PRIMS Full-text transcription (HTML)
Der Einzige und ſein Eigenthum.
Leipzig,Verlag von Otto Wigand.1845.
[1]

Meinem Liebchen Marie Dähnhardt.

[2][3]

Inhalt.

  • Seite
  • Ich hab 'mein' Sach 'auf Nichts geſtellt5
  • Erſte Abtheilung. Der Menſch.
    • I. Ein Menſchenleben13
    • II. Menſchen der alten und neuen Zeit21
      • 1. Die Alten
      • 2. Die Neuen33
        • §. 1. Der Geiſt37
        • §. 2. Die Beſeſſenen45
        • §. 3. Die Hierarchie87
      • 3. Die Freien129
        • §. 1. politiſche Liberalismus
        • §. 2. Der ſociale Liberalismus153
        • §. 3. Der humane Liberalismus163
  • Zweite Abtheilung. Ich.
    • I. Die Eigenheit204
    • II. Der Eigner226
      • 1. Meine Macht244
      • 2. Mein Verkehr276
      • 3. Mein Selbſtgenuß426
    • III. Der Einzige485
[4][5]

Ich hab 'Mein Sach' auf Nichts geſtellt.

Was ſoll nicht alles Meine Sache ſein! Vor allem die gute Sache, dann die Sache Gottes, die Sache der Menſchheit, der Wahrheit, der Freiheit, der Humanität, der Gerechtigkeit; ferner die Sache Meines Volkes, Meines Fürſten, Meines Vaterlandes; endlich gar die Sache des Geiſtes und tauſend andere Sachen. Nur Meine Sache ſoll niemals Meine Sache ſein. Pfui über den Egoiſten, der nur an ſich denkt!

Sehen Wir denn zu, wie diejenigen es mit ihrer Sache machen, für deren Sache Wir arbeiten, Uns hingeben und begeiſtern ſollen.

Ihr wißt von Gott viel Gründliches zu verkünden und habt Jahrtauſende lang die Tiefen der Gottheit erforſcht und ihr ins Herz geſchaut, ſo daß Ihr Uns wohl ſagen könnt, wie Gott die Sache Gottes , der Wir zu dienen berufen ſind, ſelber betreibt. Und Ihr verhehlt es auch nicht, das Treiben des Herrn. Was iſt nun ſeine Sache? Hat er, wie es Uns zugemuthet wird, eine fremde Sache, hat er die Sache der Wahrheit, der Liebe zur ſeinigen gemacht? Euch empört dieß6 Mißverſtändniß und Ihr belehrt Uns, daß Gottes Sache aller¬ dings die Sache der Wahrheit und Liebe ſei, daß aber dieſe Sache keine ihm fremde genannt werden könne, weil Gott ja ſelbſt die Wahrheit und Liebe ſei; Euch empört die Annahme, daß Gott Uns armen Würmern gleichen könnte, indem er eine fremde Sache als eigene beförderte. Gott ſollte der Sache der Wahrheit ſich annehmen, wenn er nicht ſelbſt die Wahrheit wäre ? Er ſorgt nur für ſeine Sache, aber weil er Alles in Allem iſt, darum iſt auch alles ſeine Sache! Wir aber, Wir ſind nicht Alles in Allem, und unſere Sache iſt gar klein und verächtlich; darum müſſen Wir einer höheren Sache die¬ nen . Nun, es iſt klar, Gott bekümmert ſich nur um's Seine, beſchäftigt ſich nur mit ſich, denkt nur an ſich und hat nur ſich im Auge; wehe Allem, was ihm nicht wohlgefällig iſt. Er dient keinem Höheren und befriedigt nur ſich. Seine Sache iſt eine rein egoiſtiſche Sache.

Wie ſteht es mit der Menſchheit, deren Sache Wir zur unſrigen machen ſollen? Iſt ihre Sache etwa die eines Andern und dient die Menſchheit einer höheren Sache? Nein, die Menſchheit ſieht nur auf ſich, die Menſchheit will nur die Menſchheit fördern, die Menſchheit iſt ſich ſelber ihre Sache. Damit ſie ſich entwickle, läßt ſie Völker und Individuen in ihrem Dienſte ſich abquälen, und wenn dieſe geleiſtet haben, was die Menſchheit braucht, dann werden ſie von ihr aus Dankbarkeit auf den Miſt der Geſchichte geworfen. Iſt die Sache der Menſchheit nicht eine rein egoiſtiſche Sache?

Ich brauche gar nicht an jedem, der ſeine Sache Uns zuſchieben möchte, zu zeigen, daß es ihm nur um ſich, nicht um Uns, nur um ſein Wohl, nicht um das Unſere zu thun iſt. Seht Euch die Uebrigen nur an. Begehrt die Wahrheit,7 die Freiheit, die Humanität, die Gerechtigkeit etwas anderes, als daß Ihr Euch enthuſiasmirt und ihnen dient?

Sie ſtehen ſich alle ausnehmend gut dabei, wenn ihnen pflichteifrigſt gehuldigt wird. Betrachtet einmal das Volk, das von ergebenen Patrioten geſchützt wird. Die Patrioten fal¬ len im blutigen Kampfe oder im Kampfe mit Hunger und Noth; was fragt das Volk darnach? Das Volk wird durch den Dünger ihrer Leichen ein blühendes Volk ! Die Indi¬ viduen ſind für die große Sache des Volks geſtorben, und das Volk ſchickt ihnen einige Worte des Dankes nach und hat den Proſit davon. Das nenn 'Ich Mir einen einträglichen Egoismus.

Aber ſeht doch jenen Sultan an, der für die Seinen ſo liebreich ſorgt. Iſt er nicht die pure Uneigennützigkeit ſel¬ ber und opfert er ſich nicht ſtündlich für die Seinen? Ja wohl, für die Seinen . Verſuch 'es einmal und zeige Dich nicht als der Seine, ſondern als der Deine: Du wirſt dafür, daß Du ſeinem Egoismus Dich entzogſt, in den Kerker wandern. Der Sultan hat ſeine Sache auf Nichts, als auf ſich geſtellt: er iſt ſich Alles in Allem, iſt ſich der einzige und duldet keinen, der es wagte, nicht einer der Seinen zu ſein.

Und an dieſen glänzenden Beiſpielen wollt Ihr nicht ler¬ nen, daß der Egoiſt am beſten fährt? Ich Meinestheils nehme Mir eine Lehre daran und will, ſtatt jenen großen Egoiſten ferner uneigennützig zu dienen, lieber ſelber der Egoiſt ſein.

Gott und die Menſchheit haben ihre Sache aus Nichts geſtellt, auf nichts als auf Sich. Stelle Ich denn meine Sache gleichfalls auf Mich, der Ich ſo gut wie Gott das Nichts von allem Andern, der Ich mein Alles, der Ich der Einzige bin.

8

Hat Gott, hat die Menſchheit, wie Ihr verſichert, Gehalt genug in ſich, um ſich Alles in Allem zu ſein: ſo ſpüre Ich, daß es Mir noch weit weniger daran fehlen wird, und daß Ich über meine Leerheit keine Klage zu führen haben werde. Ich bin Nichts im Sinne der Leerheit, ſondern das ſchöpferiſche Nichts, das Nichts, aus welchem Ich ſelbſt als Schöpfer Alles ſchaffe.

Fort denn mit jeder Sache, die nicht ganz und gar Meine Sache iſt! Ihr meint, Meine Sache müſſe wenigſtens die gute Sache ſein? Was gut, was böſe! Ich bin ja ſelber Meine Sache, und Ich bin weder gut noch böſe. Beides hat für Mich keinen Sinn.

Das Göttliche iſt Gottes Sache, das Menſchliche Sache des Menſchen . Meine Sache iſt weder das Göttliche noch das Menſchliche, iſt nicht das Wahre, Gute, Rechte, Freie u. ſ. w., ſondern allein das Meinige, und ſie iſt keine allge¬ meine, ſondern iſt einzig, wie Ich einzig bin.

Mir geht nichts über Mich!

[9]

Erſte Abtheilung.

Der Menſch.

[10][11]

Der Menſch iſt dem Menſchen das höchſte Weſen, ſagt Feuerbach.

Der Menſch iſt nun erſt gefunden, ſagt Bruno Bauer.

Sehen Wir Uns denn dieſes höchſte Weſen und dieſen neuen Fund genauer an.

[12][13]

I. Ein Menſchenleben.

Von dem Augenblicke an, wo er das Licht der Welt er¬ blickt, ſucht ein Menſch aus ihrem Wirrwarr, in welchem auch er mit allem Andern bunt durcheinander herumgewürfelt wird, ſich herauszufinden und ſich zu gewinnen.

Doch wehrt ſich wiederum Alles, was mit dem Kinde in Berührung kommt, gegen deſſen Eingriffe und behauptet ſein eigenes Beſtehen.

Mithin iſt, weil Jegliches auf ſich hält, und zugleich mit Anderem in ſtete Colliſion geräth, der Kampf der Selbſt¬ behauptung unvermeidlich.

Siegen oder Unterliegen, zwiſchen beiden Wechſel¬ fällen ſchwankt das Kampfgeſchick. Der Sieger wird der Herr, der Unterliegende der Unterthan: jener übt die Hoheit und Hoheitsrechte , dieſer erfüllt in Ehrfurcht und Reſpect die Unterthanenpflichten .

Aber Feinde bleiben beide und liegen immer auf der Lauer: ſie lauern einer auf die Schwäche des andern, Kinder14 auf die der Aeltern, und Aeltern auf die der Kinder (z. B. ihre Furcht), der Stock überwindet entweder den Menſchen oder der Menſch überwindet den Stock.

Im Kindheitsalter nimmt die Befreiung den Verlauf, daß Wir auf den Grund der Dinge oder hinter die Dinge zu kommen ſuchen: daher lauſchen Wir Allen ihre Schwächen ab, wofür bekanntlich Kinder einen ſichern Inſtinct haben, daher zerbrechen Wir gerne, durchſtöbern gern verborgene Winkel, ſpähen nach dem Verhüllten und Entzogenen, und verſuchen Uns an Allem. Sind Wir erſt dahinter gekommen, ſo wiſſen Wir Uns ſicher; ſind Wir z. B. dahinter gekommen, daß die Ruthe zu ſchwach iſt gegen Unſern Trotz, ſo fürchten Wir ſie nicht mehr, ſind ihr entwachſen .

Hinter der Ruthe ſteht, mächtiger als ſie, unſer Trotz, unſer trotziger Muth. Wir kommen gemach hinter alles, was Uns unheimlich und nicht geheuer war, hinter die unheimlich gefürchtete Macht der Ruthe, der ſtrengen Miene des Vaters u. ſ. w., und hinter allem finden Wir Unſere Ataraxie, d. h. Unerſchütterlichkeit, Unerſchrockenheit, unſere Gegengewalt, Ueber¬ macht, Unbezwingbarkeit. Was Uns erſt Furcht und Reſpect einflößte, davor ziehen Wir Uns nicht mehr ſcheu zurück, ſon¬ dern faſſen Muth. Hinter allem finden Wir Unſern Muth, Unſere Ueberlegenheit; hinter dem barſchen Befehl der Vorge¬ ſetzten und Aeltern ſteht doch Unſer muthiges Belieben oder Un¬ ſere überliſtende Klugheit. Und je mehr Wir Uns fühlen, deſto kleiner erſcheint, was zuvor unüberwindlich dünkte. Und was iſt Unſere Liſt, Klugheit, Muth, Trotz? Was ſonſt als Geiſt!

Eine geraume Zeit hindurch bleiben Wir mit einem Kampfe, der ſpäter Uns ſo ſehr in Athem ſetzt, verſchont, mit dem Kampfe gegen die Vernunft. Die ſchönſte Kindheit geht vorüber,15 ohne daß Wir nöthig hätten, Uns mit der Vernunft herum¬ zuſchlagen. Wir kümmern Uns gar nicht um ſie, laſſen Uns mit ihr nicht ein, nehmen keine Vernunft an. Durch Ueber¬ zeugung bringt man Uns zu nichts, und gegen die guten Gründe, Grundſätze u. ſ. w. ſind Wir taub; Liebkoſungen, Züchtigungen und Aehnlichem widerſtehen Wir dagegen ſchwer.

Dieſer ſaure Lebenskampf mit der Vernunft tritt erſt ſpäter auf, und beginnt eine neue Phaſe: in der Kindheit tummeln Wir Uns, ohne viel zu grübeln.

Geiſt heißt die erſte Selbſtfindung, die erſte Entgöt¬ terung des Göttlichen, d. h. des Unheimlichen, des Spuks, der oberen Mächte . Unſerem friſchen Jugendgefühl, dieſem Selbſtgefühl, imponirt nun nichts mehr: die Welt iſt in Ver¬ ruf erklärt, denn Wir ſind über ihr, ſind Geiſt.

Jetzt erſt ſehen Wir, daß Wir die Welt bisher gar nicht mit Geiſt angeſchaut haben, ſondern nur angeſtiert.

An Naturgewalten üben Wir Unſere erſten Kräfte. Aeltern imponiren Uns als Naturgewalt; ſpäter heißt es: Va¬ ter und Mutter ſei zu verlaſſen, alle Naturgewalt für geſprengt zu erachten. Sie ſind überwunden. Für den Vernünftigen, d. h. Geiſtigen Menſch , giebt es keine Familie als Natur¬ gewalt: es zeigt ſich eine Abſagung von Aeltern, Geſchwi¬ ſtern u. ſ. w. Werden dieſe als geiſtige, vernünftige Gewalten wiedergeboren , ſo ſind ſie durchaus nicht mehr das, was ſie vorher waren.

Und nicht bloß die Aeltern, ſondern die Menſchen überhaupt werden von dem jungen Menſchen beſiegt: ſie ſind ihm kein Hindemiß, und werden nicht mehr berückſichtigt: denn, heißt es nun: Man muß Gott mehr gehorchen, als den Menſchen.

16

Alles Irdiſche weicht unter dieſem hohen Stand¬ punkte in verächtliche Ferne zurück: denn der Standpunkt iſt der himmliſche.

Die Haltung hat ſich nun durchaus umgekehrt, der Jüng¬ ling nimmt ein geiſtiges Verhalten an, während der Knabe, der ſich noch nicht als Geiſt fühlte, in einem geiſtloſen Lernen aufwuchs. Jener ſucht nicht der Dinge habhaft zu werden, z. B. nicht die Geſchichtsdata in ſeinen Kopf zu bringen, ſondern der Gedanken, die in den Dingen verborgen lie¬ gen, alſo z. B. des Geiſtes der Geſchichte; der Knabe hin¬ gegen verſteht wohl Zuſammenhänge, aber nicht Ideen, den Geiſt; daher reiht er Lernbares an Lernbares, ohne aprioriſch und theoretiſch zu verfahren, d. h. ohne nach Ideen zu ſuchen.

Hatte man in der Kindheit den Widerſtand der Welt¬ geſetze zu bewältigen, ſo ſtößt man nun bei Allem, was man vorhat, auf eine Einrede des Geiſtes, der Vernunft, des eigenen Gewiſſens. Das iſt unvernünftig, unchriſtlich, unpatriotiſch und dergl., ruft Uns das Gewiſſen zu, und ſchreckt Uns davon ab. Nicht die Macht der rächenden Eumeniden, nicht den Zorn des Poſeidon, nicht den Gott, ſo fern er auch das Verborgene ſieht, nicht die Strafruthe des Vaters fürchten Wir, ſondern das Gewiſſen.

Wir hängen nun Unſern Gedanken nach und folgen ebenſo ihren Geboten, wie Wir vorher den älterlichen, menſch¬ lichen folgten. Unſere Thaten richten ſich nach Unſeren Ge¬ danken (Ideen, Vorſtellungen, Glauben), wie in der Kind¬ heit nach den Befehlen der Aeltern.

Indeß gedacht haben Wir auch ſchon als Kinder, nur wa¬ ren unſere Gedanken keine fleiſchloſen, abſtracten, abſoluten,17 d. h. nichts als Gedanken, ein Himmel für ſich, eine reine Gedankenwelt, logiſche Gedanken.

Im Gegentheil waren es nur Gedanken geweſen, die Wir Uns über eine Sache machten: Wir dachten Uns das Ding ſo oder ſo. Wir dachten alſo wohl: die Welt, die Wir da ſehen, hat Gott gemacht: aber Wir dachten ( erforſchten ) nicht die Tiefen der Gottheit ſelber ; Wir dachten wohl: das iſt das Wahre an der Sache , aber Wir dachten nicht das Wahre oder die Wahrheit ſelbſt, und verbanden nicht zu Ei¬ nem Satze Gott iſt die Wahrheit . Die Tiefen der Gott¬ heit, welche die Wahrheit iſt , berührten Wir nicht. Bei ſol¬ chen rein logiſchen, d. h. theologiſchen Fragen: Was iſt Wahrheit hält ſich Pilatus nicht auf, wenngleich er im ein¬ zelnen Falle darum nicht zweifelt, zu ermitteln, was Wahres an der Sache iſt , d. h. ob die Sache wahr iſt.

Jeder an eine Sache gebundene Gedanke iſt noch nicht nichts als Gedanke, abſoluter Gedanke.

Den reinen Gedanken zu Tage zu fördern, oder ihm anzuhängen, das iſt Jugendluſt, und alle Lichtgeſtalten der Gedankenwelt, wie Wahrheit, Freiheit, Menſchenthum, der Menſch u. ſ. w. erleuchten und begeiſtern die jugendliche Seele.

Iſt aber der Geiſt als das Weſentliche erkannt, ſo macht es doch einen Unterſchied, ob der Geiſt arm oder reich iſt, und man ſucht deshalb reich an Geiſt zu werden: es will der Geiſt ſich ausbreiten, ſein Reich zu gründen, ein Reich, das nicht von dieſer Welt iſt, der eben überwundenen. So ſehnt er ſich denn alles in allem zu werden, d. h. obgleich Ich Geiſt bin, bin Ich doch nicht vollendeter Geiſt, und muß den voll¬ kommenen Geiſt erſt ſuchen.

218

Damit verliere Ich aber, der Ich Mich ſo eben als Geiſt gefunden hatte, ſogleich Mich wieder, indem Ich vor dem voll¬ kommenen Geiſte, als einem Mir nicht eigenen, ſondern jen¬ ſeitigen Mich beuge und meine Leerheit fühle.

Auf Geiſt kommt zwar alles an, aber iſt auch jeder Geiſt der rechte Geiſt? Der rechte und wahre Geiſt iſt das Ideal des Geiſtes, der heilige Geiſt . Er iſt nicht Mein oder Dein Geiſt, ſondern eben ein idealer, jenſeitiger, er iſt Gott . Gott iſt Geiſt . Und dieſer jenſeitige Vater im Himmel giebt ihn denen, die ihn bitten . *)Lucas 11, 13.

Den Mann ſcheidet es vom Jünglinge, daß er die Welt nimmt, wie ſie iſt, ſtatt ſie überall im Argen zu wähnen und verbeſſern, d. h. nach ſeinem Ideale modeln wollen; in ihm befeſtigt ſich die Anſicht, daß man mit der Welt nach ſeinem Intereſſe verfahren müſſe, nicht nach ſeinen Idealen.

So lange man ſich nur als Geiſt weiß, und all ſeinen Werth darin legt, Geiſt zu ſein (dem Jünglinge wird es leicht, ſein Leben, das leibliche , für ein Nichts hinzugeben, für die albernſte Ehrenkränkung), ſo lange hat man auch nur Ge danken, Ideen, die man einſt, wenn man einen Wirkungs¬ kreis gefunden, verwirklichen zu können hofft; man hat alſo einſtweilen nur Ideale, unvollzogene Ideen oder Gedanken.

Erſt dann, wenn man ſich leibhaftig liebgewonnen, und an ſich, wie man leibt und lebt, eine Luft hat ſo aber findet ſich's im reifen Alter, beim Manne erſt dann hat man ein perſönliches oder egoiſtiſches Intereſſe, d. h. ein Intereſſe nicht etwa nur Unſeres Geiſtes, ſondern totaler Befriedigung, Befriedigung des ganzen Kerls, ein eigen¬19 nütziges Intereſſe. Vergleicht doch einmal einen Mann mit einem Jünglinge, ob er Euch nicht härter, ungroßmüthiger, eigennütziger erſcheinen wird. Iſt er darum ſchlechter? Ihr ſagt Nein, er ſei nur beſtimmter, oder, wie Ihr's auch nennt, praktiſcher geworden. Hauptſache jedoch iſt dieß, daß er ſich mehr zum Mittelpunkte macht, als der Jüngling, der für Anderes, z. B. Gott, Vaterland und dergl. ſchwärmt .

Darum zeigt der Mann eine zweite Selbſtfindung. Der Jüngling fand ſich als Geiſt und verlor ſich wieder an den allgemeinen Geiſt, den vollkommenen, heiligen Geiſt, den Menſchen, die Menſchheit, kurz alle Ideale; der Mann findet ſich als leibhaftigen Geiſt.

Knaben hatten nur ungeiſtige, d. h. gedankenloſe und ideenloſe, Jünglinge nur geiſtige Intereſſen; der Mann hat leibhaftige, perſönliche, egoiſtiſche Intereſſen.

Wenn das Kind nicht einen Gegenſtand hat, mit wel¬ chem es ſich beſchäftigen kann, ſo fühlt es Langeweile: denn mit ſich weiß es ſich noch nicht zu beſchäftigen. Umgekehrt wirft der Jüngling den Gegenſtand auf die Seite, weil ihm Gedanken aus dem Gegenſtande aufgingen: er beſchäftigt ſich mit ſeinen Gedanken, ſeinen Träumen, beſchäftigt ſich gei¬ ſtig oder ſein Geiſt iſt beſchäftigt .

Alles nicht Geiſtige befaßt der junge Menſch unter dem verächtlichen Namen der Aeußerlichkeiten . Wenn er gleich¬ wohl an den kleinlichſten Aeußerlichkeiten haftet (z. B. Bur¬ ſchikoſen und andern Formalitäten), ſo geſchieht es, weil und wenn er in ihnen Geiſt entdeckt, d. h. wenn ſie ihm Sym¬ bole ſind.

Wie Ich Mich hinter den Dingen finde, und zwar als Geiſt, ſo muß Ich Mich ſpäter auch hinter den Gedan¬2 *20ken finden, nämlich als ihr Schöpfer und Eigner. In der Geiſterzeit wuchſen Mir die Gedanken über den Kopf, deſſen Geburten ſie doch waren; wie Fieberphantaſien umſchwebten und erſchütterten ſie Mich, eine ſchauervolle Macht. Die Ge¬ danken waren für ſich ſelbſt leibhaftig geworden, waren Geſpenſter, wie Gott, Kaiſer, Papſt, Vaterland u. ſ. w. Zerſtöre Ich ihre Leibhaftigkeit, ſo nehme Ich ſie in die Meinige zurück und ſage: Ich allein bin leibhaftig. Und nun nehme Ich die Welt als das, was ſie Mir iſt, als die Meinige, als Mein Eigenthum: Ich beziehe alles auf Mich.

Stieß Ich als Geiſt die Welt zurück in tiefſter Weltver¬ achtung, ſo ſtoße Ich als Eigner die Geiſter oder Ideen zu¬ rück in ihre Eitelkeit . Sie haben keine Macht mehr über Mich, wie über den Geiſt keine Gewalt der Erde eine Macht hat.

Das Kind war realiſtiſch, in den Dingen dieſer Welt befangen, bis ihm nach, und nach hinter eben dieſe Dinge zu kommen gelang; der Jüngling war idealiſtiſch, von Gedanken begeiſtert, bis er ſich zum Manne hinaufarbeitete, dem egoiſti¬ ſchen, der mit den Dingen und Gedanken nach Herzensluſt gebahrt und ſein perſönliches Intereſſe über alles ſetzt. End¬ lich der Greis? Wenn Ich einer werde, ſo iſt noch Zeit ge¬ nug, davon zu ſprechen.

[21]

II. Menſchen der alten und neuen Zeit.

Wie ein Jeder von Uns ſich entwickelte, was er er¬ ſtrebte, erlangte oder verfehlte, welche Zwecke er einſt verfolgte und an welchen Plänen und Wünſchen ſein Herz im Augen¬ blicke hängt, welche Umwandlungen ſeine Anſichten, welche Erſchütterungen ſeine Principien erfuhren, kurz wie er heute geworden, was er geſtern oder vor Jahren nicht war: das hebt er mit mehr oder minderer Leichtigkeit aus ſeiner Erin¬ nerung wieder hervor und empfindet beſonders dann recht leb¬ haft, welche Veränderungen in ihm ſelbſt vorgegangen ſind, wenn er das Abrollen eines fremden Lebens vor Augen hat.

Schauen Wir daher in das Treiben hinein, welches Unſere Vorältern verführten.

I. Die Alten.

Da das Herkommen einmal Unſeren vorchriſtlichen Ahnen den Namen der Alten beigelegt hat, ſo wollen Wir es ihnen22 nicht vorrücken, daß ſie gegen Uns erfahrene Leute eigentlich die Kinder heißen müßten, und ſie lieber nach wie vor als Un¬ ſere guten Alten ehren. Wie aber ſind ſie dazu gekommen zu veralten, und wer konnte ſie durch ſeine vorgebliche Neuheit verdrängen?

Wir kennen den revolutionairen Neuerer und reſpectloſen Erben wohl, der ſelbſt den Sabbath der Väter entheiligte, um ſeinen Sonntag zu heiligen, und die Zeit in ihrem Laufe unterbrach, um bei ſich mit einer neuen Zeitrechnung zu be¬ ginnen: Wir kennen ihn und wiſſen's, daß es der Chriſt iſt. Bleibt er aber ewig jung und iſt er heute noch der neue, oder wird auch er antiquirt werden, wie er die Alten anti¬ quirt hat?

Es werden die Alten wohl ſelbſt den Jungen erzeugt ha¬ ben, der ſie hinaustrug. Belauſchen Wir denn dieſen Zeu¬ gungsact.

Den Alten war die Welt eine Wahrheit, ſagt Feuerbach, aber er vergißt den wichtigen Zuſatz zu machen: eine Wahrheit, hinter deren Unwahrheit ſie zu kommen ſuchten, und endlich wirk¬ lich kamen. Was mit jenen Feuerbachſchen Worten geſagt ſein ſoll, wird man leicht erkennen, wenn man ſie mit dem chriſtli¬ chen Satze von der Eitelkeit und Vergänglichkeit der Welt zu¬ ſammenhält. Wie der Chriſt nämlich ſich niemals von der Eitel¬ keit des göttlichen Wortes überzeugen kann, ſondern an die ewige und unerſchütterliche Wahrheit deſſelben glaubt, die, je mehr in ihren Tiefen geforſcht werde, nur um ſo glänzender an den Tag kommen und triumphiren müſſe: ſo lebten die Alten ihrer¬ ſeits in dem Gefühle, daß die Welt und weltliche Verhältniſſe (z. B. die natürlichen Blutsbande) das Wahre ſeien, vor dem ihr ohnmächtiges Ich ſich beugen müſſe. Gerade dasjenige,23 worauf die Alten den größten Werth legten, wird von den Chriſten als das Werthloſe verworfen, und was jene als das Wahre erkannten, brandmarken dieſe als eitle Lüge: die hohe Bedeutung des Vaterlandes verſchwindet, und der Chriſt muß ſich für einen Fremdling auf Erden anſehen*)Hebräer 11, 13., die Heiligkeit der Todtenbeſtattung, aus der ein Kunſtwerk wie die ſopho¬ kleiſche Antigone entſprang, wird als eine Erbärmlichkeit be¬ zeichnet ( Laß die Todten ihre Todten begraben ), die unver¬ brüchliche Wahrheit der Familienbande wird als eine Unwahr¬ heit dargeſtellt, von der man nicht zeitig genug ſich losmachen könne**)Marc. 10, 29., und ſo in Allem.

Sieht man nun ein, daß beiden Theilen das Umgekehrte für Wahrheit gilt, den Einen das Natürliche, den Andern das Geiſtige, den Einen die irdiſchen Dinge und Verhältniſſe, den Andern die himmliſchen (das himmliſche Vaterland, das Je¬ ruſalem, das droben iſt u. ſ. w.), ſo bleibt immer noch zu betrachten, wie aus dem Alterthum die neue Zeit und jene unleugbare Umkehrung hervorgehen konnte. Es haben die Alten aber ſelbſt darauf hingearbeitet, ihre Wahrheit zu einer Lüge zu machen.

Greifen Wir ſogleich mitten in die glänzendſten Jahre der Alten hinein, in das perikleiſche Jahrhundert. Damals griff die ſophiſtiſche Zeitbildung um ſich, und Griechenland trieb mit dem Kurzweile, was ihm ſeither ein ungeheurer Ernſt ge¬ weſen war.

Zu lange waren die Väter von der Gewalt des ungerüt¬ telten Beſtehenden geknechtet worden, als daß die Nachkommen24 nicht an den bitteren Erfahrungen hätten lernen ſollen, ſich zu fühlen. Mit muthiger Keckheit ſprechen daher die Sophi¬ ſten das ermannende Wort aus: Laß Dich nicht verblüffen! und verbreiten die aufklärende Lehre: Brauche gegen alles Deinen Verſtand, Deinen Witz, Deinen Geiſt; mit einem guten und geübten Verſtande kommt man am beſten durch die Welt, bereitet ſich das beſte Loos, das angenehmſte Leben. Sie erkennen alſo in dem Geiſte die wahre Waffe des Menſchen gegen die Welt. Darum halten ſie ſo viel auf dialectiſche Gewandtheit, Redefertigkeit, Disputirkunſt ꝛc. Sie verkün¬ den, daß der Geiſt gegen Alles zu brauchen iſt; aber von der Heiligkeit des Geiſtes ſind ſie noch weit entfernt, denn er gilt ihnen als Mittel, als Waffe, wie den Kindern Liſt und Trotz dazu dient: ihr Geiſt iſt der unbeſtechliche Verſtand.

Heutzutage würde man das eine einſeitige Verſtandes¬ bildung nennen und die Mahnung hinzufügen: Bildet nicht bloß Euren Verſtand, ſondern beſonders auch Euer Herz. Daſ¬ ſelbe that Sokrates. Wurde nämlich das Herz von ſeinen natürlichen Trieben nicht frei, ſondern blieb es vom zufällig¬ ſten Inhalt erfüllt und als eine unkritiſirte Begehrlichkeit ganz in der Gewalt der Dinge, d. h. nichts als ein Gefäß der verſchiedenſten Gelüſte, ſo konnte es nicht fehlen, daß der freie Verſtand dem ſchlechten Herzen dienen mußte und alles zu rechtfertigen bereit war, was das arge Herz begehrte.

Darum ſagt Sokrates, es genüge nicht, daß man in allen Dingen ſeinen Verſtand gebrauche, ſondern es komme darauf an, für welche Sache man ihn anſtrenge. Wir wür¬ den jetzt ſagen: Man müſſe der guten Sache dienen. Der guten Sache dienen, heißt aber ſittlich ſein. Daher iſt Sokrates der Gründer der Ethik.

25

Allerdings mußte das Princip der Sophiſtik dahin füh¬ ren, daß der unſelbſtändigſte und blindeſte Sklave ſeiner Be¬ gierten doch ein trefflicher Sophiſt ſein und mit Verſtandes¬ ſchärfe alles zu Gunſten ſeines rohen Herzens auslegen und zuſtutzen konnte. Was gäbe es wohl, wofür ſich nicht ein guter Grund auffinden, und was ſich nicht durchfechten ließe?

Darum ſagt Sokrates: Ihr müßt reines Herzens ſein , wenn man eure Klugheit achten ſoll. Von hier ab beginnt die zweite Periode griechiſcher Geiſtesbefreiung, die Periode der Herzensreinheit. Die erſte nämlich kam durch die So¬ phiſten zum Schluß, indem ſie die Verſtandesallmacht procla¬ mirten. Aber das Herz blieb weltlich geſinnt, blieb ein Knecht der Welt, ſtets afficirt durch weltliche Wünſche. Dieß rohe Herz ſollte von nun an gebildet werden: die Zeit der Herzensbildung. Wie aber ſoll das Herz gebildet werden? Was der Verſtand, dieſe eine Seite des Geiſtes, erreicht hat, die Fähigkeil nämlich, mit und über allem Gehalt frei zu ſpie¬ len, das ſteht auch dem Herzen bevor: alles Weltliche muß vor ihm zu Schanden werden, ſo daß zuletzt Familie, Gemein¬ weſen, Vaterland u. dergl. um des Herzens, d.h. der Selig¬ keit, der Seligkeit des Herzens willen, aufgegeben wird.

Alltägliche Erfahrung beſtätigt es, daß der Verſtand längſt einer Sache entſagt haben kann, wenn das Herz noch viele Jahre für ſie ſchlägt. So war auch der ſophiſtiſche Verſtand über die herrſchenden, alten Mächte ſo weit Herr geworden, daß ſie nur noch aus dem Herzen, worin ſie unbeläſtigt hau¬ ſten, verjagt werden mußten, um endlich an dem Menſchen gar kein Theil mehr zu haben.

Dieſer Krieg wird von Sokrates erhoben und erreicht ſei¬ nen Friedensſchluß erſt am Todestage der allen Welt.

26

Mit Sokrates nimmt die Prüfung des Herzens ihren An¬ fang, und aller Inhalt des Herzens wird geſichtet. In ihren letzten und äußerſten Anſtrengungen warfen die Alten allen Inhalt aus dem Herzen hinaus, und ließen es für Nichts mehr ſchlagen: dieß war die That der Skeptiker. Dieſelbe Reinheit des Herzens wurde nun in der ſkeptiſchen Zeit errun¬ gen, welche in der ſophiſtiſchen dem Verſtande herzuſtellen ge¬ lungen war.

Die ſophiſtiſche Bildung hat bewirkt, daß Einem der Ver¬ ſtand vor nichts mehr ſtill ſteht, und die ſkeptiſche, daß das Herz von nichts mehr bewegt wird.

So lange der Menſch in das Weltgetriebe verwickelt und durch Beziehungen zur Welt befangen iſt und er iſt es bis ans Ende des Alterthums, weil ſein Herz immer noch um die Unabhängigkeit von Weltlichem zu ringen hat ſo lange iſt er noch nicht Geiſt; denn der Geiſt iſt körperlos und hat keine Beziehung zur Welt und Körperlichkeit: für ihn exiſtirt nicht die Welt, nicht natürliche Bande, ſondern nur Geiſtiges und geiſtige Bande. Darum mußte der Menſch erſt ſo völlig rück¬ ſichtslos und unbekümmert, ſo ganz beziehungslos werden, wie ihn die ſkeptiſche Bildung darſtellt, ſo ganz gleichgültig gegen die Welt, daß ihn ihr Einſturz ſelbſt nicht rührte, ehe er ſich als weltlos, d. h. als Geiſt fühlen konnte. Und dieß iſt das Reſultat von der Rieſenarbeit der Alten, daß der Menſch ſich als beziehungs - und weltloſes Weſen, als Geiſt weiß.

Nun erſt, nachdem ihn alle weltliche Sorge verlaſſen hat, iſt er ſich Alles in Allem, iſt nur für ſich, d. h. iſt Geiſt für den Geiſt, oder deutlicher: bekümmert ſich nur um das Geiſtige.

In der chriſtlichen Schlangenklugheit und Taubenunſchuld ſind die beiden Seiten der antiken Geiſtesbefreiung, Verſtand27 und Herz ſo vollendet, daß ſie wieder jung und neu erſcheinen, das eine und das andere ſich nicht mehr durch das Weltliche, Natürliche verblüffen laſſen.

Zum Geiſte alſo ſchwangen ſich die Alten auf und gei¬ ſtig ſtrebten ſie zu werden. Es wird aber ein Menſch, der als Geiſt thätig ſein will, zu ganz anderen Aufgaben hinge¬ zogen, als er ſich vorher zu ſtellen vermochte, zu Aufgaben, welche wirklich dem Geiſte und nicht dem bloßen Sinne oder Scharfſinn zu thun geben, der ſich nur anſtrengt, der Dinge Herr zu werden. Einzig um das Geiſtige bemüht ſich der Geiſt, und in Allem ſucht er die Spuren des Geiſtes auf: dem gläubigen Geiſte kommt alles von Gott und inter¬ eſſirt ihn nur inſofern, als es dieſe Abkunft offenbart; dem philoſophiſchen Geiſte erſcheint alles mit dem Stempel der Vernunft und intereſſirt ihn nur ſo weit, als er Vernunft, d. h. geiſtigen Inhalt, darin zu entdecken vermag.

Nicht den Geiſt alſo, der es ſchlechterdings mit nichts Ungeiſtigem, mit keinem Dinge, ſondern allein mit dem We¬ ſen, welches hinter und über den Dingen exiſtirt, mit den Gedanken zu thun hat, nicht ihn ſtrengten die Alten an, denn ſie hatten ihn noch nicht; nein, nach ihm rangen und ſehnten ſie ſich erſt und ſchärften ihn deshalb gegen ihren übermächtigen Feind, die Sinnenwelt (was wäre aber für ſie nicht ſinnlich geweſen, da Jehova oder die Götter der Heiden noch weit von dem Begriffe Gott iſt Geiſt entfernt waren, da an die Stelle des ſinnlichen Vaterlandes noch nicht das himmliſche getreten war u. ſ. w.?), ſie ſchärften gegen die Sinnenwelt den Sinn, den Scharfſinn. Noch heute ſind die Juden, dieſe altklugen Kinder des Alterthums, nicht weiter gekommen, und können bei aller Subtilität und Stärke der28 Klugheit und des Verſtandes, der der Dinge mit leichter Mühe Herr wird, und ſie, ihm zu dienen, zwingt, den Geiſt nicht finden, der ſich aus den Dingen gar nichts macht.

Der Chriſt hat geiſtige Intereſſen, weil er ſich erlaubt ein geiſtiger Menſch zu ſein; der Jude verſteht dieſe Inter¬ eſſen in ihrer Reinheit nicht einmal, weil er ſich nicht erlaubt, den Dingen keinen Werth beizulegen. Zur reinen Geiſtig¬ keit gelangt er nicht, einer Geiſtigkeit, wie ſie religiös z. B. in dem allein d. h. ohne Werke rechtfertigenden Glauben der Chriſten ausgedrückt iſt. Ihre Geiſtloſigkeit entfernt die Juden auf immer von den Chriſten; denn dem Geiſtloſen iſt der Geiſtige unverſtändlich, wie dem Geiſtigen der Geiſtloſe ver¬ ächtlich iſt. Die Juden haben aber nur den Geiſt dieſer Welt .

Der antike Scharfſinn und Tiefſinn liegt ſo weit vom Geiſte und der Geiſtigkeit der chriſtlichen Welt entfernt, wie die Erde vom Himmel.

Von den Dingen dieſer Welt wird, wer ſich als freien Geiſt fühlt, nicht gedrückt und geängſtigt, weil er ſie nicht achtet; ſoll man ihre Laſt noch empfinden, ſo muß man bor¬ nirt genug ſein, auf ſie Gewicht zu legen, wozu augen¬ ſcheinlich gehört, daß es einem noch um das liebe Leben zu thun ſei. Wem alles darauf ankommt, ſich als freier Geiſt zu wiſſen und zu rühren, der fragt wenig darnach, wie kümmerlich es ihm dabei ergehe, und denkt überhaupt nicht darüber nach, wie er ſeine Einrichtungen zu treffen habe, um recht frei oder genußreich zu leben. Die Unbequemlichkeiten des von den Dingen abhängigen Lebens ſtören ihn nicht, weil er nur geiſtig und von Geiſtesnahrung lebt, im Uebrigen aber, ohne es kaum zu wiſſen, nur frißt oder verſchlingt, und wenn ihm der Fraß ausgeht, zwar körperlich ſtirbt, als Geiſt29 aber ſich unſterblich weiß und unter einer Andacht oder einem Gedanken die Augen ſchließt. Sein Leben iſt Beſchäftigung mit Geiſtigem, iſt Denken, das Uebrige ſchiert ihn nicht; mag er ſich mit Geiſtigem beſchäftigen, wie er immer kann und will, in Andacht, in Betrachtung oder in philoſophiſcher Er¬ kenntniß, immer iſt das Thun ein Denken, und darum konnte Carteſius, dem dieß endlich ganz klar geworden war, den Satz aufſtellen: Ich denke, das heißt: Ich bin. Mein Den¬ ken, heißt es da, iſt Mein Sein oder Mein Leben; nur wenn Ich geiſtig lebe, lebe Ich; nur als Geiſt bin Ich wirklich oder Ich bin durch und durch Geiſt und nichts als Geiſt. Der unglückliche Peter Schlemihl, der ſeinen Schatten verloren hat, iſt das Portrait jenes zu Geiſt gewordenen Menſchen: denn des Geiſtes Körper iſt ſchattenlos. Dagegen wie anders bei den Alten! Wie ſtark und männlich ſie auch gegen die Gewalt der Dinge ſich betragen mochten, die Gewalt ſelbſt mußten ſie doch anerkennen, und weiter brachten ſie es nicht, als daß ſie ihr Leben gegen jene ſo gut als möglich ſchützten. Spät erſt erkannten ſie, daß ihr wahres Leben nicht das im Kampfe gegen die Dinge der Welt geführte, ſondern das gei¬ ſtige , von dieſen Dingen abgewandte ſei, und als ſie dieß einſahen, da wurden ſie Chriſten, d. h. die Neuen und Neuerer gegen die Alten. Das von den Dingen abgewandte, das geiſtige Leben, zieht aber keine Nahrung mehr aus der Natur, ſondern lebt nur von Gedanken , und iſt deshalb nicht mehr Leben ſondern Denken.

Nun muß man jedoch nicht glauben, die Alten ſeien ge¬ dankenlos geweſen, wie man ja auch den geiſtigſten Men¬ ſchen ſich nicht ſo vorſtellen darf, als könnte er leblos ſein. Viel¬ mehr hatten ſie über alles, über die Welt, den Menſchen, die30 Götter u. ſ. w. ihre Gedanken, und bewieſen ſich eifrig thätig, alles dieß ſich zum Bewußtſein zu bringen. Allein den Ge¬ danken kannten ſie nicht, wenn ſie auch an allerlei dachten und ſich mit ihren Gedanken plagten . Man vergleiche ihnen gegenüber den chriſtlichen Spruch: Meine Gedanken ſind nicht Eure Gedanken, und ſo viel der Himmel höher iſt, denn die Erde, ſo ſind auch Meine Gedanken höher, denn Eure Gedan¬ ken, und erinnere ſich deſſen, was oben über Unſere Kinder¬ gedanken geſagt wurde.

Was ſucht alſo das Alterthum? Den wahren Lebens¬ genuß, Genuß des Lebens! Am Ende wird es auf das wahre Leben hinauskommen.

Der griechiſche Dichter Simonides ſingt: Geſundheit iſt das edelſte Gut dem ſterblichen Menſchen, das Nächſte nach dieſem iſt Schönheit, das dritte Reichthum ohne Tücke erlanget, das vierte geſelliger Freuden Genuß in junger Freunde Geſell¬ ſchaft. Das ſind alles Lebensgüter, Lebensfreuden. Wo¬ nach anders ſuchte Diogenes von Sinope, als nach dem wahren Lebensgenuß, den er in der möglichſt geringen Bedürftigkeit ent¬ deckte? Wonach anders Ariſtipp, der ihn im heiteren Muthe unter allen Lagen fand? Sie ſuchen den heitern, ungetrübten Lebens¬ muth, die Heiterkeit, ſie ſuchen guter Dinge zu ſein .

Die Stoiker wollen den Weiſen verwirklichen, den Mann der Lebensweisheit, den Mann der zu leben weiß, alſo ein weiſes Leben; ſie finden ihn in der Verachtung der Welt, in einem Leben ohne Lebensentwickelung, ohne Ausbreitung, ohne freundliches Vernehmen mit der Welt, d. h. im iſolir¬ ten Leben, im Leben als Leben, nicht im Mitleben: nur der Stoiker lebt, alles Andere iſt für ihn todt. Umgekehrt ver¬ langen die Epicuräer ein bewegliches Leben.

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Die Alten verlangen, da ſie guter Dinge ſein wollen, nach Wohlleben (die Juden beſonders nach einem langen, mit Kindern und Gütern geſegneten Leben), nach der Eudämonie, dem Wohlſein in den verſchiedenſten Formen. Demokrit z. B. rühmt als ſolches die Gemüthsruhe , in der ſich's ſanft lebe, ohne Furcht und ohne Aufregung .

Er meint alſo, mit ihr fahre er am beſten, bereite ſich das beſte Loos und komme am beſten durch die Welt. Da er aber von der Welt nicht loskommen kann, und zwar gerade aus dem Grunde es nicht kann, weil ſeine ganze Thätigkeit in dem Be¬ mühen aufgeht, von ihr loszukommen, alſo im Abſtoßen der Welt (wozu doch nothwendig die abſtoßbare und abgeſtoßene beſtehen bleiben muß, widrigenfalls nichts mehr abzuſtoßen wäre): ſo erreicht er höchſtens einen äußerſten Grad der Be¬ freiung, und unterſcheidet ſich von den weniger Befreiten nur dem Grade nach. Käme er ſelbſt bis zur irdiſchen Sinnen¬ ertödtung, die nur noch das eintönige Wispern des Wortes Brahm zuläßt, er unterſchiede ſich dennoch nicht weſentlich vom ſinnlichen Menſchen.

Selbſt die ſtoiſche Haltung und Mannestugend läuft nur darauf hinaus, daß man ſich gegen die Welt zu erhalten und zu behaupten habe, und die Ethik der Stoiker (ihre einzige Wiſſenſchaft, da ſie nichts von dem Geiſte auszuſagen wußten, als wie er ſich zur Welt verhalten ſolle, und von der Natur (Phyſik) nur dieß, daß der Weiſe ſich gegen ſie zu behaupten habe) iſt nicht eine Lehre des Geiſtes, ſondern nur eine Lehre der Weltabſtoßung und Selbſtbehauptung gegen die Welt. Und dieſe beſteht in der Unerſchütterlichkeit und dem Gleichmuthe des Lebens , alſo in der ausdrücklichſten Römertugend.

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Weiter als zu dieſer Lebensweisheit brachten es auch die Römer nicht (Horaz, Cicero u. ſ. w.).

Das Wohlergehen (Hedone) der Epicuräer iſt die¬ ſelbe Lebensweisheit wie die der Stoiker, nur liſtiger, betrügeriſcher. Sie lehren nur ein anderes Verhalten gegen die Welt, ermahnen nur eine kluge Haltung gegen die Welt ſich zu geben: die Welt muß betrogen werden, denn ſie iſt meine Feindin.

Vollſtändig wird der Bruch mit der Welt von den Skep¬ tikern vollführt. Meine ganze Beziehung zur Welt iſt werth - und wahrheitslos . Timon ſagt: die Empfindungen und Gedanken, welche wir aus der Welt ſchöpfen, enthalten keine Wahrheit. Was iſt Wahrheit! ruft Pilatus aus. Die Welt iſt nach Pyrrhon's Lehre weder gut noch ſchlecht, weder ſchön noch häßlich u. ſ. w., ſondern dieß ſind Prädicate, welche Ich ihr gebe. Timon ſagt: An ſich ſei weder etwas gut noch ſei es ſchlecht, ſondern der Menſch denke ſich's nur ſo oder ſo; der Welt gegenüber bleibe nur die Atararie (die Ungerührtheit) und Aphaſie (das Verſtummen oder mit andern Worten: die iſolirte Innerlichkeit) übrig. In der Welt ſei keine Wahrheit mehr zu erkennen , die Dinge wider¬ ſprechen ſich, die Gedanken über die Dinge ſeien unterſchieds¬ los (gut und ſchlecht ſeien einerlei, ſo daß, was der Eine gut nennt, ein Anderer ſchlecht findet); da ſei es mit der Erkennt¬ niß der Wahrheit aus, und nur der erkenntnißloſe Menſch, der Menſch, welcher an der Welt nichts zu erken¬ nen findet, bleibe übrig, und dieſer Menſch laſſe die wahrheits¬ leere Welt eben ſtehen und mache ſich nichts aus ihr.

So wird das Alterthum mit der Welt der Dinge, der Weltordnung, dem Weltganzen fertig; zur Weltordnung oder den Dingen dieſer Welt gehört aber nicht etwa nur die Natur,33 ſondern alle Verhältniſſe, in welche der Menſch durch die Na¬ tur ſich geſtellt ſieht, z. B. die Familie, das Gemeinweſen, kurz die ſogenannten natürlichen Bande . Mit der Welt des Geiſtes beginnt dann das Chriſtenthum. Der Menſch, welcher der Welt noch gewappnet gegenüber ſteht, iſt der Alte, der Heide (wozu auch der Jude als Nichtchriſt ge¬ hört); der Menſch, welchen nichts mehr leitet als ſeine Her¬ zensluſt , ſeine Theilnahme, Mitgefühl, ſein Geiſt, iſt der Neue, der Chriſt.

Da die Alten auf die Weltüberwindung hinarbeiteten und den Menſchen von den ſchweren umſtrickenden Banden des Zuſammenhanges mit Anderem zu erlöſen ſtrebten, ſo kamen ſie auch zuletzt zur Auflöſung des Staates und Bevorzugung alles Privaten. Gemeinweſen, Familie u. ſ. w. ſind ja als natürliche Verhältniſſe läſtige Hemmungen, die meine gei¬ ſtige Freiheit ſchmälern.

2. Die Neuen.

Iſt jemand in Chriſto, ſo iſt er eine neue Creatur; das Alte iſt vergangen, ſiehe, es iſt alles neu geworden. *)2 Cor. 5, 17.

Wurde oben geſagt: den Alten war die Welt eine Wahr¬ heit, ſo müſſen Wir hier ſagen: den Neuen war der Geiſt eine Wahrheit, dürfen aber, wie dort, ſo hier den Zuſatz nicht auslaſſen: eine Wahrheit, hinter deren Unwahrheit ſie zu kom¬ men ſuchten und endlich wirklich kommen.

Ein ähnlicher Gang, wie das Alterthum ihn genommen,334läßt ſich auch am Chriſtenthum nachweiſen, indem bis in die die Reformation vorbereitende Zeit hinein der Verſtand unter der Herrſchaft der chriſtlichen Dogmen gefangen gehalten wurde, im vorreformatoriſchen Jahrhundert aber ſophiſtiſch ſich erhob und mit allen Glaubensſätzen ein ketzeriſches Spiel trieb. Dabei hieß es denn, zumal in Italien und am römiſchen Hofe: wenn nur das Herz chriſtlich geſinnt bleibt, ſo mag der Ver¬ ſtand immerhin ſeine Luſt genießen.

Man war längſt vor der Reformation ſo ſehr an ſpitzfin¬ diges Gezänk gewöhnt, daß der Papſt und die Meiſten auch Luthers Auftreten anfänglich für ein bloßes Mönchsgezänk anſahen. Der Humanismus entſpricht der Sophiſtik, und wie zur Zeit der Sophiſten das griechiſche Leben in höchſter Blüthe ſtand (Perikleiſches Zeitalter), ſo geſchah das Glänzendſte zur Zeit des Humanismus, oder, wie man vielleicht auch ſagen könnte, des Macchiavellismus (Buchdruckerkunſt, Neue Welt u. ſ.w.). Das Herz war in dieſer Zeit noch weit davon entfernt, des chriſtlichen Inhalts ſich entledigen zu wollen.

Aber die Reformation machte endlich, wie Sokrates, mit dem Herzen ſelber Ernſt, und ſeitdem ſind die Herzen zu¬ ſehends unchriſtlicher geworden. Indem man mit Luther anfing, ſich die Sache zu Herzen zu nehmen, mußte dieſer Schritt der Reformation dahin führen, daß auch das Herz von der ſchweren Laſt der Chriſtlichkeit erleichtert wird. Das Herz, von Tag zu Tag unchriſtlicher, verliert den Inhalt, mit welchem es ſich beſchäftigt, bis zuletzt ihm nichts als die leere Herz¬ lichkeit übrig bleibt, die ganze allgemeine Menſchenliebe, die Liebe des Menſchen, das Freiheitsbewußtſein, das Selbſt¬ bewußtſein .

So erſt iſt das Chriſtenthum vollendet, weil es kahl, ab¬35 geſtorben und inhaltsleer geworden iſt. Es giebt nun keinen Inhalt mehr, gegen welchen das Herz ſich nicht auflehnte, es ſei denn, daß es unbewußt oder ohne Selbſtbewußtſein von ihm beſchlichen würde. Das Herz kritiſirt alles, was ſich eindrängen will, mit ſchonungsloſer Unbarmherzigkeit zu Tode, und iſt keiner Freundſchaft, keiner Liebe (außer eben un¬ bewußt oder überrumpelt) fähig. Was gäbe es auch an den Menſchen zu lieben, da ſie alleſammt Egoiſten ſind, keiner der Menſch als ſolcher, d. h. keiner nur Geiſt. Der Chriſt liebt nur den Geiſt; wo wäre aber Einer, der wirklich nichts als Geiſt wäre?

Den leibhaftigen Menſchen mit Haut und Haaren lieb zu haben, das wäre ja keine geiſtige Herzlichkeit mehr, wäre ein Verrath an der reinen Herzlichkeit, dem theoretiſchen Intereſſe . Denn man ſtelle ſich die reine Herzlichkeit nur nicht vor wie jene Gemüthlichkeit, die Jedermann freundlich die Hand drückt; im Gegentheil, die reine Herzlichkeit iſt gegen Niemand herzlich, ſie iſt nur theoretiſche Theilnahme, Antheil am Menſchen als Menſchen, nicht als Perſon. Die Perſon iſt ihr widerlich, weil ſie egoiſtiſch , weil ſie nicht der Menſch, dieſe Idee, iſt. Nur für die Idee aber giebt es ein theoreti¬ ſches Intereſſe. Für die reine Herzlichkeit oder die reine Theorie ſind die Menſchen nur da, um kritiſirt, verhöhnt und gründlichſt verachtet zu werden: ſie ſind für ſie nicht minder, als für den fanatiſchen Pfaffen, nur Dreck und ſonſt dergleichen Sauberes.

Auf dieſe äußerſte Spitze intereſſeloſer Herzlichkeit getrieben, müſſen Wir endlich inne werden, daß der Geiſt, welchen der Chriſt allein liebt, nichts iſt, oder daß der Geiſt eine Lüge iſt.

Was hier gedrängt und wohl noch unverſtändlich hinge¬ worfen wurde, wird ſich im weitern Verlauf hoffentlich aufklären.

3 *36

Nehmen Wir die von den Alten hinterlaſſene Erbſchaft auf und machen Wir als thätige Arbeiter damit ſo viel, als ſich damit machen läßt! Die Welt liegt verachtet zu Un¬ ſern Füßen, tief unter Uns und Unſerem Himmel, in den ihre mächtigen Arme nicht mehr hineingreifen und ihr ſinnbetäubender Hauch nicht eindringt; wie verführeriſch ſie ſich auch gebährde, ſie kann nichts als unſern Sinn bethören, den Geiſt und Geiſt ſind Wir doch allein wahrhaft irrt ſie nicht. Einmal hinter die Dinge gekommen, iſt der Geiſt auch über ſie ge¬ kommen, und frei geworden von ihren Banden, ein entknech¬ teter, jenſeitiger freier. So ſpricht die geiſtige Freiheit .

Dem Geiſte, der nach langem Mühen die Welt los ge¬ worden iſt, dem weltloſen Geiſte, bleibt nach dem Verluſte der Welt und des Weltlichen nichts übrig, als der Geiſt und das Geiſtige.

Da er jedoch ſich von der Welt nur entfernt und zu einem von ihr freien Weſen gemacht hat, ohne ſie wirklich ver¬ nichten zu können, ſo bleibt ſie ihm ein unwegräumbarer An¬ ſtoß, ein in Verruf gebrachtes Weſen, und da er andererſeits nichts kennt und anerkennt, als Geiſt und Geiſtiges, ſo muß er fortdauernd ſich mit der Sehnſucht tragen, die Welt zu ver¬ geiſtigen, d. h. ſie aus dem Verſchiß zu erlöſen. Deshalb geht er, wie ein Jüngling, mit Welterlöſungs - oder Weltver¬ beſſerungsplänen um.

Die Alten dienten, Wir ſahen es, dem Natürlichen, Welt¬ lichen, der natürlichen Weltordnung, aber ſie fragten ſich unauf¬ hörlich, ob ſie denn dieſes Dienſtes ſich nicht entheben könnten, und als ſie in ſtets erneuten Empörungsverſuchen ſich todmüde gearbeitet hatten, da ward ihnen unter ihren letzten Seufzern der Gott geboren, der Weltüberwinder . All ihr Thun war37 nichts geweſen als Weltweisheit, ein Trachten hinter und über die Welt hinaus zu kommen. Und was iſt die Weisheit der vielen folgenden Jahrhunderte? Hinter was ſuchten die Neuen zu kommen? Hinter die Welt nicht mehr, denn das hatten die Alten vollbracht, ſondern hinter den Gott, den jene ihnen hinterließen, hinter den Gott, der Geiſt iſt , hinter alles, was des Geiſtes iſt, das Geiſtige. Die Thätigkeit des Geiſtes aber, der ſelbſt die Tiefen der Gottheit erforſcht , iſt die Got¬ tesgelahrtheit. Haben die Alten nichts aufzuweiſen als Welt¬ weisheit, ſo brachten und bringen es die Neuen niemals weiter als zur Gottesgelahrtheit. Wir werden ſpäter ſehen, daß ſelbſt die neueſten Empörungen gegen Gott nichts als die äußerſten Anſtrengungen der Gottesgelahrtheit , d. h. theologiſche Inſur¬ rectionen ſind.

§. 1. Der Geiſt.

Das Geiſterreich iſt ungeheuer groß, des Geiſtigen un¬ endlich viel: ſehen Wir doch zu, was denn der Geiſt, dieſe Hinterlaſſenſchaft der Alten, eigentlich iſt.

Aus ihren Geburtswehen ging er hervor, ſie ſelbſt aber konnten ſich nicht als Geiſt ausſprechen: ſie konnten ihn ge¬ bären, ſprechen mußte er ſelbſt. Der geborene Gott, der Menſchenſohn ſpricht erſt das Wort aus, daß der Geiſt, d. h. er, der Gott, es mit nichts Irdiſchem und keinem irdiſchen Verhältniſſe zu thun habe, ſondern lediglich mit dem Geiſte und geiſtigen Verhältniſſen.

Iſt etwa Mein unter allen Schlägen der Welt unvertilg¬ barer Muth, Meine Unbeugſamkeit und Mein Trotz, weil ihm die Welt nichts anhat, ſchon im vollen Sinne der Geiſt? So wäre er ja noch mit der Welt in Feindſchaft, und all ſein38 Thun beſchränkte ſich darauf, ihr nur nicht zu unterliegen! Nein, bevor er ſich nicht allein mit ſich ſelbſt beſchäftigt, bevor er es nicht mit ſeiner Welt, der geiſtigen, allein zu thun hat, iſt er nicht freier Geiſt, ſondern nur der Geiſt dieſer Welt , der an ſie gefeſſelte. Der Geiſt iſt freier Geiſt, d. h. wirklich Geiſt erſt in einer ihm eigenen Welt; in dieſer , der irdiſchen Welt, iſt er ein Fremdling. Nur mittelſt einer geiſtigen Welt iſt der Geiſt wirklich Geiſt, denn dieſe Welt verſteht ihn nicht und weiß das Mädchen aus der Fremde nicht bei ſich zu behalten.

Woher ſoll ihm dieſe geiſtige Welt aber kommen? Woher anders als aus ihm ſelbſt! Er muß ſich offenbaren, und die Worte, die er ſpricht, die Offenbarungen, in denen er ſich ent¬ hüllt, die ſind ſeine Welt. Wie ein Phantaſt nur in den phantaſtiſchen Gebilden, die er ſelber erſchafft, lebt und ſeine Welt hat, wie ein Narr ſich ſeine eigene Traumwelt erzeugt, ohne welche er eben kein Narr zu ſein vermöchte, ſo muß der Geiſt ſich ſeine Geiſterwelt erſchaffen, und iſt, bevor er ſie erſchafft, nicht Geiſt.

Alſo ſeine Schöpfungen machen ihn zum Geiſt, und an den Geſchöpfen erkennt man ihn, den Schöpfer: in ihnen lebt er, ſie ſind ſeine Welt.

Was iſt nun der Geiſt? Er iſt der Schöpfer einer gei¬ ſtigen Welt! Auch an Dir und Mir erkennt man erſt Geiſt an, wenn man ſieht, daß Wir Geiſtiges Uns angeeignet haben, d. h. Gedanken, mögen ſie Uns auch vorgeführt worden ſein, doch in Uns zum Leben gebracht haben; denn ſo lange Wir Kinder waren, hätte man Uns die erbaulichſten Gedanken vorlegen können, ohne daß Wir gewollt oder im Stande ge¬ weſen wären, ſie in Uns wiederzuerzeugen. So iſt auch der39 Geiſt nur, wenn er Geiſtiges ſchafft: er iſt nur mit dem Gei¬ ſtigen, ſeinem Geſchöpfe, zuſammen wirklich.

Da Wir ihn denn an ſeinen Werken erkennen, ſo fragt ſich's, welches dieſe Werke ſeien. Die Werke oder Kinder des Geiſtes ſind aber nichts anderes als Geiſter.

Hätte Ich Juden, Juden von ächtem Schrot und Korn vor Mir, ſo müßte Ich hier aufhören und ſie vor dieſem My¬ ſterium ſtehen laſſen, wie ſie ſeit beinahe zweitauſend Jahren ungläubig und erkenntnißlos davor ſtehen geblieben ſind. Da Du aber, mein lieber Leſer, wenigſtens kein Vollblutsjude biſt, denn ein ſolcher wird ſich nicht bis hierher verirren ſo wollen Wir noch eine Strecke Weges mit einander machen, bis auch Du vielleicht Mir den Rücken kehrſt, weil Ich Dir ins Geſicht lache.

Sagte Dir Jemand, Du ſeieſt ganz Geiſt, ſo würdeſt Du an Deinen Leib faſſen und ihm nicht glauben, ſondern ant¬ worten: Ich habe wohl Geiſt, exiſtire aber nicht bloß als Geiſt, ſondern bin ein leibhaftiger Menſch. Du würdeſt Dich noch immer von Deinem Geiſte unterſcheiden. Aber, erwi¬ dert jener, es iſt Deine Beſtimmung, wenn Du auch jetzt noch in den Feſſeln des Leibes einhergehſt, dereinſt ein ſeliger Geiſt zu werden, und wie Du das künftige Ausſehen dieſes Geiſtes Dir auch vorſtellen magſt, ſo iſt doch ſo viel gewiß, daß Du im Tode dieſen Leib ausziehen und gleichwohl Dich, d. h. Deinen Geiſt, für die Ewigkeit erhalten wirſt; mithin iſt Dein Geiſt das Ewige und Wahre an Dir, der Leib nur eine diesſeitige Wohnung, welche Du verlaſſen und vielleicht mit einer andern vertauſchen kannſt.

Nun glaubſt Du ihm! Für jetzt zwar biſt Du nicht bloß Geiſt, aber wenn Du einſt aus dem ſterblichen Leibe40 auswandern mußt, dann wirſt Du ohne den Leib Dich behel¬ fen müſſen, und darum thut es noth, daß Du Dich vorſeheſt und bei Zeiten für Dein eigentliches Ich ſorgeſt. Was hülfe es dem Menſchen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an ſeiner Seele.

Geſetzt aber auch, Zweifel, im Laufe der Zeit gegen die chriſtlichen Glaubensſätze erhoben, haben Dich längſt des Glaubens an die Unſterblichkeit Deines Geiſtes beraubt: Einen Satz haſt Du dennoch ungerüttelt gelaſſen, und der Einen Wahrheit hängſt Du immer noch unbefangen an, daß der Geiſt Dein beſſer Theil ſei, und daß das Geiſtige größere Anſprüche an Dich habe, als alles andere. Du ſtimmſt trotz all Deines Atheismus mit dem Unſterblichkeitsgläubigen im Eifer gegen den Egoismus zuſammen.

Wen aber denkſt Du Dir unter dem Egoiſten? Einen Menſchen, der, anſtatt einer Idee, d. h. einem Geiſtigen zu leben, und ihr ſeinen perſönlichen Vortheil zu opfern, dem letzteren dient. Ein guter Patriot z. B. trägt ſeine Opfer auf den Altar des Vaterlandes; daß aber das Vaterland eine Idee ſei, läßt ſich nicht beſtreiten, da es für geiſtesunfähige Thiere oder noch geiſtloſe Kinder kein Vaterland und keinen Patrio¬ tismus giebt. Bewährt ſich nun Jemand nicht als einen gu¬ ten Patrioten, ſo verräth er in Bezug auf's Vaterland ſeinen Egoismus. Und ſo verhält ſich's in unzähligen andern Fällen: wer in der menſchlichen Geſellſchaft ein Vorrecht ſich zu nutze macht, der ſündigt egoiſtiſch gegen die Idee der Gleichheit; wer Herrſchaft übt, den ſchilt man einen Egoiſten gegen die Idee der Freiheit u. ſ. w.

Darum verachteſt Du den Egoiſten, weil er das Geiſtige gegen das Perſönliche zurückſetzt, und für ſich beſorgt iſt, wo41 Du ihn einer Idee zu Liebe handeln ſehen möchteſt. Ihr unterſcheidet Euch darin, daß Du den Geiſt, er aber Sich zum Mittelpunkte macht, oder daß Du Dein Ich entzweiſt und Dein eigentliches Ich , den Geiſt, zum Gebieter des werthloſeren Reſtes erhebſt, während er von dieſer Entzweiung nichts wiſſen will, und geiſtige und materielle Intereſſen eben nach ſeiner Luſt verfolgt. Du meinſt zwar nur auf diejenigen loszu¬ ziehen, welche gar kein geiſtiges Intereſſe faſſen, in der That aber fluchſt Du auf alle, welche das geiſtige Intereſſe nicht für ihr wahres und höchſtes anſehen. Du treibſt den Ritter¬ dienſt für dieſe Schöne ſo weit, daß Du behaupteſt, ſie ſei die einzige Schönheit der Welt. Du lebſt nicht Dir, ſondern Deinem Geiſte und dem, was des Geiſtes iſt, d. h. Ideen.

Da der Geiſt nur iſt, indem er Geiſtiges ſchafft, ſo ſehen Wir Uns nach ſeiner erſten Schöpfung um. Hat er dieſe erſt vollbracht, ſo folgt fortan eine natürliche Fortpflanzung von Schö¬ pfungen, wie nach der Mythe nur die erſten Menſchen geſchaffen zu werden brauchten, das übrige Geſchlecht ſich von ſelbſt fort¬ pflanzte. Die erſte Schöpfung hingegen muß aus dem Nichts hervorgehen, d. h. der Geiſt hat zu ihrer Verwirklichung nichts als ſich ſelber, oder vielmehr, er hat ſich noch nicht einmal, ſondern muß ſich erſchaffen: ſeine erſte Schöpfung iſt daher er ſelber, der Geiſt. So myſtiſch dieß auch klinge, ſo erleben Wir's doch als eine alltägliche Erfahrung. Biſt Du eher ein Denkender, als Du denkſt? Indem Du den erſten Ge¬ danken erſchaffſt, erſchaffſt Du Dich, den Denkenden; denn Du denkſt nicht, bevor Du einen Gedanken denkſt, d. h. haſt. Macht Dich nicht erſt Dein Singen zum Sänger, Dein Spre¬ chen zum ſprechenden Menſchen? Nun ſo macht Dich auch das Hervorbringen von Geiſtigem erſt zum Geiſte.

42

Wie Du indeß vom Denker, Sänger und Sprecher Dich unterſcheideſt, ſo unterſcheideſt Du Dich nicht minder vom Geiſte und fühlſt ſehr wohl, daß Du noch etwas anderes als Geiſt biſt. Allein wie dem denkenden Ich im Enthuſiasmus des Denkens leicht Hören und Sehen vergeht, ſo hat auch Dich der Geiſt-Enthuſiasmus ergriffen, und Du ſehnſt Dich nun mit aller Gewalt, ganz Geiſt zu werden und im Geiſte aufzugehen. Der Geiſt iſt Dein Ideal, das Unerreichte, das Jenſeitige: Geiſt heißt Dein Gott, Gott iſt Geiſt .

Gegen alles, was nicht Geiſt iſt, biſt Du ein Eiferer, und darum eiferſt Du gegen Dich ſelbſt, der Du einen Reſt von Nichtgeiſtigem nicht los wirſt. Statt zu ſagen: Ich bin mehr als Geiſt, ſagſt Du mit Zerknirſchung: Ich bin weniger als Geiſt, und Geiſt, reinen Geiſt, oder den Geiſt, der nichts als Geiſt, den kann Ich Mir nur denken, bin es aber nicht, und da Ich's nicht bin, ſo iſt's ein Anderer, exiſtirt als ein Anderer, den Ich Gott nenne.

Es liegt in der Natur der Sache, daß der Geiſt, der als reiner Geiſt exiſtiren ſoll, ein jenſeitiger ſein muß, denn da Ich's nicht bin, ſo kann er nur außer Mir ſein, da ein Menſch überhaupt nicht völlig in dem Begriffe Geiſt auf¬ geht, ſo kann der reine Geiſt, der Geiſt als ſolcher, nur außer¬ halb der Menſchen ſein, nur jenſeits der Menſchenwelt, nicht irdiſch, ſondern himmliſch.

Nur aus dieſem Zwieſpalt, in welchem Ich und der Geiſt liegen, nur weil Ich und Geiſt nicht Namen für ein und daſ¬ ſelbe, ſondern verſchiedene Namen für völlig Verſchiedenes ſind, nur weil Ich nicht Geiſt und Geiſt nicht Ich iſt: nur daraus erklärt ſich ganz tautologiſch die Nothwendigkeit, daß der Geiſt im Jenſeits hauſt, d.h. Gott iſt.

43

Daraus geht aber auch hervor, wie durchaus theologiſch, d.h. gottesgelahrt, die Befreiung iſt, welche Feuerbach*) Weſen des Chriſtenthums. Uns zu geben ſich bemüht. Er ſagt nämlich, Wir hätten Unſer eigenes Weſen nur verkannt und darum es im Jenſeits ge¬ ſucht, jetzt aber, da Wir einſähen, daß Gott nur Unſer menſch¬ liches Weſen ſei, müßten Wir es wieder als das Unſere anerkennen und aus dem Jenſeits in das Diesſeits zurückver¬ ſetzen. Den Gott, der Geiſt iſt, nennt Feuerbach Unſer We¬ ſen . Können Wir Uns das gefallen laſſen, daß Unſer Weſen zu Uns in einen Gegenſatz gebracht, daß Wir in ein weſentliches und ein unweſentliches Ich zerſpalten werden? Rücken Wir damit nicht wieder in das traurige Elend zurück, aus Uns ſelbſt Uns verbannt zu ſehen?

Was gewinnen Wir denn, wenn Wir das Göttliche außer Uns zur Abwechſelung einmal in Uns verlegen? Sind Wir das, was in Uns iſt? So wenig als Wir das ſind, was außer Uns iſt. Ich bin ſo wenig mein Herz, als Ich meine Herzgeliebte, dieſes mein anderes Ich bin. Gerade weil Wir nicht der Geiſt ſind, der in Uns wohnt, gerade darum mußten Wir ihn außer Uns verſetzen: er war nicht Wir, fiel nicht mit Uns in Eins zuſammen, und darum konnten Wir ihn nicht anders exiſtirend denken als außer Uns, jenſeits von Uns, im Jenſeits.

Mit der Kraft der Verzweiflung greift Feuerbach nach dem geſammten Inhalt des Chriſtenthums, nicht, um ihn weg¬ zuwerfen, nein, um ihn an ſich zu reißen, um ihn, den lang¬ erſehnten, immer ferngebliebenen, mit einer letzten Anſtrengung44 aus ſeinem Himmel zu ziehen und auf ewig bei ſich zu be¬ halten. Iſt das nicht ein Griff der letzten Verzweiflung, ein Griff auf Leben und Tod, und iſt es nicht zugleich die chriſt¬ liche Sehnſucht und Begierde nach dem Jenſeits? Der Heros will nicht in das Jenſeits eingehen, ſondern das Jenſeits an ſich heranziehen, und zwingen, daß es zum Diesſeits werde! Und ſchreit ſeitdem nicht alle Welt, mit mehr oder weniger Bewußtſein, aufs Diesſeits komme es an, und der Himmel müſſe auf die Erde kommen und ſchon hier erlebt werden?

Stellen Wir in Kürze die theologiſche Anſicht Feuerbach's und Unſern Widerſpruch einander gegenüber! Das Weſen des Menſchen iſt des Menſchen höchſtes Weſen; das höchſte Weſen wird nun zwar von der Religion Gott genannt und als ein gegenſtändliches Weſen betrachtet, in Wahrheit aber iſt es nur des Menſchen eigenes Weſen, und deshalb iſt der Wendepunkt der Weltgeſchichte der, daß fortan dem Menſchen nicht mehr Gott als Gott, ſondern der Menſch als Gott erſcheinen ſoll. *)Vergl, z. B. Weſen des Chriſtenthums S. 402.

Wir erwidern hieraus: das höchſte Weſen iſt allerdings das Weſen des Menſchen, aber eben weil es ſein Weſen und nicht er ſelbſt iſt, ſo bleibt es ſich ganz gleich, ob Wir es außer ihm ſehen und als Gott anſchauen, oder in ihm finden und Weſen des Menſchen oder der Menſch nennen. Ich bin weder Gott, noch der Menſch, weder das höchſte Weſen, noch Mein Weſen, und darum iſt's in der Hauptſache einerlei, ob Ich das Weſen in Mir oder außer Mir denke. Ja Wir denken auch wirklich immer das höchſte Weſen in45 beiderlei Jenſeitigkeit, in der innerlichen und äußerlichen, zu¬ gleich: denn der Geiſt Gottes iſt nach chriſtlicher Anſchau¬ ung auch Unſer Geiſt und wohnet in Uns . *)Z. B. Römer 8, 9; 1 Corinther 3, 16; Johannes 20, 22 und un¬ zählige andere Stellen.Er wohnt im Himmel und wohnt in Uns; Wir armen Dinger ſind eben nur ſeine Wohnung , und wenn Feuerbach noch die himmliſche Wohnung deſſelben zerſtört, und ihn nöthigt, mit Sack und Pack zu Uns zu ziehen, ſo werden Wir, ſein irdiſches Logis, ſehr überfüllt werden.

Doch nach dieſer Ausſchweifung, die Wir Uns, gedächten Wir überhaupt nach dem Schnürchen zu gehen, auf ſpätere Blätter hätten verſparen müſſen, um eine Wiederholung zu vermeiden, kehren Wir zur erſten Schöpfung des Geiſtes, dem Geiſte ſelbſt, zurück.

Der Geiſt iſt etwas anderes als Ich. Dieſes Andere aber, was iſt's?

§ 2. Die Beſeſſenen.

Haſt Du ſchon einen Geiſt geſehen? Nein, Ich nicht, aber Meine Großmutter. Siehſt Du, ſo geht Mir's auch: Ich ſelbſt habe keinen geſehen, aber Meiner Großmutter liefen ſie aller Wege zwiſchen die Beine, und aus Vertrauen zur Ehr¬ lichkeit Unſerer Großmutter glauben Wir an die Exiſtenz von Geiſtern.

Aber hatten Wir denn keine Großväter, und zuckten die nicht jederzeit die Achſeln, ſo oft die Großmutter von ihren Geſpenſtern erzählte? Ja, es waren das ungläubige Männer und die Unſerer guten Religion viel geſchadet haben, dieſe Auf¬46 klärer! Wir werden das empfinden! Was läge denn dem war¬ men Geſpenſterglauben zu Grunde, wenn nicht der Glaube an das Daſein geiſtiger Weſen überhaupt , und wird nicht die¬ ſer letztere ſelbſt in ein unſeliges Wanken gebracht, wenn man geſtattet, daß freche Verſtandesmenſchen an jenem rütteln dür¬ fen? Welch einen Stoß der Gottesglaube ſelbſt durch die Ab¬ legung des Geiſter - oder Geſpenſterglaubens erlitt, das fühlten die Romantiker ſehr wohl, und ſuchten den unheilvollen Fol¬ gen nicht bloß durch ihre wiedererweckte Märchenwelt abzuhel¬ fen, ſondern zuletzt beſonders durch das Hereinragen einer höheren Welt , durch ihre Somnambulen, Seherinnen von Prevorſt u. ſ. w. Die guten Gläubigen und Kirchenväter ahnten nicht, daß mit dem Geſpenſterglauben der Religion ihr Boden entzogen werde, und daß ſie ſeitdem in der Luft ſchwebe. Wer an kein Geſpenſt mehr glaubt, der braucht nur in ſei¬ nem Unglauben conſequent fortzuwandeln, um einzuſehen, daß überhaupt hinter den Dingen kein apartes Weſen ſtecke, kein Geſpenſt oder was naiver Weiſe auch dem Worte nach für gleichbedeutend gilt kein Geiſt .

Es exiſtiren Geiſter! Blick 'umher in der Welt und ſage ſelbſt, ob nicht aus allem Dich ein Geiſt anſchaut. Aus der Blume, der kleinen, lieblichen, ſpricht der Geiſt des Schöpfers zu Dir, der ſie ſo wunderbar geformt hat; die Sterne verkün¬ den den Geiſt, der ſie geordnet, von den Berggipfeln weht ein Geiſt der Erhabenheit herunter, aus den Waſſern rauſcht ein Geiſt der Sehnſucht herauf, und aus den Menſchen reden Millionen Geiſter. Mögen die Berge einſinken, die Blumen verblühen, die Sternenwelt zuſammenſtürzen, die Menſchen ſter¬ ben was liegt am Untergang dieſer ſichtbaren Körper? Der Geiſt, der unſichtbare , bleibt ewig!

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Ja, es ſpukt in der ganzen Welt! Nur in ihr? Nein, ſie ſelber ſpukt, ſie iſt unheimlich durch und durch, ſie iſt der wandelnde Scheinleib eines Geiſtes, ſie iſt ein Spuk. Was wäre ein Geſpenſt denn anders als ein ſcheinbarer Leib, aber wirklicher Geiſt? Nun, die Welt iſt eitel , iſt nichtig , iſt nur blendender Schein ; ihre Wahrheit iſt allein der Geiſt; ſie iſt der Scheinleib eines Geiſtes.

Schau 'hin in die Nähe oder in die Ferne, Dich umgiebt überall eine geſpenſtiſche Welt: Du haſt immer Erſchei¬ nungen oder Viſionen. Alles, was Dir erſcheint, iſt nur der Schein eines inwohnenden Geiſtes, iſt eine geſpenſtiſche Erſcheinung , die Welt Dir nur eine Erſcheinungswelt , hinter welcher der Geiſt ſein Weſen treibt. Du ſiehſt Geiſter .

Gedenkſt Du Dich etwa mit den Alten zu vergleichen, die überall Götter ſahen? Götter, mein lieber Neuer, ſind keine Geiſter; Götter ſetzen die Welt nicht zu einem Schein herab und vergeiſtigen ſie nicht.

Dir aber iſt die ganze Welt vergeiſtigt und ein räthſel¬ haftes Geſpenſt geworden; darum wundere Dich nicht, wenn Du ebenſo in Dir nichts als einen Spuk findeſt. Spukt nicht Dein Geiſt in Deinem Leibe, und iſt nicht jener allein das Wahre und Wirkliche, dieſer nur das Vergängliche, Nichtige oder ein Schein ? Sind Wir nicht Alle Geſpen¬ ſter, unheimliche Weſen, die auf Erlöſung harren, nämlich Geiſter ?

Seit der Geiſt in der Welt erſchienen, ſeit das Wort Fleiſch geworden iſt, ſeitdem iſt die Welt vergeiſtigt, verzau¬ bert, ein Spuk.

Du haſt Geiſt, denn Du haſt Gedanken. Was ſind Deine Gedanken? Geiſtige Weſen. Alſo keine Dinge? Nein,48 aber der Geiſt der Dinge, die Hauptſache an allen Dingen, ihr Innerſtes, ihre Idee. Was Du denkſt, iſt mithin nicht bloß Dein Gedanke? Im Gegentheil, es iſt das Wirk¬ lichſte, das eigentlich Wahre an der Welt: es iſt die Wahrheit ſelber; wenn Ich nur wahrhaft denke, ſo denke Ich die Wahr¬ heit. Ich kann Mich zwar über die Wahrheit täuſchen und ſie verkennen; wenn Ich aber wahrhaft erkenne, ſo iſt der Gegenſtand Meiner Erkenntniß die Wahrheit. So trachteſt Du wohl allezeit die Wahrheit zu erkennen? Die Wahr¬ heit iſt Mir heilig. Es kann wohl kommen, daß Ich eine Wahrheit unvollkommen finde und durch eine beſſere erſetze, aber die Wahrheit kann Ich nicht abſchaffen. An die Wahr¬ heit glaube Ich, darum forſche Ich in ihr; über ſie geht's nicht hinaus, ſie iſt ewig.

Heilig, ewig iſt die Wahrheit, ſie iſt das Heilige, das Ewige. Du aber, der Du von dieſem Heiligen Dich erfüllen und leiten läſſeſt, wirſt ſelbſt geheiligt. Auch iſt das Heilige nicht für Deine Sinne, und niemals entdeckſt Du als ein Sinnlicher ſeine Spur, ſondern für Deinen Glauben oder be¬ ſtimmter noch für Deinen Geiſt: denn es iſt ja ſelbſt ein Geiſtiges, ein Geiſt, iſt Geiſt für den Geiſt.

Das Heilige läßt ſich keineswegs ſo leicht beſeitigen, als gegenwärtig Manche behaupten, die dieß ungehörige Wort nicht mehr in den Mund nehmen. Werde Ich auch nur in Einer Beziehung noch Egoiſt geſcholten, ſo bleibt der Gedanke an ein Anderes übrig, dem Ich mehr dienen ſollte als Mir, und das Mir wichtiger ſein müßte als Alles, kurz ein Etwas, worin Ich Mein wahres Heil zu ſuchen hätte, ein Heiliges . Mag dieß Heilige auch noch ſo menſchlich ausſehen, mag es das Menſch¬ liche ſelber ſein, das nimmt ihm die Heiligkeit nicht ab, ſondern49 macht es höchſtens aus einem überirdiſchen zu einem irdiſchen Heiligen, aus einem Göttlichen zu einem Menſchlichen.

Heiliges exiſtirt nur für den Egoiſten, der ſich ſelbſt nicht anerkennt, den unfreiwilligen Egoiſten, für ihn, der immer auf das Seine aus iſt, und doch ſich nicht für das höchſte Weſen hält, der nur ſich dient und zugleich ſtets einem höheren Weſen zu dienen meint, der nichts Höheres kennt als ſich und gleichwohl für Höheres ſchwärmt, kurz für den Ego¬ iſten, der kein Egoiſt ſein möchte, und ſich erniedrigt, d. h. ſeinen Egoismus bekämpft, zugleich aber ſich ſelbſt nur des¬ halb erniedrigt, um erhöht zu werden , alſo um ſeinen Ego¬ ismus zu befriedigen. Weil er ablaſſen möchte, Egoiſt zu ſein, ſucht er in Himmel und Erde umher nach höheren Weſen, de¬ nen er diene und ſich opfere; aber ſo viel er ſich auch ſchüttelt und kaſteit, zuletzt thut er doch alles um ſeinetwillen und der verrufene Egoismus weicht nicht von ihm. Ich nenne ihn deswegen den unfreiwilligen Egoiſten.

Sein Mühen und Sorgen, von ſich loszukommen, iſt nichts als der mißverſtandene Trieb nach Selbſtauflöſung. Biſt Du an Deine vergangene Stunde gebunden, mußt Du heute plappern, weil Du geſtern geplappert haſt*)Wie ſie klingeln, die Pfaffen, wie angelegen ſie's machen, Daß man komme, nur ja plappre, wie geſtern, ſo heut. Scheltet mir nicht die Pfaffen! Sie kennen des Menſchen Bedürfniß: Denn wie iſt er beglückt, plappert er morgen, wie heut., kannſt Du nicht jeden Augenblick Dich umwandeln: ſo fühlſt Du Dich in Skla¬ venfeſſeln und erſtarrt. Darum winkt Dir über jede Minute Deines Daſeins hinaus eine friſche Minute der Zukunft, und, Dich entwickelnd, kommſt Du von Dir d. h. dem jeweiligen Du, los. Wie Du in jedem Augenblicke biſt, ſo biſt Du450Dein Geſchöpf, und eben an dieſes Geſchöpf magſt Du Dich, den Schöpfer nicht verlieren. Du biſt ſelbſt ein höheres We¬ ſen, als Du biſt, und übertriffſt Dich ſelbſt. Allein, daß Du der biſt, der höher iſt als Du, d. h. daß Du nicht bloß Ge¬ ſchöpf, ſondern gleicherweiſe Dein Schöpfer biſt, das eben ver¬ kennſt Du als unfreiwilliger Egoiſt, und darum iſt das hö¬ here Weſen Dir ein Fremdes. Jedes höhere Weſen, wie Wahrheit, Menſchheit u. ſ. w., iſt ein Weſen über Uns.

Fremdheit iſt ein Kennzeichen des Heiligen . In allem Heiligen liegt etwas Unheimliches , d. h. Fremdes, worin Wir nicht ganz heimiſch und zu Hauſe ſind. Was Mir hei¬ lig iſt, das iſt Mir nicht eigen, und wäre Mir z. B. das Eigenthum Anderer nicht heilig, ſo ſähe Ich's für das Meine an, das Ich bei guter Gelegenheit Mir zulegte, oder gilt Mir umgekehrt das Geſicht des chineſiſchen Kaiſers für heilig, ſo bleibt es meinem Auge fremd, und Ich ſchließe daſſelbe bei ſeinem Erſcheinen.

Warum iſt eine unumſtößliche mathematiſche Wahrheit, die nach dem gewöhnlichen Wortverſtande ſogar eine ewige genannt werden könnte, keine heilige? Weil ſie keine geoffen¬ barte, oder nicht die Offenbarung eines höhern Weſens iſt. Wenn man unter geoffenbarten nur die ſogenannten religiöſen Wahrheiten verſteht, ſo geht man ſehr irre, und verkennt gänz¬ lich die Weite des Begriffes höheres Weſen . Mit dem hö¬ heren Weſen, welches auch unter dem Namen des höchſten oder être suprême verehrt wurde, treiben die Atheiſten ihren Spott und treten einen Beweis von ſeinem Daſein nach dem andern in den Staub, ohne zu merken, daß ſie ſelber aus Bedürfniß eines höheren Weſens das alte nur vernichten, um für ein neues Platz zu gewinnen. Iſt etwa nicht der51 Menſch ein höheres Weſen als ein einzelner Menſch, und werden die Wahrheiten, Rechte und Ideen, die ſich aus ſeinem Begriffe ergeben, nicht als Offenbarungen eben dieſes Begriffes verehrt und heilig gehalten werden müſſen? Denn ſollte man auch manche Wahrheit, welche durch dieſen Begriff mani¬ feſtirt zu ſein ſchien, wieder abſchaffen, ſo zeugte dieß doch allein für ein Mißverſtändniß von unſerer Seite, ohne im Ge¬ ringſten dem heiligen Begriffe ſelbſt Eintrag zu thun oder den¬ jenigen Wahrheiten, welche mit Recht als Offenbarungen deſſelben angeſehen werden müſſen, ihre Heiligkeit zu nehmen. Der Menſch greift über jeden einzelnen Menſchen hinaus und iſt, obgleich ſein Weſen , in der That doch nicht ſein We¬ ſen, welches vielmehr ſo einzig wäre als er, der Einzelne, ſel¬ ber, ſondern ein allgemeines und höheres , ja für die Athe¬ iſten das höchſte Weſen . Und wie die göttlichen Offenba¬ rungen nicht von Gott eigenhändig niedergeſchrieben, ſondern durch die Rüſtzeuge des Herrn veröffentlicht wurden, ſo ſchreibt auch das neue höchſte Weſen ſeine Offenbarungen nicht ſelbſt auf, ſondern läßt ſie durch wahre Menſchen zu unſerer Kunde gelangen. Nur verräth das neue Weſen eine in der That geiſtigere Auffaſſung als der alte Gott, weil dieſer noch in einer Art von Beleibtheit oder Geſtalt vorgeſtellt wurde, dem neuen hingegen die ungetrübte Geiſtigkeit erhalten und ein be¬ ſonderer materieller Leib nicht angedichtet wird. Gleichwohl fehlt ihm auch die Leiblichkeit nicht, die ſich ſogar noch verführeri¬ ſcher anläßt, weil ſie natürlicher und weltlicher ausſieht und in nichts Geringerem beſteht, als in jedem leibhaftigen Menſchen oder auch ſchlechtweg in der Menſchheit oder allen Menſchen . Die Spukhaftigkeit des Geiſtes in einem Scheinleibe iſt dadurch wieder einmal recht compact und populär geworden.

4*52

Heilig alſo iſt das höchſte Weſen und alles, worin dieß höchſte Weſen ſich offenbart oder offenbaren wird; geheiligt aber diejenigen, welche dieß höchſte Weſen ſammt dem Seinen, d. h. ſammt den Offenbarungen deſſelben anerkennen. Das Heilige heiligt hinwiederum ſeinen Verehrer, der durch den Cultus ſelbſt zu einem Heiligen wird, wie denn gleichfalls, was er thut, heilig iſt: ein heiliger Wandel, ein heiliges Denken und Thun, Tichten und Trachten u. ſ. w.

Was als das höchſte Weſen verehrt wird, darüber kann begreiflicher Weiſe nur ſo lange der Streit bedeutungsvoll ſein, als ſelbſt die erbittertſten Gegner einander den Hauptſatz ein¬ räumen, daß es ein höchſtes Weſen gebe, dem Cultus oder Dienſt gebühre. Lächelte Einer mitleidig über den ganzen Kampf um ein höchſtes Weſen, wie etwa ein Chriſt bei dem Wortgefecht eines Schiiten mit einem Sunniten oder eines Brahminen mit einem Buddhiſten, ſo gälte ihm die Hypotheſe von einem höchſten Weſen für nichtig und der Streit auf die¬ ſer Baſis für ein eitles Spiel. Ob dann der einige oder dreieinige Gott, ob der lutherſche Gott oder das être suprême oder Gott gar nicht, ſondern der Menſch das höchſte Weſen vorſtellen mag, das macht für den durchaus keinen Unterſchied, der das höchſte Weſen ſelbſt negirt, denn in ſeinen Augen ſind jene Diener eines höchſten Weſens insgeſammt fromme Leute: der wüthendſte Atheiſt nicht weniger als der gläubigſte Chriſt.

Obenan ſteht alſo im Heiligen das höchſte Weſen und der Glaube an dieß Weſen, Unſer heiliger Glaube .

Der Spuk.

Mit den Geſpenſtern gelangen Wir ins Geiſterreich, ins Reich der Weſen.

53

Was in dem Weltall ſpukt und ſein myſteriöſes, unbe¬ greifliches Weſen treibt, das iſt eben der geheimnißvolle Spuk, den Wir höchſtes Weſen nennen. Und dieſem Spuk auf den Grund zu kommen, ihn zu begreifen, in ihm die Wirk¬ lichkeit zu entdecken (das Daſein Gottes zu beweiſen), dieſe Aufgabe ſetzten ſich Jahrtauſende die Menſchen; mit der gräßlichen Unmöglichkeit, der endloſen Danaidenarbeit, den Spuk in einen Nicht-Spuk, das Unwirkliche in ein Wirk¬ liches, den Geiſt in eine ganze und leibhaftige Perſon zu verwandeln, damit quälten ſie ſich ab. Hinter der daſeien¬ den Welt ſuchten ſie das Ding an ſich , das Weſen, ſie ſuch¬ ten hinter dem Ding das Unding.

Wenn man einer Sache auf den Grund ſchaut, d. h. ihrem Weſen nachgeht, ſo entdeckt man oft etwas ganz an¬ deres, als das, was ſie zu ſein ſcheint: eine honigſüße Rede und ein lügneriſches Herz, pomphafte Worte und armſelige Gedanken u. ſ. w. Man ſetzt dadurch, daß man das Weſen hervorhebt, die bisher verkannte Erſcheinung zu einem bloßen Scheine, zu einer Täuſchung herab. Das Weſen der ſo anziehenden, herrlichen Welt iſt für den, der ihr auf den Grund ſieht, die Eitelkeit: die Eitelkeit iſt Weltweſen (Welt¬ treiben). Wer nun religiös iſt, der befaßt ſich nicht mit dem trügeriſchen Schein, nicht mit den eitlen Erſcheinungen, ſon¬ dern ſchaut das Weſen an, und hat in dem Weſen die Wahrheit.

Die Weſen, welche aus den einen Erſcheinungen ſich er¬ geben, ſind die böſen Weſen, und umgekehrt aus andern die guten. Das Weſen des menſchlichen Gemüthes z. B. iſt die Liebe, das Weſen des menſchlichen Willens iſt das Gute, das ſeines Denkens das Wahre u. ſ. w.

54

Was zuerſt für Exiſtenz galt, wie Welt u. dergl., das erſcheint jetzt als bloßer Schein, und das wahrhaft Exi¬ ſtirende iſt vielmehr das Weſen, deſſen Reich ſich füllt mit Göttern, Geiſtern, Dämonen, d.h. mit guten oder böſen We¬ ſen. Nur dieſe verkehrte Welt, die Welt der Weſen, exiſtirt jetzt wahrhaft. Das menſchliche Herz kann lieblos ſein, aber ſein Weſen exiſtirt, der Gott, der die Liebe iſt ; das menſch¬ liche Denken kann im Irrthum wandeln, aber ſein Weſen, die Wahrheit exiſtirt: Gott iſt die Wahrheit u. ſ.w.

Die Weſen allein und nichts als die Weſen zu erkennen und anzuerkennen, das iſt Religion: ihr Reich ein Reich der Weſen, des Spukes und der Geſpenſter.

Der Drang, den Spuk faßbar zu machen, oder den non¬ sens zu realiſiren, hat ein leibhaftiges Geſpenſt zu Wege gebracht, ein Geſpenſt oder einen Geiſt mit einem wirklichen Leibe, ein beleibtes Geſpenſt. Wie haben ſich die kräftig¬ ſten genialſten Chriſtenmenſchen abgemartert, um dieſe geſpen¬ ſtiſche Erſcheinung zu begreifen. Es blieb aber ſtets der Wi¬ derſpruch zweier Naturen, der göttlichen und menſchlichen, d.h. der geſpenſtiſchen und ſinnlichen: es blieb der wunderſamſte Spuk, ein Unding. Seelenmarternder war noch nie ein Ge¬ ſpenſt, und kein Schamane, der bis zu raſender Wuth und nervenzerreißenden Krämpfen ſich ſtachelt, um ein Geſpenſt zu bannen, kann ſolche Seelenqual erdulden, wie Chriſten ſie von jenem unbegreiflichſten Geſpenſt erlitten.

Allein durch Chriſtus war zugleich die Wahrheit der Sache zu Tage gekommen, daß der eigentliche Geiſt oder das eigent¬ liche Geſpenſt der Menſch ſei. Der leibhaftige oder beleibte Geiſt iſt eben der Menſch: er ſelbſt das grauenhafte Weſen und zugleich des Weſens Erſcheinung und Exiſtenz oder55 Daſein. Fortan graut dem Menſchen nicht eigentlich mehr vor Geſpenſtern außer ihm, ſondern vor ihm ſelber: er erſchrickt vor ſich ſelbſt. In der Tiefe ſeiner Bruſt wohnt der Geiſt der Sünde, ſchon der leiſeſte Gedanke (und dieſer iſt ja ſelber ein Geiſt) kann ein Teufel ſein u. ſ. w. Das Ge¬ ſpenſt hat einen Leib angezogen, der Gott iſt Menſch gewor¬ den, aber der Menſch iſt nun ſelbſt der grauſige Spuk, hinter den er zu kommen, den er zu bannen, zu ergründen, zur Wirk¬ lichkeit und zum Reden zu bringen ſucht: der Menſch iſt Geiſt. Mag auch der Leib verdorren, wenn nur der Geiſt gerettet wird: auf den Geiſt kommt Alles an, und das Gei¬ ſtes - oder Seelenheil wird alleiniges Augenmerk. Der Menſch iſt ſich ſelbſt ein Geſpenſt, ein unheimlicher Spuk geworden, dem ſogar ein beſtimmter Sitz im Leibe angewieſen wird (Streit über den Sitz der Seele, ob im Kopfe u. ſ. w.).

Du biſt Mir und Ich bin Dir kein höheres Weſen. Gleich¬ wohl kann in jedem von Uns ein höheres Weſen ſtecken, und die gegenſeitige Verehrung deſſelben hervorrufen. Um gleich das Allgemeinſte zu nehmen, ſo lebt in Dir und Mir der Menſch. Sähe Ich in Dir nicht den Menſchen, was hätte Ich Dich zu achten? Du biſt freilich nicht der Menſch und ſeine wahre und adäquate Geſtalt, ſondern nur eine ſterbliche Hülle deſſel¬ ben, aus welcher er ausſcheiden kann, ohne ſelbſt aufzuhören; aber für jetzt hauſt dieſes allgemeine und höhere Weſen doch in Dir und Du vergegenwärtigſt Mir, weil ein unvergängli¬ cher Geiſt in Dir einen vergänglichen Leib angenommen hat, mithin Deine Geſtalt wirklich nur eine angenommene iſt, einen Geiſt, der erſcheint, in Dir erſcheint, ohne an Deinen Leib und dieſe beſtimmte Erſcheinungsweiſe gebündelt zu ſein, alſo einen Spuk. Darum betrachte Ich nicht Dich als ein56 höheres Weſen, ſondern reſpectire allein jenes höhere Weſen, das in Dir umgeht : Ich reſpectire in Dir den Menſchen . So etwas beachteten die Alten nicht in ihren Sklaven, und das höhere Weſen: der Menſch fand noch wenig Anklang. Dagegen ſahen ſie in einander Geſpenſter anderer Art. Das Volk iſt ein höheres Weſen als ein Einzelner, und gleich dem Menſchen oder Menſchengeiſte ein in den Einzelnen ſpukender Geiſt: der Volksgeiſt. Deshalb verehrten ſie dieſen Geiſt, und nur ſo weit er dieſem oder auch einem ihm verwandten Geiſte, z. B. dem Familiengeiſte u. ſ. w. diente, konnte der Einzelne bedeutend erſcheinen; nur um des höheren Weſens, des Vol¬ kes, willen, überließ man dem Volksgliede eine Geltung. Wie Du Uns durch den Menſchen , der in Dir ſpukt, ge¬ heiligt biſt, ſo war man zu jeder Zeit durch irgend ein höheres Weſen, wie Volk, Familie u. dergl. geheiligt. Nur um eines höhern Weſens willen iſt man von jeher geehrt, nur als ein Geſpenſt für eine geheiligte, d. h. geſchützte und anerkannte Per¬ ſon betrachtet worden. Wenn Ich Dich hege und pflege, weil Ich Dich lieb habe, weil Mein Herz an Dir Nahrung, Mein Bedürfniß Befriedigung findet, ſo geſchieht es nicht um eines höheren Weſens willen, deſſen geheiligter Leib Du biſt, nicht darum, weil Ich ein Geſpenſt, d. h. einen erſcheinenden Geiſt in Dir erblicke, ſondern aus egoiſtiſcher Luſt: Du ſelbſt mit Deinem Weſen biſt Mir werth, denn Dein Weſen iſt kein höheres, iſt nicht höher und allgemeiner als Du, iſt einzig wie Du ſelber, weil Du es biſt.

Aber nicht bloß der Menſch, ſondern Alles ſpukt. Das höhere Weſen, der Geiſt, der in Allem umgeht, iſt zugleich an Nichts gebunden, und erſcheint nur darin. Geſpenſt in allen Winkeln!

57

Hier wäre der Ort, die ſpukenden Geiſter vorüberziehen zu laſſen, wenn ſie nicht weiter unten wieder vorkommen mü߬ ten, um vor dem Egoismus zu verfliegen. Daher mögen nur einige derſelben beiſpielsweiſe namhaft gemacht werden, um ſogleich auf unſer Verhalten zu ihnen überzuleiten.

Heilig z. B. iſt vor allem der heilige Geiſt , heilig die Wahrheit, heilig das Recht, das Geſetz, die gute Sache, die Majeſtät, die Ehe, das Gemeinwohl, die Ordnung, das Va¬ terland u. ſ. w. u. ſ. w.

Der Sparren.

Menſch, es ſpukt in Deinem Kopfe; Du haſt einen Spar¬ ren zu viel! Du bildeſt Dir große Dinge ein und malſt Dir eine ganze Götterwelt aus, die für Dich da ſei, ein Geiſter¬ reich, zu welchem Du berufen ſeiſt, ein Ideal, das Dir winkt. Du haſt eine fixe Idee!

Denke nicht, daß Ich ſcherze oder bildlich rede, wenn Ich die am Höheren hangenden Menſchen, und weil die ungeheure Mehrzahl hierher gehört, faſt die ganze Menſchenwelt für veri¬ table Narren, Narren im Tollhauſe anſehe. Was nennt man denn eine fixe Idee ? Eine Idee, die den Menſchen ſich unterworfen hat. Erkennt Ihr an einer ſolchen fixen Idee, daß ſie eine Narrheit ſei, ſo ſperrt Ihr den Sklaven derſelben in eine Irrenanſtalt. Und iſt etwa die Glaubenswahrheit, an welcher man nicht zweifeln, die Majeſtät z. B. des Volkes, an der man nicht rütteln (wer es thut, iſt ein Majeſtätsver¬ brecher), die Tugend, gegen welche der Cenſor kein Wörtchen durchlaſſen ſoll, damit die Sittlichkeit rein erhalten werde u. ſ. w., ſind dieß nicht fixe Ideen ? Iſt nicht alles dumme Geſchwätz, z. B. unſerer meiſten Zeitungen, das Geplapper von58 Narren, die an der fixen Idee der Sittlichkeit, Geſetzlichkeit, Chriſtlichkeit u. ſ. w. leiden, und nur frei herumzugehen ſchei¬ nen, weil das Narrenhaus, worin ſie wandeln, einen ſo wei¬ ten Raum einnimmt? Man taſte einem ſolchen Narren an ſeine fixe Idee, und man wird ſogleich vor der Heimtücke des Tollen den Rücken zu hüten haben. Denn auch darin gleichen dieſe großen Tollen den kleinen ſogenannten Tollen, daß ſie heim¬ tückiſch über den herfallen, der ihre fixe Idee anrührt. Sie ſtehlen ihm erſt die Waffe, ſtehlen ihm das freie Wort, und dann ſtürzen ſie mit ihren Nägeln über ihn her. Jeder Tag deckt jetzt die Feigheit und Rachſucht dieſer Wahnſinnigen auf, und das dumme Volk jauchzt ihren tollen Maßregeln zu. Man muß die Tagesblätter dieſer Periode leſen, und muß den Phi¬ liſter ſprechen hören, um die gräßliche Ueberzeugung zu gewin¬ nen, daß man mit Narren in ein Haus geſperrt iſt. Du ſollſt Deinen Bruder keinen Narren ſchelten, ſonſt u. ſ. w. Ich aber fürchte den Fluch nicht und ſage: meine Brüder ſind Erznarren. Ob ein armer Narr des Tollhauſes von dem Wahne beſeſſen iſt, er ſei Gott der Vater, Kaiſer von Japan, der heilige Geiſt u. ſ. w., oder ob ein behaglicher Bürger ſich einbildet, es ſei ſeine Beſtimmung, ein guter Chriſt, ein gläu¬ biger Proteſtant, ein loyaler Bürger, ein tugendhafter Menſch u. ſ. w. zu ſein das iſt beides ein und dieſelbe fixe Idee . Wer es nie verſucht und gewagt hat, kein guter Chriſt, kein gläubiger Proteſtant, kein tugendhafter Menſch u. ſ. w. zu ſein, der iſt in der Gläubigkeit, Tugendhaftigkeit u. ſ. w. ge¬ fangen und befangen. Gleichwie die Scholaſtiker nur philo¬ ſophirten innerhalb des Glaubens der Kirche, Papſt Bene¬ dict XIV. dickleibige Bücher innerhalb des papiſtiſchen Aber¬ glaubens ſchrieb, ohne je dieſen Glauben in Zweifel zu ziehen,59 Schriftſteller ganze Folianten über den Staat anfüllen, ohne die fixe Idee des Staates ſelbſt in Frage zu ſtellen, unſere Zeitungen von Politik ſtrotzen, weil ſie in dem Wahne gebannt ſind, der Menſch ſei dazu geſchaffen, ein Zoon politikon zu werden, ſo vegetiren auch Unterthanen im Unterthanenthum, tugendhafte Menſchen in der Tugend, Liberale im Menſchen¬ thum u. ſ. w., ohne jemals an dieſe ihre fixen Ideen das ſchneidende Meſſer der Kritik zu legen. Unverrückbar, wie der Irrwahn eines Tollen, ſtehen jene Gedanken auf feſtem Fuße, und wer ſie bezweifelt, der greift das Heilige an! Ja, die fixe Idee , das iſt das wahrhaft Heilige!

Begegnen Uns etwa bloß vom Teufel Beſeſſene, oder treffen Wir eben ſo oft auf entgegengeſetzte Beſeſſene, die vom Guten, von der Tugend, Sittlichkeit, dem Geſetze, oder irgend welchem Principe beſeſſen ſind? Die Teufelsbeſitzun¬ gen ſind nicht die einzigen. Gott wirkt auf Uns und der Teufel wirkt: jenes Gnadenwirkungen , dieſes Teufelswir¬ kungen . Beſeſſene ſind auf ihre Meinungen verſeſſen.

Mißfällt Euch das Wort Beſeſſenheit , ſo nennt es Ein¬ genommenheit, ja nennt es, weil der Geiſt Euch beſitzt, und von ihm alle Eingebungen kommen, Begeiſterung und Enthuſiasmus. Ich ſetze hinzu, daß der vollkommene Enthu¬ ſiasmus denn bei dem faulen und halben kann man nicht ſtehen bleiben Fanatismus heißt.

Der Fanatismus iſt gerade bei den Gebildeten zu Hauſe; denn gebildet iſt der Menſch, ſo weit er ſich für Gei¬ ſtiges intereſſirt, und Intereſſe für Geiſtiges iſt eben, wenn es lebendig iſt, Fanatismus und muß es ſein; es iſt ein fana¬ tiſches Intereſſe für das Heilige (fanum). Man beobachte unſere Liberalen, man blicke in die Sächſiſchen Vaterlands¬60 blätter, man höre, was Schloſſer ſagt*)Achtzehntes Jahrhundert II, 519.: Die Geſellſchaft Holbach's bildete ein förmliches Complott gegen die überlieferte Lehre und das beſtehende Syſtem, und die Mitglieder derſelben waren eben ſo fanatiſch für ihren Unglauben, als Mönche und Pfaffen, Jeſuiten und Pietiſten, Methodiſten, Miſſions - und Bibelgeſellſchaften für mechaniſchen Gottesdienſt und Wortglau¬ ben zu ſein pflegen.

Man achte darauf, wie ein Sittlicher ſich benimmt, der heutiges Tages häufig mit Gott fertig zu ſein meint, und das Chriſtenthum als eine Beliebtheit abwirft. Wenn man ihn fragt, ob er je daran gezweifelt habe, daß die Vermiſchung der Geſchwiſter eine Blutſchande ſei, daß die Monogamie die Wahr¬ heit der Ehe ſei, daß die Pietät eine heilige Pflicht ſei u. ſ. w., ſo wird ein ſittlicher Schauder ihn bei der Vorſtellung über¬ fallen, daß man ſeine Schweſter auch als Weib berühren dürfe u. ſ. w. Und woher dieſer Schauder? Weil er an jene ſittlichen Gebote glaubt. Dieſer ſittliche Glaube wurzelt tief in ſeiner Bruſt. So viel er gegen die frommen Chriſten eifert, ſo ſehr iſt er dennoch ſelbſt Chriſt geblieben, nämlich ein ſittlicher Chriſt. In der Form der Sittlichkeit hält ihn das Chriſtenthum gefangen, und zwar gefangen unter dem Glau¬ ben. Die Monogamie ſoll etwas Heiliges ſein, und wer etwa in Doppelehe lebt, der wird als Verbrecher geſtraft; wer Blutſchande treibt, leidet als Verbrecher. Hiermit zeigen ſich diejenigen einverſtanden, die immer ſchreien, auf die Reli¬ gion ſolle im Staate nicht geſehen werden, und der Jude Staatsbürger gleich dem Chriſten ſein. Iſt jene Blutſchande und Monogamie nicht ein Glaubensſatz? Man rühre ihn61 an, und man wird erfahren, wie dieſer Sittliche eben auch ein Glaubensheld iſt, trotz einem Krummacher, trotz einem Phi¬ lipp II. Dieſe fechten für den Kirchenglauben, er für den Staatsglauben, oder die ſittlichen Geſetze des Staates; für Glaubensartikel verdammen beide denjenigen, der anders han¬ delt, als ihr Glaube es geſtatten will. Das Brandmal des Verbrechens wird ihm aufgedrückt, und ſchmachten mag er in Sittenverbeſſerungshäuſern, in Kerkern. Der ſittliche Glaube iſt ſo fanatiſch als der religiöſe! Das heißt dann Glaubensfreiheit , wenn Geſchwiſter um eines Verhältniſſes willen, das ſie vor ihrem Gewiſſen auszumachen hätten, ins Gefängniß geworfen werden. Aber ſie gaben ein verderbliches Beiſpiel ! Ja freilich, es könnten Andere auch darauf ver¬ fallen, daß der Staat ſich nicht in ihr Verhältniß zu miſchen habe, und darüber ginge die Sittenreinheit zu Grunde. So eifern denn die religiöſen Glaubenshelden für den heiligen Gott , die ſittlichen für das heilige Gute .

Die Eiferer für etwas Heiliges ſehen einander oft gar wenig ähnlich. Wie differiren die ſtrengen Orthodoxen oder Altgläubigen von den Kämpfern für Wahrheit, Licht und Recht , von den Philalethen, Lichtfreunden, Aufgeklärten u. ſ. w. Und doch wie gar nichts Weſentliches enthält die Differenz. Rüttelt man an einzelnen althergebrachten Wahr¬ heiten (z. B. Wunder, unumſchränkte Fürſtengewalt u. ſ. w.), ſo rütteln die Aufgeklärten mit, und nur die Altgläubigen jammern. Rüttelt man aber an der Wahrheit ſelbſt, ſo hat man gleich beide als Gläubige zu Gegnern. So mit Sitt¬ lichkeiten: die Strenggläubigen ſind unnachſichtig, die helleren Köpfe ſind toleranter. Aber wer die Sittlichkeit ſelbſt angreift, der bekommt's mit beiden zu thun. Wahrheit, Sittlichkeit, Recht,62 Licht u. ſ. w. ſollen heilig ſein und bleiben. Was man am Chriſtenthum zu tadeln findet, das ſoll nach der Anſicht dieſer Aufgeklärten eben unchriſtlich ſein; das Chriſtenthum aber muß das Feſte bleiben, an ihm zu rütteln iſt frevelhaft, iſt ein Frevel . Allerdings ſetzt ſich der Ketzer gegen den reinen Glauben nicht mehr der frühern Verfolgungswuth aus, deſto mehr aber gilt es jetzt dem Ketzer gegen die reine Sitte.

Die Frömmigkeit hat ſeit einem Jahrhundert ſo viele Stöße erfahren und ihr übermenſchliches Weſen ſo oft ein unmenſchliches ſchelten hören müſſen, daß man ſich nicht verſucht fühlen kann, noch einmal ſich gegen ſie auszulegen. Und doch ſind faſt immer nur ſittliche Gegner auf der Menſur erſchienen, um das höchſte Weſen anzufechten zu Gunſten eines andern höchſten Weſens. So ſagt Proudhon ungeſcheut*)De la création de l'ordre etc., pag. 36.: Der Menſch iſt beſtimmt, ohne Religion zu leben, aber das Sittengeſetz (la loi morale) iſt ewig und abſolut. Wer würde es heute wagen, die Moral anzugreifen? Die Sittlichen ſchöpften das beſte Fett von der Religion ab, genoſſen es ſelbſt und haben nun ihre liebe Noth, die daraus entſtandene Drüſen¬ krankheit loszuwerden. Wenn Wir deshalb darauf hinweiſen, daß die Religion noch bei weitem nicht in ihrem Innerſten verletzt wird, ſo lange man ihr nur ihr übermenſchliches Weſen zum Vorwurfe macht, und daß ſie in letzter Inſtanz allein an den Geiſt appellirt (denn Gott iſt Geiſt), ſo haben Wir ihre endliche Eintracht mit der Sittlichkeit genugſam angedeutet, und können ihren hartnäckigen Streit mit derſelben hinter Uns63 liegen laſſen. Um ein höchſtes Weſen handelt es ſich bei beiden, und ob daſſelbe ein übermenſchliches oder ein menſch¬ liches ſei, das kann Mir, da es jedenfalls ein Weſen über Mir, gleichſam ein übermeiniges iſt, nur wenig verſchlagen. Zuletzt wird das Verhalten zum menſchlichen Weſen oder zum Menſchen , hat es nur erſt die Schlangenhaut der alten Re¬ ligion abgeſtreift, doch wieder eine religiöſe Schlangenhaut tragen.

So belehrt Uns Feuerbach, daß wenn man die ſpecula¬ tive Philoſophie nur umkehre, d. h. immer das Prädicat zum Subject, und ſo das Subject zum Object und Princip mache, man die unverhüllte, die pure, blanke Wahrheit habe. *)Anekdota II, 64.Damit verlieren Wir allerdings den beſchränkten religiöſen Standpunkt, verlieren den Gott, der auf dieſem Standpunkte Subject iſt, allein Wir tauſchen dafür die andere Seite des religiöſen Standpunktes, den ſittlichen ein. Wir ſagen z. B. nicht mehr: Gott iſt die Liebe , ſondern die Liebe iſt göttlich . Setzen Wir noch an die Stelle des Prädicats gött¬ lich das gleichbedeutende heilig , ſo kehrt der Sache nach alles Alte wieder zurück. Die Liebe ſoll darnach das Gute am Menſchen ſein, ſeine Göttlichkeit, das was ihm Ehre macht, ſeine wahre Menſchlichkeit (ſie macht ihn erſt zum Men¬ ſchen , macht erſt einen Menſchen aus ihm). So wäre es denn genauer geſprochen ſo: Die Liebe iſt das Menſchliche am Menſchen, und das Unmenſchliche iſt der liebloſe Egoiſt. Aber gerade alles dasjenige, was das Chriſtenthum und mit ihm die ſpeculative Philoſophie, d. h. Theologie als das Gute, das Abſolute offerirt, iſt in der Eigenheit eben nicht das Gute (oder, was daſſelbe ſagt, es iſt nur das Gute), mithin würde64 durch die Verwandlung des Prädicats in das Subject das chriſtliche Weſen (und das Prädicat enthält ja eben das Weſen) nur noch drückender fixirt. Der Gott und das Gött¬ liche verflöchte ſich um ſo unauflöslicher mit Mir. Den Gott aus ſeinem Himmel zu vertreiben und der Transſcendenz zu berauben, das kann noch keinen Anſpruch auf vollkommene Beſiegung begründen, wenn er dabei nur in die Menſchenbruſt gejagt, und mit unvertilgbarer Immanenz beſchenkt wird. Nun heißt es: Das Göttliche iſt das wahrhaft Menſchliche!

Dieſelben Leute, welche dem Chriſtenthum als der Grund¬ lage des Staates, d. h. dem ſogenannten chriſtlichen Staate widerſtreben, werden nicht müde zu wiederholen, daß die Sitt¬ lichkeit der Grundpfeiler des geſellſchaftlichen Lebens und des Staates ſei. Als ob nicht die Herrſchaft der Sittlichkeit eine vollkommene Herrſchaft des Heiligen, eine Hierarchie wäre.

So kann hier beiläufig der aufklärenden Richtung gedacht werden, die, nachdem die Theologen lange darauf beſtanden hatten, nur der Glaube ſei fähig, die Religionswahrheiten zu faſſen, nur den Gläubigen offenbare ſich Gott u. ſ. w., alſo nur das Herz, Gefühl, die gläubige Phantaſie ſei religiös, mit der Behauptung hervorbrach, daß auch der natürliche Ver¬ ſtand , die menſchliche Vernunft fähig ſei, Gott zu erkennen. Was heißt das anders, als daß auch die Vernunft darauf Anſpruch machte, dieſelbe Phantaſtin zu ſein wie die Phan¬ taſie. In dieſem Sinne ſchrieb Reimarus ſeine Vornehmſten Wahrheiten der natürlichen Religion . Es mußte dahin kom¬ men, daß der ganze Menſch mit allen ſeinen Fähigkeiten ſich als religiös erwies; Herz und Gemüth, Verſtand und Ver¬ nunft, Fühlen, Wiſſen und Wollen, kurz Alles am Menſchen erſchien religiös. Hegel hat gezeigt, daß ſelbſt die Philoſophie65 religiös ſei. Und was wird heutiges Tages nicht Alles Re¬ ligion genannt? Die Religion der Liebe , die Religion der Freiheit , die politiſche Religion , kurz jeder Enthuſiasmus. So iſt's auch in der That.

Noch heute brauchen Wir das welſche Wort Religion , welches den Begriff der Gebundenheit ausdrückt. Gebun¬ den bleiben Wir allerdings, ſoweit die Religion unſer Inneres einnimmt; aber iſt auch der Geiſt gebunden? Im Gegentheil, der iſt frei, iſt alleiniger Herr, iſt nicht Unſer Geiſt, ſondern abſolut. Darum wäre die richtige affirmative Ueberſetzung des Wortes Religion die Geiſtesfreiheit ! Bei wem der Geiſt frei iſt, der iſt gerade in derſelben Weiſe religiös, wie derjenige ein ſinnlicher Menſch heißt, bei welchem die Sinne freien Lauf haben. Jenen bindet der Geiſt, dieſen die Lüſte. Gebundenheit oder religio iſt alſo die Religion in Beziehung auf Mich: Ich bin gebunden; Freiheit in Beziehung auf den Geiſt: der Geiſt iſt frei oder hat Geiſtesfreiheit. Wie übel es Uns bekommt, wenn frei und zügellos die Lüſte mit Uns durchgehen, davon wird Mancher die Erfahrung gemacht haben; daß aber der freie Geiſt, die herrliche Geiſtigkeit, der Enthuſi¬ asmus für geiſtige Intereſſen, oder wie immer in den ver¬ ſchiedenſten Wendungen dieß Juwel benannt werden mag, Uns noch ärger in die Klemme bringt, als ſelbſt die wildeſte Ungezogenheit, das will man nicht merken, und kann es auch nicht merken, ohne bewußter Weiſe ein Egoiſt zu ſein.

Reimarus und Alle, welche gezeigt haben, daß auch Un¬ ſere Vernunft, Unſer Herz u. ſ.w. auf Gott führe, haben damit eben gezeigt, daß Wir durch und durch beſeſſen ſind. Freilich ärgerten ſie die Theologen, denen ſie das Privilegium der religiöſen Erhebung nahmen, aber der Religion, der Gei¬566ſtesfreiheit eroberten ſie dadurch nur noch mehr Terrain. Denn wenn der Geiſt nicht länger auf das Gefühl oder den Glau¬ ben beſchränkt iſt, ſondern auch als Verſtand, Vernunft und Denken überhaupt ſich, dem Geiſte, angehört, alſo auch in der Form des Verſtandes u. ſ. w., an den geiſtigen und himm¬ liſchen Wahrheiten Theil nehmen darf, dann iſt der ganze Geiſt nur mit Geiſtigem, d. h. mit ſich beſchäftigt, alſo frei. Jetzt ſind Wir ſo durch und durch religiös, daß Geſchworne Uns zum Tode verdammen, und jeder Polizeidiener als guter Chriſt durch Amtseid Uns ins Loch bringt.

Die Sittlichkeit konnte erſt von da ab gegen die Fröm¬ migkeit in einen Gegenſatz treten, wo überhaupt der brauſende Haß wider alles, was einem Befehle (Ordonnance, Gebote u. ſ. w.) ähnlich ſah, ſich revoltirend Luft machte, und der perſönliche abſolute Herr verhöhnt und verfolgt wurde: ſie konnte folglich zur Selbſtſtändigkeit erſt durch den Liberalis¬ mus kommen, deſſen erſte Form als Bürgerthum ſich welt¬ geſchichtliche Bedeutung verſchaffte, und die eigentlich religiöſen Gewalten ſchwächte (ſiehe unten Liberalismus ). Denn das Princip der neben der Frömmigkeit nicht bloß beihergehenden, ſondern auf eigenen Füßen ſtehenden Sittlichkeit liegt nicht mehr in den göttlichen Geboten, ſondern im Vernunftgeſetze, von welchem jene, ſo weit ſie noch gültig bleiben ſollen, zu ihrer Gültigkeit erſt die Berechtigung erwarten müſſen. Im Vernunftgeſetze beſtimmt ſich der Menſch aus ſich ſelbſt, denn der Menſch iſt vernünftig, und aus dem Weſen des Men¬ ſchen ergeben ſich jene Geſetze mit Nothwendigkeit. Frömmig¬ keit und Sittlichkeit ſcheiden ſich darin von einander, daß jene Gott, dieſe den Menſchen zum Geſetzgeber macht.

Von einem gewiſſen Standpunkte der Sittlichkeit aus rä¬67 ſonnirt man etwa ſo: Entweder treibt den Menſchen ſeine Sinnlichkeit, und er iſt, ihr folgend, unſittlich, oder es treibt ihn das Gute, welches, in den Willen aufgenommen, ſittliche Geſinnung (Geſinnung und Eingenommenheit für das Gute) heißt: dann beweiſt er ſich als ſittlich. Wie läßt ſich von dieſem Geſichtspunkte aus z. B. die That Sand's gegen Kotzebue unſittlich nennen? Was man ſo unter uneigennützig verſteht, das war ſie doch gewiß in demſelben Maaße als unter anderem die Diebereien des heiligen Crispin zu Gunſten der Armen, Er hätte nicht morden ſollen, denn es ſtehet ge¬ ſchrieben: Du ſollst nicht morden! Alſo dem Guten zu dienen, dem Volkswohl, wie Sand wenigſtens beabſichtigte, oder dem Wohl der Armen, wie Crispin, das iſt ſittlich: aber der Mord und Diebſtahl iſt unſittlich: der Zweck ſittlich, das Mittel unſittlich. Warum? Weil der Mord, der Meuchel¬ mord etwas abſolut Böſes iſt. Wenn die Guerillas die Feinde des Landes in Schluchten verlockten und ſie ungeſehen aus den Büſchen niederſchoſſen, ſo war das etwa kein Meu¬ chelmord? Ihr könntet dem Princip der Sittlichkeit nach, welches befiehlt, dem Guten zu dienen, doch nur fragen, ob der Mord nie und nimmer eine Verwirklichung des Guten ſein könne, und müßtet denjenigen Mord anerkennen, der das Gut realiſirte. Ihr könnt die That Sand's gar nicht verdammen: ſie war ſittlich, weil im Dienſt des Guten, weil uneigennützig; ſie war ein Strafact, den der Einzelne vollzog, eine mit Ge¬ fahr des eigenen Lebens vollzogene Hinrichtung. Was war am Ende ſein Unterfangen anders geweſen, als daß er Schriften durch rohe Gewalt unterdrücken wollte? Kennt Ihr daſſelbe Verfahren nicht als ein geſetzliches und ſanctionirtes? Und Was läßt ſich aus Eurem Princip der Sittlichkeit dage¬5 *68gen einwenden? Aber es war eine widergeſetzliche Hin¬ richtung. Alſo das Unſittliche daran war die Ungeſetzlichkeit, der Ungehorſam gegen das Geſetz? So räumt Ihr ein, daß das Gute nichts anders iſt, als das Geſetz, die Sittlich¬ keit nichts anders als Loyalität. Es muß auch bis zu dieſer Aeußerlichkeit der Loyalität Eure Sittlichkeit herunter¬ ſinken, bis zu dieſer Werkheiligkeit der Geſetzerfüllung, nur daß die letztere zugleich tyranniſcher und empörender iſt, als die einſtige Werkheiligkeit. Denn bei dieſer bedurfte es nur der That, Ihr aber braucht auch die Geſinnung: man ſoll das Geſetz, die Satzung in ſich tragen, und wer am geſetz¬ lichſten geſinnt iſt, der iſt der Sittlichſte. Auch die letzte Hei¬ terkeit des katholiſchen Lebens muß in dieſer proteſtantiſchen Geſetzlichkeit zu Grunde gehen. Hier endlich erſt vollendet ſich die Geſetzesherrſchaft. Nicht Ich lebe, ſondern das Geſetz lebt in Mir . So bin Ich denn wirklich ſo weit gekommen, nur das Gefäß ſeiner (des Geſetzes) Herrlichkeit zu ſein. Jeder Preuße trägt ſeinen Gensd'armen in der Bruſt ſagt ein hoher preußiſcher Officier.

