte das Klappern des Blechlöffels gegen die irdene Schüſſel; denn der Unteroffizier erſparte ſich den Teller. In der Ecke ſchnarchte der alte Bauer, ſein Älteſter war auf dem beſten Wege ihm nachzufolgen, trotz der Pfeife. Am Ofen, der eine ganze Ecke des Zimmers einnahm, mit ſeiner Hölle und der breiten Bank, hantierten die jüngeren Frauen an dem dampfenden Aufwaſchfaß mit Tellern, Schüſſeln und Tüchern.

Der Büttnerbauer beſaß zwei Töchter. Die dritte Frauens¬ perſon war Karls, des älteſten Sohnes, Frau.

Die Büttnerſchen Töchter zeigten ſich ſehr verſchieden in der Erſcheinung. Man würde ſie kaum für Schweſtern an¬ geſprochen haben. Toni, die Ältere war ein mittelgroßes ſtarkes Frauenzimmer, mit breitem Rücken. Das runde Geſicht, mit roten Lippen und Wangen, erſchien wohl hauptſächlich durch ſeine Geſundheit und Friſche hübſch. Sie ſtellte mit ihrem drallen Buſen und kräftigen Gliedmaßen das Urbild einer Bauernſchönheit dar.

Erneſtine, die jüngere Schweſter, war erſt vor kurzem konfirmiert worden. Sie ſtand noch kaum im Anfange weib¬ licher Entwickelung. Sie war ſchlank gewachſen und ihre Glieder zeigten eine bei der ländlichen Bevölkerung ſeltene Fein¬ heit. Dabei war ſie ſehnig und keineswegs kraftlos. Ihren geſchmeidigen, flinken Bewegungen nach zu ſchließen mußte ſie äußerſt geſchickt ſein. Die Arbeit flog ihr weit ſchneller von der Hand, als der älteren Schweſter.

W. v. Polenz, Der Büttnerbauer. 218

Der Schlummer des Vaters wurde reſpektiert; man ver¬ mied das allzulaute Klappern mit dem Geſchirr. Am wenigſten beſorgt um den Schlaf des Alten ſchien Thereſe, die Schwieger¬ tochter, zu ſein. Sie ſprach mit tiefer, rauher, etwas gurgelnder Stimme, wie ſie Leuten eigen iſt, die Kropfanſatz haben. Thereſe war eine große, hagere Perſon, mit langer ſpitzer Naſe, ziemlich blaß, aber von knochig derbem Wuchſe, mit ſtarkem Halſe.

Sie ging jetzt daran, die abgewaſchenen Teller in das Tellerbrett zu ſtellen. Als ſie an ihrem Gatten vorbeikam, dem der Kopf bereits tief auf die Bruſt herabgeſunken war, während ihm die Tabakspfeife zwiſchen den Schenkeln lag, ſtieß ſie ihn unſanft an. Ihr Mannſen braucht o ne en halben Tog zu verſchlofa; weil mir Weibſen uns abrackern miſſen. Das wär 'ane verkehrte Welt. Wach uf, Karle!

Karl fuhr auf, ſah ſich verdutzt um, nahm ſeine Pfeife auf, die er langſam wieder in Brand ſetzte, und blinzelte bald wieder von neuem mit den Augenlidern. Seine Ehehälfte ging inzwiſchen brummend und murrend auf und ab.

Thereſens Wut wurde gar nicht durch die Schlafſucht des Gatten erregt worden an die ſie ſchon gewohnt war. Vielmehr ärgerte ſie ſich darüber, daß Guſtav von der Bäuerin mit den beſten Biſſen bewirtet wurde. Sie war ihrem Schwager überhaupt nicht grün. Der jüngere Sohn werde dem älteren gegenüber von den Alten bevorzugt, fand ſie. Sie fühlte wohl auch, daß Guſtav ihrem Gatten in vielen Stücken überlegen ſei, und das mochte ihre Eiferſucht erregen. Ganz erbotzt flüſterte ſie den Schwägerinnen zu ſoweit bei ihr von einem Flüſtern die Rede ſein konnte de Mutter ſtackt's Guſtaven wieder zu, vurna und hinta!

Endlich war Guſtav fertig mit Eſſen. Zur Freude ſeiner Mutter hatte er reine Wirtſchaft gemacht. Sich ſtreckend und gähnend, meinte er, daß es in der Kaſerne ſo was freilich nicht gäbe.

Inzwiſchen war der alte Bauer erwacht. War Guſtav doe? fragte er, ſich mit leeren Augen umſehend. Als er ge¬19 hört hatte, daß Guſtav bereits abgegeſſen habe, ſtand er auf und erklärte, mit ihm hinausgehen zu wollen, auf die Felder.

Der junge Mann war gern bereit dazu. Er wußte ſo¬ wieſo nicht, wie er den langen Sonntagnachmittag verbringen ſolle.

Karl ging mit Vater und Bruder aus dem Zimmer, ſchein¬ bar, um mit aufs Feld zu gehen. Aber, er verſchwand bald. Er hatte nur die Gelegenheit benutzt, herauszukommen, um auf dem Heuboden, ungeſtört von ſeiner Frau, weiter ſchlafen zu können.

Der Bauernhof beſtand aus drei Gebäuden, die ein nach der Südſeite zu offenes Viereck bildeten. Das Wohnhaus, ein geräumiger Lehmfachwerkbau, mit eingebauter Holzſtube, ehe¬ mals mit Stroh gedeckt, war von dem jetzigen Beſitzer mit Ziegeldach verſehen worden. Mit dem ſchwarz geſtrichenen Gebälk und den weiß abgeputzten Lehmvierecken zwiſchen den Balken, den unter erhabenen Bogen, wie menſchliche Augen, verſteckten Dachfenſtern, blickte es ſauber, freundlich, altmodiſch und gediegen drein. Die Winterverpackung aus Moos, Laub und Waldſtreu war noch nicht entfernt worden. Das Haus war wohl verſorgt, die Leute, die hier wohnten, das ſah man, liebten und ſchützten ihren Herd.

Unter einem langen und hohen Dache waren Schuppen, Banſe und zwei Tennen untergebracht. Ein drittes Gebäude enthielt Pferde -, Kuh - und Schweineſtälle. Scheune wie Stall wieſen noch die althergebrachte Strohbedachung auf.

Die Gebäude waren alt, aber gut erhalten. Man ſah, daß hier Generationen von tüchtigen und fleißigen Wirten ge¬ hauſt hatten. Jeder Ritz war zugemacht, jedes Loch bei Zeiten verſtopft worden.

In der Mitte des Hofes lag die Düngerſtätte, mit der Jauchenpumpe daneben. Am Scheunengiebel war ein Tauben¬ haus eingebaut, welches eine Art von Schlößchen darſtellte; die Thüren und Fenſter des Gebäudes bildeten die Ein - und Aus¬ fluglöcher für die Tauben. Ein Kranz von ſcharfen, eiſernen Stacheln wehrte dem Raubgetier den Zugang. In dem offenen Schuppen ſah man Brettwagen, Leiterwagen und andere Fuhr¬2*20werke ſtehen, die Deichſeln nach dem Hofe gerichtet. Unter dem vorſpringenden Scheundach waren die Leitern untergebracht. Im Holzſtall lag geſpaltenes Holz für die Küche, Reiſig zum Anfeuern, und Scheitholz. Das Kalkloch, der Sandhaufen und der Stein zum Dengeln der Senſen, fehlten nicht.

Der Sinn für das Nützliche und Notwendige herrſchte hier, wie in jedem rechten Bauernhofe, vor. Aber auch der Ge¬ mütlichkeit und dem Behagen war Rechnung getragen. Ein ſchmales Gärtchen von einem Holzſtacket eingehegt, lief um die Süd - und Morgenſeite des Wohnhauſes. Hier zog die Bäuerin neben Gemüſen und nützlichen Kräutern, verſchiedene Blumen¬ ſorten, vor allem ſolche, die ſich durch ſtarken Geruch und auf¬ fällige Farben auszeichnen. Und um die Pracht voll zu machen, hatte man auf bunten Stäben leuchtende Glaskugeln angebracht. In der Ecke des Gärtchens ſtand eine aus Brettern zuſammengeſtellte Holzlaube, die ſich im Sommer mit bunt blühenden Bohnenranken bezog. Im Grasgarten ſtanden Obſt¬ bäume, von denen einzelne ihrem Umfange nach zu ſchließen, an hundert Jahr alt ſein mochten.

Die Thür des Wohnhauſes war beſonders ſchön hergeſtellt. Drei glatt behauene ſteinerne Stufen führten hinauf. Die Pfoſten und der Träger waren ebenfalls von Granit. Auf einer Platte, die über der Thür angebracht war, ſtand folgen¬ der Spruch eingegraben:

Wir bauen alle feſte,
und ſind doch fremde Gäſte,
und wo wir ſollen ewig ſein,
da bauen wir gar wenig ein!

Guſtav und der Bauer ſchritten vom Hauſe, ohne daß einer dem anderen ein Wort geſagt, oder einen Wink gegeben hätte, geraden Weges nach dem Pferdeſtalle; denn hier war der Gegenſtand des allgemeinen Intereſſes untergebracht: eine zweijährige braune Stute, die der Bauer vor kurzem gekauft hatte. Zum dritten oder vierten Male ſchon beſuchte der Unter¬ offizier, der erſt am Abend vorher in der Heimat eingetroffen21 war, das neue Pferd. Er hatte ſich die Stute auch ſchon ins Freie hinausführen laſſen, um ihre Gänge zu beobachten; aber ein Urteil über das Pferd hatte er noch immer nicht abgegeben, obgleich er ganz genau wußte, daß der Alte darauf wartete. Guſtav ſagte auch jetzt noch nichts, obgleich er prüfend mit der Hand über die Sehnen und Flechſen aller vier Beine ge¬ fahren war.

Die Büttners waren darin eigentümliche Käuze. Nichts wurde ihnen ſchwerer, als ſich gegen ihresgleichen offen auszu¬ ſprechen. Oft wurden ſo die wichtigſten Dinge wochenlang ſchweigend herumgetragen. Jeder empfand das als eine Laſt, aber der Mund blieb verſiegelt; bis endlich die eherne Not¬ wendigkeit, oder irgend ein Zufall, die Zungen löſte. Es war faſt, als ſchämten ſich die Familienmitglieder unter ein¬ ander Dinge zu beſprechen, die ſie jedem Fremden gegenüber offener und leichteren Herzens geäußert haben würden. Viel¬ leicht, weil jedes die innerſten Regungen und Stimmungen des Blutsverwandten zu genau kannte, und ſeine eigenen Gefühle wiederum von ihm gekannt wußte.

