PRIMS Full-text transcription (HTML)
Deutſche Bibliothek.
Sammlung auserleſener Original-Romane.
IV. Der Sonnenwirth .
Frankfurt a. M. Verlag von Meidinger Sohn & Cie. 1855.

Druck von Aug. Oſterrieth in Frankfurt a. M.

[I]
Der Sonnenwirth .
Schwäbiſche Volksgeſchichte aus dem vorigen Jahrhundert.
Frankfurt a. M. Verlag von Meidinger Sohn & Cie. 1855.
[II]

Druck von Aug. Oſterrieth in Frankfurt a. M.

[III]

Die Quellen, welche den Gegenſtand der nachfolgenden Erzählung behandeln, ſind:

Acta von dem inn und außer Lands bekannten Ertzbößwicht Friderich Schwahn, einem Sohn des Sonnenwirth Schwahnen allhier. (Amtliche Protokolle und Aufzeichnungen, oberamtliche Erlaſſe, mit Beſchlag belegte Privatbriefe ꝛc., von 1750 57, auf dem Rathhauſe des vormaligen herzoglich wirtembergiſchen Amtsfleckens Ebersbach, Göppinger Stabs, aufbewahrt, von dem jetzigen Schultheißenamte daſelbſt dem Erzähler zur Durchſicht verſtattet. Sehr lückenhaft; die für die Erzählung bedeutendſten Acten fehlen. Auch das noch vorhandene Gerichtsprotokoll aus jenen Jahren bietet nicht die geringſte Ausbeute dar.)

Actum den 26. Junii 1750 in Praesentia der Ordinari Censurrichter. (Verhandlung, enthalten in einem Kirchencon¬ vents-Protokollbuch der Pfarramtsregiſtratur ebendaſelbſt, welches die Zeit vom Mai 1750 bis December 1775 umfaßt. Der vor¬ hergehende, für die Erzählung wichtigere Band iſt nicht mehr vorhanden.)

(Acta, den Joh. Fr. Schwan von Ebersbach betreffend, ſind in dem Inhaltsverzeichniß der Regiſtratur des jetzigen Oberamts¬ gerichts Göppingen angegeben, haben ſich aber in der Regiſtratur ſelbſt nicht mehr gefunden.) —IV—Inquiſitions-Protocollum, betreffend den ſogenannten Son¬ nenwirthle, 7. März 20. Juni 1760. (Geführt von dem Unterſuchungsrichter Oberamtmann Abel in Vaihingen an der Enz, und aufbewahrt auf der Kanzlei des jetzigen dortigen Oberamtsgerichts. Dabei befindet ſich noch eine eigenhändige, mit Bleiſtift gefertigte Aufzeichnung des Inquiſiten ſelbſt, Ergän¬ zungen ſeiner Ausſagen enthaltend.)

Wöchentliche Anzeigen von Neuigkeiten, die das ganze Land betreffen. 1750 57. Wöchentliche Nachrichten von allerhand Sachen, deren Bekanntmachung dem gemeinen Weſen nützlich und nöthig ſind. 1758 59. (Amtliche Zeitung für das Her¬ zogthum Wirtemberg, auf der Staatsbibliothek in Stuttgart auf¬ bewahrt, unter Anderem auch die Juſtizanzeigen u. dgl. enthal¬ tend. Der Jahrgang 1760, der für die Erzählung von Bedeu¬ tung wäre, fehlt.)

Friedrich Schiller's Verbrecher aus verlorener Ehre. (Ge¬ ſchrieben zu Dresden 1786 und zuerſt in der Thalia erſchienen. Die Eigenſchaft einer wahren Geſchichte , die der Dichter dieſer von ihm wenig beachteten Nebenarbeit beilegte, kommt ihr in ſo fern zu, als ihr Inhalt ſich möglicher Weiſe im Leben ereignet haben könnte; in dem gewöhnlichen Sinne aber, den man unter dieſer Bezeichnung verſteht, iſt ſie gerade nicht wahr, ſondern von Anfang bis beinahe zu Ende Roman, d. h. Erfin¬ dung ohne geſchichtliche Grundlage. Zu bemerken iſt auch, daß der durch Schiller's Novelle in der Leſewelt eingebürgerte Titel Sonnenwirth der Geſchichte wie dem ſchwäbiſchen Sprachge¬ brauche nicht entſpricht und vielmehr Sonnenwirthle , d. h. der Sohn des Sonnenwirths, heißen ſollte. Wie aber ein großer Dichter, zumal wenn ſein Ruhm die amtlichen Kreiſe erfaßt hat, nicht nur große Wahrheiten, ſondern auch kleine Irrthümer verbreiten kann, das erhellt aus der Beſchreibung des Ober¬—V— amts Göppingen, herausgegeben von dem Königlichen ſtatiſtiſch - topographiſchen Bureau, Stuttgart und Tübingen 1844 , in welcher bei der Ortsbeſchreibung von Ebersbach auf Treu 'und Glauben geſagt wird: Auch iſt bemerkenswerth, daß es der damalige Beſitzer der hieſigen Gaſtwirthſchaft zur Sonne, Chr. Wolf, war, welchen Schiller in ſeinem Verbrecher aus verlorener Ehre pſychologiſch dargeſtellt hat. Gewiß würde Schiller, wenn er als Flüchtling geahnt hätte, daß dereinſt eine Staatsbehörde einer Heimath aus ſeiner Novelle ſtatiſtiſche Angaben ſchöpfen würde, dieſelbe nicht eine wahre Geſchichte betitelt haben.)

Sammlung und Erklärung merkwürdiger Erſcheinungen aus dem menſchlichen Leben, von Jakob Friedrich Abel, Profeſſor der Philoſophie an der hohen Carls-Schule. Zweiter Theil. Geſchichte eines Räubers. Geſchichte einer Räuberin. Stutt¬ gart 1787. (Der Verfaſſer war der Sohn des vorhin genann¬ ten Oberamtmanns von Vaihingen und Schiller's Lehrer an der Carls-Akademie. Seine Darſtellung iſt pſychologiſch-moraliſch, ſein philoſophiſcher Standpunkt, der Zeit gemäß, ein Verſuch einer Vermittlung zwiſchen Aufklärung und Orthodoxie. Ein leiſes Ankämpfen gegen die ein Jahr zuvor veröffentlichte unge¬ ſchichtliche Behandlung des Stoffes durch ſeinen berühmten Schüler und Freund iſt unverkennbar, beſonders da, wo der Ver¬ faſſer ſeinen Vater und ſeine auf den Fang des gefürchteten Räubers ſtolze Geburtsſtadt Vaihingen, welche beide bei Schiller nicht ungerupft weggekommen ſind, in das verdiente Licht der Wahrheit ſtellt. Die Ordnung, die er den Begebenheiten an¬ weist, ſtimmt nicht immer genau mit den Acten, die hierin allein maßgebend ſein können, überein; an einer Hauptſtelle iſt er, durch Schiller verführt, halb von dem geſchichtlichen Pfade ab¬ gekommen; aber die perſönliche Bekanntſchaft mit dem Gegen¬ ſtande ſeiner pſychologiſchen Darſtellung und die humane Ge¬—VI— ſinnung, die ihm bei derſelben die Feder gelenkt, machen ſein Werk zu der einzigen Quelle, welche neben der äußerlichen Richtigkeit der Thatſachen auch Beſtandtheile innerer Wahrheit hat. Den Hergang des Mordes im Kirnbach erzählt er aus dem Munde des Thäters ſelbſt, hat ſich aber dabei in der Zeitfolge geirrt.)

Der Sonnenwirth. Hiſtoriſches Urbild des poetiſchen Seelen¬ gemäldes: der Verbrecher aus verlorener Ehre, von Schiller. Aus den Acten von Heinrich Ehregott Linck. Vaihingen, 1850. (Eine vollſtändige und treue Bearbeitung der oben aufgeführten Vaihinger Acten und eines Theils der Volksſage, wie ſie ſich in Vaihingen fortpflanzte, ohne Zuziehung der Ebersbacher Urkunden und der Vorarbeit Abel's, daher zwar eine richtige Kritik der Schil¬ ler'ſchen Novelle, ſo fern dieſe ſich als thatſächlich geben will, aber ſelbſt nur in bedingtem Sinne geſchichtlich, weil die Benutzung ſich, neben einer vielfach getrübten Sage, bloß auf criminali¬ ſtiſches Material, und zwar aus dem letzten Lebensabſchnitt ihres Helden, beſchränkt. Die oben erwähnte Aufzeichnung deſſelben iſt im Anhang vollſtändig mitgetheilt.)

Zur Bezeichnung der Aufgabe, welche dieſer Erzählung vor¬ lag, mag es dienlich ſein, den Schluß des Vorworts, womit der Verfaſſer eine Veröffentlichung der vier erſten Abſchnitte derſelben im Stuttgarter Morgenblatt 1846 einleitete, hier zu wiederholen:

Die (aufgezählten) Urkunden enthüllten meinem Auge in und zwiſchen ihren Zeilen ein Lebensbild, grundverſchieden von dem bisher gekannten, aber belebender Darſtellung gewiß nicht minder werth. Indem ich eine ſolche verſuchte, mußte ich aller¬—VII— dings die Erfindung zu Hilfe rufen, jedoch keine willkürliche, ſondern diejenige Art von Erfindung, welche die vorhandenen geſchichtlichen Züge, eine trockene zerſtreute Maſſe, zu verbinden und zu erklären unternimmt. Meine Erzählung iſt keine bloß thatſächliche; ſie iſt Dichtung, aber innerhalb gegebener geſchicht¬ licher Grenzen.

Ich glaube, daß die Geſchichte, deren Wiſſenſchaft zu einem Cultus zu werden beginnt, der Dichtkunſt denſelben Dienſt zu leiſten berufen iſt, welchen einſt die Kirche den bildenden Künſten leiſtete: durch Zwang und Beſchränkung zu innerer Freiheit und geſteigerter Kraft zu führen. War uns doch auch hierin ſchon ſo lange Shakſpeare ein Vorbild, er, der nie das Gerippe einer Fabel erfand, aber immer das Fleiſch und Blut dazu.

Mag ſie etwas Kleines oder Großes unternehmen, das Conterfei eines einzelnen ungebärdigen Menſchenkindes oder ein breites und hohes Gemälde des verſchlungenen Weltlaufes immer ſoll die Dichtung durch eine nicht allzu kurze, doch unzer¬ reißbare Kette an die Geſchichte gefeſſelt ſein. Die urkundlichen Zeilen bilden dieſe Kette; zwiſchen ihnen iſt Freiheit, Erfin¬ dung, Offenbarung. Wenn aber das Schaffen ſo leicht wäre wie das Erkennen, ſo feierten wir ſchon längſt die neue Zeit, deren Schwelle wir wagend und zögernd, ſchreitend und ſtrau¬ chelnd betreten: die Einheit von Dichtung und Geſchichte, die wahre hiſtoriſche Poeſie.

[VIII]
[1]

1.

Nun, Meiſter Schwan, für diesmal iſt Er chriſtlich durchgekommen, ſtraf 'mich Gott! Ohne Willkomm und Abſchied! Herr Gott von Dinkelsbühl, thut mir faſt leid, daß ich Ihm nicht ein Paar aus dem ff auf ſein geſundes Leder aufmeſſen darf, aus purer Freundſchaft. Und dazu bloß ein halb Jahr! Aber ich hoff', ſo ein heißgräthiger Burſch 'wie Er wird bald wieder das Heimweh nach unſerer luſtigen Karthauſ' bekommen. Auf's Frühjahr ſpäteſtens, wenn die Bäum 'ausſchlagen, werden wir wieder die Ehre haben. Ich will derweil ein paar tüchtige Haſelſtöcke ins Waſſer legen, damit ſie den gehörigen Schwung und Zug kriegen zum Willkomm, wenn's heißen wird: des Ebersbacher Sonnenwirths ſein Gutedel iſt wieder da. Adjes, Mei¬ ſter Schwan, glückliche Reiſe und nichts für ungut.

Es war unter dem Thore des Ludwigsburger Zucht - und Arbeits¬ hauſes, wo einer der Aufſeher einem jungen Menſchen dieſes ſpöttiſche Lebewohl ſagte. Dem unterſetzten ſtämmigen Burſchen konnte Niemand im Ernſte den Meiſtertitel geben, denn er ſchien kaum zwanzig Jahre alt zu ſein. Auch ſah er ſehr ſauer zu der Ehrenbezeugung, die nicht gerade aus wohlwollendem Herzen kam; ſein breites rothwangiges Ge¬ ſicht ſpannte ſich zu einem trotzigen Ausdruck, den eine tiefe Schramme auf der Stirne noch erhöhte. Er hielt die Augen wie aus Verachtung zu Boden geheftet, aber dann und wann ſchoß er ſeitwärts einen Blick hervor, der wie ein bloßes Meſſer funkelte. Der Aufſeher gab ihm ſtatt des Abſchieds , den er ihm gerne zugedacht hätte, einen derben Schlag auf die Schulter, und ging lachend hinweg. Der ent¬D. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 12laſſene Sträfling ballte die Fauſt und ſah ihm mit ingrimmigen Blicken nach.

Eben wollte er mit einer Geberde, welche ein nichts weniger als anſtändiges, aber um ſo aufrichtigeres Geſinnungsbekenntniß enthielt, dem Zuchthauſe den Rücken kehren, als er, noch einmal umſchauend, einen Gegenſtand gewahrte, der den Haß auf ſeinem derben lebhaften Ge¬ ſichte plötzlich in das entſchiedenſte Widerſpiel verwandelte. Es war ein Greis, der in der Gebrechlichkeit des Alters an einem Stabe über den Hof gegangen kam; er trug ſchwarze Kleidung, und die beiden weißen Ueberſchlägchen, die ihm von der Halsbinde herabhängend auf der Bruſt ſpielten, bezeichneten ſeinen geiſtlichen Stand. Seine Er¬ ſcheinung machte einen ſichtlichen Eindruck auf alle Begegnenden; die ausgelaſſenſten Züchtlinge verſtummten, als er im Vorübergehen einen Blick auf ihre Arbeiten warf; der rohe Aufſeher wich ihm von Wei¬ tem aus. Jedem bot er ſeinen zuvorkommenden Gruß; er war immer der Erſte, der das ſchwarze Käppchen über den ſpärlichen weißen Haaren lüpfte, und doch ſollte es ihm offenbar dazu dienen, ſein greiſes Haupt vor der Herbſtluft zu ſchützen; denn neben dem Käppchen trug er den dreieckigen Hut unter dem Arm.

Der junge Menſch war unter dem Thore des Zuchthauſes ſtehen geblieben. In ſeinen Mienen zuckte es wie Gewitter und Regen¬ ſchauer; aber zum Weinen ſchienen dieſe Züge zu derb. Unwillkürlich bewegte er den Fuß, um dem alten Geiſtlichen entgegen zu laufen; er beſann ſich jedoch wieder und blieb ſchüchtern ſtehen. Als jener näher kam, zog er die Mütze und trat ihn mit einer linkiſchen Verbeugung an. Man konnte denken, wenn er ein Hund geweſen wäre, ſo wäre er mit freudigem Winſeln an ihm emporgeſprungen und hätte ihm Geſicht und Hände geleckt. So aber war er ein Weſen, um das der Zuchthausaufſeher ſchwerlich ſeinen Pudel hergegeben hätte, ein ent¬ laſſener Sträfling, ein unbändiger Menſch, voll Trotz und Rohheit; und doch regte ſich in ſeinem Herzen etwas, das wir auch in den winſelnden Thieren ahnen, und das die Bibel mit den Worten be¬ zeichnet: das Seufzen der Creatur.

Mit Verlaub ſtammelte er ich wollte nur dem Herrn Waiſen¬ pfarrer Adieu ſagen, weil der Herr Waiſenpfarrer immer ſo gut ge¬ gen mich geweſen iſt ich hätt 'ja nicht fortgehen können ohne das.

3

Der Waiſenpfarrer denn dieſer war es, dem die Seelſorge im Zuchthauſe oblag neigte ſich mit freundlichem Lächeln zu ihm. Er hatte aus den verlegenen, halbverſchluckten Worten des ſonſt ſehr an¬ ſtelligen Burſchen den rechten Kern herausgehört. So iſt Er denn alſo jetzt frei, Friedrich? ſagte er zu ihm. Ich wünſch 'Ihm von Herzen Glück. Nun gebrauche Er aber auch ſeine Freiheit ſo, wie man eine Gottesgabe gebrauchen muß.

Ich verſteh ſchon, Herr Waiſenpfarrer! erwiderte der Jüngling, der mit der erſten Anrede ſeine Beengung weggeſprochen und ſich in ei¬ nen Ton beſcheidener Zutraulichkeit hineingefunden hatte. Ich ver¬ ſteh ſchon. Das iſt wie mit dem Wein. Der iſt auch eine Gottesgabe. Wenn man aber ſolche Gottesgabe zu hart ſtrapazirt, ſo wirft ſie den Menſchen hin, daß er gleichſam wie vierfüßig wird. Dagegen wenn man ſie mit Maß genießt, ſo erfreut ſie das Herz und macht helle Gedanken im Kopf. Grade ſo iſt's auch mit der Freiheit. Wenn man von der über Durſt trinkt, ſo kann ſie Einen auch wohin werfen, wo zum Beiſpiel keine Freiheit mehr iſt.

Bei dieſen Worten wies er mit dem Daumen über die Schulter nach dem Gebäude, das er ſo eben verlaſſen hatte, und ſeine weißen Zähne blinkten lachend zwiſchen den kirſchrothen Lippen hervor.

Ja, ſo iſt's, mein Freund, verſetzte der Geiſtliche. Man pflegt wohl zu ſagen: ich nehme mir die Freiheit, das und das zu thun. Das iſt nur ſo eine höfliche Redensart. Mancher aber nimmt ſich mehr Freiheit, als er einem Andern gönnt, und thut einem Andern etwas, was er ſich ſelbſt nicht angethan wiſſen will. Das aber iſt zu viel Freiheit, und Er weiß wohl, was zu viel iſt, das iſt vom Uebel. Eigentlich ſollten wir unſere Freiheit bloß dazu anwenden, um einan¬ der lauter Liebes und Gutes zu thun; denn wenn die Menſchen alle einander dienen würden, dann wäre ja ein Jeglicher ſo wie ein Die¬ ner auch wieder ein Herr, und dann wäre die wahre Freiheit in der Welt.

Ja, wenn Alle ſo wären, wie der Herr Waiſenpfarrer, dann wär's keine Kunſt, ihnen zu dienen. Aber ſo iſt's nicht in der Welt. Da iſt viel Herzenshärtigkeit und Schlechtigkeit, nicht bloß ſolche, die den Nebenmenſchen übervortheilt, ſondern auch Bosheit, die ihm ohne allen Grund die Milch ſauer macht, und wenn man auf ſo einen Gift¬1*4michel trifft, ſo meint eben die Fauſt gleich, ſie müſſe ein Wörtlein mit ihm reden.

Mein Sohn, ſagte der alte Geiſtliche, man hat den Verſtand dazu, daß man der Fauſt nicht ihren Willen läßt. Und es kommt nur darauf an, daß man einem Menſchen ſeine gute Seite abgewin¬ nen lernt. Eine gute Seite hat auch der Schlimmſte. Wenn man aber einmal dieſe gefunden hat, ſo iſt's als hätte man den Schlüſſel zu einer ſonſt verſchloſſenen Thüre, und wenn man hineingeht, ſo trifft man oft auf Dinge, die man gar nicht hinter dieſer Thüre ge¬ ſucht hätte. Da iſt zum Exempe ein gewiſſer Friedrich Schwan. Den hat man mir geſchildert als einen rohen verworfenen Burſchen, deſſen Herz keiner guten Regung fähig ſei Fauſt in Sack! die Leute urtheilen eben nach der Außenſeite und wie ich Ihn nun ſelber kennen lernte, da fand ich in Ihm einen Menſchen, deſſen Herz wie ein wild aufgeſchoſſenes Reis iſt, trotzig und aufrühriſch gegen jedes rauhe Lüftchen, weich und geſchmeidig gegen jeden freundlichen Sonnenſtrahl, einen Menſchen, der gegen harte Worte und Behand¬ lungen ſtörriſch bleibt, und den man mit Güte um den Finger wickeln kann. Iſt's nicht ſo?

Ja, ſo iſt's, Herr Waiſenpfarrer, antwortete der junge Menſch ver¬ legen und gerührt.

Nun das iſt aber auch keine Kunſt, gegen Gute gut zu ſein. Wenn's weiter nichts wäre als das, ſo würden wir ja durch die breite Pforte in den Himmel eingehen, ſtatt durch die ſchmale.

Das iſt wahr, Herr Waiſenpfarrer, erwiderte der junge Menſch bedenklich. Aber wenn alle Menſchen unterdienſthaft gegen einander waren, wie Sie vorhin geſagt haben, ſo wäre es gerade daſſelbe Ding.

Allerdings. Aber da die Menſchen im Allgemeinen bis jetzt nicht geneigt ſind, uns die Himmelspforte ſo breit und bequem zu machen, ſo dürfen wir deßhalb der ſchmalen nicht untreu werden. Wir müſ¬ ſen gegen unſere Nebenmenſchen gerade ſo liebreich und dienſtfertig ſein, wie ſie eigentlich gegen uns ſein ſollten, unangeſehen ob ſie es ſind oder nicht. Vielleicht gewinnen wir ſie dadurch und bewegen ſie, unſer Beiſpiel nachzuahmen.

Ja, ja, Herr Waiſenpfarrer, fiel der junge Menſch lebhaft ein, das iſt gerade wie wenn ein ungebautes Stück Feld umgebrochen wer¬5 den ſoll. Da kommt es nur drauf an, daß einmal ein Anfang ge¬ macht wird, der für den Fortgang und für's Fertigwerden Bürgſchaft gibt, und iſt alſo ein kleines umgepflügtes Flecklein faſt ſchon ſo wichtig, wie das ganze künftige Neubruchland.

Er hat mich gar wohl gefaßt, verſetzte der alte Herr mit freund¬ lichem Lächeln. Wenn das Reich Gottes auf Erden erſcheinen und ihm die Stätte bereitet werden ſoll, ſo thut es zuerſt Noth, daß ein Kern von guten Menſchen gezogen wird, von welchen die Güte und der Segen allmählich auf die Andern übergehen kann. Die müſſen aber feſthalten wie ein Häuflein Streiter, von denen der Ausgang einer Schlacht abhängt. Ja, mein Sohn, fuhr er fort und legte ihm die abgemagerte Hand auf dieſelbe Schulter, welche vorhin der Aufſeher ſo unſanft berührt hatte: da muß man den Pflug über das trotzige Herz gehen laſſen, da muß man eine Beleidigung nicht mit Thätlichkeiten erwidern, die in's Zuchthaus führen. Vielmehr wer zu jenen Kern¬ truppen geboren will, der muß gegen ſeinen Feind gar noch ein gu¬ tes Wort und ein freundlich Geſicht aufzuwenden haben, und was noch weit mehr heißen will, es muß ihm ſogar von Herzen gehen.

Der Jüngling, der irgend einen Widerſacher im Geiſte vor ſich ſtehen ſehen mochte, trat bei dieſer Zumuthung betreten einen Schritt zurück. Die Große der Aufgabe war ihm augenſcheinlich ſchwer auf's Herz gefallen. Aber, ſagte er, da wird Mancher denken wie es im Evangelium heißt: das iſt eine harte Rede, wer kann ſie hören?

Der Greis lächelte. Mein junger Freund iſt ſehr bibelfeſt, ver¬ ſetzte er: ich bemerke das heut nicht zum erſtenmal. Die beſten Kern¬ ſprüche, die ſchönſten Liederverſe hat er feſt im Kopfe behalten, aber ob auch in einem feinen Herzen? Das iſt nun die Frage. Dieſe ſchönen Stellen, welche die Jugend in den Schulen auswendig lernt, und oft recht gedankenlos daherſagt, ſind Samenkörnern zu vergleichen. Nun iſt es zwar um ein Samenkorn ein edles Ding, aber der auf¬ gewachſene Baum und ſeine Früchte ſind doch noch etwas ganz An¬ deres. O mein lieber Friedrich, ich fürchte, bei dieſen Worten hob er liebreich den Finger gegen ihn auf, ich fürchte, dieſes trotzige Gemüth muß noch durch Leiden gebeugt und recht umgebrochen werden, wenn es ein Boden werden ſoll, darin der Same zu Früchten aufgehen kann. Mein Sohn, habe Er immer Den vor Augen, von6 dem wir jene Sprüche überkommen haben, der nicht ſchalt, da er ge¬ ſchlagen ward, und nicht dräuete, da er litt. Ich will Ihm aber nicht mit Einem Mal ein Werk auflegen, das für manche zartere Seelen noch zu ſchwer iſt. Fange Er im Kleinen an, mein lieber Sohn. Strebe Er ſanftmüthig zu werden. Denke Er immer zur rechten Zeit daran, den aufquellenden Zorn zu bezähmen; denn der Zorn hat einen böſen Urahn, den Mörder von Anbeginn, und wenn man ihn herausläßt, ſo gleicht er der Kugel, von der das Sprichwort ſagt: wenn ſie aus dem Rohr iſt, ſo iſt ſie des Teufels. Vor Allem aber will ich Ihm Eines an's Herz legen. Er iſt vermöglicher Leute Kind, und in einem Wirthshauſe fallen manche Brocken ab. Benütze Er dieſe Gelegenheit, um Gutes zu thun und nach Seinen Kräften den traurigen Unterſchied, der in der Welt iſt, ein wenig auszugleichen. Er kann, ohne Seinen Vater zu übervortheilen, und das darf er ja nicht thun! manchem armen Schlucker etwas zu¬ fließen laſſen. Ich ſage das nicht, daß Er meinen ſoll, Er könne ſich ein Verdienſt vor Gott damit erwerben. Aber der rechte Glaube wird auch immer die rechten Werke gebären, und hinwiederum, wer die rechten Werke thut, der ſetzt zugleich ſein Inneres in die rechte Ver¬ faſſung, wie ſie vor Gott ſein ſoll; denn Gutes thun macht ein ge¬ lindes Herz. Deßhalb, mein Sohn, beſchloß er mit einem unbeſchreib¬ lich heitern und ſcherzhaften Lächeln, will ich Ihm, da Er noch ſo jung iſt, nicht zumuthen, daß Er gleich als Flügelmann unter jene Kerntruppen tritt, von denen ich geſprochen habe. Suche Er nur zuerſt als Marketender bei ihnen anzukommen, dann kann Er ſich allmählich weiter aufdienen, bis

Ein Geräuſch unterbrach ihn, das ihm den frommen Scherz auf's Kläglichſte verbitterte. Unzweideutige Schläge hallten von dem untern Stockwerk her, dem der Geiſtliche und ſein aufmerkſames Beichtkind nahe ſtanden. Sie folgten mit unerbittlicher Regelmäßigkeit auf ein¬ ander, ſo daß der Greis die ſchwache Hand ausſtreckte, als ob dieſe abwehrende Geberde der Grauſamkeit ein Ende machen könnte. Man hörte kein Geſchrei, ſondern nur ein dumpfes Knurren, in welchem jedoch der menſchliche Ton zu unterſcheiden war. Dieſes Knurren, das ſich in Zwiſchenräumen wiederholte, machte den Vorgang weit unheim¬ licher als wenn die lauteſten Wehklagen ihn begleitet hätten.

7

Der junge Friedrich ballte die Fauſt gegen das Gebäude. Dieſe Prügelhunde! rief er: es iſt ihnen nur wohl, wenn ſie zuſchlagen können.

Der Waiſenpfarrer legte ihm wieder die Hand, die aber diesmal zitterte, auf die Schulter. Mein Sohn, ſagte er, die Menſchen haben es mit der Sünde verdient, daß der Schmerz und das Wehthum in die Welt gekommen iſt. Wo aber Strafe iſt, heißt es, da iſt Zucht, und wo Friede iſt, da iſt Gott.

Die Schläge hallten dazwiſchen fort. Der Greis brach mit einem tiefen Seufzer die Unterredung ab. Nun lebe Er wohl, mein lieber Friedrich, ſagte er. Gott ſei mit Ihm auf allen Seinen Wegen. Denke Er an das, was ich Ihm geſagt habe, damit wir uns fröhlich und eben darum niemals mehr an dieſem Orte wiederſehen.

Er drückte ihm die Hand und wankte, ſo eilig als er es ver¬ mochte, an ſeinem Stabe dahin. Zwar hatte auch er die Meinung ſeiner Zeit ausgeſprochen, daß durch grauſame Züchtigungen der Wille Gottes erfüllt und ſein Kommen vorbereitet werde, aber er ſchien doch nicht gern dabei zu ſein und hatte es in dieſem Augenblick wohl tief empfunden, daß das Reich Gottes, ſo wie er es verſtand, noch ſehr ferne ſei.

Der junge Friedrich aber blieb unter den Fenſtern des Zuchthauſes ſtehen und lauſchte dem Geräuſch der Pein, vor welchem ſein ehr¬ würdiger Beichtiger entflohen war. Er fühlte zwar nicht geringe Ent¬ rüſtung über die Gewalt, die hier einem Menſchen angethan wurde, aber der Schmerz des Armen verurſachte ihm, der ſelbſt ſchon manchen derben Puff ausgehalten hatte, kein beſonders zartes Mitgefühl.

Die Schläge hörten endlich auf. Bald hernach öffnete ſich die Thüre, und von einer unſichtbaren Hand geſchleudert, kam ein Menſch herausgeflogen. Der Stoß war nicht eben ſanft geweſen, doch hielt der Hinausgeworfene ſich wie eine Katze auf den Füßen. Sein Ge¬ ſicht zeigte trotz der zigeuneriſchen Farbe die Spuren überſtandener Anſtrengung, es war dunkelroth, und ein ſchielendes Auge gab dieſen jugendlichen Zügen einen furchtbaren Ausdruck. Der junge Zigeuner, der ſo eben einen rauhen Abſchied durchgemacht hatte, ſchüttelte ſich am ganzen Leibe, er kehrte ſich gegen das Zuchthaus um, ſtreckte die Zunge ſo lang er konnte heraus, und ging dann gemächlich ſeiner Wege.

8

Ich glaub ', ſie haben dich mit ungebrannter Aſche gelaugt, und das ſcharf, ſagte Friedrich, als er an ihm vorüber kam.

Ich glaub 'auch, war die trockene Antwort des Zigeuners, der einen Blick aus ſeinem ſcheelen Auge über den Frager hinlaufen ließ und ſich von dannen machte.

Friedrich, der auf den Burſchen neugierig geworden war, folgte ihm von weitem nach. Aber erſt als ſie Ludwigsburg mit ſeinen vornehmen regelrechten Straßen hinter ſich hatten, wagte er die Ge¬ ſellſchaft des verachteten Zigeuners aufzuſuchen. Dieſer ſchien nach¬ läſſig vor ſich herzuſchlendern, und doch hatte er Mühe, gleichen Schritt zu halten und ihn endlich einzuholen.

He, wohinaus, Landsmann? ſchrie er ihn an.

Dem Hohenſtaufen zu, antwortete der Zigeuner ſeitwärts herüber, ohne ſich in ſeinem Gange aufhalten zu laſſen.

Dann haben wir ja ſchier gar Einen Weg, ſagte Friedrich an ſeiner Seite gehend. Der meinige führt nach Ebersbach.

Da können wir wenigſtens eine Strecke weit beiſammen bleiben, erwiderte der Zigeuner.

Die beiden jungen Burſche gingen nun mit wackern Schritten durch die Ebene und dann jenſeits des Neckars über die Anhöhen hin, welche zwiſchen dieſem und der Rems liegen, und machten nach einer tüchtigen Wanderung bei einem einſamen Wirthshäuschen Halt, wo Friedrich ſeinen Gefährten zu Gaſte lud. Eine Flaſche vom Saft des Apfels und ein Rettig, der den Sommer überlebt hatte, war Alles, was ihm ein paar geſparte Pfennige aufzutiſchen erlaubten. Die vorgerückte Jahreszeit ließ ſich ſo mild an, daß die beiden Wanderer im Freien auf der verwitterten Bank unter dem alten Apfelbaum ihr Mahl verzehren konnten. Hungrig und durſtig griffen ſie zu und ließen ſich's nach der Weiſe der Jugend ſchmecken.

Wie luſtige Sperlinge genoßen ſie der wieder erlangten Freiheit, ſchalten auf das Gefängniß, von dem ſie herkamen, ſpotteten über die Schwachheiten der Aufſeher und erzählten ſich loſe Streiche, womit ſie deren Wachſamkeit umgangen hatten. Unter Plaudern und Lachen war die Flaſche nur allzubald geleert. Sie kehlten alle Taſchen um, bis ſie in der erdenklich kleinſten Münze, aber auch mit dem erdenk¬9 lich größten Jubel die nöthige Summe zuſammengebracht hatten, um eine zweite zu beſtellen.

Wie biſt du denn eigentlich, fragte Friedrich unter dem Einſchenken, in den Gaſthof zur Kardätſche gerathen? Mit bloßem Vagabundiren haſt doch ſo jung nicht ſo hoch in die Wolle avanciren können.

Nein, erwiderte der Zigeuner unbefangen, ich hab 'krumme Fin¬ ger gemacht.

Pfui, rief Friedrich, Stehlen, das iſt was Hundsgemeines, heißt das, wenn

Von z'wegen was ſeid Ihr hineingekommen? unterbrach ihn der Zigeuner etwas raſch. Ungeachtet des Aergers über die biderbe Be¬ merkung vergaß er nicht, daß ſein Genoſſe der herrſchenden Nation angehörte und daß er den größeren Theil der Zeche bezahlt hatte: Grund genug, ihn in der majeſtätiſchen Mehrzahl anzureden. Man wird Euch auch nicht bloß um der Koſtbarkeit willen hinter Glas und Rahmen aufgehoben haben.

Ich hab 'Einen durchgeprügelt und das leder-windelweich. Der Heuchler gab dann vor, er könne den Arm nicht mehr gebrauchen. Es war aber erlogen, und ſo ſchickten ſie mich eben auf ein halb Jahr an das Oertchen, von dem man nicht gern red't.

Der Zigeuner machte ein unbefriedigtes Geſicht. Und habt Ihr Euch niemals an fremdem Eigenthum vergriffen, fragte er, daß Ihr da ſo auf den höchſten Gaul ſitzen könnt? Seid Ihr niemals einem Andern in die Aepfel gegangen, oder in die Kirſchen? Denn, ſetzte er eifrig hinzu, Stehlen iſt Stehlen, das ſag 'ich.

Ja, meinem Vater bin ich wohl über die Kirſchen gegangen und auch über die Geldlade. Aber das iſt was Anderes, das geht ja vom Eigenen und heißt eben vor der Zeit geerbt. Das iſt nicht geſtohlen. Stehlen heißt, wenn man fremden Leuten das Ihrige nimmt, und das iſt eine Schmählichkeit.

Wenn bei uns Einer, verſetzte der Zigeuner höhniſch, ſeine Eltern beſtehlen würde, ſo könnte ſeines Bleibens nicht mehr ſein; der ärgſte Spitzbube würde ihn verachten und anſpeien. Bei uns iſt es Sitte, daß man die Eltern ehrt und liebt und daß man ihnen eher zubringt, als daß man ſie beſtiehlt. Dafür laſſen ſie es aber auch an ihren Kindern nicht fehlen, ſie geben ihnen10 den letzten Biſſen vom Munde weg, und deßhalb iſt es gar nicht möglich, daß ſo etwas bei uns vorkommt. Iſt mir auch eine ganz beſondere Lebensart, daß ich einen Fremden ſchonen ſoll, der mich nichts angeht, und ſoll mich dagegen an meinem Vater vergreifen, der mir der Nächſte iſt in der Welt. Das bring 'mir ein Anderer in den Kopf, mir iſt es zu hoch. Kommt mir gerade vor, wie wenn im Krieg einer ſich von den Feinden abwenden wollte und auf ſeine Freunde ſchießen.

Friedrich war betroffen. Sein geſunder Verſtand ſagte ihm, daß etwas Wahres an dieſer Anſicht ſei, und doch konnte er ſie nicht zu¬ geben, da ſie den Sitten und Gewohnheiten, unter denen er aufge¬ wachſen, völlig widerſprach. Die beiden jungen Leute ſtritten eifrig und konnten ſich lange nicht verſtändigen. Darin waren ſie zwar Einer Anſicht, daß auf die Herrſchaft keine ſtrengen Begriffe von Eigenthum anzuwenden, daß die Thiere im Walde, die Fiſche im Waſſer eigentlich Gemeingut ſeien; aber über den Reſt des großen Kapitels vom Mein und Dein konnten ſie nicht einig werden.

Stehlen und Stehlen iſt zweierlei, rief Friedrich zuletzt. Geh du nach Ebersbach und frag 'von Haus zu Haus, ob die Leut' nicht einen Unterſchied machen, und die Leut 'müſſen doch auch wiſſen was ſie thun. Ueberall gilt's für eine größere Schande, wenn Einer einem Fremden was ſtiehlt, als wenn er's den Eigenen nimmt; denn da bleibt's ja in der Familie.

Dann ſollte man ihn auch in der Familie abmurreln, ſagte der hartnäckige Zigeuner, und Jedem davon ein Stück zum Kochen geben, wenn eure Geſetze ſo ſchlecht ſind, daß ſie bloß den einen Diebſtahl ſtrafen, den andern aber nicht.

Oha, ſagte Friedrich, umgekehrt iſt auch gefahren. Selbiges iſt anders. Die Geſetze, die ſind ſo überzwerch wie du, die behaupten auch, Stehlen ſei Stehlen. Wie es herauskam, daß ich meinem Va¬ ter ein paar hundert Gulden genommen hatte, die er mir nicht gut¬ willig geben wollte, um in die Fremde zu gehen, da thaten ſie mich geſchwind nach Ludwigsburg zum Wollkardätſchen, ob ich gleich erſt ein unverſtändiger vierzehnjähriger Bube war. Damals hab 'ich auch gelernt, was der Willkomm und Abſchied für höfliche Complimente11 ſind, und hab' empfunden wie es patſcht, wenn Haſelholz und Hirſch¬ leder zuſammenkommen.

Der Zigeuner ſchlug ein luſtiges Gelächter auf. Aber nicht wahr, rief er triumphirend, mit einem ſolchen Leibſchaden noch ſtundenlang d'rauf los marſchiren und dann auf einem hölzernen Bänkchen her¬ umrutſchen, das könnt auch nicht ein Jeder.

Nun, nun, entgegnete Friedrich, man merkt's deſſen ungeachtet wohl, wo du dermalen deine ſchwache Seite haſt. Du ſitz'ſt ja ſo windſchief da, als wenn das Bänkchen unter dir brennte, die armen Seelen in der Hölle, die auf dem Glufenhäfelein ſitzen, können nicht öfter wechſeln und nicht poſſierlicher den Fuß an ſich ziehen. Aber das muß man dir laſſen: mannlich haſt du dich gehalten. Wenn ich nur noch ein paar übrige Kreuzer hätt ', ſo ließ ich dir einen Kirſchen¬ geiſt zum Einreiben kommen.

Einreiben! wer wird auch die Gottesgabe ſo ſündlich verſchwenden! Den Kirſchengeiſt muß man innerlich brauchen, von innen heraus curirt er noch einmal ſo ſchnell.

Das glaub 'ich dir! lachte Friedrich. Ueberhaupt hab' ich ſchon oft gedacht, ihr Zigeuner müſſet ein gutes Fell haben, ſtich - und kugelfeſt. Man könnt's, ſchätz 'ich wohl, zum Ueberzug für ein ſchwaches Gewiſſen brauchen.

Es dient oft auch dazu. Ja, eine gute Haut, die muß der Zi¬ geuner haben, und hartgeſotten muß er ſein, wenn er ſolch mühſeliges Leben aushalten ſoll. Froſt und Hitze muß ihm gleichviel gelten. Halbnackt muß er gehen können, wenn ihm der gefrorene Schnee un¬ ter den Füßen kracht, und die ſchwerſte Bürde muß ihm wie ein Flaum ſein, wenn ihn die Sonne Mittags auf die Glieder ſticht. Sein Lager iſt unter Gottes freiem Himmel, und in böſer Nacht hat er's nicht immer ſo gut, daß er auch nur im Hüterhäuschen unter¬ kriechen kann. Oft hat er nur einen Baum zum Obdach, unter dem ſchläft er zufrieden, wenn der Sturm durch die Aeſte fährt und die Blätter ſchüttelt, daß ihm der kalte Regen auf die Stirne tropft.

Herr Gott, rief Friedrich mit rauher Rührung, ich kann doch auch was vertragen, aber ſo ein Leben muß ja den beſten Mann umbringen! Mußt du nicht ſelber ſagen, daß es vernünftiger wäre, wenn ihr das Heidenleben aufgäbet, eine chriſtliche Ordnung anfinget12 und ließet euch mit andern ehrlichen Chriſtenmenſchen in Handel und Wandel ein? Wer ein paar tüchtige Arme hat und einen Kopf, der ſie regiert, der wird nicht ſo bald mit leerem Magen ins Bett gehen und nicht im kalten Regen ſchlafen dürfen.

Wir ſind ſo gute Chriſten wie ihr, verſetzte der junge Zigeuner eifrig: es mag ſich fragen ob wir nicht beſſer ſind? Aber wie wollten wir denn mit euch leben? Ihr ſtoßt uns ja aus, und wollt keine Gemeinſchaft mit uns haben. Wie kann der Zigeuner, dem ihr mit Verachtung die Thüre weiſet, ſein ehrlich Brod bei euch verdienen? Ich bin aus einer Familie, die ſchon ſeit zweihundert Jahren hier im Würtembergiſchen, dann im Deutſchherriſchen drunten und in den beiden Markgrafſchaften am Rheine drüben hin und wider zieht. Nun fehlt es uns zwar dort nicht an Bekanntſchaften, aber ich möchte doch auch in all dieſen Landen einen einzigen Menſchen ſehen, wenn Unſereiner z. B. käme und ihm ſagte: Ich will ein ander Leben führen und ein ordentliches Weſen anfangen, da bin ich, nimm mich auf, theile dein Haus und dein Brod mit mir, ſo viel als dir meine Dienſte werth ſein mögen den Menſchen möcht 'ich ſehen, der darauf ſagen würde: Tritt ein und bleibe bei mir. Auch unter den Unſrigen möcht' ich den Menſchen ſehen, dem es im Schlaf einfallen könnte, eine ſolche Bitte zu thun. Denn jeder weiß die Antwort im Voraus und weiß wie man beiderſeits von einander denkt. Das iſt jetzt eben einmal von Anbeginn ſo, und wird auch nicht mehr anders werden. Ich weiß wohl, ein mancher von den Meinigen iſt eines böſen Todes geſtorben, und wie könnte es auch anders ſein? Das Element, in dem Einer lebt, iſt natürlicher Weiſe auch zuletzt ſein Tod. Das iſt allenthalben ſo. Wer ſein Leben lang im Hanfſamen ſitzt, wie ein freier Spatz, der find't wohl auf die Länge auch ein hänfenes Ende. Man thät's wohlfeiler nehmen, wenn man's haben könnte. Ein paar fette Capitälchen verzinſen, eſſen und trinken was gut ſchmeckt, mit vier Schweißfuchſen fahren oder auch nur mit zweien, meint Ihr, der Zigeuner habe zu einem ſolchen gemächlichen Leben nicht ſo viel Genie, als irgend jemand in der Chriſtenheit?

Mir zweifelt's gar nicht! lachte Friedrich. Aber jetzt kann ich auch auf einmal begreifen, warum du es für ſo ſchandhaft hältſt, wenn von euch einer ſeinem eigenen Vater etwas nehmen würde, und13 an dieſem Beiſpiel wird mir's klar, daß du eigentlich Ehr 'im Leibe haſt. Denn die Moral iſt bei euch im Grund die nämliche wie bei uns, nur daß ſie natürlicherweiſe umgekehrt iſt.

Mit dieſen Worten, die zwar keine klare Anſchauung des Stand¬ punkts, aber doch eine gewiſſe Ahnung deſſelben verriethen, ſuchte er die obſchwebende Streitfrage zu löſen. Aber es wird ſpät, fuhr er fort, und wenn wir die Butell 'auch auswinden, wie ein Leintuch in der Wäſche, ſo preſſen wir doch keinen Tropfen mehr' raus. Weißt was? Komm du mit mir über Ebersbach, ich will dir einen heiden¬ mäßigen Kirſchengeiſt einſchenken zur inwendigen Cur. Ob du links am Staufen vorbeigehſt oder rechts, das iſt gehopft wie geſprungen.

Ja, es iſt am End 'Ein Ding, entſchied ſich der Zigeuner, und auf eine Stunde ſoll mir's nicht ankommen.

Die beiden jungen Burſche erhoben ſich und ſtiegen die gelinden Anhöhen hinab, an deren Fuße das Filsthal ſich gegen den Neckar öffnet. Wohlgemuth ſchlenderten ſie die Straße an dem Flüßchen aufwärts; der Zigeuner pfiff gellende Weiſen, Friedrich aber ſchwieg ſtill, und unter ſeiner breiten Stirne ſchien ein mächtiger Gedanke zu arbeiten. Die Worte des Waiſenpfarrers gingen ihm im Sinne herum; das Vertrauen des ehrwürdigen alten Mannes hatte ihn ſtolz gemacht und es war ihm zu Muthe, als ob er gar nichts nöthig hätte als ein bischen guten Willen, um ein großes Werk zu Stande zu bringen.

Sie waren wohl eine gute Stunde ſo zugeſchritten, ohne ein Wort mit einander zu reden, als Friedrich auf einmal ſtehen blieb und ſei¬ nen Gefährten kräftig am Arme faßte. Und ich ſag 'dir, rief er, du bleibſt bei mir! Ich will dir zeigen daß ich auch ein guter Chriſt bin. Wenn ich dein armes verſtoßenes Volk in das Erbe einſetzen könnte, das von Gott und Rechts wegen einem ſo gut gehört wie dem an¬ dern mit Einem Schlag wollt' ich das thun. Nun kann ich aber weiter nichts, als an einem Einzelnen, der mir unter die Hände kommt, ein chriſtlich Werk verrichten. Du gehſt mit mir, da iſt keine Widerrede, die Sonne von Ebersbach hat Raum für Viele! Da wird ſich ſchon ein Plätzlein für dich finden im Haus, und ein Stuhl am Tiſch und ein Brocken in der Schüſſel. Zu thun gibt's auch immer etwas, du dienſt meinem Vater als Knecht, wie ich, und ſollſt es nicht ſchlechter haben als ich. An Froſt und Schneepatſchen, an Laſt und14 Hitze wird's zwar nicht fehlen, je nachdem die Jahreszeit iſt; aber das Schlafen im kalten Regen und alles Andere, was dazu gehört, das ſoll und muß ein Ende haben. Komm her, ſchlag ein.

Der Andere hatte ihn anfangs mit ſeinem ſcheelen Auge verwun¬ dert angeſehen; die Zuverſichtlichkeit ſeiner Rede ſchien aber jedes Be¬ denken bei dem Zigeuner verwiſcht zu haben, und er that wie ihn ſein Gefährte hieß. Friedrich erwiderte ſeinen Handſchlag mit einem noch kräftigeren, und zufrieden wie wenn ſie einen guten Markthandel ab¬ geſchloſſen hätten, ſetzten ſie ihren Weg mit einander fort. Der Tag begann ſich eben zu neigen, da breitete ſich das Ziel ihrer Reiſe, ein beträchtlicher Flecken, in angenehmer Thalweite zwiſchen den Anhöhen wohlgelegen, freundlich und heimatlich vor ihren Augen aus.

2.

Frau Sonnenwirthin, jetzt iſt's an mir! rief der Aeltere von zwei Männern in hellblauen Wämſern, die am Wirthstiſche ſaßen. Bringt nur gleich zwei Bouteillen auf Einen Streich. Und wenn das Ver¬ mögelein drauf gehen ſollte, der Friede muß ſtet und feſt ſein. Man ſagt ja, ein Proceß ſei etwas Fettes. Nun gut, auf etwas Fettes muß man brav trinken, damit's Einem den Magen nicht verdirbt.

Nach Befehl! erwiderte die Wirthin, eine große ſchlanke Frau, aus deren gelblichem Geſichte ſtarke Knochen hervortraten; und die Fla¬ ſchen auftragend fuhr ſie fort: G'ſegn's Gott, ihr zwei Müller, Ober und Unter! Das iſt das wahre Waſſer auf eure Mühlen und wird ſie beſſer treiben als das Haderwaſſer, dem ihr einige Zeit her den Zugang verſtattet habt. Ja ja, ich gratulir '! Ein fetter Vergleich iſt beſſer als ein magerer Proceß. Das Sprichwort ſagt's zwar umge¬ kehrt, aber ich hab' doch recht. Auch iſt's geſcheider, das Geld in die Sonne zu tragen als zum Advocaten, denn bei dem wär't ihr doch nicht ſo 'ring durchgekommen wie mit ſo ein paar Bouteillen Zehner.

Die beiden Zunftgenoſſen, welche einen über ihre Gerechtſame ent¬ ſtandenen Streithandel noch bei Zeit geſchlichtet hatten, ließen ihrer15 guten Laune vollen Lauf. Sie ſaßen ſchon den halben Nachmittag hinter ihrer Friedensflaſche und hatten, wie das in ſolchen Fällen zu geſchehen pflegt, die ſtreitigen Punkte, ſo wie die Gründe, die zur Bei¬ legung riethen, mehr als ein Dutzendmal umſtändlich durchgeſprochen. Lachend trank der Jüngere der Wirthin zu, der Aeltere aber bedachte ſie mit einer derben Liebkoſung. Was die Sonnenwirthin noch ein feſter Kerl iſt! rief er: ich glaub ', die wär' Manns genug, um noch Zwillinge zu bringen.

Die Frau ſchoß einen ſcharfen Blick aus ihren grauen Augen auf den Necker, ſtieß ihn mit einem halb ſcherzhaft halb ernſtlich gemeinten Scheltwort zurück und verließ ihren Geſchäften nachgehend das Wirths¬ zimmer.

Ich glaub ', Euch juckt's ſchon wieder nach einem Proceß, Vetter! ſagte der jüngere Müller lachend. Paßt nur auf, die da verſteht keinen Spaß. Ihr werdet wohl wiſſen, daß man ihr kein gebrannteres Herzeleid anthun kann, als wenn man ſie an ihre Kinderloſigkeit erinnert.

Weiß wohl, entgegnete der Andere, und eben darum hab 'ich's ge¬ than, weil ich die neidige, gelbe, giftige Kröte noch gelber ſehen will, als unſer Herrgott ſie geſchaffen hat. Komm her, Peter, unter¬ brach er ſich, einem Eintretenden zurufend: Du haſt treulich mit zum Frieden gerathen, nun iſt's billig, daß du auch mit uns trinkſt. Ihr werdet nichts dagegen haben, Vetter, wenn ich meinem Knecht ein¬ ſchenke? Hol' dir ein Glas und geh 'her.

Der Knecht that wie ihm geheißen wurde und ſetzte ſich dann hinter einen andern Tiſch auf die Bank, die vor'm Ofen längs der Wand hinlief. Von dort aus nahm er ſeinen wohlberechtigten An¬ theil am Geſpräch, ſtellte ſich auch in ſeinem Reden und Benehmen völlig auf den Gleichheitsfuß mit ſeinem Herrn und deſſen Gefährten; nur dadurch, daß er nicht unmittelbar bei ihnen Platz nahm, beobachtete er den Standesunterſchied.

Der gelbe Neidteufel! fuhr der obere Müller fort. Man darf nur den Sonnenwirth vergleichen, was er unter ſeinem erſten Weib für ein Mann war, und was er unter dem dürren Rippenſtück für einer geworden iſt. Damals war er aufgeweckt und kameradſchaftlich und gar nicht b'häb in Handel und Wandel und Geldſachen. Jetzt16 iſt er ſchwach und hat keinen eigenen Willen mehr, dabei aber gegen andere Leute ein wahres Unthier an Geiz und Hochmuth. Der alte Kerl, er trägt den Kopf wie ein Edelmann, und meint wahrhaftig, er ſei aus anderem Teig gebacken als wie Unſereiner.

Das macht eben der Reichthum, ſagte der Knecht von ſeiner Bank herüber.

Ja, er iſt grauſig reich, verſetzte der untere Müller. Der Holz¬ ſchlegel rindert ihm auf der Bühne. Er wird wohl auf zwölftauſend Gulden geſchätzt. Aber freilich, wie Ihr ſagt, Vetter, ſo verhält ſich's: er iſt b'häb, und faßt das Tuch an fünf Zipfeln.

Ja und guckt in neun Häfen zumal, fiel der Andere ein.

Wo der gedroſchen hat, darf man kein Korn mehr ſuchen, er¬ gänzte der Knecht.

An all' dem iſt das vortheilhaftige böſe Weibsbild ſchuldig! Sie will alleweil oben hinaus; ſie möcht's gern der Pfarrerin und der Amtmännin gleich thun, ſchmeichelt ſich auch bei ihnen an und ver¬ läſtert andere Leute, denn das hören ſolche Frauen immer gern. O die iſt falſch wie Galgenholz. Und wie iſt ſie nur mit ihren Stiefkindern umgegangen! Die hat ſie von Anfang an zurückgeſetzt und verkürzt, in der Meinung ſie werde eigene bekommen, und wie das nicht einge¬ troffen iſt, ſo hat ſie's ihnen aus Mißgunſt noch ärger gemacht. Die älteſte Tochter hat den kahlköpfigen, trockenen Krämer da drüben ge¬ heirathet, um nur aus der Hölle los zu werden. Die andere, die Mag¬ dalene, thät ', ſchätz ich wohl, mit einem Froſch vorlieb nehmen, wie die Prinzeſſin im Märlein.

Ihr trefft den Nagel auf den Kopf, Vetter! rief der jüngere Müller mit mürriſchem Lachen. Wie? oder wißt Ihr's nicht? Hat ein blindes Schwein eine Eichel gefunden?

Nun was iſt's denn?

Habt Ihr den Laubfroſch noch nie aus und ein gehen ſehen? Wißt Ihr denn nicht, was man für Werg an der Kunkel hat?

Der Andere ſchüttelte den Kopf.

Das Ausrufungszeichen in dem froſchgrünen Rock! fuhr der Jün¬ gere hitzig fort. Er ſieht accurat aus, wie Ihr ihn geſtempelt habt. Seid Ihr denn heut 'ganz auf den Kopf gefallen?

17

Was, der Bartkratzer, der ſogenannte Herr Chirurgus, der Heuchler, der Kopfhänger, die magere Kuh Pharaonis? Jetzt wird mir's an¬ ders! jetzt hab 'ich eine Stärkung vonnöthen! Kommt, Vetter, ich will's an Euch hinlaſſen.

Damit erhob er ſein Glas. Ich will's ausſtehen, erwiderte der Andere mit ſauerſüßer Miene, kam ihm mit dem ſeinigen entgegen und ſie ſtießen mit einander an. Nachdem der Knecht durch einen Wink beſchieden worden war, den Dreiklang voll zu machen, lehnte ſich der ältere Müller in ſeinen Stuhl zurück und fuhr verwundert fort: Ei ſo guck Einer! Der Alte ſchlägt ſeine Mädchen doch recht unter'm Preis los, denn die paar Fuß breit Grundherrſchaft, die der grüne Darmfeger beſitzt, werden juſtement einen Sack Erdbirnen ausgeben, und was er Jahraus Jahrein mit ſeiner Raſierklinge aus den hieſigen Schweins¬ borſten und Igelsſtacheln herausſticht und ſchabt, das wird ihn auch nicht gerade fett machen. Die Figur gibt's. Aber der Alte trifft zwei Fliegen mit Einem Schlag. So ein Schlucker darf kein groß Heirathgut fordern; da behält der Schwäh'rvater ſeine Kronenthaler brav in der Truhe, und hat noch den Profit, daß ihm der fromme Schwiegerſohn, ſo oft er den Morgen - und Abendſegen lieſt, um ein baldſanftſeligs Ende betet. Seine erſte Tochter wird auch nicht viel mitbekommen 'haben, wie er ſie hinausgegeben hat; denn ich ſeh' juſt nicht, daß ihr Eh'krüppel ſonderlich ſtark ſpeculirt, weder in Käs noch in Schwefelhölzlen. Econträr, im Gegentheil, ſeine Firma geht einen ſehr bedächtlichen Gang und blüht wie die ſpäten Obſtſorten; ich glaub ', er hat's auf's langſam reich werden angelegt. Aber er iſt doch ein Herr Handelsmann, in Stuttgart heißen ſie's gar Commercienrath, und das iſt Numero Zwei. Den neuen Schwiegerſohn kauft er viel¬ leicht noch wohlfeiler, und das iſt noch ein koſtbarerer Artikel, das iſt gar ein halber Doctor. Die Frau Chirurguſſin wird ſich natürlicher Weiſe Flügel an die Haube machen laſſen müſſen, wenn ſie mit der langen froſchgrünen Stange ranggemäß über die Straße rudern will. Schad' iſt's übrigens um die Magdalene. Sie gäb 'grad' ſo einen Arm voll für einen wackern Junggeſellen, wie Ihr z. B., Vetter. Aber ſo weit gibt ſich der Hochmuth nicht herunter, Unſereiner iſt ihm nicht gut genug; ſo eine Raſierklinge ohne Handhab 'ſchneid't ihm immer noch beſſer. O blinde Welt! Die Hand vom Butten, Vetter, 's ſind Weinbeeren drin.

D. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 218

Meinthalben Roſinen und Cibeben! fuhr der Jüngere auf. Habt Ihr mich auf der Muck '? Wollt Ihr mich in's Gered' bringen? Ihr ſchwätzt mir da recht hinterfür heraus, wie ein Mann ohne Kopf! Was will ich von dem Mädle? Habt Ihr wo läuten hören? Bin ich dem Sonnenwirth auf irgend eine Art oder Weiſe zu Hof geritten? Zwar es fragt ſich noch, wenn er einen wohlfeilen Schwiegerſohn fin¬ den will, ob ihm nicht einer ſo gut iſt wie der andere. Wenn's im Abſtreich geht, darf auch der Bettelmann zur Auction kommen, und das iſt doch juſt nicht meine Nummer, wie Ihr ſelber am beſten wißt. Uebrigens kann mir die ganze Sippſchaft geſtohlen werden. Macht mir nichts vor! In dem Punkt verſteh 'ich keinen Spaß.

Na wollen den Geiſt ruhen laſſen, verſetzte der Aeltere. Aber ſo viel iſt gewiß: wenn die erſte Frau, die rechte Mutter, noch am Leben wär ', ſo fiel' die Ausſteuer ein wenig größer aus und der Hoch¬ muth ein wenig kleiner.

Ja und mancher böſe Auftritt wär 'unterblieben und mancher Lärm und Spektakel bei Tag und auch bei Nacht, der die Sonne mehr in Finſterniß als in Glanz brachte bei der Gemeinde. Und die Hauptſonnenfinſterniß wär' gewiß auch nicht ſo ſchwarz ausgefallen unter dem linden Regiment der rechten Mutter.

Was meint Ihr damit? Ja ſo, jetzt geht mir auf einmal ein Licht auf. Ihr ſprecht vom Gutedel, vom jungen Sonnenwirthle. Mag leicht ſein, daß der mit Verſtand und Güte gradgebogen worden wäre, der knorrige Hagbuchenſtock. Zwar iſt es ſchwer zu ſagen, ob das Mutterherz den rechten Weg gefunden hätte nachmals, wie es nöthig wurde; denn die ſelige Sonnenwirthin war eben die gute Stunde ſelber, und den Stab Wehe hat ſie nimmermehr zu führen verſtanden. Der Sonnenwirth ſah dem Früchtlein auch in allweg zu viel durch die Finger, ſo lang ſie lebte und ſo lang der Erbprinz die Nüſſe noch mit den Milchzähnen knackte. Er hielt ihn zwar fleißig zur Schule an, und ſah auch ſonſt zum Rechten; aber ich weiß nicht, es hat eben doch an etwas gefehlt.

Ja, lachte der jüngere Müller, wohlgezogen, aber übel gewöhnt, das war er von Anfang an.

Iſt denn ein Sohn da? fragte der Müllersknecht von ſeiner Bank herüber?

19

Sein Dienſtherr ſah ihn verwundert an. Ja ſo, ſagte er nach einer Weile, du haſt dich ſchon ſo bei mir inſinuirt, daß ich ſchier gar gemeint hätte, du ſeieſt ſeit Jahr und Tag in meinem Haus, und biſt doch erſt eine Woche da. Freilich auf die Art haſt du den jungen Sonnenwirthle noch nicht zu Geſicht kriegen können. Wundert mich übrigens, daß du in deinem Deizisau nichts von ihm gehört haſt; denn er iſt ein Gewaltiger vor dem Herrn und wenn man ihm nicht den Krattel bei Zeiten vertreibt, ſo kann er, ſchätz 'ich wohl, im ganzen Land bekannt werden.

Wo iſt er denn? fragte der Knecht.

Er iſt an einem Oertlein, wo du nicht gern hinkämſt, war die Antwort, und die beiden Müller brachen in ein Gelächter aus. Jetzt rath 'einmal.

Die Thüre ging abermals auf und ein Menſch in hohen Waſſer¬ ſtiefeln trat herein. Er trug einen Kübel, den er vorſichtig auf ei¬ nen Stuhl ſetzte. Iſt die Frau nicht da? fragte er.

So, du biſt's, Fiſcherhanne? rief der obere Müller. Was haſt denn da? Du gehſt ja mit dem Kübel ſo ſachte um, wie wenn du Perlen in der Fils gefunden hätteſt.

Guten Abend, ihr Mannen, ſagte der Fiſcher. Thut's ſo? iſt's ſchon Feierabend? Nein, die Perlen gerathen nicht hier zu Land, außer in der Glasfabrik. Forellen ſind's, friſch aus dem Bach, ich hab 'ſie nur geſchwind im Kübel hergetragen.

Was meint Ihr, Vetter? Wie wär's, wenn wir ſo ein paar Silber¬ fiſchlein in die Küche ſchicken thäten? Der Wein ſchmeckt noch ſo gut dazu. Wie, Fiſcherhanne, gib her, laß einmal ſehen, was haſt für Waar '?

Ich kann keine davon hergeben, ſagte der Fiſcher. Die Alte thät 'mich mit dem Beſen zum Haus hinaus jagen. Sie hat morgen ein Pfarrerskränzlein und da braucht ſie die Fuſch alle.

So, ſo, die hochwürdigen Herren begnügen ſich nicht mit dem geiſtlichen Fiſchzug und wollen daneben auch leibliche Gräten beißen?

Ihr lebet ja auch nicht vom Waſſer allein, obgleich Ihr Müller ſeid, erwiderte der Fiſcher, indem er trotz ſeiner abſchlägigen Antwort den Kübel herüberholte und mit ſeinen zappelnden Inſaſſen auf den Tiſch ſetzte.

2 *20

Pflanz 'dich nur her, ſagte der Andere. Du gehörſt ja in Ein Element mit uns. Ein Glas Wein für den Fiſch! Willſt nicht? Und meinethalb noch einen Freitrunk drüber, daß der Weinkauf richtig iſt.

So macht nur geſchwind, daß die Alte nicht dazu kommt, erwi¬ derte der Fiſcher. Aber mehr als einen auf den Mann kann ich nicht hergeben und hier könnet ihr ſie auch nicht eſſen, denn die Sonnen¬ wirthin darf beileib nichts davon wiſſen.

Freilich, 's iſt ein halber Kirchenraub! rief der ältere Müller lachend, fuhr in den Kübel, griff mit ſicherer Hand eine große ſchöne Forelle heraus, zu welcher der Fiſcher gewaltig ſauer ſah, ſchlug ſie mit dem Kopf gegen die Tiſchecke, und ſteckte ſie eilig in die Taſche. Der Jüngere war eben ſo ſchnell ſeinem Beiſpiel gefolgt.

So, Fiſcherhanne, ſagte der Aeltere, nachdem ſie den Handel be¬ endigt hatten, wir wollen das Element leben laſſen, das unſere gemein¬ ſchaftliche Nahrung iſt. Nahrung wohlverſtanden! denn für den Hunger iſt's zwar gut, aber nicht für den Durſt. Der Eulenſpiegel hat's allezeit den ſtarken Trank geheißen; es treibe Mühlräder, ſagte er, und deßhalb ſei es ihm zu ſtark für ſeine Natur.

Er klingelte am Glaſe, um noch eine Flaſche zu beſtellen. Aber jetzt iſt's recht, rief er, als die Thüre aufging: jetzt kommt auch ein¬ mal die Oberkellnerin, die Magdalene. Komm her, du Hübſche und du Feine, da gibt's ſchmachtende Herzen zu laben.

Das Mädchen, das auf den Ruf der durſtigen Sturmglocke er¬ ſchienen war, konnte man nicht anſehen ohne ihr freundlich geſinnt zu werden. Sie trug auf einem wohlgewachſenen Körper ein rundes, unſchuldiges, gutmüthiges Geſichtchen, ein weiblich mildes Abbild von den derben Zügen ihres Bruders, und zugleich eine Bürgſchaft, daß auch hinter dieſer rauhen Schale ein guter Kern verborgen ſein könnte.

Hab 'ich's nicht geſagt? rief der ältere Müller: und es verlohnt ſich der Müh', es zweimal zu ſagen, wiewohl wir nicht in der Mühle ſind! Das Mädle gäb 'einen ſtaatsmäßigen Arm voll, nicht zu viel und nicht zu wenig, für einen braven Junggeſellen.

Er blickte dabei mit einer Spaßvogelsmiene auf den Andern. Wenn Ihr ſie zu Eurer Käther hin heirathen wollt, ſo müßt Ihr eben ein21 Türk 'werden, erwiderte dieſer trocken. Aber jetzt iſt's wieder an mir! Eine Butell' für mich! rief er barſch, auf die Flaſche deu¬ tend, dem Mädchen zu und konnte es doch nicht laſſen, ihr nachzu¬ blicken, bis ſie in der Thüre verſchwand. Sie war feuerroth geworden und hatte die Flaſche mit niedergeſchlagenen Augen vom Tiſche ge¬ nommen.

Und wie ſie ſo leibhaftig geht und ſteht! rief der Erſte, der nicht müde werden konnte. O du Milch und Blut!

Magdalene erſchien nicht wieder. Statt ihrer kam die Hausfrau, ſtellte die gefüllte Flaſche auf den Tiſch und nahm die Forellen, die der Fiſcher indeſſen auf den Stuhl zurückgebracht hatte, mit hinaus.

Da trink ', Fiſcher! rief der jüngere Müller einſchenkend. Der treibt die Seelenmühle, vielleicht treibt er dir auch ein wenig Blut in die farbloſen Backen.

Ja, das iſt wahr, du ſiehſt aus, wie wenn du's mit einer Waſſer¬ jungfer hatteſt, ſagte der Aeltere.

Und ſo alt biſt du geworden, Kerl! fügte der Jüngere hinzu. Wenn man ſich tagtäglich im Waſſer hetzen und verkälten muß, und hat magere Biſſen dabei, entgegnete der Fiſcher unmuthig, ſo iſt's kein Wunder, wenn der Firniß abgeht.

Wie alt biſt denn, Fiſcherhanne? Du ſiehſt aus, wie wenn du ſchon das Schwabenalter erreicht hätteſt, und biſt doch glaub 'ich mit dem Sonnenwirthle aus der Schul' gekommen.

Ja, den hat man aber auch ſorgfältiger aufgehoben als mich, da iſt's kein Wunder, verſetzte der Fiſcher mit hämiſchem Tone, und ein Strahl leuchtete flüchtig in ſeinen todten grauen Augen auf. Der iſt ja ſo gut verwahrt, daß ihn kein rauhes Lüftle anwehen kann. Wie lang ſitzt er denn noch im Zuchthaus?

Er wird ſeine Zeit jetzt ſo ziemlich abgeſeſſen haben.

Was, der Sonnenwirth hat einen Sohn im Zuchthaus? rief der Müllerknecht aus voller Lunge herüber. Er hatte die frühere Antwort nicht recht begriffen.

Sachte, Peter, ſachte mit der Braut! ſagte ſein Herr und hielt ihm die Flaſche hin, um einzuſchenken. Mußt nicht ſo laut ſchreien. Im Haus des Gehenkten iſt nicht gut vom Strick reden.

22

Aber wie iſt ſo was möglich? Guter Leute Kind im Zuchthaus! ſagte der Knecht leiſe, auf den äußerſten Rand ſeiner Bank vorrückend, die Hände auf den Knieen und den Kopf ſo weit als möglich vor¬ geſtreckt.

Es iſt juſt kein Wunder, verſetzte der Fiſcher.

Er iſt eben ein heißgrätiger unbändiger Burſch ', ſagte der jüngere Müller.

Ei, du kennſt ihn ja am beſten, Fiſcherhanne, rief der Aeltere. Gib Acht ', Peter, der kann's dir ſagen, der iſt mit ihm in die Schul' gangen.

Da wirſt du wenig Gut's von ihm zu hören bekommen, lachte der jüngere Müller. Wenn der Sonnenwirthle am jüngſten Tag dem Fiſcherhanne gegenüber geſtellt werden thät ', und es käm' auf ſein alleiniges Zeugniß an, wie ſein Urtheil in der andern Welt lau¬ ten ſollt ', ich glaub' der Frieder müßt 'in die unterſte Hölle fahren.

Wahr iſt's, ſagte der Fiſcher, ich kann ihn nicht leiden, und hab 'ihn nie leiden können. Wir ſind einander von Anfang an ſpinnen¬ feind geweſen. Ich weiß eigentlich ſelbſt nicht recht wie's gekommen iſt, 's iſt weiter nichts Beſonderes zwiſchen uns vorgefallen. Die Bu¬ ben hadern und raufen viel mit einander und werden doch nachher oft die beſten Freunde. Aber bei uns hat der Haß immer tiefer ge¬ freſſen; es iſt als ob's uns von Natur eingepflanzt geweſen wäre. Das erſte Mal, daß wir einander zu Geſicht kriegten, ſah er mich mit böſen Augen an, und ich war wider ihn und er wider mich.

Da iſt auch kein Wunder dran, meinte der untere Müller. Ob ſeine Augen, die er an dich hingemacht hat, ſo bös geweſen ſind, das weiß ich nicht, er iſt nicht gerade beſonders gezeichnet in den Augen. Aber er war ein Mutterſöhnchen, hatte immer was zu beißen und zu knacken; mit den Gröſchlein und Sechſerlein von den Döten und Dotinnen konnte er allzeit den großen Hanſen machen; und in der Schule ſaß er beſtändig obenan, denn das Spruchbuch und den Ka¬ techismus lernte er wie's Waſſer.

Ich weiß ſchon wo du hinaus willſt, Georg, verſetzte der Fiſcher, ohne Geſicht oder Augen zu erheben. Es iſt wahr, ich bin ein armer Teufel, und ein Bub ', der im Wachſen iſt, hat einen ſtarken Appetit, und es mag ſein, daß mir die überflüſſigen guten Biſſen, die man23 bei ihm ſah, manchmal zu ſchaffen machten; aber ſo gar mißver¬ günſtig bin ich doch nicht, und werd's auch damals nicht geweſen ſein. Seine Gelehrſamkeit hat mir's auch nicht angethan. Der Ehr¬ geiz hat mich nie geſtochen; meine Vorfahren ſind arme Fiſcher ge¬ weſen, ſo weit man hier in Ebersbach zurückdenken kann, und darum hab' ich auch weder Vogt noch Profeſſor werden wollen.

Aber womit hat er dir's denn angethan?

Warum ſtellen ſich Hund und Katze wider einander, wenn ſie einander anſichtig werden? Warum gibt's Leute, die manche Thiere nicht leiden können? Gerade ſo geht's auch dem Menſchen mit dem Menſchen. Ein Geſicht gefällt Einem, ein anderes iſt Einem zuwider. Uebrigens hat er's nicht an thätlichem Anlaß fehlen laſſen. Er war ein ſtolzer übermüthiger Bub ', der Keinen was neben ſich gelten ließ. Beim Soldätlesſpiel war er der General, und wenn man Räuberles ſpielte, mußte er der Hauptmann ſein. Commandiren und die An¬ dern herumpudeln, das war ſein Pläſir. Die ihm recht unterthänig waren, denen ſpendirte er, was er nur aufbringen konnte. Mir hat er nie was geſchenkt.

Das muß man ihm laſſen, ſagte der ältere Müller, gutherzig und freigebig iſt er allezeit geweſen.

Ja, aber da hat der Fiſcherhanne doch recht, fügte der Jüngere hinzu, am gutherzigſten war er eben gegen ſolche, die ſeinem Stolze am beſten hofiren konnten.

Gutherzig? rief der Fiſcher. Eine eigne Art von Gutherzigkeit hat er von jeher gehabt. Er war noch nicht acht Jahre alt, ſo jagte er den Nachbarn zum Spaß die Hühner fort, aus purer guter Laune ſchlug er ihnen die Gänſe todt, hetzte die Hunde auf Weiber und Kinder, und lachte wie ein kleiner Teufel über ihre Angſt. Und wie er dann zu ſeinem Namenstag eine Flinte bekam, da hieß es erſt: Hellauf! Da ſchoß er mitten im Ort auf Hühner, Enten, Gänſe, was er erwiſchen konnte, und der Sonnenwirth bezahlte den Schaden und war ſtolz darauf, daß er ihn zahlen konnte!

Und noch mehr darauf, daß die Blitzkröte ſchon ſo ein guter Schütz war, fiel der jüngere Müller ein. Das war's ja eben! Durch die Nachſicht, die man ihm ſchenkte, und durch den Beifall der Speichellecker, die bei den Eltern einen Stein im Brett gewinnen24 wollten, wurde er immer noch mehr verhetzt, und ſo kam er von einem Schabernack zum andern. Die ärgſten Streiche erfuhr der Alte gar nicht, die ſind von der Mutter vertuſcht worden. Da iſt mancher Sechsbätzner, mancher Krug Wein als Schmerzengeld hinter ſeinem Rücken aus der Sonne gewandert.

Wenn man dem Ding nachdenkt, ſagte der obere Müller, ſo hat es mit ſo einem verzogenen Söhnle eigentlich nicht anders kommen können. Ich glaub ', ein Anderer wär' auch ſo geworden.

Vielleicht lauft er ſich die Hörner noch ab, verſetzte der Jüngere. Wiewohl, es wird ſchwer halten. Er iſt eben einmal an die Ge¬ waltthätigkeit gewöhnt. Wenn man ihm irgendwie einen Riegel vor die Thür 'ſchiebt, ſo muß er mit dem Kopf durch die Wand, das thut er nicht anders.

Ja und ſein Hochmuth wird ihn auch nicht anders werden laſſen, ſagte der Fiſcher: denn das iſt der Hauptteufel, der ihn reitet.

Der ſteckt in der ganzen Sippſchaft. Iſt die Magdalene vorhin wieder hereingekommen? Nein, weil man ſich einen kleinen Spaß mit ihr herausgenommen hat, ſo hat ſie den Wein durch die Mutter geſchickt.

Aha! ſagte der ältere Müller leiſe, dem Fiſcher zuwinkend: haſt ihn hören trappen?

Immer hat er ſich für was Beſonderes gehalten, fuhr dieſer fort, ohne auf die Bemerkung Acht zu geben. Ha, wenn ich nur daran denke, was er mir einmal für eine Zumuthung gemacht hat! Das war das einzige Mal, daß ich was Apartes in die Schule mitbrachte, wo ich mir was drauf zu gut thun konnte. Der Herzog war eben vorher durch den Flecken gefahren, und da fand meine Mutter auf der Straße ein kleines Stück hellblauen Sammet, Gott weiß, woher und wie er auf den Boden gefallen war. Meine Mutter wußte nicht was damit thun, nun zerſchnitt ſie's in Läpplein und machte mir eine Windmühle, wißt ihr, wie's die Buben an Stecken haben; wenn ſie damit ſpringen, ſo dreht ſich's herum. Das Ding ſah hof¬ färtig aus und die ganze Schule hatte Reſpect davor. Den Sonnen¬ wirthle aber verdroß es, daß er mir's zum erſten Mal nicht gleich thun konnte; er ließ ſich aber nichts anmerken, ſondern verſpottete mich und ſchalt mich den herzoglichen Windmüller. Da war's auch bei den25 Andern aus: ich konnte mich allein an meiner Windmühle ergötzen; ſie ſahen mich nicht mehr darum an. Ein paar Tage drauf iſt meine Windmühle weg. Ich hatte Niemand anders im Verdacht als den Frieder, und ſagt's auch den andern Buben. Wie der's aber hört, ſo ſpeit er Gift und Galle, paßt mir auf, und an der Rathhausecke ſtellte er mich, wie ich mich unterſtehen könne, ihn zu bezichtigen, daß er mich beſtohlen habe. Jetzt, was meinet Ihr, daß er mir zuge¬ muthet hat? Ein Meſſer nahm er in die Fauſt, und mir bot er ein anderes dar, und ſagte, ich ſolle mich wehren. Natürlich hab 'ich mich dafür bedankt, und dann fiel er über mich her und prügelte mich durch; denn er war weitaus der Stärkſte von uns Allen.

Und hatte er wirklich die Windmühle geſtohlen?

Nein, ich fand ſie hernach wieder; ich hatte ſie nur verlegt. Auch hätt 'ich's nicht ſo ſchwer genommen, nicht einmal die Prügel be¬ kümmerten mich, wiewohl er immer eine harte Tatze hatte. Nein, aber der Hochmuth, daß er den fürnehmen Herrn ſpielen wollte und ſich duelliren, wie ein Edelmann, das hat mir ihn zuwider gemacht. Und er war dazumal ein Bub' von zehn Jahren. Wenn das am grünen Holz ſo iſt, wie wird's am dürren werden?

Duelliren hat er ſich wollen, wie ein Offizier? rief der Knecht. Ei ſo verreck!

Da hat ſich das adelige Blut frühzeitig geregt, ſagte der jüngere Müller lachend.

Wenn die ſelige Sonnenwirthin nicht ſo ein kreuzbraves Weib geweſen wär ', verſetzte der ältere Müller, ſo könnt' man auf allerlei Gedanken kommen.

Und was iſt denn ſein Vater Großes? fuhr der Fiſcher eifrig fort. Er mag meinethalb für ſeine paar Batzen hochmüthig ſein, aber Alles hat ſeine Grenzen. Er iſt Wirth, muß den Leuten für ihr Geld Kratzfüße machen; er iſt Viehhändler, patſcht jedem Ro߬ kamm in die Hand; er iſt Metzger, muß den Ochſen und Säuen im Gedärm herumfahren.

Es müßt's nur das Metzgerhandwerk machen, ſagte der ältere Müller: damit übt er eine Art von Blutbann aus, und das iſt doch was Adeliges.

26

Ja, rief der Andere, und darin ſtehſt du ihm nach, Fiſcherhanne. Denn du und die, über deren Leben und Tod du Gewalt haſt, haben kein Blut.

Oder nur weißes. Die Andern lachten.

Sorget nur nicht für mich! ſagte der Fiſcher etwas ärgerlich. Meine Unterthanen haben auch Blut.

Ja, und Galle.

Ja, und beißen können ſie auch.

Aber der Ochs hat Hörner.

Wenn er zu hitzig ſtoßt, ſo brechen ſie ab.

Wenn ſie nur ſchon abgebrochen wären! ſagte der ältere Müller. Aus dem Burſchen könnt 'noch was Tüchtig's werden. Ich wollt' man that ihn mir anvertrauen, ich zög 'ihn durch's Kammrad, daß er ge¬ ſchlacht würde.

Nichts Gewiſſes weiß man nicht, heißt's im Sprichwort, erwiderte der Jüngere.

Ja, es iſt nicht ſo leicht mit ihm fertig zu werden, ſagte der Fi¬ ſcher. Er iſt ein böſer Bub '.

Wenigſtens muthwillig und unbändig, verſetzte der ältere Müller. Unter allen Streichen, die ich von ihm weiß, hat mir einer immer am beſten gefallen. Da war vor ein Jahr ſieben oder achten ein Hausknecht hier in der Sonne, wißt ihr, der Mathes ich ſeh ihn heut noch vor mir, s'iſt ſo ein perſönlicher langer Kerl geweſen, und etwas langſam im Geiſt. Der wollte geſcheider ſein als der Frieder, und das konnte mein Frieder nicht vertragen. Was thut er alſo? Um Mitternacht ſchleicht er aus dem Bett, die Stiege hinunter, bricht den Fuhrleuten in die Güterwagen vor dem Haus auf der freien Straße ein, und bringt den Raub ſeinem Vater über's Bett. Der Knecht, den andern Tag, der iſt natürlich ſchön ausgelacht wor¬ den ob ſeiner Wachſamkeit. Und das hat der ſtolze Bub 'mehr als einmal gethan, und der gute Mathes konnt' ihn nie erwiſchen. Das Ding hat ihm das Leben ſo ſauer gemacht, daß er's nicht in der Sonne aushalten konnte. Es trieb ihn aus dem Dienſt, ich glaub 'er dient jetzt in Beutelsbach drüben, das alte Beutelthier.

Der Müllerknecht hatte Mund und Augen aufgeſperrt. Ver¬ fluchter Bub '! ſagte er endlich. Das hat der Sonne gute Kundſchaft27 bringen können. Ich wär' auch eingekehrt und hätt 'mich zum Spaß berauben laſſen, pur aus Fürwitz.

Es iſt doch eine gefährliche Uebung, ſagte der Fiſcher. Wenn die Katze das Mauſen verſchmeckt hat, ſo läßt ſie nicht mehr davon, und was eine Diſtel werden will, das fängt zeitig an zu brennen. Es iſt nicht lang angeſtanden, daß er ſeine G'ſtudirtheit an einer Geldkiſte ausgelaſſen hat.

Was? rief der Knecht. Iſt er im Ernſt eingebrochen?

Pſt, Peter, ſchrei leis! erwiderte ſein Herr. Ja, aber nur bei ſeinem Vater, und der hat's ja.

Vierhundert und dreißig Gulden ſind doch keine Kleinigkeit, ſagte der Fiſcher.

Vierhundert und dreißig Gulden! rief der Knecht. Da wundert's mich nicht, daß er im Zuchthaus ſitzt. Und ſein eigener Vater hat ihn hineinſperren laſſen?

Er konnte es nicht vertuſchen, wenn er auch gewollt hätte. Uebrigens iſt's nicht ſeine diesmalige Zuchthausſtrafe, denn das iſt ſchon die zweite. Damals aber war er erſt vierzehn Jahr 'alt.

Das iſt aber doch auch hart, meinte der Knecht, einen vierzehn¬ jährigen Buben ins Zuchthaus zu ſchicken.

Laßt mich reden, ihr Mannen! ſagte der jüngere Müller: ich kann am beſten erzählen, wie die Sach 'zugegangen iſt, ich hab' ja auch einen Spieß in ſelbigem Krieg getragen. Wahr iſt's, und was wahr iſt, das muß wahr ſein, dem Frieder hat ſich das Blättlein übel gewendet, wie ihm Gott ſeine Mutter nahm. Von der Stund 'an hatte Alles was er that eine andere Farbe.

Das iſt eben der Unterſchied, fiel der ältere Müller ein, ob man etwas mit Liebe anſieht oder mit Haß. Und den Haß, den hat das Ripp, die jetzige Frau, ins Haus gebracht; die Liebe aber iſt mit der erſten ins Grab gegangen.

Verzogen war er, das iſt richtig, fuhr der Jüngere fort. Aber es kommt nur drauf an, was man dem Kind für einen Namen gibt. Vormals hieß man's artig, witzig, aufgeräumt; nachher hieß man's übermüthig, tückiſch, boshaft. Und wo man früher Anzeichen von Mannhaftigkeit gelobt hatte, da ſah man jetzund nichts mehr als den hellen lautern Teufelstrotz.

28

Mir iſt's von Anfang an ſo vorgekommen, ſelbiges Kind, ſagte der Fiſcher.

Da ſind deine Augen juſt für die Stiefmutter recht geweſen, Fiſcherhanne. Ich glaub 'auch, ſie hat dir die Augen abgekauft; ich will davon ſchweigen, aber du haſt immer einen Stein bei ihr im Brett gehabt, und ich weiß nicht, ob die Fiſche, die du ihr zugetragen haſt, immer aus dem klaren Waſſer gekommen ſind.

Selbige Augen, unterbrach ihn der andere Müller, hat ſie dann auch dem Sonnenwirth eingeſetzt, und da hat der alte Eſel ſeinen Sohn gleich in einem andern Licht geſehen.

Freilich, weil er immer ärger geworden iſt, ſagte der Fiſcher.

Mach 'kein' ſo krummen Kopf! Narr, er iſt ärger geworden, weil man ihn ärger gemacht hat. Und das muß man ſagen, für ſeine Schweſtern hat er ſich ritterlich gewehrt, und hat nicht leiden wollen, daß man ſie wie Stallmägd 'behandle.

Ja, und dann hat's eben wüſte Auftritte gegeben.

Ja, und dann hat er ſeine Mutter geprügelt, ſagte der Fiſcher.

Wenn er ihr doch nur ein Dutzend Rippen eingeſchlagen hätte! verſetzte der ältere Müller. Brauchſt's ihr aber nicht wieder zu ſagen, Fiſcherhanne, ſetzte er etwas erſchrocken hinzu, oder 'siſt aus mit der Freundſchaft. Du weißt, ein Menſch hat allezeit den andern nöthig.

Wie kam er denn aber zum Stehlen? fragte der Knecht.

Ich will's dir ſagen, fuhr der jüngere Müller fort. Wie er ſah, daß er doch immer den Kürzeren zog, weil ſein Vater auf Seiten der Stiefmutter war, ſo wollte er in die Fremde gehen, und begehrte einen Zehrpfennig nach Amerika.

Nach Amerika? rief der Knecht. Das iſt ja ein Weltskerl!

Der Alte aber, fuhr der Müller fort, war dazumal ſchon b'häb geworden und behielt die Schlüſſel zur Geldtruhe feſt im Sack; auch meinte er, der Bub ', der erſt vierzehn Jahr alt war, ſei noch zu jung zum Reiſen, und darin hatte er gänzlich Recht, denn der Bub' iſt nachher richtig auch nicht gar weit gekommen, und nicht gar lang fortgeblieben. Der aber meinte, was man ihm nicht gutwillig gebe, das könne er ja mit Gewalt nehmen, und beerbte ſeinen Vater vor der Zeit, noch eh 'ihm der Alte aus der Helle gegangen war.

29

Oder aber, ſagte der ältere Müller, er hat als ſein eigener Rich¬ ter ſeine Jahr 'und ſeine Taſchen vollgemacht und eben ſein Mütter¬ liches eingeſackt.

Es iſt juſt wie man's anſieht. Ueber's Geld zu kommen und die Schlöſſer aufzumachen, war dem G'ſtudirten, wie ihn der da heißt, eine Kleinigkeit; er hatte ja dem Alten ſchon mehrmals den Spaß gemacht. Kurz und gut, er nahm ihm vierhundert Gulden, brachte ſie ihm aber nicht über's Bett.

Vierhundert und dreißig! fiel der Fiſcher ein.

Mein'twegen vierhundert und dreißig, wenn das Sündenregiſter voll ſein muß. Du mußt's ja wiſſen, denn du biſt der Erſte ge¬ weſen, Fiſcherhanne, der ihn des Einbruchs zieh.

Hab 'ich gelogen? fragte der Fiſcher.

Ja, die Wahrheit haſt du gelogen.

Dann iſt er durchgegangen? fragte der Knecht.

Ja, aber er kam nicht nach Amerika, ſondern bloß bis Heilbronn. Dort ließ er ſich bei den kaiſerlichen Huſaren anwerben, als Frei¬ williger. Pferd und Montur bezahlte er flott von ſeinem eigenen Geld. Wenn er nur bei ihnen geblieben wär '!

Iſt erſt noch wahr! rief der ältere Müller. Der Kerl hätt's zu was bringen können. Der? der hätt 'General werden können.

Iſt er denn deſertirt? fragte der Knecht.

Nein, aber nach zehn Wochen ſtach ihn der Fürwitz, ob man ihn zu Ebersbach vergeſſen habe, und da kam er mit einem Urlaubſpaß als Huſar angeritten. Das war ein Aufſehen! Dem Amtmann trotzte er ein Atteſtat ab, daß er von ehrlichen Leuten geboren ſei. Beweiſen konnte man ihm nichts, wiewohl das Geſchrei und der Verdacht wegen der vierhundert Gulden allgemein war, und Niemand wagte ihn zu greifen, den kaiſerlichen Huſaren, bis er im Hecht bei der Zeche ſchwediſche Ducaten, auch halbe Gulden blicken ließ. Dieſe verriethen ihn, denn ſie waren von ſeines Vaters Geld. Nun gab's Lärm im Ort. Der Frieder aber ſprang in den Sattel, jagte den Flecken auf und ab mit gezogenem Degen den Fiſcherhanne hätt 'er ſchier gar erritten; er hieb nur einen Zoll zu kurz, ſo hätt' man ſehen können, ob du weißes Blut haſt oder rothes und drohte mit ſechszehn andern Huſaren, mit denen er den Flecken beſetzen wolle. 30Die kamen aber nicht. Dem Amtmann ritt er vor's Haus, klopfte auf den Schenkel, höhnte und drohte. Von da ging's vor die Sonne, wo er's eben ſo machte. Kurz er trieb allen erdenklichen Uebermuth, wie ein losgelaſſener Eber; denn natürlich, er war betrunken. Wie er nun vollends ſeine Piſtolen losſchoß und niemand ſeines Lebens mehr ſicher war, da mußte die Bürgerſchaft ein Einſehen haben. Ich geſteh's, und es reut mich jetzt noch nicht: ich lud meine Flinte mit Schrot, der Zeiger Frank und der Spanner Eberhard, des Chirurgen Bruder, thaten deßgleichen wer ihn eigentlich getroffen hat, weiß ich nicht. Aber er ſtürzte vom Gaul, wie ein Mehlſack. Das Pferd war hin, er ſelbſt hatte den linken Fuß voll Schrot, und alſo war's leicht mit ihm fertig werden.

Das iſt ja ein Mordkerl! rief der Knecht. Aber hat es Euch und den andern Schützen keine Angelegenheit gemacht, fragte er weiter, daß ihr der Obrigkeit ſo mir nichts dir nichts ins Handwerk gegriffen habt?

Bewahr '! lachte der Müller. Obrigkeit und Bürgerſchaft waren froh, daß ſie die Belagerung überſtanden hatten, und der Amtmann hat, glaub' ich, dem Vogt nichts davon berichtet, auf was Art der Sturm abgeſchlagen worden ſei.

Und ſeitdem, fragte der Knecht, ſitzt er im Zuchthaus?

Ich hab 'dir's ja geſagt, erwiderte ſein Herr, daß er jetzt zum zweitenmal drin iſt.

Was? Iſt er ſeinem Vater abermals über den Geldkaſten gegangen?

Nein, in dem Fach hat er ein Haar gefunden und hat ihm abgeſagt.

Man kann ihm nichts Böſes nachſagen, verſetzte der Fiſcher, bis auf das, was man nicht weiß. In einem Wirthshaus läßt ſich Manches verſchleppen, man kann da nicht ſo nachrechnen, wo die Sachen hinkommen. Ich möcht 'doch auch wiſſen, aus welchem Beutel er auf dem Tanzboden immer ſo dick gethan hat.

Ich glaub ', er hat dem Herzog hier und da einen Hirſch wegge¬ büxt, ſagte der jüngere Müller.

Ja, ja, rief der Fiſcher, die Flinte, die er als Bub 'von ſeinem Vater kriegte, hat ihre Früchte getragen. Das iſt die zweite ge¬31 fährliche Kunſt, die er ſchon gelernt hat, eh' er hinter den Ohren trocken war.

Nu, wenn's weiter nichts iſt, ſagte der ältere Müller, ſo wollt 'ich nur, er thät' alles wegbüren, was mit Geweih und Hauer in Wald und Feld ſpaziert. Das wär 'ein Verdienſt, für das man ihm, weiß Gott, bei allen Gemeinden im Ländle das Bürgerrecht geben dürfte.

Freilich, ſtimmte der Knecht ein, Wildern iſt keine Sünd ', nur darf's nicht herauskommen.

Und gegen dieſen feſten Glaubensſatz wagte ſelbſt der hartnäckig grollende Fiſcher nichts einzuwenden.

Was hat ihn denn zum zweiten Mal in das Ding da, das man nicht gern beim Namen nennt, gebracht? fragte der Knecht weiter.

Seine Gewaltthätigkeit, antwortete der Fiſcher.

Eine Prügelei, erwiderte der jüngere Müller gleichmüthig.

Was die Prügelei betrifft, da kann ich nicht wider ihn ſein, ſagte der Aeltere. Gib Acht, Peter, das mußt dir erzählen laſſen, das iſt ein Staatsſtückle. Der Kreuzwirth den kennſt du ja, er hat ſei¬ nen Namen nicht umſonſt, denn er iſt gar ein frommer Kreuzträger und eine wahre Kreuzſpinne dabei der hatte von jeher ein ſcheeles Aug 'auf den Frieder gehabt.

Auf den Alten auch. Der verzeiht's ihm heut 'noch nicht, daß er ihn beim Kirchenconvent angebracht, weil er einen Ochſen ge¬ ſchlachtet hatte am Sonntag. Der Sonnenwirth wurde damals um ein Pfund Heller geſtraft.

Auch den Frieder, fuhr der ältere Müller fort, hat er einmal bei ſeinem Vater verſchwätzt, ſo daß er Hiebe von ihm kriegte. Der Alte hat nachher ſelber eingeſtanden, er habe dasmal ſeinem Sohn Unrecht gethan.

Ja, fiel der Jüngere ein, ich hab's mit meinen eigenen Ohren gehört, und ich war dabei, wie er zum Frieder ſagte, er ſolle es nur dem Kreuzwirth bei Gelegenheit wieder eintränken.

Und die iſt auch gekommen, fuhr der Aeltere fort. Denn ſo eine Teufelsgelegenheit bleibt niemals aus. Nun, was geſchieht? Auf dem Heimweg vom Kirchheimer Markt trifft der Frieder mit dem Kreuz¬ wirth zuſammen, und der fängt an ihn zu hänſeln und zu rätzen,32 denn ſo gottſelig er ſich ſtellt, das Necken und das Kratzen kann er nicht laſſen. Zuletzt, wie er noch nicht genug hatte, kommt er auch auf die Zuchthausſtrafe, die der Frieder durchgemacht hatte, und ſagt zu ihm: Du biſt ein ganz geſchickter Kerl, dir kann's nicht fehlen, du verſtehſt ja zwei Handwerk ', das Metzgen und das Wellkardätſchen; wenn dir's in einem fehlſchlägt, ſo kannſt du dich auf das andere werfen. Er das ſagen, und der Frieder ihn am Kragen nehmen und zu Boden werfen, das war eins. Der hat Prügel gekriegt! Nun, der Fiſcher weiß ja, was der Bub' für eine Tatze hat.

Es iſt ihm Recht geſchehen, ſagte der jüngere Müller. Einen Gefallenen muß man aufheben und nicht noch tiefer niederdrücken.

Paß nur auf, Peter, jetzt kommt erſt der Hauptſpaß, fuhr der Aeltere fort. Wie er ihn genug geprügelt hatte und ausſchnaufen mußte, ſo ſagt 'er zu ihm, er ſolle ihm jetzt verſprechen, daß er deſſent¬ wegen nicht klagbar werden wolle. Der Kreuzwirth, am Boden, ver¬ ſpricht's mit Ach und Krach, und ſchwört's ihm hoch und theuer. Der Frieder aber, wie er den Schwur hört, fällt er abermals mit neuer Kraft über ihn her. Sieh, meineidige Canaille, ſagt er, ich weiß, daß du doch nicht Wort hältſt, und dafür will ich dich gleich im Voraus prügeln.

Das iſt ja ein Fetzenkerl! rief der Knecht mit ungeheuchelter Be¬ wunderung aus.

Der Kreuzwirth klagte auch richtig beim Amt, und da kam eben mein Frieder noch einmal auf ein halb Jahr nach Ludwigsburg.

Es heißt von ihm, wie vom Eſau, ſagte der Fiſcher: Seine Hand war wider Jedermann und Jedermanns Hand wider ihn.

Haſt das fromme Sprüchle vom Kreuzwirth gelernt? ſpottete der jüngere Müller. Nein, fuhr er fort, dem haben ſeine Prügel gebührt, und ich bin dem Frieder nicht Feind darum. Wenn nur die Schand 'nicht wär', denn Zuchthaus iſt eben einmal Zuchthaus.

Meint Ihr, Vetter? rief der Aeltere. Es kommt auch darauf an, von wegen was man in's Zuchthaus kommt. Und wenn Einer ſonſt guter Leute Kind iſt, ſo kann man ſo einen Unſchick wieder vergeſſen. Wenn er jetzt unter eine tüchtige Hand käm 'und gehobelt würde in zehn Jahren könnt' er der angeſehenſte Mann ſein und thät 'kein33 Hahn mehr darnach krähen, daß er in ſeinen jungen Jahren hat das Wollkardätſchen erlernen müſſen.

Ein raſcher Hufſchlag unterbrach das Geſpräch. Der jüngere Müller trat ans Fenſter. Was der Sonnenwirth noch ſtet auf dem Gaul ſitzt, bemerkte er. Er muß einen guten Handel gemacht haben; er ſitzt ſo aufrecht und trägt die Naſe ſo hoch.

Nun kam die Hausfrau herein mit einem weißen Tuch auf dem Arm. Ihr folgte Magdalene mit dampfenden Schüſſeln. Ein Tiſch in der andern Ecke des Zimmers wurde gedeckt und das Eſſen auf¬ getragen. Das Geſinde erſchien, Knechte und Mägde. Draußen hörte man die befehlende Stimme des Hausherrn. Endlich trat er ſelber ein, unterſetzt und etwas beleibt, in Geſtalt und Angeſicht ſei¬ nem Sohne ähnlich. Aus ſeinen Geſichtszügen ſprach derſelbe Trotz, derſelbe Eigenſinn, nur daß dieſer Ausdruck bei ihm, dem gebietenden Herrn des Hauſes, mehr das Bewußtſein der anerkannten Rechtmäßig¬ keit und eben darum auch mehr herriſche Strenge hatte. Wenn man jedoch ſein Geſicht näher prüfte, ſo fand man, daß die innere Natur¬ kraft nicht ſo groß war als das Anſehen, das er ſich geben zu müſſen glaubte. Er grüßte die Gäſte kurz und ſetzte ſich ohne viele Um¬ ſtände mit ſeinen Hausgenoſſen zu Tiſche. Für ihn wurde beſonders aufgetragen und ein Teller mit Beſteck lag vor ihm, während die andern alle, die Hausfrau nicht ausgenommen, gemeinſam aus der Schüſſel ſpeisten.

Unter dem Geklirr der Löffel flüſterten die Gäſte zuſammen, und manche bittere Bemerkung, manche boshafte Spottrede wurde den Eſſenden, ohne daß ſie es hörten, als Tiſchſegen zugeworfen.

Der Sonnenwirth meint, man müſſe es für eine Gnad 'halten, wenn man nur in ſeinem Haus noch trinken dürfe, ſagte der ältere Müller.

Wenigſtens ein anderer Wirth, erwiderte der Jüngere wenn er auch noch ſo hungrig und durſtig iſt, ſetzt er ſich ein Vaterunſer¬ lang zu den Leuten hin, und wenn er auch weiter nichts ſagt als Auch hieſig? und Thut's ſo bei einander? und Wohl bekomm's! ſo ſieht man doch, daß er Lebensart hat, und dann kann er ja wieder aufſteh'n und ſeinem Geſchäft nachgehen. Aber der! Ja, wenn wir Pfarrer wären oder Schreiber, ſo würd 'er ſich eine Ehr' d'rausD. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 334machen. Aber wir ſind eben nicht weit her, wir ſind ja bloß ſeine Mitbürger.

Seht nur die Alte, Vetter! ſagte der Aeltere, und ſtieß ihn an. Seht, wie ſie ihren Leuten auf die Mäuler guckt, wie ſie ihnen die Biſſen zählt, wie ſie dem Löffel, der aus der Schüſſel kommt, mit den Augen nachfolgt. Was ſie für ein Geſicht macht, wenn ſie meint, es hab 'eins zu voll geladen oder komm' zu oft angefahren.

Halt, jetzt iſt die Sippſchaft erſt vollſtändig, jetzt kommt der Freier! unterbrach ihn der Jüngere, verſtohlen mit dem Finger auf einen Mann mit ſpitzem, knochigem Geſichte deutend, der, mit einem hell¬ grünen Leibrock angethan, in's Zimmer trat und ſich nach einer ſtatt¬ lichen Begrüßung an einen Tiſch zunächſt dem Speiſetiſche ſetzte.

Schau, ſchau! der grüne Chirurg! erwiderte der Andere. Der macht Kratzfüß '! Was die Alte ihr Spinnengeſicht umwandelt, als ob ſie Honig und Marzipan gefreſſen hätt'. Sogar der Sonnenwirth nickt ihm freundlich zu, die Sache muß richtig ſein. Aufgepaßt, Vetter! Seht Ihr, wie ihm die Alte ein Tellerlein füllt und zwar von des Sonnenwirths eigenem Eſſen. Ja, ja, mit Speck fängt man Mäuſe. Was er Complimente macht! Er will's nicht annehmen, aber die Eſſensſtunde hat er ſich wohl gemerkt, der Schmarotzer.

Er will eben von der Gelegenheit profitiren, ſo lang ſie da iſt. Er weiß wohl, daß nicht alle Tag 'Kirchweih' iſt. Wenn er einmal ernſtlich angebiſſen hat, ſo wird man ihm das Gaſthütlein ſchon her¬ unterziehen und dann kann er die Finger darnach lecken.

Ihr könnt die Leute recht heruntermachen, ſagte der Fiſcher. B'hüt 'Gott bei einander, ich will nur heimgehen, ſonſt werd' ich noch an¬ geſteckt.

Gut 'Nacht, Fiſcherhanne, und halt' reinen Mund.

Weſſ 'Brod ich eſſ', deſſ 'Lied ich ſing'! verſetzte der Fiſcher etwas zweideutig, und wandte ſich mit einem G'ſegn 'Gott , das er dem Speiſetiſche zurief, nach der Thüre.

In dieſem Augenblick ging die Thüre auf und herein trat der Sohn des Hauſes. Aus ſeinem von der Wanderung gerötheten Ge¬ ſichte leuchtete das verklärende Gefühl einer guten That, einer That, welche dem Himmel die erſte Genugthuung für bisher begangene tritte darbieten ſollte. Dieſer Ausdruck gab ſeinem Geſicht eine auf¬35 fallende Aehnlichkeit mit den Zügen ſeiner Schweſter. Da ſtieß er unter der Thüre auf den Fiſcher, der ihm wie ein böſes Vorzeichen entgegen trat, und ſein Geſicht verfinſterte ſich. Einen Augenblick maß er ihn ſchweigend mit den Augen. Du auch da, Giftmichel? ſagte er, indem er an ihm vorüberging. Der Fiſcher fletſchte die Zähne gegen ihn und machte ſich hinaus.

Friedrich blieb ein wenig ſtehen, um ſich zu ſammeln; dann nä¬ herte er ſich dem Tiſche und trat zu ſeinem Vater, der bereits durch einen Wink der Frau auf ihn aufmerkſam gemacht worden war und ihm ſchweigend entgegen ſah.

Grüß 'Gott, Vater! redete er ihn an. Da bin ich wieder, und verſprech' Euch, daß es mit Gottes Hilfe nun anders werden ſoll, denn ich bin nun kein Kind mehr, und wenn ich Euch bisher oft durch meinen Unverſtand betrübt habe, ſo hab 'ich mir jetzt vorge¬ nommen, Euch hinfüro ein treuer gehorſamer Sohn zu ſein.

Mach 'nicht ſo viel Redensarten! ſagte der Alte. Wenn dir's Ernſt iſt, ſo thu's, ohne davon zu reden; aber verſprich nichts, was du nicht halten kannſt. Setz' dich und .

Ja, Vater, aber ich hab 'zuvor eine großmächtige Bitte, fuhr Friedrich fort, ohne ſich durch den Empfang irre machen zu laſſen. Ich möcht' eine Seele vom Verderben retten, und das kann ich nicht, wenn Ihr mir nicht dazu helft.

Der Alte erhob ſein Geſicht. Die Stiefmutter ſah ihn mit ge¬ ſpannter Neugier und finſterer Miene an. Er hatte ſie noch nicht begrüßt, er hatte nur für ſeinen Vater Augen gehabt.

Ihr meint gewiß, Vater, ſprach er weiter, da wo ich herkomme, hab 'ich nur lauter ſchlechtes Zeug gelernt. Aber ſo iſt's nicht, viel¬ mehr bin ich in gute Hände gerathen und hab' Chriſtenthum gelernt. Ich hab 'gelernt, daß jeder gute Chriſt und redliche Menſch ſeinen verachteten Mitbrüdern aufhelfen müſſe. Weil das aber nicht einer für alle thun kann, ſo mein' ich, es ſei genug, wenn ein Menſch oder eine Familie ſich eines Einzigen annimmt.

Wo will denn das hinaus? fragte der Alte barſch.

Vater, ich hab 'Euch einen Menſchen mitgebracht, der keine Hei¬ math hat, eine vater - und mutterloſe Waiſe; denn das iſt er, und wenn auch ſeine Eltern noch leben. Und ich bitt' Euch, ſo lieb Euch3 *36Euer Sohn ſein mag, der Euch freilich ſchon Kummer und Verdruß genug gemacht hat ſo lieb es Euch ſein mag, daß der ungerathene Sohn noch was Ordentliches in der Welt werde, ſo hoch bitt 'ich Euch, Vater: laßt den Menſchen, den ich mitbringe, als Euren Knecht in Eurem Hauſe ſein.

Wo iſt er denn? fragte der Alte ungeduldig.

Er wartet hinterm Haus am Garten.

Die Stiefmutter gab dem Chirurgus einen Wink und er ſchlich ſich unbemerkt hinaus.

Wer iſt er denn? fragte der Alte weiter.

Friedrich ſchwieg eine Zeitlang in ſichtlicher Verlegenheit; die ſieges¬ frohe Zuverſicht, die er bei ſeinem Eintreten gezeigt hatte, war allmäh¬ lich von ihm gewichen. Vater, hob er endlich an, Ihr werdet in Eu¬ rem Herzen nicht ſogleich die Stimme finden, die für ihn ſpricht. Man hat gegen dieſe Leute Manches einzuwenden, und das iſt auch kein Wunder, denn man behandelt ſie auch darnach.

Mach's kurz und gut, rief der Alte und ſchlug, auf den Tiſch Was iſt das vor eine Manier? Wenn's was Rechtes iſt, ſo ſag's frei heraus, und iſt's was Dummes, ſo halt 'das Maul! Was brauchſt du mir durch die Ränkeleien da das Eſſen zu verderben.

Indeſſen war der Chirurg wieder eingetreten. Es iſt ein Zigeuner, ſagte er langſam und nachdrücklich, indem er zu dem Tiſch trat.

Ein Zigeuner? rief die Stiefmutter und ſchlug ein gellendes Ge¬ lächter auf. Die beiden Müller und der Knecht, welche aufmerkſam zugehört hatten, lachten aus vollem Halſe mit. Auch das Geſinde am Tiſche ſtimmte in das Gelächter ein, doch nur allmählich und ſchüch¬ tern, da der Sonnenwirth nicht mitlachte, ſondern die Stirne in dräu¬ ende Falten gelegt hatte. Magdalene war mit einem wehmüthigen Blick auf den Bruder hinausgegangen.

Ich weiß wohl, Vater, daß es eine Zumuthung iſt, fuhr Friedrich unerſchrocken fort. Aber ſoll's denn der arme Teufel büßen, daß ſeine Eltern Zigeuner geweſen ſind?

Der Chirurgus unterbrach ihn. Das hängt vielleicht, ſagte er mit etwas näſelnder Stimme, das hängt vielleicht mit der Prädeſtination zuſammen, die der Herr Pfarrer predigt.

37

Ich red 'mit meinem Vater und nicht mit Ihm! warf Friedrich ſtolz von der Seite dem Chirurgus zu. Wie kann man denn ver¬ langen, daß dieſe Leute ehrlich werden ſollen, wenn man nicht endlich einen Anfang mit ihnen macht? Und wie kann man denn anders anfangen, als mit dem chriſtlichen Zutrauen, das man in einem chriſt¬ lichen Hauſe einem von dieſen armen Leuten ſchenkt? Wenn man dann in Einem Haus angefangen hat, ſo machen's die andern nach, und eben darum ſprech' ich zu Euch, Vater, weil Ihr ein angeſehener Mann ſeid, und ein Beiſpiel geben könnt.

Die Stiefmutter hatte inzwiſchen Blick und Winke mit dem Chi¬ rurgus ausgetauſcht. Wie ſieht er denn aus? fragte ſie jetzt mit dem Tone der Neugier.

Er ſchielt auf einem Aug 'und ſieht aus wie ein leibhaftiger Galgenvogel, antwortete der Chirurgus.

Was will denn Er? fuhr Friedrich erzürnt herum. Wenn man Ihn auf ein Erbſenfeld ſetzen thät ', ſo könnt' man vor den Spatzen ſicher ſein.

Der alte Sonnenwirth fuhr auf und verſetzte ſeinem Sohne eine derbe Ohrfeige: Ich will dir unartig gegen meine Gäſte ſein. Man muß dir die Aeſte abhauen, wenn du zu krattelig wirſt. Halt's Maul jetzt und pack 'dich. Ich will dich heut' nicht mehr vor Augen haben. Das käm 'mir geſchlichen, einen Zigeuner in's Haus zu nehmen. Das wär' eine Geſellſchaft für dich.

Friedrich ſah ſeinen Vater an. Einen Augenblick hatte ſeine Hand gezuckt; dann aber wandte er ſich ruhig nach der Thüre. Ich glaub ', ich wollt', ich wär 'wieder im Zuchthaus, ſagte er, während er hin¬ aus ging.

Die beiden Müller zahlten ihre Zeche und ſtanden auf. Der Sonnenwirth, der ſich ebenfalls erhoben hatte, wünſchte ihnen, freund¬ licher als zuvor, gute Nacht. Der Burſch iſt doch ziemlich mürb ge¬ worden, ſagte er zu dem Aelteren: er hat nicht gegen die Ohrfeige rebellirt, und es hat den Anſchein, als ob er jetzt das vierte Gebot in Ehren halten wollte.

Der Müller, geſchmeichelt durch dieſe vertrauliche Anrede, blieb etwas zurück, während der Jüngere nebſt dem Knechte die Wirthsſtube verließ. Ja, ſagte er zum Sonnenwirth, der Frieder iſt nicht ſo un¬38 recht, man wird's noch erleben. Was, die Zigeunergedanken werden ihm ſchon vergehen. Um den iſt mir's gar nicht Angſt. Man muß ihn eben jetzt noch ein wenig kurz aufzäumen, dann wird er ſchon gut thun. Und das biſle Ungelegenheit, das er in ſeiner unver¬ ſtändigen Jugend gehabt hat, wird ihm unter vernünftigen und chriſt¬ lich denkenden Leuten in's Künftige nicht aufgerechnet werden. Er iſt ja guter Leute Kind. Ja, ja, Herr Sonnenwirth, der kann ſich einmal ſeine Frau holen, wo er will. Wofern aber jemals eins ſo thorecht ſein wollt 'und wollt' ein Haar in der Partie finden, ſo will ich nur ſo grob ſein und will's frei herausſagen, Herr Sonnenwirth: für mein Gretle wär 'er mir immerhin gut genug. Jetzt habt Ihr ge¬ hört, wo Ihr anklopfen könnt, wenn Ihr keine beſſere Schmiede wiſſet.

In dem Geſicht des Alten, das erſt ganz wohlgefällig ausgeſehen hatte, zog allmählich der Ausdruck unendlichen Spottes auf. Er ſah den Müller mit halb zugekniffenen Augen an, ſo daß dieſer in Verlegen¬ heit gerieth und die Hände aus den Wamstaſchen, wo ſie während ſeiner Rede geſteckt hatten, hervorholte. So, meint Ihr? erwiderte er trocken und ſtieß dann ein hochmüthiges Gelächter aus.

Nichts hab 'ich gemeint! rief der Müller wüthend. Ihr konnt meinethalben Euren Galgenſtrick verknöpfeln und verbandeln, wo Ihr wollt. Er ging und ſchlug die Thüre hinter ſich zu, daß das Haus davon erdröhnte.

Indeſſen war Friedrich zu dem Zigeuner hinabgegangen, der, ver¬ abredeter Maßen ſeines Beſcheides harrend, an dem Gartenzaune lehnte. Er reichte ihm ein Fläſchchen, ein Brod, eine Wurſt und ein Stück¬ chen Geld. Das letztere hatte er ſich unterwegs von ſeiner Schweſter geben laſſen; bei den Lebensmitteln mochte ihm in etwas uneigentlicher Form die Lehre des Waiſenpfarrers vorgeſchwebt haben. Da nimm, und trink, ſagte er mit einer ſonderbaren Haſt und Heftigkeit: und dann mach ', daß du zum Teufel kommſt.

Der Zigeuner griff gleichmüthig zu, dann heftete er ſein ſcheeles Auge auf den Wohlthäter. Was, und mit dem Dienſtle iſt's nichts? ſagte er.

Schweig 'ſtill und mach' mich nicht ſcheu! Ich bin ſo ſchon wild genug. Trink 'deinen Kirſchengeiſt! Sieh, ich hab' dir Wort gehal¬ ten, ſo viel an mir geweſen iſt.

39

Der Zigeuner ſchnitt eine höhniſche Fratze: Blitz und Mord! rief er, ſo wohlfeile Verſprechen kann mir ein Jeder thun und mich ein paar Stunden um führen. Ich ſeh 'ſchon wie's ſteht. Das Chriſten¬ thum hat, ſcheint's, auf einmal ein Loch gekriegt und, nach dem einen feurigen Backen zu ſchließen, gar noch einen Plätz auf das Loch.

Friedrich ſtieß einen Schrei aus, wie nur der tollſte Jähzorn ihn eingeben kann, warf ſich über den Zigeuner her und ließ ihn ſeine Fauſt aus Leibeskräften fühlen. Der Zigeuner war bloß darauf be¬ dacht, ſein Fläſchchen vor Schaden zu hüten, übrigens wehrte er ſich nicht gegen die Schläge, die er in reichlichem Maße bekam, ſondern brach ſtatt deſſen in ein ſchallendes Gelächter aus.

Bei dieſem Lachen hielt Friedrich betroffen inne. Hund, was lachſt? fragte er zornig.

Der Zigeuner ſchüttelte ſich. Herzensbruder, ſagte er, ich muß lachen, daß dich das Mitleid und der Jammer zum Prügeln treibt. So was iſt mir noch nie vorgekommen.

Er leerte das Fläſchchen auf Einen Zug, ſchleuderte es mit einem Juhu hoch empor, und während es klirrend zu Friedrich's Füßen nie¬ derfiel, ſchallte das Jodeln des Zigeuners ſchon aus einiger Ferne herüber. Verblüfft ſtarrte ihm Friedrich nach.

3.

Es war inzwiſchen dunkel geworden. Friedrich wollte eben in's Haus zurückkehren, als er eine Geſtalt herausſchlüpfen ſah, in der er ſeine Schweſter Magdalene erkannte. Sie ging in das Gärtchen und er hörte ſie dort am Brunnen Waſſer pumpen; denn es iſt eine un¬ löbliche Gewohnheit der Leute, das Waſſer, das ſie Morgens friſch haben könnten, Abends zu holen und über Nacht ſtehen zu laſſen. Bald aber hielt ſie in dieſer Verrichtung inne und fing leiſe zu weinen an. Er wollte zu ihr treten, da kam jemand aus dem Hauſe nach¬ gegangen, horchte eine Weile umher, fuhr, ohne ihn zu be¬ merken, in's Gärtchen hinein, und die gellende Stimme der Stief¬40 mutter rief: Wo bleibſt du denn, lahmes Menſch? Was dröhnſeſt da ſo lang '?

Magdalene antwortete mit ſtockender und gedrückter Stimme.

Was? Ich will nicht hoffen, daß du heulſt! fuhr die Stiefmutter ſie an.

Das Mädchen ſchwieg.

Was haſt du denn? fragte die Alte hart und lieblos weiter. Als das Mädchen abermals keine Antwort gab, rief ſie: Das muß was Beſonder's ſein. Der Herr ſuche mich nicht ſo ſchwer heim, und laſſe mich's nicht erleben, daß du dich am End 'gar vergangen haben wirſt.

O, Mutter, rief Magdalene, die hier plötzlich ihre Stimme fand, wie könnt Ihr mich ſo verſchänden! Ihr ſolltet Euch der Sünde fürchten, ſo etwas ſo laut vor der Nachbarſchaft zu ſagen, da Ihr doch wißt, wie ungerecht Euer Gerede iſt. Ihr müßt's ja ſelber am Beſten wiſſen, daß ich Euch niemals aus den Augen gekommen bin.

Nun, nun, ich will ja weiter nichts geſagt haben, als daß das Heulen und Aunxen überflüſſig iſt, wenn man ein gut Gewiſſen hat.

Mein Gewiſſen iſt gut, erwiderte Magdalene unmuthig. Wenn nur auch alles Andere ſo gut wäre.

Ei was, es ſteht Alles gut. Mach 'jetzt nur, daß du in's Bett kommſt. Du mußt morgen mit hellen Augen und rothen Backen auf¬ ſtehen, weißt wohl warum.

O, Mutter, ſeid barmherzig und bringt den Vater auf andere Ge¬ danken! Auf meinen Knieen wollt 'Euch anflehen, wenn ich wüßte, daß es bei Euch anſchlüge.

Still mit den Narretheien da!

Mutter, ich hab 'einen Abſcheu vorm Heirathen. Ich will Euch bei den höchſten drei Namen ſchwören, ledig zu bleiben mein Leben lang.

Damit wär 'mir gedient! rief die Stiefmutter mit höhniſchem Lachen. Was ein recht's Mädle iſt, das hat eine wahre Begier auf's Heira¬ then, und kann nicht bald genug eine eigene Haushaltung überkommen wollen, um darin thätig und fleißig zu ſein nach eigenem Sinn. Ein recht's Mädle ſucht ſeinen Eltern vom Hals zu kommen, ſobald es kann, und will nicht als eine unnütze Brodeſſerin zu Haus auf der faulen Haut liegen.

41

Lieg 'ich auf der faulen Haut? entgegnete Magdalene vorwurfsvoll. Werd' ich nicht gepudelt vom frühen Morgen bis in die ſpäte Nacht? Hab 'ich das bisle Eſſen nicht ſo gut verdient, wie wenn ich Eure Magd wär'?

Nun, ſo ſei froh, daß du jetzt beſſere Tage kriegſt.

Ich will keine beſſere Tage, ich bin ja zufrieden. Ich will noch härter arbeiten, will Euer Kehrbeſen ſein und Eure Ofengabel, will ſchlumpen und pumpen, nur laßt mich bleiben wie ich bin.

Das wär 'ein Kunſtſtück! Bin ich eine Hex'? Kann ich dich halten, daß du bleibſt heut 'wie geſtern, und morgen wie heut? Kann ich's verhindern, daß du eine alte Jungfer wirſt?

Eine alte Jungfer kann auch in Himmel kommen.

Ja, aber durch's Nebenthürle. Und jetzt hör 'auf mit dem Ge¬ ſchwätz. Es iſt eine Ehr' für dich, daß dich der Chirurgus nehmen will, ſo ein Herr! Wart ', wenn du an ſeinem Arm daher ſtratzen kannſt, das wird eine Hoffärtigkeit ſein! Du verdienſt's gar nicht, daß es ſo hoch hinaus ſoll mit dir!

Freilich verdien 'ich's nicht! Er ſoll eine Andere nehmen, meinet¬ wegen die verwitwete Herzogin, die thät vielleicht beſſer für ihn paſſen.

Was haſt du gegen den Chirurgus? rief die Sonnenwirthin zornig. Was kannſt du wider ihn ſagen?

O Mutter, begann das Mädchen nach einer Weile mit bebender Stimme, denkt an Eure eigene Jugend zurück er iſt ſo alt und ſo

Du wüſte Strunz du! rief die Sonnenwirthin. So, da liegt der Haſ 'im Pfeffer? Der Ehſtand iſt eine chriſtliche Anſtalt, dem Herrn zum Preis, und nicht für Ueppigkeit und Fleiſchesluſt. Wenn du ſo lüderliche Gedanken haſt, ſo bet' daß ſie dir vergehen, oder behalt ſie wenigſtens bei dir und ſchäm 'dich. Wenn die Leut' wüßten, daß du ſo fleiſchlich denkſt, ſie thäten mit Fingern auf dich zeigen.

Magdalene ſchluchzte: O Mutter, Mutter!

Ja, Mutter! ſpottete jene. Ich weiß wohl was Jeſus Sirach einer Mutter einſchärft im Sechsundzwanzigſten: Iſt deine Tochter nicht ſchamhaftig, ſo halte ſie hart, auf daß ſie nicht ihren Muthwillen treibe, wenn ſie ſo frei iſt. Wie ein Fußgänger, der durſtig iſt,42 lechzet ſie, und trinkt das nächſte Waſſer, das ſie krieget, und ſetzet ſich wo ſie einen Stock findet, und nimmt an was ihr werden kann.

Paßt das auf mich? Ich will ja lieber gar Keinen! rief Magda¬ lene laut weinend.

Ohne ſich irre machen zu laſſen, fuhr die Sonnenwirthin fort: Ich bin auch jung geweſen, aber in der Furcht Gottes, und ſo fre¬ ches Zeug iſt mir nicht im Schlaf eingefallen, geſchweige daß es mir über die Lippen gekommen wäre. Dein Vater, wie ich ihn genommen hab ', iſt auch kein heurig's Häsle mehr geweſen. Im Gegentheil, dein Bräutigam iſt dir noch näher im Alter. Wo iſt der Menſch, dem's in der Welt nach ſeinem Kopf geht? Ein Chriſt muß ſich in das ſchicken, was unſer Herrgott über ihn verhängt. Jetzt heul', ſo viel du willſt, heul 'mein'thalben die ganze Nacht da unten. Aber morgen hat's ein Ende mit dem Heulen, oder wenn's dich zu ſauer ankommt, ſo wird dir dein Vater ſchon ein freundlich's Geſicht heraus bringen helfen, du weißt, er hat Mittel und Wege. Jetzt gut' Nacht, Jungfer Braut.

Die Alte ſchoß aus dem Gärtchen in das Haus zurück, wie ein unheimlicher Nachtvogel. Friedrich eilte ſich zu ſeiner Schweſter zu geſellen, denn, dachte er, die kann's brauchen. Sie war in der Dun¬ kelheit leicht zu finden; er durfte nur dem Schluchzen nachgehen, das ihren jungfräulichen Buſen zu zerſprengen drohte. Stillſchweigend faßte er ihre Hand.

Sie hatte ihn nicht kommen hören; erſchrocken und zornig riß ſie die Hand weg und rief: Wer iſt da?

Gut Freund, Schweſterle. Hat der gelbe Drach 'wieder Gift ge¬ ſpieen? Was iſt denn das für ein Bräutigam, dem du die alten Knochen wärmen ſollſt?

Ach Gott, der Chirurg!

Was! Der Zaunſtecken? und nun folgte eine Fluth von Scheltwörtern, die immer drolliger wurden, ſo daß das arme Mäd¬ chen zuletzt ſelbſt darüber lachen mußte. Plötzlich aber fiel ſie in das vorige Weinen und Schluchzen zurück und warf die Arme um den Hals des luſtigen Tröſters: O lieber Bruder! rief ſie ſie mochte nicht Frieder ſagen, wie die Andern, und Friedrich klang ihr zu vor¬ nehm, zu gewagt lieber Bruder, ich wollt 'ich wär' bei unſerer43 Mutter! Sieh, ich bin dir die ärmſte Creatur auf der ganzen Got¬ teswelt! Morgen ſoll der Verſpruch ſein, und das iſt mein Tod. Ich kann ihn nicht anſehen, er iſt mir zu arg zuwider!

Soll ich ihn zerbrechen? fragte er grimmig durch die Zähne.

Um Gotteswillen, fang keine Händel an! Du würdeſt mich nur aus dem Regen in die Traufe bringen. Sie ſchwieg eine Weile und fuhr dann verzagend fort: Es gibt nur ein einziges Mittel, um aus dem Jammer hinaus zu kommen.

Vermuthlich. Was denkſt du?

Ich ſpring 'in die Fils, und das noch heut' Nacht.

Friedrich lachte überlaut. Du arm's Närrle! Das müßteſt du künſtlich angreifen bei dem niedern Waſſerſtand. Nein, das iſt nicht der Weg. Ich weiß einen andern und der wär 'ganz ſicher, ſo bald man ſich feſt darauf verlaſſen könnte.

Du biſt ein leidiger Tröſter.

Ja ſieh, Kind, es ſteht ganz bei dir und du haſt's in der Hand, ob das Mittel zuverläſſig ſein ſoll oder nicht. Kannſt du dich auf dich ſelbſt verlaſſen?

Er ſprach dieſe letzten Worte mit beſonderer Stärke, und es lag dabei etwas Geheimnißvolles in ſeiner Stimme, ſo daß ſeine Schweſter ihn verwundert anſah. Ich weiß nicht, wo du hinaus willſt, ſagte ſie.

Der Menſch kann Alles was er will, hob er an. Heißt das, ich hab 'mich nicht ganz richtig ausgedrückt. Der Menſch kann nicht Alles, was er will, denn ich mag wollen ſo viel ich will, ſo kann ich z. B. nicht Tag aus Nacht machen. Er ſchwieg eine Weile, um ſeine Gedanken auf der ungewohnten Spur zu ſammeln.

Ja, das kann ich auch nicht, ſagte Magdalene dazwiſchen, mit einem Tone, welcher deutlich verrieth, daß ihr das eine brodloſe Weis¬ heit dünke.

Wart 'nur, ich bin noch nicht auf dem rechten Trumm. Ich hätt' eigentlich ſagen ſollen: der Menſch kann Alles, was er nicht will.

Jetzt hör 'auf! rief Magdalene unwillig. Du biſt dem Narren über's Säckle kommen. Wenn du mir keinen beſſern Rath weißt als ſolches Kauderwelſch, ſo muß ich ungetröſtet ins Bett gehen.

Ich ſchwitz 'wie ein Magiſter, ſagte er. Ich möcht' dir das Ding recht glatt eingeben und bring's nicht richtig heraus. Aber halt,44 jetzt geht's. So hätt 'ich ſagen ſollen: was der Menſch nicht haben will, das kann er ſich vom Leib' halten.

Da, halt 'uns den Regen vom Leib, weil du ſo ein überſtudirter Kopf biſt, ſagte Magdalene ſpottend. Es fing nämlich ſo eben zu tröpfeln an.

Gegen den Regen ſind Schirme gewachſen, oder auch zum Bei¬ ſpiel die Laube dort. Komm, wollen uns d'rin bergen, denn es macht nicht bloß naß herunter, ſondern auch recht kühl, und ich bin noch lang 'nicht fertig.

Die beiden Geſchwiſter gingen mit einander nach der Laube. Sie war noch ſommerlich genug überrankt, um vor dem Regen zu ſchützen, der jetzt in größern Tropfen auf die Blätter niederſchlug.

Den Regen kann man ſich allerdings vom Leib halten, wenn man irgendwo unterzuſtehen vermag, fuhr Friedrich fort. Aber ich ſeh 'jetzt doch, daß mein Gleichniß nicht auf Alles paßt. Denn, wenn mich zum Beiſpiel ein Blitz trifft, ſo kann ich ihn nicht

Behüt 'uns Gott! unterbrach ihn ſeine Schweſter. Unberufen, un¬ berufen, unberufen! Nachdem ſie ſich beeilt hatte, dieſe Zauber¬ formel gegen böſe Einflüſſe und Vorbedeutungen dreimal auszuſprechen, machte ſie ihm lebhafte Vorwürfe wegen ſeiner ſündlichen Rede.

Das iſt nur ſo figürlich geſagt, erwiderte er. Ich hab 'dir bloß zeigen wollen, daß es Dinge in der Welt gibt, die man ſich nicht vom Leib halten kann, wo man conträr wollen muß, man mag wollen oder nicht. Jetzt kann ich dir aber auch um ſo beſſer be¬ weiſen, daß es dafür andere gibt, die man ſich vom Leib halten kann, wenn man nur recht tüchtig will. Zum Beiſpiel den Chirurgen

Gott Lob und Dank, endlich kommſt du doch auf den rechten Text. Aber ſag 'nur einmal wie?

Du nimmſt ihn eben nicht.

Und wenn der Vater ſagt: du mußt?

Dann ſagſt du: ich will nicht.

Kann ich mir dann auch die Streich 'vom Leib' halten?

Ja, ſieh, lieb's Kind, das iſt's eben, darauf hab 'ich von An¬ fang an hinaus gezielt und jetzt iſt der Text vollſtändig. Vogel friß oder ſtirb! das iſt der Text. Wenn aber das Vögele nicht freſſen will, und es will eben um keinen Preis nicht, ſo muß es zwar45 ſterben, aber die Sach' iſt doch nach ſeinem Schnabel gegangen. Das Leben iſt der höchſte Preis, den ein Vogel oder ein Menſch ein¬ ſetzen kann, und mehr als das Leben kann man Einem auch nicht nehmen. Wenn Einer nun ſeinen Sinn feſt darauf richtet, daß er denkt: die und die Nuß will ich nicht beißen! ſo muß ihm zum Allererſten das Leben wohlfeiler ſein als der Schnabel. Dann wird's aber auch ganz gewiß nach ſeinem Schnabel gehen, und wird oft nicht einmal das Leben koſten. So ſagſt du jetzt, du mögeſt den Dürren nicht.

Für mein Leben nicht! rief das Mädchen leidenſchaftlich.

Juſt, wie ich ſagen wollte! Du bekennſt alſo ſelber, daß dir dein Leben nicht ſo lieb iſt, als es dir lieb wär ', des dürren Stecken ohne zu ſein, und vorhin haſt du ja geſagt, du wollteſt lieber in die Fils ſpringen. Damit preſſirt's übrigens gerade nicht ſo ſehr, nur muß es dein völliger Ernſt ſein, und zwar ſo, daß du dich lieber todt ſchlagen ließeſt. Sieh, dein Leben wird dir doch lieber ſein, als eine trockene Haut, oder ein heiler Rücken. Was ein heiler Rücken werth iſt, das weiß ich aus Erfahrung, und ich kenn' auch des Vaters ſchwere Hand.

Ja, ich auch.

Du wirſt ſie aber doch nicht ſo fürchten, wie den Tod.

Nein, das gerade nicht.

Nun ſieh, jetzt kannſt du an dir ſelbſt die Probe machen, ob's ein Ernſt iſt oder eine bloße Redensart mit dem was du geſagt haſt. Die Menſchen brauchen viel leere Redensarten. Da ſagt Einer: Das und das laſſ 'ich mir um's Leben nicht gefallen! und nachher, Wenn's drauf und dran kommt, läßt er ſich's gefallen um des Eſau's Linſengericht oder auch noch um weniger, oder weil er einen Buckel voll Schlag' fürchtet. Nimm dir einmal die Sach 'genau in Augenſchein. Was kann dir der Vater thun? Umbringen wird er dich nicht, du biſt ja ſein eigen Fleiſch und Blut. Aber puffen wird er dich, deſſen kannſt du gewiß ſein, und mach' dir nur keinen blauen Dunſt darüber.

Magdalene ſeufzte.

Auch ſonſt wird's dir übel gehen; du wirſt ein wahres Hunde¬ leben haben, mehr noch als bisher. So leib mir's thut, dir das für46 gewiß zu ſagen, ſo müßt 'ich ja doch ein ſchlechter Rathgeber ſein, wenn ich's verſchweigen wollte.

Magdalene ſeufzte abermals.

Ich glaub's gern, fuhr er fort, daß es dir ſchwer eingeht, aber dennoch mußt du's recht genau in's Aug 'faſſen. Uebrigens kannſt du dir dabei voraus denken, wie du bei jedem ſcheelen Blick, bei jedem Streich, an jedem Hungertag ſagen wirſt: iſt mir doch lieber, als wenn ich bei dem Zaunſtecken ſein müßte, den ich nicht mag. Und dann, wie lang wird's dauern? Nur ſo lang, als ſie meinen, daß ſie dich zwingen können. Wenn deine Geduld größer iſt als ihre Bosheit, ſo wird ihre Bosheit zu nichte. Der ſchlanke Freiersmann macht am Ende den Kuhhirten von Ulm, oder es find't ſich unter¬ deſſen eine andere Gelegenheit, die dem Vater in die Augen ſticht, ſo daß er ihm ſelber den Laufpaß gibt. Zeit gewonnen, iſt Alles ge¬ wonnen. Mit dem Theil Ungemach, das du dir nicht vom Leib halten kannſt, kaufſt du dein junges Leben los von größerem Unge¬ mach und behältſt es unverſchandirt, ſo daß dir der grüne Schleicher ſein Lebtag nicht in's Bett kommen kann. Ich ſag' dir, Magdalene was ich da geſprochen habe es iſt zwar gar nichts Neues, und Viele reden desgleichen, aber ſie wiſſen nicht, was ſie ſagen; denn es iſt ein Geheimniß! Wer's aber recht verſteht, der kann Wunder damit thun, und Wunder ſind auch ſchon damit gethan worden! Mit drei einfältigen Wörtlein: Ich thu's nicht! und ich thu's eben nicht! damit kann ein rechter Kerl Mannskerl oder Weibskerl, gilt gleich viel einen Güterwagen ſperren, und wenn ſechs Dutzend Mecklenburger vorgeſpannt wären. Jetzt wirſt du verſtehen, warum ich geſagt hab ': Das Mittel iſt ſicher, wenn man ſich darauf ver¬ laſſen kann. Frag' dich nun ſelber, ob es ſicher iſt.

Die Schweſter trat feſt und aufrecht vor den Bruder hin. Und ich thu's eben nicht! rief ſie, ſeinen Ton nachahmend, indem ſie dabei auf den Boden ſtampfte.

So gefällſt du mir, ſagte er lachend. Komm, ſetz 'dich wieder. Sei nur ſtandhaft und laß dir weiter ſonſt keine graue Haar' wachſen. Ich bin ja um den Weg. Wenn ſie dir den Futterkaſten gar zu arg verſperren, ſo will ich dein Rabe ſein, und wenn des Alten Hand zu ſchwer wird über dir, ſo will ich dazwiſchen ſpringen und47 die ſchwerſten Streiche auffangen. Du weißt ja, er iſt leicht ab¬ zuleiten: wenn er Hiſt töbert, ſo braucht man ihm nur mit einem ungäben Wort zu kommen, dann läßt er Hiſt fahren und tobt Hott. Laß mich nur machen, ich will dir den Regen mit dem Dachtrauf vom Leib halten, ich hab 'ja ein dickes Fell.

Magdalene wurde vollends ganz zuverſichtlich, während ſie dieſes Schutz - und Trutzbündniß verabredeten. Verlaß dich nur auf mich, ſagte ſie, ich will zäh ſein wie eine Katze.

Recht ſo! erwiderte Friedrich. Was will das bißle Ungemach heißen, wenn die Alte ſich dafür das Gallenfieber an den Hals är¬ gert. Es iſt doch ein wüſt's Weibsbild, und was ſie für abſcheuliche Reden führt!

Ach, ich hab 'mich ſo geſchämt, ſagte Magdalene, indem ſie wieder zu weinen begann und den Kopf auf ihres Bruders Schulter legte. Sie hat mir das Herz im Leib herumgedreht mit ihren böſen Wor¬ ten. Ich will ja dem Mann ſonſt nichts Schlimmes nachgeſagt haben, aber warum ſoll er mir denn mit's Teufels Gewalt gefallen? Es iſt ja doch wahr, daß er alt iſt und häßlich, und ſoll ich denn das nicht ſagen dürfen?

Freilich darfſt du's ſagen, und ein recht's Mädle darf wohl ein Aug 'auf ein Mannsbild haben und lugen ob was Wohlgefälliges an ihm iſt oder nicht. Die Heuchlerin, die! Glaub' mir nur, wenn Eine ſo verdammlich und augenverdreheriſch redet und ſo den Willen Gottes vom Zaun bricht, die iſt gewiß ein fauler Apfel.

Ach geh, du wirfſt das Beil auch gleich zu weit hinaus. Nachſagen kann man ihr nichts, und ſie hat dem Vater immer genau Haus gehalten, nur gar zu genau.

Meinetwegen, aber was ſie da von ihrer Jugend ſchwätzt, das iſt die lautere pure Heuchelei, und eh 'ich's ihr glaube, eher glaub' ich daß ſie ein Hufeiſen verloren hat. Für was braucht ſie bei dir gleich auf ſo ſchandliche Gedanken zu kommen? Es ſucht Keiner den andern hinter'm Ofen, er ſei denn ſelber dahinter geſteckt. Bleib 'du bei deiner Art und ſchäm' dich nicht. Der lieb 'Gott hat nichts dawider, wenn dir ein friſchgrüner Apfelbaum beſſer gefällt als eine dürre Pappel. Was, Dummheit! Gleich und gleich geſellt ſich gern.

Ja, du ſcheinſt mir auch ein feiner Hecht zu ſein!

48

Mit den Alten werd 'ich's niemals halten, ſo viel iſt gewiß. Jetzt möcht' ich nur mein Schweſterle recht anſtändig verſorgt ſehen. Wart 'einmal, wir haben ja die Auswahl unter den jungen Burſchen, wollen geſchwind Muſterung halten.

Ach, ſchwätz 'nicht ſo überzwerch heraus.

Mit welchem ſoll ich denn gleich anfangen? Ja, da iſt zum Exempel heut Abend der untere Müller da geweſen, der Georg.

Er bemerkte ein leichtes Zucken an ſeiner Schweſter und drehte ihr Geſicht zu ſich herum. Was? rief er, hab 'ich gleich auf den rechten Buſch geklopft? Es iſt nur ſchad', daß ich in der Dunkel¬ heit nicht ſehen kann, wie du dazu ausſiehſt.

Laß mich zufrieden, ſagte ſie. Ich hab 'was Nöthigers zu thun jetzt, als nach den jungen Burſchen auszuſchauen. Behalt' deinen Spott bei dir.

Wenn dir's Ernſt mit ihm iſt, morgiges Tages bring ich ihn herbei, und wenn ich den Kälberſtrick dazu nehmen müßte! Ich bin ihm ohnehin noch eine Rache ſchuldig. Er hat mich einmal helfen liefern, und wiewohl ich ihm das nach Geſtalt der Sachen nicht ſon¬ derlich nachtrage, ſo wär 'mir's doch zweimal recht, ihn zur gnädigen Straf' an eine lebenslange Kette zu legen.

Still, ſtill! rief ſie und hielt ihm, übrigens erſt nachdem er aus¬ geſprochen hatte, die Hand auf den Mund. Komm, es iſt ſchon ſo ſpät, wir müſſen in's Bett. Der Vater könnt 'lärmen.

Sie gingen leiſe in das Haus zurück und ſagten einander gute Nacht. Friedrich aber wartete bis ſeine Schweſter in ihre Kammer hinauf gehuſcht war, und ſagte: Ich muß doch probiren, ob man heut noch Wind und Wetter beobachten kann. Er ſchlich über den Oehrn, klinkte unhörbar die Thüre zum Wirthszimmer auf, wo ein Knecht in der Ecke ſchnarchte, durchmaß das Zimmer mit großen Schritten, aber ſo lautlos, daß ihm kaum der Sand unter den Füßen kniſterte, ging durch ein zweites kleineres, und legte dort das Ohr an die Thüre, die in's Schlafgemach ſeiner Eltern führte. Er hatte ſich nicht ge¬ täuſcht, ſie waren noch in einer Gardinenunterredung begriffen.

Auch wider den untern Müller hätt 'ich eigentlich nichts einzu¬ wenden, hörte er ſeinen Vater ſagen.

49

Wie kommſt du denn auf den? fragte die Sonnenwirthin dagegen.

Mir däucht's ſeit einem Vierteljahr oder ſo etwas her, daß er ein Aug 'auf das Mädle hat. Er hat mir ſchon ſo eine Art Wink gegeben, freilich nicht mit dem Holzſchlegel, denn er hat gar einen beſonderen Stolz. Aber er iſt ordentlich, bringt ſein Sächle vorwärts, und thät auch ſonſt beſſer für ein jung's Mädle paſſen, als ſo ein alter Krachwedel.

Ei, Alterle, wie thuſt du doch ſo jung! erwiderte die Sonnen¬ wirthin. Uebrigens hab 'ich ebenmäßig nichts wider den Müller, und dem könnteſt du außerdem einen großen Gefallen erweiſen. Ich hör', er will bauen, und da werden ihm ein paar tauſend Gulden eine Frau erſt recht werth machen.

Das geht nicht! brummte er dagegen. Von der Sonne kann ich nichts weggeben. Die iſt und bleibt der Grundſtock in der Familie, die darf nicht einen Strahl von ihrem Glanz einbüßen.

Dann wird er wenig Luſt haben, ſagte ſie. Zum Bauen hat er das Geld nöthig. So wacker er iſt, ſo iſt er doch noch zu jung, als daß ihm jemand ſo viel leihen thät '! Alſo muß er's er¬ heirathen.

Soll anders wohin gehen.

Der Chirurgus dagegen ſagt, es ſei eine Schande für einen Mann, wenn er beim Heirathen auf's Geld ſehe. Er begehrt nichts dazu, er ſagt, deine Tochter wär 'ihm lieb, und wenn ſie nackt und bloß zu ihm käme, er wolle ſie ſchon ernähren.

Nu, wenn ſich kein Anderer meldet, ſo kann er ſie haben.

Ja ſieh ', aber er preſſirt eben, und wird auch nicht grad warten wollen, bis es uns gefällig iſt. Mit dem Probiren iſt's ſo eine Sach'. Die Mannsleut 'ſind nicht ſo unintereſſirt heutzutag. Wenn nun kein Anderer käm', und der Chirurgus ging 'ſonſt wo auf die Braut¬ ſchau, ſo blieb' eben das Mädle ſitzen, und das wär 'doch ein Spott und eine Schand'.

Hm! brummte der Sonnenwirth.

Der Habich iſt beſſer als der Hättich, fuhr die Frau fort, und wenn man einmal etwas thun will, ſo thut man's beſſer gleich, da¬ mit's nachher nicht zu ſpät iſt. Mir kann's zwar ſoweit einerlei ſein; es iſt dein Kind und nicht mein's. Was geht's mich an, wenn ſieD. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 450eine alte Jungfer werden will? Meinetwegen kann ſie in der Wirth¬ ſchaft bleiben, ſo lang ſie mag. Deßhalb iſt mir's am liebſten, wenn ich dabei ganz aus dem Spiel bleiben kann. Nichts Schwereres für eine Stiefmutter, als ſolcherlei Pflichten zu erfüllen; denn wenn ich noch ſo gut ſorge, ſo bin ich doch eben die rechte Mutter nicht, und wird mir mein Sorgen noch obendrein verdacht. Mach 'du die Sach' mit deiner Tochter ab. Sprich mit ihr und frage ſie, was ihr ge¬ fällig ſei.

Fragen! brauſte der Sonnenwirth auf. Man wird ſo ein Ding noch lange fragen. Sie ſoll froh ſein, wenn man ſie verſorgt. Nun ja, der Haue muß ein Stiel gedreht werden. Alſo, wenn kein Andrer um den Weg iſt, ſo mag's mein'thalben der Chirurgus ſein. Aber da ſoll er ſich nur das Maul abwiſchen: baar Geld kriegt er keins von mir.

Sei ganz ruhig. Bis wann ſoll denn die Sach 'jetzt richtig werden?

Das laſſ 'ich dir über.

Sieh, Schwan, hob die Sonnenwirthin mit einem freundlichen und überzeugenden Tone an, ich hab 'das ſchon voraus bedacht, denn ich muß ja doch an Alles denken. Weißt, morgen iſt ja der Monats¬ tag, da kommen die geiſtlichen Herren wieder zuſammen.

Hm, brummte der Sonnenwirth.

Der Amtmann wird auch dabei ſein, vielleicht ſogar der Vogt von Göppingen.

Hm, ja.

Und weil unſer Haus eigentlich doch auch ein wenig über den Leiſten geſchlagen iſt, ſo könnte man dem Ding einen Anſtrich geben, daß es ein recht geſellſchaftliches fürnehmes Ausſehen bekäme. Weißt, auf ſo was verſtehſt du dich! Wenn die Herren dann aufſtehen müſſen und Geſundheit trinken, ſo wird der Verſpruch zur Hauptſach 'und die Herren mögen wollen oder nicht, ſie ſind dann eigentlich nur um des Verſpruchs willen da.

Der Sonnenwirth hatte immer beifälliger gebrummt. Dabei ſoll's bleiben! ſagte er endlich. Aber jetzt laß mich ſchlafen, haſt mir die Zeit lang genug gemacht.

Auch Friedrich hatte genug gehört. Leiſe wie er gekommen war, ſchlich er hinaus und begab ſich auf ſeine Kammer, wo er lange nicht ſchlafen konnte.

51

Als er in der Frühe ſeiner Schweſter auf der Treppe begegnete und ſie ihm guten Morgen ſagte, klang ihre Stimme gar nicht ſo entſchloſſen, wie vergangene Nacht. Du machſt ja ein Geſicht wie die Katz wenn's donnert, raunte er ihr zu; ſtell 'dich krank, Magdalene, ſtell' dich krank, und mach ', daß du nur über den Tag hinüberkommſt.

Es wär 'keine Verſtellung, erwiderte ſie, wenn ich mich wieder legte.

Thu's, thu's! rief er und ſprang die letzten acht Staffeln mit Einem Satz hinab.

Er ging den Fußweg am Bache hin, der mitten durch den Flecken läuft. Die Gänge der Mühle klapperten ihm eifrig entgegen. Von der Brücke aus ſah er den jungen Müller im Hofe beſchäftigt, allerlei Holz zuſammen zu ſägen. Er blieb unſchlüſſig ſtehen, als aber jener aufblickte, ſetzte er ſich in Bewegung, als ob ihn der Weg zufällig hier vorüberführe.

Guten Morgen, rief er in den Hof hinein.

Schön 'Dank.

Treibſt's gut um?

So ſo, la, la, war die verdroſſene Antwort.

Ich glaub ', an dir iſt ein Zimmermann verloren gangen, ſagte Friedrich, indem er näher trat und ſich gegen die Mauer lehnte.

Hm, 's iſt nur ſo ein wenig geboſſelt.

Man ſagt ja, du wolleſt bauen, Georg?

Willſt mir dabei an die Hand gehen, Frieder?

Ja ich! Was hätt'ſt du von mir? Soll ich dir Steine zutragen?

Hm, ja, aber ſolche, wo der Karl Herzog drauf geprägt iſt.

Oder der alt 'Kaiſer? Du haſt's gut vor, Brüderle, ſolche Bauſteine ſind mir zu ſchwer, die muß ich liegen laſſen.

Die Beiden ſahen einander an und ihre ſcheinbar gleichgiltigen Mienen ſpielten ein langes ſtummes Frag - und Antwortſpiel.

Ich muß eben ſehen wie ich ein Ducatenmännle in's Haus krieg ', ſagte der Müller endlich. Vielleicht wiſſen mir die Zigeuner eins.

Oder ein Bettelmädle mit ein paar tauſend Gulden, entgegnete Friedrich, den Stich verbeißend.

Weißt mir eine? fragte der Müller und ſah ihn forſchend an.

4 *52

Friedrich ſchlug die Augen nieder und wühlte mit dem Fuß im Sägmehl, das am Boden lag. Iſt denn das Bauweſen ſo nöthig? fuhr er endlich in ſeiner Verlegenheit heraus.

Juſtement ſo nöthig, als dein Geſchwätz unnöthig iſt, war die Antwort.

O ich will nicht lang mit dir ränkeln, du zuckerig's Bürſchle du. Bau du mein'twegen ſo hoch wie der babyloniſch 'Thurn geweſen iſt.

Dieſes brummend nahm er einen verdeckten Rückzug, das heißt, er ſetzte den eingeſchlagenen Weg an der Mühle vorüber fort, um in einem weiten Bogen wieder nach Hauſe zu kommen.

Der junge Müller ſah ihm verwundert und ärgerlich nach. Ich glaub ', der hat Maulaffen feil, brummte er, indem er wieder zur Säge griff.

Die Katz 'maust links, die Katz' maust links! ſagte Friedrich zu ſich, mit bedenklichem Geſichte ſeine Schritte fördernd. Ich wollt 'nur, daß der Tag im Kalender durchgeſtrichen wär'.

Von Noth und Eifer getrieben rannte er dahin, obgleich er eigent¬ lich nicht wußte, warum er zu eilen habe; es war eine Aufregung in ihm, die ſeinem Geſicht in dieſem Augenblick ein beſonders kräfti¬ ges Ausſehen gab. Die Leute, die auf der Straße oder an den Fenſtern waren, mußten ihn unwillkürlich mit Wohlgefallen betrachten, und ein Mädchen, das ihm begegnete, grüßte ihn auf eine Weiſe, die trotz ſeiner gedankenvollen Selbſtvergeſſenheit nicht unbemerkt von ihm blieb. Es war ein ſchlankes Mädchen mit gelben Zöpfen, noch ſehr jung und von auffallend hellen Geſichtszügen; in ihren Mienen lag eine eigenthümliche Miſchung von Zutraulichkeit und Unſchuld. Sie grüßte ihn mit dem gebräuchlichen Bauerngruße, das heißt, ſie wünſchte ihm die Zeit , aber mit einem Blicke, der, ſo ſchnell und ſchüchtern er vorüberglitt, eine Freundlichkeit, eine gewiſſe Theilnahme und Hingebung ausſprach, die nur in einem Blicke ſo ausgeſprochen und eben deßhalb nicht weiter beſchrieben werden kann. Genug, ihm war als hätte ſich das junge Mädchen mit dieſem Blicke ganz und voll und warm in ſeine Arme gelegt, und er, für einen ſolchen Ein¬ druck nichts weniger als unempfänglich, fühlte ſich hingeriſſen, obgleich er ſich erſt einige Secunden nach der Begegnung bewußt ward, daß er gegrüßt worden ſei, daß er einen Blick dabei wahrgenommen, und53 daß dieſer Blick ihm gegolten habe. Jetzt erſt blieb er ſtehen und ſah ihr nach. Sie war ſchon ziemlich weit entfernt, und ihre Zöpfe flogen luſtig hinter ihr her. Ich kenn 'doch jedes Kind hier, ſagte er: iſt's vielleicht eine Fremde? Sie trägt ſich übrigens ganz Ebers¬ bachiſch. Aber das iſt ein blitznett's Schelmengeſicht! Er wäre ihr gerne nachgegangen, aber er ſcheute die Mühle. Auch fiel ihm nur allzubald die Sorge wieder auf's Herz, die ihn aus dem Hauſe getrieben hatte. Er wandte ſich, durchmaß einige Gäßchen, ging weiter oben über das Waſſer zurück, und kam unverrichteter Dinge nach Hauſe, wo ihm ein vielſagender Duft aus der Küche entgegen¬ ſtrömte.

Nach dem Eſſen, als er Gelegenheit fand, einen Augenblick mit ſeiner Schweſter allein zu ſein, fragte er ſie: Iſt dir's noch wie geſtern?

Magdalene verſuchte zu lachen; es wollte ihr aber nicht recht ge¬ lingen. Ich thu's eben nicht! flüſterte ſie, indem ſie in der geſtrigen Haltung auf den Boden ſtampfte; aber ihre Stimme klang wie eine ohnmächtige Einſprache gegen das Schickſal und über ihre Augen flog ein Nebel hin. Die Geſchwiſter hörten des Vaters Tritt; da ſtoben ſie auseinander.

Friedrich's Beklemmung ſtieg immer höher. Der Geiſt der Ge¬ waltthätigkeit begann in ihm wach zu werden. Er ging unruhig durch das Haus und ſuchte ein Brett, das ihm gerecht wäre. Dann ſtieg er auf den Boden, um Erbſen zu holen. Er wollte dem Chirurgus einen halsbrechenden Empfang bereiten. Wenn ſie mich auch wieder nach Ludwigsburg ſchicken, dachte er, was thut's! Als er aber mit ſeinen Vorbereitungen fertig, war, fiel es ihm ein, daß die geiſtlichen Herren, die heute ihr Kränzchen in der Sonne hatten, mit nächſtem anrücken würden, und er entſagte ſeinem Attentat. Vor der Kleriſei hatte er einen wohlbegründeten Reſpekt. Denn, dachte er in ſeiner rohen Weiſe, ſtatt des Chirurgen könnt 'mir auch einer von den Pfarrern abe hageln, und das thät' mir ſchlimmer gedeihen, als wenn ich meinem Vater einen Strick um den Hals gemacht hätt 'und hätt' ihn an den Schild hinaus gehenkt. Nicht lange, ſo erſchienen die Er¬ ſten der erwarteten Ankömmlinge. Von ihren weitſchößigen ſchwarzen Röcken umrauſcht, ſtiegen ſie ernſthaft die Treppe empor, und ihre weißen54 Bäffchen oder Ueberſchlägchen, wie man dieſes geiſtliche Würdezeichen in Süddeutſchland heißt, begleiteten ihre Unterredung, indem ſie, beim Sprechen von den Halsmuskeln in Bewegung geſetzt, taktmäßig über der Bruſt auf und nieder klappten. Arglos überſchritten die Paſtoren die verhängnißvolle Staffel, die, wenn Gedanke und That Ein Ding wären, ihnen ein Stein des Anſtoßes und gewiß auch nicht geringen Aerger¬ niſſes geworden ſein würde. Dem Chirurgus hatte es ſein guter Geiſt eingegeben, daß er die Nachhut bildete, und ſo gelangte auch er wohlbehalten unter den Fittigen der geiſtlichen Macht herauf. Die Herren verfügten ſich in ihr beſonderes Cabinet. Die übrigen Mit¬ glieder der Geſellſchaft ließen nun auch nicht länger auf ſich warten; als die Allerletzten kamen, um keine unſchickliche Eile zu beweiſen, der Pfarrer und, Saul unter den Propheten, der Amtmann des Orts. Mittlerweile fanden die dampfenden Schüſſeln ihren Weg aus der Küche in's Cabinet. Die Sonnenwirthin und Magdalene trugen ſie. Letztere hatte, als einen ſchwachen Verſuch ſich mit Krankheit zu ent¬ ſchuldigen, ein Tuch um den Kopf gebunden, das ihr aber noch un¬ terwegs von der ſorgſamen Mutter abgeriſſen wurde. Morgen kannſt Kopfweh haben, ſo viel du willſt, ſagte ſie, aber heut darfſt nicht wehleidig ſein. Der Sonnenwirth begnügte ſich, die Herren zu em¬ pfangen, in's Cabinet hinein zu complimentiren, und von Zeit zu Zeit nachzuſehen, ob nichts fehle. Der Chirurgus durfte die Flaſchen auf¬ tragen helfen, was dem Amtmann und dem Pfarrer Anlaß gab, ein wenig zu ſticheln. Nachher hatte er die Ehre, einem von den Herren Schnupftabak zu beſorgen, und zuletzt, als man nichts mehr von ihm wollte, zog er ſich mit einer feinen Wendung zurück. Mit dem Haupt¬ auftritt mußte man natürlich warten, bis die Herren ihre nächſte Aufgabe, nämlich die theils gebackenen, theils blau abgeſottenen Forellen vom Tiſche verſchwinden zu machen, bereinigt haben würden.

Friedrich war mit der Aufwartung im gewöhnlichen Wirthszimmer bei den Fuhrleuten betraut worden, erhielt aber nach einiger Zeit durch Vermittlung ſeiner Mutter, die ihm doch nicht recht traute, vom Vater den Befehl, in den Stall zu gehen und die Pferde zu füttern. Die unſchuldigen Thiere mußten ſich dabei manchen Puff gefallen laſſen. Als er wieder herauf kam, ſah er, was ihm ſein Verſtand ſchon geſtern Abend hätte vorausſagen können, ſeine Schweſter55 als glückliche Braut . Der Vater hatte ſich inzwiſchen die Freiheit und die Ehre genommen, ſie als ſolche im Cabinet vorzuſtellen, das man, um der Sache mehr Oeffentlichkeit und Anſehen zu geben, gegen das Wirthszimmer offen gelaſſen hatte. Die Herren wünſchten Glück, ſtießen mit den Gläſern an und machten etliche verſteckte ſcurrile Witze, Alles das, wie es bei ſolchen Gelegenheiten zu geſchehen pflegt. Magdalene knixte mit ängſtlichem Lächeln und zwang die Thränen zurück, die freilich ſehr nahe waren, aber wie hätte ſie vor ſo ge¬ waltigen Herren wagen können, einen Willen geltend zu machen? Der Chirurgus ſtand neben ihr, ganz grün vor Seligkeit. Die Son¬ nenwirthin freute ſich, daß ſie den niederdrückenden Einfluß, den die Herrengeſellſchaft auf das Mädchen üben würde, ſo ſicher voraus be¬ rechnet hatte. Der Sonnenwirth ſchmunzelte und ſchwamm in Wohl¬ behagen über die honoratiorenſchaftliche Haupt - und Staatsaction. Friedrich ſeinerſeits ließ im Wirthszimmer ſeine feſtliche Bewegung an einer Flaſche aus, die, als ſie mit lautem Klirren am Boden zer¬ brach, die allgemeine Stimmung durch Schrecken, Lachen, Zorn und Scheltworte hindurch in das gewöhnliche Geleiſe zurückbrachte. Die Thüre des Cabinets ſchloß ſich wieder, die Wirthſchaft ging ihren Gang, und als die Herren Abends ihre Sitzung aufhoben, blieb es ein Geheimniß, was der Gegenſtand ihrer Unterhaltung geweſen war, ob die Ewigkeit der Höllenſtrafen oder die Aufbeſſerung der Beſol¬ dungen. Nur Eines hatte ſich entſchieden und unabänderlich feſtge¬ ſtellt, nämlich, daß Magdalene jetzt das war, was ſie vergangene Nacht um keinen Preis, ſelbſt nicht um den Preis ihres Lebens, hatte werden wollen.

Friedrich redete den ganzen Abend kein Wort mit ſeiner Schweſter. Als ſie ihn einmal lange ſchüchtern und bittend anſah, antwortete er mit einem Blick, der ihr deutlich ſagte, daß er, wenn er Gelegenheit hätte, ſeinen tollen Jähzorn thätlich an ihr auslaſſen würde. Sie vermied es deßhalb, allein mit ihm zuſammenzutreffen. Da man ihr jetzt keinen Zwang mehr anthat und ihr Bräutigam, geduldig auf beſſeres Wetter wartend, ſich bei Zeiten nach Hauſe gemacht hatte, ſo ging ſie noch vor dem Abendeſſen zu Bette.

Auch dieſe Nacht konnte Friedrich die Augen lange nicht ſchließen. Es war ihm ſehr übel zu Muthe. Der Zorn über das feige Benehmen56 ſeiner Schweſter hatte ſich in eine ſeltſame Bangigkeit verwandelt. Er fühlte ſich ganz im Stich gelaſſen und begann zu ahnen, daß ihm das Leben noch harte Nüſſe zu knacken geben werde. Daß die Men¬ ſchen nicht ſeien, wie ſie ſein ſollten, das war ihm klar geworden; wie er aber ſelbſt unter ſolchen Umſtänden eigentlich ſein ſollte, das wußte er ſo wenig, daß es ihm nicht einmal einfiel, auch nur die Frage an ſich zu ſtellen. Mitleid, Angſt, Empörung wechſelten auf die wunderlichſte Weiſe in ihm ab, und das Heimweh nach der ſichern Umfriedigung des Zuchthauſes kehrte ihm aber und abermals zurück. Er hatte es mit angeſehen, wie neben den Verbrechern auch arme Waiſen zu nicht ſchimpflicher Arbeit in daſſelbe aufgenommen wurden, und ihr Loos wollte ihn wie ein neidenswerthes Glück bedünken. Aber mitten unter dieſen verſchiedenen Regungen fand er noch Raum genug in ſeinem Herzen, um mit vielem Behagen an das hübſche Mäd¬ chen zu denken, das ihn heute auf der Straße gegrüßt hatte.

4.

Der Jüngling, deſſen groben, verworrenen Lebensfaden wir zu ver¬ folgen unternommen haben, war, als er die väterliche Schwelle wieder betrat, über eine jener unſichtbaren Grenzen geſchritten, welche ſich durch die Geſellſchaft und durch den einzelnen Menſchen ſelbſt hin¬ durchziehen. Er empfand vor ſeinem Vater, wo nicht Achtung, denn zu dieſer gehört ein ausgebildeteres Bewußtſein, ſo doch eine unbe¬ ſtimmte Scheu, ja ſogar unter rauher Decke einen Reſt kindlicher Zu¬ neigung; und dennoch ſagte ihm ein unbeſtechliches Gefühl, daß er durch den bloßen Rücktritt aus dem Kreiſe des Waiſenpfarrers in den Kreis des Sonnenwirthshauſes um eine Stufe gefallen ſei. Das Leben war hier ein ganz andres und wies mit ſeinen alltäglichen und doch gebieteriſchen Zwecken ſo manche Forderung der reifenden Seele zurück, welche dort, obwohl unter dem einförmigen Frohndienſt des Wollekrämpelns, von einem Geiſte, den ſeine Zeitgenoſſen apoſto¬ liſch nannten, geweckt worden war; aber die fortgeſetzte Berührung57 mit dem Alltagsleben mußte auch zugleich die Wirkung haben, daß die¬ ſes Gefühl allmählich wieder in ihm abgeſtumpft wurde. Sein blutiges Handwerk, wie es das unendliche Weh, das aus den ſtummen Augen der Thiere jammert, zum Schweigen brachte, ſo ſchlug es auch die verwandte Stimme in der Menſchenbruſt nieder. Daneben waren die Gäſte, mit denen er täglich in der Wirthsſtube zu thun hatte, gewiß lauter ehrliche Leute , aber wahrhaftig keine Tugendſpiegel, und er hatte nur zu viele Gelegenheit, die mehr oder minder klare Betrach¬ tung anzuſtellen, daß Achtbarkeit und guter Ruf in dieſer Welt ſehr oft weniger von einem ſtreng ehrlichen und ſittlichen Weſen als von Klugheit und zufälligen Umſtänden abhängen. Je minder klar aber dieſe Betrachtung in ihm aufſtieg, deſto gefährlicher war ſie ihm. Ueberhaupt wußte ſein Kopf nichts von Nachdenken, ſondern nur von raſchen Eindrücken, die ſich unter lärmenden Zechgenoſſen und auf dem Tanzboden entweder befeſtigten oder eben ſo raſch wieder verdampften. Dieſes Bedürfniß, eine immer rege mißbehagliche Unruhe zu verjubeln, ſöhnte ihn auch wieder mit ſeiner Schweſter aus, bald nachdem ſie dem aufgedrungenen Bräutigam angetraut worden war. Denn da ſie von ihrem Manne ziemlich leidlich behandelt wurde, ſo hatte ſie dann und wann den Troſt, dem geliebten Bruder einen auf die Seite ge¬ brachten Groſchen zuſtecken zu können, und Friedrich, den der Vater ſehr kurz zu halten für gut befand, verſchmähte die klingenden Be¬ weiſe der Schweſterliebe nicht.

Während er auf dieſe Weiſe theils gleichgiltig, theils in dumpfer Luſtigkeit dahin lebte, kehrten auch ſeine äußeren Umſtände ganz in das gewöhnliche Geleiſe zurück. Zu Hauſe ging er unangefochten aus und ein, und ſtand mit der Stiefmutter in jenem mürriſchen Verkehr, wo Gewohnheit die Stelle der Liebe vertritt. Auch in der Gemeinde war er geduldet; Niemand zeigte ſich ihm widerwärtig, Mancher blickte ihn freundlich an, und des Makels, der auf ihm haftete, ſchien nicht gedacht zu werden. Ihm ſelbſt war nicht wohl und nicht wehe; mit dem Zuchthauſe hatte er auch den Waiſenpfarrer vergeſſen. Ein ſtrenges Geſicht machte ihm Niemand mehr als der Amtmann. Aber dies hatte wenig zu ſagen, denn der Amtmann galt perſönlich nicht ſehr viel bei der Gemeinde und zu Hauſe gar nichts; auch nahm der im Grunde gutmüthige und ſchwache Mann eigentlich nur deßhalb eine58 Amtsmiene gegen ihn an, weil er ihn einmal in Unterſuchung gehabt hatte, und ihn nun, wo nicht mit Worten und Werken, ſo doch mit Geberden polizeilich überwachen zu müſſen glaubte. Dagegen war er bei der Frau Amtmännin ſehr gut angeſchrieben, und zwar, zu ſeiner eigenen Verwunderung, beſſer als er es verdiente, denn er hatte ſich ſchon manche boshafte Bemerkung über ihr Pantoffelregiment erlaubt. Vielleicht war ihr nichts davon zu Ohren gekommen; genug, die ſtolze kräftige Frau empfand eine gewiſſe Theilnahme für den jungen Bur¬ ſchen, der ſchon ſo früh über die Schranken der bürgerlichen Ordnung geſprungen war. Es ſchien ihr nicht unangenehm zu ſein, wenn ſie ihren Fleiſchbedarf von ihm in's Haus getragen bekam, und der alte Sonnenwirth, der keine Art von Gnadenſchimmer aus den Augen ließ, ſorgte alsbald dafür, ſeinem Sohne dieſes Ehrenrecht auf dem Wege des Herkommens zu überweiſen. Die geſtrenge Frau pflegte ihn dabei ſehr huldvoll zu behandeln, ſie reichte ihm manchmal ein Glas Wein, ermahnte ihn zu vernünftiger Aufführung, ergötzte ſich aber beſonders gerne an ſeinen eigenthümlichen freimüthigen Aeuße¬ rungen. An ſolchen ließ es Friedrich ſelten mangeln; denn wenn er einmal ſeine Schüchternheit gegen Vornehmere überwunden hatte, ſo that er ſeiner Zunge, zumal wenn aufgemuntert, keine Gewalt mehr an. Die Gunſt der Amtmännin ebnete ihm auch ſonſt noch ſeinen Pfad; der Schütz und die Schaarwächter, welche die Polizei im Flecken handhabten, ließen dieſe Stimmung ihrer Gebieterin nicht unbeachtet und drückten bei manchen Unregelmäßigkeiten des jungen Burſchen, bei manchen kleinen Verſtößen gegen die öffentliche Ordnung alle ihre Augen zu.

Unter dieſen Umſtänden war er eines Morgens mit ſeinem Korbe ins Amthaus eingetreten. Die Amtmännin prüfte den Inhalt und ſagte wohlgefällig: Das gibt ein ſchönes Brätchen, ich hab 'alle Con¬ ſideration vor Seines Vaters Geſchmack, ſag' Er ihm einen Gruß und ich ſei wohl zufrieden.

O, ich hab's ſelber ausgewählt, Frau Amtmännin, erwiderte Friedrich.

Um ſo beſſer, ſo darf Er's auch ſelber in die Küche tragen. Geh 'Er, mein Sohn, und bring' Er's der Kathrine hinaus. Daß Er ſich aber nicht unterſteht, dem Mädchen zu flattiren; ich habe mir ſagen laſſen, daß Er ein galanter Junker ſei.

59

Friedrich lachte und trug das Fleiſch in die Küche. Da, Jungfer, ſagte er, und die Frau hat mir einen Kuß aufgetragen als Zugabe.

Das Mädchen ließ mit einem leiſen Schrei den Korb fallen und flüchtete ſich hinter den Herd. Sie hatte etwas Demüthiges und Gedrücktes in ihrem Weſen und ſah, obwohl noch jugendlich und nicht unſchön, doch blaß und verblüht aus. Sie war eine Verwandte der Amtmännin, die ſie unter dem Namen einer Hausjungfer, eigentlich aber als Dienſtmagd zu ſich genommen hatte.

Es iſt nicht ſo ernſtlich gemeint, Jungfer, lachte Friedrich. Nur ſachte mit der Braut! Das Fleiſchle da hätt 'ſo ſauber bleiben kön¬ nen, wie Ihre Tugend von meinetwegen bleiben ſoll.

Er hob das Fleiſch vom Boden auf, warf es ihr auf den Herd und verließ die Küche, indem er brummte: Was ſich die nicht einbil¬ det, und iſt nur ſo ein Flügel.