Warum wollen gewiſſe Oppoſitionen nicht gedeihen? Lediglich aus dem Grunde, weil ſie die Bahn der Sittlichkeit oder Geſetzlichkeit nicht verlaſſen wollen. Daher die maaßloſe Heuchelei von Ergebenheit, Liebe u. ſ. w., an deren Wider¬ wärtigkeit man ſich täglich den gründlichſten Ekel vor dieſem verdorbenen und heuchleriſchen Verhältniß einer geſetzlichen Oppoſition holen kann. In dem ſittlichen Verhältniß der Liebe und Treue kann ein zwieſpältiger, ein entgegengeſetzter Wille nicht ſtattfinden; das ſchöne Verhältniß iſt geſtört, wenn der Eine dieß und der Andere das Umgekehrte will. Nun ſoll aber nach der bisherigen Praxis und dem alten Vorurtheil der69 Oppoſition das ſittliche Verhältniß vor Allem bewahrt werden. Was bleibt da der Oppoſition übrig? Etwa dieß, eine Frei¬ heit zu wollen, wenn der Geliebte ſie abzuſchlagen für gut findet? Mit nichten! Wollen darf ſie die Freiheit nicht; ſie kann ſie nur wünſchen, darum petitioniren , ein Bitte, bitte! lallen. Was ſollte daraus werden, wenn die Oppoſi¬ tion wirklich wollte, wollte mit der vollen Energie des Wil¬ lens? Nein, ſie muß auf den Willen Verzicht leiſten, um der Liebe zu leben, auf die Freiheit der Sittlichkeit zu Liebe. Sie darf nie als ein Recht in Anſpruch nehmen , was ihr nur als Gunſt zu erbitten erlaubt iſt. Die Liebe, Ergebenheit u. ſ. w. heiſcht mit unabwendbarer Beſtimmt¬ heit, daß nur Ein Wille ſei, dem die Andern ſich ergeben, dem ſie dienen, folgen, den ſie lieben. Ob dieſer Wille für ver¬ nünftig oder für unvernünftig gelte: man handelt in beiden Fällen ſittlich, wenn man ihm folgt, und unſittlich, wenn man ſich ihm entzieht. Der Wille, der die Cenſur gebietet, ſcheint Vielen unvernünftig; wer aber ſein Buch im Lande der Cenſur dieſer unterſchlägt, der handelt unſittlich, und wer ihr's vorlegt, handelt ſittlich. Quittirte Einer ſein ſittliches Urtheil, und errichtete z. B. eine geheime Preſſe, ſo müßte man ihn unſitt¬ lich nennen, und unklug obenein, wenn er ſich erwiſchen ließe; aber wird ein ſolcher Anſpruch daraus machen, in den Augen der Sittlichen einen Werth zu haben? Vielleicht! Wenn er ſich nämlich einbildete, einer höhern Sittlichkeit zu dienen.

Das Gewebe der heutigen Heuchelei hängt an den Marken zweier Gebiete, zwiſchen denen Unſere Zeit herüber und hinüber ſchwebt und ihre feinen Fäden der Täuſchung und Selbſttäuſchung anklebt. Nicht mehr kräftig genug, um zweifellos und ungeſchwächt der Sittlichkeit zu dienen, noch nicht rückſichtslos genug, um70 ganz dem Egoismus zu leben, zittert ſie in dem Spinnennetze der Heuchelei bald zur einen bald zum andern hin, und fängt, vom Fluche der Halbheit gelähmt, nur dumme, elende Mücken. Hat man's einmal gewagt, einen freien Antrag zu ſtellen, gleich verwäſſert man ihn wieder mit Liebesverſicherungen und heuchelt Reſignation; hat man anderſeits die Stirne gehabt, den freien Antrag mit ſittlichen Verweiſungen auf Vertrauen u. ſ. w. zurückzuſchlagen, gleich ſinkt auch der ſitt¬ liche Muth und man verſichert, wie man die freien Worte mit beſonderem Wohlgefallen u. ſ. w. vernehme: man heuchelt Anerkennung. Kurz man möchte das Eine haben, aber das Andere nicht entbehren: man möchte einen freien Willen haben, aber den ſittlichen bei Leibe nicht miſſen. Kommt nur zuſammen, Ihr Liberalen, mit einem Servilen. Ihr werdet jedes Wort der Freiheit mit einem Blick des loyalſten Vertrauens verſüßen, und er wird ſeinen Servilismus in die ſchmeichelndſten Phraſen der Freiheit kleiden. Dann geht Ihr auseinander, und er wie Ihr denkt: Ich kenne Dich, Fuchs! Er wittert an Euch ſo gut den Teufel, als Ihr an ihm den alten finſtern Herrgott.

Ein Nero iſt nur in den Augen der Guten ein böſer Menſch; in den Meinigen iſt er nichts als ein Beſeſſener, wie die Guten auch. Die Guten ſehen in ihm einen Erz¬ böſewicht, und delegiren ihn der Hölle. Warum hinderte ihn nichts in ſeinen Willkührlichkeiten? Warum ließ man ſich ſo viel gefallen? Waren etwa die zahmen Römer, die von einem ſolchen Tyrannen ſich allen Willen binden ließen, um ein Haar beſſer? Im alten Rom hätte man ihn augenblicklich hinge¬ richtet, wäre nie ſein Sklave geworden. Aber die jetzigen Guten unter den Römern ſetzten ihm nur die ſittliche For¬71 derung entgegen, nicht ihren Willen; ſie ſeufzten darüber, daß ihr Kaiſer nicht der Sittlichkeit huldige wie ſie: ſie ſelber blieben ſittliche Unterthanen , bis endlich Einer den Muth fand, die ſittliche, gehorſame Unterthänigkeit aufzugeben. Und dann jauchzten dieſelben guten Römer , die als gehor¬ ſame Unterthanen alle Schmach der Willenloſigkeit ertragen hatten, über die frevelhafte, unſittliche That des Empörers. Wo war denn bei den Guten der Muth zur Revolution, den ſie jetzt prieſen, nachdem ein Anderer ihn gefaßt hatte? Die Guten konnten dieſen Muth nicht haben, denn eine Revo¬ lution, und gar eine Inſurrection, iſt immer etwas Unſitt¬ liches , wozu man ſich nur entſchließen kann, wenn man auf¬ hört, gut zu ſein, und entweder böſe wird, oder keins von beiden. Nero war nicht ſchlimmer als ſeine Zeit, in der man nur eins von beiden ſein konnte, gut oder böſe. Seine Zeit mußte von ihm urtheilen: er ſei böſe, und zwar im höch¬ ſten Grate, nicht ein Flauer, ſondern ein Erzböſer. Alle Sitt¬ lichen können nur dieſes Urtheil über ihn fällen. Schurken, wie er war, leben heute noch mitunter fort (ſiehe z. B. Me¬ moiren des Ritters von Lang. ) inmitten der Sittlichen. Be¬ quem lebt ſich's allerdings unter ihnen nicht, da man keinen Augenblick ſeines Lebens ſicher iſt; allein lebt man unter den Sittlichen etwa bequemer? Seines Lebens iſt man da eben ſo wenig ſicher, nur daß man im Wege Rechtens gehängt wird, ſeiner Ehre aber iſt man am wenigſten ſicher, und die Nationalkokarde fliegt im Umſehen davon. Die derbe Fauſt der Sittlichkeit geht gar unbarmherzig mit dem edlen Weſen des Egoismus um.

Aber man kann doch nicht einen Schurken und einen ehrlichen Mann auf gleiche Linie ſtellen! Nun, kein Menſch72 thut das öfter als Ihr Sittenrichter, ja noch mehr als das, einen ehrlichen Mann, der offen gegen die beſtehende Staats¬ verfaſſung, gegen die geheiligten Inſtitutionen u. ſ. w. redet, den ſperrt Ihr ein als Verbrecher, und einem verſchmitzten Schurken überlaßt Ihr Portefeuille und noch wichtigere Dinge. Alſo in praxi habt Ihr Mir nichts vorzuwerfen. Aber in der Theorie! Nun, da ſtelle ich beide in der That auf eine Linie als zwei entgegengeſetzte Pole: beide nämlich auf die Linie des Sittengeſetzes. Sie haben beide nur Sinn in der ſittlichen Welt, gerade ſo, wie in der vorchriſtlichen Zeit ein geſetzlicher Jude und ein ungeſetzlicher nur Sinn und Bedeu¬ tung hatten in Bezug auf das jüdiſche Geſetz, dagegen vor Chriſtus der Phariſäer nicht mehr war, als die Sünder und Zöllner . So gilt auch vor der Eigenheit der ſittliche Pha¬ riſäer ſo viel, als der unſittliche Sünder.

Nero wurde durch ſeine Beſeſſenheit ſehr unbequem. Ihm würde aber ein eigener Menſch nicht alberner Weiſe das Heilige entgegenſetzen, um zu jammern, wenn der Tyrann des Heiligen nicht achtet, ſondern ſeinen Willen. Wie oft wird die Heiligkeit der unveräußerlichen Menſchenrechte den Feinden derſelben vorgehalten und irgend eine Freiheit als ein heiliges Menſchenrecht erwieſen und vordemonſtrirt. Die das thun, verdienen ausgelacht zu werden, wie's ihnen wirk¬ lich geſchieht, wenn ſie nicht eigentlich doch, ſei's auch unbe¬ wußt, den zum Ziele führenden Weg einſchlügen. Sie ahnen es, daß, wenn nur erſt die Mehrzahl für jene Freiheit gewon¬ nen iſt, ſie auch dieſelbe wollen und dann nehmen wird, was ſie haben will. Die Heiligkeit der Freiheit und alle mögli¬ chen Beweiſe dieſer Heiligkeit werden ſie niemals verſchaffen: das Lamentiren und Petitioniren zeigt eben nur Bettler.

73

Der Sittliche iſt nothwendig darin bornirt, daß er keinen andern Feind kennt, als den Unſittlichen . Wer nicht ſitt¬ lich iſt der iſt unſittlich! , mithin verworfen, verächtlich u. ſ. w. Darum kann der Sittliche niemals den Egoiſten verſtehen. Iſt nicht unehelicher Beiſchlaf eine Unſittlichkeit? Der Sitt¬ liche mag ſich drehen, wie er will, er wird bei dieſem Ausſpruch bleiben müſſen; Emilia Galotti ließ für dieſe ſittliche Wahr¬ heit ihr Leben. Und es iſt wahr, es iſt eine Unſittlichkeit. Ein tugendhaftes Mädchen mag eine alte Jungfer werden; ein tugendhafter Mann mag die Zeit damit hinbringen, ſich mit ſeinen Naturtrieben herumzuſchlagen, bis er ſie vielleicht verdumpft hat, er mag ſich um der Tugend willen verſchneiden, wie der heilige Origenes um des Himmels willen: er ehrt die heilige Ehe, die heilige Keuſchheit dadurch als unverletzlich, es iſt ſittlich. Unkeuſchheit kann nie zu einer ſittlichen That werden. Mag der Sittliche den, der ſie beging, auch noch ſo nachſichtig beurtheilen und entſchuldigen, ein Vergehen, eine Sünde wider ein ſittliches Gebot bleibt ſie, es haftet daran ein unauslöſchlicher Makel. Wie die Keuſchheit einſt zum Ordensgelübde, ſo gehört ſie zu ſittlichem Wandel. Keuſch¬ heit iſt ein Gut. Dagegen für den Egoiſten iſt eben auch Keuſchheit kein Gut, darohne er nicht auskommen könnte: es iſt ihm nichts daran gelegen. Was folgt nun für das Urtheil des Sittlichen hieraus? Dieß, daß er den Egoiſten in die einzige Klaſſe von Menſchen wirft, die er außer den ſittlichen Menſchen kennt, in die der Unſittlichen. Er kann nicht anders, er muß den Egoiſten in allem, worin dieſer die Sittlichkeit nicht achtet, unſittlich finden. Fände er ihn nicht ſo, ſo wäre er eben ſchon der Sittlichkeit abtrünnig geworden, ohne ſich's zu geſtehen, er wäre ſchon kein wahrhaft ſittlicher74 Menſch mehr. Man ſollte ſich doch durch ſolche Erſcheinungen, die heutiges Tages allerdings nicht mehr zu den ſeltenen ge¬ hören, nicht irre führen laſſen, und bedenken, daß, wer der Sittlichkeit etwas vergiebt, ſo wenig zu den wahrhaft Sittlichen gezählt werden kann, als Leſſing, der in der bekannten Para¬ bel die chriſtliche Religion, ſo gut als die muhamedaniſche und jüdiſche, einem unächten Ringe vergleicht, ein frommer Chriſt war. Oft ſind die Leute ſchon weiter, als ſie ſich's zu geſtehen getrauen. Für Sokrates wäre es, weil er auf der Bildungsſtufe der Sittlichkeit ſtand, eine Unſittlichkeit ge¬ weſen, wenn er der verführeriſchen Zuſprache Kritons hätte folgen und dem Kerker entrinnen wollen; zu bleiben war das einzig Sittliche. Allein es war es lediglich darum, weil So¬ krates ein ſittlicher Menſch war. Die ſittenloſen, ruchloſen Revolutionsmänner dagegen hatten Ludwig XVI. Treue ge¬ ſchworen, und decretirten ſeine Abſetzung, ja ſeinen Tod, die That war aber eine unſittliche, worüber die Sittlichen ſich in alle Ewigkeit entſetzen werden.

Mehr oder weniger trifft jedoch dieß alles nur die bür¬ gerliche Sittlichkeit , auf welche die Freieren mit Verachtung herabſehen. Sie iſt nämlich, wie überhaupt die Bürgerlichkeit, ihr heimiſcher Boden, von dem religiöſen Himmel noch zu wenig entfernt und frei, um nicht die Geſetze deſſelben kritiklos und ohne Weiteres nur auf ihr Gebiet herüber zu verpflanzen, ſtatt eigene und ſelbſtſtändige Lehren zu erzeugen. Ganz an¬ ders nimmt ſich die Sittlichkeit aus, wenn ſie zum Bewußtſein ihrer Würde gelangt, und ihr Princip, das Weſen des Men¬ ſchen oder den Menſchen , zum einzigen Maaßgebenden erhebt. 75Diejenigen, welche zu ſo entſchiedenem Bewußtſein ſich durch¬ gearbeitet haben, brechen vollſtändig mit der Religion, deren Gott neben ihrem Menſchen keinen Platz mehr findet, und wie ſie (ſ. unten) das Staatsſchiff ſelbſt anbohren, ſo zer¬ bröckeln ſie auch die im Staate allein gedeihende Sittlichkeit , und dürften folgerichtig nicht einmal ihren Namen weiter ge¬ brauchen. Denn, was dieſe Kritiſchen Sittlichkeit nennen, das ſcheidet ſich ſehr bündig von der ſogenannten bürgerlichen oder politiſchen Moral , ab, und muß dem Staatsbürger wie eine ſinn - und zügelloſe Freiheit vorkommen. Im Grunde aber hat es nur die Reinheit des Princips voraus, das, aus ſeiner Verunreinigung mit dem Religiöſen befreit, nun in ſeiner geläuterten Beſtimmtheit als Menſchlichkeit zur Allgewalt gekommen iſt. Deshalb darf man ſich nicht wun¬ dern, daß auch der Name Sittlichkeit neben andern, wie Frei¬ heit, Humanität, Selbſtbewußtſein u. ſ.w. beibehalten, und nur etwa mit dem Zuſatze einer freien Sittlichkeit verſehen wird, gerade ſo wie auch, obgleich der bürgerliche Staat Un¬ glimpf erfährt, doch der Staat als freier Staat , oder, wenn ſelbſt ſo nicht, doch als freie Geſellſchaft wieder erſtehen ſoll.

Weil dieſe zur Menſchlichkeit vollendete Sittlichkeit mit der Religion, aus welcher ſie geſchichtlich hervorgegangen, ſich völlig auseinandergeſetzt hat, ſo hindert ſie nichts, auf eigene Hand Religion zu werden. Denn zwiſchen Religion und Sittlichkeit waltet nur ſo lange ein Unterſchied ob, als unſere Beziehungen zur Menſchenwelt durch unſer Verhältniß zu einem übermenſchlichen Weſen geregelt und geheiligt werden, oder ſo lange als unſer Thun ein Thun um Gottes willen iſt. Kommt es hingegen dahin, daß dem Menſchen der Menſch das höchſte Weſen iſt , ſo verſchwindet jener Unterſchied, und76 die Sittlichkeit vollendet ſich, indem ſie ihrer untergeordneten Stellung entrückt wird, zur Religion. Es hat dann näm¬ lich das bisher dem höchſten untergeordnete höhere Weſen, der Menſch, die abſolute Höhe erſtiegen, und Wir verhalten Uns zu ihm als zum höchſten Weſen, d. h. religiös. Sittlichkeit und Frömmigkeit ſind nun eben ſo ſynonym, als im Anfang des Chriſtenthums, und nur weil das höchſte Weſen ein an¬ deres geworden, heißt ein heiliger Wandel nicht mehr ein heiliger , ſondern ein menſchlicher . Hat die Sittlichkeit geſiegt, ſo iſt ein vollſtändiger Herrenwechſel eingetreten.

Nach der Vernichtung des Glaubens wähnt Feuerbach in die vermeintlich ſichere Bucht der Liebe einzulaufen. Das höchſte und erſte Geſetz muß die Liebe des Menſchen zum Men¬ ſchen ſein. Homo homini Deus est dieß iſt der oberſte prak¬ tiſche Grundſatz dieß der Wendepunkt der Weltgeſchichte. *)Weſen des Chriſtenthums, zweite Auflage. S. 402.Eigentlich iſt aber nur der Gott verändert, der Deus, die Liebe iſt geblieben; dort Liebe zum übermenſchlichen Gott, hier Liebe zum menſchlichen Gott, zum homo als Deus. Alſo der Menſch iſt Mir heilig. Und alles wahrhaft Menſchliche iſt Mir heilig! Die Ehe iſt durch ſich ſelbſt heilig. Und ſo iſt es mit allen ſittlichen Verhältniſſen. Heilig iſt und ſei Dir die Freund¬ ſchaft, heilig das Eigenthum, heilig die Ehe, heilig das Wohl jedes Menſchen, aber heilig an und für ſich ſelbſt. **)S. 403.Hat man da nicht wieder den Pfaffen? Wer iſt ſein Gott? Der Menſch? Was das Göttliche? Das Menſchliche! So hat ſich allerdings das Prädicat nur ins Subject verwandelt, und ſtatt des Satzes Gott iſt die Liebe heißt es die Liebe iſt göttlich , ſtatt Gott iſt Menſch geworden der Menſch77 iſt Gott geworden u. ſ. w. Es iſt eben nur eine neue Religion. Alle ſittlichen Verhältniſſe ſind nur da mora¬ liſche, ſie werden nur da mit ſittlichem Sinne gepflogen, wo ſie durch ſich ſelbſt (ohne religiöſe Weihe durch den Segen des Prieſters) als religiöſe gelten. Feuerbachs Satz: die Theologie iſt Anthropologie, heißt nur die Religion muß Ethik ſein, die Ethik iſt allein Religion.

Ueberhaupt bewirkt Feuerbach nur eine Umſtellung von Subject und Prädicat, eine Bevorzugung des letzteren. Da er aber ſelbſt ſagt: Die Liebe iſt nicht dadurch heilig (und hat den Menſchen niemals dadurch für heilig gegolten), daß ſie ein Prädicat Gottes, ſondern ſie iſt ein Prädicat Gottes, weil ſie durch und für ſich ſelbſt göttlich iſt, ſo konnte er finden, daß der Kampf gegen die Prädicate ſelbſt eröffnet wer¬ den mußte, gegen die Liebe und alle Heiligkeiten. Wie durfte er hoffen die Menſchen von Gott abzuwenden, wenn er ihnen das Göttliche ließ? Und iſt ihnen, wie Feuerbach ſagt, Gott ſelbſt nie die Hauptſache geweſen, ſondern nur ſeine Prädicate, ſo konnte er ihnen immerhin den Flitter noch länger laſſen, da ja die Puppe doch blieb, der eigentliche Kern. Er erkennt das auch, daß es ſich bei ihm nur um die Vernichtung einer Illuſion handelt ,*)S. 408. meint jedoch, ſie wirke grundverderblich auf die Menſchen, da ſelbſt die Liebe, an ſich die innerſte, wahrſte Geſinnung, durch die Religioſität zu einer unſcheinba¬ ren, illuſoriſchen werde, indem die religiöſe Liebe den Menſchen nur um Gottes willen, alſo nur ſcheinbar den Menſchen, in Wahrheit nur Gott liebt . Iſt dieß anders mit der ſittlichen Liebe? Liebt ſie den Menſchen, dieſen Menſchen um dieſes78 Menſchen willen, oder um der Sittlichkeit willen, um des Menſchen willen, alſo denn homo homini Deus um Gottes willen?

Der Sparren hat noch eine Menge von formellen Seiten, deren einige hier anzudeuten, nützlich ſein möchte.

So iſt die Selbſtverleugnung den Heiligen gemein mit den Unheiligen, den Reinen und Unreinen. Der Unreine verleugnet alle beſſeren Gefühle , alle Scham, ja die natürliche Furchtſamkeit, und folgt nur der ihn beherrſchenden Begierde. Der Reine verleugnet ſeine natürliche Beziehung zur Welt ( verleugnet die Welt ) und folgt nur dem ihn be¬ herrſchenden Verlangen . Von Gelddurſt getrieben verleugnet der Habgierige alle Mahnungen des Gewiſſens, alles Ehrge¬ fühl, alle Milde und alles Mitleid: er ſetzt alle Rückſichten aus den Augen: ihn reißt die Begierde fort. Gleiches begeht der Heilige. Er macht ſich zum Spotte der Welt , iſt hart¬ herzig und ſtrenggerecht ; denn ihn reißt das Verlangen fort. Wie der Unheilige vor dem Mammon ſich ſelbſt verleugnet, ſo verleugnet der Heilige ſich vor Gott und den göttlichen Geſetzen. Wir leben jetzt in einer Zeit, wo die Unver¬ ſchämtheit der Heiligen täglich mehr gefühlt und aufgedeckt wird, wodurch ſie zugleich gezwungen iſt, ſich ſelbſt täglich mehr zu enthüllen und bloß zu ſtellen. Ueberſteigt nicht die Unverſchämtheit und Dummheit der Gründe, mit denen man dem Fortſchritt der Zeit entgegenwirkt, längſt alles Maaß und alle Erwartung? Aber es muß ſo kommen. Die Selbſt¬ verleugnenden müſſen als Heilige denſelben Gang nehmen, wie als Unheilige, und wie dieſe nach und nach ins vollſte Maaß ſelbſtverleugnender Gemeinheit und Niedrigkeit ver¬79 ſinken, ſo müſſen jene zur entehrendſten Erhabenheit auf¬ ſteigen. Der Mammon der Erde und der Gott des Him¬ mels fordern beide genau denſelben Grad der Selbſtver¬ leugnung. Der Niedrige wie der Erhabene langen nach einem Gute , jener nach dem materiellen, dieſer nach dem ideellen, dem ſogenannten höchſten Gute , und beide ergänzen zuletzt auch einander wieder, indem der materiell Geſinnte einem ideellen Schemen Alles opfert, ſeiner Eitelkeit, der geiſtlich Geſinnte einem materiellen Genuſſe, dem Wohlleben.

Ungemein viel glauben diejenigen zu ſagen, welche den Menſchen Uneigennützigkeit ans Herz legen. Was verſtehen ſie darunter? Wohl etwas Aehnliches als unter Selbſtver¬ leugnung . Wer aber iſt dieſes Selbſt, das verleugnet werden und keinen Nutzen haben ſoll? Du ſcheinſt es ſelber ſein zu ſollen. Und zu weſſen Nutzen empfiehlt man Dir die uneigen¬ nützige Selbſtverleugnung? Wiederum Dir zu Nutz und From¬ men, nur daß Du durch Uneigennützigkeit Deinen wahren Nutzen Dir verſchaffſt.

Dir ſollſt Du nutzen, und doch ſollſt Du Deinen Nu¬ tzen nicht ſuchen.

Für uneigennützig hält man den Wohlthäter der Men¬ ſchen, einen Franke, welcher das Waiſenhaus ſtiftete, einen O'Connell, der für ſein iriſches Volk unermüdlich arbeitet; aber auch den Fanatiker, der, wie der heilige Bonifacius, ſein Leben für die Heidenbekehrung einſetzt, oder wie Robespierre alles der Tugend opfert, wie Körner für Gott, König und Vaterland ſtirbt. Daher verſuchen unter Andern die Gegner O'Connells ihm eine Eigennützigkeit oder Gewinnſucht unterzu¬ ſchieben, wozu ihnen die O'Connell-Rente Grund zu geben80 ſchien; denn gelänge es, ſeine Uneigennützigkeit zu verdäch¬ tigen, ſo trennten ſie ihn leicht von ſeinen Anhängern.

Was könnten ſie indeß weiter beweiſen, als daß O'Con¬ nell auf einen andern, als den vorgeblichen Zweck hinarbeite? Ob er aber Geldgewinn oder Volksbefreiung erzielen mag, daß er einem Zwecke, und zwar ſeinem Zwecke zuſtrebt, bleibt doch im ein n wie im andern Falle gewiß: Eigennutz hier wie da, nur daß ſein nationaler Eigennutz auch Andern zu Gute käme, mithin gemeinnützig wäre.

Iſt nun etwa die Uneigennützigkeit unwirklich und nirgends vorhanden? Im Gegentheil, nichts iſt gewöhnlicher! Man darf ſie ſogar einen Modeartikel der civiliſirten Welt nennen, den man für ſo unentbehrlich hält, daß man, wenn er in ſoli¬ dem Stoffe zu viel koſtet, wenigſtens mit ſeinem Flitterſchein ſich ausputzt und ihn erheuchelt. Wo beginnt die Uneigen¬ nützigkeit? Gerade da, wo ein Zweck aufhört, Unſer Zweck und Unſer Eigenthum, mit dem Wir als Eigenthümer nach Belieben ſchalten können, zu ſein; wo er ein fixer Zweck oder eine fixe Idee wird, wo er anfängt, Uns zu begeiſtern, enthuſiasmiren, fanatiſiren, kurz wo er zu Unſerer Recht¬ haberei ausſchlägt und Unſer Herr wird. Man iſt nicht uneigennützig, ſo lange man den Zweck in ſeiner Gewalt be¬ hält; man wird es erſt bei jenem Hier ſteh 'ich, ich kann nicht anders , dem Kernſpruche aller Beſeſſenen, man wird es bei einem heiligen Zwecke durch den entſprechenden heiligen Eifer.

Ich bin nicht uneigennützig, ſo lange der Zweck Mein eigen bleibt, und Ich, ſtatt zum blinden Mittel ſeiner Voll¬ führung Mich herzugeben, ihn vielmehr allezeit in Frage laſſe. Mein Eifer braucht darum nicht geringer zu ſein, als der81 fanatiſchſte, aber Ich bleibe zu gleicher Zeit gegen ihn froſtig kalt, ungläubig und ſein unverſöhnlichſter Feind; Ich bleibe ſein Richter, weil Ich ſein Eigenthümer bin.

Die Uneigennützigkeit wuchert üppig, ſo weit die Beſeſſen¬ heit reicht, gleich ſehr aus Teufelsbeſitzungen wie auf denen eines guten Geiſtes: dort Laſter, Narrheit u. ſ. w.; hier De¬ muth, Hingebung u. ſ. w.

Wohin könnte man blicken, ohne Opfern der Selbſtver¬ leugnung zu begegnen? Da ſitzt Mir gegenüber ein Mädchen, das vielleicht ſchon ſeit zehn Jahren ſeiner Seele blutige Opfer bringt. Ueber der üppigen Geſtalt neigt ſich ein todtmüdes Haupt, und bleiche Wangen verrathen die langſame Verblu¬ tung ihrer Jugend. Armes Kind, wie oft mögen die Leiden¬ ſchaften an Dein Herz geſchlagen, und die reichen Jugend¬ kräfte ihr Recht gefordert haben! Wenn Dein Haupt ſich in die weichen Kiſſen wühlte, wie zuckte die erwachende Natur durch Deine Glieder, ſpannte das Blut Deine Adern, und goſſen feurige Phantaſien den Glanz der Wolluſt in Deine Augen. Da erſchien das Geſpenſt der Seele und ihrer Se¬ ligkeit. Du erſchrakſt, Deine Hände falteten ſich, Dein ge¬ quältes Auge richtete den Blick nach oben, Du beteteſt. Die Stürme der Natur verſtummten, Meeresſtille glitt hin über den Ocean Deiner Begierden. Langſam ſenkten ſich die matten Augenlider über das unter ihnen erloſchene Leben, aus den ſtrotzenden Gliedern ſchlich unvermerkt die Spannung, in dem Herzen verſiegten die lärmenden Wogen, die gefalteten Hände ſelbſt laſteten entkräftet auf dem widerſtandloſen Buſen, ein leiſes, letztes Ach ſtöhnte noch nach, und die Seele war ruhig. Du entſchliefſt, um am Morgen zu neuem Kampfe zu erwachen und zu neuem Gebete. Jetzt kühlt die Ge¬682wohnheit der Entſagung die Hitze Deines Verlangens und die Roſen Deiner Jugend erblaſſen in der Bleichſucht Deiner Seligkeit. Die Seele iſt gerettet, der Leib mag verderben! O Lais, o Ninon, wie thatet Ihr wohl, dieſe bleiche Tugend zu verſchmähen. Eine freie Griſette gegen tauſend in der Tugend grau gewordene Jungfern!

Auch als Grundſatz, Princip, Standpunkt u. dergl. läßt ſich die fixe Idee vernehmen. Archimedes verlangte einen Standpunkt außerhalb der Erde, um ſie zu bewegen. Nach dieſem Standpunkte ſuchten fortwährend die Menſchen, und Jeder nahm ihn ein, ſo gut er vermochte. Dieſer fremde Standpunkt iſt die Welt des Geiſtes, der Ideen, Gedan¬ ken, Begriffe, Weſen u. ſ. w.; es iſt der Himmel. Der Himmel iſt der Standpunkt , von welchem aus die Erde be¬ wegt, das irdiſche Treiben überſchaut und verachtet wird. Sich den Himmel zu ſichern, den himmliſchen Standpunkt feſt und auf ewig einzunehmen, wie ſchmerzlich und unermüdlich rang darnach die Menſchheit.

Es hat das Chriſtenthum dahin gezielt, Uns von der Naturbeſtimmung (Beſtimmung durch die Natur), von den Be¬ gierden als antreibend, zu erlöſen, mithin gewollt, daß der Menſch ſich nicht von ſeinen Begierden beſtimmen laſſe. Darin liegt nicht, daß er keine Begierden haben ſolle, ſondern daß die Begierden ihn nicht haben ſollen, daß ſie nicht fix, unbe¬ zwinglich, unauflöslich werden ſollen. Was nun das Chri¬ ſtenthum (die Religion) gegen die Begierden machinirte, könnten Wir das nicht auf ſeine eigene Vorſchrift, daß Uns der Geiſt (Gedanke, Vorſtellungen, Ideen, Glaube u. ſ. w.) beſtimmen ſolle, anwenden, könnten verlangen, daß auch der Geiſt oder die Vorſtellung, die Idee Uns nicht beſtimmen, nicht fix und83 unantaſtbar oder heilig werden dürfe? Dann ginge es auf die Auflöſung des Geiſtes, Auflöſung aller Gedanken, aller Vorſtellungen aus. Wie es dort heißen mußte: Wir ſollen zwar Begierden haben, aber die Begierden ſollen Uns nicht haben, ſo hieße es nun: Wir ſollen zwar Geiſt haben, aber der Geiſt ſoll Uns nicht haben. Scheint das Letztere eines rechten Sinnes zu ermangeln, ſo denke man z. B. daran, daß bei ſo Manchem ein Gedanke zur Maxime wird, wo¬ durch Er ſelbſt in deſſen Gefangenſchaft geräth, ſo daß nicht Er die Maxime, ſondern dieſe vielmehr Ihn hat. Und mit der Maxime hat er wieder einen feſten Standpunkt . Die Lehren des Katechismus werden unverſehens Unſere Grundſätze und ertragen keine Verwerfung mehr. Der Gedanke derſelben oder der Geiſt hat die alleinige Gewalt, und keine Einrede des Fleiſches wird weiter gehört. Gleichwohl aber kann Ich nur durch das Fleiſch die Tyrannei des Geiſtes brechen; denn nur, wenn ein Menſch auch ſein Fleiſch vernimmt, ver¬ nimmt er ſich ganz, und nur, wenn er ſich ganz vernimmt, iſt er vernehmend oder vernünftig. Der Chriſt vernimmt den Jammer ſeiner geknechteten Natur nicht, ſondern lebt in De¬ muth ; darum murrt er nicht gegen die Unbill, welche ſeiner Perſon widerfährt: mit der Geiſtesfreiheit glaubt er ſich befriedigt. Führt aber einmal das Fleiſch das Wort und iſt der Ton deſſelben, wie es nicht anders ſein kann, leidenſchaft¬ lich , unanſtändig , nicht wohlmeinend , böswillig u. ſ. w. ſo glaubt er Teufelsſtimmen zu vernehmen, Stimmen gegen den Geiſt (denn Anſtand, Leidenſchaftloſigkeit, Wohlmeinung u. dergl. iſt eben Geiſt), und eifert mit Recht dagegen. Er müßte nicht Chriſt ſein, wenn er ſie dulden wollte. Er hört nur auf die Sittlichkeit, und ſchlägt die Sittenloſigkeit6 *84aufs Maul, er hört nur auf die Geſetzlichkeit, und knebelt das geſetzloſe Wort: Der Geiſt der Sittlichkeit und Geſetzlichkeit hält ihn gefangen, ein ſtarrer, unbeugſamer Herr. Das nen¬ nen ſie die Herrſchaft des Geiſtes , es iſt zugleich der Standpunkt des Geiſtes.

Und wen wollen nun die gewöhnlichen liberalen Herrn frei machen? Nach weſſen Freiheit ſchreien und lechzen ſie denn? Nach der des Geiſtes! Des Geiſtes der Sittlichkeit, Geſetzlichkeit, Frömmigkeit, Gottesfurcht u. ſ.w. Das wollen die antiliberalen Herrn auch, und der ganze Streit zwiſchen beiden dreht ſich um den Vortheil, ob die letzteren das Wort allein haben oder die erſteren einen Mitgenuß deſſelben Vor¬ theils erhalten ſollen. Der Geiſt bleibt für beide der abſo¬ lute Herr, und ſie hadern nur darum, wer den hierarchiſchen Thron, der dem Statthalter des Herrn gebührt, einnehmen ſoll. Das Beſte an der Sache iſt, daß man dem Treiben ruhig zuſehen kann mit der Gewißheit, daß die wilden Thiere der Geſchichte ſich eben ſo zerfleiſchen werden, wie die der Natur; ihre verweſenden Cadaver düngen den Boden für Unſere Früchte.

Auf manchen andern Sparren, wie den des Berufes, der Wahrhaftigkeit, der Liebe u. ſ. w. kommen Wir ſpäter zurück.

Wenn das Eigene dem Eingegebenen entgegengeſtellt wird, ſo will der Einwurf nichts verſchlagen, daß Wir Iſolirtes nicht haben können, ſondern alles im Weltzuſammenhange, alſo durch den Eindruck des um Uns Befindlichen empfangen, mit¬ hin als ein Eingegebenes haben; denn es iſt ein großer Abſtand zwiſchen den Gefühlen und Gedanken, welche durch85 Anderes in mir angeregt, und denen, welche Mir gegeben werden. Gott, Unſterblichkeit, Freiheit, Menſchlichkeit u. ſ. w. werden Uns von Kindheit an als Gedanken und Gefühle ein¬ geprägt, die kräftiger oder flauer Unſer Inneres bewegen, und entweder unbewußt Uns beherrſchen, oder in reicheren Naturen zu Syſtemen und Kunſtwerken ſich darlegen können, immer aber nicht angeregte, ſondern eingegebene Gefühle ſind, weil Wir an ſie glauben und an ihnen hängen müſſen. Daß ein Abſolutes ſei und dieſes Abſolute von Uns aufgenommen, ge¬ fühlt und gedacht werden müſſe, ſtand als Glaube bei denen feſt, die alle Kraft ihres Geiſtes darauf verwandten, es zu er¬ kennen und darzuſtellen. Das Gefühl für das Abſolute beſteht da als ein eingegebenes und kommt fortan nur zu den mannigfaltigſten Offenbarungen ſeiner ſelbſt. So war in Klop¬ ſtock das religiöſe Gefühl ein eingegebenes, das ſich in der Meſſiade nur künſtleriſch verkündete. Wäre hingegen die Reli¬ gion, welche er vorfand, für ihn nur eine Anregung zu Gefühl und Gedanke geweſen, und hätte er ſich ganz eigen dagegen zu ſtellen gewußt, ſo ergab ſich ſtatt religiöſer Begeiſterung eine Auflöſung und Verzehrung des Objectes. Dafür ſetzte er im reifen Alter nur ſeine kindiſchen, in der Kindheit empfangenen Gefühle fort, und verpraßte die Kräfte ſeiner Mannheit in dem Aufputz ſeiner Kindereien.

Der Unterſchied iſt alſo der, ob Mir Gefühle eingegeben oder nur angeregt ſind. Die letzteren ſind eigene, egoiſtiſche, weil ſie Mir nicht als Gefühle eingeprägt, vorgeſagt und aufgedrungen wurden; zu den erſteren aber ſpreize Ich Mich auf, hege ſie in Mir wie ein Erbtheil, cultivire ſie und bin von ihnen beſeſſen. Wer hätte es niemals, bewußter oder unbewußter gemerkt, daß Unſere ganze Erziehung darauf aus¬86 geht, Gefühle in Uns zu erzeugen, d. h. ſie uns einzugeben, ſtatt die Erzeugung derſelben Uns zu überlaſſen, wie ſie auch ausfallen mögen. Hören Wir den Namen Gottes, ſo ſollen Wir Gottesfurcht empfinden, hören Wir den der fürſtlichen Majeſtät, ſo ſoll er mit Ehrfurcht, Ehrerbietung, Unterthänig¬ keit aufgenommen werden, hören Wir den der Moral, ſo ſollen Wir etwas Unverletzliches zu hören meinen, hören Wir von dem und den Böſen, ſo ſollen Wir ſchaudern u. ſ. w. Auf dieſe Gefühle iſt's abgeſehen, und wer z. B. die Thaten der Böſen mit Wohlgefallen vernähme, der müßte durch die Zuchtruthe gezüchtigt und erzogen werden. So mit ein¬ gegebenen Gefühlen vollgeſtopft, erſcheinen Wir vor den Schranken der Mündigkeit und werden mündig geſprochen . Unſere Ausrüſtung beſteht aus erhebenden Gefühlen, erhabe¬ nen Gedanken, begeiſternden Grundſätzen, ewigen Principien u. ſ. w. Mündig ſind die Jungen dann, wenn ſie zwitſchern wie die Alten; man hetzt ſie durch die Schule, damit ſie die alte Leier lernen, und haben ſie dieſe inne, ſo erklärt man ſie für mündig.

Wir dürfen nicht bei jeder Sache und jedem Namen, der Uns vorkommt, fühlen, was Wir dabei fühlen möchten und könnten, dürfen z. B. bei dem Namen Gottes nichts Lächer¬ liches denken, nichts Unehrerbietiges fühlen, ſondern es iſt Uns vorgeſchrieben und eingegeben, was und wie Wir dabei fühlen und denken ſollen.

Das iſt der Sinn der Seelſorge, daß meine Seele oder mein Geiſt geſtimmt ſei, wie Andere es recht finden, nicht wie Ich ſelbſt möchte. Wie viele Mühe koſtet es Einem nicht, wenigſtens bei dem und jenem Namen endlich ſich ein eigenes Gefühl zu ſichern und Manchem ins Geſicht zu87 lachen, der von Uns bei ſeinen Reden ein heiliges Geſicht und eine unverzogene Miene erwartet. Das Eingegebene iſt Uns fremd, iſt Uns nicht eigen, und darum iſt es heilig , und es hält ſchwer, die heilige Scheu davor abzulegen.

Heutiges Tages hört man auch wieder den Ernſt an¬ preiſen, den Ernſt bei hochwichtigen Gegenſtänden und Ver¬ handlungen , den deutſchen Ernſt u. ſ. w. Dieſe Art der Ernſthaftigkeit ſpricht deutlich aus, wie alt und ernſtlich ſchon die Narrheit und Beſeſſenheit geworden iſt. Denn es giebt nichts Ernſthafteres als den Narren, wenn er auf den Kern¬ punkt ſeiner Narrheit kommt: da verſteht er vor großem Eifer keinen Spaß mehr. (Siehe Tollhäuſer.)

§. 3. Die Hierarchie.

Die geſchichtliche Reflexion über Unſer Mongolenthum, welche Ich an dieſer Stelle epiſodiſch einlegen will, gebe Ich nicht mit dem Anſpruche aus Gründlichkeit oder auch nur auf Bewährtheit, ſondern lediglich darum, weil Mich dünkt, ſie könne zur Verdeutlichung des Uebrigen beitragen.

Die Weltgeſchichte, deren Geſtaltung eigentlich ganz dem caucaſiſchen Menſchenſtamm angehört, ſcheint bis jetzt zwei caucaſiſche Weltalter durchlaufen zu haben, in deren erſtem Wir Unſere angeborne Negerhaftigkeit aus - und abzuarbeiten hatten, worauf im zweiten die Mongolenhaftigkeit (das Chineſenthum) folgte, dem gleichfalls endlich ein Ende mit Schrecken gemacht werden muß. Die Negerhaftigkeit ſtellt dar das Alterthum, die Zeit der Abhängigkeit von den Din¬ gen (vom Hahnenfraß, Vögelflug, vom Nieſen, von Donner und Blitz, vom Rauſchen heiliger Bäume u. ſ. w.); die Mon¬ golenhaftigkeit die Zeit der Abhängigkeit von Gedanken, die88 chriſtliche. Der Zukunft ſind die Worte vorbehalten: Ich bin Eigner der Welt der Dinge, und Ich bin Eigner der Welt des Geiſtes.

Ins negerhafte Weltalter fallen die Züge des Seſoſtris und die Bedeutſamkeit Aegyptens und Nordafrika's überhaupt. Dem mongolenhaften Weltalter gehören die Hunnen - und Mon¬ golenzüge an, bis herauf zu den Ruſſen.

Der Werth Meiner kann unmöglich hoch angeſchlagen werden, ſo lange der harte Demant des Nicht-Ich ſo ge¬ waltig im Preiſe ſteht, wie dieß ſowohl mit dem Gotte als mit der Welt der Fall war. Das Nicht-Ich iſt noch zu kör¬ nig und unbezwinglich, um von mir verzehrt und abſorbirt zu werden; vielmehr kriechen die Menſchen nur auf dieſem Un¬ beweglichen, d. h. aus dieſer Subſtanz mit außerordent¬ licher Geſchäftigkeit herum, wie Schmarotzerthierchen auf einem Leibe, von deſſen Säften ſie Nahrung ziehen, ohne ihn darum aufzuzehren. Es iſt die Geſchäftigkeit des Ungeziefers, die Betriebſamkeit der Mongolen. Bei den Chineſen bleibt ja Alles beim Alten, und nichts Weſentliches oder Subſtan¬ zielles unterliegt einer Veränderung; deſto rühriger arbeiten ſie an dem Bleibenden, welches den Namen des Alten , der Vorfahren u. ſ. w. führt, herum.

Sonach iſt in unſerem mongoliſchen Weltalter alle Ver¬ änderung nur eine reformatoriſche oder ausbeſſernde, keine deſtruktive oder verzehrende und vernichtende geweſen. Die Subſtanz, das Object bleibt. All' unſere Betriebſamkeit war nur Ameiſenthätigkeit und Flohſprung, Jongleurkünſte aus dem unbeweglichen Seile des Objectiven, Frohndienſt unter der Herrſchaft des Unveränderlichen oder Ewigen . Die Chine¬ ſen ſind wohl das poſitivſte Volk, weil ganz in Satzungen89 vergraben; aus dem Poſitiven iſt aber auch das chriſtliche Weltalter nicht herausgekommen, d. h. aus der beſchränkten Freiheit , der Freiheit innerhalb gewiſſer Schranken . Auf der vorgeſchrittenſten Bildungsſtufe verdient dieſe Thätigkeit den Namen der wiſſenſchaftlichen, des Arbeitens auf einer unbewegten Vorausſetzung, einer unumſtößlichen Hypotheſe.

In ihrer erſten und unverſtändlichſten Form giebt ſich die Sittlichkeit als Gewohnheit. Nach ſeines Landes Sitte und Gewohnheit handeln heißt da ſittlich ſein. Darum wird ein reines ſittliches Handeln, eine lautere, unverfälſchte Sittlichkeit am ſchlichteſten in China geübt: man bleibt bei der allen Gewohnheit und Sitte, und haßt als todeswürdiges Verbrechen jegliche Neuerung. Denn die Neuerung iſt der Todfeind der Gewohnheit, des Alten, der Beharrlich¬ keit. Es unterliegt auch in der That keinem Zweifel, daß der Menſch ſich durch Gewohnheit gegen die Zudringlichkeit der Dinge, der Welt, ſichert und eine eigene Welt gründet, in welcher er allein heimiſch und zu Hauſe iſt, d. h. ſich einen Himmel erbaut. Hat ja doch der Himmel keinen andern Sinn, als den, daß er die eigentliche Heimath des Menſchen ſei, worin ihn nichts Fremdes mehr beſtimmt und beherrſcht, kein Einfluß des Irdiſchen mehr ihn ſelbſt entfremdet, kurz wo¬ rin die Schlacken des Irdiſchen abgeworfen ſind und der Kampf gegen die Welt ein Ende gefunden hat, worin ihm alſo nichts mehr verſagt iſt. Der Himmel iſt das Ende der Entſagung, er iſt der freie Genuß. Dort verſagt ſich der Menſch nichts mehr, weil ihm nichts mehr fremd und feindlich iſt. Nun iſt aber die Gewohnheit eine andere Natur , welche den Menſchen von ſeiner erſten und urſprünglichen Natürlichkeit ablöſt und befreit, indem ſie ihn gegen jede Zufälligkeit derſelben ſichert.

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Die ausgebildete Gewohnheit der Chineſen hat für alle Vor¬ fälle geſorgt, und für Alles iſt vorgeſehen ; was auch kom¬ men mag, es weiß der Chineſe immer, wie er ſich zu verhalten hat, und er braucht ſich nicht erſt nach den Umſtänden zu be¬ ſtimmen: aus dem Himmel ſeiner Ruhe ſtürzt ihn kein unvor¬ hergeſehener Fall. Der ſittlich eingewohnte und eingelebte Chineſe wird nicht überraſcht und überrumpelt: er verhält ſich gegen Alles gleichmüthig, d. h. mit gleichem Muthe oder Ge¬ müthe, weil ſein Gemüth, durch die Vorſicht ſeiner altherge¬ brachten Sitte geſchützt, nicht außer Faſſung kommt. Auf der Stufenleiter der Bildung oder Cultur beſteigt die Menſchheit mithin durch die Gewohnheit die erſte Sproſſe, und da ſie ſich vorſtellt, im Erklimmen der Cultur zugleich den Himmel, das Reich der Cultur oder zweiten Natur, zu erklimmen, ſo beſteigt ſie wirklich die erſte Sproſſe der Himmelsleiter.

Hat das Mongolenthum das Daſein geiſtiger Weſen feſt¬ geſtellt, eine Geiſterwelt, einen Himmel geſchaffen, ſo haben die Caucaſier Jahrtauſende mit dieſen geiſtigen Weſen gerun¬ gen, um ihnen auf den Grund zu kommen. Was thaten ſie alſo anders, als daß ſie auf mongoliſchem Grund bauten? Sie haben nicht auf Sand, ſondern in der Luft gebaut, haben mit dem Mongoliſchen gerungen, den mongoliſchen Himmel, den Thiän, geſtürmt. Wann werden ſie dieſen Himmel endlich vernichten? Wann werden ſie endlich wirkliche Caucaſier werden und ſich ſelber finden? Wann wird die Unſterblich¬ keit der Seele , die ſich in letzterer Zeit noch mehr zu ſichern glaubte, wenn ſie ſich als Unſterblichkeit des Geiſtes prä¬ ſentirte, endlich in die Sterblichkeit des Geiſtes um¬ ſchlagen?

Im induſtriöſen Ringen der mongoliſchen Race hatten die91 Menſchen einen Himmel erbaut, als die vom caucaſiſchen Menſchenſtamme, ſo lange ſie in ihrer mongoliſchen Färbung es mit dem Himmel zu thun haben, die entgegengeſetzte Auf¬ gabe, die Aufgabe, jenen Himmel der Sitte zu ſtürmen, die himmelſtürmende Thätigkeit übernahmen. Alle Menſchen¬ ſatzung zu unterwühlen, um über dem aufgeräumten Bauplatz eine neue und beſſere zu ſchaffen, alle Sitte zu verderben, um immer neue und beſſere Sitten an die Stelle derſelben zu ſetzen u. ſ. w., darauf beſchränkt ſich ihre That. Iſt ſie ſo aber ſchon rein und wirklich das, was ſie zu ſein trachtet, und erreicht ſie ihr letztes Abſehen? Nein, ſie iſt in dieſem Erſchaffen eines Beſſeren mit dem Mongolenthum be¬ haftet. Sie ſtürmt den Himmel nur, um wieder einen Him¬ mel zu machen, ſie ſtürzt eine alte Gewalt nur, um eine neue Gewalt zu legitimiren, ſie verbeſſert nur. Gleichwohl iſt der Zielpunkt, ſo oft er auch bei jedem neuen Anſatz aus den Augen verſchwinden mag, der wirkliche, vollendete Sturz des Himmels, der Sitte u. ſ. w., kurz des nur gegen die Welt geſicherten Menſchen, der Iſolirung oder Innerlich¬ keit des Menſchen. Durch den Himmel der Cultur ſucht ſich der Menſch von der Welt zu iſoliren, ihre feindſelige Macht zu brechen. Dieſe Himmelsiſolirung muß aber gleichfalls gebrochen werden, und das wahre Ende des Himmelſtürmens iſt der Himmelsſturz, die Himmelsvernichtung. Das Verbeſſern und Reformiren iſt das Mongolenthum des Caucaſiers, weil er dadurch von neuem wieder ſetzt, was vorher ſchon war, nämlich eine Satzung, ein Allgemeines, einen Himmel. Er hegt die unverſöhnlichſte Feindſchaft gegen den Himmel und baut doch täg¬ lich neue Himmel: Himmel auf Himmel thürmend erdrückt er nur einen durch den andern, der Himmel der Juden zerſtört den92 der Griechen, der der Chriſten den der Juden, der der Pro¬ teſtanten den der Katholiken u. ſ. w. Streifen die him¬ melſtürmenden Menſchen des caucaſiſchen Blutes ihre Mon¬ golenhaut ab, ſo werden ſie den Gemüthsmenſchen unter dem Schutt der ungeheuren Gemüthswelt begraben, den iſolirten Menſchen unter ſeiner iſolirten Welt, den Verhimmelnden un¬ ter ſeinem Himmel. Und der Himmel iſt das Geiſterreich, das Reich der Geiſtesfreiheit.

Das Himmelreich, das Reich der Geiſter und Geſpenſter, hat in der ſpeculativen Philoſophie ſeine rechte Ordnung ge¬ funden. Hier wurde es ausgeſprochen als das Reich der Ge¬ danken, Begriffe und Ideen: der Himmel iſt von Gedanken und Ideen bevölkert, und dieß Geiſterreich iſt dann die wahre Wirklichkeit.

Dem Geiſte Freiheit erwerben wollen, das iſt Mongolen¬ thum, Geiſtesfreiheit iſt mongoliſche Freiheit, Gemüthsfreiheit, moraliſche, ſittliche Freiheit u. ſ. w.

Man nimmt das Wort Sittlichkeit wohl für gleich¬ bedeutend mit Selbſtthätigkeit, Selbſtbeſtimmung. Allein das liegt nicht darin, und es hat ſich der Caucaſier vielmehr nur ſelbſtthätig bewieſen trotz ſeiner mongoliſchen Sittlichkeit. Der mongoliſche Himmel oder die Sitte blieb die feſte Burg, und nur dadurch, daß der Caucaſier unaufhörlich gegen dieſe Burg anſtürmte, bewies er ſich ſittlich; hätte er's gar nicht mehr mit der Sitte zu thun gehabt, hätte er nicht an ihr ſeinen unbezwinglichen, fortwährenden Feind gehabt, ſo hörte die Be¬ ziehung zur Sitte auf, mithin die Sittlichkeit. Daß alſo ſeine Selbſtthätigkeit noch eine ſittliche iſt, das iſt eben das Mon¬ golenhafte an ihr, iſt ein Zeichen, daß er in derſelben nicht zu ſich ſelbſt gekommen. Die ſittliche Selbſtthätigkeit ent¬93 ſpricht ganz der religiöſen und rechtgläubigen Philoſophie , der conſtitutionellen Monarchie , dem chriſtlichen Staate , der Freiheit in gewiſſen Schranken , der beſchränkten Pre߬ freiheit , oder in einem Bilde dem ans Krankenlager gefeſſelten Helden.

Erſt dann hat der Menſch das Schamanenthum und ſei¬ nen Spuk wirklich überwunden, wenn er nicht bloß den Ge¬ ſpenſterglauben, ſondern auch den Glauben an den Geiſt ab¬ zulegen die Kraft beſitzt, nicht bloß den Geiſterglauben, ſon¬ dern auch den Geiſtesglauben.

Wer an einen Spuk glaubt, nimmt nicht mehr das Hereinragen einer höhern Welt an, als wer an den Geiſt glaubt, und beide ſuchen hinter der ſinnlichen Welt eine über¬ ſinnliche, kurz ſie erzeugen und glauben eine andere Welt, und dieſe andere Welt, das Erzeugniß ihres Geiſtes, iſt eine geiſtige Welt: ihre Sinne faſſen und wiſſen ja nichts von einer anderen, unſinnlichen Welt, nur ihr Geiſt lebt darin. Der Fortgang von dieſem mongoliſchen Glauben an das Da¬ ſein geiſtiger Weſen dahin, daß auch des Menſchen eigent¬ liches Weſen ſein Geiſt ſei, und daß auf dieſen allein, auf ſein Seelenheil alle Sorgfalt gerichtet werden müſſe, iſt nicht ſchwer. Damit wird die Einwirkung auf den Geiſt, der ſo¬ genannte moraliſche Einfluß geſichert.

Es ſpringt daher in die Augen, daß das Mongolenthum die vollkommene Rechtloſigkeit der Sinnlichkeit, die Unſinnlichkeit und Unnatur repräſentire, und daß die Sünde und das Sünd¬ bewußſein unſere Jahrtauſende lange mongoliſche Plage war.

Wer aber wird auch den Geiſt in ſein Nichts auflöſen? Er, der mittelſt des Geiſtes die Natur als das Nichtige, Endliche, Vergängliche darſtellte, er kann allein auch den Geiſt94 zu gleicher Nichtigeit herabſetzen: Ich kann es, es kann es Jeder unter Euch, der als unumſchränktes Ich waltet und ſchafft, es kann's mit einem Worte der Egoiſt.

Vor dem Heiligen verliert man alles Machtgefühl und allen Muth: man verhält ſich gegen daſſelbe ohnmächtig und demüthig. Und doch iſt kein Ding durch ſich heilig, ſondern durch Meine Heiligſprechung, durch Meinen Spruch, Mein Urtheil, Mein Kniebeugen, kurz durch Mein Gewiſſen.

Heilig iſt Alles, was dem Egoiſten unnahbar ſein ſoll, unberührbar, außerhalb ſeiner Gewalt, d. h. über ihm: heilig mit Einem Worte jede Gewiſſensſache, denn dieß iſt Mir eine Gewiſſensſache heißt eben: dieß halte Ich heilig .

Für kleine Kinder, wie für Thiere, exiſtirt nichts Heiliges, weil man, um dieſer Vorſtellung Raum zu geben, ſchon ſo weit zu Verſtand gekommen ſein muß, daß man Unterſchiede wie: gut und böſe, berechtigt und unberechtigt u. ſ. w. ma¬ chen kann; nur bei ſolchem Grade der Reflexion oder Verſtän¬ digkeit dem eigentlichen Standpunkte der Religion kann an die Stelle der natürlichen Furcht die unnatürliche (d. h. erſt durch Denken hervorgebrachte) Ehrfurcht treten, die hei¬ lige Scheu. Es gehört dazu, daß man etwas außer ſich für mächtiger, größer, berechtigter, beſſer u. ſ. w. halt, d. h. daß man die Macht eines Fremden anerkennt, alſo nicht bloß fühlt, ſondern ausdrücklich anerkennt, d. h. einräumt, weicht, ſich gefangen giebt, ſich binden läßt (Hingebung, Demuth, Unterwürfigkeit, Unterthänigkeit u. ſ. w.). Hier ſpukt die ganze Geſpenſterſchaar der chriſtlichen Tugenden. 95Alles, wovor Ihr einen Reſpekt oder eine Ehrfurcht hegt, verdient den Namen eines Heiligen; auch ſagt Ihr ſelbſt, Ihr trüget eine heilige Scheu , es anzutaſten. Und ſelbſt dem Unheiligen gebt Ihr dieſe Farbe (Galgen, Verbrechen u. f. w.). Es graut Euch vor der Berührung deſſelben. Es liegt etwas Unheimliches, d. h. Unheimiſches oder Uneige¬ nes darin.

Gälte dem Menſchen nicht irgend etwas als heilig, ſo wäre ja der Willkühr, der ſchrankenloſen Subjectivität Thür und Thor geöffnet! Furcht macht den Anfang, und dem rohſten Menſchen kann man ſich fürchterlich machen; alſo ſchon ein Damm gegen ſeine Frechheit. Allein in der Furcht bleibt immer noch der Verſuch, ſich vom Gefürchteren zu befreien durch Liſt, Betrug, Pfiffe u. ſ. w. Dagegen iſt's in der Ehr¬ furcht ganz anders. Hier wird nicht bloß gefürchtet, ſondern auch geehrt: das Gefürchtete iſt zu einer innerlichen Macht geworden, der Ich Mich nicht mehr entziehen kann; Ich ehre daſſelbe, bin davon eingenommen, ihm zugethan und ange¬ hörig: durch die Ehre, welche Ich ihm zolle, bin Ich voll¬ ſtändig in ſeiner Gewalt, und verſuche die Befreiung nicht einmal mehr. Nun hänge ich mit der ganzen Kraft des Glau¬ bens daran, Ich glaube. Ich und das Gefürchtete ſind Eins: nicht Ich lebe, ſondern das Reſpektirte lebt in Mir! Weil der Geiſt, das Unendliche, kein Ende nehmen läßt, darum iſt er ſtationair: er fürchtet das Sterben, er kann von ſei¬ nem Jeſulein nicht laſſen, die Größe der Endlichkeit wird von ſeinem geblendeten Auge nicht mehr erkannt: das nun zur Verehrung geſteigerte Gefürchtete darf nicht mehr angetaſtet werden: die Ehrfurcht wird verewigt, das Reſpektirte wird ver¬ göttert. Der Menſch iſt nun nicht mehr ſchaffend, ſondern96 lernend (wiſſend, forſchend u. ſ. w.), d. h. beſchäftigt mit einem feſten Gegenſtande, ſich vertiefend in ihn, ohne Rück¬ kehr zu ſich ſelber. Das Verhältniß zu dieſem Gegenſtande iſt das des Wiſſens, des Ergründens und Begründens u. ſ. w., nicht das des Auflöſens (Abſchaffens u. ſ. w.). Religiös ſoll der Menſch ſein , das ſteht feſt; daher beſchäftigt man ſich nur mit der Frage, wie dieß zu erreichen, welches der rechte Sinn der Religioſität u. ſ. w. Ganz anders, wenn man das Axiom ſelbſt fraglich macht und in Zweifel zieht, und ſollte es auch über den Haufen ſtürzen. Sittlichkeit iſt auch ſolch eine heilige Vorſtellung: ſittlich müſſe man ſein, und müſſe nur das rechte Wie, die rechte Art es zu ſein, auf¬ ſuchen. An die Sittlichkeit ſelbſt wagt man ſich nicht mit der Frage, ob ſie nicht ſelbſt ein Truggebilde ſei: ſie bleibt über allem Zweifel erhaben, unwandelbar. Und ſo geht es fort mit dem Heiligen, Stufe für Stufe, vom Heiligen bis zum Hochheiligen .

Man theilt mitunter die Menſchen in zwei Klaſſen, in Gebildete und Ungebildete. Die erſteren beſchäftigten ſich, ſo weit ſie ihres Namens würdig waren, mit Gedanken, mit dem Geiſte, und forderten, weil ſie in der nachchriſtlichen Zeit, deren Princip eben der Gedanke iſt, die Herrſchenden waren, für die von ihnen anerkannten Gedanken einen unter¬ würfigen Reſpekt. Staat, Kaiſer, Kirche, Gott, Sittlichkeit, Ordnung u. ſ. w. ſind ſolche Gedanken oder Geiſter, die nur für den Geiſt ſind. Ein bloß lebendiges Weſen, ein Thier, kümmert ſich um ſie ſo wenig als ein Kind. Allein die Un¬ gebildeten ſind wirklich nichts als Kinder, und wer nur ſeinen97 Lebensbedürfniſſen nachhängt, iſt gleichgültig gegen jene Gei¬ ſter; weil er aber auch ſchwach gegen dieſelben iſt, ſo unter¬ liegt er ihrer Macht, und wird beherrſcht von Gedanken. Dieß iſt der Sinn der Hierarchie.

Hierarchie iſt Gedankenherrſchaft, Herrſchaft des Geiſtes!

Hierarchiſch ſind Wir bis auf den heutigen Tag, unter¬ drückt von denen, welche ſich auf Gedanken ſtützen. Gedanken ſind das Heilige.

Immer aber ſtoßen Beide an einander, der Gebildete an den Ungebildeten, wie umgekehrt, und zwar nicht bloß im An¬ rennen zweier Menſchen, ſondern in ein und demſelben Men¬ ſchen. Denn kein Gebildeter iſt ſo gebildet, daß er nicht auch an den Dingen Freude fände, mithin ungebildet wäre, und kein Ungebildeter iſt ganz ohne Gedanken. Bei Hegel kommt endlich zu Tage, welche Sehnſucht gerade der Gebildetſte nach den Dingen hat, und welchen Abſcheu er vor jeder hohlen Theorie hegt. Da ſoll dem Gedanken ganz und gar die Wirklichkeit, die Welt der Dinge, entſprechen, und kein Begriff ohne Realität ſein. Dieß verſchaffte Hegel's Syſtem den Namen des objectivſten, als feierten darin Gedanke und Ding ihre Vereinigung. Aber es war dieß eben nur die äußerſte Gewaltſamkeit des Denkens, die höchſte Despotie und Allein¬ herrſchaft deſſelben, der Triumph des Geiſtes, und mit ihm der Triumph der Philoſophie. Höheres kann die Philo¬ ſophie nicht mehr leiſten, denn ihr Höchſtes iſt die Allge¬ walt des Geiſtes, die Allmacht des Geiſtes*)Rouſſeau, die Philanthropen und Andere feindeten die Bildung und Intelligenz an, aber ſie überſahen, daß dieſe in allen Chriſten¬.

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Die geiſtlichen Menſchen haben ſich Etwas in den Kopf geſetzt, was realiſirt werden ſoll. Sie haben Begriffe von Liebe, Güte u. dergl., die ſie verwirklicht ſehen möch¬ ten; darum wollen ſie ein Reich der Liebe auf Erden errichten, worin Keiner mehr aus Eigennutz, ſondern Jeder aus Liebe handelt. Die Liebe ſoll herrſchen. Was ſie ſich in den Kopf geſetzt haben, wie ſoll man das anders nennen, als fixe Idee? Es ſpukt ja in ihrem Kopfe . Der beklem¬ mendſte Spuk iſt der Menſch. Man denke des Sprichwortes: Der Weg zum Verderben iſt mit guten Vorſätzen gepflaſtert. Der Vorſatz, die Menſchlichkeit ganz in ſich zu verwirklichen, ganz Menſch zu werden, iſt von ſo verderblicher Art; dahin gehören die Vorſätze, gut, edel, liebevoll u. ſ. w. zu werden.

In dem ſechſten Hefte der Denkwürdigkeiten S. 7 ſagt Br. Bauer: Jene Bürgerklaſſe, die für die neuere Geſchichte ein ſo furchtbares Gewicht erhalten ſollte, iſt keiner aufopfern¬ den Handlung, keiner Begeiſterung für eine Idee, keiner Er¬ hebung fähig: ſie giebt ſich für nichts hin, als für das In¬ tereſſe ihrer Mittelmäßigkeit, d. h. ſie bleibt immer auf ſich ſelbſt beſchränkt und ſiegt endlich nur durch ihre Maſſenhaftig¬ keit, mit welcher ſie die Anſtrengungen der Leidenſchaft, der Begeiſterung, der Conſequenz zu ermüden wußte, durch ihre Oberfläche, in welche ſie einen Theil der neuen Ideen ein¬ ſaugt. Und S. 6: Sie hat die revolutionairen Ideen, für welche nicht ſie, ſondern uneigennützige oder leidenſchaftliche Männer ſich aufopferten, ſich allein zu Gute kommen laſſen, den Geiſt in Geld verwandelt. Freilich nachdem ſie jenen*)menſchen ſtecke, und zogen nur gegen die gelehrte und verfeinerte Bil¬ dung los. 99 Ideen die Spitze, die Conſequenz, den zerſtörenden und gegen allen Egoismus fanatiſchen Ernſt genommen hatte. Dieſe Leute ſind alſo nicht aufopfernd, nicht begeiſtert, nicht ideal, nicht conſequent, keine Enthuſiaſten; ſie ſind im gewöhnlichen Verſtande Egoiſten, Eigennützige, auf ihren Vortheil bedacht, nüchtern, berechnend u. ſ. w.

Wer iſt denn aufopfernd ? Vollſtändig doch wohl der¬ jenige, der an Eins, Einen Zweck, Einen Willen, Eine Lei¬ denſchaft u. ſ. w. alles Andere ſetzt. Iſt der Liebende, der Vater und Mutter verläßt, der alle Gefahren und Entbehrun¬ gen beſteht, um zu ſeinem Ziele zu kommen, nicht aufopfernd? Oder der Ehrgeizige, der alle Begierden, Wünſche und Be¬ friedigungen der einzigen Leidenſchaft darbringt, oder der Gei¬ zige, der ſich Alles verſagt, um Schätze zu ſammeln, oder der Vergnügungsſüchtige u. ſ. w.? Ihn beherrſcht eine Leiden¬ ſchaft, der er die übrigen zum Opfer bringt.

Und ſind dieſe Aufopfernden etwa nicht eigennützig, nicht Egoiſten? Da ſie nur Eine herrſchende Leidenſchaft haben, ſorgen ſie auch nur für Eine Befriedigung, aber für dieſe um deſto eifriger: ſie gehen in ihr auf. Egoiſtiſch iſt ihr ganzes Thun und Treiben, aber es iſt ein einſeitiger, unaufgeſchloſſe¬ ner, bornirter Egoismus: es iſt Beſeſſenheit.

Das ſind ja kleinliche Leidenſchaften, von denen ſich im Gegentheil der Menſch nicht knechten laſſen ſoll. Für eine große Idee, eine große Sache muß der Menſch Opfer brin¬ gen! Eine große Idee , eine gute Sache iſt etwa die Ehre Gottes, für die Unzählige in den Tod gingen, das Chriſtenthum, das ſeine bereitwilligen Märtyrer gefunden hat, die alleinſeligmachende Kirche, die ſich Ketzeropfer gierig ge¬7*100langt hat; die Freiheit und Gleichheit, der blutige Guillotinen zu Dienſten ſtanden.

Wer für eine große Idee, eine gute Sache, eine Lehre, ein Syſtem, einen erhabenen Beruf lebt, der darf kein welt¬ liches Gelüſte, kein ſelbſtſüchtiges Intereſſe in ſich aufkommen laſſen. Hier haben Wir den Begriff des Pfaffenthums, oder wie es in ſeiner pädagogiſchen Wirkſamkeit auch genannt werden kann, der Schulmeiſterlichkeit; denn die Idealen ſchul¬ meiſtern Uns. Der Geiſtliche iſt recht eigentlich berufen, der Idee zu leben und für die Idee, die wahrhaft gute Sache, zu wirken. Deshalb fühlt das Volk, wie wenig es ihm an¬ ſtehe, einen weltlichen Hochmuth zu zeigen, ein Wohlleben zu begehren, Vergnügen, wie Tanz und Spiel, mitzumachen, kurz ein anderes als ein heiliges Intereſſe zu haben. Daher ſchreibt ſich auch wohl die dürftige Beſoldung der Lehrer, die ſich allein durch die Heiligkeit ihres Berufes belohnt fühlen und ſonſtigen Genüſſen entſagen ſollen.

Auch an einer Rangliſte der heiligen Ideen, deren eine oder mehrere der Menſch als ſeinen Beruf anſehen ſoll, fehlt es nicht. Familie, Vaterland, Wiſſenſchaft u. dergl. kann an Mir einen berufstreuen Diener finden.

Da ſtoßen Wir auf den uralten Wahn der Welt, die des Pfaffenthums noch nicht entrathen gelernt hat. Für eine Idee leben und ſchaffen, das ſei der Beruf des Men¬ ſchen, und nach der Treue ſeiner Erfüllung meſſe ſich ſein menſchlicher Werth.

Dieß iſt die Herrſchaft der Idee oder das Pfaffenthum. Robespierre z. B., St. Juſt u. ſ. w. waren durch und durch Pfaffen, begeiſtert von der Idee, Enthuſiaſten, conſequente Rüſtzeuge dieſer Idee, ideale Menſchen. So ruft St. Juſt101 in einer Rede aus: Es giebt etwas Schreckliches in der hei¬ ligen Liebe zum Vaterlande; ſie iſt ſo ausſchließend, daß ſie Alles ohne Erbarmen, ohne Furcht, ohne menſchliche Beach¬ tung dem öffentlichen Intereſſe opfert. Sie ſtürzt Manlius in den Abgrund; ſie opfert ihre Privatneigungen; ſie führt Re¬ gulus nach Carthago, wirft einen Römer in den Schlund, und ſetzt Marat als Opfer ſeiner Hingebung, ins Pantheon.

Dieſen Vertretern idealer oder heiliger Intereſſen ſteht nun eine Welt zahlloſer perſönlicher profaner Intereſſen gegenüber. Keine Idee, kein Syſtem, keine heilige Sache iſt ſo groß, daß ſie nie von dieſen perſönlichen Intereſſen über¬ boten und modificirt werden ſollte. Wenn ſie auch augen¬ blicklich und in Zeiten der Rage und des Fanatismus ſchwei¬ gen, ſo kommen ſie doch durch den geſunden Sinn des Vol¬ kes bald wieder obenauf. Jene Ideen ſiegen erſt dann voll¬ kommen, wenn ſie nicht mehr gegen die perſönlichen Intereſſen feindlich ſind, d.h. wenn ſie den Egoismus befriedigen.

Der Mann, der eben vor meinem Fenſter Bücklinge zum Verkauf ausruft, hat ein perſönliches Intereſſe an gutem Ab¬ ſatz, und wenn ſein Weib oder wer ſonſt ihm desgleichen wünſchen, ſo bleibt dieß gleichwohl ein perſönliches Intereſſe. Entwendete hingegen ihm ein Dieb ſeinen Korb, ſo entſtünde ſogleich ein Intereſſe Vieler, der ganzen Stadt, des ganzen Landes, oder mit Einem Worte Aller, welche den Diebſtahl verabſcheuen: ein Intereſſe, wobei die Perſon des Bücklings¬ händlers gleichgültig würde, und an ihrer Statt die Kategorie des Beſtohlenen in den Vordergrund träte. Aber auch hier könnte noch alles auf ein perſönliches Intereſſe hinauslaufen, indem jeder Theilnehmende bedächte, daß er der Beſtrafung des Diebes deshalb beitreten müſſe, weil ſonſt das ſtrafloſe102 Stehlen allgemein werden und auch ihn um das Seinige bringen könnte. Eine ſolche Berechnung läßt ſich indeß ſchwer¬ lich bei Vielen vorausſetzen, und man wird vielmehr den Aus¬ ruf hören: der Dieb ſei ein Verbrecher . Da haben Wir ein Urtheil vor Uns, indem die Handlung des Diebes ihren Ausdruck erhält in dem Begriffe Verbrechen . Nun ſtellt ſich die Sache ſo: Wenn ein Verbrechen auch weder Mir, noch irgend einem derjenigen, an welchen Ich Antheil nehme, den geringſten Schaden brächte, ſo würde Ich dennoch gegen daſſelbe eifern. Warum? Weil Ich für die Sittlichkeit begeiſtert, von der Idee der Sittlichkeit erfüllt bin; was ihr feindlich iſt, das verfolge Ich. Weil ihm der Diebſtahl ohne alle Frage für verabſcheuungswürdig gilt, darum glaubt z. B. Proudhon ſchon mit dem Satze: Das Eigenthum iſt ein Dieb¬ ſtahl dieſes gebrandmarkt zu haben. Im Sinne der Pfäffi¬ ſchen iſt er allemal ein Verbrechen oder mindeſtens Vergehen.

Hier hat das perſönliche Intereſſe ein Ende. Dieſe be¬ ſtimmte Perſon, die den Korb geſtohlen hat, iſt meiner Perſon völlig gleichgültig; nur an dem Diebe, dieſem Begriffe, von welchem jene Perſon ein Exemplar darſtellt, nehme Ich ein Intereſſe. Der Dieb und der Menſch ſind in meinem Geiſte unverſöhnliche Gegenſätze; denn man iſt nicht wahrhaft Menſch, wenn man Dieb iſt; man entwürdigt in ſich den Menſchen oder die Menſchheit , wenn man ſtiehlt. Aus dem perſön¬ lichen Antheil herausfallend, geräth man in den Philan¬ thropismus, die Menſchenfreundlichkeit, die gewöhnlich ſo mißverſtanden wird, als ſei ſie eine Liebe zu den Menſchen, zu jedem Einzelnen, während ſie nichts als eine Liebe des Menſchen, des unwirklichen Begriffes, des Spuks iſt. Nicht τοὺς ἀνϑϱώπους, die Menſchen, ſondern τὸν ἄνϑϱωπον, den103 Menſchen, ſchließt der Philanthrop in ſein Herz. Allerdings bekümmert er ſich um jeden Einzelnen, aber nur deswegen, weil er ſein geliebtes Ideal überall verwirklicht ſehen möchte.

Alſo von der Sorge um Mich, Dich, Uns iſt hier keine Rede: das wäre perſönliches Intereſſe und gehört in das Ca¬ pitel von der weltlichen Liebe . Der Philanthropismus iſt eine himmliſche, geiſtige, eine pfäffiſche Liebe. Der Menſch muß in Uns hergeſtellt werden, und gingen Wir ar¬ men Teufel darüber auch zu Grunde. Es iſt derſelbe pfäffiſche Grundſatz, wie jenes berühmte fiat justitia, pereat mundus: Menſch und Gerechtigkeit ſind Ideen, Geſpenſter, denen zu Liebe alles geopfert wird: darum ſind die pfäffiſchen Geiſter die aufopfernden .

Wer für den Menſchen ſchwärmt, der läßt, ſo weit jene Schwärmerei ſich erſtreckt, die Perſonen außer Acht und ſchwimmt in einem idealen, heiligen Intereſſe. Der Menſch iſt ja keine Perſon, ſondern ein Ideal, ein Spuk.

Zu dem Menſchen kann nun das Allerverſchiedenſte ge¬ hören und gerechnet werden. Findet man das Haupterforder¬ niß deſſelben in der Frömmigkeit, ſo entſteht das religiöſe Pfaffenthum; ſieht man's in der Sittlichkeit, ſo erhebt das ſittliche Pfaffenthum ſein Haupt. Die pfäffiſchen Geiſter un¬ ſerer Tage möchten deshalb aus Allem eine Religion ma¬ chen; eine Religion der Freiheit, Religion der Gleichheit u. ſ. w. , und alle Ideen werden ihnen zu einer heiligen Sache , z. B. ſelbſt das Staatsbürgerthum, die Politik, die Oeffentlichkeit, Preßfreiheit, Schwurgericht u. ſ. w.

Was heißt nun in dieſem Sinne Uneigennützigkeit ? Nur ein ideales Intereſſe haben, vor welchem kein Anſehen der Perſon gilt!

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Dem widerſetzt ſich der ſtarre Kopf des weltlichen Men¬ ſchen, iſt aber Jahrtauſende lang immer ſo weit wenigſtens erlegen, daß er den widerſpenſtigen Nacken beugen und die höhere Macht verehren mußte: das Pfaffenthum drückte ihn nieder. Hatte der weltliche Egoiſt Eine höhere Macht abge¬ ſchüttelt, z. B. das Altteſtamentliche Geſetz, den römiſchen Papſt u. ſ. [ w.], ſo war gleich eine ſiebenfach höhere wieder über ihm, z. B. der Glaube an der Stelle des Geſetzes, die Umwandlung aller Laien in Geiſtliche an Stelle des beſchränk¬ ten Clerus u. ſ. w. Es ging ihm wie dem Beſeſſenen, in den ſieben Teufel fuhren, als er von dem einen ſich befreit zu haben glaubte.

In der oben angeführten Stelle wird der Bürgerklaſſe alle Idealität u. ſ. w. abgeſprochen. Sie machinirte allerdings gegen die ideale Conſequenz, mit welcher Robespierre das Princip ausführen wollte. Der Inſtinkt ihres Intereſſes ſagte ihr, daß dieſe Conſequenz mit dem, wonach ihr der Sinn ſtände, zu wenig harmonire, und daß es gegen ſich ſelbſt han¬ deln hieße, wollte ſie der principiellen Begeiſterung Vorſchub leiſten. Sollte ſie etwa ſich ſo uneigennützig benehmen, alle ihre Zwecke fahren zu laſſen, um eine herbe Theorie zum Triumphe zu führen? Es ſagt das freilich den Pfaffen treff¬ lich zu, wenn die Leute ihrem Aufrufe Gehör geben: Wirf alles von Dir und folge mir nach, oder: Verkaufe alles, was Du haſt, und gieb es den Armen, ſo wirſt Du einen Schatz im Himmel haben, und komm und folge mir nach. Einige entſchiedene Idealiſten gehorchen dieſem Rufe; die Meiſten hin¬ gegen handeln wie Ananias und Sapphira, indem ſie halb pfäffiſch oder religiös und halb weltlich ſich betragen, Gott und dem Mammon dienen.

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Ich verdenke es der Bürgelklaſſe nicht, daß ſie ſich durch Robespierre nicht um ihre Zwecke bringen laſſen mochte, d. h. daß ſie bei ihrem Egoismus anfragte, wie weit ſie der revo¬ lutionären Idee Raum geben dürfe. Aber denen könnte man's verdenken (wenn überhaupt ein Verdenken hier angebracht wäre), die durch die Intereſſen der Bürgerklaſſe ſich um ihre eigenen bringen ließen. Indeß werden ſie ſich nicht über kurz oder lang gleichfalls auf ihren Vortheil verſtehen lernen? Auguſt Becker ſagt*)Volksphiloſophie unſerer Tage, S. 22.: Die Producenten (Proletarier) zu gewinnen, genügt eine Negation der hergebrachten Rechtsbegriffe keineswegs. Die Leute kümmern ſich leider wenig um den theoretiſchen Sieg der Idee. Man muß ihnen ad oculos demonſtriren, wie dieſer Sieg praktiſch für's Leben benutzt werden könne. Und S. 32: Ihr müßt die Leute bei ihren wirklichen Intereſſen anpacken, wenn Ihr auf ſie wirken wollt. Gleich darauf zeigt er, wie unter unſern Bauern ſchon eine recht artige Sittenloſigkeit um ſich greift, weil ſie ihr wirkliches Intereſſe lieber verfolgen, als die Gebote der Sittlichkeit.

Weil die revolutionären Pfaffen oder Schulmeiſter dem Menſchen dienten, darum ſchnitten ſie den Menſchen die Hälſe ab. Die revolutionären Laien oder Profanen trugen nicht etwa eine größere Scheu vor dem Halsabſchneiden, waren aber we¬ niger um die Menſchenrechte, d. h. die Rechte des Menſchen beſorgt, als um die ihrigen.

Wie kommt es indeſſen, daß der Egoismus derer, welche das perſönliche Intereſſe behaupten und bei ihm alle Zeit an¬ fragen, dennoch immer wieder einem pfäffiſchen oder ſchulmei¬106 ſterlichen, d. h. einem idealen Intereſſe unterliegt? Ihre Per¬ ſon kommt ihnen ſelbſt zu klein, zu unbedeutend vor, und iſt es in der That auch, um Alles in Anſpruch zu nehmen und ſich vollſtändig durchſetzen zu können. Ein ſicheres Zeichen dafür liegt darin, daß ſie ſich ſelbſt in zwei Perſonen, eine ewige und eine zeitliche, zertheilen, und jedesmal nur entweder für die eine oder für die andere ſorgen, am Sonntage für die ewige, am Werkeltage für die zeitliche, im Gebete für jene, in der Arbeit für dieſe. Sie haben den Pfaffen in ſich, darum werden ſie ihn nicht los, und hören ſich ſonntäglich in ihrem Innern abgekanzelt.

Wie haben die Menſchen gerungen und gerechnet, um dieſe dualiſtiſchen Weſen zu ermitteln. Idee folgte auf Idee, Princip auf Princip, Syſtem auf Syſtem, und keines wußte den Widerſpruch des weltlichen Menſchen, des ſogenannten Egoiſten auf die Dauer niederzuhalten. Beweiſt dieß nicht, daß alle jene Ideen zu ohnmächtig waren, Meinen ganzen Willen in ſich aufzunehmen und ihm genugzuthun? Sie waren und blieben Mir feindlich, wenn auch die Feindſchaft längere Zeit verhüllt lag. Wird es mit der Eigenheit ebenſo ſein? Iſt auch ſie nur ein Vermittlungsverſuch? Zu welchem Prin¬ cipe Ich Mich wendete, wie etwa zu dem der Vernunft, Ich mußte mich immer wieder von ihm abwenden. Oder kann Ich immer vernünftig ſein, in Allem Mein Leben nach der Vernunft einrichten? Nach der Vernünftigkeit ſtreben kann Ich wohl. Ich kann ſie lieben, wie eben Gott und jede andere Idee auch: Ich kann Philoſoph ſein, ein Liebhaber der Weisheit, wie Ich Gott lieb habe. Aber was Ich liebe, wonach Ich ſtrebe, das iſt nur in Meiner Idee, Meiner Vor¬ ſtellung, Meinen Gedanken: es iſt in Meinem Herzen, Meinem107 Kopfe, es iſt in Mir wie das Herz, aber es iſt nicht Ich, Ich bin es nicht.

Zur Wirkſamkeit pfäffiſcher Geiſter gehört beſonders das, was man häufig moraliſchen Einfluß nennen hört.

Der moraliſche Einfluß nimmt da ſeinen Anfang, wo die Demüthigung beginnt, ja er iſt nichts anderes, als dieſe Demüthigung ſelbſt, die Brechung und Beugung des Muthes zur Demuth herab. Wenn Ich Jemand zurufe, bei Spren¬ gung eines Felſens aus deſſen Nähe zu gehen, ſo übe Ich keinen moraliſchen Einfluß durch dieſe Zumuthung; wenn Ich dem Kinde ſage, Du wirſt hungern, willſt Du nicht eſſen, was aufgetiſcht wird, ſo iſt dieß kein moraliſcher Einfluß. Sage Ich ihm aber: Du wirſt beten, die Aeltern ehren, das Krucifix reſpectiren, die Wahrheit reden u. ſ. w., denn dieß gehört zum Menſchen und iſt der Beruf des Menſchen, oder gar, dieß iſt Gottes Wille, ſo iſt der moraliſche Einfluß fertig: ein Menſch ſoll ſich da beugen vor dem Beruf des Menſchen, ſoll folgſam ſein, demüthig werden, ſoll ſeinen Willen aufgeben gegen einen fremden, der als Regel und Geſetz aufgeſtellt wird; er ſoll ſich erniedrigen vor einem Höheren: Selbſternie¬ drigung. Wer ſich ſelbſt erniedrigt, wird erhöhet werden. Ja, ja, die Kinder müſſen bei Zeiten zur Frömmigkeit, Gott¬ ſeligkeit und Ehrbarkeit angehalten werden; ein Menſch von guter Erziehung iſt Einer, dem gute Grundſätze beigebracht und eingeprägt, eingetrichtert, eingebläut und eingepredigt worden ſind.

Zuckt man hierüber die Achſeln, gleich ringen die Guten verzweiflungsvoll die Hände und rufen: Aber um's Himmels willen, wenn man den Kindern keine guten Lehren geben ſoll, ſo laufen ſie ja gerades Weges der Sünde in den Rachen,108 und werden nichtsnutzige Rangen! Gemach, Ihr Unheils¬ propheten. Nichtsnutzige in eurem Sinne werden ſie aller¬ dings werden: aber Euer Sinn iſt eben ein ſehr nichtsnutziger Sinn. Die frechen Buben werden ſich von Euch nichts mehr einſchwatzen und vorgreinen laſſen und kein Mitgefühl für all die Thorheiten haben, für welche Ihr ſeit Menſchengedenken ſchwärmt und faſelt: ſie werden das Erbrecht aufheben, d. h. ſie werden Eure Dummheiten nicht erben wollen, wie Ihr ſie von den Vätern geerbt habt; ſie vertilgen die Erbſünde. Wenn Ihr ihnen befehlt: Beuge Dich vor dem Höchſten ſo werden ſie antworten: Wenn er Uns beugen will, ſo komme er ſelbſt und thue es; Wir wenigſtens wollen Uns nicht von freien Stücken beugen. Und wenn Ihr ihnen mit ſeinem Zorne und ſeinen Strafen droht, ſo werden ſie's nehmen, wie ein Drohen mit dem Wauwau. Glückt es Euch nicht mehr, ihnen Geſpenſterfurcht einzujagen, ſo iſt die Herrſchaft der Geſpenſter zu Ende, und die Ammenmärchen finden keinen Glauben.

Und ſind es nicht gerade wieder die Liberalen, die auf eine gute Erziehung und Verbeſſerung des Erziehungsweſens dringen? Denn wie könnte auch ihr Liberalismus, ihre Frei¬ heit in den Grenzen des Geſetzes ohne Zucht zu Stande kommen? Erziehen ſie auch nicht gerade zur Gottesfurcht, ſo fordern ſie doch um ſo ſtrenger Menſchenfurcht, d. h. Furcht vor dem Menſchen, und wecken durch Zucht die Be¬ geiſterung für den wahrhaft menſchlichen Beruf .

Eine lange Zeit verfloß, in welcher man ſich mit dem Wahne begnügte, die Wahrheit zu haben, ohne daß man daran ernſtlich dachte, ob man ſelbſt vielleicht wahr ſein müſſe,109 um die Wahrheit zu beſitzen. Dieſe Zeit war das Mittel¬ alter. Mit dem gemeinen, d. h. dem dinglichen Bewußtſein, demjenigen Bewußtſein, welches nur für Dinge oder Sinnliches und Sinnfälliges Empfänglichkeit hat, gedachte man das Unding¬ liche, Unſinnliche zu faſſen. Wie man freilich auch ſein Auge anſtrengt, um das Entfernte zu ſehen, oder ſeine Hand müh¬ ſam übt, bis ſie Fingerfertigkeit genug erlangt hat, um die Taſten kunſtgerecht zu greifen: ſo kaſteite man ſich ſelbſt auf die mannigfachſte Weiſe, damit man fähig würde, das Ueber¬ ſinnliche ganz in ſich aufzunehmen. Allein, was man kaſteite, war doch nur der ſinnliche Menſch, das gemeine Bewußtſein, das ſogenannte endliche oder gegenſtändliche Denken. Da dieſes Denken jedoch, dieſer Verſtand, welchen Luther unter den Namen der Vernunft anpfuit , der Auffaſſung des Gött¬ lichen unfähig iſt, ſo trug ſeine Kaſteiung gerade ſo viel dazu bei, die Wahrheit zu begreifen, als wenn man die Füße Jahr aus und Jahr ein im Tanzen übte und hoffte, ſie würden auf dieſem Wege endlich Flöten blaſen lernen. Erſt Luther, mit welchem das ſogenannte Mittelalter endet, begriff, daß der Menſch ſelber ein anderer werden müſſe, wenn er die Wahr¬ heit auffaſſen wolle, nämlich eben ſo wahr, als die Wahrheit ſelbſt. Nur wer die Wahrheit ſchon im Glauben hat, nur wer an ſie glaubt, kann ihrer theilhaftig werden, d. h. nur der Gläubige findet ſie zugänglich und ergründet die Tiefen derſelben. Nur dasjenige Organ des Menſchen, welches über¬ haupt aus den Lungen zu blaſen vermag, kann auch das Flötenblaſen erreichen, und nur derjenige Menſch kann der Wahrheit theilhaftig werden, der für ſie das rechte Organ hat. Wer nur Sinnliches, Gegenſtändliches, Dingliches zu denken im Stande iſt, der ſtellt ſich auch in der Wahrheit nur Ding¬110 liches vor. Die Wahrheit iſt aber Geiſt, durchaus Unſinn¬ liches, daher nur für das höhere Bewußtſein , nicht für das irdiſch geſinnte .

Demnach geht mit Luther die Erkenntniß auf, daß die Wahrheit, weil ſie Gedanke iſt, nur für den denkenden Menſchen ſei. Und dieß heißt, daß der Menſch fortan einen ſchlechthin anderen Standpunkt einnehmen müſſe, nämlich den himmliſchen, gläubigen, wiſſenſchaftlichen, oder den Standpunkt des Denkens gegenüber ſeinem Gegenſtande dem Ge¬ danken, den Standpunkt des Geiſtes gegenüber dem Geiſte. Alſo: Nur der Gleiche erkennt den Gleichen! Du gleichſt dem Geiſt, den Du begreifſt.

Weil der Proteſtantismus die mittelalterliche Hierarchie knickte, konnte die Meinung Wurzel faſſen, es ſei die Hierarchie überhaupt durch ihn gebrochen worden, und gänzlich überſehen werden, daß er gerade eine Reformation war, alſo eine Auf¬ friſchung der veralteten Hierarchie. Jene mittelalterliche war nur eine ſchwächliche Hierarchie geweſen, da ſie alle mögliche Barbarei des Profanen unbezwungen neben ſich hergehen laſſen mußte, und erſt die Reformation ſtählte die Kraft der Hierarchie. Wenn Bruno Bauer meint*)Anekdota II, 152.: Wie die Reformation haupt¬ ſächlich die abſtracte Losreißung des religiöſen Princips von Kunſt, Staat und Wiſſenſchaft, alſo die Befreiung deſſelben von jenen Mächten war, mit denen es ſich im Alterthum der Kirche und in der Hierarchie des Mittelalters verbunden hatte, ſo ſind auch die theologiſchen und kirchlichen Richtungen, welche aus der Reformation hervorgingen, nur die conſequente Durch¬ führung dieſer Abſtraction des religiöſen Princips von den111 andern Mächten der Menſchheit: ſo ſehe Ich gerade in dem Gegentheil das Richtige und meine, die Geiſterherrſchaft oder Geiſtesfreiheit was auf Eins hinauskommt ſei nie zuvor ſo umfaſſend und allmächtig geweſen, weil die jetzige, ſtatt das religiöſe Princip von Kunſt, Staat und Wiſſenſchaft loszureißen, vielmehr dieſe ganz aus der Weltlichkeit in das Reich des Geiſtes erhob und religiös machte.

Man ſtellte paſſend Luther und Carteſius zuſammen in dem Wer glaubt, iſt ein Gott und Ich denke, alſo bin Ich (cogito, ergo sum). Der Himmel des Menſchen iſt das Denken, der Geiſt. Alles kann ihm entriſſen werden, das Denken nicht, nicht der Glaube. Beſtimmter Glaube, wie Glaube an Zeus, Aſtarte, Jehova, Allah u. ſ. w. kann zerſtört werden, der Glaube ſelbſt hingegen iſt unzerſtörbar. Im Denken iſt Freiheit. Was Ich brauche und wonach Ich Hunger habe, das wird Mir durch keine Gnade mehr ge¬ währt, durch die Jungfrau Maria, durch Fürſprache der Hei¬ ligen, oder durch die löſende und bindende Kirche, ſondern Ich verſchaffe Mir's ſelber. Kurz Mein Sein (das sum) iſt ein Leben im Himmel des Denkens, des Geiſtes, ein cogitare. Ich ſelber aber bin nichts anderes als Geiſt, als denkender (nach Carteſius), als Gläubiger (nach Luther). Mein Leib, das bin Ich nicht; Mein Fleiſch mag leiden von Gelüſten oder Qualen. Ich bin nicht Mein Fleiſch, ſondern Ich bin Geiſt, nur Geiſt.

Dieſer Gedanke durchzieht die Reformationsgeſchichte bis heute.

Erſt die neuere Philoſophie ſeit Carteſius hat Ernſt da¬ mit gemacht, das Chriſtenthum zu vollendeter Wirkſamkeit zu bringen, indem ſie das wiſſenſchaftliche Bewußtſein zum112 allein wahren und geltenden erhob. Daher beginnt ſie mit dem abſoluten Zweifel, dem dubitare, mit der Zerknirſchung des gemeinen Bewußtſeins, mit der Abwendung von Allem, was nicht durch den Geiſt , das Denken legitimirt wird. Nichts gilt ihr die Natur, nichts die Meinung der Menſchen, ihre Menſchenſatzungen , und ſie ruht nicht, bis ſie in Alles Vernunft gebracht hat und ſagen kann das Wirkliche iſt das Vernünftige und nur das Vernünftige iſt das Wirkliche . So hat ſie endlich den Geiſt, die Vernunft zum Siege geführt, und Alles iſt Geiſt, weil Alles vernünftig iſt, die ganze Na¬ tur ſo gut als ſelbſt die verkehrteſten Meinungen der Menſchen Vernunft enthalten: denn es muß ja Alles zum Beſten die¬ nen , d. h. zum Siege der Vernunft führen.

Das dubitare des Carteſius enthält den entſchiedenen Ausſpruch, daß nur das cogitare, das Denken, der Geiſt ſei. Ein vollkommener Bruch mit dem gemeinen Bewußt¬ ſein, welches den unvernünftigen Dingen Wirklichkeit zu¬ ſchreibt! Nur das Vernünftige iſt, nur der Geiſt iſt! Dieß iſt das Princip der neueren Philoſophie, das ächt chriſtliche. Scharf ſchied ſchon Carteſius den Körper vom Geiſte, und der Geiſt iſt's, der ſich den Körper baut ſagt Goethe.

Aber dieſe Philoſophie ſelbſt, die chriſtliche, wird doch das Vernünftige nicht los, und eifert darum gegen das bloß Subjective , gegen die Einfälle, Zufälligkeiten, Willkühr u. ſ. w. Sie will ja, daß das Göttliche in Allem ſichtbar werden ſoll, und alles Bewußtſein ein Wiſſen des Göttlichen werde und der Menſch Gott überall ſchaue; aber Gott iſt eben nie ohne den Teufel.

Ein Philoſoph iſt eben darum Derjenige nicht zu nennen, welcher zwar offene Augen für die Dinge der Welt, einen113 klaren und unverblendeten Blick, ein richtiges Urtheil über die Welt hat, aber in der Welt eben nur die Welt, in den Ge¬ genſtänden nur die Gegenſtände, kurz Alles proſaiſch, wie es iſt, ſieht, ſondern ein Philoſoph iſt allein Derjenige, welcher in der Welt den Himmel, in dem Irdiſchen das Ueberirdiſche, in dem Weltlichen das Göttliche ſieht und nachweiſt oder beweiſt. Jener mag noch ſo verſtändig ſein, es bleibt doch dabei: Was kein Verſtand der Verſtändigen ſieht, das übet in Einfalt ein kindlich Gemüth. Dies kindliche Gemüth macht erſt den Philoſophen, dieſes Auge für das Göttliche. Jener hat nur ein gemeines Bewußtſein, wer aber das Göttliche weiß und zu ſagen weiß, der hat ein wiſſenſchaft¬ liches . Aus dieſem Grunde verwies man den Baco aus dem Reiche der Philoſophen. Und weiter ſcheint allerdings Das¬ jenige, was man engliſche Philoſophie nennt, es nicht gebracht zu haben, als zu den Entdeckungen ſogenannter offener Köpfe , wie Bacon und Hume waren. Die Einfalt des kindlichen Gemüthes wußten die Engländer nicht zu philoſophiſcher Be¬ deutung zu erheben, wußten nicht aus kindlichen Gemüthern Philoſophen zu machen. Dies heißt ſo viel als: ihre Philoſophie vermochte nicht, theologiſch oder Theologie zu werden, und doch kann ſie nur als Theologie ſich wirklich ausleben, ſich vollenden. In der Theologie iſt die Wahl¬ ſtatt ihres Todeskampfes. Bacon bekümmerte ſich nicht um die theologiſchen Fragen und Cardinalpunkte.

Am Leben hat das Erkennen ſeinen Gegenſtand. Das deutſche Denken ſucht mehr als das der Uebrigen zu den An¬ fängen und Quellpunkten des Lebens zu gelangen, und ſieht im Erkennen ſelbſt erſt das Leben. Carteſius's cogito, ergo sum hat den Sinn: Man lebt nur, wenn man denkt. Den¬8114kendes Leben heißt: geiſtiges Leben ! Es lebt nur der Geiſt, ſein Leben iſt das wahre Leben. Ebenſo ſind dann in der Natur nur die ewigen Geſetze , der Geiſt oder die Vernunft der Natur das wahre Leben derſelben. Nur der Gedanke, im Menſchen, wie in der Natur, lebt; alles Andere iſt todt! Zu dieſer Abſtraction, zum Leben der Allgemeinheiten oder des Lebloſen muß es mit der Geſchichte des Geiſtes kommen. Gott, welcher Geiſt iſt, lebt allein. Es lebt nichts als das Geſpenſt.

Wie kann man von der neueren Philoſophie oder Zeit behaupten wollen, ſie habe es zur Freiheit gebracht, da ſie Uns von der Gewalt der Gegenſtändlichkeit nicht befreite? Oder bin Ich etwa frei vom Despoten, wenn Ich mich zwar vor dem perſönlichen Machthaber nicht fürchte, aber vor jeder Verletzung der Pietät, welche Ich ihm zu ſchulden wähne? Nicht anders verhält es ſich mit der neueren Zeit. Sie ver¬ wandelte nur die exiſtirenden Objecte, den wirklichen Ge¬ walthaber u. ſ. w. in vorgeſtellte, d.h. in Begriffe, vor denen der alte Reſpect ſich nicht nur nicht verlor, ſondern an Intenſität zunahm. Schlug man auch Gott und dem Teufel in ihrer vormaligen craſſen Wirklichkeit ein Schnippchen, ſo widmete man nur um ſo größere Aufmerkſamkeit ihren Begrif¬ fen. Den Böſen ſind ſie los, das Böſe iſt geblieben. Den beſtehenden Staat zu revoltiren, die beſtehenden Geſetze umzu¬ ſtürzen, trug man wenig Bedenken, da man einmal entſchloſſen war, ſich von dem Vorhandenen und Handgreiflichen nicht länger imponiren zu laſſen; allein gegen den Begriff des Staates zu ſündigen, dem Begriffe des Geſetzes ſich nicht zu unterwerfen, wer hätte das gewagt? So blieb man Staats¬ bürger und ein geſetzlicher , loyaler Menſch; ja man dünkte115 ſich nur um ſo geſetzlicher zu ſein, je rationaliſtiſcher man das vorige mangelhafte Geſetz abſchaffte, um dem Geiſte des Geſetzes zu huldigen. In alle dem hatten nur die Objecte eine Umgeſtaltung erlitten, waren aber in ihrer Uebermacht und Oberhoheit verblieben; kurz, man ſteckte noch in Gehorſam und Beſeſſenheit, lebte in der Reflexion, und hatte einen Gegenſtand, auf welchen man reflectirte, den man reſpectirte, und vor dem man Ehrfurcht und Furcht empfand. Man hatte nichts anderes gethan, als daß man die Dinge in Vorſtel¬ lungen von den Dingen, in Gedanken und Begriffe verwan¬ delte, und die Abhängigkeit um ſo inniger und unauflöslicher wurde. So hält es z. B. nicht ſchwer, von den Geboten der Aeltern ſich zu emancipiren, oder den Ermahnungen des On¬ kels und der Tante, den Bitten des Bruders und der Schwe¬ ſter ſich zu entziehen; allein der aufgekündigte Gehorſam fährt einem leicht ins Gewiſſen, und je weniger man auch den ein¬ zelnen Zumuthungen nachgiebt, weil man ſie rationaliſtiſch aus eigener Vernunft für unvernünftig erkennt, deſto gewiſſen¬ hafter hält man die Pietät, die Familienliebe feſt, und vergiebt ſich um ſo ſchwerer eine Verſündigung gegen die Vorſtel¬ lung, welche man von der Familienliebe und der Pietätspflicht gefaßt hat. Von der Abhängigkeit gegen die exiſtirende Fa¬ milie erlößt, fällt man in die bindendere Abhängigkeit von dem Familienbegriff: man wird vom Familiengeiſte beherrſcht. Die aus Hans und Grete u. ſ. w. beſtehende Familie, deren Herr¬ ſchaft machtlos geworden, iſt nur verinnerlicht, indem ſie als Familie überhaupt übrig bleibt, auf welche man eben nur an¬ wendet den alten Spruch: Man muß Gott mehr gehorchen als dem Menſchen, deſſen Bedeutung hier dieſe iſt: Ich kann zwar Euren unſinnigen Anforderungen Mich nicht fügen, aber als8 *116meine Familie bleibt Ihr doch der Gegenſtand meiner Liebe und Sorge; denn die Familie iſt ein, heiliger Begriff, den der Einzelne nie beleidigen darf. Und dieſe zu einem Ge¬ danken, einer Vorſtellung, verinnerlichte und entſinnlichte Fa¬ milie gilt nun als das Heilige , deſſen Despotie noch, zehn¬ mal ärger iſt, weil ſie in meinem Gewiſſen rumort. Dieſe Despotie wird nur gebrochen, wenn auch die vorgeſtellte Familie Mir zu einem Nichts wird. Die chriſtlichen Sätze¬ Weib, was habe Ich mit Dir zu ſchaffen? *)Joh. 2, 4. Ich bin kommen, den Menſchen zu erregen wider ſeinen Vater und die Tochter wider ihre Mutter **)Matth. 10, 35. und andere werden von der Verweiſung auf die himmliſche oder eigentliche Familie begleitet, und bedeuten nicht mehr, als die Forderung des Staates, bei einer Colliſion zwiſchen ihm und der Familie, ſeinen Ge¬ boten zu gehorchen.

Aehnlich, wie mit der Familie, verhält ſich's mit der Sittlichkeit. Von der Sitte ſagt ſich Mancher los, von der Vorſtellung Sittlichkeit ſehr ſchwer. Die Sittlichkeit iſt die Idee der Sitte, ihre geiſtige Macht, ihre Macht über die Gewiſſen: dagegen die Sitte zu materiell iſt, um den Geiſt zu beherrſchen, und einen geiſtigen Menſchen, einen ſoge¬ nannten Unabhängigen, einen Freigeiſt nicht feſſelt.

Der Proteſtant mag es anſtellen, wie er will, heilig bleibt ihm doch die heilige Schrift , das Wort Gottes . Wem dies nicht mehr heilig iſt, der hat aufgehört ein Prote¬ ſtant zu ſein. Hiermit bleibt ihm aber auch heilig, was in ihr verordnet iſt, die von Gott eingerichtete Obrigkeit u. ſ. w. 117Dieſe Dinge bleiben ihm unauflöslich, unnahbar, über allem Zweifel erhaben , und da der Zweifel, der in der Praxis ein Rütteln wird, des Menſchen Eigenſtes iſt, ſo bleiben dieſe Dinge über ihm ſelbſt erhaben . Wer nicht davon loskommen kann, der wird glauben; denn daran glau¬ ben heißt daran gebunden ſein. Dadurch, daß im Prote¬ ſtantismus der Glaube ein innerlicherer wurde, iſt auch die Knechtſchaft eine innerlichere geworden: man hat jene Hei¬ ligkeiten in ſich aufgenommen, ſie mit ſeinem ganzen Tichten und Trachten verflochten, ſie zur Gewiſſensſache ge¬ macht, ſich eine heilige Pflicht aus ihnen bereitet. Darum iſt dem Proteſtanten heilig das, wovon ſein Gewiſſen nicht loskommen kann, und die Gewiſſenhaftigkeit be¬ zeichnet am deutlichſten ſeinen Charakter.

Der Proteſtantismus hat den Menſchen recht eigentlich zu einem Geheimen-Polizei-Staat gemacht. Der Spion und Laurer Gewiſſen überwacht jede Regung des Geiſtes, und alles Thun und Denken iſt ihm eine Gewiſſensſache , d.h. Polizeiſache. In Zerriſſenheit Zeriſſenheit des Menſchen in Naturtrieb und Gewiſſen (innerer Pöbel und innere Po¬ lizei) beſteht der Proteſtant. Die Vernunft der Bibel (an Stelle der katholiſchen Vernunft der Kirche ) gilt als heilig, und dieß Gefühl und Bewußtſein, daß das Bibelwort heilig ſei, heißt Gewiſſen. Damit iſt denn die Heiligkeit einem ins Gewiſſen geſchoben . Befreit man ſich nicht vom Ge¬ wiſſen, dem Bewußtſein des Heiligen, ſo kann man zwar un¬ gewiſſenhaft, niemals aber gewiſſenlos handeln.

Der Katholik findet ſich befriedigt, wenn er den Befehl vollzieht; der Proteſtant handelt nach beſtem Wiſſen und Ge¬ wiſſen . Der Katholik iſt ja nur Laie, der Proteſtant iſt118 ſelbſt Geiſtlicher. Das eben iſt der Fortſchritt über das Mittelalter und zugleich der Fluch der Reformationsperiode, daß das Geiſtliche vollſtändig wurde.

Was war die jeſuitiſche Moral anders, als eine Fort¬ ſetzung des Ablaßkrames, nur daß der ſeiner Sünden Entlaſtete nunmehr auch eine Einſicht in den Sündenerlaß gewann und ſich überzeugte, wie wirklich ſeine Sünde von ihm genom¬ men werde, da es ja in dieſem oder jenem beſtimmten Falle (Caſuiſten) gar keine Sünde ſei, was er begehe. Der Abla߬ kram hatte alle Sünden und Vergehen zuläſſig gemacht und jede Gewiſſensregung zum Schweigen gebracht. Die ganze Sinnlichkeit durfte walten, wenn ſie nur der Kirche abgekauft wurde. Dieſe Begünſtigung der Sinnlichkeit wurde von den Jeſuiten fortgeſetzt, während die ſittenſtrengen, finſtern, fanati¬ ſchen, bußfertigen, zerknirſchten, betenden Proteſtanten allerdings als die wahren Vollender des Chriſtenthums, den geiſtigen und geiſtlichen Menſchen allein gelten ließen. Der Katholi¬ cismus, beſonders die Jeſuiten leiſteten auf dieſe Weiſe dem Egoismus Vorſchub, fanden innerhalb des Proteſtantismus ſelbſt einen unfreiwilligen und unbewußten Anhang und rette¬ ten Uns vor dem Verkommen und Untergang der Sinnlich¬ keit. Gleichwohl breitet der proteſtantiſche Geiſt ſeine Herr¬ ſchaft immer weiter aus, und da das Jeſuitiſche neben ihm, dem Göttlichen , nur das von allem Göttlichen untrennbare Teufliſche darſtellt, ſo kann es nirgends ſich allein behaup¬ ten, ſondern muß zuſehen, wie z. B. in Frankreich endlich das Philiſterthum des Proteſtantismus ſiegt und der Geiſt oben¬ auf iſt.

Dem Proteſtantismus pflegt das Compliment gemacht zu werden, daß er das Weltliche wieder zu Ehren gebracht habe,119 z. B. die Ehe, den Staat u. ſ. w. Ihm aber iſt gerade das Weltliche als Weltliches, das Profane, noch viel gleich¬ gültiger als dem Katholicismus, der die profane Welt beſtehen, ja ſich ihre Genüſſe ſchmecken läßt, während der vernünftige, conſequente Proteſtant das Weltliche ganz und gar zu ver¬ nichten ſich anſchickt, und zwar einfach dadurch, daß er es heiligt. So iſt die Ehe um ihre Natürlichkeit gebracht worden, indem ſie heilig wurde, nicht im Sinne des katholi¬ ſchen Sacraments, wo ſie nur von der Kirche ihre Weihe empfängt, alſo im Grunde unheilig iſt, ſondern in dem Sinne, daß ſie fortan etwas durch ſich Heiliges iſt, ein heiliges Ver¬ hältniß. Ebenſo der Staat u. ſ. w. Früher gab der Papſt ihm und ſeinen Fürſten die Weihe und ſeinen Segen; jetzt iſt der Staat von Haus aus heilig, die Majeſtät iſt es, ohne des Prieſterſegens zu bedürfen. Ueberhaupt wurde die Ordnung der Natur oder das Naturrecht als Gottesordnung geheiligt. Daher heißt es z. B. in der Augsburgiſchen Confeſſion Art. 11: So bleiben wir nun billig bei dem Spruch, wie die Jurisconſulti weislich und recht geſagt haben: daß Mann und Weib bei einander ſein, iſt natürlich Recht. Iſt's nun na¬ türlich Recht, ſo iſt es Gottes Ordnung, alſo in der Natur gepflanzt und alſo auch göttlich Recht. Und iſt es etwa mehr als aufgeklärter Proteſtantismus, wenn Feuerbach die ſittlichen Verhältniſſe zwar nicht als Gottes Ordnung, dafür aber um des ihnen inwohnenden Geiſtes willen heilig ſpricht? Aber die Ehe natürlich als freier Bund der Liebe iſt durch ſich ſelbſt, durch die Natur der Verbindung, die hier geſchloſſen wird, heilig. Nur die Ehe iſt eine religi¬ öſe, die eine wahre iſt, die dem Weſen der Ehe, der Liebe entſpricht. Und ſo iſt es mit allen ſittlichen Verhältniſſen.

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Sie ſind nur da moraliſche, ſie werden nur da mit ſittlichem Sinne gepflogen, wo ſie durch ſich ſelbſt als religiöſe gelten. Wahrhafte Freundſchaft iſt nur da, wo die Gränzen der Freundſchaft mit religiöſer Gewiſſenhaftigkeit bewahrt wer¬ den, mit derſelben Gewiſſenhaftigkeit, mit welcher der Gläubige die Dignität ſeines Gottes wahrt. Heilig iſt und ſei Dir die Freundſchaft, heilig das Eigenthum, heilig die Ehe, heilig das Wohl jedes Menſchen, aber heilig an und für ſich ſelbſt. *)Weſen des Chriſtenthums. S. 403.

Das iſt ein ſehr weſentliches Moment. Im Katholicis¬ mus kann das Weltliche zwar geweiht werden oder gehei¬ ligt, iſt aber nicht ohne dieſen prieſterlichen Segen heilig; dagegen im Proteſtantismus ſind weltliche Verhältniſſe durch ſich ſelbſt heilig, heilig durch ihre bloße Exiſtenz. Mit der Weihe, durch welche Heiligkeit verliehen wird, hängt genau die jeſuitiſche Maxime zuſammen: Der Zweck heiligt die Mittel. Kein Mittel iſt für ſich heilig oder unheilig, ſondern ſeine Be¬ ziehung zur Kirche, ſein Nutzen für die Kirche, heiligt das Mittel. Königsmord wurde als ein ſolches angegeben; ward er zum Frommen der Kirche vollführt, ſo konnte er ihrer, wenn auch nicht offen ausgeſprochenen Heiligung gewiß ſein. Dem Proteſtanten gilt die Majeſtät für heilig, dem Katholiken könnte nur die durch den Oberprieſter geweihte dafür gelten, und gilt ihm auch nur deshalb dafür, weil der Papſt dieſe Heiligkeit ihr, wenn auch ohne beſonderen Akt, ein für allemal ertheilt. Zöge er ſeine Weihe zurück, ſo bliebe der König dem Katho¬ liken nur ein Weltmenſch oder Laie , ein Ungeweihter .

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Sucht der Proteſtant im Sinnlichen ſelbſt eine Heiligkeit zu entdecken, um dann nur an Heiligem zu hängen, ſo ſtrebt der Katholik vielmehr, das Sinnliche von ſich weg in ein be¬ ſonderes Gebiet zu verweiſen, wo es wie die übrige Natur ſeinen Werth für ſich behält. Die katholiſche Kirche ſchied aus ihrem geweihten Stande die weltliche Ehe aus und entzog die Ihrigen der weltlichen Familie; die proteſtantiſche erklärte die Ehe und das Familienband für heilig und darum nicht un¬ paſſend für ihre Geiſtlichen.

Ein Jeſuit darf als guter Katholik alles heiligen. Er braucht ſich z. B. nur zu ſagen: Ich als Prieſter bin der Kirche nothwendig, diene ihr aber eifriger, wenn Ich meine Begierden gehörig ſtille; folglich will Ich dieß Mädchen ver¬ führen, meinen Feind dort vergiften laſſen u. ſ. w. ; Mein Zweck iſt heilig, weil der eines Prieſters, folglich heiligt er das Mittel. Es geſchieht ja am letzten Ende doch zum Nutzen der Kirche. Warum ſollte der katholiſche Prieſter ſich ſcheuen, dem Kaiſer Heinrich VII. die vergiftete Hoſtie zu reichen zum Heil der Kirche?

Die ächt kirchlichen Proteſtanten eiferten gegen jedes unſchuldige Vergnügen , weil unſchuldig nur das Heilige, das Geiſtige ſein konnte. Worin ſie nicht den heiligen Geiſt nachweiſen konnten, das mußten die Proteſtanten verwerfen: Tanz, Theater, Prunk (z. B. in der Kirche) u. dergl.

Gegen dieſen puritaniſchen Calvinismus iſt wieder das Lutherthum mehr auf dem religiöſen, d. h. geiſtigen Wege, iſt radicaler. Jener nämlich ſchließt flugs eine Menge Dinge als ſinnlich und weltlich aus und purificirt die Kirche; das Lutherthum hingegen ſucht wo möglich in alle Dinge Geiſt zu bringen, den heiligen Geiſt in Allem als Weſen zu erken¬122 nen, und ſo alles Weltliche zu heiligen. ( Einen Kuß in Ehren kann niemand wehren. Der Geiſt der Ehrbarkeit hei¬ ligt ihn.) Daher gelang auch dem Lutheraner Hegel (er er¬ klärt ſich an irgend einer Stelle dafür: er wolle Lutheraner bleiben ) die vollſtändige Durchführung des Begriffs durch Alles. In allem iſt Vernunft, d.h. heiliger Geiſt, oder das Wirkliche iſt vernünftig . Das Wirkliche iſt nämlich in der That Alles, da in Jedem, z. B. jeder Lüge die Wahrheit auf¬ gedeckt werden kann: es giebt keine abſolute Lüge, kein abſolut Böſes u. dergl.

Große Geiſteswerke wurden faſt nur von Proteſtanten geſchaffen, da ſie allein die wahren Jünger und Vollbringer des Geiſtes waren.

Wie weniges vermag der Menſch zu bezwingen! Er muß die Sonne ihre Bahn ziehen, das Meer ſeine Wellen treiben, die Berge zum Himmel ragen laſſen. So ſteht er machtlos vor dem Unbezwinglichen. Kann er ſich des Eindruckes erwehren, daß er gegen dieſe rieſenhafte Welt ohnmächtig ſei? Sie iſt ein feſtes Geſetz, dem er ſich unterwerfen muß, ſie beſtimmt ſein Schickſal. Wohin arbeitete nun die vor¬ chriſtliche Menſchheit? Dahin, das Einſtürmen der Geſchicke loszuwerden, ſich durch ſie nicht alteriren zu laſſen. Die Stoiker erreichten dieß in der Apathie, indem ſie die Angriffe der Natur für gleichgültig erklärten, und ſich nicht dadurch afficiren ließen. Horaz ſpricht das berühmte Nil admirari aus, wodurch er gleichfalls die Gleichgültigkeit des Andern, der Welt, bekundet: ſie ſoll auf Uns nicht einwirken, Unſer Staunen nicht erregen. Und jenes impavidum ferient ruinae123 drückt ebendieſelbe Unerſchütterlichkeit aus, wie Pſalm 46, 3: Wir fürchten Uns nicht, wenn gleich die Welt unter¬ ginge. In alle dem iſt für den chriſtlichen Satz, daß die Welt eitel ſei, für die chriſtliche Weltverachtung der Raum geöffnet.

Der unerſchütterliche Geiſt des Weiſen , mit wel¬ chem die alte Welt ihrem Schluſſe vorarbeitete, erfuhr nun eine innere Erſchütterung, gegen welche ihn keine Ata¬ rarie, kein ſtoiſcher Muth zu ſchützen vermochte. Der Geiſt, vor allem Einfluſſe der Welt geſichert, gegen ihre Stöße un¬ empfindlich und über ihre Angriffe erhaben, nichts bewun¬ dernd, durch keinen Einſturz, der Welt aus ſeiner Faſſung zu bringen, er ſchäumte unaufhaltſam wieder über, weil in ſeinem eigenen Innern Gaſe (Geiſter) ſich entwickelten, und, nachdem der mechaniſche Stoß, der von außen kommt, unwirkſam geworden, chemiſche Spannungen, die im In¬ nern erregen, ihr wunderbares Spiel zu treiben begannen.

In der That ſchließt die alte Geſchichte damit, daß Ich an der Welt mein Eigenthum errungen habe. Alle Dinge ſind Mir übergeben von Meinem Vater. (Matth. 11, 27.) Sie hat aufgehört, gegen Mich übermächtig, unnahbar, heilig, göttlich u. ſ. w. zu ſein, ſie iſt entgöttert , und Ich be¬ handle ſie nun ſo ſehr nach Meinem Wohlgefallen, daß, läge Mir daran, Ich alle Wunderkraft, d. h. Macht des Geiſtes, an ihr ausüben, Berge verſetzen, Maulbeerbäumen befehlen, daß ſie ſich ſelbſt ausreißen und ins Meer verſetzen (Luc. 17, 6), und alles Mögliche, d. h. Denkbare könnte: Alle Dinge ſind möglich dem, der da glaubet. *)Marc. 9, 23.Ich bin der Herr der Welt, Mein iſt die Herrlichkeit . Die Welt124 iſt proſaiſch geworden, denn das Göttliche iſt aus ihr ver¬ ſchwunden: ſie iſt Mein Eigenthum, mit dem ich ſchalte und walte, wie Mir's (nämlich dem Geiſte) beliebt.

Als Ich Mich dazu erhoben hatte, der Eigner der Welt zu ſein, da hatte der Egoismus ſeinen erſten vollſtän¬ digen Sieg errungen, hatte die Welt überwunden, war welt¬ los geworden, und legte den Erwerb eines langen Weltalters unter Schloß und Riegel.

Das erſte Eigenthum, die erſte Herrlichkeit iſt erworben!

Doch der Herr der Welt iſt noch nicht Herr ſeiner Ge¬ danken, ſeiner Gefühle, ſeines Willens: er iſt nicht Herr und Eigner des Geiſtes, denn der Geiſt iſt noch heilig, der hei¬ lige Geiſt , und der weltloſe Chriſt vermag nicht gottlos zu werden. War der antike Kampf ein Kampf gegen die Welt, ſo iſt der mittelalterliche (chriſtliche) ein Kampf gegen ſich, den Geiſt, jenes gegen die Außenwelt, dieſes gegen die innerliche Welt. Der Mittelalterliche iſt der in ſich Gekehrte , der Sinnende, Sinnige.

Alle Weisheit der Alten iſt Weltweisheit, alle Weis¬ heit der Neuen iſt Gottesgelahrtheit.

Mit der Welt wurden die Heiden (auch Juden hierunter) fertig; aber nun kam es darauf an, auch mit ſich, dem Geiſte. fertig, d. h. geiſtlos oder gottlos zu werden.

Faſt zweitauſend Jahre arbeiten Wir daran, den heiligen Geiſt Uns zu unterwerfen, und manches Stück Heiligkeit ha¬ ben Wir allgemach losgeriſſen und unter die Füße getreten; aber der rieſige Gegner erhebt ſich immer von Neuem unter veränderter Geſtalt und Namen. Der Geiſt iſt noch nicht ent¬ göttert, entheiligt, entweiht. Zwar flattert er längſt nicht mehr als eine Taube über unſern Häuptern, zwar beglückt er nicht125 allein mehr ſeine Heiligen, ſondern läßt ſich auch von den Laien fangen u. ſ. [ w.], aber als Geiſt der Menſchheit, als Menſchengeiſt, d. h. des Menſchen, bleibt er Mir, Dir, immer noch ein fremder Geiſt, noch fern davon, Unſer un¬ beſchränktes Eigenthum zu werden, mit welchem Wir ſchal¬ ten und walten nach Unſerm Wohlgefallen. Indeß Eines ge¬ ſchah gewiß und leitete ſichtlich den Hergang der nachchriſt¬ lichen Geſchichte: dieß Eine war das Streben, den heiligen Geiſt menſchlicher zu machen, und ihn den Menſchen oder die Menſchen ihm zu nähern. Dadurch kam es, daß er zuletzt als der Geiſt der Menſchheit gefaßt werden konnte und unter verſchiedenen Ausdrücken, wie Idee der Menſchheit, Menſchenthum, Humanität, allgemeine Menſchenliebe u. ſ. w. anſprechender, vertrauter und zugänglicher erſchien.

Sollte man nicht meinen, jetzt könnte Jeder den heiligen Geiſt beſitzen, die Idee der Menſchheit in ſich aufnehmen, das Menſchenthum in ſich zur Geſtalt und Exiſtenz bringen?

Nein, der Geiſt iſt nicht ſeiner Heiligkeit entkleidet und ſeiner Unnahbarkeit beraubt, iſt Uns nicht erreichbar, nicht Unſer Eigenthum: denn der Geiſt der Menſchheit iſt nicht Mein Geiſt. Mein Ideal kann er ſein, und als Gedanken nenne Ich ihn Mein: der Gedanke der Menſchheit iſt Mein Eigenthum, und ich beweiſe dieß zur Genüge dadurch, daß Ich ihn ganz nach Meinem Sinne aufſtelle und heute ſo, mor¬ gen anders geſtalte: Wir ſtellen ihn Uns auf die mannigfal¬ tigſte Weiſe vor. Aber er iſt zugleich ein Fideicommiß, das Ich nicht veräußern noch loswerden kann.

Unter mancherlei Wandlungen wurde aus dem heiligen Geiſte mit der Zeit die abſolute Idee , welche wieder in mannigfaltigen Brechungen zu den verſchiedenen Ideen der126 Menſchenliebe, Vernünftigkeit, Bürgertugend u. ſ. w. aus einander ſchlug.

Kann Ich die Idee aber mein Eigenthum nennen, wenn ſie Idee der Menſchheit iſt, und kann Ich den Geiſt für über¬ wunden halten, wenn Ich ihm dienen, ihm Mich opfern ſoll? Das endende Alterthum hatte an der Welt erſt dann ſein Eigenthum gewonnen, als es ihre Uebermacht und Göttlichkeit gebrochen, ihre Ohnmacht und Eitelkeit er¬ kannt hatte.

Entſprechend verhält es ſich mit dem Geiſte. Wenn Ich ihn zu einem Spuk und ſeine Gewalt über Mich zu ei¬ nem Sparren herabgeſetzt habe, dann iſt er für entweiht, entheiligt, entgöttert anzuſehen, und dann gebrauche Ich ihn, wie man die Natur unbedenklich nach Gefallen gebraucht.

Die Natur der Sache , der Begriff des Verhältniſſes ſoll Mich in Behandlung derſelben oder Schließung deſſelben leiten. Als ob ein Begriff der Sache für ſich exiſtirte und nicht viel¬ mehr der Begriff wäre, welchen man ſich von der Sache macht! Als ob ein Verhältniß, welches Wir eingehen, nicht durch die Einzigkeit der Eingehenden ſelbſt einzig wäre! Als ob es davon abhinge, wie Andere es rubriciren! Wie man aber das Weſen des Menſchen vom wirklichen Menſchen trennte und dieſen nach jenem beurtheilte, ſo trennt man auch ſeine Handlung von ihm und veranſchlagt ſie nach dem menſchli¬ chen Werthe . Begriffe ſollen überall entſcheiden, Begriffe das Leben regeln, Begriffe herrſchen. Das iſt die religiöſe Welt, welcher Hegel einen ſyſtematiſchen Ausdruck gab, indem er Methode in den Unſinn brachte und die Begriffsſatzungen zur runden, feſtgegründeten Dogmatik vollendete. Nach Be¬ griffen wird Alles abgeleiert, und der wirkliche Menſch, d. h. 127Ich werde nach dieſen Begriffsgeſetzen zu leben gezwungen. Kann es eine ärgere Geſetzesherrſchaft geben, und hat nicht das Chriſtenthum gleich im Beginne zugeſtanden, daß es die Geſetzesherrſchaft des Judenthums nur ſchärfer anziehen wolle? ( Nicht ein Buchſtabe des Geſetzes ſoll verloren gehen! )

Durch den Liberalismus wurden nur andere Begriffe aufs Tapet gebracht, nämlich ſtatt der göttlichen menſchliche, ſtatt der kirchlichen ſtaatliche, ſtatt der gläubigen wiſſenſchaftliche oder allgemeiner ſtatt der rohen Sätze und Satzungen wirk¬ liche Begriffe und ewige Geſetze.

Jetzt herrſcht in der Welt nichts als der Geiſt. Eine unzählige Menge von Begriffen ſchwirren in den Köpfen um¬ her, und was thun die Weiterſtrebenden? Sie negiren dieſe Begriffe, um neue an deren Stelle zu bringen! Sie ſagen: Ihr macht Euch einen falſchen Begriff vom Rechte, vom Staate, vom Menſchen, von der Freiheit, von der Wahrheit, von der Ehe u. ſ. w.; der Begriff des Rechts u. ſ. w. iſt vielmehr derjenige, den Wir jetzt aufſtellen. So ſchreitet die Begriffsverwirrung vorwärts.

Die Weltgeſchichte iſt mit Uns grauſam umgegangen, und der Geiſt hat eine allmächtige Gewalt errungen. Du mußt Meine elenden Schuhe achten, die Deinen nackten Fuß ſchützen könnten, mein Salz, wodurch Deine Kartoffeln genie߬ bar würden, und meine Prunkkaroſſe, deren Beſitz Dir alle Noth auf einmal abnähme: Du darfſt nicht darnach langen. Von alle dem und unzähligem Anderen ſoll der Menſch die Selbſtſtändigkeit anerkennen, es ſoll ihm für unergreifbar und unnahbar gelten, ſoll ihm entzogen ſein. Er muß es achten, reſpektiren; wehe ihm, wenn er begehrend ſeine Finger ausſtreckt: Wir nennen das lange Finger machen !

