Druck von Aug. Oſterrieth in Frankfurt a. M.
Druck von Aug. Oſterrieth in Frankfurt a. M.
Die Quellen, welche den Gegenſtand der nachfolgenden Erzählung behandeln, ſind:
Acta von dem inn und außer Lands bekannten Ertzbößwicht Friderich Schwahn, einem Sohn des Sonnenwirth Schwahnen allhier. (Amtliche Protokolle und Aufzeichnungen, oberamtliche Erlaſſe, mit Beſchlag belegte Privatbriefe ꝛc., von 1750 — 57, auf dem Rathhauſe des vormaligen herzoglich wirtembergiſchen Amtsfleckens Ebersbach, Göppinger Stabs, aufbewahrt, von dem jetzigen Schultheißenamte daſelbſt dem Erzähler zur Durchſicht verſtattet. Sehr lückenhaft; die für die Erzählung bedeutendſten Acten fehlen. Auch das noch vorhandene Gerichtsprotokoll aus jenen Jahren bietet nicht die geringſte Ausbeute dar.)
Actum den 26. Junii 1750 in Praesentia der Ordinari Censurrichter. (Verhandlung, enthalten in einem Kirchencon¬ vents-Protokollbuch der Pfarramtsregiſtratur ebendaſelbſt, welches die Zeit vom Mai 1750 bis December 1775 umfaßt. Der vor¬ hergehende, für die Erzählung wichtigere Band iſt nicht mehr vorhanden.)
(Acta, den Joh. Fr. Schwan von Ebersbach betreffend, ſind in dem Inhaltsverzeichniß der Regiſtratur des jetzigen Oberamts¬ gerichts Göppingen angegeben, haben ſich aber in der Regiſtratur ſelbſt nicht mehr gefunden.) —IV—Inquiſitions-Protocollum, betreffend den ſogenannten Son¬ nenwirthle, 7. März – 20. Juni 1760. (Geführt von dem Unterſuchungsrichter Oberamtmann Abel in Vaihingen an der Enz, und aufbewahrt auf der Kanzlei des jetzigen dortigen Oberamtsgerichts. Dabei befindet ſich noch eine eigenhändige, mit Bleiſtift gefertigte Aufzeichnung des Inquiſiten ſelbſt, Ergän¬ zungen ſeiner Ausſagen enthaltend.)
Wöchentliche Anzeigen von Neuigkeiten, die das ganze Land betreffen. 1750 – 57. Wöchentliche Nachrichten von allerhand Sachen, deren Bekanntmachung dem gemeinen Weſen nützlich und nöthig ſind. 1758 – 59. (Amtliche Zeitung für das Her¬ zogthum Wirtemberg, auf der Staatsbibliothek in Stuttgart auf¬ bewahrt, unter Anderem auch die Juſtizanzeigen u. dgl. enthal¬ tend. Der Jahrgang 1760, der für die Erzählung von Bedeu¬ tung wäre, fehlt.)
Friedrich Schiller's Verbrecher aus verlorener Ehre. (Ge¬ ſchrieben zu Dresden 1786 und zuerſt in der „ Thalia “erſchienen. Die Eigenſchaft einer „ wahren Geſchichte “, die der Dichter dieſer von ihm wenig beachteten Nebenarbeit beilegte, kommt ihr in ſo fern zu, als ihr Inhalt ſich möglicher Weiſe im Leben ereignet haben könnte; in dem gewöhnlichen Sinne aber, den man unter dieſer Bezeichnung verſteht, iſt ſie gerade nicht wahr, ſondern von Anfang bis beinahe zu Ende Roman, d. h. Erfin¬ dung ohne geſchichtliche Grundlage. Zu bemerken iſt auch, daß der durch Schiller's Novelle in der Leſewelt eingebürgerte Titel „ Sonnenwirth “der Geſchichte wie dem ſchwäbiſchen Sprachge¬ brauche nicht entſpricht und vielmehr „ Sonnenwirthle “, d. h. der Sohn des Sonnenwirths, heißen ſollte. Wie aber ein großer Dichter, zumal wenn ſein Ruhm die amtlichen Kreiſe erfaßt hat, nicht nur große Wahrheiten, ſondern auch kleine Irrthümer verbreiten kann, das erhellt aus der „ Beſchreibung des Ober¬—V— amts Göppingen, herausgegeben von dem Königlichen ſtatiſtiſch - topographiſchen Bureau, Stuttgart und Tübingen 1844 “, in welcher bei der Ortsbeſchreibung von Ebersbach auf Treu 'und Glauben geſagt wird: „ Auch iſt bemerkenswerth, daß es der damalige Beſitzer der hieſigen Gaſtwirthſchaft zur Sonne, Chr. Wolf, war, welchen Schiller in ſeinem Verbrecher aus verlorener Ehre pſychologiſch dargeſtellt hat. “ Gewiß würde Schiller, wenn er als Flüchtling geahnt hätte, daß dereinſt eine Staatsbehörde einer Heimath aus ſeiner Novelle ſtatiſtiſche Angaben ſchöpfen würde, dieſelbe nicht „ eine wahre Geſchichte “betitelt haben.)
Sammlung und Erklärung merkwürdiger Erſcheinungen aus dem menſchlichen Leben, von Jakob Friedrich Abel, Profeſſor der Philoſophie an der hohen Carls-Schule. Zweiter Theil. Geſchichte eines Räubers. Geſchichte einer Räuberin. Stutt¬ gart 1787. (Der Verfaſſer war der Sohn des vorhin genann¬ ten Oberamtmanns von Vaihingen und Schiller's Lehrer an der Carls-Akademie. Seine Darſtellung iſt pſychologiſch-moraliſch, ſein philoſophiſcher Standpunkt, der Zeit gemäß, ein Verſuch einer Vermittlung zwiſchen Aufklärung und Orthodoxie. Ein leiſes Ankämpfen gegen die ein Jahr zuvor veröffentlichte unge¬ ſchichtliche Behandlung des Stoffes durch ſeinen berühmten Schüler und Freund iſt unverkennbar, beſonders da, wo der Ver¬ faſſer ſeinen Vater und ſeine auf den Fang des gefürchteten Räubers ſtolze Geburtsſtadt Vaihingen, welche beide bei Schiller nicht ungerupft weggekommen ſind, in das verdiente Licht der Wahrheit ſtellt. Die Ordnung, die er den Begebenheiten an¬ weist, ſtimmt nicht immer genau mit den Acten, die hierin allein maßgebend ſein können, überein; an einer Hauptſtelle iſt er, durch Schiller verführt, halb von dem geſchichtlichen Pfade ab¬ gekommen; aber die perſönliche Bekanntſchaft mit dem Gegen¬ ſtande ſeiner pſychologiſchen Darſtellung und die humane Ge¬—VI— ſinnung, die ihm bei derſelben die Feder gelenkt, machen ſein Werk zu der einzigen Quelle, welche neben der äußerlichen Richtigkeit der Thatſachen auch Beſtandtheile innerer Wahrheit hat. — Den Hergang des Mordes im „ Kirnbach “erzählt er aus dem Munde des Thäters ſelbſt, hat ſich aber dabei in der Zeitfolge geirrt.)
Der Sonnenwirth. Hiſtoriſches Urbild des poetiſchen Seelen¬ gemäldes: der Verbrecher aus verlorener Ehre, von Schiller. Aus den Acten von Heinrich Ehregott Linck. Vaihingen, 1850. (Eine vollſtändige und treue Bearbeitung der oben aufgeführten Vaihinger Acten und eines Theils der Volksſage, wie ſie ſich in Vaihingen fortpflanzte, ohne Zuziehung der Ebersbacher Urkunden und der Vorarbeit Abel's, daher zwar eine richtige Kritik der Schil¬ ler'ſchen Novelle, ſo fern dieſe ſich als thatſächlich geben will, aber ſelbſt nur in bedingtem Sinne geſchichtlich, weil die Benutzung ſich, neben einer vielfach getrübten Sage, bloß auf criminali¬ ſtiſches Material, und zwar aus dem letzten Lebensabſchnitt ihres Helden, beſchränkt. Die oben erwähnte Aufzeichnung deſſelben iſt im Anhang vollſtändig mitgetheilt.)
Zur Bezeichnung der Aufgabe, welche dieſer Erzählung vor¬ lag, mag es dienlich ſein, den Schluß des Vorworts, womit der Verfaſſer eine Veröffentlichung der vier erſten Abſchnitte derſelben im Stuttgarter Morgenblatt 1846 einleitete, hier zu wiederholen:
„ Die (aufgezählten) Urkunden enthüllten meinem Auge in und zwiſchen ihren Zeilen ein Lebensbild, grundverſchieden von dem bisher gekannten, aber belebender Darſtellung gewiß nicht minder werth. Indem ich eine ſolche verſuchte, mußte ich aller¬—VII— dings die Erfindung zu Hilfe rufen, jedoch keine willkürliche, ſondern diejenige Art von Erfindung, welche die vorhandenen geſchichtlichen Züge, eine trockene zerſtreute Maſſe, zu verbinden und zu erklären unternimmt. Meine Erzählung iſt keine bloß thatſächliche; ſie iſt Dichtung, aber innerhalb gegebener geſchicht¬ licher Grenzen.
„ Ich glaube, daß die Geſchichte, deren Wiſſenſchaft zu einem Cultus zu werden beginnt, der Dichtkunſt denſelben Dienſt zu leiſten berufen iſt, welchen einſt die Kirche den bildenden Künſten leiſtete: durch Zwang und Beſchränkung zu innerer Freiheit und geſteigerter Kraft zu führen. War uns doch auch hierin ſchon ſo lange Shakſpeare ein Vorbild, er, der nie das Gerippe einer Fabel erfand, aber immer das Fleiſch und Blut dazu.
„ Mag ſie etwas Kleines oder Großes unternehmen, das Conterfei eines einzelnen ungebärdigen Menſchenkindes oder ein breites und hohes Gemälde des verſchlungenen Weltlaufes — immer ſoll die Dichtung durch eine nicht allzu kurze, doch unzer¬ reißbare Kette an die Geſchichte gefeſſelt ſein. Die urkundlichen Zeilen bilden dieſe Kette; zwiſchen ihnen iſt Freiheit, Erfin¬ dung, Offenbarung. Wenn aber das Schaffen ſo leicht wäre wie das Erkennen, ſo feierten wir ſchon längſt die neue Zeit, deren Schwelle wir wagend und zögernd, ſchreitend und ſtrau¬ chelnd betreten: die Einheit von Dichtung und Geſchichte, die wahre hiſtoriſche Poeſie. “
Nun, Meiſter Schwan, für diesmal iſt Er chriſtlich durchgekommen, ſtraf 'mich Gott! Ohne Willkomm und Abſchied! Herr Gott von Dinkelsbühl, thut mir faſt leid, daß ich Ihm nicht ein Paar aus dem ff auf ſein geſundes Leder aufmeſſen darf, aus purer Freundſchaft. Und dazu bloß ein halb Jahr! Aber ich hoff', ſo ein heißgräthiger Burſch 'wie Er wird bald wieder das Heimweh nach unſerer luſtigen Karthauſ' bekommen. Auf's Frühjahr ſpäteſtens, wenn die Bäum 'ausſchlagen, werden wir wieder die Ehre haben. Ich will derweil ein paar tüchtige Haſelſtöcke ins Waſſer legen, damit ſie den gehörigen Schwung und Zug kriegen zum Willkomm, wenn's heißen wird: „ des Ebersbacher Sonnenwirths ſein Gutedel iſt wieder da. “ Adjes, Mei¬ ſter Schwan, glückliche Reiſe und nichts für ungut.
Es war unter dem Thore des Ludwigsburger Zucht - und Arbeits¬ hauſes, wo einer der Aufſeher einem jungen Menſchen dieſes ſpöttiſche Lebewohl ſagte. Dem unterſetzten ſtämmigen Burſchen konnte Niemand im Ernſte den Meiſtertitel geben, denn er ſchien kaum zwanzig Jahre alt zu ſein. Auch ſah er ſehr ſauer zu der Ehrenbezeugung, die nicht gerade aus wohlwollendem Herzen kam; ſein breites rothwangiges Ge¬ ſicht ſpannte ſich zu einem trotzigen Ausdruck, den eine tiefe Schramme auf der Stirne noch erhöhte. Er hielt die Augen wie aus Verachtung zu Boden geheftet, aber dann und wann ſchoß er ſeitwärts einen Blick hervor, der wie ein bloßes Meſſer funkelte. Der Aufſeher gab ihm ſtatt des „ Abſchieds “, den er ihm gerne zugedacht hätte, einen derben Schlag auf die Schulter, und ging lachend hinweg. Der ent¬D. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 12laſſene Sträfling ballte die Fauſt und ſah ihm mit ingrimmigen Blicken nach.
Eben wollte er mit einer Geberde, welche ein nichts weniger als anſtändiges, aber um ſo aufrichtigeres Geſinnungsbekenntniß enthielt, dem Zuchthauſe den Rücken kehren, als er, noch einmal umſchauend, einen Gegenſtand gewahrte, der den Haß auf ſeinem derben lebhaften Ge¬ ſichte plötzlich in das entſchiedenſte Widerſpiel verwandelte. Es war ein Greis, der in der Gebrechlichkeit des Alters an einem Stabe über den Hof gegangen kam; er trug ſchwarze Kleidung, und die beiden weißen Ueberſchlägchen, die ihm von der Halsbinde herabhängend auf der Bruſt ſpielten, bezeichneten ſeinen geiſtlichen Stand. Seine Er¬ ſcheinung machte einen ſichtlichen Eindruck auf alle Begegnenden; die ausgelaſſenſten Züchtlinge verſtummten, als er im Vorübergehen einen Blick auf ihre Arbeiten warf; der rohe Aufſeher wich ihm von Wei¬ tem aus. Jedem bot er ſeinen zuvorkommenden Gruß; er war immer der Erſte, der das ſchwarze Käppchen über den ſpärlichen weißen Haaren lüpfte, und doch ſollte es ihm offenbar dazu dienen, ſein greiſes Haupt vor der Herbſtluft zu ſchützen; denn neben dem Käppchen trug er den dreieckigen Hut unter dem Arm.
Der junge Menſch war unter dem Thore des Zuchthauſes ſtehen geblieben. In ſeinen Mienen zuckte es wie Gewitter und Regen¬ ſchauer; aber zum Weinen ſchienen dieſe Züge zu derb. Unwillkürlich bewegte er den Fuß, um dem alten Geiſtlichen entgegen zu laufen; er beſann ſich jedoch wieder und blieb ſchüchtern ſtehen. Als jener näher kam, zog er die Mütze und trat ihn mit einer linkiſchen Verbeugung an. Man konnte denken, wenn er ein Hund geweſen wäre, ſo wäre er mit freudigem Winſeln an ihm emporgeſprungen und hätte ihm Geſicht und Hände geleckt. So aber war er ein Weſen, um das der Zuchthausaufſeher ſchwerlich ſeinen Pudel hergegeben hätte, ein ent¬ laſſener Sträfling, ein unbändiger Menſch, voll Trotz und Rohheit; und doch regte ſich in ſeinem Herzen etwas, das wir auch in den winſelnden Thieren ahnen, und das die Bibel mit den Worten be¬ zeichnet: das Seufzen der Creatur.
Mit Verlaub — ſtammelte er — ich wollte nur dem Herrn Waiſen¬ pfarrer Adieu ſagen, weil der Herr Waiſenpfarrer immer ſo gut ge¬ gen mich geweſen iſt — ich hätt 'ja nicht fortgehen können ohne das.
