PRIMS Full-text transcription (HTML)
[II][III]
Der Schimmelreiter.
Novelle
[figure]
Berlin. Verlag von Gebrüder Paetel. 1888.
[IV][V]

Meinem Sohn Ernſt Storm, Rechtsanwalt und Notar in Huſum zugeeignet.

[VI][VII]

Für binnenländiſche Leſer.

  • Schlick, der graue Thon des Meerbodens, der bei der Ebbe bloßgelegt wird.
  • Marſch, dem Meere abgewonnenes Land, deſſen Boden der feſtgewordene Schlick, der Klei, bildet.
  • Geeſt, das höhere Land im Gegenſatz zur Marſch.
  • Haf, das Meer.
  • Fenne, ein durch Gräben eingehegtes Stück Marſchland.
  • Springfluthen, die erſten nach Voll - und Neumond ein - tretenden Fluthen.
  • Werfte, zum Schutze gegen Waſſergefahr aufgeworfener Erdhügel in der Marſch, worauf die Gebäude, auch wohl Dörfer liegen.
  • Hallig, kleine unbedeichte Inſel.
  • Profil, das Bild des Deiches bei einem Quer - oder Längenſchnitt.
  • Doſſirung (oder Böſchung), die Abfall-Linie des Deiches.
  • Intereſſenten, die wegen Landbeſitz bei den Deichen intereſſirt ſind.
  • Beſtickung, Belegung und Beſteckung mit Stroh bei friſchen Deichſtrecken.
  • Vorland, der Theil des Feſtlandes vor den Deichen.
VIII
  • Koog, ein durch Eindeichung dem Meere abgewonnener Landbezirk.
  • Priehl, Waſſerlauf in den Watten und Außendeichen.
  • Watten, von der Fluth beſpülte Schlick - und Sandſtrecken an der Nordſee.
  • Demath, ein Landmaaß in der Marſch.
  • Peſel, ein für außerordentliche Gelegenheiten beſtimmtes Gemach, in den Marſchen gewöhnlich neben der Wohn - ſtube.
  • Lahnungen, Zäune von Buſchwerk, die zur beſſeren An - ſchlickung vom Strande in die Watten hinausgeſteckt werden.

Was ich zu berichten beabſichtige, iſt mir vor reichlich einem halben Jahrhundert im Hauſe meiner Urgroßmutter, der alten Frau Senator Fedderſen, kund geworden, während ich, an ihrem Lehnſtuhl ſitzend, mich mit dem Leſen eines in blaue Pappe eingebundenen Zeitſchriftenheftes beſchäftigte; ich vermag mich nicht mehr zu entſinnen, ob von den Leipziger oder von Pappes Hamburger Leſe - früchten. Noch fühl 'ich es gleich einem Schauer, wie dabei die linde Hand der über Achtzigjährigen mitunter liebkoſend über das Haupthaar ihres Ur - enkels hinglitt. Sie ſelbſt und jene Zeit ſind längſt begraben; vergebens auch habe ich ſeitdem jenen Blättern nachgeforſcht, und ich kann daher um ſo weniger weder die Wahrheit der Thatſachen ver - bürgen, als, wenn Jemand ſie beſtreiten wollte, dafür aufſtehen; nur ſo viel kann ich verſichern, daß ich ſie ſeit jener Zeit, obgleich ſie durch keinenTheodor Storm, Der Schimmelreiter. 12äußeren Anlaß in mir aufs Neue belebt wurden, niemals aus dem Gedächtniß verloren habe.

Es war im dritten Jahrzehnt unſeres Jahr - hunderts, an einem October-Nachmittag ſo begann der damalige Erzähler als ich bei ſtarkem Unwetter auf einem nordfrieſiſchen Deich entlang ritt. Zur Linken hatte ich jetzt ſchon ſeit über einer Stunde die öde, bereits von allem Vieh ge - leerte Marſch, zur Rechten, und zwar in unbe - haglichſter Nähe, das Wattenmeer der Nordſee; zwar ſollte man vom Deiche aus auf Halligen und Inſeln ſehen können; aber ich ſah nichts als die gelbgrauen Wellen, die unaufhörlich wie mit Wuth - gebrüll an den Deich hinaufſchlugen und mitunter mich und das Pferd mit ſchmutzigem Schaum be - ſpritzten; dahinter wüſte Dämmerung, die Himmel und Erde nicht unterſcheiden ließ; denn auch der halbe Mond, der jetzt in der Höhe ſtand, war meiſt von treibendem Wolkendunkel überzogen. Es war eiskalt; meine verklommenen Hände konnten kaum den Zügel halten, und ich verdachte es nicht den Krähen und Möven, die ſich fortwährend krächzend und gackernd vom Sturm ins Land3 hinein treiben ließen. Die Nachtdämmerung hatte begonnen, und ſchon konnte ich nicht mehr mit Sicherheit die Hufen meines Pferdes erkennen; keine Menſchenſeele war mir begegnet, ich hörte nichts als das Geſchrei der Vögel, wenn ſie mich oder meine treue Stute faſt mit den langen Flügeln ſtreiften, und das Toben von Wind und Waſſer. Ich leugne nicht, ich wünſchte mich mitunter in ſicheres Quartier.

Das Wetter dauerte jetzt in den dritten Tag, und ich hatte mich ſchon über Gebühr von einem mir beſonders lieben Verwandten auf ſeinem Hofe halten laſſen, den er in einer der nördlicheren Harden beſaß. Heute aber ging es nicht länger; ich hatte Geſchäfte in der Stadt, die auch jetzt wohl noch ein paar Stunden weit nach Süden vor mir lag, und trotz aller Ueberredungskünſte des Vetters und ſeiner lieben Frau, trotz der ſchönen ſelbſtgezogenen Perinette - und Grand - Richard-Aepfel, die noch zu probiren waren, am Nachmittag war ich davongeritten. Wart 'nur, bis Du ans Meer kommſt, hatte er noch aus ſeiner Hausthür mir nachgerufen; Du kehrſt noch wieder um; Dein Zimmer wird Dir vorbehalten!

1*4

Und wirklich, einen Augenblick, als eine ſchwarze Wolkenſchicht es pechfinſter um mich machte, und gleichzeitig die heulenden Böen mich ſammt meiner Stute vom Deich herabzudrängen ſuchten, fuhr es mir wohl durch den Kopf: Sei kein Narr! Kehr 'um und ſetz' Dich zu Deinen Freunden ins warme Neſt. Dann aber fiel's mir ein, der Weg zurück war wohl noch länger als der nach meinem Reiſe - ziel; und ſo trabte ich weiter, den Kragen meines Mantels um die Ohren ziehend.

Jetzt aber kam auf dem Deiche etwas gegen mich heran; ich hörte nichts; aber immer deutlicher, wenn der halbe Mond ein karges Licht herabließ, glaubte ich eine dunkle Geſtalt zu erkennen, und bald, da ſie näher kam, ſah ich es, ſie ſaß auf einem Pferde, einem hochbeinigen hageren Schimmel; ein dunkler Mantel flatterte um ihre Schultern, und im Vorbeifliegen ſahen mich zwei brennende Augen aus einem bleichen Antlitz an.

Wer war das? Was wollte der? Und jetzt fiel mir bei, ich hatte keinen Hufſchlag, kein Keuchen des Pferdes vernommen; und Roß und Reiter waren doch hart an mir vorbeigefahren!

In Gedanken darüber ritt ich weiter; aber5 ich hatte nicht lange Zeit zum Denken; ſchon fuhr es von rückwärts wieder an mir vorbei; mir war, als ſtreifte mich der fliegende Mantel, und die Erſcheinung war, wie das erſte Mal, lautlos an mir vorüber geſtoben. Dann ſah ich ſie fern und ferner vor mir; dann war's, als ſäh 'ich plötzlich ihren Schatten an der Binnenſeite des Deiches hinuntergehen.

Etwas zögernd ritt ich hinterdrein. Als ich jene Stelle erreicht hatte, ſah ich hart am Deich im Kooge unten das Waſſer einer großen Wehle blinken ſo nennen ſie dort die Brüche, welche von den Sturmfluthen in das Land geriſſen werden, und die dann meiſt als kleine, aber tiefgründige Teiche ſtehen bleiben.

Das Waſſer war, trotz des ſchützenden Deiches, auffallend unbewegt; der Reiter konnte es nicht getrübt haben; ich ſah nichts weiter von ihm. Aber ein Anderes ſah ich, das ich mit Freuden jetzt begrüßte: vor mir, von unten aus dem Kooge, ſchimmerten eine Menge zerſtreuter Lichtſcheine zu mir herauf; ſie ſchienen aus jenen langgeſtreckten frieſiſchen Häuſern zu kommen, die vereinzelt auf mehr oder minder hohen Werften lagen; dicht vor6 mir aber auf halber Höhe des Binnendeiches lag ein großes Haus derſelben Art; an der Südſeite, rechts von der Hausthür, ſah ich alle Fenſter er - leuchtet; dahinter gewahrte ich Menſchen und glaubte trotz des Sturmes ſie zu hören. Mein Pferd war ſchon von ſelbſt auf den Weg am Deich hinabgeſchritten, der mich vor die Thür des Hauſes führte. Ich ſah wohl, daß es ein Wirthshaus war; denn vor den Fenſtern gewahrte ich die ſogenannten Ricks, das heißt auf zwei Ständern ruhende Balken mit großen eiſernen Ringen, zum Anbinden des Viehes und der Pferde, die hier Halt machten.

Ich band das meine an einen derſelben und überwies es dann dem Knechte, der mir beim Ein - tritt in den Flur entgegenkam. Iſt hier Ver - ſammlung? frug ich ihn, da mir jetzt deutlich ein Geräuſch von Menſchenſtimmen und Gläſer - klirren aus der Stubenthür entgegendrang.

Is wull ſo wat, entgegnete der Knecht auf Plattdeutſch und ich erfuhr nachher, daß dieſes neben dem Frieſiſchen hier ſchon ſeit über hundert Jahren im Schwange geweſen ſei Diekgraf un Gevollmächtigten un wecke von de annern In - treſſenten! Dat is um't hoge Wåter!

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Als ich eintrat, ſah ich etwa ein Dutzend Männer an einem Tiſche ſitzen, der unter den Fenſtern entlang lief; eine Punſchbowle ſtand dar - auf, und ein beſonders ſtattlicher Mann ſchien die Herrſchaft über ſie zu führen.

Ich grüßte und bat, mich zu ihnen ſetzen zu dürfen, was bereitwillig geſtattet wurde. Sie halten hier die Wacht! ſagte ich, mich zu jenem Manne wendend; es iſt bös Wetter draußen; die Deiche werden ihre Noth haben!

Gewiß, erwiderte er; wir, hier an der Oſt - ſeite, aber glauben jetzt außer Gefahr zu ſein; nur drüben an der anderen Seite iſt's nicht ſicher; die Deiche ſind dort meiſt noch mehr nach altem Muſter; unſer Hauptdeich iſt ſchon im vorigen Jahrhundert umgelegt. Uns iſt vorhin da draußen kalt geworden, und Ihnen, ſetzte er hin - zu, wird es ebenſo gegangen ſein; aber wir müſſen hier noch ein paar Stunden aushalten; wir haben ſichere Leute draußen, die uns Bericht erſtatten. Und ehe ich meine Beſtellung bei dem Wirthe machen konnte, war ſchon ein dampfendes Glas mir hingeſchoben.

Ich erfuhr bald, daß mein freundlicher Nachbar8 der Deichgraf ſei; wir waren ins Geſpräch ge - kommen, und ich hatte begonnen, ihm meine ſeltſame Begegnung auf dem Deiche zu erzählen. Er wurde aufmerkſam, und ich bemerkte plötzlich, daß alles Geſpräch umher verſtummt war. Der Schimmel - reiter! rief einer aus der Geſellſchaft, und eine Bewegung des Erſchreckens ging durch die Uebrigen.

Der Deichgraf war aufgeſtanden. Ihr braucht nicht zu erſchrecken, ſprach er über den Tiſch hin; das iſt nicht bloß für uns; anno 17 hat es auch Denen drüben gegolten; mögen ſie auf Alles vor - gefaßt ſein!

Mich wollte nachträglich ein Grauen über - laufen: Verzeiht! ſprach ich, was iſt das mit dem Schimmelreiter?

Abſeits hinter dem Ofen, ein wenig gebückt, ſaß ein kleiner hagerer Mann in einem abgeſchabten ſchwarzen Röcklein; die eine Schulter ſchien ein wenig ausgewachſen. Er hatte mit keinem Worte an der Unterhaltung der Anderen theilgenommen; aber ſeine bei dem ſpärlichen grauen Haupthaar noch immer mit dunklen Wimpern beſäumten Augen zeigten deutlich, daß er nicht zum Schlaf hier ſitze.

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Gegen dieſen ſtreckte der Deichgraf ſeine Hand: Unſer Schulmeiſter, ſagte er mit erhobener Stimme, wird von uns hier Ihnen das am beſten erzählen können; freilich nur in ſeiner Weiſe und nicht ſo richtig, wie zu Haus meine alte Wirth - ſchafterin Antje Vollmers es beſchaffen würde.

Ihr ſcherzet, Deichgraf! kam die etwas kränkliche Stimme des Schulmeiſters hinter dem Ofen hervor, daß Ihr mir Euern dummen Drachen wollt zur Seite ſtellen!

Ja, ja, Schulmeiſter! erwiderte der Andere; aber bei den Drachen ſollen derlei Geſchichten am beſten in Verwahrung ſein!

Freilich! ſagte der kleine Herr; wir ſind hierin nicht ganz derſelben Meinung; und ein überlegenes Lächeln glitt über das feine Geſicht.

Sie ſehen wohl, raunte der Deichgraf mir ins Ohr; er iſt immer noch ein wenig hochmüthig; er hat in ſeiner Jugend einmal Theologie ſtudirt und iſt nur einer verfehlten Brautſchaft wegen hier in ſeiner Heimath als Schulmeiſter behangen geblieben.

Dieſer war inzwiſchen aus ſeiner Ofenecke hervorgekommen und hatte ſich neben mir an den10 langen Tiſch geſetzt. Erzählt, erzählt nur, Schul - meiſter, riefen ein paar der Jüngeren aus der Geſellſchaft.

Nun freilich, ſagte der Alte, ſich zu mir wendend, will ich gern zu Willen ſein; aber es iſt viel Aberglaube dazwiſchen, und eine Kunſt, es ohne dieſen zu erzählen.

Ich muß Euch bitten, den nicht auszulaſſen, erwiderte ich; traut mir nur zu, daß ich ſchon ſelbſt die Spreu vom Weizen ſondern werde!

Der Alte ſah mich mit verſtändnißvollem Lächeln an: Nun alſo! ſagte er. In der Mitte des vorigen Jahrhunderts, oder vielmehr, um genauer zu beſtimmen, vor und nach derſelben, gab es hier einen Deichgrafen, der von Deich - und Sielſachen mehr verſtand, als Bauern und Hof - beſitzer ſonſt zu verſtehen pflegen; aber es reichte doch wohl kaum; denn was die ſtudirten Fachleute darüber niedergeſchrieben, davon hatte er wenig geleſen; ſein Wiſſen hatte er ſich, wenn auch von Kindesbeinen an, nur ſelber ausgeſonnen. Ihr hörtet wohl ſchon, Herr, die Frieſen rechnen gut, und habet auch wohl ſchon über unſeren Hans Mommſen von Fahretoft reden hören, der ein Bauer11 war und doch Bouſſolen und Seeuhren, Teleskopen und Orgeln machen konnte. Nun, ein Stück von ſolch 'einem Manne war auch der Vater des nach - herigen Deichgrafen geweſen; freilich wohl nur ein kleines. Er hatte ein paar Fennen, wo er Rapps und Bohnen baute, auch eine Kuh graſ'te, ging unterweilen im Herbſt und Frühjahr auch aufs Landmeſſen und ſaß im Winter, wenn der Nord - weſt von draußen kam und an ſeinen Läden rüttelte, zu ritzen und zu prickeln, in ſeiner Stube. Der Junge ſaß meiſt dabei und ſah über ſeine Fibel oder Bibel weg dem Vater zu, wie er maß und berechnete, und grub ſich mit der Hand in ſeinen blonden Haaren. Und eines Abends frug er den Alten, warum denn das, was er eben hingeſchrieben hatte, gerade ſo ſein müſſe und nicht anders ſein könne, und ſtellte dann eine eigene Meinung darüber auf. Aber der Vater, der dar - auf nicht zu antworten wußte, ſchüttelte den Kopf und ſprach: Das kann ich Dir nicht ſagen; genug, es iſt ſo, und Du ſelber irrſt Dich. Willſt Du mehr wiſſen, ſo ſuche morgen aus der Kiſte, die auf unſerem Boden ſteht, ein Buch; einer, der Euklid hieß, hat's geſchrieben; das wird's Dir ſagen!

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Der Junge war Tags darauf{zu} Boden gelaufen und hatte auch bald das Buch gefunden; denn viele Bücher gab es überhaupt nicht in dem Hauſe; aber der Vater lachte, als er es vor ihm auf den Tiſch legte. Es war ein holländiſcher Euklid, und Holländiſch, wenngleich es doch halb Deutſch war, verſtanden alle Beide nicht. Ja, ja, ſagte er, das Buch iſt noch von meinem Vater, der verſtand es; iſt denn kein deutſcher da?

Der Junge, der von wenig Worten war, ſah den Vater ruhig an und ſagte nur: Darf ich's behalten? Ein deutſcher iſt nicht da.

Und als der Alte nickte, wies er noch ein zweites, halbzerriſſenes Büchlein vor. Auch das? frug er wieder.

Nimm ſie alle Beide! ſagte Tede Haien; ſie werden Dir nicht viel nützen.

Aber das zweite Buch war eine kleine holländiſche Grammatik, und da der Winter noch lange nicht vorüber war, ſo hatte es, als endlich die Stachelbeeren in ihrem Garten wieder blühten, dem Jungen ſchon ſo weit geholfen, daß er den Euklid, welcher damals ſtark im Schwange war, faſt überall verſtand.

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Es iſt mir nicht unbekannt, Herr, unterbrach ſich der Erzähler, daß dieſer Umſtand auch von Hans Mommſen erzählt wird; aber vor deſſen Geburt iſt hier bei uns ſchon die Sache von Hauke Haien ſo hieß der Knabe berichtet worden. Ihr wiſſet auch wohl, es braucht nur einmal ein Größerer zu kommen, ſo wird ihm Alles aufgeladen, was in Ernſt oder Schimpf ſeine Vorgänger einſt mögen verübt haben.

Als der Alte ſah, daß der Junge weder für Kühe noch Schafe Sinn hatte, und kaum gewahrte, wenn die Bohnen blühten, was doch die Freude von jedem Marſchmann iſt, und weiterhin bedachte, daß die kleine Stelle wohl mit einem Bauer und einem Jungen, aber nicht mit einem Halbgelehrten und einem Knecht beſtehen könne, ingleichen, daß er auch ſelber nicht auf einen grünen Zweig ge - kommen ſei, ſo ſchickte er ſeinen großen Jungen an den Deich, wo er mit andern Arbeitern von Oſtern bis Martini Erde karren mußte. Das wird ihn vom Euklid curiren, ſprach er bei ſich ſelber.

Und der Junge karrte; aber den Euklid hatte er allzeit in der Taſche, und wenn die Arbeiter14 ihr Frühſtück oder Vesper aßen, ſaß er auf ſeinem umgeſtülpten Schubkarren mit dem Buche in der Hand. Und wenn im Herbſt die Fluthen höher ſtiegen und manch ein Mal die Arbeit eingeſtellt werden mußte, dann ging er nicht mit den Andern nach Haus, ſondern blieb, die Hände über die Kniee gefaltet, an der abfallenden Seeſeite des Deiches ſitzen und ſah ſtundenlang zu, wie die trüben Nordſeewellen immer höher an die Gras - narbe des Deiches hinaufſchlugen; erſt wenn ihm die Füße überſpült waren, und der Schaum ihm ins Geſicht ſpritzte, rückte er ein paar Fuß höher und blieb dann wieder ſitzen. Er hörte weder das Klatſchen des Waſſers noch das Geſchrei der Möven und Strandvögel, die um oder über ihm flogen und ihn faſt mit ihren Flügeln ſtreiften, mit den ſchwarzen Augen in die ſeinen blitzend; er ſah auch nicht, wie vor ihm über die weite, wilde Waſſerwüſte ſich die Nacht ausbreitete; was er allein hier ſah, war der brandende Saum des Waſſers, der, als die Fluth ſtand, mit hartem Schlage immer wieder dieſelbe Stelle traf und vor ſeinen Augen die Grasnarbe des ſteilen Deiches auswuſch.

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Nach langem Hinſtarren nickte er wohl lang - ſam mit dem Kopfe oder zeichnete, ohne aufzuſehen, mit der Hand eine weiche Linie in die Luft, als ob er dem Deiche damit einen ſanfteren Abfall geben wollte. Wurde es ſo dunkel, daß alle Erden - dinge vor ſeinen Augen verſchwanden und nur die Fluth ihm in die Ohren donnerte, dann ſtand er auf und trabte halbdurchnäßt nach Hauſe.

Als er ſo eines Abends zu ſeinem Vater in die Stube trat, der an ſeinen Meßgeräthen putzte, fuhr dieſer auf: Was treibſt Du draußen? Du hätteſt ja verſaufen können; die Waſſer beißen heute in den Deich.

Hauke ſah ihn trotzig an.

Hörſt Du mich nicht? Ich ſag ', Du hätt'ſt verſaufen können.

Ja, ſagte Hauke; ich bin doch nicht verſoffen!

Nein, erwiderte nach einer Weile der Alte und ſah ihm wie abweſend ins Geſicht, dies - mal noch nicht.

Aber, ſagte Hauke wieder; unſere Deiche ſind nichts werth!

Was für was, Junge?

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Die Deiche, ſag 'ich!

Was ſind die Deiche?

Sie taugen nichts, Vater! erwiderte Hauke.

Der Alte lachte ihm ins Geſicht. Was denn, Junge? Du biſt wohl das Wunderkind aus Lübeck!

Aber der Junge ließ ſich nicht irren. Die Waſſerſeite iſt zu ſteil, ſagte er; wenn es ein - mal kommt, wie es mehr als einmal ſchon ge - kommen iſt, ſo können wir hier auch hinterm Deich erſaufen!

Der Alte holte ſeinen Kautabak aus der Taſche, drehte einen Schrot ab und ſchob ihn hinter die Zähne. Und wieviel Karren haſt Du heut 'geſchoben? frug er ärgerlich; denn er ſah wohl, daß auch die Deicharbeit bei dem Jungen die Denkarbeit nicht hatte vertreiben können.

Weiß nicht, Vater, ſagte dieſer; ſo, was die Anderen machten; vielleicht ein halbes Dutzend mehr; aber die Deiche müſſen anders werden!

Nun, meinte der Alte und ſtieß ein Lachen aus; Du kannſt es ja vielleicht zum Deichgraf bringen; dann mach 'ſie anders!

Ja, Vater! erwiderte der Junge.

Der Alte ſah ihn an und ſchluckte ein paar17 Mal; dann ging er aus der Thür; er wußte nicht, was er dem Jungen antworten ſollte.

Auch als zu Ende Octobers die Deicharbeit vorbei war, blieb der Gang[nordwärts] nach dem Haf hinaus für Hauke Haien die beſte Unter - haltung; den Allerheiligentag, um den herum die Aequinoctialſtürme zu toſen pflegen, von dem wir ſagen, daß Friesland ihn wohl beklagen mag, er - wartete er, wie heut 'die Kinder das Chriſtfeſt. Stand eine Springfluth bevor, ſo konnte man ſicher ſein, er lag trotz Sturm und Wetter weit draußen am Deiche mutterſeelenallein; und wenn die Möven gackerten, wenn die Waſſer gegen den Deich tobten und beim Zurückrollen ganze Fetzen von der Grasdecke mit ins Meer hinabriſſen, dann hätte man Hauke's zorniges Lachen hören können. Ihr könnt nichts Rechtes, ſchrie er in den Lärm hinaus, ſowie die Menſchen auch nichts können! Und endlich, oft im Finſtern, trabte er aus der weiten Oede den Deich entlang nach Hauſe, bis ſeine aufgeſchoſſene Geſtalt die niedrige Thür unter ſeines Vaters Rohrdach erreicht hatte und darunter durch in das kleine Zimmer ſchlüpfte.

Theodor Storm, Der Schimmelreiter. 218

Manchmal hatte er eine Fauſt voll Kleierde mitgebracht; dann ſetzte er ſich neben den Alten, der ihn jetzt gewähren ließ, und knetete bei dem Schein der dünnen Unſchlittkerze allerlei Deich - modelle, legte ſie in ein flaches Gefäß mit Waſſer und ſuchte darin die Ausſpülung der Wellen nach - zumachen, oder er nahm ſeine Schiefertafel und zeichnete darauf das Profil der Deiche nach der Seeſeite, wie es nach ſeiner Meinung ſein mußte.

Mit denen zu verkehren, die mit ihm auf der Schulbank geſeſſen hatten, fiel ihm nicht ein; auch ſchien es, als ob ihnen an dem Träumer nichts gelegen ſei. Als es wieder Winter geworden und der Froſt hereingebrochen war, wanderte er noch weiter, wohin er früher nie gekommen, auf den Deich hinaus, bis die unabſehbare eisbedeckte Fläche der Watten vor ihm lag.

Im Februar bei dauerndem Froſtwetter wurden angetriebene Leichen aufgefunden; draußen am offenen Haf auf den gefrorenen Watten hatten ſie gelegen. Ein junges Weib, die dabei geweſen war, als man ſie in das Dorf geholt hatte, ſtand redſelig vor dem alten Haien: Glaubt nicht, daß ſie wie Menſchen ausſahen, rief ſie; nein, wie die See -19 teufel! So große Köpfe, und ſie hielt die aus - geſpreizten Hände von Weitem gegen einander, gnidderſchwarz und blank, wie friſch gebacken Brot! Und die Krabben hatten ſie angeknabbert; die Kinder ſchrieen laut, als ſie ſie ſahen!

Dem alten Haien war ſo was juſt nichts Neues: Sie haben wohl ſeit November ſchon in See getrieben! ſagte er gleichmüthig.

Hauke ſtand ſchweigend daneben; aber ſobald er konnte, ſchlich er ſich auf den Deich hinaus; es war nicht zu ſagen, wollte er noch nach weiteren Todten ſuchen, oder zog ihn nur das Grauen, das noch auf den jetzt verlaſſenen Stellen brüten mußte. Er lief weiter und weiter, bis er einſam in der Oede ſtand, wo nur die Winde über den Deich wehten, wo nichts war als die klagenden Stimmen der großen Vögel, die raſch vorüberſchoſſen; zu ſeiner Linken die leere weite Marſch, zur andern Seite der unabſehbare Strand mit ſeiner jetzt vom Eiſe ſchimmernden Fläche der Watten; es war, als liege die ganze Welt in weißem Tod.

Hauke blieb oben auf dem Deiche ſtehen, und ſeine ſcharfen Augen ſchweiften weit umher; aber von Todten war nichts mehr zu ſehen; nur wo2*20die unſichtbaren Wattſtröme ſich darunter drängten, hob und ſenkte die Eisfläche ſich in ſtromartigen Linien.

Er lief nach Hauſe; aber an einem der nächſten Abende war er wiederum da draußen. Auf jenen Stellen war jetzt das Eis geſpalten; wie Rauch - wolken ſtieg es aus den Riſſen, und über das ganze Watt ſpann ſich ein Netz von Dampf und Nebel, das ſich ſeltſam mit der Dämmerung des Abends miſchte. Hauke ſah mit ſtarren Augen darauf hin; denn in dem Nebel ſchritten dunkle Geſtalten auf und ab, ſie ſchienen ihm ſo groß wie Menſchen. Würdevoll, aber mit ſeltſamen, erſchreckenden Ge - bärden; mit langen Naſen und Hälſen ſah er ſie fern an den rauchenden Spalten auf und ab ſpazieren; plötzlich begannen ſie wie Narren unheimlich auf und ab zu ſpringen, die großen über die kleinen und die kleinen gegen die großen; dann breiteten ſie ſich aus und verloren alle Form.

Was wollen die? Sind es die Geiſter der Ertrunkenen? dachte Hauke. Hoiho! ſchrie er laut in die Nacht hinaus; aber die draußen kehrten ſich nicht an ſeinen Schrei, ſondern trieben ihr wunderliches Weſen fort.

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Da kamen ihm die furchtbaren norwegiſchen Seegeſpenſter in den Sinn, von denen ein alter Capitän ihm einſt erzählt hatte, die ſtatt des An - geſichts einen ſtumpfen Pull von Seegras auf dem Nacken tragen; aber er lief nicht fort, ſondern bohrte die Hacken ſeiner Stiefel feſt in den Klei des Deiches und ſah ſtarr dem poſſenhaften Un - weſen zu, das in der einfallenden Dämmerung vor ſeinen Augen fortſpielte. Seid Ihr auch hier bei uns? ſprach er mit harter Stimme: Ihr ſollt mich nicht vertreiben!

Erſt als die Finſterniß Alles bedeckte, ſchritt er ſteifen langſamen Schrittes heimwärts. Aber hinter ihm drein kam es wie Flügelrauſchen und hallendes Geſchrei. Er ſah nicht um; aber er ging auch nicht ſchneller und kam erſt ſpät nach Hauſe; doch niemals ſoll er ſeinem Vater oder einem Anderen davon erzählt haben. Erſt viele Jahre ſpäter hat er ſein blödes Mädchen, womit ſpäter der Herrgott ihn belaſtete, um dieſelbe Tages - und Jahreszeit mit ſich auf den Deich hinausgenommen, und dasſelbe Weſen ſoll ſich derzeit draußen auf den Watten gezeigt haben; aber er hat ihr geſagt, ſie ſolle ſich nicht fürchten, das ſeien nur die Fiſchreiher22 und die Krähen, die im Nebel ſo groß und fürchterlich erſchienen; die holten ſich die Fiſche aus den offenen Spalten.

Weiß Gott, Herr! unterbrach ſich der Schulmeiſter; es gibt auf Erden allerlei Dinge, die ein ehrlich Chriſtenherz verwirren können; aber der Hauke war weder ein Narr noch ein Dummkopf.

Da ich nichts erwiderte, wollte er fortfahren; aber unter den übrigen Gäſten, die bisher lautlos zugehört hatten, nur mit dichterem Tabaksqualm das niedrige Zimmer füllend, entſtand eine plötzliche Bewegung; erſt Einzelne, dann faſt Alle wandten ſich dem Fenſter zu. Draußen man ſah es durch die unverhangenen Fenſter trieb der Sturm die Wolken, und Licht und Dunkel jagten durch - einander; aber auch mir war es, als hätte ich den hageren Reiter auf ſeinem Schimmel vorbei - ſauſen geſehen.

Wart Er ein wenig, Schulmeiſter! ſagte der Deichgraf leiſe.

Ihr braucht Euch nicht zu fürchten, Deich - graf! erwiderte der kleine Erzähler, ich habe ihn nicht geſchmäht, und hab 'auch deſſen keine Ur -23 ſach'; und er ſah mit ſeinen kleinen, klugen Augen zu ihm auf.

Ja, ja, meinte der Andere; laß 'Er ſein Glas nur wieder füllen. Und nachdem das ge - ſchehen war, und die Zuhörer, meiſt mit etwas verdutzten Geſichtern, ſich wieder zu ihm gewandt hatten, fuhr er in ſeiner Geſchichte fort:

So für ſich, und am liebſten nur mit Wind und Waſſer und mit den Bildern der Einſamkeit verkehrend, wuchs Hauke zu einem langen, hageren Burſchen auf. Er war ſchon über ein Jahr lang eingeſegnet, da wurde es auf einmal anders mit ihm, und das kam von dem alten weißen Angora - kater, welchen der alten Trien 'Jans einſt ihr ſpäter verunglückter Sohn von ſeiner ſpaniſchen Seereiſe mitgebracht hatte. Trien' wohnte ein gut Stück hinaus auf dem Deiche in einer kleinen Kathe, und wenn die Alte in ihrem Hauſe herumarbeitete, ſo pflegte dieſe Unform von einem Kater vor der Hausthür zu ſitzen und in den Sommertag und nach den vorüberfliegenden Kiebitzen hinauszu - blinzeln. Ging Hauke vorbei, ſo mauzte der Kater ihn an, und Hauke nickte ihm zu; die Beiden wußten, was ſie mit einander hatten.

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Nun aber war's einmal im Frühjahr, und Hauke lag nach ſeiner Gewohnheit oft draußen am Deich, ſchon weiter unten dem Waſſer zu, zwiſchen Strandnelken und dem duftenden Seewermuth, und ließ ſich von der ſchon kräftigen Sonne beſcheinen. Er hatte ſich Tags zuvor droben auf der Geeſt die Taſchen voll von Kieſeln geſammelt, und als in der Ebbezeit die Watten bloßgelegt waren und die kleinen grauen Strandläufer ſchreiend darüber hinhuſchten, holte er jählings einen Stein hervor und warf ihn nach den Vögeln. Er hatte das von Kindesbeinen an geübt, und meiſtens blieb einer auf dem Schlicke liegen; aber ebenſo oft war er dort auch nicht zu holen; Hauke hatte ſchon daran ge - dacht, den Kater mitzunehmen und als apportirenden Jagdhund zu dreſſiren. Aber es gab auch hier und dort feſte Stellen oder Sandlager; ſolchen - falls lief er hinaus und holte ſich ſeine Beute ſelbſt. Saß der Kater bei ſeiner Rückkehr noch vor der Hausthür, dann ſchrie das Thier vor nicht zu bergender Raubgier ſo lange, bis Hauke ihm einen der erbeuteten Vögel zuwarf.

Als er heute, ſeine Jacke auf der Schulter, heimging, trug er nur einen ihm noch unbekannten,25 aber wie mit bunter Seide und Metall gefiederten Vogel mit nach Hauſe, und der Kater mauzte wie gewöhnlich, als er ihn kommen ſah. Aber Hauke wollte ſeine Beute es mag ein Eisvogel geweſen ſein diesmal nicht hergeben und kehrte ſich nicht an die Gier des Thieres. Umſchicht! rief er ihm zu, heute mir, morgen Dir; das hier iſt kein Katerfreſſen! Aber der Kater kam vorſichtigen Schrittes herangeſchlichen; Hauke ſtand und ſah ihn an, der Vogel hing an ſeiner Hand, und der Kater blieb mit erhobener Tatze ſtehen. Doch der Burſche ſchien ſeinen Katzenfreund noch nicht ſo ganz zu kennen; denn während er ihm ſeinen Rücken zugewandt hatte und eben fürbaß wollte, fühlte er mit einem Ruck die Jagdbeute ſich entriſſen, und zugleich ſchlug eine ſcharfe Kralle ihm ins Fleiſch. Ein Grimm, wie gleichfalls eines Raubthiers, flog dem jungen Menſchen ins Blut; er griff wie raſend um ſich und hatte den Räuber ſchon am Genicke gepackt. Mit der Fauſt hielt er das mächtige Thier empor und würgte es, daß die Augen ihm aus den rauhen Haaren vorquollen, nicht achtend, daß die ſtarken Hintertatzen ihm den Arm zerfleiſchten. Hoiho! ſchrie er und26 packte ihn noch feſter; wollen ſehen, wer's von uns Beiden am längſten aushält!

Plötzlich fielen die Hinterbeine der großen Katze ſchlaff herunter, und Hauke ging ein paar Schritte zurück und warf ſie gegen die Kathe der Alten. Da ſie ſich nicht rührte, wandte er ſich und ſetzte ſeinen Weg nach Hauſe fort.

Aber der Angorakater war das Kleinod ſeiner Herrin; er war ihr Geſelle und das Einzige, was ihr Sohn, der Matroſe, ihr nachgelaſſen hatte, nachdem er hier an der Küſte ſeinen jähen Tod gefunden hatte, da er im Sturm ſeiner Mutter beim Porrenfangen hatte helfen wollen. Hauke mochte kaum hundert Schritte weiter gethan haben, während er mit einem Tuch das Blut aus ſeinen Wunden auffing, als ſchon von der Kathe her ihm ein Geheul und Zetern in die Ohren gellte. Da wandte er ſich und ſah davor das alte Weib am Boden liegen; das greiſe Haar flog ihr im Winde um das rothe Kopftuch: Todt! rief ſie, todt! und erhob dräuend ihren mageren Arm gegen ihn: Du ſollſt verflucht ſein! Du haſt ihn todtgeſchlagen, Du nichtsnutziger Strandläufer; Du warſt nicht werth, ihm ſeinen Schwanz zu27 bürſten! Sie warf ſich über das Thier und wiſchte zärtlich mit ihrer Schürze ihm das Blut fort, das noch aus Naſ 'und Schnauze rann; dann hob ſie aufs Neue an zu zetern.

Biſt Du bald fertig? rief Hauke ihr zu, dann laß Dir ſagen: ich will Dir einen Kater ſchaffen, der mit Maus - und Rattenblut zu - frieden iſt!