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Wie ſo bettelhaft wenig iſt Uns verblieben, ja wie ſo gar nichts! Alles iſt entrückt worden, an nichts dürfen Wir Uns wagen, wenn es Uns nicht gegeben wird: Wir leben nur noch von der Gnade des Gebers. Nicht eine Nadel darfſt Du aufheben, es ſei denn, Du habeſt Dir die Erlaub¬ niß geholt, daß Du es dürfeſt. Und geholt von wem? Vom Reſpecte! Nur wenn er ſie Dir überläßt als Eigen¬ thum, nur wenn Du ſie als Eigenthum reſpectiren kannſt, nur dann darfſt Du ſie nehmen. Und wiederum ſollſt Du keinen Gedanken faſſen, keine Silbe ſprechen, keine Handlung begehen, die ihre Gewähr allein in Dir hätten, ſtatt ſie von der Sittlichkeit oder der Vernunft oder der Menſchlichkeit zu empfangen. Glückliche Unbefangenheit des begehrlichen Menſchen, wie unbarmherzig hat man Dich an dem Altare der Befangenheit zu ſchlachten geſucht!

Um den Altar aber wölbt ſich eine Kirche, und ihre Mauern rücken immer weiter hinaus. Was ſie einſchließen, iſt heilig. Du kannſt nicht mehr dazu gelangen, kannſt es nicht mehr berühren. Aufſchreiend in verzehrendem Hunger ſchweifſt Du um dieſe Mauern herum, das wenige Profane aufzuſuchen, und immer ausgedehnter werden die Kreiſe Deines Laufes. Bald umſpannt jene Kirche die ganze Erde, und Du biſt zum äußerſten Rande hinausgetrieben; noch ein Schritt, und die Welt des Heiligen hat geſiegt: Du verſinkſt in den Abgrund. Darum ermanne Dich, dieweil es noch Zeit iſt, irre nicht länger umher im abgegraſten Profanen, wage den Sprung und ſtürze hinein durch die Pforten in das Heiligthum ſelber. Wenn Du das Heilige verzehrſt, haſt Du's zum Eigenen gemacht! Verdaue die Hoſtie und Du biſt ſie los!

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3. Die Freien.

Wenn oben die Alten und die Neuen in zwei Abtheilun¬ gen vorgeführt wurden, ſo könnte es ſcheinen, als ſollten hier in einer dritten Abtheilung die Freien für ſelbſtändig und ab¬ geſondert ausgegeben werden. Dem iſt nicht ſo. Die Freien ſind nur die Neueren und Neueſten unter den Neuen und werden bloß deshalb in eine beſondere Abtheilung gebracht, weil ſie der Gegenwart angehören, und das Gegenwärtige vor Allem unſere Aufmerkſamkeit hier in Anſpruch nimmt. Ich gebe die Freien nur als eine Ueberſetzung der Liberalen, muß aber rückſichtlich des Freiheitsbegriffes wie überhaupt ſo man¬ ches Anderen, deſſen vorgreifliche Heranziehung nicht vermie¬ den werden kann, auf Späteres verweiſen.

§. 1. Der politiſche Liberalismus.

Nachdem man den Kelch des ſogenannten abſoluten Kö¬ nigthums ſo ziemlich bis auf den Bodenſatz geleert hatte, ward man im achtzehnten Jahrhundert zu deutlich inne, daß ſein Getränk nicht menſchlich ſchmecke, um nicht auf einen andern Becher lüſtern zu werden. Menſchen , was Unſere Väter doch waren, verlangten ſie endlich, auch ſo angeſehen zu werden.

Wer in Uns etwas Anderes ſieht, als Menſchen, in dem wollen Wir gleichfalls nicht einen Menſchen, ſondern einen Unmenſchen ſehen, und ihm wie einem Unmenſchen begegnen; wer dagegen Uns als Menſchen anerkennt und gegen die Ge¬ fahr ſchützt, unmenſchlich behandelt zu werden, den wollen Wir als Unſern wahren Beſchützer und Schirmherrn ehren.

Halten Wir denn zuſammen, und ſchützen Wir einer im andern den Menſchen; dann finden Wir in Unſerem Zuſam¬9130menhalt den nöthigen Schutz, und in Uns, den Zuſam¬ menhaltenden, eine Gemeinſchaft derer, die ihre Menſchen¬ würde kennen und als Menſchen zuſammenhalten. Unſer Zuſammenhalt iſt der Staat, Wir Zuſammenhaltenden ſind die Nation.

In Unſerem Zuſammen als Nation oder Staat ſind Wir nur Menſchen. Wie Wir Uns ſonſt als Einzelne benehmen, und welchen ſelbſtſüchtigen Trieben Wir da erliegen mögen, das gehört lediglich Unſerem Privatleben an; Unſer öffent¬ liches oder Staatsleben iſt ein rein menſchliches. Was Unmenſchliches oder Egoiſtiſches an Uns haftet, das iſt zur Privatſache erniedrigt, und Wir ſcheiden genau den Staat von der bürgerlichen Geſellſchaft , in welcher der Egoismus ſein Weſen treibt.

Der wahre Menſch iſt die Nation, der Einzelne aber ſtets ein Egoiſt. Damm ſtreifet Eure Einzelheit oder Vereinzelung ab, in welcher die egoiſtiſche Ungleichheit und der Unfriede hauſet, und weihet Euch ganz dem wahren Menſchen, der Na¬ tion oder dem Staate. Dann werdet Ihr als Menſchen gel¬ ten und alles haben, was des Menſchen iſt; der Staat, der wahre Menſch, wird Euch zu dem Seinigen berechtigen und Euch die Menſchenrechte geben: der Menſch giebt Euch ſeine Rechte!

So lautet die Rede des Bürgerthums.

Das Bürgerthum iſt nichts anderes als der Gedanke, daß der Staat alles in allem, der wahre Menſch ſei, und daß des Einzelnen Menſchenwerth darin beſtehe, ein Staatsbürger zu ſein. Ein guter Bürger zu ſein, darin ſucht er ſeine höchſte Ehre, darüber hinaus kennt er nichts Höheres als höchſtens das antiquirte ein guter Chriſt.

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Das Bürgerthum entwickelte ſich im Kampfe gegen die privilegirten Stände, von denen es als dritter Stand cava¬ lièrement behandelt und mit der canaille zuſammengeworfen wurde. Man hatte alſo im Staate bis jetzt die ungleiche Per¬ ſon angeſehen . Der Sohn eines Adeligen war zu Chargen auserſehen, nach denen die ausgezeichnetſten Bürgerlichen ver¬ gebens aufſchauten u. ſ.w. Dagegen empörte ſich das bürger¬ liche Gefühl. Keine Auszeichnung mehr, keine Bevorzugung von Perſonen, kein Standesunterſchied! Alle ſeien gleich! Kein Sonder-Intereſſe ſoll ferner verfolgt werden, ſondern das allgemeine Intereſſe Aller. Der Staat ſoll eine Ge¬ meinſchaft von freien und gleichen Menſchen ſein, und Jeder ſich dem Wohle des Ganzen widmen, in den Staat auf¬ gehen, den Staat zu ſeinem Zweck und Ideal machen. Staat! Staat! ſo lautete der allgemeine Ruf, und fortan ſuchte man die rechte Staatsverfaſſung , die beſte Conſtitution, alſo den Staat in ſeiner beſten Faſſung. Der Gedanke des Staats zog in alle Herzen ein und weckte Begeiſterung; ihm zu dienen, dieſem weltlichen Gotte, das ward der neue Gottesdienſt und Cultus. Die eigentlich politiſche Epoche war angebrochen. Dem Staate oder der Nation dienen, das ward höchſtes Ideal, Staatsintereſſe höchſtes Intereſſe, Staatsdienſt (wozu man keineswegs Beamter zu ſein braucht) höchſte Ehre.

So waren denn die Sonder-Intereſſen und Perſönlich¬ keiten verſcheucht und die Aufopferung für den Staat zum Schiboleth geworden. Sich muß man aufgeben und nur dem Staate leben. Man muß unintereſſirt handeln, muß nicht ſich nützen wollen, ſondern dem Staate. Dieſer iſt da¬ durch zur eigentlichen Perſon geworden, vor welcher die ein¬ zelne Perſönlichkeit verſchwindet: nicht Ich lebe, ſondern Er9 *132lebet in Mir. Darum war man gegen die frühere Selbſtſucht gehalten, die Uneigennützigkeit und Unperſönlichkeit ſelber. Vor dieſem Gotte, Staat , verſchwand jeder Egoismus, und vor ihm waren Alle gleich: ſie waren ohne allen andern Unterſchied Menſchen, nichts als Menſchen.

An dem entzündlichen Stoffe des Eigenthums ent¬ brannte die Revolution. Die Regierung brauchte Geld. Jetzt mußte ſie den Satz, daß ſie abſolut, mithin Herrin alles Eigenthums, alleinige Eigenthümerin ſei, bewähren; ſie mußte ihr Geld, welches ſich nur im Beſitz, nicht im Eigenthum der Unterthanen befand, an ſich nehmen. Statt deſſen beruft ſie Generalſtände, um ſich dieß Geld bewilligen zu laſſen. Die Furcht vor der letzten Conſequenz zerſtörte die Illuſion einer abſoluten Regierung; wer ſich etwas bewilligen laſſen muß, der kann nicht für abſolut angeſehen werden. Die Unterthanen erkannten, daß ſie wirkliche Eigenthümer ſeien, und daß es ihr Geld ſei, welches man fordere. Die bisherigen Unterthanen erlangten das Bewußtſein, daß ſie Eigenthümer ſeien. Mit wenig Worten ſchildert dieß Bailly: Wenn ihr nicht ohne meine Einſtimmung über mein Eigen¬ thum verfügen könnt, wie viel weniger könnt ihr es über meine Perſon, über Alles, was meine geiſtige und geſellſchaftliche Stellung angeht! Alles das iſt mein Eigenthum, wie das Stück Land, das ich beackere: und ich habe ein Recht, ein Intereſſe, die Geſetze ſelber zu machen. Bailly's Worte klin¬ gen freilich ſo, als wäre nun Jeder ein Eigenthümer. Indeß ſtatt der Regierung, ſtatt des Fürſten, ward jetzt Eigenthümerin und Herrin die Nation. Von nun an heißt das Ideal Volksfreiheit ein freies Volk u. ſ. w.

Schon am 8. Juli 1789 zerſtörte die Erklärung des133 Biſchofs von Autun und Barrère's den Schein, als ſei Jeder, der Einzelne, von Bedeutung in der Geſetzgebung: ſie zeigte die völlige Machtloſigkeit der Committenten: die Majo¬ rität der Repräſentanten iſt Herrin geworden. Als am 9. Juli der Plan über Eintheilung der Verfaſſungsarbeiten vorgetragen wird, bemerkt Mirabeau: Die Regierung habe nur Gewalt, kein Recht; nur im Volke ſei die Quelle alles Rechts zu finden. Am 16. Juli ruft ebenderſelbe Mirabeau aus: Iſt nicht das Volk die Quelle aller Gewalt? Alſo die Quelle alles Rechts und die Quelle aller Gewalt! Beiläufig geſagt, kommt hier der Inhalt des Rechts zum Vorſchein: es iſt die Gewalt. Wer die Gewalt hat, der hat das Recht.

Das Bürgerthum iſt der Erbe der privilegirten Stände. In der That gingen nur die Rechte der Barone, die als Uſurpationen ihnen abgenommen wurden, auf das Bürger¬ thum über. Denn das Bürgerthum hieß nun die Nation . In die Hände der Nation wurden alle Vorrechte zurück¬ gegeben. Dadurch hörten ſie auf, Vorrechte zu ſein: ſie wurden Rechte . Die Nation fordert von nun an Zehnten, Frohndienſte, ſie hat das Herrengericht geerbt, die Jagdgerech¬ tigkeit, die Leibeigenen. Die Nacht vom 4. Auguſt war die Todesnacht der Privilegien oder Vorrechte (auch Städte, Gemeinden, Magiſtrate waren privilegirt, mit Vorrechten und Herrenrechten verſehen), und endete mit dem neuen Morgen des Rechtes , der Staatsrechte , der Rechte der Nation .

Der Monarch in der Perſon des königlichen Herren war ein armſeliger Monarch geweſen gegen dieſen neuen Mo¬ narchen, die ſouveraine Nation . Dieſe Monarchie war tauſendfach ſchärfer, ſtrenger und conſequenter. Gegen den134 neuen Monarchen gab es gar kein Recht, kein Privilegium mehr; wie beſchränkt nimmt ſich dagegen der abſolute König des ancien régime aus. Die Revolution bewirkte die Um¬ wandlung der beſchränkten Monarchie in die abſolute Monarchie. Von nun an iſt jedes Recht, welches nicht von dieſem Monarchen verliehen wird, eine Anmaßung , jedes Vorrecht aber, welches Er ertheilt, ein Recht . Die Zeit verlangte nach dem abſoluten Königthum, der abſoluten Monarchie, darum fiel jenes ſogenannte abſolute Königthum, welches ſo wenig abſolut zu werden verſtanden hatte, daß es durch tauſend kleine Herren beſchränkt blieb.

Was Jahrtauſende erſehnt und erſtrebt wurde, nämlich jenen abſoluten Herrn zu finden, neben dem keine andern Herren und Herrchen mehr machtverkürzend beſtänden, das hat die Bourgeoiſie hervorgebracht. Sie hat den Herrn offenbart, welcher allein Rechtstitel verleiht, und ohne deſſen Gewäh¬ rung nichts berechtigt iſt. So wiſſen wir nun, daß ein Götze nichts in der Welt ſei, und daß kein ander Gott ſei ohne der einige. *)1 Corinther 8; 4.

Gegen das Recht kann man nicht mehr, wie gegen ein Recht, mit der Behauptung auftreten, es ſei ein Unrecht . Man kann nur noch ſagen, es ſei Unſinn, eine Illuſion. Nennete man's Unrecht, ſo müßte man ein anderes Recht dagegen ſtellen und an dieſem es meſſen. Verwirft man hin¬ gegen das Recht als ſolches, das Recht an und für ſich, ganz und gar, ſo verwirft man auch den Begriff des Unrechts, und löſt den ganzen Rechtsbegriff (wozu der Unrechtsbegriff ge¬ hört) auf.

135

Was heißt das, Wir genießen Alle Gleichheit der poli¬ tiſchen Rechte ? Nur dieß, daß der Staat keine Rückſicht auf Meine Perſon nehme, daß Ich ihm, wie jeder Andere, nur ein Menſch bin, ohne eine andere ihm imponirende Bedeutung zu haben. Ich imponire ihm nicht als Adliger, Sohn eines Edelmannes, oder gar als Erbe eines Beamten, deſſen Amt Mir erblich zugehört (wie im Mittelalter die Grafſchaften u. ſ. w. und ſpäter unter dem abſoluten Königthum, wo erb¬ liche Aemter vorkommen). Nun hat der Staat eine unzählige Menge von Rechten zu vergeben, z. B. das Recht, ein Ba¬ taillon, Compagnie u. ſ. w. zu führen, das Recht, an einer Univerſität zu leſen u. ſ. w., er hat ſie zu vergeben, weil ſie die ſeinigen, d. h. Staatsrechte oder politiſche Rechte ſind. Dabei iſt's ihm gleich, an wen er ſie ertheilt, wenn der Em¬ pfänger nur die Pflichten erfüllt, welche aus den überlaſſenen Rechten entſpringen. Wir ſind ihm Alle recht und gleich, Einer nicht mehr und nicht weniger werth, als der Andere. Wer den Armeebefehl empfängt, das gilt Mir gleich, ſpricht der ſouveraine Staat, vorausgeſetzt, daß der Belehnte die Sache gehörig verſteht. Gleichheit der politiſchen Rechte hat ſonach den Sinn, daß Jeder jedes Recht, welches der Staat zu vergeben hat, erwerben darf, wenn er nur die daran geknüpften Bedingungen erfüllt, Bedingungen, welche nur in der Natur des jedesmaligen Rechtes, nicht in einer Vorliebe für die Perſon (persona grata) geſucht werden ſollen: die Natur des Rechtes, Officier zu werden, bringt es z. B. mit ſich, daß man geſunde Glieder und ein angemeſſenes Maaß von Kenntniſſen beſitze, aber ſie hat nicht adlige Geburt zur Bedingung; könnte hingegen ſelbſt der verdienteſte Bürgerliche jene Charge nicht erreichen, ſo fände eine Ungleichheit der136 politiſchen Rechte ſtatt. Unter den heutigen Staaten hat der eine mehr, der andere weniger jenen Gleichheitsgrundſatz durchgeführt.

Die Ständemonarchie (ſo will Ich das abſolute König¬ thum, die Zeit der Könige vor der Revolution, nennen) erhielt den Einzelnen in Abhängigkeit von lauter kleinen Monarchien. Dieß waren Genoſſenſchaften (Geſellſchaften), wie die Zünfte, der Adelſtand, Prieſterſtand, Bürgerſtand, Städte, Gemeinden u. ſ. w. Ueberall mußte der Einzelne ſich zuerſt als ein Glied dieſer kleinen Geſellſchaft anſehen und dem Geiſte der¬ ſelben, dem esprit de corps, als ſeinem Monarchen unbeding¬ ten Gehorſam leiſten. Mehr als der einzelne Adlige z. B. ſich ſelbſt, muß ihm ſeine Familie, die Ehre ſeines Stammes, gelten. Nur mittelſt ſeiner Corporation, ſeines Standes, bezog ſich der Einzelne auf die größere Corporation, den Staat; wie im Katholicismus der Einzelne erſt durch den Prieſter ſich mit Gott vermittelt. Dem machte nun der dritte Stand, in¬ dem er den Muth bewies, ſich als Stand zu negiren, ein Ende. Er entſchloß ſich, nicht mehr ein Stand neben an¬ dern Ständen zu ſein und zu heißen, ſondern zur Nation ſich zu verklären und verallgemeinern. Dadurch erſchuf er eine viel vollkommnere und abſolutere Monarchie, und das ganze vorher herrſchende Princip der Stände, das Princip der kleinen Monarchien innerhalb der großen, ging zu Grunde. Man kann daher nicht ſagen, die Revolution habe den beiden erſten privilegirten Ständen gegolten, ſondern ſie galt den kleinen ſtändiſchen Monarchien überhaupt. Waren aber die Stände und ihre Zwingherrſchaft gebrochen (auch der König war ja nur ein Ständekönig, kein Bürgerkönig), ſo blieben die aus der Standesungleichheit befreiten Individuen übrig. 137Sollten ſie nun wirklich ohne Stand und aus Rand und Band ſein, durch keinen Stand (status) mehr gebunden ohne allgemeines Band? Nein, es hatte ja nur deshalb der dritte Stand ſich zur Nation erklärt, um nicht ein Stand neben andern Ständen zu bleiben, ſondern der einzige Stand zu werden. Dieſer einzige Stand iſt die Nation, der Staat (status). Was war nun aus dem Einzelnen ge¬ worden? Ein politiſcher Proteſtant, denn er war mit ſeinem Gotte, dem Staate, in unmittelbaren Connex getreten. Er war nicht mehr als Adliger in der Nobleſſenmonarchie, als Hand¬ werker in der Zunftmonarchie, ſondern Er wie Alle erkannten und bekannten nur Einen Herrn, den Staat, als deſſen Diener ſie ſämmtlich den gleichen Ehrentitel Bürger erhielten.

Die Bourgeoiſie iſt der Adel des Verdienſtes, dem Verdienſte ſeine Kronen ihr Wahlſpruch. Sie kämpfte gegen den faulen Adel, denn nach ihr, dem fleißigen, durch Fleiß und Verdienſt erworbenen Adel, iſt nicht der Geborene frei, aber auch nicht Ich bin frei, ſondern der Verdienſtvolle , der redliche Diener (ſeines Königs; des Staates; des Vol¬ kes in den conſtitutionellen Staaten). Durch Dienen er¬ wirbt man Freiheit, d. h. erwirbt ſich Verdienſte und diente man auch dem Mammon. Verdient machen muß man ſich um den Staat, d. h. um das Princip des Staates, um den ſittlichen Geiſt deſſelben. Wer dieſem Geiſte des Staates dient, der iſt, er lebe, welchem rechtlichen Erwerbszweige er wolle, ein guter Bürger. In ihren Augen treiben die Neuerer eine brodloſe Kunſt . Nur der Krämer iſt praktiſch , und Krämergeiſt iſt ſo gut der, der nach Beamtenſtellen jagt, als der, welcher im Handel ſein Schäfchen zu ſcheeren oder ſonſtwie ſich und Andern nützlich zu werden ſucht.

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Gelten aber die Verdienſtvollen als die Freien (denn was fehlt dem behaglichen Bürger, dem treuen Beamten an der¬ jenigen Freiheit, nach der ſein Herz verlangt?), ſo ſind die Diener die Freien. Der gehorſame Diener iſt der freie Menſch! Welch eine Härte der Widerſinnigkeit! Dennoch iſt dieß der Sinn der Bourgeoiſie, und ihr Dichter Göthe, wie ihr Philoſoph Hegel haben die Abhängigkeit des Subjects vom Objecte, den Gehorſam gegen die objective Welt u. ſ. w. zu verherrlichen gewußt. Wer nur der Sache dient, ſich ihr ganz hingiebt , der hat die wahre Freiheit. Und die Sache war bei den Denkenden die Vernunft, ſie, die gleich Staat und Kirche allgemeine Geſetze giebt und durch den Gedanken der Menſchheit den einzelnen Menſchen in Bande ſchlägt. Sie beſtimmt, was wahr ſei, wonach man ſich dann zu richten hat. Keine vernünftigeren Leute als die redlichen Diener, die zunächſt als Diener des Staates gute Bürger genannt werden.

Sei Du ſteinreich oder blutarm das überläßt der Staat des Bürgerthums Deinem Belieben; habe aber nur eine gute Geſinnung . Sie verlangt er von Dir und hält es für ſeine dringendſte Aufgabe, dieſelbe bei Allen herzuſtellen. Darum wird er vor böſen Einflüſterungen Dich bewahren, indem er die Uebelgeſinnten im Zaume hält und ihre auf¬ regenden Reden unter Cenſurſtrichen oder Preßſtrafen und hin¬ ter Kerkermauern verſtummen läßt, und wird anderſeits Leute von guter Geſinnung zu Cenſoren beſtellen und auf alle Weiſe von Wohlgeſinnten und Wohlmeinenden einen mo¬ raliſchen Einfluß auf Dich ausüben laſſen. Hat er Dich gegen die böſen Einflüſterungen taub gemacht, ſo öffnet er Dir um ſo emſiger die Ohren wieder für die guten Einflüſterungen.

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Mit der Zeit der Bourgeoiſie beginnt die des Liberalis¬ mus. Man will überall das Vernünftige , das Zeitge¬ mäße u. ſ.w. hergeſtellt ſehen. Folgende Definition des Li¬ beralismus, die ihm zu Ehren geſagt ſein ſoll, bezeichnet ihn vollſtändig: Der Liberalismus iſt nichts anders, als die Ver¬ nunfterkenntniß angewandt auf unſere beſtehenden Verhältniſſe. *)Ein und zwanzig Bogen. S. 12.Sein Ziel iſt eine vernünftige Ordnung ein ſittliches Ver¬ halten , eine beſchränkte Freiheit , nicht die Anarchie, die Geſetzloſigkeit, die Eigenheit. Herrſcht aber die Vernunft, ſo unterliegt die Perſon. Die Kunſt hat längſt das Häßliche nicht nur gelten laſſen, ſondern als zu ihrem Beſtehen noth¬ wendig erachtet und in ſich aufgenommen: ſie braucht den Böſewicht u. ſ.w. Auch im religiöſen Gebiete gehen die extremſten Liberalen ſo weit, daß ſie den religiöſeſten Menſchen für einen Staatsbürger angeſehen wiſſen wollen, d.h. den religiöſen Böſewicht; ſie wollen nichts mehr von Ketzergerichten wiſſen. Aber gegen das vernünftige Geſetz ſoll ſich Keiner empören, ſonſt droht ihm die härteſte Strafe. Man will nicht eine freie Bewegung und Geltung der Perſon oder Meiner, ſondern der Vernunft, d. h. eine Venunftherrſchaft, eine Herrſchaft. Die Liberalen ſind Eiferer, nicht gerade für den Glauben, für Gott u. ſ.w., wohl aber Ver¬ nunft, ihre Herrin. Sie vertragen keine Ungezogenheit und darum keine Selbſtentwicklung und Selbſtbeſtimmung: ſie be¬ vormunden trotz den abſoluteſten Herrſchern.

Politiſche Freiheit was ſoll man ſich darunter denken? Etwa die Freiheit des Einzelnen vom Staate und ſeinen Ge¬ ſetzen? Nein, im Gegentheil die Gebundenheit des Ein¬140 zelnen im Staate und an die Staatsgeſetze. Warum aber Freiheit ? Weil man nicht mehr vom Staate durch Mit¬ telsperſonen getrennt wird, ſondern in directer und unmittel¬ barer Beziehung zu ihm ſteht, weil man Staatsbürger iſt, nicht Unterthan eines Andern, ſelbſt nicht des Königs als einer Perſon, ſondern nur in ſeiner Eigenſchaft als Staatsober¬ haupt . Die politiſche Freiheit, dieſe Grundlehre des Libera¬ lismus, iſt nichts als eine zweite Phaſe des Proteſtantis¬ mus und läuft mit der religiöſen Freiheit ganz parallel. *)Louis Blanc ſagt (histoire des dix ans, I. p. 138) von der Zeit der Reſtauration: Le protestantisme devint le fond des idées et des moeurs. Oder wäre etwa unter letzterer eine Freiheit von der Religion zu verſtehen? Nichts weniger als das. Nur die Freiheit von Mittelsperſonen ſoll damit ausgeſprochen werden, die Frei¬ heit von vermittelnden Prieſtern, die Aufhebung der Laien¬ ſchaft , alſo das directe und unmittelbare Verhältniß zur Re¬ ligion oder zu Gott. Nur unter der Vorausſetzung, daß man Religion habe, kann man Religionsfreiheit genießen, Religi¬ onsfreiheit heißt nicht Religionsloſigkeit, ſondern Glaubenſin¬ nigkeit, unvermittelter Verkehr mit Gott. Wer religiös frei iſt, dem iſt die Religion eine Herzens-Sache, iſt ihm ſeine eigene Sache, iſt ihm ein heiliger Ernſt . So auch iſt's dem politiſch Freien ein heiliger Ernſt mit dem Staate, er iſt ſeine Herzensſache, ſeine Hauptſache, ſeine eigene Sache.

Politiſche Freiheit ſagt dieß, daß die Polis, der Staat, frei iſt, Religionsfreiheit dieß, daß die Religion frei iſt, wie Gewiſſensfreiheit dieß bedeutet, daß das Gewiſſen frei iſt; alſo nicht, daß Ich vom Staate, von der Religion, vom Ge¬141 wiſſen frei, oder daß Ich ſie los bin. Sie bedeutet nicht Meine Freiheit, ſondern die Freiheit einer Mich beherrſchenden und bezwingenden Macht; ſie bedeutet, daß einer Meiner Zwingherrn, wie Staat, Religion, Gewiſſen, frei ſind. Staat, Religion, Gewiſſen, dieſe Zwingherrn, machen Mich zum Sklaven, und ihre Freiheit iſt Meine Sklaverei. Daß ſie dabei nothwendig dem Grundſatze der Zweck heiligt die Mittel folgen, verſteht ſich von ſelbſt. Iſt das Staatswohl Zweck, ſo iſt der Krieg ein geheiligtes Mittel; iſt die Gerech¬ tigkeit Staatszweck, ſo iſt der Todſchlag ein geheiligtes Mittel und heißt mit ſeinem heiligen Namen: Hinrichtung u. ſ. w. der heilige Staat heiligt alles, was ihm frommt.

Die individuelle Freiheit , über welche der bürgerliche Liberalismus eiferſüchtig wacht, bedeutet keineswegs eine voll¬ kommen freie Selbſtbeſtimmung, wodurch die Handlungen ganz die Meinigen werden, ſondern nur Unabhängigkeit Per¬ ſonen. Individuell frei iſt, wer keinem Menſchen verant¬ wortlich iſt. In dieſem Sinne gefaßt und man darf ſie nicht anders verſtehen iſt nicht bloß der Herrſcher indivi¬ duell frei d. i. unverantwortlich gegen Menſchen ( vor Gott bekennt er ſich ja verantwortlich), ſondern Alle, welche nur dem Geſetze verantwortlich ſind . Dieſe Art der Freiheit wurde durch die revolutionaire Bewegung des Jahrhunderts errungen, die Unabhängigkeit nämlich vom Belieben, vom tel est notre plaisir. Daher mußte der conſtitutionelle Fürſt ſelbſt aller Perſönlichkeit entkleidet, alles individuellen Beſchließens beraubt werden, um nicht als Perſon, als individueller Menſch, die individuelle Freiheit Anderer zu verletzen. Der perſönliche Herrſcherwille iſt im conſtitutionellen Fürſten verſchwunden; mit richtigem Gefühl wehren ſich daher die ab¬142 ſoluten dagegen. Gleichwohl wollen gerade dieſe im beſten Sinne chriſtliche Fürſten ſein. Dazu müßten ſie aber eine rein geiſtige Macht werden, da der Chriſt nur dem Geiſte unterthan iſt ( Gott iſt Geiſt ). Conſequent ſtellt die rein geiſtige Macht nur der conſtitutionelle Fürſt dar, er, der ohne alle perſönliche Bedeutung in dem Grade vergeiſtigt daſteht, daß er für einen vollkommenen unheimlichen Geiſt gelten kann, für eine Idee. Der conſtitutionelle König iſt der wahr¬ haft chriſtliche König, die ächte Conſequenz des chriſtlichen Princips. In der conſtitutionellen Monarchie hat die indivi¬ duelle Herrſchaft, d. h. ein wirklich wollender Herrſcher, ſein Ende gefunden; darum waltet hier die individuelle Freiheit, Unabhängigkeit von jedem individuellen Gebieter, von Jedem, der Mir mit einem tel est notre plaisir gebieten könnte. Sie iſt das vollendete chriſtliche Staatsleben, ein vergeiſtigtes Leben.

Das Bürgerthum benimmt ſich durch und durch liberal. Jeder perſönliche Eingriff in die Sphäre des Andern em¬ pört den bürgerlichen Sinn: ſieht der Bürger, daß man von der Laune, dem Belieben, dem Willen eines Menſchen als Einzelnen (d. h. als nicht durch eine höhere Macht Auto¬ riſirten) abhängig iſt, gleich kehrt er ſeinen Liberalismus her¬ aus und ſchreit über Willkühr . Genug, der Bürger be¬ hauptet ſeine Freiheit von dem, was man Befehl (ordonnance) nennt: Mir hat Niemand etwas zu befehlen! Befehl hat den Sinn, daß das, was Ich ſoll, der Wille eines andern Menſchen iſt, wogegen Geſetz nicht eine perſönliche Gewalt des Andern ausdrückt. Die Freiheit des Bürgerthums iſt die Freiheit oder Unabhängigkeit vom Willen einer andern Perſon, die ſogenannte perſönliche oder individuelle Freiheit; denn per¬143 ſönlich frei ſein heißt nur ſo frei ſein, daß keine andere Per¬ ſon über die Meinige verfügen kann, oder daß was Ich darf oder nicht darf, nicht von der perſönlichen Beſtimmung eines Andern abhängt. Die Preßfreiheit unter andern iſt eine ſolche Freiheit des Liberalismus, der nur den Zwang der Cenſur als den der perſönlichen Willkühr bekämpft, ſonſt aber jene durch Preßgeſetze zu tyranniſiren äußerſt geneigt und willig ſich zeigt, d. h. die bürgerlichen Liberalen wollen Schreibefreiheit für ſich; denn da ſie geſetzlich ſind, werden ſie durch ihre Schriften nicht dem Geſetze verfallen. Nur Liberales d. h. nur Geſetzliches ſoll gedruckt werden dürfen; ſonſt drohen die Preßgeſetze mit Preßſtrafen . Sieht man die perſönliche Freiheit geſichert, ſo merkt man gar nicht, wie, wenn es nun zu etwas Weiterem kommt, die grellſte Unfreiheit herrſchend wird. Denn den Befehl iſt man zwar los, und Niemand hat Uns was zu befehlen , aber um ſo unterwürfiger iſt man dafür geworden dem Geſetze. Man wird nun in aller Form Rechtens geknechtet.

Im Bürger-Staate giebt es nur freie Leute , die zu Tauſenderlei (z. B. zu Ehrerbietung, zu einem Glaubensbe¬ kenntnis u. dergl. ) gezwungen werden. Was thut das aber? Es zwingt ſie ja nur der Staat, das Geſetz, nicht irgend ein Menſch!

Was will das Bürgerthum damit, daß es gegen jeden perſönlichen, d. h. nicht in der Sache , der Vernunft u. ſ. w. begründeten Befehl eifert? Es kämpft eben nur im Intereſſe der Sache gegen die Herrſchaft der Perſonen ! Sache des Geiſtes iſt aber das Vernünftige, Gute, Geſetzliche u. ſ. w.; das iſt die gute Sache . Das Bürgerthum will einen unperſönlichen Herrſcher.

144

Iſt ferner das Princip dieß, daß nur die Sache den Menſchen beherrſchen ſoll, nämlich die Sache der Sittlichkeit, die Sache der Geſetzlichkeit u. ſ. w., ſo darf auch keinerlei perſönliche Verkürzung des Einen durch den Andern autori¬ ſirt werden (wie früher z. B. der Bürgerliche um die Adels¬ ämter verkürzt wurde, der Adelige um bürgerliches Handwerk u. ſ. w.), d. h. es muß freie Concurrenz ſtattfinden. Nur durch die Sache kann Einer den Andern verkürzen (der Reiche z. B. den Unbemittelten durch das Geld, eine Sache), als Perſon nicht. Es gilt fortan nur Eine Herrſchaft, die Herr¬ ſchaft des Staats; perſönlich iſt Keiner mehr ein Herr des Andern. Schon bei der Geburt gehören die Kinder dem Staate und den Aeltern nur im Namen des Staates, der z. B. den Kindermord nicht duldet, die Taufe derſelben for¬ dert u. ſ. w.

Aber dem Staate gelten auch alle ſeine Kinder ganz gleich ( bürgerliche oder politiſche Gleichheit ), und ſie mögen ſelbſt zuſehen, wie ſie mit einander fertig weiden: ſie mögen concurriren.

Freie Concurrenz bedeutet nichts Anderes, als daß Jeder gegen den Andern auftreten, ſich geltend machen, kämpfen kann. Dagegen ſperrte ſich natürlich die feudale Partei, da ihre Exiſtenz vom Nichtconcurriren abhängt. Die Kämpfe in der Reſtaurationszeit Frankreichs hatten keinen andern Inhalt, als den, daß die Bourgeoiſie nach freier Concurrenz rang, und die Feudalen die Zünftigkeit zurückzubringen ſuchten.

Nun, die freie Concurrenz hat geſiegt und mußte gegen die Zünftigkeit ſiegen. (Das Weitere ſiehe unten.)

Verlief ſich die Revolution in eine Reaction, ſo kam da¬ durch nur zu Tage, was die Revolution eigentlich war. 145Denn jedes Streben gelangt dann in die Reaction, wenn es zur Beſinnung kommt, und ſtürmt nur ſo lange in die ur¬ prüngliche Action vorwärts, als es ein Rauſch, eine Unbe¬ ſonnenheit iſt. Beſonnenheit wird ſtets das Stichwort der Reaction ſein, weil die Beſonnenheit Grenzen ſetzt, und das eigentliche Gewollte, d. h. das Princip, von der anfänglichen Zügelloſigkeit und Schrankenloſigkeit befreit. Wilde Bur¬ ſche, renommirende Studenten, die alle Rückſichten aus den Augen ſetzen, ſind eigentlich Philiſter, da bei ihnen wie bei dieſen die Rückſichten den Inhalt ihres Treibens bilden, nur daß ſie als Bramarbaſſe ſich gegen die Rückſichten auflehnen und negativ verhalten, als Philiſter ſpäter ſich ihnen ergeben und poſitiv dazu verhalten. Um die Rückſichten dreht ſich in beiden Fällen ihr geſammtes Thun und Denken, aber der Philiſter iſt gegen den Burſchen reactionair, iſt der zur Beſinnung gekommene wilde Geſelle, wie dieſer der unbeſon¬ nene Philiſter iſt. Die alltägliche Erfahrung beſtätigt die Wahrheit dieſes Umſchlagens und zeigt, wie die Renommiſten zu Philiſtern ergrauen.

So beweiſt auch die ſogenannte Reaction in Deutſchland, wie ſie nur die beſonnene Fortſetzung des kriegeriſchen Frei¬ heitsjubels war.

Die Revolution war nicht gegen das Beſtehende ge¬ richtet, ſondern gegen dieſes Beſtehende, gegen einen be¬ ſtimmten Beſtand. Sie ſchaffte dieſen Herrſcher ab, nicht den Herrſcher, im Gegentheil wurden die Franzoſen auf's un¬ erbittlichſte beherrſcht; ſie tödtete die alten Laſterhaften, wollte aber den Tugendhaften ein ſicheres Beſtehen gewähren, d. h. ſie ſetzte an die Stelle des Laſters nur die Tugend. (Laſter10146und Tugend unterſcheiden ſich ihrerſeits wieder nur, wie ein wilder Burſche von einem Philiſter) u. ſ. w.

Bis auf den heutigen Tag iſt das Revolutionsprincip dabei geblieben, nur gegen dieſes und jenes Beſtehende an¬ zukämpfen, d. h. reformatoriſch zu ſein. So viel auch verbeſſert, ſo ſtark auch der beſonnene Fortſchritt einge¬ halten werden mag: immer wird nur ein neuer Herr an die Stelle des alten geſetzt, und der Umſturz iſt ein Aufbau. Es bleibt bei dem Unterſchiede des jungen von dem alten Philiſter. Spießbürgerlich begann die Revolution mit der Er¬ hebung des dritten Standes, des Mittelſtandes, ſpießbürgerlich verſiegt ſie. Nicht der einzelne Menſch und dieſer allein iſt der Menſch wurde frei, ſondern der Bürger, der citoyen, der politiſche Menſch, der eben deshalb nicht der Menſch, ſondern ein Exemplar der Menſchengattung, und ſpecieller ein Exemplar der Bürgergattung, ein freier Bürger iſt.

In der Revolution handelte nicht der Einzelne weltge¬ ſchichtlich, ſondern ein Volk: die Nation, die ſouveraine, wollte alles bewirken. Ein eingebildetes Ich, eine Idee, wie die Nation iſt, tritt handelnd auf, d. h. die Einzelnen geben ſich zu Werkzeugen dieſer Idee her und handeln als Bürger .

Seine Macht und zugleich ſeine Schranken hat das Bür¬ gerthum im Staatsgrundgeſetze, in einer Charte, in einem rechtlichen oder gerechten Fürſten, der ſelbſt nach vernünf¬ tigen Geſetzen ſich richtet und herrſcht, kurz in der Geſetz¬ lichkeit. Die Periode der Bourgeoiſie wird von dem briti¬ ſchen Geiſte der Geſetzlichkeit beherrſcht. Eine Verſammlung von Landſtänden ruft ſich z. B. ſtets ins Gedächtniß, daß ihre Befugniſſe nur ſo und ſo weit gehen, und daß ſie über¬ haupt nur aus Gnaden berufen ſei und aus Ungnade wieder147 verworfen werden könne. Sie erinnert ſich ſtets ſelbſt an ihren Beruf. Es iſt zwar nicht zu leugnen, daß Mich mein Vater erzeugt hat; aber nun Ich einmal erzeugt bin, gehen Mich doch wohl ſeine Erzeugungs-Abſichten gar nichts an, und wozu er Mich auch immer berufen haben mag, Ich thue, was Ich ſelber will. Darum erkannte auch eine berufene Ständeverſammlung, die franzöſiſche im Anfange der Revolution, ganz richtig, daß ſie vom Berufer unabhängig ſei. Sie exiſtirte und wäre dumm geweſen, wenn ſie das Recht der Exiſtenz nicht geltend machte, ſondern ſich, wie vom Vater, abhängig wähnte. Der Berufene hat nicht mehr zu fragen: was wollte der Berufer, als er Mich ſchuf? ſondern: was will Ich, nachdem Ich einmal dem Rufe gefolgt bin? Nicht der Berufer, nicht die Committenten, nicht die Charte, nach welcher ihr Zuſammentritt hervorgerufen wurde, nichts wird für ihn eine heilige, unantaſtbare Macht ſein. Er iſt zu allem befugt, was in ſeiner Macht ſteht; er wird keine beſchrän¬ kende Befugniß kennen, wird nicht loyal ſein wollen. Dieß gäbe, wenn man von Kammern überhaupt ſo etwas erwarten könnte, eine vollkommen egoiſtiſche Kammer, abgelöſt von aller Nabelſchnur und rückſichtslos. Aber Kammern ſind ſtets devot, und darum kann es nicht befremden, wenn ſo viel hal¬ ber oder unentſchiedener, d. h. heuchleriſcher Egoismus ſich in ihnen breit macht.

Die Ständemitglieder ſollen in den Schranken bleiben, welche ihnen durch die Charte, durch den Königswillen u. dergl. vorgezeichnet ſind. Wollen oder können ſie das nicht, ſo ſollen ſie austreten . Welcher Pflichtgetreue könnte anders han¬ deln, könnte ſich, ſeine Ueberzeugung und ſeinen Willen als das Erſte ſetzen, wer könnte ſo unſittlich ſein, ſich geltend10 *148machen zu wollen, wenn darüber auch die Körperſchaft und Alles zu Grunde ginge? Man hält ſich ſorglich innerhalb der Grenzen ſeiner Befugniß; in den Grenzen ſeiner Macht muß man ja ohnehin bleiben, weil Keiner mehr kann als er kann. Die Macht oder reſpective Ohnmacht Meiner wäre meine alleinige Grenze, Befugniſſe aber nur bindende Satzungen? Zu dieſer alles umſtürzenden Anſicht ſollte Ich Mich bekennen? Nein, Ich bin ein geſetzlicher Bürger!

Das Bürgerthum bekennt ſich zu einer Moral, welche auf's engſte mit ſeinem Weſen zuſammenhängt. Ihre erſte Forderung geht darauf hin, daß man ein ſolides Geſchäft, ein ehrliches Gewerbe betreibe, einen moraliſchen Wandel führe. Unſittlich iſt ihr der Induſtrieritter, die Buhlerin, der Dieb, Räuber und Mörder, der Spieler, der vermögenloſe Mann ohne Anſtellung, der Leichtſinnige. Die Stimmung gegen dieſe Unmoraliſchen bezeichnet der wackere Bürger als ſeine tiefſte Entrüſtung . Es fehlt dieſen Allen die Anſäſſigkeit, das So¬ lide des Geſchäfts, ein ſolides, ehrſames Leben, das feſte Einkommen u. ſ. w., kurz, ſie gehören, weil ihre Exiſtenz nicht auf einer ſicheren Baſis ruht, zu den gefährlichen Einzelnen oder Vereinzelten zum gefährlichen Proletariat: ſie ſind einzelne Schreier , die keine Garantien bieten und nichts zu verlieren , alſo nichts zu riskiren haben. Schlie¬ ßung eines Familienbandes z. B. bindet den Menſchen, der Gebundene gewährt eine Bürgſchaft, iſt faßbar; dagegen das Freudenmädchen nicht. Der Spieler ſetzt alles auf's Spiel, ruinirt ſich und Andere; keine Garantie. Man könnte Alle, welche dem Bürger verdächtig, feindlich und gefährlich er¬ ſcheinen, unter den Namen Vagabonden zuſammenfaſſen; ihm mißfällt jede vagabondirende Lebensart. Denn es giebt149 auch geiſtige Vagabonden, denen der angeſtammte Wohnſitz ihrer Väter zu eng und drückend vorkommt, als daß ſie ferner mit dem beſchränkten Raume ſich begnügen möchten: ſtatt ſich in den Schranken einer gemäßigten Denkungsart zu halten und für unantaſtbare Wahrheit zu nehmen, was Tauſenden Troſt und Beruhigung gewährt, überſpringen ſie alle Grenzen des Althergebrachten und extravagiren mit ihrer frechen Kritik und ungezähmten Zweifelſucht, dieſe extravaganten Vagabonden. Sie bilden die Claſſe der Unſtäten, Ruheloſen, Veränderlichen, d. h. der Proletarier, und heißen, wenn ſie ihr unſeßhaftes Weſen laut werden laſſen, unruhige Köpfe .

Solch weiten Sinn hat das ſogenannte Proletariat oder der Pauperismus. Wie ſehr würde man irren, wenn man dem Bürgerthum das Verlangen zutraute, die Armuth (Pau¬ perismus) nach beſten Kräften zu beſeitigen. Im Gegentheil hilft ſich der gute Bürger mit der unvergleichlich tröſtlichen Ueberzeugung, daß die Güter des Glückes nun einmal un¬ gleich vertheilt ſeien und immer ſo bleiben werden nach Gottes weiſem Rathſchluſſe . Die Armuth, welche ihn auf allen Gaſſen umgiebt, ſtört den wahren Bürger nicht weiter, als daß er höchſtens ſich mit ihr durch ein hingeworfenes Almoſen abfindet, oder einem ehrlichen und brauchbaren Burſchen Arbeit und Nahrung verſchafft. Deſto mehr aber fühlt er ſeinen ruhigen Genuß getrübt durch die neuerungs¬ ſüchtige und unzufriedene Armuth, durch jene Armen, welche ſich nicht mehr ſtille verhalten und dulden, ſondern zu extravagiren anfangen und unruhig werden. Sperrt den Vagabonden ein, ſteckt den Unruhſtifter ins dunkelſte Verließ! Er will im Staate Mißvergnügen erregen und gegen beſtehende Verordnungen aufreizen ſteiniget, ſteiniget ihn!

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Gerade aber von dieſen Unzufriedenen geht etwa fol¬ gendes Raiſonnement aus: Den guten Bürgern kann es gleich gelten, wer ſie und ihre Principien ſchützt, ob ein abſoluter oder conſtitutioneller König, eine Republik u. ſ. w., wenn ſie nur geſchützt werden. Und welches iſt ihr Prin¬ cip, deſſen Schutzherrn ſie ſtets lieben ? Das der Arbeit nicht; das der Geburt auch nicht. Aber das der Mittel¬ mäßigkeit, der ſchönen Mitte: ein bischen Geburt und ein bischen Arbeit, d. h. ein ſich verzinſender Beſitz. Beſitz iſt hier das Feſte, das Gegebene, Ererbte (Geburt), das Verzinſen iſt daran die Mühwaltung (Arbeit), alſo ar¬ beitendes Capital. Nur kein Uebermaaß, kein Ultra, kein Radicalismus! Allerdings Geburtsrecht, aber nur an¬ geborner Beſitz; allerdings Arbeit, aber wenig oder gar keine eigene, ſondern Arbeit des Capitals und der unterthä¬ nigen Arbeiter.

Liegt eine Zeit in einem Irrthum befangen, ſo ziehen ſtets die Einen Vortheil aus ihm, indeß die Andern den Schaden davon haben. Im Mittelalter war der Irrthum all¬ gemein unter den Chriſten, daß die Kirche alle Gewalt oder die Oberherrlichkeit auf Erden haben müſſe; die Hierarchen glaubten nicht weniger an dieſe Wahrheit als die Laien, und beide waren in dem gleichen Irrthum feſtgebannt. Allein die Hierarchen hatten durch ihn den Vortheil der Gewalt, die Laien den Schaden der Unterthänigkeit. Wie es aber heißt: durch Schaden wird man klug , ſo wurden die Laien endlich klug und glaubten nicht länger an die mittelalterliche Wahrheit . Ein gleiches Verhältniß findet zwiſchen Bür¬ gerthum und Arbeiterthum ſtatt. Bürger und Arbeiter glauben an die Wahrheit des Geldes; ſie, die es nicht beſitzen,151 glauben nicht weniger daran, als jene, welche es beſitzen, alſo die Laien wie die Prieſter.

Geld regiert die Welt iſt der Grundton der bürger¬ lichen Epoche. Ein beſitzloſer Adliger und ein beſitzloſer Ar¬ beiter ſind als Hungerleider für die politiſche Geltung be¬ deutungslos: Geburt und Arbeit thun's nicht, ſondern das Geld giebt Geltung. Die Beſitzenden herrſchen, der Staat aber erzieht aus den Beſitzloſen ſeine Diener , denen er in dem Maaße, als ſie in ſeinem Namen herrſchen (regieren) ſol¬ len, Geld (Gehalt) giebt.

Ich empfange Alles vom Staate. Habe Ich etwas ohne die Bewilligung des Staates? Was Ich ohne ſie habe, das nimmt er Mir ab, ſobald er den fehlenden Rechtstitel entdeckt. Habe Ich alſo nicht Alles durch ſeine Gnade, ſeine Bewilligung?

Darauf allein, auf den Rechtstitel, ſtützt ſich das Bürgerthum. Der Bürger iſt, was er iſt, durch den Staats¬ ſchutz, durch die Gnade des Staats. Er müßte fürchten, Alles zu verlieren, wenn die Macht des Staates gebrochen würde.

Wie iſt's aber mit dem, der nichts zu verlieren hat, wie mit dem Proletarier? Da er nichts zu verlieren hat, braucht er für ſein Nichts den Staatsſchutz nicht. Er kann im Gegentheil gewinnen, wenn jener Staatsſchutz den Schützlin¬ gen entzogen wird.

Darum wird der Nichtbeſitzende den Staat als Schutz¬ macht des Beſitzenden anſehen, die dieſen privilegirt, ihn da¬ gegen nur ausſaugt. Der Staat iſt ein Bürger¬ ſtaat, iſt der status des Bürgerthums. Er ſchützt den Men¬ ſchen nicht nach ſeiner Arbeit, ſondern nach ſeiner Folgſamkeit152 ( Loyalität ), nämlich danach, ob er die vom Staate anver¬ trauten Rechte dem Willen, d. h. Geſetzen des Staates gemäß genießt und verwaltet.

Unter dem Regime des Bürgerthums fallen die Arbeiten¬ den ſtets den Beſitzenden, d. h. denen, welche irgend ein Staatsgut (und alles Beſitzbare iſt Staatsgut, gehört dem Staate und iſt nur Lehen der Einzelnen) zu ihrer Verfügung haben, beſonders Geld und Gut, alſo den Capitaliſten in die Hände. Es kann der Arbeiter ſeine Arbeit nicht verwerthen nach dem Maaße des Werthes, welchen ſie für den Genießenden hat. Die Arbeit wird ſchlecht bezahlt! Den größten Ge¬ winn hat der Capitaliſt davon. Gut und mehr als gut werden nur die Arbeiten derjenigen bezahlt, welche den Glanz und die Herrſchaft des Staates erhöhen, die Arbeiten hoher Staatsdiener. Der Staat bezahlt gut, damit ſeine guten Bürger , die Beſitzenden, ohne Gefahr ſchlecht bezahlen kön¬ nen; er ſichert ſich ſeine Diener, aus welchen er für die guten Bürger eine Schutzmacht, eine Polizei (zur Polizei gehören Soldaten, Beamten aller Art, z. B. die der Juſtiz, Erziehung u. ſ. w., kurz die ganze Staatsmaſchine ) bildet, durch gute Bezahlung, und die guten Bürger entrichten gern hohe Abgaben an ihn, um deſto niedrigere ihren Arbeitern zu leiſten.

Aber die Claſſe der Arbeiter bleibt, weil in dem, was ſie weſentlich ſind, ungeſchützt (denn nicht als Arbeiter genie¬ ßen ſie den Staatsſchutz, ſondern als ſeine Unterthanen haben ſie einen Mitgenuß von der Polizei, einen ſogenannten Rechts¬ ſchutz), eine dieſem Staate, dieſem Staate der Beſitzenden, dieſem Bürgerkönigthum , feindliche Macht. Ihr Princip, die Arbeit, iſt nicht ſeinem Werthe nach anerkannt: es wird ausgebeutet, eine Kriegsbeute der Beſitzenden, der Feinde.

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Die Arbeiter haben die ungeheuerſte Macht in Händen, und wenn ſie ihrer einmal recht inne würden und ſie gebrauch¬ ten, ſo widerſtände ihnen nichts: ſie dürften nur die Arbeit einſtellen und das Gearbeitete als das Ihrige anſehen und genießen. Dieß iſt der Sinn der hie und da auftauchenden Arbeiterunruhen.

Der Staat beruht auf der Sklaverei der Arbeit. Wird die Arbeit frei, ſo iſt der Staat verloren.

§. 2. Der ſociale Liberalismus.

Wir ſind freigeborene Menſchen, und wohin Wir blicken, ſehen Wir Uns zu Dienern von Egoiſten gemacht! Sollen Wir darum auch Egoiſten werden? Bewahre der Himmel, Wir wollen lieber die Egoiſten unmöglich machen! Wir wollen ſie alle zu Lumpen machen, wollen Alle nichts haben, damit Alle haben.

So die Socialen.

Wer iſt dieſe Perſon, die Ihr Alle nennt? Es iſt die Geſellſchaft ! Iſt ſie denn aber leibhaftig? Wir ſind ihr Leib! Ihr? Ihr ſeid ja ſelbſt kein Leib; Du zwar biſt leibhaftig, auch Du und Du, aber Ihr zuſammen ſeid nur Leiber, kein Leib. Mithin hätte die einige Geſellſchaft zwar Leiber zu ihrem Dienſte, aber keinen einigen und eigenen Leib. Sie wird eben, wie die Nation der Politiker, nichts als ein Geiſt ſein, der Leib an ihm nur Schein.

Die Freiheit des Menſchen iſt im politiſchen Liberalismus die Freiheit von Perſonen, von perſönlicher Herrſchaft, vom Herrn: Sicherung jeder einzelnen Perſon gegen andere Per¬ ſonen, perſönliche Freiheit.

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Es hat keiner etwas zu befehlen, das Geſetz allein befiehlt.

Aber ſind die Perſonen auch gleich geworden, ſo doch nicht ihr Beſitzthum. Und doch braucht der Arme den Reichen, der Reiche den Armen, jener das Geld des Reichen, dieſer die Arbeit des Armen. Alſo es braucht keiner den An¬ dern als Perſon, aber er braucht ihn als Gebenden, mit¬ hin als einen, der etwas zu geben hat, als Inhaber oder Beſitzer. Was er alſo hat, das macht den Mann. Und im Haben oder an Habe ſind die Leute ungleich.

Folglich, ſo ſchließt der ſociale Liberalismus, muß Ke ner haben, wie dem politiſchen Liberalismus zufolge Ke ner befehlen ſollte, d. h. wie hier der Staat allein den Befehl erhielt, ſo nun die Geſellſchaft allein die Habe.

Indem nämlich der Staat eines Jeden Perſon und Eigen¬ thum gegen den Andern ſchützt, trennt er ſie von einander: Jeder iſt ſein Theil für ſich und hat ſein Theil für ſich. Wem genügt, was er iſt und hat, der findet bei dieſem Stande der Dinge ſeine Rechnung; wer aber mehr ſein und ha¬ ben möchte, der ſieht ſich nach dieſem Mehr um und findet es in der Gewalt anderer Perſonen. Hier geräth er auf einen Widerſpruch: als Perſon ſteht keiner dem Andern nach, und doch hat die eine Perſon, was die andere nicht hat, aber haben möchte. Alſo, ſchließt er daraus, iſt doch die eine Perſon mehr als die andere, denn jene hat, was ſie braucht, dieſe hat es nicht, jene iſt ein Reicher, dieſe ein Armer.

Sollen Wir, fragt er ſich nunmehr weiter, wieder auf¬ leben laſſen, was Wir mit Recht begruben, ſollen Wir dieſe auf einem Umwege wiederhergeſtellte Ungleichheit der Perſonen gelten laſſen? Nein, Wir müſſen im Gegentheil, was nur halb vollbracht war, ganz zu Ende führen. Unſerer155 Freiheit von der Perſon des Andern fehlt noch die Freiheit von dem, worüber die Perſon des Andern gebieten kann, von dem, was ſie in ihrer perſönlichen Macht hat, kurz von dem perſönlichen Eigenthum . Schaffen Wir alſo das perſön¬ liche Eigenthum ab. Keiner habe mehr etwas, jeder ſei ein Lump. Das Eigenthum ſei unperſönlich, es ge¬ höre der Geſellſchaft.

Vor dem höchſten Gebieter, dem alleinigen Befehls¬ haber, waren Wir alle gleich geworden, gleiche Perſonen, d. h. Nullen.

Vor dem höchſten Eigenthümer werden Wir alle gleiche Lumpe. Für jetzt iſt noch Einer in der Schätzung des Andern ein Lump , Habenichts ; dann aber hört dieſe Schätzung auf, Wir ſind allzumal Lumpe, und als Geſammt¬ maſſe der communiſtiſchen Geſellſchaft könnten Wir Uns Lumpengeſindel nennen.

Wenn der Proletarier ſeine beabſichtigte Geſellſchaft , worin der Abſtand von Reich und Arm beſeitigt werden ſoll, wirklich gegründet haben wird, dann iſt er Lump, denn er weiß ſich dann etwas damit, Lump zu ſein, und könnte Lump ſo gut zu einer ehrenden Anrede erheben, wie die Revolution das Wort Bürger dazu erhob. Lump iſt ſein Ideal, Lumpe ſollen Wir alle werden.

Dieß iſt im Intereſſe der Menſchlichkeit der zweite Raub am Perſönlichen . Man läßt dem Einzelnen weder Befehl noch Eigenthum; jenen nahm der Staat, dieſes die Geſellſchaft.

Weil in der Geſellſchaft ſich die drückendſten Uebelſtände bemerkbar machen, ſo denken beſonders die Gedrückten, alſo die Glieder aus den unteren Regionen der Societät, die Schuld156 in der Geſellſchaft zu finden, und machen ſich's zur Aufgabe, die rechte Geſellſchaft zu entdecken. Es iſt das nur die alte Erſcheinung, daß man die Schuld zuerſt in allem Ande¬ ren als in ſich ſucht; alſo im Staate, in der Selbſtſucht der Reichen u. ſ. w., die doch gerade unſerer Schuld ihr Daſein verdanken.

Die Reflexionen und Schlüſſe des Communismus ſehen ſehr einfach aus. Wie die Sachen dermalen liegen, alſo unter den jetzigen Staatsverhältniſſen, ſtehen die Einen gegen die Andern, und zwar die Mehrzahl gegen die Minderzahl im Nachtheil. Bei dieſem Stande der Dinge befinden ſich jene im Wohlſtande, dieſe im Nothſtande. Daher muß der gegenwärtige Stand der Dinge, d. i. der Staat (status = Stand) abgeſchafft werden. Und was an ſeine Stelle? Statt des vereinzelten Wohlſtandes ein allgemeiner Wohl¬ ſtand, ein Wohlſtand Aller.

Durch die Revolution wurde die Bourgeoiſie allmächtig und alle Ungleichheit dadurch aufgehoben, daß Jeder zur Würde eines Bürgers erhoben oder erniedrigt wurde: der gemeine Mann erhoben, der Adlige erniedrigt; der dritte Stand wurde einziger Stand, nämlich Stand der Staatsbürger. Nun replicirt der Communismus: Nicht darin beſteht unſere Würde und unſer Weſen, daß Wir alle die gleichen Kinder des Staates, unſerer Mutter, ſind, alle geboren mit dem gleichen Anſpruch auf ihre Liebe und ihren Schutz, ſondern darin, daß Wir alle für einander da ſind. Dieß iſt unſere Gleichheit oder darin ſind Wir gleich, daß Ich ſo gut als Du und Ihr alle, jeder für den Andern, thätig ſind oder arbeiten , alſo darin, daß jeder von Uns ein Arbeiter iſt. Nicht auf das kommt es Uns an,157 was Wir für den Staat ſind, nämlich Bürger, alſo nicht auf unſer Bürgerthum, ſondern auf das, was Wir für einander ſind, nämlich darauf, daß Jeder von Uns nur durch den Andern exiſtirt, der, indem er für meine Bedürfniſſe ſorgt, zugleich von Mir die ſeinigen befriedigt ſieht. Er ar¬ beitet z. B. für meine Kleidung (Schneider), Ich für ſein Vergnügungsbedürfniß (Comödienſchreiber, Seiltänzer u. ſ. w.), er für meine Nahrung (Landwirth u. ſ. w.), Ich für ſeine Be¬ lehrung (Gelehrter u. ſ. w.). Alſo das Arbeiterthum iſt unſere Würde und unſere Gleichheit.

Welchen Vortheil bringt Uns das Bürgerthum? Laſten! Und wie hoch ſchlägt man unſere Arbeit an? So niedrig als möglich! Arbeit iſt aber gleichwohl unſer einziger Werth; daß Wir Arbeiter ſind, das iſt das Beſte an Uns, das iſt un¬ ſere Bedeutung in der Welt, und darum muß es auch unſere Geltung weiden und muß zur Geltung kommen. Was könnt Ihr Uns entgegenſtellen? Doch auch nur Arbeit. Nur für Arbeit oder Leiſtungen ſind Wir Euch eine Recom¬ penſe ſchuldig, nicht für eure bloße Exiſtenz; auch nicht für das, was Ihr für Euch ſeid, ſondern nur für das, was Ihr für Uns ſeid. Wodurch habt Ihr Anſprüche an Uns? Etwa durch eure hohe Geburt u. ſ. w.? Nein, nur durch das, was Ihr Uns Erwünſchtes oder Nützliches leiſtet. So ſei es denn auch ſo: Wir wollen Euch nur ſo viel werth ſein, als Wir Euch leiſten; Ihr aber ſollt desgleichen von Uns gehalten weiden. Die Leiſtungen beſtimmen den Werth, d.h. die¬ jenigen Leiſtungen, die Uns etwas werth ſind, alſo die Ar¬ beiten für einander, die gemeinnützigen Arbeiten. Jeder ſei in den Augen des Andern ein Arbeiter. Wer Nützliches verrichtet, der ſteht Keinem nach, oder alle Ar¬158 beiter (Arbeiter natürlich im Sinne von gemeinnütziger , d.h. communiſtiſcher Arbeiter) ſind gleich. Da aber der Ar¬ beiter ſeines Lohnes werth iſt, ſo ſei auch der Lohn gleich.

So lange das Glauben für die Ehre und Würde des Menſchen ausreichte, ließ ſich gegen keine auch noch ſo anſtren¬ gende Arbeit etwas einwenden, wenn ſie nur den Menſchen nicht im Glauben hinderte. Hingegen jetzt, wo Jeder ſich zum Menſchen ausbilden ſoll, fällt die Bannung des Menſchen an maſchinenmäßige Arbeit zuſammen mit der Sklaverei. Muß ein Fabrikarbeiter ſich zwölf Stunden und mehr todtmüde ma¬ chen, ſo iſt er um die Menſchwerdung gebracht. Jedwede Arbeit ſoll den Zweck haben, daß der Menſch befriedigt werde. Deshalb muß er auch in ihr Meiſter werden, d. h. ſie als eine Totalität ſchaffen können. Wer in einer Stecknadelfabrik nur die Knöpfe aufſetzt, nur den Draht zieht u. ſ. w., der arbeitet wie mechaniſch, wie eine Maſchine: er bleibt ein Stümper, wird kein Meiſter: ſeine Arbeit kann ihn nicht be¬ friedigen, ſondern nur ermüden. Seine Arbeit iſt, für ſich genommen, nichts, hat keinen Zweck in ſich, iſt nichts für ſich Fertiges: er arbeitet nur einem Andern in die Hand, und wird von dieſem Andern benutzt (exploitirt). Für dieſen Arbeiter im Dienſte eines Andern giebt es keinen Genuß ei¬ nes gebildeten Geiſtes, höchſtens rohe Vergnügungen: ihm iſt ja die Bildung verſchloſſen. Um ein guter Chriſt zu ſein, braucht man nur zu glauben, und das kann unter den drückendſten Verhältniſſen geſchehen. Daher ſorgen die chriſtlich Geſinnten nur für die Frömmigkeit der gedrückten Ar¬ beiter, ihre Geduld, Ergebung u. ſ. w. All ihr Elend konn¬ ten die unterdrückten Claſſen nur ſo lange ertragen, als ſie Chriſten waren: denn das Chriſtenthum läßt ihr Murren159 und ihre Empörung nicht aufkommen. Jetzt genügt nicht mehr die Beſchwichtigung der Begierden, ſondern es wird ihre Sättigung gefordert. Die Bourgeoiſie hat das Evangelium des Weltgenuſſes, des materiellen Genuſſes verkündet und wundert ſich nun, daß dieſe Lehre unter Uns Armen Anhänger findet; ſie hat gezeigt, daß nicht Glaube und Armuth, ſondern Bildung und Beſitz ſelig macht: das begreifen Wir Proleta¬ rier auch.

Von Befehl und Willkühr Einzelner befreite das Bürger¬ thum. Allein jene Willkühr blieb übrig, welche aus der Con¬ junctur der Verhältniſſe entſpringt und die Zufälligkeit der Um¬ ſtände genannt werden kann; es blieben das begünſtigende Glück und die vom Glück Begünſtigten übrig.

Wenn z. B. ein Gewerbszweig zu Grunde geht und Tauſende von Arbeitern brodlos werden, ſo denkt man billig genug, um zu bekennen, daß nicht der Einzelne die Schuld trägt, ſondern das Uebel in den Verhältniſſen liegt.

Aendern Wir denn die Verhältniſſe, aber ändern Wir ſie durchgreifend und ſo, daß ihre Zufälligkeit ohnmächtig wird und ein Geſetz! Seien Wir nicht länger Sklaven des Zu¬ falls! Schaffen Wir eine neue Ordnung, die den Schwan¬ kungen ein Ende macht. Dieſe Ordnung ſei dann heilig!

Früher mußte man es den Herren recht machen, um zu etwas zu kommen; nach der Revolution hieß es: Haſche das Glück! Glücksjagd oder Hazardſpiel, darin ging das bürger¬ liche Leben auf. Daneben dann die Forderung, daß, wer et¬ was erlangt hat, dieß nicht leichtſinnig wieder aufs Spiel ſetze.

Seltſamer und doch höchſt natürlicher Widerſpruch. Die Concurrenz, in der allein das bürgerliche oder politiſche Leben ſich abwickelt, iſt durch und durch ein Glücksſpiel, von den160 Börſenſpeculationen herab bis zur Aemterbewerbung, der Kun¬ denjagd, dem Arbeitſuchen, dem Trachten nach Beförderung und Orden, dem Trödel des Schacherjuden u. ſ. w. Gelingt es, die Mitbewerber auszuſtechen und zu überbieten, ſo iſt der glückliche Wurf gethan; denn für ein Glück muß es ſchon genommen werden, daß der Sieger mit einer, wenn auch durch den ſorgſamſten Fleiß ausgebildeten Begabtheit ſich ausgeſtattet ſteht, gegen welche die Andern nicht aufzukommen wiſſen, alſo daß ſich keine Begabteren finden. Und die nun mitten in dieſem Glückswechſel ihr tägliches Weſen treiben, ohne ein Arg dabei zu haben, gerathen in die ſittlichſte Entrüſtung, wenn ihr eigenes Princip in nackter Form auftritt und als Hazardſpiel Unglück anrichtet. Das Hazardſpiel iſt ja eine zu deutliche, zu unverhüllte Concurrenz und verletzt wie jede entſchiedene Nacktheit das ehrſame Schamgefühl.

Dieſem Treiben des Ungefährs wollen die Socialen Ein¬ halt thun und eine Geſellſchaft bilden, in welcher die Men¬ ſchen nicht länger vom Glücke abhängig, ſondern frei ſind.

Auf die natürlichſte Weiſe äußert ſich dieß Streben zuerſt als Haß der Unglücklichen gegen die Glücklichen , d. h. derer, für welche das Glück wenig oder nichts gethan hat, gegen diejenigen, für die es Alles gethan hat.

Eigentlich gilt der Unmuth aber nicht den Glücklichen, ſondern dem Glücke, dieſem faulen Fleck des Bürgerthums.

Da die Communiſten erſt die freie Thätigkeit für das Weſen des Menſchen erklären, bedürfen ſie, wie alle werkeltä¬ gige Geſinnung, eines Sonntags, wie alles materielle Stre¬ ben, eines Gottes, einer Erhebung und Erbauung neben ihrer geiſtloſen Arbeit .

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Daß der Communiſt in Dir den Menſchen, den Bruder erblickt, das iſt nur die ſonntägliche Seite des Communismus. Nach der werkeltägigen nimmt er Dich keineswegs als Men¬ ſchen ſchlechthin, ſondern als menſchlichen Arbeiter oder arbei¬ tenden Menſchen. Das liberale Princip ſteckt in der erſteren Anſchauung, in die zweite verbirgt ſich die Illiberalität. Wä¬ reſt Du ein Faulenzer , ſo würde er zwar den Menſchen in Dir nicht verkennen, aber als einen faulen Menſchen ihn von der Faulheit zu reinigen und Dich zu dem Glauben zu bekehren ſtreben, daß das Arbeiten des Menſchen Beſtimmung und Beruf ſei.

Darum zeigt er ein doppeltes Geſicht: mit dem einen hat er darauf Acht, daß der geiſtige Menſch befriedigt werde, mit dem andern ſchaut er ſich nach Mitteln für den materiellen oder leibli¬ chen um. Er giebt dem Menſchen eine zwiefache Anſtellung, ein Amt des materiellen Erwerbs und eines des geiſtigen.

Das Bürgerthum hatte geiſtige und materielle Güter frei hingeſtellt und Jedem anheim gegeben, danach zu langen, wenn ihn gelüſte.

Der Communismus verſchafft ſie wirklich Jedem, dringt ſie ihm auf und zwingt ihn, ſie zu erwerben. Er macht Ernſt damit, daß Wir, weil nur geiſtige und materielle Güter Uns zu Menſchen machen, dieſe Güter ohne Widerrede erwerben müſſen, um Menſch zu ſein. Das Bürgerthum machte den Erwerb frei, der Communismus zwingt zum Erwerb, und erkennt nur den Erwerbenden an, den Gewerbtreibenden. Es iſt nicht genug, daß das Gewerbe frei iſt, ſondern Du mußt es ergreifen.

So bleibt der Kritik nur übrig zu beweiſen, der Erwerb dieſer Güter mache Uns noch keineswegs zu Menſchen.

11162

Mit dem liberalen Gebote, daß Jeder aus ſich einen Menſchen oder Jeder ſich zum Menſchen machen ſoll, war die Nothwendigkeit geſetzt, daß Jeder zu dieſer Arbeit der Ver¬ menſchlichung Zeit gewinnen müſſe, d. h. daß Jedem möglich werde, an ſich zu arbeiten.

Das Bürgerthum glaubte dieß vermittelt zu haben, wenn es alles Menſchliche der Concurrenz übergebe, den Einzelnen aber zu jeglichem Menſchlichen berechtige. Es darf Jeder nach Allem ſtreben!

Der ſociale Liberalismus findet, daß die Sache mit dem Dürfen nicht abgethan ſei, weil dürfen nur heißt, es iſt Keinem verboten, aber nicht, es iſt Jedem möglich gemacht. Er behauptet daher, das Bürgerthum ſei nur mit dem Munde und in Worten liberal, in der That höchſt illiberal. Er ſei¬ nerſeits will Uns allen die Mittel geben, an Uns arbeiten zu können.

Durch das Princip der Arbeit wird allerdings das des Glückes oder der Concurrenz überboten. Zugleich aber hält ſich der Arbeiter in ſeinem Bewußtſein, daß das Weſentliche an ihm der Arbeiter ſei, vom Egoismus fern und unterwirft ſich der Oberhoheit einer Arbeitergeſellſchaft, wie der Bürger mit Hingebung am Concurrenz-Staate hing. Der ſchöne Traum von einer Socialpflicht wird noch fortgeträumt. Man meint wieder, die Geſellſchaft gebe, was Wir brauchen, und Wir ſeien ihr deshalb verpflichtet, ſeien ihr alles ſchuldig*)Proudhon: Création de l'ordre ruft z. B. p. 414 aus: In der Induſtrie wie in der Wiſſenſchaft iſt die Veröffentlichung einer Erfindung die erſte und heiligſte der Pflichten! . Man bleibt dabei, einem höchſten Geber alles Guten die¬163 nen zu wollen. Daß die Geſellſchaft gar kein Ich iſt, das geben, verleihen oder gewähren könnte, ſondern ein Inſtrument oder Mittel, aus dem Wir Nutzen ziehen mögen, daß Wir keine geſellſchaftlichen Pflichten, ſondern lediglich Intereſſen haben, zu deren Verfolgung Uns die Geſellſchaft dienen müſſe, daß Wir der Geſellſchaft kein Opfer ſchuldig ſind, ſondern, opfern Wir etwas, es Uns opfern: daran denken die Socialen nicht, weil ſie als Liberale im religiöſen Princip gefangen ſitzen und eifrig trachten nach einer, wie es der Staat bisher war, heiligen Geſellſchaft!

Die Geſellſchaft, von der Wir alles haben, iſt eine neue Herrin, ein neuer Spuk, ein neues höchſtes Weſen , das Uns in Dienſt und Pflicht nimmt!

Die nähere Würdigung des politiſchen ſowohl als des ſocialen Liberalismus kann ihre Stelle erſt weiter unten finden. Wir gehen für jetzt dazu über, ſie vor den Richterſtuhl des humanen oder kritiſchen Liberalismus zu ſtellen.

§. 3. Der humane Liberalismus.

Da in dem ſich kritiſirenden, dem kritiſchen Liberalis¬ mus, wobei der Kritiker ein Liberaler bleibt und über das Princip des Liberalismus, den Menſchen, nicht hinausgeht, der Liberalismus ſich vollendet, ſo mag er vorzugsweiſe nach dem Menſchen benannt werden und der humane heißen.

Der Arbeiter gilt für den materiellſten und egoiſtiſchſten Menſchen. Er leiſtet für die Menſchheit gar nichts, thut alles für ſich, zu ſeiner Wohlfahrt.

Das Bürgerthum hat, weil es den Menſchen nur ſei¬ ner Geburt nach für frei ausgab, ihn im Uebrigen in den11 *164Klauen des Unmenſchen (Egoiſten) laſſen müſſen. Daher hat der Egoismus unter dem Regiment des politiſchen Liberalis¬ mus ein ungeheures Feld zu freier Benutzung.

Wie der Bürger den Staat, ſo wird der Arbeiter die Geſellſchaft benutzen für ſeine egoiſtiſchen Zwecke. Du haſt doch nur einen egoiſtiſchen Zweck, deine Wohlfahrt! wirft der Humane dem Socialen vor. Faſſe ein rein menſch¬ liches Intereſſe, dann will Ich dein Gefährte ſein. Da¬ zu gehört aber ein ſtärkeres, ein umfaſſenderes, als ein Ar¬ beiterbewußtſein. Der Arbeiter macht Nichts, drum hat er Nichts: er macht aber Nichts, weil ſeine Arbeit ſtets eine einzeln bleibende, auf ſein eigenſtes Bedürfniß berechnete, tägliche iſt. *)Br. Bauer Lit. Ztg. V, 18.Man kann ſich dem entgegen etwa Folgendes denken: die Arbeit Guttenbergs blieb nicht einzeln, ſondern er¬ zeugte unzählige Kinder und lebt heute noch, ſie war auf das Bedürfniß der Menſchheit berechnet, und war eine ewige, un¬ vergängliche.

Das humane Bewußtſein verachtet ſowohl das Bürger - als das Arbeiter-Bewußtſein: denn der Bürger iſt nur ent¬ lüftet über den Vagabonden (über Alle, welche keine be¬ ſtimmte Beſchäftigung haben) und deren Immoralität ; den Arbeiter empört der Faulenzer ( Faulpelz ) und deſſen unſittliche , weil ausſaugende und ungeſellſchaftliche, Grund¬ ſätze. Dagegen erwidert der Humane: Die Unſeßhaftigkeit Vieler iſt nur dein Product, Philiſter! Daß Du aber, Pro¬ letarier, Allen das Büffeln zumutheſt, und die Plackerei zu einer allgemeinen machen willſt, das hängt Dir noch von deiner ſeitherigen Packeſelei an. Du willſt freilich dadurch, daß165 Alle ſich gleichſehr placken müſſen, die Plackerei ſelbſt erleich¬ tern, jedoch nur aus dem Grunde, damit Alle gleichviel Muße gewinnen. Was aber ſollen ſie mit ihrer Muße anfangen? Was thut deine Geſellſchaft , damit dieſe Muße menſch¬ lich verbracht werde? Sie muß wieder die gewonnene Muße dem egoiſtiſchen Belieben überlaſſen und gerade der Gewinn, den deine Geſellſchaft fördert, fällt dem Egoiſten zu, wie der Gewinn des Bürgerthums, die Herrenloſigkeit des Men¬ ſchen, vom Staate nicht mit einem menſchlichen Inhalt er¬ füllt werden konnte und deshalb der Willkühr überlaſſen wurde.

Allerdings iſt nothwendig, daß der Menſch herrenlos ſei, aber darum ſoll auch nicht wieder der Egoiſt über den Men¬ ſchen, ſondern der Menſch über den Egoiſten Herr werden. Allerdings muß der Menſch Muße finden, aber wenn der Egoiſt ſich dieſelbe zu Nutze macht, ſo entgeht ſie dem Menſchen; dar¬ um müßtet Ihr der Muße eine menſchliche Bedeutung geben. Aber auch eure Arbeit unternehmt Ihr Arbeiter aus egoiſti¬ ſchem Antriebe, weil Ihr eſſen, trinken, leben wollt; wie ſoll¬ tet Ihr bei der Muße weniger Egoiſten ſein? Ihr arbeitet nur, weil nach gethaner Arbeit gut feiern (faulenzen) iſt, und wo¬ mit Ihr eure Mußezeit hinbringt, das bleibt dem Zufall überlaſſen.

Soll aber dem Egoismus jede Thür verriegelt werden, ſo müßte ein völlig unintereſſirtes Handeln erſtrebt werden, die gänzliche Unintereſſirtheit. Dieß iſt allein menſchlich, weil nur der Menſch unintereſſirt iſt; der Egoiſt immer intereſſirt.

Laſſen Wir einſtweilen die Unintereſſirtheit gelten, ſo fra¬ gen Wir: Willſt Du an nichts Intereſſe nehmen, für nichts166 begeiſtert ſein, nicht für die Freiheit, Menſchheit u. ſ. w.? O ja, das iſt aber kein egoiſtiſches Intereſſe, keine Inter¬ eſſirtheit, ſondern ein menſchliches, d.h. ein theore¬ tiſches, nämlich ein Intereſſe nicht für einen Einzelnen oder die Einzelnen ( Alle ), ſondern für die Idee, für den Menſchen!

Und Du merkſt nicht, daß Du auch nur begeiſtert biſt für deine Idee, deine Freiheitsidee?

Und ferner merkſt Du nicht, daß deine Unintereſſirtheit wieder, wie die religiöſe, eine himmliſche Intereſſirtheit iſt? Der Nutzen der Einzelnen läßt Dich allerdings kalt, und Du könnteſt abſtrakt ausrufen: fiat libertas, pereat mundus. Du ſorgeſt auch nicht für den andern Tag und haſt überhaupt keine ernſtliche Sorge für die Bedürfniſſe des Einzelnen, nicht für dein eigenes Wohlleben, noch das der Andern; aber Du machſt Dir eben aus alle dem nichts, weil Du ein Schwär¬ mer biſt.

Wird etwa der Humane ſo liberal ſein, alles Menſchen¬ mögliche für menſchlich auszugeben? Im Gegentheil! Ueber die Hure theilt er zwar das moraliſche Vorurtheil des Phi¬ liſters nicht, aber daß dieß Weib ihren Körper zur Geld¬ erwerb-Maſchine macht *)Lit. Ztg. V, 26., das macht ſie ihm als Menſchen verächtlich. Er urtheilt: Die Hure iſt nicht Menſch, oder: ſo weit ein Weib Hure iſt, ſo weit iſt ſie unmenſchlich, entmenſcht. Ferner: der Jude, der Chriſt, der Privilegirte, der Theologe u. ſ. w. iſt nicht Menſch; ſo weit u. ſ. w. Jude biſt, biſt Du nicht Menſch. Wiederum das imperatoriſche Poſtulat: Wirf alles Aparte von Dir, kritiſire es weg! Sei nicht Jude,167 nicht Chriſt u. ſ. w., ſondern ſei Menſch, nichts als Menſch! Mach deine Menſchlichkeit gegen jede beſchränkende Be¬ ſtimmung geltend, mach Dich mittelſt ihrer zum Menſchen und von jenen Schranken frei, mach Dich zum freien Menſchen , d. h. erkenne die Menſchlichkeit als dein alles beſtimmendes Weſen.

Ich ſage: Du biſt zwar mehr als Jude, mehr als Chriſt u. ſ. w., aber Du biſt auch mehr als Menſch. Das ſind alles Ideen, Du aber biſt leibhaftig. Meinſt Du denn, jemals Menſch als ſolcher werden zu können? Meinſt Du, unſere Nachkommen werden keine Vorurtheile und Schranken wegzu¬ ſchaffen finden, für die unſere Kräfte nicht hinreichten? Oder glaubſt Du etwa in deinem 40ſten oder 50ſten Jahre ſo weit gekommen zu ſein, daß die folgenden Tage nichts mehr an Dir aufzulöſen hätten, und daß Du Menſch wäreſt? Die Menſchen der Nachwelt werden noch manche Freiheit erkämpfen, die Wir nicht einmal entbehren. Wozu brauchſt Du jene ſpätere Freiheit? Wollteſt Du Dich für nichts achten, bevor Du Menſch geworden, ſo müßteſt Du bis zum jüngſten Ge¬ richt warten, bis zu dem Tage, wo der Menſch oder die Menſchheit die Vollkommenheit erlangt haben ſoll. Da Du aber ſicherlich vorher ſtirbſt, wo bleibt dein Siegespreis?

Drum kehre Du Dir die Sache lieber um und ſage Dir: Ich bin Menſch! Ich brauche den Menſchen nicht erſt in Mir herzuſtellen, denn er gehört Mir ſchon, wie alle meine Eigenſchaften.

Wie kann man aber, fragt der Kritiker, zugleich Jude und Menſch ſein? Erſtens, antworte Ich, kann man überhaupt weder Jude noch Menſch ſein, wenn man und Jude oder Menſch daſſelbe bedeuten ſollen; man greift immer über jene168 Beſtimmungen hinaus, und Schmul ſei noch ſo jüdiſch, Jude, nichts als Jude, vermag er nicht zu ſein, ſchon weil er dieſer Jude iſt. Zweitens kann man allerdings als Jude nicht Menſch ſein, wenn Menſch ſein heißt, nicht Beſonderes ſein. Drittens aber und darauf kommt es an kann Ich als Jude ganz ſein, was ich eben ſein kann. Von Samuel oder Moſes und andern erwartet Ihr ſchwerlich, daß ſie über das Judenthum ſich hätten erheben ſollen, obgleich Ihr ſagen müßt, daß ſie noch keine Menſchen waren. Sie waren eben, was ſie ſein konnten. Iſt's mit den heutigen Juden anders? Weil Ihr die Idee der Menſchheit entdeckt habt, folgt daraus, daß jeder Jude ſich zu ihr bekehren könne? Wenn er es kann, ſo unterläßt er's nicht, und unterläßt er es, ſo kann er's nicht. Was geht ihn eure Zumuthung an, was der Beruf, Menſch zu ſein, den Ihr an ihn ergehen laſſet?

In der menſchlichen Geſellſchaft , welche der Humane verheißt, ſoll überhaupt nichts Anerkennung finden, was Einer oder der Andere Beſonderes hat, nichts Werth haben, was den Charakter des Privaten trägt. Auf dieſe Weiſe rundet ſich der Kreis des Liberalismus, der an dem Menſchen und der menſchlichen Freiheit ſein gutes, an dem Egoiſten und allem Privaten ſein böſes Princip, an jenem ſeinen Gott, an dieſem ſeinen Teufel hat, vollſtändig ab, und verlor im Staate die beſondere oder private Perſon ihren Werth (kein perſön¬ liches Vorrecht), büßt in der Arbeiter - oder Lumpen-Geſell¬ ſchaft das beſondere (private) Eigenthum ſeine Anerkennung ein, ſo wird in der menſchlichen Geſellſchaft alles Beſon¬169 dere oder Private außer Betracht kommen, und wenn die reine Kritik ihre ſchwere Arbeit vollführt haben wird, dann wird man wiſſen, was alles privat iſt, und was man in ſeines Nichts durchbohrendem Gefühle wird ſtehen laſſen müſſen.

Weil dem humanen Liberalismus Staat und Geſellſchaft nicht genügt, negirt er beide und behält ſie zugleich. So heißt es einmal, die Aufgabe der Zeit ſei keine politiſche, ſondern eine ſociale , und dann wird wieder für die Zukunft der freie Staat verheißen. In Wahrheit iſt die menſchliche Geſell¬ ſchaft eben beides, der allgemeinſte Staat und die allgemeinſte Geſellſchaft. Nur gegen den beſchränkten Staat wird behaup¬ tet, er mache zu viel Aufhebens von geiſtigen Privatintereſſen (z. B. dem religiöſen Glauben der Leute), und gegen die be¬ ſchränkte Geſellſchaft, ſie mache zu viel aus den materiellen Privatintereſſen. Beide ſollen die Privatintereſſen den Privat¬ leuten überlaſſen, und ſich als menſchliche Geſellſchaft allein um die allgemein menſchlichen Intereſſen bekümmern.

Indem die Politiker den eigenen Willen, Eigenwillen oder Willkühr abzuſchaffen gedachten, bemerkten ſie nicht, daß durch das Eigenthum der Eigenwille eine ſichere Zu¬ fluchtsſtätte erhielt.

Indem die Socialiſten auch das Eigenthum wegnehmen, beachten ſie nicht, daß dieſes ſich in der Eigenheit eine Fortdauer ſichert. Iſt denn bloß Geld und Gut ein Eigen¬ thum, oder iſt jede Meinung ein Mein, ein Eigenes?

Es muß alſo jede Meinung aufgehoben oder unperſön¬ lich gemacht werden. Der Perſon gebührt keine Meinung, ſondern wie der Eigenwille auf den Staat, das Eigenthum auf die Geſellſchaft übertragen wurde, ſo muß die Meinung170 auch auf ein Allgemeines, den Menſchen , übertragen und dadurch allgemein menſchliche Meinung werden.

Bleibt die Meinung beſtehen, ſo habe Ich meinen Gott (Gott iſt ja nur als mein Gott , iſt eine Meinung oder mein Glaube ); alſo meinen Glauben, meine Reli¬ gion, meine Gedanken, meine Ideale. Darum muß ein all¬ gemein menſchlicher Glaube entſtehen, der Fanatismus der Freiheit . Dieß wäre nämlich ein Glaube, welcher mit dem Weſen des Menſchen übereinſtimmte, und weil nur der Menſch vernünftig iſt (Ich und Du könnten ſehr unvernünftig ſein!), ein vernünftiger Glaube.

Wie Eigenwille und Eigenthum machtlos werden, ſo muß die Eigenheit oder der Egoismus überhaupt es werden.

In dieſer höchſten Entwicklung des freien Menſchen wird der Egoismus, die Eigenheit, principiell bekämpft, und ſo untergeordnete Zwecke, wie die ſociale Wohlfahrt der So¬ cialiſten u. ſ. w. verſchwinden gegen die erhabene Idee der Menſchheit . Alles, was nicht ein allgemein Menſchliches iſt, iſt etwas Apartes, befriedigt nur Einige oder Einen, oder wenn es Alle befriedigt, ſo thut es dieß an ihnen nur als Einzelnen, nicht als Menſchen, und heißt deshalb ein Egoiſtiſches .

Den Socialiſten iſt noch die Wohlfahrt das höchſte Ziel, wie den politiſchen Liberalen der freie Wettſtreit das Genehme war; die Wohlfahrt iſt nun auch frei, und was ſie haben will, mag ſie ſich verſchaffen, wie, wer in den Wettſtreit (Concurrenz) ſich einlaſſen wollte, ihn erwählen konnte.

Allein an dem Wettſtreit Theil zu nehmen, braucht Ihr nur Bürger, an der Wohlfahrt Theil zu nehmen, nur Ar¬ beiter zu ſein. Beides iſt noch nicht gleichbedeutend mit171 Menſch . Dem Menſchen iſt erſt wahrhaft wohl , wenn er auch geiſtig frei iſt! Denn der Menſch iſt Geiſt, darum müſſen alle Mächte, die ihm, dem Geiſte, fremd ſind, alle übermenſchlichen, himmliſchen, unmenſchlichen Mächte müſſen geſtürzt werden, und der Name Menſch muß über alle Na¬ men ſein.

So kehrt in dieſem Ende der Neuzeit (Zeit der Neuen) als Hauptſache wieder, was im Anfange derſelben Hauptſache geweſen war: die geiſtige Freiheit .

Dem Communiſten insbeſondere ſagt der humane Liberale: Schreibt Dir die Geſellſchaft Deine Thätigkeit vor, ſo iſt dieſe zwar vom Einfluß der Einzelnen, d. h. der Egoiſten frei, aber es braucht darum noch keine rein menſchliche Thätigkeit, und Du noch nicht ein völliges Organ der Menſchheit zu ſein. Welcherlei Thätigkeit die Geſellſchaft von Dir fordert, das bleibt ja noch zufällig: ſie könnte Dich bei einem Tempel¬ bau u. dergl. anſtellen, oder, wenn auch das nicht, ſo könnteſt Du doch aus eigenem Antriebe für eine Narrheit, alſo Un¬ menſchlichkeit thätig ſein; ja noch mehr, Du arbeiteſt wirklich nur, um Dich zu nähren, überhaupt, um zu leben, um des lieben Lebens willen, nicht zur Verherrlichung der Menſchheit. Mithin iſt die freie Thätigkeit erſt dann erreicht, wenn Du Dich von allen Dummheiten frei machſt, von allem Nicht¬ menſchlichen, d. h. Egoiſtiſchen (nur dem Einzelnen, nicht dem Menſchen im Einzelnen Angehörigen) Dich befreiſt, alle den Menſchen oder die Menſchheits-Idee verdunkelnden, unwahren Gedanken auflöſeſt, kurz, wenn Du nicht bloß ungehemmt biſt in Deiner Thätigkeit, ſondern auch der Inhalt Deiner Thätig¬ keit nur Menſchliches iſt, und Du nur für die Menſchheit lebſt und wirkſt. Das iſt aber nicht der Fall, ſo lange das Ziel172 deines Strebens nur deine und Aller Wohlfahrt iſt: was Du für die Lumpengeſellſchaft thuſt, das iſt für die menſchliche Geſellſchaft noch nichts gethan.

Das Arbeiten allein macht Dich nicht zum Menſchen, weil es etwas Formelles und ſein Gegenſtand zufällig iſt, ſon¬ dern es kommt darauf an, wer Du, der Arbeitende, biſt. Ar¬ beiten überhaupt kannſt Du aus egoiſtiſchem (materiellem) An¬ triebe, bloß um Dir Nahrung u. dergl. zu verſchaffen: es muß eine die Menſchheit fördernde, auf das Wohl der Menſchheit berechnete, der geſchichtlichen, d. h. menſchlichen Entwicklung dienende, kurz eine humane Arbeit ſein. Dazu gehört zweier¬ lei, einmal daß ſie der Menſchheit zu Gute komme, zum An¬ dern, daß ſie von einem Menſchen ausgehe. Das Erſtere allein kann bei jeder Arbeit der Fall ſein, da auch die Arbeiten der Natur, z. B. der Thiere, von der Menſchheit zur Förde¬ rung der Wiſſenſchaft u. ſ. f. benutzt werden; das Zweite er¬ fordert, daß der Arbeitende den menſchlichen Zweck ſeiner Arbeit wiſſe, und da er dieß Bewußtſein nur haben kann, wenn er ſich als Menſch weiß, ſo iſt die entſcheidende Bedingung das Selbſtbewußtſein.

Gewiß iſt ſchon viel erreicht, wenn Du aufhörſt ein Stückarbeiter zu ſein, aber Du überſiehſt damit doch nur das Ganze deiner Arbeit, und erwirbſt ein Bewußtſein über dieſelbe, was von einem Selbſtbewußtſein, einem Bewußtſein über dein wahres Selbſt oder Weſen , den Menſchen, noch weit entfernt iſt. Dem Arbeiter bleibt noch das Verlan¬ gen nach einem höheren Bewußtſein , das er, weil die Arbeits¬ thätigkeit es nicht zu ſtillen vermag, in einer Feierſtunde be¬ friedigt. Daher ſteht ſeiner Arbeit das Feiern zur Seite, und er ſieht ſich gezwungen, in Einem Athem das Arbeiten und173 das Faulenzen für menſchlich auszugeben, ja dem Faulenzer, dem Feiernden, die wahre Erhebung beizumeſſen. Er arbeitet nur, um von der Arbeit loszukommen: er will die Arbeit nur frei machen, um von der Arbeit frei zu werden.

Genug, ſeine Arbeit hat keinen befriedigenden Gehalt, weil ſie nur von der Geſellſchaft aufgetragen, nur ein Penſum, eine Aufgabe, ein Beruf iſt, und umgekehrt, ſeine Geſellſchaft befriedigt nicht, weil ſie nur zu arbeiten giebt.

Die Arbeit müßte ihn als Menſchen befriedigen: ſtatt deſſen befriedigt ſie die Geſellſchaft; die Geſellſchaft müßte ihn als Menſchen behandeln, und ſie behandelt ihn als lum¬ pigen Arbeiter oder arbeitenden Lump.

Arbeit und Geſellſchaft ſind ihm nur nütze, nicht wie er als Menſch, ſondern wie er als Egoiſt ihrer bedarf.

So die Kritik gegen das Arbeiterthum. Sie weiſt auf den Geiſt hin, führt den Kampf des Geiſtes mit der Maſſe *)Lit. Ztg. V, 24. und erklärt die communiſtiſche Arbeit für geiſtloſe Maſſenarbeit. Arbeitsſcheu, wie ſie iſt, liebt es die Maſſe, ſich die Arbeit leicht zu machen. In der Literatur, die heute maſſenweiſe geliefert wird, erzeugt jene Arbeitsſcheu die allbe¬ kannte Oberflächlichkeit, welche die Mühe der Forſchung von ſich weiſt**)Lit. Ztg. ebendaſelbſt..

Darum ſagt der humane Liberalismus: Ihr wollt die Ar¬ beit; wohlan, Wir wollen ſie gleichfalls, aber Wir wollen ſie in vollſtem Maaße. Wir wollen ſie nicht, um Muße zu gewin¬ nen, ſondern um in ihr ſelber alle Genugthuung zu finden. Wir wollen die Arbeit, weil ſie unſere Selbſtentwicklung iſt.

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Aber die Arbeit muß dann auch darnach ſein! Es ehrt den Menſchen nur die menſchliche, die ſelbſtbewußte Arbeit, nur die Arbeit, welche keine egoiſtiſche Abſicht, ſondern den Menſchen zum Zwecke hat, und die Selbſtoffenbarung des Menſchen iſt, ſo daß es heißen muß: laboro, ergo sum. Ich arbeite, d. h. Ich bin Menſch. Der Humane will die alle Materie verarbeitende Arbeit des Geiſtes, den Geiſt, der kein Ding in Ruhe oder in ſeinem Beſtande läßt, der ſich bei nichts beruhigt, alles auflöſt, jedes gewonnene Reſultat von neuem kritiſirt. Dieſer ruheloſe Geiſt iſt der wahre Arbeiter, er vertilgt die Vorurtheile, zerſchmettert die Schranken und Beſchränktheiten, und erhebt den Menſchen über Alles, was ihn beherrſchen möchte, indeß der Communiſt nur für ſich, und nicht einmal frei, ſondern aus Noth arbeitet, kurz einen Zwangs¬ arbeiter vorſtellt.

Der Arbeiter ſolchen Schlages iſt nicht egoiſtiſch , weil er nicht für Einzelne, weder für ſich noch für andere Einzelne, alſo nicht für private Menſchen arbeitet, ſondern für die Menſchheit und den Fortſchritt derſelben: er lindert nicht ein¬ zelne Schmerzen, ſorgt nicht für einzelne Bedürfniſſe, ſondern hebt Schranken hinweg, in denen die Menſchheit eingepreßt iſt, zerſtreut Vorurtheile, die eine ganze Zeit beherrſchen, über¬ windet Hemmniſſe, die Allen den Weg verlegen, beſeitigt Irr¬ thümer, in denen ſich die Menſchen verfangen, entdeckt Wahr¬ heiten, welche für Alle und alle Zeit durch ihn gefunden wer¬ den, kurz er lebt und arbeitet für die Menſchheit.

Für's Erſte nun weiß der Entdecker einer großen Wahr¬ heit wohl, daß ſie den andern Menſchen nützlich ſein könne, und da ihm ein neidiſches Vorenthalten keinen Genuß verſchafft, ſo theilt er ſie mit; aber wenn er auch das Bewußtſein hat,175 daß ſeine Mittheilung für die Andern höchſt werthvoll ſei, ſo hat er doch ſeine Wahrheit keinesfalls um der Andern willen geſucht und gefunden, ſondern um ſeinetwillen, weil ihn ſelbſt danach verlangte, weil ihm das Dunkel und der Wahn keine Ruhe ließ, bis er nach ſeinen beſten Kräften ſich Licht und Aufklärung verſchafft hatte.

Er arbeitete alſo um ſeinetwillen und zur Befriedigung ſeines Bedürfniſſes. Daß er damit auch Andern, ja der Nachwelt nützlich war, nimmt ſeiner Arbeit den egoiſtiſchen Charakter nicht.

Für's Andere, wenn doch auch er nur ſeinetwegen arbei¬ tete, warum wäre ſeine That menſchlich, die der Andern un¬ menſchlich, d. h. egoiſtiſch? Etwa darum, weil dieſes Buch, Gemälde, Symphonie u. ſ. w. die Arbeit ſeines ganzen We¬ ſens iſt, weil er ſein Beſtes dabei gethan, ſich ganz hingelegt hat und ganz daraus zu erkennen iſt, während das Werk eines Handwerkers nur den Handwerker, d. h. die Handwerksfertig¬ keit, nicht den Menſchen abſpiegelt? In ſeinen Dichtungen haben Wir den ganzen Schiller, in ſo und ſo viel hundert Oefen haben Wir dagegen nur den Ofenſetzer vor Uns, nicht den Menſchen .

Heißt dieß aber mehr als: in dem einen Werke ſeht Ihr Mich möglichſt vollſtändig, in dem andern nur meine Fertig¬ keit? Bin Ich es nicht wiederum, den die That ausdrückt? Und iſt es nicht egoiſtiſcher, ſich der Welt in einem Werke darzubieten, ſich auszuarbeiten und zu geſtalten, als hinter ſeiner Arbeit verſteckt zu bleiben? Du ſagſt freilich, Du offen¬ bareſt den Menſchen. Allein der Menſch, den Du offenbarſt, biſt Du; Du offenbarſt nur Dich, jedoch mit dem Unterſchiede vom Handwerker, daß dieſer ſich nicht in Eine Arbeit zuſam¬176 menzupreſſen verſteht, ſondern, um als er ſelbſt erkannt zu werden, in ſeinen ſonſtigen Lebensbeziehungen aufgeſucht wer¬ den muß, und daß dein Bedürfniß, durch deſſen Befriedigung jenes Werk zu Stande kam, ein theoretiſches war.

Aber Du wirſt erwidern, daß Du einen ganz andern, einen würdigern, höheren, größeren Menſchen offenbareſt, einen Menſchen, der mehr Menſch ſei, als jener Andere. Ich will annehmen, daß Du das Menſchenmögliche vollführeſt, daß Du zu Stande bringeſt, was keinem Andern gelingt. Worin be¬ ſteht denn deine Größe? Gerade darin, daß Du mehr biſt als andere Menſchen (die Maſſe ), mehr biſt, als Men¬ ſchen gewöhnlich ſind, mehr als gewöhnliche Menſchen , gerade in deiner Erhabenheit über den Menſchen. Vor an¬ dern Menſchen zeichneſt Du Dich nicht dadurch aus, daß Du Menſch biſt, ſondern weil Du ein einziger Menſch biſt. Du zeigſt wohl, was ein Menſch leiſten kann, aber weil Du, ein Menſch, das leiſteſt, darum können Andere, auch Menſchen, es noch keineswegs leiſten: Du haſt es nur als einziger Menſch verrichtet und biſt darin einzig.

Nicht der Menſch macht deine Größe aus, ſondern Du erſchaffſt ſie, weil Du mehr biſt, als Menſch, und gewaltiger, als andere Menſchen.

Man glaubt nicht mehr ſein zu können, als Menſch. Vielmehr kann man nicht weniger ſein!

Man glaubt ferner, was man immer auch erreiche, das komme dem Menſchen zu Gute. In ſo fern Ich jederzeit Menſch bleibe, oder, wie Schiller, Schwabe, wie Kant, Preuße, wie Guſtav Adolph, Kurzſichtiger, ſo werde Ich durch meine Vorzüge freilich ein ausgezeichneter Menſch, Schwabe, Preuße oder Kurzſichtiger. Aber damit ſteht's nicht viel beſſer, wie177 mit Friedrich des Großen Krückſtock, der um Friedrich's willen berühmt wurde.

Dem Gebt Gott die Ehre entſpricht das Moderne: Gebt dem Menſchen die Ehre . Ich aber denke ſie für Mich zu behalten.

Indem die Kritik an den Menſchen die Aufforderung er¬ gehen läßt, menſchlich zu ſein, ſpricht ſie die nothwendige Bedingung der Geſelligkeit aus; denn nur als Menſch unter Menſchen iſt man umgänglich. Hiermit giebt ſie ihren ſo¬ cialen Zweck kund, die Herſtellung der menſchlichen Ge¬ ſellſchaft .

Unter den Socialtheorieen iſt unſtreitig die Kritik die voll¬ endetſte, weil ſie Alles entfernt und entwerthet, was den Men¬ ſchen vom Menſchen trennt: alle Vorrechte bis auf das Vor¬ recht des Glaubens. In ihr kommt das Liebesprincip des Chriſtenthums, das wahre Socialprincip, zum reinſten Voll¬ zug, und es wird das letzte mögliche Experiment gemacht, die Ausſchließlichkeit und das Abſtoßen den Menſchen zu benehmen: ein Kampf gegen den Egoismus in ſeiner einfachſten und darum härteſten Form, in der Form der Einzigkeit, der Aus¬ ſchließlichkeit, ſelber.

Wie könnt Ihr wahrhaft geſellſchaftlich leben, ſo lange auch nur Eine Ausſchließlichkeit zwiſchen Euch noch beſteht?

Ich frage umgekehrt: Wie könnt Ihr wahrhaft einzig ſein, ſo lange auch nur Ein Zuſammenhang zwiſchen Euch noch beſteht? Hängt Ihr zuſammen, ſo könnt Ihr nicht von einander, umſchließt Euch ein Band , ſo ſeid Ihr nur ſelb¬ ander etwas, und Euer Zwölf machen ein Dutzend, Euer Tauſende ein Volk, Euer Millionen die Menſchheit.

12178

Nur wenn Ihr menſchlich ſeid, könnt Ihr als Menſchen mit einander umgehen, wie Ihr nur, wenn Ihr patriotiſch ſeid, als Patrioten Euch verſtehen könnt!

Wohlan, ſo entgegne Ich: Nur wenn Ihr einzig ſeid, könnt Ihr als das, was Ihr ſeid, mit einander verkehren.

Gerade der ſchärfſte Kritiker wird am ſchwerſten von dem Fluche ſeines Princips getroffen werden. Indem er ein Aus¬ ſchließliches nach dem andern von ſich thut, Kirchlichkeit, Pa¬ triotismus u. ſ. w. abſchüttelt, löſt er ein Band nach dem andern auf und ſondert ſich vom Kirchlichen, vom Patrioten u. ſ. w. ab, bis er zuletzt, nachdem alle Bande geſprengt ſind, allein ſteht. Er gerade muß Alle ausſchließen, die etwas Ausſchließliches oder Privates haben, und was kann am Ende ausſchließlicher ſein, als die ausſchließliche, einzige Perſon ſelber!

Oder meint er etwa, daß es beſſer ſtände, wenn Alle Menſchen würden und die Ausſchließlichkeit aufgäben? Eben darum, weil Alle bedeutet jeder Einzelne , bleibt ja der grellſte Widerſpruch erhalten, denn der Einzelne iſt die Aus¬ ſchließlichkeit ſelber. Läßt der Humane dem Einzelnen nichts Privates oder Ausſchließliches, keinen Privatgedanken, keine Privatnarrheit mehr gelten, kritiſirt er ihm Alles vor der Naſe weg, da ſein Haß gegen das Private ein abſoluter und ein fanatiſcher iſt, kennt er keine Toleranz gegen Privates, weil alles Private unmenſchlich iſt: ſo kann er doch die Privatperſon ſelbſt nicht wegkritiſiren, da die Härte der einzel¬ nen Perſon ſeiner Kritik widerſteht, und er muß ſich damit begnügen, dieſe Perſon für eine Privatperſon zu erklären, und ihr wirklich alles Private wieder überlaſſen.

Was wird die Geſellſchaft, die ſich um nichts Privates179 mehr bekümmert, thun? Das Private unmöglich machen? Nein, ſondern es dem Geſellſchaftsintereſſe unterordnen und z. B. dem Privatwillen überlaſſen, Feiertage, ſo viel wie er will, zu ſetzen, wenn er nur nicht mit dem allgemeinen In¬ tereſſe in Colliſion tritt. *)Bruno Bauer: Judenfrage. S. 66.Alles Private wird freigelaſ¬ ſen, d. h. es hat für die Geſellſchaft kein Intereſſe.

Durch ihre Abſperrung gegen die Wiſſenſchaft haben die Kirche und Religioſität ausgeſprochen, daß ſie ſind, was ſie immer waren, was ſich aber unter einem andern Scheine ver¬ barg, wenn ſie für die Baſis und nothwendige Begründung des Staats ausgegeben wurden eine reine Privatange¬ legenheit. Auch damals, als ſie mit dem Staate zuſammen¬ hingen und dieſen zum chriſtlichen machten, waren ſie nur der Beweis, daß der Staat noch nicht ſeine allgemeine politiſche Idee entwickelt habe, daß er nur Privatrechte ſetze ſie waren nur der höchſte Ausdruck dafür, daß der Staat eine Privatſache ſei und nur mit Privatſachen zu thun habe. Wenn der Staat endlich den Muth und die Kraft haben wird, ſeine allgemeine Beſtimmung zu erfüllen und frei zu ſein, wenn er alſo auch im Stande iſt, den beſondern Intereſſen und Privat¬ angelegenheiten ihre wahre Stellung zu geben dann werden Religion und Kirche frei ſein, wie ſie es bisher noch nie ge¬ weſen. Als die reinſte Privatangelegenheit und Befriedigung des rein perſönlichen Bedürfniſſes werden ſie ſich ſelbſt über¬ laſſen ſein, und jeder Einzelne, jede Gemeinde und Kirchenge¬ meinſchaft werden für die Seligkeit der Seele ſorgen können, wie ſie wollen und wie ſie es für nöthig halten. Für ſeiner Seele Seligkeit wird Jeder ſorgen, ſo weit es ihm perſönliches12

180Bedürfniß iſt, und als Seelſorger denjenigen annehmen und beſolden, der ihm die Befriedigung ſeines Bedürfniſſes am beſten zu garantiren ſcheint. Die Wiſſenſchaft wird endlich ganz aus dem Spiel gelaſſen. *) Bruno Bauer: Die gute Sache der Freiheit. S. 62 63.

Was ſoll jedoch werden? Soll das geſellſchaftliche Leben ein Ende haben und alle Umgänglichkeit, alle Verbrüderung, alles, was durch das Liebes - oder Societätsprincip geſchaffen wird, verſchwinden?

Als ob nicht immer Einer den Andern ſuchen wird, weil er ihn braucht, als ob nicht Einer in den Andern ſich fügen muß, wenn er ihn braucht. Der Unterſchied iſt aber der, daß dann wirklich der Einzelne ſich mit dem Einzelnen ver¬ einigt, indeß er früher durch ein Band mit ihnen verbun¬ den war: Sohn und Vater umfängt vor der Mündigkeit ein Band, nach derſelben können ſie ſelbſtſtändig zuſammentreten, vor ihr gehörten ſie als Familienglieder zuſammen (waren die Hörigen der Familie), nach ihr vereinigen ſie ſich als Egoiſten, Sohnſchaft und Vaterſchaft bleiben, aber Sohn und Vater binden ſich nicht mehr daran.

Das letzte Privilegium iſt in Wahrheit der Menſch ; mit ihm ſind Alle privilegirt oder belehnt. Denn, wie Bruno Bauer ſelbſt ſagt: Das Prilegium bleibt, wenn es auch auf Alle ausgedehnt wird. **) Judenfrage. S. 60.

So verläuft der Liberalismus in folgenden Wandlungen:

Erſtens: Der Einzelne iſt nicht der Menſch, darum gilt ſeine einzelne Perſönlichkeit nichts: kein perſönlicher Wille, keine Willkühr, kein Befehl oder Ordonnance!

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Zweitens: Der Einzelne hat nichts Menſchliches, darum gilt kein Mein und Dein oder Eigenthum.

Drittens: Da der Einzelne weder Menſch iſt noch Menſch¬ liches hat, ſo ſoll er überhaupt nicht ſein, ſoll als ein Egoiſt mit ſeinem Egoiſtiſchen durch die Kritik vernichtet werden, um dem Menſchen, dem jetzt erſt gefundenen Menſchen Platz zu machen.

Obgleich aber der Einzelne nicht Menſch iſt, ſo iſt der Menſch in dem Einzelnen doch vorhanden und hat, wie jeder Spuk und alles Göttliche, an ihm ſeine Exiſtenz. Daher ſpricht der politiſche Liberalismus dem Einzelnen Alles zu, was ihm als Menſchen von Geburt , als geborenem Men¬ ſchen zukommt, wohin denn Gewiſſensfreiheit, Beſitz u. ſ. w., kurz die Menſchenrechte gerechnet werden; der Socialismus vergönnt dem Einzelnen, was ihm als thätigem Menſchen, als arbeitendem Menſchen zukommt; endlich der humane Liberalismus giebt dem Einzelnen, was er als Menſch hat, d. h. Alles, was der Menſchheit gehört. Mithin hat der Einzige gar nichts, die Menſchheit Alles, und es wird die Nothwendigkeit der im Chriſtenthum gepredigten Wiedergeburt unzweideutig und im vollkommenſten Maaße gefordert. Werde eine neue Creatur, werde Menſch !

Sogar an den Schluß des Vaterunſers könnte man ſich erinnert glauben. Dem Menſchen gehört die Herrſchaft (die Kraft oder Dynamis); darum darf kein Einzelner Herr ſein, ſondern der Menſch iſt der Herr der Einzelnen ; des Menſchen iſt das Reich, d. h. die Welt, deshalb ſoll der Einzelne nicht Eigenthümer ſein, ſondern der Menſch, Alle , gebietet über die Welt als Eigenthum ; dem Menſchen gebührt von Allem der Ruhm, die Verherrlichung oder182 Herrlichkeit (Doxa), denn der Menſch oder die Menſchheit iſt der Zweck des Einzelnen, für den er arbeitet, denkt, lebt, und zu deſſen Verherrlichung er Menſch werden muß.

Die Menſchen haben bisher immer geſtrebt, eine Gemein¬ ſchaft ausfindig zu machen, worin ihre ſonſtigen Ungleichheiten unweſentlich würden; ſie ſtrebten nach Ausgleichung, mithin nach Gleichheit, und wollten Alle unter Einen Hut kom¬ men, was nichts Geringeres bedeutet, als daß ſie Einen Herrn ſuchten, Ein Band, Einen Glauben ( Wir glauben all' an Einen Gott ). Etwas Gemeinſchaftlicheres oder Gleicheres kann es für die Menſchen nicht geben, als den Menſchen ſelbſt, und in dieſer Gemeinſchaft hat der Liebesdrang ſeine Befriedigung gefunden: er raſtete nicht, bis er dieſe letzte Aus¬ gleichung herbeigeführt, alle Ungleichheit geebnet, den Menſchen dem Menſchen an die Bruſt gelegt hatte. Gerade unter dieſer Gemeinſchaft aber wird der Verfall und das Zerfallen am ſchreiendſten. Bei einer beſchränkteren Gemeinſchaft ſtand noch der Franzoſe gegen den Deutſchen, der Chriſt gegen den Mu¬ hamedaner u. ſ. w. Jetzt hingegen ſteht der Menſch gegen die Menſchen, oder, da die Menſchen nicht der Menſch ſind, ſo ſteht der Menſch gegen den Unmenſchen.

Dem Satze: Gott iſt Menſch geworden folgt nun der andere: der Menſch iſt Ich geworden . Dieß iſt das menſchliche Ich. Wir aber kehren's um und ſagen: Ich habe Mich nicht finden können, ſo lange Ich Mich als Men¬ ſchen ſuchte. Nun ſich aber zeigt, daß der Menſch darnach trachtet, Ich zu werden und in Mir eine Leibhaftigkeit zu ge¬ winnen, merke Ich wohl, daß doch Alles auf Mich ankommt, und der Menſch ohne Mich verloren iſt. Ich mag aber nicht zum Schrein dieſes Allerheiligſten Mich hingeben und werde183 hinfort nicht fragen, ob Ich in Meiner Bethätigung Menſch oder Unmenſch ſei: es bleibe mir dieſer Geiſt vom Halſe!

Der humane Liberalismus geht radical zu Werke. Wenn Du auch nur in Einem Punkte etwas Beſonderes ſein oder haben willſt, wenn Du auch nur Ein Vorrecht vor Andern Dir bewahren, nur Ein Recht in Anſpruch nehmen willſt, das nicht ein allgemeines Menſchenrecht iſt, ſo biſt Du ein Egoiſt.

Recht ſo! Ich will nichts Beſonderes vor Andern haben oder ſein, Ich will kein Vorrecht gegen ſie beanſpruchen, aber Ich meſſe Mich auch nicht an Andern, und will überhaupt kein Recht haben. Ich will Alles ſein und Alles haben, was ich ſein und haben kann. Ob Andere Aehnliches ſind und haben, was kümmert's Mich? Das Gleiche, daſſelbe können ſie weder ſein, noch haben. Ich thue Ihnen keinen Abbruch, wie Ich dem Felſen dadurch keinen Abbruch thue, daß Ich die Bewegung vor ihm voraus habe . Wenn ſie es haben könnten, ſo hätten ſie's.

Den andern Menſchen keinen Abbruch zu thun, darauf kommt die Forderung hinaus, kein Vorrecht zu beſitzen. Allem Voraushaben zu entſagen, die ſtrengſte Entſagungs - Theorie. Man ſoll ſich nicht für etwas Beſonderes halten, wie z. B. Jude oder Chriſt. Nun, Ich halte Mich nicht für etwas Beſonderes, ſondern für einzig. Ich habe wohl Aehnlichkeit mit Andern; das gilt jedoch nur für die Ver¬ gleichung oder Reflexion; in der That bin Ich unvergleichlich, einzig. Mein Fleiſch iſt nicht ihr Fleiſch, mein Geiſt iſt nicht ihr Geiſt. Bringt Ihr ſie unter die Allgemeinheiten Fleiſch, Geiſt , ſo ſind das eure Gedanken, die mit meinem Fleiſche, meinem Geiſte nichts zu ſchaffen haben, und184 am wenigſten an das Meinige einen Beruf ergehen laſſen können.

Ich will an Dir nichts anerkennen oder reſpectiren, weder den Eigenthümer, noch den Lump, noch auch nur den Men¬ ſchen, ſondern Dich verbrauchen. Am Salz finde Ich, daß es die Speiſen Mir ſchmackhaft macht, darum laſſe Ich's zer¬ gehen; im Fiſche erkenne Ich ein Nahrungsmittel, darum ver¬ ſpeiſe Ich ihn; an Dir entdecke Ich die Gabe, Mir das Leben zu erheitern, daher wähle Ich Dich zum Gefährten. Oder am Salze ſtudire Ich die Kryſtalliſation, am Fiſche die Ani¬ malität, an Dir die Menſchen u. ſ. w. Mir biſt Du nur dasjenige, was Du für Mich biſt, nämlich mein Gegenſtand, und weil mein Gegenſtand, darum mein Eigenthum.

Im humanen Liberalismus vollendet ſich die Lumperei. Wir müſſen erſt auf das Lumpigſte, Armſeligſte herunter¬ kommen, wenn Wir zur Eigenheit gelangen wollen, denn Wir müſſen alles Fremde ausziehen. Lumpiger aber ſcheint nichts, als der nackte Menſch.

Mehr als Lumperei iſt es indeſſen, wenn Ich auch den Menſchen wegwerfe, weil ich fühle, daß auch er Mir fremd iſt, und daß Ich Mir darauf nichts einbilden darf. Es iſt das nicht mehr bloß Lumperei: weil auch der letzte Lumpen abgefallen iſt, ſo ſteht die wirkliche Nacktheit, die Entblößung von allem Fremden da. Der Lump hat die Lumperei ſelbſt aus¬ gezogen und damit aufgehört zu ſein, was er war, ein Lump.

Ich bin nicht mehr Lump, ſondern bin's geweſen.

Bis zur Stunde konnte die Zwietracht deshalb nicht zum Ausbruch kommen, weil eigentlich nur ein Streit neuer Libe¬185 raler mit veralteten Liberalen vorhanden iſt, ein Streit derer, welche die Freiheit in kleinem Maaße verſtehen, und derer, welche das volle Maaß der Freiheit wollen, alſo der Ge¬ mäßigten und Maaßloſen. Alles dreht ſich um die Frage: Wie frei muß der Menſch ſein? Daß der Menſch frei ſein müſſe, daran glauben Alle; darum ſind auch Alle liberal. Aber der Unmenſch, der doch in jedem Einzelnen ſteckt, wie dämmt man den? Wie ſtellt man's an, daß man nicht mit dem Menſchen zugleich den Unmenſchen frei läßt?

Der geſammte Liberalismus hat einen Todfeind, einen unüberwindlichen Gegenſatz, wie Gott den Teufel: dem Men¬ ſchen ſteht der Unmenſch, der Einzelne, der Egoiſt ſtets zur Seite. Staat, Geſellſchaft, Menſchheit bewältigen dieſen Teufel nicht.

Der humane Liberalismus verfolgt die Aufgabe, den an¬ dern Liberalen zu zeigen, daß ſie immer noch nicht die Frei¬ heit wollen.

Hatten die andern Liberalen nur vereinzelten Egoismus vor Augen, und waren für ſie den größten Theil blind, ſo hat der radicale Liberalismus den Egoismus in Maſſe gegen ſich, wirft Alle, die nicht die Sache der Freiheit, wie er, zur eigenen machen, unter die Maſſe, ſo daß jetzt Menſch und Unmenſch ſtreng geſchieden als Feinde gegen einander ſtehen, nämlich die Maſſe und die Kritik *)Lit. Ztg. V. 23; dazu V, 12 ff.; und zwar die freie, menſchliche Kritik , wie ſie (Judenfrage S. 114) genannt wird, gegenüber der rohen, z. B. religiöſen Kritik.

Die Kritik ſpricht die Hoffnung aus, daß ſie über die ganze Maſſe ſiegen und ihr ein allgemeines Armuthszeugniß186 ausſtellen werde . *)Lit. Ztg. V, 15.Sie will alſo zuletzt Recht behalten und allen Streit der Muthloſen und Zaghaften als eine egoiſti¬ ſche Rechthaberei darſtellen, als Kleinlichkeit, Armſeligkeit. Aller Hader verliert an Bedeutung und die kleinlichen Zwiſtig¬ keiten werden aufgegeben, weil in der Kritik ein gemeinſamer Feind ins Feld rückt. Ihr ſeid alleſammt Egoiſten, einer nicht beſſer als der andere! Nun ſtehen die Egoiſten zuſam¬ men gegen die Kritik.

Wirklich die Egoiſten? Nein, ſie kämpfen gerade darum gegen die Kritik, weil dieſe ſie des Egoismus beſchuldigt; ſie ſind des Egoismus nicht geſtändig. Mithin ſtehen Kritik und Maſſe auf derſelben Baſis: beide kämpfen gegen den Egois¬ mus, beide weiſen ihn von ſich ab, und ſchieben ihn einan¬ der zu.

Die Kritik und die Maſſe verfolgen daſſelbe Ziel, Freiheit vom Egoismus, und hadern nur darüber, wer von ihnen dem Ziele ſich am meiſten nähere oder gar es erreiche.

Die Juden, die Chriſten, die Abſolutiſten, die Dunkel¬ männer und Lichtmänner, Politiker, Communiſten, kurz Alle halten den Vorwurf des Egoismus von ſich fern, und da nun die Kritik dieſen Vorwurf ihnen unverblümt und im ausge¬ dehnteſten Sinne macht, ſo rechtfertigen ſich Alle gegen die Anſchuldigung des Egoismus, und bekämpfen den Egois¬ mus, denſelben Feind, mit welchem die Kritik Krieg führt.

Egoiſtenfeinde ſind beide, Kritik und Maſſe, und beide ſuchen ſich vom Egoismus zu befreien, ſowohl dadurch, daß ſie ſich reinigen oder reinwaſchen, als dadurch, daß ſie ihn der Gegenpartei zuſchreiben.

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Der Kritiker iſt der wahre Wortführer der Maſſe , der ihr den einfachen Begriff und die Redensart des Egoismus giebt, wogegen die Wortführer, welchen Lit. Ztg. V, 24 der Triumph abgeſprochen wird, nur Stümper waren. Er iſt ihr Fürſt und Feldherr in dem Freiheitskriege gegen den Egoismus; wogegen er kämpft, dagegen kämpft auch ſie. Er iſt aber zu¬ gleich auch ihr Feind, nur nicht der Feind vor ihr, ſondern der befreundete Feind, der die Knute hinter den Zaghaften führt, um ihnen Muth zu erzwingen.

Dadurch reducirt ſich der Gegenſatz der Kritik und der Maſſe auf folgende Gegenrede: Ihr ſeid Egoiſten! Nein, Wir ſind's nicht! Ich will's Euch beweiſen! Du ſollſt unſere Rechtfertigung erfahren!

Nehmen Wir denn beide, wofür ſie ſich ausgeben, für Nichtegoiſten, und wofür ſie einander nehmen, für Egoiſten. Sie ſind Egoiſten und ſind's nicht.

Die Kritik ſagt eigentlich: Du mußt dein Ich ſo gänz¬ lich von aller Beſchränktheit befreien, daß es ein menſchli¬ ches Ich wird. Ich ſage: Befreie Dich ſo weit Du kannſt, ſo haſt Du das Deinige gethan; denn nicht Jedem iſt es ge¬ geben, alle Schranken zu durchbrechen, oder ſprechender: Nicht Jedem iſt das eine Schranke, was für den Andern eine iſt. Folglich mühe Dich nicht an den Schranken Anderer ab; ge¬ nug, wenn Du die deinigen niererreißeſt. Wem iſt es jemals gelungen, auch nur eine Schranke für alle Menſchen nie¬ derzureißen? Laufen nicht heute wie zu jeder Zeit Unzählige mit allen Schranken der Menſchheit herum? Wer eine ſei¬ ner Schranken umwirft, der kann Andern Weg und Mittel gezeigt haben; das Umwerfen ihrer Schranken bleibt ihre Sache. Auch thut Keiner etwas Anderes. Den Leuten zu¬188 muthen, daß ſie ganz Menſchen werden, heißt ſie auffordern, alle menſchlichen Schranken zu ſtürzen. Das iſt unmöglich, weil der Menſch keine Schranken hat. Ich habe zwar deren, aber Mich gehen auch nur die meinigen etwas an, und nur ſie können von Mir bezwungen werden. Ein menſch¬ liches Ich kann Ich nicht werden, weil Ich eben Ich und nicht bloß Menſch bin.

Doch ſehen Wir noch, ob die Kritik Uns nicht etwas gelehrt hat, das Wir beherzigen können! Frei bin Ich nicht, wenn Ich nicht intereſſelos, Menſch nicht, wenn Ich nicht unintereſſirt bin? Nun, verſchlägt es Mir auch wenig, frei oder Menſch zu ſein, ſo will Ich doch keine Gelegenheit, Mich durchzuſetzen oder geltend zu machen, ungenutzt vorbeilaſſen. Die Kritik bietet Mir dieſe Gelegenheit durch die Lehre, daß, wenn ſich etwas in Mir feſtſetzt und unauflöslich wird, Ich der Gefangene und Knecht deſſelben, d. h. ein Beſeſſener, werde. Ein Intereſſe, es ſei wofür es wolle, hat an Mir, wenn Ich nicht davon loskommen kann, einen Sklaven erbeu¬ tet, und iſt nicht mehr mein Eigenthum, ſondern Ich bin das ſeine. Nehmen wir daher die Weiſung der Kritik an, keinen Theil unſers Eigenthums ſtabil werden zu laſſen, und Uns nur wohl zu fühlen im Auflöſen.

Sagt alſo die Kritik: Du biſt nur Menſch, wenn Du raſtlos kritiſirſt und auflöſeſt! ſo ſagen Wir: Menſch bin Ich ohnehin, und Ich bin Ich ebenfalls; darum will Ich nur Sorge tragen, daß Ich mein Eigenthum Mir ſichere, und um es zu ſichern, nehme Ich's jederzeit in Mich zurück, vernichte in ihm jede Regung nach Selbſtſtändigkeit, und verſchlinge es, ehe ſich's fixiren und zu einer fixen Idee oder einer Sucht werden kann.

