PRIMS Full-text transcription (HTML)
[II][III]
Der Schimmelreiter.
Novelle
[figure]
Berlin. Verlag von Gebrüder Paetel. 1888.
[IV][V]

Meinem Sohn Ernſt Storm, Rechtsanwalt und Notar in Huſum zugeeignet.

[VI][VII]

Für binnenländiſche Leſer.

  • Schlick, der graue Thon des Meerbodens, der bei der Ebbe bloßgelegt wird.
  • Marſch, dem Meere abgewonnenes Land, deſſen Boden der feſtgewordene Schlick, der Klei, bildet.
  • Geeſt, das höhere Land im Gegenſatz zur Marſch.
  • Haf, das Meer.
  • Fenne, ein durch Gräben eingehegtes Stück Marſchland.
  • Springfluthen, die erſten nach Voll - und Neumond ein - tretenden Fluthen.
  • Werfte, zum Schutze gegen Waſſergefahr aufgeworfener Erdhügel in der Marſch, worauf die Gebäude, auch wohl Dörfer liegen.
  • Hallig, kleine unbedeichte Inſel.
  • Profil, das Bild des Deiches bei einem Quer - oder Längenſchnitt.
  • Doſſirung (oder Böſchung), die Abfall-Linie des Deiches.
  • Intereſſenten, die wegen Landbeſitz bei den Deichen intereſſirt ſind.
  • Beſtickung, Belegung und Beſteckung mit Stroh bei friſchen Deichſtrecken.
  • Vorland, der Theil des Feſtlandes vor den Deichen.
VIII
  • Koog, ein durch Eindeichung dem Meere abgewonnener Landbezirk.
  • Priehl, Waſſerlauf in den Watten und Außendeichen.
  • Watten, von der Fluth beſpülte Schlick - und Sandſtrecken an der Nordſee.
  • Demath, ein Landmaaß in der Marſch.
  • Peſel, ein für außerordentliche Gelegenheiten beſtimmtes Gemach, in den Marſchen gewöhnlich neben der Wohn - ſtube.
  • Lahnungen, Zäune von Buſchwerk, die zur beſſeren An - ſchlickung vom Strande in die Watten hinausgeſteckt werden.

Was ich zu berichten beabſichtige, iſt mir vor reichlich einem halben Jahrhundert im Hauſe meiner Urgroßmutter, der alten Frau Senator Fedderſen, kund geworden, während ich, an ihrem Lehnſtuhl ſitzend, mich mit dem Leſen eines in blaue Pappe eingebundenen Zeitſchriftenheftes beſchäftigte; ich vermag mich nicht mehr zu entſinnen, ob von den Leipziger oder von Pappes Hamburger Leſe - früchten. Noch fühl 'ich es gleich einem Schauer, wie dabei die linde Hand der über Achtzigjährigen mitunter liebkoſend über das Haupthaar ihres Ur - enkels hinglitt. Sie ſelbſt und jene Zeit ſind längſt begraben; vergebens auch habe ich ſeitdem jenen Blättern nachgeforſcht, und ich kann daher um ſo weniger weder die Wahrheit der Thatſachen ver - bürgen, als, wenn Jemand ſie beſtreiten wollte, dafür aufſtehen; nur ſo viel kann ich verſichern, daß ich ſie ſeit jener Zeit, obgleich ſie durch keinenTheodor Storm, Der Schimmelreiter. 12äußeren Anlaß in mir aufs Neue belebt wurden, niemals aus dem Gedächtniß verloren habe.

Es war im dritten Jahrzehnt unſeres Jahr - hunderts, an einem October-Nachmittag ſo begann der damalige Erzähler als ich bei ſtarkem Unwetter auf einem nordfrieſiſchen Deich entlang ritt. Zur Linken hatte ich jetzt ſchon ſeit über einer Stunde die öde, bereits von allem Vieh ge - leerte Marſch, zur Rechten, und zwar in unbe - haglichſter Nähe, das Wattenmeer der Nordſee; zwar ſollte man vom Deiche aus auf Halligen und Inſeln ſehen können; aber ich ſah nichts als die gelbgrauen Wellen, die unaufhörlich wie mit Wuth - gebrüll an den Deich hinaufſchlugen und mitunter mich und das Pferd mit ſchmutzigem Schaum be - ſpritzten; dahinter wüſte Dämmerung, die Himmel und Erde nicht unterſcheiden ließ; denn auch der halbe Mond, der jetzt in der Höhe ſtand, war meiſt von treibendem Wolkendunkel überzogen. Es war eiskalt; meine verklommenen Hände konnten kaum den Zügel halten, und ich verdachte es nicht den Krähen und Möven, die ſich fortwährend krächzend und gackernd vom Sturm ins Land3 hinein treiben ließen. Die Nachtdämmerung hatte begonnen, und ſchon konnte ich nicht mehr mit Sicherheit die Hufen meines Pferdes erkennen; keine Menſchenſeele war mir begegnet, ich hörte nichts als das Geſchrei der Vögel, wenn ſie mich oder meine treue Stute faſt mit den langen Flügeln ſtreiften, und das Toben von Wind und Waſſer. Ich leugne nicht, ich wünſchte mich mitunter in ſicheres Quartier.

Das Wetter dauerte jetzt in den dritten Tag, und ich hatte mich ſchon über Gebühr von einem mir beſonders lieben Verwandten auf ſeinem Hofe halten laſſen, den er in einer der nördlicheren Harden beſaß. Heute aber ging es nicht länger; ich hatte Geſchäfte in der Stadt, die auch jetzt wohl noch ein paar Stunden weit nach Süden vor mir lag, und trotz aller Ueberredungskünſte des Vetters und ſeiner lieben Frau, trotz der ſchönen ſelbſtgezogenen Perinette - und Grand - Richard-Aepfel, die noch zu probiren waren, am Nachmittag war ich davongeritten. Wart 'nur, bis Du ans Meer kommſt, hatte er noch aus ſeiner Hausthür mir nachgerufen; Du kehrſt noch wieder um; Dein Zimmer wird Dir vorbehalten!

1*4

Und wirklich, einen Augenblick, als eine ſchwarze Wolkenſchicht es pechfinſter um mich machte, und gleichzeitig die heulenden Böen mich ſammt meiner Stute vom Deich herabzudrängen ſuchten, fuhr es mir wohl durch den Kopf: Sei kein Narr! Kehr 'um und ſetz' Dich zu Deinen Freunden ins warme Neſt. Dann aber fiel's mir ein, der Weg zurück war wohl noch länger als der nach meinem Reiſe - ziel; und ſo trabte ich weiter, den Kragen meines Mantels um die Ohren ziehend.

Jetzt aber kam auf dem Deiche etwas gegen mich heran; ich hörte nichts; aber immer deutlicher, wenn der halbe Mond ein karges Licht herabließ, glaubte ich eine dunkle Geſtalt zu erkennen, und bald, da ſie näher kam, ſah ich es, ſie ſaß auf einem Pferde, einem hochbeinigen hageren Schimmel; ein dunkler Mantel flatterte um ihre Schultern, und im Vorbeifliegen ſahen mich zwei brennende Augen aus einem bleichen Antlitz an.

Wer war das? Was wollte der? Und jetzt fiel mir bei, ich hatte keinen Hufſchlag, kein Keuchen des Pferdes vernommen; und Roß und Reiter waren doch hart an mir vorbeigefahren!

In Gedanken darüber ritt ich weiter; aber5 ich hatte nicht lange Zeit zum Denken; ſchon fuhr es von rückwärts wieder an mir vorbei; mir war, als ſtreifte mich der fliegende Mantel, und die Erſcheinung war, wie das erſte Mal, lautlos an mir vorüber geſtoben. Dann ſah ich ſie fern und ferner vor mir; dann war's, als ſäh 'ich plötzlich ihren Schatten an der Binnenſeite des Deiches hinuntergehen.

Etwas zögernd ritt ich hinterdrein. Als ich jene Stelle erreicht hatte, ſah ich hart am Deich im Kooge unten das Waſſer einer großen Wehle blinken ſo nennen ſie dort die Brüche, welche von den Sturmfluthen in das Land geriſſen werden, und die dann meiſt als kleine, aber tiefgründige Teiche ſtehen bleiben.

Das Waſſer war, trotz des ſchützenden Deiches, auffallend unbewegt; der Reiter konnte es nicht getrübt haben; ich ſah nichts weiter von ihm. Aber ein Anderes ſah ich, das ich mit Freuden jetzt begrüßte: vor mir, von unten aus dem Kooge, ſchimmerten eine Menge zerſtreuter Lichtſcheine zu mir herauf; ſie ſchienen aus jenen langgeſtreckten frieſiſchen Häuſern zu kommen, die vereinzelt auf mehr oder minder hohen Werften lagen; dicht vor6 mir aber auf halber Höhe des Binnendeiches lag ein großes Haus derſelben Art; an der Südſeite, rechts von der Hausthür, ſah ich alle Fenſter er - leuchtet; dahinter gewahrte ich Menſchen und glaubte trotz des Sturmes ſie zu hören. Mein Pferd war ſchon von ſelbſt auf den Weg am Deich hinabgeſchritten, der mich vor die Thür des Hauſes führte. Ich ſah wohl, daß es ein Wirthshaus war; denn vor den Fenſtern gewahrte ich die ſogenannten Ricks, das heißt auf zwei Ständern ruhende Balken mit großen eiſernen Ringen, zum Anbinden des Viehes und der Pferde, die hier Halt machten.

Ich band das meine an einen derſelben und überwies es dann dem Knechte, der mir beim Ein - tritt in den Flur entgegenkam. Iſt hier Ver - ſammlung? frug ich ihn, da mir jetzt deutlich ein Geräuſch von Menſchenſtimmen und Gläſer - klirren aus der Stubenthür entgegendrang.

Is wull ſo wat, entgegnete der Knecht auf Plattdeutſch und ich erfuhr nachher, daß dieſes neben dem Frieſiſchen hier ſchon ſeit über hundert Jahren im Schwange geweſen ſei Diekgraf un Gevollmächtigten un wecke von de annern In - treſſenten! Dat is um't hoge Wåter!

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Als ich eintrat, ſah ich etwa ein Dutzend Männer an einem Tiſche ſitzen, der unter den Fenſtern entlang lief; eine Punſchbowle ſtand dar - auf, und ein beſonders ſtattlicher Mann ſchien die Herrſchaft über ſie zu führen.

Ich grüßte und bat, mich zu ihnen ſetzen zu dürfen, was bereitwillig geſtattet wurde. Sie halten hier die Wacht! ſagte ich, mich zu jenem Manne wendend; es iſt bös Wetter draußen; die Deiche werden ihre Noth haben!

Gewiß, erwiderte er; wir, hier an der Oſt - ſeite, aber glauben jetzt außer Gefahr zu ſein; nur drüben an der anderen Seite iſt's nicht ſicher; die Deiche ſind dort meiſt noch mehr nach altem Muſter; unſer Hauptdeich iſt ſchon im vorigen Jahrhundert umgelegt. Uns iſt vorhin da draußen kalt geworden, und Ihnen, ſetzte er hin - zu, wird es ebenſo gegangen ſein; aber wir müſſen hier noch ein paar Stunden aushalten; wir haben ſichere Leute draußen, die uns Bericht erſtatten. Und ehe ich meine Beſtellung bei dem Wirthe machen konnte, war ſchon ein dampfendes Glas mir hingeſchoben.

Ich erfuhr bald, daß mein freundlicher Nachbar8 der Deichgraf ſei; wir waren ins Geſpräch ge - kommen, und ich hatte begonnen, ihm meine ſeltſame Begegnung auf dem Deiche zu erzählen. Er wurde aufmerkſam, und ich bemerkte plötzlich, daß alles Geſpräch umher verſtummt war. Der Schimmel - reiter! rief einer aus der Geſellſchaft, und eine Bewegung des Erſchreckens ging durch die Uebrigen.

Der Deichgraf war aufgeſtanden. Ihr braucht nicht zu erſchrecken, ſprach er über den Tiſch hin; das iſt nicht bloß für uns; anno 17 hat es auch Denen drüben gegolten; mögen ſie auf Alles vor - gefaßt ſein!

Mich wollte nachträglich ein Grauen über - laufen: Verzeiht! ſprach ich, was iſt das mit dem Schimmelreiter?

Abſeits hinter dem Ofen, ein wenig gebückt, ſaß ein kleiner hagerer Mann in einem abgeſchabten ſchwarzen Röcklein; die eine Schulter ſchien ein wenig ausgewachſen. Er hatte mit keinem Worte an der Unterhaltung der Anderen theilgenommen; aber ſeine bei dem ſpärlichen grauen Haupthaar noch immer mit dunklen Wimpern beſäumten Augen zeigten deutlich, daß er nicht zum Schlaf hier ſitze.

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Gegen dieſen ſtreckte der Deichgraf ſeine Hand: Unſer Schulmeiſter, ſagte er mit erhobener Stimme, wird von uns hier Ihnen das am beſten erzählen können; freilich nur in ſeiner Weiſe und nicht ſo richtig, wie zu Haus meine alte Wirth - ſchafterin Antje Vollmers es beſchaffen würde.

Ihr ſcherzet, Deichgraf! kam die etwas kränkliche Stimme des Schulmeiſters hinter dem Ofen hervor, daß Ihr mir Euern dummen Drachen wollt zur Seite ſtellen!

Ja, ja, Schulmeiſter! erwiderte der Andere; aber bei den Drachen ſollen derlei Geſchichten am beſten in Verwahrung ſein!

Freilich! ſagte der kleine Herr; wir ſind hierin nicht ganz derſelben Meinung; und ein überlegenes Lächeln glitt über das feine Geſicht.

Sie ſehen wohl, raunte der Deichgraf mir ins Ohr; er iſt immer noch ein wenig hochmüthig; er hat in ſeiner Jugend einmal Theologie ſtudirt und iſt nur einer verfehlten Brautſchaft wegen hier in ſeiner Heimath als Schulmeiſter behangen geblieben.

Dieſer war inzwiſchen aus ſeiner Ofenecke hervorgekommen und hatte ſich neben mir an den10 langen Tiſch geſetzt. Erzählt, erzählt nur, Schul - meiſter, riefen ein paar der Jüngeren aus der Geſellſchaft.

Nun freilich, ſagte der Alte, ſich zu mir wendend, will ich gern zu Willen ſein; aber es iſt viel Aberglaube dazwiſchen, und eine Kunſt, es ohne dieſen zu erzählen.

Ich muß Euch bitten, den nicht auszulaſſen, erwiderte ich; traut mir nur zu, daß ich ſchon ſelbſt die Spreu vom Weizen ſondern werde!