Vater und Sohn traten, nachdem man das Pferd genügend geklopft und geſtreichelt und ihm die Streu friſch aufgeſchüttelt hatte, wieder auf den Hof hinaus. Hier verweilte ſich Guſtav nicht erſt lange. Es hatte ſich in der Wirtſchaft ſonſt nichts weiter verändert, ſeit er das letzte Mal auf Urlaub geweſen war. Die neu aufgeſtellten Ferkel und die angebundenen Kälber hatte er ſchon vor der Kirche mit der Bäuerin beſehen. Man ſchritt nunmehr unverweilt zum Hofe hinaus.

Das Gut beſtand aus einem langen ſchmalen Streifen, der vom Dorfe nach dem Walde hinauslief. Am unteren Ende lag das Gehöft. Im Walde, der zu dem Bauerngute gehörte, entſprang ein Wäſſerchen, das mit ziemlich ſtarkem Gefälle zum Dorfbach hinabeilte. An dieſem Bächlein lagen die Wieſen des Büttnerſchen Grundſtückes. Zwiſchen den Feldern zog ſich der breite Wirtſchaftsweg des Bauerngutes, mit alten, tief ein¬ gefahrenen Gleiſen, holperig und an vielen Stellen von Raſen überwachſen, vom Gehöft nach dem Walde hinauf.

22

Vater und Sohn gingen langſam, jeder auf einer Seite des Weges, für ſich. Heute konnte man ſich Zeit nehmen, heute gab es keine Arbeit. Geſprochen wurde nichts, weil einer vom andern erwartete, daß er zuerſt etwas ſagen ſolle. Bei den einzelnen Schlägen blieb der alte Bauer ſtehen und blickte den Sohn von der Seite an, das Urteil des jungen Mannes herausfordend.

Guſtav war nicht etwa gleichgültig gegen das, was er ſah. Er war auf dem Lande geboren und aufgewachſen. Er liebte den väterlichen Beſitz, von dem er jeden Fußbreit kannte. Der Bauer hatte die Hilfe des jüngeren Sohnes in der Wirt¬ ſchaft all die Zeit über, wo Guſtav bei der Truppe war, aufs empfindlichſte vermißt.

Karl, der eigentliche Anerbe des Gutes und Hofes, war nicht halb ſoviel wert, als Arbeiter und Landwirt, wie der jüngere Sohn.

Sie hatten bereits mehrere Stücke betrachtet, da blieb der Bauer vor einem Kleeſchlage ſtehen. Er wies auf das Stück, das mit dichtem, dunkelgrünem Rotklee beſtanden war.

Sicken Klee hat's weit und breit kenen. Haa! In Halbenau hoat noch kee Bauer ſu an Klee gebrocht. Und der hoat in Haber geſtanda. Haa! Do kann ſich in April ſchun der Hoaſe drine verſtacken, in dan Klee!

Er ſtand da, breitbeinig, die Hände auf dem Rücken, und ſein altes, ehrliches, rotes Bauerngeſicht ſtrahlte vor Stolz. Der Sohn that ihm den Gefallen, zu erklären, daß er beſſeren Klee zu Oſtern auch noch nicht geſehen habe.

Nachdem man ſich genügſam an dieſer Pracht geweidet, gings langſam auf dem Wirtſchaftswege weiter. Nun war das Schweigen einmal gebrochen, und Guſtav fing an zu erzählen. Im Manöver und bei Felddienſtübungen war er viel herum¬ gekommen im Lande. Er hatte die Augen offen gehalten und ſich gut gemerkt, was er anderwärts geſehen, und kennen ge¬ lernt von neuen Dingen. Der alte Bauer bekam von aller¬ hand zweckmäßigen Maſchinen und Einrichtungen zu hören, die ihm der Sohn zu beſchreiben verſuchte. Bei Leiba, bei23 Leiba! rief er, ein über das andere Mal, erſtaunt aus. Die Berichte des Sohnes klangen ihm geradezu unglaublich. Be¬ ſonders, daß es jetzt eine Maſchine geben ſolle, welche die Garben bände, das wollte ihm nicht in den Sinn. Sämaſchinen, Dreſchmaſchinen, das konnte er ja glauben, die hatte er auch ſchon ſelbſt wohl geſehen, aber eine Maſchine, welche die Garben raffte und band! Da mechte am Ende ener och a Ding erfinden, das de Apern ſtackt, oder de Kihe vun ſelber melken thut. Ne, das glob'ch ne! dernoa, wenn's ſuweit käma, da kennten mir Pauern glei gonz eipacken. Si's ſu ſchun ſchlimm genuche mit a Pauern beſtellt. Dar Edelmann ſchind uns, und dar Händler zwickt uns; wenn och noch de Maſchinen, und ſe wullen alles beſurgen, dernoa ſein mir Pauern glei ganz hin!

Guſtav lächelte dazu. Er hatte in den letzten Jahren doch manchem bäuriſche Vorurteil abgeſtreift. Er verſuchte es, den Vater zu überzeugen, daß das mit den neuen Erfindungen doch nicht ganz ſo ſchlimm ſei; im Gegenteil, man müſſe der¬ gleichen anwenden und nutzbar zu machen ſuchen. Der Alte blieb bei ſeiner Rede. Zwar hörte er dem Jungen ganz gern zu; Guſtavs lebhafte und gewandte Art, ſich auszudrücken, die er ſich in der Stadt angeeignet, machte ihm, der ſelbſt nie die Worte ſetzen gelernt hatte, im Stillen Freude und ſchmeichelte ſeinem väterlichen Stolze, aber von ſeiner urſprünglichen Anſicht ging er nicht ab. Das war alles nichts für den Bauern. Solche Neuerungen waren höchſtens dazu erfunden, den Land¬ mann zu verderben.

Sie waren unter ſolchen Geſprächen an den Wald gelangt. Hier lief die Flur in eine ſumpfige Wieſe aus, die in un¬ ordentlichen Niederwald überging. Dahinter erhoben ſich einzelne Kiefern, untermengt mit Wachholderſträuchern, Ginſter und Brombeergeſtrüpp. Der Boden, durch die jährliche Streu¬ nutzung völlig entwertet, war nicht mehr imſtande, einen ge¬ ſunden Baumwuchs hervorzubringen. Der Büttnerbauer war, wie die meiſten ſeines Standes, ein ſchlechter Waldheger.

Der alte Mann wollte nunmehr umkehren. Aber Guſtav24 verlangte noch das Büſchelgewände zu ſehen, da ſie einmal ſoweit draußen ſeien. Dieſe Parzelle hatte der Vater des jetzigen Beſitzers angekauft und dem Gute einverleibt.

Der Bauer zeigte wenig Luſt, den Sohn dieſes Stück ſehen zu laſſen, und mit gutem Grunde. Das Stück lag brach, allerhand Unkraut machte ſich darauf breit. Der Bauer ſchämte ſich deſſen.

Was habt Ihr denn dort ſtehen heuer? fragte Guſtav völlig arglos.

Ne viel Geſcheits! Dar Buſch dämmt's Feld zu ſihre, und a Zeter-Rehe ſan och allendchen druffe; da kann duch niſcht ne gruß warn.

Er verſchwieg dabei, daß dieſes Gewände ſeit anderthalb Jahren nicht Pflug und nicht Egge geſehen hatte.

Will denn der Graf immer noch unſern Wald kofen? fragte Guſtav.

Der Büttnerbauer bekam einen roten Kopf bei dieſer Frage.

Ich ſullte an Buuſch verkofen! rief er. Ne, bei meinen Labzeiten wird ſuwas ne! 's Gutt bleibt zuſommde! Die Zornader war ihm geſchwollen, er ſprach heiſer.

Ich meente ock, Vater! ſagte Guſtav beſchwichtigend. Uns nutzt der Buſch doch nich viel.

Der Büttnerbauer machte Halt und wandte ſich nach dem Walde zu. Ich verkofe och nich an Fußbreit von Gutte, ich ne! Macht Ihr hernachen, wos der wullt, wenn'ch war tud ſein. Vun mir kriegt dar Graf dan Buuſch ne! Und wenn er mir nuch ſu vill läßt bietan. Meenen Buuſch kriegt ar ne! Der Alte ballte die Fäuſte, ſpuckte aus und wandte dem Walde den Rücken zu.

Guſtav ſchwieg wohlweislich. Er hatte den Vater da an einer wunden Stelle berührt. Der Beſitzer der benachbarten Herrſchaft hatte dem alten Bauer bereits mehr als einmal nahe legen laſſen, ihm ſeinen Wald zu verkaufen. Solche Ankäufe waren in Halbenau und Umgegend nichts Seltenes. Die Herrſchaft Saland, die größte weit und breit, urſprünglich25 nur ein Rittergut, war durch die Regulierung und die Ge¬ meinheitsteilung und ſpäter durch Ankauf von Bauerland zu ihrer jetzigen Größe angewachſen. Das Büttnerſche Bauerngut lag bereits von drei Seiten umklammert von herrſchaftlichem Beſitz. Der Büttnerbauer ſah mit wachſender Beſorgnis dem immer weiteren Vordringen des mächtigen Nachbars zu. Seine Ohnmacht hatte allmählich eine grimmige Wut in ihm erzeugt gegen alles, was mit der Herrſchaft Saland in Zuſammen¬ hang ſtand. Verſchärft war ſeine Gehäſſigkeit noch worden, ſeit er bei einem Konflikte, den er mit der Herrſchaft wegen Übertritts des Dammwildes auf ſeine Felder gehabt, in der Wildſchadenerſatzklage abſchlägig beſchieden worden war.

Man ſchritt den Wieſenpfad hinab, am Bache entlang. Von rechts und links, von den höher gelegenen Feldſtücken, drückte das Waſſer nach der Bachmulde zu. Das dunkle, allzu üppige Grün verriet die Feuchtigkeit einzelner Flecken. Es gab Stellen, wo der Boden unter dem Tritt des Fußes erzitterte und nachzugeben ſchien. Der ganze Wieſengrund war verſumpft.

Guſtav meinte, daß hier Drainage angezeigt ſei.

Wu ſullt ak daderzut 's Geld rauskumma, un de Zeit! rief der Büttnerbauer. Mir warn a ſu och ſchunſten ne fertg! Unſerens kann'ch mit ſu was duch ne abgahn. Drainir¬ chen, das is ganz ſcheen und ganz gutt for an Ritterguts¬ beſitzer, oder anen Ökonomen; aber a Pauer ....

Er vollendete ſeine Rede nicht, verfiel in Nachdenken. Die ganze Zeit über hatte er etwas auf dem Herzen, dem Sohne gegenüber, aber er ſcheute das unumwundene Geſtändnis.

Es mechten eben a poar Fauſten mehr ſein, für's Gutt! ſagte er ſchließlich. Mir ſein zu wing Mannſen, Karle und ich, mir zwee alleene. Die Weibſen thäten ſchun zulanga; aber dos federt ne ſu: Weiberarbeit. Mir zwee, Karle und ich, mir wern de Arbeit ne Herre. A dritter mechte hier ſein!