3Der Waiſenpfarrer — denn dieſer war es, dem die Seelſorge im Zuchthauſe oblag — neigte ſich mit freundlichem Lächeln zu ihm. Er hatte aus den verlegenen, halbverſchluckten Worten des ſonſt ſehr an¬ ſtelligen Burſchen den rechten Kern herausgehört. So iſt Er denn alſo jetzt frei, Friedrich? ſagte er zu ihm. Ich wünſch 'Ihm von Herzen Glück. Nun gebrauche Er aber auch ſeine Freiheit ſo, wie man eine Gottesgabe gebrauchen muß.
Ich verſteh ſchon, Herr Waiſenpfarrer! erwiderte der Jüngling, der mit der erſten Anrede ſeine Beengung weggeſprochen und ſich in ei¬ nen Ton beſcheidener Zutraulichkeit hineingefunden hatte. Ich ver¬ ſteh ſchon. Das iſt wie mit dem Wein. Der iſt auch eine Gottesgabe. Wenn man aber ſolche Gottesgabe zu hart ſtrapazirt, ſo wirft ſie den Menſchen hin, daß er gleichſam wie vierfüßig wird. Dagegen wenn man ſie mit Maß genießt, ſo erfreut ſie das Herz und macht helle Gedanken im Kopf. Grade ſo iſt's auch mit der Freiheit. Wenn man von der über Durſt trinkt, ſo kann ſie Einen auch wohin werfen, wo zum Beiſpiel keine Freiheit mehr iſt.
Bei dieſen Worten wies er mit dem Daumen über die Schulter nach dem Gebäude, das er ſo eben verlaſſen hatte, und ſeine weißen Zähne blinkten lachend zwiſchen den kirſchrothen Lippen hervor.
Ja, ſo iſt's, mein Freund, verſetzte der Geiſtliche. Man pflegt wohl zu ſagen: ich nehme mir die Freiheit, das und das zu thun. Das iſt nur ſo eine höfliche Redensart. Mancher aber nimmt ſich mehr Freiheit, als er einem Andern gönnt, und thut einem Andern etwas, was er ſich ſelbſt nicht angethan wiſſen will. Das aber iſt zu viel Freiheit, und Er weiß wohl, was zu viel iſt, das iſt vom Uebel. Eigentlich ſollten wir unſere Freiheit bloß dazu anwenden, um einan¬ der lauter Liebes und Gutes zu thun; denn wenn die Menſchen alle einander dienen würden, dann wäre ja ein Jeglicher ſo wie ein Die¬ ner auch wieder ein Herr, und dann wäre die wahre Freiheit in der Welt.
Ja, wenn Alle ſo wären, wie der Herr Waiſenpfarrer, dann wär's keine Kunſt, ihnen zu dienen. Aber ſo iſt's nicht in der Welt. Da iſt viel Herzenshärtigkeit und Schlechtigkeit, nicht bloß ſolche, die den Nebenmenſchen übervortheilt, ſondern auch Bosheit, die ihm ohne allen Grund die Milch ſauer macht, und wenn man auf ſo einen Gift¬1*4michel trifft, ſo meint eben die Fauſt gleich, ſie müſſe ein Wörtlein mit ihm reden.
Mein Sohn, ſagte der alte Geiſtliche, man hat den Verſtand dazu, daß man der Fauſt nicht ihren Willen läßt. Und es kommt nur darauf an, daß man einem Menſchen ſeine gute Seite abgewin¬ nen lernt. Eine gute Seite hat auch der Schlimmſte. Wenn man aber einmal dieſe gefunden hat, ſo iſt's als hätte man den Schlüſſel zu einer ſonſt verſchloſſenen Thüre, und wenn man hineingeht, ſo trifft man oft auf Dinge, die man gar nicht hinter dieſer Thüre ge¬ ſucht hätte. Da iſt zum Exempe ein gewiſſer Friedrich Schwan. Den hat man mir geſchildert als einen rohen verworfenen Burſchen, deſſen Herz keiner guten Regung fähig ſei — Fauſt in Sack! die Leute urtheilen eben nach der Außenſeite — und wie ich Ihn nun ſelber kennen lernte, da fand ich in Ihm einen Menſchen, deſſen Herz wie ein wild aufgeſchoſſenes Reis iſt, trotzig und aufrühriſch gegen jedes rauhe Lüftchen, weich und geſchmeidig gegen jeden freundlichen Sonnenſtrahl, einen Menſchen, der gegen harte Worte und Behand¬ lungen ſtörriſch bleibt, und den man mit Güte um den Finger wickeln kann. Iſt's nicht ſo?
Ja, ſo iſt's, Herr Waiſenpfarrer, antwortete der junge Menſch ver¬ legen und gerührt.
Nun das iſt aber auch keine Kunſt, gegen Gute gut zu ſein. Wenn's weiter nichts wäre als das, ſo würden wir ja durch die breite Pforte in den Himmel eingehen, ſtatt durch die ſchmale.
Das iſt wahr, Herr Waiſenpfarrer, erwiderte der junge Menſch bedenklich. Aber wenn alle Menſchen unterdienſthaft gegen einander waren, wie Sie vorhin geſagt haben, ſo wäre es gerade daſſelbe Ding.
Allerdings. Aber da die Menſchen im Allgemeinen bis jetzt nicht geneigt ſind, uns die Himmelspforte ſo breit und bequem zu machen, ſo dürfen wir deßhalb der ſchmalen nicht untreu werden. Wir müſ¬ ſen gegen unſere Nebenmenſchen gerade ſo liebreich und dienſtfertig ſein, wie ſie eigentlich gegen uns ſein ſollten, unangeſehen ob ſie es ſind oder nicht. Vielleicht gewinnen wir ſie dadurch und bewegen ſie, unſer Beiſpiel nachzuahmen.
Ja, ja, Herr Waiſenpfarrer, fiel der junge Menſch lebhaft ein, das iſt gerade wie wenn ein ungebautes Stück Feld umgebrochen wer¬5 den ſoll. Da kommt es nur drauf an, daß einmal ein Anfang ge¬ macht wird, der für den Fortgang und für's Fertigwerden Bürgſchaft gibt, und iſt alſo ein kleines umgepflügtes Flecklein faſt ſchon ſo wichtig, wie das ganze künftige Neubruchland.
Er hat mich gar wohl gefaßt, verſetzte der alte Herr mit freund¬ lichem Lächeln. Wenn das Reich Gottes auf Erden erſcheinen und ihm die Stätte bereitet werden ſoll, ſo thut es zuerſt Noth, daß ein Kern von guten Menſchen gezogen wird, von welchen die Güte und der Segen allmählich auf die Andern übergehen kann. Die müſſen aber feſthalten wie ein Häuflein Streiter, von denen der Ausgang einer Schlacht abhängt. Ja, mein Sohn, fuhr er fort und legte ihm die abgemagerte Hand auf dieſelbe Schulter, welche vorhin der Aufſeher ſo unſanft berührt hatte: da muß man den Pflug über das trotzige Herz gehen laſſen, da muß man eine Beleidigung nicht mit Thätlichkeiten erwidern, die in's Zuchthaus führen. Vielmehr wer zu jenen Kern¬ truppen geboren will, der muß gegen ſeinen Feind gar noch ein gu¬ tes Wort und ein freundlich Geſicht aufzuwenden haben, und was noch weit mehr heißen will, es muß ihm ſogar von Herzen gehen.
Der Jüngling, der irgend einen Widerſacher im Geiſte vor ſich ſtehen ſehen mochte, trat bei dieſer Zumuthung betreten einen Schritt zurück. Die Große der Aufgabe war ihm augenſcheinlich ſchwer auf's Herz gefallen. — Aber, ſagte er, da wird Mancher denken wie es im Evangelium heißt: „ das iſt eine harte Rede, wer kann ſie hören? “
Der Greis lächelte. Mein junger Freund iſt ſehr bibelfeſt, ver¬ ſetzte er: ich bemerke das heut nicht zum erſtenmal. Die beſten Kern¬ ſprüche, die ſchönſten Liederverſe hat er feſt im Kopfe behalten, aber ob auch in einem feinen Herzen? Das iſt nun die Frage. Dieſe ſchönen Stellen, welche die Jugend in den Schulen auswendig lernt, und oft recht gedankenlos daherſagt, ſind Samenkörnern zu vergleichen. Nun iſt es zwar um ein Samenkorn ein edles Ding, aber der auf¬ gewachſene Baum und ſeine Früchte ſind doch noch etwas ganz An¬ deres. O mein lieber Friedrich, ich fürchte, — bei dieſen Worten hob er liebreich den Finger gegen ihn auf, — ich fürchte, dieſes trotzige Gemüth muß noch durch Leiden gebeugt und recht umgebrochen werden, wenn es ein Boden werden ſoll, darin der Same zu Früchten aufgehen kann. Mein Sohn, habe Er immer Den vor Augen, von6 dem wir jene Sprüche überkommen haben, der nicht ſchalt, da er ge¬ ſchlagen ward, und nicht dräuete, da er litt. Ich will Ihm aber nicht mit Einem Mal ein Werk auflegen, das für manche zartere Seelen noch zu ſchwer iſt. Fange Er im Kleinen an, mein lieber Sohn. Strebe Er ſanftmüthig zu werden. Denke Er immer zur rechten Zeit daran, den aufquellenden Zorn zu bezähmen; denn der Zorn hat einen böſen Urahn, den Mörder von Anbeginn, und wenn man ihn herausläßt, ſo gleicht er der Kugel, von der das Sprichwort ſagt: „ wenn ſie aus dem Rohr iſt, ſo iſt ſie des Teufels. “ Vor Allem aber will ich Ihm Eines an's Herz legen. Er iſt vermöglicher Leute Kind, und in einem Wirthshauſe fallen manche Brocken ab. Benütze Er dieſe Gelegenheit, um Gutes zu thun und nach Seinen Kräften den traurigen Unterſchied, der in der Welt iſt, ein wenig auszugleichen. Er kann, ohne Seinen Vater zu übervortheilen, — und das darf er ja nicht thun! — manchem armen Schlucker etwas zu¬ fließen laſſen. Ich ſage das nicht, daß Er meinen ſoll, Er könne ſich ein Verdienſt vor Gott damit erwerben. Aber der rechte Glaube wird auch immer die rechten Werke gebären, und hinwiederum, wer die rechten Werke thut, der ſetzt zugleich ſein Inneres in die rechte Ver¬ faſſung, wie ſie vor Gott ſein ſoll; denn Gutes thun macht ein ge¬ lindes Herz. Deßhalb, mein Sohn, beſchloß er mit einem unbeſchreib¬ lich heitern und ſcherzhaften Lächeln, will ich Ihm, da Er noch ſo jung iſt, nicht zumuthen, daß Er gleich als Flügelmann unter jene Kerntruppen tritt, von denen ich geſprochen habe. Suche Er nur zuerſt als Marketender bei ihnen anzukommen, dann kann Er ſich allmählich weiter aufdienen, bis —
Ein Geräuſch unterbrach ihn, das ihm den frommen Scherz auf's Kläglichſte verbitterte. Unzweideutige Schläge hallten von dem untern Stockwerk her, dem der Geiſtliche und ſein aufmerkſames Beichtkind nahe ſtanden. Sie folgten mit unerbittlicher Regelmäßigkeit auf ein¬ ander, ſo daß der Greis die ſchwache Hand ausſtreckte, als ob dieſe abwehrende Geberde der Grauſamkeit ein Ende machen könnte. Man hörte kein Geſchrei, ſondern nur ein dumpfes Knurren, in welchem jedoch der menſchliche Ton zu unterſcheiden war. Dieſes Knurren, das ſich in Zwiſchenräumen wiederholte, machte den Vorgang weit unheim¬ licher als wenn die lauteſten Wehklagen ihn begleitet hätten.
7Der junge Friedrich ballte die Fauſt gegen das Gebäude. Dieſe Prügelhunde! rief er: es iſt ihnen nur wohl, wenn ſie zuſchlagen können.
Der Waiſenpfarrer legte ihm wieder die Hand, die aber diesmal zitterte, auf die Schulter. Mein Sohn, ſagte er, die Menſchen haben es mit der Sünde verdient, daß der Schmerz und das Wehthum in die Welt gekommen iſt. Wo aber Strafe iſt, heißt es, da iſt Zucht, und wo Friede iſt, da iſt Gott.
Die Schläge hallten dazwiſchen fort. Der Greis brach mit einem tiefen Seufzer die Unterredung ab. Nun lebe Er wohl, mein lieber Friedrich, ſagte er. Gott ſei mit Ihm auf allen Seinen Wegen. Denke Er an das, was ich Ihm geſagt habe, damit wir uns fröhlich und eben darum niemals mehr an dieſem Orte wiederſehen.
Er drückte ihm die Hand und wankte, ſo eilig als er es ver¬ mochte, an ſeinem Stabe dahin. Zwar hatte auch er die Meinung ſeiner Zeit ausgeſprochen, daß durch grauſame Züchtigungen der Wille Gottes erfüllt und ſein Kommen vorbereitet werde, aber er ſchien doch nicht gern dabei zu ſein und hatte es in dieſem Augenblick wohl tief empfunden, daß das Reich Gottes, ſo wie er es verſtand, noch ſehr ferne ſei.
Der junge Friedrich aber blieb unter den Fenſtern des Zuchthauſes ſtehen und lauſchte dem Geräuſch der Pein, vor welchem ſein ehr¬ würdiger Beichtiger entflohen war. Er fühlte zwar nicht geringe Ent¬ rüſtung über die Gewalt, die hier einem Menſchen angethan wurde, aber der Schmerz des Armen verurſachte ihm, der ſelbſt ſchon manchen derben Puff ausgehalten hatte, kein beſonders zartes Mitgefühl.
Die Schläge hörten endlich auf. Bald hernach öffnete ſich die Thüre, und von einer unſichtbaren Hand geſchleudert, kam ein Menſch herausgeflogen. Der Stoß war nicht eben ſanft geweſen, doch hielt der Hinausgeworfene ſich wie eine Katze auf den Füßen. Sein Ge¬ ſicht zeigte trotz der zigeuneriſchen Farbe die Spuren überſtandener Anſtrengung, es war dunkelroth, und ein ſchielendes Auge gab dieſen jugendlichen Zügen einen furchtbaren Ausdruck. Der junge Zigeuner, der ſo eben einen rauhen Abſchied durchgemacht hatte, ſchüttelte ſich am ganzen Leibe, er kehrte ſich gegen das Zuchthaus um, ſtreckte die Zunge ſo lang er konnte heraus, und ging dann gemächlich ſeiner Wege.
8Ich glaub ', ſie haben dich mit ungebrannter Aſche gelaugt, und das ſcharf, ſagte Friedrich, als er an ihm vorüber kam.
Ich glaub 'auch, war die trockene Antwort des Zigeuners, der einen Blick aus ſeinem ſcheelen Auge über den Frager hinlaufen ließ und ſich von dannen machte.
Friedrich, der auf den Burſchen neugierig geworden war, folgte ihm von weitem nach. Aber erſt als ſie Ludwigsburg mit ſeinen vornehmen regelrechten Straßen hinter ſich hatten, wagte er die Ge¬ ſellſchaft des verachteten Zigeuners aufzuſuchen. Dieſer ſchien nach¬ läſſig vor ſich herzuſchlendern, und doch hatte er Mühe, gleichen Schritt zu halten und ihn endlich einzuholen.
He, wohinaus, Landsmann? ſchrie er ihn an.
Dem Hohenſtaufen zu, antwortete der Zigeuner ſeitwärts herüber, ohne ſich in ſeinem Gange aufhalten zu laſſen.