Der Alte ſah mich mit verſtändnißvollem Lächeln an: Nun alſo! ſagte er. In der Mitte des vorigen Jahrhunderts, oder vielmehr, um genauer zu beſtimmen, vor und nach derſelben, gab es hier einen Deichgrafen, der von Deich - und Sielſachen mehr verſtand, als Bauern und Hof - beſitzer ſonſt zu verſtehen pflegen; aber es reichte doch wohl kaum; denn was die ſtudirten Fachleute darüber niedergeſchrieben, davon hatte er wenig geleſen; ſein Wiſſen hatte er ſich, wenn auch von Kindesbeinen an, nur ſelber ausgeſonnen. Ihr hörtet wohl ſchon, Herr, die Frieſen rechnen gut, und habet auch wohl ſchon über unſeren Hans Mommſen von Fahretoft reden hören, der ein Bauer11 war und doch Bouſſolen und Seeuhren, Teleskopen und Orgeln machen konnte. Nun, ein Stück von ſolch 'einem Manne war auch der Vater des nach - herigen Deichgrafen geweſen; freilich wohl nur ein kleines. Er hatte ein paar Fennen, wo er Rapps und Bohnen baute, auch eine Kuh graſ'te, ging unterweilen im Herbſt und Frühjahr auch aufs Landmeſſen und ſaß im Winter, wenn der Nord - weſt von draußen kam und an ſeinen Läden rüttelte, zu ritzen und zu prickeln, in ſeiner Stube. Der Junge ſaß meiſt dabei und ſah über ſeine Fibel oder Bibel weg dem Vater zu, wie er maß und berechnete, und grub ſich mit der Hand in ſeinen blonden Haaren. Und eines Abends frug er den Alten, warum denn das, was er eben hingeſchrieben hatte, gerade ſo ſein müſſe und nicht anders ſein könne, und ſtellte dann eine eigene Meinung darüber auf. Aber der Vater, der dar - auf nicht zu antworten wußte, ſchüttelte den Kopf und ſprach: Das kann ich Dir nicht ſagen; genug, es iſt ſo, und Du ſelber irrſt Dich. Willſt Du mehr wiſſen, ſo ſuche morgen aus der Kiſte, die auf unſerem Boden ſteht, ein Buch; einer, der Euklid hieß, hat's geſchrieben; das wird's Dir ſagen!

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Der Junge war Tags darauf{zu} Boden gelaufen und hatte auch bald das Buch gefunden; denn viele Bücher gab es überhaupt nicht in dem Hauſe; aber der Vater lachte, als er es vor ihm auf den Tiſch legte. Es war ein holländiſcher Euklid, und Holländiſch, wenngleich es doch halb Deutſch war, verſtanden alle Beide nicht. Ja, ja, ſagte er, das Buch iſt noch von meinem Vater, der verſtand es; iſt denn kein deutſcher da?

Der Junge, der von wenig Worten war, ſah den Vater ruhig an und ſagte nur: Darf ich's behalten? Ein deutſcher iſt nicht da.

Und als der Alte nickte, wies er noch ein zweites, halbzerriſſenes Büchlein vor. Auch das? frug er wieder.

Nimm ſie alle Beide! ſagte Tede Haien; ſie werden Dir nicht viel nützen.

Aber das zweite Buch war eine kleine holländiſche Grammatik, und da der Winter noch lange nicht vorüber war, ſo hatte es, als endlich die Stachelbeeren in ihrem Garten wieder blühten, dem Jungen ſchon ſo weit geholfen, daß er den Euklid, welcher damals ſtark im Schwange war, faſt überall verſtand.

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Es iſt mir nicht unbekannt, Herr, unterbrach ſich der Erzähler, daß dieſer Umſtand auch von Hans Mommſen erzählt wird; aber vor deſſen Geburt iſt hier bei uns ſchon die Sache von Hauke Haien ſo hieß der Knabe berichtet worden. Ihr wiſſet auch wohl, es braucht nur einmal ein Größerer zu kommen, ſo wird ihm Alles aufgeladen, was in Ernſt oder Schimpf ſeine Vorgänger einſt mögen verübt haben.

Als der Alte ſah, daß der Junge weder für Kühe noch Schafe Sinn hatte, und kaum gewahrte, wenn die Bohnen blühten, was doch die Freude von jedem Marſchmann iſt, und weiterhin bedachte, daß die kleine Stelle wohl mit einem Bauer und einem Jungen, aber nicht mit einem Halbgelehrten und einem Knecht beſtehen könne, ingleichen, daß er auch ſelber nicht auf einen grünen Zweig ge - kommen ſei, ſo ſchickte er ſeinen großen Jungen an den Deich, wo er mit andern Arbeitern von Oſtern bis Martini Erde karren mußte. Das wird ihn vom Euklid curiren, ſprach er bei ſich ſelber.

Und der Junge karrte; aber den Euklid hatte er allzeit in der Taſche, und wenn die Arbeiter14 ihr Frühſtück oder Vesper aßen, ſaß er auf ſeinem umgeſtülpten Schubkarren mit dem Buche in der Hand. Und wenn im Herbſt die Fluthen höher ſtiegen und manch ein Mal die Arbeit eingeſtellt werden mußte, dann ging er nicht mit den Andern nach Haus, ſondern blieb, die Hände über die Kniee gefaltet, an der abfallenden Seeſeite des Deiches ſitzen und ſah ſtundenlang zu, wie die trüben Nordſeewellen immer höher an die Gras - narbe des Deiches hinaufſchlugen; erſt wenn ihm die Füße überſpült waren, und der Schaum ihm ins Geſicht ſpritzte, rückte er ein paar Fuß höher und blieb dann wieder ſitzen. Er hörte weder das Klatſchen des Waſſers noch das Geſchrei der Möven und Strandvögel, die um oder über ihm flogen und ihn faſt mit ihren Flügeln ſtreiften, mit den ſchwarzen Augen in die ſeinen blitzend; er ſah auch nicht, wie vor ihm über die weite, wilde Waſſerwüſte ſich die Nacht ausbreitete; was er allein hier ſah, war der brandende Saum des Waſſers, der, als die Fluth ſtand, mit hartem Schlage immer wieder dieſelbe Stelle traf und vor ſeinen Augen die Grasnarbe des ſteilen Deiches auswuſch.

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Nach langem Hinſtarren nickte er wohl lang - ſam mit dem Kopfe oder zeichnete, ohne aufzuſehen, mit der Hand eine weiche Linie in die Luft, als ob er dem Deiche damit einen ſanfteren Abfall geben wollte. Wurde es ſo dunkel, daß alle Erden - dinge vor ſeinen Augen verſchwanden und nur die Fluth ihm in die Ohren donnerte, dann ſtand er auf und trabte halbdurchnäßt nach Hauſe.

Als er ſo eines Abends zu ſeinem Vater in die Stube trat, der an ſeinen Meßgeräthen putzte, fuhr dieſer auf: Was treibſt Du draußen? Du hätteſt ja verſaufen können; die Waſſer beißen heute in den Deich.

Hauke ſah ihn trotzig an.

Hörſt Du mich nicht? Ich ſag ', Du hätt'ſt verſaufen können.

Ja, ſagte Hauke; ich bin doch nicht verſoffen!

Nein, erwiderte nach einer Weile der Alte und ſah ihm wie abweſend ins Geſicht, dies - mal noch nicht.

Aber, ſagte Hauke wieder; unſere Deiche ſind nichts werth!

Was für was, Junge?

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Die Deiche, ſag 'ich!

Was ſind die Deiche?

Sie taugen nichts, Vater! erwiderte Hauke.

Der Alte lachte ihm ins Geſicht. Was denn, Junge? Du biſt wohl das Wunderkind aus Lübeck!

Aber der Junge ließ ſich nicht irren. Die Waſſerſeite iſt zu ſteil, ſagte er; wenn es ein - mal kommt, wie es mehr als einmal ſchon ge - kommen iſt, ſo können wir hier auch hinterm Deich erſaufen!

Der Alte holte ſeinen Kautabak aus der Taſche, drehte einen Schrot ab und ſchob ihn hinter die Zähne. Und wieviel Karren haſt Du heut 'geſchoben? frug er ärgerlich; denn er ſah wohl, daß auch die Deicharbeit bei dem Jungen die Denkarbeit nicht hatte vertreiben können.

Weiß nicht, Vater, ſagte dieſer; ſo, was die Anderen machten; vielleicht ein halbes Dutzend mehr; aber die Deiche müſſen anders werden!

Nun, meinte der Alte und ſtieß ein Lachen aus; Du kannſt es ja vielleicht zum Deichgraf bringen; dann mach 'ſie anders!

Ja, Vater! erwiderte der Junge.

Der Alte ſah ihn an und ſchluckte ein paar17 Mal; dann ging er aus der Thür; er wußte nicht, was er dem Jungen antworten ſollte.

Auch als zu Ende Octobers die Deicharbeit vorbei war, blieb der Gang[nordwärts] nach dem Haf hinaus für Hauke Haien die beſte Unter - haltung; den Allerheiligentag, um den herum die Aequinoctialſtürme zu toſen pflegen, von dem wir ſagen, daß Friesland ihn wohl beklagen mag, er - wartete er, wie heut 'die Kinder das Chriſtfeſt. Stand eine Springfluth bevor, ſo konnte man ſicher ſein, er lag trotz Sturm und Wetter weit draußen am Deiche mutterſeelenallein; und wenn die Möven gackerten, wenn die Waſſer gegen den Deich tobten und beim Zurückrollen ganze Fetzen von der Grasdecke mit ins Meer hinabriſſen, dann hätte man Hauke's zorniges Lachen hören können. Ihr könnt nichts Rechtes, ſchrie er in den Lärm hinaus, ſowie die Menſchen auch nichts können! Und endlich, oft im Finſtern, trabte er aus der weiten Oede den Deich entlang nach Hauſe, bis ſeine aufgeſchoſſene Geſtalt die niedrige Thür unter ſeines Vaters Rohrdach erreicht hatte und darunter durch in das kleine Zimmer ſchlüpfte.

Theodor Storm, Der Schimmelreiter. 218

Manchmal hatte er eine Fauſt voll Kleierde mitgebracht; dann ſetzte er ſich neben den Alten, der ihn jetzt gewähren ließ, und knetete bei dem Schein der dünnen Unſchlittkerze allerlei Deich - modelle, legte ſie in ein flaches Gefäß mit Waſſer und ſuchte darin die Ausſpülung der Wellen nach - zumachen, oder er nahm ſeine Schiefertafel und zeichnete darauf das Profil der Deiche nach der Seeſeite, wie es nach ſeiner Meinung ſein mußte.

Mit denen zu verkehren, die mit ihm auf der Schulbank geſeſſen hatten, fiel ihm nicht ein; auch ſchien es, als ob ihnen an dem Träumer nichts gelegen ſei. Als es wieder Winter geworden und der Froſt hereingebrochen war, wanderte er noch weiter, wohin er früher nie gekommen, auf den Deich hinaus, bis die unabſehbare eisbedeckte Fläche der Watten vor ihm lag.

Im Februar bei dauerndem Froſtwetter wurden angetriebene Leichen aufgefunden; draußen am offenen Haf auf den gefrorenen Watten hatten ſie gelegen. Ein junges Weib, die dabei geweſen war, als man ſie in das Dorf geholt hatte, ſtand redſelig vor dem alten Haien: Glaubt nicht, daß ſie wie Menſchen ausſahen, rief ſie; nein, wie die See -19 teufel! So große Köpfe, und ſie hielt die aus - geſpreizten Hände von Weitem gegen einander, gnidderſchwarz und blank, wie friſch gebacken Brot! Und die Krabben hatten ſie angeknabbert; die Kinder ſchrieen laut, als ſie ſie ſahen!

Dem alten Haien war ſo was juſt nichts Neues: Sie haben wohl ſeit November ſchon in See getrieben! ſagte er gleichmüthig.

Hauke ſtand ſchweigend daneben; aber ſobald er konnte, ſchlich er ſich auf den Deich hinaus; es war nicht zu ſagen, wollte er noch nach weiteren Todten ſuchen, oder zog ihn nur das Grauen, das noch auf den jetzt verlaſſenen Stellen brüten mußte. Er lief weiter und weiter, bis er einſam in der Oede ſtand, wo nur die Winde über den Deich wehten, wo nichts war als die klagenden Stimmen der großen Vögel, die raſch vorüberſchoſſen; zu ſeiner Linken die leere weite Marſch, zur andern Seite der unabſehbare Strand mit ſeiner jetzt vom Eiſe ſchimmernden Fläche der Watten; es war, als liege die ganze Welt in weißem Tod.

Hauke blieb oben auf dem Deiche ſtehen, und ſeine ſcharfen Augen ſchweiften weit umher; aber von Todten war nichts mehr zu ſehen; nur wo2*20die unſichtbaren Wattſtröme ſich darunter drängten, hob und ſenkte die Eisfläche ſich in ſtromartigen Linien.

Er lief nach Hauſe; aber an einem der nächſten Abende war er wiederum da draußen. Auf jenen Stellen war jetzt das Eis geſpalten; wie Rauch - wolken ſtieg es aus den Riſſen, und über das ganze Watt ſpann ſich ein Netz von Dampf und Nebel, das ſich ſeltſam mit der Dämmerung des Abends miſchte. Hauke ſah mit ſtarren Augen darauf hin; denn in dem Nebel ſchritten dunkle Geſtalten auf und ab, ſie ſchienen ihm ſo groß wie Menſchen. Würdevoll, aber mit ſeltſamen, erſchreckenden Ge - bärden; mit langen Naſen und Hälſen ſah er ſie fern an den rauchenden Spalten auf und ab ſpazieren; plötzlich begannen ſie wie Narren unheimlich auf und ab zu ſpringen, die großen über die kleinen und die kleinen gegen die großen; dann breiteten ſie ſich aus und verloren alle Form.

Was wollen die? Sind es die Geiſter der Ertrunkenen? dachte Hauke. Hoiho! ſchrie er laut in die Nacht hinaus; aber die draußen kehrten ſich nicht an ſeinen Schrei, ſondern trieben ihr wunderliches Weſen fort.

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Da kamen ihm die furchtbaren norwegiſchen Seegeſpenſter in den Sinn, von denen ein alter Capitän ihm einſt erzählt hatte, die ſtatt des An - geſichts einen ſtumpfen Pull von Seegras auf dem Nacken tragen; aber er lief nicht fort, ſondern bohrte die Hacken ſeiner Stiefel feſt in den Klei des Deiches und ſah ſtarr dem poſſenhaften Un - weſen zu, das in der einfallenden Dämmerung vor ſeinen Augen fortſpielte. Seid Ihr auch hier bei uns? ſprach er mit harter Stimme: Ihr ſollt mich nicht vertreiben!