Guſtav wußte nun ſchon, worauf der Alte hinaus wollte. Es war die alte Geſchichte. Daß er dem Vater fehle bei der Arbeit, wollte er ſchon glauben. Denn Karl war ja doch nicht26 zu vergleichen mit ihm, in keiner Weiſe, das wußte der ſelbſt¬ bewußte junge Mann recht gut. Der Vater klagte ja nicht zum erſtenmale, daß die Wirtſchaft zurückgehe, ſeit Guſtav bei der Truppe ſei. Aber, das konnte nichts helfen, Guſtav war nicht geſonnen, die Treſſen aufzugeben für die Stellung eines Knechtes auf dem väterlichen Hofe. Ja, wenn's noch für eigene Rechnung geweſen wäre! Aber für die Familie ſich ab¬ ſchinden, für Eltern, Bruder und Schweſtern. Für ihn ſelbſt ſprang ja dabei gar nichts heraus. Das Gut erbte ja einſt¬ mals nicht er, ſondern Karl.

Er erwiederte daher auf die Klage des Vaters in kühlem Tone: Nehmt Euch doch einen Knecht an, Vater!

Der Alte blieb ſtehen und rief mit heftigen Armbewegungen: An Knacht! Ich ſull mer an Knacht onnahma? Ich mecht ock wiſſen, wu dar rauswachſen ſillte. Achzig Tholer kriegt a ſu a Knacht jetzt im Juhre, und's Fraſſen obendrein. Und do mechte och noch a Weihnachten ſen, und a Ernteſcheffel. Mir hon a ſu ſchun zu vills Mäuler zu ſtopfa, hon mir! Wuſu kann ich denne, und ich kennte mer an Knacht halen! Ne, hier mechte ener har, dar zur Familie geherte, dan wer keenen Lohn ne brauchten zahla. So ener mechte hier ſen!

Der Unteroffizier zuckte die Achſeln, und der Vater ſagte nichts weiter. Der Rückweg wurde ſchweigend zurückgelegt. In dem Geſichte des Alten zuckte und witterte es, als führe er das Geſpräch innerlich weiter. Ehe ſie das Haus betraten, hielt er den Sohn am Arme feſt und ſagte ihm ins Ohr: Ich will der amal a Briefel weiſen, Guſtav, das'ch gekriegt ha'. Komm mit mer ei de Stube!

Der Büttnerbauer ging voraus in die Wohnſtube. Außer der alten Bäuerin war hier nur die Schwiegertochter an¬ weſend. Thereſe ſchaukelte ihr Jüngſtes, das an einem durch zwei Stricke am Mittelbalken der Holzdecke befeſtigten Korbe lag, hin und her. Der Bauer begann in einem Schubfache zu kramen. Woas ſuchſt De denne, Büttner? fragte die Bäuerin. 's Briefel von Karl Leberechten.

Dos ha'ch verſtackt! rief die alte Frau, und kam aus27 ihrer Ecke hervorgehumpelt. Wart ack, wart! Sie ſuchte auf der Komode, dort lag in einem Schächtelchen ein Schlüſſel, mit dieſem Schlüſſel ging ſie zum Spind, ſchloß es auf und entnahm dem oberſten Brett ein altes Buch mit vielen Ein¬ lagen und Buchzeichen. In dem Buche blätterte ſie eine Weile, bis ſie endlich auf das geſuchte Schreiben kam. Doe is er!

Der Büttnerbauer berührte den Brief wie alles Geſchriebene mit beſonderer Vorſicht, ja mit einer Art von Scheu. Dann ſchob er ihn dem Sohne hin: Laſe a mal dos, Guſtav!

Der Briefbogen hatte großes Quartformat und trug rechts oben eine Firma: C. G. Büttner, Materialwarenhand¬ lung en gros & en detail. Folgte die Ortsbezeichnung.

Guſtav ſah nach der Unterſchrift. Sein eigener Name ſtand darunter: Guſtav Büttner. Der Briefſchreiber war dem¬ nach ſein ihm gleichaltriger Vetter, Kompagnon im Geſchäfte des alten Karl Leberecht Büttner. Guſtav hatte Onkel und Vetter ein einziges Mal geſehen in ſeinem Leben, als ſie vor Jahren dem Heimatdorfe einen flüchtigen Beſuch von der Stadt aus abgeſtattet.

Dieſer Karl Leberecht war ein um wenige Jahre jüngerer Bruder des Büttnerbauern. Er hatte Halbenau frühzeitig ver¬ laſſen, als ein großer Thunichtgut. Jahrelang war nichts von ihm verlautet. Dann tauchte er plötzlich als verheirateter Mann und Inhaber eines Grünwarengeſchäftes in einer mittel¬ großen Stadt der Provinz auf. Inzwiſchen hatte ſich ſein Ge¬ ſchäft zur Materialwarenhandlung en gros & en detail ausgewachſen.

Die beiden Familien, die eine in der Stadt, die andere auf dem Dorfe, hatten ſo gut wie gar keine Berührungspunkte mehr. Nur bei der Erbſchaftsregulierung, vor nunmehr dreißig Jahren, war man einander auf kurze Friſt wieder einmal näher getreten. In den letzten Jahrzehnten hatte man nur ganz ge¬ legentlich etwas von einander geſehen oder gehört.

G. Büttner jun. alſo, ſchrieb im Namen ſeines Vaters, daß man die Hypothek, welche von der Erbteilung her noch28 auf dem Büttnerſchen Bauerngute in Halbenau ſtand, hiermit kündige, und daß man den Eigentümer beſagten Bauerngutes erſuche, Zahlung zum Johannitermine zu leiſten. Als Grund der Kündigung war Erweiterung des Geſchäftes angegeben.

Der Brief war durchaus in geſchäftlichem Stile gehalten, und enthielt nichts, was darauf hindeutete, daß Schreiber und Empfänger in naher Blutsverwandtſchaft ſtanden.

Vater und Mutter hielten ſich hinter dem Sohne, während er las, und blickten ihm über die Schulter.

Habt Ihr ſchon was derzu gethan, Vater? meinte Guſtav, als er fertig war mit leſen.

Wie meenſt De? fragte der Alte und ſah ihn verſtänd¬ nislos an.

Ob Ihr ſchon derzu gethan habt, wegen an Gelde? Am erſten Juli müßt Ihr zahlen.

Siehſt De Moann! rief die Bäuerin. Ich ho Derſch immer geſeut, De mechteſt federn und nach an Galde ſahn.

Ich bin o ſchun, und ich ha mich befrogt im a Gald. Bei Kaſchelernſten bi'ch gewaſt; der ſpricht, ar wullt merſch ack gahn, wenn'ch 'n ſechsdehalb Prozent verſprechen thäte.

Das ſieht dem Kujon ähnlich! rief Guſtav. Sein Onkel Kaſchel war der Inhaber des Kretſchams von Halbenau. Er war Witwer, ehemals mit einer Schweſter des Büttnerbauern verheiratet. Er galt in Halbenau, wo Bargeld ziemlich rar war, für den erſten Kapitaliſten.

Da mechte aber bald Rat werden, ſagte Guſtav nach¬ denklich. Sonſt werdet Ihr verklagt, Vater!

Mei Heiland! Siehſte's Moann! rief die Bäuerin. Ich ho's ſchun immer geſeut iber den Pauer: mir wern noch ge¬ pfändt ho'ch ibern geſeut, De werſcht's derlaben Traugott!

Nu dos gleb 'ch do ne von Karl Leberechten! meinte der Alte; aber ſein unſicherer Blick zeigte, daß ihm nicht ganz geheuer zu Mute ſei.

Die werden wohl nich lange fackeln! meinte Guſtav.

Siehſte Traugott, ſiehſte! Guſtav meent och ſu! rief die Bäuerin. Su is er aber nu der Vater. Er bedenkt ſich,29 und er bedenkt ſich, und er thut niſcht derzu. Er werd's nuch ſuweit bringa, daß ſe 'n 's Gut wagnahmen kumma.

Der Büttnerbauer warf ſeiner Ehehälfte einen finſteren Blick zu. Das Wort hatte ihn getroffen. Halt de Freſſe, Frau! rief er ihr zu. Was verſtiehſt denn Du vun a Ge¬ ſchäften!

Die Bäuerin ſchien mehr betrübt, als beleidigt, über dieſe Worte des Gatten. Sie zog ſich ſchweigend in ihre Ecke zu¬ rück. Guſtav überlegte eine Weile, welchen Rat er ſeinem Vater geben ſolle. Einen Augenblick dachte er daran, dem Vater abermals vorzuſchlagen, daß er ſeinen Wald an die Herrſchaft verkaufen möchte. Aber, dann fiel ihm ein, wie dieſer Vorſchlag den Alten vorhin erboßt hatte. Er kannte ſeinen Vater, den hatte noch niemals jemand von ſeiner An¬ ſicht abgebracht.

Ich weiß keenen andern Rat, Vater, ſagte er ſchließlich. Ihr müßt in de Stadt. Hier weit und breit is doch keen Menſch mit Gelde, außer Kaſchelernſten. In der Stadt, dächt'ch müßte doch Geld zu bekommen ſein.

Das ho'ch och ſchun gedacht! meinte der Büttnerbauer mit nachdenklicher Miene.

Es trat ein langes Schweigen ein. Man hörte nur das leichte Knarren der Stricke in den Haken und das Kniſtern des Korbes, in welchem Thereſe den Säugling hin und her ſchaukelte.

Jetzt traten die beiden Mädchen ins Zimmer. Toni war im vollen Staate. Ihre üppigen Formen waren in ein Kleid von greller, blauer Farbe gezwängt, das vorn etwas zu kurz geraten war, und ſo die plumpen, ſchwarzen Schuhe ſehen ließ. An ihrem Halſe blitzte eine Broche von buntem Glaſe. Ihr blondes Haar hatte ſie ſtark pomadiſiert, ſo daß es ſtreifenweiſe ganz braun ausſah. Offenbar war ſie ſehr ſtolz über den Erfolg ihrer Toilettenkünſte. Steif und gezwungen, als ſei ſie von Holz, bewegte ſie ſich. Denn die Zugſchuhe der Halskragen und das Korſet waren ihr ungewohnte Dinge. Sie ging einher wie eine Puppe.

30

Guſtav, der in der Stadt ſeinen Geſchmack gebildet hatte, belächelte die Schweſter. Heute Abend ſei Tanz im Kretſcham berichtete Toni dem Bruder. Sie hoffte, daß er ſie dahin begleiten würde, darum hatte ſie ſich auch ſo beſonders heraus¬ geputzt, um vor ſeinem verwöhnten Auge zu beſtehen. Der alte Bauer, der allen Putz und unnützen Tand nicht leiden mochte, brummte etwas von Pfingſtuchſe ! Aber, die Bäuerin nahm die Tochter in Schutz. Am Sonntage wolle ſolch ein Mädel auch einmal einen Spaß haben, wenn ſie ſich Wochentags abgerackert habe im Stalle, Hauſe und auf dem Felde.