Dann haben wir ja ſchier gar Einen Weg, ſagte Friedrich an ſeiner Seite gehend. Der meinige führt nach Ebersbach.
Da können wir wenigſtens eine Strecke weit beiſammen bleiben, erwiderte der Zigeuner.
Die beiden jungen Burſche gingen nun mit wackern Schritten durch die Ebene und dann jenſeits des Neckars über die Anhöhen hin, welche zwiſchen dieſem und der Rems liegen, und machten nach einer tüchtigen Wanderung bei einem einſamen Wirthshäuschen Halt, wo Friedrich ſeinen Gefährten zu Gaſte lud. Eine Flaſche vom Saft des Apfels und ein Rettig, der den Sommer überlebt hatte, war Alles, was ihm ein paar geſparte Pfennige aufzutiſchen erlaubten. Die vorgerückte Jahreszeit ließ ſich ſo mild an, daß die beiden Wanderer im Freien auf der verwitterten Bank unter dem alten Apfelbaum ihr Mahl verzehren konnten. Hungrig und durſtig griffen ſie zu und ließen ſich's nach der Weiſe der Jugend ſchmecken.
Wie luſtige Sperlinge genoßen ſie der wieder erlangten Freiheit, ſchalten auf das Gefängniß, von dem ſie herkamen, ſpotteten über die Schwachheiten der Aufſeher und erzählten ſich loſe Streiche, womit ſie deren Wachſamkeit umgangen hatten. Unter Plaudern und Lachen war die Flaſche nur allzubald geleert. Sie kehlten alle Taſchen um, bis ſie in der erdenklich kleinſten Münze, aber auch mit dem erdenk¬9 lich größten Jubel die nöthige Summe zuſammengebracht hatten, um eine zweite zu beſtellen.
Wie biſt du denn eigentlich, fragte Friedrich unter dem Einſchenken, in den Gaſthof zur Kardätſche gerathen? Mit bloßem Vagabundiren haſt doch ſo jung nicht ſo hoch in die Wolle avanciren können.
Nein, erwiderte der Zigeuner unbefangen, ich hab 'krumme Fin¬ ger gemacht.
Pfui, rief Friedrich, Stehlen, das iſt was Hundsgemeines, heißt das, wenn —
Von z'wegen was ſeid Ihr hineingekommen? unterbrach ihn der Zigeuner etwas raſch. Ungeachtet des Aergers über die biderbe Be¬ merkung vergaß er nicht, daß ſein Genoſſe der herrſchenden Nation angehörte und daß er den größeren Theil der Zeche bezahlt hatte: Grund genug, ihn in der majeſtätiſchen Mehrzahl anzureden. — Man wird Euch auch nicht bloß um der Koſtbarkeit willen hinter Glas und Rahmen aufgehoben haben.
Ich hab 'Einen durchgeprügelt und das leder-windelweich. Der Heuchler gab dann vor, er könne den Arm nicht mehr gebrauchen. Es war aber erlogen, und ſo ſchickten ſie mich eben auf ein halb Jahr an das Oertchen, von dem man nicht gern red't.
Der Zigeuner machte ein unbefriedigtes Geſicht. Und habt Ihr Euch niemals an fremdem Eigenthum vergriffen, fragte er, daß Ihr da ſo auf den höchſten Gaul ſitzen könnt? Seid Ihr niemals einem Andern in die Aepfel gegangen, oder in die Kirſchen? Denn, ſetzte er eifrig hinzu, Stehlen iſt Stehlen, das ſag 'ich.
Ja, meinem Vater bin ich wohl über die Kirſchen gegangen und auch über die Geldlade. Aber das iſt was Anderes, das geht ja vom Eigenen und heißt eben vor der Zeit geerbt. Das iſt nicht geſtohlen. Stehlen heißt, wenn man fremden Leuten das Ihrige nimmt, und das iſt eine Schmählichkeit.
Wenn bei uns Einer, verſetzte der Zigeuner höhniſch, ſeine Eltern beſtehlen würde, ſo könnte ſeines Bleibens nicht mehr ſein; der ärgſte Spitzbube würde ihn verachten und anſpeien. Bei uns iſt es Sitte, daß man die Eltern ehrt und liebt und daß man ihnen eher zubringt, als daß man ſie beſtiehlt. Dafür laſſen ſie es aber auch an ihren Kindern nicht fehlen, ſie geben ihnen10 den letzten Biſſen vom Munde weg, und deßhalb iſt es gar nicht möglich, daß ſo etwas bei uns vorkommt. Iſt mir auch eine ganz beſondere Lebensart, daß ich einen Fremden ſchonen ſoll, der mich nichts angeht, und ſoll mich dagegen an meinem Vater vergreifen, der mir der Nächſte iſt in der Welt. Das bring 'mir ein Anderer in den Kopf, mir iſt es zu hoch. Kommt mir gerade vor, wie wenn im Krieg einer ſich von den Feinden abwenden wollte und auf ſeine Freunde ſchießen.
Friedrich war betroffen. Sein geſunder Verſtand ſagte ihm, daß etwas Wahres an dieſer Anſicht ſei, und doch konnte er ſie nicht zu¬ geben, da ſie den Sitten und Gewohnheiten, unter denen er aufge¬ wachſen, völlig widerſprach. Die beiden jungen Leute ſtritten eifrig und konnten ſich lange nicht verſtändigen. Darin waren ſie zwar Einer Anſicht, daß auf die „ Herrſchaft “keine ſtrengen Begriffe von Eigenthum anzuwenden, daß die Thiere im Walde, die Fiſche im Waſſer eigentlich Gemeingut ſeien; aber über den Reſt des großen Kapitels vom Mein und Dein konnten ſie nicht einig werden.
Stehlen und Stehlen iſt zweierlei, rief Friedrich zuletzt. Geh du nach Ebersbach und frag 'von Haus zu Haus, ob die Leut' nicht einen Unterſchied machen, und die Leut 'müſſen doch auch wiſſen was ſie thun. Ueberall gilt's für eine größere Schande, wenn Einer einem Fremden was ſtiehlt, als wenn er's den Eigenen nimmt; denn da bleibt's ja in der Familie.
Dann ſollte man ihn auch in der Familie abmurreln, ſagte der hartnäckige Zigeuner, und Jedem davon ein Stück zum Kochen geben, wenn eure Geſetze ſo ſchlecht ſind, daß ſie bloß den einen Diebſtahl ſtrafen, den andern aber nicht.
Oha, ſagte Friedrich, umgekehrt iſt auch gefahren. Selbiges iſt anders. Die Geſetze, die ſind ſo überzwerch wie du, die behaupten auch, Stehlen ſei Stehlen. Wie es herauskam, daß ich meinem Va¬ ter ein paar hundert Gulden genommen hatte, die er mir nicht gut¬ willig geben wollte, um in die Fremde zu gehen, da thaten ſie mich geſchwind nach Ludwigsburg zum Wollkardätſchen, ob ich gleich erſt ein unverſtändiger vierzehnjähriger Bube war. Damals hab 'ich auch gelernt, was der Willkomm und Abſchied für höfliche Complimente11 ſind, und hab' empfunden wie es patſcht, wenn Haſelholz und Hirſch¬ leder zuſammenkommen.
Der Zigeuner ſchlug ein luſtiges Gelächter auf. Aber nicht wahr, rief er triumphirend, mit einem ſolchen Leibſchaden noch ſtundenlang d'rauf los marſchiren und dann auf einem hölzernen Bänkchen her¬ umrutſchen, das könnt auch nicht ein Jeder.
Nun, nun, entgegnete Friedrich, man merkt's deſſen ungeachtet wohl, wo du dermalen deine ſchwache Seite haſt. Du ſitz'ſt ja ſo windſchief da, als wenn das Bänkchen unter dir brennte, die armen Seelen in der Hölle, die auf dem Glufenhäfelein ſitzen, können nicht öfter wechſeln und nicht poſſierlicher den Fuß an ſich ziehen. Aber das muß man dir laſſen: mannlich haſt du dich gehalten. Wenn ich nur noch ein paar übrige Kreuzer hätt ', ſo ließ ich dir einen Kirſchen¬ geiſt zum Einreiben kommen.
Einreiben! wer wird auch die Gottesgabe ſo ſündlich verſchwenden! Den Kirſchengeiſt muß man innerlich brauchen, von innen heraus curirt er noch einmal ſo ſchnell.
Das glaub 'ich dir! lachte Friedrich. Ueberhaupt hab' ich ſchon oft gedacht, ihr Zigeuner müſſet ein gutes Fell haben, ſtich - und kugelfeſt. Man könnt's, ſchätz 'ich wohl, zum Ueberzug für ein ſchwaches Gewiſſen brauchen.
Es dient oft auch dazu. Ja, eine gute Haut, die muß der Zi¬ geuner haben, und hartgeſotten muß er ſein, wenn er ſolch mühſeliges Leben aushalten ſoll. Froſt und Hitze muß ihm gleichviel gelten. Halbnackt muß er gehen können, wenn ihm der gefrorene Schnee un¬ ter den Füßen kracht, und die ſchwerſte Bürde muß ihm wie ein Flaum ſein, wenn ihn die Sonne Mittags auf die Glieder ſticht. Sein Lager iſt unter Gottes freiem Himmel, und in böſer Nacht hat er's nicht immer ſo gut, daß er auch nur im Hüterhäuschen unter¬ kriechen kann. Oft hat er nur einen Baum zum Obdach, unter dem ſchläft er zufrieden, wenn der Sturm durch die Aeſte fährt und die Blätter ſchüttelt, daß ihm der kalte Regen auf die Stirne tropft.
Herr Gott, rief Friedrich mit rauher Rührung, ich kann doch auch was vertragen, aber ſo ein Leben muß ja den beſten Mann umbringen! Mußt du nicht ſelber ſagen, daß es vernünftiger wäre, wenn ihr das Heidenleben aufgäbet, eine chriſtliche Ordnung anfinget12 und ließet euch mit andern ehrlichen Chriſtenmenſchen in Handel und Wandel ein? Wer ein paar tüchtige Arme hat und einen Kopf, der ſie regiert, der wird nicht ſo bald mit leerem Magen ins Bett gehen und nicht im kalten Regen ſchlafen dürfen.
Wir ſind ſo gute Chriſten wie ihr, verſetzte der junge Zigeuner eifrig: es mag ſich fragen ob wir nicht beſſer ſind? Aber wie wollten wir denn mit euch leben? Ihr ſtoßt uns ja aus, und wollt keine Gemeinſchaft mit uns haben. Wie kann der Zigeuner, dem ihr mit Verachtung die Thüre weiſet, ſein ehrlich Brod bei euch verdienen? Ich bin aus einer Familie, die ſchon ſeit zweihundert Jahren hier im Würtembergiſchen, dann im Deutſchherriſchen drunten und in den beiden Markgrafſchaften am Rheine drüben hin und wider zieht. Nun fehlt es uns zwar dort nicht an Bekanntſchaften, aber ich möchte doch auch in all dieſen Landen einen einzigen Menſchen ſehen, wenn Unſereiner z. B. käme und ihm ſagte: Ich will ein ander Leben führen und ein ordentliches Weſen anfangen, da bin ich, nimm mich auf, theile dein Haus und dein Brod mit mir, ſo viel als dir meine Dienſte werth ſein mögen — den Menſchen möcht 'ich ſehen, der darauf ſagen würde: Tritt ein und bleibe bei mir. Auch unter den Unſrigen möcht' ich den Menſchen ſehen, dem es im Schlaf einfallen könnte, eine ſolche Bitte zu thun. Denn jeder weiß die Antwort im Voraus und weiß wie man beiderſeits von einander denkt. Das iſt jetzt eben einmal von Anbeginn ſo, und wird auch nicht mehr anders werden. Ich weiß wohl, ein mancher von den Meinigen iſt eines böſen Todes geſtorben, und wie könnte es auch anders ſein? Das Element, in dem Einer lebt, iſt natürlicher Weiſe auch zuletzt ſein Tod. Das iſt allenthalben ſo. Wer ſein Leben lang im Hanfſamen ſitzt, wie ein freier Spatz, der find't wohl auf die Länge auch ein hänfenes Ende. Man thät's wohlfeiler nehmen, wenn man's haben könnte. Ein paar fette Capitälchen verzinſen, eſſen und trinken was gut ſchmeckt, mit vier Schweißfuchſen fahren oder auch nur mit zweien, — meint Ihr, der Zigeuner habe zu einem ſolchen gemächlichen Leben nicht ſo viel Genie, als irgend jemand in der Chriſtenheit?
Mir zweifelt's gar nicht! lachte Friedrich. — Aber jetzt kann ich auch auf einmal begreifen, warum du es für ſo ſchandhaft hältſt, wenn von euch einer ſeinem eigenen Vater etwas nehmen würde, und13 an dieſem Beiſpiel wird mir's klar, daß du eigentlich Ehr 'im Leibe haſt. Denn die Moral iſt bei euch im Grund die nämliche wie bei uns, nur daß ſie natürlicherweiſe umgekehrt iſt.
Mit dieſen Worten, die zwar keine klare Anſchauung des Stand¬ punkts, aber doch eine gewiſſe Ahnung deſſelben verriethen, ſuchte er die obſchwebende Streitfrage zu löſen. Aber es wird ſpät, fuhr er fort, und wenn wir die Butell 'auch auswinden, wie ein Leintuch in der Wäſche, ſo preſſen wir doch keinen Tropfen mehr' raus. Weißt was? Komm du mit mir über Ebersbach, ich will dir einen heiden¬ mäßigen Kirſchengeiſt einſchenken zur inwendigen Cur. Ob du links am Staufen vorbeigehſt oder rechts, das iſt gehopft wie geſprungen.
Ja, es iſt am End 'Ein Ding, entſchied ſich der Zigeuner, und auf eine Stunde ſoll mir's nicht ankommen.
Die beiden jungen Burſche erhoben ſich und ſtiegen die gelinden Anhöhen hinab, an deren Fuße das Filsthal ſich gegen den Neckar öffnet. Wohlgemuth ſchlenderten ſie die Straße an dem Flüßchen aufwärts; der Zigeuner pfiff gellende Weiſen, Friedrich aber ſchwieg ſtill, und unter ſeiner breiten Stirne ſchien ein mächtiger Gedanke zu arbeiten. Die Worte des Waiſenpfarrers gingen ihm im Sinne herum; das Vertrauen des ehrwürdigen alten Mannes hatte ihn ſtolz gemacht und es war ihm zu Muthe, als ob er gar nichts nöthig hätte als ein bischen guten Willen, um ein großes Werk zu Stande zu bringen.
Sie waren wohl eine gute Stunde ſo zugeſchritten, ohne ein Wort mit einander zu reden, als Friedrich auf einmal ſtehen blieb und ſei¬ nen Gefährten kräftig am Arme faßte. Und ich ſag 'dir, rief er, du bleibſt bei mir! Ich will dir zeigen daß ich auch ein guter Chriſt bin. Wenn ich dein armes verſtoßenes Volk in das Erbe einſetzen könnte, das von Gott und Rechts wegen einem ſo gut gehört wie dem an¬ dern — mit Einem Schlag wollt' ich das thun. Nun kann ich aber weiter nichts, als an einem Einzelnen, der mir unter die Hände kommt, ein chriſtlich Werk verrichten. Du gehſt mit mir, da iſt keine Widerrede, die Sonne von Ebersbach hat Raum für Viele! Da wird ſich ſchon ein Plätzlein für dich finden im Haus, und ein Stuhl am Tiſch und ein Brocken in der Schüſſel. Zu thun gibt's auch immer etwas, du dienſt meinem Vater als Knecht, wie ich, und ſollſt es nicht ſchlechter haben als ich. An Froſt und Schneepatſchen, an Laſt und14 Hitze wird's zwar nicht fehlen, je nachdem die Jahreszeit iſt; aber das Schlafen im kalten Regen und alles Andere, was dazu gehört, das ſoll und muß ein Ende haben. Komm her, ſchlag ein.