Erſt als die Finſterniß Alles bedeckte, ſchritt er ſteifen langſamen Schrittes heimwärts. Aber hinter ihm drein kam es wie Flügelrauſchen und hallendes Geſchrei. Er ſah nicht um; aber er ging auch nicht ſchneller und kam erſt ſpät nach Hauſe; doch niemals ſoll er ſeinem Vater oder einem Anderen davon erzählt haben. Erſt viele Jahre ſpäter hat er ſein blödes Mädchen, womit ſpäter der Herrgott ihn belaſtete, um dieſelbe Tages - und Jahreszeit mit ſich auf den Deich hinausgenommen, und dasſelbe Weſen ſoll ſich derzeit draußen auf den Watten gezeigt haben; aber er hat ihr geſagt, ſie ſolle ſich nicht fürchten, das ſeien nur die Fiſchreiher22 und die Krähen, die im Nebel ſo groß und fürchterlich erſchienen; die holten ſich die Fiſche aus den offenen Spalten.

Weiß Gott, Herr! unterbrach ſich der Schulmeiſter; es gibt auf Erden allerlei Dinge, die ein ehrlich Chriſtenherz verwirren können; aber der Hauke war weder ein Narr noch ein Dummkopf.

Da ich nichts erwiderte, wollte er fortfahren; aber unter den übrigen Gäſten, die bisher lautlos zugehört hatten, nur mit dichterem Tabaksqualm das niedrige Zimmer füllend, entſtand eine plötzliche Bewegung; erſt Einzelne, dann faſt Alle wandten ſich dem Fenſter zu. Draußen man ſah es durch die unverhangenen Fenſter trieb der Sturm die Wolken, und Licht und Dunkel jagten durch - einander; aber auch mir war es, als hätte ich den hageren Reiter auf ſeinem Schimmel vorbei - ſauſen geſehen.

Wart Er ein wenig, Schulmeiſter! ſagte der Deichgraf leiſe.

Ihr braucht Euch nicht zu fürchten, Deich - graf! erwiderte der kleine Erzähler, ich habe ihn nicht geſchmäht, und hab 'auch deſſen keine Ur -23 ſach'; und er ſah mit ſeinen kleinen, klugen Augen zu ihm auf.

Ja, ja, meinte der Andere; laß 'Er ſein Glas nur wieder füllen. Und nachdem das ge - ſchehen war, und die Zuhörer, meiſt mit etwas verdutzten Geſichtern, ſich wieder zu ihm gewandt hatten, fuhr er in ſeiner Geſchichte fort:

So für ſich, und am liebſten nur mit Wind und Waſſer und mit den Bildern der Einſamkeit verkehrend, wuchs Hauke zu einem langen, hageren Burſchen auf. Er war ſchon über ein Jahr lang eingeſegnet, da wurde es auf einmal anders mit ihm, und das kam von dem alten weißen Angora - kater, welchen der alten Trien 'Jans einſt ihr ſpäter verunglückter Sohn von ſeiner ſpaniſchen Seereiſe mitgebracht hatte. Trien' wohnte ein gut Stück hinaus auf dem Deiche in einer kleinen Kathe, und wenn die Alte in ihrem Hauſe herumarbeitete, ſo pflegte dieſe Unform von einem Kater vor der Hausthür zu ſitzen und in den Sommertag und nach den vorüberfliegenden Kiebitzen hinauszu - blinzeln. Ging Hauke vorbei, ſo mauzte der Kater ihn an, und Hauke nickte ihm zu; die Beiden wußten, was ſie mit einander hatten.

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Nun aber war's einmal im Frühjahr, und Hauke lag nach ſeiner Gewohnheit oft draußen am Deich, ſchon weiter unten dem Waſſer zu, zwiſchen Strandnelken und dem duftenden Seewermuth, und ließ ſich von der ſchon kräftigen Sonne beſcheinen. Er hatte ſich Tags zuvor droben auf der Geeſt die Taſchen voll von Kieſeln geſammelt, und als in der Ebbezeit die Watten bloßgelegt waren und die kleinen grauen Strandläufer ſchreiend darüber hinhuſchten, holte er jählings einen Stein hervor und warf ihn nach den Vögeln. Er hatte das von Kindesbeinen an geübt, und meiſtens blieb einer auf dem Schlicke liegen; aber ebenſo oft war er dort auch nicht zu holen; Hauke hatte ſchon daran ge - dacht, den Kater mitzunehmen und als apportirenden Jagdhund zu dreſſiren. Aber es gab auch hier und dort feſte Stellen oder Sandlager; ſolchen - falls lief er hinaus und holte ſich ſeine Beute ſelbſt. Saß der Kater bei ſeiner Rückkehr noch vor der Hausthür, dann ſchrie das Thier vor nicht zu bergender Raubgier ſo lange, bis Hauke ihm einen der erbeuteten Vögel zuwarf.

Als er heute, ſeine Jacke auf der Schulter, heimging, trug er nur einen ihm noch unbekannten,25 aber wie mit bunter Seide und Metall gefiederten Vogel mit nach Hauſe, und der Kater mauzte wie gewöhnlich, als er ihn kommen ſah. Aber Hauke wollte ſeine Beute es mag ein Eisvogel geweſen ſein diesmal nicht hergeben und kehrte ſich nicht an die Gier des Thieres. Umſchicht! rief er ihm zu, heute mir, morgen Dir; das hier iſt kein Katerfreſſen! Aber der Kater kam vorſichtigen Schrittes herangeſchlichen; Hauke ſtand und ſah ihn an, der Vogel hing an ſeiner Hand, und der Kater blieb mit erhobener Tatze ſtehen. Doch der Burſche ſchien ſeinen Katzenfreund noch nicht ſo ganz zu kennen; denn während er ihm ſeinen Rücken zugewandt hatte und eben fürbaß wollte, fühlte er mit einem Ruck die Jagdbeute ſich entriſſen, und zugleich ſchlug eine ſcharfe Kralle ihm ins Fleiſch. Ein Grimm, wie gleichfalls eines Raubthiers, flog dem jungen Menſchen ins Blut; er griff wie raſend um ſich und hatte den Räuber ſchon am Genicke gepackt. Mit der Fauſt hielt er das mächtige Thier empor und würgte es, daß die Augen ihm aus den rauhen Haaren vorquollen, nicht achtend, daß die ſtarken Hintertatzen ihm den Arm zerfleiſchten. Hoiho! ſchrie er und26 packte ihn noch feſter; wollen ſehen, wer's von uns Beiden am längſten aushält!

Plötzlich fielen die Hinterbeine der großen Katze ſchlaff herunter, und Hauke ging ein paar Schritte zurück und warf ſie gegen die Kathe der Alten. Da ſie ſich nicht rührte, wandte er ſich und ſetzte ſeinen Weg nach Hauſe fort.

Aber der Angorakater war das Kleinod ſeiner Herrin; er war ihr Geſelle und das Einzige, was ihr Sohn, der Matroſe, ihr nachgelaſſen hatte, nachdem er hier an der Küſte ſeinen jähen Tod gefunden hatte, da er im Sturm ſeiner Mutter beim Porrenfangen hatte helfen wollen. Hauke mochte kaum hundert Schritte weiter gethan haben, während er mit einem Tuch das Blut aus ſeinen Wunden auffing, als ſchon von der Kathe her ihm ein Geheul und Zetern in die Ohren gellte. Da wandte er ſich und ſah davor das alte Weib am Boden liegen; das greiſe Haar flog ihr im Winde um das rothe Kopftuch: Todt! rief ſie, todt! und erhob dräuend ihren mageren Arm gegen ihn: Du ſollſt verflucht ſein! Du haſt ihn todtgeſchlagen, Du nichtsnutziger Strandläufer; Du warſt nicht werth, ihm ſeinen Schwanz zu27 bürſten! Sie warf ſich über das Thier und wiſchte zärtlich mit ihrer Schürze ihm das Blut fort, das noch aus Naſ 'und Schnauze rann; dann hob ſie aufs Neue an zu zetern.

Biſt Du bald fertig? rief Hauke ihr zu, dann laß Dir ſagen: ich will Dir einen Kater ſchaffen, der mit Maus - und Rattenblut zu - frieden iſt!

Darauf ging er, ſcheinbar auf nichts mehr achtend, fürbaß. Aber die todte Katze mußte ihm doch im Kopfe Wirrſal machen; denn er ging, als er zu den Häuſern gekommen war, dem ſeines Vaters und auch den übrigen vorbei und eine weite Strecke noch nach[Süden] auf dem Deich der Stadt zu.

Inmittelſt wanderte auch Trien 'Jans auf dem - ſelben in der gleichen Richtung; ſie trug in einem alten blaucarrirten Kiſſenüberzug eine Laſt in ihren Armen, die ſie ſorgſam, als wär's ein Kind, umklammerte; ihr greiſes Haar flatterte in dem leichten Frühlingswind. Was ſchleppt Sie da, Trina? frug ein Bauer, der ihr entgegenkam. Mehr, als Dein Haus und Hof, erwiderte die Alte; dann ging ſie eifrig weiter. Als ſie dem28 unten liegenden Hauſe des alten Haien nahe kam, ging ſie den Akt, wie man bei uns die Trift - und Fußwege nennt, die ſchräg an der Seite des Deiches hinab - oder hinaufführen, zu den Häuſern hinunter.

Der alte Tede Haien ſtand eben vor der Thür und ſah ins Wetter: Na, Trien '! ſagte er, als ſie puſtend vor ihm ſtand und ihren Krückſtock in die Erde bohrte, was bringt Sie Neues in Ihrem Sack?

Erſt laß mich in die Stube, Tede Haien! dann ſoll Er's ſehen! und ihre Augen ſahen ihn mit ſeltſamem Funkeln an!

So komm 'Sie! ſagte der Alte. Was gingen ihn die Augen des dummen Weibes an.

Und als Beide eingetreten waren, fuhr ſie fort: Bring 'Er den alten Tabakskaſten und das Schreibzeug von dem Tiſch Was hat er denn immer zu ſchreiben? So; und nun wiſch' Er ihn ſauber ab!

Und der Alte, der faſt neugierig wurde, that Alles, was ſie ſagte; dann nahm ſie den blauen Ueberzug bei beiden Zipfeln und ſchüttete daraus den großen Katerleichnam auf den Tiſch. Da29 hat Er ihn! rief ſie; Sein Hauke hat ihn todt - geſchlagen. Hierauf aber begann ſie ein bitterliches Weinen; ſie ſtreichelte das dicke Fell des todten Thieres, legte ihm die Tatzen zuſammen, neigte ihre lange Naſe über deſſen Kopf und raunte ihm unverſtändliche Zärtlichkeiten in die Ohren.

Tede Haien ſah dem zu. So, ſagte er; Hauke hat ihn todtgeſchlagen? Er wußte nicht, was er mit dem heulenden Weibe machen ſollte.

Die Alte nickte ihn grimmig an: Ja, ja; ſo Gott, das hat er gethan! und ſie wiſchte ſich mit ihrer von Gicht verkrümmten Hand das Waſſer aus den Augen. Kein Kind, kein Lebigs mehr! klagte ſie. Und er weiß es ja auch wohl, uns Alten, wenn's nach Allerheiligen kommt, frieren Abends im Bett die Beine, und ſtatt zu ſchlafen, hören wir den Nordweſt an unſeren Fenſterläden rappeln. Ich hör's nicht gern, Tede Haien, er kommt daher, wo mein Junge mir im Schlick verſank.

Tede Haien nickte, und die Alte ſtreichelte das Fell ihres todten Katers: Der aber, begann ſie wieder, wenn ich Winters am Spinnrad ſaß, dann ſaß er bei mir und ſpann auch und ſah30 mich an mit ſeinen grünen Augen! Und kroch ich, wenn's mir kalt wurde, in mein Bett es dauerte nicht lang, ſo ſprang er zu mir und legte ſich auf meine frierenden Beine, und wir ſchliefen ſo warm mitſammen, als hätte ich noch meinen jungen Schatz im Bett! Die Alte, als ſuche ſie bei dieſer Erinnerung nach Zuſtimmung, ſah den neben ihr am Tiſche ſtehenden Alten mit ihren funkelnden Augen an.

Tede Haien aber ſagte bedächtig: Ich weiß Ihr einen Rath, Trien 'Jans, und er ging nach ſeiner Schatulle und nahm eine Silbermünze aus der Schublade Sie ſagt, daß Hauke Ihr das Thier vom Leben gebracht hat, und ich weiß, Sie lügt nicht; aber hier iſt ein Kronthaler von Chriſtian dem Vierten; damit kauf' Sie ſich ein gegerbtes Lammfell für Ihre kalten Beine! Und wenn unſere Katze nächſtens Junge wirft, ſo mag Sie ſich das größte davon ausſuchen; das zuſammen thut wohl einen altersſchwachen Angorakater! Und nun nehm 'Sie das Vieh und bring' Sie es meinethalb an den Racker in der Stadt, und halt 'Sie das Maul, daß es hier auf meinem ehrlichen Tiſch gelegen hat!

31

Während dieſer Rede hatte das Weib ſchon nach dem Thaler gegriffen und ihn in einer kleinen Taſche geborgen, die ſie unter ihren Röcken trug; dann ſtopfte ſie den Kater wieder in das Bettbühr, wiſchte mit ihrer Schürze die Blutflecken von dem Tiſch und ſtakte zur Thür hinaus. Vergiß Er mir nur den jungen Kater nicht! rief ſie noch zurück.

Eine Weile ſpäter, als der alte Haien in dem engen Stüblein auf - und abſchritt, trat Hauke herein und warf ſeinen bunten Vogel auf den Tiſch; als er aber auf der weiß geſcheuerten Platte den noch kennbaren Blutfleck ſah, frug er, wie beiläufig Was iſt denn das?

Der Vater blieb ſtehen: Das iſt Blut, was Du haſt fließen machen!

Dem Jungen ſchoß es doch heiß ins Geſicht: Iſt denn Trien 'Jans mit ihrem Kater hier geweſen?

Der Alte nickte: Weshalb haſt Du ihr den todtgeſchlagen?

Hauke entblößte ſeinen blutigen Arm. Des - halb, ſagte er; er hatte mir den Vogel fort - geriſſen!