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Das thue Ich aber nicht um meines menſchlichen Be¬ rufes willen, ſondern weil Ich Mich dazu berufe. Ich ſpreize Mich nicht, Alles aufzulöſen, was einem Menſchen aufzulöſen möglich iſt, und ſo lange Ich z. B. noch keine zehn Jahre alt bin, kritiſire Ich den Unſinn der Gebote nicht, bin aber gleichwohl Menſch und handle gerade darin menſchlich, daß Ich ſie noch unkritiſirt laſſe. Kurz, Ich habe keinen Beruf, und folge keinem, auch nicht dem, Menſch zu ſein.

Weiſe Ich nun zurück, was der Liberalismus in ſeinen verſchiedenen Anſtrengungen errungen hat? Es ſei ferne, daß etwas Errungenes verloren gehe! Nur wende Ich, nachdem durch den Liberalismus der Menſch frei geworden, den Blick wieder auf Mich zurück und geſtehe Mir's offen: Was der Menſch gewonnen zu haben ſcheint, das habe nur Ich ge¬ wonnen.

Der Menſch iſt frei, wenn der Menſch dem Menſchen das höchſte Weſen iſt . Alſo gehört es zur Vollendung des Liberalismus, daß jedes andere höchſte Weſen vernichtet, die Theologie durch die Anthropologie umgeworfen, der Gott und ſeine Gnaden verlacht, der Atheismus allgemein werde.

Der Egoismus des Eigenthums hat ſein Letztes einge¬ büßt, wenn auch das Mein Gott ſinnlos geworden iſt; denn Gott iſt nur, wenn ihm das Heil des Einzelnen am Herzen liegt, wie dieſer in ihm ſein Heil ſucht.

Der politiſche Liberalismus hob die Ungleichheit der Herren und Diener auf, er machte herrenlos, anarchiſch. Der Herr wurde nun vom Einzelnen, dem Egoiſten entfernt, um ein Geſpenſt zu werden: das Geſetz oder der Staat. Der ſociale Liberalismus hebt die Ungleichheit des Beſitzes, der Armen und Reichen auf, und macht beſitzlos oder eigen¬190 thumslos. Das Eigenthum wird dem Einzelnen entzogen und der geſpenſtiſchen Geſellſchaft überantwortet. Der humane Liberalismus macht gottlos, atheiſtiſch. Deshalb muß der Gott des Einzelnen, mein Gott , abgeſchafft werden. Nun iſt zwar die Herrenloſigkeit zugleich Dienſtloſigkeit, Beſitzloſig¬ keit zugleich Sorgloſigkeit, und Gottloſigkeit zugleich Vorur¬ theilsloſigkeit, denn mit dem Herrn fällt der Diener weg, mit dem Beſitz die Sorge um ihn, mit dem feſtgewurzelten Gott das Vorurtheil; da aber der Herr als Staat wieder auferſteht, ſo erſcheint der Diener als Unterthan wieder, da der Beſitz zum Eigenthum der Geſellſchaft wird, ſo erzeugt ſich die Sorge von neuem als Arbeit, und da der Gott als Menſch zum Vorurtheil wird, ſo erſteht ein neuer Glaube, der Glaube an die Menſchheit oder Freiheit. Für den Gott des Einzelnen iſt nun der Gott Aller, nämlich der Menſch erhöht worden: es iſt ja Unſer Aller Höchſtes, Menſch zu ſein. Da aber Niemand ganz das werden kann, was die Idee Menſch beſagt, ſo bleibt der Menſch dem Einzelnen ein erhabenes Jen¬ ſeits, ein unerreichtes höchſtes Weſen, ein Gott. Zugleich aber iſt dies der wahre Gott , weil er Uns völlig adäquat, nämlich Unſer eigenes Selbſt iſt: Wir ſelbſt, aber von Uns getrennt und über Uns erhaben.

Anmerkung.

Vorſtehende Beurtheilung der freien menſchlichen Kritik war, wie auch dasjenige, was anderwärts noch ſich aus Schrif¬ ten dieſer Richtung bezieht, unmittelbar nach dem Erſcheinen191 der betreffenden Bücher bruchſtückweiſe niedergeſchrieben worden, und Ich that wenig mehr, als daß Ich die Fragmente zuſam¬ mentrug. Die Kritik dringt aber raſtlos vorwärts und macht es dadurch nothwendig, daß Ich jetzt, nachdem mein Buch zu Ende geſchrieben iſt, noch einmal auf ſie zurückkommen und dieſe Schlußanmerkung einſchieben muß.

Ich habe das neuſte, das achte Heft der Allgemeinen Li¬ teraturzeitung von Bruno Bauer vor Mir.

Obenan ſtehen da wieder die allgemeinen Intereſſen der Geſellſchaft . Allein die Kritik hat ſich beſonnen und dieſer Geſellſchaft eine Beſtimmung gegeben, wodurch ſie von einer vorher damit noch verwechſelten Form abgeſondert wird: der Staat , in früheren Stellen noch als freier Staat ge¬ feiert, wird völlig aufgegeben, weil er in keiner Weiſe die Aufgabe der menſchlichen Geſellſchaft "erfüllen kann. Die Kritik hat nur 1842 ſich gezwungen geſehen, für einen Augen¬ blick das menſchliche und das politiſche Weſen zu identificiren ; jetzt aber hat ſie gefunden, daß der Staat, ſelbſt als freier Staat nicht die menſchliche Geſellſchaft, oder, wie ſie eben¬ falls ſagen könnte, daß das Volk nicht der Menſch iſt. Wir ſahen, wie ſie mit der Theologie fertig wurde und klar bewies, daß vor dem Menſchen der Gott zuſammenſinkt; Wir ſehen ſie nun in derſelben Weiſe mit der Politik ins Reine kommen und zeigen, daß vor dem Menſchen die Völker und Nationa¬ litäten fallen: Wir ſehen alſo, wie ſie mit Kirche und Staat ſich auseinanderſetzt, indem ſie beide für unmenſchlich erklärt, und Wir werden es ſehen denn ſie verräth es Uns bereits , wie ſie auch den Beweis zu führen vermag, daß vor dem Menſchen die Maſſe , die ſie ſogar ſelbſt ein geiſtiges We¬ ſen nennt, werthlos erſcheint. Wie ſollten ſich auch vor dem192 höchſten Geiſte die kleineren geiſtigen Weſen halten können! Der Menſch wirft die falſchen Götzen nieder.

Was der Kritiker alſo für jetzt beabſichtigt, das iſt die Betrachtung der Maſſe , die er vor den Menſchen hinſtellen wird, um ſie von dieſem aus zu bekämpfen. Was iſt jetzt der Gegenſtand der Kritik? Die Maſſe, ein geiſtiges Weſen! Sie wird der Kritiker kennen lernen und finden, daß ſie mit dem Menſchen in Widerſpruch ſtehe, er wird dar¬ thun, daß ſie unmenſchlich ſei, und dieſer Beweis wird ihm eben ſo wohl gelingen, als die früheren, daß das Göttliche und das Nationale, oder das Kirchliche und Staatliche, das Unmenſchliche ſei.

Die Maſſe wird definirt als das bedeutendſte Erzeugniß der Revolution, als die getäuſchte Menge, welche die Illuſionen der politiſchen Aufklärung, überhaupt der ganzen Aufklärung des achtzehnten Jahrhunderts einer grenzenloſen Verſtimmung übergeben haben . Die Revolution befriedigte durch ihr Re¬ ſultat die Einen und ließ Andere unbefriedigt; der befriedigte Theil iſt das Bürgerthum (Bourgeoiſie, Philiſter u. ſ. w.), der unbefriedigte iſt die Maſſe. Gehört der Kritiker, ſo geſtellt, nicht ſelbſt zur Maſſe ?

Aber die Unbefriedigten befinden ſich noch in großer Un¬ klarheit, und ihre Unzufriedenheit äußert ſich erſt in einer grenzenloſen Verſtimmung . Deren will nun der gleichfalls unbefriedigte Kritiker Meiſter werden: er kann nicht mehr wollen und erreichen, als jenes geiſtige Weſen , die Maſſe, aus ihrer Verſtimmung herausbringen, und die nur Verſtimmten heben , d. h. ihnen die richtige Stellung zu den zu überwindenden Revolutionsreſultaten geben, er kann das Haupt der Maſſe werden, ihr entſchiedener Wortführer. Darum will er auch193 die tiefe Kluft, welche ihn von der Menge ſcheidet, aufheben . Von denen, welche die unteren Volksklaſſen heben wollen , unterſcheidet er ſich dadurch, daß er nicht bloß dieſe, ſondern auch ſich ſelbſt aus der Verſtimmung erlöſen will.

Aber allerdings trügt ihn auch ſein Bewußtſein nicht, wenn er die Maſſe für den natürlichen Gegner der Theorie hält und vorausſieht, daß, je mehr ſich dieſe Theorie entwickeln wird, um ſo mehr ſie die Maſſe zu einer compacten machen wird . Denn der Kritiker kann mit ſeiner Vorausſetzung, dem Menſchen, die Maſſe nicht aufklären noch befriedigen. Iſt ſie, gegenüber dem Bürgerthum, nur untere Volksklaſſe , eine politiſch unbedeutende Maſſe, ſo muß ſie noch mehr gegenüber dem Menſchen eine bloße Maſſe , eine menſchlich unbe¬ deutende, ja eine unmenſchliche Maſſe oder eine Menge von Unmenſchen ſein.

Der Kritiker räumt mit allem Menſchlichen auf, und von der Vorausſetzung ausgehend, daß das Menſchliche das Wahre ſei, arbeitet er ſich ſelbſt entgegen, indem er daſſelbe überall, wo es bisher gefunden wurde, beſtreitet. Er beweiſt nur, daß das Menſchliche nirgends als in ſeinem Kopfe, das Unmenſch¬ liche aber überall zu finden ſei. Das Unmenſchliche iſt das Wirk¬ liche, das allerwärts Vorhandene, und der Kritiker ſpricht durch den Beweis, daß es nicht menſchlich ſei, nur deutlich den tautologiſchen Satz aus, daß es eben, das Unmenſchliche ſei.

Wie aber, wenn das Unmenſchliche, indem es entſchloſſe¬ nen Muthes ſich ſelbſt den Rücken kehrte, auch von dem be¬ unruhigenden Kritiker ſich abwendete und ihn, von ſeiner Ein¬ rede unberührt und ungetroffen, ſtehen ließe? Du nennſt Mich das Unmenſchliche, könnte es zu ihm ſagen, und Ich bin es wirklich für Dich; aber Ich bin es nur, weil Du Mich13194zum Menſchlichen in Gegenſatz bringſt, und Ich konnte Mich ſelbſt nur ſo lange verachten, als Ich Mich an dieſen Gegen¬ ſatz bannen ließ. Ich war verächtlich, weil Ich mein beſſe¬ res Selbſt außer Mir ſuchte; Ich war das Unmenſchliche, weil Ich vom Menſchlichen träumte; Ich glich den From¬ men, die nach ihrem wahren Ich hungern und immer arme Sünder bleiben; Ich dachte Mich nur im Vergleich zu einem Andern; genug Ich war nicht Alles in Allem, war nicht einzig. Jetzt aber höre Ich auf, Mir ſelbſt als das Un¬ menſchliche vorzukommen, höre auf, Mich am Menſchen zu meſſen und meſſen zu laſſen, höre auf, etwas über Mir anzu¬ erkennen, und ſomit Gott befohlen, humaner Kritiker! Ich bin das Unmenſchliche nur geweſen, bin es jetzt nicht mehr, ſondern bin das Einzige, ja Dir zum Abſcheu das Egoiſtiſche, aber das Egoiſtiſche nicht, wie es am Menſchlichen, Humanen und Uneigennützigen ſich meſſen läßt, ſondern das Egoiſtiſche als das Einzige.

Noch auf einen andern Satz deſſelben Heftes haben Wir zu achten. Die Kritik ſtellt keine Dogmen auf und will nichts als die Dinge kennen lernen.

Der Kritiker fürchtet ſich dogmatiſch zu werden oder Dogmen aufzuſtellen. Natürlich, er würde dadurch ja zum Gegenſatz des Kritikers, zum Dogmatiker, er würde, wie er als Kritiker gut iſt, nun böſe, oder würde aus einem Uneigen¬ nützigen ein Egoiſt u. ſ. w. Nur kein Dogma! das iſt ſein Dogma. Denn es bleibt der Kritiker mit dem Dog¬ matiker auf ein und demſelben Boden, dem der Gedanken. Gleich dem letzteren geht er ſtets von einem Gedanken aus, aber darin weicht er ab, daß er's nicht aufgiebt, den princi¬ piellen Gedanken im Denkproceſſe zu erhalten, ihn alſo195 nicht ſtabil werden läßt. Er macht nur den Denkproceß gegen die Denkgläubigkeit, den Fortſchritt im Denken gegen den Still¬ ſtand in demſelben geltend. Vor der Kritik iſt kein Gedanke ſicher, da ſie das Denken oder der denkende Geiſt ſelber iſt.

Deshalb wiederhole Ich's, daß die religiöſe Welt und dieſe iſt eben die Welt der Gedanken in der Kritik ihre Vollendung erreicht, indem das Denken über jeden Gedanken übergreift, deren keiner ſich egoiſtiſch feſtſetzen darf. Wo bliebe die Reinheit der Kritik , die Reinheit des Denkens, wenn auch nur Ein Gedanke ſich dem Denkproceſſe entzöge? Daraus erklärt ſich's, daß der Kritiker ſogar hie und da ſchon über den Gedanken des Menſchen, der Menſchheit und Humanität leiſe ſpöttelt, weil er ahnt, daß hier ein Gedanke ſich dogmatiſcher Feſtigkeit nähere. Aber er kann dieſen Ge¬ danken doch eher nicht auflöſen, bis er einen höheren gefunden hat, in welchem jener zergehe; denn er bewegt ſich eben nur in Gedanken. Dieſer höhere Gedanke könnte als der der Denkbewegung oder des Denkproceſſes ſelbſt, d.h. als der Gedanke des Denkens oder der Kritik ausgeſprochen werden.

Die Denkfreiheit iſt hierdurch in der That vollkommen geworden, die Geiſtesfreiheit feiert ihren Triumph: denn die einzelnen, die egoiſtiſchen Gedanken verloren ihre dogmati¬ ſche Gewaltthätigkeit. Es iſt nichts übrig geblieben, als das Dogma des freien Denkens oder der Kritik.

Gegen alles, was der Welt des Denkens angehört, iſt die Kritik im Rechte, d. h. in der Gewalt: ſie bleibt die Sie¬ gerin. Die Kritik, und allein die Kritik ſteht aus der Höhe der Zeit . Vom Standpunkte des Gedankens aus giebt es keine Macht, die der ihrigen überlegen zu ſein vermöchte, und es iſt eine Luſt, zu ſehen, wie leicht und ſpielend dieſer Drache13 *196alles andere Gedankengewürm verſchlingt. Es windet ſich frei¬ lich jeder Wurm, ſie aber zermalmt ihn in allen Wendungen .

Ich bin kein Gegner der Kritik, d. h. Ich bin kein Dog¬ matiker, und fühle Mich von dem Zahne des Kritikers, womit er den Dogmatiker zerfleiſcht, nicht getroffen. Wäre Ich ein Dogmatiker , ſo ſtellte Ich ein Dogma, d. h. einen Gedan¬ ken, eine Idee, ein Princip obenan, und vollendete dieß als Syſtematiker , indem Ich's zu einem Syſtem, d. h. einem Gedankenbau ausſpönne. Wäre Ich umgekehrt ein Kritiker, nämlich ein Gegner des Dogmatikers, ſo führte Ich den Kampf des freien Denkens gegen den knechtenden Gedanken, verthei¬ digte das Denken gegen das Gedachte. Ich bin aber weder der Champion eines Gedankens, noch der des Denkens; denn Ich , von dem Ich ausgehe, bin weder ein Gedanke, noch beſtehe Ich im Denken. An Mir, dem Unnennbaren, zerſplit¬ tert das Reich der Gedanken, des Denkens und des Geiſtes.

Die Kritik iſt der Kampf des Beſeſſenen gegen die Be¬ ſeſſenheit als ſolche, gegen alle Beſeſſenheit, ein Kampf, der in dem Bewußtſein begründet iſt, daß überall Beſeſſenheit oder, wie es der Kritiker nennt, religiöſes und theologiſches Ver¬ hältniß vorhanden iſt. Er weiß, daß man nicht bloß gegen Gott, ſondern ebenſo gegen andere Ideen, wie Recht, Staat, Geſetz u. ſ.w. ſich religiös oder gläubig verhält, d. h. er er¬ kennt die Beſeſſenheit aller Orten. So will er durch das Denken die Gedanken auflöſen, Ich aber ſage, nur die Ge¬ dankenloſigkeit rettet Mich wirklich vor den Gedanken. Nicht das Denken, ſondern meine Gedankenloſigkeit oder Ich, der Undenkbare, Unbegreifliche befreie mich aus der Beſeſſenheit.

Ein Ruck thut Mir die Dienſte des ſorglichſten Denkens, ein Recken der Glieder ſchüttelt die Qual der Gedanken ab,197 ein Aufſpringen ſchleudert den Alp der religiöſen Welt von der Bruſt, ein aufjauchzendes Juchhe wirft jahrelange Laſten ab. Aber die ungeheuere Bedeutung des gedankenloſen Jauchzens konnte in der langen Nacht des Denkens und Glaubens nicht erkannt werden.

Welche Plumpheit und Frivolität, durch ein Abbrechen die ſchwierigſten Probleme löſen, die umfaſſendſten Aufgaben erledigen zu wollen!

Haſt Du aber Aufgaben, wenn Du ſie Dir nicht ſtellſt? So lange Du ſie ſtellſt, wirſt Du nicht von ihnen laſſen, und Ich habe ja nichts dagegen, daß Du denkſt und denkend tau¬ ſend Gedanken erſchaffeſt. Aber Du, der Du die Aufgaben geſtellt haſt, ſollſt Du ſie nicht wieder umwerfen können? Mußt Du an dieſe Aufgaben gebunden ſein, und müſſen ſie zu ab¬ ſoluten Aufgaben werden?

Um nur Eines anzuführen, ſo hat man die Regierung darum herabgeſetzt, daß ſie gegen Gedanken Mittel der Gewalt ergreift, gegen die Preſſe mittelſt der Polizeigewalt der Cenſur einſchreitet und aus einem literariſchen Kampfe einen perſön¬ lichen macht. Als ob es ſich lediglich um Gedanken handelte, und als ob man gegen Gedanken uneigennützig, ſelbſtverleug¬ nend und aufopfernd ſich verhalten müßte! Greifen jene Ge¬ danken nicht die Regierenden ſelbſt an und fordern ſo den Egoismus heraus? Und ſtellen die Denkenden nicht an die Angegriffenen die religiöse Forderung, die Macht des Den¬ kens, der Ideen, zu verehren? Sie ſollen freiwillig und hin¬ gebend erliegen, weil die göttliche Macht des Denkens, die Minerva, auf Seiten ihrer Feinde kämpft. Das wäre ja ein Akt der Beſeſſenheit, ein religiöſes Opfer. Freilich ſtecken die Regierenden ſelbſt in religiöſer Befangenheit und folgen der198 leitenden Macht einer Idee oder eines Glaubens; aber ſie ſind zugleich ungeſtändige Egoiſten, und gerade gegen die Feinde bricht der zurückgehaltene Egoismus los: Beſeſſene in ihrem Glauben ſind ſie zugleich unbeſeſſen von dem Glauben der Gegner, d. h. ſie ſind gegen dieſen Egoiſten. Will man ih¬ nen einen Vorwurf machen, ſo könnte es nur der umgekehrte ſein, nämlich der, daß ſie von ihren Ideen beſeſſen ſind.

Gegen die Gedanken ſoll keine egoiſtiſche Gewalt auftre¬ ten, keine Polizeigewalt u. dergl. So glauben die Denkgläu¬ bigen. Aber das Denken und ſeine Gedanken ſind Mir nicht heilig und Ich wehre Mich auch gegen ſie meiner Haut. Das mag ein unvernünftiges Wehren ſein; bin Ich aber der Vernunft verpflichtet, ſo muß Ich, wie Abraham, ihr das Liebſte opfern!

Im Reiche des Denkens, welches gleich dem des Glau¬ bens das Himmelreich iſt, hat allerdings Jeder Unrecht, der gedankenloſe Gewalt braucht, gerade ſo, wie Jeder Unrecht hat, der im Reiche der Liebe lieblos verfährt, oder, obgleich er ein Chriſt iſt, alſo im Reiche der Liebe lebt, doch unchriſt¬ lich handelt: er iſt in dieſen Reichen, denen er anzugehören meint und gleichwohl ihren Geſetzen ſich entzieht, ein Sünder oder Egoiſt . Aber er kann auch der Herrſchaft dieſer Reiche ſich nur entziehen, wenn er an ihnen zum Verbrecher wird.

Das Reſultat iſt auch hier dieß, daß der Kampf der Denkenden gegen die Regierung zwar ſoweit im Rechte, näm¬ lich in der Gewalt iſt, als er gegen die Gedanken derſelben geführt wird (die Regierung verſtummt und weiß literariſch nichts Erhebliches einzuwenden), dagegen im Unrechte, näm¬ lich in der Ohnmacht, ſich befindet, ſoweit er nichts als Ge¬ danken gegen eine perſönliche Macht ins Feld zu führen weiß199 (die egoiſtiſche Macht ſtopft den Denkenden den Mund). Der theoretiſche Kampf kann nicht den Sieg vollenden und die heilige Macht des Gedankens unterliegt der Gewalt des Egois¬ mus. Nur der egoiſtiſche Kampf, der Kampf von Egoiſten auf beiden Seiten, bringt Alles ins Klare.

Dieß Letzte nun, das Denken ſelbſt zu einer Sache des egoiſtiſchen Beliebens, einer Sache des Einzigen, gleichſam zu einer bloßen Kurzweil oder Liebhaberei zu machen und ihm die Bedeutung, letzte entſcheidende Macht zu ſein , abzuneh¬ men, dieſe Herabſetzung und Entheiligung des Denkens, dieſe Gleichſtellung des gedankenloſen und gedankenvollen Ich's, dieſe plumpe, aber wirkliche Gleichkeit vermag die Kritik nicht herzuſtellen, weil ſie ſelbſt nur Prieſterin des Denkens iſt und über das Denken hinaus nichts ſieht als die Sündfluth.

Die Kritik behauptet z. B. zwar, daß die freie Kritik über den Staat ſiegen dürfe, aber ſie wahrt ſich zugleich ge¬ gen den Vorwurf, welcher ihr von der Staatsregierung ge¬ macht wird, daß ſie Willkühr und Frechheit ſei; ſie meint alſo, Willkühr und Frechheit dürften nicht ſiegen, nur ſie dürfe es. Es iſt vielmehr umgekehrt: der Staat kann nur von frecher Willkühr wirklich beſiegt werden.

Es kann nun, um hiermit zu ſchließen, einleuchten, daß der Kritiker in ſeiner neuen Wendung ſich ſelber nicht umge¬ wandelt, ſondern nur ein Verſehen gut gemacht hat, mit einem Gegenſtande ins Reine gekommen iſt und zu viel ſagt, wenn er davon ſpricht, daß die Kritik ſich ſelbſt kritiſire ; ſie oder vielmehr er hat nur ihr Verſehen kritiſirt und ſie von ihren Inconſequenzen geläutert. Wollte er die Kritik kritiſiren, ſo mußte er zuſehen, ob an der Vorausſetzung der¬ ſelben etwas ſei.

200

Ich Meinestheils gehe von einer Vorausſetzung aus, in¬ dem Ich Mich vorausſetze; aber meine Vorausſetzung ringt nicht nach ihrer Vollendung, wie der nach ſeiner Vollendung ringende Menſch , ſondern dient Mir nur dazu, ſie zu genie¬ ßen und zu verzehren. Ich zehre gerade an meiner Voraus¬ ſetzung allein und bin nur, indem Ich ſie verzehre. Darum aber iſt jene Vorausſetzung gar keine; denn da Ich der Ein¬ zige bin, ſo weiß Ich nichts von der Zweiheit eines voraus¬ ſetzenden und vorausgeſetzten Ich's (eines unvollkommenen und vollkommenen Ich's oder Menſchen), ſondern, daß Ich Mich verzehre, heißt nur, daß Ich bin. Ich ſehe Mich nicht voraus, weil Ich Mich jeden Augenblick überhaupt erſt ſetze oder ſchaffe, und nur dadurch Ich bin, daß Ich nicht voraus¬ geſetzt, ſondern geſetzt bin, und wiederum nur in dem Moment geſetzt, wo Ich Mich ſetze, d. h. Ich bin Schöpfer und Ge¬ ſchöpf in Einem.

Sollen die bisherigen Vorausſetzungen in einer völligen Auflöſung zergehen, ſo dürfen ſie nicht wieder in eine höhere Vorausſetzung, d. h. einen Gedanken oder das Denken ſelbſt, die Kritik, aufgelöſt werden. Es ſoll ja jene Auflöſung Mir zu Gute kommen, ſonſt gehörte ſie nur in die Reihe der un¬ zähligen Auflöſungen, welche zu Gunſten Anderer, z. B. eben des Menſchen, Gottes, des Staates, der reinen Moral u. ſ. w. alte Wahrheiten für Unwahrheiten erklärten und lang genährte Vorausſetzungen abſchafften.

[201]

Zweite Abtheilung.

Ich.

[202][203]

An dem Eingange der neuen Zeit ſteht der Gott¬ menſch . Wird ſich an ihrem Ausgange nur der Gott am Gottmenſchen verflüchtigen, und kann der Gottmenſch wirklich ſterben, wenn nur der Gott an ihm ſtirbt? Man hat an dieſe Frage nicht gedacht und fertig zu ſein gemeint, als man das Werk der Aufklärung, die Ueberwindung des Gottes, in unſern Tagen zu einem ſiegreichen Ende führte; man hat nicht gemerkt, daß der Menſch den Gott getödtet hat, um nun alleiniger Gott in der Höhe zu werden. Das Jenſeits außer Uns iſt allerdings weggefegt, und das große Unter¬ nehmen der Aufklärer vollbracht; allein das Jenſeits in Uns iſt ein neuer Himmel geworden und ruft Uns zu erneu¬ tem Himmelsſtürmen auf: der Gott hat Platz machen müſſen, aber nicht Uns, ſondern dem Menſchen. Wie mögt Ihr glauben, daß der Gottmenſch geſtorben ſei, ehe an ihm außer dem Gott auch der Menſch geſtorben iſt?

[204]

I. Die Eigenheit.

Lechzt der Geiſt nicht nach Freiheit? Ach, mein Geiſt nicht allein, auch mein Leib lechzt ſtündlich danach! Wenn meine Naſe vor der duftenden Schloßküche meinem Gaumen von den ſchmackhaften Gerichten erzählt, die darin zubereitet werden, da fühlt er bei ſeinem trockenen Brote ein fürchterliches Schmachten; wenn meine Augen dem ſchwieligen Rücken von weichen Dunen ſagen, auf denen ſich's lieblicher liegt, als auf ſeinem zuſammengedrückten Stroh, da faßt ihn ein verbiſſener Grimm; wenn doch verfolgen Wir die Schmer¬ zen nicht weiter. Und das nennſt Du eine Freiheitsſehn¬ ſucht? Wovon willſt Du denn frei werden? Von deinem Kommisbrot und deinem Strohlager? So wirf es weg! Damit aber ſcheint Dir nicht gedient zu ſein; Du willſt viel¬ mehr die Freiheit haben, köſtliche Speiſen und ſchwellende Bet¬ ten zu genießen. Sollen die Menſchen Dir dieſe Freiheit geben , ſollen ſie Dir's erlauben? Du hoffſt das nicht von ihrer Menſchenliebe, weil Du weißt, ſie denken alle wie 205 Du: Jeder iſt ſich ſelbſt der Nächſte! Wie willſt Du alſo zum Genuß jener Speiſen und Betten kommen? Doch wohl nicht anders, als wenn Du ſie zu deinem Eigenthum machſt!

Du willſt, wenn Du es recht bedenkſt, nicht die Freiheit, alle dieſe ſchönen Sachen zu haben, denn mit der Freiheit dazu haſt Du ſie noch nicht; Du willſt ſie wirklich haben, willſt ſie dein nennen und als dein Eigenthum beſitzen. Was nützt Dir auch eine Freiheit, wenn ſie nichts einbringt? Und würdeſt Du von allem frei, ſo hätteſt Du eben nichts mehr; denn die Freiheit iſt inhaltsleer. Wer ſie nicht zu benutzen weiß, für den hat ſie keinen Werth, dieſe unnütze Erlaubniß; wie Ich ſie aber benutze, das hängt von meiner Eigenheit ab.

Ich habe gegen die Freiheit nichts einzuwenden, aber Ich wünſche Dir mehr als Freiheit; Du müßteſt nicht bloß los ſein, was Du nicht willſt, Du müßteſt auch haben, was Du willſt, Du müßteſt nicht nur ein Freier , Du müßteſt auch ein Eigner ſein.

Frei wovon? O was läßt ſich nicht alles abſchüt¬ teln! Das Joch der Leibeigenſchaft, der Oberherrlichkeit, der Ariſtokratie und Fürſten, die Herrſchaft der Begierden und Lei¬ denſchaften: ja ſelbſt die Herrſchaft des eigenen Willens, des Eigenwillens, die vollkommenſte Selbſtverleugnung iſt ja nichts als Freiheit, Freiheit nämlich von der Selbſtbeſtimmung, vom eigenen Selbſt, und der Drang nach Freiheit als nach etwas Abſolutem, jedes Preiſes Würdigem, brachte Uns um die Ei¬ genheit: er ſchuf die Selbſtverleugnung. Je freier Ich indeß werde, deſto mehr Zwang thürmt ſich vor meinen Augen auf, deſto ohnmächtiger fühle Ich Mich. Der unfreie Sohn der Wildniß empfindet noch nichts von all' den Schranken, die einen gebildeten Menſchen bedrängen: er dünkt ſich freier als206 dieſer. In dem Maaße als Ich Mir Freiheit erringe, ſchaffe Ich Mir neue Grenzen und neue Aufgaben; habe Ich die Eiſenbahnen erfunden, ſo fühle Ich Mich wieder ſchwach, weil Ich noch nicht, dem Vogel gleich, die Lüfte durchſegeln kann, und habe Ich ein Problem, deſſen Dunkelheit meinen Geiſt beängſtigte, gelöſt, ſo erwarten Mich ſchon unzählige andere, deren Rätſelhaftigkeit meinen Fortſchritt hemmt, meinen freien Blick verdüſtert, die Schranken meiner Freiheit Mir ſchmerz¬ lich fühlbar macht. Nun ihr frei worden ſeid von der Sünde, ſeid ihr Knechte worden der Gerechtigkeit. *)Römer 6, 18.. Die Repu¬ blikaner in ihrer weiten Freiheit, werden ſie nicht Knechte des Geſetzes? Wie ſehnten ſich allezeit die wahren Chriſtenherzen, frei zu werden , wie ſchmachteten ſie, von den Banden die¬ ſes Erdenlebens ſich erlöſt zu ſehen: ſie ſchauten nach dem Lande der Freiheit aus. ( Das Jeruſalem, das droben iſt, das iſt die Freie, die iſt unſer aller Mutter . Gal. 4, 26.)

Frei ſein von etwas heißt nur: ledig oder los ſein. Er iſt frei von Kopfweh iſt gleich mit: er iſt es los. Er iſt frei von dieſem Vorurtheil iſt gleich mit: er hat es nie gefaßt oder er iſt es losgeworden. Im los vollenden Wir die vom Chriſtenthum empfohlene Freiheit, im ſündlos, gottlos, ſittenlos u. ſ. w.

Freiheit iſt die Lehre des Chriſtenthums. Ihr, lieben Brüder, ſeid zur Freiheit berufen. **)1 Petri 2, 16. Alſo redet und alſo thut, als die da ſollen durchs Geſetz der Freiheit gerichtet wer¬ den. ***)Jacobi 2, 12.207Müſſen Wir etwa, weil die Freiheit als ein chriſt¬ liches Ideal ſich verräth, ſie aufgeben? Nein, nichts ſoll verloren gehen, auch die Freiheit nicht; aber ſie ſoll unſer eigen werden, und das kann ſie in der Form der Freiheit nicht.

Welch ein Unterſchied zwiſchen Freiheit und Eigenheit! Gar vieles kann man los werden, Alles wird man doch nicht los: von Vielem wird man frei, von Allem nicht. Innerlich kann man trotz des Zuſtandes der Sklaverei frei ſein, obwohl auch wieder nur von Allerlei, nicht von Allem; aber von der Peitſche, der gebieteriſchen Laune u. ſ. w. des Herrn wird man als Sklave nicht frei. Freiheit lebt nur in dem Reich der Träume ! Dagegen Eigenheit, das iſt mein ganzes We¬ ſen und Daſein, das bin Ich ſelbſt. Frei bin Ich von Dem, was Ich los bin, Eigner von dem, was Ich in meiner Macht habe, oder deſſen Ich mächtig bin. Mein eigen bin Ich jederzeit und unter allen Umſtänden, wenn Ich Mich zu haben verſtehe und nicht an Andere wegwerfe. Das Frei¬ ſein kann Ich nicht wahrhaft wollen, weil Ich's nicht ma¬ chen, nicht erſchaffen kann: Ich kann es mir wünſchen und darnach trachten, denn es bleibt ein Ideal, ein Spuk. Die Feſſeln der Wirklichkeit ſchneiden jeden Augenblick in mein Fleiſch die ſchärfſten Striemen. Mein eigen aber bleibe Ich. Einem Gebieter leibeigen hingegeben, denke Ich nur an Mich und meinen Vortheil; ſeine Schläge treffen Mich zwar: Ich bin nicht davon frei; aber Ich erdulde ſie nur zu mei¬ nem Nutzen, etwa um ihn durch den Schein der Geduld zu täuſchen und ſicher zu machen, oder auch um nicht durch Widerſetzlichkeit Aergeres Mir zuzuziehen. Da Ich aber Mich und meinen Eigennutz im Auge behalte, ſo faſſe Ich die208 nächſte, gute Gelegenheit beim Schopfe, den Sklavenbeſitzer zu zertreten. Daß Ich dann von ihm und ſeiner Peitſche frei werde, das iſt nur die Folge meines vorangegangenen Egois¬ mus. Man ſagt hier vielleicht, Ich ſei auch im Stande der Sklaverei frei geweſen, nämlich an ſich oder innerlich . Allein an ſich frei iſt nicht wirklich frei und innerlich nicht äußerlich . Eigen hingegen, mein eigen war Ich ganz und gar, innerlich und äußerlich. Von den Folterqua¬ len und Geißelhieben iſt mein Leib nicht frei unter der Herrſchaft eines grauſamen Gebieters; aber meine Knochen ſind es, welche unter der Tortur ächzen, meine Fiebern zucken unter den Schlägen, und Ich ächze, weil mein Leib ächzt. Daß Ich ſeufze und erzittere, beweiſt, daß Ich noch bei Mir, daß Ich noch mein eigen bin. Mein Bein iſt nicht frei von dem Prügel des Herrn, aber es iſt mein Bein und iſt unentreißbar. Er reiße Mir's aus und ſehe zu, ob er noch mein Bein hat! Nichts behält er in der Hand als den Leichnam meines Beines, der ſo wenig mein Bein iſt, als ein todter Hund noch ein Hund iſt: ein Hund hat ein pul¬ ſirendes Herz, ein ſogenannter todter Hund hat keines und iſt darum kein Hund mehr.

Meint man, daß ein Sklave doch innerlich frei ſein könne, ſo ſagt man in der That nur das Unbeſtreitbarſte und Trivialſte. Denn wer wird wohl behaupten, daß irgend ein Menſch ohne alle Freiheit ſei? Wenn Ich ein Augendiener bin, kann Ich darum nicht von unzähligen Dingen frei ſein, z. B. vom Glau¬ ben an Zeus, von Ruhmbegierde u. dergl. ? Warum alſo ſollte ein gepeitſchter Sklave nicht auch innerlich frei ſein kön¬ nen von unchriſtlicher Geſinnung, von Feindeshaß u. ſ. w.? Er iſt dann eben chriſtlich frei , iſt das Unchriſtliche los;209 aber iſt er abſolut frei, von Allem frei, z. B. vom chriſtlichen Wahne oder vom körperlichen Schmerze u. ſ. w.?

Inzwiſchen ſcheint dieß Alles mehr gegen Namen als ge¬ gen die Sache geſagt zu ſein. Iſt aber der Name gleichgültig, und hat nicht ſtets ein Wort, ein Schiboleth, die Menſchen begeiſtert und bethört? Doch zwiſchen der Freiheit und der Eigenheit liegt auch noch eine tiefere Kluft, als die bloße Wortdifferenz.

Alle Welt verlangt nach Freiheit, Alle ſehnen ihr Reich herbei. O bezaubernd ſchöner Traum von einem blühenden Reiche der Freiheit , einem freien Menſchengeſchlechte ! wer hätte ihn nicht geträumt? So ſollen die Menſchen frei werden, ganz frei, von allem Zwange frei! Von allem Zwange, wirklich von allem? Sollen ſie ſich ſelbſt niemals mehr Zwang anthun? Ach ja, das wohl, das iſt ja gar kein Zwang! Nun, ſo ſollen ſie doch frei werden vom religiöſen Glauben, von den ſtrengen Pflichten der Sittlichkeit, von der Unerbitt¬ lichkeit des Geſetzes, von Welch fürchterliches Mißver¬ ſtändnis)! Nun, wovon ſollen ſie denn frei werden, und wovon nicht?

Der liebliche Traum iſt zerronnen, erwacht reibt man die halbgeöffneten Augen und ſtarrt den proſaiſchen Frager an. Wovon die Menſchen frei werden ſollen? Von der Blind¬ gläubigkeit, ruft der Eine. Ei was, ſchreit ein Anderer, aller Glaube iſt Blindgläubigkeit; ſie müſſen von allem Glauben frei werden. Nein, nein, um Gotteswillen, fährt der Erſte wieder los, werft nicht allen Glauben von Euch, ſonſt bricht die Macht der Brutalität herein. Wir müſſen, läßt ſich ein Dritter vernehmen, die Republik haben und von allen ge¬ bietenden Herren frei werden. Damit iſt nichts geholfen,14210ſagt ein Vierter; Wir kriegen dann nur einen neuen Herrn, eine herrſchende Majorität ; vielmehr laßt Uns von der ſchreck¬ lichen Ungleichheit Uns befreien. O unſelige Gleichheit, höre Ich dein pöbelhaftes Gebrüll ſchon wieder! Wie hatte Ich ſo ſchön noch eben von einem Paradieſe der Freiheit geträumt, und welche Frechheit und Zügelloſigkeit erhebt jetzt ihr wildes Geſchrei! So klagt der Erſte und rafft ſich auf, um das Schwert zu ergreifen gegen die maßloſe Frei¬ heit. Bald hören Wir nichts mehr als das Schwertergeklirr der uneinigen Freiheitsträumer.

Der Freiheitsdrang lief zu jeder Zeit auf das Verlangen nach einer beſtimmten Freiheit hinaus, z. B. Glaubens¬ freiheit, d. h. der gläubige Menſch wollte frei und unabhängig werden; wovon? etwa vom Glauben? nein! ſondern von den Glaubensinquiſitoren. So jetzt politiſche oder bürgerliche Freiheit. Der Bürger will frei werden, nicht vom Bürger¬ thum, ſondern von Beamtenherrſchaft, Fürſtenwillkühr u. dergl. Fürſt Metternich ſagte einmal, er habe einen Weg gefunden, der für alle Zukunft auf den Pfad der echten Freiheit zu lei¬ ten geeignet ſei. Der Graf von Provence lief gerade zu der Zeit aus Frankreich fort, als es ſich dazu anließ, das Reich der Freiheit zu ſtiften, und ſagte: Meine Gefangenſchaft war Mir unerträglich geworden, ich hatte nur Eine Leidenſchaft: das Verlangen nach Freiheit, Ich dachte nur an ſie.

Der Drang nach einer beſtimmten Freiheit ſchließt ſtets die Abſicht auf eine neue Herrſchaft ein, wie denn die Re¬ volution zwar ihren Vertheidigern das erhebende Gefühl geben konnte, daß ſie für die Freiheit kämpften , in Wahrheit aber nur, weil man auf eine beſtimmte Freiheit, darum auf eine neue Herrſchaft, die Herrſchaft des Geſetzes ausging.

211

Freiheit wollt Ihr Alle, Ihr wollt die Freiheit. Warum ſchachert Ihr denn um ein Mehr oder Weniger? Die Frei¬ heit kann nur die ganze Freiheit ſein; ein Stück Freiheit iſt nicht die Freiheit. Ihr verzweifelt daran, daß die ganze Frei¬ heit, die Freiheit von Allem, zu gewinnen ſei, ja Ihr haltet's für Wahnſinn, ſie auch nur zu wünſchen? Nun, ſo laßt ab, dem Phantome nachzujagen, und verwendet Eure Mühe auf etwas Beſſeres, als auf das Unerreichbare.

Ja es giebt aber nichts Beſſeres als die Freiheit!

Was habt Ihr denn, wenn Ihr die Freiheit habt, näm¬ lich denn von Euren brockenweiſen Freiheitsſtückchen will Ich hier nicht reden die vollkommene Freiheit? Dann ſeid Ihr Alles, Alles los, was Euch genirt, und es gäbe wohl nichts, was Euch nicht einmal im Leben genirte und unbequem fiele. Und um weßwillen wolltet Ihr's denn los ſein? Doch wohl um Euretwillen, darum, weil es Euch im Wege iſt! Wäre Euch aber etwas nicht unbequem, ſondern im Ge¬ gentheil ganz recht, z. B. der, wenn auch ſanft, unwi¬ derſtehlich gebietende Blick eurer Geliebten da wür¬ det Ihr nicht ihn los und davon frei ſein wollen. Warum nicht? Wieder um Euretwillen! Alſo Euch nehmt Ihr zum Maaße und Richter über Alles. Ihr laßt die Freiheit gerne laufen, wenn Euch die Unfreiheit, der ſüße Liebes¬ dienſt , behagt; und Ihr holt Euch eure Freiheit gelegent¬ lich wieder, wenn ſie Euch beſſer zu behagen anfängt, vor¬ ausgeſetzt nämlich, worauf es an dieſer Stelle nicht ankommt, daß Ihr Euch nicht vor einer ſolchen Repeal der Union aus andern (etwa religiöſen) Gründen fürchtet.

Warum wollt Ihr nun den Muth nicht faſſen, Euch wirklich ganz und gar zum Mittelpunkt und zur Hauptſache14 *212zu machen? Warum nach der Freiheit ſchnappen, eurem Traume? Seid Ihr euer Traum? Fragt nicht erſt bei euren Träumen, euren Vorſtellungen, euren Gedanken an, denn das iſt Alles hohle Theorie. Fragt euch und fragt nach Euch das iſt praktiſch, und Ihr wollt ja gerne praktiſch ſein. Da lauſcht aber der Eine, was wohl ſein Gott (na¬ türlich das, was er ſich bei dem Namen Gott denkt, iſt ſein Gott) dazu ſagen wird, und ein Anderer, was wohl ſein ſitt¬ liches Gefühl, ſein Gewiſſen, ſein Pflichtgefühl, darüber be¬ ſtimme, und ein Dritter berechnet, was die Leute davon den¬ ken werden, und wenn ſo Jeder ſeinen Herrgott (die Leute ſind ein eben ſo guter, ja noch compacterer Herrgott als der jenſeitige und eingebildete: vox populi, vox dei) gefragt hat, dann ſchickt er ſich in den Willen ſeines Herrn und hört gar nicht mehr darauf, was Er ſelber gerne ſagen und beſchlie¬ ßen möchte.

Darum wendet Euch lieber an Euch als an eure Götter oder Götzen. Bringt aus Euch heraus, was in Euch ſteckt, bringt's zu Tage, bringt Euch zur Offenbarung.

Wie Einer nur aus ſich handelt und nach nichts weiter fragt, das haben die Chriſten in Gott zur Vorſtellung ge¬ bracht. Er handelt, wie's ihm gefällt. Und der thörichte Menſch, der's gerade ſo machen könnte, ſoll ſtatt deſſen han¬ deln, wie's Gott gefällt. Sagt man, auch Gott ver¬ fahre nach ewigen Geſetzen, ſo paßt auch das auf Mich, da auch Ich nicht aus meiner Haut fahren kann, ſondern an meiner ganzen Natur, d. h. an Mir mein Geſetz habe.

Aber man braucht Euch nur an Euch zu mahnen, um Euch gleich zur Verzweiflung zu bringen. Was bin Ich? ſo fragt ſich Jeder von Euch. Ein Abgrund von regel - und213 geſetzloſen Trieben, Begierden, Wünſchen, Leidenſchaften, ein Chaos ohne Licht und Leitſtern! Wie ſoll Ich, wenn Ich ohne Rückſicht auf Gottes Gebote oder auf die Pflichten, welche die Moral vorſchreibt, ohne Rückſicht auf die Stimme der Ver¬ nunft, welche im Lauf der Geſchichte nach bitteren Erfahrun¬ gen das Beſte und Vernünftigſte zum Geſetze erhoben hat, le¬ diglich Mich frage, eine richtige Antwort erhalten? Meine Leidenſchaft würde Mir gerade zum Unſinnigſten rathen. So hält Jeder ſich ſelbſt für den Teufel; denn hielte er ſich, ſofern er um Religion u. ſ. w. unbekümmert iſt, nur für ein Thier, ſo fände er leicht, daß das Thier, das doch nur ſei¬ nem Antriebe (gleichſam ſeinem Rathe) folgt, ſich nicht zum Unſinnigſten räth und treibt, ſondern ſehr richtige Schritte thut. Allein die Gewohnheit religiöſer Denkungsart hat unſern Geiſt ſo arg befangen, daß Wir vor Uns in unſerer Nacktheit und Natürlichkeit erſchrecken; ſie hat Uns ſo erniedrigt, daß Wir Uns für erbſündlich, für geborene Teufel halten. Natür¬ lich fällt Euch ſogleich ein, daß Euer Beruf erheiſche, das Gute zu thun, das Sittliche, das Rechte. Wie kann nun, wenn Ihr Euch fragt, was zu thun ſei, die rechte Stimme aus Euch heraufſchallen, die Stimme, welche den Weg des Guten, Rechten, Wahren u. ſ. w. zeigt? Wie ſtimmt Gott und Belial?

Was würdet Ihr aber denken, wenn Euch Einer erwie¬ derte: daß man auf Gott, Gewiſſen, Pflichten, Geſetze u. ſ. w. hören ſolle, das ſeien Flauſen, mit denen man Euch Kopf und Herz vollgepfropft und Euch verrückt gemacht habe? Und wenn er Euch früge, woher Ihr's denn ſo ſicher wißt, daß die Naturſtimme eine Verführerin ſei? Und wenn er Euch gar zumuthete, die Sache umzukehren, und geradezu die Got¬214 tes - und Gewiſſensſtimme für Teufelswerk zu halten? Solche heilloſe Menſchen giebt's; wie werdet Ihr mit ihnen fertig werden? Auf eure Pfaffen, Aeltern und guten Menſchen könnt Ihr Euch nicht berufen, denn die werden eben als eure Verführer von jenen bezeichnet, als die wahren Jugendver¬ führer und Jugendverderber, die das Unkraut der Selbſtverach¬ tung und Gottesverehrung emſig ausſäen, die jungen Herzen verſchlämmen und die jungen Köpfe verdummen.

Jene nun fahren aber fort und fragen: Um weß willen bekümmert Ihr Euch um Gottes und die andern Gebote? Ihr meint doch nicht, daß dieß bloß aus Gefälligkeit gegen Gott geſchehe? Nein, Ihr thut's wieder um Euret¬ willen. Alſo auch hier ſeid Ihr die Hauptſache und Jeder muß ſich ſagen: Ich bin Mir Alles und ich thue Alles Meinethalben. Würde Euch's jemals klar, daß Euch der Gott, die Gebote u. ſ. w. nur ſchaden, daß ſie Euch verkürzen und verderben: gewiß, Ihr würfet ſie von Euch, gerade wie die Chriſten einſt den Apollo oder die Minerva oder die heid¬ niſche Moral verdammten. Sie ſtellten freilich Chriſtus und hernach die Maria, ſowie eine chriſtliche Moral an die Stelle; aber ſie thaten das auch um ihres Seelenheils willen, alſo aus Egoismus oder Eigenheit.

Und dieſer Egoismus, dieſe Eigenheit war's, durch die ſie die alte Götterwelt los und von ihr frei wurden. Die Eigenheit erſchuf eine neue Freiheit; denn die Eigenheit iſt die Schöpferin von Allem, wie ſchon längſt die Genialität (eine beſtimmte Eigenheit), die ſtets Originalität iſt, als die Schöpferin neuer weltgeſchichtlicher Productionen angeſehen wird.

Soll's einmal doch die Freiheit gelten mit eurem Streben, nun ſo erſchöpft ihre Forderungen. Wer ſoll denn215 frei werden? Du, Ich, Wir. Wovon frei? Von Allem, was nicht Du, nicht Ich, nicht Wir iſt. Ich alſo bin der Kern, der aus allen Verhüllungen erlöſt, von allen beengenden Schalen befreit werden ſoll. Was bleibt übrig, wenn Ich von Allem, was Ich nicht bin, befreit worden? Nur Ich und nichts als Ich. Dieſem Ich ſelber aber hat die Freiheit nichts zu bieten. Was nun weiter geſchehen ſoll, nachdem Ich frei geworden, darüber ſchweigt die Freiheit, wie unſere Regierungen den Gefangenen nach abgelaufener Haftzeit nur entlaſſen und in die Verlaſſenheit hinausſtoßen.

Warum nun, wenn die Freiheit doch dem Ich zu Liebe erſtrebt wird, warum nun nicht das Ich ſelber zu Anfang, Mitte und Ende wählen? Bin Ich nicht mehr werth als die Freiheit? Bin Ich es nicht, der Ich Mich frei mache, bin Ich nicht das Erſte? Auch unfrei, auch in tauſend Feſſeln geſchlagen, bin Ich doch, und Ich bin nicht etwa erſt zu¬ künftig und auf Hoffnung vorhanden, wie die Freiheit, ſon¬ dern Ich bin auch als Verworfenſter der Sklaven gegen¬ wärtig.

Bedenkt das wohl und entſcheidet Euch, ob Ihr auf eure Fahne den Traum der Freiheit oder den Entſchluß des Egoismus , der Eigenheit ſtecken wollt. Die Freiheit weckt euren Grimm gegen Alles, was Ihr nicht ſeid; der Egoismus ruft Euch zur Freude über Euch ſelbſt, zum Selbſtgenuſſe; die Freiheit iſt und bleibt eine Sehnſucht, ein romantiſcher Klagelaut, eine chriſtliche Hoffnung auf Jen¬ ſeitigkeit und Zukunft; die Eigenheit iſt eine Wirklichkeit, die von ſelbſt gerade ſo viel Unfreiheit beſeitigt, als Euch hinderlich den eigenen Weg verſperrt. Von dem, was Euch nicht ſtört, weidet Ihr Euch nicht losſagen wollen, und wenn216 es Euch zu ſtören anfängt, nun ſo wißt Ihr, daß Ihr Euch mehr gehorchen müſſet, denn den Menſchen!

Die Freiheit lehrt nur: Macht Euch los, entledigt Euch alles Läſtigen; ſie lehrt Euch nicht, wer Ihr ſelbſt ſeid. Los, los! ſo tönt ihr Loſungswort, und Ihr, begierig ihrem Rufe folgend, werdet Euch ſelbſt ſogar los, verleugnet Euch ſelbſt . Die Eigenheit aber ruft Euch zu Euch ſelbſt zurück, ſie ſpricht: Komm zu Dir! Unter der Aegide der Freiheit werdet Ihr Vielerlei los, aber Neues beklemmt Euch wieder: den Böſen ſeid Ihr los, das Böſe iſt geblieben . Als Eigene ſeid Ihr wirklich Alles los, und was Euch anhaftet, das habt Ihr angenommen, das iſt eure Wahl und euer Belieben. Der Eigene iſt der geborene Freie, der Freie von Haus aus; der Freie dagegen nur der Freiheitsſüchtige, der Träumer und Schwärmer.

Jener iſt urſprünglich frei, weil er nichts als ſich anerkennt; er braucht ſich nicht erſt zu befreien, weil er von vornherein Alles außer ſich verwirft, weil er nichts mehr ſchätzt als ſich, nichts höher anſchlägt, kurz, weil er von ſich aus¬ geht und zu ſich kommt . Befangen im kindlichen Reſpect, arbeitet er gleichwohl ſchon daran, aus dieſer Befangenheit ſich zu befreien . Die Eigenheit arbeitet in dem kleinen Egoiſten und verſchafft ihm die begehrte Freiheit.

Jahrtauſende der Cultur haben Euch verdunkelt, was Ihr ſeid, haben Euch glauben gemacht, Ihr ſeiet keine Egoiſten, ſondern zu Idealiſten ( guten Menſchen ) berufen. Schüt¬ telt das ab! Suchet nicht die Freiheit, die Euch gerade um Euch ſelbſt bringt, in der Selbſtverleugnung , ſondern ſuchet Euch Selbſt, werdet Egoiſten, werde jeder von Euch ein allmächtiges Ich. Oder deutlicher: Erkennet Euch nur217 wieder, erkennet nur, was Ihr wirklich ſeid, und laßt eure heuchleriſchen Beſtrebungen fahren, eure thörichte Sucht, etwas Anderes zu ſein, als Ihr ſeid. Heuchleriſch nenne Ich jene, weil Ihr doch alle dieſe Jahrtauſende Egoiſten geblieben ſeid, aber ſchlafende, ſich ſelbſt betrügende, verrückte Egoiſten, Ihr Heautontimorumenen, Ihr Selbſtpeiniger. Noch niemals hat eine Religion der Verſprechungen und Verheißungen ent¬ rathen können, mögen ſie auf's Jenſeits oder Dieſſeits ver¬ weiſen ( langes Leben u. ſ. w.); denn lohnſüchtig iſt der Menſch, und umſonſt thut er nichts. Aber jenes das Gute um des Guten willen thun ohne Ausſicht auf Beloh¬ nung? Als ob nicht auch hier in der Befriedigung, die es gewähren ſoll, der Lohn enthalten wäre. Alſo auch die Re¬ ligion iſt auf unſern Egoismus begründet, und ſie beutet ihn aus; berechnet aus unſere Begierden, erſtickt ſie viele andere um Einer willen. Dieß giebt denn die Erſcheinung des betrogenen Egoismus, wo Ich nicht Mich befriedige, ſondern eine meiner Begierden, z. B. den Glückſeligkeitstrieb. Die Religion verſpricht Mir das höchſte Gut ; dieß zu gewinnen achte Ich auf keine andere meiner Begierden mehr und ſättige ſie nicht. All euer Thun und Treiben iſt un¬ eingeſtandener, heimlicher, verdeckter und verſteckter Egois¬ mus. Aber weil Egoismus, den Ihr Euch nicht geſtehen wollt, den Ihr Euch ſelbſt verheimlicht, alſo nicht offenbarer und offenkundiger, mithin unbewußter Egoismus, darum iſt er nicht Egoismus, ſondern Knechtſchaft, Dienſt, Selbſtver¬ leugnung. Ihr ſeid Egoiſten und Ihr ſeid es nicht, indem Ihr den Egoismus verleugnet. Wo Ihr's am meiſten zu ſein ſcheint, da habt Ihr dem Worte Egoiſt Abſcheu und Verachtung zugezogen.

218

Meine Freiheit gegen die Welt ſichere Ich in dem Grade, als Ich Mir die Welt zu eigen mache, d. h. ſie für Mich gewinne und einnehme , ſei es durch welche Gewalt es wolle, durch die der Ueberredung, der Bitte, der kategoriſchen Forderung, ja ſelbſt durch Heuchelei, Betrug u. ſ. w.; denn die Mittel, welche Ich dazu gebrauche, richten ſich nach dem, was Ich bin. Bin Ich ſchwach, ſo habe Ich nur ſchwache Mittel, wie die genannten, die aber dennoch für ein ziemlich Theil Welt gut genug ſind. Ohnehin ſehen Betrug, Heuchelei, Lüge ſchlimmer aus als ſie ſind. Wer hätte nicht die Polizei, das Geſetz betrogen, wer hätte nicht vor dem begegnenden Schergen ſchnell die Miene ehrſamer Loyalität vorgenommen, um eine etwa begangene Ungeſetzlichkeit zu verbergen u. ſ. w.? Wer es nicht gethan hat, der hat ſich eben Gewalt anthun laſſen: er war ein Schwächling aus Gewiſſen. Meine Freiheit weiß ich ſchon dadurch geſchmälert, daß Ich an einem Andern (ſei dieß Andere ein Willenloſes, wie ein Fels, oder ein Wollendes, wie eine Regierung, ein Einzelner u. ſ. w.) meinen Willen nicht durchſetzen kann; meine Eigenheit ver¬ leugne Ich, wenn Ich Mich ſelbſt Angeſichts des Andern aufgebe, d. h. nachgebe, abſtehe, Mich ergebe, alſo durch Ergebenheit, Ergebung. Denn ein Anderes iſt es, wenn Ich mein bisheriges Verfahren aufgebe, weil es nicht zum Ziele führt, alſo ablenke von einem falſchen Wege, ein Anderes, wenn Ich Mich gefangen gebe. Einen Felſen, der Mir im Wege ſieht, umgehe Ich ſo lange, bis Ich Pulver genug habe, ihn zu ſprengen; die Geſetze eines Volkes um¬ gehe Ich, bis Ich Kraft geſammelt habe, ſie zu ſtürzen. Weil Ich den Mond nicht faſſen kann, ſoll er Mir darum heilig ſein, eine Aſtarte? Könnte Ich Dich nur faſſen, Ich faßte219 Dich wahrlich, und finde Ich nur ein Mittel, zu Dir hinauf zu kommen, Du ſollſt Mich nicht ſchrecken! Du Unbegreif¬ licher, Du ſollſt Mir nur ſo lange unbegreiflich bleiben, bis Ich Mir die Gewalt des Begreifens erworben habe, Dich mein eigen nenne; Ich gebe Mich nicht auf gegen Dich, ſondern warte nur meine Zeit ab. Beſcheide Ich Mich auch für jetzt, Dir etwas anhaben zu können, ſo gedenke Ich Dir's doch!

Kräftige Menſchen haben's von jeher ſo gemacht. Hatten die Ergebenen eine unbezwungene Macht zu ihrer Herrin erhoben und angebet, hatten ſie Anbetung von Allen verlangt, ſo kam ein ſolcher Naturſohn, der ſich nicht ergeben wollte, und jagte die angebetete Macht aus ihrem unerſteiglichen Olymp. Er rief der laufenden Sonne ſein Stehe zu, und ließ die Erde kreiſen: die Ergebenen mußten ſich's gefallen laſſen; er legte an die heiligen Eichen ſeine Art, und die Ergebenen ſtaunten, daß kein himmliſches Feuer ihn ver¬ zehre; er warf den Papſt vom Petersſtuhle, und die Ergebe¬ nen wußten's nicht zu hindern; er reißt die Gottesgnaden¬ wirthſchaft nieder, und die Ergebenen krächzen, um endlich erfolglos zu verſtummen.

Meine Freiheit wird erſt vollkommen, wenn ſie meine Gewalt iſt; durch dieſe aber höre Ich auf, ein bloß Freier zu ſein, und werde ein Eigener. Warum iſt die Freiheit der Völker ein hohles Wort ? Weil die Völker keine Gewalt haben! Mit einem Hauch des lebendigen Ich's blaſe Ich Völker um, und wär's der Hauch eines Nero, eines chineſi¬ ſchen Kaiſers oder eines armen Schriftſtellers. Warum ſchmach¬ ten denn die d ........ Kammern vergeblich nach Freiheit, und werden dafür von den Miniſtern geſchulmeiſtert? Weil220 ſie keine Gewaltigen ſind! Die Gewalt iſt eine ſchöne Sache, und zu vielen Dingen nütze; denn man kommt mit einer Hand voll Gewalt weiter, als mit einem Sack voll Recht . Ihr ſehnt Euch nach der Freiheit? Ihr Thoren! Nähmet Ihr die Gewalt, ſo käme die Freiheit von ſelbſt. Seht, wer die Gewalt hat, der ſteht über dem Geſetze . Wie ſchmeckt Euch dieſe Ausſicht, Ihr geſetzlichen Leute? Ihr habt aber keinen Geſchmack!

Laut erſchallt ringsum der Ruf nach Freiheit . Fühlt und weiß man aber, was eine geſchenkte oder octroyirte Frei¬ heit zu bedeuten hat? Man erkennt es nicht in der ganzen Fülle des Wortes, daß alle Freiheit weſentlich Selbſtbe¬ freiung ſei, d. h. daß Ich nur ſo viel Freiheit haben kann, als Ich durch meine Eigenheit Mir verſchaffe. Was nützt den Schaafen, daß ihnen Niemand die Redefreiheit verkürzt? Sie bleiben beim Blöken. Gebt einem, der innerlich ein Mu¬ hamedaner, ein Jude oder ein Chriſt iſt, die Erlaubniß zu ſprechen, was er mag: er wird doch nur bornirtes Zeug vor¬ bringen. Rauben Euch dagegen gewiſſe Andere die Rede - und Hörfreiheit, ſo verſtehen ſie ſich ganz richtig auf ihren zeitweiligen Vortheil, da Ihr vielleicht etwas zu ſagen und zu hören vermöchtet, wodurch jene Gewiſſen um ihren Credit kämen.

Wenn ſie Euch dennoch Freiheit geben, ſo ſind ſie eben Schelme, die mehr geben, als ſie haben. Sie geben Euch dann nämlich nichts von ihrem Eigenen, ſondern geſtohlene Waare, geben Euch eure eigene Freiheit, die Freiheit, welche Ihr Euch ſelbſt nehmen müßtet; und ſie geben ſie Euch nur, damit Ihr ſie nicht nehmet, und die Diebe und Betrüger oben¬ ein zur Verantwortung zieht. In ihrer Schlauheit wiſſen ſie221 es wohl, daß die gegebene (octroyirte) Freiheit doch keine Frei¬ heit iſt, da nur die Freiheit, die man ſich nimmt, alſo die Freiheit des Egoiſten, mit vollen Segeln ſchifft. Geſchenkte Freiheit ſtreicht ſogleich die Segel, ſobald Sturm oder Windſtille eintritt: ſie muß immer gelinde und mittelmäßig angeblaſen werden.

Hier liegt der Unterſchied zwiſchen Selbſtbefreiung und Emancipation (Freiſprechung, Freilaſſung). Wer heutigen Ta¬ ges in der Oppoſition ſteht , der lechzt und ſchreit nach Freilaſſung . Die Fürſten ſollen ihre Völker für mündig erklären d. h. emancipiren! Betragt Euch als mündig, ſo ſeid Ihr's ohne jene Mündigſprechung, und betragt Ihr Euch nicht darnach, ſo ſeid Ihr's nicht werth, und wäret auch durch Mündigſprechung nimmermehr mündig. Die mündigen Grie¬ chen jagten ihre Tyrannen fort, und der mündige Sohn macht ſich vom Vater unabhängig. Hätten jene gewartet, bis ihre Tyrannen ihnen die Mündigkeit gnädigſt bewilligten: ſie konnten lange warten. Den Sohn, der nicht mündig werden will, wirft ein verſtändiger Vater aus dem Hauſe und behält das Haus allein; dem Laſſen geſchieht Recht.

Der Freigegebene iſt eben nichts als ein Freigelaſſener, ein libertinus, ein Hund, der ein Stück Kette mitſchleppt: er iſt ein Unfreier im Gewande der Freiheit, wie der Eſel in der Löwenhaut. Emancipirte Juden ſind um nichts gebeſſert in ſich, ſondern nur erleichtert als Juden, obgleich, wer ihren Zuſtand erleichtert, allerdings mehr iſt als ein kirchlicher Chriſt, da der Letztere dieß nicht ohne Inconſequenz vermag. Aber emancipirter Jude oder nicht emancipirter: Jude bleibt Jude; der Nicht-Selbſtbefreite iſt eben ein Emancipirter. Der proteſtantiſche Staat vermag allerdings die Katholiken freizu¬222 geben (zu emancipiren); weil ſie ſich aber nicht ſelbſt frei ma¬ chen, bleiben ſie eben Katholiken.

Von Eigennutz und Uneigennützigkeit iſt oben ſchon ge¬ ſprochen worden. Die Freiheitsfreunde erboßen ſich gegen den Eigennutz, weil ſie in ihrem religiöſen Freiheitsſtreben von der erhabenen Selbſtverleugnung ſich nicht befreien können. Dem Egoismus gilt der Zorn des Liberalen, denn der Egoiſt bemüht ſich ja um eine Sache niemals der Sache wegen, ſon¬ dern ſeinetwegen: ihm muß die Sache dienen. Egoiſtiſch iſt es, keiner Sache einen eigenen oder abſoluten Werth beizu¬ legen, ſondern ihren Werth in Mir zu ſuchen. Zu den wider¬ lichſten Zügen egoiſtiſchen Betragens hört man häufig das ſo gewöhnliche Brotſtudium zählen, weil es die ſchändlichſte Ent¬ weihung der Wiſſenſchaft bekunde; allein wozu iſt die Wiſſen¬ ſchaft als dazu, verbraucht zu werden? Wenn Einer ſie zu nichts Beſſerem zu nutzen weiß, als zum Broterwerb, ſo iſt ſein Egoismus zwar ein kleinlicher, weil die Macht dieſes Egoiſten eine beſchränkte iſt, aber das Egoiſtiſche daran und die Entweihung der Wiſſenſchaft kann nur ein Beſeſſener tadeln.

Weil das Chriſtenthum, unfähig den Einzelnen als Ein¬ zigen gelten zu laſſen, ihn nur als Abhängigen dachte und eigentlich nichts als eine Socialtheorie war, eine Lehre des Zuſammenlebens, und zwar ſowohl des Menſchen mit Gott als des Menſchen mit dem Menſchen: ſo mußte bei ihm alles Eigene in ärgſten Verruf kommen: Eigennutz, Eigen¬ ſinn, Eigenwille, Eigenheit, Eigenliebe u. ſ. w. Die chriſt¬ liche Anſchauungsweiſe hat überhaupt allmählich ehrliche Wör¬ ter zu unehrlichen umgeſtempelt; warum ſollte man ſie nicht wieder zu Ehren bringen? So heißt Schimpf im alten223 Sinne ſo viel als Scherz, für den chriſtlichen Ernſt ward aber aus der Kurzweil eine Entbehrung, denn er verſteht keinen Spaß; Frech bedeutete früher nur kühn, tapfer: Frevel war nur Wagniß. Bekannt iſt, wie ſcheel lange Zeit das Wort Vernunft angeſehen wurde.

Unſere Sprache hat ſich ſo ziemlich auf den chriſtlichen Standpunkt eingerichtet, und das allgemeine Bewußtſein iſt noch zu chriſtlich, um nicht vor allem Nichtchriſtlichen als vor einem Unvollkommenen oder Böſen zurückzuſchrecken. Deshalb ſteht es auch ſchlimm um den Eigennutz .

Eigennutz im chriſtlichen Sinne heißt etwa dieß: Ich ſehe nur darauf, ob etwas Mir als ſinnlichem Menſchen nützt. Iſt denn aber die Sinnlichkeit meine ganze Eigenheit? Bin Ich bei Mir ſelbſt, wenn Ich der Sinnlichkeit hingegeben bin? Folge Ich Mir ſelbſt, meiner eigenen Beſtimmung, wenn Ich jener folge? Mein eigen bin Ich erſt, wenn nicht die Sinnlichkeit, aber eben ſo wenig ein Anderer (Gott, Menſchen, Obrigkeit, Geſetz, Staat, Kirche u. ſ. w.) Mich in der Gewalt haben, ſondern Ich ſelbſt; was Mir, dieſem Selbſteigenen oder Selbſtangehörigen, nützt, das verfolgt mein Eigennutz.

Uebrigens ſieht man ſich alle Augenblicke genöthigt, an den Eigennutz, den allezeit geläſterten, als an eine Alles be¬ wältigende Macht zu glauben. In der Sitzung vom 10. Febr. 1844 begründet Welcker eine Motion auf die Abhängigkeit der Richter und thut in einer ausführlichen Rede dar, daß entſetz¬ bare, entlaßbare, verſetzbare und penſionirbare Richter, kurz ſolche Mitglieder eines Gerichtshofes, welche auf dem bloßen Admi¬ niſtrationswege verkürzt und gefährdet werden können, aller Zuverläſſigkeit entbehren, ja aller Achtung und alles Vertrau¬ ens im Volke verluſtig gehen. Der ganze Richterſtand, ruft224 Welcker aus, iſt durch dieſe Abhängigkeit demoraliſirt! Mit dürren Worten heißt dieß nichts anders, als daß die Richter beſſer ihre Rechnung dabei finden, wenn ſie im miniſteriellen Sinne Urtel fällen, als wenn ſie dieß nach geſetzlichem Sinne thun. Wie ſoll dem abgeholfen werden? Etwa dadurch, daß man den Richtern die Schmach ihrer Verkäuflichkeit zu Ge¬ müthe führt und dann das Vertrauen hegt, ſie werden in ſich gehen und hinfort die Gerechtigkeit höher ſchätzen als ihren Eigennutz? Nein, zu dieſem romantiſchen Vertrauen verſteigt ſich das Volk nicht, denn es fühlt, daß der Eigennutz gewal¬ tiger ſei als jedes andere Motiv. Darum mögen dieſelben Perſonen Richter bleiben, die dieß ſeither geweſen ſind, ſo ſehr man ſich auch davon überzeugt hat, daß ſie als Egoiſten ver¬ fuhren; nur müſſen ſie ihren Eigennutz nicht länger durch die Verkäuflichkeit des Rechtes gefördert finden, ſondern ſo unab¬ hängig von der Regierung daſtehen, daß ſie durch ein ſachge¬ mäßes Urtheil ihre eigene Sache, ihr wohlverſtandenes Inter¬ eſſe , nicht in Schatten ſtellen, vielmehr ein gutes Gehalt und Achtung bei den Bürgern gemächlich mit einander ver¬ binden.

Alſo Welcker und die badiſchen Bürger halten ſich erſt für geſichert, wenn ſie auf den Eigennutz rechnen können. Was ſoll man ſich folglich von den unzähligen Uneigennützigkeits¬ phraſen denken, von denen ihr Mund ſonſt überſtrömt?

Zu einer Sache, die Ich eigennützig betreibe, habe Ich ein anderes Verhältniß, als zu einer, welcher Ich uneigen¬ nützig diene. Man könnte folgendes Erkennungszeichen dafür anführen: gegen jene kann Ich Mich verſündigen oder eine Sünde begehen, die andere nur verſcherzen, von Mir ſtoßen, Mich darum bringen, d. h. eine Unklugheit begehen. 225Beiderlei Betrachtungsweiſen erfährt die Handelsfreiheit, indem ſie theils für eine Freiheit angeſehen wird, welche unter Um¬ ſtänden gewährt oder entzogen werden könne, theils für eine ſolche, die unter allen Umſtänden heilig zu halten ſei.

Iſt Mir an einer Sache nicht an und für ſich gelegen und begehre Ich ſie nicht um ihrer ſelbſt willen, ſo verlange Ich ſie lediglich wegen ihrer Zweckdienlichkeit, Nützlichkeit, um eines andern Zweckes willen, z. B. Auſtern zum Wohlge¬ ſchmack. Wird nun nicht dem Egoiſten jede Sache als Mittel dienen, deſſen letzter Zweck er ſelber iſt, und ſoll er eine Sache beſchützen, die ihm zu nichts dient, z. B. der Proletarier den Staat?

Die Eigenheit ſchließt jedes Eigene in ſich und bringt wieder zu Ehren, was die chriſtliche Sprache verunehrte. Die Eigenheit hat aber auch keinen fremden Maaßſtab, wie ſie denn überhaupt keine Idee iſt, gleich der Freiheit, Sittlichkeit, Menſchlichkeit u. dgl. : ſie iſt nur eine Beſchreibung des Eigners.

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II. Der Eigner.

Ich komme Ich zu Mir und dem Meinigen durch den Liberalismus?

Wen ſieht der Liberale für Seinesgleichen an? Den Men¬ ſchen! Sei Du nur Menſch und das biſt Du ja ſo nennt der Liberale Dich ſeinen Bruder. Er fragt nach dei¬ nen Privatmeinungen und Privatnarrheiten ſehr wenig, wenn er nur den Menſchen in Dir erblicken kann.

Da er aber deſſen wenig achtet, was Du privatim biſt, ja bei ſtrenger Befolgung ſeines Princips gar keinen Werth darauf legt, ſo ſieht er in Dir nur das, was Du generatim biſt. Mit andern Worten; er ſieht in Dir nicht Dich, ſondern die Gattung, nicht Hans oder Kunz, ſondern den Menſchen, nicht den Wirklichen oder Einzigen, ſondern dein Weſen oder deinen Begriff, nicht den Leibhaftigen, ſondern den Geiſt.

Als Hans wäreſt Du nicht Seinesgleichen, weil er Kunz, alſo nicht Hans, iſt; als Menſch biſt Du daſſelbe, was er iſt. Und da Du als Hans für ihn, ſoweit er nämlich ein227 Liberaler und nicht unbewußter Weiſe Egoiſt iſt, ſo gut als gar nicht exiſtirſt, ſo hat er ſich die Bruderliebe wahrlich ſehr leicht gemacht: er liebt in Dir nicht den Hans, von wel¬ chem er nichts weiß und wiſſen will, ſondern den Menſchen.

In Dir und Mir nichts weiter zu ſehen, als Menſchen , das heißt die chriſtliche Anſchauungsweiſe, wonach einer für den andern nichts als ein Begriff (z. B. ein zur Seligkeit Berufener u. ſ. w.) iſt, auf die Spitze treiben.

Das eigentliche Chriſtenthum ſammelt Uns noch unter einem minder allgemeinen Begriffe: Wir ſind da Kinder Got¬ tes und der Geiſt Gottes treibet Uns *)Röm. 8, 14.. Nicht Alle je¬ doch können ſich rühmen Gottes Kinder zu ſein, ſondern der¬ ſelbige Geiſt, welcher Zeugniß giebt unſerem Geiſte, daß Wir Gottes Kinder ſind, der offenbart auch, welche die Kinder des Teufels ſind **)Vergl. mit Röm. 8, 14. 1 Joh. 3, 10.. Mithin mußte ein Menſch, um Gottes Kind zu ſein, nicht ein Kind des Teufels ſein; die Kindſchaft Gottes excludirte gewiſſe Menſchen. Dagegen brauchen Wir, um Menſchenkinder, d. h. Menſchen zu ſein, nichts als zu der Menſchengattung zu gehören, brauchen nur Exem¬ plare derſelben Gattung zu ſein. Was Ich als dieſes Ich bin, das geht Dich als guten Liberalen nichts an, ſondern iſt allein meine Privatſache; genug, daß Wir beide Kinder ein und derſelben Mutter, nämlich der Menſchengattung, ſind: als Menſchenkind bin Ich Deinesgleichen.

Was bin Ich Dir nun? Etwa dieſes leibhaftige Ich, wie Ich gehe und ſtehe? Nichts weniger als das. Dieſes leib¬ haftige Ich mit ſeinen Gedanken, Entſchlüſſen und Leidenſchaf¬15 *228ten iſt in deinen Augen eine Privatſache , welche Dich nichts angeht, iſt eine Sache für ſich . Als eine Sache für Dich exiſtirt nur mein Begriff, mein Gattungsbegriff, nur der Menſch, der, wie er Hans heißt, eben ſo gut Peter oder Michel ſein könnte. Du ſiehſt in Mir nicht Mich, den Leib¬ haftigen, ſondern ein Unwirkliches, den Spuk, d. h. einen Menſchen.

Zu Unſersgleichen erklärten Wir im Laufe der chriſtli¬ chen Jahrhunderte die Verſchiedenſten, aber jedesmal nach Maaß desjenigen Geiſtes, den Wir von ihnen erwarteten, z. B. Jeden, bei dem der Geiſt der Erlöſungsbedürftigkeit ſich vor¬ ausſetzen läßt, dann ſpäter Jeden, der den Geiſt der Recht¬ ſchaffenheit hat, endlich Jeden, der menſchlichen Geiſt und ein menſchlich Antlitz zeigt. So variirte der Grundſatz der Gleichheit .

Indem man nun die Gleichheit als Gleichheit des menſch¬ lichen Geiſtes auffaßt, hat man allerdings eine alle Men¬ ſchen einſchließende Gleichheit entdeckt; denn wer könnte leug¬ nen, daß Wir Menſchen einen menſchlichen, d. h. keinen andern Geiſt als einen menſchlichen haben!

Aber ſind Wir darum nun weiter als im Anfange des Chriſtenthums? Damals ſollten Wir einen göttlichen Geiſt haben, jetzt einen menſchlichen; erſchöpfte Uns aber der göttliche nicht, wie ſollte der menſchliche ganz das ausdrücken, was Wir ſind? Feuerbach z. B. meint, wenn er das Gött¬ liche vermenſchliche, ſo habe er die Wahrheit gefunden. Nein, hat Uns der Gott gequält, ſo iſt der Menſch im Stande, Uns noch martemder zu preſſen. Daß Wir's kurz ſagen: daß Wir Menſchen ſind, das iſt das Geringſte an Uns und hat nur Bedeutung, in ſo fern es eine unſerer Eigenſchaften,229 d. h. unſer Eigenthum iſt. Ich bin zwar unter anderm auch ein Menſch, wie Ich z. B. ein lebendiges Weſen, alſo animal oder Thier, oder ein Europäer, ein Berliner u. dergl. bin; aber wer Mich nur als Menſchen oder als Berliner achten wollte, der zollte Mir eine Mir ſehr gleichgültige Achtung. Und weshalb? Weil er nur eine meiner Eigenſchaften achtete, nicht Mich.

Gerade ſo verhält ſich's mit dem Geiſte auch. Ein chriſtlicher, ein rechtſchaffener und ähnlicher Geiſt kann wohl meine erworbene Eigenſchaft, d. h. mein Eigenthum, ſein, Ich aber bin nicht dieſer Geiſt: er iſt mein, Ich nicht ſein.

Wir haben daher im Liberalismus nur die Fortſetzung der alten chriſtlichen Geringachtung des Ich's, des leibhaftigen Hanſen. Statt Mich zu nehmen, wie Ich bin, ſieht man lediglich auf mein Eigenthum, meine Eigenſchaften und ſchließt mit Mir einen ehrlichen Bund, nur um meines Beſitz¬ thums willen; man heirathet gleichſam, was Ich habe, nicht was Ich bin. Der Chriſt hält ſich an meinen Geiſt, der Liberale an meine Menſchlichkeit.

Aber iſt der Geiſt, den man nicht als das Eigenthum des leibhaftigen Ich's, ſondern als das eigentliche Ich ſelbſt betrachtet, ein Geſpenſt, ſo iſt auch der Menſch, der nicht als meine Eigenſchaft, ſondern als das eigentliche Ich anerkannt wird, nichts als ein Spuk, ein Gedanke, ein Begriff.

Darum dreht ſich auch der Liberale in demſelben Kreiſe wie der Chriſt herum. Weil der Geiſt des Menſchenthums, d. h. der Menſch, in Dir wohnt, biſt Du ein Menſch, wie Du, wenn der Geiſt Chriſti in Dir wohnt, ein Chriſt biſt; aber weil er nur als ein zweites, wenngleich als dein eigent¬ liches oder beſſeres Ich, in Dir wohnt, ſo bleibt er Dir230 jenſeitig, und Du mußt ſtreben, ganz der Menſch zu werden. Ein eben ſo fruchtloſes Streben, als das des Chriſten, ganz ſeliger Geiſt zu werden!

Jetzt, nachdem der Liberalismus den Menſchen proclamirt hat, kann man es ausſprechen, daß damit nur die letzte Con¬ ſequenz des Chriſtenthums vollzogen wurde, und daß das Chri¬ ſtenthum in Wahrheit ſich von Haus aus keine andere Aus¬ gabe ſtellte, als den Menſchen , den wahren Menſchen zu realiſiren. Daher denn die Täuſchung, es lege das Chriſten¬ thum dem Ich einen unendlichen Werth bei, wie z. B. in der Unſterblichkeitslehre, in der Seelſorge u. ſ. w. an den Tag kommt. Nein, dieſen Werth ertheilt es allein dem Menſchen. Nur der Menſch iſt unſterblich, und nur, weil Ich Menſch bin, bin auch Ich's. In der That mußte das Chriſtenthum lehren, daß Keiner verloren gehe, wie eben auch der Liberalis¬ mus Alle als Menſchen gleichgeſtellt; aber jene Ewigkeit, wie dieſe Gleichheit, betraf nur den Menſchen in Mir, nicht Mich. Nur als der Träger und Beherberger des Menſchen ſterbe Ich nicht, wie bekanntlich der König nicht ſtirbt . Ludwig ſtirbt, aber der König bleibt; Ich ſterbe, aber mein Geiſt, der Menſch, bleibt. Um nun Mich ganz mit dem Menſchen zu identificiren, hat man die Forderung erfunden und geſtellt: Ich müſſe ein wirkliches Gattungsweſen werden. *)Z. B. Marx in den deutſch-franz. Jahrbb. S. 197.

Die menſchliche Religion iſt nur die letzte Meta¬ morphoſe der chriſtlichen Religion. Denn Religion iſt der Li¬ beralismus darum, weil er mein Weſen von Mir trennt und über Mich ſtellt, weil er den Menſchen in demſelben Maaße erhöht, wie irgend eine andere Religion ihren Gott oder Götzen,231 weil el das Meinige zu einem Jenſeitigen, weil er überhaupt aus dem Meinigen, aus meinen Eigenſchaften und meinem Eigenthum, ein Fremdes, nämlich ein Weſen macht, kurz, weil er Mich unter den Menſchen ſtellt und Mir dadurch einen Beruf ſchafft; aber auch der Form nach erklärt ſich der Li¬ beralismus als Religion, wenn er für dieß höchſte Weſen, den Menſchen, einen Glaubenseifer fordert, einen Glauben, der endlich auch einmal ſeinen Feuereifer beweiſen wird, einen Eifer, der unüberwindlich ſein wird. *)Br. Bauer Judenfr. S. 61.Da der Liberalismus aber menſchliche Religion iſt, ſo verhält ſich der Bekenner der¬ ſelben gegen den Bekenner jeder anderen (katholiſchen, jüdiſchen u. ſ. w.) tolerant, wie Friedlich der Große gegen Jeden ſich verhielt, der ſeine Unterthanenpfiichten verrichtet, welcher Facon des Seligwerdens er auch zugethan ſein mochte. Dieſe Religion ſoll jetzt zur allgemein üblichen erhoben und von den andern als bloßen Privatnarrheiten , gegen die man übri¬ gens ſich wegen ihrer Unweſentlichkeit höchſt liberal verhält, abgeſondert werden.

Man kann ſie die Staatsreligion, die Religion des freien Staates nennen, nicht in dem bisherigen Sinne, daß ſie die vom Staate bevorzugte oder privilegirte ſei, ſondern als diejenige Religion, welche der freie Staat von jedem der Seinigen, er ſei privatim Jude, Chriſt oder was ſonſt, zu for¬ dern nicht nur berechtigt, ſondern genöthigt iſt. Sie thut nämlich dem Staate dieſelben Dienſte, wie die Pietät der Fa¬ milie. Soll die Familie von jedem der Ihrigen in ihrem Be¬ ſtande anerkannt und erhalten werden, ſo muß ihm das Band des Blutes heilig, und ſein Gefühl dafür das der Pietät, des232 Reſpectes gegen die Blutsbande, ſein, wodurch ihm jeder Bluts¬ verwandte zu einem Geheiligten wird. So auch muß jedem Gliede der Staatsgemeinde dieſe Gemeinde heilig, und der Begriff, welcher dem Staate der höchſte iſt, gleichfalls der höchſte ſein.

Welcher Begriff iſt aber dem Staate der höchſte? Doch wohl der, eine wirklich menſchliche Geſellſchaft zu ſein, eine Geſellſchaft, in welcher Jeder als Glied Aufnahme erhalten kann, der wirklich Menſch, d. h. nicht Unmenſch, iſt. Gehe die Toleranz eines Staates noch ſo weit, gegen einen Unmen¬ ſchen und gegen das Unmenſchliche hört ſie auf. Und doch iſt dieſer Unmenſch ein Menſch, doch iſt das Unmenſch¬ liche ſelbſt etwas Menſchliches, ja nur einem Menſchen, kei¬ nem Thiere, möglich, iſt eben etwas Menſchenmögliches . Obgleich aber jeder Unmenſch ein Menſch iſt, ſo ſchließt ihn doch der Staat aus, d. h. er ſperrt ihn ein, oder verwandelt ihn aus einem Staatsgenoſſen in einen Gefängnißgenoſſen (Irrenhaus - oder Krankenhausgenoſſen nach dem Commu¬ nismus).

Mit dürren Worten zu ſagen, was ein Unmenſch ſei, hält nicht eben ſchwer: es iſt ein Menſch, welcher dem Begriffe Menſch nicht entſpricht, wie das Unmenſchliche ein Menſch¬ liches iſt, welches dem Begriffe des Menſchlichen nicht an¬ gemeſſen iſt. Die Logik nennt dieß ein widerſinniges Urtheil . Dürfte man wohl dieß Urtheil, daß einer Menſch ſein könne, ohne Menſch zu ſein, ausſprechen, wenn man nicht die Hypo¬ theſe gelten ließe, daß der Begriff des Menſchen von der Exi¬ ſtenz, das Weſen von der Erſcheinung getrennt ſein könne? Man ſagt: der erſcheint zwar als Menſch, iſt aber kein Menſch.

233

Dieß widerſinnige Urtheil haben die Menſchen eine lange Reihe von Jahrhunderten hindurch gefällt! Ja, was noch mehr iſt, in dieſer langen Zeit gab es nur Unmen¬ ſchen. Welcher Einzelne hätte ſeinem Begriffe entſprochen? Das Chriſtenthum kennt nur Einen Menſchen, und dieſer Eine Chriſtus iſt ſogleich wieder im umgekehrten Sinne ein Unmenſch, nämlich ein übermenſchlicher Menſch, ein Gott . Wirklicher Menſch iſt nur der Unmenſch.

Menſchen, die keine Menſchen ſind, was wären ſie an¬ ders als Geſpenſter? Jeder wirkliche Menſch iſt, weil er dem Begriffe Menſch nicht entſpricht, oder weil er nicht Gattungsmenſch iſt, ein Spuk. Aber bleibe Ich auch dann noch ein Unmenſch, wenn Ich den Menſchen, der nur als mein Ideal, meine Aufgabe, mein Weſen oder Begriff über Mich hinausragte und Mir jenſeitig blieb, zu meiner Mir eigenen und inhärenten Eigenſchaft herabſetze, ſo daß der Menſch nichts anderes iſt, als meine Menſchlichkeit, mein Menſchſein, und alles, was Ich thue, gerade darum menſchlich iſt, weil Ich's thue, nicht aber darum, weil es dem Begriffe Menſch entſpricht? Ich bin wirklich der Menſch und Unmenſch in Einem; denn Ich bin Menſch und bin zugleich mehr als Menſch, d. h. Ich bin das Ich dieſer meiner bloßen Eigenſchaft.

Es mußte endlich dahin kommen, daß man Uns nicht mehr bloß zumuthete, Chriſten zu ſein, ſondern Menſchen zu werden; denn obwohl Wir auch Chriſten niemals wirklich wer¬ den konnten, ſondern immer arme Sünder blieben (der Chriſt war ja eben auch ein unerreichbares Ideal), ſo kam dabei doch die Widerſinnigkeit nicht ſo zum Bewußtſein und die Täu¬ ſchung war leichter, als jetzt, wo an Uns, die Wir Menſchen ſind und menſchlich handeln, ja gar nicht anders können, als234 dieß zu ſein und ſo zu handeln, die Forderung geſtellt wird: Wir ſollen Menſchen ſein, wirkliche Menſchen .

Unſere heutigen Staaten bürden zwar, weil ihnen von ihrer kirchlichen Mutter noch allerhand anklebt, den Ihrigen noch mancherlei Verpflichtungen auf (z. B. kirchliche Religio¬ ſität), die ſie, die Staaten, eigentlich nichts angehen; aber ſie verleugnen doch im Ganzen ihre Bedeutung nicht, indem ſie für menſchliche Geſellſchaften angeſehen werden wollen, in welchen der Menſch als Menſch ein Glied ſein kann, wenn er auch minder privilegirt iſt als andere Mitglieder; die meiſten laſſen Anhänger jeder religiöſen Secte zu, und recipiren die Leute ohne Racen - oder Nationalunterſchied: Juden, Türken, Mohren u. ſ. w. können franzöſiſche Bürger werden. Der Staat ſieht alſo bei der Aufnahme nur darauf, ob einer ein Menſch ſei. Die Kirche, als eine Geſellſchaft von Gläubi¬ gen, konnte nicht jeden Menſchen in ihren Schooß aufnehmen; der Staat, als eine Geſellſchaft von Menſchen, kann es. Aber wenn der Staat ſein Princip, bei den Seinigen nichts voraus¬ zuſetzen, als daß ſie Menſchen ſeien, rein vollzogen hat (bis jetzt ſetzen ſelbſt die Nordamerikaner bei den Ihrigen noch vor¬ aus, daß ſie Religion, wenigſtens die Religion der Recht¬ ſchaffenheit, der Honettetät, haben), dann hat er ſich ſein Grab gegraben. Während er wähnen wird, an den Seinigen lauter Menſchen zu beſitzen, ſind dieſe mittlerweile zu lauter Egoiſten geworden, deren jeder ihn nach ſeinen egoiſtiſchen Kräften und Zwecken benutzt. An den Egoiſten geht die menſchliche Ge¬ ſellſchaft zu Grunde; denn ſie beziehen ſich nicht mehr als Menſchen auf einander, ſondern treten egoiſtiſch als ein Ich gegen ein von Mir durchaus verſchiedenes und gegneriſches Du und Ihr auf.

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Wenn der Staat auf unſere Menſchlichkeit rechnen muß, ſo iſt's daſſelbe, wenn man ſagt: er müſſe auf unſere Sitt¬ lichkeit rechnen. In einander den Menſchen ſehen und gegen einander als Menſchen handeln, das nennt man ein ſittliches Verhalten. Es iſt das ganz und gar die geiſtige Liebe des Chriſtenthums. Sehe Ich nämlich in Dir den Menſchen, wie Ich in Mir den Menſchen, und nichts als den Menſchen ſehe, ſo ſorge Ich für Dich, wie Ich für Mich ſorgen würde, denn Wir ſtellen ja beide nichts als den mathematiſchen Satz vor: A = C und B = C, folglich A = B, d. h. Ich nichts als Menſch und Du nichts als Menſch, folglich Ich und Du daſſelbe. Die Sittlichkeit verträgt ſich nicht mit dem Egois¬ mus, weil ſie nicht Mich, ſondern nur den Menſchen an Mir gelten läßt. Iſt aber der Staat eine Geſellſchaft der Menſchen, nicht ein Verein von Ichen, deren jedes nur ſich im Auge hat, ſo kann er ohne Sittlichkeit nicht beſtehen und muß auf Sittlichkeit halten.

Darum ſind Wir beide, der Staat und Ich, Feinde. Mir, dem Egoiſten, liegt das Wohl dieſer menſchlichen Ge¬ ſellſchaft nicht am Herzen, Ich opfere ihr nichts, Ich benutze ſie nur; um ſie aber vollſtändig benutzen zu können, verwandle Ich ſie vielmehr in mein Eigenthum und mein Geſchöpf, d. h. Ich vernichte ſie und bilde an ihrer Stelle den Verein von Egoiſten.

Alſo es verräth der Staat ſeine Feindſchaft gegen Mich dadurch, daß er fordert, Ich ſoll Menſch ſein, was vorausſetzt, daß Ich es auch nicht ſein und ihm für einen Unmen¬ ſchen gelten könne: er legt Mir das Menſchſein als eine Pflicht auf. Ferner verlangt er, daß Ich nichts thue, wobei er nicht beſtehen könne; ſein Beſtand alſo ſoll Mir heilig236 ſein. Dann ſoll Ich kein Egoiſt, ſondern ein honetter, recht¬ ſchaffener , d. h. ſittlicher Menſch ſein. Genug, Ich ſoll gegen ihn und ſeinen Beſtand ohnmächtig und reſpectvoll ſein u. ſ. w.

Dieſer Staat, allerdings nicht ein gegenwärtiger, ſondern des Erſchaffens erſt noch bedürftig, iſt das Ideal des fortſchrei¬ tenden Liberalismus. Es ſoll eine wahrhafte Menſchengeſell¬ ſchaft entſtehen, worin jeder Menſch Platz findet. Der Liberalismus will den Menſchen realiſiren, d. h. ihm eine Welt ſchaffen, und dieß wäre die menſchliche Welt oder die allgemeine (communiſtiſche) Menſchengeſellſchaft. Man ſagte: Die Kirche konnte nur den Geiſt, der Staat ſoll den ganzen Menſchen berückſichtigen *)Heß, Triarchie. S. 76.. Aber iſt der Menſch nicht Geiſt ? Der Kern des Staates iſt eben der Menſch , dieſe Unwirklichkeit, und er ſelber iſt nur Menſchengeſellſchaft . Die Welt, welche der Gläubige (gläubige Geiſt) ſchafft, heißt Kirche, die Welt, welche der Menſch (menſchliche oder humane Geiſt) ſchafft, heißt Staat. Das iſt aber nicht meine Welt. Ich verrichte nie in abstracto Menſchliches, ſondern immer Eigenes, d. h. meine menſchliche That iſt von jeder andern menſchlichen verſchieden und iſt nur durch dieſe Verſchiedenheit eine wirkliche, Mir zugehörige That. Das Menſchliche an ihr iſt eine Abſtraction, und als ſolches Geiſt, d. h. abſtrahirtes Weſen.

Br. Bauer ſpricht es z. B. Judenfr. S. 84. aus, daß die Wahrheit der Kritik die letzte, und zwar die vom Chriſten¬ thum ſelber geſuchte Wahrheit ſei, nämlich der Menſch . Er ſagt: die Geſchichte der chriſtlichen Welt iſt die Geſchichte237 des höchſten Wahrheitskampfes, denn in ihr und nur in ihr! handelt es ſich um die Entdeckung der letzten oder der erſten Wahrheit des Menſchen und der Freiheit.

Wohlan, laſſen Wir Uns dieſen Gewinn gefallen, und nehmen Wir den Menſchen für das endlich gefundene Re¬ ſultat der chriſtlichen Geſchichte und überhaupt des religiöſen oder idealen Strebens der Menſchen. Wer iſt nun der Menſch? Ich bin es! Der Menſch, das Ende und Ergebniß des Chriſtenthums, iſt als Ich der Anfang und das auszunutzende Material der neuen Geſchichte, einer Geſchichte des Genuſſes nach der Geſchichte der Aufopferungen, einer Geſchichte nicht des Menſchen oder der Menſchheit, ſondern Meiner. Der Menſch gilt als das Allgemeine. Nun denn, Ich und das Egoiſtiſche iſt das wirklich Allgemeine, da Jeder ein Egoiſt iſt und ſich über alles geht. Das Jüdiſche iſt nicht das rein Egoiſtiſche, weil der Jude ſich noch an Jehova hingiebt, das Chriſtliche iſt es nicht, weil der Chriſt von der Gnade Gottes lebt und ſich ihm unterwirft. Es befriedigt als Jude wie als Chriſt ein Menſch nur gewiſſe ſeiner Bedürfniſſe, nur eine gewiſſe Nothdurft, nicht ſich: ein halber Egoismus, weil der Egoismus eines halben Menſchen, der halb er, halb Jude, oder halb ſein Eigenthümer, halb ein Sklave iſt. Darum ſchließen Jude und Chriſt ſich auch zur Hälfte immer aus, d. h. als Menſchen erkennen ſie ſich an, als Sklaven ſchließen ſie ſich aus, weil ſie zweier verſchiedener Herren Diener ſind. Könnten ſie vollkommene Egoiſten ſein, ſo ſchlöſſen ſie ſich ganz aus und hielten um ſo feſter zuſammen. Nicht daß ſie ſich ausſchließen, iſt ihre Schmach, ſondern daß dieß nur halb geſchieht. Dagegen meint Br. Bauer, als Menſchen können ſich Juden und Chriſten erſt betrachten und gegenſeitig behan¬238 deln, wenn ſie das beſondere Weſen, welches ſie trennt und zu ewiger Abſonderung verpflichtet, aufgeben, das allgemeine Weſen des Menſchen anerkennen und als ihr wahres We¬ ſen betrachten.

Nach ſeiner Darſtellung liegt der Fehler der Juden wie der Chriſten darin, daß ſie etwas Apartes ſein und haben wollen, ſtatt nur Menſchen zu ſein und Menſchliches zu erſtre¬ ben, nämlich die allgemeinen Menſchenrechte . Er meint, ihr Grundirrthum beſtehe in dem Glauben, ſie ſeien privile¬ girt , beſäßen Vorrechte , überhaupt in dem Glauben an das Vorrecht. Dagegen hält er ihnen das allgemeine Men¬ ſchenrecht vor. Das Menſchenrecht!

Der Menſch iſt der Menſch überhaupt und inſofern Jeder, der Menſch iſt. Nun ſoll Jeder die ewigen Menſchen¬ rechte haben, und in der vollkommenen Demokratie oder, wie es richtiger heißen müßte Anthropokratie, nach der Meinung der Communiſten ſie genießen. Aber nur Ich habe Alles, was Ich Mir verſchaffe; als Menſch habe Ich nichts. Man möchte jedem Menſchen alles Gute zufließen laſſen, bloß weil er den Titel Menſch hat. Ich aber lege den Accent auf Mich, nicht daraus, daß Ich Menſch bin.

Der Menſch iſt nur etwas als meine Eigenſchaft (Eigenthum), wie die Männlichkeit oder Weiblichkeit. Die Alten fanden das Ideal darin, daß man im vollen Sinne Mann ſei; ihre Tugend iſt virtus und arete, d. h. Männ¬ lichkeit. Was ſoll man von einem Weibe denken, die nur vollkommen Weib ſein wollte? Das iſt nicht jeder gegeben und Manche würde ſich damit ein unerreichbares Ziel ſetzen. Weiblich dagegen iſt ſie ohnehin, von Natur, die Weiblich¬ keit iſt ihre Eigenſchaft, und ſie braucht der ächten Weiblich¬239 keit nicht. Ich bin Menſch, gerade ſo, wie die Erde Stern iſt. So lächerlich es wäre der Erde die Aufgabe zu ſtellen, ein rechter Stern zu ſein, ſo lächerlich iſt's, Mir als Beruf aufzubürden, ein rechter Menſch zu ſein.

Wenn Fichte ſagt: Das Ich iſt Alles , ſo ſcheint dieß mit meinen Aufſtellungen vollkommen zu harmoniren. Allein nicht das Ich iſt Alles, ſondern das Ich zerſtört Alles, und nur das ſich ſelbſt auflöſende Ich, das nie ſeiende Ich, das endliche Ich iſt wirklich Ich. Fichte ſpricht vom abſo¬ luten Ich, Ich aber ſpreche von Mir, dem vergänglichen Ich.

Wie nahe liegt die Meinung, daß Menſch und Ich daſſelbe ſagen, und doch ſieht man z. B. an Feuerbach, daß der Ausdruck Menſch das abſolute Ich, die Gattung, be¬ zeichnen ſoll, nicht das vergängliche, einzelne Ich. Egoismus und Menſchlichkeit (Humanität) müßten das Gleiche bedeuten, aber nach Feuerbach kann der Einzelne (das Individuum ) ſich nur über die Schranken ſeiner Individualität erheben, aber nicht über die Geſetze, die poſitiven Weſensbeſtimmungen ſeiner Gattung . *)Weſen d. Chriſtenth., zweite Auflage. S. 401Allein die Gattung iſt nichts, und wenn der Einzelne ſich über die Schranken ſeiner Individualität er¬ hebt, ſo iſt dieß vielmehr gerade Er ſelbſt als Einzelner, er iſt nur, indem er ſich erhebt, er iſt nur, indem er nicht bleibt, was er iſt: ſonſt wäre er fertig, todt. Der Menſch iſt nur ein Ideal, die Gattung nur ein Gedachtes. Ein Menſch ſein, heißt nicht das Ideal des Menſchen erfüllen, ſondern ſich, den Einzelnen, darſtellen. Nicht, wie Ich das allgemein Menſchliche realiſire, braucht meine Ausgabe zu ſein, ſon¬ dern wie Ich Mir ſelbſt genüge. Ich bin meine Gattung,240 bin ohne Norm, ohne Geſetz, ohne Muſter u. dgl. Möglich, daß Ich aus Mir ſehr wenig machen kann; dieß Wenige iſt aber Alles und iſt beſſer, als was Ich aus Mir machen laſſe durch die Gewalt Anderer, durch die Dreſſur der Sitte, der Religion, der Geſetze, des Staates u. ſ. w. Beſſer wenn einmal von Beſſer die Rede ſein ſoll beſſer ein ungezoge¬ nes, als ein altkluges Kind, beſſer ein widerwilliger als ein zu Allem williger Menſch. Der Ungezogene und Widerwillige befindet ſich noch auf dem Wege, nach ſeinem eigenen Willen ſich zu bilden; der Altkluge und Willige wird durch die Gat¬ tung , die allgemeinen Anforderungen u. ſ. w. beſtimmt, ſie iſt ihm Geſetz. Er wird dadurch beſtimmt: denn, was iſt ihm die Gattung anders, als ſeine Beſtimmung , ſein Be¬ ruf ? Ob Ich auf die Menſchheit , die Gattung, blicke, um dieſem Ideal nachzuſtreben, oder auf Gott und Chriſtus mit gleichem Streben: wie wäre darin eine weſentliche Ver¬ ſchiedenheit? Höchſtens iſt jenes verwaſchener, als dieſes. Wie der Einzelne die ganze Natur, ſo iſt er auch die ganze Gattung.

Durch das, was Ich bin, iſt allerdings alles bedingt, was Ich thue, denke u. ſ. w., kurz meine Aeußerung oder Offenbarung. Der Jude z. B. kann nur ſo oder ſo wollen, kann nur ſo ſich geben ; der Chriſt kann ſich nur chriſtlich geben und offenbaren u. ſ. w. Wäre es möglich, daß Du Jude oder Chriſt ſein könnteſt, ſo brächteſt Du freilich nur Jüdiſches oder Chriſtliches zu Tage; allein es iſt nicht mög¬ lich, Du bleibſt beim ſtrengſten Wandel doch ein Egoiſt, ein Sünder gegen jenen Begriff, d. h. Du biſt nicht Jude. Weil nun immer das Egoiſtiſche wieder durchblickt, ſo hat man nach einem vollkommneren Begriffe gefragt, der wirklich ganz241 ausdrückte, was Du biſt, und der, weil er deine wahre Natur iſt, alle Geſetze deiner Bethätigung enthielte. Das Vollkom¬ menſte der Art hat man im Menſchen erreicht. Als Jude biſt Du zu wenig und das Jüdiſche iſt nicht deine Aufgabe; ein Grieche, ein Deutſcher zu ſein, reicht nicht aus. Aber ſei ein Menſch, dann haſt Du alles; das Menſchliche ſieh 'als deinen Beruf an.

Nun weiß Ich, was Ich ſoll, und der neue Katechismus kann abgefaßt werden. Wieder iſt das Subject dem Prädi¬ cate unterworfen, der Einzelne einem Allgemeinen; wieder iſt einer Idee die Herrſchaft geſichert und zu einer neuen Reli¬ gion der Grund gelegt. Es iſt dieß ein Fortſchritt im religiöſen, und ſpeciell im chriſtlichen Gebiete, kein Schritt über daſſelbe hinaus.

Der Schritt darüber hinaus führt ins Unſagbare. Für Mich hat die armſelige Sprache kein Wort, und das Wort , der Logos, iſt Mir ein bloßes Wort .

Man ſucht mein Weſen. Iſt's nicht der Jude, der Deutſche u. ſ. w., ſo doch der Menſch. Der Menſch iſt mein Weſen.

Ich bin Mir zuwider oder widerwärtig; Mir graut und ekelt vor Mir, Ich bin Mir ein Gräuel, oder Ich bin Mir nie genug und thue Mir nie genug. Aus ſolchen Gefühlen entſpringt die Selbſtauflöſung oder Selbſtkritik. Mit der Selbſt¬ verleugnung beginnt, mit der vollendeten Kritik ſchließt die Religioſität.

Ich bin beſeſſen und will den böſen Geiſt loswerden. Wie fange Ich's an? Ich begehe getroſt die Sünde, welche dem Chriſten die ärgſte ſcheint, die Sünde und Läſterung wider den heiligen Geiſt. Wer den heiligen Geiſt läſtert, der16242hat keine Vergebung ewiglich, ſondern iſt ſchuldig des ewigen Gerichts! *)Marc. 3, 29.Ich will keine Vergebung und fürchte Mich nicht vor dem Gerichte.

Der Menſch iſt der letzte böſe Geiſt oder Spuk, der täuſchendſte oder vertrauteſte, der ſchlaueſte Lügner mit ehrlicher Miene, der Vater der Lügen.

Indem der Egoiſt ſich gegen die Anmuthungen und Be¬ griffe der Gegenwart wendet, vollzieht er unbarmherzig die maaßloſeſte Entheiligung. Nichts iſt ihm heilig!

Es wäre thöricht zu behaupten, es gäbe keine Macht über der meinigen. Nur die Stellung, welche Ich Mir zu derſelben gebe, wird eine durchaus andere ſein, als ſie im religiöſen Zeitalter war: Ich werde der Feind jeder höheren Macht ſein, während die Religion lehrt, ſie Uns zur Freundin zu machen und demüthig gegen ſie zu ſein.

Der Entheiliger ſpannt ſeine Kraft gegen jede Got¬ tesfurcht, denn Gottesfurcht würde ihn in allem beſtimmen, was er als heilig beſtehen ließe. Ob am Gottmenſchen der Gott oder der Menſch die heiligende Macht übe, ob alſo etwas um Gottes oder um des Menſchen (der Humanität) willen heilig gehalten werde, das ändert die Gottesfurcht nicht, da der Menſch ſo gut als höchſtes Weſen verehrt wird, als auf dem ſpeciell religiöſen Standpunkte der Gott als höchſtes Weſen unſere Furcht und Ehrfurcht verlangt, und beide Uns imponiren.

Die eigentliche Gottesfurcht hat längſt eine Erſchütterung erlitten, und ein mehr oder weniger bewußter Atheismus ,243 äußerlich an einer weit verbreiteten Unkirchlichkeit erkennbar, iſt unwillkührlich Ton geworden. Allein, was dem Gott ge¬ nommen wurde, iſt dem Menſchen zugeſetzt worden, und die Macht der Humanität vergrößerte ſich in eben dem Grade, als die der Frömmigkeit an Gewicht verlor: der Menſch iſt der heutige Gott, und Menſchenfurcht an die Stelle der alten Gottesfurcht getreten.

Weil aber der Menſch nur ein anderes höchſtes Weſen vorſtellt, ſo iſt in der That am höchſten Weſen nichts als eine Metamorphoſe vor ſich gegangen und die Menſchenfurcht bloß eine veränderte Geſtalt der Gottesfurcht.

Unſere Atheiſten ſind fromme Leute.

Trugen Wir in der ſogenannten Feudalzeit Alles von Gott zu Lehen, ſo findet in der liberalen Periode daſſelbe Lehns¬ verhältniß mit dem Menſchen ſtatt. Gott war der Herr, jetzt iſt der Menſch der Herr; Gott war der Mittler, jetzt iſt's der Menſch; Gott war der Geiſt, jetzt iſt's der Menſch. In dieſer dreifachen Beziehung hat das Lehnsverhältniß eine Umgeſtal¬ tung erfahren. Wir tragen jetzt nämlich erſtens von dem all¬ mächtigen Menſchen zu Lehen unſere Macht, die, weil ſie von einem Höheren kommt, nicht Macht oder Gewalt, ſondern Recht heißt: das Menſchenrecht ; Wir tragen ferner von ihm unſere Weltſtellung zu Lehen, denn er, der Mittler, ver¬ mittelt unſern Verkehr, der darum nicht anders als menſch¬ lich ſein darf; endlich tragen Wir von ihm Uns ſelbſt zu Lehen, nämlich unſeren eigenen Werth oder alles, was Wir werth ſind, da Wir eben nichts werth ſind, wenn er nicht in Uns wohnt, und wenn oder wo Wir nicht menſchlich ſind. Die Macht iſt des Menſchen, die Welt iſt des Menſchen, Ich bin des Menſchen.

16*244

Wie aber, bleibt Mir's nicht unbenommen, Mich zum Berechtiger, zum Mittler und zum eigenen Selbſt zu erklären? Dann lautet es alſo:

Meine Macht iſt mein Eigenthum.

Meine Macht giebt Mir Eigenthum.

Meine Macht bin Ich ſelbſt und bin durch ſie mein Eigenthum.

I. Meine Macht.

Das Recht iſt der Geiſt der Geſellſchaft. Hat die Geſellſchaft einen Willen, ſo iſt dieſer Wille eben das Recht: ſie beſteht nur durch das Recht. Da ſie aber nur dadurch beſteht, daß ſie über die Einzelnen eine Herrſchaft übt, ſo iſt das Recht ihr Herrſcherwille. Ariſtoteles ſagt, Gerech¬ tigkeit ſei der Nutzen der Geſellſchaft.

Alles beſtehende Recht iſt fremdes Recht, iſt Recht, welches man Mir giebt , Mir widerfahren läßt . Hätte Ich aber darum Recht, wenn alle Welt Mir Recht gäbe? Und doch, was iſt das Recht, das Ich im Staate, in der Geſell¬ ſchaft, erlange, anders, als ein Recht von Fremden? Wenn ein Dummkopf Mir Recht giebt, ſo werde Ich mißtrauiſch ge¬ gen mein Recht; Ich mag ſein Rechtgeben nicht. Aber auch wenn ein Weiſer Mir Recht giebt, habe Ich's darum doch noch nicht. Ob Ich Recht habe, iſt völlig unabhängig von dem Rechtgeben des Thoren und des Weiſen.

Gleichwohl haben Wir bis jetzt nach dieſem Rechte ge¬ trachtet. Wir ſuchen Recht und wenden Uns zu dem Zwecke245 ans Gericht. An welches? An ein königliches, ein päpſt¬ liches, ein Volksgericht u. ſ. w. Kann ein ſultaniſches Ge¬ richt ein anderes Recht ſprechen, als dasjenige, welches der Sultan zu Recht verordnet hat? Kann es Mir Recht geben, wenn Ich ein Recht ſuche, das nicht mit dem Sultansrechte ſtimmt? Kann es Mir z. B. den Hochverrath als ein Recht einräumen, da er doch nach des Sultans Sinne kein Recht iſt? Kann es als Cenſurgericht Mir die freie Meinungs¬ äußerung als Recht gewähren, da der Sultan von dieſem meinem Rechte nichts wiſſen will? Was ſuche Ich alſo bei dieſem Gerichte? Ich ſuche ſultaniſches Recht, nicht mein Recht; Ich ſuche fremdes Recht. So lange dieß fremde Recht mit dem meinigen übereinſtimmt, werde Ich freilich auch das letztere bei ihm finden.

Der Staat läßt nicht zu, daß man Mann an Mann an ein¬ ander gerathe; er widerſetzt ſich dem Zweikampf. Selbſt jede Prügelei, zu der doch keiner der Kämpfenden die Polizei ruft, wird geſtraft, es ſei denn, daß nicht ein Ich auf ein Du los¬ prügele, ſondern etwa ein Familienhaupt auf das Kind: die Familie iſt berechtigt, und in ihrem Namen der Vater, Ich als Einziger bin es nicht.

Die Voſſiſche Zeitung präſentirt Uns den Rechtsſtaat . Da ſoll Alles durch den Richter und ein Gericht entſchieden werden. Das Ober-Cenſur-Gericht gilt ihr für ein Gericht , wo Recht geſprochen wird . Was für ein Recht? Das Recht der Cenſur. Um die Rechtsſprüche jenes Gerichts für Recht anzuerkennen, muß man die Cenſur für Recht halten. Man meint aber gleichwohl, dieß Gericht biete einen Schutz. Ja Schutz gegen den Irrthum eines einzelnen Cenſors: es ſchützt nur den Cenſurgeſetzgeber vor falſcher Auslegung ſeines246 Willens, macht aber gegen die Schreibenden ſein Geſetz um ſo feſter durch die heilige Macht des Rechts.

Ob Ich Recht habe oder nicht, darüber giebt es keinen andern Richter, als Mich ſelbſt. Darüber nur können An¬ dere urtheilen und richten, ob ſie meinem Rechte beiſtimmen, und ob es auch für ſie als Recht beſtehe.

Faſſen Wir inzwiſchen die Sache noch anders. Ich ſoll das ſultaniſche Recht verehren im Sultanat, das Volksrecht in Republiken, das kanoniſche Recht in katholiſcher Gemeinde u. ſ. w. Dieſen Rechten ſoll Ich Mich unterordnen, ſoll ſie für heilig halten. Ein Rechtsſinn und rechtlicher Sinn ſolcher Art ſteckt den Leuten ſo feſt im Kopfe, daß die Revo¬ lutionairſten unſerer Tage Uns einem neuen heiligen Rechte unterwerfen wollen, dem Rechte der Geſellſchaft , der Societät, dem Rechte der Menſchheit, dem Rechte Aller u. dergl. Das Recht Aller ſoll meinem Rechte vorgehen. Als ein Recht Aller wäre es allerdings auch mein Recht, da Ich zu Allen mitgehöre; allein, daß es zugleich ein Recht Anderer oder gar aller Andern iſt, das bewegt Mich nicht zur Auf¬ rechthaltung deſſelben. Nicht als ein Recht Aller werde Ich es vertheidigen, ſondern als mein Recht, und jeder An¬ dere mag dann zuſehen, wie er ſich's gleichfalls bewahre. Das Recht Aller (z. B. zu eſſen) iſt ein Recht jedes Einzel¬ nen. Halte ſich Jeder dieß Recht unverkümmert, ſo üben es von ſelbſt Alle; aber ſorge er doch nicht für Alle, ereifere er ſich dafür nicht als für ein Recht Aller.

Aber die Socialreformer pretigen Uns ein Geſell¬ ſchaftsrecht . Da wird der Einzelne der Sklave der Ge¬ ſellſchaft, und hat nur Recht, wenn ihm die Geſellſchaft Recht giebt, d. h. wenn er nach den Geſetzen der Geſellſchaft247 lebt, alſo loyal iſt. Ob Ich loyal bin in einer Despotie oder in einer Weitlingſchen Geſellſchaft , das iſt dieſelbe Recht¬ loſigkeit, inſofern Ich in beiden Fällen nicht mein, ſondern fremdes Recht habe.

Beim Rechte fragt man immer: Was oder Wer giebt Mir das Recht dazu? Antwort: Gott, die Liebe, die Ver¬ nunft, die Natur, die Humanität u. ſ. w. Nein, nur deine Gewalt, deine Macht giebt Dir das Recht (deine Vernunft z. B. kann Dir's geben).

Der Communismus, welcher annimmt, daß die Menſchen von Natur gleiche Rechte haben , widerlegt ſeinen eigenen Satz da¬ hin, daß die Menſchen von Natur gar kein Recht haben. Denn er will z. B. nicht anerkennen, daß die Aeltern von Natur Rechte gegen die Kinder haben oder dieſe gegen jene: er hebt die Familie auf. Die Natur giebt den Aeltern, Geſchwiſtern u. ſ. w. gar kein Recht. Ueberhaupt beruht dieſer ganze revolutionnaire oder Ba¬ beufſche Grundſatz*)Vergl. : Die Communiſten in der Schweiz , Commiſſional¬ bericht. S. 3. einer religiöſen, d. h. falſchen An¬ ſchauung. Wer kann, wenn er ſich nicht auch auf dem reli¬ giöſen Standpunkte befindet, nach dem Rechte fragen? Iſt das Recht nicht ein religiöſer Begriff, d. h. etwas Heiliges? Rechtsgleichheit , wie ſie die Revolution aufſtellte, iſt ja nur eine andere Form für die chriſtliche Gleichheit , die Gleichheit der Brüder, der Kinder Gottes, der Chriſten u. ſ. w. , kurz fraternité. Alle und jede Frage nach dem Rechte ver¬ dient mit Schillers Worten gegeißelt zu werden:

Jahre lang ſchon bedien 'ich mich meiner Naſe zum Riechen;
Hab' ich denn wirklich an ſie auch ein erweisliches Recht?
248

Als die Revolution die Gleichheit zu einem Rechte ſtempelte, flüchtete ſie ins religiöſe Gebiet, in die Region des Heiligen, des Ideals. Daher ſeitdem der Kampf um die hei¬ ligen, unveräußerlichen Menſchenrechte . Gegen das ewige Menſchenrecht wird ganz natürlich und gleichberechtigt das wohlerworbene Recht des Beſtehenden geltend gemacht: Recht gegen Recht, wo natürlich eines vom andern als Unrecht verſchrieen wird. Das iſt der Rechtsſtreit ſeit der Revo¬ lution.

Ihr wollt gegen die Andern im Rechte ſein . Das könnt Ihr nicht, gegen ſie bleibt Ihr ewig im Unrecht ; denn ſie wären ja eure Gegner nicht, wenn ſie nicht auch in ihrem Rechte wären: ſie werden Euch ſtets Unrecht geben . Aber euer Recht iſt gegen das der Anderen ein höheres, größe¬ res, mächtigeres, nicht ſo? Mit Nichten! Euer Recht iſt nicht mächtiger, wenn Ihr nicht mächtiger ſeid. Haben chine¬ ſiſche Unterthanen ein Recht auf Freiheit? Schenkt ſie ihnen doch, und ſeht dann zu, wie ſehr Ihr Euch darin vergriffen habt: weil ſie die Freiheit nicht zu nutzen wiſſen, darum ha¬ ben ſie kein Recht darauf, oder deutlicher, weil ſie die Freiheit nicht haben, haben ſie eben das Recht dazu nicht. Kinder ha¬ ben kein Recht auf die Mündigkeit, weil ſie nicht mündig ſind, d. h. weil ſie Kinder ſind. Völker, die ſich in Unmündigkeit halten laſſen, haben kein Recht auf Mündigkeit; hörten ſie auf, unmündig zu ſein, dann erſt hätten ſie das Recht, mündig zu ſein. Dieß heißt nichts anderes, als: was Du zu ſein die Macht haſt, dazu haſt Du das Recht. Ich leite alles Recht und alle Berechtigung aus Mir her; Ich bin zu allem berech¬ tigt, deſſen Ich mächtig bin. Ich bin berechtigt, Zeus, Je¬ hova, Gott u. ſ. w. zu ſtürzen, wenn Ich's kann; kann249 Ich's nicht, ſo werden dieſe Götter ſtets gegen Mich im Rechte und in der Macht bleiben, Ich aber werde Mich vor ihrem Rechte und ihrer Macht fürchten in ohnmächtiger Gottes¬ furcht , werde ihre Gebote halten und in Allem, was Ich nach ihrem Rechte thue, Recht zu thun glauben, wie etwa die ruſſiſchen Grenzwächter ſich für berechtigt halten, die ent¬ rinnenden Verdächtigen todt zu ſchießen, indem ſie auf höhere Autorität , d. h. mit Recht morden. Ich aber bin durch Mich berechtigt zu morden, wenn Ich Mir's ſelbſt nicht ver¬ biete, wenn Ich ſelbſt Mich nicht vorm Morde als vor einem Unrecht fürchte. Dieſe Anſchauung liegt Chamiſſo's Ge¬ dichte das Mordthal zu Grunde, wo der ergraute indianiſche Mörder dem Weißen, deſſen Mitbrüder er gemordet, Ehrfurcht abzwingt. Ich bin nur zu Dem nicht berechtigt, was Ich nicht mit freiem Muthe thue, d. h. wozu Ich Mich nicht berechtige.

Ich entſcheide, ob es in Mir das Rechte iſt; außer Mir giebt es kein Recht. Iſt es Mir recht, ſo iſt es recht. Möglich, daß es darum den Andern noch nicht recht iſt; das iſt ihre Sorge, nicht meine: ſie mögen ſich wehren. Und wäre etwas der ganzen Welt nicht recht, Mir aber wäre es recht, d. h. Ich wollte es, ſo früge Ich nach der ganzen Welt nichts. So macht es Jeder, der ſich zu ſchätzen weiß, Jeder in dem Grade, als er Egoiſt iſt, denn Gewalt geht vor Recht, und zwar mit vollem Rechte.

Weil Ich von Natur ein Menſch bin, habe Ich ein gleiches Recht auf den Genuß aller Güter, ſagt Babeuf. Müßte er nicht auch ſagen: weil Ich von Natur ein erſt¬ geborener Prinz bin, habe Ich ein Recht auf den Thron? Die Menſchenrechte und die wohlerworbenen Rechte kommen250 auf daſſelbe hinaus, nämlich auf die Natur, welche Mir ein Recht giebt, d.h. auf die Geburt (und weiter die Erb¬ ſchaft u. ſ. w.). Ich bin als Menſch geboren iſt gleich: Ich bin als Königsſohn geboren. Der natürliche Menſch hat nur ein natürliches Recht, weil Macht, und natürliche Anſprüche: er hat Geburtsrecht und Geburtsanſprüche. Die Natur aber kann Mich zu dem nicht berechtigen, d. h. befähigen oder ge¬ waltig machen, wozu Mich nur meine That berechtigt. Daß das Königskind ſich über andere Kinder ſtellt, das iſt ſchon ſeine That, die ihm den Vorzug ſichert, und daß die anderen Kinder dieſe That billigen und anerkennen, das iſt ihre That, die ſie würdig macht Unterthanen zu ſein.

Ob Mir die Natur ein Recht giebt, oder Gott, die Volks¬ wahl u. ſ. w., das iſt Alles daſſelbe fremde Recht, iſt ein Recht, das Ich Mir nicht gebe oder nehme.

So ſagen die Communiſten: die gleiche Arbeit berechtige die Menſchen zu gleichem Genuſſe. Früher warf man die Frage auf, ob nicht der Tugendhafte auf Erden glücklich ſein müſſe. Die Juden folgerten auch wirklich ſo: Auf daß Dir's wohlgehe auf Erben. Nein, die gleiche Arbeit berech¬ tigt Dich nicht dazu, ſondern der gleiche Genuß allein berech¬ tigt Dich zum gleichen Genuß. Genieße, ſo biſt Du zum Genuß berechtigt. Haſt Du aber gearbeitet und läſſeſt Dir den Genuß entziehen, ſo geſchieht Dir Recht .

Wenn Ihr den Genuß nehmt, ſo iſt er euer Recht; ſchmachtet Ihr hingegen nur darnach, ohne zuzugreifen, ſo bleibt er nach wie vor ein wohlerworbenes Recht derer, welche für den Genuß privilegirt ſind. Er iſt ihr Recht, wie er durch Zugreifen euer Recht würde.

251

In heftiger Bewegung ſchwankt der Streit um das Recht des Eigenthums . Die Communiſten behaupten*)A. Becker, Volksphiloſophie. S. 22 f.: die Erde gehört rechtlich demjenigen, der ſie bebaut, und die Producte derſelben denjenigen, die ſie hervorbringen. Ich meine, ſie gehört dem, der ſie zu nehmen weiß, oder, der ſie ſich nicht nehmen, ſich nicht darum bringen läßt. Eignet er ſie ſich an, ſo gehört ihm nicht bloß die Erde, ſondern auch das Recht dazu. Dieß iſt das egoiſtiſche Recht, d.h. Mir iſt's ſo recht, darum iſt es Recht.

Sonſt hat eben das Recht eine wächſerne Naſe . Der Tiger, der Mich anfällt, hat Recht, und Ich, der ihn nieder¬ ſtößt, habe auch Recht. Nicht mein Recht wahre Ich gegen ihn, ſondern Mich.

Da das menſchliche Recht immer ein Gegebenes iſt, ſo läuft es in Wirklichkeit immer auf das Recht hinaus, welches die Menſchen einander geben, d. h. einräumen . Räumt man den neugeborenen Kindern das Recht der Exiſtenz ein, ſo haben ſie das Recht; räumt man's ihnen nicht ein, wie dieß bei den Spartanern und alten Römern der Fall war, ſo haben ſie's nicht. Denn geben oder einräumen kann es ihnen nur die Geſellſchaft, nicht ſie ſelbſt können es nehmen oder ſich geben. Man wird einwenden: die Kinder hatten dennoch von Natur das Recht zu exiſtiren; nur verſagten die Spar¬ taner dieſem Rechte die Anerkennung. Aber ſo hatten ſie eben kein Recht auf dieſe Anerkennung, ſo wenig als ſie ein Recht darauf hatten, daß die wilden Thiere, denen ſie vorge¬ worfen wurden, ihr Leben anerkennen ſollten.

252

Man ſpricht ſo viel vom angebornen Rechte und klagt:

Vom Rechte, das mit uns geboren iſt,
Von dem iſt leider nicht die Frage.