Der Andere hatte ihn anfangs mit ſeinem ſcheelen Auge verwun¬ dert angeſehen; die Zuverſichtlichkeit ſeiner Rede ſchien aber jedes Be¬ denken bei dem Zigeuner verwiſcht zu haben, und er that wie ihn ſein Gefährte hieß. Friedrich erwiderte ſeinen Handſchlag mit einem noch kräftigeren, und zufrieden wie wenn ſie einen guten Markthandel ab¬ geſchloſſen hätten, ſetzten ſie ihren Weg mit einander fort. Der Tag begann ſich eben zu neigen, da breitete ſich das Ziel ihrer Reiſe, ein beträchtlicher Flecken, in angenehmer Thalweite zwiſchen den Anhöhen wohlgelegen, freundlich und heimatlich vor ihren Augen aus.
Frau Sonnenwirthin, jetzt iſt's an mir! rief der Aeltere von zwei Männern in hellblauen Wämſern, die am Wirthstiſche ſaßen. Bringt nur gleich zwei Bouteillen auf Einen Streich. Und wenn das Ver¬ mögelein drauf gehen ſollte, der Friede muß ſtet und feſt ſein. Man ſagt ja, ein Proceß ſei etwas Fettes. Nun gut, auf etwas Fettes muß man brav trinken, damit's Einem den Magen nicht verdirbt.
Nach Befehl! erwiderte die Wirthin, eine große ſchlanke Frau, aus deren gelblichem Geſichte ſtarke Knochen hervortraten; und die Fla¬ ſchen auftragend fuhr ſie fort: G'ſegn's Gott, ihr zwei Müller, Ober und Unter! Das iſt das wahre Waſſer auf eure Mühlen und wird ſie beſſer treiben als das Haderwaſſer, dem ihr einige Zeit her den Zugang verſtattet habt. Ja ja, ich gratulir '! Ein fetter Vergleich iſt beſſer als ein magerer Proceß. Das Sprichwort ſagt's zwar umge¬ kehrt, aber ich hab' doch recht. Auch iſt's geſcheider, das Geld in die Sonne zu tragen als zum Advocaten, denn bei dem wär't ihr doch nicht ſo 'ring durchgekommen wie mit ſo ein paar Bouteillen Zehner.
Die beiden Zunftgenoſſen, welche einen über ihre Gerechtſame ent¬ ſtandenen Streithandel noch bei Zeit geſchlichtet hatten, ließen ihrer15 guten Laune vollen Lauf. Sie ſaßen ſchon den halben Nachmittag hinter ihrer Friedensflaſche und hatten, wie das in ſolchen Fällen zu geſchehen pflegt, die ſtreitigen Punkte, ſo wie die Gründe, die zur Bei¬ legung riethen, mehr als ein Dutzendmal umſtändlich durchgeſprochen. Lachend trank der Jüngere der Wirthin zu, der Aeltere aber bedachte ſie mit einer derben Liebkoſung. — Was die Sonnenwirthin noch ein feſter Kerl iſt! rief er: ich glaub ', die wär' Manns genug, um noch Zwillinge zu bringen.
Die Frau ſchoß einen ſcharfen Blick aus ihren grauen Augen auf den Necker, ſtieß ihn mit einem halb ſcherzhaft halb ernſtlich gemeinten Scheltwort zurück und verließ ihren Geſchäften nachgehend das Wirths¬ zimmer.
Ich glaub ', Euch juckt's ſchon wieder nach einem Proceß, Vetter! ſagte der jüngere Müller lachend. Paßt nur auf, die da verſteht keinen Spaß. Ihr werdet wohl wiſſen, daß man ihr kein gebrannteres Herzeleid anthun kann, als wenn man ſie an ihre Kinderloſigkeit erinnert.
Weiß wohl, entgegnete der Andere, und eben darum hab 'ich's ge¬ than, weil ich die neidige, gelbe, giftige Kröte noch gelber ſehen will, als unſer Herrgott ſie geſchaffen hat. — Komm her, Peter, unter¬ brach er ſich, einem Eintretenden zurufend: Du haſt treulich mit zum Frieden gerathen, nun iſt's billig, daß du auch mit uns trinkſt. Ihr werdet nichts dagegen haben, Vetter, wenn ich meinem Knecht ein¬ ſchenke? Hol' dir ein Glas und geh 'her.
Der Knecht that wie ihm geheißen wurde und ſetzte ſich dann hinter einen andern Tiſch auf die Bank, die vor'm Ofen längs der Wand hinlief. Von dort aus nahm er ſeinen wohlberechtigten An¬ theil am Geſpräch, ſtellte ſich auch in ſeinem Reden und Benehmen völlig auf den Gleichheitsfuß mit ſeinem Herrn und deſſen Gefährten; nur dadurch, daß er nicht unmittelbar bei ihnen Platz nahm, beobachtete er den Standesunterſchied.
Der gelbe Neidteufel! fuhr der obere Müller fort. Man darf nur den Sonnenwirth vergleichen, was er unter ſeinem erſten Weib für ein Mann war, und was er unter dem dürren Rippenſtück für einer geworden iſt. Damals war er aufgeweckt und kameradſchaftlich und gar nicht b'häb in Handel und Wandel und Geldſachen. Jetzt16 iſt er ſchwach und hat keinen eigenen Willen mehr, dabei aber gegen andere Leute ein wahres Unthier an Geiz und Hochmuth. Der alte Kerl, er trägt den Kopf wie ein Edelmann, und meint wahrhaftig, er ſei aus anderem Teig gebacken als wie Unſereiner.
Das macht eben der Reichthum, ſagte der Knecht von ſeiner Bank herüber.
Ja, er iſt grauſig reich, verſetzte der untere Müller. Der Holz¬ ſchlegel rindert ihm auf der Bühne. Er wird wohl auf zwölftauſend Gulden geſchätzt. Aber freilich, wie Ihr ſagt, Vetter, ſo verhält ſich's: er iſt b'häb, und faßt das Tuch an fünf Zipfeln.
Ja und guckt in neun Häfen zumal, fiel der Andere ein.
Wo der gedroſchen hat, darf man kein Korn mehr ſuchen, er¬ gänzte der Knecht.
An all' dem iſt das vortheilhaftige böſe Weibsbild ſchuldig! Sie will alleweil oben hinaus; ſie möcht's gern der Pfarrerin und der Amtmännin gleich thun, ſchmeichelt ſich auch bei ihnen an und ver¬ läſtert andere Leute, denn das hören ſolche Frauen immer gern. O die iſt falſch wie Galgenholz. Und wie iſt ſie nur mit ihren Stiefkindern umgegangen! Die hat ſie von Anfang an zurückgeſetzt und verkürzt, in der Meinung ſie werde eigene bekommen, und wie das nicht einge¬ troffen iſt, ſo hat ſie's ihnen aus Mißgunſt noch ärger gemacht. Die älteſte Tochter hat den kahlköpfigen, trockenen Krämer da drüben ge¬ heirathet, um nur aus der Hölle los zu werden. Die andere, die Mag¬ dalene, thät ', ſchätz ich wohl, mit einem Froſch vorlieb nehmen, wie die Prinzeſſin im Märlein.
Ihr trefft den Nagel auf den Kopf, Vetter! rief der jüngere Müller mit mürriſchem Lachen. Wie? oder wißt Ihr's nicht? Hat ein blindes Schwein eine Eichel gefunden?
Nun was iſt's denn?
Habt Ihr den Laubfroſch noch nie aus und ein gehen ſehen? Wißt Ihr denn nicht, was man für Werg an der Kunkel hat?
Der Andere ſchüttelte den Kopf.
Das Ausrufungszeichen in dem froſchgrünen Rock! fuhr der Jün¬ gere hitzig fort. Er ſieht accurat aus, wie Ihr ihn geſtempelt habt. Seid Ihr denn heut 'ganz auf den Kopf gefallen?
17Was, der Bartkratzer, der ſogenannte Herr Chirurgus, der Heuchler, der Kopfhänger, die magere Kuh Pharaonis? Jetzt wird mir's an¬ ders! jetzt hab 'ich eine Stärkung vonnöthen! Kommt, Vetter, ich will's an Euch hinlaſſen.
Damit erhob er ſein Glas. Ich will's ausſtehen, erwiderte der Andere mit ſauerſüßer Miene, kam ihm mit dem ſeinigen entgegen und ſie ſtießen mit einander an. Nachdem der Knecht durch einen Wink beſchieden worden war, den Dreiklang voll zu machen, lehnte ſich der ältere Müller in ſeinen Stuhl zurück und fuhr verwundert fort: Ei ſo guck Einer! Der Alte ſchlägt ſeine Mädchen doch recht unter'm Preis los, denn die paar Fuß breit Grundherrſchaft, die der grüne Darmfeger beſitzt, werden juſtement einen Sack Erdbirnen ausgeben, und was er Jahraus Jahrein mit ſeiner Raſierklinge aus den hieſigen Schweins¬ borſten und Igelsſtacheln herausſticht und ſchabt, das wird ihn auch nicht gerade fett machen. Die Figur gibt's. Aber der Alte trifft zwei Fliegen mit Einem Schlag. So ein Schlucker darf kein groß Heirathgut fordern; da behält der Schwäh'rvater ſeine Kronenthaler brav in der Truhe, und hat noch den Profit, daß ihm der fromme Schwiegerſohn, ſo oft er den Morgen - und Abendſegen lieſt, um ein baldſanftſeligs Ende betet. Seine erſte Tochter wird auch nicht viel mitbekommen 'haben, wie er ſie hinausgegeben hat; denn ich ſeh' juſt nicht, daß ihr Eh'krüppel ſonderlich ſtark ſpeculirt, weder in Käs noch in Schwefelhölzlen. Econträr, im Gegentheil, ſeine Firma geht einen ſehr bedächtlichen Gang und blüht wie die ſpäten Obſtſorten; ich glaub ', er hat's auf's langſam reich werden angelegt. Aber er iſt doch ein Herr Handelsmann, in Stuttgart heißen ſie's gar Commercienrath, und das iſt Numero Zwei. Den neuen Schwiegerſohn kauft er viel¬ leicht noch wohlfeiler, und das iſt noch ein koſtbarerer Artikel, das iſt gar ein halber Doctor. Die Frau Chirurguſſin wird ſich natürlicher Weiſe Flügel an die Haube machen laſſen müſſen, wenn ſie mit der langen froſchgrünen Stange ranggemäß über die Straße rudern will. Schad' iſt's übrigens um die Magdalene. Sie gäb 'grad' ſo einen Arm voll für einen wackern Junggeſellen, wie Ihr z. B., Vetter. Aber ſo weit gibt ſich der Hochmuth nicht herunter, Unſereiner iſt ihm nicht gut genug; ſo eine Raſierklinge ohne Handhab 'ſchneid't ihm immer noch beſſer. O blinde Welt! Die Hand vom Butten, Vetter, 's ſind Weinbeeren drin.
D. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 218Meinthalben Roſinen und Cibeben! fuhr der Jüngere auf. Habt Ihr mich auf der Muck '? Wollt Ihr mich in's Gered' bringen? Ihr ſchwätzt mir da recht hinterfür heraus, wie ein Mann ohne Kopf! Was will ich von dem Mädle? Habt Ihr wo läuten hören? Bin ich dem Sonnenwirth auf irgend eine Art oder Weiſe zu Hof geritten? Zwar es fragt ſich noch, wenn er einen wohlfeilen Schwiegerſohn fin¬ den will, ob ihm nicht einer ſo gut iſt wie der andere. Wenn's im Abſtreich geht, darf auch der Bettelmann zur Auction kommen, und das iſt doch juſt nicht meine Nummer, wie Ihr ſelber am beſten wißt. Uebrigens kann mir die ganze Sippſchaft geſtohlen werden. Macht mir nichts vor! In dem Punkt verſteh 'ich keinen Spaß.
Na wollen den Geiſt ruhen laſſen, verſetzte der Aeltere. Aber ſo viel iſt gewiß: wenn die erſte Frau, die rechte Mutter, noch am Leben wär ', ſo fiel' die Ausſteuer ein wenig größer aus und der Hoch¬ muth ein wenig kleiner.
Ja und mancher böſe Auftritt wär 'unterblieben und mancher Lärm und Spektakel bei Tag und auch bei Nacht, der die Sonne mehr in Finſterniß als in Glanz brachte bei der Gemeinde. Und die Hauptſonnenfinſterniß wär' gewiß auch nicht ſo ſchwarz ausgefallen unter dem linden Regiment der rechten Mutter.
Was meint Ihr damit? Ja ſo, jetzt geht mir auf einmal ein Licht auf. Ihr ſprecht vom Gutedel, vom jungen Sonnenwirthle. Mag leicht ſein, daß der mit Verſtand und Güte gradgebogen worden wäre, der knorrige Hagbuchenſtock. Zwar iſt es ſchwer zu ſagen, ob das Mutterherz den rechten Weg gefunden hätte nachmals, wie es nöthig wurde; denn die ſelige Sonnenwirthin war eben die gute Stunde ſelber, und den Stab Wehe hat ſie nimmermehr zu führen verſtanden. Der Sonnenwirth ſah dem Früchtlein auch in allweg zu viel durch die Finger, ſo lang ſie lebte und ſo lang der Erbprinz die Nüſſe noch mit den Milchzähnen knackte. Er hielt ihn zwar fleißig zur Schule an, und ſah auch ſonſt zum Rechten; aber ich weiß nicht, es hat eben doch an etwas gefehlt.
Ja, lachte der jüngere Müller, wohlgezogen, aber übel gewöhnt, das war er von Anfang an.
Iſt denn ein Sohn da? fragte der Müllersknecht von ſeiner Bank herüber?
19Sein Dienſtherr ſah ihn verwundert an. Ja ſo, ſagte er nach einer Weile, du haſt dich ſchon ſo bei mir inſinuirt, daß ich ſchier gar gemeint hätte, du ſeieſt ſeit Jahr und Tag in meinem Haus, und biſt doch erſt eine Woche da. Freilich auf die Art haſt du den jungen Sonnenwirthle noch nicht zu Geſicht kriegen können. Wundert mich übrigens, daß du in deinem Deizisau nichts von ihm gehört haſt; denn er iſt ein Gewaltiger vor dem Herrn und wenn man ihm nicht den Krattel bei Zeiten vertreibt, ſo kann er, ſchätz 'ich wohl, im ganzen Land bekannt werden.
Wo iſt er denn? fragte der Knecht.
Er iſt an einem Oertlein, wo du nicht gern hinkämſt, war die Antwort, und die beiden Müller brachen in ein Gelächter aus. Jetzt rath 'einmal.
Die Thüre ging abermals auf und ein Menſch in hohen Waſſer¬ ſtiefeln trat herein. Er trug einen Kübel, den er vorſichtig auf ei¬ nen Stuhl ſetzte. Iſt die Frau nicht da? fragte er.
So, du biſt's, Fiſcherhanne? rief der obere Müller. Was haſt denn da? Du gehſt ja mit dem Kübel ſo ſachte um, wie wenn du Perlen in der Fils gefunden hätteſt.