32

Der Alte ſagte nichts hierauf; er begann eine Zeitlang wieder auf - und abzugehen; dann blieb er vor dem Jungen ſtehen und ſah eine Weile wie abweſend auf ihn hin. Das mit dem Kater hab 'ich rein gemacht, ſagte er dann; aber, ſiehſt Du, Hauke, die Kathe iſt hier zu klein; zwei Herren können darauf nicht ſitzen es iſt nun Zeit, Du mußt Dir einen Dienſt beſorgen!

Ja, Vater, entgegnete Hauke; hab 'der - gleichen auch gedacht.

Warum? frug der Alte.

Ja, man wird grimmig in ſich, wenn man's nicht an einem ordentlichen Stück Arbeit auslaſſen kann.

So? ſagte der Alte, und darum haſt Du den Angorer todtgeſchlagen? Das könnte leicht noch ſchlimmer werden?

Er mag wohl recht haben, Vater; aber der Deichgraf hat ſeinen Kleinknecht fortgejagt; das könnt 'ich ſchon verrichten!

Der Alte begann wieder auf - und abzugehen und ſpritzte dabei die ſchwarze Tabaksjauche von ſich: Der Deichgraf iſt ein Dummkopf, dumm wie 'ne Saatgans! Er iſt nur Deichgraf, weil ſein33 Vater und Großvater es geweſen ſind, und wegen ſeiner neunundzwanzig Fennen. Wenn Martini herankommt und hernach die Deich - und Siel - rechnungen abgethan werden müſſen, dann füttert er den Schulmeiſter mit Gansbraten und Meth und Weizenkringeln und ſitzt dabei und nickt, wenn der mit ſeiner Feder die Zahlenreihen hinunter - läuft, und ſagt: Ja, ja, Schulmeiſter, Gott ver - gönn's ihm! Was kann er rechnen! Wenn aber einmal der Schulmeiſter nicht kann oder auch nicht will, dann muß er ſelber dran und ſitzt und ſchreibt und ſtreicht wieder aus, und der große dumme Kopf wird ihm roth und heiß, und die Augen quellen wie Glaskugeln, als wollte das bischen Verſtand da hinaus.

Der Junge ſtand gerade auf vor dem Vater und wunderte ſich, was der reden könne; ſo hatte er's noch nicht von ihm gehört. Ja, Gott tröſt '! ſagte er, dumm iſt er wohl; aber ſeine Tochter Elke, die kann rechnen!

Der Alte ſah ihn ſcharf an. Ahoi, Hauke, rief er; was weißt Du von Elke Volkerts?

Nichts, Vater; der Schulmeiſter hat's mir nur erzählt.

Theodor Storm, Der Schimmelreiter. 334

Der Alte antwortete nicht darauf; er ſchob nur bedächtig ſeinen Tabaksknoten aus einer Backe hinter die andere. Und Du denkſt, ſagte er dann, Du wirſt dort auch mitrechnen können.

O ja, Vater, das möcht 'ſchon gehen, er - widerte der Sohn, und ein ernſtes Zucken lief um ſeinen Mund.

Der Alte ſchüttelte den Kopf: Nun, aber meinethalb; verſuch 'einmal Dein Glück!

Dank auch, Vater! ſagte Hauke und ſtieg zu ſeiner Schlafſtatt auf dem Boden; hier ſetzte er ſich auf die Bettkante und ſann, weshalb ihn denn ſein Vater um Elke Volkerts angerufen habe. Er kannte ſie freilich, das ranke achtzehnjährige Mädchen mit dem bräunlichen ſchmalen Antlitz und den dunklen Brauen, die über den trotzigen Augen und der ſchmalen Naſe in einander liefen; doch hatte er noch kaum ein Wort mit ihr ge - ſprochen; nun, wenn er zu dem alten Tede Volkerts ging, wollte er ſie doch beſſer darauf anſehen, was es mit dem Mädchen auf ſich habe. Und gleich jetzt wollte er gehen, damit kein Anderer ihm die Stelle abjage; es war ja kaum noch Abend. Und ſo zog er ſeine Sonntagsjacke und ſeine beſten35 Stiefeln an und machte ſich guten Muthes auf den Weg.

Das langgeſtreckte Haus des Deichgrafen war durch ſeine hohe Werfte, beſonders durch den höchſten Baum des Dorfes, eine gewaltige Eſche, ſchon von Weitem ſichtbar; der Großvater des jetzigen, der erſte Deichgraf des Geſchlechtes, hatte in ſeiner Jugend eine ſolche oſten der Hausthür hier geſetzt; aber die beiden erſten Anpflanzungen waren vergangen, und ſo hatte er an ſeinem Hochzeitsmorgen dieſen dritten Baum gepflanzt, der noch jetzt mit ſeiner immer mächtiger werdenden Blätterkrone in dem hier unabläſſigen Winde wie von alten Zeiten rauſchte.

Als nach einer Weile der lang aufgeſchoſſene Hauke die hohe Werfte hinaufſtieg, welche an den Seiten mit Rüben und Kohl bepflanzt war, ſah er droben die Tochter des Hauswirths neben der niedrigen Hausthür ſtehen. Ihr einer etwas hagerer Arm hing ſchlaff herab, die andere Hand ſchien im Rücken nach dem Eiſenring zu greifen, von denen je einer zu beiden Seiten der Thür in der Mauer war, damit, wer vor das Haus ritt, ſein Pferd daran befeſtigen könne. Die Dirne ſchien3 *36von dort ihre Augen über den Deich hinaus nach dem Meer zu haben, wo an dem ſtillen Abend die Sonne eben in das Waſſer hinabſank und zugleich das bräun - liche Mädchen mit ihrem letzten Schein vergoldete.

Hauke ſtieg etwas langſamer an der Werfte hinan und dachte bei ſich: So iſt ſie nicht ſo döſig! dann war er oben. Guten Abend auch! ſagte er zu ihr tretend; wonach guckſt Du denn mit Deinen großen Augen, Jungfer Elke?

Nach dem, erwiderte ſie, was hier alle Abend vor ſich geht; aber hier nicht alle Abend juſt zu ſehen iſt. Sie ließ den Ring aus der Hand fallen, daß er klingend gegen die Mauer ſchlug. Was willſt Du, Hauke Haien? frug ſie.

Was Dir hoffentlich nicht zuwider iſt, ſagte er. Dein Vater hat ſeinen Kleinknecht fortge - jagt, da dachte ich bei Euch in Dienſt.

Sie ließ ihre Blicke an ihm herunterlaufen: Du biſt noch ſo was ſchlanterig, Hauke! ſagte ſie; aber uns dienen zwei feſte Augen beſſer als zwei feſte Arme! Sie ſah ihn dabei faſt düſter an; aber Hauke hielt ihr tapfer Stand. So komm, fuhr ſie fort; der Wirth iſt in der Stube, laß uns hineingehen!

37

Am anderen Tage trat Tede Haien mit ſeinem Sohne in das geräumige Zimmer des Deichgrafen; die Wände waren mit glaſurten Kacheln bekleidet, auf denen hier ein Schiff mit vollen Segeln oder ein Angler an einem Uferplatz, dort ein Rind, das kauernd vor einem Bauernhauſe lag, den Beſchauer vergnügen konnte; unterbrochen war dieſe dauer - hafte Tapete durch ein mächtiges Wandbett mit jetzt zugeſchobenen Thüren und einen Wandſchrank, der durch ſeine beiden Glasthüren allerlei Porzellan - und Silbergeſchirr erblicken ließ; neben der Thür zum anſtoßenden Peſel war hinter einer Glas - ſcheibe eine holländiſche Schlaguhr in die Wand gelaſſen.

Der ſtarke, etwas ſchlagflüſſige Hauswirth ſaß am Ende des blankgeſcheuerten Tiſches im Lehnſtuhl auf ſeinem bunten Wollenpolſter. Er hatte ſeine Hände über dem Bauch gefaltet und ſtarrte aus ſeinen runden Augen befriedigt auf das Gerippe einer fetten Ente; Gabel und Meſſer ruhten vor ihm auf dem Teller.

Guten Tag, Deichgraf! ſagte Haien, und der Angeredete drehte langſam Kopf und Augen zu ihm hin. Ihr ſeid es, Tede? entgegnete er,38 und der Stimme war die verzehrte fette Ente anzuhören, ſetzt Euch; es iſt ein gut Stück 'von Euch zu mir herüber!

Ich komme, Deichgraf, ſagte Tede Haien, indem er ſich auf die an der Wand entlang laufende Bank dem Anderen im Winkel gegenüberſetzte. Ihr habt Verdruß mit Euerem Kleinknecht gehabt und ſeid mit meinem Jungen einig geworden, ihn an deſſen Stelle zu ſetzen!

Der Deichgraf nickte: Ja, ja, Tede; aber was meint Ihr mit Verdruß? Wir Marſchleute haben, Gott tröſt 'uns, was dagegen einzunehmen! und er nahm das vor ihm liegende Meſſer und klopfte wie liebkoſend auf das Gerippe der armen Ente. Das war mein Leibvogel, ſetzte er be - haglich lachend hinzu; ſie fraß mir aus der Hand!

Ich dachte, ſagte der alte Haien, das Letzte überhörend, der Bengel hätte Euch Unheil im Stall gemacht.

Unheil? Ja, Tede; freilich Unheil genug! Der dicke Mopsbraten hatte die Kälber nicht gebörmt; aber er lag voll getrunken auf dem Heuboden, und das Viehzeug ſchrie die ganze39 Nacht vor Durſt, daß ich bis Mittag nachſchlafen mußte; dabei kann die Wirthſchaft nicht beſtehen!

Nein, Deichgraf; aber dafür iſt keine Gefahr bei meinem Jungen.

Hauke ſtand, die Hände in den Seitentaſchen, am Thürpfoſten, hatte den Kopf im Nacken und ſtudirte an den Fenſterrähmen ihm gegenüber.

Der Deichgraf hatte die Augen zu ihm gehoben und nickte hinüber: Nein, nein, Tede; und er nickte nun auch dem Alten zu; Euer Hauke wird mir die Nachtruh 'nicht verſtören; der Schulmeiſter hat's mir ſchon vordem geſagt, der ſitzt lieber vor der Rechentafel, als vor einem Glas mit Branntwein.

Hauke hörte nicht auf dieſen Zuſpruch, denn Elke war in die Stube getreten und nahm mit ihrer leichten Hand die Reſte der Speiſen von dem Tiſch, ihn mit ihren dunkeln Augen flüchtig ſtreifend. Da fielen ſeine Blicke auch auf ſie. Bei Gott und Jeſus, ſprach er bei ſich ſelber, ſie ſieht auch ſo nicht döſig aus!

Das Mädchen war hinausgegangen: Ihr wiſſet, Tede, begann der Deichgraf wieder, unſer Herrgott hat mir einen Sohn verſagt!

40

Ja, Deichgraf; aber laßt Euch das nicht kränken, entgegnete der Andere, denn im dritten Gliede ſoll der Familienverſtand ja verſchleißen; Euer Großvater, das wiſſen wir noch Alle, war Einer, der das Land geſchützt hat!

Der Deichgraf, nach einigem Beſinnen, ſah ſchier verdutzt aus: Wie meint Ihr das, Tede Haien? ſagte er, und ſetzte ſich in ſeinem Lehn - ſtuhl auf; ich bin ja doch im dritten Gliede!

Ja ſo! Nicht für ungut, Deichgraf; es geht nur ſo die Rede! Und der hagere Tede Haien ſah den alten Würdenträger mit etwas boshaften Augen an.

Der aber ſprach unbekümmert: Ihr müßt Euch von alten Weibern dergleichen Thorheit nicht aufſchwatzen laſſen, Tede Haien; Ihr kennt nur meine Tochter nicht, die rechnet mich ſelber drei - mal um und um! Ich wollt 'nur ſagen, Euer Hauke wird außer im Felde auch hier in meiner Stube mit Feder oder Rechenſtift ſo Manches profitiren können, was ihm nicht ſchaden wird!

Ja, ja, Deichgraf, das wird er; da habt Ihr völlig Recht! ſagte der alte Haien und begann dann noch einige Vergünſtigungen bei dem Mieth -41 contract ſich auszubedingen, die Abends vorher von ſeinem Sohne nicht bedacht waren. So ſollte dieſer außer ſeinen leinenen Hemden im Herbſt auch noch acht Paar wollene Strümpfe als Zu - gabe ſeines Lohnes genießen; ſo wollte er ſelbſt ihn im Frühling acht Tage bei der eigenen Arbeit haben, und was dergleichen mehr war. Aber der Deichgraf war zu Allem willig; Hauke Haien ſchien ihm eben der rechte Kleinknecht.

Nun, Gott tröſt 'Dich, Junge, ſagte der Alte, da ſie eben das Haus verlaſſen hatten, wenn der Dir die Welt klar machen ſoll!

Aber Hauke erwiderte ruhig: Laß Er nur, Vater; es wird ſchon Alles werden.

Und Hauke hatte ſo Unrecht nicht gehabt; die Welt, oder was ihm die Welt bedeutete, wurde ihm klarer, je länger ſein Aufenthalt in dieſem Hauſe dauerte; vielleicht um ſo mehr, je weniger ihm eine überlegene Einſicht zu Hülfe kam, und je mehr er auf ſeine eigene Kraft angewieſen war, mit der er ſich von jeher beholfen hatte. Einer freilich war im Hauſe, für den er nicht der Rechte zu ſein ſchien; das war der Großknecht Ole Peters,42 ein tüchtiger Arbeiter und ein maulfertiger Geſelle. Ihm war der träge, aber dumme und ſtämmige Kleinknecht von vorhin beſſer nach ſeinem Sinn geweſen, dem er ruhig die Tonne Hafer auf den Rücken hatte laden und den er nach Herzensluſt hatte herumſtoßen können. Dem noch ſtilleren, aber ihn geiſtig überragenden Hauke vermochte er in ſolcher Weiſe nicht beizukommen; er hatte eine gar zu eigne Art, ihn anzublicken. Trotzdem ver - ſtand er es, Arbeiten für ihn auszuſuchen, die ſeinem noch nicht gefeſteten Körper hätten gefährlich werden können, und Hauke, wenn der Groß - knecht ſagte: Da hätteſt Du den dicken Niß nur ſehen ſollen; dem ging es von der Hand! faßte nach Kräften an und brachte es, wenn auch mit Mühſal, doch zu Ende. Ein Glück war es für ihn, daß Elke ſelbſt oder durch ihren Vater das meiſtens abzuſtellen wußte. Man mag wohl fragen, was mitunter ganz fremde Menſchen an einander bindet; vielleicht ſie waren beide ge - borene Rechner, und das Mädchen konnte ihren Kameraden in der groben Arbeit nicht verderben ſehen.