Darauf ging er, ſcheinbar auf nichts mehr achtend, fürbaß. Aber die todte Katze mußte ihm doch im Kopfe Wirrſal machen; denn er ging, als er zu den Häuſern gekommen war, dem ſeines Vaters und auch den übrigen vorbei und eine weite Strecke noch nach[Süden] auf dem Deich der Stadt zu.

Inmittelſt wanderte auch Trien 'Jans auf dem - ſelben in der gleichen Richtung; ſie trug in einem alten blaucarrirten Kiſſenüberzug eine Laſt in ihren Armen, die ſie ſorgſam, als wär's ein Kind, umklammerte; ihr greiſes Haar flatterte in dem leichten Frühlingswind. Was ſchleppt Sie da, Trina? frug ein Bauer, der ihr entgegenkam. Mehr, als Dein Haus und Hof, erwiderte die Alte; dann ging ſie eifrig weiter. Als ſie dem28 unten liegenden Hauſe des alten Haien nahe kam, ging ſie den Akt, wie man bei uns die Trift - und Fußwege nennt, die ſchräg an der Seite des Deiches hinab - oder hinaufführen, zu den Häuſern hinunter.

Der alte Tede Haien ſtand eben vor der Thür und ſah ins Wetter: Na, Trien '! ſagte er, als ſie puſtend vor ihm ſtand und ihren Krückſtock in die Erde bohrte, was bringt Sie Neues in Ihrem Sack?

Erſt laß mich in die Stube, Tede Haien! dann ſoll Er's ſehen! und ihre Augen ſahen ihn mit ſeltſamem Funkeln an!

So komm 'Sie! ſagte der Alte. Was gingen ihn die Augen des dummen Weibes an.

Und als Beide eingetreten waren, fuhr ſie fort: Bring 'Er den alten Tabakskaſten und das Schreibzeug von dem Tiſch Was hat er denn immer zu ſchreiben? So; und nun wiſch' Er ihn ſauber ab!

Und der Alte, der faſt neugierig wurde, that Alles, was ſie ſagte; dann nahm ſie den blauen Ueberzug bei beiden Zipfeln und ſchüttete daraus den großen Katerleichnam auf den Tiſch. Da29 hat Er ihn! rief ſie; Sein Hauke hat ihn todt - geſchlagen. Hierauf aber begann ſie ein bitterliches Weinen; ſie ſtreichelte das dicke Fell des todten Thieres, legte ihm die Tatzen zuſammen, neigte ihre lange Naſe über deſſen Kopf und raunte ihm unverſtändliche Zärtlichkeiten in die Ohren.

Tede Haien ſah dem zu. So, ſagte er; Hauke hat ihn todtgeſchlagen? Er wußte nicht, was er mit dem heulenden Weibe machen ſollte.

Die Alte nickte ihn grimmig an: Ja, ja; ſo Gott, das hat er gethan! und ſie wiſchte ſich mit ihrer von Gicht verkrümmten Hand das Waſſer aus den Augen. Kein Kind, kein Lebigs mehr! klagte ſie. Und er weiß es ja auch wohl, uns Alten, wenn's nach Allerheiligen kommt, frieren Abends im Bett die Beine, und ſtatt zu ſchlafen, hören wir den Nordweſt an unſeren Fenſterläden rappeln. Ich hör's nicht gern, Tede Haien, er kommt daher, wo mein Junge mir im Schlick verſank.

Tede Haien nickte, und die Alte ſtreichelte das Fell ihres todten Katers: Der aber, begann ſie wieder, wenn ich Winters am Spinnrad ſaß, dann ſaß er bei mir und ſpann auch und ſah30 mich an mit ſeinen grünen Augen! Und kroch ich, wenn's mir kalt wurde, in mein Bett es dauerte nicht lang, ſo ſprang er zu mir und legte ſich auf meine frierenden Beine, und wir ſchliefen ſo warm mitſammen, als hätte ich noch meinen jungen Schatz im Bett! Die Alte, als ſuche ſie bei dieſer Erinnerung nach Zuſtimmung, ſah den neben ihr am Tiſche ſtehenden Alten mit ihren funkelnden Augen an.

Tede Haien aber ſagte bedächtig: Ich weiß Ihr einen Rath, Trien 'Jans, und er ging nach ſeiner Schatulle und nahm eine Silbermünze aus der Schublade Sie ſagt, daß Hauke Ihr das Thier vom Leben gebracht hat, und ich weiß, Sie lügt nicht; aber hier iſt ein Kronthaler von Chriſtian dem Vierten; damit kauf' Sie ſich ein gegerbtes Lammfell für Ihre kalten Beine! Und wenn unſere Katze nächſtens Junge wirft, ſo mag Sie ſich das größte davon ausſuchen; das zuſammen thut wohl einen altersſchwachen Angorakater! Und nun nehm 'Sie das Vieh und bring' Sie es meinethalb an den Racker in der Stadt, und halt 'Sie das Maul, daß es hier auf meinem ehrlichen Tiſch gelegen hat!

31

Während dieſer Rede hatte das Weib ſchon nach dem Thaler gegriffen und ihn in einer kleinen Taſche geborgen, die ſie unter ihren Röcken trug; dann ſtopfte ſie den Kater wieder in das Bettbühr, wiſchte mit ihrer Schürze die Blutflecken von dem Tiſch und ſtakte zur Thür hinaus. Vergiß Er mir nur den jungen Kater nicht! rief ſie noch zurück.

Eine Weile ſpäter, als der alte Haien in dem engen Stüblein auf - und abſchritt, trat Hauke herein und warf ſeinen bunten Vogel auf den Tiſch; als er aber auf der weiß geſcheuerten Platte den noch kennbaren Blutfleck ſah, frug er, wie beiläufig Was iſt denn das?

Der Vater blieb ſtehen: Das iſt Blut, was Du haſt fließen machen!

Dem Jungen ſchoß es doch heiß ins Geſicht: Iſt denn Trien 'Jans mit ihrem Kater hier geweſen?

Der Alte nickte: Weshalb haſt Du ihr den todtgeſchlagen?

Hauke entblößte ſeinen blutigen Arm. Des - halb, ſagte er; er hatte mir den Vogel fort - geriſſen!

32

Der Alte ſagte nichts hierauf; er begann eine Zeitlang wieder auf - und abzugehen; dann blieb er vor dem Jungen ſtehen und ſah eine Weile wie abweſend auf ihn hin. Das mit dem Kater hab 'ich rein gemacht, ſagte er dann; aber, ſiehſt Du, Hauke, die Kathe iſt hier zu klein; zwei Herren können darauf nicht ſitzen es iſt nun Zeit, Du mußt Dir einen Dienſt beſorgen!

Ja, Vater, entgegnete Hauke; hab 'der - gleichen auch gedacht.

Warum? frug der Alte.

Ja, man wird grimmig in ſich, wenn man's nicht an einem ordentlichen Stück Arbeit auslaſſen kann.

So? ſagte der Alte, und darum haſt Du den Angorer todtgeſchlagen? Das könnte leicht noch ſchlimmer werden?

Er mag wohl recht haben, Vater; aber der Deichgraf hat ſeinen Kleinknecht fortgejagt; das könnt 'ich ſchon verrichten!

Der Alte begann wieder auf - und abzugehen und ſpritzte dabei die ſchwarze Tabaksjauche von ſich: Der Deichgraf iſt ein Dummkopf, dumm wie 'ne Saatgans! Er iſt nur Deichgraf, weil ſein33 Vater und Großvater es geweſen ſind, und wegen ſeiner neunundzwanzig Fennen. Wenn Martini herankommt und hernach die Deich - und Siel - rechnungen abgethan werden müſſen, dann füttert er den Schulmeiſter mit Gansbraten und Meth und Weizenkringeln und ſitzt dabei und nickt, wenn der mit ſeiner Feder die Zahlenreihen hinunter - läuft, und ſagt: Ja, ja, Schulmeiſter, Gott ver - gönn's ihm! Was kann er rechnen! Wenn aber einmal der Schulmeiſter nicht kann oder auch nicht will, dann muß er ſelber dran und ſitzt und ſchreibt und ſtreicht wieder aus, und der große dumme Kopf wird ihm roth und heiß, und die Augen quellen wie Glaskugeln, als wollte das bischen Verſtand da hinaus.

Der Junge ſtand gerade auf vor dem Vater und wunderte ſich, was der reden könne; ſo hatte er's noch nicht von ihm gehört. Ja, Gott tröſt '! ſagte er, dumm iſt er wohl; aber ſeine Tochter Elke, die kann rechnen!

Der Alte ſah ihn ſcharf an. Ahoi, Hauke, rief er; was weißt Du von Elke Volkerts?

Nichts, Vater; der Schulmeiſter hat's mir nur erzählt.

Theodor Storm, Der Schimmelreiter. 334

Der Alte antwortete nicht darauf; er ſchob nur bedächtig ſeinen Tabaksknoten aus einer Backe hinter die andere. Und Du denkſt, ſagte er dann, Du wirſt dort auch mitrechnen können.

O ja, Vater, das möcht 'ſchon gehen, er - widerte der Sohn, und ein ernſtes Zucken lief um ſeinen Mund.

Der Alte ſchüttelte den Kopf: Nun, aber meinethalb; verſuch 'einmal Dein Glück!

Dank auch, Vater! ſagte Hauke und ſtieg zu ſeiner Schlafſtatt auf dem Boden; hier ſetzte er ſich auf die Bettkante und ſann, weshalb ihn denn ſein Vater um Elke Volkerts angerufen habe. Er kannte ſie freilich, das ranke achtzehnjährige Mädchen mit dem bräunlichen ſchmalen Antlitz und den dunklen Brauen, die über den trotzigen Augen und der ſchmalen Naſe in einander liefen; doch hatte er noch kaum ein Wort mit ihr ge - ſprochen; nun, wenn er zu dem alten Tede Volkerts ging, wollte er ſie doch beſſer darauf anſehen, was es mit dem Mädchen auf ſich habe. Und gleich jetzt wollte er gehen, damit kein Anderer ihm die Stelle abjage; es war ja kaum noch Abend. Und ſo zog er ſeine Sonntagsjacke und ſeine beſten35 Stiefeln an und machte ſich guten Muthes auf den Weg.

Das langgeſtreckte Haus des Deichgrafen war durch ſeine hohe Werfte, beſonders durch den höchſten Baum des Dorfes, eine gewaltige Eſche, ſchon von Weitem ſichtbar; der Großvater des jetzigen, der erſte Deichgraf des Geſchlechtes, hatte in ſeiner Jugend eine ſolche oſten der Hausthür hier geſetzt; aber die beiden erſten Anpflanzungen waren vergangen, und ſo hatte er an ſeinem Hochzeitsmorgen dieſen dritten Baum gepflanzt, der noch jetzt mit ſeiner immer mächtiger werdenden Blätterkrone in dem hier unabläſſigen Winde wie von alten Zeiten rauſchte.

Als nach einer Weile der lang aufgeſchoſſene Hauke die hohe Werfte hinaufſtieg, welche an den Seiten mit Rüben und Kohl bepflanzt war, ſah er droben die Tochter des Hauswirths neben der niedrigen Hausthür ſtehen. Ihr einer etwas hagerer Arm hing ſchlaff herab, die andere Hand ſchien im Rücken nach dem Eiſenring zu greifen, von denen je einer zu beiden Seiten der Thür in der Mauer war, damit, wer vor das Haus ritt, ſein Pferd daran befeſtigen könne. Die Dirne ſchien3 *36von dort ihre Augen über den Deich hinaus nach dem Meer zu haben, wo an dem ſtillen Abend die Sonne eben in das Waſſer hinabſank und zugleich das bräun - liche Mädchen mit ihrem letzten Schein vergoldete.

Hauke ſtieg etwas langſamer an der Werfte hinan und dachte bei ſich: So iſt ſie nicht ſo döſig! dann war er oben. Guten Abend auch! ſagte er zu ihr tretend; wonach guckſt Du denn mit Deinen großen Augen, Jungfer Elke?

Nach dem, erwiderte ſie, was hier alle Abend vor ſich geht; aber hier nicht alle Abend juſt zu ſehen iſt. Sie ließ den Ring aus der Hand fallen, daß er klingend gegen die Mauer ſchlug. Was willſt Du, Hauke Haien? frug ſie.

Was Dir hoffentlich nicht zuwider iſt, ſagte er. Dein Vater hat ſeinen Kleinknecht fortge - jagt, da dachte ich bei Euch in Dienſt.

Sie ließ ihre Blicke an ihm herunterlaufen: Du biſt noch ſo was ſchlanterig, Hauke! ſagte ſie; aber uns dienen zwei feſte Augen beſſer als zwei feſte Arme! Sie ſah ihn dabei faſt düſter an; aber Hauke hielt ihr tapfer Stand. So komm, fuhr ſie fort; der Wirth iſt in der Stube, laß uns hineingehen!

37

Am anderen Tage trat Tede Haien mit ſeinem Sohne in das geräumige Zimmer des Deichgrafen; die Wände waren mit glaſurten Kacheln bekleidet, auf denen hier ein Schiff mit vollen Segeln oder ein Angler an einem Uferplatz, dort ein Rind, das kauernd vor einem Bauernhauſe lag, den Beſchauer vergnügen konnte; unterbrochen war dieſe dauer - hafte Tapete durch ein mächtiges Wandbett mit jetzt zugeſchobenen Thüren und einen Wandſchrank, der durch ſeine beiden Glasthüren allerlei Porzellan - und Silbergeſchirr erblicken ließ; neben der Thür zum anſtoßenden Peſel war hinter einer Glas - ſcheibe eine holländiſche Schlaguhr in die Wand gelaſſen.

Der ſtarke, etwas ſchlagflüſſige Hauswirth ſaß am Ende des blankgeſcheuerten Tiſches im Lehnſtuhl auf ſeinem bunten Wollenpolſter. Er hatte ſeine Hände über dem Bauch gefaltet und ſtarrte aus ſeinen runden Augen befriedigt auf das Gerippe einer fetten Ente; Gabel und Meſſer ruhten vor ihm auf dem Teller.

Guten Tag, Deichgraf! ſagte Haien, und der Angeredete drehte langſam Kopf und Augen zu ihm hin. Ihr ſeid es, Tede? entgegnete er,38 und der Stimme war die verzehrte fette Ente anzuhören, ſetzt Euch; es iſt ein gut Stück 'von Euch zu mir herüber!

Ich komme, Deichgraf, ſagte Tede Haien, indem er ſich auf die an der Wand entlang laufende Bank dem Anderen im Winkel gegenüberſetzte. Ihr habt Verdruß mit Euerem Kleinknecht gehabt und ſeid mit meinem Jungen einig geworden, ihn an deſſen Stelle zu ſetzen!

Der Deichgraf nickte: Ja, ja, Tede; aber was meint Ihr mit Verdruß? Wir Marſchleute haben, Gott tröſt 'uns, was dagegen einzunehmen! und er nahm das vor ihm liegende Meſſer und klopfte wie liebkoſend auf das Gerippe der armen Ente. Das war mein Leibvogel, ſetzte er be - haglich lachend hinzu; ſie fraß mir aus der Hand!

Ich dachte, ſagte der alte Haien, das Letzte überhörend, der Bengel hätte Euch Unheil im Stall gemacht.

Unheil? Ja, Tede; freilich Unheil genug! Der dicke Mopsbraten hatte die Kälber nicht gebörmt; aber er lag voll getrunken auf dem Heuboden, und das Viehzeug ſchrie die ganze39 Nacht vor Durſt, daß ich bis Mittag nachſchlafen mußte; dabei kann die Wirthſchaft nicht beſtehen!

Nein, Deichgraf; aber dafür iſt keine Gefahr bei meinem Jungen.

Hauke ſtand, die Hände in den Seitentaſchen, am Thürpfoſten, hatte den Kopf im Nacken und ſtudirte an den Fenſterrähmen ihm gegenüber.

Der Deichgraf hatte die Augen zu ihm gehoben und nickte hinüber: Nein, nein, Tede; und er nickte nun auch dem Alten zu; Euer Hauke wird mir die Nachtruh 'nicht verſtören; der Schulmeiſter hat's mir ſchon vordem geſagt, der ſitzt lieber vor der Rechentafel, als vor einem Glas mit Branntwein.

Hauke hörte nicht auf dieſen Zuſpruch, denn Elke war in die Stube getreten und nahm mit ihrer leichten Hand die Reſte der Speiſen von dem Tiſch, ihn mit ihren dunkeln Augen flüchtig ſtreifend. Da fielen ſeine Blicke auch auf ſie. Bei Gott und Jeſus, ſprach er bei ſich ſelber, ſie ſieht auch ſo nicht döſig aus!

Das Mädchen war hinausgegangen: Ihr wiſſet, Tede, begann der Deichgraf wieder, unſer Herrgott hat mir einen Sohn verſagt!

40

Ja, Deichgraf; aber laßt Euch das nicht kränken, entgegnete der Andere, denn im dritten Gliede ſoll der Familienverſtand ja verſchleißen; Euer Großvater, das wiſſen wir noch Alle, war Einer, der das Land geſchützt hat!

Der Deichgraf, nach einigem Beſinnen, ſah ſchier verdutzt aus: Wie meint Ihr das, Tede Haien? ſagte er, und ſetzte ſich in ſeinem Lehn - ſtuhl auf; ich bin ja doch im dritten Gliede!

Ja ſo! Nicht für ungut, Deichgraf; es geht nur ſo die Rede! Und der hagere Tede Haien ſah den alten Würdenträger mit etwas boshaften Augen an.

Der aber ſprach unbekümmert: Ihr müßt Euch von alten Weibern dergleichen Thorheit nicht aufſchwatzen laſſen, Tede Haien; Ihr kennt nur meine Tochter nicht, die rechnet mich ſelber drei - mal um und um! Ich wollt 'nur ſagen, Euer Hauke wird außer im Felde auch hier in meiner Stube mit Feder oder Rechenſtift ſo Manches profitiren können, was ihm nicht ſchaden wird!

Ja, ja, Deichgraf, das wird er; da habt Ihr völlig Recht! ſagte der alte Haien und begann dann noch einige Vergünſtigungen bei dem Mieth -41 contract ſich auszubedingen, die Abends vorher von ſeinem Sohne nicht bedacht waren. So ſollte dieſer außer ſeinen leinenen Hemden im Herbſt auch noch acht Paar wollene Strümpfe als Zu - gabe ſeines Lohnes genießen; ſo wollte er ſelbſt ihn im Frühling acht Tage bei der eigenen Arbeit haben, und was dergleichen mehr war. Aber der Deichgraf war zu Allem willig; Hauke Haien ſchien ihm eben der rechte Kleinknecht.

Nun, Gott tröſt 'Dich, Junge, ſagte der Alte, da ſie eben das Haus verlaſſen hatten, wenn der Dir die Welt klar machen ſoll!

Aber Hauke erwiderte ruhig: Laß Er nur, Vater; es wird ſchon Alles werden.

Und Hauke hatte ſo Unrecht nicht gehabt; die Welt, oder was ihm die Welt bedeutete, wurde ihm klarer, je länger ſein Aufenthalt in dieſem Hauſe dauerte; vielleicht um ſo mehr, je weniger ihm eine überlegene Einſicht zu Hülfe kam, und je mehr er auf ſeine eigene Kraft angewieſen war, mit der er ſich von jeher beholfen hatte. Einer freilich war im Hauſe, für den er nicht der Rechte zu ſein ſchien; das war der Großknecht Ole Peters,42 ein tüchtiger Arbeiter und ein maulfertiger Geſelle. Ihm war der träge, aber dumme und ſtämmige Kleinknecht von vorhin beſſer nach ſeinem Sinn geweſen, dem er ruhig die Tonne Hafer auf den Rücken hatte laden und den er nach Herzensluſt hatte herumſtoßen können. Dem noch ſtilleren, aber ihn geiſtig überragenden Hauke vermochte er in ſolcher Weiſe nicht beizukommen; er hatte eine gar zu eigne Art, ihn anzublicken. Trotzdem ver - ſtand er es, Arbeiten für ihn auszuſuchen, die ſeinem noch nicht gefeſteten Körper hätten gefährlich werden können, und Hauke, wenn der Groß - knecht ſagte: Da hätteſt Du den dicken Niß nur ſehen ſollen; dem ging es von der Hand! faßte nach Kräften an und brachte es, wenn auch mit Mühſal, doch zu Ende. Ein Glück war es für ihn, daß Elke ſelbſt oder durch ihren Vater das meiſtens abzuſtellen wußte. Man mag wohl fragen, was mitunter ganz fremde Menſchen an einander bindet; vielleicht ſie waren beide ge - borene Rechner, und das Mädchen konnte ihren Kameraden in der groben Arbeit nicht verderben ſehen.

Der Zwieſpalt zwiſchen Groß - und Kleinknecht43 wurde auch im Winter nicht beſſer, als nach Martini die verſchiedenen Deichrechnungen zur Reviſion eingelaufen waren.

Es war an einem Maiabend; aber es war Novemberwetter; von drinnen im Hauſe hörte man draußen hinterm Deich die Brandung donnern. He, Hauke, ſagte der Hausherr, komm herein; nun magſt Du weiſen, ob Du rechnen kannſt!

Unſ 'Weerth, entgegnete dieſer; denn ſo nennen hier die Leute ihre Herrſchaft ich ſoll aber erſt das Jungvieh füttern!

Elke! rief der Deichgraf; wo biſt Du, Elke! Geh 'zu Ole, und ſag' ihm, er ſollte das Jungvieh füttern; Hauke ſoll rechnen!

Und Elke eilte in den Stall und machte dem Großknecht die Beſtellung, der eben damit be - ſchäftigt war, das über Tag gebrauchte Pferde - geſchirr wieder an ſeinen Platz zu hängen.

Ole Peters ſchlug mit einer Trenſe gegen den Ständer, neben dem er ſich beſchäftigte, als wolle er ſie kurz und klein haben: Hol 'der Teufel den verfluchten Schreiberknecht! Sie hörte die Worte noch, bevor ſie die Stallthür wieder ge - ſchloſſen hatte.

44

Nun? frug der Alte, als ſie in die Stube trat.

Ole wollte es ſchon beſorgen, ſagte die Tochter, ein wenig ſich die Lippen beißend, und ſetzte ſich Hauke gegenüber auf einen grobgeſchnitzten Holzſtuhl, wie ſie noch derzeit hier an Winter - abenden im Hauſe ſelbſt gemacht wurden. Sie hatte aus einem Schubkaſten einen weißen Strumpf mit rothem Vogelmuſter genommen, an dem ſie nun weiterſtrickte; die langbeinigen Creaturen darauf mochten Reiher oder Störche bedeuten ſollen. Hauke ſaß ihr gegenüber in ſeine Rechnerei vertieft, der Deichgraf ſelbſt ruhte in ſeinem Lehnſtuhl und blinzelte ſchläfrig nach Hauke's Feder; auf dem Tiſch brannten, wie immer im Deichgrafenhauſe, zwei Unſchlittkerzen, und vor den beiden in Blei gefaßten Fenſtern waren von außen die Läden vor - geſchlagen und von innen zugeſchroben; mochte der Wind nun poltern, wie er wollte. Mitunter hob Hauke ſeinen Kopf von der Arbeit und blickte einen Augenblick nach den Vogelſtrümpfen oder nach dem ſchmalen ruhigen Geſicht des Mädchens.

Da that es aus dem Lehnſtuhl plötzlich einen lauten Schnarcher, und ein Blick und ein Lächeln flog zwiſchen den beiden jungen Menſchen hin und45 wieder; dann folgte allmälig ein ruhigeres Athmen; man konnte wohl ein wenig plaudern; Hauke wußte nur nicht, was. Als ſie aber das Strickzeug in die Höhe zog, und die Vögel ſich nun in ihrer ganzen Länge zeigten, flüſterte er über den Tiſch hinüber: Wo haſt Du das gelernt, Elke?

Was gelernt? frug das Mädchen zurück.

Das Vogelſtricken? ſagte Hauke.

Das? Von Trien 'Jans draußen am Deich; ſie kann allerlei; ſie war vor Zeiten einmal bei meinem Großvater hier im Dienſt.

Da warſt Du aber wohl noch nicht ge - boren? ſagte Hauke.

Ich denk 'wohl nicht; aber ſie iſt noch oft ins Haus gekommen.

Hat denn die die Vögel gern? frug Hauke; ich meint ', ſie hielt es nur mit Katzen!

Elke ſchüttelte den Kopf: Sie zieht ja Enten und verkauft ſie; aber im vorigen Frühjahr, als Du den Angorer todtgeſchlagen hatteſt, ſind ihr hinten im Stall die Ratten dazwiſchen gekommen; nun will ſie ſich vorn am Hauſe einen andern bauen.

So, ſagte Hauke und zog einen leiſen Pfiff46 durch die Zähne, dazu hat ſie von der Geeſt ſich Lehm und Steine hergeſchleppt! Aber dann kommt ſie in den Binnenweg; hat ſie denn Conceſſion?

Weiß ich nicht, meinte Elke; aber er hatte das letzte Wort ſo laut geſprochen, daß der Deich - graf aus ſeinem Schlummer auffuhr. Was Con - ceſſion? frug er und ſah faſt wild von Einem zu der Andern. Was ſoll die Conceſſion?

Als aber Hauke ihm dann die Sache vor - getragen hatte, klopfte er ihm lachend auf die Schulter: Ei was, der Binnenweg iſt breit genug; Gott tröſt 'den Deichgrafen, ſollt' er ſich auch noch um die Entenſtälle kümmern!

Hauke fiel es aufs Herz, daß er die Alte mit ihren jungen Enten den Ratten ſollte preisgegeben haben, und er ließ ſich mit dem Einwand ab - finden. Aber unſ 'Weerth, begann er wieder, es thät' wohl Dem und Jenem ein kleiner Zwicker gut, und wollet Ihr ihn nicht ſelber greifen, ſo zwicket den Gevollmächtigten, der auf die Deichordnung paſſen ſoll!

Wie, was ſagt der Junge? und der Deich - graf ſetzte ſich vollends auf, und Elke ließ ihren47 künſtlichen Strumpf ſinken und wandte das Ohr hinüber.

Ja, unſ 'Weerth, fuhr Hauke fort, Ihr habt doch ſchon die Frühlingsſchau gehalten; aber trotzdem hat Peter Janſen auf ſeinem Stück das Unkraut auch noch heute nicht gebuſcht; im Sommer werden die Stieglitzer da wieder luſtig um die rothen Diſtelblumen ſpielen! Und dicht daneben, ich weiß nicht, wem's gehört, iſt an der Außen - ſeite eine ganze Wiege in dem Deich; bei ſchön Wetter liegt es immer voll von kleinen Kindern, die ſich darin wälzen; aber Gott bewahr' uns vor Hochwaſſer!

Die Augen des alten Deichgrafen waren immer größer geworden.

Und dann ſagte Hauke wieder.

Was dann noch, Junge? frug der Deich - graf; biſt Du noch nicht fertig? und es klang, als ſei der Rede ſeines Kleinknechts ihm ſchon zu viel geworden.

Ja, dann, unſ 'Weerth, ſprach Hauke weiter; Ihr kennt die dicke Vollina, die Tochter vom Gevollmächtigten Harders, die immer ihres Vaters Pferde aus der Fenne holt, wenn ſie nur eben48 mit ihren runden Waden auf der alten gelben Stute ſitzt, hopp? ſo geht' allemal ſchräg an der Doſſirung den Deich hinan!

Hauke bemerkte erſt jetzt, daß Elke ihre klugen Augen auf ihn gerichtet hatte und leiſe ihren Kopf ſchüttelte.

Er ſchwieg; aber ein Fauſtſchlag, den der Alte auf den Tiſch that, dröhnte ihm in die Ohren, da ſoll das Wetter dreinſchlagen! rief er, und Hauke erſchrak beinahe über die Bärenſtimme, die plötzlich hier hervorbrach: Zur Brüche! Notir 'mir das dicke Menſch zur Brüche, Hauke! Die Dirne hat mir im letzten Sommer drei junge Enten weg - gefangen! Ja, ja, notir' nur, wiederholte er, als Hauke zögerte; ich glaub 'ſogar, es waren vier!

Ei, Vater, ſagte Elke, war's nicht die Otter, die die Enten nahm?

Eine große Otter! rief der Alte ſchnaufend; werd 'doch die dicke Vollina und Otter aus - einander kennen! Nein, nein, vier Enten, Hauke Aber was Du im Uebrigen ſchwatzeſt, der Herr Oberdeichgraf und ich, nachdem wir zuſammen in meinem Hauſe hier gefrühſtückt hatten, ſind im Frühjahr an Deinem Unkraut und an Deiner49 Wiege vorbeigefahren und haben's doch nicht ſehen können. Ihr Beide aber, und er nickte ein paar Mal bedeutſam gegen Hauke und ſeine Tochter, danket Gott, daß Ihr nicht Deichgraf ſeid! Zwei Augen hat man nur, und mit hundert ſoll man ſehen. Nimm nur die Rechnungen über die Beſtickungsarbeiten, Hauke, und ſieh ſie nach; die Kerls rechnen oft zu liederlich!

Dann lehnte er ſich wieder in ſeinen Stuhl zurück, ruckte den ſchweren Körper ein paar Mal, und überließ ſich bald dem ſorgenloſen Schlummer.

Dergleichen wiederholte ſich an manchem Abend. Hauke hatte ſcharfe Augen und unterließ es nicht, wenn ſie beiſammenſaßen, das Eine oder Andre von ſchädlichem Thun oder Unterlaſſen in Deich - ſachen dem Alten vor die Augen zu rücken, und da dieſer ſie nicht immer ſchließen konnte, ſo kam unverſehens ein lebhafterer Geſchäftsgang in die Verwaltung, und die, welche früher im alten Schlendrian fortgeſündigt hatten und jetzt uner - wartet ihre frevlen oder faulen Finger geklopft fühlten, ſahen ſich unwillig und verwundert um, woher die Schläge denn gekommen ſeien. Und Ole,Theodor Storm, Der Schimmelreiter. 450der Großknecht, ſäumte nicht, möglichſt weit die Offenbarung zu verbreiten und dadurch gegen Hauke und ſeinen Vater, der doch die Mitſchuld tragen mußte, in dieſen Kreiſen einen Widerwillen zu erregen; die Andern aber, welche nicht getroffen waren, oder denen es um die Sache ſelbſt zu thun war, lachten und hatten ihre Freude, daß der Junge den Alten doch einmal etwas in Trab gebracht habe. Schad 'nur, ſagten ſie, daß der Bengel nicht den gehörigen Klei unter den Füßen hat; das gäbe ſpäter ſonſt einmal wieder einen Deichgrafen, wie vordem ſie da geweſen ſind; aber die paar Demath ſeines Alten, die thäten's denn doch nicht!

Als im nächſten Herbſt der Herr Amtmann und Oberdeichgraf zur Schauung kam, ſah er ſich den alten Tede Volkerts von oben bis unten an, während dieſer ihn zum Frühſtück nöthigte. Wahr - haftig, Deichgraf, ſagte er, ich dacht's mir ſchon, Ihr ſeid in der That um ein Halbſtieg Jahre jünger geworden; Ihr habt mir diesmal mit all' Euern Vorſchlägen warm gemacht; wenn wir mit alledem nur heute fertig werden!

Wird ſchon, wird ſchon, geſtrenger Herr Ober -51 deichgraf, erwiderte der Alte ſchmunzelnd; der Gansbraten da wird ſchon die Kräfte ſtärken! Ja, Gott ſei Dank, ich bin noch allezeit friſch und munter! Er ſah ſich in der Stube um, ob auch nicht etwa Hauke um die Wege ſei; dann ſetzte er in würdevoller Ruhe noch hinzu: So hoffe ich zu Gott, noch meines Amtes ein paar Jahre in Segen warten zu können.

Und darauf, lieber Deichgraf, erwiderte ſein Vorgeſetzter ſich erhebend, wollen wir dieſes Glas zuſammen trinken!

Elke, die das Frühſtück beſtellt hatte, ging eben, während die Gläſer an einander klangen, mit leiſem Lachen aus der Stubenthür. Dann holte ſie eine Schüſſel Abfall aus der Küche und ging durch den Stall, um es vor der Außenthür dem Federvieh vorzuwerfen. Im Stall ſtand Hauke Haien und ſteckte den Kühen, die man der argen Witterung wegen ſchon jetzt hatte heraufnehmen müſſen, mit der Furke Heu in ihre Raufen. Als er aber das Mädchen kommen ſah, ſtieß er die Furke auf den Grund. Nu, Elke! ſagte er.

Sie blieb ſtehen und nickte ihm zu: Ja, Hauke; aber eben hätteſt Du drinnen ſein müſſen!

4*52

Meinſt Du? Warum denn, Elke?

Der Herr Oberdeichgraf hat den Wirth gelobt!

Den Wirth? Was thut das mir?

Nein, ich mein ', den Deichgrafen hat er gelobt! Ein dunkles Roth flog über das Geſicht des jungen Menſchen: Ich weiß wohl, ſagte er, wohin Du damit ſegeln willſt!

Werd 'nur nicht roth, Hauke; Du warſt es ja doch eigentlich, den der Oberdeichgraf lobte!

Hauke ſah ſie mit halbem Lächeln an. Auch Du doch, Elke! ſagte er.

Aber ſie ſchüttelte den Kopf: Nein, Hauke; als ich allein der Helfer war, da wurden wir nicht gelobt. Ich kann ja auch nur rechnen; Du aber ſiehſt draußen Alles, was der Deichgraf doch wohl ſelber ſehen ſollte; Du haſt mich ausgeſtochen!

Ich hab 'das nicht gewollt, Dich am mindſten, ſagte Hauke zaghaft, und er ſtieß den Kopf einer Kuh zur Seite: Komm', Rothbunt, friß mir nicht die Furke auf, Du ſollſt ja Alles haben!

Denk 'nur nicht, daß mir's leid thut, Hauke, ſagte nach kurzem Sinnen das Mädchen; das iſt ja Mannesſache?

53

Da ſtreckte Hauke ihr den Arm entgegen: Elke, gib mir die Hand darauf!

Ein tiefes Roth ſchoß unter die dunkeln Brauen des Mädchens. Warum? Ich lüg 'ja nicht! rief ſie.

Hauke wollte antworten; aber ſie war ſchon zum Stall hinaus, und er ſtand mit ſeiner Furke in der Hand und hörte nur, wie draußen die Enten und Hühner um ſie ſchnatterten und krähten.

Es war im Januar von Hauke's drittem Dienſtjahre, als ein Winterfeſt gehalten werden ſollte; Eisboſeln nennen ſie es hier. Ein ſtändiger Froſt hatte beim Ruhen der Küſtenwinde alle Gräben zwiſchen den Fennen mit einer feſten ebenen Kryſtallfläche belegt, ſo daß die zerſchnittenen Landſtücke nun eine weite Bahn für das Werfen der kleinen mit Blei ausgegoſſenen Holzkugeln bildeten, womit das Ziel erreicht werden ſollte. Tag aus, Tag ein wehte ein leichter Nordoſt: Alles war ſchon in Ordnung; die Geeſtleute in dem zu Oſten über der Marſch belegenen Kirchdorf, die im vorigen Jahre geſiegt hatten, waren zum Wett - kampf gefordert und hatten angenommen; von54 jeder Seite waren neun Werfer aufgeſtellt; auch der Obmann und die Kret'ler waren gewählt. Zu letzteren, die bei Streitfällen über einen zweifel - haften Wurf mit einander zu verhandeln hatten, wurden allezeit Leute genommen, die ihre Sache ins beſte Licht zu rücken verſtanden, am liebſten Burſchen, die außer geſundem Menſchenverſtand auch noch ein luſtig Mundwerk hatten. Dazu ge - hörte vor allen Ole Peters, der Großknecht des Deichgrafen. Werft nur wie die Teufel, ſagte er; das Schwatzen thu ich ſchon umſonſt!

Es war gegen Abend vor dem Feſttag; in der Nebenſtube des Kirchſpielkruges droben auf der Geeſt war eine Anzahl von den Werfern erſchienen, um über die Aufnahme einiger zuletzt noch Angemeldeten zu beſchließen. Hauke Haien war auch unter dieſen; er hatte erſt nicht wollen, obſchon er ſeiner wurfgeübten Arme ſich wohl bewußt war; aber er fürchtete durch Ole Peters, der einen Ehrenpoſten in dem Spiel bekleidete, zurückgewieſen zu werden; die Niederlage wollte er ſich ſparen. Aber Elke hatte ihm noch in der elften Stunde den Sinn gewandt: Er wird's nicht wagen, Hauke, hatte ſie geſagt; er iſt ein Tagelöhnerſohn; Dein Vater hat Kuh55 und Pferd und iſt dazu der klügſte Mann im Dorf!

Aber, wenn er's dennoch fertig bringt?

Sie ſah ihn halb lächelnd aus ihren dunkeln Augen an. Dann, ſagte ſie, ſoll er ſich den Mund wiſchen, wenn er Abends mit ſeines Wirths Tochter zu tanzen denkt! Da hatte Hauke ihr muthig zugenickt.