Guten Abend, ihr Mannen, ſagte der Fiſcher. Thut's ſo? iſt's ſchon Feierabend? Nein, die Perlen gerathen nicht hier zu Land, außer in der Glasfabrik. Forellen ſind's, friſch aus dem Bach, ich hab 'ſie nur geſchwind im Kübel hergetragen.
Was meint Ihr, Vetter? Wie wär's, wenn wir ſo ein paar Silber¬ fiſchlein in die Küche ſchicken thäten? Der Wein ſchmeckt noch ſo gut dazu. Wie, Fiſcherhanne, gib her, laß einmal ſehen, was haſt für Waar '?
Ich kann keine davon hergeben, ſagte der Fiſcher. Die Alte thät 'mich mit dem Beſen zum Haus hinaus jagen. Sie hat morgen ein Pfarrerskränzlein und da braucht ſie die Fuſch alle.
So, ſo, die hochwürdigen Herren begnügen ſich nicht mit dem geiſtlichen Fiſchzug und wollen daneben auch leibliche Gräten beißen?
Ihr lebet ja auch nicht vom Waſſer allein, obgleich Ihr Müller ſeid, erwiderte der Fiſcher, indem er trotz ſeiner abſchlägigen Antwort den Kübel herüberholte und mit ſeinen zappelnden Inſaſſen auf den Tiſch ſetzte.
2 *20Pflanz 'dich nur her, ſagte der Andere. Du gehörſt ja in Ein Element mit uns. Ein Glas Wein für den Fiſch! Willſt nicht? Und meinethalb noch einen Freitrunk drüber, daß der Weinkauf richtig iſt.
So macht nur geſchwind, daß die Alte nicht dazu kommt, erwi¬ derte der Fiſcher. Aber mehr als einen auf den Mann kann ich nicht hergeben und hier könnet ihr ſie auch nicht eſſen, denn die Sonnen¬ wirthin darf beileib nichts davon wiſſen.
Freilich, 's iſt ein halber Kirchenraub! rief der ältere Müller lachend, fuhr in den Kübel, griff mit ſicherer Hand eine große ſchöne Forelle heraus, zu welcher der Fiſcher gewaltig ſauer ſah, ſchlug ſie mit dem Kopf gegen die Tiſchecke, und ſteckte ſie eilig in die Taſche. Der Jüngere war eben ſo ſchnell ſeinem Beiſpiel gefolgt.
So, Fiſcherhanne, ſagte der Aeltere, nachdem ſie den Handel be¬ endigt hatten, wir wollen das Element leben laſſen, das unſere gemein¬ ſchaftliche Nahrung iſt. Nahrung wohlverſtanden! denn für den Hunger iſt's zwar gut, aber nicht für den Durſt. Der Eulenſpiegel hat's allezeit den ſtarken Trank geheißen; es treibe Mühlräder, ſagte er, und deßhalb ſei es ihm zu ſtark für ſeine Natur.
Er klingelte am Glaſe, um noch eine Flaſche zu beſtellen. Aber jetzt iſt's recht, rief er, als die Thüre aufging: jetzt kommt auch ein¬ mal die Oberkellnerin, die Magdalene. Komm her, du Hübſche und du Feine, da gibt's ſchmachtende Herzen zu laben.
Das Mädchen, das auf den Ruf der durſtigen Sturmglocke er¬ ſchienen war, konnte man nicht anſehen ohne ihr freundlich geſinnt zu werden. Sie trug auf einem wohlgewachſenen Körper ein rundes, unſchuldiges, gutmüthiges Geſichtchen, ein weiblich mildes Abbild von den derben Zügen ihres Bruders, und zugleich eine Bürgſchaft, daß auch hinter dieſer rauhen Schale ein guter Kern verborgen ſein könnte.
Hab 'ich's nicht geſagt? rief der ältere Müller: und es verlohnt ſich der Müh', es zweimal zu ſagen, wiewohl wir nicht in der Mühle ſind! Das Mädle gäb 'einen ſtaatsmäßigen Arm voll, nicht zu viel und nicht zu wenig, für einen braven Junggeſellen.
Er blickte dabei mit einer Spaßvogelsmiene auf den Andern. Wenn Ihr ſie zu Eurer Käther hin heirathen wollt, ſo müßt Ihr eben ein21 Türk 'werden, erwiderte dieſer trocken. Aber jetzt iſt's wieder an mir! Eine Butell' für mich! rief er barſch, auf die Flaſche deu¬ tend, dem Mädchen zu und konnte es doch nicht laſſen, ihr nachzu¬ blicken, bis ſie in der Thüre verſchwand. Sie war feuerroth geworden und hatte die Flaſche mit niedergeſchlagenen Augen vom Tiſche ge¬ nommen.
Und wie ſie ſo leibhaftig geht und ſteht! rief der Erſte, der nicht müde werden konnte. O du Milch und Blut!
Magdalene erſchien nicht wieder. Statt ihrer kam die Hausfrau, ſtellte die gefüllte Flaſche auf den Tiſch und nahm die Forellen, die der Fiſcher indeſſen auf den Stuhl zurückgebracht hatte, mit hinaus.
Da trink ', Fiſcher! rief der jüngere Müller einſchenkend. Der treibt die Seelenmühle, vielleicht treibt er dir auch ein wenig Blut in die farbloſen Backen.
Ja, das iſt wahr, du ſiehſt aus, wie wenn du's mit einer Waſſer¬ jungfer hatteſt, ſagte der Aeltere.
Und ſo alt biſt du geworden, Kerl! fügte der Jüngere hinzu. Wenn man ſich tagtäglich im Waſſer hetzen und verkälten muß, und hat magere Biſſen dabei, entgegnete der Fiſcher unmuthig, ſo iſt's kein Wunder, wenn der Firniß abgeht.
Wie alt biſt denn, Fiſcherhanne? Du ſiehſt aus, wie wenn du ſchon das Schwabenalter erreicht hätteſt, und biſt doch glaub 'ich mit dem Sonnenwirthle aus der Schul' gekommen.
Ja, den hat man aber auch ſorgfältiger aufgehoben als mich, da iſt's kein Wunder, verſetzte der Fiſcher mit hämiſchem Tone, und ein Strahl leuchtete flüchtig in ſeinen todten grauen Augen auf. Der iſt ja ſo gut verwahrt, daß ihn kein rauhes Lüftle anwehen kann. Wie lang ſitzt er denn noch im Zuchthaus?
Er wird ſeine Zeit jetzt ſo ziemlich abgeſeſſen haben.
Was, der Sonnenwirth hat einen Sohn im Zuchthaus? rief der Müllerknecht aus voller Lunge herüber. Er hatte die frühere Antwort nicht recht begriffen.
Sachte, Peter, ſachte mit der Braut! ſagte ſein Herr und hielt ihm die Flaſche hin, um einzuſchenken. Mußt nicht ſo laut ſchreien. Im Haus des Gehenkten iſt nicht gut vom Strick reden.
22Aber wie iſt ſo was möglich? Guter Leute Kind im Zuchthaus! ſagte der Knecht leiſe, auf den äußerſten Rand ſeiner Bank vorrückend, die Hände auf den Knieen und den Kopf ſo weit als möglich vor¬ geſtreckt.
Es iſt juſt kein Wunder, verſetzte der Fiſcher.
Er iſt eben ein heißgrätiger unbändiger Burſch ', ſagte der jüngere Müller.
Ei, du kennſt ihn ja am beſten, Fiſcherhanne, rief der Aeltere. Gib Acht ', Peter, der kann's dir ſagen, der iſt mit ihm in die Schul' gangen.
Da wirſt du wenig Gut's von ihm zu hören bekommen, lachte der jüngere Müller. Wenn der Sonnenwirthle am jüngſten Tag dem Fiſcherhanne gegenüber geſtellt werden thät ', und es käm' auf ſein alleiniges Zeugniß an, wie ſein Urtheil in der andern Welt lau¬ ten ſollt ', ich glaub' der Frieder müßt 'in die unterſte Hölle fahren.
Wahr iſt's, ſagte der Fiſcher, ich kann ihn nicht leiden, und hab 'ihn nie leiden können. Wir ſind einander von Anfang an ſpinnen¬ feind geweſen. Ich weiß eigentlich ſelbſt nicht recht wie's gekommen iſt, 's iſt weiter nichts Beſonderes zwiſchen uns vorgefallen. Die Bu¬ ben hadern und raufen viel mit einander und werden doch nachher oft die beſten Freunde. Aber bei uns hat der Haß immer tiefer ge¬ freſſen; es iſt als ob's uns von Natur eingepflanzt geweſen wäre. Das erſte Mal, daß wir einander zu Geſicht kriegten, ſah er mich mit böſen Augen an, und ich war wider ihn und er wider mich.
Da iſt auch kein Wunder dran, meinte der untere Müller. Ob ſeine Augen, die er an dich hingemacht hat, ſo bös geweſen ſind, das weiß ich nicht, er iſt nicht gerade beſonders gezeichnet in den Augen. Aber er war ein Mutterſöhnchen, hatte immer was zu beißen und zu knacken; mit den Gröſchlein und Sechſerlein von den Döten und Dotinnen konnte er allzeit den großen Hanſen machen; und in der Schule ſaß er beſtändig obenan, denn das Spruchbuch und den Ka¬ techismus lernte er wie's Waſſer.
Ich weiß ſchon wo du hinaus willſt, Georg, verſetzte der Fiſcher, ohne Geſicht oder Augen zu erheben. Es iſt wahr, ich bin ein armer Teufel, und ein Bub ', der im Wachſen iſt, hat einen ſtarken Appetit, und es mag ſein, daß mir die überflüſſigen guten Biſſen, die man23 bei ihm ſah, manchmal zu ſchaffen machten; aber ſo gar mißver¬ günſtig bin ich doch nicht, und werd's auch damals nicht geweſen ſein. Seine Gelehrſamkeit hat mir's auch nicht angethan. Der Ehr¬ geiz hat mich nie geſtochen; meine Vorfahren ſind arme Fiſcher ge¬ weſen, ſo weit man hier in Ebersbach zurückdenken kann, und darum hab' ich auch weder Vogt noch Profeſſor werden wollen.
Aber womit hat er dir's denn angethan?
Warum ſtellen ſich Hund und Katze wider einander, wenn ſie einander anſichtig werden? Warum gibt's Leute, die manche Thiere nicht leiden können? Gerade ſo geht's auch dem Menſchen mit dem Menſchen. Ein Geſicht gefällt Einem, ein anderes iſt Einem zuwider. Uebrigens hat er's nicht an thätlichem Anlaß fehlen laſſen. Er war ein ſtolzer übermüthiger Bub ', der Keinen was neben ſich gelten ließ. Beim Soldätlesſpiel war er der General, und wenn man Räuberles ſpielte, mußte er der Hauptmann ſein. Commandiren und die An¬ dern herumpudeln, das war ſein Pläſir. Die ihm recht unterthänig waren, denen ſpendirte er, was er nur aufbringen konnte. Mir hat er nie was geſchenkt.
Das muß man ihm laſſen, ſagte der ältere Müller, gutherzig und freigebig iſt er allezeit geweſen.
Ja, aber da hat der Fiſcherhanne doch recht, fügte der Jüngere hinzu, am gutherzigſten war er eben gegen ſolche, die ſeinem Stolze am beſten hofiren konnten.
Gutherzig? rief der Fiſcher. Eine eigne Art von Gutherzigkeit hat er von jeher gehabt. Er war noch nicht acht Jahre alt, ſo jagte er den Nachbarn zum Spaß die Hühner fort, aus purer guter Laune ſchlug er ihnen die Gänſe todt, hetzte die Hunde auf Weiber und Kinder, und lachte wie ein kleiner Teufel über ihre Angſt. Und wie er dann zu ſeinem Namenstag eine Flinte bekam, da hieß es erſt: Hellauf! Da ſchoß er mitten im Ort auf Hühner, Enten, Gänſe, was er erwiſchen konnte, und der Sonnenwirth bezahlte den Schaden und war ſtolz darauf, daß er ihn zahlen konnte!
Und noch mehr darauf, daß die Blitzkröte ſchon ſo ein guter Schütz war, fiel der jüngere Müller ein. Das war's ja eben! Durch die Nachſicht, die man ihm ſchenkte, und durch den Beifall der Speichellecker, die bei den Eltern einen Stein im Brett gewinnen24 wollten, wurde er immer noch mehr verhetzt, und ſo kam er von einem Schabernack zum andern. Die ärgſten Streiche erfuhr der Alte gar nicht, die ſind von der Mutter vertuſcht worden. Da iſt mancher Sechsbätzner, mancher Krug Wein als Schmerzengeld hinter ſeinem Rücken aus der Sonne gewandert.
Wenn man dem Ding nachdenkt, ſagte der obere Müller, ſo hat es mit ſo einem verzogenen Söhnle eigentlich nicht anders kommen können. Ich glaub ', ein Anderer wär' auch ſo geworden.
Vielleicht lauft er ſich die Hörner noch ab, verſetzte der Jüngere. Wiewohl, es wird ſchwer halten. Er iſt eben einmal an die Ge¬ waltthätigkeit gewöhnt. Wenn man ihm irgendwie einen Riegel vor die Thür 'ſchiebt, ſo muß er mit dem Kopf durch die Wand, das thut er nicht anders.
Ja und ſein Hochmuth wird ihn auch nicht anders werden laſſen, ſagte der Fiſcher: denn das iſt der Hauptteufel, der ihn reitet.
Der ſteckt in der ganzen Sippſchaft. Iſt die Magdalene vorhin wieder hereingekommen? Nein, weil man ſich einen kleinen Spaß mit ihr herausgenommen hat, ſo hat ſie den Wein durch die Mutter geſchickt.
Aha! ſagte der ältere Müller leiſe, dem Fiſcher zuwinkend: haſt ihn hören trappen?
Immer hat er ſich für was Beſonderes gehalten, fuhr dieſer fort, ohne auf die Bemerkung Acht zu geben. Ha, wenn ich nur daran denke, was er mir einmal für eine Zumuthung gemacht hat! Das war das einzige Mal, daß ich was Apartes in die Schule mitbrachte, wo ich mir was drauf zu gut thun konnte. Der Herzog war eben vorher durch den Flecken gefahren, und da fand meine Mutter auf der Straße ein kleines Stück hellblauen Sammet, Gott weiß, woher und wie er auf den Boden gefallen war. Meine Mutter wußte nicht was damit thun, nun zerſchnitt ſie's in Läpplein und machte mir eine Windmühle, wißt ihr, wie's die Buben an Stecken haben; wenn ſie damit ſpringen, ſo dreht ſich's herum. Das Ding ſah hof¬ färtig aus und die ganze Schule hatte Reſpect davor. Den Sonnen¬ wirthle aber verdroß es, daß er mir's zum erſten Mal nicht gleich thun konnte; er ließ ſich aber nichts anmerken, ſondern verſpottete mich und ſchalt mich den herzoglichen Windmüller. Da war's auch bei den25 Andern aus: ich konnte mich allein an meiner Windmühle ergötzen; ſie ſahen mich nicht mehr darum an. Ein paar Tage drauf iſt meine Windmühle weg. Ich hatte Niemand anders im Verdacht als den Frieder, und ſagt's auch den andern Buben. Wie der's aber hört, ſo ſpeit er Gift und Galle, paßt mir auf, und an der Rathhausecke ſtellte er mich, wie ich mich unterſtehen könne, ihn zu bezichtigen, daß er mich beſtohlen habe. Jetzt, was meinet Ihr, daß er mir zuge¬ muthet hat? Ein Meſſer nahm er in die Fauſt, und mir bot er ein anderes dar, und ſagte, ich ſolle mich wehren. Natürlich hab 'ich mich dafür bedankt, und dann fiel er über mich her und prügelte mich durch; denn er war weitaus der Stärkſte von uns Allen.