Der Zwieſpalt zwiſchen Groß - und Kleinknecht43 wurde auch im Winter nicht beſſer, als nach Martini die verſchiedenen Deichrechnungen zur Reviſion eingelaufen waren.

Es war an einem Maiabend; aber es war Novemberwetter; von drinnen im Hauſe hörte man draußen hinterm Deich die Brandung donnern. He, Hauke, ſagte der Hausherr, komm herein; nun magſt Du weiſen, ob Du rechnen kannſt!

Unſ 'Weerth, entgegnete dieſer; denn ſo nennen hier die Leute ihre Herrſchaft ich ſoll aber erſt das Jungvieh füttern!

Elke! rief der Deichgraf; wo biſt Du, Elke! Geh 'zu Ole, und ſag' ihm, er ſollte das Jungvieh füttern; Hauke ſoll rechnen!

Und Elke eilte in den Stall und machte dem Großknecht die Beſtellung, der eben damit be - ſchäftigt war, das über Tag gebrauchte Pferde - geſchirr wieder an ſeinen Platz zu hängen.

Ole Peters ſchlug mit einer Trenſe gegen den Ständer, neben dem er ſich beſchäftigte, als wolle er ſie kurz und klein haben: Hol 'der Teufel den verfluchten Schreiberknecht! Sie hörte die Worte noch, bevor ſie die Stallthür wieder ge - ſchloſſen hatte.

44

Nun? frug der Alte, als ſie in die Stube trat.

Ole wollte es ſchon beſorgen, ſagte die Tochter, ein wenig ſich die Lippen beißend, und ſetzte ſich Hauke gegenüber auf einen grobgeſchnitzten Holzſtuhl, wie ſie noch derzeit hier an Winter - abenden im Hauſe ſelbſt gemacht wurden. Sie hatte aus einem Schubkaſten einen weißen Strumpf mit rothem Vogelmuſter genommen, an dem ſie nun weiterſtrickte; die langbeinigen Creaturen darauf mochten Reiher oder Störche bedeuten ſollen. Hauke ſaß ihr gegenüber in ſeine Rechnerei vertieft, der Deichgraf ſelbſt ruhte in ſeinem Lehnſtuhl und blinzelte ſchläfrig nach Hauke's Feder; auf dem Tiſch brannten, wie immer im Deichgrafenhauſe, zwei Unſchlittkerzen, und vor den beiden in Blei gefaßten Fenſtern waren von außen die Läden vor - geſchlagen und von innen zugeſchroben; mochte der Wind nun poltern, wie er wollte. Mitunter hob Hauke ſeinen Kopf von der Arbeit und blickte einen Augenblick nach den Vogelſtrümpfen oder nach dem ſchmalen ruhigen Geſicht des Mädchens.

Da that es aus dem Lehnſtuhl plötzlich einen lauten Schnarcher, und ein Blick und ein Lächeln flog zwiſchen den beiden jungen Menſchen hin und45 wieder; dann folgte allmälig ein ruhigeres Athmen; man konnte wohl ein wenig plaudern; Hauke wußte nur nicht, was. Als ſie aber das Strickzeug in die Höhe zog, und die Vögel ſich nun in ihrer ganzen Länge zeigten, flüſterte er über den Tiſch hinüber: Wo haſt Du das gelernt, Elke?

Was gelernt? frug das Mädchen zurück.

Das Vogelſtricken? ſagte Hauke.

Das? Von Trien 'Jans draußen am Deich; ſie kann allerlei; ſie war vor Zeiten einmal bei meinem Großvater hier im Dienſt.

Da warſt Du aber wohl noch nicht ge - boren? ſagte Hauke.

Ich denk 'wohl nicht; aber ſie iſt noch oft ins Haus gekommen.

Hat denn die die Vögel gern? frug Hauke; ich meint ', ſie hielt es nur mit Katzen!

Elke ſchüttelte den Kopf: Sie zieht ja Enten und verkauft ſie; aber im vorigen Frühjahr, als Du den Angorer todtgeſchlagen hatteſt, ſind ihr hinten im Stall die Ratten dazwiſchen gekommen; nun will ſie ſich vorn am Hauſe einen andern bauen.

So, ſagte Hauke und zog einen leiſen Pfiff46 durch die Zähne, dazu hat ſie von der Geeſt ſich Lehm und Steine hergeſchleppt! Aber dann kommt ſie in den Binnenweg; hat ſie denn Conceſſion?

Weiß ich nicht, meinte Elke; aber er hatte das letzte Wort ſo laut geſprochen, daß der Deich - graf aus ſeinem Schlummer auffuhr. Was Con - ceſſion? frug er und ſah faſt wild von Einem zu der Andern. Was ſoll die Conceſſion?

Als aber Hauke ihm dann die Sache vor - getragen hatte, klopfte er ihm lachend auf die Schulter: Ei was, der Binnenweg iſt breit genug; Gott tröſt 'den Deichgrafen, ſollt' er ſich auch noch um die Entenſtälle kümmern!

Hauke fiel es aufs Herz, daß er die Alte mit ihren jungen Enten den Ratten ſollte preisgegeben haben, und er ließ ſich mit dem Einwand ab - finden. Aber unſ 'Weerth, begann er wieder, es thät' wohl Dem und Jenem ein kleiner Zwicker gut, und wollet Ihr ihn nicht ſelber greifen, ſo zwicket den Gevollmächtigten, der auf die Deichordnung paſſen ſoll!

Wie, was ſagt der Junge? und der Deich - graf ſetzte ſich vollends auf, und Elke ließ ihren47 künſtlichen Strumpf ſinken und wandte das Ohr hinüber.

Ja, unſ 'Weerth, fuhr Hauke fort, Ihr habt doch ſchon die Frühlingsſchau gehalten; aber trotzdem hat Peter Janſen auf ſeinem Stück das Unkraut auch noch heute nicht gebuſcht; im Sommer werden die Stieglitzer da wieder luſtig um die rothen Diſtelblumen ſpielen! Und dicht daneben, ich weiß nicht, wem's gehört, iſt an der Außen - ſeite eine ganze Wiege in dem Deich; bei ſchön Wetter liegt es immer voll von kleinen Kindern, die ſich darin wälzen; aber Gott bewahr' uns vor Hochwaſſer!

Die Augen des alten Deichgrafen waren immer größer geworden.

Und dann ſagte Hauke wieder.

Was dann noch, Junge? frug der Deich - graf; biſt Du noch nicht fertig? und es klang, als ſei der Rede ſeines Kleinknechts ihm ſchon zu viel geworden.

Ja, dann, unſ 'Weerth, ſprach Hauke weiter; Ihr kennt die dicke Vollina, die Tochter vom Gevollmächtigten Harders, die immer ihres Vaters Pferde aus der Fenne holt, wenn ſie nur eben48 mit ihren runden Waden auf der alten gelben Stute ſitzt, hopp? ſo geht' allemal ſchräg an der Doſſirung den Deich hinan!

Hauke bemerkte erſt jetzt, daß Elke ihre klugen Augen auf ihn gerichtet hatte und leiſe ihren Kopf ſchüttelte.

Er ſchwieg; aber ein Fauſtſchlag, den der Alte auf den Tiſch that, dröhnte ihm in die Ohren, da ſoll das Wetter dreinſchlagen! rief er, und Hauke erſchrak beinahe über die Bärenſtimme, die plötzlich hier hervorbrach: Zur Brüche! Notir 'mir das dicke Menſch zur Brüche, Hauke! Die Dirne hat mir im letzten Sommer drei junge Enten weg - gefangen! Ja, ja, notir' nur, wiederholte er, als Hauke zögerte; ich glaub 'ſogar, es waren vier!

Ei, Vater, ſagte Elke, war's nicht die Otter, die die Enten nahm?

Eine große Otter! rief der Alte ſchnaufend; werd 'doch die dicke Vollina und Otter aus - einander kennen! Nein, nein, vier Enten, Hauke Aber was Du im Uebrigen ſchwatzeſt, der Herr Oberdeichgraf und ich, nachdem wir zuſammen in meinem Hauſe hier gefrühſtückt hatten, ſind im Frühjahr an Deinem Unkraut und an Deiner49 Wiege vorbeigefahren und haben's doch nicht ſehen können. Ihr Beide aber, und er nickte ein paar Mal bedeutſam gegen Hauke und ſeine Tochter, danket Gott, daß Ihr nicht Deichgraf ſeid! Zwei Augen hat man nur, und mit hundert ſoll man ſehen. Nimm nur die Rechnungen über die Beſtickungsarbeiten, Hauke, und ſieh ſie nach; die Kerls rechnen oft zu liederlich!

Dann lehnte er ſich wieder in ſeinen Stuhl zurück, ruckte den ſchweren Körper ein paar Mal, und überließ ſich bald dem ſorgenloſen Schlummer.

Dergleichen wiederholte ſich an manchem Abend. Hauke hatte ſcharfe Augen und unterließ es nicht, wenn ſie beiſammenſaßen, das Eine oder Andre von ſchädlichem Thun oder Unterlaſſen in Deich - ſachen dem Alten vor die Augen zu rücken, und da dieſer ſie nicht immer ſchließen konnte, ſo kam unverſehens ein lebhafterer Geſchäftsgang in die Verwaltung, und die, welche früher im alten Schlendrian fortgeſündigt hatten und jetzt uner - wartet ihre frevlen oder faulen Finger geklopft fühlten, ſahen ſich unwillig und verwundert um, woher die Schläge denn gekommen ſeien. Und Ole,Theodor Storm, Der Schimmelreiter. 450der Großknecht, ſäumte nicht, möglichſt weit die Offenbarung zu verbreiten und dadurch gegen Hauke und ſeinen Vater, der doch die Mitſchuld tragen mußte, in dieſen Kreiſen einen Widerwillen zu erregen; die Andern aber, welche nicht getroffen waren, oder denen es um die Sache ſelbſt zu thun war, lachten und hatten ihre Freude, daß der Junge den Alten doch einmal etwas in Trab gebracht habe. Schad 'nur, ſagten ſie, daß der Bengel nicht den gehörigen Klei unter den Füßen hat; das gäbe ſpäter ſonſt einmal wieder einen Deichgrafen, wie vordem ſie da geweſen ſind; aber die paar Demath ſeines Alten, die thäten's denn doch nicht!

Als im nächſten Herbſt der Herr Amtmann und Oberdeichgraf zur Schauung kam, ſah er ſich den alten Tede Volkerts von oben bis unten an, während dieſer ihn zum Frühſtück nöthigte. Wahr - haftig, Deichgraf, ſagte er, ich dacht's mir ſchon, Ihr ſeid in der That um ein Halbſtieg Jahre jünger geworden; Ihr habt mir diesmal mit all' Euern Vorſchlägen warm gemacht; wenn wir mit alledem nur heute fertig werden!

Wird ſchon, wird ſchon, geſtrenger Herr Ober -51 deichgraf, erwiderte der Alte ſchmunzelnd; der Gansbraten da wird ſchon die Kräfte ſtärken! Ja, Gott ſei Dank, ich bin noch allezeit friſch und munter! Er ſah ſich in der Stube um, ob auch nicht etwa Hauke um die Wege ſei; dann ſetzte er in würdevoller Ruhe noch hinzu: So hoffe ich zu Gott, noch meines Amtes ein paar Jahre in Segen warten zu können.

Und darauf, lieber Deichgraf, erwiderte ſein Vorgeſetzter ſich erhebend, wollen wir dieſes Glas zuſammen trinken!

Elke, die das Frühſtück beſtellt hatte, ging eben, während die Gläſer an einander klangen, mit leiſem Lachen aus der Stubenthür. Dann holte ſie eine Schüſſel Abfall aus der Küche und ging durch den Stall, um es vor der Außenthür dem Federvieh vorzuwerfen. Im Stall ſtand Hauke Haien und ſteckte den Kühen, die man der argen Witterung wegen ſchon jetzt hatte heraufnehmen müſſen, mit der Furke Heu in ihre Raufen. Als er aber das Mädchen kommen ſah, ſtieß er die Furke auf den Grund. Nu, Elke! ſagte er.

Sie blieb ſtehen und nickte ihm zu: Ja, Hauke; aber eben hätteſt Du drinnen ſein müſſen!

4*52

Meinſt Du? Warum denn, Elke?

Der Herr Oberdeichgraf hat den Wirth gelobt!

Den Wirth? Was thut das mir?

Nein, ich mein ', den Deichgrafen hat er gelobt! Ein dunkles Roth flog über das Geſicht des jungen Menſchen: Ich weiß wohl, ſagte er, wohin Du damit ſegeln willſt!

Werd 'nur nicht roth, Hauke; Du warſt es ja doch eigentlich, den der Oberdeichgraf lobte!

Hauke ſah ſie mit halbem Lächeln an. Auch Du doch, Elke! ſagte er.

Aber ſie ſchüttelte den Kopf: Nein, Hauke; als ich allein der Helfer war, da wurden wir nicht gelobt. Ich kann ja auch nur rechnen; Du aber ſiehſt draußen Alles, was der Deichgraf doch wohl ſelber ſehen ſollte; Du haſt mich ausgeſtochen!

Ich hab 'das nicht gewollt, Dich am mindſten, ſagte Hauke zaghaft, und er ſtieß den Kopf einer Kuh zur Seite: Komm', Rothbunt, friß mir nicht die Furke auf, Du ſollſt ja Alles haben!

Denk 'nur nicht, daß mir's leid thut, Hauke, ſagte nach kurzem Sinnen das Mädchen; das iſt ja Mannesſache?

53

Da ſtreckte Hauke ihr den Arm entgegen: Elke, gib mir die Hand darauf!

Ein tiefes Roth ſchoß unter die dunkeln Brauen des Mädchens. Warum? Ich lüg 'ja nicht! rief ſie.

Hauke wollte antworten; aber ſie war ſchon zum Stall hinaus, und er ſtand mit ſeiner Furke in der Hand und hörte nur, wie draußen die Enten und Hühner um ſie ſchnatterten und krähten.