Das Abendbrot wurde zeitiger anberaumt, damit die Kinder nichts von dem Vergnügen verſäumen ſollten.

Guſtav begleitete die Schweſter zum Kretſcham. Unter¬ wegs erzählte ihm Toni, daß Ottilie, die Tochter Kaſchelernſts, des Kretſchamwirtes, in den letzten Tagen wiederholt und zuletzt heute früh in der Kirche, gefragt habe, ob Guſtav nicht zum Tanze in den Kretſcham kommen werde. Der Unter¬ offizier konnte ſich eines Lachens nicht enthalten, ſobald er nur die Kouſine erwähnen hörte. Ottilie Kaſchel war um einige Jahre älter als er, aber, als die Tochter Kaſchelernſts, wohl die beſte Partie von Halbenau. Guſtav hatte ſich in früheren Zeiten gelegentlich ſein Späßchen mit ihr erlaubt; er wußte ganz gut, daß ſie ihn gern mochte, aber der Gedanke an ihre Erſcheinung machte ihn lachen. Sie hatten ein Pferd bei der Schwadron, einen alten Schimmel: die Harmonika , dürr, überbaut, mit Senkrücken; an den erinnerte ihn ſeine Kouſine Ottilie.

Guſtav ließ die Schweſter allein in den Kretſcham treten. Er ſagte, er werde nachkommen. Oben im Saale glänzten ſchon die Fenſter, das Schmettern der Blechmuſik, untermiſcht mit dem dumpfen Stampfen und Schleifen der Tänzer, drang auf die Straße hinaus.

Guſtav lockte das nicht; ihn erwarteten heute Abend ganz andere Freuden.

Auf Seitenpfaden, zwiſchen Gärten und Häuſern hin,31 ſchlich er ſich durch die Nacht. Um nicht angeſprochen zu werden, ſtieg er, als ihm ein Trupp junger Leute entgegenkam, über einen Zaun.

Bei Katſchners Pauline brannte ein Lämpchen. Sie wartete auf ihn. Sie hatten nichts verabredet heute früh, und doch wußten beide, was der Abend bringen würde.

Er klopfte vorſichtig an ihr Fenſter. Da wurde auch ſchon der Vorhang zurückgeſchoben. Eine weiße Geſtalt erſchien für einen Augenblick hinter den Scheiben. Ein kleines Schiebe¬ fenſterchen öffnete ſich. De Thiere is uff, Guſtav! Mach keenen Lärm, de Mutter is derheme.

Der Unteroffizier zog ſich die Stiefeln aus und reichte ſie wortlos dem Mädchen zum Fenſter hinein. Dann ſchlich er ſich, mit den Bewegungen einer Katze, durch die niedere Thür in das Häuschen. Gleich darauf verlöſchte das Licht in Paulinens Zimmer.

[32]

III.

Einige Tage ſpäter fuhr der Büttnerbauer im korb¬ geflochtenen Kälberwägelchen durchs Dorf. Er ſaß ganz vorn im Wagen, ſo daß er den Pferdeſchwanz beinahe mit den Füßen berührte, auf einem Gebund Heu, hinter ihm lagen eine Anzahl gefüllter Säcke.

Er hatte ſich raſiert, was er ſonſt nur am Sonnabend Abend that, er trug ein reines Hemd, den ſchwarzen Rock und einen flachen Filzhut ſichere Wahrzeichen, daß es nach der Stadt ging.

Als er am Kretſcham von Halbenau vorbeikam, ſtand dort ſein Schwager, Ernſt Kaſchel, in der Thür, Zipfelmütze auf dem Kopfe, die Hände unter der Schürze, in der echten Gaſtwirtspoſitur.

Der Bauer ſtellte ſich, als ſähe er den Gatten ſeiner verſtorbenen Schweſter nicht, blickte vielmehr ſteif gradeaus auf die Landſtraße, während er ſich dem Kretſcham näherte, und gab dem Rappen die Peitſchenſchmitze zu fühlen, damit er ſich in Trab ſetzen ſolle.

Der Büttnerbauer war ſeinem Schwager Kaſchel niemals grün geweſen. Das geſpannte Verhältnis zwiſchen den Verwandten ſtammte von der Erbauseinanderſetzung her, die der Bauer nach dem Tode des Vaters mit ſeinen Geſchwiſtern gehabt hatte.

Aber der Gaſtwirt ließ den Schwager nicht unangeredet vorüberfahren. Guntago Traugott! rief er dem Bauer zu. 33Und als dieſer auf den Gruß nicht zeichnete, ſprang der kleine Mann behende die Stufen vom Kretſcham auf die Straße hinab, trotz ſeiner Holzpantoffeln und lief auf das Gefährt zu. Holt a mal Traugott! Ich ha mit Dir zu raden.

Der Bauer brachte das alte Tier, das, wenn einmal im Schuſſe, ſchwer zu parieren war, durch ein paarmaliges kräftiges Anziehen der Zügel endlich zum ſtehen, und fragte mit wenig erfreuter Miene, was zum Schwerenſchock jener von ihm wolle.

Der Kretſchamwirt lachte; es war dies eine von Ernſt Kaſchels Eigentümlichkeiten, in allen Lebenslagen zu grinſen. Es gab ihm das etwas Verlegenes, ja geradezu Thörichtes und Tölpelhaftes jedenfalls, hatte es der Mann, trotz dieſer Eigenheit, in ſeinem Leben zu einer gewiſſen Macht über ſeine Mitmenſchen gebracht.

Kaſchelernſt, wie er meiſt genannt wurde, verzog alſo ſein kleines bartloſes Geſicht zu einem Grinſen und fragte, ſtatt zu antworten: Haſt De's denne ſo eilig, Traugott! Ich wollt 'ack freun, wu De ſu frih an Tage ſchun hin wollteſt?

Ei de Stadt, Hafer verkofen, erwiderte Büttner, ärgerlich über den Aufenthalt, und über das verhaßte Lächeln des Schwagers, deſſen wahren Sinn er am eigenen Leibe oft genug erfahren hatte. Schon hob er die Peitſche, um den Rappen von neuem anzutreiben. Aber der Wirt hatte das Pferd inzwiſchen am Kehlriemen gefaßt und kraute es in den Nüſtern, ſo daß der Bauer, wäre er jetzt losgefahren, den Schwager höchſt wahrſcheinlich über den Haufen gerannt hätte.

Kaſchelernſt war ein kleines hiefriches Männchen, mit rötlich glänzendem, dabei magerem Geſicht. Den feuchten ſchwim¬ menden Augen konnte man die Liebhaberei des Wirtes für die Getränke anſehen, die er ſelbſt verſchänkte. Mit dem kahlen ſpitzen Kopfe, dem fliehenden Kinn und dem Reſt von vor¬ ſpringenden Zähnen in dem bartloſen Munde, ſah er einer alten Ratte nicht unähnlich. Seine Glatze deckte Tag ein Tag aus eine gewirkte Zipfelmütze, der Leib war in die Wirts¬ ſchürze eingeſchnallt, an den Füßen trug er blaue Strümpfe, in denen die Beinkleider verſchwanden.

W. v. Polenz, Der Büttnerbauer. 334

Er ließ ein Ho, Alter, ho! vernehmen was dem Pferde galt dann wandte er ſich mit blödem Lachen an ſeinen Schwager: Wo in drei Teifels Namen nimmſt denn Du dan Hafer her, zum verkefen, jetzt im Frühjuhre?

Mir hon gelt allens zuſommde gekroatzt uf'n Schittboden, 's is'n immer nuch ane Handvell ibrig fir de Pferde. Ich dachte ock und ich meente, weil er jetzt on Preis hat, dacht'ch, De verkefſt'n, ehbs daß er wieder billig wird, dar Hafer.

Ich kennte grode a Zentner a zahne gebrauchen, meinte der Gaſtwirt, wenn er nich zu huch käme.

Der Marktpreis ſticht ja im Blattel.

An Marktpreis mecht'ch nu grode ne zahlen, wenn'ch 'n vun Dir nahme, den Hafer. Du wirſt duch an nahen Ver¬ wandten ne iberteuern wullen, Traugott. Kaſchelernſt verſtand es, ungemein treuherzig dreinzublicken, wenn er wollte.

Vun wegen der Verwandtſchaft! rief der Büttner¬ bauer erregt. Sechsdeholb Prozent von an nahen Verwandten furdern, wenn erſch's Geld nötig hat, das kannſt Du! Gih mer aus 'n Wege, ich will furt!

Kaſchelernſt ließ den Kopf des Pferdes nicht los, trotz des drohend erhobenen Peitſchenſtils. Ich will der wos ſagen, Traugott! meinte er, ich ha' merſch iberlegt ſeit neilich, wegen der Hypothek von Karl Leberechten. Ich will derſch Geld mit finf Prozent burgen. Ich will's machen, ock weil Du's biſt, Traugott! Du brauchſt's am Ende netig. Ich ha' merſch iberlegt; ich will Derſch gahn, mit finf Prozent.

Der Bauer blickte ſeinen Schwager mißtrauiſch an. Was hatte denn den auf einmal ſo umgeſtimmt? Neulich hatte er noch ſechs und ein halb Prozent verlangt, und keinen Pfennig darunter, wenn er die Hypothek, die dem Büttnerbauer von ſeinem Bruder Karl Leberecht gekündigt worden war, übernehmen ſolle. Daß Kaſchelernſt ihm nichts zu Liebe thun werde, wußte der Bauer nur zu genau. Andererſeits lockte das An¬ erbieten. Fünf Prozent für die Hypothek. Es war immer noch Geld genug! Vielleicht bekam man's doch noch um ein halb Prozent billiger in der Stadt. Überhaupt war es viel¬35 leicht beſſer, ſich mit Kaſchel nicht weiter einzulaſſen; er beſaß ja ſowieſo weiter oben noch eine Hypothek auf dem Bauern¬ gute eingetragen, und leider hatte er ja auch überdies Forde¬ rungen.

No, wie is! mahnte Kaſchelernſt den Überlegenden. Sein mir eenig? Finf Prozent!

Mir worſch aben racht, wenn'ch 's Geld glei kriegen kennte.

's Geld is da! Ich ha's huben liegen. Da kannſt's glei mitnahmen, Traugott, uf de Poſt, wenn De Karl Leberechten auszahlen willſt. Alſo, wie is, ſein mer eenig?

Der Bauer ſimulierte noch eine ganze Weile. Er mi߬ traute der Sache. Irgendwo war da eine Hinterthür, die er noch nicht ſah. Wenn Kaſchelernſt die Miene des Bieder¬ manns aufſetzte, da konnte man ſicher ſein, daß er einen be¬ gaunern wollte. Du ſoiſt, Du hätt'ſt's Geld da liegen; ſoiſt Du?