Und hatte er wirklich die Windmühle geſtohlen?
Nein, ich fand ſie hernach wieder; ich hatte ſie nur verlegt. Auch hätt 'ich's nicht ſo ſchwer genommen, nicht einmal die Prügel be¬ kümmerten mich, wiewohl er immer eine harte Tatze hatte. Nein, aber der Hochmuth, daß er den fürnehmen Herrn ſpielen wollte und ſich duelliren, wie ein Edelmann, das hat mir ihn zuwider gemacht. Und er war dazumal ein Bub' von zehn Jahren. Wenn das am grünen Holz ſo iſt, wie wird's am dürren werden?
Duelliren hat er ſich wollen, wie ein Offizier? rief der Knecht. Ei ſo verreck!
Da hat ſich das adelige Blut frühzeitig geregt, ſagte der jüngere Müller lachend.
Wenn die ſelige Sonnenwirthin nicht ſo ein kreuzbraves Weib geweſen wär ', verſetzte der ältere Müller, ſo könnt' man auf allerlei Gedanken kommen.
Und was iſt denn ſein Vater Großes? fuhr der Fiſcher eifrig fort. Er mag meinethalb für ſeine paar Batzen hochmüthig ſein, aber Alles hat ſeine Grenzen. Er iſt Wirth, muß den Leuten für ihr Geld Kratzfüße machen; er iſt Viehhändler, patſcht jedem Ro߬ kamm in die Hand; er iſt Metzger, muß den Ochſen und Säuen im Gedärm herumfahren.
Es müßt's nur das Metzgerhandwerk machen, ſagte der ältere Müller: damit übt er eine Art von Blutbann aus, und das iſt doch was Adeliges.
26Ja, rief der Andere, und darin ſtehſt du ihm nach, Fiſcherhanne. Denn du und die, über deren Leben und Tod du Gewalt haſt, haben kein Blut.
Oder nur weißes. Die Andern lachten.
Sorget nur nicht für mich! ſagte der Fiſcher etwas ärgerlich. Meine Unterthanen haben auch Blut.
Ja, und Galle.
Ja, und beißen können ſie auch.
Aber der Ochs hat Hörner.
Wenn er zu hitzig ſtoßt, ſo brechen ſie ab.
Wenn ſie nur ſchon abgebrochen wären! ſagte der ältere Müller. Aus dem Burſchen könnt 'noch was Tüchtig's werden. Ich wollt' man that ihn mir anvertrauen, ich zög 'ihn durch's Kammrad, daß er ge¬ ſchlacht würde.
Nichts Gewiſſes weiß man nicht, heißt's im Sprichwort, erwiderte der Jüngere.
Ja, es iſt nicht ſo leicht mit ihm fertig zu werden, ſagte der Fi¬ ſcher. Er iſt ein böſer Bub '.
Wenigſtens muthwillig und unbändig, verſetzte der ältere Müller. Unter allen Streichen, die ich von ihm weiß, hat mir einer immer am beſten gefallen. Da war vor ein Jahr ſieben oder achten ein Hausknecht hier in der Sonne, wißt ihr, der Mathes — ich ſeh ihn heut noch vor mir, s'iſt ſo ein perſönlicher langer Kerl geweſen, und etwas langſam im Geiſt. Der wollte geſcheider ſein als der Frieder, und das konnte mein Frieder nicht vertragen. Was thut er alſo? Um Mitternacht ſchleicht er aus dem Bett, die Stiege hinunter, bricht den Fuhrleuten in die Güterwagen vor dem Haus auf der freien Straße ein, und bringt den Raub ſeinem Vater über's Bett. Der Knecht, den andern Tag, der iſt natürlich ſchön ausgelacht wor¬ den ob ſeiner Wachſamkeit. Und das hat der ſtolze Bub 'mehr als einmal gethan, und der gute Mathes konnt' ihn nie erwiſchen. Das Ding hat ihm das Leben ſo ſauer gemacht, daß er's nicht in der Sonne aushalten konnte. Es trieb ihn aus dem Dienſt, ich glaub 'er dient jetzt in Beutelsbach drüben, das alte Beutelthier.
Der Müllerknecht hatte Mund und Augen aufgeſperrt. Ver¬ fluchter Bub '! ſagte er endlich. Das hat der Sonne gute Kundſchaft27 bringen können. Ich wär' auch eingekehrt und hätt 'mich zum Spaß berauben laſſen, pur aus Fürwitz.
Es iſt doch eine gefährliche Uebung, ſagte der Fiſcher. Wenn die Katze das Mauſen verſchmeckt hat, ſo läßt ſie nicht mehr davon, und was eine Diſtel werden will, das fängt zeitig an zu brennen. Es iſt nicht lang angeſtanden, daß er ſeine G'ſtudirtheit an einer Geldkiſte ausgelaſſen hat.
Was? rief der Knecht. Iſt er im Ernſt eingebrochen?
Pſt, Peter, ſchrei leis! erwiderte ſein Herr. Ja, aber nur bei ſeinem Vater, und der hat's ja.
Vierhundert und dreißig Gulden ſind doch keine Kleinigkeit, ſagte der Fiſcher.
Vierhundert und dreißig Gulden! rief der Knecht. Da wundert's mich nicht, daß er im Zuchthaus ſitzt. Und ſein eigener Vater hat ihn hineinſperren laſſen?
Er konnte es nicht vertuſchen, wenn er auch gewollt hätte. Uebrigens iſt's nicht ſeine diesmalige Zuchthausſtrafe, denn das iſt ſchon die zweite. Damals aber war er erſt vierzehn Jahr 'alt.
Das iſt aber doch auch hart, meinte der Knecht, einen vierzehn¬ jährigen Buben ins Zuchthaus zu ſchicken.
Laßt mich reden, ihr Mannen! ſagte der jüngere Müller: ich kann am beſten erzählen, wie die Sach 'zugegangen iſt, ich hab' ja auch einen Spieß in ſelbigem Krieg getragen. Wahr iſt's, und was wahr iſt, das muß wahr ſein, dem Frieder hat ſich das Blättlein übel gewendet, wie ihm Gott ſeine Mutter nahm. Von der Stund 'an hatte Alles was er that eine andere Farbe.
Das iſt eben der Unterſchied, fiel der ältere Müller ein, ob man etwas mit Liebe anſieht oder mit Haß. Und den Haß, den hat das Ripp, die jetzige Frau, ins Haus gebracht; die Liebe aber iſt mit der erſten ins Grab gegangen.
Verzogen war er, das iſt richtig, fuhr der Jüngere fort. Aber es kommt nur drauf an, was man dem Kind für einen Namen gibt. Vormals hieß man's artig, witzig, aufgeräumt; nachher hieß man's übermüthig, tückiſch, boshaft. Und wo man früher Anzeichen von Mannhaftigkeit gelobt hatte, da ſah man jetzund nichts mehr als den hellen lautern Teufelstrotz.
28Mir iſt's von Anfang an ſo vorgekommen, ſelbiges Kind, ſagte der Fiſcher.
Da ſind deine Augen juſt für die Stiefmutter recht geweſen, Fiſcherhanne. Ich glaub 'auch, ſie hat dir die Augen abgekauft; ich will davon ſchweigen, aber du haſt immer einen Stein bei ihr im Brett gehabt, und ich weiß nicht, ob die Fiſche, die du ihr zugetragen haſt, immer aus dem klaren Waſſer gekommen ſind.
Selbige Augen, unterbrach ihn der andere Müller, hat ſie dann auch dem Sonnenwirth eingeſetzt, und da hat der alte Eſel ſeinen Sohn gleich in einem andern Licht geſehen.
Freilich, weil er immer ärger geworden iſt, ſagte der Fiſcher.
Mach 'kein' ſo krummen Kopf! Narr, er iſt ärger geworden, weil man ihn ärger gemacht hat. Und das muß man ſagen, für ſeine Schweſtern hat er ſich ritterlich gewehrt, und hat nicht leiden wollen, daß man ſie wie Stallmägd 'behandle.
Ja, und dann hat's eben wüſte Auftritte gegeben.
Ja, und dann hat er ſeine Mutter geprügelt, ſagte der Fiſcher.
Wenn er ihr doch nur ein Dutzend Rippen eingeſchlagen hätte! verſetzte der ältere Müller. Brauchſt's ihr aber nicht wieder zu ſagen, Fiſcherhanne, ſetzte er etwas erſchrocken hinzu, oder 'siſt aus mit der Freundſchaft. Du weißt, ein Menſch hat allezeit den andern nöthig.
Wie kam er denn aber zum Stehlen? fragte der Knecht.
Ich will's dir ſagen, fuhr der jüngere Müller fort. Wie er ſah, daß er doch immer den Kürzeren zog, weil ſein Vater auf Seiten der Stiefmutter war, ſo wollte er in die Fremde gehen, und begehrte einen Zehrpfennig nach Amerika.
Nach Amerika? rief der Knecht. Das iſt ja ein Weltskerl!
Der Alte aber, fuhr der Müller fort, war dazumal ſchon b'häb geworden und behielt die Schlüſſel zur Geldtruhe feſt im Sack; auch meinte er, der Bub ', der erſt vierzehn Jahr alt war, ſei noch zu jung zum Reiſen, und darin hatte er gänzlich Recht, denn der Bub' iſt nachher richtig auch nicht gar weit gekommen, und nicht gar lang fortgeblieben. Der aber meinte, was man ihm nicht gutwillig gebe, das könne er ja mit Gewalt nehmen, und beerbte ſeinen Vater vor der Zeit, noch eh 'ihm der Alte aus der Helle gegangen war.
29Oder aber, ſagte der ältere Müller, er hat als ſein eigener Rich¬ ter ſeine Jahr 'und ſeine Taſchen vollgemacht und eben ſein Mütter¬ liches eingeſackt.
Es iſt juſt wie man's anſieht. Ueber's Geld zu kommen und die Schlöſſer aufzumachen, war dem G'ſtudirten, wie ihn der da heißt, eine Kleinigkeit; er hatte ja dem Alten ſchon mehrmals den Spaß gemacht. Kurz und gut, er nahm ihm vierhundert Gulden, brachte ſie ihm aber nicht über's Bett.
Vierhundert und dreißig! fiel der Fiſcher ein.
Mein'twegen vierhundert und dreißig, wenn das Sündenregiſter voll ſein muß. Du mußt's ja wiſſen, denn du biſt der Erſte ge¬ weſen, Fiſcherhanne, der ihn des Einbruchs zieh.
Hab 'ich gelogen? fragte der Fiſcher.
Ja, die Wahrheit haſt du gelogen.
Dann iſt er durchgegangen? fragte der Knecht.
Ja, aber er kam nicht nach Amerika, ſondern bloß bis Heilbronn. Dort ließ er ſich bei den kaiſerlichen Huſaren anwerben, als Frei¬ williger. Pferd und Montur bezahlte er flott von ſeinem eigenen Geld. Wenn er nur bei ihnen geblieben wär '!
Iſt erſt noch wahr! rief der ältere Müller. Der Kerl hätt's zu was bringen können. Der? der hätt 'General werden können.
Iſt er denn deſertirt? fragte der Knecht.
Nein, aber nach zehn Wochen ſtach ihn der Fürwitz, ob man ihn zu Ebersbach vergeſſen habe, und da kam er mit einem Urlaubſpaß als Huſar angeritten. Das war ein Aufſehen! Dem Amtmann trotzte er ein Atteſtat ab, daß er von ehrlichen Leuten geboren ſei. Beweiſen konnte man ihm nichts, wiewohl das Geſchrei und der Verdacht wegen der vierhundert Gulden allgemein war, und Niemand wagte ihn zu greifen, den kaiſerlichen Huſaren, bis er im Hecht bei der Zeche ſchwediſche Ducaten, auch halbe Gulden blicken ließ. Dieſe verriethen ihn, denn ſie waren von ſeines Vaters Geld. Nun gab's Lärm im Ort. Der Frieder aber ſprang in den Sattel, jagte den Flecken auf und ab mit gezogenem Degen — den Fiſcherhanne hätt 'er ſchier gar erritten; er hieb nur einen Zoll zu kurz, ſo hätt' man ſehen können, ob du weißes Blut haſt oder rothes — und drohte mit ſechszehn andern Huſaren, mit denen er den Flecken beſetzen wolle. 30Die kamen aber nicht. Dem Amtmann ritt er vor's Haus, klopfte auf den Schenkel, höhnte und drohte. Von da ging's vor die Sonne, wo er's eben ſo machte. Kurz er trieb allen erdenklichen Uebermuth, wie ein losgelaſſener Eber; denn natürlich, er war betrunken. Wie er nun vollends ſeine Piſtolen losſchoß und niemand ſeines Lebens mehr ſicher war, da mußte die Bürgerſchaft ein Einſehen haben. Ich geſteh's, und es reut mich jetzt noch nicht: ich lud meine Flinte mit Schrot, der Zeiger Frank und der Spanner Eberhard, des Chirurgen Bruder, thaten deßgleichen — wer ihn eigentlich getroffen hat, weiß ich nicht. Aber er ſtürzte vom Gaul, wie ein Mehlſack. Das Pferd war hin, er ſelbſt hatte den linken Fuß voll Schrot, und alſo war's leicht mit ihm fertig werden.
Das iſt ja ein Mordkerl! rief der Knecht. Aber hat es Euch und den andern Schützen keine Angelegenheit gemacht, fragte er weiter, daß ihr der Obrigkeit ſo mir nichts dir nichts ins Handwerk gegriffen habt?
Bewahr '! lachte der Müller. Obrigkeit und Bürgerſchaft waren froh, daß ſie die Belagerung überſtanden hatten, und der Amtmann hat, glaub' ich, dem Vogt nichts davon berichtet, auf was Art der Sturm abgeſchlagen worden ſei.
Und ſeitdem, fragte der Knecht, ſitzt er im Zuchthaus?
Ich hab 'dir's ja geſagt, erwiderte ſein Herr, daß er jetzt zum zweitenmal drin iſt.
Was? Iſt er ſeinem Vater abermals über den Geldkaſten gegangen?
Nein, in dem Fach hat er ein Haar gefunden und hat ihm abgeſagt.
Man kann ihm nichts Böſes nachſagen, verſetzte der Fiſcher, bis auf das, was man nicht weiß. In einem Wirthshaus läßt ſich Manches verſchleppen, man kann da nicht ſo nachrechnen, wo die Sachen hinkommen. Ich möcht 'doch auch wiſſen, aus welchem Beutel er auf dem Tanzboden immer ſo dick gethan hat.
Ich glaub ', er hat dem Herzog hier und da einen Hirſch wegge¬ büxt, ſagte der jüngere Müller.
Ja, ja, rief der Fiſcher, die Flinte, die er als Bub 'von ſeinem Vater kriegte, hat ihre Früchte getragen. Das iſt die zweite ge¬31 fährliche Kunſt, die er ſchon gelernt hat, eh' er hinter den Ohren trocken war.
Nu, wenn's weiter nichts iſt, ſagte der ältere Müller, ſo wollt 'ich nur, er thät' alles wegbüren, was mit Geweih und Hauer in Wald und Feld ſpaziert. Das wär 'ein Verdienſt, für das man ihm, weiß Gott, bei allen Gemeinden im Ländle das Bürgerrecht geben dürfte.