Als er wieder in's Zimmer kam, um zu fragen was die Frau Amtmännin auf morgen zu befehlen habe, fand er ein Glas Wein eingeſchenkt, zu dem er ſich nicht lange nöthigen ließ.

Hat's draußen was abgeſetzt? fragte ſie. Ich meinte einen Fall zu hören.

O der Jungfer iſt nur ein kleiner Poſſ 'paſſirt. Darauf hab' ich weiter gar nichts geſagt als Sachte mit der Braut! und da iſt ſie gleich ganz ſchiefrig geworden.

Die geſtrenge Frau lachte recht gnädig. Es kommt ja nur auf den Mosje Friedrich an, ſagte ſie, ob er aus dem Sprichwort Ernſt machen will. Das Mädchen iſt aus einer ſehr guten, aber während der Minderjährigkeit des Herzogs unterdrückten und herabgekommenen Familie. Nun, dafür hat ſie ſich deſto beſſer in der Welt fortbringen gelernt; das iſt auch eine Ausſteuer. Sie iſt ſchon bei einem adeligen Geheimenrath in Dienſten geweſen, und weiß was Mores ſind. Das gäb 'eine Wirthin, die den vornehmſten Gäſten gewachſen wäre.

Sie ſagte dies Alles auf eine ſcherzhafte Weiſe, in welcher gleich¬ wohl etwas Aufmunterndes lag. Aber freilich, fügte ſie hinzu, Wirthe ſehen mehr auf äußeres als auf inneres Metall, und bei Wirthsſöhnen wird man ohne Zweifel den gleichen Gout antreffen.

Conträr, im Gegentheil, verſetzte der junge Menſch, ich ſeh 'bei einem Mädle auf's Herz, und nicht auf die Batzen. Liebreich iſt60 über hübſch, und hübſch iſt über reich. Aber Excüſe, Frau Amt¬ männin, mein Sinn ſteht darauf, daß wenn ich einmal heirathen thu', ſo muß es ein freies Mädle ſein. Ich will mein Weib nicht aus der Dienſtbarkeit holen. Arm darf ſie wohl ſein, aber keine ſolche, die ſchon auf der Adelsbank herumgerutſcht und in vornehmen Häuſern herumgepudelt worden iſt.

Die Amtmännin fuhr aus dem Armſeſſel auf, und ihre Contuſche von Perſe rauſchte wie eine Windsbraut durch das Zimmer. Er Fle¬ gel, der Er iſt! ſchrie ſie, meint Er denn, ich werde meine Perlen vor ſolche Schweine werfen! Eine Zigeunerin wird er noch kriegen, oder des Seilers Tochter, wenn's hoch kommt, wozu alle Auſſicht vorhanden iſt! Reiſ 'Er ſich auf der Stelle, und laß Er ſich's nicht beigehen, mir wieder unter die Augen zu treten.

Friedrich hatte eben das Glas ergriffen, um zur Bekräftigung ſeiner Rede einen herzhaften Schluck zu thun, als dieſer unerwartete Sturm bei vermeintlich heiterem Himmel ausbrach. Er ſetzte verblüfft das Glas auf den Tiſch, ergriff ſeinen Korb und machte ſich rücklings gegen die Thüre, wobei er den eben eintretenden Amtmann empfind¬ lich auf den Fuß trat. Dieſer neue Fehltritt war nicht geeignet, ihm ſeine Faſſung wieder gewinnen zu helfen; vielmehr gelangte er ſtrau¬ chelnd und taumelnd zur Thüre hinaus, von grimmigen Blicken und unfreundſchaftlichen Segenswünſchen verfolgt.

Aber die kann Einem den Marſch machen! ſagte er verwundert zu ſich, als er auf der Straße war. Er trug langſam ſeinen Korb nach Hauſe, ohne ſich recht erklären zu können, wodurch er die Frau ſo plötzlich gegen ſich aufgebracht habe. Deſto deutlicher ſtand ihm die doppelte Thatſache vor Augen, daß er um eine nicht zu verach¬ tende Gönnerſchaft ärmer und um einen furchtbaren Feind reicher ge¬ worden ſei. Er verabredete hinter dem Rücken ſeines Vaters mit ei¬ nem Knecht, daß dieſer künftig ſtatt ſeiner das Fleiſch in's Amthaus tragen ſolle; aber trotz dieſer Auskunft machte ihm der Vorgang nicht wenig zu ſchaffen. Verſchüttet Oel iſt nicht gut aufheben, ſagte er den ganzen Tag bedenklich mit dem Sprichwort zu ſich.

Was konnte er unter dem Gewichte dieſer Betrachtung Beſſeres vornehmen, als die Flaſche aufzuſuchen, in welcher der Deutſche, der Jüngling wie der Greis, der gemeine Mann wie der vornehme, ſchon61 ſo manche Verlegenheit erſäuft oder erſt recht groß gezogen hat! Sein Vater war ausgeritten, Ochſen zu kaufen, und wurde erſt in ſpäter Nacht zurück erwartet; die Stiefmutter aber ſtand nicht in ſo hohem Anſehen bei ihm, um ihretwegen die Hausordnung einzuhalten. Er erlaubte ſich das Nachteſſen zu umgehen und beſuchte dafür ein Bäcker¬ haus, wo er gerne einzuſprechen pflegte.

Die Stube war halbdunkel, als er ſie betrat. Auf einem Ofen¬ bänkchen dämmerte der Bäcker, wie es ihm ſchien; die Wärme des Ofens ließ ſich bei der vorgerückten Jahreszeit recht behaglich empfin¬ den. Hinter dem erhellten Fenſter, das in die Küche ging, bewegte ſich eine Geſtalt, die er für die Bäckerin hielt. Duſelſt, Beck? ſagte er, dem Manne im Vorübergehen einen freundſchaftlichen Rippenſtoß verſetzend; 'n Schoppen Grillengift, Beckin! rief er dann gegen die Küche gewendet, und ſchlug ein paarmal mit der Fauſt auf den Tiſch. Dann ſetzte er ſich und ſtützte verdrießlich den Kopf auf die Hand.

Ein Licht wurde gebracht und vor ihn geſtellt, ohne daß er den Kopf erhob. Gleich darauf ſtellte dieſelbe Hand den begehrten Wein im Schoppenglaſe vor ihn auf den Tiſch. Ohne aufzuſehen wurde er doch der Hand gewahr, die mit dem Glaſe vor ſeinen Augen erſchien. Sie hatte, trotzdem daß ſie nichts weniger als glatt und geſchont aus¬ ſah, etwas Zartes; die wohlgedrechſelten Fingerchen ſchlangen ſich aller¬ liebſt um das Glas, und an die Hand ſchloß ſich ein zierlicher, run¬ der, voller Arm. Ehen wollte er verwundert fragen, wie die beleibte Bäckersfrau zu ſo anmuthigen Gliedmaßen komme, als ein fremdes feines Stimmchen das in den Wirthshäuſern übliche Wohl bekomm's dazu ſprach. Er that die Hand von den Augen, ſah hin, ließ den Arm auf den Tiſch fallen, hob den Kopf und ſtarrte mit freudigem Schrecken die Erſcheinung an. Es war Niemand andres als das hübſche Mädchen mit den gelben Zöpfen, das ihm neulich bei ſeinem unglück¬ lichen Werbungsverſuch begegnet war, und das er ſeitdem nicht aus dem Sinn verloren hatte.

Ei, ſagte er luſtig, heut 'hätt' ich eigentlich einen ſchwarzen Strich in den Kalender machen ſollen, jetzt mach 'ich aber einen rothen da¬ für. Was iſt denn das, Beckin? rief er der eintretenden Frau entgegen. Habt Ihr Euch eine Kellnerin aus dem himmliſchen Reich verſchrieben?

62

Das iſt keine Kellnerin, entgegnete ſie: es iſt mein Dötle (Path¬ chen), das mir ein bißle im Haushalt und in der Wirthſchaft aushilft.

Wie heiß'ſt denn, du Herzkäferle? fragte er.

Chriſtine, antwortete das Mädchen mit ſchüchternem Lächeln und trat einige Schritte von ihm weg, indem ſie zugleich jenen hingeben¬ den Blick auf ihn fallen ließ, der ihm ſchon einmal durch die Seele gedrungen war.

Biſt du von hier?

Ja wäger iſt ſie von hier, ſagte die Bäckerin: ſie iſt ja des Hirſch¬ bauern Tochter.

Daß dich der Strahl! rief er. Ich hätt 'geglaubt, ich ſollt' Kind und Kegel im Flecken hier kennen. Ja, dort hinaus bin ich freilich in Jahr und Tag nicht kommen.

Arme Leut 'ſind unwerth, verſetzte die Bäckerin, denen läuft Nie¬ mand nach.

O Beckin, redet nicht ſo! Ihr wißt wohl, daß es mir anders um's Herz iſt. Aber, wandte er ſich zum Mädchen, wo ſteckſt denn du, du Zuckerſtengele, daß ich dich noch kein einzig's Mal in's Aug 'ge¬ faßt hab'? Man ſollt 'dich ja wahrhaftig für eine Fremde halten.

Sie iſt nie viel unter die Leut 'kommen, antwortete ihre Pathin für ſie. Sie iſt von Kind auf immer ſo ein Dürftele geweſen.

Es iſt heut 'nicht das erſt' Mal, ſagte Chriſtine leiſe und freundlich.

Ja, gelt? erwiderte er lebhaft: neulich ſind wir einander auch begegnet?

Das iſt wiederum nicht das erſt 'Mal geweſen.

Ja, das Mädle hat Euch noch einen Dank abzuſtatten von lang her, für etwas, da Euer Herz nicht mehr dran denkt. Geh, erzähl's ihm, Chriſtinele.

Ich nicht! rief das Mädchen und zog ſich kichernd hinter den Ofen zurück. Erzählet Ihr's, Dote!

Muß ich das Maul für dich aufthun, du Dichele? ſagte dieſe. Nun alſo! Ich will anfangen wie man ein Märlein anfängt. Es iſt einmal ein klein's Mädle geweſen, hat Bäcklein gehabt wie Milch und Blut, das Spruchbuch hat's unter'm Arm getragen, und ein großer Apfel, ſo rothbackig wie es ſelber, der hat ihm aus dem Schürzen¬63 täſchle herausgeguckt. So ein Apfel unter der Schulzeit Ihr werdet's wohl noch wiſſen das iſt für ein Schulkind ſo viel oder noch mehr als für einen jungen Burſchen ein Schoppen Wein im Beckenhaus. Kommt ſo ein baarfüßiger Flegel daher, ein paar Jahr älter als das Kind, und ſagt: Gleich gibſt mir dein 'Apfel, oder ich ſchlag' dir ein paar Zähn 'in Hals! Mein Chriſtinele ſchreit und rennt, was gilt's, was haſt! Aber der Bub' hintendrein und faßt ſie am Fittig und ſchüttelt ſie, und will ihr den Apfel nehmen. Da kommt aber einer über ihn, und wer anders als der Sonnenwirthle, der Frieder, der nie kein Unrecht mit müßiger Fauſt hat anſehen können. Der faßt den groben Zolgen und ſchüttelt ihn ebenmäßig und ſteckt ihm ein Paar, aber nicht wie's die Buben austheilen, ſon¬ dern wie's die Buben von einem Mann kriegen, wenn ein Markſtein geſetzt wird.

Gott's Blitz! rief er fröhlich lachend, jetzt geht mir ein Licht auf. Das iſt ja der Fiſcherhanne geweſen, ja, ja, den hab 'ich einmal durchgeliedert, weil er ein Kind mißhandelt hat, wie ein Räuber und Buſchklepper.

Ja, und dann habt Ihr dem Kind noch ein Brod dazugegeben. Da, nimm, habt Ihr geſagt, damit dir der Apfel kein 'öden Magen macht.

Kann ſein, ſagte er, das weiß ich nicht mehr, jedenfalls iſt's gern geſchehen. Was, und das Kind biſt du geweſen, du Engele, du goldig's? rief er hinter den Ofen.

Freilich, erwiderte die Bäckerin. Aus Kindern werden Leute und ſo weiter, Ihr wißt ja wie das Sprichwort ſagt. Aber die Gutthat, die hat Euch mein Chriſtinele in einem feinen Herzen nachgetragen, Beides, das Brod und daß Ihr meinen Apfel vertheidigt habt, denn von mir iſt er geweſen.

Er hatte nicht mehr ganz ausgehört. Iſt's wahr, rief er, indem er das Mädchen, das ſich ſträubte und anmuthig lachte, hinter dem Ofen hervorzog, iſt's wahr, daß du mich noch kennſt und haſt ſelbi¬ ges Stück im Herzen behalten?

Ja, es iſt wahr, antwortete ſie, und ich hätt 'gern

Was hätt'ſt gern? Wieder ein Stück Brod?

Sie lachte überlaut. Heimgegeben hätt 'ich's gern.

64

So, du möchteſt mir die Laib 'heimgeben? Er ſchlang den Arm um ihre Hüfte und gab ihr mit einem Wink zu verſtehen, daß jetzt die beſte Gelegenheit zu einer ihm anſtändigen Belohnung wäre. Die Bäckerin hatte den Kopf gewendet, der Mann ſchlief auf der Ofenbank. Er drückte ſie an ſich, und ſuchte mit dem Munde ihre Lippen. Sie wich ihm lächelnd aus, ohne die vielverheißenden Augen von ihm abzuwenden, und wie er ſie am Kinn faſſen wollte, um das unbot¬ mäßige Köpfchen in feſten Verwahrſam zu nehmen, kam ſie ihm plötz¬ lich mit den Lippen zuvor. Sein Wunſch war in Freiheit gewährt, ehe er zu Zwangsmitteln ſchreiten konnte; ein Kuß, nicht lang, nicht voll, nicht feurig, aber blitzartig treffend war ihm an den Mund geflogen und fuhr ihm durch Mark und Bein. Ihre Lippen hafteten nur einen Augenblick; im ſelben Augenblick war ſie ihm unter dem Arm durchgeſchlüpft und huſchte in die Küche hinaus.

Mit dieſem Kuſſe war der Würfel über ſein künftiges Schickſal geworfen.

In der erſten Aufwallung ſeiner Leidenſchaft wollte er dem Mäd¬ chen nacheilen, aber eine andere Regung hielt ihn zurück. Er glaubte in dem hellen, freundlichen Geſichte, obgleich es faſt noch unmündig ausſah, einen Zug zu erkennen, der keine Zudringlichkeit aufkommen ließ, und beſorgte, daß er die gute Meinung, die das Mädchen ſeit den Kinderjahren in ihrem dankbaren Herzen von ihm behalten hatte, leicht verſcherzen könnte. Dieſe Betrachtungen hüllten ſich jedoch in das Gewand des Stolzes. Was, ſoll ich den Küchemichel machen? ſagte er zu ſich und ſetzte ſich trotzig wieder an den Tiſch.

Die Stube füllte ſich allmählich mit Gäſten. Was auf dem Dorfe Wirthshausbeſucher ſind, die bilden ſo ziemlich denſelben unveränder¬ ten Kreis und wechſeln nur den Ort. Heute findet man ſie in der Sonne, morgen geben ſie dem Dreikönig etwas zu löſen , übermor¬ gen ſind ſie beim Becken , über-übermorgen in der Krone, Don¬ nerſtags gehen ſie zum wüthigen Eſel , Freitags kriechen ſie zum Kreuz und am Sonnabend thut ihnen die Wahl weh zwiſchen dem Dutzend von Wirthshäuſern, die noch übrig ſind.

Friedrich nahm ſich den Abend zuſammen, um ſeinen Herzenszu¬ ſtand nicht zu verrathen. Er verrieth ihn aber jeden Augenblick. Er trank ein Glas um das andere, um Chriſtinens Gegenwart zu genie¬65 ßen und etwa ihre Hand beim Darreichen zu berühren. Hierzu mußte er jedesmal den Augenblick wählen, wo ſie gerade im Zimmer anwe¬ ſend war, und dies nöthigte ihn, oft einen ſtarken Reſt mit einem einzigen Zuge zu leeren. Die Andern hatten ſein Treiben ſchnell durch¬ ſchaut und gaben ihr muthwilliges Ergötzen bald durch einen Augen¬ wink, bald durch ein ſchiefgezogenes Maul zu erkennen. Die Gläſer, die er aus Chriſtinens Hand empfing, ſtiegen ihm nach und nach in den Kopf. Er ſang, lachte, ſchwatzte viel und ließ ſeine gute Laune an Einem und dem Andern der Anweſenden aus, endlich aber auch an der abweſenden Frau Amtmännin, die er ſich nicht entblödete eine alte Kupplerin zu ſchelten. Wer weiß welch 'thörichtes Zeug er noch angerichtet haben würde, wenn nicht Chriſtine, vielleicht abſichtlich zu ſeinem Beſten, den klugen Einfall gehabt hätte, die Magnetnadel nach dem entgegengeſetzten Pol zu drehen. Sie wiſchte auf einmal mit einem Gut' Nacht, das wenigſtens deutlich auf ſein Ohr berechnet war, zur Thüre hinaus. Er wagte ihr nicht ſeine Begleitung anzubieten, aber nun war auch ſeines Bleibens nicht länger mehr. Allen Neckereien und Herausfor¬ derungen der Andern zum Trotz machte er ſich ſo ſchnell als möglich los; er hoffte ſie noch unterwegs einzuholen. Da er aber bei all ſeiner Aufregung doch ſo viel Rückſicht genommen hatte, um einiger¬ maßen den Schein zu meiden, ſo gelang ihm ſein Vorhaben nicht.

Er ging mit eiligen Schritten ans Ende des Fleckens, wo etwas abgeſondert das Häuschen ihres Vaters lag. Seine Tritte hallten durch die Nacht. Er umging das Haus, aber kein Licht war zu ſehen. Er lehnte ſich lange an den Backofen, der wie ein großer Bauch aus dem Hauſe hervorragte. Dann ſetzte er ſich auf die Deichſel des Wagens, der unter dem Schupfe ſtand. Im Hauſe war Alles ſtille, nirgends ein Laut, weder ein Tritt in einer Kammer, noch das Kra¬ chen einer Treppenſtufe zu vernehmen. Du leichtfüßig's Vögele du, ſagte er, biſt ſchon in's Bett geſchlupft und ſchlafſt. Gut 'Nacht, Chriſtinele, gut' Nacht, Schatz! Mein mußt du werden, und wenn ich die Stern 'vom Himmel reißen müßt'!

Seine Zechgenoſſen, als er die Stube verlaſſen hatte, ſahen ein¬ ander erſt ſtillſchweigend an, dann machten ſie allerlei Bemerkungen, ſowohl über den unerhörten trunkenen Freimuth, mit dem er die Maria Thereſia des Fleckens anzutaſten gewagt, als über das plötzlicheD. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 566Feuer, das ſich durch Flammen und Rauch verrathen hatte, und zwar kreuzten ſich die Bemerkungen über dieſe beiden Gegenſtände.

Ich glaub ', der hat' n Leibſchaden unterm Hut, fing einer an.

Schätz 'wohl, und unterm Bruſttuch deßgleichen, ſagte ein Anderer.

Der hat dem Dr 'n Ohrfeig' 'geben! verſetzte ein Dritter.

Reitet der das Maul ſpazieren, oder das Maul ihn?

Ja, der reitet ſich ſelber hinein.

Und die Augen ſind auch mit ihm durchgegangen.

Ich glaub ', die hat's ihm angethan.

Beckin, ich glaub ', Euer Dötle kann hexen. Sie gäb' übrigens eine zierliche Sonnenwirthin, heißt das, wenn ihm der Alte, nach Ge¬ ſtalt der Sachen, die Regierung übergibt.

O, ihr Leut ', redet doch nicht ſo gottlos! ſagte die Bäckerin lachend dazwiſchen.

Der wird ankommen, wie die S im Judenhaus.

Er iſt und bleibt halt des Sonnenwirths ſein Frieder.

Ja, ja! riefen Alle zuſammen, und nachdem ſie in ſolchen ſprich¬ wörtlichen Redensarten dem Geiſt Luft gemacht hatten, gingen ſie heim, um denſelben für dieſesmal ruhen zu laſſen .

5.

Der trotzigſte Burſche in ganz Ebersbach war mit Einem Schlage ſo umgewandelt, daß ihn ſein eigener Vater nicht mehr erkannte. Er zeigte ſich demüthig, dienſtfertig und zu Allem willig; ſeine angeborene Gutherzigkeit brach ſiegreich hervor, wie wenn nach langem Unwetter der Himmel wieder blau erſcheint. Sein Vater wurde täglich zufriede¬ ner mit ihm: denn einmal erſparte ihm Friedrich ein paar Knechte, ſo fleißig und anſtellig war er jetzt; dann that er der Kundſchaft ſichtlichen Vorſchub, ſowohl in der Metzig, wo der weibliche Theil des Fleckens die Fleiſcheinkäufe am liebſten bei ihm beſorgte, als auch in der Schenke, wo ſeine heitere Laune an die Gäſte, während er67 ſelbſt ſich des Schlemmens enthielt, manche Flaſche mehr abſetzte; und endlich konnte es dem Alten doch auch nicht ganz gleichgiltig ſein, den einzigen Sohn, in deſſen Hände dereinſt die Sonne kommen ſollte, ſo einſchlagen und in ſich gehen zu ſehen. Von dem Vorfall mit der Amtmännin erfuhr er nichts, denn dieſe hatte ihre Pille ſtillſchwei¬ gend verſchluckt; und als es ihm nach einiger Zeit auffiel, daß Frie¬ drich kein Fleiſch mehr ins Amthaus trug, ſo entſchuldigte dieſer ſein Wegbleiben damit, daß die Amtmännin nicht undeutlich die Abſicht blicken laſſe, ihm ihre Köchin zu kuppeln, worauf der Alte ſein Be¬ tragen höchlich billigte. Er ließ ſchon in der Stille ſein Auge unter zwei oder drei Poſthalterstöchtern in der Gegend umherſchweifen, denn wie die alten Grafen von Würtemberg auf den Herzogshut, ſo war der Sonnenwirth mit allen erdenklichen Mitteln darauf bedacht, der Sonne durch Verbindung mit einer Poſtgerechtigkeit, die durch Hei¬ rath am wohlfeilſten zu erlangen war, einen höheren Aufſchwung zu geben. Noch immer zwar blieb er in Mienen und Worten ſtreng gegen ſeinen Sohn, denn er hielt es, wie er ſagte, für gerathen, den Burſchen in der Stange zu reiten ; aber wenn er ſich von ihm un¬ beachtet glaubte, ſo ſchmunzelte er oft recht behaglich hinter ihm her. Unter dieſen Umſtänden mußte auch die Stiefmutter zu einer berech¬ neten Freundlichkeit aufthauen, denn bei eintretenden Veränderungen wurde Friedrich, ob es ihr nun gefallen mochte oder nicht, eine bedeutende Perſon für ſie. Uebrigens dauerte dieſe Conſideration, wie die Frau Amtmännin es genannt haben würde, nur kurze Zeit: nach¬ dem ihr der Fiſcher eines Tages ſeinen heimlichen Bericht abgeſtattet hatte, begann auf ihrem Geſichte ein zweideutiges Lächeln ſtehend zu werden, welches hinter Friedrich's Rücken oft eben ſo höhniſch als das ſeines Vaters wohlgefällig war. Dieſem hatte ſie längſt ſeine Plane abgelauſcht und wußte ihn durch gelegentlich hingeworfene Reden eifrig darin zu beſtärken. Zu dem Fiſcher ſagte ſie bei jener Gelegenheit: Ich hab 'mir's von Anfang eingebild't, daß der Bub' nicht gut thun wird, es iſt ſeine Art nicht. So einem reichen Söhnlein, erwi¬ derte der Fiſcher, hätt 'man Zuchthaus und Alles verziehen. Ich möcht' nur auch ſehen, wie man ſelbigenfalls mit unſer Einem um¬ ging '; da wär' kein Aufkommen mehr. Wiewohl, der begehrt doch den Berg abe, er kann eben das Glück nicht vertragen.

5 *68

Inzwiſchen waren Friedrich's Verſuche, Chriſtinen in den nächſten Tagen nach jener Begegnung im Bäckerhauſe wieder anzutreffen, ver¬ geblich geweſen, und nach einem unangenehmen Auftritt mit dem obern Müller, der aus Groll, daß er ihn nicht unter ſeine ſchwiegerväter¬ liche Aufſicht bekommen konnte, ſich einige Anzüglichkeiten gegen ihn erlaubte, gab er dieſe Verſuche völlig auf. Nicht daß er das Feld als Beſiegter geräumt hätte, denn der Müller war ſowohl mit der Zunge als mit der Fauſt zu kurz gekommen, aber er vermochte es nicht zu ertragen, ſeine Herzensangelegenheit zum Gegenſtand roher Scherze gemacht zu ſehen. Er hätte der ganzen Welt verbieten mö¬ gen, ein Wort davon zu reden; wußte er doch nicht, daß es für die menſchliche Zunge, wie ſie nun einmal bei Vielen ſeiner Nachbarn beſchaffen war, keinen köſtlicheren Genuß gab als eine Liebſchaft zu verarbeiten, und daß ihr ſolch ein Feſtmahl um ſo ſüßer ſchmeckte, je mehr Gift und Bitterkeit ſie beimiſchen konnte.

Da er Chriſtinen nirgends zu Geſicht bekam, und die Entfernung von ihr nicht länger aushalten zu können meinte, ſo beſchloß er end¬ lich geradezu in die Familie ſeiner Geliebten einzudringen, ein Unter¬ nehmen, das auf dem Lande meiſt mit mehr Schwierigkeiten und Verlegenheiten verbunden iſt als in der Stadt, weil der Bauer den Dingen ohne Umſchweif auf den Grund geht und über den Zweck eines Beſuches nicht in entfernten Anſpielungen und Feinheiten, ſon¬ dern ganz rund und glatt und grob belehrt ſein will. Auch wird auf dieſem Wege nicht leicht eine Liebſchaft, ſondern nur eine ſchon vorher fertig abgemachte Werbung ins Werk geſetzt. Nun würde zwar der Eintritt in das Haus des Hirſchbauern nicht ſo viel Kopf¬ brechens erfordert haben als anderwärts ein ſolcher Verſuch, denn die Leute waren bitterlich arm und hatten ſogar ſchon während einer Krankheit des Hausvaters Unterſtützungen aus dem Kirchenſäckel genoſſen, der in den Gemeinden für Kirchenzwecke und Armenfürſorge geſtiftet iſt, und gewöhnlich der Heilig 'genannt wird. Man konnte deßhalb ohne große Scheu vorausſetzen, daß ſie einen Zuſpruch aus der Sonne wohl auch nicht verſchmähen und die Ueberbringung desſelben durch den Sohn des Hauſes, ſtatt durch einen Knecht, als eine beſondere Ehre aufnehmen würden; allein der junge Menſch war trotz der Rohheit, in welcher ihn die herrſchende Sitte ſeiner Umgebung erhielt, zumal69 wo es ſich um das Betragen des Vermöglicheren gegen den Armen handelte, zartfühlend genug, ſich die Thüre zu dem Mädchen ſeines Herzens nicht mit einem unumwundenen Almoſen eröffnen zu wollen. Er erdachte ſich vielmehr einen andern Weg, der ihn ohne Demüthi¬ gung derſelben, aber doch mit einer kleinen Strafe für ihre Zurück¬ haltung, zu dem erſehnten Ziele führen ſollte. Neben einer Kuh und einer Ziege, die dem Hirſchbauer als Ueberreſte eines ohnehin gerin¬ gen Viehſtandes geblieben waren, und ſo kümmerlichen Unterhalt ge¬ währten, daß der Backofen am Hauſe nur noch wie ein Spott über die Nahrungsloſigkeit ausſah, beſaß die Familie ein Lamm, das aber eigentlich Chriſtinen gehörte, welche es einſt als krank, aufgegeben und werthlos vom Schäfer zum Geſchenk erhalten, durch ihre mitleidige Pflege jedoch ſich ſelbſt und ihrem kleinen Bruder zur Freude davon¬ gebracht hatte. Alles dieſes war von Friedrich ausgekundſchaftet worden, und ſo trat der junge Bewerber eines Tages mit dem gleich¬ giltigſten Geſichte unter dem Vorwande eines Handels in das Haus. Chriſtine, die ihn vom Fenſter aus kommen ſah, begab ſich geſchwind aus der Stube, um ihre Beſtürzung nicht merken zu laſſen; aber ſie müßte kein Mädchen geweſen ſein, wenn ſie nicht, nachdem der erſte Schrecken vorüber war, das Herz in die Hände genommen und ſich wieder an ihre Kunkel geſetzt hätte. Gleichwohl konnte ſie es nicht wehren, daß, als ſie eintrat und mit demüthig leiſem Gruße an dem Beſuch vorüberging, eine helle Röthe ihr ins Antlitz ſchoß. Dieſelbe wich jedoch ſchnell, als das Mädchen gewahr wurde, daß ihr Schäflein dem jungen Metzger verkauft ſei, daß ſie es verlieren und an die Schlachtbank abgeben müſſe. Das Geld lag ſchon blank auf dem Tiſche, ein lockender Preis, dem die Armuth nicht wohl widerſtehen konnte. Chriſtine erblaßte und hob kindlich zu weinen an; ſie richtete ihre Augen mit einem ſo ſchmerzlichen Blick auf den Beſchützer ihrer Kindheit, der ihr jetzt Das anthun konnte, daß dieſer, dem der Stachel des ſtummen Vorwurfs durch das Herz ging, ſein Spiel beinahe be¬ reute und es ſchneller, als er ſich vorgenommen hatte, zu Ende führte. Es ſcheint, ſagte er, der Jungfer thut es and nach dem Thierlein; ich würd' mich ja der Sünde fürchten, ihr ſo ins Herz zu ſchneiden; nun iſt's aber einmal gekauft und bezahlt und da beißt die Maus keinen Faden davon; alſo wird's, ſchätz 'ich, das Beſte ſein, ich geb's ihr der¬70 weil in Verwahrung und laſſ' ihr's anbefohlen ſein, bis ich's einmal nöthiger hab ', als juſt heut; mir iſt's nicht ſo eilig damit, und bei ihr kommt vielleicht einmal eine Zeit, wo ſie ihr Herz von dem Thier¬ lein losmacht und an etwas Anders hängt. Er blickte ihr dabei liſtig lächelnd ins Geſicht, wo durch die Regenſchauer wieder ein Sonnen¬ ſchein geſchlichen kam, und da dem Hirſchbauer die Sache weder lieb noch leid zu ſein ſchien, die Mutter aber beifällig lachte, ſo fuhr er fort: So wärm wir alſo Handels eins, aber das muß ich mir aus¬ bedingen, daß ich unterzwiſperts nach meinem Lamm ſchauen darf, ob's auch in guter Wartung ſteht, denn es iſt und bleibt mein Eigen¬ thum, und ich will's hier nur eingeſtellt haben; alſo von Zeit zu Zeit werd' ich ſo frei ſein und anfragen, ob's brav gedeiht. Dabei krabbelte er kunſtgerecht an dem Lämmchen herum, wartete keine Ant¬ wort ab, ſondern ſprang gewandt, wie ein Cavalier, auf andere Dinge über, ſchwatzte von dem und jenem, ſtreichelte und neckte den kleinen Wollkopf, der, dem Aeußern nach noch glücklicher als Chriſtine, ſein gerettetes Lamm feſthielt, fragte nach den beiden ältern Söhnen, welche ja ſeine Schulkameraden ſeien, und als die Mutter nicht ermangelte, dieſelben herbeizurufen, ſo lud er ſie kurzweg ein, den Weinkauf über den abgeſchloſſenen Handel zu trinken, denn derſelbe müſſe ſtät und feſt ſein. Dabei faßte er die beiden Burſche, die ungefähr in ſeinem Alter ſein mochten, an den Armen, trieb ſie zur Thür hinaus, ohne ihnen Zeit zu einer Widerrede zu laſſen, nahm Abſchied und war mit ihnen fort, ehe Jemand etwas zu thun oder zu ſagen wußte. Die Hirſchbäuerin allein war gefaßt genug ihm nachzurufen, er möchte ſo frei ſein, ihnen bald wieder die Ehre zu ſchenken.

Der Hirſchbauer ſah ſein Weib eine Weile in ſtiller Verwunderung an, während Chriſtine ſich wieder auf die Seite machte, um wenig¬ ſtens dem erſten Anlauf etwaiger Erörterungen auszuweichen, wobei ſie jedoch wohlweislich die Thüre ein wenig offen ließ.

Das hätt'ſt du auch können bleiben laſſen, ſagte er endlich ver¬ drießlich: es kommt mir grad vor wie wenn man dem Marder den Schlüſſel zum Taubenſchlag ausliefert.

Wenn du dich nur nicht auf Geſichter verſtehen wollteſt, entgeg¬ nete ſie. Haſt ihm denn nicht in die Augen geſehen? Der meint's ehrlich.

71

Ein Sohn aus einem fürnehmen Haus!

Ei, hat nicht auch der reiche Boas die Ruth geheirathet, die arme Aehrenleſerin?

Man lebt jetzt nicht mehr im alten Teſtament. Und wenn auch er aus der Art geſchlagen wär ', was wird der Sonnenwirth dazu ſagen? Wart, du wirſt eine Ehr' aufheben.

Kommt Zeit, kommt Rath.

Die Zeit bringt nicht bloß Roſen, ſie bringt auch Diſteln.

Je nachdem man's pflanzt. Das Sprichwort ſagt: Mädchen müſſen nach Einer Feder über drei Zäune ſpringen. Von den armen gilt das zweimal.

Ich will mein Kind Keinem nachwerfen, fuhr er auf.

Davon iſt auch nicht die Red ', ſagte ſie. Nachwerfen und Verſorgen iſt nicht einerlei. Wenn du das aber ſo ſicher haſt wie den Weck auf'm Laden, ſo kannſt du freilich ſitzen und warten bis ein Freier aus Schlaraffen¬ land angeritten kommt, um ſich die vollen Kiſten und Kaſten zu beſehen.

Schwätz 'du dem Teufel ein Ohr weg, ſagte er, der Thüre zugehend. Ich aber will keine Unehr' und keinen Unfrieden von der Sach 'haben.

Du biſt kurz angebunden, warf ſie ihm nach, und aber was du ſagſt, gibt auch noch kein 'langen Faden. Denk' nur auch dran, daß das fürnehm 'Füllen einen großen Fleck hat, der's nicht ſchöner macht. Der Sonnenwirth muß ja ſelber wiſſen, daß er nicht mehr den höch¬ ſten Preis daraus löſt. Aber was zum Reitpferd verdorben iſt, gibt oft noch ein gutes Ackerpferd, und einem geſchenkten Gaul guck' ich nicht in's Maul.

Der Alte blieb in der Thüre ſtehen. Die letzten Bemerkungen ſeines Weibes ſchienen ihm doch einigermaßen einzuleuchten. Er ant¬ wortete nichts darauf, dachte aber eine Weile nach und ging dann mit einem halb mürriſchen halb zufriedenen Brummen hinaus.

Die Mutter rief Chriſtinen, die gar nicht weit geweſen war. Mach 'daß du an die Kunkel kommſt, Sonnenwirthin, ſagte ſie. Meinſt du, es ſei ſchon ſo weit und du könneſt Feierabend machen?

Mutter, erwiderte das Mädchen, auf die grobe Füllung der Kun¬ kel deutend, ich weiß wohl, das gibt kein Hochzeitkleid.

Unſer Herrgott hat die Welt aus nichts erſchaffen und den Men¬ ſchen aus einem Erdenkloß. Die Amtmännin iſt, juſt wie ihre Ka¬72 thrine, eine arme Hausjungfer geweſen bei einer großen Herrſchaft, und jetzt iſt ſie eine allmächtige Frau, die einen ganzen Flecken regiert, und wie! Laß du nur den lieben Gott walten. Aber das ſag 'ich dir, rief die alte Bäuerin mit erhobener Stimme, indem ſie dicht vor ihre Tochter trat und ihr die geballte Fauſt vor das Geſicht hielt, das ſag' ich dir, daß du mir keinen dummen Streich machſt, ſonſt laß ich kein ganzes Glied an dir.

Chriſtine antwortete nichts, ſie ſpann emſig fort und ließ die Spindel nur leiſe auf dem Boden tanzen.

Während dieſer Zeit war es ihren Brüdern im Bäckerhauſe, wo¬ hin Friedrich ſie geführt, nicht wenig wohl gegangen. Wein war eine ſeltene Koſtbarkeit für ſie, und die Kameradſchaft des Sonnenwirths¬ ſohnes ſchmeichelte ihnen, unerachtet des Makels, der ihm anklebte, ſo ſehr, daß ſie den Mund kaum zuſammen brachten und jeden Spaß, den er auftiſchte, mit lautem Gelächter begrüßten. Chriſtinens wurde mit keinem Wort erwähnt, aber beim Aufbruch gab er ihnen eine Flaſche von ſeinem Grillengift mit, damit die zu Hauſe, wie er ſich ausdrückte, auch etwas davon hätten. Ohne Zweifel hatte er damit nicht bloß die beiden Alten gemeint. Zur Steuer der Wahr¬ heit und Vollſtändigkeit der Geſchichte muß noch geſagt werden, daß er die Zeche ſchuldig bleiben und ſich von der ſchmunzelnden Wirthin eine Borgfriſt von etlichen Tagen erbitten mußte; denn der Schaf¬ handel, ſo große Vortheile er ihm auch in der Zukunft verſprach, hatte für den Augenblick ſeine Baarſchaft völlig erſchöpft.

Im Weggehen wandte er ſich an den einen von ſeinen beiden neuen Freunden. Thäteſt mir einen Gefallen, Jerg?

Zwei für ein ', Frieder.

Ich hab 'eine ſchöne Pirſchbüchſe, ſagte er lächelnd, die mir un¬ werth geworden iſt. Sei ſo gut und trag' ſie morgen nach Rechberg¬ hauſen zum Krämerchriſtle; der wird dir dafür geben was recht und billig iſt. Erinnere ihn, daß er mir verſprochen habe ſie wieder zurückzunehmen, wenn ich ſie nicht mehr wolle. Ich muß morgen meinem Vater einen Gang nach Eßlingen thun und kann's alſo nicht ſelbſt beſorgen. Auf die Nacht, wenn's dunkel iſt, geb 'ich dir das Gewehr, und morgen Abend, wenn ich von Eßlingen komm', könnteſt draußen an der Ruhbank auf mich warten.

73

Gern.

Der dreiäugig 'Spitzbub'! rief er am andern Abend, als er das Geld zählte, mit welchem ihn ſein Freund vor dem Flecken an der Straße erwartete: der nimmt ja einen Heidenprofit und milkt mich wie eine Kuh, aber ich will ihn ſchon dafür kriegen. Was hat er denn geſagt?

Er hat geſagt, er hab 'dir freilich verſprochen, er wolle die Büchſe wieder nehmen, aber nur für den Fall, daß ſie dir nicht gut genug ſei, und das könneſt du ſelbſt nicht ſagen; aber daß die Katze je vom Mauſen laſſen könnte, das hab' er nicht geglaubt, und auch kein Verſprechen darauf gethan.

Friedrich lachte überaus luſtig. Der Galgenſtrick! ſagte er: ſo, der will mich noch dafür ſtrafen? Nun, ſetzte er mit ernſtem Tone hinzu, ich hoff 'das ſoll meine letzte Strafe geweſen ſein. Auf dem Weg, den ich geh', kann ich keine Strafe mehr brauchen.

Es war ein doppelter Zweck, den er mit dieſem Geſchäfte erreichen wollte. Erſtens hatte er nun wieder etwas Klingendes in der Taſche, denn es wäre ihm unerträglich geweſen mit leeren Händen zu lieben. Zweitens aber und das war der Grund, warum er Chriſtinens Bruder mit dem Verkauf des Jagdgewehrs beauftragt hatte er ſein Mädchen in verdeckter Weiſe wiſſen laſſen, daß er um ihretwillen nicht bloß auf den Pfad der Tugend zurückkehren, ſondern auch jeden andern Weg meiden wolle, der, wenn auch nicht gerade bürgerliche Verabſcheuung darauf ruhte, doch anderswohin als zu der Verbin¬ dung mit ihr führen konnte.

6.

Immer häufiger wurden die Beſuche und heimlichen Berichte, die der Fiſcher der Sonnenwirthin abſtattete und für die er nicht nur manche Gutthat aus Küche und Keller nach Hauſe trug, ſondern auch das Verſprechen erhielt, daß es ihm dereinſt, wenn ſie durch allfällige Ereigniſſe zur ausſchließlichen Herrſchaft im Hauſe gelangen würde74 noch viel beſſer gehen ſolle. Denn wer hinderte ſie zu hoffen, daß, wenn der einzige Sohn aus der Art ſchlüge und ſich ſelbſt um die Erbſchaft betröge, ſie durch ein Teſtament ihres Mannes, dem ſie im Alter ziemlich weit nachſtand, in die Führung der Wirthſchaft einge¬ ſetzt werden könnte, zu welcher ſie ſich für tüchtiger erkannte als die beiden Tochtermänner, den Chirurgus und den Handelsmann.

Aber auch unter den Mitbürgern des jungen Mannes erregte das neue Leben, das ihm aufgegangen war, ein großes Gemurmel. Man konnte der Familie des Hirſchbauern nichts vorwerfen als ihre Ar¬ muth, allein dieſe Eigenſchaft genügte, um den Umgang eines Wohl¬ habenden mit ihr für die öffentliche Meinung des Fleckens, und zu¬ mal in den Augen des ſtädtiſch gekleideten Theils deſſelben, höchſt ver¬ werflich zu machen. Geſtern hatte man ſie noch mit einer Miſchung von Mitleid und Geringſchätzung arme Leute genannt, heute hieß man ſie ſchon Geſindel, das mit Preisgebung der eigenen Ehre ein unge¬ rathenes Früchtlein aus gutem Hauſe einziehe; und Friedrich ſelbſt, dem man ſeine bisherigen Jugendſtreiche beinahe ſo gut wie vergeben hatte, kam nun als Genoſſe dieſer Verachtung nur um ſo ſchlimmer weg, indem man alles Vergangene auffriſchte, um zu beweiſen, daß er von jeher nur Zuneigung zu ſchlechtem Volke und Hang zu ſchlechten Streichen gehabt habe. Ihm wurde es als Verbrechen geachtet, daß er ſich zu ſo geringen Leuten herunter gab; Chriſtinen und den Ihri¬ gen wurde es als Schimpf angerechnet, daß ſie ſich mit einem gewe¬ ſenen Sträfling einließen, der doch ſo Manchem, wenn er ſeine Nei¬ gung anders wohin gewendet haben würde, gut genug geweſen wäre. Das Gerücht von abermaliger übler Aufführung des jungen Sonnen¬ wirthle drang bald zu der Frau Amtmännin, die es nach Kräften verbreitete und in den nächſten Tagen der Frau Pfarrerin, als dieſe auf einen Nachmittagsbeſuch zu ihr kam, erzählte. Dieſe wußte es ſchon, obgleich nicht ſo vollſtändig wie die Frau Amtmännin. Beide Frauen ließen die Sonnenwirthin holen und empfingen ſie mit einem Strom von wetteifernden Zurufen: Denk 'Sie doch, Frau Sonnen¬ wirthin und: Ei, was denkt Sie denn, daß Sie Ihrem unge¬ rathenen Sohn ſo freien Lauf läßt Weiß Sie denn auch ? Das ſollt' Sie ſeinem Vater ſagen, damit er dem Unfug ein Ende macht! Die Sonnenwirthin, als ſie endlich das Wort ergreifen konnte, ver¬75 ſicherte zum größten Verdruß der beiden vollgeladenen Erzählungs¬ haubitzen mit Seufzen, daß ſie von Allem bereits vollſtändig unter¬ richtet ſei; dem Vater, ſetzte ſie kopfhängeriſch hinzu, habe ſie bisher nichts ſagen mögen, theils um ihm einen ſo ſchweren Herzſtoß, theils um dem Sohn, den ſie vergebens in Güte herumzubringen gehofft, böſe Tage zu erſparen; ſie ſehe aber wohl ein, daß ſie endlich, obgleich ungern genug, den Mund aufthun müſſe. In dieſem löblichen Vor¬ ſatze mit vereinten Kräften von ihnen beſtärkt, ging ſie in die Sonne zurück, und machte ihrem Manne die ſchon längſt für eine paſſende Stunde aufgehobene Eröffnung, daß ſein Sohn mit einem Lumpenmädchen, mit einem Bettelmenſch ſich in eine Liebſchaft eingelaſſen habe. Sie hatte aber nicht den rechten Augenblick gewählt, denn der Sonnenwirth antwor¬ tete ganz trocken: Das iſt ſeine Sache, Jugend will vertoben, man kann nicht nach allen Mucken ſchlagen, die Kuh muß auch dran den¬ ken, daß ſie ſelbſt ein Kalb geweſen iſt. Ich weiß gar nicht, wie du mir vorkommſt, ſagte die Sonnenwirthin, man ſollt 'ja meinen du ſeieſt in deiner Jugend ärger geweſen als der Herzog ſelbſt. Der Sonnenwirth lachte pfiffig vor ſich hin, denn es ergötzte ihn, ſeine Frau an derartigen Vorſtellungen, die ſie ärgerten, kauen zu ſehen; dann ſagte er im Fortgehen: Ich will ihm übrigens bei Gelegenheit ein wenig den Marſch machen, damit er nicht meint, es werde ihm durch die Finger geſehen; wenn's einmal Frühling iſt, ſo kann man nicht alle Kräutlein hüten, aber man muß davor ſein, daß nicht der ganze Salat ſchießt; auch würd' ich mich dafür bedanken, nachher ei¬ nen Schaden zu haben und noch einen Spott dazu. Die Sonnen¬ wirthin ſah ihm, als ſie allein war, mit ſtarkem Kopfſchütteln nach und ſagte giftig hinter ihm drein: Du mußt mir ein ſauberes Kraut geweſen ſein in deinem Frühling. Sie brachte es auch mit wieder¬ holten Vorſtellungen nicht weiter, als daß der Alte einmal gegen ſei¬ nen Sohn im Vorübergehen einige Worte hinwarf. Sieh dich vor, du! bemerkte er ihm: du weißt, das Sprichwort ſagt, an rußigen Keſſeln wird man ſchwarz; wenn's zu Dummheiten kommt, ſo hoffe nicht, daß du an mir einen Helfer in der Noth haben werdeſt. Die Bemerkung war eine von denen, die keine Antwort verlangen, und Friedrich ließ ſie auch unerwidert, denn er konnte ſich wohl denken, daß er durch eine Darlegung ſeiner wahren Abſicht den Vater nicht76 ſonderlich begütigen, ſondern eher einen Kampf mit ihm herbeiführen würde, den er ſo lang als möglich hinauszuſchieben geſonnen war. Uebrigens ſchien das Sprichwort, das jener angeführt, ſeinen Inhalt an ihm bewähren zu wollen, denn Friedrich wurde um dieſe Zeit in einen verdrießlichen Handel verwickelt. Der obere Müller, der ohne¬ hin nachgerade einen großen Haß auf ihn geworfen hatte, vermißte eines Morgens einen Bienenkorb. Es hing von der Perſon und den Verhältniſſen des Thäters ab, ob man dieſe Entwendung als eine That bübiſchen Muthwillens oder als einen gemeinen Diebſtahl be¬ trachten wollte. Der Verdacht fiel auf einen der Söhne des Hirſch¬ bauern, deſſen Armuth und neuerliche Verrufenheit für die niedrigere Auffaſſung der jedenfalls unſaubern Handlung entſchied, und es fan¬ den ſich Augenzeugen, welche an dem der Entdeckung vorhergegangenen Abend ſpät geſehen haben wollten, wie Friedrich auf der Brücke un¬ weit der Mühle ſeinem Geſellen pfiff. Es konnte jedoch nichts be¬ wieſen werden und die Sache mußte beruhen bleiben; aber das Ge¬ rücht ruhte nicht und die aus vorſichtiger Ferne geſchleuderten Schimpf¬ reden des Müllers gaben dem Verwerfungsurtheil über die Wahl des jungen Mannes neue Nahrung. Dieſer hat übrigens, als er zehn Jahre ſpäter über ganz andere Dinge die umfaſſendſten und rückhalts¬ loſeſten Bekenntniſſe ablegte, jede Theilnahme an jenem verhältni߬ mäßig geringen Vergehen ſtandhaft in Abrede gezogen.

Die Sonnenwirthin würde zweifelsohne nicht unterlaſſen haben, von dieſem Vorfall in täglichen und nächtlichen Geſprächen mit ihrem Manne erſchöpfenden Gebrauch zu machen, allein ſie mußte es bei einer kurz und hart hingeworfenen Mittheilung der Neuigkeit bewen¬ den laſſen, welche auf den Sonnenwirth dießmal einen beinahe nur oberflächlichen Eindruck machte, weil ihm ſelbſt ein viel ſchlimmerer Handel auf den Hals gekommen war, in Folge deſſen zwiſchen den beiden Eheleuten Wochenlang außer dem Nöthigſten nur wenig und auch dieſes Wenige nicht in Güte geſprochen wurde. Gegen den Son¬ nenwirth hatte nämlich eine jener liebreichen Baſen, die es überall gibt, und die niemals reichlicher blühten als in der ſogenannten guten alten Zeit, natürlich nur aus den höchſten und reinſten Beweggrün¬ den, nichts Geringeres als eine Ehebruchsanzeige vor das geiſtliche Gericht gebracht. Die Denunciation war, ihrer Urheberſchaft gemäß,77 von der Angabe zahlloſer Einzelheiten und haarkleiner Umſtände be¬ gleitet, ſo daß der an ſich unwahrſcheinliche Verdacht gegen einen Mann in den Sechzigen und eine zwar röſche (noch friſche), aber wohlberufene Wittwe, denn eine ſolche war der Mitgegenſtand der Anklage, doch etwas Fleiſch und Blut erhielt. Eine lange und widrige Unterſuchung wurde eingeleitet, bei welcher eine Reihe von Zeugen erſcheinen mußten, ohne daß jedoch der Bezicht zu jenem Grade er¬ härtet wurde, der das Gericht genöthigt hätte an eine Verſchuldung zu glauben. Auch die beiden Angeklagten geſtanden nicht das mindeſte Verdächtige ein, und die Angeberin, da ſie ſah, daß ſie ihre Klage nicht beweiſen konnte, zog dieſelbe zurück. Sie glaubte mit einem Widerrufe davon zu kommen, allein der Sonnenwirth verlangte für ſich und ſeine mitangeklagte Gevatterin Satisfaction, und ſo wurde ſie wegen Lügens und falſchen Denuncirens zu einer übrigens mäßigen Geldſtrafe, in welche ſich die Herrſchaft (der Staat) und der Heilige theilten, ſo wie zur Abbitte verurtheilt. Aus Rückſicht auf den dem Honoratiorenthum verwandten Stand des Sonnenwirths wurde die Sache nicht auf dem Rathhaus, ſondern im Amthauſe verhandelt, auch in das Kirchenconventsprotocoll nur ein kurzer Auszug aufgenommen und die Unterſuchung ſelbſt in einem Separatprotocoll niedergelegt, welches man jedoch, um aller Verantwortung enthoben zu ſein, an das Oberamt einſendete, wo ſodann, da die Acten keine beſtimmten Verdachtsgründe ergaben, die Angelegenheit ohne weitere Folgen liegen blieb. Wie es jedoch in allen ſolchen Fällen zu geſchehen pflegt, ſo blieb genug davon an den Betheiligten hängen, und in der Sonne ſchienen die Flecken über den Glanz Meiſter zu werden, zumal die Geiſtlichkeit in ihrer Abneigung vor jedem Skandal das Monatskränz¬ chen, das überhaupt nur unter einem ſehr nachſichtigen Vorgeſetzten im Wirthshauſe gehalten werden konnte, eingehen ließ. Denn der Specialſuperintendent, dem ſie untergeben war, ſtand ſeinerſeits unter einem Conſiſtorialrath, der das im Evangelium erzählte Erſcheinen ſeines oberſten Kirchenherrn auf der Hochzeit zu Kana mit den Wor¬ ten verurtheilte: Hätt's auch können bleiben laſſen! Unter allen Nachwehen aber, die den Sonnenwirth trafen, plagte ihn am em¬ pfindlichſten die Eiferſucht ſeiner Frau; denn dieſe wollte ihn nicht frei ſprechen wie die Conventsrichter ihn freigeſprochen hatten. Ihr78 Schweigen und Trutzen veranlaßte ihn, ſie geradezu zu fragen, ob ſie denn etwas von der Verleumdung glaube; worauf ſie ſeufzend erwi¬ derte, ſie ſtelle die Sache Gott anheim, der in's Verborgene ſehe. Auf dieſe Weiſe wußte ſie jedem unmittelbaren Wortwechſel auszuwei¬ chen, quälte aber ihren Mann theils durch finſteres Stillſchweigen, theils durch abgebrochene Redensarten, die ihn von weitem her trafen und wehrlos ſtachen, weil er ſie nach dem Wortlaut nicht auf ſich beziehen mußte, und doch dem Sinne nach auf niemand Anderes beziehen konnte. So erzählte ſie ihm ſpöttiſch, ſein Sohn habe auch wieder einmal einen kleinen Verdruß gehabt, es ſei nur Schade, daß die Sache werde weltlich vom Amt allein abgemacht werden, denn wenn ſie geiſtlich gerichtet würde, ſo könnte man immerhin hoffen, daß die Conventsherren ein Einſe¬ hen haben würden von wegen der Süßigkeit des Honigs; dann ſchimpfte ſie auf den Hirſchbauer und ſeinen Sohn, und bemerkte da¬ bei, der Apfel falle eben nicht weit vom Stamme, es ſei gemeiniglich einer ſo lüderlich wie der andere! Durch dieſes Betragen, bei welchem die Leidenſchaft ihr Salz dumm gemacht hatte, trieb ſie den Vater auf die Seite des Sohnes und verſäuerte ihm die Neigung, gegen etwaige Irrgänge deſſelben einzuſchreiten. Friedrich hatte in dieſer Widerwärtigkeit von Anfang an feſt die Partei ſeines Vaters genom¬ men. Zu Hauſe ſchwieg er über den kitzlichen Gegenſtand, wie Jeder¬ mann dort darüber ſchwieg. Auswärts aber wachte er über jedes Wort, das die Leute redeten, und wehe dem, der ſich die geringſte Anſpielung erlaubte! Die Ohrfeigen und Püffe, die er, oft nur im Vorübergehen auf der Straße, austheilte, wurden ſprichwörtlich; denn ſein Eifer bedachte auch manchen Unſchuldigen, der mit ſeiner Rede etwas ganz Anderes gemeint hatte. Durch dieſe beſtändige Kriegsbe¬ reitſchaft wurde die Zahl ſeiner Freunde nicht vermehrt. Sein Vater aber ſchien ihm, ohne jedoch viel mit Worten merken zu laſſen, ſo gewogen, daß Friedrich oft dachte, er könne kaum eine günſtigere Zeit finden, um ſich die väterliche Einwilligung zur Heirath mit der Toch¬ ter des Hirſchbauers zu erbitten.

Vielleicht wäre ſie ihm zu Theil geworden und hätte den Wildbach ſeines Schickſals in ein fortan friedliches Bette geleitet. Doch wer kann dies ſagen? Vielleicht wäre es auch dem Vater in dieſer milden Stimmung gelungen, den Sohn, der guten Worten ſo zugänglich war,79 andern Sinnes zu machen, bevor er ſich unwiderruflich gebunden hätte. Allein der Sonnenwirth berührte den Gegenſtand nicht mehr, weil er nach ſeiner Sinnesart nicht daran dachte, daß es ſeinem Sohne mit dieſer Liebſchaft Ernſt ſei, und dieſem fehlte immer noch die Hauptbedingung, die ihm die Zunge löſen konnte, nämlich das Jawort des Mädchens, das er liebte. Er hatte von der Erlaubniß, nach ſeinem Lamm zu ſehen, möglichſt fleißigen Gebrauch gemacht, er hatte Chriſtinen durch Vermittlung ihrer Brüder, denen er das Geld dazu gab, in den Lichtkarz und auf den Tanzboden gebracht, er hatte keine Gelegenheit verſäumt, mit ihr zuſammen zu treffen, aber ſeine Wünſche waren noch weit von ihrem Ziel. Beim Heimgehen von einem Tanze, wo er ſie begleitete und eine Strecke hinter ihren Brü¬ dern blieb, flüſterte er ihr alles Liebe und Schmeichelnde zu, was ihm ſein Herz zu dieſer Stunde eingab; ſie ging ſtill und vor ſich blickend neben ihm her, und als er heftig betheuerte er müſſe noch ihr Schatz werden, er thue es nicht anders, oder er gehe weit fort nach Amerika, antwortete ſie lachend: Mein Schatz, das kannſt du ſchon ſein, aber damit bin ich der deine noch nicht; nach Amerika mußt aber nicht ge¬ hen, denn da geht Niemand hin, der was Recht's iſt. Mit einem Sprung war ſie bei ihren Brüdern und neckte ihn, daß er ſo langſam nachkomme. Wie ſie ihm aber an ihrem Hauſe gute Nacht ſagte, traf ſie ihn wieder mit einem Blicke, wovon ihm das Herz wirbelte. So hielt ſie ihn und ließ ihn doch nicht näher kommen. Wenn ſie allein mit ihm war, benahm ſie ſich ſcheu, und vor den Leuten war ſie ſchnippiſch gegen ihn. Er ſagte ſich, daß ſie als ein armes Mäd¬ chen gegen ihn, den Sohn wohlhabender Leute, die ſie nicht mit gün¬ ſtigen Augen anſehen würden, doppelt auf ihre Freiheit zu halten berechtigt ſei; deßhalb ertrug er ihr Weſen mit ungewohnter Geduld und begnügte ſich mit der halben Gunſt, daß ſie unter vier Augen Du zu ihm ſagte. Wenn er bei einer ſolchen Gelegenheit einen Kuß begehrte, ſo konnte ſie ihm den Beſcheid geben: Ich will mich noch beſinnen, bleibenlaſſen iſt gut dafür. Wurde er dringender, ſo ſagte ſie: Soll ich mich zu meinem Schafknecht ſo heruntergeben? und entſprang ihm lachend. Ihre Augen aber fuhren fort das Gegentheil von ihren Worten zu reden, und dies gab ihm wieder Zuver¬ ſichtlichkeit, die ſie zu beleidigen und zu nur um ſo übermüthigeren80 Zurückweiſungen zu reizen ſchien. Ja, ja, man darf nur knallen und ausfahren! pflegte ſie bei ſolchen Anläſſen ſpöttiſch zu ſagen. Endlich aber erwachte der ungeſtüme Zorn in ihm, den er ſo lange gebändigt hatte. An einem ſonnigen Decembernachmittage kam er an ihrem Haus vorbei; ſie hatte ihn den Fußweg kommen ſehen und ſtand hin¬ ter dem Hauſe, wo das freie Feld ſich öffnete und die Berge der Alb herunter ſchauten. Er that als führe ihn der Weg nur ſo vor¬ bei; denn er hatte ſich aus Unmuth ein paar Tage nicht blicken laſſen. Als er ſie ſah, grüßte er und lud ſie zum Mitgehen ein, ſie ſchlug es ab, fragte aber warum er nirgends hinkomme . Biſt brav? fragte er dagegen. Freilich, erwiderte ſie. Gib mir einmal deine Hand, ſagte er. Sie ließ ihm die Hand und er verſuchte ihr ſchnell und verſtoh¬ len einen Silberring an den Finger zu ſtecken. Du thuſt mir ja ſo weh! ſchrie ſie, denn ſie fühlte bloß einen Druck und Schmerz am Finger, ohne zu wiſſen woher: wer wird Einem auch ſo weh thun! Indem ſie ſich ſträubte und ihre Hand aus der ſeinen zu ziehen ſuchte, fiel das Ringlein zu Boden. So! ſagte er in ausbrechendem Grimme, ich hab's nicht hingeworfen, ich brauch's auch nicht aufzuheben, und wenn du nicht anders wirſt, ſo kann meinetwegen der Handel zu Ende ſein. Komm, Hanſele! rief Chriſtine dem Lamme zu, das frei um¬ herging, und in dieſem Augenblicke zu ihr geſprungen kam: komm, dein Herr will dich mitnehmen, der Handel, ſagt er, reue ihn. Fried¬ rich gab dem armen Thiere einen Stoß, daß es an die Wand flog, und ging ohne Abſchied fort. Bin ich mit dem Puff gemeint gewe¬ ſen? rief ihm Chriſtine nach. Er hörte es nicht mehr, wenigſtens gab er keine Antwort. Sie ſetzte ſich zu dem Lämmchen, das jämmer¬ lich ſchrie, auf den Boden, ſtreichelte und unterſuchte es; es hinkte ein wenig, hatte aber ſonſt keinen Schaden genommen. Nachdem ſie es beruhigt, ſuchte ſie nach dem Ringlein, das ſie bald im Graſe fand; ſie ſteckte es an den Finger und ſah eine Weile ſeufzend hinter dem Trotzkopf her, dann zog ſie es wieder ab und verbarg es ſorg¬ fältig an ihrer Bruſt.

Friedrich ſtrafte ſie mit achttägigem Wegbleiben. Es kam ein großer Markttag und mit ihm der letzte Tanz vor der geſchloſſenen Zeit, die von Weihnachten bis Neujahr dauert. Sonſt hatte er im¬ mer dafür geſorgt, daß ſein Mädchen zum Tanze kam; diesmal that81 er keinen Schritt. Auch er war entſchloſſen, nicht hinzugehen; als er aber von Weitem die bekannten Töne des Ländlers vernahm, ſpiegelte er ſich vor, er wolle ſeinen Unmuth vertanzen und vertrinken. Ge¬ ſagt, gethan; aber das Erſte, was ihm beim Eintritt in die Augen fiel, war Chriſtine, die anſcheinend ſehr wohlgemuth mit einem jungen Burſchen tanzte. Er hätte laut aufſchreien und dreinſchlagen mögen, aber er bezwang ſich und wählte ſchnell eine Tänzerin. Chriſtinen zum Trotz tanzte er unaufhörlich, ohne ſie ein einziges Mal aufzu¬ fordern. Aber auch ſie blieb nicht verlaſſen ſitzen, denn die Buben, wie man die jungen unverheiratheten Männer nennt, kümmerten ſich wenig um das, was man im Flecken über ihre Familie ſprach, und hatten Wohlgefallen an ihrer Jugend und Schönheit. Sie war jedoch darauf bedacht, mit Keinem zweimal nach einander zu tanzen, und auch er wechſelte ſeine Tänzerinnen fleißig, denn ſo gerne er ihr einen eifer¬ ſüchtigen Verdruß bereitet haben würde, ſo fand er doch Keine, mit der er durch längeres Zuſammenhalten in den Ruf einer Liebſchaft hätte kommen wollen. Sonſt hatte er, wie es bei verbundenen Paa¬ ren Sitte iſt, nur mit ihr und ſie nur mit ihm getanzt; heute mach¬ ten ſie jedes für ſich die Runde durch die ganze junge Welt, ſo weit ſie nicht verliebt oder verlobt, verbandelt oder verhandelt war. Ein¬ mal kamen ſie beim Ausruhen neben einander zu ſtehen. Thut's ſo? fragte Chriſtine freundlich und gelaſſen zu ihm herüber. Ich mag mich nicht am Narrenſeil herumführen laſſen, ſchnaubte er zu ihr hin¬ über und riß ſeine Tänzerin von Neuem in die Reihe. Sein Herz kochte, das Tanzen war ihm entleidet und er ſetzte ſich zum Wein, den er mit Heftigkeit in ſich goß. Gleichgiltig und düſter ſah er von hier aus der Luſtbarkeit der Andern zu, oder vielmehr, er ſah nur Chriſtinen, die zwar keinem Einzelnen beſondere Gunſt erwies aber ſich von Jedem ſchön thun ließ, und ſich gar nicht um ihn zu küm¬ mern und ihn durch ihre Munterkeit und ihr helles Lachen, das ihn unſäglich beleidigte, für ſeine Gleichgiltigkeit ſtrafen zu wollen ſchien. Da das Betragen der Beiden allgemein auffiel, deren Vereinigung ſchon zu ſo vielem Geſchwätz Anlaß gegeben hatte, ſo mußte er über die Trennung allerlei Bemerkungen und Neckereien hinnehmen, die ihn innerlich wüthend machten, und der Abend würde ohne Zweifel, wie ſo oft auf dem Lande geſchieht, mit Raufhändeln geendet haben,D. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 682wenn die jungen Männer, die ihn um ſeiner Leutſeligkeit willen lieb¬ ten, ſich nicht zu mäßigen gewußt hätten, und wenn nicht Chriſtine, die ſich ihrer Anziehungskraft vollkommen bewußt zu ſein ſchien, plötz¬ lich vom Tanzboden verſchwunden wäre. Als er ſie nicht mehr ſah, gab er zwar den Gedanken ihr nachzugehen mit ſtolzer Ueberwindung auf, aber die Luſtbarkeit hatte allen Reiz für ihn verloren und die eintönige Tanzmuſik klang ihm wie ein ewig wiederkehrender Spott. Er blieb noch eine Weile in dumpfem Brüten ſitzen, machte einige vergebliche Verſuche mit den Luſtigen luſtig zu ſein, und entfernte ſich dann, um einen ſchweren Kopf und ein noch ſchwereres Herz zur Ruhe zu legen.

Den andern Tag wurde er zum Pfarrer beſchieden. Er zerbrach ſich vergebens den Kopf, was die Urſache dieſer Vorladung ſein möge. Der Pfarrer, ein dürres kleines Männlein, kanzelte ihn heftig ab, daß er ſich der Kinderlehre entziehe, und dadurch ſo göttliche als fürſt¬ liche Gebote übertrete; bis ins vier und zwanzigſte Jahr habe ein ledi¬ ger Burſche die Kinderlehre zu beſuchen, ſchärfte er ihm ein, und er¬ öffnete ihm, es ſei von löblichem Kirchenconvent beſchloſſen worden, künftig ſtrenger auf die Befolgung der Vorſchrift zu halten und jedes Wegbleiben unnachſichtlich mit einem Sechſer in den Heiligen , bei längerem verſtocktem Beharren aber ſogar mit Einſperrung ins Zucht¬ häuslen zu beſtrafen; wenn er ſich wieder beigehen laſſe, die Kinder¬ lehre zu ſchwänzen, ſo werde er, der Pfarrer, ihn unfehlbar auf¬ ſchreiben laſſen, und bei dem Herrn Amtmann und den Conventsrichtern den Fall zur Anzeige bringen. Damit hatte er ſeinen Beſcheid und durfte gehen. Kaum vermochte er ſich zu halten, daß er nicht aufbrauste. Bei ſeinem Stolz und vollends in ſeiner jetzigen Stimmung konnte ihm nichts ſo quer in den Weg kommen, als die Zumuthung, in ſei¬ nem Alter, noch drei Jahre lang, zur Kinderlehre zu gehen und das tonloſe Poltern des Pfarrers über die Rechtfertigung durch den Glau¬ ben anzuhören, während doch jetzt ſein Dichten und Trachten darauf gerichtet war, durch die Liebe von allem Uebel erlöst zu werden. Das kommt mir geſchlichen! ſagte er zu ſich, im Pfarrhofe noch einmal grimmig nach dem Fenſter emporblickend, wo ihm gepredigt worden war. Eben ſo gut hätt 'man mir die Ruthe andictiren können, wenn ich noch ein Kind ſein ſoll. Nun, ich geh' eben nicht hin und zahl '83jedesmal die Straf'. Freilich wird ſich's damit auf die Länge nicht abthun laſſen: wenn er einen verſtockten Sünder in mir erkennt, ſo gibt's wieder eine Predigt und zwar vor'm Convent, und dann legt ſich auch der Amtmann drein. Man iſt doch wie in einem Netz, aus dem man nicht heraus kommt. Am Beſten wär's eben, ich käm 'ſchnell unter den Pantoffel; wenn's mit dem dummen Ledigſein aus iſt, ſo hat das Kinderlehrgeläuf von ſelbſt ein End'.

Hiemit war er in der Reihenfolge ſeiner Gedanken auf einen Gegenſtand gerathen, der ihm, ſo wie die Sachen zwiſchen ihm und Chriſtinen ſtanden, wenig Troſt einflößen konnte.

7.

Friedrich hatte traurige Feiertage, obgleich es ihm äußerlich gar nicht übel ging. Sein Vater bedachte ihn am Weihnachtſabend mit einem ſtattlichen Geldgeſchenk, zum ſichern Zeichen, daß Alles wieder im alten Geleiſe ſei. Er war nie ſo reich geweſen, aber gerade dies machte ihn unglücklich, denn das Geld erinnerte ihn nur daran, daß er es jetzt nicht mehr zu dem Zwecke brauchen konnte, zu welchem allein es ihm früher erwünſcht geweſen wäre, nämlich Chriſtinen ſeine Liebe durch Geſchenke zu beweiſen.

Er würde ſich wohl ſchnell über die Geſinnung des Mädchens beruhigt haben, wenn er ein Geſpräch angehört hätte, das eines Abends zwiſchen ihr und ihrer Mutter ſtattfand, während er eben auf dem Wege von Hohenſtaufen her, wohin ſein Vater ihn geſchickt hätte, auf das Haus zugeſchritten kam.

Jetzt hab 'ich aber die ſtillen Seufzer überlei, ſagte die Mutter. Du biſt ſelber ſchuldig, greif' ſt dein 'Sach' ganz verkehrt an.

Mutter, habt Ihr nicht geſagt ?

Weiß wohl, was du meinſt, aber man muß Alles mit einer Art thun, nicht oben 'naus und nirgends' nein. Wenn Eine arm iſt, wie du, ſo ſoll ſie nicht die hochmüthig 'Jungfer machen, ſondern die kluge im Evangelium, die ihre Lampe mit Oel füllt und dem Bräu¬6 *84tigam entgegen geht. Sie muß ſich 'runtergeben können und muß ſich etwas gefallen laſſen, aber freilich mit Maß. Zu lützel und zu viel verderbt allzeit das Spiel. Narr, ich hab' deinen Vater am Schnürle geführt, er hat mir nicht weiter gucken dürfen, als ich ihm verſtattet hab '. Aber du biſt eben ſo ein Zimpferle, weißt dich nicht umzuthun, meinſt, die gebratenen Tauben müſſen dir ins Maul fliegen.

Was ſoll ich denn thun? fragte Chriſtine.

Thu 'was du willſt, ſagte die Mutter zornig, ſteck' mein'twegen der Katz 'das Heu auf, dumm genug wär'ſt dazu, nur geh', daß ich das Geſeufz und Geheul nicht länger hören muß.

Chriſtine verließ die Stube und trat ſchauernd vor das Haus in die Nacht hinaus, wo ſie im gleichen Augenblick zu ihrem freudigen Schrecken beim Schein der Sterne, die in der Kälte hell funkelten, den Gegenſtand der Unterredung und ihres Kummers auf ſich zu¬ kommen ſah. Sie glaubte, es ſei ſeine Abſicht, in ihrer Nähe um¬ herzuſtreichen und zu ſpähen, und eine frohe Hoffnung zog in ihr Herz ein. Wie er aber näher kam, ſo ſchien es, als ob ihn bloß der Zufall dieſen Weg führe, denn er ſah ſich nicht einmal um. Sie rief ihm einen Gruß zu und fragte, eingedenk der Lehre, die ihr ſo eben die Mutter gegeben: Willſt nicht auch einmal wieder nach deinem Lamm ſehen? Da der Schatz, wie ſie ihm erlaubt hatte ſich zu nennen, keine Antwort gab, obwohl er unſchlüſſig ſtehen geblieben war, ſo fuhr ſie etwas vorſchnell fort: Oder magſt's nicht wenigſtens holen, wenn du nichts mehr von uns willſt?

Friedrich hörte aus dieſen Worten nichts als ſpöttiſche Ablehnung heraus. Es iſt ſchon ſo gut wie abgeſtochen! erwiderte er, indem er den Fuß zum Weitergehen hob.

Dieſer ſtarre Trotz verdroß ſie und ſie rief ihm nun mit nicht ſehr glücklichem Spotte nach: Da wird man dem Herrn wenigſtens das Fell herausgeben müſſen und die Wolle.

Sein Blut kochte, denn er glaubte eine Anſpielung zu vernehmen, an die das Mädchen entfernt nicht dachte. Von der Wolle hörte er nun einmal gar nicht gerne reden. Das Fell behalt 'Sie, Jungfer, ſagte er, und die Wolle kann Sie an die vielen Dörner ſtecken, an denen Sie letzt hangen blieben iſt. Damit ging er fort. Sie lehnte ſich an den Thürpfoſten und blieb noch lange bitterlich weinend und85 vor Kälte zitternd ſtehen, bis die Tritte ihres Vaters und ihrer Brü¬ der, die von einem Geſchäft nach Hauſe kamen, ſie vertrieben.

Mit den beiden Letzteren ſetzte Friedrich den gewohnten Umgang fort. Wie aber zwiſchen ihm und ihnen von der Herzensangelegen¬ heit nie geſprochen worden war und ſelbſt die Verabredungen, wonach ſie ihre Schweſter da oder dorthin bringen ſollten, immer in gleichgiltiger Form gemacht worden waren, ſo wurde auch der Störung des Ver¬ hältniſſes nicht erwähnt. Nur einmal ſagte Friedrich mit deutlicher Be¬ ziehung: Ich merk's eben wohl, man vergißt mir meine Strafen nicht, man ſieht mich für gezeichnet an. Worauf Jene ruhig ant¬ worteten: Wird doch das nicht ſein.

Unmuth und Unruhe trieben ihn umher, und auch in ruhigeren Stunden, wenn dann und wann der Schmerz der vermeintlich ver¬ ſchmähten Liebe ihn zu quälen abließ, empfand er eine drückende Leere und das Leben kam ihm ſchrecklich arm und öde vor. Er fühlte es, ohne es klar zu erkennen, daß die Menſchen um ihn her wie Schatten wa¬ ren, daß Keiner ihm etwas ſein konnte, daß Niemand in ſeiner ganzen Umgebung ſeinem wie in der Wildniß und Irre ſchweifenden Gemüth, ſeinem hungernden Geiſt eine Heimath und Erquickung zu geben vermögend war. Was er aber hell bewußt in ſich trug, war eine maßloſe rebelliſche Bitterkeit darüber, daß er ſtatt ins Ehebett in die Kinderlehre wandern ſollte. Einen grauſameren Hohn über ſeine verunglückte Bewerbung meinte er ſich nicht erdenken zu können. Dazu fühlte er ſich nicht bloß alt genug und den Kinderſchuhen entwachſen, um vom Leben noch eine andere Schule zu verlangen, als die Ein¬ trichterung von Bibelſprüchen und Geſangbuchverſen, ſondern er hatte auch dieſe Sprüche und Verſe ſammt der ganzen Schulbildung, worin er ſelbſt Höhergeſtellten wenig oder nicht nachſtand, ſo vollkommen inne, daß die Wiederholung des Unterrichts ihn nicht einmal in dieſem Fache mehr fördern konnte. Für die Bildung ſeines innern Men¬ ſchen aber, woran die Religionsſchule, die dieſen Ausdruck gern ge¬ brauchte, ſich hätte erproben laſſen können, war das bürgerliche und geſellſchaftliche Leben, in deſſen Schoße er ſich tummelte, ſo in¬ haltsleer und ſo ſehr in die blinde Unterwerfung unter eine gewiſſen¬ los ſchwelgende Herrſchaft hineingepredigt, daß es zu den Glücks¬ fällen gerechnet werden mußte, wenn eine über das gewöhnliche Maß86 ausgeſtattete Natur in dieſem Weſen eine wohnliche Hütte fand, oder, was noch beſſer, auf gelindem Wege hinausgedrängt wurde. Eine Hütte aber, wohnlich nicht bloß, für den Leib, ſondern auch für die Seele, war kaum anderswo zu finden als bei den Pietiſten, welche auf einem noch ungebrochenen Glauben fußten, deſſen kindliche Kraft noch nicht durch die Ausbreitung der Bildung und Wiſſenſchaft ver¬ loren gegangen war, auf einem Glauben, der ihnen in körperlicher Wirklichkeit vormalte, wie ſie dereinſt nach der Erlöſung aus dieſem Thal des Jammers und der Sünde in den Wohnungen der Seligen über dem blauen Himmelsgewölbe mit Kronen auf den Häuptern und in weißen Gewanden einherwandeln würden, der aber in ſeinen Be¬ ziehungen zum irdiſchen Leben die dürre ſtreit - und herrſchſüchtige Kirchenlehre, mit welcher er nur über das Jenſeits einverſtanden war, weit hinter ſich ließ und eine Liebe und Gleichheit der, Kinder Gottes predigte, woran trotz der Demuth dieſer Predigt die Inhaber von Thron und Altar großes Aergerniß nahmen. Allein es war nicht Jedem gegeben, ein Pietiſt zu werden, und nicht Jeder, dem es gege¬ ben geweſen wäre, hatte das freilich ſauer erworbene Glück, ſein Leben¬ lang unter den Flügeln eines Mannes wie der Waiſenpfarrer im Ludwigsburger Zuchthauſe geborgen zu ſein.

In dieſer Verlaſſenheit und Vernachläſſigung mußten alle Rich¬ tungen einer ſo kräftig angelegten Seele in einen unbezähmbaren Willensdrang verſchmelzen, der in ſeiner dumpfen Ungeduld überall auf eben ſo dumpfe Hinderniſſe wie auf Mauern ohne Fenſter ſtieß und ziellos zwiſchen Antrieben bald des Wohlwollens, bald der Wider¬ ſpänſtigkeit umherirrend, zuletzt an einem einzigen Gegenſtande haften blieb, von welchem dieſer noch durch den Stachel beleidigter Eitel¬ keit geſpornte Wille Befriedigung aller Sehnſucht und Heilung aller Schäden für das ganze Leben forderte. Die Verſagung dieſes höch¬ ſten Wunſches, an den er zumal die beſten Vorſätze für ſein künftiges Verhalten geknüpft hatte, machte den Jüngling an ſich und der Welt verzweifeln, und abermals wollte der wilde Geiſt über ihn kommen, den er ſchon ſo manches Unheil hatte vollbringen laſſen.

Das Jahr ging zu Ende. Am letzten Tage ſaß Friedrich in einer müßigen Stunde am runden Tiſche in der großen Wirthsſtube und las in der Bibel, die mit ihren Heldenſagen und Abenteuern der87 Phantaſie des Volkes eine von der Kirche erlaubte Unterhaltung und einen Erſatz für die verſchütteten heimiſchen Ueberlieferungen bot. Er las eigentlich nicht, ſondern blätterte nur, denn er wußte alle dieſe Geſchichten auswendig, die in der Predigt und Kinderlehre geiſtlich gedeutet wurden, beim unbefangenen Leſen zu Hauſe aber mit ihren guten und böſen Beiſpielen einen ganz natürlichen Eindruck machten. Da waren Geſchichten von Erzvätern, die ſich betranken, Kebsweiber hielten und verſtießen, durch Schelmenſtreiche reiche Familienhäupter wurden oder in fremdem Hofdienſte ſich gegen das Volk zu Finanz¬ künſten hergaben, welche einen Würtemberger ſehr an den erſt zwölf Jahre zuvor in Stuttgart gehängten Jud Süß erinnern mußten. Liebliche und heldenmäßige Züge wechſelten da mit gar unheiligen: ein Volk zog aus einem Lande auf das Geheiß ſeines Führers, der einen Todtſchlag begangen, wie eine Zigeunerbande fort, indem es die entlehnten ſilbernen und goldenen Geräthe behielt; ein kühner Hirt und Räuber, durch treue Freundſchaft ewig im Lied zu leben würdig, ſtahl als Hauptmann einer Schaar loſer Leute ſeinem König einen Zipfel des Mantels vom Leibe weg ſammt Speer und Becher, diente als Ueberläufer dem Reichsfeind und mißbrauchte, als er ſpäter daheim die Krone trug, ſein königliches Amt zu Lüſternheit und Meuchelmord, wobei er ſich von jenen Erzvätern, wie auch von ſpä¬ teren Landesvätern, doch wenigſtens dadurch unterſchied, daß er über ſeine That nachher Leid und Reue trug. Bedenkliche und zweifelhafte Fragen über dieſe Erzählungen, die beinahe die einzige geiſtige Speiſe des Volkes waren, konnte der junge Menſch, das wußte er wohl, keiner Seele in ſeiner Umgebung vorlegen. Hatte doch ſelbſt der Waiſenpfarrer einmal einen leiſen Verſuch mit den Worten abgewie¬ ſen, man müſſe nicht gar zu viel grübeln, Gott wähle oft ſeine eigen¬ thümlichen Wege und Werkzeuge, um ſeine Plane auszuführen. Am liebſten aber ſchlug er die beiden Bücher von den ritterlichen Thaten der Makkabäer auf und oft mußte er unwillkürlich nach der nahen Alb hinüberſehen, wenn er las wie dieſe Helden ſich in das Gebirge warfen, um von dort aus die Freiheit und das Geſetz ihres Landes zu vertheidigen. Eben las er wieder, wie ſie beſchloßen, ſich durch die Heiligung des Sabbaths nicht vom Kampfe abhalten zu laſſen, gleich ihren Brüdern, die ſich wehrlos in der Höhle ſchlachten ließen, da er¬88 tönte in der Straße die Schelle des Ausrufers, und er öffnete das Fenſter, um zu hören was es gebe. Das löbliche Amt ließ durch den Fleckenſchützen ausſchellen, die jungen Burſchen ſollen ſich bei Strafe nicht beigehen laſſen, in der kommenden Neujahrsnacht zu ſchießen, ein Verbot, das jährlich eingeſchärft und übertreten wurde. Die können nichts als verbieten! brummte Friedrich, indem er das Fenſter zu¬ ſchlug: das Schießen iſt nun einmal ein alter Brauch, wiewohl, wenn man's dem Ungeſchick überließ ', die Jugend durch Verluſt von je und je ein paar geſunden Fingern zu curiren, was ja ſo wie ſo geſchieht, ſo wär's wahrſcheinlich längſt mit dem Knallen vorbei. Aber der Reiz des Verbotenen zieht eben viel ſtärker als die Furcht vor Schaden. Es iſt mir als ob der Schütz beim Ausrufen ein Aug' zu mir hätt 'herauflaufen laſſen. Umſonſt hat er wohl auch nicht g'rad' vor meinem Haus geſchellt. So? meint ihr? Dein Amtmann und du, ihr habt, ſcheint's, ein beſonderes Zutrauen zu mir? Ich will euch Ehre machen. Wartet einmal, ob ihr mich kriegt.

Er dachte nicht daran, wie oft er zu ſich geſagt, daß er die Kna¬ benſchuhe vertreten habe, ſondern ſchlich ſich, als es dunkel wurde, zu einem Invaliden, der nicht weit von der Sonne auf Leibgeding wohnte und dem er ſchon manchen Biſſen und Trunk geſpendet hatte. Von dieſem entlehnte er ſein altes Schlachtgewehr, das ſchlecht ſchoß aber um ſo mächtiger knallte, und bald unterſchied man aus den Schüſſen, die im Flecken und um denſelben losgingen, einen der alle anderen überdonnerte. Er hatte die Sylveſternacht eröffnet und krachte regel¬ mäßig in kurzen Pauſen durch das Geknatter des jugendlichen Muth¬ willens hindurch. Da und dort geſchah ein Unglück, da und dort fiel einer der Lärmmacher den hin und her rennenden Wächtern in die Hände und ſein Puffer verſtummte; aber den Donnerknall hörte man ununterbrochen beinahe die ganze Vormittnacht und jedesmal weit entfernt von dem Orte, wo der vorhergehende Schuß gefallen war und die Wächter angelockt hatte. Wer feuert denn ſo kartaunen¬ mäßig? fragten die Leute im Flecken. Wer ſonſt als der Sonnen¬ wirthle, antworteten Andere: er iſt am beſten an dem zu erkennen, daß ihn keiner von den Schaarwächtern erwiſcht. Für den Eingeweihten war das ſicherſte Wahrzeichen wohl das, daß der unſichtbare Donnerer überall, nur nicht an des Hirſchbauern Haus ſich hören ließ. Das89 hätte ihm der Stolz und der Groll nicht zugelaſſen. Doch lobte er die alte Muskete und verglich ſie in ſeinem Sinn mit David's Saitenſpiel, vor welchem der böſe Geiſt von Saul entwich; denn mit jedem Schuſſe, der aus dem ſchwergeladenen Laufe fuhr, meinte er um einen Theil ſeines Unmuths erleichtert zu ſein, und es war ihm als ob er alle Hinderniſſe, die ſich ihm in dieſer ſchnöden Welt entge¬ genſtellten, über den Haufen ſchieße.

Dazwiſchen ging er einmal in die Sonne, um nachzuſehen, ob man ſeiner nicht bei der Bedienung der Gäſte bedürfe. Die Einkehr war dieſen Abend nicht ſo ſtark wie ſonſt, weil ſich die Neujahrsnachtgäſte in die vielen Wirthshäuſer des Fleckens vertheilten, und weil man wußte, daß der Sonnenwirth auf eine zeitige Ruhe mehr hielt als auf eine lange Sylveſterfeier. Derſelbe war jedoch heute ungewöhn¬ lich aufgeräumt, er trank, ſchwatzte, lachte und kneipte abwechſelnd ein paar junge Weiber, die mit ihren Männern zum Weine gekommen waren, in die Backen, ſo daß einer der Anweſenden dem Wirthsſohne zuflüſterte: Du, dein Geſtrenger hat 'n Sturm. Da braucht's keine Brille um das zu ſehen, erwiderte Friedrich. Die Sonnenwirthin, die vor den Leuten gute Miene zum böſen Spiele machen mußte, ſuchte ihrem Manne ſein Betragen, womit er vielleicht bloß den um¬ laufenden Gerüchten zu trotzen beabſichtigte, durch Spottreden zu ver¬ leiden: Du biſt ſo alt, ſagte ſie, daß die Männer da nicht einmal mehr eiferſüchtig auf dich werden. Es iſt auch ziemlich lang her, entgegnete der Sonnenwirth lachend, daß du ein junger Drach' gewe¬ ſen biſt, und euer Gift iſt doch nur ſüß, ſo lang die Drachen jung ſind. Ich weiß nicht, ſetzte er gegen die Geſellſchaft gewendet hinzu, meine Alte iſt das Leben ziemlich gewöhnt, ſie iſt verhärtet, aber wenn ſie unſer Herrgott oben hielt 'und ich an den Füßen, ich glaub', ich ließ 'ſchnappen und nähm' mir eine Junge. Ich wollt 'auch, rief die Sonnenwirthin, unſer Herrgott nähm' Eins von uns Beiden zu ſich, dann ging 'ich wieder nach Strümpfelbach. Das Gelächter, womit dieſe Reden aufgenommen wurden, bezeugte, daß an und für ſich nichts Feindſeliges damit geſagt ſein ſollte, wie man denn auch wußte, daß die Sonnenwirthin nicht von Strümpfelbach gebürtig war; es waren uralte landläufige Witze, die man im Scherze von den verträglichſten Ehepaaren hören konnte. Hier aber war ihnen viel geheime Galle90 beigemiſcht, und Friedrich nahm wahr, daß ſich zwiſchen dem Vater und der Stiefmutter eine Kluft zu öffnen beginne, die, wenn ſie auch nicht die belachte Ortsveränderung zur Folge hatte, doch den Vater bald ganz auf die Seite des Sohnes bringen konnte. Jetzt wär's gut Wetter für mich, dachte er unwillkürlich, jetzt würd' ich vielleicht meine Rechnung nicht ohne den Wirth machen. Der Fehler iſt nur, daß ich gar keine zu machen habe. Die Hauptnummer, die Glücks¬ nummer will nicht her, die mit den gelben Zöpfen und dem verſtock¬ ten trotzigen Herzen; was helfen mich alle Anſchläge ohne ſie? Drauf! drein! Schlagt an! Feuer! drunter und drüber!

Und abermals krachten die ſchweren Schüſſe, in welchen der thö¬ richte Knabe ſeinen Unmuth und ſein Pulver verſchoß.

8.

Eben hatte er wieder ſeine Davidsharfe brummen laſſen und eilte in ſchnellen Wendungen durch Zwiſchengäßchen vor den Wächtern da¬ von; da führte ihn ſein Weg an dem Bäckerhauſe vorbei, wo er Chriſtinen zuerſt geſehen hatte. Er hörte luſtige Stimmen hinter den Läden und blickte durch eine Spalte in die Stube, wo er ſeinen In¬ validen und andere Bekannte am Wirthstiſche ſitzen ſah. Chriſtine war nicht zu ſehen, alſo konnte ihm ſein trutziges Ehrgefühl den Ein¬ tritt nicht verwehren. Während er ſich noch ein wenig beſann, wo er das Gewehr unterbringen ſollte, ſah er in der ſchneehellen Nacht einen Mann nicht mit den ſicherſten Schritten daherkommen, in welchem er den Fleckenſchützen erkannte. Der hat ſchon einen Stich, ſagte er zu ſich, und will noch die Sicherheit des Orts bewachen; da wird's heut Nacht noch zum Durchbruch kommen; ich will ihm einſtweilen eins aufſpielen, damit er munter bleibt. Er ſchlich ſich auf die Seite und gab in der Geſchwindigkeit ſeinem Gewehr eine verdoppelte Ladung; dann kam er leiſe hinter den Schützen herangeſchlichen. Dieſer hatte das Geräuſch des Ladſtocks gehört und lauſchte vorgebeugt mit dem Finger an der Naſe, ohne recht zu wiſſen wohin er ſich wenden ſolle;91 auf einmal that es hart an ſeinem Ohr einen Knall, daß er der Länge nach mit der Naſe in den Schnee fiel und ſein dreieckiger Hut weit hinausflog. Im Nu hatte der Thäter das Gewehr verſteckt und ſaß drinnen in der Wirthsſtube neben dem Invaliden, der ihn mit ei¬ nem pfiffigen Blinzeln bewillkommte. Nicht wahr, meine alte Liſe iſt noch gut bei Stimm '? flüſterte er ihm in's Ohr: ich hab' jeden Knall herausgehört und bei jedem hat mir das Herz im Leib 'ge¬ lacht. Dann fuhr er in einer angefangenen Geſchichte vom Prinzen Eugen zu erzählen fort, unter welchem er es bis zum Profoßen ge¬ bracht hatte. Friedrich wußte ſeine Geſchichten alle auswendig, verſah ihn mit Wein und ließ ihn erzählen, und unterhielt ſich indeſſen leiſe mit dem uns ſchon bekannten Müllersknecht, der ihm ſeit jener Schil¬ derung ſeiner Jugendbegegniſſe eine Art von Bewunderung zollte, ſeine Bekanntſchaft theils in der Sonne, theils an andern Orten pflegte und auf den Haß ſeines Meiſters gegen den mannhaften jungen Burſchen ſo wenig Rückſicht nahm, daß er ſelbſt durch den Verdacht des Müllers wegen des Bienendiebſtahls, nachdem Friedrich ihm mit der aufrichtig¬ ſten Miene ſeine Unſchuld verſichert hatte, ſich nicht im geringſten gegen ihn einnehmen ließ. Der Alte ſollte jedoch ſeine Geſchichte nicht zu Ende bringen, denn kaum war er durch Friedrich's Eintritt unterbrochen worden, ſo erhob ſich eine neue Störung. Die Thür wurde heftig aufgeſtoßen und der Schütz kam in einer bogenförmigen Linie hereingeſchoſſen. Da muß er herein ſein, der Mordthäter, der mir nach dem Leben getrachtet hat! ſchrie er, indem er die glühenden Augen von Einem zum Andern laufen ließ. Die ganze Geſellſchaft verſicherte, ſich mit den Augen zuwinkend und durch einander ſchreiend, hier ſei Niemand, der ihm etwas gethan habe, und Alles fragte, was ihm denn geſchehen ſei. Er erzählte ſein Abenteuer, wobei er den Oberkörper wiegte und dann wieder einen Schritt vorwärts oder rück¬ wärts gerieth; dieſes Schwanken wurde noch dadurch vermehrt, daß er in ſeiner ohnehin nicht feſten Stellung beſtändig argwöhniſch in der Geſellſchaft umherſah, ob er nicht an irgend einem Merkmal ſeinen Angreifer erkennen könne. Das Gelächter, die Spottreden und ſchalk¬ haft verkehrten Fragen der ergötzten Zechbrüder machten ihn noch wil¬ der; er ſchimpfte und fluchte und beſtand darauf, hier oder wenigſtens in der Nähe herum irgendwo müſſe er verſteckt ſein, der keinnützig'92 Lump, der ſich ſogar an ſeiner ihm von Gott vorgeſetzten Obrigkeit vergreife.

Jetzt haſt genug haſſelirt, Schütz! rief ein Mann mit verwogenem und zugleich verfallenem Geſicht, das den Ausdruck einer grämlichen Luſtigkeit hatte und blutige Spuren trug, als ob es auf irgend eine Weiſe zerſchunden oder zerkratzt worden wäre. Komm, ſchwenk 'dir die Gurgel aus, haſt dich ja ganz heiſer geſchrieen. Hier hältſt vor der unrechten Schmiede: von denen, die hier ſitzen, iſt ſeit mindeſtens einer Stunde keiner aus der Stube kommen. Biſt aber auch ein rechter Leichtfuß, heißt das, du mußt nicht beſonders feſt auf den Füßen ſein, daß dich ein blinder Schuß gleich zum Purzeln bringen kann. Da ſieh den Profoßen an, der iſt ein anderer Kerl, den haben ſie um einen Fuß kürzer gemacht und doch ſteht er auf ſeine andert¬ halb anders hin als du auf deine zwei ganze. Den ſchmeißt keiner ſo leicht um, weder mit einer blindgeladenen Kanone noch mit einer ſcharfgeladenen Butell'. Laß das Haſſeliren ſein, ſag 'ich, und komm her, ich bring' dir's. Es vertreibt dir den Schnapsgeruch.

Der Invalide, der an der Tiſchecke ſaß, hatte alsbald zum Beweis für das Geſagte den Stelzfuß auf dem Tiſch und trommelte damit nach Wein. Zugleich machte er Anſtalt, ſeine Geſchichte wieder aufzu¬ nehmen, aber es glückte ihm nicht.

Dein gut's Wohlſein, Küblerfritz! ſagte der Schütz, das darge¬ botene Glas annehmend und auf Einen Zug leerend, mit einer Mi¬ ſchung von Freundlichkeit und Spott: es ſcheint du machſt jetzt Feuer¬ kübel und verlegſt dich auf's Löſchen. Wünſch 'Glück dazu. Löſch' aber nur zuerſt den Brand in deinem eigenen Haus, du Mann im Feuerofen. Wiewohl, dein Feuerteufel, deine Marget, iſt heut 'abge¬ kühlt worden; ſie hat ganz krumme Finger gehabt und hat laut ge¬ ſchnattert, wie ich ſie wieder aus dem Häusle herausgelaſſen hab', wegen der großen Kälte iſt ſie nur auf ein paar Stunden dreinge¬ ſprochen worden.

Was? iſt dein Weib heut eingeſperrt worden, Kübler? fragte der Invalide.

Der Kübler nickte mürriſch. Ihr wiſſet ja, wie ſie iſt und wie ſie mein Mädle von meinem erſten Weib plagt und den Waiſen, den ich aus dem Heiligen in der Koſt hab '. Zu dem ſagt ſie immer:93 Du Bettelhund! du Herrenhund! du ſchlappohriger Hund! und ſchlägt ihn zwiſchen die Löffel, zwiſchen die am Kopf, mein' ich, wenn er den Löffel in der Schüſſel zu voll macht. Er ißt freilich ſchier mehr als er einträgt, das Koſtgeld iſt ſo mager. Ihr könnt auch in meinem Geſicht ſehen wie ſie mich dieſe Feiertage gezeichnet hat. Vor Weiber¬ nägeln iſt auch der Stärkſte nicht ſicher. Ich hab 'ſie aber durchge¬ walkt, daß ihr die Knochen heut' noch mürb 'davon ſind, und hätt' eigentlich keine Hilfe nöthig gehabt vom Kirchenconvent; ich kann Gottlob allein mit ihr fertig werden.

Hat ſie dich denn verklagt?

Nein, das läßt ſie wohl bleiben. Der Pfarrer hat eben von irgend einer guten Nachbarſchaft gehört, daß es wieder einmal Händel bei uns gegeben hat, und hat dann die Sach 'vor Kirchenconvent gebracht. Sie haben gemeint, ſie müſſen heut' noch eine Sitzung halten, die Herren, und das ganze Kutterfaß vom alten Jahr aus¬ leeren. Es ſind noch Viele vorgeladen geweſen.

Haben ſie dich geſtraft?

Nein, wiewohl ich die Schläg 'nicht abgeleugnet hab', aber meines Weibes Bosheit iſt eben Gott und der Welt bekannt. Doch bin ich auch nicht ungerupft davon gekommen. Sie hat über mich geklagt, ich ſei ein Faullenzer und verdiene nichts in's Haus. Jetzt ſagt ſelbſt, ihr Mannen, ob das wahr iſt?

Nein, nein! riefen Alle zuſammen, das kann man dir nicht nach¬ ſagen.

Ich weiß wohl, fuhr der Kübler fort, es geht knapp bei uns her, und Armuth iſt eine Haderkatz '. Wenn man vollauf hat, ſo kommt man viel leichter mit einander im Frieden aus. Aber meine Schuld iſt's nicht, wenn's manchmal ſogar am Kreuzer fehlt. Mein Weib mit ihrem abſcheulichen Fluchen, wegen deſſen ſie geſtraft worden iſt, und mit dem Spektakel, den ſie immer mit meinem Kind hat, ſchreckt die Leut' ab, daß ſie nicht gern in's Haus kommen und lieber ihr 'Sach' wo anders machen laſſen. Aber man darf den Herren nur etwas an die Kunkel ſtecken und wenn's eitel Alteweiberfäden wären, gleich machen ſie ein Geſpinnſt daraus. Mein Weib hat mit keinem Wörtle beweiſen können, daß ich faul ſei, und die Herren haben ihr ei¬ gentlich auch nicht geglaubt; und doch hat mir da der Pfarrer eine94 lange Predigt und Vermahnung geben, ich ſolle fleißig arbeiten, damit mein Weib keine Gelegenheit habe, über mich zu klagen. Iſt das auch recht? Statt daß er mich in Schutz nimmt oder wenigſtens meinem Weib aufgibt, ſie ſolle beweiſen, was ſie wider mich ſage, hilft er noch auf eine gewiſſe Art dazu, als ob das Geſchwätz einen Grund hätt ', und er weiß doch ſelber keinen.

Ja, lachte Friedrich, wer vor Kirchenconvent kommt, kriegt immer eine Vermahnung auf den Weg und eine Salbung, wenn ſie auch gar keine Heimath hat. Für was wären denn die Herren da?

Das Ding hat mich ſo erzürnt, ſagte der Kübler, daß ich's gar nicht los werden kann. Ich wär 'vielleicht heut Abend zu Haus ge¬ blieben, denn ich hätt's wohl nöthig, bin nicht mehr der luſtig' und durſtig 'Küblerfritz, der ich in meinen ledigen Jahren und bei meinem erſten Weib geweſen bin. Aber der Pfarrer hat mir's angethan, der iſt Schuld daß ich die Batzen im Wein aufgehen laſſ', anſtatt zu ſparen. Ich ſpür's in allen Gliedern, heut 'Nacht muß noch ein Rauſch getrunken ſein. Juhu! Komm, Frieder, ſtoß' mit mir an. Du biſt auf eine Art auch im gleichen Spittel krank mit mir.

Friedrich ſtieß an. Alle böſen Weiber ſollen mit dem alten Jahr hinfahren! rief er.

Du biſt übrigens heut 'noch nicht am ſchlecht'ſten wegkommen, Kübler, ſagte der Schütz, der inzwiſchen, von dem Invaliden und dann von Friedrich gleichfalls mit einem Glaſe Wein begrüßt, ſich am Tiſche ſeßhaft gemacht hatte, theils weil es ihn bedünken mochte, hier ſei's gut Hütten bauen, theils weil er im Sitzen ſeine angehende Trunken¬ heit beſſer verbergen zu können glaubte. Dies gelang ihm auch und er wurde ſehr geſprächig, wobei er freilich zuweilen ſtark mit der Zunge anſtieß, auch ſeine Amtsſtimme über die Gebühr anſtrengte, was jedoch auf dem Lande, wo Jeder im Reden ein wenig ſchreit, nicht beſonders aufzufallen pflegt. Dem Küfer da drüben iſt's nicht ſo gut gegangen, fuhr er fort: den werdet ihr heut' Abend noch nir¬ gends geſehen haben.

Nein, er iſt ein ſtiller Mann, ſagte der Bäcker, der ſein Glas ſtehend am Ofen trank und ſeine Frau dann und wann ein wenig in der Bedienung ablöſte: man ſieht ihn nie außerm Haus, als wenn95 ihn das Geſchäft hinausführt, und am Fenſter läßt er ſich auch ſelten blicken. Er iſt eingezogen, wie nicht leicht Einer.

Abſonderlich heut '! lachte der Schütz. Da wär's eine Kunſt für ihn, ſich an ſeinem eignen Fenſter ſehen zu laſſen, und wo er jetzt iſt, wird er freilich nicht gern ans Fenſter gehen.

Was? Ich will nicht hoffen! rief der Invalide. Iſt er denn ?

Eingezogen, wie der Beck bereits geſagt hat.

Der Küfer iſt eingeſteckt? riefen Alle zuſammen.

Ach, er ſitzt eben ein wenig bei mir im Hauszins, ſagte der Schütz, und frieren thuts ihn nicht, denn ich hab 'ihm einen guten warmen Ofen gemacht; ſonſt thät' er's nicht aushalten die vier und zwanzig Stunden im Thurn.

Der Küfer im Thurn! rief Alles. Was hat er denn gethan? fragte der Bäcker. Der thut ja keinem Hühnle weh und iſt ſo ein ruhiger Mann, daß es viel iſt, wenn man nur in der Nachbarſchaft merkt, ob er zu Haus iſt oder nicht.

Was hat er gebosget? fragte der Kübler.

Er muß ſein Weib doch ſehr leis geſchlagen haben, wenn Ihr nichts davon gehört habt, Beck, ſagte der Schütz.

Ja was, ſo hab 'ich's nicht gemeint, ſagte der Bäcker: natürlich, Stuß gibts überall, auch in der ſtillſten Haushaltung.

Ein Weib prügeln, das iſt doch keine ſo beſondere Sach ', riefen die Andern durch einander. Und die Küferin, meinte Einer, hat's eben auch dann und wann nöthig.

Die Weiber, bemerkte der Bäcker, müſſen iebott (zuweilen) Streich 'han', ſonſt meinen ſie, man hab' ſie nicht lieb.

Aha, Beckin, riefen die Gäſte, hat er Euch ſeine Liebe auch ſchon bewieſen?

Nein, der Mein 'macht nur Spaß, ſagte ſie: mich hat er noch nie geſchlagen.

Und deſſentwegen iſt der Küfer in Thurn kommen? fragte der Müllerknecht.

Bewahre! antwortete der Schütz, bloß vor Kirchenconvent. Sein Schwäher, der Schneider, hat ihn beim Herrn Pfarrer verklagt, daß er, wie der Herr Pfarrer mir erzählt hat, ſein Weib um nichts¬ würdiger Urſachen willen jämmerlich tractiret hab '. Alſo hat mich96 der Herr Pfarrer zum Herrn Amtmann geſchickt. Der hat aber gleich geſagt, da werde es etwas ſetzen, denn der Küfer ſei zwar in ſeinem Handwerk fleißig und kein übler Haushälter, aber ſonſt ein eigen¬ ſinniger hartnäckiger Geſell. Es ging auch ſo, wie der Herr Amt¬ mann geſagt hatte, denn obwohl man mich zweimal zu ihm ſchickte, denn ich muß eben Alles ausrichten, weil der Herr Amtmann den Amtsknecht faſt ganz ins Haus braucht als ſeinen Leibdiener, ſo kam er doch nicht, ſo daß ich ihn zuletzt mit zwei Männern hab' holen müſſen. Das hat er aber wohlweislich vorausgeſehen und ſich ins Sternwirths Keller etwas zu ſchaffen gemacht, damit ihm der Spek¬ takel nicht in ſeinem Haus über den Hals käm '.

Und darum iſt er in Thurn kommen? wiederholte der Müllerknecht.

Nein, er hat dann böſe Reden geführt, denn ſo ſtill er ſonſt ſein mag, ſo hat er vor Convent das Maul weit aufgethan. Wie man ihm fürgehalten hat, warum er ungehorſam geweſen ſei, hat er ge¬ ſagt, er habe vor dem Kirchenconvent nichts zu ſchaffen, es ſei ihm ſolches ein Schimpf, ſein Weib hab 'die Schläg' nöthig, der vorige Pfarrer und Amtmann haben ihm ſelber geſagt, er ſolle ſie nur ſchlagen, wenn ſie's brauche. Wenn ihn der Herr Amtmann für ſich citire zum weltlichen Amt, ſo komme er und man brauche ihm nicht mit dem Holzſchlägel zu winken, aber auf kirchenconventliche Citation komme er nicht, ſonderlich wenn man ihm den Büttel ſchicke da¬ mit hatte er mich gemeint; man ſolle ihm ein geſchworen Weib ſchicken oder die Hebamme, das ſeien des Pfarrers ſeine Amtsboten.

Alles lachte zuſammen.

Zuletzt iſt's dann vollends fauſtdick kommen, fuhr der Schütz fort. Da hat er ſich vernehmen laſſen, es geh 'hier viel Unordnung vor, ſo nicht geſtraft werd', der Pfarrer melier 'ſich mit hieſigen Weibern, die Leute reden ihm viel nach. Ich hab' vor der Thür nicht Alles verſtanden, denn vorher hat er ein wenig geſchrieen, das Schärfſt 'aber hat er nicht mehr ſo laut geſagt, er wird gedacht haben, es ſchalle auch ſo noch deutlich in die Ohren. Den Herr Pfarrer aber hat man nachher verſtehen können, der hat ihn angeſchrauen, er ſei ein lüderlicher Geſell, was er denn von ihm ſagen könne? und man müſſe die Sache an's löbliche Oberamt nach Göppingen berichten. Der Herr Amtmann aber hat ihn einſtweilen in Thurn ſperren laſſen.

97

Wenn er da bleiben muß bis von Göppingen Beſcheid kommt, ſagte Friedrich, dann kann er lang ſitzen.

Wird nicht ſo gefährlich ſein, ſagte der Schütz: er behält ſein frei Logis ein 'Tag oder zwei, bis die Sache ein wenig verſaust iſt, und dann darf er heraus und abwarten was vom Oberamt kommt.

Was kann ihm denn blühen? fragte der Müllerknecht.

Ich wollt 'eine Wette drauf eingehen, antwortete der erfahrene Diener der Obrigkeit, er kriegt nicht mehr denn einen Ordinari-Frevel und natürlich muß er depreciren. In Göppingen ſieht man eben drauf, daß es am Gehorſam und ſchuldigen Reſpect nicht mankirt, aber auf das Geſchwätzwerk ſelber läßt ſich der Vogt nicht ein, er nimmt's nur ſo überhaupt, wie der Teufel die Bauern.

Alle lachten über dieſe Bemerkung, welche beſagen ſollte, daß der Oberbeamte derlei Dinge in Bauſch und Bogen abzumachen pflege.

Vielleicht, äußerte Friedrich, denkt er auch, das Geſchwätz habe ei¬ nen Grund; denn um drei Gulden fünfzehn Kreuzer wär's billig ge¬ ſchimpft. Iſt denn was dran? Ich hab 'doch nie gehört, daß man dem Pfarrer mit Weibsbildern etwas nachſagt.

Nein, verſetzte der Kübler, das hat auch der Küfer nicht ſagen wollen von dem alten Krattler. Aber das iſt wahr, daß er ſich Schwätzereien zutragen läßt von jeder Magd am Brunnen und von jedem böſen Weibermaul. Die ſtecken ſich hinter die Pfarrerin und ſchleichen zu ihr in die Küche; von ihr erfährt's dann er und auf die Art iſt's eine beſtändige Spionerei im Flecken, durch die eine Menge nichtsnutziges läppiſches Zeug an die Obrigkeit gebracht wird und Vieles, was eher der Müh 'werth wär', unbeachtet bleibt. So iſt ei¬ gentlich die Obrigkeit in der Gewalt von etlich böſen Zungen, denn der Pfarrer meint, er müſſ 'nach allem ſehen, und weil er das nicht kann, auch überhaupt die Natur bei ihm zu kurz iſt, ſo behilft er ſich mit dem Geſchwätz. Und der Amtmann, der läßt ſich dann in jeden Lauf laden, aus dem einer ſchießen will, ohnehin wenn der Pfarrer den Finger am Drücker hat oder auch die geſtrenge Frau Amtmännin. Die andern Conventsmitglieder aber, die drin ſitzen, ſind der Garnichts, das weiß man ja. Dann braucht man nur bei den Herren was an¬ zubringen, abſonderlich wenn man beim Pfarrer ein paar gottſelige Redensarten mit unterlaufen läßt, dann ſehen ſie nicht aus die SacheD. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 798ſelber, ſondern daß etwas angebracht iſt, das iſt ihnen der Haupt¬ punkt, und daraus machen ſie dann ein Protokoll und ein Geſchäft, wie wenn ſie dabei geweſen wären und alles beſſer wüßten als der den's doch angeht. Mit dieſen Worten reichte er ſein Glas dem Schützen, der ſich auch gleichmüthig, während über ſeine Vorgeſetzten losgezogen wurde, den Mund ſtopfen ließ.

Zu was wären ſie denn ſonſt da? bemerkte Friedrich.

Der Invalide ſtieß ihn an und flüſterte: Sei Er doch politiſch und laß Er den Kübler allein das Maul brauchen. Der ſteckt in Schuhen, woran nichts mehr zu flicken iſt. Aber Ihm könnt's Schaden bringen, denn der Schütz iſt ein Kalfakter; er ſchmarotzt ſo viel man ihm gibt, und nachher trägt er Alles, was er dabei gehört hat, ſeinen Herren wieder zu.

Was liegt mir dran? entgegnete Friedrich trotzig.

Und was iſt denn noch mehr heut 'vorgekommen bei der Kirchen¬ cenſur? fragte der Invalide den Schützen, um das Geſpräch abzulenken.

O mehr als viel, ſagte dieſer: die Sitzung hat noch nie ſo lang gedauert, es iſt mir ganz ſchwach worden vom langen Warten im Oehrn. Zuerſt, begann er mit einer Amtsmiene, ſind Kirchenſtuhlſtrei¬ tigkeiten unter den Weibern abgemacht worden; das iſt ja ein ſtehen¬ der Artikel bei allen Conventsſitzungen. Dann hat man junge Bur¬ ſche vorgefordert, die aus der Kinderlehre weggeblieben ſind, und hat ſie mit Vermahnung wieder ſpringen laſſen.

Friedrich biß ſich auf die Lippen, ſagte aber nichts, um nicht den Spott der Geſellſchaft gegen ſich herauszufordern.

Dann hat man eine Separatiſtin fürgehabt, die in Jebenhauſen drüben bei der gnädigen Frau in die Stund 'gangen iſt.

Der Geſellſchaft war dies ſo gleichgiltig, daß ſie nicht einmal nach dem Namen fragte.

Ferner hat man die alte Anna fürgenommen, die mit dem krum¬ men Fuß, die mit ihren drei Waiſen dreißig Kreuzer wöchentlich hat. Der iſt fürgehalten worden, daß ſie als ein altes baufälliges Weib gleichwohl etlichmal nach Zell hinunter in die Kirche gegangen ſei mit Verachtung des hieſigen Gottesdienſtes, und habe ſich deshalb die Bürgerſchaft über ſie beſchwert.

Ja, die Bürgerſchaft! rief der Kübler. Ein paar alte Weiber99 werden zum Pfarrer geloffen ſein und vielleicht der Kreuzwirth, und werden ihm nach dem Maul geredt han.

Was iſt ihr geſchehen? fragte der wohlwollende Invalide, in der Abſicht, ſeinen Liebling nicht auch wieder in dieſen Ton verfallen zu laſſen.

Sie hat ſich verantwortet, ſie hab's nur drei oder viermal gethan und ſei ſie allweg von andern Leuten hinuntergeſchickt worden, weil ſie eben unerachtet ihrer Gebrechlichkeit ſehen müſſe wie ſie etwas ver¬ diene, und dann ſei ſie, um wenigſtens das Wort Gottes zu hören, dort in die Kirche gegangen. Man hat dann beſchloſſen, daß man ihr von den dreißig Kreuzern, die ſie aus dem Almoſen hat, zehn nehmen und künftig nur noch zwanzig geben wolle, und ihr bedeutet, wenn ſie ferner nach Zell in die Kirche gehe, ſo werde man ihr das Almoſen gar nehmen. Sie hat mich gedauert, denn ſie hat ſchrecklich geheult.

Predigt man denn in Zell ein anderes Wort Gottes als hier? rief Friedrich, indem er wild mit der Fauſt auf den Tiſch ſchlug. Das iſt doch überaus, wenn ſo ein er beſann ſich vor dem Schützen einen Augenblick - wenn ſo ein Pfarrer meint, man dürf 'keinen Anderen hören als ihn und nimmt einem armen alten Weib darum das Brod! Und was man in den Kirchen hört, das iſt doch meiſtens nur um der Einkünfte willen gepredigt. Wenn ſie's umſonſt thun müßten wie im Evangelium, und dem Volk noch Brod dazu geben, ei wie geſchwind ſtünden die Kanzeln leer!

Ein Gemurmel durchlief die Geſellſchaft; es ſchien aber keinen Widerſpruch anzudeuten. Der Invalide fragte ſchnell: Was hat's noch weiter geben? und ſchob ſein Glas dem Schützen hin, der ihm bereitwillig Beſcheid that, ohne den rebelliſchen Reden ſichtliche Auf¬ merkſamkeit zu ſchenken.

Allerlei Sabbathentheiligungen ſind abgerügt worden, fuhr er fort. Einer iſt am Sonntag in's Feld gangen, ein Anderer hat gedro¬ ſchen, und des Küblers ſein Bruder iſt auch vorgeweſen, der hat am Sonntag eine Bettlade angeſtrichen, und ſo noch Andere mehr. Die ſind ein Jedweder um ein halb Pfund Heller in Heiligen geſtraft worden.

Nächſtens wird man am Sonntag nicht einmal mehr einen Biſſen zu ſich nehmen dürfen, murrte Friedrich.

Ja, rief der Kübler, du haſt vielleicht gar nicht weit daran vorbeigeſchoſſen, denn der Pfarrer in Hattenhofen drüben hat ſich7 *100bereits verlauten laſſen, man ſollt 'eigentlich den Tag des Herrn mit Faſten zubringen.

Die Geſellſchaft lachte unwillig.

Die Obrigkeit macht aber doch auch billige Ausnahmen, ſagte der Schütz zu Friedrich. Wie Sein Vater verwichenes Jahr um Oſtern angebracht worden iſt, daß er am Sonntag mit einem Wagen Haber nacher Stuttgart gefahren ſei, da iſt ihm nichts geſchehen, weil er ſich hat verantworten können, der Haber gehöre der Herrſchaft und habe zur Gottesdienſtzeit in Stuttgart ſein müſſen.

Ja wohl! lachte Friedlich bitter, wenn's für die Herrſchaft iſt, dann iſt's keine Sünd '! Ich hab' geglaubt, vor Gott ſei Alles gleich. Aber der Herzog jagt auch am Sonntag, wenn's ihn ankommt, und fragt nach keinem Pfarrer nichts. Ich hab ihn ſelber ſchon am Sonn¬ tag hier durchreiten ſehen.

Und letzten Sommer hat man Seinen Schwager auch entſchuldigt, weil er an einem Sonntag Garben eingeführt hat, die von den wil¬ den Schweinen übel zugerichtet geweſen ſind. Da hat der Convent ein Einſehen gehabt und hat judicirt, es ſei ein Nothwerk geweſen.

Ja, was! ſagte ein Bauer, bei ſo fürnehme Leut 'hat man frei¬ lich ein Einſehen.

Ich will doch nicht hoffen, rief ein Anderer, daß der Kirchencon¬ vent auch noch den wilden Säuen den Kopf heben ſollt ', die uns das Feld verderben und die beſte Frucht wegfreſſen! Unſereins muß ſich das ganze Jahr hindurch ſchinden und plagen, damit man in Stuttgart in Saus und Braus leben kann, und man ſollt' nicht ein¬ mal ſeine Frucht einthun dürfen, eh die Beeſter ſie vollends ruinirt haben?

Man hat nicht bloß mit dem Sonnenwirth und ſolchen Leuten ein Einſehen, bemerkte der Schütz dem vorigen Redner, ſondern auch mit dem gemeinen Mann. Wie im Heuet das Gewitter auf unſere Markung geſchlagen hat Göppingen zu und ein Hochwaſſer zu befürch¬ ten geweſen iſt, hat nicht da der Herr Amtmann am Sonntag früh ausſchellen laſſen, die Leute ſollen und müſſen ihr Heu ſogleich heim thun, daß und damit es nicht vom Waſſer fortgenommen werde?

Ei, ich wollt ', er hätt's draußen gelaſſen, erwiderte der Angere¬ dete, das Waſſer iſt nicht ſtärker worden, wie man hat vorausſehen können, und mit dem Heu hat man nachher ſeine liebe Noth gehabt. 101Hätt' man's liegen laſſen dürfen, ſo wär's auf dem Feld trocken worden.

Das war dazumal, ſagte einer aus der Geſellſchaft lachend, wo der Blitz dem Käsbalthes ſein Paar Ochſen erſchlagen hat. Ich ſeh 'ihn noch immer, wie er da geſtanden iſt und eine Fauſt gegen den Himmel gemacht und geſchrieen hat: jetzt ſoll aber auch unſerm Herr¬ gott ſein beſtes Paar Engel verr .

Ein ſchallendes Gelächter folgte auf dieſe Erzählung. Das dürft 'auch nicht beim Kirchenconvent vorkommen, bemerkte einer.

Ei ſo ſchlag! rief der Müllerknecht, immer von neuem in Lachen ausbrechend und das verpönte Wort in unſchuldigerer Wendung wie¬ derholend: ſo, unſrem Herrgott ſoll ſein beſtes Paar Engel capores gehn? Ja, und dem Herzog ſein ſchönſtes Paar Tänzerinnen! knirſchte der Kübler, indem er das Glas auf den Tiſch ſtieß.

In der Wirthsſtube wurde es plötzlich ſo ſtill, daß man eine Fliege ſummen hörte, die ſich in der Tag und Nacht gleichen Wärme des Bäckerhauſes lebendig erhalten hatte.

O daß ich könnte ein Schloß an meinen Mund legen und ein feſt Siegel auf mein Maul drücken! ſagte die Bäckerin mit bibliſcher Betonung. Was! rief der Kübler wild, iſt denn eine zerbrochene Fenſterſcheib 'in der Stub', daß man ſeine Wort 'hüten muß? Friedrich ſah unwillkürlich nach dem Schützen hin. Vor Kirchenconvent wenigſtens dürft' ſo etwas nicht bekannt werden, ſagte der Müllerknecht, der ſo eben noch eine Verwünſchung der Engel Gottes weit minder verfänglich gefunden hatte als einen Fluch über die Tänzerinnen des Herzogs.

Der Schütz, dem der Blick des jungen Burſchen nicht entgangen war, verſetzte: Ich denk ', der Herr Amtmann und der Herr Pfarrer werden froh ſein, wenn ſie nichts davon erfahren. Es iſt beſſer, eine ſolche unverſtändige Red' bleibt in der Gemeind ', denn wenn ſie weiter käm', ſo könnt 'ſie Einen an Leib und Seel' zeitlebens unglücklich machen.

Der Kübler, dem der Wein mehr und mehr in den Kopf ſtieg, brummte einiges dagegen, und der Schütz, etwas ſteif von Trunkenheit und Autoritätsbewußtſein, ſchien nicht geneigt, ihm eine Antwort ſchuldig zu bleiben, ſo daß der Invalide ſich abermals in's Mittel legen zu müſſen meinte. Ich hab 'die Kirchenconventsgeſchichten ſatt bis oben herauf,102 ſagte er leiſe zu Friedrich, und doch weiß ich dem Kerl das Maul nicht anders zu ſtopfen, denn daß ich ihn aus der Schul' ſchwatzen laſſ '; das kitzelt ſeinen Hochmuth. Und zum dritten Mal fragte er ihn, was ſonſt noch verhandelt worden ſei.

Ein Huſarentanz, ſagte der Schütz.

Was? riefen die Andern und ſperrten Maul und Augen auf.

Die Conventsherren werden doch nicht getanzt haben, ſagte der Müllerknecht.

Dummes Geſchwätz! entgegnete der Schütz. Dem Herrn Amt¬ mann war angezeigt worden, daß in einem Lichtkarz bei der kropfigen Liſabeth Kuchen gegeſſen worden ſeien und daß des Xanders Bäsle, die bei ihm dient, den Huſarentanz dabei getanzt habe, wobei auch ledige Burſche zugegen geweſen ſeien. Die Tänzerin und die Liſa¬ beth, weil die den Karz ohne Erlaubniß gehalten, ſind jede ein paar Stunden ins Häusle geſprochen und mit einem Weiberfrevel geſtraft worden, und von dem Weibsgeziefer, das im Karz Kuchen geſſen hat, iſt jede um elf Kreuzer geſtraft worden, ſo auch der Beck, der neben der Liſabeth wohnt und die Kuchen backen hat.

Friedrich horchte hoch auf: dies war der Karz, in welchen Chri¬ ſtine durch ſeine Vermittlung eingeführt worden war. Er hütete ſich aber wohl zu fragen, ob Chriſtine unter den Geſtraften geweſen ſei.

Der Huſarentanz? fragte der Müllerknecht: was iſt denn das für ein Tanz?

Kein beſonders anſtändiger, antwortete ihm Friedrich.

Der Huſarentanz, ſagte der Schütz, nun, das iſt eben der Hu¬ ſarentanz. Wer wird denn den nicht kennen?

Der Schütz, rief der Kübler, ſtellt ſich doch als ob er Alles wüßt '! Ich bin euch gut dafür, daß er ihn ſelber nicht kennt.

Was, ich? erwiderte der Schütz und richtete ſich ſtolz empor, ich ſoll ihn nicht kennen?

Nein, ich wett 'was du willſt.

Eine Flaſch 'Wein!

Eingeſchlagen!

Und ohne an ſeine Amtswürde zu denken, ſprang der Schütz vom Stuhl auf, ſetzte den Hut verkehrt auf den Kopf, nahm die Rock¬ zipfel zwiſchen die Zähne und führte einen ſeltſamen Tanz mit plum¬103 pen Sprüngen auf, die ſich um ſo abſcheulicher ausnahmen, da er im wachſenden Rauſche ſeines Körpers nicht mehr mächtig war. Wenn das Mädchen, von dem er erzählte, nur zum zehnten Theil ſo häßlich getanzt hatte, ſo hatte Friedrich mit ſeiner Bezeichnung vollauf Recht gehabt. Die Geſellſchaft brüllte vor Lachen, aber in den Augen der Männer malte ſich zugleich die Verachtung, welche die Bäckerin noch deutlicher ausdrückte, indem ſie, ohne lachen zu können, mitleidig nach dem Luſtigmacher hinſah. Da tanzt unſere Obrigkeit! ſagte der Kübler.

So, das iſt der Huſarentanz! keuchte der Schütz, indem er athem¬ los auf ſeinen Stuhl zurückfiel. Jetzt eine Halbe dem Küblerfritz!

Das Gelächter dauerte noch lange fort, während er ſich ſchon den Preis ſeiner Schauſtellung ſchmecken ließ. Er wurde mit zweideutigen und ſpöttiſchen Lobſprüchen überſchüttet, und der Invalide ſagte ihm, er ſollte ſich beim Ballet in Stuttgart anſtellen laſſen, da würde er am Beſten hintaugen.

Dieſe Aufnahme ſeiner künſtleriſchen Production machte ihn wieder ein wenig nüchtern. Aber das Schönſte hab 'ich noch gar nicht er¬ zählt! rief er, um den ihm allmählich klar werdenden Eindruck des Poſſenſpiels, das er ſo eben aufgeführt hatte, zu verwiſchen. Ein Hexenproceß iſt heut' noch zu guter Letzt verhandelt worden!

Ein Hexenproceß? Was? Wird wieder einmal eine Hex 'verbrennt?

Nein, dazu bietet die Obrigkeit nimmermehr die Hand. Aber doch iſt's ein Hexenproceß geweſen und das ein ſaftiger. Ich hab 'ſchon gemeint, die Sitzung geh' zu End ', die Herren haben nur noch ein wenig von wegen der Kirche und Schule discurirt der Wetter¬ hahn iſt lahm worden und die Schulmeiſterin will eine Küche und mag ſich nicht mehr mit dem ſchlechten Verſchlag zum Kochen behelfen da kommt auf einmal der Franzos den Gang herangeſtiegen, wie ein welſcher Hahn, und den Hut hat er ganz ſchief aufgehabt, ſo daß ich gleich gedacht hab', da ſei bös Wetter im Anzug.

Wer iſt der Franzos? fragte der Müllerknecht

Man heißt ihn ſo, weil er ein Jahr im Elſaß das Sattlerhand¬ werk gelernt hat und davon ein wenig welſcht. Er hat eine Ham¬ melayin zum Weib. Ich hab 'ihn gleich müſſen bei Convent an¬ melden, und weil ich neugierig geweſen bin, hab' ich die Thür ein wenig offen gelaſſen. Da hat er ſchrecklich gethan und immer mit104 den Händen dazu gefochten, und hat den Schmidhannes verklagt, daß er heut 'in Gegenwart des ganzen löblichen Magiſtrats, juſt vor der Conventsſitzung, in einem Streit wegen eines Gartenzaunes die Ham¬ melayiſchen insgeſammt Hexen geſcholten habe. Das ſei ein Schimpf und eine Schande für ihn und ſeine Gefreundten und er klage im Namen der ganzen Hammelayiſchen Familie, man möchte den Schmid zur gebärenden Strafe ziehen und ihm eine chriſtliche Abbitte auf¬ erlegen. Ich hab' gleich den Schmidhannes holen müſſen, und der hat auch ohne weiters bekannt, daß er dieſe Rede vor geſeſſenem Ge¬ richt ausgeſtoßen hab ', und es ſei wahr, er bleibe dabei, denn die alte Hammelayin ſei ihm ſchon vor fünf Jahren einmal in aller Früh' ohne Haub 'im Hemd und Rock begegnet, hab' auch eine ſchwarze Katz 'bei ſich gehabt, die ſo groß als ein Kalb geweſen ſei. Der Herr Amtmann hat ihm drauf die Sach' ausreden wollen, er hab 'vielleicht einen ſtarken Morgenſchnaps getrunken gehabt und die Katz' durch eine zu große Brill 'angeſehen. Er aber iſt dabei beharrt, daß er keinen Rauſch gehabt habe, und wie ihm der Herr Amtmann zugeſetzt hat, ſo iſt er zornig worden und hat ſich verſchworen, der Teufel ſolle ihn zu Sägmehl verreißen, wenn er weiter als für ſechs Kreuzer getrunken gehabt hab'. Auf das iſt der Herr Pfarrer aufge¬ fahren und der Herr Amtmann hat ihm gleich zwei Pfund Heller an¬ dictirt, weil er ſich mit Fluchen vermeſſen hab ', abſonderlich in Gegen¬ wart des Herrn Pfarrers. Das hat ihn dann etwas mürber gemacht und endlich hat er ſich zureden laſſen, daß er den Hammelayiſchen ſolche Gottloſigkeiten nicht beweiſen könne, ſondern aus Zorn und Un¬ verſtand geredt hab'. Er hat dann dem Franzoſen für die Hamme¬ layiſchen Abbitte thun müſſen und iſt als ein ſchlecht bemittelter Mann, den die zwei Pfund Heller ſchon ſauer ankommen, auf zwei¬ mal vier und zwanzig Stund 'in Thurn geſprochen worden, heißt das, erſt wenn das Quartier vom Küfer frei wird.

So was muß man eben auch nicht auf ſeine Nebenmenſchen brin¬ gen, wenn man's nicht beweiſen kann, bemerkte der Müllerknecht: das iſt doch das Allerärgſt ', was man Einem nachſagen kann.

Die Obrigkeit nimmt ja ſo etwas gar nicht mehr an, ſagte einer der Bauern, die in der Geſellſchaft ſaßen, verdrießlich. Da können alle Greuel geſchehen, man fragt nichts darnach, und wenn Einer das105 Maul drüber aufthut, ſo wird er noch geſtraft. Die Herren glauben's nicht oder thun wenigſtens ſo, und man ſagt, auch der Herzog hab's nicht gern. Wer weiß, was dabei im Spiel iſt, daß man dem Teufel ſo den freien Lauf läßt. Vor Zeiten iſt das anders geweſen.

Alſo wenn's nach Euch ging ', ſagte Friedrich, ſo müßt' man die alten Weiber wieder ſchwemmen und an der Leiter aufziehen und ver¬ brennen. Saubere Zeiten ſind das geweſen! Wenn ich irgend etwas an der Obrigkeit lob ', ſo iſt es das, daß ſie ſolchem dummen Ge¬ ſchwätz kein Gehör mehr gibt.

Was? ſchrieen die in der Geſellſchaft anweſenden Bauern zuſam¬ men: das ſoll dummes Geſchwätz ſein? Heißt's nicht in der Bibel: Die Zauberer und Greulichen ſollt du mit Feuer verbrennen? Und das ſoll ein dummes Geſchwätz ſein? Soll's denn keinen Teufel mehr geben? Wer das nicht glaubt, der glaubt auch nicht an die Ewigkeit und glaubt nicht, daß es ſelige und verdammte Geiſter gibt.

Ich hab 'wenigſtens noch keinen geſehen, bemerkte Friedrich kalt.

Der glaubt gar nichts! rief Einer, und die Andern ſahen den Gegenſtand dieſes Verwerfungsurtheils mit einem gewiſſen Abſcheu an. Oder, ſagte ein Anderer, iſt er vielleicht ? Ich weiß nur nicht wie ich's angreifen ſoll, denn man wird ja gleich geſtraft, wenn man ſeine Wort 'nicht auf die Goldwag' legt.

Soll ich vielleicht ſelber ein Hexenmeiſter ſein? lachte Friedrich. Nur herzhaft 'raus mit der Farb'! Ich lauf 'deswegen nicht ſo gleich vor Kirchenconvent, ich bin nicht ſo empfindlich, auch hat man ſeiner Lebtag keinen Eſel einen Hexenmeiſter geſcholten, denn dumme Leut' kann der Teufel, ſcheint's, nicht brauchen.

Was die alte Hammelayin betrifft, ſagte der Invalide, um das Geſpräch von dieſer Klippe ab wieder in ruhigeres Fahrwaſſer zu lei¬ ten, ſo iſt es gewiß und wahrhaftig, daß ſie eine mächtige Raffel unter der Naſ 'ſitzen hat.

Ja, ſagte ein Anderer, ſie hat aber nicht bloß ein bös Maul, ſondern es ließ 'ſich ſonſt noch allerlei über ſie ſagen. Wißt ihr noch, wie ihre ältere Tochter, die jetzt den Schneider hat, wie die mit dem Diegelsberger hat Hochzeit gehabt? Die Hochzeit iſt im Hecht an¬ geſtellt worden, und der Bräutigam, dem's ſchon um acht Uhr weh geweſen iſt, Nachts um Zwölfe will er noch einen Tanz thun, 106 plötzlich ſtürzt er nieder und iſt in Zeit einer Minut' maustodt. Es iſt ſo ſchnell gangen, daß ein tanzendes Paar über ihn zu Fall kom¬ men iſt; die haben einen Gräuſel davon getragen, daß ſie's ein paar Tag 'lang geſchüttelt hat. Man hat viel drüber geſprochen.

Nun ja, was wird's geweſen ſein? ſagte Friedrich: ein Steck - und Schlagfluß.

Ja, ſo hat man bei Amt auch geſagt und hat ihn mit einer Leichenpredigt auf dem Kirchhof begraben. Ich weiß noch, wie ſie angefangen hat: Hui, hui, ſagt der Tod, der ſtarke Held, ich kann auch mittanzen. Aber es gibt Leut ', die wollen's beſſer wiſſen, die ſagen Nun, ich will nichts geſagt haben, aber ſo viel iſt gewiß, daß der Alten die Heirath von Anfang an nicht nach ihrem Guſto geweſen iſt. Die Junge hat erſchrecklich gethan und hat ſich nicht tröſten laſſen wollen. Nachmals aber hat ſie den Schneider genommen; ich weiß noch, auf ihrer Hochzeit iſt grad' die Nachricht ankommen, daß ihr Schwager, der Goldſtein, der ſein Weib mit drei Kindern hier hat ſitzen laſſen, in Speier die Religion ſchangſchirt hab 'und eine Katholiſche geheirathet und ſei mit ihr nach Pennſylvanien gangen.

Von der Alten erzählt man ein feines Stücklein aus ihren jungen Jahren, wo ſie bei Seines Pflegers Vater im Dienſt geweſen iſt, hob ein Anderer zu Friedrich gewendet an. Damals hat ſie's mit einem Balbierersgeſellen gehabt aus Adelberg. Er hat ihr zu Familie ver¬ holfen, eine Tochter iſt's geweſen, ich glaub ', eben die Schneiderin, die ſo unglücklich hat Hochzeit gehabt. Sie hat ihn aber verſchont und hat ihn nicht angegeben, daß er der Vater zu ihrem Kind ſei. Er hat's ihr nachher ſchlecht gedankt und iſt von ihr weg blieben. Jetzt, was hat das leichtfertig' Menſch gethan, das nichtsnutzig '? Ueber einmal, wie ihr Herr in die Küche kommt, ſieht er ein Paar Strümpf' im Kamin hängen. Was ſind denn das für Würſt ', fragt er, ſollen denn die geräuchert werden? Die Magd nicht faul, reißt die Strümpf' geſchwind herunter und gibt vor, die Strümpf 'gehören ihr, ſie hab' ſie ſchnell wollen trocknen, weil ſie naß geworden ſeien. Er aber eben ſo flink, reißt ihr noch einen aus der Hand und ſieht daß es ein Mannsſtrumpf iſt. Wie er ihr nun das fürgehalten hat und ſie hat nicht wollen weichgeben, ſo hat er ſie beim Pfarrer angezeigt, und da hat ſie endlich nach vielem Leugnen geſtanden, ein Schäfer107 hab 'ihr gerathen (ſie wird aber keinen dazu braucht haben), ſie ſolle ſehen, daß ſie ein Kleid oder etwas, das der Menſch mit Salvene auf'm bloßen Leib getragen hab', zur Hand kriegen könne, und ſolle es in den Rauch hängen, dann werd's dem Thäter warm werden und immer wärmer und werd 'keine Ruh' haben, bis er wieder zu ihr komme.

Die Frag 'iſt nur, ob der Barbier auch richtig wieder kommen iſt, bemerkte Friedrich.

Nein, kommen iſt er nicht mehr, ſagte der Erzähler.

Dann will ich's gern glauben! rief Friedrich mit hellem Lachen. So kann ich auch hexen. Ich ſag 'nur: Kurrle, Murrle, dann muß der Krug dort auf dem Schrank tanzen. Aber wenn ich nicht dazu den Schrank mit den Händen ſchüttle, ſo tanzt der Krug eben nicht. Hexenwerk mag ſchon Mancher und Manche probirt haben, das will ich zugeben, aber die Frag' iſt nur, ob was dabei herausge¬ kommen iſt.

Vielleicht iſt der Balbierer doch innerlich verbronnen, ſtammelte der Schütz.

Friedrich lachte ihn aus. Ja, ſagte er, wenn er Schnaps geſof¬ fen hat.

Mir hat doch einmal ein Zimmermann erzählt, fiel der Müller¬ knecht ein, es hab 'ihn Nachts eine Hex' gedrückt und gepeinigt, daß er ſchier erſtickt ſei. Er ſei dann aufgewacht und hab 'die Unholdin in Geſtalt einer ſchwarzen Katz' auf ihm liegen ſehn. Da hab 'er mit der letzten Kraft nach der Axt neben ſeinem Bett gegriffen und hab' nach der Katz gehauen. Die ſei mit einem lauten Schrei da¬ von gefahren und hab 'ein Stück von der Vorderpfot' dahinten gelaſſen. Morgens ſei zwar nichts mehr davon dageweſen, wohl aber Blut auf'm Bett und an der Art. Drauf hab 'er ſeine Gedanken auf ein altes Spittelweib geworfen und ſei in den Spittel gangen, um nach ihr zu ſehen. Man hab' ihm aber geſagt, er könn 'ſie nicht ſehen, ſie liege todtkrank im Bett. Er ſei aber dennoch zu ihr gedrungen und hab' ſie mit Gewalt aufgedeckt, und da habe ſich's gezeigt, daß ihr die linke Hand gefehlt habe, die ſei ihr von ſeiner Art abgehauen geweſen.

Hu, mir gräuſelt's! rief Einer um den Andern von der Geſell¬ ſchaft, die ſehr andächtig zugehört hatte.

108

O Peter, glaub 'doch kein ſo Ding! ſagte Friedrich. Was wird ſich denn ein Weib in eine Katz' verwandeln können? Wenn du dir von jedem Zimmermann ſolche Spän 'aus'm Verſtand hauen läßt, ſo wirſt bald ſo dumm, daß man Riegelwänd' mit dir hinausſto¬ ßen kann.

Der Streit gegen den hartnäckigen Ungläubigen brach abermals aus, und dieſe Leute, die ein derbes Wort über Pfarrer und Kirche ertrugen, wurden ganz wild darüber, daß es mit Hexen und Geſpenſtern nichts ſein ſollte, und vertheidigten mit einer wahren Glaubenswuth ihr Dogma, daß der Teufel böſen Menſchen die Macht verleihe, auf wunderbare Weiſe Schaden zu thun, und daß Gott abgeſchiedenen Geiſtern, guten wie böſen, von Zeit zu Zeit aus dem Grabe an die Oberfläche der Erde heraufzuſteigen erlaube.

Nun ja, ſagte Friedrich endlich einlenkend, ich will ja nicht dawi¬ der ſein, daß ſich's andrer Orten vielleicht ſo verhält, wie ihr ſaget, denn das weiß ich ja nicht. Aber hier bei uns gibt's keine Hexen und keine Geiſter, das behaupt 'ich.

Und warum denn nicht? rief Einer.

Weil mir noch keine Hex 'beikommen iſt, und es gibt doch ganz gewiß Solche, die mich zu todt drücken thäten, wenn ſie könnten, aber ſie können eben nicht.

Und warum keine Geiſter? fragte ein Anderer.

Weil ich noch keine geſehen hab '! Und was ihr von euch erzählet, daß euch ſchon vorgekommen ſei, das muß mir ſelber erſt auch wider¬ fahren ſein, bevor und daß ich's glaub'; denn ich kann doch nicht einſehen, warum ich ein anderer Menſch ſein ſoll als Andere.

Andere Leut 'ſind aber doch anders beſchaffen, ſagte der Müller¬ knecht. Es gibt Sonntagskinder.

Ich bin auch am Sonntag geboren, erwiderte Friedrich, und hab 'Zeit meines Lebens nie was geſchaut. Ich weiß ganz gewiß, fuhr er mit wachſender Wärme fort, denn der Wein ſtieg ihm nach und nach in den Kopf, wenn ein Verſtorbenes wieder zu den Menſchen kommen könnt', ſo wär ich ſo gut ein Geiſterſeher wie irgend Einer in der Welt.

Warum das? Wo ſo?

109

Meine Mutter, ſagte der junge Menſch, indem er trotz ſeiner Leb¬ haftigkeit die Stimme dämpfte, meine Mutter würde ſich's nicht nehmen laſſen, nach mir zu ſehen, wenn das ihr geſtattet würde. Und warum ſollt 'ihr's nicht verſtattet ſein, wie den andern Geiſtern? Aber eben das, daß ſie nicht zu mir kommt, iſt mir ein Beweis, daß die anderen auch nicht können.

Narr, ſie will dich eben nicht erſchrecken, lallte der Kübler, deſſen Augen allmählich gläſern wurden.

Sie weiß recht gut, daß ich nicht an ihr erſchrecken kann, mit welchem Ausſehen ſie mir auch erſcheinen mag. Oft, fuhr er nach¬ drücklich fort, nachdem er einmal die Scheu überwunden hatte, von die¬ ſem Gegenſtande zu reden, oft hab 'ich um Mitternacht, wenn ich ganz allein geweſen bin, ihren Geiſt beſchworen, leis und laut, und hab' ſie gebeten, wenn es ihr möglich ſei, ſo möcht 'ſie den Himmel auf einen Augenblick verlaſſen und zu mir kommen. Aber es hat ſich nichts darauf ereignet, ich bin allein geweſen nach wie vor, und hab' auch nichts um mich vernommen als das ſtille Sauſen der Nacht, das aber nicht von Geiſtern kommt, ſondern von der Luft, weil die Nacht gar gehörſam iſt.

Gott ſteh 'uns bei! hatten die Andern während dieſer Erzählung gerufen, die ihnen fremd und ſeltſam däuchte.

Das iſt ein grauſamer Menſch! ſagte der Eine, womit er die Grauenhaftigkeit dieſes Treibens bezeichnen wollte.

Der glaubt an gar nichts! wiederholte der Andere. Der kommt einmal in den Himmel, wo die Engel ſchwarz ſind und Wauwau ſingen.

Jetzt ſoll einmal die Beckin erzählen, ob sie ſchon einen Geiſt ge¬ ſehen hat! rief der Invalide, fortwährend bemüht, das Geſpräch in einem ungefährlichen Gange zu erhalten.

Ja, die Beckin soll erzählen! riefen ihm mehrere Stimmen nach.

Die Bäckerin richtete den Kopf im Sorgenstuhle auf. worin sie den ganzen Disput verſchlafen hatte. Man mußte ihr erſt erklären, um was es ſich handle. Ha, daß es Hexen und Geiſter gibt, ſagte ſie gähnend, das leidet keinen Zweifel, aber zu mir iſt noch keine Her 'gekommen, weder bei Tag noch bei Nacht, und keinen Geiſt hab' ich auch noch nie geſehen.

110

Ihr habt eben ein ruhiges Gemüth, Baſ ', ſagte Friedrich lachend, auf Euch könnt', glaub 'ich, eine Her' die ganze Nacht reiten, Ihr thätet nichts davon inn 'werden. Uebrigens iſt's nicht recht, in der Neujahrsnacht zu ſchlafen und Eure Gäſt' mit Gähnen anzuſtecken. Morgen iſt ja Kirch ', da könnt Ihr's' reinbringen, was Ihr heut 'Nacht am Schlaf verſäumet.

Ja, ja! rief der Müllerknecht. Letzten Sonntag hab 'ich mich auch an der Beckin ihrem ruhigen Gemüth erbaut unter der Predigt. Der Herr Pfarrer hat geſchrauen, daß man's in Reichenbach hätt' hören können, aber die Beckin hat ſich nicht verrührt, ſie hat ganz klein ausgeſehen in ihrem Stuhl und der Kopf iſt ihr zwiſchen den Achſeln eingeſunken geweſen wie ein Schnitz der oben in einem Hutzelbrod ſteckt.

Ach was! entgegnete die Frau unſchuldig, man muß ſich die ganz Woch 'leiden, wenn man auch noch das bisle Kirchenſchlaf nicht hätt', ſo wär's ja nicht zum Präſtiren.

Die Geſellſchaft brach in ein wieherndes Gelächter aus, das lange kein Ende nehmen wollte, bis endlich der Bäcker ſeine Frau aufmerk¬ ſam machte: Du, Weib, da klopft's am Küchenfenſter. Sie horchte hin, ohne daß etwas zu hören war; nach einer Weile aber klopfte es wiederholt und vernehmlich.

Aha, das iſt ein Geiſt! rief der Müllerknecht.

Machet mir nicht Angſt, rief die Bäckerin. Ich will's übrigens mit ihm aufnehmen, ſetzte ſie hinzu und ging in die Küche.

Ich glaub 'auch nicht an Hexen, ſagte der betrunkene Schütz.

Warum nicht? ſchrieen die Bauern eifrig.

Weil mein Glas ſchon eine ganze Ewigkeit leer da ſteht und ſich nicht füllen will. Wenn's Hexenwerk gäb ', ſo müßt's von ſelber voll werden.

Der Kübler, der kaum mehr die nöthige Kraft zum Reden beſaß, obgleich er unermüdlich zu trinken fortfuhr, ſchob dem Nimmerſatt ſein Glas hin.

Jetzt möcht 'ich aber doch nächſtens aus der Haut fahren über die Hungermuck', die Einem da den ganzen Abend hinhockt! ſagte der Invalide leiſe zu ſeinem jungen Nachbar. Wenn ich doch nur auch ein Mittel wüßt ', wie man ihn fortbringen könnt', den Hallunken.

111

Da wird bald geholfen ſein, flüſterte Friedrich und wußte ſich vom Tiſch und zur Stube hinaus zu machen, ohne daß ſein Weg¬ gehen Jemand in die Augen fiel.

Der Invalide, der nichts von ſeinem Vorhaben ahnte, erdachte inzwiſchen gleichfalls einen Kunſtgriff, um den beſchwerlichen Schma¬ rotzer fortzubringen. In der Sonn 'iſt's heut' luſtig, ſagte er, der Sonnenwirth hat die Spendirhoſen an und läßt eine Flasch 'um die andere ſpringen; ich hab' gehört, er hab 'einen Fahnen auf'm Hut wehen. Friedrich hatte ihm anvertraut, daß ſein Vater den Wein etwas ſpüre und guter Dinge ſei.

Das kommt ſelten vor, daß der Sonnenwirth 'n Spitzer hat, ſagte der Müllerknecht. Wahr iſt's aber: wenn er angeſtochen iſt, dann ſpendirt er. Außerdem thut er's nicht.

Auf den Schützen wirkte die Mittheilung ſichtbar beunruhigend. Er wußte nicht recht, wie er es angreifen ſolle, um alsbaldigen Ge¬ brauch von ihr zu machen. Endlich siegte doch die Lockung über die Furcht, daß man ſeine Abſicht merken könnte. Er behauptete ſtot¬ ternd, er müſſe im Flecken nachſehen, ob keine Ungebür vorgehe, wünſchte umſtändlich gute Nacht und ſchwankte zur Thüre hinaus, wäh¬ rend der Invalide und der Müllerknecht einander heimlich anlachten.

Der hat auch ſchwer geladen, ſagte der Müllerknecht hinter ihm drein. Der hätt 'nicht noch mehr nöthig.

Kaum war er draußen, ſo kam Friedrich wieder herein. Alle Teufel! flüſterte er dem Invaliden zu, indem er ſich geſchwind wieder zu ihm ſetzte, warum habt Ihr ihn fortgelaſſen? Wo iſt er hin?

Iſt er Ihm denn nicht begegnet? fragte der Invalide, der das ſonderbare Benehmen ſeines jungen Freundes nicht begriff.

Ich hab 'mich hinter die Thür' verſteckt. Wo iſt er denn hin?

Rechts hinunter, der Sonne zu.

Ruft ihn, ruft ihn zurück! sagte Friedrich mit größter Haſt, ohne zu bedenken, daß dazu ein hölzernes Bein nicht das tauglichſte war. Es iſt zu ſpät, murmelte er in kalter Beſtürzung: gebt Acht, jetzt fliegt er.

Dem Invaliden ging ein Licht auf. Es war aber keine Zeit mehr, etwas zu erſinnen, das die Gefahr abwenden konnte, ohne den Thäter zu verrathen, denn in demſelben Augenblick erfolgte auf der112 Straße ein furchtbarer Knall, der das Haus erſchütterte. Alle ſpran¬ gen vom Tiſch auf, ausgenommen den Kübler, der ſtumm verwundert um ſich ſah. Friedrich war der Erſte, welcher hinausſtürmte, da er glaubte, unmittelbar nach dem Knall, deſſen Urſache ihm nur zu gut bekannt war, einen Schrei von einer weiblichen Stimme vernommen zu haben, der ihm das Mark durchſchnitt. Draußen ſtand der Schütz unbeweglich wie eine Salzſäule. Er überließ es den Andern, ſich mit ihm zu beſchäftigen und eilte mit klopfendem Herzen weiter. Obgleich es hell war, ſah er Niemand und wollte eben wieder umkehren, als er nicht weit von ſich ſchluchzen hörte. Er ging dem Tone nach. Im Schatten eines Hauſes ſtand ein Mädchen angelehnt, das die Hände vor's Geſicht hielt und heftig zitterte. Um Gottes Jeſu Willen! ſagte er, iſt ein Unglück geſchehen? Er eilte auf ſie zu und zog ihr die Hände vom Geſicht. Es war Chriſtine.

Hat's dir etwas gethan? fragte er verzweiflungsvoll.

Nein, es iſt nur der Schreck, antwortete ſie. Es iſt mir in alle Glieder gefahren und hat mich ſo angegriffen, daß ich weinen muß.

Gott ſei Lob und Dank! flüſterte er. Da hätt 'ich eine ſchöne Dummheit anrichten können.

So? ſagte ſie, noch immer weinend, jetzt weiß ich, wer mir das gethan hat; für ſolche Streich 'bedank' ich mich. Vor ſo einem Muth¬ willen iſt man ja ſeines Lebens nicht ſicher.

Der Brauskopf, der ſo eben noch bereit geweſen wäre, ſie fu߬ fällig um Verzeihung ſeiner unſinnigen Thorheit zu bitten, war plötz¬ lich umgewandelt. Du thuſt ja wie wenn's dich mitten aus einander geriſſen hätt ', ſagte er kalt. Sei du froh, daß dir's nichts gethan hat, und lauf' nicht 'rum bei der Nacht, dann widerfährt dir nichts.

Ich kann ja heimgehen, erwiderte ſie tiefbeleidigt. Den Gang hätt 'ich mir erſparen können. Ich will mir's merken. Gut' Nacht! Sie bog um das Haus und war verſchwunden.

Er wandte ſich trotzig und ging zurück. Die Geſellſchaft hatte indeſſen den Schützen wieder in die Wirthsſtube gebracht. Auch an ihm war die Gefahr glücklich vorüber gegangen, und nur der Knall hatte ihn Anfangs bis zur Sinnloſigkeit betäubt. Doch führte er noch etwas verwirrte Reden und verſicherte, er habe einen Geiſt geſehen, einen weiblichen Geiſt, der ihn durch den Blitz des Feuers mit großen113 Augen angeſtarrt habe. Es wurde lebendig in der Wirthſchaft. Die Schaar¬ wache kam, um vergebliche Unterſuchungen nach dem Urheber der gefähr¬ lichen Mine anzuſtellen; auch hatte der Lärm Gäſte aus anderen Wirths¬ häuſern hergelockt. Friedrich ließ Wein heraufſchaffen, zunächſt für den Schrecken, wie er ſagte, den der Schütz gehabt; aber es fanden ſich auch noch andere Abnehmer. Man ſprach und ſchrie über den Vorfall; die Einen ſchimpften auf den Thäter, die Andern lachten. Der Invalide ſpottete, daß man über einen Mordſchlag ein ſo großes Aufheben mache; in ſeinen Schlachten habe es anders gedonnert, ſagte er und machte einen neuen Verſuch, ſeine Kriegsgeſchichten zu erzählen; aber die Leute waren zu aufgeregt, um ihm zuzuhören. Gegen Friedrich wurde kein Ver¬ dacht laut; die Wenigen, die den wahren Thäter errathen hatten, wußten zu ſchweigen.

Mitten im Tumult zupfte ihn die Bäckerin am Arm und gab ihm ein Zeichen. Er folgte ihr in die Küche. Es iſt ein abſonderlicher Briefträger dageweſen, ſagte ſie und gab ihm einen Brief: Das Chriſtinele hat geſagt, es hab 'den ganzen Abend keinen Menſchen finden können, der ihm den Brief fortgetragen hätt', und in die Sonne hab 'es nicht mit ihm gehen mögen; da hab' es eben verſucht, ob das Briefle nicht hier an ſeinen Mann zu bringen wär ', und richtig, es hat keinen Metzgergang gethan. Ich bin nur froh, daß dem Kind nichts ge¬ ſchehen iſt; denn kaum iſt es fortgeweſen, ſo iſt der teufelhäftig' Knall losgegangen. Die Jugend wird immer ſchlimmer. Ich wollt ', man thät' den Malefizkerl, der den Mordschlag gelegt hat, an den Ohren kriegen und tüchtig ſchütteln, das wär 'ihm geſund.

Dem Mädle iſt nichts widerfahren, ſagte Friedrich etwas verlegen: ich hab 'draußen nachgeſehen, es iſt kein Menſch verunglückt. Was ſteht denn in dem Brief?

Weiß ich das? entgegnete ſie mit ſchlauem Lächeln: kann ich wiſſen, was ihr für Geſchäfte mit einander habt? Nun, ich will nicht neugierig ſein. Sie ging in die Stube. Friedrich erbrach mit bebender Hand den Brief und las ihn bei der trüben Küchenampel. Chriſtine bat ihn um Verzeihung und rief ihn zu ſich zurück! In ſeinem Ent¬ zücken dachte er nicht daran, daß ſeit der Ankunft dieſes Briefes ſchon wieder eine neue Wolke zwiſchen ihn und ſie getreten war, er ſtand wie von einer Flamme umgeben, drückte den Brief an's Herz undD. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 8114jauchzte laut auf. Zu gleicher Zeit erſcholl auch in der Stube ein Jauchzen und Gläſergeklirr. Die Glocke vom Thurm hatte den neuen Zeitabſchnitt zu verkündigen begonnen, der eigentlich mit jeder Se¬ cunde eintritt, der aber da, wo zugleich die Jahreszahl ſich mit ihm verändert, einen tieferen Eindruck auf den Menſchen macht, und nach alter Sitte ſtießen die Leute mit den Gläſern an und riefen einander Glück¬ wünſche auf das neue Jahr mit ſeinen noch verſchleierten Geſchicken zu.

Friedrich eilte in die Stube, ergriff ſein Glas und ſtieß mit an.

Proſit's Neujahr! rief ihm der Invalide zu. Es lebe das Jahr Siebenzehnhundert neun und vierzig! antwortete er.

Siebenzehnhundertfünfzig! ſchrie man ihm von allen Seiten ent¬ gegen, und der Rechnungsfehler wurde mit lautem Gelächter zurecht¬ gewieſen. Der will das Neujahr leben laſſen und kann nicht hinein! ſpottete Einer. Fünfzig ſchreibt man jetzt, und das zehn Jahr 'lang, mußt dich d'ran gewöhnen, ſagte ein Anderer. Kannſt nicht aus der Zahl heraus, wo das Jahrhundert in ſein Schwabenalter gekommen iſt? fragte ein Dritter.

Mag leicht ſein, ſagte Friedrich halblaut, ſo daß nur der Inva¬ lide es hören konnte: in dem Jahrzehnd, das ſich mit Vierzig ſchreibt, hat meine rechte Mutter noch gelebt, und da iſt es wohl zu begreifen, daß mir die Zahl wie eine alte Heimath iſt, aus der man nicht gern heraus mag. Alſo das Jahr Siebenzehnhundertfünfzig ſoll leben! rief er, nochmals das Glas erhebend, und in ſeinem Herzen ſetzte er hinzu: das Jahr, das mir Erſatz geben ſoll! Es war ihm, als ob er jetzt wieder eine Mutter hätte. Er hielt es nicht lange in der Ge¬ ſellſchaft mehr aus. Es war ſtill und ſanft in ihm geworden und dieſe innere Glückſeligkeit taugte nicht zu dem was um ihn her vor¬ ging. Das Lachen und Johlen nahm überhand, und zwar um ſo ungeſtörter, als die Polizei ſelbſt ſich daran betheiligte. Der Schütz, der durch den Schrecken ziemlich nüchtern geworden war, hatte die neue Gelegenheit zum Trinken nach Kräften benutzt und machte ſchon wieder Rieſenfortſchritte in der Trunkenheit. Der Kübler hatte von ſeinen fünf Sinnen keinen einzigen mehr ganz beiſammen und beluſtigte die Geſellſchaft durch die grunzenden Laute, die er von ſich gab. Bringet die Noten im Kübel her, die S will ſingen! rief der Schütz, aber während er ſich über ſeinen Genoſſen luſtig machen wollte, ſtürzte er115 auf einmal mit ſammt dem Stuhl zu Boden und ſtand nicht mehr auf. Das wilde Gelächter über dieſen Auftritt ſchallte noch lange hinter dem Flüchtling her, der die Herrlichkeit hinter ſich ließ, ohne gute Nacht geſagt zu haben.

Zu Hauſe fand er ſeinen Vater noch wach und noch immer von Geſellſchaft umgeben. Er brummte über ſein langes Ausbleiben, doch mehr, wie es ſchien, aus väterlichem Wohlwollen, daß er ſich ihm an einem ſo heitern Abend entzogen hatte, als aus Mißmuth darüber, daß er ſeiner Pflicht nicht nachgekommen war. Noch in ſpäter Stunde waren Fuhrleute angelangt; ſie fluchten wacker über den langen Auf¬ enthalt, der ihnen durch verſchiedene Zufälle und am meiſten durch den Eßlinger Zoll verurſacht worden war. Friedrich widmete ſich mit Eifer ihrer Bedienung und ihre Scherzreden bewieſen, daß er von lange her bei ihnen wohl angeſchrieben ſei. Er geht ſo leichtfüßig einher als ob er in der Luft wandeln thät ', ſagte Einer derſelben von ihm, und die Bezeichnung war richtig, denn das Gefühl, das ihn ſeit dem Empfang von Chriſtinens Brieflein beſeelte, hatte ihm gleich¬ ſam Flügel an die Sohlen geheftet.

Er ging als ein glücklicher Menſch zu Bette, trunken von Liebe und auch ein wenig vom Wein. Da er nicht ſogleich einſchlafen konnte, ſo hörte er noch den Neujahrswunſch der armen Kinder, die, mit Lichtern umherziehend, vor den Häuſern zu ſingen pflegten. Es war ein einziger Vers, der für jedes Mitglied der Familie, und wenn ſich ihre Zahl noch ſo hoch belief, beſonders wiederholt wurde Zu¬ erſt traf die Reihe den Hausvater, dann die Mutter, die Kinder, ſo viel ihrer waren, wurden jedes einzeln angeſungen, dann kamen die Mägde, dann die Knechte und ganz zuletzt, wenn der Gratulationszug vor einem Wirthshauſe hielt, die bekannteren Gäſte, die darin wohnten. Sie ſangen, als die Reihe an Friedrich kam:

Jetzt wünſchen wir auch dem Herrn Johann Frieder gut's neu's Jahr,
Ein geſundes Jahr,
Ein glücklich's Jahr,
An Fried 'und Freud' ein reiches Jahr.
Gott mach 'es wahr!
Gott gebe, daß es werde wahr!
Gott gebe, daß es werde wahr! ſprach Friedrich in ſeiner Kammer nach.
8 *116

9.

Der erſte Gegenſtand, mit welchem er ſich bei ſeinem Erwachen am Neujahrsmorgen beſchäftigte, war der Brief, der ihn geſtern Nacht ſo glücklich gemacht hatte. Er zog ihn unter dem Kopfkiſſen hervor und las ihn aber - und abermals. Dabei konnte er freilich eine Wahrnehmung, die ihm im erſten Jubel ſo gut wie entgangen war, nicht ganz unterdrücken. Der Brief war ziemlich abſcheulich geſchrieben, ſowohl was die Handſchrift als was die Rechtſchreibung betraf; jene ſtellte in Unbehilflichkeit und Verworrenheit das gerade Gegentheil von der zierlichen Geſtalt der Schreiberin dar, und die Geſetze der Rechtſchreibung hatte ſie erbar¬ mungslos mißhandelt, mit ganzen Buchſtaben gegeizt und andere am unrechten Orte verſchwendet, ſo daß man, um den Sinn des Schrei¬ bens zu verſtehen, mehr dem Laut als den Schriftzeichen nach leſen mußte. Friedrich hatte, wie bereits bemerkt, Alles gelernt, was ihm die Schule bieten konnte; ſein Vater hatte ihn nach der Confirmation noch ein Jahr lang im Hauſe des Schulmeiſters untergebracht, um den durch den Tod ſeiner Mutter meiſterlos gewordenen und im Wirths¬ haustreiben der Verwilderung anheimfallenden Knaben unter eine gleichmäßige Zucht zu bringen; und er ſchrieb ſeinen Brief oder Auf¬ ſatz, der Bildung der Zeit gemäß, ſo gut als irgend ein Anderer. Ohne Zweifel erblickten der Pfarrer und Amtmann zwiſchen ihrer und ſeiner Bildung eine breite Kluft: wenn man aber auf der heutigen Bildungsſtufe das, was von ſeiner Hand aufbewahrt worden iſt, mit den Bildungsurkunden von der Hand ſeiner Vorgeſetzten vergleicht, ſo merkt man kaum einen Unterſchied; denn man findet bei ihm nicht häufig Fehler, und auch ſie ſchreiben keineswegs ganz fehlerfrei. Da¬ gegen war ſeine Art zu ſchrieben und Chriſtinens Brief wie Tag und Nacht oder wie eine Hühnerpfote von einer menſchlichen Hand¬ ſchrift abſticht; und ſo gewiß ein warmer Körper, wenn man ihn mit kaltem Waſſer übergießt, von einer unangenehmen Empfindung be¬ fallen wird, ſo gewiß iſt es, daß ein Liebender, der einigermaßen ſchul¬117 gerecht ſchreiben kann, im höchſten Feuer ſeiner Neigung wenigſtens für einen Augenblick abgekühlt wird, wenn der Gegenſtand derſelben, den er doch bewußt oder unbewußt als etwas Vollkommenes verehrt, die Erwiderung nur in eine unſchöne und ſtümperhafte Form zu klei¬ den vermag. Aber die Liebe führt auch eine gewaltſame Begeiſterung mit ſich, welche derlei ungleiche Gefühle, ſo wie ſie aufſteigen wollen, raſch wieder zu unterdrücken weiß, zumal wo die Liebe die Blüthe ei¬ nes rauhen und kräftigen Willens iſt, der ohnehin keinen Widerſpruch duldet. Doch auch das Gewand der Demuth muß ſich dazu hergeben, den Mißton einzuhüllen: wenn der Liebende entdeckt, daß ſein Inbe¬ griff aller Vollkommenheit auch einige Unvollkommenheiten in ſich mit¬ begreift, ſo beruhigt er ſich bei dem Zugeſtändniß, daß ja auch er nicht ganz untadelhaft ſei und folglich nicht das Recht habe, von ſeiner Ge¬ liebten vollendete Mangelloſigkeit zu verlangen; und dieſe Beruhigung dauert mit beſonderer Feſtigkeit ſo lange als die Sehnſucht nicht er¬ füllt iſt, ſo lange das friſche Geſicht und die reizende Geſtalt noch als etwas Vorenthaltenes vor der Seele des Sehnenden ſchweben. Zudem liest ein Liebender nicht bloß den Schriftzeichen und dem Laute nach, er liest vornehmlich auch mit dem Herzen, und dieſem ſagte das hübſche junge Mädchen in ſeinem armen ſchlechten Briefe ſo herzliche und liebreiche Worte, daß die kleine Abkühlung bald wie¬ der der zurückkehrenden erſten Flamme weichen mußte.

Chriſtinens Brief iſt in Folge von Begebenheiten, zu welchen wir bald gelangen werden, noch jetzt vorhanden; er lautet in verſtändliches Deutſch umgeſchrieben ſo:

Geliebter Schatz, es iſt mir von Herzen leid, daß ich dich ſo er¬ zürnet habe, ich bitte dich, verzeihe es mir wieder, ich will's nimmer thun. Wenn es ſein kann, ſo komm du noch einmal zu mir, daß ich mündlich mit dir reden kann. Weiter weiß ich nicht zu ſchreiben, als daß du ſeieſt von mir zu tauſendmal gegrüßt und in den Schutz Got - tes befohlen. Ich verbleibe dein getreuſter Schatz bis in den Tod. Meinen Namen will ich nicht nennen, wenn du mich lieb hast, wirſt du mich wohl kennen. Datum dieſen Tag. Nehme fürlieb mit dieſer ſchlechten Handſchrift, ich kann vor Traurigkeit nicht beſſer ſchreiben.

Gelieder Satz, du ſeie von mir zu tauſendmal geſchriet und in den Sutz Gottes befohlen! wiederholte Friedrich halb entzückt halb118 lachend, als wär 'das Mädchen gegenwärtig und müßte ſich wegen ihres ſchülerhaften Schreibens von ihm necken laſſen. Dabei machte er eine Bewegung, wie wenn er ihre gelben Zöpfe faſſen wollte, einer Glockenſchnur ähnlich, an der man läutet, damit oben jemand zum Fenſter herausſehe, um nachbarlichen Verkehr zu Pflegen oder ein Almoſen zu ſpenden.

Mitten in dieſen zärtlichen Träumereien fiel es ihm jedoch ein, daß er die Schreiberin des Briefes für ihre doppelte Mühe gar ſchlecht belohnt habe. Er hatte ihr mit harten Worten ihr nächtliches Um¬ herſtreichen vorgeworfen, deſſen Zweck doch nur der geweſen war, ihre ſchlechte Handſchrift an den rechten Mann zu bringen, und während ſie alle ihre wirklichen oder vermeintlichen Sünden durch ein Entgegen¬ kommen, das ihn zu Dank verpflichten ſollte, gut zu machen bemüht war, hatte er das ſo vielen Störungen ausgeſetzte Verhältniß plötzlich wieder auf den alten Traurigkeitsfuß zurückgeſchleudert. Und zwar hatte er ſich dies zu Schulden kommen laſſen in einem Augenblick, wo er durch einen unverzeihlichen Knabenſtreich, der gar nicht zu ſeinen auf ein ehrbares Hausvaterthum gerichteten Abſichten paßte, das Leben ſeiner Geliebten in Gefahr gebracht hatte. Seine Reue war eben ſo ungeſtüm wie der Ausbruch ſeines Zornes geweſen war, und er ſchlug ſich mit Macht vor die breite Stirne, hinter welcher der Wein von geſtern Abend eine dumpfe Wolke zurückgelaſſen hatte, ſo daß die zwiefache Buße des Leibes und der Seele zuſammentraf. Nachdem er ſein ſchuldhaftes Ich mit einer Fluth nicht eben gelinder Schimpf¬ worte überſchüttet, tauſend Gelübde der Beſſerung wiederholt und auf dieſe Weiſe in figürlichem Sinn ſich ſelbſt den Kopf gewaſchen hatte, ging er in den Hof hinab, um dieſes Bad am Brunnen in körperlicher Handlung zu wiederholen. Bald fühlte er ſich auch ſo erfriſcht, daß er ganz munter mit den Knechten und Mägden ſcherzte.

Kaum hatte er ſich aber dieſe Selbſterleichterung von der Beſchwerde des Körpers und den Vorwürfen der Seele verſchafft, ſo überfiel ihn das Bedenken, ob auch Chriſtine ihn ſo ſchnell zu abſolviren geneigt ſein werde. Alle Zurückweiſungen, die er von ihr hatte erdulden müſſen, kamen ihm wieder in den Sinn, und der Gedanke, daß ſie ihn heute heimgehen heißen könnte, wie er ſie geſtern heimgeſchickt hatte, erfüllte ihn, nach der kurzen Anwandlung von Heiterkeit, plötzlich mit Wuth119 und Verzweiflung. Im erſten Augenblick entſchloß er ſich trotzig zum Dableiben, als ob ſie ihm den gefürchteten Schimpf bereits angethan hätte; im nächſten trieb ihn ſein kochendes Herz wieder zum Gehen an. Aus dieſen blitzſchnell und gewaltſam abwechſelnden Empfindun¬ gen der heftigſten Leidenſchaft und des mißtrauiſch aufgeregten Stolzes entſprang endlich eine Liebeserklärung, die keiner Anleitung zur Kunſt des Liebens entnommen war, auch keineswegs ein Muſter in derſelben genannt zu werden verdient, aber als eine glaubwürdig überlieferte und ihren Helden ſcharf zeichnende Begebenheit nicht verſchwiegen wer¬ den darf.

Daß er Chriſtinen dieſen Vormittag allein zu Hauſe finden würde, hatte ihm ihr Brief klar geſagt, obgleich es nicht mit Worten darin zu leſen ſtand: denn wozu würde ſie ſich geſtern Nacht ſo viele Mühe gegeben haben, den Brief noch in ſeine Hände zu bringen, wenn ſie nicht ſicher geweſen wäre, daß die Ihrigen am Neujahrsfeſte alle in die Kirche gehen würden.