Nun ſtanden die jungen Leute, die noch in das Spiel hineinwollten, frierend und fußtrampelnd vor dem Kirchſpielskrug und ſahen nach der Spitze des aus Felsblöcken gebauten Kirchthurms hinauf, neben dem das Krughaus lag. Des Paſtors Tauben, die ſich im Sommer auf den Feldern des Dorfes nährten, kamen eben von den Höfen und Scheuern der Bauern zurück, wo ſie ſich jetzt ihre Körner geſucht hatten und verſchwanden unter den Schindeln des Thurmes, hinter welchen ſie ihre Neſter hatten; im Weſten über dem Haf ſtand ein glühendes Abendroth.

Wird gut Wetter morgen! ſagte der eine der jungen Burſchen und begann heftig auf und ab zu wandern; aber kalt! kalt! Ein zweiter, als er keine Taube mehr fliegen ſah, ging in das56 Haus und ſtellte ſich horchend neben die Thür der Stube, aus der jetzt ein lebhaftes Durch - einander-Reden herausſcholl; auch des Deichgrafen Kleinknecht war neben ihn getreten. Hör ', Hauke, ſagte er zu dieſem; nun ſchreien ſie um Dich! und deutlich hörte man von drinnen Ole Peters knarrende Stimme: Kleinknechte und Jungens gehören nicht dazu!

Komm, flüſterte der Andere und ſuchte Hauke am Rockärmel an die Stubenthür zu ziehen, hier kannſt Du lernen, wie hoch ſie Dich taxiren!

Aber Hauke riß ſich los und ging wieder vor das Haus: Sie haben uns nicht ausgeſperrt, da - mit wir's hören ſollen! rief er zurück.

Vor dem Hauſe ſtand der Dritte der Ange - meldeten. Ich fürcht ', mit mir hat's einen Haken, rief er ihm entgegen; ich hab' kaum achtzehn Jahre; wenn ſie nur den Taufſchein nicht verlangen! Dich, Hauke, wird Dein Großknecht ſchon herauskreteln!

Ja, heraus! brummte Hauke und ſchleuderte mit dem Fuße einen Stein über den Weg; nur nicht hinein!

Der Lärm in der Stube wurde ſtärker; dann57 allmälig trat eine Stille ein; die draußen hörten wieder den leiſen Nordoſt, der ſich oben an der Kirchthurmſpitze brach. Der Horcher trat wieder zu ihnen. Wen hatten ſie da drinnen? frug der Achtzehnjährige.

Den da! ſagte Jener und wies auf Hauke; Ole Peters wollte ihn zum Jungen machen; aber Alle ſchrieen dagegen. Und ſein Vater hat Vieh und Land, ſagte Jeß Hanſen; Ja, Land, rief Ole Peters, das man auf dreizehn Karren weg - fahren kann? Zuletzt kam Ole Henſen: Still da! ſchrie er; ich will's Euch lehren: ſagt nur, wer iſt der erſte Mann im Dorf? Da ſchwiegen ſie erſt und ſchienen ſich zu beſinnen; dann ſagte eine Stimme: Das iſt doch wohl der Deichgraf! Und alle Andern riefen: Nun ja; unſerthalb der Deichgraf! Und wer iſt denn der Deich - graf? rief Ole Henſen wieder; aber nun bedenkt Euch recht! Da begann Einer leis zu lachen, und dann wieder Einer, bis zuletzt nichts in der Stube war, als lauter Lachen. Nun, ſo ruft ihn; ſagte Ole Henſen; Ihr wollt doch nicht den Deichgrafen von der Thür ſtoßen! Ich glaub ', ſie lachen noch; aber Ole Peters Stimme war58 nicht mehr zu hören! ſchloß der Burſche ſeinen Bericht.

Faſt in demſelben Augenblicke wurde drinnen im Hauſe die Stubenthür aufgeriſſen, und: Hauke! Hauke Haien! rief es laut und fröhlich in die kalte Nacht hinaus.

Da trabte Hauke in das Haus und hörte nicht mehr, wer denn der Deichgraf ſei; was in ſeinem Kopfe brütete, hat indeſſen Niemand wohl erfahren.

Als er nach einer Weile ſich dem Hauſe ſeiner Herrſchaft nahte, ſah er Elke drunten am Heck der Auffahrt ſtehen; das Mondlicht ſchimmerte über die unermeßliche weiß bereifte Weidefläche. Stehſt Du hier, Elke? frug er.

Sie nickte nur: Was iſt geworden? ſagte ſie; hat er's gewagt?

Was ſollt 'er nicht!

Nun, und?

Ja, Elke; ich darf es morgen doch verſuchen!

Gute Nacht, Hauke! Und ſie lief flüchtig die Werfte hinan und verſchwand im Hauſe.

Langſam folgte er ihr.

59

Auf der weiten Weidefläche, die ſich zu[Oſten] an der Landſeite des Deiches entlang zog, ſah man am Nachmittag darauf eine dunkle Menſchenmaſſe bald unbeweglich ſtille ſtehen, bald, nachdem zwei - mal eine hölzerne Kugel aus derſelben über den durch die Tagesſonne jetzt von Reif befreiten Boden hingeflogen war, abwärts von den hinter ihr liegenden langen und niedrigen Häuſern allmälig weiter rücken; die Parteien der Eisbosler in der Mitte, umgeben von Alt und Jung, was mit ihnen, ſei es in jenen Häuſern oder in denen droben auf der Geeſt Wohnung oder Verbleib hatte; die älteren Männer in langen Röcken, be - dächtig aus kurzen Pfeifen rauchend, die Weiber in Tüchern und Jacken, auch wohl Kinder an den Händen ziehend oder auf den Armen tragend. Aus den gefrorenen Gräben, welche allmälig über - ſchritten wurden, funkelte durch die ſcharfen Schilf - ſpitzen der bleiche Schein der Nachmittagsſonne, es fror mächtig; aber das Spiel ging unabläſſig vorwärts, und Aller Augen verfolgten immer wieder die fliegende Kugel; denn an ihr hing heute für das ganze Dorf die Ehre des Tages. Der Kret'ler der Parteien trug hier einen weißen, bei60 den Geeſtleuten einen ſchwarzen Stab mit eiſerner Spitze; wo die Kugel ihren Lauf geendet hatte, wurde dieſer, je nachdem, unter ſchweigender Aner - kennung oder dem Hohngelächter der Gegenpartei in den gefrorenen Boden eingeſchlagen, und weſſen Kugel zuerſt das Ziel erreichte, der hatte für ſeine Partei das Spiel gewonnen.

Geſprochen wurde von all den Menſchen wenig; nur wenn ein Capitalwurf geſchah, hörte man wohl einen Ruf der jungen Männer oder Weiber; oder von den Alten einer nahm ſeine Pfeife aus dem Mund und klopfte damit unter ein paar guten Worten den Werfer auf die Schulter: Das war ein Wurf, ſagte[Zacharies] und warf ſein Weib aus der Luke! oder: So warf Dein Vater auch; Gott tröſt 'ihn in der Ewigkeit! oder was ſie ſonſt für Gutes ſagten.

Bei ſeinem erſten Wurfe war das Glück nicht mit Hauke geweſen: als er eben den Arm hinten aus - ſchwang, um die Kugel fortzuſchleudern, war eine Wolke von der Sonne fortgezogen, die ſie vorhin be - deckt hatte, und dieſe traf mit ihrem vollen Strahl in ſeine Augen; der Wurf wurde zu kurz, die Kugel fiel auf einen Graben und blieb im Bummeis ſtecken.

61

Gilt nicht! Gilt nicht! Hauke, noch einmal, riefen ſeine Partner.

Aber der Kret'ler der Geeſtleute ſprang dagegen auf: Muß wohl gelten; geworfen iſt geworfen!

Ole! Ole Peters! ſchrie die Marſchjugend. Wo iſt Ole? Wo, zum Teufel, ſteckt er?

Aber er war ſchon da: Schreit nur nicht ſo! Soll Hauke wo geflickt werden! Ich dacht's mir ſchon.

Ei was! Hauke muß noch einmal werfen; nun zeig ', daß Du das Maul am rechten Fleck haſt!

Das hab 'ich ſchon! rief Ole und trat dem Geeſt-Kret'ler gegenüber und redete einen Haufen Gallimathias auf einander. Aber die Spitzen und Schärfen, die ſonſt aus ſeinen Worten blitzten, waren diesmal nicht dabei. Ihm zur Seite ſtand das Mädchen mit den Räthſelbrauen und ſah ſcharf aus zornigen Augen auf ihn hin; aber reden durfte ſie nicht; denn die Frauen hatten keine Stimme in dem Spiel.

Du leierſt Unſinn, rief der andere Kret'ler, weil Dir der Sinn nicht dienen kann! Sonne, Mond und Sterne ſind für uns Alle gleich und62 allezeit am Himmel; der Wurf war ungeſchickt, und alle ungeſchickten Würfe gelten!

So redeten ſie noch eine Weile gegen einander; aber das Ende war, daß nach Beſcheid des Ob - manns Hauke ſeinen Wurf nicht wiederholen durfte.

Vorwärts! riefen die Geeſtleute, und ihr Kret'ler zog den ſchwarzen Stab aus dem Boden, und der Werfer trat auf ſeinen Nummer-Ruf dort an und ſchleuderte die Kugel vorwärts. Als der Großknecht des Deichgrafen dem Wurfe zuſehen wollte, hatte er an Elke Volkerts vorbei müſſen: Wem zu Liebe ließeſt Du heut 'Deinen Verſtand zu Hauſe? raunte ſie ihm zu.

Da ſah er ſie faſt grimmig an, und aller Spaß war aus ſeinem breiten Geſichte verſchwunden. Dir zu Lieb! ſagte er; Denn Du haſt Deinen auch vergeſſen!

Geh 'nur; ich kenne Dich, Ole Peters! erwiderte das Mädchen ſich hoch aufrichtend; er aber kehrte den Kopf ab und that, als habe er das nicht gehört.

Und das Spiel und der ſchwarze und der weiße Stab gingen weiter. Als Hauke wieder am Wurf war, flog ſeine Kugel ſchon ſo weit, daß63 das Ziel, die große weiß gekalkte Tonne, klar in Sicht kam. Er war jetzt ein feſter junger Kerl, und Mathematik und Wurfkunſt hatte er täglich während ſeiner Knabenzeit getrieben. Oho, Hauke! rief es aus dem Haufen; das war ja, als habe der Erzengel Michael ſelbſt geworfen! Eine alte Frau mit Kuchen und Branntwein drängte ſich durch den Haufen zu ihm; ſie ſchenkte ein Glas voll und bot es ihm: Komm, ſagte ſie, wir wollen uns vertragen: das heut 'iſt beſſer, als da Du mir die Katze todtſchlugſt! Als er ſie anſah, erkannte er, daß es Trien' Jans war. Ich dank 'Dir, Alte, ſagte er; aber ich trink' das nicht. Er griff in ſeine Taſche und drückte ihr ein friſch - geprägtes Markſtück in die Hand: Nimm das und trink 'ſelber das Glas aus, Trien'; ſo haben wir uns vertragen!

Haſt recht, Hauke! erwiderte die Alte, indem ſie ſeiner Anweiſung folgte; haſt recht; das iſt auch beſſer für ein altes Weib, wie ich!

Wie geht's mit Deinen Enten? rief er ihr noch nach, als ſie ſich ſchon mit ihrem Korbe fortmachte; aber ſie ſchüttelte nur den Kopf, ohne ſich umzuwenden, und patſchte mit ihren alten64 Händen in die Luft. Nichts, nichts, Hauke; da ſind zu viele Ratten in Euren Gräben; Gott tröſt 'mich; man muß ſich anders nähren! Und ſomit drängte ſie ſich in den Menſchenhaufen und bot wieder ihren Schnaps und ihre Honig - kuchen an.

Die Sonne war endlich ſchon hinter den Deich hinabgeſunken; ſtatt ihrer glimmte ein rothvioletter Schimmer empor; mitunter flogen ſchwarze Krähen vorüber und waren auf Augenblicke wie vergoldet, es wurde Abend. Auf den Fennen aber rückte der dunkle Menſchentrupp noch immer weiter von den ſchwarzen ſchon fern liegenden Häuſern nach der Tonne zu; ein beſonders tüchtiger Wurf mußte ſie jetzt erreichen können. Die Marſchleute waren an der Reihe; Hauke ſollte werfen.

Die kreidige Tonne zeichnete ſich weiß in dem breiten Abendſchatten, der jetzt von dem Deiche über die Fläche fiel. Die werdet Ihr uns diesmal wohl noch laſſen! rief einer von den Geeſtleuten; denn es ging ſcharf her; ſie waren um mindeſtens ein halb Stieg Fuß im Vortheil.

Die hagere Geſtalt des Genannten trat eben aus der Menge; die grauen Augen ſahen aus dem65 langen Frieſengeſicht vorwärts nach der Tonne; in der herabhängenden Hand lag die Kugel.

Der Vogel iſt Dir wohl zu groß, hörte er in dieſem Augenblicke Ole Peters Knarrſtimme dicht vor ſeinen Ohren: Sollen wir ihn um einen grauen Topf vertauſchen?

Hauke wandte ſich und blickte ihn mit feſten Augen an: Ich werfe für die Marſch! ſagte er. Wohin gehörſt denn Du?

Ich denke, auch dahin; Du wirfſt doch wohl für Elke Volkerts!

Beiſeit! ſchrie Hauke und ſtellte ſich wieder in Poſitur. Aber Ole drängte mit dem Kopf noch näher auf ihn zu. Da plötzlich, bevor noch Hauke ſelber etwas dagegen unternehmen konnte, packte den Zudringlichen eine Hand und riß ihn rück - wärts, daß der Burſche gegen ſeine lachenden Kameraden taumelte. Es war keine große Hand geweſen, die das gethan hatte; denn als Hauke flüchtig den Kopf wandte, ſah er neben ſich Elke Volkerts ihren Aermel zurecht zupfen, und die dunkeln Brauen ſtanden ihr wie zornig in dem heißen Antlitz.

Da flog es wie eine Stahlkraft in Hauke'sTheodor Storm, Der Schimmelreiter. 566Arm; er neigte ſich ein wenig, er wiegte die Kugel ein paarmal in der Hand; dann holte er aus, und eine Todesſtille war auf beiden Seiten; alle Augen folgten der fliegenden Kugel, man hörte ihr Sauſen, wie ſie die Luft durchſchnitt; plötzlich, ſchon weit vom Wurfplatz, verdeckten ſie die Flügel einer Silbermöve, die ihren Schrei ausſtoßend vom Deich herüber kam; zugleich aber hörte man es in der Ferne an die Tonne klatſchen. Hurrah für Hauke! riefen die Marſchleute und lärmend ging es durch die Menge: Hauke! Hauke Haien hat das Spiel gewonnen!

Der aber, da ihn Alle dicht umdrängten, hatte ſeitwärts nur nach einer Hand gegriffen; auch da ſie wieder riefen: Was ſtehſt Du, Hauke? Die Kugel liegt ja in der Tonne! nickte er nur und ging nicht von der Stelle; erſt als er fühlte, daß ſich die kleine Hand feſt an die ſeine ſchloß, ſagte er: Ihr mögt ſchon recht haben; ich glaube auch, ich hab 'gewonnen!

Dann ſtrömte der ganze Trupp zurück, und Elke und Hauke wurden getrennt und von der Menge auf den Weg zum Kruge fortgeriſſen, der an des Deichgrafen Werfte nach der Geeſt67 hinaufbog. Hier aber entſchlüpften Beide dem Gedränge, und während Elke auf ihre Kammer ging, ſtand Hauke hinten vor der Stallthür auf der Werfte und ſah, wie der dunkle Menſchen - trupp allmälig nach dort hinaufwanderte, wo im Kirchſpielskrug ein Raum für die Tanzenden bereit ſtand. Das Dunkel breitete ſich allmälig über die weite Gegend; es wurde immer ſtiller um ihn her, nur hinter ihm im Stalle regte ſich das Vieh; oben von der Geeſt her glaubte er ſchon das Pfeifen der Clarinetten aus dem Kruge zu vernehmen. Da hörte er um die Ecke des Hauſes das Rauſchen eines Kleides, und kleine feſte Schritte gingen den Fußſteig hinab, der durch die Fennen nach der Geeſt hinaufführte. Nun ſah er auch im Dämmer die Geſtalt dahinſchreiten und ſah, daß es Elke war; ſie ging auch zum Tanze nach dem Krug. Das Blut ſchoß ihm in den Hals hinauf; ſollte er ihr nicht nachlaufen und mit ihr gehen? Aber Hauke war kein Held den Frauen gegenüber; mit dieſer Frage ſich beſchäftigend blieb er ſtehen, bis ſie im Dunkel ſeinem Blick ent - ſchwunden war.

Dann, als die Gefahr ſie einzuholen vorüber5 *68war, ging auch er denſelben Weg, bis er droben den Krug bei der Kirche erreicht hatte, und das Schwatzen und Schreien der vor dem Hauſe und auf dem Flur ſich Drängenden und das Schrillen der Geigen und Clarinetten betäubend ihn um - rauſchte. Unbeachtet drückte er ſich in den Gilde - ſaal; er war nicht groß und ſo voll, daß man kaum einen Schritt weit vor ſich hinſehen konnte. Schweigend ſtellte er ſich an den Thürpfoſten und blickte in das unruhige Gewimmel; die Menſchen kamen ihm wie Narren vor; er hatte auch nicht zu ſorgen, daß Jemand noch an den Kampf des Nachmittages dachte, und wer vor einer Stunde erſt das Spiel gewonnen hatte; jeder ſah nur auf ſeine Dirne und drehte ſich mit ihr im Kreis herum. Seine Augen ſuchten nur die Eine, und endlich dort! Sie tanzte mit ihrem Vetter, dem jungen Deichgevollmächtigten; aber ſchon ſah er ſie nicht mehr; nur andere Dirnen aus Marſch und Geeſt, die ihn nicht kümmerten. Dann ſchnappten Violinen und Clarinetten plötzlich ab, und der Tanz war zu Ende; aber gleich begann auch ſchon ein anderer. Hauke flog es durch den Kopf, ob denn Elke ihm auch Wort halten, ob69 ſie nicht mit Ole Peters ihm vorbeitanzen werde. Faſt hätte er einen Schrei bei dem Gedanken aus - geſtoßen; dann ja, was wollte er dann? Aber ſie ſchien bei dieſem Tanze gar nicht mit - zuhalten, und endlich ging auch der zu Ende, und ein anderer, ein Zweitritt, der eben erſt hier in die Mode gekommen war, folgte. Wie raſend ſetzte die Muſik ein, die jungen Kerle ſtürzten zu den Dirnen, die Lichter an den Wänden flirrten. Hauke reckte ſich faſt den Hals aus, um die Tanzenden zu erkennen; und dort, im dritten Paare, das war Ole Peters; aber wer war die Tänzerin? Ein breiter Marſchburſche ſtand vor ihr und deckte ihr Geſicht! Doch der Tanz raſ'te weiter, und Ole mit ſeiner Partnerin drehte ſich heraus; Vollina! Vollina Harders! rief Hauke faſt laut und ſeufzte dann gleich wieder erleichtert auf. Aber wo blieb Elke? Hatte ſie keinen Tänzer, oder hatte ſie alle ausgeſchlagen, weil ſie nicht mit Ole hatte tanzen wollen? Und die Muſik ſetzte wieder ab, und ein neuer Tanz begann; aber wieder ſah er Elke nicht! Doch dort kam Ole, noch immer die dicke Vollina in den Armen! Nun, nun, ſagte Hauke; da wird Jeß Harders mit70 ſeinen fünfundzwanzig Demath auch wohl bald aufs Altentheil müſſen! Aber wo iſt Elke?

Er verließ ſeinen Thürpfoſten und drängte ſich weiter in den Saal hinein; da ſtand er plötzlich vor ihr, die mit einer älteren Freundin in einer Ecke ſaß. Hauke! rief ſie, mit ihrem ſchmalen Antlitz zu ihm aufblickend; biſt Du hier? Ich ſah Dich doch nicht tanzen!

Ich tanzte auch nicht, erwiderte er.

Weshalb nicht, Hauke? und ſich halb erhebend, ſetzte ſie hinzu: Willſt Du mit mir tanzen? Ich hab 'es Ole Peters nicht gegönnt; der kommt nicht wieder!

Aber Hauke machte keine Anſtalt: Ich danke, Elke, ſagte er; ich verſtehe das nicht gut genug; ſie könnten über Dich lachen; und dann ... er ſtockte plötzlich und ſah ſie nur aus ſeinen grauen Augen herzlich an, als ob er's ihnen über - laſſen müſſe, das Uebrige zu ſagen.

Was meinſt Du, Hauke? frug ſie leiſe.

Ich mein ', Elke, es kann ja doch der Tag nicht ſchöner für mich ausgeh'n, als er's ſchon gethan hat.

Ja, ſagte ſie, Du haſt das Spiel gewonnen.

71

Elke! mahnte er kaum hörbar.

Da ſchlug ihr eine heiße Lohe in das An - geſicht: Geh! ſagte ſie; was willſt Du? und ſchlug die Augen nieder.

Als aber die Freundin jetzt von einem Burſchen zum Tanze fortgezogen wurde, ſagte Hauke lauter: Ich dachte, Elke, ich hätt 'was Beſſeres gewonnen!

Noch ein paar Augenblicke ſuchten ihre Augen auf dem Boden; dann hob ſie ſie langſam, und ein Blick, mit der ſtillen Kraft ihres Weſens, traf in die ſeinen, der ihn wie Sommerluft durch - ſtrömte. Thu ', wie Dir ums Herz iſt, Hauke! ſprach ſie; wir ſollten uns wohl kennen!

Elke tanzte an dieſem Abend nicht mehr, und als Beide dann nach Hauſe gingen, hatten ſie ſich Hand in Hand gefaßt; aus der Himmelshöhe funkelten die Sterne über der ſchweigenden Marſch; ein leichter Oſtwind wehte und brachte ſtrenge Kälte; die Beiden aber gingen, ohne viel Tücher und Umhang, dahin, als ſei es plötzlich Frühling worden.

Hauke hatte ſich auf ein Ding beſonnen, deſſen paſſende Verwendung zwar in ungewiſſer72 Zukunft lag, mit dem er ſich aber eine ſtille Feier zu bereiten gedachte. Deshalb ging er am nächſten Sonntag in die Stadt zum alten Goldſchmied Anderſen und beſtellte einen ſtarken Goldring. Streckt den Finger her, damit wir meſſen! ſagte der Alte und faßte ihm nach dem Goldfinger. Nun, meinte er, der iſt nicht gar ſo dick, wie ſie bei Euch Leuten ſonſt zu ſein pflegen! Aber Hauke ſagte: Meſſet lieber am kleinen Finger! und hielt ihm den entgegen.

Der Goldſchmied ſah ihn etwas verdutzt an; aber was kümmerten ihn die Einfälle der jungen Bauernburſchen: Da werden wir ſchon ſo einen unter den Mädchenringen haben! ſagte er, und Hauke ſchoß das Blut durch beide Wangen. Aber der kleine Goldring paßte auf ſeinen kleinen Finger, und er nahm ihn haſtig und bezahlte ihn mit blankem Silber; dann ſteckte er ihn unter lautem Herzklopfen, und als ob er einen feierlichen Act begehe, in die Weſtentaſche. Dort trug er ihn ſeit - dem an jedem Tage mit Unruhe und doch mit Stolz, als ſei die Weſtentaſche nur dazu da, um einen Ring darin zu tragen.

Er trug ihn ſo über Jahr und Tag, ja der73 Ring mußte ſogar aus dieſer noch in eine neue Weſtentaſche wandern; die Gelegenheit zu ſeiner Befreiung hatte ſich noch immer nicht ergeben wollen. Wohl war's ihm durch den Kopf geflogen, nur graden Wegs vor ſeinen Wirth hinzutreten; ſein Vater war ja doch auch ein Eingeſeſſener! Aber wenn er ruhiger wurde, dann wußte er wohl, der alte Deichgraf würde ſeinen Kleinknecht ausgelacht haben. Und ſo lebten er und des Deichgrafen Tochter neben einander hin; auch ſie in mädchen - haftem Schweigen, und Beide doch, als ob ſie all - zeit Hand in Hand gingen.

Ein Jahr nach jenem Winterfeſttag hatte Ole Peters ſeinen Dienſt gekündigt und mit Vollina Harders Hochzeit gemacht; Hauke hatte recht ge - habt: der Alte war auf Altentheil gegangen, und ſtatt der dicken Tochter ritt nun der muntere Schwiegerſohn die gelbe Stute in die Fenne und, wie es hieß, rückwärts allzeit gegen den Deich hinan. Hauke war Großknecht geworden, und ein Jüngerer an ſeine Stelle getreten; wohl hatte der Deichgraf ihn erſt nicht wollen aufrücken laſſen. Kleinknecht iſt beſſer! hatte er gebrummt; ich brauch 'ihn hier bei meinen Büchern! Aber Elke74 hatte ihm vorgehalten: dann geht auch Hauke, Vater! Da war dem Alten bange geworden, und Hauke war zum Großknecht aufgerückt, hatte aber trotz deſſen nach wie vor auch an der Deichgraf - ſchaft mitgeholfen.

Nach einem andern Jahr aber begann er gegen Elke davon zu reden, ſein Vater werde kümmer - lich, und die paar Tage, die der Wirth ihn im Sommer in deſſen Wirthſchaft laſſe, thäten's nun nicht mehr; der Alte quäle ſich, er dürfe das nicht länger anſeh'n. Es war ein Sommerabend; die beiden ſtanden im Dämmerſchein unter der großen Eſche vor der Hausthür. Das Mädchen ſah eine Weile ſtumm in die Zweige des Baumes hinauf; dann entgegnete ſie: Ich hab's nicht ſagen wollen, Hauke; ich dachte, Du würdeſt ſelber wohl das Rechte treffen.

Ich muß dann fort aus Eurem Hauſe, ſagte er, und kann nicht wiederkommen.

Sie ſchwiegen eine Weile und ſahen in das Abendroth, das drüben hinterm Deiche in das Meer verſank. Du mußt es wiſſen, ſagte ſie; ich war heut 'Morgen noch bei Deinem Vater und fand ihn in ſeinem Lehnſtuhl eingeſchlafen;75 die Reißfeder in der Hand, das Reißbrett mit einer halben Zeichnung lag vor ihm auf dem Tiſch; und da er erwacht war und mühſam ein Viertelſtündchen mit mir geplaudert hatte, und ich nun gehen wollte, da hielt er mich ſo angſt - voll an der Hand zurück, als fürchte er, es ſei zum letzten Mal; aber ...

Was aber, Elke? frug Hauke, da ſie fort - zufahren zögerte.

Ein paar Thränen rannen über die Wangen des Mädchens. Ich dachte nur an meinen Vater, ſagte ſie; glaub 'mir, es wird ihn ſchwer an - kommen, Dich zu miſſen. Und als ob ſie zu dem Worte ſich ermannen müſſe, fügte ſie hinzu: Mir iſt es oft, als ob auch er auf ſeine Todtenkammer rüſte.

Hauke antwortete nicht; ihm war es plötzlich, als rühre ſich der Ring in ſeiner Taſche; aber noch bevor er ſeinen Unmuth über dieſe un - willkürliche Lebensregung unterdrückt hatte, fuhr Elke fort: Nein, zürn 'nicht, Hauke! Ich trau', Du wirſt auch ſo uns nicht verlaſſen!

Da ergriff er eifrig ihre Hand, und ſie ent - zog ſie ihm nicht. Noch eine Weile ſtanden die76 jungen Menſchen in dem ſinkenden Dunkel bei einander, bis ihre Hände auseinanderglitten, und jedes ſeine Wege ging. Ein Windſtoß fuhr empor und rauſchte durch die Eſchenblätter und machte die Läden klappern, die an der Vorderſeite des Hauſes waren; allmälig aber kam die Nacht, und Stille lag über der ungeheueren Ebene.

Durch Elke's Zuthun war Hauke von dem alten Deichgrafen ſeines Dienſtes entlaſſen worden, obgleich er ihm rechtzeitig nicht gekündigt hatte, und zwei neue Knechte waren jetzt im Hauſe. Noch ein paar Monate weiter, dann ſtarb Tede Haien; aber bevor er ſtarb, rief er den Sohn an ſeine Lagerſtatt: Setz 'Dich zu mir, mein Kind, ſagte der Alte mit matter Stimme, dicht zu mir! Du brauchſt Dich nicht zu fürchten; wer bei mir iſt, das iſt nur der dunkle Engel des Herrn, der mich zu rufen kommt.

Und der erſchütterte Sohn ſetzte ſich dicht an das dunkle Wandbett: Sprecht Vater, was Ihr noch zu ſagen habt!

Ja, mein Sohn, noch Etwas, ſagte der Alte und ſtreckte ſeine Hände über das Deckbett. 77 Als Du, noch ein halber Junge, zu dem Deich - grafen in Dienſt gingſt, da lag's in Deinem Kopf, das ſelbſt einmal zu werden. Das hatte mich an - geſteckt, und ich dachte auch allmälig, Du ſeieſt der rechte Mann dazu. Aber Dein Erbe war für ſolch ein Amt zu klein ich habe während Deiner Dienſtzeit knapp gelebt ich dacht 'es zu ver - mehren.

Hauke faßte heftig ſeines Vaters Hände, und der Alte ſuchte ſich aufzurichten, daß er ihn ſehen könne. Ja, ja, mein Sohn, ſagte er, dort in der oberſten Schublade der Schatulle liegt das Document. Du weißt, die alte Antje Wohlers hat eine Fenne von fünf und einem halben Demath; aber ſie konnte mit dem Miethgelde allein in ihrem krüppelhaften Alter nicht mehr durch - finden; da habe ich allzeit um Martini eine beſtimmte Summe, und auch mehr, wenn ich es hatte, dem armen Menſch gegeben; und dafür hat ſie die Fenne mir übertragen; es iſt Alles gerichtlich fertig. Nun liegt auch ſie am Tode; die Krankheit unſerer Marſchen, der Krebs, hat ſie befallen; Du wirſt nicht mehr zu zahlen brauchen!

78

Eine Weile ſchloß er die Augen; dann ſagte er noch: Es iſt nicht viel; doch haſt Du mehr dann, als Du bei mir gewohnt warſt. Mög 'es Dir zu Deinem Erdenleben dienen!

Unter den Dankesworten des Sohnes ſchlief der Alte ein. Er hatte nichts mehr zu beſorgen; und ſchon nach einigen Tagen hatte der dunkle Engel des Herrn ihm ſeine Augen für immer zu - gedrückt, und Hauke trat ſein väterliches Erbe an.

Am Tage nach dem Begräbniß kam Elke in deſſen Haus. Dank, daß Du einguckſt, Elke! rief Hauke ihr als Gruß entgegen.

Aber ſie erwiderte: Ich guck 'nicht ein; ich will bei Dir ein wenig Ordnung ſchaffen, damit Du ordentlich in Deinem Hauſe wohnen kannſt! Dein Vater hat vor ſeinen Zahlen und Riſſen nicht viel um ſich geſehen, und auch der Tod ſchafft Wirrſal; ich will's Dir wieder ein wenig lebig machen!

Er ſah aus ſeinen grauen Augen voll Ver - trauen auf ſie hin: So ſchaff 'nur Ordnung! ſagte er; ich hab's auch lieber.

Und dann begann ſie aufzuräumen: das Reiß - brett, das noch da lag, wurde abgeſtäubt und auf79 den Boden getragen; Reißfedern und Bleiſtift und Kreide ſorgfältig in einer Schatullen-Schublade weggeſchloſſen; dann wurde die junge Dienſtmagd zur Hülfe hereingerufen, und mit ihr das Geräthe der ganzen Stube in eine andere und beſſere Stellung gebracht, ſo daß es anſchien, als ſei die - ſelbe nun heller und größer geworden. Lächelnd ſagte Elke: das können nur wir Frauen! und Hauke, trotz ſeiner Trauer um den Vater, hatte mit glücklichen Augen zugeſehen; auch wohl ſelber, wo es nöthig war, geholfen.

Und als gegen die Dämmerung es war zu Anfang des Septembers Alles war, wie ſie es für ihn wollte, faßte ſie ſeine Hand und nickte ihm mit ihren dunkeln Augen zu: Nun komm und bei uns zu Abend; denn meinem Vater hab 'ich's verſprechen müſſen, Dich mitzubringen; wenn Du dann heimgehſt, kannſt Du ruhig in Dein Haus treten!

Als ſie dann in die geräumige Wohnſtube des Deichgrafen traten, wo bei verſchloſſenen Läden ſchon die beiden Lichter auf dem Tiſche brannten, wollte dieſer aus ſeinem Lehnſtuhl in die Höhe, aber mit ſeinem ſchweren Körper zurückſinkend,80 rief er nur ſeinem früheren Knecht entgegen: Recht, recht, Hauke, daß Du Deine alten Freunde auf - ſuchſt! Komm nur näher, immer näher! Und als Hauke an ſeinen Stuhl getreten war, faßte er deſſen Hand mit ſeinen beiden runden Händen: Nun, nun, mein Junge; ſagte er, ſei nur ruhig jetzt; denn ſterben müſſen wir Alle, und Dein Vater war keiner von den Schlechtſten! Aber Elke, nun ſorg ', daß Du den Braten auf den Tiſch kriegſt; wir müſſen uns ſtärken! Es gibt viel Arbeit für uns, Hauke! Die Herbſtſchau iſt in Anmarſch; Deich - und Sielrechnungen haushoch; der neuliche Deichſchaden am Weſterkoog ich weiß nicht, wo mir der Kopf ſteht; aber Deiner, Gott Lob, iſt um ein gut Stück jünger; Du biſt ein braver Junge, Hauke!

Und nach dieſer langen Rede, womit der Alte ſein ganzes Herz dargelegt hatte, ließ er ſich in ſeinen Stuhl zurückfallen und blinzelte ſehn - ſüchtig nach der Thür, durch welche Elke eben mit der Bratenſchüſſel hereintrat. Hauke ſtand lächelnd neben ihm. Nun ſetz 'Dich, ſagte der Deich - graf, damit wir nicht unnöthig Zeit verſpillen; kalt ſchmeckt das nicht!

81

Und Hauke ſetzte ſich; es ſchien ihm Selbſt - verſtand, die Arbeit von Elke's Vater mitzuthun. Und als die Herbſtſchau dann gekommen war, und ein paar Monde mehr ins Jahr gingen, da hatte er freilich auch den beſten Theil daran gethan.

Der Erzähler hielt inne und blickte um ſich. Ein Mövenſchrei war gegen das Fenſter geſchlagen, und draußen vom Hausflur aus wurde ein Trampeln hörbar, als ob einer den Klei von ſeinen ſchweren Stiefeln abtrete.

Deichgraf und Gevollmächtigte wandten die Köpfe gegen die Stubenthür. Was iſt? rief der Erſtere.

Ein ſtarker Mann, den Südweſter auf dem Kopf, war eingetreten. Herr, ſagte er, wir Beide haben es geſehen, Hans Nickels und ich: der Schimmelreiter hat ſich in den Bruch geſtürzt!

Wo ſaht Ihr das? frug der Deichgraf.

Es iſt ja nur die eine Wehle; in Janſens Fenne, wo der Hauke-Haienkoog beginnt.

Saht Ihr's nur einmal?

Nur einmal; es war auch nur wieTheodor Storm, Der Schimmelreiter. 682Schatten; aber es braucht drum nicht das erſte Mal geweſen zu ſein.

Der Deichgraf war aufgeſtanden. Sie wollen entſchuldigen, ſagte er, ſich zu mir wendend, wir müſſen draußen nachſehn, wo das Unheil hin will! Dann ging er mit dem Boten zur Thür hinaus; aber auch die übrige Geſellſchaft brach auf und folgte ihm.

Ich blieb mit dem Schullehrer allein in dem großen öden Zimmer; durch die unverhangenen Fenſter, welche nun nicht mehr durch die Rücken der davor ſitzenden Gäſte verdeckt wurden, ſah man frei hinaus, und wie der Sturm die dunklen Wolken über den Himmel jagte. Der Alte ſaß noch auf ſeinem Platze, ein überlegenes, faſt mit - leidiges Lächeln auf ſeinen Lippen. Es iſt hier zu leer geworden, ſagte er; darf ich Sie zu mir auf mein Zimmer laden? Ich wohne hier im Hauſe; und glauben Sie mir, ich kenne die Wetter hier am Deich; für uns iſt nichts zu fürchten.

Ich nahm das dankend an; denn auch mich wollte hier zu fröſteln anfangen, und wir ſtiegen unter Mitnahme eines Lichtes die Stiegen zu einer Giebelſtube hinauf, die zwar gleichfalls gegen Weſten83 hinauslag, deren Fenſter aber jetzt mit dunklen Wollteppichen verhangen waren. In einem Bücher - regal ſah ich eine kleine Bibliothek, daneben die Porträte zweier alter Profeſſoren; vor einem Tiſche ſtand ein großer Ohrenlehnſtuhl. Machen Sie ſich's bequem! ſagte mein freundlicher Wirth und warf einige Torf in den noch glimmenden kleinen Ofen, der oben von einem Blechkeſſel gekrönt war. Nur noch ein Weilchen! Er wird bald ſauſen; dann brau 'ich uns ein Gläschen Grog; das hält Sie munter!