Es war im Januar von Hauke's drittem Dienſtjahre, als ein Winterfeſt gehalten werden ſollte; Eisboſeln nennen ſie es hier. Ein ſtändiger Froſt hatte beim Ruhen der Küſtenwinde alle Gräben zwiſchen den Fennen mit einer feſten ebenen Kryſtallfläche belegt, ſo daß die zerſchnittenen Landſtücke nun eine weite Bahn für das Werfen der kleinen mit Blei ausgegoſſenen Holzkugeln bildeten, womit das Ziel erreicht werden ſollte. Tag aus, Tag ein wehte ein leichter Nordoſt: Alles war ſchon in Ordnung; die Geeſtleute in dem zu Oſten über der Marſch belegenen Kirchdorf, die im vorigen Jahre geſiegt hatten, waren zum Wett - kampf gefordert und hatten angenommen; von54 jeder Seite waren neun Werfer aufgeſtellt; auch der Obmann und die Kret'ler waren gewählt. Zu letzteren, die bei Streitfällen über einen zweifel - haften Wurf mit einander zu verhandeln hatten, wurden allezeit Leute genommen, die ihre Sache ins beſte Licht zu rücken verſtanden, am liebſten Burſchen, die außer geſundem Menſchenverſtand auch noch ein luſtig Mundwerk hatten. Dazu ge - hörte vor allen Ole Peters, der Großknecht des Deichgrafen. Werft nur wie die Teufel, ſagte er; das Schwatzen thu ich ſchon umſonſt!

Es war gegen Abend vor dem Feſttag; in der Nebenſtube des Kirchſpielkruges droben auf der Geeſt war eine Anzahl von den Werfern erſchienen, um über die Aufnahme einiger zuletzt noch Angemeldeten zu beſchließen. Hauke Haien war auch unter dieſen; er hatte erſt nicht wollen, obſchon er ſeiner wurfgeübten Arme ſich wohl bewußt war; aber er fürchtete durch Ole Peters, der einen Ehrenpoſten in dem Spiel bekleidete, zurückgewieſen zu werden; die Niederlage wollte er ſich ſparen. Aber Elke hatte ihm noch in der elften Stunde den Sinn gewandt: Er wird's nicht wagen, Hauke, hatte ſie geſagt; er iſt ein Tagelöhnerſohn; Dein Vater hat Kuh55 und Pferd und iſt dazu der klügſte Mann im Dorf!

Aber, wenn er's dennoch fertig bringt?

Sie ſah ihn halb lächelnd aus ihren dunkeln Augen an. Dann, ſagte ſie, ſoll er ſich den Mund wiſchen, wenn er Abends mit ſeines Wirths Tochter zu tanzen denkt! Da hatte Hauke ihr muthig zugenickt.

Nun ſtanden die jungen Leute, die noch in das Spiel hineinwollten, frierend und fußtrampelnd vor dem Kirchſpielskrug und ſahen nach der Spitze des aus Felsblöcken gebauten Kirchthurms hinauf, neben dem das Krughaus lag. Des Paſtors Tauben, die ſich im Sommer auf den Feldern des Dorfes nährten, kamen eben von den Höfen und Scheuern der Bauern zurück, wo ſie ſich jetzt ihre Körner geſucht hatten und verſchwanden unter den Schindeln des Thurmes, hinter welchen ſie ihre Neſter hatten; im Weſten über dem Haf ſtand ein glühendes Abendroth.

Wird gut Wetter morgen! ſagte der eine der jungen Burſchen und begann heftig auf und ab zu wandern; aber kalt! kalt! Ein zweiter, als er keine Taube mehr fliegen ſah, ging in das56 Haus und ſtellte ſich horchend neben die Thür der Stube, aus der jetzt ein lebhaftes Durch - einander-Reden herausſcholl; auch des Deichgrafen Kleinknecht war neben ihn getreten. Hör ', Hauke, ſagte er zu dieſem; nun ſchreien ſie um Dich! und deutlich hörte man von drinnen Ole Peters knarrende Stimme: Kleinknechte und Jungens gehören nicht dazu!

Komm, flüſterte der Andere und ſuchte Hauke am Rockärmel an die Stubenthür zu ziehen, hier kannſt Du lernen, wie hoch ſie Dich taxiren!

Aber Hauke riß ſich los und ging wieder vor das Haus: Sie haben uns nicht ausgeſperrt, da - mit wir's hören ſollen! rief er zurück.

Vor dem Hauſe ſtand der Dritte der Ange - meldeten. Ich fürcht ', mit mir hat's einen Haken, rief er ihm entgegen; ich hab' kaum achtzehn Jahre; wenn ſie nur den Taufſchein nicht verlangen! Dich, Hauke, wird Dein Großknecht ſchon herauskreteln!

Ja, heraus! brummte Hauke und ſchleuderte mit dem Fuße einen Stein über den Weg; nur nicht hinein!

Der Lärm in der Stube wurde ſtärker; dann57 allmälig trat eine Stille ein; die draußen hörten wieder den leiſen Nordoſt, der ſich oben an der Kirchthurmſpitze brach. Der Horcher trat wieder zu ihnen. Wen hatten ſie da drinnen? frug der Achtzehnjährige.

Den da! ſagte Jener und wies auf Hauke; Ole Peters wollte ihn zum Jungen machen; aber Alle ſchrieen dagegen. Und ſein Vater hat Vieh und Land, ſagte Jeß Hanſen; Ja, Land, rief Ole Peters, das man auf dreizehn Karren weg - fahren kann? Zuletzt kam Ole Henſen: Still da! ſchrie er; ich will's Euch lehren: ſagt nur, wer iſt der erſte Mann im Dorf? Da ſchwiegen ſie erſt und ſchienen ſich zu beſinnen; dann ſagte eine Stimme: Das iſt doch wohl der Deichgraf! Und alle Andern riefen: Nun ja; unſerthalb der Deichgraf! Und wer iſt denn der Deich - graf? rief Ole Henſen wieder; aber nun bedenkt Euch recht! Da begann Einer leis zu lachen, und dann wieder Einer, bis zuletzt nichts in der Stube war, als lauter Lachen. Nun, ſo ruft ihn; ſagte Ole Henſen; Ihr wollt doch nicht den Deichgrafen von der Thür ſtoßen! Ich glaub ', ſie lachen noch; aber Ole Peters Stimme war58 nicht mehr zu hören! ſchloß der Burſche ſeinen Bericht.

Faſt in demſelben Augenblicke wurde drinnen im Hauſe die Stubenthür aufgeriſſen, und: Hauke! Hauke Haien! rief es laut und fröhlich in die kalte Nacht hinaus.

Da trabte Hauke in das Haus und hörte nicht mehr, wer denn der Deichgraf ſei; was in ſeinem Kopfe brütete, hat indeſſen Niemand wohl erfahren.

Als er nach einer Weile ſich dem Hauſe ſeiner Herrſchaft nahte, ſah er Elke drunten am Heck der Auffahrt ſtehen; das Mondlicht ſchimmerte über die unermeßliche weiß bereifte Weidefläche. Stehſt Du hier, Elke? frug er.

Sie nickte nur: Was iſt geworden? ſagte ſie; hat er's gewagt?

Was ſollt 'er nicht!

Nun, und?

Ja, Elke; ich darf es morgen doch verſuchen!

Gute Nacht, Hauke! Und ſie lief flüchtig die Werfte hinan und verſchwand im Hauſe.

Langſam folgte er ihr.

59

Auf der weiten Weidefläche, die ſich zu[Oſten] an der Landſeite des Deiches entlang zog, ſah man am Nachmittag darauf eine dunkle Menſchenmaſſe bald unbeweglich ſtille ſtehen, bald, nachdem zwei - mal eine hölzerne Kugel aus derſelben über den durch die Tagesſonne jetzt von Reif befreiten Boden hingeflogen war, abwärts von den hinter ihr liegenden langen und niedrigen Häuſern allmälig weiter rücken; die Parteien der Eisbosler in der Mitte, umgeben von Alt und Jung, was mit ihnen, ſei es in jenen Häuſern oder in denen droben auf der Geeſt Wohnung oder Verbleib hatte; die älteren Männer in langen Röcken, be - dächtig aus kurzen Pfeifen rauchend, die Weiber in Tüchern und Jacken, auch wohl Kinder an den Händen ziehend oder auf den Armen tragend. Aus den gefrorenen Gräben, welche allmälig über - ſchritten wurden, funkelte durch die ſcharfen Schilf - ſpitzen der bleiche Schein der Nachmittagsſonne, es fror mächtig; aber das Spiel ging unabläſſig vorwärts, und Aller Augen verfolgten immer wieder die fliegende Kugel; denn an ihr hing heute für das ganze Dorf die Ehre des Tages. Der Kret'ler der Parteien trug hier einen weißen, bei60 den Geeſtleuten einen ſchwarzen Stab mit eiſerner Spitze; wo die Kugel ihren Lauf geendet hatte, wurde dieſer, je nachdem, unter ſchweigender Aner - kennung oder dem Hohngelächter der Gegenpartei in den gefrorenen Boden eingeſchlagen, und weſſen Kugel zuerſt das Ziel erreichte, der hatte für ſeine Partei das Spiel gewonnen.

Geſprochen wurde von all den Menſchen wenig; nur wenn ein Capitalwurf geſchah, hörte man wohl einen Ruf der jungen Männer oder Weiber; oder von den Alten einer nahm ſeine Pfeife aus dem Mund und klopfte damit unter ein paar guten Worten den Werfer auf die Schulter: Das war ein Wurf, ſagte[Zacharies] und warf ſein Weib aus der Luke! oder: So warf Dein Vater auch; Gott tröſt 'ihn in der Ewigkeit! oder was ſie ſonſt für Gutes ſagten.

Bei ſeinem erſten Wurfe war das Glück nicht mit Hauke geweſen: als er eben den Arm hinten aus - ſchwang, um die Kugel fortzuſchleudern, war eine Wolke von der Sonne fortgezogen, die ſie vorhin be - deckt hatte, und dieſe traf mit ihrem vollen Strahl in ſeine Augen; der Wurf wurde zu kurz, die Kugel fiel auf einen Graben und blieb im Bummeis ſtecken.

61

Gilt nicht! Gilt nicht! Hauke, noch einmal, riefen ſeine Partner.

Aber der Kret'ler der Geeſtleute ſprang dagegen auf: Muß wohl gelten; geworfen iſt geworfen!

Ole! Ole Peters! ſchrie die Marſchjugend. Wo iſt Ole? Wo, zum Teufel, ſteckt er?

Aber er war ſchon da: Schreit nur nicht ſo! Soll Hauke wo geflickt werden! Ich dacht's mir ſchon.

Ei was! Hauke muß noch einmal werfen; nun zeig ', daß Du das Maul am rechten Fleck haſt!

Das hab 'ich ſchon! rief Ole und trat dem Geeſt-Kret'ler gegenüber und redete einen Haufen Gallimathias auf einander. Aber die Spitzen und Schärfen, die ſonſt aus ſeinen Worten blitzten, waren diesmal nicht dabei. Ihm zur Seite ſtand das Mädchen mit den Räthſelbrauen und ſah ſcharf aus zornigen Augen auf ihn hin; aber reden durfte ſie nicht; denn die Frauen hatten keine Stimme in dem Spiel.

Du leierſt Unſinn, rief der andere Kret'ler, weil Dir der Sinn nicht dienen kann! Sonne, Mond und Sterne ſind für uns Alle gleich und62 allezeit am Himmel; der Wurf war ungeſchickt, und alle ungeſchickten Würfe gelten!

So redeten ſie noch eine Weile gegen einander; aber das Ende war, daß nach Beſcheid des Ob - manns Hauke ſeinen Wurf nicht wiederholen durfte.

Vorwärts! riefen die Geeſtleute, und ihr Kret'ler zog den ſchwarzen Stab aus dem Boden, und der Werfer trat auf ſeinen Nummer-Ruf dort an und ſchleuderte die Kugel vorwärts. Als der Großknecht des Deichgrafen dem Wurfe zuſehen wollte, hatte er an Elke Volkerts vorbei müſſen: Wem zu Liebe ließeſt Du heut 'Deinen Verſtand zu Hauſe? raunte ſie ihm zu.

Da ſah er ſie faſt grimmig an, und aller Spaß war aus ſeinem breiten Geſichte verſchwunden. Dir zu Lieb! ſagte er; Denn Du haſt Deinen auch vergeſſen!

Geh 'nur; ich kenne Dich, Ole Peters! erwiderte das Mädchen ſich hoch aufrichtend; er aber kehrte den Kopf ab und that, als habe er das nicht gehört.

Und das Spiel und der ſchwarze und der weiße Stab gingen weiter. Als Hauke wieder am Wurf war, flog ſeine Kugel ſchon ſo weit, daß63 das Ziel, die große weiß gekalkte Tonne, klar in Sicht kam. Er war jetzt ein feſter junger Kerl, und Mathematik und Wurfkunſt hatte er täglich während ſeiner Knabenzeit getrieben. Oho, Hauke! rief es aus dem Haufen; das war ja, als habe der Erzengel Michael ſelbſt geworfen! Eine alte Frau mit Kuchen und Branntwein drängte ſich durch den Haufen zu ihm; ſie ſchenkte ein Glas voll und bot es ihm: Komm, ſagte ſie, wir wollen uns vertragen: das heut 'iſt beſſer, als da Du mir die Katze todtſchlugſt! Als er ſie anſah, erkannte er, daß es Trien' Jans war. Ich dank 'Dir, Alte, ſagte er; aber ich trink' das nicht. Er griff in ſeine Taſche und drückte ihr ein friſch - geprägtes Markſtück in die Hand: Nimm das und trink 'ſelber das Glas aus, Trien'; ſo haben wir uns vertragen!

Haſt recht, Hauke! erwiderte die Alte, indem ſie ſeiner Anweiſung folgte; haſt recht; das iſt auch beſſer für ein altes Weib, wie ich!

Wie geht's mit Deinen Enten? rief er ihr noch nach, als ſie ſich ſchon mit ihrem Korbe fortmachte; aber ſie ſchüttelte nur den Kopf, ohne ſich umzuwenden, und patſchte mit ihren alten64 Händen in die Luft. Nichts, nichts, Hauke; da ſind zu viele Ratten in Euren Gräben; Gott tröſt 'mich; man muß ſich anders nähren! Und ſomit drängte ſie ſich in den Menſchenhaufen und bot wieder ihren Schnaps und ihre Honig - kuchen an.

Die Sonne war endlich ſchon hinter den Deich hinabgeſunken; ſtatt ihrer glimmte ein rothvioletter Schimmer empor; mitunter flogen ſchwarze Krähen vorüber und waren auf Augenblicke wie vergoldet, es wurde Abend. Auf den Fennen aber rückte der dunkle Menſchentrupp noch immer weiter von den ſchwarzen ſchon fern liegenden Häuſern nach der Tonne zu; ein beſonders tüchtiger Wurf mußte ſie jetzt erreichen können. Die Marſchleute waren an der Reihe; Hauke ſollte werfen.

Die kreidige Tonne zeichnete ſich weiß in dem breiten Abendſchatten, der jetzt von dem Deiche über die Fläche fiel. Die werdet Ihr uns diesmal wohl noch laſſen! rief einer von den Geeſtleuten; denn es ging ſcharf her; ſie waren um mindeſtens ein halb Stieg Fuß im Vortheil.