Die Glocke hatte ſchon das zweite Zeichen geläutet, als er die Sonne verließ und mit einer Bedächtigkeit, welcher man ſeinen innern Zuſtand nicht angeſehen haben würde, verſchiedene Seitengäßchen ein¬ ſchlug, um möglichſt wenigen Kirchengängern zu begegnen. Und doch konnte er ſich überall ſehen laſſen: in dem neuen Rock von dunkelblauem Tuch mit großen Knöpfen und in den kurzen Beinkleidern von ſchwarzem Sammt die hirſchledernen, über die er gegen den Zigeuner geſcherzt hatte, waren ſeit Weihnachten verbannt trat ſeine gedrungene Geſtalt ſtattlich hervor; das ſcharlachene Bruſttuch (Weſte) paßte zu dem Stahl und Meſſer, die er in den Gürtel geſteckt; der Dreiſpitz auf dem Kopfe gab dem jugendlich kräftigen Geſicht ein unternehmendes Ausſehen, und die weißen Strümpfe über den Schnallenſchuhen umſchloßen ein derbes Paar Beine, auf welchen der Mann im Vollgefühl der Jugend wie auf fe¬ ſten Säulen wandelte. Er wandte 'ſich dem Felde zu, wo er zu dieſer Stunde auf niemand treffen konnte und wo die dicht fallenden Schnee¬ flocken die Spuren ſeiner Tritte ſchnell wieder ausfüllten. Die Glo¬ cken läuteten zuſammen; als ſie ſchwiegen und die Orgel einfiel, die man bis auf's Feld heraus hörte, lenkte er die Schritte zu des Hirſch¬ bauern Haus. Er fand die hintere Thür angelehnt, verſchmähte es aber, ſich derſelben zu bedienen, ſondern ſtieg die außen an der Seite120 emporführende Treppe hinauf, welche den rechtmäßigen Eingang ins Haus gewährte. Im Hinaufſteigen konnte er durch das Fenſter ſehen, und ſeine Auslegung der nächtlichen Briefträgerei hatte ihn nicht ge¬ täuſcht, denn Chriſtine ſaß allein in der Stube und las, ſo ſchien es wenigſtens, ganz vertieft im Geſangbuch, auf deſſen aufgeſchlagener Seite ein Blättchen mit einem flammenden, von einem Schwert durch¬ ſtochenen Herzen eingelegt war.

Sie mußte jedoch nicht ſo vertieft geweſen ſein als ſie ſcheinen wollte, denn als er zur Thüre eintrat, ſaß ſie nicht mehr am Tiſch, ſondern ſtand aufrecht mit dem Buch in der Hand; allein ſo eifrig ſie darin zu leſen ſchien, ſo zeigte ſich doch in ihren Mienen eine Span¬ nung und Bewegung, welche deutlich verrieth, daß ihre Gedanken ganz anderswo als bei einem geiſtlichen Liede waren. Sie war ihm nie ſo ſchön vorgekommen: ihr helles Geſicht, obgleich heute nicht ſo roth¬ wangig wie ſonſt, blinkte von Morgenfriſche, und die gelblich blonden, ſtreng geſcheitelten Haare umſchloßen es mit einem freundlichen Rahmen; ein feuchter Schimmer ſchwamm in den niedergeſchlagenen Augen; durch das ſchwarze Geſangbuch, das in den gefalteten Händen ruhte, erhielt das gleichfalls ſchwarze Wamms, das ſonſt ein alltäglicher An¬ blick iſt, etwas Feierliches, das den lockenden Reiz der Erſcheinung dämpfte; das ärmliche Unterkleid war von einer reinlichen weißen Schürze beinahe ganz zugedeckt.

Sein Herz klopfte, während er im langſamen Eintreten die lieb¬ reizende Geſtalt mit den Augen verſchlang. Iſt's erlaubt? ſagte er, an der Thüre ſtehen bleibend.

Ich kann's nicht verwehren, antwortete ſie und ihre Augen ver¬ irrten ſich von dem Liede, aber nicht weiter als bis an den Rand des Buches.

Sie trutzt mit mir, dachte er.

Beide ſchwiegen geraume Zeit ſtille, dann begann er wieder: Ich hab 'glaubt, wenn man Einen einlade, ſo vergönne man ihm auch ein gutes Wort. Wird ja Einer nicht vor Amt geladen, ohne daß man ihm dort eröffnet, warum er vorgeladen iſt.

Das iſt auch meine Abſicht geweſen, ſagte Chriſtine, aber wie ich den Brief geſchrieben hab 'und bei Nacht ausgetragen, weil ich meine Brüder nicht hab' drum wiſſen laſſen wollen, und hab 'nicht früher121 fortkommen können als bis Alles im Bett geweſen iſt, da hab' ich nicht gewußt, daß es mir ſo aufgenommen wird und ſo ausgelegt. Es iſt mich ſauer genug ankommen, denn ich hab 'mir wohl ſagen können, daß ſich ſo etwas nicht ſchickt. Deswegen bin ich nun auch bitter geſtraft dafür, und ſeh's jetzt vollends ganz ein, daß ich's hätt' nicht ſollen thun.

Der Brief gilt alſo nichts? fragte er.

Sie ſah in ihr Geſangbuch ohne zu antworten. Abermals folgte ein langes Stillſchweigen.

Wenn's ſo ſteht zwiſchen uns, hob er wieder an, ſo hätt 'ich auch können daheim bleiben.

Sie legte das Buch auf den Tiſch. Es iſt nicht meine Schuld, ſagte ſie. Ich hab's ja nicht ſo haben wollen. Aber ich möcht 'mich an Keinen hängen, der ſchlecht von mir denkt und mich eine Nacht¬ läuferin heißt. Ich hab' noch Niemand Anlaß geben, etwas Unrecht's von mir zu glauben, am allerwenigſten Sie ſtockte, denn das Du wollte ihr nicht über die Lippen.

Hab 'ich denn wiſſen können, daß du meinetwegen unterwegs biſt? rief er.

Das iſt gleichviel, erwiderte ſie. Niemand hat das Recht, wenn er mich auch bei der Nacht antrifft, mir das 'Rumlaufen vorzurücken, und das auf eine Art, daß man wohl verſteht, wie's gemeint iſt. Ich bin noch Keinem nachgelaufen und werd' auch Keinem nachlaufen mehr.

Nun ja, verſetzte er, wenn ich gewußt hätt ', was für einen Boten¬ gang du thuſt, ſo hätt' ich ja gewiß nichts dergleichen geſagt.

Das glaub 'ich, bemerkte ſie, unmuthig über dieſe leichte Ent¬ ſchuldigung.

Jetzt laſſ 'es aber gut ſein! rief er auf ſie zugehend. Bis du austrutzt haſt und auspredigt, iſt der Pfarrer mit der Predigt auch zu End'.

Nicht ſo geſchwind! rief ſie und wich raſch vor ihm zurück.

So? da kann ich alſo heimgehen? ſagte er, erbittert über den ernſtlichen Ton, mit dem ſie ihn zurückgewieſen hatte.

Sie gab keine Antwort.

So kann's nicht zwiſchen uns fortgehen! rief er, allmählich wild werdend. Jetzt ſag's grad '' raus und laſſ 'mich nicht lang warten: wie haſt's mit mir?

122

Ich weiß nicht, ſagte ſie, ich glaub ', wir taugen nicht recht zu¬ ſammen, wir zwei Beide. Ich will nicht von den vielen Haken reden, die die Sach' hat und die mich ſchon oft traurig gemacht haben. Aber wer mein Schatz ſein will, der darf mich nicht ſo anfahren und darf mich nicht gleich beſchuldigen, daß ich auf unrechten Wegen ſei, eh 'er ſich nur Zeit nimmt die Augen aufzuthun. Wenn Einer auf ſeinen Schatz nichts hält, ſo thut's nicht gut zwiſchen ihnen. Mein Vater und meine Mutter ſind oft hart gegen mich; wenn mein Schatz auch ſo wär', was hätt 'ich dann gewonnen? Mit meinem Schatz will ich ein beſſeres Leben führen oder lieber will ich bleiben wie ich bin. Es iſt mir ohnehin nicht ſo beſonders drum zu thun; ich kann allein ſein, und ich glaub', ich will's auch.

Obgleich er ſich geſtehen mußte, daß das Mädchen vollkommen Recht habe, und obgleich ſie ihm in dieſem Augenblicke mit ihrer gan¬ zen Art zu denken und zu reden unſäglich gefiel, denn das war nicht mehr das ſchüchterne kindiſche Weſen, das andere Leute für ſich reden ließ, ſo geſtattete ihm doch ſein ſtarrer Trotz nicht, aus ihren Worten etwas Anderes als einen bittern Beſcheid herauszuleſen. Wenn man mir ſo ausbietet, ſagte er, dann will ich nicht überläſtig ſein.

Sie ſchwieg ohne aufzublicken.

Es iſt alſo Ernſt? wiederholte er. Ich ſoll gehen?

Wer mir's ſo macht, den werd 'ich nicht bleiben heißen, ant¬ wortete ſie entſchloſſen, aber zugleich drangen ihr die Thränen in die Augen.

Nein! rief er wild und die ſeinigen rollten, während er das Meſſer zog. So geh 'ich nicht fort! Hier auf dem Platz muß es ſich zwi¬ ſchen uns entſcheiden. Sag' Ja oder Nein, willſt du mich oder willſt mich nicht? Wenn du mich willſt, ſo verſprech 'ich dir, daß dergleichen Dummheiten, wie geſtern Nacht, von nun an nicht wieder vorkommen ſollen, du biſt ohnehin ganz allein Schuld daran geweſen, weil du mich ganz wild und falſch gemacht haſt die Zeit daher, und unartig will ich auch nicht mehr gegen dich ſein, will dich vielmehr auf den Händen tragen und ein Leben mit dir führen, daß ganz Ebersbach ein Exempel dran nehmen ſoll. Willſt du mich aber nicht, ſo verzeih' mir's Gott, du kommſt nicht lebendig von der Stell '. Sieh' das Meſſer hier, das bis jetzt bloß unvernünftigen Geſchöpfen den Lebens¬123 faden abgeſchnitten hat, das ſoll dann ein edlers Blut trinken. Sag 'Nein, und ich ſtech' dir's ins Herz, ich treff 'gut, darauf kannſt dich verlaſſen, und das auf den erſten Stoß. Der zweite dann, der gilt mir, denn wenn du nicht mein werden willſt, ſo ſoll dich auch kein Anderer haben, und wenn du todt biſt, ſo will ich auch nicht mehr leben. Dich will ich, auf der ganzen weiten Welt nur dich, und wenn das nicht ſein kann, ſo iſt es zu dieſer Stunde mit uns bei¬ den aus.

Chriſtine war einen Augenblick ſtarr und bleich vor Schrecken da¬ geſtanden, wie er mit dem funkelnden Meſſer auf ſie zuſchritt. Bald aber änderte ſich ihr Geſicht. Im Gegenſatz zu ihm, der in ihren Reden nur Bitterkeit fand, ſog ſie aus den ſeinigen nur den Honig heraus. Aufgelöſt durch das Uebermaß von Feuer und Liebe, das aus dieſer fürchterlichen Liebeserklärung hervorbrach, und ohne ſich durch die rohe, gewaltthätige Beimiſchung von neuem abſtoßen zu laſſen, warf ſie ſich ihm, als er geendet hatte, ſo heftig an den Hals, daß ſie ihm kaum noch Zeit ließ, die Spitze des Meſſers zu wenden. Er ſchleuderte es raſch zu Boden, während ſie ihn mit beiden Händen umklammerte. Stich zu, wenn du das Herz haſt! rief ſie laut weinend. Er ſchlug die Arme um ſie und drückte ſie feſt ans Herz. Sie machte die eine Hand los und hielt ſie ihm vor die Augen. Da ſieh, du blinder Heſſ ', du ungläubiger Thomas, ſagte ſie unter dem Weinen lachend, wie kannſt du ſo an der Wand hinauffahren und ſo ruchlos Zeug machen, ſiehſt denn nicht, daß ich deinen Ring am Finger hab', ſeit du da biſt? Ich hab 'dir doch vorher müſſen ein wenig ſchandlich thun, du unartiger Bub' du!

Iſt's wahr? rief er. Willſt mein ſein? Sag's noch einmal.

Meinſt du's auch ehrlich mit mir? fragte ſie, indem ſie den Kopf aufhob und ihm in die Augen ſah.

Er ſchwur es mit tauſend Eiden, wovon einer den andern an Kraft und Derbheit übertraf. Biſt jetzt mein? fragte er dann abermals.

Ja! ſchrie ſie unter dem Druck ſeiner Arme, die ſie wie eiſerne Klammern preßten.

Ganz mein?

Ganz! Du kannſt mich ſieden oder braten, nur erſtick 'mich nicht.

124

Er ließ ſie einen Augenblick los, aber nur um ſie im nächſten deſto feſter in die Arme zu faſſen, und die Sinne vergingen ihr un¬ ter dem Ungewitter der Leidenſchaft, das über ſie losbrach. Es war als ob der Pfarrer mit den Liebenden im Bunde wäre, denn ſeine heutige Neujahrspredigt ſchien die längſte werden zu wollen, die er je gehalten hatte.

Jetzt will ich gern ſterben, ſeufzte Friedrich, als er aus dem Rauſche des Entzückens endlich wieder zu ſich kam. Noch einmal will ich dir's geſchworen haben, daß ich nimmer von dir laſſen will, was auch kommen mag, und will dir treu ſein bis in den Tod.

Du mußt jetzt nicht vom Sterben reden, ſagte ihm Chriſtine leiſe ins Ohr, indem ſie den Kopf verſchämt an ſeine Schulter lehnte, ich hab's jetzt doppelt nöthig, daß du für mich lebſt.

Ja, ich will, und Müh 'will ich mir geben, daß ich immer den richtigen Weg geh' und daß du keine Unehr 'von mir haſt und keine Sorgen um mich. Gelt, das iſt doch eigentlich Urſach' geweſen, daß du dich ſo lang beſonnen haſt? Geſteh's nur frei heraus, ich nehm's dir nicht übel.

Nein, ſagte ſie, ich hab 'mich nie zum Richter über dich aufge¬ worfen, und hab's ja wohl gewußt, wie gut du biſt, und daß in dei¬ nem Herzen kein fauler Butzen iſt und kein falſcher Blutstropfen in deinen Adern. Meinſt du denn, ſonſt hätt' ich dir ſo getraut?

Warum haſt du mich dann aber ſo lang zappeln laſſen und haſt mir ſo viel böſe Stunden gemacht?

Ei, bin ich's nicht werth, daß du dich ein wenig um mich haſt verleiden müſſen?

Freilich biſt du's werth. Ich mein 'nur, wenn du ſo große Stück' auf mich hältſt, wie ich's in meinen Augen nicht verdien ', und haſt zugeſehen, wie ich mich verleiden muß, ſo haſt du ja dir auch eine Qual mit angethan. Und haſt du nicht ſelber geſchrieben, du ſeieſt ſo traurig, daß du vor lauter Leid ſchier nicht ſchreiben könneſt?

O du! ſagte ſie und ſchlug ihn mit dem Finger auf die Lippen.

Ich will den Baum nicht loben, der auf den erſten Streich fällt, aber du haſt mir's doch ein wenig gar zu arg gemacht, haſt mich ja am ewigen Feuer braten laſſen. Hätteſt's dir ſelber nicht zu Leid125 thun ſollen. Jetzt ſag's nur: warum biſt ſo unbarmherzig geweſen gegen mich und dich?

Ich kann's nicht ſagen, kicherte Chriſtine wie damals, als ſie ſich im Bäckerhauſe hinter dem Ofen verſteckte.

Ich küſſ 'dich ſo lang bis du's ſagſt, denn ich merk' jetzt ſchon, daß es was zu bedeuten hat.

Da kannſt lang küſſen.

Oder ich drück 'dich bis dir der Athem ausgeht.

Dann ſterb 'ich in deinem Arm.

Wart ', ich will dir ſchon zeigen, wer Herr iſt. Willſt du Daumen¬ ſchrauben kennen lernen?

Kaum hatte er ihre Finger etwas zwiſchen den ſeinigen gepreßt, ſo ſchrie ſie: Halt! laß nach! ich will ja Alles geſtehen! Sie legte den Mund an ſein Ohr und ſagte: Sieh, meine Mutter hat zu mir ge¬ ſagt, wenn ich einen dummen Streich mache, ſo ſchlage ſie mir alle

Glieder entzwei, und

Ja? Und?

Ach, du brauchſt nicht Alles zu wiſſen.

Er erhaſchte ihre Finger und wiederholte die vorige Folter. Und damit's nicht zu dem kommen ſoll, was mir meine Mutter gedroht hat, bekannte ſie ſtöhnend und lachend zugleich, hab 'ich dich und mich ſo plagen müſſen.

Er lachte aus vollem Herzen. So? ſagte er, du haſt alſo ſo ein gut's Zutrauen zu mir gehabt, daß du gleich gedacht haſt, du werdeſt dich bei mir vor einem dummen Streich nicht behüten können?

Ach, ich hab 'dich eben von Anfang an ſo lieb gehabt, du böſer Bub' du!

O du mein lieb's Weible du! rief er, indem er ſie in ſeine Arme zog und ihren Kopf an ſein Herz legte.

Aber das hör 'ich gern! rief ſie. Das thut mir wohl! O, ſag' noch einmal ſo!

Mein lieb's Weible! Und jetzt will ich dich auch recht um Ver¬ zeihung bitten, daß ich dir's ſo wüſt gemacht hab ', abſonderlich geſtern Nacht, wo du meinetwegen ausgeweſen biſt und ich dir noch ſchnöde Reden dafür geben hab'. Gelt, du verzeihst mir's? Sieh, es iſt mir von ganzem Herzen leid.

126

So, jetzt kommſt endlich, du Hinterfürhühnle? Haſt Urſach 'ge¬ nug gehabt, das gleich zu ſagen, aber der hochmüthig' Herr hat ſich nicht 'runtergeben wollen.

Ja ſieh, um Verzeihung bitt 'ich niemand als einen recht guten Freund, und von dir hab' ich vorhin noch nicht gewußt, ob du Freund oder Feind mit mir biſt.

O geh 'du! du haſt wohl gewußt, daß ich dir nicht feind bin. Aber gelt, jetzt glaubſt, daß du den beſten Freund auf der Welt an mir haſt?

Er betheuerte ihr dieſen Glauben mit wiederholten Liebkoſungen.

Was haſt denn zu meinem Brief geſagt? fragte ſie nach einer Weile. Gelt, du haſt gewiß geſagt: jetzt kriecht ſie endlich zu Kreuz?

Ich hab 'denkt: ſo, jetzt iſt ſie endlich in ſich gangen und bereut's, daß ſie ſo unchriſtlich geweſen iſt und ſich und mir das Leben ſo ſauer gemacht hat.

Was nicht ſauret das ſüßet auch nicht. Aber was haſt du denkt, daß ich ſo wüſt geſchrieben hab '? Ich hab's ſchier im Finſtern thun müſſen.

Schreib du wie du willſt, mir iſt Alles recht, was du ſchreibſt. Wirſt's ſchon noch beſſer lernen bis du Sonnenwirthin biſt, und die Rechnungen und Geſchäftsbriefe kann ich ja einmal ſelber ſchreiben.

Ja, das glaub 'ich, daß es noch eine gute Zeit anſtehn wird, bis ich Sonnenwirthin bin.

Nun ja, du wirſt doch meinem Vater nicht um den Tod beten.

Gott behüt 'und bewahr' mich! rief Chriſtine eifrig. Gelt, das iſt nicht dein Ernſt? Nein, ich gönn 'ihm und wünſch' ihm noch ein langes Leben

Und Enkel genug?

Sie ſchlug ihn auf den Mund. Ich hab 'nur ſagen wollen, es wird noch manches Wäſſerlein den Bach hinunter laufen, bis man uns zuſammenläßt. Ach, ich bin eben ein gering's Mädle und von armen Eltern, und die deinigen ſind reich und hoffährtig; du kannſt's dir ſelber ſagen, daß es da nicht ſo ganz glatt gehen wird. Mir ſelber geht auch viel ab, was zu dem Stand gehört. Wiewohl, ich will dir verſprechen, daß ich's an nichts fehlen laſſen will, und nichts ver¬ ſäumen, was ich noch lernen kann. Aber wenn auch du vielleicht mit127 einem ſolchen Verſprechen zufrieden biſt, ſo iſt's dein Vater noch lang nicht, denn der ſieht noch auf ganz andre Eigenſchaften.

Er ging mit ſtarken Schritten vor ihr in der Stube hin und her. Ich will dir nichts vormachen was nicht wahr iſt, ſagte er. Ich kann zwar im jetzigen Augenblick, glaub 'ich, viel auf meinen Vater bauen, aber ſo leicht wird's nicht gehen, daß ich ſagen kann: ich darf nur blaſen. Er wird vielleicht ein wenig aufgucken, wenn ich ihm ſag' was ich vorhab '; ſein Leibſtückle iſt's nicht, denn das hat einen andern Klang. Wir müſſen uns alſo darauf gefaßt machen, daß man uns ein paar Berg' in Weg wirft, und falſche Zungen können auch da¬ zwiſchen kommen. Aber, wie geſagt, ich ſteh 'jetzt mit meinem Vater ſo, daß ich hoffen kann, wenn er meinen Ernſt ſieht, ſo gibt er nach. Die Hauptſach' aber iſt: ich hab 'dich lieb, und will dich, und mir biſt du recht, und darum mußt auch allen Andern gut genug ſein. Ich will doch ſehen, wer mir das über den Haufen wirft, was ich mir einmal fürgenommen hab'. Ich bin feſt überzeugt und weiß ganz gewiß, wenn ein Menſch ſeinen Willen ernſtlich auf etwas ſetzt, und es iſt nichts Unrecht's, ſo führt er's auch durch. Ich aber hab 'mei¬ nen Sinn feſt darauf gerichtet, daß du mein Schatz und mein Weib werden ſollſt, und wie ich meinen Willen bei dir erreicht hab', ſo werd 'ich ihn bei meinen Eltern und bei den deinigen erreichen.

Chriſtine beruhigte ſich oder beſchwichtigte wenigſtens ihre Unruhe im Anſchauen und Anſchmiegen an ihren Freund. Er gefiel ihr gar zu gut; er kam ihr ſo männlich vor und war unter dem zuverſicht¬ lichen Reden gleichſam gewachſen.

Nun haſt du mein Herz und meine Hand und meinen Eid, fuhr er fort. Jetzt mußt du mir aber auch verſprechen, daß du mir treu ſein willſt, denn ich muß dir nur geſtehen, das 'Rumſchwanzen und Luſtigthun mit den ledigen Burſchen auf'm Tanzboden, das muß jetzt ein End' haben, und die Huſarentänz 'im Karz ſtehen mir auch nicht an.

Was, Huſarentänz '? Ich weiß nicht, was du willſt. Seit wir nicht mehr gut mit einander geſtanden ſind, bin ich gar nicht in Karz kommen, und daß ich ſelbigsmal auf den Tanzboden gangen bin, da s hätt' dir doch dein Herz ſagen ſollen, warum das geſchehen iſt.

Du haſt ja aber gar nichts mit mir gemacht. 128Hätt 'ich kommen und vor dich hinknieen ſollen?

Aber gelacht und geſchwätzt haſt mit den Andern, wie wenn ich gar nicht da wär '.

Ich hab 'doch nicht ſchreien und heulen können, wiewohl mir das nah' genug geweſen iſt; es iſt mich ſchwer ankommen, mich ſo zu ver¬ ſtellen, nachdem ich hingangen bin bloß um dich zu ſehen, und du gar nichts von mir gewollt haſt.

Und unter den Karzgängerinnen, die geſtraft worden ſind, biſt du nicht?

Sie wußte von nichts. Er mußte ihr den Vorgang erzählen. In ihrem abgelegenen Häuschen hatte ſie von der Geſchichte gar nichts gehört.

Jetzt iſt's recht, ſagte er lachend. Aber jetzt möcht 'ich erſt ein¬ mal den Huſarentanz von dir ſehen. Wie, mach' mir ihn einmal vor.

Sie ſah ihn mit großen Augen an. Sag 'das nicht noch ein¬ mal, entgegnete ſie ernſthaft. Es wär' mir leid, wenn's dein Ernſt wär '!

Nein, ſagte er und nahm ſie in die Arme, ich hab 'dich bloß ein wenig necken wollen. Ich hab' dich lieb und werth, und verlaß dich drauf, daß ich dich immer in Ehren halten werd '. Aber das mit den ledigen Buben, das haſt du mir noch nicht verſprochen.

Du wirſt mich noch bös machen! ſagte ſie. Was will ich von den ledigen Buben! Aber ich will dir's ſchwören, damit die arm 'Seel' Ruh 'hat. Da, ſieh, ich ſchwör's! und jetzt wollen wir ſehen, wer ſeinen Eid am längſten hält, du oder ich.

Auch er gab ſich nun ſeinerſeits zufrieden. Sie plauderten zu¬ traulich mit einander und malten ſich ihr künftiges häusliches Leben aus, wobei es nicht an Scherzen und Neckereien fehlte. Während ſie ſo Arm in Arm in der Stube herumgingen, rief Chriſtine auf ein¬ mal: Hu, wie kalt geht's an mich hin! was iſt denn das? Auch er empfand jetzt den kalten Luftſtrom und beide unterſuchten woher der¬ ſelbe komme. Eine von den runden Fenſterſcheiben fehlte und durch die offene Lücke drang die kalte Winterluft ins Zimmer. Das iſt vor¬ hin nicht geweſen! rief Chriſtine erbleichend. Sieh 'nur, da liegen die Glasſcherben auf der Bank! Herr Jeſus, da iſt Jemand vor dem Fenſter geweſen und hat uns zum Schabernack die Scheib' eingedrückt. Ich hab 'doch nichts gehört. Ich auch nicht, ſagte er, den Thatbeſtand129 in ſtummer Beſtürzung prüfend. Wir ſind verrathen! rief ſie wei¬ nend und verbarg das Geſicht an ſeiner Bruſt. Sei ruhig, der Wind wird's gethan haben, ſagte er; aber er ſelbſt war keineswegs ſo ruhig als er ſchien, denn er hatte noch eine andere Entdeckung gemacht, die Chriſtinens Argwohn nur zu ſehr beſtätigte. Auf den Staffeln der Außentreppe waren im Schnee friſche ſcharfe Fußſtapfen wahrzunehmen. Dies konnten nicht ſeine eigenen ſein; denn zur Zeit ſeines Kommens hatte es ziemlich ſtark geſchneit und ſeine Tritte mußten daher bald wieder verwiſcht worden ſein. Es war ihm kaum zweifelhaft mehr, daß, nachdem es zu ſchneien aufgehört, jemand ſich die Stiege herauf¬ geſchlichen und die Scheibe eingedrückt habe, worauf der Thäter wahr¬ ſcheinlich in der Meinung, durch das Klirren der Gläſer in der Stube einen Schreck erregt zu haben, ſchnell wieder entflohen war. Von dieſer Wahrnehmung aber theilte er Chriſtinen nichts mit; vielmehr ſuchte er ſie, als ſie ihn darauf aufmerkſam machte, daß ja gar kein Wind gehe, auf den Glauben zu bringen, die Katze werde es gethan und vielleicht von außen durch das Fenſter hereingewollt haben. Dies war jedenfalls ein annehmbarer Grund, wenn die Eltern bei ihrer Heimkunft der Sache nachfragten, und er hieß ſie inzwiſchen das Loch mit einem Tuch verſtopfen.

Sie waren noch im Reden und Rathen über den Vorgang be¬ griffen und Chriſtine hatte ihre Verſtörung noch keineswegs überwun¬ den, als die große Glocke auf dem Thurme anſchlug. Horch, die Betglock '! rief ſie, die Kirch' iſt aus, jetzt mach 'daß du fortkommſt!

Sie küßten und herzten einander, während Chriſtine ihn beſtändig forttrieb.

Heut 'Abend kommen wir zuſammen, nicht wahr? ſagte er.

Ja, ſobald meine Leut 'im Bett ſind, und das iſt ziemlich früh.

Ich treff dich hinterm Haus und dann ſpazieren wir ins Feld〈…〉〈…〉

Der Boden iſt beſtreut. Meinſt nicht, es werd 'dir zu kalt ſein?

Mich friert's nicht, wenn ich bei dir bin, aber jetzt mach 'dich fort.

Sie wollte ihn bereden, das Haus durch die hintere Thüre zu verlaſſen. Nein, ſagte er, vorn wo ich herein bin, da will ich auch wieder hinaus. Ich red 'ohnehin nächſter〈…〉〈…〉 Tag' ganz frei und offen mit deinen Eltern.

D. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 9130

Laß 'es nur noch ein wenig anſtehen, ſagte ſie, es iſt mir ſo angſt.

Und wenn ſie fragen ob jemand unter der Kirch 'bei dir geweſen ſei, ſo ſag'ſt ohne Weiters ja, ich ſei dageweſen.

Sie verſprach Alles und trieb ihn wiederholt zur Eile an, ſo daß er, als ſie ſich von einander losrißen, noch lange nicht genug geküßt zu haben meinte.

Er hatte ſeinen guten Grund, das Haus auf der Vorderſeite zu verlaſſen. Es ſollten nicht doppelte Fußſtapfen hinterbleiben, die viel¬ leicht ein endloſes Gewirr von Vermuthungen wach gerufen haben würden. Er trat ſorgfältig in die vorhandenen Spuren und folgte ihnen, um auf dieſe Weiſe etwa herauszubringen, wer vor dem Fen¬ ſter geweſen ſein möchte. Die Spuren führten an den äußerſten Häuſern des Fleckens hin und dann kreuz und quer durch einige Gä߬ chen, wo ſie ſich aber bald mit andern Fußſtapfen vermiſchten. Er mußte ſeine Nachforſchung als fruchtlos erkennen und ging kopfſchüt¬ telnd ſeines Weges. Die Leute kamen eben aus der Kirche. Er konnte es nicht vermeiden, manchem verwunderten und neugierigen Blick zu begegnen; da er ſich aber ruhig in den Zug miſchte, ſo brachte dies Viele, die ſich mehr mit Anhörung der Predigt als mit Muſterung der Zuhörer beſchäftigt hatten, auf den Glauben, daß er gleichfalls aus der Kirche komme.

10.

In der Sonne wurde der Neujahrstag mit einem Familieneſſen gefeiert. Die beiden Schwiegerſöhne hatten ſich mit ihren Frauen nach der Kirche zur Gratulation eingefunden und blieben nach hergebrachter Weiſe zu Tiſche da. Als Friedrich nach Hauſe kam, fand er ſchon die ganze Familie verſammelt. Da muß irgendwo ein Rädle gebro¬ chen ſein, dachte er, denn der Empfang war in der That ein ſehr wunderlicher. Der Chirurg wußte ſeinem Geſicht einen gewiſſen verlegenen Ausdruck zu geben; der Handelsmann, ein kugelrundes Figürchen in hellgelbem Rock, himmelblauer Weſte und mit lang131 herabfallenden weißen Halstuchzipfeln, drückte ſeine kleinen Aeuglein liſtig zuſammen und ließ dabei die vorſpringenden wulſtigen Lippen offen ſtehen, ſo daß ſie gleichſam einen ſtummen, aber ſichtbaren Seufzer eines ehrbaren Verwerfungsurtheils bildeten; die beiden Frauen ſchlugen die Augen nieder und ſchienen ſich kaum entſchließen zu können, dem Bruder die Hand zu geben, als dieſer mit einem treuherzigen Proſit's Neujahr! auf ſie zugegangen kam. Der Sonnenwirth ſah dieſer gezwungenen Begrüßung etwas verwundert zu; er kannte augen¬ ſcheinlich den Grund derſelben noch nicht, mochte aber denken, ſein Sohn werde es bei der Verwandtſchaft durch irgend ein nicht gar zu bedeutendes Ungeſchick verſchüttet haben; wenigſtens ließ er das, was vor ſeinen Augen vorging, geſchehen, ohne ſich mit Fragen darein zu miſchen. Friedrich aber hatte ſogleich an dem zuverläſſigſten Wetter¬ glaſe erkannt, daß etwas Schweres gegen ihn im Werke ſein müſſe, nämlich an dem gelben Geſichte ſeiner Stiefmutter, welchem ein offe¬ ner triumphirender Hohn eine Art von Blüthe verlieh. Es war ihm übrigens jede Verlegenheit erſpart, denn die Kinder des Krämers, die dieſer mitgebracht hatte, deckten mit ihrem jubelnden Empfange alle Lücken in der Liebe der Erwachſenen zu: ſie hatten dem Großvater geſchriebene Neujahrswünſche überreicht und als Gegengeſchenk neue Kreuzer nebſt mürbem Gebäck erhalten; jetzt ſprangen ſie im vollen Jubel ihres Glückes an dem kinderfreundlichen jungen Oheim empor und nahmen ihn in Beſchlag, bis das Eſſen aufgetragen war.

So lange das Geſinde, das diesmal an einem beſondern Tiſche ſpeiste, ſich in der Stube befand, wurde von der Witterung und von der heutigen Predigt geſprochen, welche ſich der mit einem guten Ge¬ dächtniß begabte Chirurg ſehr ausführlich anzueignen gewußt hatte. Nachdem aber Knechte und Mägde ſich entfernt und auch die Kinder auf Befehl ihres Vaters, jedes ein Stückchen Kuchen in der Hand die Stube verlaſſen hatten, begann dieſer mit muthwilligem Blinzeln: Iſt der Schwager heut 'auch in der Kirche geweſen?

Friedrich wurde roth. Ich hab 'Gott anders gedient, ſagte er.

Vielleicht zu Haus eine ſchöne Predigt geleſen,〈…〉〈…〉 oder ein Stück in Arndt's Wahrem Chriſtenthum?

Friedrich ſchwieg, der inquiſitoriſche Ton, aus welchem eine ge¬9 *132heime Bosheit ſprach, machte ihm das Blut, aber jetzt nicht aus Scham, nach dem Kopfe ſteigen.

Der Sonnenwirth, der noch mächtig am Braten arbeitete, hielt einen Augenblick inne, um zu ſchauen wo die Sache hinaus wolle, und ſah bald den Tochtermann, bald den Sohn mit fragenden Blicken an.

Die Sonnenwirthin hatte dem Erſteren, der den Laufgraben mit ſo viel Geſchick eröffnet, einen Blick der Zufriedenheit zugeworfen. Nun rückte ſie ſelbſt in's Feld, um ihm zu Hilfe zu kommen. Wenn er's nicht ſagen will, wo er geweſen iſt, ſo muß ich das Maul für ihn aufthun, ſagte ſie. Des Hirſchbauern ſeiner Jungfer Tochter hat er den Morgenſegen vorgebetet, juſt unter der Kirch '. Nun gibts zwar Freigeiſter, die Alles auf die leicht' Achſel nehmen (dabei ließ ſie einen Blick an ihrem Manne hinſtreifen) und Spülwaſſer löſcht auch den Durſt, wie das Sprichwort ſagt; aber noch ſagen, man hab 'Gott gedient, das iſt eine Sünd', die unſer Herrgott ge¬ wißlich zu den anderen Miſſethaten mit aufhaſpeln wird. Ich hab 'mich's von deinem Hab' und Gut koſten laſſen, ſetzte ſie gegen ihren Mann hinzu, daß die Perſon, von der ich die Sach 'weiß, nichts weiter ſagt, damit's nicht vor den Pfarrer kommt, was dein chriſtlich¬ geſinnter Sohn unter Gottesdienſt verſteht.

Der Krämer kicherte und riß einige Witze, die Friedrich beinahe außer ſich brachten; aber er ſchwieg noch, denn die plötzliche Entdeckung, daß er nicht bloß, wie ihm ſchon zuvor klar geweſen, verrathen, ſon¬ dern daß ſein Geheimniß in die ſchlimmſten Hände überliefert ſei, hatte ihn etwas ſeiner Faſſung beraubt.

Wer hat dir denn die Sach 'hinterbracht? fragte der Sonnenwirth ſeine Frau.

Das darf ich nicht ſagen, antwortete ſie, ich hab 'Stillſchweigen angeloben müſſen, kannſt dir wohl denken warum, aber die Perſon iſt zuverläſſig.

Und doch möcht 'ich rathen, ſagte der Chirurg mit einem wohl¬ wollenden Blicke auf ſeinen jungen Schwager, ſolchen unbekannten Perſonen nicht allzu viel zu trauen. Man muß Einen nicht gleich auf eine bloße Delation hin verdammen. Der Chirurg war weltklug: er wollte es mit der angegriffenen Partei nicht verderben;133 auch hatte er, ſeit ſein Ziel erreicht war, ſeiner Schwiegermutter mehr¬ fach gezeigt, daß er nicht ganz und gar in ihr Hörnlein zu blaſen geſonnen ſei. Dabei mochte er ein wenig von der Abneigung ſeiner Frau angeſteckt worden ſein, gegen welche er ſich oft über die Unſelbſt¬ ſtändigkeit und Unterthänigkeit des Krämers luſtig machte.

Die Sonnenwirthin hatte inzwiſchen in dem Geſichte ihres Stief¬ ſohnes geleſen. Was brauchen wir weiter Zeugniß? rief ſie. Er leugnet's ja ſelber nicht, daß er ſich mit dem ſchlechten Menſch einge¬ laſſen hat.

Der Sonnenwirth hatte eben die Gabel mit einem Stücke Braten erhoben; es war aber in Gottes Rathſchluß vorgeſehen, daß er daſſelbe nicht in den Mund bringen ſollte, denn Friedrich fuhr auf, durch das böſe Wort aus ſeiner Befangenheit herausgeriſſen, und rief: Ueber mich kann man ſagen was man will, das will ich Alles geduldig tragen, aber auf das Mädle laſſ 'ich nichts kommen, denn das Mädle iſt brav, und wer ſchlecht von ihr reden will, der kann ſich vor mir in Acht nehmen; ich leid's von Niemand, ſelbſt von Vater und Mut¬ ter nicht! Es iſt mir leid, Vater, daß die Sach' ſo vor Euch ge¬ bracht worden iſt, denn ich hab's ganz anders fürgehabt, wie Ihr Euch wohl ſelber einbilden könnt. Aber nun es einmal ohne meine Schuld heraus iſt, will ich's Euch frei bekennen: das Mädle iſt mein Schatz, und ich hab's treulich und ehrlich mit ihr, und will keine Andere heirathen als das Chriſtinele allein. Ich hab 'mir Eure Einwilligung zu einer gelegeneren Zeit erbitten wollen, aber jetzt iſt eben die Ge¬ legenheit vom Zaun gebrochen.

Ein ſtarres, ſprachloſes Staunen hatte ſich der Familie auf dieſes unumwundene Geſtändniß bemächtigt; der Sonnenwirth hatte die Gabel mit dem Braten auf das Tiſchtuch fallen laſſen, wo ſie, über den Rand hinausragend, keinen Halt fand und, der Sonnenwirthin unterwegs das Taffetkleid beſchmutzend, ihren Fall auf den Boden fortſetzte. Die Anſtifterin des Auftrittes konnte deßhalb an dem erſten Geräuſche der Exploſion keinen Antheil nehmen; ſie ſchoß mit einem wüthenden Blicke auf ihren ungeſchickten Eheherrn hinaus, um die Flecken an ihrem Kleide wo möglich zu vertilgen. Nachdem die be¬ ſtürzten Geiſter ſich wieder etwas geſammelt hatten, machten ſich die Gefühle über das unerhörte Unterfangen des jungen Menſchen in134 verſchiedener Weiſe Luft. Der Krämer ſtieß ein ſchrillendes Gelächter aus, das dem Geheul eines jungen Hundes nicht unähnlich klang, und ſeine kleinen Aeuglein verſchwanden in den Fettbergen, womit ſie umgeben waren. Seine Frau, Friedrich's älteſte Schweſter, ſchlug die Hände über dem Kopfe zuſammen und lamentirte. Der Chirurgus bewegte den ſeinigen gravitätiſch hin und her und begnügte ſich, durch dieſe ſtumme Gebärde ſeine ernſte, aber unvorgreifliche Mißbilligung an den Tag zu legen, während ſeine Frau ſchmerzlich ausrief: Ach Bruder, wirſt denn gar nie geſcheid werden?

Der Sonnenwirth hatte gleichfalls einige Zeit gebraucht, um aus einer Art von Erſtarrung zu ſich zu kommen. Als er ſich erholt hatte, ſtreckte er den Finger gebieteriſch gegen ſeinen Sohn aus. Laß dir im Hirn verganten! rief er: vor Allem aber reiſ 'dich, daß ich dich heut nicht mehr ſehen muß, und hörſt? komm mir ein paar ganze Tag' gar nicht vor's Angeſicht.

Friedrich ſtand gelaſſen auf, um dem Gebote ſeines Vaters zu ge¬ horchen. Ihr werdet noch beſſer von der Sach 'denken lernen, Vater, ſagte er, indem er ſich zum Gehen anſchickte.

Still! rief der Alte, ſei ganz ſtill, red 'gar nichts, denn jedes Wort, das aus deinem Mund geht, iſt ein Nagel zu meinem Sarg.

Der Sohn ſchwieg und ging ſchnell zur Thüre hinaus.

Es iſt doch ſchrecklich, jammerte die Krämerin, daß ſich der Bub 'gar nicht geben will. Kaum meint man, man hab' ihn auf dem rechten Weg, ſo kommt wieder ein ärgerer Streich.

Ja, ſagte der Krämer, das gäb 'eine Eh', die man aus dem Hei¬ ligen verhalten müßt '.

Freilich, wie die Lumpenſippſchaft, aus der das lüderlich 'Ding abſtammt, ergänzte ſeine Frau.

Ach Gott, ich will ihr ja ſonſt weiter nichts nachgered't haben, ſagte ihre jüngere Schweſter, die ſich zur Heirath mit dem Chirurgen bequemt hatte: aber ſie hat eben gar nichts als 'n Gott und' n Rock.

Eine ſchöne Partie für uns! rief die Krämerin. Der Bub 'iſt einmal im Kopf nicht richtig. Bei ſeiner Tauf' iſt der vorig 'Amt¬ mann zu Gevatter geſtanden, und jetzt will er uns ein ſolches Bauern¬ menſch in die Familie bringen.

135

Ich möcht 'nur wiſſen, mit was ſie ihm's angethan hat! ſeufzte die Chirurgin, die bisher ſeine Lieblingsſchweſter geweſen war.

Pah! lachte der Krämer, ſie handelt mit kurzer Waar ', und da beißt ſo ein Unverſtand gleich an.

Ja, ſagte ſeine Frau, Schwarz iſt auch eine Farb '.

Für den Liebhaber! fiel die Sonnenwirthin ein, die eben wieder in die Stube getreten war. Der Geſchmack verbirgt ſich nicht. Es heißt nicht umſonſt: Sage mir, mit wem du umgehſt, ſo will ich dir ſagen, wer du biſt. Dieſe Liebſchaft bringt's einmal recht an den Tag. Da kann man wohl auch ſagen: Hudel find't Lumpen, Hutſch find't ſein Hätſch.

Der Sonnenwirth, dem es bei all ſeinem eignen Verdruſſe doch durch die Seele ſchnitt, ſeine Frau in ſeiner Gegenwart ſo von ſeinem Sohne reden zu hören, ſagte unmuthig zu ihr: Das Zeugniß muß ich dir geben, daß du mir da ein ſchönes Zugemüſ 'angerichtet haſt. Hätteſt's nicht beſſer anbringen können, als juſt überm Eſſen. Wem du den Neujahrsſchmaus bereiteſt, von dem darfſt nicht fürchten, daß er nichts übrig laſſen werde.

Da muß ich freilich ſehr um Verzeihung bitten, entgegnete ſie: wenn ich gewußt hätt ', daß dir das Eſſen wichtiger iſt als der Le¬ benswandel deines Sohns, ſo hätt' ich geſchwiegen; aber ich hab 'eben gemeint, ich müſſ' reden, ſo lang's noch Zeit iſt und eh 'er vollends ganz in den Abgrund taumelt. Wiewohl, ich hab's auch früher nicht an Ermahnungen fehlen laſſen, und die Sach' iſt dir ſchon lang ſehr nah 'gelegen; wenn's ein Wolf geweſen wär', er hätt 'dich gefreſſen.

Der Sonnenwirth trommelte am Fenſter. Hab 'ich mir denken können, ſchnauzte er nach einer Weile herum, daß der Bub' ſo aus der Art ſchlagen und mit der dummen Liebſchaft Ernſt machen würd '? Jetzt muß man freilich mit ihm Ernſt machen, fuhr er gegen den Chirurgen fort, dem er noch am liebſten ein Wort gönnen mochte: und wenn man zu den ſchärfſten Mitteln greifen müßt', ſo iſt das Unglück nicht ſo groß, als wenn man der Sach 'den Lauf läßt. Hier muß man mit der Katz' durch den Bach.

Der Chirurgus, der bis jetzt das Reden den Andern überlaſſen und ſich dadurch ſeine Meinung frei behalten hatte, räusperte ſich und erwiderte: Das iſt gar kein Zweifel, Herr Vater, dieſe Liebſchaft iſt136 ein Uebel, eine Art Geſchwür, das man um keinen Preis aufkommen laſſen und im Nothfall mit Schneiden oder Brennen beſeitigen müßte. Jedennoch möcht 'ich unmaßgeblich rathen, nicht alſofort zum Aeußer¬ ſten zu ſchreiten, ſondern erſt gelindere und wo möglich auflöſende Mittel zu verſuchen. Der Schwager iſt zwar hm, hm kann's nicht in Abrede ziehen er iſt ein wenig ein Springinsfeld, aber er hat doch, mit Salvenia zu reden, kein ſo ungattiges Temperament, daß man gleich die Beinſäge bei ihm in Anwendung bringen muß. Ich ſchmeichle mir, bereits eine Arznei ausfindig gemacht zu haben, welche ſich als probat erweiſen dürfte. Für jetzt wäre es wohl nicht angemeſſen, den Herrn Vater länger mit dem fatalen Handel zu be¬ helligen, der, wie ich zu ſagen mir erlauben muß, nicht zu ganz rich¬ tiger Zeit an ihn gebracht worden iſt; denn bei Reden und Mitthei¬ lungen, inſonderheit wenn ihnen etwas Bitteres beigemiſcht iſt, ſollte man, wie bei den Latwergen aus der Apotheke, immer die paſſende Stunde beobachten. Zur Eſſenszeit beigebracht aber kann eine unverhoffte und widrige Nachricht leicht eine Indigeſtion effectuiren, woraus dann, je nach Beſchaffenheit der Leibesconſtitution, vielfache Infirmitäten fließen können. Aus dieſem Grunde würde ich dem Herrn Vater rathen, ſich jetzo eine kleine Bewegung in der friſchen Luft zu machen, damit die etwas geſtörten Lebensgeiſter wieder erwecket werden. Was aber den Schwager anbelangt, ſo muß man ihn mehr wie einen Patienten, denn wie einen Delinquenten anſehen, und wenn man den rechten Punkt bei ihm trifft, ſo hoffe ich, er werde noch zu curiren ſein. Man muß ihn nicht ganz wegwerfen.

Ja, ſetzte ſeine Frau mit einem Seitenblick auf die Krämerin hinzu, und ſeine Schweſtern ſollten's doch nicht ſo leicht vergeſſen, wie er ſich ihrer angenommen hat und ihnen immer ein guter Bruder geweſen iſt.

Die Sonnenwirthin hatte die anzüglichen Bemerkungen ihres ab¬ trünnigen Tochtermannes mit einem giftigen Lächeln verſchluckt und ei¬ nen Blick mit dem Krämer zu wechſeln verſucht, der aber, in der Er¬ kenntniß, daß er es aus zu großer Dienſtbarkeit gegen die Schwieger¬ mutter mit dem Schwiegervater verſchüttet habe, die Augen verlegen zu Boden ſchlug. Als jedoch ihre Stieftochter daran zu erinnern wagte, daß Friedrich ſeine Schweſtern gegen ſie in Schutz genommen,137 fuhr ſie auf. So? rief ſie, das ſoll ihm noch als eine Tugend an¬ gerechnet werden, daß er den häuslichen Frieden untergraben hat und Hader angeſtiftet und hat ſeine ruchloſe Hand gegen ſeine Mutter auf¬ gehoben? Und darob lobt man mir ihn in's Geſicht, wie wenn ich nicht die Frau im Haus mehr wär '?

Still jetzt! rief der Sonnenwirth auf den Tiſch ſchlagend: ich hab 'genug an dem Neujahrsſchmaus, will nicht auch noch einen Nach¬ tiſch dazu!

Die Familie ging mit einem ſauren Abſchied aus einander. Der Sonnenwirth lehnte eine Einladung des Krämers ziemlich trocken ab, nahm ſeinen Hut und ſchloß ſich im Weggehen dem Chirurgen an, der ihn in's Freie zu begleiten verſprach.

11.

Abends zur verabredeten Zeit traf Friedrich mit Chriſtinen zu¬ ſammen. Hat's was gegeben? fragte er. Sie verneinte es. Bei mir hat's ſchon eingeſchlagen! ſagte er und erzählte ihr den Auftritt, den es über Mittag abgeſetzt hatte, wobei er jedoch die grellen Farben deſſelben ſehr zu mildern Sorge trug. Chriſtine weinte und ſagte: Ich hab's wohl vorausgeſehen, daß ich den Deinigen nicht recht ſein werd '. Ach Frieder, wie wird's mir gehen? Da liegen viel Berg' und Thäler dazwiſchen, bis wir Zwei zuſammenkommen.

Reut's dich? fragte er. Mich reut's nicht.

So lang du ſo gegen mich biſt wie jetzt, reut's mich auch nicht. Aber wir werden eben viel zu leiden haben mit einander, das gibt ſchon der Anfang. Es iſt kein gut's Zeichen, daß es uns gleich am erſten Tag ſo hinderlich gehen muß. Ich möcht 'nur auch wiſſen, was für ein Neidhammel uns bei deiner Mutter verrathen hat.

Das möcht 'ich auch herausbringen, ſagte er. Hat dich vielleicht einer von den ledigen Buben geſehen geſtern Nacht, wie du den Brief in's Beckenhaus tragen haſt?

138

Mit deinen lebigen Buben! ſpottete ſie. Du meinſt immer, das ganz 'ledig' Mannsvolk ſei hinter mir auf dem Strich.

Ich ſag's nicht aus Eiferſucht, entgegnete er. Aber es iſt ja wohl möglich, daß dich einer auskundſchaftet hat und hat dich vielleicht mit mir reden ſehen. Du ſagſt ja ſelber, der Neid werd 'ihn getrieben haben.

Ich bin keinem begegnet, ſagte Chriſtine, und wenn mich je einer geſehen hätt ', hätt' er mich nicht erkannt, ſo flink bin ich geweſen. Nur Einer fällt mir ein, der hat mir ins Geſicht geſehen und könnt 'mich möglicher Weiſ' erkannt haben. Den rechnet man aber kaum zu den ledigen Buben und er wird dich nicht eiferſüchtig machen. Der Fiſcherhanne iſt's geweſen; der iſt vor ſeinem Haus geſtanden und hat, ſcheint's, auf das Schießen gehorcht, hat aber dabei geſchnat¬ tert vor Kälte.

Der Fiſcherhanne! rief Friedrich. Jetzt weiß ich wo ich dran bin. Der weißblütig 'Neidteufel hat mich von jeher verfolgt. Da iſt gar kein Zweifel, der iſt dir geſtern Nacht nachgeſchlichen wenn ihn nur der Mordſchlag troffen hätt'! und hat auch heut meinem Gang nachgeforſcht. Dem möcht 'ich jetzt für die zerbrochene Scheib' eins von ſeinen Geſichtsfenſtern ausſtoßen oder ein Eck von ſeinem ſieben¬ eckigen Kopf wegſchlagen.

Nein, du wilder, gewaltthätiger Bub '! ſagte Chriſtine, laß du ihn lieber in Frieden, ſonſt würdeſt nur aus Uebel Aerger machen.

Es iſt auch wahr, erwiderte er. Und zudem ſeit du mein biſt, iſt mir's ſo wohl, daß ich der ganzen Welt in Fried 'und Freundſchaft die Hand geben möcht'. Ich muß mich eigentlich zwingen, dem Fiſcher¬ hanne gram zu ſein, wie er's ja doch verdient. Auch meinem Vater hab 'ich heut kein bös Wort geben können, wiewohl's nicht recht von ihm iſt, daß er ſich gegen unſer Verhältniß hat einnehmen laſſen und hat mich gar nicht anhören wollen.

Bleib 'du immer ſo, ſagte Chriſtine, und wie du lieb gegen mich biſt, ſo ſei's auch gegen deine Nebenmenſchen. Wir müſſen die Hinder¬ niſſe, die man uns in den Weg wirft, durch Liebe zu überwinden ſuchen.

Aber dem Racker thu 'ich doch noch einmal einen Tuck, bemerkte Friedrich. Es gibt Menſchen, mit denen man in Liebe und Güte nicht fertig wird, ſonſt freſſen ſie Einen auf'm Sauerkraut.

139

Du ſollteſt eher auf das denken, wie du ihn gewinnſt, damit er uns nicht weiter verſchwätzt.

Dafür iſt ſchon geſorgt: meine Frau Mutter hat zu verſtehen geben, ſie hab 'ihn abgefunden, damit er dem Pfarrer nichts zutrage. Der ſchreit ſchon, wenn Einer am Sonntag eine Bettlad' anſtreicht. Wie würd 'er erſt einen Lärm machen, wenn er erführe, was wir für einen Gottesdienſt mit einander gehalten haben.

Red 'doch nicht ſo gottlos heraus! unterbrach ihn Chriſtine. Es iſt ja eine Sünd' und eine Schand ', wie du ſchwätzſt!

Was? wenn ein Bub 'ſein Mädle in Arm nimmt, die unſer Herr¬ gott für einander geſchaffen hat? Da müßteſt du ja Reu' und Leid tragen für jeden Kuß, den du mir heut unter der Kirch 'geben haſt!

Ach, Gott verzeih 'mir's! ich hab' dich eben ſo lieb, und darum hab 'ich's gethan. Aber recht iſt's doch nicht, und ſo davon zu reden, das iſt ſündlich.

Du Annemergele du! Aber wir wollen nicht ſtreiten. Komm, wollen lieber küſſen.

Mein'twegen, die Kirch 'iſt ja ſchon lang aus.

Sie gingen, ſich küſſend und umſchlingend, weit ins beſchneite Feld, ohne dem Froſt eine Gewalt über ihr Jugendfeuer zu gönnen; ja ſie warfen einander, wenn ſie ſich müde geküßt hatten, mit Schnee¬ ballen, und traf er ſie mit einem gar zu derben Wurfe, ſo gab dies wieder Anlaß zu Söhnungsbitten und neuen Liebkoſungen. Dazwiſchen zerſtreute er ihre ſtets auftauchenden Beſorgniſſe wegen der Zukunft durch die bündigſten Verſicherungen und Schwüre. Der Mond ſank erblaſſend gegen Weſten hinab und die erſten Schauer der Morgenkälte wehten über die Flur, als ſie ſich endlich trennten. Immer ſpäter kam in den nächſten Nächten die abnehmende Sichel auf den Schau¬ platz und immer noch traf ſie das Paar und beleuchtete eine Glück¬ ſeligkeit, die ſich um die Welt nichts kümmerte. Wenn aber je Chri¬ ſtine wieder zu ſorgen und zu zagen begann, ſo wußte Friedrich ſie zugleich zu necken und zu tröſten. Ich glaub ', der Muth verfriert dir, ſagte er, wir werden uns in der Hüterhütte bergen müſſen. Sieh', du biſt mein Weib vor Gott, ich werd 'nicht von dir laſſen und nicht eher ruhen, bis du es auch vor den Menſchen biſt. Ich hab' einmal geſagt: Ich will! und das Wollen in eigner Sach 'iſt viel ſtärker,140 als das Nichtwollen in fremder Sach'. Wenn ich eher den Kopf hergeb 'als meinen Willen und mein Herz, und das darfſt mir zu¬ trauen, ſo wird das Nichtwollen ſchon mürb' werden. Merk 'dir nur Eins und laß dir's geſagt ſein: Will' und Lieb ', die ſtiehlt kein Dieb.

12.

Zu dem Gantverfahren, das der alte Sonnenwirth ſeinem Sohne angerathen hatte, ſchien er ihm volle Zeit und Muße verſtatten zu wollen; denn er ließ ihn ſeine Tage und Nächte ungeſtört nach ſeinem Gutdünken hinbringen. Friedrich befolgte das Gebot ſeines Vaters, ihm nicht vor's Angeſicht zu kommen, buchſtäblich, und obgleich ſeine Stiefmutter täglich über die geſtörte Hausordnung ſeufzte, wenn er ſich das Eſſen durch die Dienſtboten auf ſeine Kammer bringen ließ, ſo wußte ſie doch nichts dagegen einzuwenden, weil er ſich auf den unmittelbaren Ausſpruch des Familienoberhauptes berufen konnte. Dabei ließ er ſich's jedoch angelegen ſein, mit ſeinen Dienſtverrichtun¬ gen immer da einzugreifen, wo er den Vater nicht gegenwärtig wußte. Die Nächte widmete er den Zuſammenkünften mit ſeiner Geliebten, und da er mit allen Gängen und Schlichen vertraut war, ſo machte es ihm keine Schwierigkeit, beim Heimgehen wieder in das verſchloſſene Haus zu kommen. Es ſchien ihm beinahe, als ob ſein Vater, nach¬ dem er einmal ſeine Willensmeinung ausgeſprochen, den Dingen ohne weiteres Einſchreiten den Lauf laſſen wollte.

Hierin täuſchte er ſich aber ſehr. Der Sonnenwirth hatte, nach reiflicher Berathung mit dem Chirurgen, ſeinen Plan und Entſchluß gefaßt, und wenn die Ausführung deſſelben ſich gerade ſo lange ver¬ zögerte, um einen bereits geſponnenen Schickſalsfaden vollends unab¬ änderlich zu befeſtigen, ſo war ja dies einer von den Fehlſchlägen, welche die kurzſichtigen Rathſchläge der Menſchen ſo häufig treffen. Der Sonnenwirth wollte ſicher gehen und ſeinen Plan gründlich durch¬ ſetzen. Er ſchickte ſeine Frau, mit einem Brätchen aus der Metzig, in's Amthaus, um durch ſie der Amtmännin zunächſt mittheilen zu laſſen,141 was er mit ſeinem Sohne vorhabe. Hierzu hatte er einen doppelten Grund. Einmal beanſpruchte die Obrigkeit dieſelbe unbedingte Gewalt über den Bürger, welche dieſer über das Thun und Laſſen ſeiner Kinder, ſelbſt in ihren eigenſten Angelegenheiten und noch im erwach¬ ſenen Alter, auszuüben ſich berechtigt glaubte, und es wäre ſehr übel vermerkt worden, wenn man in einem Hauſe auch nur eine Familien¬ ſache ins Werk zu ſetzen gewagt hätte, ohne ſich vorher den Rath des geſtrengen Herrn unter der Leitung ſeiner noch geſtrengeren Frau zu erbitten oder ihnen wenigſtens der äußeren Form nach die Ehre der Gutheißung zu laſſen. Außerdem aber wollte der Sonnenwirth durch dieſe Unterwürfigkeit für den Fall, daß ſein Sohn den Widerſpänſtigen machen würde, ſich des amtlichen Beiſtandes verſichern.

Die Amtmännin nahm das Geſchenk und die Mittheilung der Sonnenwirthin mit Wohlgefallen auf. Sie geſtand ihr offen, daß es ihr jedesmal übel werde, wenn ſie den ungeſchliffenen Flegel nur von weitem ſehen müſſe. Auch war ſie der Anſicht, daß für die Ruhe des Fleckens nicht beſſer geſorgt werden könne, als durch ſeine gänz¬ liche Entfernung auf immer oder doch auf möglichſt lange Zeit; denn, meinte ſie, ein ſo gewaltthätiger Menſch, der kein Geſetz achte, könnte am Ende, wenn nicht Alles nach ſeinem Kopfe gehe, wohl noch im Stande ſein, Mord und Todtſchlag zu verüben oder gar den Leuten die Häuſer über dem Kopfe anzuzünden. Sie verhehlte der Sonnen¬ wirthin nicht, daß gar mancherlei über ihn gemurmelt werde. Man ſage, er habe an Sylveſter nicht nur beinahe die ganze Nacht auf höchſt gefährliche Weiſe im Flecken geſchoſſen, ſondern auch ſeinen Fein¬ den einen Mordſchlag gelegt, der ſo Menſchen als Gebäuden einen erheblichen Schaden hätte bringen können; anderer Greuelthaten zu geſchweigen. Alles dieſes werde mit leichten Stücken zu beweiſen ſein, ſo wie man ihm nur ernſtlich zu Leibe gehen wolle, und das Amt halte alſo bereits wieder neue Blitze gegen ihn in der Hand. Es ſei ſonach eine wahre Wohlthat für den ungerathenen Jungen, wenn man ihn dieſen Blitzen noch zu rechter Zeit entziehe, und möge er dann fortbleiben, oder, was ſie zwar nicht hoffe, ſpäter geſchult und gebeſſert zurückkehren, ſo ſei jedenfalls die Sonne vor dem Unglück behütet, durch eine ſo unanſtändige Heirath zu einem Pöbelwirthshauſe zu werden, aus wel¬ chem ehrbare Leute wegbleiben müßten. Die Sonnenwirthin ſtimmte142 allen ihren Reden aus mütterlichem Herzen bei und brachte dieſelben, nachdem ſie mit der Amtmännin viel darüber geſpottet, welch 'eine Wirthin das Bauernmenſch geben würde, freigebig mit Zuſätzen ver¬ mehrt ihrem Manne heim.

Nach dieſer vorläufigen Verläſſigung begab ſich der Sonnenwirth mit dem Chirurgus zum Amtmann, dem er mit Hilfe des Letzteren vortrug, er habe, wie dem Herrn Amtmann wohl bewußt ſein werde, einen Sohn, der unerachtet aller väterlichen Bemühungen und trotzdem daß er viel Geld auf ſeine rechtliche und chriſtliche Erziehung verwendet, bis jetzt nicht habe einſchlagen wollen und ihm nun gar noch das Kreuz mache, in ſeiner Minderjährigkeit an eine ganz ungleiche Heirath mit einer Bauern¬ tochter, die nichts ſei und nichts habe, zu denken. Da nun das Sprichwort mit Recht ſage: Wohl aus den Augen, wohl aus dem Sinn , ſo habe er ſich reſolvirt, ihn in die Fremde zu ſchicken. Er habe in Frankfurt oder vielmehr in Sachſenhauſen, welches gleich da¬ neben über'm Mainſtrom liege, einen leiblichen Bruder, der daſelbſt gleichfalls Wirth zur Sonne und in jungen Jahren durch eine Glücks¬ heirath mit einer Wittwe in den Beſitz derſelben gekommen ſei. Dem wolle er ſeinen Sohn zuſchicken, in der Hoffnung, daß derſelbe unter einem fremden Himmel und bei andern Leuten ſeine Thorheit ver¬ geſſen und ſich vielleicht den Kopf auf eine zuträgliche Art verſtoßen und die Hörner ablaufen werde. Er habe ſich nun die Freiheit neh¬ men wollen, zu fragen was der Herr Amtmann von der Sache denke. Der Amtmann erwiderte, der Gedanke habe ſeinen ganzen Beifall, denn fremde Städte und fremde Menſchen ſehen, das putze den Kopf aus. In dem Frankfort, ſagte er, bin ich auch ſchon geweſen, worauf der Sonnenwirth und der Chirurgus ihre unterthänige Verwunderung ausdrückten, daß der Herr Amtmann ſchon ſo weit gereiſet ſei. Die Amtmännin, welche ſich ungeſäumt im Rathe eingefunden hatte, ſprach davon, wie wohlthätig es überhaupt wäre, wenn man alle ungeſchlachte junge Leute ein wenig in die weite Welt ſchicken könnte, um dort gehobelt zu werden. Als ſodann der Sonnenwirth die Möglichkeit zur Sprache brachte, daß ſein Sohn es etwa an der gewünſchten Reiſeluſt fehlen laſſen könnte, hieß ihn der Amtmann ganz außer Sorgen ſein, denn er werde jedenfalls mit ſeiner vollen Autorität dazwiſchen fahren und gedenke mit einem jungen Trotz - und Querkopf143 ſchon noch fertig zu werden; er ſchreibe ohnehin heute noch einen Be¬ richt über Mehreres nach Göppingen, und wolle in denſelben einflie¬ ßen laſſen, daß der junge Menſch, der dem löblichen Oberamt auch ſchon mehr als billig zu ſchaffen gemacht, mit ſeiner Erlaubniß in die Fremde gehe.

Darauf empfahl ſich der Sonnenwirth nebſt ſeinem Schwiegerſohne unter vielen Dankſagungen und berief zu Hauſe ſogleich ſeinen Sohn zu einer Unterredung in Ernſt und Güte, nach welcher Friedrich mit väterlicher Einwilligung in das Haus des Hirſchbauern ging, um von Chriſtinen Abſchied zu nehmen. Nur unter dieſer Bedingung hatte er ſich dem Willen ſeines Vaters gefügt. Bei dieſer Fügſamkeit waren aller¬ dings die Drohungen des Amtmanns, von welchen ihn ſein Vater in Kenntniß zu ſetzen für geeignet befunden hatte, der natürlichen Gutmüthig¬ keit ſeiner vom Glück der Liebe befriedigten und deßhalb auch für die Mahnungen der Kindespflicht zugänglichen Seele zu Hilfe gekommen; aber keine Rückſicht hatte ihn zur Nachgiebigkeit gegen den Wunſch ſeines Vaters bewegen können, ſogleich und ohne Abſchied von Chri¬ ſtinen abzureiſen, und der Sonnenwirth war genöthigt geweſen, von dieſem Begehren abzuſtehen, wenn nicht ſein ganzes Vorhaben daran ſcheitern ſollte. Friedrich erklärte ſeinem Vater, daß er morgen früh vor Tag den Stab ergreifen wolle, und ſagte ihm deshalb auf der Stelle Lebewohl. Von der Stiefmutter nahm er keinen Abſchied. Da¬ gegen verabſchiedete er ſich freundlich vom Chirurgen, welchem er bei ſeiner Bewerbung und nachher ſeine Abneigung mehr als einmal in nicht gar feiner Weiſe gezeigt hatte, und in welchem er nun einen gutgeſinnten Schwager gefunden zu haben glaubte. Derſelbe geſtand ihm zwar nicht, daß er der Urheber dieſer Trennung ſei, in welcher er das auflöſende Mittel erblickte, das er dem Sonnenwirth empfohlen hatte; doch ſagte er ihm offen, er ſei mit dem Entſchluſſe ſeines Va¬ ters einverſtanden und halte dieſe Reiſe für die beſte Art von einer Sache los zu kommen, die nun eben einmal nicht ſein könne, worauf Friedrich erwiderte, es ſei ihm zwar leid, daß ſeine Standhaftigkeit auf dieſe Probe geſetzt werde, aber es freue ihn auch wieder, weil er hoffe, daß er die Probe beſtehen werde. Der Chirurgus und ſeine Frau ſchüttelten über dieſe Erklärung den Kopf, ließen es aber hie¬ bei bewenden, weil ſie der jugendlichen Feſtigkeit in Durchführung144 gefaßter Vorſätze, vielleicht eigener Erfahrung zufolge, kein großes Ver¬ trauen ſchenkten. Wirſt du auch den weiten Weg finden? fragte Magdalene mit Thränen in den Augen. Bis nach Heilbronn, ant¬ wortete er düſter lachend, kenn 'ich ihn ſchon, und das wird ungefähr halbwegs ſein. Der Chirurgus holte mit Wichtigkeit eine Homann'ſche Karte des deutſchen Reiches, die er beſaß, und demonſtrirte ihm mit dem Zirkel, daß das noch nicht ganz den dritten Theil der Reiſe be¬ trage. Dann muß ich eben noch ein wenig weiter gehen, ſagte Fried¬ rich: das Frankfort wird ja nicht aus der Welt liegen; ich geh' eben der Naſ 'nach; und die Leut' an dem Main da drunten werden die Naſ 'auch grad' überm Maul tragen, juſtement wie wir hie. Dann ſchüttelte er ſeinen Verwandten die Hände und ging. Bei dem Schwa¬ ger Krämer klopfte er nur im Vorübergehn an's Fenſter und rief ſeiner Schweſter einen kurzen Abſchiedsgruß zu, lockte aber ihre Kinder eine Strecke weit mit ſich und entließ ſie geküßt und beſchenkt.

Nachdem er dieſe gleichgiltigeren Angelegenheiten abgethan hatte, trat er den ſchweren Gang zu Chriſtinen an. Diesmal ſuchte er keine Nebengäßchen, ſondern ging den geraden Weg bis ans Ende des Fleckens und ſah dabei allen Begegnenden herzhaft und freundlich in's Geſicht. Als er aber die Treppe ſo weit unter ſich hatte, um im Hinaufſteigen einen Blick durch das Fenſter werfen zu können, ſtieß er einen Fluch aus, ſprang den Reſt der Stufen mit zwei Sätzen hinauf und ſtürzte wüthend in die Stube, wo der alte Hirſchbauer ſeine Tochter ſo eben an den Zöpfen ergriffen hatte und die Hand aufhob ſie zu ſchlagen. Halt! rief Friedrich, warf ſich zwiſchen Beide und riß die Tochter von dem Vater weg: Wenn Euch Euer Leben lieb iſt, rief er, ſo unter¬ ſteht Euch nicht, ihr ein Haar zu krümmen! Mir allein kommt das Recht zu, ſie zu ſchlagen, wenn ſie etwa gefehlt hat.

Das könnt 'ich brauchen, polterte der Hirſchbauer, daß mir einer meine Tochter verführt und noch dazu in meinem Haus den Meiſter ſpielen will. Weiß wohl, wo die Häglein niedrig ſind, da drüber ſteigt man gern; aber mich ſoll Armuth und Niedrigkeit nicht ſo weit bringen, daß ich Muthwillen mit mir und den Meinigen treiben laſſ'.

Es iſt von keinem Muthwillen die Red ', ſagte Friedrich, und ich bin kein Verführer. Ich will Eurer Tochter alle Ehr' und alle Treu '145erweiſen, und meine Abſicht iſt auf nichts Anders gerichtet, denn daß wir als Ehleut' zuſammen kommen.

Und dazu geht man in die Fremde? rief die Bäuerin mit zorni¬ gem Lachen. Ja, ja, weit davon iſt gut fürn Schuß!

So, das iſt auch ſchon ausgeſchwätzt? ſagte Friedrich. Wer hat Euch denn das hinterbracht?

Seine Mutter iſt dageweſen, erwiderte die Bäurin, Er braucht nichts zu leugnen.

Ich will auch nichts leugnen, begreif's aber wohl, daß Unſamen hier ausgeſtreut worden iſt. Wahr iſt's, daß ich gehen muß, weil mein Vater für jetzt nicht gut zu dieſer Heirath ſieht, und weil er vielleicht meint, in einer andern Luft wachſe mir auch gleich wieder ein anderer Kopf. Aber Alles hat ſeine zwei Seiten. Mein Vater kann mir nichts befehlen, was für mein ganzes Leben gelten ſoll, denn über die Zukunft muß ich ſelber Herr ſein, und ſein Vater ſpringt auch nicht mehr hinter ihm drein, um ihm die Fliegen abzuwehren oder ihn zu hüten, daß er den Fuß nirgends anſtoßt. Aber wenn er mir jetzt in die Fremde zu gehen befiehlt, ſo gehorch 'ich ihm und glaub' ihn auch damit beſſer herumzubringen, als mit Ungehorſam und Trotz. Er wird dann ſchon ſehen, daß ich in dem, was meine eigene Sach 'iſt, mein Herz nicht ändere, und zuletzt wird er mit ſeinem einzigen Sohn ein Einſehen haben und wird uns zuſammen laſſen. Damit jedoch mein Schatz und die Ihrigen nicht an mir zweifeln, deswegen bin ich herkommen, um den Verſpruch vor meinem Fortgehen richtig zu machen und mit Euch darüber zu reden.

Der Hirſchbauer und ſein Weib ſahen einander an; dieſe Erklärung lautete ganz anders als das, was die Sonnenwirthin ihnen geringſchätzig und ſpöttiſch vorgeſagt hatte, um ſie gegen ihre Tochter und deren Liebhaber aufzureizen.

Seine Mutter, hob der Hirſchbauer wieder an, hat uns geſagt, daß Er mit leichtem Herzen fortgeh 'und ſelber froh ſei, der Feſſel wieder ledig zu werden. Und wenn nun das auch nicht ſo iſt und Er andere Abſichten hat, ſo wird Er mir doch nicht zumuthen wollen, daß ich meine Tochter einer Familie aufdringen ſoll, die nichts von ihr wiſſen will.

Laßt das gut ſein, Vetter, ſagte Friedrich. Die Sach 'iſt nichtD. B. IV. Sonnenwirth 10146mehr anders zu machen. Das Mädle will mich und ich will ſie; uns zwei reißt niemand mehr aus einander. Alſo handelt wie ein recht¬ ſchaffener Vater an ſeinem Kind handeln ſoll, und tretet nicht auch noch zu unſern Feinden.

Die beiden Alten eiferten und ſchalten heftig über dieſe eigen¬ mächtige Art, eine Liebſchaft anzufangen, und namentlich meinte die Hirſchbäuerin, ihre Tochter hätte wohl eine Züchtigung dafür verdient. Auch betheuerte ſie, ſie habe nie daran gedacht, daß er darum in ihr Haus gekommen ſei, um durch ein Liebesverhältniß mit ihrer Tochter ſeinen Eltern Verdruß zu machen, und wälzte jede Verantwortlichkeit dafür feierlich von ſich ab. Allein ungeachtet des polternden Tones waren Beide ſichtbar beſänftigt durch die Offenheit, mit welcher der junge Mann ſeine Geſinnung ausgeſprochen hatte. Sie gaben ſich jedoch Mühe, dies nicht merken zu laſſen, und der Hirſchbauer ſagte: Man ſpricht auch, daß Er ſo gewaltthätig ſei und daß man von Ihm nichts als Ungelegenheit haben werde; Er ſoll ja haben verlauten laſſen, wenn Er Seinen Willen nicht durchſetze, ſo werde Er Alles über Einen Haufen ſtechen und den Flecken anzünden.

Das iſt nicht wahr! rief Friedrich entrüſtet, es iſt kein ſolches Wort aus meinem Mund gangen. Wer hat das geſagt? Er ſoll ſich ſtellen und mich überführen.

Der Hirſchbauer ſchwieg.

Ich weiß ſchon, fuhr Friedrich fort. Meine Stiefmutter Ihr müßt ſie nicht meine Mutter heißen die ſucht mich auszurotten, ſie gönnt mir das Schwarze unterm Nagel nicht. Aber ſaget ſelber: wie ſtimmen ihre Reden zuſammen? Wie kann ſie denn behaupten, ich möcht 'über alle Berg' und aus dieſen Banden los ſein, wenn ſie hinwieder von mir ſagt, ich ſei auf meinen Willen ſo verſeſſen, daß ich ſengen und brennen woll ', wenn ich Eure Tochter nicht krieg'? Ohne die hätt 'ich bei meinem Vater ein leichters Spiel. Wenn meine Schweſter und ihr Mann, der Chirurgus, nicht wären, ſo ging' ich gar nicht fort, denn ſie thät 'mich in meiner Abweſenheit vollends ganz untergraben, aber ich hoff', die zwei werden mich vertheidigen.

Vielleicht, ſagte der Hirſchbauer nach einigem Beſinnen, ließ 'ſich ein Wort mit Seinem Herrn Schwager reden und auch mit dem Herrn147 Pfarrer. Wenn die beiden Herren etwas bei Seinem Vater ausrichten, ſo könnt' man ja noch einmal von der Sach 'reden. Aber ſo, wie's jetzt ſteht, kann ich nicht nur ſo ohne Weiters meine Einwilligung geben, denn ich will mir nicht nachſagen laſſen, daß ich mich mit den Meinigen in eine Familie eingedrungen hab', wo wir überläſtig ſind.

Redet mit dem Pfarrer und dem Chirurgus, wenn ich fort bin, ſagte Friedrich, denn fort muß ich jedenfalls auf einige Zeit, das thut mein Vater nicht anders. Und füget mir's dann zu wiſſen, wie die Unterredung ausgefallen iſt. Jetzt aber bin ich die längſt 'Zeit da¬ geweſen, und Ihr werdet es nicht anders als billig finden, daß ich von meinem Schatz unter vier Augen Abſchied nehm', denn mein Schatz iſt und bleibt ſie, und wenn der Himmel einfällt. Nun behüt Euch Gott, Vetter und Baſ ', und geb', daß ich bald Schwährvater und Schwieger zu Euch ſagen kann. Haltet mir mein 'Schatz gut; ich will nicht, daß ſie Euch zur Laſt fallen ſoll, und werd' das Koſt¬ geld für ſie bezahlen ſo lang ſie bei Euch im Haus iſt, denn ich ſeh 'ſie als mein Eigenthum an, und will ſie bei Euch eingeſtellt haben, wie das Lamm, das ihr gehört. Hiermit legte er lachend einen guten Theil des Reiſegeldes, das ihm ſein Vater gegeben hatte, auf den Tiſch; denn er hatte unter dem Reden wahrgenommen, daß ſich die zerbrochene Scheibe noch in dem Zuſtande wie ſie von Chriſtinen verſtopft worden war befand, und daraus den Schluß gezogen, daß die Armuth der Leute nicht einmal geſtattet habe, den Glaſer zu holen. Ihr zwei aber, ſagte er zu den beiden Söhnen, die ebenfalls in der Stube anweſend waren, ſich aber ſo wenig wie Chriſtine in's Geſpräch miſchten, ihr zwei kommt in einer Stunde in's Beckenhaus, wir müſſen den Abend noch einen Abſchiedstrunk mit einander thun.

Er gab dem Bauer und der Bäuerin die Hand zum Lebewohl und ſie ließen es ſchweigend geſchehen, daß er ſein Mädchen am Arme nahm und mit ſich aus der Stube zog. Ein Seufzer der Bäuerin den man verſchieden auslegen konnte, und ein Kopfſchütteln des Bauern, das ſchon nicht ſo viele Deutungen zuließ, war Alles was nach ſeinem Weggehen geäußert wurde.

Chriſtine fiel ihm draußen laut weinend um den Hals. Wenn mich nur mein Vater geſchlagen hätt ', ſchluchzte ſie, vielleicht wär' mir's leichter geworden. Sieh, es hat mir Stich aus Stich durch's10 *148Herz geben, wie ich gehört hab ', daß du fort gehſt; mein Herz hat ſich ganz zuſammengezogen, und ſeitdem thut mir's fortwährend weh. Ach Gott, was ſoll aus mir werden, wenn ich dich nicht mehr hab'!

Mach 'mir das Herz nicht ſchwer, ſagte er. Sieh, es iſt mir ja ſchrecklich, daß ich von dir gehen muß, aber es kann nicht anders ſein, und ich bin bei dir und du bei mir, wo ich auch ſein mag in der Welt. Es iſt wohl weit weg, aber doch nicht ſo gar weit, daß wir nicht einander ſchreiben oder ſogar zu einander kommen könnten, wenn's Noth thut. Denk' dir alle Möglichkeiten der Reih 'nach, ſo muß es uns doch zuletzt nach Wunſch und Willen gehen. Entweder gibt mein Vater nach, wenn er unſere Beſtändigkeit ſieht, dann iſt ja Alles recht und gut; oder wir müſſen warten bis er das Zeitliche ſegnet, dann iſt's zwar ſchlimm, aber doch beſſer als gar nichts; oder er verſtoßt mich, wenn er mir den Sinn nicht brechen kann, dann kann er mir aber auch nichts mehr verbieten, und heißt's eben: Mann, nimm deine Hau', ernähr 'deine Frau; oder find' ich vielleicht in der Fremde bei meinem Vatersbruder oder ſonſt wo eine Heimath, man kann ja nicht wiſſen wie's geht in der Welt, dann laſſ 'ich dich nachkom¬ men; wenn's vielleicht für's Erſt' nur ein Dienſt wär ', den ich dir da drunten verſchaffen könnt', ſo wären wir doch näher bei einander und könnten's nach und nach weiter bringen. Kurzum, ich mag mir aus¬ denken was ich will, das End 'vom Lied iſt eben immer, daß wir Mann und Weib werden.

Ja, aber da drunten gibt's gewiß ſchöne Jungfern, die mich bei dir ausſtechen.

Sorg 'du nicht für mich, hab' du vielmehr Acht, daß du mich nicht von den Ebersbacher Buben aus deinem Herzen vertreiben läßt.

Ei ſo laß doch endlich das Geſchwätz mit den Buben ſein! ſagte ſie ſchmollend.

Was dir recht iſt muß mir billig ſein, erwiderte er. Such 'du mich nicht hinterm Ofen, dann guck' ich auch nicht, ob du dahinter ſteckſt. Jetzt laß uns aber die letzten Stunden nicht mit Zank und Trutz verderben, es iſt ja doch keinem von uns beiden Ernſt damit.

Nachdem ſie noch längere Zelt in ſolchen Wechſelreden verbracht, ſagte Friedrich: Ich muß jetzt gehen, ich hab 'noch Geſchäfte mit mei¬ nem Pfleger. Ich nehm' aber jetzt nicht Abſchied von dir, denn ich149 thu's nicht anders, ich komm 'heut zu dir in deine Kammer, nach¬ dem's jetzt mit deinen Eltern ſo gut wie richtig iſt.

Sei aber vorſichtig, ſagte ſie, und mach 'kein Geräuſch, ſonſt könnteſt bald ſehen, daß es nicht ſo richtig iſt wie du meinſt.

Hab 'du keine Angſt, erwiderte er.

Er begab ſich zu ſeinem Vormund, einem im Flecken angeſehenen Rathsherrn, um ihm einen Abſchiedsbeſuch zu machen und zugleich aus ſeinem mütterlichen Vermögen einen Zuſchuß zu ſeinen Reiſemitteln zu verlangen, welche ſo eben einen beträchtlichen Ausfall erlitten hatten. Der Vormund aber ſchlug ihm ſein Anſinnen rundweg ab; er wußte ihm haarklein vorzurechnen, was er von ſeinem Vater zu Weihnachten und was er heute von ihm als Reiſegeld erhalten habe, ſchärfte ihm die Tugend der Sparſamkeit ein, machte ihm derbe Vorwürfe über die dumme Liebſchaft, die ihn aus dem Vaterhauſe treibe, und ermahnte ihn ſchließlich, ſein Hab 'und Gut nicht an Menſcher zu hängen. Ich wär' nicht zu Ihm gekommen, wenn ich nicht Geld braucht hätt '! ſagte Friedrich und wetterte im Fortgehen die Thüre hinter ſich zu. Mit tauſend Verwünſchungen kehrte er dem Hauſe des Vormun¬ des den Rücken und ſagte dann zu ſich: Ich darf mich wohl zuſam¬ men nehmen, wenn ich bis zu meinem Ziel kommen ſoll, ohne unterwegs zu betteln oder zu ſtehlen; und zu meinem Vetter ſollt' ich doch we¬ nigſtens auch noch ein paar Batzen mitbringen, ſonſt iſt's ja eine Schand '; und meiner Chriſtine muß ich doch auch was ſchicken, denn leerer Gruß geht barfuß. Der Teufel hol' den Hornabſäger, den Kümmichſpalter, der mir mein eigen Geld vorenthält. Ich darf weiß Gott auf dem Weg kein einzigmal was Warm's eſſen, wenn ich mit meinem Zehrpfennig langen ſoll.

Er ließ aber im Bäckerhauſe nichts von ſeiner Verlegenheit merken, ſondern plauderte treuherziger und fröhlicher als es ihm eigentlich um das Herz war, mit ſeinen Schwägern, wie er ſie offen vor den Leuten nannte, und als die Bäckerin theilnehmend bemerkte, ſie ſei nur noch begierig, was dieſe Geſchichte für ein Ende nehmen werde, die ſich in ihrem Haus angeſponnen habe, rief er leichtfertig lachend: Das wird eine ſchöne Eh 'geben, wo der Mann die Häfen verbricht und das Weib die Schüſſeln!

150

Lachend gingen ſeine Geſellen mit ihm fort. Auf dem Wege er¬ öffnete er ihnen, daß er dieſe Nacht in ihrem Hauſe bei ihrer Schwe¬ ſter zuzubringen geſonnen ſei. Sie fanden das in der Ordnung und ließen ihn mit ſich ein.

13.

Und nun den letzten Kuß! ſagte Friedrich, als kaum der Morgen graute. Das Scheiden und Meiden iſt ein ſchlechtes Handwerk, und der böſ 'Gott woll's dem behüten, dem's zuerſt eingefallen iſt, aber es muß nun einmal ſein.

Wenn ich nicht Sorg 'hätt', mein Vater oder Mutter könnt 'auf¬ wachen, ſo ließ' ich dich noch nicht fort, ſagte Chriſtine unwillkürlich ſeinen Arm umklammernd. Es hat ſich ja noch nicht einmal ein Hahnenſchrei hören laſſen.

Sie werden bald krähen, und dann währt's nicht lang mehr, ſo wird's lebendig im Ort und ich kann nicht mehr unbeſchrieen fort¬ kommen, was mir unlieb wär ', weil ich des Geſchwätzes mit den Leuten überdrüſſig bin und nicht jedem auf die Naſ' binden mag, warum ich in die Fremde ſoll. Fort muß ich ja doch einmal, und ſo iſt's eins, ob wir den bittern Kelch jetzt trinken oder ein wenig ſpäter. Denk 'dir, wir ſeien verheirathet, was wir ja auch eigentlich ſind, und ich müſſ' verreiſen auf längere Zeit. Wie Mancher hat ſchon von Weib und Kind weg in Krieg müſſen, und iſt gar nicht wieder kommen.

Wann wirſt auch du wieder zu mir kommen? ſeufzte Chriſtine.

Am Sanct Nimmerlestag, wo die Eulen bocken. Frag 'nicht ſo ſchäckig, weißt ja doch ſelber wohl, daß ich komm', wenn ich kann und darf. Soll ich dir denn Alles wieder herleiern, was ich dir ge¬ ſagt hab 'und worauf unſre Hoffnung ſteht? Ich müßt' mich ja heiſer predigen.

Chriſtine ſchluchzte überlaut. Mein Herz ſagt mir, wir ſehen ein¬ ander nie wieder und ich werd 'in Schand' und Noth verlaſſen ſein.

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Und mir ſagt das mein 'das Gegentheil. Welches hat nun Recht? Da bleibt nichts übrig als daß wir die zwei Herzen gegen einander wetten. Gib Acht, auf die Art kannſt kein'sfalls in Nachtheil kom¬ men. Gewinn' ich's, ſo ſehen wir uns wieder; wenn ich aber die Wett 'verlier', ſo bleibt dir doch mein Herz, und dann kannſt auch nie verlaſſen ſein.

An dir iſt ein Advocat verloren gangen, ſagte Chriſtine, du machſt daß ich in all meinem Jammer wieder lachen muß.

Zieh du dein Herz beſſer, erwiderte er, dann wird's dir auch beſſere Reden geben. Und wenn du nicht aufhörſt mich betrübt zu machen, ſo geh 'ich hinunter und verklag' dich bei deiner Mutter.

O Jemine! rief Chriſtine kichernd, die thät 'mir das Fell ſchön vergerben!

Jetzt aber genug, verſetzte er. Alles hat ſeine Zeit, ſagt Jeſus Sirach, und Alles muß ein End 'haben, ſag' ich. Lachen und Wei¬ nen, Reden und Küſſen, Alles hat ſein geſetztes Maß und Ziel, und wenn ich jetzt nicht endlich von dir geh ', ſo kann ich ja auch nicht wieder zu dir kommen. Alſo b'hüt' dich Gott, herztauſiger Schatz!

Wart 'noch ein wenig! ſagte ſie. Wir müſſen erſt noch einen Denkzettel von einander haben. Haſt dein Meſſer nicht bei dir?

Willſt mich abſchlachten und einſalzen, daß ich gleich ganz bei dir bleib '?

Nein. Ich hab 'vor etlich' Wochen im Karz gehört, wie man's machen muß, wenn Eins dem Andern aus der Ferne ein Zeichen ge¬ ben will, daß man an einander denkt. Komm ', ſtreif' dein 'linken Arm auf.

Er entblößte den Arm. Sie machte ihm mit dem Meſſer eine kleine Wunde daran und ſagte: Jetzt laß mir geſchwind an meinem Goldfinger ein wenig Blut heraus.

Das kann ich nicht, ſagte er, ich kann dir nicht weh thun.

Es iſt kein Wehe ſo groß als Herzeleid, ſagt dein Jeſus Sirach, erwiderte ſie. Wenn du aber nicht willſt, ſo muß ich's eben ſelber thun. Sie that's und tropfte ihm ihr Blut in ſeine Wunde, die ſie alsbald ſorgfältig verband. Dann ritzte ſie ſich gleicherweiſe an ihrem linken Arm, gab ihm das Meſſer und ſagte: Gib mir auch Blut von deinem Goldfinger mach's aber nicht ſo arg, ſei doch nicht ſo grob152 gegen dich, ein paar Tropfen ſind genug. Nachdem ſie ſich ſein Blut angeeignet, verband ſie gleichfalls eilig ihren Arm.

Jetzt ſind wir ja ganz blutsverwandt, bemerkte er.

Das iſt's nicht allein, erwiderte ſie. Wenn's wieder verheilt iſt, ſo brauch 'ich nur mit der Nadel drin zu ſtüren, dann gibt's dir einen Stich in Arm, da wo du mein Blut drein empfangen haſt, und ebenſo umgekehrt, wenn ich einen Stich da ſpür' in meinem Arm, ſo weiß ich, daß du mir an dem deinigen ein Zeichen gibſt, und ſeh 'daraus, daß mein Schatz in dem Augenblick an mich denkt.

Er lachte. So lang die Narben friſch ſind, ſagte er, mags wohl ſein, daß ſie hie und da ein wenig ſtechen. Aber ich werd 'auch ohne das oft genug an dich denken.

Wenn's nun aber ſein muß, verſetzte Chriſtine, ſo mach 'in Got¬ tes Namen daß du fort kommſt, und geh' recht leiſ 'mein Katzenſtiegle hinunter, damit niemand im Haus aufwacht.

Sie herzten und küßten einander, daß Friedrich's Ausſpruch, Alles müſſe ein Ende haben, beinahe darüber zu Schanden geworden wäre, und nachdem er manchen vergeblichen Verſuch gemacht, den Strom ihrer Thränen durch Abtrocknen zu hemmen, ſchlich er ſo leiſe, daß man kein Geräuſch hören konnte, die ſchmale ſteile Treppe hinab und kam mit Hilfe des hölzernen Riegels, der anſtatt eines Schloſſes diente, leicht durch die hintere Thüre aus dem Haus.

Nachdem er ſich noch mehrmals umgekehrt und manchen Blick nach dem Schauplatze ſeines Glücks zurückgeſendet hatte, ging er der Sonne zu, um ſein Reiſebündel zu holen. Alles ſchlief noch; ungehört betrat und verließ er ſein väterliches Haus. Aber auch von dieſem, ſo we¬ nig Gutes er in letzter Zeit daſelbſt erlebt zu haben meinte, fühlte er ſich noch eine geraume Weile feſtgehalten und ſtarrte mit feuchten Augen nach den Fenſtern hinauf, hinter welchen ſeine Mutter ihn geboren und mit ſo unendlicher Liebe aufgezogen hatte, hinter welchen der Mann waltete, der doch immer ſein Vater war. Sein rauhes Herz war von einer unſäglichen Wehmuth ergriffen, in welcher die innerſte Seele des Volksſtammes, dem er angehörte, ſich ſpiegelte. Der Schwabe, obgleich er eines der unſtäteſten Völker iſt und viel¬ leicht ſogar ſeinen Namen vom Schweben und Schweifen hat, iſt doch darum dem Heimthum nicht minder als dem Wandertriebe verfallen. 153Während Viele Jahraus Jahrein entlegene Länder durchziehen, kleben Andere an ihrer Heimſtätte feſt, als ob ſie mit ihr verwachſen wären, ja man erzählt von einer alten Frau, die in Tübingen auf der Ammerſeite wohnte, ſie habe nie in ihrem Leben den Neckar geſe¬ hen und ſelbſt von Jenen reißt ſich Mancher erſt nach vergeblichen Verſuchen und nur um den Preis des bitterſten Heimwehs von der heimiſchen Scholle los, mag aber auch freilich, wenn einmal das Heimweh überwunden iſt, an ſich erleben, daß die Hei¬ math, die er nicht entbehren zu können glaubte, Jahre lang fern und todt und ſeinem Herzen etwas Fremdes hinter ihm liegt. Doch wird es kaum einen geben, den nicht wenigſtens im Alter wieder die Sehn¬ ſucht nach den heimiſchen Bergen, Thälern und Gewäſſern beſinge. Freilich werden dieſe widerſprechenden Triebe der Wanderluſt und der Heimſeligkeit, die bei dem Schwaben nur mit beſonderer Stärke her¬ vortreten, in jedem Menſchenſchlage wahrzunehmen ſein.

Friedrich wiſchte ſich die Augen mit der Hand aus, ſtieß ſeinen Wanderſtecken hart auf den Boden und ging in entſchloſſenem Reiſe¬ ſchritt die Straße hinab; da räuſperte ſich Jemand über ihm und eine Stimme rief: Wo 'naus ſchon, Frieder, wo' naus?

Er blickte ärgerlich in die Höhe und erkannte ſeinen Invaliden, der nach der Weiſe alter Leute nicht lange ſchlafen konnte und zu dieſer frühen Stunde aus ſeinem Ausgedingſtübchen zum Fenſter her¬ ausſah. In die Fremde! antwortete er, einen muthigen Ton in ſeine

Stimme legend.

Weiß ſchon, erwiderte der Invalide, und weiß eigentlich auch warum.

Ja freilich! entgegnete Friedrich lachend, es gibt kein Warum, das nicht auch ſein Darum hätt '. Uebrigens ſagt man: die Fremde macht Leut'.

Ich ſtreit's nicht. Wer nie hinaus kommt, kommt auch nie hin¬ ein. Und was das Heimweh betrifft, ſo hat ſelbiger Schwab 'in der Fremde geſagt: Schwaben iſt ein Land ich will aber nit wieder heim: grob Brod, dünn Bier und große Stunden!

Friedrich lachte und ſchlug ein paarmal mit dem Stab in die hartgefrorne Schneebahn; dann machte er eine Bewegung um ſeinen Weg fortzuſetzen.

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Er hat aber doch 'n curioſen Zwilch an Seinem Kittel, hob der Invalide wieder an. Läßt ſich da um ein Weibsbild von Haus und Hof fortſchicken. Iſt ſie denn auch ſo viel werth?

Friedrich ſchwang den Stecken um ſeinen Kopf, daß es durch die ſcharfe Morgenluft pfiff. Profoß, ſagte er, wenn ich Euch gut zum Rath bin, ſo redet mit mehr Reſpekt von ihr, denn ich verſteh 'kein' Spaß in dem Punkt. Oder könnt Ihr vielleicht etwas von ihr ſa¬ gen, das nicht recht wär '?

Das kann ich nicht und will's auch nicht, erwiderte der Invalide. Nur nicht ſo hitzig! Das Mädle kann brav ſein, ich will ihr gar nichts thun, aber darum fragt ſich's doch noch zehnmal, ob ſie zu Ihm taugt. In meinen jungen Jahren, ach, was hab 'ich mich nicht ver¬ leiden müſſen um mein Weib, bis ich ſie gehabt hab', und nachher, wiewohl ich nichts weniger als ſchlecht mit ihr gehauſet hab ', hab' ich oft denken müſſen, ich hätt 'grad' eben ſo gut eine andere nehmen können. Wenn man einander einmal innen und außen kennt, dann ſieht man erſt ein, daß man nicht bloß für die Kürze, ſondern auch für die Länge hätt 'ſorgen und auf Das und Jenes hätt' ſehen ſollen, was nicht bloß in die Augen ſticht; denn die Schönheit vergeht und die Jugend mit, und das Leben iſt oft ſo gar lang.

Aber das Sprichwort ſagt doch: Frühe Hochzeit, lange Liebe.

Das Sprichwort hat nicht immer recht, ſonderlich je nachdem die Hochzeit geweſen iſt.

Friedrich grub nachdenklich mit dem Stecken im Schnee.

Wenn ich Er wär ', fuhr der Invalide fort, ſo würd' ich da drau¬ ßen die Zeit und die Vernunft walten laſſen und meinem Vater nach¬ geben; auch blieb 'ich nicht zu lang in der Fremde, denn viel macht böſe Hoſen, das ſieht Er an meinem Fuß.

Ihr, ein alter Soldat, werdet mir doch nicht zumuthen, daß ich mein Wort breche? fuhr Friedrich aus. Ich hab 'mich mit heiligen Eiden verſchworen, und dabei bleibt's.

Wenn's ſo ſteht, erwiderte der Invalide, ſo will ich weiter nichts geſagt haben als: 's wär 'eben gut, wenn alle junge Leut' könnten vor alt werden, eh 'ſie jung würden.

Das mag ſein, entgegnete Friedrich, weil's aber unſer Herrgott anders155 hat haben wollen, ſo kann ich nicht wider ihn ſtreiten und muß eben der Natur ihren Lauf laſſen.

Damit verabſchiedete er ſich von dem Invaliden, der ihm noch lange voll Theilnahme nachſah, wie er ausſchritt und der Schnee un¬ ter ſeinen kräftigen Tritten krachte.

Er hatte die letzten Häuſer hinter ſich und meinte nun recht ein¬ ſam in die Welt hinaus zu wandern, als ihn auf einmal ein Wurf, nicht ganz ſanft, an die Schulter traf, daß der Schnee ihm am Ge¬ ſicht vorüberſtäubte. Er kehrte ſich zornig um; da war es Chriſtine, die ihn geworfen hatte.

Ei! rief er, ich hätt 'gute Luſt mit dir zu zanken. Ich hab' ge¬ glaubt, du ſteckeſt tief im warmen Neſt, und jetzt laufſt hinter mir drein, erkälteſt dich und verbitterſt mir das Scheiden noch einmal.

Schiltſt ſchon wieder auf mein Geläuf? ſagte ſie, ſich an ſeinen Arm hängend. Sei ruhig, ich kann nicht mehr weinen, die Kälte treibt mir die Thränen zurück. Ich werd 'doch auch mein' Schatz noch ein wenig begleiten dürfen.

Ein paar Schritt 'mein'twegen. Dann aber machſt links um und läßt mich in den Schutz Gottes befohlen ſein .

Du Spottvogel! Ja, erſt noch will ich dich in unſers Herrgotts Schutz empfehlen und all' Stund 'für dich beten, daß dir's gehen mög', wie dem Handwerksburſchen, der in der Fremde ſo wunderbar behütet worden iſt.

Wie iſt denn das geweſen?

Haſt nie was davon gehört? Mir iſt's einmal im Karz erzählt worden. Ein Handwerksburſch iſt, weit von ſeiner Heimath weg, Abends ſpät in eine fremde Stadt kommen und hat nach der Herberg 'gefragt. Er iſt arg müd' geweſen und in den vielen krummen und buckligen Gaſſen hat er ſich auch noch die Füß 'auf dem Pflaſter ver¬ ſtoßen müſſen. Gelt? ach Gott, ſo wird's dir auch gehen auf deiner Wanderſchaft.

Mach 'nur fort.

Bis er zur Herberg kommen iſt, iſt's ſchon ganz Nacht geweſen. Wie er nun durch den finſtern Hausgang an der Wand hin tappt, da kommt plötzlich etwas wie ein ſtarker Mann über ihn her und packt ihn feſt um den Leib

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Donnerwetter! unterbrach er ſie, da hätt 'ich aber dreingeſchlagen!

Nein! wart 'nur, 's kommt ganz anders, du G'waltthätle du! Der Handwerksburſch' hat vielleicht auch geflucht oder wenigſtens im Schrecken einen Laut von ſich geben; denn auf einmal ſieht er einen Lichtſchein vor ſich in der Tiefe, und eine Stimme ruft von unten herauf: Um Jeſu Chriſti willen, gehet keinen Schritt weiter oder Ihr ſeid des Todes! Wie nun das Licht näher kommen iſt, da hat er erſt geſehen, daß er vor der Kelleröffnung ſteht, und tief unter ihm ſteht der Wirth mit dem Licht in der Hand und heißt ihn warten bis er herauf komme und die Fallthür 'zumache. Drauf hat er ſich umge¬ ſehen nach dem Freund, der ihn vor dem jähen Sturz bewahrt hat, aber da iſt Niemand weit und breit geweſen. Wer kann's alſo anders geweſen ſein, als der Engel, der ihn zu ſeinem Schutz begleitet hat? Sieh, und einem ſolchen Engel möcht' ich dich auch anempfohlen haben, daß er keinmal von dir wiche und ließe dir kein Leid geſchehen.

Wie der, der mit dem jungen Tobias auf die Wanderſchaft gangen iſt? Ich ließ mir's auch gefallen, wenn du der Engel wärſt.

Ach wenn ich mit dir könnt '! Ich wollt' gewiß nie über Müdig¬ keit klagen.

Das wär 'ein luſtig's Reiſen und ein tröſtlicher Reiſ'kamerad. Aber

Weil's aber nicht kann ſein,
Nicht kann ſein, nicht kann ſein,
Bleibſt du allhier.

O wenn ich dran denk ', rief Chriſtine von einem plötzlichen Schauer ergriffen, daß ich dich nimmer ſäh' und Alles was dann über mich käm ' ich thät mir einen Tod an.

Wie meine Schweſter? Die hat auch geſagt, ſie ſpring 'in die Fils, und den Tag drauf hat ſie meinen Schwager genommen. Da¬ mit jedoch die arm' Seel 'Ruh' hat, will ich dir jeden Troſt und jede Hoffnung und jeden Schwur, Alles von A bis Z noch einmal 'runter¬ ſagen. Nachdem er dies unter wiederholten Liebkoſungen gethan, ſchob er ſie ſanft einige Schritte in rückwärtsgekehrter Richtung auf der Straße fort und ſagte dann: Jetzt thu' mir's zu lieb und ſieh dich nicht mehr um; ich will mich auch nicht mehr umſehen.

157

Er wandte ſich und ſchlug raſch ſeinen kräftigen Wanderſchritt wieder an. Kaum hatte er ſich ein wenig entfernt, ſo rief ſie: Frieder, nur noch ein 'einzigen Blick!

Er blieb ſtehen.

Nur noch ein einzig's Wort! rief ſie. Will 'und Lieb', die ſtiehlt kein Dieb. Nicht wahr?

Ja, lieb's Weible, antwortete er. Will 'und Lieb', die ſtiehlt kein Dieb. Jetzt aber geh heim. Der Morgen kommt, es wird empfindlich kalt. Willſt gleich machen, daß du fortkommſt? wiederholte er und bückte ſich, als ob er den harten Schnee zu einem Wurfe ballen wollte.

Sie lief lachend eine Strecke weit davon. Als ſie Halt machte und ſich nach ihm umſehen wollte, war er ſchon hinter der nächſten Biegung der Straße verſchwunden, und ſchluchzend deckte ſie die Augen mit der Schürze zu.

14.

Selten wohl hat ein deutſcher Hausknecht dem Fürſten Reichserb¬ poſtmeiſter in ſo kurzer Zeit ſo viel zu verdienen gegeben, als der junge Schwabe, der in der Sonne zu Sachſenhauſen eingetreten war. In Ebersbach fragte man ſich noch, ob er jetzt wohl ſein Reiſeziel erreicht haben werde, da kam ſchon ein Brief von ihm An die ehr¬ bare und beſcheidene Jungfer Jungfer Chriſtina Müllerin, in beliebi¬ gen Händen zu eröffnen, in Ebersbach, cito, cito, franco.

Der Brief lautete ſo: Gott zum Gruß und Jeſum zum Bei¬ ſtand. Heißgeliebter Schatz, ich muß Dich mit einem betrübten Hertzen beſchreiben, und dieſe Zeilen werden Dich, wie ich in meinem Hertzen glaub, betrübet antreffen. So will ich Dein Hertz erleichtern und Dich mit ernſthaftem Hertzen berichten: Liebe Chriſtina, glaube Du daß mein Hertz nicht wanckhen wird und Dir noch jeder Zeit getreu verbleiben, ſo lang noch Gott eine Ader in meinem Leib laßt. Wann Du andere Buben entlaßſt und Dich ihrer entläßſt, und ich erfahre daß Du Dich ſo haltſt wie es einem braven Menſchen gehört, ſo ſoll mir keine Andere158 mehr an meine Seite kommen. Ich wollt Dir gern was ſchicken, ich forcht, Du möchteſt in dem Eberſpächer Markt zu dem Tanz gehen und Dich mit Einem einlaſſen; ſo will ich jetzt Dir noch nichts ſchicken, ſon¬ dern auf Deine Aufführung warten. Wann Du Dich hältſt, ſo will ich Deiner nicht vergeſſen und Dich auch nicht laſſen. Sollteſt Du Dir Dein Leben verkürzen, wie Du geſagt haſt, ſo ſchreibe ich mich aus der Schuld und gib es Dir und den Deinigen über. Was ich geſagt hab, das halt ich Dir und laß Dir Deinen Willen. Ich wünſche daß Gott der Allmächtige Dein Hertz regiere, und führe Dich zu allem Guten, und gebe Dir Glück und Segen, und regiere Dein Hertz, daß es nicht fallen noch irr gehen kann. Das wünſch ich Dir aus getreuem Hertzen. Noch Eins: Ich verlange eine Nachricht von Dir. Ich will Dir die Ueberſchrift ſagen, wie Du an mich ſchreiben ſollſt. Weiter kann ich Dir nicht ſchreiben, als Du ſollſt mir nicht übel nehmen, weil ich ſo ſ mäßig geſchrieben hab. Die Nacht iſt mir auf den Halß gekom¬ men, und vor Betrübnus hats nicht ſein können. Du und die Deinige ſeynd tauſendmahl gegrüßt und in den Schutz Gottes befohlen, und bleibe Dir getreu bis in den Tod. Joh. Fr. Schwan. Dieſer Brief zukomme an Joh. Friedrich Schwahn, Hausknecht bei der Sonne in Sachſenhauſen bei Frankfort a. M.

Noch ehe Chriſtine ſich zu dem großen Unternehmen entſchließen konnte, einen Brief von der Fils nach dem Main zu ſchreiben, der doch auch die Poſtgebür durch ſeine Länge rechtfertigen mußte, oder ehe ſie vielleicht den Unmuth ganz überwunden hatte, den ihr ohne Zweifel das fortgeſetzte Mißtrauen in ihre Treue verurſachte, ſchickte er einen zweiten Brief, zwar kürzer als der erſte, aber dafür um ſo zärtlicher und leidenſchaftlicher, auch obendrein von einem Geſchenke begleitet, aus welchem ſie bei einigem Nachdenken ſchließen konnte, daß er über ihre Aufführung an dem gefürchteten Markttage, den erſt die nächſte Woche brachte, ſchwerlich ſo unruhig war, als er ſich ge¬ ſtellt hatte, um, freilich nicht eben unter einem feingewählten Vor¬ wande, den bekannten Zuſtand ſeiner Baarſchaft zu verbergen, den er in ſeinem erſten Briefe einzugeſtehen ſich geſchämt hatte und der ſich ſeitdem in etwas gebeſſert haben mochte.

In dieſem zweiten Briefe ſchrieb er: Gottes Segen zum Gruß und Jeſum zum Beiſtand. Hertzgeliebter Schatz, hertzgeliebte Chriſtina,159 ich kann es nicht unterlaſſen, vor lauter Sorgen und Bekümmernus und Gedanken Dich zu beſchreiben, und ich kann Tag und Nacht nicht ruhen bis ich eine Antwort von Dir hab. Bitte Dich um Gotteswillen, ſchreibe Du mir wie es Dir geht und wie es mit Dir ſey. Ich kann Tag und Nacht nicht ruhen vor lauter Seuftzen und Sorgen. Wann Du mir etwas zu melden haſt ſo ſchreib mir es gleich, ich will Dich nicht verlaſſen ſo lang ich leb. Uebrigens ſchick ich Dir hier einen kleinen Gruß; wann Du mir ſchreiben thuſt, ſo will ich Dir ein Meh¬ reres ſchicken. Ich hab nicht Zeit, Dir mein gantzes, mein gantzes Hertz zu ſchreiben; ich will Dich berichten wann Du mir wieder ſchreibſt. Brich, den Brief an Deinen Vater auf. Du biſt tauſendmal grüßt. Ich verbleibe Dein getreuer Schatz bis in den Tod.

Der eingelegte Brief an den alten Hirſchbauer, den ſie leſen ſollte, erhielt Verſicherungen ſeiner unwandelbaren Geſinnung, wie folgt: An meinen Vetter Müller. Ich kann nicht unterlaſſen an Euch zu ſchrei¬ ben, weilen Er ſo viele Müh an ſich genommen und unterſchiedliche Sachen wegen Seiner Tochter Namens Chriſtina mit mir geredt hat: ſo will ich Ihm redlich ſchreiben wie ichs gegen ihr meine, daß ich keine Andre mehr begehre als ſie, und ich ſo bald ihrer nicht vergeſſen kann. Wann es ſeyn kann, wie Er mit mir geredt hat, daß Er mit dem H. Pfarrer und mit dem Chirurgus reden könnt, daß man uns zahmen (zuſammen) laſſen will, ſo bin ich gleich reſolvirt ſie zu neh¬ men, denn ſo leicht kann ich Sie nicht laſſen, und Sie mich nicht. Ich laſſe auch mein Leben eh ich ſie entlaſſen oder verlaſſen will: ſo bitte ich Ihn nur herzlich, die Chriſtina ein halb Jahr bei Ihm zu behalten.

Auch der Invalide erhielt einen Brief in beliebigen Händen zu eröffnen , welcher ſeine Zweifel wegen des Verhältniſſes zu Chriſtinen nicht ſo wohl widerlegen als einfach in folgenden Schlußworten nieder¬ ſchlagen ſollte: So lang ich einen Blutstropfen im Leib hab, ſo will ich mich ihrer annehmen. Hiemit will ich beſchließen und ſchließe Euch in die Vorſorg Gottes.

Der Hirſchbauer ſagte nach dem Empfang ſeines Briefes zu der glücklichen Chriſtine: Er hat doch ein beſtändiges Gemüth. Ich wollt's dir ja gern gönnen, daß ihr zuſammen kämet, aber ich beſorg 'mich eben, wenn er ſeinen Vater merken läßt, wie es ihn, um's Herz iſt, ſo läßt ihn der nicht zurück. Ich will jetzt doch einmal in's Pfarr¬160 haus gehen, oder vielleicht noch lieber vorher zum Chirurgus. Ich weiß nicht, wo ich zuerſt hin ſoll. Chriſtine wußte es auch nicht. Ihre Gedanken waren allein darauf gerichtet, wie ſie es angreifen ſolle, um einen recht großen Brief zu ſchreiben, mit dem ihr Schatz zufrie¬ den ſein müßte, obgleich ſie ihn darin für ſeinen unmanierlichen Arg¬ wohn recht heruntermachen wollte. Sie dachte aber, ſie wolle erſt den Markttag vorübergehen laſſen, um ihm dann ſchreiben zu können, daß ſie nicht zum Tanze gegangen, ſondern den ganzen Tag und Abend daheim geblieben ſei.

Der Invalide ſchüttelte zu Friedrich's Betheuerungen hartnäckig den Kopf und ſagte beim Wein zu der Bäckersfrau: Wenn ſo ein junger Menſch verliebt iſt, ſo meint er, es gebe in der Welt nichts als ſeinen Gegenſtand, und wenn er einmal zehn Jahr 'und drüber verheirathet iſt, ſo kann er oft gar nicht begreifen, warum er grad die genommen hat, da's doch ſo viel Andere gegeben hätte.

Beſtändigkeit iſt doch eine Tugend, erwiderte die Bäckerin. Aber arg iſt mir's einmal, daß der erſte Funke zu dem Brand in meinem Haus hat angehen müſſen. Wenn ich das vorausgeſehen hätt ', ſo hätt' ich mich lieber ohne mein Dötle beholfen, und dann wär 'ſie ihm vielleicht in Jahr und Tag nicht vor's Aug' kommen. Mir ſchwant's, das Ding geht zu keinem guten End '.

Wider das Schickſal iſt kein Kraut gewachſen, verſetzte der In¬ valide. Das iſt im Leben wie in der Schlacht: an Einem fährt's vorüber, und den Andern trifft's.

Es kamen noch weitere Briefe von Friedrich, die ſich alle um ei¬ nen und denſelben Angelpunkt drehten. Von ſeinem eignen Ergehen ſchrieb er kein Wort, auch nicht von dem, was er im fremden Lande zu ſe¬ hen und zu hören bekam. Dagegen zeigten ſeine Briefe die Merk¬ würdigkeit, daß er fortwährend mit der Jahrszahl auf geſpanntem Fuße ſtand. Seine Hand ſchien einen unbezwinglichen Widerwillen gegen dieſelbe zu empfinden. In allen dieſen Briefen hatte er immer zuerſt die falſche Zahl hingeſchrieben, dann ausgeſtrichen und die rich¬ tige darübergeſetzt; in einem war ſogar das falſche Datum unbe¬ ſichtigt ſtehen geblieben. Allerdings ein unerheblicher Umſtand für ein Mädchen, das kein andres Datum kannte als dieſen Tag, an welchem ſie ihrem Liebſten ſchrieb.

161

15.

Chriſtinens Brief war immer noch nicht fertig, und ihr Vater hatte den Weg zum Pfarrer und Chirurgus gleichfalls noch nicht ge¬ funden, da verbreitete ſich eines Tags im Flecken das Geſchrei, des Sonnenwirths Frieder ſei wieder da oder wenigſtens im Anzuge be¬ griffen. Die Nachricht drang mit großer Schnelligkeit ſelbſt zu dem entlegenen Hauſe des Hirſchbauers, und einer von Chriſtinens Brü¬ dern machte ſich ſogleich auf, um Kundſchaft einzuziehen. Es verhielt ſich wirklich ſo, wie das Gerücht ſagte. Ein Fuhrmann, der in der Sonne einkehrte, hatte den Erben derſelben unterwegs, und zwar in ziemlich abgeriſſenem Zuſtande, angetroffen; zur Beſtätigung, daß er die Wahrheit ſage, zeigte er ein Schreiben vor, das ihm der Wanderer mitgegeben hatte, um es an denjenigen ſeiner beiden Schwäger, zu welchem er noch das meiſte Vertrauen hatte, zu beſtellen. Es ging ſo eben ſehr lebhaft in der Sonne zu, weshalb die Neuigkeit wie ein Lauffeuer ſich verbreitete. Der Fuhrmann erzählte noch, er habe den Frieder aufſitzen heißen; derſelbe habe ſich aber geweigert, da er nicht nach Hauſe kommen wolle, bis er wiſſe wie er aufgenommen werde. Er gab den Brief einem Knechte, der ihn zum Chirurgus hinüber trug. Dieſer ließ nach einer Weile dem Sonnenwirth ſagen, es ſei endlich Nachricht von ſeinem Sohne da; wenn der Herr Vater aufge¬ legt ſei, ſie zu hören, ſo wolle er mit dem Briefe herüberkommen. Der Sonnenwirth antwortete, er habe im Augenblick alle Hände voll zu thun, und auf den Abend wolle er Ruhe haben; morgen ſei auch ein Tag, um von verdrießlichen Dingen zu reden.

Auf den andern Tag wurde in der Sonne ein Familienrath zu¬ ſammenberufen, welchem der Chirurgus den Brief ſeines jungen Schwa¬ gers vorlas. Derſelbe lautete gleich Eingangs ſo über alle Maßen niedergeſchlagen und unterwürfig, daß die Sonnenwirthin einmal über das andre in ein triumphirendes Gelächter ausbrach. Geliebter Schwager , las der Chirurg, ich weiß mir nicht mehr zu helfen, ſoD. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 11162will ich Ihn um Gottes Willen gebeten haben, mir einen Rath zu ertheilen, dann ich laufe in der Irr, als wie ein verlornes Schaf; ſo rufe ich zu Gott, er möchte mir einen Hirten ſenden, der mich wieder auf den rechten Weg bringen ſollte. Meine Reiſe iſt nicht beſtanden, wie ich geglaubt hab: mein Herr Vetter hat des Gerichtsſchreibers Sohn von Boll zum Knecht, und hat ihn nicht fortſchicken können, weil er auch ein Freund von ihm ſei. So bin ich dieſesmal in mich ſelber gangen, und mußt erſt erkennen was ich bei meinem Vater vor gute Tag gehabt hab und ihm nicht gefolgt, ſo bitt ich nur noch dieſes¬ mal zu helfen und mich nicht zu verlaſſen. Meine Eine Bitt an die Meinen iſt, mir nur noch ſo viel zu helfen, daß ich nur einer von ſeinen Taglöhnern ſein möchte. Ich werde gewiß meinem Vater in allen Stücken gehorſam ſein; wann ich es nicht thue und ihm im Ge¬ ringſten was anſtelle, ſo ſprich ich das Urtel wider mich und ſchreibe meine eignige Hand unter, daß ich auf den ewigen Arreſt ſoll geſetzt werden. Ich weiß wohl, ich hab es gegen den Herrn Schwager nicht verdient, weil ich Ihn ſchon in vielen Stücken erzürnt und beleidiget hab, es iſt mir aber herzlich leid, es wird inskünftige nicht mehr ge¬ ſchehen. So mein ich nun ob der Schwager nicht eine Bitte vor mich bei dem Herrn Amtmann thun möchte. Man redt wider mich in Eberſpbach, es ſollte einen Heiden erbarmen über ſolche Reden: ich ſoll geſagt haben, ich wolle alle Häuſer in Brand ſtecken und den und jenen todt ſtechen. Mein Hertze hat noch niemal daran gedacht. Geliebter Herr Schwager, ich gedenke auch noch an Gott, und gedenke bei mir ſelbſt, ich möcht hinkommen wo ich wollt, und Gott möchte mich auf das Krankenbette legen, ich gewiß mein Vaterland durch ſolche Streich nicht verſchertzen will. So bitte ich den Schwager mich auf dieſesmal nicht zu verlaſſen und mir einen Rad zu geben und zu helfen

Rad ſchreibt er, unterbrach ſich der Chirurg im Leſen: er kann doch ſonſt beſſer ſchreiben und hat das Wort weiter oben auch richtig geſchrieben.

Seine Hand weiß mehr als er und hat das Rechte troffen, be¬ merkte die Sonnenwirthin: der Weg, den er geht, führt wohl noch zu Galgen und Rad.

Iſt der Brief aus? fragte der Sonnenwirth.

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Ich hab das Vertrauen zu Ihm , fuhr der Vorleſer fort, und glaub in meinem Herzen, daß Er des Herrn Amtmanns ſein Hertze am beſten erweichen kann. Mein Vater ſchickt einen Knecht fort auf Faſtnacht; er erbarmet ſich meiner gewiß und nimmt mich wieder an, wann ich befreit bin von dem Herrn Amtmann. Ich hab nicht längere Weil gehabt; wann ich mich ſehen darf laſſen, ſo will ich mündlich mit Ihm reden. Er iſt von mir viel tauſendmal gegrüßt und ſchließe Ihn in die Vorſorg Gottes. Sein getreuer Schwager bis in den Tod.

Es muß ein wenig confus in ſeinem Kopf hergehen, fügte der Chirurg hinzu, denn er lebt mit dem Datum noch im vorigen Jahr.

Er kann eben in gar nichts ordentlich ſein, bemerkte die Sonnen¬ wirthin.

Jetzt, was iſt zu thun? fragte der Chirurg.

Der Krämer, der nicht wieder die Mißgriffe von neulich begehen wollte, half ſich mit Achſelzucken, Händereiben und Lächeln nach allen Seiten hin.

Die Sonnenwirthin ſagte: Entweder iſt er der Landſtreicherei ob¬ gelegen, hat ſein Geld verthan und iſt gar nicht bei dem Vetter ge¬ weſen, oder hat er drunten gleich zum Einſtand ſchlechte Streich 'ge¬ macht und iſt wieder fortgejagt worden. Wenn ſein Gewiſſen gut wär', that 'er nicht ſo erbärmlich und ſo unterthänig ſchreiben. Das iſt ſonſt ſein' Sach 'nicht.

So viel iſt richtig, ſagte der Sonnenwirth nach einigem Nachden¬ ken, daß der Gerichtsſchreiber in Boll drüben einen Sohn in die Fremde geſchickt hat, und das erſt ganz kürzlich, denn ich hab's erſt vor ein paar Tagen gehört, nur hab ich nicht ſagen hören wohin. Weil er aber allerdings zu unſrer Gefreundtſchaft gehört und mein Bruder in Sachſenhauſen alſo auch ein Vetter von ihm iſt, ſo iſt's wohl möglich, daß er ihn dorthin gethan hat; denn ſeine Buben ſind dickköpfig und haben wenig Beruf für die Schreiberei.

Es kommt natürlich Alles darauf an, ob die Angabe wahr iſt, bemerkte der Chirurg.

Wenn's wahr iſt, ſagte der Sonnenwirth, ſo müſſen die Beiden ſchier mit einander bei meinem Bruder drunten angekommen ſein.

Man muß eben hinunter ſchreiben, meinte Magdalene.

11 *164

Ja, aber was fangt man derweil mit dem Buben an, bis Ant¬ wort kommt? fragte die Krämerin. In Plochingen, von wo er ſchreibt, kann man ihn doch nicht liegen laſſen, daß er dort eine rechte Zech 'hinmacht.

Und wenn man ihn ohne Weiters wieder in's Haus nimmt, ſagte die Sonnenwirthin, ſo ſetzt er ſich feſt und fangt das alt 'Lied wieder an, und iſt dann nicht mehr fortzubringen, wenn's auch zehnmal von Sachſenhauſen kommt, daß all ſein Vorgeben verlogen ſei.

In dieſem Augenblicke hörte man ein Poſthorn und gleich darauf den Knall einer Peitſche. Der Poſtreiter hält vor'm Haus, der Haus¬ knecht ſoll ihm das Pferd halten, ſagte der Sonnenwirth, der an's Fenſter getreten war. Es freute ihn jedesmal, wenn Briefe für den Flecken in der Sonne abgegeben wurden oder wenn Poſtpferde zur Einkehr genöthigt waren, weil er den Beweis darauf zu gründen hoffte, daß eine Zwiſchenpoſt hier errichtet werden ſollte. Nach einer Weile kam der Poſtknecht herein und überreichte ihm einen Brief: An Herrn Herrn Hans Jerg Schwan zur löblichen Sonne in Eberſpbach . Der Sonnenwirth befahl einen Schoppen und las den Brief bedächtig, wäh¬ rend jener den Wein ſtehend trank; denn in ſeinen hohen ſteifen Stie¬ feln würde ihm das Sitzen eine Arbeit gekoſtet haben, die ſich für einen kurzen Aufenthalt nicht verlohnte.

Der Sonnenwirth hatte den Brief erſt zu Ende geleſen, als der Poſtknecht ſchon wieder zu Pferde ſaß und blaſend gen Göppingen weiter ritt. Der Bub 'hat nicht gelogen, ſagte er, es verhält ſich vielmehr Alles ſo wie er behauptet. Mein Bruder ſchreibt mir da, er hätt' ihn gern behalten, aber er habe dem Gerichtsſchreiber in Boll für deſſen Sohn bereits zugeſagt gehabt. Als Gaſt wär 'er ihm will¬ kommen geweſen, ſo lang er hätte bleiben mögen, auch habe Alles im Haus den Vetter gern gehabt; der aber habe ſich nicht halten laſſen, ſondern ſei nach etlichen Tagen wieder fort.

Und hat ſich Gott weiß wie lang in der Welt herumtrieben, ſagte die Sonnenwirthin.

Nicht gar lang, dem Datum nach, entgegnete der Chirurg, dem der Sonnenwirth den Brief hingereicht hatte.

Es iſt zwar dumm von dem Buben, verſetzte der Sonnenwirth, daß er auf die Einladung nicht länger blieben iſt; man hätt 'ſich165 unterdeſſen für ihn umſehen und ihn anderswo unterbringen können. Aber verdenken kann ich's ihm doch grad auch nicht, daß er ſeinen Verwandten nicht als unnützer Brodeſſer hat hinliegen wollen, nach¬ dem man ihn nicht zum Schaffen angenommen hat.

Ja, bemerkte Magdalene, das Sprichwort ſagt: Zwei Tag 'ein Gaſt, den dritten ein Ueberlaſt.

Von ſeiner Liebſchaft ſchreibt er gar nichts, ſagte die Sonnen¬ wirthin. So viel gute Wörtlein er ſonſt gibt, ſo ſpricht er doch nicht mit einer Silbe davon, daß er in dem Stück nachgeben wolle.

Er ſchreibt aber, er wolle in allen Stücken gehorſam ſein und nicht das Geringſte mehr anſtellen, entgegnete der Chirurgus. Man kann ihn alſo beim Wort nehmen und ihm beweiſen, daß er auch das verſprochen habe.

Recht degenmäßig ſchreibt er, das muß man ſagen, bemerkte die Krämerin. Ich hätt 'gar nicht glaubt, daß der Strobelkopf, der ſtör¬ rig', ſo mürb 'werden könnt'.

Der hat ſich in der Fremde die Hörner verſtoßen, ſagte der Son¬ nenwirth behaglich lachend: das ſieht man jedem Wort an, das er ſchreibt. Jetzt weiß er nimmer wo aus und wo ein. Ja, ja, es iſt eben ein ganz ander's Leben da drunten, als bei uns. Die Leut 'ſind dort viel alerter und aufgeweckter, und wenn auch bei Manchem nicht viel dahinter iſt, ſo iſt's eben doch Unſer einem, wie wenn er der Garnichts dagegen wär'.

Das glaub 'ich, ſagte der Chirurg, das kann ſolch einem trotzigen, ſtutzigen Schwabenkopf ſpaniſch vorkommen.

Ich bin ja ſelbſt auch ſchon drunten geweſen, fuhr der Sonnen¬ wirth fort. Ja was! Bis Unſereiner ſich nur beſinnt, was er ſagen ſoll, haben die dem Teufel ein Ohr weggeſchwätzt. Es mag ſein, daß wir im Schreiben und ſonſt in mancherlei Solidität mehr ſind als ſie, wenigſtens gibt man ſich bei uns in der Schul 'mehr Müh', aber nachher müſſen wir ihnen weit nachſtehen, ſie ſind viel zu geſchwind für uns. Mein Sohn iſt gewiß keiner von den Langſamen im Geiſt, aber ich ſteh 'dafür, und kann ganz in's Feuer ſehen, daß ſie ihm gleich über den Kopf gewachſen ſind. Und dann machen ſie gar keine Umſtänd', wie man's bei uns macht. Sie ſind eigentlich doch auch wieder fadengrad wie wir, und noch mehr als wir. Bei uns, da thut166 man einen Beſuch jeden Tag, den er da iſt, gleichſam mit dem Seil¬ ſtumpen anbinden, damit er ja ſieht, daß man ihn nicht fortlaſſen will. Mein Bruder aber, der gar kein Schwab 'mehr iſt und in dem Klima ganz die Art angenommen hat, wie die Andern auch ſind, der hat wahrſcheinlich ein einzigsmal geſagt: Du biſt willkommen, Vetter, und bleib' ſo lang du magſt; und dann hat der Bub 'natürlich bald gemeint, man ſei ſeiner überdrüſſig, weil man's ihm nicht zehn und zwanzigmal geſagt hat. Es hätt' aber nichts zu ſagen gehabt, denn wenn ſie Einen los werden wollen, ſo wiſſen ſie ſchon den Schnabel aufzuthun. Nun, jetzt hat er auf einmal einſehen gelernt, daß die Welt größer iſt als ſein Kopf, und kommt aus der Fremde wie der Schneck, wenn er die Hörner einzieht und wieder in ſein Haus zu¬ rückgeht.

Der Herr Vater iſt alſo der Meinung ihn wieder anzunehmen? fragte der Chirurg.

Was bleibt ſonſt übrig? antwortete der Sonnenwirth. Ich wüßt 'nicht, wo ich ihn in der Geſchwindigkeit hinſchicken ſollt'.

Dann kann er gleich den alten Tanz wieder anfangen, ſagte die Sonnenwirthin.

Dafür kann man ihm thun, entgegnete er. Eh 'er nicht aus¬ drücklich verſprochen hat, daß er ſich mit der Perſon weder mündlich noch ſchriftlich mehr einlaſſen will, kommt er mir nicht in's Haus.

Ich will ihm das nach Plochingen ſchreiben, erbot ſich der Chirurg.

Braucht nichts zu ſchreiben, verſetzte der Sonnenwirth. Zuerſt muß man ja doch mit dem Amtmann reden, daß der ſeiner Heimkunft keine Schwierigkeit in Weg legt, nachdem er nun einmal die Hand in der Sach 'hat. Dann iſt's überhaupt beſſer, man gibt dem Buben gar keine Antwort und läßt ihn zappeln, er wird dadurch nur um ſo mürber.

Wart ', du wirſt eine ſchöne Rechnung vom Plochinger Bärenwirth kriegen, lachte die Sonnenwirthin.

Ich hab 'ihn nicht heißen in den Plochinger Bären hinliegen.

Irgendwo muß er aber doch ſein, bemerkte die Frau des Chirurgen ſchüchtern.

Warum iſt er nicht gleich hieher gekommen? entgegnete der Sonnen¬ wirth. Wenn ich ihn auch nicht ohne Weiter's angenommen hätt ',167 ſo hätt' man doch dafür ſorgen können daß er eine Weile wo unter¬ kommen wär '.

Mir ſcheint's auch das Nöthigſte, daß man ſich zuerſt mit dem Amt verſtändigt, ſagte der Chirurg. Das Uebrige wird ſich finden. Er hat Verwandte hier und in der Gegend, und wird nicht im Bären bleiben, denn er weiß, daß das den Herrn Vater verdrießen muß.

Wenn nur auch der Herr Amtmann ſeinen Conſens gibt, bemerkte der Krämer, der die Nothwendigkeit fühlte, im Familienrath endlich etwas, das einer eigenen Meinung glich, zu äußern.

Es liegt ja nichts Sonderlichs wider ihn vor, verſetzte der Son¬ nenwirth.

Wenn's dem Herrn Vater geliebt, ſagte der Chirurg, ſo bin ich erbötig in's, Amthaus mitzugehen. Ich muß nur erſt einen andern Kittel anziehen, damit ich ein wenig amtsmäßiger ausſehe.

Ja, wir wollen die Sach 'lieber gleich abmachen, erwiderte der Sonnenwirth.

Als der Chirurg mit ſeiner Frau nach Hauſe ging, um ſich amts¬ mäßig anzuziehen, ſagte dieſe zu ihm: Wenn du nichts dagegen haſt, ſo will ich meinem Bruder nach Plochingen ſchreiben, will ihm auch etwas Geld ſchicken, daß er ſeine Rechnung dort zahlen kann, und will ihn nach Hattenhofen hinüber zum Vetter gehen heißen; der be¬ hält ihn ſchon etliche Zeit, und dort iſt er auch mehr abſeits, daß ihn nicht ſo viele Menſchen ſehen.

Thu das meinetwegen, ſagte ihr Mann.

Die beiden Männer gingen in's Amthaus und trugen dem Amt¬ mann ihr Anliegen vor. Derſelbe machte ein bedenkliches Geſicht und ſagte: Ich hätte rebus sic stantibus nichts Erhebliches dagegen einzu¬ wenden, daß der halb und halb exilirte junge Menſch, ſelbſtverſtänd¬ lich unter der Bedingung künftigen Wohlverhaltens und radical ge¬ beſſerter Aufführung, wie auch völliger Vermeidung aller Turbulenzen und Extravaganzen, aus dem Quaſi-Exil in ſein elterliches Haus zu¬ rückkehre; allein da ich nun einmal über ſeine Entlaſſung an das Oberamt berichtet habe, ſo habe ich auch über ſeine Wiederannahme die amtliche Entſcheidung nicht mehr in der Hand. Ich will jedoch an den Herrn Vogt in Göppingen ſchreiben und wohldemſelben vor¬ ſtellen, daß der junge Menſch gleichſam als verlorner Sohn und reuiger168 Sünder unter die ihm von Gott verordnete Autorität ſich wieder zu¬ rückfügen wolle. Vielleicht dürfen wir uns eines günſtigen Beſcheides verſehen. Sobald ſolcher an mich herabgelangt, werde nicht ermangeln davon Meldung zu erlaſſen.

Nach einigen Tagen kam der Amtsknecht, um den Sonnenwirth zum Amtmann zu berufen. Der Sonnenwirth ſchickte nach ſeinem Beiſtand. Der Schwager hat ſchon wieder geſchrieben, ſagte dieſer, als ſie mit einander nach dem Amthauſe gingen. Diesmal ſchreibt er aus Hattenhofen, wohin er von Plochingen gegangen iſt.

Ich hab 'mir's wohl gedacht, daß er ſich's nicht getrauen wird, zu Plochingen im Wirthshaus liegen zu bleiben, verſetzte der Sonnen¬ wirth lächelnd. Was ſchreibt er denn?

Er ſchreibt beinahe noch lamentabler als das letztemal. Uebrigens ſcheinen ihm unterm Warten curioſe Gedanken aufgeſtiegen zu ſein und er traut dem Landfrieden nicht recht; denn er ſchreibt im Ver¬ lauf des Briefes: Ich glaube, der Herr Schwager wird mich nicht nur herzulocken, damit ich möchte in Arreſt geſetzt werden, ſondern der Herr Schwager hat's noch jederzeit redlich und getreu mit mir ge¬ meint.

Der Sonnenwirth lachte äußerſt behaglich. Er hat Angſt, ſagte er, und da wird, hoff 'ich, auch die Zucht Eingang bei ihm finden.

Gott geb's, erwiderte der Chirurg. Diesmal hat er auch das Da¬ tum richtig geſchrieben; vielleicht iſt das ein Omen, daß er auch ſonſt wieder in die Ordnung kommen wird.

Gott geb's, ſagte der Sonnenwirth.

Nun, Sein Gutedel iſt ja wieder da, Herr Sonnenwirth, begann die Amtmännin, welche diesmal zugegen war, mit ſaurem Geſicht. Der hat nicht lang 'gut gethan.

Es iſt bei meinem Bruder kein Platz für ihn geweſen, mit Ihrem Wohlnehmen, Frau Amtmännin. Der hat einen halbſtudirten Haus¬ knecht angenommen. Will auch ſehen, was da noch draus wird. Aber was will ich jetzt machen? Es iſt doch mein eigen Fleiſch und Blut, das ich nicht in der Irre laufen laſſen kann. Ich nehm 'ihn aber nicht eher an, als bis er verſprochen hat, daß er die unverſtän¬ dige Liebſchaft aufgeben will.

Meinetwegen, ſagte die Amtmännin. Aber mir ſoll der Grobian169 nicht wieder in's Haus kommen, ich will mir keine Unverſchämtheiten mehr von ihm machen laſſen, und wenn ich nicht eine Wäſche gehabt hätte an dem Tag, wo mein Mann nach Göppingen ſchrieb, ſo wäre die Sache vielleicht nicht ſo ſchnell gegangen.

Der Sonnenwirth verlor einen guten Theil ſeiner Behaglichkeit beim Anblick dieſer fortdauernden Ungnade der Amtmännin gegen ſei¬ nen Sohn, obgleich er die Urſache dieſes Grolls in ſeinem Herzen gebilligt hatte.

Die Antwort vom Herrn Vogt iſt angekommen, ſagte der Amt¬ mann, der dieſelbe als eine Art Schutzwaffe gegen ſeine Frau betrach¬ ten mochte. Er nahm den Brief zur Hand, entfaltete ihn langſam, räuſperte ſich mit Wichtigkeit, und las, während der Sonnenwirth und ſein Schwiegerſohn eine ehrerbietige Haltung annahmen, mit nachdrück¬ licher Betonung, wie folgt: Wohledler, inſonders vielgeehrter Herr Amtmann. Weilen mit einem jungen Menſchen ich jedesmal viel lieber überflüſſige Geduld haben als mit der äußerſten Strenge für¬ gehen will, ſo lang noch Hoffnung vorhanden ſein kann, es werde ei¬ ner in ſich gehen, mithin in beſſere Wege und ſo obrigkeitlichen als väterlichen Gehorſam zurücktreten: ſo will ich nicht darwider ſein, daß den jungen Schwahnen ſein Vater wieder auf - und annehme. Es iſt aber Jenem mit allem Ernſt zu bedeuten, daß, ſo der geringſte neue Fehltritt wider ihn werde herauskommen, man ſolchenfalls Alt - und Neues zuſammennehmen und wider ihn mit aller Schärfe verfahren werde. Ich verharre damit unter göttlichen Schutzes Erlaſſung des Herrn Amtmanns dienſtwilligſter et cetera. Alſo wonach ſich zu achten! fügte der Amtmann der Vorleſung bei. Da nun meine Frau Seinen Sohn nicht gern im Hauſe ſieht, ſo will ich's unterlaſſen Solchen zu citiren, muß aber dem Herrn Sonnenwirth die Verpflich¬ tung aufgeben, Selbigem auf's ernſtlichſte einzuſchärfen, unter welcher Bedingung einzig und allein ihn wieder zu admittiren beſchloſſen wor¬ den iſt, und daß ich bei dem geringfügigſten neuen Vorfall unverweilt gegen ihn einzuſchreiten mich bemüßigt ſehen würde.

Der Sonnenwirth verſprach ſeinem Sohn das Nöthige zu ſagen, ſowie auch dafür zu ſorgen, daß er das Amthaus meide, es wäre denn, daß er beſonders vom Herrn Amtmann vorgeladen würde. Der Amtmann pries die Milde und Menſchenfreundlichkeit des Vogts, wobei170 die Amtmännin einfließen ließ, die gutmüthigſten Menſchen ſeien ge¬ meiniglich diejenigen, die ſich nicht gern viel zu ſchaffen machen. Hier¬ auf hielt der Chirurg in redneriſcher Unterſtützung des Sonnenwirths eine lange und wohlgeſetzte Dankſagung für die große Mühewaltung, welche der Herr Amtmann auf ſich zu nehmen die Güte gehabt. Die Amtmännin ermahnte den Sonnenwirth, künftig den Stab Wehe zu ge¬ brauchen, damit man von ſeinem Früchtlein nicht noch mehr Mühe habe. Der Sonnenwirth verſprach das Beſte und die beiden Männer empfah¬ len ſich in Unterwürfigkeit.

So, ſchon Alles im Reinen? ſagte die Sonnenwirthin, als ſie Bericht über ihren Gang erſtatteten. Nun ja, da kann man jetzt gleich den Verſpruch mit der Jungfer Hirſchbäurin folgen laſſen.

Das hat gute Weg ', entgegnete der Sonnenwirth. Wie ich ge¬ ſagt hab', dabei bleibt's. Wenn der Bub 'wieder mein Haus betreten will, ſo muß er zuerſt heilig verſprechen, daß er weder mündlich noch ſchriftlich mehr etwas mit ihr zu ſchaffen haben will.

Soll ich nach Hattenhofen ſchreiben? fragte der Chirurg.

Wie wär's denn? ſagte die Sonnenwirthin, die ihm zum Schaber¬ nack wenigſtens eine kleine Ungemächlichkeit aufladen wollte. Der Herr Sohn hat ja heut ſeinen Schabes nicht. Wie wär's, wenn Er des Schuhmachers Rappen vorſpannen thät 'und thät' ſich ſelber nach Hattenhofen auf den Weg machen? Er kann's ja doch nicht erwarten, bis Er Sein räudig's Schaf wieder in der Cur hat. Uebrigens den¬ ket an mich, ihr Beide: ſo lang man ſingt, iſt die Kirch 'nicht aus. Ihr werdet's noch erleben, daß ich Recht behalt'.

Ich hab 'ohnehin ein Geſchäft draußen, erwiderte der Chirurg, der ihr die Befriedigung nicht gönnte, daß er bloß auf ihre Veranlaſſung einen Weg von ein paar Stunden machen ſollte. Ich muß eine Weibs¬ perſon dort ſchneiden, die ein Geſchwür im Munde hat. Für böſe Mäuler gibt's kein probateres Mittel, als unſre Inſtrumente.

Der Sonnenwirth lachte und nahm ſein Erbieten an, perſönlich mit dem Flüchtling zu reden, ihm förmlich das von dem Vater aus¬ bedungene Verſprechen abzunehmen und ihn dann gleich aus ſeinem Zufluchtsorte mitzubringen.

Du biſt doch recht brav, ſagte ſeine Frau zu ihm, als er ſich zu171 Hauſe anſchickte über Feld zu gehen. Sieh, es freut mich von gan¬ zem Herzen, wie gut du gegen meinen Bruder biſt.

Quod medicamenta non sanant , murmelte der Chirurg vor ſich hin und hielt wieder inne. Dann wandte er ſich zu ſeiner Frau: So lang man ſingt, iſt die Kirche nicht aus, hat deine Mutter geſagt, und mir hat ein Vögelein gepfiffen, ſie werde wohl Recht haben. Zwar, wenn dein Bruder jetzt Vernunft annimmt, ſo will ich ihm alles Gute gönnen, und will gerne dazu geholfen haben. Aber die Kugel, die bergab geht, rollt gemeiniglich ſo fort ohne Aufenthalt. Ohnehin, wenn dein Vater heut ſtirbt, ſo nimmt er morgen ſein Bauernmenſch. Meinſt du, du würdeſt nicht beſſer zu einer Sonnen¬ wirthin taugen? Und ſollt 'ich zum Wirthſchaften nicht ſo gut Geſchick haben als zum Raſiren? Deine Mutter iſt ſo giftig und höhniſch, daß ſie meinen Raſirtag meinen Schabes heißt. Ei, mir ſtände es gar wohl an, einen Ruhetag aus ihm zu machen, wenigſtens was das Bartſchaben betrifft.

Er ging, und Magdalene ſah ihm ſeufzend nach. Dieſer Seufzer mochte wohl Mancherlei zu bedeuten haben.

16.

Kaum war es am nächſten Tage Abend geworden, als im Bäcker¬ hauſe Jemand eilfertig in die Stube herein ſchlüpfte. Die Bäckerin war allein; ſie ſaß im Großvaterſtuhle und hatte die Hände ſchlaff in den Schoß gelegt. Sie blickte den Eintretenden ſcharf durch die Dämmerung an. Wer iſt's? fragte ſie endlich, da ſie ihn nicht er¬ kannte.

Grüß 'Gott, Baſ', ſagte eine bekannte Stimme.

Herrjeſes, der Frieder! rief ſie. Was, ſchon wieder aus der Fremde da? Was iſt denn das? Wie geht denn das zu?

Schrecklich iſt's, erwiderte der Ankömmling, wenn man Alt und Jung, Kind und Kegel immer auf die nämlich 'Frag' Antwort geben ſoll. Wo ich geh 'und ſteh', greift man mich mit Fragen an und172 verlangt Rechenſchaft von mir, warum ich ſchon wieder da ſei. Ich will's Euch nachher Alles haarklein ſagen, aber zuerſt hab 'ich eine Bitt' an Euch. Thut mir die Liebe, Baſ ', und gehet, ſo groß und ſchwer Ihr ſeid, den Abend noch hinaus zum Hirſchbauer und ſaget einem von der Chriſtine ihren Brüdern, am liebſten dem Jerg, denn der ander' iſt hinter den Ohren nicht trocken, daß ich nothwendig mit ihm zu reden hab '. Ich kann mich keinem Menſchen ſonſt anvertrauen als Euch, denn der Profoß hat's in den Gliedern, heißt das, ſo weit ſie nicht hölzern ſind.

Ach Friederle, ſeufzte die Frau, ich that's gewiß gern, aber bei mir iſt's auch mit dem Springen vorbei. Ich kann dem Profoßen mit ſeinem Gliederweh Geſellſchaft leiſten: ſeit ein paar Tagen weiß ich, warum ich immer ſo müd bin, ich hab 'geſchwollene Füß'.

Wird doch das nicht ſein. Sollen denn meine beſte Freund 'in ſo kurzer Zeit preſthaft werden?

Meine Mutter iſt an der Waſſerſucht geſtorben, ſagte ſie, und ich weiß jetzt auch was mir blüht. Eure Hochzeit erleb 'ich ſchon nicht mehr; wenn ihr aber zuſammen kommet und vergnügt mit einander lebet, ſo ſoll mich's noch unterm Boden freuen. Dem Jerg will ich durch den Beckenbuben entbieten, daß er zu mir herkommt; denn wenn ich auch die Füß' nicht recht mehr brauchen kann, ſo iſt das Mundſtück noch gut im Gang. Was ſoll ich ihm denn ausrichten?

Ach, Baſ ', Ihr machet mir das Herz ſchwer. Es wird doch ſo ſchlimm nicht ſein.

Wie Gott will. Wo ſoll ſich der Jerg einfinden?

Man paßt mir auf jedem Schlich auf. Saget meinem Schwager, und vergeſſet ja nicht, ihn ſo zu heißen, morgen um Verſperzeit oder etwas ſpäter, wenn der Tag ſich neigt, woll 'ich ihn unter den Linden an der Schießmauer treffen. Den Grund, warum ich nicht zu ihm in's Haus kommen kann, und alles Andere will ich ihm mündlich ſagen.

Kann mir's ſchon denken. Es ſoll pünktlich ausgerichtet werden. Heut Abend muß er noch zu mir kommen.

Hierauf erzählte er ihr, wie ſeine Reiſe abgelaufen und unter wel¬ cher Bedingung er in ſein väterliches Haus zurückgekehrt ſei. Dann ſprach er ihr von den Vorſätzen, an welchen er gleichwohl in Betreff173 ſeiner Liebſten feſthalten werde, unterbrach ſich aber bald mit den Worten: Ich ſeh 'wohl, Ihr habt Ruh' nöthig, und ich darf nicht lang ausbleiben. Gott tröſt 'Euch, Baſ', ich dank 'vielmals für die Freundſchaft, und will bald wieder nach Euch ſehen.

Die beiden Schwäger, wie ſie ſich nannten, begrüßten ſich den folgenden Abend an dem verabredeten Orte aufs Herzlichſte. Wir haben ſchon gewußt, daß du wieder da biſt aus der Welt, ſagte Chri¬ ſtinens Bruder, der nach Bauernart nicht ſogleich den eigentlichen Zweck der Zuſammenkunft berührte. Das Chriſtinele hat vor Freu¬ den geweint. Jetzt ſag 'mir nur auch, wie iſt's dir denn gangen da draußen?

So ſo, la la, antwortete Friedrich. Die Leut 'wären ſchon recht, aber 's iſt eben Alles ganz anders als bei uns. Da ſchnurrt Jeder¬ mann nur ſo an Einem vorbei und läßt Einem das Nachſehen; und wenn einer ſo im Vorbeiſchießen was an dich hinwelſcht, bis dir eine Antwort eingefallen iſt, iſt der ſchon über alle Berg'. Dann können ſie doch auch wieder recht geſellſchaftlich ſein, ſonderlich die in Sachſenhauſen; und wenn ſie dich gern haben, ſo geben ſie dir die gröbſten Schimpfreden, über die's bei uns zu Mordhändeln käm '. Bei ihnen aber iſt das aus Freundſchaft gered't, und wenn ſie dich ein ſchlecht's Luder heißen, ſo iſt das lauter Liebe und Güte. Die in Frankfort, die auch viel' rüber kommen ſind, und wir zu ihnen 'nüber, die ſind feiner, aber ſie hänſeln und föppeln Einen gern, und in ihrer ſchnellen, ſpitzigen Sprach' kann dir das in die Naſ 'fahren wie ein Pfeil. Wiewohl, ich bin ihnen auch nichts ſchuldig blieben. Einmal haben ſie mich gefragt, wie man denn im Schwabenland die Holder¬ küchle Holderküchelche ſagen ſie macht. Ich hab' aber gleich gemerkt, daß ſie bloß ihren Spott mit mir treiben wollen, und hab 'ihnen erzählt, man mach' das Feuer und den Teig grad unter dem Holderbaum an, und zieh 'dann einen Zweig um den andern mit dem Bluſt nur in den Teig' runter und laſſ 'wieder ſchnappen, dann hängen die Küchelche am Baum, wie wenn ſie dran gewachſen wären.

Jerg lachte unmäßig. Wenn ſie das glaubt haben, ſo müſſen ſie rechtſchaffen dumm ſein.

Nein, dumm ſind ſie grad nicht. Sie haben eben arg drüber ge¬ lacht. Jetzt wollen wir aber von andern Dingen reden, Jerg, denn174 wir ſind hier nicht zuſammen kommen, daß ich dir Späß 'vormach', ſondern mir iſt's Ernſt, und das bitterer. Sieh, ich bin noch ganz der Nämlich 'gegen euch, wie da ich gangen bin, aber die Sach' iſt ein wenig anders worden. Zuerſt und vor allem andern muß ich dir ſagen, daß ich der Chriſtine mein Wort halt ', der Schein mag ſein wie er will.

Das kannſt ihr ja ſelber ſagen, Frieder, ſagte Jerg mit ſchlauem Lächeln.

Nein, Jerg, das iſt's ja eben. Sich, ich will und muß dir's frei heraus bekennen, daß ich hab 'verſprechen müſſen, mit deiner Schweſter weder mündlich noch ſchriftlich etwas zu haben.

Das iſt freilich ein ander Ding, ſagte Jerg.

Hör 'mich vor aus. Wenn ich nichts mehr von ihr wollt', ſo hätt 'ich mir's erſparen können mit dir zu reden; aber darum grad' hab 'ich dich ja hieher beſtellt, denn mit dir iſt mir's nicht verboten.

So red ', daß man weiß, wie man mit dir dran iſt.

Sieh, Jerg, wie ich die Stell 'bei meinem Vetter beſetzt gefunden hab', und iſt meines Bleibens nicht geweſen, da iſt mir die Welt auf einmal vorkommen, wie ein groß Waſſer, in das ich geſtoßen bin und untergeſunken bis an Hals. Ich hab 'auch die Welt erſt kennen lernen und hab' jetzt eingeſehen, daß es nicht ſo leicht iſt in dem Waſſer zu ſchwimmen, als ich vorher gemeint hab ', und hab' keine Gelegenheit hinausgelaſſen, mit verſtändigen Leuten drüber zu reden, die in der Welt herumgekommen ſind. Sieh, überall iſt Alles zünftig, und da kann man nicht ſo hinein ſitzen wie man will. Das kann nur der, der ein Geſchäft ererbt oder ſo viel Geld hat, um ſich eins zu kaufen. Andere ſchlupfen hinein, indem ſie eine Meiſterstochter oder Wittwe heirathen, und dabei muß man oft ein Aug 'zudrucken und dem Teufel ein Bein brechen, auch oftmals einen krummen Buckel machen, bis man Allen recht iſt, die ein Wort mitzureden haben, oder man muß gar zum ſchlechten Kerl werden, ſeinen Eid brechen und ſeinen Schatz ſitzen laſſen, vielleicht mit dem Kind dazu. Wieder Andere kommen gar nicht hinein und bringen's ihr Lebtag zu nichts. Ich hab' glaubt, wenn ich die Chriſtine nachkommen ließ 'und thät' ihr einen Dienſt verſchaffen, ſo könnten wir, jedes in ſeinem Dienſt, nach und nach einiges erübrigen und einander zuletzt heirathen. Aber175 Kutz Mulle, blaſ 'Gerſten, da könnten wir dienen und ledig bleiben unſer Leben lang. Ja, wenn mein Vetter mich hätt' bei ſich behalten können und hätt 'mich vielleicht lieb gewonnen, der hätt' mich auf die ein 'oder ander' Art verſorgen können, ſo daß ich gar nicht mehr zu¬ rückgekommen wär 'und die Chriſtine auswärts geheirathet hätt'. So aber iſt das nichts geweſen, und ich bin auf einmal rath - und hilflos dageſtanden in der weiten Welt. Mein Vetter hat mich zwar liebreich gehalten und hat mich heißen als Gaſt bleiben; aber ich bin mir eben fremd vorkommen und hab 'ihm nicht in die Länge beſchwerlich ſein wollen. Ich ſag' dir, Jerg, ich bin dir ganz verzagt geweſen und hab 'nicht mehr gewußt, wo aus noch wo ein, grad' wie ein Kind, das aus ſeinem Bett gefallen iſt und tappt in der Nacht herum und kommt nicht mehr zurecht, oder wie Einer, der das Waſſer am Kinn ſpürt und keinen Boden unter den Füßen mehr, und in der Angſt nach einem Strohhalm langt. Du magſt vielleicht denken, ich hätt 'doch verſuchen ſollen, anderswo in der Fremde in einem Dienſt unter¬ zukommen. Aber ich hab' kein Glück; das hab 'ich gleich geſehen, wie's bei meinem Vetter nichts geweſen iſt. Und wenn ich bei frem¬ den Leuten in Dienſt gangen wär', ſo hätt 'ich damit eine große Scheidewand zwiſchen mir und meinem Vater aufgerichtet und hätt' ihm gezeigt, daß ich ihm Trotz bieten will; wenn mir's nachher in der Welt nicht geglückt wär ', wie's wahrſcheinlich iſt, ſo wär' mir die Heimath zugeſchloſſen geweſen und ich hätt 'der Chriſtine zweimal nicht Wort halten können, was mir doch die Hauptſach' iſt. Auch iſt mir's durch den Kopf gefahren, beweiſen kann ich's freilich nicht, daß des Gerichtsſchreibers Sohn von Boll, der mich bei meinem Vetter verdrängt hat, weil er ſchon vor mir Anwartſchaft gehabt hab ', daß der vielleicht meinem Vetter einen Floh in's Ohr geſetzt hat

Er ſtockte. Von wegen deiner Liebſchaft? meinte Jerg.

Nein, ſagte Friedrich und ließ die Stimme ſinken: er hat's ihm vielleicht geſteckt, ich ſei nicht ganz hautrein und ſei ſchon in Ludwigs¬ burg geweſen.

Das wär 'aber lüderlich, das wär' ſchlecht! ſagte Jerg.

Ich trau 'ſo einem Schreibersſöhnle nicht viel Gut's zu; er hat vielleicht beſorgt, ich könnt' ihm doch vielleicht noch den Rang ablaufen, und das wär 'auch keine Kunſt für mich geweſen. Kurzum, ich bin176 auf einmal wie an der Welt End' geſtanden, wo ſie mit Brettern vernagelt iſt, und hab 'mir ſagen müſſen, daß da eben nichts übrig bleibt, als umkehren und gute Wort' geben. Wie ich dann vollends bedacht hab ', was das einen Spott und ein Gelächter geben wird, wenn ich ſchon wieder komm', und hab's doch nicht anders machen können, wenn ich nicht alle Brücken zwiſchen mir und meinem Schatz hab 'abwerfen wollen, da iſt mir der Muth ganz und gar geſunken und hab' nichts mehr vor Augen geſehen, als daß ich eben jetzt alle Schmach muß auf mich nehmen und zu Kreuz kriechen. Herr Gott, wie ich noch ein Bub 'geweſen bin und hab' Schläg 'kriegt, da hab' ich nicht gemuxt und hab 'ſagen können: ich will noch mehr! daß mein Vater ſchier verzweifelt iſt. Und jetzt, wo ich groß bin, hab' ich dir Brief 'nach Haus geſchrieben Brief' ich ſag 'dir, Jerg, der jämmerlichſt' Bettler ſchreibt nicht erbärmlicher und demüthiger. Aber ich hab 'eben gar nichts anders mehr gewußt, und die Hei¬ math iſt halt doch das Beſt' in der Welt. Doch hab 'ich bloß Ge¬ horſam verſprochen. Aber das hat mich nichts genutzt. Wie man einmal geſehen hat, daß ich gehörig mürb' bin, und das iſt kein Wun¬ der, denn ich hab 'den Amtmann auch noch auf'm Hals gehabt, da hat man mich noch weiter trieben. Ich bin nicht eher angenommen worden, als bis ich buchſtäblich verſprochen hab' ich hab 'dir's ja ſchon geſagt und will's nicht wiederholen.

Und was ſoll ich ihr jetzt ſagen? fragte Jerg.

Was ich meinem Vater verſprochen hab ', das halt' ich ihm, aber ich halt 'auch, was ich deiner Schweſter verſprochen hab', und das geht vor, denn es iſt ein älteres Verſprechen. Auch hab 'ich keines¬ wegs geſchworen, daß ich ſie in alle Ewigkeit nicht mehr ſehen, noch ihr ſchreiben wolle, und noch weniger hab' ich geſagt, ich wolle mein Herz von ihr abziehen und ihr mein Wort brechen. Zwiſchen uns bleibt Alles im alten Recht. Sag 'ihr nur, ſie ſolle etliche Zeit Ge¬ duld haben, wie ich mich auch gedulden muß. Ich muß erſt wieder feſten Boden unter den Füßen haben, damit ich in Ruh' ſehen kann, wie Has lauft, und kann Zeit und Gelegenheit walten laſſen. Viel¬ leicht wächſt der Art von ſelber ein Stiel. Sag 'ihr, jedenfalls nehm' ich keine Andere, und wenn ich Haus und Hof dahinten laſſen müßt 'oder müßt' alt und grau mit ihr werden, bis wir vor den Altar kommen. 177Das muß ihr für jetzt genug ſein. Und deinem Vater ſag ', es bleib' bei unſrer Abred ', und er ſoll' ſie bei ſich behalten, wie wir ausge¬ macht haben, bis etliche Zeit verſtrichen iſt; ſowie ich wieder ein wenig zu Kräften komm ', will ich ihn dafür ſchadlos halten. Du aber ver¬ ſprichſt mir, daß wir uns je und je im Beckenhaus treffen, damit ich Nachricht von meinem Schatz hab'; denn du biſt jetzt mein Münd¬ lich's und mein Schriftlich's mit ihr.

Bleib's dabei, ſagte Jerg.

Und jetzt ſag 'mir noch eins, offen, Aug' in Aug ': glaubſt du meinen Worten und willſt du dich bei den Deinigen und bei deiner Schweſter für mich verbürgen, daß ich's noch ſo treulich mein' wie ſonſt, trotzdem daß der Schein gegen mich iſt? Die Hand drauf, Schwager, Bruderherz?

Ja, ich glaub 'dir, da haſt meine Hand.

So, jetzt geh 'ich mit leichterem Herzen heim. Gut' Nacht, und grüß 'mir mein' Schatz viel tauſendmal.

17.

Bald genug ſollte Friedrich's Ahnung, daß der natürliche Gang der Dinge von ſelbſt zwiſchen zwei widerſtreitenden Verſprechen ent¬ ſcheiden werde, in Erfüllung gehen.

In der Stellung des dienenden Sohnes, in die er zurückgetreten, waren ihm ein paar Monate leer und trüb dahingegangen, ohne daß ſeine Herzensangelegenheit einen weiteren Zuſammenſtoß zwiſchen ihm und ſeinem Vater verurſachte. Dieſem genügte es, ſeinen Sohn der herrſchenden Sitte gemäß ehrlich und chriſtlich, wie die ſtehende Redeweiſe der Zeit ſich ausdrückte, erzogen zu haben, und er meinte ſeine ganze Verantwortlichkeit abgethan, wenn er einem Irrweg deſſel¬ ben die einfache Schranke des väterlichen Verbotes entgegenſetzte. Er glaubte ihm weder die Gründe, durch welche ein älterer Freund die unerfahrene Jugend manchmal von einem Fehlgriff abzuhalten vermag, noch die Achtung vor der Freiheit des menſchlichen Willens ſchuldigD. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 12178zu ſein, der über ſich ſelbſt zu verfügen berechtigt iſt, und wenn er auch den Einſatz mit dem Preiſe der ganzen Zukunft bezahlen müßte. Was Wunder, wenn der Sohn für dieſes ſtarre Nein, das er von Anfang an vorausgeſehen, ein eben ſo ſtarres Ja in Bereitſchaft hatte, deſſen zeitweilige Hintanhaltung eben jenen Waffenſtillſtänden glich, die man im Kriege nur deßhalb ſchließt, um bei einer vortheilhaften Gelegenheit wieder losſchlagen zu können. Er hielt buchſtäblich Wort und vermied in dieſer ganzen Zeit jedes Zuſammentreffen mit Chri¬ ſtinen. Auch beſuchte er keinen Tanz, denn er wußte wohl, daß er ſie daſelbſt nicht finden würde. Ich will ſie lieber ſo lang gar nicht ſehen, ſagte er zu Jerg, denn einander ſehen und nichts von ein¬ ander haben, das thut viel weher; ſag 'ihr nur, ſie ſoll' derweil fleißig an mich denken, ich werd 'das im Arm oder noch beſſer im Herzen ſpüren. Er traf häufig mit ihm im Bäckerhauſe zuſammen; das einemal ſprach er luſtig mit ihm dem Grillengifte zu und be¬ kannte, daß er erſt jetzt einſehe, wie richtig er es getauft habe; das andremal ſah man die Beiden lange Zeit mit einander flüſtern, wobei Chriſtinens Bruder Nachrichten von bedenklicher Art zu bringen ſchien, welche Friedrich gelaſſen aufnahm und, nach ſeiner Miene zu ſchließen, mit ermuthigenden Zuſicherungen beantwortete. Die Bäckerin, die kränkelnd im Sorgenſtuhle ſaß, beobachtete ſolche Unterredungen mit Kopfſchütteln und ſprach gegen ihren Mann die nämliche Vermuthung, die der Chirurg in einem lateiniſchen Citat angedeutet hatte, mit deut¬ ſchen Worten aus.

Allmählich begann auch im Flecken ein neues Gemurmel umzu¬ laufen, das zuerſt von den jungen Mädchen aufgebracht und bald auch durch die Pfarrmagd vom Brunnen in den Pfarrhof überliefert wurde. Man ſtichelte und ſpottete, daß Chriſtine nicht mehr aus dem Hauſe zu gehen wage, woran ſie doch ſehr klug that, denn ſie hatte, als ſie ſich zuletzt auf der Straße blicken ließ, bemerkt, daß man mit Fingern hinter ihr her deutete. Der Fiſcher aber hatte niemals ein ſo reiches Geſchenk aus der Sonne heimgetragen, als an dem Tage, wo er der Sonnwirthin berichtete, was über die Tochter des Hirſchbauers ge¬ ziſchelt und gemunkelt wurde.

Eines Abends kam der Bäckerjunge zu Friedrich in die Sonne und hinterbrachte ihm heimlich, der Jerg ſei im Bäckerhauſe und laſſe179 ihm ſagen, daß er doch gleich hinkommen möchte, denn er habe etwas Dringendes mit ihm zu reden.

Du, 's iſt Feuer im Dach mit dieſen Worten empfing ihn ſein Geſelle, als Friedrich ſich zu ihm ſetzte meine Schweſter iſt auf morgen vor Kirchenconvent geladen.

Gottlob! rief Friedrich, jetzt kommt's doch endlich zum Treffen! Sag 'ihr nur, ich werd' noch heut bei ihr ſein.

Er trank ſchnell aus und eilte nach Hauſe zurück. Da er ſeinen Vater mit Eſſen beſchäftigt fand, ſo ſetzte er ſich in eine dunkle Ecke, wo er wartete, bis derſelbe fertig ſein würde.

Was haſt? Was guckſt? Haſt Hunger? fragte dieſer, den ſeines Sohnes auf ihn gerichteter Blick beunruhigte.

Nein, Vater, ich muß Euch etwas ſagen, und will Euch nicht über'm Eſſen ſtören, weil ich weiß, daß Ihr das nicht leiden könnt.

Der Alte, der etwas neugierig war, beſchleunigte ſeine Mahlzeit. Nun, was iſt's? fragte er dann, vom Tiſch aufſtehend.

Friedrich ſtand gleichfalls auf. Vater, ſagte er, ich hab 'Euch verſprochen, mit der Chriſtine keinen Verkehr mehr zu haben, weder ſchriftlich noch mündlich, und hab' das auch ſtreng gehalten bis daher. Jetzt aber iſt an der Sach 'ein ander's Trumm aufgangen, die Chri¬ ſtine iſt vor Kirchenconvent citirt

Lüderlicher Hund! ſchrie der Alte und hob die Hand auf, ließ ſie aber alsbald wieder ſinken, da er gewahrte, daß ſein Sohn, ohne ei¬ nen Schritt vor dem Schlage rückwärts zu weichen, in drohender, ent¬ ſchloſſener Haltung vor ihm ſtand. Es kam ihm erſt jetzt klar zum Bewußtſein, daß er eigentli immer eine geheime Furcht vor ihm ge¬ habt habe.

Incommodirt Euch nicht, Vater, ſagte Friedrich, über das bin ich hinausgewachſen, und was das Schimpfen betrifft, ſo weiß ich, daß Ihr auch jung geweſen ſeid Ihr werdet mich verſtehen.

Sprichſt du ſo mit deinem Vater? ſchrie der Sonnenwirth, der wüthend und zugleich in einiger Verwirrung durch die Stube hin und her lief. Seine Frau hatte ihm von ihrer ausgekundſchafteten Neuig¬ keit nichts mitgetheilt, ſei es, daß ſie eine für den Stiefſohn beſonders ungünſtige Gelegenheit abwarten oder, daß ſie ihren Mann von dem amtlichen Verlauf der Sache überraſchen laſſen wollte.

12 *180

Mein Sprechen, ſagte Friedrich, hat keine weitere Abſicht, als daß mein Vater ein billig's Einſehen haben ſoll, und wenn auch nur in dem Punkt, daß ich nothwendig mit dem Mädle reden muß, eh 'ſie vor die Herren kommt, denn ſonſt weiß ich ja gar nicht, was ſie dort ausſagt.

Der Alte hielt in ſeinem Toben inne. Wenn du das Menſch da¬ hin bringen kannſt, daß ſie nicht auf dich ausſagt, verſetzte er, ſo kannſt mit ihr reden, ſo viel du willſt. Aber das wiederhol 'ich dir, und will dich erinnert haben, daß ich dir's ſchon einmal geſagt hab', glaub 'nur nicht, ich hätt' einen Kreuzer übrig, um dir aus ſolchen Streichen herauszuhelfen. Find 'du ſie ab wie du kannſt und friß aus was du mit ihr eingebrockt haſt, ich helf' dir nicht dabei.

Für's Abfinden wär 'ja noch mein Mütterlich's da, erwiderte Friedrich, und ſo braucht' ich Euch nicht zur Laſt zu fallen.

Da wird viel übrig ſein, höhnte der Alte, wirſt weit damit ſpringen nach ſolchen Sprüngen, die du ſchon gemacht haſt.

Ich will jetzt nicht darüber ſtreiten, ſagte Friedrich, ich bin zu¬ frieden, daß Ihr mir mein Wort zurückgegeben habt und daß ich mit dem Mädle reden kann, ohne wortbrüchig zu werden.

Er brach ſchnell ab, um weitere Erörterungen zu vermeiden. Als er ſich entfernt hatte, erzählte der Sonnenwirth ſeiner Frau, die aus der Küche kam, was zwiſchen ihm und ſeinem Sohn verhandelt wor¬ den war.

Du haſt den Gaul am Schwanz aufgezäumt, ſagte ſie, daß du ihm ſein Wort zurückgibſt. Jetzt geht das alt 'Luderleben wieder an. Und dazu den Schimpf und die Schand'! Sie wußte ſo gut zu lamentiren, wie er vorhin zu toben gewußt hatte.

Er hat verſprochen, das Mädle 'rumzubringen, daß ſie nicht auf ihn ausſagt, erwiderte der Sonnenwirth.

Seine Frau trat voll Verwunderung einen Schritt zurück. Sie hatte beſſer von ihrem Sohne gedacht und fühlte ſich durch dieſe Mit¬ theilung ſonderbar überraſcht. Wär's möglich? ſagte ſie. Aber ſieh zu, das ſind am End 'faule Fiſch'.

Gelogen hab 'ich nicht, murmelte Friedrich bei ſich, während er den lange nicht betretenen Weg zu Chriſtinen einſchlug. Was kann ich da¬ für, daß mein Vater mit ſo ſchlechten Gedanken umgeht.