Was für ein Recht wäre denn mit Mir geboren? Das Recht, Majoratsherr zu werden, einen Thron zu erben, eine prinzliche oder adlige Erziehung zu genießen, oder auch, weil Mich arme Aeltern zeugten, Freiſchule zu bekommen, aus Almoſenbeiträgen gekleidet zu werden, und endlich in den Koh¬ lenbergwerken oder am Weberſtuhle Mir mein Brod und mei¬ nen Hering zu verdienen? Sind das nicht angeborene Rechte, Rechte, die von meinen Aeltern her durch die Geburt auf Mich gekommen ſind? Ihr meint: nein; Ihr meint, dieß ſeien nur mißbräuchlich ſogenannte Rechte, es ſeien eben jene Rechte, welche Ihr durch das wirklich angeborene Recht abzuſchaffen trachtet. Dieß zu begründen, geht Ihr auf das Einfachſte zurück und behauptet, Jeder ſei durch die Geburt dem Andern gleich, nämlich ein Menſch. Ich will Euch zugeben, daß Jeder als Menſch geboren werde, mithin die Neugeborenen einander darin gleich ſeien. Warum ſind ſie's? Nur deshalb, weil ſie ſich noch als nichts Anderes zeigen und bethätigen, als eben als bloße Menſchenkinder, nackte Menſchlein. Dadurch ſind ſie aber ſogleich verſchieden von denen, welche bereits etwas aus ſich gemacht haben und nicht mehr bloße Menſchenkinder ſind, ſondern Kinder ihrer eige¬ nen Schöpfung. Die letzteren beſitzen mehr als bloß ange¬ borene Rechte: ſie haben Rechte erworben. Welch 'ein Gegenſatz, welch' ein Kampffeld! Der alte Kampf der ange¬ borenen Menſchenrechte und der wohlerworbenen Rechte. Be¬ ruft Euch immerhin auf eure angeborenen Rechte; man wird nicht ermangeln, die wohlerworbenen Euch entgegenzuſtellen.

253

Beide ſtehen auf dem Rechtsboden , denn jeder von beiden hat ein Recht gegen den Andern, der Eine das angeborene oder natürliche, der Andere das erworbene oder wohlerworbene .

Bleibt Ihr auf dem Rechtsboden, ſo bleibt Ihr bei der Rechthaberei*) Ich bitte Dich, verſchone meine Lunge! Wer Recht behalten will und hat nur eine Zunge, behält's gewiß! . Der Andere kann Euch euer Recht nicht geben, er kann Euch nicht Recht widerfahren laſſen . Wer die Gewalt hat, der hat Recht; habt Ihr jene nicht, ſo habt Ihr auch dieſes nicht. Iſt dieſe Weisheit ſo ſchwer zu erlangen? Seht doch die Gewaltigen und ihr Thun an! Wir reden hier natürlich nur von China und Japan. Ver¬ ſucht's einmal, Ihr Chineſen und Japaneſen, ihnen Unrecht zu geben, und erfahrt's, wie ſie Euch in den Kerker werfen. (Verwechſelt damit nur nicht die wohlmeinenden Rathſchläge , die in China und Japan erlaubt ſind, weil ſie den Gewaltigen nicht hemmen, ſondern, möglicher Weiſe, fördern.) Wer ihnen Unrecht geben wollte, dem ſtünde dazu nur Ein Weg offen, der der Gewalt. Bringt er ſie um ihre Gewalt, dann hat er ihnen wirklich Unrecht gegeben, hat ſie um ihr Recht gebracht; im andern Falle kann er nichts, als ein Fäuſtchen in der Taſche machen, oder als ein vorlauter Narr zum Opfer fallen.

Kurz, fragtet Ihr Chineſen und Japaneſen nicht nach dem Rechte, fragtet namentlich nicht nach dem Rechte, das mit Euch geboren iſt , dann brauchtet Ihr auch nichts nach den wohlerworbenen Rechten zu fragen.

Ihr ſchreckt vor den Andern zurück, weil Ihr neben ihnen das Geſpenſt des Rechtes zu ſehen glaubt, das, wie in254 den homeriſchen Kämpfen, als Göttin an ihrer Seite helfend mitzufechten ſcheint. Was thut Ihr? Werft Ihr den Speer? Nein, Ihr ſchleicht umher, um den Spuk für Euch zu gewin¬ nen, damit er auf eurer Seite mitfechte: Ihr buhlt um die Gunſt des Geſpenſtes. Ein Anderer früge einfach ſo: Will Ich, was der Gegner will? Nein! Nun, ſo mögen tau¬ ſend Teufel oder Götter für ihn kämpfen. Ich ſchlage doch drauf los!

Der Rechtsſtaat , wie ihn unter Andern die Voſſiſche Zeitung vertritt, verlangt, daß die Beamten nur durch den Richter ihres Amtes ſollen entſetzt werden können, nicht durch die Adminiſtration. Eitle Illuſion. Wenn geſetzlich be¬ ſtimmt würde, ein Beamter, der einmal trunken geſehen wird, ſoll ſein Amt verlieren, ſo müßte der Richter auf Ausſage der Zeugen ihn verurtheilen u. ſ.w. Kurz, der Geſetzgeber dürfte nur alle möglichen Gründe genau angeben, welche den Verluſt des Amtes nach ſich ziehen, möchten ſie auch noch ſo lächerlich ſein (z. B. wer ſeinen Vorgeſetzten ins Geſicht lacht, wer nicht ſonntäglich in die Kirche geht, wer nicht alle vier Wochen zum Abendmahl geht, wer Schulden macht, wer unanſtändigen Umgang hat, wer keine Entſchloſſenheit zeigt u. ſ.w., ſoll entſetzt werden. Dieſe Dinge könnte der Geſetzgeber z. B. bei einem Ehrengerichte aufzuſtellen ſich einfallen laſſen), ſo hätte der Richter lediglich zu unterſuchen, ob Beklagter ſich jene Vergehen habe zu Schulden kommen laſſen , und müßte nach erfolgtem Beweis gegen ihn von Rechtswegen die Ab¬ ſetzung ausſprechen.

Der Richter iſt verloren, wenn er aufhört, mechaniſch zu ſein, wenn er von den Beweisregeln verlaſſen wird . Dann hat er nur noch eine Meinung, wie jeder Andere, und255 entſcheidet er nach dieſer Meinung, ſo iſt das keine Amts¬ handlung mehr; er darf als Richter nur nach dem Geſetze entſcheiden. Da lobe Ich Mir noch die alten franzöſiſchen Parlamente, die, was Rechtens ſein ſollte, ſelbſt prüfen und nach eigener Zuſtimmung erſt regiſtriren wollten. Die richteten wenigſtens nach eigenem Rechte und mochten ſich nicht zu Maſchinen des Geſetzgebers hergeben, wenn gleich ſie als Richter freilich ihre eigenen Maſchinen werden mußten.

Man ſagt, die Strafe ſei das Recht des Verbrechers. Allein die Strafloſigkeit iſt ebenſo ſein Recht. Gelingt ihm ſein Unternehmen, ſo geſchieht ihm Recht, und gelingt's nicht, ſo geſchieht ihm gleichfalls Recht. Wie Du Dich betteſt, ſo ſchläfſt Du. Begiebt ſich Jemand tollkühn in Gefahren und kommt dann um, ſo ſagen Wir wohl: es geſchieht ihm Recht, er hat's nicht beſſer gewollt. Beſiegte er aber die Gefahren, d. h. ſiegte ſeine Macht, ſo hätte er auch Recht. Spielt ein Kind mit dem Meſſer und ſchneidet ſich, ſo geſchieht ihm Recht; aber ſchneidet ſich's nicht, ſo geſchieht ihm auch Recht. Dem Verbrecher widerfährt daher wohl Recht, wenn er leidet, was er riskirte; warum riskirte er's auch, da er die möglichen Folgen kannte! Aber die Strafe, welche Wir über ihn ver¬ hängen, iſt nur unſer Recht, nicht das ſeine. Unſer Recht reagirt gegen das ſeinige, und er behält Unrecht , weil Wir die Oberhand gewinnen.

Was aber Recht, was in einer Geſellſchaft Rechtens iſt, das kommt auch zu Worte im Geſetze.

Wie auch das Geſetz ſei, es muß reſpectirt werden vom loyalen Bürger. So wird der geſetzliche Sinn Old Eng¬256 lands gerühmt. Dem entſpricht ganz jenes euripideiſche Wort (Oreſtes, 412): Den Göttern dienen Wir, was immer auch die Götter ſind. Geſetz überhaupt, Gott überhaupt, ſo weit ſind Wir heute.

Man bemüht ſich, Geſetz von willkührlichem Befehl, von einer Ordonnanz zu unterſcheiden: jenes gehe von einer berechtigten Autorität aus. Allein ein Geſetz über menſchliches Handeln (ethiſches Geſetz, Staatsgeſetz u. ſ. w.) iſt immer eine Willenserklärung, mithin Befehl. Ja, wenn Ich das Geſetz Mir auch ſelbſt gäbe, es wäre doch nur mein Be¬ fehl, dem Ich im nächſten Augenblick den Gehorſam verweigern kann. Es mag Jemand wohl erklären, was er ſich gefallen laſſen wolle, mithin durch ein Geſetz das Gegentheil ſich ver¬ bitten, widrigenfalls er den Uebertreter als ſeinen Feind be¬ handeln werde; aber über meine Handlungen hat Niemand zu gebieten. Keiner Mir mein Handeln vorzuſchreiben und Mir darin Geſetze zu geben. Ich muß Mir's gefallen laſſen, daß er Mich als ſeinen Feind behandelt; allein niemals, daß er mit Mir als ſeiner Creatur umſpringt, und daß er ſeine Vernunft oder auch Unvernunft zu meiner Richtſchnur macht.

Es dauern die Staaten nur ſo lange, als es einen herr¬ ſchenden Willen giebt, und dieſer herrſchende Wille für gleichbedeutend mit dem eigenen Willen angeſehen wird. Des Herrn Wille iſt Geſetz. Was helfen Dir deine Geſetze, wenn ſie Keiner befolgt, was deine Befehle, wenn ſich Nie¬ mand befehlen läßt? Es kann der Staat des Anſpruches ſich nicht entſchlagen, den Willen des Einzelnen zu beſtimmen, darauf zu ſpeculiren und zu rechnen. Für ihn iſt's unum¬ gänglich nöthig, daß Niemand einen eigenen Willen habe; hätte ihn Einer, ſo müßte der Staat dieſen ausſchließen (ein¬257 ſperren, verbannen u. ſ. w.); hätten ihn Alle, ſo ſchafften ſie den Staat ab. Der Staat iſt nicht denkbar ohne Herrſchaft und Knechtſchaft (Unterthanenſchaft); denn der Staat muß der Herr ſein wollen Aller, die er umfaßt, und man nennt dieſen Willen den Staatswillen .

Wer, um zu beſtehen, auf die Willenloſigkeit Anderer rechnen muß, der iſt ein Machwerk dieſer Anderen, wie der Herr ein Machwerk des Dieners iſt. Hörte die Unterwürfig¬ keit auf, ſo wär's um die Herrſchaft geſchehen.

Der eigene Wille Meiner iſt der Verderber des Staats; er wird deshalb von letzterem als Eigenwille gebrandmarkt. Der eigene Wille und der Staat ſind todfeindliche Mächte, zwiſchen welchen kein ewiger Friede möglich iſt. So lange der Staat ſich behauptet, ſtellt er den eigenen Willen, ſeinen ſtets anfeindenden Gegner, als unvernünftig, böſe u. ſ. w. dar, und jener läßt ſich das einreden, ja er iſt es wirklich ſchon deshalb, weil er ſichs noch einreden läßt: er iſt noch nicht zu ſich ſelbſt und zum Bewußtſein ſeiner Würde gekom¬ men, mithin noch unvollkommen, noch beſchwatzbar u. ſ. w. Jeder Staat iſt eine Despotie, ſei nun Einer oder Viele der Despot, oder ſeien, wie man ſich's wohl von einer Republik vorſtellt, Alle die Herren, d. h. despotiſire Einer den Andern. Es iſt dieß nämlich dann der Fall, wenn das jedes¬ mal gegebene Geſetz, die ausgeſprochene Willensmeinung etwa einer Volksverſammlung fortan für den Einzelnen Geſetz ſein ſoll, dem er Gehorſam ſchuldig iſt, oder gegen welches er die Pflicht des Gehorſams hat. Dächte man ſich auch ſelbſt den Fall, daß jeder Einzelne im Volke den gleichen Willen ausgeſprochen hätte und hiedurch ein vollkommener Geſammt¬ wille zu Stande gekommen wäre: die Sache bliebe dennoch17258dieſelbe. Wäre Ich nicht an meinen geſtrigen Willen heute und ferner gebunden? Mein Wille in dieſem Falle wäre er¬ ſtarrt. Die leidige Stabilität! Mein Geſchöpf, nämlich ein beſtimmter Willensausdruck, wäre mein Gebieter geworden. Ich aber in meinem Willen, Ich, der Schöpfer, wäre in meinem Fluſſe und meiner Auflöſung gehemmt. Weil Ich geſtern ein Narr war, müßte Ich's zeitlebens bleiben. So bin Ich im Staatsleben beſten Falls Ich könnte eben ſo gut ſagen: ſchlimmſten Falls ein Knecht Meiner ſelbſt. Weil Ich geſtern ein Wollender war, bin Ich heute ein Wil¬ lenloſer, geſtern freiwillig, heute unfreiwillig.

Wie zu ändern? Nur dadurch, daß Ich keine Pflicht anerkenne, d. h. Mich nicht binde oder binden laſſe. Habe Ich keine Pflicht, ſo kenne Ich auch kein Geſetz.

Allein man wird Mich binden! Meinen Willen kann Niemand binden, und mein Widerwille bleibt frei.

Es müßte ja Alles drunter und drüber gehen, wenn Jeder thun könnte, was er wollte! Wer ſagt denn, daß Jeder Alles thun kann? Wozu biſt Du denn da, der Du nicht Alles Dir gefallen zu laſſen brauchſt? Wahre Dich, ſo wird Dir Keiner was thun! Wer deinen Willen brechen will, der hat's mit Dir zu thun und iſt dein Feind. Verfahre gegen ihn als ſolchen. Stehen hinter Dir zum Schutze noch einige Millionen, ſo ſeid Ihr eine impoſante Macht und werdet einen leichten Sieg haben. Aber wenn Ihr dem Gegner auch als Macht imponirt, eine geheiligte Autorität ſeid Ihr ihm darum doch nicht, er müßte denn ein Schächer ſein. Reſpect und Achtung iſt er Euch nicht ſchuldig, wenn er ſich auch vor eurer Gewalt in Acht nehmen wird.

259

Wir pflegen die Staaten nach der verſchiedenen Art, wie die höchſte Gewalt vertheilt iſt, zu claſſificiren. Hat ſie ein Einzelner Monarchie, Alle Demokratie u. ſ. w. Alſo die höchſte Gewalt! Gewalt gegen wen? Gegen den Ein¬ zelnen und ſeinen Eigenwillen . Der Staat übt Gewalt , der Einzelne darf dieß nicht. Des Staates Betragen iſt Ge¬ waltthätigkeit, und ſeine Gewalt nennt er Recht , die des Einzelnen Verbrechen . Verbrechen alſo, ſo heißt die Ge¬ walt des Einzelnen, und nur durch Verbrechen bricht er die Gewalt des Staates, wenn er der Meinung iſt, daß der Staat nicht über ihm, ſondern er über dem Staate ſei.

Nun könnte Ich, wollte Ich lächerlich handeln, als ein Wohlmeinender Euch ermahmen, keine Geſetze zu geben, welche meine Selbſtentwicklung, Selbſtthätigkeit, Selbſtſchöpfung beein¬ trächtigen. Ich gebe dieſen Rath nicht. Denn würdet Ihr ihn befolgen, ſo wäret Ihr unklug, und Ich wäre um meinen ganzen Gewinn betrogen. Von Euch verlange Ich gar nichts, denn, was Ich auch forderte, Ihr würdet doch gebieteriſche Geſetzgeber ſein und müßt es ſein, weil ein Rabe nicht ſingen, ein Räuber ohne Raub nicht leben kann. Vielmehr frage Ich diejenigen, welche Egoiſten ſein wollen, was ſie für egoiſtiſcher halten, ſich von Euch Geſetze geben zu laſſen, und die gegebe¬ nen zu reſpectiren, oder Widerſpenſtigkeit, ja völligen Un¬ gehorſam zu üben. Gutmüthige Leute meinen, die Geſetze müßten nur das vorſchreiben, was im Gefühl des Volkes als recht und billig gelte. Was aber geht Mich's an, was im Volke und dem Volke gilt? Das Volk wird vielleicht gegen den Gottesläſterer ſein; alſo ein Geſetz gegen Gottesläſterung. Soll Ich darum nicht läſtern? Soll Mir dieß Geſetz mehr ſein, als ein Befehl ? Ich frage!

17 *260

Lediglich aus dem Grundſatze, daß alles Recht und alle Gewalt der Geſammtheit des Volkes angehöre, gehen ſämmtliche Regierungsweiſen hervor. Denn keine derſelben ermangelt dieſer Berufung auf die Geſammtheit, und der Des¬ pot ſo gut als der Präſident oder irgend eine Ariſtokratie u. ſ. w. handeln und befehlen im Namen des Staates . Sie ſind im Beſitze der Staatsgewalt , und es iſt völlig gleichgültig, ob, wäre dieß möglich, das Volk als Geſammt¬ heit alle Einzelnen, oder ob nur die Repräſentanten dieſer Ge¬ ſammtheit, ſeien deren Viele, wie in Ariſtokratien, oder Einer, wie in Monarchien, dieſe Staats-Gewalt ausüben. Immer iſt die Geſammtheit über dem Einzelnen, und hat eine Ge¬ walt, welche berechtigt genannt, d. h. welche Recht iſt.

Der Heiligkeit des Staates gegenüber iſt der Einzelne nur ein Geſäß der Unehre, in welchem Uebermuth, Böswillig¬ keit, Spott - und Schmähſucht, Frivolität u. ſ. w. übrig bleiben, ſobald er jenes Heiligthum, den Staat, nicht aner¬ kennenswerth findet. Der geiſtliche Hochmuth der Staats - Diener und Staats-Unterthanen hat köſtliche Strafen gegen den ungeiſtlichen Uebermuth .

Wenn die Regierung alles Spiel des Geiſtes gegen den Staat als ſtrafbar bezeichnet, ſo kommen die gemäßigten Libe¬ ralen und meinen: Laune, Satyre, Witz, Humor u. ſ. w. mü߬ ten doch ſprudeln dürfen, und das Genie müſſe Freiheit ge¬ nießen. Alſo zwar nicht der einzelne Menſch, aber doch das Genie ſoll frei ſein. Ganz in ſeinem Rechte ſagt da der Staat, oder im Namen deſſelben die Regierung: Wer nicht für mich iſt, iſt wider mich. Die Laune, der Witz u. ſ. w., kurz die Komödirung des Staatsweſens hat die Staaten von jeher untergraben: ſie iſt nicht unſchuldig . Und ferner, welche261 Grenzen ſollen zwiſchen ſchuldigem und unſchuldigem Witze u. ſ. w. gezogen werden? Die Gemäßigten kommen bei dieſer Frage in große Verlegenheit und es reducirt ſich Alles auf die Bitte, der Staat (Regierung) möge doch nicht ſo empfind¬ lich, ſo kitzlich ſein; er möge in harmloſen Dingen nicht gleich Böswilligkeit wittern und überhaupt ein wenig tole¬ ranter ſein. Uebertriebene Empfindlichkeit iſt allerdings eine Schwäche, ihre Vermeidung mag eine lobenswerthe Tugend ſein; allein in Kriegszeiten kann man nicht ſchonend ſein, und was unter ruhigen Verhältniſſen verſtattet ſein mag, hört auf erlaubt zu ſein, ſobald der Belagerungszuſtand erklärt iſt. Weil dieß die wohlmeinenden Liberalen wohl fühlen, ſo beeilen ſie ſich zu erklären, daß ja bei der Ergebenheit des Volkes keine Gefahr zu fürchten ſei. Die Regierung wird aber klü¬ ger ſein und ſich ſo etwas nicht einreden laſſen. Sie weiß zu gut, wie man Einen mit ſchönen Worten abſpeiſt, und wird ſich an dieſem Schaugerichte nicht genügen laſſen.

Man will aber ſeinen Spielplatz haben, denn man iſt ja ein Kind und kann nicht ſo geſetzt ſein, wie ein Alter: Ju¬ gend hat keine Tugend.

Nur um dieſen Spielplatz, nur um ein Paar Stunden luſtigen Umherſpringens feilſcht man. Man verlangt nur, der Staat ſolle nicht, wie ein griesgrämlicher Papa, allzu mürriſch ſein. Er ſolle einige Eſels-Proceſſionen und Narrenſpiele er¬ lauben, wie im Mittelalter die Kirche ſie geſtattete. Die Zeiten aber, wo er dieß ohne Gefahr gewähren konnte, ſind vorüber. Kinder, die jetzt einmal ins Freie kommen, und eine Stunde ohne Zuchtruthe verleben, wollen nicht mehr in die Klauſe. Denn das Freie iſt jetzt nicht mehr eine Ergänzung zur Klauſe, nicht eine erfriſchende Erholung, ſondern ſein Ge¬262 genſatz, ein aut aut. Kurz der Staat darf ſich entweder nichts mehr oder er muß ſich Alles gefallen laſſen und zu Grunde gehen; er muß entweder durchaus empfindlich, oder, wie ein geſtorbener, unempfindlich ſein. Mit der Toleranz iſt's aus. Reicht er erſt den Finger, ſo nimmt man gleich die ganze Hand. Da iſt nicht mehr zu ſpaßen , und aller Spaß, wie Laune, Witz, Humor u. ſ. w. wird zum bit¬ tern Ernſt.

Das Geſchrei der Freiſinnigen um Preßfreiheit läuft gegen ihr eigenes Princip, ihren eigentlichen Willen. Sie wollen, was ſie nicht wollen, d.h. ſie wünſchen, ſie möch¬ ten gern. Daher fallen ſie auch ſo leicht ab, wenn einmal ſogenannte Preßfreiheit erſcheint, dann möchten ſie Cenſur. Ganz natürlich. Der Staat iſt auch ihnen heilig, ebenſo die Sitte u. ſ. w. Sie betragen ſich nur als ungezogene Bälge gegen ihn, als pfiffige Kinder, welche die Schwäche der Ael¬ tern zu benutzen ſuchen. Der Papa Staat ſoll ihnen erlau¬ ben, Manches zu ſagen, was ihm nicht gefällt, aber der Papa hat Recht, ihnen durch einen ſtrengen Blick einen Cenſurſtrich in ihr vorlautes Gewäſch zu ziehen. Erkennen ſie in ihm ihren Papa, ſo müſſen ſie ſich in ſeiner Gegenwart die Cenſur der Rede gefallen laſſen, wie jedes Kind.

Läßt Du Dir von einem Andern Recht geben, ſo mußt Du nicht minder Dir von ihm Unrecht geben laſſen; kommt Dir von ihm die Rechtfertigung und Belohnung, ſo erwarte auch ſeine Anklage und Strafe. Dem Rechte geht das Un¬ recht, der Geſetzlichkeit das Verbrechen zur Seite. Was biſt Du? Du biſt ein Verbrecher!

263

Der Verbrecher iſt des Staates eigenſtes Verbrechen! ſagt Bettina*)Dieß Buch gehört dem König. S. 376.. Man kann dieſes Wort gelten laſſen, wenn auch Bettina ſelbſt es nicht gerade ſo verſteht. Im Staate vermag nämlich das zügelloſe Ich, Ich, wie Ich Mir allein angehöre, nicht zu meiner Erfüllung und Verwirklichung zu kommen. Jedes Ich iſt von Geburt ſchon ein Verbrecher gegen das Volk, den Staat. Daher überwacht er auch wirk¬ lich Alle, er ſieht in Jedem einen Egoiſten, und vor dem Egoiſten fürchtet er ſich. Er ſetzt von Jedem das Schlimmſte voraus, und hat Acht, polizeilich Acht, daß dem Staat kein Schaden geſchieht , ne quid respublica detrimenti capiat. Das zügelloſe Ich und das ſind Wir urſprünglich, und in unſerem geheimen Inneren bleiben Wir's ſtets iſt der nie aufhörende Verbrecher im Staate. Der Menſch, den ſeine Kühnheit, ſein Wille, ſeine Rückſichtsloſigkeit und Furchtloſig¬ keit leitet, der wird vom Staate, vom Volke mit Spionen umſtellt. Ich ſage, vom Volke! Das Volk Ihr guther¬ zigen Leute, denkt Wunder, was Ihr an ihm habt das Volk ſteckt durch und durch voll Polizeigeſinnung. Nur wer ſein Ich verleugnet, wer Selbſtverleugnung übt, iſt dem Volke angenehm.

Bettina iſt im angeführten Buche durchweg gutmüthig genug, den Staat nur für krank zu halten und auf ſeine Ge¬ neſung zu hoffen, eine Geneſung, welche ſie durch die Dema¬ gogen **)S. 376. bewirken will; allein er iſt nicht krank, ſondern in voller Kraft, wenn er die Demagogen, die für die Einzelnen, für Alle etwas erwerben wollen, von ſich weiſt. Er iſt in264 ſeinen Gläubigen mit den beſten Demagogen, Volksführern, verſehen. Nach Bettina ſoll*)S. 374. der Staat den Freiheits¬ keim der Menſchheit entwickeln, ſonſt iſt er Rabenmutter und ſorgt auch für Rabenfutter! Er kann nicht anders, denn eben indem er für die Menſchheit ſorgt (was übrigens ſchon der humane oder freie Staat ſein müßte), iſt der Einzelne für ihn Rabenfutter. Wie richtig ſpricht dagegen der Bürgermeiſter**)S. 381.: Wie? der Staat habe keine andere Ver¬ pflichtung, als bloß der Verpfleger rettungsloſer Kranker zu ſein? Das klappt nicht. Von jeher hat der geſunde Staat des kranken Stoffes ſich entledigt, aber nicht ſich damit ge¬ miſcht. So ökonomiſch braucht er nicht mit ſeinen Säften zu ſein. Die Räuberäſte ohne Zagen abgeſchnitten, damit die andern blühen. Man erbebe nicht über des Staates Härte, ſeine Moral, ſeine Politik und Religion weiſen ihn darauf an; man beſchuldige ihn keiner Gefühlloſigkeit, ſein Mitgefühl ſträubt ſich dagegen, aber ſeine Erfahrung findet nur in dieſer Strenge Heil! Es giebt Krankheiten, in welchen nur draſti¬ ſche Mittel helfen. Der Arzt, welcher die Krankheit als ſolche erkennt, aber zaghaft zu Palliativen greift, wird nie die Krank¬ heit heben, wohl aber den Patienten nach kürzerem oder län¬ gerem Siechthum unterliegen machen! Die Frage der Frau Rath: Wenn Sie den Tod als draſtiſches Mittel anwenden, wie iſt da zu heilen? klappt nicht. Der Staat wendet den Tod ja nicht gegen ſich an, ſondern gegen ein ärgerliches Glied; er reißt ein Auge aus, das ihn ärgert u. ſ. w.

Für den maladen Staat iſt's der einzige Weg der Ret¬265 tung, den Menſchen in ihm gedeihen zu laſſen. *)S. 385.Verſteht man hier, wie Bettina, unter dem Menſchen den Begriff Menſch , ſo hat ſie Recht: der malade Staat wird durch das Gedeihen des Menſchen geneſen, denn je vernarrter die Einzelnen in den Menſchen ſind, deſto beſſer ſteht ſich der Staat dabei. Bezöge man's aber auf den Einzelnen, auf Alle (und halb und halb thut dieß die Verfaſſerin gleichfalls, weil ſie über den Menſchen im Unklaren ſtecken bleibt), ſo klänge es etwa, wie Folgendes: Für eine malade Räuberbande iſt's der einzige Weg der Rettung, den loyalen Bürger in ihr gedeihen zu laſſen! Darüber ginge ja eben die Räuberbande als Räuberbande zu Grunde, und weil ſie das ſpürt, darum er¬ ſchießt ſie lieber Jeden, der einen Zug hat, ein ordentlicher Kerl zu werden.

Bettina iſt in dieſem Buche eine Patriotin oder, was wenig mehr, eine Philanthropin, eine Menſchenbeglückerin. Sie iſt ganz in derſelben Weiſe mit dem Beſtehenden unzufrieden, wie es das Titelgeſpenſt ihres Buches nebſt Allen iſt, die den guten, alten Glauben, und was daran hängt, zurückführen möchten. Nur denkt ſie umgekehrt, die Politiker, Staatsdiener und Diplomaten verdürben den Staat, während jene daſſelbe den Böswilligen, den Volksverführern in die Schuhe ſchieben.

Was iſt der gewöhnliche Verbrecher anders, als einer, der das verhängnißvolle Verſehen begangen hat, nach dem zu ſtreben, was des Volkes iſt, ſtatt nach dem Seinen zu ſuchen. Er hat das verächtliche, fremde Gut geſucht, hat gethan, was die Gläubigen thun: die nach dem trachten, was Gottes iſt. Was thut der Prieſter, der den Verbrecher vermahnt? Er266 ſtellt ihm das große Unrecht vor, das vom Staate Geheiligte, das Eigenthum deſſelben (wozu ja auch das Leben der Staats¬ angehörigen gerechnet werden muß) durch ſeine That entweiht zu haben; dafür könnte er ihm lieber vorhalten, daß er ſich beſudelt habe, indem er das Fremde nicht verachtete, ſondern des Raubes werth hielt: er könnte es, wenn er nicht ein Pfaffe wäre. Redet mit dem ſogenannten Verbrecher als mit einem Egoiſten, und er wird ſich ſchämen, nicht, daß er gegen eure Geſetze und Güter ſich verging, ſondern daß er eure Geſetze des Umgehens, eure Güter des Verlangens werth hielt; wird ſich ſchämen, daß er Euch mitſammt dem Eurigen nicht verachtete, daß er zu wenig Egoiſt war. Aber Ihr könnt nicht egoiſtiſch mit ihm reden, denn Ihr ſeid nicht ſo groß wie ein Verbrecher, Ihr verbrecht nichts! Ihr wißt nicht, daß ein eigenes Ich nicht ablaſſen kann, ein Verbrecher zu ſein, daß das Verbrechen ſein Leben iſt. Und doch ſolltet Ihr's wiſſen, da Ihr glaubt, daß wir allzumal Sünder ſind ; aber Ihr denkt Euch über die Sünde wegzuſchwindeln, Ihr begreift's nicht denn Ihr ſeid teufelsfürchtig daß die Schuld der Werth eines Menſchen iſt. O wäret Ihr ſchuldig! So aber ſeid Ihr Ge¬ rechte . Nun macht eurem Herrn nur alles hübſch gerecht! Wenn das chriſtliche Bewußtſein oder der Chriſtenmenſch ein Criminalgeſetzbuch verfaßt, was kann da anders der Be¬ griff des Verbrechens ſein, als eben die Herzloſig¬ keit. Jede Trennung und Kränkung eines herzlichen Ver¬ hältniſſes, jedes herzloſe Verhalten gegen ein heiliges Weſen iſt Verbrechen. Je herzlicher das Verhältniß ſein ſoll, deſto ſchreiender iſt ſeine Verhöhnung, deſto ſtrafwürdiger das Verbrechen. Den Herrn ſoll Jeder, der ihm unterthan iſt, lieben: dieſe Liebe zu verleugnen, iſt ein todeswürdiger Hoch¬267 verrath. Der Ehebruch iſt eine ſtrafwürdige Herzloſigkeit, man hat kein Herz, keine Begeiſterung, kein Pathos für die Heilig¬ keit der Ehe. So lange das Herz oder Gemüth Geſetze dic¬ tirt, genießt nur der herzliche oder gemüthliche Menſch den Schutz der Geſetze. Daß der Gemüthsmenſch die Geſetze gebe, heißt eigentlich nur, der ſittliche Menſch gebe ſie: was dem ſittlichen Gefühl dieſer Menſchen widerſpricht, das verpönen ſie. Wie ſollte z. B. Untreue, Abfall, Eidbrüchigkeit, kurz alles radicale Abbrechen, alles Zerreißen altehrwürdiger Bande in den Augen derſelben nicht heillos und verbrecheriſch ſein? Wer mit dieſen Forderungen des Gemüthes bricht, der hat alle Sittlichen, alle Gemüthsmenſchen zu Feinden. Nur die Krummacher und Conſorten ſind die rechten Leute, um einen Strafcodex des Herzens conſequent aufzuſtellen, wie ein gewiſ¬ ſer Geſetzentwurf zur Genüge beweiſt. Die conſequente Ge¬ ſetzgebung des chriſtlichen Staates muß ganz in die Hände der Pfaffen gelegt werden, und wird nicht rein und fol¬ gerichtig werden, ſo lange ſie nur von Pfaffendienern, die immer nur halbe Pfaffen ſind, ausgearbeitet wird. Dann erſt wird jede Ungemüthlichkeit, jede Herzloſigkeit als ein unverzeihliches Verbrechen conſtatirt werden, dann erſt jede Aufregung des Gemüths verdammlich, jede Einrede der Kritik und des Zweifels anathematiſirt werden; dann erſt iſt der eigene Menſch vor dem chriſtlichen Bewußtſein von Haus aus ein überführter Verbrecher.

Die Revolutionsmänner ſprachen oft von der gerechten Rache des Volkes als ſeinem Rechte . Rache und Recht fallen hier zuſammen. Iſt dieß ein Verhalten eines Ich's zum Ich? Das Volk ſchreit, die Gegenpartei habe gegen daſſelbe Verbrechen begangen. Kann Ich annehmen, daß268 Einer gegen Mich ein Verbrechen begehe, ohne anzunehmen, daß er handeln müſſe, wie Ich's für gut finde? Und dieſes Handeln nenne Ich das rechte, gute u. ſ. w.; das abweichende ein Verbrechen. Mithin denke Ich, die andern müßten auf daſſelbe Ziel mit Mir losgehen, d. h. Ich behandele ſie nicht als Einzige, die ihr Geſetz in ſich ſelbſt tragen und dar¬ nach leben, ſondern als Weſen, die irgend einem vernünfti¬ gen Geſetze gehorchen ſollen. Ich ſtelle auf, was der Menſch ſei, und was wahrhaft menſchlich handeln heiße, und fordere von Jedem, daß ihm dieß Geſetz Norm und Ideal werde, widrigenfalls er ſich als Sünder und Verbrecher aus¬ weiſe. Den Schuldigen aber trifft die Strafe des Geſetzes ! Man ſieht hier, wie es wieder der Menſch iſt, der auch den Begriff des Verbrechens, der Sünde, und damit den des Rechts zu Wege bringt. Ein Menſch, in welchem Ich nicht den Menſchen erkenne, iſt ein Sünder, ein Schuldiger .

Nur gegen ein Heiliges giebt es Verbrecher; Du gegen Mich kannſt nie ein Verbrecher ſein, ſondern nur ein Gegner. Aber den, der ein Heiliges verletzt, nicht haſſen, iſt ſchon ein Verbrechen, wie St. Juſt gegen Danton ausruft: Biſt Du nicht ein Verbrecher und verantwortlich, daß Du nicht die Feinde des Vaterlandes gehaßt haſt?

Wird, wie in der Revolution, das, was der Menſch ſei, als guter Bürger gefaßt, ſo giebt es von dieſem Begriffe des Menſchen die bekannten politiſchen Vergehen und Verbrechen . In alle dem wird der Einzelne, der einzelne Menſch, als Auswurf betrachtet, und dagegen der allgemeine Menſch, der Menſch honorirt. Je nachdem nun dieß Geſpenſt benannt wird, wie Chriſt, Jude, Muſelmann, guter Bürger, loyaler Unterthan, Freier, Patriot u. ſ. w., je nachdem fallen ſowohl269 die, welche einen abweichenden Begriff vom Menſchen durch¬ führen möchten, als diejenigen, welche ſich durchſetzen wollen, vor dem ſiegreichen Menſchen .

Und mit welcher Salbung wird hier im Namen des Ge¬ ſetzes, des ſouverainen Volkes, Gottes u. ſ. w. geſchlachtet. Wenn nun die Verfolgten ſich vor den ſtrengen, pfäffi¬ ſchen Richtern liſtig verbergen und wahren, ſo ſchilt man ſie Heuchler , wie St. Juſt z. B. diejenigen, welche er in der Rede gegen Danton anklagt. *)S. Politiſche Reden 10. S. 153.Man ſoll ein Narr ſein und ſich ihrem Moloch überliefern.

Aus fixen Ideen entſtehen die Verbrechen. Die Hei¬ ligkeit der Ehe iſt eine fixe Idee. Aus der Heiligkeit folgt, daß die Untreue ein Verbrechen iſt, und es ſetzt daher ein gewiſſes Ehegeſetz eine kürzere oder längere Strafe darauf. Aber dieſe Strafe muß von denen, welche die Freiheit als heilig ausrufen, als ein Verbrechen wider die Freiheit ange¬ ſehen werden, und nur in dieſem Sinne hat auch die öffent¬ liche Meinung das Ehegeſetz gebrandmarkt.

Die Geſellſchaft will zwar haben, daß Jeder zu ſeinem Rechte komme, aber doch nur zu dem von der Geſellſchaft ſan¬ ctionirten, dem Geſellſchaftsrechte, nicht wirklich zu ſeinem Rechte. Ich aber gebe oder nehme Mir das Recht aus eige¬ ner Machtvollkommenheit, und gegen jede Uebermacht bin Ich der unbußfertigſte Verbrecher. Eigener und Schöpfer meines Rechts erkenne ich keine andere Rechtsquelle als Mich, weder Gott, noch den Staat, noch die Natur, noch auch den Menſchen ſelbſt mit ſeinen ewigen Menſchenrechten , weder göttliches noch menſchliches Recht.

270

Recht an und für ſich . Alſo ohne Beziehung auf Mich! Abſolutes Recht . Alſo getrennt von Mir! Ein an und für ſich Seiendes! Ein Abſolutes! Ein ewiges Recht, wie eine ewige Wahrheit!

Das Recht ſoll nach liberaler Vorſtellungsweiſe für Mich verbindlich ſein, weil es durch die menſchliche Vernunft ſo eingeſetzt iſt, gegen welche meine Vernunft die Unver¬ nunft iſt. Früher eiferte man im Namen der göttlichen Ver¬ nunft gegen die ſchwache menſchliche, jetzt im Namen der ſtar¬ ken menſchlichen gegen die egoiſtiſche, die als Unvernunft verworfen wird. Und doch iſt keine andere wirklich als gerade dieſe Unvernunft . Weder die göttliche noch die menſchliche Vernunft, ſondern allein deine und meine jedesmalige Vernunft iſt wirklich, wie und weil Du und Ich es ſind.

Der Gedanke des Rechts iſt urſprünglich mein Gedanke oder er hat ſeinen Urſprung in Mir. Iſt er aber aus Mir entſprungen, iſt das Wort heraus, ſo iſt es Fleiſch gewor¬ den , eine fixe Idee. Ich komme nun von dem Gedanken nicht mehr los; wie Ich Mich drehe, er ſteht vor Mir. So ſind die Menſchen des Gedankens Recht , den ſie ſelber erſchufen, nicht wieder Meiſter geworden: die Creatur geht mit ihnen durch. Das iſt das abſolute Recht, das von Mir abſolvirte oder abgelöſte. Wir können es, indem Wir's als abſolutes verehren, nicht wieder aufzehren, und es benimmt Uns die Schöpferkraft; das Geſchöpf iſt mehr als der Schö¬ pfer, iſt an und für ſich .

Laß das Recht einmal nicht mehr frei umherlaufen, zieh 'es in ſeinen Urſprung, in Dich, zurück, ſo iſt es dein Recht, und recht iſt, was Dir recht iſt.

271

Einen Angriff hat das Recht innerhalb ſeiner, d. h. vom Standpunkte des Rechtes aus erleben müſſen, indem von Seiten des Liberalismus dem Vorrecht der Krieg erklärt wurde.

Bevorrechtet und Gleichberechtigt um dieſe beiden Begriffe dreht ſich ein hartnäckiger Kampf. Ausge¬ ſchloſſen oder zugelaſſen würde daſſelbe ſagen. Wo gäbe es aber eine Macht, ſei es eine imaginäre, wie Gott, Geſetz, oder eine wirkliche, wie Ich, Du, vor der nicht alle gleich¬ berechtigt wären, d. h. kein Anſehen der Perſon gölte? Gott iſt jeder gleich lieb, wenn er ihn anbetet, dem Geſetze gleich genehm, wenn er nur ein Geſetzlicher iſt: ob der Liebhaber Gottes oder des Geſetzes bucklig und lahm, ob arm oder reich u. dergl., das macht Gott und dem Geſetze nichts aus; ebenſo wenn Du ertrinken willſt, iſt Dir als Retter ein Neger ſo lieb als der trefflichſte Caucaſier, ja ein Hund gilt Dir in dieſer Lage nicht weniger als ein Menſch. Aber wem wäre auch umgekehrt nicht jeder ein Bevorzugter oder Zurückgeſetzter? Gott ſtraft die Böſen mit ſeinem Grimm, das Geſetz züchtigt die Ungeſetzlichen, Du läſſeſt Dich vom Einen jeden Augen¬ blick ſprechen und weiſeſt dem Andern die Thür.

Die Gleichheit des Rechts iſt eben ein Phantom, weil Recht nichts mehr und nichts minder als Zulaſſung, d. h. eine Gnadenſache iſt, die man ſich übrigens auch durch ſein Verdienſt erwerben kann: denn Verdienſt und Gnade wider¬ ſprechen einander nicht, da auch die Gnade verdient ſein will und unſer gnädiges Lächeln nur Dem zufällt, der es Uns abzuzwingen weiß.

So träumt man davon, daß alle Staatsbürger gleich¬ berechtigt neben einander ſtehen ſollen . Als Staatsbürger272 ſind ſie dem Staate gewiß alle gleich; ſchon nach ſeinen be¬ ſonderen Zwecken aber wird er ſie theilen und bevorzugen oder hintanſetzen, mehr jedoch muß er ſie noch als gute und ſchlechte Staatsbürger von einander unterſcheiden.

Br. Bauer erledigt die Judenfrage von dem Geſichtspunkte aus, daß das Vorrecht nicht berechtigt ſei. Weil Jude und Chriſt, jeder etwas vor dem andern voraushaben, und in die¬ ſem Voraushaben ausſchließlich ſind, darum zerfallen ſie vor dem Blick des Kritikers in Nichtigkeit. Mit ihnen trifft der gleiche Tadel den Staat, der ihr Voraushaben berechtigt und zu einem Vorrecht oder Privilegium ausprägt, dadurch aber ſich den Beruf, ein freier Staat zu werden, verkümmert.

Etwas hat nun aber Jeder vor dem Andern voraus, nämlich ſich ſelbſt oder ſeine Einzigkeit: darin bleibt Jedermann ausſchließlich oder excluſiv.

Und wieder macht Jeder von einem Dritten ſeine Eigen¬ thümlichkeit ſo gut als möglich geltend und ſucht vor ihm, wenn er anders ihn gewinnen will, dieſe anziehend erſcheinen zu laſſen.

Soll nun der Dritte gegen den Unterſchied des Einen vom Andern unempfindlich ſein? Verlangt man das vom freien Staate oder von der Menſchheit? Dann müßten dieſe ſchlechterdings ohne eigenes Intereſſe ſein, und unfähig, für irgendwen eine Theilnahme zu faſſen. So gleichgültig dachte man ſich weder Gott, der die Seinen von den Böſen ſcheidet, noch den Staat, der die guten Bürger von den ſchlechten zu trennen weiß.

Aber man ſucht eben dieſen Dritten, der kein Vorrecht mehr ertheilt. Der heißt dann etwa der freie Staat oder die Menſchheit oder wie ſonſt.

273

Da Chriſt und Jude deshalb von Br. Bauer niedrig geſtellt werden, weil ſie Vorrechte behaupten, müßten ſie durch Selbſtverleugnung oder Uneigennützigkeit aus ihrem beſchränk¬ ten Standpunkte ſich befreien können und ſollen. Streiften ſie ihren Egoismus ab, ſo hörte das gegenſeitige Unrecht und mit ihm überhaupt die chriſtliche und jüdiſche Religioſität auf: es brauchte nur keiner von ihnen etwas Apartes mehr ſein zu wollen.

Gäben ſie aber dieſe Ausſchließlichkeit auf, ſo wäre da¬ mit wahrlich der Boden, auf dem ihre Feindſchaft geführt wurde, noch nicht verlaſſen. Sie fänden allenfalls ein Drit¬ tes, worin ſie ſich vereinigen könnten, eine allgemeine Religion , eine Religion der Menſchlichkeit u. dergl., kurz eine Aus¬ gleichung, die nicht beſſer zu ſein brauchte als jene, wenn alle Juden Chriſten würden, wodurch gleichfalls das Vorrecht des Einen vor dem Andern ein Ende nähme. Es wäre zwar die Spannung beſeitigt, allein in dieſer beſtand nicht das Weſen der beiden, ſondern nur ihre Nachbarſchaft. Als Un¬ terſchiedene mußten ſie nothwendig geſpannt ſein, und die Un¬ gleichheit wird immer bleiben. Das iſt wahrhaftig nicht dein Fehler, daß Du gegen Mich Dich ſpannſt und deine Abſon¬ derlichkeit oder Eigenthümlichkeit behaupteſt: Du brauchſt nicht nachzugeben oder Dich ſelbſt zu verleugnen.

Man faßt die Bedeutung des Gegenſatzes zu formell und ſchwächlich auf, wenn man ihn nur auflöſen will, um für ein Drittes Vereinigendes Raum zu machen. Der Ge¬ genſatz verdient vielmehr verſchärft zu werden. Als Jude und Chriſt ſeid Ihr in einem zu geringen Gegenſatz und ſtrei¬ tet Euch bloß um die Religion, gleichſam um Kaiſers Bart, um eine Lappalie. In der Religion zwar Feinde, bleibt Ihr18274im Uebrigen doch gute Freunde und z. B. als Menſchen einander gleich. Gleichwohl iſt auch das Uebrige in Jedem ungleich, und Ihr werdet euren Gegenſatz erſt dann nicht länger bloß verhehlen, wenn Ihr ihn ganz anerkennt, und Jedermann vom Wirbel bis zur Zehe ſich als einzig behaup¬ tet. Dann wird der frühere Gegenſatz allerdings ausgelöſt ſein, aber nur deshalb, weil ein ſtärkerer ihn in ſich aufge¬ nommen hat.

Nicht darin beſteht unſere Schwäche, daß Wir gegen An¬ dere im Gegenſatze ſind, ſondern darin, daß Wir's nicht voll¬ ſtändig ſind, d.h. daß Wir nicht gänzlich von ihnen geſchie¬ den ſind, oder daß Wir eine Gemeinſchaft , ein Band ſuchen, daß Wir an der Gemeinſchaft ein Ideal haben. Ein Glaube, Ein Gott, Eine Idee, Ein Hut für Alle! Würden Alle unter Einen Hut gebracht, ſo brauchte freilich keiner vor dem andern den Hut noch abzunehmen.

Der letzte und entſchiedenſte Gegenſatz, der des Einzigen gegen den Einzigen, iſt im Grunde über das, was Gegenſatz heißt, hinaus, ohne aber in die Einheit und Einigkeit zu¬ rückgeſunken zu ſein. Du haſt als Einziger nichts Gemein¬ ſames mehr mit dem Andern und darum auch nichts Tren¬ nendes oder Feindliches; Du ſuchſt nicht gegen ihn vor einem Dritten Recht und ſtehſt mit ihm weder auf dem Rechts¬ boden , noch ſonſt einem gemeinſchaftlichen Boden. Der Ge¬ genſatz verſchwindet in der vollkommenen Geſchiedenheit oder Einzigkeit. Dieſe könnte zwar für das neue Gemeinſame oder eine neue Gleichheit angeſehen werden, allein die Gleich¬ heit beſteht hier eben in der Ungleichheit und iſt ſelbſt nichts als Ungleichheit: eine gleiche Ungleichheit, und zwar nur für denjenigen, der eine Vergleichung anſtellt.

275

Die Polemik wider das Vorrecht bildet einen Charakter¬ zug des Liberalismus, der gegen das Vorrecht pocht, weil er ſich auf das Recht beruft. Weiter als zum Pochen kann er's darin nicht bringen; denn die Vorrechte fallen nicht eher, als das Recht fällt, da ſie nur Arten des Rechtes ſind. Das Recht aber zerfällt in ſein Nichts, wenn es von der Gewalt verſchlungen wird, d. h. wenn man begreift, was es heißt: Gewalt geht vor Recht. Alles Recht erklärt ſich dann als Vorrecht, und das Vorrecht ſelber als Macht, als Ueber¬ macht.

Muß aber der mächtige Kampf gegen die Uebermacht nicht ein ganz anderes Antlitz zeigen, als der beſcheidene Kampf gegen das Vorrecht, der vor einem erſten Richter, dem Rechte , nach des Richters Sinn auszufechten iſt?

Zum Schluſſe muß Ich nun noch die halbe Ausdrucks¬ weiſe zurücknehmen, von der Ich nur ſo lange Gebrauch machen wollte, als Ich noch in den Eingeweiden des Rechtes wühlte, und das Wort wenigſtens beſtehen ließ. Es verliert aber in der That mit dem Begriffe auch das Wort ſeinen Sinn. Was Ich mein Recht nannte, das iſt gar nicht mehr Recht , weil Recht nur von einem Geiſte ertheilt werden kann, ſei es der Geiſt der Natur oder der der Gattung, der Menſchheit, der Geiſt Gottes oder der Sr. Heiligkeit oder Sr. Durchlaucht u. ſ. w. Was Ich ohne einen berechtigenden Geiſt habe, das habe Ich ohne Recht, habe es einzig und allein durch meine Macht.

Ich fordere kein Recht, darum brauche Ich auch keins anzuerkennen. Was Ich Mir zu erzwingen vermag, erzwinge18 *276Ich Mir, und was Ich nicht erzwinge, darauf habe Ich kein Recht, noch brüſte oder tröſte ich Mich mit meinem un¬ verjährbaren Rechte.

Mit dem abſoluten Rechte vergeht das Recht ſelbſt, wird die Herrſchaft des Rechtsbegriffes zugleich getilgt. Denn es iſt nicht zu vergeſſen, daß ſeither Begriffe, Ideen oder Prin¬ cipien Uns beherrſchten, und daß unter dieſen Herrſchern der Rechtsbegriff oder der Begriff der Gerechtigkeit eine der bedeu¬ tendſten Rollen ſpielte.

Berechtigt oder Unberechtigt darauf kommt Mir's nicht an; bin Ich nur mächtig, ſo bin Ich ſchon von ſelbſt er¬ mächtigt und bedarf keiner anderen Ermächtigung oder Be¬ rechtigung.

Recht iſt ein Sparren, ertheilt von einem Spuk; Macht das bin Ich ſelbſt, Ich bin der Mächtige und Eig¬ ner der Macht. Recht iſt über Mir, iſt abſolut, und exiſtirt in einem Höheren, als deſſen Gnade Mir's zufließt: Recht iſt eine Gnadengabe des Richters; Macht und Gewalt exiſtirt nur in Mir, dem Mächtigen und Gewaltigen.

2. Mein Verkehr.

In der Geſellſchaft, der Societät, kann höchſtens die menſchliche Forderung befriedigt werden, indeß die egoiſtiſche ſtets zu kurz kommen muß.

Weil es kaum Jemand entgehen kann, daß die Gegen¬ wart für keine Frage einen ſo lebendigen Antheil zeigt, als für die ſociale , ſo hat man auf die Geſellſchaft beſonders277 ſein Augenmerk zu richten. Ja, wäre das daran gefaßte In¬ tereſſe weniger leidenſchaftlich und verblendet, ſo würde man über die Geſellſchaft nicht ſo ſehr die Einzelnen darin aus den Augen verlieren, und erkennen, daß eine Geſellſchaft nicht neu werden kann, ſo lange diejenigen, welche ſie ausmachen und conſtituiren, die alten bleiben. Sollte z. B. im jüdiſchen Volke eine Geſellſchaft entſtehen, welche einen neuen Glauben über die Erde verbreitete, ſo durften dieſe Apoſtel doch keine Pha¬ riſäer bleiben.

Wie Du biſt, ſo giebſt Du Dich, ſo benimmſt Du Dich gegen die Menſchen: ein Heuchler als Heuchler, ein Chriſt als Chriſt. Darum beſtimmt den Charakter einer Geſellſchaft der Charakter ihrer Mitglieder: ſie ſind die Schöpfer derſelben. So viel müßte man wenigſtens einſehen, wenn man auch den Begriff Geſellſchaft ſelbſt nicht Prüfen wollte.

Immer fern davon, Sich zur vollen Entwicklung und Geltung kommen zu laſſen, haben die Menſchen bisher auch ihre Geſellſchaften nicht auf Sich gründen, oder vielmehr, ſie haben nur Geſellſchaften gründen und in Geſellſchaften leben können. Es waren die Geſellſchaften immer Perſonen, mäch¬ tige Perſonen, ſogenannte moraliſche Perſonen , d. h. Ge¬ ſpenſter, vor welchen der Einzelne den angemeſſenen Sparren, die Geſpenſterfurcht, hatte. Als ſolche Geſpenſter können ſie am füglichſten mit dem Namen Volk und reſpective Völk¬ chen bezeichnet werden: das Volk der Erzväter, das Volk der Hellenen u. ſ. w., endlich das Menſchenvolk, die Menſch¬ heit (Anacharſis Cloots ſchwärmte für die Nation der Menſchheit), dann jegliche Unterabtheilung dieſes Volkes , das ſeine beſonderen Geſellſchaften haben konnte und mußte, das ſpaniſche, franzöſiſche Volk u. ſ. w., innerhalb deſſelben278 wieder die Stände, die Städte, kurz allerlei Körperſchaften, zuletzt in äußerſter Zuſpitzung das kleine Völkchen der Fa¬ milie. Statt zu ſagen, die ſpukende Perſon aller bisherigen Geſellſchaften ſei das Volk geweſen, könnten daher auch die beiden Extreme genannt werden, nämlich entweder die Menſch¬ heit oder die Familie , beide die naturwüchſigſten Ein¬ heiten . Wir wählen das Wort Volk , weil man ſeine Ab¬ ſtammung mit dem griechiſchen Polloi, den Vielen oder der Menge zuſammengebracht hat, mehr aber noch deshalb, weil die nationalen Beſtrebungen heute an der Tagesordnung ſind, und weil auch die neueſten Empörer dieſe trügeriſche Perſon noch nicht abgeſchüttelt haben, obwohl andererſeits die letztere Erwägung dem Ausdruck Menſchheit den Vorzug geben müßte, da man von allen Seiten drauf und dran iſt, für die Menſchheit zu ſchwärmen.

Alſo das Volk, die Menſchheit oder die Familie , haben ſeither, wie es ſcheint, Geſchichte geſpielt: kein egoiſti¬ ſches Intereſſe ſollte in dieſen Geſellſchaften aufkommen, ſon¬ dern lediglich allgemeine, nationale oder Volksintereſſen, Stan¬ desintereſſen, Familienintereſſen und allgemein menſchliche Intereſſen . Wer aber hat die Völker, deren Untergang die Geſchichte erzählt, zu Fall gebracht? Wer anders als der Egoiſt, der ſeine Befriedigung ſuchte! Schlich ſich einmal ein egoiſtiſches Intereſſe ein, ſo war die Geſellſchaft verdor¬ ben und ging ihrer Auflöſung entgegen, wie z. B. das Römer¬ thum beweiſt mit ſeinem ausgebildeten Privatrecht, oder das Chriſtenthum mit der unaufhaltſam hereinbrechenden vernünf¬ tigen Selbſtbeſtimmung , dem Selbſtbewußtſein , der Auto¬ nomie des Geiſtes u. ſ. w.

Das Chriſtenvolk hat zwei Geſellſchaften hervorgebracht,279 deren Dauer mit dem Beſtande jenes Volkes ein gleiches Maaß behalten wird: es ſind dieß die Geſellſchaften: Staat und Kirche. Können ſie ein Verein von Egoiſten genannt werden? Verfolgen Wir in ihnen ein egoiſtiſches, perſönliches, eigenes, oder verfolgen Wir ein volksthümliches (volkliches, d.h. ein Intereſſe des Chriſten-Volkes), nämlich ein ſtaat¬ liches und kirchliches Intereſſe? Kann und darf Ich in ihnen Ich ſelbſt ſein? Darf Ich denken und handeln wie Ich will, darf Ich Mich offenbaren, ausleben, bethätigen? Muß Ich nicht die Majeſtät des Staates, die Heiligkeit der Kirche un¬ angetaſtet laſſen?

Wohl, Ich darf nicht, wie Ich will. Aber werde Ich in irgend einer Geſellſchaft eine ſo ungemeſſene Freiheit des Dürfens finden? Allerdings nein! Mithin könnten Wir ja wohl zufrieden ſein? Mit nichten! Es iſt ein Anderes, ob Ich an einem Ich abpralle, oder an einem Volke, einem All¬ gemeinen. Dort bin Ich der ebenbürtige Gegner meines Geg¬ ners, hier ein verachteter, gebundener, bevormundeter; dort ſteh 'Ich Mann gegen Mann, hier bin Ich ein Schulbube, der gegen ſeinen Cameraden nichts ausrichten kann, weil dieſer Vater und Mutter zu Hülfe gerufen und ſich unter die Schürze verkrochen hat, während Ich als ungezogener Junge ausge¬ ſcholten werde und nicht raiſonniren darf; dort kämpfe Ich gegen einen leibhaftigen Feind, hier gegen die Menſchheit, gegen ein Allgemeines, gegen eine Majeſtät , gegen einen Spuk. Mir aber iſt keine Majeſtät, nichts Heiliges eine Schranke, nichts, was Ich zu bewältigen weiß. Nur was Ich nicht bewältigen kann, das beſchränkt noch meine Gewalt, und Ich von beſchränkter Gewalt bin zeitweilig ein beſchränk¬ tes Ich, nicht beſchränkt durch die Gewalt außer Mir, ſon¬280 dem beſchränkt durch die noch mangelnde eigene Gewalt, durch die eigene Ohnmacht. Allein die Garde ſtirbt, doch ſie ergiebt ſich nicht! Vor Allem nur einen leibhaftigen Gegner!

Mit jedem Gegner wag 'ich's,
Den ich kann ſehen und ins Auge faſſen,
Der, ſelbſt voll Muth, auch mir den Muth entflammt u. ſ. w.

Viele Privilegien ſind freilich mit der Zeit vertilgt wor¬ den, allein lediglich um des Gemeinwohls, um des Staates und Staatswohls willen, keineswegs zur Stärkung Meiner. Die Erbunterthänigkeit z. B. wurde nur aufgehoben, damit ein einziger Erbherr, der Herr des Volkes, die monarchiſche Macht, geſtärkt werde: die Erbunterthänigkeit unter dem Einen wurde dadurch noch ſtraffer. Nur zu Gunſten des Monarchen, er heiße: Fürſt oder Geſetz , ſind die Privilegien gefallen. In Frankreich ſind die Bürger zwar nicht Erbunterthanen des Königs, dafür aber Erbunterthanen des Geſetzes (der Charte). Unterordnung wurde beibehalten, nur erkannte der chriſt¬ liche Staat, daß der Menſch nicht zweien Herren dienen könne (dem Gutsherrn und dem Fürſten u. ſ. w.); darum erhielt Einer alle Vorrechte; er kann nun wieder einen über den andern ſtellen, kann Hochgeſtellte machen.

Was aber kümmert Mich das Gemeinwohl? Das Ge¬ meinwohl als ſolches iſt nicht mein Wohl, ſondern nur die äußerſte Spitze der Selbſtverleugnung. Das Ge¬ meinwohl kann laut jubeln, während Ich kuſchen muß, der Staat glänzen, indeß Ich darbe. Worin anders liegt die Thorheit der politiſchen Liberalen, als darin, daß ſie das Volk der Regierung entgegenſetzen und von Volksrechten ſprechen? Da ſoll denn das Volk mündig ſein u. ſ. w. Als könnte281 mündig ſein, wer keinen Mund hat! Nur der Einzelne ver¬ mag mündig zu ſein. So wird die ganze Frage der Pre߬ freiheit auf den Kopf geſtellt, wenn ſie als ein Volksrecht in Anſpruch genommen wird. Sie iſt nur ein Recht oder beſſer die Gewalt des Einzelnen. Hat ein Volk Preßfrei¬ heit, ſo habe Ich, obwohl mitten in dieſem Volke, ſie nicht: eine Volksfreiheit iſt nicht meine Freiheit, und die Preßfrei¬ heit als Volksfreiheit muß ein gegen Mich gerichtetes Pre߬ geſetz zur Seite haben.

Dieß muß überhaupt gegen die heurigen Freiheitsbeſtre¬ bungen geltend gemacht werden:

Volksfreiheit iſt nicht meine Freiheit!

Laſſen Wir die Kategorie: Volksfreiheit und Volksrecht gelten, z. B. das Volksrecht, daß Jedermann Waffen tragen darf. Verwirkt man denn nicht ein ſolches Recht? Sein eigenes Recht kann man nicht verwirken, wohl aber ein Recht, das nicht Mir, ſondern dem Volke gehört. Ich kann einge¬ ſperrt werden um der Volksfreiheit willen, kann als Sträfling des Waffenrechts verluſtig gehen.

Der Liberalismus erſcheint als der letzte Verſuch einer Schöpfung der Volksfreiheit, einer Freiheit der Gemeinde, der Geſellſchaft , des Allgemeinen, der Menſchheit, der Traum einer mündigen Menſchheit, eines mündigen Volkes, einer mündigen Gemeinde, einer mündigen Geſellſchaft .

Ein Volk kann nicht anders, als auf Koſten des Ein¬ zelnen frei ſein; denn nicht der Einzelne iſt bei dieſer Freiheit die Hauptſache, ſondern das Volk. Je freier das Volk, deſto gebundener der Einzelne: das atheniſche Volk ſchuf gerade zur freieſten Zeit den Oſtracismus, verbannte die Atheiſten, ver¬ giftete den redlichſten Denker.

282

Wie rühmt man nicht Sokrates über ſeine Gewiſſenhaf¬ tigkeit, die ihn dem Rache, aus dem Kerker zu entweichen, widerſtehen läßt. Er iſt ein Thor, daß er den Athenern ein Recht einräumt, ihn zu verurtheilen. Darum geſchieht ihm allerdings Recht; warum bleibt er auch mit den Athenern auf gleichem Boden ſtehen! Warum bricht er nicht mit ihnen? Hätte er gewußt und wiſſen können, was er war, er hätte ſolchen Richtern keinen Anſpruch, kein Recht eingeräumt. Daß er nicht entfloh, war eben ſeine Schwachheit, ſein Wahn, mit den Athenern noch Gemeinſames zu haben, oder die Mei¬ nung, er ſei ein Glied, ein bloßes Glied dieſes Volkes. Er war aber vielmehr dieſes Volk ſelbſt in Perſon und konnte nur ſein eigener Richter ſein. Es gab keinen Richter über ihm; wie er ſelbſt denn wirklich einen offenen Richterſpruch über ſich gefällt und ſich des Prytaneums werth erachtet hatte. Dabei mußte er bleiben, und wie er kein Todesurtheil gegen ſich ausgeſprochen hatte, ſo auch das der Athener verachten und entfliehen. Aber er ordnete ſich unter und erkannte in dem Volke ſeinen Richter, dünkte ſich klein vor der Majeſtät des Volkes. Daß er ſich der Gewalt, welcher er allein unterliegen konnte, als einem Rechte unterwarf, war Ver¬ rath an ihm ſelbſt: es war Tugend. Chriſtus, welcher ſich angeblich der Macht über ſeine himmliſchen Legionen enthielt, wird dadurch von den Erzählern die gleiche Bedenklichkeit zu¬ geſchrieben. Luther that ſehr wohl und klug, ſich die Sicher¬ heit ſeines Wormſer Zuges verbriefen zu laſſen, und Sokrates hätte wiſſen ſollen, daß die Athener ſeine Feinde ſeien, er allein ſein Richter. Die Selbſttäuſchung von einem Rechts¬ zuſtande, Geſetze u. ſ. w. mußte der Einſicht weichen, daß das Verhältniß ein Verhältniß der Gewalt ſei.

283

Mit Rabuliſterei und Intriguen endigte die griechiſche Freiheit. Warum? Weil die gewöhnlichen Griechen noch viel weniger jene Conſequenz erreichen konnten, die nicht ein¬ mal ihr Gedankenheld Sokrates zu ziehen vermochte. Was iſt denn Rabuliſterei anders, als eine Art, ein Beſtehendes auszunutzen, ohne es abzuſchaffen? Ich könnte hinzuſetzen zu eigenem Nutzen , aber es liegt ja in Ausnutzung . Solche Rabuliſten ſind die Theologen, die Gottes Wort drehen und deuteln ; was hätten ſie zu drehen, wenn das beſtehende Gotteswort nicht wäre? So diejenigen Liberalen, die an dem Beſtehenden nur rütteln und drehen. Alle ſind ſie Ver¬ dreher gleich jenen Rechtsverdrehern. Sokrates erkannte das Recht, das Geſetz an; die Griechen behielten fortwährend die Autorität des Geſetzes und Rechtes bei. Wollten ſie bei dieſer Anerkenntniß gleichwohl ihren Nutzen, wollte Jeder den ſeini¬ gen behaupten, ſo mußten ſie ihn eben in der Rechtsverdre¬ hung oder Intrigue ſuchen. Alcibiades, ein genialer Intri¬ guant, leitet die Periode des athenienſiſchen Verfalls ein; der Spartaner Lyſander und Andere zeigen, daß die Intrigue allgemein griechiſch geworden. Das griechiſche Recht, worauf die griechiſchen Staaten ruhten, mußte von den Egoiſten innerhalb dieſer Staaten verdreht und untergraben werden, und es gingen die Staaten zu Grunde, damit die Einzel¬ nen frei wurden, das griechiſche Volk fiel, weil die Einzelnen aus dieſem Volke ſich weniger machten, als aus ſich. Es ſind überhaupt alle Staaten, Verfaſſungen, Kirchen u. ſ. w. an dem Auſtritt der Einzelnen untergegangen; denn der Einzelne iſt der unverſöhnliche Feind jeder Allgemeinheit, jedes Bandes, d. h. jeder Feſſel. Dennoch wähnt man bis auf den heutigen Tag, heilige Bande brauche der Menſch, er,284 der Todfeind jedes Bandes . Die Weltgeſchichte zeigt, daß noch kein Band unzeriſſen blieb, zeigt, daß der Menſch ſich unermüdet gegen Bande jeder Art wehrt, und dennoch ſinnt man verblendet wieder und wieder auf neue Bande, und meint z. B. bei dem rechten angekommen zu ſein, wenn man ihm das Band einer ſogenannten freien Verfaſſung, ein ſchönes, conſtitutionnelles Band anlegt: die Ordensbänder, die Bande des Vertrauens zwiſchen ſcheinen nachgerade zwar etwas mürbe geworden zu ſein, aber weiter als vom Gängelbande zum Hoſen - und Halsbande hat man's nicht gebracht.

Alles Heilige iſt ein Band, eine Feſſel.

Alles Heilige wird und muß verdreht werden von Rechts¬ verdrehern; darum hat unſere Gegenwart in allen Sphären ſolche Verdreher in Menge. Sie bereiten den Rechtsbruch, die Rechtloſigkeit vor.

Arme Athener, die man der Rabuliſterei und Sophiſtik, armer Alcibiades, den man der Intrigue anklagt. Das war ja eben euer Beſtes, euer erſter Freiheitsſchritt. Eure Aeſchy¬ lus, Herodot u. ſ. w. wollten nur ein freies griechiſches Volk haben; Ihr erſt ahndetet etwas von eurer Freiheit.

Ein Volk unterdrückt diejenigen, welche über ſeine Ma¬ jeſtät hinausragen, durch den Oſtracismus gegen die über¬ mächtigen Bürger, durch die Inquiſition gegen die Ketzer der Kirche, durch die Inquiſition gegen die Hochverräther im Staate u. ſ. w.

Denn dem Volke kommt es nur auf ſeine Selbſtbehaup¬ tung an; es fordert patriotiſche Aufopferung von Jedem. Mithin iſt ihm Jeder für ſich gleichgültig, ein Nichts, und es kann nicht machen, nicht einmal leiden, was der Einzelne285 und nur dieſer machen muß, nämlich ſeine Verwerthung. Ungerecht iſt jedes Volk, jeder Staat gegen den Egoiſten.

So lange auch nur Eine Inſtitution noch beſteht, welche der Einzelne nicht auflöſen darf, iſt die Eigenheit und Selbſt¬ angehörigkeit Meiner noch ſehr fern. Wie kann Ich z. B. frei ſein, wenn Ich eidlich an eine Conſtitution, eine Charte, ein Geſetz Mich binden, meinem Volke Leib und Seele ver¬ ſchwören muß? Wie kann Ich eigen ſein, wenn meine Fä¬ higkeiten ſich nur ſo weit entwickeln dürfen, als ſie die Har¬ monie der Geſellſchaft nicht ſtören (Weitling).

Der Untergang der Völker und der Menſchheit wird Mich zum Aufgange einladen.

Horch, eben da Ich dieß ſchreibe, fangen die Glocken an zu läuten, um für den morgenden Tag die Feier des tauſend¬ jährigen Beſtandes unſeres lieben Deutſchlands einzuklingeln. Läutet, läutet ſeinen Grabgeſang! Ihr klingt ja feierlich ge¬ nug, als bewegte eure Zunge die Ahnung, daß ſie einem Todten das Geleit gebe. Deutſches Volk und deutſche Völker haben eine Geſchichte von tauſend Jahren hinter ſich: welch langes Leben! Geht denn ein zur Ruhe, zum Nimmeraufer¬ ſtehen, auf daß Alle frei werden, die Ihr ſo lange in Feſſeln hieltet. Todt iſt das Volk. Wohlauf Ich!

O Du mein vielgequältes, deutſches Volk was war deine Qual? Es war die Qual eines Gedankens, der keinen Leib ſich erſchaffen kann, die Qual eines ſpukenden Geiſtes, der vor jedem Hahnenſchrei in nichts zerrinnt und doch nach Erlöſung und Erfüllung ſchmachtet. Auch in Mir haſt Du lange gelebt, Du lieber Gedanke, Du lieber Spuk. Faſt wähnte Ich ſchon das Wort deiner Erlöſung gefunden, für den irrenden Geiſt Fleiſch und Bein entdeckt zu haben: da286 höre Ich ſie läuten, die Glocken, die Dich zur ewigen Ruhe bringen, da verhallt die letzte Hoffnung, da ſummt die letzte Liebe aus, da ſcheide Ich aus dem öden Hauſe der Verſtor¬ benen und kehre ein zu den Lebendigen:

Denn allein der Lebende hat Recht. Fahre wohl, Du Traum ſo vieler Millionen, fahre wohl, Du tauſendjährige Tyrannin deiner Kinder!

Morgen trägt man Dich zu Grabe; bald werden deine Schweſtern, die Völker, Dir folgen. Sind ſie aber alle ge¬ folgt, ſo iſt die Menſchheit begraben, und Ich bin mein eigen, Ich bin der lachende Erbe!

Das Wort Geſellſchaft hat ſeinen Urſprung in dem Worte Sal . Schließt Ein Saal viele Menſchen ein, ſo macht's der Saal, daß dieſe Menſchen in Geſellſchaft ſind. Sie ſind in Geſellſchaft und machen höchſtens eine Salon - Geſellſchaft aus, indem ſie in den herkömmlichen Salon-Re¬ densarten ſprechen. Wenn es zu wirklichem Verkehr kommt, ſo iſt dieſer als von der Geſellſchaft unabhängig zu betrachten, der eintreten oder fehlen kann, ohne die Natur deſſen, was Geſellſchaft heißt, zu alteriren. Eine Geſellſchaft ſind die im Saale Befindlichen auch als ſtumme Perſonen, oder wenn ſie ſich lediglich in leeren Höflichkeitsphraſen abſpeiſen. Verkehr iſt Gegenſeitigkeit, iſt die Handlung, das commercium der Einzelnen; Geſellſchaft iſt nur Gemeinſchaftlichkeit des Saales, und in Geſellſchaft befinden ſich ſchon die Statüen eines Mu¬ ſeum-Saales, ſie ſind gruppirt . Man pflegt wohl zu ſagen: man habe dieſen Saal gemeinſchaftlich inne , es iſt aber vielmehr ſo, daß der Saal Uns inne oder in ſich hat. So287 weit die natürliche Bedeutung des Wortes Geſellſchaft. Es ſtellt ſich dabei heraus, daß die Geſellſchaft nicht durch Mich und Dich erzeugt wird, ſondern durch ein Drittes, welches aus Uns beiden Geſellſchafter macht, und daß eben dieſes Dritte das Erſchaffende, das Geſellſchaft Schaffende iſt.

Ebenſo eine Gefängniß-Geſellſchaft oder Gefängniß-Ge¬ noſſenſchaft (die daſſelbe Gefängniß genießen). Hier gerathen Wir ſchon in ein inhaltreicheres Drittes, als jenes bloß ört¬ liche, der Saal, war. Gefängniß bedeutet nicht mehr nur einen Raum, ſondern einen Raum mit ausdrücklicher Beziehung auf ſeine Bewohner: es iſt ja nur dadurch Gefängniß, daß es für Gefangene beſtimmt iſt, ohne die es eben ein bloßes Gebäude wäre. Wer giebt den in ihm Verſammelten ein gemeinſames Gepräge? Offenbar das Gefängniß, da ſie nur mittelſt des Gefängniſſes Gefangene ſind. Wer beſtimmt alſo die Lebens¬ weiſe der Gefängniß-Geſellſchaft? Das Gefängniß! Wer beſtimmt ihren Verkehr? Etwa auch das Gefängniß? Aller¬ dings können ſie nur als Gefangene in Verkehr treten, d. h. nur ſo weit, als die Gefängniß-Geſetze ihn zulaſſen; aber daß ſie ſelbſt, Ich mit Dir, verkehren, das kann das Gefängniß nicht bewirken, im Gegentheil, es muß darauf bedacht ſein, ſolchen egoiſtiſchen, rein perſönlichen Verkehr (und nur als ſolcher iſt er wirklich Verkehr zwiſchen Mir und Dir) zu ver¬ hüten. Daß Wir gemeinſchaftlich eine Arbeit verrichten, eine Maſchine ziehen, überhaupt etwas ins Werk ſetzen, dafür ſorgt ein Gefängniß wohl; aber daß Ich vergeſſe, Ich ſei ein Gefangener, und mit Dir, der gleichfalls davon abſieht, einen Verkehr eingehe, das bringt dem Gefängniß Gefahr, und kann von ihm nicht nur nicht gemacht, es darf nicht einmal zuge¬ laſſen werden. Aus dieſem Grunde beſchließt die heilige und288 ſittlich geſinnte franzöſiſche Kammer, die einſame Zellenhaft einzuführen, und andere Heilige werden ein Gleiches thun, um den demoraliſirenden Verkehr abzuſchneiden. Die Ge¬ fangenſchaft iſt das Beſtehende und Heilige, das zu ver¬ letzen kein Verſuch gemacht werden darf. Die leiſeſte Anfech¬ tung der Art iſt ſtrafbar, wie jede Auflehnung gegen ein Heili¬ ges, von dem der Menſch befangen und gefangen ſein ſoll.

Wie der Saal, ſo bildet das Gefängniß wohl eine Ge¬ ſellſchaft, eine Genoſſenſchaft, eine Gemeinſchaft (z. B. Ge¬ meinſchaft der Arbeit), aber keinen Verkehr, keine Gegenſei¬ tigkeit, keinen Verein. Im Gegentheil, jeder Verein im Ge¬ fängniſſe trägt den gefährlichen Samen eines Complotts in ſich, der unter begünſtigenden Umſtänden aufgehen und Frucht treiben könnte.

Doch das Gefängniß betritt man gewöhnlich nicht frei¬ willig und bleibt auch ſelten freiwillig darin, ſondern hegt das egoiſtiſche Verlangen nach Freiheit. Darum leuchtet es hier eher ein, daß der perſönliche Verkehr ſich gegen die Gefängni߬ geſellſchaft feindſelig verhält und auf die Auflöſung eben dieſer Geſellſchaft, der gemeinſchaftlichen Haft, ausgeht.

Sehen Wir Uns deshalb nach ſolchen Gemeinſchaften um, in denen Wir, wie es ſcheint, gerne und freiwillig blei¬ ben, ohne ſie durch Unſere egoiſtiſchen Triebe gefährden zu wollen.

Als eine Gemeinſchaft der geforderten Art bietet ſich zu¬ nächſt die Familie dar. Aeltern, Gatten, Kinder, Geſchwi¬ ſter ſtellen ein Ganzes vor oder machen eine Familie aus, zu deren Erweiterung auch noch die herbeigezogenen Seitenver¬ wandten dienen mögen. Die Familie iſt nur dann eine wirk¬ liche Gemeinſchaft, wenn das Geſetz der Familie, die Pietät289 oder Familienliebe, von den Gliedern derſelben beobachtet wird. Ein Sohn, welchem Aeltern und Geſchwiſter gleichgültig ge¬ worden ſind, iſt Sohn geweſen; denn da die Sohnſchaft ſich nicht mehr wirkſam beweiſt, ſo hat ſie keine größere Be¬ deutung, als der längſt vergangene Zuſammenhang von Mut¬ ter und Kind durch den Nabelſtrang. Daß man einſt in die¬ ſer leiblichen Verbindung gelebt, das läßt ſich als eine geſche¬ hene Sache nicht ungeſchehen machen, und in ſo weit bleibt man unwiderruflich der Sohn dieſer Mutter und der Bruder ihrer übrigen Kinder; aber zu einem fortdauernden Zuſammen¬ hange käme es nur durch fortdauernde Pietät, dieſen Familien¬ geiſt. Die Einzelnen ſind nur dann im vollen Sinne Glieder einer Familie, wenn ſie das Beſtehen der Familie zu ihrer Aufgabe machen; nur als conſervativ halten ſie ſich fern davon, an ihrer Baſis, der Familie, zu zweifeln. Eines muß jedem Familiengliede feſt und heilig ſein, nämlich die Familie ſelbſt, oder ſprechender: die Pietät. Daß die Familie beſte¬ hen ſoll, das bleibt dem Gliede derſelben, ſo lange es ſich vom familienfeindlichen Egoismus frei erhält, eine unantaſtbare Wahrheit. Mit Einem Worte : Iſt die Familie heilig, ſo darf ſich Keiner, der zu ihr gehört, losſagen, widrigenfalls er an der Familie zum Verbrecher wird; er darf niemals ein familienfeindliches Intereſſe verfolgen, z. B. keine Mißheirath ſchließen. Wer das thut, der hat die Familie entehrt , hat ihr Schande gemacht u. ſ. w.

Hat nun in einem Einzelnen der egoiſtiſche Trieb nicht Kraft genug, ſo fügt er ſich und ſchließt eine Heirath, welche den Anſprüchen der Familie convenirt, ergreift einen Stand, der mit ihrer Stellung harmonirt u. dergl., kurz er macht der Familie Ehre. 19290Wallt hingegen in ſeinen Adern das egoiſtiſche Blut feu¬ rig genug, ſo zieht er es vor, an der Familie zum Verbre¬ cher zu werden und ihren Geſetzen ſich zu entziehen.

Was von beiden liegt Mir näher am Herzen, das Fami¬ lienwohl oder mein Wohl? In unzähligen Fällen werden beide friedlich mit einander gehen und der Nutzen, welcher der Familie zu Theil wird, zugleich der meinige ſein und umge¬ kehrt. Da läßt ſich's ſchwer entſcheiden, ob Ich eigennützig oder gemeinnützig denke, und Ich ſchmeichle Mir vielleicht wohlgefällig mit meiner Uneigennützigkeit. Aber es kommt der Tag, wo ein Entweder Oder Mich zittern macht, wo Ich meinen Stammbaum zu entehren, Aeltern, Geſchwiſter, Verwandte vor den Kopf zu ſtoßen im Begriff ſtehe. Wie dann? Nun wird ſich's zeigen, wie Ich im Grunde meines Herzens geſonnen bin; nun wird's offenbar werden, ob Mir die Pietät jemals höher geſtanden als der Egoismus, nun wird der Eigennützige ſich nicht länger hinter den Schein der Uneigennützigkeit verkriechen können. Ein Wunſch ſteigt in meiner Seele auf, und wachſend von Stunde zu Stunde wird er zur Leidenſchaft. Wer denkt auch gleich daran, daß ſchon der leiſeſte Gedanke, welcher gegen den Familiengeiſt, die Pie¬ tät, auslaufen kann, ein Vergehen gegen denſelben in ſich trägt, ja wer iſt ſich denn im erſten Augenblick ſogleich der Sache vollkommen bewußt! Julie in Romeo und Julie er¬ geht es ſo. Die unbändige Leidenſchaft läßt ſich endlich nicht mehr zähmen und untergräbt das Gebäude der Pietät. Frei¬ lich werdet Ihr ſagen, die Familie werfe aus Eigenſinn jene Eigenwilligen, welche ihrer Leidenſchaft mehr Gehör ſchenken als der Pietät, aus ihrem Schooße; die guten Proteſtanten haben dieſelbe Ausrede gegen die Katholiken mit vielem Erfolg291 gebraucht und ſelbſt daran geglaubt. Allein es iſt eben eine Ausflucht, um die Schuld von ſich abzuwälzen, nichts weiter. Die Katholiken hielten auf den gemeinſamen Kirchenverband, und ſtießen jene Ketzer nur von ſich, weil dieſelben auf den Kirchenverband nicht ſo viel hielten, um ihre Ueberzeugungen ihm zu opfern; jene alſo hielten den Verband feſt, weil der Verband, die katholiſche, d. h. gemeinſame und einige Kirche, ihnen heilig war; dieſe hingegen ſetzten den Verband hintan. Ebenſo die Pietätsloſen. Sie werden nicht ausgeſtoßen, ſon¬ dern ſtoßen ſich aus, indem ſie ihre Leidenſchaft, ihren Eigen¬ willen höher achten als den Familienverband.

Nun glimmt aber zuweilen ein Wunſch in einem minder leidenſchaftlichen und eigenwilligen Herzen, als das der Julie war. Die Nachgiebige bringt ſich dem Familienfrieden zum Opfer. Man könnte ſagen, auch hier walte der Eigennutz vor, denn der Entſchluß komme aus dem Gefühl, daß die Nachgiebige ſich mehr durch die Familieneinigkeit befriedigt fühle als durch die Erfüllung ihres Wunſches. Das möchte ſein; aber wie, wenn ein ſicheres Zeichen übrig bliebe, daß der Egoismus der Pietät geopfert worden? Wie, wenn der Wunſch, welcher gegen den Familienfrieden gerichtet war, auch nachdem er geopfert worden, wenigſtens in der Erinnerung eines einem heiligen Bande gebrachten Opfers bliebe? Wie, wenn die Nachgiebige ſich bewußt wäre, ihren Eigenwillen unbefriedigt gelaſſen und einer höhern Macht ſich demüthig unterworfen zu haben? Unterworfen und geopfert, weil der Aberglaube der Pietät ſeine Herrſchaft an ihr geübt hat!

Dort hat der Egoismus geſiegt, hier ſiegt die Pietät, und das egoiſtiſche Herz blutet; dort war der Egoismus ſtark, hier war er ſchwach. Die Schwachen aber, das wiſſen19 *292Wir längſt, das ſind die Uneigennützigen. Für ſie, dieſe ihre ſchwachen Glieder, ſorgt die Familie, weil ſie der Familie angehören, Familienangehörige ſind, nicht ſich angehören und für ſich ſorgen. Dieſe Schwachheit lobt z. B. Hegel, wenn er der Wahl der Aeltern die Heirathspartie der Kinder anheimgeſtellt wiſſen will.

Als einer heiligen Gemeinſchaft, welcher der Einzelne auch Gehorſam ſchuldig iſt, kommt der Familie auch die rich¬ terliche Function zu, wie ein ſolches Familiengericht z. B. im Cabanis von Wilibald Alexis beſchrieben wird. Da ſteckt der Vater im Namen des Familienrathes den unfolgſamen Sohn unter die Soldaten und ſtößt ihn aus der Familie aus, um mittelſt dieſes Strafactes die befleckte Familie wieder zu reinigen. Die conſequenteſte Ausbildung der Familien-Ver¬ antwortlichkeit enthält das chineſiſche Recht, nach welchem für die Schuld des Einzelnen die ganze Familie zu büßen hat.

Heutigen Tages indeſſen reicht der Arm der Familienge¬ walt ſelten weit genug, um den Abtrünnigen ernſtlich in Strafe zu nehmen (ſelbſt gegen Enterbung ſchützt der Staat in den meiſten Fällen). Der Verbrecher an der Familie (Familien - Verbrecher) flüchtet in das Gebiet des Staates und iſt frei, wie der Staatsverbrecher, der nach Amerika entkommt, von den Strafen ſeines Staates nicht mehr erreicht wird. Er, der ſeine Familie geſchändet hat, der ungerathene Sohn, wird gegen die Strafe der Familie geſchützt, weil der Staat, dieſer Schutzherr, der Familienſtrafe ihre Heiligkeit benimmt und ſie profanirt, indem er decretirt, ſie ſei nur Rache : er verhindert die Strafe, dieß heilige Familienrecht, weil vor ſei¬ ner, des Staates, Heiligkeit die untergeordnete Heiligkeit der Familie jedesmal erbleicht und entheiligt wird, ſobald ſie293 mit dieſer höhern Heiligkeit in Conflict geräth. Ohne den Conflict läßt der Staat die kleinere Heiligkeit der Familie gel¬ ten; im entgegengeſetzten Falle aber gebietet er ſogar das Ver¬ brechen gegen die Familie, indem er z. B. dem Sohne auf¬ giebt, ſeinen Aeltern den Gehorſam zu verweigern, ſobald ſie ihn zu einem Staatsverbrechen verleiten wollen.

Nun, der Egoiſt hat die Bande der Familie zerbrochen und am Staate einen Schirmherrn gefunden gegen den ſchwer beleidigten Familiengeiſt. Wohin aber iſt er nun gerathen? Geradesweges in eine neue Geſellſchaft, worin ſeines Ego¬ ismus dieſelben Schlingen und Netze warten, denen er ſo eben entronnen. Denn der Staat iſt gleichfalls eine Geſellſchaft, nicht ein Verein, er iſt die erweiterte Familie. ( Landes¬ vater Landesmutter Landeskinder. )

Was man Staat nennt, iſt ein Gewebe und Geflecht von Abhängigkeit und Anhänglichkeit, iſt eine Zuſammengehö¬ rigkeit, ein Zuſammenhalten, wobei die Zuſammengeordneten ſich in einander ſchicken, kurz gegenſeitig von einander abhän¬ gen: er iſt die Ordnung dieſer Abhängigkeit. Geſetzt, der König, deſſen Autorität Allen bis zum Büttel herunter Autorität verleiht, verſchwände, ſo würden dennoch Alle, in welchen der Ordnungsſinn wach wäre, die Ordnung gegen die Unordnung der Beſtialität aufrecht erhalten. Siegte die Unordnung, ſo wäre der Staat erloſchen.

Iſt dieſer Liebesgedanke aber, ſich in einander zu ſchicken, an einander zu hängen, und von einander abzuhängen, wirk¬ lich fähig, Uns zu gewinnen? Der Staat wäre hiernach die realiſirte Liebe, das Füreinanderſein und Füreinanderleben294 Aller. Geht über den Ordnungsſinn nicht der Eigenſinn ver¬ loren? Wird man ſich nicht begnügen, wenn durch Gewalt für Ordnung geſorgt iſt, d. h. dafür, daß Keiner dem Andern zu nahe trete , mithin, wenn die Heerde verſtändig dislo¬ cirt oder geordnet iſt? Es iſt ja dann Alles in beſter Ord¬ nung , und dieſe beſte Ordnung heißt eben Staat!

Unſere Geſellſchaften und Staaten ſind, ohne daß Wir ſie machen, ſind vereinigt ohne unſere Vereinigung, ſind prä¬ deſtinirt und beſtehen oder haben einen eigenen, unabhängigen Beſtand, ſind gegen Uns Egoiſten das unauflösliche Beſte¬ hende. Der heurige Weltkampf iſt, wie man ſagt, gegen das Beſtehende gerichtet. Man pflegt dieß jedoch ſo zu mi߬ verſtehen, als ſollte nur, was jetzt beſteht, mit anderem, beſ¬ ſerem Beſtehenden vertauſcht werden. Allein der Krieg dürfte vielmehr dem Beſtehen ſelbſt erklärt ſein, d. h. dem Staate (status), nicht einem beſtimmten Staate, nicht etwa nur dem derzeitigen Zuſtande des Staates; nicht einen andern Staat (etwa Volksſtaat ) bezweckt man, ſondern ſeinen Verein, die Vereinigung, dieſe ſtets flüſſige Vereinigung alles Beſtandes. Ein Staat iſt vorhanden, auch ohne mein Zuthun: Ich werde in ihm geboren, erzogen, auf ihn verpflichtet und muß ihm huldigen . Er nimmt Mich auf in ſeine Huld , und Ich lebe von ſeiner Gnade . So begründet das ſelbſtändige Beſtehen des Staates meine Unſelbſtändigkeit, ſeine Natur¬ wüchſigkeit , ſein Organismus, fordert, daß meine Natur nicht frei wachſe, ſondern für ihn zugeſchnitten werde. Damit er naturwüchſig ſich entfalten könne, legt er an Mich die Scheere der Cultur ; er giebt Mir eine ihm, nicht Mir, angemeſſene Erziehung und Bildung, und lehrt Mich z. B. die Geſetze reſpectiren, der Verletzung des Staatseigenthums (d. h. Pri¬295 vateigenthums) Mich enthalten, eine Hoheit, göttliche und irdiſche, verehren u. ſ. w., kurz er lehrt Mich unſträflich ſein, indem Ich meine Eigenheit der Heiligkeit (heilig iſt alles Mögliche, z. B. Eigenthum, Leben der Andern u. ſ. w.) opfere . Darin beſteht die Art der Cultur und Bildung, welche Mir der Staat zu geben vermag: er erzieht Mich zu einem brauchbaren Werkzeug , einem brauchbaren Gliede der Geſellſchaft.

Das muß jeder Staat thun, der Volksſtaat ſo gut wie der abſolute oder conſtitutionelle. Er muß es thun, ſo lange Wir in dem Irrthum ſtecken, er ſei ein Ich, als welches er ſich denn den Namen einer moraliſchen, myſtiſchen oder ſtaat¬ lichen Perſon beilegt. Dieſe Löwenhaut des Ichs muß Ich, der Ich wirklich Ich bin, dem ſtolzirenden Diſtelfreſſer abziehen. Welchen mannigfachen Raub habe Ich in der Weltgeſchichte Mir nicht gefallen laſſen. Da ließ Ich Sonne, Mond und Sternen, Katzen und Krokodilen die Ehre widerfahren, als Ich zu gelten; da kam Jehova, Allah und Unſer Vater und wur¬ den mit dem Ich beſchenkt; da kamen Familien, Stämme, Völker und endlich gar die Menſchheit, und wurden als Iche honorirt; da kam der Staat, die Kirche mit der Prätenſion, Ich zu ſein, und Ich ſah allem ruhig zu. Was Wunder, wenn dann immer auch ein wirklich Ich dazu trat und Mir ins Geſicht behauptete, es ſei nicht mein Du, ſondern mein eigenes Ich. Hatte das Gleiche doch der Menſchenſohn par excellence gethan, warum ſollte es nicht auch ein Menſchen¬ ſohn thun? So ſah Ich denn mein Ich immer über und außer Mir und konnte niemals wirklich zu Mir kommen.

Ich glaubte nie an Mich, glaubte nie an meine Gegen¬ wart und ſah Mich nur in der Zukunft. Der Knabe glaubt,296 er werde erſt ein rechtes Ich, ein rechter Kerl ſein, wenn er ein Mann geworden; der Mann denkt, erſt jenſeits werde er etwas Rechtes ſein. Und, daß Wir gleich näher auf die Wirklichkeit eingehen, auch die Beſten reden's heute noch ein¬ ander vor, daß man den Staat, ſein Volk, die Menſchheit und was weiß Ich Alles in ſich aufgenommen haben müſſe, um ein wirkliches Ich, ein freier Bürger , ein Staatsbürger , ein freier oder wahrer Menſch zu ſein; auch ſie ſehen die Wahrheit und Wirklichkeit Meiner in der Aufnahme eines fremden Ich's und der Hingebung an daſſelbe. Und was für eines Ich's? Eines Ich's, das weder ein Ich noch ein Du iſt, eines eingebildeten Ich's, eines Spuks.

Während im Mittelalter die Kirche es wohl vertragen konnte, daß vielerlei Staaten in ihr vereinigt lebten, ſo lernten die Staaten nach der Reformation, beſonders nach dem drei¬ ßigjährigen Kriege, es toleriren, daß vielerlei Kirchen (Con¬ feſſionen) ſich unter Einer Krone ſammelten. Alle Staaten ſind aber religiöſe und reſpective chriſtliche Staaten , und ſetzen ihre Aufgabe darin, die Unbändigen, die Egoiſten , unter das Band der Unnatur zu zwingen, d. i. ſie zu chriſtia¬ niſiren. Alle Anſtalten des chriſtlichen Staates haben den Zweck der Chriſtianiſirung des Volkes. So hat das Gericht den Zweck, die Leute zur Gerechtigkeit zu zwingen, die Schule den, zur Geiſtesbildung zu zwingen, kurz den Zweck, den chriſtlich Handelnden gegen den unchriſtlich Handelnden zu ſchützen, das chriſtliche Handeln zur Herrſchaft zu brin¬ gen, mächtig zu machen. Zu dieſen Zwangsmitteln rechnete der Staat auch die Kirche, er verlangte eine beſtimmte Religion von Jedem. Dupin ſagte jüngſt gegen die Geiſtlich¬ keit: Unterricht und Erziehung gehören dem Staate .

297

Staatsſache iſt allerdings alles, was das Princip der Sittlichkeit angeht. Daher miſcht ſich der chineſiſche Staat ſo ſehr in die Familienangelegenheit, und man iſt da nichts, wenn man nicht vor Allem ein gutes Kind ſeiner Aeltern iſt. Die Familienangelegenheit iſt durchaus auch bei Uns Staatsange¬ legenheit, nur daß unſer Staat in die Familien ohne ängſtliche Aufſicht Vertrauen ſetzt: durch den Ehebund hält er die Familie gebunden, und ohne ihn kann dieſer Bund nicht gelöſt werden.

Daß der Staat Mich aber für meine Principien verant¬ wortlich macht und gewiſſe von Mir fordert, das könnte Mich fragen laſſen: Was geht ihn mein Sparren (Princip) an? Sehr viel, denn er iſt das herrſchende Princip. Man meint, in der Eheſcheidungsſache, überhaupt im Eherechte, handle ſich's um das Maaß von Recht zwiſchen Kirche und Staat. Vielmehr handelt ſich's darum, ob ein Heiliges über den Menſchen herrſchen ſolle, heiße dieß nun Glaube oder Sittengeſetz (Sittlichkeit). Der Staat beträgt ſich als derſelbe Herrſcher wie die Kirche es that. Dieſe ruht auf Frömmigkeit, jener auf Sittlichkeit.

Man ſpricht von der Toleranz, dem Freilaſſen der entge¬ gengeſetzten Richtungen u. dgl, wodurch die civiliſirten Staaten ſich auszeichnen. Allerdings ſind einige ſtark genug, um ſelbſt den ungebundenſten Meetings zuzuſehen, indeß andere ihren Schergen auftragen, auf Tabackspfeifen Jagd zu machen. Allein für einen Staat wie für den anderen iſt das Spiel der Individuen untereinander, ihr Hin - und Herſummen, ihr täg¬ liches Leben, eine Zufälligkeit, die er wohl ihnen ſelbſt überlaſſen muß, weil er damit nichts anfangen kann. Manche ſeigen freilich noch Mücken und verſchlucken Kameele, während298 andere geſcheidter ſind. In den letzteren ſind die Individuen freier , weil weniger geſchuhriegelt. Frei aber bin Ich in keinem Staate. Die gerühmte Toleranz der Staaten iſt eben nur ein Toleriren des Unſchädlichen , Ungefährlichen , iſt nur Erhebung über den Kleinlichkeitsſinn, nur eine achtungs¬ weithere, großartigere, ſtolzere Despotie. Ein gewiſſer Staat ſchien eine Zeit lang ziemlich erhaben über die literariſchen Kämpfe ſein zu wollen, die mit aller Hitze geführt werden durften; England iſt erhaben über das Volksgewühl und Tabackrauchen. Aber wehe der Literatur, die dem Staate ſelbſt an den Leib geht, wehe den Volksrottirungen, die den Staat gefährden . In jenem gewiſſen Staate träumt man von einer freien Wiſſenſchaft , in England von einem freien Volksleben .

Der Staat läßt die Individuen wohl möglichſt frei ſpie¬ len, nur Ernſt dürfen ſie nicht machen, dürfen ihn nicht vergeſſen. Der Menſch darf nicht unbekümmert mit dem Menſchen verkehren, nicht ohne höhere Aufſicht und Vermitt¬ lung . Ich darf nicht Alles leiſten, was Ich vermag, ſon¬ dern nur ſo viel, als der Staat erlaubt, Ich darf nicht meine Gedanken verwerthen, nicht meine Arbeit, überhaupt nichts Meiniges.

Der Staat hat immer nur den Zweck, den Einzelnen zu beſchränken, zu bändigen, zu ſubordiniren, ihn irgend einem Allgemeinen Unterthan zu machen; er dauert nur ſo lange, als der Einzelne nicht Alles in Allem iſt, und iſt nur die deutlich ausgeprägte Beſchränktheit Meiner, meine Be¬ ſchränkung, meine Sklaverei. Niemals zielt ein Staat dahin, die freie Thätigkeit der Einzelnen herbeizuführen, ſondern ſtets die an den Staatszweck gebundene. Durch den Staat299 kommt auch nichts Gemeinſames zu Stande, ſo wenig als man ein Gewebe die gemeinſame Arbeit aller einzelnen Theile einer Maſchine nennen kann: es iſt vielmehr die Arbeit der ganzen Maſchine als einer Einheit, iſt Maſchinenarbeit. In derſelben Art geſchieht auch Alles durch die Staats¬ maſchine; denn ſie bewegt das Räderwerk der einzelnen Gei¬ ſter, deren keiner ſeinem eigenen Antriebe folgt. Jede freie Thätigkeit ſucht der Staat durch ſeine Cenſur, ſeine Ueber¬ wachung, ſeine Polizei zu hemmen, und hält dieſe Hemmung für ſeine Pflicht, weil ſie in Wahrheit Pflicht der Selbſterhal¬ tung iſt. Der Staat will aus den Menſchen etwas machen, darum leben in ihm nur gemachte Menſchen; jeder, der Er Selbſt ſein will, iſt ſein Gegner und iſt nichts. Er iſt nichts heißt ſo viel, als: der Staat verwendet ihn nicht, überläßt ihm keine Stellung, kein Amt, kein Gewerbe u. dergl.

E. Bauer*)Vom Nachfolgenden gilt, was in der Schlußanmerkung hinter dem humanen Liberalismus geſagt wurde, daß es nämlich ebenfalls gleich nach dem Erſcheinen des angeführten Buches niedergeſchrieben wurde. träumt in den liberalen Beſtrebungen II,50 noch von einer Regierung, welche aus dem Volke hervorgehend, nie gegen daſſelbe in Oppoſition ſtehen könne . Zwar nimmt er (S. 69) das Wort Regierung ſelbſt zurück: In der Republik gilt gar keine Regierung, ſondern nur eine ausführende Gewalt. Eine Gewalt, welche rein und allein aus dem Volke hervorgeht, welche nicht dem Volke gegenüber eine ſelbſtändige Macht, ſelbſtändige Principien, ſelbſtändige Beamten hat, ſon¬ dern welche in der einzigen, oberſten Staatsgewalt, in dem Volke ihre Begründung, die Quelle ihrer Macht und ihrer Principien hat. Der Begriff Regierung paßt alſo gar nicht300 in den Volksſtaat. Allein die Sache bleibt dieſelbe. Das Hervorgegangene, Begründete, Entquollene wird ein Selbſtän¬ diges und tritt, wie ein Kind aus dem Mutterleibe entbun¬ den, gleich in Oppoſition. Die Regierung, wäre ſie nichts Selbſtändiges und Opponirendes, wäre gar nichts.

Im freien Staate giebt es keine Regierung u. ſ. w. (S. 94.) Dieß will doch ſagen, das Volk, wenn es der Souverain iſt, läßt ſich nicht leiten von einer oberen Ge¬ walt. Iſt's etwa in der abſoluten Monarchie anders? Giebt es da etwa für den Souverain eine über ihm ſtehende Re¬ gierung? Ueber dem Souverain, er heiße Fürſt oder Volk, ſteht nie eine Regierung, das verſteht ſich von ſelbſt. Aber über Mir wird in jedem Staate eine Regierung ſtehen, ſo¬ wohl im abſoluten als im republikaniſchen oder freien . Ich bin in Einem ſo ſchlimm daran, wie im Andern.

Die Republik iſt gar nichts anderes, als die abſolute Monarchie: denn es verſchlägt nichts, ob der Monarch Fürſt oder Volk heiße, da beide eine Majeſtät ſind. Gerade der Conſtitutionalismus beweiſt, daß Niemand nur Werkzeug ſein kann und mag. Die Miniſter dominiren über ihren Herrn, den Fürſten, die Deputirten über ihren Herrn, das Volk. Es ſind alſo hier wenigſtens ſchon die Parteien frei, nämlich die Beamtenpartei (ſogenannte Volkspartei). Der Fürſt muß ſich in den Willen der Miniſter fügen, das Volk nach der Pfeife der Kammern tanzen. Der Conſtitutionalismus iſt wei¬ ter als die Republik, weil er der in der Auflöſung begriffene Staat iſt.

E. Bauer leugnet (S. 56), daß das Volk im conſtitu¬ tionellen Staate eine Perſönlichkeit ſei; dagegen alſo in der Republik? Nun, im conſtitutionellen Staate iſt das Volk 301 Partei, und eine Partei iſt doch wohl eine Perſönlichkeit , wenn man einmal von einer ſtaatlichen (S. 76) moraliſchen Perſon überhaupt ſprechen will. Die Sache iſt die, daß eine moraliſche Perſon, heiße ſie Volkspartei oder Volk oder auch der Herr , in keiner Weiſe eine Perſon iſt, ſondern ein Spuk.

Ferner fährt E. Bauer fort (S. 69): die Bevormundung iſt das Charakteriſtiſche einer Regierung, Wahrlich noch mehr das eines Volkes und Volksſtaates ; ſie iſt das Charak¬ teriſtiſche aller Herrſchaft. Ein Volksſtaat, der alle Macht¬ vollkommenheit in ſich vereinigt , der abſolute Herr , kann Mich nicht mächtig werden laſſen. Und welche Chimäre, die Volksbeamten nicht mehr Diener, Werkzeuge nennen zu wollen, weil ſie den freien, vernünftigen Geſetzeswillen des Volkes ausführen (S. 73). Er meint (S. 74): Nur da¬ durch, daß alle Beamtenkreiſe ſich den Anſichten der Regierung unterordnen, kann Einheit in den Staat gebracht werden; ſein Volksſtaat ſoll aber auch Einheit haben; wie wird da die Unterordnung fehlen dürfen, die Unterordnung unter den Volkswillen.

Im conſtitutionellen Staate iſt es der Regent und ſeine Geſinnung, worauf am Ende das ganze Regierungsgebäude beruht. (Ebendaſelbſt S. 130.) Wie wäre das anders im Volksſtaate ? Werde Ich da nicht auch von der Volks - Geſinnung regiert und macht es für Mich einen Unter¬ ſchied, ob Ich Mich in Abhängigkeit gehalten ſehe von der Fürſten-Geſinnung oder von der Volks-Geſinnung, der ſoge¬ nannten öffentlichen Meinung ? Heißt Abhängigkeit ſo viel als religiöſes Verhältniß , wie E. Bauer richtig aufſtellt, ſo bleibt im Volksſtaate für Mich das Volk die höhere Macht,302 die Majeſtät (denn in der Majeſtät haben Gott und Fürſt ihr eigentliches Weſen), zu der Ich im religiöſen Verhältniß ſtehe. Wie der ſouveraine Regent, ſo würde auch das ſou¬ veraine Volk von keinem Geſetze erreicht werden. Der ganze E. Bauerſche Verſuch läuft auf einen Herren-Wechſel hinaus. Statt das Volk frei machen zu wollen, hätte er auf die einzig realiſirbare Freiheit, auf die ſeinige, bedacht ſein ſollen.

Im conſtitutionellen Staate iſt endlich der Abſolutis¬ mus ſelbſt in Kampf mit ſich gekommen, da er in eine Zwei¬ heit zerſprengt wurde: es will die Regierung abſolut ſein, und das Volk will abſolut ſein. Dieſe beiden Abſoluten wer¬ den ſich aneinander aufreiben.

E. Bauer eifert dagegen, daß der Regent durch die Ge¬ burt, durch den Zufall gegeben ſei. Wenn nun aber das Volk die einzige Macht im Staate (S. 132) geworden ſein wird, haben Wir dann nicht an ihm einen Herrn aus Zu¬ fall? Was iſt denn das Volk? Das Volk iſt immer nur der Leib der Regierung geweſen: es ſind Viele unter Einem Hute (Fürſtenhut) oder Viele unter Einer Verfaſſung. Und die Verfaſſung iſt der Fürſt. Fürſten und Völker werden ſo lange beſtehen, als nicht beide zuſammenfallen. Sind unter Einer Verfaſſung mancherlei Völker , z. B. in der alt¬ perſiſchen Monarchie und heute, ſo gelten dieſe Völker nur als Provinzen . Für Mich iſt jedenfalls das Volk eine zufällige Macht, eine Natur-Gewalt, ein Feind, den Ich be¬ ſiegen muß.

Was hat man unter einem organiſirten Volke ſich vor¬ zuſtellen (ebendaſelbſt S. 132)? Ein Volk, das keine Re¬ gierung mehr hat , das ſich ſelbſt regiert. Alſo worin kein Ich hervorragt, ein durch den Oſtracismus organiſirtes Volk. 303Die Verbannung der Iche, der Oſtracismus, macht das Volk zum Selbſtherrſcher.

Sprecht Ihr vom Volke, ſo müßt Ihr vom Fürſten re¬ den; denn das Volk, ſoll es Subject ſein und Geſchichte ma¬ chen, muß, wie alles Handelnde, ein Haupt haben, ſein Oberhaupt . Weitling ſtellt dieß im Trio dar, und Proud'¬ hon äußert: une société, pour ainsi dire acephale, ne peut vivre. *)Création de l'ordre p.485.

Die vox populi wird Uns jetzt immer vorgehalten, und die öffentliche Meinung ſoll über die Fürſten herrſchen. Ge¬ wiß iſt die vox populi zugleich vox dei, aber ſind ſie beide etwas nutz, und iſt die vox principis nicht auch vox dei?

Es mag hierbei an die Nationalen erinnert werden. Von den achtunddreißig Staaten Deutſchlands verlangen, daß ſie als Eine Nation handeln ſollen, kann nur dem unſin¬ nigen Begehren an die Seite geſtellt werden, daß achtund¬ dreißig Bienenſchwärme, geführt von achtunddreißig Bienen¬ königinnen, ſich zu Einem Schwarme vereinigen ſollen. Bie¬ nen bleiben ſie alle; aber nicht die Bienen als Bienen gehö¬ ren zuſammen und können ſich zuſammenthun, ſondern nur die unterthänigen Bienen ſind mit den herrſchenden Wei¬ ſeln verbunden. Bienen und Völker ſind willenlos, und es führt ſie der Inſtinct ihrer Weiſel.

Verwieſe man die Bienen auf ihr Bienenthum, worin ſie doch Alle einander gleich ſeien, ſo thäte man daſſelbe, was man jetzt ſo ſtürmiſch thut, indem man die Deutſchen auf ihr Deutſchthum verweiſt. Das Deuſchthum gleicht ja eben darin ganz dem Bienenthum, daß es die Nothwendigkeit der Spal¬304 tungen und Separationen in ſich trägt, ohne gleichwohl bis zur letzten Separation vorzudringen, wo mit der vollſtändigen Durchführung des Separirens das Ende deſſelben erſcheint: Ich meine, bis zur Separation des Menſchen vom Menſchen. Das Deutſchthum trennt ſich zwar in verſchiedene Völker und Stämme, d. h. Bienenkörbe, aber der Einzelne, welcher die Eigenſchaft hat, ein Deutſcher zu ſein, iſt noch ſo machtlos, wie die vereinzelte Biene. Und doch können nur Einzelne mit einander in Verein treten, und alle Völker-Allianzen und Bünde ſind und bleiben mechaniſche Zuſammenſetzungen, weil die Zu¬ ſammentretenden, ſoweit wenigſtens die Völker als die Zu¬ ſammengetretenen angeſehen werden, willenlos ſind. Erſt mit der letzten Separation endigt die Separation ſelbſt und ſchlägt in Vereinigung um.

Nun bemühen ſich die Nationalen, die abſtracte, lebloſe Einheit des Bienenthums herzuſtellen; die Eigenen aber wer¬ den um die eigen gewollte Einheit, den Verein, kämpfen. Es iſt dieß das Wahrzeichen aller reactionairen Wünſche, daß ſie etwas Allgemeines, Abſtractes, einen leeren, lebloſen Be¬ griff herſtellen wollen, wogegen die Eigenen das ſtämmige, lebenvolle Einzelne vom Wuſt der Allgemeinheiten zu ent¬ laſten trachten. Die Reactionairen möchten gerne ein Volk, eine Nation aus der Erde ſtampfen; die Eigenen haben nur Sich vor Augen. Im Weſentlichen fallen die beiden Beſtre¬ bungen, welche heute an der Tagesordnung ſind, nämlich die Wiederherſtellung der Provinzialrechte, der alten Stammesein¬ theilungen (Franken, Baiern u. ſ. w., Lauſitz u. ſ. w.) und die Wiederherſtellung der Geſammt-Nationalität in Eins zuſam¬ men. Die Deutſchen werden aber nur dann einig werden, d. h. ſich vereinigen, wenn ſie ihr Bienenthum ſowohl als305 alle Bienenkörbe umſtoßen; mit andern Worten: wenn ſie mehr ſind als Deutſche; erſt dann können ſie einen Deutſchen Verein bilden. Nicht in ihre Nationalität, nicht in den Mutterleib müſſen ſie zurückkehren wollen, um wiedergeboren zu werden, ſondern in ſich kehre Jeder ein. Wie lächerlich¬ ſentimental, wenn ein Deutſcher dem andern den Hand¬ ſchlag giebt und mit heiligem Schauer die Hand drückt, weil auch er ein Deutſcher iſt ! Damit iſt er was Rechtes! Aber das wird freilich ſo lange noch für rührend gelten, als man für Brüderlichkeit ſchwärmt, d. h. als man eine Fa¬ miliengeſinnung hat. Vom Aberglauben der Pietät , von der Brüderlichkeit oder Kindlichkeit , oder wie die weichmüthigen Pietäts-Phraſen ſonſt vom Familien¬ geiſte vermögen die Nationalen, die eine große Familie von Deutſchen haben wollen, ſich nicht zu befreien.

Uebrigens müßten ſich die ſogenannten Nationalen nur ſelbſt recht verſtehen, um ſich aus der Verbindung mit den gemüthlichen Deutſchthümlern zu erheben. Denn die Vereini¬ gung zu materiellen Zwecken und Intereſſen, welche ſie von den Deutſchen fordern, geht ja auf nichts Anderes, als einen freiwilligen Verein hinaus. Carriere ruft begeiſtert aus*)Kölner Dom. S. 4.: Die Eiſenbahnen ſind dem tieferblickenden Auge der Weg zu einem Volksleben, wie es in ſolcher Bedeutung noch nir¬ gends erſchienen iſt. Ganz recht, es wird ein Volksleben ſein, das nirgends erſchienen iſt, weil es kein Volksleben iſt. So beſtreitet denn Carriere S. 10 ſich ſelbſt. Die reine Menſch¬ lichkeit oder Menſchheit kann nicht beſſer, als durch ein ſeine Miſſion erfüllendes Volk dargeſtellt werden . Dadurch ſtellt20306ſich ja nur die Volksthümlichkeit dar. Die verſchwommene Allgemeinheit iſt niedriger, als die in ſich geſchloſſene Geſtalt, die ein Ganzes ſelber iſt, und als lebendiges Glied des wahr¬ haft Allgemeinen, des Organiſirten, lebt . Es iſt ja eben das Volk die verſchwommene Allgemeinheit , und ein Menſch erſt die in ſich geſchloſſene Geſtalt .

Das Unperſönliche deſſen, was man Volk, Nation nennt, leuchtet auch daraus ein, daß ein Volk, welches ſein Ich nach beſten Kräften zur Erſcheinung bringen will, den willenloſen Herrſcher an ſeine Spitze ſtellt. Es befindet ſich in der Alternative, entweder einem Fürſten unterworfen zu ſein, der nur ſich, ſein individuelles Belieben verwirk¬ licht dann erkennt es an dem abſoluten Herrn nicht den eigenen, den ſogenannten Volkswillen , oder einen Fürſten auf den Thron zu ſehen, der keinen eigenen Willen gel¬ tend macht dann hat es einen willenloſen Fürſten, deſſen Stelle ein wohlberechnetes Uhrwerk vielleicht eben ſo gut verſähe . Deshalb darf die Einſicht nur einen Schritt weiter gehen, ſo ergiebt ſich von ſelber, daß das Volks-Ich eine unperſönliche, geiſtige Macht ſei, das Geſetz. Das Ich des Volkes, dieß folgt daraus, iſt ein Spuk, nicht ein Ich. Ich bin nur dadurch Ich, daß Ich Mich mache, d. h. daß nicht ein Anderer Mich macht, ſondem Ich mein eigen Werk ſein muß. Wie aber iſt es mit jenem Volks-Ich? Der Zufall ſpielt es dem Volke in die Hand, der Zufall giebt ihm dieſen oder jenen gebornen Herrn, Zufälligkeiten ver¬ ſchaffen ihm den gewählten; er iſt nicht ſein, des ſouverai¬ nen Volkes, Product, wie Ich mein Product bin. Denke Dir, man wollte Dir einreden, Du wäreſt nicht dein Ich, ſondern Hans oder Kunz wäre dein Ich! So aber geht's307 dem Volke, und ihm mit Recht. Denn das Volk hat ſo wenig ein Ich, als die elf Planeten zuſammengerechnet ein Ich haben, obwohl ſie ſich um einen gemeinſamen Mittelpunkt wälzen.

Bezeichnend iſt die Aeußerung Bailly's für die Sklaven¬ geſinnung, welche man vor dem ſouverainen Volke, wie vor dem Fürſten hat. Ich habe, ſagt er, keine Extravernunft mehr, wenn die allgemeine Vernunft ſich ausgeſprochen. Mein erſtes Geſetz war der Wille der Nation: ſobald ſie ſich ver¬ ſammelt hatte, habe ich nichts weiter gekannt, als ihren ſou¬ verainen Willen. Er will keine Extravernunft haben, und doch leiſtet allein dieſe Extravernunft Alles. Ebenſo eifert Mirabeau in den Worten: Keine Macht auf Erden hat das Recht, zu den Repräſentanten der Nation zu ſagen: Ich will!

Wie bei den Griechen möchte man den Menſchen jetzt zu einem zoon politicon machen, einem Staatsbürger oder politiſchen Menſchen. So galt er lange Zeit als Him¬ melsbürger . Der Grieche wurde aber mit ſeinem Staate zugleich entwürdigt, der Himmelsbürger wird es mit dem Him¬ mel; Wir hingegen wollen nicht mit dem Volke, der Nation und Nationalität zugleich untergehen, wollen nicht bloß poli¬ tiſche Menſchen oder Politiker ſein. Volksbeglückung ſtrebt man ſeit der Revolution an, und indem man das Volk glück¬ lich, groß u. dergl. macht, macht man Uns unglücklich: Volks¬ glück iſt mein Unglück.

Welch 'leeres Gerede die politiſchen Liberalen mit empha¬ tiſchem Anſtande machen, das ſieht man wieder recht in Nau¬ werk's Ueber die Theilnahme am Staate . Da wird über die Gleichgültigen und Theilnahmloſen geklagt, die nicht im vollen Sinne Staatsbürger ſeien, und der Verfaſſer ſpricht ſo, als könne man gar nicht Menſch ſein, wenn man ſich nicht20*308lebendig am Staatsweſen betheilige, d. h. wenn man nicht Politiker ſei. Darin hat er Recht; denn wenn der Staat für den Hüter alles Menſchlichen gilt, ſo können Wir nichts Menſchliches haben, ohne an ihm Theil zu nehmen. Was iſt aber damit gegen den Egoiſten geſagt? Gar nichts, weil der Egoiſt ſich ſelbſt der Hüter des Menſchlichen iſt und mit dem Staate nur die Worte ſpricht: Geh 'Mir aus der Sonne. Nur wenn der Staat mit ſeiner Eigenheit in Berührung kommt, nimmt der Egoiſt ein thätiges Intereſſe an ihm. Wenn den Stubengelehrten der Zuſtand des Staates nicht drückt, ſoll er ſich mit ihm befaſſen, weil es ſeine heiligſte Pflicht iſt? So lange der Staat es ihm nach Wunſche macht, was braucht er da von ſeinen Studien aufzuſehen? Mögen doch diejeni¬ gen, welche die Zuſtände aus eigenem Intereſſe anders haben wollen, ſich damit beſchäftigen. Die heilige Pflicht wird nun und nimmermehr die Leute dazu bringen, über den Staat nachzudenken, ſo wenig als ſie aus heiliger Pflicht Jünger der Wiſſenſchaft, Künſtler u. ſ. w. werden. Der Egoismus allein kann ſie dazu antreiben, und er wird es, ſobald es viel ſchlechter geworden iſt. Zeigtet Ihr den Leuten, daß ihr Egoismus die Beſchäftigung mit dem Staatsweſen fordere, ſo würdet Ihr ſie nicht lange aufzurufen haben; appellirt Ihr hingegen an ihre Vaterlandsliebe u. dergl., ſo werdet Ihr lange zu dieſem Liebesdienſte tauben Heizen predigen. Frei¬ lich, in eurem Sinne werden ſich die Egoiſten überhaupt nicht am Staatsweſen betheiligen.

Eine ächt liberale Phraſe bringt Nauwerk S. 16: Der Menſch erfüllt erſt damit vollſtändig ſeinen Beruf, daß er ſich als Mitglied der Menſchheit fühlt und weiß, und als ſolches wirkſam iſt. Der Einzelne kann die Idee des Menſchen¬309 thums nicht verwirklichen, wenn er ſich nicht auf die ganze Menſchheit ſtützt, nicht aus ihr wie Antäos ſeine Kräfte ſchöpft.

Ebendaſelbſt heißt es: Die Beziehung des Menſchen zur res publica wird von der theologiſchen Anſicht zur reinen Pri¬ vatſache herabgewürdigt, wird ſomit hinweg geleugnet. Als ob die politiſche Anſicht es mit der Religion anders machte! Da iſt die Religion eine Privatſache .

Wenn ſtatt der heiligen Pflicht , der Beſtimmung des Menſchen , des Berufes zum vollen Menſchenthum und ähnlicher Gebote den Leuten vorgehalten würde, daß ihr Ei¬ gennutz verkümmert werde, wenn ſie im Staate Alles gehen laſſen, wie's geht, ſo würden ſie ohne Tiraden ſo angeredet, wie man ſie im entſcheidenden Augenblicke wird anreden müſſen, wenn man ſeinen Zweck erreichen will. Statt deſſen ſagt der Theologenfeindliche Verfaſſer: Wenn irgend eine Zeit, ſo iſt es auch die unſrige, in welcher der Staat auf alle die Se nigen Anſprüche macht. Der denkende Menſch erblickt in der Betheiligung an der Theorie und Praxis des Staates eine Pflicht, eine der heiligſten Pflichten, welche ihm obliegen und zieht dann die unbedingte Nothwendigkeit, daß Jeder¬ mann ſich am Staate betheilige , näher in Betrachtung.

Politiker iſt und bleibt in alle Ewigkeit der, welchem der Staat im Kopfe oder im Herzen oder in beiden ſitzt, der vom Staate Beſeſſene oder der Staatsgläubige.

Der Staat iſt das nothwendigſte Mittel für die vollſtän¬ dige Entwicklung der Menſchheit. Er iſt's allerdings ge¬ weſen, ſo lange Wir die Menſchheit entwickeln wollten; wenn Wir aber Uns weiden entwickeln wollen, kann er Uns nur ein Hemmungsmittel ſein.

310

Kann man jetzt noch Staat und Volk reformiren und beſſern? So wenig als den Adel, die Geiſtlichkeit, die Kirche u. ſ. w.: man kann ſie aufheben, vernichten, abſchaffen, nicht reformiren. Kann Ich denn einen Unſinn durch Reformiren in Sinn verwandeln, oder muß ihn geradezu fallen laſſen?

Es iſt fortan nicht mehr um den Staat (die Staats¬ verfaſſung u. ſ. w.) zu thun, ſondern um Mich. Damit ver¬ ſinken alle Fragen über Fürſtenmacht, Conſtitution u.. ſ. w. in ihren wahren Abgrund und ihr wahres Nichts. Ich, dieſes Nichts, werde meine Schöpfungen aus Mir hervortreiben.

Zu dem Capitel der Geſellſchaft gehört auch die Partei , deren Lob man jüngſt geſungen hat.

Im Staate gilt die Partei. Partei, Partei, wer ſollte ſie nicht nehmen! Der Einzelne aber iſt einzig, kein Glied der Partei. Er vereinigt ſich frei und trennt ſich wieder frei. Die Partei iſt nichts als ein Staat im Staate, und in dieſem kleineren Bienenſtaate ſoll dann ebenſo wieder Friede herr¬ ſchen, wie im größeren. Gerade diejenigen, welche am laute¬ ſten rufen, daß im Staate eine Oppoſition ſein müſſe, eifern gegen jede Uneinigkeit der Partei. Ein Beweis, wie auch ſie nur einen Staat wollen. Nicht am Staate, ſondern am Einzigen zerſcheitern alle Parteien.

Nichts hört man jetzt häufiger als die Ermahnung, ſeiner Partei treu zu bleiben, nichts verachten Parteimenſchen ſo ſehr als einen Parteigänger. Man muß mit ſeiner Partei durch Dick und Dünn laufen und ihre Hauptgrundſätze unbedingt gutheißen und vertreten. Ganz ſo ſchlimm wie mit geſchloſſe¬ nen Geſellſchaften ſteht es zwar hier nicht, weil jene ihre Mit¬311 glieder an feſte Geſetze oder Statuten binden (z. B. die Orden, die Geſellſchaft Jeſu u. ſ. w.). Aber die Partei hört doch in demſelben Augenblicke auf, Verein zu ſein, wo ſie gewiſſe Principien bindend macht und ſie vor Angriffen geſichert wiſſen will; dieſer Augenblick iſt aber gerade der Geburtsact der Partei. Sie iſt als Partei ſchon eine geborne Geſell¬ ſchaft, ein todter Verein, eine fix gewordene Idee. Als Partei des Abſolutismus kann ſie nicht wollen, daß ihre Mit¬ glieder an der unumſtößlichen Wahrheit dieſes Principes zwei¬ feln; ſie könnten dieſen Zweifel nur hegen, wenn ſie egoiſtiſch genug wären, noch etwas außer ihrer Partei ſein zu wollen, d. h. unparteiiſche. Unparteiiſch vermögen ſie nicht als Par¬ teimenſchen zu ſein, ſondern nur als Egoiſten. Biſt Du Pro¬ teſtant und gehörſt zu dieſer Partei, ſo darfſt Du den Pro¬ teſtantismus nur rechtfertigen, allenfalls reinigen , nicht verwerfen; biſt Du Chriſt und gehörſt unter den Menſchen zur chriſtlichen Partei, ſo kannſt Du nicht als Mitglied dieſer Partei, ſondern nur dann, wenn Dich dein Egoismus, d. h. Unparteilichkeit, dazu treibt, darüber hinausgehen. Welche Anſtrengungen haben die Chriſten bis auf Hegel und die Communiſten herab gemacht, um ihre Partei ſtark zu machen; ſie blieben dabei, daß das Chriſtenthum die ewige Wahrheit enthalten müſſe, und man ſie nur herauszufinden, feſtzuſtellen und zu rechtfertigen brauche.

Kurz die Partei verträgt nicht die Unparteilichkeit, und in dieſer eben erſcheint der Egoismus. Was ſchiert Mich die Partei. Ich werde doch genug finden, die ſich mit Mir ver¬ einigen, ohne zu meiner Fahne zu ſchwören.

Wer von einer Partei zur andern übertritt, den ſchimpft man ſofort einen Ueberläufer . Freilich fordert die Sitt¬312 lichkeit, daß man zu ſeiner Partei halte, und ihr abtrünnig werden, heißt ſich mit dem Makel der Untreue beflecken; allein die Eigenheit kennt kein Gebot der Treue, Anhänglich¬ keit u. ſ. w. , die Eigenheit erlaubt Alles, auch die Abtrün¬ nigkeit, den Uebertritt. Unbewußt laſſen ſich auch ſelbſt die Sittlichen von dieſem Grundſatze leiten, wenn es gilt, einen zu ihrer Partei Uebertretenden zu beurtheilen, ja ſie machen wohl Proſelyten; ſie ſollten nur zugleich ſich darüber ein Be¬ wußtſein verſchaffen, daß man unſittlich handeln müſſe, um eigen zu handeln, d. h. hier, daß man die Treue brechen müſſe, ja ſelbſt ſeinen Eid, um ſich ſelbſt zu beſtimmen, ſtatt von ſittlichen Rückſichten beſtimmt zu werden. In den Augen der Leute von ſtreng ſittlichem Urtheil ſchillert ein Apoſtat ſtets in zweideutigen Farben, und wird nicht leicht ihr Ver¬ trauen erwerben: ihm klebt ja der Flecken der Untreue an, d. h. einer Unſittlichkeit. Bei dem niederen Manne findet man dieſe Anſicht faſt allgemein: die Aufgeklärten gerathen, wie immer, auch hier in eine Unſicherheit und Verwirrung, und der in dem Principe der Sittlichkeit nothwendig begrün¬ dete Widerſpruch kommt ihnen wegen der Confuſion ihrer Be¬ griffe nicht zum deutlichen Bewußtſein. Den Apoſtaten gerade¬ hin unſittlich zu nennen, getrauen ſie ſich nicht, weil ſie ſelbſt zur Apoſtaſie, zum Uebertritt von einer Religion zur andern u. ſ. w. verleiten, und den Standpunkt der Sittlichkeit ver¬ mögen ſie doch auch nicht aufzugeben. Und doch wäre hier die Gelegenheit zu ergreifen, um aus der Sittlichkeit hinaus¬ zuſchreiten.