Die hagere Geſtalt des Genannten trat eben aus der Menge; die grauen Augen ſahen aus dem65 langen Frieſengeſicht vorwärts nach der Tonne; in der herabhängenden Hand lag die Kugel.

Der Vogel iſt Dir wohl zu groß, hörte er in dieſem Augenblicke Ole Peters Knarrſtimme dicht vor ſeinen Ohren: Sollen wir ihn um einen grauen Topf vertauſchen?

Hauke wandte ſich und blickte ihn mit feſten Augen an: Ich werfe für die Marſch! ſagte er. Wohin gehörſt denn Du?

Ich denke, auch dahin; Du wirfſt doch wohl für Elke Volkerts!

Beiſeit! ſchrie Hauke und ſtellte ſich wieder in Poſitur. Aber Ole drängte mit dem Kopf noch näher auf ihn zu. Da plötzlich, bevor noch Hauke ſelber etwas dagegen unternehmen konnte, packte den Zudringlichen eine Hand und riß ihn rück - wärts, daß der Burſche gegen ſeine lachenden Kameraden taumelte. Es war keine große Hand geweſen, die das gethan hatte; denn als Hauke flüchtig den Kopf wandte, ſah er neben ſich Elke Volkerts ihren Aermel zurecht zupfen, und die dunkeln Brauen ſtanden ihr wie zornig in dem heißen Antlitz.

Da flog es wie eine Stahlkraft in Hauke'sTheodor Storm, Der Schimmelreiter. 566Arm; er neigte ſich ein wenig, er wiegte die Kugel ein paarmal in der Hand; dann holte er aus, und eine Todesſtille war auf beiden Seiten; alle Augen folgten der fliegenden Kugel, man hörte ihr Sauſen, wie ſie die Luft durchſchnitt; plötzlich, ſchon weit vom Wurfplatz, verdeckten ſie die Flügel einer Silbermöve, die ihren Schrei ausſtoßend vom Deich herüber kam; zugleich aber hörte man es in der Ferne an die Tonne klatſchen. Hurrah für Hauke! riefen die Marſchleute und lärmend ging es durch die Menge: Hauke! Hauke Haien hat das Spiel gewonnen!

Der aber, da ihn Alle dicht umdrängten, hatte ſeitwärts nur nach einer Hand gegriffen; auch da ſie wieder riefen: Was ſtehſt Du, Hauke? Die Kugel liegt ja in der Tonne! nickte er nur und ging nicht von der Stelle; erſt als er fühlte, daß ſich die kleine Hand feſt an die ſeine ſchloß, ſagte er: Ihr mögt ſchon recht haben; ich glaube auch, ich hab 'gewonnen!

Dann ſtrömte der ganze Trupp zurück, und Elke und Hauke wurden getrennt und von der Menge auf den Weg zum Kruge fortgeriſſen, der an des Deichgrafen Werfte nach der Geeſt67 hinaufbog. Hier aber entſchlüpften Beide dem Gedränge, und während Elke auf ihre Kammer ging, ſtand Hauke hinten vor der Stallthür auf der Werfte und ſah, wie der dunkle Menſchen - trupp allmälig nach dort hinaufwanderte, wo im Kirchſpielskrug ein Raum für die Tanzenden bereit ſtand. Das Dunkel breitete ſich allmälig über die weite Gegend; es wurde immer ſtiller um ihn her, nur hinter ihm im Stalle regte ſich das Vieh; oben von der Geeſt her glaubte er ſchon das Pfeifen der Clarinetten aus dem Kruge zu vernehmen. Da hörte er um die Ecke des Hauſes das Rauſchen eines Kleides, und kleine feſte Schritte gingen den Fußſteig hinab, der durch die Fennen nach der Geeſt hinaufführte. Nun ſah er auch im Dämmer die Geſtalt dahinſchreiten und ſah, daß es Elke war; ſie ging auch zum Tanze nach dem Krug. Das Blut ſchoß ihm in den Hals hinauf; ſollte er ihr nicht nachlaufen und mit ihr gehen? Aber Hauke war kein Held den Frauen gegenüber; mit dieſer Frage ſich beſchäftigend blieb er ſtehen, bis ſie im Dunkel ſeinem Blick ent - ſchwunden war.

Dann, als die Gefahr ſie einzuholen vorüber5 *68war, ging auch er denſelben Weg, bis er droben den Krug bei der Kirche erreicht hatte, und das Schwatzen und Schreien der vor dem Hauſe und auf dem Flur ſich Drängenden und das Schrillen der Geigen und Clarinetten betäubend ihn um - rauſchte. Unbeachtet drückte er ſich in den Gilde - ſaal; er war nicht groß und ſo voll, daß man kaum einen Schritt weit vor ſich hinſehen konnte. Schweigend ſtellte er ſich an den Thürpfoſten und blickte in das unruhige Gewimmel; die Menſchen kamen ihm wie Narren vor; er hatte auch nicht zu ſorgen, daß Jemand noch an den Kampf des Nachmittages dachte, und wer vor einer Stunde erſt das Spiel gewonnen hatte; jeder ſah nur auf ſeine Dirne und drehte ſich mit ihr im Kreis herum. Seine Augen ſuchten nur die Eine, und endlich dort! Sie tanzte mit ihrem Vetter, dem jungen Deichgevollmächtigten; aber ſchon ſah er ſie nicht mehr; nur andere Dirnen aus Marſch und Geeſt, die ihn nicht kümmerten. Dann ſchnappten Violinen und Clarinetten plötzlich ab, und der Tanz war zu Ende; aber gleich begann auch ſchon ein anderer. Hauke flog es durch den Kopf, ob denn Elke ihm auch Wort halten, ob69 ſie nicht mit Ole Peters ihm vorbeitanzen werde. Faſt hätte er einen Schrei bei dem Gedanken aus - geſtoßen; dann ja, was wollte er dann? Aber ſie ſchien bei dieſem Tanze gar nicht mit - zuhalten, und endlich ging auch der zu Ende, und ein anderer, ein Zweitritt, der eben erſt hier in die Mode gekommen war, folgte. Wie raſend ſetzte die Muſik ein, die jungen Kerle ſtürzten zu den Dirnen, die Lichter an den Wänden flirrten. Hauke reckte ſich faſt den Hals aus, um die Tanzenden zu erkennen; und dort, im dritten Paare, das war Ole Peters; aber wer war die Tänzerin? Ein breiter Marſchburſche ſtand vor ihr und deckte ihr Geſicht! Doch der Tanz raſ'te weiter, und Ole mit ſeiner Partnerin drehte ſich heraus; Vollina! Vollina Harders! rief Hauke faſt laut und ſeufzte dann gleich wieder erleichtert auf. Aber wo blieb Elke? Hatte ſie keinen Tänzer, oder hatte ſie alle ausgeſchlagen, weil ſie nicht mit Ole hatte tanzen wollen? Und die Muſik ſetzte wieder ab, und ein neuer Tanz begann; aber wieder ſah er Elke nicht! Doch dort kam Ole, noch immer die dicke Vollina in den Armen! Nun, nun, ſagte Hauke; da wird Jeß Harders mit70 ſeinen fünfundzwanzig Demath auch wohl bald aufs Altentheil müſſen! Aber wo iſt Elke?

Er verließ ſeinen Thürpfoſten und drängte ſich weiter in den Saal hinein; da ſtand er plötzlich vor ihr, die mit einer älteren Freundin in einer Ecke ſaß. Hauke! rief ſie, mit ihrem ſchmalen Antlitz zu ihm aufblickend; biſt Du hier? Ich ſah Dich doch nicht tanzen!

Ich tanzte auch nicht, erwiderte er.

Weshalb nicht, Hauke? und ſich halb erhebend, ſetzte ſie hinzu: Willſt Du mit mir tanzen? Ich hab 'es Ole Peters nicht gegönnt; der kommt nicht wieder!

Aber Hauke machte keine Anſtalt: Ich danke, Elke, ſagte er; ich verſtehe das nicht gut genug; ſie könnten über Dich lachen; und dann ... er ſtockte plötzlich und ſah ſie nur aus ſeinen grauen Augen herzlich an, als ob er's ihnen über - laſſen müſſe, das Uebrige zu ſagen.

Was meinſt Du, Hauke? frug ſie leiſe.

Ich mein ', Elke, es kann ja doch der Tag nicht ſchöner für mich ausgeh'n, als er's ſchon gethan hat.

Ja, ſagte ſie, Du haſt das Spiel gewonnen.

71

Elke! mahnte er kaum hörbar.

Da ſchlug ihr eine heiße Lohe in das An - geſicht: Geh! ſagte ſie; was willſt Du? und ſchlug die Augen nieder.

Als aber die Freundin jetzt von einem Burſchen zum Tanze fortgezogen wurde, ſagte Hauke lauter: Ich dachte, Elke, ich hätt 'was Beſſeres gewonnen!

Noch ein paar Augenblicke ſuchten ihre Augen auf dem Boden; dann hob ſie ſie langſam, und ein Blick, mit der ſtillen Kraft ihres Weſens, traf in die ſeinen, der ihn wie Sommerluft durch - ſtrömte. Thu ', wie Dir ums Herz iſt, Hauke! ſprach ſie; wir ſollten uns wohl kennen!

Elke tanzte an dieſem Abend nicht mehr, und als Beide dann nach Hauſe gingen, hatten ſie ſich Hand in Hand gefaßt; aus der Himmelshöhe funkelten die Sterne über der ſchweigenden Marſch; ein leichter Oſtwind wehte und brachte ſtrenge Kälte; die Beiden aber gingen, ohne viel Tücher und Umhang, dahin, als ſei es plötzlich Frühling worden.

Hauke hatte ſich auf ein Ding beſonnen, deſſen paſſende Verwendung zwar in ungewiſſer72 Zukunft lag, mit dem er ſich aber eine ſtille Feier zu bereiten gedachte. Deshalb ging er am nächſten Sonntag in die Stadt zum alten Goldſchmied Anderſen und beſtellte einen ſtarken Goldring. Streckt den Finger her, damit wir meſſen! ſagte der Alte und faßte ihm nach dem Goldfinger. Nun, meinte er, der iſt nicht gar ſo dick, wie ſie bei Euch Leuten ſonſt zu ſein pflegen! Aber Hauke ſagte: Meſſet lieber am kleinen Finger! und hielt ihm den entgegen.

Der Goldſchmied ſah ihn etwas verdutzt an; aber was kümmerten ihn die Einfälle der jungen Bauernburſchen: Da werden wir ſchon ſo einen unter den Mädchenringen haben! ſagte er, und Hauke ſchoß das Blut durch beide Wangen. Aber der kleine Goldring paßte auf ſeinen kleinen Finger, und er nahm ihn haſtig und bezahlte ihn mit blankem Silber; dann ſteckte er ihn unter lautem Herzklopfen, und als ob er einen feierlichen Act begehe, in die Weſtentaſche. Dort trug er ihn ſeit - dem an jedem Tage mit Unruhe und doch mit Stolz, als ſei die Weſtentaſche nur dazu da, um einen Ring darin zu tragen.

Er trug ihn ſo über Jahr und Tag, ja der73 Ring mußte ſogar aus dieſer noch in eine neue Weſtentaſche wandern; die Gelegenheit zu ſeiner Befreiung hatte ſich noch immer nicht ergeben wollen. Wohl war's ihm durch den Kopf geflogen, nur graden Wegs vor ſeinen Wirth hinzutreten; ſein Vater war ja doch auch ein Eingeſeſſener! Aber wenn er ruhiger wurde, dann wußte er wohl, der alte Deichgraf würde ſeinen Kleinknecht ausgelacht haben. Und ſo lebten er und des Deichgrafen Tochter neben einander hin; auch ſie in mädchen - haftem Schweigen, und Beide doch, als ob ſie all - zeit Hand in Hand gingen.

Ein Jahr nach jenem Winterfeſttag hatte Ole Peters ſeinen Dienſt gekündigt und mit Vollina Harders Hochzeit gemacht; Hauke hatte recht ge - habt: der Alte war auf Altentheil gegangen, und ſtatt der dicken Tochter ritt nun der muntere Schwiegerſohn die gelbe Stute in die Fenne und, wie es hieß, rückwärts allzeit gegen den Deich hinan. Hauke war Großknecht geworden, und ein Jüngerer an ſeine Stelle getreten; wohl hatte der Deichgraf ihn erſt nicht wollen aufrücken laſſen. Kleinknecht iſt beſſer! hatte er gebrummt; ich brauch 'ihn hier bei meinen Büchern! Aber Elke74 hatte ihm vorgehalten: dann geht auch Hauke, Vater! Da war dem Alten bange geworden, und Hauke war zum Großknecht aufgerückt, hatte aber trotz deſſen nach wie vor auch an der Deichgraf - ſchaft mitgeholfen.

Nach einem andern Jahr aber begann er gegen Elke davon zu reden, ſein Vater werde kümmer - lich, und die paar Tage, die der Wirth ihn im Sommer in deſſen Wirthſchaft laſſe, thäten's nun nicht mehr; der Alte quäle ſich, er dürfe das nicht länger anſeh'n. Es war ein Sommerabend; die beiden ſtanden im Dämmerſchein unter der großen Eſche vor der Hausthür. Das Mädchen ſah eine Weile ſtumm in die Zweige des Baumes hinauf; dann entgegnete ſie: Ich hab's nicht ſagen wollen, Hauke; ich dachte, Du würdeſt ſelber wohl das Rechte treffen.

Ich muß dann fort aus Eurem Hauſe, ſagte er, und kann nicht wiederkommen.

Sie ſchwiegen eine Weile und ſahen in das Abendroth, das drüben hinterm Deiche in das Meer verſank. Du mußt es wiſſen, ſagte ſie; ich war heut 'Morgen noch bei Deinem Vater und fand ihn in ſeinem Lehnſtuhl eingeſchlafen;75 die Reißfeder in der Hand, das Reißbrett mit einer halben Zeichnung lag vor ihm auf dem Tiſch; und da er erwacht war und mühſam ein Viertelſtündchen mit mir geplaudert hatte, und ich nun gehen wollte, da hielt er mich ſo angſt - voll an der Hand zurück, als fürchte er, es ſei zum letzten Mal; aber ...

Was aber, Elke? frug Hauke, da ſie fort - zufahren zögerte.

Ein paar Thränen rannen über die Wangen des Mädchens. Ich dachte nur an meinen Vater, ſagte ſie; glaub 'mir, es wird ihn ſchwer an - kommen, Dich zu miſſen. Und als ob ſie zu dem Worte ſich ermannen müſſe, fügte ſie hinzu: Mir iſt es oft, als ob auch er auf ſeine Todtenkammer rüſte.