Deſſen bedarf es nicht, ſagte ich; ich werd 'nicht ſchläfrig, wenn ich Ihren Hauke auf ſeinem Lebensweg begleite!

Meinen Sie? und er nickte mit ſeinen klugen Augen zu mir herüber, nachdem ich behaglich in ſeinem Lehnſtuhl untergebracht war. Nun, wo blieben wir denn? Ja, ja; ich weiß ſchon! Alſo:

Hauke hatte ſein väterliches Erbe angetreten, und da die alte Antje Wohlers auch ihrem Leiden erlegen war, ſo hatte deren Fenne es vermehrt. Aber ſeit dem Tode, oder, richtiger, ſeit den letzten Worten ſeines Vaters war in ihm Etwas6 *84aufgewachſen, deſſen Keim er ſchon ſeit ſeiner Knaben - zeit in ſich getragen hatte; er wiederholte es ſich mehr als zu oft, er ſei der rechte Mann, wenn's einen neuen Deichgrafen geben müſſe. Das war es; ſein Vater, der es verſtehen mußte, der ja der klügſte Mann im Dorf geweſen war, hatte ihm dieſes Wort wie eine letzte Gabe ſeinem Erbe bei - gelegt; die Wohler'ſche Fenne, die er ihm auch verdankte, ſollte den erſten Trittſtein zu dieſer Höhe bilden! Denn, freilich, auch mit dieſer ein Deich - graf mußte noch einen andern Grundbeſitz auf - weiſen können! Aber ſein Vater hatte ſich einſame Jahre knapp beholfen, und mit dem, was er ſich entzogen hatte, war er des neuen Beſitzes Herr geworden; das konnte er auch, er konnte noch mehr; denn ſeines Vaters Kraft war ſchon verbraucht geweſen, er aber konnte noch jahrelang die ſchwerſte Arbeit thun! Freilich, wenn er es dadurch nach dieſer Seite hin erzwang, durch die Schärfen und Spitzen, die er der Verwaltung ſeines alten Dienſtherrn zugeſetzt hatte, war ihm eben keine Freundſchaft im Dorf zu Wege gebracht worden, und Ole Peters, ſein alter Widerſacher, hatte jüngſthin eine Erbſchaft gethan und begann85 ein wohlhabender Mann zu werden! Eine Reihe von Geſichtern ging vor ſeinem innern Blick vor - über, und ſie ſahen ihn alle mit böſen Augen an; da faßte ihn ein Groll gegen dieſe Menſchen, er ſtreckte die Arme aus, als griffe er nach ihnen; denn ſie wollten ihn vom Amte drängen, zu dem von allen nur er berufen war. Und die Ge - danken ließen ihn nicht; ſie waren immer wieder da, und ſo wuchſen in ſeinem jungen Herzen neben der Ehrenhaftigkeit und Liebe auch die Ehrſucht und der Haß. Aber dieſe Beiden verſchloß er tief in ſeinem Innern; ſelbſt Elke ahnte nichts davon.

Als das neue Jahr gekommen war, gab es eine Hochzeit; die Braut war eine Verwandte von den Haiens, und Hauke und Elke waren Beide dort geladene Gäſte; ja, bei dem Hochzeit - eſſen traf es ſich durch das Ausbleiben eines näheren Verwandten, daß ſie ihre Plätze neben einander fanden. Nur ein Lächeln, das über Beider Antlitz glitt, verrieth ihre Freude darüber. Aber Elke ſaß heute theilnahmlos in dem Geräuſche des Plauderns und Gläſerklirrens

Fehlt Dir etwas? frug Hauke.

86

O, eigentlich nichts; es ſind mir nur zu viele Menſchen hier.

Aber Du ſiehſt ſo traurig aus!

Sie ſchüttelte den Kopf; dann ſprachen ſie wieder nicht.

Da ſtieg es über ihr Schweigen wie Eiferſucht in ihm auf, und heimlich unter dem überhängenden Tiſchtuch ergriff er ihre Hand; aber ſie zuckte nicht, ſie ſchloß ſich wie vertrauensvoll um ſeine. Hatte ein Gefühl der Verlaſſenheit ſie befallen, da ihre Augen täglich auf der hinfälligen Geſtalt des Vaters haften mußten? Hauke dachte nicht daran, ſich ſo zu fragen; aber ihm ſtand der Athem ſtill, als er jetzt ſeinen Goldring aus der Taſche zog. Läßt Du ihn ſitzen? frug er zitternd, während er den Ring auf den Goldfinger der ſchmalen Hand ſchob.

Gegenüber am Tiſche ſaß die Frau Paſtorin; ſie legte plötzlich ihre Gabel hin und wandte ſich zu ihrem Nachbar: Mein Gott, das Mädchen! rief ſie; ſie wird ja todtenblaß!

Aber das Blut kehrte ſchon zurück in Elke's Antlitz. Kannſt Du warten, Hauke? frug ſie leiſe.

Der kluge Frieſe beſann ſich doch noch ein paar Augenblicke. Auf was? ſagte er dann.

87

Du weißt das wohl; ich brauch 'Dir's nicht zu ſagen.

Du haſt recht, ſagte er; ja, Elke, ich kann warten wenn's nur ein menſchlich Abſeh'n hat!

O Gott, ich fürcht ', ein nahes! Sprich nicht ſo, Hauke; Du ſprichſt von meines Vaters Tod! Sie legte die andere Hand auf ihre Bruſt: Bis dahin, ſagte ſie, trag' ich den Goldring hier; Du ſollſt nicht fürchten, daß Du bei meiner Lebzeit ihn zurück - bekommſt!

Da lächelten ſie Beide, und ihre Hände preßten ſich in einander, daß bei anderer Gelegenheit das Mädchen wohl laut aufgeſchrieen hätte.

Die Frau Paſtorin hatte indeſſen unabläſſig nach Elke's Augen hingeſehen, die jetzt unter dem Spitzenſtrich des goldbrokatenen Käppchens wie in dunklem Feuer brannten. Bei dem zunehmenden Getöſe am Tiſche aber hatte ſie nichts verſtanden; auch an ihren Nachbar wandte ſie ſich nicht wieder; denn keimende Ehen und um eine ſolche ſchien es ihr ſich denn doch hier zu handeln ſchon um des daneben keimenden Traupfennigs für ihren Mann, den Paſtor, pflegte ſie nicht zu ſtören.

88

Elke's Vorahnung war in Erfüllung gegangen; eines Morgens nach Oſtern hatte man den Deich - grafen Tede Volkerts todt in ſeinem Bett ge - funden; man ſah's an ſeinem Antlitz, ein ruhiges Ende war darauf geſchrieben. Er hatte auch mehrfach in den letzten Monden Lebensüberdruß geäußert; ſein Leibgericht, der Ofenbraten, ſelbſt ſeine Enten hatten ihm nicht mehr ſchmecken wollen.

Und nun gab es eine große Leiche im Dorf. Droben auf der Geeſt auf dem Begräbnißplatz um die Kirche war zu Weſten eine mit Schmiede - gitter umhegte Grabſtätte; ein breiter blauer Grabſtein ſtand jetzt aufgehoben gegen eine Trauer - eſche, auf welchem das Bild des Todes mit ſtark gezahnten Kiefern ausgehauen war; darunter in großen Buchſtaben:

Dat is de Dot, de Allens fritt,
Nimmt Kunſt un Wetenſchop di mit;
De kloke Mann is nu vergån,
Gott gäw em ſelik Uperſtån.

Es war die Begräbnißſtätte des früheren Deich - grafen Volkert Tedſen; nun war eine friſche Grube gegraben, wo hinein deſſen Sohn, der jetzt ver - ſtorbene Deichgraf Tede Volkerts begraben werden89 ſollte. Und ſchon kam unten aus der Marſch der Leichenzug heran, eine Menge Wagen aus allen Kirchſpielsdörfern; auf dem vorderſten ſtand der ſchwere Sarg, die beiden blanken Rappen des deichgräflichen Stalles zogen ihn ſchon den ſandigen Anberg zur Geeſt hinauf; Schweife und Mähnen der Pferde wehten in dem ſcharfen Frühjahrswind. Der Gottesacker um die Kirche war bis an die Wälle mit Menſchen angefüllt; ſelbſt auf dem gemauerten Thore huckten Buben mit kleinen Kindern in den Armen; ſie wollten alle das Be - graben anſeh'n.

Im Hauſe drunten in der Marſch hatte Elke in Peſel und Wohngelaß das Leichenmahl gerüſtet; alter Wein wurde bei den Gedecken hingeſtellt; an den Platz des Oberdeichgrafen denn auch er war heut 'nicht ausgeblieben und an den des Paſtors je eine Flaſche Langkork. Als Alles be - ſorgt war, ging ſie durch den Stall vor die Hof - thür; ſie traf Niemanden auf ihrem Wege; die Knechte waren mit zwei Geſpannen in der Leichenfuhr. Hier blieb ſie ſtehen und ſah, während ihre Trauerkleider im Frühlingswinde flatterten, wie drüben an dem Dorfe jetzt die90 letzten Wagen zur Kirche hinauffuhren. Nach einer Weile entſtand dort ein Gewühl, dem eine Todtenſtille zu folgen ſchien. Elke faltete die Hände; ſie ſenkten wohl den Sarg jetzt in die Grube: Und zur Erde wieder ſollſt Du werden! Unwillkürlich, leiſe, als hätte ſie von dort es hören können, ſprach ſie die Worte nach; dann füllten ihre Augen ſich mit Thränen, ihre über der Bruſt gefalteten Hände ſanken in den Schooß; Vater unſer, der Du biſt im Himmel! betete ſie voll Inbrunſt. Und als das Gebet des Herrn zu Ende war, ſtand ſie noch lange unbeweglich, ſie, die jetzige Herrin dieſes großen Marſchhofes; und Gedanken des Todes und des Lebens begannen ſich in ihr zu ſtreiten.

Ein fernes Rollen weckte ſie. Als ſie die Augen öffnete, ſah ſie ſchon wieder einen Wagen um den anderen in raſcher Fahrt von der Marſch herab und gegen ihren Hof heran kommen. Sie richtete ſich auf, blickte noch einmal ſcharf hinaus und ging dann, wie ſie gekommen war, durch den Stall in die feierlich hergeſtellten Wohn - räume zurück. Auch hier war Niemand; nur durch die Mauer hörte ſie das Rumoren der Mägde in91 der Küche. Die Feſttafel ſtand ſo ſtill und einſam; der Spiegel zwiſchen den Fenſtern war mit weißen Tüchern zugeſteckt und ebenſo die Meſſingknöpfe an dem Beilegerofen; es blinkte nichts mehr in der Stube. Elke ſah die Thüren vor dem Wand - bett, in dem ihr Vater ſeinen letzten Schlaf gethan hatte, offen ſtehen und ging hinzu und ſchob ſie feſt zuſammen; wie gedankenlos las ſie den Sinn - ſpruch, der zwiſchen Roſen und Nelken mit goldenen Buchſtaben darauf geſchrieben ſtand:

Heſt du din Dågwark richtig dån,
da kommt de Slåp von ſülvſt heran.

Das war noch von dem Großvater! Einen Blick warf ſie auf den Wandſchrank; er war faſt leer; aber durch die Glasthüren ſah ſie noch den geſchliffenen Pocal darin, der ihrem Vater, wie er gern erzählt hatte, einſt bei einem Ringreiten in ſeiner Jugend als Preis zu Theil geworden war. Sie nahm ihn heraus und ſetzte ihn bei dem Gedeck des Oberdeichgrafen. Dann ging ſie ans Fenſter; denn ſchon hörte ſie die Wagen an der Werfte heraufrollen; einer um den andern hielt vor dem Hauſe, und munterer, als ſie gekommen waren, ſprangen jetzt die Gäſte von92 ihren Sitzen auf den Boden. Hände reibend und plaudernd drängte ſich Alles in die Stube; nicht lange, ſo ſetzte man ſich an die feſtliche Tafel, auf der die wohlbereiteten Speiſen dampften, im Peſel der Oberdeichgraf mit dem Paſtor; und Lärm und lautes Schwatzen lief den Tiſch entlang, als ob hier nimmer der Tod ſeine furchtbare Stille ausgebreitet hätte. Stumm, das Auge auf ihre Gäſte, ging Elke mit den Mägden an den Tiſchen herum, daß an dem Leichenmahle nichts verſehen werde. Auch Hauke Haien ſaß im Wohn - zimmer neben Ole Peters und anderen kleineren Beſitzern.

Nachdem das Mahl beendet war, wurden die weißen Thonpfeifen aus der Ecke geholt und angebrannt, und Elke war wiederum geſchäftig, die gefüllten Kaffeetaſſen den Gäſten anzubieten; denn auch der wurde heute nicht geſpart. Im Wohnzimmer an dem Pulte des eben Begrabenen ſtand der Oberdeichgraf im Geſpräche mit dem Paſtor und dem weißhaarigen Deichgevollmächtigten Jewe Manners. Alles gut, Ihr Herren, ſagte der Erſte, den alten Deichgrafen haben wir mit Ehren beigeſetzt; aber woher nehmen wir den neuen? 93Ich denke, Manners, Ihr werdet Euch dieſer Würde unterziehen müſſen!

Der alte Manners hob lächelnd das ſchwarze Sammetkäppchen von ſeinen weißen Haaren: Herr Oberdeichgraf, ſagte er, das Spiel würde zu kurz werden; als der verſtorbene Tede Volkerts Deichgraf, da wurde ich Gevollmächtigter und bin es nun ſchon vierzig Jahre!

Das iſt kein Mangel, Manners; ſo kennt Ihr die Geſchäfte um ſo beſſer und werdet nicht Noth mit ihnen haben!

Aber der Alte ſchüttelte den Kopf: Nein, nein, Euer Gnaden, laſſet mich, wo ich bin, ſo laufe ich wohl noch ein paar Jahre mit!

Der Paſtor ſtand ihm bei: Weshalb, ſagte er, nicht den ins Amt nehmen, der es thatſächlich in den letzten Jahren doch geführt hat?

Der Oberdeichgraf ſah ihn an: Ich verſtehe nicht, Herr Paſtor!

Aber der Paſtor wies mit dem Finger in den Peſel, wo Hauke in langſam ernſter Weiſe zwei älteren Leuten Etwas zu erklären ſchien. Dort ſteht er, ſagte er, die lange Frieſengeſtalt mit den klugen grauen Augen neben der hageren Naſe94 und den zwei Schädelwölbungen darüber! Er war des Alten Knecht und ſitzt jetzt auf ſeiner eigenen kleinen Stelle; er iſt zwar etwas jung!

Er ſcheint ein Dreißiger, ſagte der Ober - deichgraf, den ihm ſo Vorgeſtellten muſternd.

Er iſt kaum vierundzwanzig, bemerkte der Gevollmächtigte Manners; aber der Paſtor hat recht: was in den letzten Jahren Gutes für Deiche und Siele und dergleichen vom Deichgrafenamt in Vorſchlag kam, das war von ihm; mit dem Alten war's doch zuletzt nichts mehr.

So, ſo? machte der Oberdeichgraf; und Ihr meinet, er wäre nun auch der Mann, um in das Amt ſeines alten Herrn einzurücken?

Der Mann wäre er ſchon, entgegnete Jewe Manners; aber ihm fehlt das, was man hier Klei unter den Füßen nennt; ſein Vater hatte ſo um fünfzehn, er mag gut zwanzig Demath haben; aber damit iſt bis jetzt hier Niemand Deich - graf geworden.

Der Paſtor that ſchon den Mund auf, als wolle er Etwas einwenden, da trat Elke Volkerts, die eine Weile ſchon im Zimmer geweſen, plötzlich zu ihnen: Wollen Euer Gnaden mir ein Wort95 erlauben? ſprach ſie zu dem Oberbeamten; es iſt nur, damit aus einem Irrthum nicht ein Un - recht werde!

So ſprecht, Jungfer Elke! entgegnete dieſer; Weisheit von hübſchen Mädchenlippen hört ſich allzeit gut!

Es iſt nicht Weisheit, Euer Gnaden; ich will nur die Wahrheit ſagen.

Auch die muß man ja hören können, Jungfer Elke!

Das Mädchen ließ ihre dunkeln Augen noch einmal zur Seite gehen, als ob ſie wegen über - flüſſiger Ohren ſich verſichern wolle: Euer Gnaden, begann ſie dann, und ihre Bruſt hob ſich in ſtärkerer Bewegung, mein Pathe, Jewe Manners, ſagte Ihnen, daß Hauke Haien nur etwa zwanzig Demath im Beſitz habe; das iſt im Augenblick auch richtig; aber ſobald es ſein muß, wird Hauke noch um ſo viel mehr ſein eigen nennen, als dieſer, meines Vaters, jetzt mein Hof an Demathzahl beträgt; für einen Deichgrafen wird das zuſammen denn wohl reichen.

Der alte Manners reckte den weißen Kopf gegen ſie, als müſſe er erſt ſehen, wer denn eigentlich96 da rede: Was iſt das? ſagte er; Kind, was ſprichſt Du da?

Aber Elke zog an einem ſchwarzen Bändchen einen blinkenden Goldring aus ihrem Mieder: Ich bin verlobt, Pathe Manners, ſagte ſie; hier iſt der Ring, und Hauke Haien iſt mein Bräutigam.

Und wann ich darf's wohl fragen, da ich Dich aus der Taufe hob, Elke Volkerts wann iſt denn das paſſirt?

Das war ſchon vor geraumer Zeit; doch war ich mündig, Pathe Manners, ſagte ſie; mein Vater war ſchon hinfällig worden, und da ich ihn kannte, ſo wollt 'ich ihn nicht mehr damit beunruhigen; itzt, da er bei Gott iſt, wird er ein - ſehen, daß ſein Kind bei dieſem Manne wohl ge - borgen iſt. Ich hätte es auch das Trauerjahr hindurch ſchon ausgeſchwiegen; jetzt aber, um Hauke's und um des Kooges willen, hab' ich reden müſſen. Und zum Oberdeichgrafen gewandt, ſetzte ſie hinzu: Euer Gnaden wollen mir das verzeihen!

Die drei Männer ſahen ſich an; der Paſtor lachte, der alte Gevollmächtigte ließ es bei einem Hmm, Hmm! bewenden, während der Oberdeich -97 graf wie vor einer wichtigen Entſcheidung ſich die Stirn rieb. Ja, liebe Jungfer, ſagte er endlich, aber wie ſteht es denn hier im Kooge mit den ehelichen Güterrechten? Ich muß geſtehen, ich bin augenblicklich nicht recht capitelfeſt in dieſem Wirrſal!

Das brauchen Euer Gnaden auch nicht, entgegnete des Deichgrafen Tochter, ich werde vor der Hochzeit meinem Bräutigam die Güter über - tragen. Ich habe auch meinen kleinen Stolz, ſetzte ſie lächelnd hinzu; ich will den reichſten Mann im Dorfe heirathen!

Nun, Manners, meinte der Paſtor, ich denke, Sie werden auch als Pathe nichts dagegen haben, wenn ich den jungen Deichgrafen mit des alten Tochter zuſammengebe!

Der Alte ſchüttelte leis den Kopf: Unſer Herr Gott gebe ſeinen Segen! ſagte er andächtig.

Der Oberdeichgraf aber reichte dem Mädchen ſeine Hand: Wahr und weiſe habt Ihr geſprochen, Elke Volkerts; ich danke Euch für ſo kräftige Er - läuterungen und hoffe auch in Zukunft, und bei freundlicheren Gelegenheiten als heute, der Gaſt Eueres Hauſes zu ſein; aber daß ein DeichgrafTheodor Storm, Der Schimmelreiter. 798von ſolch junger Jungfer gemacht wurde, das iſt das Wunderbare an der Sache!

Euer Gnaden, erwiderte Elke und ſah den gütigen Oberbeamten noch einmal mit ihren ernſten Augen an, einem rechten Manne wird auch die Frau wohl helfen dürfen! Dann ging ſie in den anſtoßenden Peſel und legte ſchweigend ihre Hand in Hauke Haien's.

[99]

Es war um mehrere Jahre ſpäter: in dem kleinen Hauſe Tede Haien's wohnte jetzt ein rüſtiger Arbeiter mit Frau und Kind; der junge Deichgraf Hauke Haien ſaß mit ſeinem Weibe Elke Volkerts auf deren väterlicher Hofſtelle. Im Sommer rauſchte die gewaltige Eſche nach wie vor am Hauſe; aber auf der Bank, die jetzt darunter ſtand, ſah man abends meiſt nur die junge Frau, einſam mit einer häuslichen Arbeit in den Händen; noch immer fehlte ein Kind in dieſer Ehe; der Mann aber hatte Anderes zu thun, als Feierabend vor der Thür zu halten; denn trotz ſeiner früheren Mithülfe lagen aus des Alten Amtsführung eine Menge unerledigter Dinge, an die auch er derzeit zu rühren nicht für gut gefunden hatte; jetzt aber mußte allmälig Alles aus dem Wege; er fegte mit einem ſcharfen Beſen. Dazu kam die Bewirthſchaftung der durch ſeinen eigenen Landbeſitz vergrößerten Stelle, bei7 *100der er gleichwohl den Kleinknecht noch zu ſparen ſuchte; ſo ſahen ſich die beiden Eheleute, außer am Sonntag, wo Kirchgang gehalten wurde, meiſt nur bei dem von Hauke eilig beſorgten Mittageſſen und beim Auf - und Niedergang des Tages; es war ein Leben fortgeſetzter Arbeit, doch gleichwohl ein zufriedenes.

Dann kam ein ſtörendes Wort in Umlauf. Als von den jüngeren Beſitzern der Marſch - und Geeſtgemeinde eines Sonntags nach der Kirche ein etwas unruhiger Trupp im Kruge droben am Trunke feſtgeblieben war, redeten ſie beim vierten oder fünften Glaſe zwar nicht über König und Re - gierung ſo hoch wurde damals noch nicht ge - griffen wohl aber über Communal - und Ober - beamte, vor Allem über Gemeindeabgaben und - Laſten, und je länger ſie redeten, deſto weniger fand davon Gnade vor ihren Augen, inſonders nicht die neuen Deichlaſten; alle Sielen und Schleuſen, die ſonſt immer gehalten hätten, ſeien jetzt reparaturbedürftig; am Deiche fänden ſich immer neue Stellen, die Hunderte von Karren Erde nöthig hätten; der Teufel möchte die Ge - ſchichte holen!

101

Das kommt von Eurem klugen Deichgrafen, rief einer von den Geeſtleuten, der immer grübeln geht und ſeine Finger dann in Alles ſteckt!

Ja, Marten, ſagte Ole Peters, der dem Sprecher gegenüber ſaß; recht haſt Du, er iſt hinterſpinnig und ſucht beim Oberdeichgraf ſich 'nen weißen Fuß zu machen; aber wir haben ihn nun einmal!

Warum habt Ihr ihn Euch aufhucken laſſen? ſagte der Andre; nun müßt Ihr's baar be - zahlen.

Ole Peters lachte. Ja, Marten Fedders, das iſt nun ſo bei uns, und davon iſt nichts abzukratzen: der alte wurde Deichgraf von ſeines Vaters, der neue von ſeines Weibes wegen. Das Gelächter, das jetzt um den Tiſch lief, zeigte, welchen Beifall das geprägte Wort gefunden hatte.

Aber es war an öffentlicher Wirthstafel ge - ſprochen worden, es blieb nicht da, es lief bald um im Geeſt - wie unten in dem Marſchdorf; ſo kam es auch an Hauke. Und wieder ging vor ſeinem inneren Auge die Reihe übelwollender Ge - ſichter vorüber, und noch höhniſcher, als es ge -102 weſen war, hörte er das Gelächter an dem Wirths - haustiſche. Hunde! ſchrie er, und ſeine Augen ſahen grimm zur Seite, als wolle er ſie peitſchen laſſen.

Da legte Elke ihre Hand auf ſeinen Arm: Laß ſie! die wären Alle gern, was Du biſt!

Das iſt es eben! entgegnete er grollend.

Und, fuhr ſie fort, hat denn Ole Peters ſich nicht ſelber eingefreit?

Das hat er, Elke; aber was er mit Vollina freite, das reichte nicht zum Deichgrafen!

Sag 'lieber: er reichte nicht dazu! und Elke drehte ihren Mann, ſo daß er ſich im Spiegel ſehen mußte; denn ſie ſtanden zwiſchen den Fenſtern in ihrem Zimmer. Da ſteht der Deichgraf! ſagte ſie; nun ſieh ihn an; nur wer ein Amt regieren kann, der hat es!

Du haſt nicht unrecht, entgegnete er ſinnend, und doch ..... Nun, Elke; ich muß zur Oſter - ſchleuſe; die Thüren ſchließen wieder nicht!

Sie drückte ihm die Hand: Komm, ſieh mich erſt einmal an! Was haſt Du, Deine Augen ſehen ſo ins Weite?

Nichts, Elke; Du haſt ja recht.

103

Er ging; aber nicht lange war er gegangen, ſo war die Schleuſenreparatur vergeſſen. Ein anderer Gedanke, den er, halb nur ausgedacht und ſeit Jahren mit ſich umhergetragen hatte, der aber vor den drängenden Amtsgeſchäften ganz zurückgetreten war, bemächtigte ſich ſeiner jetzt aufs Neue und mächtiger als je zuvor, als ſeien plötzlich die Flügel ihm gewachſen.

Kaum daß er es ſelber wußte, befand er ſich oben auf dem Hafdeich, ſchon eine weite Strecke ſüdwärts nach der Stadt zu; das Dorf, das nach dieſer Seite hinauslag, war ihm zur Linken längſt verſchwunden; noch immer ſchritt er weiter, ſeine Augen unabläſſig nach der Seeſeite auf das breite Vorland gerichtet; wäre Jemand neben ihm ge - gangen, er hätte es ſehen müſſen, welch 'eindringliche Geiſtesarbeit hinter dieſen Augen vorging. Endlich blieb er ſtehen: das Vorland ſchwand hier zu einem ſchmalen Streifen an dem Deich zuſammen. Es muß gehen! ſprach er bei ſich ſelbſt. Sieben Jahr' im Amt; ſie ſollen nicht mehr ſagen, daß ich nur Deichgraf bin von meines Weibes wegen!

Noch immer ſtand er, und ſeine Blicke ſchweiften ſcharf und bedächtig nach allen Seiten über das104 grüne Vorland; dann ging er zurück, bis wo auch hier ein ſchmaler Streifen grünen Weidelands die vor ihm liegende breite Landfläche ablöſte. Hart an dem Deiche aber ſchoß ein ſtarker Meeresſtrom durch dieſe, der faſt das ganze Vorland von dem Feſtlande trennte und zu einer Hallig machte; eine rohe Holzbrücke führte nach dort hinüber, damit man mit Vieh und Heu - oder Getreidewagen hin - über und wieder zurück gelangen könne. Jetzt war es Ebbzeit, und die goldene Septemberſonne glitzerte auf dem etwa hundert Schritte breiten Schlick - ſtreifen und auf dem tiefen Priehl in ſeiner Mitte, durch den auch jetzt das Meer noch ſeine Waſſer trieb. Das läßt ſich dämmen! ſprach Hauke bei ſich ſelber, nachdem er dieſem Spiele eine Zeit lang zugeſehen; dann blickte er auf, und von dem Deiche, auf dem er ſtand, über den Priehl hinweg, zog er in Gedanken eine Linie längs dem Rande des ab - getrennten Landes, nach Süden herum und oſtwärts wiederum zurück über die dortige Fortſetzung des Priehles und an den Deich heran. Die Linie aber, welche er unſichtbar gezogen hatte, war ein neuer Deich, neu auch in der Conſtruction ſeines Profiles, welches bis jetzt nur noch in ſeinem Kopf vorhanden war.

105

Das gäbe einen Koog von circa tauſend Demath, ſprach er lächelnd zu ſich ſelber; nicht groß juſt; aber ...

Eine andere Calculation überkam ihn: das Vorland gehörte hier der Gemeinde, ihren einzelnen Mitgliedern eine Zahl von Antheilen, je nach der Größe ihres Beſitzes im Gemeindebezirk oder nach ſonſt zu Recht beſtehender Erwerbung; er begann zuſammenzuzählen, wie viel Antheile er von ſeinem, wie viele er von Elke's Vater überkommen, und was an ſolchen er während ſeiner Ehe ſchon ſelbſt gekauft hatte, theils in dem dunklen Gefühle eines künftigen Vortheils, theils bei Vermehrung ſeiner Schafzucht. Es war ſchon eine anſehnliche Menge; denn auch von Ole Peters hatte er deſſen ſämmt - liche Theile angekauft, da es dieſem zum Verdruß geſchlagen war, als bei einer theilweiſen Ueber - ſtrömung ihm ſein beſter Schafbock ertrunken war. Aber das war ein ſeltſamer Unfall geweſen; denn, ſoweit Hauke's Gedächtniß reichte, waren ſelbſt bei hohen Fluthen dort nur die Ränder überſtrömt worden. Welch 'treffliches Weide - und Kornland mußte es geben und von welchem Werthe, wenn das Alles von ſeinem neuen Deich umgeben war! 106Wie ein Rauſch ſtieg es ihm ins Gehirn; aber er preßte die Nägel in ſeine Handflächen und zwang ſeine Augen, klar und nüchtern zu ſehen, was dort vor ihm lag: eine große deichloſe Fläche, wer wußt' es, welchen Stürmen und Fluthen ſchon in den nächſten Jahren preisgegeben, an deren äußerſtem Rande jetzt ein Trupp von ſchmutzigen Schafen langſam graſend entlang wanderte; dazu für ihn ein Haufen Arbeit, Kampf und Aerger! Trotz alle - dem, als er vom Deich hinab und den Fußſteig über die Fennen auf ſeine Werfte zuging, ihm war's, als brächte er einen großen Schatz mit ſich nach Hauſe.

Auf dem Flur trat Elke ihm entgegen: Wie war es mit der Schleuſe? frug ſie.

Er ſah mit geheimnißvollem Lächeln auf ſie nieder: Wir werden bald eine andere Schleuſe brauchen, ſagte er; und Sielen und einen neuen Deich!

Ich verſteh 'Dich nicht. entgegnete Elke, während ſie in das Zimmer gingen; was willſt Du, Hauke?

Ich will, ſagte er langſam und hielt dann einen Augenblick inne, ich will, daß das große107 Vorland, das unſerer Hofſtatt gegenüber beginnt und dann nach Weſten ausgeht, zu einem feſten Kooge eingedeicht werde: die hohen Fluthen haben faſt ein Menſchenalter uns in Ruh 'gelaſſen; wenn aber eine von den ſchlimmen wiederkommt und den Anwachs ſtört, ſo kann mit einem Mal die ganze Herrlichkeit zu Ende ſein; nur der alte Schlendrian hat das bis heut' ſo laſſen können!

Sie ſah ihn voll Erſtaunen an: So ſchiltſt Du Dich ja ſelber! ſagte ſie.

Das thu 'ich, Elke; aber es war bisher auch ſo viel Anderes zu beſchaffen!

Ja, Hauke; gewiß, Du haſt genug gethan!

Er hatte ſich in den Lehnſtuhl des alten Deich - grafen geſetzt, und ſeine Hände griffen feſt um beide Lehnen.

Haſt Du denn guten Muth dazu? frug ihn ſein Weib.

Das hab 'ich, Elke! ſprach er haſtig.

Sei nicht zu raſch, Hauke; das iſt ein Werk auf Tod und Leben; und faſt Alle werden Dir entgegen ſein, man wird Dir Deine Müh 'und Sorg' nicht danken!

Er nickte: Ich weiß! ſagte er.

108

Und wenn es nun nicht gelänge! rief ſie wieder; von Kindesbeinen an hab 'ich gehört, der Priehl ſei nicht zu ſtopfen, und darum dürfe nicht daran gerührt werden.

Das war ein Vorwand für die Faulen! ſagte Hauke; weshalb denn ſollte man den Priehl nicht ſtopfen können?

Das hört 'ich nicht; vielleicht, weil er gerade durchgeht; die Spülung iſt zu ſtark. Eine Erinnerung überkam ſie, und ein faſt ſchelmiſches Lächeln brach aus ihren ernſten Augen: Als ich Kind war, ſprach ſie, hörte ich einmal die Knechte darüber reden; ſie meinten, wenn ein Damm dort halten ſolle, müſſe was Lebigs da hinein geworfen und mit verdämmt werden; bei einem Deichbau auf der andern Seite, vor wohl hundert Jahren, ſei ein Zigeunerkind verdämmet worden, das ſie um ſchweres Geld der Mutter abgehandelt hätten; jetzt aber würde wohl Keine ihr Kind verkaufen!

Hauke ſchüttelte den Kopf: Da iſt es gut, daß wir keins haben; ſie würden es ſonſt noch ſchier von uns verlangen!

Sie ſollten's nicht bekommen! ſagte Elke und ſchlug wie in Angſt die Arme über ihren Leib.

109

Und Hauke lächelte; doch ſie frug noch einmal: Und die ungeheuren Koſten? Haſt Du das be - dacht?

Das hab 'ich, Elke; was wir dort heraus - bringen, wird ſie bei Weitem überholen, auch die Erhaltungskoſten des alten Deiches gehen für ein gut' Stück in dem neuen unter; wir arbeiten ja ſelbſt und haben über achtzig Geſpanne in der Gemeinde, und an jungen Fäuſten iſt hier auch kein Mangel. Du ſollſt mich wenigſtens nicht um - ſonſt zum Deichgrafen gemacht haben, Elke; ich will ihnen zeigen, daß ich einer bin!

Sie hatte ſich vor ihm niedergehuckt und ihn ſorgvoll angeblickt; nun erhob ſie ſich mit einem Seufzer: Ich muß weiter zu meinem Tagewerk, ſagte ſie, und ihre Hand ſtrich langſam über ſeine Wange; thu 'Du das Deine, Hauke!

Amen, Elke! ſprach er mit ernſtem Lächeln; Arbeit iſt für uns Beide da!

Und es war Arbeit genug für Beide, die ſchwerſte Laſt aber fiel jetzt auf des Mannes Schulter. An Sonntagnachmittagen, oft auch nach Feierabend, ſaß Hauke mit einem tüchtigen Feld - meſſer zuſammen, vertieft in Rechenaufgaben,110 Zeichnungen und Riſſen; war er allein, dann ging es ebenſo und endete oft weit nach Mitternacht. Dann ſchlich er in die gemeinſame Schlafkammer denn die dumpfen Wandbetten im Wohngemach wurden in Hauke's Wirthſchaft nicht mehr ge - braucht und ſein Weib, damit er endlich nur zur Ruhe komme, lag wie ſchlafend mit geſchloſſenen Augen, obgleich ſie mit klopfendem Herzen nur auf ihn gewartet hatte; dann küßt er mitunter ihre Stirn und ſprach ein leiſes Liebeswort dabei, und legte ſich ſelbſt zum Schlafe, der ihm oft nur beim erſten Hahnenkraht zu willen war. Im Winter - ſturm lief er auf den Deich hinaus, mit Bleiſtift und Papier in der Hand, und ſtand und zeichnete und notierte, während ein Windſtoß ihm die Mütze vom Kopf riß, und das lange, fahle Haar ihm um ſein heißes Antlitz flog; bald fuhr er, ſolange nur das Eis ihm nicht den Weg verſperrte, mit einem Knecht zu Boot ins Wattenmeer hinaus und maß dort mit Loth und Stange die Tiefen der Ströme, über die er noch nicht ſicher war. Elke zitterte oft genug für ihn; aber war er wieder da, ſo hätte er das nur aus ihrem feſten Hände - druck oder dem leuchtenden Blitz aus ihren ſonſt111 ſo ſtillen Augen merken können. Geduld, Elke, ſagte er, da ihm einmal war, als ob ſein Weib ihn nicht laſſen könne; ich muß erſt ſelbſt im Reinen ſein, bevor ich meinen Antrag ſtelle! Da nickte ſie und ließ ihn gehen. Der Ritte in die Stadt zum Oberdeichgrafen wurden auch nicht wenige, und allem dieſen und den Mühen in Haus - und Landwirthſchaft folgten immer wieder die Arbeiten in die Nacht hinein. Sein Verkehr mit anderen Menſchen außer in Arbeit und Ge - ſchäft verſchwand faſt ganz; der ſelbſt mit ſeinem Weibe wurde immer weniger. Es ſind ſchlimme Zeiten, und ſie werden noch lange dauern, ſprach Elke bei ſich ſelber, und ging an ihre Arbeit.

Endlich, Sonne und Frühlingswinde hatten ſchon überall das Eis gebrochen, war auch die letzte Vorarbeit gethan; die Eingabe an den Ober - deichgrafen zur Befürwortung an höherem Orte, enthaltend den Vorſchlag einer Bedeichung des er - wähnten Vorlandes, zur Förderung des öffentlichen Beſten, infonders des Kooges, wie nicht weniger der Herrſchaftlichen Kaſſe, da höchſtderſelben in kurzen Jahren die Abgaben von ca. 1000 Demath112 daraus erwachſen würden, war ſauber abge - ſchrieben und nebſt anliegenden Riſſen und Zeich - nungen aller Localitäten, jetzt und künftig, der Schleuſen und Siele und was noch ſonſt dazu gehörte, in ein feſtes Convolut gepackt und mit dem deichgräflichen Amtsſiegel verſehen worden.