Sind etwa die Eignen oder Einzigen eine Partei? Wie könnten ſie Eigne ſein, wenn ſie die Angehörigen einer Partei wären!

313

Oder ſoll man es mit keiner Partei halten? Eben indem man ſich ihnen anſchließt und in ihren Kreis eintritt, knüpft man einen Verein mit ihnen, der ſo weit dauert, als Partei und Ich ein und daſſelbe Ziel verfolgen. Aber heute theile Ich noch die Tendenz der Partei und morgen ſchon kann Ich es nicht mehr und werde ihr untreu . Die Partei hat nichts Bindendes (Verpflichtendes) für Mich und Ich reſpectire ſie nicht; gefällt ſie Mir nicht mehr, ſo feinde Ich ſie an.

In jeder Partei, welche auf ſich und ihr Beſtehen hält, ſind die Mitglieder in dem Grade unfrei oder beſſer uneigen, ſie ermangeln in dem Grade des Egoismus, als ſie jenem Begehren der Partei dienen. Die Selbſtändigkeit der Partei bedingt die Unſelbſtändigkeit der Parteiglieder.

Eine Partei kann, welcher Art ſie auch ſei, niemals ein Glaubensbekenntniß entbehren. Denn an das Princip der Partei müſſen ihre Angehörigen glauben, es muß von ihnen nicht in Zweifel gezogen oder in Frage geſtellt werden, es muß das Gewiſſe, Unzweifelhafte für das Parteiglied ſein. Das heißt: Man muß einer Partei mit Leib und Seele ge¬ hören, ſonſt iſt man nicht wahrhaft Parteimann, ſondern mehr oder minder Egoiſt. Hege einen Zweifel am Chriſten¬ thum und Du biſt ſchon kein wahrer Chriſt mehr, haſt Dich zu der Frechheit erhoben, darüber hinaus eine Frage zu ſtellen und das Chriſtenthum vor deinen egoiſtiſchen Richter¬ ſtuhl zu ziehen. Du haſt Dich am Chriſtenthum, dieſer Partei¬ ſache (denn z. B. Sache der Juden, einer andern Partei, iſt ſie doch nicht) verſündigt. Aber wohl Dir, wenn Du Dich nicht ſchrecken läſſeſt: deine Frechheit verhilft Dir zur Eigenheit.

So könnte ein Egoiſt alſo niemals Partei ergreifen oder Partei nehmen? Doch, nur kann er ſich nicht von der Partei314 ergreifen und einnehmen laſſen. Die Partei bleibt für ihn allezeit nichts als eine Partie: er iſt von der Partie, er nimmt Theil.

Der beſte Staat wird offenbar derjenige ſein, welcher die loyalſten Bürger hat, und je mehr der ergebene Sinn für Geſetzlichkeit ſich verliert, um ſo mehr wird der Staat dieſes Syſtem der Sittlichkeit, dieſes ſittliche Leben ſelbſt, an Kraft und Güte geſchmälert werden. Mit den guten Bür¬ gern verkommt auch der gute Staat und löſt ſich in Anarchie und Geſetzloſigkeit auf. Achtung vor dem Geſetze! Durch dieſen Kitt wird das Staatsganze zuſammengehalten. Das Geſetz iſt heilig, und wer daran frevelt, ein Verbrecher. Ohne Verbrechen kein Staat: die ſittliche Welt und das iſt der Staat ſteckt voll Schelme, Betrüger, Lügner, Diebe u. ſ.w. Da der Staat die Herrſchaft des Geſetzes , die Hierarchie deſſelben iſt, ſo kann der Egoiſt in allen Fällen, wo ſein Nutzen gegen den des Staates läuft, nur im Wege des Verbrechens ſich befriedigen.

Der Staat kann den Anſpruch nicht aufgeben, daß ſeine Geſetze und Anordnungen heilig ſeien. Dabei gilt dann der Einzelne gerade ſo für den Unheiligen (Barbaren, na¬ türlichen Menſchen, Egoiſten ) gegenüber dem Staate, wie er von der Kirche einſt betrachtet wurde; vor dem Einzelnen nimmt der Staat den Nimbus eines Heiligen an. So erläßt er ein Duellgeſetz. Zwei Menſchen, die beide darüber einig ſind, daß ſie ihr Leben für eine Sache (gleichviel welche) ein¬ ſetzen wollen, ſollen dieß nicht dürfen, weil's der Staat nicht haben will: er ſetzt eine Strafe darauf. Wo bleibt da die315 Freiheit der Selbſtbeſtimmung? Ganz anders verhält es ſich ſchon, wann, wie z. B. in Nordamerika, ſich die Geſellſchaft dazu beſtimmt, die Duellanten gewiſſe üble Folgen ihrer That tragen zu laſſen, z. B. Entziehung des bisher genoſſenen Credits. Den Credit zu verweigern, das iſt Jedermanns Sache, und wenn eine Societät ihn aus dieſem oder jenem Grunde entziehen will, ſo kann ſich der Betroffene deshalb nicht über Beeinträchtigung ſeiner Freiheit beklagen: die Societät macht eben nur ihre eigene Freiheit geltend. Das iſt keine Sündenſtrafe, keine Strafe für ein Verbrechen. Das Duell iſt da kein Verbrechen, ſondern nur eine That, wider welche die Societät Gegenmaaßregeln ergreift, eine Abwehr ſtatuirt. Der Staat hingegen ſtempelt das Duell zu einem Verbrechen, d. h. zu einer Verletzung ſeines heiligen Geſetzes: er macht es zu einem Criminalfall. Ueberläßt jene Societät es dem Beſchluſſe des Einzelnen, ob er ſich üble Folgen und Ungele¬ genheiten durch ſeine Handlungsweiſe zuziehen wolle, und er¬ kennt ſie hierdurch ſeinen freien Entſchluß an, ſo verfährt der Staat gerade umgekehrt, indem er dem Entſchluſſe des Ein¬ zelnen alles Recht abſpricht, und dafür dem eigenen Beſchluſſe, dem Staatsgeſetze, das alleinige Recht zuerkennt, ſo daß, wer gegen das Gebot des Staates ſich vergeht, ſo angeſehen wird, als handle er wider Gottes Gebot; eine Anſicht, welche gleich¬ falls von der Kirche eingehalten wurde. Gott iſt da der Heilige an und für ſich, und die Gebote der Kirche wie des Staates ſind die Gebote dieſes Heiligen, die er der Welt durch ſeine Geſalbten und Gottesgnaden-Herrn zuſtellt. Hatte die Kirche Todſünden, ſo hat der Staat todeswürdige Verbrechen, hatte ſie Ketzer, ſo hat er Hochverräther, jene Kirchenſtrafen, er Criminalſtrafen, jene inqui¬316 ſitoriſche Proceſſe, er fiscaliſche, kurz dort Sünden, hier Verbrechen, dort Sünder, hier Verbrecher, dort Inquiſition und hier Inquiſition. Wird die Heiligkeit des Staats nicht gleich der kirchlichen fallen? Der Schauer ſeiner Geſetze, die Ehrfurcht vor ſeiner Hoheit, die Demuth ſeiner Unterthanen , wird dieß bleiben? Wird das Heiligengeſicht nicht verun¬ ziert werden?

Welch 'eine Thorheit, von der Staatsgewalt zu verlangen, daß ſie mit dem Einzelnen einen ehrlichen Kampf eingehen und, wie man bei der Preßfreiheit ſich ausdrückt, Sonne und Wind gleich theilen ſolle. Wenn der Staat, dieſer Gedanke, eine geltende Macht ſein ſoll, ſo muß er eben eine höhere Macht gegen den Einzelnen ſein. Der Staat iſt heilig und darf ſich den frechen Angriffen der Einzelnen nicht ausſetzen. Iſt der Staat heilig, ſo muß Cenſur ſein. Die politiſchen Liberalen geben das erſtere zu und beſtreiten die Conſequenz. Jedenfalls aber räumen ſie ihm die Repreſſivmaaßregeln ein, denn ſie bleiben dabei, daß Staat mehr ſei als der Ein¬ zelne und eine berechtigte Rache ausübe, Strafe genannt.

Strafe hat nur dann einen Sinn, wenn ſie die Sühne für die Verletzung eines Heiligen gewähren ſoll. Iſt Einem etwas heilig, ſo verdient er allerdings, wo er es anfeindet, Strafe. Ein Menſch, der ein Menſchenleben beſtehen läßt, weil es ihm heilig iſt, und er eine Scheu vor ſeiner Anta¬ ſtung trägt, iſt eben ein religiöſer Menſch.

Weitling legt die Verbrechen der geſellſchaftlichen Unord¬ nung zur Laſt und lebt der Erwartung, daß unter communi¬ ſtiſchen Einrichtungen die Verbrechen unmöglich werden, weil die Verſuchungen zu denſelben, z. B. das Geld, wegfallen. Da indeß ſeine organiſirte Geſellſchaft auch zur heiligen und317 unverletzlichen erhoben wird, ſo verrechnet er ſich bei jener gutherzigen Meinung. Solche, die ſich mit dem Munde zur communiſtiſchen Geſellſchaft bekenneten, unter der Hand hin¬ gegen an ihrem Ruin arbeiteten, würden nicht fehlen. Bei Heilmitteln gegen den natürlichen Reſt menſchlicher Krank¬ heiten und Schwächen muß Weitling ohnehin verbleiben, und Heilmittel kündigen immer ſchon an, daß man die Einzelnen als zu einem beſtimmten Heil berufen anſehen, mithin ſie nach Maaßgabe dieſes menſchlichen Berufes behandeln werde. Das Heilmittel oder die Heilung iſt nur die Kehrſeite der Strafe, die Heiltheorie läuft parallel mit der Straf¬ theorie; ſieht dieſe in einer Handlung eine Verſündigung gegen das Recht, ſo nimmt jene ſie für eine Verſündigung des Menſchen gegen ſich, als einen Abfall von ſeiner Geſund¬ heit. Das Richtige aber iſt, daß Ich ſie entweder als eine anſehe, die Mir recht oder Mir nicht recht iſt, als Mir feindlich oder freundlich, d. h. daß Ich ſie als Mein Eigen¬ thum behandle, welches Ich pflege oder zertrümmere. Ver¬ brechen oder Krankheit iſt beides keine egoiſtiſche Anſicht der Sache, d. h. keine Beurtheilung von Mir aus, ſondern von einem Andern aus, ob ſie nämlich entweder das Recht, das allgemeine, oder die Geſundheit theils des Einzelnen (des Kranken), theils des Allgemeinen (der Geſellſchaft) verletzt. Das Verbrechen wird mit Unerbittlichkeit behandelt, die Krankheit mit liebreicher Milde, Mitleid u. dergl.

Dem Verbrechen folgt die Strafe. Fällt das Verbrechen, weil das Heilige verſchwindet, ſo muß nicht minder die Strafe in deſſen Fall hineingezogen werden; denn auch ſie hat nur einem Heiligen gegenüber Bedeutung. Man hat die Kirchen¬ ſtrafen abgeſchafft. Warum? Weil, wie Jemand ſich gegen318 den heiligen Gott benehme, Jedermanns eigene Sache ſei. Wie aber dieſe eine Strafe, die Kirchenſtrafe, gefallen iſt, ſo müſſen alle Strafen fallen. Wie die Sünde gegen den ſogenannten Gott des Menſchen eigene Sache iſt, ſo die gegen jede Art des ſogenannten Heiligen. Nach unſern Strafrechts¬ theorieen, mit deren zeitgemäßer Verbeſſerung man ſich ver¬ geblich abquält, will man die Menſchen für dieſe oder jene Unmenſchlichkeit ſtrafen und macht dabei das Alberne die¬ ſer Theorieen durch ihre Conſequenz beſonders deutlich, indem man die kleinen Diebe hängt und die großen laufen läßt. Für Eigenthumsverletzung hat man das Zuchthaus, und für Ge¬ dankenzwang , Unterdrückung natürlicher Menſchenrechte , nur Vorſtellungen und Bitten.

Der Criminalcodex hat nur durch das Heilige Beſtand und verkommt von ſelbſt, wenn man die Strafe aufgiebt. Al¬ lerwärts will man gegenwärtig ein neues Strafgeſetz ſchaffen, ohne ſich über die Strafe ſelbſt ein Bedenken zu machen. Gerade die Strafe aber muß der Genugthuung den Platz räu¬ men, die wiederum nicht darauf abzielen kann, dem Rechte oder der Gerechtigkeit genug zu thun, ſondern Uns ein Ge¬ nüge zu verſchaffen. Thut Uns Einer, was Wir Uns nicht gefallen lassen wollen, ſo brechen Wir ſeine Gewalt und bringen die Unſere zur Geltung: Wir befriedigen Uns an ihm und verfallen nicht in die Thorheit, das Recht (den Spuk) befriedigen zu wollen. Nicht das Heilige ſoll ſich gegen den Menſchen wehren, ſondern der Menſch gegen den Men¬ ſchen, ſo wie ja auch nicht mehr Gott ſich gegen den Men¬ ſchen wehrt, dem ſonſt und zum Theil freilich noch jetzt alle Diener Gottes die Hand boten, um den Läſterer zu ſtrafen, wie ſie eben heute noch dem Heiligen ihre Hand leihen. Jene319 Hingebung an das Heilige bewirkt denn auch, daß man, ohne lebendigen, eigenen Antheil, die Uebelthäter nur in die Hände der Polizei und Gerichte liefert: ein theilnahmloſes Ueberant¬ worten an die Obrigkeit, die ja das Heilige aufs Beſte ver¬ walten wird . Das Volk iſt ganz toll darauf, gegen Alles die Polizei zu hetzen, was ihm unſittlich, oft nur unanſtändig zu ſein ſcheint, und dieſe Volkswuth für das Sittliche beſchützt mehr das Polizeiinſtitut, als die Regierung es nur irgend ſchützen könnte.

Im Verbrechen hat ſich ſeither der Egoiſt behauptet und das Heilige verſpottet: der Bruch mit dem Heiligen, oder viel¬ mehr des Heiligen kann allgemein werden. Eine Revolution kehrt nicht wieder, aber ein gewaltiges, rückſichtsloſes, ſcham¬ loſes, gewiſſenloſes, ſtolzes Verbrechen, grollt es nicht in fernen Donnern, und ſiehſt Du nicht, wie der Himmel ahnungsvoll ſchweigt und ſich trübt?

Wer ſich weigert, ſeine Kräfte für ſo beengte Geſellſchaf¬ ten, wie Familie, Partei, Nation zu verwenden, der ſehnt ſich immer noch nach einer würdigeren Geſellſchaft und meint etwa in der menſchlichen Geſellſchaft oder der Menſchheit das wahre Liebesobject gefunden zu haben, dem ſich zu opfern ſeine Ehre ausmache: von nun an lebt und dient er der Menſchheit .

Volk heißt der Körper, Staat der Geiſt jener herr¬ ſchenden Perſon, die ſeither Mich unterdrückt hat. Man hat Völker und Staaten dadurch verklären wollen, daß man ſie zur Menſchheit und allgemeinen Vernunft erweiterte; allein die Knechtſchaft würde bei dieſer Ausweitung nur noch320 intenſiver werden, und die Philanthropen und Humanen ſind ſo abſolute Herrn als die Politiker und Diplomaten.

Neuere Kritiker eifern gegen die Religion, weil ſie Gott, das Göttliche, Sittliche u. ſ. w. außer dem Menſchen ſetze oder zu etwas Objectivem mache, wogegen ſie eben dieſe Sub¬ jecte vielmehr in den Menſchen verlegen. Allein in den eigent¬ lichen Fehler der Religion, dem Menſchen eine Beſtimmung zu geben, verfallen jene Kritiker nicht minder, indem auch ſie ihn göttlich, menſchlich u. dgl. wiſſen wollen: Sittlichkeit, Freiheit und Humanität u. ſ. w. ſei ſein Weſen. Und wie die Religion, ſo wollte auch die Politik den Menſchen er¬ ziehen , ihn zur Verwirklichung ſeines Weſens , ſeiner Beſtimmung bringen, etwas aus ihm machen, nämlich einen wahren Menſchen , die eine in der Form des wahren Gläubigen , die andere in der des wahren Bürgers oder Unterthanen . In der That kommt es auf Eins hinaus, ob man die Beſtimmung das Göttliche oder Menſchliche nennt.

Unter Religion und Politik befindet ſich der Menſch auf dem Standpunkte des Sollens: er ſoll dieß und das wer¬ den, ſoll ſo und ſo ſein. Mit dieſem Poſtulat, dieſem Gebote tritt nicht nur Jeder vor den Andern hin, ſondern auch vor ſich ſelbſt. Jene Kritiker ſagen: Du ſollſt ein ganzer, ein freier Menſch ſein. So ſtehen auch ſie in der Verſuchung, eine neue Religion zu proclamiren, ein neues Abſolutes, ein Ideal aufzuſtellen, nämlich die Freiheit. Die Menſchen ſollen frei werden. Da könnten ſelbſt Miſſionaire der Freiheit erſte¬ hen, wie das Chriſtenthum in der Ueberzeugung, daß Alle eigentlich dazu beſtimmt ſeien, Chriſten zu werden, Miſſionaire des Glaubens ausſandte. Die Freiheit würde dann, wie bis¬ her der Glaube als Kirche, die Sittlichkeit als Staat, ſo als321 eine neue Gemeinde ſich conſtituiren und von ihr aus eine gleiche Propaganda betreiben. Allerdings läßt ſich gegen ein Zuſammentreten kein Einwand aufbringen; um ſo mehr aber muß man jeder Erneuerung der alten Fürſorge, der Heranbildung, kurz dem Principe, aus Uns etwas zu ma¬ chen, gleichviel ob Chriſten, Unterthanen oder Freie und Menſchen, entgegentreten.

Wohl kann man mit Feuerbach und Andern ſagen, daß die Religion das Menſchliche aus dem Menſchen hinausgerückt und in ein Jenſeits ſo verlegt habe, daß es dort unerreich¬ bar als ein für ſich Perſönliches, als ein Gott ſein ei¬ genes Daſein führte; allein der Irrthum der Religion iſt damit keineswegs erſchöpft. Man könnte ſehr wohl die Per¬ ſönlichkeit des entrückten Menſchlichen fallen laſſen, könnte den Gott ins Göttliche verwandeln, und man bliebe dennoch religiös. Denn das Religiöſe beſteht in der Unzufriedenheit mit dem gegenwärtigen Menſchen, d. h. in der Aufſtel¬ lung einer zu erſtrebenden Vollkommenheit , in dem nach ſeiner Vollendung ringenden Menſchen . **)B. Bauer Lit. Ztg. 8, 22. ( Darum ſollt Ihr vollkommen ſein, wie Euer Vater im Himmel voll¬ kommen iſt . Matth. V, 48.): es beſteht in der Fixirung eines Ideals, eines Abſoluten. Die Vollkommenheit iſt das höchſte Gut , der finis bonorum; das Ideal eines Jeden iſt der vollkommene Menſch, der wahre, der freie Menſch u. ſ. w.

Die Beſtrebungen der Neuzeit zielen dahin, das Ideal des freien Menſchen aufzuſtellen. Könnte man's finden, gäb's eine neue Religion, weil ein neues Ideal, gäbe ein21322neues Sehnen, ein neues Abquälen, eine neue Andacht, eine neue Gottheit, eine neue Zerknirſchung.

Mit dem Ideal der abſoluten Freiheit wird daſſelbe Unweſen getrieben, wie mit allem Abſoluten, und nach Heß z. B. ſoll ſie in der abſoluten menſchlichen Geſellſchaft rea¬ liſirbar ſein . *)E. u. Z. B. S. 89 ff.Ja dieſe Verwirklichung wird gleich nachher ein Beruf genannt; ebenſo beſtimmt er dann die Freiheit als Sittlichkeit : es ſoll das Reich der Gerechtigkeit (d. i. Gleich¬ heit) und Sittlichkeit (d. i. Freiheit) beginnen u. ſ. w.

Lächerlich iſt, wer, während Genoſſen ſeines Stammes, Familie, Nation u. ſ. w. viel gelten, nichts iſt als auf¬ gebläht über der Genoſſen Verdienſt; verblendet aber auch derjenige, der nur Menſch ſein will. Keiner von ihnen ſetzt ſeinen Werth in die Ausſchließlichkeit, ſondern in die Verbundenheit oder in das Band , welches ihn mit An¬ dern zuſammenſchließt, in die Blutsbande, Nationalbande, Menſchheitsbande.

Durch die heurigen Nationalen iſt der Streit wieder rege geworden zwiſchen denen, welche bloß menſchliches Blut und menſchliche Blutsbande zu haben meinen, und den andern, welche auf ihr ſpecielles Blut und die ſpeciellen Blutsbande pochen.

Sehen Wir davon ab, daß Stolz eine Ueberſchätzung ausdrücken könnte, und nehmen Wir's allein für Bewußtſein, ſo findet ſich ein ungeheurer Abſtand zwiſchen dem Stolze dar¬ auf, einer Nation anzugehören , alſo ihr Eigenthum zu ſein, und dem, eine Nationalität ſein Eigenthum zu nennen. Die Nationalität iſt meine Eigenſchaft, die Nation aber meine Eig¬323 nerin und Herrin. Haſt Du Körperſtärke, ſo kannſt Du ſie geeigneten Ortes anwenden und auf ſie ein Selbſtgefühl oder Stolz haben; hat hingegen dein ſtarker Körper Dich, ſo juckt er Dich überall und am ungeeignetſten Orte, ſeine Stärke zu zeigen: Du kannſt Keinem die Hand geben, ohne ſie ihm zu drücken.

Die Einſicht, daß man mehr als Familienglied, mehr als Stammesgenoſſe, mehr als Volksindividuum u. ſ. w. ſei, hat endlich dahin geführt zu ſagen: man iſt mehr als alles dieß, weil man Menſch iſt, oder: der Menſch iſt mehr als der Jude, Deutſche u. ſ. w. Darum ſei Jeder ganz und allein Menſch! Konnte man nicht lieber ſagen: Weil Wir mehr als das Angegebene ſind, darum wollen Wir ſowohl dieß als auch jenes mehr ſein? Alſo Menſch und Deutſcher, Menſch und ein Welfe u. ſ. w.? Die Nationalen haben Recht; man kann ſeine Nationalität nicht verleugnen, und die Humanen haben Recht: man muß nicht in der Bornirtheit des Natio¬ nalen bleiben. In der Einzigkeit löſt ſich der Widerſpruch: das Nationale iſt meine Eigenſchaft. Ich aber gehe nicht in meiner Eigenſchaft auf, wie auch das Menſchliche meine Ei¬ genſchaft iſt, Ich aber dem Menſchen erſt durch meine Einzig¬ keit Exiſtenz gebe.

Die Geſchichte ſucht den Menſchen: er iſt aber Ich, Du, Wir. Geſucht als ein myſteriöſes Weſen, als das Göttliche, erſt als der Gott, dann als der Menſch (die Menſchlich¬ keit, Humanität und Menſchheit), wird er gefunden als der Einzelne, der Endliche, der Einzige.

Ich bin Eigner der Menſchheit, bin die Menſchheit und thue nichts für das Wohl einer andern Menſchheit. Thor, der Du eine einzige Menſchheit biſt, daß Du Dich aufſpreizeſt, für eine andere, als Du ſelbſt biſt, leben zu wollen.

21 *324

Das bisher betrachtete Verhältniß Meiner zur Men¬ ſchenwelt bietet einen ſolchen Reichthum an Erſcheinungen dar, daß es bei anderen Gelegenheiten wieder und wieder auf¬ genommen, hier aber, wo es nur im Großen anſchaulich ge¬ macht werden ſollte, abgebrochen werden muß, um einer Auf¬ faſſung zweier andern Seiten, nach denen hin es ausſtrahlt, Platz zu machen. Da Ich Mich nämlich nicht bloß zu den Menſchen, ſo weit ſie den Begriff Menſch in ſich darſtellen oder Menſchenkinder ſind (Kinder des Menſchen, wie von Kindern Gottes geredet wird), in Beziehung finde, ſondern auch zu dem, was ſie von dem Menſchen haben und ihr Eige¬ nes nennen, alſo Mich nicht allein auf das, was ſie durch den Menſchen ſind, ſondern auch auf ihre menſchliche Habe beziehe: ſo wird außer der Menſchenwelt auch die Sinnen - und Ideenwelt in den Kreis der Beſprechung zu ziehen und ſowohl von dem, was die Menſchen an ſinnlichen, als dem, was ſie an geiſtigen Gütern ihr eigen nennen, einiges zu ſagen ſein.

Je nachdem man den Begriff des Menſchen entwickelt und ſich vorſtellig gemacht hatte, gab man Uns denſelben als dieſe oder jene Reſpectsperſon zu achten, und aus dem weiteſten Verſtändniß dieſes Begriffes ging endlich das Gebot hervor: in Jedem den Menſchen zu reſpectiren . Reſpectire Ich aber den Menſchen, ſo muß mein Reſpect ſich gleichfalls auf das Menſchliche oder das, was des Menſchen iſt, erſtrecken.

Es haben die Menſchen Eigenes, und Ich ſoll dieß Eigene anerkennen und heilig halten. Ihr Eigenes beſteht theils in äußerlicher, theils in innerlicher Habe. Jenes ſind Dinge, dieſes Geiſtigkeiten, Gedanken, Ueberzeugungen, edle Gefühle u. ſ.w. Aber immer nur die rechtliche oder menſchliche Habe ſoll Ich reſpectiren; die unrechtliche und unmenſchliche brauche325 Ich nicht zu ſchonen, denn der Menſchen wirklich Eigenes iſt nur das Eigene des Menſchen. Innerliche Habe dieſer Art iſt z. B. die Religion; weil die Religion frei, d. h. des Men¬ ſchen iſt, darum darf Ich ſie nicht antaſten. Ebenſo iſt eine innerliche Habe die Ehre; ſie iſt frei und darf von Mir nicht angetaſtet werden. (Injurienklage, Carricaturen u. ſ. w.) Re¬ ligion und Ehre ſind geiſtiges Eigenthum . Im dinglichen Eigenthum ſteht obenan die Perſon: meine Perſon iſt mein erſtes Eigenthum. Daher Freiheit der Perſon; aber nur die rechtliche oder menſchliche Perſon iſt frei, die andere wird eingeſperrt. Dein Leben iſt Dein Eigenthum; es iſt aber den Menſchen nur heilig, wenn es nicht das eines Unmenſchen iſt.

Was der Menſch als ſolcher an körperlichen Gütern nicht behaupten kann, dürfen Wir ihm nehmen: dieß der Sinn der Concurrenz, der Gewerbefreiheit. Was er an geiſtigen Gütern nicht behaupten kann, verfällt Uns gleichfalls: ſo weit geht die Freiheit der Discuſſion, der Wiſſenſchaft, der Kritik.

Aber unantaſtbar ſind die geheiligten Güter. Gehei¬ ligt und garantirt durch wen? Zunächſt durch den Staat, die Geſellſchaft, eigentlich aber durch den Menſchen oder den Be¬ griff , den Begriff der Sache : denn der Begriff der gehei¬ ligten Güter iſt der, daß ſie wahrhaft menſchliche ſeien, oder vielmehr, daß ſie der Inhaber als Menſch und nicht als Un¬ menſch beſitze.

Geiſtiger Seits iſt ein ſolches Gut der Glaube des Men¬ ſchen, ſeine Ehre, ſein ſittliches, ja ſein Anſtands -, Scham¬ gefühl u. ſ. w. Ehrenrührige Handlungen (Reden, Schriften) ſind ſtrafbar; Angriffe auf den Grund aller Religion ; An¬ griffe auf den politiſchen Glauben, kurz Angriffe auf Alles, was ein Menſch mit Recht hat.

326

Wie weit der kritiſche Liberalismus die Heiligkeit der Güter ausdehnen würde, darüber hat er noch keinen Ausſpruch gethan und wähnt auch wohl, aller Heiligkeit abhold zu ſein; allein da er gegen den Egoismus ankämpft, ſo muß er dieſem Schranken ſetzen und darf den Unmenſchen nicht über das Menſchliche herfallen laſſen. Seiner theoretiſchen Verachtung der Maſſe müßte, wenn er die Gewalt gewönne, eine prakti¬ ſche Zurückweiſung entſprechen.

Welche Ausdehnung der Begriff Menſch erhalte, und was durch ihn dem einzelnen Menſchen zukomme, was alſo der Menſch und das Menſchliche ſei, darüber liegen die ver¬ ſchiedenen Stufen des Liberalismus aus einander, und der politiſche, der ſociale, der humane Menſch nehmen, der eine immer mehr als der andere, für den Menſchen in Anſpruch. Wer dieſen Begriff am beſten gefaßt hat, der weiß am beſten, was des Menſchen iſt. Der Staat faßt dieſen Begriff noch in politiſcher, die Geſellſchaft in ſocialer Beſchränktheit, die Menſchheit erſt, ſo heißt es, erfaßt ihn ganz oder die Ge¬ ſchichte der Menſchheit entwickelt ihn . Iſt aber der Menſch gefunden , dann kennen Wir auch das dem Menſchen Eigene, das Eigenthum des Menſchen, das Menſchliche.

Mag aber der einzelne Menſch darum, weil ihn der Menſch oder der Begriff Menſch, d. h. weil ihn ſein Menſch¬ ſein dazu berechtigt , auf noch ſo viel Rechte Anſpruch machen: was kümmelt Mich ſein Recht und ſein Anſpruch? Hat er ſein Recht nur von dem Menſchen und hat er's nicht von Mir, ſo hat er für Mich kein Recht. Sein Leben z. B. gilt Mir nur, was Mir's werth iſt. Ich reſpectire weder ſein ſogenanntes Eigenthumsrecht oder ſein Recht auf dingliche Güter, noch auch ſein Recht auf das Heiligthum ſeines In¬327 nern , oder ſein Recht darauf, daß dir geiſtigen Güter und Göttlichkeiten, ſeine Götter, ungekränkt bleiben. Seine Güter, die ſinnlichen wie die geiſtigen, ſind mein und Ich ſchalte damit als Eigenthümer nach dem Maaße meiner Gewalt.

Die Eigenthumsfrage birgt einen weiteren Sinn in ſich, als die beſchränkte Fragſtellung herauszubringen erlaubt. Auf das, was man unſere Habe nennt, allein bezogen, iſt ſie keiner Löſung fähig; die Entſcheidung findet ſich erſt bei dem, von welchem Wir Alles haben . Vom Eigner hängt das Eigenthum ab.

Die Revolution richtete ihre Waffen gegen Alles, was von Gottes Gnaden kam, z. B. gegen das göttliche Recht, an deſſen Statt das menſchliche befeſtigt wurde. Dem von Gottes Gnaden Verliehenen wird das aus dem Weſen des Menſchen Hergeleitete entgegengeſtellt.

Wie nun das Verhältniß der Menſchen zu einander im Gegenſatz zum religiöſen Dogma, welches ein Liebet Euch unter einander um Gottes willen gebietet, ſeine menſchliche Stellung durch ein Liebet einander um des Menſchen willen erhalten mußte, ſo konnte die revolutionaire Lehre nicht anders, als, was zunächſt die Beziehung der Menſchen auf die Dinge die¬ ſer Welt betrifft, feſtſtellen, daß die Welt, die bisher nach Got¬ tes Ordnung eingerichtet war, hinfort dem Menſchen gehöre.

Die Welt gehört dem Menſchen , und ſoll von Mir als ſein Eigenthum reſpectirt werden.

Eigenthum iſt das Meinige!

Eigenthum im bürgerlichen Sinne beteutet heiliges Ei¬ genthum, der Art, daß Ich dein Eigenthum reſpectiren muß. Reſpect vor dem Eigenthum! Daher möchten die Politiker, daß Jeder ſein Stückchen Eigenthum beſäße, und328 haben durch dieß Beſtreben zum Theil eine unglaubliche Par¬ cellirung herbeigeführt. Jeder muß ſeinen Knochen haben, daran er was zu beißen finde.

Anders verhält ſich die Sache im egoiſtiſchen Sinne. Von deinem und eurem Eigenthum trete Ich nicht ſcheu zurück, ſon¬ dern ſehe es ſtets als mein Eigenthum an, woran Ich nichts zu reſpectiren brauche. Thuet doch desgleichen mit dem, was Ihr mein Eigenthum nennt!

Bei dieſer Anſicht werden Wir Uns am leichteſten mit einander verſtändigen.

Die politiſchen Liberalen tragen Sorge, daß wo möglich alle Servituten abgelöſt werden, und Jeder freier Herr auf ſeinem Grunde ſei, wenn dieſer Grund auch nur ſo viel Bo¬ dengehalt hat, als von dem Dünger Eines Menſchen ſich hin¬ länglich ſättigen läßt. (Jener Bauer heirathete noch im Alter, damit er vom Kothe ſeiner Frau profitire. ) Sei es auch noch ſo klein, wenn man nur Eigenes, nämlich ein reſpectirtes Eigenthum hat! Je mehr ſolcher Eigener, ſolcher Kothſaſſen, deſto mehr freie Leute und gute Patrioten hat der Staat.

Es rechnet der politiſche Liberalismus, wie alles Religiöſe, auf den Reſpect, die Humanität, die Liebestugenden. Darum lebt er auch in unaufhörlichem Aerger. Denn in der Praxis reſpectiren eben die Leute nichts, und alle Tage werden die kleinen Beſitzungen wieder von größeren Eigenthümern aufge¬ kauft, und aus den freien Leuten werden Tagelöhner.

Hätten dagegen die kleinen Eigenthümer bedacht, daß auch das große Eigenthum das ihrige ſei, ſo hätten ſie ſich nicht ſelber reſpectvoll davon ausgeſchloſſen, und würden nicht ausgeſchloſſen worden ſein.

Das Eigenthum, wie die bürgerlichen Liberalen es ver¬329 ſtehen, verdient die Angriffe der Communiſten und Proud'hons: es iſt unhaltbar, weil der bürgerliche Eigenthümer wahrhaft nichts als ein Eigenthumsloſer, ein überall Ausgeſchloſſener iſt. Statt daß ihm die Welt gehören könnte, gehört ihm nicht einmal der armſelige Punkt, auf welchem er ſich herumdreht. Proud'hon will nicht den propriétaire, ſondern den pos¬ sesseur oder usufruitier. *)Z. B. Qu'est ce que propriété, p. 83.Was heißt das? Er will, daß der Boden nicht Einem gehöre; aber der Nutzen deſſelben und geſtände man ihm auch nur den hundertſten Theil dieſes Nutzens, dieſer Frucht, zu der iſt ja doch ſein Eigenthum, mit welchem er nach Belieben ſchalten kann. Wer nur den Nutzen eines Ackers hat, iſt allerdings nicht der Eigenthümer deſſelben; noch weniger, wer, wie Proud'hon will, von dieſem Nutzen ſo viel abgeben muß, als zu ſeinem Bedarf nicht noth¬ wendig erfordert wird; allein er iſt der Eigenthümer des ihm verbleibenden Antheils. Alſo negirt Proud'hon nur dieß und jenes Eigenthum, nicht das Eigenthum. Wenn Wir den Grundeigenthümern den Grund nicht länger laſſen, ſondern Uns zueignen wollen, ſo vereinigen Wir Uns zu dieſem Zwecke, bilden einen Verein, eine société, die ſich zur Eigenthümerin macht; glückt es Uns, ſo hören jene auf, Grundeigenthümer zu ſein. Und wie von Grund und Boden, ſo können Wir ſie noch aus manchem andern Eigenthum hinausjagen, um es zu unſerm Eigenthum zu machen, zum Eigenthum der Erobernden. Die Erobernden bilden eine Societät, die man ſich ſo groß denken kann, daß ſie nach und nach die ganze Menſchheit umfaßt; aber auch die ſogenannte Menſchheit iſt als ſolche nur ein Gedanke (Spuk); ihre Wirklichkeit ſind die330 Einzelnen. Und dieſe Einzelnen werden als eine Geſammt¬ maſſe nicht weniger willkührlich mit Grund und Boden um¬ gehen, als ein vereinzelter Einzelner, oder ſogenannter pro¬ priétaire. Auch ſo bleibt alſo das Eigenthum beſtehen, und zwar auch als ausſchließlich , indem die Menſchheit, dieſe große Societät, den Einzelnen von ihrem Eigenthum ausſchließt (ihm vielleicht nur ein Stück davon verpachtet, zu Lehn giebt), wie ſie ohnehin alles, was nicht Menſchheit iſt, ausſchließt, z. B. die Thierwelt nicht zum Eigenthum kommen läßt. So wird's auch bleiben und werden. Dasjenige, woran Alle Antheil haben wollen, wird demjenigen Ein¬ zelnen entzogen werden, der es für ſich allein haben will, es wird zu einem Gemeingut gemacht. Als an einem Ge¬ meingut hat Jeder daran ſeinen Antheil, und dieſer An¬ theil iſt ſein Eigenthum. So iſt ja auch in unſeren alten Verhältniſſen ein Haus, welches fünf Erben gehört, ihr Ge¬ meingut; der fünfte Theil des Ertrages aber iſt eines Jeden Eigenthum. Proud'hon konnte ſein weitläuftiges Pathos ſpa¬ ren, wenn er ſagte: Es giebt einige Dinge, die nur Wenigen gehören, und auf die Wir übrigen von nun an Anſpruch oder Jagd machen wollen. Laßt ſie Uns nehmen, weil man durch's Nehmen zum Eigenthum kommt, und das für jetzt noch uns entzogene Eigenthum auch nur durch's Nehmen an die Eigenthümer gekommen iſt. Es wird ſich beſſer nutzen laſſen, wenn es in Unſer Aller Händen iſt, als wenn die Weni¬ gen darüber verfügen. Aſſociiren wir Uns daher zu dem Zwecke dieſes Raubes (vol). Dafür ſchwindelt er Uns vor, die Societät ſei die urſprüngliche Beſitzerin und die einzige Eigen¬ thümerin von unverjährbarem Rechte; an ihr ſei der ſogenannte Eigenthümer zum Diebe geworden. (La propriété c'est le331 vol); wenn ſie nun dem dermaligen Eigenthümer ſein Eigen¬ thum entziehe, ſo raube ſie ihm nichts, da ſie nur ihr unver¬ jährbares Recht geltend mache. So weit kommt man mit dem Spuk der Societät als einer moraliſchen Perſon. Im Gegentheil gehört dem Menſchen, was er erlangen kann: Mir gehört die Welt. Sagt Ihr etwas anderes mit dem entgegengeſetzten Satze: Allen gehört die Welt ? Alle ſind Ich und wieder Ich u. ſ. w. Aber Ihr macht aus den Allen einen Spuk, und macht ihn heilig, ſo daß dann die Alle zum fürchterlichen Herrn des Einzelnen werden. Auf ihre Seite ſtellt ſich dann das Geſpenſt des Rechtes .

Proud'hon, wie die Communiſten, kämpfen gegen den Egoismus. Darum ſind ſie Fortſetzungen und Conſequen¬ zen des chriſtlichen Princips, des Princips der Liebe, der Auf¬ opferung für ein Allgemeines, ein Fremdes. Sie vollenden z. B. im Eigenthum nur, was längſt der Sache nach vor¬ handen iſt, nämlich die Eigenthumsloſigkeit des Einzelnen. Wenn es im Geſetze heißt: Ad reges potestas omnium per¬ tinet, ad singulos proprietas; omina rex imperio possidet, singuli dominio, ſo heißt dieß: Der König iſt Eigenthümer, denn Er allein kann über Alles verfügen, ſchalten, er hat potestas und imperium darüber. Die Communiſten machen dieß klarer, indem ſie jenes imperium der Geſellſchaft Aller übertragen. Alſo: Weil Feinde des Egoismus, darum ſind ſie Chriſten, oder allgemeiner: religiöſe Menſchen, Geſpen¬ ſtergläubige, Abhängige, Diener irgend eines Allgemeinen (Got¬ tes, der Geſellſchaft u. ſ. w.). Auch darin gleicht Proud'hon den Chriſten, daß er dasjenige, was er den Menſchen abſpricht, Gott beilegt. Ihn nennt er (z. B. Seite 90) den Propriétaire der Erde. Hiermit beweiſt er, daß er den Eigenthümer332 als ſolchen nicht wegdenken kann; er kommt zuletzt auf ei¬ nen Eigenthümer, verlegt ihn aber ins Jenſeits.

Eigenthümer iſt weder Gott noch der Menſch (die menſch¬ liche Geſellſchaft ), ſondern der Einzelne.

Proud'hon (auch Weitling) glaubt das Schlimmſte vom Eigenthum auszuſagen, wenn er es einen Diebſtahl (vol) nennt. Ganz abgeſehen von der verfänglichen Frage, was gegen den Diebſtahl Gegründetes einzuwenden wäre, fragen Wir nur: Iſt der Begriff Diebſtahl überhaupt anders mög¬ lich, als wenn man den Begriff Eigenthum gelten läßt. Wie kann man ſtehlen, wenn nicht ſchon Eigenthum vorhan¬ den iſt? Was Keinem gehört, kann nicht geſtohlen werden: das Waſſer, welches Einer aus dem Meere ſchöpft, ſtiehlt er nicht. Mithin iſt nicht das Eigenthum Diebſtahl, ſondern durch das Eigenthum erſt wird ein Diebſtahl möglich. Auch muß Weitling darauf hinauskommen, da er ja Alles als Ei¬ genthum Aller betrachtet: iſt Etwas Eigenthum Aller , ſo ſtiehlt freilich der Einzelne, der ſich's zueignet.

Das Privateigenthum lebt von der Gnade des Rechts. Nur im Rechte hat es ſeine Gewähr Beſitz iſt ja noch nicht Eigenthum, er wird erſt das Meinige durch Zuſtim¬ mung des Rechts ; es iſt keine Thatſache, nicht un fait. wie Proud'hon meint, ſondern eine Fiction, ein Gedanke. Das iſt das Rechtseigenthum, rechtliches Eigenthum, garantirtes Eigenthum. Nicht durch Mich iſt es mein, ſondern durch's Recht.

Dennoch iſt Eigenthum der Ausdruck für die unum¬ ſchränkte Herrſchaft über Etwas (Ding, Thier, Menſch),333 womit Ich ſchalten und walten kann nach Gutdünken . Nach römiſchem Rechte freilich ius utendi et abutendi re sua, quatenus iuris ratio patitur, ein ausſchließliches und unumſchränktes Recht; aber Eigenthum wird durch Ge¬ walt bedingt. Was Ich in der Gewalt habe, das iſt mein eigen. So lange Ich Mich als Inhaber behaupte, bin Ich der Eigenthümer der Sache; entgeht Mir's wieder, gleichviel durch welche Macht, z. B. durch mein Anerkenntniß eines Anrechts Anderer an die Sache , ſo iſt das Eigenthum er¬ loſchen. So fällt Eigenthum und Beſitz in Eins zuſammen. Nicht ein außerhalb meiner Gewalt liegendes Recht legitimirt Mich, ſondern lediglich meine Gewalt; habe Ich die nicht mehr, ſo entſchwindet mir die Sache. Als die Römer keine Gewalt mehr gegen die Germanen hatten, gehörte dieſen das Weltreich Rom, und es klänge lächerlich, wollte man darauf beſtehen, die Römer ſeien dennoch die eigentlichen Eigenthümer geblieben. Wer die Sache zu nehmen und zu behaupten weiß, dem gehört ſie, bis ſie ihm wieder ge¬ nommen wird, wie die Freiheit Dem gehört, der ſie ſich nimmt.

Ueber das Eigenthum entſcheidet nur die Gewalt, und da der Staat, gleichviel ob Staat der Bürger oder der Lumpe oder der Menſchen ſchlechthin, der allein Gewaltige iſt, ſo iſt er allein Eigenthümer; Ich, der Einzige, habe nichts, und werde nur belehnt, bin Lehnsmann und als ſolcher Dienſtmann. Unter der Herrſchaft des Staates giebt es kein Eigenthum Meiner.

Ich will den Werth Meiner heben, den Werth der Eigen¬ heit, und ſollte das Eigenthum herabſetzen? Nein, wie Ich ſeither nicht geachtet wurde, weil man Volk, Menſchheit und334 tauſend andere Allgemeinheiten darüber ſetzte, ſo iſt auch bis auf dieſen Tag das Eigenthum noch nicht in ſeinem vollen Werthe anerkannt worden. Auch das Eigenthum war nur Eigenthum eines Geſpenſtes, z. B. Volkseigenthum; meine ganze Exiſtenz gehörte dem Vaterlande : Ich gehörte dem Vaterlande, dem Volke, dem Staate an, darum auch Alles, was Ich mein eigen nannte. Man fordert von den Staa¬ ten, ſie ſollen den Pauperismus beſeitigen. Mir ſcheint, das heißt verlangen, der Staat ſolle ſich ſelbſt den Kopf abſchnei¬ den und vor die Füße legen; denn ſo lange der Staat das Ich iſt, muß das einzelne Ich ein armer Teufel, ein Nicht - Ich ſein. Der Staat hat nur ein Intereſſe daran, ſelbſt reich zu ſein; ob Michel reich und Peter arm iſt, gilt ihm gleich; es könnte auch Peter reich und Michel arm ſein. Er ſieht gleichgültig zu, wie der Eine verarmt, der Andere reich wird, unbekümmert um dieß Wechſelſpiel. Als Einzelne ſind ſie vor ſeinem Angeſichte wirklich gleich, darin iſt er gerecht: ſie ſind beide vor ihm Nichts, wie Wir vor Gott allzumal Sünder ſind ; dagegen hat er ein ſehr großes Intereſſe daran, daß diejenigen Einzelnen, welche Ihn zu ihrem Ich machen, an ſeinem Reichthum Theil haben: er macht ſie zu Theil¬ nehmern an ſeinem Eigenthum. Durch Eigenthum, wo¬ mit er die Einzelnen belohnt, kirrt er ſie; es bleibt aber ſein Eigenthum, und Jeder hat nur ſo lange den Nießbrauch davon, als er das Ich des Staates in ſich trägt, oder ein loyales Glied der Geſellſchaft iſt; im Gegenfalle wird das Eigen¬ thum confiscirt oder durch peinliche Proceſſe zu Waſſer ge¬ macht. Das Eigenthum iſt und bleibt ſonach Staatseigen¬ thum, nicht Eigenthum des Ichs. Daß der Staat nicht willkührlich dem Einzelnen entzieht, was er vom Staate hat,335 iſt nur daſſelbe, wie dieß, daß der Staat ſich ſelbſt nicht be¬ raubt. Wer ein Staats-Ich, d. h. ein guter Bürger oder Unterthan iſt, der trägt als ſolches Ich, nicht als eigenes, das Lehen ungeſtört. Dieß nennt der Codex dann ſo: Eigen¬ thum iſt, was ich von Gottes - und Rechtswegen mein nenne. Von Gottes - und Rechtswegen iſt es aber nur mein, ſo lange der Staat nichts dagegen hat.

In den Expropriationen, Waffenablieferungen und Aehn¬ lichem (wie denn z. B. der Fiskus Erbſchaften einzieht, wenn die Erben ſich nicht zeitig genug melden) ſpringt ja das ſonſt verdeckte Princip, daß nur das Volk, der Staat, Eigen¬ thümer ſei, der Einzelne hingegen Lehnsträger, deutlich in die Augen.

Der Staat, dieß wollte Ich ſagen, kann nicht beabſichti¬ gen, daß Jemand um ſein ſelbſt willen Eigenthum habe, oder gar reich, ja nur wohlhabend ſei, er kann Mir als Mir nichts zuerkennen, zukommen laſſen, nichts gewähren. Der Staat kann dem Pauperismus nicht ſteuern, weil die Pau¬ vretät des Beſitzes eine Pauvretät Meiner iſt. Wer nichts iſt, als was der Zufall oder ein Anderer, nämlich der Staat, aus ihm macht, der hat ganz mit Recht auch nichts, als was ein Anderer ihm giebt. Und dieſer Andere wird ihm nur geben, was jener verdient, d. h. was er durch Dienen werth iſt. Nicht Er verwerthet ſich, ſondern der Staat verwerthet ihn.

Die Nationalökonomie beſchäftigt ſich viel mit dieſem Ge¬ genſtande. Er liegt indeß weit über das Nationale hinaus und geht über die Begriffe und den Horizont des Staats, der nur Staatseigenthum kennt und nur dieſes vertheilen kann. Deshalb knüpft er den Beſitz des Eigenthums an Bedin¬ gungen, wie er Alles daran knüpft, z. B. die Ehe, indem336 er nur die von ihm ſanctionirte Ehe gelten läßt, und ſie mei¬ ner Gewalt entreißt. Eigenthum iſt aber nur mein Eigen¬ thum, wenn Ich daſſelbe unbedingt inne habe: nur Ich, als unbedingtes Ich, habe Eigenthum, ſchließe ein Liebes¬ verhältniß, treibe freien Handel.

Der Staat bekümmert ſich nicht um Mich und das Meine, ſondern um Sich und das Seine: Ich gelte ihm nur als ſein Kind etwas, als Landeskind , als Ich bin Ich gar nichts für ihn. Was Mir als Ich begegnet, iſt für den Verſtand des Staates etwas Zufälliges: mein Reichthum wie meine Verarmung. Bin Ich aber mit allem Meinigen für ihn ein Zufall, ſo beweiſt dieß, daß er Mich nicht be¬ greifen kann: Ich gehe über ſeine Begriffe, oder ſein Verſtand iſt zu kurz, um Mich zu begreifen. Darum kann er auch nichts für Mich thun.

Der Pauperismus iſt die Werthloſigkeit Meiner, die Erſcheinung, daß Ich Mich nicht verwerthen kann. Des¬ halb iſt Staat und Pauperismus Ein und daſſelbe. Der Staat läßt Mich nicht zu meinem Werthe kommen und beſteht nur durch meine Werthloſigkeit: er geht allezeit darauf aus, von Mir Nutzen zu ziehen, d. h. Mich zu exploitiren, aus¬ zubeuten, zu verbrauchen, beſtände dieſer Verbrauch auch nur darin, daß Ich für eine proles ſorge (Proletariat); er will, Ich ſoll ſeine Creatur ſein.

Nur dann kann der Pauperismus gehoben werden, wenn Ich als Ich Mich verwerthe, wenn Ich Mir ſelber Werth gebe, und meinen Preis ſelber mache. Ich muß Mich em¬ pören, um empor zu kommen.

Was Ich ſchaffe, Mehl, Leinwand oder Eiſen und Kohlen, die Ich der Erde mühſam abgewinne, u. ſ. w., es iſt meine337 Arbeit, die Ich verwerthen will. Da kann Ich aber lange klagen, meine Arbeit werde Mir nicht nach ihrem Werthe be¬ zahlt: es wird der Bezahlende Mich nicht hören und der Staat gleichfalls ſo lange apathiſch ſich verhalten, bis er glaubt, Mich beſchwichtigen zu müſſen, damit Ich nicht mit meiner gefürchteten Gewalt hervorbreche. Bei dieſer Beſchwichtigung aber wird es ſein Bewenden haben, und fällt Mir mehr zu verlangen ein, ſo wendet ſich der Staat wider Mich mit aller Kraft ſeiner Löwentatzen und Adlerklauen: denn er iſt der König der Thiere, iſt Löwe und Adler. Laſſe Ich Mir nicht genügen an dem Preiſe, den er für meine Waare und Arbeit feſtſetzt, trachte Ich vielmehr, den Preis meiner Waare ſelbſt zu beſtimmen, d. h. Mich bezahlt zu machen , ſo gerathe Ich zunächſt mit den Abnehmern der Waare in einen Conflict. Löſte ſich dieſer durch ein Uebereinkommen von beiden Seiten, ſo würde der Staat nicht leicht Einwendungen machen; denn wie die Einzelnen mit einander fertig werden, kümmert ihn wenig, ſo fern ſie ihm dabei nur nicht in den Weg kommen. Sein Schaden und ſeine Gefahr beginnt erſt da, wo ſie nicht mit einander auskommen, ſondern, weil keine Ausgleichung ſtattfindet, ſich bei den Köpfen faſſen. Der Staat kann es nicht dulden, daß der Menſch zum Menſchen in einem direkten Verhältniſſe ſtehe; er muß dazwiſchen treten als Mittler, muß interveniren. Was Chriſtus war, was die Hei¬ ligen, die Kirche, das iſt der Staat geworden, nämlich Mitt¬ ler . Er reißt den Menſchen vom Menſchen, um ſich als Geiſt in die Mitte zu ſtellen. Die Arbeiter, welche höheren Lohn verlangen, werden als Verbrecher behandelt, ſobald ſie ihn erzwingen wollen. Was ſollen ſie thun? Ohne Zwang bekommen ſie ihn nicht, und im Zwange ſieht der Staat eine22338Selbſthülfe, eine vom Ich geſetzte Preisbeſtimmung, eine wirk¬ liche, freie Verwerthung ſeines Eigenthums, die er nicht zulaſſen kann. Was ſollen alſo die Arbeiter anfangen? Auf ſich halten und nach dem Staate nichts fragen?

Wie es ſich aber mit meiner gegenſtändlichen Arbeit ver¬ hält, ſo auch mit meiner geiſtigen. Es erlaubt Mir der Staat alle meine Gedanken zu verwerthen und an den Mann zu bringen (Ich verwerthe ſie ja z. B. ſchon dadurch, daß ſie Mir von den Zuhörern Ehre einbringen u. dergl. ); allein nur ſo lange als meine Gedanken ſeine Gedanken ſind. Hege Ich dagegen Gedanken, welche er nicht approbiren, d. h. zu den ſeinigen machen kann, ſo erlaubt er Mir durchaus nicht, ſie zu verwerthen, ſie in den Austauſch, den Ver¬ kehr zu bringen. Meine Gedanken ſind nur frei, wenn ſie Mir durch die Gnade des Staats vergönnt ſind, d.h. wenn ſie Gedanken des Staats ſind. Frei philoſophiren läßt er Mich nur, ſofern Ich Mich als Staatsphiloſoph bewähre: gegen den Staat darf Ich nicht Philoſophiren, ſo gerne er's auch nachſieht, daß Ich ihm von ſeinen Mängeln helfe, ihn fördere . Alſo wie Ich Mich nur als ein vom Staate gnädigſt verſtattetes, als ein mit ſeinem Legitimitätszeugniß und Polizeipaſſe verſehenes Ich betragen darf, ſo iſt es Mir auch nicht vergönnt, das Meinige zu verwerthen, es ſei denn, daß es ſich als das Seinige ausweiſe, welches Ich von ihm zu Lehen trage. Meine Wege müſſen ſeine Wege ſein, ſonſt pfändet er Mich; meine Gedanken ſeine Gedanken, ſonſt ſtopft er Mir den Mund.

Vor nichts hat der Staat ſich mehr zu fürchten, als vor dem Werthe Meiner, und nichts muß er ſorgfältiger zu verhü¬ ten ſuchen, als jede Mir entgegenkommende Gelegenheit, Mich339 ſelbſt zu verwerthen. Ich bin der Todfeind des Staates, der ſtets in der Alternative ſchwebt: Er oder Ich. Darum hält er ſtrenge darauf, nicht nur Mich nicht gelten zu laſſen, ſondern auch das Meinige zu hintertreiben. Im Staate giebt es kein Eigenthum, d. h. kein Eigenthum des Ein¬ zelnen, ſondern nur Staatseigenthum. Nur durch den Staat habe Ich, was Ich habe, wie Ich nur durch ihn bin, was Ich bin. Mein Privateigenthum iſt nur dasjenige, was der Staat Mir von dem Seinigen überläßt, indem er andere Staats¬ glieder darum verkürzt (privirt): es iſt Staatseigenthum.

Im Gegenſatze aber zum Staate, fühle Ich immer deut¬ licher, daß Mir noch eine große Gewalt übrig bleibt, die Ge¬ walt über Mich ſelbſt, d. h. über alles, was nur Mir eignet und nur iſt, indem es mein eigen iſt.

Was fange Ich an, wenn meine Wege nicht mehr ſeine Wege, meine Gedanken nicht mehr ſeine Gedanken ſind? Ich halte auf Mich, und frage nichts nach ihm! An meinen Gedanken, die Ich durch keine Beiſtimmung, Gewährung oder Gnade ſanctioniren laſſe, habe Ich mein wirkliches Eigenthum, ein Eigenthum, mit dem Ich Handel treiben kann. Denn als das Meine ſind ſie meine Geſchöpfe, und Ich bin im Stande, ſie wegzugeben gegen andere Gedanken: Ich gebe ſie auf und tauſche andere für ſie ein, die dann mein neues erkauftes Eigenthum ſind.

Was iſt alſo mein Eigenthum? Nichts als was in meiner Gewalt iſt! Zu welchem Eigenthum bin Ich be¬ rechtigt? Zu jedem, zu welchem Ich Mich ermächtige. Das Eigenthums-Recht gebe Ich Mir, indem Ich Mir Eigen¬ thum nehme, oder Mir die Macht des Eigenthümers, die Voll¬ macht, die Ermächtigung gebe.

22 *340

Worüber man Mir die Gewalt nicht zu entreißen vermag, das bleibt mein Eigenthum; wohlan ſo entſcheide die Gewalt über das Eigenthum, und Ich will Alles von meiner Gewalt erwarten! Fremde Gewalt, Gewalt, die Ich einem Andern laſſe, macht Mich zum Leibeigenen: ſo möge eigene Gewalt Mich zum Eigner machen. Ziehe Ich denn die Gewalt zurück, welche Ich Andern aus Unkunde über die Stärke meiner eige¬ nen Gewalt eingeräumt habe! Sage Ich Mir, wohin meine Gewalt langt, das iſt mein Eigenthum, und nehme Ich alles als Eigenthum in Anſpruch, was zu erreichen Ich Mich ſtark genug fühle, und laſſe Ich mein wirkliches Eigenthum ſoweit reichen, als Ich zu nehmen Mich berechtige, d. h. er¬ mächtige.

Hier muß der Egoismus, der Eigennutz entſcheiden, nicht das Princip der Liebe, nicht die Liebesmotive, wie Barm¬ herzigkeit, Mildthätigkeit, Gutmüthigkeit oder ſelbſt Gerechtig¬ keit und Billigkeit (denn auch die iustitia iſt ein Phänomen der Liebe, ein Liebesproduct): die Liebe kennt nur Opfer und fordert Aufopferung .

Der Egoismus denkt nicht daran etwas aufzuopfern, ſich etwas zu vergeben; er entſcheidet einfach: Was Ich brauche, muß Ich haben und will Ich Mir verſchaffen.

Alle Verſuche, über das Eigenthum vernünftige Geſetze zu geben, liefen vom Buſen der Liebe in ein wüſtes Meer von Beſtimmungen aus. Auch den Socialismus und Com¬ munismus kann man hiervon nicht ausnehmen. Es ſoll jeder mit hinreichenden Mitteln verſorgt werden, wobei wenig darauf ankommt, ob man ſocialiſtiſch ſie noch in einem perſönlichen Eigenthum findet, oder communiſtiſch aus der Gütergemein¬ ſchaft ſchöpft. Der Sinn der Einzelnen bleibt dabei derſelbe,341 er bleibt Abhängigkeitsſinn. Die vertheilende Billigkeits¬ behörde läßt Mir nur zukommen, was ihr der Billigkeitsſinn, ihre liebevolle Sorge für Alle, vorſchreibt. Für Mich, den Einzelnen, liegt ein nicht minderer Anſtoß in dem Geſammt¬ vermögen, als in dem der einzelnen Andern; weder jenes iſt das meinige, noch dieſes: ob das Vermögen der Ge¬ ſammtheit gehört, die Mir davon einen Theil zufließen läßt, oder einzelnen Beſitzern, iſt für Mich derſelbe Zwang, da Ich über keins von beiden beſtimmen kann. Im Gegentheil, der Communismus drückt Mich durch Aufhebung alles perſönlichen Eigenthums nur noch mehr in die Abhängigkeit von einem Andern, nämlich von der Allgemeinheit oder Geſammtheit, zurück, und ſo laut er immer auch den Staat angreife, was er beabſichtigt, iſt ſelbſt wieder ein Staat, ein status, ein meine freie Bewegung hemmender Zuſtand, eine Oberherrlichkeit über Mich. Gegen den Druck, welchen Ich von den einzelnen Eigenthümern erfahre, lehnt ſich der Communismus mit Recht auf; aber grauenvoller noch iſt die Gewalt, die er der Ge¬ ſammtheit einhändigt.

Der Egoismus ſchlägt einen andern Weg ein, um den beſitzloſen Pöbel auszurotten. Er ſagt nicht: Warte ab, was Dir die Billigkeitsbehörde im Namen der Geſammtheit ſchenken wird (denn ſolche Schenkung geſchah von jeher in den Staaten , indem nach Verdienſt , alſo nach dem Maaße, als ſich's jeder zu verdienen, zu erdienen wußte, Jedem gegeben wurde), ſondern: Greife zu und nimm, was Du brauchſt! Damit iſt der Krieg Aller gegen Alle erklärt. Ich allein beſtimme darüber, was Ich haben will.

Nun, das iſt wahrlich keine neue Weisheit, denn ſo haben's die Selbſtſüchtigen zu allen Zeiten gehalten! 342Iſt auch gar nicht nöthig, daß die Sache neu ſei, wenn nur das Bewußtſein darüber vorhanden iſt. Dieſes aber wird eben nicht auf hohes Alter Anſpruch machen können, wenn man nicht etwa das ägyptiſche und ſpartaniſche Geſetz hierher rechnet; denn wie wenig geläufig es ſei, geht ſchon aus obi¬ gem Vorwurf hervor, der mit Verachtung von dem Selbſt¬ ſüchtigen ſpricht. Wiſſen ſoll man's eben, daß jenes Ver¬ fahren des Zugreifens nicht verächtlich ſei, ſondern die reine That des mit ſich einigen Egoiſten bekunde.

Erſt wenn Ich weder von Einzelnen, noch von einer Ge¬ ſammtheit erwarte, was Ich Mir ſelbſt geben kann, erſt dann entſchlüpfe Ich den Stricken der Liebe; erſt dann hört der Pöbel auf, Pöbel zu ſein, wenn er zugreift. Nur die Scheu des Zugreifens und die entſprechende Beſtrafung deſſelben macht ihn zum Pöbel. Nur daß das Zugreifen Sünde, Verbrechen iſt, nur dieſe Satzung ſchafft einen Pöbel, und daß dieſer bleibt, was er iſt, daran iſt ſowohl er ſchuld, weil er jene Satzung gelten läßt, als beſonders diejenigen, welche ſelbſtſüchtig (um ihnen ihr beliebtes Wort zurückzugeben) fordern, daß ſie reſpectirt werde. Kurz der Mangel an Be¬ wußtſein über jene neue Weisheit , das alte Sünden¬ bewußtſein trägt allein die Schuld.

Gelangen die Menſchen dahin, daß ſie den Reſpect vor dem Eigenthum verlieren, ſo wird jeder Eigenthum haben, wie alle Sklaven freie Menſchen werden, ſobald ſie den Herrn als Herrn nicht mehr achten. Vereine werden dann auch in dieſer Sache die Mittel des Einzelnen multipliciren und ſein angefochtenes Eigenthum ſicher ſtellen.

Nach der Meinung der Communiſten ſoll die Gemeinde Eigenthümerin ſein. Umgekehrt Ich bin Eigenthümer, und343 verſtändige Mich nur mit Andern über mein Eigenthum. Macht Mir's die Gemeinde nicht recht, ſo empöre Ich Mich gegen ſie und vertheidige mein Eigenthum. Ich bin Eigen¬ thümer, aber das Eigenthum iſt nicht heilig. Ich wäre bloß Beſitzer? Nein, bisher war man nur Beſitzer, geſichert im Beſitz einer Parcelle, dadurch, daß man Andere auch im Beſitz einer Parcelle ließ; jetzt aber gehört Alles Mir, Ich bin Eigenthümer von Allem, deſſen Ich brauche und habhaft werden kann. Heißt es ſocialiſtiſch: die Geſellſchaft giebt Mir, was Ich brauche, ſo ſagt der Egoiſt: Ich nehme Mir, was Ich brauche. Gebärden ſich die Commu¬ niſten als Lumpe, ſo benimmt ſich der Egoiſt als Eigenthümer.

Alle Pöbelbeglückungs-Verſuche und Schwanenverbrüde¬ rungen müſſen ſcheitern, die aus dem Principe der Liebe ent¬ ſpringen. Nur aus dem Egoismus kann dem Pöbel Hülfe werden, und dieſe Hülfe muß er ſich ſelbſt leiſten und wird ſie ſich leiſten. Läßt er ſich nicht zur Furcht zwingen, ſo iſt er eine Macht. Die Leute würden allen Reſpect verlieren, wenn man ſie nicht ſo zur Furcht zwänge ſagt der Popanz Geſetz im geſtiefelten Kater.

Alſo das Eigenthum ſoll und kann nicht aufgehoben, es muß vielmehr geſpenſtiſchen Händen entriſſen und mein Eigen¬ thum werden; dann wird das irrige Bewußtſein verſchwinden, daß Ich nicht zu ſo viel, als Ich brauche, Mich berechtigen könne.

Was kann aber der Menſch nicht Alles brauchen! Je nun, wer viel braucht und es zu bekommen verſteht, hat ſich's noch zu jeder Zeit geholt, wie Napoleon den Continent und die Franzoſen Algier. Es kommt daher eben nur darauf an, daß der reſpectvolle Pöbel endlich lerne, ſich zu holen, was344 er braucht. Langt er Euch zu weit, ei, ſo wehrt Euch. Ihr habt gar nicht nöthig, ihm gutwillig etwas zu ſchenken, und wenn er ſich kennen lernt, oder vielmehr wer aus dem Pöbel ſich kennen lernt, der ſtreift die Pöbelhaftigkeit ab, indem er ſich für eure Almoſen bedankt. Lächerlich aber bleibt's, daß Ihr ihn für ſündig und verbrecheriſch erklärt, wenn er nicht von euren Gutthaten leben mag, weil er ſich etwas zu Gute thun kann. Eure Schenkungen betrügen ihn, und halten ihn hin. Vertheidigt euer Eigenthum, ſo werdet Ihr ſtark ſein; wollt Ihr hingegen eure Schenkungsfähigkeit erhalten und etwa gar um ſo mehr politiſche Rechte haben, je mehr Ihr Almoſen (Armenſteuer) geben könnt, ſo geht das eben ſo lange, als Euch die Beſchenkten ſo gehen laſſen. *)In einer Regiſtrationsbill für Irland ſtellte die Regierung den Antrag, Wähler diejenigen ſein zu laſſen, welche 5 Pfund Sterling Ar¬ menſteuer entrichten. Alſo wer Almoſen giebt, der erwirbt politiſche Rechte, oder wird anderwärts Schwanenritter.

Genug, die Eigenthumsfrage läßt ſich nicht ſo gütlich löſen, als die Socialiſten, ja ſelbſt die Communiſten träumen. Sie wird nur gelöſt durch den Krieg Aller gegen Alle. Die Armen werden nur frei und Eigenthümer, wenn ſie ſich empören, emporbringen, erheben. Schenkt ihnen noch ſo viel, ſie werden doch immer mehr haben wollen; denn ſie wollen nichts Geringeres, als daß endlich nichts mehr ge¬ ſchenkt werde.

Man wird fragen: Wie wird's denn aber werden, wenn die Beſitzloſen ſich ermannen? Welcher Art ſoll denn die Aus¬ gleichung werden? Ebenſo gut könnte man verlangen, daß Ich einem Kinde die Nativität ſtellen ſolle. Was ein Sklave thun wird, ſobald er die Feſſeln zerbrochen, das muß man erwarten.

345

Kaiſer hofft in ſeiner der Form - wie der Gehaltloſigkeit wegen werthloſen Broſchüre ( Die Perſönlichkeit des Eigen¬ thümers in Bezug auf den Socialismus und Communismus u. ſ. w. ) vom Staate, daß er eine Vermögensausgleichung bewirken werde. Immer der Staat! der Herr Papa! Wie die Kirche für die Mutter der Gläubigen ausgegeben und angeſehen wurde, ſo hat der Staat ganz das Geſicht des vor¬ ſorglichen Vaters.

Aufs genaueſte mit dem Princip der Bürgerlichkeit ver¬ bunden zeigt ſich die Concurrenz. Iſt ſie etwas Anderes als die Gleichheit (égalité)? Und iſt die Egalität nicht eben ein Erzeugniß derſelben Revolution, welche vom Bürgerthum oder den Mittelclaſſen hervorgebracht wurde? Da es Keinem verwehrt iſt, mit Allen im Staate (den Fürſten, weil er den Staat ſelbſt vorſtellt, ausgenommen) zu wetteifern und zu ihrer Höhe ſich hinaufzuarbeiten, ja ſie zu eigenem Vortheil zu ſtür¬ zen oder auszubeuten, ſie zu überflügeln und durch ſtärkere An¬ ſtrengung um ihren Wohlſtand zu bringen, ſo dient dieß zum deutlichen Beweiſe, daß vor dem Richterſtuhl des Staats Je¬ der nur den Werth eines ſimplen Individuums hat und auf keine Begünſtigung rechnen darf. Ueberrennt und überbietet Euch, ſo viel Ihr mögt und könnt, das ſoll mich, den Staat, nicht kümmern! Unter einander ſeid Ihr frei im Concurriren, ſeid Concurrenten; das iſt eure geſellſchaftliche Stellung. Vor mir, dem Staate, aber ſeid Ihr nichts als ſimple In¬ dividuen ! *)Dieſen Ausdruck gebrauchte der Miniſter Stein vom Grafen von Reiſach, als er dieſen der bairiſchen Regierung kaltherzig preisgab, weil

346

Was in principieller oder theoretiſcher Form als die Gleich¬ heit Aller aufgeſtellt wurde, das hat eben in der Concurrenz ſeine Verwirklichung und practiſche Ausführung gefunden; denn die égalité iſt die freie Concurrenz. Alle ſind vor dem Staate ſimple Individuen, in der Geſellſchaft oder im Ver¬ hältniß zu einander Concurrenten.

Ich brauche nichts weiter als ein ſimples Individuum zu ſein, um mit jedem Andern, außer dem Fürſten und ſeiner Familie, concurriren zu können, eine Freiheit, welche früher dadurch unmöglich war, daß man nur mittelſt ſeiner Corpo¬ ration und innerhalb derſelben einer Freiheit des Strebens genoß.

In der Zunft und Feudalität verhält ſich der Staat in¬ tolerant und wähleriſch, indem er privilegirt; in der Con¬ currenz und dem Liberalismus verhält er ſich tolerant und ge¬ währen laſſend, indem er nur patentirt (dem Bewerber ver¬ brieft, daß ihm das Gewerbe offen [patent] ſtehe) oder con¬ ceſſionirt . Da nun ſo der Staat alles den Bewerbern überlaſſen hat, muß er in Conflict mit Allen kommen, weil ja alle und jeder zur Bewerbung berechtigt ſind. Er wird beſtürmt werden und in dieſem Sturme zu Grunde gehen.

Iſt die freie Concurrenz denn wirklich frei , ja iſt ſie wirklich eine Concurrenz , nämlich der Perſonen, wofür ſie ſich ausgiebt, weil ſie auf dieſen Titel ihr Recht gründet? Sie ging ja daraus hervor, daß die Perſonen gegen alle per¬*)ihm, wie er ſagte, ein Gouvernement wie Baiern mehr werth ſein müſſe, als ein ſimples Individuum . Reiſach hatte im Auftrage Stein's gegen Montgelas geſchrieben, und Stein willigte ſpäter in die von Mont¬ gelas gerade dieſes Buchs wegen geforderte Auslieferung Reiſachs, S. Hinrichs Politiſche Vorleſungen I, 280. 347 ſönliche Herrſchaft frei wurden. Iſt eine Concurrenz frei , welche der Staat, dieſer Herrſcher im bürgerlichen Princip, in tauſend Schranken einengt? Da macht ein reicher Fabrikant glänzende Geſchäfte, und Ich möchte mit ihm concurriren. Immerhin, ſagt der Staat, ich habe gegen deine Perſon als Concurrenten nichts einzuwenden. Ja, erwiedere Ich, dazu brauche Ich aber einen Raum zu Gebäuden, brauche Geld! Das iſt ſchlimm, aber wenn Du kein Geld haſt, kannſt Du nicht concurriren. Nehmen darfſt Du Keinem et¬ was, denn ich ſchütze und privilegire das Eigenthum. Die freie Concurrenz iſt nicht frei , weil Mir die Sache zur Concurrenz fehlt. Gegen meine Perſon läßt ſich nichts ein¬ wenden, aber weil Ich die Sache nicht habe, ſo muß auch meine Perſon zurücktreten. Und wer hat die nöthige Sache? Etwa jener Fabrikant? Dem könnte Ich ſie ja abnehmen! Nein, der Staat hat ſie als Eigenthum, der Fabrikant nur als Lehen, als Beſitzthum.

Weil es aber mit dem Fabrikanten nicht geht, ſo will Ich mit jenem Profeſſor der Rechte concurriren; der Mann iſt ein Gimpel, und Ich, der Ich hundertmal mehr weiß, als er, werde ſein Auditorium leer machen. Haſt Du ſtudirt und promovirt, Freund? Nein, aber was thut das? Ich verſtehe, was zu dem Lehrfache nöthig iſt, reichlich. Thut mir leid, aber die Concurrenz iſt hier nicht frei . Gegen deine Per¬ ſon iſt nichts zu ſagen, aber die Sache fehlt, das Doctor¬ diplom. Und dieß Diplom verlange ich, der Staat. Bitte mich erſt ſchönſtens darum, dann wollen wir zuſehen, was zu thun iſt.

Dieß alſo iſt die Freiheit der Concurrenz. Der Staat, mein Herr, befähigt Mich erſt zum Concurriren.

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Concurriren aber wirklich die Perſonen? Nein, wie¬ derum nur die Sachen! Die Gelder in erſter Reihe u. ſ. w.

In dem Wettſtreit wird immer Einer hinter dem Andern zurückbleiben (z. B. ein Dichterling hinter einem Dichter). Allein es macht einen Unterſchied, ob die fehlenden Mittel des unglücklichen Concurrirenden perſönliche oder ſächliche ſind, und ebenſo, ob die ſächlichen Mittel durch perſönliche Kraft gewonnen werden können oder nur durch Gnade zu erhalten ſind, nur als Geſchenk, und zwar, indem z. B. der Aermere dem Reichen ſeinen Reichthum laſſen, d. h. ſchenken muß. Muß Ich aber überhaupt auf die Genehmigung des Staates warten, um die Mittel zu erhalten oder zu gebrau¬ chen (z. B. bei der Promotion), ſo habe Ich die Mittel durch die Gnade des Staates. *)Auf Gymnaſien und Univerſitäten u. ſ. w. concurriren Arme mit Reichen. Aber ſie vermögens meiſt nur durch Stipendien, die was bedeutend faſt alle aus einer Zeit ſtammen, wo die freie Concurrenz noch weit davon entfernt war, als Princip zu walten. Das Princip der Concurrenz ſtiftet keine Stipendien, ſondern meint: Hilf Dir ſelbſt, d. h. verſchaff Dir die Mittel. Was der Staat zu ſolchem Zwecke hergiebt, das legt er auf Intereſſen an, um ſich Diener heranzubilden.

Freie Concurrenz hat alſo nur folgenden Sinn: Alle gel¬ ten dem Staate als ſeine gleichen Kinder, und jeder kann laufen und rennen, um ſich die Güter und Gnadenſpen¬ den des Staates zu verdienen. Darum jagen auch alle nach der Habe, dem Haben, dem Beſitz (ſei es von Geld oder Aemtern, Ehrentiteln u. ſ. w.), nach der Sache.

Nach dem Sinne des Bürgerthums iſt Jeder Inhaber oder Eigenthümer . Woher kommt es nun, daß doch die Meiſten ſo viel wie nichts haben? Es kommt daher, weil349 die Meiſten ſich ſchon darüber freuen, nur überhaupt Inhaber, ſei's auch von einigen Lappen, zu ſein, wie Kinder ſich ihrer erſten Höschen oder gar des erſten geſchenkten Pfennigs freuen. Genauer indeß iſt die Sache folgendermaßen zu faſſen. Der Liberalismus trat ſogleich mit der Erklärung auf, daß es zum Weſen des Menſchen gehöre, nicht Eigenthum, ſondern Eigen¬ thümer zu ſein. Da es hierbei um den Menſchen, nicht um den Einzelnen zu thun war, ſo blieb das Wieviel, welches gerade das ſpecielle Intereſſe des Einzelnen ausmachte, dieſem überlaſſen. Daher behielt der Egoismus des Einzelnen in dieſem Wieviel den freieſten Spielraum, und trieb eine uner¬ müdliche Concurrenz.

Indeß mußte der glückliche Egoismus dem minder be¬ glückten zum Anſtoß werden, und dieſer, immer noch auf dem Principe des Menſchenthums fußend, ſtellte die Frage nach dem Wieviel des Innehabens auf und beantwortete ſie dahin, daß der Menſch ſo viel haben müſſe als er brauche .

Wird ſich mein Egoismus damit genügen laſſen können? Was der Menſch braucht, das giebt keineswegs für Mich und mein Bedürfniß einen Maaßſtab her; denn Ich kann weni¬ ger oder mehr gebrauchen. Ich muß vielmehr ſo viel haben, als Ich Mir anzueignen vermögend bin.

Die Concurrenz leidet an dem Uebelſtande, daß nicht Jedem die Mittel zum Concurriren zu Gebote ſtehen, weil ſie nicht aus der Perſönlichkeit entnommen ſind, ſondern aus der Zufälligkeit. Die meiſten ſind unbemittelt und deshalb unbegütert.

Die Socialen fordern daher für Alle die Mittel und erzielen eine Mittel bietende Geſellſchaft. Deinen Geldwerth, ſagen ſie, erkennen Wir nicht ferner als dein Vermögen an,350 Du mußt ein anderes Vermögen aufzeigen, nämlich deine Ar¬ beitskräfte. Im Beſitze einer Habe oder als Inhaber zeigt ſich der Menſch allerdings als Menſch, darum ließen Wir auch den Inhaber, den Wir Eigenthümer nannten, ſo lange gelten. Allein Du haſt doch die Dinge nur ſo lange inne, als Du nicht aus dieſem Eigenthum hinausgeſetzt wirſt .

Der Inhaber iſt vermögend, aber nur ſo weit, als die Andern unvermögend ſind. Da deine Waare nur ſo lange dein Vermögen bildet, als Du ſie zu behaupten vermagſt, d.h. als Wir nichts über ſie vermögen, ſo ſieh 'Dich nach einem anderen Vermögen um, denn Wir überbieten jetzt durch unſere Gewalt dein angebliches Vermögen.

Es war außerordentlich viel gewonnen, als man es durch¬ ſetzte, als Inhaber betrachtet zu werden. Die Leibeigenſchaft wurde damit aufgehoben und Jeder, der bis dahin dem Herrn gefrohndet hatte, und mehr oder weniger deſſen Eigenthum ge¬ weſen war, ward nun ein Herr . Allein forthin reicht dein Haben und deine Habe nicht mehr aus und wird nicht mehr anerkannt; dagegen ſteigt dein Arbeiten und deine Arbeit im Werthe. Wir achten nun deine Bewältigung der Dinge, wie vorher dein Innehaben derſelben. Deine Arbeit iſt dein Vermögen! Du biſt nur Herr oder Inhaber des Erarbei¬ teten, nicht des Ererbten. Da aber derzeit Alles ein Er¬ erbtes iſt und jeder Groſchen, den Du beſitzeſt, nicht ein Arbeits -, ſondern ein Erbgepräge trägt, ſo muß alles umge¬ ſchmolzen werden.

Iſt denn aber wirklich, wie die Communiſten meinen, meine Arbeit mein einziges Vermögen, oder beſteht dieß nicht vielmehr in allem, was Ich vermag? Und muß nicht die Arbeitergeſellſchaft ſelbſt dieß einräumen, indem ſie z. B. auch351 die Kranken, Kinder, Greiſe, kurz die Arbeitsunfähigen unter¬ hält? Dieſe vermögen noch immer gar manches z. B. ihr Leben zu erhalten, ſtatt es ſich zu nehmen. Vermögen ſie es über Euch, daß Ihr ihren Fortbeſtand begehrt, ſo haben ſie eine Gewalt über Euch. Wer platterdings keine Macht über Euch übte, dem würdet Ihr nichts gewähren; er könnte ver¬ kommen.

Alſo was Du vermagſt, iſt dein Vermögen! Ver¬ magſt Du Tauſenden Luſt zu bereiten, ſo werden Tauſende Dich dafür honoriren, es ſtände ja in deiner Gewalt, es zu unterlaſſen, daher müſſen ſie deine That erkaufen. Vermagſt Du keinen für Dich einzunehmen, ſo magſt Du eben ver¬ hungern.

Soll Ich nun etwa, der Vielvermögende, vor den Unver¬ mögenderen nichts voraus haben?

Wir ſitzen Alle im Vollen; ſoll Ich nun nicht zulangen, ſo gut Ich kann, und nur abwarten, wie viel Mir bei einer gleichen Theilung bleibt?

Gegen die Concurrenz erhebt ſich das Princip der Lum¬ pengeſellſchaft, die Vertheilung.

Für einen bloßen Theil, Theil der Geſellſchaft, angeſe¬ hen zu werden, erträgt der Einzelne nicht, weil er mehr iſt; ſeine Einzigkeit wehrt dieſe beſchränkte Auffaſſung ab.

Daher erwartet er ſein Vermögen nicht von der Zuthei¬ lung Anderer, und ſchon in der Arbeitergeſellſchaft entſteht das Bedenken, daß bei einer gleichen Vertheilung der Starke durch den Schwachen ausgebeutet werde; er erwartet ſein Vermögen vielmehr von ſich und ſagt nun: was Ich zu haben vermag, das iſt mein Vermögen. Welch 'Vermögen beſitzt nicht das Kind in ſeinem Lächeln, ſeinem Spielen, ſeinem Geſchrei, kurz352 in ſeinem bloßen Daſein. Biſt Du im Stande, ſeinem Verlan¬ gen zu widerſtehen oder reichſt Du ihm als Mutter nicht die Bruſt, als Vater ſo viel von deiner Habe, als es bedarf? Es zwingt Euch, darum beſitzt es das, was Ihr das Eure nennt.

Iſt Mir an deiner Perſon gelegen, ſo zahlſt Du Mir ſchon mit deiner Exiſtenz; iſt's Mir nur um eine deiner Ei¬ genſchaften zu thun, ſo hat etwa deine Willfährigkeit oder dein Beiſtand einen Werth (Geldwerth) für Mich, und Ich erkaufe ihn.

Weißt Du Dir keinen andern, als einen Geldwerth in meiner Schätzung zu geben, ſo kann der Fall eintreten, von dem Uns die Geſchichte erzählt, daß nämlich deutſche Landes¬ kinder nach Amerika verkauft wurden. Sollten ſie, die ſich verhandeln ließen, dem Verkäufer mehr werth ſein? Ihm war das baare Geld lieber, als dieſe lebendige Waare, die ſich ihm nicht koſtbar zu machen verſtand. Daß er in ihr nichts Werthvolleres entdeckte, war allerdings ein Mangel ſeines Ver¬ mögens; aber ein Schelm giebt mehr als er hat. Wie ſollte er Achtung zeigen, da er ſie nicht hatte, ja kaum für ſolches Pack haben konnte!

Egoiſtiſch verfahrt Ihr, wenn Ihr einander weder als Inhaber noch als Lumpe oder Arbeiter achtet, ſondern als einen Theil eures Vermögens, als brauchbare Subjecte . Dann werdet Ihr weder dem Inhaber ( Eigenthümer ) für ſeine Habe etwas geben, noch dem, der arbeitet, ſondern allein dem, den Ihr braucht. Brauchen Wir einen König? fragen ſich die Nordamerikaner, und antworten: Nicht einen Heller iſt er und ſeine Arbeit Uns werth.

Sagt man, die Concurrenz ſtelle Alles Allen offen, ſo iſt der Ausdruck nicht genau, und man faßt es beſſer ſo: ſie macht353 Alles käuflich. Indem ſie es ihnen preisgiebt, überläßt ſie es ihrem Preiſe oder ihrer Schätzung und fordert einen Preis dafür.

Allein die Kaufluſtigen ermangeln meiſtens der Mittel, ſich zu Käufern zu machen: ſie haben kein Geld. Für Geld ſind alſo zwar die käuflichen Sachen zu haben ( Für Geld iſt Alles zu haben. ), aber gerade am Gelde fehlt's. Wo Geld, dieß gangbare oder courſirende Eigenthum, hernehmen? Wiſſe denn, Du haſt ſo viel Geld als Du Gewalt haſt; denn Du giltſt ſo viel, als Du Dir Geltung verſchaffſt.

Man bezahlt nicht mit Geld, woran Mangel eintreten kann, ſondern mit ſeinem Vermögen, durch welches allein Wir vermögend ſind; denn man iſt nur ſo weit Eigenthümer, als der Arm unſerer Macht reicht.

Weitling hat ein neues Zahlmittel erdacht, die Arbeit. Das wahre Zahlmittel bleibt aber, wie immer, das Vermö¬ gen. Mit dem, was Du im Vermögen haſt, bezahlſt Du. Darum denke auf die Vergrößerung deines Vermögens.

Indem man dieß zugiebt, iſt man jedoch gleich wieder mit dem Wahlſpruch bei der Hand: Einem Jeden nach ſeinem Ver¬ mögen! Wer ſoll Mir nach meinem Vermögen geben? Die Geſellſchaft? Da müßte Ich Mir ihre Schätzung gefallen laſſen. Vielmehr werde Ich Mir nach meinem Vermögen nehmen.

Allen gehört Alles! Dieſer Satz ſtammt aus derſelben gehaltloſen Theorie. Jedem gehört nur, was er vermag. Sage Ich: Mir gehört die Welt, ſo iſt das eigentlich auch leeres Gerede, das nur in ſo fern Sinn hat, als Ich kein fremdes Eigenthum reſpectire. Mir gehört aber nur ſo viel, als Ich vermag oder im Vermögen habe.

2335 [354]

Man iſt nicht werth zu haben, was man ſich aus Schwachheit nehmen läßt; man iſt's nicht werth, weil man's nicht fähig iſt.

Gewaltigen Lärm erhebt man über das tauſendjährige Unrecht , welches von den Reichen gegen die Armen begangen werde. Als hätten die Reichen die Armuth verſchuldet, und verſchuldeten nicht gleicherweiſe die Armen den Reichthum! Iſt zwiſchen beiden ein anderer Unterſchied als der des Ver¬ mögens und Unvermögens, der Vermögenden und Unvermö¬ genden? Worin beſteht denn das Verbrechen der Reichen? In ihrer Hartherzigkeit. Aber wer hat denn die Armen er¬ halten, wer hat für ihre Ernährung geſorgt, wenn ſie nichts mehr arbeiten konnten, wer hat Almoſen geſpendet, jene Almo¬ ſen, die ſogar ihren Namen von der Barmherzigkeit (Eleemo¬ ſyne) haben? Sind die Reichen nicht allezeit barmherzig geweſen, ſind ſie nicht bis auf den heutigen Tag mildthätig , wie Armentaren, Spitäler, Stiftungen aller Art u. ſ. w. be¬ weiſen?

Aber das alles genügt Euch nicht! Sie ſollen alſo wohl mit den Armen theilen? Da fordert Ihr, daß ſie die Ar¬ muth aufheben ſollen. Abgeſehen davon, daß kaum Einer unter Euch ſo handeln möchte, und daß dieſer Eine eben ein Thor wäre, ſo fragt Euch doch: warum ſollen die Reichen Haar laſſen und ſich aufgeben, während den Armen dieſelbe Handlung viel nützlicher wäre? Du, der Du täglich deinen Thaler haſt, biſt reich vor Tauſenden, die von vier Groſchen leben. Liegt es in deinem Intereſſe, mit den Tauſenden zu theilen, oder liegt es nicht vielmehr in dem ihrigen?

Mit der Concurrenz iſt weniger die Abſicht verbunden, die Sache am beſten zu machen, als die andere, ſie möglichſt355 einträglich, ergiebig zu machen. Man ſtudirt daher auf ein Amt los (Brodſtudium), ſtudirt Katzenbuckel und Schmei¬ cheleien, Routine und Geſchäftskenntniß , man arbeitet auf den Schein. Während es daher ſcheinbar um eine gute Leiſtung zu thun iſt, wird in Wahrheit nur auf ein gutes Geſchäft und Geldverdienſt geſehen. Man verrichtet die Sache nur vorgeblich um der Sache willen, in der That aber wegen des Gewinnes, den ſie abwirft. Man möchte zwar nicht gerne Cenſor ſein, aber man will befördert werden; man möchte nach beſter Ueberzeugung richten, adminiſtriren u. ſ. w., aber man fürchtet Verſetzung oder gar Abſetzung: man muß ja doch vor allen Dingen leben.

So iſt dieß Treiben ein Kampf ums liebe Leben, und in ſtufenweiſer Steigerung um mehr oder weniger Wohlleben .

Und dabei trägt doch den Meiſten all ihr Mühen und

Sorgen nichts als das bittere Leben und bittere Armuth ein. Dafür all der bittere Ernſt!

Das raſtloſe Werben läßt Uns nicht zu Athem, zu ei¬ nem ruhigen Genuſſe kommen: Wir werden unſers Beſitzes nicht froh.

Die Organiſation der Arbeit aber betrifft nur ſolche Ar¬ beiten, welche Andere für Uns machen können, z. B. Schlach¬ ten, Adern u. ſ. w.; die übrigen bleiben egoiſtiſch, weil z. B. Niemand an deiner Statt deine muſikaliſchen Compoſitionen anfertigen, deine Malerentwürfe ausführen u. ſ. w. kann: Raphaels Arbeiten kann Niemand erſetzen. Die letzteren ſind Arbeiten eines Einzigen, die nur dieſer Einzige zu vollbringen vermag, während jene menſchliche genannt zu werden ver¬ dienten, da das Eigene daran von geringem Belang iſt, und ſo ziemlich jeder Menſch dazu abgerichtet werden kann.

23 *356

Da nun die Geſellſchaft nur die gemeinnützigen oder menſchlichen Arbeiten berückſichtigen kann, ſo bleibt, wer Einziges leiſtet, ohne ihre Fürſorge, ja er kann ſich durch ihre Dazwiſchenkunft geſtört finden. Der Einzige wird ſich wohl aus der Geſellſchaft hervorarbeiten, aber die Geſellſchaft bringt keinen Einzigen hervor.

Es iſt daher immer förderſam, daß Wir Uns über die menſchlichen Arbeiten einigen, damit ſie nicht, wie unter der Concurrenz, alle unſere Zeit und Mühe in Anſpruch neh¬ men. In ſo weit wird der Communismus ſeine Früchte tragen. Selbſt dasjenige nämlich, wozu alle Menſchen befähigt ſind oder befähigt werden können, wurde vor der Herrſchaft des Bürgerthums an Wenige geknüpft und den Uebrigen entzogen: es war ein Privilegium. Dem Bürger¬ thum dünkte es gerecht, freizugeben Alles, was für jeden Menſchen dazuſein ſchien. Aber, weil freigegeben, war es doch Keinem gegeben, ſondern vielmehr Jedem überlaſſen, es durch ſeine menſchlichen Kräfte zu erhaſchen. Dadurch ward der Sinn auf den Erwerb des Menſchlichen, das fortan Jedem winkte, gewendet, und es entſtand eine Richtung, welche man unter dem Namen des Materialismus ſo laut bekla¬ gen hört.

Ihrem Laufe ſucht der Communismus Einhalt zu thun, indem er den Glauben verbreitet, daß das Menſchliche ſo vie¬ ler Plage nicht werth ſei und bei einer geſcheidten Einrichtung ohne den großen Aufwand von Zeit und Kräften, wie es zeit¬ her erforderlich ſchien, gewonnen werden könne.

Für wen ſoll aber Zeit gewonnen werden? Wozu braucht der Menſch mehr Zeit, als nöthig iſt, ſeine abgeſpannten Ar¬ beitskräfte zu erfriſchen? Hier ſchweigt der Communismus.

357

Wozu? Um ſeiner als des Einzigen froh zu werden, nachdem er als Menſch das Seinige gethan hat!

In der erſten Freude darüber, nach allem Menſchlichen die Hand ausſtrecken zu dürfen, vergaß man, noch ſonſt etwas zu wollen, und concurrirte friſch drauf los, als wäre der Be¬ ſitz des Menſchlichen das Ziel aller unſerer Wünſche.

Man hat ſich aber müde gerannt und merkt nachgerade, daß der Beſitz nicht glücklich macht . Darum denkt man darauf, das Nöthige leichteren Kaufes zu erhalten und nur ſo viel Zeit und Mühe darauf zu verwenden, als ſeine Unent¬ behrlichkeit erheiſcht. Der Reichthum ſinkt im Preiſe und die zufriedene Armuth, der ſorgloſe Lump, wird zum verführeriſchen Ideal.

Solche menſchliche Thätigkeiten, die ſich Jeder zutraut, ſollten theuer honorirt und mit Mühe und Aufwand aller Le¬ benskräfte geſucht werden? Schon in der alltäglichen Redens¬ art: Wenn Ich nur Miniſter oder gar der .... wäre, da ſollte es ganz anders hergehen drückt ſich jene Zuverſicht aus, daß man ſich für fähig halte, einen ſolchen Würdenträger vor¬ zuſtellen; man ſpürt wohl, daß zu dergleichen nicht die Einzig¬ keit, ſondern nur eine, wenn auch nicht gerade Allen, ſo doch Vielen erreichbare Bildung gehöre, d.h. daß man zu ſo etwas nur ein gewöhnlicher Menſch zu ſein brauche.

Nehmen Wir an, daß, wie die Ordnung zum Weſen des Staates gehört, ſo auch die Unterordnung in ſeiner Natur gegründet iſt, ſo ſehen Wir, daß von den Untergeord¬ neten oder Bevorzugten die Zurückgeſetzten unverhältnißmäßig übertheuert und übervortheilt werden. Doch die Letz¬ tern ermannen ſich, zunächſt vom ſocialiſtiſchen Standpunkte aus, ſpäter aber gewiß mit egoiſtiſchem Bewußtſein, von dem358 Wir ihrer Rede darum gleich einige Färbung geben wollen, zu der Frage: wodurch iſt denn euer Eigenthum ſicher, Ihr Bevorzugten? und geben ſich die Antwort: dadurch, daß Wir Uns des Eingriffes enthalten! Mithin durch unſern Schutz! Und was gebt Ihr Uns dafür? Fußtritte und Ge¬ ringſchätzung gebt Ihr dem gemeinen Volke ; eine polizeiliche Ueberwachung und einen Katechismus mit dem Hauptſatze: Reſpectire, was nicht dein iſt, was Andern gehört! re¬ ſpectire die Andern und beſonders die Obern! Wir aber er¬ wiedern: Wollt Ihr unſern Reſpect, ſo kauft für den Uns genehmen Preis. Wir wollen euer Eigenthum Euch laſſen, wenn Ihr dieſes Laſſen gehörig aufwiegt. Womit wiegt denn der General in Friedenszeiten die vielen Tauſende ſeiner Jahreseinnahme auf, womit ein Anderer gar die jähr¬ lichen Hunderttauſende und Millionen? Womit wiegt Ihr's auf, daß Wir Kartoffeln kauen und eurem Auſternſchlürfen ruhig zuſehen? Kauft Uns die Auſtern nur ſo theuer ab, als Wir Euch die Kartoffeln abkaufen müſſen, ſo ſollt Ihr ſie fer¬ ner eſſen dürfen. Oder meint Ihr, die Auſtern gehörten Uns nicht ſo gut als Euch? Ihr werdet über Gewalt ſchreien, wenn Wir zulangen und ſie mit verzehren, und Ihr habt Recht. Ohne Gewalt bekommen Wir ſie nicht, wie Ihr nicht minder ſie dadurch habt, daß Ihr Uns Gewalt anthut.

Doch nehmt einmal die Auſtern und laßt Uns an unſer näheres Eigenthum (denn jenes iſt nur Beſitzthum), an die Arbeit kommen. Wir plagen Uns zwölf Stunden im Schweiße unſeres Angeſichts, und Ihr bietet Uns dafür ein Paar Gro¬ ſchen. So nehmt denn auch für eure Arbeit ein Gleiches. Mögt Ihr das nicht? Ihr wähnt, unſere Arbeit ſei reichlich mit jenem Lohne bezahlt, die eure dagegen eines Lohnes von359 vielen Tauſenden werth. Schlüget Ihr aber die eurige nicht ſo hoch an, und ließet Uns die unſere beſſer verwerthen, ſo würden Wir erforderlichen Falls wohl noch wichtigere Dinge zu Stande bringen, als Ihr für die vielen tauſend Thaler, und bekämet Ihr nur einen Lohn wie Wir, Ihr würdet bald fleißiger werden, um mehr zu erhalten. Leiſtet Ihr aber et¬ was, was Uns zehn und hundert Mal mehr werth ſcheint, als unſere eigene Arbeit, ei, da ſollt Ihr auch hundert Mal mehr dafür bekommen; Wir denken Euch dagegen auch Dinge herzuſtellen, die Ihr Uns höher als mit dem gewöhnlichen Tagelohn verwerthen werdet. Wir wollen ſchon mit einander fertig werden, wenn Wir nur erſt dahin übereingekommen ſind, daß Keiner mehr dem Andern etwas zu ſchenken braucht. Dann gehen Wir wohl gar ſo weit, daß Wir ſelbſt den Krüp¬ peln und Kranken und Alten einen angemeſſenen Preis dafür bezahlen, daß ſie nicht aus Hunger und Noth von Uns ſchei¬ den; denn wollen Wir, daß ſie leben, ſo geziemt ſich's auch, daß Wir die Erfüllung unſeres Willens erkaufen. Ich ſage erkaufen , meine alſo kein elendes Almoſen . Ihr Leben iſt ja das Eigenthum auch derer, welche nicht arbeiten können; wollen Wir (gleichviel aus welchem Grunde), daß ſie Uns dieß Leben nicht entziehen, ſo können Wir das allein durch Kauf bewirken wollen; ja Wir werden vielleicht, etwa weil Wir gern freundliche Geſichter um Uns haben, ſogar ihr Wohlleben wollen. Kurz, Wir wollen von Euch nichts ge¬ ſchenkt, aber Wir wollen Euch auch nichts ſchenken. Jahr¬ hunderte haben Wir Euch Almoſen gereicht aus gutwilliger Dummheit, haben das Scherflein der Armen geſpendet und den Herren gegeben, was der Herren nicht iſt; nun thut einmal euren Seckel auf, denn von jetzt an ſteigt unſere Waare360 ganz enorm im Preiſe. Wir wollen Euch nichts, gar nichts nehmen, nur bezahlen ſollt Ihr beſſer für das, was Ihr haben wollt. Was haſt Du denn? Ich habe ein Gut von tauſend Morgen. Und Ich bin dein Ackerknecht und werde Dir deinen Acker fortan nur für 1 Thaler Tagelohn beſtellen. Da nehme Ich einen andern. Du findeſt keinen, denn Wir Ackersknechte thun's nicht mehr anders, und wenn einer ſich meldet, der weniger nimmt, ſo hüte er ſich vor Uns. Da iſt die Hausmagd, die fordert jetzt auch ſo viel, und Du findeſt keine mehr unter dieſem Preiſe. Ei ſo muß ich zu Grunde gehen. Nicht ſo haſtig! So viel wie Wir wirſt Du wohl einnehmen, und wäre es nicht ſo, ſo laſſen Wir ſo viel ab, daß Du wie Wir zu leben haſt. Ich bin aber beſſer zu leben gewohnt. Dagegen haben Wir nichts, aber es iſt nicht unſere Sorge; kannſt Du mehr erübrigen, immerhin. Sollen Wir Uns unterm Preiſe vermiethen, damit Du wohlleben kannſt? Der Reiche ſpeiſt immer den Armen mit den Worten ab: Was geht Mich deine Noth an? Sieh, wie Du Dich durch die Welt ſchlägſt; das iſt nicht meine, ſondern deine Sache. Nun, ſo laſſen Wir's denn unſere Sache ſein, und laſſen Uns von den Reichen nicht die Mittel bemauſen, die Wir haben, um Uns zu verwerthen. Aber Ihr ungebildeten Leute braucht doch nicht ſo viel. Nun, Wir nehmen etwas mehr, damit Wir dafür die Bildung, die Wir etwa brauchen, Uns verſchaffen können. Aber, wenn Ihr ſo die Reichen herunterbringt, wer ſoll dann noch die Künſte und Wiſſen¬ ſchaften unterſtützen? I nun, die Menge muß es bringen; Wir ſchießen zuſammen, das giebt ein artiges Sümmchen, Ihr Reichen kauft ohnehin jetzt nur die abgeſchmackteſten Bücher und die weinerlichen Muttergottesbilder oder ein Paar flinke Tän¬361 zerbeine. O die unſelige Gleichheit! Nein, mein beſter alter Herr, nichts von Gleichheit. Wir wollen nur gelten, was Wir werth ſind, und wenn Ihr mehr werth ſeid, da ſollt Ihr immerhin auch mehr gelten. Wir wollen nur Preis¬ würdigkeit und denken des Preiſes, den Ihr zahlen werdet, Uns würdig zu zeigen.

Kann einen ſo ſicheren Muth und ſo kräftiges Selbſt¬ gefühl des Hausknechts wohl der Staat erwecken? Kann er machen, daß der Menſch ſich ſelbſt fühlt, ja darf er auch nur ſolch Ziel ſich ſtecken? Kann er wollen, daß der Einzelne ſei¬ nen Werth erkenne und verwerthe? Halten Wir die Doppel¬ frage auseinander und ſehen Wir zuerſt, ob der Staat ſo etwas herbeiführen kann. Da die Einmüthigkeit der Acker¬ knechte erfordert wird, ſo kann nur dieſe Einmüthigkeit es be¬ wirken, und ein Staatsgeſetz würde tauſendfach umgangen werden durch die Concurrenz und insgeheim. Kann er es aber dulden? Unmöglich kann er dulden, daß die Leute von Andern, als von ihm, einen Zwang erleiden; er könnte alſo die Selbſthülfe der einmüthigen Ackerknechte gegen diejenigen, welche ſich um geringeren Lohn verdingen wollen, nicht zugeben. Setzen Wir indeß, der Staat gäbe das Geſetz, und alle Acker¬ knechte wären damit einverſtanden, könnte er's dann dulden?

Im vereinzelten Falle ja; allein der vereinzelte Fall iſt mehr als das, er iſt ein principieller. Es handelt ſich dabei um den ganzen Inbegriff der Selbſtverwerthung des Ich's, alſo auch ſeines Selbſtgefühls gegen den Staat. So weit gehen die Communiſten mit; aber die Selbſtverwer¬ thung richtet ſich nothwendig, wie gegen den Staat, ſo auch gegen die Geſellſchaft, und greift damit über das Commune und Communiſtiſche hinaus aus Egoismus.

362

Der Communismus macht den Grundſatz des Bürger¬ thums, daß Jeder ein Inhaber ( Eigenthümer ) ſei, zu einer unumſtößlichen Wahrheit, zu einer Wirklichkeit, indem nun die Sorge um's Erlangen aufhört und Jeder von Haus aus hat, was er braucht. In ſeiner Arbeitskraft hat er ſein Vermögen, und wenn er davon keinen Gebrauch macht, ſo iſt das ſeine Schuld. Das Haſchen und Hetzen hat ein Ende, und keine Concurrenz bleibt, wie jetzt ſo oft, ohne Erfolg, weil mit jeder Arbeitsregung ein zureichender Bedarf in's Haus gebracht wird. Jetzt erſt iſt man wirklicher Inhaber, weil Einem, was man in ſeiner Arbeitskraft hat, nicht mehr ſo entgehen kann, wie es unter der Concurrenzwirthſchaft jeden Augenblick zu entwiſchen drohte. Man iſt ſorgloſer und geſicherter Inhaber. Und man iſt dieß gerade dadurch, daß man ſein Vermögen nicht mehr in einer Waare, ſondern in der eigenen Arbeit, dem Arbeitsvermögen, ſucht, alſo dadurch, daß man ein Lump, ein Menſch von nur idealem Reichthum iſt. Ich indeß kann Mir an dem Wenigen nicht genügen laſſen, was Ich durch mein Arbeitsvermögen erſchwinge, weil mein Vermögen nicht bloß in meiner Arbeit beſteht.

Durch Arbeit kann Ich die Amtsfunctionen eines Präſi¬ denten, Miniſters u. ſ.w. verſehen; es erfordern dieſe Aemter nur eine allgemeine Bildung, nämlich eine ſolche, die allgemein erreichbar iſt (denn allgemeine Bildung iſt nicht bloß die, welche Jeder erreicht hat, ſondern überhaupt die, welche Jeder errei¬ chen kann, alſo jede ſpecielle, z. B. mediciniſche, militairiſche, philologiſche Bildung, von der kein gebildeter Menſch glaubt, daß ſie ſeine Kräfte überſteige), oder überhaupt nur eine Allen mögliche Geſchicklichkeit.

Kann aber auch Jeder dieſe Aemter bekleiden, ſo giebt363 doch erſt die einzige, ihm allein eigene Kraft des Einzelnen ihnen ſo zu ſagen Leben und Bedeutung. Daß er ſein Amt nicht wie ein gewöhnlicher Menſch führt, ſondern das Ver¬ mögen ſeiner Einzigkeit hineinlegt, das bezahlt man ihm noch nicht, wenn man ihn überhaupt nur als Beamten oder Mi¬ niſter bezahlt. Hat er's Euch zu Dank gemacht und wollt Ihr dieſe dankenswerthe Kraft des Einzigen Euch erhalten, ſo werdet Ihr ihn nicht wie einen bloßen Menſchen bezahlen dür¬ fen, der nur Menſchliches verrichtete, ſondern als Einen, der Einziges vollbringt. Thut mit eurer Arbeit doch desgleichen!

Ueber meine Einzigkeit läßt ſich keine allgemeine Taxe feſtſtellen, wie für das, was Ich als Menſch thue. Nur über das Letztere kann eine Taxe beſtimmt werden.

Setzt alſo immerhin eine allgemeine Schätzung für menſch¬ liche Arbeiten auf, bringt aber eure Einzigkeit nicht um ihren Verdienſt.

Menſchliche oder allgemeine Bedürfniſſe können durch die Geſellſchaft befriedigt werden; für einzige Bedürf¬ niſſe mußt Du Befriedigung erſt ſuchen. Einen Freund und einen Freundſchaftsdienſt, ſelbſt einen Dienſt des Einzelnen kann Dir die Geſellſchaft nicht verſchaffen. Und doch wirſt Du alle Augenblicke eines ſolchen Dienſtes bedürftig ſein und bei den geringfügigſten Gelegenheiten Jemand brauchen, der Dir behülflich iſt. Darum verlaß Dich nicht auf die Geſell¬ ſchaft, ſondern ſieh 'zu, daß Du habeſt, um die Erfüllung deiner Wünſche zu erkaufen.

Ob das Geld unter Egoiſten beizubehalten ſei? Am alten Gepräge klebt ein ererbter Beſitz. Laßt Ihr Euch nicht mehr damit bezahlen, ſo iſt es ruinirt, thut Ihr nichts für dieſes Geld, ſo kommt es um alle Macht. Streicht das364 Erbe und Ihr habt das Gerichtsſiegel des Executors abge¬ brochen. Jetzt iſt ja Alles ein Erbe, ſei es ſchon geerbt oder erwarte es ſeinen Erben. Iſt es das Eure, was laßt Ihr's Euch verſiegeln, warum achtet Ihr das Siegel?

Warum aber ſollt Ihr kein neues Geld creiren? Ver¬ nichtet Ihr denn die Waare, indem Ihr das Erbgepräge von ihr nehmt? Nun, das Geld iſt eine Waare, und zwar ein weſentliches Mittel oder Vermögen. Denn es ſchützt vor der Verknöcherung des Vermögens, hält es im Fluß und be¬ wirkt ſeinen Umſatz. Wißt Ihr ein beſſeres Tauſchmittel, im¬ merhin; doch wird es wieder ein Geld ſein. Nicht das Geld thut Euch Schaden, ſondern euer Unvermögen, es zu nehmen. Laßt euer Vermögen wirken, nehmt Euch zuſammen, und es wird an Geld an eurem Gelde, dem Gelde eures Gepräges nicht fehlen. Arbeiten aber, das nenne Ich nicht euer Vermögen wirken laſſen . Die nur Arbeit ſuchen und tüchtig arbeiten wollen , bereiten ſich ſelbſt die unaus¬ bleibliche Arbeitloſigkeit.

Vom Gelde hängt Glück und Unglück ab. Es iſt darum in der Bürgerperiode eine Macht, weil es nur wie ein Mäd¬ chen umworben, von Niemand unauflöslich geehelicht wird. Alle Romantik und Ritterlichkeit des Werbens um einen theuren Gegenſtand lebt in der Concurrenz wieder auf. Das Geld, ein Gegenſtand der Sehnſucht, wird von den kühnen Induſtrierittern entführt.

Wer das Glück hat, führt die Braut heim. Der Lump hat das Glück; er führt ſie in ſein Hausweſen, die Geſell¬ ſchaft , ein und vernichtet die Jungfrau. In ſeinem Hauſe iſt ſie nicht mehr Braut, ſondern Frau, und mit der Jung¬ fräulichkeit geht auch der Geſchlechtsname verloren. Als Haus¬365 frau heißt die Geldjungfer Arbeit , denn Arbeit iſt der Name des Mannes. Sie iſt ein Beſitz des Mannes.

Um dieß Bild zu Ende zu bringen, ſo iſt das Kind von Arbeit und Geld wteder ein Mädchen, ein unverehelichtes, alſo Geld, aber mit der gewiſſen Abſtammung von der Arbeit, ſeinem Vater. Die Geſichtsform, das Bild , trägt ein anderes Gepräge.

Was ſchließlich noch einmal die Concurrenz betrifft, ſo hat ſie gerade dadurch Beſtand, daß nicht Alle ſich ihrer Sache annehmen und ſich über ſie mit einander verſtändi¬ gen. Brod iſt z. B. das Bedürfniß aller Einwohner einer Stadt; deshalb könnten ſie leicht übereinkommen, eine öffent¬ liche Bäckerei einzurichten. Statt deſſen überlaſſen ſie die Lie¬ ferung des Bedarfs den concurrirenden Bäckern. Ebenſo Fleiſch den Fleiſchern, Wein den Weinhändlern u ſ. w.

Die Concurrenz aufheben heißt nicht ſo viel als die Zunft begünſtigen. Der Unterſchied iſt dieſer: In der Zunft iſt das Backen u. ſ. w. Sache der Zünftigen; in der Concurrenz Sache der beliebig Wetteifernden; im Verein Derer, welche Gebackenes brauchen, alſo meine, deine Sache, weder Sache des zünftigen noch des conceſſionirten Bäckers, ſondern Sache der Vereinten.

Wenn Ich Mich nicht um meine Sache bekümmere, ſo muß Ich mit dem vorlieb nehmen, was Andern Mir zu gewähren beliebt. Brod zu haben, iſt meine Sache, mein Wunſch und Begehren, und doch überläßt man das den Bäckern, und hofft höchſtens durch ihren Hader, ihr Rangablaufen, ih¬ ren Wetteifer, kurz ihre Concurrenz einen Vortheil zu erlangen, auf welchen man bei den Zünftigen, die gänzlich und al¬ lein im Eigenthum der Backgerechtigkeit ſaßen, nicht rechnen konnte. Was Jeder braucht, an deſſen Herbeiſchaffung und366 Hervorbringung ſollte ſich auch Jeder betheiligen; es iſt ſeine Sache, ſein Eigenthum, nicht Eigenthum des zünftigen oder conceſſionirten Meiſters.

Blicken Wir nochmals zurück. Den Kindern dieſer Welt, den Menſchenkindern, gehört die Welt; ſie iſt nicht mehr Got¬ tes, ſondern des Menſchen Welt. So viel jeder Menſch von ihr ſich verſchaffen kann, nenne er das Seinige; nur wird der wahre Menſch, der Staat, die menſchliche Geſellſchaft oder die Menſchheit darauf ſehen, daß Jeder nichts anderes zum Sei¬ nigen mache, als was er als Menſch, d. h. auf menſchliche Weiſe ſich aneignet. Die unmenſchliche Aneignung iſt die vom Menſchen nicht bewilligte, d. h. ſie iſt eine verbrecheriſche , wie umgekehrt die menſchliche eine rechtliche , eine auf dem Rechtswege erworbene iſt.

So ſpricht man ſeit der Revolution.

Mein Eigenthum aber iſt kein Ding, da dieſes eine von Mir unabhängige Exiſtenz hat; mein eigen iſt nur meine Ge¬ walt. Nicht dieſer Baum, ſondern meine Gewalt oder Ver¬ fügung über ihn iſt die meinige.

Wie drückt man dieſe Gewalt nun verkehrter Weiſe aus? Man ſagt, Ich habe ein Recht auf dieſen Baum, oder er ſei mein rechtliches Eigenthum. Erworben alſo habe Ich ihn durch Gewalt. Daß die Gewalt fortdauern müſſe, damit er auch behauptet werde, oder beſſer: daß die Gewalt nicht ein für ſich Exiſtirendes ſei, ſondern lediglich im gewaltigen Ich, in Mir, dem Gewaltigen, Exiſtenz habe, das wird ver¬ geſſen. Die Gewalt wird, wie andere meiner Eigenſchaf¬ ten, z. B. die Menſchlichkeit, Majeſtät u. ſ. w., zu einem Fürſichſeienden erhoben, ſo daß ſie noch exiſtirt, wenn ſie längſt nicht mehr meine Gewalt iſt. Derart in ein Geſpenſt ver¬367 wandelt, iſt die Gewalt das Recht. Dieſe verewigte Gewalt erliſcht ſelbſt mit meinem Tode nicht, ſondern wird übertragen oder vererbt .

Die Dinge gehören nun wirklich nicht Mir, ſondern dem Rechte.

Andererſeits iſt dieß weiter nichts, als eine Verblendung. Denn die Gewalt des Einzelnen wird allein dadurch perma¬ nent und ein Recht, daß Andere ihre Gewalt mit der ſeinigen verbinden. Der Wahn beſteht darin, daß ſie ihre Gewalt nicht wieder zurückziehen zu können glauben. Wiederum die¬ ſelbe Erſcheinung, daß die Gewalt von Mir getrennt wird. Ich kann die Gewalt, welche Ich dem Beſitzer gab, nicht wie¬ der nehmen. Man hat bevollmächtigt , hat die Macht weg¬ gegeben, hat dem entſagt, ſich eines Beſſeren zu beſinnen.

Der Eigenthümer kann ſeine Gewalt und ſein Recht an eine Sache aufgeben, indem er ſie verſchenkt, verſchleudert u. dergl. Und Wir könnten die Gewalt, welche Wir jenem liehen, nicht gleichfalls fahren laſſen?

Der rechtliche Menſch, der Gerechte, begehrt nichts ſein eigen zu nennen, was er nicht mit Recht oder wozu er nicht das Recht hat, alſo nur rechtmäßiges Eigenthum.

Wer ſoll nun Richter ſein und ihm ſein Recht zuſprechen? Zuletzt doch der Menſch, der ihm die Menſchenrechte ertheilt: dann kann er in einem unendlich weiteren Sinne als Terenz ſagen: humani nihil a me alienum puto, d. h. das Menſch¬ liche iſt mein Eigenthum. Er mag es anſtellen, wie er will, von einem Richter kommt er auf dieſem Standpunkte nicht los, und in unſerer Zeit ſind die mancherlei Richter, welche man ſich erwählt hatte, in zwei todfeindliche Perſonen gegen einander getreten, nämlich in den Gott und den Men¬368 ſchen. Die Einen berufen ſich auf das göttliche, die Andern auf das menſchliche Recht oder die Menſchenrechte.

So viel iſt klar, daß in beiden Fällen ſich der Einzelne nicht ſelbſt berechtigt.

Sucht Mir heute einmal eine Handlung, die nicht eine Rechtsverletzung wäre! Alle Augenblicke werden von der einen Seite die Menſchenrechte mit Füßen getreten, während die Geg¬ ner den Mund nicht aufthun können, ohne eine Blasphemie gegen das göttliche Recht hervorzubringen. Gebt ein Almoſen, ſo verhöhnt Ihr ein Menſchenrecht, weil das Verhältniß von Bettler und Wohlthäter ein unmenſchliches iſt; ſprecht einen Zweifel aus, ſo ſündigt Ihr wider ein göttliches Recht. Eſſet trockenes Brod mit Zufriedenheit, ſo verletzt Ihr das Men¬ ſchenrecht durch euren Gleichmuth: eſſet es mit Unzufrieden¬ heit, ſo ſchmäht Ihr das göttliche Recht durch euren Wider¬ willen. Es iſt nicht Einer unter Euch, der nicht in jedem Augenblicke ein Verbrechen beginge: eure Reden ſind Verbrechen, und jede Hemmung eurer Redefreiheit iſt nicht minder ein Verbrechen. Ihr ſeid allzumal Verbrecher!

Doch Ihr ſeid es nur, indem Ihr Alle auf dem Rechts¬ boden ſteht, d. h. indem Ihr es nicht einmal wißt und zu ſchätzen verſteht, daß Ihr Verbrecher ſeid.

Das unverletzliche oder heilige Eigenthum iſt auf eben dieſem Boden gewachſen: es iſt ein Rechtsbegriff.

Ein Hund ſieht den Knochen in eines andern Gewalt und ſteht nur ab, wenn er ſich zu ſchwach fühlt. Der Menſch aber reſpectirt das Recht des Andern an ſeinem Knochen. Dieß alſo gilt für menſchlich, jenes für brutal oder egoiſtiſch .

Und wie hier, ſo heißt überhaupt dieß menſchlich , wenn man in Allem etwas Geiſtiges ſieht (hier das Recht),369 d. h. alles zu einem Geſpenſte macht, und ſich dazu als zu einem Geſpenſte verhält, welches man zwar in ſeiner Erſchei¬ nung verſcheuchen, aber nicht tödten kann. Menſchlich iſt es, das Einzelne nicht als Einzelnes, ſondem als ein Allgemeines anzuſchauen.

An der Natur als ſolcher, reſpectire Ich nichts mehr, ſondern weiß Mich gegen ſie zu Allem berechtigt; dagegen an dem Baume in jenem Garten muß Ich die Fremdheit re¬ ſpectiren (einſeitiger Weiſe ſagt man: das Eigenthum ), muß meine Hand von ihm laſſen. Das nimmt ein Ende nur dann, wenn Ich jenen Baum zwar einem Andern über¬ laſſen kann, wie Ich meinen Stock u. ſ. w. einem Andern überlaſſe, aber nicht von vornherein ihn als Mir fremd, d. h. heilig, betrachte. Vielmehr mache Ich Mir kein Verbrechen daraus, ihn zu fällen, wenn Ich will, und er bleibt mein Eigenthum, auf ſo lange Ich ihn auch Andern abtrete: er iſt und bleibt mein. In dem Vermögen des Banquiers ſehe Ich ſo wenig etwas Fremdes, als Napoleon in den Ländern der Könige: Wir tragen keine Scheu, es zu erobern , und ſehen Uns auch nach den Mitteln dazu um. Wir ſtrei¬ fen ihm alſo den Geiſt der Fremdheit ab, vor dem Wir Uns gefürchtet hatten.

Darum iſt es nothwendig, daß Ich nichts mehr als Menſch in Anſpruch nehme, ſondern alles als Ich, dieſer Ich, mithin nichts Menſchliches, ſondem das Meinige, d. h. nichts, was Mir als Menſch zukommt, ſondern was Ich will und weil Ich's will.

Rechtliches oder rechtmäßiges Eigenthum eines Andern wird nur dasjenige ſein, wovon Dir's recht iſt, daß es ſein Eigenthum ſei. Hört es auf, Dir recht zu ſein, ſo hat es24370für Dich die Rechtmäßigkeit eingebüßt und das abſolute Recht daran wirſt Du verlachen.

Außer dem bisher beſprochenen Eigenthum im beſchränk¬ ten Sinne wird unſerem ehrfürchtigen Gemüthe ein anderes Eigenthum vorgehalten, an welchem Wir Uns noch weit we¬ niger verſündigen ſollen . Dieß Eigenthum beſteht in den geiſtigen Gütern, in dem Heiligthume des Innern . Was ein Menſch heilig hält, damit ſoll kein anderer ſein Geſpötte treiben, weil, ſo unwahr es immer ſein und ſo eifrig man den daran Hängenden und Glaubenden auf liebevolle und be¬ ſcheidene Art von einem wahren Heiligen zu überzeugen ſuchen mag, doch das Heilige ſelbſt allezeit daran zu ehren iſt: der Irrende glaubt doch an das Heilige, wenn auch an ein unrichtiges, und ſo muß ſein Glaube an das Heilige wenig¬ ſtens geachtet werden.

In roheren Zeiten, als die unſeren ſind, pflegte man ei¬ nen beſtimmten Glauben und die Hingebung an ein beſtimm¬ tes Heiliges zu verlangen und ging mit den Andersgläubigen nicht auf's ſanfteſte um; ſeit jedoch die Glaubensfreiheit ſich mehr und mehr ausbreitete, zerfloß der eifrige Gott und alleinige Herr allgemach in ein ziemlich allgemeines höchſtes Weſen , und es genügte der humanen Toleranz, wenn nur Jeder ein Heiliges verehrte.

Auf den menſchlichſten Ausdruck gebracht, iſt dieß Heilige der Menſch ſelbſt und das Menſchliche . Bei dem trüge¬ riſchen Scheine, als wäre das Menſchliche ganz und gar un¬ ſer Eigenes und frei von aller Jenſeitigkeit, womit das Gött¬ liche behaftet iſt, ja als wäre der Menſch ſo viel als Ich oder Du, kann ſogar der ſtolze Wahn entſtehen, daß von ei¬ nem Heiligen nicht länger die Rede ſei, und daß Wir Uns371 nun überall heimiſch und nicht mehr im Unheimlichen, d. h. im Heiligen und in heiligen Schauern fühlten: im Entzücken über den endlich gefundenen Menſchen wird der egoiſtiſche Schmerzensruf überhört und der ſo traulich gewordene Spuk für unſer wahres Ich genommen.

Aber Humanus heißt der Heilige (ſ. Göthe), und das Humane iſt nur das geläutertſte Heilige.

Umgekehrt ſpricht ſich der Egoiſt aus. Darum gerade, weil Du etwas heilig hältſt, treibe Ich mit Dir mein Ge¬ ſpötte und, achtete Ich auch Alles an Dir, gerade dein Heilig¬ thum achte Ich nicht.

Bei dieſen entgegengeſetzten Anſichten muß auch ein wider¬ ſprechendes Verhalten zu den geiſtigen Gütern angenommen werden: der Egoiſt inſultirt ſie, der Religiöſe (d. h. jeder, der über ſich ſein Weſen ſetzt) muß ſie conſequenter Weiſe ſchützen. Welcherlei geiſtige Güter aber geſchützt und welche ungeſchützt gelaſſen werden ſollen, das hängt ganz von dem Begriffe ab, den man ſich vom höchſten Weſen macht, und der Gottesfürchtige z. B. hat mehr zu ſchirmen, als der Men¬ ſchenfürchtige (der Liberale).

An den geiſtigen Gütern werden Wir im Unterſchiede von den ſinnlichen auf eine geiſtige Weiſe verletzt, und die Sünde gegen dieſelbe beſteht in einer directen Entheili¬ gung, während gegen die ſinnliche eine Entwendung oder Entfremdung ſtattfindet: die Güter ſelbſt werden entwerthet und entweiht, nicht bloß entzogen, das Heilige wird unmit¬ telbar gefährdet. Mit dem Worte Unehrerbietigkeit oder Frechheit iſt Alles bezeichnet, was gegen die geiſtigen Gü¬ ter, d. h. gegen Alles, was Uns heilig iſt, verbrochen werden kann, und Spott, Schmähung, Verachtung, Bezweif¬24 372lung u. dergl. ſind nur verſchiedene Schattirungen der ver¬ brecheriſchen Frechheit.

Daß die Entheiligung in der mannigfachſen Art verübt werden kann, ſoll hier übergangen und vorzugsweiſe nur an jene Entheiligung erinnert werden, welche durch eine unbe¬ ſchränkte Preſſe das Heilige mit Gefahr bedroht.

So lange auch nur für Ein geiſtiges Weſen noch Reſpect gefordert wird, muß die Rede und Preſſe im Namen dieſes Weſens geknechtet werden; denn eben ſo lange könnte der Egoiſt durch ſeine Aeußerungen ſich gegen daſſelbe vergehen , woran er eben wenigſtens durch die gebührende Strafe ver¬ hindert werden muß, wenn man nicht lieber das richtigere Mittel dagegen ergreifen will, die vorbeugende Polizeigewalt, z. B. der Cenſur.

Welch ein Seufzen nach Freiheit der Preſſe! Wovon ſoll die Preſſe denn befreit werden? Doch wohl von einer Abhängigkeit, Angehörigkeit und Dienſtbarkeit! Davon aber ſich zu befreien, iſt eben die Sache eines Jeden, und es iſt mit Sicherheit anzunehmen, daß wenn Du Dich aus der Dienſtbarkeit erlöſt haſt, auch das, was Du verfaſſeſt und ſchreibſt, Dir eigen gehören werde, ſtatt im Dienſte irgend einer Macht gedacht und aufgeſetzt worden zu ſein. Was kann ein Chriſtgläubiger ſagen und drucken laſſen, das freier wäre von jener Chriſtgläubigkeit, als er ſelbſt es iſt? Wenn Ich etwas nicht ſchreiben kann und darf, ſo liegt die nächſte Schuld vielleicht an Mir. So wenig dieß die Sache zu tref¬ fen ſcheint, ſo nahe findet ſich dennoch die Anwendung. Durch ein Pretzgeſetz ziehe oder laſſe Ich meinen Veröffentlichungen eine Grenze ziehen, über welche hinaus das Unrecht und deſſen Strafe folgt. Ich ſelbſt beſchränke Mich.