181

Es war als ob er in ein Trauerhaus käme, als er in die Stube des Hirſchbauers trat. Die Alte heulte bei ſeinem Anblick laut auf und fuhr ſich in die Haare, als ob ſie ſie ausraufen wollte, und der kleine weißköpfige Bube, der ſich an ihrem Rocke hielt, heulte vor Angſt mit, ohne von dem Vorgang etwas zu verſtehen. Der Bauer, ohnehin von Alter und Mangel erſchöpft, ſaß ganz gebeugt und ge¬ brochen auf einem ſchadhaften Stuhl am Ofen; ſeine beiden älteren Söhne lehnten ernſthaft, doch ohne ſichtbare Betrübniß neben ihm an der Wand. Chriſtine aber flog, gleichfalls lautweinend, dem Ankömm¬ ling entgegen. Mein Frieder, mein Frieder! ſchrie ſie an ſeinem Halſe. Biſt endlich da? Sieh, ich kann mein Elend auf keinem Berg überſehen!

So bleib 'im Thal, erwiderte er.

Jetzt treibt er noch ſein Geſpött 'mit uns, ſagte der Alte mit dumpfer, ſinkender Stimme.

Nein, alter Vater, erwiderte Friedrich, indem er Chriſtinen um den Leib haltend zu ihm trat und ſeine Hand mit Gewalt faßte, 's iſt mir jetzt nicht eben ſpöttiſch zu Muth, aber ich ſeh 'nur nicht ein, was es für ein Jammer ſein ſoll, daß ich jetzt endlich vor den Her¬ ren und vor der ganzen Gemeinde erklären kann, daß ich mich mit der Chriſtine in allen Treuen verſprochen hab' und ſie heirathen will. Und das ſagſt du morgen vor Kirchenconvent, Chriſtine, und gibſt Alles an, wie's wahr iſt, und ſagſt unverhohlen, ich ſei der Vater zu dem Kind, das du unterm Herzen trägſt. Heulet doch nicht ſo, wandte er ſich zu der Alten, die bei dieſen Worten wieder in ein lautes Ge¬ ſchrei ausbrach, das iſt eine natürliche Sach ', wer A geſagt hat, muß auch B ſagen, und mich wundert's nur, daß die Leut' noch ſo ein Zetermordio drüber verführen können, da es doch ſo oft und allerorten vorkommt. Es iſt nur bis das Kränzle verſchmerzt iſt. Sehet ein¬ mal die Kinder an, die das Kyrie nicht abgewartet haben, und ver¬ gleichet ſie mit den andern, die rechtmäßig kommen ſind. Iſt ein Unterſchied zwiſchen ihnen? Und macht man noch einen Unterſchied zwi¬ ſchen einer Frau, die vor zehn, zwanzig Jahren am Mittwoch hat vor den Altar ſtehen müſſen, und einer, die ihr Kränzlein in Ehren, wie ſie's heißen, vor den Menſchen, aber vielleicht nicht vor Gott getragen hat? Wenn einmal Gras drüber gewachſen iſt, ſo verzollt Jedermann182 die Ein 'für ſo gut wie die Ander', und denkt Keine mehr dran; ja es iſt ſchon oft gnug vorkommen, daß Eine, ſtatt an ihre Vergangenheit zurückzudenken, ihre jüngeren Leidensſchweſtern auf's bitterſte verfolgt hat und iſt noch liebloſer mit ihnen umgangen, als Eine, der man nichts hat vorwerfen können. So darfſt du's einmal nicht machen, Chriſtine, ſonſt halt 'ich dir einen Spiegel vor, in dem du etwas ſchauen kannſt, was dir ſolch ein unchriſtlich's Betragen verbieten ſoll.

Er iſt doch ein ſündhafter Menſch, ſagte der Hirſchbauer, den übrigens Friedrich's Reden ſichtlich aufgerichtet hatten. Die Alte aber verharrte in ihrer Troſtloſigkeit und ſchalt ihn heftig, daß er es mit einer ſo wichtigen Sache, wie das Ehrenkränzlein, ſo leichtfertig nehme.

Von wem hab 'ich das gelernt? entgegnete er. Bei armen Leuten freilich, die das Strafgeld nicht aufbringen können, iſt's etwas Wich¬ tig's, weil ſie dann einen Schimpf auf ſich nehmen müſſen, der nicht ſo bald wieder von ihnen abgeht. Von den Vermöglicheren aber ſteckt die Herrſchaft das Geld dafür ein, und was ich mit Geld bezahlen kann, das kann ich doch nicht ſo ſchwer nehmen. Jetzt ſaget ſelber, wer handelt und redet leichtfertig, die Herren oder ich?

Ja, wenn mein Kind ſchellenwerken müßt ', ſagte der Bauer, das thät' mich vollends unter den Boden bringen.

Dafür bin ich noch da, verſetzte Friedrich. Ihr werdet doch nicht glauben, ſo lang ich noch einen Kreuzer hab ', werd' ich's zulaſſen, daß mein künftig's Weib die Straf 'mit dem Karren abverdienen muß.

Wenn Er nur auch auf Seinem Sinn bleibt! ſeufzte die Alte, die ſich nach und nach gleichfalls ein wenig zufrieden gab.

Er that ſeine reiche Schatzkammer von Schwüren und Betheurun¬ gen auf und ſpendete nicht karg daraus. Sein zuverſichtliches Weſen beruhigte die Familie allmählich, wie ſeine Erſcheinung Chriſtinen ſchon längſt beruhigt hatte. Ungeſcheut zog er ſie zu ſich nieder und ſaß am Tiſche, als ob er nach längerer Abweſenheit ſich mit ſeinem Weibe auf Beſuch bei den Schwiegereltern befände. Er ließ Wein kommen und ſteckte mit Hilfe deſſelben Alle durch ſeine muntere Laune an. Der alte Hirſchbauer, wenn er auch noch von Zeit zu Zeit den Kopf ſchüttelte, ließ ſich doch durch ſeine unbefangene Art, die Dinge anzuſehen und anzufaſſen, einmal über's andre zum Lächeln bringen; die beiden Söhne aber, durch Friedrich's herzhaftes Auftreten ganz und183 gar gewonnen, erfüllten die Stube mit Gelächter über die luſtigen Einfälle, die er zum beſten gab. Die Bäuerin, nachdem ſie den pein¬ lichen Theil des Geſprächs einmal überſtanden und hinter ſich liegen hatte, ſuchte ihre Neugier zu befriedigen und ließ ſich von ſeiner wei¬ ten Reiſe erzählen, wobei der kleine Wollkopf an ſeinen Lippen hing und mit aufgeriſſenem Munde in die zunehmende Heiterkeit einſtimmte, die er ſo wenig begriff, als er zuvor den Jammer begriffen hatte. Chriſtine aber lehnte ſich ſelig und durch kein elterliches Verbot ge¬ ſtört an ihren Liebſten an; es war ihr wie ein Traum, daß er ihrer Unglücksahnung zum Trotze ſo bald wieder zurückgekommen und den¬ noch ſo lange für ſie nicht auf der Welt geweſen war. Jetzt aber war er ihr auf einmal wie ein Stern gerade in der ſchwärzeſten Nacht aufgegangen, und ſie vergaß das Elend, das ihr vorhin ſo unüberſeh¬ bar gedäucht hatte, vergaß, daß ſie morgen vor dem geiſtlichen Gericht erſcheinen ſollte, um ſich zu verantworten wegen der Miſſethat, die ſie aus Liebe zu ihm begangen hatte.

18.

Morgens in aller Frühe war Friedrich ſchon wieder bei Chriſtinen, um ihr die Stunden der Angſt bis zu dem Gange, den ſie dieſen Vormittag anzutreten hatte, zu vertreiben, noch mehr aber um vor der öffentlichen Erklärung, welche er zu geben beabſichtigte, jeder Un¬ terredung mit ſeinem Vater auszuweichen, der wirklich zu glauben ſchien, er werde, in den Lauf der Welt ſich fügend und von der Unmöglich¬ keit einer andern Handlungsweiſe übermannt, ſein Mädchen die ganze Verantwortlichkeit für das Geſchehene allein tragen laſſen.

Die gefürchtete Stunde war endlich angebrochen. Er nahm Chri¬ ſtinen an der Hand und führte ſie mit tröſtlichen Worten von ihren Eltern fort. Arm in Arm ging er mit ihr durch den Flecken, und die lachende Frühlingsſonne, die zu dem Gange ſchien, beſtärkte ihn in dem Glauben, daß die himmliſchen Mächte ob dieſer Liebe nicht zürnten. Er trat aufrecht wie ein Sieger neben Chriſtinen einher, die184 mit niedergeſchlagenen Augen an ſeiner Seite ging, und die Leute, die ihnen begegneten, machten zwar verwunderte Geſichter, wagten aber doch erſt, nachdem das Paar vorüber war, die Köpfe zuſammenzuſtecken und einander ihre ſpöttiſchen Bemerkungen mitzutheilen. Am Rath¬ hauſe ließ er ihren Arm los: So, jetzt mußt dein 'Strauß allein ausfechten, ſagte er, aber wenn ich gleich nicht dabei ſein darf, ſo hab' nur guten Muth, du weißt ja, daß ich nicht weit bin und dir nach¬ her im Protokoll beiſpringen werd '; hier unten will ich deiner war¬ ten. O Frieder, wie iſt mir das Herz ſo ſchwer, und ich ſchäm' mich ſo vor den Herren, erwiderte ſie. Hätt 'faſt was geſagt! rief er und trieb ſie die Treppe hinauf: ſchämt ſich eine Braut auch zur Hochzeit zu gehen? Sei du froh, daß wir endlich einmal wenigſtens im Kirchenconventsprotocoll mit einander copulirt werden!

Er wartete lange unter dem Rathhauſe. Da er ſich den neugie¬ rigen Blicken der Pfarrerin ausgeſetzt ſah, die von ihrem Fenſter auf ihn herabſchaute, ſo wechſelte er ſeinen Standort, doch ſo, daß er immer die Thüre des Rathhauſes im Auge behielt. Allein er mußte von manchem Vorübergehenden neugierige Fragen aushalten, denn auf dem Lande ſteht man nicht ungeſtraft an einer Ecke ruhig ſtill, und beinahe hatte er die Geduld verloren, als nach einer vollen Stunde Chriſtine auf der Rathhausſtaffel erſchien und ſich nach ihm umſah. Er winkte ihr. Du haſt aber lang gemacht, ſagte er verdrießlich, ich glaub ', du haſt Alles, was ſich ſeit deiner eigenen Geburt zugetragen hat, ge¬ beichtet. Was kann denn ich dafür? erwiderte ſie. Halt' dich nur parat, der Büttel folgt mir auf'm Fuß, ich hab's noch gehört, wie er Befehl erhalten hat, dich vorzuladen. Wart 'am Bach drüben auf mich, ſagte er, da gehen nicht ſo viel Leut'. Sie eilte von ihm weg, froh, aus der Nähe des Rathhauſes zu entkommen. Kaum war ſie verſchwunden, ſo kam der Schütz heraus und winkte ihm. Er er¬ ſpart mir einen Gang, ſagte er. Und einen Schoppen? lachte Friedrich. In der Sonne, erwiderte der Schütz grinſend, hätt 'ich, ſchätz' wohl, heut 'keinen bekommen, das Geſchäft trägt's nicht aus. Uebrigens iſt hier keine Zeit nicht zu verlieren, Er iſt vor löbliches Kirchenconvent citirt und hat ohne Aufenthalt zu erſcheinen. Das kann geſchehen, erwiderte Friedrich und ging die Treppe hinauf.

Als er an der Thüre des Rathhauszimmers auf ſein Klopfen keine185 Antwort erhielt, trat er muthig ein und wünſchte einen guten Mor¬ gen, blieb jedoch an der Thüre ſtehen. An dem Tiſche mit geſchweiften Füßen, über welchem ein neugemaltes Bild der Juſtitia hing, ſaß der Pfarrer obenan, neben ihm der Amtmann, dann der Anwalt, der als Untergeordneter des Amtmanns die Schulzenſtelle verſah, nach dieſem ein Mitglied des Gemeindegerichts und zuletzt der Heiligenpfleger. Dieſe zuſammen bildeten das gemiſchte Collegium der Kirchencenſur, deſſen vorherrſchend geiſtlicher Charakter, ungeachtet der weltlichen Bei¬ miſchung, in ſeinem Namen und im Vorſitze des Pfarrers zu erkennen iſt. Das Magiſtratsmitglied, das über dem Heiligenpfleger ſaß, blickte den Eintretenden beſonders finſter an: es war ſein Vormund, der ſich nicht wenig ſchämte, ſeinen Pflegeſohn unter ſolchen Umſtänden im Verhör zu erblicken. Der Pfarrer räuſperte ſich. Tret 'Er näher daher, ſagte er. Friedrich trat einige Schritte vor. Es iſt mir, be¬ gann der Pfarrer, von chriſtlich denkenden Leuten, welchen Aergerniß in der Gemeinde leid iſt, fürgebracht worden, wie daß die Chriſtina, des Hans Jerg Müller's, Bauren, Tochter, im Geſchrei ſei, daß ſie mit einem Kinde gehe. Als ſie daher vor dieſes löbliche Cenſurgericht fürgeladen worden, hat ſie ihre Schwangerſchaft nicht leugnen können, und auf Befragen, mit wem ſie ſich göttlichen und menſchlichen Ge¬ ſetzen zum Trotz vergangen, hat ſie Ihn als Vater zu ihrem Kind angegeben. Iſt das wahr?

Ja, Herr Pfarrer und ihr Herren Richter! ſagte Friedrich mit feſter Stimme, ſo daß Alle einander betroffen anſahen und dann mit Abſcheu auf den jungen Menſchen blickten, der mit einem ſo unerhörten Tone ſeine Schuld bekannte. Die Freudigkeit, die aus ſeiner Stimme klang, wurde von dieſen Männern, die in den herkömmlichen Bräu¬ chen und Sitten aufgewachſen waren, als eine ſchamloſe Frechheit angeſehen.

Hat Er keinen Verdacht, fuhr der Pfarrer fort, daß ſie vielleicht noch mit andern Burſchen zugehalten hat?

Nein, Herr Pfarrer, das hat meine Chriſtine nicht gethan.

Seine Chriſtine! ſagte Friedrich's Vormund unwillig und höh¬ niſch zum Heiligenpfleger.

Sie gibt an, fuhr der Pfarrer fort, Er habe ihr die Ehe ver¬ ſprochen. Iſt das wahr?

186

Ja, Herr Pfarrer, und mit heiligen Eiden.

Saubere Eide! ſagte der Pfarrer und las aus dem vor ihm lie¬ genden Protokoll: Er habe ihr die Ehe mit vielen Verpflichtungen verſprochen; wenn er ſie nicht behalte, ſo ſolle das erſte Nachtmahl ihm das Herz abſtoßen. Iſt dem ſo?

Ja, Herr Pfarrer, accurat ſo hab 'ich geſagt, antwortete Friedrich ganz vergnügt, daß Chriſtine durch dieſe Ausſage ſeine redliche Abſicht ſo klar dargelegt hatte.

Er Gottesläſterer! fuhr der Pfarrer auf, heißt das ein heiliger Eid, wenn man den Namen Gottes oder ſeines heiligen Sacramentes ſo unnütz und ruchlos führt? Ich muß es dem Herrn Amtmann an¬ heimgeben, ob er es nicht ſeines Amtes hält, gegen dieſen offenbaren Frevel vorzufahren.

Für Sein Fluchen und Schwören, nahm der Amtmann gegen Friedrich gewendet das Wort, iſt Ihm hiemit ein Pfund Heller ange¬ ſetzt, unangeſehen der andern Strafe, die Ihn für Sein Vergehen trifft.

Der Pfarrer beeilte ſich, den Strafſatz in's Protokoll einzutragen und dem Heiligenpfleger aufzugeben, daß er das Geld von dem Contra¬ venienten richtig einziehe.

Ich muß es leiden, ſagte Friedrich gelaſſen, aber mein Herz hat nichts Böſes dabei gedacht, ich hab 'nicht fluchen und nicht ſchwören wollen, ſondern blos ein recht feſtes Verſprechen ablegen.

Das thut man nicht in ſo ruchloſen Ausdrücken, die Gott betrü¬ ben müſſen, verſetzte der Pfarrer.

Wie kannſt du, Lump, fuhr jetzt ſein Vormund gegen ihn auf, wie kannſt du ein Verſprechen geben und ein Eh'verlöbniß eingehen ohne Einwilligung deines Vaters, da du doch minderjährig biſt?

Das wird ſich auch bei der Strafe finden, Herr Senator, bemerkte der Amtmann. Wenn sponsalia clandestina geweſen ſind oder ein minderjähriger Burſche ſich vor erlangter Dispenſation verlobt, ſo iſt laut Reſolution vom er blätterte eine Weile in den umher lie¬ genden Geſetzen, Reſcripten und Normalien, und fuhr dann ärgerlich, die Stelle nicht gleich zu finden, fort: ſo iſt laut hochfürſtlicher Reſo¬ lution, die vor kaum vier Jahren emaniret, das Vergehen nicht als187 ein zwiſchen Verlobten vorgefallenes, ſondern als ein gemeines delictum carnis anzuſehen und demgemäß mit höherer Strafe zu belegen, und zwar ſelbſt dann, wenn nachträgliche legitime Verlobung und Heirath erfolgt, was hier Alles noch im weiten Felde ſtehen dörfte.

Friedrich, der den Sinn dieſer Rede ungeachtet der eingeſtreuten lateiniſchen Brocken gar wohl verſtanden hatte, nahm das Wort und ſprach: Ihr Herren, man kann mich ſtrafen ſo viel und hoch man will, darum laſſ 'ich doch nicht von meinem Schatz, und wenn man uns auch anſieht, als ob wir wie unehrbare und verrufene Perſonen wider das ſechſte Gebot geſündigt hätten, ſo weiß ich doch, daß nichts deſto weniger mein Schatz ein ehrlich's Mädle iſt und ſo ſittſam wie nur einem von den Herren ſeine Frau ſein kann.

Die Conventsrichter hatten eine Weile ihren Ohren nicht getraut und ihn deßhalb ruhig ſprechen laſſen, dann aber entſtand ein Aufruhr am Rathstiſche. Will Er ſchweigen? rief der Pfarrer. Man hat Ihn vorgeladen, damit Er ſich verantworte, herrſchte ihm der Amt¬ mann zu, und nicht, damit Er Sein böſes Maul brauche. Ich möcht 'dich zerbrechen, ſchrie ſein Vormund: biſt noch nicht hinter den Ohren trocken und ſchwätzſt ſo frech's und ungeſalzen's Zeug. So Einer iſt mir noch gar nie vorkommen, ſo lang ich im Kirchenconvent ſitz', ſagte der Heiligenpfleger: die Andern wagen die Augen kaum aufzuſchlagen und ſchämen ſich der Sünd ', der aber pocht und will noch gut haben. Und läſtert göttliche Gebote, hob der Pfarrer wieder an. Und fürſt¬ liche Verordnungen, fügte der Amtmann hinzu. Der Anwalt ſagte gar nichts, der unerhörte Auftritt hatte lähmend auf ſeinen Geiſt gewirkt.

Friedrich wollte abermals ſprechen. Still! riefen der Pfarrer und der Amtmann. Still! ſchrieen die andern Mitglieder hinterdrein.

Friedrich biß die Zähne über einander und ſchwieg.

Wie kannſt du's vor deinem rechtſchaffenen Vater verantworten, fuhr ihn ſein Vormund an, daß du dich hinter ſeinem Rücken in eine ſolche Lumpenliebſchaft eingelaſſen haſt, und was glaubſt du, daß er dazu ſagen wird, daß du ohne ſein Wiſſen dich mit einem Ehverſpre¬ chen gebunden haſt, und willſt jetzt behaupten, du laſſeſt nicht davon? Das will ich von dir hören.

Es iſt mir ja verboten zu reden, erwiderte Friedrich ſtörriſch.

188

Nein, nein! befahl der Pfarrer, darüber darf und ſoll Er ſich verantworten, daß Er den kindlichen Gehorſam ſo gänzlich hintangeſetzt und ſich eigenmächtig in eine Verbündniß eingelaſſen hat, die ein junger Menſch, wenn der Segen Gottes dabei ſein ſoll, nur unter ausdrück¬ lichem Conſens ſeiner Eltern nach deren reiflicher Erwägung und in der Zucht Gottes ſchließen ſoll.

Herr Pfarrer, antwortete Friedrich, meine Meinung iſt, wenn ein Menſch heirathen ſoll, ſo kann's ſein Vater nicht für ihn verſehen, ſondern jeder muß ſelber wiſſen, was ſich für ihn ſchickt. Wenn ich meinen Vater für mich wählen ließ 'und es thät' nachher übel aus¬ fallen, ſo kann ich ihm doch die Waar 'nicht heimſchlagen, ſondern muß ſie behalten. Darum, weil ich die Verantwortlichkeit dafür mein ganzes Leben lang, oder bis Gott anders verhängt, tragen muß, ſo halt' ich's auch für recht und billig, daß es dabei nach meinem Kopf geht und nicht nach einem fremden. Hab 'ich mich dann ver¬ griffen in meiner Wahl, ſo muß ich's haben und geſchieht mir Recht, wenn ich's mein ganzes Leben durch büßen muß, darf mich auch über keinen Andern beklagen; muß ich aber einen fremden Fehler büßen, ſo widerfährt mir groß Unrecht und hilft mich all' mein Klagen und Schelten doch nichts mehr.

Das ſind ſündliche, eigenwillige, aufrühreriſche Reden! rief der Pfarrer: Er wird's noch an Galgen bringen, wenn Er ſo fortfährt, nach Seinem Kopf zu leben und elterliche, obrigkeitliche und göttliche Autorität zu verachten.

Herr Pfarrer, was werden wir uns lange mit dem rechthaberiſchen Thunichtgut herum ſtreiten? ſagte der Amtmann. Die Obrigkeit gibt ſich viel zu ſehr herunter und büßt an ihrem Anſehen ein, wenn ſie ſich mit den Unterthanen in Disputationen einläßt, abſonderlich mit einem Buben, der der Ruthe noch nicht entwachſen iſt. Hier liegen die Geſetze und Verordnungen. Unſere Sache iſt es, ſie auszuüben, ſeine, ſich in das Geſetz und in die Welt zu fügen. Wenn er das nicht in den Kopf bringt, ſo mag er dahinfahren.

Ich glaube auch, daß es verlorene Worte ſind, die man an ihn verſchwendet, verſetzte der Pfarrer.

Ja, ich hab 'das öd' Geſchwätz ganz ſatt, ſagte der Anwalt, wel¬ cher ſchwerlich damit die Reden des Pfarrers und des Amtmanns189 meinte, es aber doch im Dunkeln ließ, wem dieſe verdrießliche Bezeich¬ nung galt.

Fort mit ihm! Fort! ſchrieen der Richter und der Heiligenpfleger.

Einen Augenblick Geduld noch! rief der Pfarrer: Seine Aus¬ ſage iſt alſo, daß Er der Chriſtina Müllerin die Ehe verſprochen habe und ſie heirathen wolle, wenn Sein Vater das Jawort dazu gibt?

Ja, antwortete Friedrich, mit der Einwilligung gleich jetzt und ohne die Einwilligung ſpäter, wenn ich mein eigner Herr bin.

Der Pfarrer wiederholte die vorigen Worte murmelnd, während er ſie ins Protokoll ſchrieb. Er kann gehen, herrſchte er dann und klingelte. Den Sonnenwirth! rief er dem eintretenden Schützen zu.

Chriſtine ſtand am Bach und weinte, aber ihr Geſicht klärte ſich alsbald auf, als ſie ihren Freund kommen ſah. Es hat den Kopf nicht gekoſtet, ſagte er lachend. Sie haben mir zwar ſchandlich ge¬ than und zuletzt haben ſie mich gar fortgejagt, weil ſie nicht Meiſter über mich worden ſind, aber ſie haben mir's eben doch Schwarz auf Weiß zu Protokoll nehmen müſſen, daß es zwiſchen uns Beiden richtig iſt, und das iſt die Hauptſach '.

Als er ihr dann erzählte, daß er wegen ſeines Schwures noch extra geſtraft worden, war ſie ſehr betreten und ſagte: Ach Gott, wenn ich das gewußt hätt ', ſo hätt' ich dich nicht verrathen.

Sei nur zufrieden, entgegnete er, ſie wiſſen jetzt um ſo gewiſſer, daß ich dir Wort halt '.

O du biſt brav, ſagte ſie, ſich an ihn anſchmiegend. Sieh, das richtet mich immer wieder auf, wenn mich das Elend zu Boden drücken will. Aber das ſind wüſte Leut ', die Herren, fuhr ſie fort: ich hätt' gar nicht glaubt, daß es ſo herging 'bei ihnen. Hat der Pfarrer auch ſo wüſt's Zeug an dich hingeſchwätzt?

Dumm's Zeug gnug, aber nichts wüſt's. Was hat er denn geſagt?

Sie drückte ſich noch näher an ihn an und wagte ihm nur ins Ohr zu flüſtern. Denk 'nur, ſagte ſie: Wann iſt die böſe That geſchehen? Wo iſt die böſe That geſchehen? Wie iſt die böſe That geſchehen? das hat er mich Alles nach einander gefragt, und es hätt' Noth gethan, daß ich ihm noch mehr geſagt hätt 'als ich gewußt hab'. Ich bin ſchier in Boden geſunken, ſo hab 'ich mich geſchämt. Auch190 hat er wiſſen wollen, ob's an einem Sonntag geſchehen ſei? Du kannſt dir aber wohl denken, was ich darauf geantwortet hab'.

Man ſollt's nicht glauben, ſagte Friedrich, was ſo ein alter geiſt¬ licher Hirt vor ſeinen Lämmern Sprüng 'machen kann. Spricht der von der böſen That, wie er's heißt, mit einem Geſicht ſo gelt, voll Abſcheu?

Freilich, ein Geſicht hat er dazu gemacht, als wenn's ihm recht übel wär '.

Ja, aber protokollirt eine ganze Stund 'fort und kann gar nicht loskommen von der böſen That, und wärmet ſich dran wie der König David an der jungen Dirne, von der in der Bibel geſchrieben ſteht. Wenn er's für eine Sünd' und ein Laſter hielt ', ſo blieb' er nicht ſo lang 'dabei ſtehen. Mich hätt' er ſo was fragen ſollen! Ich, hätt 'ihn an ſeine Frau verwieſen: die ſoll's ihm erzählen, wenn er's nicht mehr wiſſe. Etwas Aehnlich's hab' ich ihnen ohnehin geſagt.

Du biſt aber keck! verſetzte Chriſtine. Haſt du denn nicht auch Abbitt 'thun müſſen?

Ich, abbitten? ich will nicht hoffen, daß du ſo ſchmählich geweſen biſt.

Was hab 'ich denn machen können? Der Pfarrer hat immer auf mich hineingefragt, ob mir die böſe That nicht leid ſei. Anfangs hab' ich darauf geſchwiegen, dann hat er geſchimpft und gepredigt, und zuletzt hab 'ich eben zu Allem Ja geſagt. Dann hat er unterm Protokollſchreiben vor ſich hingebrummelt: Sie ſagt, ſie trage Reue und Leid vor Gott und den Menſchen, und ſolle ihr gewiß nicht wieder fürkommen, und bitte Gott und die liebe Obrigkeit um Ver¬ zeihung und um eine gnädige Straf'! Du weißt ja, er ſagt das was er ſchreibt immer vor ſich hin, es iſt dann ſo gut wie vorgele¬ ſen. Aber meine eigene Wort 'ſind's nicht, ſondern er hat ſich's eben aus meinem Ja herausgenommen, und Ja hab' ich geſagt, nur daß es einmal ein End 'nimmt, denn ſonſt wär' ich gar nicht fort¬ kommen, und dir ſelber hat's ja ſo ſchon zu lang gedauert, ich hab 'gemeint, du wolleſt mich freſſen, wie ich kommen bin.

Geh, ſagte er, das gefällt mir nicht, daß du dich haſt ſo 'runter¬ thun laſſen. Hätteſt beſſer hinſtehen ſollen.

Du darfſt mich auch noch ſchlecht machen, maulte ſie. Wie du biſt aus der Fremde kommen und deines Vaters Haus iſt dir ver¬191 ſchloſſen geweſen, gelt, da haſt dich auch 'runterthun laſſen und haſt brav verſprochen, du wolleſt nichts mehr von mir?

Das hab 'ich nicht verſprochen, entgegnete er, und der heutig' Tag kann's dir am beſten beweiſen, daß ich's weder verſprochen noch gehalten hab '.

Ja, das iſt wahr, ſagte ſie und ſtreichelte ihn.

Recht hab 'ich aber doch, fuhr er fort, das ſpür' ich in meinem Herzen. Die's trifft und die vor Convent kommen, müſſen Buße thun und Strafe leiden, und ſind doch um nichts ſchlechter als die Andern. Ich weiß gewiß, die Wenigſten ſind ſauber, und Viele, die nicht vorgeladen und nicht geſtraft werden, haben noch viel ärgere Sachen auf'm Gewiſſen, und wenn vollends unſer Herrgott Umgang hält und ſieht nach den Gedanken, ſo möcht 'ich doch auch wiſſen, wer vor ihm beſteht. Wenn ich dann vollends an die Offizier' und Hof¬ cavalier 'und an den Herzog ſelber denk' der treibt, was der Welt Brief ausweist, vor dem ganzen Land, und das ganz 'Land weiß, wer ſeine Damen ſind, denn ſo heißen ſie's bei Hof', wenn ſie aber mit uns deutſch reden, dann erfahren wir wie das Kind getauft iſt. Und zudem geht er noch manchem ehrlichen Mann in's Revier, abſonderlich in Stuttgart, wo man ſich aber oft noch eine unterthänige Ehr 'draus macht. Der gemeine Mann denkt anders drüber. Ganz kürzlich iſt mir noch erzählt worden, wie's ihm ein Bauer gemacht hat auf der Jagd. Da hat er eine italieniſche Tänzerin, ſeine Hauptliebſchaft, bei ſich gehabt, die iſt als ein Bub' verkleidet geweſen, Page heißen ſie's, und iſt ihm hinausgekommen, daß er vielleicht geglaubt hat, ſie woll 'ein wenig ſchwärmen, denn am Hof geht's her wie in der Arch' Noä, und wie er ſo im Wald 'rum jagt, um ſie zu ſuchen, trifft er einen Bauer und ſchreit ihm zu: Bauer, haſt du den Pagen nicht ſehen reiten in Sammt, blau und weiß? Ja, ſagt der Bauer, eben iſt ſie da abe. Drauf lacht der Herzog was er nur kann und jagt den Berg hinunter, wie ihn der Bauer gewieſen hat. Und ſo Einer will Reſolutionen erlaſſen, daß zwei Leut', wie wir, die's ehrlich mit einander haben, nach den Ehrennamen, die ſie uns geben, ſollen geſtraft werden. Und ſeine Mutter, die alt 'Herzogin, die er in Göppingen droben gefangen hält, die ſagt von ihm aus, er ſei nicht einmal ſeines Vaters rechter Sohn. Und ſolche Leut', die ſich ſelber des Ehbruchs beſchuldigen, wollen ihre192 Unterthanen wegen Uebertretung des ſechsten Gebots ſtrafen. Da ſoll doch ein ſiedig's Donnerwetter!

Bitt 'dich um Gotteswillen! ſagte Chriſtine, die ihm, obgleich ſie ganz allein waren, ſchon mehrmals den Mund zu ſtopfen geſucht hatte: du red'ſt dich in's Unglück!

Ich ſag's ja nur dir, entgegnete er, und der Bach da wird's auch nicht ausſchwätzen. Aber der Pfaff ſoll einmal vor den Herzog treten und ihn fragen, was er zu der böſen That ſage und ob er nicht Gott und die liebe Obrigkeit um Verzeihung bitten wolle.

Ich muß jetzt heim, ſagte Chriſtine, begleit 'mich noch ein wenig.

Komm, Frau Friederin. Wenn du jetzt auch noch nichts weiter biſt als das, ſo biſt du doch viel mehr als des Herzogs Damen alle mit einander. Rebsweiber ſagt die Bibel, wenn ſie's noch gnädig macht. Aber der Salomo iſt ein Judenkönig geweſen, und kein Herzog Karl zu Wirtemberg und Teck ſammt ſeinen Reſolutionen.

19.

Lausbub ', lüderlicher! ſchrie der Sonnenwirth ſeinem Sohne bei deſſen Heimkunft entgegen: lügſt mich an als ob du bemüht wärſt Schimpf und Schand' von mir abzuwälzen, und thuſt in der gleichen Zeit das Gegentheil, machſt ſchlechte Anſchläg 'mit deiner Perſon zuſammen, gibſt bei Kirchenconvent vor, du habeſt ein Eh'verlöbniß eingegangen, um mich dadurch, wie du vermeinſt, zu meiner Ein¬ willigung zu zwingen, und ſprengſt mich ſelber vor die Herren, daß ich deine Schandthaten ausbaden ſoll.

Nur gemach, Vater, erwiderte Friedrich dem Wüthenden, von Lü¬ gen kann gar nicht die Rede ſein, denn wie ich's mit der Chriſtine hab ', das hab' ich Euch ja von Anfang an ohne Umſchweif 'und ganz unverränkelt geſagt, und ausgemacht hab' ich mit ihr nichts anders, als daß wir bei der Wahrheit bleiben wollen. Habt Ihr aber gemeint, ich werd 'ſie überreden, daß ſie ſich ſelber zum Nach¬ theil und zur Schmach eine Lüge ſagen ſolle, ſo ſeid Ihr eben ſchief drangeweſen, denn ich hab' Euch nichts dergleichen verſprochen. Deſſen193 iſt Euer Sohn nicht fähig. Zur Zeit Eurer Jugend mag's vielleicht Mode geweſen ſein, ein arms Mädle mit ſammt ihrem Kind ins Elend zu ſtürzen und ſich von ihr rein zu ſchwören. Jetziger Zeit aber hält man ſo etwas für eine Schlechtigkeit, ich wenigſtens halt's dafür, und ein rechtſchaffener Vater ſollt's auch dafür halten und ſollt 'ſeinem Sohn nicht zureden, daß er's thue, ſondern wenn er damit umgeht, das Mädle zu verrathen, das ihn lieb hat und auf ihn vertraut, und das un¬ ſchuldig' Würmle ſein eigen Fleiſch und Blut, Vater! zu verleugnen, ſo ſollt 'er ihm väterlich ins Gewiſſen reden und ihm vorſtellen, daß ein Menſch, der das thut, ſein Lebenlang, und ob's ihm noch ſo gut ging', keine ruhige Stund 'mehr haben kann.

Der Sonnenwirth tobte und ergoß ſich in Verwünſchungen über die Zuchtloſigkeit und dazwiſchen in Klagen über die unehrerbietige Aufführung ſeines Sohnes. Die Sonnenwirthin, welche zugegen war, freute ſich innig über dieſe Stichelreden und ſchürte den Zank, ſo daß es beinahe zu Thätlichkeiten kam. Der Sonnenwirth brach jedoch endlich ab und ſagte: Ich will nicht länger mit dir ſtreiten, aber das erklär 'ich dir rundweg und hab's auch vor den Herren geſagt, mein' Conſens geb 'ich nun und nimmer dazu.

Dann ſteh 'ich wenigſtens vor aller Welt gerechtfertigt da, wenn's ein Unglück gibt, antwortete Friedrich.

Und was das Rabenkind Geld koſtet! wandte ſich der Sonnen¬ wirth zu ſeiner Frau. Denk 'nur auch, der Amtmann thut's nicht anders als daß die Straf' in Geld bezahlt werden ſoll. Fünfund¬ zwanzig Gulden fordert er für den Fehltritt. Ich hab 'gebeten, man ſoll's den Burſchen abverdienen laſſen, wie andere ſeines Gelichters auch, die man in die herzoglichen Gärten nach Stuttgart und Lud¬ wigsburg zum Arbeiten ſchickt; Schimpf und Spott iſt er ja ſchon gewohnt. Aber der Amtmann hat geſagt, es ſei nicht zu machen, und hat mir eine Verordnung vorgeleſen, worin es heißt, die Beam¬ ten ſollen beſſer auf das herrſchaftliche Intereſſe ſehen und wo möglich die Delinquenten künftig an den Beutel hängen, ſtatt ſie ihre Strafen in öffentlichen Arbeiten abverdienen zu laſſen; ja wenn auch nur die Terz, Quart oder die Hälfte der Strafe in Geld bezahlt werden könne, ſo müſſe das geſchehen und könne dann der Reſt, wenn es abſolut nicht anders herauszuſchlagen ſei, in eine Arbeitsſtrafe verwandeltD. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 13194werden; ſogar wenn einer nur eine Erbſchaft zu erwarten habe, ſo müſſe darüber an die Regierung berichtet und der Beſcheid abgewartet werden; und wenn je die Beamten ſich nicht danach achten und dadurch das fürſtliche Intereſſe Noth leiden laſſen ſollten, ſo werde man ſich an ſie ſelbſt und an ihr eigenes Vermögen halten. Das, hat der Amtmann geſagt, könn 'ich ihm nicht zumuthen.

Da iſt's kein Wunder, bemerkte die Sonnenwirthin, daß die Zucht immer mehr aus der Welt verſchwindet. In der guten alten Zeit, wo man noch auf Sittſamkeit und Gottesfurcht gehalten hat, hat man die Sünder zu einer ſchimpflichen Haft, ja bei Waſſer und Brod, verurtheilt, damit ſie auch gewußt haben wie's thut, und nur in Ausnahmsfällen bei gebrechlichen Perſonen hat man die Verwand¬ lung der Straf 'in Geld verſtattet. Jetzt aber iſt die Ausnahm' zur Regel worden, und auch wer nicht zahlen kann, der muß wenigſtens der Herrſchaft den Vortheil durch Arbeiten einbringen, damit ſie ja nichts verliert. Lieber Gott, was iſt das für eine Welt! Der Reich 'legt das Geld hin und lacht dazu, und der Herzog, als ob's an den Steuern nicht gnug wär', lebt noch von den Sünden ſeiner Unterthanen.

Und geht ihnen mit einem guten Beiſpiel voran, lachte Friedrich. Zürnen wird er ohnehin Keinem drüber, denn es trägt ihm ja Geld ein, woran's ihm immer fehlt.

Schweig 'du ſtill! gebot der Sonnenwirth. Ich hab' dann den Amtmann bitten wollen, fuhr er gegen ſeine Frau fort, er ſolle dem Buben atteſtiren, daß er abhängig ſei und über kein Vermögen zu verfügen hab '. Der Amtmann aber hat mich ausgelacht und hat mir geantwortet, da müßte man allen Kindern bei Lebzeiten ihrer Eltern Armuthsatteſtate ausſtellen, und überdies ſei dies grad' bei dem Buben nicht wahr, da er ja ſein Mütterliches beſitze, wenn er auch nicht frei darüber verfügen könne.

Und von dem Mütterlichen, ſagte Friedlich, wird die Strafe be¬ zahlt, dann könnt Ihr Euch nicht beklagen, Vater, daß ich Euch Un¬ koſten verurſach '.

Du wirſt dein Mütterlich's bald eingebrockt haben, du Lump, wenn du ſo fort machſt, verſetzte der Sonnenwirth.

Vater, ſagte Friedrich, gebet mir die Chriſtine und gebet mir mein Mütterlichs dazu, daß ich n' Anfang hab ', dann will ich's Euch195 ſchriftlich geben, daß ich Euch nicht bloß mit keiner weiteren Anforde¬ rung beſchwerlich fallen will, ſondern will auf alles Erbtheil an Euch verzichten.

Du haſt ohnehin kein Recht darauf, erwiderte der Sonnenwirth. Ich kann erben laſſen wen ich will, und wenn du dich nicht beſſerſt, ſo laſſ 'ich dich ganz aus meinem Teſtament.

Vater, verſetzte Friedrich, wenn's durch Eure Härte dahin kommt, daß ich vielleicht noch vor Euch ſterben muß, dann wird Euch gewiß dieſes Wort gereuen.

Es wär 'dir vielleicht beſſer, du führſt noch bei guter Zeit in die Grube, eh' das Unglück größer wird, entgegnete der Alte. Du kannſt dich ja doch in nichts ſchicken. Mach 'nur ſo fort und verſchenk' Erb¬ ſchaften, eh 'du ſie haſt. Du ſcheinſt mir's mit dem Eigenthum leichter zu nehmen als billig iſt. Freilich, du haſt ja ſchon Proben davon gegeben und hältſt dich lieber nach Zigeuner - als nach Chri¬ ſtenart.

Friedrich fuhr auf und der Zank drohte noch heftiger auszubrechen, als man über die Straße ein großes Geſchrei vernahm, das demſelben ein Ende machte. Es war ein Lärm und ein Zuſammenlaufen, deſſen Urſache man bald erfuhr. Während in der Sonne Vater und Sohn in böſem Wortwechſel begriffen waren, hatte ſich in der Nachbarſchaft noch ein ärgerer Auftritt zugetragen. Der Kübler hat ſich leiblos gemacht! rief man von allen Seiten. So war es auch. Der Küb¬ ler, der ſchon lange mit ſeinem Weibe im Unfrieden gelebt, hatte ihr zum Abſchied Arnd's Wahres Chriſtenthum ein paarmal um den Kopf geſchlagen und ſich dann mit einem ſtumpfen Meſſer den Hals abgeſchnitten. Da ſolche extreme Begebenheiten unter der zahmen Be¬ völkerung ziemlich ſelten waren, ſo gerieth der ganze Flecken in Auf¬ regung und jeder andere Handel ſchwieg über dem unehrlichen Grabe des Selbſtmörders, den man nach Vorſchrift bei Nacht in einer Waldklinge verſcharrte.

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20.

Wenige Tage nach dieſem Vorgang traf Friedrich, der ſich nun an kein Verbot mehr gebunden fühlte, die Familie Chriſtinens in großer Beſtürzung an. Chriſtine und ihre Mutter weinten laut als er eintrat, und der Alte, der ſein häusliches Mißgeſchick mit leidlichem Gleichmuth ertragen hatte, ſchien heute ganz zerſchmettert zu ſein. Auf Friedrich's Befragen erzählte er, er ſei vom Pfarrer und auch vom Amtmann vorgefordert worden. Der Pfarrer habe ihm eine recht bibelmäßige Predigt gehalten wegen der Sünde, daß er die ſtandeswid¬ rige Liebſchaft ſeiner Tochter geduldet, und ihn vermahnt, nunmehr in chriſtlicher Demuth das Unglück derſelben als eine Strafe Gottes für ſeinen Hochmuth hinzunehmen, auch ihm eröffnet, daß, wenn er nicht ſeine Einwilligung zu ihrer Heirath mit dem Sonnenwirthsſohne entſchieden verſage, er in allen künftigen Fällen von Noth oder Krank¬ heit auf eine Unterſtützung aus dem Heiligen nicht mehr rechnen dürfe.

Das kommt von meiner Frau Stiefmutter her, die hat ſich hin¬ ter den Pfarrer geſteckt, ſagte Friedrich bitter. Aber wartet nur, Vetter, es kommt gewiß noch eine Gelegenheit, wo ich's dem Höllen¬ pfaffen eintränken kann, daß er einem Vater zumuthen will, er ſolle dazu mithelfen, ſeine eigene Tochter um ihre Ehre zu beſtehlen.

So lang 's am Sonnenwirth fehlt, verſetzte der Hirſchbauer, iſt's eigentlich gleichgiltig, ob ich meine Einwilligung geb 'oder nicht, und das hab' ich auch dem Pfarrer geſagt. Aber es hat mir ſchier das Herz aus einander geriſſen, daß man arme Leut 'ſo unterdrückt. Ich ſoll aus Hochmuth Ihm die Thür' zu meiner Tochter offen gelaſſen haben, ich ſoll auf unrechten Wegen eine vornehme Verwandtſchaft geſucht haben, während ich von Anfang an gegen die Sach 'geweſen bin! Ich will Ihm jetzt keinen Vorwurf mehr machen, ſeit Er ſich geſtern vor'm Kirchenconvent ſo wacker gehalten hat und hat Gott und der Wahrheit die Ehr' geben, was nicht ein Jeder thut; aber das kann ich Ihm ſagen, Er iſt ein Nagel zu meinem Sarg, und wenn das Ding ſich nicht bald anders wendet, ſo wird man ſehen, wie tief197 mir's in's Herz gefreſſen hat. Armuth und Niedrigkeit kann ich tra¬ gen, aber der Schmach und Verachtung bin ich mein Lebenlang aus dem Weg gangen, und ich ſpür's am Verfall in meinen morſchen Knochen, daß mich auch diesmal zuletzt der Senſenmann drüber weg¬ führen wird.

Ich hoff 'vielmehr, Ihr ſollt auf die Trübſal noch Freud' an uns erleben, ſagte Friedrich, dem die Worte des alternden, gebeugten Mannes in's Herz ſchnitten.

Da müßt's gar anders kommen, erwiderte der Hirſchbauer. Für jetzt iſt ein Tag ſchwärzer als der ander '. Nach dem Pfarrer hat mich der Amtmann erfordert und hat gefragt, wie es denn mit der Chriſtine ihrer Straf' ſteh '.

Die zahl 'ich! unterbrach ihn Friedrich. Das verſteht ſich von ſelbſt. Das Geld kann ich freilich jetzt nicht geſchwind herhexen, aber der Amtmann muß eben ein Einſehen haben.

Der thut arg preſſant, ſagte der Hirſchbauer. Daß ich das Geld nicht aufbringen kann, hat er gleich von ſelber anerkannt und geſagt, ich müſſe eben ohne Verzug um Strafverwandlung einkommen, damit ſie's abverdienen könne, und wenn ich vernünftig ſein und verſprechen wolle, dem Sonnenwirth nicht mit ungeſchickten Heirathsbegehren für ſie zur Laſt zu fallen, ſo wolle er ſehen, daß die Strafe, weil es das erſtemal ſei, glimpflich ausfalle. Nach dem, was er mir zu verſtehen geben hat, ſoll's auf das hinauskommen: der Schütz und ſein Weib ſind, ſcheint's, faul, und da ſoll meine Tochter bei Amt Alles thun was ſie nicht verrichten mögen, Botengänge, Ausputzen, den Gefange¬ nen ihr Sach 'beſorgen

Das ſind appetitliche Geſchäfte zum Theil, bemerkte Friedrich.

Und außerdem ſoll ſie dem Amtmann oder vielmehr der Amt¬ männin im Feld und Garten ſchaffen.

Hat er das geſagt? rief Friedrich ganz erfreut.

Wenn's nicht anders ſein kann, fuhr der Hirſchbauer fort, ſo wär 'das freilich nicht das Schlimmſt', wiewohl mich's hart ankommt, das Mädle gleich von jetzt an, ſechs Wochen lang, denn ſo lang will's der Amtmann, in meinem bisle Feld entbehren zu ſollen, ſo daß ich mit meinen Buben nicht ſo viel wie ſonſt im Taglohn verdienen könnt '.

Jetzt hab 'ich ihn! rief Friedlich voll Freude. Dem will ich's198 vertreiben, aus meiner Chriſtine einen Fleckenſträfling zu machen, der den Gefangenen ausmiſten ſoll. Habt nur ein wenig Geduld, die Trübſal ſoll ſchnell vorübergehen!

Er ſtürmte fort, ohne der erſtaunten Familie zu erklären, was er vorhabe. Hierauf begab er ſich zu ſeinem Vormund, um das Geld zur Bezahlung ſeiner Strafe von ihm zu fordern. Es iſt Nothſach ', ich kann's dir nicht verweigern, ſagte das Gerichts - und Kirchencon¬ ventsmitglied, aber nimm dich in Acht, ich ſchick' hinter dir drein, ob du's auch gewiß auf's Rathhaus trägſt und nicht anderswo verthuſt.

Ich hab 'Ihm noch nichts unterſchlagen, Herr Vetter, bemerkte Friedrich.

Sollſt's auch wohl bleiben laſſen, erwiderte der Richter.

Friedrich blieb einen Augenblick ſtehen und beſann ſich. Zwar ſagte er ſich voraus, daß ein Verſuch, auch das Geld zur Bezahlung von Chriſtinens Strafe zu erlangen, ein ganz vergeblicher ſein würde, aber doch meinte er ihn machen zu müſſen. Der Unglaube, mit dem er ſeine Bitte vorbrachte, wurde jedoch vollkommen gerechtfertigt, denn der Vormund hielt ihm eine derbe Strafrede und meinte, es werde für ſie ganz geſund ſein, wenn ſie auf einige Zeit nach Ludwigs¬ burg komme, um ſich alldorten alle dummen Gedanken vergehen zu laſſen. Friedrich wünſchte ihm einige tauſend Teufel auf den Hals und empfahl ſich.

Mit dem Gelde verſehen, ging er in das Amthaus, wo er den Amtmann allein in ſeinem Zimmer traf. Hier, ſagte er, indem er das Geld auf den Tiſch legte, will ich dem Herrn Amtmann das Strafgeld für mein 'Schatz überbringen.

Der Amtmann lachte. Und wo iſt denn das Seinige? fragte er.

Dazu hat's nicht gereicht, ich will's abverdienen.

Er iſt ein Querkopf, ſagte der Amtmann, die Stirne ſchnell wie¬ der in Falten legend. Das ſind Flauſen, man kennt Seine Vermö¬ gensumſtände und die ihrigen. Das iſt ja, fuhr er ſehr verdrießlich fort, das Geld aus einander legend, das ſind ja dieſelben Sorten, die ich Seinem Pfleger heut geſchickt habe. Es ſcheint, dem iſt mein Geld nicht gut genug, daß er die erſte Gelegenheit benutzt, es mir wieder zurückzuſchicken; mit ein wenig Geduld und Umſicht hätt 'er's wohl los werden können. Nun ja, das iſt alſo die Strafe für Ihn,199 die Er ritterlicher Weiſe für Seine Amaryllis hat einſetzen wollen. Für dieſe hatte es nicht ſo viel ausgemacht, ich taxire ſie nicht ſo hoch. Er zählte das Geld und ſagte: Sein hochwohlweiſer Herr Vormund muß den Beutel noch einmal aufthun, er hat im Rechnen manquirt. Das iſt nur die Strafe; dazu gehört aber noch das Surplus, von jedem Gulden drei Kreuzer für das Zuchthaus in Ludwigsburg, ferner drei Kreuzer Tax vom Gulden und endlich von zehn Kreuzern ein Kreuzer Schreibgebür.

Friedrich erbot ſich, das Fehlende gleich zu holen. Das ſind Blut¬ igel! ſagte er unterwegs zu ſich. Aber es ergötzte ihn, obgleich der Spaß auf ſeine eigenen Koſten ging, das lange Geſicht ſeines Vor¬ mundes zu ſehen, als derſelbe ſich eines Irrthums in der Rechnung überführt ſah und noch einmal in die Kaſſe greifen mußte, was ihm ſogar bei fremdem Gelde ſchwer zu fallen ſchien.

Als Friedrich den Nachtrag gebracht und der Amtmann das Geld gezählt hatte, nahm jener das Wort: Und jetzt, mit des Herrn Amt¬ manns Wohlnehmen, möcht 'ich fragen, wie es mit der Chriſtine werden ſoll.

Was geht das Ihn an? ſagte der Amtmann.

Wir gehen einander nun doch einmal näher an, erwiderte Friedrich, und da wird man's nicht anders als billig und chriſtlich finden, wenn ich mich um ſie bekümmere. Ich hab 'gehört, der Herr Amtmann wolle ſie ihre Strafe hier bei Amt und mit Feld - und Gartenarbeit abverdienen laſſen.

Und wenn dem ſo wäre? ſagte der Amtmann, nach und nach aufmerkſam werdend.

Es wär 'mir nicht lieb, wenn ſie vor dem ganzen Flecken Straf¬ arbeit verrichten müßt'

Wer fragt denn darnach, ob's Ihm lieb iſt oder nicht?

Und zudem, Herr Amtmann, ſind das keine herrſchaftlichen Ge¬ ſchäfte.

Der Amtmann richtete ſich hoch auf und ſein ſonſt gutmüthiges Geſicht nahm einen bösartigen Ausdruck an. Ich glaub ', Er will den Advocaten machen! ſagte er.

In dem Punkt wär 'ich nicht ganz untauglich dazu, antwortete Friedrich. Es gibt nichts in der Welt, Herr Amtmann, das nicht200 ſeine gute Seite hätte. So auch das Zuchthaus. Dort bin ich mit Einem zuſammen geweſen, der hat mir erzählt, ein Amtmann habe ihn, wie er einmal zum Schellenwerken verurtheilt geweſen ſei, ſtatt deſſen in ſeinen eignen Privatgeſchäften arbeiten laſſen; es ſei jedoch herausgekommen und man habe ihn, was ihm übrigens nicht willkom¬ men geweſen ſei, zu öffentlichen Arbeiten abgeführt, der Amtmann aber hierbei ſah er dem Amtmann ſcharf in die Augen ſei um zwanzig Reichsthaler geſtraft worden.

Der Amtmann wurde blauroth im Geſicht, ſo daß man bei ſeiner nicht eben magern Geſtalt einen Augenblick einen gefährlichen Anfall befürchten konnte. Es ging aber vorüber und er ſagte verächtlich: Ihm, einem Züchtling, einem vielfältigen Facinoroso, wird man viel Glauben ſchenken, wenn Er etwas wider mich vorbringen will.

Der Herr Amtmann, erwiderte Friedrich, vergißt, daß ich nicht allein darum weiß.

Es iſt wahr, verſetzte der Amtmann, ich habe aus gutem Herzen dem alten Müller angeboten, ſeine Tochter die Strafe auf eine leichte und gelinde Art abbüßen zu laſſen. Dabei war es nicht ſowohl mein als meiner Frau Gedanke, ſie in unſrer Privatökonomie nebenher zu beſchäftigen; es iſt aber nicht mit einem Wort die Rede davon ge¬ weſen, daß ſie das im Strafwege thun ſolle, ſondern ſie hätte Geld dabei von uns verdient, das wir jetzt Würdigeren zukommen laſſen werden. Die Amtsgeſchäfte aber, die ich ihr zur Abverdienung ihrer Strafe habe auferlegen wollen, ſind allerdings herrſchaftliche Geſchäfte. Doch darüber brauche ich mit Ihm nicht zu ſtreiten. Das Geſindel iſt es nicht werth, daß man humane Abſichten mit ihm hat. Sein Weibsbild kommt jetzt nach Ludwigsburg in den Herrſchaftsgarten, muß dort ſechs Wochen lang arbeiten, wird mit Waſſer und Brod geſpeiſt, was ſie jedoch abermals abverdienen muß, Nachts in's Blockhaus ein¬ geſchloſſen, damit ſie nicht dem Bettel und der Lüderlichkeit nachziehen kann, und außerdem muß ſie den von Neuem wieder eingeführten ** karren ziehen. Das hat Er mit Seiner ritterlichen Protection für ſie herausgeſchlagen.

Es iſt mir immer noch lieber, als wenn ſie vor dem ganzen Fle¬ cken Strafarbeit verrichten ſoll, erwiderte Friedrich trotzig. Was in Ludwigsburg vorgeht, ſieht man in Ebersbach nicht. Uebrigens hat201 ihr Vater doch noch Freund ', daß er vielleicht die Straf' in Geld aufbringen kann. Und auch in dem Punkt bin ich wieder ein Ad¬ vocat: Ich weiß, daß der Herr Amtmann das Geld nicht zurückweiſen darf, weil er für das fürſtliche Intereſſe beſorgt ſein muß.

Es ſteht aber bei mir, wie lange ich zuſehen will, entgegnete der Amtmann. Meine Nachſicht wird nicht lange dauern. Und nun ſorg 'Er, daß Er mir aus den Augen kommt. Es geht mir wie meiner Frau mit Ihm. Laſſ' Er ſich nicht wieder im Amthaus betreten, ohne daß ich Ihn verlangt habe.

Den andern Abend ſpät erſchien Friedrich beinahe athemlos in der Stube des Hirſchbauern. Hier iſt das Geld für die Straf ', ſagte er, die blanken Münzen auf den Tiſch legend.

Wie kommt Er zu dem Geld? fragte der Hirſchbauer: Sein Vater hat's ihm gewiß nicht gegeben.

Nein, antwortete Friedrich, aber ich hab's auf eine Art erworben, daß ich's verantworten kann, das heißt, zwiſchen mir und dem, von dem ich's hab ', iſt offene ehrliche Sach'.

Er war nicht zum Geſtändniß zu bewegen, wie er zu dem Gelde gekommen ſei, ſondern wiederholte beharrlich ſeine vorige Verſicherung, ſchärfte jedoch dem Hirſchbauer ein, er ſolle, wenn der Amtmann frage, nicht angeben, von wem er das Geld habe, weil das nur neue Weit¬ läufigkeiten zur Folge haben würde; er ſolle ſagen, es ſei ein für den äußerſten Nothfall geſpartes Schatzgeld, oder was ihm ſonſt Ge¬ ſcheides einfalle.

Als der Hirſchbauer aus dem Amthauſe zurückkam, erzählte er mit bedenklicher Miene, der Amtmann habe das Geld zwar genommen, dabei aber bemerkt, das ſei ein bedenklicher Reichthum, nach deſſen Quelle er bei Gelegenheit forſchen wolle.

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21.

Von der Sonne war aller Friede und alle Freude gewichen. Bei¬ nahe täglich gab es zwiſchen Vater und Sohn ſtachlige Reden, Wort¬ wechſel, Geſchrei und heftige Auftritte, und wenn Handlungen ver¬ mieden wurden, die das letzte Band der Liebe in einer Familie zerreißen, ſo kam dies blos daher, daß der Sonnenwirth die entſchiedene Er¬ klärung ſeines Sohnes, ein herabwürdigendes Schimpfwort gegen Chriſtinen werde ihn zu den äußerſten Schritten treiben, ſich zu Herzen genommen hatte. Auch würde er der Achtung, welche der Mann dem Manne durch unbeugſames Beharren auf ſeinem Willen und ſeiner Wahl einflößt, ſchwerlich in die Länge widerſtanden und vielleicht würde mit der Zeit ſeine mürriſche Einſprache die Eigenſchaft einer jener unangenehmen Gewohnheiten angenommen haben, die man auszurotten oder wenigſtens unſchädlich zu machen vermag. Gibt es ja doch Eltern, die noch immer über die Heirath eines Kindes brum¬ men, während ſie ſchon die Enkel auf den Armen tragen. Aber die Sonnenwirthin war mit Aufbietung aller ihrer Mittel bemüht, die mildernde Kraft der Zeit und der vollendeten Thatſache zu bekämpfen und keine gelindere Wendung des Zwieſpaltes aufkommen zu laſſen. Man konnte darüber ſtreiten, ob ihre Stelle denn ſie galt in ihrer Umgebung für eine vorzügliche Wirthin von Chriſtinen jemals würdig ausgefüllt werden könne, ein Zweifel, der ſie wenig kümmerte, außer inſofern ſie ihn als ein Mittel gegen dieſe Heirath brauchen konnte; was jedoch für ſie als unzweifelhaft feſtſtand, war die Gewi߬ heit, daß ſie ſich mit dieſer Schwiegertochter nimmermehr vertragen würde. Sie war in ihrer Verfolgung gegen ſie zu weit und zu offen¬ kundig vorgegangen, als daß ſie, nach ihrer Sinnesart, eine Verſöh¬ nung je für möglich halten konnte. Nach menſchlicher Berechnung mußte ſie dereinſt ihren Mann geraume Zeit überleben, und wenn ſie jetzt dieſe Heirath ſeines Sohnes gütlich oder durch Ertrotzung zu Stande kommen ließ, ſo glaubte ſie, da der Sonnenwirth dann nicht leicht zur Abfaſſung eines ſeinem Sohne feindſeligen Teſtamentes203 zu bringen war, vorausſehen zu müſſen, daß ihr nach ſeinem Tode das Schickſal bevorſtehen würde, von dem jungen Paare aus dem Hauſe getrieben oder, was noch ſchlimmer, im Hauſe mit Füßen ge¬ treten zu werden. Friedrich konnte ihr vielleicht vergeben, Chriſtine aber nie; dieſe Ueberzeugung mußte ſie deßhalb hegen, weil ſie ſich ſagte, daß ſie an Chriſtinens Stelle eben ſo handeln würde. So trieb ſie denn täglich den Keil tiefer, um das Band zu ſprengen oder gar die Enterbung des Stiefſohnes durchzuſetzen. Sie ging oft in's Pfarrhaus und Amthaus, um dort die herrſchende Ungunſt zu ſchüren und dann ihrem für Eindrücke von oben empfänglichen Manne wieder zu berich¬ ten, was man daſelbſt über die ungleiche Partie ſpreche; auch war ſie nicht ſparſam, ihm Drohungen und Schmähungen, die ſein Sohn ausgeſtoßen, anmaßende und verletzende Reden, die Chriſtine geführt haben ſollte, zuzutragen. Hierbei war ihr der Fiſcher, der ſie fleißig mit der faulen Waare ſeiner Berichte verſorgte, von großem Nutzen, und er ſelbſt zog aus dem Familienzerwürfniß nicht geringen Gewinn.

Da die Sonnenwirthin ſowohl ihren Mann als ſeinen Sohn ſehr genau kannte, ſo wußte ſie auch beſſere Regungen, die eine end¬ liche Ausgleichung des Zwiſtes hätten herbeiführen können, zu ihren Zwecken auszubeuten. So war es ihr gar nicht unwillkommen, als ihr Mann eines Tages zu ihr ſagte: Es iſt mir doch nicht lieb, daß er mich drum anſieht, als ob ich ihm ſein Mütterlich's vorenthalten wollt '. Wenn der dumm' Bub 'abſolut in ſein Unglück rennen will, ſo weiß ich am End' nicht, ob ich ihn halten ſoll. Es iſt mir nur um die Sonne. Ich hab 'mich eben in Gedanken ganz drein hineingelebt, daß er einmal eine Poſthalterserbin heirathet und die Sonne vollends recht in Flor bringt.

Sie werden ſich um ihn reißen, bemerkte ſie, er iſt ein guter Brocken, verſchreit wie er iſt.

Ach was! entgegnete er, das wär 'bald vergeſſen, wenn er nur einmal nicht mehr ſo überzwerch wär'. Aber ich geb 'allmählich die Hoffnung auf, daß er wird wie ein anderer Menſch. Er hat eben gar keine Ehr' im Leib. So einem Lumpenmenſch zu lieb auf ſein Eigenthum verzichten wollen und eine Zukunft in die Schanz 'ſchlagen, um die ein Anderer tauſend Stunden weit auf'm Kopf lief' ich kann's nicht begreifen. Aber wenn er mit Gewalt vom Herren zum204 Knecht werden will, ſo kann ich ihn nicht anders machen. Des Menſchen Will 'iſt ſein Himmelreich.

Ja, ſagte ſie, man kann freilich am End 'nicht wiſſen, was unſer Herrgott mit ihm vor hat. Was einmal Gottes Will' iſt, da kann man nicht wider den Stachel lecken. Und wenn er nun einmal durch¬ aus drauf verſeſſen iſt, ſich mit ſeinem Mütterlichen abfinden zu laſſen, wie er ſagt, und dir und Andern als Knecht zu dienen, unter der Bedingung, daß du ihm ſeine herzige Hirſchkuh gibſt, ſo wär 'grad' jetzt eine gute Gelegenheit vorhanden, wo man ſie mit einander hin¬ einſetzen könnt '. Du weißt ja, des Küblers Häusle will kein Menſch, und ſein Weib ſitzt im Elend da und thät's ſchier umſonſt' hergeben.

Ja, die hat auch nicht geruht bis ſie ihn unter dem Boden ge¬ habt hat, und jetzt hat ſie das Nachſehen. Das Häusle, ja, das wär 'freilich billig zu haben, ſie wird noch lang vergeblich auf einen Käufer warten, und das Waſſer geht ihr an den Hals. Aber meinſt du, er werd' keinen Abſcheu davor haben? Das Haus iſt doch arg verſchrieen, neben dem daß es klein und ſchlecht iſt.

Was, der? Das iſt ja ein Aufgeklärter. Der macht ſich nichts draus und wenn der Teufel ſelber drin gehauſet hätt '.

Friedrich ſchien auch Anfangs mit dem Vorſchlage nicht unzufrieden zu ſein, als er, wie dies in ſolchen Fällen häufig geſchieht, aus dem Munde der Nachbarsleute erfuhr, mit welchem Gedanken ſein Vater umgehe. Aber eine Unterredung mit Chriſtinen änderte ſeinen Sinn.

So! rief ſie, als er ihr den Plan mitgetheilt: ich ſoll in ein Haus ziehen, wo ſich Einer den Hals abgeſchnitten hat und als Geiſt laufen muß!

Dummes Geſchwätz! erwiderte er, der Küblerfritz ſchläft ruhig im Kirnberg draußen und iſt froh, daß er vor ſeiner böſen Ripp 'Ruh' hat. Der lauft nimmer.

Das mag ſein, wie's will, aber mir graust's davor. Und das Haus iſt eben einmal unehrlich. Was meinſt, was die Leut 'ſagen werden, wenn wir drin wohnen? Da wird's heißen: die Beiden hat man hineingeſetzt, weil das Haus für Jedermann ſonſt zu ſchlecht geweſen iſt und weil man glaubt, daß es mit ihnen ein gleiches End' neh¬ men wird.

Du haſt den rechten Zipfel erwiſcht, ſagte Friedrich. Jetzt ſeh '205ich auf einmal in die Sach' hinein. Das iſt ein giftiger Gedank 'von der Frau Stiefmutter und der ganz' Vorſchlag ſoll gar nichts als ein Pasquill auf mich ſein.

Seit dieſem Augenblicke ſprach Friedrich von dem Gegenſtande ganz anders. Die wilden Reden, die er gegen die Nachbarn, wenn ſie denſelben berührten, fallen ließ, wurden ſeinem Vater alsbald wie¬ der hinterbracht, und die Stiefmutter ſorgte dafür, daß ſie eher ge¬ mehrt als gemindert wurden. Hieraus erfolgten neue Auftritte zwi¬ ſchen Vater und Sohn, die ſich um ſo bitterer entluden, da die Verachtung, die der letztere gegen den U heber ſeiner Tage hegte, ſeit er ihn auf der Zumuthung betreten ha te, ſein Mädchen mit ihrem Kinde im Stich zu laſſen, durch den ſeinem Gefühl nach in herab¬ würdigender Abſicht gemachten Vorſchlag, das Haus des Selbſtmörders zu beziehen, noch geſchärft worden war. Auch wurde er in ſeiner Auffaſſung dieſer elterlichen Abſicht durch die öffentliche Meinung im Flecken beſtärkt, obgleich dieſelbe, nach der Weiſe einer unter jahr¬ hundertelangem Drucke lebenden Bevölkerung, ſich nur heimlich zu ſei¬ nen Gunſten ausſprach. Einer um den Andern ließ ſich verlauten: Es iſt doch nicht recht vom Sonnenwirth, daß er ſein 'eigenen Sohn in die Hütte des Halsabſchneiders ſetzen will, aber ich will nichts geſagt haben. Gleichwohl war ein halbes Dutzend von denen, die ſo geſprochen hatten, nachher gleich bei der Hand, um über die unbeſon¬ nenen Reden des Jähzorns, die er bei ſolchen Anläſſen ausgeſtoßen, Zeugniß gegen ihn abzulegen.

Es war wieder einmal Kirchenconventsſitzung, und die Mitglieder, die etwa insgeheim Freude am Skandal hatten, konnten diesmal ihre Luſt wirklich büßen. Vor dem Convent ſtanden der Sonnenwirth als Kläger und ſein Sohn als Beklagter. So weit hatte es die Stief¬ mutter durch ihre Verhetzungen gebracht. Beide wurden confrontirt. Der Pfarrer als Vorſitzender des Gerichts hielt dem Sohn in Beiſein des Vaters vor: Sein Vater klagt wider Ihn, daß, nachdem er, wiewohl ungern, ſich erklärt, daß er Ihm die Chriſtina Müllerin, mit der Er ſich vergangen habe, laſſen wolle, und vermeint, er könne bei Ihm dadurch etwas Gutes zuwegbringen, ſo ſei Er nur immer ärger, brauche gegen ihn die allerſchnödeſten und ſchimpflichſten Reden, ſtoße allerhand gefährliche Drohworte gegen ihn, Seinen Vater, wie206 auch gegen Seine Mutter und andere Leute aus, alſo daß er niemals in ſeinem eigenen Haus ſicher ſei.

Kann mein Vater ſagen, daß ich mich an ihm vergriffen habe? wendete Friedrich ein.

Schweig 'Er ſtill, befahl der Pfarrer, ich werde die Punkte der Ordnung nach vornehmen. Er kramte, durch die Einrede etwas aus dem Concept gebracht, eine Weile in ſeinen Notizen und fuhr dann fort: Pro primo, ſo ſagt Sein Vater, Er habe Geld von ihm gefor¬ dert, und da er Ihm geſagt, Er habe ja erſt ein Jahrmarktstrinkgeld bekommen, ſechszehn Batzen, warum er es vertrunken? ſo habe Er geſagt, er habe recht gethan, und wenn er ein größeres Trinkgeld be¬ kommen hätte, ſo hätte er's auch verthan. Iſt dem ſo?

Ich muß mich wundern, ſagte Friedrich, daß mein Vater ſo elende Händel vor Kirchenconvent bringt. Er weiß wohl, daß ich mehr Geld von ihm verlangt hab 'und nicht zum Trinken; ſtatt deſſen hat er mich mit einem Trinkgeld abfinden wollen, und dem hab' ich dann mit guten Freunden ſein Recht angethan und hätt's mit einem größe¬ ren auch ſo gemacht, weil mich ein Lumpengeld nichts geholfen hätt '.

So ſagen alle Verſchwender, bemerkte der Vormund halblaut.

Item, fuhr der Pfarrer fort, wie Er erfahren hat, Sein Vater wolle Ihm des Küblers Häusle kaufen, habe Er geſagt, der Donner ſolle Ihn erſchlagen, wenn er's Ihm kaufe, ſo zünde Er es an, ſollten auch der Nachbarn Häuſer mit verbrennen, und wenn Sein Vater Ihm nicht dazu helfe, daß Er das Weib bekomme, ſo wolle Er noch einen größeren Tuck thun. Das gibt nicht blos Sein Vater an, ſon¬ dern ich kann Ihm eine ſtattliche Reihe von Zeugen ſtellen, die ich habe kommen laſſen und die mir ſolches bezeuget haben.

Es ſind vermuthlich die Nämlichen, die mich aufgeſteift haben, ich ſoll 'mir's nicht gefallen laſſen, antwortete Friedrich. Was ich im Zorn geſagt hab', weiß ich nicht mehr. Die Reden, die der Menſch im Zorn führt, muß man nicht aufleſen, ſondern liegen laſſen, dann ſind's Funken, die ſchnell wieder auslöſchen. Man hat mich ſchon viel böſe Reden führen laſſen. Schon damals, wie ich als ein junger Bub 'vom Gaul heruntergeſchoſſen worden bin, hat man zur Ent¬ ſchuldigung nachher geſagt, ich hab' dem Flecken mit Mord und Brand207 gedroht, und letzten Winter iſt wieder ſo ein Geſchrei gangen, und iſt beidemal kein wahr's Wort dran geweſen. Dasmal wird's viel¬ leicht auch nicht viel beſſer ſein. Sollt 'ich aber je im Weindampf von den ſechszehn Batzen, die mir mein Vater hier vor Convent vorrechnet, ein ſolches Wort haben ausgehen laſſen, ſo iſt's von da bis zur That noch ein weiter Weg. Mein Vater hat mir des Küblers Häusle noch nicht kauft und ich hab's noch nicht anzünd't. Wenn jedes un¬ nütz' Wort, das Einer im Zorn fallen läßt, bei Kirchenconvent ange¬ bracht würd ', ſo ſtünd' am End 'der ganz' Kirchenconvent da wo ich jetzt ſteh '.

Frecher Bub ', fuhr ſein Vormund auf, du ſollteſt froh ſein, daß dein Vater hat für dich ſorgen wollen. Des Küblers Häusle iſt noch viel zu gut für dich.

So klein und ſchlecht es iſt, ſagte Friedrich, ſo wär 'ich für meine Perſon damit zufrieden geweſen. Aber der Herr Vetter weiß wohl, in welchem Geruch das Häusle bei dem ganzen Flecken ſteht und daß ich mit meiner Chriſtine nicht hineinziehen kann. Ja, wenn mir die Herren den Küblerfritz im Wald wieder ausgraben laſſen und laſſen ihn auf'm Kirchhof in ein ehrlichs Grab legen, dann will ich in ſein Häusle einziehen. Das wär' zudem ein Werk, das die Herren verantworten könnten, denn was er auch mit Gottes Zulaſſung ge¬ than hat, er iſt fürwahr kein ſchlechter Menſch geweſen.

Natürlich! rief der Vormund: gleiche Brüder, gleiche Kappen. Der Anwalt und der Heiligenpfleger brachen in ein Gelächter aus, das ſie erſt nach einem Blick auf den Pfarrer und Amtmann wieder dämpften.

Der Herr Vetter zeigt den richtigen Weg an, verſetzte Friedrich. Wenn ich in das Häusle einzög ', ſo thät' mich Mancher, wie jetzt der Herr Vetter, dann den neuen Kübler heißen. Nun bleib 'ich zwar dabei, daß er beſſer geweſen iſt als man ihn ausgibt, aber darum will ich doch nicht mit meiner Chriſtine in dem Häusle wohnen und ſo an¬ geſehen ſein wie der Kübler mit ſeinem Weib. So wird's gewiß jedem Andern auch gehen, und daran können die Herren abnehmen ob's mein Vater ehrlich mit mir meint, wenn er ſagt, er woll' mir das Häusle kaufen. Wiewohl, ich glaub 'gar nicht, daß der Gedank' in ſeinem Kopf gewachſen iſt.

208

Item, hob der Pfarrer wieder an, ſoll Er geſagt haben, Sein Vater henke ſein Geld lieber an die Stallmägde, als daß er Ihm helfe.

Das iſt verlogen! fuhr Friedrich auf. Mein Vater ſollt 'ſich ſchä¬ men, daß er ſich ſolche Flöh' in die Ohren ſetzen läßt, da er doch recht gut wiſſen könnt ', woher ſie kommen.

Item, fuhr der Pfarrer fort, habe Er mit Gewalt von Seinem Vater Geld haben wollen, daß Er Dispenſation wegen Seiner Mino¬ rennität bekomme.

Ja, das hab 'ich von ihm haben wollen, fiel Friedrich ein, und deßwegen iſt mir das Trinkgeld, mit dem er mich hat abſpeiſen wollen, viel zu wenig geweſen. Ich weiß nicht, wie's mein Vater und mein Pfleger mit einander haben: wenn ich von dem Einen Geld will, ſo ſchickt er mich an den Andern. Das aber weiß ich, daß ich das Recht hab', meine Minderjährigkeit abzukaufen, damit ich nicht mehr bei mei¬ nem Vater um Heirathserlaubniß zu betteln brauch '; und wenn ich die Dispenſation mit meinem eignen Geld bezahl', ſo wird Niemand, hoff 'ich, was dawider haben.

Er ſoll dabei geſagt haben, wenn Er nur Geld habe, ſo brauche Er keinen Pfarrer und keinen Amtmann dazu. Summa Summarum klagt Sein Vater, Er folge ihm nicht, ſchaffe ihm nichts, gehe nur müßig, ſei in der Nacht draußen, und erſt am Sonntag habe Er ge¬ ſagt, der Teufel ſolle das Geſchäft holen, Er wolle ihm keine Arbeit mehr thun, er helfe Ihm ja nicht. Es bittet anbei Sein Vater, weil er vor Ihm niemals, weder Tag noch Nacht, ſicher ſei, ſo möchte man ihm Sicherheit verſchaffen vor Ihm und Ihn alſo verwahren, daß Er ſich an niemand vergreifen und niemand ſchaden könne.

Mein Vater iſt kein Mann, wenn er das behauptet, erwiderte Friedrich. Ich hab 'noch nie in meinem Leben Hand an ihn gelegt, ich hab' mich nicht einmal, ſeit ich aus den Bubenjahren herausge¬ wachſen bin, ſo viel ich auch Urſach 'hätt', an meiner Stiefmutter vergriffen. Vom Schaffen ſag 'ich gar nichts.

Wie kannſt du ſagen, dein Vater ſei kein Mann! rief der Vormund.

Er iſt kein rechter Mann, ich behaupt's noch einmal. Er hat mir zugetraut, ich werd 'mein Mädle betrügen und mein leiblich's Kind209 verleugnen. Das thut kein rechtſchaffener Mann. Dann iſt er in der Hand meiner Stiefmutter, wie ein Rohr, das im Wind hin und her ſchwankt: das einemal ſagt er, er gebe nie ſeinen Conſens zu mei¬ ner Heirath, das andermal will er mir des Küblers Häusle dazu kaufen.

Hat Er das vierte Gebot ganz vergeſſen, rief der Pfarrer, daß Er im Beiſein Seines Vaters und vor uns ſo verächtliche Reden wider ihn ausſtößt und den kindlichen Reſpect ganz hintanſetzt? Aber freilich, Er macht's der Obrigkeit auch nicht beſſer, Er ſagt ja, wenn Er Geld habe, ſo brauche Er keinen Pfarrer und keinen Amtmann, um Seinen Kopf durchzuſetzen.

Friedrich warf einen Blick ingrimmiger Verachtung auf den Pfar¬ rer. Der Herr Amtmann, ſagte er, wird wohl wiſſen, daß ſeine Macht nicht über die ganze Welt reicht und daß auch noch eine Obrigkeit über ihm iſt. Was aber Sie, Herr Pfarrer, anbelangt, ſo haben Sie meinem Schwäh'rvater mit Drohungen das Verſprechen abgepreßt, daß er ſeiner Tochter und mir die Einwilligung verweigere. Sie nennen das, was zwiſchen zwei jungen Leuten vorgeht, die einander lieb haben, eine böſe That. Iſt ein Seelſorger nicht dazu da, daß er böſe Thaten in der Gemeinde gut machen hilft? Iſt er nicht dazu da, daß er die Gefallenen wieder aufrichtet? Iſt er nicht dazu da, daß er den unterſtützt, der den guten Willen hat, das Geſchehene un¬ geſchehen oder doch wenigſtens wett und eben zu machen? Sie wiſ¬ ſen von Amtswegen, daß ich geſchworen hab ', meiner Chriſtine mein Wort zu halten und ſie zu heirathen, und Sie wollen dahin arbeiten, daß ein Schaf aus Ihrer Heerde mit Gewalt meineidig gemacht wer¬ den ſoll? Sie ſchärfen von der Kanzel und in der Kinderlehre die Pflichten zwiſchen Eltern und Kindern ein, und Sie muthen einem Vater zu, daß er ſeine Tochter ſoll zur ** werden laſſen?

Er wollte fortfahren, aber der allgemeine Tumult übertäubte ihn. Mit Ausnahme des Amtmanns, der behaglich ſitzen blieb, war der ganze Convent aufgeſtanden und donnerte auf den frechen Redner hinein. Beſonders heftig eiferte der Pfarrer, deſſen kleine magere Geſtalt ſich ſeltſam von dem wohlbeleibten Umfange ſeines weltlichen Mitbeamten neben ihm unterſchied. Da er in dem Geſchrei der übri¬ gen Mitglieder, welche ihn gegen die Läſterungen des Angeklagten inD. B. lV. Kurz, Sonnenwirth 14210Schutz nehmen zu müſſen glaubten, mit ſeiner Stimme nicht durch¬ dringen konnte, ſo ſetzte er ſich ſchnell wieder, ergriff die Feder und ſchien ſich heftig ſchreibend im Protokoll Recht verſchaffen zu wollen.

Als der Tumult verſtummte, ſagte der Amtmann zum Pfarrer: Haben Sie auch im Protokoll angemerkt, Herr Pfarrer, wie recht¬ fertig er iſt?

Ja wohl, Herr Amtmann, antwortete der Pfarrer mit großer Be¬ friedigung, und zeigte ihm das Protokoll. Sehen Sie, hier ſteht's ſchon geſchrieben: Bei aller ſeiner äußerſten Bosheit will er immer noch Recht haben.

Ich hoff ', es iſt noch eine Gerechtigkeit über uns, verſetzte Friedrich, Ebersbach iſt noch nicht die Welt, ich will mich ſchon vor dem Herrn Vogt und Special verantworten, Euer Protokoll und Bericht, Ihr Herren, iſt nicht nöthig.

Schweig 'Er nur jetzt ſtill, ſagte der Amtmann ruhig, Sein Maß wird nachgerade ziemlich voll ſein. Uebrigens bin ich der Meinung, Herr Pfarrer, daß der Kläger zum Schluß aufgefordert werden ſolle, zu erklären, ob er denn ſeinen Conſens zu der Heirath noch nicht geben wolle.

Ja wohl, ſagte der Pfarrer, die Frage iſt der Form wegen noth¬ wendig und ich ſtelle ſie hiermit an den Herrn Sonnenwirth.

Der Sonnenwirth war beſtürzt darüber, daß die beiden Vorgeſetz¬ ten, deren Anſichten er doch hauptſächlich bis jetzt gefolgt war, ſich gegen ihn einer Frageſtellung bedienten, die ihn gleichſam im Stiche ließ. Er kratzte ſich hinter dem Ohr und ſtotterte endlich: Ich weiß nicht, was ich thun ſoll, ich ſehe eben nichts Anderes voraus, als daß es ſein Verderben iſt.

Gut, ſagte der Pfarrer. Es können nunmehro beide abtreten, und wird das Alles an's Oberamt berichtet werden.

Vater und Sohn gingen mit einander vom Rathhauſe fort und nach Hauſe, ohne unterwegs ein Wort mit einander zu reden.

Sie waren nicht mehr weit von der Sonne entfernt, als eine Stimme über ihnen rief: Herr Sonnenwirth, ſchämt Er ſich nicht, Seinen Sohn vor Kirchenconvent zu verklagen, wo die alten Weiber hinlaufen?

211

Sie blickten in die Höhe. Es war der Invalide, der ſich ſeit langer Zeit zum erſtenmal wieder am Fenſter ſehen ließ.

Auch wieder einmal unter's Gewehr getreten? rief Friedrich hinauf.

Und Er, ſagte der Invalide zu ihm, hätt's auch nicht ſo weit kommen laſſen ſollen. Ich hab's Ihm ſchon einmal geſagt.

Damals war's ſchon zu ſpät, lachte Friedrich. Auf Wiederſehen!

Sein Vater war, ohne dem Invaliden zu antworten, voraus ge¬ gangen. Unter der Hausthüre wartete er auf ihn. Willſt du dein Mütterlich's nehmen und nach Amerika gehen? ſagte er zu ihm.

Ich will mit meiner Chriſtine drüber reden, antwortete Friedrich und machte ſich unverweilt auf den Weg.

Nach einer halben Stunde kam er heim und brachte die Antwort. Sie will nicht, ſagte er, ſie erklärt, ſie wolle ſich in Ebersbach nicht nachſagen laſſen, ſie habe ſo unrechte Dinge gethan, daß ſie habe nach Amerika gehen müſſen, wo bloß die ſchlechten Leute hinwandern. Ihr Wahlſpruch ſei: Bleibe im Lande und nähre dich redlich.

Es ſteht geſchrieben, das Weib ſoll dem Mann folgen, ſagte der Sonnenwirth.

Das müßt 'ſie auch, wenn mir's Ernſt wär', erwiderte Friedrich. Aber ich bin mit mir ſelber nicht im Klaren, wie's mit dem Amerika iſt, ich weiß nicht, ob's Balken hat oder ob ich drin ſchwimmen kann. Wenn ich allein wär ', ging' ich ſchon; ſo aber laſſ 'ich's auf die Chriſtine ankommen, weil ich ſelber nicht weiß was beſſer iſt.

Da ſiehſt du's: ſie hängt wie ein Radſchuh an dir und hindert dich überall am Fortkommen.

Und wenn ſie mir jetzt ſchon ganz verleidet wär ' ich hab' ihr mein Wort gegeben und das halt 'ich ihr.

14 *212

22.

Heu und Frucht waren eingethan und Alles ging ſeinen gewöhn¬ lichen Gang, nur in Friedrich's Heirathsangelegenheit wollte keine Bewegung kommen. Alles, was er bisher gethan hatte, um dieſelbe in's Werk zu ſetzen, war wie ein Schlag in's Waſſer geweſen. Längſt hatte er ſeine Supplik an die Regierung eingereicht und als Minder¬ jähriger um Heirathserlaubniß gebeten. Damals war er ſehr ver¬ gnügt von Göppingen zurückgekommen und hatte Chriſtinen erzählt, der Vogt, dem er die Schrift zum Beibericht gebracht, habe ihm zwar ſcharfe Vermahnungen gegeben, aber den Ausſpruch gethan, wenn ein Burſche ſein Mädchen ehrlich machen wolle, ſo müſſe man ihn eher aufmuntern als abſchrecken. Er hatte alſo nicht mit Unrecht darauf vertraut, daß die höhere Behörde ſein Anliegen nicht aus dem engen Geſichtskreiſe der Fleckenregierung betrachten werde. Leider aber wurde der Vogt bald hernach auf ein anderes Oberamt verſetzt und ſein Nachfolger ließ die Schrift liegen. Da braucht's nichts als Geld, ſagte Friedrich, man muß eben ſeine Schreiber ſchmieren, damit ſie ihm die Sach 'im Andenken erhalten; wenn nur das Geld nicht ſo rar wär'! Die Zeit rückte immer näher, wo ſein Kind unehlich zur Welt kommen ſollte, um nach der herrſchenden Meinung ſein Leben lang einen Makel zu behalten, und Chriſtine jammerte darüber ſo, daß ſie oft mit ihren Klagen ſeine eigene Verzweiflung betäubte. Ihr Vater war bettlägerig geworden; zwar verdienten ſeine herangewachſenen Söhne über die Sommerszeit durch Taglohn ſo viel in's Haus, daß er nicht wie früher bei dem Pfarrer um Unterſtützungen nachſuchen mußte, aber bei jedem Biſſen ließ ſich die Armuth mitſchmecken, und Chriſtine, die nach dem ordnungsmäßigen Gang der Dinge, ſtatt dem elterlichen Hausweſen zur Laſt zu fallen, einem eigenen hätte vorſtehen ſollen, wurde von den Ihrigen ſcheel angeſehen. Sie machte ſie ſich ihnen ſchon dadurch als eine Bürde fühlbar, daß213 ſie durch Arbeiten wenig und zuletzt nichts mehr zur Erhaltung der Familie, der ſie doch zehren half, beitragen konnte. Macht man ja doch nicht bloß in jenen Kreiſen des Lebens, welchen man das Vorrecht der Rohheit zugeſteht, die Erfahrung, daß die Noth die Zartheit der Geſinnungen leicht verwiſcht und der gefähr¬ lichſte Prüfſtein für alle Liebe und Freundſchaft iſt. Chriſtine hatte ein Recht, ihr Elend am Halſe des Einzigen auszuweinen, der ihr zu Troſt und Hilfe verpflichtet war, und ſie machte von dieſem Rechte fleißigen Gebrauch; auch war es natürlich, daß die Beſchwerden eines Zuſtandes, der ſelbſt eine im Schoße des ungetrübten Glückes lebende Frau zur Schwermuth reizen kann, das oft von den nothwendig¬ ſten Hilfsmitteln entblößte Mädchen maßlos unglücklich machten. All dieſer Jammer ſtürmte auf Friedrich herein, der dem Gefühle ſeiner Hilfloſigkeit bald in ſtumpfem Hinbrüten, bald in Ausbrüchen einer wahnſinnigen Wuth gegen die herzloſe Zähigkeit der Welt den Lauf ließ. Auf den Schwager, dem er einſt vertraut hatte, konnte er ſchon längſt nicht mehr rechnen; derſelbe hatte ſich von ihm losgeſchält und ihm erklärt, er wolle es nicht durch Parteimachen für eine Sache, die er von Anfang an getadelt, mit ſeinem Schwiegervater verder¬ ben, auch hatte er ſeiner Frau unterſagt, ſich ihres Bruders ferner anzunehmen.

Um dieſe Zeit lief die, Sonnenwirthin eines Tages in's Amthaus um der Amtmännin zu erzählen, daß ihre älteſte Tochter, die Krä¬ merin, wenn der Herr Amtmann ſie nur vernehmen wollte, Greuel¬ dinge von dem ungerathenen Böſewicht ausſagen könnte. Der Amt¬ mann verſammelte, von ſeiner Frau angetrieben, ſeine beiden Urkunds¬ perſonen und ließ die Krämerin rufen, welche weinend vor ihm erſchien. Ihr Bruder, gab ſie zu Protokoll, habe drei Gulden gefordert, damit er ſein Memorial und Bericht zu Göppingen bekomme. Darauf habe ſie ihm geſagt, ſie wolle nicht zum Vater gehen, weil ſie wiſſe, daß er ſich bloß darüber erzürne; er ſolle ſeinen Pfleger ſchicken. Nun habe er aber angefangen zu toben: er ſehe wohl, daß er's verloren habe, morgen wolle er einen Rauſch trinken und ſein Meſſer ſchleifen, in ſeines Vaters Haus hingehen und das Geld fordern, und wenn er's nicht gebe, ihn niederſtechen, und wenn ſeine Mutter etwas ſage, ihr's auch ſo machen. Dann habe er Geld genug, und nehme Alles was214 vorhanden ſei. Dieſes Alles habe er mit einem recht unmenſchlichen und beſtialiſchen Grimm und Eifer ausgeſprochen: das Donnerwetter ſolle ihn in die Ewigkeit hinüberſchlagen, wenn er das nicht thue; weßhalb ihr ſo angſt geworden, daß ſie nicht ruhig habe zum heiligen Abendmahl gehen können.

Nachdem der Amtmann das Protokoll aufgenommen und die An¬ geberin entlaſſen hatte, ſagte einer der beiden Gerichtsbeiſitzer: Es wird doch nöthig ſein, daß man den Frieder auch verhört.

Wozu? verſetzte der Amtmann. Ich weiß ſchon zum Voraus, was der ſagen würde, der Advocat. Ich ſchicke eben einfach den Bericht nach Göppingen, und wenn von dort wieder nichts kommt, wie auf die Kirchenconventsverhandlung, ſo kann mir's gleichgiltig ſein. Wiewohl, der neue Vogt wird es vielleicht mit dergleichen comminatoriſchen und calumniöſen Redensarten etwas ſchärfer nehmen. Vielleicht läßt er auch die Sachen ad cumulum zuſammen kommen; denn mir ahnt's, daß noch mehr bevorſteht und daß ich noch weitere Protokolle und Berichte ſchreiben muß.

Indeſſen ſchien es doch, daß Friedrich's Drohungen nicht auf un¬ fruchtbaren Boden gefallen ſeien, denn unerwartet gab ihm ſein Vater, der etwa unruhig geſchlafen haben mochte, das Geld zu ſeiner Wer¬ bung in Göppingen, und bald hatte er es dahin gebracht, daß ſeine Supplik bei der fürſtlichen Regierung lag. Nachdem aber ſeine An¬ gelegenheit dieſen Schritt vorwärts gethan hatte, erfolgte wieder ein langer Stillſtand und jeder vorüberfliehende Tag mehrte ihm das Gewicht der Klagen Chriſtinens, die in der Ungeduld ihres Jammers meinte, wenn ſie nur einmal rechtmäßig die Seinige wäre, dann würde allen andern Sorgen auf immer abgeholfen ſein.

Abermals liefen die Weiber im Flecken zuſammen und erzählten ſich von gräßlichen Reden, die er ausgeſtoßen haben ſollte; ja man legte ihm die Verſicherung in den Mund, er wolle den Nächſten Be¬ ſten, der ein paar Gulden im Sack habe, über den Haufen ſtechen, um mit dem Geld nach Stuttgart gehen zu können. Allein ungeach¬ tet dieſer rohen Worte waren und blieben die Straßen ſicher vor ihm, und er gelangte auf dieſem Wege ſo wenig in den Beſitz des unentbehrlichen Geldes, als er es diesmal von der unſtet hin und her ſchwankenden Geſinnung ſeines Vaters herauszubekommen vermochte.

215

Chriſtine rieth ihm, ſich in dieſer Verlegenheit an die Bäckerin zu wenden; ſie ſelbſt hatte nicht das Herz dazu. Mit der Geduld, welche eine fortwährende Vereitlung eines fieberhaft betriebenen Planes manch¬ mal einflößen kann, begab er ſich zu Chriſtinens Baſe, deren Krank¬ heit ſo weit fortgeſchritten war, daß ſie den ganzen Tag regungslos im Lehnſtuhle ſaß, und ſprach ſie um ein Darlehen an. Die Bäcke¬ rin, die der leidvollen Entwickelung des Liebesverhältniſſes ſtets mit großer Theilnahme folgte, antwortete ſchmerzlich ſeufzend: Ich thät's gewiß gern, aber der Mein 'läßt mir den Schlüſſel zum Geld¬ käſtle nicht über, und Ihr wiſſet ja ſelber, wie b'häb er iſt. Sie ſprachen noch miteinander, als der Knecht des obern Müllers in die Stube trat. Er hatte im Vorbeigehen durch das Fenſter Friedrich's Anweſenheit bemerkt und kam herein, um einen Schoppen mit ihm zu trinken. Da, der Peter könnt' vielleicht aushelfen, ſagte die Bäcke¬ rin: der hält ſein 'Lohn zuſammen und hat doch auch zur rechten Zeit wieder eine offene Hand; was gilt's, der thut ſein Sparhäfele auf? Der Knecht ließ ſich erklären, um was es ſich handle, und ſagte, ja wohl, die paar Gulden gebe er gerne her. Friedrich konnte ſich ohne Beleidigung nicht weigern ſie anzunehmen, und doch drückte es ihn, daß er, der Sohn des reichen Sonnenwirths, zu einem Knechte, ob¬ wohl es ſein guter Bekannter war, durch ein Darlehen von erſpartem Lohne in Verpflichtung und Abhängigkeit treten ſollte; und zwar drückte es ihn um ſo mehr, weil er wußte, daß der Knecht ſelbſt, bei ſeiner gutmüthigen aber beſchränkten Sinnesart, ſich über dieſe Betrachtung nicht erheben konnte.

Da er aber nun einmal die Mittel in der Hand hatte, ſeine Sache in Stuttgart zu betreiben, ſo verſäumte er es nicht, davon ſchleunigen Gebrauch zu machen. Chriſtine war ihm an dem Abend, wo ſie ihn zurückerwartete, einige Schritte vor den Flecken entgegen¬ gegangen. An derſelben Stelle, wo ſie auf beſchneitem Wege einſt von ihm Abſchied genommen, ſaß ſie nun unter einem Baume, von welchem ſchon einzelne herbſtlich rothe Blätter zu fallen begannen, und erhob ſich, als ſie ihn die Straße daher wandern ſah. Er war ſehr befriedigt von dem Erfolge ſeiner Reiſe und erzählte ihr, man habe ihm verſprochen, die Reſolution auf ſein Memorial ſolle ihm auf dem Fuße nachfolgen. Du weißt ja, ſagte er, Schmieren und216 Salben hilft allenthalben. Ohne Trinkgeld richtet man in Stuttgart nichts aus. Aber ſie brauchen's auch redlich. Das iſt dir ein Wohl¬ leben in den Tag hinein, daß ich dir's gar nicht beſchreiben kann. Ich möcht 'nur wiſſen, wer das ganz' Neſt verhält, ich glaub ', das Land muß ſie eben verhalten, denn ſchaffen ſieht man keinen Menſchen, als höchſtens die Wirthe und die Putzmacherinnen. Schon am frühen Vormittag liegen die Männer im Wirthshaus oder ſpielen in den Kaffeehäuſern, und denk' nur, die Weiber, hab 'ich mir ſagen laſſen, laufen des Nachmittags zu einander in die Kaffeeviſit' und bleiben bis Abends acht Uhr und drüber bei einander ſitzen, und mit was meinſt daß ſie ſich die Zeit vertreiben? Mit Kartenſpielen, und das ſo hoch, daß erſt vorgeſtern eine, wie ich gehört hab ', mehr als hundert Gulden verloren hat. Und dabei treiben ſie einen Luxus, daß es nicht zum ſagen iſt: Atlaskleider tragen ſie und goldene Uhren, goldene Arm¬ bänder, eine Menge Ringe mit koſtbaren Steinen, und Perlen um den Hals anſtatt der Granaten.

Chriſtine ſeufzte.

Und der Herzog vollends, fuhr er fort, der lebt wie der Vogel im Hanfſamen. Er iſt grad ſo alt wie ich, hab 'ich mir in Stutt¬ gart ſagen laſſen. 's iſt doch eine confuſe Welt. Ich muß bei ihm einkommen und meine Minderjährigkeit wegſuppliciren, damit ich hei¬ rathen und ein Hausweſen führen kann: und er iſt im gleichen Alter, höchſtens ein Jahr älter, und iſt ſchon zwei Jahr' verheirathet und regiert ſeit ſechs Jahr 'ein ganz Land, daß es blitzt und kracht.

Verſteht er denn ſein Handwerk? fragte Chriſtine.

Was weiß ich? Aber herrlich und in Freuden lebt er und Andern verbietet er was ihm ſelber ſchmeckt. Denk 'nur, ich hab' auch die Herzogin geſehen. Aber die iſt ſchön, und noch ſo jung, aber mächtig ſtolz. Mich wundert's nur, daß ſie die ** leidet, die er neben ihr hält, und was meinſt, die baden im Burgunderwein.

Pfui, ſagte Chriſtine, da möcht 'ich nicht davon trinken.

O es gibt Leut ', die ihn nachher kaufen, weil man ihn natürlich wohlfeil haben kann. Und vor acht Tagen hat er in Ludwigsburg ein Feuerwerk geben und hat dabei für fünfmalhunderttauſend Gulden in die Luft aufgehen laſſen. Man ſpricht noch heut' in Stuttgart217 in allen Wirthshäuſern davon, aber ſie ſchimpfen, weil's in Ludwigs¬ burg geweſen iſt. Ich hätt's doch auch ſehen mögen.

Ich nicht, ſagte Chriſtine. Es iſt ſündlich, das Geld ſo hinaus¬ zuſchmeißen. Rechne nur auch einmal aus, wie lang arme Leut 'davon hätten leben können. Aber ich kann dir auch eine Neuigkeit ſagen: Denk' nur, dein Vater hat uns heut 'eine Schüſſel Mehl geſchickt.

So, mein Vater? Es iſt zwar nicht viel, aber es freut mich doch an ihm. Hat er ſie dir geſchickt?

Nein, er hat eben ſagen laſſen, da ſchick 'er's. Es iſt mir um der Meinigen willen lieb, denn du haſt keinen Begriff davon, was ich von ihnen ſchlucken muß. In deiner Gegenwart laſſen ſie's nicht ſo heraus, aber du wirſt doch auch ſelber ſchon gemerkt haben, was wir ihnen werth ſind. Beſonders meine Mutter und mein Hannes, die haben gemeint, ſie werden Ehr' und Vortheil von uns ernten, und ſtatt deſſen haben ſie mich eben immer noch auf'm Hals. Meine Mutter hat gleich zu brotzeln und zu backen angefangen, du weißt ja, wie ſie iſt; ſie hat geſagt, ſie mach's für meinen Vater, aber der hat nichts davon geſſen und dann hat ſie's für ſich behalten und hat denkt: ſelber eſſen macht fett.

Hab 'noch die paar Tag' Geduld, ſagte er. Jetzt kommt ja die Reſolution, und dann hat alles Jammern ein End! Dann werden wir zuſammen getraut, und das iſt die Hauptſach ', wenn's auch ohne Kränzle und am Mittwoch geſchieht. Der Mittwoch iſt auch ein Tag. Und wenn ich mein Mütterlichs hab' und Händ 'und Füß' für meine eigene Haushaltung regen kann, dann will ich dich ſchon wieder 'raus¬ füttern, dich und dein Kind.

Ja, ſagte Chriſtine, und unſer Herrgott wird weiter ſorgen.

23.

Tag um Tag verging, aber keiner brachte die erſehnte herzogliche Reſolution. Die Tage wurden zu Wochen und eine reihte ſich an die andre, ohne dem Harrenden das Verſprechen zu erfüllen, das er ſich in Stuttgart mit fremdem Gelde erkauft hatte. Träg und eilig zu¬218 gleich ging ihm die unbarmherzige Zeit: während ſie ihn endlos auf die Gewährung, die er von der Menſchenwelt forderte, warten ließ, zeigte ſie ihm jeden Tag den unaufhaltſamen Fortſchritt, welchen die Natur machte, um ihm ein Geſchenk zu bringen, das jener Gewährung nicht zuvorkommen durfte, wenn es nicht den Stempel des Unglücks und der Schande tragen ſollte.

So kann die Sach 'nicht fortgehen, ſagte Chriſtine eines Tages zu ihm. Ich möcht' 'naus, wo kein Loch iſt. Die Meinigen haben mir ausgeboten, der Sommerverdienſt ſei zu End' und mit dem Winter geh 'das Hungerleiden vollends ganz an. Sogar mein Jerg, der mir immer noch ein wenig den Kopf gehebt hat, ſagt, es ſei in der ganzen Welt der Brauch, wer die Gais angebunden hab', der mög 'ſie auch hüten.

Weiß wohl, bemerkte er finſter, der Bauer thut Alles gern, wenn er muß.

Aber bedenk 'auch, wie ſie auf'm dürren Bäumle ſind. Ich ſelber ſchäm' mich, daß ich ihnen fort und fort hinliegen muß, und du ſollteſt dich auch ſchämen. Ich weiß was ich thu ': wenn meine Zeit kommen iſt, ſo trag' ich dein Kind in deines Vaters Haus und leg's ihm vor die Thür. Da, er ſoll's ſäugen, denn ich werd 'ihm nichts geben können.

Dieſer bittere Spott der Verzweiflung ſchnitt ihm glühend in's Herz. Hat er ſeitdem nichts geſchickt, fragte er, kein Brod, nicht ein¬ mal eine Schüſſel Mehl?

Nichts, erwiderte ſie, kannſt dir wohl denken daß ich dir's ge¬ ſagt hätt '.

Er knirſchte mit den Zähnen. Wohl, wenn er's nicht ſichtbar geben will, ſo ſoll er's unſichtbarlich geben. Ruf deinen Jerg, er muß uns behilflich ſein, ich will mit ihm deines Vates Wagen rüſten, und du ſchaffſt Säck 'her, wenn's dran fehlt, ſo entlehnſt du in der Nachbarſchaft.

Was willſt denn auf dem Wagen führen? fragte ſie ſchüchtern.

Die Säck '! rief er noch barſcher als zuvor.

Und was willſt in die Säck 'thun?

Freſſen! antwortete er. Seine Augen funkelten, die Narbe in219 ſeinem Geſicht war blutroth geworden und ſein ganzes Ausſehen er¬ ſchien ſo wild, daß ſie nicht weiter zu fragen wagte.

Jerg, der kein Mann von vielen Worten war und ſich unbedingt an ſeinen natürlichen Schwager anſchloß, ſowie er dieſen thatkräftig auftreten ſah, half ihm den Wagen zurecht machen, während Chriſtine unter der hintern Thüre ſaß und die Säcke flickte, wo ſie Löcher an ihnen entdeckte. Niemand fragte, was dieſes Vorhaben bedeuten ſolle. Der Vater lag oben im Bett und ſah meiſt ſtillſchweigend an die Wand oder nach der Decke hinauf, und die Mutter befand ſich bei ihm. Der kleine Bube tummelte ſich um den Wagen herum und ſah den beiden jungen Männern zu.

Als es Nacht wurde, mußte Jerg die Kuh aus dem Stalle füh¬ ren und Friedrich half ihm ſie an den Wagen ſpannen. Dann befahl er Chriſtinen eine Laterne anzuzünden und mitzunehmen. Sie kam mit der Laterne, blieb aber ſtehen und ſagte: Um Gotteswillen, Frie¬ der, was haſt vor? Mir iſt's als ſei's nichts Gut's.

Hörſt den Teufel ſchon Holz ſpalten? ſagte er. So gut du dein Kind in meines Vaters Haus tragen kannſt, ſo gut kann ich ihm auch Futter draus holen.

Ach Gott, ſeufzte ſie, das iſt eine unrechte und gewagte Sach '. Ich will nichts davon.

Du läßt mir ja keine Ruh! rief er und der Grimm klang aus ſeiner gedämpften Stimme heraus. Vorwärts!

Er ergriff ſie am Zopfbändel und zog ſie fort. Sie verbarg die Laterne unter der Schürze und folgte willig. Der Wagen fuhr lang¬ ſam durch den Flecken. Es war überall ſtill, kein Menſch begegnete ihnen. Vor der Sonne hielten ſie an. Auch dort lag Alles im Schlafe. Ihr beide bleibt da unten, ſagte Friedrich, für euch iſt's ein fremdes Haus, man ſoll euch keinen Einbruch vorwerfen können. Ich bin hier in meinem Eigenen, das weiß ſogar der Hund, die unver¬ nünftig 'Creatur, denn ſehet, er rührt ſich nicht.

Er öffnete einen Laden und verſchwand mit einem Sack, den er bald ſchwerer als er zuvor geweſen war, wiederbrachte. So trug er mit ſtarker Hand einen Sack um den andern herab und bot ihn zu dem Laden heraus, wo ihn Jerg in Empfang nahm und auf den Wagen lud. Ohne durch einen Laut im Hauſe geſtört zu werden,220 brachte er endlich den letzten Sack. Nachdem das nächtliche Geſchäft beendigt war, gab er Jerg einen Wink, mit dem Wagen umzukehren, wobei er die in Eile geladenen Säcke hielt, damit keiner herunterfiel. Vorwärts, marſch! commandirte er dann und der Wagen ſetzte ſich wieder in Bewegung.

Chriſtine, die ſich in das Unternehmen gefunden zu haben ſchien und dem ſeltſamen Tone Friedrich's entgegenwirken zu müſſen meinte, bemerkte ſcherzend: du kommſt mir vor, wie ein Räuberhauptmann, der über ſeine Bande hinein befiehlt.

Was nicht iſt, kann noch werden, murmelte er dumpf.

Als ſie den Wagen abluden, überzählte er die ungleich gefüllten Säcke. Es werden circa ſechs, ſieben Scheffel ſein, ſagte er mit der Sicherheit des Kenners.

Was iſt's für Frucht? fragte Jerg.

Dinkel und Haber.

Da wär 'ja für Menſchen und Vieh geſorgt.

Es iſt an dem für die Menſchen genug. Den Haber betracht 'ich als baar Geld.

Hab 'mir's wohl vorgeſtellt.

Wollen's gleich aus einander thun. Die Säcke da enthalten Dinkel, die ſchlachtet ihr in's Haus, ihr brauchet nicht alle, könnt mir noch ein 'oder zwei davon laſſen.

Ja, iſt denn die Frucht für uns? fragte Jerg.

Nein, aber für eure Mäuler. Zu was meinſt denn, daß ich ſie da 'rausgeführt hab'? Mach 'mir nur keine Umſtänd'. Den Reſt davon und den Haber will ich in etwas Anders verwandeln, das noch mehr Brod geben ſoll.

Jerg lachte verſchmitzt.

Merkſt was? fragte Friedrich.

Mir iſt's immer, als müßt 'ich wieder einen Gang für dich nach Rechberghauſen thun, ſagte Jerg.

Haſt's troffen.

Zufällig weiß ich, daß der Chriſtle morgen 'runter kommt.

So nimm ihn zu dir da 'raus. Ich will dann auch kommen, daß wir mit ihm Handels eins werden.

221

Wenn nur dein Vater nicht erfährt, was du ihm für einen Be¬ ſuch gemacht haſt! ſeufzte Chriſtine, die nachgerade wieder unruhig wurde.

Der erfährt's freilich, erwiderte er. Der Knecht, der neben der Frucht liegt, iſt aufgewacht, hat ſich ein wenig auf'm Ellenbogen auf¬ gerichtet und hat mich anglotzt. Der ſchweigt nicht.

Jeſus, Jeſus! und das ſagſt du erſt jetzt.

Es kommt immer noch früh genug. Gut iſt's auf alle Fäll ', wenn die Sach' mit dem Chriſtle morgen gleich in's Reine kommt. Jetzt aber fort in's Bett und laſſ 'dir von vollen Schüſſeln träumen.

Am folgenden Morgen gab es in der Sonne, ſobald der Sohn des Hauſes ſich blicken ließ, einen jener ſtürmiſchen Auftritte, welche der Nachbarſchaft ſo oft verriethen, wie es um den Frieden deſſelben ſtand. Sein Vater empfing ihn mit einer Fluth von Schimpfworten, warf ihm den nächtlichen Diebſtahl vor und drohte ihn alsbald wieder in's Zuchthaus zu bringen. Der Knecht hatte ihn angegeben, ſchon deßhalb, um, wie er nachher entſchuldigend zu ihm ſagte, für den Fall der Entdeckung ſich ſelbſt von dem Verdachte zu reinigen; doch wollte er ihn nur einen kleinen Sack mit Getreide haben fortſchleppen ſehen.

Wenn Ihr mich in's Zuchthaus bringen wollet, Vater, ſo ſteht's Euch frei, ſagte Friedrich. Ihr habt's ja ſchon einmal gethan. Frei¬ lich haben die Leut 'verſchiedentlich drüber geurtheilt, daß Ihr Eurem eigenen und einzigen Sohn zum Ankläger worden ſeid.

Das iſt nicht wahr, entgegnete der Sonnenwirth. Die Sach 'iſt damals ohne meine Schuld offenkundig worden und ich hab's nicht hindern können, daß ſie vor Amt kommen iſt.

Alſo wollt Ihr jetzt nachholen, was Ihr damals verſäumt habt?

Gib 'raus, was du mir geſtohlen haſt.

Es iſt weit fort, Ihr findet's nicht, und wenn Ihr alle Eure Stalllaternen anzündet. Laßt mich majorenn werden und gebt mir mein Mütterlich's heraus, dann will ich mit Euch abrechnen und will Euch den Schaden erſetzen, daß nicht ein Kreuzer dran fehlen ſoll, und wenn der Fruchtpreis derweil anzieht, ſo ſoll der Gewinn Euer ſein. Dann könnt Ihr von Stehlen ſagen, ſo viel Ihr wollt, 's glaubt's Euch Niemand.

Haſt du deinem Weibsbild davon gebracht?

222

Ihr könnt in und unterm Bett bei ihr ſuchen, Ihr findet nichts. Es iſt aber eine rechte Schand 'für Euch, Vater, daß ein reicher Mann, wie Ihr, dem kranken Hirſchbauer ein einzigsmal eine Schüſſel Mehl ſchickt.

Was? fuhr der Sonnenwirth auf: ich hab 'ſchon öfter geſagt, daß man hinaus ſchicken ſoll.

Dann iſt's unterwegs in irgend ein Loch gefallen, verſetzte Friedrich. Der Sonnenwirth ſchwieg unſchlüſſig. Es machte ihn betroffen, obwohl er es ſich bei den bekannten Geſinnungen ſeiner Frau leicht er¬ klären konnte, daß ſeine Befehle nicht vollzogen worden waren, und unter dieſen Umſtänden glaubte er, bei ſeinem reichen Fruchtvorrathe, den von dem Knecht angegebenen Verluſt ohne Geſchrei ertragen zu ſollen. Er ging zur Stube hinaus und ließ ſeinen Sohn in Unge¬ wißheit, was er thun werde.

Haſt dein 'Hausdieb im Verhör gehabt? fragte ſeine Frau draußen. Woher weißt du's denn?

Du ſchreiſt ja ſo laut, daß man's in Göppingen hört. Und jetzt willſt immer noch in deiner Langmuth zuſehen?

Der Alte kratzte ſich hinter dem Ohr. Das Stehlen will ich ihm vertreiben, ſagte er. Du aber ſagſt mir weder im Pfarrhaus noch im Amthaus ein Wort davon, ſonſt iſt's zwiſchen uns aus, und ich laſſ 'ihn morgen heirathen und nehm' alle Beide in's Haus zu mir. So hitzig? maulte ſie.

Erſtens, erklärte er, hätt 'ich ihn zwar gern in Numero Sicher, aber nicht im Zuchthaus, und zweitens möcht' ich mir nicht nachſagen laſſen, daß ich dem Hirſchbauer nichts als ein Schüſſele mit Mehl ge¬ ſchickt hab '. Was ſie jetzt haben, das ſollen ſie behalten.

Der Tag verging ruhiger als er begonnen hatte. Friedrich wußte zwar immer noch nicht, weſſen er ſich zu verſehen habe; auch ließen ihn gewiſſe Anſpielungen ſeiner Stiefmutter, welche von der Noth¬ wendigkeit ſprach, Schlöſſer und Riegel ausbeſſern zu laſſen, nichts Gutes ahnen; doch meinte er aus dem Betragen ſeines Vaters ſchlie¬ ßen zu dürfen, daß ſeine eigenmächtige Pfändung ohne Folgen blei¬ ben werde.

Zur verabredeten Stunde ging er in des Hirſchbauern Haus. Der Erwartete war bereits da, ein Mann mit rundem, ſchelmiſch lächeln¬223 den Geſicht und einem ſogenannten Horn auf der Stirne, das in der Mitte über beiden Augen ſaß und ſo groß war, daß Friedrich es im Scherz ein drittes Auge nennen konnte. Biſt ſchon da, Dreiäugiger? ſagte er, ihm die Hand bietend. Die Alte hieß ihn ſehr freundlich willkommen und bedankte ſich bei ihm für den ſtolzen Küchengruß, den er geſandt habe; ſie vermied es klüglich zu fragen, wie er eine ſo be¬ deutende Beiſteuer aufgebracht. Man ſchwatzte eine Weile von gleich¬ gültigen Dingen, ohne daß der Hirſchbauer, der in der Stube zu Bette lag, ſich in das Geſpräch miſchte. Dann gingen die Drei mit einander fort, um unter dem Hauſe ihr Geſchäft mit einander ab¬ zumachen.

Was meinſt, Chriſtle? ſagte Friedrich. Der Jerg iſt doch ein ſcharfſinniger Kopf, der hat's von ſelber gemerkt, daß ich wieder einen Handel mit dir machen will.

Es iſt gut merken geweſen, Frieder, ſagte Jerg. Seit einiger Zeit haſt du immer das link 'Aug' von Zeit zu Zeit zugedrückt und haſt mit dem rechten grad 'vor dich hingeſehen, ſo daß ich immer hab' denken müſſen: der thut in Gedanken zielen. Es iſt mir dabei ein¬ gefallen, was der Krämerchriſtle von dir geſagt hat: die Katz 'läßt das Mauſen nicht.

Alle Drei lachten. Ich will dir beweiſen, daß ich noch ein ſcharf¬ ſinnigerer Kopf bin als der da, ſagte Chriſtle. Thut's dir nicht and nach deiner ſchönen Büchſ '?

Ja, wenn ich die wieder haben könnt '! rief Friedrich.

Bruderherz, kannſt ſie haben! Ich hab 'dir ſie aufgehoben, weil ich wohl gewußt hab', daß du wieder nach ihr fragen wirſt.

Sie lachten noch ſtärker. Heißt das, ſetzte Chriſtle hinzu, bei der Hand hab 'ich ſie nicht, ſondern ich hab' ſie in Gmünd verſetzt, aber dort kann ich ſie jeden Augenblick wieder haben. Und damit du ſiehſt, daß ich nicht bloß ſcharfſinnig, ſondern auch ehrlich gegen dich bin wie? unterbrach er ſich, zu Jerg gewendet, was hat er denn zu dem Geld geſagt, das ich ihm für das Gewehr geſchickt hab '? Hat er mich nichts geheißen?

Ei ja, 'n dreiäugigen Spitzbuben.

Siehſt, um das nämlich 'Geld kannſt dein Gewehr wieder haben. Jetzt geh' und heiß 'mich noch einmal' n Spitzbuben.

224

Biſt ein Biedermann, ſagte Friedrich.

Was, du, der beſt 'Schütz' weit und breit, haſt dich zur Ruh 'ſetzen wollen? Du könnteſt's ja vor den Bauern nicht verantworten. Und ein paar Fährten hab' ich dir ausgewittert, ich ſag 'nichts, aber das Herz wird dir im Leib' lachen. Nun, du kommſt doch zu mir und holſt die Büchſ ', dann gehen wir mit einander.

Aber Geld hab 'ich keins, ſagte Friedrich. Kannſt Haber brauchen und etwas Dinkel?

Das führ 'ich nach Gmünd, freilich, und bring' gleich das Gewehr mit zurück.

Da beim Jerg kannſt die Frucht faſſen, je eher je lieber, aber in der Stille muß es ſein.

Heut 'Abend noch will ich ſie holen. Auf Wiederſehen, du ver¬ lorner und wiedergefundener Sohn.

Der hat gut uneigennützig ſein, ſagte Friedrich, nachdem jener ſich verabſchiedet hatte. Wenn ich eine glückliche Hand hab ', ſo hat er den Vortheil davon und keine Gefahr. Er weiß die beſte Schlich' im Wald und die beſte Schlich 'im Handel, aber den gefährlichen Theil überläßt er Andern, und wenn's zum Klappen kommt, ſo hat er nichts gethan. Aber wo iſt denn meine Chriſtine?

Im Beckenhaus, antwortete Jerg. Der Beckenbub 'hat ſie in aller Eil' geholt. Ich weiß nicht, was dort los iſt. Da kommt ſie ja!

Chriſtine kam athemlos herbei. Weißt was Neu's, Frieder? rief ſie ſchon von weitem.

Nu, was denn?

Die Reſolution iſt da, du biſt ſchon ſeit vierzehn Tag 'majorenn, und weißt nichts davon.

Was Teufel! Wie kommt denn das, und woher haſt denn du's?

Von der Dote; die hat mich holen laſſen. Aber von wem's die hat, das bringſt du nicht 'raus, und wenn ich dich rathen laſſ', bis die Kuh 'n Batzen gilt.

Nu, ſo ſag's.

Die Kathrine aus dem Amthaus iſt's.

Was! Das wär '!

Ja, die Kathrine iſt zu der Dote geſchlichen und hat ſie um's225 Tauſendgott'swillen bittet, ſie ſoll 'ſie nicht verrathen, aber ſeit vier¬ zehn Tag' ſei der Beſcheid von Stuttgart da und lieg 'auf des Amt¬ manns Schreibtiſch. Es hab' ihr ſchier das Herz abdruckt, daß wir nichts davon wiſſen ſollen. Du könneſt herzhaft auftreten und die Proclamation verlangen. Aber wenn's 'rauskäm', daß ſie's ausge¬ ſchwätzt hat, ſo wär 'ſie unglücklich.

Nein, nein, da muß man ganz ſtill ſein. Brav iſt's von dem Mädle, das muß ich ſagen. Aber ſo viel ſeh 'ich auch bei der Ge¬ legenheit, daß es Keine Einem nachträgt, wenn man ſie einmal hat küſſen wollen.

So, du Lümple, was muß ich hören? Iſt's beim Wollen blieben? Hat ſie dich heißen um ein Haus weiter gehen?

Ich hab 'mir nicht Müh' gnug geben. Aber was denkt der Amt¬ mann? Getraut ſich der, fürſtliche Reſolutionen zu unterſchlagen? Da ſteckt gewiß die Frau Sonnenwirthin mit unter der Decke. Ich möcht 'nur wiſſen, ob mein Vater auch etwas davon weiß.

Ja, ja, ſagte Jerg vergnügt, man ſpricht's ganz 'Jahr von der Kirbe (Kirchweih), endlich iſt ſie. Er ging und ließ die beiden allein.

Wenn ich geſtern gewußt hätt ', was ich heut weiß, ſagte Friedrich, ſo hätt' mein Vater ſeinen Dinkel und Haber noch. Jetzt darf ich mein Mütterlich's fordern und brauch 'dich keine Noth mehr leiden zu laſſen. Wiewohl, ich will's ihm bei Heller und Pfenning zahlen. Aber hätt'ſt dein Geheul auch noch ein paar Tag' unterwegs laſſen können.

Wenn man eben Alles wüßt ', dann wär' man reich, verſetzte Chriſtine.

Und hätt 'ich's nur eine Stund' früher gewußt, fuhr er fort, dann hätt 'ich den Handel mit dem Chriſtle nicht gemacht.

Was haſt denn mit Dem gehandelt?

Meine Büchſ 'will ich wieder von ihm zurückkaufen. Um deinet¬ willen hab' ich ſie von mir gethan und um deinetwillen nehm 'ich ſie wieder an mich. Es iſt auch ſo noch immer möglich, daß ich ſie ein¬ mal brauch', um Weib und Kind zu verhalten. Doch iſt's nur für den äußerſten Fall, und beſſer wär's, ich hätt 'ſie ihm noch gelaſſen, denn ſo ein Teufelshirſch kann Einen bis in's Zuchthaus führen.

Laß du das Wildern ſein, ſagte Chriſtine, und denk 'auf andereD. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 15226Weg ', wie du Weib und Kind ernähren willſt. Wiewohl, es geht nicht immer ſo ſchlimm aus. Hab' ich dir's nie von unſrem Haus erzählt? Es iſt ein altes Sagen in unſrer Familie, ich hab 'meinen Vater ſchon davon reden hören, daß ſein Urururgroßvater ein arger Wilderer geweſen ſei. Den hat der Herzog gefangen und hat ihn wollen auf einen Hirſch ſchmieden laſſen, hat ſich aber anders be¬ ſonnen, wie er ſchon halb angeſchmiedet geweſen iſt, und hat ihn be¬ gnadigt, weil ihm ſeine Antworten ſo gefallen haben, hat ihm auch das Haus da baut und ihn hergeſetzt, um den Wilderern aufzupaſſen, weil ihm alle ihre Schlich' und Weg 'wohl bekannt geweſen ſind. Nach ihm iſt ſein Sohn auf dem Haus geſeſſen und dann wieder deſſen Sohn und ſo immer fort, ſo daß das Haus ſeit Urgedenken unſrer Familie angehört. Sie hat ſogar dem Herzog eine beſondere Steuer draus zahlen müſſen, die erſt unter meinem Vater in Abgang kommen iſt.

So? ſagte Friedrich. Da kommt wahrſcheinlich auch der Nam 'Hirſchbauer her?

Mag ſein, ich weiß nicht, erwiderte ſie.

Jetzt aber laß uns drauf denken, wie wir unſer Haus bauen. Majorennitätserklärung, Proclamation, Copulation, das muß wie Blitz und Donner auf einander gehen. Voran, voran, eh's der Teufel er¬ fährt und Unſamen ſtreut!

24.

Gleich noch am nämlichen Abend ging Chriſtine in das Pfarrhaus, um im Auftrag ihres Verlobten, der auf ſie wartete, den Herrn Pfar¬ rer zu bitten, daß er ſie am nächſten Sonntag proclamiren möge. Sie kam aber bald wieder zurück und erzählte, der Pfarrer habe ge¬ ſagt, er wiſſe nichts von Majorenniſation und Regierungsreſolutio¬ nen, ſei auch nicht verpflichtet den Amtmann zu fragen, ob etwas Derartiges eingelaufen ſei; ſo könnte ihm Jeder kommen.

227

Gleich morgen gehſt zum Amtmann, ſagte Friedrich, denn jetzt iſt er auf der Jagd. Es iſt beſſer du gehſt, weil er mir geſagt hat, ich ſoll 'nicht ungebeten vor ihn kommen.

Ja, ſagte ſie, und wenn du kämſt, könnt's leicht Häupeleien ge¬ ben, weil du ſo ſtrobelig biſt. Wir müſſen jetzt trachten, daß wir vollends im Frieden durchkommen. Lieber geh 'ich, ich fürcht' mich nicht mehr ſo vor den Herren. Aber was ſoll ich denn dem Amt¬ mann ſagen, woher wir wiſſen, daß die Reſolution da iſt? Die Kathrine dürfen wir nicht verrathen, die iſt unſer guter Engel.

Sagſt, ich wiſſ 'es von Stuttgart her, daß die Reſolution vor einigen Wochen ſchon abgangen ſei. Gib Acht, das wird ihm Füß' machen.

Das iſt der Red 'noch einmal werth, rief Chriſtine und lachte: jetzt meint er, du habeſt ihn verklagt, und kriegt Angſt.

Laß ihn nur nicht ſchlupfen, weder links noch rechts, ſagte er. Bekennen muß er. Morgen iſt Samſtag, und am Sonntag müſſen wir das erſt'mal proclamirt ſein.

Mit lachendem Munde kam Chriſtine den andern Morgen aus dem Amthauſe. Ich hätt 'nicht glaubt, ſagte ſie, daß ſo ein rundes Ge¬ ſicht ſo in die Länge gehen könnt'. Sieh, ſo lang iſt's worden, wie ich mein Sprüchlein aufgeſagt hab '. Er hat ſich dann aber gleich gefaßt und hat geſagt, die Reſolution ſei allerdings da und er würd' ſie dir ſchon noch eröffnet haben, es ſei ja nichts Preſſantes.

So, nichts Preſſantes? Ich wollt ', das Waſſer ging ihm einmal bis an Hals und ich ſtünd' dabei und könnt 'ſagen: 's preſ¬ ſirt gar nicht, Herr Amtmann, mit Ihrem Wohlnehmen.

Es hat ihm aber doch rechtſchaffen preſſirt, fuhr ſie fort. Sieh, da iſt die Schrift, die ſoll ich dem Pfarrer bringen, daß es mit dem Proclamiren weiter kein Anſtand hab '.

Lauf, Chriſtinele, lauf tapfer! Du arm's Weib du, mußt dich halb todt ſpringen um unſere Heirath, und trägſt doch den Eh'¬ contract mit Brief und Siegel an dir.

Ich wollt ', du müßteſt ihn tragen, maulte ſie, damit du auch wüßteſt wie das beſchwerlich iſt.

Hält's der Pfarrer auch nicht für preſſant? fragte er, als ſie wieder kam.

15 *228

Er hat geſagt, es ſei eine Sünd 'von dir, daß du deinem Vater nicht gehorcheſt, und er ſag' mir's in's Geſicht, daß ſo eine ungleiche Heirath eine rechte Dummheit ſei und auch ein bös End 'nehmen werd', aber er hab 'jetzt ſein Gewiſſen ſalvirt und uns gewarnt: mor¬ gen werd' er uns proclamiren.

Er ſoll 'uns ausrufen und einſegnen, nachher mag er ſchwätzen ſo viel er will. Jetzt iſt's gewonnen.

Als er von ihr wegging, begegnete er ſeiner Schweſter Magdalene, die eben über die Gaſſe ging. Du, ſagte er ſeelenvergnügt, morgen werd 'ich von der Kanzel' runtergeſchmiſſen. Du gehſt doch auch in die Kirch '?

Ach Gott, iſt's ſo weit? rief ſie. Ja, wenn ich kann, will ich gehen.

Können! ſagte er, ich hab 'noch nie gehört, daß die Weibsleut' nicht in die Kirch 'gehen können, ſonderlich wenn's Neuigkeiten drin gibt.

Weißt's denn der Vater ſchon? fragte ſie. Grad 'will ich zu ihm.

Er erfährt's jetzt gleich. Wir haben Einen Weg.

So, du biſt alſo jetzt majorenn und ich hab 'dir nichts mehr zu befehlen? ſagte der Sonnenwirth, als ſein Sohn ihm die Neuigkeit angekündigt hatte. Nun, jetzt kannſt du freilich thun, was du willſt, aber ich bin jetzt auch nicht mehr verantwortlich dafür.

Vater, ſagte die Chirurgin, der Bruder fragt, ob ich morgen in die Kirch 'geh'. Gehet Ihr?

Es wär 'ſchon Noth, daß man für ihn beten thät', ſagte die Sonnenwirthin, die ſich der Antwort bemächtigte: aber ich ſorg 'nur, die Leut' könnten's ſo anſehen, als ob wir unſre Billigung dazu gäben, und der Vater wälzt ja ſelber alle Verantwortung von ſich ab.

Ich ſag 'nicht, du ſolleſt daheim bleiben, antwortete der Sonnen¬ wirth ſeiner Tochter, und dein Mann kann's dir auch nicht verbieten in die Kirch' zu gehen. Auch wär's chriſtlich, wenn's einmal ſein ſoll, daß wenigſtens Eins von der Familie dabei wär '. Aber ich kann mich nicht dazu entſchließen, ich thät' mich ja ſelber auf's Maul ſchlagen.

Aus Chriſtenpflicht ging 'ich auch gern dazu, nahm wieder die Sonnenwirthin das Wort, aber ich könnt's nicht präſtiren, den229 Blicken ſo ausgeſetzt zu ſein, denn natürlich, die ganz' Gemeind 'guckt uns an, wenn wir gegenwärtig ſind. Ich weiß nicht, mit was ich die Straf' verdient haben ſollt ', ich hab' mich nicht vergangen.

Das iſt wahr, ſeufzte die Chirurgin, ich könnt 'die Augen nicht aufthun und thät's doch ſpüren wie ich die Zielſcheib' wär ', und alle Andacht wär' mir verdorben.

Die Thüre ging auf und der Krämer trat mit ſeiner Frau herein. Ich muß um Entſchuldigung bitten, ſagte er, daß ich in meinen Haus¬ pantoffeln komm ', aber es läßt mir keine Ruh'. Weißt's denn der Herr Vater ſchon? Es iſt im ganzen Flecken herum, daß der Schwa¬ ger morgen mit ſeiner Jungfer Chriſtine proclamirt werd '. Iſt's denn wahr? Was, und die Familie erfährt ſo was zuletzt?

Das wird aber morgen ein Geläuf ſein! rief die Krämerin. Mein Mann, der loſ 'Vogel, hat geſagt, wir könnten einen hübſchen Pro¬ fit machen, wenn wir unſern Kirchenſtuhl vermiethen thäten. Gebt Acht, morgen gibt's am heiligen Ort Händel, denn's fehlt an Platz.

Wir reden eben davon, ob wir auch gehen ſollen, ſagte die Son¬ nenwirthin, aber die Chirurguſſin und ich, wir meinen, wir könnten's nicht aushalten, wenn Einen Alles ſo anſieht.

Herr meine Sünd '! ſchrie die Krämerin. Ich weiß nicht was mir für ein Unglück paſſiren könnt', wenn Alles um mich 'rum druckt und guckt und murmelt! Da könnt' mich ja was ankommen, wovon man in Ebersbach noch nach hundert Jahr 'reden thät'.

Schad 'iſt's aber doch, wenn wir drum kommen, ſagte der Krämer. So ein Paar ſieht man nicht alle Tag'. Er iſt ſo mager und ſie ſo dick.

Sie wirb mich ſchon pflegen, daß ich wieder zu Kräften komm ', verſetzte Friedrich, der alle dieſe Stiche mannhaft verbiß. Doch war er froh ſich mit einem Scherzwort loskaufen zu können, und beur¬ laubte ſich von der Familie, ohne die Bitte, die er an ein ſonſt ge¬ liebtes Mitglied derſelben gerichtet hatte, bei den andern zu wiederholen.

Er brachte den Reſt des Tages bei ſeiner Braut und den Ihrigen zu, wo es ungeachtet des Mangels und der ungewiſſen Ausſicht in die Zukunft ſehr heiter zuging. Der Hirſchbauer ſprach an dieſem Tage zum erſtenmal wieder ſeit langer Zeit und konnte aufrecht im Bette ſitzen. Aus jedem Worte aber, das der Bräutigam redete, gab230 ſich das befriedigte Selbſtgefühl zu vernehmen. Er konnte jetzt ſeinem Mädchen und ihrer Familie Wort halten.

Als er Abends heimkam, nahm ihn ſein Vater auf die Seite. Laß mit dir reden, ſagte er. Jetzt haſt du Alles noch in der Hand. Ein Wort beim Pfarrer und die Proclamation unterbleibt. Ich will dir was ſagen: wenn du zurücktrittſt, ſo ſoll dein Diebſtahl ungeſche¬ hen und begraben ſein. Bis jetzt iſt nicht davon geſchnauft worden, das hab 'ich in der Hand.

Schwätzet doch nicht immer von Diebſtahl, ſagte Friedrich. Was ich aus meinem Mütterlichen erſetzen kann, das iſt mein'twegen ge¬ nommen, aber nicht geſtohlen.

Wie meinſt du, daß man's vor Amt anſehen werd '?

Weiß ich das? Ich hab 'das Geſetz nicht gemacht, und Ihr auch nicht.

Du haſt's, ſcheint's, vergeſſen, wohin dich dein Huſarengriff ge¬ führt hat.

Nein, ich weiß noch recht gut, daß man mir damals eröffnet hat, das Einſacken könnt 'man vielleicht meiner Jugend und Unverſtand nachſehen, aber nach einem alten Reſcript ich weiß nicht mehr, die Jahrszahl iſt noch aus dem vorigen Jahrhundert geweſen ſollen ungerathene unartige Kinder, bei denen der Eltern Zucht nicht an¬ ſchlage, in Sprengen und eiſernen Banden zu öffentlichen Arbeiten angehalten werden, und ſonach ſei das Zuchthaus eigentlich eine Be¬ gnadigung für mich. Wenn Ihr es alſo meint, ſo könnt Ihr mich beim Amtmann und Vogt verklagen, wie Ihr mich beim Kirchencon¬ vent verklagt habt. Du ſchreckſt mich nicht, dachte er bei dieſen Worten, mit feſtem Auge den unſichern Blick ſeines Vaters feſthaltend.

Sind das artige Kinder, fragte dieſer, die ihren Eltern das Korn im Sack aus dem Haus tragen?

Wiſſet Ihr nicht, Vater? der Criſpinus hat Leder geſtohlen, um den Armen Schuh 'draus zu machen, und hat's doch zum Heiligen gebracht, wiewohl er's, glaub' ich, ſogar bei Fremden geſtohlen hat.

Wir ſind lutheriſch. Da gelten keine ſolche Späß '.

Nun, ſo machet doch endlich Ernſt und bringet mich in's Zucht¬ haus. Dann muß eben die Hochzeit aufgeſchoben werden, bis ich wieder 'rauskomm'.

231

Ich ſag 'noch einmal, tritt zurück, ſo lang's noch Zeit iſt.

Nein, eher will ich mich ſtöcken und blöcken laſſen. Entweder ſetzet mich in's Zuchthaus, wenn Ihr nichts Beſſers wiſſet, oder gebet mir mein Mütterlichs heraus, damit die Sach 'auf ein' oder die ander 'Art endlich in Ordnung kommt.

Zu deinem Hochzeitstag kannſt's haben, wenn du von deinem Tu¬ gendſpiegel nicht laſſen willſt, und kannſt dann gleich auch Tauf 'davon halten. Ich möcht' nur auch wiſſen, was du an ihr find'ſt. Ich will nicht weiter mit dir ſtreiten, ob du dich mit dem Criſpinus vergleichen kannſt, aber wenn du das ſein willſt, ſo ſag 'nur ſelber, was du von deiner Criſpina hältſt, die ſich geſtohlene Sachen zutragen läßt; denn das leid't kein Zweifel, da machſt mir nichts weiß.

Angenommen, es ſei ſo, wiſſet Ihr denn, ob ſie's weiß woher ich's hab '?

Sie wird wohl denken, es ſei dir in der Hand gewachſen?

Vater, wenn ſie reich wär ', ſo möcht' ſie thun was ſie wollt ', Ihr würdet anders von ihr denken. Jetzt iſt ſie einmal mein, und das Kind, das ſie unterm Herzen trägt, iſt mein Kind, und muß zu ſeiner Mutter einen Vater haben, wie ich zu meinem Vater eine Mut¬ ter haben ſollt'.

So renn 'in dein Verderben, wenn du nicht anders willſt, ſagte der Alte, nahm das Licht und ging in ſeine Kammer.

25.

Richtig, das muß man ſagen, hatte die Krämerin prophezeit. Nie war ſeit Jahren in dem doch ſo chriſtlich geſinnten Flecken die Kirche ſo gefüllt geweſen wie an dem Sonntag, an welchem Friedrich mit Chriſtinen proclamirt wurde. Außer den Kranken und Gebrechlichen blieb niemand zurück, von den Geſunden fehlte nur die Familie des Sonnenwirths. Der alte Hirſchbauer hatte alle die Seinigen in die Kirche geſchickt: die Mucken werden mich derweil nicht freſſen, hatte er geſagt. Selbſt der kleine Wollkopf hatte in dem Weiberſtande232 neben ſeiner Mutter und Schweſter Platz gefunden und hörte andächtig der Predigt zu. Wohl gab es ein Ziſcheln und Murmeln und Alles ſteckte die Köpfe zuſammen, als der Pfarrer vor dem Segen die Ver¬ leſung der Paare, die in den heiligen Stand der Ehe treten wollten, begann, aber Friedrich blickte muthig nach der Kanzel und zugleich aufmerk¬ ſam, ob der Pfarrer in ſeiner Verkündigung nicht vielleicht irgend ein Zeichen ſeiner Abgunſt einſtießen laſſen werde. Es geſchah jedoch nichts dergleichen und er konnte es höchſtens auffallend finden, daß der Pfarrer unter den zu verkündigenden Paaren ihm und ſeiner Braut die letzte Stelle angewieſen hatte; dieſe Ordnung konnte aber der Reihefolge der Anmeldung entſprechen, ſomit eine zufällige ſein. Der Pfarrer ertheilte den Proclamirten und der Gemeinde den kirchlichen Segen, und Orgel und Choral beſchloßen den Gottesdienſt.

Beim Herausgehen aus der Kirche ſtieß Friedrich auf den Invali¬ den. Was, Ihr ſeid auch in der Kirch 'geweſen, Profoß? Hätt' nicht glaubt, Eure mürbe Knochen thäten Euch ſo weit tragen. Aber 's iſt mir eine Freud 'und eine Ehr'. Nur wundert's mich, denn Ihr habt ja auch Mäuſ 'dagegen gehabt.

Es bleibt dabei, daß Er nicht recht geſcheidt iſt, ſagte der Inva¬ lide. Aber zu Seiner Hochzeit ſoll nichtsdeſtoweniger meine alte Liſe krachen.

Friedrich drückte ihm die Hand und begab ſich zu den Seinigen, die vor der Kirchenthüre warteten. Er führte ſeine Braut am Arme, reichte dem kleinen Buben die andere Hand, und die neue Familie ſetzte ſich, die Mutter und beide Söhne voraus, das Brautpaar hin¬ ter ihnen, in Bewegung. Wer von der Gemeinde den gleichen Weg hatte, ging ſpöttiſch lächelnd an ihnen vorbei: auch konnten ſie aller¬ lei Bemerkungen hören. Doch ſchienen die Leute wenigſtens das in der Ordnung zu finden, daß das Paar ſich heute am Arme führte; daß er, ohne giltig verlobt zu ſein, Arm in Arm mit ihr durch den Flecken zu der Kirchenconventsverhandlung gegangen war, hatte bei der herrſchenden Sitte noch größeren Anſtoß gefunden, als ihre vor¬ zeitige Mutterſchaft.

So langſam ſie wegen dieſes Zuſtandes gingen, ſo gingen doch zwei von den andern proclamirten Paaren noch langſamer hinter ihnen drein, um ſich über ſie luſtig zu machen. Das iſt ein Schwanenpaar! ſagte233 der eine Bräutigam. Im Ludwigsburger Schloßgarten, im See, hab 'ich auch einmal eins geſehen, die ſind grad' ſo geweſen, nur anders, ſäuberer.

Die da ſind weiß wie ein Ofenloch, ſagte ſeine Braut.

Es gibt auch ſchwarze, fuhr der Bräutigam fort. Ich hab's ein¬ mal von einem Reiſenden gehört, dem ich den Weg auf den Staufen hab 'zeigen müſſen. Iſt ein curioſer Herr geweſen und hat viel Kauderwälſch durch einander geſchwätzt. Sie ſeien aber eine große Ra¬ rität, hat er geſagt.

Es wird gut für den Flecken ſein, bemerkte die Braut, wenn die da gleichfalls eine Rarität bleiben.

Kann denn der Schwan auf trockenem Boden laufen? fragte der andere Bräutigam.

Freilich, verſetzte der erſte, aber es macht ihm Müh ', er wackelt ſchier gar ſo ſchwer daher, wie die da. Er deutete auf Chriſtinen und alle Vier brachen in ein rohes Gelächter aus.

Friedrich machte ſeine Arme los und kehrte ſich um. Ihr Spitz¬ ruthen, ſagte er, iſt ein Ehrentag ein Tag zum Gaſſenlaufen? Aber gut, wenn ihr's nicht anders wollet, ſo möget ihr's haben. Du Mi¬ chel, grüner Tralle, wandte er ſich an den Einen, du biſt ſo dumm, daß man Riegelwänd 'mit dir' naus ſtoßen könnt 'und daß dein Mädle zu dir hat in die Scheuer kommen müſſen ſtatt du zu ihr, aber wenn man euch erwiſcht hätt', ſo hätt's noch eine ganz andere Convents¬ verhandlung geben als bei uns. Verſtanden? Und du Lorenz, ſagte er zu dem andern, du ſpitziger Gſcheidle, ſo pfiffig du biſt, ſo weiß ich doch, daß du dich in Zebedä 'drüben haſt Nachts von den ledi¬ gen Buben müſſen in Brunnentrog tunken laſſen, zur Abkühlung, wie ſie gemeint haben, jedoch ohne alle Noth, denn an dir iſt nichts Hitzig's als dein Geiz, der dich verführt hat, vom Herrn Vicarius drüben, dem reichen Prälatenſohn, ſein ausbraucht's Spielzeug um ein Draufgeld einzuhandeln, nachdem dein voriger Schatz geſtorben iſt, man weiß nicht einmal recht an was. Ich will's an Dem gnug ſein laſſen, denn ich ſeh', daß eure Bräut 'roth worden ſind, und 's wär' gut, ſie thäten ſich der Heuchelei und Splitterrichterei noch mehr ſchä¬ men als der Sünd '. Euch zwei Lumpen aber hätt' ich gute Luſt über einen wackern Stecken tanzen zu laſſen, wenn ich heut 'nicht ſo vergnügt234 wär'. Wiewohl, ihr brauchet mir nicht viel gute Wort 'zu geben, wenn ich euch ſoll den Gefallen thun.

Die Hirſchbäuerin, die mit ihren Söhnen etwas vorausgegangen war, kam eilig zurück um abzuwehren; aber weder ihre Ermahnung noch das vielleicht kräftigere Einſchreiten der beiden Söhne war von¬ nöthen, denn die Getroffenen zogen mäuschenſtille ab und wagten erſt in weiter Entfernung wieder zu ſchimpfen und zu ſpotten.

Friedrich aber ſagte zu ſeiner Braut: Chriſtine, bleib 'ſtandhaft und mach' mir kein 'Streich. Du kannſt mein'twegen Hochzeit und Kindbett am gleichen Tag halten, aber nur fein nach einander, damit nicht ein Segen zu früh kommt und der ander' zu ſpät.

Sei doch ruhig, erwiderte ſie, das hat keine Noth.

Der Kukuk hat's geſehen, fuhr er fort, daß man ſich dreimal proclamiren laſſen muß. Gleich das erſt'mal ſollt 'man von der Kanzel vor den Altar kommen, damit Einem die Welt keinen Prügel mehr in den Weg werfen könnt'.

Das wär 'doch nicht gut, meinte Chriſtine dagegen. Da könnt' ja kein arm's Mädle mehr Einſpruch thun, wenn ihr Schatz ſie ſitzen ließ 'und ließ' ſich mit einer Andern zuſammengeben.

Iſt auch wahr, ſagte er. Um der Untreu 'der Menſchen willen müſſen die Treuen mitleiden. Uebrigens möcht' ich nichts mehr von Einem, der mich einmal verkauft und verrathen hätt ', und was den Einſpruch betrifft, ſo wird eine Arme wunderſelten dadurch ihr Recht erlangen, weil gleich Alles zuſammenhilft, daß ſie geſchweigt wird.

Darum iſt's eben das Beſt ', wenn man ſich auf einander verlaſ¬ ſen kann, ſagte Chriſtine, dann ſind die drei Wochen Aufſchub auch nicht zu lang.

Gott geb's, erwiderte er, aber ich wollt ', ſie wären vorbei.

Die zweite Proclamation, die am nächſtfolgenden Sonntage ſtatt fand, machte ſchon nicht mehr ſo viel Aufſehen wie die erſte; denn die Menſchen fügen ſich in Vieles, und manche neue Erſcheinung, die ſie im erſten Augenblick mit Keulenſchlägen empfingen, iſt ihnen im Lauf der Zeiten vertraut und befreundet oder, oft richtiger geſagt, zur Gewohnheit geworden.

An dieſem Tage begehrte Friedrich von ſeinem Vater eine Unterredung, die er die ganze Woche ſchüchtern aufgeſchoben hatte. Er ſtellte ihm235 vor, daß es jetzt höchſte Zeit ſei, an die Einrichtung eines kleinen Hausweſens zu denken, und daß er zu dieſem Zwecke ſein mütter¬ liches Vermögen heraushaben müſſe.

Nun, nun, ſagte der Alte, es hat ja noch Zeit. Ich ſeh 'über¬ haupt nicht ein, wozu du ſo viel Geld brauchſt. Du haſt ja ſelbſt geſagt, du wolleſt froh ſein, wenn du mir als Knecht dienen dürfeſt.

Ich bin's zufrieden, entgegnete der Sohn, aber ich muß doch we¬ nigſtens eine Stube haben, wo ich mit meinem Weib drin wohnen kann.

Als Knecht kannſt du bei mir wohnen, wie bisher.

Ja, wollt Ihr denn mein Weib auch zu Euch in's Haus nehmen? fragte der Sohn mit einem Freudenſchimmer in den Augen.

Das kommt noch auf's Wohlverhalten an, antwortete der Vater mit einem ſpöttiſchen Blick. Am End 'wär's freilich das Beſt', ich nähm 'euch Beide unter Aufſicht; ihr könntet's vielleicht brauchen.

Der Alte ging ſeinen häuslichen Verrichtungen nach, ohne ſich zu einer beſtimmten Erklärung bringen zu laſſen. Ein paar weitere Ver¬ ſuche ſeines Sohnes liefen eben ſo ab und er erhielt nichts als aus¬ weichende, räthſelnde, ſtichelnde Antworten, wobei der Alte jedesmal ein Geſchäft oder einen Beſuch zu benutzen wußte, um das Geſpräch abzubrechen. Friedrich verging beinahe vor Unmuth und Ungeduld, aber er hatte Chriſtinen verſprechen müſſen, dieſe letzten Tage der Prüfung vollends in Ruhe auszuharren. Sieh, ich hab 'Eſels¬ geduld, ſagte er oft zu ihr.

Unterdeſſen war die Sonnenwirthin nicht müßig geweſen, im Wege der Gunſt wie des Haſſes auf ihre Gönnerin, die Amtmännin, und durch dieſe auf den Amtmann einzuwirken. Es wäre ja doch ſchreck¬ lich, ſagte ſie, wenn ſo ein eigenſinniger, gewaltthätiger Trotzkopf ver¬ nünftige Leute abzwingen könnte. Der Amtmann, der ſich gleichfalls von ihm überrumpelt ſah, hatte, nachdem die erſte kirchliche Handlung durchgeſetzt war, doppelte Luſt gewonnen, die Heirath doch noch am Ziele zu hintertreiben. Er ſchalt auf die Regierung, welche viel zu liberal ſei und das junge Volk, wenn es nur brav Dispensgelder bezahle, in's Blaue hinein heirathen und den Gemeinden zur Laſt fallen laſſe; übrigens, meinte er, der Sonnenwirth brauche nur den Taugenichts aus dem Hauſe zu jagen und jede Verbindung mit ihm abzubrechen, dann habe er allen Boden unter den Füßen verloren,236 und wenn ihn die Regierung zehnmal für volljährig erkläre, ſo nehme ihn eben die Gemeinde nicht an. Dafür laß Sie nur mich ſorgen, Frau Sonnenwirthin.

Wenn nur mein Mann nicht ſo ſchwach wär '! erwiderte die Son¬ nenwirthin hierauf. Er will ſich's nicht nachſagen laſſen, daß er ſei¬ nen Sohn, der ihm als Knecht zu dienen erbötig iſt, von ſich geſtoßen hab', und doch kränkt's ihn auch wieder, daß er ihm ſein Mütterlich's hinauszahlen ſoll, denn die Zeiten ſind eben gar ſchwer. Die Eve Marget und die Magdalene haben ihren Antheil auch ſtehen laſſen müſſen, mit Vorbehalt, daß ſie nachher am Vater mehr erben ſollen. Nun beſorgt er, wenn der Bruder ſein Sach 'ganz' rauskriegt, und auf einmal, ſo könnten die Schweſtern auch rebelliſch werden. Er glaubt, er hab 'eigentlich die Nutznießung davon ſein Leben lang, aber er weiß nicht gewiß, ob man ſie ihm nicht vielleicht ſtrittig könnt' machen.

Jedenfalls, bemerkte der Amtmann, ließe ſich dieſer Streit in die Länge ziehen, ich ſehe jedoch nicht ein, zu was das in der Hauptſache führen ſollte, denn wenn der Sonnenwirth ſeinem ungerathenen Sohne die Exiſtenz garantirt, ſo kann ihn Niemand am Heirathen hindern. Uebrigens will ich mir die ganze Sachlage noch einmal in Reviſion nehmen und ſehen, ob noch etwas zu machen iſt.

Unter ſolchen Berathungen war die zweite Proclamation vorüber¬ gegangen, und der Vortheil des unabänderlichen Laufes der Dinge ſchien ganz auf Friedrich's Seite zu ſein, als der Amtmann die Son¬ nenwirthin rufen ließ. Gratulire, Frau Sonnenwirthin, ſagte er, zur leibeigenen Schnur!

Was? leibeigen? rief die Sonnenwirthin. Und davon hat das ſchlecht 'Geſindel gar nichts geſagt? Das hebt ja alle Verpflichtun¬ gen auf!

Vielleicht haben ſie es ſelbſt nicht mehr recht gewußt, ſagte der Amtmann, denn die Sache iſt etwas in Vergeſſenheit gerathen. That¬ ſache aber iſt es, daß der Hans Jerg Müller und die Seinigen zu gnädigſter Herrſchaft im Verhältniß der Leibeigenſchaft ſtehen.

Dann, rief die Sonnenwirthin mit einem Strahl von Hoffnung, iſt's doch möglich, daß der ſtolz 'Bub' ſein 'Kopf noch ändert. Eine Leib¬ eigene wird er nicht zur Frau haben wollen.

237

Dieſe Verhältniſſe ließen ſich ja mit Geld abkaufen, bemerkte der Amtmann, denn dazu iſt gnädigſte Herrſchaft ſtets geneigt. Ohnehin beſtund es, in neuerer Zeit wenigſtens, aber ſchon ſeit lange, in einer jährlichen Geldabgabe. Früher mögen ſchwerere körperliche Leiſtungen erfordert worden ſein; da es mich nicht intereſſirt hat, ſo habe ich auch nicht nachgeſchlagen. Die präſtirende Abgabe wurde dem Hans Jerg Müller ſchon vor geraumer Zeit ob summam paupertatem, wie er ja auch ſchon von der Gemeinde ex pio corpore Unterſtützung genoſſen hat, auf ſein unterthänigſtes Anſuchen nachgeſehen, daher es leicht möglich, daß er ſich der Verhältniſſe ſelbſt nicht klar erinnert. Das einfältige Volk weiß ja niemals wie es dran iſt, noch auf welchen Füßen es ſteht: die Beamten müſſen es ihm ſagen, was es zu leiſten ſchuldig iſt, und müſſen ihm zur Noth noch Bittſchriften machen, wenn es einige Linderung ſeiner Lage erzielen möchte. So habe ich auch Dieſem die betreffende Supplik aufgeſetzt, um ihm das Geld zu erſparen, das er einem Advocaten für die Schrift hätte geben müſſen, und ihn vor den En¬ tenmaiern zu bewahren, den Winkeladvocaten, die der Leute Verderben ſind. Es iſt recht undankbar von dem alten Habenichts, daß er, indirect wenig¬ ſtens, Ihren Stiefſohn in deſſen Unfug und übler Aufführung ſteift; aber auf Dank darf man ja bei dieſem Volke nicht rechnen. Ich ſelbſt muß freilich von mir auch geſtehen, daß ich die Sache bei mir mit den Jahren habe in Vergeſſenheit kommen laſſen; derlei verwickelte Ma¬ terien tauchen Einem allemal erſt wieder auf, wenn man die Acten nachſchlägt. Summa Summarum iſt jedoch ſo viel gewiß: der ſoge¬ nannte Hirſchbauer iſt nebſt ſeinen Deſcendenten leibeigen, und zwar haftet die Leibeigenſchaft auf dem Haus. Ob nun, wie es bei dieſem Volke nicht ungewöhnlich, die Vererbung des Beſitzes ſammt der darauf haftenden Laſt ſeit Generationen direct vom Vater auf den Sohn ſtattgefunden hat, ob dabei Töchter hinausgegeben worden ſind und ob ſelbige durch die bloße Emancipation vom väterlichen Heerde in Folge des eingegangenen matrimonii wobei ſie ja bloß den Herren wech¬ ſeln, wie der Frau Sonnenwirthin ſelbſt wiſſend ſein wird, ha, ha! ob ſie ſchon hiedurch auch von der Leibeigenſchaft emancipiret ſind, oder ob ſie erſt noch specialiter mit Gelde abgelöſet werden müſſen, ja, darüber könnte man einen langen Prozeß führen, und wehe dem, der die Koſten davon zu bezahlen hätte. Für mich iſt jedenfalls ſo viel238 klar, daß, wenn auch die fürſtliche Regierung dieſem jungen Menſchen die Majorennität und die Heirathserlaubniß gnädigſt bewilligt hat, ich, im fürſtlichen Intereſſe ſelbſt, vorderhand auf der baaren Leibeigen¬ ſchaftsablöſung ſeiner, wenn auch proclamirten, doch immer nur erſt prätendirten sponsa beſtehen muß, muß demnach Namens gnädigſter Herrſchaft ſowohl, als auch Seitens dieſer Commune, deren Gericht und Rath ich mit thunlichſter Beförderung des Näheren inſtruiren werde, beharren, daß ein giltiger Ehevollzug des Johann Friedrich Schwanen mit der Chriſtina Müllerin nicht eher in's Werk gerichtet werden kann, als bis und bevor gedachter Ablöſungsſchilling entweder in Baarem erlegt oder eine durchaus ſatisfacirende Caution dafür ge¬ leiſtet iſt; wobei, bewegender Gründe halber, überhaupt zu erfordern ſein dürfte, daß ſothane Caution ſich auf den geſammten Nahrungsſtand des Nupturienten zu erſtrecken habe, denn wenn auch, aus Rückſicht auf die beſondern Verhältniſſe und die bei Gericht und Amt notoriſche Vermöglichkeit des Sonnenwirths, hievon Umgang genommen werden könnte, falls er ſeinem Sohne zur Seite zu ſtehen geſonnen iſt, ſo muß doch im vorhandenen Zweifelsfall für den Nupturienten, uner¬ achtet er ein hieſiger Bürgersſohn, genügende Sicherheit verlangt wer¬ den, daß er erſtlich ſeine ihm von gnädigſter Herrſchaft auferlegende praestationes richtig zu erfüllen im Stande ſei, und zweitens, daß er, wo ihn ſein Vater eventualiter außer Brod ſetzen ſollte, gemeinem Flecken nicht mit einem penuriöſen und armuthſeligen Hausſtande, mit Anſprüchen an das pium corpus und endlich gar mit einem Heere von mangelhaften Kindern, die um Brod und Kleidung ſchreien, und deren wir hier ſchon genug und übergenug haben, nicht wiſſend wo ſie unterzubringen, beſchwerlich fallen werde.

Der Amtmann wiſchte ſich den Schweiß von der Stirne; ſeine Auseinanderſetzung ſchien ihn etwas angegriffen zu haben. Doch lächelte er zufrieden, denn der Vortrag war nunmehr hinlänglich zu Faden geſchlagen, um mit der nöthigen Geläufigkeit vor dem Magiſtrat ge¬ halten werden zu können. Die Sonnenwirthin hatte zwar, trotz der Andacht, mit der ſie der Rede zugehört, ſchon der eingeſtreuten latei¬ niſchen Brocken wegen, ſehr viel davon nicht verſtanden; doch begriff ſie vollkommen, daß der Heirath ihres Stiefſohnes noch ein Riegel vorgeſchoben werden könne. Sie ließ ſich über die beiden Hauptpunkte,239 auf die es ankam, noch einmal belehren, und verließ das Amthaus in vollem Triumphe, nachdem ſie es übernommen hatte, ihrem Manne und ihrem Sohne die amtliche Eröffnung, welche der Erſtere ſich zu holen aufgefordert wurde, im Voraus mitzutheilen. Ihren Stiefſohn, rief ihr der Amtmann nach, laſſe Sie mir nur aus dem Haus, mein alter Anwalt ſagt immer von ihm, und mit Recht, er führe eben ein ödes Geſchwätz, das gar keine Heimath habe.

Aus dem Munde der Stiefmutter erfuhr denn Friedrich, welches neue Gewitter gegen ihn heraufbeſchworen worden war. Zuerſt nahm er die Nachricht, daß Chriſtine leibeigen ſei, mit Gleichmuth auf und erklärte, dies ändere nichts in ſeinen Geſinnungen; als er vollends hörte, daß dieſe Abhängigkeit mit Geld gelöst werden könne, machte er ſich gar keine Sorge mehr; aber er war wie aus den Wolken ge¬ fallen, als er ſehen mußte, wie ſein Vater die Sache nahm.

Was! rief der Sonnenwirth, ich ſoll Bürgſchaft ſtellen für die Bezahlung einer Abgab ', die mich mit Haut und Haar nichts angeht? Ich bin froh, wenn ich meine eigene Schuldigkeit abgetragen hab', bin hoch genug beſteuert, kann mich nicht auch noch um anderer Leut 'ihre Abgaben annehmen.

Vater, ſagte Friedrich, den dieſe Aeußerung zuerſt nur ärgerte, ich glaub ', Ihr werdet altersſchwach. Es handelt ſich ja gar nicht drum, daß Ihr vom Eurigen etwas zahlen ſollet. Gebt mir mein Mütter¬ lich's heraus, dann leg' ich das Geld dem Amtmann ſelber hin.

Du thuſt immer als ob du von deinem Mütterlichen die halb 'Welt kaufen könnteſt, und haſt doch ſchon genug davon verthan. Du wirſt dich wundern, wenn ich einmal mit dir abrechne.

Nun, ſo rechnet ab, und wenn Ihr ſo viel Zeit brauchet, bis Ihr wiſſet, was Ihr Alles in die Rechnung ſchreiben wollet, ſo müſſet Ihr eben derweil die Bürgſchaft leiſten.

Ich nicht. Das Sprichwort ſagt: den Bürgen ſoll man würgen. Und wie kann man denn von mir verlangen, daß ich noch einen weiteren Revers ausſtellen ſoll von wegen deines Fortkommens? Ich hab 'dir zwar wohl verſprochen, daß ich dich bei mir behalten will, und ich will auch dabei bleiben, wenn du dich hältſt wie's recht iſt, nämlich beſſer als bisher. Aber Hand und Fuß will ich mir durch einen Revers nicht binden laſſen, denn ſonſt wäreſt ja du der Herr und ich240 müßt' mir Zeitlebens gefallen laſſen, was dir anſtändig wär '. Nein, der Sklav' in meinem eigenen Haus will ich nimmermehr werden.

Friedrich legte den Kopf eine Weile auf beide Hände, die er auf dem Tiſche liegen hatte. Als er das Geſicht wieder erhob, war alle Farbe daraus gewichen. Jetzt ſeh 'ich erſt, daß es eine abgekartete Sach' iſt, ſagte er mit einem Blick auf die Stiefmutter und verließ die Stube.

Chriſtine weinte bitterlich über dieſes neue Hinderniß. Das iſt eine Welt! ſagte der Hirſchbauer und kehrte ſich nach der Wand. Die Bäuerin heulte und ſchrie, daß man arme Leute ſo unterdrücke, die Söhne fluchten, und der kleine Weißkopf, der heute die Welt gar nicht verſtand, ſaß beſtürzt und furchtſam in der Ecke. Friedrich aber glaubte zu bemerken, daß der abermals in Zweifel geſtellte Erfolg ſeiner ehrlichen Bemühungen auf die Würdigung ſeiner Abſicht oder wenigſtens auf die Schätzung ſeiner ſelbſt zurückwirke. Die Hirſch¬ bäuerin wenigſtens ſchien ihn bereits mit minder günſtigen Augen an¬ zublicken; als ſie ausgeheult hatte, machte ſie ein Geſicht und gönnte ihm beim Abſchiede kaum ein Wort. Chriſtine aber nahm ihm wie¬ derholt das Verſprechen ab, auch dieſe Prüfung wo möglich durch Geduld und Gehorſam zu überwinden.

Schon die folgenden Tage zeigten ihm, daß er ſich in ſeinen Be¬ rechnungen völlig getäuſcht habe und für den nächſten Sonntag auf die letzte, beſtätigende Proclamation verzichten müſſe. Er ſprach nichts, war in ſeinen Verrichtungen fleißiger denn je, aber ſeine wund¬ gebiſſenen Lippen, ſeine mit Blut unterlaufenen Augen verriethen den Sturm, der in ihm arbeitete. Die Narbe auf ſeiner Stirne trat oft blutroth hervor. Die Leute ſteckten bei dieſem Anblick die Köpfe zu¬ ſammen und murmelten einander zu, das ſei ein Kerl, von dem man ſich des Aergſten gewärtigen dürfe.

241

26.

Raſſelnd und donnernd fuhren eines Vormittags mehrere Jagd¬ equipagen die Straße herauf. Mitten im vollen Jagen hielt die vor¬ derſte vor der Sonne und nöthigte dadurch die andern zu einem eben ſo plötzlichen Halt. In der Sonne gab es ein Rennen und Jagen Trepp 'auf und ab. Der Herzog Karl ſelbſt war es, der in der erſten Kaleſche ſaß und im raſchen Vorbeijagen nach dem Schurwald einen Trunk vom Beſten begehrte. Die Ehre war groß, noch größer aber die Eile, mit welcher der Befehl ausgeführt werden mußte, denn es war bekannt, daß der Herr nicht gern wartete und weder im Großen noch im Kleinen ein Hinderniß ſeines Willens gelten ließ. Der Sonnenwirth flog daher wie ein Jüngling von achtzehn Jahren, und wenig fehlte, ſo wäre er die Treppe hinabgefallen; doch brachte er den alten Familienpokal glücklich an den Wagen. Sein Sohn ſah vom Fenſter aus zu, wie ihn der Herzog in Empfang nahm und nach ei¬ nem guten Zuge wieder zurückgab; er ſah, wie der junge Fürſt gnä¬ dig, aber immer haſtig mit ſeinem Vater ſprach, wie dieſer unter tau¬ ſend freudigen Bücklingen ſich weigerte die Zeche zu machen, aber von dem bei dem Herzog im Wagen ſitzenden Hofherrn einen mit einem gebieteriſchen Wink begleiteten Silberthaler annehmen mußte. Neu¬ gierig betrachtete er den von Jugend und Jagdluſt ſtrahlenden Landes¬ herrn, deſſen Allmacht ihm die Zahl ſeiner Jahre voll machen und doch den Wunſch ſeines Herzens nicht erfüllen konnte: das vornehme, freie Geſicht mit den herriſch umherſchweifenden hellblauen Augen drückte eine machtbewußte Sorgloſigkeit aus, welche die Freuden des Lebens in vollen Zügen ſchlürfte und ſich dabei um keinerlei Bedenken zu kümmern hatte. So mußte es wenigſtens einem jungen Menſchen erſcheinen, dem die Kehrſeite ſolcher Herrlichkeit verborgen blieb. Nur ein Scherflein von dieſer Freiheit und Ungebundenheit! ſeufzte er: ich wollt' es ja nur dazu benutzen, um an meinem Weib und Kind ein rechtſchaffen Werk zu thun!

D. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 16242

Wer wird denn da ſtehen und gucken, wenn's alle Händ 'voll zu thun gibt! rief eine Magd, die in die Stube ſtürzte. Die Herren in den andern Kutſchen wollen auch Wein. Fort! im Hausgang drunten ſtehen ſchon Butellen g'nug, 's fehlt nur an Händen, um ſie' naus¬ zutragen.

Er eilte hinunter, ergriff mechaniſch ein paar Flaſchen und trug ſie vor das Haus, wo ſein Vater ſo eben, trunken vor Glück, von dem Wagen des abfahrenden Herzogs zurücktrat und, beſtändig compli¬ mentirend, ſeinem Sohne rücklings in die beladenen Arme taumelte. In dieſem Augenblick erhob ſich ein Angſtgeſchrei. Das vordere Pferd am herzoglichen Wagen, durch die neugierig umherwogende Menge oder vielleicht durch irgend eine muthwillige Unthat der lieben Jugend ſcheu gemacht, bäumte ſich ſo unverſehens und heftig, daß der Jagdpoſtillon die Meiſterſchaft zu verlieren in Gefahr war und die andern Pferde gleichfalls unruhig wurden. Das Geſchrei der Menſchen, beſonders aus den hintern Kaleſchen, ſteigerte die Verwirrung der Thiere, der Poſtillon ſchwankte im Sattel, die umſtehenden Männer, die zufällig keine Helden waren, wichen zurück und verſperrten kräftigeren Händen den Platz, ſo daß nachgerade die Sicherheit des Herzogs an einem Haare hing. Da ließ Friedrich ſeine Flaſchen fallen, daß ſie klirrend am Boden zerbrachen, mit einem Sprung hatte er ſich des ungebär¬ digen Roſſes bemächtigt, das ihn auf und nieder ſchleuderte, endlich aber ſeiner markigen Hand ſich fügen mußte. Als der ſtärkſte Wider¬ ſtand des Thieres gebrochen war, ſprang noch ein Knecht herbei, der es vollends bändigen half, und nun kam Alles was Hände hatte, um die überwundene Gefahr noch einmal zu überwinden. Der Herzog, ärgerlich, daß ſeine Allgewalt vor den Augen der Sterblichen einen kleinen Eintrag erlitten hatte, rief: Hat nichts zu ſagen! Vorwärts! Keine Umſtände weiter! nickte aber im Fortfahren dem jungen Men¬ ſchen, der ihm dieſen Dienſt erwieſen, gnädig zu, griff dabei in die Weſtentaſche und warf ihm ein Goldſtück hin, während der vordere Poſtillon, ſeine wiedergewonnene Haltung mit verbiſſenem Grimm be¬ hauptend, die Peitſche gegen die herzudrängende Menge aufhob und der Jagdzug in donnerndem Laufe davonbrauste. Ein Gelächter folgte den unglücklichen Hofherren, die über dem Abenteuer ihres Gebieters nichts zu trinken bekommen hatten und ſich ohne Zögern anſchließen243 mußten, um ihren Durſt im Schatten der Wälder oder vielleicht im Blute des Ebers zu kühlen. Noch ein Augenblick, und die ganze ſtolze Erſcheinung war verſchwunden, und die Straße mit den ſtädtiſch gro¬ ßen, aber einförmig grauen Gebäuden ſah wieder ſo werktäglich aus, als ob ſich gar nichts zugetragen hätte.

Friedrich war ſogleich in das Haus zurückgekehrt, während ſein Vater noch im Vollgenuß der gehabten Ehre mit den Nachbarn ſprach, wobei er nicht unterließ ſie darauf aufmerkſam zu machen, daß der Flecken früher eine Poſt gehabt habe, von welcher er behauptete, daß ſie mit der Sonne verbunden geweſen ſei.

Wo haſt dein 'Goldvogel? fragte er ſeinen Sohn vergnügt, als er mit dem Knechte heraufkam, um zu Mittag zu eſſen. Der Johann ſagt, es ſei ein Goldſtück geweſen, was dir der Herzog zugeworfen hab'.

Ich hab's nicht aufgehoben, antwortete Friedrich.

Was? Biſt von Sinnen? ſchrie der Sonnenwirth.

Ich hab 'eine Menſchen - und Chriſtenpflicht gethan, ſagte Friedrich, und dafür laſſ' ich mich nicht mit Geld auszahlen. Zudem weiß man wohl, für was der Herzog die Ducaten in der Weſtentaſch 'trägt fürs' Weibervolk. Das iſt kein Geld für mich.

Haſt's ſo übrig? fragte der Vater, indem er den Löffel niederlegte, den er mit dem beſten Appetit zu handhaben begonnen hatte. Das Eſſen wollte ihm nicht mehr recht ſchmecken. Du biſt mir der Recht 'zum Obenausſein, ſetzte er hinzu.

Dann hätt 'das Geld wenigſtens mir gehört, maulte der Knecht, denn ohne mein' Beiſtand kann man nicht wiſſen wie das Ding aus¬ gangen wär '.

Warum haſt's nicht genommen? ſagte Friedrich. Ich hätt's dir nicht mißgönnt.