Da iſt es, Elke, ſagte der junge Deichgraf, nun gib ihm Deinen Segen!

Elke legte ihre Hand in ſeine: Wir wollen feſt zuſammenhalten, ſagte ſie.

Das wollen wir.

Dann wurde die Eingabe durch einen reitenden Boten in die Stadt geſandt.

Sie wollen bemerken, lieber Herr, unterbrach der Schulmeiſter ſeine Erzählung, mich freundlich mit ſeinen feinen Augen fixirend, daß ich das bisher Berichtete während meiner faſt vierzig - jährigen Wirkſamkeit in dieſem Kooge aus den Ueberlieferungen verſtändiger Leute, oder aus Er - zählungen der Enkel und Urenkel ſolcher zuſammen - gefunden habe; was ich, damit Sie dieſes mit dem endlichen Verlauf in Einklang zu bringen vermögen, Ihnen jetzt vorzutragen habe, das war113 derzeit und iſt auch jetzt noch das Geſchwätz des ganzen Marſchdorfes, ſo bald nur um Allerheiligen die Spinnräder an zu ſchnurren fangen.

Von der Hofſtelle des Deichgrafen, etwa fünf bis ſechshundert Schritte weiter nordwärts, ſah man derzeit, wenn man auf dem Deiche ſtand, ein paar tauſend Schritt ins Wattenmeer hinaus und etwas weiter von dem gegenüberliegenden Marſch - ufer entfernt eine kleine Hallig, die ſie Jeversſand auch Jevershallig nannten. Von den derzeitigen Großvätern war ſie noch zur Schafweide benutzt worden, denn Gras war damals noch darauf ge - wachſen; aber auch das hatte aufgehört, weil die niedrige Hallig ein paar Mal, und juſt im Hoch - ſommer, unter Seewaſſer gekommen und der Gras - wuchs dadurch verkümmert und auch zur Schaf - weide unnutzbar geworden war. So kam es denn, daß außer von Möwen und den andern Vögeln, die am Strande fliegen, und etwa einmal von einem Fiſchadler dort kein Beſuch mehr ſtattfand; und an mondhellen Abenden ſah man vom Deiche aus nur die Nebeldünſte leichter oder ſchwerer darüber hinziehen. Ein paar weißgebleichte Knochengerüſte ertrunkener Schafe und das Gerippe eines Pferdes,Theodor Storm, Der Schimmelreiter. 8114von dem freilich Niemand begriff, wie es dort hin - gekommen ſei, wollte man, wenn der Mond von Oſten auf die Hallig ſchien, dort auch erkennen können.

Es war zu Ende März, als an dieſer Stelle nach Feierabend der Tagelöhner aus dem Tede Haienſchen Hauſe und Iven Johns, der Knecht des jungen Deichgrafen, neben einander ſtanden und unbeweglich nach der im trüben Mondduft kaum erkennbaren Hallig hinüberſtarrten; etwas Auf - fälliges ſchien ſie dort ſo feſtzuhalten. Der Tage - löhner ſteckte die Hände in die Taſche und ſchüttelte ſich: Komm Iven, ſagte er, das iſt nichts Gutes; laß uns nach Haus gehen!

Der andere lachte, wenn auch ein Grauen bei ihm hindurchklang: Ei was! Es iſt eine lebige Creatur, eine große! Wer, zum Teufel, hat ſie nach dem Schlickſtück hinaufgejagt! Sieh 'nur, nun reckt's den Hals zu uns hinüber! Nein, es ſenkt den Kopf; es frißt! Ich dächt', es wär 'dort nichts zu freſſen! Was es nur ſein mag?

Was geht das uns an! entgegnete der Andere. Gute Nacht, Iven, wenn Du nicht mit willſt; ich gehe nach Haus!

115

Ja, ja; Du haſt ein Weib, Du kommſt ins warme Bett! Bei mir iſt auch in meiner Kammer lauter Märzenluft!

Gut 'Nacht denn! rief der Tagelöhner zurück, während er auf dem Deich nach Hauſe trabte. Der Knecht ſah ſich ein paar Mal nach dem Fort - laufenden um; aber die Begier, Unheimliches zu ſchauen, hielt ihn noch feſt. Da kam eine unter - ſetzte, dunkle Geſtalt auf dem Deich vom Dorf her gegen ihn heran; es war der Dienſtjunge des Deichgrafen. Was willſt Du, Carſten? rief ihm der Knecht entgegen.

Ich? nichts, ſagte der Junge; aber unſer Wirth will Dich ſprechen, Iven Johns!

Der Knecht hatte die Augen ſchon wieder nach der Hallig: Gleich; ich komme gleich! ſagte er.

Wonach guckſt Du denn ſo? frug der Junge.

Der Knecht hob den Arm und wies ſtumm nach der Hallig. Oha! flüſterte der Junge; da geht ein Pferd ein Schimmel das muß der Teufel reiten wie kommt ein Pferd nach Jevershallig?

Weiß nicht, Carſten; wenn's nur ein richtiges Pferd iſt!

8*116

Ja, ja, Iven; ſieh nur, es frißt ganz wie ein Pferd! Aber wer hat's dahin gebracht; wir haben im Dorf ſo große Böte gar nicht! Viel - leicht auch iſt es nur ein Schaf; Peter Ohm ſagt, im Mondſchein wird aus zehn Torfringeln ein ganzes Dorf. Nein, ſieh! Nun ſpringt es es muß doch ein Pferd ſein!

Beide ſtanden eine Weile ſchweigend, die Augen nur nach Dem gerichtet, was ſie drüben undeutlich vor ſich gehen ſahen. Der Mond ſtand hoch am Himmel und beſchien das weite Watten - meer, das eben in der ſteigenden Fluth ſeine Waſſer über die glitzernden Schlickflächen zu ſpülen be - gann; nur das leiſe Geräuch des Waſſers, keine Thierſtimme war in der ungeheuren Weite hier zu hören; auch in der Marſch, hinter dem Deiche, war es leer; Kühe und Rinder waren alle noch in den Ställen. Nichts regte ſich; nur was ſie für ein Pferd, einen Schimmel hielten, ſchien dort auf Jevershallig noch beweglich. Es wird heller, unterbrach der Knecht die Stille; ich ſehe deutlich die weißen Schafgerippe ſchimmern!

Ich auch, ſagte der Junge, und reckte den Hals; dann aber, als komme es ihm plötzlich,117 zupfte er den Knecht am Aermel: Iven, raunte er, das Pferdsgerippe, das ſonſt dabei lag, wo iſt es? Ich kann's nicht ſehen!

Ich ſeh 'es auch nicht! Seltſam! ſagte der Knecht.

Nicht ſo ſeltſam, Iven! Mitunter, ich weiß nicht, in welchen Nächten, ſollen die Knochen ſich erheben und thun, als ob ſie lebig wären!

So? machte der Knecht; das iſt ja Alt - weiberglaube!

Kann ſein, Iven, meinte der Junge.

Aber, ich mein ', Du ſollſt mich holen; komm, wir müſſen nach Haus! Es bleibt hier immer doch dasſelbe.

Der Junge war nicht fortzubringen, bis der Knecht ihn mit Gewalt herumgedreht und auf den Weg gebracht hatte. Hör ', Carſten, ſagte dieſer, als die geſpenſterhafte Hallig ihnen ſchon ein gut Stück im Rücken lag, Du giltſt ja für einen Allerweltsbengel; ich glaub', Du möchteſt das am liebſten ſelber unterſuchen!

Ja, entgegnete Carſten, nachträglich noch ein wenig ſchaudernd, ja, das möcht 'ich, Iven!

Iſt das Dein Ernſt? dann, ſagte118 der Knecht, nachdem der Junge ihm nachdrücklich darauf die Hand geboten hatte, löſen wir morgen Abend unſer Boot; Du fährſt nach Jeversſand; ich bleib 'ſolange auf dem Deiche ſtehen.

Ja, erwiderte der Junge, das geht! Ich nehme meine Peitſche mit!

Thu das!

Schweigend kamen ſie an das Haus ihrer Herrſchaft, zu dem ſie langſam die hohe Werft hinanſtiegen.

Um die ſelbe Zeit des folgenden Abends ſaß der Knecht auf dem großen Steine vor der Stallthür, als der Junge mit ſeiner Peitſche knallend zu ihm kam. Das pfeift ja wunderlich! ſagte Jener.

Freilich, nimm Dich in Acht, entgegnete der Junge; ich hab 'auch Nägel in die Schnur ge - flochten.

So komm! ſagte der Andere.

Der Mond ſtand, wie geſtern, am Oſt - himmel und ſchien klar aus ſeiner Höhe. Bald waren Beide wieder draußen auf dem Deich und ſahen hinüber nach Jevershallig, die wie ein Nebel - fleck im Waſſer ſtand. Da geht es wieder, ſagte119 der Knecht; nach Mittag war ich hier, da war's nicht da; aber ich ſah deutlich das weiße Pferds - gerippe liegen!

Der Junge reckte den Hals: das iſt jetzt nicht da, Iven, flüſterte er.

Nun, Carſten, wie iſt's? ſagte der Knecht. Juckt's Dich noch, hinüberzufahren?

Carſten beſann ſich einen Augenblick; dann klatſchte er mit ſeiner Peitſche in die Luft: Mach 'nur das Boot los, Iven!

Drüben aber war es, als hebe, was dorten ging, den Hals, und recke gegen das Feſtland hin den Kopf. Sie ſahen es nicht mehr; ſie gingen ſchon den Deich hinab, und bis zur Stelle, wo das Boot gelegen war. Nun, ſteig nur ein! ſagte der Knecht, nachdem er es losgebunden hatte. Ich bleib ', bis Du zurück biſt! Zu Oſten mußt Du anlegen; da hat man immer landen können! Und der Junge nickte ſchweigend und fuhr mit ſeiner Peitſche in die Mondnacht hinaus; der Knecht wanderte unterm Deich zurück und beſtieg ihn wieder an der Stelle, wo ſie vorhin geſtanden hatten. Bald ſah er, wie drüben bei einer ſchroffen, dunkelen Stelle, an die ein breiter Priehl120 hinanführte, das Boot ſich beilegte, und eine unter - ſetzte Geſtalt daraus ans Land ſprang. War's nicht, als klatſchte der Junge mit ſeiner Peitſche? Aber es konnte auch das Geräuſch der ſteigenden Fluth ſein. Mehrere hundert Schritte nordwärts ſah er, was ſie für einen Schimmel angeſehen hatten; und jetzt! ja, die Geſtalt des Jungen kam gerade darauf zugegangen. Nun hob es den Kopf, als ob es ſtutze; und der Junge es war deutlich jetzt zu hören klatſchte mit der Peitſche. Aber was fiel ihm ein? er kehrte um, er ging den Weg zurück, den er gekommen war. Das drüben ſchien unabläſſig fortzuweiden, kein Wiehern war von dort zu hören geweſen; wie weiße Waſſerſtreifen ſchien es mitunter über die Erſcheinung hinzuziehen. Der Knecht ſah wie gebannt hinüber.

Da hörte er das Anlegen des Bootes am diesſeitigen Ufer, und bald ſah er aus der Dämmerung den Jungen gegen ſich am Deich heraufſteigen. Nun, Carſten, frug er, was war es?

Der Junge ſchüttelte den Kopf. Nichts war es! ſagte er. Noch kurz vom Bootaus hatte ich es geſehen; dann aber, als ich auf der Hallig121 war weiß der Henker, wo ſich das Thier ver - krochen hatte; der Mond ſchien doch hell genug; aber als ich an die Stelle kam, war nichts da als die bleichen Knochen von einem halben Dutzend Schafen, und etwas weiter lag auch das Pferds - gerippe mit ſeinem weißen, langen Schädel, und ließ den Mond in ſeine leeren Augenhöhlen ſcheinen!

Hmm! meinte der Knecht; haſt auch recht zugeſehen?

Ja, Iven, ich ſtand dabei; ein gottvergeſſener Kiewiet, der hinter dem Gerippe ſich zur Nachtruh 'hingeduckt hatte, flog ſchreiend auf, daß ich er - ſchrak und ein paar Mal mit der Peitſche hinten - nach klatſchte.

Und das war Alles?

Ja, Iven; ich weiß nicht mehr.

Es iſt auch genug, ſagte der Knecht, zog den Jungen am Arm zu ſich heran und wies hinüber nach der Hallig. Dort, ſiehſt Du etwas, Carſten?

Wahrhaftig, da geht's ja wieder!

Wieder? ſagte der Knecht; ich hab 'die ganze Zeit hinübergeſchaut; aber es iſt gar nicht122 fortgeweſen; Du gingſt ja gerade auf das Un - weſen los!

Der Junge ſtarrte ihn an; ein Entſetzen lag plötzlich auf ſeinem ſonſt ſo kecken Angeſicht, das auch dem Knechte nicht entging. Komm! ſagte dieſer, wir wollen nach Haus: von hier aus geht's wie lebig, und drüben liegen nur die Knochen das iſt mehr, als Du und ich begreifen können. Schweig aber ſtill davon, man darf dergleichen nicht verreden!

So wandten ſie ſich, und der Junge trabte neben ihm; ſie ſprachen nicht, und die Marſch lag in lautloſem Schweigen an ihrer Seite.

Nachdem aber der Mond zurückgegangen, und die Nächte dunkel geworden waren, geſchah ein Anderes.

Hauke Haien war zur Zeit des Pferdemarktes in die Stadt geritten, ohne jedoch mit dieſem dort zu thun zu haben. Gleichwohl, da er gegen Abend heimkam, brachte er ein zweites Pferd mit ſich nach Hauſe; aber es war rauhhaarig und mager, daß man jede Rippe zählen konnte, und die Augen lagen ihm matt und eingefallen in den Schädel - höhlen. Elke war vor die Hausthür getreten, um123 ihren Eheliebſten zu empfangen: Hilf Himmel! rief ſie, was ſoll uns der alte Schimmel? Denn da Hauke mit ihm vor das Haus geritten kam und unter der Eſche hielt, hatte ſie geſehen, daß die arme Creatur auch lahme.

Der junge Deichgraf aber ſprang lachend von ſeinem braunen Wallach: Laß nur, Elke; es koſtet auch nicht viel!

Die kluge Frau erwiderte: Du weißt doch, das Wohlfeilſte iſt auch meiſt das Theuerſte.

Aber nicht immer, Elke; das Thier iſt höchſtens vier Jahr 'alt; ſieh es Dir nur genauer an! Es iſt verhungert und mißhandelt; da ſoll ihm unſer Hafer gut thun; ich werd' es ſelbſt verſorgen, damit ſie mir's nicht überfüttern.

Das Thier ſtand indeſſen mit geſenktem Kopf; die Mähnen hingen lang am Hals herunter. Frau Elke, während ihr Mann nach den Knechten rief, ging betrachtend um dasſelbe herum; aber ſie ſchüttelte den Kopf: So eins iſt noch nie in unſerem Stall geweſen!

Als jetzt der Dienſtjunge um die Hausecke kam, blieb er plötzlich mit erſchrocknen Augen ſtehen. Nun, Carſten, rief der Deichgraf, was124 fährt Dir in die Knochen? Gefällt Dir mein Schimmel nicht?

Ja o ja, unſ 'Weerth, warum denn nicht!

So bring 'die Thiere in den Stall; gib ihnen kein Futter; ich komme gleich ſelber hin!

Der Junge faßte mit Vorſicht den Halfter des Schimmels und griff dann haſtig, wie zum Schutze, nach dem Zügel des ihm ebenfalls ver - trauten Wallachs. Hauke aber ging mit ſeinem Weibe in das Zimmer; ein Warmbier hatte ſie für ihn bereit, und Brod und Butter waren auch zur Stelle.

Er war bald geſättigt; dann ſtand er auf und ging mit ſeiner Frau im Zimmer auf und ab. Laß Dir erzählen, Elke, ſagte er, während der Abendſchein auf den Kacheln an den Wänden ſpielte, wie ich zu dem Thier gekommen bin: ich war wohl eine Stunde beim Oberdeichgrafen geweſen; er hatte gute Kunde für mich es wird wohl dieß und jenes anders werden, als in meinen Riſſen; aber die Hauptſache, mein Profil iſt accep - tirt, und ſchon in den nächſten Tagen kann der Befehl zum neuen Deichbau da ſein!

Elke ſeufzte unwillkürlich: Alſo doch? ſagte ſie ſorgenvoll.

125

Ja, Frau, entgegnete Hauke; hart wird's hergehen; aber dazu, denk 'ich, hat der Herrgott uns zuſammengebracht! Unſere Wirthſchaft iſt jetzt ſo gut in Ordnung, ein groß' Theil kannſt Du ſchon auf Deine Schultern nehmen; denk 'nur um zehn Jahr' weiter dann ſtehen wir vor einem anderen Beſitz.

Sie hatte bei ſeinen erſten Worten die Hand ihres Mannes verſichernd in die ihrigen gepreßt; ſeine letzten Worte konnten ſie nicht erfreuen. Für wen ſoll der Beſitz? ſagte ſie. Du müßteſt denn ein ander Weib nehmen; ich bring 'Dir keine Kinder.

Thränen ſchoſſen ihr in die Augen; aber er zog ſie feſt in ſeine Arme: Das überlaſſen wir dem Herrgott, ſagte er; jetzt aber, und auch dann noch ſind wir jung genug, um uns der Früchte unſerer Arbeit ſelbſt zu freuen.

Sie ſah ihn lange, während er ſie hielt, aus ihren dunklen Augen an. Verzeih, Hauke, ſprach ſie; ich bin mitunter ein verzagt 'Weib!

Er neigte ſich zu ihrem Antlitz und küßte ſie: Du biſt mein Weib und ich Dein Mann, Elke! Und anders wird es nun nicht mehr.

126

Da legte ſie die Arme feſt um ſeinen Nacken: Du haſt recht, Hauke, und was kommt, kommt für uns Beide. Dann löſte ſie ſich erröthend von ihm. Du wollteſt von dem Schimmel mir erzählen, ſagte ſie leiſe.

Das wollt 'ich, Elke. Ich ſagte Dir ſchon, mir war Kopf und Herz voll Freude über die gute Nachricht, die der Oberdeichgraf mir gegeben hatte; ſo ritt ich eben wieder aus der Stadt hinaus, da, auf dem Damm, hinter dem Hafen, begegnet mir ein ruppiger Kerl; ich wußt' nicht, war's ein Vaga - bund, ein Keſſelflicker oder was denn ſonſt. Der Kerl zog den Schimmel am Halfter hinter ſich; das Thier aber hob den Kopf und ſah mich aus blöden Augen an; mir war's, als ob es mich um Etwas bitten wolle; ich war ja auch in dieſem Augenblicke reich genug. He, Landsmann! rief ich, wo wollt Ihr mit der Kracke hin?

Der Kerl blieb ſtehen und der Schimmel auch. Verkaufen! ſagte Jener und nickte mir liſtig zu.

Nur nicht an mich! rief ich luſtig.

Ich denke doch! ſagte er; das iſt ein wacker Pferd und unter hundert Thalern nicht bezahlt.

Ich lachte ihm ins Geſicht.

127

Nun, ſagte er, lacht nicht ſo hart; Ihr ſollt's mir ja nicht zahlen! Aber ich kann's nicht brauchen, bei mir verkommt's; es würd 'bei Euch bald ander Anſehen haben!

Da ſprang ich von meinem Wallach und ſah dem Schimmel ins Maul, und ſah wohl, es war noch ein junges Thier. Was ſoll's denn koſten? rief ich, da auch das Pferd mich wiederum wie bittend anſah.

Herr, nehmt's für dreißig Thaler! ſagte der Kerl, und den Halfter geb 'ich Euch darein!

Und da, Frau, hab 'ich dem Burſchen in die dargebotne braune Hand, die faſt wie eine Klaue ausſah, eingeſchlagen. So haben wir den Schimmel, und ich denk' auch, wohlfeil genug! Wunderlich nur war es, als ich mit den Pferden wegritt, hört 'ich bald hinter mir ein Lachen, und als ich den Kopf wandte, ſah ich den Slovaken; der ſtand noch ſperrbeinig, die Arme auf dem Rücken, und lachte wie ein Teufel hinter mir darein.

Pfui, rief Elke; wenn der Schimmel nur nichts von ſeinem alten Herrn Dir zubringt! Mög 'er Dir gedeihen, Hauke!

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Er ſelber ſoll es wenigſtens, ſoweit ich's leiſten kann! Und der Deichgraf ging in den Stall, wie er vorhin dem Jungen es geſagt hatte.

Aber nicht allein an jenem Abend fütterte er den Schimmel; er that es fortan immer ſelbſt und ließ kein Auge von dem Thiere; er wollte zeigen, daß er einen Prieſterhandel gemacht habe; jedenfalls ſollte nichts verſehen werden. Und ſchon nach wenig Wochen hob ſich die Haltung des Thieres; allmälig verſchwanden die rauhen Haare; ein blankes, blau geapfeltes Fell kam zum Vorſchein, und da er es eines Tages auf der Hof - ſtatt umherführte, ſchritt es ſchlank auf ſeinen feſten Beinen. Hauke dachte des abenteuerlichen Verkäufers: Der Kerl war ein Narr oder ein Schuft, der es geſtohlen hatte! murmelte er bei ſich ſelber. Bald auch, wenn das Pferd im Stall nur ſeine Schritte hörte, warf es den Kopf herum und wieherte ihm entgegen; nun ſah er auch, es hatte, was die Araber verlangen, ein fleiſch - los Angeſicht; d'raus blitzten ein paar feurige braune Augen. Dann führte er es aus dem Stall und legte ihm einen leichten Sattel auf; aber kaum ſaß er droben, ſo fuhr dem Thier ein129 Wiehern wie ein Luſtſchrei aus der Kehle; es flog mit ihm davon, die Werfte hinab auf den Weg und dann dem Deiche zu; doch der Reiter ſaß feſt, und als ſie oben waren, ging es ruhiger, leicht, wie tanzend, und warf den Kopf dem Meere zu. Er klopfte und ſtreichelte ihm den blanken Hals; aber es bedurfte dieſer Liebkoſung ſchon nicht mehr; das Pferd ſchien völlig eins mit ſeinem Reiter, und, nachdem er eine Strecke nordwärts den Deich hinausgeritten war, wandte er es leicht und gelangte wieder an die Hofſtatt.

Die Knechte ſtanden unten an der Auffahrt und warteten der Rückkunft ihres Wirthes. So, John, rief dieſer, indem er von ſeinem Pferde ſprang, nun reite Du es in die Fenne zu den andern; es trägt Dich wie in einer Wiege!

Der Schimmel ſchüttelte den Kopf und wieherte laut in die ſonnige Marſchlandſchaft hinaus, während ihm der Knecht den Sattel abſchnallte, und der Junge damit zur Geſchirrkammer lief; dann legte er den Kopf auf ſeines Herrn Schulter und duldete behaglich deſſen Liebkoſung. Als aber der Knecht ſich jetzt auf ſeinen Rücken ſchwingen wollte, ſprang er mit einem jähen Satz zur SeiteTheodor Storm, Der Schimmelreiter. 9130und ſtand dann wieder unbeweglich, die ſchönen Augen auf ſeinen Herrn gerichtet. Hoho, Iven, rief dieſer, hat er Dir Leid's gethan? und ſuchte ſeinem Knecht vom Boden aufzuhelfen.

Der rieb ſich eifrig an der Hüfte: Nein, Herr, es geht noch; aber den Schimmel reit 'der Teufel!

Und ich! ſetzte Hauke lachend hinzu. So bring ihn am Zügel in die Fenne!

Und als der Knecht etwas beſchämt gehorchte, ließ ſich der Schimmel ruhig von ihm führen.

Einige Abende ſpäter ſtanden Knecht und Junge mit einander vor der Stallthür; hinterm Deiche war das Abendroth erloſchen, inner - halb desſelben war ſchon der Koog von tiefer Dämmerung überwallt; nur ſelten kam aus der Ferne das Gebrüll eines aufgeſtörten Rindes oder der Schrei einer Lerche, deren Leben unter dem Ueberfall eines Wieſels oder einer Waſſerratte endete. Der Knecht lehnte gegen den Thürpfoſten und rauchte aus einer kurzen Pfeife, deren Rauch er ſchon nicht mehr ſehen konnte; geſprochen hatten er und der Junge noch nicht zuſammen. Dem Letzteren aber drückte etwas auf die Seele, er wußte nur131 nicht, wie er dem ſchweigſamen Knechte ankommen ſollte. Du, Iven! ſagte er endlich, weißt Du, das Pferdsgeripp 'auf Jeversſand!

Was iſt damit? frug der Knecht.

Ja, Iven, was iſt damit? Es iſt gar nicht mehr da; weder Tages noch bei Mondſchein; wohl zwanzigmal bin ich auf den Deich hinausgelaufen!

Die alten Knochen ſind wohl zuſammen - gepoltert! ſagte Iven und rauchte ruhig weiter.

Aber ich war auch bei Mondſchein draußen; es geht auch drüben nichts auf Jeversſand!

Ja, ſagte der Knecht, ſind die Knochen auseinander gefallen, ſo wird's wohl nicht mehr aufſtehen können!

Mach 'keinen Spaß, Iven! Ich weiß jetzt; ich kann Dir ſagen, wo es iſt!

Der Knecht drehte ſich jäh zu ihm: Nun, wo iſt es denn?

Wo? wiederholte der Junge nachdrücklich. Es ſteht in unſ'rem Stall; da ſteht's, ſeit es nicht mehr auf der Hallig iſt. Es iſt auch nicht umſonſt, daß der Wirth es allzeit ſelber füttert; ich weiß Beſcheid, Iven!

Der Knecht paffte eine Weile heftig in die9 *132Nacht hinaus. Du biſt nicht klug, Carſten, ſagte er dann; unſer Schimmel? Wenn je ein Pferd ein lebig's war, ſo iſt es der! Wie kann ſo ein Allerwelts - junge wie Du in ſolch 'Altem-Weiberglauben ſitzen!

Aber der Junge war nicht zu bekehren: wenn der Teufel in dem Schimmel ſteckte, warum ſollte er dann nicht lebendig ſein? Im Gegentheil, um deſto ſchlimmer! Er fuhr jedesmal erſchreckt zuſammen, wenn er gegen Abend den Stall betrat, in dem auch Sommers das Thier mitunter eingeſtellt wurde, und es dann den feurigen Kopf ſo jäh nach ihm herumwarf. Hol's der Teufel! brummte er dann; wir bleiben auch nicht lange mehr zuſammen.

So that er ſich denn heimlich nach einem neuen Dienſte um, kündigte und trat um Aller - heiligen als Knecht bei Ole Peters ein. Hier fand er andächtige Zuhörer für ſeine Geſchichte von dem Teufelspferd des Deichgrafen; die dicke Frau Vollina und deren geiſtesſtumpfer Vater, der frühere Deich - gevollmächtigte Jeß Harders, hörten in behaglichem Gruſeln zu und erzählten ſie ſpäter Allen, die gegen den Deichgrafen einen Groll im Herzen oder die an derart Dingen ihr Gefallen hatten.

133

Inzwiſchen war ſchon Ende März durch die Oberdeichgrafſchaft der Befehl zur neuen Eindeichung eingetroffen. Hauke berief zunächſt die Deichge - vollmächtigten zuſammen, und im Kruge oben bei der Kirche waren eines Tages alle erſchienen und hörten zu, wie er ihnen die Hauptpunkte aus den bisher erwachſenen Schriftſtücken vorlas: aus ſeinem Antrage, aus dem Bericht des Oberdeichgrafen, zuletzt den ſchließlichen Beſcheid, worin vor Allem auch die Annahme des von ihm vorgeſchlagenen Profiles enthalten war, und der neue Deich nicht ſteil wie früher, ſondern allmälig verlaufend nach der Seeſeite abfallen ſollte; aber mit heiteren oder auch nur zufriedenen Geſichtern hörten ſie nicht.

Ja, ja, ſagte ein alter Gevollmächtigter, da haben wir nun die Beſcherung, und Proteſte werden nicht helfen, da der Oberdeichgraf unſerem Deichgrafen den Daumen hält!

Haſt wohl recht, Dethlev Wiens, ſetzte ein zweiter hinzu; die Frühlingsarbeit ſteht vor der Thür, und nun ſoll auch ein millionenlanger Deich gemacht werden da muß ja Alles liegen bleiben.

Das könnt Ihr dies Jahr noch zu Ende134 bringen, ſagte Hauke; ſo raſch wird der Stecken nicht vom Zaun gebrochen!

Das wollten Wenige zugeben. Aber Dein Profil! ſprach ein Dritter, was Neues auf die Bahn bringend; der Deich wird ja auch an der Außenſeite nach dem Waſſer ſo breit, wie Lawrenz ſein Kind nicht lang war! Wo ſoll das Material herkommen? Wann ſoll die Arbeit fertig werden?

Wenn nicht in dieſem, ſo im nächſten Jahre; das wird am meiſten von uns ſelber abhängen! ſagte Hauke.

Ein ärgerliches Lachen ging durch die Geſell - ſchaft. Aber wozu die unnütze Arbeit; der Deich ſoll ja nicht höher werden als der alte, rief eine neue Stimme; und ich mein ', der ſteht ſchon über dreißig Jahre!

Da ſagt Ihr recht, ſprach Hauke, vor dreißig Jahren iſt der alte Deich gebrochen; dann rückwärts vor fünfunddreißig, und wiederum vor fünfundvierzig Jahren; ſeitdem aber, obgleich er noch immer ſteil und unvernünftig daſteht, haben die höchſten Fluthen uns verſchont. Der neue Deich aber ſoll trotz ſolcher hundert und aber hundert Jahre ſtehen; denn er wird nicht durchbrochen135 werden, weil der milde Abfall nach der Seeſeite den Wellen keinen Angriffspunkt entgegenſtellt, und ſo werdet Ihr für Euch und Euere Kinder ein ſicheres Land gewinnen, und das iſt es, weshalb die Herrſchaft und der Oberdeichgraf mir den Daumen halten; das iſt es auch, was Ihr zu Eurem eigenen Vortheil einſehen ſolltet!

Als die Verſammelten hierauf nicht ſogleich zu antworten bereit waren, erhob ſich ein alter weißhaariger Mann mühſam von ſeinem Stuhle; es war Frau Elke's Pathe, Jewe Manners, der auf Hauke's Bitten noch immer in ſeinem Gevoll - mächtigten-Amt verblieben war. Deichgraf Hauke Haien, ſprach er, Du machſt uns viel Unruhe und Koſten, und ich wollte, Du hätteſt damit ge - wartet, bis mich der Herrgott hätt 'zur Ruhe gehen laſſen; aber recht haſt Du, das kann nur die Unvernunft beſtreiten. Wir haben Gott mit jedem Tag zu danken, daß er uns trotz unſerer Trägheit das koſtbare Stück Vorland gegen Sturm und Waſſerdrang erhalten hat; jetzt aber iſt es wohl die elfte Stunde, in der wir ſelbſt die Hand anlegen müſſen, es auch nach all' unſerem Wiſſen und Können ſelber uns zu wahren und auf Gottes136 Langmuth weiter nicht zu trotzen. Ich, meine Freunde, bin ein Greis; ich habe Deiche bauen und brechen ſehen; aber den Deich, den Hauke Haien nach ihm von Gott verliehener Einſicht projectirt und bei der Herrſchaft für Euch durch - geſetzt hat, den wird Niemand von Euch Lebenden brechen ſehen; und wolltet Ihr ihm ſelbſt nicht danken, Euere Enkel werden ihm den Ehrenkranz doch einſtens nicht verſagen können!

Jewe Manners ſetzte ſich wieder; er nahm ſein blaues Schnupftuch aus der Taſche und wiſchte ſich ein paar Tropfen von der Stirn. Der Greis war noch immer als ein Mann von Tüchtigkeit und unantaſtbarer Rechtſchaffenheit bekannt, und da die Verſammlung eben nicht geneigt war, ihm zuzuſtimmen, ſo ſchwieg ſie weiter. Aber Hauke Haien nahm das Wort; doch ſahen Alle, daß er bleich geworden. Ich danke Euch, Jewe Manners, ſprach er, daß Ihr noch hier ſeid, und daß Ihr das Wort geſprochen habt; Ihr andern Herren Ge - vollmächtigten, wollet den neuen Deichbau, der freilich mir zur Laſt fällt, zum mindeſten anſehen als ein Ding, das nun nicht mehr zu ändern ſteht, und laſſet uns demgemäß beſchließen, was nun noth iſt!

137

Sprechet! ſagte einer der Gevollmächtigten. Und Hauke breitete die Karte des neuen Deiches auf dem Tiſche aus: Es hat vorhin Einer gefragt, begann er, woher die viele Erde nehmen? Ihr ſeht, ſoweit das Vorland in die Watten hinausgeht, iſt außerhalb der Deichlinie ein Streifen Landes freigelaſſen; daher und von dem Vorlande, das nach Nord und Süd von dem neuen Kooge an dem Deiche hinläuft, können wir die Erde nehmen; haben wir an den Waſſerſeiten nur eine tüchtige Lage Klei, nach innen oder in der Mitte kann auch Sand genommen werden! Nun aber iſt zunächſt ein Feldmeſſer zu berufen, der die Linie des neuen Deiches auf dem Vorland abſteckt! Der mir bei Ausarbeitung des Planes behülflich geweſen, wird wohl am beſten dazu paſſen. Ferner werden wir zur Heranholung des Klei's oder ſonſtigen Materiales die Anfertigung einſpänniger Sturzkarren mit Gabeldeichſel bei einigen Stell - machern verdingen müſſen; wir werden für die Durchdämmung des Priehles und nach den Binnen - ſeiten, wo wir etwa mit Sand fürlieb nehmen müſſen, ich kann jetzt nicht ſagen, wie viel hundert Fuder Stroh zur Beſtickung des Deiches gebrauchen,138 vielleicht mehr, als in der Marſch hier wird ent - behrlich ſein! Laſſet uns denn berathen, wie zunächſt dies Alles zu beſchaffen und einzurichten iſt; auch die neue Schleuſe hier an der Weſtſeite gegen das Waſſer zu iſt ſpäter einem tüchtigen Zimmermann zur Herſtellung zu übergeben.

Die Verſammelten hatten ſich um den Tiſch geſtellt, betrachteten mit halbem Aug 'die Karte und begannen allgemach zu ſprechen; doch war's, als[geſchähe es, damit nur] überhaupt Etwas geſprochen werde. Als es ſich um Zuziehung des Feldmeſſers handelte, meinte einer der Jüngeren: Ihr habt es ausgeſonnen, Deichgraf; Ihr müſſet ſelbſt am beſten wiſſen, wer dazu taugen mag.

Aber Hauke entgegnete: Da Ihr Geſchworene ſeid, ſo müſſet Ihr aus eigener, nicht aus meiner Meinung ſprechen, Jacob Meyen; und wenn Ihr's dann beſſer ſagt, ſo werd 'ich meinen Vorſchlag fallen laſſen!

Nun ja, es wird ſchon recht ſein, ſagte Jacob Meyen.

Aber einem der Aelteren war es doch nicht völlig recht: er hatte einen Brudersſohn; ſo einer im Feldmeſſen ſollte hier in der Marſch noch nicht139 geweſen ſein; der ſollte noch über des Deichgrafen Vater, den ſeligen Tede Haien, gehen!

So wurde denn über die beiden Feldmeſſer verhandelt und endlich beſchloſſen, ihnen gemein - ſchaftlich das Werk zu übertragen. Aehnlich ging es bei den Sturzkarren, bei der Strohlieferung und allem Anderen, und Hauke kam ſpät und faſt er - ſchöpft auf ſeinem Wallach, den er noch derzeit ritt, zu Hauſe an. Aber als er in dem alten Lehnſtuhl ſaß, der noch von ſeinem gewichtigen, aber leichter lebenden Vorgänger ſtammte, war auch ſein Weib ihm ſchon zur Seite: Du ſiehſt ſo müd 'aus, Hauke, ſprach ſie und ſtrich mit ihrer ſchmalen Hand das Haar ihm von der Stirn.

Ein wenig wohl! erwiderte er.

Und geht es denn?

Es geht ſchon, ſagte er mit bitterem Lächeln; aber ich ſelber muß die Räder ſchieben und froh ſein, wenn ſie nicht zurückgehalten werden!

Aber doch nicht von Allen?

Nein, Elke; Dein Pathe, Jewe Manners, iſt ein guter Mann; ich wollt ', er wär' um dreißig Jahre jünger.