Freilich, ſtimmte der Knecht ein, Wildern iſt keine Sünd ', nur darf's nicht herauskommen.
Und gegen dieſen feſten Glaubensſatz wagte ſelbſt der hartnäckig grollende Fiſcher nichts einzuwenden.
Was hat ihn denn zum zweiten Mal in das Ding da, das man nicht gern beim Namen nennt, gebracht? fragte der Knecht weiter.
Seine Gewaltthätigkeit, antwortete der Fiſcher.
Eine Prügelei, erwiderte der jüngere Müller gleichmüthig.
Was die Prügelei betrifft, da kann ich nicht wider ihn ſein, ſagte der Aeltere. Gib Acht, Peter, das mußt dir erzählen laſſen, das iſt ein Staatsſtückle. Der Kreuzwirth — den kennſt du ja, er hat ſei¬ nen Namen nicht umſonſt, denn er iſt gar ein frommer Kreuzträger und eine wahre Kreuzſpinne dabei — der hatte von jeher ein ſcheeles Aug 'auf den Frieder gehabt.
Auf den Alten auch. Der verzeiht's ihm heut 'noch nicht, daß er ihn beim Kirchenconvent angebracht, weil er einen Ochſen ge¬ ſchlachtet hatte am Sonntag. Der Sonnenwirth wurde damals um ein Pfund Heller geſtraft.
Auch den Frieder, fuhr der ältere Müller fort, hat er einmal bei ſeinem Vater verſchwätzt, ſo daß er Hiebe von ihm kriegte. Der Alte hat nachher ſelber eingeſtanden, er habe dasmal ſeinem Sohn Unrecht gethan.
Ja, fiel der Jüngere ein, ich hab's mit meinen eigenen Ohren gehört, und ich war dabei, wie er zum Frieder ſagte, er ſolle es nur dem Kreuzwirth bei Gelegenheit wieder eintränken.
Und die iſt auch gekommen, fuhr der Aeltere fort. Denn ſo eine Teufelsgelegenheit bleibt niemals aus. Nun, was geſchieht? Auf dem Heimweg vom Kirchheimer Markt trifft der Frieder mit dem Kreuz¬ wirth zuſammen, und der fängt an ihn zu hänſeln und zu rätzen,32 denn ſo gottſelig er ſich ſtellt, das Necken und das Kratzen kann er nicht laſſen. Zuletzt, wie er noch nicht genug hatte, kommt er auch auf die Zuchthausſtrafe, die der Frieder durchgemacht hatte, und ſagt zu ihm: Du biſt ein ganz geſchickter Kerl, dir kann's nicht fehlen, du verſtehſt ja zwei Handwerk ', das Metzgen und das Wellkardätſchen; wenn dir's in einem fehlſchlägt, ſo kannſt du dich auf das andere werfen. — Er das ſagen, und der Frieder ihn am Kragen nehmen und zu Boden werfen, das war eins. Der hat Prügel gekriegt! Nun, der Fiſcher weiß ja, was der Bub' für eine Tatze hat.
Es iſt ihm Recht geſchehen, ſagte der jüngere Müller. Einen Gefallenen muß man aufheben und nicht noch tiefer niederdrücken.
Paß nur auf, Peter, jetzt kommt erſt der Hauptſpaß, fuhr der Aeltere fort. Wie er ihn genug geprügelt hatte und ausſchnaufen mußte, ſo ſagt 'er zu ihm, er ſolle ihm jetzt verſprechen, daß er deſſent¬ wegen nicht klagbar werden wolle. Der Kreuzwirth, am Boden, ver¬ ſpricht's mit Ach und Krach, und ſchwört's ihm hoch und theuer. Der Frieder aber, wie er den Schwur hört, fällt er abermals mit neuer Kraft über ihn her. Sieh, meineidige Canaille, ſagt er, ich weiß, daß du doch nicht Wort hältſt, und dafür will ich dich gleich im Voraus prügeln.
Das iſt ja ein Fetzenkerl! rief der Knecht mit ungeheuchelter Be¬ wunderung aus.
Der Kreuzwirth klagte auch richtig beim Amt, und da kam eben mein Frieder noch einmal auf ein halb Jahr nach Ludwigsburg.
Es heißt von ihm, wie vom Eſau, ſagte der Fiſcher: „ Seine Hand war wider Jedermann und Jedermanns Hand wider ihn. “
Haſt das fromme Sprüchle vom Kreuzwirth gelernt? ſpottete der jüngere Müller. Nein, fuhr er fort, dem haben ſeine Prügel gebührt, und ich bin dem Frieder nicht Feind darum. Wenn nur die Schand 'nicht wär', denn Zuchthaus iſt eben einmal Zuchthaus.
Meint Ihr, Vetter? rief der Aeltere. Es kommt auch darauf an, von wegen was man in's Zuchthaus kommt. Und wenn Einer ſonſt guter Leute Kind iſt, ſo kann man ſo einen Unſchick wieder vergeſſen. Wenn er jetzt unter eine tüchtige Hand käm 'und gehobelt würde — in zehn Jahren könnt' er der angeſehenſte Mann ſein und thät 'kein33 Hahn mehr darnach krähen, daß er in ſeinen jungen Jahren hat das Wollkardätſchen erlernen müſſen.
Ein raſcher Hufſchlag unterbrach das Geſpräch. Der jüngere Müller trat ans Fenſter. Was der Sonnenwirth noch ſtet auf dem Gaul ſitzt, bemerkte er. Er muß einen guten Handel gemacht haben; er ſitzt ſo aufrecht und trägt die Naſe ſo hoch.
Nun kam die Hausfrau herein mit einem weißen Tuch auf dem Arm. Ihr folgte Magdalene mit dampfenden Schüſſeln. Ein Tiſch in der andern Ecke des Zimmers wurde gedeckt und das Eſſen auf¬ getragen. Das Geſinde erſchien, Knechte und Mägde. Draußen hörte man die befehlende Stimme des Hausherrn. Endlich trat er ſelber ein, unterſetzt und etwas beleibt, in Geſtalt und Angeſicht ſei¬ nem Sohne ähnlich. Aus ſeinen Geſichtszügen ſprach derſelbe Trotz, derſelbe Eigenſinn, nur daß dieſer Ausdruck bei ihm, dem gebietenden Herrn des Hauſes, mehr das Bewußtſein der anerkannten Rechtmäßig¬ keit und eben darum auch mehr herriſche Strenge hatte. Wenn man jedoch ſein Geſicht näher prüfte, ſo fand man, daß die innere Natur¬ kraft nicht ſo groß war als das Anſehen, das er ſich geben zu müſſen glaubte. Er grüßte die Gäſte kurz und ſetzte ſich ohne viele Um¬ ſtände mit ſeinen Hausgenoſſen zu Tiſche. Für ihn wurde beſonders aufgetragen und ein Teller mit Beſteck lag vor ihm, während die andern alle, die Hausfrau nicht ausgenommen, gemeinſam aus der Schüſſel ſpeisten.
Unter dem Geklirr der Löffel flüſterten die Gäſte zuſammen, und manche bittere Bemerkung, manche boshafte Spottrede wurde den Eſſenden, ohne daß ſie es hörten, als Tiſchſegen zugeworfen.
Der Sonnenwirth meint, man müſſe es für eine Gnad 'halten, wenn man nur in ſeinem Haus noch trinken dürfe, ſagte der ältere Müller.
Wenigſtens ein anderer Wirth, erwiderte der Jüngere — wenn er auch noch ſo hungrig und durſtig iſt, ſetzt er ſich ein Vaterunſer¬ lang zu den Leuten hin, und wenn er auch weiter nichts ſagt als „ Auch hieſig? “und „ Thut's ſo bei einander? “und „ Wohl bekomm's! “ſo ſieht man doch, daß er Lebensart hat, und dann kann er ja wieder aufſteh'n und ſeinem Geſchäft nachgehen. Aber der! Ja, wenn wir Pfarrer wären oder Schreiber, ſo würd 'er ſich eine Ehr' d'rausD. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 334machen. Aber wir ſind eben nicht weit her, wir ſind ja bloß ſeine Mitbürger.
Seht nur die Alte, Vetter! ſagte der Aeltere, und ſtieß ihn an. Seht, wie ſie ihren Leuten auf die Mäuler guckt, wie ſie ihnen die Biſſen zählt, wie ſie dem Löffel, der aus der Schüſſel kommt, mit den Augen nachfolgt. Was ſie für ein Geſicht macht, wenn ſie meint, es hab 'eins zu voll geladen oder komm' zu oft angefahren.
Halt, jetzt iſt die Sippſchaft erſt vollſtändig, jetzt kommt der Freier! unterbrach ihn der Jüngere, verſtohlen mit dem Finger auf einen Mann mit ſpitzem, knochigem Geſichte deutend, der, mit einem hell¬ grünen Leibrock angethan, in's Zimmer trat und ſich nach einer ſtatt¬ lichen Begrüßung an einen Tiſch zunächſt dem Speiſetiſche ſetzte.
Schau, ſchau! der grüne Chirurg! erwiderte der Andere. Der macht Kratzfüß '! Was die Alte ihr Spinnengeſicht umwandelt, als ob ſie Honig und Marzipan gefreſſen hätt'. Sogar der Sonnenwirth nickt ihm freundlich zu, die Sache muß richtig ſein. Aufgepaßt, Vetter! Seht Ihr, wie ihm die Alte ein Tellerlein füllt und zwar von des Sonnenwirths eigenem Eſſen. Ja, ja, mit Speck fängt man Mäuſe. Was er Complimente macht! Er will's nicht annehmen, aber die Eſſensſtunde hat er ſich wohl gemerkt, der Schmarotzer.
Er will eben von der Gelegenheit profitiren, ſo lang ſie da iſt. Er weiß wohl, daß nicht alle Tag 'Kirchweih' iſt. Wenn er einmal ernſtlich angebiſſen hat, ſo wird man ihm das Gaſthütlein ſchon her¬ unterziehen und dann kann er die Finger darnach lecken.
Ihr könnt die Leute recht heruntermachen, ſagte der Fiſcher. B'hüt 'Gott bei einander, ich will nur heimgehen, ſonſt werd' ich noch an¬ geſteckt.
Gut 'Nacht, Fiſcherhanne, und halt' reinen Mund.
Weſſ 'Brod ich eſſ', deſſ 'Lied ich ſing'! verſetzte der Fiſcher etwas zweideutig, und wandte ſich mit einem „ G'ſegn 'Gott “, das er dem Speiſetiſche zurief, nach der Thüre.
In dieſem Augenblick ging die Thüre auf und herein trat der Sohn des Hauſes. Aus ſeinem von der Wanderung gerötheten Ge¬ ſichte leuchtete das verklärende Gefühl einer guten That, einer That, welche dem Himmel die erſte Genugthuung für bisher begangene tritte darbieten ſollte. Dieſer Ausdruck gab ſeinem Geſicht eine auf¬35 fallende Aehnlichkeit mit den Zügen ſeiner Schweſter. Da ſtieß er unter der Thüre auf den Fiſcher, der ihm wie ein böſes Vorzeichen entgegen trat, und ſein Geſicht verfinſterte ſich. Einen Augenblick maß er ihn ſchweigend mit den Augen. Du auch da, Giftmichel? ſagte er, indem er an ihm vorüberging. Der Fiſcher fletſchte die Zähne gegen ihn und machte ſich hinaus.
Friedrich blieb ein wenig ſtehen, um ſich zu ſammeln; dann nä¬ herte er ſich dem Tiſche und trat zu ſeinem Vater, der bereits durch einen Wink der Frau auf ihn aufmerkſam gemacht worden war und ihm ſchweigend entgegen ſah.
Grüß 'Gott, Vater! redete er ihn an. Da bin ich wieder, und verſprech' Euch, daß es mit Gottes Hilfe nun anders werden ſoll, denn ich bin nun kein Kind mehr, und wenn ich Euch bisher oft durch meinen Unverſtand betrübt habe, ſo hab 'ich mir jetzt vorge¬ nommen, Euch hinfüro ein treuer gehorſamer Sohn zu ſein.
Mach 'nicht ſo viel Redensarten! ſagte der Alte. Wenn dir's Ernſt iſt, ſo thu's, ohne davon zu reden; aber verſprich nichts, was du nicht halten kannſt. Setz' dich und iß.
Ja, Vater, aber ich hab 'zuvor eine großmächtige Bitte, fuhr Friedrich fort, ohne ſich durch den Empfang irre machen zu laſſen. Ich möcht' eine Seele vom Verderben retten, und das kann ich nicht, wenn Ihr mir nicht dazu helft.
Der Alte erhob ſein Geſicht. Die Stiefmutter ſah ihn mit ge¬ ſpannter Neugier und finſterer Miene an. Er hatte ſie noch nicht begrüßt, er hatte nur für ſeinen Vater Augen gehabt.
Ihr meint gewiß, Vater, ſprach er weiter, da wo ich herkomme, hab 'ich nur lauter ſchlechtes Zeug gelernt. Aber ſo iſt's nicht, viel¬ mehr bin ich in gute Hände gerathen und hab' Chriſtenthum gelernt. Ich hab 'gelernt, daß jeder gute Chriſt und redliche Menſch ſeinen verachteten Mitbrüdern aufhelfen müſſe. Weil das aber nicht einer für alle thun kann, ſo mein' ich, es ſei genug, wenn ein Menſch oder eine Familie ſich eines Einzigen annimmt.
Wo will denn das hinaus? fragte der Alte barſch.
Vater, ich hab 'Euch einen Menſchen mitgebracht, der keine Hei¬ math hat, eine vater - und mutterloſe Waiſe; denn das iſt er, und wenn auch ſeine Eltern noch leben. Und ich bitt' Euch, ſo lieb Euch3 *36Euer Sohn ſein mag, der Euch freilich ſchon Kummer und Verdruß genug gemacht hat — ſo lieb es Euch ſein mag, daß der ungerathene Sohn noch was Ordentliches in der Welt werde, ſo hoch bitt 'ich Euch, Vater: laßt den Menſchen, den ich mitbringe, als Euren Knecht in Eurem Hauſe ſein.
Wo iſt er denn? fragte der Alte ungeduldig.
Er wartet hinterm Haus am Garten.
Die Stiefmutter gab dem Chirurgus einen Wink und er ſchlich ſich unbemerkt hinaus.
Wer iſt er denn? fragte der Alte weiter.
Friedrich ſchwieg eine Zeitlang in ſichtlicher Verlegenheit; die ſieges¬ frohe Zuverſicht, die er bei ſeinem Eintreten gezeigt hatte, war allmäh¬ lich von ihm gewichen. Vater, hob er endlich an, Ihr werdet in Eu¬ rem Herzen nicht ſogleich die Stimme finden, die für ihn ſpricht. Man hat gegen dieſe Leute Manches einzuwenden, und das iſt auch kein Wunder, denn man behandelt ſie auch darnach.
Mach's kurz und gut, rief der Alte und ſchlug, auf den Tiſch Was iſt das vor eine Manier? Wenn's was Rechtes iſt, ſo ſag's frei heraus, und iſt's was Dummes, ſo halt 'das Maul! Was brauchſt du mir durch die Ränkeleien da das Eſſen zu verderben.
Indeſſen war der Chirurg wieder eingetreten. Es iſt ein Zigeuner, ſagte er langſam und nachdrücklich, indem er zu dem Tiſch trat.