Such ', Johann, ſuch'! rief der Sonnenwirth. Aber der Knecht war ſchon aufgeſprungen und man hörte ihn die Treppe hinunter¬ poltern. Nach einer guten Weile kam er finſter zurück und ſagte: Ich hätt 'mir's ſchon denken können, daß ſo was nicht lang liegen bleibt. Wer's aber genommen hat, iſt ein Dieb. Der ſoll mir kom¬ men. Ich werd's ſchon' rausbringen, wer den gelben Vogel im Käfig hat. Der Fiſcherhanne, der iſt, glaub 'ich, am dabei geſtanden. Dem waſſergrünen Spitzbuben werd' ich aufpaſſen.

16 *244

Schäm 'dich, Johann, ſagte Friedrich, daß du dein' Nebenmenſchen ſchlecht machſt, eh 'du weißt ob er's iſt. Der Fiſcherhanne iſt nicht mein Freund und wird's auch nicht werden, aber ich thät' mich doch zweimal beſinnen, eh 'ich ihn einen Dieb hieß' ohne allen Grund und Beweis. Und dir hat er nie was zu Leid gethan. Eſel, warum haſt das Geld nicht gleich aufgehoben?

Der Knecht ſah ihn giftig an und murmelte halblaute Flüche in ſeine Suppe hinein.

Das Aufheben wär 'an dir geweſen, du hochmüthiger Herr, ſagte der Sonnenwirth zu ſeinem Sohne. Du nimmſt wo du nichts anrühren ſollt'ſt, und läßt liegen was dein iſt.

Friedrich ſchwieg. Er hatte einem Advocaten in Göppingen ge¬ ſchrieben, ob er ſich nicht ſeiner annehmen und ſeine Sache gegen ſeinen Vater führen wolle. Inzwiſchen gedachte er jeden unnützen Streit mit dieſem zu vermeiden und ſich, ſo lange er ihm ſein mütter¬ liches Erbe nicht herausgab, als Kind von ihm ernähren zu laſſen, was er ihm durch ſeine Dienſte hinlänglich zu vergelten glaubte; denn wenn er auch mitunter, von Zorn und Ueberdruß ergriffen, in ſeiner Arbeit nachließ, ſo meinte er ſich doch das Zeugniß geben zu dürfen, daß ſein Vater mit Unrecht über ſolche Unterbrechungen klage, die im Vergleich mit ſeinem ſonſtigen Fleiß und Eifer kaum in Rechnung zu bringen ſeien.

Der Sonnenwirth ſchwieg gleichfalls und beſchäftigte ſich wieder mit dem Eſſen. Im Ganzen hatte er doch keinen Grund, ſich den Appetit vergehen zu laſſen. Sein Sohn hatte dem Herzog einen nicht unbe¬ deutenden Dienſt geleiſtet, der jedenfalls der Sonne zu Statten kom¬ men mußte. Konnte dieſes Ereigniß aber nicht vielleicht auch das Glück des jungen Menſchen machen und ihn ſogar aus ſeiner ver¬ kehrten Richtung herausreißen? Der Herzog war gegen ſeine Ge¬ wohnheit weggefahren, ohne ein Wort zu verlieren; denn wenn er auch das Land wenig ſchonte, ſo pflegte er doch den Leuten ein gut Geſicht zu machen und konnte mit dem Geringſten im Volke freundlich reden. Nach einigen Tagen, auf der Rückfahrt, oder auf einer ſpäteren Durchreiſe, falls er diesmal einen andern Rückweg einſchlug, fragte er gewiß nach dem Jüngling, deſſen kräftiger Arm ihn vor ei¬ ner Gefahr bewahrt hatte, und je kleiner dieſer ſein Verdienſt machte,245 deſto höher konnte er in der Gunſt des Herrn ſteigen. Poſthalter von Ebersbach! Der Alte konnte dieſen Gedanken nicht aus dem Kopfe bringen. Da war aber freilich immer wieder dieſe fatale Liebſchaft im Wege.

Während der Sonnenwirth ſolchen Gedanken nachhing und dazwi¬ ſchen wieder dem Eſſen zuſprach, dachte ſein Sohn an nichts als daß morgen der dritte Sonntag ſei, an welchem er hätte proclamirt wer¬ den ſollen, und daß heute die Antwort auf ſeinen Brief aus Göp¬ pingen eintreffen müſſe. Um dieſelbe geheim zu halten, hatte er nicht die Poſt, ſondern einen Bekannten benützt, der in Geſchäften droben war und zu dieſer Stunde zurückkommen ſollte. Er ſtand vom Eſſen auf und ging die Straße hin, um den Brief in Empfang zu nehmen, mit welchem er ſodann unter die Erlen an dem Flüßchen eilte. Der Advocat ſchrieb, er miſche ſich nur höchſt ungern in Händel zwiſchen Kindern und Eltern, zudem ſcheine ihm die Sache ſehr verwickelt, der Ausgang ungewiß, und ohne einen Vorſchuß könnte er ſich nicht in dieſe Geſchichte einlaſſen. Abermals eine vereitelte Hoffnung! Er knirſchte mit den Zähnen, ſchüttelte einen alten Weidenbaum, daß er in den Wurzeln krachte, und ging kranken Herzens, denn jetzt wußte er nicht mehr womit er Chriſtinens tägliches Wimmern ſtillen ſollte, in das väterliche Haus zurück.

Er war dort heute nichts weniger als überflüſſig. Dieſelbe Straße, auf welcher des Herzogs leichte Kaleſchen den Staub aufgewirbelt hatten, kamen jetzt ſchwere Frachtwagen langſam vor die Sonne daher¬ gefahren. Friedrich half die Pferde ausſchirren und verſorgen. Dann ging es an die leibliche Pflege der Fuhrleute, die keine geringen An¬ ſprüche machten und mehr Geld ſitzen ließen als der Herzog ſammt ſeinem ganzen Hof. Hier war die Sonnenwirthin an ihrem Platze. Sie wußte nicht bloß das Bedürfniß und den Geſchmack der Gäſte zu befriedigen, ſondern auch eine Unterhaltung mit ihnen zu pflegen, bei welcher wenigſtens der Verſtand nicht zu kurz kam, ſo daß einſt ein Fuhrmann zu ſeinen Gefährten ſagte: So lieb mir Herz und Nieren ſind, ſo möcht 'ich doch der Sonnenwirthin ihr Herz nicht freſſen, denn warum? Sie hat eben kein Kalbsherz, aber ihr Hirn, das thät' mir, glaub 'ich, ſchmecken, und bin doch dem Kalbskopf feind.

Kaum waren die Fuhrleute bedient und zum Theil nach ihren246 Roſſen zu ſehen gegangen, ſo kamen abermals Gäſte, und zwar dies¬ mal zu ungewohnter Stunde aus dem Flecken ſelbſt. Es war der junge Müller Georg, den wir kennen, mit einem Mädchen von nicht ungefälligem Ausſehen, das er als ſeine Braut vorſtellte, und einem Schwarm von Sippſchaft aus benachbarten Orten hinterdrein, worunter ſich auch der Knecht des andern Müllers befand. Er gehörte, wie ſich aus dem Geſpräch ergab, zur Verwandtſchaft, und hatte als Unter¬ händler dieſes Verlöbniß zu Stande bringen helfen, daher er billig beim Brauttrunke ſich mitfreuen durfte. Die vergnügte Miene des Müllers verrieth es, und derbe Andeutungen der andern Verwandten ſagten es noch lauter, daß die Braut Batzen habe. Ehe die Gäſte ſich ſetzten, fand eine lange Begrüßung ſtatt, bei welcher der Sonnen¬ wirth in ehrerbietigerem Tone als gewöhnlich und die Sonnenwirthin mit ſauerſüßem Geſichte dem Müller Glück wünſchten. Ja ja, ſagte dieſe, jetzt habt Ihr das recht 'Waſſer auf Eure Mühle gefunden; der Silberbach, nicht wahr, der wird ſie beſſer treiben, als der Ebers¬ bach? Die ganze Verwandtſchaft lachte ſehr geſchmeichelt zuſammen. Nun trat auch Friedrich zu dem jungen Manne, den er trotz jener Huſarenjagd wohl leiden konnte, obgleich er in letzter Zeit mit ihm, der ſehr eingezogen lebte, nur ſelten in Geſellſchaft geweſen war. Er ſchüttelte ihm die Hand, begrüßte die Braut gleichfalls, und brachte ſeinen Glückwunſch mit wenigen aber herzlichen Worten an. Jetzt thu' Wein her, Frieder, und das nur g'nug! ſagte der Müller. Heut laſſ 'ich alle Gäng' los! Du mußt auch mitthun, wir haben ſchon lang nicht mehr mit einander getrunken.

Ja, ich will ſo frei ſein, erwiderte er freundlich und eilte in den Keller.

Ihr habt heut 'n Glückstag gehabt, Herr Sonnenwirth, begann der Bräutigam, als die Geſellſchaft, den Wirth und ſeine Frau mit eingeſchloſſen, an dem runden Tiſche Platz genommen hatte. Ich bin nicht dabei geweſen, hab's aber gehört. Und der Frieder, das iſt ja ein Kerl wie ein Löw'! Nun, der hat die Wurſt nach der Speckſeit 'ge¬ worfen; der Herzog wird ſich's hinter die Ohren geſchrieben haben.

Der Sonnenwirth erzählte unmuthig, wie ſein Sohn das ihm zu¬ geflogene Goldſtück verſchmäht habe. Die Geſellſchaft hörte mit Ver¬ wunderung und Kopfſchütteln zu. Die junge Braut lachte überlaut. 247Dies ärgerte zwar den Sonnenwirth ein wenig, doch glaubte er darin ein Zeichen von vielem Menſchenverſtand erkennen zu müſſen.

Ja, er iſt ſein Lebtag ein beſonderer Kopf geweſen, ſagte der Bräutigam. Aber das muß man ihm doch laſſen, hilfreich iſt er und meint's vielmals gut. Denkt's Euch noch, wo er die Schramm 'her hat, die man immer noch auf ſeiner Stirn ſieht? Da iſt einmal der Todtengräber mit ſeinem Weib und ſeinem Mädle am Burggarten' runtergefahren, haben ein Wägele mit Heu, glaub 'ich, geführt, und wie eben die Leut' vergeßlich ſind, oder vielleicht auch aus Armuth haben ſie keine Kette bei ſich gehabt, und ein mageres Kühle vorge¬ ſpannt, und haben die Weibsleut 'den Radſchuh machen müſſen, wie's auch ſonſt im Leben oft vorkommt.

Die Geſellſchaft lachte. Iſt auch oft nöthig, rief eine rüſtige dicke Frau, die für die Braut den Mund aufthat. Wenn ein Mann Kopf über Kopf unter bergabe will, ſo thut's ihm wohl Noth, daß er ein tüchtigs Weib hat, das ihm den Rappen anhält und den Wagen ſperrt.

Ueber das, fuhr der Müller fort, iſt das Wägele in Schuß kom¬ men, das Kühle hat's nicht mehr verheben können, und wer weiß wie's gangen wär ', da kommt auf einmal der Frieder des Wegs daher, ſieht den Unſtern und ſpringt bei, er iſt ſchier kaum ſechszehn Jahr' alt geweſen. Anhalten hat er das Wägele auch nicht mehr können, aber 'rum hat er's ſammt dem Kühle geriſſen, ſo daß das Rad am Mäuerle aufgefahren iſt und am Vorſprung feſtgeſeſſen. Kuh und Wagen und Leut', keinem hat's was gethan, aber den Frieder hat's mit der Stirn an die Mauer hingeſchlenkert, daß man ihm hätt 'mit einer Latern' in Kopf hineinzünden können.

Ja, ich weiß wohl noch, wie man mir den gottloſen Buben halb¬ todt in's Haus 'bracht hat, ſagte der Sonnenwirth.

Die Thüre ging auf und Friedrich erſchien mit den Flaſchen. Der Müller, der ſich entweder ſehen laſſen oder auch vielleicht das Geſpräch noch länger fortſetzen wollte, rief: Was, das iſt Alles? Gleich wieder in Keller! Der ganz 'Tiſch muß vollgepfropft ſein. Kann dir nicht helfen, Friederle, heut muß ich dir müde Füß' machen.

O ich thu's ja gern, rief Friedrich und eilte wieder in den Keller.

248

Ich hab 'oft zu mir geſagt, hob der Müller wieder an, aus dem Buben kann noch was werden.

Im Guten oder im Böſen, erwiderte der Sonnenwirth. Ich hab's auch ſchon gedacht, daß er nichts Halb's werden will. Seit einiger Zeit aber hat er ſich ganz auf die eine Seit 'geneigt. Ihr wiſſet's ja ſelber, wie er mir Verdruß und Bekümmerniß macht.

Darin will ich ihm den Kopf nicht heben, ſagte der junge Müller, indem er ſeine Braut zärtlich anſah. Beſſer iſt beſſer, das weiß ich. Aber wenn die Sach 'eben einmal ſo weit iſt, wie bei dem Frieder ich ſag's ganz unmaßgeblich, Herr Sonnenwirth, ich red' bloß von mir wenn ich 'n Sohn hätt', und er ging 'in ſolchen Schuhen und wollt' eben um Gottes oder's Teufels Willen ſeinem Schatz Wort halten und ſein Kind vor Elend bewahren ich weiß nicht, was ich that, aber ſo viel müßt 'ich mir doch immer ſagen: das Kind, das iſt dein Enkel.

Unſer Herrgott wird davor ſein, daß dir ſo was zuſtoßt, ſagte die dicke Frau, welche die Sprecherin machte, mit ſcharfbetonter Mißbilli¬ gung. Hätt'ſt wenigſtens gleich dazu ſagen ſollen: Unbeſchrieen! An einem Tag, wie der heutig ', mußt kein ſo Ding reden.

Der Bräutigam wurde gewahr, daß er einen großen Bock geſchoſſen. Er wandte ſich zu ſeiner Braut, welche blutroth geworden war, und flüſterte ihr unausgeſetzt gute Worte zu, ohne weitern Antheil an dem Geſpräch zu nehmen. Anfangs ſchien ſie etwas ſcheu und widerwillig zu ſein, auch zog ſie den Arm weg und rückte ein wenig, wenn er ſie berühren wollte; nach und nach aber ließ ſie ſich wieder begütigen.

Das wär 'mir eine neue Erziehung, nahm die Sonnenwirthin nach der Tadlerin das Wort, wenn des Menſchen Eigenſinn Gottes Will' heißen müßt '. Des Teufels Will', ja, das iſt recht geſagt. Sie ſah ſich im Kreiſe um und begegnete, wenigſtens bei den weiblichen Mitgliedern deſſelben, lauter beifälligen Geſichtern.

Herr Sonnenwirth! begann ein alter Fuhrmann, der beinahe un¬ beachtet in der Ecke am andern Fenſter ſaß und dem Geſpräche ſehr aufmerkſam zugehört hatte: Laſſet ein Wort mit Euch reden und gebet Eurem Sohn das Mädle, daß das Geſchrei unter den Leuten einmal aufhört. Bei Kanſtatt drunten hab 'ich einen ähnlichen Fall erlebt. Da hat auch ein Wirthsſohn eine arme Taglöhnerſtochter geheirathet,249 und die ganz' Verwandtſchaft iſt dagegen geweſen, aber er hat's durch¬ geſetzt, warum? Weil er Herr im Haus geweſen iſt nach ſeines Vaters Tod. Es iſt aber ganz gut gerathen. Anfangs, freilich, hat man auch dem Teufel ein Bein brechen müſſen, denn die jung 'Frau hat ein wenig hochmüthig ſein wollen auf ihr fein's Geſicht und ihren neuen Stand, und hat dabei natürlich von der Wirthſchaft nichts verſtanden und der Schwieger nicht folgen wollen; aber der Mann iſt geſcheid geweſen und hat zu ſeiner Mutter gehalten und ſein Weib links und rechts hinter die Ohren geſchlagen, bis ſie parirt hat. Jetzt geht's, und die Einkehr bei der, ſchönen Wirthin iſt groß, und die Mutter, die früher am ärgſten gegen die Heirath geweſen iſt, ja, die trägt jetzt ihre Tochter ſchier auf den Händen.

Das paßt wie eine Fauſt auf ein Aug ', lachte die Sonnenwirthin. Freilich, wenn ein Vater todt iſt, da kann ihm ſein Sohn ſein' Sach 'und ſeinen Namen verſchimpfiren, und Niemand fragt darnach. Aber ſo lang der Vater am Leben iſt, wird er doch auch noch dreinreden dürfen, wenn ihm der Sohn Schimpf und Schand' in's Haus brin¬ gen will.

Herr Sonnenwirth! ſagte der hartnäckige Fuhrmann, ohne die Einrede der Frau zu beachten, Ihr müſſet ja doch einmal abfahren und dann kutſchirt Euer Sohn. Wollet Ihr ihm auf dem Bock ſitzen bleiben und ihn ſein Leben lang ſpazieren führen? Das geht ja doch nicht an, drum gebet nach, ſo lang's noch Zeit iſt und eh's zum Aeußerſten kommt. Denn ich kenn 'Euch Beide: 's hat Jeder von Euch ein Sperrholz im G'nick.

Recht ſo! ſagte die Sonnenwirthin, alſo ſoll der Sohn dem Vater das G'nick brechen!

Der Sonnenwirth, der eine Weile etwas unſchlüſſig dreingeſchaut hatte, fuhr auf. Vom Sterben hörte er gar nicht gern reden, eine Rüge war auch nicht nach ſeinem Geſchmack, und der etwas herbe Ton des alten Mannes, den er zwar ſeit vielen Jahren kannte, reizte ihn ſo, daß es nur einer kleinen Nachhilfe von ſeiner Frau bedurfte, um ihn in Harniſch zu jagen. Ick brauch 'das Geſchwätz nicht, ſagte er kurz angebunden, brauch' mir in meinem Haus nichts befehlen zu laſſen. Hier bin ich Herr.

Adje, Herr Sonnenwirth, antwortete der Alte, indem er ſich mit250 gemeſſener Eile erhob und der Thüre zuging: 's gibt noch mehr Wirthshäuſer in Ebersbach.

Mein'twegen! rief der Sonnenwirth.

Der Alte ging hinaus, nachdem er der Geſellſchaft Adje beiſammen! zugerufen hatte. Draußen traf er auf Friedrich, der die Treppe lang¬ ſam und nachdenklich heraufkam. Frieder, ſagte er zu ihm und legte ihm die Hand auf die Schulter, wir kennen einander ſchon lang, ich hab 'dich oft' rumtragen, wie du noch klein geweſen biſt, und hab 'dich auf meine Gäul' ſitzen laſſen.

Ha freilich, Bot '! erwiderte Friedrich aufgeheitert. Wir ſind immer gut Freund' geweſen. Wißt Ihr's nimmer? Ich hab 'Euch ja ein¬ mal den Wagen ausplündert, dem langen Mathes, dem Knecht, zum Torten.

Weiß wohl, Friederle, dir iſt aber auch mancher Tort geſpielt worden, und mein kleiner Finger ſagt mir, es ſtehen dir noch ärgere bevor. Komm, Frieder, komm du mit mir. Alt bin ich, kein Kind hab 'ich nicht, mein Handwerk kennſt du ich will dich annehmen. Ich ſpür's, deines Bleibens iſt nicht mehr in dem Haus da, es thut nicht lang mehr gut. Komm mit mir, ſag' ich. Du kennſt mich: ich halt 'dich rauh, wie ich ſelber bin und wie's bei meinem Weſen her¬ geht, aber ich halt' dich wie ein Vater.

Botenjakob! ſtammelte Friedrich betreten und zögernd, das iſt ein Wort, das alles Danks werth iſt aber Ihr werdet mir's gewiß nicht verargen, wenn ich ſag ': es will überlegt ſein. Was ſollt' denn aus meiner Chriſtine werden?

Mein Fuhrweſen, ſagte der Alte, trägt dich und mich, aber ein Haus voll Kinder trägt's nicht mehr, ſeit die Straß 'durch's Rems¬ thal verbeſſert iſt, und du kannſt mir nicht zumuthen, daß ich in mei¬ nem Alter noch Hunger leiden ſoll.

Wie könnt 'Ihr mein Fragen ſo auslegen? unterbrach ihn Friedrich tief verletzt. Haltet Ihr mich im Ernſt für ſo undankbar und un¬ verſchämt?

Nein, nein! verſetzte der Alte mit ſanfterer Stimme. Mußt nicht gleich ſo auffahren, wie dein Vater. Man red't ja nur. Deine Chriſtine wirſt freilich nicht mitnehmen können, aber wenn ich einmal251 ſterb ', ſo ſitz'ſt in meinem ganzen Brod und kannſt ſie holen. Sag' dir's ſelber, ob du hier auch nur ſo viel vorausſehen kannſt.

Friedrich hielt ſeine Flaſchen krampfhaft feſt. Es arbeitete mäch¬ tig in ihm. Der Vorſchlag, das erkannte er wohl, war ein rettender Ausweg, aber er wurde ſo plötzlich und unvorbereitet damit überraſcht, daß ſein ſonſt ſchneller Geiſt wie gelähmt war. Wohl hatte er mit leichter Zunge von Verzicht auf ſeines Vaters Haus und Erbe ge¬ ſprochen, aber jetzt, wo die Wirklichkeit ihn auf die Probe ſtellte, ſchien ihm der Schritt doch ziemlich ſchwer.

Der Alte, der ſeinen Kampf beobachtet hatte, fuhr fort: Wenn du nicht willſt, ſo hilf mir wenigſtens meine Gäul 'aus dem Stall bringen.

Die ſind aber noch lang nicht ausgeruht, ſagte Friedrich, ſie wer¬ den noch nicht einmal ganz gefreſſen haben.

Ich bleib 'auch noch im Ort, murrte der Alte.

Was? rief Friedrich, der erſt jetzt den Sinn der Rede begriff, Ihr wollet die Sonne aufgeben, wo Ihr mehr als zwanzig Jahr 'lang Gaſt geweſen ſeid? Wer vertreibt Euch denn?

Die Sonne ſcheint mir zu heiß für meine alte Tag ', ich will's im Stern probiren. Mach' nur vorwärts, ich will mir nicht zum zweitenmal ausbieten laſſen in dem Haus da. Ich ſchwätz 'viel zu lang, hab' in acht Tag 'nicht ſo viel Wort' gemacht.

Nein, Jakob, ſagte Friedrich, ſo gern ich Euch in Allem zu Willen wär ', das thu' ich nicht. Hat mein Vater Euch beleidiget oder gar Euch das Haus verboten, und vielleicht um meinetwillen, denn ſo was ſchwebt mir vor, ſo will ich wenigſtens keinen Finger dazu rühren, daß mein Haus um einen Freund ärmer wird. Wenn Ihr durchaus fort wollet oder müſſet, was Ihr ſelber am beſten verſtehen werdet, ſo müſſet Ihr den Knecht zu Hilf 'nehmen. Ich führ' Euch keinen Gaul aus'm Stall und Ihr werdet mir glauben, daß mir's dabei nicht um den Nutzen iſt.

Der Alte fuhr ſich mit dem rauhen Rücken der Hand über die Augen. So eine abſchlägige Antwort, ſagte er, muß ich mir gefallen laſſen. Aber ich wiederhol's noch einmal: komm mit mir, und komm gleich. Nicht daß mich's nachher reuen könnt ', aber ich ſpür', 's iſt ein Unglück im Anzug. Du weißt, in mir iſt ein Geiſt, der mir252 ſchon manchmal etwas vorausgeſagt hat. Es kann auch nicht anders ſein: wenn's der Ein 'hebt und der Ander' nicht fahren läßt, ſo muß es zuletzt ein Unglück geben. Schmeiß 'deine Butellen hin, ſetzte er haſtig drängend hinzu, und geh' mit, wie du gehſt und ſtehſt. Komm, nimm die Hand, die ich dir biet ', ſo eine Gelegenheit kommt nicht zum zweitenmal.

Friedrich lächelte ein wenig, denn er glaubte ſich zu erinnern, daß nicht alle Unglücksprophezeiungen des Alten eingetroffen ſeien. Auch glaubte er kaum zweifeln zu können, daß zu der guten Geſinnung, die derſelbe gegen ihn ſelbſt hegte, ſich einige Racheluſt gegen ſeinen Vater geſellt habe. Jakob, ſagte er, in Stern mit Euch zu gehen, daraus würd 'ich mir unter andern Umſtänden gar nichts machen, denn der Stern iſt mir ein ganz honnett's Haus. Aber bedenket: wenn ich Euch, nach dem was zwiſchen Euch und meinem Vater vorgefallen ſein muß, gleichſam aus der Sonne in den Stern ausziehen hülf' und vom Stern aus mit Euch fortzög ', um meinem Vater und Vaterhaus gleichfalls Valet zu ſagen wie arg thät' man mir das 'rumdrehen! Euer Anerbieten, ich ſag's noch einmal, iſt tauſend Danks werth und verdient alle Ueberlegung, und daß ich gern bei Euch bin, das wiſſet Ihr ja ſchon lang. Aber ſo im Hui kann ich nicht mit. Ich kann den Wein nicht auf den Boden ſchütten, wie ich heut ſchon einmal gethan hab', denn ich hätt 'jetzt nicht ſo viel Geld um ihn zu zahlen, und möcht' Euch doch auch nicht gleich zum Anfang für mich in un¬ nöthige Koſten bringen. Und dann, wenn ich jetzt fortlief ', während noch der Georg mit ſeiner Braut da iſt, ſo thäten die Leut' natürlich ſagen, ich hab 'mich dran geſpiegelt und geſchämt und hab's nicht ausgehalten neben ſo einem vernünftigen, braven, rechtſchaffenen, rei¬ chen Paar, und was dergleichen Zeugs iſt. Ich ſeh' Euch ja fort¬ fahren, denn wenn Ihr auch aus'm Stern abfahret, ſo müſſet Ihr doch da vorbei, und dann geb 'ich Euch auf alle Fäll' das Geleit ', wie einem Vater, und wir reden weiter mit einander. Darum ſag' ich Euch jetzt auch nicht Adje.

Er thut's nicht, brummte der alte Mann, während er die Treppe hinunterſtieg. Der Stolz läßt's ihm nicht zu. Es iſt Einer wie der Ander '.

Es war hohe Zeit, als Friedrich mit den Flaſchen in die Stube253 geeilt kam; denn der Vorrath von vorhin war bereits ausgetrunken. Doch fand er die Geſellſchaft in munterer Unterhaltung begriffen. Sein Vater hatte den Familienpokal geholt, aus welchem der Herzog heute getrunken; derſelbe ging von Hand zu Hand und mußte dann noch einmal gefüllt die Runde machen, da Jedes einen gewiſſen Reiz dabei empfand, das Gefäß, das die landesherrlichen Lippen berührt hatten, an den Mund zu ſetzen. Von dem Herrn ſelbſt ſprach man in verdeckten Wendungen und halben Andeutungen, wie jung er noch ſei und wie lebensluſtig, und wie viel man noch von ihm hoffen könne, wenn er einmal älter ſein werde; denn die Menſchen bauen ja ſtets auf die Zukunft: bei der Jugend bauen ſie auf das Alter und beim Alter auf die Jugend Derer, die dem folgenden Geſchlecht angehören werden. Aber auch von der Gegenwart wurde geſprochen, von den Frucht - und Brodpreiſen und ähnlichen Gegenſtänden, die Keinem ge¬ ring ſcheinen dürfen, weil bei der allgemeinen Ernährung Alle be¬ theiligt ſind. Gleichwohl zeigte der Sonnenwirth, der ſich um dieſe Dinge ſonſt oft mehr bekümmerte, als um manche andre noch wich¬ tigere, heute auffallend wenig Sinn dafür. Die Brautſchaft des jungen Müllers und die Vergleichung derſelben mit der Liebſchaft ſeines Soh¬ nes war es, was ihm beſtändig im Kopfe herumging. Die Braut gefiel ihm über die Maßen wohl. Der herrſchenden Sitte gemäß ſprach ſie äußerſt ſelten, beinahe nur wenn ſie gefragt wurde; und es däuchte dem Sonnenwirth früh genug, wenn Eine erſt als verheirathete Frau das Maul brauchen lerne . Was ſie ſprach, das ſchien ihm eine Heimath zu haben ; und es klang auch mitunter ſo rund wie ein harter Thaler. Bei luſtigen Anläſſen brach ſie in ein ſchallendes Gelächter aus, das ihm zu ihren weißen Zähnen und derbrothen Wangen ganz prächtig zu ſtehen ſchien. Von der Braut mußte er wieder auf den Bräutigam blicken, der in der Fülle ſeines Glückes neben ihr ſaß und das einemal leiſe Liebesworte mit ihr wechſelte, das andremal wieder lebhaft zu der Unterhaltung der Geſellſchaft bei¬ trug, deren Bewirthung er übernommen hatte. Der Sonnenwirth er¬ innerte ſich, daß er dieſem jungen Manne einſt ſeine Tochter vorent¬ halten, und konnte gar wohl ermeſſen, daß in der Ehre, die er ihm mit ſeinem Beſuch anthat, auch eine kleine Bosheit verborgen ſein mochte, daß er da, wo man ihn einſt, wenn auch in noch ſo leiſer und254 unbeſtimmter Weiſe, verſchmäht hatte, ſich jetzt als gemachter Mann zeigen wollte; ja, die Zärtlichkeiten, die er ſeiner Braut erwies, gaben manchmal dem Sonnenwirth einen Stich durch's Herz, als ob ſie wie ein Spott auf ihn gemünzt wären. Er dachte aber nicht daran, um wie viel beſſer er ſeine Tochter verſorgt haben würde, wenn er ihr dieſen nach ſeinem eignen Geſtändniß ſo wackern, fleißigen und angenehmen jungen Mann hätte zu Theil werden laſſen, und welch 'ein gutes Beiſpiel für ſeinen Sohn ein Schwager geweſen wäre, der, gleichfalls jung und der Lebensfreude nicht abhold, doch das Erfreu¬ liche im Nützlichen zu ſuchen und bei ſeiner Wahl, wie es wenigſtens ſchien, Liebreiz mit Verſtand und Reichthum vereinigt zu finden wußte. Er dachte nur daran, daß ſein Sohn in allen Stücken das Gegentheil von dieſem jungen Manne, daß deſſen Braut, ſo ſehr ſie ihm und eben weil ſie ihm gefiel, ein wahres Spottbild auf die Wahl ſeines Sohnes vorſtelle. Friedrich indeſſen dachte an gar nichts als an ſeine und Chriſtinens verzweifelte Lage, an den niederſchlagenden Brief des Advocaten, von dem er kaum hoffen konnte, daß er reinen Mund halten würde, und an den liebreichen Antrag des alten Boten, der ihn ſo ſeltſam beſtürmt hatte. Während ihn dieſe Gedanken unauf¬ hörlich beſchäftigten, mußte er dazwiſchen, von Georg aufgerufen, der ihn durchaus heiter ſehen wollte, mit der Geſellſchaft ſchwatzen, einmal über das andre Beſcheid thun, auf das Geheiß des ſplendiden Bräu¬ tigams Wein aus dem Keller holen, wieder ſchwatzen und lachen und immer wieder trinken, ſo daß er zuletzt kaum mehr wußte, ob er ſei¬ nen Kopf oder das Mühlrad ſeines Freundes auf den Schultern habe.

Wie es gerade in lebhafteren Geſellſchaften nicht ſelten vorkommt, war nach einer Reihe ernſthafter Geſpräche und luſtiger Späße auf einmal die Unterhaltungsſpule abgelaufen, und es entſtand jene Stille, während welcher jedes Mitglied ſich den Kopf zu zerbrechen pflegt, um wo möglich einen neuen Stoff zur Verarbeitung aufzutiſchen. Der Sonnenwirth, der den Wein gleichfalls ſpürte, hielt ſich vor Allen als Wirth und Hausherr verpflichtet, in die Lücke zu treten, und der An¬ laß zu einer Aeußerung lag ihm nur allzu nahe. Hatte ihm der Bräutigam vorhin, wohl mehr aus Höflichkeit als Ueberzeugung, wie ihn däuchte, ſeinen Sohn gelobt, ſo glaubte er dieſe ſchmeichelhaften Reden jetzt im entgegengeſetzten Sinne erwidern zu müſſen. Das255 muß ich ſagen, begann er, ſo ein fein's Brautpaar hab 'ich lang nicht an meinem Tiſch gehabt; da muß Einem ja das Herz im Leib drob lachen! Dann ſprach er die vortheilhafte Meinung aus, die er von den beiden jungen Leuten hegte, und ſpendete beſonders der Braut ein derbes Lob, das ſie mit Erröthen, jedoch keineswegs unwillig, hin¬ nahm. Nun aber wendete er ſich gegen ſeinen Sohn. Da kannſt jetzt ſehen, ſagte er zu ihm, wie viel Freud', anſtatt ſo viel Verdruß, du mir hätt'ſt machen können, wenn du mir ſo ein brav's Weibsbild in's Haus bracht hätt'ſt, ſtatt dem Menſch, mit dem du dich ver¬ gangen haſt.

Jetzt kommt's! dachte Friedrich, aber er hielt an ſich und ſah finſter ſchweigend vor ſich hin.

Es muß eben auch Schatten in der Welt geben, bemerkte die Sonnenwirthin ſpöttiſch, ſonſt thät 'man ja bei dieſen Worten deutete ſie auf die Braut das Licht nicht ſehen.

Laſſet's gut ſein, Herr Sonnenwirth und Frau Sonnenwirthin! ſagte der Bräutigam begütigend. Wir ſind ja ſo vergnügt bei einan¬ der. Komm, Frieder, ſtoß 'an mit mir: dein Wohl und unſer Leben lang lauter gut Ding!

G'ſegn 'dir's Gott, Georg! erwiderte Friedrich. Obwohl du ein Kind des Lichts biſt, ſetzte er bitter lächelnd hinzu, ſo will ich doch in meiner Finſterniß auf dein und deiner Braut Wohl trinken und will dir wünſchen, daß ſie dir immer ſo lieb bleiben mög', wie meine Chriſtine mir.

Die Braut machte ein ſaures Geſicht. Die Sonnenwirthin ſtieß ein grelles Gelächter aus, in das der weibliche Theil der Geſellſchaft halblaut einſtimmte, indem ſie einander unwillig anſahen.

Ich laſſ 'meine Gäſt' nicht beleidigen! fuhr der Sonnenwirth zornig auf.

Ich hab 'Niemand beleidiget, erwiderte ſein Sohn mit kalter Stimme, während ſeine blauen Augen immer wilder blitzten.

So eine Vergleichung, rief die Sonnenwirthin mit aufreizendem Tone, die ſoll keine Beleidigung ſein! Die Weiber nickten ihr lebhaft zu. Der Bräutigam ſchwieg verlegen: er ſah ein, daß er den Freund, mit dem er ſo eben noch angeſtoßen, nur auf Koſten ſeiner Braut vertheidigen könnte.

256

Was! ſchrie der Sonnenwirth, ſo eine rechtſchaffene Perſon ver¬ gleichſt du in meinem Haus mit einer

Vater! unterbrach ihn Friedrich mit dem Tone der Verzweiflung und ſtand auf: ich bitt 'Euch um Gotteswillen, ſeht Euch vor und hütet Eure Zung'! Ich hab's einmal für allemal erklärt und ge¬ ſchworen, daß ich ſie nicht 'runterſetzen und ſchlecht machen laſſ', weder von Vater noch Mutter. Sie iſt mein Weib vor Gott, und was ich geſchworen hab ', das halt' ich, müßt 'man auch in Ebersbach etwas er¬ leben, dergleichen ſeit Menſchengedenken nicht geſchehen iſt.

O du blutrünſtiger Heiland, er droht ſeinem leiblichen Vater! rief die Sonnenwirthin, indem ſie die Hände zuſammenſchlug. Die Weiber ſtießen Laute des Grauens und Entſetzens aus.

Der Sonnenwirth, der ſich gleichfalls erhoben hatte, ſtand in un¬ gewiſſer Haltung an die Stuhllehne angeklammert, ſchoß aber wüthende Blicke nach ſeinem Sohne. Er fürchtete ihn, weil er ihn zu Allem fähig glaubte, und eben dieſe Furcht erhöhte ſeine Wuth.

Vater, begann Friedrich wieder, nach der Wand deutend, wo neben dem Bilde des jungen Herzogs das Bild des Gekreuzigten hing, und ſeine Stimme, die er zu mildern ſuchte, zitterte: Vater, ſehet Ihr Ihn, der nicht ſchalt, da er geſchlagen ward, und nicht dräuete, da er litt? Ich will ihm ja gern nachfolgen, ſo gut ich's kann. Wälzet Berg 'auf mich von Schimpf und Schmach, ich will nicht widerbellen, will's tragen als Euer Sohn. Aber auf mein Weib laſſ' ich nichts kommen, eh 'mag das größt' Unglück draus entſtehen. Und leſet im Teſtament, Vater: hat Er nicht ſeine eigene Verwandtſchaft verleugnet und geſagt, die ſeien ſeine Eltern, Brüder und Schweſtern, die ſein Wort hören und den Willen Gottes thun? Iſt aber das Gottes Will ', die Ar¬ muth verachten und unterdrücken? Und iſt er nicht auch ſcharf ge¬ weſen? Hat er nicht mit der Geißel ausgefegt? Hat er nicht die ewig' hölliſch 'Verdammniß ausgegoſſen über die, ſo ſein Volk betrübt und den Armen und Wittwen ihre Häuſer gefreſſen und langes Gebet vorgewendet haben? Und was hat er geſagt, wie ſie die Eh'brecherin vor ihn bracht haben, die doch gewiß eine größere Sünderin geweſen iſt, als mein Weib? Wer unter euch ohne Sünde iſt, hat er geſagt, der werfe den erſten Stein auf ſie.

257

Der kann predigen! ziſchelte die Braut mit unterdrücktem Kichern gegen ihren Bräutigam hin. Friedrich, der es gehört hatte, warf ihr einen Blick der Verachtung zu.

Man ſollt 'ſchier gar glauben, ſagte die Sonnenwirthin mit äzen¬ dem Spott, wir haben da den lieben unſchuldigen Heiland in unſrer Mitte verzeih' mir Gott die Sünd '. Ich hab' aber nirgend in der Bibel geleſen, daß er ſo zu ſeinem Vater geredt hat.

Der Sonnenwirth war eine Zelt lang ſprachlos und außer ſich. Die Anrufung der Religion, als Anklägerin wider ihn, machte ihn raſend; gleichviel ob ſein Sohn mit Recht oder Unrecht zu dieſem Mittel gegriffen es erſchien ihm als Bruch der letzten Schranke kindlicher Scheu. Ich brauch 'weder' n Hauspfaffen, noch 'n Haus¬ dieb! ſchrie er: wenn ich eine Predigt brauch', ſo will ich ſie in der Kirch 'vom Pfarrer hören, und nicht von ſo ſo . Die Stimme verſagte ihm. Der Bräutigam und die andern Männer, die an der Haltung von Vater und Sohn erſahen, daß es Ernſt wurde, ſprangen dazwiſchen und ſuchten zu vermitteln, indem Alles zu gleicher Zeit zuſammenſchrie. Aber bei dem Vater hatte Wein und Wuth über die Furcht geſiegt und vielleicht gab ihm auch das Dazwiſchenſpringen der Männer, das ihn von ſeinem Sohne trennte, ein Gefühl der Sicherheit. Er fuhr in den höchſten Kehltönen, blauroth im Geſicht, zu toben und zu ſchimpfen fort, und durch den ohrzerreißenden Lärm der Andern drang von Zeit zu Zeit ſeine Stimme vernehmlich durch. Ich laſſ' mir in meinem eigenen Haus von Niemand befehlen ich ſag 'was ich mag und was ich ſag' iſt wahr ſie iſt ein ſchlecht's Menſch er hatte ſich Bahn zum Tiſche gebrochen und ſchlug mit der Fauſt darauf, daß Flaſchen und Gläſer tanzten und umfielen ein ſchlecht's Menſch, ſag 'ich ein ganz ſchlecht's, ſchlecht's, ſchlecht's

Seine Stimme überſchnappte und zugleich erſtarb ihm noch aus einer andern Urſache das Wort im Munde, denn mit weit geöffneten Augen zurückbebend ſah er, daß ſein Sohn das Meſſer gezogen hatte, und ihm mit der funkelnden Klinge gegenüber ſtand. Die Weiber kreiſchten fürchterlich, die Männer wogten hin und her und wichen theils zurück. Mit wild rollenden Augen war der Unglückliche vor¬ getreten, die Spitze des Meſſers nach ſeinem Vater gekehrt: wennD. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 17258man der Leidenſchaft in ihrem vollen Ausbruche zutrauen darf, daß ſie noch einen Reſt von Beſinnung in ſich birgt, ſo kann man wohl nicht zweifeln, daß er froh geweſen wäre, ſich durch irgend ein da¬ zwiſchenplatzendes Hinderniß die Haltung ſeines blinden Eides unmög¬ lich gemacht zu ſehen. Auch wurde ihm dieſer Wunſch, wenn er vor¬ handen war, erfüllt. Der Müllerknecht, hinter welchem die Andern allmählich zurückgewichen waren, ſprang ohne Weiteres auf ihn zu und packte ihn kräftig am Arme, um ihn zurückzuhalten. Meſſer weg! ſchrie er, gleichfalls entbrannt, mit zornig gebietender Stimme und wildem Blick aber ehe er vollenden konnte, hörte man aus dem Munde des Wüthenden einen tollen Schrei, ſah ſeinen Arm mit dem Meſſer zucken, und das Blut ſchoß dem zurücktaumelnden Knechte am Arme herab. Die Sonnenwirthin ſtürzte aus der Stube: Feurio! Mordio! Feurio! ein Dieb! ein Mörder! hörte man ſie nach einem Augenblick auf der Straße ſchreien, daß es durch die ganze Nachbarſchaft gellte. Unten und oben erſchallte verworrenes Geſchrei. Die Gäſte, den Sonnenwirth in der Mitte, ſtürzten der Frau vom Hauſe nach. Die Braut ließ ſich, an ihrem Bräutigam hängend, von dieſem mit fort¬ ſchleppen und weinte überlaut über die böſe Vorbedeutung dieſes Un¬ glückstages. Der Bräutigam wollte den Getroffenen mit ſich ziehen, aber dieſer riß ſich los und blieb ſteif und ſtarr vor ſeinem Angreifer ſtehen, während ihm das Blut fortwährend vom Arme niedertroff.

Friedrich kam wie aus einer langen Betäubung zu ſich und ge¬ wahrte, daß er mit dem Knecht allein in der Stube war. Er hatte das Meſſer noch immer in der Hand. Da nimm's, ſagte er zu dem Opfer ſeines Jähzorns, und ſtich mich über den Haufen, du thuſt ein gut's Werk.

Der Knecht wies das dargebotene Meſſer zurück. Ich bin kein Mörder wie du, ſagte er, während ſeine gläſern gewordenen Augen ſich nach und nach wieder belebten.

Peter! um Gotteswillen! hat's dir was gethan? rief Friedrich, dem ſeine That erſt jetzt zum klaren Bewußtſein kam. Laß mich ſehen, komm, ich will dich verbinden, du verblut'ſt dich ja.

Der Knecht ſtieß ihn zurück. Iſt ſchon recht, murmelte er, 's iſt recht, ja, ja ſein 'Wohlthäter ſtechen iſt eine neue Art ſeine Schulden zu zahlen 's iſt aber recht ich will dich finden 259 ja, ja! 's iſt recht, iſt ganz recht. Er wiederholte dieſe Worte wohl ein Dutzendmal, während er langſam aus der Stube ging und erſt jetzt daran dachte, ſeinen verwundeten Arm mit der andern Hand zuſammenzuhalten.

Friedrich blieb allein und wie verhext in der Stube zurück. Er blickte auf den Tiſch, der ſo eben noch voll Menſchen geweſen war, dann auf das Meſſer in ſeiner Hand, dann auf das Bild des Ge¬ kreuzigten, zu dem er vorhin emporgedeutet und dem er nachzufolgen gelobt hatte. War das eine Nachfolge? ſagte eine Stimme in ihm. Er hatte gelobt, jede Schmähung zu dulden, die nur über ihn ſelbſt ausgeſchüttet würde, und dieſer Arme hatte nicht einmal ihn, geſchweige Chriſtinen geſchmäht. Wenn auch ſeine Zunge vielleicht Schmähworte beherbergt hatte, die nur durch den Stoß des Meſſers abgeſchnitten worden waren, wenn auch der herausfordernde überlegene Ton, womit er ihm Entwaffnung geboten, ſich, wie ſeine nachherigen Worte zu zei¬ gen ſchienen, auf eine Gefälligkeit berufen wollte, die zwar eine Ver¬ pflichtung, aber keine Abhängigkeit begründet, wenn auch ein chriſtliches Verzeihen ihm fremd und fern zu ſein ſchien was war das Alles gegen einen Mörderſtreich? Stolz und Zorn dies ſagte ihm die innere Stimme mehr oder minder klar hatten ihn in einem Augenblicke zu dem Gegentheil von dem gemacht, was er den Augenblick vorher zu ſein ſich vermeſſen hatte.

Indeſſen blieb ihm wenig Zeit, ſolchen Gedanken nachzuhängen. Der Lärm vor dem Hauſe wurde ſtärker und die Anzahl der Stim¬ men mehrte ſich. Er hörte den Knecht, deſſen Betäubung allmählich in Wuth überzugehen ſchien, aus den andern Stimmen heraus brüllen: Er iſt nicht bloß ein Mörder, er iſt auch ein Dieb! ſein eigener Vater hat ihn 'n Dieb geheißen! Ja, ſchrie die gellende Stimme der Sonnen¬ wirthin, er hat ſeinem Vater Frucht geſtohlen und an ſein Menſch gehängt. Man muß ſeiner habhaft werden! rief eine neue Stimme, an welcher er den Amtmann erkannte. Ja! gellte die Stimme der Sonnenwirthin, kriegen muß man ihn, und wenn man das Haus an¬ zünden müßt'! Bald konnte er auch durch die offen gebliebene Thüre Tritte im Hausgang und auf dem untern Treppenabſatz vernehmen. Die Verfolger kamen. Das Bewußtſein, daß er es mit aufgebrachten, wüthenden Menſchen zu thun habe, entflammte auch in ihm, der kaum17 *260zuvor einem Strahl der Wahrheit und Demuth Raum gegeben hatte, von neuem die mörderiſche Wuth, zu welcher ſich nun ein unbeſtimm¬ ter Trieb, bevorſtehenden Uebeln zu entgehen, geſellte. Er flog die obere Treppe hinauf auf den Boden, wo er ſich rücklings auf einen Kaſten legte, ſein Meſſer in eine daneben ſtehende Bettlade ſteckte, und in dieſer Verfaſſung die Verfolger erwartete. Er muß auf der Bühne ſein! rief's unten und die Schaar drang herauf. Die Vorderſten waren der Amtsknecht, der Fleckenſchütz und der Fiſcher; hinter ihnen drängte es ſich auf der Treppe Kopf an Kopf. Komm mir keiner zu nah! rief der tolle Burſche und griff nach dem Meſſer. Sie ſtutzten und wichen zurück. Holet ein Gewehr! rief einer. Da iſt ſchon eins! antwortete es vom Fuß der Treppe. Her da! rief's oben: man muß nach ihm ſchießen, bis ihm der Krattel vergeht! Er fuhr von ſeinem Lager auf, ließ das Meſſer ſtecken und ſtürzte nach einem Dachladen, durch den er alsbald verſchwand. Ein Geſchrei von unten erſcholl. Er hat ſich hinuntergeſtürzt! ſchrie der Amtsknecht. Die Einen war¬ fen ſich auf das Meſſer, um ſich deſſelben zu bemächtigen, die Andern rannten nach dem Dachladen. Der Fiſcher war der Erſte, der daſelbſt ankam und den Kopf hinausſtreckte. Er zog ihn aber alsbald zurück und rief: Nein, er ſchiebt ſich das Dach hinauf und hat mich mit ei¬ nem Ziegel auf den Kopf ſchlagen wollen. Das Dach aufgehoben! ſchrieen Einige und machten Anſtalt am Sparrenwerk hinaufzuklettern; da flog durch eine Lücke ein Ziegel herein, der zwar Keinen traf, aber Alle von dem vorgeſchlagenen Unternehmen abſchreckte. Fluchend und ſchreiend verließen ſie den obern Boden und gingen auf die Straße hinunter, von wo ſie nun ſehen konnten, wie des Sonnenwirths Frieder, dem ganzen Flecken zum Schauſpiel, auf dem Dachfirſt ſeines väterlichen Hauſes ritt. Es war lächerlich und jämmerlich zugleich anzuſchauen, obgleich er ſich feſt wie im Sattel eines Pferdes hielt, ſeine Verfolger höhnte und heraufzukommen einlud. Der ganze Platz um das Haus war voll Menſchen, und aus den anſtoßenden Gaſſen drängten ſich immer neue Zuſchauer herbei. Was gibt's? was gibt's? riefen die Einen; 's iſt e 'Kuh fliegig worden! nein, e' Stier! ſchrieen Andere. Dem Sonnenwirth ſitzt ein fremder Vogel auf'm Haus! Schießet ihn vom Dach abe! Holet ihn mit der Feuerſpritz '' runter! ſo ging das Geſchrei und Gelächter durch einander. Ein Wagen, der261 auf der Straße herausfuhr, mußte Halt machen, weil ihn das Ge¬ dränge nicht durchließ. Bei den Pferden ſtand der alte Fuhrmann und blickte, traurig den Kopf ſchüttelnd, nach dem verwahrloſten Jüng¬ ling hinauf, den er hatte retten wollen. In ſeinen gefurchten Zügen malte ſich eine trübſelige Befriedigung; er nickte ein paarmal und ſagte vor ſich hin: Hab 'auch wieder einmal eine richtige Vorahnung gehabt.

Der Sonnenwirth, der ſich halbtodt ſchämte, hatte ſich mit dem verwundeten Knechte zu ſeinem Schwiegerſohne, dem Chirurgen, zurück¬ gezogen, und ſchickte dieſen, ob er dem ſchmählichen Auftritte nicht auf irgend eine Weiſe ein Ende machen könne. Der Chirurg, nachdem er die Wunde des Knechts unterſucht und verbunden, drängte ſich durch die Menge, wurde von dem Amtmann, der rathlos, was er befehlen ſollte, in der Hausthür der Sonne ſtand, herbei gewinkt und mit ei¬ nem heimlichen Auftrage verſehen, drängte ſich wieder in die Straße durch und gab Zeichen nach dem Dache, um die Aufmerkſamkeit ſeines jungen Schwagers auf ſich zu ziehen. Friedrich, der ihn mit ſeinen Falkenaugen ſchon längſt bemerkt und angerufen hatte, ohne in dem Tumult vernommen zu werden, ſchrie mit einer Stimme, die Alle übertönte: Still da drunten! Ein zorniges Gelächter der Menge ant¬ wortete ihm. Der Chirurg aber bat und beſchwor die Umſtehenden ſo lange, bis wenigſtens in der Nähe der Lärm ſich etwas legte und eine nothdürftige Stille entſtand. Herr Schwager! rief jetzt Friedrich herab: was macht der Peter?

Er iſt den Umſtänden nach ganz wohl! antwortete der Chirurg durch die vorgehaltenen Hände, mit welchen er das etwas ſchwache Erzeugniß ſeiner Lunge zu verſtärken ſuchte: die Wunde iſt gar nicht gefährlich!

Gott ſei Lob und Dank! rief Friedlich und ſchlug die Hände er¬ freut zuſammen.

Gib doch Acht! ſei nicht ſo frech! ſchrien Einige von denen, die ihm wohlwollten.

Das hat kein 'Noth! antwortete er und drehte ſich wie der Blitz herum, ſo daß er, die Kniee ſchnell wieder an das Dach anſtemmend, nach der entgegengeſetzten Seite gerichtet ſaß. Das tolldreiſte Kunſt¬ ſtück, das er in der Freude ſeines Herzens machte, rief bei der Menge262 einen Schrei des Entſetzens hervor, welchem ein ſchallendes Gelächter folgte. Grad' wie ein Aff 'auf einem Kameel! ſchrieen ſie.

Schwager, geh 'Er herunter! rief der Chirurg.

Wenn mir der Herr Schwager ſicheres Geleit 'verſpricht! ant¬ wortete Friedrich: ſonſt thut ſich's ganz wohl da oben!

Ich gebe Ihm mein Ehrenwort, daß Ihm nichts zu Leid geſchieht! rief der Chirurg hinauf.

Sein Ehrenwort?

Mein Ehrenwort!

Er verließ ſeinen luftigen Sitz mit einem leichten Ruck, der unten von einem Schrei des Schreckens und zugleich der Bewunderung be¬ gleitet wurde. Der ſitzt vom Dachgrath ab wie ein Reiter von ſeinem Gaul! ſchrie die Menge. Im nächſten Augenblick hatten ſie Urſache ihn mit einer Katze zu vergleichen, ſo leicht ſah man den behenden Burſchen auf Händen und Füßen am Dach herab rutſchen, bis er den Laden wieder erreicht hatte, durch welchen er im Nu verſchwand, noch einmal mit einem Fuße hinauszappelnd, gleichſam zu Ehren des ver¬ ſammelten Publicums, das hierüber in ein wieherndes Gelächter ausbrach.

Nach wenigen Secunden verrieth eine Bewegung der in und vor der Hausthüre ſtehenden Leute, daß in dem verlaſſenen Hauſe ſich etwas Lebendiges regte und die Treppen herunter kam. Der Amtmann flüchtete ſich in den dichteſten Schwarm heraus. Der Burſche hat heut 'Vormittag ſchon gezeigt, was er für ein gefährlicher Kerl ſein kann! ſagte er und verſammelte alsbald eine Schaar handfeſter Männer um ſich, worunter der obere Müller nicht fehlte, der durch das Ge¬ ſchrei, daß des Sonnenwirths Frieder ſeinen Knecht geſtochen habe, herbeigezogen worden war. Jetzt erſchien der Held des Tages, von Niemand um ſeinen Lorbeer beneidet, in der Hausthüre. Ruhig, als ob er nicht begreifen könne, warum die Leute ſo zuſammengelaufen, kam er heraus und ſuchte mit den Augen ſeinen Schwager, auf den er ſodann zuging. Man ließ ihn vorbei. Da bin ich, ſagte er zu dem Chirurgen: ein Mann, ein Wort. Ich halte, was ich ver¬ ſprochen habe, entgegnete der Chirurg mit ſchlauem Lächeln. Du biſt kein Mann, du biſt ein Bub'! ſchrie ihn der dabeiſtehende Richter an: dir braucht man nicht Wort zu halten! Greift ihn! befahl263 der Amtmann, und ehe der zuverſichtliche Burſche ſich's verſah, befand er ſich unter der Gewalt von mehr als zehn Fäuſten. Er wehrte ſich wie ein Eber, ſchimpfte, tobte, ſchlug um ſich, aber zuletzt erlag er der Uebermacht und wurde zu Boden geſchlagen. In dieſem Kampfe, der lange dauerte, und an welchem ſeine Widerſacher ſich wetteifernd be¬ theiligten, erhielt er jeden böſen Gruß, den er in Worten oder Werken unter ſeinen Mitbürgern ausgetheilt hatte, mit Wucherzinſen heimbe¬ zahlt. Zuletzt banden ſie ihn mit Stricken, ſo daß er ganz zuſammen¬ gerollt am Boden lag und ihnen zu den vielen Thierbildern, die ſie heute ſchon an ihm erſchöpft hatten, auch noch die Vergleichung mit dem verachteten Igel auf die Zunge legte. Etwas hat ihm ge¬ hört, ſagte der gleichfalls anweſende Heiligenpfleger, der ſich als Zahl¬ meiſter auf volle Summen verſtand: jetzt wär's aber gnug. Kuh! Narr! jetzt geht's erſt recht an, erwiderte der Richter lachend ſeinem Collegen, den er, im Range etwas höher ſtehend, dieſer vertraulichen Anrede würdigte. Fort mit ihm auf's Rathhaus! rief der Amt¬ mann. Der Gebundene wurde aufgehoben und fortgetragen. Ein Theil der Menge folgte. Andere blieben zurück und redeten noch lange mit einander über die Begebenheit, welche die alltägliche Ruhe des Fleckens völlig unterbrochen hatte.

Das iſt aber ein Menſch, Kreuzwirth! ſagte eine der auswärtigen Frauen von der Brautgeſellſchaft, die ſich jetzt dem Schauplatze näher wagte, zu einem dort ſtehenden leibarmen Manne mit kleiner ſpitzer Naſe, den wir aus der Unterredung der beiden Müller bei ihrem Friedenstrunke als den geſchlagenen Urſächer von Friedrich's zweiter Zuchthausſtrafe kennen. Das iſt ein Menſch, ſag 'ich! Hat der ſei¬ nem Vater eine Predigt gehalten und hat ihm die Bibel ausgelegt, wie wenn er der Pfarrer wär'! Es iſt mir ganz kalt aufgangen und ich hab 'mich ganz drüber vernommen. Und kaum iſt die Predigt aus geweſen, ſo hat man geſehen, wer ihn regiert: der Teufel, der Mörder von Anbeginn!

Ja, ja, Adlerwirthin, antwortete der Angeredete mit näſelnder Stimme, das hat man damals auch geſehen, wie er mich auf ſeines Vaters Anſtiften, recht wie ein Erzſpitzbub 'und Mörder, auf dem freien Feld ohne eine einzige Urſach' angefallen hat und ſo behandelt, daß ich außer Stand bin, Lebenslang einen Batzen zu verdienen.264 ohne meine tägliche viele Schmerzen, wodurch ich und mein Weib und Kind in die äußerſte Armuth verſetzt und ſamtlich verderbt wor¬ den ſind.

Nu, nu, Kreuzwirth, ſagte die Adlerwirthin aus der Nachbarſchaft, ſo gar arg iſt's doch grad nicht, wenn man die Leut 'hört. Weiß wohl, die Zeiten ſind hart; man kann ſich auch ein bisle verſpeculiren, wenn man den Nagel gar zu b'häb auf den Kopf treffen will. Und mit der Breſthaftigkeit iſt's auch nicht ſo ſchlimm: Ihr ſeid von jeher ein dünn's Pappelbäumle geweſen, und 's kann ja auch nicht Jeder ein Eichenbaum ſein.

Ja, aber mein Arm! klagte der Kreuzwirth. Der Mordbub 'hat mir ihn halb auseinander geſchlagen. Da ſehet ſelber, Adlerwirthin, wie er mir geſchweint (geſchwunden) iſt.

Die Frau ſtreifte ihm ohne Umſtände den ſchlotternden Rockärmel auf und beſah ſich den Arm mit prüfendem Blicke. Das iſt nicht die Schweine, ſagte ſie, ſeid nur ganz ruhig, das hat nicht viel zu bedeu¬ ten. Der Arm iſt eben ein wenig dürrer als der ander '. Das kommt oft vor, auch ohne Schläg'. Waſchet ihn fleißig mit ein wenig Wein oder auch mit Kirſchengeiſt, daß er wieder zu Kräften kommt. Hunds¬ ſchmalz drauf gebunden, ſoll auch gut ſein; ich hab's aber nie probirt.

Ihr ſeid ja ein ganzer Docter, ſagte der Kreuzwirth. Ja, ja, lenkte er wieder in das vorige Geſpräch ein, der Sonnenwirth hat heut 'einen ſauren Tag erlebt. Dem ſitzt gewiß kein Storch mehr auf's Dach. Aber die Zuchtruth' iſt ihm geſund, er ſoll nur fein demüthiger werden, er hat's nöthig. Das iſt mir ein Chriſtenthum, wenn man durch eigennützige Conceſſion im Metzgerhandwerk ſeinen Mitmenſchen das Brod vom Maul wegnimmt, durch Geld und Argliſt mehr Frei¬ heit im Handwerk an ſich reißt als ein anderer ehrlicher Meiſter. Nun zeigt ſich's was das fruchtet. Der Gewinner, ſagt das Sprichwort, muß einen Verthuner haben. Das Auge Gottes ſiehet Alles, höret Alles, ſtraft Alles zu ſeiner Zeit. Das Wort des großen Gottes ge¬ ſchahe zu dem Propheten Eli: Darum daß du nicht ſauer geſehen haſt zu dieſer deiner Kinder Bosheit, ſo ſoll die Miſſethat an dem Hauſe Eli nicht verſöhnet werden, weder mit Speisopfer noch Rauchopfer ewiglich, im erſten Buch Samuelis, im dritten. An den Früchten erkennet man den Baum. Kann man auch Trauben leſen von den265 Dornen, oder Feigen von den Diſteln? Jetzt hat er's und muß zu¬ ſehen, wie der Sohn ſeines Vaters ruhmwürdiges Wirthshaus blamirt. Iſt's nicht ſo, Adlerwirthin?

'S iſt eben e 'Welt, antwortete dieſe, welche ſich nicht näher in kitzliche Erörterungen einlaſſen wollte. Jetzt kann ich mich aber nicht länger aufhalten, denn es will Abend werden, heißt's im Evangelium, und der Tag hat ſich geneigt. Meine Leut' werden ungeduldig, ſie wollen fort. Ja, ja, ich komm 'ja! winkte ſie gegen ein Häuflein der Umſtehenden hin, worunter ſich die Ihrigen befanden. B'hüt' Gott, Kreuzwirth, Ihr wiſſet ja, der Menſch will eben heim.

Unterdeſſen hatte man den gefangenen Wildling in das Rathhaus geſchleppt, wo man ihn gebunden, wie er war, in ein Gelaß warf und liegen ließ. Der Burſche ſcheint mir ziemlich betrunken zu ſein, ſagte der Amtmann: er mag ſeinen Rauſch ausſchlafen, dann will ich ihn morgen Vormittag verhören. Der Herr Pfarrer wird nichts da¬ gegen haben, wenn man einmal am Sonntag Juſtiz ausübt und ein nöthiges Exempel ſtatuirt. Nun wollen wir aber gleich heute noch mit dem Allernöthigſten beginnen. Er ließ zwei Urkundsperſonen ru¬ fen und begann ſofort eifrig zu amten; denn wie der Staat im Für¬ ſten, ſo war in ihm die Gemeinde aufgegangen, ja noch weit mehr. Gleichwie ein abſterbender alter Baum, deſſen Stamm nach unten ſchon mürbe und hohl geworden iſt, doch in manchem Frühling durch ſeinen grünen Wipfel zeigt, daß die Wurzel noch friſchen Saft nach der Krone zu treiben vermag, ſo war von der alten wirtembergiſchen, aus ſchwäbiſch-deutſchem Recht erwachſenen Verfaſſung an der Spitze des Staatslebens ein Reſt zurückgeblieben, der, neben argem Scheinholz zwar, noch lebendige Beſtandtheile enthielt und dem giftigen Pfropf¬ reiſe der fürſtlichen Alleinherrſchaft empfindliche Hinderniſſe zu bereiten wußte, während das Gemeindeleben beinahe völlig vom Wurm zer¬ freſſen und ertödtet war. Die Gemeindebehörde, beſtehend in Gericht und Rath, den morſchen Ueberreſten des altdeutſchen Gleichgewichts von Gewalt und Beſchränkung, war, in den größeren Ortſchaften we¬ nigſtens, unter das Regiment eines fürſtlichen Beamten geſtellt; ſie hatte zwar nicht ganz nichts, aber doch herzlich wenig zu ſagen, und war von der Wurzel des Gemeindelebens losgeriſſen, denn ſie pflanzte ſich, wie der dem Fürſten zur Aufſicht beigegebene ſtändiſche Ausſchuß,266 aber nicht ſo wie dieſer von dem noch nicht ganz zugefallenen öffent¬ lichen Auge überwacht auf dem verrotteten Wege der Selbſtergänzung fort, welche noch obendrein in den meiſten Fällen ungeſcheut von dem Beamten ſelbſt in die Hand genommen wurde. Von dieſem alſo, der die fürſtliche Herrſchaft bei der Gemeinde und die Gemeinde bei der Herrſchaft zu vertreten hatte, hing es beinahe ausſchließlich ab, welche der beiden Vertretungen, die nur eine geſunde Zeit im Gleichgewichte halten konnte, er bei ſich überwiegen laſſen wollte. Die eine verſprach ihm von einem Volke, dem ſein eigenes Rechtsleben fremd geworden war, beinahe mehr Verwirrung als Dank: die andre trug ihm von einem Hofe, der ſeinen Dienern unbedingt befahl und bald ſo weit kommen ſollte, daß er ſich ihre Stellen abkaufen ließ, ja ſogar Ge¬ meindedienſte, über die er gar nicht verfügen durfte, bis auf den nied¬ rigſten herunter um Geld vergab, lockenden Lohn oder wenigſtens Ruhe vor Verfolgung ein. Wenn es in ſolcher Zeit doch immer noch einzelne Beamte gab, die ihre ſchwere Doppelſtellung gegen Oben zu kehren und dem ſtändiſchen Widerſtande wider die fürſtliche Willkür Nachdruck zu geben vermochten, ſo mußte dies dem Lande, deſſen Ge¬ ſchichte ihre Namen zum Theil aufgezeichnet hat, ein tröſtliches Zeichen ſein, daß die alte gute Wurzel noch nicht völlig erſtorben ſei und in beſſeren Tagen den kranken Baum vielleicht wieder zu erneuern ver¬ mögen werde. Für einen wilden Schößling aber findet ſich in einem ſelbſt faulen Gemeindeleben nicht immer ſo leicht ein Gärtner, der ihn durch Strenge und Milde zugleich in ein geſundes Reis zu ver¬ wandeln verſteht. Statt die wilden Triebe, die ſie mit ſchlimmen Thiernamen brandmarken, einzudämmen, und die Kraft, die ſie mit dem Bilde des Löwen bezeichnen, für das kleinere oder größere Ge¬ meinweſen brauchbar zu machen, eilen ſie, weil jeder mit ſich ſelbſt genug zu thun hat, ihn als einen ſchädlichen Knorren auszureißen und in's Feuer zu werfen. So war es und ſo oder ähnlich wird es immer ſein, wo nicht ohne Schuld der Glieder, doch mehr noch durch die zum Tode oder zu einer reicheren Zukunft führende Ent¬ wicklungskrankheit in dem Baume ſelbſt die ſchaffende und heilende Lebenskraft für eine Zeit verkümmert iſt.

Die Nämlichen, die in ihrem Feuereifer für das Geſetz ihren ver¬ haßten Gegner geſchlagen, niedergeworfen und gebunden hatten, drängten267 ſich jetzt bereitwillig in das Verhör, um anzugeben, was ſie Böſes von ihm zu ſagen wußten oder was ihnen an ihm zuwider war. Jedes ungeſchickte Wort, das er im Zorne ausgeſtoßen, wurde zum Ankläger gegen ihn, und die gefährliche Geſinnung, die in dieſen unbedachten Worten zu liegen ſchien, erhielt ihre ergänzende Beſtätigung durch die Gewaltthat, welcher er ſich heute ſchuldig gemacht hatte. Der ge¬ ſtochene Knecht, obgleich ſeine Wunde ſich als unbedeutend erwies, ſchnaubte unverſöhnliche Rache und war über die Abſicht, die er der That unterlegte, noch weit mehr aufgebracht, als über dieſe ſelbſt. Schon auf der Straße hatte ſein Geſchrei zu vernehmen gegeben, daß gegen den Gefangenen noch eine weitere Unthat vorliege, und auf Be¬ fragen des Amtmanns erzählte er nun, die eigenen Eltern deſſelben haben ihn mehr oder weniger unverblümt eines Diebſtahls bezichtigt. Hierauf verhörte der Amtmann den Sonnenwirth. Dieſer entſchuldigte ſich, daß er die Thatſache theils um der Schande ſeines Hauſes willen, theils wegen der Geringfügigkeit des Betrages habe vertuſchen wollen, gab aber, durch das heutige Betragen ſeines Sohnes und durch das Zureden ſeiner Frau vollends aufgeſtachelt, zu verſtehen, daß nach den neueren Ausſagen des Knechtes der Diebſtahl wohl beträchtlicher geweſen ſein möge. Der Amtmann ließ ſogleich den Knecht aus der Sonne rufen, welcher, dem Strome des allgemeinen Unwillens folgend, angab, der Beſuch auf dem Kornſpeicher ſei in jener Nacht mehrmals wiederholt worden und ein größerer Abmangel zu verſpüren, ſodann auch noch, nach der Auf¬ führung des Angeklagten überhaupt gefragt, zur Vermehrung ſeiner Schuldhaftigkeit erzählte, er ſei einmal in die Worte ausgebrochen, wenn man ihm kein Geld gebe, ſo wolle er ſolches nehmen und ſeine Stiefmutter während der Kirche an das Ofengeräms hinhenken. Auf dieſe Anzeige ſchickte der Amtmann Gerichtsmitglieder ab, um in der Sonne und zugleich bei dem Hirſchbauer Hausſuchung zu halten. Friedrichs Vormund, der die erſtere vorzunehmen hatte, kam bald wie¬ der; er brachte ein Brieflein und ein bemaltes Blatt, von der Art der Heiligenbilder, ein mit einem Schwert durchſtochenes Herz darſtellend. Außer dem Helgle, ſagte er, iſt nichts aufzutreiben geweſen, was eine Auskunft gäb ', als vielleicht der Brief da. Dem Inhalt nach iſt er von einem Weibsbild, ſchätz' wohl, von der Jungfer Ohnekranz. Iſt mir eine neue Mode, daß ein Mädle einem Mannskerl etwas Schrift¬268 lichs ſchreibt; das thut auch kein recht's Menſch; aber die Welt wird alle Tag 'ärger und die Jugend immer verdorbener. Nun kam auch der Augenſchein vom Hirſchbauer zurück, in deſſen Hauſe man jedoch gar nichts gefunden hatte, als Noth und Jammer ohne Ende. Der Lärm des öffentlichen Schauſpiels mochte den flinken Jerg bei Zeiten auf etwaige Gefahren aufmerkſam gemacht haben. Das iſt ein Heulen und Schreien, daß Einem Hören und Sehen vergeht! ſagte der Heiligenpfleger, der zu dieſer Verrichtung beordert worden war: wenn ſo ein leichtfertiger Bub' nur auch bedenken thät ', was er für Unglück ſtiften kann, ſo ging' er vielleicht vorher in ſich und auf beſſere Weg '. Da iſt ein Büſchel Brief' von ihm, die Alt 'hat's gleich' raus¬ geben; die Jung 'liegt auf'm Bett und iſt ganz weg; und der Vater wird's auch nimmer lang treiben.

Der Amtmann nahm die Briefe und legte ſie zu den Acten, um hiemit ſein heutiges Tagwerk zu beendigen, welches mit einem Verhör der Sonnenwirthin ſchloß oder vielmehr zu einer vertraulichen Unter¬ redung mit derſelben in Gegenwart der Amtmännin überging. Die Sonnenwirthin hatte es jetzt ganz in der Hand, die Wetterwolke, die ihr Stiefſohn über ſein Haupt heraufbeſchworen, in der gewünſchten Richtung zu entladen, und ſie benutzte die Gelegenheit ſo eifrig, daß ſie darauf beſtehen wollte, auch gewiſſe verfängliche Reden, die ihr Sohn gegen den jungen Herzog geführt haben ſollte, in's Protokoll zu bringen.

Hier machte jedoch der Amtmann ein ſehr ernſthaftes Geſicht. Na, na, Frau Sonnenwirthin, ſagte er, man muß doch nicht ganz alle Bonhommie hinter ſich werfen. Zum cumulus brauchen wir das nicht, es iſt cumulus genug da, ein Berg, an dem er mindeſtens ein paar Jahre abzutragen haben wird. Die Sache hat aber noch eine andere Seite. Wenn ich in meinem Bericht an die Herrſchaft, denn vom Oberamt geht er nach Stuttgart ab, dieſes delicate Sujet be¬ rühre, und wenn der Herr ſelbſt etwas davon erfährt, ſo macht er ſich Gedanken. Bei einem jungen Menſchen gilt der Grundſatz: leben und leben laſſen! Wenn daher ein junger Menſch auf anzügliche Weiſe moraliſirt, ſo ſagt man ſich gleich: das hat er nicht aus ſich, das hat er von Andern aufgegabelt. Da entſteht nun die Frage: woher hat er's? von Vater oder Mutter? oder ſollte gar der Amtmann oder der269 Pfarrer, ich will nicht ſagen, in eigener Perſon unvorſichtige oder mißverſtändliche Ausdrücke gebraucht, aber vielleicht bei den Unter¬ gebenen gewiſſem einfältigem Geſchwätz nachgeſehen haben? Wenn man ſich aber einmal Gedanken macht, ſo kommt man an allem Mög¬ lichen und Unmöglichen herum, und da kann Niemand wiſſen, was zuletzt noch für Calamitäten draus entſtehen mögen. Wollen's ſtecken laſſen, Frau Sonnenwirthin, wollen's ſtecken laſſen. Beruht!

Und da wir juſt unter uns Pfarrerstöchtern ſind, wie man zu ſagen pflegt, ſetzte die Amtmännin hinzu, ſo will ich erſt noch den Herzog in Schutz nehmen. Wenn eine Frau meint, ſie habe ſich über ihren Mann zu beklagen, ſo fragt ſich's oft, ob nicht ſie den erſten Anlaß gegeben hat. Die Hoffahrt, ſagt das Sprichwort, muß etwas leiden. Man mag von ihm ſagen, was man will, er hat etwas, das ihn von vielen andern großen Herren unterſcheidet: er neigt ſich zur Landesart, hat etwas Populäres in ſeinen Manieren, und ſchämt ſich nicht, mit dem Unterthan auf einer espèce von gleichem Fuß zu ſtehen. Gerade das geht aber ihr völlig ab, ſie hält es für gemein und wird ſich nie darein finden. Da iſt's nun kein Wunder: wenn ſich die Köpfe nicht in einander fügen, ſo bleibt auch zwiſchen den Herzen eine Kluft. Dann hat ſie an ihrem Baireuther Hof ſich an den hohen Ton, den feinen Gout, an Oper und Ballet gewöhnt, und er hat, ih¬ rem Geſchmack zu Lieb ', Hofdamen, Sänger und Sängerinnen aus Italien, Tänzer und Tänzerinnen aus Paris, Alles hat er ihr ange¬ ſchafft. Nun haben wir die Beſcheerung. Die Damen und Demoi¬ ſellen ſind hübſch, ſie iſt vornehm, er leutſelig und nicht von Stein da hat man leicht prophezeien können, wie es kommen wird.

Jetzt ſeh 'ich erſt, ſagte die Sonnenwirthin liſtig lächelnd, welch' ein groß 'Zutrauen die Frau Amtmännin zu ihrem Herrn haben muß, denn die Kathrine wär' doch kein ganz übler Biſſen.

Die Amtmännin lachte aus vollem Halſe. Ich bin nicht eifer¬ ſüchtig, rief ſie. Mein Mann iſt ein großer Jäger vor dem Herrn, ein Nimrod, der hat ein Herz von Marmor und geht lieber auf was Wildes als auf was Zahmes aus.

Dem Amtmann kam die Wendung des Geſpräches gleichfalls höchſt ſpaßhaft vor, und unter lautem Gelächter wurde die Sonnen¬ wirthin entlaſſen.

270

Am Sonntag Morgen berief der Amtmann, innerlich vergnügt über dieſe gute Gelegenheit, die Predigt ſeines geiſtlichen Mitbeamten zu ſchwänzen, ſeine beiden Scabinen oder Gerichtsbeiſitzer, welche als amtliche Zeugen bei dem Unterſuchungsverfahren, das ſie bewachen ſollten, aber häufiger beſchliefen, den faulſten Ueberreſt der alten Volksgerichtsbarkeit bildeten. Er befahl dem Schützen, den er als Diener der Gemeindebehörde benutzte, den Gefangenen vorzuführen. Der Schütz fand denſelben auf einer Bank ruhig ſchlafend und mußte ihn mit einigen Stößen wecken. Er hat, ſcheint's, Alles vergeſſen, was geſtern vorkommen iſt, brummte er ihn an. Nein, ſagte Friedrich, die Augen ausreibend, es fällt mir Alles wieder ein, auch daß Ihr mich losgebunden habt und ich Euch mein Wort gegeben hab ', über Nacht nicht durchzugehen. Sein Wort hat er gehalten, das muß ich Ihm laſſen, verſetzte der Schütz: jetzt muß ich Ihn aber wieder handfeſt machen, damit's der Herr nicht merkt, daß Er über Nacht frei geweſen iſt, ſonſt bin ich um den Dienſt. Friedrich ſtreckte gutwillig die Hände hin und der Schütz legte ihm Feſſeln an, worauf er ihn nach dem Amtszimmer führte.

Er iſt von der ganzen Bürgerſchaft wie auch von Seiner eigenen Familie wegen gemeingefährlicher Aufführung, dann auch wegen mör¬ deriſchen Attentats gegen einen Seiner Nebenmenſchen und wegen Dieb¬ ſtahls an Seinem leiblichen Vater angeklagt und hat ſich allhier zu verantworten, begann der Amtmann, nachdem er den Eingang des Protokolls geſchrieben hatte.

Friedrich blickte auf ſeine Ketten und ſchwieg.

Der Amtmann, der ihn eine Weile aufmerkſam betrachtet hatte, hielt ihm in Kürze die Hauptpunkte der Anklage vor und fragte: Was hat Er hierauf zu erwidern?

Der Gefangene verharrte in ſeinem ſtörriſchen Schweigen.

Muß ich Ihn durch Prügel zum Geſtändniß bringen? fuhr der Amtmann auf.

Ein Zucken lief über den Körper des Gefangenen, ſo daß ſeine Kette klirrte, aber er that den Mund nicht auf.

Dich ſollt 'man im Mörſer zerſtoßen! rief Friedrich's unvermeid¬ licher Vormund, der neben einem kleinen Spezereigeſchäft allerlei mehr271 oder minder einträgliche Aemtchen bei der Gemeinde und darunter auch das eines Gerichtsbeiſitzers verſah.

Friedrich blickte ihn verächtlich an.

Laſſ 'Er mich nur machen, ſagte der Amtmann verweiſend zu der eifrigen Urkundsperſon. Dann hielt er eine eindringliche Rede an den Gefangenen. Er fragte ihn, wie er es vor ſeinem Vater, vor ſeiner Mutter, die ſich im Grab umkehren müſſe, vor ſeiner ehrbaren Verwandtſchaft, ja vor ihm ſelbſt, dem Nachfolger ſeines Pathen, ver¬ antworten könne, ſo viel Unruhe über die Gemeinde zu bringen und noch obendrein dem Gerichte durch ſeine Halsſtarrigkeit zu ſchaffen zu machen. Und was ſoll ich Seiner hochfürſtlichen Durchlaucht antworten, fuhr er fort, wenn Hochſelbige ſich herabläßt, ſich nach dem jungen Menſchen zu erkundigen, der vor den höchſten Augen eine unleugbare Bravour bewieſen hat? Wenn die Antwort lautet, er habe Verbrechen auf Verbrechen gehäuft, endlich ſogar ſeinem Richter die ſchuldige Ehr¬ erbietung verweigert, und durch bösartigen Trotz ſich ſelbſt noch tiefer in Schaden geſtürzt, muß dann nicht der Herr, der ſonſten das Ver¬ dienſt zu belohnen geneigt iſt, ſich beeilen, einen ſolchen Namen wieder aus dem fürſtlichen Gedächtniß auszulöſchen?

Ich hab 'kein' Lohn begehrt, erwiderte der Gefangene trotzig. Es waren die erſten Worte, die er ſprach.

Nun, ſo vergrößere Er wenigſtens Seine Strafe nicht, ſagte der Amtmann, der das Eis gebrochen ſah und raſch auf der gewonnenen Bahn fortfuhr. Er hat es in der Hand, vielleicht ſchwerere Bezichte von ſich abzuwälzen. Mir geſchieht es ſauer genug, ein hieſiges Bur¬ gerskind criminaliter prozeſſiren zu müſſen. Aber ſo viel wird Er ſelbſt einſehen: wenn die ganze Burgerſchaft klagt, ſo kann ich doch die Sache nicht vor Ohren gehen laſſen.

Friedrich lächelte bitter. Es mögen wohl Viele hier ſein, ſagte er, die mich gern am Galgen ſehen möchten, aber Alle nicht. Wenn's aber doch mit mir aus ſoll ſein, und ich ſoll kein ehrlicher Mann werden können vor dem Flecken draußen ſteht ja das Hochgericht, alſo machen Sie vorwärts, Herr Amtmann! Je kürzer der Prozeß, deſto beſſer iſt's für mich.

Der Amtmann lachte. So kurzen Prozeß kann ich nicht machen, ſagte er. Stock und Galgen haben wir wohl noch, aber der Stab iſt272 etwas abgekürzt. Der Oberſtab iſt in Göppingen, wo Er Sein Ur¬ theil empfangen wird. Deshalb will ich Ihn in Güte darauf hinge¬ wieſen haben, daß Er ſich nicht das Protokoll durch weitere Hartnäckig¬ keit ſelbſt verdirbt. Denn das Sprichwort ſagt bekanntlich: wie man berichtet, ſo richtet man. Uebrigens ſeh 'ich nicht ein, wie Er behaup¬ ten kann, man wolle Ihn nicht ehrlich werden laſſen. Wer verwehrt Ihm denn das? Im Gegentheil, es handelt ſich ja darum, Ihn auf den rechten Weg zurückzubringen.

Ich hab 'meinem Schatz verſprochen, daß ich ſie und ihr Kind zu Ehren bringen will, murrte Friedrich mit einigem Unmuth, daß er nicht verſtanden worden war. So lang' ich mein Wort nicht halt ', bin ich auch kein ehrlicher Mann, und man leid't's ja nicht, daß ich's halten ſoll.

Ja ſo, das iſt's, verſetzte der Amtmann. Das ſcheint die Urſache geweſen zu ſein, nicht wahr, daß Er die verſchiedenen Redensarten ausgeſtoßen hat, die ich Ihm jetzt vorhalten muß?

Mit dem befriedigenden Bewußtſein, durch ſeine Bonhommie dem trotzigen Delinquenten das Band der Zunge gelöſt zu haben, zählte ihm der Amtmann die Sünden dieſer Zunge auf, welche ſeine Anklä¬ ger zu Protokoll gegeben hatten. Friedrich gab einige als möglich, andere als wirklich zu, wieder andere zog er in Abrede. Das ſind mir Klagen! ſagte er. Dergleichen Redensarten kann man von jedem Kind in Ebersbach hören. Aber man ſollt 'meinen, der ganz' Flecken red 'franzöſiſch und ich allein ſchwätz' deutſch.

Der Amtmann protokollirte, während ſeine Beiſitzer gähnten und der Gefangene gelangweilt das Bild der Juſtitia betrachtete. Nachdem der Amtmann kunſtgerecht das Gebäude der Ausſagen zuſammengetra¬ gen hatte, aus welchen die Bosheit der Geſinnung hervorleuchtete, nahm er eine neue Priſe und ging ſodann zu dem Meſſerſtich über, in welchem der thätliche Ausbruch dieſer Geſinnung erblickt werden konnte.

Es thut mir leid, ſagte Friedrich, daß der Peter ſo verbost auf mich iſt. Ich hab 'ihn um Verzeihung gebeten, wiewohl vergeblich, und würd's gern noch einmal thun, wenn ein gut's Wort eine gute Statt bei ihm fänd'. Ich ſeh 'wohl ein, daß es nicht recht geweſen iſt, aber ich hab's, weiß Gott, nicht ſo bös gemeint, ich hab's eben in273 der Hitz' aus Unvorſichtigkeit und Uebereilung gethan, und wie ich gehört hab ', daß ihm's nichts geſchad't hat, ſo iſt mir's geweſen, als wär' ich aus Ketten und Banden erlöſt. Er ſollt 'aber jetzt auch keinen ſolchen Keſſel überhängen. Was! das bisle Aderlaß iſt ihm geſund geweſen, er iſt ja ein Kerl wie ein Ochs.

Nun ja, Er darf freilich Gott danken, daß die Sache ſo gut ab¬ gelaufen iſt, ſagte der Amtmann etwas zutraulich: mit Blutvergießen iſt nicht zu ſpaßen, da geht's gleich um den Kopf. Aber, fügte er hinzu, wenn Er in der Rage zugeſtoßen hat, ſo hat Er doch nicht ſo gewiß wiſſen können, ob der Stoß nicht tiefer oder bis an's Leben gehen werde.

Ich bin freilich in der Rage geweſen, antwortete Friedrich, aber ich hab 'ihm doch nicht viel thun können, denn er hat mich ja am Arm gepackt gehabt, und alſo hab' ich eigentlich gar nirgends anders hinſtoßen können als nach ſeinem Arm.

Glaubt Er, forſchte der Amtmann, Er habe das ſo ſicher berech¬ nen können? Es iſt doch nicht wohl anzunehmen, daß man im Zorn zugleich kalt und beſonnen zielt. Man ſtoßt eben zu, und dann kann der Stoß eben ſo wohl am Arm vorbei und in den Körper gehen.

Ja, gezielt hab 'ich freilich nicht, erwiderte Friedrich, und hab' mir auch nicht fürgenommen, wie tief es gehen ſoll. Ich hab 'ja ſchier nicht gewußt, daß ich nur geſtochen hab'. Wenn ich kein Meſſer in der Hand gehabt hätt ', ſo hätt' ich ihm eben die Fauſt zu Gemüth geführt.

Da hätte Er ja aber auch das Meſſer vorher weglegen können, ſagte der Amtmann.

Ja was! wenn man im Zorn iſt, ſo denkt man an nichts und ſtoßt eben zu. Wenn man je was denkt, ſo denkt man höchſtens im Unſinn: Kerl, hin mußt ſein!

Hin? fragte der Amtmann, die Gerichtsbeiſitzer anblickend und raſch der neuen Fährte folgend.

Das iſt Einem aber nicht Ernſt, verbeſſerte der Gefangene, dem es nachgerade ſchien, er ſei im Begriffe, zu viel zu ſagen. Man iſt nachher heilig froh, wenn's nichts gethan hat.

Der Amtmann protokollirte fleißig drauf los, während dem Ge¬ fangenen eine dunkle Ahnung verrathen mochte, ſeine Vorſicht kommeD. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 18274zu ſpät und er habe wohl ſchon viel zu viel geſagt. Auch reichte ſeine Vernehmlaſſung vollkommen hin, um die Anklage wegen eines Atten¬ tats zu begründen, bei welchem er eine Tödtung wo nicht beabſichtigt, ſo doch auch nicht gefliſſentlich vermieden, jedenfalls aber eine mehr oder minder lebensgefährliche Verwundung vorausgeſehen habe.

Zufrieden mit dem bisherigen Erfolge der Unterſuchung, legte der Amtmann die Feder nieder und nahm das Verhör wieder auf. Jetzt kommen wir an den Fruchthandel, ſagte er: Er wird nicht in Abrede zu ziehen gemeint ſein, daß es ein etwas einſeitiger Handel iſt, wenn man Frucht einſackt, ohne Bezahlung dafür zu leiſten. Pro primo aber, um die Ausſagen unter ſich in Einklang zu bringen, muß ich fragen: wie viel iſt's denn eigentlich geweſen?

Herr Amtmann, antwortete Friedrich, ich hab 'meinem Vater gleich im erſten Augenblick erklärt, daß er durch den Handel um keinen Kreuzer kommen ſolle, und wenn's jetzt an dem iſt, daß er aus mei¬ nem Mütterlichen ſchadlos gehalten werden ſoll, ſo will ich kein Körnle verſchweigen. Natürlich hab' ich's in der Nacht und in der Eil 'nicht ſo accurat abzählen können, auch iſt in einem Sack mehr geweſen und im andern weniger, aber ich thu' meinem Vater gewiß nicht Unrecht, wenn ich's im Ganzen auf ein Scheffel ſechs oder ſieben ſchätz ', Din¬ kel und Haber, ungefähr zu gleichen Theilen ganz genau kann ich das natürlich jetzt nicht mehr ſagen.

Sechs bis ſieben Scheffel Dinkel und Haber, ſagte der Amtmann, den Kopf auf die Hand ſtützend. Ja, ja, das müſſen wir ſo praeter propter berechnen. Wo ſind die pretia rerum? fragte er, in den auf dem Tiſche liegenden Acten kramend. Ja ſo, meine Frau wird die Zeitung haben. Herr Senator, geh 'Er geſchwind zu meiner Frau hinüber: ich laſſe ſie auf einen Augenblick um die Wöchentlichen An¬ zeigen bitten.

Der Richter ging und brachte das amtliche Landesblatt, auf deſſen Rückſeite die Frucht -, Wein -, Holz - und Salzpreiſe verzeichnet waren. Der Amtmann nahm das Folioblatt, legte es vor ſich auf den Tiſch, ſtärkte ſich zuvor durch eine Priſe und ſuchte dann mit dem Finger im Schrannenzettel. Da ſteht's, ſagte er: Göppinger Schranne, Dinkel drei Gulden dreißig, Haber zwei Gulden dreißig.

Ja, ſagte der andre Gerichtsbeiſitzer verdrießlich, ſeit der Ernt '275hat der Dinkel um dreißig Kreuzer abgeſchlagen, im Auguſt hat er noch vier Gulden koſt't.

Der Amtmann rechnete mit dem Bleiſtift auf einem Stück Sudel¬ papier. Vier Scheffel Dinkel, murmelte er, thut vierzehn Gulden; drei Scheffel Haber, thut ſieben Gulden dreißig, beides nach jetzigem Preis. Zuſammen alſo einundzwanzig Gulden und dreißig Kreuzer. Iſt er mit der Taxation zufrieden?

Herr Amtmann, antwortete Friedrich, ich hab 'zu meinem Vater geſagt, wenn der Fruchtpreis bis zur Abrechnung anziehe, ſo ſolle das ſein Nutzen ſein; alſo ſollt's eigentlich mir zu gut kommen, wenn der Preis unter der Zeit gefallen iſt, weil mein Vater ja doch damals nicht hat verkaufen wollen. Aber ich bin nicht ſo intereſſirt. Machen Sie nur das Ungerade voll und rechnen Sie zweiundzwanzig Gulden, daß die Zahl rund iſt.

Ich weiß nicht was Er will, ſagte der Amtmann. Ich habe ja nach dem heutigen Preis, alſo zu Seinen Gunſten gerechnet.

Richtig, Herr Amtmann, erwiderte Friedrich, aber Sie haben vier Scheffel Dinkel und drei Scheffel Haber angenommen, und es können eben ſo gut vier Scheffel Haber und drei Scheffel Dinkel geweſen ſein, oder auch gradaus halb und halb.

Iſt mir das eine Strohhalmſpalterei! rief der Amtmann verdrie߬ lich. Die beiden Gerichtsbeiſitzer lachten. Wenn's hoch kommt, ſo macht's 'n Gulden Unterſchied, und' n halben Gulden will er ja ſel¬ ber drein geben, ſagte der eine. Kommſt endlich in's Rechnen? rief Friedrich's Vormund: 's wär 'wohl Zeit,' daß du dran dächteſt; hätt'ſt aber ſchon früher anfangen ſollen.

Damit Er ſieht, daß Ihm kein Unrecht geſchieht, ſo will ich's Ihm vorrechnen, ſagte der Amtmann und griff wieder zum Bleiſtift.

Ach, mir iſt's ja nicht um's Geld! ſagte Friedrich zugleich ärger¬ lich und beſchämt. Ihn hatte bloß das verdroſſen, daß man von den möglichen Grundlagen der Berechnung die ungünſtigſte angenom¬ men hatte.

Während der Amtmann noch rechnete, hörte man vor der Thüre, die der Schütz aus Neugier ein wenig offen gelaſſen hatte, einen ſchwe¬ ren Tritt, der von wiederholtem Räuſpern des Kommenden begleitet war, dann einen Wortwechſel mit dem Schützen, welcher endlich ſagte:18 *276Wenn Er mit Gewalt 'nausgeſchmiſſen ſein will, ſo probir' Er Sein Glück. Darauf klopfte es an der Thüre erſt leiſe und demüthig, dann etwas lauter. Der Amtmann ließ einen grimmigen Blick nach der Thüre hinlaufen, rechnete aber ſtillſchweigend fort. Es klopfte wieder. Daß dich das Wetter! rief der Amtmann und warf den Bleiſtift hin: was iſt das für ein unverſchämter Lumpenkerl? Einer der Gerichts¬ beiſitzer ging auf den Zehen nach der Thüre und öffnete. Ein halb ſtädtiſch, halb ländlich gekleideter Mann ſtand davor, der, da er ſich auf einmal dem Amtmann gegenüber ſah, ein paar tiefe Kratzfüße machte. Mit Ihrem Wohlnehmen, Herr Amtmann! wollte er be¬ ginnen. Zugleich rief der Gefangene, der ſich neugierig umgeſehen hatte: Das iſt ja der Vetter aus Hattenhofen! Grüß 'Gott, Vetter!

Still! gebot der Amtmann. Hab 'jetzt keine Zeit! rief er dem Ankömmling zu. Sieht Er denn nicht, daß hier etwas Dringendes verhandelt wird? Und wie kann Er ſich unterſtehen, am Sonntag zu kommen?

Excüſe, Herr Amtmann, ſagte jener, ſchon halb auf dem Rückzuge begriffen, 's iſt ja eben wegen der Sach '.

Halt! rief der Amtmann. Herein da! Hat Er etwas wider den Angeklagten vorzubringen?

Ach nein, Herr Amtmann, wenn Sie's erlauben, antwortete der Mann etwas weinerlich, ich verklag 'ihn nicht, gewiß nicht, und was er von mir hat, das hat er aus gutem freien Willen, und ich will aber auch hoffen, daß ich wieder zu meinem Sach' komm '.

Alſo eine Schuldklage! rief der Amtmann enttäuſcht. Dazu iſt jetzt keine Zeit, das iſt nachher vorzubringen. Fort!

Der iſt pfiffig! ſagte der Gefangene lachend: der weiß den Pelz zu waſchen ohne ihn naß zu machen. Ich möcht 'aber nicht haben, daß er in der Sorg' wär ', er könnt' durch mich um etwas kommen, und weil wir ohnehin juſt an der Abrechnung von meinem Mütter¬ lichen ſind, ſo iſt mir's lieber, wenn das auch gleich dazu geſchrie¬ ben wird.

Ich hab's ihm aus gutem freien Willen gelaſſen, Herr Amtmann, wiederholte der Vetter, erfreut über die Willfährigkeit des Gefan¬ genen, indem er ſich zugleich, dem Befehl des Beamten gehorchend,277 aber ſo langſam, daß er jeden Augenblick zurückgerufen werden konnte, nach der Thüre zurückzog.

Gelaſſen? aus gutem Willen gelaſſen? ſagte der Amtmann ſtutzend. Was iſt denn das?

Der Mann zuckte die Achſeln verlegen lächelnd und blieb an der Thüre ſtehen.

Der Amtmann ſah den Gefangenen ſcharf an. Ich hab's ihm von meinem Mütterlichen zurück verſprochen, ſagte dieſer.

Halt! rief der Amtmann. Er bleibt da! Bring 'Er Seine Sache vor! Ich muß wiſſen wie es ſich damit verhält.

Ich will's ſelber ſagen, nahm der Gefangene das Wort. Ich hab 'ja gleich mit' rausrücken wollen, ſobald ich meinen Vetter geſehen hab '. Alſo, wie ſich's um das Strafgeld für meine Chriſtine gehan¬ delt hat, und der Herr Amtmann hat mir die Höll' heiß gemacht und all die Unehr 'und Schmach fürgeſtellt, die über ſie hätt' ergehen ſollen, da hab 'ich nicht gewußt wo hinaus und wo hinein, und weil der Herr Amtmann mit dem Geld ſehr preſſirt hat, ſo bin ich noch in der nämlichen Nacht gen Hattenhofen geſprungen und hab' bei mei¬ nem Vetter da einen Beſuch gemacht.

Und iſt der Vetter bei dem Beſuch auch ſelbſt zugegen geweſen? fragte der Amtmann, immer aufmerkſamer werdend, den Vetter von Hattenhofen.

Neinle, neinle, Herr Amtmann, ich bin nicht dabei geweſen, ant¬ wortete dieſer mit ſeinem verlegenen Lächeln.

Das iſt aber ein Galgenvogel! ſchrie der Richter auf. Alſo noch ſo ein Stück! Wenn man dem die Schublad 'aufmacht, ſo ſpringen lauter Einbrüch' 'raus!

Still! befahl der Amtmann. Kann Er behaupten, daß Sein Vetter Ihn eingeladen oder aufgenommen habe, und was hat Er bei Nacht in dem fremden Haus gethan?

Es iſt mir kein fremdes Haus geweſen, Herr Amtmann, ſagte der Gefangene, und wenn mich auch mein Vetter ſelbigsmal nicht hat ein¬ laden können, weil er juſt zu der Zeit geſchlafen hat, ſo hab 'ich doch von früher gewußt, daß er ſein Haus nicht vor mir verſchließt.

Ja freile, freile! ſagte der Mann von Hattenhofen eifrig bekräf¬278 tigend. Mir iſt ja die Sonne auch nicht verſchloſſen und ein 'Ehr' iſt der andern werth.

Und was hat Er in dem Haus gethan? wiederholte der Amtmann.

Die Straf 'für meine Chriſtine geholt, wie ich ja ſchon von An¬ fang hab' ſagen wollen! antwortete der Gefangene etwas gereizt.

Alſo hat er Ihm Geld genommen? fragte der Amtmann den Mann vom Lande.

Beileib net, Herr Amtmann, b'hüt uns Gott! ſagte dieſer: bloß e 'biſſele Zwetſchgen und e' biſſele Trilch und e 'biſſele Garn und e' biſſele Flachs, und aber über alles das hat er mir eine Quittung geben.

Hat Er die Quittung da?

Ha freile, Herr Amtmann, rief der Nichtkläger, dem die Freude, ſein Anliegen ſo geſchickt anbringen zu können, aus den Augen blin¬ zelte, und reichte die Quittung mit weit vorgebeugtem Leib und aus¬ geſtrecktem Arm dem Amtmann hin.

Hat Er die Quittung in jener Nacht zurückgelaſſen? fragte der Amtmann den Gefangenen.

Nein, Herr Amtmann, damals hat mir's zu arg preſſirt. Ich hab 'dann gleich den Tag darauf das Sach' verhandelt und das Geld meiner Chriſtine gebracht, damit's mit der Straf 'in Richtigkeit kom¬ men ſoll. In etlichen Tagen hernach bin ich aber wieder hinaus und bin meinem Vetter abermals ins Haus kommen und hab' ihm die Quittung ehrlich und redlich auf den Tiſch gelegt, er kann's ſelber nicht anders ſagen. Und wiewohl ich rechtſchaffen Hunger gehabt hab ', ſo hab' ich doch für mich nichts angerührt.

Ja, der Frieder iſt recht, das muß man ihm laſſen, ſagte der Vetter unter fortwährendem leiſen Gelächter der beiden Gerichtsbeiſitzer. Ich wär 'auch zufrieden geweſen mit der Quittung, denn ſein Wort iſt mir ſo lieb wie baar Geld, trag' ihm auch gar nichts nach, und aber nur weil ich geſtern Nacht gehört hab ', daß er in Ungelegenheit kommen ſei, ſo hab' ich gemeint, ich müſſ 'doch ſehen, daß ich wieder zu mei'm Sächle komm', eh 'jemand anders die Hand drauf deckt.

Der Amtmann ſelbſt konnte das Lachen kaum verbeißen. Hat Er denn nach dem erſten Beſuch Sein Haus nicht beſſer verwahrt, daß Ihm der ungeladene Gaſt noch einmal hat hineinkommen können? fragte er.

279

Freile, antwortete der Vetter vom Lande. Aber wo Der 'nein will, da hilft kein Verwahren nichts. Dem iſt nichts zu hoch und nichts zu tief, er kommt eben hin.

Ein ſchönes Prädicat! bemerkte der Amtmann. Darauf fragte er Beide, ob ſie mit der Quittung und der darin enthaltenen Schätzung der auf ſo ungewöhnliche Weiſe entlehnten Gegenſtände einverſtanden ſeien. Friedrich erwiderte, er habe mehr angeſetzt, als er bei dem Verkaufe, mit dem es geeilt, erlöst habe. Auch der Vetter ließ ſich die Preiſe ſehr gerne gefallen und erklärte: Wenn mir's der Frieder abkauft hätt ', ich hätt's ihm grad ſo geben. Wir ſind ja immer Ein Kuch und Ein Muß geweſen, gelt du, Friederle?

Es will mir auch ſo vorkommen, ſagte der Amtmann mit einer gewiſſen Strenge: Er ſucht mir da Seinem Conſorten behilflich zu ſein und dem Streich den Nimbus eines freiwilligen Anlehens zu geben. Weiß Er, daß ich Ihn beim Eſſen behalten und etwan in puncto stellionatus prozeſſiren könnte?

Der Mann von Hattenhofen erſchrack in's Herz hinein: er glaubte ſeine Sache unübertrefflich gut gemacht zu haben, und ſah ſich jetzt dennoch in der Gefahr, von einem der vielen Rädchen der Juſtizmaſchine, dem er vielleicht zu nahe gekommen, erfaßt zu werden. Doch nahm er ſich zuſammen und erwiderte: Wenn's der Herr Amtmann nicht ungütig nehmen will, mein Herz weiß nichts davon und ich verſteh 'auch kein Wörtle, warum ich geſtraft werden ſoll.

Dafür, ſagte der Amtmann, daß Er Schleichereien macht und die Leute, ja ſelbſt die Obrigkeit, irre führen hilft.

Mit Verlaub, Herr Amtmann, hob der vormundſchaftliche Gerichts¬ beiſitzer an, der einen Stein im Brett zu haben glaubte, während der Beamte ihm vielmehr die Zurückſendung ſeiner Geldſorten nachtragen mochte: wenn man fragen darf, woher hat denn das Ding ſeinen Namen? Das Wort lautet ſo gar curios und kommt Einem ſo oft vor. Ich hab 'ſchon etlichemal fragen wollen.

Der Amtmann wurde etwas roth. Ich kann's Ihm ſchwarz auf weiß zeigen, wenn Er zweifelt, ſagte er und ging nach einem Acten¬ ſtänder, auf welchem mehrere ſeinen Incipienten gehörige Bücher aufge¬ ſtellt waren.

Ich hab 'ja kein' Zweifel, gewiß nicht! rief der Gerichtsbeiſitzer280 in wahrer Verzweiflung Ich glaub 'ja Alles auf's Wort, wie mir's der Herr Amtmann ſagt.

Dieſer aber, dem mit ſolcher Bereitwilligkeit im vorliegenden Falle nicht ſehr gedient ſein mochte, zog ein Buch heraus und blätterte ſchnell darin. Beſtie! fluchte er halblaut, da er das Gewünſchte nicht fand, ſtieß das Buch wieder hinein, riß ein dickeres heraus, ſchlug es auf, zeigte mit dem Finger auf die Stelle und ſagte beruhigt: Da ſteht's, da kann Er ſelber ſehen! Stellio, eine Art Eidexe, welches ein ſehr liſtiges und ränkevolles Thier, daher stellionatus, das Ver¬ brechen, wo einer ränkevoll handelt, ſonderlich mit Schleichereien in Geld¬ ſachen, und das Verbrechen doch keinen Namen hat, daher extra ordinem und secundum arbitrium zu beſtrafen iſt. Da übrigens Inquiſit geſtändig iſt, wandte er ſich an den bange harrenden Vetter, und da Er mehr eine Art Gerechtmacherei als einen eigentlichen Vortheil be¬ zweckt hat, ſo will ich nicht den ſtrengſten Maßſtab anlegen, ſondern die Sache für dieſesmal hingehen laſſen! Merk 'Er ſich's aber für die Zukunft, damit Er gewitzigt iſt.

Der Amtmann, dem eine ſtille Ahnung ſagen mochte, daß er mit ſeiner Geſetzesanwendung denn doch bei den eigentlichen Juriſten durch¬ fallen könnte, protokollirte nun ein Langes und Breites, ließ dann den von Hattenhofen unterſchreiben und ſchickte ihn fort. Da dieſer aus Reſpect das Thürſchloß nicht in die Klinke fallen zu laſſen wagte, ſo hörte man, wie er draußen im Weggehen leiſe vor ſich hinpfiff. Denn dies iſt die Art des Landbewohners: wenn er zu einer Ver¬ handlung mit Herren oder ſonſt zu einem wichtigen Handel kommt, ſo räuspert er ſich, als ob er einen Stein vom Herzen weghuſten müßte, und wenn er fortgeht, ſo pfeift oder ſummt er bald mehr bald minder zufrieden, entweder weil es nach ſeinem oft ſehr ſchlauen Kopfe ge¬ gangen iſt oder weil er denkt, es habe doch wenigſtens den Kopf nicht gekoſtet und hätte ja noch ſchlimmer gehen können als es gegangen ſei.

Wir kommen nun auf das vorige Chapitre zurück, begann der Amtmann wieder. Er iſt alſo geſtändig, außer dem hier verhandelten, bei Seinem Vater einen Diebſtahl, den Er auf zweiundzwanzig Gulden anſchlägt, begangen zu haben?

Herr Amtmann, ſagte der Gefangene, ich kann mir's nicht gefallen laſſen, daß man das einen Diebſtahl heißt. Ich bin in meinem Ei¬281 genen geweſen und hab 'ja meinem Vater gleich geofferirt, daß ich's ihm aus meinem Mütterlichen wieder erſetzen will.

Davon nachher, erwiderte der Amtmann. Wer ſind Seine Hel¬ fershelfer geweſen und wo hat Er das Geld hingebracht?

Ich hab 'die Frucht ganz allein auf meines Vaters Bühne geholt, es iſt kein Menſch mit mir droben geweſen, antwortete der Gefangene, den Sinn der Frage durch den Wortlaut ſeiner Ausſage umgehend.

Man hat Verdacht, daß Seine Perſon und einer ihrer Brüder Ihm dabei behilflich geweſen ſein werden, inquirirte der Amtmann.

Friedrich wiederholte ſeine Verſicherung und erbot ſich einen Eid zu ſchwören, daß keines von den beiden auf ſeines Vaters Speicher gekommen ſei. Der Amtmann belehrte ihn, daß ein Angeklagter nicht zum Eide zugelaſſen werden könne, und hielt ihm dann jenen bei dem Müller begangenen Bienendiebſtahl vor, deſſen ſich der eine ſeiner angeblichen Schwäger mehr als verdächtig gemacht habe; es ſei beinahe ſo gut wie erwieſen, daß er ſelbſt bei jenem Vergehen mit im Complott geweſen ſei, und man müſſe jenen mit allzu großer Nachſicht bei Seite geſetz¬ ten Fall jetzt hervorziehen, weil er auch auf den neueren Vorgang ein Licht zu werfen ſcheine. Friedrich war nicht wenig froh, den Ver¬ dacht von ſeinem Lieblingsſchwager auf deſſen für ihn wie für die Familie unbedeutenderen Bruder abgelenkt zu ſehen, betheuerte jedoch, er habe demſelben an dem Abend, an welchem er den Diebſtahl be¬ gangen zu haben beſchuldigt ſei, unwiſſentlich und zufällig auf der Brücke gepfiffen und ſich lediglich hiedurch verdächtig gemacht. Der Amtmann ſetzte ihm ſcharf mit Kreuz - und Querfragen zu, brachte aber nichts aus ihm heraus, was einen Anhalt zum Einſchreiten gegen ſeinen Mitbeſchuldigten darbieten konnte. Eben ſo wenig war ihm über das aus der Frucht erlöſte Geld ein Geſtändniß abzupreſſen. Da er weder den dritten Genoſſen verrathen, noch ſich einer Hilfe, die ſeinem Mädchen in der Noth zu Statten kommen konnte, entſchlagen wollte, ſo blieb er beharrlich dabei, er habe das Geld vollſtändig ausgegeben und ſein Vater ſolle es eben an ſeinem eigenen Vermögen abziehen.

Wie hat Er das Geld verwendet? fragte der Amtmann, immer ſchärfer in ihn dringend.

Ich hab's verthan, antwortete er, um der Unterſuchung jeden Weg abzuſchneiden.

282

Wie hat Er's verthan? rief der Amtmann wild. Verſoffen! antwortete er trotzig.

Du Hallunk! ſchrie ſein Vormund, während der Amtmann erſchöpft in den Seſſel zurückſank. Nachdem dieſer etwas Athem geſchöpft, rich¬ tete er ſich wieder auf und ſagte gleichmüthig: Ich muß und will an¬ nehmen, daß Er die Wahrheit ſagt; in dieſem Fall kommt eben zu Seinen andern Reaten auch noch der Punkt des aſotiſchen Lebenswan¬ dels hinzu. Ich hab's ihm ja erklärt, daß es ganz bei Ihm ſtehe, wie Sein Protokoll ausfallen werde.

Der Amtmann war im Ganzen nicht unzufrieden mit dem Er¬ gebniß der Unterſuchung, das ihm ziemlich ausgiebig erſchien. Er hielt dem Gefangenen ſeine Hauptvergehen vor und ging ſchließlich in den Ton der Rüge und Ermahnung über. Hat Er denn ganz vergeſſen, rief er, was ich Ihm damals ſo eindringlich geſagt habe, als Er das erſtemal auf Seinen böſen Wegen betreten wurde, und was ich Ihm dann wieder gepredigt habe, als Er von Seiner erſten Strafe zurückkam?

Nein, Herr Amtmann, ich weiß es noch, antwortete der Gefangene: Sie haben geſagt, das Zuchthaus ſei eine Schule des Laſters, und ich ſolle mich wohl in Obacht nehmen, daß ich nicht wieder hinein¬ komme.

Und was hat Er von ſich ſelbſt denken müſſen, daß Er doch wie¬ der hineingekommen iſt, und was muß Er heute von ſich denken, daß Er abermals, und zwar tertia vice bei ſolcher Jugend, reif dafür geworden iſt?

Ich hab 'gedacht und denk', für einen jungen Menſchen, an dem noch nicht Alles verloren ſein kann, ſei es doch hart, wenn er in die Schule des Laſters gethan wird, wie Sie's ja ſelber nennen.

So? rief der Amtmann zornig: wenn Ihm das Zuchthaus nicht gut genug iſt, ſo kann man Ihn ja für Seine Mord - und Diebsthaten auf die Schandbühne und von da auf die Galeere bringen, vermit¬ telſt des Vertrags, den gnädigſte Herrſchaft mit der Republik Venedig geſchloſſen hat!

Den Gefangenen überlief es, daß ſeine Kette klirrte. Ich muß freilich auseſſen, was man mir kochen will, ſagte er, ich bin ja ſchon283 mehr dabei geweſen und weiß jetzt wie man's macht, aber ich hab 'weder eine Mordthat noch einen Diebſtahl begangen.

Diebſtahl mit nächtlichem Einbruch! rief der Amtmann, mit der Spitze des Fingers auf das Protokoll klopfend.

Da drinnen ſteht's vielleicht ſo, entgegnete Friedrich, aber in mei¬ nem Herzen heißt's anders, wenn ich Weib und Kind mit dem, was mir mein Vater ſchon als Vater ſchuldig wär ', vom Hungertod er¬ retten muß.

Der Amtmann milderte ſeinen Ton etwas. Wenn Er mit dieſer Auslegung durchzudringen hofft, ſo gratulir 'ich Ihm dazu, ſagte er. Bei Gericht aber nimmt man die Dinge nicht nach der Auslegung, ſondern wie ſie ſind. Angenommen, es habe Einer einen Prozeß mit einem Andern, und es ſei auch das Recht ganz auf ſeiner Seite, ſo darf er darum doch nicht in ſeiner eigenen Sache den Executor machen, oder den Erretter, wie Er's heißt, und ſich ſelbſt am Hab' und Gut des Andern regreſſiren.

Dawider will ich nicht ſtreiten, Herr Amtmann, erwiderte Friedrich, 's hat Alles Händ 'und Füß', was Sie ſagen. Aber nicht wahr? wenn ich meinen Vater bei Ihnen verklagt hätt ', daß er meiner Chri¬ ſtine nichts zu ihrem Unterhalt gibt, ſo hätt' ſie lang verhungern können, bis ich hätt 'Recht bei Ihnen gefunden.

Halt 'Er Sein Maul, Er ewiger Rechthaber! ſchrie der Amtmann entrüſtet. Er ſteht als Angeklagter hier und nicht als Advocat!

Er griff wieder zu der Feder und ſchrieb eifrig und zornig fort. Friedrich ſah ihm eine Weile zu. Ich ſeh 'wohl, was Sie ſchreiben, ſagte er dann: Unerachtet ſeiner äußerſten Bosheit will er immer noch Recht haben.

Der Amtmann fuhr zurück, daß ein Theil der Acten zu Boden fiel. Iſt der Kerl vom Teufel beſeſſen? murmelte er vor ſich hin. Die Gerichtsbeiſitzer ſahen ihn erſchrocken an. Friedrich lächelte: ich kann mir's nämlich denken, fügte er hinzu, da er die Worte von der Kirchenconventsverhandlung her im Gedächtniß behalten hatte.

Heb 'Er mir die Acten auf, befahl der Amtmann dem einen Ge¬ richtsbeiſitzer. Den Schützen! rief er dem andern zu. Er führt den Arreſtanten vorläufig in ſein Loch zurück und holt mir den Johannes Müller! wies er den eintretenden Schützen an. Wo der Teufel nicht284 hinkommt, ſchickt er die Obrigkeit, murrte der Gefangene halblaut, während er abgeführt wurde. Wird gleichfalls zu Protokoll genom¬ men! rief ihm der Amtmann nach.

Das auf Grund der Acten von dem Vogt zu Göppingen einge¬ leitete Verfahren war bald abgethan und endigte damit, daß eine ein¬ geholte hochfürſtliche Reſolution dem jugendlichen Uebertreter der Ge¬ ſetze wegen ſeiner verſchiedenen Verbrechen puncto diversorum criminum, hieß es in der amtlichen Anzeige eine anderthalbjährige Zuchthausſtrafe gnädigſt zuerkannte, wobei er allerdings die Wahl hatte, ob er ſich unter dem Centnergewicht der Anſchuldigungen für die gnädige Strafe bedanken oder in dieſer eine Verurtheilung der Anklage erblicken wollte. Zugleich mit ihm wurde der ältere Bruder Chriſtinens nach dem Zuchthauſe gebracht, bei welchem der halberwieſene Verdacht des Bienendiebſtahls und der unerwieſene Verdacht der Theil¬ nahme an dem Fruchtdiebſtahl zu einer Strafe von einigen Wochen hingereicht hatte. Die Bewohnerſchaft des Zuchthauſes aber beſtand nach den gleichzeitigen öffentlichen Bekanntmachungen theils in frei¬ willigen Armen ohne Strafe, theils in Züchtlingen und Sträflingen, und die Geſellſchaft der beiden letzten Ordnungen bildeten Räuber, Diebe, ſo viel ihrer nicht gehenkt oder gerädert waren, Falſchmünzer, Fälſcher, Betrüger, Aſoten, Verſchwender, Vaganten, Heiligenſtürmer, verunglückte Selbſtmörder, Ehebrecher, Mädchen, die ſich zum dritten¬ mal vergangen, Calumnianten, Einer wegen übler Aufführung und irreſpectuoſen Bezeigens gegen Ober - und Unterbeamte , Einer wegen enorm ruchloſer und ſündlicher Reden , Einer wegen Soldatendebau¬ chirens , einer puncto lasciviae , eine Magd wegen feuergefähr¬ licher Verwahrloſung des Lichts, und endlich Mehrere wegen verſchie¬ dener Vergehen .

Auf dem Wege nach Ludwigsburg benutzte Friedrich einen Augen¬ blick, wo der bewaffnete Begleiter, ein armer Bürger von Göppingen, der einen Fluchtverſuch der beiden rüſtigen jungen Burſche zu ver¬ hindern unfähig geweſen wäre, ein wenig dahinten blieb. Häng 'kein ſo dumm's Maul' runter, ſagte er zu ſeinem Unglücksgefährten: was kann denn ich dafür, daß dich die Immen hintendrein geſtochen haben? Immenvater biſt ja doch geweſen, das kannſt nicht leugnen. Und be¬ denk 'auch, Schwager, daß die Deinigen dich leichter ein paar285 Wochen als den Jerg ein Jahr und vielleicht drüber miſſen, denn Der iſt doch am kleinen Finger mehr, als du am ganzen Leib.

Der Andre ſchwieg ſtöckiſch. Der Wächter kam wieder herbei und die Wanderung wurde fortgeſetzt.

Als ſie in Ludwigsburg einzogen, und ſich dem Zuchthauſe näher¬ ten, fanden ſie den Weg durch eine große Menſchenmenge geſperrt. Ein Leichenzug kam daher, umgeben von zahlreichen Zuſchauern und Zuſchauerinnen, die beinahe mehr Trauer als Neugierde blicken ließen. Hinter dem Sarge ging zunächſt eine Schaar von Waiſenkindern in ihrer grauen Tracht; ihnen folgte eine lange Begleitung von Män¬ nern, geiſtliche und weltliche Beamte an ihrer Spitze; nach einem größeren Zwiſchenraume kam noch ein Zug Strafgefangener in der Zuchthauskleidung, von Aufſehern bewacht. Alle hatten die Haltung von Leidtragenden, und ſelbſt in den Reihen dieſer vom Leben halb ausgeſtoßenen Männer ſah man naſſe Augen.

Wen begräbt man hier? fragte der Führer der beiden einzulie¬ fernden Sträflinge eine ſich herzudrängende Frau.

Den alten Waiſenpfarrer, war die Antwort.

Friedrich drückte die Hände gegen die Bruſt. So manchmal, wenn es ihm in der Welt weh und bange war, hatte er ſich nach dieſer Heimath, die man in der Welt eine Schule des Laſters nannte, zurück¬ geſehnt, und nun war der gute Geiſt, der darin waltete, auf immer dahin. Die Welt ſchien ihm ausgeſtorben. Er kehrte ſich ab und weinte bitterlich. Niemand ſah dieſen Schmerz, welchen er bei ſeinem Einzug in das Zuchthaus, obgleich ihn der Gedanke an ſein Weib und ſein Kind beinahe zu Boden drückte, hinter einer dumpfen Gleichgiltigkeit verbarg.

286

27.

Ein ſtiller Herbſtabend breitete ſeinen Frieden über die Welt. Vom Brunnen, wo ſie ſich ſatt getrunken, wurden Pferde und Kühe heimgetrieben, wobei einige Füllen und Kälber munter um ſie her ſprangen und wohl auch hie und da eine Kuh, deren Alter ein ge¬ ſetzteres Betragen erwarten ließ, zu ein paar Bocksſprüngen verführten. Nachdem das Vieh den Trog verlaſſen hatte, kamen Weiber und Mäd¬ chen, um ihre Waſſergelten unter dem Rohr zu füllen; ſie plauderten und lachten unter ſich oder mit den Leuten, die vor den Häuſern Feierabend machten. Allmählich wurde es am Brunnen und auf der Straße leer, die Menſchen gingen in die Häuſer, da und dort hörte man das Vieh in den Ställen brüllen, aber immer tiefer ſank das Dorf, ſchon während der Dämmerung, in die Stille der Nacht, ſo daß endlich der geſellige Brunnen für ſich allein murmelte, doch nicht ganz von den Stimmen des Lebens verlaſſen, denn ihn begleitete das Plätſchern des vorüberziehenden Flüßchens und das Rauſchen des Ne¬ ckars, der unfern über ſeine Kieſel dahinzog. Die Schatten verdich¬ teten ſich mehr und mehr, da kam noch eine Nachzüglerin zum Brunnen, um Waſſer zu holen; entweder hatte ſie ſich über häuslichen Geſchäften verſpätet, oder ſcheute ſie die Geſellſchaft, die zu einer früheren Stunde am Brunnen nicht zu vermeiden war, denn ihre Tracht, die von der Tracht des Dorfes abwich, bezeichnete ſie als eine Fremde, die ſich vielleicht unter den Andern nicht heimiſch fühlte; das um den Kopf geſchlungene dunkelblaue Tuch ließ nicht errathen, ob ſie ein Weib oder Mädchen ſei. Sie ſtand mit dem Leib über die nachläſſig ge¬ falteten Hände übergebeugt am Brunnen, und wartete in dieſer gedul¬ digen Haltung, welche meiſt von überſtandenen Leiden zeugt, auf das Vollwerden ihres Gefäßes. Ein tiefer Seufzer ſprach es aus, daß ſie in ihrem Innern nicht unbeſchäftigt war. Während ſie ſo am Brun¬ nen träumte, erſcholl ein raſcher, zuverſichtlicher Schritt durch das ſchlummernde Thal. Er ſchien ſich zu verlieren, wenn die Straße ſich287 ſenkte; dann ſchlug er wieder deutlicher an das Ohr. Bald hatte der Wanderer das Dorf erreicht; er ging langſamer, verweilte hie und da, und ſetzte dann ſeine Schritte wieder fort. Wie er näher kam, ein kräftiger, unterſetzter Mann, entdeckte er die Geſtalt am Brunnen und trat, wie um ſie zu fragen, auf ſie zu. Kaum aber hatte er ſie voll in's Auge gefaßt, ſo umſchlang er ſie und drückte ſie heftig an ſich. Mit einem leiſen Schrei des Schreckens und Unwillens ſuchte ſie ſich loszumachen, da ſagte er mit unterdrückter Stimme: Chriſtine! Sie ſah ihm in das Geſicht und ſtürzte mit einem zweiten Schrei an ſeine Bruſt, die Arme um ihn ſchlagend. Nach einer langen Umarmung, in welcher ſie zuweilen tief Athem holte, ſagte ſie weinend: Mein Frieder, mein Frieder! Was für ein Engel führt dich zu mir? Wo kommſt denn her?

Von Hohentwiel, von Frankfurt, von Ebersbach, aus dem Gefäng¬ niß, aus der Welt, aus der Heimath, woher du willſt! antwortete er fröhlich.

Daß du von Hohentwiel entkommen biſt, ſagte ſie, iſt das Letzt ', was ich von dir weiß. Das hat einen ſolchen Lärmen durch's Land geben, daß ich's ſogar im Zuchthaus erfahren hab'. Kannſt dir vor¬ ſtellen, wie mich's gefreut hat.

Im Zuchthaus! verſetzte er. Ich weiß, daß ſie dich dorthin ge¬ than haben. O 's iſt ſcheußlich! ſcheußlich!

Sie haben geſagt, ſonſt werd 'Eine erſt beim dritten Kind ſo ge¬ ſtraft, mir aber müſſ' man's ſchon beim zweiten andictiren, für mei¬ nen Umgang mit dir, weil du dich ſo aufgeführt habeſt, daß man dich lebenslänglich hab 'auf die Feſtung ſperren müſſen.

Er lachte wild.

Sie fiel ihm abermals um den Hals; dann ſah ſie ſich ſcheu um, ob niemand ihr Thun bemerkt habe. Hierauf fragte ſie haſtig: Und von Ebersbach kommeſt, ſagſt? Was machen meine Kinder?

Sie ſind ganz wohl, antwortete er: das Kleine hat all' ſeine Zähn ', du mußt's ja geſehen haben, wie du letzt dort geweſen biſt, und lauft ganz allein; und der Groß' hat vorgeſtern zum erſtenmal in die Schule dürfen zum Zuhören. Er hat mir aufgeben, ich ſolle die Mutter ſchön grüßen.

Sie ſchluchzte. Aber ich vergeſſ 'mich ganz, ſagte ſie dann er¬288 ſchrocken. Meine Herrſchaft iſt im Pfarrhaus, ſie ſind oft nach'm Nachteſſen dort, und die Kinder ſind allein. Die Schulmeiſterin thät' mir's nicht verzeihen, und ich möcht's ihr auch nicht zu leid thun, daß einem von den Kindern etwas geſchäh '.

Hat die Kathrine Kinder? fragte er, ſie aufhaltend.

Ha, was meinſt? antwortete ſie, drei, und das Aelteſt 'davon iſt ſchier fünf Jahr' alt.

Was man nicht erleben kann! ſagte er: iſt mir's doch, als hätt 'ſie erſt geſtern noch im Ebersbacher Amthaus gedient, mit ihrem Bleich¬ ſchnäbele und ihrer ſchmächtigen Geſtalt, und jetzt hat ſie ſchon ein fünfjähriges Kind.

Es iſt auch in die ſechs Jahr ', daß ſie den Schulmeiſter hier ge¬ heirathet hat. O Frieder, das Weib hat den Himmel an mir ver¬ dient. Aber jetzt laß mich, nur' n Augenblick laß mich, ich komm wieder! Sieh, wenn den Kindern etwas zuſtieß ', die ſie mir anvertraut hat, es wär' mein Tod.

Gleich laſſ 'ich dich gehen, ſagte er und faßte ſie an der Hand. Wenn du aber wieder kommſt, bleibſt dann bei mir und ziehſt mit mir fort? Ich leid's nicht, daß mein Weib im Dienſt iſt. Sieh', bloß um deinetwillen bin ich von Frankfurt hergewandert, um dir zu halten, was ich dir verſprochen hab '. Meines Bleibens iſt im Ländle nicht, kannſt dir wohl denken warum, aber draußen können wir das und jenes probiren, werden uns ſchon durchſchlagen, und das ehrlich, hoff' ich. Auch iſt jetzt leichter in der Welt fortzukommen: es iſt Krieg, und der bringt manchen Verdienſt unter die Leut '. Der König von Preußen iſt in Sachſen eingefallen, es geht alles drunter und drüber.

Ja, man ſpricht hier auch davon, verſetzte ſie. Ach Gott, was iſt das für eine Welt!

Gehſt mit mir? und das gleich? fragte er dringender.

So weit ich ſeh! rief ſie, ihm noch einmal um den Hals fallend. Aber von meiner Schulmeiſterin muß ich Abſchied nehmen, ſie meint's ſo gut mit mir.

Sie griff nach ihrer Gelte. Er wollte dieſelbe tragen, aber ſie gab es nicht zu. Geh 'zwiſchen den Häuſern da den Fußweg' naus, daß dich niemand bemerkt. Bei den drei großen Bäumen ſtoß 'ich289 wieder zu dir. Die Kathrine will ich von dir grüßen; ſie ſpricht oft von dir, aber was hätt' ſie davon, wenn du in ihrem Haus gefangen würdeſt?

Sie eilte mit dem Waſſer fort. Er trank in gierigen Zügen am Brunnen, ging dann den Fußweg hin und wartete an dem bezeichneten Orte. Nach einer Viertelſtunde kamen haſtige Schritte. Sie war's; an ihrer Hand ſchwankte ein kleines Bündelein, das er ihr ſogleich ab¬ nahm. Ich hab 'nicht Abſchied nehmen können, ſagte ſie: ſie ſind noch im Pfarrhaus, es iſt Beſuch ankommen, und da wird der Schul¬ meiſter immer eingeladen, denn er gilt beim Pfarrer viel. Weil du nun ſo preſſirſt, ſo hab' ich die Kinder einer Nachbarin übergeben und hab 'meiner Frau ſagen laſſen, meine Mutter ſei plötzlich krank wor¬ den, der Bot' hab 'mich am Brunnen troffen und ich hab' ohne Ver¬ zug mit ihm fort müſſen. Sie wird wohl von ſelber drauf kommen, wie ſich's in Wahrheit verhält, und damit ſie's um ſo eher errathen kann, ſo hab 'ich mit dem Griffel auf die Schieferplatt' im Tiſch ge¬ ſchrieben: Will 'und Lieb, die ſtiehlt kein Dieb.

Das iſt die rechte Parole, ſagte er. Das hat mich auch wieder in's Land geführt.

Jetzt aber erzähl 'einmal, ſagte ſie. Wenn wir immer ſo durch einander ſchwätzen, ſo erfährt keins vom andern was Recht's.

Zuerſt müſſen wir den Marſch antreten, Frau Landfahrerin, ent¬ gegnete er. Geh 'du voran und führ' mich den Weg auf die Straße hinaus. Dort können wir neben einander gehen und erzählen nach Herzensluſt. Hier, ſo nah 'am Dorf, iſt's doch nicht recht geheuer. Ja, wo' naus willſt du, Herr Landfahrer? fragte ſie. Das verſteht ſich doch: nach Ebersbach und die Kinder holen, denn ohne die ziehen wir nicht in die Welt hinaus.

Jetzt freut mich mein Leben erſt! rief ſie entzückt und ſchritt rüſtig in der Dunkelheit voran. Er folgte. Mir iſt's als wärſt du kräftiger worden, ſagte er hinter ihr her, du trittſt ja auf wie eine Burge¬ meiſterin, auch kommſt du mir viel runder vor wie ehedem.

Ich hab 'auch ein beſſeres Leben gehabt in der letzten Zeit, ant¬ wortete ſie, immer vorwärts eilend: kann ſein, daß ich mich wieder ein wenig' rausgemacht hab '. Aber wenn du mich morgen bei Tag ſiehſt, da wirſt finden, daß ich nicht mehr das glatt' Geſicht von ehedeſſen hab '. D. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 19290Ach Frieder, Sorgen und Noth machen den Menſchen alt vor der Zeit. Ich fürcht ', ich werd' dir nicht mehr ſo gut gefallen.

Schwätz 'mir nicht ſo verkehrt' raus! erwiderte er. Daß du nicht ſiebzehn Jahr 'alt bleiben kannſt, das hab' ich gewußt, wie ich dich lieb¬ gewonnen hab ', und hab' mir's auch ſagen können, wie ich, gleichfalls aus dem beſten Leben 'raus, fort bin, um dir das Wort zu halten, das ich dir zugeſchworen hab'. Haſt übrigens gar nicht ſo alt ausgeſehen vorhin am Brunnen, wie ich zu dir kommen bin. Ich hab 'dich juſt fragen wollen: Jungferle, wo iſt das Schulhaus? da ſeh' ich auf ein¬ mal, daß du's ſelber biſt.

Sie hatten unter dieſen Geſprächen ein Gewirr ſich kreuzender Feldwege, welchen ſie oft eine Strecke folgen mußten, längs des Dor¬ fes hin durchſchritten. Hie und da bellte ein Hund, aber ſie verfolg¬ ten unangefochten ihren Weg. Von einem Rain, an welchem der Fußſteig ſteil emporkletterte, flog ſie mit einem leichten Sprung auf die Straße hinab und er ihr nach. Er faßte ſie eng um den Leib, ſie ihn desgleichen, und ſo wanderten ſie in der Nacht zuſammen hin. Sie drückte ihn noch einmal feſter an ſich: ſo, jetzt erzähl '! ſagte ſie.

Alſo! begann er. Wie ich vor drei Jahren nach Hohentwiel kom¬ men bin, das weißt du. Ich wär 'aber doch begierig, ob du auch weißt, was dein Hannes, mein hochachtbarer Herr Schwager, dazu bei¬ tragen hat. Gelt, das wird er dir nicht geſagt haben?

Ich weiß gar nichts, ſagte ſie, als daß du den Tag nachdem wir uns das letzt'mal geſehen haben, in der Sonne biſt gefangen genom¬ men worden, und daß es da wieder einen Kampf und ein Getümmel geben hab ', wie vor ſechs Jahr', wo du vom Dach in's Zuchthaus geflogen biſt, und daß man dich dann weit fortgebracht hat nach Hohentwiel. Kannſt dir ſelber ſagen, was mir das geweſen iſt, daß ich dich Zeitlebens nicht mehr ſehen ſoll, und dazu zwei unverſorgte Kinder, von denen eins noch nicht einmal auf der Welt geweſen iſt. Aber von meinem Hannes weiß ich nichts.

Der hat eine Pique auf mich gehabt, von damals her, wo er mit mir in's Zuchthaus kommen iſt, und du weißt doch ſelber am beſten, wie unſchuldig ich daran geweſen bin. Wie's nun Lärm geben hat wegen der Dummheit im Pfarrhaus

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Da ſagſt recht, unterbrach ſie ihn: freilich iſt's eine Dummheit geweſen. Weißt noch was ich zu dir geſagt hab ', wie du mir Nachts mit den Sachen über's Bett kommen biſt? Biſt denn immer noch ein Bub'? willſt denn gar nie kein Mann werden? hab 'ich geſagt. Und warum haſt denn nicht, wie du mir doch verſprochen haſt, den Kelch gleich wieder in's Pfarrers Garten geworfen? Ich hab' dir doch geſagt, das ſei ja der Krankenkelch, werd 'wohl hundert Gul¬ den werth ſein, und wenn's auf dich bekannt werd', ſo kommeſt an Galgen.

Sei doch vernünftig! ſagte er. Ich hab 'ja nicht können. Wie ich mich wieder gegen das Pfarrhaus hingeſchlichen hab', hat mich der Nachtwächter geſehen und da hab 'ich nimmer trauen dürfen. Ich hab' dann eben die Sachen zu Haus im Stroh verſteckt, und da hat's am Morgen der Knecht gefunden und meinem Vater bracht, und der hat in der Todesangſt Alles dem Pfarrer geſchickt. Er hat gemeint, man könnt 'ihn ſelber als Hehler beim Kopf nehmen, und die Frau Stiefmutter hat ihm natürlich die Höll' noch heißer gemacht.

Hätt'ſt aber auch den Spaß können bleiben laſſen! eiferte ſie. Wenn du nur ein klein bisle Grütz im Kopf gehabt hätt'ſt, ſo hätt'ſt doch wiſſen müſſen, daß ein Einbruch in einem Pfarrhaus, ſonderlich wenn Kirchenſachen dabei wegkommen, ſo laut ſchallt wie die Poſaun 'von Jericho. Und wenn nur auch was dabei' rauskommen wär '! aber der ganz' Vettel iſt ja des Einſteigens nicht werth geweſen.

Das iſt wahr, verſetzte er, außer der ſilbernen Sackuhr, dem gol¬ denen Ring und den paar Batzen Geld, iſt an der ganzen Lumperei nichts ächt geweſen. Das andre Uehrle war von Meſſing und zer¬ brochen, und dein koſtbarer Nachtmahlskelch, den du haſt auf hundert Gulden taxiren wollen, was iſt er geweſen? von Kupfer und ein wenig verguld't.

Drum eben! ſagte ſie noch eifriger. Und doch haſt bei der Lum¬ perei nicht bedacht, daß es um den Hals gehen, oder, wie ſich's nach¬ her auch zeigt hat, eine Lebenslänglichkeit dabei 'raus ſpringen kann. Du haſt gut reden, entgegnete er verdrießlich. Bin ich darum aus meiner ſichern Freiſtatt zu dir kommen, um mir gleich von dir vopredigen zu laſſen? Du haſt, ſcheint's, ganz vergeſſen, wie man's uns gemacht hat

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Das hätt 'freilich den beſten Mann verzürnen können, unterbrach ſie ihn begütigend.

Zuerſt, fuhr er heftig fort, ſtecken ſie mich um nichts und wieder nichts auf anderthalb Jahr in's Zuchthaus. Wie ich das überſtanden hab 'und in's bürgerliche Leben zurückkehren will, ſo nimmt kein Hund mehr ein Stück Brod aus meiner Hand. Da hab' ich erſt geſehen, daß meine beide frühere Zuchthausſtrafen für nichts geachtet worden ſind; aber die dritte, die hat dem Faß den Boden ausgeſchlagen. In meines Vaters Haus hab 'ich mehr wie ein Vagabund auf dem Heu und Stroh als wie ein Kind im anererbten Bett geſchlafen. Mein Mütterlich's, hat mir mein Pfleger mit Lachen geſagt, ſei über den Prozeß -, und Erſatz - und Zuchthauskoſten drauf gegangen, und ſo hat mir meine Volljährigkeit nichts mehr geholfen. Rechnung hat man mir gar nicht abgelegt und mein Vater hat mich dabei im Stich ge¬ laſſen: mein Pfleger, hat er geſagt, ſei eben einmal ein Herr auf dem Rathhaus, und mit dieſem müſſe man delicat verfahren. Ich hoff' ihm noch eine beſondere Delicateſſe anzuthun. Die Metzger, bei denen ich als Knecht hab 'herum ſchaffen wollen, haben mehr oder weniger deutlich das Kreuz vor mir geſchlagen. Weil man mir nun von Haus aus gar keinen Vorſpann geleiſtet, vielmehr immer noch Fußangeln in den Weg geworfen hat, ſo hab' ich um ſo mehr drauf preſſirt, daß es zwiſchen uns Beiden endlich zum Heirathen käme; denn abgeſehen davon, daß mir's ohnehin angelegen geweſen iſt, ſo hab 'ich gedenkt, wenn die Leute ſehen, daß ich gegen meinen Schatz ehrlich bin und dem ledigen Leben mit ſeinen Lumpenſtreichen Valet ſage, ſo werden ſie mir nach und nach auch wieder Vertrauen ſchenken. Aber ich brauch' dir ja nicht lang vorzumalen, wie uns das fehlgeſchlagen hat. Der alte Pfarrer, der Eiferer und Polterer, ſteht mir jetzt vergleichsweiſe als ein Ehrenmann da: der neue aber, den ich bei meiner Zurückkunft von Ludwigsburg angetroffen hab ', iſt vollends der ganz gemeine Kanzelmelker, der bloß rechnet, wie viel Gulden und Kreuzer ihm das Evangelium trägt und was er aus ſeinen Verrichtungen für Profit herauspreſſen kann. Die dritte Proclamation haben wir mit Leichtig¬ keit von ihm erlangt um Geld und gute Worte; nur daß ich um des ſpöttlich mitleidigen Tones willen, mit dem er unſre Namen ablas, ihm das Geſangbuch hätt' an den Kopf werfen mögen. Dann aber293 hat wieder Alles dran getrieben, daß die Sache rückgängig worden iſt, Vater und Mutter, Amtmann und Pfarrer, und der Pfarrer hat meinem Vater noch ganz anders zugeredet, als ſein Vorgänger, welch 'eine Thorheit es für ihn ſei, eine Schwiegertochter ohne Vermögen in's Haus zu nehmen. Weißt noch, wie wir vier Wochen lang herum¬ gezogen ſind zwiſchen dem Staufen und der Teck, von einem Pfarr¬ hof zum andern, ob wir nicht einen Geiſtlichen fänden, der uns um Gotteswillen und aus chriſtlichem Herzen copulirte? War aber Alles vergebens, und wie wir heimkommen, ſo ſtecken ſie uns wegen Ent¬ führung und Landſtreicherei vierzehn Tage lang ein und bringen mir dann eine Verzichtleiſtung von dir, die mich ſo rappelköpfig macht, daß ich erklärt hab', jetzt wolle ich auch nichts mehr von dir wiſſen! Wie wir dann frei wurden, war's leicht, ſich über die falſche Vor¬ ſpiegelung zu verſtändigen. Drauf klag 'ich in Göppingen, und der Vogt ſagt ſelber, das ſei keine Art, eine angefangene Copulationsſache nach dreimaliger Proclamation alſo zu hintertreiben, und gibt einen Beſcheid für den Pfarrer, daß er fortfahren ſolle. Wie ich dich nun damit in's Pfarrhaus ſchicke und der Pfarrer an dich hin zankt und ſchimpft, das Oberamt ſolle ihm zuvor die Tar' bezahlen, wenn es ihm mit ſolchem Bettlerpack beſchwerlich fallen wolle, was haſt du dann zu mir geſagt, du Biedermännin, die mir jetzt predigen will? Haſt du nicht geſagt, der Geizhals von einem Pfaffen hab 'Uhr und Ring an der Wand hängen, man ſollt's ihm nur nehmen, dann hätt' ich Geld und könnte nach Stuttgart gehen, um ihn zu verklagen und die Copulation zu erzwingen?

Ach freilich hab 'ich's geſagt, ſeufzte ſie, aber ich bin eben auch ganz außer mir geweſen vor Jammer und Verzweiflung und vor Zorn über ſo ein ungeiſtlich's Betragen gegen die Armen. Aber mein Herz hat nicht dran denkt, daß du das thun würdeſt, was ich im Zorn' rausgeſchwätzt hab '. Vom Gedanken bis zur That iſt doch noch ein weiter Weg, und beſſer hätt'ſt doch gethan, wie du jetzt ſelber einſiehſt, wenn du noch einmal an's Oberamt gangen wär'ſt.

Geh 'mir weg mit dem Oberamt! murrte er. Das einemal hören ſie Einen an und das andremal jagen ſie Einen fort, ſonderlich wenn man oft kommt. Was du gedacht und geſagt haſt, das hab' ich ge¬ than; 's iſt juſt ſo weit, wie der Weg vom Weib zum Mann. Um294 Geld und Geldswerth iſt mir's weniger zu thun geweſen, als um dem hartherzigen Pfaffen zu zeigen, daß ich mehr kann als er, und daß er keine Stunde in ſeinem eigenen Haus ſicher iſt, wenn ich's nicht haben will. Er mag ſeine Thüren und Läden ſo feſt verſchließen, als er will, Angſt ſoll er vor mir haben, ſo lang er lebt, und wenn's mich einmal gelüſtet, ſo ſchieß 'ich ihn von ſeiner Kanzel' runter, wie den Vogel vom Aſt. Ich hab 'ihm noch ein paar Hoſtien mitgenommen, bloß um ihm zu zeigen, was ich auf ſein Handwerk halte, wenn's Ei¬ ner um des bloßen Gewinns willen treibt.

Ich weiß ja wohl, ſagte ſie, immer ihn zu beſänftigen bemüht, daß das Alles iſt, was man dir aus der ganzen traurigen Zeit vor¬ werfen kann. Du haſt leben müſſen, wie der Vogel auf'm Zweig, nur mit dem Unterſchied, daß der Vogel leicht ſein Futter findet, und ich möcht 'wohl auch ſehen, wie Viel' ſich in ſo einer Lag 'ehrlich durch¬ ſchlügen, ohne ſich am Eigenthum des Nächſten zu vergreifen. Denn das bisle Gewildſchießen mit dem Krämerchriſtle kann dir kein Menſch als ein Verbrechen andichten, und 's iſt ja auch nicht' rauskommen. Der einzig 'Streich mit dem Pfarrer hat dir den Hals brochen. Aber daß mein Bruder dabei gegen dich mitgeholfen haben ſoll, das will mir nicht ein. So viel denkt mir allerdings noch, daß er dazumal juſt in Ebersbach geweſen iſt. Weißt, er hat ſich ja gleich vom Zuchthaus aus unter's Militär anwerben laſſen und iſt nicht mehr heimkommen, bis unſer Vater ge¬ ſtorben iſt ach Gott, wenn ich an den Tag denk'! und vor drei Jahr ', um die Zeit wo man dich geſetzt hat, iſt er wieder im Urlaub dageweſen.

Komm, ſagte er, du wirſt doch nicht im Freien über Nacht blei¬ ben wollen. Ich weiß auf unſrem Weg einen kleinen Weiler, wo wir ſicher ſein werden. Wenn die Leut 'noch auf ſind, ſo müſſen ſie uns ein Nachtquartier geben, wir ſind ja Mann und Weib, und wenn ſie ſchlafen, ſo weiß ich auch zu helfen.

Sie verließen die harte, unebene Straße und ſchlugen einen ge¬ mächlichen Waldpfad ein, auf welchem ſie in der bisherigen Weiſe ſich umſchlingend neben einander gehen konnten. Wie mein Vater am andern Morgen dem Pfarrer ſeine Sachen wieder geſchickt hat, fuhr er fort, da hab 'ich gleich gemerkt, daß Mohren iſt ja ſo, das lautet böhmiſch für dich ich will eben ſagen, ich hab' gemerkt, daß295 Feuer im Dach iſt, daß das Ding Lärm macht, hab 'mir alſo den Kopf nicht lang zerbrochen, ſondern hab' ihn zwiſchen die Füß 'ge¬ nommen und mich in der Sonne verborgen, bis ich etwas Luft hätt', um durchzukommen. Das war ein Rennen und Laufen den ganzen Tag, ich hab 'Alles von meinem Verſteck aus angehört und mich nicht gerührt. Möglich iſt's, daß die Frau Sonnenwirthin in ihrem witzi¬ gen Hirn draufkommen iſt, hinter den alten Fäſſern und dem Rumpel¬ zeug im hundertjährigen Staub könnt' was Lebendiges ſtecken aber gradaus iſt ſie mir nicht zu Leib gegangen, das iſt überhaupt ihr Genie nicht. Gegen die Nacht, während ich eben denk ', jetzt könnt' ich bald entſchlüpfen, hör 'ich an meinem Verſteck herumtappen, klopfen und Frieder! rufen. An der Stimm' erkenn 'ich deinen Hannes, geb' aber nicht gleich Antwort. Drauf fährt er fort, ich ſolle mich doch nicht ſo verſtellen, er ſei mit etlichen Kameraden im Urlaub da, ſie haben von meinem Malheur gehört und meinen's gut mit mir, ich ſolle nur herfürkommen, ſie wollen mich in die Mitte nehmen und mir durchhelfen; auch hab 'er mir von dir etwas Nöthiges auszurichten. Was hätt' ich ihm nicht trauen ſollen? Mir iſt's im Schlaf nicht ein¬ gefallen, daß er mir von früher her etwas nachträgt, was mich gar nicht einmal betrifft. Wie ich aber gutsmuths herausſteige, ſo faſſen mich die Soldaten und ſchreien: Arretirt! Ich hätt 'mich vor denen pappeten Herrgöttern mit ihren Krautmeſſern und ihren gemalten Schnurrbärten nicht geforchten, ich hätt's mit allen aufgenommen, aber ich ſtand dir da, ganz ſteif und ſtarr über die Verrätherei, wenn man mich geſtochen hätt', ich hätt 'kein Blut geben, und ſo bin ich regungs¬ los von ihnen gefangen und gebunden worden. Wenn ſie alſo nach¬ her behauptet haben, es hab' einen Kampf und ein Getümmel gekoſtet ſo haben ſie ſchmählich gelogen, um ihre Heldenthat deſto größer zu machen.

Großer Gott! rief ſie jammervoll: alſo mein eigener leiblicher Bruder hat dich an's Meſſer geliefert, und ich hab 'kein Wort davon gewußt! Es iſt mir nur lieb, daß er jetzt weit weg in Garniſon liegt. Und an mir willſt du's nicht auslaſſen, daß mein Bruder ſo eine Schlechtigkeit an dir begangen hat?

Wär 'ich ſonſt ſo weit her zu dir kommen? antwortete er.

Sie gab ihm ihre Dankbarkeit durch warme Liebkoſungen zu er¬296 kennen. Aber gelt, ſagte ſie, ich hab 'auch nicht lang gefragt, wie ich dich geſehen hab'? Du haſt nur ſagen dürfen: Geh mit! und gleich bin ich gangen.

So iſt's recht, verſetzte er. Wir ſind ja Mann und Weib. An Gottes Segen iſt Alles, an der Pfaffen Segen gar nichts gelegen.

Jetzt erzähl 'weiter, drängte ſie.

Auf Hohentwiel, fuhr er fort, hab 'ich keine gute Zeit gehabt. Harte, ſchwere Arbeit und lüderliche Koſt Tag aus Tag ein, immer das nämliche Leben zwei Jahre lang, und dazu die Ausſicht, daß es in alle Ewigkeit ſo bleiben ſoll. Da kann einem der Spaß vergehen. Ich hab' aber den Muth nicht ſinken laſſen, und gleich ein paar Wo¬ chen nach meinem Eintritt hab 'ich mich zu ſalviren verſucht. Das iſt aber nicht ſo leicht wie im Zuchthaus, von wo mir's ein Kinder¬ ſpiel war, dich ein paarmal zu beſuchen. Sie haben mich zum Feſtungs¬ bau gebraucht, denn an ihrer unüberwindlichen und unüberſteiglichen Feſtung, wie ſie's heißen, bauen ſie beſtändig fort, wie am Thurn zu Babel, um ſie immer noch unüberwindlicher und unüberſteiglicher zu machen. Wenn ich eine Armee gegen ſie zu führen hätte, ich wollt' ihnen ventre à terre im Neſt ſitzen, eh 'ſie's merkten, denn ich weiß, wo ihr berühmtes Kleinod ſchadhaft iſt. Das erſtemal iſt mir's aber ſchlecht gerathen, da hab' ich noch im Bubenunverſtand und im Deſpe¬ rationsfieber gehandelt, bin nur grad 'mitten in die Freiheit hineinge¬ ſprungen, wo ſie am breitſten und aber auch am tiefſten war, von einer großen Höhe herunter, aber dann auch keinen Schritt weiter mehr. Die Wachen haben gleich nach mir geſchoſſen, aber von oben her trifft man nicht ſo geſchwind, und das Schießen war unnöthig, denn ich blieb ganz ruhig liegen, weil ich den Fuß gebrochen hatte. Nachdem ich geheilt war, mußte ich wieder arbeiten, und bei Nacht ſperrten ſie mich allein in ein Käfig, wo ich von lauter Quadern umgeben war. Nun war ich ſchon ſo gewitzigt, um zu wiſſen daß das Verzweifeln zu gar nichts hilft, fraß alſo allen Grimm und allen Jammer um dich und allen Durſt nach Befreiung in mich hinein, Tag und Nacht, und hielt mich ſtill, als ob ich ganz zufrieden wär' und hätte die Welt vergeſſen. Geduld, ſagt das Sprichwort, Geduld überwindet Sauerkraut; aber freilich, man darf dabei nicht müßig gehen. Zum Glück hatte ich ſchon im Ludwigsburger Zuchthaus einige297 Brocken von der jeniſchen Sprache aufgeſchnappt, und die konnte ich auf Hohentwiel fürtrefflich brauchen.

Jeniſch? unterbrach ſie ihn. Was iſt denn das?

Paſſ 'auf! ſagte er. Die Kochem ſcheften grandig in Käfer Märtine, ſchaberen bei der Ratte in Kitteren, fegen Schrenden, Kla¬ minen und Hanſel, holchen auf Gſchock, tſchoren Sore, zopfen Kies aus Rande, kaſperen Gaſche, achlen und ſchwächen toff mit nickligen Schickſen, joſten im Flach um Jack, ſchmuſen und ſchmollen, aber kiſtig holchen Nieſcher, zopfen ſie krank, kiſtig ſchupfen ſie Schiebes, wenn ſie aber in der Leke ſcheften und ihre Maſſematte maker werden, be¬ ſtieben ſie Makes Makoles, holchen kiſtig capore, werden talcht, an die Nelle geſchniert, gekibeſet oder getelleret.

Hör 'auf, hör' auf! ſagte ſie. Da wird's ja Einem ganz dumm davon. Das iſt rothwälſch, da verſteh 'ich kein einzig's Wort.

Wie kannſt du denn ſagen, es ſei rothwälſch, wenn du's nicht verſtehſt?

Grad deswegen! Was man nicht verſteht, das heißt man ſo.

Du weißt nicht, daß du ein wahres Wort geſprochen haſt, denn rothwälſch und jeniſch, das iſt die nämliche Zunge.

Du mein Heiland! ſagte ſie betreten, das ſprechen ja aber nur die

Kochem! ergänzte er, da ſie ſtockte. Wenn du willſt, kannſt du ſie auch Jauner, Diebe, Spitzbuben und dergleichen heißen, denn das ſind ihre Namen bei den andern Leuten; ſie ſelbſt aber nennen ſich Kochem. Dies iſt die Geſellſchaft, in die man mich zu Ludwigsburg und auf Hohentwiel gethan hat.

Ach Gott, ach Gott! ſeufzte ſie. Ich bin doch auch im Zuchthaus geweſen, aber ich hab 'Gottlob keine Gelegenheit gehabt, das Jeniſche zu erlernen. Ich hab' meiſtens bei einer Aufſeherin arbeiten müſſen, die mich zu ſich genommen hat, und da hab 'ich, ich kann nicht an¬ ders ſagen, manches Nützliche gelernt, was ich vorher nicht gewußt hab'.

Das iſt Glücksſache, ſagte er. Früher hat man mich in Ludwigs¬ burg auch etwas apart gehalten, der ſelige Waiſenpfarrer hat's damals nicht anders gelitten; das drittemal aber bin ich unter den großen Troß geſtoßen worden. Wiewohl, es war mein Glück, denn hätt 'ich nicht Jeniſch gelernt, ſo ſäß' ich heut noch auf Hohentwiel.

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Was heißt denn das, was du da hergeſagt haſt? fragte ſie.

Es iſt nur eine Probe, ſagte er, und bedeutet ſo viel als: die Kochem ſind groß an Mannſchaft im Schwabenland, brechen bei Nacht in die Häuſer, leeren Stuben, Kammern und Käſten, gehen auf Märkte, rapſen Waare, ziehen Geld aus Taſchen, ſchnellen die Leute, eſſen und trinken gut mit ihren hübſchen tanzluſtigen Weibsbildern (denn daran rühmen ſie ſich reich zu ſein), liegen auf dem Feld um's Feuer, ſchwatzen und lachen, aber oft kommen Streifer, nehmen ſie gefangen, oft machen ſie ſich davon, wenn ſie aber in's Gefängniß gerathen und ihre Sachen an Tag kommen, kriegen ſie Schläge und Prügel, müſſen auch oft ſterben, werden gemalefitzt, an den Galgen gehenkt, geköpft oder gerädert.

B'hüt 'uns Gott! rief ſie, und ſolche Reden gehen aus ihrem ei¬ genen Mund?

Das ſind Dinge, von denen ſie täglich reden, um ſich recht an den Gedanken zu gewöhnen, gleichwie der Amalekiter König Agag zu Samuel ſprach: Alſo muß man des Todes Bitterkeit vertreiben.

Für 'n Amalekiter mag das ſchon recht ſein, aber es ſind doch ſchreckliche, gräuliche Ding', und man kann's nicht verantworten, daß man dich ſo jung mit ſo Leut 'zuſammengepfercht hat. Ach Frieder, ich bitt' dich, laß du ſie links ziehen und halt 'dich nicht zu ihnen.

Nein, ſagte er, ich hab 'allen Reſpect vor ihnen und will mich auch nicht mit ihnen einlaſſen. Deswegen gehen wir ja außer Lands, wo auch gut Brod eſſen iſt und wo mich keiner von ihnen kennt.

Bei der Flucht von Hohentwiel alſo ſind ſie deine Kameraden ge¬ weſen? Ich kann mir's jetzt ſchon denken.

Mit Hilfe des Jeniſchen, fuhr er in ſeiner Erzählung fort, brachte ich bald heraus, welche von den Gefangenen die tauglichſten waren und meinem Gefängniß am nächſten lagen. Zum größten Glücke hatte ich zwei Nachbarn, ganze Kerls, mit denen ich den Teufel aus der Hölle ſchlagen wollte. Uns zu verſtändigen, das war uns eine Klei¬ nigkeit. Im Vorbeigehen etwas hingemurmelt oder im Sprechen mit der Schildwacht oder dem Aufſeher ein paar jeniſche Brocken einge¬ ſtreut und dabei dem eigentlichen Adreſſaten den Rücken zugekehrt das iſt für einen Kochum ſo viel wie ein ganzes Buch; aus zwei, drei Worten, die von einem Andern faſt ohne Mundbewegung an ihn herge¬299 ſäuſelt kommen, ſtudirt er ſich Alles 'raus, was er nöthig hat. Frei¬ lich braucht's auch manchmal längere Verſtändigungen. Da kommt man dann am beſten mit Singen fort. Ein Geſetzlein aus einem Gaſſenhauer, wenn die Schildwacht gutmüthig und ſelber luſtig iſt, oder wenn man nicht trauen darf oder gar einander ein Langes und Breites zu ſagen hat, ein Kirchenlied, das hilft Einem weit. Wie hab ich's nicht meinem alten Schulmeiſter gedankt, daß er mir die Choräle ſo ferm eingetrichtert hat! Die Soldaten haben oft ganz an¬ dächtig zugehört, wenn ich ein langes Bußlied nur ſo halblaut vor mich hingeſumſet und dabei den Text zwiſchen den Zähnen zerdrückt, nur hie und da ein deutſches Wort deutlich herausgehoben hab'. Das Undeutliche aber war Alles jeniſch und für meine beiden Leidensge¬ noſſen deutlich genug. Das hat dann dazu dienen müſſen, noch eine zweite Sprache mit einander zu verabreden, die unſre Hauptſprache werden mußte. Die Quader nämlich waren viel zu dick, als daß wir uns bei Nacht hätten unterreden können, und daran war uns natürlich am meiſten gelegen. Nachdem wir aber ein bequemes Alphabet fertig gebracht hatten, ſo klopften wir einander ganze Nächte fort, und was wir klopften, das waren lauter Worte und Sätze. Gelt, du mußt lachen? Aber die Klopfſprache war mir damals die liebſte in der Welt und hat ſich auch viel beſſer bewährt, als die Blutſprache, die du mir einmal im Arm auf die Wanderſchaft haſt mitgeben wollen. Zu allem andern Glück kam dann noch ein koſtbarer Fund, ein Nagel nämlich, der mir eines Tags in die Hände gerieth, und dieſes kleine Werkzeug hat den Grund zu unſrer Freiheit legen müſſen.

Was biſt du für ein Menſch! rief ſie. Man ſollt 'oft meinen, du ſeieſt mehr als ein Menſch.

Du kannſt dir denken, wie oft mir da die Finger geblutet haben und dann hab 'ich's ſehr gefühlt, daß ich ein Menſch bin, und wenn ich an's Freiwerden und an dich und unſre Kinder gedacht hab' da hab 'ich auch wieder gewußt, daß ich einer bin. Um es kurz zu machen, nach einer vierteljährigen ſchweren Nachtarbeit, neben den ſchweren Tages¬ arbeiten, war ein Loch durch die Mauer glücklich gebrochen, das Nie¬ mand entdeckte, aber dann dauerte es noch lang bis alle günſtige Um¬ ſtände zuſammentrafen. Was irgend zum Knüpfen und Binden tauglich war, das hatten wir in den zwei Jahren wie die Hamſter zuſammen¬300 geſcharrt und das kleinſte Flöcklein Hanf war uns nicht zu ſchlecht ge¬ weſen. Keine Seele kann ſich eine Vorſtellung machen, was das ein Stück Arbeit geweſen iſt und welche Attention, Diebsgeſchicklichkeit und Spitzbüberei es erfordert hat, nach und nach die nöthigen Stricke zu¬ ſammen zu bringen. Das war faſt noch mehr als die Arbeit an der Mauer. Viele Stunden lang müßt' ich erzählen, wenn ich dir Alles ausführlich ſagen wollte; aber wer dieſe Werke und dieſe Felſen und dieſen ſpitzen Wolkenkegel nicht geſehen hat, dem kann man doch keinen Begriff von den Schwierigkeiten einer ſolchen Flucht beibringen. Ich würd's auch Keinem übel nehmen, wenn er's nicht glaubte; aber die Thatſache ſteht nichtsdeſtoweniger feſt, denn ich war lebenslänglicher Gefangener und bin nicht freigegeben worden, und geh 'jetzt dennoch hier an deiner Seite durch den freien grünen Wald, und hab' ihnen den Stolz auf die Unüberwindlichkeit ihrer ſtarken Feſte Hohentwiel zu Schanden gemacht. Und nun frag 'dich, wenn ich das zu Stand gebracht hab', ob ich nicht auch im Stand ſein müſſe, dich und deine Kinder durch Fleiß und Geſchick irgendwie durchzuſchlagen.

O, du kannſt Alles was du willſt, ſagte ſie mit ſchmeichelndem und zugleich neckendem Tone: biſt ein halber Hexenmeiſter worden, und ich weiß gar nicht, du red'ſt auch nimmer wie ſonſt in Ebersbach, dein Reden hat ſo eine fürnehme Art, und brauchſt Ausdrück ', wie ich's nie früher an dir gehört hab'.

Natürlich! lachte er, drum bin ich in der Welt drein geweßt, und das doppelt. Einmal am Main und Rhein drunten lernt man einen ganz andern Schick, und bei meinem Vatersbruder, obgleich in ſeinem Haus nichts Neumodiſches zu finden iſt, kehren gar ſtattliche Kunden ein, weil er den Wein noch nach der alten Mode ſchenkt, ungeſtritzt und wohlbehandelt und dabei billig, ſo daß Wirth und Gäſte beſtehen können. Da kommen dir Leute von Welt hin, feine Köpfe, und wenn man auf ihre Reden aufpaßt, ſo bleibt was an Einem hängen. Sie haben mich freilich auch manchmal ein wenig in's Gebet genommen und mir zu verſtehen gegeben, man merke mir den Schwaben an, eh 'ich nur den Mund aufthue; aber aus welchem Käfig der Vogel aus¬ geflogen war, das haben ſie mit all ihrem Witz doch nicht ergründet. Dann aber iſt auch das Zuchthaus und die Feſtung eine Welt, die ihre Leute bildet, nicht bloß, wie du meinſt, zum Stehlen und Rau¬301 ben ei nein, jedes Handwerk, ob es gut oder ſchlecht ſei, erfordert Fertigkeiten und Kenntniſſe, die dem Menſchen Ehre machen. So ein Stromer oder Jauner, der in den Landen umherzieht, Fuchs und Has zugleich iſt, der weiß und kann dir Dinge, die einem gewöhnlichen Ofenhocker nicht im Traum vorkommen. Wenn's eine gute Gelegen¬ heit gegeben hat, daß man hat eine Stunde ungeſtört ſich unterhalten können, da hat man Neuigkeiten gehört, daß Einem die Welt noch einmal ſo groß und weit vorkommen iſt, und daß ſogar die Schmieren oder Launiger will ſagen, die Aufſeher oder die Soldaten, die die Wache gehabt haben mit aufgeriſſenen Augen und Mäulern dabei geſtanden ſind und das Abwehren vergeſſen haben. Sie wiſſen dir von jedem Land, groß oder klein, ſeinen Regenten und wie er geſinnt iſt, ſeine Geſetze und Einrichtungen, die Nahrungsweiſe des Volks, den Wohlſtand, die Eigenſchaften faſt jedes einzelnen Beamten, die Ver¬ hältniſſe zu andern Ländern und ihren Regenten und Beamten, Alles das wiſſen ſie dir wie am Schnürle herzuſagen, denn es ſind lauter Dinge, die zu ihrem Handwerk gehören und nach denen ſie ihr Thun und Laſſen abmeſſen müſſen. Ich hab' aber oft denken müſſen, wie nützlich es wär ', wenn die Bürgersleute, die ſich doch zum Theil mit Handel und Wandel zwiſchen ſo vieler Herren Gebiet, das abſonderlich in unſerem Land unzählbar iſt, fortbringen müſſen ich will nur zum Beiſpiel von den Wirthen reden ſage, wenn ſie ſolche noth¬ wendige Wiſſenheiten in den Schulen und dafür meinetwegen ein paar Sprüch' und Verſ 'weniger lernen würden. Aber auch in vielen an¬ dern Dingen trifft man die ſchönſten Kenntniſſe bei ihnen an. Da ſtehen beſonders die Felinger im erſten Rang, und unter dieſen wie¬ derum die ſogenannten Staatsfelinger. Das ſind dir Leute, die für¬ nehm gekleidet in Sammt und Seide, oft in eigenen Caroſſen mit Pferden und großer Dienerſchaft als Bergleute oder Doctoren das Reich durchziehen, treiben ihr Handwerk meiſtens in den Städten, führt mancher gar ein Privilegium von kaiſerlicher Majeſtät mit ſich, und weiß ſich eine Manier und ein Anſehen zu geben, daß jeder Reichsgraf ihn für Seinesgleichen erkennen muß. Aber auch die geringeren Fe¬ linger, die das dumme Volk mit Quackſalberkünſten, Schatzgräbereien und dergleichen kaſpern und brandſchatzen, haben bei allem Betrug oft manche gute Wiſſenſchaft in ihrer Kunſt. Wir ſelber haben einen302 Solchen auf Hohentwiel gehabt, der in Krankheiten ſehr erfahren war, und nicht nur mir und manchem Andern geholfen, ſondern auch den Feſtungsdoctor ſelbſt mehr als einmal ausgeſtochen hat. Der hat ihm freilich die Ehre nicht gönnen wollen, als wenn es recht kritiſch her¬ gangen iſt, aber juſt dann iſt auch der Ruhm deſto größer geweſen.

Wenn aber ſo Leut 'ſo geſchickt ſind, wendete ſie ein, dann ſollt's ihnen ein Leicht's ſein, ſich ehrlich und redlich zu nähren.

Iſt bald geſagt, erwiderte er. Dieſe Leute ſind meiſtentheils von Kindesbeinen auf heimathlos, gehören zu einem verachteten, verwor¬ fenen Menſchenſchlag, und würden zu ehrlichen Hanthierungen im bür¬ gerlichen Leben gar nicht angenommen, ſind auch, was ich zugeben will, theils ſchon durch ihre Eltern dazu verdorben, oder ſie ſind mit und ohne ihre Schuld aus dem bürgerlichen Leben hinausgeſtoßen worden denk 'nur dran, wie's uns gangen iſt und müſſen froh ſein, daß ſie da draußen doch noch eine Welt finden, in der ſie leben können. Das ſind Leute, wie zu David's Zeit, da er vor dem König Saul in die Höhle Adullam fliehen mußte und ſich allerlei Männer zu ihm verſammelten, von denen die Schrift ſagt: Männer, die in Noth und Schuld und betrübtes Herzens waren. Jetzt iſt's freilich nicht mehr Mode, daß Einer aus einem Oberſten über ſolche Männer ein König werden kann, und es däucht mir ſelber unbe¬ greiflich, wenn ich dem Ding nachdenke, zumal daß von allen Kanzeln ſein Lob gepredigt wird, da er doch Stücke gethan hat, die heutzutag mit Galgen und Rad beſtraft würden. So ſchickt er zu dem Nabal hin und läßt ihm ſagen: gib mir und meinen Leuten, was deine Hand findet; wie aber der Nabal Fauſt in Sack macht, ſo heißt er einen Jeglichen ſein Schwert um ſich gürten, und zieht, vierhundert Mann ſtark, gegen ihn, juſt ſo wie ſie jetziger Zeit manchmal aus den böh¬ miſchen Wäldern hervorbrechen. Und wiewohl die Abigail ſich in's Mittel gelegt hat, daß es nicht zum Aeußerſten kommen iſt, ſo hat er Speiſ' und Trank genug ohne Zeche und Kreide gefaßt, und hat ei¬ gentlich doch den Nabal umgebracht, denn der hat aus Schrecken über den Anmarſch der vierhundert betrübten Herzen den Geiſt ausgeblaſen, und hat ihm erſt noch ſeine Wittwe zum Weib laſſen müſſen. Die Schrift ſagt wohl von ihm, der Mann ſei hart und boshaftig in ſei¬ nem Thun geweſen; aber gibt's darum keine Seinesgleichen mehr,303 die, wie er, faſt großen Vermögens ſind und viele Schafe und Ziegen haben? Ich möcht 'ſehen, wenn ihnen Einer heutigs Tags ſo was thät', was weltliche und geiſtliche Obrigkeit dazu bemerken würden. Von den Zigeunern ſagen ſie, ſie betteln zuerſt, und wenn man's ihnen nicht gutwillig gebe, ſo nehmen ſie's mit Gewalt. Aber das hat noch kein Pfarrer als Muſter aufgeſtellt. Vielmehr hat mir ſchon in Ludwigsburg Einer, der bei einem Generalſtreif aufgefangen wurde und in Geſetzen ſehr bewandert und ein halber Gelehrter war, der hat mir geſagt, es ſei erſt vor wenigen Jahren ein Kreispatent aus¬ gegangen, daß man das gottloſe und verruchte Jauner - und Zigeuner¬ volk, auch wenn man es nicht auf einer Miſſethat ergreife, ich weiß den gelehrten Ausdruck nicht mehr, aber der Sinn iſt: ohne ei¬ gentliches Verhör und Urtel, alſo daß man eben ſo gut einen Un¬ ſchuldigen treffen kann ſage, ohne alle Umſtände ſolle man ſie auf's Rad legen, und ſolle dabei nur das unbenommen ſein, daß man ſie zum Schwert oder Strang begnadigen könne.

Das iſt freilich ſchrecklich, ſeufzte ſie. Es iſt eben eine arge Welt und eine böſe Zeit. Aber ſo froh ich bin, daß du mit ihnen von der Feſtung entkommen biſt, ſo iſt mir's doch noch viel lieber, daß du dich wieder von ihnen losgeſchält haſt. Iſt's auch gewiß wahr?

Freilich iſt's wahr, ſo gewiß, als es von Hohentwiel einen Weg nach Sachſenhauſen gibt. Ich hab 'freilich nicht immer den gradſten genommen; 's iſt mir gangen wie bei der Erzählung da, wo du mich fort und fort auf Um - und Nebenwege drängſt.

Ich will dich nicht weiter unterbrechen. Erzähl 'gradaus.