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Als nach einigen Wochen die Deichlinie ab - geſteckt und der größte Theil der Sturzkarren geliefert war, waren ſämmtliche Antheilbeſitzer des einzudeichenden Kooges, ingleichen die Beſitzer der hinter dem alten Deich belegenen Ländereien durch den Deichgrafen im Kirchſpielskrug verſammelt worden; es galt, ihnen einen Plan über die Ver - theilung der Arbeit und Koſten vorzulegen und ihre etwaigen Einwendungen zu vernehmen; denn auch die Letzteren hatten, ſofern der neue Deich und die neuen Siele die Unterhaltungskoſten der älteren Werke verminderte, ihren Theil zu ſchaffen und zu tragen. Dieſer Plan war für Hauke ein ſchwer Stück Arbeit geweſen, und wenn ihm durch Ver - mittelung des Oberdeichgrafen neben einem Deich - boten nicht auch noch ein Deichſchreiber wäre zu - geordnet worden, er würde es ſobald nicht fertig gebracht haben, obwohl auch jetzt wieder an jedem neuen Tage in die Nacht hinein gearbeitet war. Wenn er dann todtmüde ſein Lager ſuchte, ſo hatte nicht wie vordem ſein Weib in nur verſtelltem Schlafe ſeiner gewartet; auch ſie hatte ſo vollgemeſſen ihre tägliche Arbeit, daß ſie Nachts wie am Grunde eines tiefen Brunnens in unſtörbarem Schlafe lag.

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Als Hauke jetzt ſeinen Plan verleſen und die Papiere, die freilich ſchon drei Tage hier im Kruge zur Einſicht ausgelegen hatten, wieder auf den Tiſch breitete, waren zwar ernſte Männer zugegen, die mit Ehrerbietung dieſen gewiſſenhaften Fleiß betrachteten und ſich nach ruhiger Ueberlegung den billigen Anſätzen ihres Deichgrafen unterwarfen; Andere aber, deren Antheile an dem neuen Lande von ihnen ſelbſt oder ihren Vätern oder ſonſtigen Vorbeſitzern waren veräußert worden, beſchwerten ſich, daß ſie zu den Koſten des neuen Kooges hin - zugezogen ſeien, deſſen Land ſie nichts mehr angehe, uneingedenk, daß durch die neuen Arbeiten auch ihre alten Ländereien nach und nach entbürdet würden; und wieder Andere, die mit Antheilen in dem neuen Koog geſegnet waren, ſchrieen, man möge ihnen doch dieſelben abnehmen, ſie ſollten um ein Geringes feil ſein; denn wegen der unbilligen Leiſtungen, die ihnen dafür aufgebürdet würden, könnten ſie nicht damit beſtehen. Ole Peters aber, der mit grimmigem Geſicht am Thürpfoſten lehnte, rief dazwiſchen: Beſinnt Euch erſt, und dann vertrauet unſerem Deichgrafen! der verſteht zu rechnen; er hatte ſchon die meiſten Antheile, da142 wußte er auch mir die meinen abzuhandeln, und als er ſie hatte, beſchloß er, dieſen neuen Koog zu deichen!

Es war nach dieſen Worten einen Augenblick todtenſtill in der Verſammlung. Der Deichgraf ſtand an dem Tiſch, auf dem er zuvor ſeine Papiere gebreitet hatte: er hob ſeinen Kopf und ſah nach Ole Peters hinüber: Du weißt wohl, Ole Peters, ſprach er, daß Du mich verleumdeſt; Du thuſt es dennoch, weil Du überdies auch weißt, daß doch ein gut Theil des Schmutzes, womit Du mich bewirfſt, an mir wird hängen bleiben! Die Wahrheit iſt, daß Du Deine Antheile los ſein wollteſt, und daß ich ihrer derzeit für meine Schafzucht bedurfte; und willſt Du Weiteres wiſſen, das ungewaſchene Wort, das Dir im Krug vom Mund gefahren, ich ſei nur Deichgraf meines Weibes wegen, das hat mich aufgerüttelt, und ich hab 'Euch zeigen wollen, daß ich wohl um meiner ſelbſt willen Deichgraf ſein könne; und ſomit, Ole Peters, hab' ich ge - than, was ſchon der Deichgraf vor mir hätte thun ſollen. Trägſt Du mir aber Groll, daß derzeit Deine Antheile die meinen geworden ſind Du hörſt es ja, es ſind genug, die jetzt die ihrigen um143 ein Billiges feil bieten, nur weil die Arbeit ihnen jetzt zu viel iſt!

Von einem kleinen Theil der verſammelten Männer ging ein Beifallsmurmeln aus, und der alte Jewe Manners, der dazwiſchen ſtand, rief laut: Bravo, Hauke Haien! Unſer Herrgott wird Dir Dein Werk gelingen laſſen!

Aber man kam doch nicht zu Ende, obgleich Ole Peters ſchwieg, und die Leute erſt zum Abend - brote auseinandergingen; erſt in einer zweiten Verſammlung wurde Alles geordnet; aber auch nur, nachdem Hauke ſtatt der ihm zukommenden drei Geſpanne für den nächſten Monat deren vier auf ſich genommen hatte.

Endlich, als ſchon die Pfingſtglocken durch das Land läuteten, hatte die Arbeit begonnen: un - abläſſig fuhren die Sturzkarren von dem Vor - lande an die Deichlinie, um den geholten Klei dort abzuſtürzen, und gleicherweiſe war dieſelbe Anzahl ſchon wieder auf der Rückfahrt, um auf dem Vor - land neuen aufzuladen; an der Deichlinie ſelber ſtanden Männer mit Schaufeln und Spaten, um das Abgeworfene an ſeinen Platz zu bringen und zu ebnen; ungeheuere Fuder Stroh wurden ange -144 fahren und abgeladen; nicht nur zur Bedeckung des leichteren Materials, wie Sand und loſe Erde, deſſen man an den Binnenſeiten ſich bediente, wurde das Stroh benutzt; allmälig wurden einzelne Strecken des Deiches fertig, und die Grasſoden, womit man ſie belegt hatte, wurden ſtellenweis zum Schutz gegen die nagenden Wellen mit feſter Strohbeſtickung überzogen; beſtellte Aufſeher gingen hin und her und, wenn es ſtürmte, ſtanden ſie mit aufgeriſſenen Mäulern und ſchrieen ihre Befehle durch Wind und Wetter; dazwiſchen ritt der Deich - graf auf ſeinem Schimmel, den er jetzt ausſchließlich in Gebrauch hatte, und das Thier flog mit dem Reiter hin und wieder, wenn er raſch und trocken ſeine Anordnungen machte, wenn er die Arbeiter lobte oder, wie es wohl geſchah, einen Faulen oder Ungeſchickten ohn 'Erbarmen aus der Arbeit wies. Das hilft nicht! rief er dann; um Deine Faulheit darf uns nicht der Deich verderben! Schon von Weitem, wenn er unten aus dem Koog heraufkam, hörten ſie das Schnauben ſeines Roſſes, und alle Hände faßten feſter in die Arbeit: Friſch zu! Der Schimmelreiter kommt!

War es um die Frühſtückszeit, wo die Arbeiter145 mit ihrem Morgenbrot haufenweis beiſammen auf der Erde lagen, dann ritt Hauke an den verlaſſenen Werken entlang, und ſeine Augen waren ſcharf, wo liederliche Hände den Spaten geführt hatten. Wenn er aber zu den Leuten ritt und ihnen aus - einanderſetzte, wie die Arbeit müſſe beſchafft werden, ſahen ſie wohl zu ihm auf und kauten geduldig an ihrem Brote weiter; aber eine Zuſtimmung oder auch nur eine Aeußerung hörte er nicht von ihnen. Einmal zu ſolcher Tageszeit, es war ſchon ſpät, da er an einer Deichſtelle die Arbeit in beſonderer Ordnung gefunden hatte, ritt er zu dem nächſten Haufen der Frühſtückenden, ſprang von ſeinem Schimmel und frug heiter, wer dort ſo ſauberes Tagewerk verrichtet hätte; aber ſie ſahen ihn nur ſcheu und düſter an, und nur langſam und wie widerwillig wurden ein paar Namen ge - nannt. Der Menſch, dem er ſein Pferd gegeben hatte, das ruhig wie ein Lamm ſtand, hielt es mit beiden Händen und blickte wie angſtvoll nach den ſchönen Augen des Thieres, die es, wie ge - wöhnlich, auf ſeinen Herrn gerichtet hielt.

Nun, Marten! rief Hauke; was ſtehſt Du, als ob Dir der Donner in die Beine gefahren ſei?

Theodor Storm, Der Schimmelreiter. 10146

Herr, Euer Pferd, es iſt ſo ruhig, als ob es Böſes vorhabe!

Hauke lachte und nahm das Pferd ſelbſt am Zügel, das ſogleich liebkoſend den Kopf an ſeiner Schulter rieb. Von den Arbeitern ſahen einige ſcheu zu Roß und Reiter hinüber, andere, als ob das Alles ſie nicht kümmere, aßen ſchweigend ihre Frühkoſt, dann und wann den Möven einen Brocken hinaufwerfend, die ſich den Futterplatz gemerkt hatten und mit ihren ſchlanken Flügeln ſich faſt auf ihre Köpfe ſenkten. Der Deichgraf blickte eine Weile wie gedankenlos auf die bettelnden Vögel und wie ſie die zugeworfenen Biſſen mit ihren Schnäbeln haſchten; dann ſprang er in den Sattel und ritt, ohne ſich nach den Leuten umzuſehen, davon; einige Worte, die jetzt unter ihnen laut wurden, klangen ihm faſt wie Hohn. Was iſt das? ſprach er bei ſich ſelber. Hatte denn Elke recht, daß ſie Alle gegen mich ſind? Auch dieſe Knechte und kleinen Leute, von denen Vielen durch meinen neuen Deich doch eine Wohlhabenheit ins Haus wächſt?

Er gab ſeinem Pferde die Sporen, daß es wie toll in den Koog hinabflog. Von dem un - heimlichen Glanze freilich, mit dem ſein früherer147 Dienſtjunge den Schimmelreiter bekleidet hatte, wußte er ſelber nichts; aber die Leute hätten ihn jetzt nur ſehen ſollen, wie aus ſeinem hageren Ge - ſicht die Augen ſtarrten, wie ſein Mantel flog, und wie der Schimmel ſprühte!

So war der Sommer und der Herbſt vergangen; noch bis gegen Ende November war gearbeitet worden; dann geboten Froſt und Schnee dem Werke Halt; man war nicht fertig geworden und beſchloß, den Koog offen liegen zu laſſen. Acht Fuß ragte der Deich aus der Fläche hervor; nur wo weſtwärts gegen das Waſſer hin die Schleuſe gelegt werden ſollte, hatte man eine Lücke gelaſſen; auch oben vor dem alten Deiche war der Priehl noch unberührt. So konnte die Fluth, wie in den letzten dreißig Jahren, in den Koog hinein - dringen, ohne dort oder an dem neuen Deiche großen Schaden anzurichten. Und ſo überließ man dem großen Gott das Werk der Menſchenhände und ſtellte es in ſeinen Schutz, bis die Frühlings - ſonne die Vollendung würde möglich machen.

Inzwiſchen hatte im Hauſe des Deich - grafen ſich ein frohes Ereigniß vorbereitet: im neunten Ehejahre war noch ein Kind geboren worden. 10 *148Es war roth und hutzelig und wog ſeine ſieben Pfund, wie es für neugeborene Kinder ſich gebührt, wenn ſie, wie dies, dem weiblichen Geſchlechte an - gehören; nur ſein Geſchrei war wunderlich verhohlen und hatte der Wehmutter nicht gefallen wollen. Das Schlimmſte war, am dritten Tage lag Elke im hellen Kindbettfieber, redete Irrſal und kannte weder ihren Mann noch ihre alte Helferin. Die unbändige Freude, die Hauke beim Anblick ſeines Kindes ergriffen hatte, war zu Trübſal geworden; der Arzt aus der Stadt war geholt, er ſaß am Bett und fühlte den Puls und verſchrieb und ſah rathlos um ſich her. Hauke ſchüttelte den Kopf: Der hilft nicht; nur Gott kann helfen! Er hatte ſich ſein eigen Chriſtenthum zurecht gerechnet; aber es war Etwas, das ſein Gebet zurückhielt. Als der alte Doctor davongefahren war, ſtand er am Fenſter, in den winterlichen Tag hinausſtarrend, und während die Kranke aus ihren Phantaſien aufſchrie, ſchränkte er die Hände zuſammen; er wußte ſelber nicht, war es aus Andacht oder war es nur, um in der ungeheueren Angſt ſich ſelbſt nicht zu verlieren.

Waſſer! Das Waſſer! wimmerte die Kranke. 149 Halt 'mich! ſchrie ſie; halt' mich, Hauke! Dann ſank die Stimme; es klang, als ob ſie weine: In See, ins Haf hinaus? O, lieber Gott, ich ſeh 'ihn nimmer wieder!

Da wandte er ſich und ſchob die Wärterin von ihrem Bette; er fiel auf ſeine Kniee, umfaßte ſein Weib und riß ſie an ſich: Elke! Elke, ſo kenn 'mich doch, ich bin ja bei Dir!

Aber ſie öffnete nur die fieberglühenden Augen weit und ſah wie rettungslos verloren um ſich.

Er legte ſie zurück auf ihre Kiſſen; dann krampfte er die Hände in einander: Herr, mein Gott, ſchrie er; nimm ſie mir nicht! Du weißt, ich kann ſie nicht entbehren! Dann war's, als ob er ſich beſinne, und leiſer ſetzte er hinzu: Ich weiß ja wohl, Du kannſt nicht allezeit, wie Du willſt, auch Du nicht; Du biſt allweiſe; Du mußt nach Deiner Weisheit thun o, Herr, ſprich nur durch einen Hauch zu mir!

Es war, als ob plötzlich eine Stille eingetreten ſei; er hörte nur ein leiſes Athmen; als er ſich zum Bette kehrte, lag ſein Weib in ruhigem Schlaf; nur die Wärterin ſah mit entſetzten Augen auf ihn. Er hörte die Thür gehen: Wer war das? frug er.

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Herr, die Magd Ann 'Grethe ging hinaus; ſie hatte den Warmkorb hereingebracht.

Was ſieht Sie mich denn ſo verfahren an, Frau Levke?

Ich? Ich hab 'mich ob Eurem Gebet er - ſchrocken; damit betet Ihr Keinen vom Tode los!

Hauke ſah ſie mit ſeinen durchdringenden Augen an: Beſucht Sie denn auch, wie unſere Ann 'Grethe, die Conventikel bei dem holländiſchen Flick - ſchneider Jantje?

Ja, Herr; wir haben beide den lebendigen Glauben!

Hauke antwortete ihr nicht. Das damals ſtark im Schwange gehende ſeparatiſtiſche Conventikel - Weſen hatte auch unter den Frieſen ſeine Blüthen getrieben; heruntergekommene Handwerker oder wegen Trunkes abgeſetzte Schulmeiſter ſpielten darin die Hauptrolle, und Dirnen, junge und alte Weiber, Faulenzer und einſame Menſchen liefen eifrig in die heimlichen Verſammlungen, in denen jeder den Prieſter ſpielen konnte. Aus des Deich - grafen Hauſe brachten Ann 'Grethe und der in ſie verliebte Dienſtjunge ihre freien Abende dort zu. Freilich hatte Elke ihre Bedenken darüber gegen151 Hauke nicht zurückgehalten; aber er hatte gemeint, in Glaubensſachen ſolle man Keinem drein reden: das ſchade Niemandem, und beſſer dort doch als im Schnapskrug!

So war es dabei geblieben, und ſo hatte er auch jetzt geſchwiegen. Aber freilich über ihn ſchwieg man nicht; ſeine Gebetsworte liefen um von Haus zu Haus: er hatte Gottes Allmacht beſtritten; was war ein Gott denn ohne Allmacht? Er war ein Gottesleugner; die Sache mit dem Teufelspferde mochte auch am Ende richtig ſein!

Hauke erfuhr nichts davon; er hatte in dieſen Tagen nur Ohren und Augen für ſein Weib; ſelbſt das Kind war für ihn nicht mehr auf der Welt.

Der alte Arzt kam wieder, kam jeden Tag, mitunter zweimal, blieb dann eine ganze Nacht, ſchrieb wieder ein Recept, und der Knecht Iven Johns ritt damit im Flug zur Apotheke. Dann aber wurde ſein Geſicht freundlicher, er nickte dem Deichgrafen vertraulich zu: Es geht! Es geht! Mit Gottes Hülfe! und eines Tags hatte nun ſeine Kunſt die Krankheit beſiegt, oder hatte auf Hauke's Gebet der liebe Gott doch noch einen Aus - weg finden können als der Doctor mit der152 Kranken allein war, ſprach er zu ihr, und ſeine alten Augen lachten: Frau, jetzt kann ich's getroſt Euch ſagen: heut 'hat der Doctor ſeinen Feſttag; es ſtand ſchlimm um Euch; aber nun gehöret Ihr wieder zu uns, zu den Lebendigen!

Da brach es wie ein Strahlenmeer aus ihren dunklen Augen: Hauke! Hauke, wo biſt Du? rief ſie, und als er auf den hellen Ruf ins Zimmer und an ihr Bett ſtürzte, ſchlug ſie die Arme um ſeinen Nacken: Hauke, mein Mann, gerettet! Ich bleibe bei Dir!

Da zog der alte Doctor ſein ſeiden Schnupf - tuch aus der Taſche, fuhr ſich damit über Stirn und Wangen und ging kopfnickend aus dem Zimmer.

Am dritten Abend nach dieſem Tage ſprach ein frommer Redner es war ein vom Deichgrafen aus der Arbeit gejagter Pantoffel - macher im Conventikel bei dem holländiſchen Schneider, da er ſeinen Zuhörern die Eigenſchaften Gottes auseinanderſetzte: Wer aber Gottes All - macht widerſtreitet, wer da ſagt: ich weiß, Du kannſt nicht, was Du willſt wir kennen den Unglückſeligen ja Alle; er laſtet gleich einem Stein auf der Gemeinde der iſt von Gott gefallen153 und ſuchet den Feind Gottes, den Freund der Sünde zu ſeinem Tröſter; denn nach irgend einem Stabe muß die Hand des Menſchen greifen. Ihr aber, hütet Euch vor dem, der alſo betet; ſein Gebet iſt Fluch!

Auch das lief um von Haus zu Haus. Was läuft nicht um in einer kleinen Gemeinde? und auch zu Hauke's Ohren kam es. Er ſprach kein Wort darüber, nicht einmal zu ſeinem Weibe; nur mitunter konnte er ſie heftig umfaſſen und an ſich ziehen: Bleib mir treu, Elke! Bleib mir treu! Dann ſahen ihre Augen voll Staunen zu ihm auf: Dir treu? Wem ſollte ich denn anders treu ſein? Nach einer kurzen Weile aber hatte ſie ſein Wort verſtanden: Ja, Hauke, wir ſind uns treu; nicht nur, weil wir uns brauchen. Und dann ging Jedes ſeinen Arbeitsweg.

Das wäre ſo weit gut geweſen; aber es war doch trotz aller lebendigen Arbeit eine Einſamkeit um ihn, und in ſeinem Herzen niſtete ſich ein Trotz und abgeſchloſſenes Weſen gegen andere Menſchen ein; nur gegen ſein Weib blieb er alle - zeit der Gleiche, und an der Wiege ſeines Kindes lag er Abends und Morgens auf den Knieen, als154 ſei dort die Stätte ſeines ewigen Heils. Gegen Geſinde und Arbeiter aber wurde er ſtrenger; die Ungeſchickten und Fahrläſſigen, die er früher durch ruhigen Tadel zurecht gewieſen hatte, wurden jetzt durch hartes Anfahren aufgeſchreckt, und Elke ging mitunter leiſe beſſern.

Als der Frühling nahte, begannen wieder die Deicharbeiten; mit einem Kajedeich wurde zum Schutz der jetzt aufzubauenden neuen Schleuſe die Lücke in der weſtlichen Deichlinie geſchloſſen, halb - mondförmig nach innen und ebenſo nach außen; und gleich der Schleuſe wuchs allmälig auch der Haupt-Deich zu ſeiner immer raſcher herzuſtellenden Höhe empor. Leichter wurde dem leitenden Deich - grafen ſeine Arbeit nicht; denn an Stelle des im Winter verſtorbenen Jewe Manners war Ole Peters als Deichgevollmächtigter eingetreten. Hauke hatte nicht verſuchen wollen, es zu hindern; aber anſtatt der ermuthigenden Worte und der dazu gehörigen zuthunlichen Schläge auf ſeine linke Schulter, die er ſo oft von dem alten Pathen ſeines Weibes eincaſſirt hatte, kamen ihm jetzt von dem Nach - folger ein heimliches Widerhalten und unnöthige155 Einwände und waren mit unnöthigen Gründen zu bekämpfen; denn Ole gehörte zwar zu den Wichtigen, aber in Deichſachen nicht zu den Klugen; auch war von früher her der Schreiberknecht ihm immer noch im Wege.

Der glänzendſte Himmel breitete ſich wieder über Meer und Marſch, und der Koog wurde wieder bunt von ſtarken Rindern, deren Gebrüll von Zeit zu Zeit die weite Stille unterbrach; unabläſſig ſangen in hoher Himmelsluft die Lerchen; aber man hörte es erſt, wenn einmal auf eines Athemzuges Länge der Geſang verſtummt war. Kein Unwetter ſtörte die Arbeit, und die Schleuſe ſtand ſchon mit ihrem ungeſtrichenen Balkengefüge, ohne daß auch nur in einer Nacht ſie eines Schutzes von dem Interims-Deich bedurft hätte; der Herr - gott ſchien ſeine Gunſt dem neuen Werke zuzuwenden. Auch Frau Elke's Augen lachten ihrem Manne zu, wenn er auf ſeinem Schimmel draußen von dem Deich nach Hauſe kam: Biſt doch ein braves Thier geworden! ſagte ſie dann und klopfte den blanken Hals des Pferdes. Hauke aber, wenn ſie das Kind am Halſe hatte, ſprang herab und ließ das winzige Dinglein auf ſeinen Armen tanzen;156 wenn dann der Schimmel ſeine braunen Augen auf das Kind gerichtet hielt, dann ſprach er wohl: Komm her; ſollſt auch die Ehre haben! und er ſetzte die kleine Wienke denn ſo war ſie getauft worden auf ſeinen Sattel und führte den Schimmel auf der Werft im Kreiſe herum. Auch der alte Eſchenbaum hatte mitunter die Ehre; er ſetzte das Kind auf einen ſchwanken Aſt und ließ es ſchaukeln. Die Mutter ſtand mit lachenden Augen in der Hausthür; das Kind aber lachte nicht, ſeine Augen, zwiſchen denen ein feines Näschen ſtand, ſchauten ein wenig ſtumpf ins Weite, und die kleinen Hände griffen nicht nach dem Stöckchen, das der Vater ihr hinhielt. Hauke achtete nicht darauf, er wußte auch nichts von ſo kleinen Kindern; nur Elke, wenn ſie das helläugige Mädchen auf dem Arm ihrer Arbeitsfrau erblickte, die mit ihr zugleich das Wochenbett beſtanden hatte, ſagte mitunter ſchmerzlich: Das Meine iſt noch nicht ſo weit wie Deines, Stina! und die Frau, ihren dicken Jungen, den ſie an der Hand hatte, mit derber Liebe ſchüttelnd, rief dann wohl: Ja, Frau, die Kinder ſind verſchieden; der da, der ſtahl mir ſchon die Aepfel aus der Kammer, bevor157 er übers zweite Jahr hinaus war! Und Elke ſtrich dem dicken Buben ſein Kraushaar aus den Augen und drückte dann heimlich ihr ſtilles Kind ans Herz.

Als es in den October hineinging, ſtand an der Weſtſeite die neue Schleuſe ſchon feſt in dem von beiden Seiten ſchließenden Hauptdeich, der bis auf die Lücken bei dem Priehle nun mit ſeinem ſanften Profile ringsum nach den Waſſer - ſeiten abfiel und um fünfzehn Fuß die ordinäre Fluth überragte. Von ſeiner Nordweſtecke ſah man an Jevershallig vorbei ungehindert in das Watten - meer hinaus; aber freilich auch die Winde faßten hier ſchärfer; die Haare flogen, und wer hier aus - ſchauen wollte, der mußte die Mütze feſt auf dem Kopf haben.

Zu Ende November, wo Sturm und Regen eingefallen waren, blieb nur noch hart am alten Deich die Schlucht zu ſchließen, auf deren Grunde an der Nordſeite das Meerwaſſer durch den Priehl in den neuen Koog hineinſchoß. Zu beiden Seiten ſtanden die Wände des Deiches; der Abgrund zwiſchen ihnen mußte jetzt verſchwinden. Ein trocken Sommer - wetter hätte die Arbeit wohl erleichtert; aber auch ſo mußte ſie gethan werden; denn ein aufbrechender158 Sturm konnte das ganze Werk gefährden. Und Hauke ſetzte alles daran, um jetzt den Schluß herbei - zuführen. Der Regen ſtrömte, der Wind pfiff; aber ſeine hagere Geſtalt auf dem feurigen Schimmel tauchte bald hier, bald dort aus den ſchwarzen Menſchenmaſſen empor, die oben wie unten an der Nordſeite des Deiches neben der Schlucht beſchäftigt waren. Jetzt ſah man ihn unten bei den Sturz - karren, die ſchon weither die Kleierde aus dem Vorlande holen mußten, und von denen eben ein gedrängter Haufen bei dem Priehle anlangte und ſeine Laſt dort abzuwerfen ſuchte. Durch das Geklatſch des Regens und das Brauſen des Windes klangen von Zeit zu Zeit die ſcharfen Befehlsworte des Deichgrafen, der heute hier allein gebieten wollte; er rief die Karren nach den Nummern vor und wies die Drängenden zurück; ein Halt! ſcholl von ſeinem Munde; dann ruhte unten die Arbeit; Stroh! ein Fuder Stroh hinab! rief er denen droben zu, und von einem der oben haltenden Fuder ſtürzte es auf den naſſen Klei hinunter. Unten ſprangen Männer dazwiſchen und zerrten es aus - einander und ſchrieen nach oben, ſie nur nicht zu begraben. Und wieder kamen neue Karren, und159 Hauke war ſchon wieder oben und ſah von ſeinem Schimmel in die Schlucht hinab, und wie ſie dort ſchaufelten und ſtürzten; dann warf er ſeine Augen nach dem Haf hinaus. Es wehte ſcharf, und er ſah, wie mehr und mehr der Waſſerſaum am Deich hinaufklimmte, und wie die Wellen ſich noch höher hoben; er ſah auch, wie die Leute trieften und kaum athmen konnten in der ſchweren Arbeit vor dem Winde, der ihnen die Luft am Munde ab - ſchnitt und vor dem kalten Regen, der ſie über - ſtrömte. Ausgehalten, Leute! Ausgehalten! ſchrie er zu ihnen hinab. Nur einen Fuß noch höher; dann iſt's genug für dieſe Fluth! Und durch alles Getöſe des Wetters hörte man das Geräuſch der Arbeiter: das Klatſchen der hineingeſtürzten Klei - maſſen, das Raſſeln der Karren und das Rauſchen des von oben hinabgelaſſenen Strohes ging unauf - haltſam vorwärts; dazwiſchen war mitunter das Winſeln eines kleinen gelben Hundes laut geworden, der frierend und wie verloren zwiſchen Menſchen und Fuhrwerken herumgeſtoßen wurde; plötzlich aber ſcholl ein jammervoller Schrei des kleinen Thieres von unten aus der Schlucht herauf. Hauke blickte hinab; er hatte es von oben hinunter -160 ſchleudern ſehen; eine jähe Zornröthe ſtieg ihm ins Geſicht. Halt! Haltet ein! ſchrie er zu den Karren hinunter; denn der naſſe Klei wurde unauf - haltſam aufgeſchüttet.

Warum? rief eine rauhe Stimme von unten herauf; doch um die elende Hunde-Creatur nicht?

Halt! ſag 'ich, ſchrie Hauke wieder; bringt mir den Hund! Bei unſerem Werke ſoll kein Frevel ſein!

Aber es rührte ſich keine Hand; nur ein paar Spaten zähen Kleis flogen noch neben das ſchreiende Thier. Da gab er ſeinem Schimmel die Sporen, daß das Thier einen Schrei ausſtieß, und ſtürmte den Deich hinab, und Alles wich vor ihm zurück. Den Hund! ſchrie er; ich will den Hund!

Eine Hand ſchlug ſanft auf ſeine Schulter, als wäre es die Hand des alten Jewe Manners; doch als er umſah, war es nur ein Freund des Alten. Nehmt Euch in Acht, Deichgraf! raunte der ihm zu. Ihr habt nicht Freunde unter dieſen Leuten; laßt es mit dem Hunde gehen!

Der Wind pfiff, der Regen klatſchte; die Leute hatten die Spaten in den Grund geſteckt, einige161 ſie fortgeworfen. Hauke neigte ſich zu dem Alten: Wollt Ihr meinen Schimmel halten, Harke Jens? frug er; und als jener noch kaum den Zügel in der Hand hatte, war Hauke ſchon in die Kluft geſprungen und hielt das kleine winſelnde Thier in ſeinem Arm; und faſt im ſelben Augenblicke ſaß er auch wieder hoch im Sattel und ſprengte auf den Deich zurück. Seine Augen flogen über die Männer, die bei den Wagen ſtanden. Wer war es? rief er. Wer hat die Creatur hinab - geworfen?

Einen Augenblick ſchwieg Alles; denn aus dem hageren Geſicht des Deichgrafen ſprühte der Zorn, und ſie hatten abergläubiſche Furcht vor ihm. Da trat von einem Fuhrwerk ein ſtier - nackiger Kerl vor ihn hin. Ich that es nicht, Deichgraf, ſagte er und biß von einer Rolle Kautabak ein Endchen ab, das er ſich erſt ruhig in den Mund ſchob; aber der es that, hat recht gethan; ſoll Euer Deich ſich halten, ſo muß was Lebiges hinein!

Was Lebiges? Aus welchem Katechismus haſt Du das gelernt?

Aus keinem, Herr! entgegnete der Kerl,Theodor Storm, Der Schimmelreiter. 11162und aus ſeiner Kehle ſtieß ein freches Lachen; das haben unſere Großväter ſchon gewußt, die ſich mit Euch im Chriſtenthum wohl meſſen durften! Ein Kind iſt beſſer noch; wenn das nicht da iſt, thut's auch wohl ein Hund!

Schweig 'Du mit Deinen Heidenlehren! ſchrie ihn Hauke an; es ſtopfte beſſer, wenn man Dich hineinwürfe.

Oho! erſcholl es; aus einem Dutzend Kehlen war der Laut gekommen, und der Deichgraf gewahrte ringsum grimmige Geſichter und geballte Fäuſte; er ſah wohl, daß das keine Freunde waren; der Ge - danke an ſeinen Deich überfiel ihn wie ein Schrecken: was ſollte werden, wenn jetzt Alle ihre Spaten hin - würfen? Und als er nun den Blick nach unten richtete, ſah er wieder den Freund des alten Jewe Manners; der ging dort zwiſchen den Arbeitern, ſprach zu Dem und Jenen, lachte hier Einem zu, klopfte dort mit freundlichem Geſicht Einem auf die Schulter, und Einer nach dem Andern faßte wieder ſeinen Spaten; noch einige Augenblicke, und die Arbeit war wieder in vollem Gange. Was wollte er denn noch? Der Priehl mußte geſchloſſen werden, und den Hund barg er ſicher genug in den Falten163 ſeines Mantels. Mit plötzlichem Entſchluß wandte er ſeinen Schimmel gegen den nächſten Wagen: Stroh an die Kante! rief er herriſch, und wie mechaniſch gehorchte ihm der Fuhrknecht; bald rauſchte es hinab in die Tiefe, und von allen Seiten regte es ſich aufs Neue und mit allen Armen.

Eine Stunde war noch ſo gearbeitet; es war nach ſechs Uhr, und ſchon brach tiefe Dämmerung herein; der Regen hatte aufgehört; da rief Hauke die Aufſeher an ſein Pferd: Morgen früh vier Uhr, ſagte er, iſt Alles wieder auf dem Platz; der Mond wird noch am Himmel ſein; da machen wir mit Gott den Schluß! Und dann noch Eines! rief er, als ſie gehen wollten: Kennt Ihr den Hund? und er nahm das zitternde Thier aus ſeinem Mantel.

Sie verneinten das; nur Einer ſagte: Der hat ſich taglang ſchon im Dorf herumgebettelt; der gehört gar Keinem!

Dann iſt er mein! entgegnete der Deichgraf. Vergeſſet nicht: morgen früh vier Uhr! und ritt davon.

Als er heim kam, trat Ann 'Grethe aus der Thür; ſie hatte ſaubere Kleidung an, und es11 *164fuhr ihm durch den Kopf, ſie gehe jetzt zum Conventikelſchneider: Halt 'die Schürze auf! rief er ihr zu, und da ſie es unwillkürlich that, warf er das kleibeſchmutzte Hündlein ihr hinein: Bring' ihn der kleinen Wienke; er ſoll ihr Spielkamerad werden! Aber waſch 'und wärm' ihn zuvor; ſo thuſt Du auch ein gottgefällig Werk; denn die Creatur iſt ſchier verklommen.

Und Ann 'Grethe konnte nicht laſſen, ihrem Wirth Gehorſam zu leiſten und kam deshalb heute nicht in den Conventikel.

Und am andern Tage wurde der letzte Spaten - ſtich am neuen Deich gethan; der Wind hatte ſich gelegt; in anmuthigem Fluge ſchwebten Möven und Avoſetten über Land und Waſſer hin und wieder; von Jevershallig tönte das tauſendſtimmige Geknorr der Rottgänſe, die ſich's noch heute an der Küſte der Nordſee wohl ſein ließen, und aus den weißen Morgennebeln, welche die weite Marſch bedeckten, ſtieg allmälig ein goldner Herbſttag und beleuchtete das neue Werk der Menſchenhände.

Nach einigen Wochen kamen mit dem Ober - deichgrafen die herrſchaftlichen Commiſſäre zur165 Beſichtigung desſelben; ein großes Feſtmahl, das erſte nach dem Leichenmahl des alten Tede Volkerts, wurde im deichgräflichen Hauſe gehalten; alle Deichgevollmächtigten und die größten Intereſſenten waren dazu geladen. Nach Tiſche wurden ſämmtliche Wagen der Gäſte und des Deichgrafen angeſpannt; Frau Elke wurde von dem Oberdeichgrafen in die Carriole gehoben, vor der der braune Wallach mit ſeinen Hufen ſtampfte; dann ſprang er ſelber hinten nach und nahm die Zügel in die Hand; er wollte die geſcheidte Frau ſeines Deichgrafen ſelber fahren. So ging es munter von der Werfte und in den Weg hinaus, den Akt zum neuen Deich hinan und auf demſelben um den jungen Koog herum. Es war inmittelſt ein leichter Nordweſt - wind aufgekommen, und an der Nord - und Weſt - ſeite des neuen Deiches wurde die Fluth hinauf - getrieben; aber es war unverkennbar, der ſanfte Abfall bedingte einen ſanfteren Anſchlag; aus dem Munde der herrſchaftlichen Commiſſäre ſtrömte das Lob des Deichgrafen, daß die Bedenken, welche hie und da von den Gevollmächtigten dagegen langſam vorgebracht wurden, gar bald darin erſtickten.

166

Auch das ging vorüber; aber noch eine Genugthuung empfing der Deichgraf eines Tages, da er in ſtillem, ſelbſtbewußten Sinnen auf dem neuen Deich entlang ritt. Es mochte ihm wohl die Frage kommen, weshalb der Koog, der ohne ihn nicht da wäre, in dem ſein Schweiß und ſeine Nachtwachen ſteckten, nun ſchließlich nach einer der herrſchaftlichen Prinzeſſinnen der neue Carolinen - koog getauft ſei; aber es war doch ſo: auf allen dahin gehörigen Schriftſtücken ſtand der Name, auf einigen ſogar in rother Fracturſchrift. Da, als er aufblickte, ſah er zwei Arbeiter mit ihren Feld - geräthſchaften, der eine etwa zwanzig Schritte hinter dem andern, ſich entgegenkommen: So wart 'doch! hörte er den Nachfolgenden rufen; der Andere aber er ſtand eben an einem Akt, der in den Koog hinunterführte rief ihm ent - gegen: Ein andermal, Jens! Es iſt ſchon ſpät; ich ſoll hier Klei ſchlagen!

Wo denn?

Nun hier, im Hauke-Haienkoog!

Er rief es laut, indem er den Akt hinab - trabte, als ſolle die ganze Marſch es hören, die darunter lag. Hauke aber war es, als höre er167 ſeinen Ruhm verkünden; er hob ſich im Sattel, gab ſeinem Schimmel die Sporen und ſah mit feſten Augen über die weite Landſchaft hin, die zu ſeiner Linken lag. Hauke-Haienkoog! wiederholte er leis; das klang, als könnt 'es alle Zeit nicht anders heißen! Mochten ſie trotzen, wie ſie wollten, um ſeinen Namen war doch nicht herumzukommen; der Prinzeſſinnen-Name würde er nicht bald nur noch in alten Schriften modern? Der Schimmel ging in ſtolzem Galopp; vor ſeinen Ohren aber ſummte es: Hauke-Haienkoog! Hauke - Haienkoog! In ſeinen Gedanken wuchs faſt der neue Deich zu einem achten Weltwunder; in ganz Friesland war nicht ſeines Gleichen! Und er ließ den Schimmel tanzen; ihm war, er ſtünde inmitten aller Frieſen; er überragte ſie um Kopfeshöhe, und ſeine Blicke flogen ſcharf und mitleidig über ſie hin.