Tauſend Thaler und drüber! ſe liegen bei mer im feuer¬ ſicheren Schranke. Willſt ſe ſahn, Traugott?

Alſo finf Prozent! Kannſt De 's ne drunger macha?

Ne, drunger gar ne! Und ees wollt'ch der glei noch ſagen, Traugott, bei der Gelegenheit: für meine eegne Hypothek, die'ch von Deiner Schweſter geerbt ha', dos wullt'ch der glei noch ſagen: da mecht'ch von Michaelis an och finf Prozent han, viere dos is mer zu wing, verſtiehſt De!

Du biſt wuhl verrikt!

Finf Prozent für beide Hypotheken! hernachen ſollſt Du's Geld han. Anderſcher wird keen Geſchäft ne, Traugott!

Jetzt riß dem Büttnerbauer die Geduld.

Er hob die Peitſche und ſchlug auf das Pferd. Der Gaſt¬ wirt, erkennend, daß es diesmal Ernſt ſei, hatte gerade noch Zeit, bei Seite zu ſpringen. Der Rappe bockte erſt ein paar mal, ob der unerwarteten Schläge, dann zog er an. Kirſchrot im Geſicht wandte ſich der Bauer nach ſeinem Schwager um und drohte unter wilden Schimpfreden. Dabei ging das Ge¬ ſchirr in Bogenlinien von einer Seite der Straße auf die andere, und drohte in den Graben zu ſtürzen, weil der Bauer3*36in ſeiner Wut abwechſelnd an der Hotte - und an der Hüſte¬ leine riß.

Der Kretſchamwirt ſtand mitten auf der Straße und ſah dem davoneilenden Gefährte nach, ſich die Seiten vor Lachen haltend. Er ſprang vor Vergnügen von einem Bein auf das andre, kicherte und ſchnappte nach Luft. Sein Sohn Richard, ein ſechzehnjähriger Schlacks, hatte die Verhandlungen zwiſchen Vater und Onkel vom Gaſtſtubenfenſter aus neugierig verfolgt. Jetzt, da er den Büttnerbauer erregt abfahren ſah, kam er heraus zum Vater, um zu erfahren, was eigentlich vorgegangen ſei. Kaſchelernſt, dem die Augen übergingen, konnte ſeinem Sohn vor Lachen kaum etwas erzählen.

Der Büttnerbauer machte ſeinem Ärger noch eine geraume Weile durch Flüche Luft. Am meiſten ärgerte er ſich über ſich ſelbſt, daß er ſich abermals hatte verführen laſſen, mit ſeinem Schwager Kaſchel zu ſprechen. Als ob jemals ein Menſch mit dieſem Würgebund etwas zu thun gehabt hätte, ohne von ihm über's Ohr gehauen worden zu ſein. Der war ja ſo ein geriſſener Hund, mit ſeinem blöden Lachen. Als ob er nicht bis drei zählen könne, ſo konnte dieſer Lump ſich anſtellen, und gerade damit fing er die meiſten Gimpel.

Als Kaſchelernſt ins Dorf gekommen war, vor Jahren, hatte er nicht einen roten Heller ſein eigen genannt, und jetzt war er der anerkannt reichſte Mann in Halbenau. Der Kret¬ ſcham, zu welchem ein nicht unbedeutendes Feldgrundſtück ge¬ hörte, war ſein eigen. Er hatte einen Tanzſaal mit großen Fenſtern eingebaut, zwei Kegelbahnen und einen Schießſtand angelegt. Außer dem Schnaps - und Bierausſchank betrieb er den Kleinkram, gelegentlich auch Fleiſcherei und Getreidehandel. Alles gedieh ihm. Auch Landverkäufe vermittelte er. Man munkelte allerhand, daß er ſeine Hand im Spiele gehabt, bei Güterzerſchlagungen, wie ſie in der letzten Zeit nicht ſelten in und um Halbenau ſtattgefunden hatten. Mit den Händlern, Mäklern und Agenten der Stadt ſtand er in regem Verkehr; kaum eine Woche verging, wo nicht einer von dieſer Zunft im Kretſcham von Halbenau abgeſtiegen wäre.

37

Und zu denken, daß dieſer Menſch alles das nur dadurch erreicht hatte, daß er eine Tochter aus dem Büttnerſchen Gute geheiratet!

Der alte Bauer gab ſich trüben Gedanken hin, nachdem der erſte Ärger verflogen war. Wie war das alles nur ſo über ihn und ſeine Familie gekommen! Es war doch keine Gerechtigkeit in der Welt! Der Paſtor mochte von der Kanzel herab ſagen, was er wollte: die ſchlechten Menſchen fänden ſchon hier auf Erden ihre Strafe, und die guten ihren Lohn; für ihn und die Seinen ſtimmte das nicht. Da war es eher umgekehrt. Es gab keine Gerechtigkeit auf der Welt!

Das Büttnerſche Gut war eine der älteſten ſpannfähigen Stellen im Orte. Es war, wie die Kirchenbuchnachrichten aus¬ wieſen, ſtets mit Leuten dieſes Namens beſetzt geweſen. Lange vor dem großen Kriege ſchon hatten die Büttners dem Dorfe mehrere Schulzen geſchenkt. Und unter den alten Grabſteinen auf dem Kirchhofe war mancher, der dieſen Namen aufwies.

Während des dreißigjährigen Krieges, wo Halbenau und Umgegend mehrfach arg mitgenommen wurden, war mit dem großen Sterben auch die Büttnerſche Familie bis auf vier Augen ausgeſtorben. Seitdem gab es nur noch dieſen einen Zweig in Halbenau. Nicht, daß es der Familie an Nachwuchs gefehlt hätte! aber, entweder heirateten die jüngeren Söhne nicht, oder wenn ſie eigene Familien begründet hatten, blieben ſie doch mit Frau und Kind auf dem Hofe ihrer Väter, halfen bei der Beſtellung und arbeiteten die Frondienſte für den Grundherrn ab. Die Kinder mußten, wie üblich, der Guts¬ herrſchaft zum Zwangsgeſindedienſt angeboten werden. Man befand ſich ja nicht auf eigenem Grund und Boden; der Gutsherr hatte die Obrigkeit und beſaß Verfügungsrecht über Land und Leib ſeiner Unterthanen. Aber, die beſondere Stellung der Büttnerſchen Familie, ihre Tüchtigkeit und Nützlichkeit, war auch von Seiten der Gutsherrſchaft reſpektiert worden. Niemals war einer aus dieſem Gute, wie es in der Zeit der Erbunter¬38 thänigkeit den Bauern nicht ſelten zu geſchehen pflegte, in eine geringere Stelle verſetzt worden. Man leiſtete durch Spann¬ dienſte und Handdienſte der Herrſchaft ab, was man ihr ſchuldig war. Großen Wohlſtand hatte man dabei nicht ſam¬ meln können; dazu war auch die Kopfzahl der Familie meiſt zu ſtark geweſen und der Boden zu ärmlich. Aber, man hatte nichts eingebüßt an Land und Kraft in den Zeiten der Hörigkeit, die nur zu viele Bauern herabgedrückt hat zur Unſelbſtändigkeit und Stumpfheit des abhängigen Subjekts. Und der Hausverband, die Zuſammengehörigkeit der Familie war gewahrt worden.

Unter dem Großvater des jetzigen Beſitzers trat die Bauern¬ befreiung in Kraft. Die Erbunterthänigkeit wurde aufge¬ hoben, alle Fronden abgelöſt. Bei der Regulierung ver¬ lor das Bauerngut ein volles Dritteil ſeiner Fläche an die Herrſchaft.

In dem Vater des jetzigen Büttnerbauern erreichte die Familie einen gewiſſen Gipfelpunkt. Er war ein rühriger Mann, und es gelang ihm, ſich durch Fleiß und Umſicht, begünſtigt durch gute Jahre, zu einiger Wohlhabenheit emporzuarbeiten. Durch einen günſtigen Kauf verſtand er es ſogar, den Umfang des Gutes wieder zu vergrößern. Vor allem aber legte er das erworbene Geld in praktiſchen und bleibenden Verbeſſerungen des Grund und Bodens an.

Es war kein kleines Stück für den Mann, ſich dem Vor¬ dringen des benachbarten Rittergutes gegenüber, das ſich durch Ankauf von kleineren und größeren Parzellen im Laufe der Jahre zu einer Herrſchaft von ſtattlichem Umfange erweitert hatte, als ſelbſtändiger Bauer, zu erhalten. Unter dieſem Beſitzer war die Familie, dem Zuge der Zeit folgend, in alle Windrichtungen auseinandergeflogen. Nur der älteſte Sohn, Traugott, war, als zukünftiger Erbe, auf dem väterlichen Hofe geblieben. Als der alte Mann ziemlich plötzlich durch Schlag¬ fluß ſtarb, fand ſich kein Teſtament vor. Als echtem Bauern, war ihm alles Schreibweſen von Grund der Seele verhaßt geweſen. Gegen Gerichte und Advokaten hatte er ein tiefein¬ gefleiſchtes Mißtrauen gehegt. Zudem war der Alte einer von39 denen, die ſich nicht gern daran erinnern ließen, daß ſie dieſer Welt einmal Valet ſagen müſſen. Auch ſchien jede Erbbeſtimmung unnötig, weil als ſelbſtverſtändlich an¬ genommen wurde, daß, wie ſeit Menſchengedenken, auch diesmal wieder, der Älteſte das Gut erben werde, und daß ſich die übrigen Geſchwiſter murrlos darein finden würden.

Das kam nun doch etwas anders, als der Verſtorbene angenommen hatte.

Es waren fünf Kinder vorhanden und die Witwe des Dahingeſchiedenen. Traugott, der Älteſte, war durch den Tod des Vaters Familienoberhaupt und Bauer geworden. Der zweite Sohn hatte vor Jahren das Dorf mit der Stadt ver¬ tauſcht. Ein dritter war auf der Wanderſchaft nach Öſterreich gekommen und dort ſitzen geblieben. Außer dieſen drei Söhnen waren zwei Töchter da. Die eine war mit dem Kretſcham¬ wirt von Halbenau verehelicht, die andere hatte einen Mühl¬ knappen geheiratet, mit dem ſie ſpäter von Halbenau fortge¬ zogen war.

Im Erbe befand ſich nur das Bauerngut mit Gebäuden, Vorräten und Inventar. Das bare Geld war zu Ausſtattungen der Töchter und zu Meliorationen verwendet worden.

Der älteſte Sohn erklärte ſich bereit, das Erbe anzutreten, und die übrigen Erben mit einer geringfügigen Auszahlung abzufinden, wie es der oftmals ausgeſprochene Wunſch des Ver¬ ſtorbenen geweſen war. Aber der Alte hatte da mit einer Geſinnung gerechnet, die wohl in ſeiner Jugend noch die Familie beherrſcht hatte: der Gemeinſinn, der aber dem neuen Geſchlechte abhanden gekommen war. Zu Gunſten der Einheitlichkeit des Familienbeſitzes wollte keiner der Erben ein Opfer bringen.