Wie wir mit unſern Vorbereitungen endlich fertig geweſen ſind, haben wir uns an den ſteilen, rothen Felſen hinabgelaſſen. War aber wenig davon zu ſehen, denn wie du dir denken kannſt, haben wir eine ſtürmiſche Regennacht gewählt. Einer voran, ich in der Mitte und einer zuletzt, wie wir eben drangekommen ſind, ſo ſind wir an unſrem armſeligen Seil hinuntergerutſcht. Wir zwei Vordern ha¬ ben uns nicht lang beſonnen, haben's auch nicht geachtet, daß unſre Hände halb durchgeſchnitten wurden, ſondern ſind hinabgeſaust wie der Teufel, wenn er mit einer armen Seel 'zur Hölle fährt. Dem Letzten aber ging's nicht ſo gut. Hat er ſich zu ſchwer gemacht, die Hände zu ſehr geſchont, oder iſt das Seil durch uns ſchon abgenutzt geweſen,304 ich weiß es nicht: kurz, auf einmal kracht's, bricht, und neben uns geſchieht ein mächtiger Fall. Es war ein Glück, daß er uns nicht auf die Köpfe fiel. Ob er ſich den Hals abgeſtürzt hat, weiß ich heut noch nicht. Gott tröſt' ihn! aber für uns war keine Zeit zu verlieren. Der Fall hatte die Wachen oben rebelliſch gemacht, man hört zuſammenſchreien, und kaum ſind wir einen halben Büchſenſchuß ſeitwärts, ſo brummt ſchon die Lärmkanone durch die finſtre Nacht. Die ſtand uns aber treulich bei und wir ſagten lachend: Kanonirt und trommelt ihr ſo viel ihr da droben wollt, Gott befohlen Hohentwiel! Die Ausſicht iſt übrigens ſchön für den Liebhaber, beſonders wenn er ſich nur ein paar Tage zu ſeinem Vergnügen droben aufzuhalten braucht, wie ein Schwager des Commandanten, ein Profeſſor, den wir einmal die herrliche Perſpective, wie er's nannte, loben hörten. Wir hatten ſie uns jedoch gleichfalls zu Nutz gemacht und wie eine Land¬ karte ſtudirt, das Hegau mehr als den Bodenſee. Das Hegau iſt gar keine üble Gegend zur Flucht, das muß man ihm laſſen. Mit waldi¬ gen Köpfen oder kleinen Anhöhen, Kopf an Kopf, beſät, ſo liegt es um die Feſtung da. Sie ſind uns nachher oft doch etwas höher vor¬ kommen, als man von oben meint; aber nichtsdeſtoweniger ein präch¬ tiges Revier für Gäſte, die aus dem Luftſchloß zur ſchönen Ausſicht abgereist ſind; denn es reicht ein Wald dem andern die Hand. Dazu hatten wir juſt die Zeit abgewartet, wo das Laub ausſchlägt; es deckt Einen doch beſſer, und der Wald ſieht ſo traurig aus, wenn er nackt und kahl iſt. Mein Kamerad ja ſo, von dem hab 'ich dir noch gar nichts geſagt; hab' ich dir nie von dem jungen Zigeuner erzählt, den ich einmal aus dem Zuchthaus mit nach Ebersbach gebracht hab '?

Ja, ſagte ſie, du haſt ihn bei deinem Vater als Knecht anbringen wollen und der hat dir dafür eine Ohrfeig 'hingeſchlagen.

Richtig, und der war mein Kamerad beim Ausfliegen. Ich hab 'ihn auf der Feſtung wieder gefunden. Der iſt aber unter der Zeit flügg worden; das iſt ein ganz Ausgelernter. Wiewohl, er war ſchon damals viel ſchlimmer, als ich ihn dafür angeſehen hab'. Was meinſt, daß er zu mir geſagt hat? Es hab 'ihn hölliſch verdroſſen, daß es mit dem Dienſtle nichts worden ſei; er wär' ein paar Wochen dageblieben, hätt 'unterdeſſen etliche Freunde herbeigezeiſelt und in einer ſchönen Nacht das Ebersbacher Sonnenwirthshaus ausgeplündert.

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Das iſt aber ein ſchlechter Kerl! rief ſie zornig. Dem haſt mit deiner Bärenfauſt eins geſteckt, gelt?

Lieb's Weib, ſagte er bedächtig, wenn man mit einander aus Numero Sieben fortwill, ſo nimmt man's nicht ſo ſtreng mit dem Glauben; da denkt man: du hilfſt mir und ich helf 'dir. Ich hab' gelacht und hab 'ihm geſagt, den Gedanken mit der Sonne ſoll' er ſich vergehen laſſen, da ſeien viel Leute drin und viel Leute in der Nachbarſchaft, und an großen ſtarken Hunden ſei auch kein Mangel ich hab 'noch ein paar dazu gemacht. Der ſcheele Chriſtianus, ſo heißt man ihn, hat's in ſeiner Art gut mit mir gemeint und hat mich mit Gewalt mitnehmen wollen, hat mir auch das beſte Leben verſpro¬ chen und hat's nicht begreifen können, daß ich nach Ebersbach wolle, wo ich ja vogelfrei ſei; aber ich bin feſt dabei blieben, und ſo hat er mich zuletzt, ich muß ſagen, recht ungern ziehen laſſen, hat mir auch guten Rath und Anleitung geben zum Fortkommen, was ohne einen Zehrpfennig keine Kleinigkeit iſt, und endlich hat er mir noch ſeinen Zinken, das heißt, ſein Wappen oder Wahrzeichen, dergleichen jeder von ihnen ſein eigenes führt, anvertraut. Es könnte ja doch ſein, daß wir einmal einander brauchten, hat er gemeint, hat mir auch geſagt, wo ich ihn und die Seinen am leichteſten finden könne; und daran hab' ich geſehen, daß er's treulich mit mir meint und auch mir von ganzer Seele traut, denn mit dem Zinken, wenn er ihn nicht ändert, hab 'ich ihn in der Hand und könnt' ihn jeden Augenblick verrathen. Das werd 'ich aber nie thun, obgleich ſeine Wege nicht meine Wege ſind. Intereſſiren ſollt's mich aber doch, einmal ſein Wahrzeichen zu ſehen. Sie ſchneiden's in Bäume, ſelbſt in Balken an den Häuſern, wo ſie vorbeiziehen, zeichnen's auch in den Staub oder in den Schnee; mit einem Strich dahinter zeigen ſie ihren nachkommenden Kameraden den Weg an, den ſie nehmen wollen, und mit kleineren Strichlein über oder unter dem großen bezeichnen ſie, wieviel ihrer ſind, Männer, Weiber und Kinder.

Das iſt ſinnreich, ſagte ſie, aber lieber iſt mir's doch, du guckſt nicht nach den Wahrzeichen.

Sei ruhig, erwiderte er, er wird nicht ſo leicht wieder in's Land kommen, der Geſchmack an Ludwigsburg und Hohentwiel iſt ihm ver¬ gangen. Nachdem wir aus einander waren, hab 'ich mich nach undD. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 20306nach Ebersbach zu geſchlagen, um zu hören wie es um dich ſteht. Vom ſcheelen Chriſtianus hatte ich Unterweiſung, daß ich ſo viel möglich bloß in einſamen Höfen und Häuſern einkehren ſolle, denn dort ſeien ſie gutwillig gegen fahrende Leute, fürchten den rothen Hahn von ih¬ nen auf's Dach gepflanzt. Ich hab 'aber nicht nöthig gehabt, ihnen ſonderlich zuzuſetzen, denn ſie haben mir überall gern gegeben, und nur mit dem Nachtlager haben ſie ſich ein wenig in Acht genommen; aber es iſt nirgends beſſer ſchlafen, als im Wald zur Frühlingszeit.

Weiß nicht, ſagte ſie.

Hab 'nur noch ein wenig Geduld, verſetzte er, wir ſind bald am Ziel. Daß ich auf Lebenszeit verurtheilt und von der Feſtung ent¬ ſprungen ſei, hab' ich den Leuten natürlich nicht ſagen können, hab 'auch gedacht, ſie werden's nicht grad wiſſen wollen. Ich hab' ihnen geſagt, ich ſei am See in Arbeit geſtanden, hab 'wieder heimgewollt, ſei von Spitzbuben ausgeraubt worden und müſſe jetzt eben ſehen, wie ich nach Weilerſtadt zurückkomme, wo ich bürgerlich ſei; dort ſind ſie nämlich auch katholiſch. Das hat gezogen, und bis ich in's Ländle kommen bin das Hohentwiel liegt nämlich mitten in fremdem Ge¬ biet, was auch ſehr bequem zum Entkommen iſt da hab' ich ſo viel Geld und Lebensmittel im Tuch gehabt, daß es gereicht hat bis Ebersbach. Dort bin ich vierzehn Tag 'in der Sonne gelegen und hab' leider gehört, jetzt ſeieſt du in Numero Sieben.

Was? rief ſie. In der Sonne? Hat man dir denn dort Unter¬ ſchlauf geben?

Ich hab 'mit dem Herrn Sonnenwirth Deutſch geſprochen und Fractur mit der Frau Sonnenwirthin, denn ſolches iſt nöthig bei ei¬ nem Weib, das kein Kind hat und nicht weiß, wie man ſich gegen ſeine Kinder verhalten ſoll. Mitten in der Nacht bin ich ihnen vor'm Bett geſtanden, daß ſie vor Schrecken ſchier geſtorben ſind, und hab' ihnen geſagt, wo ſie ein Geräuſch machen oder mich verrathen würden, ſo ſollten ſie meinen Ernſt kennen lernen. Das hat denn auch ge¬ fruchtet, denn du kannſt dir gar nicht vorſtellen, wie mir das Herz übergegangen war, zuerſt aus Freude, daß ich wieder in Ebersbach bin, und dann vor Zorn. Daß mir vollends Hohentwiel nicht zu hoch geweſen iſt, wo ſie mich ſo ſicher verwahrt glaubten, wie das Kind in der Wiege, das hat ſie ganz mürb und demüthig gemacht. In der307 erſten Nacht haben ſie ſich in eine kleine Kammer verkrochen und ich hab 'mich dann gutsmuths an ihrer Statt in's warme Bett gelegt, das mir, offen geſtanden, doch ein wenig beſſer geſchmeckt hat, als das Moos im Wald, und hab' dem Teufel ein Ohr weggeſchlafen bis in den lichten Morgen hinein. Wie ich aufwach ', iſt mein Vater ganz ſchüchtern in die Kammer hereinkommen und hat ſich zu allem Guten offerirt: er wolle mich in einem mir anſtändigen Verſteck behalten, bis ich ausgeruht ſei, denn ich war faſt hin vor Mühſeligkeit und jahrelanger Entbehrung und meine Hände waren übel zugerichtet; daß ich in die Länge nicht bleiben könne, werde ich ſelber einſehen, weil's für mich nicht ſicher ſei; aber er wolle mir Geld geben zur Auswan¬ derung nach Pennſylvanien, er hab's nur juſt nicht parat du weißt, er hat's nie parat, wenn's an's Blechen gehen ſoll, mir hat's aber auch nicht preſſirt, weil ich ohne dich doch nicht gangen wär'; ich ſolle inzwiſchen nach Sachſenhauſen zu ſeinem Bruder gehen, der mich ſchon einmal gut aufgenommen habe und gern behalten hätte; unter der Zeit könne man ja weiter ſehen. Dabei ließ er einfließen, wenn er mit beſſerem Bedacht gehandelt hätte, ſo wäre Manches anders ausgefallen. Du kennſt mich: wenn man mir gute Wort 'gibt, ſo bin ich wie Butter. Zwei Wochen, wie ich dir ſag', bin ich zu Haus ſtill gelegen und iſt mir nichts abgangen. Dann hab 'ich aber ſelber dem Land¬ frieden und der Frau Stiefmutter nicht mehr recht getraut, hab' auch gedacht: und wenn ein Menſch das Fliegen lernte, ſo würd 'anfangs Alles vor ihm niederknieen und ihn anbeten, aber in vierzehn Tag' wär's ihnen Allen ein gemeines Wunder, um das ſie nicht mehr viel gäben; hab 'mich alſo auf den Schrecken über meine Hohentwieler Flucht nicht zu ſehr verlaſſen mögen. Mein Vater hat mir etwas Geld geben nach Frankfurt, und ſo bin ich fort, ohne daß meines Wiſſens der Amtmann nach mir gefragt hat. Wie ich bei deiner Mutter und den Kindern geweſen bin, das haſt du nachher zu Haus ſelbſt gehört. In Sachſenhauſen iſt mir's über die Maßen wohl ge¬ gangen, ich bin bei meinem Vetter wie das Kind im Haus geweſen, hab' ihm geſchafft, halb als Hausknecht, halb als Metzgersknecht, halb als Kellner, wie und wo man mich hat brauchen wollen, und wenn kein Ebersbach in der Welt wär ', ſo hätt' ich mir gar keine beſſere Heimath wünſchen mögen. Aber es hat mir fort und fort am Herzen20 *308genagt: daß mein Vater von ſeinen Anerbietungen gar nichts mehr hören ließ, hat mich verdroſſen, und endlich hab 'ich von einem Landsmann erfahren, daß deine unfreiwillige Badreiſe jetzt zu Ende ſei. Ueber das fügt ſich's einmal, daß ich Gäſte bedienen muß, und wie ich ihrem Geſpräch aus der Ecke zuhöre, ſo braucht einer zufällig das Sprichwort: Ein Mann, ein Wort, oder ein Hundsfott! Sieh', Chri¬ ſtine, wie ich das gehört hab ', bin ich eigentlich ſchon ſo gut wie fort geweſen. Mein Vetter hat ſich ein wenig vor den Kopf geſtoßen gezeigt, daß ich nicht gut thun wolle; ich hab' ihm aber geſagt, es reiße mich wie mit eiſernen Haken nach Ebersbach, er ſolle mich in gutem An¬ denken behalten und mir den Platz nur ein Tag 'acht offen laſſen, denn ich möchte gern wieder kommen. In Ebersbach aber war der Wind gänzlich umgeſchlagen. Mein Vater hat mich gar nicht vor ſein Angeſicht kommen, ſondern durch ſeine Frau bedeuten laſſen, ich ſolle mich fortmachen, ich würde ihn nur um Hab' und Gut bringen. Was ich mit ihm für ein Abkommen treffen will, darüber muß ich mich noch beſinnen. Bei deiner Mutter hab 'ich dann erfahren, du ſeieſt wirklich frei und im Schulhaus zu Neckardenzlingen im Dienſt. Darauf hab' ich gleich den Stab weiter geſetzt. Wie ich geſtern Abend über die Brücke gehe, ſeh 'ich Kinder da ſpielen. Ich will freundlich auf ſie zugehen. Sie aber mich erblicken und mit dem Geſchrei: Der Sonnenwirthle! der Sonnenwirthle! wie das Mutisheer an mir vor¬ überſtäuben, das war eins. Es hat mir weh gethan, ich kann's nicht leugnen, zu ſehen, wie mein Name den Weg vor mir fegt; aber ich hab's wieder abgeſchüttelt. Meine Lagerſtatt hab' ich im Wald genommen, bin heut im Zickzack durch die Wälder herübergewandert, und da bin ich jetzt bei dir. Und hier iſt auch unſer Nachtlager, ſieh, da tauchen die paar Häuſer im Halblicht auf. Es regt ſich nichts mehr, nicht einmal ein Hund, die Leut 'ſind arm und haben nichts zu bewachen. Jetzt fallen wir ſtill und ſäuberlich in die Scheuer ein und da ſollſt du im Heu ganz fein gebettet ſchlafen. Morgen iſt dann das Erzählen an dir, denn für heut iſt genug erzählt.

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28.

In der erſten Frühe weckte Friedrich Chriſtinen und las ihr das Heu aus den Kleidern und aus den Haaren, wohin es da und dort unter dem Kopftuche eingedrungen war. Nachdem er mit ihrer Hilfe ſein Aeußeres gleichfalls etwas in Ordnung gebracht hatte, ermunterte er ſie zum Fortgehen, ehe die Hausbewohner erwachten; denn, ſagte er, wenn man den Leuten Nachts in die Scheuer einbricht, und wär's auch nur um ein wenig Nachtruh 'zu erbeuten, ſo hat man gleich den Credit bei ihnen eingebüßt. Sie verließen den kleinen Weiler, der aus einigen ärmlichen Häuschen beſtand, und ſchlugen einen ſchmalen Waldſteig ein. Der thaufeuchte, friſche Herbſtmorgen machte Chriſtinen vor Kälte zittern. Friedrich ſuchte einen freien Platz im Walde und hatte bald aus Reiſern und dürrem Holze, das er hin und wieder abbrach, ein behagliches Feuer angemacht, neben welchem er das Weib ſeines Herzens auf ſeine Knie zog und ſo ihr ein bequemes Lager bereitete. Das Frühſtück, ſagte er, müſſen wir uns freilich hinzudenken; ich hab' vor lauter Eifer und Heimweh nach dir vergeſſen, für Mund¬ vorrath zu ſorgen. Sie verſicherte, ſie ſei nicht hungrig, und auch er meinte, er habe ſich in Sachſenhauſen hinlänglich herausgegeſſen um jetzt ein wenig faſten zu können.

Laß dich einmal beſehen, ſagte ſie aufſchauend und munter wer¬ dend. Siehſt ja ganz proper aus, man ſollt 'dich für' n zünftigen Meiſter in irgend einem Handwerk halten, das ſein 'goldenen Boden hat. Mußt die ſchönen Kleider ſchonen und nicht in Scheuern über¬ nachten.

Das kommt anders, verſetzte er, wenn wir einmal zum Land draußen ſind.

Und recht mannhaft biſt worden, fuhr ſie fort. Haſt ein gut's Geſtell, ſo poſtirt und voll und dabei doch nicht zu breit. Dem Ge¬ ſicht freilich ſieht man an, daß Manches drüber hin gangen iſt, wie ein ſchwerer Pflug. Man ſollt 'dich für viel älter halten als du biſt. Wenn ich nicht wüßt', daß du kaum über Siebenundzwanzig ſein kannſt,310 ich thät dich mindeſtens auf Sechsunddreißig ſchätzen. Schad 'iſt's, daß du oft auf einmal ein bisle wild und bös ausſehen kannſt, ſo daß man ſich ſchier fürchten könnt'. Aber ich darf freilich gar nichts ſagen. Sieh 'mich an, was ich alt worden bin. Ach, ich muß oft denken, du könneſt an meinen Runzeln keinen großen Gefallen mehr haben.

Er hatte ſie bereits betrachtet und in der Stille die Veränderun¬ gen wahrgenommen, die Zeit und Schickſal an ihr hervorgebracht hatten. Nicht eben Runzeln, aber hart eingegrabene Furchen zogen ſich unter dem nicht mehr ſo weichen und hellgelben Scheitel quer über die Stirne und eine ſenkte ſich wie ein tiefer Einſchnitt zwiſchen den Augen hinab. Doch lag in dieſen Spuren nicht die eigentliche Verwüſtung, die in dem einſt ſo freundlichen Geſichte vorgegangen war. Auch ſah es an ſich ſelbſt nicht auffallend gealtert aus und in den treugeblie¬ benen Zügen hatte keine häßliche Entſtellung, wie ſie oft mit den Jah¬ ren kommt, ihren Wohnſitz aufgeſchlagen; aber die jugendliche Friſche, die lieblich malende Zuverſicht und Lebensluſt war aus ihnen ver¬ ſchwunden und hatte ſie verwandelt hinterlaſſen, wie das Morgenlicht, wenn es von einer Landſchaft Abſchied nimmt, dieſelbe Gegend zwar in unveränderter Geſtalt, aber arm, nüchtern und verkümmert hinterläßt.

Du biſt die Mutter meiner Kinder, ſagte er, kannſt nicht ewig jung bleiben. Dieſe Furchen ſind mein Werk, denn du haſt viel um mich leiden müſſen; aber du ſiehſt nicht ſo alt aus, wie du meinſt, und wenn du einmal eine glückliche Hausmutter biſt, ſo wirſt du wie¬ der jünger werden.

Gott geb's, erwiderte ſie, denn ſo wie ich jetzt bin, bin ich doch zu alt für dich. Ach, wenn ich dran denk ', wie der Friederle auf die Welt kommen iſt, 's ſind jetzt bald ſechs Jahr', wie bin ich da¬ mals in Einem Umſehen ſo elend und wieder ſo reich geweſen! Wie ich gemerkt hab ', daß mein Stündle kommen will, hab' ich meinem Jammer kein End 'gewußt, bin allein auf der Bühne gelegen, mein' Mutter hat geſagt, ſie könn 'vom kranken Vater nicht weg, und mein Jerg hat ſich verdingt gehabt nach Faurndau zum Dreſchen. Ueber einmal hör' ich auf'm Stiegle 'n Mannstritt, ſo gibt's bloß Ein' in der Welt, und wer kommt mir vor's Bett und nimmt mich in Arm, während ich ihn im Zuchthaus gemeint hab '? Und wie du mir die311 Hebamm' haſt geholt und die eine Kraftbrüh 'für mich verlangt hat, weil's hart gehen werd' und ich ſo von Kräften ſei, weißt noch? da hat mein arm's Lämmle dran glauben müſſen, mit dem unſre Bekannt¬ ſchaft angefangen hat. Ich hab 'nicht einmal um das Thierle weinen können, und du haſt recht prophezeit gehabt, es werd' eine Zeit kom¬ men, wo mir etwas Anders mehr am Herzen lieg '. Und hart iſt's auch gangen, ich will's nicht vergeſſen, aber wie's geheißen hat: Vater, hier iſt dein Sohn! ach Frieder, was iſt das eine Seligkeit geweſen! Und nachher iſt die Kathrine kommen und hat geſagt, ſie ſei jetzt mit einem wackern Mann verſprochen und mach' ſich nichts mehr aus der Amtmännin ihrem Zorn, und hat mich treulich gepflegt

Ja, ſagte er, darum hab 'ich auch ruhig wieder in mein Ludwigs¬ burger Heimweſen zurückkehren können. Aber heut noch reut's mich, daß ich mich in Göppingen geſtellt hab'! Berichtet der Vogt nach Ludwigsburg, er habe den mittelſt Ausbruchs echappirten Gefangenen wiederum gefänglich zur Hand gebracht und ſchicke ihn hier wieder ein. Ausgebrochen war ich allerdings, das iſt wahr, denn man hat mir keine Brücke gebaut; aber daß ich mich freiwillig bei ihm geſtellt hab ', davon hat er kein Wort geſchrieben, ſondern hat die Ehr' allein haben wollen. So ein Vogt! was bild't ſich der ein! es gibt auch Bettel¬ vögte. Deswegen hab 'ich mich nach meinem zweiten Ausflug nicht mehr bei ihm, ſondern unmittelbar in Ludwigsburg beim Kammerrath ſelbſt geſtellt. Der iſt zwar rauhbauzig, wie man's von einem Zucht¬ hausverwalter nicht anders erwarten kann, aber er hat doch gelacht und hat mir nun auch für meine frühere Verſicherung Glauben ge¬ ſchenkt, ſo daß mir weiter nichts geſchehen iſt, als daß ich eben die paar Tag' länger hab 'ſitzen müſſen.

Dein zweiter Beſuch, verſetzte ſie, ach, der iſt traurig geweſen.

Ja, ſagte er, ſchon wie ich das Thal heraufkommen bin, bei Reichen¬ bach, ich weiß nicht, ob du's einmal bemerkt haſt, da iſt in den An¬ höhen eine Lücke, durch die der Staufen hereinſchaut, und der hat damals ſo grau und trüb ausgeſehen, daß ich gedenkt hab ': Alter, biſt auch traurig und haſt mir eine Trauermär' zu verkünden? Wie ich aber nach Ebersbach kommen bin, hab 'ich deinen Vater wenigſtens noch am Leben gefunden, und das wird mir wohl thun, ſo lang ich leb'. Chriſtine! Reſpect vor dem Mann! Der iſt geſtorben wie ein312 Patriarch! Er iſt ſein Leben lang in Armuth und Demuth und im Staub dahergangen und hat ſelber nicht gewußt, was in ihm ſteckt, aber in der Todesſtunde iſt ihm der Geiſt mächtig auf die Zunge getreten.

Weißt noch, wie er uns geſegnet hat, rief ſie, und dich abſonder¬ lich, weil dein Will 'vor Gott gut ſei und dein Herz aufrichtig, und wie er dir Alles vergeben hat, was ihm Leid's durch dich geſchehen iſt? Und dann ſeine letzten Worte! rief er. Wo hat man vom alten Pfarrer, der zu gleicher Zeit mit ihm geſtorben iſt, je etwas Aehn¬ liches gehört! Und vollends vom jetzigen! Ja, wenn er nur ein ein¬ zigmal aus ſeinem Mund einen Hauch hätte gehen laſſen von jenem Geiſt, ich hätte ihn und ſeinen Kelch und ſeine Hoſtien ungekränkt gelaſſen!

Nicht bloß im Sonnenwirthshaus ſo verſuchte Chriſtine aus der Erinnerung nachzuſprechen auch unter der großen Weltſonn 'iſt nicht Alles wie es ſein ſollt', und Gottes unerforſchlicher Rathſchluß läßt es zu, daß ſein Will 'auf Erden nicht geſchieht. Neid und Stolz regiert die Welt und das Gericht wird hereinbrechen

Sie nennen ſich ſeine Kinder unterbrach er ſie, um die Er¬ innerung voller wiederzugeben und ſind doch nicht Brüder und Schweſtern unter einander. Neid und Gewalt, Stolz und Habſucht regiert die Welt, und Gottes Ebenbild wird in der Armuth unter¬ drückt. Die Welt liegt im Argen und ihr Maß ſteigt auf bis zum Rand, und unverſehens wird ein Gericht hereinbrechen, das den Un¬ ſchuldigen ſammt dem Schuldigen trifft, wie zur Zeit der großen Fluth, wo der Menſchen Bosheit groß war auf Erden und alles Dichten und Trachten ihres Herzens nur böſe war immerdar.

Ich aber fiel Chriſtine mit den Schlußworten ihres Vaters ein ich fahr 'in meiner Arch', die mir der Schreiner zimmert, nach meinem Berg Ararat zu meinem Vater und zu eurem Vater, und will ſchauen was jetzt dunkel und verborgen iſt, und will ihm ſagen: Vater, ſegne die hie nach mir bleiben, und führ 'ſie endlich einmal ſänfter, wenn dir's möglich iſt, und laß ſie deinen Frieden ſchmecken. Er hat das Wort nicht mehr ganz ausgeſagt, fügte ſie hinzu, iſt zu¬ rückgeſunken und entſchlafen.

Eine übermächtige Rührung überkam das ſo vieler Verwilderung313 preisgegebene Gemüth des Mannes, der ſich nicht geſcheut hatte, heilig gehaltene Geräthe des Gottes, zu dem er betete, anzutaſten. Er ließ ſein Weib zur Erde gleiten, erhob ſich in die Kniee und rief, die Arme gegen den blauer werdenden Morgenhimmel ausgebreitet, unter ſtrömenden Thränen: Himmliſcher Vater, gib uns deinen Segen um jenes Gerechten willen! Du biſt ja mit den unvernünftigen Geſchöpfen, die unter deiner Sonne wimmeln, und gibſt ihnen Nahrung und Klei¬ dung auf ihre Zeit. Trag 'und erhalt' auch uns, die wir deine Kinder ſind, und gib uns unſer Brod, uns und unſern armen Kleinen. Führ 'uns aus dieſem Land, wo Vater und Mutter hart ſind, in ein mil¬ deres, das du uns verheißen mögeſt, laß uns vor dir wandeln und behüte uns, daß wir nicht mehr in Anfechtung fallen.

Chriſtine kniete neben ihm und ſchluchzte laut. Nachdem er ge¬ endet hatte, blieben beide noch lange auf den Knieen liegen. Das Feuer ſank allmählich in Kohlen und Aſche zuſammen und durch die Gipfel der Bäume lächelte das Geſtirn des Tages, das Wärme und Leben bringend über den Bergen aufgegangen war.

Jetzt komm, Chriſtine, wollen aufbrechen, die Sonne iſt herauf und die Kälte läßt nach, ſagte Friedrich, ihr Bündel ergreifend. Sie zogen ſchweigend und voll Gedanken durch die Wälder hin, die vom Fuße der Alb zwiſchen dem Neckar - und Filsthal in das Land hineinlaufen. Hie und da führte ihr Pfad an einem einſamen Hofe vorüber, ſchlängelte ſich aber gleich wieder dem Walde zu. In einem dieſer abgelege¬ nen Gehöfte wagten ſie ſich mit geſtandener (ſaurer) Milch und etwas Schwarzbrod zu erquicken, hielten ſich aber, da ſie von den Leuten mißtrauiſch angeſehen wurden, nicht lange auf. Als ſie wieder auf der Wanderſchaft waren, ſagte er endlich: Jetzt iſt das Erzählen an dir, Chriſtine.

Das iſt kurz bei einander, verſetzte ſie, mir iſt nicht ſo viel vor¬ kommen, wie dir. Nach deiner Gefangennehmung, wo du nach Hohent¬ wiel kommen biſt, hat man mich auch ein wenig einthürmt.

Aber nichts auf dich bringen können, das weiß ich ſchon von dei¬ ner Mutter.

Nachher iſt's eben wieder das alt 'Lied geweſen. Sie haben mich vor Kirchenconvent citirt und haben mich gefragt, wer der Vater zu dem Kind ſei, mit dem ich geh'.

314

Dann haſt du geſagt, dein Mann?

Durch ſolche Reden hätt 'ich ſie nur noch mehr wider mich in Harniſch bracht, und 's iſt mir ſo ſchon ſchlecht gnug gangen. Mein Jerg, das muß ich ihm nachſagen, hat wie ein Vater an mir gehan¬ delt; er hat immer gegen mein' Mutter geſagt, wenn du da wärſt, ſo wär's dein 'Sach', für mich zu ſorgen, aber wenn einer lebendig begraben ſei, ſo könn 'man ihm nichts mehr zumuthen. Das Waſſer iſt ihm aber ſelber oft bis an Hals gangen, und dann iſt er oft fort geweſen, um ſein Brod auswärts zu ſuchen. Ich hab' vor Kirchen¬ convent kaum ſtehen können, ſo ſchwach iſt mir's geweſen. Der Schütz hat mich nachher mitgenommen, und er und ſein Weib haben mir ein bisle zu eſſen geben; ich hab's auch angenommen, denn ich hab 'vielmals denkt, ich werd' das Kind nicht lebig zur Welt bringen.

Er iſt ein verſoffener Lump, ſagte Friedrich, aber er iſt doch beſſer als Mancher, der in der Tugend und in der Wolle ſitzt. Wie's dem Armen zu Muth iſt, das begreift doch nur wieder der Arme, aber eben darum können ſie einander nicht viel helfen. Ich glaub ', der Schlucker hat ein paar unerzogene Kinder.

Viere! ſagte Chriſtine. Er hat aber geſagt, du habeſt ihm hie und da einen Schoppen eingeſchenkt, und das werd 'er dir gedenken. Die Herren haben mir nichts geben als böſe Wort'. Sie haben mir bedeutet, ich dürf 'mich nicht aus dem Flecken entfernen, weil die Sach' an's löbliche Oberamt berichtet werden müſſ ', von wegen deines böſen Lebens. Dort ſind ſie auch bald mit mir fertig geweſen. Ich hab' mein Kind vor dürfen zur Welt bringen und ein paar Wochen pflegen, und dann hab 'ich eben in's Zuchthaus wandern müſſen.

Auf zwei Jahr '!

Nein, denk 'nur, auf unbeſtimmte Zeit, bis die Aufſeherin mir das Zeugniß geben hat, ich ſei jetzt ſo, daß man mich entlaſſen könn', und das iſt bloß daher kommen, daß ich gehört hab ', du ſeieſt von Hohentwiel ausgeflogen, denn unartig bin ich zwar nie gegen ſie ge¬ weſen, aber immer ſtill, bis die Freud' über mich 'reinbrochen iſt, und dann hab' ich ihr Alles gethan, was ich ihr an den Augen abgeſehen hab ', und zuletzt iſt ſie für mich gut geſtanden, daß man mich hat ſpringen laſſen, weil ich jetzt ganz' beſſert ſei.

Die Art gefällt mir erſt noch, bemerkte er. Würd 'im Zuchthaus315 immer väterlich und mütterlich regiert, ſo daß das Haus ſeinen Namen verdiente und die Leute darin zur Zucht gebracht würden, ſo wär's das Beſte, ſie auf unbeſtimmte Zeit hinein zu thun, bis der Zucht¬ vater oder die Zuchtmutter ſie wieder freiſprechen würden, und bekam' das vielleicht Manchem gut, der jetzt Andere zum Zuchthaus verdammt. Und dann möcht 'man Einen, der nicht gut thut, meinetwegen auf lebenslänglich drin laſſen; nur weiß ich keinen Menſchen, dem ich ein ſolches Urtheil anvertrauen möchte, als höchſtens meinen ſeligen Waiſen¬ pfarrer. Aber die gewöhnliche Art von Zuchthausſtrafen für das und das Vergehen ſo und ſo viel Wochen oder Monate oder Jahre das kommt mir immer vor wie ein Schneider, der Einem ſo und ſo viel Ellen zu ſeiner leiblichen Länge anmißt, oder auch, weil ich grad' vom Wirthſchaften herkomm ', wie ein Speiszettel: Kalbsbraten thut ſo und ſo viel, Hammelsbraten ſo und ſo viel, Schweinsbraten ſo und ſo viel, Wein, Nachtlager, Mittag -, Abendeſſen und Frühstück, Alles zuſammen einen Gulden und dreißig Kreuzer. Dann gibt's auch wie¬ der gelindere Richter, die machen's wie ein ſanftmüthiger Wirth, der den Gaſt nicht mit einer runden Summe erſchrecken will und ſtatt des Guldens bloß neunundfünfzig Kreuzerle ſagt. Bei einem Wirth iſt das ſchon recht und er mag zuſehen, wie er eins ins andre rechnet und fertig wird, aber die Rechnung in Jahren, Monaten und Wochen nicht am Beutel, ſondern an der lebendigen Seele eines Menſchen ausgemeſſen das iſt eine Vermeſſenheit und kann ich weder Sinn noch Verſtand drin finden.

Wie ich wieder aus'm Zuchthaus kommen bin, fuhr Chriſtine fort, hab 'ich gehört, du ſeieſt dageweſen, aber ſeieſt wieder fort in die weit' Welt. In der Sonn 'hat man nicht davon geſchnauft wo du biſt. Ich hab' ſelber einmal angefragt, da hat mir die Sonnenwirthin ein Stückle Brod hingelegt und hat geſagt, du ſeieſt ganz verſchollen, und 's that 'für mich und Alle das Beſt' ſein, du bliebeſt's auch. Ich hab 'das Brod liegen laſſen und bin fort. Mein Jerg iſt grad' da¬ zumal wieder nicht zu Haus geweſen, und mein 'Mutter hat mich nicht behalten wollen, weil ich ihr eine unnütze Brodeſſerin ſei, wie¬ wohl ſie eigentlich uns ihr Brod verdankt, denn ſie ißt's eben mit unſern Kindern, die man ihr in Verpflegung geben hat.

Aus dem Heiligen?

316

Nein, ſo ſpendabel iſt der Heilig 'nicht. Da hat's geheißen: Herr Sonnenwirth, Er iſt ein reicher Mann und die Commun' kann da nicht eintreten, alſo zahlt Er das Koſtgeld für Seine Enkel.

Iſt wahr, er hat mir einmal geklagt, die Kinder koſten ihn ſo viel Geld und deswegen könne er das Geld zur Auswanderung nicht ſo geſchwind aufbringen.

So lang mein Jerg dageweſen iſt, hat's den Kindern an nichts gefehlt, ſeit der aber mehr und mehr fort iſt, hat man anders für ſie ſorgen müſſen. Wie nun mein 'Mutter mir hat zu verſtehen geben, daß ich ihr überläſtig ſei, hab' ich meine Kinder mit tauſend Schmerzen küßt und hab 'das Herz in beide Händ' genommen und bin nach Denzlingen gangen zur Schulmeiſterin. Die iſt zum Glück grad 'in der größten Verlegenheit geweſen und hat geſagt, ich hätt' ihr nicht geſchickter kommen können, ſie hab 'eben eine Magd aus'm Dienſt ge¬ jagt, die ihr geſtohlen hab'. Drauf hat ſie zu ihrem Mann geſagt: Sieh, mit der äußerlichen Frömmigkeit ſind wir angeführt geweſen, jetzt folg 'mir und hilf mir's auch einmal mit dem Weltkind da pro¬ biren; die iſt kein' Heilige und hat viel durchgemacht, aber vielleicht wird ihr auch viel verziehen, und ehrlich iſt ſie auf alle Fäll '. Er iſt's dann zufrieden geweſen. Ob ſie ihm Alles von mir geſagt hat, weiß ich nicht, es iſt nie zwiſchen uns die Red' davon geweſen, aber ich hab 'in dem Haus gelebt wie im Paradies. Die Leut' ſind fromm, nicht bloß mit Morgen - und Abendſegenleſen, ſondern reden auch den ganzen Tag von frommen Sachen, wie's eben das Geſchäft erlaubt, denn darin verſäumen ſie nichts; aber ich weiß nicht recht wie ich mich ausdrücken ſoll in ihrem Chriſtenthum iſt ſo etwas Gegen¬ wärtig's, das nicht bloß hoch im Himmel droben oder weit fort im jüdiſchen Land, ſondern mitten in Denzlingen drin iſt und immer dem heutigen Tag und der jetzigen Stund 'gilt, ganz anders als man's ſonſt in der Kirch' und im Leben trifft. Und grad 'ſo ſind des Pfar¬ rers auch, drum halten ſie auch zuſammen, wie man's ſelten bei Pfar¬ rer und Schulmeiſter ſind't. Dabei ſind ſie allweil guter Ding' und oft ſogar recht luſtig und zum Lachen aufgelegt, beſonders der Pfarrer macht gern allerlei Späßle, und der Schulmeiſter antwortet ihm drauf, laſſen ſich auch nichts abgehen, wiewohl ſie gar nicht dick thun und ihr 'Sach' reichlich mit der Armuth theilen. Aber freilich, ſie haben's317 auch, und wer bei ihnen iſt, wird alle Tag 'ſatt. Ich hab' oft Nachts vor'm Einſchlafen dran denken müſſen, wie mir's ſo gut geht, und wo du jetzt auch umirren werdeſt, und ob meine arme Kinderle ſatt in's Bett gangen ſeien, denn ich ſag 'dir's ungern, aber 's iſt hohe Zeit, daß wir nach ihnen ſehen: meiner Mutter iſt das Tiſchtuch lieber als das Hungertuch, ſie hat zwar nie viel gehabt, aber je ärmer ſie wird, deſto ſchleckiger iſt ſie, ſie verſchleckt Alles was ſie kann.

Das muß aufhören, ſagte er. Heut Abend ſind die Kinder da, wo ſie hingehören: bei uns. Jetzt iſt nur noch die Frage, wie ich mich mit meinem Vater aus einander ſetzen ſoll. Seine Antwort hat mich wenig kümmert, ich hab 'vorher mit dir einig ſein wollen. Hätteſt du jetzt eher Luſt, aus deinem Paradies heraus mit mir nach Pennſylvanien zu gehen?

In den Mond, wenn's nicht anders ſein kann, erwiderte ſie. Die Hauptſach 'iſt, daß wir bei einander ſind, wir und die Kinder, drum hat's mir auch kein' Augenblick zweifelt, was ich thun ſoll. Aber hör ', wenn's dein Vetter ſo gut mit dir meint, wie du ſagſt, könnten wir denn nicht bei dem ein Plätzle finden oder thät' er uns nicht zu einem verhelfen, daß wir nicht ſo weit ſtiegen müſſen und unterwegs vielleicht die Flügel verſtauchen?

Ja ſieh, antwortete er, der Vetter hat's freilich gut mit mir vor, aber Welt iſt überall Welt, er ſieht auch auf's Greifbare und fragt nicht darnach, ob's Motten und Roſt freſſen. Darum hätt 'ich ihm nicht meine ganze Abſicht anvertrauen mögen, weil er mir mit einem einzigen Wort dazwiſchen hätt' fahren können. Wenn ich aber mit dir und den Kindern da bin, ſo kann er auf keinen Fall verlangen, daß ich euch wieder heimſchicken ſoll; und wenn alle Sträng 'brechen, nun, dann ziehen wir eben weiter, bringen uns im Krieg mit Mar¬ ketendern fort, oder gehen über's Meer.

Sie ſah ihn zweifelhaft an und ſchwieg, aber der heitere Schimmer von Hoffnung, der ihr Antlitz neu zu beleben begonnen hatte, wich allmählich wieder aus ihm, und jener Zug leidender Geduld und Ent¬ ſagung, der den Frauen aus dem Volke einen ſo mitleiderregenden Geſichtsausdruck geben kann, nahm ſeine alte Stelle ein.

Der Wald öffnete ſich und vor den beiden Wanderern lag die Alb, an deren Fuße ſich eine ſchmale Straße hinzog. Wollen uns318 dem Bergſträßle da anvertrauen, ſagte er. Sie thaten es, indem ſie die Ortſchaften, die ihnen in den Weg kamen, auf den durch die Felder führenden Fußpfaden umgingen. Die Sonne begann für einen Herbſt¬ tag ungewöhnlich heiß zu brennen und ihre ſcheitelrechte Stellung zeigte den Mittag an. Ich wollt ', ich hätt' was zu trinken, ſeufzte Friedrich, und wär's auch nur ein Schoppen Moſt oder Aeppelwein, wie ſie am Main drunten ſagen.

Und mir thät ein Löffele Warm's noch nöther, ſeufzte Chriſtine ebenfalls.

Gelt, arm's Weible, ſagte er, dir iſt's ungewohnt, mit langem kaltem Magen zu wandern? Da haſt Geld, geh 'du in das Ort da hinein und laß dir eine Suppe geben, kannſt mir dann etwas zu trinken und ein Brod dazu herausbringen, das genügt für mich. Das Geld, das ich mir in dem halben Jahr zu Sachſenhauſen erſpart hab', muß für uns und die Kinder reichen. Ich will mich derweil unter den Baum in Schatten legen.

Meinſt, es hab 'kein' Gefahr? fragte ſie.

Ich kenn 'mich ſo weit in der Gegend aus, erwiderte er, daß der Berg da über uns die Teck iſt. Da herum ſind wir ja ganz unbe¬ kannt. Du ſiehſt aus, wie wenn du aus der Nachbarſchaft wär'ſt, und wenn ich in meiner ſtädtiſchen Tracht zurückbleibe, ſo fällſt du niemand auf.

Er gab ihr Geld und ſeine leere Feldflaſche und ſtreckte ſich be¬ quem unter dem Baum aus, indem er ſein dreieckiges Hütchen neben ſich legte. In dieſem Augenblicke kam ein Mann vorüber, der den gleichen Weg mit ihnen zu haben ſchien. Er blickte das fremde Paar mißtrauiſch an und mäßigte ſeinen Gang, ſo daß er Chriſtinen, die jetzt auf das Dorf vor ihnen zuſchritt, immer auf dem Fuße folgte. Friedrich ſah nach und die Begegnung wollte ihm nicht recht gefallen; doch ſchien ſie auch keine ernſte Beſorgniß einflößen zu können. Seine Augen begleiteten Chriſtinen, bis ſie in dem Dorfe verſchwunden war; auch ihren Nachfolger verdeckten jetzt die Häuſer. Er legte ſich auf den Rücken zurück, ſah in das falbe Laub und durch dieſes zum blauen Himmel empor. Dabei vergegenwärtigte er ſich, wie Chriſtine auf ihre Suppe wartete, wie ſie dann dieſelbe empfing, und wie ſie ſich end¬ lich mit der gefüllten Flaſche auf den Weg machte. Jetzt mußte ſie319 wieder an den äußerſten Häuſern erſcheinen: er ſah hin, aber er hatte die Zeit zu kurz gemeſſen und ſich verrechnet. Er legte ſich wieder zu¬ rück und wartete geduldig; er hatte ja das Warten gelernt; aber end¬ lich däuchte es ihm doch ziemlich lang. Er ſah wieder hin: ſie kam noch nicht. Nun zählte er bis auf eine beſtimmte Zahl, die er ſich vornahm, und da er zu ſchnell gezählt zu haben glaubte, ſo wieder¬ holte er dieſes Geduldſpiel ein paarmal, jedoch umſonſt. Endlich zählte er ununterbrochen und langſam, wie er meinte, bis auf Hundert fort: Chriſtine kam nicht. Jetzt begann es ihm unheimlich zu werden. Er ſtand auf und ging ſachte auf das Dorf zu. Schon war er in die Nähe deſſelben gelangt, als er eine beträchtliche Menge bewaffneter Mannſchaft, welche bei der Unſicherheit der Zeit in jeder Gemeinde ſchnell auf den Beinen war, herausdringen ſah. Die einen waren mit Flinten, die andern mit Spießen oder Prügeln verſehen, und ihre Blicke ließen ihn nicht im Zweifel, wem dieſer Ausfall gelte. Während ſie ſich raſch gegen ihn in Bewegung ſetzten, entſprang er in das Feld. Sie vertheilten ſich und ſuchten ihn einzukreiſen, aber ſeine Schnellfüßigkeit hatte ihn bald in dem Dickicht des Waldes am Teck¬ berge ihrer Verfolgung entzogen. Er ſchlug ſich die Kreuz und Quere durch das Holz, bis er von einer ſichern Stelle auf den Boden, den er hatte räumen müſſen, hinunterſpähen konnte. Nicht lange, ſo ſah er jenſeits des Dorfes Bewaffnete, die ein Weib in der von ihm und Chriſtinen beabſichtigten Richtung in ihrer Mitte führten. Er konnte nicht zweifeln, daß ſie es ſei, und konnte ſich's ausmalen, wie der Mann, dem ſie begegnet, die Anzeige gemacht hatte, ſie gehöre zu einem verdächtigen Kerl, der ſich nicht ins Dorf herein traue. Seinen Namen hatte ſie gewiß nicht angegeben, aber ohne Zweifel ihre Hei¬ math, und wurde jetzt bis nach Göppingen von einer Streifmann¬ ſchaft der andern übergeben.

Er knirſchte, biß ſich in die Finger, daß ſeine Zähne blutige Spuren hinterließen, und blickte anklagend gen Himmel. Alſo keine Ruh ', keinen Frieden! rief er: wiederum haſt du mich in die Wüſte geworfen! Dann machte er in Gedanken auch Chriſtinen Vorwürfe, daß ſie ſo ungeſchickt geweſen ſei, ſich fangen zu laſſen. Endlich ſchüt¬ telte er ſich unmuthig, als ob er alle Gemüthsbewegungen, mit welchen er ſich vergebens peinigte, zu Boden werfen wollte. Mit einer gewalt¬320 ſamen Kraft arbeitete er ſich durch die Gebirgswälder hindurch, und das Geſtrüpp krachte unter ſeinen Händen und Füßen, bis er endlich, halb erſchöpft, abgelegene Pfade einzuſchlagen wagte, die ihn in weiten Krümmungen ſeinem Ziele näher führten.

Der Tag hatte ſich tief geneigt, als er auf dieſen verborgenen Umwegen, todtmüde vor Hunger und Anſtrengung, auf einer vor¬ ſpringenden Höhe herauskam und unter ſich in der Breite des Thals die Stadt liegen ſah, von wo aus er ſo oft in die Gefangen¬ ſchaft geſendet worden war, und wo nun auch Chriſtine abermals ihr Schickſal erwarten ſollte. Ihr freundlicher Anblick ſtimmte ſchlecht zu der Unglücksbedeutung, die ſie für ihn und die Genoſſin ſeines irren Lebens angenommen hatte. Seine Blicke, von Erſchöpfung verſchleiert, ſchweiften unſtät in die dämmernde Landſchaft hinaus. Plötzlich tau¬ melte er zurück, von einem Schreck ergriffen, der ihm das Blut in den Adern ſtocken machte. Was war es, das ihm vor die Augen ge¬ treten war? Es ſah aus wie der Schatten eines aufgehobenen Rieſen¬ fingers. Mit einer wilden Aufraffung kämpfte er den Schrecken nie¬ der, rieb ſich die Augen aus und ſagte laut und zornig, während ihm doch die Stimme bebte, vor ſich hin: Dummes Zeug, es iſt ja nichts als der Staufen.

Der wunderſchlanke Berg war ihm einen Augenblick zum Schreckgeſpenſt geworden. Auch mit ihm glaubte er in ſeinem anklägeriſchen Wahne rechten zu dürfen. Was willſt du mich warnen? fragte er; bin ich denn auf böſen Wegen? Ich will ja nur bei meinem Weib und mei¬ nen Kindern ſein!

Er lachte verächtlich. Iſt juſt die rechte Zeit zum Geſpenſterſehen, ſagte er. Geſpenſter hätten jetzt gute Gelegenheit, mir Geſellſchaft zu leiſten. Nur herzu, wenn's beliebt.

Er warf ſich zu Boden und rang mit der Empörung ſeiner Pulſe und ſeiner Gedanken, bis endlich ein ſpäter Schlaf ſich des gehetzten Wildes erbarmte.

321

29.

Der Amtmann von Ebersbach ſaß im Armſtuhl vor ſeinem Schreib¬ tiſch zurückgelehnt, ſo daß ſein Schlafrock von Damaſt mit großen Blumen aus einander gefallen war und die lange goldbordirte Weſte nebſt dem goldenen Uhrgehänge über dem ſtattlichen Leibe ſehen ließ. Er war bis zu den ſeidenen Strümpfen und den Silberſchnallenſchuhen herab ſo vollſtändig angekleidet, daß er nur den Schlafrock wegzu¬ werfen und in den Treſſenrock zu ſchlüpfen brauchte, um eine Staats¬ viſite zu machen oder zu empfangen. Dieſer Vorausſetzung widerſprach jedoch ſein Haarbeutel, der, entweder nachläſſig gebunden, oder in Folge unruhiger Bewegungen des Kopfes wieder aufgegangen, in trauriger Unordnung über die Lehne herabhing und ſeinen Puder auf den Boden verſtreut hatte, dabei aber vollkommen zu dem Geſichte ſeines Trägers ſtimmte, in deſſen Zügen der äußerſte Verdruß zu leſen war.

Die Amtmännin trat in der Hausjacke und Morgenhaube herein. Schauderhaft! rief ſie und beeilte ſich, den anarchiſchen Haarbeutel wieder in die Schranken der Ordnung zurückzubringen. Dann legte ſie die Hand auf die Stuhllehne und blickte ihren Gatten aufmerk¬ ſam an. Du biſt nicht gut bei Laune, mein Schatz, begann ſie endlich.

Man kann nicht immer bei Laune ſein, mein Schatz, erwiderte der Amtmann, dem die Verbeſſerung ſeines Kopfputzes unbequem ge¬ weſen ſein mochte, obgleich er dabei ſtill gehalten hatte.

Und dein Geſicht, fuhr ſie fort, nimmt neuerdings eine gewiſſe blauröthliche Färbung an, die mir Beſorgniß einflößt. Du ſollteſt dir mehr Bewegung machen, du ſteckſt noch ſo tief in den Winter¬ gewohnheiten. Der Schnee iſt weg, das Wetter macht ſich leidlich: ſoll ich dir nicht deine Jagdſtiefeln bringen laſſen?

Der Amtmann wendete ſich unmuthig ab. Du könnteſt mich eben ſo gut vergiften, Sibylle, ſagte er, als mir einen ſolchen Rath geben.

D. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 21322

Ich kann dich nicht capiren, Daniel! erwiderte ſie befremdet und ſcharf, denn ſie war dieſes Tons von ihrem Manne ungewohnt. Als Leute, die mit der Zeit fortgeſchritten waren, liebten Beide die von ihren altmodiſchen Eltern ihnen in der Taufe beigelegten Vornamen nicht ſonderlich und pflegten ſich deßhalb nur dann bei dieſen Namen zu nennen, wenn ſie von einer etwas ſtechenden Laune gegen einander befallen waren.

Der Amtmann, der das Nachgeben mehr durch die Leitung als durch das eigene Beiſpiel ſeiner Frau gelernt hatte, dämpfte ſeinen Ton ein wenig und ſagte erläuternd: Du ſcheinſt nicht daran zu den¬ ken, daß der vermaledeite Burſche, der Sonnenwirthle, in den Wäldern haust. Sonſt ſollte mich der Winter nicht von der Jagd abgehalten haben. Mein ganzer Chagrin rührt ja einzig und allein von dieſem Lotterbuben her.

Er hat noch Niemand angefallen, ſagte die Amtmännin. Er holt ſich hie und da Victualien, wo er ſie findet. Das iſt Alles. Und du kannſt ja Mannſchaft genug mitnehmen.

Du bedenkſt gar nicht, daß er auf mich eine ſpezielle Pique hat, verſetzte der Amtmann.

Ich halte ihn nicht für ſo rachſüchtig, erwiderte ſie. Bei ſeiner Kühnheit, Stärke und Verſchlagenheit hätte er ſonſt hier, wo er doch Manchen haßt, ſchon das größte Unheil anrichten können.

Wer ſteht dir dafür, daß es nicht noch geſchieht? rief der Amt¬ mann. So lang ſeine Concubine in Göppingen gefangen ſitzt, wird er ſich hüten, die Strenge des Geſetzes gegen dieſe Geiſel herauszu¬ fordern. Wenn ſie aber einmal frei iſt, und ewig behalten kann man ſie nicht, weil ſie nichts Erweisliches peccirt hat, ſo wird er ſchon die Hörner heraus ſtrecken. Ich ſeh 'es kommen, daß er das Handwerk, wenn's im Kleinen nicht mehr geht, ins Große ausdehnt und ſich in den Orden der Jauner aufnehmen läßt.

Nun, dieſe gibt's wenigſtens in unſrer Gegend nicht.

Sie ſind überall und nirgends: wenn ſie heute ausbleiben, ſo ſind ſie dafür morgen da. Dieſe politiſchen Blutigel, die ſich auf mehrere Tauſende belaufen mögen, ſcheinen eine inerſtirpable Landescalamität zu ſein. Sie koſten der Geſammtheit der verſchiedenen Dominien in Schwaben jährlich Hunderttauſende von Gulden, theils an Erbetteltem323 und Geſtohlenem, theils an Unkoſten, die gegen ſie aufgewendet wer¬ den müſſen. Ich glaube auch nicht, daß man eher mit ihnen fertig wird, als bis ſtatt der ohnmächtigen Generalſtreifen des ſchwäbiſchen Kreiſes einmal das ganze Land in Maſſe wider ſie aufſteht, ſie auf Einen Punkt zuſammentreibt und Alles über die Klinge ſpringen läßt. Und ich habe eine Ahnung, dieſes Scheuſal von einem Menſchen wird ſie uns noch auf den Hals ziehen, um ſein Müthlein an uns zu kühlen.

So benutze die Zeit, eh 'ſie kommen, zu einer Erholungsreiſe, wenn dir kleinere Ausflüge nicht zuſagen.

Hat ſich was zu reiſen! rief er ärgerlich. Dieſer Auswurf der Menſchheit hält mich ja wie einen Hund an der Kette feſt. Alles zittert vor ihm: wenn ich fortginge, ſo liefe mir der ganze Flecken nach. Und dennoch könnte ich mich bemüßigt ſehen, ein wenig nach Stuttgart hinabzufahren und unſern Gönnern in der Regierung auf¬ zuwarten, um den üblen Inſinuationen des Vogts zu begegnen, der ſeine Angſt vor dieſem Cartouche an mir Unſchuldigem auslaſſen will und mich unaufhörlich mit Vorſchriften tormentirt und mit Vorwürfen überhäuft. Fürwahr, der hat den Titel Expeditionsrath nicht umſonſt. Er expedirt einen Erlaß um den andern daher und wird den Flecken, wenn es ſo fort geht, noch an den Bettelſtab expediren, aber der ganze Stoß er warf bei dieſen Worten den Haufen der vor ihm liegenden Ausſchreiben unwillig durch einander hat bis jetzt keinen Hund aus dem Ofen gelockt.

Er iſt ſeinerſeits in der nämlichen üblen Lage wie du, bemerkte die Amtmännin: wenn der Wildfang ſich ſehen läßt, ſo ſchreit der ganze Flecken zuſammen, dann biſt du genöthigt einen Bericht nach Göppingen zu ſchicken, und das nöthigt dann wiederum den Vogt, ſich den Kopf zu zerbrechen, um auf den Bericht mit irgend einer neuen Maßregel zu dienen. Auf dieſe Weiſe macht man ſich gegenſeitig das Leben ſauer.

Und wie! rief der Amtmann, der in ſeiner Erbitterung über den Vorgeſetzten die vorübergehende Aufwallung gegen ſeine Frau vergaß und wieder zutraulich wurde. Ich mag von den Wiſchen aufſchlagen, welchen ich will, immer iſt ein Stich für mich darin.

Er gab ihr einen der Erlaſſe, und ſie las halb mit Lachen, halb21*324ärgerlich: Wohledler, vielgeehrter Herr Amtmann! Ich vernemme, daß die Anſtalten, welche der Herr Amtmann bis dahero zur Beifahung des von der Feſtung echappirten Böswichts Friedrich Schwanen ge¬ machet, nicht die beſte geweſen, und daß dardurch nur große Koſten gemachet, in der Hauptſach aber nichts gerichtet werde, wie es auch der Effect ſelbſt gegeben, da es zumalen gut geweſen wäre, wann die Hausſuchung unterblieben und dagegen das Mülleriſche Haus ex im¬ proviso überfallen worden wäre.

Sapperment! rief der Amtmann dazwiſchen: wenn der Einfalts¬ pinſel von Fiſcherhanne ihm hinterbracht hätte, der Schurke ſtecke drin, ſo würde er eben auch Hausſuchung gehalten haben, bis er ihn ge¬ funden oder nicht gefunden hätte. Was hilft mich's aber das Haus zu überfallen, wenn ich ihn nicht drinnen weiß?

Es wolle dahero fuhr ſie fort zu leſen der Herr Amt¬ mann die bisherige nächtliche Patrouille abgehen laſſen und dagegen ein paar vertraute Mann als Spionen beſtellen, die etwan Nachbarn von dem Mülleriſchen Haus und in der Stille auf des Schwanen Aus - und Eingang Achtung geben, und alsdann in tempore davon Anzeig machen laſſen. Da mir auch ferner bekannt, daß ſich der Schütz faſt täglich berauſche , das iſt wahr, bemerkte ſie dazwi¬ ſchen mit verſoffenen Leuten aber nichts zu richten, ſondern durch deren Ungeſchicklichkeit Alles, zumal bei einem ſolchen Böswicht, ver¬ rathen ſeie, ſo wolle der Herr Amtmann ihne Schützen zur Nüchtern¬ heit ermahnen, und ihme dabei bedeuten, daß, wann ich noch ein ein¬ igsmal höre, daß er ſich volltrinke, ich ihne ohne weiteres abſchaffen werde. Mein Gott! bemerkte ſie: was ſchreibt der Mann mesquin! Dein Geſchäftsſtyl athmet zwar auch nicht gerade Roſen und Lilien, aber mit dieſer Diction da verglichen, liest er ſich wie ein franzöſiſcher Roman.

Den Schützen habe ich tüchtig abgecapitelt, ſagte der Amtmann. Bei einem ſolchen Geſchäft könnte übrigens der Solideſte aus der Art ſchlagen lernen, geſchweige der alte Zapf von Haus aus. Da er noch von Allen am meiſten vertragen kann, ſo wird er dazu gebraucht, in den Wirthshäuſern umher zu ſpioniren, ob man's nicht irgendwo in der Stille mit dem Verbrecher halte. Da muß er nun überall pro forma ſei¬ nen Schoppen trinken ich ſelbſt hab 'ihm ſchon Geld dazu gegeben 325 und ſo kommt er gewöhnlich in einem Sarras und rapportirt, der Spitzbub' ſei juſt vor ihm dageweſen, er habe ihn aber nicht mehr angetroffen.

Die Amtmännin nahm ſich die Freiheit, in den Ausſchreiben zu kramen und einzelne Stellen halblaut zu leſen. Um den Flecken Poſten ausſtellen, las ſie, ſämmtliche Metzger mit ihren Knechten dazu beordern, mit Gewehren in Händen, wozu inſonderheit des Schwanen¬ wirths zu ziehen.

Sie blickte den Amtmann fragend an. Freilich! lachte dieſer: weil der Sonnenwirth Schwan heißt, ſo ſchreibt er immer: der Schwanen¬ wirth. Er nahm einen Erlaß aus dem Fache und deutete auf eine Stelle. Sieh, ſo ſchrieb er damals, als der Fleckenſchaden nach Hohen¬ twiel verurtheilt wurde: Es iſt dem Schwanenwirth zu bedeuten, daß er cum venia ein paar Schuh und etliche Kleidung ſchicken, übrigens aber ſich getröſten ſolle, daß ſein boshafter Sohn ihme künftighin in ſeinem Leben keinen Verdruß mehr machen werde.

Darin iſt er kein Prophet geweſen, ſagte die Amtmännin lachend. Sie las weiter: Dafern ſie etwas Verdächtiges vermerken, die Hunde laufen laſſen und mit Behutſamkeit anhetzen. Das iſt wirklich ko¬ miſch! rief ſie und beide brachen in ein ſchallendes Gelächter aus. Verſpreche mir übrigens wenigen Effect, las ſie weiter, und ſetzte hinzu: Ich auch.

Natürlich, ſagte der Amtmann, ſchon deswegen, weil der abgefeimte Schurke mit allen Hunden im Flecken auf dem beſten Fuße ſteht. Ich weiß nicht, was er für Jaunerkünſte dabei anwendet.

Die Amtmännin griff nach einem andern Schreiben und las: Bei der geringſten Spur wiedermalen Sturm ſchlagen laſſen

Das iſt nonsens! rief der Amtmann. Das thu 'ich nicht! Das brächte mir den Flecken vollends bei der ganzen Umgegend in Mi߬ credit. Sie kämen ja, weiß Gott, mit Spritzen angefahren, wenn ſie die Sturmglocke hören würden, und wenn ſie dann erführen, daß es ſich um den einzigen Höllenbrand handelt, ſo wäre des Gelächters kein Ende.

Allen Burgern , las ſie weiter, bei hoher und Leibesſtraf 'in¬ jungiren, ſich ohne Widerſetzlichkeit dem Streif zu unterziehen, welcher326 Veranſtaltung der Herr Amtmann auch herzhaft vorangehen und zu hoffentlich mehrerer Autorität ſelbſten beiwohnen ſolle.

Sehr obligirt! bemerkte der Amtmann und ſah halb ſpöttiſch, halb wehmüthig nach dem Fenſter, um welches milde Sonnenſtrahlen ſpielten, die nach der Wintergefangenſchaft zum Genuß der Freiheit einluden.

Du ſollteſt ihn auf eine Jagdpartie bitten, bemerkte die Amt¬ männin. Was ſchreibt er denn da? das ſcheint mir lateiniſch zu ſein: more solito negligiret.

Er wirft mir vor, ſagte der Amtmann im höchſten Unmuth, als hätte ich die Sache in gewohnter Manier gehen und liegen laſſen. Das iſt nicht nur eine Unwahrheit, das iſt eine hämiſche Calumnie. Er hat's nöthig, dergleichen Reprimanden einfließen zu laſſen. Wer die Sache auf eine negligeante Art behandelt, das iſt er. Das eine¬ mal hat mir der Poſtillon geklagt, er ſei Abends vor ſechs Uhr in Göppingen eingetroffen, habe aber zwei Stunden warten müſſen, bis er vorgelaſſen worden ſei. Ein andermal hab 'ich den Expreſſen um zwei Uhr von hier abgefertigt und den Beſcheid erſt Nachts nach neun Uhr erhalten. Ich habe mir aber alle dieſe more-solito-Negligenzien in margine notirt, damit ich mich gegen ihn rechtfertigen kann, wenn er mich zu Stuttgart ins ſchwarze Regiſter bringen will.

Da haben ſie jetzt an andre Dinge zu denken, ſagte ſie. Wie ich höre, beginnt der landſchaftliche Ausſchuß ſehr ſchwierig zu werden und wird ihnen wenig Zeit laſſen, ſich mit kleineren Händeln abzu¬ geben.

Nein, nein! rief der Amtmann. Das verſtehſt du nicht, ſo ſpitz¬ findig du biſt. Gerade dann ſind ſie am aufgelegteſten, einen einzelnen Beamten als Sündenbock zu maſſacriren, um zu beweiſen, daß die Schreier Unrecht haben.

Da würd 'ich doch zuerſt trachten, mich mit dem Vogt in eine beſſere entente zu ſetzen, ſagte ſie. Ein Vorgeſetzter behält gar zu leicht das letzte Wort. Ich kann ihn durchſchauen und gebe dir völlig Recht: hinter dem ganzen bruit von Regieren und Ordonniren ſteckt nichts als die Angſt vor dieſem Teufelsbraten, dem Sonnenwirthle. Es iſt ihm nicht wohl, ſo lange er ſeine Chloe in Verwahrung hat. So ſoll er ſie ins Henkers Namen laufen laſſen! polterte der Amt¬327 mann, der in ſeinem Aerger ſich nicht bewußt war, wie ſehr dieſer Rath ſeiner kaum zuvor ausgeſprochenen Beſorgniß widerſprach. Wenn ich vorausgeſehen hätte, ſeufzte er dann, daß mir die Vereitelung dieſer einfältigen Heirath ſolch maß - und zahlloſe Incommoditäten zuziehen würde, ich hätte ſelbſt den Brautführer oder wenigſtens den Vermittler beim Sonnenwirth gemacht. Vielleicht wäre der Burſche doch noch ein¬ geſchlagen.

Sie würden nie für einander gepaßt haben, verſetzte die Amt¬ männin mit entſchiedenem Tone. Sie iſt zu ſchwerfällig für ihn, und hoch hinaus hätt 'er jedenfalls immer gewollt.

Wenn er's nur ſchon ſo hoch gebracht hätte, wie ich's ihm wünſche! ſeufzte der Amtmann.

Bei alle dem, fuhr die Amtmännin fort, hat die unüberwindliche Anhänglichkeit an dieſe Perſon, die eigentlich das Unglück ſeines Lebens iſt, etwas Chevalereskes. Ich muß oft denken: Schade um den Men¬ ſchen! unter andern Umſtänden würde vielleicht etwas Importantes aus ihm geworden ſein. Geſtehen wir es uns nur: ein Burſche, der einen ganzen Flecken ſammt Amtmann und Vogt im Schach hält, der ſich nicht bloß in der Nacht, ſondern am hellen Tag, wenn's ihm con¬ venirt, im feindlichen Lager blicken läßt, in die Wirthshäuſer ſitzt, und allen aufgewendeten Maßregeln zum Hohne in keine Schlinge geht, der iſt kein gewöhnlicher Menſch, der hat etwas von einem coeur de lion an ſich.

Wenn meine Frau Gemahlin jünger wäre, bemerkte der Amtmann beißend, ſo könnte mich nahezu der Argwohn befallen, ſie wünſchte ſeine Chriſtine zu werden, damit dann zwei hochſtrebende Geiſter bei einander wären. Falls du übrigens Luſt haſt, den Löwen in ſeiner Höhle zu beſuchen, ſo will ich nicht eiferſüchtig ſein, andererſeits aber auch keine Verantwortung übernehmen.

Es fragt ſich, ob die Gefahr ſo groß wäre, erwiderte ſie ſcherzend.

Man hörte einen Hufſchlag und bald darauf trat der Amtsknecht in das Zimmer und übergab ein Schreiben mit den Worten: Von Göppingen, durch Erpreſſen.

Schon wieder! ſeufzte der Amtmann verzweiflungsvoll. Er erbrach das Siegel und las ſeiner Frau, nachdem der Diener ſich entfernt hatte, das amtliche Schreiben vor: Wohledler, inſonders et caetera. 328 Da ich vernemme, daß der Erzböswicht Schwan immerhin um Ebers¬ bach herumſchwärme und den Flecken in Sorgen und Aengſten ſetze, als wolle der Herr Amtmann, um einen Verſuch zu machen, ob er nicht durch Fineſſen wiederum zur Hand zu bringen, deſſen Vater, den Sonnenwirth endlich ſchreibt er doch einmal den richtigen Titel auf den Abend zu ſich berufen und ihm in der Stille die Anleitung geben, daß er des Nachts die alte Müllerin zu ſich in ein beſonderes Zimmer kommen laſſen und ſimuliren ſolle, als wann er aus großer Angſt ſich reſolvirt, ſeinem Sohn die verſprochene vierhundert Gulden, und zwar zweihundert Gulden baar, zweihundert aber, wenn er in Pennſylvanien wirklich angekommen, zu geben, ihro auch wirklich, um es ihm zu bringen, etlich Gulden behändigen, und täglich heimlich vor die Kinder eſſende Waaren zu ſchicken, und mit dem Geld Gulden¬ weis zu geben, um ihn ſicher und in die Wirthshäuſer der Nachbar¬ ſchaft ſchwärmend und ihne vollſaufend zu machen, continuiren ſolle, was ſich aber ſo ein als andernfalls von Zeit zu Zeit darauf ergebe, um die Messures beide lachten darnach nemmen zu können, dem Herrn Amtmann zu hinterbringen. Sollte durch dieſen Modum der Böswicht nicht zur Hand gebracht werden können, werde ich in¬ zwiſchen auf etwas andres raffiniren raffinir 'du und der Teufel! bemerkte der Amtmann und nicht nachlaſſen bis ich deſſen habhaft geworden. Unterdeſſen iſt Alles möglichſt geheim zu halten. Mit gött¬ lichen Schutzes Erlaſſung verharrend et caetera.

Das Raffinement iſt übrigens doch nicht ſo gänzlich aus der Luft gegriffen, bemerkte die Amtmännin, welche aufmerkſam zugehört hatte. Und zwar könnten wir vielleicht noch einen Schritt weiter gehen. Daß er ſeine Kinder bei der Großmutter fleißig beſucht, obgleich es bis jetzt nicht gelungen iſt, ihn daſelbſt aufzuheben, darüber kann nach ſeinem ganzen Temperament und Charakter kein Zweifel ſein. Nun käme es nur darauf an, ob man nicht das alte Muſter, ſtatt ſie durch einen zweifelhaften Verſuch mißtrauiſch zu machen, in's Complott ziehen ſollte.

Meinſt du? fragte der Amtmann überraſcht.

Natürlich müßte man da ſehr reſervirt zu Werke gehen. Wenn es aber gelänge, ſo dürften der Herr Vogt und Expeditionsrath alle ihre erlaſſenen Naſen wieder einziehen, und ſollte ihnen dero hohes329 Haupt darüber zu einem Gebirg anſchwellen. Ueber die Hauptfrage kann vielleicht am beſten der Schwanenwirth, wie der geſtrenge Herr ſich ſonſt auszudrücken beliebt, Auskunft geben.

So ſende nach ihm.

Auf den Abend.

Während ſie ſprach, klopfte es ſchüchtern an der Thüre. Herein! rief der Amtmann gebieteriſch im Gefühl ſeiner Amtswürde und der erlittenen Störung. Ah! ſagte er, als die Thüre aufging: wenn man den Teufel an die Wand malt, ſo erſcheint er auch ſofort.

Der Eintretende ſah aber keinem Teufel, oder wenigſtens, wenn das Bild auf ihn paſſen ſollte, einem armen Teufel ähnlich, nicht nach ſeiner äußeren Erſcheinung, denn dieſe zeigte den wohlhabenden Bürger und Meiſter, wohl aber nach ſeinem niedergeſchlagenen, ſorgen - und kummervollen Ausſehen. Es war niemand anderes als der Sonnen¬ wirth ſelbſt. Er war alt, grau, dünnhaarig und gegen ſeine Oberen wo möglich noch demüthiger geworden. Wenn's der Herr Amtmann nicht ungütig nehmen, begann er nach einer tiefen Verbeugung und angelegentlicher Erkundigung nach dem beiderſeitigen Wohlbefinden, ſo hätte ich eine Beſchwerde wider den Kreuzwirth anzubringen. Es iſt doch arg, wenn ſich ein rechtſchaffener Burgersmann von ſeinem Mit¬ burger und Mitmeiſter ſo unrechte und ungebürliche Sachen ſagen laſſen ſoll, wie der Kreuzwirth in dem Brief da ſchreibt.

Der Amtmann überflog den Brief, den ihm der Sonnenwirth reichte, und las halblaut murmelnd einzelne Stellen ab: Es will hiermit Unterzogener gegen den Sonnenwirth Schwanen nicht allein ſeine Grauſamkeit erinnern, die er vor etlichen Jahren durch ſeinen eigenen Sohn an meiner Perſon ausüben laſſen Das alte Lied! bemerkte der Amtmann dazwiſchen.

Er behauptet immer, er ſei damals zum Krüppel geſchlagen wor¬ den, ſagte der Sonnenwirth, und es iſt doch Alles nicht wahr.

Solch gottlos Anſtiften , las der Amtmann weiter, legt ſich deſto glaublicher wirklich an Tag, da der Vater aus einer ſonderbaren Rachgier mich noch obligiren will, Poſt zu reiten, da ihme doch be¬ kannt, daß ich weder mir noch den Meinigen etwas zum Nutzen ſchaffen kann, ſo ſucht er dannoch mir aufzubürden, was er zu thun ſchuldig. Es iſt bekannt, daß nicht allein die Metzger wegen ſeines330 übel erzogenen Sohnes viele Poſten präſtiren müſſen, ſondern auch neben dieſem mußte die ganze Burgerſchaft wegen einer ſolchen ſchönen Frucht nicht allein fatigiret werden, ſondern auch noch großen Scha¬ den leiden. Der Schwan hat immerdar nach einer Poſt getrachtet jetzt hat er das Poſtreiten, aber nicht nach ſeinem Sinn eigennützige Conceſſionen im Metzgerhandwerk durch Geld und Argliſt ſeinen Mitmeiſtern das Brod aus dem Mund genommen . Ein unverſchämter Calumniant! unterbrach ſich der Amtmann: was die Obrigkeit anordnet, das ſoll ihr durch Geld und Argliſt abgedrungen worden ſein?

Das murmelt er beſtändig an alle Nachbarn hin, wie mir erzählt worden iſt, ſagte der Sonnenwirth.

Dieſes Poſtrittpräſtiren , las der Amtmann weiter, zeugt von ſeines Herzens heimlicher Bosheit; der Sohn zeugt vom Vater; da dieſer damals im Beiſein meiner ſagen dörfen, ſein Sohn habe mir Recht gethan, ſo möchte ich nun wiſſen, ob er auch Recht gethan, da er vor etlich Jahren ſeines Vaters Haus beſtiegen, ſich noch rühmte, wie künſtlich und geſchickt er wäre, jedoch ein ſchlechtes Jubiläum von den Zuſchauern erhielte, ſondern von männiglich als ein erſchreckliches Exempel angeſehen wurde und ſo weiter. Dummes Zeug! Ich werde den Briefſchreiber für ſeine unverſtändigen Läſterworte um einen kleinen Frevel ſtrafen. Iſt Er damit zufrieden?

Aufzuwarten, Herr Amtmann, ich ſag 'meinen gehorſamen Dank, antwortete der Sonnenwirth und verbeugte ſich.

Hat Er ihn denn zum Reiten beordert?

Da der Herr Amtmann befohlen haben, daß ein für allemal auf jeden Tag in der Woche ein berittener Mann als Erpreßpoſtillion parat ſein ſolle, ſo hab 'ich als Obermeiſter dem Kreuzwirth den nächſten Ritt auferlegt.

Da er eine wenig erbauliche Figur zu Pferd machen wird, ſo iſt er dieſer Präſtation zu entlaſſen, verfügte der Amtmann.

Wenn's der Herr Amtmann nicht ungnädig nehmen wollten, wagte der Sonnenwirth einzuwenden, es iſt auch das eine von meinen vielen Sorgen und Verlegenheiten. Die ganze Metzgerzunft wird mir auf¬ ſäſſig wegen des beſtändigen Reitenmüſſens, ſo daß ich nächſtens nicht mehr weiß, wem ich den Tag anſetzen ſoll. Sie klagen, es koſte ſie ſo gar viele Zeit und bringe ſie im Verdienſt zurück. Ein Mancher331 kommt gar nicht mehr zu mir zur Zech ', und das iſt mir ein empfind¬ licher Verluſt.

Es iſt aber auch keine geringe Laſt für die Leute, ſagte der Amt¬ mann. Darin hat der Kreuzwirth Recht, daß Sein entarteter Sohn dem Flecken einen horrenden Schaden zufügt. Wenn Alle leiden müſſen, ſo darf Er am wenigſten zurückſtehen. Es wäre vielleicht doch ge¬ ſcheider geweſen, Er hätte Fünfe gerade ſein laſſen und die Mariage zugegeben.

Der Sonnenwirth fühlte ſich wie zu Boden geſchmettert. Derſelbe Mann der Autorität, der ſich ſo durchgreifend gegen dieſe Heirath er¬ klärt und ſeinen Arm zu ihrer Hintertreibung hergeliehen hatte, machte ihm jetzt Vorwürfe, daß er ſeinem Sohne nicht den Willen gelaſſen habe. Er ſah den Amtmann mit einer ſtehenden Jammermiene an, verſtummte aber unter der Bürde, die ihn niederdrückte.

Die Amtmännin kam ihm zu Hilfe und erinnerte ihren Mann, daß, wenn ſein Vorwurf begründet wäre, er ihn nach ſeinem eigenen Ge¬ ſtändniß eben ſo gut und noch ſtärker treffen würde, als den Sonnenwirth.

Ach Gott! ſagte dieſer, dankbar für den Beiſtand: wenn Sie er¬ lauben, Herr Amtmann und Frau Amtmännin, ich hab 'überhaupt ſchon lange Zeit keine gute Stunde mehr in meiner Familie. Seit mein Sohn amtlich für einen Erzböswicht erklärt worden iſt und jetzt natürlich nichts mehr an mir erben kann, wenn ich ihn auch einſetzen wollt', ſeitdem iſt der Hader zwiſchen meinem Weib und meinen Tochter¬ männern los. Sie liegt mir immer an, ich ſoll 'ein Teſtament zu ihren Gunſten machen, und das müſſen die beiden andern, der Chirur¬ gus voran, gemerkt haben.

Sie hat ja keine Kinder, bemerkte der Amtmann.

Wohl 'geben, aber ſie hat Verwandtſchaft, die ſie auf die Sonne bringen möcht'.

Da würde ich vor Allen den Chirurgus bedenken, rieth der Amt¬ mann. Der Mann hat savoir vivre, gibt einen gewandten Wirth und wäre wohl am meiſten geeignet, die Sonne im Flor zu erhalten.

Der Sonnenwirth verſprach dieſen guten Rath in Erwägung zu ziehen, gegen welchen die Amtmännin keine Einſprache that. Als er ſich empfehlen wollte, hieß ihn der Amtmann noch bleiben und unter¬ redete ſich mit ihm über den Hauptzweck, wegen deſſen er ihn hatte332 rufen laſſen wollen. Er theilte ihm den Inhalt des oberamtlichen Schreibens mit und forderte ihn auf, ſich zuvörderſt darüber auszu¬ ſprechen, ob die Hirſchbäuerin wohl dazu zu bringen wäre, einen Ver¬ rath an ihrem Schwiegerſohne zu begehen.

Die iſt eine Schmotzampel an Leib und Seel ', antwortete der Sonnenwirth, die verkauft ihren Herrgott, wenn ſie nur Geld ſieht. Das iſt auch ein Grund geweſen, warum ich meinen Sohn nicht hab' in die Familie heirathen laſſen wollen.

Mir kommt da ein guter Einfall, ſagte der Amtmann. Ich hatte neulich in alten Acten und Urkunden zu ſtöbern und machte dabei zu¬ fällig die Entdeckung, wie es mit dem Leibeigenſchaftsverhältniß der Hirſchbauernfamilie bewandt iſt. Der Erſte des Namens hat das Haus als eine Art Wildhüter zu Lehen erhalten, mit der ausdrück¬ lichen Bedingung, Jagd auf die Wilderer zu machen. Da nun gar kein Zweifel ſein kann, daß Sein Sohn neben andern ähnlichen Be¬ ſchäftigungen auch dieſem ehrſamen Gewerbe obliegt, ſo könnte man es ihr als eine Servitut auferlegen, daß ſie die Hand zu ſeiner Beifahung zu bieten habe, widrigenfalls die Herrſchaft berechtigt wäre, ſie von Haus und Hof zu jagen.

Für den Nothfall, erwiderte der Sonnenwirth, kann dieſe Drohung nichts ſchaden, aber ſie wird kaum vonnöthen ſein. Auf den Abend will ich das alt 'Weib zu mir kommen laſſen und hoff' in Kurzem dem Herrn Amtmann erwünſchte Antwort zu bringen.

Er wünſchte einen glückſeligen Tag und ging, ohne ſich zu fragen, ob das Vorhaben, das er der Hirſchbäuerin gegen ihren Schwiegerſohn zu¬ traute und um deſſen willen er ſie verurtheilte, ein anderes ſei, als das Vorhaben, das er gegen ſeinen eigenen Sohn bereits auszuführen im Begriffe war.

Auch der Amtmann und ſeine Frau dachten an eine ſolche Ver¬ gleichung nicht. Wenn der Sonnenwirth die Sonne dem Chirurgus zuwendet, ſagte der Erſtere lachend, ſo ſtirbt die Sonnenwirthin, ſo¬ bald ſie etwas vom Teſtament erfährt, am Gallenfieber.

Das wäre dem Mann je eher je lieber zu gönnen, verſetzte die Amtmännin. Er hat nicht zum beſten mit ihr gelebt, und ſie iſt auch in der That, ſo wie man ſie näher kennen lernt, eine herzloſe, neidi¬ ſche, malitiöſe Creatur.

333

Der Himmel weiß, womit die ſonſt ſo kluge Sonnenwirthin es bei der geſtrengen Frau verſchüttet haben mochte.

Schon am nächſten Morgen ritt eine Staffette nach Göppingen mit der Meldung des Amtmanns an den Vogt, daß Alles ſich nach Wunſch anlaſſe, und Mittags hatte der Amtmann vom Vogt die Wei¬ ſung, er ſolle, da die alte Müllerin verſprochen habe, den Böſewicht in ihr Haus zu locken, genügſame Mannſchaft mit Gewehr und Prü¬ geln dahin verſtecken und denſelben achtzehn Gulden, der Müllerin aber, wenn der Fang mit ihrer Beihilfe gelungen ſein werde, zwei Gulden als Belohnung ausbezahlen.

30.

Geſegnete Mahlzeit bei einander! Das iſt ja ſchön, daß man die Ahne und die Kinder bei der Gottesgabe findet, die Leib und Seel 'zuſammenhält.

Mit dieſen Worten trat der Geächtete durch die Thüre ein, deren Schwelle er ſo manchmal in Glück und Leid überſchritten hatte. Was ſpeiſt man denn? fragte er heiter.

Rübelesſupp 'und Grundbirn'! antwortete der Knabe, der mit der Großmutter und ſeinem kleinen Schweſterlein zu Tiſche ſaß und mit ſeinem Löffel der gemeinſamen Schüſſel wacker zuſprach.

Will Er's nicht mithalten? fragte die Hirſchbäuerin, ohne ſich in ihrer eifrigen Beſchäftigung ſtören zu laſſen.

Danke! was für Drei gekocht iſt, iſt nicht für Vier; man muß keine Deichſel an die Suppenſchüſſel machen. Im Gegentheil bring 'ich hier ein paar Brätlein. Wenn Ihr's nicht eſſen wollt, ſo könnt Ihr's unter der Hand zu Geld machen. Er hielt ihr ein paar Haſen hin. Bei dieſem Anblick legte ſie ſchnell den Löffel auf den Tiſch, ergriff das Geſchenk und trug es in eine Ecke der Stube, wo ſie einen leeren Korb darüber deckte.

Der Ankömmling ſetzte ſich an den Tiſch, holte einen hölzernen Löffel aus der Schublade und fütterte das Kleine, das erwartungsvoll334 nach der Großmutter hinſtarrte, aus der Schüſſel, ohne ſich ſelbſt einen Biſſen zu gönnen. Bei dem trüben Schein der armſeligen Ampel blickte er abwechſelnd ſeine Kinder an und freute ſich, daß es ihnen ſo gut ſchmeckte.

Wo iſt denn der Lobele blieben? fragte die Alte, ſich wieder an den Tiſch ſetzend.

Mein weißköpfigs Schwägerle, erwiderte er, hab 'ich in Rechberg¬ hauſen beim Chriſtle gelaſſen. Ich hab' einen weiten Umweg machen müſſen er warf einen Blick nach der Ecke, wo die Haſen lagen wo ich ihn nicht hab 'mitnehmen wollen, und ihn allein herunter gehen zu laſſen, dazu iſt mir's zu ſpät geweſen. Morgen früh iſt er wieder da. Iſt's richtig, was er mir ausgerichtet hat? Mein Vater will ſich alſo zu einem gütlichen Abkommen mit mir verſtehen?

Ja, ſagte ſie, er hat mich kommen laſſen und hat ſo mit mir ge¬ red't, daß ich glauben muß, es ſei ſein Ernſt. Vierhundert Gulden will er Ihm geben, wenn Er mit der Chriſtine und den Kindern nach Pennſylvanien geht, die Hälfte baar und die Hälfte drüben, aber das Baare nicht eher, als bis mit der Abreiſ 'Alles im Reinen ſei. Bis dahin will er ſorgen, daß den Kindern nichts abgeht.

Wenn nur die Chriſtine frei wär ', dann ging' ich gleich, verſetzte er. Wißt Ihr nichts von ihr?

Nein.

Einundzwanzig Wochen ſind es jetzt, daß ich ihr Gefängniß um¬ ſchwärme, ſagte er. Was ich in dieſer Zeit durchgemacht hab ', wird nicht bald einem Zigeuner vorgekommen ſein, denn der hat doch noch die Wahl, in welcher Gegend er ſein Nachtquartier nehmen will, und wenn's auch nur in einer Höhle wär'. Ich aber bin wie ein böſer Geiſt immer in das Revier da gebannt geweſen.

Die Alte lächelte ſchlau. Beim Krämerchriſtle, ſagte ſie, hat's doch gewiß nicht an Loſchement gefehlt.

Beim Chriſtle, ſagte er, kann ich meinen kleinen Schwager unter¬ bringen, wenn er mir eine Botſchaft thut und ich ihn nicht in der Nacht heimlaſſen will, und vom Chriſtle nehm 'ich's an, wenn er, wie ein paarmal geſchehen iſt, in meiner Abweſenheit meinem Weib oder meinen Kindern etwas ſchickt, zumal wenn das er ſah die Alte ſcharf an nicht für die Schleckerei, ſondern für die bittere335 Nothdurft iſt. Beim Chriſtle und ſonſt da und dort bin ich ſelber auch ein paarmal über Nacht geweſen, wenn man ein gemeinſames Geſchäft vorgehabt hat, bei dem der Nutzen zum kleinſten Theil auf meiner Seite geweſen iſt. Aber wenngleich Rechberghauſen nicht dem Herzog von Wirtemberg, ſondern dem Grafen von Preyſing gehört, ſo hätt' ich doch dem Chriſtle nicht zumuthen mögen, einem vogelfreien Menſchen, wie ich bin, nach dem man über jede Grenze ſtreifen darf, einen beſtändigen Aufenthalt zu geben. Nein, Schwieger, ich bin in dieſen einundzwanzig Wochen das wenigſtemal unter Dach und Fach gekommen, und wenn ich nur in einer Scheuer hab 'unterkriechen können, ſo iſt das ein Feſttag für mich geweſen. Die meiſte Zeit aber hab' ich tief im Wald, oft auch im freien Feld, auf dem Schnee geſchlafen, ein paar harte Felle von geſchoſſenem Wild zur Decke, und den kalten ſternglitzernden Himmel über mir. Wenn mir früher jemand behauptet hätte, das ſei ein Menſch auszuhalten im Stand, ich hätt 'ihm nichts davon geglaubt. Aber ſeht nur meine Kleider an: die zeugen am beſten von meiner Lebensart; im Herbſt ſind ſie noch ganz neu ge¬ weſen und jetzt hängen ſie halb in Fetzen an mir herum. Und wenn mir nicht der große Bart gewachſen wär', ſo könntet Ihr ſehen wie ich abgemagert bin nichts als Haut und Knochen. Und faſten hab 'ich gelernt, wie kein katholiſcher Heiliger; ich bin ordentlich mit dem Hunger auf Du und Du zu ſtehen kommen.

Der Knabe warf ſeinen Löffel auf den Tiſch und nicht weiter, während ſein Vater unter dem Reden den Löffel fleißig nach dem Munde des kleineren Kindes führte.

Da wär's in Pennſylvanien doch beſſer, bemerkte die Alte.

Meint Ihr nicht, der Jerg ging 'mit? fragte er und ſetzte ſchnell hinzu: daß wir Euch nicht allein zurückließen, verſteht ſich von ſelbſt.

O du mein Heiland, Er hat's gut mit mir vor, ſagte ſie. Sollt 'ich auf meine alte Tag' noch ſo weit über's Meer? Und der Jerg, der iſt jetzt zu Stuttgart im Dienſt als Packer bei einem Kaufmann, und meint, er könn's ſein Leben lang nicht beſſer kriegen. Nächſtens will er mir all' Woch 'ein Geldle ſchicken.

Das Land da drüben iſt ſo groß, wie ich mir hab 'ſagen laſſen, daß wir ein halbes Fürſtenthum in Beſitz nehmen könnten. Das wär' doch ein ander Leben.

336

Mein 'letzte Stütz' ſollt 'ich hergeben oder gar ſelber mitgehen, und vielleicht unterwegs, wie der Jonas, von einem Fiſch gefreſſen werden?

Ahne, der Fiſch hat ihn ja wieder ausgeſpieen, bemerkte der Knabe dazwiſchen.

Und das Reiſ'geld, fuhr ſie fort, ohne auf die Bemerkung zu achten, wär 'für uns Alle zuſammen nicht gnug.

Ob mein Vater die vierhundert Gulden auf einmal hergibt oder auf zweimal, kann ihm gleichgiltig ſein, wenn's ihm überhaupt mit dem Anerbieten Ernſt iſt. Glaubt Ihr wirklich, Schwieger, daß er's ehrlich meint?

Daß er's anders thut als er geſagt hat, glaub 'ich nicht, dagegen das glaub' ich, daß ihm zu trauen iſt, denn warum? er möcht 'Ihn eben fort ha'n, weil er ſich vor Ihm fürchtet und weil der ganz' Fleck in Aengſten vor Ihm iſt.

Der Geächtete lachte ſtolz.

Ich glaub 'ferner auch, fuhr ſie zutraulich fort, daß der Amtmann mit unter der Sach' ſteckt; denn dem wär's ebenmäßig wohl, wenn er nichts mehr mit Ihm zu thun hätt '.

Der Amtmann? ſagte er. Wenn das der Fall iſt, ſo muß man ſich vor Finten hüten. Der arbeitet an einem doppelten Plan. Mag leicht ſein, daß er fürlieb nimmt, wenn er mich über alle Berg 'weiß, aber noch lieber iſt's ihm, wenn er mich wieder unter ſeine Klauen kriegen und einliefern und eine Belobung davon tragen kann. Nein, Schwieger, wenn ich gewußt hätt', daß der Amtmann im Spiel iſt ſeht ja zu, daß Ihr die Hand nicht zu einem falſchen Spiel bietet!

Ich vermuth's ja nur, ſagte ſie. Mein Herz denkt an nichts Arg's. Wer wird denn auch gleich ſo ängſtlich ſein?

Aengſtlich! rief der Geächtete, und ſein ganzer Stolz ſtammte auf: wer kann mir nachſagen, daß ich jemals Angſt hab 'blicken laſſen?

Nu, nu, man red't ja nur. Eins iſt ſo wenig nutz, wie das ander '. Wer alle Stauden will fliehen, kommt nie in Wald, und hinwiederum, dem Trauwohl hat man den Gaul weggeritten. Für heut' hat's jedenfalls kein 'Gefahr, denn kein Menſch weiß, daß Er da iſt.

Doch will ich nicht über Nacht bleiben.

337

Ja, und wenn ſie dann wieder mitten in der Nacht Hausſuchung halten wollen, ſo läßt Er ihnen wieder das Nachſehen. Denn beſſer in der Acht als in der Hacht, beſſer der Nam 'als der Leib am Galgen.

Wenn man durch meinen Vater mit dem Amtmann unterhandeln könnt ', daß die Chriſtine frei würd', unter der Bedingung, mit mir nach Pennſylvanien zu gehen, ſo könntet Ihr mir ja an einen ſichern Ort Meldung thun. Aber ohne den Jerg iſt's nur halb gelebt. Ein Mann wie mein Schwager wär 'mir mehr werth als ein Capital in dem großen wüſten Land, wo man Wälder ausſtocken und mit den Wilden kämpfen muß.

Wenn die Kinder im Bett ſind, ſo wollen wir weiter reden, ſagte ſie und trug das Eßgeſchirr hinaus.

Vater, ſagte der Knabe jetzt, der lange auf einen Augenblick, wo er auch etwas reden durfte, gewartet hatte, Vater, ich hab 'mich ſo lang drauf gefreut, bis Er auch einmal wieder kommt.

Die helle Stimme des Knaben that dem Geächteten tief im Herzen wohl. So, Friederle, ſagte er, haſt dich auf den Vater gefreut? Sieh ', ich hab' euch auch was mitgebracht. Mit dieſen Worten zog er aus der Taſche allerlei Spielzeug, das er in müßigen Stunden künſtlich geſchnitzt hatte. Die Docken gehören deinem Chriſtinele, die gibſt ihr morgen früh, wenn ſie aufwacht. Er legte das Kind, das in ſeinem Arme eingeſchlafen war, auf das Bett und brachte aus ſei¬ nen andern Taſchen noch mehr der Herrlichkeiten hervor. Da ſind für dich Soldaten, Fußvolk und Reiter, auch etliche Kanonen dabei, weil's jetzt Krieg iſt, und damit deine Schulkameraden nicht ſagen können, du habeſt nicht ſo ſchöne oder nicht ſchönere Spielſachen als ſie. Lernſt auch brav? Erzähl 'mir einmal, was heut' in der Schule vorge¬ kommen iſt.

Die Geſchicht 'vom Simſon iſt geleſen worden, antwortete der Knabe.

Haſt du mitleſen dürfen? fragte der Vater. Kannſt leſen?

Noch nicht ganz gut, ſagte der Knabe, 's kommt nur hie und da ein kleiner Vers zum Leſen an mich. Aber die Geſchicht 'hat mir mächtig gut gefallen, wie der Simſon den Löwen zerriſſen hat, und wie er mit dem Eſelskinnbacken tauſend Philiſter geſchlagen hat, undD. B. IV. Kurz, Sonnenwirth 22338hat ihnen das Stadtthor in der Nacht fortgetragen und Füchſ 'in ihre Felder trieben mit brennende Schwänz', und wie er zuletzt das Haus eingeriſſen hat, daß es auf ihn und alle Philiſter zuſammengefallen iſt.

Du gibſt ja recht Acht, ſagte der Vater freundlich. Möchteſt vielleicht auch ein Simſon werden?

Der Knabe ſah ihn verwundert an.

Gelt, das verſtehſt du nicht? Was möchteſt denn werden?

Ich möcht 'werden, was mein Vater iſt.

Was iſt denn dein Vater?

Der Knabe ſah ihn ſtarr an und antwortete auf wiederholtes Fra¬ gen: Ich weiß nicht.

Warum ſagſt du denn, du möchteſt werden was dein Vater iſt, und weißt es nicht?

Ha, ſo ſagt jeder Bub ', wenn man ihn fragt was er werden wöll'.

So! Wie heißen ſie denn deinen Vater?

Er ſei ſöllig ſtark, ſo daß Alles Angſt vor ihm haben müſſ '.

So? und was ſagen ſie ſonſt von ihm?

Der Knabe ſchwieg.

Wie gehen denn deine Kameraden in der Schule mit dir um? Sag's, ich will's wiſſen.

Sie laſſen mich nicht in's Buch 'neingucken, ſo daß mir der Schul¬ meiſter ſchon oft eine beſondere Bibel geben hat, und einmal, wo ſie wüſt gegen mich geweſen ſind, hat der Schulmeiſter zu ihnen geſagt, ſie ſollen mich gehen laſſen, ich ſei ein unglücklich's Kind, ich könn' nichts dafür.

Für was?

Der Knabe ſchwieg.

Ich befehl 'dir's, ich will wiſſen, was ſie von deinem Vater ge¬ ſagt haben.

Er mußte ſeinen Willen im gebietendſten Tone geltend machen, bis der Knabe endlich ſchüchtern und zögernd antwortete: Sie ſagen Er hab ' geſtohlen.

Und wenn das wahr iſt, ſo willſt du dennoch werden, was dein Vater iſt?

Ja.

Was iſt Einer, der ſtiehlt?

339

Es bedurfte abermals der größten Anſtrengung, um aus dem Kna¬ ben die Antwort herauszubringen: Ein Dieb.

Ein Dieb alſo willſt werden?

Ja.

Wart ', ich will dir einen Denkzettel geben! Ahne, wo iſt die Ruthe?

Er gewahrte nicht, daß die Alte nach langer Abweſenheit erſt in dieſem Augenblick wieder in die Stube trat und die Thüre ein wenig hinter ſich offen ließ. Sie bat für den Knaben, als ſie hörte um was es ſich handle, und ſuchte dem unglücklichen Vater bemerklich zu ma¬ chen, daß das Kind ſich nicht auszudrücken vermöge und daß er ihm noch keine Unterſcheidung zumuthen dürfe. Nein, ſagte er unerbittlich, man ſoll mir nicht nachſagen, daß ich den Buben zu ſolchen Gedanken angeleitet oder ihm's auch nur zugelaſſen hab ', und wenn ich keine Ruthe haben kann, ſo thut's auch die Hand.

Er zog den Knaben zwiſchen die Kniee und patſchte ihn mit ſeiner kräftigen Hand ſo nachdrücklich, daß derſelbe mit offenem Munde ſchnaubte und ſchnappte; doch gab er keinen Laut des Schmerzes von ſich.

Was heulſt nicht, du Krott '? fragte der Vater, in ſeinem wenig überlegten Beſſerungsgeſchäfte inne haltend.

Ich hab 'immer gehört, mein Vater hab' nie geheult, wenn man ihn auch noch ſo arg geſchlagen hab ', antwortete der Knabe, nicht tro¬ tzig, aber mit entſchiedenem Tone, und ſeinem Vater ruhig in's Auge ſehend.

Dieſer ließ die Hand ſinken und zog den Knaben in ſeine Arme. Ach Friederle, mein Kind, mein lieb's Kind, rief er, ich hätt 'dich ja gewiß nicht geſchlagen, wenn ich allezeit bei dir wär' und dich im Gu¬ ten unterweiſen könnt '. Aber ein Dieb ſollſt und darfſt du mir nicht werden, das verbiet' ich dir hoch und theuer. Glaubſt du, daß ich's gut mit dir mein '?

Ja, ſagte der Knabe, indem er ihn mit ſeinen blauen Augen auf¬ tichtig anſah.

Willſt mir's nachtragen, daß ich dich geſchlagen hab '?

Nein.

Willſt mir verſprechen er drückte ihn immer heftiger an ſich22*340und ſchrie ihm die Worte in's Ohr: werd 'brav! werd' rechtſchaffen! Du mußt nicht meinen, es müſſe dir auch gehen wie deinem Vater! Es geht nicht Jedem ſo, es darf dir nicht auch ſo gehen! Wenn du älter biſt und mehr weißt als jetzt, dann wirſt du einſehen, daß du kein Dieb zu werden brauchſt, wenn du deinem Vater anhäng¬ lich ſein willſt. Dann wirſt du aber auch verſtehen, daß dein Vater nicht ſo ſchlecht geweſen iſt, wie die Leut 'von ihm geſagt haben. Und deine Mutter, die du ſo wenig geſehen haſt, iſt eine gute Mutter, Kind, und kann nichts dafür, daß ſie nicht öfter nach dir ſieht, und wenn ſie wieder bei dir ſein kann

Die Stimme brach ihm, er ſchlug die Hände vor die Augen und legte den Kopf auf den Tiſch. Es wurde ganz ſtill, nur daß man tief aus ſeiner Bruſt herauf ein unterdrücktes Schluchzen hörte. Die Alte ſah ſich einen Augenblick um, ſetzte ſich dann ſo, daß ſie dem Tiſche und der Thüre den Rücken zukehrte und begann hierauf mit einer Stimme, die abſcheulich lautete, das geiſtliche Lied zu ſingen: Valet will ich dir geben, du arge falſche Welt.

Der Geächtete hatte ſeinen Empfindungen eine kurze Zeit freien Lauf gelaſſen, da weckte ihn ein durchdringendes Geſchrei ſeines kleinen Sohnes: Vater! Vater! Philiſter über dir, Simſon!

Er fuhr auf und ſtarrte, die Augen voll Thränen, in die Stube, aber die Bewegung hatte nur dazu gedient, ſeinen Kopf einer Schlinge preiszugeben, die im gleichen Augenblicke feſt um ſeinen Hals zugezogen wurde. Die Stube war voll bewaffneter Männer. Er fuhr mit der Hand nach dem Halſe, um ſich von der Schlinge frei zu machen. Da ſchrie der Fiſcher, der unter den Vorderſten war: Hand weg, oder du mußt verworgen! Zugleich wurde die Schlinge noch feſter angezogen, ſo daß er taumelte. Er ließ ab vom Widerſtande und war nach kurzer Zeit an Armen und Beinen ſo feſt geſchnürt, daß man ihn ohne Ge¬ fahr fortſchaffen konnte. Die Alte ſchickte ſich heulend und ſchreiend an, mit ihrer trüben Ampel zum Haus hinaus zu leuchten, und be¬ theuerte ihm fortwährend, daß ſie an dem Unglück unſchuldig ſei. Mag ſein, erwiderte er, ſie mit ungewiſſen Blicken meſſend, aber dir, Fiſcher¬ hanne, iſt's geſchworen und wenn ihr mir auch die Arm 'feſſelt, die Schwurfinger kann ich doch noch bewegen der nächſte Streich, den du mir ſpielſt, iſt dein Tod. Verhoffentlich wird kein weiterer341 nöthig ſein, ſagte der Fiſcher und Alle lachten zuſammen. Während ein Theil der Wachmannſchaft den Gefangenen ſo eilig fortſchleppte, daß er nur noch mit den Augen ſeinem Knaben ein Lebewohl zuwinken konnte, ſtöberte ein anderer, den Fiſcher an der Spitze, in der Stube herum. Die Alte, als ſie dies bemerkte, überließ den Fortgehenden die Sorge, wie ſie ſich ohne Licht zurechtfinden wollten, und eilte in die Stube zurück, konnte es aber nicht verhindern, daß die Haſen, als offenbares Herrſchaftseigenthum, in Beſchlag genommen wurden.

Der Knabe war außer ſich, und die Nachbarn, welche halb theil¬ nehmend, halb neugierig hinter den Häſchern in die Stube gedrungen waren, verſuchten ihn umſonſt zu tröſten. Nachdem die Alte ſich über den Verluſt ihres ſoeben zum Geſchenk erhaltenen Wildprets einigermaßen beruhigt hatte, ſchwatzte ſie ihm vor, ſein Vater werde nur ein wenig zur Mutter nach Göppingen gebracht und werde bald wieder kommen. Er ließ ſich nach und nach beſchwichtigen; über Eines aber konnte er ſich nicht zufrieden geben: mein Vater, ſagte er, hat ſonſt nie geheult, und jetzt haben ſie ihn grad 'geholt, wo er geheult hat.

In dieſem Augenblicke kam der Schütz, zu ſpät, um an der Ge¬ fangennehmung, zu welcher er beordert war, theilzunehmen, aber früh genug, um der Alten eine Nachricht zu bringen, die ſie ganz darnieder ſchmetterte. Wiſſet Ihr auch, Hirſchbäurin, ſagte er, daß Euer zweiter Sohn in Stuttgart hat Soldat werden müſſen? Er hat einem Sol¬ daten zur Deſertion geholfen, und der Oberſt Rieger, der dem Herzog ſein Kriegsvolk zuſammenwirbt, hat darauf gemeint, er ſei ihm als Stellvertreter eben ſo gut oder noch lieber.

Sie warf ſich zu Boden und raufte ihre Haare. Diesmal war ihr Schreien und Heulen ernſtlich gemeint. Jetzt hab 'ich mein' und Stab verloren! jammerte ſie.

342

31.

Paſſ 'auf, Beck! ſagte der obere Müller, mit ſeinem Knecht ein¬ tretend, im Hausgang zu dem Bäcker, der mit einem großen Kruge Weins gelaufen kam: paſſ' auf, heut kriegſt das Haus voll Leut '! Der halb' Fleck 'iſt auf'm Marſch zu dir und will's probiren, ob dein Keſſelfleiſch ſo gut iſt, wie's dein Weib ſelig hat machen können. Wir ſind die Erſten und wollen gleich ein gut's Plätzle beſetzen.

Der Bäcker lachte und ſtieß ſtatt der Antwort die Thüre auf, durch die man die Stube bereits überfüllt von Gäſten ſah. Der Müller meint, er ſei der Erſt 'zur Metzelſupp'! rief er dieſen zu. Ein allgemeines Gelächter empfing den verſpäteten Gaſt. Mach 'nur, daß du herſitz'ſt! riefen Einige, indem ſie zuſammenrückten und ihm und dem Knechte Platz machten: 's iſt eine Staatsſau geweſen, aber kannſt froh ſein, wenn du nur noch das Schwänzle von ihr triffſt!

Ungeachtet dieſer Drohung, die nicht ſo ernſtlich gemeint war, lie¬ ßen ſich's der Müller und ſein Knecht trefflich ſchmecken, während die Gäſte den Bäcker lobten, der ſeit dem ſchon lange erfolgten Tode ſeiner Frau keine Metzelſuppe gegeben hatte, und ſich zugleich darüber freuten, daß man bei den guten Ausſichten auf das heurige Jahr auch einmal wieder einen billigen Wein trinken könne.

Nachdem der Müller ſeinen Magen gefüllt, ſah er ſich im Kreiſe der Gäſte um. Was, der Profoß iſt auch da? rief er. Ich hab 'gemeint, Ihr lieget am Gliederweh' darnieder und könnet kein 'Fuß und nächſtens kein' Zahn mehr regen.

Die alten Knochen ſind's Leben gewohnt, erwiderte der Invalide. Ich hab 'auch glaubt, ich werd' der Beckin Quartier machen und jetzt iſt ſie mir lang vorangegangen. Ich hab 'eigentlich kein Gliederweh, 's ſind eben Flüſſ', die mir im Leib 'rumziehen, bald da, bald dort, ich mein' manchmal, ſie fahren mir bis in die Krücken hinein, und oft werfen ſie mich ſo bösartig in's Bett, daß ich ſchier nimmer auf¬ ſtehen kann.

343

Laſſet nur den Wein tapfer durch die Gurgel laufen, alter Kriegs¬ knecht, der wird Euch die Flüſſ 'ſchon' naus treiben. Daß dich! aber jetzt muß ich mich verwundern, daß der Fiſcherhanne auch ſo viel Ku¬ raſche hat und in's Wirthshaus geht! Nun, du darfſt dir heut ſchon was gonnen: haſt gewiß bei dem geſtrigen Fang etwas Schön's ver¬ dient, gelt?

Der Fiſcher ſchmunzelte. Wenn man ſich für den Flecken in Ge¬ fahr begibt, ſagte er, ſo könnt 'man, denk' ich, mehr anſprechen, als die paar Gulden, aber doch iſt's immer beſſer als gar nichts.

Die Gefahr muß nicht ſo groß geweſen ſein, bemerkte der Müller: wie ich hör ', habt ihr ihn mit der Schling' gefangen?

Ja! rief ein Anderer. Die Schling 'iſt ein Einfall vom Fiſcher¬ hanne geweſen. Das iſt das ſicherſte Mittel: wenn Einer nicht weich geben will, ſo zieht man eben zu, dann vergeht ihm die Kraft und er wird zahm wie ein Lamm.

Ich hätt 'zugezogen bis er hin geweſen wär', verſicherte der Fiſcher, denn wenn der loskommen wär ', ſo möcht' ich doch auch ſehen, wer mir behaupten könnt ', es hab' kein 'Gefahr gehabt.

Gottlob, ſagte der Müller, daß der Kerl aufgehoben iſt. Jetzt kann man doch wieder ruhig ſchlafen und ungeängſtigt leben. Ich hoff ', dasmal werden ſie ihn feſter verwahren, daß man endlich ſicher vor ihm iſt. Warum ſchüttelt Ihr den Kopf, Profoß? Meint Ihr, er werd' doch wieder auskommen, oder wär's Euch lieb?

Nein, erwiderte dieſer, für ihn ſelber wär's das Beſt ', er blieb' gefangen, wie er iſt. Was kann ihm die Freiheit werth ſein, wenn die ganz 'Welt immer mit Stecken und Stangen auf ihn aus iſt, um ihn zu fangen? Ich mein' nur, 's iſt halt doch curios, daß ein ganzer Flecken mit ſo viel ſtarken Männern vor dem einzigen Menſchen zittert. Und was hat er eigentlich gethan?

Was er gethan hat? ſchrie Alles zuſammen. Iſt er nicht von Hohentwiel ausbrochen?

Nun ja, ſagte der Invalide, das thät 'Jeder von uns auch, wenn ihm das Gefängniß entleidet wär', und er wär 'ſo geſchickt wie er, um eine halbe Unmöglichkeit zu vollbringen. Und zweimal aus dem Zuchthaus! ſagte der Müller.

344

Und hat ſich beidemal freiwillig wieder geſtellt, entgegnete der Invalide. Dazu gehört doch ein gutes Gewiſſen.

Ein unwilliges, höhniſches Gelächter war die Antwort auf dieſe Bemerkung.

Der Profoß hat immer ein wenig zu ihm gehalten, bemerkte der Fiſcher.

Er hat auch immer eine gute Seit 'gehabt, verſetzte der Invalide. Wenn man übrigens kein' andern Grund hat ihn zu fürchten, ſo müßt 'man eigentlich Jeden, der ſtark und verſchlagen iſt, umbringen, damit er Einem nicht ſchaden kann, wenn's ihm etwa einfallen ſollt'.

Hat er denn ſonſt nichts gethan? ſchrie der Müller. Ich will die Diebſtähl ', die er bei ſeinem Vater begangen hat, nicht ſo hoch an¬ ſchlagen: aber iſt er nicht erſt kurz verwichen dem Lammwirth in Metzig und Keller einbrochen und hat ihm Fleiſch, Brod und Wein genommen?

Requirirt, ſagte der Invalide.

Was? ſchrieen die Andern.

Requiriren heißt man das bei den Soldaten, erläuterte der In¬ valide ruhig. In der Campagne, wenn's nichts zu beißen und zu brechen gibt, kommt man zum Bauern in die Viſit 'und holt ſich Fleiſch, Brod, Wein, Hühner, Gänſ', Eier, kurz, was man finden kann, und wenn das ein Verbrechen wär ', ſo müßt' vom General bis zum Gemeinen 'runter Alles gehenkt werden. Der fürnehmſt' Offizier ſchämt ſich nicht dran. Und da geht's oft zu, daß mir's in der bloßen Erinnerung weh thut. Der Frieder iſt noch beſcheiden, nimmt nicht mehr als er für den Hunger und Durſt braucht, und hat dem Lammwirth doch nicht das übrig 'Fleiſch zu Fetzen verhauen und den Wein in Keller laufen laſſen, wie's der Soldat oft und viel thut. Es iſt jetzt ohnehin Krieg in der Welt; denket euch, der Feind komm' in den Flecken, oder auch der Freund, denn 's macht's einer wie der ander ', dann thätet ihr die Hundert oder Tauſend gern gegen den einzigen Marodeur, eintauſchen und thätet ſagen: der hat's doch noch gnädig gemacht.

Das iſt was anders, ſagte der Müller. Der Krieg verlangt's eben einmal ſo, er muß die Leut 'ernähren.

Wenn man mich lebenslang auf die Feſtung ſetzt, und mich nach345 meinem Entkommen überall verfolgt, und mein Weib einſperrt, das iſt auch eine Art Krieg. Sag 'Jeder von euch, was er thät', wenn er ſo 'nausgeſtoßen wär' wie ein wild's Thier. Man kann doch nicht immer Rüben freſſen, und im Winter wachſen nicht einmal Rüben. Und wenn er auch gar nichts nähm 'als eure Rüben, ſo thätet ihr doch auch ſagen, es ſei geſtohlen.

Seine Worte hatten, wenigſtens vorübergehend, einen unverkenn¬ baren Eindruck gemacht. Der Invalide fuhr, auf denſelben bauend, fort: Es iſt, wie wenn die Leut 'ein bös Gewiſſen hätten, das ſie an dem Menſchen auslaſſen müßten. Er raubt nicht, er mordet nicht, und doch hat der Fleck' eine Angſt vor ihm, daß es eine wahre Schand 'iſt. Noch eh' er jemand außer ſeinem Vater ein Stückle Brod genommen hat, iſt ein Schreck von ihm ausgangen, und wenn's geheißen hat: der Sonnenwirthle kommt oder er iſt da, ſo iſt Alles auf und davon, wie man ſich vor einem wüthenden Thier ſalvirt. Und der Nam 'iſt vor ihm hergangen wie ein ſchwarzer Schatten, und mich ſollt's nicht wundern, wenn er dem Schatten endlich folgt und in ſeine Fu߬ ſtapfen tritt.

In was für Fußſtapfen, fragte der Fiſcher, iſt er denn gangen, wie er beim Pfarrer einbrochen iſt, und hat ihm den Kelch ſammt den Hoſtien geſtohlen?

Für ſelbiges Stückle hätt 'ich ihm das Fell recht brav vergerben mögen, ſagte der Invalide, und dennoch hat ſich's anders damit ver¬ halten als man's nennt. Ich frag' jeden, der das Ding mit ſeinen fünf Sinnen anſieht, ob etwas Abgefeimt's dran iſt, wie man's dafür ausgeben hat. Der Pfarrer verweigert ihm die Copulation, weil er ſie nicht zahlen kann. Darüber kann jeder andächtige, in Jeſu Chriſto geliebte Zuhörer, wie man uns von der Kanzel anredet, denken wie er will; ich find 'in der Bibel nichts davon, daß das Reich Gottes und ſeine Gerechtigkeit bloß gegen Bezahlung zu haben ſei und anders nicht; aber, wie geſagt, das geht mich nichts an, das kann jeder mit ſich ſelbſt ausmachen. Der Bub' drauf denn ein Bub 'iſt er ge¬ weſen, wie Mancher ſonſt, der im dreiundzwanzigſten Jahr heirathet, ebenmäßig ein Bub' iſt und erſt von ſeinem Weib gezogen wird der Bub ', ſag' ich, bricht in der nächſten Nacht dem Pfarrer ein, ohne allen Schlachtplan, rafft zuſammen was er erwiſcht, natürlich Kleinig¬346 keiten, läßt auch noch den Kelch ſammt Hoſtien mitlaufen und ſteckt die Sachen in ſeines Vaters Stroh, damit ſie gleich am andern Morgen dem Knecht ganz gewiß in die Händ 'fallen müſſen. Daß er Grütz im Kopf hat, das leugnet ihm ſein ärgſter Feind nicht ab. Heißt aber das Grütz, wenn man eine That thut, von der am andern Tag jedes Kind ſagen muß: das hat niemand anders gethan als des Sonnenwirths Frieder! Heißt das Grütz, wenn man den Raub ſo verſteckt, daß in der nächſten Stund' Alles 'rauskommen muß? Ent¬ weder hat er's abſichtlich gethan, weil er lieber wieder im Zuchthaus geweſen wär', als in der Welt haußen, oder er iſt ganz rappelköpfiſch geweſen und hat gar nimmer gewußt was er thut. Ein wüſter Streich iſt's geweſen, ja, das ſtreit 'ich nicht, aber noch viel dümmer als wüſt. Wo wird ein Dieb von Profeſſion ſo wüſt und dumm und buben¬ mäßig ſein' Muthwillen ausüben? Und doch hat man ihn zu einem Dieb und Räuber von Profeſſion geſtempelt und hat ihn lebenslänglich auf die Feſtung geſchickt. Hätt 'man ihn mir geben, ich hätt' ein paar Stecken an ihm verſchlagen, und dann noch ein 'drüber, weil ich immer auf den Burſch was gehalten hab'.

Auf die Art, bemerkte der Fiſcher mürriſch, kann man alles Lumpenpack in Schutz nehmen, bis man zuletzt ſelber ihresgleichen wird. Grad ſo hat der Sonnenwirthle auch angefangen: der hat zuerſt ſei'm Vater 'n Zigeuner in's Haus ſchleifen wollen, und nachher hat er ſich mit dem Hirſchbauren und ſeiner Tochter gemein gemacht, und ſo iſt er von einem böſen Trappen auf den andern kommen.

Mir wird's ganz übel, rief der Invalide, wenn ich's mit anhören muß, wie Einer, der ſelber arm iſt, arme Leut 'verwirft. Wenn ein paar Arme bei einander ſind, ſo klagen ſie, man laſſ' die Armuth nicht gelten, und in der Kirch 'ſingen Arm' und Reich 'mit einander, die Menſchen ſeien alle gleich; ſo wie einer aber einmal darnach leben will, ſo fallen Arm und Reich über ihn her. Die Liebſchaft hätt' er unangefangen laſſen können, ich hab's ihm mehr als einmal geſagt, wiewohl das Menſch auch nicht ſo übel geweſen wär ': aber daß er ſich zur Armuth gehalten hat, grad das muß ihm einmal' n Stuhl im Himmel erwerben, mag's in der ſchnöden Welt noch mit ihm gehen wie's will.

Während der Invalide ſo die einzelnen Einwendungen, die ihm gemacht wurden, niederſchlug, hörte er nicht, wie das Murmeln und347 Murren um ihn her immer ſtärker wurde. Von was für einem Aus¬ bund iſt denn da die Red '? rief der Müllerknecht erbittert: ſollt' meinen, das wär 'ein Muſter, nach dem ſich ein Jedes richten müßt', und wenn man nach dem Namen fragt, ſo iſt's ein Mörder, der ſeinem Nebenmenſchen ohne weiters das Meſſer in Arm ſticht!

Das iſt auch ein wüſter Streich geweſen, ſagte der Invalide, der ſich nicht irre machen ließ: aber mit'm Zuchthaus iſt er doch, mein 'ich, hart genug abbüßt worden. Zum Meſſer greifen freilich nicht Alle, denn da gehört ſchon ein wenig mehr Muth dazu, aber mit'm Prügel oder mit'm Stuhlfuß iſt Jeder gleich bei der Hand, wenn der Wort¬ wechſel hitzig wird und es fällt ihm nichts Geſcheid's mehr ein, und da ſchlagen ſie einander ſo über die Köpf', daß man ſich nicht wundern darf, daß es ſo viel dumme Leut 'gibt. Streit und Certat muß ſein in der Welt, ſonſt iſt's langweilig, aber wohl wär's beſſer, die Men¬ ſchen thäten witzig mit einander fertig werden ſtatt ſpitzig, einander tupfen ſtatt ſtechen, ſtriegeln ſtatt prügeln, mit dem Kamm lauſen ſtatt mit dem Kolben. Wenn aber Einer thut, was Alle thun, und thut's mein'thalb ein wenig ärger, ſo ſollt' man ihn doch nicht um 'n ganzen Stock höher henken, wie wenn er was ganz beſonders gethan hätt'.

Es ſcheint, da muß ſich die Obrigkeit verantworten! warf der Fiſcher biſſig dazwiſchen.

Ich hab 'mein jährlichs Gratial vom Haus Oeſtreich, ſagte der Invalide ſtolz: die Obrigkeit kann mir nichts geben und nichts nehmen. Ich ſag' nichts wider ſie, aber ich red 'wie mir der Schnabel ge¬ wachſen iſt.

Ja, für'n wild's Thier, das dem Flecken täglich mit Mord und Brand droht hat! ſchrie der Müller, der den Wein zu ſpüren begann.

Um dieſer Reden willen hätt 'ich auch wieder' n Stecken für ihn in Bereitſchaft, ſagte der Invalide, der nach langer Krankheit wieder einmal ausgegangen war und ſich hinter dem Glaſe ſo behaglich fühlte, daß er aufgelegt war, ſeine Meinung ſtandhaft gegen Feind und Freund durchzufechten. Und zwar thät 'ich ihn darum weil er mit ſolchen Reden ſich ſelber am meiſten ſchad't. Aber er hat ſich nicht ſchlecht dagegen verantwortet ſchon vor ſechs Jahr', wie der Schütz einmal aus'm Verhör erzählt hat. Reden denn die Andern franzöſiſch? hat er geſagt. Und das iſt die Wahrheit. Wo man348 hinhört, wie die Leut 'von einander reden, ſo hört man: Den Kerl mach' ich kalt, ich hau 'ihm' n Flügel vom Leib, hin muß er ſein, nicht lebendig ſoll er mir vom Platz kommen, oder: die ganz 'Famile muß mir ausgerottet ſein, es ſoll Keiner übrig bleiben, der an die Wand pißt, mit Reſpect zu melden, wie's in der Bibel heißt. Iſt's denn viel ärger, wenn Einer droht, er zünd' den Flecken an, daß den Leuten die Häuſer über'm Kopf abbrennen, und das Kind im Mutter¬ leib dürf 'ihm nicht davon kommen? Iſt nicht ein Geſchwätz ſo dumm wie das ander', und iſt aus'm einen mehr worden als aus'm andern? Was hat er denn gethan? frag 'ich.

Das Murren war allmählich zum Geſchrei geſtiegen, und einzelne Stimme riefen bereits: Schmeißet ihn 'naus!

Redet ihr feiner? fuhr der Invalide mit erhobener Stimme fort. Ihr ſeid auch grob wie ungeſpalten Holz, aber ihr wiſſet's nicht, weil ihr euch ſelber vor eurem eigenen Schreien nicht höret. Ihn aber höret ihr, weil er mit ſeiner Bärenſtimm 'Manns genug iſt, euch Alle in's Stroh zu ſchreien, und weil er noch trotziger und wilder und wüſter als ihr reden kann, wenn er verzürnt iſt. Das nehmet ihr dann als baare Münz', wiewohl er euch den Flecken noch lang nicht anzünd't hat, aber was Gut's an ihm iſt, das wollet ihr nicht für baar gelten laſſen.

Der Invalide blickte ruhig in den jetzt ausbrechenden Sturm, auf nichts als ſeine Gebrechlichkeit vertrauend, obgleich wenig darauf zu wetten war, ob er mit heiler Haut davon kommen würde; denn nicht nur war das Geſchrei gegen ihn zum tobenden Gebrüll geworden, ſondern es hatten ſich auch Fäuſte gegen ihn erhoben, und darunter die beiden derben Schlagwerkzeuge des Müllerknechts, der es durchaus nicht in ſeinen Kopf bringen konnte, daß man einen Menſchen in Schutz nehme, der ihm, ſeinem Freund und Gutthäter, das Meſſer in den Arm geſtoßen hatte.

Mir ſcheint's, man muß den Flecken noch beſſer ſäubern, ſchrie der Fiſcher, deſſen Stimme nur noch in der nächſten Umgebung zu verſtehen war. Wenn ein Fleckenräuber ſo Freund 'im Ort ſelber hat, ſo iſt's kein Wunder, daß er ſich bei Tag und Nacht ohne Gefahr hier aufhalten kann.

Er iſt in der ganzen Zeit nicht ein einigsmal bei mir geweſen,349 entgegnete der Invalide, der ſich gleichfalls nur noch ſeinem Gegner und den Zunächſtſitzenden vernehmlich machen konnte. Er weiß wohl, daß ich ein alter hilfloſer Mann bin, und daß er mich nicht in Ver¬ legenheit bringen will, wiewohl er weiß, daß ich ihm nicht feind bin, das iſt auch noch nobel von ihm.

Nobel! ſchrie der Fiſcher giftig. B'hüt uns Gott vor Gabelſtich ', dreimal gibt neun Löcher!

Der Aufruhr in der Geſellſchaft hatte den höchſten Gipfel erreicht, als der Schütz eintrat und, durch ſein Erſcheinen wie ein Wetter¬ ableiter wirkte. Nicht der Anblick des Stückes Obrigkeit, ſondern ſein Ausſehen war es, was den Sturm beſchwor. Die liſtig zuſammen¬ gekniffenen Augen, die blinzelnd auf der rothglühenden Naſe hafteten, und die ſchalkhaft herausgepreßten Lippen verriethen es, daß ihn ein Ge¬ heimniß drückte, das neben einem Theil Verlegenheit viel Spaßhaftes ent¬ halten mußte. Die Blicke der Anweſenden richteten ſich erwartungsvoll auf ihn, während er, zufällig neben dem Invaliden noch ein wenig Platz findend, ſich einen Stuhl zu dieſem rückte, und ihm ein paar Worte in's Ohr ſagte. Der Invalide ſchlug mit der Fauſt auf den Tiſch und ſtieß ein herzliches Gelächter aus, das er zwei, dreimal raſch nach einander die Tonleiter herabrollen ließ.

Was iſt's? Was gibts? ſchrieen die Andern.

Im Amthaus hat man's ſeit heut Vormittag ſchon gewußt, fuhr der Schütz halblaut, doch ſo, daß die Andern es hören konnten, gegen den Invaliden fort. Dort iſt ein Jubeln und Lachen drüber, daß dem geſtrengen Herren ſo eine Eul 'aufgeſeſſen iſt. Wer Naſen wachſen ſehen will, der muß jetzt nach Göppingen gehen, da iſt eine ganze Cultur davon, wie ein junger Wald, alle ſo lang. Dasmal hat man's durch kein' Erpreſſen 'runter vermelden laſſen, ſondern durch eine ſtille Gelegenheit.

Was iſt denn geſchehen? fragte der Müller, dem Schützen ſein Glas anbietend, da er dieß für das geeignetſte Mittel hielt, ihn zum Reden zu bringen.

Der Schütz trank es vergnüglich aus und antwortete dann: Man darf's eigentlich noch gar nicht ſagen, das Oberamt hat's bei Kopf¬ abhauen verboten, denn dort ſchämen ſie ſich ſchwarz.

350

Andere folgten dem Beiſpiel des Müllers, da der Schütz ent¬ ſchloſſen ſchien, ſeine Neuigkeit ſo gut als möglich zu verwerthen.

Was iſt denn los? fragte endlich der Fiſcher den Invaliden.

Ein Vogel, antwortete dieſer lachend.

Der Schütz ſah den Fiſcher, der ſeinen Wein an ihm geſpart hatte, eine Weile ſtillſchweigend an, gleichſam um die Wirkung ſeiner Worte vorzubereiten. Er iſt durch! ſagte er dann geheimnißvoll.

Das blaſſe Geſicht des Fiſchers, der die Wahrheit bereits geahnt haben mochte, wurde einen Augenblick kreideweiß. Die Andern be¬ griffen noch nicht recht, um was es ſich handelte, und ſtarrten den Schützen mit aufgeriſſenen Augen an. Wer iſt durch? fragte der Müllerknecht.

Wer? rief der Schütz. Gibt's denn Zwei ſo? Der von Hohentwiel über alle Mauern und Felſen fortgeflogen iſt, hat dem Göppinger Käfig die Ehr 'auch nicht laſſen wollen. Wie er geſtern eingeliefert worden iſt, ſchon ſpät in der Nacht, hat man ihn auf die Hauptwacht geſetzt, hat ihm ein eiſern Halsband und den Hoſenträger angelegt und hat ihn mit einer Kette an die Wand angefeſſelt, ſo daß er drei, vier Schritt' hat in der Stub '' rumgehen können. Auch hat man ihm zween Mann beigeben, die ihn die ganz 'Nacht hätten verwachen ſollen. In der Nachmittnacht iſt der ein' Wächter fort und hat Eins ge¬ ſchrieen; wie er aber zurückkommt, ſind't er ſein 'Kameraden einge¬ ſchlafen der behauptet, es müſſ' ihm angethan worden ſein und kein Sonnenwirthle iſt nimmer dageweſen. Er hat den Göppingern ihren Geſchmuck mit fort, Halsband und Hoſenträger, wahrſcheinlich hat er's zum Andenken behalten wollen. Und ſein 'Chriſtine wird jetzt auch wieder bei ihm ſein. Ich glaub', er hat ſich extra deswegen fangen und nach Göppingen liefern laſſen, um ſie dort abzuholen, aber er iſt zu ſpät kommen, denn geſtern Abend, noch vor ſeiner Ankunft, hat man ſie losgelaſſen, weil man nicht gewußt hat, was man eigentlich mit ihr thun ſoll; und da wird er wohl denkt haben, er ſei jetzt überflüſſig, und iſt alſo auch gleich wieder fort.

Wie's Teufels iſt er denn aber von der Kette kommen? fragte der Müller.

Du haſt ſchon den rechten Namen genannt, ſchrieen ihm Mehrere zu. Kannſt dir wohl denken, wer ihm allemal forthilft.

351

Jetzt muß wieder der Teufel im Spiel ſein! ſagte der Invalide lachend.

Wiſſet ihr nicht mehr, rief einer der Gäſte, wie er in der Stub 'da an dem Platz, wo jetzt der Peter ſitzt, iſt er geſeſſen Der Knecht rückte bei dieſen Worten etwas betreten den Stuhl wie er da ge¬ ſagt hat, er glaub' an gar nichts? Ich hab 'gleich bei mir denkt, es werd ſein' guten Grund han, daß er nichts zugeben will. Denn ſich aus Ketten und Banden nur ſo 'rausſchälen, und über Mauern und Felſen' runterkommen Mannen! das ſind Ding 'die nicht natürlich zugehen.

Der Redner ſah ſich unwillkürlich um, ob nichts Unheimliches hinter ihm ſei. Die Andern murmelten: Gott ſei bei uns!

Der Invalide hatte inzwiſchen dem Schützen zugehört, der ihm erzählte: Man hat auf ſeiner Britſch '' n Nagel gefunden, den er draus 'raus gezogen haben muß, und an der Kette ein ſchadhaftes Glaich, das er wahrſcheinlich mit dem Nagel vollends aufdruckt hat; denn Dem iſt ein Nagel mehr als einem Andern ein ganzes Hand¬ werkszeug. So gibt's bloß Ein'.

Wer hätt 'ſich's auch träumen laſſen, begann Einer, daß die Metzelſupp' ſo ausging '! Sie hat ſo luſtig angefangen.

Es kann noch Blutwürſt 'regnen, fiel ein Andrer ein. Jetzt kann's der Fleck' büßen müſſen, daß man ihm ſo nachgeſtellt hat und erſt noch vergeblich.

Es iſt auch nicht recht, ſagte ein Dritter, daß man einen Men¬ ſchen zu ſeinen Kindern lockt und bei ihnen überfällt. So was ſollt 'man ja dem unvernünftigen Thier nicht zu Leid thun.

Ja, 's iſt wider die Natur, ſagte ein Vierter. Ich will nichts davon, und wenn ich auch drunter mitleiden muß, ſo weiß ich doch wenigſtens, daß mich's unſchuldig trifft.

Er ſagte dies ſo laut, daß man es in jeder Ecke der Stube hören konnte. Nun, wenn er etwa unſichtbar zugegen iſt, bemerkte der In¬ valide lachend, ſo hat er's ſicherlich gehört und wird ſich darnach richten.

Der Fiſcher, der bei der veränderten Lage der Dinge die öffent¬ liche Meinung von ſich abfallen ſah, ſagte ingrimmig: Die Göppinger können warten, bis ich ihnen wieder Einen fang 'und mir für ſie die Finger verbrenn'.

352

Ja, verſetzte der Müller, und meinen ſie denn, ihr Unſchick ſei dadurch ungeſchehen gemacht, daß man nicht davon reden ſoll?

Auf die Länge läßt's ſich natürlich nicht verbieten, ſagte der Schütz. Der Befehl iſt aber, man ſolle vorderhand kein unzeitig Ge¬ ſchrei machen, wenn er aber ſo verwegen ſei, daß er ſich abermals in die hieſige Gegend ziehe, ſo ſolle man unverweilt und mit der größten Oeffentlichkeit einen Preis von hundert Gulden auf ſeinen Kopf ſetzen.

Hundert Gulden? rief der Fiſcher. Auf ſein 'Kopf? rief der

Müller.

Hundert Gulden, wer ihn bringt, lebendig oder todt, antwortete der Schütz.

Der Fiſcher ſchlug die flachen Hände auf den Tiſch. Den Preis will ich verdienen, ſagte er. Ich auch! rief der Müller.

Und ich! rief der Knecht, dem die Geſpenſterfurcht zu vergehen ſchien, ſeinem Meiſter nach.

Die andern Gäſte tranken ſchweigend aus, und ihre langen Ge¬ ſichter verriethen, daß das Gelübde der Drei ſie nicht ſonderlich im Glauben an die Sicherheit des Fleckens befeſtigt habe. Bei dem all¬ gemeinen Aufbruch waren der Invalide und der Schütz die Letzten. Gelt, Beck, haſt auf eine größere Zech 'abgehoben? ſagte dieſer zum Bäcker, und jetzt iſt auf einmal ein Haar in dein' Wein gefallen. Ich will dich wenigſtens einigermaßen ſchadlos halten. Gib mir ein paar Schoppen mit, das Amt ſoll's zahlen. Es muß heut Nacht etliche Mannſchaft auf'm Rathhaus wachen, für alle Fäll '. Der Herr will ruhig ſchlafen können, denn 's iſt ihm doch nicht ganz wohl bei der Sach'. Aber trotzdem bricht er einmal über's ander 'in ein Lachen aus, daß ihm der Bauch wackelt, und ſagt' vor ſich hin: Ich ver¬ nemme, daß die Anſtalten des Herrn Vogts nicht die beſten ſind.

Er empfing den verlangten Wein und ging mit dem Invaliden fort. Der Bäcker, der jetzt allein war, zündete eine Küchenampel an, löſchte die Lichter und ſetzte ſich in den hinterlaſſenen Lehnſtuhl ſeiner verſtorbenen Frau, um hier die nahe Backſtunde abzuwarten, viel¬ leicht auch in der Hoffnung, an die Wachmannſchaft auf dem Rath - hauſe noch etwas von ſeinem Wein abzuſetzen. Er ſchlief ein, glaubte aber noch nicht lange geſchlafen zu haben, als er, durch ein Geräuſch353 oder eine innere Beunruhigung erweckt, die Augen aufſchlug. Mit offenen Augen glaubte er zu träumen, denn am Wirthstiſche ſaß in dieſer ſpäten Stunde eine Geſtalt, die den großen Krug vor ſich auf¬ gepflanzt, eine Flaſche daraus geſpeist hatte, und den Wein aus dem gefüllten Glaſe bedächtig koſtete. Der Bäcker ſchloß die Augen und öffnete ſie wieder, aber die Erſcheinung war noch immer da und ſchien greifbare Wirklichkeit zu ſein. Durch den Wald von Kopf - und Bart¬ haaren, die das trotzige Geſicht beinahe ganz bedeckten und ihm für einen unter lauter glatten Geſichtern aufgewachſenen Menſchen ein fürchterliches Ausſehen gaben, erkannte er ihn bei dem armſeligen Schein der Ampel, den Gefürchteten, den Schrecken der Gemeinde, des Amt¬ manns und des Vogts. Sein Blick ruhte mit ſpöttiſchem Ausdruck auf dem Wirth. Haſt wieder einmal geduſelt, Beck? begann er. Dein Wein iſt nicht beſonders. Wie dein Weib noch gelebt hat, haſt du einen beſſern geführt. Gott hab 'ſie ſelig, ſie war ein braves Weib, ſchlecht und recht, betete wenig Sprüche, hatte aber Chriſtenthum im Herzen, und hätte es für eine Sünde gehalten, einen guten Wein zu verderben. Ich will nicht hoffen, daß du ihn ſchmierſt.

Er ſteht ſchon den ganzen Abend im Krug, ſagte der Bäcker ſchüchtern. Ich will friſchen holen.

Thu 'das und komm bald wieder, denn ich hab' eine Erquickung nöthig.

Der Bäcker ging. So wie die Thüre ſich hinter ihm geſchloſſen hatte, eilte der ſeltſame Gaſt hinzu und horchte. Bald hörte er, wie die Hausthüre ging und der Schlüſſel langſam und leiſe darin umge¬ dreht wurde. Ich hab's von dem Schubjack nicht anders erwartet, als daß er mich verrathen werde, ſagte er und ſah ſich in der Stube um. Der große tiefe Wandſchrank ſchien ihm zu gefallen: er ſchloß ihn auf, leuchtete einen Augenblick hinein und ſtellte dann die Ampel wieder genau dahin, wo ſie geſtanden war. Schlechte Maus, die nur ein Loch weiß, aber es wird genügen, ſagte er, ſchlüpfte in den Schrank und zog die Thüre deſſelben hinter ſich zu. Er war noch nicht lange darin, als die Hausthüre mit Geräuſch aufgeſchloſſen wurde die Wachmannſchaft, den Bäcker an der Spitze, in die Stube ſtürzte. Sie ſahen ſich um. Wo iſt er denn? ſchrieen Alle wie aus Einem Munde. Da iſt er geſeſſen, ſagte der Bäcker beſtürzt. Geſchwind, das HausD. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 23354durchſucht! ſchrieen ſie und vertheilten ſich nach allen Richtungen. Die Stube, die angrenzende Kammer und Küche wurden ſorgfältig durch¬ geſucht, aber an den Schrank dachte Niemand. Nachdem ſie hier und in den andern Räumen des Hauſes mit den wieder angezündeten Lich¬ tern in jeden Winkel geleuchtet und nichts gefunden hatten, kamen ſie zurück. Die Einen ſchalten, die Andern höhnten den Bäcker, daß er ſie um eines leeren Traumes willen in Allarm gebracht habe. Derſelbe ſchwur hoch und theuer, der Sonnenwirthle ſei in ſeinem Haus ge¬ weſen, auf dieſem Stuhle ſei er geſeſſen und aus dieſer Flaſche habe er getrunken. Jetzt glaub 'ich's auch, ſagte er, daß er mit dem Teufel im Bund iſt, denn ſonſt könnt' ich nicht begreifen, wie er 'nauskommen iſt, denn ich hab' die Hausthür 'zugeſchloſſen, wie ihr ſelber wiſſet, und einen andern Ausgang gibt's nicht. Daß er' reinkommen iſt, wundert mich weniger, denn es wär 'möglich, daß ich vorher nicht zu¬ gemacht hätt', weil ich mir fürgeſtellt hab ', ihr werdet doch noch mehr Wein wollen.

Das iſt noch das Vernünftigſt ', was dir den ganzen Abend durch dein' Schädel gangen iſt, ſagte der Schütz. Und da wir einmal da ſind, ſo wollen wir eben ſo frei ſein und des Sonnenwirthles ſein 'Wein verſuchen. Sein Wohl! Ich wünſch' ihm, daß er weit von hier ſein gut's Brod finden und uns nichts mehr zu ſchaffen machen möcht '.

Er trank und ließ die Flaſche weiter gehen. Du biſt gut laden, wie lang's Heu, ſagte ein Anderer zu ihm.

Ja, du haſt deine beſte Züg 'im Hals, bemerkte ein Dritter. Nachdem die Flaſche geleert war, ſprachen ſie auch noch dem Kruge zu, ſcherzten über die Geiſterſeherei des Bäckers und begaben ſich end¬ lich wieder auf ihren Poſten zurück. Der Bäcker begleitete ſie, ſchloß die Hausthüre hinter ihnen ſorgfältiger als jemals ab, und ging wieder in ſeine Stube. Aber wer vermag ſein Entſetzen zu beſchreiben, als er ſeinen furchtbaren Gaſt an derſelben Stelle und in der gleichen Hal¬ tung wie vorhin am Tiſche ſitzen ſah. Langſam und ruhig, aber mit dem ſtrengen Blicke eines Richters, wendete dieſer ſein Geſicht nach ihm hin. Elender Hund, ſagte er, hab' ich dir je in meinem Leben etwas zu Leid gethan? Kannſt du's vor deinem Weib verantworten, daß du den Verräther an mir gemacht haſt? Sie würde dich nicht355 mehr anſehen, wenn ſie noch lebte. Geh ', du biſt nicht werth, in dem Stuhl zu ſitzen, der ſo oft ihr Schmerzenslager war.

Der Bäcker zitterte und hatte alle Faſſung verloren.

Der Gaſt ſchlug ein Gelächter auf, das dem Wirth durch Mark und Bein ging. Was ſeid ihr doch für erbärmliche Dummköpfe! 'rief er. Ihr habt mich geſehen, angerührt und in der Hand gehalten, und habt mich doch mit allen euren Lichtern nicht gefunden.

Der Bäcker ſtarrte ihn mit irren Blicken an. Der Schreckliche erzählte ihm haarklein Alles was vorgegangen, und wiederholte ihm jedes Wort, das geſprochen worden war. Dem Bäcker wirbelte der Kopf.

Dummer Tropf! da, in der Bouteille bin ich geſteckt! rief Jener endlich höhniſch.

Der Bäcker fiel auf die Kniee, ſtreckte die Hände, wie um Gnade flehend, nach ihm aus, und war feig genug, zur Verminderung ſeines eigenen Kerbholzes, ihm zu verrathen, welches Gelübde der Fiſcher, der Müller und deſſen Knecht gethan.

Jetzt hol 'mir friſchen Wein, haſt mich lang genug warten laſſen. Ich will dich noch einmal auf die Probe ſtellen, aber ich folge dir unſichtbar. Wenn du mir einen falſchen Tritt thuſt, ſo ſitz' ich dir im Nacken und will dich reiten, daß du nach Gott ſchreien ſollſt. Und miſch 'mir den Wein nicht, Schuft, oder du ſollst mir keines natürlichen Todes ſterben.

Diesmal brauchte er nicht an der Thüre zu lauſchen, denn der Bäcker hatte ſie weit offen gelaſſen. Er hörte ihn den richtigen Weg nach dem Keller einſchlagen, aus welchem er bald wieder zurückkam, faſt wahnſinnig vor Angſt, die ſich erſt etwas legte, als er das Ge¬ ſpenſt nicht mehr unſichtbar hinter ſich vermuthen mußte, ſondern leib¬ haftig vor ſich am Tiſche ſitzen ſah. Der Unhold ſtellte ihm die mißliche Aufgabe, ſich zu beſinnen, welche Strafe er durch ſeinen Verrath ver¬ dient habe, und trank, während der Bäcker alle Qualen der Todesangſt ausſtand, ſeinen Wein langſam und behaglich aus. Dann erhob er ſich mit den Worten: Wenn ich wiederkomme, ſo laß dir keinen ſolchen Spaß mehr einfallen, ich könnt 'ein andermal ernſthafter aufgelegt ſein. Was ſchauſt denn ſo nach meinem Fuß? fuhr er ihn an: ja ſo, du biſt neugierig, ob kein Pferdefuß zum Vorſchein komme. Nein, dum¬ mer Kerl, das Ding ſitzt nicht im Fuß. Sieh, da ſitzt's! Er klopfte23 *356ihm mit dem Knöchel des Fingers an den Kopf, wie man an ein Faß klopft, aber ſo ſtark, daß der Bäcker beinahe zu Boden fiel. Dann verließ er das Haus und der Bäcker ſchloß abermals die Thüre, aber ohne den beruhigenden Glauben, daß dieſe Maßregel ihm irgend eine Sicherheit zu gewähren vermöge. Er dachte nicht mehr an das Backen, ſondern löſchte ſchnell die Lichter und ſchlüpfte angekleidet, von Angſt und Fieber geſchüttelt, in ſein Wittwersbett.

Der Geächtete ging nach der einzigen Heimath, die er noch in ſei¬ nem Vaterorte hatte, obwohl auch dieſe für ihn unzuverläſſig geworden war. Er drückte den Riegel der Hinterthüre, den Finger durch die Thürſpalte drängend, leiſe zurück, und nach wenigen Augenblicken ſtand er vor dem Bette ſeiner Schwiegermutter. Auch dieſer drang ein eiſiger Schreck durch die Gebeine, als ſie, plötzlich erwachend, in un¬ gewiſſem Sternenlichte eine geiſterhafte Geſtalt mit aufgehobenem Finger vor ſich ſtehen ſah und alsbald ihren verrathenen Schwiegerſohn er¬ kannte.

Welchen Judaslohn habt Ihr für die Auslieferung gekriegt? fragte er.

Sie vermaß ſich mit den höchſten Schwüren, daß ſie weder etwas bekommen noch etwas verdient habe und daß der Ueberfall ihr ſelbſt ganz unverſehens gekommen ſei. Er ließ den Verdacht, der mehr in ſeinem Gemüth als an beſtimmten Beweiſen haftete, auf ſich beruhen, und weckte ſeinen Knaben. Der Kleine lächelte ihn mit halboffenen Augen wie im Traume an.

Da ſiehſt, Friederle, daß dein Vater frei iſt. Brauchſt dich nicht zu grämen. Willſt mit?

Er wird doch nicht das Kind durch die Wälder 'rumſchleifen wol¬ len! rief die Alte lebhaft. Ein Vater kann ſein' Buben in dem Alter noch nicht pflegen.

Er hat ja ſeine Mutter, antwortete er. Sie iſt frei und wohl aufgehoben.

Gott ſei Lob und Dank! rief die Alte, ſei es daß eine menſchliche Regung ſie erfaßt hatte, oder daß ſie ihn in guter Laune zu erhalten trachtete. Aber wenn auch! fuhr ſie fort: das iſt kein Leben für ein Kind, und mein Hühneraug 'ſagt mir, daß noch einmal Schnee fällt. Laſſ' Er mit nur den Buben da, ich geb 'ihn nicht her.

357

Sie kannte ihn wohl und hatte die rechte Saite getroffen. Wenn Ihr eine gute Ahne ſeid, ſagte er, ſo will ich Fünfe grad 'ſein laſſen. Aber fahret mir ſäuberlich mit den Kindern, das ſag' ich Euch. Wo ich auch bin, mein Aug 'zielt immer daher und ich weiß immer wie's bei Euch ſteht, ſo gut als wenn ich gegenwärtig wär'.

Er küßte die Kinder, von welchen das kleinere ruhig fortſchlief, und wandte ſich zum Gehen.

Ich will noch einmal mit dem Sonnenwirth wegen der Auswan¬ derung reden, rief ihm die Alte nach. Wo Er ſich mit der Chriſtine aufhält, will ich nicht fragen, damit Er nicht wieder mißtrauiſch wird. Er kann ſich ja von Zeit zu Zeit erkundigen oder durch vertraute Leut 'anfragen laſſen. Und halt' Er ſich nicht hier auf, das Klima iſt nicht geſund für Ihn.

Schon recht, aber erſt thu 'ich noch einen Tuck, antwortete er und war verſchwunden. Die Alte fuhr unter die Decke und murmelte ein langes Dankgebet für ihr glückliches Entrinnen.

Am andern Tage gerieth der Flecken in eine unausſprechliche Auf¬ regung, als man die Begebenheiten der verfloſſenen Nacht erfuhr. Außer dem Beſuche bei dem Bäcker, der in Folge der erlittenen Schreck¬ niſſe krank darniederlag, hatte der Sonnenwirthle noch ein weit tolleres Stück verübt. Er war auf unerklärliche Weiſe in das Haus ſeines Todfeindes, des Fiſchers, eingedrungen, hatte dieſen nebſt deſſen Frau aus ihrem zweiſchläfrigen Bette aufgeſcheucht, ſich's auf demſelben be¬ quem gemacht und das Ehepaar mit vorgehaltenem Gewehr gezwungen, ihm die ganze Nacht Geſellſchaft zu leiſten. Kochend vor Wuth hatte der Fiſcher es gleichwohl nicht wagen dürfen, einen Fuß zu rühren oder einen Laut von ſich zu geben, und war der Gewehrmündung des ſchwergereizten Feindes, ſo wie ſeinem bitter höhnenden Witze eine end¬ loſe Nacht hindurch preisgegeben geweſen, während nicht weit davon auf dem Rathhauſe für die allgemeine Sicherheit gewacht wurde. Vor Tagesanbruch hatte der Eindringling das Haus unter den grä߬ lichſten Drohungen und mit feierlicher Wiederholung des Schwures, daß er den nächſten Angriff unnachſichtlich mit einer Kugel beſtrafen werde, verlaſſen, ohne jedoch dem Fiſcher ein Haar gekrümmt zu haben, und zufrieden mit der Angſt, die er ihn hatte ausſtehen laſſen. Im Fortgehen aus dem Flecken hatte er ſich ſodann noch dem obern358 Müller in's Andenken geſchrieben, indem er ihn mit einem Schuß durch das Fenſter begrüßte, der aber, da er von unten nach oben ging und in die Decke ſchlug, nicht in gefährlicher Abſicht verſendet ſein konnte.

Von dieſem Tage an wurde der ausgeſtoßene Sohn des Sonnen¬ wirths von dem im Banne des tiefſten Aberglaubens befangenen Volk zum Helden einer Sage erhoben, welche ſein wunderbares Entkommen aus Mauern und Banden dem Bunde mit der Hölle zuſchrieb. Der Amtmann war in Verzweiflung, da dieſer Hexenglaube vollends alle Thatkraft lähmte und den zur Rache entflammten Flüchtling, deſſen hellem Geiſte ſich hier ein neues Schreckmittel darbot, zum unum¬ ſchränkten Herrn des Fleckens zu machen drohte. Der Fiſcher und der Müller, dem ſein Knecht blindlings folgte, erholten ſich zuerſt von den Schrecken jener Nacht, indem bei ihnen die Wuth über den Aberglauben ſiegte. Beſonders wurde der Fiſcher durch die Spöttereien des von ihm herausgeforderten Invaliden aufgeſtachelt, welcher keine Gelegenheit vorüber ließ, auf die heimlichen Gaſtfreunde, die der Sonnenwirthle im Flecken habe, anzuſpielen; und er betheuerte ſich zu wiederholten Malen, daß er einen Schuß an die ausgeſetzten hundert Gulden rücken wolle, verſchwor ſich auch förmlich mit den beiden andern Theilhabern ſeiner Rache, dem Verhaßten aufzupaſſen und ihn lieber todt als le¬ bendig dem Amte zu überliefern. Die übrigen Bürger aber fühlten wenig Luſt, es mit einem Zauberer aufzunehmen, der vor ſeinen Ver¬ folgern ſich in eine Halbmaßflaſche verkriechen oder in Pudelgeſtalt davonrennen konnte. So geſchah es einſt, daß zehn mit Schaufeln bewaffnete Männer, die ihm nahe bei dem Flecken begegneten, unge¬ achtet des auf ſeinen Kopf geſetzten Preiſes ihn nicht anzugreifen wagten. Sogar im Schlaf erweckte er Furcht, da man glaubte, daß er mit geſchloſſenen Augen zu ſehen vermöge. Zwei Poſtknechte fanden ihn neben der Landſtraße an einem Raine ſorglos eingeſchlafen; einer hatte nicht das Herz ſich ihm zu nähern und ritt davon; der andere aber wagte ihn zu wecken und ihm bemerklich zu machen, daß er hier nicht ſicher ſei. Ob jedoch bei ſolchen Vorgängen nur die Furcht und nicht auch eine menſchliche Theilnahme an dem Looſe des Unglücklichen mitgewirkt habe, das iſt eine Frage, über welche das menſchliche Herz wohl kaum einen Zweifel haben wird.

359

Aber auch dem Geächteten konnten ſelbſt ſeine erbittertſten Feinde mildere Herzensregungen nicht abſprechen. Es war eben um jene Zeit, daß ein Eßlinger Metzgerburſche, der auf den Einkauf von Schlachtvieh in die Dörfer der Umgegend ausgeſandt war, Abends ſpät noch halb todt vor Schrecken nach Ebersbach kam und ein im Walde erlebtes Abenteuer erzählte. Er hatte in einer Dorfſchenke einen Unbekannten getroffen, deſſen offenes Geſicht ihm gefiel und dem er beim Wein vertraute, daß es ihm nicht wohl zu Muthe ſei, mit ſeinem vielen Gelde Abends allein durch die Wälder gehen zu müſſen, wo der Sonnenwirthle hauſe. Sogleich erbot ſich der Unbekannte ihm das Geleite zu geben. Sie tranken noch ein Glas und machten ſich auf den Weg. Als ſie im dichteſten Walde ganz allein gingen und trau¬ lich mit einander redeten, blieb der Führer auf einem öden Platze am Saume eines finſtern Dickichts plötzlich ſtehen und hob an: So, jetzt will ich auch ſagen, wer ich bin ich bin der Sonnenwirthle. Der Wanderer fuhr zuſammen, wie vom Donner gerührt. Nachdem ſich der Geächtete eine Weile an ſeiner Furcht geweidet hatte, ſagte er: Ich bin nicht ſo ſchlimm, wie die Leut 'ſagen, ich hab' Euch mein Wort gegeben und das halt 'ich Euch als Mann von Ehre, ob ich auch noch ſo reich werden könnt' durch Euer Geld; damit Ihr Euch aber nicht unnöthig ängſtiget, ſo will ich den ganzen Weg vollends vor Euch hergehen; folgt mir nur, Ihr kommt mit einer ganzen Streif¬ mannſchaft nicht ſicherer durch den Wald. Er ging voraus und der Metzger folgte ihm heimlich zagend; aber nach einer Stunde ſah er ſich wohlbehalten an der Filsbrücke bei Ebersbach. Dort kehrten beide in einem einſamen Wirthshauſe noch einmal mit einander ein; der Metzger wollte ſeinem redlichen Führer ein Trinkgeld aufdrängen, dieſer aber wies es mit Stolz zurück.

Neben dieſer verbürgten Thatſache erzählt die Volksſage aus der gleichen Zeit einen minder ſanften Zug von ihm. Auf der Landſtraße, die er ungeſcheut zu betreten wagte, begegnete ihm einſt eine arme Frau die Sage behauptet, es ſei ſeine eigene Schwiegermutter ge¬ weſen und klagte ihm ihre Noth, daß ſie nicht einmal im Stande ſei, für ihre Kinder ein Spruchbuch zu kaufen. Er gab ihr ſogleich das nöthige Geld und ſie entfernte ſich unter tauſend Dankſagungen. Als ſie aber ſpäter den Weg zurückkam, ſah ſie ihn, als ob er der360 Wächter der Gegend wäre, an der alten Stelle ihrer warten, und er¬ ſchrack nicht wenig, als er nach ihrem Korbe griff, in welchem er ſtatt des Spruchbuchs Eier fand, die ſie um das Geld gekauft hatte. Er¬ grimmt über den Mißbrauch ſeines Geſchenkes, ſchalt er ſie eine Freſ¬ ſerin und machte ſie zur Zielſcheibe für die Eier, indem er mit ſiche¬ rem Wurfe eines um das andre an ihr zerſchellte, ſo daß ſie über und über triefend nach Hauſe kam.

Wie ein böſer Geiſt ſchweifte er um ſeinen heimathlichen Flecken umher, und wenn er Leute traf, ſo verhörte er ſie, was man in Ebersbach von ihm ſage, wobei er niemals unterließ, die grauſamſten Drohungen auszuſtoßen, ſo daß ihm die Sage bereits eine Menge Greuelthaten andichtete, ehe er eine einzige begangen hatte. Sein von Groll und Rache umhergetriebenes Gemüth ſann die wildeſten Thaten aus; aber das angeborne beſſere Gefühl hielt ſeine Hand zurück.

Auch der Vogt ermüdete in ſeiner Verfolgung und ſchrieb an den Amtmann, da mit Streifen auf dieſes carcinoma doch nichts gethan ſei, ſo ſolle man nur noch in der Stille Poſten ausſtellen und die Eingänge der Häuſer, denen etwa ſein Beſuch bevorſtehe, hinlänglich beſetzen.

32.

Der letzte Schnee des Winters war gefallen und wieder gegangen. Der Frühling hatte den Wald mit dem Jauchzen der Vögel erfüllt und das Feld mit dem lichten Meere ſeiner Blüthen überfluthet; die Blüthen waren gefallen und der Waldgeſang war immer dünner ge¬ worden. Die Sonne brannte ſtärker und der anbrechende Sommer verhieß der harrenden Welt die Fülle ſeines Segens, ſo daß es un¬ möglich ſchien, daß inmitten des überall aufſchießenden Reichthums Armuth, Noth, Hunger und Gier nach der Habe des Glücklicheren in der Welt vorhanden ſein ſollte.

Auf einem abgelegenen Hofe, der zwiſchen dem Hohenſtaufen und dem Filsthal mitten in den Wäldern von einem ſpärlichen Stück361 Feldes umgeben lag, ſaß eines Tages der Erbe der Sonne von Ebersbach bei dem Weibe, um deſſen Beſitz er ſo lange mit der Welt geſtritten hatte, bis ihm ſelbſt jeder Anſpruch auf ein Eigenthum und eine Heimath in der Welt verloren gegangen war. Mit Hilfe des Krämerchriſtle, der nach ſeinem Vornamen und einem kleinen Kram¬ handel ſo genannt wurde, hatte er ſie bei einer hier verheiratheten Schweſter deſſelben untergebracht, zahlte ein kleines Koſtgeld für ihren armſeligen Unterhalt und kehrte von ſeinen Streifereien in der Ge¬ gend immer wieder zu ihr zurück. Die Hofbewohner waren ihren Feldarbeiten nachgegangen und das Paar befand ſich allein. Chriſtine ſaß am Tiſche, wo ſie ein paar rohe Lappen zuſammengenäht hatte, und ſtützte den Kopf auf den aufgelegten Arm. Friedrich hatte ſich in die Fenſterecke gedrückt, wo er mit gekreuzten Armen düſter vor ſich hinbrütete. Die ärmliche Wohnung gewährte ihnen einen vorüber¬ gehenden Schein von Haus und Heimath, der aber freilich ſchnell wieder verſchwand, ſobald Jemand von den wirklichen Inſaſſen in die Stube trat.

Nach einem langen trüben Stillſchweigen warf ſie einen Blick auf ſeinen abgenutzten Rock, ſah aufmerkſam hin und rief: Daß Gott erbarm! Du haſt ja Blut am Aermel.

Kann ſein, erwiderte er, es hat dich ſchon einmal unnöthig er¬ ſchreckt.

Das iſt aber im Winter geweſen. Frieder, Frieder, ſag 'mir's, haſt du jemand erſchoſſen?

Juſt wie damals, wo du mich das erſtemal gefragt haſt. Damals hab 'ich geſagt: Dumme Seel', freilich hab 'ich Einen erſchoſſen, draußen im Wald liegt er, hat ein ledern Röcklein an und einen zackigen Hut auf'm Kopf; und daſſelbe ſag' ich dir heut wieder.

Ja, iſt denn ſchon wieder die Zeit, daß man einen Hirſch ſchießen kann?

Noth bricht Eiſen, ſagte er. Sie ſind noch erbärmlich dürr und es gehört ein guter Hunger dazu, um das Fleiſch genießbar zu finden, aber im ſchlimmſten Fall iſt wenigſtens die Haut zu brauchen. Das Handwerk hat überhaupt ſtark nachgelaſſen, und ich ſeh 'kaum hinaus, wie's weiter werden ſoll. Ich hab' den Winter über das groß 'und kleine Gewild rudelweis geſchoſſen und die ganze Umgegend von Boll362 bis Gmünd damit verſorgt; und da führt mir der Teufel noch den Hof daher, der mir nicht bloß die Jagd, ſondern noch viel mehr den Handel verdorben hat, denn die machen dir in ein paar Tagen ein Schlacht¬ feld, daß man's ſchier verweſen laſſen muß. Wildpret iſt ſo wohlfeil und ſo unwerth geworden, daß man mir einmal in einem Pfarrhaus ein übergelaſſenes Stück Hirſch vorgeſetzt hat von meiner eigenen Hand. Ich hatt's den Tag zuvor geſchoſſen und durch den Chriſtle dahin ver¬ kaufen laſſen, der's ihnen mit Müh' und Noth aufgeſchwätzt hat um ein Bettelgeld. Wie ich den Tag drauf vorüberkomme, ruft mir die Pfarrerin vom Fenſter, ob ich nicht um's Warme ein wenig Holz ſpalten wolle. Ich hab's gern gethan, weil mich's gefroren und ge¬ hungert hat; und wie ich dann mit Hirſchbraten bin abgefüttert wor¬ den, hab 'ich doch denken müſſen: die Waar' muß tief im Preis ſtehen, wenn man ſie dem billigſten Taglöhner nachwirft. Hab 'auch bald meine Rechnung richtig gefunden, denn beim Grethmeiſter in Gmünd, im dortigen Barfüßerkloſter, wo ſonſt immer ein gutes Geſchäft zu machen war, und in allen Pfarrhäuſern weit und breit nirgends iſt mehr was anzubringen geweſen. Drüber iſt dann die Jagdzeit ohne¬ hin vollends zu End' gangen, aber ich beſorg 'mich, wenn ſie auch wieder anhebt, ſo werden die Leut' noch ſatt und voll vom Wildpret ſein, und werden Rindfleiſch vorziehen, das ich ihnen nicht ſchießen kann. Froh iſt freilich Alles in den Dörfern und auf den Höfen, wenn ich das Wild wegſchieße, aber niemand zahlt mir ein Schußgeld dafür.

Schlechte Ausſicht! ſagte ſie. Und ich ſpür's hier wohl, daß du nicht viel in's Haus bringſt. Sind ſie wüſt gegen dich?

Das grad nicht, ſie ſind freundlicher als auf den andern Höfen, wo du mich hinbracht haſt. Deine Verbindung mit dem Chriſtle thut mir gut bei ihnen, aber doch laſſen ſie mich's merken, daß du das Koſtgeld die Zeit her ſchuldig blieben biſt.

Mach 'dich jetzt auf, Chriſtine, mußt mir die Hirſchhaut den Wald hinunter tragen, abgezogen hab' ich ſie ſchon, und in der Teufels¬ kling 'verſtecken, damit ſie der Chriſtle mitnehmen kann. Er kommt morgen von Rechberghauſen aus dort hinab, und von da mußt du mit ihm den Waldſteig nach Gmünd gehen.

Das geſchieht mir ſauer, wendete ſie weinerlich ein.

363

Du kannſt mir nicht vorwerfen, daß ich dich plage, entgegnete er. Ich hab 'dich ein einzigsmal dieſen Winter zur Jagd mitgenommen und hab' gemeint, du könnteſt mir am Wald vorſtehen und das Wild zurücktreiben. Wie du aber wehleidig gethan haſt, hab 'ich dich gleich gehen laſſen und nie wieder mitgenommen. Diesmal aber muß es ſein, die Haut wird dich nicht zu Boden drücken, und in Gmünd mußt mit beim Erlös ſein, damit mich der Chriſtle, der abgeführte Spitzbub', nicht betrügt, denn ſonſt kann ich deine Schuld hier nicht bezahlen. Die Haut trägt dir morgen der Chriſtle, heut aber mußt ſie ſelber tragen, denn ich will derweil ſehen, ob ich nicht noch einen ſchießen kann. Komm!

Sie ſeufzte. Du mußt dich aber vor raſiren, ſagte ſie verdroſſen. Jetzt haſt ſchon wieder ein achttägigs Stoppelfeld, und ich leid's nicht, daß du dir den Bart wachſen läßt, denn du ſiehſt ſo arg wild drin aus, und wenn dir Jemand begegnet, ſo muß er Wunder was von dir denken.

Meinetwegen! brummte er, griff ohne Umſtände nach dem Raſir¬ zeug des Hofbeſitzers und kam ihrem Begehren nach, worauf ſie den Hof verließen und den Weg nach dem Walde einſchlugen.

Iſt denn gar keine Möglichkeit, aus dem Leben da fortzukommen? fragte ſie im Gehen mit kummervoller Miene. Du haſt mir ver¬ ſprochen, du wolleſt mich nach Frankfurt mitnehmen, oder in den Krieg, haſt auch von Amerika geſagt. Ich ging 'überall mit dir hin, wenn ich nur aus dem Leben draußen wär' und die Kinder bei mir hätt '.

Warum haſt dich in Dettingen fangen laſſen! verſetzte er un¬ wirſch. Während deiner Gefangenſchaft iſt mein Erſpartes von Sachſen¬ hauſen draufgangen, mein Vater thut keinen Zug, um ſein Verſprechen zu halten, und wie kann ich denn als ein vogelfreier Menſch etwas erwerben, damit wir zu Reiſ'geld kommen? Sag ', ich ſoll in Ebers¬ bach einen höflichen Beſuch machen, oder mit einem Roßjuden, be¬ ſchnitten oder unbeſchnitten, nach dem Markt ein Wort in Güte reden, dann ſollſt du Geld genug haben.

Um Gott'swillen nur nichts ſo! rief ſie.

So ſagſt du immer, aber dabei willſt in Einem fort Geld und Lebensmittel, und bekümmerſt dich nicht drum, wo ich's hernehmen364 ſoll. So haſt du mich auch gequält, bis ich meinem Vater die Frucht geholt hab ', und dann wieder bis ich dem Pfarrer in's Haus geſtiegen bin, und hintennach iſt dir's dann doch wieder nicht recht geweſen.

Es iſt auch nicht recht, ſagte ſie.

Gelt, weil's zu böſen Häuſern führen kann? Wenn du das nicht willſt, ſo ſchick 'dich eben in die Zeit, nur mach' mir nicht den Kopf mit deinem Lamento warm.

Ach! ſeufzte ſie, ich hab 'mir eben ein ganz anders Leben für¬ geſtellt, wie wir von Neckardenzlingen mit einander fort ſind. Da hab' ich ſchon gemeint, ich werd 'wieder jung, und hab' Alles gern dahinten gelaſſen.

Machſt mir das zum Vorwurf? Bin ich nicht auch im Rohr ge¬ ſeſſen und hätt 'mir Pfeifen ſchneiden können, und hab' ich nicht um deinetwillen auf Alles verzichtet?

Wär'ſt lieber blieben, bis ſich etwas für uns gemacht hätt '. Hätt'ſt mir ja derweil ſchreiben können.

Man kriegt ja keine Antwort von dir. Und hab 'ich gewußt, wo ich hinſchreiben ſoll? Nach Ebersbach, wenn du nicht dort biſt? Hätt' ich mir etwa ſelber einen Paß von Sachſenhauſen nach Hohentwiel ſchreiben ſollen?

Ich will nichts mehr ſagen, verſetzte ſie, du wirſt gleich ſo wild.

Sie gingen lange Zeit ſtillſchweigend hin. Was ſiehſt du denn immer auf den Boden? fragte ſie, da ihr ſein Benehmen auffiel.

Da iſt wieder einer! rief er, ſich bückend und etwas aufhebend. Es war ein friſch abgebrochener gabelförmiger Zweig. Er betrachtete ihn von allen Seiten, ſchüttelte den Kopf, da er nichts weiter daran fand, und legte ihn ſorgfältig wieder auf den Boden. Dann ſah er ſich an den Bäumen um, blickte ſcharf von Stamm zu Stamm, ſchüttelte den Kopf abermals, als fände er nicht, was er erwartete, und ſetzte den Weg wieder fort. Sie waren eine weitere Strecke ge¬ gangen, da lag ein neuer Zweig von gleicher Form, den er aufmerk¬ ſam betrachtete, worauf er den eingeſchlagenen Weg verließ und einen ſchmalen Seitenpfad zur Rechten betrat. Chriſtine folgte. Mit zu¬ friedenem Kopfnicken fand er dort bald wieder einen Zweig von der vorigen Art und weiterhin noch mehrere. Sie waren einer wie der andre an der Seite des Weges ſchief hingelegt, ſo daß von den beiden365 Spitzen der Gabel, deren eine geknickt war, die andre unverſehrte in gleicher Richtung mit dem Wege vorwärts deutete.

Das ſind Zeichen, bemerkte Chriſtine, welche den Zweigen und ſeiner Beobachtung derſelben eine geſpannte Aufmerkſamkeit zugewendet hatte. Gelt, geſteh's nur, da ſind deine Kocher, oder wie ſie heißen, um den Weg, und dein ſcheeler Chriſtianus will dir was zu wiſſen thun.

Wenn er da wär ', ſo hätt' er mir ſeinen Zinken irgendwo hinter¬ laſſen, verſetzte er, es iſt aber nirgends nichts zu ſehen.