Allmälig waren drei Jahre ſeit der Eindeichung hingegangen; das neue Werk hatte ſich bewährt, die Reparaturkoſten waren nur gering geweſen; im Kooge aber blühte jetzt faſt überall der weiße Klee, und ging man über die geſchützten Weiden, ſo trug der Sommerwind einem ganze168 Wolken ſüßen Dufts entgegen. Da war die Zeit gekommen, die bisher nur idealen Antheile in wirkliche zu verwandeln und allen Theilnehmern ihre beſtimmten Stücke für immer eigenthümlich zuzuſetzen. Hauke war nicht müßig geweſen, vor - her noch einige neue zu erwerben; Ole Peters hatte ſich verbiſſen zurückgehalten; ihm gehörte nichts im neuen Kooge. Ohne Verdruß und Streit hatte auch ſo die Theilung nicht abgehen können; aber fertig war es gleichwohl geworden; auch dieſer Tag lag hinter dem Deichgrafen.

Fortan lebte er einſam ſeinen Pflichten als Hofwirth wie als Deichgraf und denen, die ihm am nächſten angehörten; die alten Freunde waren nicht mehr in der Zeitlichkeit, neue zu erwerben war er nicht geeignet. Aber unter ſeinem Dach war Frieden, den auch das ſtille Kind nicht ſtörte; es ſprach wenig, das ſtete Fragen, was den auf - geweckten Kindern eigen iſt, kam ſelten und meiſt ſo, daß dem Gefragten die Antwort darauf ſchwer wurde; aber ihr liebes, einfältiges Geſichtlein trug faſt immer den Ausdruck der Zufriedenheit. Zwei Spielkameraden hatte ſie, die waren ihr genug:169 wenn ſie über die Werfte wanderte, ſprang das gerettete gelbe Hündlein ſtets um ſie herum, und wenn der Hund ſich zeigte, war auch klein Wienke nicht mehr fern. Der zweite Kamerad war eine Lachmöve, und wie der Hund Perle, ſo hieß die Möve Claus.

Claus war durch ein greiſes Menſchenkind auf dem Hofe inſtallirt worden; die achtzigjährige Trien 'Jans hatte in ihrer Kathe auf dem Außendeich ſich nicht mehr durchbringen können; da hatte Frau Elke gemeint, die verlebte Dienſt - magd ihres Großvaters könnte bei ihnen noch ein paar ſtille Abendſtunden und eine gute Sterbe - kammer finden, und ſo, halb mit Gewalt, war ſie von ihr und Hauke nach dem Hofe geholt und in dem Nordweſt-Stübchen der neuen Scheuer untergebracht worden, die der Deichgraf vor einigen Jahren neben dem Haupthauſe bei der Vergrößerung ſeiner Wirthſchaft hatte bauen müſſen; ein paar der Mägde hatten daneben ihre Kammer erhalten und konnten der Greiſin Nachts zur Hand gehen. Rings an den Wänden hatte ſie ihr altes Haus - geräth: eine Schatulle von Zuckerkiſtenholz, dar - über zwei bunte Bilder vom verlorenen Sohn, ein170 längſt zur Ruhe geſtelltes Spinnrad und ein ſehr ſauberes Gardinenbett, vor dem ein ungefüger, mit dem weißen Fell des weiland Angorakaters überzogener Schemel ſtand. Aber auch was Lebiges hatte ſie noch um ſich gehabt und mit hieher ge - bracht: das war die Möve Claus, die ſich ſchon jahrelang zu ihr gehalten hatte und von ihr gefüttert worden war; freilich, wenn es Winter wurde, flog ſie mit den anderen Möven ſüdwärts und kam erſt wieder, wenn am Strand der Wermuth duftete.

Die Scheuer lag etwas tiefer an der Werfte; die Alte konnte von ihrem Fenſter aus nicht über den Deich auf die See hinausblicken. Du haſt mich hier als wie gefangen, Deichgraf! murrte ſie eines Tages, als Hauke zu ihr eintrat, und wies mit ihrem verkrümmten Finger nach den Fennen hinaus, die ſich dort unten breiteten. Wo iſt denn Jeversſand? Da über den rothen oder über den ſchwarzen Ochſen hinaus?

Was will Sie denn mit Jeversſand? frug Hauke.

Ach was, Jeversſand! brummte die Alte. Aber ich will doch ſehen, wo mein Jung mir derzeit iſt zu Gott gegangen!

171

Wenn Sie das ſehen will, entgegnete Hauke, ſo muß Sie ſich oben unter den Eſchen - baum ſetzen, da ſieht Sie das ganze Haf!

Ja, ſagte die Alte; ja, wenn ich Deine jungen Beine hätte, Deichgraf!

Dergleichen blieb lange der Dank für die Hülfe, die ihr die Deichgrafsleute angedeihen ließen; dann aber wurde es auf einmal anders. Der kleine Kindskopf Wienke's guckte eines Morgens durch die halbgeöffnete Thür zu ihr herein. Na, rief die Alte, welche mit den Händen in einander auf ihrem Holzſtuhl ſaß, was haſt Du denn zu beſtellen?

Aber das Kind kam ſchweigend näher und ſah ſie mit ihren gleichgültigen Augen unabläſſig an.

Biſt Du das Deichgrafskind? frug ſie Trien 'Jans, und da das Kind wie nickend das Köpfchen ſenkte, fuhr ſie fort: So ſetz' Dich hier auf meinen Schemel! Ein Angorakater iſt's ge - weſen ſo groß! Aber Dein Vater hat ihn todtgeſchlagen. Wenn er noch lebig wäre, ſo könnt'ſt Du auf ihm reiten.

Wienke richtete ſtumm ihre Augen auf das weiße Fell; dann kniete ſie nieder und begann es172 mit ihren kleinen Händen zu ſtreicheln, wie Kinder es bei einer lebenden Katze oder einem Hunde zu machen pflegen. Armer Kater! ſagte ſie dann und fuhr wieder in ihren Liebkoſungen fort.

So, rief nach einer Weile die Alte, jetzt iſt es genug; und ſitzen kannſt Du auch noch heut 'auf ihm; vielleicht hat Dein Vater ihn auch nur um deshalb todtgeſchlagen! Dann hob ſie das Kind an beiden Armen in die Höhe und ſetzte es derb auf den Schemel nieder. Da es aber ſtumm und unbeweglich ſitzen blieb und ſie nur immer anſah, begann ſie mit dem Kopfe zu ſchütteln: Du ſtrafſt ihn, Gott der Herr! Ja, ja, Du ſtrafſt ihn! murmelte ſie; aber ein Er - barmen mit dem Kinde ſchien ſie doch zu über - kommen; ihre knöcherne Hand ſtrich über das dürftige Haar desſelben, und aus den Augen der Kleinen kam es, als ob ihr damit wohl geſchehe.

Von nun an kam Wienke täglich zu der Alten in die Kammer; ſie ſetzte ſich bald von ſelbſt auf den Angoraſchemel, und Trien 'Jans gab ihr kleine Fleiſch - oder Brotſtückchen in ihre Händchen, welche ſie allzeit in Vorrath hatte, und ließ ſie dieſe auf den Fußboden werfen; dann173 kam mit Gekreiſch und ausgeſpreitzten Flügeln die Möve aus irgend einem Winkel hervorgeſchoſſen und machte ſich darüber her. Erſt erſchrak das Kind und ſchrie auf vor dem großen, ſtürmenden Vogel; bald aber war es wie ein eingelerntes Spiel, und wenn ſie nur ihr Köpfchen durch den Thürſpalt ſteckte, ſchoß ſchon der Vogel auf ſie zu und ſetzte ſich ihr auf Kopf oder Schulter, bis die Alte ihr zu Hülfe kam und die Fütterung beginnen konnte. Trien' Jans, die es ſonſt nicht hatte leiden können, daß einer auch nur die Hand nach ihrem Claus ausſtreckte, ſah jetzt geduldig zu, wie das Kind allmälig ihr den Vogel völlig abgewann. Er ließ ſich willig von ihr haſchen; ſie trug ihn umher und wickelte ihn in ihre Schürze, und wenn dann auf der Werfte etwa das gelbe Hündlein um ſie herum und eiferſüchtig gegen den Vogel aufſprang, dann rief ſie wohl: Nicht Du, nicht Du, Perle! und hob mit ihren Aermchen die Möve ſo hoch, daß dieſe, ſich ſelbſt befreiend, ſchreiend über die Werfte hinflog, und ſtatt ihrer nun der Hund durch Schmeicheln und Springen den Platz auf ihren Armen zu erobern ſuchte.

Fielen zufällig Hauke's oder Elke's Augen auf174 dies wunderliche Vierblatt, das nur durch einen gleichen Mangel am ſelben Stengel feſtgehalten wurde, dann flog wohl ein zärtlicher Blick auf ihr Kind; hatten ſie ſich gewandt, ſo blieb nur noch ein Schmerz auf ihrem Antlitz, den jedes einſam mit ſich von dannen trug; denn das er - löſende Wort war zwiſchen ihnen noch nicht geſprochen worden. Da eines Sommervormittages, als Wienke mit der Alten und den beiden Thieren auf den großen Steinen vor der Scheunthür ſaß, gingen ihre beiden Eltern, der Deichgraf ſeinen Schimmel hinter ſich, die Zügel über dem Arme, hier vorüber; er wollte auf den Deich hinaus und hatte das Pferd ſich ſelber von der Fenne herauf - geholt; ſein Weib hatte auf der Werfte ſich an ſeinen Arm gehängt. Die Sonne ſchien warm hernieder; es war faſt ſchwül, und mitunter kam ein Windſtoß aus Süd-Süd-Oſt. Dem Kinde mochte es auf dem Platze unbehaglich werden: Wienke will mit! rief ſie, ſchüttelte die Möve von ihrem Schooß und griff nach der Hand ihres Vaters.

So komm '! ſagte dieſer.

Frau Elke aber rief: In dem Wind? Sie fliegt Dir weg!

175

Ich halt 'ſie ſchon; und heut' haben wir warme Luft und luſtig Waſſer; da kann ſie's tanzen ſehen.

Und Elke lief ins Haus und holte noch ein Tüchlein und ein Käppchen für ihr Kind. Aber es gibt ein Wetter, ſagte ſie; macht, daß Ihr fortkommt, und ſeid bald wieder hier!

Hauke lachte: Das ſoll uns nicht zu faſſen kriegen! und hob das Kind zu ſich auf den Sattel. Frau Elke blieb noch eine Weile auf der Werfte, und ſah, mit der Hand ihre Augen beſchattend, die Beiden auf den Weg und nach dem Deich hinübertraben; Trien 'Jans ſaß auf dem Stein und murmelte Unverſtändliches mit ihren welken Lippen.

Das Kind lag regungslos im Arm des Vaters; es war, als athme es beklommen unter dem Druck der Gewitterluft; er neigte den Kopf zu ihr: Nun, Wienke? frug er.

Das Kind ſah ihn eine Weile an: Vater, ſagte es, Du kannſt das doch! Kannſt Du nicht Alles?

Was ſoll ich können, Wienke?

Aber ſie ſchwieg; ſie ſchien die eigene Frage nicht verſtanden zu haben.

176

Es war Hochfluth; als ſie auf den Deich hinaufkamen, ſchlug der Widerſchein der Sonne von dem weiten Waſſer ihr in die Augen, ein Wirbelwind trieb die Wellen ſtrudelnd in die Höhe, und neue kamen heran und ſchlugen klatſchend gegen den Strand, da klammerte ſie ihre Händchen angſtvoll um die Fauſt ihres Vaters, die den Zügel führte, daß der Schimmel mit einem Satz zur Seite fuhr. Die blaßblauen Augen ſahen in wirrem Schreck zu Hauke auf: Das Waſſer, Vater! das Waſſer! rief ſie.

Aber er löſte ſich ſanft und ſagte: Still, Kind, Du biſt bei Deinem Vater; das Waſſer thut Dir nichts!

Sie ſtrich ſich das fahlblonde Haar aus der Stirn und wagte es wieder, auf die See hinaus - zuſehen. Es thut mir nichts, ſagte ſie zitternd; nein, ſag ', daß es uns nichts thun ſoll; Du kannſt das, und dann thut es uns auch nichts!

Nicht ich kann das, Kind, entgegnete Hauke ernſt; aber der Deich, auf dem wir reiten, der ſchützt uns, und den hat Dein Vater ausgedacht und bauen laſſen.

Ihre Augen gingen wider ihn, als ob ſie177 das nicht ganz verſtünde; dann barg ſie ihr auf - fallend kleines Köpfchen in dem weiten Rocke ihres Vaters.

Warum verſteckſt Du Dich, Wienke? raunte der ihr zu; iſt Dir noch immer bange? Und ein zitterndes Stimmchen kam aus den Falten des Rockes: Wienke will lieber nicht ſehen; aber Du kannſt doch Alles, Vater?

Ein ferner Donner rollte gegen den Wind herauf. Hoho! rief Hauke, da kommt es! und wandte ſein Pferd zur Rückkehr. Nun wollen wir heim zur Mutter!

Das Kind that einen tiefen Athemzug; aber erſt als ſie die Werfte und das Haus erreicht hatten, hob es das Köpfchen von ſeines Vaters Bruſt. Als dann Frau Elke ihr im Zimmer das Tüchelchen und die Kapuze abgenommen hatte, blieb ſie wie ein kleiner ſtummer Kegel vor der Mutter ſtehen. Nun, Wienke, ſagte dieſe und ſchüttelte ſie leiſe, magſt Du das große Waſſer leiden?

Aber das Kind riß die Augen auf: Es ſpricht, ſagte ſie; Wienke iſt bange!

Es ſpricht nicht; es rauſcht und toſet nur!

Theodor Storm, Der Schimmelreiter 12178

Das Kind ſah ins Weite: Hat es Beine? frug es wieder; kann es über den Deich kommen?

Nein, Wienke; dafür paßt Dein Vater auf, er iſt der Deichgraf.

Ja, ſagte das Kind und klatſchte mit blödem Lächeln in ſeine Händchen; Vater kann Alles Alles! Dann plötzlich, ſich von der Mutter abwendend, rief ſie: Laß Wienke zu Trien 'Jans, die hat rothe Aepfel!

Und Elke öffnete die Thür und ließ das Kind hinaus. Als ſie dieſelbe wieder geſchloſſen hatte, ſchlug ſie mit einem Ausdruck des tiefſten Grams die Augen zu ihrem Manne auf, aus denen ihm ſonſt nur Troſt und Muth zu Hülfe gekommen war.

Er reichte ihr die Hand und drückte ſie, als ob es zwiſchen ihnen keines weiteren Wortes be - dürfe; ſie aber ſagte leis: Nein, Hauke, laß mich ſprechen: das Kind, das ich nach Jahren Dir ge - boren habe, es wird für immer ein Kind bleiben. O, lieber Gott! es iſt ſchwachſinnig; ich muß es einmal vor Dir ſagen.

Ich wußte es längſt, ſagte Hauke und hielt die Hand ſeines Weibes feſt, die ſie ihm entziehen wollte.

179

So ſind wir denn doch allein geblieben, ſprach ſie wieder.

Aber Hauke ſchüttelte den Kopf: Ich hab 'ſie lieb, und ſie ſchlägt ihre Aermchen um mich und drückt ſich feſt an meine Bruſt; um alle Schätze wollt' ich das nicht miſſen!

Die Frau ſah finſter vor ſich hin: Aber warum? ſprach ſie; was hab 'ich arme Mutter denn verſchuldet?

Ja, Elke, das hab 'ich freilich auch ge - fragt; den, der allein es wiſſen kann; aber Du weißt ja auch, der Allmächtige gibt den Menſchen keine Antwort vielleicht, weil wir ſie nicht be - greifen würden.

Er hatte auch die andere Hand ſeines Weibes gefaßt und zog ſie ſanft zu ſich heran: Laß Dich nicht irren, Dein Kind, wie Du es thuſt, zu lieben; ſei ſicher, das verſteht es!

Da warf ſich Elke an ihres Mannes Bruſt und weinte ſich ſatt und war mit ihrem Leid nicht mehr allein. Dann plötzlich lächelte ſie ihn an; nach einem heftigen Händedruck lief ſie hinaus und holte ſich ihr Kind aus der Kammer der alten Trien 'Jans, und nahm es auf ihren Schooß und12 *180hätſchelte und küßte es, bis es ſtammelnd ſagte: Mutter, mein 'liebe Mutter!

So lebten die Menſchen auf dem Deichgrafs - Hofe ſtill beiſammen; wäre das Kind nicht da geweſen, es hätte viel gefehlt.

Allmälig verfloß der Sommer; die Zugvögel waren durchgezogen, die Luft wurde leer vom Ge - ſang der Lerchen; nur vor den Scheunen, wo ſie beim Dreſchen Körner pickten, hörte man hie und da einige kreiſchend davonfliegen; ſchon war Alles hart gefroren. In der Küche des Haupthauſes ſaß eines Nachmittags die alte Trien 'Jans auf der Holzſtufe einer Treppe, die neben dem Feuer - heerd nach dem Boden lief. Es war in den letzten Wochen, als ſei ſie aufgelebt; ſie kam jetzt gern einmal in die Küche und ſah Frau Elke hier hantiren; es war keine Rede mehr davon, daß ihre Beine ſie nicht hätten dahin tragen können, ſeit eines Tages klein Wienke ſie an der Schürze hier heraufgezogen hatte. Jetzt kniete das Kind an ihrer Seite und ſah mit ſeinen ſtillen Augen in die Flammen, die aus dem Heerdloch aufflackerten; ihr eines Händchen klammerte ſich an den Aermel der181 Alten, das andere lag in ihrem eigenen fahlblonden Haar. Trien' Jans erzählte: Du weißt, ſagte ſie, ich ſtand in Dienſt bei Deinem Urgroßvater, als Hausmagd, und dann mußt 'ich die Schweine füttern; der war klüger als ſie alle da war es, es iſt grauſam lange her; aber eines Abends, der Mond ſchien, da ließen ſie die Hafſchleuſe ſchließen, und ſie konnte nicht wieder zurück in See. O, wie ſie ſchrie und mit ihren Fiſchhänden ſich in ihre harten ſtruppigen Haare griff! Ja, Kind, ich ſah es und hörte ſie ſelber ſchreien! Die Gräben zwiſchen den Fennen waren alle voll Waſſer, und der Mond ſchien darauf, daß ſie wie Silber glänzten, und ſie ſchwamm aus einem Graben in den anderen und hob die Arme und ſchlug, was ihre Hände waren, aneinander, daß man es weither klatſchen hörte, als wenn ſie beten wollte; aber, Kind, beten können dieſe Creaturen nicht. Ich ſaß vor der Hausthür auf ein paar Balken, die zum Bauen angefahren waren und ſah weithin über die Fennen; und das Waſſerweib ſchwamm noch immer in den Gräben, und wenn ſie die Arme aufhob, ſo glitzerten auch die wie Silber und Demanten. Zuletzt ſah ich ſie nicht mehr, und die Wildgänſ'182 und Möven, die ich all' die Zeit nicht gehört hatte, zogen wieder mit Pfeifen und Schnattern durch die Luft.

Die Alte ſchwieg; das Kind hatte ein Wort ſich aufgefangen: Konnte nicht beten? frug ſie. Was ſagſt Du? Wer war es?

Kind, ſagte die Alte; die Waſſerfrau war es; das ſind Undinger, die nicht ſelig werden können.

Nicht ſelig! wiederholte das Kind, und ein tiefer Seufzer, als habe ſie das verſtanden, hob die kleine Bruſt.

Trien 'Jans! kam eine tiefe Stimme von der Küchenthür, und die Alte zuckte leicht zuſammen. Es war der Deichgraf Hauke Haien, der dort am Ständer lehnte: Was redet Sie dem Kinde vor? Hab' ich Ihr nicht geboten, Ihre Mären für ſich zu behalten, oder ſie den Gänſ 'und Hühnern zu erzählen?

Die Alte ſah ihn mit einem böſen Blicke an und ſchob die Kleine von ſich fort: Das ſind keine Mären, murmelte ſie in ſich hinein, das hat mein Großohm mir erzählt.

Ihr Großohm, Trien '? Sie wollte es ja eben ſelbſt erlebt haben.

183

Das iſt egal, ſagte die Alte; aber Ihr glaubt nicht, Hauke Haien; Ihr wollt wohl meinen Großohm noch zum Lügner machen! Dann rückte ſie näher an den Heerd und ſtreckte die Hände über die Flammen des Feuerlochs.

Der Deichgraf warf einen Blick gegen das Fenſter: draußen dämmerte es noch kaum. Komm, Wienke! ſagte er und zog ſein ſchwachſinniges Kind zu ſich heran; komm mit mir, ich will Dir draußen vom Deich aus etwas zeigen! Nur müſſen wir zu Fuß gehen; der Schimmel iſt beim Schmied. Dann ging er mit ihr in die Stube, und Elke band dem Kinde dicke wollene Tücher um Hals und Schultern; und bald danach ging der Vater mit ihr auf dem alten Deiche nach Nordweſt hin - auf, Jeversſand vorbei, bis wo die Watten breit, faſt unüberſehbar wurden.

Bald hatte er ſie getragen, bald ging ſie an ſeiner Hand; die Dämmerung wuchs allmälig; in der Ferne verſchwand Alles in Dunſt und Duft. Aber dort, wohin noch das Auge reichte, hatten die unſichtbar ſchwellenden Wattſtröme das Eis zerriſſen, und, wie Hauke Haien es in ſeiner Jugend einſt geſehen hatte, aus den Spalten ſtiegen wie184 damals die rauchenden Nebel, und daran entlang waren wiederum die unheimlichen närriſchen Ge - ſtalten und hüpften gegen einander und dienerten und dehnten ſich plötzlich ſchreckhaft in die Breite.

Das Kind klammerte ſich angſtvoll an ſeinen Vater und deckte deſſen Hand über ſein Geſichtlein: Die Seeteufel! raunte es zitternd zwiſchen ſeine Finger; die Seeteufel!

Er ſchüttelte den Kopf: Nein, Wienke, weder Waſſerweiber noch Seeteufel; ſo Etwas gibt es nicht; wer hat Dir davon geſagt?

Sie ſah mit ſtumpfem Blicke zu ihm herauf; aber ſie antwortete nicht. Er ſtrich ihr zärtlich über die Wangen: Sieh nur wieder hin! ſagte er, das ſind nur arme hungrige Vögel! Sieh nur, wie jetzt der große ſeine Flügel breitet; die holen ſich die Fiſche, die in die rauchenden Spalten kommen.

Fiſche, wiederholte Wienke.

Ja, Kind, das Alles iſt lebig, ſo wie wir; es gibt nichts Anderes; aber der liebe Gott iſt überall!

Klein Wienke hatte ihre Augen feſt auf den Boden gerichtet und hielt den Athem an; es war,185 als ſähe ſie erſchrocken in einen Abgrund. Es war vielleicht nur ſo; der Vater blickte lange auf ſie hin, er bückte ſich und ſah in ihr Geſichtlein; aber keine Regung der verſchloſſenen Seele wurde darin kund. Er hob ſie auf den Arm und ſteckte ihre verklommenen Händchen in einen ſeiner dicken Wollhandſchuhe: So, mein Wienke, und das Kind vernahm wohl nicht den Ton von heftiger Innigkeit in ſeinen Worten , ſo, wärm 'Dich bei mir! Du biſt doch unſer Kind, unſer einziges. Du haſt uns lieb! .. Die Stimme brach dem Manne; aber die Kleine drückte zärtlich ihr Köpfchen in ſeinen rauhen Bart.

So gingen ſie friedlich heimwärts.

Nach Neujahr war wieder einmal die Sorge in das Haus getreten; ein Marſchfieber hatte den Deichgrafen ergriffen; auch mit ihm ging es nah 'am Rand der Grube her, und als er unter Frau Elke's Pfleg' und Sorge wieder erſtanden war, ſchien er kaum derſelbe Mann. Die Mattigkeit des Körpers lag auch auf ſeinem Geiſte, und Elke ſah mit Beſorgniß, wie er allzeit leicht zufrieden war. Dennoch, gegen Ende des März, drängte186 es ihn, ſeinen Schimmel zu beſteigen und zum erſten Male wieder auf ſeinem Deich entlang zu reiten; es war an einem Nachmittage, und die Sonne, die zuvor geſchienen hatte, lag längſt ſchon wieder hinter trübem Duft.

Im Winter hatte es ein paar Mal Hoch - waſſer gegeben; aber es war nicht von Belang geweſen; nur drüben am andern Ufer war auf einer Hallig eine Heerde Schafe ertrunken und ein Stück vom Vorland abgeriſſen worden; hier an dieſer Seite und am neuen Kooge war ein nennens - werther Schaden nicht geſchehen. Aber in der letzten Nacht hatte ein ſtärkerer Sturm getobt; jetzt mußte der Deichgraf ſelbſt hinaus und Alles mit eignem Aug 'beſichtigen. Schon war er unten von der Süd-Oſtecke aus auf dem neuen Deich herumgeritten, und es war Alles wohl erhalten; als er aber an die Nord-Oſtecke gekommen war, dort wo der neue Deich auf den alten ſtößt, war zwar der erſtere unverſehrt, aber wo früher der Priehl den alten erreicht hatte und an ihm ent - lang gefloſſen war, ſah er in großer Breite die Grasnarbe zerſtört und fortgeriſſen und in dem Körper des Deiches eine von der Fluth gewühlte187 Höhlung, durch welche überdies ein Gewirr von Mäuſegängen bloßgelegt war. Hauke ſtieg vom Pferde und beſichtigte den Schaden in der Nähe: das Mäuſeunheil ſchien unverkennbar noch unſichtbar weiter fortzulaufen.

Er erſchrak heftig; gegen Alles dieſes hätte ſchon beim Bau des neuen Deiches Obacht ge - nommen werden müſſen; da es damals überſehen worden, ſo mußte es jetzt geſchehen! Das Vieh war noch nicht auf den Fennen, das Gras war ungewohnt zurückgeblieben, wohin er blickte, es ſah ihn leer und öde an. Er beſtieg wieder ſein Pferd und ritt am Ufer hin und her: es war Ebbe, und er gewahrte wohl, wie der Strom von außen her ſich wieder ein neues Bett im Schlick gewühlt hatte und jetzt von Nordweſten auf den alten Deich geſtoßen war; der neue aber, ſoweit es ihn traf, hatte mit ſeinem ſanfteren Profile dem Anprall widerſtehen können.

Ein Haufen neuer Plag 'und Arbeit erhob ſich vor der Seele des Deichgrafen: nicht nur der alte Deich mußte hier verſtärkt, auch deſſen Profil dem des neuen angenähert werden; vor Allem aber mußte der als gefährlich wieder aufgetretene Priehl188 durch neu zu legende Dämme oder Lahnungen abgeleitet werden. Noch einmal ritt er auf dem neuen Deich bis an die äußerſte Nord Weſt Ecke, dann wieder rückwärts, die Augen unabläſſig auf das neu gewühlte Bett des Priehles heftend, der ihm zur Seite ſich deutlich genug in dem bloß - gelegten Schlickgrund abzeichnete. Der Schimmel drängte vorwärts und ſchnob und ſchlug mit den Vorderhufen; aber der Reiter drückte ihn zurück, er wollte langſam reiten, er wollte auch die innere Unruhe bändigen, die immer wilder in ihm aufgohr.

Wenn eine Sturmfluth wiederkäme eine, wie 1655 dageweſen, wo Gut und Menſchen un - gezählt verſchlungen wurden wenn ſie wieder - käme, wie ſie ſchon mehrmals einſt gekommen war! Ein heißer Schauer überrieſelte den Reiter der alte Deich, er würde den Stoß nicht aushalten, der gegen ihn heraufſchöſſe! Was dann, was ſollte dann geſchehen? Nur eines, ein einzig Mittel würde es geben, um vielleicht den alten Koog und Gut und Leben darin zu retten. Hauke fühlte ſein Herz ſtill ſtehen, ſein ſonſt ſo feſter Kopf ſchwindelte; er ſprach es nicht aus, aber in ihm ſprach es ſtark genug: Dein Koog, der Hauken -189 Haienkoog müßte preisgegeben und der neue Deich durchſtochen werden!

Schon ſah er im Geiſt die ſtürzende Hochfluth hereinbrechen und Gras und Klee mit ihrem ſalzen ſchäumenden Giſcht bedecken. Ein Sporenſtich fuhr in die Weichen des Schimmels, und einen Schrei ausſtoßend flog er auf dem Deich entlang und dann den Akt hinab, der deichgräflichen Werfte zu.

Den Kopf voll von innerem Schreckniß und ungeordneten Plänen kam er nach Hauſe. Er warf ſich in ſeinen Lehnſtuhl, und als Elke mit der Tochter in das Zimmer trat, ſtand er wieder auf und hob das Kind zu ſich empor und küßte es; dann jagte er das gelbe Hündlein mit ein paar leichten Schlägen von ſich. Ich muß noch einmal droben nach dem Krug! ſagte er, und nahm ſeine Mütze vom Thürhaken, wohin er ſie eben erſt gehängt hatte.

Seine Frau ſah ihn ſorgvoll an: Was willſt Du dort? Es wird ſchon Abend, Hauke!

Deichgeſchichten! murmelte er vor ſich hin, ich treffe von den Gevollmächtigten dort.

Sie ging ihm nach und drückte ihm die Hand, denn er war mit dieſen Worten ſchon zur Thür190 hinaus. Hauke Haien, der ſonſt Alles bei ſich ſelber abgeſchloſſen hatte, drängte es jetzt, ein Wort von Jenen zu erhalten, die er ſonſt kaum eines An - theils werth gehalten hatte. Im Gaſtzimmer traf er Ole Peters mit zweien der Gevollmächtigten und einem Koogseinwohner am Kartentiſch. Du kommſt wohl von draußen, Deichgraf? ſagte der Erſtere, nahm die halb ausgetheilten Karten auf und warf ſie wieder hin.

Ja, Ole, erwiderte Hauke; ich war dort; es ſieht übel aus.

Uebel? Nun, ein paar Hundert Soden und eine Beſtickung wird's wohl koſten; ich war dort auch am Nachmittag.

So wohlfeil wird's nicht abgehen, Ole, erwiderte der Deichgraf, der Priehl iſt wieder da, und wenn er jetzt auch nicht von Norden auf den alten Deich ſtößt, ſo thut er's doch von Nordweſten!

Du hätt'ſt ihn laſſen ſollen, wo Du ihn fandeſt! ſagte Ole trocken.

Das heißt, entgegnete Hauke, der neue Koog geht Dich nichts an; und darum ſollte er nicht exiſtiren. Das iſt Deine eigne Schuld! Aber191 wenn wir Lahnungen legen müſſen, um den alten Deich zu ſchützen, der grüne Klee hinter dem neuen bringt das übermäßig ein!

Was ſagt Ihr, Deichgraf? riefen die Ge - vollmächtigten; Lahnungen? Wie viele denn? Ihr liebt es, Alles beim theuerſten Ende an - zufaſſen!

Die Karten lagen unberührt auf dem Tiſch. Ich will's Dir ſagen, Deichgraf, ſagte Ole Peters und ſtemmte beide Arme auf, Dein neuer Koog iſt ein freſſend Werk, was Du uns geſtiftet haſt! Noch laborirt Alles an den ſchweren Koſten Deiner breiten Deiche; nun frißt er uns auch den alten Deich, und wir ſollen ihn verneuen! Zum Glück iſt's nicht ſo ſchlimm; er hat diesmal gehalten und wird es auch noch ferner thun! Steig 'nur morgen wieder auf Deinen Schimmel und ſieh es Dir noch einmal an!

Hauke war aus dem Frieden ſeines Hauſes hieher gekommen; hinter den immerhin noch ge - mäßigten Worten, die er eben hörte, lag er konnte es nicht verkennen ein zäher Widerſtand, ihm war, als fehle ihm dagegen noch die alte Kraft. Ich will thun, wie Du es räthſt, Ole, ſprach192 er; nur fürcht 'ich, ich werd' es finden, wie ich es heut 'geſehen habe.

Eine unruhige Nacht folgte dieſem Tage; Hauke wälzte ſich ſchlaflos in ſeinen Kiſſen. Was iſt Dir? frug ihn Elke, welche die Sorge um ihren Mann wach hielt; drückt Dich etwas, ſo ſprich es von Dir; wir haben's ja immer ſo gehalten!

Es hat nichts auf ſich, Elke! erwiderte er, am Deiche, an den Schleuſen iſt was zu repariren; Du weißt, daß ich das allzeit Nachts in mir zu verarbeiten habe. Weiter ſagte er nichts; er wollte ſich die Freiheit ſeines Handelns vorbehalten; ihm unbewußt war die klare Einſicht und der kräftige Geiſt ſeines Weibes ihm in ſeiner augen - blicklichen Schwäche ein Hinderniß, dem er unwill - kürlich auswich.

Am folgenden Vormittag, als er wieder auf den Deich hinauskam, war die Welt eine andere, als wie er ſie Tags zuvor gefunden hatte; zwar war wieder hohl 'Ebbe, aber der Tag war noch im Steigen, und eine lichte Frühlingsſonne ließ ihre Strahlen faſt ſenkrecht auf die unabſehbaren Watten fallen; die weißen Möven ſchwebten ruhig193 hin und wieder, und unſichtbar über ihnen, hoch unter dem azurblauen Himmel, ſangen die Lerchen ihre ewige Melodie. Hauke, der nicht wußte, wie uns die Natur mit ihrem Reiz betrügen kann, ſtand auf der Nordweſtecke des Deiches und ſuchte nach dem neuen Bett des Priehles, das ihn geſtern ſo erſchreckt hatte; aber bei dem vom Zenith herab - ſchießenden Sonnenlichte fand er es anfänglich nicht einmal; erſt da er gegen die blendenden Strahlen ſeine Augen mit der Hand beſchattete, konnte er es nicht verkennen; aber dennoch, die Schatten in der geſtrigen Dämmerung mußten ihn getäuſcht haben; es kennzeichnete ſich jetzt nur ſchwach; die bloßgelegte Mäuſewirthſchaft mußte mehr als die Fluth den Schaden in dem Deich veranlaßt haben. Freilich, Wandel mußte hier geſchafft werden; aber durch ſorgfältiges Aufgraben, und wie Ole Peters geſagt hatte, durch friſche Soden und einige Ruthen Strohbeſtickung war der Schaden auszu - heilen.

Es war ſo ſchlimm nicht, ſprach er er - leichtert zu ſich ſelber, Du biſt geſtern doch Dein eigner Narr geweſen! Er berief die Gevoll - mächtigten, und die Arbeiten wurden ohne Wider -Theodor Storm, Der Schimmelreiter. 13194ſpruch beſchloſſen, was bisher noch nie geſchehen war. Der Deichgraf meinte eine ſtärkende Ruhe in ſeinem noch geſchwächten Körper ſich verbreiten zu fühlen; und nach einigen Wochen war Alles ſauber ausgeführt.

Das Jahr ging weiter, aber je weiter es ging und je ungeſtörter die neugelegten Raſen durch die Strohdecke grünten, um ſo unruhiger ging oder ritt Hauke an dieſer Stelle vorüber, er wandte die Augen ab, er ritt hart an der Binnenſeite des Deiches; ein paar Mal, wo er dort hätte vorüber müſſen, ließ er ſein ſchon geſatteltes Pferd wieder in den Stall zurückführen; dann wieder, wo er nichts dort zu thun hatte, wanderte er, um nur raſch und ungeſehen von ſeiner Werfte fort - zukommen, plötzlich und zu Fuß dahin; manchmal auch war er umgekehrt, er hatte es ſich nicht zu - muthen können, die unheimliche Stelle aufs Neue zu betrachten; und endlich, mit den Händen hätte er Alles wieder aufreißen mögen; denn wie ein Gewiſſens - biß, der außer ihm Geſtalt gewonnen hatte, lag dies Stück des Deiches ihm vor Augen. Und doch, ſeine Hand konnte nicht mehr daran rühren; und Niemandem, ſelbſt nicht ſeinem Weibe, durfte er195 davon reden. So war der September gekommen; Nachts hatte ein mäßiger Sturm getobt und war zuletzt nach Nordweſt umgeſprungen. An trübem Vormittag danach, zur Ebbezeit, ritt Hauke auf den Deich hinaus, und es durchfuhr ihn, als er ſeine Augen über die Watten ſchweifen ließ; dort, von Nordweſt herauf, ſah er plötzlich wieder, und ſchärfer und tiefer ausgewühlt, das geſpenſtiſche neue Bett des Priehles; ſo ſehr er ſeine Augen anſtrengte, es wollte nicht mehr weichen.

Als er nach Haus kam, ergriff Elke ſeine Hand: Was haſt Du, Hauke? ſprach ſie, als ſie in ſein düſtres Antlitz ſah; es iſt doch kein neues Unheil? Wir ſind jetzt ſo glücklich; mir iſt, Du haſt nun Frieden mit ihnen Allen!