Es wurde Taxe verlangt zum Zwecke der Erbregulierung. Als dieſe nach Anſicht der Pflichtteilsberechtigten zu niedrig ausfiel, focht man die Erbſchaftstaxe an, und forderte Ver¬ ſteigerung des Gutes.

Der älteſte Sohn, der ſein ganzes Leben auf dereinſtige Übernahme des väterlichen Gutes zugeſchnitten hatte, wollte den40 Beſitz um keinen Preis fahren laſſen. Er erſtand ſchließlich das Gut zu einem von ſeinen Geſchwiſtern künſtlich in die Höhe geſchraubten Preiſe.

Natürlich war er außer Stande, die Erben auszuzahlen. Ihre Erbteile wurden auf das Gut eingetragen; Traugott mußte froh ſein, daß man ihm das Geld zu vier Prozent ſtehen ließ. So ſaß denn der neue Büttnerbauer auf dem väterlichen Grundſtücke, das mit einem Schlage aus einem unbelaſteten in ein über und über verſchuldetes verwandelt worden war.

Es kamen Kriege, an denen Traugott Büttner teilnahm. Die ſchlechten und die guten Zeiten wechſelten wie Regen und Sonnenſchein. Aber, die guten Jahre kamen dem Braven nicht recht zu ſtatten, da er nicht kapitalkräftig genug war, um den allgemeinen Aufſchwung und die Gunſt der Ver¬ hältniſſe auszubeuten. Die ſchlechten Jahre dagegen drückten auf ihn, wie ein Panzerkleid auf einem ſchwachen und wunden Leib.

Der Büttnerbauer war freilich nicht der Mann, der ſich leicht werfen ließ.

Sein Gut war ausgedehnt, die äußerſten Feldmarken lagen in beträchtlicher Entfernung von dem am unterſten Ende eines ſchmalen Landſtreifens gelegenen Hofe. Der Boden war leicht und die Ackerkrume von geringer Mächtigkeit. Dazu waren die Witterungsverhältniſſe nicht einmal günſtige; denn nach Norden und Oſten lag das Land offen da, vom Süden und Weſten her aber wirkten Höhenzüge ein, Kälte und Feuchtig¬ keit befördernd, und die warme Jahreszeit abkürzend. Der Acker trug daher nur ſpärlich zu, der Emſigkeit und der raſtloſen An¬ ſtrengung des Bauern zum Trotze. Die Zinſen verſchlangen die Ernten. Die Schulden mehrten ſich langſam aber ſicher. An Meliorationen konnte man nicht mehr denken. Wenn der Bauer auch hie und da einen Anfang machte, ſtärker zu düngen, Abzugsgräben baute, an den Gebäuden beſſerte und flickte, oder auch neues Gerät anſchaffte, ſo warfen ihn unvorher¬ geſehne Unglücksfälle: Hagelſchlag, Viehſeuchen, Erkrankungen,41 Tod und ſonſtiges Elend, immer wieder zurück und verdarben ihm ſeine Arbeit.

Es war der Verzweiflungskampf eines zähen Schwimmers in den Wellen, der ſich mit aller Anſtrengung gerade nur über Waſſer zu erhalten vermag.

In dieſem Kampfe war der Büttnerbauer ein Sechziger geworden.

[42]

IV.

Der Büttnerbauer fuhr in der Kreisſtadt ein. Er ſpannte, wie immer, im Gaſthofe Zum mutigen Ritter aus. Nach¬ dem er ſeinen Rappen in den Stall geführt und ſelbſt verſorgt hatte, begab er ſich auf den Markt.

Es war heute der Hauptwochenmarkt. Die Stadt wimmelte daher von Fuhrwerken und Leuten, die vom Lande hereinge¬ kommen waren. Der Büttnerbauer war nicht unbekannt; viel¬ fach wurde er von den Kleinhändlern und Handwerkern, die bei offenen Ladenthüren in ihren Geſchäften ſtanden, angerufen und gebeten, einzutreten. Aber, er wollte ſich heute nicht be¬ ſchwatzen laſſen zu irgendwelchen Einkäufen. Erſt wollte er mit Profit verkaufen, dann würde man weiterſehen, ob ein Groſchen zu dergleichen übrig ſei.

Auf dem Marktplatze gab es eine jedem Eingeweihten wohlbekannte Ecke, wo die Käufe und Verkäufe in Getreide ab¬ geſchloſſen zu werden pflegten. Als ſich der Bauer dieſem Flecke näherte, kam ihm einer der Händler ſofort mit ausge¬ ſtreckter Hand entgegen, und erkundigte ſich nach ſeinen Wünſchen. Dann wurde er in den Kreis der dort verſammelten Männer gezogen, man klopfte ihm auf die Schulter, und meinte, er habe ſich recht lange nicht mehr blicken laſſen.

Aber, dieſes auffällige Entgegenkommen von Leuten, die er kaum kannte, machte den alten Mann ſtutzig. Wollte man ihn hier etwa dumm machen? Als man ihn fragte, ob er43 was zu verkaufen habe, antwortete er vorſichtig und zurück¬ haltend. Dann ging er von dieſer Gruppe weg zu einer anderen. Er wollte ſich die Sache ſcheinbar nur mit anſehen. Die Hände auf dem Rücken hörte er überall ein wenig zu. Die Kaufluſt war groß, beſonders Hafer wurde ſtark gefragt. Es ward auch manches Geſchäft abgeſchloſſen, nach den Hand¬ ſchlägen zu ſchließen, die zur Beſiegelung jedesmal gegeben wurden.

Nachdem ſich der Büttnerbauer eine Weile hier aufgehalten, verließ er den Marktplatz wieder. Es waren ihm allerhand Bedenken gekommen. Bei dieſer Art zu handeln, wie ſie hier in ſo lauter und nachläſſiger Weiſe von den Händlern betrieben wurde, ſchien es ihm auf ein Betrügen des Landmannes herauszukommen.

Heute lag ihm daran, einen möglichſt hohen Preis zu erzielen aus ſeinem Hafer; denn er hatte vor, mit dem Erlös eine Kuh anzukaufen zum Erſatz für eine, die er im Laufe des Winters hatte ſtechen laſſen müſſen.

Nun entſann er ſich, daß er vorm Jahre in einem Ge¬ treidegeſchäfte der inneren Stadt für Roggen einen guten Preis bezahlt erhalten hatte. Das Geſchäft ſchickte ihm ſeitdem vierteljährlich ſeinen Katalog zu. Erſt vor ein Paar Tagen noch war ihm ein ſolcher Proſpekt in die Hände gefallen. Die Zahlung der höchſtmöglichen Preiſe und die koulanteſten Bedingungen wurden darin verſprochen.

Der Bauer meinte, er könne es mit Samuel Harraſſowitz wieder einmal verſuchen. War dort nichts zu machen, dann konnte man den Hafer ja immer noch auf dem Markte los¬ ſchlagen.

Das Geſchäft von Harraſſowitz lag in einer ziemlich engen Gaſſe, zu ebener Erde. Man trat zunächſt in eine tonnenartige Einfahrt, die in einen gepflaſterten Hof aus¬ mündete. Eine Seitenthür führte von der Einfahrt aus in das Comptoir.

Der Büttnerbauer trat, ſeinen Hut ſchon vor der Thür abnehmend, nachdem er angeklopft hatte, ein. Es war44 ein langer, ſchmaler Raum, in der Mitte durch einen Laden¬ tiſch geteilt, hinter dem mehrere Schreiber auf Drehſchemeln an hohen Pulten ſaßen. Ein junger Mann mit einer Brille ſprang von ſeinem Schemel herab, kam auf den Bauer zu und fragte, was er wünſche. Der Alte meinte, er habe etwas Hafer zu verkaufen. Wieviel es ſei, fragte der junge Menſch, die Feder an ſeinem Ärmel auswiſchend.

Sacke a Sticker zahne kennten's ſchun ſein, gab der Büttnerbauer zurück.

Der Jüngling lächelte darauf überlegen und meinte, daß ſein Haus ſich mit Detail-Einkäufen nicht abgebe.

Für den Bauer war die Ausdrucksweiſe des jungen Herrn unverſtändlich. Es gab Frage und Antwort und aber¬ maliges Fragen. Die Schreiber drehten ſich auf ihren Seſſeln um und betrachteten ſich den alten Mann im altväteriſchen Rocke mit ſpöttiſchen Mienen.

Darüber war ein mittelgroßer, zur Korpulenz neigender Mann mit kahlem Kopfe, gebogener Naſe und brandrotem Backenbart von einem Nebenraume aus ins Comptoir getreten. Sofort fuhren alle Drehſchemel wieder herum und die jungen Leute ſteckten, mit gebeugtem Rücken, die Naſen eifrig in ihre Schreiberei.

Samuel Harraſſowitz denn er war es ſelbſt maß die Geſtalt des Bauern mit ſpähendem Blicke. Dann trat er auf ihn zu, ſtreckte die Hand aus, lächelte verbindlich, und ſagte: Grüß Sie Gott, mein lieber Herr Büttner! Was ſteht zu Ihren Dienſten?

Der Bauer war völlig überraſcht. Woher kannte ihn dieſer Herr? Er konnte ſich nicht entſinnen, dieſes Geſicht jemals geſehen zu haben.

Ich werde Sie doch wahrhaftig kennen, Herr Büttner! meinte der Händler. Sie ſind eine bekannte Perſönlichkeit bei uns, Beſitzen Sie nicht ein ſchönes Gut in Halbenau nicht wahr?

Der Bauer ſtand da mit offenem Munde, ſtarrte jenen an, der ihm die Allwiſſenheit in Perſon ſchien, und konnte ſich von ſeinem Staunen gar nicht wieder erholen.

45

Kenne Sie! Kenne Sie ganz gut, Herr Büttner! Alſo, womit können wir dienen?

Der junge Mann raunte inzwiſchen ſeinem Chef mit halb¬ lauter Stimme etwas zu. Nun und ich hoffe ſtark, daß Sie Herrn Büttner den Hafer abgenommen haben, Herr Bell¬ witz! rief der Händler. Ich dachte ... meinte der ſo An¬ geredete. Ach was, dachte! Sie denken immer! Ver¬ ſcherzen mir darüber womöglich eine ſolche Kundſchaft. Natürlich nehmen wir den Hafer, Herr Büttner! Unbeſehen nehmen wir alles, was Sie uns bringen. Haben Sie den Hafer mit in der Stadt?

Der Büttnerbauer brachte mit Rucken und Zerren ein Säckchen von grauer Leinwand aus ſeiner hinteren Rocktaſche hervor.

Ach ſo, eine Probe! Iſt eigentlich gar nicht nötig, Herr Büttner. Kennen Ihre Ware ſchon. Prima, natürlich!