Ein Zigeuner? rief die Stiefmutter und ſchlug ein gellendes Ge¬ lächter auf. Die beiden Müller und der Knecht, welche aufmerkſam zugehört hatten, lachten aus vollem Halſe mit. Auch das Geſinde am Tiſche ſtimmte in das Gelächter ein, doch nur allmählich und ſchüch¬ tern, da der Sonnenwirth nicht mitlachte, ſondern die Stirne in dräu¬ ende Falten gelegt hatte. Magdalene war mit einem wehmüthigen Blick auf den Bruder hinausgegangen.
Ich weiß wohl, Vater, daß es eine Zumuthung iſt, fuhr Friedrich unerſchrocken fort. Aber ſoll's denn der arme Teufel büßen, daß ſeine Eltern Zigeuner geweſen ſind?
Der Chirurgus unterbrach ihn. Das hängt vielleicht, ſagte er mit etwas näſelnder Stimme, das hängt vielleicht mit der Prädeſtination zuſammen, die der Herr Pfarrer predigt.
37Ich red 'mit meinem Vater und nicht mit Ihm! warf Friedrich ſtolz von der Seite dem Chirurgus zu. Wie kann man denn ver¬ langen, daß dieſe Leute ehrlich werden ſollen, wenn man nicht endlich einen Anfang mit ihnen macht? Und wie kann man denn anders anfangen, als mit dem chriſtlichen Zutrauen, das man in einem chriſt¬ lichen Hauſe einem von dieſen armen Leuten ſchenkt? Wenn man dann in Einem Haus angefangen hat, ſo machen's die andern nach, und eben darum ſprech' ich zu Euch, Vater, weil Ihr ein angeſehener Mann ſeid, und ein Beiſpiel geben könnt.
Die Stiefmutter hatte inzwiſchen Blick und Winke mit dem Chi¬ rurgus ausgetauſcht. Wie ſieht er denn aus? fragte ſie jetzt mit dem Tone der Neugier.
Er ſchielt auf einem Aug 'und ſieht aus wie ein leibhaftiger Galgenvogel, antwortete der Chirurgus.
Was will denn Er? fuhr Friedrich erzürnt herum. Wenn man Ihn auf ein Erbſenfeld ſetzen thät ', ſo könnt' man vor den Spatzen ſicher ſein.
Der alte Sonnenwirth fuhr auf und verſetzte ſeinem Sohne eine derbe Ohrfeige: Ich will dir unartig gegen meine Gäſte ſein. Man muß dir die Aeſte abhauen, wenn du zu krattelig wirſt. Halt's Maul jetzt und pack 'dich. Ich will dich heut' nicht mehr vor Augen haben. Das käm 'mir geſchlichen, einen Zigeuner in's Haus zu nehmen. Das wär' eine Geſellſchaft für dich.
Friedrich ſah ſeinen Vater an. Einen Augenblick hatte ſeine Hand gezuckt; dann aber wandte er ſich ruhig nach der Thüre. Ich glaub ', ich wollt', ich wär 'wieder im Zuchthaus, ſagte er, während er hin¬ aus ging.
Die beiden Müller zahlten ihre Zeche und ſtanden auf. Der Sonnenwirth, der ſich ebenfalls erhoben hatte, wünſchte ihnen, freund¬ licher als zuvor, gute Nacht. Der Burſch iſt doch ziemlich mürb ge¬ worden, ſagte er zu dem Aelteren: er hat nicht gegen die Ohrfeige rebellirt, und es hat den Anſchein, als ob er jetzt das vierte Gebot in Ehren halten wollte.
Der Müller, geſchmeichelt durch dieſe vertrauliche Anrede, blieb etwas zurück, während der Jüngere nebſt dem Knechte die Wirthsſtube verließ. Ja, ſagte er zum Sonnenwirth, der Frieder iſt nicht ſo un¬38 recht, man wird's noch erleben. Was, die Zigeunergedanken werden ihm ſchon vergehen. Um den iſt mir's gar nicht Angſt. Man muß ihn eben jetzt noch ein wenig kurz aufzäumen, dann wird er ſchon gut thun. Und das biſle Ungelegenheit, das er in ſeiner unver¬ ſtändigen Jugend gehabt hat, wird ihm unter vernünftigen und chriſt¬ lich denkenden Leuten in's Künftige nicht aufgerechnet werden. Er iſt ja guter Leute Kind. Ja, ja, Herr Sonnenwirth, der kann ſich einmal ſeine Frau holen, wo er will. Wofern aber jemals eins ſo thorecht ſein wollt 'und wollt' ein Haar in der Partie finden, ſo will ich nur ſo grob ſein und will's frei herausſagen, Herr Sonnenwirth: für mein Gretle wär 'er mir immerhin gut genug. Jetzt habt Ihr ge¬ hört, wo Ihr anklopfen könnt, wenn Ihr keine beſſere Schmiede wiſſet.
In dem Geſicht des Alten, das erſt ganz wohlgefällig ausgeſehen hatte, zog allmählich der Ausdruck unendlichen Spottes auf. Er ſah den Müller mit halb zugekniffenen Augen an, ſo daß dieſer in Verlegen¬ heit gerieth und die Hände aus den Wamstaſchen, wo ſie während ſeiner Rede geſteckt hatten, hervorholte. So, meint Ihr? erwiderte er trocken und ſtieß dann ein hochmüthiges Gelächter aus.
Nichts hab 'ich gemeint! rief der Müller wüthend. Ihr konnt meinethalben Euren Galgenſtrick verknöpfeln und verbandeln, wo Ihr wollt. Er ging und ſchlug die Thüre hinter ſich zu, daß das Haus davon erdröhnte.
Indeſſen war Friedrich zu dem Zigeuner hinabgegangen, der, ver¬ abredeter Maßen ſeines Beſcheides harrend, an dem Gartenzaune lehnte. Er reichte ihm ein Fläſchchen, ein Brod, eine Wurſt und ein Stück¬ chen Geld. Das letztere hatte er ſich unterwegs von ſeiner Schweſter geben laſſen; bei den Lebensmitteln mochte ihm in etwas uneigentlicher Form die Lehre des Waiſenpfarrers vorgeſchwebt haben. Da nimm, iß und trink, ſagte er mit einer ſonderbaren Haſt und Heftigkeit: und dann mach ', daß du zum Teufel kommſt.
Der Zigeuner griff gleichmüthig zu, dann heftete er ſein ſcheeles Auge auf den Wohlthäter. Was, und mit dem Dienſtle iſt's nichts? ſagte er.
Schweig 'ſtill und mach' mich nicht ſcheu! Ich bin ſo ſchon wild genug. Trink 'deinen Kirſchengeiſt! Sieh, ich hab' dir Wort gehal¬ ten, ſo viel an mir geweſen iſt.
39Der Zigeuner ſchnitt eine höhniſche Fratze: Blitz und Mord! rief er, ſo wohlfeile Verſprechen kann mir ein Jeder thun und mich ein paar Stunden um führen. Ich ſeh 'ſchon wie's ſteht. Das Chriſten¬ thum hat, ſcheint's, auf einmal ein Loch gekriegt und, nach dem einen feurigen Backen zu ſchließen, gar noch einen Plätz auf das Loch.
Friedrich ſtieß einen Schrei aus, wie nur der tollſte Jähzorn ihn eingeben kann, warf ſich über den Zigeuner her und ließ ihn ſeine Fauſt aus Leibeskräften fühlen. Der Zigeuner war bloß darauf be¬ dacht, ſein Fläſchchen vor Schaden zu hüten, übrigens wehrte er ſich nicht gegen die Schläge, die er in reichlichem Maße bekam, ſondern brach ſtatt deſſen in ein ſchallendes Gelächter aus.
Bei dieſem Lachen hielt Friedrich betroffen inne. Hund, was lachſt? fragte er zornig.
Der Zigeuner ſchüttelte ſich. Herzensbruder, ſagte er, ich muß lachen, daß dich das Mitleid und der Jammer zum Prügeln treibt. So was iſt mir noch nie vorgekommen.
Er leerte das Fläſchchen auf Einen Zug, ſchleuderte es mit einem Juhu hoch empor, und während es klirrend zu Friedrich's Füßen nie¬ derfiel, ſchallte das Jodeln des Zigeuners ſchon aus einiger Ferne herüber. Verblüfft ſtarrte ihm Friedrich nach.
Es war inzwiſchen dunkel geworden. Friedrich wollte eben in's Haus zurückkehren, als er eine Geſtalt herausſchlüpfen ſah, in der er ſeine Schweſter Magdalene erkannte. Sie ging in das Gärtchen und er hörte ſie dort am Brunnen Waſſer pumpen; denn es iſt eine un¬ löbliche Gewohnheit der Leute, das Waſſer, das ſie Morgens friſch haben könnten, Abends zu holen und über Nacht ſtehen zu laſſen. Bald aber hielt ſie in dieſer Verrichtung inne und fing leiſe zu weinen an. Er wollte zu ihr treten, da kam jemand aus dem Hauſe nach¬ gegangen, horchte eine Weile umher, fuhr, ohne ihn zu be¬ merken, in's Gärtchen hinein, und die gellende Stimme der Stief¬40 mutter rief: Wo bleibſt du denn, lahmes Menſch? Was dröhnſeſt da ſo lang '?
Magdalene antwortete mit ſtockender und gedrückter Stimme.
Was? Ich will nicht hoffen, daß du heulſt! fuhr die Stiefmutter ſie an.
Das Mädchen ſchwieg.
Was haſt du denn? fragte die Alte hart und lieblos weiter. Als das Mädchen abermals keine Antwort gab, rief ſie: Das muß was Beſonder's ſein. Der Herr ſuche mich nicht ſo ſchwer heim, und laſſe mich's nicht erleben, daß du dich am End 'gar vergangen haben wirſt.
O, Mutter, rief Magdalene, die hier plötzlich ihre Stimme fand, wie könnt Ihr mich ſo verſchänden! Ihr ſolltet Euch der Sünde fürchten, ſo etwas ſo laut vor der Nachbarſchaft zu ſagen, da Ihr doch wißt, wie ungerecht Euer Gerede iſt. Ihr müßt's ja ſelber am Beſten wiſſen, daß ich Euch niemals aus den Augen gekommen bin.
Nun, nun, ich will ja weiter nichts geſagt haben, als daß das Heulen und Aunxen überflüſſig iſt, wenn man ein gut Gewiſſen hat.
Mein Gewiſſen iſt gut, erwiderte Magdalene unmuthig. Wenn nur auch alles Andere ſo gut wäre.
Ei was, es ſteht Alles gut. Mach 'jetzt nur, daß du in's Bett kommſt. Du mußt morgen mit hellen Augen und rothen Backen auf¬ ſtehen, weißt wohl warum.
O, Mutter, ſeid barmherzig und bringt den Vater auf andere Ge¬ danken! Auf meinen Knieen wollt 'Euch anflehen, wenn ich wüßte, daß es bei Euch anſchlüge.
Still mit den Narretheien da!
Mutter, ich hab 'einen Abſcheu vorm Heirathen. Ich will Euch bei den höchſten drei Namen ſchwören, ledig zu bleiben mein Leben lang.
Damit wär 'mir gedient! rief die Stiefmutter mit höhniſchem Lachen. Was ein recht's Mädle iſt, das hat eine wahre Begier auf's Heira¬ then, und kann nicht bald genug eine eigene Haushaltung überkommen wollen, um darin thätig und fleißig zu ſein nach eigenem Sinn. Ein recht's Mädle ſucht ſeinen Eltern vom Hals zu kommen, ſobald es kann, und will nicht als eine unnütze Brodeſſerin zu Haus auf der faulen Haut liegen.
41Lieg 'ich auf der faulen Haut? entgegnete Magdalene vorwurfsvoll. Werd' ich nicht gepudelt vom frühen Morgen bis in die ſpäte Nacht? Hab 'ich das bisle Eſſen nicht ſo gut verdient, wie wenn ich Eure Magd wär'?
Nun, ſo ſei froh, daß du jetzt beſſere Tage kriegſt.
Ich will keine beſſere Tage, ich bin ja zufrieden. Ich will noch härter arbeiten, will Euer Kehrbeſen ſein und Eure Ofengabel, will ſchlumpen und pumpen, nur laßt mich bleiben wie ich bin.
Das wär 'ein Kunſtſtück! Bin ich eine Hex'? Kann ich dich halten, daß du bleibſt heut 'wie geſtern, und morgen wie heut? Kann ich's verhindern, daß du eine alte Jungfer wirſt?
Eine alte Jungfer kann auch in Himmel kommen.
Ja, aber durch's Nebenthürle. Und jetzt hör 'auf mit dem Ge¬ ſchwätz. Es iſt eine Ehr' für dich, daß dich der Chirurgus nehmen will, ſo ein Herr! Wart ', wenn du an ſeinem Arm daher ſtratzen kannſt, das wird eine Hoffärtigkeit ſein! Du verdienſt's gar nicht, daß es ſo hoch hinaus ſoll mit dir!
Freilich verdien 'ich's nicht! Er ſoll eine Andere nehmen, meinet¬ wegen die verwitwete Herzogin, die thät vielleicht beſſer für ihn paſſen.
Was haſt du gegen den Chirurgus? rief die Sonnenwirthin zornig. Was kannſt du wider ihn ſagen?
O Mutter, begann das Mädchen nach einer Weile mit bebender Stimme, denkt an Eure eigene Jugend zurück — er iſt ſo alt — und ſo —
Du wüſte Strunz du! rief die Sonnenwirthin. So, da liegt der Haſ 'im Pfeffer? Der Ehſtand iſt eine chriſtliche Anſtalt, dem Herrn zum Preis, und nicht für Ueppigkeit und Fleiſchesluſt. Wenn du ſo lüderliche Gedanken haſt, ſo bet' daß ſie dir vergehen, oder behalt ſie wenigſtens bei dir und ſchäm 'dich. Wenn die Leut' wüßten, daß du ſo fleiſchlich denkſt, ſie thäten mit Fingern auf dich zeigen.
Magdalene ſchluchzte: O Mutter, Mutter!
Ja, Mutter! ſpottete jene. Ich weiß wohl was Jeſus Sirach einer Mutter einſchärft im Sechsundzwanzigſten: „ Iſt deine Tochter nicht ſchamhaftig, ſo halte ſie hart, auf daß ſie nicht ihren Muthwillen treibe, wenn ſie ſo frei iſt. Wie ein Fußgänger, der durſtig iſt,42 lechzet ſie, und trinkt das nächſte Waſſer, das ſie krieget, und ſetzet ſich wo ſie einen Stock findet, und nimmt an was ihr werden kann. “
Paßt das auf mich? Ich will ja lieber gar Keinen! rief Magda¬ lene laut weinend.
Ohne ſich irre machen zu laſſen, fuhr die Sonnenwirthin fort: Ich bin auch jung geweſen, aber in der Furcht Gottes, und ſo fre¬ ches Zeug iſt mir nicht im Schlaf eingefallen, geſchweige daß es mir über die Lippen gekommen wäre. Dein Vater, wie ich ihn genommen hab ', iſt auch kein heurig's Häsle mehr geweſen. Im Gegentheil, dein Bräutigam iſt dir noch näher im Alter. Wo iſt der Menſch, dem's in der Welt nach ſeinem Kopf geht? Ein Chriſt muß ſich in das ſchicken, was unſer Herrgott über ihn verhängt. Jetzt heul', ſo viel du willſt, heul 'mein'thalben die ganze Nacht da unten. Aber morgen hat's ein Ende mit dem Heulen, oder wenn's dich zu ſauer ankommt, ſo wird dir dein Vater ſchon ein freundlich's Geſicht heraus bringen helfen, du weißt, er hat Mittel und Wege. Jetzt gut' Nacht, Jungfer Braut.
Die Alte ſchoß a