Hauke antwortete nicht; ihm war es plötzlich, als rühre ſich der Ring in ſeiner Taſche; aber noch bevor er ſeinen Unmuth über dieſe un - willkürliche Lebensregung unterdrückt hatte, fuhr Elke fort: Nein, zürn 'nicht, Hauke! Ich trau', Du wirſt auch ſo uns nicht verlaſſen!

Da ergriff er eifrig ihre Hand, und ſie ent - zog ſie ihm nicht. Noch eine Weile ſtanden die76 jungen Menſchen in dem ſinkenden Dunkel bei einander, bis ihre Hände auseinanderglitten, und jedes ſeine Wege ging. Ein Windſtoß fuhr empor und rauſchte durch die Eſchenblätter und machte die Läden klappern, die an der Vorderſeite des Hauſes waren; allmälig aber kam die Nacht, und Stille lag über der ungeheueren Ebene.

Durch Elke's Zuthun war Hauke von dem alten Deichgrafen ſeines Dienſtes entlaſſen worden, obgleich er ihm rechtzeitig nicht gekündigt hatte, und zwei neue Knechte waren jetzt im Hauſe. Noch ein paar Monate weiter, dann ſtarb Tede Haien; aber bevor er ſtarb, rief er den Sohn an ſeine Lagerſtatt: Setz 'Dich zu mir, mein Kind, ſagte der Alte mit matter Stimme, dicht zu mir! Du brauchſt Dich nicht zu fürchten; wer bei mir iſt, das iſt nur der dunkle Engel des Herrn, der mich zu rufen kommt.

Und der erſchütterte Sohn ſetzte ſich dicht an das dunkle Wandbett: Sprecht Vater, was Ihr noch zu ſagen habt!

Ja, mein Sohn, noch Etwas, ſagte der Alte und ſtreckte ſeine Hände über das Deckbett. 77 Als Du, noch ein halber Junge, zu dem Deich - grafen in Dienſt gingſt, da lag's in Deinem Kopf, das ſelbſt einmal zu werden. Das hatte mich an - geſteckt, und ich dachte auch allmälig, Du ſeieſt der rechte Mann dazu. Aber Dein Erbe war für ſolch ein Amt zu klein ich habe während Deiner Dienſtzeit knapp gelebt ich dacht 'es zu ver - mehren.

Hauke faßte heftig ſeines Vaters Hände, und der Alte ſuchte ſich aufzurichten, daß er ihn ſehen könne. Ja, ja, mein Sohn, ſagte er, dort in der oberſten Schublade der Schatulle liegt das Document. Du weißt, die alte Antje Wohlers hat eine Fenne von fünf und einem halben Demath; aber ſie konnte mit dem Miethgelde allein in ihrem krüppelhaften Alter nicht mehr durch - finden; da habe ich allzeit um Martini eine beſtimmte Summe, und auch mehr, wenn ich es hatte, dem armen Menſch gegeben; und dafür hat ſie die Fenne mir übertragen; es iſt Alles gerichtlich fertig. Nun liegt auch ſie am Tode; die Krankheit unſerer Marſchen, der Krebs, hat ſie befallen; Du wirſt nicht mehr zu zahlen brauchen!

78

Eine Weile ſchloß er die Augen; dann ſagte er noch: Es iſt nicht viel; doch haſt Du mehr dann, als Du bei mir gewohnt warſt. Mög 'es Dir zu Deinem Erdenleben dienen!

Unter den Dankesworten des Sohnes ſchlief der Alte ein. Er hatte nichts mehr zu beſorgen; und ſchon nach einigen Tagen hatte der dunkle Engel des Herrn ihm ſeine Augen für immer zu - gedrückt, und Hauke trat ſein väterliches Erbe an.

Am Tage nach dem Begräbniß kam Elke in deſſen Haus. Dank, daß Du einguckſt, Elke! rief Hauke ihr als Gruß entgegen.

Aber ſie erwiderte: Ich guck 'nicht ein; ich will bei Dir ein wenig Ordnung ſchaffen, damit Du ordentlich in Deinem Hauſe wohnen kannſt! Dein Vater hat vor ſeinen Zahlen und Riſſen nicht viel um ſich geſehen, und auch der Tod ſchafft Wirrſal; ich will's Dir wieder ein wenig lebig machen!

Er ſah aus ſeinen grauen Augen voll Ver - trauen auf ſie hin: So ſchaff 'nur Ordnung! ſagte er; ich hab's auch lieber.

Und dann begann ſie aufzuräumen: das Reiß - brett, das noch da lag, wurde abgeſtäubt und auf79 den Boden getragen; Reißfedern und Bleiſtift und Kreide ſorgfältig in einer Schatullen-Schublade weggeſchloſſen; dann wurde die junge Dienſtmagd zur Hülfe hereingerufen, und mit ihr das Geräthe der ganzen Stube in eine andere und beſſere Stellung gebracht, ſo daß es anſchien, als ſei die - ſelbe nun heller und größer geworden. Lächelnd ſagte Elke: das können nur wir Frauen! und Hauke, trotz ſeiner Trauer um den Vater, hatte mit glücklichen Augen zugeſehen; auch wohl ſelber, wo es nöthig war, geholfen.

Und als gegen die Dämmerung es war zu Anfang des Septembers Alles war, wie ſie es für ihn wollte, faßte ſie ſeine Hand und nickte ihm mit ihren dunkeln Augen zu: Nun komm und bei uns zu Abend; denn meinem Vater hab 'ich's verſprechen müſſen, Dich mitzubringen; wenn Du dann heimgehſt, kannſt Du ruhig in Dein Haus treten!

Als ſie dann in die geräumige Wohnſtube des Deichgrafen traten, wo bei verſchloſſenen Läden ſchon die beiden Lichter auf dem Tiſche brannten, wollte dieſer aus ſeinem Lehnſtuhl in die Höhe, aber mit ſeinem ſchweren Körper zurückſinkend,80 rief er nur ſeinem früheren Knecht entgegen: Recht, recht, Hauke, daß Du Deine alten Freunde auf - ſuchſt! Komm nur näher, immer näher! Und als Hauke an ſeinen Stuhl getreten war, faßte er deſſen Hand mit ſeinen beiden runden Händen: Nun, nun, mein Junge; ſagte er, ſei nur ruhig jetzt; denn ſterben müſſen wir Alle, und Dein Vater war keiner von den Schlechtſten! Aber Elke, nun ſorg ', daß Du den Braten auf den Tiſch kriegſt; wir müſſen uns ſtärken! Es gibt viel Arbeit für uns, Hauke! Die Herbſtſchau iſt in Anmarſch; Deich - und Sielrechnungen haushoch; der neuliche Deichſchaden am Weſterkoog ich weiß nicht, wo mir der Kopf ſteht; aber Deiner, Gott Lob, iſt um ein gut Stück jünger; Du biſt ein braver Junge, Hauke!

Und nach dieſer langen Rede, womit der Alte ſein ganzes Herz dargelegt hatte, ließ er ſich in ſeinen Stuhl zurückfallen und blinzelte ſehn - ſüchtig nach der Thür, durch welche Elke eben mit der Bratenſchüſſel hereintrat. Hauke ſtand lächelnd neben ihm. Nun ſetz 'Dich, ſagte der Deich - graf, damit wir nicht unnöthig Zeit verſpillen; kalt ſchmeckt das nicht!

81

Und Hauke ſetzte ſich; es ſchien ihm Selbſt - verſtand, die Arbeit von Elke's Vater mitzuthun. Und als die Herbſtſchau dann gekommen war, und ein paar Monde mehr ins Jahr gingen, da hatte er freilich auch den beſten Theil daran gethan.

Der Erzähler hielt inne und blickte um ſich. Ein Mövenſchrei war gegen das Fenſter geſchlagen, und draußen vom Hausflur aus wurde ein Trampeln hörbar, als ob einer den Klei von ſeinen ſchweren Stiefeln abtrete.

Deichgraf und Gevollmächtigte wandten die Köpfe gegen die Stubenthür. Was iſt? rief der Erſtere.

Ein ſtarker Mann, den Südweſter auf dem Kopf, war eingetreten. Herr, ſagte er, wir Beide haben es geſehen, Hans Nickels und ich: der Schimmelreiter hat ſich in den Bruch geſtürzt!

Wo ſaht Ihr das? frug der Deichgraf.

Es iſt ja nur die eine Wehle; in Janſens Fenne, wo der Hauke-Haienkoog beginnt.

Saht Ihr's nur einmal?

Nur einmal; es war auch nur wieTheodor Storm, Der Schimmelreiter. 682Schatten; aber es braucht drum nicht das erſte Mal geweſen zu ſein.

Der Deichgraf war aufgeſtanden. Sie wollen entſchuldigen, ſagte er, ſich zu mir wendend, wir müſſen draußen nachſehn, wo das Unheil hin will! Dann ging er mit dem Boten zur Thür hinaus; aber auch die übrige Geſellſchaft brach auf und folgte ihm.

Ich blieb mit dem Schullehrer allein in dem großen öden Zimmer; durch die unverhangenen Fenſter, welche nun nicht mehr durch die Rücken der davor ſitzenden Gäſte verdeckt wurden, ſah man frei hinaus, und wie der Sturm die dunklen Wolken über den Himmel jagte. Der Alte ſaß noch auf ſeinem Platze, ein überlegenes, faſt mit - leidiges Lächeln auf ſeinen Lippen. Es iſt hier zu leer geworden, ſagte er; darf ich Sie zu mir auf mein Zimmer laden? Ich wohne hier im Hauſe; und glauben Sie mir, ich kenne die Wetter hier am Deich; für uns iſt nichts zu fürchten.

Ich nahm das dankend an; denn auch mich wollte hier zu fröſteln anfangen, und wir ſtiegen unter Mitnahme eines Lichtes die Stiegen zu einer Giebelſtube hinauf, die zwar gleichfalls gegen Weſten83 hinauslag, deren Fenſter aber jetzt mit dunklen Wollteppichen verhangen waren. In einem Bücher - regal ſah ich eine kleine Bibliothek, daneben die Porträte zweier alter Profeſſoren; vor einem Tiſche ſtand ein großer Ohrenlehnſtuhl. Machen Sie ſich's bequem! ſagte mein freundlicher Wirth und warf einige Torf in den noch glimmenden kleinen Ofen, der oben von einem Blechkeſſel gekrönt war. Nur noch ein Weilchen! Er wird bald ſauſen; dann brau 'ich uns ein Gläschen Grog; das hält Sie munter!

Deſſen bedarf es nicht, ſagte ich; ich werd 'nicht ſchläfrig, wenn ich Ihren Hauke auf ſeinem Lebensweg begleite!

Meinen Sie? und er nickte mit ſeinen klugen Augen zu mir herüber, nachdem ich behaglich in ſeinem Lehnſtuhl untergebracht war. Nun, wo blieben wir denn? Ja, ja; ich weiß ſchon! Alſo:

Hauke hatte ſein väterliches Erbe angetreten, und da die alte Antje Wohlers auch ihrem Leiden erlegen war, ſo hatte deren Fenne es vermehrt. Aber ſeit dem Tode, oder, richtiger, ſeit den letzten Worten ſeines Vaters war in ihm Etwas6 *84aufgewachſen, deſſen Keim er ſchon ſeit ſeiner Knaben - zeit in ſich getragen hatte; er wiederholte es ſich mehr als zu oft, er ſei der rechte Mann, wenn's einen neuen Deichgrafen geben müſſe. Das war es; ſein Vater, der es verſtehen mußte, der ja der klügſte Mann im Dorf geweſen war, hatte ihm dieſes Wort wie eine letzte Gabe ſeinem Erbe bei - gelegt; die Wohler'ſche Fenne, die er ihm auch verdankte, ſollte den erſten Trittſtein zu dieſer Höhe bilden! Denn, freilich, auch mit dieſer ein Deich - graf mußte noch einen andern Grundbeſitz auf - weiſen können! Aber ſein Vater hatte ſich einſame Jahre knapp beholfen, und mit dem, was er ſich entzogen hatte, war er des neuen Beſitzes Herr geworden; das konnte er auch, er konnte noch mehr; denn ſeines Vaters Kraft war ſchon verbraucht geweſen, er aber konnte noch jahrelang die ſchwerſte Arbeit thun! Freilich, wenn er es dadurch nach dieſer Seite hin erzwang, durch die Schärfen und Spitzen, die er der Verwaltung ſeines alten Dienſtherrn zugeſetzt hatte, war ihm eben keine Freundſchaft im Dorf zu Wege gebracht worden, und Ole Peters, ſein alter Widerſacher, hatte jüngſthin eine Erbſchaft gethan und begann85 ein wohlhabender Mann zu werden! Eine Reihe von Geſichtern ging vor ſeinem innern Blick vor - über, und ſie ſahen ihn alle mit böſen Augen an; da faßte ihn ein Groll gegen dieſe Menſchen, er ſtreckte die Arme aus, als griffe er nach ihnen; denn ſie wollten ihn vom Amte drängen, zu dem von allen nur er berufen war. Und die Ge - danken ließen ihn nicht; ſie waren immer wieder da, und ſo wuchſen in ſeinem jungen Herzen neben der Ehrenhaftigkeit und Liebe auch die Ehrſucht und der Haß. Aber dieſe Beiden verſchloß er tief in ſeinem Innern; ſelbſt Elke ahnte nichts davon.

Als das neue Jahr gekommen war, gab es eine Hochzeit; die Braut war eine Verwandte von den Haiens, und Hauke und Elke waren Beide dort geladene Gäſte; ja, bei dem Hochzeit - eſſen traf es ſich durch das Ausbleiben eines näheren Verwandten, daß ſie ihre Plätze neben einander fanden. Nur ein Lächeln, das über Beider Antlitz glitt, verrieth ihre Freude darüber. Aber Elke ſaß heute theilnahmlos in dem Geräuſche des Plauderns und Gläſerklirrens

Fehlt Dir etwas? frug Hauke.

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O, eigentlich nichts; es ſind mir nur zu viele Menſchen hier.

Aber Du ſiehſt ſo traurig aus!

Sie ſchüttelte den Kopf; dann ſprachen ſie wieder nicht.

Da ſtieg es über ihr Schweigen wie Eiferſucht in ihm auf, und heimlich unter dem überhängenden Tiſchtuch ergriff er ihre Hand; aber ſie zuckte nicht, ſie ſchloß ſich wie vertrauensvoll um ſeine. Hatte ein Gefühl der Verlaſſenheit ſie befallen, da ihre Augen täglich