Nachdem ſie noch ein wenig fortgegangen, kamen ſie auf einen freien Platz, welcher ſich nach einem Waldabhang ſenkte und einen weiten Blick über endloſe Waldung thun ließ, die in reicher Ab¬ wechslung von Höhen und Tiefen ſich um den Hohenſtaufen lagerte, gegen das Remsthal abwärts und nach den jenſeitigen Hügeln ſtrich. Die Zeichen, wenn es ſolche waren, ſchienen hier aufzuhören. Chriſtine ſetzte ſich müde auf den Boden. Friedrich ſchaute achtſam in die Wald¬ gegend hinein, als ob er in der Ferne hinter jedem Buſch ein Wild oder etwas Anderes aufſpüren müßte. Auf einmal blieb ſein Auge an einer Waldecke unter dem Hohenſtaufen hängen. Ein leichter bläu¬ licher Rauch ging dort kräuſelnd aus den Spitzen der Bäume hervor und ſchien ſich hinter einigen höheren Wipfeln zu verlieren. Er blickte unverwandt hin; der Rauch verſchwand, kam wieder zum Vorſchein und verſchwand wieder. Sein Entſchluß war gefaßt. Er rief Chriſtinen vom Boden auf. Siehſt dort den Waldſpitzen herwärts von Wäſchen¬ beuren? ſagte er: dort kannſt mich nachher treffen oder auf mich warten, dort will ich anſtehen, ob ich vielleicht noch einen glücklichen Fang thue.

Er führte ſie hierauf zu der Stelle, wo er den erlegten Hirſch gelaſſen hatte, packte ihr die Haut ſammt dem Geweih auf den Kopf, gab ihr genaue Anleitung, wo ſie ihre Laſt zu verſtecken habe, und ging.

Chriſtine machte ſich ſchwer ſeufzend auf ihren Weg. Wie anders hätt 'ich's, wenn ich bei meiner Schulmeiſterin blieben wär'! ſagte ſie zu ſich: und meine Kinder wären nicht ſchlechter verſorgt als jetzt auch.

Unterdeſſen hatte er ſich der erſpähten Stelle wieder zugewendet, und bald fand er, daß ſeine Vermuthung richtig ſein müſſe. Der ein¬ geſchlagene Pfad führte ihn über einen rauhen Fahrweg, auf welchem wieder ein Zweig von der beſchriebenen Gattung lag. Das Gabelende,366 das den Wegzeiger bildete, wies ſchief über die Straße nach einer Waldfurche hin. Er folgte der Richtung und gewahrte nach wenigen Schritten bei einem Durchblick, daß ſie gerade auf jene Waldecke zu führte, wo jetzt ein ſtärkerer Rauch aus den Bäumen emporwirbelte. Nun ſuchte er nach keinem weitern Zeichen am Boden mehr, ſondern ſchritt rüſtig waldein wald¬ aus nach der Stelle, zu der es ihn zog. Wenn er ſelbſt nicht da iſt, ſagte er zu ſich, ſo treffe ich Seinesgleichen, die mir ſagen können, wo er iſt; denn ſolche Zeichen hat weder ein Bauer noch ein Jäger ausgeſtreut. Ich bin fertig mit der Welt, eine Staffel um die andre haben ſie mich herabgeſtoßen, jetzt bin ich auf der letzten. Er hat mir richtig prophezeit: wenn du keinen Aus - und Eingang mehr weißt, ſo kommen wir ſchon von ſelber wieder zuſammen. Was bleibt mir ſonſt übrig?

Die Sonne brannte glühend über den öden Gipfel des ſchlanken Berges herab, als er an deſſen Fuß auf die Waldecke zuſchritt. Er eilte in ihren Schatten. Das geladene Gewehr mit geſpanntem Hahn für alle Fälle zum Anſchlagen fertig haltend, ſei es gegen ein Thier, ſei es gegen einen Angriff von Menſchenhand, ſchlug er ſich langſam durch die Bäume vorwärts. Bald hörte er Stimmen und Gelächter und ging dem Schalle nach. Steck 'mir vom Balo! hörte er ſagen, als er näher kam, und zu gleicher Zeit drang der Geruch eines ge¬ bratenen Schweines zu ihm, um ihm den Ausdruck, wofern dies nöthig geweſen wäre, zu verdolmetſchen. Er hatte keinen Zweifel mehr: wo jeniſche Laute ſich vernehmlich machten, war weniger Gefahr für ihn, als wo deutſch oder gar das römiſch-deutſche Rothwelſch des Geſetzes geſprochen wurde. Wer auch die Schmauſenden ſein mochten, in ſeiner verzweifelten Lage brauchte er weder ihre Feindſchaft noch ihre Freund¬ ſchaft zu fürchten. Er brachte den Hahn in Ruh', behielt aber die Büchſe in der Hand und ging entſchloſſen vorwärts. Auf einmal ſtand er, zwiſchen den Bäumen hervortretend, auf einer kleinen Waldwieſe, wo eine luſtige Geſellſchaft um ein Feuer lagerte. Sie beſtand aus drei Männern und drei Frauen, welche ſämmtlich ſo anſtändig ge¬ kleidet waren, daß er, ein Mißverſtändniß beſorgend, zurücktreten wollte. Aber ſchon war er bemerkt worden und ſah ein paar Gewehrläufe auf ſich gerichtet, als plötzlich ihm ſelbſt und einem von der Geſell¬ ſchaft der gegenſeitige Ausruf entfuhr: Da iſt er ja! Zugleich ſprang367 einer der Männer auf und lachend auf ihn zu. Das Geſicht des Zi¬ geuners, mit welchem ſich ſein Lebensweg heute zum drittenmal kreuzte, hatte ſeit der erſten Ludwigsburger Bekanntſchaft Veränderungen er¬ litten, die ſeinem Feſtungsgenoſſen nicht unbekannt waren: die gelbe welke Haut war in unzählige Runzeln und Falten zerſchnitten, die beſonders an Mund und Augen das Gepräge einer lächelnden Ver¬ ſchlagenheit und großen Uebung in der Kunſt, die Leidenſchaften zu verbergen, ausdrückten. Neu aber war ihm eine weitere Veränderung: ein Auge, in deſſen Beſitz er ihn auf Hohentwiel noch geſehen, war ihm in der Zwiſchenzeit abhanden gekommen; doch gereichte ihm dieſer Verluſt nicht eben zum Nachtheil, da die Laune des Zufalls das ſcheele Auge betroffen hatte, deſſen Blick äußerſt abſchreckend geweſen war, ſo daß er jetzt als Einäugiger mit dem geſchloſſenen, von luſti¬ gen Fältchen umſpielten Augenliede nicht mehr ſo widrig ausſah wie früher, da er geſchielt hatte.

Willkommen! rief er und ſtreckte ihm die Hand entgegen. Hab 'ich's nicht geſagt, wir ſehen uns wieder?

Grüß 'dich Gott, Chriſtianus! erwiderte Friedlich und ſchüttelte ihm die Hand. Hab' da auf einen Hirſch anſtehen wollen, und jetzt treff 'ich noch ein ganz andres Stück Hochwild. Du wär'ſt aber ſchwer zu finden geweſen, wenn ich dich hätte ſuchen wollen, denn deinen Zinken hab ich nirgends geſehen.

Der Zigeuner lächelte verſchmitzt. Ich bin nicht allein mit den Meinigen, ſagte er, es haben ſich Freunde zu uns geſellt, die auch wieder Nachzügler erwarten, und da hätten wir ja eine ganze Wappen¬ ſammlung in die Bäume ſchneiden müſſen.

Was iſt denn mit deinem Aug 'paſſirt? fragte Friedrich weiter.

Ich hab 'eine kleine Ungelegenheit gehabt, antwortete der Zigeuner ausweichend, und da hab' ich den queren Scheinling eingebüßt. Aber komm ', unterbrach er ſich, ich muß dich der Geſellſchaft vorſtellen.

Er nahm ihn bei der Hand und führte ihn gegen das Feuer, an welchem ein ganzes Schwein briet und einen Duft ausſtrömte, der einen Hungrigen wohl in Verſuchung führen konnte. Merkt auf, ihr Männer, und ſpitzt die Ohren, ihr Weiber! rief er: hier bring 'ich euch einen Freund, nach deſſen Bekanntſchaft ihr euch ſchon lang ge¬368 ſehnt habt. Das iſt, fuhr er mit erhobener, beinahe feierlicher Stimme fort, das iſt der Mann, deſſen Name in jedem Walde zwiſchen Rhein und Donau mit Hutabziehen genannt wird, obgleich er ſeinen eigenen Werth nicht kennt, der Mann, vor dem ein ganzes Amt zittert, der Mann, deſſen Genie die Feſtungswerke von Hohentwiel zu einem Kinderkartenhäuschen gemacht hat

Ah! riefen die drei weiblichen Mitglieder der Geſellſchaft, die im Begreifen den Männern vorauseilten.

Mit Einem Wort, vollendete der Zigeuner, indem er ſeinem Tone noch ſtärkeren Nachdruck gab, es iſt der berühmte Sonnenwirth.

Mit einem Schrei der freudigſten Ueberraſchung ſprangen Alle auf und umringten den Ankömmling, der kaum wußte wie ihm ge¬ ſchah. Er glaubte zu träumen. Ausgeſtoßen, gehaßt und verachtet, wie er war, hatte er bis jetzt höchſtens die traurige Befriedigung genoſſen, ſich gefürchtet zu ſehen, und durch ſeine Geſchicklichkeit im Wildern hatte er ſich bei den Hofbeſitzern und Bauern eine gewiſſe eigennützige Theilnahme erworben; aber die Freundſchaft, Achtung, Bewunderung, ja Ehrerbietung, die ihm hier als einem jungen Manne, der ſchon ſo Großes geleiſtet, erwieſen wurden, und zwar von Leuten, durch deren, wie es ihm ſchien, ungewöhnliche Bildung und Redeweiſe er ſich zugleich gehoben und gedemüthigt fühlte, dieſe Erzeigungen waren ihm unbekannt, und während ſeine Beſcheidenheit ſich gegen das Uebermaß des Lobes und Preiſes ſträubte, that doch die ungeheuchelte Anerken¬ nung, die ſich darin äußerte, nicht bloß ſeiner Eitelkeit, ſondern auch ſeinem Herzen wohl.

Nun will ich dir die Geſellſchaft vorſtellen, fuhr der Zigeuner fort. Er deutete auf einen großen Mann, deſſen freundliches Geſicht, unterſtützt durch einen feinen weißblauen Rock, einen günſtigen Ein¬ druck machte, nur daß um den lächelnden Mund ein ſpöttiſcher Zug lauerte und die etwas gemeine Barchentweſte weder zu den ſilbernen Knöpfen, mit welchen ſie beſetzt war, noch zu dem feinen Rock recht paſſen wollte. Das iſt mein Freund Bettelmelcher, ſagte er, ein ſehr verſirter Kopf, deſſen glattem Geſicht man es nicht anſehen würde, wie viel Raffinement dahinter ſteckt.

Der Mann mit dem abſtoßenden Namen reichte dem Gaſte die Hand und bewillkommte ihn mit ſo zierlich geſetzten Worten, daß der369 widerſprechende Eindruck, den ſowohl ſein Geſicht als ſeine Kleidung hervorbrachten, bei einem Neuling ſchnell ausgeglichen wurde.

Und dieſer, ſagte der Zigeuner, indem er den Andern am Arme nahm, iſt mein Freund Schwamenjackel, ein ſehr ernſthafter Kerl, wenn er anfängt, denn da heißt's bei ihm: Nix Pardon! aber ſeinen Freunden treu und anhänglich; wenn er Einen einmal zum Freunde angenommen hat, ſo geht er durch's Feuer für ihn ein grund¬ ehrlicher Kerl!

Der alſo Geſchilderte zerdrückte dem Ankömmling die breite, ſtarke Hand, daß dieſer das Blut in den Fingerſpitzen fühlte, und ſagte mit heiſerer Stimme: Wollen gut Freund ſein. Dann räusperte er ſich, als ob die paar Worte ihm die Kehle angegriffen hätten, und nickte ſtumm dazu.

Er war eine kurze Geſtalt, noch etwas unter Friedrich's Größe, aber dicker. Sein Geſicht war leſerlicher als das ſeines Gefährten, aber es bedurfte einiger Ueberwindung, um darin zu leſen. Ein ſtarker ſchwarzer Bart, an den untern Haaren in's Gräuliche ſtreifend, gab den groben Zügen den Ausdruck einer ungeſchlachten Verwogenheit; hinter den buſchigen Augenbrauen lagen ein paar bösblickende Augen wie in tiefen Höhlen; die niedrige Stirne deutete auf eine harte Ent¬ ſchloſſenheit, die wenig nach Ueberlegung fragte, und das gleichfalls in's Graue ſpielende ſchwarze Haar verrieth, mit dem noch nicht alten Geſichte verglichen, ein Leben voll Mühſal und wilder Leidenſchaft. Trotz dieſer Härte der Erſcheinung hatte der Mann nichts Bäuriſches in ſeinem Auftreten; ſeine Bewegungen waren kurz und ſicher, und ſein Anſtand blieb wenig hinter dem ſeiner gewandteren Genoſſen zu¬ rück. Seine Tracht aber war noch ungleichartiger als die des Bettel¬ melchers. Er trug ein graues Camiſol und gelbe hirſchlederne die vollkommen zu ſeinem Geſichte, deſto weniger aber zu einer höchſt ſtatt¬ lichen braunſeidenen Camelotweſte paßten. Eine beſſere Uebereinſtimmung zeigte der Anzug des Zigeuners: ſein grüner geſchloſſener Jagdrock ſchickte ſich trefflich zu den weißen Beinkleidern und zu einem Hirſch¬ fänger, den er an der Seite trug; aber ein ſchärferes Auge konnte auch an ihm eine Unvollkommenheit entdecken, denn der Schnitt der Kleider wollte nicht ganz genau zu ſeinem Leibe paſſen. Der Gaſt aber nahm es mit ſeiner Muſterung nicht ſo ſtreng, er dachte viel¬D. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 24370mehr nur an den Gegenſatz, den er ſelbſt unter dieſen wohlgekleideten Leuten bildete, und verglich beſchämt ſeinen abgeſchabten Rock, der keine beſtimmte Farbe mehr hatte, ſeine nußfarbigen, einſt gelbledernen Beinkleider, ſeine ſchwarzen Strümpfe, die noch die gute Eigenſchaft hatten, daß ſie nicht ſo oft der Wäſche bedurften, und ſeine zerriſſenen ſchmutzigen Schuhe mit den wohlhäbigen Kleidern, den friſchen weißen Strümpfen und den blankgewichsten Schnallenſchuhen der Andern.

Hierauf ſtellte ihm der Zigeuner den weiblichen Theil der Geſell¬ ſchaft mit den Worten vor: Das iſt meine Mutter Anna Maria, eine betagte Wittwe, die viel erlebt und erlitten hat, und das ſind meine Schweſtern Margaretha und Katharina, die ſich dir ſchon ſelbſt zu empfehlen wiſſen werden.

Der Gaſt machte einen verlegenen Kratzfuß; es war ihm in ſeinem Leben noch nicht begegnet, daß er ſo förmlich einer weiblichen Ge¬ ſellſchaft vorgeſtellt wurde. Aber die Anweſenheit der beiden bild¬ hübſchen Mädchen, die er vom erſten Augenblick an unwillkürlich immer wieder hatte anſehen müſſen, erhöhte den anziehenden Eindruck des Empfanges nicht wenig für ihn. Sie waren, wie ihre Mutter, von Kopf bis zu Fuß ſchwarz gekleidet, und trugen, während jene ein buntes Tuch um den Kopf geſchlungen hatte, breitrandige Strohhüte von geſchmackvoller Form, die ihnen ein freies, kühnes Ausſehen gaben. Die Aeltere ſah gar nicht wie eine Zigeunerin aus, ſie hatte hell¬ braune Haare und ein Geſicht wie Milch und Blut, aus welchem ein Paar hellgraue Augen keck und luſtig hervorblitzten; über ihrer vollen Bruſt wogte eine ſilberne Kette auf und ab und ihre Finger ſtrotzten von Ringen. Die Jüngere, die ihr Bruder Katharina geheißen, war ohne allen Schmuck, bis auf ein brennend rothes Halstuch, das der Farbe ihres Geſichts und Halſes verführeriſch zu Hilfe kam; denn wenn ſie auch ſo wenig wie ihre Schweſter einer Zigeunerin gleich ſah, ſo ließ doch ihre Färbung den zigeuneriſchen Urſprung verrathen; ſie hatte dunkelbraune Haare und ihre Haut ſtach von dem hellen Ausſehen ihrer Schweſter mächtig ab, war aber eben ſo weit entfernt von jener ſchmutzigen Hautfarbe, die ihre Mutter und ihren Bruder unverkennbar zu Zigeunern ſtempelte, ſondern näherte ſich dem reinen Braun des Erzes, ſo daß das Blut lebenswarm, gleichſam von der Farbe des Halstuches angelockt, durch die Haut hindurchſchimmerte.

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Beide Schweſtern waren von Geſtalt untadelhaft. Auf den erſten An¬ blick ſchien die ältere, ſo lange ſie durch ihr entgegenkommendes Lächeln bezaubern konnte, die ſchönere zu ſein; bald aber mußten einem un¬ verdorbenen Blicke ihre Augen, die ſie unnöthig zu erweitern ſuchte, zu grell erſcheinen, und das ewige Lächeln, das ihren Mund in's Breite zog, fand ebenfalls bald ſeine Erklärung: er war von Natur etwas zu groß, und um dies zu verbergen, liebte ſie die Zähne zu zeigen, die freilich ſo blendend weiß waren, daß man ihr das Auskunfts¬ mittel nicht verargen konnte. Die Mutter war eine alte häßliche Zi¬ geunerin mit unheimlich blitzenden Augen, einer vorſpringenden Naſe, die das ganze Geſicht aufwog, und einem zahnloſen von tiefen Furchen umgebenen Munde darunter. Die drei ungleichen Kinder, die ſie ihre Mutter nannten, ein ächter Zigeuner, eine völlige Deutſche und eine Halbzigeunerin, konnten unmöglich von einem und demſelben Vater ſtammen.

Es iſt uns eine große Ehre, den Herrn Sonnenwirth bei uns zu ſehen, ſagte die Alte, indem ſie die Vorſtellungsfeierlichkeit er¬ widerte: wir haben ſo mächtige Dinge von Ihnen gehört, daß wir uns über Ihren Beſuch ſehr glücklich ſchätzen müſſen; und ich wünſche nur, daß es dem Herrn Sonnenwirth bei uns recht lang gefallen möchte.

Bitt 'Ihnen! ſtammelte der Gaſt verlegen und beſcheidentlich. Ich bin nicht Sonnenwirth. Mein Vater iſt immer noch auf der Wirth¬ ſchaft. Man hat mich in meinem Ort eben den Sonnenwirthle ge¬ heißen, wie man des Anwalts Sohn den Anwältle heißt, und wie man des Amtmanns ſeinen, wenn der nämlich einen hätt', den Amt¬ mändle heißen würde. Weiter iſt's nichts.

Alle lächelten und ſelbſt der rauhe Schwamenjackel verzog den Mund ein wenig.

Nun ſitz 'dich endlich, Bruder Sonnenwirth! ſagte der Zigeuner lachend. Wir ſind freie Leute; was kümmern uns Rang und Titel in dieſer einfältigen Welt! Wenn's dir aber nicht genehm iſt, deines Vaters Titel zu führen, nach dem du freilich kein großes Verlangen verſpüren wirſt, ſo wollen wir dir ſeinen Namen geben. Reicht dem Friedrich Schwan die Hände, Mädels, und das mit Reſpect, und nun wieder zu unſerm Geſchäft!

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Die beiden Mädchen nebſt der Mutter gaben dem Gaſt die Hände, wobei die ältere Schweſter ein warmes Fingerſpiel mit unterlaufen ließ, die jüngere aber ſich auf einen kurzen Handſchlag ohne irgend einen Druck beſchränkte. Er wurde zwiſchen die beiden Schönen ge¬ ſetzt, und die Mahlzeit nahm ihren Fortgang, wobei ein köſtlicher Wein aus einem Fäßchen, deſſen Handhabung Bettelmelcher über¬ nommen hatte, fleißig die Runde machte. Friedrich konnte dem Reiz der Speiſe und des Getränkes nicht widerſtehen, und entſchuldigte ſeine durch lange Entbehrung geſteigerte Begierde mit einer auf dem An¬ ſtande durchwachten Nacht. Man ſprach ihm eifrig zu, und die beiden Mädchen wetteiferten ihn zu bedienen, wobei die Aeltere ihn durch Schnelligkeit zu gewinnen ſuchte, die Jüngere aber ihm ſeltener, jedoch ausgewähltere Biſſen vorlegte. Mit Wein verſah ihn die Aeltere auf's reichlichſte und bald kreiste das Blut raſcher durch ſeine Adern; die Jüngere reichte ihm nur dann das Glas, wenn es längere Zeit nicht an ihn gekommen war und die Aeltere ihren Dienſt im Schwatzen vergeſſen hatte. Die Mahlzeit ging in munteren Geſprächen hin, die ſich großentheils auf ihn ſelbſt bezogen und in welchen er bald mit gröberen, bald mit feineren Schmeicheleien überhäuft wurde. Selbſt ſeine Büchſe wurde gelobt, und er glaubte zum erſtenmal in einer Welt zu ſein, die Alles an ihm vortrefflich fand. In dieſem behag¬ lichen Zuſtande ſtörte ihn nichts als das Benehmen der älteren Schweſter Margaretha, das er auf die Länge auffallend zudringlich fand: ſie ſetzte ihm mit mehr als herausfordernden Blicken und Reden zu und wußte ſich dabei auf eine Weiſe an ihn anzuſchmiegen, die ihn zugleich abſtieß und doch entzündete. Dies hatte zur Folge, daß er das Feuer, das ſie in ihm anfachte, mehr und mehr ihrer jüngern Schweſter zuwendete, die nicht bloß durch ihre Zurückhaltung gewann, ſondern bei längerem Anſchauen nach und nach eine Schönheit ent¬ faltete, welche das Auge zu immer häufiger wiederholten Beſuchen einlud. Dieſe Schönheit bot weit mehr ein Ganzes dar, als die zu¬ ſammengeſetzten Reize ihrer buhleriſchen Schweſter. Auch konnte der ſtrenge Ernſt, der in dem dunkeln Geſichte mit der geraden wohl¬ gebauten Naſe vorzuherrſchen ſchien, einem warmen Lächeln weichen, die feſtgeſchloſſenen Lippen konnten zu einem Scherzwort aufthauen, das den freien Ton der Unterhaltung überbot, und wenn ihr ſchwarz¬373 braunes Auge einmal flüchtig über den Gaſt hinſtreifte, ſo war es ihm, als ob ſie hinter dieſem ſtillen Blick eine Gluth verberge, die ſie plötzlich verzehrend auflodern laſſen könnte. Er ſagte ſich vor, er wolle ſie nur ein wenig auf die Probe ſtellen, indem er, durch Mar¬ garethens freches Strohfeuer erhitzt, ſein Knie an das ihrige drückte; ſie rückte aber leiſe weg, und er beſchloß, den Verſuch nicht ſo bald zu wiederholen.

Der Balo war unter Scherzen und Erzählungen verſpeiſt, wo¬ bei die Geſchichte des Ausbruchs von Hohentwiel, der einem der drei Kühnen das Leben gekoſtet hatte, den Hauptgegenſtand bildete, und das auf einem Baumſtumpf aufgelegte Fäßchen war ſchon geneigt, als der Zigeuner zum Beweiſe für die Schlechtigkeit der Welt die Lebens¬ geſchichte des neuen Freundes zu erzählen begann und ihn dadurch zu Berichtigungen und Ergänzungen nöthigte. Die Mittheilung wurde mit der lebhafteſten Theilnahme aufgenommen und ſelbſt Schwamen¬ jackel bemerkte, es ſei ſcheußlich, ſo mit einem Menſchen umzugehen. Wie könnte es mir einfallen, ſagte die alte Anna Maria, meine Kin¬ der im Heirathen beſchränken zu wollen! ich hab 'ihnen ſtets ihren Willen darin gelaſſen, es iſt ja ganz ihre eigene Sache. Am ſtärkſten aber verurtheilte die Geſellſchaft das Benehmen der Obrigkeit, die ſich in Dinge gemiſcht habe, welche ſie gar nichts angehen. Dabei wurde Friedrich's Standhaftigkeit mit Bewunderung hervorgehoben, und das Gefühl des erlittenen Unrechts, das ſchon zuvor an ihm zehrte, immer heftiger in ihm angefacht, bis es zuletzt ihm wie den Andern feſtſtand, daß die Welt aus lauter Spitzbuben beſtehe, die man mit allen Waffen zu bekämpfen berechtigt ſei. Die Weigerung des Pfarrers endlich, eine Trauung ohne Trinkgeld, wie es Schwamenjackel nannte, vorzu¬ nehmen, rief eine Empörung hervor, welche, von Leuten dieſes Schlages ausgeſprochen, einen beſondern Nachdruck erhielt und ſie ſelbſt wiederum in den Augen des Neulings, beſonders wenn er ihre geſellſchaftliche Stel¬ lung mit der Amtswürde des habſüchtigen Geiſtlichen verglich, bedeutend heben mußte. Sie bekannten ſich ſämmtlich für gute katholiſche Chriſten und verſicherten mit nicht geringem Stolze, daß ihre Confeſſion an ſolchen abſchreckenden Beiſpielen weit ärmer ſei.

Wißt ihr das Stückchen vom Lieutenant Löw und ſeinem Louis¬ d'or? fragte die Jüngere der beiden Zigeunermädchen, und auf Ver¬374 neinen der Andern erzählte ſie: Eine arme Frau mit einem Kind ſteht weinend an der Kirche. Begegnet ihr ein Jud 'und fragt warum ſie weine. Der Pfarrer will mein Kind nicht taufen, ſagt ſie, weil ich die Taufgebür nicht zahlen kann. Ei, ſagt er, da iſt bald ge¬ holfen, und gibt ihr einen Sonnenlouisd'or, ſie ſolle ihn dem Pfarrer bringen und ſagen, eine Chriſtenſeele habe ihr aus der Noth geholfen. Darauf geht ſie in die Sacriſtei, und wie die Kirche aus iſt, kommt ſie ganz vergnügt heraus. Nun, wie hat's gegangen? fragt der Jude, der auf ſie gewartet hat. Das Kind ſei glücklich getauft, ſagt ſie, ſie hätte freilich geglaubt, der Pfarrer ſolle ihr auf das Gold heraus¬ geben, was ihm nicht eingefallen ſei; aber dennoch hat ſie dem Juden tauſendmal gedankt. Gott's Wunder, ſagt der Lieutenant Löw, wenn der Pfaff herausgegiben hätt', ſo wär 'der Spaß freilich noch größer, aber Dank's werth iſt's auf keinen Fall, denn der Luckedor war falſch. Die Geſellſchaft brach in ein unbändiges Gelächter aus, in welchem ſich Schwamenjackel's Stimme durch ein eigenthümliches Grunzen unter¬ ſchied. Bettelmelcher lachte, daß ihm die Thränen in den Augen ſtanden.

Lieutenant Löw? fragte der Gaſt, als man ſich müde gelacht hatte. Unter welchem Militär gibt's denn jüdiſche Offiziere?

Das Gelächter brach von neuem ſo heftig aus, daß er, in der Ueberzeugung, ungeſchickt gefragt zu haben, mitlachen mußte.

Dieſe Art Militär, belehrte ihn der Zigeuner, iſt bei Mergenthal zu Hauſe, ſteht aber nicht im Dienſte des deutſchen Ordens, obwohl unter allen Ländern dort am beſten zu leben iſt, denn der Deutſchmeiſter hat gelobt, nie Einen mit einer Todesſtrafe zu belegen und nie die Auslieferung eines Flüchtigen zu verlangen, und alle ſeine Unterthanen vom Schultheißen bis zum Nachtwächter halten's mit uns; dort iſt kein Bub 'und kein Mägdlein, das nicht Jeniſch verſteht. Darum wird auch kein vernünftiger Kochum in jenem Gebiet etwas anſtellen, aber es iſt ein ſehr günſtiges Terrain, um von da aus in der Um¬ gegend mit Unternehmungen aufzutreten. Drei Lieutenants haben dort Geſellſchaften gegründet mit einer Einrichtung, die man ſonſt nirgends trifft. Jeder hat ungefähr dreißig Mann unter ſich, meiſt Juden, auch Zigeuner, und im Nothfall werben ſie auch ſonſt taugliche Leute dazu. Wenn ein Koch unternommen werden ſoll, ſo wird zuerſt der375 Waldoberer ausgeſchickt, der die Gelegenheit auskundſchaftet und dafür ſeine beſondere Belohnung erhält. Der kauft dann etwa einem Bauern ein paar Ochſen ab und ſieht wo er das Geld hinthut, damit man's wieder holen kann und weiteres dazu. Dann ſchickt der Lieutenant ſeine Knechte aus und läßt ſeine Leute von Ort zu Ort bei den Judenſchulen trifft man ſie am ſicherſten auf einen Sammelplatz zuſammenbieten, reicht ihnen auch, bis die Sache ausgeführt iſt, was oft acht Tage und darüber anſteht, Allen ihr regelmäßiges Taggeld nebſt Unterhalt, und wenn das Unternehmen gut ausfällt, noch oben¬ drein Jedem ſeine Portion. Nach der Vertheilung der Beute ſtellt er ſie in einen Kreis, lieſt die Namen ab und heißt ſie dann einzeln auf verſchiedenen Wegen ſich fortmachen, nicht trinken, nicht ſpielen, bloß bei den Juden über Nacht bleiben und ſtill zu Hauſe warten bis er ſie auf einen andern Koch zuſammenberufen werde. Bei dem Unter¬ nehmen müſſen ſie ſtreng Ordre pariren, und es wird nicht Jeder an¬ genommen, ſondern ſcharfe Auswahl gehalten. Der Jägerkaſperle du wirſt ihn kennen lernen, wir erwarten ihn täglich hier der hat einmal mitgehen wollen, aber der Lieutenant Löw hat ihn bei der Muſterung von oben herab angeſehen und geſagt, was man denn mit dem kleinen ſchlechten Kerl thun wolle, es ſeien ohnehin Leute genug da, man ſolle ihm etwas geben und ihn fortweiſen. Darauf hat ihm ein Unterbefehlshaber einen Gulden geſchenkt; der Kleine iſt heut noch wild darüber.

Das war auch nicht recht, bemerkte Bettelmelcher, denn der Jäger¬ kaſperle iſt zwar nicht groß, aber ein ſolch rahner, flüchtiger, gewandter Burſch, daß er's mit dem Teufel aufnimmt, freilich mehr in Liſt als Gewalt. Er lobt beſonders den Welzheimer Markt. Ich freue mich ſehr auf den luſtigen Bürſten - und Kehrwiſchhändler, der ſich die Leute durch ſo hohe Preiſe vom Leib zu halten verſteht, daß ihm ge¬ wiß Niemand ſeinen nöthigen Vorrath abnehmen wird. Auch auf ſein kleines ſauberes Frauele freu 'ich mich: ſie iſt eine treffliche Be¬ mutter und wird nicht leicht eine ſo geſchickt einen Beutel wegzu¬ ſtipitzen wiſſen.

Ja wohl, ſagte der Zigeuner. Dieſe Juden, fuhr er in ſeiner unterbrochenen Rede fort, ſind ganz verfluchte Kerls. Sie haben ein Regiment und Staat errichtet, dergleichen zwiſchen Rhein und Donau376 nirgends ein ähnliches exiſtirt, und die Sache wär 'wohl der Nach¬ ahmung werth. Sie müſſen einen unbegreiflichen Profit davon haben, denn ſie zahlen nicht bloß nobel aus, ſondern wenn ein Unternehmen mißglückt, ſo fallen alle Koſten auf ſie allein. Und doch haben ſie immer Geld genug, tragen goldene Uhren, gehen im feinſten Tuch proper gekleidet, und die vornehmſten Juden halten es mit ihnen. Wollen wir's nicht auch einmal probiren? ſetzte er lächelnd gegen den Gaſt hinzu.

Da wird's für einen Anfänger nöthig ſein, ſich ein hebräiſches Wörterbuch anzuſchaffen, bemerkte die alte Zigeunerin mit wohlmei¬ nendem Tone gegen denſelben, denn das Jeniſche reicht bei ihnen nicht ganz aus, ſie miſchen mehr hebräiſche Wörter darunter. Uebrigens, wendete ſie ſich gegen ihren Sohn, ſehe ich nicht ein, warum man den Juden in ihren Sack arbeiten ſoll. Und wie lang werden ſie's noch mit ihren Gewaltthaten treiben? Ich bin überhaupt nicht für dieſe Art von Arbeit. Dieſe Einbrüche machen einen großen Lärm weit umher, verderben das Terrain, mißlingen oft und tragen im beſten Fall nicht viel ein, weil der Gewinn in zu viele Theile geht. Ich lobe mir die ſtillen ſichern Marktunternehmungen, wie ſie in unſrer Familie bisher gebräuchlich geweſen ſind. Kennt unſer Gaſt die Fuhre? Ich denke, wir dürfen ihn als einen Kochum, das heißt, wenigſtens als einen vertrauten Mann betrachten?

Ich bürge für ihn, rief ihr Sohn, während der Gaſt erwiderte, daß die Fuhre ihm bis jetzt ein unbekanntes Weſen ſei.

Die Fuhre, belehrte ihn die alte Zigeunerin, iſt eine zweckmäßige Kleidung für den Marktgang

Ja, ſie gehört eigentlich in's Gebiet der Moden, unterbrach Bettel¬ melcher lachend.

Richtig, und iſt eine ſehr ſinnreiche Mode

Für die Weiber, ſagte Schwamenjackel. Die jungen Leute lachten zuſammen.

Für die Weiber, fuhr die Alte geduldig fort, indem ſie jedoch zu¬ gleich einen ſtechenden Blick nach dem Unterbrecher ſendete. Ober - und Unterkleid, welche ſehr weit und faltig ſind, werden am untern Saume rings mit einem Faden zuſammengezogen, der innen auf bei¬ den Seiten bis zu den hohlen Taſchenöffnungen heraufgeht. Auf dieſe377 Weiſe bildet das Kleid einen großen Sack, in den eine tüchtige Schotten¬ fellerin zwei, drei Ballen von je zwanzig Ellen und mehr nach ein¬ ander hineinprakticiren kann, ohne daß Jemand eine Spur davon ſieht. Iſt das Gepolſter zu groß, ſo deckt man's mit dem breiten Strohhut zu. Der Krämer muß ſich's gefallen laſſen, daß man vor ſeine Bude tritt und ſeine Waaren prüft. In der Regel hütet er nur die klei¬ nerm Stücke und denkt nicht daran, daß ihm ſo ein großer Pack ver¬ ſchwinden kann. Wenn er aber etwas merkt, ſo zieht man nur den Faden auf, daß die Waare durch die Säume auf den Boden fällt, hebt ſie auf als ob man ſie zufällig vom Tiſch geſtreift hätte, und überreicht ſie mit dem größten Anſtand von der Welt, ſo daß er noch höflich danken muß.

Das Schottenfellen, bemerkte der Gaſt, ſcheint mir alſo bloß ein Geſchäft für die Frauenzimmer zu ſein. Da haben ja die Männer das Zuſehen.

Ein rechtes Frauenzimmer wird ſich's ſtets als ein Glück anrechnen, für ihren Geliebten arbeiten zu dürfen, ſagte die Aeltere der beiden Schweſtern zärtlich zu ihm.

Die Weiber ſind flinker und geſcheider als die Männer, bemerkte die Jüngere ſtolz. Was die mit ihren plumpen Fingern bei einem Einbruch davontragen, reicht oft nicht um einen Tag zu leben, wäh¬ rend ich auf einem guten Markt, wie ſie am Rhein drüben ſind, ein paar hundert Gulden an einem einzigen Tag verdienen will.

Vom Weibsverdienſt zu leben, das wär 'nicht nach meinem Ge¬ ſchmack, verſetzte der Gaſt.

Und ich, erwiderte ſie, möcht 'mich nicht von einem Mann erhalten laſſen. Lieber will ich ihn erhalten, wenn mir Einer gefällt.

Die Männer ſind nicht ſo müßig dabei, wie man meint, ſagte die Alte. Sie haben auf dem Markt einen wichtigen Dienſt zu verſehen. Einmal müſſen ſie ihren Schottenfellerinnen die Waaren in Sicherheit bringen, damit dieſe, wenn gerade ein guter Tag iſt, wieder ihrer Arbeit nachgehen können. Dann müſſen ſie den Markt bewachen, nicht bloß gegen die Fleiſchmänner, die dort Aufſicht halten, ſondern oft auch gegen Bekannte, die ſich einen Antheil vom Ertrag nehmen wollen und vorgeben, man habe ihnen den Markt verderbt. Ein Mann hat alſo oft alle Hände voll zu thun, wenn der Markt glücklich ausfallen378 ſoll, und Einer allein iſt nicht immer Manns genug, denn wenn's Lärmen gibt, die Fleiſchmänner über die Weiber herfallen und ſie gefangen nehmen wollen, ſo müſſen die Männer ſie oft mit Gefahr ihres Lebens befreien.

Das läßt ſich eher hören, ſagte der Gaſt.

Ja, fiel der Zigeuner ein, da iſt im Pfälziſchen drüben ſo ein vermaledeiter Kerl, der Kaſtor, der's mit der Koſtenbärbel und ihrer Tochter hält. Der führt eine ſchöne Polizei auf den pfälziſchen Märkten, läßt die beiden Canaillen unter ſeiner Aufſicht ſtehlen ſo viel ſie wollen; aber andern ehrlichen Leuten, die ein Geſchäft machen wollen, paßt er um ſo ſchärfer auf und jagt ihnen Alles wieder ab, nicht für das Amt, ſondern für ſeinen eignen Sack. Auf dem Bruchſaler Markt, weißt, Margarethe, wie wir einmal mit einander dort geweſen ſind, da hat er mich auf einmal mit meinem Namen angeredet und hat mir mit Verhaftung gedroht, wenn ich ihm nicht ſechs Carolin gebe. Unſer ganzes Vermögen beſtand damals in einem Schwertthaler und einem Stückchen Wollendamaſt. Das hat er uns Alles abgejagt und der Margarethe noch obendrein ihre Haube mit feinen Spitzen, die nicht einmal vom Markt und wenigſtens fünf Gulden werth war, und hat uns verſprochen, daß er's uns auf dem Germersheimer Markt wieder geben wolle, wenn wir uns gut halten und ihm die Hälfte unſres dortigen Ertrages abtreten wollen. Hätt 'ich einen einzigen entſchloſſe¬ nen Mann bei mir gehabt, wie ihr Drei ſeid, da hätten dem infamen Kerl die Ohren ſauſen ſollen.

Bei einem Nachtgang, bemerkte Schwamenjackel, iſt doch mehr Mann¬ haftigkeit und auch mehr Spaß.

Die Mutter meint ja nicht, daß man die Branche ganz aufgeben ſoll. Zur Abwechslung kannſt du dir immer wieder einen Spaß machen. Aber Recht hat ſie: es kommt nicht viel dabei heraus und macht ein Aufſehen, daß gleich eine ganze Gegend davon voll iſt und daß man viel Berg 'und Thäler zwiſchen ſich und den Ort ſchieben muß. Warum haben wir Geld? Warum können wir herrlich und in Freuden leben, heut und alle Tage? Weil wir auf den rheini¬ ſchen Märkten gute Geſchäfte gemacht haben. Es iſt nur Schade, daß man nicht immerfort in der einen Gegend bleiben kann. Wenn aber vier zuverläſſige Männer, wie wir, mit unſern Weibern zuſammen¬379 ſtehen, dann können wir alle Märkte im ſchwäbiſchen und fränkiſchen Kreis beherrſchen, Keiner darf uns in's Handwerk pfuſchen, weil die Andern nicht zuſammenhalten, und gehen wir nach einem feſten Plan zu Werke, ſo daß immer eine gute Zeit verſtreicht, bis wir auf den nämlichen Markt zurückkommen, dann können wir ungeſtört fortarbeiten bis an unſer ſeliges

Hänfenes Ende! ergänzte Bettelmelcher.

Das hat keine Gefahr, beim Schottenfellen am allerwenigſten, ent¬ gegnete der Zigeuner.

Nein, nein, das Project iſt gut, verſetzte Bettelmelcher.

Wo aber die Kunden herbekommen, an die man die Waaren ab¬ ſetzen müßte? fragte der Neuling. Den Kattun oder Damaſt kann man doch nicht eſſen oder trinken.

Das laß deine geringſte Sorge ſein, erwiderte der Zigeuner lachend.

In ganz Franken und Schwaben, ſagte ſeine jüngere Schweſter, gibt's Pfarrer, Schultheißen, Wirthe und ſonſt honnette Leute genug, die bei einem wohlfeilen Einkauf ein Auge zudrücken. Alle Welt verwünſcht die Krämer, die auf ihre Zunftrechte pochen, mit dem hundert¬ fachen Profit nicht zufrieden ſind und das Publicum mit ihren Sünden¬ preiſen betrügen. Wer dieſen Schelmen ihren Raub abjagt, iſt den Käufern ſo lieb, wie den Bauern der Wildſchütz, der ihre Felder be¬ wahrt. Und da wir einmal von einer feſten Ordnung reden, ſo meine ich, man könnte eben ſo gut einen planmäßigen Handel einrichten, feſte Preiſe machen und vertraute Leute zum Wiederverkauf aufſtellen, damit man nicht chriſtlichen und hebräiſchen Juden preisgegeben und genöthigt wäre, jedes Stück gleich wieder zu verſchleudern.

Davon hab 'ich eben reden wollen, verſetzte die Zigeunermutter, aber meine Chriſt meine Katharine verbeſſerte ſie ſich kommt mir mit ihrem ſchnellen Geiſt zuvor. Dieſer Handel müßte jedoch großentheils in Perſon betrieben werden, da man von den meiſten Unterkäufern, wie wir aus Erfahrung wiſſen, doch nur betrogen wird und ſich nicht hinlänglich gegen ſie ſchützen kann. Ihr könnt euch jetzt ſchon denken, wo ich hinaus will. Wir müßten mit unſern Reiſen zugleich einen wandernden Kramhandel für gemeinſchaftliche Rechnung verbinden, der ſich ganz offen in die Karten ſehen laſſen und viel ehr¬ licher betrieben werden müßte, als es bei den honnetteſten Krämern der380 Fall iſt: überall Patente gelöſt, jedes Stückchen Waare auf's pünkt¬ lichſte verzollt, gegen das Geſetz und das kaufende Publicum durch und durch reell, und dabei Preiſe, die jede Concurrenz ſchlagen müſſen! Das können wir. Es fehlt gar nichts, als daß wir in der Geſellſchaft ein Mitglied haben

Und dazu iſt unſer Freund Schwan wie gemacht! rief ihr Sohn dazwiſchen.

Das will ich ja gerade ſagen! rief die Alte eifrig. Man darf unſern Freund nur anſehen. Wenn er Sonnenwirth wäre an ſeines Vaters Statt oder ſonſt ein offenes Geſchäft hätte oder mit einer Kramkiſte umherreiste, wie ja fürnehme Krämer mit den koſtbarſten Waaren hauſiren wer würde einem Mann von ſolch 'aufrichtiger Phyſionomie, von ſolch' leutſeligem und beſcheidenem Betragen nicht ſein Vertrauen ſchenken?

Schönes Compliment! rief Bettelmelcher lachend. Das heißt mit andern Worten: wir ſehen aus wie Spitzbuben und er wie ein Biedermann.

Alles in ſeiner Art, ſagte die Alte, und Jeder an ſeinem Platz! Was kann unſer Freund für ſein Geſicht? Er ſagt, er ſei um ſein Mütterliches gebracht worden. O das iſt ein großer Irrthum! Sein Mütterliches guckt ihm aus dem Geſicht heraus. Die meiſten Menſchen ſehen bloß ihrem Vater ähnlich, und die Männer verhärten ſich im Leben, das kann nicht anders ſein. Wenn aber Einer etwas von ſeiner Mutter hat, ſo braucht man die Frau gar nicht gekannt zu haben, man ſieht's auf den erſten Blick, und wenn er noch ſo finſter und grimmig dreinſchaut. Ich verſtehe mich auf Phyſionomien. Das iſt ein Geſicht, mit dem es Alle, die ſich ehrliche Leute nennen, gern zu thun haben, denn man merkt ihm gleich den Deutſchen, und was noch mehr ſagen will, den Schwaben an.

Die Augen der Alten ruhten bei dieſen Worten mit einer brennen¬ den Wärme auf ihm, als ob ihr altes Herz ſich noch von jugendlichem Liebesfeuer durchglüht fühlte. Es beläſtigte ihn, es lächerte ihn, und dennoch that es ihm wohl. Erſt als ihre ältere Tochter den Ausſpruch der Mutter mit thätlichen Beweiſen der Zuſtimmung begleiten wollte, fühlte er einen wirklichen Widerwillen und rückte von ihr weg, wie die jüngere vorhin ſich von ihm entfernt hatte.

381

Die Mutter hat zwei Deutſche zu Männern gehabt, ſagte der Zi¬ geuner lächelnd zu ſeinen Geſellen. Das verbirgt ſich nicht. Aber ihr Vorſchlag ſcheint mir gut.

Très bon, ſagte Bettelmelcher, das Project iſt inſidiös.

Schwamenjackel ſagte nichts, ſondern ſchaute gedankenvoll durch die leere Flaſche, die er ſich vor die Augen hielt. Die ſtumme Kund¬ gebung bewog ſeinen Genoſſen, dem verſäumten Schenkendienſte ge¬ wiſſenhaft wieder obzuliegen.

Was ſagſt du zu dem Antrag, Bruder Schwan? wendete ſich der Zigeuner an den Gaſt.

Ich rechne mir Euer Zutrauen zur Ehre, antwortete dieſer, aber ich weiß nicht, ob ich auf den Poſten tauge.

Zweifel und Bedenken über deine Fähigkeit laſſen wir nicht gelten, da gib dir nur gar keine Mühe, erwiderte der Zigeuner. Es fragt ſich bloß, ob du Luſt und Liebe haſt, dich zu einem gemeinſamen Geſchäftsbetrieb mit uns zu verbinden, und ich denke, die Antwort ſollte dir nicht ſchwer werden. Du weißt, ich hab 'dich ſchon von Hohentwiel aus mitnehmen wollen, und es hat mir nicht gefallen, daß du durchaus nach Ebersbach gewollt haſt. Jetzt ſeh' ich's noch viel deutlicher ein, daß dein Herumhocken in dieſer Gegend zu nichts Gutem führen kann. Deine Hartnäckigkeit bringt dich gewiß noch an den Göppinger Galgen. Mach 'daß du in eine andre Luft kommſt; es iſt allenthalben etwas zu verdienen. Und was iſt das für eine Exiſtenz, für Leben und Sterben hier und da ein Stück Fleiſch oder Brod aus einem Haus zu holen und den Hals dabei zu riskiren, oder einem Brenner aus Malice, weil er einen elenden Fuſel her¬ gegeben hat, den Brennhafen fortzuſchleppen, den man unterwegs liegen laſſen muß! Das mag, wie geſagt, zur Abwechslung dann und wann recht ſein, wenn nicht viel dabei auf dem Spiel ſteht, aber für einen Mann von deinen Gaben nimm mir's nicht übel, Schwan, du weißt, ich pflege offen zu reden, und als dein Freund und Kriegs¬ kamerad brauch' ich kein Blatt vor den Mund zu nehmen für einen Mann, der, wie du, zu etwas Beſſerem beſtimmt iſt, iſt es ein erbärmliches Handwerk. Ich ſag 'dir, es iſt unter deiner Würde, und wie viel du Seide dabei geſponnen haſt, wirſt du ſelbſt am beſten wiſſen.

382

Der Gaſt warf einen unwillkürlichen Blick auf ſeine abgetragenen Kleider, der dem Redner geſtand, daß er ihm Recht geben müſſe.

Hanf aber, fuhr dieſer fort, kannſt du dabei gerade ſo viel ſpin¬ nen, wie bei den ſchönſten Unternehmungen, die ſich der Mühe und Gefahr wenigſtens verlohnen. Meinſt du, wenn ſie dich kriegen, ſo werden ſie mit ihren lateiniſchen Ausdrücken, die auf Alles paſſen müſſen, große Unterſcheidung machen? Mich wundert's nur, daß ſie dich nicht ſchon längſt am Fittig haben, und es geſchähe dir Recht, denn wie du ihnen unter der Naſe herumvagirſt, das iſt kein Muth, das iſt Wahnſinn! Bei uns iſt ganz anders für deine Sicherheit ge¬ ſorgt. Wir wiſſen in aller Herren Ländern jedes Plätzchen, wo man ſich ruhig niederlaſſen kann.

Iſt denn das zum Beiſpiel hier der Fall? unterbrach ihn der Gaſt.

Freilich! rief der Zigeuner. Die Frage beweiſt, wie wenig du die Welt noch kennſt. Hier ſitzen wir auf edelmänniſchem Boden und ſind ſo ſicher wie das Kind im Mutterleib, während du in deiner Unkennt¬ niß mit ein paar Schritten in's Wirtembergiſche taumelſt, wo die Leute dumm ſind und die Beamten, wie du ſelbſt erzählſt, ſich kein Gewiſſen daraus machen, Einem ſeine eigenen Kinder als Lockwürmer an die Angel zu ſtecken, um den Fiſch damit zu fangen. Auch haben wir überall unſere vertraute Leute, die uns Nachricht geben, wenn etwas gegen uns los iſt. Und wenn je einmal Eins von uns den Fuß übertritt und in die unrechten Hände geräth, ſo gibt es auch Mittel und Wege, ihm wieder aus der Falle zu helfen. Das Alles geht dir ab, ſo lang du wie ein Irrlicht allein und auf eigene Fauſt umherflackerſt. Und was für Ehre haſt du davon, dein kümmerliches Leben immer und ewig um dein einfältiges Ebersbach herum zu friſten, wo Alles ſchreit: der Dieb, der ſchlechte Kerl, der Sonnenwirthle iſt wieder einmal dageweſen und hat dies und das geſtohlen! Wenn du in unſre Geſellſchaft eintrittſt, ſo hörſt du ganz andre Titel, da biſt du Allen ein lieber werther Freund, wirſt wegen deines Muthes, wegen deines Verſtandes, wegen deiner Treue geliebt, geachtet, be¬ wundert, auf den Händen getragen. Du haſt einmal auf einen wun¬ derlichen Adjutanten zu Hohentwiel das Bibelwort angewendet: Es iſt dem Menſchen nicht gut, daß er alleine ſei. Das paßt nicht bloß darauf, daß er eine Gehilfin haben ſollte, es paßt auch auf das Hand¬383 werk, das er treibt, er muß auch darin Seinesgleichen um ſich haben, bei denen er Beifall und Aufmunterung findet, denn ſonſt iſt's ein Hundeleben.

Das iſt ſehr wahr! rief der Gaſt, von dieſer Bemerkung ergriffen. Bei uns findeſt du keinen Brodneid, keine Unterdrückung, wie in der honnetten Welt draußen. Du biſt uns mit deinem Kopf und Arm willkommen und wir bedürfen deiner, wie du unſrer bedarfſt. Unſern Ertrag theilen wir ehrlich und redlich, und wenn Einer vor den Ändern eine beſondere Mühe auf ſich genommen hat, ſo wird ihm ein verhältnißmäßig größerer Antheil zuerkannt. Einen Lieutenant, der das Beſte an ſich reißt und die Andern als ſeine Untergebenen be¬ handelt, gibt es nicht bei uns. Wer die beſte Meinung geltend machen kann, deſſen Anſchlag wird befolgt, und was gemeinſam beſchloſſen iſt, wird in ſtrenger Ordnung ausgeführt. Außerdem aber leben wir als freie Leute auf gleichem Fuß mit einander.

Und immer in Floribus! fiel Bettelmelcher ein, indem er die Flaſche ſchwang und dem Gaſte reichte.

Leuchtet dir aber die Wahrheit deines Sprüchleins auch im an¬ dern Punkte ein, hob der Zigeuner wieder an, und möchteſt du eine Gefährtin haben, die in deinen neuen Lebenslauf paßt, ſo haſt du, ohne Ziererei geſprochen, zwiſchen meinen Schweſtern die Wahl. Du wirſt ſie, denk 'ich, beide nicht übel gefunden haben. Eine abſchlägige Antwort haſt du nicht zu befürchten; ich bürge dir nicht bloß für die Freundliche, ſondern auch für die Trutzige, die mir ein herbes Geſicht für meine Rede macht. Auch findeſt du nicht einmal einen Neben¬ buhler, denn beide ſind frei, Freund Bettelmelcher aber iſt verſehen und ſchwört nicht höher als auf ſeine Marianna, die zärtliche Taube, die auch mit uns fliegen wird, und Freund Schwamenjackel macht dir nicht die mindeſte Concurrenz. Der hat ſtatt des Herzens eine zweite Leber, oder wenn's je ein Herz iſt, ſo iſt es für die Weiber unzugänglich: keine Schottenfellerin wird es einſacken, keine Schrende¬ fegerin wird hineinſteigen.

Schwamenjackel grunzte und die Andern brachen in ein Ge¬ lächter aus.

Sollten jedoch beide keine Gnade vor deinen Augen finden, ſetzte der Zigeuner hinzu, ſo dürfen ſie dir kein ſaures Geſicht machen,384 wenn du eine Andere wählſt. Ich hab 'dir's ja ſchon früher geſagt: in Bickesheim bei Raſtatt, am großen Wallfahrts - und Jahrmarkts¬ tage, da kannſt du Alles beiſammen finden, was zu unſerer Ver¬ wandtſchaft gehört, und noch viel Andere mehr, den Hannobel, den Joſephle, den Tonele, den Friſchholz, die Bebe, das Suphile, die Liſa, den Leopold, den Baron Stihl, den Buchdrucker und ſeine Hammel¬ ſchwänzin, den Peter Paul, den Jägerkaſperle, faſt Alle mit Familie und Mädels genug. Da haſt du eine große Auswahl, und welche dir gefällt, die muß uns recht ſein. Ich kann dir aber vorausſagen, daß dir außer meinen beiden Schweſtern höchſtens noch die Liſa ge¬ fallen wird, denn dieſe Drei gelten bei Freund und Feind für die drei größten Schönheiten zwiſchen Rhein und Donau. Die Marianna iſt die vierte und ſticht vielleicht alle Drei aus, aber die läßt von ihrem Herzblatt nicht. Die Liſa hat zwar einen Mann, dem ſie aber längſt wegen ſeiner Schneidercourage den Laufpaß gegeben hat. Er iſt ein Landsmann von dir, aus dem Maulbronner Oberamt gebürtig, und bei uns unter dem Namen Schneidermichel bekannt. Den kenn' ich von Ludwigsburg her, ſagte der Gaſt. Ja, ſie haben ihn um etlicher Calamitäten willen in's Zuchthaus geſteckt und ſeitdem, wie ich höre, unter ein Grenadierbataillon geſtoßen. Die Mädchen lachten.

Der wird eine ſchöne Figur machen, ſagte die Jüngere. Er hat freilich weder das Pulver erfunden, noch wird er's gern riechen, bemerkte der Gaſt. Uebrigens iſt er ſonſt ein guter Kerl.

Die Aeltere begann über die abweſende Liſa, in der ſie eine Mit¬ bewerberin fürchten mochte, hämiſche Aeußerungen auszuſtoßen, die aber von der Jüngeren kräftig abgewehrt wurden. Dieſer trat auch die Mutter bei und erklärte mit Lebhaftigkeit, die Geſchmähte ſei ihre Schweſtertochter, ſie habe ſie ſo lieb wie ihre eigenen Kinder, und wünſche ſie ſo gut wie dieſe mit einem wackern Manne, wie Herr Schwan, verſorgt zu wiſſen.

Das iſt brav, ſich der Abweſenden anzunehmen! ſagte dieſer, in¬ dem er ſeiner jüngeren Nachbarin auf den Nacken klopfte, wobei er ſich beredete, daß er die viele Freundlichkeit, die ihm in Worten und Werken erzeigt werde, doch auch in irgend einer Weiſe erwidern müſſe. Die Zigeunerin aber ſchien nicht mit dieſer Art der Erwiderung385 einverſtanden zu ſein, ſondern ſtieß ihn heftig zurück, wozu ſie ſich wohl noch mehr durch das zudringliche Betragen ihrer Schweſter als durch ſeine Kühnheit herausgefordert fühlen mochte.

Hoho! rief ihr Bruder, auf einen Puff gehört ein Kuß, das iſt in den Wäldern ſo gut wie in Städten und Dörfern Sitte, und damit der Feuerteufel von einem Weibsbild keinen Ausweg hat, ſo ſchlage ich vor, daß wir jungen Leute mit dieſem Gaſte Bruder - und Schweſterſchaft trinken.

Der Vorſchlag fand allgemeinen Beifall, die Flaſche ging in die Runde und der Freundſchaftsbund wurde von den Männern mit einem Handſchlag, von den beiden Mädchen je mit einem Kuſſe be¬ ſiegelt. So feurig aber die Aeltere dieſe Gelegenheit benutzte, um ihre Wünſche kundzugeben, ſo däuchte den Gaſt der raſche Kuß, mit wel¬ chem die Jüngere einen Augenblick ſeine Lippen zuſammenpreßte, weit inniger zu ſein, und ein heißer Strahl aus ihren dunkeln Augen ſagte ihm, daß ſie der Bezeichnung, die ihr Bruder ihr ſo eben gegeben, zu entſprechen vermöge. Doch riß ſie ſich gleich wieder von ihm los und ſetzte ſich ruhig auf ihren Platz.

Eine ſolche Buße, ſagte er, kann ich mir für die Sprödigkeit wohl gefallen laſſen. Weil mir's aber doch ſcheint, daß es der Jungfer ſchwer fallen will, dieſelbe gegen mich abzulegen, und weil ihr mich alle vorhin wegen meiner Standhaftigkeit gelobt habt, ſo will ich nur geſtehen, daß mein Weib zu dieſer Stunde vor dem Wald, wo ich ſie hinbeſtellt habe, auf mich warten wird. Mein Weib heiß 'ich ſie, ob¬ gleich wir's mit aller Mühe nicht dahin gebracht haben, mit einander vor den Altar zu kommen. Somit weiß ich auf das liebreiche Aner¬ bieten weiter nichts zu antworten, als dieſes: wenn's in eurer Ge¬ ſellſchaft nicht vielleicht Sitte iſt, daß einer zwei und mehr Weiber hat, wie die alten Erzväter in der Bibel, ſo muß ich eben danken weil ich ſchon verſehen bin.

Er konnte es nicht unterlaſſen, dieſe Eröffnung mit einem ſpähen¬ den Blick auf ſeine Nachbarin zu begleiten, und hatte die Genug¬ thuung, zu ſehen, daß ſie ihr Geſicht nicht ſo völlig in der Gewalt hatte, um die unwillkommene Ueberraſchung ganz verbergen zu können. Das iſt freilich was anderes, verſetzte der Zigeuner. Bis jetzt iſt ie Vielweiberei bei uns nicht im Schwang geweſen. Die MännerD. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 25386würden ſich vielleicht gar nicht ungern dazu verſtehen, aber die Weiber finden ſie nicht nach ihrem Geſchmack. Uebrigens iſt es Schade, daß du uns nichts von der Ankunft deiner Frau geſagt haſt: wir haben ja beinahe nichts mehr übrig, was man ihr anbieten könnte. Da du unſer Gaſt biſt, ſo darfſt du dich nicht bemühen. Freund Bettelmelcher iſt gewiß gern ſo galant, ſie abzuholen und in unſre Mitte einzuführen.

Wie ſieht ſie denn aus, damit ich nicht die Unrechte bringe? fragte dieſer neugierig lächelnd, indem er ſich zum Fortgehen anſchickte.

Chriſtinens Freund empfand eine ſeltſame Verlegenheit. Sie ſieht aus, wie die Leute aus der Umgegend, ſagte er, nachdem er einen Augenblick vergebens nach einer paſſenderen Beſchreibung gerungen hatte.

Geh 'nur, Schelm! rief der Zigeuner lachend. Meinſt du denn, du werdeſt einen Markt voll Weiber vor dem Walde finden? Wir müſſen eben einmal die Probe mit ihr machen, wie ſie ſich bei uns gefällt, fuhr er fort, nachdem Jener ſich entfernt hatte. Wir beweiſen dir eine große Rückſicht, Bruder, und gehen weit von unſern gewohn¬ ten Grundſätzen ab, wenn wir deine Frau in unſre Geſellſchaft auf¬ nehmen. Was die Männer betrifft, ſo halten wir's nicht gar ſtreng mit den Deutſchen, ſelbſt wir Zigeuner nicht, die wir uns noch am meiſten abzuſchließen pflegen. Meine Mutter iſt, wie du weißt, mit Deutſchen verheirathet geweſen. Unſre beiden Freunde hier ſind gleich¬ falls Deutſche, wenigſtens dem Ausſehen nach, denn ihr Stammbaum iſt ihnen ſelbſt nicht recht bekannt. Welche Aufnahme du bei uns ge¬ funden haſt, das weißt du ſelbſt. Gegen die deutſchen Weiber aber beſinnen wir uns dreimal, bis wir eine zulaſſen.

Aber nicht, weil wir eiferſüchtig ſind! rief ſeine jüngere Schweſter trotzig dazwiſchen.

Nein, das ſind wir nicht! ſtimmte die Aeltere mit einem ſpöttiſchen Gelächter ein.

Die deutſchen Weiber, ſagte die Alte, ſind nicht zu unſrem Leben erzogen und taugen deßhalb ſelten dazu.

Sie ſind ergänzte ihr Sohn, einen Augenblick aus dem Tone guter Lebensart fallend ſie ſind in der Regel dumme Hunde, die zu nichts zu gebrauchen ſind.

Es rauſchte im Walde und man hörte das Zirpen einer Grille, das der Zigeuner mit dem gleichen Laut beantwortete. Gleich darauf387 erſchien Bettelmelcher, eine Frau am Arme führend oder vielmehr nach ſich ziehend. Es war Chriſtine, die ihm ängſtlich und mit ſicht¬ barem Mißtrauen folgte. Sie machte große Augen, als ſie ihren Frieder zwiſchen den beiden Schönheiten ſitzen ſah, von welchen ihr Begleiter vermuthlich nichts geſagt hatte. Dieſer rechtfertigte das Lob, das der Zigeuner ihm zuerkannt hatte: er führte ſeine Anbefohlene mit fratzenhafter Galanterie herbei und ſagte kratzfußend, indem ein leiſes, aber unbeſchreiblich boshaftes Lächeln in ſeinen Mundwinkeln ſtand: Habe die Ehre, Madame Schwan der Geſellſchaft zu präſentiren. Chriſtine zog ihren Arm aus dem ſeinigen und trat zu ihrem Manne. Wo ſteckſt denn ſo lang? fragte ſie weinerlich. Läßſt mich eine geſchlagene Stund 'vor'm Wald da warten, daß ich ſchier am Umſinken bin.

Nun ſo ſetz 'dich, erwiderte er etwas unmuthig, biſt ja jetzt bei mir.

Die jüngere Zigeunerin rückte zuvorkommend und zog Chriſtinen zu ſich nieder, ſo daß ſie zu ihrem Manne zu ſitzen kam. Freilich war der Platz nach der andern Seite hin nicht ſehr vortheilhaft für ſie, ſofern ſie die Vergleichung mit ihrer jüngeren, ſchöneren und rei¬ zend gekleideten Nachbarin aushalten mußte. Friedrich wußte, daß die Geſellſchaft ſtille Blicke unter ſich wechſelte, die das Ergeb¬ niß dieſer Vergleichung ausſprachen. Er ſah die Blicke nicht, aber er fühlte ſie.

Aus Rückſicht auf den neuen Gaſt wurde die Unterhaltung, zu welcher man ſich bisher der jeniſchen Miſchſprache untermengt mit modiſchen Brocken, bedient hatte, nun ganz deutſch geführt, wollte aber nicht recht in Gang kommen. Man bot Chriſtinen, deren ſchlaffe Züge Müdigkeit und Hunger verriethen, von den Ueberbleibſeln des Eſſens an; ſie genoß einige Biſſen, ſtieß aber bald die Speiſe zurück und klagte über Uebelkeit. Der dienſt¬ fertige Mundſchenk bot ihr die Flaſche; ſie trank gierig, fand aber den Wein zu ſtark, lehnte ſich an ihren Mann und klagte, der Kopf ſchwindle ihr. Der Zigeuner ſuchte ihr eine bequeme Lagerſtelle aus, breitete ein Tuch zur Unterlage für den Kopf auf den Boden und redete ihr zu, ſich zur Ruhe zu legen. Sie betrachtete den Pfühl mit kaum verhehltem Widerwillen, entſchloß ſich aber doch, ſich ſeiner zu bedienen, legte ſich hin und war oder ſchien bald eingeſchlafen.

Du haſt's alſo nicht zur Copulation bringen können, Bruder? 25 *388fragte Bettelmelcher, als die Geſellſchaft wieder vertraulich, wie nach einer überſtandenen Störung, beiſammen ſaß.

Nein, antwortete der Gaſt und erzählte ausführlicher als vorhin die Geſchichte ſeiner vergeblichen Bemühungen um den kirchlichen und hiemit zugleich bürgerlichen Segen für ſein eheliches Band.

Dafür weiß ich Rath, ſagte ſein neuer Freund: wenn's dir immer noch darum zu thun iſt, ſo kann ich dir einen Pfarrer angeben, der dich um Geld und gute Worte ohne Anſtand copulirt. Er iſt ein Schulkamerad von mir, du brauchſt ihm nur einen Gruß von mir zu ſagen.

Wo iſt er? rief der Gaſt voll Feuer und Flamme. Das Wort hatte bei ihm eingeſchlagen wie ein Blitz, und über der Ausſicht auf ein Ziel, dem er ſo lange umſonſt nachgejagt, auf die Möglichkeit, dem ganzen Flecken Ebersbach nebſt Pfarrer und Amtmann zum Trotz den Eid zu halten, wegen deſſen er einſt vom Kirchenconvent geſtraft worden war, und ſeine Heirath zu vollziehen, über dieſer Aus¬ ſicht vergaß er alle Reize, die ihn zum Eintritt in eine neue Welt lockten und die unſcheinbar gewordene erſte Liebe verdunkelten. Wo iſt der Pfarrer, Bruder? fragte er wiederholt den Freund, der durch ein ſo nahes Verhältniß zu einem Manne von ehrwürdiger Stellung in ſeinen Augen nicht wenig geſtiegen war.

Wurſt wider Wurſt! antwortete Bettelmelcher, den der Zigeuner ſtill angeſehen hatte, mit ſchlauem Lächeln. Wenn du einmal der Unſrige biſt, ſo hab 'ich kein Geheimniß mehr vor dir.

Nein! rief der Zigeuner mit dem Tone der Billigkeit: man muß einem Menſchen nicht Hände und Füße binden. Wir ſind freie Leute, und wenn er zu uns treten will, ſo ſoll es ſein eigner freier Wille ſein. Du mußt deinen Preis annehmlicher ſtellen.

Wohlan alſo, ſagte Bettelmelcher nach einem verſtohlenen Blick auf Chriſtinen, die wirklich ſchlief, wenn du uns zu der erſten größeren Unternehmung, die wir ausführen, deinen Kopf und deinen Arm ver¬ ſprichſt, ſo kannſt du über meine Zunge verfügen. Mehr verlang 'ich nicht.

Es gilt! rief der Gaſt aufſpringend: hier iſt mein Wort und meine Hand!

Die drei andern Männer ſprangen ebenfalls auf die Beine und389 einer nach dem andern empfing ſeine dargereichte Hand zu einem kräf¬ tigen Druck.

Und ich, rief der Zigeuner, leiſte hiemit Bürgſchaft für ihn, daß er ſein Wort halten wird. Wenn das geſchehen iſt, wandte er ſich zu ihm, ſo biſt du nicht weiter gebunden und es ſteht ganz in deinem Belieben, ob du bei uns bleiben willſt oder nicht. Auch ſollſt du dich zu keinem Unternehmen verpflichtet haben, das nicht nach deinem Sinn wäre.

Sie ſetzten ſich wieder und zur Beſiegelung des Gelübdes kreiſte noch einmal die Flaſche mit der Neige aus dem Fäßchen, das nun völlig auf dem Kopfe ſtand.

Den Pfarrer, von dem ich dir geſagt habe, vertraute nun Bettel¬ melcher dem Gaſte, als er bemerkte, daß dieſer ihn erwartungsvoll anſah, den triffſt du in Dinkeltheim bei Schwäbiſch Hall.

Gut! Ich habe mit meinem Weib morgen einen Handel in Gmünd zu machen, und von da wollen wir gleich den Stab weiter ſetzen. So wie ich zurückkomme, ſteh 'ich euch zu Dienſten. Ob's ein Markt¬ gang iſt oder ein Unternehmen, wo man das Fell einſetzt und die Haar' davon fliegen, gilt mir gleich. Nur Eins beding 'ich mir aus: einem Unſchuldigen will ich nichts zu Leid thun, aber gebt mir eine Gelegenheit, daß ich dieſer ſchnöden, falſchen Welt mit ihrem Geiz und Hochmuth, mit ihrer Unterdrückung und verlogenen Ehrbarkeit das Herz aus ihrem eigennützigen Leib herausreißen kann und wenn's den Kopf koſtet, ihr ſollt mich kennen lernen.

Bravo, Bruder Schwan! rief der Zigeuner. So denken wir auch! Die Gelegenheit ſollſt du haben! rief Bettelmelcher. Meinſt du, du ſeieſt allein unterdrückt? Ich könnte jetzt ſo gut Pfarrer ſein, wie der Pfaff, der dir die Copulation abgeſchlagen hat, ich hatte ſchon ein wenig zu ſtudiren angefangen, da hat mich ein betrügeriſcher Vormund um all mein Hab 'und Gut gebracht.

Ich hab 'auch noch mit einem Solchen abzurechnen! rief das halb¬ geworbene Mitglied der Bande.

Was ſind Bedrückungen des Einzelnen gegen die Verfolgungen, die mein ganzer Stamm erfahren hat! hob die alte Zigeunerin an. Vor ein paar hundert Jahren ſind unſre Vorfahren aus fernen Landen weit im Oſten durch Krieg und Noth in dieſes Land gekommen, wo390 eine bläſſere Sonne ſcheint. Sie haben ſich friedlich in den Wäldern aufgehalten, haben von den Leuten geheiſchen, was ſie zu ihrer Noth¬ durft brauchten, und haben in guter Freundſchaft mit ihnen gelebt. Dann haben böſe Menſchen Mißtrauen und Hader geſät, und ſeit mehr als hundert Jahren wird unſer Stamm verfolgt, ſo daß keins von uns ſein Haupt ruhig auf den Boden legen kann. Jedes fried¬ liche Fortkommen iſt uns abgeſchnitten, als ob wir nicht auch Chriſten und Kinder Gottes wären, die gelebt haben müſſen, und wir mögen unſre Nahrung ſuchen wie wir wollen, ſo ſind wir dafür von Mutter¬ leib an zum Tod verurtheilt. Drei Männer hab 'ich nach einander gehabt, keinen lang: alle drei ſind am Galgen geſtorben. Zwei Schweſtern und ein Bruder ſind den gleichen Todesweg gegangen; die dritte Schweſter hat ſich zu Karlsruhe im Gefängniß erhenkt, denn Freiheit iſt unſre Lebensluft. Von zwei Männern meiner Schweſtern iſt einer durch das Schwert, einer durch den Strang geſtorben. Ein Sohn, zwei Schwiegerſöhne, eine Schwieger - und eine Schweſtertochter ſind gehenkt, zehn Männer, mit mir verſchwägert oder verwandt, des¬ gleichen gehenkt, geköpft, gerädert, auf hundert und ein Jahr auf die Galeere angeſchmiedet. Einen Mann, einen Bruder, einen Sohn und einen Tochtermann hab' ich mit eigner Hand vom Galgen geholt und unter heißen Thränen und Gebeten begraben. Bei den Andern hat's nicht ſein mögen. Und nun betrachtet mein Loos und wagt noch über euer eigenes zu klagen.

Mit niedergebeugtem Kopfe und gramdurchfurchtem Antlitz ſaß ſie da, die Hekuba eines geächteten Stammes. Der Gaſt konnte kein Auge von ihr wenden, wie ſie die Blicke vor ſich in den Boden bohrte. Weit entfernt, in ihren Erlebniſſen ein abſchreckendes Beiſpiel zu ſehen, fühlte er eine tiefe Theilnahme für ſie und die verwaisten Mädchen, die ſchon ſo früh den verſengenden Froſt des Lebens kennen gelernt. Freilich verſchwieg ſie weislich, daß ihr Volk keineswegs ohne eigene Schuld in den deutſchen Landen Schutz und Gaſtfreundſchaft verwirkt hatte; daß zwei ihrer Männer dieſem Volke nicht angehört, überging ſie gleichfalls mit Stillſchweigen; und durch welche Thaten ſo viele der Ihrigen von einer freilich rohen, aber zum Kampfe auf Leben und Tod genöthigten Staatsgeſellſchaft ſich ein ſchauerliches Ende zugezogen, das ſchien ſie gegen ihre Erlebniſſe nicht in die Wagſchale zu legen.

391

Laßt mich reden! rief Schwamenjackel, ſeine Worte mit heiſerer Stimme kurz hervorſtoßend. Mein Vater, der mich erzogen und ge¬ boren hat

Ungeachtet des furchtbaren Ernſtes, den die Unterredung ange¬ nommen, kämpfte ein unterdrücktes Lachen in der Bruſt der Mädchen, die das Geſicht abwandten, und die Männer bißen ſich auf die Lippen, um ihren Gefährten nicht durch einen unzeitigen Ausbruch zu ſtören. Mein Vater, fuhr Schwamenjackel fort, iſt zu Alpirsbach auf dem Schwarzwald gerädert worden, und ich hab 'als ein zwölfjähriger Bube hart dabei zuſehen müſſen und bin nachher in's Zuchthaus geſteckt worden. In meinem ganzen Leben vergeſſ' ich's nicht und will's auch nie vergeſſen. Ich übe mein Gedächtniß mit Fleiß, daß es mir die Stöße des ſchweren, mit Blei ausgefüllten Rades und das Krachen der Glieder immer wieder als gegenwärtig vorſtellen muß: erſt den rechten Fuß und den linken Vorderarm, dann den linken Fuß und den rechten Vorderarm, dann den rechten Schenkel und den linken Oberarm, dann den linken Schenkel und den rechten Oberarm, und endlich, wenn ſie's leidlich machen, den Gnadenſtoß auf die Bruſt. Meinem Vater iſt's aber nicht ſo gut geworden: lebendig haben ſie ihn auf's Rad geflochten, Stunden lang ächzen und ſtöhnen laſſen in der gräulichen Marter, bis ſie ihm endlich den Kopf abgeſchnitten und auf den Pfahl geſteckt haben. Und dabei haben die Pfaffen immerfort in ihn hinein¬ geſchrieen und ihm ihre Kreuze unter die Naſe geſtoßen. Das halt 'ich mir tagtäglich vor, damit mich kein dummes Mitleid über¬ mannt

Ein entſetzlicher Schrei unterbrach ihn. Alle ſprangen auf und ſahen ſich um. Es war Chriſtine, die unruhig geſchlafen, und, von der rauhen Stimme Schwamenjackels erweckt, ſeine Worte noch halb gehört hatte. Mein Herz! rief ſie, ihre Hände auf der Bruſt zuſammen¬ drückend, mein Herz! Das iſt ja zu gräßlich! es bringt mich um.

Sei ruhig, Chriſtine! rief Friedrich, der ſelbſt etwas bleich ge¬ worden war, und eilte zu ihr. Sie ſah ihn wild an und erholte ſich erſt allmählich. Es iſt ja nur von vergangenen Dingen die Rede, ſprach er ihr zu. Sieh, ich bin bei dir, und meine Freunde haben mir einen Pfarrer genannt, der uns trauen will. Sei munter, jetzt geht's endlich zur Hochzeit!

392

Hochzeit? ſagte ſie: ich hab 'gemeint, es ſei von etwas Andrem die Rede. Hab' ich denn ſo ſchrecklich träumt?

Er wiederholte ihr, daß er gleich am nächſten Tage mit ihr zur Trauung wandern werde. Ihr Angeſicht belebte und erheiterte ſich nach und nach. Iſt's denn wirklich wahr? ſagte ſie: ſoll ich endlich einmal mit dir vor den Altar kommen?

Sieben Jahre ſo lang 'wird's jetzt ſein, daß wir das erſtemal mit einander vor Kirchenconvent geweſen ſind ſieben Jahre hab' ich mir's um dich ſauer werden laſſen müſſen, wie der Erzvater Jakob um die Rahel, und jetzt iſt's endlich gewonnen.

Gelt, und darüber bin ich zur Lea worden? ſagte ſie, einen ſcheuen Blick um ſich werfend. Sie ſtarrte die Geſellſchaft an, wie wenn ſie ſie noch nie geſehen hätte, und drängte ängſtlich fort. Er erklärte ſich bereit mit ihr zu gehen.

Wir wollen jetzt auch zur Ruhe, verſetzte die Alte.

Der Hitzling iſt hinab, ſagte ihr Sohn, gen Himmel deutend: die Glanzer ſind aufgegangen.

Und der Jaim iſt geſchwächt, ſetzte Bettelmelcher hinzu, indem er das Fäßchen mit einem Fußtritt auf den Boden ſchleuderte.

Beim Abſchied wurde der Gaſt in jeniſcher Sprache aufgefordert, ſich bald wieder auf dieſer Stelle einzufinden, wo er die Geſellſchaft noch eine Zeit lang gelagert finden werde. Er gab ſein Wort. Der Zigeuner bot ihm Kleider an, da ihre Garderobe reich verſehen ſei und er den kleinen Vorſchuß bei Gelegenheit wieder erſtatten könne. Er nahm das Anerbieten an und wurde alsbald mit einer vollſtän¬ digen Kleidung verſehen, die ihm für die Hochzeitreiſe ſehr zu Statten kam. Chriſtinen wurde nichts angeboten, und er ſcheute ſich, etwas für ſie anzuſprechen. Bettelmelcher gab ihm noch genauere Anweiſung über den Pfarrer, der ihn trauen ſollte; er nannte ihm ſeinen Namen und beſchrieb ihm ſeine Wohnung ſo genau, daß er nicht fehlen konnte.

Als das Paar ſich mit einander entfernt hatte, blickte ſich die Bande eine Zeit lang ſtillſchweigend an; dann ſagte der ſcheele Chri¬ ſtianus: Er iſt reif, und dir, Frau Schweſter, gratulir 'ich zu der Eroberung. Laß du ihn zur Hochzeit und Copulation gehen, er hält's bei dem Bauernmenſch keine acht Tage mehr aus.

Woher weißt du denn, daß ich ihn will? fragte ſeine jüngere Schweſter. 393Er lachte.

Was er für einen großen Kopf hat! ſagte ſie.

Das Bild der Thatkraft! rief er. Verſtelle dich nur nicht, ich hab 'in deine Augen geſehen und auch in die ſeinigen. Du mußt das Band werden, das ihn an uns feſſelt.

Eine Meſſe laſſ 'ich leſen, wenn's gelingt und du wieder einmal verſorgt biſt, ſagte die Alte.

Amen, erwiderte ihr Sohn und bekreuzte ſich andächtig.

Die Altmutter hat Recht, bemerkte Bettelmelcher: er hat etwas Solides in ſeinem Ausſehen und könnte treffliche Geſchäfte für uns machen.

Ich bin ihm nicht feind, verſetzte Schwamenjackel, und doch iſt in ſeinem Geſicht etwas, das mir nicht ganz gefällt. Ich weiß nicht, was in dem Mütterlichen für ein Vorzug liegen ſoll. Was die Deut¬ ſchen von ihren Müttern haben, das iſt in der Regel eine butterherzige Dummheit, und ich will deßhalb nur wünſchen, die Altmutter möge diesmal fehlgeſchoſſen haben. Habt ihr's nicht geſehen, wie er über der Beſchreibung des Räderns erblaßt iſt?

Ich kenne ihn, erklärte der Zigeuner mit entſchiedenem Tone. Er ſteht am Graben und beſinnt ſich. Wenn er nicht mehr rückwärts kann, ſo ſpringt er und fragt nicht wie breit oder wie tief. Aber aus den Augen dürfen wir ihn nicht mehr laſſen. An ſeinem Muth iſt nicht zu zweifeln, er hat Muth wie der Teufel; aber auch der Muth will geübt ſein.

Und ein tüchtiges Probeſtück, verſetzte Bettelmelcher, müſſen wir ihm vorlegen, daß die Haar 'davon fliegen, wie er ſelber ſagt. Ich weiß nicht mehr, welcher König es war, der über Meer in ein fremdes Land einfiel: als er gelandet hatte, verbrannte er ſeine Schiffe hinter ſich, damit ſeinen Leuten das Heimweh verging.

Ja, auf dieſe Weiſe bringen wir ihn am beſten aus der Gegend fort, dann wird er luſtiger anbeißen.

Um den Preis will ich mich zu einer Ausnahme von meiner Regel verſtehen, ſagte die Alte. Hier herum werfen die Märkte ohnehin nicht ſo viel ab, daß ich Luſt hätte, bald wieder zu kommen und Sohn und Tochter zu riskiren, für die hier keine geſunde Luft iſt.

394

Während ſie ſo mit einander redeten, führte der Gegenſtand ihrer Geſpräche Chriſtinen nach dem Hofe, wo er ihr einen Aufenthalt ver¬ ſchafft hatte. Er wußte ſie unterwegs nothdürftig über die Geſellſchaft, in der ſie ihn getroffen, zu beruhigen, was ihm diesmal leichter ge¬ lang, weil die Ausſicht, endlich ſein rechtmäßiges Weib zu werden, in ihr alles Andere überwog. Auch ihm gab dieſer Gedanke neue Schwungkraft: er konnte endlich ſein Wort halten, ſeinen Willen durch¬ ſetzen. Aber freilich, um welchen Preis!

33.

Querfeldein über Berg und Thal ſchweifend, pilgerte gleich am nächſten Tage das ſchon ſo lange verbundene und immer noch nach dem Segen der Kirche dürſtende Paar dem Kocherthale zu, in deſſen Umgebung ihm ſein Wunſch erfüllt werden ſollte. Wem man aber geſagt hätte, daß die Beiden auf einem Brautgang begriffen ſeien, der würde ſie verwundert angeſchaut haben: der Hochzeiter war, wenn auch ſein Geſicht von den Mühſeligkeiten des Lebens zeugte, in der Blüthe der Mannesjahre und ſchritt im blauen Rock, im roth, blau und grün geſtreiften kalaminkenen Bruſttuch (Weſte), in den ſchwar¬ zen Lederbeinkleidern, weißen Strümpfen und neuen Schuhen mit blanken ſtählernen Schnallen gar ſtattlich einher, während aus der verſchoſſenen, von Hauſe aus farbloſen und ärmlichen Bauerntracht der Hochzeiterin ein verblühtes, müdes Geſicht hervorſah. Bald waren ſie wieder auf dem Rückwege von Thüngenthal, denn ſo ſchreibt ſich der Name des Ortes, den der eigenſinnige Volksmund in Dinkeltheim verwandelt hat, gleichwie ihm umgekehrt die Reſidenz des deutſchen Ordens, welche Mergentheim geſchrieben wird, zu einem Mergenthal geworden iſt. Am Abend des erſten Tages, da ſie wieder in der Richtung nach der Rems wanderten, kehrten ſie in einem Dorfwirthshauſe ein, um daſelbſt über Nacht zu bleiben. Sie waren die einzigen Gäſte in der Wirthsſtube, wo der Wirth ab und zuging; im Cabinet ſaßen drei geiſtliche Herren, die mit einander tranken und395 redeten, ohne ihnen Aufmerkſamkeit zu ſchenken. Kaum hatten ſie das Fleiſch, das ihnen der Wirth vorgeſetzt, gegeſſen, ſo trat ein anſtän¬ diger Mann in einem braunen Anzug ein, desgleichen die Gerber trugen, grüßte ſie freundlich, ſetzte ſich an ihren Tiſch und verlangte gleichfalls ein Nachtquartier. Chriſtine erwiderte den Gruß gleichgiltig; Friedrich aber, nachdem er ihn angeſehen, mußte den Mund zum Lachen verziehen. Der Andre gab ihm einen Wink, zu warten, bis der Wirth die Stube verlaſſen; dann fragte er lachend: Nun, wie iſt die Copulation abgelaufen?

Erſt jetzt blickte ihn Chriſtine näher an und erkannte mit Staunen einen der Männer aus dem Walde von Wäſchenbeuren. Es war in der That Bettelmelcher.

Ganz gut, antwortete Friedrich, aber ſehr einfach. Es war eine Hauscopulation, die dein Pfaff in ſeiner Stube vorgenommen hat, er wird wohl wiſſen warum, und der ganze Act beſtand darin, daß er uns geheißen hat, wir ſollen einander die Hände darauf geben, daß wir einander in Lieb und Leid nicht verlaſſen wollen.

Nun, iſt das nicht genug? verſetzte Bettelmelcher mit gerührter Stimme und ſpitzbübiſchem Augenzwinkern.

Dann hat er uns einen Copulationsſchein ausgeſtellt, und hat ihn auf mein Verlangen noch um ein Jahr weiter zurück datirt, ſo daß unſre Ehe jetzt ſchier für achtjährig gilt. Der thut Alles, was man haben will. Deinen Gruß hab 'ich ihm ausgerichtet. Drauf hat er gelacht und geſagt: So, iſt der Spitzbub' immer noch ungehenkt? Bettelmelcher lachte.

Aber du! fuhr Friedrich fort, das iſt mir ein ſauberer Pfarrer, den du mir recommandirt haſt, und mir kommen Bedenken, ob die Handlung und der Trauſchein nur auch etwas werth ſind. Wir haben zuerſt nach dem Pfarrhaus gefragt, aber da ſind wir ſchön ange¬ kommen.

Ich hab 'dir ja ſeine Wohnung angegeben, unterbrach ihn Bettel¬ melcher immer noch lachend.

Ja freilich, dann hat ſich's herausgeſtellt, daß er nicht der rechte Pfarrer iſt, ſondern ein abgedankter. Er hat mir ſelber erzählt, er hab 'nur ein klein's Späßle gemacht und ſei deswegen gleich weg¬396 geſchmiſſen worden. Nun möcht' ich doch wiſſen, ob ein abgedankter Pfarrer auch noch copuliren kann.

Willſt du dich denn in Ebersbach häuslich niederlaſſen und dem Amt deinen Trauſchein vorzeigen? fragte Bettelmelcher ſpöttiſch.

Nein, das juſt nicht.

Nun, ſo gib dich zufrieden und ſei froh, daß du's ſchwarz auf weiß haſt. Das Papier kann dir unter Umſtänden viel nutzen, es kann dir ſtatt eines Paſſes dienen, und wenn du dich mit deiner Frau einmal in einem fremden Land irgendwo ſetzen willſt, ſo kannſt du dich damit legitimiren. Meinſt du denn, man frage überall ſo genau darnach?

Ja, wenn's nur ein bisle etwas iſt, bemerkte Chriſtine, die es als eine große Genugthuung empfand, endlich einmal urkundlich, wie auch die Urkunde beſchaffen ſein mochte, verheirathet zu ſein.

Friedrich beruhigte ſich. Sie zahlten ihre Zeche und gingen bald darauf zu Bette.

Morgens fanden ſie ſich beim Frühſtück wieder zuſammen, wie Gäſte, die ſich zufällig in der gemeinſamen Herberge kennen gelernt haben. Der hinzugekommene Genoſſe machte dem Ehepaar keine Schande: er ſah jetzt beim Tageslicht in ſeinem braun und blau melirten Rocke ſehr ehrbar und wohlhabend aus, und benahm ſich äußerſt geſetzt. Man ſpeiſte eine Milchſuppe, zu welcher der Wirth ſilberne Löffel auflegte. Chriſtine ſchien ſich bei dieſer vornehmen Be¬ wirthung behaglich zu fühlen; ſie trat ihrem Manne auf den Fuß und flüſterte ihm zu: Das iſt ein koſtbarer Wirth!

Beim Fortgehen ſchlug Bettelmelcher den entgegengeſetzten Weg ein, geſellte ſich aber bald auf der Straße wieder zu ihnen. Nun muß man doch auch auf ein Hochzeitsgeſchenk für die junge Frau mit dem achtjährigen Copulationsſchein denken, ſagte er lächelnd. Was wär 'denn etwa nach ihrem Guſto?

Chriſtine lachte, nicht ungeſchmeichelt, und erwiderte, man dürfe ſich ihretwegen nicht in Unkoſten ſtürzen. Als er aber freundlich in ſie drang, zu ſagen, ob ſie in ihrem neuen Stande nicht irgend etwas wünſche, verſetzte ſie, weniger gegen ihn als ihren Mann gewendet: E Bißle erquickt en Aederle; ich brauch 'nicht viel; wenn ich nur ein klein's Pfännle hätt', daß ich mir hier und da etwas Warm's machen könnt '!

397

Das iſt ein beſcheidener Wunſch! erwiderte Bettelmelcher lachend, und doch muß man, wenn man ſich auch nur beſcheidentlich fortbringen will, die Augen offen haben und in viele Sättel gerecht ſein. Wer träumt und dröſelt, kommt nicht weit. Mit ſilbernen Löffeln ſpeiſen, iſt wohl angenehm, nicht wahr? aber das kann Jeder, deſſen Eltern ſo geſcheid geweſen ſind, ihm ein gute Erbſchaft zu hinterlaſſen. Wer keine ſo geſcheiden Eltern gehabt hat, der muß ſelbſt den Verſtand brauchen. Ich möchte wohl wiſſen, ob die junge Frau in dem Wirths¬ haus da die Hälfte von dem bemerkt hat, was zu ſehen und zu be¬ obachten geweſen iſt. So ein Wirth meint Wunder, wie klug er ſeine Sachen einrichte, und vergißt Alles drüber, wenn er drei Pfaffen im Cabinet ſitzen hat.

O, ich hab 'auch meine Augen, ſagte Chriſtine, die ſich durch den Zweifel an ihrer Beobachtungsgabe verletzt fühlte; ich habe wohl ge¬ ſehen, wie der Wirth ſeine Löffel in ein Schublädle gethan hat, nach¬ dem ſie ausbraucht geweſen ſind, und wie er das Geld von uns und von den drei Herren in ein Glas in dem nämlichen Schublädle ge¬ than hat, hab' auch geſehen, daß ein Goldſtück in dem Glas ge¬ weſen iſt.

Bettelmelcher ſah ſie erſtaunt mit einem gewiſſen Ausdruck von Achtung an: Wahrhaftig, die Frau iſt nicht ſo träumeriſch, wie ſie ausſieht, ſagte er, ſie kann noch brauchbar werden. Er ſchlug bald nachher einen andern Weg ein, um, wie er ſagte, ſeinen Geſchäften nachzugehen.

Das Paar ſetzte ſeine Wanderung bis in den Nachmittag fort, da ſtand ein alter Bettler mit weißem Bart und lang herabhängenden weißen Haaren am Wege und bat um ein Almoſen. Wir haben ja ſelber nichts! fuhr ihn Chriſtine verdrießlich an, während ihr Mann nach einer Kupfermünze ſuchte. Wenn das der Fall iſt, ſagte der Bettler, ſo ſoll mir's auf eine kleine Beiſteuer nicht ankommen. Mit dieſen Worten zog er unter dem Wams eine kleine Pfanne hervor und über¬ reichte ſie ihr. Sie iſt zwar nicht mehr ganz neu, ſagte er, aber ein Schelm gibt's beſſer als er's hat.

Du Spitzbub '! rief Friedrich lachend, diesmal haſt du mich ſelbſt getäuſcht; ich hätte dich an keinem Zug erkannt, nicht einmal an deinen nichtsnutzigen Augen.

398

Bettelmelcher ſtieß ein luſtiges Gelächter aus und ſprach dann eine Weile jeniſch mit ihm, wobei Chriſtine verwundert auf die fremden ſeltſamen Ausdrücke hörte. Hierauf entfernte ſich Bettelmelcher, und die Beiden gingen weiter, bis ſie ein einſames Wirthshaus am Saume eines Waldes erreichten, wo Friedrich etwas Eſſen und Trinken kom¬ men ließ. Chriſtine hatte ſich ſchon mehrmals über Ermüdung beklagt. Nachdem er einige jeniſche Worte mit dem Wirth gewechſelt, er¬ öffnete er ihr, ſie könne hier der Ruhe pflegen, er werde die Nacht über auf dem Anſtande ſein und ſie den andern Morgen wieder abholen.

Ach Frieder! ſagte ſie erſchreckend, du gehſt auf kein 'Hirſch aus. Ich ſeh's wohl, du biſt nicht in den beſten Händen, du haſt dich mit dem Spitzbuben, dem Bettelmelcher, in etwas eingelaſſen.

Wenn ich dir ſage, ich geh 'auf den Anſtand, ſo haſt du nichts weiter zu fragen, entgegnete er ſtreng. Ich werd' am beſten wiſſen, was ich zu thun hab '.

Mein Herz ſagt mir, du haſt nichts Gut's vor! Und wenn es auch ſo wär ' haſt du eine Glückshenne, die mir goldne Eier legt? Oder kannſt du mir ein Haus oder Geſchäft in Ebersbach kaufen? Glaubſt du, der Wirth da, obwohl du ſicher bei ihm aufgehoben biſt, werde dich umſonſt beherbergen? Halt' mich nicht unnöthig auf, ich kann die Zeit nicht mit Streiten verlieren. Bleib 'ruhig hier, bis ich wiederkomme.

Er trank ſein Glas aus und ging raſch fort. Frieder! Frieder! rief ſie, ihm auf die Straße nachlaufend. Er blieb unwillig ſtehen.

Frieder, ſagte ſie ihm in's Ohr, wenn du etwas thun willſt, was dir Gott verzeihen mög ', ſo thu' doch wenigſtens ſchwarze Strümpf 'an, deine weiße Strümpf' machen dich ſichtbar in der Nacht!

Er lachte, hieß ſie ohne Sorge ſein und entfernte ſich auf dem Wege, den ſie hergekommen waren.

Den andern Vormittag erſchien er verſprochener Maßen wieder in dem Wirthshauſe, zahlte die Zeche und führte Chriſtinen weiter. Meine Freunde haben mir ein Hochzeitsgeſchenk für dich verehrt, ſagte er unterwegs und überreichte ihr ein paar ſilberne Löffel nebſt einem ſilbernen Beſteck.

399

Sie beſah die Löffel aufmerkſam. Die kenn 'ich! rief ſie, das ſind die Löffel, mit denen wir geſtern früh die Milchſupp' geſſen haben. Du, für das Geſchenk dank 'ich, das iſt nicht auf richtige Art in deine Händ' kommen. O Frieder, du biſt bei dem Wirth zu Heſel¬ thal einbrochen!

Ich hab 'ihm das Haus mit keinem Fuß betreten, erwiderte er.

Dann haben's deine Kameraden gethan, ſagte ſie, und die werden ihm die Löffel nicht abkauft haben.

Heb 'mir die Sachen auf, entgegnete er mit einem Tone, der jede fernere Erörterung abſchnitt. Wenn du ſie nicht willſt, ſo gehören ſie mir. Du meinſt gleich, der Teufel hole dich darüber; wenn du in Ebersbach wäreſt, ſo ſprängeſt du ſchon dem Amtmann zu.

Sie nahm die Löffel und das Beſteck in Verwahrung und ſagte nichts mehr. Nachdem ſie ſtillſchweigend bis gegen Mittag gewandert waren, ſah Chriſtine einen Berg vor ihnen, auf deſſen Gipfel eine Kirche ſtand, und nun fand ſie ſich wieder in bekannter Gegend. Es war der Rechberg. Friedrich wandte ſich demſelben zu und ſchlug den Weg nach der Höhe ein. Sie folgte ihrem Manne, ohne zu fragen. Als ſie den Gipfel erſtiegen hatten, begaben ſie ſich in das der Kirche gegenüber gelegene Pfarrhaus, mit welchem von jeher zum Beſten der frommen Wanderer eine Wirthſchaft verbunden war. Beim Eintritt rief Chriſtine überraſcht: Ei, da ſind ja Er ſtieß ſie in die Seite und bedeutete ſie zu ſchweigen. Um den runden Tiſch am Fenſter ſaßen drei Mitglieder der Geſellſchaft vom Walde, Bettelmelcher, Schwamenjackel und die jüngere Zigeunerin, welche in aller Ruhe mit einander zehrten. Der Wanderer begrüßte ſie, wie man Fremde grüßt, mit welchen man ſich an einem einſamen Orte zuſammengeführt ſieht, und entſchuldigte ſein Weib, die ſich von irgend einer Aehnlichkeit habe hinreißen laſſen, einen Augenblick Bekannte in ihnen zu ſehen. Sie nahmen die Entſchuldigung mit gleichmüthiger Höflichkeit auf, erwiderten, dergleichen Irrthümer kommen häufig vor, und boten den Ankommen¬ den Platz an ihrem Tiſche an. Dann fragte man ſich gegenſeitig woher und wohin, und tiſchte einander beliebige Auskunft darüber auf. Chriſtine hörte ſehr verdutzt auf dieſe Reden und konnte nicht begreifen, wie ihr Mann ſich ſo ſchnell in das angenommene Betragen finden konnte. Nach und nach wurde man immer bekannter, indem der Wein400 die fremden Herzen gegen einander aufzuſchließen ſchien; und als die Geſellſchaft zuſammen aufbrach, um den zufällig gemeinſamen Weg mit einander fortzuſetzen, hätte die Hauſerin des Pfarrers, welche die Wirthſchaft führte, darauf ſchwören können, daß hier Leute, die ſich in ihrem Leben zum erſtenmal geſehen, auf dem freundlichen Berge recht heiter und vertraulich mit einander geworden ſeien.

Sie nahmen ihren Weg über den ſchmalen Grat, der, einem Meſſerrücken ähnlich, vom Hohenrechberg nach dem Hohenſtaufen führt. Friedrich und Chriſtine waren die Vorderſten in der wandernden Ge¬ ſellſchaft. Er zankte ſie tüchtig aus, daß ſie in dem Pfarrhauſe ſo unvorſichtig herausgefahren ſei, und gebot ihr, in Zukunft ihre Zunge beſſer zu hüten.

Wie hab 'ich denn wiſſen können, daß ich die Leut' gar nicht kennen darf! maulte ſie. Da weiß man ja gar nicht mehr, wie man ſich betragen ſoll.

So ſei künftig ganz ſtill und wart 'bis man dich reden heißt! ſagte er zornig.

Sie verſchluckte die Antwort, die ſie im Unmuthe geben wollte, und ſchritt immer ſtärker zu, während er ſich mit verdroſſenem Gleich¬ muth im bisherigen Gange hielt. Auf dieſe Weiſe gerieth ſie, ohne ſich umzuſehen, ziemlich weit voraus. Als ſie eine Strecke von ihm entfernt war, ſah er ſich von Bettelmelcher und Schwamenjackel ein¬ geholt.

Was? rief Bettelmelcher, ich will nicht hoffen, daß es gleich nach der Hochzeit zu Ehediſſidien kommt.

Das iſt ſehr oft der Fall, erwiderte er lachend: wenn der Pfaff einmal die Garantie übernommen hat, ſo meinen die Leute gewöhnlich, ſie brauchen für ſich ſelbſt nichts mehr dazu zu thun. Uebrigens iſt's bei uns nicht ſo gefährlich: ich hab 'meiner Frau bloß ein wenig Be¬ hutſamkeit im Weltleben eingeſchärft, und jetzt ſcheint ſie ihren Ka¬ techismus ungeſtört lernen zu wollen.

Das wird ſehr gut ſein, verſetzte Bettelmelcher. Soll ich ihr nicht ein wenig dabei helfen?

Kann nichts ſchaden.

Dir fehlt's indeſſen nicht an Geſellſchaft, ſetzte jener hinzu, auf die herankommende Zigeunerin deutend, welche ganz allein die Nachhut401 bildete. Mit dieſen Worten ging er raſch ſeines Weges, und Schwamen¬ jackel folgte ihm, ſo daß Friedrich nur die Wahl hatte, auf ſeine ſchöne Freundin vom Walde, die den Fingerzeig geſehen hatte, zu warten, oder mit ſichtbarer Gefliſſenheit ihre Geſellſchaft zu meiden. Er fand keinen Grund, ihr dieſe Beleidigung zuzufügen, wohl aber hundert Gründe, das Gegentheil zu thun.

Komm, Katharina, ſagte er, am Wege ſtehen bleibend. Ich heiße nicht Katharina, erwiderte ſie. Chriſtina iſt mein Name. Du heißt alſo wie meine Frau? rief er erſtaunt. Warum haben dir denn die Deinigen einen falſchen Namen gegeben?

Um meiner Sicherheit willen, antwortete ſie. Ich bin aller Länder, außer Frankreich, Sachſen und Ungarn, verbannt, hab 'überall Urphede ſchwören müſſen, und wenn ich mich betreten ließe, ſo ging' mir's um den Hals.

Noch ſo jung und ſchon ſo viel erlebt! ſagte er. Von Kindesbeinen an bin ich in der Welt herumgehetzt und hab 'früh lernen müſſen auf eigenen Füßen ſtehen, denn meine Mutter kann mir rathen, aber nicht helfen, ſie iſt eben eine uralte Frau. Wo iſt ſie jetzt?

Sie betet ein Pater und Ave Maria um's andere, damit unſer nächſtes Vorhaben gelingen möge.

Das kommt mir ſonderbar vor, bemerkte er. So gut ſtehen wir Lutheraner nicht mit dem Himmel, daß wir ſo frei wären ihm zuzu¬ muthen, er ſolle uns bei ſolchen Dingen behilflich ſein.

Warum denn nicht? verſetzte ſie ruhig. Deine honnetten Spie߬ bürger, die Ketzer wie die katholiſchen Chriſten, beten auch täglich zu Gott, daß er ſie in ihrer Hanthierung ſegnen möge, und was iſt ihre Hanthierung? Einander beſtehlen, betrügen, unterdrücken, den guten Namen morden. Geh 'in den Landen umher und zähle die Leute, die im wahren Sinn des Worts ehrlich ſind und alſo allein zu beten berechtigt wären. Du wirſt keine große Tafel zum Aufſchreiben brauchen. Du haſt Recht, erwiderte er.

Sie gingen einige Zeit ſtumm neben einander, während welcher er es nicht unterlaſſen konnte, wiederholt ihre Augen zu ſuchen.

Du ſcheinſt mir nicht recht aufgeräumt zu ſein, begann ſie nach einer Weile. Es gefällt dir nicht bei uns.

D. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 26402

Was das betrifft, erwiderte er mit einem mehr als freundſchaft¬ lichen Blicke, ſo glaubſt du wohl ſelbſt nicht, was du ſagſt. Aber wahr iſt's, es hat mich verdroſſen, daß ich nur als Schmarotzer mit¬ laufen und außen Wache ſtehen ſoll, während die Andern die Gefahr auf ſich nehmen. Das halbe Sündigen iſt mir in Tod zuwider: ent¬ weder ganz oder gar nicht! Auch liegt ein Mißtrauen drin: ich merk's wohl, man will mich nur probiren.

Sie lächelte freundlich und zutraulich, mit einem Ausdruck von Achtung, den er tief empfand. Du irrſt dich, verſetzte ſie. Es hätte ſich nicht geſchickt, dich ſtärker in Anſpruch zu nehmen, wo es ſich darum handelte, ein Geſchenk für dich aufzutreiben. Auch haſt du dich ja nur zu einem einzigen Unternehmen anheiſchig gemacht, brauchſt alſo das von heute Nacht nicht zu rechnen. Wenn du ſo ehrenhaft denkſt, ſelbſt Hand anlegen wollen, ſtatt Andere für dich arbeiten zu laſſen, ſo ſoll's dir nicht lang an Gelegenheit fehlen.

Nur zu! rief er, mit finſterer Entſchloſſenheit die Stirne faltend.

Du ſcheinſt mir aber doch nur mit halber Seele dabei zu ſein, ſetzte ſie hinzu, denn du ſprichſt von Sündigen und nimmſt die Sache ſchrecklich ernſthaft. Ich merke wohl, an was du klebſt. Thor! die Menſchen ſind Alle von Einem Schlag, nur mit dem Unterſchied, daß die Einen den Galgen andictiren und die Andern ihm davon¬ laufen. Wenn aber Stehlen todeswürdig iſt, ſo gehört den Einen ſo gut wie den Andern der Strang. Daß die Spitzbuben mit Haus und Hof über die heimathloſen Spitzbuben herfallen und ihnen von jeher nichts haben gönnen wollen, das iſt eben eine ungerechte Verfolgung.

Der überlegene Ton, der ihn von einem Manne abgeſtoßen haben würde, machte aus dieſem Munde einen mächtigen Eindruck auf ihn. Er fühlte ſich gedemüthigt und angezogen zugleich.

Wenn du aber der Sünde, wie du's heißt, ganz abſagen willſt, fuhr ſie lachend fort, ſo kann ich dir in meiner eigenen Familie ein Muſterbild von Tugend und Ehrbarkeit aufſtellen. Lache nicht, es iſt buchſtäblich wahr. Ich habe noch eine zweite Schweſter, die ſich am Tode ſo vieler Verwandten ein Exempel genommen hat und ſich mit ihrem Manne, einem Scheerenſchleifer, ehrlich und redlich fortbringt. Sie iſt nicht beſonders ſchön, dabei etwas ſchmierig und ſchlampig, wie es auch bei ihrer armſeligen Lebensart nicht anders ſein kann. 403Wir haben zwar keinen großen Geſchmack an einander, aber wenn du eine Empfehlung willſt, um das Scheerenſchleifen zu lernen, ſo ſteh 'ich zu Dienſten.

Es hat wohl eine Zeit gegeben, ſagte er, wo mir dieſes verachtete Handwerk gut genug geweſen wäre; aber jetzt bin ich freilich dazu verdorben. Du haſt keinen Begriff, von was ich mich losreißen muß. Du ſagſt ſelbſt du ſeieſt von Kindesbeinen an hinausgeſtoßen geweſen und habeſt dich gegen die Welt wehren müſſen. Aber denk 'dir ein¬ mal, du ſeieſt der Sohn des vermöglichen Sonnenwirths in Ebersbach, der nicht zu rauben braucht, weil er Geld genug hat, und ſeieſt von einer liebevollen, ſorgſamen Mutter, die alle Tage zu dir ſagt: Mein Kind, fliehe die Sünde! zur Frömmigkeit und Rechtſchaffenheit er¬ zogen dann wird's dir nicht ſo leicht werden, den Rock völlig zu wenden, und wenn du auch ſchon lang eingeſehen hätteſt, daß Fröm¬ migkeit und Rechtſchaffenheit in dieſer Welt nur Lug und Trug ſind. Ihr unterſcheidet ja ſelbſt zwiſchen den Deutſchen und den Andern.

Ich bin auch zur Hälfte deutſch, erwiderte ſie. Mein Vater Schettinger, den die deutſchen Mordhunde vor zwanzig Jahren in Weingarten umgebracht haben, iſt ſo gut ein Deutſcher geweſen wie ſie und wie du.

Nun, vielleicht iſt's ihm auch eine Zeit lang nachgegangen, ver¬ ſetzte er.

Du kennſt deine eigenen Landsleute nicht, ſagte ſie. Komm ich will dir ſie zeigen. Wir haben noch Zeit genug, zu den Andern zu ſtoßen.

Sie winkte ihm und flog zur Linken den Berg hinunter. Er eilte ihr nach. Als ſie im raſchen Laufe unten angekommen waren, ſagte ſie, weiter eilend: Du mußt dir's aber gefallen laſſen, daß ich dich für meinen Mann ausgebe, ſonſt findeſt du da, wo ich dich hinführe, keinen Credit.

Das will ich gern annehmen! rief er luſtig, ihr nacheilend. Du und keine Andre müßteſt mein Weib ſein, wenn ich nicht ſchon eins hätte. Aber flieg 'nicht ſo, damit ich mein Recht auch ausüben kann.

Laß das! ſagte ſie, da er den Arm um ſie zu ſchlingen ſuchte: dazu iſt jetzt keine Zeit. Den Arm kannſt du mir geben, ſo, damit wir26 *404wie ein Ehepaar ausſehen. Verheirathete Leute ſind bekanntlich nicht ſo zärtlich mit einander, du ſcheinſt mir das bereits aus eigner Er¬ fahrung zu wiſſen.

Nachdem ſie eine Strecke im Walde zugeſchritten, erreichten ſie ei¬ nen der vielen dort hin und her zerſtreuten Höfe. Derſelbe war ihm nicht unbekannt, denn er hatte ihm bei ſeinem Wilderersberufe mehr als einmal günſtige Aufnahme gewährt. Wie erſtaunte er aber über die Freudenbezeugungen, mit welchen ſeine Begleiterin von der ganzen Familie aufgenommen wurde! Wie horchte er hoch auf, als er hier, weit unverblümter, denn in ihrem eigenen Kreiſe, von dem Gewerbe ſeiner neuen Freunde reden hörte! Die Leute drückten ihre Freude aus, ſeine Begleiterin wieder verheirathet zu ſehen, und beſtürmten ſie mit Fragen, ob ihr neuer Mann auch ſo viel Geſchick zeige, als der vorige. Sie prangte mit ihm und ſeinen Thaten und bezeigte ſich ſo glücklich in ſeinem Beſitz, daß ihm das Herz flammte, während zugleich die letzten Reſte bürgerlicher Ehrbarkeit ſich in ihm empörten, ohne in dem verwandten bürgerlichen Kreiſe, der ihn umgab, eine gleichartige Stimme zu finden. Im Gegentheil ſah er bald ein, daß er, was er früher nie geahnt, hier erſt in die rechte Jaunergegend ge¬ kommen ſei, denn die Frau des Hauſes zählte ihm geläufig eine Menge berüchtigter Namen her, die zu verſchiedenen Zeiten das Jahr über in dieſer von vielen Herrſchaften und Condominaten zerſchnittenen Land¬ ſchaft ihre Heimath fanden. So lange er ein bloßer Wilddieb ge¬ weſen, hatte er hier kein Vertrauen gefunden; jetzt erſt ſprach ſich der Haß gegen die Obrigkeit und gegen die von Glück und Gunſt ge¬ tragene Minderzahl der Mitbürger offen vor ihm aus, und ſeiner un¬ belehrten Seele drängte ſich mehr oder minder klar die Wahrnehmung auf, daß das Volk ſo weit gekommen ſei, den Druck der Herrſchaften und der höheren Bürgerklaſſen durch Raub, Diebſtahl und Diebs¬ hehlerei zu bekämpfen! Das angebliche Ehepaar verließ den Hof, un¬ geſtüm von den Leuten aufgefordert, ihnen auch wieder einmal für billiges Eſſen und billige Kleidung zu ſorgen.

Nun? fragte ſie auf dem Rückwege.

Es iſt mir als ob neben der Welt, die ich bisher gekannt habe, noch eine andere Welt her ginge, und als ob dieſe Welt die wahre wäre, antwortete er.

405

Du kannſt in dem Thal da, erwiderte ſie, von Hof zu Hof, von Ort zu Ort hinunter gehen, du triffſt vertraute Leute genug, lauter Deutſche, und keine Vagabunden, lauter ſeßhafte Leute.

Er ſprach lange kein Wort. Was er gehört und geſehen, hatte ſich ihm offenbar tief eingeprägt, und ſie hütete ſich wohl, die ſtille Arbeit dieſes Eindrucks zu ſtören.

Du haſt alſo ſchon einen Mann gehabt? fragte er nach einem langen Stillſchweigen.

Ich hab 'ihm den Laufpaß gegeben, antwortete ſie, weil's ihm an Kopf und Herz gefehlt hat; nachher hat er ſich in ungeſchickte Diebe¬ reien eingelaſſen, die ihn an den Galgen gebracht haben. Wenn mir je wieder einer gefiele, ſo würd' ich ihn vor einem ſolchen Schickſal zu bewahren wiſſen.

Er ſchwieg. Die Entdeckung, daß ſie Wittwe ſei, war ihm nicht ſehr nach ſeinem Sinn, und doch mußte er ſich geſtehen, daß dieſes Weib durch Schönheit und Geiſteskraft einen mächtigen Zauber auf ihn auszuüben beginne.

So, jetzt biſt du aus dem Ehejoch entlaſſen! ſagte ſie, als ſie den Fuß des Berges wieder erreicht hatten, und flog lachend hinan, da ſie ſah, daß er ſich Mühe gab ſie einzuholen.

Mir iſt's nicht ſo eilig mit der Scheidung! rief er hinter ihr drein und gab ſich alle Mühe an ihre Seite zu kommen, aber ſie war im¬ mer einige Schritte voraus.

Und mir preſſirt's nicht mit dem Heirathen! rief ſie, als ſie die Höhe erreicht hatte, luſtig gegen ihn hinab, und ihre Stimme ſpielte dabei ſo leicht und ruhig, als ob die Anſtrengung ihren Athem gar nicht bewegt hätte; aber ein ſprühender Blick aus ihren ſchwarzbraunen Augen ſtrafte ihre Worte Lügen.

Mit einem heftigen Anſatz hatte er die letzte Höhe vollends er¬ ſtiegen und wurde dort von einem derben Gelächter männlicher Stim¬ men empfangen. Bettelmelcher und Schwamenjackel lagen auf dem Boden und erwachten ſo eben aus einem Schlafe, den ſie ſich zur Erholung von der überſtandenen Nachtwache gegönnt hatten.

Es ſcheint, Freund Schwan hat eine neue Hochzeitreiſe gemacht! rief Bettelmelcher.

406

Und gleichfalls mit einer Chriſtine, antwortete er lachend, aber mit einer ſchwarzen.

So, ſie hat dir ihren Namen geſtanden? rief Schwamenjackel. Da muß es mit der Vertraulichkeit ſchon ziemlich weit gekommen ſein. In der That, ſagte die Zigeunerin Chriſtine, wir ſind Mann und Weib mit einander geweſen, aber nur vor den Leuten. Wo iſt denn mein Weib? fragte Schwan. Auf und davon! antwortete Bettelmelcher. Der Eiferſuchtsteufel hat ſie ergriffen. Obgleich ich mein Aeußerſtes aufgeboten habe ſie zu unterhalten, hat ſie ſich doch nicht feſſeln laſſen. Sie hat mir nicht einmal bekannt, wo ſie zu finden ſei. Ich geh 'dahin, wo ich her¬ kommen bin, hat ſie geſagt, und weg war ſie. Vermuthlich denkt ſie, du werdeſt wiſſen, wo du ſie ſuchen müſſeſt. Dummes Zeug! ſagte er ärgerlich.

Neuigkeiten! rief eine bekannte Stimme von Weitem und der ſcheele Chriſtianus kam, den Andern wohl nicht unerwartet, von der entgegengeſetzten Seite herbeigeeilt. Es hat eine Soldatenmeuterei ge¬ geben im Lager bei Geislingen, der Herzog von Wirtemberg iſt heut früh ſelbſt hinaufgefahren und hat Achtzehn erſchießen laſſen.

Eine Meuterei! rief der Bürgersſohn von Ebersbach: das iſt ja was Unerhörtes im wirtembergiſchen Militär.

Du haſt eben in den letzten Wochen nicht viel erfahren, was im Land vorgeht, ſagte der Zigeuner. Es iſt ja ſchon neulich ein Auf¬ ruhr in der Kaſerne zu Stuttgart ausgebrochen und mit Mühe ge¬ dämpft worden. Was Teufels!

Dein Herzog, ſagte die Zigeunerin, hat ſeine Soldaten an die Krone Frankreich verkauft gegen den König von Preußen, und nun wollen ſie nicht ziehen.

Ja, ſetzte ihr Bruder hinzu, man iſt den Leuten Nachts in die Häuſer eingebrochen und hat ſie aus dem Bett geriſſen, um die Regi¬ menter voll zu machen, aber in Stuttgart ſind ſie alle wieder aus einander gelaufen. Darauf hat ein General, ich weiß nicht wie er heißt, einen Generalpardon ausgeſchrieben, und auf dieſen haben ſich eine Menge Ausreißer geſtellt; aber der Herzog iſt auf die Nachricht aus dem Feld zurückgeeilt, hat den Pardon nicht gehalten und Viele407 von ihnen henken laſſen. Jetzt iſt der Teufel bei Geislingen wieder losgegangen und da hat er heut vor den Thoren anderthalb Dutzend erſchießen laſſen. Es iſt Ein Schrei der Wuth im Lande.

So hält man Wort! So geht man mit den Leuten um! rief Schwamenjackel.

Das geſchieht in deinem geprieſenen Wirtemberg, ſagte ſeine Führerin.

Und uns heißt man Spitzbuben! ſetzte Bettelmelcher hinzu.

Ich beſorge nur, die Gegend könnte für uns unſicher werden, be¬ merkte Chriſtianus. Gewiß haben ſich viele Deſerteurs in die Wal¬ dungen da herum geworfen, und nach dieſen wird jetzt vom Militär geſtreift werden.

Ich glaube nicht, daß uns das in Verlegenheit bringen wird, ver¬ ſetzte Chriſtine. Der Herzog muß eilen, ſein Volk außer Lands zu bringen, denn wenn er mit ihnen liegen bleibt, ſo laufen ſie ihm wie Queckſilber davon. Auf alle Fälle iſt es aber gut, wenn wir auch nicht lange mehr da bleiben; es ſind ohnehin bloß noch ein paar Tage bis zum Schorndorfer Markt!

Alſo nur nichts aufgeſchoben! ſagte der Zigeuner.

Ja, ich möchte gleich über das nächſte Neſt da herfallen und ihnen die Hundeſeelen austreiben! rief Schwamenjackel, ſeinen kurzen dicken Stock gegen das an dem Bergkegel vor ihnen liegende Dorf ſchwingend.

Das laß du bleiben! lachte Bettelmelcher. Das iſt das Dorf Hohenſtaufen, wo ſie ſeit alter Zeit große Freiheiten haben und wie Männer zuſammenſtehen. Wenn du Einen angreifſt, ſo haſt du gleich den ganzen Schwarm auf dem Hals. Das iſt in den edelmänniſchen Ortſchaften anders: dort wohnt meiſt Bettelvolk, das ſich die Haut voll lacht, wenn einem vermöglichen Nachbar ein Malheur paſſirt.

In den alten Schlöſſern mag man doch ſicherer gewohnt haben, be¬ merkte der Zigeuner, nachdenklich auf die Steintrümmer blickend, die den naheliegenden Gipfel des Berges bedeckten und die Abendſonne durch ihre Riſſe und Lücken ſcheinen ließen. Das mag wohl auch ſchon lang her ſein. Wer hat wohl vor Zeiten hier gehauſet?

Dieſe Frage war jedoch ſelbſt dem gelehrten Bettelmelcher zu hoch. Ich weiß es nicht, ſagte er, vermuthlich Räuber, die, wie es in den408 alten Zeiten Mode war, von ihrem Berg in's Thal hinunterſpähten und die vorbeiziehenden Kaufleute überfielen.

Blitz! das war kein übles Geſchäft! rief Schwamenjackel: da kann man auf Einen Zug einen guten Fang thun. Möcht 'wohl auch ein¬ mal dabei ſein.

Gelt, wenn die reichen Augsburger und Ulmer auf die Frank¬ furter Meſſe ziehen? fragte Bettelmelcher.

Oho! lachte der Ebersbacher Bürgersſohn. Da laß dir nur die Luſt vergehen. Ich hab's oft mit angeſehen, wie die mit ihrem Ge¬ leite das Filsthal herunterziehen. Von Ulm werden ſie an Wirtem¬ berg überliefert und von einer ſtattlichen wohlbewaffneten Mannſchaft in die Mitte genommen. Da könnteſt du dir die Zähne ausbeißen.

Ja, ja, ſo iſt es immer! bemerkte der Zigeuner. Den großen Dieben iſt nicht beizukommen.

Es gibt auch mittlere, verſetzte Bettelmelcher. Komm, ſagte er, den neuen Freund bei der Hand nehmend, und führte ihn auf die andre Seite des Berges. Die Uebrigen folgten und ſammelten ſich um ſie. Du ſiehſt das Dorf da drunten, links über Wäſchenbeuren hinaus?

Wohl, das iſt Börtlingen.

Dort, fuhr Bettelmelcher fort, wohnt ein Schultheiß, den du in dein Gebet einſchließeſt, ſo oft du über die Falſchheit der Welt fluchſt. Er iſt ein Heuchler, ein Kopfhänger, ein Wucherer, und das iſt die beſte Seite an ihm, denn er hat brav Geld. Von ſeiner Liebloſigkeit gegen ſeine Nebenmenſchen kann ich ſelbſt Zeugniß ablegen, denn ich hab 'einmal bei ihm gebettelt, was die beſte Gelegenheit zum Aus¬ kundſchaften iſt, und bin von ihm mit dem Beſcheid weggewieſen wor¬ den, ich ſei ein fauler Tagdieb, ſolle ſehen, daß ich was zu arbeiten bekomme. Biſt du dabei, wenn wir ihm heut Nacht einen Beſuch machen?

Ich halte mein Wort, erklärte Friedrich mit entſchiedenem Ton, die Stirn zuſammenziehend.

Das Haus ſteht in den Gärten, es ſind nur drei Perſonen drin, er, ſeine Frau und ſeine Magd. Wenn man alert drauf losgeht, ſo iſt wohl beizukommen. An Händen fehlt es nicht, für den Fall, daß im Dorf Lärm entſtehen ſollte. Wir ſind unſrer ſieben Genoſſen, und409 einige Vornehme drunter, die du noch nicht kennſt. Ich darf dir nur Einen verrathen, das iſt der Amtmann von Adelberg

Was? rief der Angeworbene luſtig lachend. Den Börtlingern bricht ihr eigener Amtmann ein? Das geht ja noch über den Pfarrer von Dinkeltheim. Geh ', es wird auch wieder ein abgedankter ſein.

Es iſt der abgekommene Amtmann Hallwachs von Adelberg, den man wegen eines Reſts oder ſo was abgeſetzt hat. Du wirſt ihn mit eigenen Augen ſehen.

Gleichviel, ich hab's einmal verſprochen und bin dabei, wenn auch der Amtmann von Ebersbach ſelber dazu käme.

Um zehn Uhr heut Nacht wollen wir im Walde beim Wäſchen¬ ſchlößchen zuſammenkommen und von dort den Zug antreten, ſagte Bettelmelcher zu den Andern. Iſt's euch recht?

Alle drei riefen: Ja! Der ſcheele Chriſtianus zog den Hut über das blinde Auge herab und machte ſich zum Aufbruch fertig. Ich will vorher noch ein wenig ſchlafen, ſagte er. Bettelmelcher und Schwamen¬ jackel ſprachen die gleiche Abſicht aus und redeten ihrem dritten Ge¬ noſſen zu, der Ruhe mit ihnen zu pflegen. Dieſer aber erwiderte, er habe noch einen Gang zu thun.

Denk 'doch dran, daß du die ganze Nacht aufgeweſen biſt, ſagte die ſchwarze Chriſtine zu ihm. Gönn' dir doch ein wenig Schlaf.

Bettelmelcher witzelte über dieſen Zuſpruch.

O, ich weiß wohl, wo er hingeht! rief ſie.

Die Liebe brennt heiß, ſagte Bettelmelcher, aber das Feuer der Eiferſucht iſt noch weit größer.

Ich, eiferſüchtig? rief ſie und war mit einem Sprung verſchwun¬ den. Man hörte ſie den Berg hinunter lachen.

Um zehn Uhr ſtoß 'ich zu euch, ſagte er zu den drei Männern, welche hierauf gleichfalls den Berg hinabſtiegen.

Er wählte einen Fußweg, der, ohne das unter dem Gipfel lie¬ gende Dorf zu berühren, am Hohenſtaufen hinführte und nach dem Walde hinablief. Unterwegs mußte er von Zeit zu Zeit unwillkürlich ſtehen bleiben und nach dem Orte hinblicken, der dieſe Nacht der Schauplatz einer That ſein ſollte, welche ſich, das fühlte er wohl, von allen ſeinen bisherigen Uebertretungen ſtark unterſchied. Das bedrohte Dorf lag, von Obſtbäumen umgeben, wie im Schoße des Friedens410 zwiſchen waldigen Anhöhen, und der Rauch aus den Schornſteinen ſtieg nach dem blauen Abendhimmel empor. Es war ein Bild ver¬ trauensvoller Ruhe, die nicht ahnte, daß ein Ungewitter der grauſam¬ ſten Art, von Menſchen gegen Menſchen entladen, im Anzuge war.

Er eilte am Berge hinab, durchmaß raſch den Wald und befand ſich mit Anbruch der Nacht auf dem Hofe, wo er die blonde Chriſtine, jetzt nicht mehr die einzige Chriſtine, wußte. An dem langen Wege, den er heute ohne der Raſt zu bedürfen, gemacht, konnte er am beſten die innere Unruhe ermeſſen, die ihn trieb.

Man war eben im Begriff zu Bett zu gehen, als er eintrat. Chriſtine war da, wie er vorausgeſetzt hatte. Er zahlte das ſchuldige Koſtgeld, welches mit freundlichen Augen angenommen wurde. Die Gegenwart der Familie ließ keine vertrauliche Unterredung aufkommen. Chriſtine war heiter, aber ihre Laune ſchien ihm erzwungen zu ſein.

Komm mit mir, ſagte er, ich bin da, um dich zu holen.

Sie entſchuldigte ſich mit Müdigkeit.

Dann muß ich allein wieder fort, entgegnete er.

Gehſt zu deiner Zigeunerin? fragte ſie.

Verſteht ſich, antwortete er.

Biſt ein Kerle wie ein Pfund Lumpen! rief ſie in ihrer volks¬ thümlichen Scherzweiſe und bemühte ſich zu lachen.

Die Frau vom Hofe ging gleichfalls in dieſen Ton ein und neckte ſie, daß ſie als neuverheirathete Frau ſchon mit ihrem Manne eifere.

Wenn's ſo ſteht, ſagte er endlich, ſo muß ich mich deiner doch verſichern. Unverſehens hatte er ihr Mütze, Halstuch und Schürze weggenommen, die ſie neben ſich auf die Bank gelegt. Sie ſchrie und griff darnach, aber er war ſchon entſprungen. Gute Nacht! rief er unter der Thüre: wenn du deine Sachen wieder willſt, ſo weißt du, wo du ſie finden kannſt und mich dazu.

411

34.

Schwan, kleb 'an! ſagte Bettelmelcher pfiffig lächelnd zu Chriſtia¬ nus, als Jener mit der ſchwarzen Chriſtine den Waldverſteck verließ, wo die ſogenannte Geſellſchaft lagerte. Die Bande hatte das Lager im Walde unter dem Hohenſtaufen nicht mehr ſicher gefunden und ſich tiefer in die Wälder zurückgezogen. Chriſtianus nickte und lächelte ebenfalls.

Die Beiden gingen zuſammen fort, während Jedes gegen das Andre that, als ob es nur zufällig um dieſe Zeit und nach dieſer Richtung aufgebrochen wäre. Auch ſprachen ſie lange nichts mit ein¬ ander, bis endlich Friedrich, als es ihm ſchien, die Zigeunerin trachte nach einem andern Wege abzubiegen, das Stillſchweigen brach. Gelt, ſagte er, dich hat's erzürnt, daß ich deine Schweſter brav zerpeitſcht habe?

Bewahre, antwortete ſie lachend, daran haſt du ganz Recht gethan. Du mußt's ihr aber nicht nachtragen, daß ſie dich bei der Vertheilung betrogen hat. Weißt, zuerſt hat ſie dich ganz haben wollen, und nun ihr dies mißglückt iſt, hat ſie ſich auf andere Weiſe an dir ſchadlos zu halten geſucht. Uebrigens thuſt du gut die Augen immer offen zu haben, denn es iſt nicht Alles Gold, was glänzt.

Du auch?

Ich glänze ja nicht, ich bin dunkel. Meine Schweſter glänzt, aber ich bin ihr nicht gram drum. Doch muß ich immer denken, daß ſie gut zu dir paſſen würde, denn du haſt ein feines weißes Geſicht, wie ſie.

Sehr verbunden! Aber ſie kommt mir vor wie die liebe Sonne, die offenbaret ihr Feuer bald und ſcheinet über Gerechte und Un¬ gerechte.

Sie lachte. Darin ſind doch die deutſchen Männer alle einander gleich, ſagte ſie, daß ſie von einem Weib verlangen, ſie ſolle immer zu Boden ſchauen, wie wenn ſie nicht auch von Fleiſch und Blut wäre. Freie Augen wollen ſie keinem Weib verſtatten, die wollen ſie für ſich allein behalten. Du Narr, ich kann auch frech ſein, frecher412 vielleicht als meine Schweſter ſie gab ihm eine Probe, indem ſie die Augen wie zwei Feuerſtröme, die aus dunklem Schlunde hervor¬ brechen, ſo bohrend auf ihn warf, daß es ihn fieberheiß durchzuckte aber, fuhr ſie fort, ich bin's nur gegen den Einen, der mir gefällt, und beſinne mich lang, bis ich ſo ein nichtsnutziges Mannsbild in mein Herz kommen laſſe.

Würdeſt du Einem trauen, der ein paar Tage nach der Hochzeit ſein Weib verläßt, dir zu Gefallen?

Warum nicht, wenn ich ſehe, daß ſie nicht zuſammen taugen, und beſonders wenn die Bekanntſchaft vorher ſieben acht Jahr gedauert hat. Länger will ich auch nicht daß mir Einer Wort halten ſoll, denn in ſieben Jahren, ſagt man, werde der Menſch mit Haut und Haaren neu, dann iſt er alſo ein Anderer, als der, der das Wort gegeben hat.

Er lachte laut. Du wärſt im Stande, Einen bis in die Hölle zu führen, ſagte er.

Warum nicht, wenn ich ihn der Müh 'werth halte, erwiderte ſie.

Er blieb lange ſtumm. Wo willſt du denn eigentlich hin? fragte ſie. Es ſieht ja aus als ob du wieder einmal nach Ebersbach wollteſt.

Ich hätte wohl Luſt dazu und zu fragen, was die Ebersbacher von mir ſagen.

Da würdeſt du viel Schönes hören. Mein Weg führt übrigens nicht dorthin, ich muß dich allein ziehen laſſen.

Nein, bleib 'bei mir, wir wollen nur ein wenig umherſchweifen, ich muß Geſellſchaft haben.

Haſt ja dein Gewehr, ſagte ſie, blieb ihm übrigens zur Seite, während er haſtig längs einer Schlucht hinanſtieg.

Sie waren auf einem kleinen, tief im Dickicht fortlaufenden Pfade lange gegangen, als Chriſtine in einer Vertiefung, durch die derſelbe führte, den Schritt anhielt und ſich über die ſchwüle Luft beklagte. Sie bog die Zweige aus einander und ging einem Plätſchern nach, das ſich ſeitwärts hören ließ. Er folgte ihr. Ein Bächlein rieſelte durch den Wald und bildete, etwa mannshoch über Felſen ſpringend, wenige Schritte vom Wege, aber tief verborgen, einen kleinen Waſſer¬ fall, aus deſſen moſigem Becken es leiſe weiterfloß. An dieſer kühlen, dunklen, heimlichen Stelle ließ ſich die Zigeunerin nieder und wühlte413 in dem Mooſe, unter welchem Tropfſteine hervorblinkten. Er ſetzte ſich ihr gegenüber auf einen umgefallenen Baumſtamm.

Du biſt müd ', deine Augen brennen vor Schlafloſigkeit, ſagte ſie. Zwei Nacht haſt du jetzt nicht geſchlafen und den ganzen Tag nicht geruht.

Woher weißt du das?

Ich hab 'auf dich Acht gehabt. Leg' dich hier ſchlafen, hier iſt Schatten und Friſche! ich will bei dir wachen, daß dich Niemand ſtört.

Ich kann nicht ſchlafen, ſagte er.

Sie ſpritzte ihm von dem Schaume des Waſſers in's Geſicht.

Das Waſſer thut mir wohl, ſagte er, und tauchte gleichfalls die Hand ein, um ſich die Augen zu kühlen.

In dir geht etwas vor, ſagte ſie.

Wenn ſich der Menſch umkehren ſoll wie ein Handſchuh, erwiderte er, ſo iſt das nicht auf einmal geſchehen. Er ſtützte den Kopf in die Hand und brütete vor ſich hin.

Wie meinſt du das? fragte ſie.

Er richtete ſich wieder auf. Die Habſucht von ihrem Ueberfluß er¬ leichtern, hob er nach einer Weile an, gegen harte Menſchen ſtreng auftreten, dazu kann ſich der Menſch mit Leichtigkeit entſchließen. Aber die Leute quälen und martern, wie die Henker, das geht mir wider die Natur. Es ſind dieſe Nacht bei dem Schultheißen Dinge geſchehen, die mir am Herzen nagen und die ich nicht aus dem Ge¬ dächtniß bringen kann.

Du redeſt recht ſchultheißenmäßig, ſagte ſie. Möchteſt du jetzt viel¬ leicht noch Schultheiß von Ebersbach werden?

Nein, ich rede keinem Schultheißen das Wort, aber foltern ſoll man ihn nicht.

Haſt du nicht ſelbſt geſagt, daß dieſe deutſchen Henker das den Unſrigen thun?

Ich will's ihnen laſſen.

Was? und man ſoll's ihnen nicht vergelten, den Ungeheuern? Weißt du nicht mehr, welche Reden du gegen deine Ebersbacher ge¬ führt haſt? Haſt du nicht geſagt, dein Herz werde keine Ruhe finden, bis du den ganzen Flecken zuſammenbrennen ſeheſt, den Magiſtrat mit Pfarrer und Amtmann an der Spitze möchteſt du hinſchlachten, deinen414 eigenen Vater nicht verſchonen und den ſchwangern Weibern den Leib aufſchneiden? Nun, die ungebornen Kinder ſind doch gewiß unſchul¬ diger als der Schultheiß von Börtlingen.

Er ſtarrte unmuthig vor ſich hin.

Prahlſt du mit Worten, fuhr ſie fort, und ſchrickſt recht deutſch und feig vor einem bischen Gequieck und Geſchrei zurück? Du Maul¬ held, geh 'zu deiner Ebersbacherin und laß dich mit ihr in's Zucht¬ haus ſperren.

Er ſprang auf wie ein gereizter Tiger, und ſeine roth umſäumten Augen funkelten. Weibsbild! ſchrie er, ändere deine Zunge, oder du ſollſt den Maulhelden ſpüren, bis du mürb wirſt.

Sie war ebenfalls aufgeſprungen und blickte ihm feſt und keck in's Geſicht. Glaubſt du, daß ich dich fürchte? rief ſie. Du kannſt bloß drohen, du biſt ein Weib.

Mit einem Schrei der Wuth ſtürzte er ſich auf ſie und ſuchte ſie zu ergreifen, aber mit Erſtaunen mußte er ſich bekennen, daß ihm dieſes Weib gewachſen ſei. Sie zeigte ihm eine unerhörte Muskelkraft und dabei eine Behendigkeit, mit der ſie ihm wie eine Flamme unter den Händen durchſchlüpfte; dann hielt ſie ihm wieder beide Hände feſt, daß er der äußerſten Anſtrengung bedurfte, um ſich loßzureißen und den Kampf von Neuem zu beginnen, wozu ſie ihn durch ein fortwährendes Hohnlachen reizte. Lange hatten ſie mit einander ge¬ rungen, bis er ſie endlich bemeiſterte und zu Boden warf, daß ihr die Glieder knackten.

Willſt du degenmäßig werden? ſchrie er.

Nein! antwortete ſie und ſuchte ſich wieder empor zu ringen.

Willſt du mich für deinen Herrn erkennen?

Nein!

Pariren mußt du! ſchrie er, drückte ſie zwiſchen ſeine Kniee, daß ſie nach Luft ſchnappte, und zog das Meſſer. Sie ſtöhnte, aber nicht vor Angſt. Ihre Augen ſpieen Feuer, ihr heißer Athem durchglühte ihm die Wange, und ihre braune Haut brannte von dem Blute, das ihr die Anſtrengung in Geſicht und Hals hervorgetrieben hatte. Er kämpfte bebend mit der Gewalt ihrer Schönheit, aber entſchloſſen ſetzte er ihr das Meſſer auf die Bruſt und rief: Willſt du dich unter¬ werfen?

415

Sie ſah ihn mit großen Augen ruhig an. Vor einer Minute noch wär 'ich freiwillig dein geweſen, ſagte ſie, aber eher will ich ſterben, als gezwungen einem Mann zu Willen ſein.

Was fällt dir ein? rief er ſtolz ſich zurückbeugend. Du trauſt mir zu, an was mein Herz nicht denkt.

Was willſt du denn? fragte ſie.

Reſpect, ſonſt gar nichts! antwortete er mit ſeltſam ſtrengem Tone. Du mußt verſprechen, daß du nie in deinem Leben mehr ſolche Ausdrücke wider mich brauchen willſt.

Wenn's nichts weiter als das iſt! rief ſie lachend. Der Reſpect iſt ſchon von ſelbſt da, und ich will thun, was du haben willſt. Aber erſt ſteck 'dein Meſſer ein, denn damit bringſt du mich zu nichts, ich hab' im Gefängniß ſchon den erſten Grad der Tortur überſtanden, und ſie haben nichts aus mir herausgebracht.

Er ſtand auf und ſteckte ſein Meſſer ein. Mit wunderbarer Schnell¬ kraft ſchoß ſie vom Boden auf: Ich habe meinen Meiſter gefunden, rief ſie: ſo hätte keiner von den Andern gehandelt! Dafür will ich dich auch achten und ehren und will dir leibeigen ſein und mit meiner Hand dich ernähren mein Lebenlang. Sie ließ ſich zu Boden, umfaßte ſeine Kniee und ſah zärtlich zu ihm empor.

Horch! ſagte er. Ein Donnerſchlag ging über ihre Häupter und rollte langhin durch den Wald. Ein zweiter folgte und ſchwere Tropfen klatſchten über ihnen auf die Blätter. Das ſchattige Plätzchen war dunkel geworden; das Stück Himmel, das man ſehen konnte, zeigte ſich mit ſchweren ſchwarzen Wolken behängt. Die Stelle gab guten Schutz gegen das ausbrechende Gewitter; denn der junge Holzſchlag drohte keine Gefahr vom Blitze, der Hochwald war fern, und unter einem Felſen am Waſſerfall befand ſich eine leichte Vertiefung, wo man vor dem Regen geborgen ſitzen konnte.

Das muſicirt drauf los! ſagte er behaglich, während das Gewitter mit heftigen Schlägen ſich entlud und der Regen auf den Wald nieder¬ rauſchte. Haſt du Angſt? fragte er, als Chriſtine ſich beim grellen Lichte eines Blitzes unwillkürlich bekreuzte.

Nein! ſagte ſie. Ueberhaupt hab 'ich in meinem Leben keine Angſt mehr als vor dir und um dich.

Sie ſchmiegte ſich an ihn wie ein Lamm. Ihre Augen ſuchten die416 ſeinigen und kehrten ſcheu in ſich zurück; denn er ſah unverwandt in die Höhe und ſeine Seele ſchien ſich an dem Aufruhr in der Welt umher zu laben.

Das Gewitter hatte endlich ausgetobt und der Regen hörte auf. Er erhob ſich und kehrte auf den verlaſſenen Pfad zurück. Chriſtine ſchlich mit geſenktem Kopfe traurig neben ihm her; noch geſtern hatte er ihr leicht zu erkennende Beweiſe ſeiner wachſenden Zuneigung gegeben, und heute war er ſtill und kalt gegen ſie. Da ſie ſeinen Jähzorn kennen gelernt hatte, ſo wagte ſie es nicht, ihn durch neuen Trotz zu reizen.

Sie waren lange neben einander hergegangen, da getraute ſie ſich endlich zu fragen: Wo gehſt du denn eigentlich hin?

Nach meinem Weibe ſehen, war die Antwort.

Glaubſt du, daß ſie mit dir zu uns gehen wird? fragte ſie weiter.

Ich zweifle, antwortete er, aber ich muß doch zuerſt wiſſen, wie ich mit ihr dran bin. Das muß Alles ganz offen abgemacht werden.

Sie athmete auf und es fiel ihr wie ein Stein vom Herzen; denn jetzt begriff ſie ſein Betragen.

Wenn ſie ſich drein fügt und mitgeht, ſetzte er hinzu, ſo muß es Jedermann recht ſein, und ich werd's nicht leiden, daß man ihr etwas zuwider thut oder ſagt.

Ich thu 'ihr gewißlich nichts zu Leid, verſetzte ſie ſchüchtern. Wenn ſie aber nicht will, und du wirſt doch auch nicht mit ihr nach Ebers¬ bach zurück wollen, ſo darfſt du ſie nicht nackt und bloß von dir laſſen.

Wenn ſie von mir geht, ſagte er, ſo hat ſie mit ihren Kindern nichts zu beißen und zu brechen.

Ich will dir für alle Fälle was ſagen, wendete ſie ſich zutraulich zu ihm. Ich hab 'ein paar hundert Gulden im Zins ſtehen bei einem ſichern Mann im Fränkiſchen. Nun will ich dir weder zu - noch ab¬ reden: ob ſie zu uns taugt, das iſt deine und ihre Sache. Wenn's aber, wie du jetzt ſelbſt für möglich hältſt, zwiſchen euch zur Trennung kommt, ſo kannſt du Geld von mir haben, ſo viel du willſt, damit du ſie nicht entblößt ziehen laſſen mußt und damit deine Kinder nicht in Noth verlaſſen ſind.

Sein Geſicht verwandelte ſich und er blickte ſie ſo freundlich an, daß es ihr durch das Herz ging. Mit der Theilnahme an ſeinen417 Kindern, welchen er nicht Vater ſein konnte, hatte ſie, mehr als mit dem übrigen Anerbieten, das auf eine Abfindung ſeines Weibes hinaus¬ lief, eine Saite in ſeinem Herzen berührt, die alsbald klang. Doch ſagte er nur: Davon können wir noch reden.

Sie kamen aus dem Walde heraus und hatten freies Feld vor ſich, durch welches mehrere Wege führten. Da er ohne Aufenthalt vorwärts ging, ſo legte ſie ihre Hand auf ſeinen Arm und fragte: Getrauſt du dir den Weg zu machen? Ein kleiner Bogen durch den Wald wäre beſſer. Die Gegend iſt nicht ſicher, und für dich am wenigſten.

Bleib 'du zurück, ſagte er. Ich gehe grad auf dem Weg hier fort nach dem Waldſaum da drüben.

Wo du dich hin trauſt, verſetzte ſie, da geh 'ich mit. Ich begleite dich bis an den Hof und überlaſſe dich dort deinem Stern oder deinem Unſtern.

Sie gingen zuſammen weiter. Er befand ſich allerdings in einer Gegend, die für ihn nicht ſicher war, die er ſehr gut kannte. Eine kurze Wanderung auf der ſich gegen den Thalrand ſenkenden Anhöhe würde ihm ſein Heimaththal gezeigt haben. Er erkannte es an dem jenſeitigen Höhenzuge, von welchem der obere bewaldete Theil zu ſehen war. Er warf einen finſteren Blick nach der Stelle, wo unſichtbar für das Auge ſein Vaterort drunten lag, und wandte ſich zum Weiter¬ gehen, als er bemerkte, daß Chriſtine, jeder Beſorgniß Trotz bietend, auf einer ſteinernen Ruhebank Platz genommen hatte. Ihre Augen flogen wie trunken ins Weite. Er folgte mit ſeinem Blick und ſah jetzt erſt den wundervollen Anblick, der ſich ihnen bot. Das Albgebirg in ſeiner ganzen Ausdehnung ſtieg über die niedrigeren Höhen empor, die ſich vor ihm lagerten. Das fliehende Gewitter hatte ſeine letzten Wolken im Weſten geſammelt, wo die Sonne unterging. Man ſah ſie nicht, aber durch die Wolken ſendete ſie nach dem Gebirge ein zauberhaftes Licht, das nach und nach die ganze Kette heimzuſuchen kam. Im äußerſten Weſten begann das Schauſpiel, und Achalm und Neuffen mit ihren Mauern und Felſen glänzten auf. Dann lief das Licht am Gebirg herüber und in die tiefſten Thaleinſchnitte hinein, die ſonſt ununterſcheidbar im Ganzen verſchwammen, ſo daß jetzt in ihrem Hintergrunde die fernſten Felſen wie Diamanten blitzten und das Grün der Wälder wie in einem warmen Rauche leuchtete. Nach einigenD. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 27418Augenblicken ſank die beleuchtete Stelle in Eine graue Maſſe mit dem übrigen Gebirge zurück, während der wunderbare Strahl immer weiter wanderte, bis er endlich im letzten Oſten der Bergkette erloſch. Nun aber ſpiegelte ſich hinter dem Staufen und Rechberg das Dunſtbild der unſichtbaren Leuchte, von welcher der Zauberſchein herkam, ſo daß dort in einem dichten Purpurrauche eine zweite Sonne auf - oder unter¬ zugehen ſchien.

Er wußte nicht ob er wachte oder träumte; die Welt war ihm neu und er glaubte ſie, obgleich kaum eine Stunde von ſeinem Ge¬ burtsorte entfernt, zum erſtenmal zu ſehen. Er heftete den Blick wieder auf ſeine Genoſſin, durch deren Augen er dieſes Liebesſpiel der Sonne mit einem Fleck der Erde, den er ſeine Heimath nannte, er¬ ſchaut hatte, und ſiehe, auch ſie hatte der Lichtſtrahl in ſeinen blendenden Bereich gezogen. Er hing bewundernd an ihrem Anblick, da kehrte ſie ihm das braune, in röthlichem Schimmer ſtrahlende Antlitz zu und rief: Du biſt ja ganz von Glanz umfloſſen!

Auch ich? fragte er verwundert.

Wir ſind bei der Frau Sonne zu Gaſte, ſagte ſie, wir Kinder des Waldes haben darin viel vor den andern Menſchen voraus. Aber komm, es muß nun einmal ſein.

Sie gingen dem gegenüberliegenden Walde zu und verfolgten einen durch denſelben gehenden Weg, bis ſie in der Nähe des Hofes angelangt waren, wo er die blonde Chriſtine untergebracht hatte.

Hier ſcheiden ſich unſere Wege, ſagte die ſchwarze Chriſtine. Und nun hör 'noch Eins. Ich weiß, daß du mich lieb haſt und dein Herz ſchwer von mir losreißen wirſt; deßhalb will ich dich nicht an mich locken, wie ich wohl könnte. Aber dein Herz wird dir ſelbſt ſagen, wie es um uns ſteht. In ihr haſt du nur dich ſelbſt geliebt, deinen eigenen Willen, in ihr haſt du nur dir ſelbſt Wort gehalten. In mir liebſt du etwas Anderes.

Ja, den Teufel! murmelte er. Und doch biſt du mir ſo eben wie ein Engel des Lichts erſchienen.

Nenn's wie du willſt. Wenn du ſie zu uns mitbringſt, ſo wirſt du bald ſehen, daß du auf mich vor Allen bauen kannſt. Folgt ſie dir nicht in das neue Leben, deſſen Thüre du, wie dir ſelbſt bewußt ſein wird, unwiderruflich aufgeſtoßen haſt, folgt ſie dir nicht, wie das419 Weib dem Manne folgen ſoll, und du gibſt deinem Herzen Gehör wohlan, du weißt genug und ich habe mich ſchon zu viel angeboten.

Unſere Tage hier ſind gezählt. Wenn du willſt, kannſt du uns finden.

Sie grüßte leicht mit der Hand und war im Walde verſchwunden.

35.

Chriſtine war nicht da. Sie ſei dieſen Nachmittag fortgegangen, hörte er von ihrer Wirthin, und habe geſagt, ſie müſſe nach ihrem Manne ſehen und ihre Kleidungsſtücke holen. Sie habe vorher eine Zeit lang in der Bibel geleſen, und ſei dann auf einmal aufgebrochen. Er ſetzte ſich verdroſſen vor das noch aufgeſchlagene Buch und las mühſelig in der Dämmerung: Ich ſuchte des Nachts in meinem Bette, den meine Seele liebt; ich ſuchte, aber ich fand ihn nicht. Es war das hohe Lied, das in dunkler, aber zündender Sprache von zwei verbundenen Herzen, die ſich ſuchen und wiederfinden, erzählt. Obgleich die von der Kirche hinzugefügten Ueberſchriften dieſem berauſchenden Klag - und Jubelliede eine ganz andere Auslegung gaben, ſo ſchienen doch ſeine Flammenworte Chriſtinens Herz in der Einſamkeit ergriffen und mit jenem Weh angefüllt zu haben, von welchem das Lied ſelbſt ſagt: Liebe iſt ſtark wie der Tod, und Eifer iſt veſt wie die Hölle; ihre Gluth iſt feurig und eine Flamme des Herrn, daß auch viel Waſſer nicht mögen die Liebe auslöſchen, noch die Ströme ſie erſäufen. Er ſchlug unruhig die wohlbekannten zwei Blätter hin und her, die auch für ihn ſo manches Wort enthielten, und das Herz klopfte ihm, als die Stelle vor ſeine Augen trat, wo es heißt: Ich bin ſchwarz, aber gar lieblich, ihr Töchter Jeruſalem's, ſehet mich nicht an, daß ich ſo ſchwarz bin, denn die Sonne hat mich ſo verbrannt.

Er legte das Buch wieder hin, und ging um ſein Weib aufzuſuchen. Er war in dem ſchon nächtlich dunklen Walde noch nicht weit gegangen, als er eine weibliche Geſtalt gegen ſich kommen ſah, die bei ſeinem Anblick zaudernd ſtehen blieb. Er erkannte ſie erſt als er ſich ihr27 *420bis auf wenige Schritte genähert hatte. Es war die blonde Chriſtine, die ihn vergebens im Walde geſucht hatte und nun auf der Rückkehr begriffen war. Sie befand ſich aber in einer Laune, die nicht nach den Würzgärten Salomo's ſchmeckte. Deine Zigeunerin hat mir ſchon geſagt, wo du ſeieſt, warf ſie mürriſch hin, ſie iſt mir begegnet.

Sie wird dir geſagt haben, daß ich dich hab 'beſuchen wollen.

Läßſt mich den halben Tag um dich 'rumlaufen.

Nun, jetzt haſt mich ja.

Biſt mit deiner Zigeunerin 'rumzogen?

Ja.

Gib mir nur mein Halstüchle, mein Müffle und mein 'Schurz wieder. Ich brauch's.

Gereizt durch ihren zänkiſchen Ton, öffnete er den Büchſenranzen und gab ihr die gepfändeten Gegenſtände zurück. Ich hab 'dir auch einen getüpfelten Schurz mitgebracht, ſetzte er verdrießlich hinzu: wenn du aber ſo widerwärtig biſt, iſt nichts mit dir anzufangen. Da!

Ich brauch 'ihn nicht, ſagte ſie trutzig.

Nein, du mußt ihn nehmen, rief er. Man kann ja nirgends mit dir hin in deinem ſchwarzen leinenen Schurz; wo du hinkommſt, ſehen dich die Leut 'für ein Baurenmenſch an.

Ich bin dir in meinen Kleidern lang gut gnug geweſen, ſagte ſie und zog die Hand zurück.

Er warf ihr das Geſchenk über die Schulter.

Ich will nichts von deinen geſtohlenen Sachen haben! rief ſie und warf es zu Boden.

Wart ', ich will dir ſo unartig ſein! rief er zornig und hob die Hand gegen ſie auf. Ich ſollt' dich nur

Schlag 'mich nur in dem Zuſtand, in dem ich bin! rief ſie, in Weinen ausbrechend. Die Liebe iſt dir ja doch vergangen. Laß du mich heim, ich kann ſchaffen und dienen, ich hab' nicht nöthig geſtohlen Brod zu eſſen. Geh 'du, wo dich dein Herz hin zieht, zu deinem Zigeunermenſch.

Wenn du mir's ſo machſt, erwiderte er, ſo kann mir die Wahl nicht weh thun. Aber bis jetzt haſt du keinen Grund zur Eiferſucht, das kann ich dir ſchwören. Uebrigens iſt die Zigeunerin chriſtlicher geſinnt als du. Sie ſagt, wenn du mit mir zu ihnen übertreteſt, ſo421 wolle ſie dich wie eine Schweſter halten, und nur, wenn du durchaus nicht mit mir gehen wolleſt und nach Haus begehreſt, wolle ſie mir Geld für dich geben, damit du nicht Noth leiden müſſeſt.

Ich will kein Geld von ihr, um mich abfinden zu laſſen, ſagte ſie heftig, ich will mich und meine Kinder von meiner Hände Arbeit ernähren.

So ſchimpf 'wenigſtens nicht über ſie, denn ſie thut nichts um dich zu verdrängen, und meint's ehrlich mit dir. Daß es aber zwiſchen uns endlich zu einer Entſcheidung kommen muß, das wirſt du ſelbſt einſehen.

Während dieſes unfreundlichen Wortwechſels ging Chriſtine ohne Aufenthalt immer vorwärts, und er folgte ihr.

Biſt du heut Nacht mit dabei geweſen in Börtlingen? fragte ſie nach einer Weile.

Woher weißt du was von Börtlingen?

Heut früh ſchon hat man's auf dem Hof gehört, es ſind Leut 'dort vorbeikommen, und heut Nachmittag ſind mir Leut' im Wald begegnet, denn wenn ich allein bin, ſo brauch 'ich mich nicht zu fürchten und kann die Straß' gehen. In der ganzen Gegend iſt Ein Geſchrei: eine Räuberbande ſei bei lichtem hellem Mondſchein zu Börtlingen ein¬ gefallen und der Sonnenwirthle ſei ihr Hauptmann geweſen und hab 'die Leut' ſchwer mißhandelt und den Schultheißen am Feuer geröſtet.

Und gefreſſen wie einen Schöps! ſetzte er lachend hinzu. So arg iſt's nicht.

Alſo in der Hauptſach 'iſt's wahr?

Dir leugn 'ich's nicht, antwortete er.

Sie waren bei dieſen Worten wieder in der Nähe des Hofes an¬ gekommen. Wart 'ein wenig, ſagte ſie, ich will nur geſchwind meine Sachen holen, denn ich muß eilen, wenn ich noch nach Ebersbach kommen will, vor's ganz Nacht wird. Begleiten wirſt mich wenigſtens zu guter Letzt noch ein bisle.

Iſt dir's Ernſt? fragte er düſter.

Ich weiß mir kein 'andern Weg.

Ich laſſ 'dich nicht! rief er, und ſeine Stimme verrieth, daß es in ihm zu kochen begann.

Wir können ja unterwegs ſtreiten, wenn du ſtreiten willſt, erwiderte422 ſie und ging hinein. Nach kurzer Friſt kam ſie mit ihrem kleinen Bündel zurück und ſagte: Da drinnen meinen ſie auch, es ſei das Beſt 'für mich, ich geh' wieder heim. Sie ſind arg betrübt, daß der Chriſtle heut Abend in's Ottenbacher Thal 'nüber iſt, um deine Kameraden aufzuſuchen.

Das iſt das rechte Klima! verſetzte er. Wenn er ſie nicht an¬ trifft, ſo kann er ſie dort jedenfalls erfragen. Was willſt du aber machen, wenn dich deine Mutter nicht behält, wie ſie ſchon einmal gethan hat?

Dann probir 'ich's wieder mit der Schulmeiſterin zu Denzlingen, oder auch, wenn alle Sträng' brechen, mit meiner Zuchthausaufſeherin. Es iſt hohe Zeit für mich, daß ich wieder in ein anders Leben komm '.

Sie ſchritt unaufhaltſam dahin, ſo daß er wohl oder übel mit¬ gehen mußte. Wie iſt's denn in Börtlingen gangen? fragte ſie.

Wir ſind ſieben Mann ſtark mit der Margarethe dem Schultheißen in's Haus gedrungen. Einer, der eine dunkle Kappe mit Augen¬ öffnungen über das Geſicht gezogen hatte, iſt unſer Anführer geweſen; ſie ſagen, es ſei der abgedankte Amtmann von Adelberg. Es war noch ein zweiter Unbekannter dabei in einem ſchwarzen Camiſol und weißen Zwilchkittel, mit ganz ſchwarz gefärbtem Geſicht. Der mit der Kappe iſt dem Melcher auf die Achſel und durch einen Laden einge¬ ſtiegen und hat uns die Hausthür 'aufgemacht und davor Wache ge¬ halten. Wir ſind hinein, haben bei fünfzehn Wachslichter theils unten und oben an die Wand geklebt, theils in der Hand gehalten.

Und mit den Lichtern habt ihr den Schultheißen brennt?

Ich hab 'ihm weiter nichts gethan als ihn binden helfen, hab' ihn am Hals und um den Leib hart gehalten, einen alten Heuchler geheißen und angeſchrieen, er ſolle geſtehen, wo er ſein Geld habe, oder er müſſe ſterben. Zugleich iſt die Magd in ihrem Schrecken nackend die Stege herunterkommen; der Chriſtianus hat ihr die Zöpfe abgeſchnitten, die Hände und Füße damit zuſammen gebunden und ſie in der Frau Bett geworfen, weil ſie geklagt hat, es friere ſie ſo. Denn die Frau iſt auf dem Boden gelegen, der Melcher hat ein Deckbett über ſie ge¬ worfen. Die Magd hat gewimmert: hier ſtehe der Kupferhaf ', ſie ſei ein armer Waiſ', man ſolle ihr nichts thun. Zugleich hat der Schultheiß geſagt, es ſei Geld genug in der Kammer drin. Die Andern aber haben423 aus der Kammer gerufen: Wir haben das Möges ſchon, nämlich das Geld. Auf einmal hat die Margarethe, die vielleicht Leute auf der Gaſſe gehört, Gaif! Gaif! gerufen und hat mir zugeſchrieen, ich ſolle hinunter und Feuer auf ſie geben. Drauf hab 'ich unter dem Haus mit dem in der Kappe Wache gehalten und mich an nichts mehr betheiligt.

Dann haben die Andern den Schultheißen mißhandelt?

Ja, erzählte er zögernd, ſie haben noch mehr Geld gewollt und deßhalb Torturen angewendet. Der Jägerkaſperle, der dabei war, hat die Frau an den Augenbrauen geritzt, und der Schwamenjackel, der wüſte Kerl, hat den Schultheißen geſchlagen und mit einer am Licht glühend gemachten Nadel unter dem Nagel in den Daumen geſtochen.

Jeſus! Jeſus! ſchrie Chriſtine. Das iſt ja ſchrecklich.

Sie haben aber nichts mehr von ihm bekommen, als den Nacht¬ mahlskelch nebſt Zubehör. Er hat alles Andere richtig angegeben und nur dieſe Sachen hat er verheimlichen wollen, weil ſie ſeiner Ge¬ meinde gehören.

Wie iſt's denn bekannt worden, daß du dabei geweſen biſt? fragte ſie. Hätteſt du dich nicht auch vermummen können?

Der Bettelmelcher, erwiderte er, hat immerfort geſchrieen: Kennt ihr mich? ich bin der Sonnenwirthle.

Die Spitzbuben! rief ſie empört: damit haben ſie dich abſichtlich 'neinreiten wollen! Und ich ſteh' dafür, den gefährlichſten Theil vom Raub, den Kelch, haben ſie ſicherlich dir geben.

Daß ſie alle Mittel anwenden, um mich völlig in ihre Geſell¬ ſchaft zu ziehen, iſt natürlich, erwiderte er. Ich kann ihnen das nicht einmal übel nehmen. Und was bleibt mir ſonſt übrig?

In dieſem Augenblicke kamen ſie aus dem Walde auf das freie Feld heraus, das noch vom letzten Tageslicht erhellt war. Sie ſah ihm ſchmerzlich und ſchüchtern in das Geſicht, deſſen ſtarre Züge eine finſtere Ergebung verkündigten. Mir gräuſelt's vor dir! ſagte ſie.

Du haſt's nöthig, ſo zu reden! rief er wild. Wer hat ſich denn Eſſen und Trinken und Kleider von mir bringen und das Koſtgeld für ſich bezahlen laſſen? Wer hat vom Melcher ein Pfännle verlangt? Haſt du geglaubt, der Bettelmelcher werde es kaufen? Und wer hat dieſem424 Dieb und Räuber von Profeſſion die Gelegenheit in Heſelthal beſchrie¬ ben und ihm angegeben, wo der Wirth ſein Geld hingethan hat?

Ach Gott! rief ſie weinend, du haſt freilich Recht! Ich ſag 'ja, es ſei hohe Zeit für mich, in ein anders Leben zu kommen. Da ſiehſt, wie man in der Geſellſchaft wird. Sie lachen Ein' ſo ſpöttiſch aus und ſtellen Ein 'ſo miſerabel hin, daß man's nicht aushält und ihnen vor lauter Aerger zeigen muß, daß man auch Augen im Kopf hat, ſo gut wie ſie. Ich glaub', wenn ich bei ihnen wär ', ich thät' bald mit ihnen wetteifern, nur nicht in Börtlinger Geſchichten, denn ſo viel wird dir dein eignes Herz ſagen, daß das etwas ganz Anders iſt, als Alles, was du früher gethan haſt. Die Leut 'ſagen ſchon lang von dir, du habeſt einen Bund mit dem Teufel. Ich hab's nie glaubt; auch müßt' er nicht beſonders ſpendabel ſein, wenn's wahr wär '. Aber bei ſo Unmenſchen mußt du dem Teufel verfallen.

Ich hab 'nur mitgethan, weil mich ein gegebenes Wort gebunden hat, erwiderte er. Ich thu's nicht mehr. Es gibt andere Mittel und Wege.

Sie waren an der Ruhebank angekommen. So ſehr Chriſtine eilte, ſo erklärte ſie doch, ſie müſſe ein wenig ſitzen, denn die Kniee zittern ihr vor Müdigkeit und Bekümmerniß. Nun ſaß ſie an derſelben Stelle, wo kurz zuvor ihre Namensſchweſter geſeſſen. Welch ein ganz anderes Bild bot ſich ihm jetzt in den grauen Schatten des Abends dar! Die Wage mußte zu Ungunſten des armen, bleichen, vor der Zeit alternden Weibes hoch emporſteigen, wenn er ſie mit jenem von Schönheit und Jugend ſtrahlenden Geſchöpfe der Wüſte verglich.

Er fühlte dies und kämpfte dagegen an. Er wollte dem Weibe ſeiner Jugend Wort halten und wenn er die Unmöglichkeit ſelbſt über¬ winden müßte. Leidenſchaftlich rang er mit ihrem Entſchluſſe, bat, drohte, tobte, fluchte. Sie blieb feſt. Du kannſt mich erſchießen, ſagte ſie, aber ich thu's meinem rechtſchaffenen Vater unter dem Boden nicht zu Leid, daß ich zu dem Geſindel ging '.

Du weißt, ſagte er grollend, daß mir die Welt nach allen andern Seiten hin verbaut iſt, und jetzt auf dem einzigen Wege, den ich noch gehen kann, willſt du mich verlaſſen? Iſt das deine Liebe zu mir?

Sie fiel ihm laut weinend um den Hals und zog ihn auf die Steinbank zu ſich nieder. O Frieder! rief ſie, ich hab 'dich lieb ge¬ habt wie kein' Menſchen ſonſt in der Welt, und hab 'dich heut noch425 lieb. Sieh, ich weiß wohl, ich bin dein Unglück geweſen von Anfang an. Wenn ich nicht geweſen wär', ſo wär'ſt nie auf die Weg 'kommen. Aber deine Liebe und Treue zu mir hat dich in's Verderben geführt, immer tiefer und tiefer. Wenn ich dir's damit lohnen könnt', daß ich für dich ſtürb ', o wie gern! Aber muth' mir nicht zu, daß ich mit dir in die Welt gehen ſoll, thu's um deinetwillen nicht. Du kannſt mich nicht brauchen, ich wär 'auch da eine Sperrkette für dich, wie ich's immer geweſen bin, und da noch weit mehr. Da wär's bald ſo weit, daß du mich verſtoßen müßteſt und die Andere nehmen, die zu ſo Sachen mehr Schick hat als ich.

Nie! rief er. Wenn du bei mir bleibſt, ſo ſollſt du ſehen, daß mir keine Andere an die Seite kommt. Aber das erklär 'ich dir offen: wenn du von mir abfällſt, ſo ſchlag' ich mich zu der andern Chriſtine, denn ſie heißt wie du und hat mich lieber als du.

Thu's nicht, Frieder, thu's nicht! rief ſie ihn umklammernd. Ich ſäh 'dich eben ſo gut in der Hand deiner Stiefmutter. Ich will nicht ſagen, ſie mein's nicht in ihrer Art gut mit dir, aber wohin wirſt du an ihrer Hand gerathen? Sieh, wenn du ein Schritt hundert oder zweihundert von der Bank da vorgehſt, ſo ſiehſt ſo weit in's Thal, daß du den Ebersbacher Galgen in's Aug' faſſen kannſt. Wie lang meinſt du denn, daß du's auf die Art treiben könneſt? Eins, zwei, drei Jahr ', wenn's hoch kommt, und dann nimmt's ein ſchrecklich's End'. O Frieder! Frieder! daß ich das vorausſehen muß! Gibt's denn gar ſonſt kein 'Ausweg mehr für dich?

Sie faßte ſeinen Kopf mit beiden Händen und küßte ihn unter fortwährendem Schluchzen, das ihr die Bruſt zu zerſprengen drohte, ſo inbrünſtig, wie er nie einen Kuß von ihr empfangen zu haben glaubte, und ihre Thränen brannten auf ſeinen Wangen. Er war er¬ ſchüttert. Könnt 'ich einen finden, ſagte er, ich thät's dir zu Lieb. Er ſtarrte gegen das Gebirge hin, das jetzt nur noch als eine graue Linie zu erkennen war. Verſuch's einmal, ſagte er endlich, den Büchſen¬ ranzen neben ſie auf die Bank legend, ob du nicht die Sachen da drin verkaufen und mir einen Lehrbrief dafür anſchaffen kannſt, mit dem ich mich ausweiſen könnte. Wenn ich unter eine Armee ginge, ſo wäre vielleicht in etlichen Jahren Manches vergeſſen

Drauf! drauf! ſchrie es hinter ihnen. Sie fuhren auf und ſahen426 ſich von Streifmannſchaft umringt, welche aus dem Walde hervor¬ gebrochen war, und rechts und links auf ſie eindrang. Halt 'dich feſt zu mir! rief er, hatte im Nu die ſchwächſte Seite der Angreifer, die ihm nach dem Walde zu entkommen erlaubte, ausgeſpäht, und warf ſich mit angeſchlagenem Gewehr ihnen entgegen. Sie wichen erſchrocken aus einander und er ſtürzte mitten hindurch. Ein paar Schüſſe knallten hinter ihm, die er verlachte. Als er aber den Schutz des Waldes er¬ reicht hatte und ſich umſah, war keine Chriſtine hinter ihm. Er brach tollkühn wieder hervor und ſah ſie als leichte Beute in den Händen der Streifer. Laßt ſie los, ſchrie er, oder ! Ein Theil eilte mit ihr geradeaus den Berg hinab, ſo daß ſie bald mit ihr verſchwunden waren, ein andrer Theil ſtellte ſich gegen ihn auf. Und wenn der Teufel ſelber bei ihm wär', rief die Stimme des Fiſchers, den er jetzt erkannte, ſo wird man doch mit ihm fertig werden können. Abermals blitzte ein Schuß gegen ihn durch die einbrechende Nacht. Er ſchlug auf den Haufen an und drückte ab. Das Gewehr verſagte. Nun hatte er keine andre Wahl, als wiederum ſein Heil in der Flucht zu ſuchen, die ihm ſchon ſo manchesmal gelungen war. Sie gelang auch diesmal wieder und nach wenigen Augenblicken befand er ſich, von keinem der nachgeſendeten Schüſſe berührt, in dichter Waldesnacht geborgen. Aber Chriſtine war in den Händen der Verfolger geblieben und wurde nun mit Zwang dahin geführt, wohin ſie freiwillig gewollt hatte. Mit ihr war auch ſein Büchſenranzen in Gefangenſchaft gerathen und hiemit nicht nur der Ertrag der Unthat, die ſein Gewiſſen drückte, verloren, nicht nur die Möglichkeit einer Rückkehr in die Schranken einer recht¬ mäßigen oder doch wenigſtens den Vorurtheilen der Zeit entſprechenden Ordnung vernichtet, ſondern auch die ſchwerſte Inzicht gegen Chriſtinen in die Hände ihres Richters geliefert.

427

36.