Er öffnete das Säckchen aber dennoch und ließ die Körner prüfend durch die Finger gleiten. Kaufen wir! Geben den höchſten Marktpreis. Herr Bellwitz, gleich einen Mann nach dem Mutigen Ritter ſchicken! Der Hafer ſoll her. In¬ zwiſchen kommen Sie mal auf ein Augenblickchen hier herein, mein guter Herr Büttner. Sie müſſen mir was über den Saatenſtand bei Ihnen da draußen erzählen.

Der Bauer befand ſich, ehe er ſich deſſen recht verſehen, im Nebenzimmer, einem kleinen Gemache, deſſen einziges Fenſter nach dem Hofe hinausführte. Dort wurde er aufs Sofa genötigt; der rotbärtige Händler nahm ihm gegenüber am Tiſche Platz.

Nun, mein Lieber, wie ſtehts denn, wie gehts denn in Halbenau? Ich kenne dort verſchiedene Ökonomen. Mittlerer Boden was! Liegt auch ſchon ein bißchen hoch was? Sie leiden an ſpäten Fröſten. Nachher will das Korn nicht recht ſchütten, wenns vorher noch ſo ſchön geſtanden hat. Kenne das, kenne die ganze Geſchichte. Alſo nun erzählen Sie mir mal. Wie weit iſt's mit der Sommerung?

Mei Suhn und de Madel ſtacken heite de latzten Apern. 46Hernachen is nur noch 's Kraut. In a Wochen a zwee noch hin, denk'ch, ſein mer fertig.

Gratuliere, gratuliere! Sie haben wohl eine ſtarke Familie, Herr Büttner?

's langt zu, Herr Harraſſowitz, 's langt Se gerade zu, meinte der Bauer und lachte in ſich hinein. Mit de Enkel ſein's 'r immer a Mäuler achte, die gefittert ſein wullen ju, ju!

Nun, um ſo mehr Hände ſind dann auch da zur Be¬ ſtellung und in der Erntezeit nicht wahr, Herr Büttner? Eine zahlreiche Familie iſt ein Segen Gottes, beſonders für den Landmann. Ich kenne die ländlichen Verhältniſſe, ich kenne ſie! Sie mögen mir das glauben, lieber Büttner. Und wie ſteht's denn mit der Winterung?

Der Bauer berichtete, daß der Roggen gut durch den Winter gekommen und nur wenig ausgewintert ſei. Ene wohre Pracht! Wie ene Bürſchte, weeß der Hohle, wie ene Bürſchte ſteht Sie das Korn!

Nun, das iſt ja hocherfreulich zu hören! Da hätten wir alſo die ſchönſten Ausſichten für eine gute Ernte. Da wird wiedermal ſchönes Geld unter die Leute kommen! Und hat der Bauer Geld, dann hat's die ganze Welt.

Das mechte och ſein das mechte freilich ſein, Herr Harraſſowitz! meinte der Büttnerbauer und kratzte ſich hinter den Ohren. 's Geld is ſihre rar geweſt. Ne ach Gott, zu rare iſt dos geweſt in der letzten Zeit, Herr Harraſſowitz!

Nun, Sie werden doch nicht etwa klagen wollen, Herr Büttner! Sie, mit Ihrer ſchönen Beſitzung! Wie groß iſt denn das Gut, wenn ich fragen darf?

Zweemalhundert und a paaren dreißig Morgen, alles in allen, mit an Buuſche.

Das wäre ja bald ein kleines Rittergut! Und da wollen Sie lamentieren! Ich bitte Sie, guter Herr Büttner, was ſollen denn dann die kleinen Leute machen!

Ju, wenn ock de vielen Abgaben ne wären, und de Gemeenelaſten und de Schulden.

47

Ich weiß, ich weiß, es laſtet vielerlei auf dem Ökonomen heutzutage. Sind denn die Abgaben und Laſten ſo bedeutend in Halbenau?

Der Büttnerbauer ſchüttete darüber ſein Herz gründlich aus. Harraſſowitz ließ ihn reden; nur manchmal warf er eine Bemerkung ein, die den einmal warm Gewordenen veranlaßte, mehr und mehr von ſeinen Verhältniſſen aufzudecken.

Jetzt war der Büttnerbauer bei ſeinem Hauptbeſchwernis angelangt: ſeinem mächtigen Nachbarn, der Herrſchaft Saland.

Ja, ja, das glaube ich Ihnen gerne, Herr Büttner! rief der Händler, ſolch einen Großgrundbeſitzer zum Nachbarn zu haben, iſt kein Spaß! Die Leute ſind landgierig, die möchten die Bauern am liebſten alle legen. Das iſt ein wahrer Krebs¬ ſchaden für unſer Volk, die Latifundienwirtſchaft. Ein freier, ſelbſtändiger Bauernſtand wird immer eine Grundbedingung für das Gedeihen des ganzen Staates bilden. Wer ſoll uns denn die Soldaten liefern was, he? Die ſtrammen Sol¬ daten für unſer Heer, wenn nicht der Bauernſtand! Grenzen Sie an einer oder an mehreren Seiten mit der Herrſchaft Saland?

Der Bauer erzählte, daß er ſo gut wie eingeſchloſſen ſei durch das Dominium. Dann ereiferte er ſich über den Wild¬ ſchaden.

Schrecklich! aber dafür hat natürlich ſo ein Graf gar keinen Sinn! rief der Händler mit dem Ausdrucke höchſter Entrüſtung, wenn ſichs nur um Bauernflur handelt. Trau¬ rige Zuſtände ſind das! Hat Ihnen der Graf denn ſchon mal ein Angebot machen laſſen wegen Ihres Gutes?

Der Büttnerbauer berichtete, daß der Graf ſchon ſeit Jahren um ſeinen Wald handle, aber, daß er ihm nicht einen Fußbreit abzulaſſen geſonnen ſei. Haraſſowitz horchte ſcharf hin auf dieſe Angaben. Dann nahm er auf einmal wieder eine nachdenkliche Miene an.

Ja, das ſind traurige Verhältniſſe! Das zehrt am Ver¬ mögen, das will ich ſchon glauben. Da haben Sie doch aller¬ hand Sorgen, mein guter Herr Büttner. Haben Sie denn etwa auch Hypothekenſchulden auf Ihrem Gute?

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O Jerum! rief der Bauer bei dieſer Frage, die mit der unbefangenſten Miene der Welt geſtellt wurde. O Jerum! Er fuhr empor von ſeinem Sitze. Hypothekenſchulden! die thun freilich zulangen, thun die! Wenn's wos winger warn, kinnt's och baſſer ſein.

Nun, was haben Sie denn ſo ungefähr drauf ſtehen? Ich frage aus wirklichem Intereſſe.

Der Bauer rechnete eine Weile. Dann ſagte er, die Stimme dämpfend, mit bedrückter Miene. A Märker a zweeund¬ zwanzigtauſend kennen's ſchu ſein, die druffe ſtiehn, Herr Harraſſowitz.

Der Händler ließ ein leiſes Pfeifen ertönen, zog die Brauen in die Höhe und wiegte den Kopf hin und her. Das iſt ein bißchen ſtark!

Newuhr, 's is vill? meinte der Alte, ganz in ſich zu¬ ſammenſinkend, und troſtlos zur Erde blickend.

Wie in aller Welt wollen Sie denn da die Zinſen heraus¬ wirtſchaften, Herr Büttner? Harraſſowitz nahm ein Stück Papier zur Hand und begann zu rechnen. Ja, mein Lieber das iſt ja ein Mißverhältnis! Und da wollen Sie auch noch davon leben, Sie und Ihre Familie! Das iſt ja rein unmöglich. Da lügen Sie ſich einfach in den Beutel, mein Beſter!

Ja 's is ſchwer, 's is aben ſchwer! meinte der Büttner¬ bauer ſeufzend. Man mechte manchmal ſalber zum Thaler wern, um da Zinſen ock immer richtig zu bezahla. Ees muß ſich abrackern und abſchinden muß mer ſich, vun Frih bis Abend. Ne a mal ſatt eſſen mechtn man, weil's hinten und vurne ne zulangen thut. Ne, 's is a Luderlaben, wenn ees ſuvills Schulden hat, wie der Hund Flöhe.

Und das ertragen Sie ſo ruhig? Das verdenke ich Ihnen offen herausgeſagt, ſehr, daß ſie ſich für Ihre Gläubiger ſo abquälen.

Ju, wos ſoll unſerees denne angohn? Ich ha's Gutt duch glei ſu verſchuldt übernumma. Billiger wullten de Ge¬ ſchwiſter mir's duch ne iberlaſſen.

Da giebts eben nur ein Mittel, mein Lieber: ſchmeißen49 Sie den Gläubigern die ganze Geſchichte hin. Sagen Sie ein¬ fach: ich thue nicht weiter mit. Mag's doch ein anderer ver¬ ſuchen, die Zinſen herauszuwirtſchaften, ich kanns nicht, ich hab's ſatt! Paſſen Sie mal auf, was für Geſichter die dann machen werden. Von denen übernimmt's keiner, verlaſſen Sie ſich darauf! Die werden dann ſchon kommen und Sie bitten, daß Sie doch nur um Gotteswillen weiter auf dem Gute bleiben möchten, damit ihre Hypotheken nicht ausfallen. So¬ was iſt ſchon öfters mit Erfolg gemacht worden. Tragen Sie ſelbſt auf Subhaſtation an wegen Überſchuldung, dann wollen wir mal ſehen, was für Seiten die Gläubiger aufziehen werden. Vielleicht erſtehen Sie's dann ſelbſt, oder einer Ihrer Kinder, aus der Zwangsverſteigerung zurück, dann ſind Sie einen ganzen Poſten Schulden los. Nur nicht ängſtlich ſein in ſolchen Dingen! Das iſt ja nur ein Mittel, ſich wieder zu rangieren, wenn man nicht reüſſiert hat. Gott ſei Dank, möchte ich ſagen, daß ſo etwas möglich iſt!

Der Büttnerbauer ſchüttelte den Kopf. Den eigentlichen Sinn des Vorſchlages hatte er wohl gar nicht erfaßt. Sein Redlichkeitsgefühl ſagte ihm jedoch, daß hier etwas nicht in Ordnung ſei.

Er wolle auf ſeinem Gute bleiben, erklärte er. Er hoffe auch durchzukommen und ſeine Zinſen richtig bezahlen zu können, wenn nur beſſere Zeiten kämen, und wenn ihm in¬ zwiſchen jemand helfend unter die Arme greifen wolle.

Inzwiſchen waren die Haferſäcke vom Mutigen Ritter herangeſchafft worden, und wurden im Hofe abgeladen. Der junge Mann aus dem Comptoir trat ein und machte Mel¬ dung davon. Da wollen Sie alſo Ihr Geld gefälligſt in Empfang nehmen, Herr Büttner, ſagte der Händler. Vorn an der Kaſſe. Ich komme mit Ihnen.