373

Sollte die Preſſe frei ſein, ſo wäre gerade nichts ſo wich¬ tig, als ihre Befreiung von jedem Zwange, der ihr im Na¬ men eines Geſetzes angethan werden könnte. Und daß es dazu komme, müßte eben Ich ſelbſt vom Gehorſam gegen das Geſetz Mich entbunden haben.

Freilich, die abſolute Freiheit der Preſſe iſt wie jede ab¬ ſolute Freiheit ein Unding. Von gar Vielem kann ſie frei werden, aber immer nur von dem, wovon auch Ich frei bin. Machen Wir Uns vom Heiligen frei, ſind Wir heillos und geſetzlos geworden, ſo werden's auch unſere Worte werden.

So wenig Wir in der Welt von jedem Zwange losge¬ ſprochen werden können, ſo wenig läßt ſich unſere Schrift demſelben entziehen. Aber ſo frei als Wir ſind, ſo frei kön¬ nen Wir auch jene machen.

Sie muß alſo Unſer eigen werden, ſtatt, wie bisher, einem Spuk zu dienen.

Man bleibt ſich unklar bei dem Rufe nach Preßfreiheit. Was man angeblich verlangt, iſt dieß, daß der Staat die Preſſe frei geben ſolle; was man aber eigentlich, und ohne es ſelbſt zu wiſſen, haben will, iſt dieß, daß die Preſſe vom Staate frei oder den Staat los werde. Jenes iſt eine Petition an den Staat, dieſes eine Empörung gegen den Staat. Als eine Bitte um Recht , ſelbſt als ein ernſtes Fordern des Preßfreiheitsrechtes ſetzt ſie den Staat als den Geber vor¬ aus und kann nur auf ein Geſchenk, eine Zulaſſung, ein Octroyiren hoffen. Wohl möglich, daß ein Staat ſo unſinnig handelt, das geforderte Geſchenk zu gewähren; es iſt aber Alles zu wetten, daß die Beſchenkten das Geſchenk nicht zu gebrauchen wiſſen werden, ſo lange ſie den Staat als eine Wahrheit betrachten: ſie werden ſich an dieſem Heiligen 374nicht vergehen und gegen Jeden, der dieß wagen wollte, ein ſtrafendes Preßgeſetz aufrufen.

Mit Einem Worte, die Preſſe wird von dem nicht frei, wovon Ich nicht frei bin.

Weiſe Ich Mich hierdurch etwa als einen Gegner der Preßfreiheit aus? Im Gegentheil, Ich behaupte nur, daß man ſie nie bekommen wird, wenn man nur ſie, die Preßfreiheit, will, d. h. wenn man nur auf eine unbeſchränkte Erlaubniß ausgeht. Bettelt nur immerfort um dieſe Erlaubniß: Ihr werdet ewig darauf warten können, denn es iſt Keiner in der Welt, der ſie Euch geben könnte. So lange Ihr für den Gebrauch der Preſſe Euch durch eine Erlaubniß, d. h. Pre߬ freiheit, berechtigen laſſen wollt, lebt Ihr in eitler Hoffnung und Klage.

Unſinn! Du, der Du ſolche Gedanken, wie ſie in dei¬ nem Buche ſtehen, hegſt, kannſt ſie ja ſelbſt leider nur durch einen glücklichen Zufall oder auf Schleichwegen zur Oeffent¬ lichkeit bringen; gleichwohl willſt Du dagegen eifern, daß man den eigenen Staat ſo lange dränge und überlaufe, bis er die verweigerte Druckerlaubniß giebt? Ein alſo angeredeter Schrift¬ ſteller würde aber vielleicht denn die Frechheit ſolcher Leute geht weit Folgendes erwidern: Erwägt eure Rede genau! Was thue Ich denn, um Mir für mein Buch Preßfreiheit zu verſchaffen? Frage Ich nach der Erlaubniß, oder ſuche Ich nicht vielmehr ohne alle Frage nach Geſetzlichkeit eine günſtige Gelegenheit, und ergreife ſie in völliger Rückſichtsloſigkeit gegen den Staat und ſeine Wünſche? Ich es muß das ſchrecken¬ erregende Wort ausgeſprochen werden Ich betrüge den Staat. Unbewußt thut Ihr daſſelbe. Ihr redet ihm von euren Tribünen aus ein, er müſſe ſeine Heiligkeit und Unver¬375 letzlichkeit aufgeben, er müſſe den Angriffen der Schreibenden ſich Preis geben, ohne daß er deshalb Gefahr zu fürchten brauche. Aber Ihr hintergeht ihn; denn es iſt um ſeine Exi¬ ſtenz gethan, ſobald er ſeine Unnahbarkeit einbüßt. Euch freilich könnte er die Schreibefreiheit wohl geſtatten, ſo wie Eng¬ land es gethan hat; Ihr ſeid Staatsgläubige und unver¬ mögend, gegen den Staat zu ſchreiben, ſo viel Ihr immer auch an ihm zu reformiren und ſeinen Mängeln abzuhelfen haben mögt. Aber wie, wenn Staatsgegner das freie Wort ſich zu Nutze machten, und gegen Kirche, Staat, Sitte und alles Heilige mit unerbittlichen Gründen losſtürmten? Ihr wäret dann die Erſten, welche unter ſchrecklichen Aengſten die Sep¬ tembergeſetze ins Leben riefen. Zu ſpät gereute Euch dann die Dummheit, welche Euch früher ſo bereit machte, den Staat oder die Staatsregierung zu beſchwatzen und zu bethören. Ich aber beweiſe durch meine That nur zweierlei. Einmal dieß, daß die Preßfreiheit immer an günſtige Gelegenheiten gebunden, mithin niemals eine abſolute Freiheit ſein werde; zweitens aber dieß, daß, wer ſie genießen will, die günſtige Gelegenheit aufſuchen und wo möglich erſchaffen muß, indem er gegen den Staat ſeinen eigenen Vortheil geltend macht, und ſich und ſeinen Willen für mehr hält als den Staat und jede höhere Macht . Nicht im, ſondern allein gegen den Staat kann die Preßfreiheit durchgeſetzt werden; ſie iſt, ſoll ſie hergeſtellt werden, nicht als Folge einer Bitte, ſondern als das Werk einer Empörung zu erlangen. Jede Bitte und jeder Antrag auf Preßfreiheit iſt ſchon eine, ſei es bewußte oder unbewußte, Empörung, was nur die philiſterhafte Halb¬ heit ſich nicht geſtehen will und kann, bis ſie zuſammenſchau¬ ernd es am Erfolge deutlich und unwiderleglich ſehen wird.

376

Denn die erbetene Preßfreiheit hat freilich im Anfange ein freundliches und wohlmeinendes Geſicht, da ſie nicht im ent¬ fernteſten geſonnen iſt, jemals die Preßfrechheit aufkommen zu laſſen; nach und nach wird aber ihr Herz verhärteter, und die Folgerung ſchmeichelt ſich bei ihr ein, daß ja doch eine Freiheit keine Freiheit ſei, wenn ſie im Dienſte des Staates, der Sitte oder des Geſetzes ſteht. Zwar eine Freiheit vom Cenſurzwange, iſt ſie doch keine Freiheit vom Geſetzeszwange. Es will die Preſſe, einmal vom Freiheitsgelüſte ergriffen, immer freier werden, bis der Schreibende ſich endlich ſagt: Ich bin doch dann erſt gänzlich frei, wenn Ich nach Nichts frage; das Schreiben aber iſt nur frei, wenn es mein eigenes iſt, das Mir durch keine Macht oder Autorität, durch keinen Glauben, keine Scheu dictirt wird; die Preſſe muß nicht frei ſein das iſt zu wenig , ſie muß mein ſein: Preßeigen¬ heit oder Preßeigenthum, das iſt's, was Ich Mir neh¬ men will.

Preßfreiheit iſt ja Preßerlaubniß, und der Staat wird und kann Mir freiwillig nie erlauben, daß Ich ihn durch die Preſſe zermalme.

Faſſen Wir es nun ſchließlich, indem Wir die obige, durch das Wort Preßfreiheit noch ſchwankende Rede ver¬ beſſern, lieber ſo: Preßfreiheit, die laute Forderung der Liberalen, iſt allerdings möglich im Staate, ja ſie iſt nur im Staate möglich, weil ſie eine Erlaubniß iſt, der Erlaubende folglich, der Staat, nicht fehlen darf. Als Erlaubniß hat ſie aber ihre Grenze an eben dieſem Staate, der doch billiger Weiſe nicht mehr wird erlauben ſollen, als ſich mit ihm und ſeiner Wohlfahrt verträgt: er ſchreibt ihr dieſe Grenze als das Geſetz ihres Daſeins und ihrer Ausdehnung vor. Daß ein377 Staat mehr als ein anderer verträgt, iſt nur ein quantitativer Unterſchied, der jedoch allein den politiſchen Liberalen am Her¬ zen liegt: ſie wollen in Deutſchland z. B. nur eine ausge¬ dehntere, weitere Geſtattung des freien Wortes . Die Preßfreiheit, welche man nachſucht, iſt eine Sache des Vol¬ kes, und ehe das Volk (der Staat) ſie nicht beſitzt, eher darf Ich davon keinen Gebrauch machen. Vom Geſichtspunkte des Preßeigenthums aus verhält ſich's anders. Mag mein Volk der Preßfreiheit entbehren, Ich ſuche Mir eine Liſt oder Ge¬ walt aus, um zu drucken die Druckerlaubniß hole Ich Mir nur von Mir und meiner Kraft.

Iſt die Preſſe mein eigen, ſo bedarf Ich für ihre Anwendung ſo wenig einer Erlaubniß des Staates, als Ich dieſe nachſuche, um meine Naſe zu ſchneutzen. Mein Eigen¬ thum iſt die Preſſe von dem Augenblicke an, wo Mir nichts mehr über Mich geht: denn von dieſem Moment an hört Staat, Kirche, Volk, Geſellſchaft u. dergl. auf, weil ſie nur der Mißachtung, welche Ich vor Mir habe, ihre Exiſtenz ver¬ danken, und mit dem Verſchwinden dieſer Geringſchätzung ſelbſt erlöſchen: ſie ſind nur, wenn ſie über Mir ſind, ſind nur als Mächte und Mächtige. Oder könnt Ihr Euch einen Staat denken, deſſen Einwohner alleſammt ſich nichts aus ihm machen? der wäre ſo gewiß ein Traum, eine Scheinexiſtenz, als das einige Deutſchland .

Die Preſſe iſt mein eigen, ſobald Ich ſelbſt mein eigen, ein Eigener bin: dem Egoiſten gehört die Welt, weil er keiner Macht der Welt gehört.

Dabei könnte meine Preſſe immer noch ſehr unfrei ſein, wie z. B. in dieſem Augenblick. Die Welt iſt aber groß, und man hilft ſich eben, ſo gut es geht. Wollte Ich vom378 Eigenthum meiner Preſſe ablaſſen, ſo könnte Ich's leicht erreichen, daß Ich überall ſo viel drucken laſſen dürfte, als meine Finger producirten. Da Ich aber mein Eigenthum behaupten will, ſo muß Ich nothwendig meine Feinde übers Ohr hauen. Würdeſt Du ihre Erlaubniß nicht annehmen, wenn ſie Dir gegeben würde? Gewiß, mit Freuden; denn ihre Erlaubniß wäre Mir ein Beweis, daß Ich ſie bethört und auf den Weg des Verderbens gebracht habe. Um ihre Erlaubniß iſt Mir's nicht zu thun, deſto mehr aber um ihre Thorheit und ihre Niederlage. Ich werbe nicht um ihre Erlaubniß, als ſchmeichelte Ich Mir, gleich den politiſchen Liberalen, daß Wir beide, ſie und Ich, neben und mit einander friedlich aus¬ kommen, ja wohl gar einer den andern heben und unterſtützen können, ſondern Ich werbe darum, um ſie an derſelben ver¬ bluten zu laſſen, damit endlich die Erlaubenden ſelbſt aufhören. Ich handle als bewußter Feind, indem Ich ſie übervortheile und ihre Unbedachtſamkeit benutze.

Mein iſt die Preſſe, wenn Ich über ihre Benutzung durchaus keinen Richter außer Mir anerkenne, d. h. wenn Ich nicht mehr durch die Sittlichkeit oder die Religion oder den Reſpect vor den Staatsgeſetzen u. dergl. beſtimmt werde zu ſchreiben, ſondern durch Mich und meinen Egoismus!

Was habt Ihr nun ihm, der Euch eine ſo freche Antwort giebt, zu erwidern? Wir bringen die Frage am ſprechend¬ ſten vielleicht in folgende Stellung: Weſſen iſt die Preſſe, des Volkes (Staates) oder mein? Die Politiſchen ihrerſeits beab¬ ſichtigen nichts weiter, als die Preſſe von perſönlichen und willkührlichen Eingriffen der Machthaber zu befreien, ohne daran zu denken, daß ſie, um wirklich für Jedermann offen zu ſein, auch von den Geſetzen, d. h. vom Volkswillen (Staats¬379 willen) frei ſein müßte. Sie wollen aus ihr eine Volks¬ ſache machen.

Zum Eigenthum des Volkes geworden iſt ſie aber noch weit davon entfernt, das meinige zu ſein, vielmehr behält ſie für Mich die untergeordnete Bedeutung einer Erlaubniß. Das Volk ſpielt den Richter über meine Gedanken, für die Ich ihm Rechenſchaft ſchuldig oder verantwortlich bin. Die Geſchworenen haben, wenn ihre fixen Ideen angegriffen werden, eben ſo harte Köpfe und Herzen, als die ſtierſten Despoten und deren knechtiſche Beamten.

In den Liberalen Beſtrebungen *)II, S. 91. ff. (Siehe meine obige Anmerkung.) behauptet E. Bauer, daß die Preßfreiheit im abſolutiſtiſchen und im conſtitutionellen Staate unmöglich ſei, im freien Staate hingegen ihre Stelle finde. Hier, heißt es, iſt es anerkannt, daß der Einzelne, weil er nicht mehr einzelner, ſondern Mitglied einer wahrhaften und vernünftigen Allgemeinheit iſt, das Recht hat, ſich aus¬ zuſprechen. Alſo nicht der Einzelne, ſondern das Mitglied hat Preßfreiheit. Muß aber der Einzelne ſich zum Behuf der Preßfreiheit erſt über ſeinen Glauben an das Allgemeine, das Volk, ausweiſen, hat er dieſe Freiheit nicht durch eigene Ge¬ walt, ſo iſt ſie eine Volksfreiheit, eine Freiheit, die ihm um ſeines Glaubens, ſeiner Mitgliedſchaft willen verliehen wird. Umgekehrt, gerade als Einzelnem ſteht Jedem die Frei¬ heit offen, ſich auszuſprechen. Aber er hat nicht das Recht , jene Freiheit iſt allerdings nicht ſein heiliges Recht . Er hat nur die Gewalt; aber die Gewalt allein macht ihn zum Eigner. Ich brauche keine Conceſſion zur Preßfreiheit, brauche nicht die Bewilligung des Volkes dazu, brauche nicht das380 Recht dazu und keine Berechtigung . Auch die Preßfrei¬ heit, wie jede Freiheit, muß Ich Mir nehmen ; das Volk als eben der einzige Richter kann ſie Mir nicht geben. Es kann ſich die Freiheit, welche Ich Mir nehme, gefallen laſſen oder ſich dagegen wehren: geben, ſchenken, gewähren kann es ſie nicht. Ich übe ſie trotz dem Volke, rein als Einzelner, d.h. Ich kämpfe ſie dem Volke, meinem Feinde, ab, und erhalte ſie nur, wenn Ich ſie ihm wirklich abkämpfe, d.i. Mir nehme. Ich nehme ſie aber, weil ſie mein Ei¬ genthum iſt.

Sander, gegen welchen E. Bauer ſpricht, nimmt (Seite 99) die Preßfreiheit als das Recht und die Freiheit des Bürgers im Staate in Anſpruch. Was thut E. Bauer anders? Auch ihm iſt ſie nur ein Recht des freien Bürgers.

Auch unter dem Namen eines allgemein menſchlichen Rechtes wird die Preßfreiheit gefordert. Dagegen war der Einwand gegründet: Nicht jeder Menſch wiſſe ſie richtig zu gebrauchen; denn nicht jeder Einzelne ſei wahrhaft Menſch. Dem Menſchen als ſolchen verweigerte ſie niemals eine Re¬ gierung: aber der Menſch ſchreibt eben nichts, weil er ein Geſpenſt iſt. Sie verweigerte ſie ſtets nur Einzelnen, und gab ſie Andern, z. B. ihren Organen. Wollte man alſo ſie für Alle haben, ſo mußte man gerade behaupten, ſie gebühre dem Einzelnen, Mir, nicht dem Menſchen oder nicht dem Einzelnen, ſofern er Menſch ſei. Ein Anderer als ein Menſch (z. B. ein Thier) kann ohnehin von ihr keinen Gebrauch machen. Die franzöſiſche Regierung z. B. beſtreitet die Preßfreiheit nicht als Menſchenrecht, ſie fordert aber vom Einzelnen eine Caution dafür, daß er wirklich Menſch ſei; denn nicht dem Einzelnen, ſondern dem Menſchen ertheilt ſie die Preßfreiheit.

381

Gerade unter dem Vorgeben, daß es nicht menſchlich ſei, entzog man Mir das Meinige: das Menſchliche ließ man Mir ungeſchmälert.

Die Preßfreiheit kann nur eine verantwortliche Preſſe zuwege bringen, die unverantwortliche geht allein aus dem Preßeigenthum hervor.

Für den Verkehr mit Menſchen wird unter allen, welche religiös leben, ein ausdrückliches Geſetz obenangeſtellt, deſſen Befolgung man wohl ſündhafter Weiſe zuweilen zu vergeſſen, deſſen abſoluten Werth aber zu leugnen man ſich niemals getraut; dieß iſt das Geſetz der Liebe, dem auch Diejenigen noch nicht untreu geworden ſind, die gegen ihr Princip zu kämpfen ſcheinen und ihren Namen haſſen; denn auch ſie haben der Liebe noch, ja ſie lieben inniger und geläuterter, ſie lieben den Menſchen und die Menſchheit.

Formuliren Wir den Sinn dieſes Geſetzes, ſo wird er etwa folgender ſein: Jeder Menſch muß ein Etwas haben, das ihm über ſich geht. Du ſollſt dein Privatintereſſe hint¬ anſetzen, wenn es die Wohlfahrt Anderer, das Wohl des Va¬ terlandes, der Geſellſchaft, das Gemeinwohl, das Wohl der Menſchheit, die gute Sache u. dgl. gilt! Vaterland, Geſell¬ ſchaft Menſchheit u. ſ. w. muß Dir über Dich gehen, und gegen ihr Intereſſe muß dein Privatintereſſe zurückſtehen; denn Du darfſt kein Egoiſt ſein.

Die Liebe iſt eine weitgehende religiöſe Forderung, die nicht etwa auf die Liebe zu Gott und den Menſchen ſich be¬ ſchränkt, ſondern in jeder Beziehung obenanſteht. Was Wir auch thun, denken, wollen, immer ſoll der Grund davon die382 Liebe ſein. So dürfen Wir zwar urtheilen, aber nur mit Liebe . Die Bibel darf allerdings kritiſirt werden und zwar ſehr gründlich, aber der Kritiker muß vor allen Dingen ſie lieben und das heilige Buch in ihr ſehen. Heißt dieß etwas anderes als: er darf ſie nicht zu Tode kritiſiren, er muß ſie beſtehen laſſen, und zwar als ein Heiliges, Unumſtößliches? Auch in unſerer Kritik über Menſchen ſoll die Liebe unverän¬ derter Grundton bleiben. Gewiß ſind Urtheile, welche der Haß eingiebt, gar nicht unſere eigenen Urtheile, ſondern Ur¬ theile des Uns beherrſchenden Haſſes, gehäſſige Urtheile . Aber ſind Urtheile, welche Uns die Liebe eingiebt, mehr unſere eigenen? Sie ſind Urtheile der Uns beherrſchenden Liebe, ſind liebevolle, nachſichtige Urtheile, ſind nicht unſere eigenen, mithin gar nicht wirkliche Urtheile. Wer vor Liebe zur Gerech¬ tigkeit brennt, der ruft aus: fiat iustitia, pereat mundus. Er kann wohl fragen und forſchen, was denn die Gerechtigkeit eigentlich ſei oder fordere und worin ſie beſtehe, aber nicht, ob ſie etwas ſei.

Es iſt ſehr wahr Wer in der Liebe bleibet, der bleibet in Gott und Gott in ihm . (1 Joh. 4, 16.) Der Gott bleibt in ihm, er wird ihn nicht los, wird nicht gottlos, und er bleibet in Gott, kommt nicht zu ſich und in ſeine eigene Heimath, bleibt in der Liebe zu Gott und wird nicht lieblos.

Gott iſt die Liebe! Alle Zeit und alle Geſchlechter er¬ kennen in dieſem Worte den Mittelpunkt des Chriſtenthums. Gott, der die Liebe iſt, iſt ein zudringlicher Gott: er kann die Welt nicht in Ruhe laſſen, ſondern will ſie beſeligen. Gott iſt Menſch geworden, um die Menſchen göttlich zu machen. *)Athanaſius.Er hat ſeine Hand überall im Spiele, und nichts383 geſchieht ohne ſie; überall hat er ſeine beſten Abſichten , ſeine unbegreiflichen Pläne und Rathſchlüſſe . Die Vernunft, welche er ſelbſt iſt, ſoll auch in der ganzen Welt befördert und verwirklicht werden. Seine väterliche Fürſorge bringt Uns um alle Selbſtändigkeit. Wir können nichts Geſcheidtes thun, ohne daß es hieße: das hat Gott gethan! und können Uns kein Unglück zuziehen, ohne zu hören: das habe Gott verhängt; Wir haben nichts, was Wir nicht von ihm hätten: er hat alles gegeben . Wie aber Gott, ſo macht's der Menſch. Jener will partout die Welt beſeligen, und der Menſch will ſie beglücken, will alle Menſchen glücklich machen. Da¬ her will jeder Menſch die Vernunft, welche er ſelbſt zu haben meint, in Allen erwecken: Alles ſoll durchaus vernünftig ſein. Gott plagt ſich mit dem Teufel und der Philoſoph mit der Unvernunft und dem Zufälligen. Gott läßt kein Weſen ſeinen eigenen Gang gehen, und der Menſch will Uns gleichfalls nur einen menſchlichen Wandel führen laſſen.

Wer aber voll heiliger (religiöſer, ſittlicher, humaner) Liebe iſt, der liebt nur den Spuk, den wahren Menſchen , und verfolgt mit dumpfer Unbarmherzigkeit den Einzelnen, den wirklichen Menſchen, unter dem phlegmatiſchen Rechstitel des Verfahrens gegen den Unmenſchen . Er findet es lobens¬ werth und unerläßlich, die Erbarmungsloſigkeit im herbſten Maaße zu üben; denn die Liebe zum Spuk oder Allgemeinen gebietet ihm, den nicht Geſpenſtiſchen, d. h. den Egoiſten oder Einzelnen, zu haſſen: das iſt der Sinn der berühmten Liebes¬ erſcheinung, die man Gerechtigkeit nennt.

Der peinlich Angeklagte hat keine Schonung zu erwarten, und Niemand deckt freundlich eine Hülle über ſeine unglückliche Blöße. Ohne Rührung reißt der ſtrenge Richter die letzten384 Fetzen der Entſchuldigung dem armen Angeſchuldigten vom Leibe, ohne Mitleid ſchleppt der Kerkermeiſter ihn in ſeine dumpfe Wohnung, ohne Verſöhnlichkeit ſtößt er den Gebrand¬ markten nach abgelaufener Strafzeit wieder unter die verächtlich anſpeienden Menſchen, ſeine guten, chriſtlichen, loyalen Mit¬ brüder! Ja, ohne Gnade wird ein todeswürdiger Verbre¬ cher auf das Blutgerüſt geführt, und vor den Augen einer jubelnden Menge feiert das geſühnte Sittengeſetz ſeine erhabene Rache. Eines kann ja nur leben, das Sittengeſetz, oder der Verbrecher. Wo die Verbrecher ungeſtraft leben, da iſt das Sittengeſetz untergegangen, und wo dieſes waltet, müſſen jene fallen. Ihre Feindſchaft iſt unzerſtörbar.

Es iſt gerade das chriſtliche Zeitalter das der Barm¬ herzigkeit, der Liebe, der Sorge, den Menſchen zukommen zu laſſen, was ihnen gebührt, ja ſie dahin zu bringen, daß ſie ihren menſchlichen (göttlichen) Beruf erfüllen. Man hat alſo für den Verkehr obenan geſtellt: dieß und dieß iſt das Weſen des Menſchen und folglich ſein Beruf, wozu ihn ent¬ weder Gott berufen hat oder (nach heutigen Begriffen) ſein Menſchſein (die Gattung) ihn beruft. Daher der Bekehrungs¬ eifer. Daß die Communiſten und Humanen mehr als die Chriſten vom Menſchen erwarten, bringt ſie keineswegs von demſelben Standpunkte weg. Dem Menſchen ſoll das Menſch¬ liche werden! War es den Frommen genug, daß ihm das Göttliche zu Theil wurde, ſo verlangen die Humanen, daß ihm das Menſchliche nicht verkümmert werde. Gegen das Ego¬ iſtiſche ſtemmen ſich beide. Natürlich, denn das Egoiſtiſche kann ihm nicht bewilligt oder verliehen werden (Lehen), ſon¬ dern er muß es ſelbſt ſich verſchaffen. Jenes ertheilt die Liebe, dieſes kann Mir allein von Mir gegeben werden.

385

Der bisherige Verkehr beruhte auf der Liebe, dem rück¬ ſichtsvollen Benehmen, dem Füreinanderthun. Wie man ſich's ſchuldig war, ſich ſelig zu machen oder die Seligkeit, das höchſte Weſen in ſich aufzunehmen und zu einer verité (einer Wahrheit und Wirklichkeit) zu bringen, ſo war man's Andern ſchuldig, ihr Weſen und ihren Beruf ihnen realiſiren zu helfen: man war's eben in beiden Fällen dem Weſen des Menſchen ſchuldig, zu ſeiner Verwirklichung beizutragen.

Allein man iſt weder ſich ſchuldig, etwas aus ſich, noch Andern, etwas aus ihnen zu machen: denn man iſt ſeinem und Anderer Weſen nichts ſchuldig. Der auf das Weſen ge¬ ſtützte Verkehr iſt ein Verkehr mit dem Spuk, nicht mit Wirk¬ lichem. Verkehre Ich mit dem höchſten Weſen, ſo verkehre Ich nicht mit Mir, und verkehre Ich mit dem Weſen des Menſchen, ſo verkehre Ich nicht mit den Menſchen.

Die Liebe des natürlichen Menſchen wird durch die Bil¬ dung ein Gebot. Als Gebot aber gehört ſie dem Menſchen als ſolchem, nicht Mir; ſie iſt mein Weſen, von dem man viel Weſens macht, nicht mein Eigenthum. Der Menſch, d.h. die Menſchlichkeit, ſtellt jene Forderung an Mich; die Liebe wird gefordert, iſt meine Pflicht. Statt alſo wirklich Mir errungen zu ſein, iſt ſie dem Allgemeinen errungen, dem Menſchen, als deſſen Eigenthum oder Eigenheit: dem Men¬ ſchen, d.h. jedem Menſchen ziemt es zu lieben: Lieben iſt die Pflicht und der Beruf des Menſchen u.s.w.

Folglich muß Ich die Liebe Mir wieder vindiciren und ſie aus der Macht des Menſchen erlöſen.

Was urſprünglich mein war, aber zufällig, inſtinct¬ mäßig, das wurde Mir als Eigenthum des Menſchen ver¬ liehen; Ich wurde Lehnsträger, indem Ich liebte, wurde der25386Lehnsmann der Menſchheit, nur ein Exemplar dieſer Gattung, und handelte liebend nicht als Ich, ſondern als Menſch, als Menſchenexemplar, d. h. menſchlich. Der ganze Zuſtand der Cultur iſt das Lehnsweſen, indem das Eigenthum das des Menſchen oder der Menſchheit iſt, nicht das meinige. Ein ungeheurer Lehnsſtaat wurde gegründet, dem Einzelnen Alles geraubt, dem Menſchen Alles überlaſſen. Der Ein¬ zelne mußte endlich als Sünder durch und durch erſcheinen. Soll Ich etwa an der Perſon des Andern keine lebendige Theilnahme haben, ſoll ſeine Freude und ſein Wohl Mir nicht am Herzen liegen, ſoll der Genuß, den Ich ihm bereite, Mir nicht über andere eigene Genüſſe gehen? Im Gegen¬ theil, unzählige Genüſſe kann Ich ihm mit Freuden opfern. Unzähliges kann Ich Mir zur Erhöhung ſeiner Luſt ver¬ ſagen, und was Mir ohne ihn das Theuerſte wäre, das kann Ich für ihn in die Schanze ſchlagen, mein Leben, meine Wohl¬ fahrt, meine Freiheit. Es macht ja meine Luſt und mein Glück aus, Mich an ſeinem Glücke und ſeiner Luſt zu laben. Aber Mich, Mich ſelbſt opfere Ich ihm nicht, ſondern bleibe Egoiſt und genieße ihn. Wenn ich ihm Alles opfere, was Ich ohne die Liebe zu ihm behalten würde, ſo iſt das ſehr einfach und ſogar gewöhnlicher im Leben, als es zu ſein ſcheint; aber es beweiſt nichts weiter, als daß dieſe eine Lei¬ denſchaft in Mir mächtiger iſt, als alle übrigen. Dieſer Lei¬ denſchaft alle andern zu opfern, lehrt auch das Chriſtenthum. Opfere Ich aber einer Leidenſchaft andere, ſo opfere Ich darum noch nicht Mich, und opfere nichts von dem, wodurch Ich wahrhaft Ich ſelber bin, nicht meinen eigentlichen Werth, meine Eigenheit. Wo dieſer ſchlimme Fall eintritt, da ſieht's um nichts beſſer mit der Liebe aus, als mit irgend welcher387 andern Leidenſchaft, der Ich blindlings gehorche. Der Ehr¬ geizige, der vom Ehrgeiz fortgeriſſen wird und gegen jede Warnung, welche ein ruhiger Augenblick in ihm erzeugt, taub bleibt, der hat dieſe Leidenſchaft zu einer Zwingherrin an¬ wachſen laſſen, wider die er jede Macht der Auflöſung ver¬ loren giebt: er hat ſich ſelbſt aufgegeben, weil er ſich nicht auflöſen, mithin nicht aus ihr erlöſen kann: er iſt beſeſſen.

Ich liebe die Menſchen auch, nicht bloß einzelne, ſondern jeden. Aber Ich liebe ſie mit dem Bewußtſein des Egoismus; Ich liebe ſie, weil die Liebe Mich glücklich macht, Ich liebe, weil Mir das Lieben natürlich iſt, weil Mir's gefällt. Ich kenne kein Gebot der Liebe . Ich habe Mitgefühl mit jedem fühlenden Weſen, und ihre Qual quält, ihre Erquickung erquickt auch Mich: tödten kann Ich ſie, martern nicht. Da¬ gegen ſinnt der hochherzige, tugendhafte Philiſterfürſt Rudolf in den Myſterien von Paris, weil ihn die Böſen entrüſten , auf ihre Marter. Jenes Mitgefühl beweiſt nur, daß das Gefühl der Fühlenden auch das meinige, mein Eigenthum, iſt, wogegen das erbarmungsloſe Verfahren des Rechtlichen (z. B. gegen den Notar Ferrand) der Gefühlloſigkeit jenes Räubers gleicht, welcher nach dem Maaße ſeiner Bettſtelle den Gefangenen die Beine abſchnitt oder ausreckte: Rudolfs Bett¬ ſtelle, wonach er die Menſchen zuſchneidet, iſt der Begriff des Guten . Das Gefühl für Recht, Tugend u. ſ. w. macht hartherzig und intolerant. Rudolf fühlt nicht wie der Notar, ſondern umgekehrt, er fühlt, daß dem Böſewicht Recht ge¬ ſchieht ; das iſt kein Mitgefühl.

Ihr liebt den Menſchen, darum peinigt Ihr den einzelnen Menſchen, den Egoiſten; eure Menſchenliebe iſt Menſchenquälerei.

Sehe Ich den Geliebten leiden, ſo leide Ich mit, und es25 *38 [388]läßt Mir keine Ruhe, bis Ich Alles verſucht habe, um ihn zu tröſten und aufzuheitern; ſehe Ich ihn froh, ſo werde auch Ich über ſeine Freude froh. Daraus folgt nicht, daß Mir dieſelbe Sache Leiden oder Freude verurſacht, welche in ihm dieſe Wirkung hervorruft, wie ſchon jeder körperliche Schmerz beweiſt, den Ich nicht wie er fühle: ihn ſchmerzt ſein Zahn, Mich aber ſchmerzt ſein Schmerz.

Weil Ich aber die kummervolle Falte auf der geliebten Stirn nicht ertragen kann, darum, alſo um Meinetwillen, küſſe Ich ſie weg. Liebte Ich dieſen Menſchen nicht, ſo möchte er immerhin Falten ziehen, ſie kümmerten Mich nicht; Ich ver¬ ſcheuche nur meinen Kummer.

Wie nun, hat irgendwer oder irgendwas, den und das Ich nicht liebe, ein Recht darauf, von Mir geliebt zu wer¬ den? Iſt meine Liebe das Erſte oder iſt ſein Recht das Erſte? Aeltern, Verwandte, Vaterland, Volk, Vaterſtadt u. ſ. w., end¬ lich überhaupt die Mitmenſchen ( Brüder, Brüderlichkeit ) be¬ haupten ein Recht auf meine Liebe zu haben und nehmen ſie ohne Weiteres in Anſpruch. Sie ſehen ſie als ihr Eigen¬ thum an und Mich, wenn Ich daſſelbe nicht reſpectire, als Räuber, der ihnen entzieht was ihnen zukommt und das Ihre iſt. Ich ſoll lieben. Iſt die Liebe ein Gebot und Geſetz, ſo muß Ich dazu erzogen, herangebildet und, wenn Ich da¬ gegen Mich vergehe, geſtraft werden. Man wird daher einen möglichſt ſtarken moraliſchen Einfluß auf Mich ausüben, um Mich zum Lieben zu bringen. Und es iſt kein Zweifel, daß man die Menſchen zur Liebe aufkitzeln und verführen kann wie zu andern Leidenſchaften, z. B. gleich zum Haſſe. Der Haß zieht ſich durch ganze Geſchlechter, bloß weil die Ahnen des einen zu den Guelphen, die des andern zu den Ghibellinen gehörten.

389

Aber die Liebe iſt kein Gebot, ſondern, wie jedes meiner Gefühle, mein Eigenthum. Erwerbt, d. h. erkauft mein Eigenthum, dann laſſe Ich's Euch ab. Eine Kirche, ein Volk, ein Vaterland, eine Familie u. ſ. w., die ſich meine Liebe nicht zu erwerben wiſſen, brauche Ich nicht zu lieben, und Ich ſtelle den Kaufpreis meiner Liebe ganz nach meinem Gefallen.

Die eigennützige Liebe ſteht weit von der uneigennützigen, myſtiſchen oder romantiſchen ab. Lieben kann man alles Mög¬ liche, nicht bloß Menſchen, ſondern überhaupt einen Gegen¬ ſtand (den Wein, ſein Vaterland u. ſ. w.). Blind und toll wird die Liebe dadurch, daß ein Müſſen ſie meiner Gewalt entzieht (Vernarrtheit), romantiſch dadurch, daß ein Sollen in ſie eintritt, d. h. daß der Gegenſtand Mir heilig wird, oder Ich durch Pflicht, Gewiſſen, Eid an ihn gebunden werde. Nun iſt der Gegenſtand nicht mehr für Mich, ſondern Ich bin für ihn da.

Nicht als meine Empfindung iſt die Liebe eine Beſeſſen¬ heit als jene behalte Ich ſie vielmehr im Beſitz als Eigen¬ thum , ſondern durch die Fremdheit des Gegenſtandes. Die religiöſe Liebe beſteht nämlich in dem Gebote, in dem Gelieb¬ ten einen Heiligen zu lieben oder an einem Heiligen zu hangen, für die uneigennützige Liebe giebt es abſolut lie¬ benswürdige Gegenſtände, für welche mein Herz ſchlagen ſoll, z. B. die Mitmenſchen, oder den Ehegatten, die Ver¬ wandten u. ſ. w. Die heilige Liebe liebt das Heilige am Ge¬ liebten, und bemüht ſich darum auch, aus dem Geliebten immer mehr einen Heiligen (z. B. einen Menſchen ) zu machen.

Der Geliebte iſt ein Gegenſtand, der von Mir geliebt werden ſoll. Er iſt nicht Gegenſtand meiner Liebe darum, weil oder dadurch, daß Ich ihn liebe, ſondern iſt Gegenſtand390 der Liebe an und für ſich. Nicht Ich mache ihn zu einem Gegenſtande der Liebe, ſondern er iſt von Haus aus ein ſol¬ cher, denn daß er es etwa durch meine Wahl geworden iſt, wie Braut, Ehegatte u. dergl., thut hier nichts zur Sache, da er auch ſo immer als einmal Erwählter ein eigenes Recht auf meine Liebe erhalten hat, und Ich, weil Ich ihn geliebt habe, auf ewig ihn zu lieben verpflichtet bin. Er iſt alſo nicht ein Gegenſtand meiner Liebe, ſondern der Liebe über¬ haupt: ein Gegenſtand, der geliebt werden ſoll. Die Liebe kommt ihm zu, gebührt ihm, oder iſt ſein Recht, Ich aber bin verpflichtet, ihn zu lieben. Meine Liebe, d.h. die Liebe, welche Ich ihm zolle, iſt in Wahrheit ſeine Liebe, die er nur als Zoll von Mir eintreibt.

Jede Liebe, an welcher auch nur der kleinſte Flecken von Verpflichtung haftet, iſt eine uneigennützige, und ſo weit dieſer Flecken reicht, iſt ſie Beſeſſenheit. Wer dem Gegenſtande ſei¬ ner Liebe etwas ſchuldig zu ſein glaubt, der liebt romantiſch oder religiös.

Familienliebe z. B., wie ſie gewöhnlich als Pietät auf¬ gefaßt wird, iſt eine religiöſe Liebe; Vaterlandsliebe, als Pa¬ triotismus gepredigt, gleichfalls. All' unſere romantiſche Liebe bewegt ſich in demſelben Zuſchnitt: überall die Heuchelei oder vielmehr Selbſttäuſchung einer uneigennützigen Liebe , ein Intereſſe am Gegenſtande um des Gegenſtandes willen, nicht um Meinet - und zwar allein um Meinetwillen.

Die religiöſe oder romantiſche Liebe unterſcheidet ſich von der ſinnlichen Liebe zwar durch die Verſchiedenheit des Gegen¬ ſtandes, aber nicht durch die Abhängigkeit des Verhaltens zu ihm. In letzterer Beziehung ſind beide Beſeſſenheit; in der erſteren aber iſt der eine Gegenſtand profan, der andere heilig. 391Die Herrſchaft des Gegenſtandes über Mich iſt in beiden Fäl¬ len dieſelbe, nur daß er einmal ein ſinnlicher, das andere Mal ein geiſtiger (geſpenſtiſcher) iſt. Mein eigen iſt meine Liebe erſt, wenn ſie durchaus in einem eigennützigen und egoiſtiſchen Intereſſe beſteht, mithin der Gegenſtand meiner Liebe wirklich mein Gegenſtand oder mein Eigenthum iſt. Meinem Eigen¬ thum bin Ich nichts ſchuldig und habe keine Pflicht gegen daſſelbe, ſo wenig Ich etwa eine Pflicht gegen mein Auge habe; hüte Ich es dennoch mit größter Sorgſamkeit, ſo ge¬ ſchieht das Meinetwegen.

An Liebe fehlte es dem Alterthum ſo wenig als der chriſt¬ lichen Zeit; der Liebesgott iſt älter, als der Gott der Liebe. Aber die myſtiſche Beſeſſenheit gehört den Neuen an.

Die Beſeſſenheit der Liebe liegt in der Entfremdung des Gegenſtandes oder in meiner Ohnmacht gegen ſeine Fremdheit und Uebermacht. Dem Egoiſten iſt nichts hoch genug, daß er ſich davor demüthigte, nichts ſo ſelbſtändig, daß er ihm zu Liebe lebte, nichts ſo heilig, daß er ſich ihm opferte. Die Liebe des Egoiſten quillt aus dem Eigennutz, fluthet im Bette des Eigennutzes und mündet wieder in den Eigennutz.

Ob dieß noch Liebe heißen kann? Wißt Ihr ein anderes Wort dafür, ſo wählt es immerhin; dann mag das ſüße Wort der Liebe mit der abgeſtorbenen Welt verwelken; Ich wenig¬ ſtens finde für jetzt keines in unſerer chriſtlichen Sprache, und bleibe daher bei dem alten Klange und liebe meinen Gegenſtand, mein Eigenthum.

Nur als eines meiner Gefühle hege Ich die Liebe, aber als eine Macht über Mir, als eine göttliche Macht (Feuer¬ bach), als eine Leidenſchaft, der Ich Mich nicht entziehen ſoll, als eine religiöſe und ſittliche Pflicht verſchmähe Ich ſie. 392Als mein Gefühl iſt ſie mein; als Grundſatz, dem Ich meine Seele weihe und verſchwöre , iſt ſie Gebieterin und göttlich, wie der Haß als Grundſatz teufliſch iſt: eins nicht beſſer als das andere. Kurz die egoiſtiſche Liebe, d. h. meine Liebe iſt weder heilig noch unheilig, weder göttlich noch teufliſch.

Eine Liebe, die durch den Glauben beſchränkt iſt, iſt eine unwahre Liebe. Die einzige dem Weſen der Liebe nicht widerſprechende Beſchränkung iſt die Selbſtbeſchränkung der Liebe durch die Vernunft, die Intelligenz. Liebe, die die Strenge, das Geſetz der Intelligenz verſchmäht, iſt theoretiſch eine falſche, praktiſch eine verderbliche Liebe. *)Feuerbach, Weſen d. Chr. 394.Alſo die Liebe iſt ihrem Weſen nach vernünftig! So denkt Feuerbach; der Gläu¬ bige hingegen denkt: die Liebe iſt ihrem Weſen nach gläubig. Jener eifert gegen die unvernünftige, dieſer gegen die un¬ gläubige Liebe. Beiden kann ſie höchſtens für ein splen¬ didum vitium gelten. Laſſen nicht beide die Liebe beſtehen, auch in der Form der Unvernunft und Ungläubigkeit? Sie wagen nicht zu ſagen: unvernünftige oder ungläubige Liebe iſt ein Unſinn, iſt nicht Liebe, ſo wenig ſie ſagen mögen: un¬ vernünftige oder ungläubige Thränen ſind keine Thränen. Muß aber auch die unvernünftige u. ſ. w. Liebe für Liebe gelten, und ſollen ſie gleichwohl des Menſchen unwürdig ſein, ſo folgt einfach nur dieß: Liebe iſt nicht das Höchſte, ſondern Vernunft oder Glaube; lieben kann auch der Unvernünftige und der Ungläubige; Werth hat die Liebe aber nur, wenn ſie die eines Vernünftigen oder Gläubigen iſt. Es iſt ein Blend¬ werk, wenn Feuerbach die Vernünftigkeit der Liebe ihre Selbſt¬ beſchränkung nennt; der Gläubige könnte mit demſelben Rechte393 die Gläubigkeit ihre Selbſtbeſchränkung nennen. Unvernünf¬ tige Liebe iſt weder falſch noch verderblich ; ſie thut als Liebe ihre Dienſte.

Gegen die Welt, beſonders gegen die Menſchen, ſoll Ich eine beſtimmte Empfindung annehmen, und ihnen von Anfang an mit der Empfindung der Liebe, mit Liebe entgegen¬ kommen . Freilich offenbart ſich hierin weit mehr Willkühl und Selbſtbeſtimmung, als wenn Ich Mich durch die Welt von allen möglichen Empfindungen beſtürmen laſſe und den krauſeſten, zufälligſten Eindrücken ausgeſetzt bleibe. Ich gehe vielmehr an ſie mit einer vorgefaßten Empfindung, gleichſam ei¬ nem Vorurtheil und einer vorgefaßten Meinung; Ich habe mein Verhalten gegen ſie Mir im Voraus vorgezeichnet, und fühle und denke trotz all' ihrer Anfechtungen nur ſo über ſie, wie Ich zu fühlen einmal entſchloſſen bin. Wider die Herrſchaft der Welt ſichere Ich Mich durch den Grundſatz der Liebe; denn was auch kommen mag, Ich liebe. Das Häßliche z. B. macht auf Mich einen widerwärtigen Eindruck; allein, entſchloſ¬ ſen zu lieben, bewältige Ich dieſen Eindruck, wie jede Antipathie.

Aber die Empfindung, zu welcher Ich Mich von Haus aus determinirt und verurtheilt habe, iſt eben eine bor¬ nirte Empfindung, weil ſie eine prädeſtinirte iſt, von welcher Ich ſelber nicht loskommen oder Mich loszuſagen vermag. Weil vorgefaßt, iſt ſie ein Vorurtheil. Ich zeige Mich nicht mehr gegenüber der Welt, ſondern meine Liebe zeigt ſich. Zwar beherrſcht die Welt Mich nicht, deſto unabwendbarer aber beherrſcht Mich der Geiſt der Liebe. Ich habe die Welt überwunden, um ein Sklave dieſes Geiſtes zu werden.

Sagte Ich erſt, Ich liebe die Welt, ſo ſetze Ich jetzt ebenſo hinzu: Ich liebe ſie nicht, denn Ich vernichte ſie, wie394 Ich Mich vernichte: Ich löſe ſie auf. Ich beſchränke Mich nicht auf Eine Empfindung für die Menſchen, ſondern gebe allen, deren Ich fähig bin, freien Spielraum. Wie ſollte Ich's nicht in aller Grellheit auszuſprechen wagen? Ja, Ich be¬ nutze die Welt und die Menſchen! Dabei kann Ich Mich jedem Eindruck offen erhalten, ohne von einem derſelben Mir ſelber entriſſen zu werden. Ich kann lieben, mit voller Seele lieben und die verzehrendſte Gluth der Leidenſchaft in meinem Herzen brennen laſſen, ohne den Geliebten für etwas Anderes zu nehmen, als für die Nahrung meiner Leidenſchaft, an der ſie immer von Neuem ſich erfriſcht. All meine Sorge um ihn gilt nur dem Gegenſtande meiner Liebe, nur ihm, den meine Liebe braucht, nur ihm, dem Heißgeliebten . Wie gleichgültig wäre er Mir ohne dieſe meine Liebe. Nur meine Liebe ſpeiſe Ich mit ihm, dazu nur benutze Ich ihn: Ich genieße ihn.

Wählen Wir ein anderes naheliegendes Beiſpiel. Ich ſehe, wie die Menſchen von einem Schwarm Geſpenſter in finſterem Aberglauben geängſtigt werden. Laſſe Ich etwa darum nach Kräften ein Tageslicht über den nächtlichen Spuk ein¬ fallen, weil Mir's die Liebe zu Euch ſo eingiebt? Schreibe Ich aus Liebe zu den Menſchen? Nein, Ich ſchreibe, weil Ich meinen Gedanken ein Daſein in der Welt verſchaffen will, und ſähe Ich auch voraus, daß dieſe Gedanken Euch um eure Ruhe und euren Frieden brächten, ſähe Ich auch die blutigſten Kriege und den Untergang vieler Generationen aus dieſer Gedankenſaat aufkeimen: Ich ſtreute ſie dennoch aus. Macht damit, was Ihr wollt und könnt, das iſt eure Sache und kümmert Mich nicht. Ihr werdet vielleicht nur Kummer, Kampf und Tod davon haben, die Wenigſten ziehen395 daraus Freude. Läge Mir euer Wohl am Herzen, ſo han¬ delte Ich wie die Kirche, indem ſie den Laien die Bibel entzog, oder die chriſtlichen Regierungen, welche ſich's zu einer heili¬ gen Pflicht machen, den gemeinen Mann vor böſen Büchern zu bewahren .

Aber nicht nur nicht um Euret -, auch nicht einmal um der Wahrheit willen ſpreche Ich aus, was Ich denke. Nein

Ich ſinge, wie der Vogel ſingt,
Der in den Zweigen wohnet:
Das Lied, das aus der Kehle dringt,
Iſt Lohn, der reichlich lohnet.

Ich ſinge, weil Ich ein Sänger bin. Euch aber ge¬ brauche Ich dazu, weil Ich Ohren brauche.

Wo Mir die Welt in den Weg kommt und ſie kommt Mir überall in den Weg da verzehre Ich ſie, um den Hun¬ ger meines Egoismus zu ſtillen. Du biſt für Mich nichts als meine Speiſe, gleichwie auch Ich von Dir verſpeiſet und verbraucht werde. Wir haben zu einander nur Eine Bezie¬ hung, die der Brauchbarkeit, der Nutzbarkeit, des Nutzens. Wir ſind einander nichts ſchuldig, denn was Ich Dir ſchul¬ dig zu ſein ſcheine, das bin Ich höchſtens Mir ſchuldig. Zeige Ich Dir eine heitere Miene, um Dich gleichfalls zu erheitern, ſo iſt Mir an Deiner Heiterkeit gelegen, und meinem Wunſche dient meine Miene: tauſend Anderen, die Ich zu erheitern nicht beabſichtige, zeige Ich ſie nicht.

Zu derjenigen Liebe, welche ſich auf das Weſen des Menſchen gründet oder in der kirchlichen und ſittlichen Periode als ein Gebot aus Uns liegt, muß man erzogen werden. 396In welcherlei Art der moraliſche Einfluß, das Hauptingredienz unſerer Erziehung, den Verkehr der Menſchen zu regeln ſucht, ſoll hier wenigſtens an Einem Beiſpiele mit egoiſtiſchen Augen betrachtet werden.

Die Uns erziehen, laſſen ſich's angelegen ſein, frühzeitig Uns das Lügen abzugewöhnen und den Grundſatz einzuprägen, daß man ſtets die Wahrheit ſagen müſſe. Machte man für dieſe Regel den Eigennutz zur Baſis, ſo würde Jeder leicht begreifen, wie er das Vertrauen zu ſich, welches er bei Andern erwecken will, durch Lügen verſcherze, und wie richtig ſich der Satz erweiſe: Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit ſpricht. Zu gleicher Zeit würde er jedoch auch fühlen, daß er nur demjenigen mit der Wahr¬ heit entgegenzukommen habe, welchen er befugt, die Wahrheit zu hören. Durchſtreicht ein Spion verkleidet das feindliche Lager und wird gefragt, wer er ſei, ſo ſind die Fragenden allerdings befugt, nach dem Namen ſich zu erkundigen, der Verkleidete giebt aber ihnen das Recht nicht, die Wahrheit von ihm zu erfahren; er ſagt ihnen, was er mag, nur nicht das Richtige. Und doch heiſcht die Moral: Du ſollſt nicht lügen! Durch die Moral ſind jene dazu berechtigt, die Wahrheit zu erwarten; aber von Mir ſind ſie nicht dazu be¬ rechtigt, und Ich erkenne nur das Recht an, welches Ich er¬ theile. In eine Verſammlung von Revolutionairen drängt ſich die Polizei ein und fragt den Redner nach ſeinem Namen; Jedermann weiß, daß die Polizei dazu das Recht hat, allein vom Revolutionair hat ſie's nicht, da er ihr Feind iſt: er ſagt ihr einen falſchen Namen und belügt ſie. Auch handelt die Polizei nicht ſo thöricht, daß ſie auf die Wahrheitsliebe ihrer Feinde rechnete; im G[e][ſ][a][m]theil glaubt ſie nicht ohne397 Weiteres, ſondern recognoscirt , wenn ſie kann, das quäſtio¬ nirte Individuum. Ja der Staat verfährt überall ungläubig gegen die Individuen, weil er in ihrem Egoismus ſeinen na¬ türlichen Feind erkennt: er verlangt durchweg einen Ausweis , und wer ſich nicht ausweiſen kann, der verfällt ſeiner nach¬ ſpürenden Inquiſition. Der Staat glaubt und vertraut dem Einzelnen nicht, und ſtellt ſich ſo ſelbſt mit ihm auf den ¬ gen-Comment: er traut Mir nur, wenn er ſich von der Wahrheit meiner Ausſage überführt hat, wozu ihm oft kein anderes Mittel bleibt als der Eid. Wie deutlich beweiſt auch dieſer, daß der Staat nicht auf unſere Wahrheitsliebe und Glaubwürdigkeit rechnet, ſondern auf unſer Intereſſe, unſe¬ ren Eigennutz: er verläßt ſich darauf, daß Wir Uns nicht durch einen Meineid werden mit Gott überwerfen wollen.

Nun denke man ſich einen franzöſiſchen Revolutionair im Jahre 1788, der unter Freunden das bekanntgewordene Wort fallen ließe: die Welt hat nicht eher Ruhe, als bis der letzte König am Darm des letzten Pfaffen hängt. Damals hatte der König noch alle Macht, und als die Aeußerung durch ei¬ nen Zufall verrathen wird, ohne daß man jedoch Zeugen auf¬ ſtellen kann, fordert man vom Angeklagten das Geſtändniß. Soll er geſtehen oder nicht? Leugnet er, ſo lügt er und bleibt ſtraflos; geſteht er, ſo iſt er aufrichtig und wird ge¬ köpft. Geht ihm die Wahrheit über Alles, wohlan ſo ſterbe er. Nur ein elender Dichter könnte es verſuchen, aus ſeinem Lebensende eine Tragödie herzuſtellen; denn welches Intereſſe hat es, zu ſehen, wie ein Menſch aus Feigheit erliegt? Hätte er aber den Muth, kein Sklave der Wahrheit und Aufrichtig¬ keit zu ſein, ſo würde er etwa ſo fragen: Wozu brauchen die Richter zu wiſſen, was Ich unter Freunden geſprochen habe?

398

Wenn Ich wollte, daß ſie's wüßten, ſo würde Ich's ihnen geſagt haben, wie Ich's meinen Freunden ſagte. Ich will nicht, daß ſie's wiſſen. Sie drängen ſich in mein Vertrauen, ohne daß Ich ſie dazu berufen und zu meinen Vertrauten ge¬ macht habe; ſie wollen erfahren, was Ich verheimlichen will. So kommt denn heran, Ihr, die Ihr meinen Willen durch euren Willen brechen wollt, und verſucht eure Künſte. Ihr könnt Mich durch die Folter peinigen, könnt Mir mit der Hölle und ewigem Verdammniß drohen, könnt Mich ſo mürbe machen, daß Ich einen falſchen Schwur leiſte, aber die Wahrheit ſollt Ihr nicht aus Mir herauspreſſen, denn Ich will Euch belü¬ gen, weil Ich Euch keinen Anſpruch und kein Recht auf meine Aufrichtigkeit gegeben habe. Mag der Gott, welcher die Wahrheit iſt , noch ſo drohend auf Mich herabſehen, mag das Lügen Mir noch ſo ſauer werden, Ich habe dennoch den Muth der Lüge, und ſelbſt wenn ich meines Lebens überdrüſſig wäre, ſelbſt wenn Mir nichts willkommener erſchiene, als euer Hen¬ kerſchwerdt, ſo ſollt Ihr dennoch die Freude nicht haben, an Mir einen Sklaven der Wahrheit zu finden, den Ihr durch eure Pfaffenkünſte zum Verräther an ſeinem Willen macht. Als Ich jene hochverrätheriſchen Worte ſprach, da wollte Ich, daß Ihr nichts davon wiſſen ſolltet; denſelben Willen behalte Ich jetzt bei und laſſe Mich durch den Fluch der Lüge nicht ſchrecken.

Sigismund iſt nicht darum ein jämmerlicher Wicht, weil er ſein Fürſtenwort brach, ſondern er brach das Wort, weil er ein Wicht war; er hätte ſein Wort halten können, und wäre doch ein Wicht, ein Pfaffenknecht geweſen. Luther wurde, von einer höhern Macht getrieben, ſeinem Mönchsgelübde untreu: er wurde es um Gottes willen. Beide brachen ihren Eid als399 Beſeſſene: Sigismund, weil er als ein aufrichtiger Beken¬ ner der göttlichen Wahrheit, d. h. des wahren Glaubens, des ächt katholiſchen erſcheinen wollte; Luther, um aufrichtig und mit ganzer Wahrheit, mit Leib und Seele, Zeugniß für das Evangelium abzulegen; beide wurden meineidig, um gegen die höhere Wahrheit aufrichtig zu ſein. Nur entbanden jenen die Pfaffen, dieſer entband ſich ſelbſt. Was beachteten beide anders, als was in jenen apoſtoliſchen Worten enthalten iſt: Du haſt nicht Menſchen, ſondern Gott gelogen? Sie logen den Menſchen, brachen vor den Augen der Welt ihren Eid, um Gott nicht zu lügen, ſondern zu dienen. So zeigen ſie Uns einen Weg, wie man's mit der Wahrheit vor den Menſchen halten ſoll. Zu Gottes Ehre und um Gottes willen ein Eidbruch, eine Lüge, ein gebrochenes Fürſtenwort!

Wie wäre es nun, wenn Wir die Sache ein wenig än¬ derten und ſchrieben: Ein Meineid und Lüge um Mei¬ netwillen! Hieße das nicht jeder Niederträchtigkeit das Wort reden? Es ſcheint allerdings ſo, nur gleicht es darin ganz und gar dem um Gottes willen . Denn wurde nicht jede Niederträchtigkeit um Gottes willen verübt, alle Blutgerüſte um ſeinetwillen erfüllt, alle Autodafes ſeinetwegen gehalten, alle Verdummung ſeinetwegen eingeführt, und bindet man nicht noch heute ſchon bei den zarten Kindern durch religiöſe Er¬ ziehung den Geiſt um Gottes willen? Brach man nicht hei¬ lige Gelübde um ſeinetwillen, und ziehen nicht alle Tage noch Miſſionaire und Pfaffen umher, um Juden, Heiden, Proteſtan¬ ten oder Katholiken u. ſ. w. zum Verrath am Glauben ihrer Väter zu bringen um ſeinetwillen? Und das ſollte bei dem um Meinetwillen ſchlimmer ſein? Was heißt denn Meinetwegen? Da denkt man gleich an ſchnöden Ge¬400 winn . Wer aber aus Liebe zu ſchnödem Gewinne handelt, thut das zwar ſeinetwegen, wie es überhaupt nichts giebt, was man nicht um ſein ſelbſt willen thäte, unter andern auch Alles, was zu Gottes Ehre geſchieht; jedoch iſt er, für den er den Gewinn ſucht, ein Sklave des Gewinnes, nicht erhaben über Gewinn, iſt Einer, welcher dem Gewinn, dem Geldſack an¬ gehört, nicht ſich, iſt nicht ſein eigen. Muß ein Menſch, den die Leidenſchaft der Habgier beherrſcht, nicht den Geboten die¬ ſer Herrin folgen, und wenn ihn einmal eine ſchwache Gut¬ müthigkeit beſchleicht, erſcheint dieß nicht eben nur als ein Ausnahmsfall gerade derſelben Art, wie fromme Gläubige zu¬ weilen von der Leitung ihres Herrn verlaſſen und von den Künſten des Teufels berückt werden? Alſo ein Habgieriger iſt kein Eigener, ſondern ein Knecht, und er kann nichts um ſeinetwillen thun, ohne es zugleich um ſeines Herrn willen zu thun, gerade wie der Gottesfürchtige.

Berühmt iſt der Eidbruch, welchen Franz II. gegen Kaiſer Karl V. beging. Nicht etwa ſpäter, als er ſein Verſprechen reiflich erwog, ſondern ſogleich, als er den Schwur leiſtete, nahm ihn König Franz in Gedanken ſowohl, als durch eine heimliche, vor ſeinen Räthen urkundlich unterſchriebene Pro¬ teſtation zurück: er ſprach einen vorbedachten Meineid aus. Seine Freilaſſung zu erkaufen zeigte ſich Franz nicht abgeneigt, nur ſchien ihm der Preis, welchen Karl darauf ſetzte, zu hoch und unbillig. Betrug ſich auch Karl knickerig, als er mög¬ lichſt viel zu erpreſſen ſuchte, ſo war es doch lumpig von Franz, ſeine Freiheit um ein niedrigeres Löſegeld einhandeln zu wollen, und ſeine ſpäteren Handlungen, worunter noch ein zweiter Wortbruch vorkommt, beweiſen ſattſam, wie ihn der Schacher¬ geiſt geknechtet hielt und zum lumpigen Betrüger machte. In¬401 deß was ſollen Wir zu dem Vorwurf ſeines Meineides ſagen? Zunächſt doch wieder dieß, daß nicht der Meineid ihn ſchän¬ dete, ſeine Filzigkeit, daß er nicht Verachtung verdiente für ſeinen Meineid, ſondern des Meineides ſich ſchuldig machte, weil er ein verächtlicher Menſch war. Franzens Meineid aber für ſich betrachtet erheiſcht eine andere Beurtheilung. Man könnte ſagen, Franz habe dem Vertrauen, welches Karl bei der Freigebung auf ihn ſetzte, nicht entſprochen. Allein hätte Karl wirklich ihm Vertrauen geſchenkt, ſo würde er ihm den Preis genannt haben, deſſen er die Freilaſſung werth achte, dann aber hätte er ihn in Freiheit geſetzt und erwartet, daß Franz die Loskaufungsſumme bezahle. Karl hegte kein ſolches Zutrauen, ſondern glaubte nur an die Ohnmacht und Leichtgläubigkeit Franzens, die ihm nicht erlauben werde, gegen ſeinen Eid zu handeln; Franz aber täuſchte nur dieſe leichtgläubige Be¬ rechnung. Als Karl ſich durch einen Eid ſeines Feindes zu verſichern glaubte, da gerade befreite er dieſen von jeder Ver¬ bindlichkeit. Karl hatte dem Könige eine Dummheit, ein enges Gewiſſen zugetraut, und rechnete, ohne Vertrauen zu Franz, nur auf Franzens Dummheit, d. h. Gewiſſenhaftigkeit: er ent¬ ließ ihn nur aus dem Madrider Gefängniß, um ihn deſto ſicherer in dem Gefängniſſe der Gewiſſenhaftigkeit, dem großen durch die Religion um den Menſchengeiſt gezogenen Kerker, feſtzuhalten: er ſchickte ihn, feſtgeſchloſſen in unſichtbaren Ketten, nach Frankreich zurück, was Wunder, wenn Franz zu entkom¬ men ſuchte und die Ketten zerſägte. Kein Menſch hätte es ihm verübelt, wenn er aus Madrid heimlich entflohen wäre, denn er war in Feindes Gewalt; jeder gute Chriſt aber ruft Wehe über ihn, daß er auch aus Gottes Banden ſich losmachen wollte. (Der Papſt entband ihn erſt ſpäter ſeines Eides.) 26402Es iſt verächtlich, ein Vertrauen, das Wir freiwillig her¬ vorrufen, zu täuſchen; aber Jeden, der Uns durch einen Eid in ſeine Gewalt bekommen will, an der Erfolgloſigkeit ſeiner zutrauensloſen Liſt verbluten zu laſſen, macht dem Egoismus keine Schande. Haſt Du Mich binden wollen, ſo erfahre denn, daß Ich deine Bande zu ſprengen weiß.

Es kommt darauf an, ob Ich dem Vertrauenden das Recht zum Vertrauen gebe. Wenn der Verfolger meines Freundes Mich fragt, wohin dieſer ſich geflüchtet habe, ſo werde Ich ihn ſicherlich auf eine falſche Fährte bringen. Warum fragt er gerade Mich, den Freund des Verfolgten? Um nicht ein falſcher, verrätheriſcher Freund zu ſein, ziehe Ich's vor, gegen den Feind falſch zu ſein. Ich könnte freilich aus mu¬ thiger Gewiſſenhaftigkeit antworten: Ich wolle es nicht ſagen (So entſcheidet Fichte den Fall); dadurch ſalvirte Ich meine Wahrheitsliebe und thäte für den Freund ſo viel als nichts, denn leite Ich den Feind nicht irre, ſo kann er zufällig die rechte Straße einſchlagen, und meine Wahrheitsliebe hätte den Freund preisgegeben, weil ſie Mich hinderte an dem Muthe zur Lüge. Wer an der Wahrheit ein Idol, ein Heiliges hat, der muß ſich vor ihr demüthigen, darf ihren Anforde¬ rungen nicht trotzen, nicht muthig widerſtehen, kurz er muß dem Heldenmuth der Lüge entſagen. Denn zur Lüge ge¬ hört nicht weniger Muth als zur Wahrheit, ein Muth, an welchem es am meiſten Jünglingen zu gebrechen pflegt, die lieber die Wahrheit geſtehen und das Schaffot dafür beſteigen, als durch die Frechheit einer Lüge die Macht der Feinde zu Schanden machen mögen. Jenen iſt die Wahrheit heilig , und das Heilige fordert allezeit blinde Verehrung, Unterwerfung und Aufopferung. Seid Ihr nicht frech, nicht Spötter des403 Heiligen, ſo ſeid Ihr zahm und ſeine Diener. Man ſtreue Euch nur ein Körnchen Wahrheit in die Falle, ſo pickt Ihr ſicherlich darnach, und man hat den Narren gefangen. Ihr wollt nicht lügen? Nun ſo fallt als Opfer der Wahrheit und werdet Märtyrer! Märtyrer wofür? Für Euch, für die Eigenheit? Nein, für eure Göttin, die Wahrheit. Ihr kennt nur zweierlei Dienſt, nur zweierlei Diener: Diener der Wahrheit und Diener der Lüge. Dient denn in Gottes Na¬ men der Wahrheit!

Andere wieder dienen auch der Wahrheit, aber ſie dienen ihr mit Maaß und machen z. B. einen großen Unterſchied zwiſchen einer einfachen und einer beſchworenen Lüge. Und doch fällt das ganze Kapitel vom Eide mit dem von der Lüge zuſammen, da ein Eid ja nur eine ſtark verſicherte Ausſage iſt. Ihr haltet Euch für berechtigt zu lügen, wenn Ihr nur dazu nicht noch ſchwört? Wer's genau nimmt, der muß eine Lüge ſo hart beurtheilen und verdammen als einen falſchen Schwur. Nun hat ſich aber ein uralter Streitpunkt in der Moral erhalten, der unter dem Namen der Nothlüge abge¬ handelt zu werden pflegt. Niemand, der dieſer das Wort zu reden wagt, kann conſequenter Weiſe einen Notheid von der Hand weiſen. Rechtfertige Ich meine Lüge als eine Nothlüge, ſo ſollte Ich nicht ſo kleinmüthig ſein, die gerechtfertigte Lüge der ſtärkſten Bekräftigung zu berauben. Was Ich auch thue, warum ſollte Ich's nicht ganz und ohne Vorbehalt (reservatio mentalis) thun? Lüge Ich einmal, warum dann nicht voll¬ ſtändig, mit ganzem Bewußtſein und aller Kraft lügen? Als Spion müßte Ich dem Feinde jede meiner falſchen Ausſagen auf Verlangen beſchwören; entſchloſſen, ihn zu belügen, ſollte Ich plötzlich feige und unentſchloſſen werden gegenüber dem26*404Eide? Dann wäre Ich von vorn herein zum Lügner und Spion verdorben geweſen; denn Ich gäbe ja dem Feinde frei¬ willig ein Mittel in die Hände, Mich zu fangen. Auch fürchtet der Staat den Notheid und läßt deshalb den Ange¬ klagten nicht zum Schwure kommen. Ihr aber rechtfertigt die Furcht des Staates nicht; Ihr lügt, aber ſchwört nicht falſch. Erweiſet Ihr z. B. Einem eine Wohlthat, ohne daß er's wiſſen ſoll, er aber vermuthet's und ſagt's Euch auf den Kopf zu, ſo leugnet Ihr; beharrt er, ſo ſagt Ihr: wahrhaftig nicht! Ging's ans Schwören, da würdet Ihr Euch weigern, denn Ihr bleibt aus Furcht vor dem Heiligen ſtets auf halbem Wege ſtehen. Gegen das Heilige habt Ihr keinen eigenen Willen. Ihr lügt mit Maaß, wie Ihr frei ſeid mit Maaß , religiös mit Maaß (die Geiſtlichkeit ſoll nicht übergreifen , wie jetzt hierfür der fadeſte Streit von Sei¬ ten der Univerſität gegen die Kirche geführt wird), monar¬ chiſch geſinnt mit Maaß (Ihr wollt einen durch die Ver¬ faſſung, ein Staatsgrundgeſetz, beſchränkten Monarchen), Alles hübſch temperirt, lau und flau, halb Gottes, halb des Teufels.

Es herrſchte auf einer Univerſität der Comment, daß von den Studenten jedes Ehrenwort, welches dem Univerſitäts - Richter gegeben werden mußte, für null und nichtig angeſehen wurde. Die Studenten ſahen nämlich in der Abforderung deſſelben nichts als einen Fallſtrick, dem ſie nicht anders ent¬ gehen könnten, als durch Entziehung aller Bedeutſamkeit deſſel¬ ben. Wer ebendaſelbſt einem Commilitonen ſein Ehrenwort brach, war infam; wer es dem Univerſitäts-Richter gab, lachte im Verein mit eben dieſen Commilitonen den Getäuſchten aus, der ſich einbildete, daß ein Wort unter Freunden und unter405 Feinden denſelben Werth habe. Weniger eine richtige Theorie als die Noth der Praxis hatte dort die Studirenden ſo zu handeln gelehrt, da ſie ohne jenes Auskunftsmittel er¬ barmungslos zum Verrath an ihren Genoſſen getrieben worden wären. Wie aber das Mittel praktiſch ſich bewährte, ſo hat es auch ſeine theoretiſche Bewährung. Ein Ehrenwort, ein Eid iſt nur für den eines, den Ich berechtige, es zu empfan¬ gen; wer Mich dazu zwingt, erhält nur ein erzwungenes, d. h. ein feindliches Wort, das Wort eines Feindes, dem man zu trauen kein Recht hat; denn der Feind giebt Uns das Recht nicht.

Uebrigens erkennen die Gerichte des Staats nicht einmal die Unverbrüchlichkeit eines Eides an. Denn hätte Ich Einem, der in Unterſuchung kommt, geſchworen, nichts wider ihn aus¬ zuſagen, ſo würde das Gericht trotz dem, daß ein Eid Mich bindet, meine Ausſagen fordern und im Weigerungsfalle Mich ſo lange einſperren, bis Ich Mich entſchlöſſe, eidbrüchig zu werden. Das Gericht entbindet Mich meines Eides ; wie großmüthig! Kann Mich irgend eine Macht des Eides entbinden, ſo bin Ich ſelber doch wohl die allererſte Macht, die darauf Anſpruch hat.

Als Curioſität und um an allerlei übliche Eide zu erin¬ nern, möge hier derjenige eine Stelle finden, welchen Kaiſer Paul den gefangenen Polen (Kosciuszko, Potocki, Niemce¬ wicz u. ſ. w.), als er ſie freiließ, zu leiſten befahl: Wir ſchwören nicht bloß dem Kaiſer Treue und Gehorſam, ſondern verſprechen auch noch, unſer Blut für ſeinen Ruhm zu vergie¬ ßen; Wir verpflichten Uns, alles zu entdecken, was Wir jemals für ſeine Perſon oder ſein Reich Gefahrdrohendes erfahren; wir erklären endlich, daß, in welchem Theile des Erdkreiſes406 wir uns auch befinden, ein einziges Wort des Kaiſers ge¬ nügen ſolle, Alles zu verlaſſen und uns ſogleich zu ihm zu begeben.

In Einem Gebiete ſcheint das Princip der Liebe längſt vom Egoismus überflügelt worden zu ſein und nur noch des ſichern Bewußtſeins, gleichſam des Sieges mit gutem Gewiſſen, zu bedürfen. Dieß Gebiet iſt die Speculation in ihrer dop¬ pelten Erſcheinung als Denken und als Handel. Man denkt friſch darauf los, was auch herauskommen möge, und man ſpeculirt, wie Viele auch unter unſeren ſpeculativen Unterneh¬ mungen leiden mögen. Aber wenn es endlich zum Klappen kommt, wenn auch der letzte Reſt von Religioſität, Romantik oder Menſchlichkeit abgethan werten ſoll, dann ſchlägt das religiöſe Gewiſſen und man bekennt ſich wenigſtens zur Menſchlichkeit. Der habgierige Speculant wirft einige Gro¬ ſchen in die Armenbüchſe und thut Gutes , der kühne Den¬ ker tröſtet ſich damit, daß er zur Förderung des Menſchenge¬ ſchlechts arbeite und daß ſeine Verwüſtung der Menſchheit zu Gute komme , oder auch, daß er der Idee diene ; die Menſch¬ heit, die Idee iſt ihm jenes Etwas, von dem er ſagen muß: es geht Mir über Mich.

Es iſt bis auf den heutigen Tag gedacht und gehandelt worden um Gottes willen. Die da ſechs Tage durch ihre eigennützigen Zwecke alles niedertraten, opferten am ſiebenten dem Herrn, und die hundert gute Sachen durch ihr rück¬ ſichtsloſes Denken zerſtörten, thaten dieß doch im Dienſte einer andern guten Sache und mußten außer an ſich noch an einen Andern denken, welchem ihre Selbſtbefriedigung zu407 Gute käme, an das Volk, die Menſchheit u. drgl. Dieſes Andere aber iſt ein Weſen über ihnen, ein höheres oder höch¬ ſtes Weſen, und darum ſage Ich, ſie mühen ſich um Gottes willen.

Ich kann daher auch ſagen, der letzte Grund ihrer Hand¬ lungen ſei die Liebe. Aber nicht eine freiwillige, nicht ihre eigene, ſondern eine zinspfiichtige, oder des höhern We¬ ſens (d. h. Gottes, der die Liebe ſelbſt iſt) eigene Liebe, kurz nicht die egoiſtiſche, ſondern die religiöſe, eine Liebe, die aus ihrem Wahne entſpringt, daß ſie einen Tribut der Liebe ent¬ richten müſſen, d. h. daß ſie keine Egoiſten ſein dürfen.

Wollen Wir die Welt aus mancherlei Unfreiheit erlöſen, ſo wollen Wir das nicht ihret - ſondern Unſertwegen: denn da Wir keine Welterlöſer von Profeſſion und aus Liebe ſind, ſo wollen Wir ſie nur Andern abgewinnen. Wir wollen ſie Uns zu eigen machen; nicht Gott (der Kirche), nicht dem Geſetze (Staate) ſoll ſie länger leibeigen ſein, ſondern unſer eigen; darum ſuchen Wir ſie zu gewinnen , für Uns einzunehmen, und die Gewalt, welche ſie gegen Uns wendet, dadurch zu vollenden und überflüſſig zu machen, daß Wir ihr entgegen kommen, und Uns ihr, ſobald ſie Uns gehört, gleich Uns ergeben . Iſt die Welt unſer, ſo verſucht ſie keine Gewalt mehr gegen Uns, ſondern nur mit Uns. Mein Eigennutz hat ein Intereſſe an der Befreiung der Welt, damit ſie mein Eigenthum werde.

Nicht die Iſolirtheit oder das Alleinſein iſt der urſprüng¬ liche Zuſtand des Menſchen, ſondern die Geſellſchaft. Mit der innigſten Verbindung beginnt unſere Exiſtenz, da Wir ſchon, ehe Wir athmen, mit der Mutter zuſammenleben; haben Wir dann das Licht der Welt erblickt, ſo liegen Wir gleich wieder408 an der Bruſt eines Menſchen, ſeine Liebe wiegt Uns im Schooße, leitet Uns am Gängelbande und kettet Uns mit tau¬ ſend Banden an ſeine Perſon. Die Geſellſchaft iſt unſer Na¬ tur-Zuſtand. Darum wird auch, je mehr Wir Uns fühlen lernen, der früher innigſte Verband immer lockerer, und die Auflöſung der urſprünglichen Geſellſchaft unverkennbarer. Die Mutter muß das Kind, welches einſt unter ihrem Herzen lag, von der Straße und aus der Mitte ſeiner Spielgenoſſen ho¬ len, um es wieder einmal für ſich zu haben. Es zieht das Kind den Verkehr, den es mit Seinesgleichen eingeht, der Geſellſchaft vor, in welche es nicht eingegangen, in der es vielmehr nur geboren iſt.

Die Auflöſung der Geſellſchaft aber iſt der Verkehr oder Verein. Allerdings entſteht auch durch Verein eine Ge¬ ſellſchaft, aber nur wie durch einen Gedanken eine fixe Idee entſteht, dadurch nämlich, daß aus dem Gedanken die Energie des Gedankens, das Denken ſelbſt, dieſe raſtloſe Zurücknahme aller ſich verfeſtigenden Gedanken, verſchwindet. Hat ſich ein Verein zur Geſellſchaft cryſtalliſirt, ſo hat er aufgehört, eine Vereinigung zu ſein; denn Vereinigung iſt ein unaufhörliches Sich-Vereinigen; er iſt zu einem Vereinigtſein geworden, zum Stillſtand gekommen, zur Fixheit ausgeartet, er iſt todt als Verein, iſt der Leichnam des Vereins oder der Vereinigung, d. h. er iſt Geſellſchaft, Gemeinſchaft. Ein ſprechendes Exempel dieſer Art liefert die Partei.

Daß eine Geſellſchaft, z. B. die Staatsgeſellſchaft, Mir die Freiheit ſchmälere, das empört Mich wenig. Muß Ich Mir doch von allerlei Mächten und von jedem Stärkeren, ja von jedem Nebenmenſchen die Freiheit beſchränken laſſen, und wäre Ich der Selbſtherrſcher aller R ......, Ich genöſſe doch409 der abſoluten Freiheit nicht. Aber die Eigenheit, die will Ich Mir nicht entziehen laſſen. Und gerade auf die Eigen¬ heit ſieht es jede Geſellſchaft ab, gerade ſie ſoll ihrer Macht unterliegen.

Zwar nimmt eine Geſellſchaft, zu der Ich Mich halte, Mir manche Freiheit, dafür gewährt ſie Mir aber andere Frei¬ heiten; auch hat es nichts zu ſagen, wenn Ich ſelbſt Mich um dieſe und jene Freiheit bringe (z. B. durch jeden Contract). Dagegen will Ich eiferſüchtig auf meine Eigenheit halten. Jede Gemeinſchaft hat, je nach ihrer Machtfülle, den ſtärkeren oder ſchwächeren Zug, ihren Gliedern eine Autorität zu werden und Schranken zu ſetzen: ſie verlangt und muß ver¬ langen einen beſchränkten Unterthanen-Verſtand , ſie verlangt, daß ihre Angehörigen ihr unterthan, ihre Unterthanen ſeien, ſie beſteht nur durch Unterthänigkeit. Dabei braucht kei¬ neswegs eine gewiſſe Toleranz ausgeſchloſſen zu ſein, im Ge¬ gentheil wird die Geſellſchaft Verbeſſerungen, Zurechtweiſun¬ gen und Tadel, ſo weit ſolche auf ihren Gewinn berechnet ſind, willkommen heißen; aber der Tadel muß wohlmeinend , er darf nicht frech und unehrerbietig ſein, mit andern Worten, man muß die Subſtanz der Geſellſchaft unverletzt laſſen und heilig halten. Die Geſellſchaft fordert, daß ihre Angehörigen nicht über ſie hinausgehen und ſich erheben, ſondern in den Grenzen der Geſetzlichkeit bleiben, d. h. nur ſo viel ſich er¬ lauben, als ihnen die Geſellſchaft und deren Geſetz erlaubt.

Es iſt ein Unterſchied, ob durch eine Geſellſchaft meine Frei¬ heit oder meine Eigenheit beſchränkt wird. Iſt nur jenes der Fall, ſo iſt ſie eine Vereinigung, ein Uebereinkommen, ein Verein; droht aber der Eigenheit Untergang, ſo iſt ſie eine Macht für ſich, eine Macht über Mir, ein von Mir Uner¬410 reichbares, das Ich zwar anſtaunen, anbeten, verehren, reſpec¬ tiren, aber nicht bewältigen und verzehren kann, und zwar des¬ halb nicht kann, weil Ich reſignire. Sie beſteht durch meine Reſignation, meine Selbſtverleugnung, meine Muth¬ loſigkeit, genannt Demuth. Meine Demuth macht ihr Muth, meine Unterwürfigkeit giebt ihr die Herrſchaft.

In Bezug aber auf die Freiheit unterliegen Staat und Verein keiner weſentlichen Verſchiedenheit. Der Letztere kann eben ſo wenig entſtehen oder beſtehen, ohne daß die Freiheit auf allerlei Art beſchränkt werde, als der Staat mit ungemeſ¬ ſener Freiheit ſich verträgt. Beſchränkung der Freiheit iſt überall unabwendbar, denn man kann nicht alles los werden; man kann nicht gleich einem Vogel fliegen, bloß weil man ſo flie¬ gen möchte, denn man wird von der eigenen Schwere nicht frei; man kann nicht eine beliebige Zeit unter dem Waſſer leben, wie ein Fiſch, weil man der Luft nicht entrathen und von dieſem nothwendigen Bedürfniß nicht frei werden kann u. dgl. Wie die Religion und am entſchiedenſten das Chri¬ ſtenthum den Menſchen mit der Forderung quälte, das Unna¬ türliche und Widerſinnige zu realiſiren, ſo iſt es nur als die ächte Conſequenz jener religiöſen Ueberſpanntheit und Ueber¬ ſchwenglichkeit anzuſehen, daß endlich die Freiheit ſelbſt, die abſolute Freiheit zum Ideale erhoben wurde, und ſo der Unſinn des Unmöglichen grell zu Tage kommen mußte. Allerdings wird der Verein ſowohl ein größeres Maaß von Freiheit darbieten, als auch namentlich darum für eine neue Freiheit gehalten werden dürfen, weil man durch ihn allem dem Staats - und Geſellſchaftsleben eigenen Zwange entgeht; aber der Unfreiheit und Unfreiwilligkeit wird er gleichwohl noch genug enthalten. Denn ſein Zweck iſt eben nicht die411 Freiheit, die er im Gegentheil der Eigenheit opfert, aber auch nur der Eigenheit. Auf dieſe bezogen iſt der Unterſchied zwiſchen Staat und Verein groß genug. Jener iſt ein Feind und Mörder der Eigenheit, dieſer ein Sohn und Mitarbeiter derſelben, jener ein Geiſt, der im Geiſt und in der Wahrheit angebetet ſein will, dieſer mein Werk, mein Erzeugniß; der Staat iſt der Herr meines Geiſtes, der Glauben fordert und Mir Glaubensartikel vorſchreibt, die Glaubensartikel der Ge¬ ſetzlichkeit; er übt moraliſchen Einfluß, beherrſcht meinen Geiſt, vertreibt mein Ich, um ſich als mein wahres Ich an deſſen Stelle zu ſetzen, kurz der Staat iſt heilig und gegen Mich, den einzelnen Menſchen, iſt er der wahre Menſch, der Geiſt, das Geſpenſt; der Verein aber iſt meine eigene Schöpfung, mein Geſchöpf, nicht heilig, nicht eine geiſtige Macht über meinen Geiſt, ſo wenig als irgend eine Aſſociation, welcher Art ſie auch ſei. Wie Ich nicht ein Sklave meiner Maximen ſein mag, ſondern ſie ohne alle Garantie meiner ſteten Kri¬ tik blosſtelle und gar keine Bürgſchaft für ihren Beſtand zu¬ laſſe, ſo und noch weniger verpflichte Ich Mich für meine Zukunft dem Vereine und verſchwöre ihm meine Seele, wie es beim Teufel heißt und beim Staate und aller geiſtigen Autorität wirklich der Fall iſt, ſondern Ich bin und bleibe Mir mehr als Staat, Kirche, Gott u. dgl., folglich auch unendlich mehr als der Verein.

Jene Geſellſchaft, welche der Communismus gründen will, ſcheint der Vereinigung am nächſten zu ſtehen. Sie ſoll nämlich das Wohl Aller bezwecken, aber Aller, ruft Weitling unzählige Male aus, Aller! Das ſieht doch wirklich ſo aus, als brauchte dabei Keiner zurückzuſtehen. Welches wird denn aber dieſes Wohl ſein? Haben Alle ein und daſſelbe Wohl,412 iſt Allen bei Ein und Demſelben gleich wohl? Iſt dem ſo, ſo handelt ſich's vom wahren Wohl . Kommen Wir damit nicht gerade an dem Punkte an, wo die Religion ihre Gewalt¬ herrſchaft beginnt? Das Chriſtenthum ſagt: Seht nicht aus irdiſchen Tand, ſondern ſucht euer wahres Wohl, werdet fromme Chriſten: das Chriſtſein iſt das wahre Wohl. Es iſt das wahre Wohl Aller , weil es das Wohl des Men¬ ſchen als ſolchen (dieſes Spuks) iſt. Nun ſoll das Wohl Aller doch auch mein und dein Wohl ſein? Wenn Ich und Du aber jenes Wohl nicht für unſer Wohl anſehen, wird dann für das, wobei Wir Uns Wohlbefinden, geſorgt werden? Im Gegentheil, die Geſellſchaft hat ein Wohl als das wahre Wohl dekretirt, und hieße dieß Wohl z. B. red¬ lich erarbeiteter Genuß, Du aber zögeſt die genußreiche Faulheit, den Genuß ohne Arbeit vor, ſo würde die Geſellſchaft, die für das Wohl Aller ſorgt, für das, wobei Dir wohl iſt, zu ſorgen ſich weislich hüten. Indem der Communismus das Wohl Aller proclamirt, vernichtet er gerade das Wohlſein derer, welche ſeither von ihren Renten lebten und ſich dabei wahr¬ ſcheinlich wohler befanden, als bei der Ausſicht auf die ſtren¬ gen Arbeitsſtunden Weitlings. Dieſer behauptet daher, bei dem Wohle von Tauſenden könne das Wohl von Millionen nicht beſtehen, und jene müßten ihr beſonderes Wohl aufgeben um des allgemeinen Wohles willen. Nein, man fordere die Leute nicht auf, für das allgemeine Wohl ihr beſonderes zu opfern, denn man kommt mit dieſem chriſtlichen Anſpruch nicht durch; die entgegengeſetzte Mahnung, ihr eigenes Wohl ſich durch Niemand entreißen zu laſſen, ſondern es dauernd zu gründen, werden ſie beſſer verſtehen. Sie werden dann von ſelbſt darauf geführt, daß ſie am beſten für ihr Wohl413 ſorgen, wenn ſie ſich mit Andern zu dieſem Zwecke verbin¬ den, d. h. einen Theil ihrer Freiheit opfern , aber nicht dem Wohle Aller, ſondern ihrem eigenen. Eine Appellation an die aufopfernde Geſinnung und die ſelbſtverleugnende Liebe der Menſchen ſollte endlich ihren verführeriſchen Schein ver¬ loren haben, nachdem ſie hinter einer Wirkſamkeit von Jahr¬ tauſenden nichts zurückgelaſſen als die heutige Miſere. Warum denn immer noch fruchtlos erwarten, daß die Auf¬ opferung Uns beſſere Zeiten bringen ſoll; warum nicht lieber von der Uſurpation ſie hoffen? Nicht mehr von den Ge¬ benden, Schenkenden, Liebevollen kommt das Heil, ſondern von den Nehmenden, den Aneignenden (Uſurpatoren), den Eig¬ nern. Der Communismus und, bewußt oder unbewußt, der den Egoismus läſternde Humanismus zählt immer noch auf die Liebe.

Iſt einmal die Gemeinſchaft dem Menſchen Bedürfniß und findet er ſich durch ſie in ſeinen Abſichten gefördert, ſo ſchreibt ſie ihm auch, weil ſein Princip geworden, ſehr bald ihre Geſetze vor, die Geſetze der Geſellſchaft. Das Prin¬ cip der Menſchen erhebt ſich zur ſouverainen Macht über ſie, wird ihr höchſtes Weſen, ihr Gott, und als ſolcher Geſetz¬ geber. Der Communismus giebt dieſem Princip die ſtrengſte Folge, und das Chriſtenthum iſt die Religion der Geſellſchaft, denn Liebe iſt, wie Feuerbach richtig ſagt, obgleich er's nicht richtig meint, das Weſen des Menſchen, d. h. das Weſen der Geſellſchaft oder des geſellſchaftlichen (communiſtiſchen) Men¬ ſchen. Alle Religion iſt ein Cultus der Geſellſchaft, dieſes Principes, von welchem der geſellſchaftliche (cultivirte) Menſch beherrſcht wird; auch iſt kein Gott der ausſchließliche Gott eines Ich's, ſondern immer der einer Geſellſchaft oder Gemein¬414 ſchaft, ſei es der Geſellſchaft Familie (Lar, Penaten) oder eines Volkes ( Nationalgott ) oder aller Menſchen ( er iſt ein Vater aller Menſchen ).

Somit hat man allein dann Ausſicht, die Religion bis auf den Grund zu tilgen, wenn man die Geſellſchaft und alles, was aus dieſem Principe fließt, antiquirt. Gerade aber im Communismus ſucht dieß Princip zu culminiren, da in ihm Alles gemeinſchaftlich werden ſoll, zur Herſtellung der Gleichheit . Iſt dieſe Gleichheit gewonnen, ſo fehlt auch die Freiheit nicht. Aber weſſen Freiheit? die der Geſellſchaft! Die Geſellſchaft iſt dann Alles in Allem, und die Menſchen ſind nur für einander . Es wäre die Glorie des Liebes-Staates.

Ich will aber lieber auf den Eigennutz der Menſchen an¬ gewieſen ſein, als auf ihre Liebesdienſte , ihre Barmherzig¬ keit, Erbarmen u. ſ. w. Jener fordert Gegenſeitigkeit (wie Du Mir, ſo Ich Dir), thut nichts umſonſt , und läßt ſich gewinnen und erkaufen. Womit aber erwerbe Ich Mir den Liebesdienſt? Es kommt auf den Zufall an, ob Ich's gerade mit einem Liebevollen zu thun habe. Der Dienſt des Liebreichen läßt ſich nur erbetteln, ſei es durch meine ganze beklagenswerthe Erſcheinung, durch meine Hülfsbedürftigkeit, mein Elend, mein Leiden. Was kann Ich ihm für ſeine Hülfleiſtung bieten? Nichts! Ich muß ſie als Geſchenk annehmen. Liebe iſt unbezahlbar, oder vielmehr: Liebe kann allerdings bezahlt werden, aber nur durch Gegenliebe ( Eine Gefälligkeit iſt der andern werth ). Welche Armſeligkeit und Bettelhaftigkeit gehört nicht dazu, Jahr aus Jahr ein Gaben anzunehmen, ohne Gegendienſt, wie ſie z. B. vom armen Tagelöhner regelmäßig eingetrieben werden. Was415 kann der Empfänger für jenen und ſeine geſchenkten Pfennige, in denen ſein Reichthum beſteht, thun? Der Tagelöhner hätte wahrlich mehr Genuß, wenn der Empfänger mit ſeinen Ge¬ ſetzen, ſeinen Inſtitutionen u. ſ. w., die jener doch alle bezah¬ len muß, gar nicht exiſtirte. Und dabei liebt der arme Wicht ſeinen Herrn doch.

Nein, die Gemeinſchaft, als das Ziel der bisherigen Geſchichte, iſt unmöglich. Sagen Wir Uns vielmehr von je¬ der Heuchelei der Gemeinſchaft los und erkennen Wir, daß, wenn Wir als Menſchen gleich ſind, Wir eben nicht gleich ſind, weil Wir nicht Menſchen ſind. Wir ſind nur in Ge¬ danken gleich, nur wenn Wir gedacht werden, nicht wie Wir wirklich und leibhaftig ſind. Ich bin Ich, und Du biſt Ich, aber Ich bin nicht dieſes gedachte Ich, ſondern dieſes Ich, worin Wir alle gleich ſind, iſt nur mein Gedanke. Ich bin Menſch und Du biſt Menſch, aber Menſch iſt nur ein Gedanke, eine Allgemeinheit; weder Ich noch Du ſind ſagbar, Wir ſind unausſprechlich, weil nur Gedanken ſagbar ſind und im Sagen beſtehen.

Trachten Wir darum nicht nach der Gemeinſchaft, ſondern nach der Einſeitigkeit. Suchen Wir nicht die umfaſſendſte Gemeinde, die menſchliche Geſellſchaft , ſondern ſuchen Wir in den Andern nur Mittel und Organe, die Wir als unſer Eigenthum gebrauchen! Wie Wir im Baume, im Thiere nicht Unſersgleichen erblicken, ſo entſpringt die Vorausſetzung, daß die Andern Unſersgleichen ſeien, aus einer Heuchelei. Es iſt Keiner Meinesgleichen, ſondern gleich allen andern Weſen betrachte Ich ihn als mein Eigenthum. Dagegen ſagt man Mir, Ich ſoll Menſch unter Mitmenſchen ſein (Juden¬ frage S. 60); Ich ſoll in ihnen den Mitmenſchen reſpectiren . 416Es iſt Keiner für Mich eine Reſpectsperſon, auch der Mit¬ menſch nicht, ſondern lediglich wie andere Weſen ein Gegen¬ ſtand, für den Ich Theilnahme habe oder auch nicht, ein in¬ tereſſanter oder unintereſſanter Gegenſtand, ein brauchbares oder unbrauchbares Subject.

Und wenn Ich ihn gebrauchen kann, ſo verſtändige Ich wohl und einige Mich mit ihm, um durch die Uebereinkunft meine Macht zu verſtärken und durch gemeinſame Gewalt mehr zu leiſten, als die einzelne bewirken könnte. In dieſer Gemeinſamkeit ſehe Ich durchaus nichts anderes, als eine Multiplication meiner Kraft, und nur ſo lange ſie meine vervielfachte Kraft iſt, behalte Ich ſie bei. So aber iſt ſie ein Verein.

Den Verein hält weder ein natürliches noch ein geiſtiges Band zuſammen, und er iſt kein natürlicher, kein geiſtiger Bund. Nicht Ein Blut, nicht Ein Glaube (d.h. Geiſt) bringt ihn zu Stande. In einem natürlichen Bunde, wie einer Fa¬ milie, einem Stamme, einer Nation, ja der Menſchheit ha¬ ben die Einzelnen nur den Werth von Exemplaren derſel¬ ben Art oder Gattung; in einem geiſtigen Bunde wie ei¬ ner Gemeinde, einer Kirche bedeutet der Einzelne nur ein Glied deſſelbigen Geiſtes; was Du in beiden Fällen als Einziger biſt, das muß unterdrückt werden. Als Einzigen kannſt Du Dich bloß im Vereine behaupten, weil der Ver¬ ein nicht Dich beſitzt, ſondern Du ihn beſitzeſt oder Dir zu Nutze machſt.

Im Vereine, und nur im Vereine, wird das Eigenthum anerkannt, weil man das Seine von keinem Weſen mehr zu Lehen trägt. Die Communiſten führen nur conſequent weiter, was während der religiöſen Entwicklung und namentlich im417 Staate längſt vorhanden war, nämlich die Eigenthumsloſigkeit, d. h. das Feudalweſen.

Der Staat bemüht ſich den Begehrlichen zu zähmen, mit andern Worten, er ſucht deſſen Begierde allein auf ihn zu rich¬ ten und mit dem ſie zu befriedigen, was er ihr bietet. Die Begierde um des Begehrlichen willen zu ſättigen, kommt ihm nicht in den Sinn: im Gegentheil ſchilt er den die un¬ gezügelte Begierde athmenden Menſchen einen egoiſtiſchen , und der egoiſtiſche Menſch iſt ſein Feind. Er iſt dieß für ihn, weil die Befähigung, mit demſelben zurecht zu kommen, dem Staate abgeht, der gerade den Egoiſten nicht begreifen kann. Da es dem Staate, wie nicht anders möglich, ledig¬ lich um ſich zu thun iſt, ſo ſorgt er nicht für meine Bedürf¬ niſſe, ſondern ſorgt nur, wie er Mich umbringe, d. h. ein an¬ deres Ich aus Mir mache, einen guten Bürger. Er trifft Anſtalten zur Sittenverbeſſerung . Und womit gewinnt er die Einzelnen für ſich? Mit Sich, d. h. mit dem, was des Staates iſt, mit Staatseigenthum. Er wird unabläſſig thätig ſein, Alle ſeiner Güter theilhaftig zu machen, Alle mit den Gütern der Kultur zu bedenken: er ſchenkt ihnen ſeine Erziehung, öffnet ihnen den Zugang zu ſeinen Kultur¬ anſtalten, befähigt ſie auf den Wegen der Induſtrie zu Eigen¬ thum, d. h. zu Lehen zu kommen u. ſ. w. Für all dieß Lehen fordert er nur den richtigen Zins eines ſteten Dankes. Aber die Undankbaren vergeſſen dieſen Dank abzutragen Weſentlich anders nun, als der Staat, kann es die Ge¬ ſellſchaft auch nicht machen.

In den Verein bringſt Du deine ganze Macht, dein Vermögen, und machſt Dich geltend, in der Geſellſchaft wirſt Du mit deiner Arbeitskraft verwendet; in jenem lebſt27418Du egoiſtiſch, in dieſer menſchlich, d. h. religiös, als ein Glied am Leibe dieſes Herrn : der Geſellſchaft ſchuldeſt Du, was Du haſt, und biſt ihr verpflichtet, biſt von ſocialen Pflich¬ ten beſeſſen, den Verein benutzeſt Du und giebſt ihn, pflicht - und treulos, auf, wenn Du keinen Nutzen weiter aus ihm zu ziehen weißt. Iſt die Geſellſchaft mehr als Du, ſo geht ſie Dir über Dich; der Verein iſt nur dein Werkzeug oder das Schwert, wodurch Du deine natürliche Kraft ver¬ ſchärfſt und vergrößerſt; der Verein iſt für Dich und durch Dich da, die Geſellſchaft nimmt umgekehrt Dich für ſich in Anſpruch und iſt auch ohne Dich; kurz die Geſellſchaft iſt heilig, der Verein dein eigen: die Geſellſchaft verbraucht Dich, den Verein verbrauchſt Du.

Man wird gleichwohl mit dem Einwande nicht zurück¬ halten, daß Uns die geſchloſſene Uebereinkunft wieder läſtig werden und unſere Freiheit beſchränken könne; man wird ſagen, Wir kämen auch endlich darauf hinaus, daß Jeder um des Allgemeinen willen einen Theil ſeiner Freiheit opfern müſſe . Allein um des Allgemeinen willen fiele das Opfer ganz und gar nicht, ſo wenig als Ich die Uebereinkunft um des Allge¬ meinen oder auch nur um irgend eines andem Menſchen willen ſchloß; vielmehr ging Ich auf ſie nur um meines eige¬ nen Nutzens willen, aus Eigennutz, ein. Was aber das Opfern betrifft, ſo opfere Ich doch wohl nur dasjenige, was nicht in meiner Gewalt ſteht, d. h. opfere gar nichts.

Auf das Eigenthum zurückzukommen, ſo iſt Eigenthümer der Herr. Wähle denn, ob Du der Herr ſein willſt, oder die Geſellſchaft Herrin ſein ſoll! Davon hängt es ab, ob Du ein Eigner oder ein Lump ſein wirſt: Der Egoiſt iſt Eigner, der Sociale ein Lump. Lumperei aber oder Eigenthumsloſig¬419 keit iſt der Sinn bei Feudalität, des Lehnsweſens, das ſeit dem vorigen Jahrhundert nur den Lehnsherrn vertauſcht hat, indem es den Menſchen an die Stelle Gottes ſetzte und vom Menſchen zu Lehen annahm, was vorher ein Lehen von Got¬ tes Gnaden geweſen war. Daß die Lumperei des Commu¬ nismus durch das humane Princip zur abſoluten oder lum¬ pigſten Lumperei hinausgeführt wird, iſt oben gezeigt worden, zugleich aber auch, wie nur ſo die Lumperei zur Eigenheit um¬ ſchlagen kann. Das alte Feudalweſen wurde in der Revo¬ lution ſo gründlich eingeſtampft, daß ſeitdem alle reactionaire Liſt fruchtlos blieb und immer fruchtlos bleiben wird, weil das Todte todt iſt; aber auch die Auferſtehung mußte in der chriſt¬ lichen Geſchichte ſich als eine Wahrheit bewähren und hat ſich bewährt: denn in einem Jenſeits iſt mit verklärtem Leibe die Feudalität wiedererſtanden, die neue Feudalität unter der Oberlehnsherrlichkeit des Menſchen .

Das Chriſtenthum iſt nicht vernichtet, ſondern die Gläu¬ bigen haben Recht, wenn ſie bisher von jedem Kampfe dagegen vertrauungsvoll annahmen, daß er nur zur Läuterung und Be¬ feſtigung deſſelben dienen könne; denn es iſt wirklich nur verklärt worden, und das Chriſtenthum iſt Chriſtenthum iſt das menſchliche. Wir leben noch ganz im chriſtlichen Zeitalter, und die ſich daran am meiſten ärgern, tragen gerade am eifrigſten dazu bei, es zu vollenden . Je menſchlicher, deſto lieber iſt Uns die Feudalität geworden; denn deſto weniger glauben Wir, daß ſie noch Feudalität ſei, deſto getroſter nehmen Wir ſie für Eigen¬ heit und meinen unſer Eigenſtes gefunden zu haben, wenn Wir das Menſchliche entdecken.

Der Liberalismus will Mir das Meinige geben, aber nicht unter dem Titel des Meinigen, ſondern unter dem des Menſch¬27*420lichen gedenkt er Mir's zu verſchaffen. Als wenn es unter dieſer Maske zu erreichen wäre! Die Menſchenrechte, das theure Werk der Revolution, haben den Sinn, daß der Menſch in Mir Mich zu dem und jenem berechtige: Ich als Einzelner, d. h. als dieſer, bin nicht berechtigt, ſondern der Menſch hat das Recht und be¬ rechtigt Mich. Als Menſch kann Ich daher wohl berechtigt ſein, da Ich aber, mehr als Menſch, nämlich ein abſonderlicher Menſch bin, ſo kann es gerade Mir, dem Abſonderlichen, ver¬ weigert werden. Haltet Ihr hingegen auf den Werth eurer Gaben, haltet ſie im Preiſe, laßt Euch nicht zwingen, unter dem Preiſe loszuſchlagen, laßt Euch nicht einreden, eure Waare ſei nicht preiswürdig, macht Euch nicht zum Geſpötte durch einen Spottpreis , ſondern ahmt dem Tapfern nach, welcher ſagt: Ich will mein Leben (Eigenthum) theuer verkaufen, die Feinde ſollen es nicht wohlfeilen Kaufes haben: ſo habt Ihr das Umgekehrte vom Communismus als das Richtige erkannt, und es heißt dann nicht: Gebt euer Eigenthum auf! ſondern: Verwerthet euer Eigenthum!

Ueber der Pforte unſerer Zeit ſteht nicht jenes apollini¬ ſche: Erkenne Dich ſelbſt , ſondern ein: Verwerthe Dich!

Proud'hon nennt das Eigenthum den Raub (le vol). Es iſt aber das fremde Eigenthum und von dieſem allein ſpricht er nicht minder durch Entſagung, Abtretung und Demuth vorhanden, es iſt ein Geſchenk. Warum ſo ſenti¬ mental als ein armer Beraubter das Mitleid anrufen, wenn man doch nur ein thörichter, feiger Geſchenkgeber iſt. Warum auch hier wieder die Schuld Andern zuſchieben, als beraubten ſie Uns, da Wir doch ſelbſt die Schuld tragen, indem Wir die Andern unberaubt laſſen. Die Armen ſind daran ſchuld, daß es Reiche giebt.

421

Ueberhaupt ereifert ſich Niemand über ſein Eigenthum, ſondern über fremdes. Man greift in Wahrheit nicht das Eigenthum an, ſondern die Entfremdung des Eigenthums. Man will mehr, nicht weniger, ſein nennen können, man will alles ſein nennen. Man kämpft alſo gegen die Fremd¬ heit, oder, um ein dem Eigenthum ähnliches Wort zu bilden, gegen das Fremdenthum. Und wie hilft man ſich dabei? Statt das Fremde in Eigenes zu verwandeln, ſpielt man den Unparteiiſchen und verlangt nur, daß alles Eigenthum einem Dritten (z. B. der menſchlichen Geſellſchaft) überlaſſen werde. Man reclamirt das Fremde nicht im eigenen Namen, ſondern in dem eines Dritten. Nun iſt der egoiſtiſche Anſtrich weg¬ gewiſcht und alles ſo rein und menſchlich!

Eigenthumsloſigkeit oder Lumperei, das iſt alſo das We¬ ſen des Chriſtenthums , wie es das Weſen aller Religioſität (d. h. Frömmigkeit, Sittlichkeit, Menſchlichkeit) iſt, und nur in der abſoluten Religion am klarſten ſich verkündete und als frohe Botſchaft zum entwickelungsfähigen Evangelium wurde. Die ſprechendſte Entwicklung haben Wir im gegenwärtigen Kampfe wider das Eigenthum vor Uns, einem Kampfe, der den Menſchen zum Siege führen und die Eigenthumsloſig¬ keit vollſtändig machen ſoll: die ſiegende Humanität iſt der Sieg des Chriſtenthums. Das ſo entdeckte Chriſtenthum aber iſt die vollendete Feudalität, das allumfaſſende Lehnsweſen, d. h. die vollkommene Lumperei.

Alſo wohl noch einmal eine Revolution gegen das Feu¬ dalweſen?

Revolution und Empörung dürfen nicht für gleichbedeu¬ tend angeſehen werden. Jene beſteht in einer Umwälzung der Zuſtände, des beſtehenden Zuſtandes oder status, des Staats422 oder der Geſellſchaft, iſt mithin eine politiſche oder ſociale That; dieſe hat zwar eine Umwandlung der Zuſtände zur unver¬ meidlichen Folge, geht aber nicht von ihr, ſondern von der Unzu¬ friedenheit der Menſchen mit ſich aus, iſt nicht eine Schilderhebung, ſondern eine Erhebung der Einzelnen, ein Emporkommen, ohne Rückſicht auf die Einrichtungen, welche daraus entſprießen. Die Revolution zielte auf neue Einrichtungen, die Empö¬ rung führt dahin, Uns nicht mehr einrichten zu laſſen, ſon¬ dern Uns ſelbſt einzurichten, und ſetzt auf Inſtitutionen keine glänzende Hoffnung. Sie iſt kein Kampf gegen das Beſtehende, da, wenn ſie gedeiht, das Beſtehende von ſelbſt zuſammenſtürzt, ſie iſt nur ein Herausarbeiten Meiner aus dem Beſtehenden. Verlaſſe Ich das Beſtehende, ſo iſt es todt und geht in Fäulniß über. Da nun nicht der Umſturz eines Beſtehenden mein Zweck iſt, ſondern meine Erhebung darüber, ſo iſt meine Abſicht und That keine politiſche oder ſociale, ſondern, als allein auf Mich und meine Eigenheit gerichtet, eine ego¬ iſtiche.

Einrichtungen zu machen gebietet die Revolution, ſich auf - oder emporzurichten heiſcht die Empörung. Welche Verfaſſung zu wählen ſei, dieſe Frage beſchäftigte die revo¬ lutionairen Köpfe, und von Verfaſſungskämpfen und Verfaſſungs¬ fragen ſprudelt die ganze politiſche Periode, wie auch die ſocia¬ len Talente an geſellſchaftlichen Einrichtungen (Phalanſterien u. dergl. ) ungemein erfinderiſch waren. Verfaſſungslos zu werden, beſtrebt ſich der Empörer. *)Um Mich gegen eine Criminalklage zu ſichern, bemerke Ich zum Ueberfluß ausdrücklich, daß Ich das Wort Empörung wegen ſeines etymologiſchen Sinnes wähle, alſo nicht in dem beſchränkten Sinne gebrauche, welcher vom Strafgeſetzbuche verpönt iſt.

423

Indem Ich zu größerer Verdeutlichung auf einen Vergleich ſinne, fällt Mir wider Erwarten die Stiftung des Chriſten¬ thums ein. Man vermerkt es liberaler Seits den erſten Chri¬ ſten übel, daß ſie gegen die beſtehende heidniſche Staatsord¬ nung Gehorſam predigten, die heidniſche Obrigkeit anzuerken¬ nen befahlen und ein Gebet dem Kaiſer, was des Kaiſers iſt getroſt geboten. Wie viel Aufruhr entſtand doch zu der¬ ſelben Zeit gegen die römiſche Oberherrſchaft, wie aufwieg¬ leriſch bewieſen ſich die Juden und ſelbſt die Römer gegen ihre eigene weltliche Regierung, kurz wie beliebt war die po¬ litiſche Unzufriedenheit ! Davon wollten jene Chriſten nichts wiſſen; wollten den liberalen Tendenzen nicht beitreten. Die Zeit war politiſch ſo aufgeregt, daß man, wie's in den Evangelien heißt, den Stifter des Chriſtenthums nicht erfolg¬ reicher anklagen zu können meinte, als wenn man ihn poli¬ tiſcher Umtriebe bezüchtigte, und doch berichten dieſelben Evangelien, daß gerade er ſich am wenigſten an dieſem poli¬ tiſchen Treiben betheiligte. Warum aber war er kein Revo¬ lutionair, kein Demagoge, wie ihn die Juden gerne geſehen hätten, warum war er kein Liberaler? Weil er von einer Aenderung der Zuſtände kein Heil erwartete, und dieſe ganze Wirthſchaft ihm gleichgültig war. Er war kein Revolutionair, wie z. B. Cäſar, ſondern ein Empörer, kein Staatsumwälzer, ſondern Einer, der ſich emporrichtete. Darum galt es ihm auch allein um ein Seid klug wie die Schlangen , was den¬ ſelben Sinn ausdrückt, als im ſpeciellen Falle jenes Gebet dem Kaiſer, was des Kaiſers iſt ; er führte ja keinen libera¬ len oder politiſchen Kampf gegen die beſtehende Obrigkeit, ſon¬ dern wollte, unbekümmert um und ungeſtört von dieſer Obrig¬ keit, ſeinen eigenen Weg wandeln. Nicht minder gleichgültig424 als die Regierung waren ihm deren Feinde, denn was er wollte, verſtanden beide nicht, und er hatte ſie nur mit Schlan¬ genklugheit von ſich abzuhalten. Wenn aber auch kein Volks¬ aufwiegler, kein Demagog oder Revolutionair, ſo war er und jeder der alten Chriſten um ſo mehr ein Empörer, der über Alles ſich emporhob, was der Regierung und ihren Widerſachern erhaben dünkte, und von Allem ſich entband, woran jene gebunden blieben, und der zugleich die Lebens¬ quellen der ganzen heidniſchen Welt abgrub, mit welchen der beſtehende Staat ohnehin verwelken mußte: er war gerade darum, weil er das Umwerfen des Beſtehenden von ſich wies, der Todfeind und wirkliche Vernichter deſſelben; denn er mauerte es ein, indem er darüber getroſt und rückſichtslos den Bau ſeines Tempels aufführte, ohne auf die Schmerzen des Ein¬ gemauerten zu achten.

Nun, wie der heidniſchen Weltordnung geſchah, wird's ſo der chriſtlichen ergehen? Eine Revolution führt gewiß das Ende nicht herbei, wenn nicht vorher eine Empörung voll¬ bracht iſt!

Mein Verkehr mit der Welt, worauf geht er hinaus? Genießen will Ich ſie, darum muß ſie mein Eigenthum ſein, und darum will Ich ſie gewinnen. Ich will nicht die Frei¬ heit, nicht die Gleichheit der Menſchen; Ich will nur meine Macht über ſie, will ſie zu meinem Eigenthum, d.h. genie߬ bar machen. Und gelingt Mir das nicht, nun, die Gewalt über Leben und Tod, die Kirche und Staat ſich vorbehielten, Ich nenne auch ſie die meinige. Brandmarkt jene Offi¬ cier-Wittwe, die auf der Flucht in Rußland, nachdem ihr das Bein weggeſchoſſen, das Strumpfband von dieſem abzieht, ihr Kind damit erdroſſelt und dann neben der Leiche verblutet, 425 brandmarkt das Andenken der Kindesmörderin. Wer weiß, wie viel dieß Kind, wenn es am Leben blieb, der Welt hätte nützen können! Die Mutter ermordete es, weil ſie befrie¬ digt und beruhigt ſterben wollte. Dieſer Fall ſagt eurer Sentimentalität vielleicht noch zu, und Ihr wißt nichts Wei¬ teres aus ihm herauszuleſen. Es ſei; Ich Meinerſeits ge¬ brauche ihn als Beiſpiel dafür, daß meine Befriedigung über mein Verhältniß zu den Menſchen entſcheidet, und daß Ich auch der Macht über Leben und Tod aus keiner Anwandlung von Demuth entſage.

Was überhaupt die Socialpflichten anlangt, ſo giebt Mir nicht ein Anderer meine Stellung zu Andern, alſo weder Gott noch die Menſchlichkeit ſchreibt Mir meine Beziehung zu den Menſchen vor, ſondern Ich gebe Mir dieſe Stellung. Sprechender iſt dieß damit geſagt: Ich habe gegen Andere keine Pflicht, wie Ich auch nur ſo lange gegen Mich eine Pflicht habe (z. B. die der Selbſterhaltung, alſo nicht Selbſt¬ mord), als Ich Mich von Mir unterſcheide (meine unſterb¬ liche Seele von meinem Erdendaſein u. ſ. w.).

Ich demüthige Mich vor keiner Macht mehr und er¬ kenne, daß alle Mächte nur meine Macht ſind, die Ich ſo¬ gleich zu unterwerfen habe, wenn ſie eine Macht gegen oder über Mich zu werden drohen; jede derſelben darf nur eins meiner Mittel ſein, Mich durchzuſetzen, wie ein Jagdhund unſere Macht gegen das Wild iſt, aber von Uns getödtet wird, wenn er Uns ſelbſt anfiele. Alle Mächte, die Mich beherr¬ ſchen, ſetze Ich dann dazu herab, Mir zu dienen. Die Götzen ſind durch Mich: Ich brauche ſie nur nicht von neuem zu ſchaffen, ſo ſind ſie nicht mehr; höhere Mächte ſind nur dadurch, daß Ich ſie erhöhe und Mich niedriger ſtelle.

426

Somit iſt denn mein Verhältniß zur Welt dieſes: Ich thue für ſie nichts mehr um Gottes willen , Ich thue nichts um des Menſchen willen , ſondern, was Ich thue, das thue Ich um Meinetwillen . So allein befriedigt Mich die Welt, während für den religiöſen Standpunkt, wohin Ich auch den ſittlichen und humanen rechne, es bezeichnend iſt, daß Alles darauf ein frommer Wunſch (pium desiderium), d. h. ein Jenſeits, ein Unerreichtes bleibt. So die allgemeine Seligkeit der Menſchen, die ſittliche Welt einer allgemeinen Liebe, der ewige Friede, das Aufhören des Egoismus u. ſ. w. Nichts in dieſer Welt iſt vollkommen . Mit dieſem leidigen Spruche ſcheiden die Guten von ihr und flüchten ſich in ihr Kämmer¬ lein zu Gott oder in ihr ſtolzes Selbſtbewußtſein . Wir aber bleiben in dieſer unvollkommenen Welt, weil Wir ſie auch ſo brauchen können zu unſerem Selbſtgenuß.

Mein Verkehr mit der Welt beſteht darin, daß Ich ſie genieße und ſo ſie zu meinem Selbſtgenuß verbrauche. Der Verkehr iſt Weltgenuß und gehört zu meinem Selbſt¬ genuß.

3. Mein Selbſtgenuß.

Wir ſtehen an der Grenzſcheide einer Periode. Die bis¬ herige Welt ſann auf nichts als auf Gewinn des Lebens, ſorgte für's Leben. Denn ob alle Thätigkeit für das dieſſeitige oder für das jenſeitige, für das zeitliche oder für das ewige Leben in Spannung geſetzt wird, ob man nach dem täglichen Brote lechzt ( Gieb Uns unſer täglich Brot ) oder nach dem heiligen Brote ( das rechte Brot vom Himmel; 427das Brot Gottes, das vom Himmel kommt und der Welt das Leben giebt; das Brot des Lebens. Joh. 6.), ob man ums liebe Leben ſorgt oder um das Leben in Ewigkeit : das ändert den Zweck der Spannung und Sorge nicht, der im einen wie im andern Falle ſich als das Leben ausweiſt. Kündigen ſich die modernen Tendenzen anders an? Man will, daß Niemand mehr um die nöthigſten Lebensbedürfniſſe in Verlegenheit komme, ſondern ſich darin geſichert finde, und anderſeits lehrt man, daß der Menſch ſich ums Dieſſeits zu be¬ kümmern und in die wirkliche Welt einzuleben habe, ohn eitle Sorge um ein Jenſeits.

Faſſen Wir dieſelbe Sache von einer andern Seite auf. Wer nur beſorgt iſt, daß er lebe, vergißt über dieſe Aengſt¬ lichkeit leicht den Genuß des Lebens. Iſt's ihm nur ums Leben zu thun und denkt er, wenn Ich nur das liebe Leben habe, ſo verwendet er nicht ſeine volle Kraft darauf, das Leben zu nutzen, d. h. zu genießen. Wie aber nutzt man das Leben? Indem man's verbraucht, gleich dem Lichte, das man nutzt, indem man's verbrennt. Man nutzt das Leben und mithin ſich, den Lebendigen, indem man es und ſich verzehrt. Lebensgenuß iſt Verbrauch des Lebens.

Nun den Genuß des Lebens ſuchen Wir auf! Und was that die religiöſe Welt? Sie ſuchte das Leben auf. Worin beſteht das wahre Leben, das ſelige Leben u. ſ. w.? Wie iſt es zu erreichen? Was muß der Menſch thun und werden, um ein wahrhaft Lebendiger zu ſein? Wie erfüllt er dieſen Beruf? Dieſe und ähnliche Fragen deuten darauf hin, daß die Fragenden erſt ſich ſuchten, ſich nämlich im wahren Sinne, im Sinne der wahrhaftigen Lebendigkeit. Was Ich bin, iſt Schaum und Schatten; was Ich ſein werde, iſt mein428 wahres Ich. Dieſem Ich nachzujagen, es herzuſtellen, es zu realiſiren, macht die ſchwere Aufgabe der Sterblichen aus, die nur ſterben, um aufzuerſtehen, nur leben, um zu ſterben, nur leben, um das wahre Leben zu finden.

Erſt dann, wenn Ich Meiner gewiß bin und Mich nicht mehr ſuche, bin Ich wahrhaft mein Eigenthum: Ich habe Mich, darum brauche und genieße Ich Mich. Dagegen kann Ich Meiner nimmermehr froh werden, ſo lange Ich denke, mein wahres Ich hätte Ich erſt noch zu finden, und es müſſe dahin kommen, daß nicht Ich, ſondern Chriſtus in Mir lebe oder irgend ein anderes geiſtiges, d. h. geſpenſtiſches Ich, z. B. der wahre Menſch, das Weſen des Menſchen u. dgl.

Ein ungeheurer Abſtand trennt beide Anſchauungen: in der alten gehe Ich auf Mich zu, in der neuen gehe Ich von Mir aus, in jener ſehne Ich Mich nach Mir, in dieſer habe Ich Mich und mache es mit Mir, wie man's mit jedem an¬ dern Eigenthum macht, Ich genieße Mich nach meinem Wohlgefallen. Ich bange nicht mehr um's Leben, ſondern verthue es.

Von jetzt an lautet die Frage, nicht wie man das Leben erwerben, ſondern wie man's verthun, genießen könne, oder nicht wie man das wahre Ich in ſich herzuſtellen, ſondern wie man ſich aufzulöſen, ſich auszuleben habe.

Was wäre das Ideal wohl anders, als das geſuchte, ſtets ferne Ich? Sich ſucht man, folglich hat man ſich noch nicht, man trachtet nach dem, was man ſein ſoll, folg¬ lich iſt man's nicht. Man lebt in Sehnſucht und hat Jahrtauſende in ihr, hat in Hoffnung gelebt. Ganz an¬ ders lebt es ſich im Genuß!

Trifft dieß etwa nur die ſogenannten Frommen? Nein, es429 trifft Alle, die der ſcheidenden Geſchichtsperiode angehören, ſelbſt ihre Lebemänner. Auch ihnen folgte auf die Werkeltage ein Sonntag und auf das Welttreiben der Traum von einer beſ¬ ſeren Welt, von einem allgemeinen Menſchenglück, kurz ein Ideal. Aber namentlich die Philoſophen werden den From¬ men gegenübergeſtellt. Nun, haben die an etwas anderes ge¬ dacht, als an das Ideal, auf etwas anderes geſonnen, als auf das abſolute Ich? Sehnſucht und Hoffnung überall, und nichts als dieſe. Nennt es meinetwegen Romantik.

Soll der Lebensgenuß über die Lebensſehnſucht oder Lebenshoffnung triumphiren, ſo muß er ſie in ihrer dop¬ pelten Bedeutung, die Schiller im Ideal und das Leben vorführt, bezwingen, die geiſtliche und weltliche Armuth ecra¬ ſiren, das Ideal vertilgen und die Noth ums tägliche Brot. Wer ſein Leben aufwenden muß, um das Leben zu friſten, der kann es nicht genießen, und wer ſein Leben erſt ſucht, der hat es nicht und kann es ebenſo wenig genießen: beide ſind arm, ſelig aber ſind die Armen.

Die da hungem nach dem wahren Leben, haben keine Macht über ihr gegenwärtiges, ſondern müſſen es zu dem Zwecke verwenden, jenes wahre Leben damit zu gewinnen, und müſſen es ganz dieſem Trachten und dieſer Ausgabe opfern. Wenn an jenen Religiöſen, die auf ein jenſeitiges Leben hof¬ fen und das dieſſeitige bloß für eine Vorbereitung zu demſel¬ ben anſehen, die Dienſtbarkeit ihres irdiſchen Daſeins, das ſie lediglich in den Dienſt des gehofften himmliſchen geben, ziem¬ lich ſcharf einleuchtet, ſo würde man doch. weit fehl greifen, wollte man die Aufgeklärteſten und Erleuchtetſten für minder aufopfernd halten. Läßt doch im wahren Leben eine viel umfaſſendere Bedeutung ſich finden, als das himmliſche aus¬430 zudrücken vermag. Iſt etwa, um ſogleich den liberalen Be¬ griff deſſelben vorzuführen, das menſchliche und wahrhaft menſchliche nicht das wahre Leben? Und führt etwa Jeder ſchon von Haus aus dieß wahrhaft menſchliche Leben, oder muß er mit ſaurer Mühe ſich erſt dazu erheben? Hat er es ſchon als ſein gegenwärtiges, oder muß er's als ſein zukünfti¬ ges Leben erringen, das ihm erſt dann zu Theil wird, wenn er von keinem Egoismus mehr befleckt iſt ? Das Leben iſt bei dieſer Anſicht nur dazu da, um Leben zu gewinnen, und man lebt nur, um das Weſen des Menſchen in ſich lebendig zu machen, man lebt um dieſes Weſens willen. Man hat ſein Leben nur, um ſich mittelſt deſſelben das wahre , von allem Egoismus gereinigte Leben zu verſchaffen. Daher fürch¬ tet man ſich, von ſeinem Leben einen beliebigen Gebrauch zu machen: es ſoll nur zum rechten Gebrauche dienen.

Kurz man hat einen Lebensberuf, eine Lebensaufgabe, hat durch ſein Leben Etwas zu verwirklichen und herzuſtellen, ein Etwas, für welches unſer Leben nur Mittel und Werk¬ zeug iſt, ein Etwas, das mehr werth iſt, als dieſes Leben, ein Etwas, dem man das Leben ſchuldig iſt. Man hat einen Gott, der ein lebendiges Opfer verlangt. Nur die Rohheit des Menſchenopfers hat ſich mit der Zeit verloren; das Menſchenopfer ſelbſt iſt unverkürzt geblieben, und ſtündlich fallen Verbrecher der Gerechtigkeit zum Opfer, und Wir ar¬ men Sünder ſchlachten Uns ſebſt zum Opfer für das menſchliche Weſen , die Idee der Menſchheit , die Menſch¬ lichkeit und wie die Götzen oder Götter ſonſt noch heißen.

Weil Wir aber unſer Leben jenem Etwas ſchulden, darum haben Wir dieß das Nächſte kein Recht es uns zu nehmen.

431

Die conſervative Tendenz des Chriſtenthums erlaubt nicht anders an den Tod zu denken, als mit der Abſicht, ihm ſei¬ nen Stachel zu nehmen und hübſch fortzuleben und ſich zu erhalten. Alles läßt der Chriſt geſchehen und über ſich erge¬ hen, wenn er der Erzjude ſich nur in den Himmel hineinſchachern und ſchmuggeln kann; ſich ſelbſt tödten darf er nicht, er darf ſich nur erhalten, und an der Bereitung einer zukünftigen Stätte arbeiten. Conſervatismus oder Ueber¬ windung des Todes liegt ihm am Herzen: Der letzte Feind, der aufgehoben wird, iſt der Tod. *)1 Cor. 15, 26. Chriſtus hat dem Tode die Macht genommen und das Leben und ein unvergäng¬ liches Weſen ans Licht gebracht durch das Evangelium. **)2 Tim. 1, 10. Unvergänglichkeit , Stabilität.