Dieſen Worten gegenüber vermochte er ſeine verworrene Furcht nicht in Worten kund zu geben.

Nein, Elke, ſagte er, mich feindet Niemand an; es iſt nur ein verantwortlich 'Amt, die Gemeinde vor unſeres Herrgotts Meer zu ſchützen.

Er machte ſich los, um weiteren Fragen des geliebten Weibes auszuweichen. Er ging in Stall und Scheuer, als ob er Alles revidiren müſſe; aber er ſah nichts um ſich her; er war nur befliſſen,13 *196ſeinen Gewiſſensbiß zur Ruhe, ihn ſich ſelber als eine krankhaft übertriebene Angſt zur Ueberzeugung zu bringen.

Das Jahr, von dem ich Ihnen erzähle, ſagte nach einer Weile mein Gaſtfreund, der Schul - meiſter, war das Jahr 1756, das in dieſer Gegend nie vergeſſen wird; im Hauſe Hauke Haien's brachte es eine Todte. Zu Ende des Septembers war in der Kammer, welche ihr in der Scheune eingeräumt war, die faſt neunzigjährige Trien 'Jans am Sterben. Man hatte ſie nach ihrem Wunſche in den Kiſſen aufgerichtet, und ihre Augen gingen durch die kleinen bleigefaßten Scheiben in die Ferne; es mußte dort am Himmel eine dünnere Luftſchicht über einer dichteren liegen; denn es war hohe Kimmung, und die Spiegelung hob in dieſem Augenblick das Meer wie einen flimmernden Silberſtreifen über den Rand des Deiches, ſo daß es blendend in die Kammer ſchimmerte; auch die Südſpitze von Jevers - ſand war ſichtbar.

Am Fußende des Bettes kauerte die kleine Wienke, und hielt mit der einen Hand ſich feſt an der ihres Vaters, der daneben ſtand. In das Antlitz der Sterbenden grub eben der Tod das197 hippokratiſche Geſicht, und das Kind ſtarrte athem - los auf die unheimliche, ihr unverſtändliche Ver - wandlung des unſchönen, aber ihr vertrauten Ange - ſichts. Was macht ſie? Was iſt das, Vater? flüſterte ſie angſtvoll und grub die Fingernägel in ihres Vaters Hand.

Sie ſtirbt! ſagte der Deichgraf.

Stirbt! wiederholte das Kind und ſchien in verworrenes Sinnen zu verfallen.

Aber die Alte rührte noch einmal ihre Lippen: Jins! Jins! und kreiſchend, wie ein Nothſchrei, brach es hervor, und ihre knöchernen Arme ſtreckten ſich gegen die draußen flimmernde Meeresſpiegelung: Hölp mi! Hölp mi! Du biſt ja båwen Wåter . Gott gnåd de Annern!

Ihre Arme ſanken, ein leiſes Krachen der Bettſtatt wurde hörbar; ſie hatte aufgehört zu leben.

Das Kind that einen tiefen Seufzer und warf die blaſſen Augen zu ihrem Vater auf: Stirbt ſie noch immer? frug es.

Sie hat es vollbracht! ſagte der Deichgraf und nahm das Kind auf ſeinen Arm: Sie iſt nun weit von uns, beim lieben Gott.

198

Beim lieben Gott! wiederholte das Kind und ſchwieg eine Weile, als müſſe es den Worten nachſinnen. Iſt das gut, beim lieben Gott?

Ja, das iſt das Beſte. In Hauke's Innern aber klang ſchwer die letzte Rede der Sterbenden. Gott gnåd de Annern! ſprach es leiſe in ihm. Was wollte die alte Hexe? Sind denn die Sterbenden Propheten?

Bald, nachdem Trien 'Jans oben bei der Kirche eingegraben war, begann man immer lauter von allerlei Unheil und ſeltſamem Geſchmeiß zu reden, das die Menſchen in Nordfriesland er - ſchreckt haben ſollte; und ſicher war es, am Sonn - tage Lätare war droben von der Thurmſpitze der goldne Hahn durch einen Wirbelwind herabgeworfen worden; auch das war richtig, im Hochſommer fiel, wie ein Schnee, ein groß Geſchmeiß vom Himmel, daß man die Augen davor nicht aufthun konnte, und es hernach faſt handhoch auf den Fennen lag, und hatte Niemand je ſo was geſehen; als aber nach Ende September der Großknecht mit Korn und die Magd Ann' Grethe mit Butter in die Stadt zu Markt gefahren waren, kletterten ſie bei ihrer Rückkunft mit ſchreckensbleichen Geſichtern199 von ihrem Wagen. Was iſt? Was habt Ihr? riefen die andern Dirnen, die hinausgelaufen waren, da ſie den Wagen rollen hörten.

Ann 'Grethe in ihrem Reiſe-Anzug trat athem - los in die geräumige Küche. Nun, ſo erzähl' doch! riefen die Dirnen wieder, wo iſt das Un - glück los?

Ach, unſer lieber Jeſus wolle uns behüten! rief Ann 'Grethe. Ihr wißt, von drüben, überm Waſſer, das alt' Mariken vom Ziegelhof, wir ſtehen mit unſerer Butter ja allzeit zuſammen an der Apotheker-Ecke, die hat es mir erzählt, und Iven Johns ſagte auch, das gibt ein Unglück! ſagte er; ein Unglück über ganz Nordfriesland; glaub 'mir's, Ann' Greth! Und ſie dämpfte ihre Stimme mit des Deichgrafs Schimmel iſt's am Ende auch nicht richtig!

Scht! Scht! machten die andern Dirnen.

Ja, ja; was kümmert's mich! Aber drüben, an der andern Seite, geht's noch ſchlimmer, als bei uns! Nicht bloß Fliegen und Geſchmeiß, auch Blut iſt wie Regen vom Himmel gefallen; und da am Sonntag Morgen danach der Paſtor ſein Waſchbecken vorgenommen hat, ſind fünf Todten -200 köpfe, wie Erbſen groß, darin geweſen, und Alle ſind gekommen, um das zu ſehen; im Monat Auguſti ſind grauſige rothköpfige Raupenwürmer über das Land gezogen und haben Korn und Mehl und Brot und was ſie fanden, weggefreſſen, und hat kein Feuer ſie vertilgen können!

Die Erzählerin verſtummte plötzlich; keine der Mägde hatte bemerkt, daß die Hausfrau in die Küche getreten war. Was redet Ihr da? ſprach dieſe. Laßt das den Wirth nicht hören! Und da ſie Alle jetzt erzählen wollten: Es thut nicht noth; ich habe genug davon vernommen; geht an Euere Arbeit, das bringt Euch beſſeren Segen! Dann nahm ſie Ann 'Greth mit ſich in die Stube und hielt mit dieſer Abrechnung über ihre Marktgeſchäfte.

So fand im Hauſe des Deichgrafen das abergläubige Geſchwätz bei der Herrſchaft keinen Anhalt; aber in die übrigen Häuſer, und je länger die Abende wurden, um deſto leichter drang es mehr und mehr hinein. Wie ſchwere Luft lag es auf Allen; und heimlich ſagte man es ſich, ein Unheil, ein ſchweres, würde über Nordfriesland kommen.

201

Es war vor Allerheiligen, im October. Tag über hatte es ſtark aus Südweſt geſtürmt; Abends ſtand ein halber Mond am Himmel, dunkel - braune Wolken jagten überhin, und Schatten und trübes Licht flogen auf der Erde durcheinander; der Sturm war im Wachſen. Im Zimmer des Deichgrafen ſtand noch der geleerte Abendtiſch; die Knechte waren in den Stall gewieſen, um dort des Viehes zu achten; die Mägde mußten im Hauſe und auf den Böden nachſehen, ob Thüren und Luken wohl verſchloſſen ſeien, daß nicht der Sturm hineinfaſſe und Unheil anrichte. Drinnen ſtand Hauke neben ſeiner Frau am Fenſter; er hatte eben ſein Abendbrot hinabgeſchlungen; er war draußen auf dem Deich geweſen. Zu Fuße war er hinaus - getrabt, ſchon früh am Nachmittag; ſpitze Pfähle und Säcke voll Klei oder Erde hatte er hie und dort, wo der Deich eine Schwäche zu verrathen ſchien, zuſammentragen laſſen; überall hatte er Leute angeſtellt, um die Pfähle einzurammen und mit den Säcken vorzudämmen, ſobald die Fluth den Deich zu ſchädigen beginne; an dem Winkel zu Nordweſten, wo der alte und der neue Deich zu - ſammenſtießen, hatte er die meiſten Menſchen hin -202 geſtellt; nur im Nothfall durften ſie von den an - gewieſenen Plätzen weichen. Das hatte er zurück - gelaſſen; dann, vor kaum einer Viertelſtunde, naß, zerzauſt, war er in ſeinem Hauſe angekommen, und jetzt, das Ohr nach den Windböen, welche die in Blei gefaßten Scheiben raſſeln machten, blickte er wie gedankenlos in die wüſte Nacht hinaus; die Wanduhr hinter ihrer Glasſcheibe ſchlug eben acht. Das Kind, das neben der Mutter ſtand, fuhr zu - ſammen und barg den Kopf in deren Kleider. Claus! rief ſie weinend; wo iſt mein Claus?

Sie konnte wohl ſo fragen; denn die Möve hatte, wie ſchon im vorigen Jahre, ſo auch jetzt ihre Winterreiſe nicht mehr angetreten. Der Vater überhörte die Frage; die Mutter aber nahm das Kind auf ihren Arm. Dein Claus iſt in der Scheune, ſagte ſie; da ſitzt er warm.

Warum? ſagte Wienke, iſt das gut?

Ja, das iſt gut.

Der Hausherr ſtand noch am Fenſter: Es geht nicht länger, Elke! ſagte er; ruf 'eine von den Dirnen; der Sturm drückt uns die Scheiben ein; die Luken müſſen angeſchroben werden!

Auf das Wort der Hausfrau war die Magd203 hinausgelaufen; man ſah vom Zimmer aus, wie ihr die Röcke flogen; aber als ſie die Klammern gelöſt hatte, riß ihr der Sturm den Laden aus der Hand und warf ihn gegen die Fenſter, daß ein paar Scheiben zerſplittert in die Stube flogen und eins der Lichter qualmend ausloſch. Hauke mußte ſelbſt hinaus, zu helfen, und nur mit Noth kamen allmälig die Luken vor die Fenſter. Als ſie beim Wiedereintritt in das Haus die Thür aufriſſen, fuhr eine Böe hinterdrein, daß Glas und Silber im Wandſchrank durcheinander klirrten; oben im Hauſe über ihren Köpfen zitterten und krachten die Balken, als wolle der Sturm das Dach von den Mauern reißen. Aber Hauke kam nicht wieder in das Zimmer; Elke hörte, wie er durch die Tenne nach dem Stalle ſchritt. Den Schimmel! Den Schimmel, John! Raſch! So hörte ſie ihn rufen; dann kam er wieder in die Stube, das Haar zerzauſt, aber die grauen Augen leuchtend. Der Wind iſt umgeſprungen! rief er , nach Nordweſt, auf halber Springfluth! Kein Wind; wir haben ſolchen Sturm noch nicht erlebt!

Elke war todtenblaß geworden: Und Du mußt noch einmal hinaus?

204

Er ergriff ihre beiden Hände und drückte ſie wie im Krampfe in die ſeinen: Das muß ich, Elke.

Sie erhob langſam ihre dunkeln Augen zu ihm, und ein paar Secunden lang ſahen ſie ſich an; doch war's wie eine Ewigkeit. Ja, Hauke, ſagte das Weib; ich weiß es wohl, Du mußt!

Da trabte es draußen vor der Hausthür. Sie fiel ihm um den Hals, und einen Augenblick war's, als könne ſie ihn nicht laſſen; aber auch das war nur ein Augenblick. Das iſt unſer Kampf! ſprach Hauke; ihr ſeid hier ſicher; an dies Haus iſt noch keine Fluth geſtiegen. Und bet 'zu Gott, daß er auch mit mir ſei!

Hauke hüllte ſich in ſeinen Mantel, und Elke nahm ein Tuch und wickelte es ihm ſorgſam um den Hals; ſie wollte ein Wort ſprechen, aber die zitternden Lippen verſagten es ihr.

Draußen wieherte der Schimmel, daß es wie Trompetenſchall in das Heulen des Sturmes hinein - klang. Elke war mit ihrem Mann hinausgegangen; die alte Eſche knarrte, als ob ſie auseinanderſtürzen ſolle. Steigt auf, Herr! rief der Knecht, der Schimmel iſt wie toll; die Zügel könnten reißen. 205Hauke ſchlug die Arme um ſein Weib: Bei Sonnenaufgang bin ich wieder da!

Schon war er auf ſein Pferd geſprungen; das Thier ſtieg mit den Vorderhufen in die Höhe; dann gleich einem Streithengſt, der ſich in die Schlacht ſtürzt, jagte es mit ſeinem Reiter die Werfte hin - unter, in Nacht und Sturmgeheul hinaus. Vater, mein Vater! ſchrie eine klägliche Kinderſtimme hinter ihm darein: Mein lieber Vater!

Wienke war im Dunkeln hinter dem Fort - jagenden hergelaufen; aber ſchon nach hundert Schritten ſtrauchelte ſie über einen Erdhaufen und fiel zu Boden.

Der Knecht Iven Johns brachte das weinende Kind der Mutter zurück; die lehnte am Stamme der Eſche, deren Zweige über ihr die Luft peitſchten, und ſtarrte wie abweſend in die Nacht hinaus, in der ihr Mann verſchwunden war; wenn das Brüllen des Sturmes und das ferne Klatſchen des Meeres einen Augenblick ausſetzten, fuhr ſie wie in Schreck zuſammen; ihr war jetzt, als ſuche Alles nur ihn zu verderben, und werde jäh verſtummen, wenn es ihn gefaßt habe. Ihre Kniee zitterten, ihre Haare hatte der Sturm gelöſt und trieb damit206 ſein Spiel. Hier iſt das Kind, Frau! ſchrie John ihr zu; haltet es feſt! und drückte die Kleine der Mutter in den Arm.

Das Kind? Ich hatte Dich vergeſſen, Wienke! rief ſie; Gott verzeih 'mir's. Dann hob ſie es an ihre Bruſt, ſo feſt nur Liebe faſſen kann, und ſtürzte mit ihr in die Kniee: Herr Gott und Du mein Jeſus, laß uns nicht Wittwe und nicht Waiſe werden! Schütz' ihn, o lieber Gott; nur Du und ich, wir kennen ihn allein! Und der Sturm ſetzte nicht mehr aus; es tönte und donnerte, als ſolle die ganze Welt in ungeheuerem Hall und Schall zu Grunde gehen.

Geht in das Haus, Frau! ſagte John; kommt! und er half ihnen auf und leitete die Beiden in das Haus und in die Stube.

Der Deichgraf Hauke Haien jagte auf ſeinem Schimmel dem Deiche zu. Der ſchmale Weg war grundlos; denn die Tage vorher war unermeßlicher Regen gefallen; aber der naſſe, ſaugende Klei ſchien gleichwohl die Hufen des Thieres nicht zu halten, es war als hätte es feſten Sommerboden unter ſich. Wie eine wilde Jagd trieben die Wolken am Himmel; unten lag207 die weite Marſch wie eine unerkennbare, von un - ruhigen Schatten erfüllte Wüſte; von dem Waſſer hinter dem Deiche, immer ungeheurer, kam ein dumpfes Toſen, als müſſe es alles Andere ver - ſchlingen. Vorwärts, Schimmel! rief Hauke; wir reiten unſeren ſchlimmſten Ritt!

Da klang es wie ein Todesſchrei unter den Hufen ſeines Roſſes. Er riß den Zügel zurück; er ſah ſich um: ihm zur Seite dicht über dem Boden, halb fliegend, halb vom Sturme geſchleudert, zog eine Schaar von weißen Möven, ein höhniſches Gegacker ausſtoßend; ſie ſuchten Schutz im Lande. Eine von ihnen der Mond ſchien flüchtig durch die Wolken lag am Weg zertreten: dem Reiter war's, als flattere ein rothes Band an ihrem Halſe. Claus! rief er. Armer Claus!

War es der Vogel ſeines Kindes? Hatte er Roß und Reiter erkannt und ſich bei ihnen bergen wollen? Der Reiter wußte es nicht. Vorwärts! rief er wieder, und ſchon hob der Schimmel zu neuem Rennen ſeine Hufen, da ſetzte der Sturm plötzlich aus, eine Todtenſtille trat an ſeine Stelle; nur eine Se - cunde lang, dann kam er mit erneuter Wuth zurück; aber Menſchenſtimmen und verlorenes Hunde-Gebell208 waren inzwiſchen an des Reiters Ohr geſchlagen, und als er rückwärts nach ſeinem Dorf den Kopf wandte, erkannte er in dem Mondlicht, das her - vorbrach, auf den Werften und vor den Häuſern Menſchen an hochbeladenen Wagen umher hantirend; er ſah, wie im Fluge, noch andere Wagen eilend nach der Geeſt hinauffahren; Gebrüll von Rindern traf ſein Ohr, die aus den warmen Ställen nach dort hinaufgetrieben wurden. Gott Dank! ſie ſind dabei, ſich und ihr Vieh zu retten! rief es in ihm; und dann mit einem Angſtſchrei: Mein Weib! Mein Kind! Nein, nein; auf unſere Werfte ſteigt das Waſſer nicht!

Aber nur ein Augenblick war es; nur wie eine Viſion flog Alles an ihm vorbei.

Eine furchtbare Böe kam brüllend vom Meer herüber, und ihr entgegen ſtürmten Roß und Reiter den ſchmalen Akt zum Deich hinan. Als ſie oben waren, ſtoppte Hauke mit Gewalt ſein Pferd. Aber wo war das Meer? Wo Jeversſand? Wo blieb das Ufer drüben? Nur Berge von Waſſer ſah er vor ſich, die dräuend gegen den nächtlichen Himmel ſtiegen, die in der furchtbaren Dämmerung ſich über einander zu thürmen ſuchten209 und über einander gegen das feſte Land ſchlugen. Mit weißen Kronen kamen ſie daher, heulend, als ſei in ihnen der Schrei alles furchtbaren Raub - gethiers der Wildniß. Der Schimmel ſchlug mit den Vorderhufen und ſchnob mit ſeinen Nüſtern in den Lärm hinaus; den Reiter aber wollte es überfallen, als ſei hier alle Menſchenmacht zu Ende; als müſſe jetzt die Nacht, der Tod, das Nichts hereinbrechen.

Doch er beſann ſich: es war ja Sturmfluth; nur hatte er ſie ſelbſt noch nimmer ſo geſehen; ſein Weib, ſein Kind, ſie ſaßen ſicher auf der hohen Werfte, in dem feſten Hauſe; ſein Deich aber und wie ein Stolz flog es ihm durch die Bruſt der Hauke-Haiendeich, wie ihn die Leute nannten, der mochte jetzt beweiſen, wie man Deiche bauen müſſe!

Aber was war das? Er hielt an dem Winkel zwiſchen beiden Deichen; wo waren die Leute, die er hieher geſtellt, die hier die Wacht zu halten hatten? Er blickte nach Norden den alten Deich hinauf; denn auch dorthin hatte er Einzelne beordert. Weder hier noch dort ver - mochte er einen Menſchen zu erblicken; er ritt einTheodor Storm, Der Schimmelreiter. 14210Stück hinaus, aber er blieb allein; nur das Wehen des Sturmes und das Brauſen des Meeres bis aus unermeſſener Ferne ſchlug betäubend an ſein Ohr. Er wandte das Pferd zurück; er kam wieder zu der verlaſſenen Ecke und ließ ſeine Augen längs der Linie des neuen Deichs gleiten; er er - kannte deutlich: langſamer, weniger gewaltig rollten hier die Wellen heran; faſt ſchien's, als wäre dort ein ander Waſſer. Der ſoll ſchon ſtehen! murmelte er, und wie ein Lachen ſtieg es in ihm herauf.

Aber das Lachen verging ihm, als ſeine Blicke weiter an der Linie ſeines Deichs entlang glitten: an der Nordweſtecke was war das dort? Ein dunkler Haufen wimmelte durcheinander; er ſah, wie es ſich emſig rührte und drängte kein Zweifel, es waren Menſchen! Was wollten, was arbeiteten die jetzt an ſeinem Deich? Und ſchon ſaßen ſeine Sporen dem Schimmel in den Weichen, und das Thier flog mit ihm dahin; der Sturm kam von der Breitſeite; mitunter drängten die Böen ſo gewaltig, daß ſie faſt vom Deiche in den neuen Koog hinabgeſchleudert wären; aber Roß und Reiter wußten, wo ſie ritten. Schon gewahrte211 Hauke, daß wohl ein paar Dutzend Menſchen in eifriger Arbeit dort beiſammen ſeien, und ſchon ſah er deutlich, daß eine Rinne quer durch den neuen Deich gegraben war. Gewaltſam ſtoppte er ſein Pferd: Halt! ſchrie er; halt! Was treibt Ihr hier für Teufelsunfug?

Sie hatten in Schreck die Spaten ruhen laſſen, als ſie auf einmal den Deichgraf unter ſich ge - wahrten; ſeine Worte hatte der Sturm ihnen zu - getragen, und er ſah wohl, daß mehrere ihm zu antworten ſtrebten; aber er gewahrte nur ihre heftigen Gebärden; denn ſie ſtanden Alle ihm zur Linken, und was ſie ſprachen, nahm der Sturm hinweg, der hier draußen jetzt die Menſchen mit - unter wie im Taumel gegen einander warf, ſo daß ſie ſich dicht zuſammenſcharten. Hauke maaß mit ſeinen raſchen Augen die gegrabene Rinne und den Stand des Waſſers, das, trotz des neuen Profiles, faſt an die Höhe des Deichs hinauf - klatſchte und Roß und Reiter überſpritzte. Nur noch zehn Minuten Arbeit er ſah es wohl dann brach die Hochfluth durch die Rinne und der Hauke-Haienkoog wurde vom Meer begraben!

Der Deichgraf winkte einem der Arbeiter an14 *212die andere Seite ſeines Pferdes. Nun, ſo ſprich! ſchrie er, was treibt Ihr hier, was ſoll das heißen?

Und der Menſch ſchrie dagegen: Wir ſollen den neuen Deich durchſtechen, Herr! damit der alte Deich nicht bricht!

Was ſollt Ihr?

Den neuen Deich durchſtechen!

Und den Koog verſchütten? Welcher Teufel hat Euch das befohlen?

Nein, Herr, kein Teufel; der Gevollmächtigte Ole Peters iſt hier geweſen; der hat's befohlen!

Der Zorn ſtieg dem Reiter in die Augen: Kennt Ihr mich? ſchrie er. Wo ich bin, hat Ole Peters nichts zu ordiniren! Fort mit Euch! An Euere Plätze, wo ich Euch hingeſtellt!

Und da ſie zögerten, ſprengte er mit ſeinem Schimmel zwiſchen ſie: Fort, zu Euerer oder des Teufels Großmutter!

Herr, hütet Euch! rief Einer aus dem Haufen und ſtieß mit ſeinem Spaten gegen das wie raſend ſich gebärdende Thier; aber ein Hufſchlag ſchleuderte ihm den Spaten aus der Hand, ein Anderer ſtürzte zu Boden. Da plötzlich erhob ſich ein213 Schrei aus dem übrigen Haufen, ein Schrei, wie ihn nur die Todesangſt einer Menſchenkehle zu entreißen pflegt; einen Augenblick war Alles, auch der Deichgraf und der Schimmel, wie gelähmt; nur ein Arbeiter hatte gleich einem Wegweiſer ſeinen Arm geſtreckt; der wies nach der Nordweſtecke der beiden Deiche, dort wo der neue auf den alten ſtieß. Nur das Toſen des Sturmes und das Rauſchen des Waſſers war zu hören. Hauke drehte ſich im Sattel: was gab das dort? Seine Augen wurden groß: Herr Gott! Ein Bruch! Ein Bruch im alten Deich!

Euere Schuld, Deichgraf! ſchrie eine Stimme aus dem Haufen: Euere Schuld! Nehmt's mit vor Gottes Thron!

Hauke's zornrothes Antlitz war todtenbleich geworden; der Mond, der es beſchien, konnte es nicht bleicher machen; ſeine Arme hingen ſchlaff, er wußte kaum, daß er den Zügel hielt. Aber auch das war nur ein Augenblick; ſchon richtete er ſich auf, ein hartes Stöhnen brach aus ſeinem Munde; dann wandte er ſtumm ſein Pferd, und der Schimmel ſchnob und raſ'te oſtwärts auf dem Deich mit ihm dahin. Des Reiters Augen flogen214 ſcharf nach allen Seiten; in ſeinem Kopfe wühlten die Gedanken: Was hatte er für Schuld vor Gottes Thron zu tragen? Der Durchſtich des neuen Deichs vielleicht, ſie hätten's fertig ge - bracht, wenn er ſein Halt nicht gerufen hätte; aber es war noch eins, und es ſchoß ihm heiß zu Herzen, er wußte es nur zu gut im vorigen Sommer, hätte damals Ole Peters 'böſes Maul ihn nicht zurückgehalten da lag's! Er allein hatte die Schwäche des alten Deichs erkannt; er hätte trotz alledem das neue Werk betreiben müſſen: Herr Gott, ja ich bekenn' es, rief er plötzlich laut in den Sturm hinaus, ich habe meines Amtes ſchlecht gewartet!

Zu ſeiner Linken, dicht an des Pferdes Hufen, tobte das Meer; vor ihm, und jetzt in voller Finſterniß, lag der alte Koog mit ſeinen Werften und heimathlichen Häuſern; das bleiche Himmels - licht war völlig ausgethan; nur von einer Stelle brach ein Lichtſchein durch das Dunkel. Und wie ein Troſt kam es an des Mannes Herz; es mußte von ſeinem Haus herüber ſcheinen, es war ihm wie ein Gruß von Weib und Kind. Gottlob, die ſaßen ſicher auf der hohen Werfte! Die Andern,215 gewiß, ſie waren ſchon im Geeſtdorf droben; von dorther ſchimmerte ſo viel Lichtſchein, wie er nie - mals noch geſehen hatte; ja ſelbſt hoch oben aus der Luft, es mochte wohl vom Kirchthurm ſein, brach ſolcher in die Nacht hinaus. Sie werden Alle fort ſein, Alle! ſprach Hauke bei ſich ſelber; freilich auf mancher Werfte wird ein Haus in Trümmern liegen, ſchlechte Jahre werden für die überſchwemmten Fennen kommen; Siele und Schleuſen zu repariren ſein! Wir müſſen's tragen, und ich will helfen, auch denen, die mir Leids gethan; nur, Herr, mein Gott, ſei gnädig mit uns Menſchen!

Da warf er ſeine Augen ſeitwärts nach dem neuen Koog; um ihn ſchäumte das Meer; aber in ihm lag es wie nächtlicher Friede. Ein un - willkürliches Jauchzen brach aus des Reiters Bruſt: Der Hauke-Haiendeich, er ſoll ſchon halten; er wird es noch nach hundert Jahren thun!

Ein donnerartiges Rauſchen zu ſeinen Füßen weckte ihn aus dieſen Träumen; der Schimmel wollte nicht mehr vorwärts. Was war das? Das Pferd ſprang zurück, und er fühlte es, ein Deich - ſtück ſtürzte vor ihm in die Tiefe. Er riß die216 Augen auf und ſchüttelte alles Sinnen von ſich: er hielt am alten Deich, der Schimmel hatte mit den Vorderhufen ſchon darauf geſtanden. Unwill - kürlich riß er das Pferd zurück; da flog der letzte Wolkenmantel von dem Mond, und das milde Geſtirn beleuchtete den Graus, der ſchäumend, ziſchend vor ihm in die Tiefe ſtürzte, in den alten Koog hinab.

Wie ſinnlos ſtarrte Hauke darauf hin; eine Sündfluth war's, um Thier 'und Menſchen zu verſchlingen. Da blinkte wieder ihm der Lichtſchein in die Augen; es war derſelbe, den er vorhin gewahrt hatte; noch immer brannte der auf ſeiner Werfte; und als er jetzt ermuthigt in den Koog hinabſah, gewahrte er wohl, daß hinter dem ſinnverwirrenden Strudel, der toſend vor ihm hinabſtürzte, nur noch eine Breite von etwa hundert Schritten überfluthet war; dahinter konnte er deutlich den Weg erkennen, der vom Koog heran führte. Er ſah noch mehr: ein Wagen, nein, eine zweiräderige Carriole kam wie toll gegen den Deich herangefahren; ein Weib, ja auch ein Kind ſaßen darin. Und jetzt war das nicht das kreiſchende Gebell eines kleinen Hundes, das im Sturm217 vorüberflog? Allmächtiger Gott! Sein Weib, ſein Kind waren es; ſchon kamen ſie dicht heran, und die ſchäumende Waſſermaſſe drängte auf ſie zu. Ein Schrei, ein Verzweiflungsſchrei brach aus der Bruſt des Reiters: Elke! ſchrie er; Elke! Zurück! Zurück!

Aber Sturm und Meer waren nicht barm - herzig, ihr Toben zerwehte ſeine Worte; nur ſeinen Mantel hatte der Sturm erfaßt, es hätte ihn bald vom Pferd herabgeriſſen; und das Fuhrwerk flog ohne Aufenthalt der ſtürzenden Fluth entgegen. Da ſah er, daß das Weib wie gegen ihn hinauf die Arme ſtreckte: Hatte ſie ihn erkannt? Hatte die Sehnſucht, die Todesangſt um ihn ſie aus dem ſicheren Haus getrieben? Und jetzt rief ſie ein letztes Wort ihm zu? Die Fragen fuhren durch ſein Hirn; ſie blieben ohne Antwort: von ihr zu ihm, von ihm zu ihr waren die Worte all' verloren; nur ein Brauſen wie vom Welten - untergang füllte ihre Ohren und ließ keinen andern Laut hinein.

Mein Kind! O Elke, o getreue Elke! ſchrie Hauke in den Sturm hinaus. Da ſank aufs Neu 'ein großes Stück des Deiches vor ihm in die Tiefe,218 und donnernd ſtürzte das Meer ſich hinterdrein; noch einmal ſah er drunten den Kopf des Pferdes, die Räder des Gefährtes aus dem wüſten Gräuel emportauchen und dann quirlend darin untergehen. Die ſtarren Augen des Reiters, der ſo einſam auf dem Deiche hielt, ſahen weiter nichts. Das Ende! ſprach er leiſe vor ſich hin; dann ritt er an den Abgrund, wo unter ihm die Waſſer, unheimlich rauſchend, ſein Heimathsdorf zu überfluthen be - gannen; noch immer ſah er das Licht von ſeinem Hauſe ſchimmern; es war ihm wie entſeelt. Er richtete ſich hoch auf und ſtieß dem Schimmel die Sporen in die Weichen; das Thier bäumte ſich, es hätte ſich faſt überſchlagen; aber die Kraft des Mannes drückte es herunter. Vorwärts! rief er noch einmal, wie er es ſo oft zum feſten Ritt gerufen hatte: Herr Gott, nimm mich; verſchon' die Andern!

Noch ein Sporenſtich; ein Schrei des Schimmels, der Sturm und Wellenbrauſen überſchrie; dann unten aus dem hinabſtürzenden Strom ein dumpfer Schall, ein kurzer Kampf.

Der Mond ſah leuchtend aus der Höhe; aber unten auf dem Deiche war kein Leben mehr, als219 nur die wilden Waſſer, die bald den alten Koog faſt völlig überfluthet hatten. Noch immer aber ragte die Werfte von Hauke Haien's Hofſtatt aus dem Schwall hervor, noch ſchimmerte von dort der Lichtſchein, und von der Geeſt her, wo die Häuſer allmälig dunkel wurden, warf noch die einſame Leuchte aus dem Kirchthurm ihre zitternden Licht - funken über die ſchäumenden Wellen.

Der Erzähler ſchwieg; ich griff nach dem ge - füllten Glaſe, das ſeit lange vor mir ſtand; aber ich führte es nicht zum Munde; meine Hand blieb auf dem Tiſche ruhen.

Das iſt die Geſchichte von Hauke Haien, begann mein Wirth noch einmal, wie ich ſie nach beſtem Wiſſen nur berichten konnte. Freilich die Wirthſchafterin unſeres Deichgrafen würde ſie Ihnen anders erzählt haben; denn auch das weiß man zu berichten: jenes weiße Pferdsgerippe iſt nach der Fluth wiederum, wie vormals, im Mond - ſchein auf Jevershallig zu ſehen geweſen; das ganze Dorf will es geſehen haben. So viel iſt ſicher: Hauke Haien mit Weib und Kind ging unter in dieſer Fluth; nicht einmal ihre Grab -220 ſtätte hab 'ich droben auf dem Kirchhof finden können; die todten Körper werden von dem ab - ſtrömenden Waſſer durch den Bruch ins Meer hinausgetrieben und auf deſſen Grunde allmälig in ihre Urbeſtandtheile aufgelöſt ſein ſo haben ſie Ruhe vor den Menſchen gehabt. Aber der Hauke-Haiendeich ſteht noch jetzt nach hundert Jahren, und wenn Sie morgen nach der Stadt reiten und die halbe Stunde Umweg nicht ſcheuen wollen, ſo werden Sie ihn unter den Hufen Ihres Pferdes haben.

Der Dank, den einſtmals Jeve Manners bei den Enkeln ſeinem Erbauer verſprochen hatte, iſt, wie Sie geſehen haben, ausgeblieben; denn ſo iſt es, Herr: dem Sokrates gaben ſie ein Gift zu trinken und unſeren Herrn Chriſtus ſchlugen ſie an das Kreuz! Das geht in den letzten Zeiten nicht mehr ſo leicht; aber einen Gewaltsmenſchen oder einen böſen ſtiernackigen Pfaffen zum Heiligen, oder einen tüchtigen Kerl, nur weil er uns um Kopfeslänge überwachſen war, zum Spuk und Nachtgeſpenſt zu machen das geht noch alle Tage.

Als das ernſthafte Männlein das geſagt hatte, ſtand es auf und horchte nach draußen. Es iſt221 dort etwas anders worden, ſagte er und zog die Wolldecke vom Fenſter; es war heller Mondſchein. Seht nur, fuhr er fort, dort kommen die Gevollmächtigten zurück; aber ſie zerſtreuen ſich, ſie gehen nach Hauſe; drüben am andern Ufer muß ein Bruch geſchehen ſein; das Waſſer iſt gefallen.

Ich blickte neben ihm hinaus; die Fenſter hier oben lagen über dem Rand des Deiches; es war, wie er geſagt hatte. Ich nahm mein Glas und trank den Reſt: Haben Sie Dank für dieſen Abend! ſagte ich; ich denk ', wir können ruhig ſchlafen!

Das können wir; entgegnete der kleine Herr; ich wünſche von Herzen eine wohlſchlafende Nacht!

Beim Hinabgehen traf ich unten auf dem Flur den Deichgrafen; er wollte noch eine Karte, die er in der Schenkſtube gelaſſen hatte, mit nach Hauſe nehmen. Alles vorüber! ſagte er. Aber unſer Schulmeiſter hat Ihnen wohl ſchön was weiß gemacht; er gehört zu den Aufklärern!

Er ſcheint ein verſtändiger Mann!

Ja, ja, gewiß; aber Sie können Ihren eigenen Augen doch nicht mißtrauen; und drüben an der222 anderen Seite, ich ſagte es ja voraus, iſt der Deich gebrochen!

Ich zuckte die Achſeln: Das muß beſchlafen werden! Gute Nacht, Herr Deichgraf!

Er lachte: Gute Nacht!

Am andern Morgen, beim goldenſten Sonnenlichte, das über einer weiten Verwüſtung aufgegangen war, ritt ich über den Hauke-Haien - Deich zur Stadt hinunter.

Pierer'ſche Hofbuchdruckerei. Stephan Geibel & Co. in Altenburg.

Druckfehler-Berichtigung.

Seite 17Zeile 4von oben ließ ſtattweſtwärts: nordwärts.
27 14 nach Oſten: nach Süden.
59 1 zu Norden: zu Oſten.
60 14 Zacharias: Zacharies.
138 10 geſchähe es nur, damit: geſchähe es, damit nur.

About this transcription

TextDer Schimmelreiter
Author Theodor Storm
Extent243 images; 39280 tokens; 6789 types; 255904 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationDer Schimmelreiter Theodor Storm. . VIII, 222 S., 1 Bl. PaetelBerlin1888. (Zuerst erschienen in: Deutsche Rundschau (Berlin), April/Mai 1888. Erste Buchausgabe Berlin: Paetel 1888, diese wurde für das DTA zur Digitalisierung herangezogen.)

Identification

Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz SBB-PK, Yx 23989<a> Rhttp://stabikat.de/DB=1/SET=12/TTL=1/CMD?ACT=SRCHA&IKT=1016&SRT=YOP&TRM=55279466X

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Prosa; Belletristik; Novelle; core; ready; mts

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

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  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-10T09:28:16Z
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Holding LibraryStaatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
ShelfmarkSBB-PK, Yx 23989<a> R
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