Der Bauer empfing am Kaſſenpult das Geld und mußte über den Empfang quittieren. Das nahm einige Zeit in Anſpruch, da ſeiner Hand das Schreiben nicht mehr recht ge¬ läufig war. Endlich war er mit der ſchwierigen Prozedur zu ſtande gekommen. Trotzdem er ſein Geld längſt durch¬W. v. Polenz, Der Büttnerbauer. 450gezählt und eingeſackt hatte, blieb er noch ſtehen, zaudernd, ſeinen Hut in den Händen drehend, als habe er noch etwas auf dem Herzen.

Dem ſcharfen Auge des Händlers war das auffällige Benehmen des Alten nicht entgangen. Er kam hinter dem Ladentiſche vor, wo er mit einem der Comptoiriſten verhandelt hatte. Nun, Herr Büttner, kann ich Ihnen vielleicht noch mit etwas dienen? Wir haben auch künſtlichen Dünger, ein reichhaltiges Lager. Haben Sie da keinen Bedarf?

Ne, ne! meinte der Bauer. Da mag'ch niſcht darvon. Aber was andres wollt'ch Se noch derzahlen; wenn Se da vielleicht an Rat wißten. Mir is ane Hipetheke gekindgt wurden. Uf Gohanni muß'ch zahlen.

Sehen Sie einmal an! rief der Händler und ſtellte ſich erſtaunt. Da werde ich Ihnen wohl nicht helfen können. Hypotheken, das gehört nicht in meine Branche. Aber, er nahm den Bauern doch wieder mit in das Hinterzimmer.

Alſo eine Hypothek iſt Ihnen gekündigt auf den Johan¬ niſtermin. An welcher Stelle ſteht ſie? wie iſt der Zinsfuß? wie läuft ſie aus?

Harraſſowitz ſtellte die verſchiedenſten Kreuz - und Quer¬ fragen. Dann rechnete er für ſich. Der alte Bauer beobachtete während deſſen das Mienenſpiel des Händlers ſorgenvoll. Er ſah mit Schrecken, daß Harraſſowitz in einem fort bedenklich den Kopf ſchüttelte und die Brauen in die Höhe zog.

Endlich erhob ſich der Mann und trat dicht vor den Bauern hin, ihm in die Augen blickend, mit ernſter Miene. Er könne das Geld nicht beſchaffen, erklärte er. Er ſei Kaufmann und nichts als Kaufmann, und es gehöre nicht zu ſeinen Gepflogenheiten, Güter zu beleihen. Aber da er gemerkt habe, daß der Büttnerbauer ein redlicher und ſolider Mann ſei, wolle er ihm helfen. Er habe einen Geſchäfts¬ freund, einen durchaus feinen Mann, zu dem wolle er den Bauern führen, der werde ihm die Hypothek möglicherweiſe decken. Aber nur dem Bauern zu Gefallen wolle er es thun, rein zum Gefallen. Denn er bemenge ſich ſonſt nicht mit dergleichen.

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Darauf ging Samuel Harraſſowitz an's Telephon und klingelte an. Guten Morgen! Iſt Herr Schönberger im Comptoir? Möchte ihn auf einen Augenblick ſprechen .... Danke!

Der Bauer ſah mit Staunen dem Beginnen des anderen zu. In ſeinem Leben hatte er noch nichts von einem Fern¬ ſprecher gehört, geſchweige denn, eine ſolche Vorrichtung geſehen.

Harraſſowitz ſtand neben dem Apparate und lachte über den komiſchen Schrecken des Alten. Nehmen Sie mal das andere Ding an's Ohr, Herr Büttner! rief er und hielt ihm den Hörer hin. Machen Sie nur! Es beißt nicht. Der Bauer war nicht zu bewegen, den Hörer anzufaſſen.

Inzwiſchen kam Antwort.

Hier Harraſſowitz! ... Ja! ... 'n Morgen, Schön¬ berger! Herr Gutsbeſitzer Büttner aus Halbenau iſt hier bei mir, wünſcht gekündigte Hypothek belegt zu haben. Kann ich mit ihm zu Ihnen kommen?

Eine längere Pauſe entſtand, während der Harraſſowitz geſpannt horchte. Dann lachte er auf einmal laut auf, und den Bauern höhniſch von der Seite anblickend, immer den Hörer am Ohr, rief er in den Fernſprecher:

Der Kaffer braucht ehn, dringend. Feines Maſſe¬ matten ..... Ach was! Biſt meſchuke! Wie? .... Is beſoll. Wir machens in Kippe, natürlich .... Verſteh nicht! Der Kaffer iſt halb mechulleh. Geb Dir Rebuſſim ...... Schön! Bringe ihn. Auf Wiederſehen. Schluß!

Das nennt man Telephon oder Fernſprecher, mein Lieber! ſagte Haraſſowitz und klopfte dem Alten mit ſpöt¬ tiſchem Grinſen auf den Rücken. Sehen Sie, da haben Sie wieder was Neues kennen gelernt, und können Ihren Leuten da draußen was erzählen.

Man wolle nun zu Herrn Schönberger gehn, meinte er, und nötigte den Bauern zur Thür.

Das Kredit - und Vermittelungsbüreau von Iſidor Schön¬ berger lag am anderen Ende der Stadt, ebenfalls in einem engen Winkelgäßchen. Harraſſowitz trat aber nicht in das4 *52Comptoir, führte den Bauern vielmehr durch den Hausgang in eine Hinterſtube.

Hier ſaß in einem abgeſchabten Lederfauteuil vor ſeinem Schreibtiſche ein fetter Mann, kahlköpfig, mit dunklen großen Augen, die ihm, aus tiefen Höhlen über die gebogene Naſe hinwegſpähend, etwas von einer großen Eule gaben.

Morgen Schönberger!

Morgen Sam! Der fette Mann rührte ſich nicht auf ſeinem Stuhle, mit dem er verwachſen zu ſein ſchien. Haraſſo¬ witz, unter dem Namen Sam weit und breit in der Handels¬ welt bekannt, ſchien die Gewohnheiten ſeines Freundes zu kennen. Er rückte ſelbſt Stühle heran, forderte den Bauern auf, Platz zu nehmen und ſetzte ſich.

Hier bringe ich Ihnen alſo meinen Geſchäftsfreund, den Herrn Gutsbeſitzer Büttner. Ich kenne den Mann. Er iſt gut. Sie können ihm unbedenklich Kredit eröffnen.

Schönberger zuckte die Achſeln mit verdrießlicher Miene. Dann begann er mit belegter Stimme, etwas anſtoßend ſprechend: In gegenwärtiger Zeit auf Grund und Boden Geld zu borgen, ſei bedenklich. Jetzt, wo Subhaſtationen an der Tagesordnung ſeien, und die Bauern noch öfter pleite mach¬ ten, als die Induſtriellen.

Für den hier garantiere ich! rief Harraſſowitz. Das iſt einer vom alten Schrot und Korn. Der iſt durch und durch ſolid! Dabei tätſchelte er den Bauern. Was? der macht uns nicht bankerott, nicht wahr?

Aber Iſidor Schönberger blieb bei ſeiner Ablehnung. Er habe zu viele ſchlechte Erfahrungen gemacht in der letzten Zeit. Habe ſeine Zinſen nicht erhalten, ſei bei Zwangsverſteigerungen ausgefallen und um ſein Geld betrogen worden.

Wenn ich Ihnen ſage, daß der Mann Ihnen ſicher iſt! wenn ich mich mit meinem Ehrenwort für Herrn Büttner verbürge! Sehen Sie ſich den Herrn doch blos mal an, Schönberger! ſieht der aus, als ob er uns Schaden machen wollte? Wenn ich ſage, er iſt gut, dann iſt er gut!

Wo ſteht die Hypothek? fragte Schönberger, der, im53 Gegenſatz zum lebhaften Weſen ſeines Geſchäftsfreundes, eine gleichgiltige apathiſche Ruhe zur Schau trug.

Darauf kommts hier gar nicht an! rief Harraſſowitz. Bei einem Gute von über zweihundert Morgen beſten Bodens! Die Hypothek iſt todſicher.

Weshalb iſt ſie gekündigt? fragte Schönberger.

Der Bruder hatte ſie, erklärte Harraſſowitz. Der hat gekündigt, weil er das Geld im Geſchäft braucht. Muß auch verrückt ſein, der Herr, daß er ſo 'ne Hypothek weggiebt! Seien Sie vernünftig, Schönberger, geben Sie das Geld!

Der fette Mann nahm ein Notizbuch zur Hand, befeuchtete die Beiſtiftſpitze, dann forderte er den Bauern auf, ihm die einzelnen Poſten der Reihe nach zu nennen.

Es bedurfte einiger Zeit, ehe der alte Mann die Zahlen in ſeinem Gedächtnis gefunden hatte. Aber ſchließlich brachte er doch alles richtig zuſammen.

Da war zuerſt die Landſchaft mit viertauſend Mark, dann kamen die Geſchwiſter: Karl Leberecht und Gottlieb, die verſtorbene Schweſter Karoline, an deren Stelle jetzt ihre Erben: Ernſt Kaſchel und ſeine Kinder, ferner die Schweſter Erneſtine. Sämtliche zu gleichen Teilen und mit gleichem Vorrecht. Da¬ hinter kamen immer noch neue Schuldpoſten, unter dieſen Ernſt Kaſchel mit ſiebzehnhundert Mark.

Der Mann im Lehnſtuhle ſaß da mit der ihm eigenen verdroſſenen Miene und notierte jede Ziffer, die ſich von den zagenden Lippen des Alten losrang, mit kühler Ruhe. Weder Staunen noch Erregung ſchien ſich in den Fleiſchmaſſen dieſes gedunſenen Geſichtes ausdrücken zu können Iſt das alles? fragte er, als der Bauer endlich ſchwieg. Der Büttnerbauer bejahte.

Sie ſollen das Geld haben! war alles, was die belegte Stimme darauf ſagte.

Harraſſowitz ſprang von ſeinem Sitze auf. Was habe ich Ihnen geſagt, Büttner! Mein Freund Schönberger iſt ein edler Mann! Sehen Sie, er giebt das Geld!

Wieviel hat Ihr Bruder Prozent gegeben? fragte Schön¬ berger.

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Vier Prozent , erwiederte der Bauer.

Mein Satz iſt fünf, bei vierteljähriger Kündigung meinte Schönberger.

Dem Büttnerbauer fiel ein Stein vom Herzen bei dieſen Worten. Er hatte gefürchtet, man werde ganz andere Pro¬ zente von ihm fordern.

Sehen Sie, was ich geſagt habe! rief Harraſſowitz, was für ein Mann Schönberger iſt! Fünf Prozent nimmt er blos. Sie haben ein glänzendes Geſchäft gemacht, Büttner!

Der Bauer fing an, das