Der Sittliche will das Gute, das Rechte, und wenn er die Mittel ergreift, welche zu dieſem Ziele führen, wirklich führen, ſo ſind dieſe Mittel nicht ſeine Mittel, ſondern die des Guten, Rechten u. ſ. w. ſelbſt. Unſittlich ſind dieſe Mit¬ tel niemals, weil der gute Zweck ſelbſt ſich durch ſie vermit¬ telt: der Zweck heiligt die Mittel. Dieſen Grundſatz nennt man jeſuitiſch, er iſt aber durchaus ſittlich. Der Sittliche handelt im Dienſte eines Zweckes oder einer Idee: er macht ſich zum Werkzeuge der Idee des Guten, wie der Fromme ein Werk - oder Rüſtzeug Gottes zu ſein ſich zum Ruhme an¬ rechnet. Den Tod abzuwarten, heiſcht das ſittliche Gebot als das Gute; ihn ſich ſelbſt zu geben, iſt unſittlich und böſe: der Selbſtmord findet keine Entſchuldigung vor dem Rich¬ terſtuhle der Sittlichkeit. Verbietet der Religiöſe ihn, weil432 du dir das Leben nicht gegeben haſt, ſondern Gott, der es dir auch allein wieder nehmen kann (als ob, auch in dieſer Vor¬ ſtellung geſprochen, Mir's Gott nicht ebenſowohl nähme, wenn ich Mich tödte, als wenn Mich ein Dachziegel oder eine feind¬ liche Kugel umwirft: er hätte ja den Todesentſchluß auch in mir geweckt!): ſo verbietet der Sittliche ihn, weil Ich mein Leben dem Vaterlande u. ſ. w. ſchulde, weil ich nicht wiſſe, ob ich durch mein Leben nicht noch Gutes wirken könne. Natürlich, es verliert ja das Gute an mir ein Werkzeug, wie Gott ein Rüſtzeug. Bin ich unſittlich, ſo iſt dem Guten mit meiner Beſſerung gedient, bin Ich gottlos , ſo hat Gott Freude an meiner Bußfertigkeit. Selbſtmord iſt alſo ſo¬ wohl gottlos als ruchlos. Wenn einer, deſſen Standpunkt die Religioſität iſt, ſich das Leben nimmt, ſo handelt er gottver¬ geſſen; iſt aber der Standpunkt des Selbſtmörders die Sitt¬ lichkeit, ſo handelt er pflichtvergeſſen, unſittlich. Man quälte ſich viel mit der Frage, ob Emilie Galotti's Tod vor der Sittlichkeit ſich rechtfertigen laſſe (man nimmt ihn, als wäre er Selbſtmord, was er der Sache nach auch iſt). Daß ſie in die Keuſchheit, dieß ſittliche Gut, ſo vernarrt iſt, um ſelbſt ihr Leben dafür zu laſſen, iſt jedenfalls ſittlich; daß ſie aber ſich die Gewalt über ihr Blut nicht zutraut, iſt wieder un¬ ſittlich. Solche Widerſprüche bilden in dem ſittlichen Trauer¬ ſpiele den tragiſchen Conflict überhaupt, und man muß ſittlich denken und fühlen, um daran ein Intereſſe nehmen zu können.

Was von der Frömmigkeit und Sittlichkeit gilt, wird nothwendig auch die Menſchlichkeit treffen, weil man dem Menſchen, der Menſchheit oder Gattung gleichfalls ſein Leben ſchuldig iſt. Nur wenn ich keinem Weſen verpflichtet bin, iſt433 die Erhaltung des Lebens meine Sache. Ein Sprung von dieſer Brücke macht Mich frei!

Sind Wir aber jenem Weſen, das Wir in Uns lebendig machen ſollen, die Erhaltung unſeres Lebens ſchuldig, ſo iſt es nicht weniger unſere Pflicht, dieſes Leben nicht nach un¬ ſerer Luſt zu führen, ſondern es jenem Weſen gemäß zu ge¬ ſtalten. All mein Fühlen, Denken und Wollen, all mein Thun und Trachten gehört ihm.

Was jenem Weſen gemäß ſei, ergiebt ſich aus dem Be¬ griffe deſſelben, und wie verſchieden iſt dieſer Begriff begriffen oder wie verſchieden iſt jenes Weſen vorgeſtellt worden! Welche Forderungen macht das höchſte Weſen an den Muhamedaner, und welch 'andere glaubt wieder der Chriſt von ihm zu ver¬ nehmen; wie abweichend muß daher beider Lebensgeſtaltung ausfallen! Nur dieß halten Alle feſt, daß das höchſte Weſen unſer Leben zu richten habe.

Doch an den Frommen, die in Gott ihren Richter und in ſeinem Wort einen Leitfaden für ihr Leben haben, gehe Ich überall nur erinnerungsweiſe vorüber, weil ſie einer verlebten Entwicklungsperiode angehören und als Verſteinerungen immer¬ hin auf ihrem fixen Platze bleiben mögen; in unſerer Zeit haben nicht mehr die Frommen, ſondern die Liberalen das große Wort, und die Frömmigkeit ſelbſt kann ſich deſſen nicht erwehren, mit liberalem Teint ihr blaſſes Geſicht zu röthen. Die Liberalen aber verehren nicht in Gott ihren Richter und wickeln ihr Leben nicht am Leitfaden des göttlichen Wortes ab, ſondern richten ſich nach dem Menſchen: nicht göttlich , ſon¬ dern menſchlich wollen ſie ſein und leben.

Der Menſch iſt des Liberalen höchſtes Weſen, der Menſch ſeines Lebens Richter, die Menſchlichkeit ſein Leitfaden28434oder Katechismus. Gott iſt Geiſt, aber der Menſch iſt der vollkommenſte Geiſt , das endliche Reſultat der langen Geiſtes¬ jagd oder der Forſchung in den Tiefen der Gottheit , d. h. in den Tiefen des Geiſtes.

Jeder deiner Züge ſoll menſchlich ſein; Du ſelbſt ſollſt es vom Wirbel bis zur Zehe, im Innern wie im Aeußern ſein: denn die Menſchlichkeit iſt dein Beruf.

Beruf Beſtimmung Aufgabe!

Was Einer werden kann, das wird er auch. Ein gebo¬ rener Dichter mag wohl durch die Ungunſt der Umſtände ge¬ hindert werden, auf der Höhe der Zeit zu ſtehen und nach den dazu unerläßlichen großen Studien ausgebildete Kunſtwerke zu ſchaffen; aber dichten wird er, er ſei Ackerknecht oder ſo glücklich, am Weimarſchen Hofe zu leben. Ein geborener Muſiker wird Muſik treiben, gleichviel ob auf allen Inſtru¬ menten oder nur auf einem Haferrohr. Ein geborener philo¬ ſophiſcher Kopf kann ſich als Univerſitätsphiloſoph oder als Dorfphiloſoph bewähren. Endlich ein geborener Dummerjan, der, was ſich ſehr wohl damit verträgt, zugleich ein Pfiffikus ſein kann, wird, wie wahrſcheinlich Jeder, der Schulen beſucht hat, an manchen Beiſpielen von Mitſchülern ſich zu vergegen¬ wärtigen im Stande iſt, immer ein vernagelter Kopf bleiben, er möge nun zu einem Büreauchef einexercirt und dreſſirt wor¬ den ſein, oder demſelben Chef als Stiefelputzer dienen. Ja die geborenen beſchränkten Köpfe bilden unſtreitig die zahl¬ reichſte Menſchenklaſſe. Warum ſollten auch in der Menſchen¬ gattung nicht dieſelben Unterſchiede hervortreten, welche in jeder Thiergattung unverkennbar ſind? Ueberall finden ſich Begab¬ tere und minder Begabte.

So blödſinnig ſind indeß nur Wenige, daß man ihnen435 nicht Ideen beibringen könnte. Daher hält man gewöhnlich alle Menſchen für fähig, Religion zu haben. In einem ge¬ wiſſen Grade ſind ſie auch zu andern Ideen noch abzurichten, z. B. zu einigem muſikaliſchen Verſtändniß, ſelbſt etwas Phi¬ ſophie u. ſ. w. Hier knüpft denn das Pfaffenthum der Reli¬ gion, der Sittlichkeit, der Bildung, der Wiſſenſchaft u. ſ. w. an, und die Communiſten z. B. wollen durch ihre Volks¬ ſchule Allen alles zugänglich machen. Eine gewöhnliche Be¬ hauptung wird gehört, daß dieſe große Maſſe ohne Religion nicht auskommen könne; die Communiſten erweitern ſie zu dem Satze, daß nicht nur die große Maſſe , ſondern ſchlechthin Alle zu Allem berufen ſeien.

Nicht genug, daß man die große Maſſe zur Religion ab¬ gerichtet hat, nun ſoll ſie gar mit allem Menſchlichen ſich noch befaſſen müſſen. Die Dreſſur wird immer allgemeiner und umfaſſender.

Ihr armen Weſen, die Ihr ſo glücklich leben könntet, wenn Ihr nach eurem Sinne Sprünge machen dürftet, Ihr ſollt nach der Pfeife der Schulmeiſter und Bärenführer tanzen, um Kunſtſtücke zu machen, zu denen Ihr ſelbſt Euch nimmer¬ mehr gebrauchen würdet. Und Ihr ſchlagt nicht endlich einmal dagegen aus, daß man Euch immer anders nimmt, als Ihr Euch geben wollt. Nein, Ihr ſprecht Euch die vorgeſprochene Frage mechaniſch ſelber vor: Wozu bin Ich berufen? Was ſoll Ich? So braucht Ihr nur zu fragen, um Euch ſagen und befehlen zu laſſen, was Ihr ſollt, euren Beruf Euch vor¬ zeichnen zu laſſen, oder auch es Euch ſelbſt nach der Vorſchrift des Geiſtes zu befehlen und aufzuerlegen. Da heißt es denn in Bezug auf den Willen: Ich will, was Ich ſoll.

Ein Menſch iſt zu nichts berufen und hat keine Auf¬28 *436gabe , keine Beſtimmung , ſo wenig als eine Pflanze oder ein Thier einen Beruf hat. Die Blume folgt nicht dem Berufe, ſich zu vollenden, aber ſie wendet alle ihre Kräfte auf, die Welt, ſo gut ſie kann, zu genießen und zu verzehren, d. h. ſie ſaugt ſo viel Säfte der Erde, ſo viel Luft des Aethers, ſo viel Licht der Sonne ein, als ſie bekommen und beherbergen kann. Der Vogel lebt keinem Berufe nach, aber er gebraucht ſeine Kräfte ſo viel es geht: er haſcht Käfer und ſingt nach Herzensluſt. Der Blume und des Vogels Kräfte ſind aber im Vergleich zu denen eines Menſchen gering, und viel gewal¬ tiger wird ein Menſch, der ſeine Kräfte anwendet, in die Welt eingreifen als Blume und Thier. Einen Beruf hat er nicht, aber er hat Kräfte, die ſich äußern, wo ſie ſind, weil ihr Sein ja einzig in ihrer Aeußerung beſteht und ſo wenig unthätig verharren können als das Leben, das, wenn es auch nur eine Sekunde ſtille ſtände , nicht mehr Leben wäre. Nun könnte man dem Menſchen zurufen: gebrauche deine Kraft. Doch in dieſen Imperativ würde der Sinn gelegt werden, es ſei des Menſchen Aufgabe, ſeine Kraft zu gebrauchen. So iſt es nicht. Es gebraucht vielmehr wirklich Jeder ſeine Kraft, ohne dieß erſt für ſeinen Beruf anzuſehen: es gebraucht Jeder in jedem Augenblicke ſo viel Kraft als er beſitzt. Man ſagt wohl von einem Beſiegten, er hätte ſeine Kraft mehr anſpannen ſollen; allein man vergißt, daß, wenn er im Augenblicke des Erliegens die Kraft gehabt hätte, ſeine Kräfte (z. B. Leibes¬ kräfte) anzuſpannen, er es nicht unterlaſſen haben würde: war es auch nur die Muthloſigkeit einer Minute, ſo war dieß doch eine minutenlange Kraftloſigkeit. Die Kräfte laſſen ſich allerdings ſchärfen und vervielfältigen, beſonders durch feind¬ lichen Widerſtand oder befreundeten Beiſtand; aber wo man437 ihre Anwendung vermißt, da kann man auch ihrer Abweſenheit gewiß ſein. Man kann aus einem Steine Feuer ſchlagen, aber ohne den Schlag kommt keines heraus; in gleicher Art bedarf auch ein Menſch des Anſtoßes .

Darum nun, weil Kräfte ſich ſtets von ſelbſt werkthätig erweiſen, wäre das Gebot, ſie zu gebrauchen, überflüſſig und ſinnlos. Seine Kräfte zu gebrauchen iſt nicht der Beruf und die Aufgabe des Menſchen, ſondern es iſt ſeine allezeit wirk¬ liche, vorhandene That. Kraft iſt nur ein einfacheres Wort für Kraftäußerung.

Wie nun dieſe Roſe von vorn herein wahre Roſe, dieſe Nachtigall ſtets wahre Nachtigall iſt, ſo bin Ich nicht erſt wahrer Menſch, wenn Ich meinen Beruf erfülle, meiner Be¬ ſtimmung nachlebe, ſondern Ich bin von Haus wahrer Menſch . Mein erſtes Lallen iſt das Lebenszeichen eines wahren Menſchen , meine Lebenskämpfe ſeine Kraftergüſſe, mein letzter Athemzug das letzte Kraftaushauchen des Menſchen .

Nicht in der Zukunft, ein Gegenſtand der Sehnſucht, liegt der wahre Menſch, ſondern daſeiend und wirklich liegt er in der Gegenwart. Wie und wer Ich auch ſei, freudvoll und leidvoll, ein Kind oder ein Greis, in Zuverſicht oder Zweifel, im Schlaf oder im Wachen, Ich bin es, Ich bin der wahre Menſch.

Bin Ich aber der Menſch und habe Ich ihn, den die religiöſe Menſchheit als fernes Ziel bezeichnete, wirklich in Mir gefunden, ſo iſt auch alles wahrhaft Menſchliche mein eigen. Was man der Idee der Menſchheit zuſchrieb, das gehört Mir. Jene Handelsfreiheit z. B., welche die Menſch¬ heit erſt erreichen ſoll, und die man wie einen bezaubernden Traum in ihre goldene Zukunft verſetzt, Ich nehme ſie Mir438 als mein Eigenthum vorweg und treibe ſie einſtweilen in der Form des Schmuggels. Freilich möchten nur wenige Schmugg¬ ler ſich dieſe Rechenſchaft über ihr Thun zu geben wiſſen, aber der Inſtinct des Egoismus erſetzt ihr Bewußtſein. Von der Preßfreiheit habe Ich daſſelbe oben gezeigt.

Alles iſt mein eigen, darum hole Ich Mir wieder, was ſich Mir entziehen will, vor allem aber hole Ich Mich ſtets wieder, wenn Ich zu irgend einer Dienſtbarkeit Mir entſchlüpfet bin. Aber auch dieß iſt nicht mein Beruf, ſondern meine na¬ türliche That.

Genug, es iſt ein mächtiger Unterſchied, ob Ich Mich zum Ausgangs - oder zum Zielpunkte mache. Als letzteren habe Ich Mich nicht, bin Mir mithin noch fremd, bin mein Weſen, mein wahres Weſen , und dieſes Mir fremde wahre Weſen wird als ein Spuk von tauſenderlei Namen ſein Geſpött mit Mir treiben. Weil Ich noch nicht Ich bin, ſo iſt ein Anderer (wie Gott, der wahre Menſch, der wahrhaft Fromme, der Vernünftige, der Freie u. ſ. w.) Ich, mein Ich.

Von Mir noch fern trenne Ich Mich in zwei Hälften, deren eine, die unerreichte und zu erfüllende, die wahre iſt. Die eine, die unwahre, muß zum Opfer gebracht werden, nämlich die ungeiſtige; die andere, die wahre, ſoll der ganze Menſch ſein, nämlich der Geiſt. Dann heißt es: Der Geiſt iſt das eigentliche Weſen des Menſchen oder der Menſch exiſtirt als Menſch nur geiſtig. Nun geht es mit Gier dar¬ auf los, den Geiſt zu fahen, als hätte man ſich dann erwiſcht, und ſo im Jagen nach ſich verliert man ſich, der man iſt, aus den Augen.

Und wie man ſtürmiſch ſich ſelbſt, dem nie erreichten, nachſetzt, ſo verachtet man auch die Regel der Klugen, die439 Menſchen zu nehmen wie ſie ſind, und nimmt ſie lieber wie ſie ſein ſollen, hetzt deshalb Jeden hinter ſeinem ſeinſollenden Ich her und ſtrebt Alle zu gleich berechtigten, gleich achtbaren, gleich ſittlichen oder vernünftigen Menſchen zu machen . *)Der Communismus in der Schweiz. S. 24.

Ja, wenn die Menſchen wären, wie ſie ſein ſollten, ſein könnten, wenn alle Menſchen vernünftig wären, alle ein¬ ander als Brüder liebten , dann wär's ein paradieſiſches Le¬ ben. **)Ebend. S. 63. Wohlan, die Menſchen ſind, wie ſie ſein ſollen, ſein können. Was ſollen ſie ſein? Doch wohl nicht mehr als ſie ſein können! Und was können ſie ſein? Auch eben nicht mehr als ſie können, d. h. als ſie das Vermögen, die Kraft zu ſein haben. Das aber ſind ſie wirklich, weil, was ſie nicht ſind, ſie zu ſein nicht im Stande ſind: denn im Stande ſein heißt wirklich ſein. Man iſt nichts im Stande, was man nicht wirklich iſt, man iſt nichts im Stande zu thun, was man nicht wirklich thut. Könnte ein am Staar Erblindeter ſehen? O ja, wenn er ſich den Staar glücklich ſtechen ließe. Allein jetzt kann er nicht ſehen, weil er nicht ſiebt. Möglichkeit und Wirklichkeit fallen immer zuſammen. Man kann nichts, was man nicht thut, wie man nichts thut, was man nicht kann.

Die Sonderbarkeit dieſer Behauptung verſchwindet, wenn man erwägt, daß die Worte es iſt möglich, daß u. ſ. w. faſt nie einen andern Sinn in ſich bergen, als dieſen: Ich kann Mir denken, daß u. ſ. w. z. B. Es iſt möglich, daß alle Menſchen vernünftig leben, d. h. Ich kann Mir denken, daß alle u. ſ. w. Da nun mein Denken nicht bewirken kann,440 mithin auch nicht bewirkt, daß alle Menſchen vernünftig leben, ſondern dieß den Menſchen ſelbſt überlaſſen bleiben muß, ſo iſt die allgemeine Vernunft für Mich nur denkbar, eine Denk¬ barkeit, als ſolche aber in der That eine Wirklichkeit, die nur in Bezug auf das, was Ich nicht machen kann, näm¬ lich die Vernünftigkeit der Andern, eine Möglichkeit genannt wird. So weit es von Dir abhängt, könnten alle Menſchen vernünftig ſein, denn Du haſt nichts dagegen, ja ſo weit dein Denken reicht, kannſt Du vielleicht auch kein Hinderniß ent¬ decken, und mithin ſteht auch in deinem Denken der Sache nichts entgegen: ſie iſt Dir denkbar.

Aber da die Menſchen nun doch nicht alle vernünftig ſind, ſo werden ſie es auch wohl nicht ſein können.

Iſt oder geſchieht etwas nicht, wovon man ſich vorſtellt, es wäre doch leicht möglich, ſo kann man verſichert ſein, es ſtehe der Sache etwas im Wege und ſie ſei unmöglich. Unſere Zeit hat ihre Kunſt, Wiſſenſchaft u. ſ. w.: die Kunſt mag herzlich ſchlecht ſein; darf man aber ſagen, Wir verdien¬ ten eine beſſere zu haben und könnten ſie haben, wenn Wir nur wollten? Wir haben gerade ſo viel Kunſt, als Wir haben können. Unſere heutige Kunſt iſt die dermalen einzig mögliche und darum wirkliche.

Selbſt in dem Verſtande, worauf man das Wort mög¬ lich , zuletzt noch reduciren könnte, daß es zukünftig bedeute, behält es die volle Kraft des Wirklichen . Sagt man z. B. Es iſt möglich, daß morgen die Sonne aufgeht, ſo heißt dieß nur: für das Heute iſt das Morgen die wirkliche Zu¬ kunft; denn es bedarf wohl kaum der Andeutung, daß eine Zukunft nur dann wirkliche Zukunft iſt, wenn ſie noch nicht erſchienen iſt.

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Jedoch wozu dieſe Würdigung eines Wortes? Hielte ſich nicht der folgenreichſte Mißverſtand von Jahrtauſenden dahinter verſteckt, ſpukte nicht aller Spuk der beſeſſenen Men¬ ſchen in dieſem einzigen Begriffe des Wörtleins möglich , ſo ſollte Uns ſeine Betrachtung hier wenig kümmern.

Der Gedanke, wurde eben gezeigt, beherrſcht die beſeſſene Welt. Nun denn, die Möglichkeit iſt nichts anders, als die Denkbarkeit, und der gräßlichen Denkbarkeit ſind ſeither unzählige Opfer gefallen. Es war denkbar, daß die Men¬ ſchen vernünftig werden könnten, denkbar, daß ſie Chriſtum er¬ kennen, denkbar, daß ſie für das Gute ſich begeiſtern und ſittlich werden, denkbar, daß ſie alle in den Schooß der Kirche ſich flüchten, denkbar, daß ſie nichts Staatsgefährliches ſinnen, ſprechen und thun, denkbar, daß ſie gehorſame Unterthanen ſein könnten: darum aber, weil es denkbar war, war es ſo lautete der Schluß möglich, und weiter, weil es den Menſchen möglich war (hier eben liegt das Trügeriſche: weil es Mir denkbar iſt, iſt es den Menſchen möglich), ſo ſoll¬ ten ſie es ſein, ſo war es ihr Beruf; und endlich nur nach dieſem Berufe, nur als Berufene, hat man die Men¬ ſchen zu nehmen, nicht wie ſie ſind, ſondern wie ſie ſein ſollen .

Und der weitere Schluß? Nicht der Einzelne iſt der Menſch, ſondern ein Gedanke, ein Ideal iſt der Menſch, zu dem der Einzelne ſich nicht einmal ſo verhält, wie das Kind zum Manne, ſondern wie ein Kreidepunkt zu dem ge¬ dachten Punkte, oder wie ein endliches Geſchöpf zum ewi¬ gen Schöpfer, oder nach neuerer Anſicht, wie das Exemplar zur Gattung. Hier kommt denn die Verherrlichung der Menſchheit zum Vorſchein, der ewigen, unſterblichen , zu442 deren Ehre (in maiorem humanitatis gloriam) der Einzelne ſich hingeben und ſeinen unſterblichen Ruhm darin finden muß, für den Menſchheitsgeiſt etwas gethan zu haben.

So herrſchen die Denkenden in der Welt, ſo lange die Pfaffen - oder Schulmeiſter-Zeit dauert, und was ſie ſich den¬ ken, das iſt möglich, was aber möglich iſt, das muß verwirk¬ licht werden. Sie denken ſich ein Menſchen-Ideal, das einſtweilen nur in ihren Gedanken wirklich iſt; aber ſie denken ſich auch die Möglichkeit ſeiner Ausführung, und es iſt nicht zu ſtreiten, die Ausführung iſt wirklich denkbar, ſie iſt eine Idee.

Aber Ich und Du, Wir mögen zwar Leute ſein, von denen ſich ein Krummacher denken kann, daß Wir noch gute Chriſten werden könnten; wenn er Uns indeß bearbeiten wollte, ſo würden Wir ihm bald fühlbar machen, daß unſere Chriſtlichkeit nur denkbar, ſonſt aber unmöglich iſt: er würde, grinzte er Uns fort und fort mit ſeinen zudringlichen Gedanken, ſeinem guten Glauben , an, erfahren müſſen, daß Wir gar nicht zu werden brauchen, was Wir nicht werden mögen.

Und ſo geht es fort, weit über die Frömmſten und From¬ men hinaus. Wenn alle Menſchen vernünftig wären, wenn Alle das Rechte thäten, wenn Alle von Menſchenliebe geleitet würden u. ſ. w. ! Vernunft, Recht, Menſchenliebe u. ſ. w. wird als der Menſchen Beruf, als Ziel ihres Trachtens ihnen vor Augen geſtellt. Und was heißt vernünftig ſein? Sich ſelbſt vernehmen? Nein, die Vernunft iſt ein Buch voll Ge¬ ſetze, die alle gegen den Egoismus gegeben ſind.

Die bisherige Geſchichte iſt die Geſchichte des geiſtigen Menſchen. Nach der Periode der Sinnlichkeit beginnt die443 eigentliche Geſchichte, d. h. die Periode der Geiſtigkeit, Geiſt¬ lichkeit, Unſinnlichkeit, Ueberſinnlichkeit, Unſinnigkeit. Der Menſch fängt nun an, etwas ſein und werden zu wollen. Was? Gut, ſchön, wahr; näher ſittlich, fromm, wohlgefällig u. ſ. w. Er will einen rechten Menſchen , etwas Rechtes aus ſich machen. Der Menſch iſt ſein Ziel, ſein Sollen, ſeine Beſtimmung, Beruf, Aufgabe, ſein Ideal: er iſt ſich ein Zukünftiger, Jenſeitiger. Und was macht aus ihm einen rechten Kerl ? Das Wahrſein, Gutſein, Sittlichſein u. dgl. Nun ſieht er jeden ſcheel an, der nicht daſſelbe Was anerkennt, dieſelbe Sittlichkeit ſucht, denſelben Glauben hat: er verjagt die Separatiſten, Ketzer, Secten u. ſ. w.

Kein Schaaf, kein Hund bemüht ſich, ein rechtes Schaaf, ein rechter Hund zu werden; keinem Thier erſcheint ſein We¬ ſen als eine Aufgabe, d. h. als ein Begriff, den es zu reali¬ ſiren habe. Es realiſirt ſich, indem es ſich auslebt, d. h. auf¬ löſt, vergeht. Es verlangt nicht, etwas Anderes zu ſein oder zu werden, als es iſt.

Will Ich Euch rathen, den Thieren zu gleichen? Daß Ihr Thiere werden ſollt, dazu kann Ich wahrlich nicht ermun¬ tern, da dieß wieder eine Aufgabe, ein Ideal wäre ( Im Fleiß kann Dich die Biene meiſtern ). Auch wäre es daſſelbe, als wünſchte man den Thieren, daß ſie Menſchen werden. Eure Natur iſt nun einmal eine menſchliche, Ihr ſeid menſchliche Naturen, d. h. Menſchen. Aber eben weil Ihr das bereits ſeid, braucht Ihr's nicht erſt zu werden. Auch Thiere werden dreſſirt , und ein dreſſirtes Thier leiſtet mancherlei Unnatürli¬ ches. Nur iſt ein dreſſirter Hund für ſich nichts beſſeres, als ein natürlicher, und hat keinen Gewinn davon, wenn er auch für Uns umgänglicher iſt.

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Von jeher waren die Bemühungen im Schwange, alle Menſchen zu ſittlichen, vernünftigen, frommen, menſchlichen u. dgl. Weſen zu bilden , d. h. die Dreſſur. Sie ſcheitern an der unbezwinglichen Ichheit, an der eigenen Natur, am Egoismus. Die Abgerichteten erreichen niemals ihr Ideal und bekennen ſich nur mit dem Munde zu den erhabenen Grundſätzen, oder legen ein Bekenntniß, ein Glaubensbe¬ kenntniß, ab. Dieſem Bekenntniſſe gegenüber müſſen ſie im Leben ſich allzumal für Sünder erkennen und bleiben hinter ihrem Ideal zurück, ſind ſchwache Menſchen und tragen ſich mit dem Bewußtſein der menſchlichen Schwachheit .

Anders, wenn Du nicht einem Ideal, als deiner Be¬ ſtimmung , nachjagſt, ſondern Dich auflöſeſt, wie die Zeit alles auflöſt. Die Auflöſung iſt nicht deine Beſtimmung , weil ſie Gegenwart iſt.

Doch hat die Bildung, die Religioſität der Menſchen dieſe allerdings frei gemacht, frei aber nur von einem Herrn, um ſie einem andern zuzuführen. Meine Begierde habe Ich durch die Religion bezähmen gelernt, den Widerſtand der Welt breche Ich durch die Liſt, welche Mir von der Wiſſenſchaft an die Hand gegeben wird; ſelbſt keinem Menſchen diene Ich: Ich bin keines Menſchen Knecht . Aber dann kommt's: Du mußt Gott mehr gehorchen als dem Menſchen. Ebenſo bin Ich zwar frei von der unvernünftigen Beſtimmung durch meine Triebe, aber gehorſam der Herrin: Vernunft. Ich habe die geiſtige Freiheit , Freiheit des Geiſtes gewonnen. Damit bin Ich denn gerade dem Geiſte unterthan geworden. Der Geiſt befiehlt Mir, die Vernunft leitet Mich, ſie ſind meine Führer und Gebieter. Es herrſchen die Vernünftigen , die Diener des Geiſtes . Wenn Ich aber nicht Fleiſch bin,445 ſo bin Ich wahrlich auch nicht Geiſt. Freiheit des Geiſtes iſt Knechtſchaft Meiner, weil Ich mehr bin als Geiſt oder Fleiſch.

Ohne Zweifel hat die Bildung Mich zum Gewaltigen gemacht. Sie hat Mir Gewalt über alle Antriebe gegeben, ſowohl über die Triebe meiner Natur als über die Zumuthun¬ gen und Gewaltthätigkeiten der Welt. Ich weiß und habe durch die Bildung die Kraft dazu gewonnen, daß Ich Mich durch keine meiner Begierden, Lüſte, Aufwallungen u. ſ. w. zwingen zu laſſen brauche: Ich bin ihr Herr; gleicher¬ weiſe werde Ich durch die Wiſſenſchaften und Künſte der Herr der widerſpenſtigen Welt, dem Meer und Erde gehorchen und ſelbſt die Sterne Rede ſtehen müſſen. Der Geiſt hat Mich zum Herrn gemacht. Aber über den Geiſt ſelbſt habe Ich keine Gewalt. Aus der Religion (Bildung) lerne Ich wohl die Mittel zur Beſiegung der Welt , aber nicht, wie Ich auch Gott bezwinge und ſeiner Herr werde; denn Gott iſt der Geiſt . Und zwar kann der Geiſt, deſſen Ich nicht Herr zu werden vermag, die mannigfaltigſten Geſtalten haben: er kann Gott heißen oder Volksgeiſt, Staat, Familie, Vernunft, auch Freiheit, Menſchlichkeit, Menſch.

Ich nehme mit Dank auf, was die Jahrhunderte der Bildung Mir erworben haben; nichts davon will Ich weg¬ werfen und aufgeben: Ich habe nicht umſonſt gelebt. Die Erfahrung, daß Ich Gewalt über meine Natur habe und nicht der Sklave meiner Begierden zu ſein brauche, ſoll Mir nicht verloren gehen; die Erfahrung, daß Ich durch Bildungs¬ mittel die Welt bezwingen kann, iſt zu theuer erkauft, als daß Ich ſie vergeſſen könnte. Aber Ich will noch mehr.

Man fragt, was kann der Menſch werden, was kann446 er leiſten, welche Güter ſich verſchaffen, und ſtellt das Höchſte von Allem als Beruf hin. Als wäre Mir alles möglich!

Wenn man Jemand in einer Sucht, einer Leidenſchaft u. ſ. w. verkommen ſieht (z. B. im Schachergeiſt, Eiferſucht), ſo regt ſich das Verlangen ihn aus dieſer Beſeſſenheit zu er¬ löſen und ihm zur Selbſtüberwindung zu verhelfen. Wir wollen einen Menſchen aus ihm machen! Das wäre recht ſchön, wenn nicht eine andere Beſeſſenheit gleich an die Stelle der früheren gebracht würde. Von der Geldgier befreit man aber den Knecht derſelben nur, um der Frömmigkeit, der Hu¬ manität oder welchem ſonſtigen Princip ihn zu überliefern und ihn von neuem auf einen feſten Standpunkt zu verſetzen.

Dieſe Verſetzung von einem beſchränkten Standpunkt auf einen erhabenen ſpricht ſich in den Worten aus: der Sinn dürfe nicht auf das Vergängliche, ſondern allein auf das Un¬ vergängliche gerichtet ſein, nicht auf's Zeitliche, ſondern Ewige, Abſolute, Göttliche, Reinmenſchliche u. ſ. w. auf's Geiſtige.

Man ſah ſehr bald ein, daß es nicht gleichgültig ſei, woran man ſein Herz hänge, oder womit man ſich beſchäftige; man erkannte die Wichtigkeit des Gegenſtandes. Ein über die Einzelheit der Dinge erhabener Gegenſtand iſt das We¬ ſen der Dinge; ja das Weſen iſt allein das Denkbare an ihnen, iſt für den denkenden Menſchen. Darum richte nicht länger Deinen Sinn auf die Dinge, ſondern Deine Ge¬ danken auf das Weſen. Selig ſind, die nicht ſehen und doch glauben , d.h. ſelig ſind die Denkenden, denn die haben's mit dem Unſichtbaren zu thun und glauben daran. Doch auch ein Gegenſtand des Denkens, welcher Jahrhunderte lang einen weſentlichen Streitpunkt ausmachte, kommt zuletzt dahin, daß er nicht mehr der Rede werth iſt . Das ſah447 man ein, aber gleichwohl behielt man immer wieder eine für ſich gültige Wichtigkeit des Gegenſtandes, einen abſoluten Werth deſſelben vor Augen, als wenn nicht die Puppe dem Kinde, der Koran dem Türken das Wichtigſte wäre. So lange Ich Mir nicht das einzig Wichtige bin, iſt's gleichgültig, von welchem Gegenſtande Ich viel Weſens mache, und nur mein größeres oder kleineres Verbrechen gegen ihn iſt von Werth. Der Grad meiner Anhänglichkeit und Ergebenheit bezeichnet den Standpunkt meiner Dienſtbarkeit, der Grad meiner Ver¬ ſündigung zeigt das Maaß meiner Eigenheit.

Endlich aber muß man überhaupt ſich Alles aus dem Sinn zu ſchlagen wiſſen, ſchon um einſchlafen zu können. Es darf Uns nichts beſchäftigen, womit Wir Uns nicht be¬ ſchäftigen: der Ehrſüchtige kann ſeinen ehrgeizigen Plänen nicht entrinnen, der Gottesfürchtige nicht dem Gedanken an Gott; Vernarrtheit und Beſeſſenheit fallen in Eins zuſammen.

Sein Weſen realiſiren oder ſeinem Begriffe gemäß leben zu wollen, was bei den Gottgläubigen ſo viel als fromm ſein bedeutet, bei den Menſchheitsgläubigen menſchlich leben heißt, kann nur der ſinnliche und ſündige Menſch ſich vorſetzen, der Menſch, ſo lange er zwiſchen Sinnenglück und Seelen¬ frieden die bange Wahl hat, der Menſch, ſo lange er ein armer Sünder iſt. Der Chriſt iſt nichts anderes, als ein ſinnlicher Menſch, der, indem er vom Heiligen weiß und ſich bewußt iſt, daß er daſſelbe verletzt, in ſich einen armen Sün¬ der ſieht: Sinnlichkeit, als Sündlichkeit gewußt, das iſt chriſtliches Bewußtſein, das iſt der Chriſt ſelber. Und wenn nun Sünde und Sündlichkeit von Neueren nicht mehr in den Mund genommen wird, ſtatt deſſen aber Egoismus , Selbſtſucht , Eigennützigkeit u. dergl. ihnen zu ſchaffen448 macht, wenn der Teufel in den Unmenſchen oder egoiſti¬ ſchen Menſchen überſetzt wurde, iſt dann der Chriſt weniger vorhanden als vorher? Iſt nicht der alte Zwieſpalt zwiſchen Gut und Böſe, iſt nicht ein Richter über Uns, der Menſch, iſt nicht ein Beruf, der Beruf, ſich zum Menſchen zu machen, geblieben? Nennt man's nicht mehr Beruf, ſondern Auf¬ gabe oder auch wohl Pflicht , ſo iſt die Namensänderung ganz richtig, weil der Menſch nicht gleich Gott ein perſön¬ liches Weſen iſt, das rufen kann; aber außer dem Namen bleibt die Sache beim Alten.

Es hat Jeder ein Verhältniß zu den Objecten, und zwar verhält ſich Jeder anders zu denſelben. Wählen Wir als Beiſpiel jenes Buch, zu welchem Millionen Menſchen zweier Jahrtauſende ein Verhältniß hatten, die Bibel. Was iſt, was war ſie einem Jeden? Durchaus nur das, was er aus ihr machte! Wer ſich gar nichts aus ihr macht, für den iſt ſie gar nichts; wer ſie als Amulet gebraucht, für den hat ſie lediglich den Werth, die Bedeutung eines Zaubermittels; wer, wie Kinder, damit ſpielt, für den iſt ſie nichts als ein Spiel¬ zeug u. ſ.w.

Nun verlangt das Chriſtenthum, daß ſie für Alle daſ¬ ſelbe ſein ſoll, etwa das heilige Buch oder die heilige Schrift . Dieß heißt ſo viel als daß die Anſicht des Chriſten auch die der andern Menſchen ſein ſoll, und daß Niemand ſich anders zu jenem Object verhalten dürfe. Damit wird denn die Eigenheit des Verhaltens zerſtört, und Ein Sinn, Eine Geſinnung, als der wahre , der allein wahre feſt¬ geſetzt. Mit der Freiheit, aus der Bibel zu machen, was Ich449 daraus machen will, wird die Freiheit des Machens über¬ haupt gehindert, und an deren Stelle der Zwang einer An¬ ſicht oder eines Urtheils geſetzt. Wer das Urtheil fällte, es ſei die Bibel ein langer Irrthum der Menſchheit, der urtheilte verbrecheriſch.

In der That urtheilt das Kind, welches ſie zerfetzt oder damit ſpielt, der Inka Atahualpa, der ſein Ohr daran legt und ſie verächtlich wegwirft, als ſie ſtumm bleibt, eben ſo richtig über die Bibel, als der Pfaffe, welcher in ihr das Wort Gottes anpreiſt, oder der Kritiker, der ſie ein Mach¬ werk von Menſchenhänden nennt. Denn wie Wir mit den Dingen umſpringen, das iſt die Sache unſeres Beliebens, unſerer Willkühr: Wir gebrauchen ſie nach Herzensluſt, oder deutlicher, Wir gebrauchen ſie, wie Wir eben können. Worüber ſchreien denn die Pfaffen, wenn ſie ſehen, wie Hegel und die ſpeculativen Theologen aus dem Inhalte der Bibel ſpeculative Gedanken machen? Gerade darüber, daß jene nach Herzensluſt damit gebahren oder willkührlich damit verfahren .

Weil Wir aber Alle im Behandeln der Objecte Uns will¬ kührlich zeigen, d. h. ſo mit ihnen umgehen, wie es Uns am beſten gefällt, nach unſerem Gefallen (dem Philoſophen gefällt nichts ſo ſehr, als wenn er in Allem eine Idee auf¬ ſpüren kann, wie es dem Gottesfürchtigen gefällt, durch Alles, alſo z. B. durch Heilighaltung der Bibel, ſich Gott zum Freunde zu machen): ſo begegnen Wir nirgends ſo peinlicher Willkühr, ſo fürchterlicher Gewaltthätigkeit, ſo dummem Zwange, als eben in dieſem Gebiete unſerer eigenen Willkühr. Verfahren Wir willkührlich, indem Wir die heiligen Gegen¬ ſtände ſo oder ſo nehmen, wie wollen Wir's da den Pfaffen¬ geiſtern verargen, wenn ſie Uns ebenſo willkührlich nach ihrer29450Art nehmen, und Uns des Ketzerfeuers oder einer andern Strafe, etwa der Cenſur, würdig erachten?

Was ein Menſch iſt, das macht er aus den Dingen; wie Du die Welt anſchauſt, ſo ſchaut ſie Dich wieder an . Da läßt ſich denn gleich der weiſe Rath vernehmen: Du mußt ſie nur recht, unbefangen u. ſ. w. anſchauen. Als ob das Kind die Bibel nicht recht und unbefangen anſchaute, wenn es dieſelbe zum Spielzeug macht. Jene kluge Weiſung giebt Uns z. B. Feuerbach. Die Dinge ſchaut man eben recht an, wenn man aus ihnen macht, was man will (unter Dingen ſind hier Objecte, Gegenſtände überhaupt verſtanden, wie Gott, unſere Mitmenſchen, ein Liebchen, ein Buch, ein Thier u. ſ. w.). Und darum ſind die Dinge und ihre Anſchauung nicht das Erſte, ſondern Ich bin's, mein Wille iſt's. Man will Ge¬ danken aus den Dingen herausbringen, will Vernunft in der Welt entdecken, will Heiligkeit in ihr haben: daher wird man ſie finden. Suchet, ſo werdet Ihr finden. Was Ich ſuchen will, das beſtimme Ich: Ich will Mir z. B. aus der Bibel Erbauung holen: ſie iſt zu finden; Ich will die Bibel gründ¬ lich leſen und prüfen: es wird Mir eine gründliche Belehrung und Kritik entſtehen nach meinen Kräften. Ich erkieſe Mir das, wonach mein Sinn ſteht, und erkieſend beweiſe Ich Mich willkührlich.

Hieran knüpft ſich die Einſicht, daß jedes Urtheil, welches Ich über ein Object fälle, das Geſchöpf meines Willens iſt, und wiederum leitet Mich jene Einſicht dahin, daß Ich Mich nicht an das Geſchöpf, das Urtheil, verliere, ſondern der Schöpfer bleibe, der Urtheilende, der ſtets von neuem ſchafft. Alle Prädicate von den Gegenſtänden ſind meine Ausſagen, meine Urtheile, meine Geſchöpfe. Wollen ſie ſich losreißen451 von Mir, und etwas für ſich ſein, oder gar Mir imponiren, ſo habe Ich nichts Eiligeres zu thun, als ſie in ihr Nichts, d. h. in Mich, den Schöpfer, zurückzunehmen. Gott, Chriſtus, Dreieinigkeit, Sittlichkeit, das Gute u. ſ.w. ſind ſolche Ge¬ ſchöpfe, von denen Ich Mir nicht bloß erlauben muß, zu ſagen, ſie ſeien Wahrheiten, ſondern auch, ſie ſeien Täuſchun¬ gen. Wie Ich einmal ihr Daſein gewollt und decretirt habe, ſo will Ich auch ihr Nichtſein wollen dürfen; Ich darf ſie Mir nicht über den Kopf wachſen, darf nicht die Schwachheit haben, etwas Abſolutes aus ihnen werden zu laſſen, wo¬ durch ſie verewigt und meiner Macht und Beſtimmung ent¬ zogen würden. Damit würde Ich dem Stabilitätsprin¬ cip verfallen, dem eigentlichen Lebensprincip der Religion, die ſich's angelegen ſein läßt, unantaſtbare Heiligthümer , ewige Wahrheiten , kurz ein Heiliges zu creiren und Dir das Deinige zu entziehen.

Das Object macht Uns in ſeiner heiligen Geſtalt〈…〉〈…〉 nſo zu Beſeſſenen, wie in ſeiner unheiligen, als überſinnliches[o] ject ebenſo, wie als ſinnliches. Auf beide bezieht ſich[d]ie Begierde oder Sucht, und auf gleicher Stufe ſtehen Geld[g][i][e]r und Sehnſucht nach dem Himmel. Als die Aufklärer die Leute für die ſinnliche Welt gewinnen wollten, predigte Lavater die Sehnſucht nach dem Unſichtbaren. Rührung wollen die Einen hervorrufen, Rührigkeit die Andern.

Die Auffaſſung der Gegenſtände iſt eine durchaus ver¬ ſchiedene, wie denn Gott, Chriſtus, Welt u. ſ.w. auf die mannigfaltigſte Weiſe aufgefaßt wurden und werden. Jeder iſt darin ein Andersdenkender , und nach blutigen Kämpfen hat man endlich ſo viel erreicht, daß die entgegengeſetzten An¬ ſichten über ein und denſelben Gegenſtand nicht mehr als29 *452todeswürdige Ketzereien verurtheilt werden. Die Andersden¬ kenden vertragen ſich. Allein warum ſollte Ich nur anders über eine Sache denken, warum nicht das Andersdenken bis zu ſeiner letzten Spitze treiben, nämlich zu der, gar nichts mehr von der Sache zu halten, alſo ihr Nichts zu denken, ſie zu ecraſiren? Dann hat die Auffaſſung ſelbſt ein Ende, weil nichts mehr aufzufaſſen iſt. Warum ſoll Ich wohl ſagen: Gott iſt nicht Allah, nicht Brahma, nicht Jehovah, ſondern Gott; warum aber nicht: Gott iſt nichts, als eine Täu¬ ſchung? Warum brandmarkt man Mich, wenn Ich ein Got¬ tesleugner bin? Weil man das Geſchöpf über den Schöpfer ſetzt ( Sie ehren und dienen dem Geſchöpf mehr, denn dem Schöpfer *)Römer 1, 25. und ein herrſchendes Object braucht, damit das Subject hübſch unterwürfig diene. Ich ſoll unter das Abſolute Mich beugen, Ich ſoll es.

Durch das Reich der Gedanken hat das Chriſtenthum ſich vollendet, der Gedanke iſt jene Innerlichkeit, in welcher alle Lichter der Welt erlöſchen, alle Exiſtenz exiſtenzlos wird, der innerliche Menſch (das Herz, der Kopf) Alles in Allem iſt. Dieß Reich der Gedanken harret ſeiner Erlöſung, harret gleich der Sphinx des ödipiſchen Räthſelwortes, damit es end¬ lich eingehe in ſeinen Tod. Ich bin der Vernichter ſeines Beſtandes, denn im Reiche des Schöpfers bildet es kein eige¬ nes Reich mehr, keinen Staat im Staate, ſondern ein Ge¬ ſchöpf meiner ſchaffenden Gedankenloſigkeit. Nur zugleich und zuſammen mit der erſtarrten, denkenden Welt kann die Chriſtenwelt, das Chriſtenthum und die Religion ſelbſt, zu Grunde gehen; nur wenn die Gedanken ausgehen, giebt es453 keine Gläubigen mehr. Es iſt dem Denkenden ſein Denken eine erhabene Arbeit, eine heilige Thätigkeit , und es ruht auf einem feſten Glauben, dem Glauben an die Wahrheit, Zuerſt iſt das Beten eine heilige Thätigkeit, dann geht dieſe heilige Andacht in ein vernünftiges und raiſonnirendes Denken über, das aber gleichfalls an der heiligen Wahr¬ heit ſeine unverrückbare Glaubensbaſis behält, und nur eine wundervolle Maſchine iſt, welche der Geiſt der Wahrheit zu ſeinem Dienſte aufzieht. Das freie Denken und die freie Wiſſenſchaft beſchäftigt Mich denn nicht Ich bin frei, nicht Ich beſchäftige Mich, ſondern das Denken iſt frei und beſchäftigt Mich mit dem Himmel und dem Himmliſchen oder Göttlichen , das heißt eigentlich, mit der Welt und dem Weltlichen, nur eben mit einer andern Welt; es iſt nur die Umkehrung und Verrückung der Welt, eine Beſchäftigung mit dem Weſen der Welt, daher eine Verrücktheit. Der Denkende iſt blind gegen die Unmittelbarkeit der Dinge und ſie zu bemeiſtern unfähig: er ißt nicht, trinkt nicht, genießt nicht, denn der Eſſende und Trinkende iſt niemals der Den¬ kende, ja dieſer vergißt Eſſen und Trinken, ſein Fortkommen im Leben, die Nahrungsſorgen u. ſ. w. über das Denken; er vergißt es, wie der Betende es auch vergißt. Darum erſcheint er auch dem kräftigen Naturſohne als ein närriſcher Kauz, ein Narr, wenngleich er ihn für heilig anſieht, wie den Alten die Raſenden ſo erſchienen. Das freie Denken iſt Raſerei, weil reine Bewegung der Innerlichkeit, der bloß in¬ nerliche Menſch, welcher den übrigen Menſchen leitet und regelt. Der Schamane und der ſpeculative Philoſoph bezeich¬ nen die unterſte und oberſte Sproſſe an der Stufenleiter des innerlichen Menſchen, des Mongolen, Schamane und454 Philoſoph kämpfen mit Geſpenſtern, Dämonen, Geiſtern, Göttern.

Von dieſem freien Denken total verſchieden iſt das eigene Denken, mein Denken, ein Denken, welches nicht Mich leitet, ſondern von Mir geleitet, fortgeführt oder abge¬ brochen wird, je nach meinem Gefallen. Dieß eigene Denken unterſcheidet ſich von dem freien Denken ähnlich, wie die ei¬ gene Sinnlichkeit, welche Ich nach Gefallen befriedige, von der freien, unbändigen, der Ich erliege.

Feuerbach pocht in den Grundſätzen der Philoſophie der Zukunft immer auf das Sein. Darin bleibt auch er, bei aller Gegnerſchaft gegen Hegel und die abſolute Philoſophie, in der Abſtraction ſtecken; denn das Sein iſt Abſtraction, wie ſelbſt das Ich . Nur Ich bin nicht Abſtraction allein, Ich bin Alles in Allem, folglich ſelbſt Abſtraction oder Nichts, Ich bin Alles und Nichts; Ich bin kein bloßer Gedanke, aber Ich bin zugleich voller Gedanken, eine Gedankenwelt. Hegel verurtheilt das Eigene, das Meinige, die Meinung . Das abſolute Denken iſt dasjenige Denken, welches vergißt, daß es mein Denken iſt, daß Ich denke und daß es nur durch Mich iſt. Als Ich aber verſchlinge Ich das Meinige wieder, bin Herr deſſelben, es iſt nur meine Meinung, die Ich in jedem Augenblicke ändern, d. h. vernichten, in Mich zurücknehmen und aufzehren kann. Feuerbach will Hegel's abſolutes Denken durch das unüberwundene Sein ſchlagen. Das Sein iſt aber in Mir ſo gut überwunden als das Denken. Es iſt mein Sinn, wie jenes mein Denken.

Dabei kommt Feuerbach natürlich nicht weiter, als zu dem an ſich trivialen Beweiſe, daß Ich die Sinne zu Allem brauche oder daß Ich dieſe Organe nicht gänzlich entbehren455 kann. Freilich kann Ich nicht denken, wenn Ich nicht ſinn¬ lich exiſtire. Allein zum Denken wie zum Empfinden, alſo zum Abſtracten wie zum Sinnlichen brauche Ich vor allen Dingen Mich, und zwar Mich, dieſen ganz Beſtimmten, Mich dieſen Einzigen. Wäre Ich nicht dieſer, z. B. Hegel, ſo ſchaute Ich die Welt nicht ſo an, wie Ich ſie anſchaue, Ich fände aus ihr nicht dasjenige philoſophiſche Syſtem heraus, welches gerade Ich als Hegel finde u. ſ. w. Ich hätte zwar Sinne wie die andern Leute auch, aber Ich benutzte ſie nicht ſo, wie Ich es thue.

So wird von Feuerbach gegen Hegel der Vorwurf auf¬ gebracht*)S. 47 ff., daß er die Sprache mißbrauche, indem er anderes unter manchen Worten verſtehe, als wofür das natürliche Be¬ wußtſein ſie nehme, und doch begeht auch er denſelben Fehler, wenn er dem Sinnlichen einen ſo eminenten Sinn giebt, wie er nicht gebräuchlich iſt. So heißt es S. 69: das Sinnliche ſei nicht das Profane, Gedankenloſe, das auf plat¬ ter Hand Liegende, das ſich von ſelbſt Verſtehende . Iſt es aber das Heilige, das Gedankenvolle, das verborgen Liegende, das nur durch Vermittlung Verſtändliche nun ſo iſt es nicht mehr das, was man das Sinnliche nennt. Das Sinn¬ liche iſt nur dasjenige, was für die Sinne iſt; was hin¬ gegen nur denjenigen genießbar iſt, die mit mehr als den Sinnen genießen, die über den Sinnengenuß oder die Sin¬ nenempfängniß hinausgehen, das iſt höchſtens durch die Sinne vermittelt oder zugeführt, d. h. die Sinne machen zur Er¬ langung deſſelben eine Bedingung aus, aber es iſt nichts Sinnliches mehr. Das Sinnliche, was es auch ſei, in Mich456 aufgenommen, wird ein Unſinnliches, welches indeß wieder ſinnliche Wirkungen haben kann, z. B. durch Aufregung mei¬ ner Affecte und meines Blutes.

Es iſt ſchon gut, daß Feuerbach die Sinnlichkeit zu Eh¬ ren bringt, aber er weiß dabei nur den Materialismus ſeiner neuen Philoſophie mit dem bisherigen Eigenthum des Idealis¬ mus, der abſoluten Philoſophie , zu bekleiden. So wenig die Leute ſich's einreden laſſen, daß man vom Geiſtigen allein, ohne Brot, leben könne, ſo wenig werden ſie ihm glau¬ ben, daß man als ein Sinnlicher ſchon alles ſei, alſo geiſtig, gedankenvoll u. ſ.w.

Durch das Sein wird gar nichts gerechtfertigt. Das Gedachte iſt ſo gut als das Nicht-Gedachte, der Stein auf der Straße iſt und meine Vorſtellung von ihm iſt auch. Beide ſind nur in verſchiedenen Räumen, jener im luftigen, dieſer in meinem Kopfe, in Mir: denn Ich bin Raum wie die Straße.

Die Zünftigen oder Privilegirten dulden keine Gedanken¬ freiheit, d. h. keine Gedanken, die nicht von dem Geber alles Guten kommen, heiße dieſer Geber Gott, Papſt, Kirche oder wie ſonſt. Hat Jemand dergleichen illegitime Gedanken, ſo muß er ſie ſeinem Beichtvater ins Ohr ſagen und ſich von ihm ſo lange kaſteien laſſen, bis den freien Gedanken die Skla¬ venpeitſche unerträglich wird. Auch auf andere Weiſe ſorgt der Zunftgeiſt dafür, daß freie Gedanken gar nicht kommen, vor allem durch eine weiſe Erziehung. Wem die Grundſätze der Moral gehörig eingeprägt wurden, der wird von morali¬ ſchen Gedanken niemals wieder frei, und Raub, Meineid, Uebervortheilung u. dgl. bleiben ihm fixe Ideen, gegen die ihn keine Gedankenfreiheit ſchützt. Er bat ſeine Gedanken von oben und bleibt dabei.

457

Anders die Conceſſionirten oder Patentirten. Jeder muß Gedanken haben und ſich machen können, wie er will. Wenn er das Patent oder die Conceſſion einer Denkfähigkeit hat, ſo braucht er kein beſonderes Privilegium. Da aber alle Menſchen vernünftig ſind , ſo ſteht jedem frei, irgend¬ welche Gedanken ſich in den Kopf zu ſetzen, und je nach dem Patent ſeiner Naturbegabung einen größeren oder gerin¬ geren Gedankenreichthum zu haben. Nun hört man die Er¬ mahnungen, daß man alle Meinungen und Ueberzeugun¬ gen zu ehren habe , daß jede Ueberzeugung berechtigt ſei , daß man gegen die Anſichten Anderer tolerant ſein müſſe u. ſ. w.

Aber eure Gedanken ſind nicht meine Gedanken und eure Wege ſind nicht meine Wege . Oder vielmehr das Um¬ gekehrte will Ich ſagen: Eure Gedanken ſind meine Gedan¬ ken, mit denen Ich ſchalte, wie Ich will, und die ich unbarm¬ herzig niederſchlage: ſie ſind mein Eigenthum, welches Ich, ſo Mir's beliebt, vernichte. Ich erwarte von Euch nicht erſt die Berechtigung, um eure Gedanken zu zerſetzen und zu verblaſen. Mich ſchiert es nicht, daß Ihr dieſe Gedanken auch die euri¬ gen nennt, ſie bleiben gleichwohl die meinigen, und wie Ich mit ihnen verfahren will, iſt meine Sache, keine Anmaßung. Es kann Mir gefallen, Euch bei euren Gedanken zu laſſen; dann ſchweige Ich. Glaubt Ihr, die Gedanken flögen ſo vo¬ gelfrei umher, daß ſich Jeder welche holen dürfte, die er dann als ſein untaſtbares Eigenthum gegen Mich geltend machte? Was umherfliegt, iſt alles mein.

Glaubt Ihr, eure Gedanken hättet Ihr für Euch und brauchtet ſie vor keinem zu verantworten, oder, wie Ihr auch wohl ſagt, Ihr hättet darüber nur Gott Rechenſchaft abzule¬458 gen? Nein, eure großen und kleinen Gedanken gehören Mir, und Ich behandle ſie nach meinem Gefallen.

Eigen iſt Mir der Gedanke erſt, wenn Ich ihn jeden Augenblick in Todesgefahr zu bringen kein Bedenken trage, wenn Ich ſeinen Verluſt nicht als einen Verluſt für Mich, einen Verluſt Meiner, zu fürchten habe. Mein eigen iſt der Gedanke erſt dann, wenn Ich zwar ihn, er aber niemals Mich unterjochen kann, nie Mich fanatiſirt, zum Werkzeug ſeiner Realiſation macht.

Alſo Gedankenfreiheit exiſtirt, wenn Ich alle möglichen Gedanken haben kann; Eigenthum aber werden die Gedanken erſt dadurch, daß ſie nicht zu Herren werden können. In der Zeit der Gedankenfreiheit herrſchen Gedanken (Ideen); bringe Ich's aber zum Gedankeneigenthum, ſo verhalten ſie ſich als meine Creaturen.

Wäre die Hierarchie nicht ſo ins Innere gedrungen, daß ſie den Menſchen allen Muth benahm, freie, d.h. Gott viel¬ leicht mißfällige Gedanken zu verfolgen, ſo müßte man Ge¬ dankenfreiheit für ein ebenſo leeres Wort anſehen, wie etwa eine Verdauungsfreiheit.

Nach der Meinung der Zünftigen wird Mir der Gedanke gegeben, nach der der Freidenker ſuche Ich den Gedanken. Dort iſt die Wahrheit bereits gefunden und vorhanden, nur muß Ich ſie vom Geber derſelben durch Gnade empfangen; hier iſt die Wahrheit zu ſuchen und mein in der Zukunft lie¬ gendes Ziel, nach welchem Ich zu rennen habe.

In beiden Fällen liegt die Wahrheit (der wahre Gedanke) außer Mir, und Ich trachte ihn zu bekommen, ſei es durch Geſchenk (Gnade), ſei es durch Erwerb (eigenes Verdienſt). Alſo 1) Die Wahrheit iſt ein Privilegium, 2) Nein, der459 Weg zu ihr iſt Allen patent, und weder die Bibel, noch der heilige Vater, oder die Kirche oder wer ſonſt iſt im Beſitz der Wahrheit: aber man kann ihren Beſitz erſpeculiren.

Beide, das ſieht man, ſind eigenthumslos in Be¬ ziehung auf die Wahrheit: ſie haben ſie entweder als Lehen (denn der heilige Vater z. B. iſt kein Einziger; als Ein¬ ziger iſt er dieſer Sixtus, Clemens u. ſ. w., aber als Sixtus, Clemens u. ſ. w. hat er die Wahrheit nicht, ſondern als heiliger Vater , d. h. als ein Geiſt), oder als Ideal. Als Lehen iſt ſie nur für Wenige (Privilegirte), als Ideal für Alle (Patentirte).

Gedankenfreiheit hat alſo den Sinn, daß Wir zwar alle im Dunkel und aus den Wegen des Irrthums wandeln, Je¬ der aber auf dieſem Wege ſich der Wahrheit nähern könne und mithin auf dem rechten Wege ſei ( Jede Straße führt nach Rom, an's Ende der Welt u. ſ. w. ). Gedankenfreiheit bedeutet daher ſo viel, daß Mir der wahre Gedanke nicht eigen ſei; denn wäre er dieß, wie wollte man Mich von ihm abſchließen?

Das Denken iſt ganz frei geworden, und hat eine Menge von Wahrheiten aufgeſtellt, denen Ich Mich fügen muß. Es ſucht ſich zu einem Syſtem zu vollenden und zu einer abſo¬ luten Verfaſſung zu bringen. Im Staate z. B. ſucht es etwa nach der Idee ſo lange, bis es den Vernunft-Staat herausgebracht hat, in welchem Ich Mir's dann recht ſein laſſen muß; im Menſchen (der Anthropologie) ſo lange, bis es den Menſchen gefunden hat .

Der Denkende unterſcheidet ſich vom Glaubenden nur da¬ durch, daß er viel mehr glaubt als dieſer, der ſich ſeinerſeits bei ſeinem Glauben (Glaubensartikel) viel weniger denkt. Der Denkende hat tauſend Glaubensſätze, wo der Gläubige460 mit wenigen auskommt; aber jener bringt in ſeine Sätze Zu¬ ſammenhang und nimmt wiederum den Zuſammenhang für den Maaßſtab ihrer Würdigung. Paßt ihm einer oder der andere nicht in ſeinen Kram, ſo wirft er ihn hinaus.

Die Denkenden laufen in ihren Ausſprüchen den Gläu¬ bigen parallel. Statt: Wenn es aus Gott iſt, werdet Ihr's nicht tilgen , heißt's: Wenn es aus der Wahrheit iſt, wahr iſt ; ſtatt: Gebt Gott die Ehre Gebt der Wahr¬ heit die Ehre . Es gilt Mir aber ſehr gleich, ob Gott oder die Wahrheit ſiegt; zuvörderſt will Ich ſiegen.

Wie ſoll übrigens innerhalb des Staates oder der Ge¬ ſellſchaft eine unbeſchränkte Freiheit denkbar ſein? Es kann der Staat wohl Einen gegen den Andern ſchützen, aber ſich ſelbſt darf er doch nicht durch eine ungemeſſene Freiheit, eine ſogenannte Zügelloſigkeit, gefährden laſſen. So erklärt der Staat bei der Unterrichtsfreiheit nur dieß, daß ihm Jeder recht ſei, der, wie es der Staat, oder faßlicher geſprochen, die Staatsgewalt haben will, unterrichtet. Auf dieß wie es der Staat haben will kommt es für die Concurrirenden an. Will z. B. die Geiſtlichkeit nicht, wie der Staat, ſo ſchließt ſie ſich ſelber von der Concurrenz aus (ſ. Frankreich). Die Grenze, welche im Staate aller und jeder Concurrenz noth¬ wendig gezogen wird, nennt man die Ueberwachung und Oberaufſicht des Staates . Indem der Staat die Unterrichts¬ freiheit in die gebührenden Schranken weiſt, ſetzt er zugleich der Gedankenfreiheit ihr Ziel, weil nämlich die Leute in der Regel nicht weiter denken, als ihre Lehrer gedacht haben.

Man höre den Miniſter Guizot*)Pairskammer den 25. April 1844.: Die große Schwie¬461 rigkeit der heutigen Zeit iſt die Leitung und Beherrſchung des Geiſtes. Ehemals erfüllte die Kirche dieſe Miſſion, jetzt iſt ſie dazu nicht hinreichend. Die Univerſität iſt es, von der dieſer große Dienſt erwartet werden muß, und ſie wird nicht ermangeln, ihn zu leiſten. Wir, die Regierung, ha¬ ben die Pflicht, ſie darin zu unterſtützen. Die Charte will die Freiheit des Gedankens und die des Gewiſſens. Zu Gunſten alſo der Gedanken - und Gewiſſensfreiheit fordert der Miniſter die Leitung und Beherrſchung des Geiſtes .

Der Katholicismus zog den Examinanden vor das Forum der Kirchlichkeit, der Proteſtantismus vor das der bibliſchen Chriſtlichkeit. Es wäre nur wenig gebeſſert, wenn man ihn vor das der Vernunft zöge, wie z. B. Ruge will*)Anecdota 1, 120.. Ob die Kirche, die Bibel oder die Vernunft (auf die ſich übrigens ſchon Luther und Huß beriefen) die heilige Autorität iſt, macht im Weſentlichen keinen Unterſchied.

Lösbar wird die Frage unſerer Zeit noch nicht einmal dann, wenn man ſie ſo ſtellt: Iſt irgend ein Allgemeines berech¬ tigt oder nur das Einzelne? Iſt die Allgemeinheit (wie Staat, Geſetz, Sitte, Sittlichkeit u. ſ. w.) berechtigt oder die Einzel¬ heit? Lösbar wird ſie erſt, wenn man überhaupt nicht mehr nach einer Berechtigung fragt und keinen bloßen Kampf gegen Privilegien führt. Eine vernünftige Lehrfreiheit, die nur das Gewiſſen der Vernunft anerkennt **)Anecdota 1, 127., bringt Uns nicht zum Ziele; Wir brauchen vielmehr eine egoiſti¬ ſche, eine Lehrfreiheit für alle Eigenheit, worin Ich zu einem Vernehmbaren werde und mich ungehemmt kund geben462 kann. Daß Ich Mich vernehmbar mache, das allein iſt Vernunft , ſei Ich auch noch ſo unvernünftig; indem Ich Mich vernehmen laſſe und ſo Mich ſelbſt vernehme, genießen Andere ſowohl als Ich ſelber Mich, und verzehren Mich zugleich.

Was wäre denn gewonnen, wenn, wie früher das recht¬ gläubige, das loyale, das ſittliche u. ſ.w. Ich frei war, nun das vernünftige Ich frei würde? Wäre dieß die Frei¬ heit Meiner?

Bin Ich als vernünftiges Ich frei, ſo iſt das Vernünf¬ tige an Mir oder die Vernunft frei, und dieſe Freiheit der Vernunft oder Freiheit des Gedankens war von jeher das Ideal der chriſtlichen Welt. Das Denken und, wie geſagt, iſt der Glaube auch Denken, wie das Denken Glaube iſt wollte man frei machen, die Denkenden, d. h. ſowohl die Gläubigen als die Vernünftigen, ſollten frei ſein, für die Uebrigen war Freiheit unmöglich. Die Freiheit der Denken¬ den aber iſt die Freiheit der Kinder Gottes und zugleich die unbarmherzigſte Hierarchie oder Herrſchaft des Gedankens: denn dem Gedanken erliege Ich. Sind die Gedanken frei, ſo bin Ich ihr Sklave, ſo habe Ich keine Gewalt über ſie und werde von ihnen beherrſcht. Ich aber will den Gedanken ha¬ ben, will voller Gedanken ſein, aber zugleich will Ich gedan¬ kenlos ſein, und bewahre Mir ſtatt der Gedankenfreiheit die Gedankenloſigkeit.

Kommt es darauf an, ſich zu verſtändigen und mitzuthei¬ len, ſo kann Ich allerdings nur von den menſchlichen Mit¬ teln Gebrauch machen, die Mir, weil Ich zugleich Menſch bin, zu Gebote ſtehen. Und wirklich habe Ich nur als Menſch Gedanken, als Ich bin Ich zugleich gedankenlos. 463Wer einen Gedanken nicht los werden kann, der iſt ſoweit nur Menſch, iſt ein Knecht der Sprache, dieſer Menſchen¬ ſatzung, dieſes Schatzes von menſchlichen Gedanken. Die Sprache oder das Wort tyranniſirt Uns am ärgſten, weil ſie ein ganzes Heer von fixen Ideen gegen uns aufführt. Beobachte Dich einmal jetzt eben bei deinem Nachdenken, und Du wirſt finden, wie Du nur dadurch weiter kommſt, daß Du jeden Augenblick gedanken - und ſprachlos wirſt. Du biſt nicht etwa bloß im Schlafe, ſondern ſelbſt im tiefſten Nach¬ denken gedanken - und ſprachlos, ja dann gerade am meiſten. Und nur durch dieſe Gedankenloſigkeit, dieſe verkannte Gedan¬ kenfreiheit oder Freiheit vom Gedanken biſt Du dein eigen. Erſt von ihr aus gelangſt Du dazu, die Sprache als dein Eigenthum zu verbrauchen.

Iſt das Denken nicht mein Denken, ſo iſt es bloß ein fortgeſponnener Gedanke, iſt Sklavenarbeit oder Arbeit eines Dieners am Worte . Für mein Denken iſt nämlich der An¬ fang nicht ein Gedanke, ſondern Ich, und darum bin Ich auch ſein Ziel, wie denn ſein ganzer Verlauf nur ein Verlauf mei¬ nes Selbſtgenuſſes iſt; für das abſolute oder freie Denken iſt hingegen das Denken ſelbſt der Anfang, und es quält ſich da¬ mit, dieſen Anfang als die äußerſte Abſtraction (z. B. als Sein) aufzuſtellen. Ebendieſe Abſtraction oder dieſer Gedanke wird dann weiter ausgeſponnen.

Das abſolute Denken iſt die Sache des menſchlichen Gei¬ ſtes, und dieſer iſt ein heiliger Geiſt. Daher iſt dieß Denken Sache der Pfaffen, die Sinn dafür haben , Sinn für die höchſten Intereſſen der Menſchheit , für den Geiſt .

Dem Gläubigen ſind die Wahrheiten eine ausgemachte Sache, eine Thatſache; dem frei Denkenden eine Sache, die erſt464 noch ausgemacht werden ſoll. Das abſolute Denken ſei noch ſo ungläubig, ſeine Ungläubigkeit hat ihre Schranken, und es bleibt doch ein Glaube an die Wahrheit, an den Geiſt, an die Idee und ihren endlichen Sieg: es ſündigt nicht gegen den heiligen Geiſt. Alles Denken aber, das nicht gegen den hei¬ ligen Geiſt ſündigt, iſt Geiſter - oder Geſpenſterglaube.

Dem Denken kann ich ſo wenig entſagen, als dem Em¬ pfinden, der Thätigkeit des Geiſtes ſo wenig als der Sinnen¬ thätigkeit. Wie das Empfinden unſer Sinn für die Dinge, ſo iſt das Denken unſer Sinn für die Weſen (Gedanken). Die Weſen haben ihr Daſein an allem Sinnlichen, beſonders am Worte. Die Macht der Worte folgt auf die der Dinge: erſt wird man durch die Ruthe bezwungen, hernach durch Ueberzeugung. Die Gewalt der Dinge überwindet unſer Muth, unſer Geiſt; gegen die Macht einer Ueberzeugung, alſo des Wortes, verliert ſelbſt die Folter und das Schwert ſeine Uebermacht und Kraft. Die Ueberzeugungsmenſchen ſind die pfäffiſchen, die jeder Lockung des Satans widerſtehen.

Das Chriſtenthum nahm den Dingen dieſer Welt nur ihre Unwiderſtehlichkeit, machte Uns unabhängig von ihnen. Gleicher¬ weiſe erhebe Ich Mich über die Wahrheiten und ihre Macht: Ich bin wie überſinnlich ſo überwahr. Die Wahrheiten ſind vor Mir ſo gemein und ſo gleichgültig wie die Dinge, ſie reißen Mich nicht hin und begeiſtern mich nicht. Da iſt auch nicht Eine Wahrheit, nicht das Recht, nicht die Freiheit, die Menſchlichkeit u. ſ. w., die vor Mir Beſtand hätte, und der ich mich unterwürfe. Sie ſind Worte, nichts als Worte, wie dem Chriſten alle Dinge nichts als eitle Dinge ſind. In den Worten und den Wahrheiten (jedes Wort iſt eine Wahrheit, wie Hegel behauptet, daß man keine Lüge ſagen465 könne) iſt kein Heil für Mich, ſo wenig als für den Chriſten in den Dingen und Eitelkeiten. Wie Mich die Reichthümer dieſer Welt nicht glücklich machen, ſo auch die Wahrheiten nicht. Die Verſuchungsgeſchichte ſpielt jetzt nicht mehr der Satan, ſondern der Geiſt, und dieſer verführt nicht durch die Dinge dieſer Welt, ſondern durch die Gedanken derſelben, durch den Glanz der Idee .

Neben den weltlichen Gütern müſſen auch alle heiligen Güter entwerthet hingeſtellt werden.

Wahrheiten ſind Phraſen, Redensarten, Worte (λόγος); in Zuſammenhang oder in Reih 'und Glied gebracht, bilden ſie die Logik, die Wiſſenſchaft, die Philoſophie.

Zum Denken und Sprechen brauche Ich die Wahrheiten und Worte, wie zum Eſſen die Speiſen; ohne ſie kann Ich nicht denken noch ſprechen. Die Wahrheiten ſind der Men¬ ſchen Gedanken, in Worten niedergelegt und deshalb ebenſo vorhanden, wie andere Dinge, obgleich nur für den Geiſt oder das Denken vorhanden. Sie ſind Menſchenſatzungen und menſchliche Geſchöpfe, und wenn man ſie auch für göttliche Offenbarungen ausgiebt, ſo bleibt ihnen doch die Eigenſchaft der Fremdheit für Mich, ja als meine eigenen Geſchöpfe ſind ſie nach dem Schöpfungsacte Mir bereits entfremdet.

Der Chriſtenmenſch iſt der Denkgläubige, der an die Oberherrſchaft der Gedanken glaubt und Gedanken, ſogenannte Principien zur Herrſchaft bringen will. Zwar prüft Man¬ cher die Gedanken und wählt keinen derſelben ohne Kritik zu ſeinem Herrn, aber er gleicht darin dem Hunde, der die Leute beſchnoppert, um ſeinen Herrn herauszuriechen: aus den herrſchenden Gedanken ſieht er's allezeit ab. Der Chriſt kann unendlich viel reformiren und revoltiren, kann die herr¬30466ſchenden Begriffe von Jahrhunderten zu Grunde richten: im¬ mer wird er wieder nach einem neuen Principe oder neuen Herrn trachten, immer wieder eine höhere oder tiefere Wahr¬ heit aufrichten, immer einen Cultus wieder hervorrufen, immer einen zur Herrſchaft berufenen Geiſt proclamiren, ein Geſetz für Alle hinſtellen.

Giebt es auch nur Eine Wahrheit, welcher der Menſch ſein Leben und ſeine Kräfte widmen müßte, weil er Menſch iſt, ſo iſt er einer Regel, Herrſchaft, Geſetz u. ſ. w. unter¬ worfen, iſt Dienſtmann. Solche Wahrheit ſoll z. B. der Menſch, die Menſchlichkeit, die Freiheit u. ſ. w. ſein.

Dagegen kann man ſo ſagen: Ob Du mit dem Denken Dich des Weiteren befaſſen willſt, das kommt auf Dich an; nur wiſſe, daß, wenn Du es im Denken zu etwas Erheblichem bringen möchteſt, viele und ſchwere Probleme zu löſen ſind, ohne deren Ueberwindung Du nicht weit kommen kannſt. Es exiſtirt alſo keine Pflicht und kein Beruf für Dich, mit Gedanken (Ideen, Wahrheiten) Dich abzugeben, willſt Du's aber, ſo wirſt Du wohlthun, das, was Anderer Kräfte in Erledigung dieſer ſchwierigen Gegenſtände ſchon gefördert haben, zu benutzen.

So hat alſo, wer denken will, allerdings eine Aufgabe, die er ſich mit jenem Willen bewußt oder unbewußt ſetzt; aber die Aufgabe zu denken oder zu glauben hat Keiner. Im erſteren Falle kann es heißen: Du gehſt nicht weit genug, haſt ein beſchränktes und befangenes Intereſſe, gehſt der Sache nicht auf den Grund, kurz bewältigſt ſie nicht vollſtändig. Anderer¬ ſeits aber, ſo weit Du auch jedesmal kommen magſt, Du biſt doch immer zu Ende, haſt keinen Beruf weiter zu ſchreiten und kannſt es haben, wie Du willſt oder vermagſt. Es ſteht da¬ mit, wie mit einer andern Arbeit, die Du aufgeben kannſt,467 wenn Dir die Luſt dazu abgeht. Ebenſo wenn Du eine Sache nicht mehr glauben kannſt, ſo haſt Du zum Glauben Dich nicht zu zwingen oder als mit einer heiligen Glaubenswahr¬ heit Dich fortdauernd zu beſchäftigen, wie es die Theologen oder Philoſophen machen, ſondern kannſt getroſt dein Intereſſe aus ihr zurückziehen und ſie laufen laſſen. Die pfäffiſchen Geiſter werden Dir freilich dieſe Intereſſeloſigkeit für Faulheit, Gedankenloſigkeit, Verſtocktheit, Selbſttäuſchung u. dgl. aus¬ legen. Aber laß Du den Bettel nur dennoch liegen. Keine Sache, kein ſogenanntes höchſtes Intereſſe der Menſchheit , keine heilige Sache iſt werth, daß Du ihr dieneſt, und um ihretwillen Dich damit befaſſeſt; ihren Werth magſt Du allein darin ſuchen, ob ſie Dir um Deinetwillen werth iſt. Werdet wie die Kinder, mahnt der bibliſche Spruch. Kinder aber haben kein heiliges Intereſſe und wiſſen nichts von einer guten Sache . Deſto genauer wiſſen ſie, wonach ihnen der Sinn ſteht, und wie ſie dazu gelangen ſollen, das bedenken ſie nach beſten Kräften.

Das Denken wird ſo wenig als das Empfinden aufhören. Aber die Macht der Gedanken und Ideen, die Herrſchaft der Theorien und Principien, die Oberherrlichkeit des Geiſtes, kurz die Hierarchie währt ſo lange, als die Pfaffen, d. h. Theologen, Philoſophen, Staatsmänner, Philiſter, Liberale, Schulmeiſter, Bedienten, Aeltern, Kinder, Eheleute, Proud'hon, George Sand, Bluntſchli u. ſ. w., u. ſ. w. das große Wort führen: die Hierarchie wird dauern, ſo lange man an Princi¬ pien glaubt, denkt, oder auch ſie kritiſirt: denn ſelbſt die un¬ erbittlichſte Kritik, die alle geltenden Principien untergräbt, glaubt ſchließlich doch an das Princip.

Es kritiſirt Jeder, aber das Kriterium iſt verſchieden. 30*468Man jagt dem rechten Kriterium nach. Dieß rechte Krite¬ rium iſt die erſte Vorausſetzung. Der Kritiker geht von einem Satze, einer Wahrheit, einem Glauben aus. Dieſer iſt nicht eine Schöpfung des Kritikers, ſondern des Dogmatikers, ja er wird ſogar gewöhnlich aus der Zeitbildung ohne Weiteres auf¬ genommen, wie z. B. die Freiheit , die Menſchlichkeit u. ſ. w. Der Kritiker hat nicht den Menſchen gefunden , ſondern als der Menſch iſt dieſe Wahrheit vom Dogmatiker feſtgeſtellt worden, und der Kritiker, der übrigens mit jenem dieſelbe Perſon ſein kann, glaubt an dieſe Wahrheit, dieſen Glaubensſatz. In dieſem Glauben und beſeſſen von dieſem Glauben kritiſirt er.

Das Geheimniß der Kritik iſt irgend eine Wahrheit : dieſe bleibt ihr energirendes Myſterium.

Aber Ich unterſcheide zwiſchen dienſtbarer und eige¬ ner Kritik. Kritiſire Ich unter der Vorausſetzung eines höch¬ ſten Weſens, ſo dient meine Kritik dem Weſen und wird um ſeinetwillen geführt: bin Ich z. B. beſeſſen von dem Glauben an einen freien Staat , ſo kritiſire Ich alles dahin Einſchla¬ gende von dem Geſichtspunkte aus, ob es dieſem Staate con¬ venirt; denn Ich liebe dieſen Staat; kritiſire ich als From¬ mer, ſo zerfällt Mir Alles in göttlich und teufliſch, und die Natur beſteht vor meiner Kritik aus Gottesſpuren oder Teu¬ felsſpuren (daher Benennungen wie: Gottesgabe, Gottesberg, Teufelskanzel u. ſ. w.), die Menſchen aus Gläubigen und Ungläubigen u. ſ. w.; kritiſire Ich, indem Ich an den Men¬ ſchen als das wahre Weſen glaube, ſo zerfällt Mir zunächſt Alles in den Menſchen und den Unmenſchen u. ſ. w.

Die Kritik iſt bis auf den heutigen Tag ein Werk der Liebe geblieben: denn wir übten ſie allezeit einem Weſen zu469 Liebe. Alle dienſtbare Kritik iſt ein Liebesproduct, eine Be¬ ſeſſenheit, und verfährt nach jenem neuteſtamentlichen: Prü¬ fer Alles und das Gute behaltet. *)1 Theſſ. 5, 21. Das Gute iſt der Prüfſtein, das Kriterium. Das Gute, unter tauſenderlei Na¬ men und Geſtalten wiederkehrend, blieb immer die Vorauſſe¬ tzung, blieb der dogmatiſch feſte Punkt für dieſe Kritik, blieb die fixe Idee.

Unbefangen ſetzt der Kritiker, indem er ſich an die Arbeit macht, die Wahrheit voraus, und in dem Glauben, daß ſie zu finden ſei, ſucht er die Wahrheit. Er will das Wahre er¬ mitteln und hat daran eben jenes Gute .

Vorauſſetzen heißt nichts anders, als einen Gedanken voranſtellen, oder etwas vor allem Andern denken und von dieſem Gedachten aus das Uebrige denken, d. h. es daran meſſen und kritiſiren. Mit andern Worten ſagt dieß ſo viel, daß das Denken mir einem Gedachten beginnen ſoll. Begönne das Denken überhaupt, ſtatt begonnen zu werden, wäre das Denken ein Subject, eine eigene handelnde Perſönlichkeit, wie ſchon die Pflanze eine ſolche iſt, ſo wäre freilich nicht davon abzuſtehen, daß das Denken mit ſich anfangen müſſe. Allein die Perſonification des Denkens bringt eben jene unzähligen Irrthümer zu Stande. Im Hegel'ſchen Syſteme wird immer ſo geſprochen, als dächte und handelte das Denken oder der denkende Geiſt , d. h. das perſonificirte Denken, das Denken als Geſpenſt; im kritiſchen Liberalismus heißt es ſtets: die Kritik thue das und das, oder auch: das Selbſtbewußtſein finde das und das. Gilt aber das Denken für das perſön¬ lich Handelnde, ſo muß das Denken ſelbſt vorausgeſetzt ſein,470 gilt die Kritik dafür, ſo muß gleichfalls ein Gedanke voran¬ ſtehen. Denken und Kritik könnten nur von ſich aus thätig, müßten ſelbſt die Vorausſetzung ihrer Thätigkeit ſein, da ſie, ohne zu ſein, nicht thätig ſein könnten. Das Denken aber, als Vorausgeſetztes, iſt ein fixer Gedanke, ein Dogma: Den¬ ken und Kritik könnten alſo nur von einem Dogma ausge¬ hen, d. h. von einem Gedanken, einer fixen Idee, einer Vor¬ ausſetzung.

Wir kommen damit wieder auf das oben Ausgeſprochene zurück, daß das Chriſtenthum in der Entwicklung einer Ge¬ dankenwelt beſtehe, oder daß es die eigentliche Gedankenfrei¬ heit ſei, der freie Gedanke , der freie Geiſt . Die wahre Kritik, die Ich die dienſtbare nannte, iſt daher ebenſo die freie Kritik, denn ſie iſt nicht mein eigen.

Anders verhält es ſich, wenn das Deinige nicht zu einem Fürſichſeienden gemacht, nicht perſonificirt, nicht als ein eige¬ ner Geiſt verſelbſtändigt wird. Dein Denken hat nicht das Denken zur Vorausſetzung, ſondern Dich. Aber ſo ſetzeſt Du Dich doch voraus? Ja, aber nicht Mir, ſondern meinem Denken. Vor meinem Denken bin Ich. Daraus folgt, daß meinem Denken nicht ein Gedanke vorhergeht, oder daß mein Denken ohne eine Vorausſetzung iſt. Denn die Vorausſetzung, welche Ich für mein Denken bin, iſt keine vom Denken gemachte, keine gedachte, ſondern iſt das geſetzte Denken ſelbſt, iſt der Eigner des Denkens, und beweiſt nur, daß das Denken nichts weiter iſt, als Eigenthum, d. h. daß ein ſelbſtändiges Denken, ein denkender Geiſt gar nicht exiſtirt.

Dieſe Umkehrung der gewöhnlichen Betrachtungsweiſe könnte einem leeren Spiel mit Abſtractionen ſo ähnlich ſehen,471 daß ſelbſt diejenigen, gegen welche ſie gerichtet iſt, ihrer harm¬ loſen Wendung ſich ergäben, wenn nicht practiſche Folgen ſich daran knüpften.

Um dieſe in einen bündigen Ausdruck zu bringen, ſo wird nun behauptet, daß nicht der Menſch das Maaß von Allem, ſondern daß Ich dieſes Maaß ſei. Der dienſtbare Kritiker hat ein anderes Weſen, eine Idee, vor Augen, welchem er dienen will; darum ſchlachtet er ſeinem Gotte nur die falſchen Götzen. Was dieſem Weſen zu Liebe geſchieht, was wäre es anders, als ein Werk der Liebe? Ich aber habe, wenn Ich kritiſire, nicht einmal Mich vor Augen, ſondern mache Mir nur ein Vergnügen, amüſire Mich nach meinem Geſchmacke: je nach meinem Bedürfniß zerkaue Ich die Sache, oder ziehe nur ihren Duft ein.

Sprechender noch wird der Unterſchied beider Verfaſſungs¬ arten ſich herausſtellen, wenn man bedenkt, daß der dienſtbare Kritiker, weil ihn die Liebe leitet, der Sache ſelbſt zu die¬ nen meint.

Die Wahrheit oder die Wahrheit überhaupt will man nicht aufgeben, ſondern ſuchen. Was iſt ſie anders als das être suprême, das höchſte Weſen? Verzweifeln müßte auch die wahre Kritik , wenn ſie den Glauben an die Wahrheit verlöre. Und doch iſt die Wahrheit nur ein Gedanke, aber nicht bloß einer, ſondern ſie iſt der Gedanke, der über alle Gedanken iſt, der unumſtößliche Gedanke, ſie iſt der Ge¬ danke ſelbſt, der alle andern erſt heiligt, iſt die Weihe der Gedanken, der abſolute , der heilige Gedanke. Die Wahr¬ heit hält länger vor, als alle Götter; denn nur in ihrem Dienſte und ihr zu Liebe hat man die Götter und zuletzt ſelbſt den Gott geſtürzt. Den Untergang der Götterwelt überdauert472 die Wahrheit , denn ſie iſt die unſterbliche Seele dieſer ver¬ gänglichen Götterwelt, ſie iſt die Gottheit ſelber.

Ich will antworten auf die Frage des Pilatus: Was iſt Wahrheit? Wahrheit iſt der freie Gedanke, die freie Idee, der freie Geiſt; Wahrheit iſt, was von Dir frei, was nicht dein eigen, was nicht in deiner Gewalt iſt. Aber Wahrheit iſt auch das völlig Unſelbſtändige, Unperſönliche, Unwirkliche und Unbe¬ leibte; Wahrheit kann nicht auftreten, wie Du auftrittſt, kann ſich nicht bewegen, nicht ändern, nicht entwickeln: Wahrheit er¬ wartet und empfängt alles von Dir und iſt ſelbſt nur durch Dich: denn ſie exiſtirt nur in deinem Kopfe. Du giebſt das zu, daß die Wahrheit ein Gedanke ſei, aber nicht jeder Gedanke ſei ein wahrer, oder, wie Du's auch wohl ausdrückſt, nicht jeder Gedanke iſt wahrhaft und wirklich Gedanke. Und woran miſſeſt und erkennſt Du den wahren Gedanken? An deiner Ohn¬ macht, nämlich daran, daß Du ihm nichts mehr anhaben kannſt! Wenn er Dich überwältigt, begeiſtert und fortreißt, dann hälſt Du ihn für den wahren. Seine Herrſchaft über Dich documentirt Dir ſeine Wahrheit, und wenn er Dich be¬ ſitzt und Du von ihm beſeſſen biſt, dann iſt Dir wohl bei ihm, denn dann hast Du deinen Herrn und Meiſter gefunden. Als Du die Wahrheit ſuchteſt, wonach ſehnte ſich dein Herz da? Nach deinem Herrn! Du trachteteſt nicht nach deiner Gewalt, ſondern nach einem Gewaltigen, und wollteſt einen Gewaltigen erhöhen ( Erhöhet den Herrn, unſern Gott! ). Die Wahrheit, mein lieber Pilatus, iſt der Herr, und Alle, welche die Wahrheit ſuchen, ſuchen und preiſen den Herrn. Wo exiſtirt der Herr? Wo anders als in deinem Kopfe? Er iſt nur Geiſt, und wo immer Du ihn wirklich zu erblicken glaubſt, da iſt er ein Geſpenſt; der Herr iſt ja bloß ein473 Gedachtes, und nur die chriſtliche Angſt und Qual, das Un¬ ſichtbare ſichtbar, das Geiſtige leibhaftig zu machen, erzeugte das Geſpenſt und war der furchtſame Jammer des Geſpenſter¬ glaubens.

So lange Du an die Wahrheit glaubſt, glaubſt Du nicht an Dich und biſt ein Diener, ein religiöſer Menſch. Du allein biſt die Wahrheit, oder vielmehr, Du biſt mehr als die Wahrheit, die vor Dir gar nichts iſt. Aller¬ dings fragſt auch Du nach der Wahrheit, allerdings kritiſirſt auch Du, aber Du fragſt nicht nach einer höhern Wahrheit , die nämlich höher wäre als Du, und kritiſirſt nicht nach dem Kriterium einer ſolchen. Du machſt Dich an die Gedanken und Vorſtellungen wie an die Erſcheinungen der Dinge nur zu dem Zwecke, um ſie Dir mundgerecht, genießbar und eigen zu machen, Du willſt ſie nur bewältigen und ihr Eigner werden, willſt Dich in ihnen orientiren und zu Hauſe wiſſen, und befindeſt ſie wahr oder ſiehſt ſie in ihrem wahren Lichte dann, wenn ſie Dir nicht mehr entſchlüpfen können, keine un¬ gepackte oder unbegriffene Stelle mehr haben, oder wenn ſie Dir recht, wenn ſie dein Eigenthum ſind. Werden ſie nachgehends wieder ſchwerer, entwinden ſie deiner Gewalt ſich wieder, ſo iſt das eben ihre Unwahrheit, nämlich deine Ohn¬ macht. Deine Ohnmacht iſt ihre Macht, deine Demuth ihre Hoheit. Ihre Wahrheit alſo biſt Du oder iſt das Nichts, welches Du für ſie biſt und in welches ſie zerfließen, ihre Wahrheit iſt ihre Nichtigkeit.

Erſt als das Eigenthum Meiner kommen die Geiſter, die Wahrheiten, zur Ruhe, und ſie ſind dann erſt wirklich, wenn ihnen die leidige Exiſtenz entzogen und ſie zu einem Eigenthum Meiner gemacht werden, wenn es nicht mehr heißt: die Wahr¬474 heit entwickelt ſich, herrſcht, macht ſich geltend, die Geſchichte (auch ein Begriff) ſiegt u. dergl. Niemals hat die Wahrheit geſiegt, ſondern ſtets war ſie mein Mittel zum Siege, ähnlich dem Schwerte ( das Schwert der Wahrheit ). Die Wahr¬ heit iſt todt, ein Buchſtabe, ein Wort, ein Material, das Ich verbrauchen kann. Alle Wahrheit für ſich iſt todt, ein Leich¬ nam; lebendig iſt ſie nur in derſelben Weiſe, wie meine Lunge lebendig iſt, nämlich in dem Maaße meiner eigenen Lebendig¬ keit. Die Wahrheiten ſind Material wie Kraut und Unkraut; ob Kraut oder Unkraut, darüber liegt die Entſcheidung in Mir.

Mir ſind die Gegenſtände nur Material, das Ich ver¬ brauche. Wo Ich hingreife, faſſe Ich eine Wahrheit, die Ich Mir zurichte. Die Wahrheit iſt Mir gewiß, und Ich brauche ſie nicht zu erſehnen. Der Wahrheit einen Dienſt zu leiſten, iſt nirgends meine Abſicht; ſie iſt Mir nur ein Nahrungsmittel für meinen denkenden Kopf, wie die Kartoffel für meinen ver¬ dauenden Magen, der Freund für mein geſelliges Herz. So lange Ich Luſt und Kraft zu denken habe, dient Mir jede Wahrheit nur dazu, ſie nach meinem Vermögen zu verarbeiten. Wie für den Chriſten die Wirklichkeit oder Weltlichkeit, ſo iſt für Mich die Wahrheit eitel und nichtig . Sie exiſtirt ge¬ rade ſo gut, als die Dinge dieſer Welt fortexiſtiren, obgleich der Chriſt ihre Nichtigkeit bewieſen hat; aber ſie iſt eitel, weil ſie ihren Werth nicht in ſich hat, ſondern in Mir. Für ſich iſt ſie werthlos. Die Wahrheit iſt eine Creatur.

Wie Ihr durch eure Thätigkeit unzählige Dinge herſtellt, ja den Erdboden neu geſtaltet und überall Menſchenwerke er¬ richtet, ſo mögt Ihr auch noch zahlloſe Wahrheiten durch euer Denken ermitteln, und Wir wollen Uns gerne daran erfreuen. 475Wie Ich Mich jedoch nicht dazu hergeben mag, eure neu ent¬ deckten Maſchinen maſchinenmäßig zu bedienen, ſondern ſie nur zu meinem Nutzen in Gang ſetzen helfe, ſo will Ich auch eure Wahrheiten nur gebrauchen, ohne Mich für ihre Forde¬ rungen gebrauchen zu laſſen.

Alle Wahrheiten unter Mir ſind Mir lieb; eine Wahr¬ heit über Mir, eine Wahrheit, nach der Ich Mich richten müßte, kenne Ich nicht. Für Mich giebt es keine Wahrheit, denn über Mich geht nichts! Auch nicht mein Weſen, auch nicht das Weſen des Menſchen geht über Mich! Und zwar über Mich, dieſen Tropfen am Eimer , dieſen unbedeutenden Menſchen !

Ihr glaubt das Aeußerſte gethan zu haben, wenn Ihr kühn behauptet, es gebe, weil jede Zeit ihre eigene Wahrheit habe, keine abſolute Wahrheit . Damit laßt Ihr ja dennoch jeder Zeit ihre Wahrheit, und erſchafft ſo recht eigentlich eine abſolute Wahrheit , eine Wahrheit, die keiner Zeit fehlt, weil jede Zeit, wie ihre Wahrheit auch immer ſei, doch eine Wahrheit hat.

Soll nur geſagt ſein, daß man in jeder Zeit gedacht, mit¬ hin Gedanken oder Wahrheiten gehabt hat, und daß dieſe in der folgenden Zeit andere waren, als in der früheren? Nein, es ſoll heißen, daß jede Zeit ihre Glaubenswahrheit hatte; und in der That iſt noch keine erſchienen, worin nicht eine höhere Wahrheit anerkannt worden wäre, eine Wahrheit, der man als Hoheit und Majeſtät ſich unterwerfen zu müſſen glaubte. Jede Wahrheit einer Zeit iſt die fixe Idee derſelben, und wenn man ſpäter eine andere Wahrheit fand, ſo geſchah dieß immer nur, weil man eine andere ſuchte: man reformirte nur die Narrheit und zog ihr ein modernes Kleid an. Denn476 man wollte doch wer durfte an der Berechtigung hierzu zweifeln? man wollte von einer Idee begeiſtert ſein. Man wollte von einem Gedanken beherrſcht, beſeſſen ſein! Der modernſte Herrſcher dieſer Art iſt unſer Weſen oder der Menſch .

Für alle freie Kritik war ein Gedanke das Kriterium, für die eigene Kritik bin Ich's, Ich, der Unſagbare, mithin nicht bloß Gedachte; denn das bloß Gedachte iſt ſtets ſagbar, weil Wort und Gedanke zuſammenfallen. Wahr iſt, was mein iſt, unwahr das, dem Ich eigen bin; wahr z. B. der Verein, unwahr der Staat und die Geſellſchaft. Die freie und wahre Kritik ſorgt für die conſequente Herrſchaft eines Gedankens, einer Idee, eines Geiſtes, die eigene für nichts als meinen Selbſtgenuß. Darin aber gleicht die letztere in der That und Wir wollen ihr dieſe Schmach nicht er¬ ſparen! der thieriſchen Kritik des Inſtinctes. Mir iſt es, wie dem kritiſirenden Thiere, nur um Mich, nicht um die Sache zu thun. Ich bin das Kriterium der Wahrheit, Ich aber bin keine Idee, ſondern mehr als Idee, d. h. unaus¬ ſprechlich. Meine Kritik iſt keine freie , nicht frei von Mir, und keine dienſtbare , nicht im Dienſte einer Idee, ſondern eine eigene.

Die wahre oder menſchliche Kritik bringt nur heraus, ob etwas dem Menſchen, dem wahren Menſchen convenire; durch die eigene Kritik aber ermittelſt Du, ob es Dir con¬ venirt.

Die freie Kritik beſchäftigt ſich mit Ideen, und iſt des¬ halb ſtets theoretiſch. Wie ſie auch gegen die Ideen wüthen möge, ſo kommt ſie doch von ihnen nicht los. Sie ſchlägt ſich mit den Geſpenſtern herum, aber ſie kann dieß nur, in¬477 dem ſie dieſelben für Geſpenſter hält. Die Ideen, mit denen ſie's zu thun hat, verſchwinden nicht völlig: der Morgenhauch eines neuen Tages verſcheucht ſie nicht.

Der Kritiker kann zwar zur Ataraxie gegen die Ideen kommen, aber er wird ſie niemals los, d. h. er wird nie bereiſen, daß nicht über dem leibhaftigen Menſchen et¬ was Höheres exiſtire, nämlich ſeine Menſchlichkeit, die Freiheit u. ſ. w. Es bleibt ihm immer noch ein Beruf des Men¬ ſchen übrig, die Menſchlichkeit . Und dieſe Idee der Menſch¬ lichkeit bleibt unrealiſirt, weil ſie eben Idee bleibt und blei¬ ben ſoll.

Faſſe Ich dagegen die Idee als meine Idee, ſo iſt ſie bereits realiſirt, weil Ich ihre Realität bin: ihre Realität be¬ ſteht darin, daß Ich, der Leibhaftige, ſie habe.

Man ſagt, in der Weltgeſchichte realiſire ſich die Idee der Freiheit. Umgekehrt, dieſe Idee iſt reel, ſowie ein Menſch ſie denkt, und ſie iſt in dem Maaße reel als ſie Idee iſt, d.h. als Ich ſie denke oder habe. Nicht die Idee der Freiheit entwickelt ſich, ſondern die Menſchen entwickeln ſich und ent¬ wickeln in dieſer Selbſtentwicklung natürlich auch ihr Denken.

Kurz der Kritiker iſt noch nicht Eigner, weil er mit den Ideen noch als mit mächtigen Fremden kämpft, wie der Chriſt nicht Eigner ſeiner ſchlechten Begierden iſt, ſo lange er ſie zu bekämpfen hat: wer gegen das Laſter ſtreitet, für den exiſtirt das Laſter.

Die Kritik bleibt in der Freiheit des Erkennens , der Geiſtesfreiheit, ſtecken, und der Geiſt gewinnt ſeine rechte Frei¬ heit dann, wenn er ſich mit der reinen, der wahren Idee er¬ füllt; das iſt die Denkfreiheit, die nicht ohne Gedanken ſein kann.

478

Es ſchlägt die Kritik eine Idee nur durch eine andere, z. B. die des Privilegiums durch die der Menſchheit, oder die des Egoismus durch die der Uneigennützigkeit.

Ueberhaupt tritt der Anfang des Chriſtenthums in ſei¬ nem kritiſchen Ende wieder auf, indem hier wie dort der Egoismus bekämpft wird. Nicht Mich, den Einzelnen, ſondern die Idee, das Allgemeine, ſoll Ich zur Geltung bringen.

Krieg des Pfaffenthums mit dem Egoismus, der geiſt¬ lich Geſinnten mit den weltlich Geſinnten macht ja den In¬ halt der ganzen chriſtlichen Geſchichte aus. In der neueſten Kritik wird dieſer Krieg nur allumfaſſend, der Fanatismus vollſtändig. Freilich kann er auch ſo erſt, nachdem er ſich ausgelebt und ausgewüthet hat, vergehen.

Ob, was Ich denke und thue, chriſtlich ſei, was küm¬ mert's Mich? Ob es menſchlich, liberal, human, ob unmenſch¬ lich, illiberal, inhuman, was frag 'Ich darnach? Wenn es nur bezweckt, was Ich will, wenn Ich nur Mich darin be¬ friedige, dann belegt es mit Prädikaten wie Ihr wollt: es gilt Mir gleich.

Auch Ich wehre Mich vielleicht ſchon im nächſten Augen¬ blicke gegen meinen vorigen Gedanken, auch Ich ändere wohl plötzlich meine Handlungsweiſe; aber nicht darum, weil ſie der Chriſtlichkeit nicht entſpricht, nicht darum, weil ſie gegen die ewigen Menſchenrechte läuft, nicht darum, weil ſie der Idee der Menſchheit, Menſchlichkeit und Humanität in's Geſicht ſchlägt, ſondern weil Ich nicht mehr ganz dabei bin, weil ſie Mir keinen vollen Genuß mehr bereitet, weil Ich an dem479 früheren Gedanken zweifle oder in der eben geübten Handlungs¬ weiſe Mir nicht mehr gefalle.

Wie die Welt als Eigenthum zu einem Material ge¬ worden iſt, mit welchem Ich anfange, was Ich will, ſo muß auch der Geiſt als Eigenthum zu einem Material herab¬ ſinken, vor dem Ich keine heilige Scheu mehr trage. Zunächſt werde Ich dann nicht ferner vor einem Gedanken ſchaudern, er erſcheine ſo verwegen und teufliſch als er wolle, weil, wenn er Mir zu unbequem und unbefriedigend zu werden droht, ſein Ende in meiner Macht liegt; aber auch vor keiner That werde Ich zurückbeben, weil ein Geiſt der Gottloſigkeit, Unſittlichkeit, Widerrechtlichkeit darin wohne, ſo wenig als der heilige Bonifacius von dem Umhauen der heiligen Heideneiche aus religiöſer Bedenklichkeit abſtehen mochte. Sind einſt die Dinge der Welt eitel geworden, ſo müſſen auch die Gedan¬ ken des Geiſtes eitel werden.

Kein Gedanke iſt heilig, denn kein Gedanke gelte für Andacht , kein Gefühl iſt heilig (kein heiliges Freundſchafts¬ gefühl, Muttergefühl u. ſ. w.), kein Glaube iſt heilig. Sie ſind alle veräußerlich, mein veräußerliches Eigenthum, und werden von Mir vernichtet wie geſchaffen.

Der Chriſt kann alle Dinge oder Gegenſtände, die ge¬ liebteſten Perſonen, dieſe Gegenſtände ſeiner Liebe, verlieren, ohne Sich, d. h. im chriſtlichen Sinne ſeinen Geiſt, ſeine Seele, verloren zu geben. Der Eigner kann alle Gedanken, die ſeinem Herzen lieb waren und ſeinen Eifer entzündeten, von ſich werfen und wird gleichfalls tauſendfältig wieder ge¬ winnen , weil Er, ihr Schöpfer, bleibt.

Unbewußt und unwillkührlich ſtreben Wir alle der Ei¬ genheit zu, und ſchwerlich wird Einer unter Uns ſein, der480 nicht ein heiliges Gefühl, einen heiligen Gedanken, einen hei¬ ligen Glauben aufgegeben hätte, ja Wir begegnen wohl kei¬ nem, der ſich nicht aus einem oder dem andern ſeiner heiligen Gedanken noch erlöſen könnte. All unſer Streit wider Ueber¬ zeugungen geht von der Meinung aus, daß Wir den Gegner etwa aus ſeinen Gedankenverſchanzungen zu vertreiben fähig ſeien. Aber was Ich unbewußt thue, das thue Ich halb, und darum werde Ich nach jedem Siege über einen Glauben wie¬ der der Gefangene (Beſeſſene) eines Glaubens, der dann von neuem mein ganzes Ich in ſeinen Dienſt nimmt und Mich zum Schwärmer für die Vernunft macht, nachdem Ich für die Bibel zu ſchwärmen aufgehört, oder zum Schwärmer für die Idee der Menſchheit, nachdem Ich lange genug für die der Chriſtenheit gefochten habe.

Wohl werde Ich als Eigner der Gedanken ſo gut mein Eigenthum mit dem Schilde decken, wie Ich als Eigner der Dinge nicht Jedermann gutwillig zugreifen laſſe; aber lächelnd zugleich werde Ich dem Ausgange der Schlacht entgegenſehen, lächelnd den Schild auf die Leichen meiner Gedanken und meines Glaubens legen, lächelnd, wenn Ich geſchlagen bin, triumphiren. Das eben iſt der Humor von der Sache. Sei¬ nen Humor an den Kleinlichkeiten der Menſchen auszulaſſen, das vermag Jeder, der erhabnere Gefühle hat; ihn aber mit allen großen Gedanken, erhabenen Gefühlen, edler Begeiſte¬ rung und heiligem Glauben ſpielen zu laſſen, das ſetzt vor¬ aus, daß Ich der Eigner von Allem ſei.

Hat die Religion den Satz aufgeſtellt, Wir ſeien allzu¬ mal Sünder, ſo ſtelle Ich ihm den andern entgegen: Wir ſind allzumal vollkommen! Denn wir ſind jeden Augenblick Alles, was Wir ſein können, und brauchen niemals mehr zu ſein.

481

Da kein Mangel an Uns haftet, ſo hat auch die Sünde kei¬ nen Sinn. Zeigt Mir noch einen Sünder in der Welt, wenn's Keiner mehr einem Höheren recht zu machen braucht! Brauche Ich's nur Mir recht zu machen, ſo bin Ich kein Sünder, wenn Ich's Mir nicht recht mache, da Ich in Mir keinen Heiligen verletze; ſoll Ich dagegen fromm ſein, ſo muß Ich's Gott recht machen, ſoll Ich menſchlich handeln, ſo muß Ich's dem Weſen des Menſchen, der Idee der Menſchheit u. ſ. w. recht machen. Was die Religion den Sünder nennt, das nennt die Humanität den Egoiſten . Nochmals aber, brauche Ich's keinem Andern recht zu machen, iſt dann der Egoiſt , in welchem die Humanität ſich einen neumodi¬ ſchen Teufel geboren hat, mehr als ein Unſinn? Der Egoiſt, vor dem die Humanen ſchaudern, iſt ſo gut ein Spuk, als der Teufel einer iſt: er exiſtirt nur als Schreckgeſpenſt und Phantaſiegeſtalt in ihrem Gehirne. Trieben ſie nicht zwiſchen dem altfränkiſchen Gegenſatz von Gut und Böſe, dem ſie die modernen Namen von Menſchlich und Egoiſtiſch gegeben haben, unbefangen hin und her, ſo würden ſie auch nicht den ergrauten Sünder zum Egoiſten aufgefriſcht und einen neuen Lappen auf ein altes Kleid geflickt haben. Aber ſie konnten nicht anders, denn ſie Halten's für ihre Aufgabe, Menſchen zu ſein. Den Guten ſind ſie los, das Gute iſt geblieben!

Wir ſind allzumal vollkommen, und auf der ganzen Erde iſt nicht Ein Menſch, der ein Sünder wäre! Es giebt Wahn¬ ſinnige, die ſich einbilden, Gott Vater, Gott Sohn oder der Mann im Monde zu ſein, und ſo wimmelt es auch von Narren, die ſich Sünder zu ſein dünken; aber wie jene nicht der Mann im Monde ſind, ſo ſind dieſe keine Sünder. Ihre Sünde iſt eingebildet.

31482

Aber, wirft man verfänglicher Weiſe ein, ſo iſt doch ihr Wahnſinn oder ihre Beſeſſenheit wenigſtens ihre Sünde. Ihre Beſeſſenheit iſt nichts als das, was ſie zu Stande bringen konnten, das Reſultat ihrer Entwicklung, wie Luthers Bibel¬ gläubigkeit eben Alles war, was er herauszubringen ver¬ mochte. Der Eine bringt ſich mit ſeiner Entwicklung in's Narrenhaus, der Andere bringt ſich damit in's Pantheon und um die Walhalla.

Es giebt keinen Sünder und keinen ſündigen Egoismus!

Geh 'Mir vom Leibe mit Deiner Menſchenliebe ! Schleiche Dich hinein, Du Menſchenfreund, in die Höhlen des Laſters , verweile einmal in dem Gewühl der großen Stadt: wirſt Du nicht überall Sünde und Sünde und wieder Sünde finden? Wirſt Du nicht jammern über die verderbte Menſchheit, nicht klagen über den ungeheuern Egoismus? Wirſt Du einen Reichen ſehen, ohne ihn unbarmherzig und egoiſtiſch zu finden? Du nennſt Dich vielleicht ſchon Atheiſt, aber dem chriſtlichen Gefühle bleibſt Du treu, daß ein Kameel eher durch ein Nadelöhr gehe, als daß ein Reicher kein Un¬ menſch ſei. Wie viele ſiehſt Du überhaupt, die Du nicht unter die egoiſtiſche Maſſe würfeſt? Was hat alſo deine Menſchenliebe gefunden? Lauter unliebenswürdige Menſchen! Und woher ſtammen ſie alle? Aus Dir, aus deiner Men¬ ſchenliebe! Du haſt den Sünder im Kopfe mitgebracht, darum fandeſt Du ihn, darum ſchobſt Du ihn überall unter. Nenne die Menſchen nicht Sünder, ſo ſind ſie's nicht: Du allein biſt der Schöpfer der Sünder: Du, der Du die Menſchen zu lie¬ ben wähnſt, Du gerade wirfſt ſie in den Koth der Sünde, Du gerade ſcheideſt ſie in Laſterhafte und Tugendhafte, in Menſchen und Unmenſchen, Du gerade beſudelſt ſie mit dem483 Geifer deiner Beſeſſenheit; denn Du liebſt nicht die Men¬ ſchen, ſondern den Menſchen. Ich aber ſage Dir, Du haſt niemals einen Sünder geſehen, Du haſt ihn nur geträumt. Der Selbſtgenuß wird Mir dadurch verleidet, daß Ich einem Andern dienen zu müſſen meine, daß Ich Mich ihm verpflichtet wähne, daß Ich Mich zu Aufopferung , Hin¬ gebung , Begeiſterung berufen halte. Wohlan, diene Ich keiner Idee, keinem höheren Weſen mehr, ſo findet ſich's von ſelbſt, daß Ich auch keinem Menſchen mehr diene, ſondern unter allen Umſtänden Mir. So aber bin Ich nicht bloß der That oder dem Sein nach, ſondern auch für mein Bewußtſein der Einzige.

Dir kommt mehr zu, als das Göttliche, das Menſchliche u. ſ. w. ; Dir kommt das Deinige zu.

Sieh Dich als mächtiger an, als wofür man Dich aus¬ giebt, ſo haſt Du mehr Macht; ſieh Dich als mehr an, ſo haſt Du mehr.

Du biſt dann nicht bloß berufen zu allem Göttlichen, berechtigt zu allem Menſchlichen, ſondern Eigner des Dei¬ nigen, d. h. alles deſſen, was Du Dir zu eigen zu machen Kraft beſitzeſt, d.h. Du biſt geeignet und befähigt zu allem Deinigen.

Man hat immer gemeint, Mir eine außerhalb Meiner liegende Beſtimmung geben zu müſſen, ſo daß man zuletzt Mir zumuthete, Ich ſollte das Menſchliche in Anſpruch nehmen, weil Ich Menſch ſei. Dieß iſt der chriſtliche Zauberkreis. Auch Fichte's Ich iſt daſſelbe Weſen außer Mir, denn Ich iſt Jeder, und hat nur dieſes Ich Rechte, ſo iſt es das Ich , nicht Ich bin es. Ich bin aber nicht ein Ich neben andern Ichen, ſondern das alleinige Ich: Ich bin einzig. Daher31*484ſind auch meine Bedürfniſſe einzig, meine Thaten, kurz Alles an Mir iſt einzig. Und nur als dieſes einzige Ich nehme Ich Mir Alles zu eigen, wie Ich nur als dieſes Mich be¬ thätige und entwickle. Nicht als Menſch und nicht den Men¬ ſchen entwickle Ich, ſondem als Ich entwickle Ich Mich.

Dieß iſt der Sinn des Einzigen.

[485]

III. Der Einzige.

Vorchriſtliche und chriſtliche Zeit verfolgen ein entgegen¬ geſetztes Ziel; jene will das Reale idealiſiren, dieſe das Ideale realiſiren, jene ſucht den heiligen Geiſt , dieſe den verklär¬ ten Leib . Daher ſchließt jene mit der Unempfindlichkeit ge¬ gen das Reale, mit der Weltverachtung ; dieſe wird mit der Abwerfung des Idealen, mit der Geiſtesverachtung enden.

Der Gegenſatz des Realen und Idealen iſt ein unverſöhn¬ licher, und es kann das eine niemals das andere werden: würde das Ideale zum Realen, ſo wäre es eben nicht mehr das Ideale, und würde das Reale zum Idealen, ſo wäre allein das Ideale, das Reale aber gar nicht. Der Gegenſatz beider iſt nicht anders zu überwinden, als wenn man beide ver¬ nichtet. Nur in dieſem man , dem Dritten, findet der Ge¬ genſatz ſein Ende; ſonſt aber decken Idee und Realität ſich nimmermehr. Die Idee kann nicht ſo realiſirt werden, daß ſie Idee bliebe, ſondern nur, wenn ſie als Idee ſtirbt, und ebenſo verhält es ſich mit dem Realen.

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Nun haben Wir aber an den Alten Anhänger der Idee, an den Neuen Anhänger der Realität vor Uns. Beide kom¬ men von dem Gegenſatze nicht los und ſchmachten nur, die Einen nach dem Geiſte, und als dieſer Drang der alten Welt befriedigt und dieſer Geiſt gekommen zu ſein ſchien, die An¬ dern ſogleich wieder nach der Verweltlichung dieſes Geiſtes, die für immer ein frommer Wunſch bleiben muß.

Der fromme Wunſch der Alten war die Heiligkeit, der fromme Wunſch der Neuen iſt die Leibhaftigkeit. Wie aber das Alterthum untergehen mußte, wenn ſeine Sehnſucht befriedigt werden ſollte (denn es beſtand nur in der Sehnſucht), ſo kann es auch innerhalb des Ringes der Chriſtlichkeit nim¬ mermehr zur Leibhaftigkeit kommen. Wie der Zug der Hei¬ ligung oder Reinigung durch die alte Welt geht (die Waſchun¬ gen u. ſ. w.), ſo geht der der Verleiblichung durch die chriſt¬ liche: der Gott ſtürzt ſich in dieſe Welt, wird Fleiſch und will ſie erlöſen, d. h. mit ſich erfüllen; da er aber die Idee oder der Geiſt iſt, ſo führt man (z. B. Hegel) am Schluſſe die Idee in Alles, in die Welt, ein und beweiſt, daß die Idee, daß Vernunft in Allem ſei . Dem, was die heidniſchen Stoiker als den Weiſen aufſtellten, entſpricht in der heuti¬ gen Bildung der Menſch , jener wie dieſer ein fleiſch¬ loſes Weſen. Der unwirkliche Weiſe , dieſer leibloſe Hei¬ lige der Stoiker, wurde eine wirkliche Perſon, ein leiblicher Heiliger in dem fleiſchgewordenen Gotte; der unwirk¬ liche Menſch , das leibloſe Ich, wird wirklich werden im leibhaftigen Ich, in Mir.

Durch das Chriſtenthum ſchlingt ſich die Frage nach dem Daſein Gottes hindurch, die, immer und immer wieder auf¬ genommen, Zeugniß dafür ablegt, daß der Drang nach dem487 Daſein, der Leibhaftigkeit, der Perſönlichkeit, der Wirklichkeit, unaufhörlich das Gemüth beſchäftigte, weil er niemals eine befriedigende Löſung fand. Endlich fiel die Frage nach dem Daſein Gottes, aber nur, um wieder aufzuſtehen in dem Satze, daß das Göttliche Daſein habe (Feuerbach). Aber auch dieſes hat kein Daſein, und die letzte Zuflucht, daß das rein Menſchliche realiſirbar ſei, wird auch nicht lange mehr Schutz gewähren. Keine Idee hat Daſein, denn keine iſt der Leib¬ haftigkeit fähig. Der ſcholaſtiſche Streit des Realismus und Nominalismus hat denſelben Inhalt; kurz, dieſer ſpinnt ſich durch die ganze chriſtliche Geſchichte hindurch und kann in ihr nicht enden.

Die Chriſtenwelt arbeitet daran, die Ideen in den ein¬ zelnen Verhältniſſen des Lebens, den Inſtitutionen und Geſetzen der Kirche und des Staates zu realiſiren; aber ſie wider¬ ſtreben und behalten immer etwas Unverkörpertes (Unrealiſir¬ bares) zurück. Raſtlos geht es gleichwohl auf dieſe Verkör¬ perung los, ſo ſehr auch ſtets die Leibhaftigkeit ausbleibt.

Dem Realiſirenden liegt nämlich wenig an den Realitä¬ ten, alles aber daran, daß dieſelben Verwirklichungen der Idee ſeien; daher unterſucht er ſtets von neuem, ob dem Verwirk¬ lichten in Wahrheit die Idee, ſein Kern, inwohne, und indem er das Wirkliche prüft, prüft er zugleich die Idee, ob ſie ſo, wie er ſie denkt, realiſirbar ſei oder von ihm nur unrichtig und deshalb unausführbar gedacht werde.

Als Exiſtenzen ſollen den Chriſten Familie, Staat u. ſ. w. nicht mehr kümmern; nicht, wie die Alten, ſollen die Chriſten für dieſe göttlichen Dinge ſich opfern, ſondern dieſelben ſollen nur benutzt werden, um in ihnen den Geiſt lebendig zu machen. Die wirkliche Familie iſt gleichgültig geworden,488 und eine ideale, die dann die wahrhaft reale wäre, ſoll aus ihr entſtehen, eine heilige, von Gott geſegnete, oder, nach liberaler Denkweiſe, eine vernünftige . Bei den Alten iſt Familie, Staat, Vaterland u. ſ. w. als ein Vorhandenes göttlich: bei den Neuen erwartet es erſt die Göttlichkeit, iſt als vorhandenes nur ſündhaft, irdiſch, und muß erſt erlöſt , d.h. wahrhaft real werden. Das hat folgenden Sinn: Nicht die Familie u. ſ. w. iſt das Vorhandene und Reale, ſondern das Göttliche, die Idee, iſt vorhanden und wirklich; ob dieſe Familie durch Aufnahme des wahrhaft Wirklichen, der Idee, ſich wirklich machen werde, ſteht noch dahin. Es iſt nicht Aufgabe des Einzelnen, der Familie als dem Göttlichen zu dienen, ſondern umgekehrt, dem Göttlichen zu dienen und die noch ungöttliche Familie ihm zuzuführen, d. h. im Namen der Idee alles zu unterwerfen, das Panier der Idee überall aufzu¬ pflanzen, die Idee zu realer Wirkſamkeit zu bringen.

Da es aber dem Chriſtenthum wie dem Alterthum um’s Göttliche zu thun iſt, ſo kommen ſie auf entgegengeſetzten Wegen ſtets wieder darauf hinaus. Am Ende des Heiden¬ thums wird das Göttliche zum Außerweltlichen, am Ende des Chriſtenthums zum Innerweltlichen. Es ganz außer¬ halb der Welt zu ſetzen, gelingt dem Alterthum nicht, und als das Chriſtenthum dieſe Aufgabe vollbringt, da ſehnt ſich augen¬ blicklich das Göttliche in die Welt zurück und will die Welt erlöſen . Aber innerhalb des Chriſtenthums kommt und kann es nicht dazu kommen, daß das Göttliche als Innerweltliches wirklich das Weltliche ſelbſt würde: es bleibt genug übrig, was als das Schlechte , Unvernünftige, Zufällige, Egoiſti¬ ſche , als das im ſchlechten Sinne Weltliche undurchdrun¬ gen ſich erhält und erhallen muß. Das Chriſtenthum beginnt489 damit, daß der Gott zum Menſchen wird, und es treibt ſein Bekehrungs - und Erlöſungswerk alle Zeit hindurch, um dem Gotte in allen Menſchen und allem Menſchlichen Aufnahme zu bereiten und alles mit dem Geiſte zu durchdringen: es bleibt dabei, für den Geiſt eine Stätte zu bereiten.

Wenn zuletzt auf den Menſchen oder die Menſchheit der Accent gelegt wurde, ſo war es wieder die Idee, die man ewig ſprach : Der Menſch ſtirbt nicht! Man meinte nun die Realität der Idee gefunden zu haben: Der Menſch iſt das Ich der Geſchichte, der Weltgeſchichte; er, dieſer Ide¬ ale, iſt es, der ſich wirklich entwickelt, d. h. realiſirt. Er iſt der wirklich Reale, Leibhaftige, denn die Geſchichte iſt ſein Leib, woran die Einzelnen nur die Glieder ſind. Chriſtus iſt das Ich der Weltgeſchichte, ſogar das der vorchriſtlichen; in der modernen Anſchauung iſt es der Menſch, das Chriſtusbild hat ſich zum Menſchenbilde entwickelt: es iſt der Menſch als ſolcher, der Menſch ſchlechthin der Mittelpunkt der Geſchichte. In dem Menſchen kehrt der imaginäre Anfang wieder; denn der Menſch iſt ſo imaginär als Chriſtus es iſt. Der Menſch als Ich der Weltgeſchichte ſchließt den Cyclus chriſtlicher Anſchauungen.

Der Zauberkreis der Chriſtlichkeit wäre gebrochen, wenn die Spannung zwiſchen Exiſtenz und Beruf, d. h. zwiſchen Mir, wie Ich bin, und Mir, wie Ich ſein ſoll, aufhörte; er beſteht nur als die Sehnſucht der Idee nach ihrer Leiblichkeit und verſchwindet mit der nachlaſſenden Trennung beider: nur wenn die Idee Idee bleibt, wie ja der Menſch oder die Menſchheit eine leibloſe Idee iſt, iſt die Chriſtlichkeit noch vorhanden. Die leibhaftige Idee, der leibhaftige oder vollen¬ dete Geiſt ſchwebt dem Chriſten vor als das Ende der Tage ,490 oder als das Ziel der Geſchichte ; er iſt ihm nicht Ge¬ genwart.

Nur Theil haben kann der Einzelne an der Stiftung des Gottesreiches oder, nach moderner Vorſtellung von derſelben Sache, an der Entwicklung und Geſchichte der Menſchheit, und nur ſoweit er daran Theil hat, kommt ihm ein chriſtlicher oder, nach modernem Ausdruck, menſchlicher Werth zu, im Uebrigen iſt er Staub und ein Madenſack.

Daß der Einzelne für ſich eine Weltgeſchichte iſt und an der übrigen Weltgeſchichte ſein Eigenthum beſitzt, das geht über's Chriſtliche hinaus. Dem Chriſten iſt die Weltgeſchichte das Höhere, weil ſie die Geſchichte Chriſti oder des Men¬ ſchen iſt; dem Egoiſten hat nur ſeine Geſchichte Werth, weil er nur ſich entwickeln will, nicht die Menſchheits-Idee, nicht den Plan Gottes, nicht die Abſichten der Vorſehung, nicht die Freiheit u. dgl. Er ſieht ſich nicht für ein Werkzeug der Idee oder ein Gefäß Gottes an, er erkennt keinen Beruf an, er wähnt nicht, zur Fortentwicklung der Menſchheit dazu¬ ſein und ſein Scherflein dazu beitragen zu müſſen, ſondern er lebt ſich aus, unbeſorgt darum, wie gut oder ſchlecht die Menſchheit dabei fahre. Ließe es nicht das Mißverſtändniß zu, als ſollte ein Naturzuſtand geprieſen werden, ſo könnte man an Lenau's Drei Zigeuner erinnern. Was, bin Ich dazu in der Welt, um Ideen zu realiſiren? Um etwa zur Verwirklichung der Idee Staat durch mein Bürgerthum das Meinige zu thun, oder durch die Ehe, als Ehegatte und Vater, die Idee der Familie zu einem Daſein zu bringen? Was ficht Mich ein ſolcher Beruf an! Ich lebe ſo wenig nach einem Berufe, als die Blume nach einem Berufe wächſt und duftet.

491

Das Ideal der Menſch iſt realiſirt, wenn die chriſt¬ liche Anſchauung umſchlägt in den Satz: Ich, dieſer Einzige, bin der Menſch . Die Begriffsfrage: was iſt der Menſch? hat ſich dann in die perſönliche umgeſetzt: wer iſt der Menſch? Bei was ſuchte man den Begriff, um ihn zu realiſiren; bei wer iſt's überhaupt keine Frage mehr, ſondern die Antwort im Fragenden gleich perſönlich vorhanden: die Frage beantwortet ſich von ſelbſt.

Man ſagt von Gott: Namen nennen Dich nicht . Das gilt von Mir: kein Begriff drückt Mich aus, nichts, was man als mein Weſen angiebt, erſchöpft Mich; es ſind nur Namen. Gleichfalls ſagt man von Gott, er ſei vollkommen und habe keinen Beruf, nach Vollkommenheit zu ſtreben. Auch das gilt allein von Mir.

Eigner bin Ich meiner Gewalt, und Ich bin es dann, wenn Ich Mich als Einzigen weiß. Im Einzigen kehrt ſelbſt der Eigner in ſein ſchöpferiſches Nichts zurück, aus wel¬ chem er geboren wird. Jedes höhere Weſen über Mir, ſei es Gott, ſei es der Menſch, ſchwächt das Gefühl meiner Einzig¬ keit und erbleicht erſt vor der Sonne dieſes Bewußtſeins. Stell 'Ich auf Mich, den Einzigen, meine Sache, dann ſteht ſie auf dem Vergänglichen, dem ſterblichen Schöpfer ſeiner, der ſich ſelbſt verzehrt, und Ich darf ſagen:

Ich hab 'mein' Sach 'auf Nichts geſtellt.

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TextDer Einzige und sein Eigenthum
Author Max Stirner
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Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

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Bibliographic informationDer Einzige und sein Eigenthum Max Stirner. . 491 S. WigandLeipzig1845.

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LanguageGerman
ClassificationFachtext; Philosophie; Wissenschaft; Philosophie; core; ready; ocr

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