Als er ſich in Sicherheit wußte, ließ er es ſeine erſte Sorge ſein, die treuloſe Begleiterin, die ihm den Dienſt verweigert hatte, wieder in Stand zu ſetzen. Zu dieſem Behufe ging er nach dem Hofe zurück, von wo er mit Chriſtinen gekommen war, weckte die Leute, die ſchon zu Bette lagen, forderte Licht und erzählte mit verbiſſenem Grimme was ſich zugetragen. Man war ihm ſchweigſam zu Willen, wie man eben in abgelegenen Wohnungen ſolche Beſuche zu er¬ tragen pflegte. Nachdem ſein Gewehr ausgebeſſert war, ſchlug er in ſeinem trotzigen Muthe den Weg ein, den die Streifer mit ihrer Gefangenen genommen hatten, nicht eben denſelben Weg, aber den Weg nach ſeiner für ihn verſchloſſenen Heimath, wohin ſie geführt worden war. In ſinkender Nacht kam er im Thale unten an, durch¬ ſchnitt es und wählte ſich geradezu den gangbarſten Weg, die Göp¬ pinger Straße, weil er dachte, daß man ihn von dieſer Seite am wenigſten erwarten würde. Er wollte mitten in den Flecken eindringen er wußte ſelbſt nicht recht was er wollte. Der Mond ging auf und machte ſein Wageſtück um ſo gefährlicher. Eben kam er an der Ziegel¬ hütte vorüber, als plötzlich hinter einem dort liegenden Scheiterhaufen hervor drei Schüſſe auf ihn fielen. Keiner hatte getroffen, doch war ihm auf der rechten Seite ein Fetzen vom Rocke weggeſchoſſen. Auf ihn! auf ihn! ſchrieen mehrere Stimmen und drei Männer ſprangen hervor. Ich hab 'ihn bezahlt, ich hab' ihm einen Flügel abgeſchoſſen! rief der Eine. Es war abermals der hartnäckige Fiſcher, der durchaus den ausgeſetzten Preis verdienen zu wollen ſchien. Faßt ihn, den Fleckendieb, den Börtlinger Räuber! ſchrieen die beiden Andern, in welchen er den ihm feindlichen Müller und deſſen Knecht erkannte. Oho! ſchrie er und ſchlug an: ſo weit iſt's noch nicht. Bei dem An¬ blicke ſeiner aufgehobenen Büchſe flüchteten ſie ſich zurück, er ſchoß, hörte aber die Kugel in das Holz einſchlagen. Wenn ihr mir ſo ernſt¬ lich nach dem Leben trachtet, ihr Wegelagerer! rief er, ſo könnt ihr euch auf mich verlaſſen, daß ich den erſten, der mir von euch begegnet,428 über den Haufen ſchieße, und du, Fiſcherhanne, weißt ohnehin, was dir geſchworen iſt! Da er ſie jedoch hinter ihrer Bruſtwehr wieder laden hörte, ſo zog er ſich zurück, um der Ueberzahl auszuweichen und gleichfalls ungeſtört laden zu können.

Nach kurzer Zeit verſuchte er von anderer Seite her eine An¬ näherung an den Flecken. Nicht weit vom Hochgerichte, vor welchem Chriſtine ihn gewarnt hatte, ging er zu der Hütte eines Feldhüters und gebot dieſem herauszukommen. Es war ein Schulkamerad von ihm, der als ein armer Mann das Amt übernommen hatte, bei Nacht die Frucht zu hüten. Erſchrickſt du vor mir? fuhr er ihn an.

Nein, antwortete der Hüter, ich hab 'nur ſo ſpät Niemand erwar¬ tet, es iſt ſchon zehn Uhr vorbei.

Wie ſteht's?

Nicht zum beſten. Der Hagel hat heut ſtark auf der Markung geſchlagen. Wenn's ſo fortgeht, wird bald nichts mehr zum Hüten da ſein.

Weißt du nichts von meiner Chriſtine?

Ja, eh 'ich heraus bin, hab' ich gehört, daß ſie gefänglich ein¬ gebracht worden ſei. Sie ſitzt auf'm Rathhaus und wird morgen mit dem Frühſten nach Göppingen geliefert. Alles ſagt, ſie werd 'in's Zuchthaus kommen.

Er knirſchte mit den Zähnen.

Die alt 'Müllerin hat doch recht Unglück mit ihren Kindern. Weißſt du's mit dem Jerg?

Was?

Weißſt du nicht, daß bei Geißlingen ein Aufruhr geweſen iſt und daß man achtzehn Soldaten erſchoſſen hat?

Freilich weiß ich's.

Nun, und da iſt deiner Chriſtine Bruder auch darunter geweſen.

Er ſtieß einen Schrei des ſchmerzlichſten Zornes aus und wüthete gegen die ganze Welt, den Herzog an der Spitze.

Nimm dich doch in Acht! ſagte der Hüter, du kannſt dich mit ſolchen Reden um den Kopf bringen.

Was liegt daran! erwiderte er.

Man hörte Schritte und im Mondlicht kamen Soldaten zum Vorſchein.

429

Wer da? rief er mit wilder Stimme, hervortretend und das Gewehr anlegend.

Die thun dir nichts, ſagte der Hüter, die ſind in Urlaub und laſſen ſich's wohl ſein, weil man wegen der unruhigen Zeit dem Soldaten ein wenig durch die Finger ſieht, haben den ganzen Tag viel getrunken und wollen den Geiſt verluften; wenn ſie vielleicht auch geſagt haben, daß ſie auf dich ſtreifen wollen, ſo iſt's ihnen nicht Ernſt damit.

Iſt des Jergs Bruder, der Hannes, unter ihnen?

Nein, ſagte der Hüter und nannte ihm ihre Namen.

Er trat den drei bewaffneten und mit Gewehren verſehenen Reichs¬ kriegern entgegen; mit der einen Hand hielt er ſein Gewehr, mit der andern klopfte er auf die Lederhoſen und rief: Nur her da, ich hab 'ſchon lang auf euch gewartet, ich bin der Sonnenwirthle!

Dieſe Worte und Töne ſchlugen wie ein Kartätſchenhagel in die Schaar der Helden ein, die vielleicht in nächſter Zeit gegen den rebelliſchen König von Preußen in das Feld rücken ſollten. Sie machten Kehrt und liefen ſo ſchnell davon, als ihre ſteifen Stiefeletten, die doch recht eigentlich ein Mittel gegen das Fluchtfieber abzugeben geeignet waren, es geſtatten wollten.

Er lachte unbändig hinter ihnen her. Ueber dem ſpaßhaften An¬ blick und über der Befriedigung ſeines Stolzes hatte er, für einen Augenblick wenigſtens, Alles vergeſſen, was ihn drückte.

Hab 'ich's nicht geſagt, die thun dir nichts? ſagte der Feldhüter. Die könnt' man mit keinem Pferd mehr einholen.

Hol 'mir Wein.

Gern, aber weißſt, damit ich vor Amt ſchwören kann, du habeſt mich gezwungen, ſo mußſt mir's anders befehlen.

Gut. Er klopfte an ſein Gewehr. Du mußt mit mir da hinein und zu trinken holen, und wenn du nicht willſt, ſo mußt du.

Sehr wohl.

Sie gingen zuſammen bis nahe an den Flecken. Dort gab er ihm Geld und wartete mit angezogenem Gewehre auf ſeine Zurückkunft.

Der Hüter kam allein, denn er wußte wohl, daß eine Verrätherei ihn außer Stand ſetzen würde, je wieder ſeinen Dienſt bei Nacht zu thun. Hierauf gingen ſie in das Feld zurück. Der Hüter mußte den Wein tragen und durfte dafür nachher mit ihm trinken.

430

Was reden ſie in Ebersbach von mir? fragte er, ſich bequem auf den Boden ſtreckend.

Sie haben gottſträflich Angſt vor dir.

Er lachte und ließ nicht ab mit Fragen, bis ihm der Hüter die gleiche Antwort wohl ſechsmal in verſchiedenen Wendungen wiederholt gegeben hatte.

Aber die Börtlinger G'ſchicht 'macht bös Blut, es wird allenthalben nach dir geſtreift und es iſt da herum nicht mehr gut wohnen für dich. Er lachte noch lauter und fing nun mit dieſem Einbruch, den er vor wenigen Stunden mit manchem Gewiſſensbiß erzählt, heillos zu prah¬ len an. Dabei machte er ſich mit dem Amtmann von Adelberg und andern vornehmen Perſonen groß, indem er ſo das Märchen, das vielleicht ſeine Genoſſen zu ſeiner eigenen Aufmunterung erſonnen hatten, weiter ver¬ breitete. Indeſſen erreichte er ſeine Abſicht, denn der Hüter bemerkte, wenn ſolche Leute mit in der Verſchwörung ſeien, ſo werde der Schrecken in der ganzen Gegend um ſo größer werden. Hierauf befahl er ihm, den Amtmann von ihm zu grüßen, er habe eine ſchöne Flinte, die dem Herrn Amtmann gewiß anſtändig wäre, ſie ſei recht leicht; warum er denn gar nicht mehr auf die Jagd komme? Zu dieſen Hohnreden fügte er Drohungen gegen ſeine Verfolger, ſeinen Vormund und den ganzen Flecken. Nach der Ernte, wenn die Scheuern voll ſeien, ſagte er, ſei es beſſer die Häuſer anzuzünden, es brenne leichter und gebe ein größere Freude. Der Hüter wagte beſcheidentlich einzuwenden, er gehe ja ſelbſt nach Brod und werde doch der Gottesgabe nicht ſo mitſpielen wollen. Ei was! erwiderte er kindiſch, ob ich's verbrenne oder ob's der Hagel erſchlägt, das iſt Alles eins.

Zuletzt kam er wieder auf den Schultheißen von Börtlingen zu ſprechen und ſich zu rühmen, wie er dieſen für ſeine Heuchelei und Ungerechtigkeit beſtraft habe. So muß man's machen, ſagte er: iſt's nicht recht ſo?

Unſer Pfarrer, ſagte der Hüter ausweichend, ſchimpft auch auf ihn und ſagt, jetzt habe er's, daß er nicht mehr Vorſicht anwende und Alles dem Himmel überlaſſen wolle; er verderbe dem geiſtlichen und weltlichen Amt das Spiel, verſchmähe allen erlaubten Proſit, hänge ſein Geld an die Armen, die dadurch nur immer begehrlicher werden, und opfere ſich auf eine einfältige Art für ſeine Gemeinde auf, ſo daß431 ihm's kein Pfarrer und Niemand nachmachen könnte, der ſich nicht zu Grund richten wollte.

So? ſagte der Räuber und verſank in ſtummes Nachdenken. So verwandelt und entſtellt ſein urſprünglich gutes Gemüth war, ſo konnte er ſich doch dem Eindringen der Wahrheit nicht entziehen, die aus dieſen Worten hervorleuchtete: die erſtere größere Rachethat, womit er die von der bürgerlichen Geſellſchaft erlittenen Unbilden zu vergelten meinte, hatte einen Gerechten getroffen.

Er ſprach wenig mehr und überließ den Hüter bald der ohne Zweifel willkommenen Einſamkeit, indem er ſich wieder in den Wald aufwärts zog.

37.

Ruhig lag die Welt, wie ein eingewiegtes Kind. Das Gewitter hatte den ſchwülen Druck des Sommers hinweggenommen, und in der freundlichen Kühle athmete alles Weſen auf. Die Felder ruhten von des Tages Hitze, und durch die Blätter des Waldes ging ein friſcher ſanfter Hauch, daß ſie nur leiſe wie im Traume zitterten. Die Menſchen ſchlürften in bewußtloſer Wonne den Segen dieſer milden Nacht, die ſelbſt dem Fieberkranken wieder einmal Ruhe und Frieden ſchenken konnte.

Einer aber ſchlief nicht. Er bettete ſich unter dem dichteſten Ge¬ ſträuch, wo nicht einmal ein Wild hinkam, legte den Arm über eine Baumwurzel und bereitete ſich ſo ſein Kopfkiſſen; aber der Schlaf, den er hundertmal auf rauherem Lager gefunden hatte, wollte ihn nicht beſuchen. Er drückte die brennenden Augen in das feuchte Moos, aber ſein von langer Schlafloſigkeit gequälter Kopf hörte nicht zu ſummen und zu dröhnen auf. Das Flüſtern der Blätter ſtörte ihn; es war ihm, als ob ſie ſich etwas von ihm erzählten. Er brach wie ein geſcheuchtes Wild durch die Zweige, floh aus dem Walde heraus und irrte durch die Aecker und Wieſen, die am Abhang der Anhöhe lagen. An einer Stelle ſetzte er ſich auf einen Markſtein, an einer andern legte er ſich in das kühle Gras, wo es noch nicht von der Senſe berührt war, denn ſeine Glieder waren von Ermattung wie432 zerſchlagen; aber ſein Körper fand die Ruhe nicht, die ſeiner Seele fehlte. Er hörte vom Thale herauf den Schlag der Glocke und den Ruf des Wächters in regelmäßigen Abſätzen, die den unerbittlichen Gang der Zeit verkündigten. Er ſah den Mond über den Himmel wandeln und ſeinem Ziele näher und näher ſinken; an ſeinem weiten Wege konnte er ſehen, wie lange ſchon die Welt der Ruhe pflegte, die ihn floh. Die Sterne glänzten in der herrlichen Sommernacht wie eine goldne Schrift auf dunkelblauem Grunde; aber mit ſeinem ſtumpfen Blick konnte er ſie nicht leſen, und kopfſchüttelnd ging er nach dem Walde zurück.

Sein ganzes Schickſal zog in dieſer Nacht an ſeiner Seele vor¬ über; die Vergangenheit ſchmerzte, ſtachelte ihn, und die Zukunft hing wie eine wetterſchwangere Wolke vor ſeinem Auge. Es ſah wüſt und wild in ſeinem Innern aus. Vermöge ſeiner Anlagen und ſeiner Er¬ ziehung wußte er recht wohl zu unterſcheiden, was gut und böſe ſei, und dieſe Erkenntniß redete zu ihm in der Sprache der überlieferten Religion, die er mit der Muttermilch eingeſogen hatte. Obwohl er mit der Kirche oder vielmehr mit dem Pfarrer haderte, und das Maulchriſtenthum der Meiſten um ihn her verachtete, ſo war er doch kein Freigeiſt; woher hätte er auch, der ungeſchulte Denker, das Zeug dazu nehmen ſollen? Er glaubte feſt an ſeinen Heiland, wie Alles um ihn her, und ſeine von Noth und Schuld gepeinigte Seele ſchrie oft gen Himmel auf; aber er war das Kind eines aus hartem Stoffe geſchaffenen Volkes, das oft das zarteſte Gebet und den roheſten Fluch beinahe in Einem Athem auf die Lippen bringt. Ein beißender Witz, ein Anreiz zur Lebensluſt oder eine Wallung des Zornes konnte die erſchütterndſte Wirkung des Heiligen im Nu verwiſchen, und ſeine An¬ klage gegen die Welt, daß ſie nicht nach den Geboten des Glaubens lebe, lieh auch ihm die Entſchuldigung, daß ein ächtes Chriſtenthum die Kräfte des Menſchen überſteige. Dennoch brannten ihn jene from¬ men Lehren, welche ihm am eindringlichſten von ſeiner Mutter eingeprägt waren, wie mit Flammenſchrift in ſeine Seele, die verzagend ihr Ver¬ dammungsurtheil in ihnen las. Er konnte es ſich nicht bergen, daß er von einer verworfenen That herkam und einem verworfenen Leben entgegenging, in welchem nicht mehr bloß augenblickliche Noth oder Leidenſchaft vorübergehend das Schiffchen mit einem mißfarbigen433 Einſchlag durch das Gewebe trieb, nein, in welchem das Verbrechen als alltägliches Handwerk in ſeiner kalten Gemeinheit waltete.

In dieſer ſchweren Nacht gedachte er an jene bibliſche Erzählung von dem Erzvater, der im Traume eine Leiter auf der Erde ſtehen ſah, die mit der Spitze bis an den Himmel reichte; die Engel ſtiegen daran auf und nieder und Gott ſelbſt ſtand oben darauf. Ihm nahm das Traumgeſicht die entgegengeſetzte Richtung: er ſah endloſe Stufen in die Tiefe führen; der Weg hinab war leicht, aber die Rückkehr abgeſchnitten; ſchon war er weit hinuntergeſtiegen, und jetzt reichten ihm ſeine Genoſſen die Hände und tanzten luſtig lachend immer tiefer mit ihm hinab. Die verführeriſche Geſtalt der Gefährtin ſeines Ver¬ derbens winkte ihm, die Tochter einer geſetzloſen Welt erſchien ihm wie eine ſchöne Tigerin, die mit heißer Zunge an ſeinem Herzen leckte. Mitten im Grauſen der Verworfenheit empfand er den Reiz, der ihn zu ihr hinzog, und ſeine Sinne riefen ihm zu, die Luſt des Lebens noch recht zu koſten, wenn er denn doch rettungslos verloren ſein ſolle.

Er ſchweifte in weiten Kreiſen vom Felde in den Wald und vom Walde in das Feld zurück; aber weder in Feld noch Wald wuchs das Kraut, das den fieberiſchen Aufruhr ſeines Blutes heilen konnte.

Der Morgen kam und endlich ging auch die Sonne über den Bergen auf. Höher ſteigend ſchien ſie in das breite Thal hinein und trocknete den Thau von dem gemähten Heu, das in großen Haufen auf dem Felde lag, ſo daß bald ein ſüßer Duft ſich mit den Morgen¬ lüften miſchte, jener Duft, der vor allen andern den Menſchen mit heimathlichen Empfindungen erfüllt. Der Geächtete ſog ihn gierig ein und Thränen traten in ſeine müden Augen. Wie oft hatte er da unten als Knabe mit andern Knaben, die jetzt ſich verabſcheuend von ihm wandten oder mit der Mordwaffe ſeine Spur verfolgten, in dem aufgeſchichteten Heu ſich gewälzt und vor Freude gejauchzt! Von dem Vorſprung, auf dem er ſtand, konnte er in ſeinen Flecken hinein¬ ſehen und die Giebel der Häuſer erkennen, an welchen ſeine Erinne¬ rungen hafteten. Dort, von den Erlen des Flüßchens überragt, ſtand das Haus, das ihn geboren, das nach dem rechten Laufe der Dinge ihn als Erben hätte behalten ſollen. Hier, am Ende des Fleckens, ſtand das Haus der Armuth, wo ſeine Kinder waren, wo er denD. B. IV. Kurz, Sonnenwirth 28434ſchwarzen Faden angeknüpft hatte, der ſich auf ſeinem Lebenswege immer feſter um ſeine Füße wand. Und dort weiterhin ſah er den Giebel des Rathhauſes, wo ihm aus dieſem Faden die Stricke gedreht wurden, die ihn immer weiter von der bürgerlichen Geſellſchaft los¬ riſſen. Dort war ſeine erſte Chriſtine dieſe Nacht im Gefängniß ge¬ legen und befand ſich jetzt wohl ſchon auf dem Wege, zu ſtark ver¬ wahrt, als daß er ſie hätte befreien können. Und wenn ihm auch ein kühner Streich gelänge, er konnte ja doch den Kindern nicht die Mutter wieder geben, und der Vater war auf lange, vielleicht auf immer, von ihrer Schwelle verbannt.

Doch war es nicht dies allein, was ſeinen Blick an die grauen Giebel feſſelte: es war der wunderbare Zug nach der Heimath, den ſeine heimathloſen Geſellen nicht verſtanden. Seltſamer Drang des Herzens! Keine heimiſche Geſchichte, vom Mund des Großvaters auf den Enkel fortgepflanzt, keine alte Volksſitte lebte in dieſem nüchternen Orte, woraus das Gemüth des Knaben Nahrung und dankbare An¬ hänglichkeit hätte ſchöpfen können, und doch zog es den reifenden Mann aus der Oede der Verbannung immer wieder nach der kargen Heimath zurück. Sie hatte ihn ausgeſtoßen und von ſich geſpieen, ſie fürchtete ſich vor ihm wie vor dem wilden Thiere, das aus den Wäldern her¬ vorbricht; er fluchte ihr und drohte ihr mit Mord und Brand: und doch kam er immer wieder nach ihr zu ſchauen, und in ſeiner kindiſch unverdauten Weiſe war er mehr als auf jede Kriegs - oder Friedens¬ neuigkeit darauf erpicht, zu wiſſen, was man in Ebersbach von ihm ſage, obgleich er ſich die Antwort ſelbſt geben konnte, die ihn immer wieder mit Wuth und Haß gegen die Menſchheit erfüllte.

Wuth und Haß traten auch jetzt wieder an die Stelle der Weh¬ muth; ohnmächtige Racheblicke ſendete er hinab, und ſein abgehetztes Hirn begann zu wirbeln, ſo daß er ſich dem Wahnſinn nahe fühlte und es gerathen fand, ſich mit der Jagd nach Wild eine Beſchäftigung aufzuerlegen, um der Hetzjagd ſeiner Gedanken zu entgehen. Auch war es Zeit für ihn, das Feld zu räumen, denn die Mäher kamen da und dort aus dem Flecken gezogen, und ihre Senſen blitzten in der Sonne. Bald gehörte die Welt mit Ausnahme der Waldwinkel und Diebsherbergen wieder den Menſchen, die in den Schranken des Lebens blieben und ſich unter das Geſetz beugten. Sein Platz war435 nicht mehr hier, und wenn er dem Lichte des Tages zu trotzen wagte, ſo durfte er ſich bald wieder auf das wilde Geſchrei der Menſchenjagd gefaßt halten.

Er ging in den Wald und zog aufmerkſam ſpürend einen großen Bogen, der ihn zuletzt wieder, eine gute Strecke unterhalb ſeines Vater¬ ortes, gegen das Thal herausführte. Er befand ſich hier an einer ſteilen Bergſeite über einem ganz engen Seitenthälchen, das in der Urzeit nur eine Schlucht geweſen war. Ein dünnes Bächlein rieſelte durch den Grund nach dem größern Thale hinaus und neben dem Bächlein lief ein ſchmaler Weg hin, kaum für kleine Fuhrwerke be¬ fahrbar. Das Bächlein und der Weg füllten den Grund des kleinen Einſchnittes völlig aus; über dem Bächlein hing der ſteile Bergwald, wie eine beinahe gerade Wand, und von dem Rande des ſchmalen Weges an ſtieg die entgegengeſetzte Wand, ſich ſanfter zurücklehnend, nach der Anhöhe empor, die das größere Thal begrenzte. Auf dieſer nicht ſo ſteil geneigten Seite zogen ſich Wieſenſtücke vom Thal herein und von der Höhe herab bis an den Rand des Weges, aber von Wald unterbrochen, der ſich an einzelnen Stellen von der ſteilen Berg¬ wand her über das Bächlein auch auf die andre Seite verbreitet hatte, ſo daß der ſchmale Weg ſich oft im Walde zu verlieren ſchien. Das Thälchen war ſo ſtill, daß das Wild hier oft bis an den Weg her¬ unterkam, um aus dem Bächlein zu trinken.

Er zog ſich an der ſteilen Bergſeite hin und gerieth in eine Ver¬ tiefung, die von oben nach dem Thälchen herablief, wie ſie, vom Volke Klingen genannt, in den vielfach eingeſchnittenen Bergwäldern ſich häufig finden. Ein Erdaufwurf, mit Moos und Waldgras bewachſen, hinderte ſeinen Schritt. Er blieb ſtehen und beſann ſich. Richtig! ſagte er: hier am Kirnberg, weit ab von ihrer Gemeinſchaft, haben ſie dich eingeſcharrt, armer Küblerfritz! Wenn Einer des Wegs daher kommt, ſo geht er gewiß ſcheu vorüber und denkt in ſeinem Herzen: Herr, ich danke dir, daß ich kein Solcher bin. Bei Nacht wird ſich vollends gar Keiner herwagen, und doch bleibſt du ſicherlich auf dei¬ nem trotzigen Ellenbogen ruhig liegen, denn der Kirnbach da drunten iſt viel zu klein für deinen Durſt. Schlaf 'du ruhig fort im kühlen grünen Wald. Hier iſt dir's wohler, als auf dem Kirchhof neben den Andern mit ihrem Wahren Chriſtenthum . Hätt' ich dran gedacht,28 *436ſo wär 'ich heut Nacht bei dir eingekehrt, alter Kamerad. Dafür will ich dir jetzt ein wenig Geſellſchaft leiſten.

Er ſetzte ſich auf den verrufenen Hügel und pflog mit ſeinen Gedanken Verkehr. Da ſie ihm aber zu wild wurden, ſtand er wieder auf und ging weiter vorwärts, bis er zu einer alten Buche kam, die ihm bequem zum Anſtand ſchien. Das Gewehr in den herab¬ hängenden Händen haltend, lehnte er ſich an den Baum und ſtarrte in den blauen Himmel empor. Es war ſo ſtill, daß der Ton des Mähens von draußen, wie er glaubte, in dieſe Einſamkeit zu ihm drang. Da weckte ihn ein Geräuſch in der Nähe. Er blickte hin und erhob leiſe das Gewehr. Auf einer kleinen Lichtung, unter der Stelle, wo er ſeinen Stand genommen, war ein Hirſch herausgetreten, der lauſchend ſtehen blieb. Er legte an, zielte und wollte abdrücken, zog aber in dieſem Augenblicke das Gewehr zurück, da er die Urſache entdeckte, die den Hirſch zurückgehalten und ihm ſo ſchußgerecht gebracht hatte. In der Richtung des Schuſſes, auf einer Wieſe an der Bergſeite gegenüber, ſah er zwei Männer mähen; das Rauſchen der Senſen hatte das ſcheue Thier ſtutzig gemacht, ohne daß es vor dem zu dieſer Zeit ge¬ wohnten Tone floh. Die Wieſe war ſo nahe, daß ein Fehlſchuß den Männern Gefahr bringen konnte. Er hielt das Gewehr unſchlüſſig in den Händen und blickte hinüber da ſpannten ſich auf einmal alle ſeine Muskeln und ſeine Augen traten hervor: der eine der beiden Mäher war der Fiſcher! Er dachte nicht daran, welche jämmerliche Armuth dieſen Menſchen getrieben haben mußte, um eines elenden Taglohnes willen ſich in dieſes abgelegene Thälchen zu wagen, während er in jedem Winkel der Gegend ſeinen ſchwergereizten Feind, nach dem er ſo eben noch geſchoſſen, zu vermuthen hatte er dachte nur an ſeinen wiederholten Schwur, den erſten der drei gedungenen Verfolger, der ihm vor die Mündung kommen würde, zu bezahlen. Hab 'ich dich, Mordhund! ſagte er die Lippen lautlos bewegend. Er legte das Gewehr wieder an und richtete es ſeitwärts von dem Hirſche, der noch immer gegen die Wieſe hinab lauſchte, gegen das in ſeinen Schuß gekommene Menſchenwild. Es bedurfte eines leichten Drucks und ſeine Rache war gekühlt, der Eid, zu deſſen Sklaven er ſich machen wollte, war eingelöst. Was hielt ihn zurück?

Er zog das Gewehr wieder an ſich und blickte lange auf den437 Menſchen, der ſo oft das feindliche Werkzeug gegen ihn abgegeben, der vor wenigen Stunden noch aus Haß und Geldgier ſeine Kugel auf ihn abgeſchoſſen hatte. In dieſem unbedeutenden Menſchen ſah er Alle verſammelt, die ihn gedrückt, die ihn aus dem Geleiſe gedrängt und endlich von der Bahn ſeiner rechtmäßigen Anſprüche hinabgeſtoßen hatten.

Er ſah die feige Unredlichkeit an der Tafel des Lebens ſchmauſen und ſich ſelbſt in die Wildniß hinausgeſtoßen. Und waren die Unſchuldigen, welche ſeiner rettungsloſen Verzweiflung noch zum Opfer fallen ſollten, von welchen Einer bereits den Reigen begonnen hatte, waren ſie nicht eines Schuldopfers werth? Hier ſtand Einer ſeiner Kugel preisgegeben, der ſich über und über mit Schuld an ihm bedeckt hatte. Wenn der Weg des Verbrechens, wie auch der rohe und verworren denkende Menſch ſich wünſcht, durch den Gedanken der Rache an der ungerechten Ge¬ ſellſchaft eine gewiſſe Weihe erhalten ſollte, ſo winkte ihm hier an der Pforte der Hölle eine Rachethat, bei welcher er ſich, um Recht und Gerechtigkeit betrogen, ſo hoch berechtigt fühlte, Richter in eigener Sache zu ſein, daß er ſein neues Leben nicht beſſer einweihen zu können meinte. Warum zögerte ſein Finger am Drücker?

Viermal zielte er und viermal ſetzte er wieder ab.

Der Menſch, wer er auch ſei, trifft Stunden in ſeinem Leben, wo er tief in ſich blicken kann und gewahr wird, daß eine Stimme des Wahnſinns in ihm ſchlummert, die zu Zeiten erwacht. Es ſteht Einer im Gebirge an einer jähen, ſchwindelnden Felſenwand, da taucht plötz¬ lich die Stimme in ihm auf und ſagt ihm: Spring 'da hinab. Oder er hat einen Freund bei ſich, der ihm nie etwas zu Leid gethan, der ſich ihm als feuerfeſt erwieſen hat; die Stimme ſagt: Gib ihm einen Stoß, daß er hinunter fliegt. Die menſchliche Geſellſchaft, die für ihren Beſtand zu ſorgen hat, macht mit Recht den Menſchen ver¬ antwortlich, damit er dieſer Stimme nicht gehorcht. Wer in ſeiner geſunden Kraft wandelt, der kämpft ſie leicht nieder und lächelt über ſie, wie der Menſch über die Sprünge ſeines thieriſchen Zerrbildes lächelt. Wo aber Leidenſchaft, wo Haß und Rache die Stimme beflügeln, da wird der Kampf ſchwerer. Und doch wird Jeder, der in den dunkelſten Stunden ſeines Lebens ſein menſchlich Theil gerettet oder verloren hat, Zeugniß geben, daß eine innere Bewegung mit der Gewalt einer unſichtbaren Macht eingegriffen und ſeiner Hand438 ein Halt geboten hat. Selbſt im Kriege, beſonders wenn der Einzelne dem Einzelnen gegenüber ſteht, wird es oft der mordgewohnten Hand ſchwer, einen neuen Mord zu begehen. Nur die Henker ſind von jener inneren Macht ſo fürchterlich verlaſſen, daß ſie mit kaltem Blute die Rache der Geſellſchaft an einem rohen Verletzer einer rohen Ordnung vollziehen können. Und oft ſelbſt dieſe nicht!

Kampf und Wuth und Schrecken umnebelten den Geiſt des aus¬ geſtoßenen Sohnes der Geſellſchaft, der ſich vergebens beredete, daß er mit kaltem Blute in dem Kriege, welcher gegen ihn geführt wurde, ſeinen Feind niederſchießen könne. Seine Rachegedanken waren ihm wüſt und unklar durch die Seele gegangen; ſie ſchwanden hin und gänzliche Verwir¬ rung ſeiner Sinne blieb zurück, in welcher nichts von Haß und Rache, nichts von Bewußtſein mehr war, in welcher nur jene dunkle Stimme fort und fort flüſterte: Thu's! thu's! du mußt es thun!

Der Schuß krachte über das Thal hinüber, der Hirſch war mit einem Satze verſchwunden, und der Rauch, der von dem Gewehr auf¬ ſtieg, verhüllte den friedlich blauen Himmel einen Augenblick. Obgleich von oben nach unten verſendet, hatte der Schuß nicht gefehlt. Der Mörder hörte und ſah, während der Rauch ſich verzog, wie ſein Opfer aus der gebückten Stellung ſich aufrichtete, die Hand auf den Unter¬ leib drückte und ausrief: O du verfluchter Hund er hat mich ge¬ troffen! Der Gefährte des Fiſchers eilte hinzu und riß ihn, noch er¬ ſchrockener als der Getroffene, mit ſich an den Weg hinab, auf welchem er, beſtändig den Kopf geduckt haltend, mit ihm fortrannte. Der Mörder ſchritt an ſeiner Bergſette weiter vor gegen das Thal hinaus und ſah mit ſtumpfer Theilnahme, mit einer ſeltſamen Art von Neu¬ gier aus der Höhe zu, wie die Beiden gegen das offene Thal hinaus¬ liefen, wie der Fiſcher, den ſeine Eingeweide zu brennen ſchienen, von ſeinem Genoſſen unterſtützt aus dem Bache trank, und wie den Zuſammen¬ ſinkenden ein draußen vorbeikommender Wagen aufnahm. Die Leute liefen im Thale von den Feldern zuſammen und er hörte in ſeiner waldigen Höhe das Geſchrei: Meuchelmord!

Es wurde ſtill in dem engen Thal des Todes, ſo ſtill, daß alle Hirſche des Waldes ſich darin hätten verſammeln können. Nach einiger Zeit kam eine Kuh langſam aus dem Walde den Weg daher. Sie mochte ſich von einer nahen, im Walde gelegenen Weide hierher verloren439 haben. Sie lief auf die Wieſe, wo der Fiſcher den Todesſchuß er¬ halten hatte, und begann ſich an dem von der Senſe verlaſſenen Graſe zu ergötzen.

Wieder verging einige Zeit, da kam ein Mann aus der Tiefe des Thälchens den ſchmalen Weg dahergegangen, eine von Alter gebeugte und gebrochene Geſtalt. Es war der Sonnenwirth, der in dieſer frühen Stunde auf einem benachbarten Hofe einen Viehhandel abgeſchloſſen hatte und jetzt dem Thale zuging, um auf den Wieſen im Vorübergehen nach ſeinen Mähern zu ſehen. Sein bleiches, mit tiefen Furchen gezeichnetes Geſicht verrieth, daß ſeine guten Tage gezählt waren.

Er ſchritt kummervoll zu Boden blickend ſeinen Weg dahin. Da rief eine Stimme über ihm, wie mit Donnerton: Sonnenwirth von Ebersbach!

Er fuhr zuſammen und blickte in die Höhe. War das ſein Sohn an dem ſteilen Waldabhange über ihm? Er ſtand auf einer Lichtung, ſo daß die Bäume unter ihm nur bis an ſeine Bruſt reichten und ihn als eine Geſtalt von übermenſchlicher Größe erſcheinen ließen.

Sonnenwirth von Ebersbach! rief er, auf ſein Gewehr geſtützt: wo haſt du deinen Sohn?

Dem Alten ging ein Schauer durch Mark und Bein.

Sieh her! fuhr die Erſcheinung fort, auf ein junges Bäumchen deutend, das ohne Stütze überhing, und dann auf einen knorrig ver¬ krüppelten Baum daneben: ſieh, wenn ich den jungen Schößling in die Höhe ziehe und ihm eine Stütze gebe, ſo wächſt er aufrecht und luſtig fort, aber an dem alten Knorren, der in ſeiner Jugend verſäumt worden iſt, iſt alle Kunſt verloren. Du haſt deinem Sohn geſagt, du wolleſt ihm die Aeſt 'abhauen, wenn er zu krattelig werde. An dem alten verwachſenen Knorren kannſt du ſehen, wie weit du es gebracht haſt. Du haſt deinen Schößling üppig aufwachſen laſſen, da ihm ſtrenge Zucht nöthig war, und zur Zeit des freien Wachs¬ thums haſt du ihn zu Schanden geſchnitten. Dein Bub' iſt jetzt ein Mann geworden, ein Räuber und ein Mörder. Laß dein Weib nicht für mich beten, wie ſie einmal geſagt hat: ihr Gebet hat keine Kraft. Wenn du aber glaubſt, alter Mann, daß du dir mit deinem Handel und Wandel eine Anſprache im Himmel eröffnet habeſt, dann bete du für mich. Meine Zeit iſt um, Vater, Ihr braucht keine Angſt440 mehr vor mir zu haben, denn es riecht hier nach Blut. Der Ab¬ grund hat ſich aufgethan, und ich fühl's, wie ich zuſehends tiefer und tiefer hineinſinke. Ich höre rufen: Komm! und ich komme. Lebt wohl, Vater, mög 'Euch Gott verzeihen ich verzeihe Euch!

Die Kniee zitterten dem alten Manne und er mußte ſich an dem Rande des Weges zu Boden ſetzen. Erſt nach langer Zeit wagte er in die Höhe zu blicken. Die furchtbare Erſcheinung war verſchwunden. Iſt das mein Sohn geweſen oder ? Was er predigen kann! Hätt 'ich ihn denn vielleicht einen Pfarrer werden laſſen ſollen? Dum¬ mes Geſchwätz! Wenn er ein Räuber und Mörder iſt, wie er ſagt, ſo iſt er ein ſchlechter Prediger. Aber ich hab's ja immer geſagt: er iſt im Kopf nicht recht.

Mit dieſen Worten hatte er ſich wieder zurecht gefunden. Er erhob ſich, ſchüttelte den Schrecken aus den Gliedern und ſchickte ſich an, das Thälchen, in welchem er von demſelben überfallen worden war, eilig zu verlaſſen, als er die Kuh bemerkte, die ſich auf dem Eigenthum eines Mitbürgers gütlich that. Er jagte ſie aus dem Graſe heraus und trieb das unvernünftige Thier ſorgfältig auf dem Wege vor ſich her, während ſein verlorner Sohn ſich den Berg hinauf¬ zog, um unwiderruflich einem Leben zu verfallen, das ihm ſelbſt als die Hölle erſchien.

441

38.

Obwohl frei ohne jedes andre Maß und Ziel, als das ſie ſelbſt ſich ſetzt, folgt doch die Dichtung gern dem Gefangenen in die Kerkerzelle und zum Schaffott, aber ſie verſtummt unter dem Geräuſche der chriſtlich-deutſchen Juſtiz. Wie ſie es verſchmäht, ihm in die ſchmutzigen Höhlen des gewerbsmäßigen Verbrechens zu folgen, ſo bleibt ſie auch vor jenen verſchloſſenen Thüren ſtehen, hinter welchen das Leben des Menſchen ſtückweiſe an die Paragraphen eines fremden, todten Rechts gehalten wird. Sie läßt an ihrer Statt ihre Schweſter mit dem ſtil¬ len unbewegten Auge, die Geſchichtſchreibung, eintreten und in dem Actenſtaube wühlen.

Drei Jahre waren ſeit dem Tode des Fiſchers verfloſſen, der den Amtmann von Ebersbach und den Vogt von Göppingen gegen den Meuchelmörder in Bewegung geſetzt hatte. Es gab keine Vögte mehr im Lande, der Herzog hatte ihnen den Oberamtmannstitel ertheilt, weil man, wie er ſich in ſeinem Reſcripte ausdrückte, den vorgeſetzten Stabsbeamten zu ihrer Amtsführung, Erhaltung der fürſtlichen Rechte und Vollziehung der Regierungsbefehle niemals zu viel amtliche Au¬ torität und zu ſolcher niemals zu viel Mittel an die Hand geben könne, die bisherige Benennung Vogt aber die wahre Dignität und den großen Umfang ihres Amtes zu wenig ausdrücke, dieſes vielmehr in ſeinem Werth, beſonders gegen Fremde, um ein Großes herabſetze.

So war auch der Vogt von Vaihingen an der Enz ſeit einem Jahre Oberamtmann geworden, als er eine Reihe von Protokollen mit dem folgenden begann:

Vayhingen. Actum den 7. Martii 1760, vor daſigem Oberamt, in Gegenwart der beeden Gerichtsverwandten Matheus Brechten und Joſeph Luipoldten, als Urkunds-Perſohnen. Geſtern Abends, um un¬ gefähr 5 Uhr, geſchahe es, daß von dem Brucken-Thorwart, Chriſtian Freppe, ein unbekannter Kerl, nachdeme ihm jener vorher die Pässe442 abgefordert, auf dem Pferdt ſitzend, vor die Oberamtey geführt, und als er anfänglich von dem Oberamtsſcribenten Heermann, und bald darauf auch von mir, dem Oberamtmann ſelbſten, unter dem Hauß gefragt wurde, wer er ſeye? wo er herkomme? und wohin er wolle? darauff zur Antwortt gab: daß er ein Crämer: von Pforzheim komme: bey daſigem Schwerdtwirth ein krankes Weib liegen habe, und nun, um einen Doctor zu conſuliren, nacher Schozach oder Hofen reutten wolle! da aber Oberamtmann, ſeiner ganz unverdächtig geſchienenen Päſſe ohngeachtet, (deren 2 unter dem großen Stadtſigill von Stra߬ burg, under dem 10. April und 14. Sept. 1759, der dritte aber von Comburg und unterm 16. Januarii 1760 datirt und ausgefert¬ tiget waren) eine gewieße Alteration an ihm wahrgenommen zu haben glaubte, und ihm deßwegen in faciem befahl, daß er abſteigen und mit ihm in die Amtsſtube heraufgehen ſolle, alſogleich das Pferdt umwandte und in vollem Galopp gegen dem Enzweihinger Thor zu¬ ritt, unter dieſem Thor aber, auf das Rufen gedachten Scribentens, der ihn durch einen nähern Weeg coupirt und mit ihm vor das Thor kam, von dem Pferdt abſtieg, gegen den Schloſſer Mathäus Brechten auf ſein Zurufen: daß er ihm den Schmidhammer in Kopf werfe, wann er nicht halten würde! eines ſeiner 2 unter dem Rock-Futher verſteckt - gehabt - ſcharffgeladenen Piſtohlen hervorzog, ſolches, nach¬ dem ihm Brecht hierauf auf den Leib ſprang, und von hinten her umfaſſet, demſelbigen an den untern Leib drückete, auch, nach ſeiner ungezweiffelten Abſicht, auf ihn abgefeuert haben würde, wo er nicht den Hahnen zu ſpannen vergeſſen, und durch Hülffe des bald darauff dazu geſprungenen Mezgersjungen, Schemels, und deſſen Meiſters, Leonhardt Arlets, überwältiget worden wäre. Nach dieſem Vorgang wurde er in die Oberamtey geführet, ſtellte ſich daſelbſt ganz betrunken, beklagte ſich über das harte Tractament der Leuthe, die ihn bey¬ gefangen, und ließ weiter keine verſtändliche Antwortt von ſich kommen, als daß er ſagte, er ſey ein kaiſerlicher Deserteur, heiße Johannes Klein, die Päſſe und das Pferdt gehören einem Mann, der ihm letz¬ teres geliehen, etliche Stund vorausgegangen und heute frühe bey Heilbronn Seiner erwartten werde; Weil man nun über alles dieſes nichts als: Kugeln, Pulver, Schwefelhölzlen, Feuerſtahl, Stein, Zun¬ del, ein Fingerlanges Wax-Kerzlen und ein hebräiſches Wörter¬443 buch bey ihm gefunden; So wurde ſelbiger die Nacht über in dem Blockhaus auf das ſchärffeſte geſchloſſen und angefeſſelt, anheute aber vorgeführet, und ihm oberamtlich zu erkennen gegeben, Daß er, allen Umſtänden nach, ein Räuber, Mörder, und einer der größeſten Spitz¬ buben ſeye, der den Händen der Obrigkeit nimmer entgehen, und weiter nichts übrig haben werde, dann daß er, durch eine wahre Er - und Bekanntnuß ſeiner begangenen groſen Miſſethaten, ſeine Seele noch zu erretten ſuche, hisce præmissis aber befraget: Q. 1. Wie er heiße, woher und wie alt er ſeye? R. Er ſehe nun ſchon, daß er in die Hände der Obrigkeit gefallen, wolle, durch Verläugnung ſeiner Perſohn und begangenen Miſſethaten, ſeine Verſchuldung vor Gott und der weltlichen Obrigkeit nicht noch gröſer machen, ſeine Sünden unſrem Herrgott demüthiglich abbitten, den Landesfürſten um eine gnädige Strafe anflehen, und hiemit frei bekennen, daß er der ſo¬ genannte Sonnenwirthle ſeye, eigentlich aber Friderich Schwahn heiße, von Eberſpach, Göppinger Amts, gebürtig, 31 Jahr alt und von Profeſſion ein Mezger ſeye, auch nicht nur an dem ſogenannten Fiſcherhanne zu Eberſpach einen Mord begangen, ſondern auch ſich ſonſten hie und da auff vielerley Arth ſchwehrlich verſündiget habe; welches er alles gewiſſenhaft bekennen und darunter weder Seiner ſelbſten, noch derjenigen im Geringſten verſchonen wolle, welche an ſeinen Verbrechen Theil gehabt, und zum Theil in Carlsruhe und Stein, Durlachiſcher Herrſchaft, wirklich in Verhaft genommen ſeyen, und das um ſo mehr, als ihm ſein ſo ſündliches als elendes Leben (bei dem er unterdeſſen wenig gute Tage gehabt, auch von Hunger, Kälte, und ſeinen ſich dabei gemachten Strapazen entſetzlich viel er¬ litten) ſchon lange entlaidet, wie er dann aus dieſem Grund nicht nur an den Durlachiſchen Beamten zu Stain, erſt vor 8 Wochen, mit aigner Hand, unter dem Namen Gillch, ein weitläufiges Schreiben, ſo ihm auch vermuthlich richtig werde belüfert worden ſeyn, des Inhalts habe ergehen laſſen, daß wann man ihm Gnade verſprechen und er¬ theilen wolle, er ihme, dem Herrn Beamten, auf etlichen Jahrmärkten eine damals in der Nähe geweßte Partie von ſechzig Mann, ſo lauter Juden geweßt, und dann wiederum eine andere Partie Spitzbuben von eben ſo groſ - oder noch gröſerer Anzahl, welche ſich dieß - und jenſeits dem Rhein, bei Gannßheim, Moßhardt und Oberacherach, in den444 Wäldern auffhalten, und ihre beſondere Hüttinen darinn haben, ohne allen Anſtand in die Hände lüffern, und dadurch die ganze Ge¬ gend von dieſem Geſindel reinigen wolle, ſondern auch, da er gehöret, daß ſeine Herzogliche Durchlaucht in der Retour aus der letzten Campagne durch Mergenthal paſſiren werden, er ſich zu dem Ende in den Orth begeben habe, um ſich Höchſtdemeſelben zu Füßen zu werffen, ſich zu erkennen zu geben und um Gnade zu bitten; Weil aber Seine Durchlaucht die Stadt nicht paſſiret, ſo ſeye ihm die Gelegenheit dazu abgeſchnitten worden. Q. 2. Ob ſeine beede Eltern noch im Leben? R. Sein Vatter ſey noch im Leben, und ohngefähr 75 Jahr alt, ſeine rechte Mutter aber ſchon vor 15 Jahren geſtorben; Nach ihrem Tod habe ſich ſein Vatter wiederum an eine Frau verheurathet, die wenig Liebe vor ihne und ſeine Geſchwiſtrigte bezeugt, ſehr böß und vortheilhaftig, und eben deßwegen viel daran ſchuld geweſen ſeye, daß, da er ſich in ihren Kopf nicht ſchicken kön¬ nen, ein Excess aus dem andern bei ihm darüber entſtanden, und er zuletzt auf die unglückſeligſte Abwege gerathen. Daß vorſtehende Ausſage auf beſchehenes Vorleßen von dem Inquisiten nochmalen be¬ ſtätiget worden, Ein ſolches bezeugen die Urkunds-Perſohnen: Matheus Brecht, Joſeph Luypoldt.

Der wichtige Fang wurde von dem Oberamtmann ſogleich unter¬ thänigſt einberichtet und, da nach wenigen Tagen die Reſolution ein¬ lief, daß die Unterſuchung in Vaihingen, als in foro deprehensionis, geführt werden ſolle, mit derſelben fortgefahren.

So war denn der Verbrecher aus verlorener geſellſchaftlicher Stel¬ lung nach kaum dreijähriger Laufbahn ein lebensmüder Gefangener und Verräther ſeiner Mitſchuldigen geworden. Dieſer letztere Zug darf am wenigſten übergangen werden, denn es handelt ſich hier nicht darum, durch den Aufputz eines Helden der Vorſtellung des Leſers zu ſchmeicheln, ſondern die innere Welt eines Menſchen aus dem Volke darzulegen, damit, wer da will, ſich daran ſpiegeln möge.

Zum Glück iſt das Protokoll des Oberamtmanns von Vaihingen nicht die einzige Quelle hiefür. Er war, im Geiſte ſeiner Zeit, ein gewiſſenhafter Beamter, perſönlich ein Menſchenfreund und Ehrenmann, deſſen Nachkommen noch heute ſtolz darauf ſind, daß er nicht, wie faſt alle Regierungsdiener um ihn her, ſeine Stelle vom Herzog er¬445 kauft habe, ſondern eher den Dienſt aufgegeben als ſich zum Scha¬ tulliren erniedrigt haben würde; aber eine innerliche Auffaſſung des Lebensbildes, das die Unterſuchung vor ihm entrollte, in den Acten niederzulegen, war nicht ſeines Amtes, und gleich das erſte Protokoll zeigt, daß er Inquirent genug war, ſich das überraſchend freiwillige Entgegenkommen ſeines Gefangenen dem er nicht ſo leicht beigekom¬ men wäre, wenn dieſer nicht ſelbſt, gebrochenen Gemüths, ihm ſeine Seele in die Hände gelegt hätte nach den Quadrangeln des Inqui¬ ſitionsproceſſes zurecht zu machen; ein Verfahren freilich, das ihm weniger als ſeiner Zeit und ſeinem Amte angehört.

Der Oberamtmann hatte einen Sohn, der den Verbrecher täglich, wenn er in's Verhör geführt wurde, ſah, die allgemeine Theilnahme der Stadt an den vielen freundlichen Seiten im Weſen des Unglück¬ lichen mitempfand und ſich häufig mit ihm unterhielt. Die Familien¬ ſage erzählt von ihm, daß er ſchon als Knabe, wie ſpäter noch im Mannesalter, für Cato und Brutus, als die größten Männer, ge¬ ſchwärmt habe. Aus dem Munde dieſes Knaben erfuhr der gefallene Sohn des Volkes ohne Zweifel zum erſtenmal in ſeinem Leben, daß es in der Geſchichte Bürger gegeben habe, welche die Retter oder Verderber ihres Vaterlandes wurden. Als der Knabe ein Mann ge¬ worden war und an der hohen Schule ſeines Herzogs junge Männer bilden half, erinnerte er ſich des armen Friedrich Schwan und zeich¬ nete nach der Erinnerung ſeine Geſchichte auf, wie er ſie aus ſeinem Munde und aus der Nacherzählung erwachſener Männer vernommen hatte. Seine römiſchen Helden ſchwebten ihm auch bei dieſer Auf¬ zeichnung vor, und er beginnt die erſten Zeilen derſelben mit den Worten, der junge Friedrich ſei mit außerordentlichen Anlagen des Geiſtes ausgeſtattet geweſen, habe den Keim jeder großen Tugend und jedes großen Laſters in ſich getragen, und nur von der äußer¬ lichen Lage habe es abgehangen, ob er Brutus oder Catilina werden ſollte. Ach, die äußerliche Lage war, wie auch die Umſtände beſchaffen ſein mochten, jedenfalls von der Art, daß er das Eine wie das Andere nur in ſehr beſchränktem Sinne werden konnte. Auch in andern Dingen iſt dieſe Geſchichte nach dem mangelhaften Geiſt und Ge¬ ſchmack der Zeit geſchrieben; doch verhält ſie ſich zu den Acten wie ein farbiges Gemälde zu einem grauen Umriß; und nur aus beiden446 zuſammen iſt es möglich, ein Bild von den letzten Lebensjahren des verlorenen Sohnes von Ebersbach zu geben.

Der ſcharfſinnige Plan, der an der Waldecke bei Wäſchenbeuren gefaßt wurde, war nur ſehr unvollkommen ausgeführt worden. Das Sprichwort, daß nicht Alles Gold iſt, was glänzt, hatte ſich auch bei dem Eintritt Schwan's in die Genoſſenſchaft der Jauner bewährt. Es iſt nicht wahr, daß die Spitzbuben ehrlich gegen einander ſind und daß ſich auf dieſe Eigenſchaft eine feſte geſellige Ordnung unter ihnen gründen ließe. Neid, gegenſeitiger Betrug und nie ruhender Verdacht, ſelbſt unter Verwandten, verbitterten ihm das von Hauſe aus argloſe Gemüth gegen dieſe neue Welt bald noch ſtärker als gegen die alte, die ihn ausgeſtoßen hatte. Er zog meiſt mit der ſchwarzen Chriſtine, die er ſich beigeſellte, allein in den Landen umher. Dieſes ungewöhnliche Weib, von welcher der Geſchichtſchreiber eines Räubers und einer Räu¬ berin ſagt, ſie habe alle Gaben der Natur in reichem Maße beſeſſen und mit einer ſehr ſchönen Körperbildung eine große Thätigkeit und Anlage des Geiſtes verbunden, hing an ihm mit einer Leidenſchaft, wie ſie die alten Sagen jenen Hünenweibern beilegen; aber ſie quälte ihn durch eine unbändige Eiferſucht, und als die blonde Chriſtine, trotzdem daß es ihr geglückt war in einem Dienſte unterzukommen, dem Zuge ihres Herzens folgend ihn einſt beſuchte, ſo duldete die Zigeunerin ſie nicht, ſondern trieb ſie gegen ſeinen Willen nach kurzem Zuſammenſein wie¬ der fort. Dem Scharfſinn und der Gewandtheit dieſes Weibes ver¬ dankte er ſeine glücklichſten Tage, wenn man es ein Glück heißen kann, von geſtohlenem Gute zu leben. Aber man trifft nicht jeden Tag einen Markt, um die Taſchen zu füllen, auch gelang nicht jeder Marktbeſuch. Chriſtine wurde mehrmals gefangen; auch die Ehehändel trennten das Paar oft Wochen lang. Wenn es gut ging, ſo zog er als Krämer mit Paß und Kramkiſte durch das Land, verkaufte ſeine Waaren um billige Preiſe von Haus zu Haus, mied jede verrufene Geſellſchaft, herbergte in den beſten Gaſthäuſern und war, wie er in der Unter¬ ſuchung ſagte, auf der ganzen Straße von Mergentheim bis Stra߬ burg als der ehrlichſte Kerl bekannt, ſo daß die Wirthe, wie er hin¬ zufügte, ſich entſetzlich verwundern würden, wenn ſie erführen, daß ſie unter dem Namen des ehrſamen Krämers Johann Sigmund oder auch Hermann den Sonnenwirthle aufgenommen haben. Daß ſeine äußere447 Erſcheinung ihn hiebei auf's Beſte unterſtützte, geſtand ihm nicht bloß der Spiegel, ſondern ſogar ein gedruckter Steckbrief, den zwei Schult¬ heißen einſt in der Schenke miteinander laſen, während er ſelbſt ihnen, an ihrem Geſpräche über den Sonnenwirthle theilnehmend, gemüthlich über die Schulter in das Papier blickte: Und iſt vorgemeldter Erz - Gauner, hieß es darin, fünf Fuß, ſieben Zoll groß, gedrungener Geſtalt, hat gelbliches Haar, dicken Kopf, feines weißes Geſicht, dicke, runde Backen, volle Waden. Im Bewußtſein dieſes ehrbaren Aus¬ ſehens wagte er einſt einem pfälziſchen Schultheißen und zwei Jägern, die ihn im Spiel betrogen und ihm ſeine Piſtolen nehmen wollten, mit gerichtlicher Klage zu drohen und dem Schultheißen, als er ſich hiedurch nicht ſchrecken ließ, den Hund, den dieſer an ihn hetzte, niederzuſchießen. Aber nicht immer liefen die Abenteuer ſo luſtig ab. Oft verſiegten alle Erwerbsquellen, oder er wurde von Diebshehlern, welchen er auf ſeinen Irrfahrten um die gefangene Chriſtine ſeine Kramkiſte anvertrauen mußte, um den Inhalt derſelben beſtohlen. In ſolchen Zeiten mußte er Hunger und Kummer leiden und, wie Jeder, der ſich dem Teufel ergibt, die Erfahrung machen, daß dieſer ein Filz iſt, und daß man mit der Ehrlichkeit auch im ſchlimmſten Fall ſo weit kommt als mit dem Gegentheil. Dann griff er zu gefähr¬ licheren Unternehmungen: er ließ ſich von den Judenbanden im Gebiete des deutſchen Ordens anwerben oder ſammelte vorüberziehende Genoſſen zu Einbrüchen unter ſeiner eigenen Hauptmannſchaft, welche aber nie länger dauerte als das einzelne Unternehmen ſelbſt. Auf der Straße hat er nie geraubt. Sein Geſchichtſchreiber ſagt, er habe ſich gegen das Ende ſeiner Laufbahn Grauſamkeiten aus Raubſucht erlaubt; doch habe er auch in ſeinen ſchwerſten Verbrechen Spuren übriggebliebener Menſchlichkeit, Mitleiden gegen Arme und Unterdrückte gezeigt, den Grundſatz, nie einen Dürftigen zu berauben, durchgeführt, ſehr große Almoſen gegeben, und den Armen geſchenkt, was er den Reichen ge¬ ſtohlen habe. Von wirklichen Grauſamkeiten findet ſich aber nichts in den Acten, die ſehr genau in ſeine Verbrechen eingehen. Wohl ſind Grauſamkeiten von den Genoſſen ſeiner Thaten angeführt, nicht aber von ihm. Auch verdient hervorgehoben zu werden, daß Einbrüche, die ſeine Genoſſen ohne ihn unternahmen, mehrmals von ſcheußlichen Mordthaten begleitet waren, wogegen bei Ueberfällen, die er leitete448 oder unterſtützte, nie ein Mord begangen worden iſt, mit einer einzigen Ausnahme, an welcher er unſchuldig war, welche aber ſeine Heimath noch einmal in Furcht und Schrecken ſetzen ſollte.

Ein Jahr nach dem Tode des Fiſchers, um Oſtern, wagte er ſich wieder in die Gegend von Ebersbach, ſchickte die ſchwarze Chriſtine in die Sonne und trug ihr auf, ſeinem Vater zu ſagen, ſie habe einen Un¬ bekannten auf der Straße getroffen, der ihn grüßen laſſe. Als er in den folgenden Tagen wieder mit ihr zuſammentraf, erfuhr er von ihr, daß ſein Vater ſeine Kinder zu ſich genommen habe. Inzwiſchen aber hatte er ſich ſelbſt in Ebersbach zu Gaſte geladen und hiedurch den Tod eines Menſchen veranlaßt, dem er nichts weniger als übel wollte. In der Gegend umherſchweifend, war er am Rechberg hinter einer Hecke hervor unvermuthet von einem Kameraden, dem ſogenannten Jäger¬ kaſperle, angeſchrieen worden, der ihm klagte, er habe keinen Kreuzer hinter ſich und vor ſich, und ihn fragte, ob er keine Gelegenheit wiſſe. Da fiel ihm ſein Vormund ein, mit dem er noch ein Hühnchen zu pflücken hatte. Schon die nächſte Nacht fand die beiden Spießgeſellen in deſſen Laden. Während aber Schwan die erſte Beute in einem benachbarten Gäßchen abſetzte, kam der Fleckenſchütz zu ſeinem Unſtern des Weges daher. Er hatte mit einem Bekannten bis über Mitter¬ nacht im Branntweinhauſe gezecht, ſah den Laden offen und taumelte hinein, um zu ſehen, was es gebe. Der Räuber ſchrie ihn an, er ſolle ſich packen. Da aber der Schütz ihn anſtarrte und noch näher auf ihn zuging, ſo gab der Räuber, der ſeinen Stock für eine Flinte hielt, ohne Weiteres Feuer und ſprang ſeinem Genoſſen zu. Ein Nach¬ bar, der von dem Schuß erwachte, ſah zum Fenſter heraus und rief, da er Jemand im Gäßchen erblickte: Was iſt das für ein Schuß? hat man nach des Sonnenwirths Frieder geſchoſſen? Ja, ja! ant¬ wortete dieſer und machte ſich mit dem Andern davon. Daß der Getroffene der Schütz war, und daß die Kugel ihm das Leben gekoſtet, erfuhr er erſt ſpäter, und prügelte ſeinen ungeſchickten Kameraden dafür und für einen Einbruch bei einem Kaufmann in Winnenden, den er als einen ehrlichen Mann nicht beſtohlen wiſſen wollte, tüchtig durch. Dieſer, der die Schläge als verdient anerkannte, ließ den Verdruß darüber an einem Dritten aus, der ihn zu dem Einbruch in Winnenden verleitet hatte, und hieraus entſtand eine Feindſchaft, welche ſo tödtlich wurde, daß man449 einander mit Schüſſen zu Leibe ging, und daß der Verführer des kleinen Kaſpars, als geſchworener Gegner des Sonnenwirths , von den rheiniſchen Jaunern den Namen Contrewirth erhielt. Der Tod des Schützen aber wurde in Ebersbach als eine neue Meuchelthat der ſchädlichen böſen Wurzel angeſehen, und der Vogt ließ Sturm ſchlagen und alle Bürger unter das Gewehr rufen, als ob eine ganze Armee von Jaunern im Anmarſch wäre. Der Kirchenconvent von Ebersbach, unter dem Vorſitze des Pfarrers und Amtmanns, beſchloß dem jüngſten Kinde des verunglückten Schützen eine kleine Unterſtützung auszuſetzen und zu Gunſten der übrigen Hinterbliebenen deſſelben ein unter¬ thäniges Memorial bei der Herrſchaft einzureichen, ſtrafte aber zugleich den Zechbruder des Erſchoſſenen um ein Pfund Heller, weil er dem¬ ſelben beim Schnaps Geſellſchaft geleiſtet und dadurch mittelbar Gelegenheit zu dem Unfall gegeben habe.

Dennoch ſollte der Räuber, ſo ſehr er ſeine Hand rein von Blut zu erhalten ſtrebte, noch einen dritten Mord, den zweiten und letzten, den er ſelbſt beging, auf ſeine Seele laden.

Im Löwen zu Jöhlingen, einem Dorfe in der unteren badiſchen Markgrafſchaft, hatte er einſt mit der ſchwarzen Chriſtine nebſt einem Knecht und einer Magd, die das Paar bei ſich im Dienſte hatte, Herberge genommen. So oft er ſeinen Stern mit Chriſtinens Stern verband, konnte er im Wohlſtande leben. Der Knecht war ein gelernter Jauner und in die Unternehmungen ſeiner Herrſchaft eingeweiht; die Magd aber, die anfänglich als Wärterin für ein inzwiſchen wieder geſtorbenes Kind Chriſtinens angenommen war, hatte bloß häusliche Dienſte zu verrichten und alles eigenmächtige Stehlen war ihr von ihrem Herrn ſtrengſtens unterſagt worden, weil ſie, wie er ſich ausdrückte, als ein Menſch von ſchlechter Kleidung und Perſon leicht darüber ins Unglück kommen könnte. Herrſchaft und Geſinde ſpeiſten ruhig mit einander und achteten nicht darauf, daß zwei Männer in die Stube traten, ſie eine kleine Zeit aufmerkſam beobachteten und ſich dann einer nach dem andern wieder entfernten. Die Geſellſchaft war auf¬ gefallen, ſei es daß ihre jeniſche Sprache Verdacht erregt, oder daß man ſie auf einem benachbarten Markte geſehen hatte. Plötzlich fiel auf der Straße ein Schuß. Sie fuhren auf, aber zu gleicher ZeitD. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 29450drangen die beiden Männer wieder in die Stube und auf ſie ein. Schwan machte ſich von ihnen los und ſtürzte hinaus, ſah aber die Treppe mit Bewaffneten beſetzt, unter welchen er den Rathsſchreiber des Orts mit angelegtem Gewehr erblickte. Die Noth gab ihm Kraft, eine Thüre auf dem Gange einzudrücken und ſich in eine andere Stube zu werfen, die aber keinen Ausweg hatte. Einer ſeiner Verfolger kam herein und faßte ihn an den Haaren. Er drohte ihn niederzuſchießen, wenn er nicht gehe, und da Jener nicht abließ, ſo zog er die im Rockfutter verſteckte Piſtole, die er ſtets vermittelſt einer Schnur am Arme hängen hatte, und jagte dem Angreifer die tödtliche Kugel in die Seite. Hierauf griff er nach der andern Piſtole und erſchien an der Treppe mit dem Ruf, wer ihn anrühre, den ſchieße er über den Haufen. Der Schuß und die drohende Haltung des kühnen Räubers ſchüchterten die Bürgerwachen völlig ein. Sie drückten ſich an die Wand und an das Treppengeländer, ſo daß er mitten durch ſie hinunter kam. Erſt als er aus dem Hauſe hinausſtürzte, ſendeten ſie ihm einige verlorene Schüſſe nach. Er war frei, aber Chriſtine blieb mit der reichgefüllten Kramkiſte und mit Knecht und Magd in den Händen der Gerichte zurück, und diesmal war ſie unter Umſtänden gefangen worden, die ihn nicht zweifeln ließen, daß ſie einer ſchwereren Haft als gewöhnlich entgegengehe. Auch ſah er ſie nicht eher wieder als in der Vaihinger Gefangenſchaft, die er ſchon ein halbes Jahr nach dieſer Verhaftung ſeiner Gefährtin betrat.

Arm an Hoffnung und bald auch an Baarſchaft ſchleppte er ſich den Winter über hin und wagte während dieſer Zeit nur einige wenige Unternehmungen, die ihm mehr Gefahr als Beute brachten. Er war überall und nirgends, aber von ſeinen haſtigen Streifzügen kehrte er immer wieder nach einem vertrauten Hofe in der Nähe des Amts¬ fleckens zurück, wohin Chriſtine abgeliefert worden war. Auf und bei dieſem Hofe, der zugleich ein Vergnügungsort für die Honoratioren der Umgegend war, hielt er ſich Wochen lang auf und erlauſchte eines Tages von der Küche aus die Kunde, die der Amtsſchreiber den an¬ dern Gäſten im Wirthszimmer mittheilte, der Knecht und die Magd werden bald loskommen, das Weib aber ſcheine ein tüchtiger Fang zu ſein; neulich ſei ihr das Spiel von den Fleiſchmännern garſtig ver¬ ſalzen worden, ſie habe ausbrechen wollen und dann dem Amtmann451 auf ſeinen Vorhalt hierüber zur Antwort gegeben, ein grüner Wald ſei ihr lieber als ein gemalter Thurm.

In dieſer Zeit wurde einſt zu Steinbach bei Baden in einer Scheune eine nächtliche Jaunerverſammlung gehalten, zu welcher ſich die Zi¬ geuner, die in den niederelſäßiſchen Wäldern in Hütten hausten, von dem Sohne eines Fergen über den Rhein herüber führen ließen, und zu welcher auch Schwan geladen war. Der Lieutenant der über¬ rheiniſchen Zigeuner, Mockel, trat hier mit einem Vorſchlag auf, wobei es ſich um nichts Geringeres handelte, als an dem Markgrafen Karl Friedrich von Baden-Durlach ein Exempel zu ſtatuiren. Dieſer pflicht¬ eifrige Fürſt, deſſen Land den Angriffen der Jauner am meiſten aus¬ geſetzt und der durch einen empörenden Einbruch des Contrewirths in Mühlburg (an dem nämlichen Orte, wo ein früherer badiſcher Fürſt, der regierende Markgraf Eduard Fortunat von Baden-Baden, als gemeiner Straßenräuber an einen weſtphäliſchen Roßkamm Hand ge¬ legt hatte) zu nachdrücklichen Maßregeln gegen das Geſindel heraus¬ gefordert war, hatte, ſehr im Gegenſatze gegen den Deutſchmeiſter und andre Nachbarn, den Grundſatz gefaßt, nicht nur gegen Alle, die auf ſeinem Boden betreten würden, auf's Schärfſte zu verfahren, ſondern auch die Gefangenen von andern Herrſchaften, welche läſſiger verfuhren, um Geld an ſich zu kaufen. In Folge dieſer Maßregel waren die Ge¬ fängniſſe von Karlsruhe mit ſelbſtgefangenen und eingehandelten Jau¬ nern überfüllt. Die Verſammlung, Männer und Weiber, brach in die entſetzlichſten Drohungen gegen den Markgrafen aus, und wollte auf Mockel's Antrag den Beſchluß faſſen, das ganze Land anzuzünden und einen Schrecken zu erregen, der dem Fürſten die Luſt zur Aus¬ rottung der Kochemer vertreiben ſollte. Sein Geſtüt bei Reichenbach ſollte nebſt den Orten Grötzingen und Wilfertingen den Anfang machen, dann ein Einfall in das Frauenalbiſche folgen, und über den geeig¬ netſten Zündſtoff war man ebenfalls einig, als Schwan in dieſem furchtbaren Parlament als Hauptſprecher gegen den Antrag auftrat und es durch ſeine Beredſamkeit und durch ſein Anſehen unter den Räubern wenigſtens dahin brachte, daß die Ausführung deſſelben ver¬ ſchoben wurde. Er bediente ſich eines Verwerfungsgrundes, der ſeine Wirkung bei der Verſammlung nicht verfehlte, denn er machte geltend, daß die Gefangenen zu Karlsruhe und ſeine in Stein liegende Frau29 *452ſelbſt darunter leiden müßten und nur eine deſto härtere Todesſtrafe zu gewarten haben würden. Aber er glaubte nicht, daß der Plan aufgegeben ſei, und in ſeinem Verhör zu Vaihingen ſagte er, es werde gewiß noch geſchehen, und man werde vielleicht deßhalb an ihn ge¬ denken, wenn er ſchon todt ſei. Es geſchah jedoch nicht, denn ſein Verrath verbreitete unter den Räubern denſelben Schrecken, den ſie dem badiſchen Lande zugedacht hatten, und die vielen Randzeichen des Vaihinger Unterſuchungsprotokolls zeugen von den eben ſo vielen Mit¬ theilungen, welcher der thätige Oberamtmann an die benachbarten Aemter und Gerichte ausgehen ließ, um ihre Arme gegen die noch auf freiem Fuß befindlichen Genoſſen ſeines Gefangenen in Bewegung zu ſetzen.

Der Verbrecher, der ſeinen Vaterort täglich durch Drohungen mit Mord und Brand geängſtigt hatte, verließ mit Abſcheu die Verſamm¬ lung, die der Ausführung ſolcher Thaten fähig war, und enthüllte in dem Briefe, den wir bereits kennen, dem Amtmann von Stein den verruchten Mordbrennerplan. Freilich war die gute Regung, die man nach ſeiner ganzen Beſchaffenheit nicht an ihm bezweifeln kann, mit ſehr menſchlichen Abſichten vermiſcht: er wollte Gnade für ſich, und hatte unter den badiſchen Beamten den von Stein ausgewählt, weil er durch ſeine Unterhandlung mit dieſem günſtig auf Chriſtinens Schickſal einzuwirken hoffte. Dennoch würde ſelbſt im Falle ausſchlie߬ licher Eigenſucht ſeiner Enthüllung ein Verdienſt nicht ermangeln; denn wenn jene politiſchen Blutigel, wie ein zeitgenöſſiſcher Beamter und Schriftſteller die zu Tauſenden umherſtreifenden Jauner nannte, Raum gefunden hätten, als geſchloſſene Macht aufzutreten, ſo wäre bei dem Zuſtande des Reiches und der von den Preußen geſchlagenen Reichs¬ armee mehr als viel auf dem Spiele geſtanden.

Er erhielt jedoch von dem Amtmann keine Antwort, merkte aber bald, daß derſelbe ihm auf der Spur ſei, denn als er nach dem Hofe bei Stein zurückkehrte, vernahm er, daß das Gerücht von ſeiner An¬ weſenheit verbreitet ſei, und hatte Noth ſich durch die aufgebotenen Streifwachen durchzuſchleichen. Unſtät und flüchtig irrte er nach an¬ dern Gegenden.

Nach dem vergeblichen Schritte bei dem Amtmann von Stein faßte er den noch abenteuerlicheren Gedanken, in der Reſidenz des Deutſch¬ meiſters, auf neutralen Boden alſo, wie er meinte, vor ſeinem aus453 dem Felde heimkehrenden Herzog zu erſcheinen und zu verſuchen, ob er nicht ſein Herz rühren könne. Dieſer Einfall verräth eine Treu¬ herzigkeit, die man einem Jauner und Räuber fürwahr nicht zutrauen ſollte. Sereniſſimus kam aus der bekannten Schlacht von Fulda, die ein Laufen, kein Schlachten zu nennen war, und in der er ſeinem auf preußiſcher Seite fechtenden Bruder nicht bloß das Feld, ſondern auch eine reich beſetzte Tafel nebſt einem Theile ſeiner Armee, während er mit dem Reſt entrann, hinterlaſſen hatte. In der Laune, die er mit dieſen Lorbeeren heimbrachte, wollte ihn der gefürchtetſte Böſewicht ſeines Landes um den außerordentlichſten Sonnenſchein oberherrlicher Gnade anſprechen! Der Zufall erſparte ihm eine Enttäuſchung, führte aber dafür einen Sendling der jüdiſchen Lieutenants in ſeinen Weg, der ihn zu einer neuen Unternehmung anwarb und eine halbe Zuſage von ihm erhielt.

Zuerſt aber drängte es ihn wieder nach dem Hofe bei Stein. Die Gegend ſchien ſicherer geworden zu ſein, und er blieb wieder einige Zeit dort ſtille liegen, bis die Noth ihn aufſcheuchte, um das Aner¬ bieten der Juden bei herannahender Friſt anzunehmen. Von Chriſtinen, nach welcher er ſich in Geſtalt eines Hanfhändlers erkundigte, war nichts Tröſtliches zu vernehmen; vielmehr ſchien das Gericht Verdacht gefaßt zu haben, daß ſie ſein Weib ſei, und in dieſem Falle mußte er eine ewige Trennung von ihr gewärtigen. Seine geiſtige Kraft war noch früher als die körperliche gebrochen, obgleich auch dieſe durch Ent¬ behrungen jeder Art auf eine harte Probe geſetzt war. Daß er ſich der nahen wirtembergiſchen Grenze zuwandte, einer Gegend ſeines Vater¬ landes, die ihm unbekannt war und wo er ſicher zu ſein hoffte, be¬ weist, daß der trotzige Muth, mit dem er allen Gefahren ſeines Be¬ kanntſeins in der Markgrafſchaft die Stirne geboten hatte, von ihm gewichen war.

Im großen Hagenſchießwalde, der ſich von Pforzheim in das Wir¬ tembergiſche erſtreckt, traf er unverſehens auf einem abgelegenen Holz¬ wege, wo ein einzelner Soldat nicht leicht zu marſchiren pflegt, einen herzoglichen Grenadier, der noch überdies, um das Sonderbare der Erſcheinung zu vermehren, zu Pferde ſaß und ſeine weiße Grenadier¬ mütze tief über das Geſicht gezogen hatte. Beide erkannten ſich ſo¬ gleich. Der Grenadier war ſein Landsmann durch Abſtammung und454 ſein Verwandter durch Wahl, der ſogenannte Schneidermichel, der eine Baſe Chriſtinens ſich beigelegt hatte, von ihr aber wegen ſeines zu fried¬ liebenden Gemüthes verlaſſen worden war. Daſſelbe hatte ihn unter dem zweiten Grenadierbataillon, in das man ihn aus dem Zuchthauſe geſtoßen hatte der Ausdruck iſt amtlich , in die ſogenannte Fuldaer Schlacht begleitet, in welcher er keinen Vorwurf auf ſich lud, da er das Schlachtfeld gleichzeitig mit der ganzen Armee, ſo weit ſie nicht gefangen war, und mit dem Kriegsherrn verließ. Nur hatte der Soldat der Reichsarmee, während ſeine Kameraden in den Winter¬ garniſonen unterkamen, bis zu dieſem Tage die Flucht nicht eingeſtellt. Er bekannte ſeinem Freunde, daß er herzoglich wirtembergiſcher De¬ ſerteur ſei, zu ſeinem beſſern Fortkommen das Pferd, das er reite, dem Adlerwirth in Flehingen aus dem Stall genommen habe, und ſich nach Hechingen zu wenden Willens ſei. Dies redete ihm der Sonnenwirthle aus und ſagte, er ſei zu Hechingen nicht ſicher, er ſolle lieber mit ihm in das Deutſchherriſche gehen. Der Andere willigte ein; da er aber als wirtembergiſcher Deſerteur ſich auf wirtembergiſchem Boden ſo we¬ nig ſicher fühlte, als ſein Freund auf badiſchem, ſo beredete er dieſen, das Pferd zu nehmen, mit welchem er ſich gleichfalls nicht mehr durch das Badiſche getraute, weil er es dort geſtohlen hatte, in einem kleinen Orte oder auf einem einzelnen Hofe bei Enzweihingen über Nacht zu bleiben und den andern Tag in Heilbronn mit ihm zuſammenzutreffen. Mit dieſer Verabredung trennten ſie ſich. Eine Aufmunterung, in Kriegsdienſte zu gehen, woran er manchmal in ſeinem Leben gedacht, konnten die Erzählungen dieſes der Fuchtel entlaufenen Soldaten für ihn nicht enthalten. Wenn dagegen der Grenadier den Räuber, wie ohne Zweifel geſchehen iſt, nach dem Befinden der Bekannten fragte, ſo konnte dieſer ihm eine lange Unglücksliſte eröffnen. In der kurzen Zeit dieſer drei Jahre hatte der Tod eine reiche Ernte gehalten. Von der Geſellſchaft, die er im Walde von Wäſchenbeuren getroffen und mit der er ſich noch am beſten vertragen hatte, lebten nur noch die weiblichen Mitglieder: der ſcheele Chriſtianus war gehängt, Schwamen¬ jackel geköpft, Bettelmelcher von den Streifwächtern erſchoſſen; und von den Weibern war nur noch eine einzige frei, ſeine freche Schwä¬ gerin, denn Chriſtine ſaß in Stein und die alte Anna Maria in Steinbach gefangen. Er ſelbſt hatte die Alte in Geſtalt des wandernden Krämers,455 der oft von ſolchen Marktdiebinnen betrogen worden, in ihrem Ge¬ fängniß aufgeſucht und die Gelegenheit benützt, ihr verſtohlen einen Theil ſeiner Baarſchaft in die Hand gleiten zu laſſen.

Der Verfolg beweist, daß er das Pferd, das er offenbar aus Gutmüthigkeit angenommen, um dem Andern aus der Verlegenheit zu helfen, gar nicht angeſehen hatte, denn ſonſt würde er es wohl ſchwerlich beſtiegen haben. Seine ſonſt ſo ſchnellen Augen wachten nicht für ihn, und er muß an dieſem verhängnißvollen Tage ganz in ſchwere, tiefe Gedanken verſunken geweſen ſein.

In einem Dorfe auf der Höhe hielt er an und trank ein Glas Wein. Als er weiter ritt, neigte ſich die Hochebene und der Weg theilte ſich in drei Pfade, die von keinem Wegweiſer bezeichnet waren. Er wählte den mittleren geraden, der ihn ſteil in's Thal hinunter¬ führte. Eine Stadt mit Mauern und Thoren, von einem Schloſſe überragt, lag vor ſeinen Augen als das Ziel des Weges, den er ritt. Er kann ſie unmöglich geſehen haben, denn der erſte Blick hätte ihm gezeigt, daß es vernünftiger ſei, ſie zu umgehen. Eine Brücke trug ihn über die Enz er befand ſich vor dem Thore. Nun ſtutzte er freilich einen Augenblick, aber der Thorwächter, dem die Langeweile an dieſem ſelten betretenen Thore den Blick geſchärft haben mochte, hatte vom kleinen Fenſter aus ſein Stutzen bemerkt. Wäre er zu Fuße geweſen, ſo würde er jetzt noch unwillkürlich den Fuß angehalten und den Schritt gewendet haben. Des Reitens ſeit langer Zeit un¬ gewohnt, ließ er das Pferd gehen, und ſo wurde dieſes zum Werkzeug ſeines Schickſals, deſſen Hand lähmend auf ſeinem Geiſte lag. Seine Uhr war abgelaufen, das Pferd trug ihn blindlings durch das Thor, hinter welchem ſich ein Gewirre von engen Gäßchen aufthat, das Gitter fiel hinter ihm und der Mann mit dem ſpürenden Blicke trat aus dem Thorhäuschen heraus.

Die Geſchichte der Verhaftung ſelbſt hat der Oberamtmann be¬ reits erzählt; aber ſein Sohn berichtet noch einige weitere Züge, die in Verbindung mit dem, was aus ſonſtigen Stellen der Acten hervor¬ geht, aufbewahrt zu werden verdienen. Derſelbe erzählt, ſein Vater habe die Päſſe des Fremden, an welchen der Thorwächter gezweifelt, ganz richtig befunden, und Schwan ſei nun ſchon ſo gut wie frei geweſen, aber ein kleiner Umſtand habe ihm Freiheit und Leben gekoſtet: er456 ſei nämlich auf einem ſehr elenden Pferde geſeſſen, das mit ſeinem eigenen trotzigen und kühnen Anſtande und, wie aus den andern Quellen hervorgeht, mit ſeiner durchaus ehrbaren Kleidung einen höchſt lächerlichen Widerſpruch gebildet habe, und dieſer Umſtand ſo wie das auffallende Geſicht des Mannes habe gemacht, daß der Ober¬ amtmann mit Aufmerkſamkeit bald auf dem Pferde, bald auf ihm ver¬ weilt ſei. Dieſe Aufmerkſamkeit ſei dem Reiter nicht entgangen, der nun habe annehmen müſſen, das geſtohlene Pferd ſei bereits ſteckbrief¬ lich geſchildert, und deßhalb, da der Oberamtmann eine Veränderung in ſeinem Geſichte zu erblicken glaubte und ihm abzuſteigen befahl, die Flucht zu ergreifen geſucht habe.

Gleichwohl würden nach ſeiner Vergewaltigung durch einige muthige Vaihinger Bürger, die, wie der Vorgang von Jöhlingen beweist, ihr Leben dabei wagten, die Inzichten, die in ſeinem Benehmen und den bei ihm gefundenen allerdings verdächtigen Gegenſtänden lagen, noch nicht zu einem zuverſichtlichen Verfahren gegen ihn ausgereicht haben. Er hatte ſich ſchon mehr in ſolchen Verlegenheiten befunden und wußte, wie viel man der Obrigkeit, ſelbſt auf halbem Augenſchein von ihr ertappt, durch hartnäckiges Leugnen abtrotzen konnte. Aber die erſte Gefängnißnacht in Vaihingen vollendete die Umwandlung, die ſchon lange in ſeinem Innern begonnen hatte und durch die Stürme des Lebens, die Foltern des Gewiſſens ſo vorbereitet war, daß ſie nur noch eines äußeren Anſtoßes bedurfte.

Wer ſeinen Mutterwitz und ſeine offenherzige Leutſeligkeit für die einzigen von ſeiner Mutter ererbten Eigenſchaften hielt, hatte ſich gar¬ ſtig in ihm verrechnet, und theuer mußten die Genoſſen ſeiner Uebel¬ thaten dieſen Rechnungsfehler büßen. Das hauptſächlichſte Erbe, das er von ſeiner Mutter überkommen, das heißt, vermittelſt ihres Ein¬ fluſſes ſich in ſein Herz eingeprägt hatte, war die Religion, wie ſie in den Liedern ſeiner Landeskirche, in den Sprüchen der Luther'ſchen Bibel und in den Fragen und Antworten des proteſtantiſchen Katechismus niedergelegt war. Die Art, wie er dieſe Religion in der Welt aus¬ üben ſah, hatte ihn oft über ſie ſpotten machen, und der Beifall, den ſeine Witze fanden, hatte ihn in ſeinen Spöttereien beſtärkt. Aber was ſein Geſchichtſchreiber aus ſeinem Mund erzählt, beweist, daß ſie dennoch die Heimath ſeines innerſten Gemüths geblieben war, und der457 nämliche Erzähler, dem es gar nicht einmal einfiel, an der Wahrheit jener Mittheilung zu zweifeln, ſagt bei einer andern Gelegenheit von ihm, Auf¬ richtigkeit ſei, ſelbſt in ſeinen ruchloſeſten Jahren, ein Hauptzug in ihm ge¬ weſen. Oft, erzählt derſelbe bei der Darſtellung ſeines innern Zuſtandes während ſeines Aufenthaltes unter den Jaunern, oft ſei er Nachts im Traume aufgewacht, nachdem er vergebens durch Berauſchung ſein Gewiſſen einzuſchläfern geſucht, habe geſchrieen, geweint, gebetet, bis ſein Weib an ſeiner Seite ihn durch Spöttereien über ſeine Feigheit wieder zum Schwei¬ gen gebracht habe. Oft ſei er auf die Kniee gefallen und habe den Himmel um Gnade zu ſeiner Beſſerung angefleht. Oft ſogar ſei er unter dem Galgen niedergeknieet und habe Gott gebeten, ihn aus dieſem Leben heraus zu führen. Dann habe er wieder ſein Weib genöthigt, auf die Kniee zu fallen und mit ihm zu beten, in der Hoffnung, daß ihre, wie er gedacht, noch weniger befleckte Seele eher Erhörung finden würde. Oft ſei er mit Schrecken aus dem Schlummer aufgefahren, habe geſeufzt und gebetet, und wenn ſein Weib gefragt, was ihm fehle, ihr allemal geantwortet, er denke an den Waiſenpfarrer zu Ludwigsburg. O Weib , habe er weinend und ſeufzend geſagt, wenn du wüßteſt, was das für ein Mann war, was er mich gelehrt, wie er mich ermahnt hat o Gott, wenn er Recht hat, ſo ſind wir Beide verloren, und ach, gewiß, er hat Recht! Als er einſt zu Offenburg gefangen gelegen, habe er mit einem von der Wand ab¬ gebrochenen Stückchen Speiß ein Crucifix gemalt, daſſelbe, um ſich ſtets an den Gekreuzigten zu erinnern, beſtändig angeſchaut, geküßt und mit Thränen benetzt. Damals dies ſind, ſagt ſein Geſchicht¬ ſchreiber, ſeine eigenen Worte verſprach ich vor dem Bilde meines Heilandes Beſſerung, und nahm mir feſt vor, eher mein Brod zu betteln, als ihn weiter zu beleidigen. Ich netzte dieſes Bild mit Thrä¬ nen, ich küßte ihm die Hände und bat um meine Befreiung. Sie er¬ folgte, ich war ſo glücklich, daß ich entrann, oder vielmehr ſo unglück¬ lich, daß ich Gelegenheit bekam, meine vorigen Sünden mit neuen zu vermehren. Einige Tage that ich gut. Aber ich konnte keine böſen Tage leiden. Nur allzubald war der vorige gute Vorſatz verſchwunden, und ich war zu meinem Schaden klug genug, Entſchuldigung für meine Sünden zu finden, und mich manchmal gar zu bereden, daß Alles Thorheit ſei, was man vielleicht bloß um der Einkünfte willen458 in den Kirchen predige. Das ging nun freilich nicht ohne innerliches Widerſprechen meines Gewiſſens ab, und überhaupt hatte ich beſtändig quälende Gewiſſensbiſſe. Nichts aber, ſetzt ſein Geſchichtſchreiber hinzu, habe ſeine Beſſerung ſo ſehr gehindert, als ſein Weib, die ſeine Begierde nach derſelben als Zuckungen eines Feigen belacht, und wenn Spotten nichts mehr half, ſeine Frömmigkeit bloß als einen Vorwand, ſie zu verlaſſen und zu ſeiner lutheriſchen Chriſtine zurück¬ zukehren, angeſehen habe.

Die ſchwarze Chriſtine bekannte ſich zu der katholiſchen Kirche. Sie hatte mit ihrem Geliebten gleich nach ihrer Verbindung eine Wallfahrt zu der ſchwarzen Maria von Einſiedeln gemacht, um ſich trauen zu laſſen, daſelbſt auch Bereitwilligkeit gefunden, die jedoch nicht zur That werden konnte, da keines von beiden Brautleuten daran gedacht hatte, ſeinen Taufſchein mitzubringen. Ihr erſtes Kind war in einem badiſchen Orte, deſſen jaunerfreundlicher Schultheiß dabei zu Gevatter ſtand, von einem Jeſuiten getauft worden. Ueber den Tod dieſes Kindes, das ſie frühe wieder verlor, betrübte ſie ſich ſo über¬ mäßig, daß ſie in Verzweiflung verfiel und dem Wahnſinn nahe kam; ſie wollte ſich durchaus nicht von dem Kinde trennen und trug die verweſende Leiche in einem Käſtchen mit der größten Beſchwerde acht Tage lang herum. Ueber ihr Verhältniß zu ihrer Religion ſagt der akademiſche Geſchichtſchreiber dieſes Räubers und dieſer Räuberin: Niemand betete pflichtlicher das Pater Noſter. Niemand beſuchte die Wallfahrten ſo fleißig oder wohnte den Prozeſſionen ſo häufig bei. Schwan hat verſichert, daß ſie oft auf eine einzige ſolche heilige Feierlichkeit mehr als dreißig Gulden aufgewandt, daß ſie aber auch öfters das Geld dazu vorher geſtohlen habe. Uebereinſtimmend hiemit ſagt ein Schriftſteller des vorigen Jahrhunderts, der über die Jauner ſchrieb und ſich durch ſeine Sprache als Proteſtanten zu erkennen gibt, die Religion, zu der ſich dieſe Menſchenklaſſe bekenne, ſei in der Regel die katholiſche, man dürfe immer hundert Katholiken auf einen oder zween Lutheraner, Reformirte oder Juden rechnen; dieſe Minderheiten bilden die Ausnahme und ſeien allemal Ueberläufer aus dem Bürger¬ ſtande; die Religionswiſſenſchaft der Mehrheit beſtehe in einigen aus¬ wendig gelernten Formeln, in Legenden, in ungeſtalten Ideen von Wallfahrten, Meſſeleſen, Roſenkranzbeten u. dgl., und mehr, fügt er459 mit proteſtantiſcher Härte hinzu, brauchen ſie als Jauner auch nicht zu wiſſen, denn die Religion würde ihnen, wenn ſie ſie dem Weſen nach kenneten, nur beſchwerlich ſein.

Die katholiſche Kirche, die ſich die allgemeine nennt und es zu werden ſtrebt, macht dem Menſchen den Eintritt in ihre allezeit offenen Tempel leichter und legt ihm kein ſo ſchweres Opfer auf wie ihre Schweſterkirche. Da ſie Alles unter ihre Flügel verſammeln will, ſo muß ſie wie eine gütige, nachſichtige Mutter verfahren, die dem Kinde je nach dem Maße ſeiner Gaben nicht das Schwerſte zumuthet, ſondern ſich mit der Andeutung des guten Willens begnügt. Daher erklärt es ſich, daß ihre opferfreudigen Sendboten unter den kindlichen Völkern einer jüngeren Welt, wie bei den aus Indien nach Europa eingewanderten Zigeunern, welche großentheils den Grundſtock der Heimathloſen des vorigen Jahrhunderts abgegeben haben, im Pflanzen und Ernten glücklicher geweſen ſind, als ihre Nebenbuhler von der anderen Kirche. Dieſe ſtrengere Mut¬ ter weist die bloß äußerliche Andeutung zurück, ſie duldet es nicht, daß der Menſch an ſeiner Statt Gott einen guten Mann ſein laſſe, ſon¬ dern legt ihm ſelbſt, unter Verheißung des göttlichen Beiſtandes zwar, die Rieſenarbeit auf, ſich die Geheimniſſe des Glaubens anzueignen und das eigne Ich zu überwinden. Da ſie ſelbſt die Größe dieſer Forde¬ rung ſich nicht verbergen kann, ſo ſagt ſie, es ſei nur Auserwählten möglich, dieſelbe zu erfüllen, während ſie zugleich, da ſie ſo wenig wie die andere Kirche ihren Kreis zu beſchränken gemeint iſt, hiedurch in den Widerſpruch geräth, auch Nichtauserwählten ihr Joch auferlegen zu wollen. Hiezu kommt noch, daß ihr ſeit mehr als hundert Jahren gerade unter ihren begabteſten Söhnen Gegner aufgeſtanden ſind, die, ſtatt ſich als Auserwählte zu zeigen, den Grund des Glaubens mit der Schneide der Prüfung und Verneinung aufgewühlt und ihre unbe¬ gabteren Brüder beunruhigt haben, ſo daß die Kirche ſelbſt, im Kampf mit ihnen, ſo wie andererſeits mit ihrer älteren Schweſter, genöthigt worden iſt, um den Glauben zu ſtreiten, das heißt, die Breite, Höhe und Tiefe der Gottheit auszumeſſen, was zwar den Weltkindern frei¬ ſtehen mag, der Kirche aber durch ihre heiligen Urkunden nicht empfohlen iſt. So weiſen denn beide Kirchen an ihren Bekennern Schattenſeiten auf, welche die Gefahren der einen wie der andern an¬ zeigen: dort Leichtſinn, hier Verwirrung. Beide aber, die nachſichtige460 wie die ſtrenge Mutter, geben dem Menſchen für das Leben die gleiche Vorſchrift: Liebe deinen Nächſten wie dich ſelbſt; und wenn dieſe Lehre befolgt würde, wenn mit dieſem Beiſpiel die Lehrenden ſelbſt und unter ihnen die heißeſten Eiferer für ihre Kirche und ihren Glau¬ ben zuerſt vorangingen, ſo wäre unter den Flügeln der einen wie der andern dem Menſchen eine gute Wohnſtätte bereitet. Daß auf der einen wie auf der andern Seite von dieſer Liebe nicht gar viel zu ſpüren iſt, das iſt wohl zunächſt die Schuld des einzelnen Menſchen, noch weit mehr aber die Schuld und Noth des ganzen Kreiſes, aus dem er ſtammt und in dem er lebt. Die Liebe, ob ſie ſchmeicheln oder züchtigen mag, iſt ein Weib und kann nicht dem Haushalte vor¬ ſtehen, der neben der Mutter des Mannes, des Vaters bedarf; und wenn das Volk, das in ſo vielen ſtolzen Söhnen ſich rühmt, das zweite auserwählte der Weltgeſchichte zu ſein, wenn dieſes Volk am Ziele ſeiner harten Arbeit und Mühſal die Geſetzestafeln findet, welche den zerrütteten Haushalt der Völkerwelt von neuem ordnen, jedem ein¬ zelnen Kinde des Hauſes ſein Lebensrecht und ſeine Lebenspflicht in ungezwungen menſchlichem Maße zuwägen, dann iſt der Vater zu der Mutter gefunden, dann werden Recht und Liebe neben einander, eins das andere beſchränkend, beſchirmend, verklärend, in dem neu er¬ bauten Hauſe walten.

Die ſchwarze Chriſtine that ſich auf ihre pflichtmäßigen Religions¬ übungen nicht weniger zu gut als die ehrbare Proteſtantin, welche ſonntäg¬ lich zur Kirche geht, um die Predigt zu hören, vielleicht auch in der andächtigen Gemeinde geſehen zu werden, und das mit einem gewiſſen Recht: denn unter den Leuten, welche nicht durch die Schulen der Philoſophen, ſondern bloß durch ihre Confeſſionsſchule, unmittelbar oder mittelbar, gegangen ſind, gilt es für eine Brandmarkung, keine Religion zu haben, weil dieſe ihnen das unverſtandene, aber eben darum deſto mehr mit der Ahnung feſtgehaltene Wahrzeichen iſt, daß man einem Menſchen im Verkehr mit Seinesgleichen trauen könne. So oft ſie auch ſich ſelbſt und Andere ſchon mit dieſem Wahrzeichen ge¬ täuſcht haben, ſie halten immer wieder daran feſt, nicht mit dem Verſtande, der die geheimnißvolle Kammer der Glaubensſchätze als Prunkgemach für hohe Feſte das ganze Jahr verſchloſſen läßt und vorſichtig ſeinen Geſchäften nachgeht, ſondern mit dem Herzen, welches dunkel fühlt,461 daß die Religion mit der dem Leben zugekehrten Vorſchrift der Liebe die Menſchen an einander bindet oder binden ſollte. Daß ſie nach vollbrachter Religionsübung ſich mit ihrer Religion abfinden und dieſelbe in den menſchlichen Verkehr nicht mitbringen, können ſie einander von beiden Seiten mit gleichem Recht vorwerfen; nur wird, die gleiche Innigkeit des Bekenntniſſes bei den Einzelnen vorausgeſetzt, die Ab¬ findung bei dem ſtrengeren Bekenntniſſe ſchwerer ſein. Und doch finden ſich hüben wie drüben bis zu einer gewiſſen Grenze Alle ab: denn wer befolgt die Vorſchrift des Evangeliums, Alles zu verkaufen, was er hat, und es den Armen zu geben, oder nie für den kommenden Tag zu ſorgen? Wer Rechtsverbindlichkeiten eingegangen hat, wer Weib und Kind ernähren muß, wird, wenn er auch noch ſo kirchlich religiös geſinnt iſt, ſich mehr oder minder deutlich geſtehen, daß er ſolche Vorſchriften als unerfüllbar betrachte. Dann bleibt zwar aller¬ dings noch immer ein ſehr großer Unterſchied zwiſchen ihm und einer Jaunerin, die das Geld zu einer Wallfahrt ſtiehlt, oder, wie eine Andere ihres Ordens, ein berühmtes Marienbild von geſtohlenem Zeuge kleiden, oder gar, wie gleichfalls vorgekommen iſt, für das Gelingen eines Einbruchs eine Meſſe leſen läßt; aber die Nichtan¬ wendung wie die nichtswürdige Anwendung von Religionsvorſchriften auf das Leben iſt immer eine Abfindung, mit welcher man bekennt, daß die Religion das Leben nicht ganz zu leiten vermöge. Woher ſoll ihm aber eine ganze Leitung kommen, ſo lang es an einem Rechte fehlt, das Jedem ſeinen Platz am Tiſche des Lebens ſichert? Die Religion hat noch ſelten einen chriſtlichen Staat oder Fürſten abgehalten, um eines wirklichen oder vermeintlichen Rechtes willen einem anderen Menſchen¬ oder Chriſtenreiche den Krieg zu erklären und ſelbſt mit Grauſamkeit zu führen, ja nach erfochtenem Sieg über blutigen Leichen und rauchenden Wohnſtätten dem Herrn der Heerſchaaren, den dieſelbe Religion auch den Vater der Liebe nennt, einen ſchrecklichen Lobgeſang anzuſtimmen. Auf ein Recht aber glaubte auch die Tochter eines heimathloſen Stam¬ mes ſich berufen zu können, die über den Gräbern ihrer geſchlachteten Ver¬ wandten im Kriege mit der Geſellſchaft aufgewachſen war, und dieſen Krieg mit dem gleichen Haſſe führte, mit welchem ein Naturvolk ſeine Wälder und Gebirge unter Raub und Mord gegen die Waffen und Geſetze des eingeborenen oder eingedrungenen Beherrſchers zu behaupten462 ſucht. Gerade hierin aber lag zwiſchen ihr und dem nicht von Kindes¬ beinen an, ſondern erſt in ſpäteren Jahren ausgeſtoßenen Sohne des herrſchenden Volkes ein Gegenſatz, der immer eine Kluft zwiſchen ihnen offen erhalten mußte. Zehnmal mochte er ihr in den Stunden der Leidenſchaft beiſtimmen, daß die Geſellſchaft, die er verlaſſen, aus lauter Spitzbuben, Heuchlern oder Tröpfen beſtehe: immer wieder ſagte ihm ſeine unbeſtechliche Erinnerung, daß er auch ehrliche, geradſinnige und verſtändige Leute darin gefunden habe, und daß das nächſte Opfer ihrer Raubzüge zu dieſen gehören könne. Und dieſe lichten Er¬ innerungen und Eindrücke verbanden ſich bei ihm mit einer Religion, die ihn in dem friedlich-frommen Kreiſe ſeiner Mutter mit dem unvertilgbaren Bewußtſein erfüllt hatte, daß, wenn auch in der Bibel und von ihren beſten Helden geſtohlen, geraubt und gemordet werde, daß, wenn auch eine chriſtliche Obrigkeit ſich für die Führung ihres Racheſchwertes auf die Bibel berufe, doch der wahrhaft gute Menſch einen Abſcheu davor haben müſſe, das Eigenthum ſeines Nächſten an¬ zutaſten oder, unter welchem Vorwande es auch ſei, ſein Blut zu vergießen.

Aber die innere Erkenntniß des Menſchen hat ohne eine Unter¬ ſtützung von außen nicht ſo leicht die Gewalt, ſein äußeres Leben augenblicklich umzugeſtalten, ſchon deßhalb nicht, weil ſeinen ſchönſten und edelſten Empfindungen immer wieder die menſchliche Schwachheit ſich anhängt, und weil er die beſten Vorſätze ſehr oft in Stunden äußerer Noth und Bedrängniß faßt, ſo daß, wenn dieſe vorüber ſind, das frohe Gefühl des Glückswechſels ihm auch den guten Vorſatz nur als ein Erzeugniß der ſchwachen Stunde erſcheinen läßt. Hiefür liefert gerade die Geſchichte der Offenburger Verhaftung, wie ſie Schwan ohne den religiöſen Zwiſchenvorgang zu den Acten gegeben hat, einen ſo deutlichen Beleg, daß dieſelbe, die auch ſonſt merkwürdige Züge darbietet, hier nicht übergangen werden darf. Nach verſchiedenen Abenteuern mit eigennützigen Polizeimännern und nachläſſigen Obrig¬ keiten, welche ſich den Schutz der ihnen anvertrauten bürgerlichen Ge¬ ſellſchaft ſo ſchlecht angelegen ſein ließen, daß diejenigen, die dem Markgrafen von Baden ihre etwaigen Gefangenen um Geld verkauf¬ ten, noch weitaus zu den beſſeren gehörten, hatte das Paar den Un¬ ſtern, auf dem Jahrmarkte zu Offenburg in ſeinen Geſchäften durch463 die Wachſamkeit dortiger Bürger geſtört zu werden, wie denn über¬ haupt in allen ähnlichen Geſchichten jener Zeit die Jaunerherrlichkeit immer erſt da ein Ende hat, wo muthige und aufopfernde Bürger, oft ſchmählich im Stich gelaſſen, der Obrigkeit zu Hilfe kommen. Dem Räuber gelang es in eine Kapelle zu entſpringen, ſeine beiden Terz¬ rohre, wie der Sprachgebrauch der Zeit ſie nannte, unter dem Hoch¬ altar zu verbergen, und ſeine Baarſchaft von drei Carolins dem Chor¬ rector, der mit mehreren Geiſtlichen ſogleich herbeieilte, in die Hand zu drücken. Der Chorrector verſprach ihn nicht eher auszuliefern, als bis er vom Magiſtrat einen Salvusconduct in ſo bündiger Form aus¬ gewirkt habe, daß man ihm weder an das Leben gehen noch ein Glied verletzen, ſondern, wenn er je eine Todesſtrafe verwirkt, ihn wieder hierher in die Kirche ſtellen müſſe; für Schläge könne er ihm freilich nicht ſtehen. Der Stadtmeiſter der katholiſchen Reichsſtadt lag nebſt einigen anderen Per¬ ſonen ſo eben in der gleichen Kirche ſeiner Andacht ob und ſah die Unterhandlung zwiſchen dem Geiſtlichen und dem verdächtigen Flüchtling mit an. Als nun die Kirche denſelben mit dem weiteren Verſprechen, daß er das anvertraute Geld nach ſeiner Freigebung bei dem Pfarrer eines benachbarten Ortes wieder abholen könne, der weltlichen Obrig¬ keit übergeben hatte, ſo wollte dieſe mit aller Gewalt wiſſen, was er dem Geiſtlichen zugeſtellt habe. Drei Tage hinter einander erhielt er jedesmal vierzig Streiche, bekannte aber nichts, ungeachtet er nach ſeiner Erzählung unleidliche Schmerzen auszuſtehen hatte, und in der Nacht des vierten Tages gelang es ihm, die Riegelwand von Backſtein durchzubrechen und ſich am Leintuche herabzulaſſen, worauf er bei dem bezeichneten Pfarrer ſeine drei Carolins wieder abholte. Die Kirche hatte im Kampfe mit dem Staat ihr Recht um jeden Preis behauptet und eher einem Räuber, deſſen Eigenſchaft ſie kaum bezweifeln konnte, durchgeholfen, als ſich ihr Aſylrecht verletzen laſſen. Nach dieſem Her¬ gang darf man ſich jedoch nicht wundern, wenn Chriſtine über die Ge¬ ſchichte der dreitägigen Buße vor einem mit Speiß gemalten Crucifix, welche ihm jeden Tag durch die Ausſicht, morgen wieder vierzig Schläge zu erhalten, geſchärft worden war, den vierten Tag aber mit einem Aus¬ bruch geendigt hatte, in ein höhniſches Gelächter ausbrach und die lutheri¬ ſchen Anwandlungen um ſo unpaſſender fand, als ihre eigene Kirche ihn ſo eben zu nicht geringem Danke verpflichtet hatte.

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Dennoch ließen dieſe Anwandlungen nicht von ihm ab, und jetzt wird es begreiflich, wie ſie in Vaihingen ſo plötzlich zum Durchbruch kommen konnten. Zugleich aber lernt man auch deutlicher zwiſchen den Zeilen des Vaihinger Protokolls leſen, wenn man ſich den Auftritt von dem Sohne des Oberamtmanns erzählen läßt.

Den zweiten Tag , ſagt er, erſchien Schwan wieder. Der Be¬ amte ſchlug nun den entgegengeſetzten Weg ein. Er wiederholte ihm zwar noch einmal, daß er ihn für einen ausgemachten Böſewicht halte; aber nun forderte er ihn nicht mehr durch Drohungen, ſondern durch Darſtellung der ſchrecklichen Folgen des Laſters, durch Schilderung des Glücks eines ruhigen Gewiſſens, durch Bezeugung ſeiner herzlichen Theilnehmung an ſeinem Schickſal, und durch Verſpruch, ihm daſſelbe durch alles, was nur in ſeiner Gewalt ſtehe, zu mildern, auf; kurz, er verſuchte nun durch Religion und theilnehmende Güte ſein Herz zu rühren. Der Verſuch gelang. Der trotzige Blick milderte ſich ſichtbarlich, Traurigkeit trat an die Stelle der Wuth, eine Thräne floß in dem wilden Auge. Ich habe meinen Mann gefunden, rief er gerührt, ich bitte Sie, laſſen Sie dieſe Leute hinausgehen, und ich will Ihnen Alles geſtehen. Der Oberamtmann, um dieſe Rührung nicht zu ſtören, ließ alle nicht ganz nothwendigen Perſonen hinausgehen, und in dieſem Augenblick ſtammelte Schwan mit bebendem Munde: Hören Sie in Einem Wort alle meine Verbrechen: ich bin der Sonnenwirthle.

Hisce praemissis iſt das Bekenntniß des Räubers nicht mehr ſo ſehr überraſchend, wie es in dem Protokoll des Oberamtmanns überraſcht und wie dieſer ſelbſt, der freilich im Protokoll dies wenig merken läßt, nebſt Stadt und Land davon überraſcht geweſen iſt. Hätte er ſein Inquiſitionsſchema, wie er es in das Protokoll ſchrieb, angewendet, ſo würde er wohl lange auf dieſe überfließende Offenheit haben warten dürfen; denn dieſes Schema, das auch den redlichſten Beamten ohne ſeine Schuld zu einer gewiſſen Unwahrheit zwingt, iſt dem Volke ſo fremd wie die römiſche Advocatur es ſeinen zungenausreißenden Vor¬ fahren war. Dem Manne, der den Menſchen und den Oberamtmann mit ſo gutem Erfolge für ſein Protokoll zu vereinigen wußte, ſoll hieraus kein Vorwurf gemacht werden: er hat ſeiner Zeit einen wich¬ tigen Dienſt geleiſtet, und ſein Gefangener ſelbſt hat ihm die Abkür¬ zung einer Laufbahn voll Schmach und innerer Verachtung, deren465 Maß immer voller geworden wäre, in der ganzen Aufrichtigkeit ſeines Herzens gedankt.

Mit dieſem Bekenntniß nun, das gleich in den erſten Worten den Stab über ſein verwüſtetes Leben brach, hatte er ſich nicht bloß in die Hand der Obrigkeit, ſondern auch in die Hand ſeiner Kirche er¬ geben, welche ihre Diener ſandte, um dieſes Leben zu einem bu߬ fertigen und ſeligen Ende zuzubereiten. Ohne Zweifel haben dieſelben nach der Sitte der Zeit ausführliche Beſchreibungen dieſes geiſtlichen Prozeſſes veröffentlicht; aber unter den vielen Schwarten von hoch¬ fürſtlichen Geburts -, Hochzeits - und Leichenfeierlichkeiten in dem öffent¬ lichen Bücherſchatze, den der Herzog ſpäter anlegte, als er für ein gleichfalls verfehltes Leben Erſatz in der Erziehung der Jugend ſuchte, haben jene Schriften keinen Platz gefunden, und das Lebensbild, aus welchem nicht ein Zug hätte verloren gehen ſollen, muß auch auf dieſer Seite halbvollendet bleiben. Doch hat einer der beiden Geiſt¬ lichen dem Sohne des Oberamtmanns einzelne Züge aus jenem Be¬ kehrungsgange mitgetheilt, welche uns in der Erzählung deſſelben auf¬ behalten ſind. Bei ſeinem erſten Beſuche begann dieſer Geiſtliche von dem Zorne Gottes zu reden, der diejenigen verfolge, welche die Mittel der Gnade zu lange verſchmäht, von einer traurigen Ewigkeit und von den Schwierigkeiten einer aufrichtigen Beſſerung nach einem ſo ruch¬ loſen Leben. Hiemit hatte er zwar untadelhaft nach ſeinem Schema gearbeitet, wie der Oberamtmann nach dem ſeinigen ein regelrechtes Protokoll zu ſchreiben wußte; aber ſeine Bemühung fand den ent¬ gegengeſetzten Erfolg. Der Räuber rief ihm aufgebracht entgegen, ob er nur gekommen ſei, ihn zu quälen? Der Geiſtliche bequemte ſich, in die Schule des Oberamtmanns, der dieſen harten Stoff beſſer zu kneten verſtand, zu gehen, und ſtellte ſich nun dem ſtolzen Verbrecher als ein Bote des Friedens dar, der dem reuigen Sünder im Namen Gottes welcher ihm geboten habe, ihn in ſeinem Namen ſogar darum zu bitten Gnade antrug; dann ging er zum Gebet über, flehte Gott um Vergebung ihrer Beider Sünden an und dankte ihm für die Langmuth, die er dieſem ſeinem verirrten Schafe bewieſen habe. Jetzt war die rechte Saite angeſchlagen: der Verbrecher war bewegt von dem Gedanken an die Langmuth Gottes, ſah den Geiſtlichen wäh¬ rend ſeines Vortrags mit unverwandten Augen an und zerfloß inD. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 30466Thränen; auch geſtand er, daß ihn dieſe Langmuth Gottes während ſeines ruchloſen Lebens oft zu Thränen gerührt habe. Von dieſer Zeit an ſchlug der Geiſtliche bloß dieſen Weg ein und führte ſeine Aufgabe ſiegreich durch. Der ſtolze Wildling wollte auch von ſeinem Gott und deſſen Dienern um die ſchwere Arbeit, die er auf ſich nehmen ſollte, manierlich angeſprochen ſein. Es läßt ſich jedoch denken, und wird auch ausdrücklich erzählt, daß dieſelbe nicht ohne Unter¬ brechung von Statten ging, wobei beſonders ſein Stolz immer wieder den ſchwer zu brechenden Kopf erhob. Einſt beſuchten ihn, nach der Art der Zeit, welche äußerſt neugierig auf Verbrecher war, zwei Fremde in ſeinem Gefängniß. Der eine betrachtete die berüchtigte Ge¬ ſtalt und fragte, ob er der Unglückliche ſei, der ſo Viele unglücklich gemacht habe? Meine Herren, antwortete er, den mächtigen Kopf in den breiten Nacken werfend, wer iſt unglücklicher, Sie oder ich? Sie, die vielleicht mitten in Ihren Sünden durch einen einzigen Schlag dahingeriſſen werden, oder ich, der ich durch das Blut Jeſu mit Gott verſöhnet bin? Indeſſen that er gleich wieder Buße und ſagte zu ſei¬ nem Beichtvater: Mein Gott, was bin ich für ein elender Menſch, daß ich nicht einmal dieſe einzige Rede habe erdulden können! Aber auch die luſtigen Farben des Lebens ſtörten ihm das ernſte Gewebe, an dem er wirkte. Die unanſtändigen Witze und die Religionsſpötte¬ reien, die ſo oft den Beifall ſeiner Geſellen erregt hatten, kehrten manchmal wieder zu ihm zurück und verdarben ihm durch irgend eine unwillkürliche Gedankenverbindung das Gebet oder das Bibelwort, durch welches er den glimmenden Docht ſeiner Leuchte anzufachen, das zerſtoßene Rohr ſeines Lebens aufzurichten ſuchte. Eben ſo wenig , ſagt ſein Geſchichtſchreiber, verließ ihn ſeine rohe Luſtigkeit. Ein Glas Wein und ein gutes Eſſen machte ihn auch in den letzten Tagen ſeines Lebens ſo luſtig, daß er die ganze Geſellſchaft, die bei ihm war, mit Scherzen unterhielt, und Henker, Tod, Bekehrung, Alles vergaß. Deſto größer aber war nachher immer wieder ſeine Zerknirſchung, ſo daß er einſt, als er bei ziemlichem Durſte mehr Verlangen nach einem Glaſe Wein, als nach geiſtlichen Geſängen empfunden, aus Reue hierüber und aus Zorn über ſich ſelbſt das Geſangbuch auf den Bo¬ den warf, was ihm dann einen neuen eben ſo großen Kummer ver¬ urſachte . Da im Menſchenleben zwiſchen dem Kleinſten und Größten467 Gleichungspunkte ſind, ſo drängt ſich bei dieſem Zuge von ſelbſt die Erinnerung an die Kämpfe des großen Reformators auf, in deſſen Geiſtesbande dieſer ſchwierige Zögling ſich gegeben hatte, und deſſen rieſige Geſtalt die Nachwelt oft mit lächelndem Munde bewundert. Gleichwie ſeine Kirchenänderung die leichtfertige Welt ſeiner Tage mit Umſturz und Zerſtörung bedrohte, ſo geht auch der Lehrbegriff, den er von einem verwandten Geiſte erbte, dem natürlichen Menſchen re¬ volutionär und terroriſtiſch zu Leib. Dieſe Lehre eines alten Kirchen¬ vaters, der nach einem weltlich durchſtürmten Leben durchgreifende Buße und Selbſtentäußerung predigte, muß den Menſchen erſt an allen Gliedern brechen, um ihn neu aufbauen zu können. Hieraus ergibt ſich von ſelbſt, daß ſie bei der Jugend und bei allen jenen weichen, freundlichen Gemüthern, die in Uebereinſtimmung mit ſich durch das Leben gehen, ſeine Widerſprüche nicht empfinden oder bei Seite zu ſchieben wiſſen, nur oberflächlich wirken kann. Wer aber durch Schuld und Noth hindurchgegangen iſt, wer ſich in den Netzen des Lebens verſtrickt und ſich ſelbſt darin verloren hat, bei wem jener Entäußerung die grenzenloſe Selbſtverachtung vorgearbeitet hat, die ſich nicht mehr mit dem Splitter im Auge des Nebenmenſchen zu ent¬ ſchuldigen vermag, und wer auf allen ſeinen Irrwegen zugleich, wenn auch nicht ein geiſtesſtolzes Denken, doch ein geiſtiges Leben ſich be¬ wahrt hat, der iſt reif, um jene Lehre mit ihrer ganzen übermenſch¬ lichen Gewalt in ſich aufzunehmen. Auf dieſem Wege ſind vornehme und gemeine Sünder, deren Lebensgeſchichten unentbehrliche Blätter in den Jahrbüchern des menſchlichen Geiſtes bilden, zu einer Umwäl¬ zung gekommen, welche die Welt, die nach menſchlichem Maße leben will, ja oft ſelbſt die Kirchenwelt mit Staunen wie ein verzehrendes Feuer aufflammen ſah. Sie haben Heil geſtiftet, wo ſie auf verwandten Boden ſäeten; Viele haben ihnen mit zerſtörtem Lebensglück geflucht: denn ihr Werk war, ſich ſelbſt und Alles was ſie vorher liebten zu zerſchmettern. An den Genoſſen eines verbundenen Lebens, wie es auch zu¬ gebracht worden ſein mag, zum Verräther zu werden, iſt ein Mal¬ zeichen, vor welchem ſelbſt der Leichtfertigſte ein wenig ſtutzt. Die Rechtfertigung dieſer That wäre in dem Falle, der uns vorliegt, ſelbſt für die natürliche Betrachtung gar nicht ſchwer; denn einer Bande, die argloſen Menſchen Nachts in die Häuſer bricht, die Bewohner30 *468aus den Betten reißt, mit glühenden Nadeln peinigt oder den Schlaf mordet, iſt Niemand die Treue ſchuldig, die ſie der Menſchheit und ſich ſelbſt nicht hält. Aber es handelt ſich ja hier nicht darum, eine Art Vorbild in ſo günſtiger Beleuchtung aufzuſtellen, daß der geſchmeichelte Leſer darin ſeine eigene Menſchenvortrefflichkeit erkennt. Vielmehr ſoll dieſes Menſchenleben mit ſeinen Lichtern und Schatten, mit ſeinen Ehrenzeichen und Schand¬ malen ein Gleichniß ſein, in welchem Jeder ſich als gut und bös erkennen mag. Denn fremd kann dem Menſchen nichts bleiben was menſchlich iſt. Die wilden Thiere, welche ſeine Mitwelt in dieſem Menſchen ſah, ſie hauſen alle in unſerer Bruſt, und alle haben wir am Bache des Ebers getrunken. Wir verabſcheuen das Stehlen, Rau¬ ben und Morden, aber auch er hat es verabſcheut, und nicht erſt nach der That; und, ſei es in den Bußliedern frommer Zerknirſchung oder in der Alltagsſprache, müſſen wir uns ſchuldig bekennen, daß wir oft unſerm Nächſten das volle Loth, das ihm gebührte, nicht zugewogen, daß wir ſein Menſchenrecht gekränkt, ſein Menſchenherz verletzt haben. Wer die Buße dieſes Verbrechers als einen Ausfluß der Geiſtesgröße bewundert, wird ſich doch auch daraus die Wahrheit entnehmen, daß es beſſer iſt einen Lebensweg zu meiden, der mit Abfall oder gar Verrath an den Genoſſen enden muß; und wer ſie als die Schwäche eines in der Bildung verwahrloſten Geiſtes, den ſeine Zeit keinen Leſſing werden ließ, anſieht, der mag ſich ſagen, daß auch der unabhängigſte Denker im Vollgefühle ſeiner Freiheit über Begriffe ſtraucheln kann, die er mit der Muttermilch eingeſogen hat. Keiner ſteht ſo hoch, daß er nicht fallen kann, und das einſeitige Wort der Menſchenliebe und Menſchen¬ würde in jenem Buche, worin ſich die Sehnſucht des Morgenlandes mit dem Geiſte unſrer alten Sprache und Dichtung vermählt hat, iſt höher als Alle. Der Kampf des Sünders, von welchem ſeine Kirche eine werk¬ thätige Reue forderte, die ſich nicht einmal um den Preis des eigenen Lebens abfinden durfte, war groß und ſchwer. Dieſes zertrümmerte Lebensſchiff hatte er mit raſchem Entſchluſſe preisgegeben, und doch kam ihn auch bei dieſer Auslieferung das Aufzählen des Inhalts im Einzelnen ſauer an. Die großen Verbrechen, welche den Kopf koſteten, gingen ihm ohne Widerſtreben über die Zunge; aber die kleineren Vergehen ſuchte er ſo lange als möglich zurückzuhalten, aus Furcht vor einer ſchwereren Todesſtrafe, wie er nachher behaupten wollte, in469 Wahrheit aber aus Stolz und Scham, weil die Gemeinheit dieſer kleinen Diebſtähle und Einbrüche ihm unauslöſchlich auf der Seele brannte. Doch warf er endlich auch dieſen Stolz als ein verwerfliches Ueberbleibſel ſeines alten Herzens weg. Der Oberamtmann, der die weiche Seite dieſes Herzens kennen gelernt hatte, unterſtützte ihn mit gutem Bedacht; er ehrte ihn durch den offen kundgegebenen Glauben an ſeine Aufrichtigkeit und Beſſerung, drückte ihm ſeine Freude aus, ihn nicht durch Drohungen, Schimpf und gewaltſame Mittel zwingen zu müſſen, ſprach auch mitunter von andern Gegenſtänden mit ihm, hörte ſeine Meinung und ließ die Inquiſition den Ton einer vertrau¬ lichen Unterredung annehmen , wovon freilich das Protokoll nichts enthält. Zugleich ſchickte er ihm Eſſen und Trinken in's Gefängniß, und daß er für dieſe freundliche Gabe in mehr als einem Sinn empfänglich war, wiſſen wir bereits. Die Stadt ahmte das Beiſpiel ihres Oberbeamten nach. Die Wächter ließen ſichs gleichfalls geſagt ſein, ihn menſchlich zu behandeln; ſie gingen ganz vertraulich mit ihm um und lachten und beteten abwechſelnd mit ihm . Wie viel dieſe guten Tage dazu beigetragen, ihn auf dem eingeſchlagenen Wege zu erhalten, läßt ſich nicht unterſcheiden; wohl aber iſt nicht zu leugnen, daß den reinſten Geſinnungen immer menſchliche Schwäche anklebt. Indeſſen hatte die Güte ihr ſtrenges Maß. Er war gleich anfangs ſo hart ge¬ ſchloſſen worden, daß er gar keine Bewegung machen konnte, und vier Männer mußten beſtändig in ſeinem Zimmer, vier außerhalb deſſelben wachen. Allein die Handlungsweiſe des Oberamtmanns, der das Menſch¬ liche mit dem Amtlichen zu verbinden wußte, gewann den Räuber völlig. Mit Thränen erklärte er und der Gewährsmann fügt ausdrück¬ lich hinzu, daß dies ſeine eignen Worte ſeien der Oberamtmann habe durch ſeine Güte mehr aus ihm herausgebracht, als tauſend Foltern nicht hätten erpreſſen können. Er erklärte, er danke der Vor¬ ſehung, daß ſie ihm gerade in dieſer Stadt ſeinen Tod beſtimmt, und er möchte um keinen Preis, auch wenn er könnte, mehr entwiſchen. Weil er ſich aber ſelbſt nicht traute, ſo wünſchte er, bat ſogar, man möchte ihn wie den ärgſten Böſewicht bewachen. Er nannte die Arten des Schließens, die allein mit Sicherheit bei ihm angewendet werden könnten, und zeigte andere, deren Nutzloſigkeit er bewies. Beſonders erinnerte er, daß man an Markttagen wachſam ſein ſolle, weil da470 gewiß einige ſeiner Kameraden ſich einſchleichen würden, um ihn zu retten . In Folge dieſer Angaben mußte die ſtandhafte Erwartung des Volkes, daß der Schützling des Teufels, wie in Hohentwiel und an¬ dern feſten Orten, eines Tages durch Rauchfang oder Schlüſſelloch ver¬ ſchwinden werde, unerfüllt bleiben. Dagegen rief der Tod des Amts¬ dieners, der plötzlich während der Unterſuchung ſtarb, die noch jetzt im Munde des Volkes lebende Sage hervor, die verzweifelten Spie߬ geſellen des Gefangenen haben, um ſeine gefährlichen Geſtändniſſe, die ſich wie ein Lauffeuer in alle Lande verbreiteten, abzuſchneiden, ihm heimlich vergiftetes Backwerk zuzuſtecken verſucht, und die Confiscation deſſelben ſei dem Diener des Geſetzes übel bekommen. Während aber im Volke ſich geſchäftig eine Art Heldenſage über ihn bildete, ſtand er demüthig vor ſeinem Richter und bekannte ſich für den Verworfen¬ ſten aller Sterblichen .

Die ſtrenge Folgerichtigkeit der Buße verlangte aber mehr von ihm. Die ſchon in der Freiheit verſuchten Enthüllungen über die mordbren¬ neriſchen Plane der überrheiniſchen Zigeuner konnten ihm nicht beſonders ſchwer werden, denn dieſes Geſindel ging ihn nicht näher an. Aber wenn ſeine Beichte vollſtändig ſein ſollte, ſo mußte er nähere Genoſſen, mußte er ſeine Nächſten in das Verderben, wenigſtens in das zeitliche, mit hineinreißen. Nach ſeiner ganzen Beſchaffenheit mußte ihn dies einen Kampf koſten, über deſſen Schwere man ſich durch die bei dem Naturmenſchen in jeder Lage des Lebens möglichen Augenblicke der Luſtigkeit nicht täuſchen laſſen darf. Die beiden Haupttriebräder ſeiner ganzen Lebensentwicklung, Liebe und Stolz, mußten in dieſem Kampfe überwunden werden. Er war ſein Leben lang ſeinen Freunden ein treuer Freund nicht bloß geweſen, ſondern, zur vollſten Befriedigung ſeines Selbſtgefühls, als ſolcher auch ſtets von ihnen anerkannt worden: und nun ſollte er dieſen einzigen, letzten Ruhm, an dem er ſich im Eisgange der Selbſtverachtung noch aufrecht gehalten, von ſich werfen, ſollte auch noch den Seinen verächtlich werden, wie er der übrigen Welt verächtlich war. Aber er war dem Buß - und Beſſerungsplan, welchen das weltliche und geiſtliche Amt zuſammen entwarfen, ſchon in ſeinem erſten Verhör vorausgeeilt, in welchem er erklärt hatte, er wolle ſeiner Mitſchuldigen ſo wenig wie ſeiner ſelbſt verſchonen, und hatte damals ſchon auf die Gefangenen in Stein, unter welchen ſeine zweite471 Chriſtine war, hingewieſen. Nur fand er bald, daß die Ausführung eines Entſchluſſes nicht ſo leicht iſt, wie der Entſchluß ſelbſt, und in den nächſten Verhören begann er zu Gunſten ſeiner beiden Weiber zu lügen, ſo ſehr, daß er in der Erzählung von der Zuſammenkunft im Walde bei Wäſchenbeuren eine Katharina ſtatt der ſchwarzen Chriſtine nannte. Er hatte Beide mit der ganzen Kraft ſeines Herzens geliebt. Wenn er ſie aber liebte, ſo mußte er ihnen ja die gleiche bitterſüße Arznei reichen, der er ſeine Geneſung zu verdanken bekannte. Er entſchloß ſich dazu, und daß dieſer Entſchluß der äußerſten Selbſt¬ überwindung aus redlicher Ueberzeugung floß, das haben ihm nicht bloß ſeine weltlichen Richter und geiſtlichen Tröſter bezeugt, das bezeugt ihm nicht bloß ſein Geſchichtſchreiber, welcher verſichert, daß er mit der unabänderlich gleichen Geſinnung auf der Lippe geſtorben ſei, ſon¬ dern die menſchliche Natur ſelbſt bezeugt es ihm, welche weiß, daß ein Menſch wie dieſer nicht mit einer Lüge aus dem Leben gehen kann.

Die Folge ſeiner Geſtändniſſe war, daß beide Chriſtinen an den Sitz des Gerichts geholt wurden, die eine aus ihrer Gefangenſchaft, die andere aus der Dunkelheit ihres Dienſtes, in welchem ſie ſich, wie ihr Geſchichtſchreiber ſagt, ordentlich aufgeführt hatte.

Die ſchwarze Chriſtine, die ihn durch und durch kannte und ſich ohne Zweifel ſagte, daß ſie verloren ſei, wenn es der Oberamtmann verſtanden habe, ihn an ſeiner ſchwachen Seite zu faſſen, leugnete hartnäckig, ſchalt über Ungerechtigkeit und drohte aber der Ober¬ amtmann hatte ſein gezähmtes Wild bei der Hand und wußte es zum Fang des ungezähmten zu gebrauchen. Er hatte ſeinen Gefan¬ genen hinter einer ſpaniſchen Wand verborgen und ließ ihn, da ſie einen Sonnenwirthle jemals geſehen zu haben leugnete, plötzlich auf ein gegebenes Zeichen hervortreten. Seine ganze Seele, erzählt der Geſchichtſchreiber, ward bei ihrem Anblick bewegt, er zerfloß in Thrä¬ nen der Liebe und des Schmerzes. Auch ſie war bei ſeinem uner¬ warteten Anblick erſchüttert, doch faßte ſie ſich plötzlich wieder und nahm die gleichgiltigſte Miene, wie gegen einen unbekannten oder kaum einmal geſehenen Menſchen an. Schwan ließ ſich nicht abſchrecken. Er näherte ſich ihr mit den zärtlichſten Liebkoſungen, die um ſo rührender waren, da ſie ſich zum erſtenmal in einer ſo traurigen Lage und unter noch traurigeren Ausſichten wiederſahen. Aber ſie verſchmähte mit472 Unwillen ſeine Zärtlichkeit und beſchwerte ſich über die Vertraulichkeiten eines Unbekannten, da er noch überdies allem Anſchein nach ein großer Böſewicht ſei und ſie ſelbſt in dieſen Verdacht bringen wolle. Noch ließ er nicht nach. Er erklärte ihr, daß das Leugnen ihrer Verbrechen nun zu ſpät ſei, daß er längſt Alles geſtanden, und daß ſie ſelbſt auch durch viele Umſtände ſich ſchon verrathen habe. Er verſicherte ſie, daß nun das Ende ihrer Frevelthaten gewiß gekommen, daß er aber ſeinen gegenwärtigen Zuſtand, wo er in Ketten und Banden ſchmachte und keine weitere Ausſicht als den Tod habe, dennoch für viel glücklicher halte, als jenen, da er in der höchſten Freiheit Gottes und der Menſchen geſpottet. Nichts rührte das boshafte und ver¬ härtete Weib; ſie antwortete ihm nur mit Unwillen und Verachtung. Nun konnte ſich Schwan nimmer halten. Seine beiden großen Leiden¬ ſchaften, Zorn und Rachſucht, brachen plötzlich hervor, er tobte, raste, fluchte, und wünſchte nichts mehr als die Verruchte mit eigener Hand ermorden zu können. Doch auf dieſen Ausbruch erfolgte ſogleich wieder Ergießung ſanfter Liebe und Zärtlichkeit; er bat, flehte, weinte; aber auch ſeiner Bitten und ſeiner Thränen ſpottete ſie, bis er auf's neue in Wuth ausbrach und ſo wechſelsweiſe jetzt der Wuth, jetzt der Zärtlichkeit ſich überließ.

So erzählt der Sohn des Oberamtmanns, der jenen Vorgängen nahe ſtand. Der ſpätere Sammler der Vaihinger Ueberlieferungen fügt aus unbekannter Quelle hinzu, die wirtembergiſche Behörde habe es für zweckdienlich gefunden, ihr den neunwöchigen Säug¬ ling wegzunehmen, den ſie im badiſchen Gefängniſſe geboren und geſtillt, worüber ſie in eine ſolche Raſerei gerathen ſei, daß ſie ſich das Geſicht zerfleiſcht, das Holz des Fußbodens mit den Nägeln auf¬ geriſſen und Tage und Nächte lang mit gräßlichem Geheul nach ihrem Kinde verlangt habe, bis ihre Stimme in einem heiſern Stöh¬ nen untergegangen ſei; hierauf ſei ſie in eine bedenkliche Krankheit verfallen, von der ſie ſich erſt nach fünf Wochen wieder erholt habe.

Freilich hatte ihr Mitſchuldiger ſeinem Richter vorausgeſagt, daß er einen ſchweren Stand mit ihrem verſtockten Herzen haben werde, da ſie oft erklärt habe, daß ſie ſich lieber auf den Tod foltern, als zum Spektakel der Welt durch den Henker hinrichten laſſen wolle. Auch ließ er ſie durch die Wächter bitten, zu geſtehen und nicht ſich473 und ihm nutzlos die Leiden der Gefangenſchaft zu verlängern. Sie ließ ſich endlich zum Geſtändniß der leichteren Fälle herbei, die ſie ihrer Jugend und der Verführung ihres Mannes zuſchrieb; aber als ſie zu geſtehen begann, war ſie bereits längſt überwieſen, und die Wagſchale ihrer Verbrechen ſank unter dem Druck der gebrochenen Urphede, welche das chriſtliche Geſetz ſeinem heimathloſen Feinde bei deſſen erſter Betretung und Ausweiſung aufzuerlegen pflegte, um ihn bei der Wiederbetretung, die ihn ja dann des Meineides ſchuldig zeigte, deſto feſter faſſen und nöthigenfalls am Leben ſtrafen zu können.

Auch die blonde Chriſtine ergab ſich nicht gutwillig in das Schick¬ ſal, das ihr umgewandelter Geliebter ihr bereitete. Der Sohn des Oberamtmanns beſchreibt das verhängnißvolle gerichtliche Wiederſehen dieſer Beiden in ſeiner Weiſe ſo: Müllerin war ſeine erſte Liebe, lange war er bis zur Raſerei in ſie verliebt, und auch ſie hing mit einem ſolchen Feuer an ihm, daß ſie Ehre, Freiheit und Alles ihm aufopferte, und was für ihn vielleicht das Wichtigſte war, ſie war die Mutter ſeiner Kinder. Seit zwei Jahren waren ſie gänzlich ge¬ trennt. Sie war die erſte Urſache ſeines Schickſals, und er des ihrigen. Alle dieſe Empfindungen wachten in dem Augenblick des erſten Wieder¬ ſehens auf. Er zerfloß in Thränen, ſobald er ſie ſah, und, erſt lange ſtumm, fragte er ſie endlich auf's zärtlichſte nach ihrem Schickſal, nach ihren Kindern und Verwandten, bat ſie um Verzeihung, daß er ſie unglücklich gemacht, und verſicherte ſie ſeiner heftigſten Reue. Müllerin ward durch ſeinen Anblick und ſeine Rede in die ſonderbarſten Em¬ pfindungen geſetzt: innigſte Rührung und Begierde ungerührt zu ſchei¬ nen kämpften in ihr, ſie ließ jetzt, wie man aus ihrer Miene ſchloß, ihren Empfindungen freien Lauf, jetzt zwang ſie ſich, eingedenk der Folgen, ſie zurückzuhalten.

Lange hatte er ſich gegen das Bekenntniß der Vergehen geſträubt, an welchen die Genoſſin ſeines fruchtloſen Kampfes mit der Geſellſchaft in der Halbheit ihres Umherſchwankens zwiſchen Rath und That An¬ theil genommen; aber ſeiner wachſenden Aufrichtigkeit kam der natür¬ liche Verlauf der Dinge zu Hilfe: denn nachdem das Gericht einmal ſeinen Namen wußte, kannte es auch einen guten Theil ſeiner Ge¬ ſchichte und wurde durch Mittheilungen aus ſeiner Heimath in den Stand geſetzt, die einſchlagenden Fragen an ihn zu ſtellen, welchen er474 in der Gemüthsverfaſſung, die wir kennen, nicht länger auszuweichen vermochte. Nun begann er unumwunden und rückſichtslos zu geſtehen, und die Arbeit der Ueberwindung, die er auf ſeine Weiber ausdehnte, wiederholte ſich in jedem gemeinſchaftlichen Verhör. Er redete ihnen zuerſt ſehr ſanft und freundlich zu, gerieth dann in Wuth, tobte und drohte, klagte, daß er nie ein Wort um ſeinet - ſondern nur um ihretwillen gelogen und daß die Verruchten es ihm ſo vergelten, bat ſie dann wieder um Verzeihung und flehte ſie liebreich an, ihre und ſeine Schuld vor Gott und den Menſchen nicht noch ſchwerer zu machen. Die blonde Chriſtine ließ ſich endlich erweichen, erklärte aber gleich nachher wieder, daß ſie, durch ſein ſchmeichelhaftes Zureden, wie ſie ſich ausdrückte, bewogen, viel zu viel eingeſtanden habe. Auch ſagte ſie, nicht aus Bußfertigkeit, ſon¬ dern aus kleinlicher Rache auf ihn aus, er habe einmal, wie ſie wiſſe, ein paar Sägen geſtohlen. Bei dieſer Gelegenheit konnte der Inquirent das Weſen ſeines Inquiſiten an einem neuen Zuge kennenlernen. Derſelbe Mann, der ſeine todbringenden Geſtändniſſe ſo willig und todesfreudig gemacht hatte, leugnete den kleinen Diebſtahl auf's hartnäckigſte, ſo daß der Richter an ihm irre wurde. Als er endlich überwieſen war und keinen Ausweg mehr finden konnte, ſo geſtand er das Vergehen und zugleich die Urſache ſeines Leugnens: er habe, ſagte er, die Sägen an einen ehrlichen, gewiſſenhaften Mann verkauft, der ſich lange nicht dazu bequemen wollen, bis er ihn verſichert, ſie ſeien nicht geſtohlen, und ſich auf Seel 'und Seligkeit vermeſſen habe, daß ihm ſein Lebtag nichts über den Handel aus ſeinem Munde kommen ſolle, weswegen er auch ſo gewiß als etwas von der Welt wiſſe, daß er ſeiner Chri¬ ſtine nichts davon geſagt habe. Nun fand ſich der Richter wieder in ihm zurecht, und ſchenkte ihm nach und nach ſo vollen Glauben, daß, wie ſich aus dem Protokoll ergibt, der Unſchuldsbeweis hinſichtlich des an dem Schützen zu Ebersbach begangenen Mordes lediglich auf ſeine eigene Ausſage gegründet iſt. Das Urtheil wurde hiedurch freilich in nichts abgeändert, doch blieb dieſer angebliche Meuchelmord, den ihm die Ebersbacher aufbürdeten, aus der im Urtheil aufgeſtellten Reihe ſeiner Verbrechen weg. Der kleinliche Groll, dem die blonde Chriſtine in ihrem der Schwachheit ausgeſetzten Gemüthe Zugang ver¬ ſtattet hatte, ſchwand wieder, denn ſie kannte ſein Herz und glaubte an die Aufrichtigkeit ſeiner Zerknirſchung, die ihm nicht anders zu475 handeln erlaubte, obgleich ſie ſich die Rechnung machen konnte, daß ſie dieſelbe, nachdem es ihr geglückt war, aus dem Zuchthaus in einem Dienſt unterzukommen, mit einer abermaligen Zuchthausſtrafe zu be¬ zahlen haben werde.

Allerdings ein harter Lohn für ſo viel Liebe und Aufopferung, die in dem Protokoll mit dem amtlichen Kunſtausdruck praematurus concubitus abgefertigt wird! In zwei brandmarkenden Worten die Geſchichte eines ſiebenjährigen Kampfes voll Weh und Treue erſchöpft! Und dabei war der Oberamtmann noch billiger als das Geſetz, das ein ohne elterliche Einwilligung geſchloſſenes Liebesband mit einem noch härteren Ausdrucke brandmarkte. Sein Angeklagter muß ihm in jenen Stunden, wo die Inquiſition einen vertraulichen Ton annahm , ergrei¬ fende Eröffnungen gemacht haben, die freilich nicht im Protokoll zu leſen ſind, auf die man aber daraus ſchließen darf, daß das Protokoll, das ja nicht die Geſchichte ſeines Schickſalsganges, ſondern nur die Geſchichte ſeiner Verbrechen enthalten ſollte, die Anklage gegen Stief¬ mutter, Vater, Pfarrer und Amtmann, zwar kurz und dürr, aber doch in wenigen Worten vollſtändig aufgenommen hat, die Anklage: nach¬ dem er ſich ehlich mit ſeiner Geliebten verſprochen und ſeine Minder¬ jährigkeit bei der Regierung wegſupplicirt, habe ſein Vater, weil ſie ihm nicht reich genug geweſen, durchaus nicht darein willigen wollen, und es bei dem Pfarrer und Amtmann dahin zu bringen gewußt, daß ihm aller Umgang mit derſelben verboten worden, ob man ſie ſchon zum drittenmal mit einander ausgerufen gehabt, und daß hieraus die Exceſſe entſtanden ſeien, die ihn nach und nach auf den Weg des Verderbens geführt . Auch die Weigerung des geiſtlichen Hirten, ſeinen Schafen einen unentgeltlichen Dienſt zu leiſten, hat der Oberamtmann, ohne Zweifel von dem ſtummen Gefühl des Ehrenmannes geleitet, ge¬ wiſſenhaft in ſein Protokoll eingetragen.

Aber die Rachſucht, mit welcher der Unglückliche ſo oft über dieſen Erinnerungen gebrütet hatte, war mit ſeinem Stolze gebrochen. Er ſelbſt , erzählt der Sohn des Oberamtmanns, hielt die abgeſchlagene Heirath mit Müllerin für die Urſache ſeines Unglücks, und brannte daher während ſeines ganzen Lebens von Wuth und Rache gegen ſeinen Vater. Den¬ noch redete er zuletzt mit großer Mäßigung von ihm. Er hätte kön¬ nen anders mit mir verfahren, ſagte er einſt: doch es iſt auch wahr,476 daß mein Eigenwille allzu groß war; ich ſelbſt habe das Gute ver¬ worfen und das Böſe erwählet. Ich will dahero gern alle Schuld auf mich allein nehmen. Aber wenn er ja auch Schuld ſein ſollte, ſo gedenke doch Gott ſeiner Sünden nicht. Er hat auf dieſer Welt Trübſal genug an mir erlebt. Der arme alte Mann, fuhr er ein andermal fort, mein Vater, dauert mich. Ich will ihm keine Vorwürfe machen. Ich wünſchte mir noch ſeinen Segen. Der Eltern Segen baut der Kinder Häuſer. Das ſchickt ſich nun freilich nimmer auf mich. Aber ſein Segen würde mir doch erquickend ſein. O, daß Gott ſeine Sün¬ den vergeben wollte, wie er mir die meinigen vergeben hat!

Dieſem Hauche des Friedens entſprechend malt der Geſchichtſchreiber ſeine ganze übrige Gemüthsſtimmung. Nichts aber , ſagt er, an das Vorige anknüpfend, war jetzt ſo lebhaft, als die niemals ganz ver¬ bannten Empfindungen der Liebe. Sein ganzes Herz hing an ſeinen beiden Frauen, und vorzüglich an ſeinem Kind. Man ſchickte ihm nichts zu eſſen, von dem er nicht dieſen mittheilte. Beſonders aber war er für ihren Seelenzuſtand ſo bekümmert, daß er ihnen, wo er nur konnte, auf das Nachdrücklichſte zuſprach, daß er ſtets ſich nach ihren Geſinnungen erkundigte, und ſowohl dem Oberamtmann als den Geiſtlichen die Methode anzugeben ſuchte, wie man ihren Herzen am beſten beikommen könnte. Eine ſolche Gemüthsverfaſſung gab ihm Muth in Augenblicken und unter Umſtänden, in denen ſich ſonſt Ver¬ zweiflung auch der Stärkſten bemächtigt; ja er erhob ſich durch die¬ ſelbe bis zu einem ſolchen Grad der Freudigkeit, die ihm ſelbſt bewun¬ dernswürdig vorkam, und die bisweilen ſo weit ging, daß er ſelbſt be¬ fürchtete, ob ſie nicht bloßer Leichtſinn ſein möchte.

Unter allen dieſen Stimmungen aber ging die Arbeit ununter¬ brochen fort, nicht bloß jene Arbeit der Buße, ſondern die geiſtige Arbeit einer treuen Zeichnung der Welt, in der er gelebt hatte. Dieſe Zeichnung iſt in den Unterſuchungsacten niedergelegt. Wohl ſelten iſt ein ſo dickes Protokoll in der Zeit von ſo wenigen Monaten voll¬ endet worden. So hohe Anerkennung man dem Fleiße und der Berufs¬ treue des Beamten ſchuldet, der der Verwaltung und Rechtspflege ſeines Bezirks zugleich vorzuſtehen hatte, mit der Perſon ſeines Ge¬ fangenen eine in halb Süddeutſchland verzweigte Unterſuchung in die Hände bekam, und neben den fortdauernden Verhören einen durch dieſe477 veranlaßten ſehr ausgebreiteten Verkehr mit einheimiſchen und aus¬ wärtigen Behörden führen mußte ſo enthüllt ſich doch zugleich aus dieſen Acten das Bild eines Angeklagten, der ungezwungen und in raſch fließendem Vortrage, gleichſam als die leitende Seele der Unter¬ ſuchung, ſeine Angaben dictirt, ſo daß der Richter ſich zuſammen¬ nehmen muß, um mit dem Geiſte und mit der Feder zu folgen. Für den prüfenden Leſer zerfällt das Protokoll ſomit in zwei Beſtandtheile von nicht ganz gleichem Gehalte: der eine gehört ſagen wir nicht, dem Oberamtmann, ſondern dem Lebenskreiſe, dem er angehörte, und der Urheber des andern iſt der begabte Verbrecher ſelbſt. Beſonders verdient die lebendige Kraft hervorgehoben zu werden, mit welcher er die Maſſe von Perſonen, um die ſich ſeine Ausſagen drehen, zu ſchildern wußte: mit wenigen Worten, die wie breite Pinſelſtriche wir¬ ken, entwirft er ein Bild nach Geſtalt und Tracht, daß die geſchilderte Perſon in anſchaulicher Leibhaftigkeit aus dem Protokoll vor das Auge ſpringt und eben ſo gut dem Richter zu einem Steckbrief, als dem Dichter, ſo weit dieſer Luſt hat unter die Räuber zu gehen, zu einem Gemälde in Lebensgröße dient. Und damit man nicht glaube, daß einem ungebildeten Menſchen aus dem Volke hiemit des Guten gar zu viel geſchehe, ſo möge an dieſer Stelle in andern Worten und ande¬ rer Auffaſſung die Bürgſchaft des jüngſten Bearbeiters der Geſchichte des Sonnenwirths eintreten, der ihn nur aus dem Vaihinger Inquiſi¬ tionsprotokoll, alſo von ſeiner ſchwärzeſten Seite kennt, und gleichwohl den Eindruck, den ihm die Perſönlichkeit des Inquiſiten in den Acten machte, ſo wiedergibt: Die Bekenntniſſe des Verbrechers drängten ſich völlig frei und ungezwungen und in ſolcher Maſſe dem Verhörrichter entgegen, daß der Bedarf inquiſitoriſchen Scharfſinns zu ihrer Er¬ hebung ſich ungleich geringer herausſtellte, als der Aufwand an Zeit und Mühe für die juriſtiſche Digeſtion des reichen Materials. Die Sprache, die er vor Gericht führte, war gewogen, anſtändig, zuweilen edel, und zeugte im Allgemeinen von einem nicht geringen Maße natürlichen Verſtandes, namentlich aber wenn es galt, dem unter¬ ſuchenden Beamten das Unlogiſche mancher Unterſtellungen verweiſend unter die Augen zu halten; ja in Fällen, wo ſich der Richter dahin vergaß, ungerechte Beſchuldigungen mit Hartnäckigkeit aufrecht erhalten zu wollen, hatte die beſonnen kalte Rechtfertigung des Angeklagten478 etwas von der Ruhe eines Gerechten an ſich, und glich in keiner Weiſe jenem hündiſchen Trotze verhärteter Böſewichte, die, niederge¬ drückt vom Gewicht gegründeter Beſchuldigungen, den kleinſten Bezicht, der ſie unverſchuldet trifft, willkommen heißen, um darüber in die Klagen beleidigter Unſchuld auszubrauſen.

Er hat aber außer dieſen mündlichen Angaben noch ein ſchrift¬ liches Denkmal hinterlaſſen, wozu er ſelbſt die Feder oder vielmehr den Bleiſtift in die Hand nahm und, unabhängig von dem Styl des Oberamtmanns, ſich in ſeiner eigenen Weiſe gehen ließ. Er hatte ſchonungslos die Genoſſen ſeiner Uebelthaten an's Meſſer geliefert, als es ihm in der Einſamkeit ſeines Gefängniſſes einfiel, daß das Werk nur halb gethan ſei, wenn er nicht auch die Hehler angebe, die das Beſtehen einer ſo weithin gegliederten Kette von Feinden der Geſellſchaft möglich machten und immer wieder ergänzten.

Es treiben mich die Bewegungen meines Herzens mit dieſen Worten begann er in carcere, wie der Oberamtmann in ſeinem Pro¬ tokoll bemerkt, mit den ihm vergönnten Schreibmaterialien einen mehrere Bogen langen Aufſatz, mit kräftiger klarer Handſchrift, nach der Schreibweiſe ſeiner Zeit, in welcher ſich die Ungebildeten von den Gebildeten darin unterſchieden, daß jene den ererbten Sprachſchatz der Luther'ſchen Bibelüberſetzung mit mehrerem oder minderem Geſchick handhabten, während dieſe ihrer nicht bei Luther erlernten Satzbildung mit lateiniſchen Einſchwärzungen je nach dem dritten deutſchen Worte auf die Beine zu helfen ſuchten. Dieſe Enthüllungen eines Jauners und Jaunergenoſſen aus der Zeit, die man als die gute, alte, ſittliche, fromme rühmen hört, ſtellen alle angenommenen Vorſtellungen von jener Zeit auf den Kopf, laſſen es höchſtens begreiflich erſcheinen, daß einzelne Enkel einzelner Familien, die inmitten der allgemeinen Ver¬ derbnis; ſich unter günſtigen Lebensumſtänden rein erhielten, auf ihre Vorfahren ſtolz ſein können, zeigen aber die große Mehrheit des Volkes, trotzdem, daß es ſehr fleißig in die Kirche ging, in einer Fäulniß, die einen Lieutenant Mockel, wenn er ſich mit Seinesgleichen zu dem Streiche, der ihm aufgedämmert war, erhoben hätte, auf einige Wochen oder Monate ſchwerlich viel länger zum Herrn von Süddeutſchland hätte machen können. Dieſe Enthüllungen ſagen nicht bloß von Wirthen, Bauern, Hofbeſitzern, ja von ganzen Dörfern479 weit und breit umher: hier iſt ein ſehr Aufenthalt für alle Räu¬ ber nein, ſie nennen eine Maſſe von Ortsbehörden ſelbſt, die mit den Jaunern im engſten Verſtändniß waren. Nicht von Huſaren, Hatſchieren, und wie ſonſt die niedern Beamten der öffentlichen Sicher¬ heit hießen, zu reden, die Schultheißen ſelbſt, und in unglaublicher Anzahl, waren mit den Feinden der öffentlichen Sicherheit förmlich verſchworen. Da heißt es auf jeder Seite dieſer Denkwürdigkeiten, wo von dieſem oder jenem Ort die Rede iſt: Vom Herrn Schultheißen iſt mir ſehr und wohl bekannt, daß er ein guter Mann gegen die Diebe und Räuber iſt , und ſo viel weiß ich, wenn Einer verwahrt iſt, er ſei ein Räuber ſo groß als er will, ſo wird Herr Schultheiß ihm durchhelfen , und die Frau des Sohnes iſt wohl zu brauchen auf den Märkten, wie ich ſelber aus ihrem Munde gehöret, ſie wolle mit meiner Frau gehen, denn ſie halte man nicht für verdächtig; ſie könne beſſer bei den Krämerſtänden brav zugreifen; wenn man ein Bekanntes dabei habe, ſo ſei man nicht ſo im Verdacht. Wieder gibt er in einem andern Orte den Schwager des Schultheißen an, als einen Mann, der beſtändig derlei Leute im Haus liegen und auch mit ihnen zu ſchaffen hat . Dieſer Mann , ſagt er. iſt aber anzu¬ ſehen für einen frommen Mann, weil er fleißig in die Kirche gehet; aber doch hat er und ſeine Frau ſchon lange und Vieles mit den Räubern zu thun; der Schultheiß thut ihm Alles zu wiſſen, wann eine Streife ergehen ſoll, denn er erhält zuerſt das Schreiben des Oberamts, und wann eine ergehen ſoll, ſo thut man es den Räubern gleich zu wiſſen, daß ſie fliehen ſollen. Dieſer Schulze , ſetzt er ſofort in ſeiner ganzen Gewiſſenhaftigkeit hinzu, als ob er ſich nicht das Recht zugeſtände, demſelben gerade zu Leibe zu gehen, kommt mir auch ſehr verdächtig vor: ich habe öfters mit demſelben getrunken in ſeines Schwagers Wohnbehauſung, und er hat Alles von mir geſehen, Pulver Blei und Piſtolen, hat mir auch ſelber ein Terzerol im Inqui¬ ſitionsprotokoll ſagt er immer Terzrohr an Krämerwaaren ver¬ handeln wollen, was aber meine Frau nicht geſchehen ließ. Der Schultheiß läßt es nur nicht ſo öffentlich an den Tag kommen, weil er ein ſehr vermöglicher Mann iſt, aber nach ſeinen eigenen Reden, die er gethan, iſt ihm von den Spitzbuben nämlich wohl zu trauen. Was aber ſeinen Schwager und Schweſter anbelangt, ſo hat480 es ſeine Richtigkeit. Das Ort iſt edelmänniſch. Wiederum heißt es von einem dergleichen Orte: Ich habe geſehen und aus ihrem Munde vernommen, daß ihnen ſehr wohl gedient mit ſolchem Räubergeſind iſt; ſie haben auch Viele mit Namen genannt, die mir ſelbiges Mal noch nicht bekannt waren. Ferner haben ſie geſagt, man ſolle doch nur zu ihnen kommen, man dürfe ja hier nichts fürchten, die Räuber gehen viel mit den Leuten in die Kirche aus und ein, man lege Keinem etwas in den Weg, wenn man nur das Geſtohlene wohlfeil von den¬ ſelben bekomme, ſo ſei Alles recht. Wieder in einem andern Ort hat mich der Wirth auch zu dem Bürgermeiſter hingeführet und da geredet ſo offenbarlich vom Stehlen und Rauben, als wenn lauter Räuber und Zigeuner bei einander wären, ſo daß ich mich ſelber ſehr verwundern mußt ', weil mir ſolche Orte und Gelegenheiten noch nicht bekannt waren; habe auch gleich einen beſſern Muth zum Stehlen bekommen, und da ſie auch ſelbſt die jeniſche Sprache reden, ſo gut wie die Räuber ſelbſt, ſo gedachte ich gleich: den Leuten iſt zu trauen, und müſſen ſchon dergleichen Leute gehabt haben, ſonſt kennten ſie die Sprache nicht. Es iſt aber auch wahr, denn die Sprache iſt nicht leicht zu lernen, und in den Schulen hat man ſie nicht dazu angehal¬ ten ſo kann ich ja leicht vernehmen, daß dergleichen Leute öfters dageweſen ſeien und es wohl zu trauen war. Wo mich meine Frau hingeführet, in den Häuſern reden die Leute die Sprache beſſer als ich, und ſie haben mich öfters ſehr ausgelacht und geſagt, wann ich die Chriſtine ſo lang hab' als ſie ſie kennen, ſo werde ich ſchon beſſer mit der Sprache fortkommen können. Feiner in einem Ort: Beim Kreuzwirth und ſeiner Tochter, der Straußwirthin, ſind die Räuber bekannt, und man weiß auch Alles von denſelben, und ſie machen ſich nichts daraus, da der Herr Stabsſchultheiß ein ſehr naher Freund zu ihnen iſt, und ſie verlaſſen ſich darauf. In einem andern Ort: Der Schulz hat auch Vieles mit den Räubern zu ſchaffen und ich bin dem Schultheißen wohlbekannt, er hat auch Alles von mir geſehen und ge¬ wußt, woher und wer ich bin, und iſt mein ganzer Lebenslauf dem¬ ſelben bekannt; aber er war ein Liebhaber ſolcher Leute und ſehr ver¬ ſchwiegen, ſonderbarlich ſeine Frau, die mit der alten Anna Maria Vieles zu ſchaffen gehabt, ſich auch hat brauchen laſſen und ſich unter¬ ſtanden, da damals der Anna Maria ihr Sohn in Verhaft gekommen,481 und ſich die Schultheißin viel Mühe gegeben, wie möchte zu helfen ſein, aber dabei gemeldet, um wenig Geld helfe ſie nicht dazu, aber wenn man ihr gebe was recht ſei, ſo wolle ſie es in Stand bringen, daß ſie gewiß hindurchkommen. Daß die Weiber, wenn ſie einmal die Scheu überwunden haben, viel entſchiedener als die Männer auf das Ziel losgehen, zeigen auch ſonſt noch manche Stellen dieſer Denk¬ würdigkeiten, wie er denn von einer andern dieſer Gelegenheitsmache¬ rinnen ſagt, ſie ſei eine ſolche ſchlimme Frau, daß er es ſelbſt nicht genug beſchreiben könne, und habe ihm manchen Seufzer ausgepreßt, weil ſie Einem keine Ruhe gelaſſen habe, bis man zum Stehlen fortgegan¬ gen ſei. Bemerkenswerth und ein Zeugniß für die ſchlechten Nahrungsver¬ hältniſſe iſt, daß die Leute den Räubern beſtändig in den Ohren liegen, ſie ſollen ihnen doch Fleiſch verſchaffen; ſelbſt in das Wirthshaus müſſen ſie, wenn ſie dort nicht Mangel daran leiden wollen, geſtohlene Hämmel mitbringen. Die Enthüllungen umfaſſen einen beträchtlichen Theil von Süddeutſchland, und beinahe in jedem der genannten Orte iſt die Ortsbehörde in das Getriebe des Jaunerweſens mitverwickelt. Was den Herrn Schultheißen anbelangt , heißt es bei ſolchen Ge¬ legenheiten, ſo werden ſeine Umſtände bald am Tag ſein, wann man ihm ſein Zollbuch abfordert, denn er hat mir ein Zollzeichen gegeben, damit ich ſoll richtig mit der geſtohlenen Waare durchkommen, und in dem Zollbuch wird ſtehen der Name Joſeph Klein oder Sigmund Hermann. Andere Gemeindebehörden verhelfen den Räubern zu Päſſen, mit welchen ſie die Lande unangefochten durchziehen können. Da iſt gar ein Bürgermeiſter ein ſolch ſchlimmer Mann: wenn eine Streife ergangen, hat er die Räuber ſelbſt in ſein eigenes Bett hin¬ eingelegt, wie ich und meine Frau ſelbſt einmal darinnen in der Ver¬ wahrung geweſen. Es ergibt ſich aus dieſem Allem, daß die Zeit für das Schwurgericht noch nicht reif war, weil auf der Anklagebank die Stehler und auf der Geſchwornenbank die Hehler geſeſſen wären. Aber nicht bloß das Bürgerthum bis zu ſeinen Vorſtehern hinauf, ſon¬ dern auch der Adel, der einen ſo großen Theil von Land und Leuten in unbedingter Abhängigkeit hielt, hat in einzelnen Mitgliedern, aus Furcht oder Vortheil, an der Begünſtigung dieſes Raubweſens Theil ge¬ nommen. Will man aber vollends mit ganzem Maße meſſen, ſo muß man ferner nicht bloß das Gehenlaſſen der Regierungen, ſondern auchD. B. lV. Kurz, Sonnenwirth. 31482den Zeitgeiſt ſelbſt mit zur Anklage ziehen, deſſen ſonderbare Vorliebe für Erzählungen von Räuberabenteuern, deſſen krankhaft zärtliche Theil¬ nahme an den Helden derſelben beweiſt, wie verkehrt und widerſpruchs¬ voll der Geiſt des Menſchen werden kann, wenn er dunkel ſpürt, daß ſeine Zeit in Haushalt und Menſchenrecht nicht wohl beſtellt iſt. Dieſe Bildung ſchwelgte aasvogelartig in Lebensbeſchreibungen berüchtig¬ ter Räuber und bald auch, da der Bedarf nicht zureichte, in erdichte¬ ten Räubergeſchichten, deren wirkliches Erleben ſie jeden Augenblick in Haus und Hof ernſtlich zu befürchten hatte, und all dieſer Angſt zum Trotze ſtellte ſie ſich dennoch, ſo oft ſie in ihren Romanen von einem Kampfe der Räuber mit den Dienern des Geſetzes las, auf die Seite der erſteren, und bekannte hiedurch den Zwieſpalt zwiſchen ihr und dem Geſetz; ja als endlich ein zum Höchſten berufener Dichtergeiſt ſeine Jugendkraft und ſeinen Jugendzorn über die Zeit, die er ſo erbärm¬ lich fand, in die Geſtalten jener Räuberwelt einkleidete, da jauchzte faſt die ganze gebildete Welt auf und ging mit ihm unter die Räuber und Mörder, obwohl ein kurzes Nachdenken ſie belehren konnte, daß nicht jeden Tag ein verbrecheriſcher Reichsgraf durch die böhmiſchen Wälder reiſt, um einen edlen Räuber als den Vollſtrecker einer höheren Juſtiz zu ernähren, ſondern daß dieſer gar bald bei ehr¬ lichen und unſchuldigen Menſchen mit Liſt oder Gewalt ſein tägliches Brod holen muß.

In dieſe Zeit, deren Sitte, Geiſt und Bildung ſich ſo gänzlich vom Beſtehenden nicht nur, ſondern auch vom Rechten abgewendet hatte, daß nur eine große Völkerumwälzung die Welt wieder in das verlorne Geleiſe zurückbringen konnte, fielen die Enthüllungen des Ebersbacher Bürgersſohnes wie ein Wetterſchlag nicht in die Leſewelt, denn ſie blieben bei den Acten des Gerichts begraben und würden den modi¬ ſchen Leſehunger ſchlecht befriedigt haben, ſondern in die alerte Welt des Verbrechens und in die ſchlaffe Welt des Geſetzes. Sie haben nicht von Grund aus die Jaunerei ausrotten, nicht von Grund aus die Redlichkeit im bürgerlichen Leben zu Kräften bringen können, aber ſie haben ein Großes zur Herſtellung der öffentlichen Sicherheit gethan, und beinahe ein Menſchenalter iſt vergangen, bis wieder eine ſtärkere Bande zwiſchen dem Rhein und der Donau ſich zu ſammeln wagte. Die Geſtändniſſe des Räubers gaben den Behörden nicht bloß483 die Mittel an die Hand, den erſten jener planmäßigen Schläge zu führen, welchen die von der Hehlerei unterſtützte Jaunerei, wenigſtens in der hoch¬ gefährlichen Geſtalt, die ſie um die Mitte des Jahrhunderts angenom¬ men hatte, nach und nach erlag, ſondern ſie entdeckten ihnen auch gewiſſe Fachgeheimniſſe des Räuberhandwerks, die ſie in Stand ſetzten, ihre Angehörigen künftig zweckmäßiger zu ſchützen. Denn auch dieſes Gewerbe hatte ſeinen Fortſchritt und ſeine Erfindungen, und die Acten bewahren hievon Züge menſchlichen Scharfſinns auf, an dem man ſich ergötzen könnte, wenn er beſſer angewendet worden wäre. Es iſt ein hartes Urtheil, das man der Zeit nicht erſparen kann: dieſer Menſch hat ihr dadurch, daß er ſchuldig geworden iſt, unendlich mehr genützt, als wenn er in den Schranken des Geſetzes geblieben wäre. Die eigenthümliche Art ſeines Verdienſtes mahnt zur Vergleichung mit einem ähnlichen Verdienſte, das ſich ein Höhergeſtellter um die Zeit erwarb, der Graf Schenk von Caſtell, der, vom Eifer des Markgrafen von Durlach beſeelt, auf eigene Hand in Süddeutſchland umher und bis nach Graubünden und Italien hinabzog, um das Raubgeſindel ein¬ zufangen, und den die Jauner um ſeiner Kühnheit und Strenge willen fürchteten, als ob er vom Teufel gefeit und gefeſtet wäre, ſo daß einſt, als er allein im Walde ritt, ein Räuber einem andern, der auf ihn angeſchlagen hatte, zurief: Laß, es iſt der Graf von Caſtell! und es nur eines Wortes von ihm bedurfte, um die Beiden als Spürhunde in ſeinen Dienſt zu ziehen. Es iſt die Frage, wer mehr gethan hat, die Wälder zu ſäubern und die Diebsherbergen auszufegen, der hohe Reichs¬ graf zu Diſchingen oder der in den Staub getretene Metzgerknecht von Ebersbach. Ihm ſelbſt wenigſtens ſcheint ſein unbeſiegbares Selbſt¬ gefühl zugeflüſtert zu haben, daß er in ſeinem Gefängniß eine nicht unwichtige Perſon geworden ſei, und er braucht in ſeiner Aufzeichnung mitunter Ausdrücke gegen die Obrigkeit, wie ſie ein Vorgeſetzter ſich gegen ſeine Untergebenen erlaubt. Wiewohl ich weiß , ſagt er an einer Stelle, daß viele Räuber gefangen zu Karlsruhe liegen, will ich nur deſto eher zeigen, daß die Herren von Durlach oder Karlsruhe eine ſehr liederliche Kenntniß von denſelben haben, und es ihnen ge¬ wiß nicht geoffenbart worden, wie ich es melden werde. Dann nimmt er oft einen ganz befehlshaberiſchen Ton an. Nur dieſe in Verhaft genommen! ruft er, wo von einer Frau die Rede iſt, die er erſchrocken31 *484und weichherzig im Gegenſatze gegen ihre hartgeſottene Familie nennt: von ihr kann man Alles herausbringen, wenn man derſelben nur mit guten Worten begegnet. Nur gefragt, wo er den blauen Mantel hergenommen, den er habe! commandirt er gegen einen Hehler, der ſich wahrſcheinlich mit der Furcht vor den Räubern entſchuldigen werde, was man ja nicht gelten laſſen ſolle. Ein andermal ſchreibt er genau das Verfahren vor, durch welches man einen jaunerfreundlichen Wirth zum Geſtändniß zu bringen habe: Man frage ihn auf Pflicht und Eid wofern er etwas ableugne, ſo ſolle er gewißlich auf die Galeeren condemnirt er ſolle redlich ſagen wie es mit dem Raub zu¬ gegangen, er ſolle ſagen woher er den Cattun, den er über ſein Bett gezogen, genommen habe, er ſolle ſagen, was für Sachen der Jude, der im Ort wohnt, in ſeinem Hauſe gekauft habe u. dgl. mehr. Auch darf nicht verſchwiegen werden, daß ihn an einigen Stellen die Liebe zum Leben mit vielleicht nicht ganz unbeſtimmten Hoffnungen beſchli¬ chen zu haben ſcheint. Wann ich in das Amt komme, will ich die Dörfer ſchon melden , ſagt er an einer Stelle. Die Auslegung ſteht Jedem frei. Gewiß aber ſchickt ſich Verrath um höherer Zwecke willen am beſten für den Sterbenden, der keinen Lohn mehr nehmen kann, und zum begnadigten Diebsfänger war wohl ein Konſtanzer Hans, eine leichter angelegte luſtige Haut, gut genug. Die Volksſage be¬ hauptet, der Karl Herzog , wie ſie ihn nennt, habe auf der Durch¬ reiſe durch Vaihingen den vielbeſprochenen Räuber ſich und ſeinem Gefolge vorſtellen laſſen, wie ſie auch verſichert, daß dieſer ſeinem Fürſten einſt das Leben gerettet habe. Aber der alte Fürſtenbrauch, wonach ein verfehmter Mann, den ſein Oberlehnsherr über Leben und Tod vor ſich gelaſſen, das fürſtliche Antlitz nicht unbegnadigt ſchauen durfte, war längſt abgekommen, und der Herzog konnte damals auch nicht gnädiger geſtimmt ſein als zur Zeit der Schlacht von Fulda, denn er war mit ſeiner Landſchaft in jenen verdrießlichen Streit ge¬ rathen, der ihn als Beklagten vor den Richterſtuhl des Kaiſers ſtellte, und ſchon ſeit einem Jahre ſaß ihr ehrwürdiger Conſulent, in dem er den Verfaſſer ihrer mißliebigen Schriftſätze vermuthete, ohne Urtel und Recht in summo squalore carceris, wie die landſchaftliche Klag¬ ſchrift ſich ausdrückt, auf derſelben Feſtung, wohin einſt eine in ver¬ faſſungsmäßiger Form ergangene hochfürſtliche Reſolution den nächtlichen485 Beſucher des Ebersbacher Pfarrhauſes puncto furti tertia vice reiterati ad dies vitae gerechteſt condemniret hatte.

Daß bei der Aufzählung jener ſchmutzigen Biedermänner, die den Räuber ſeinen Hals wagen ließen und ſich an ihm bereicherten, hie und da weltliche Anwandlungen den geiſtlichen Frieden ſeiner Seele trübten, geht aus manchen Stellen unleugbar hervor. Wann eine chriſtlich geſinnte Obrigkeit , klagt er an einer dieſer Stellen, das Böſe begehret abzuſtrafen und darinnen Ruhe zu ſchaffen, wann das Böſe ſoll gedämpft werden, ſo muß man ſolche Leute zuerſt angreifen. Denn ihr Zweck iſt: ſtehlen, ſo daß ein Mancher in ſolchen Orten noch zum Stehlen angetrieben wird. Denn der Räuber hat manch¬ mal den wenigſten Nutzen vom Stehlen, weil er es ſolchen Leuten um einen wohlfeilen Preis geben muß und nichts daraus löſet, und dieſer, der es kauft, hat den beſten Nutzen. Der Räuber kommt darauf in Verhaft, man nimmt ihm das Leben, er hat kaum die Hälfte genoſſen; der Käufer bleibt ein ehrlicher Mann und hat den beſten Nutzen, und gedenket: ob der Eine todt iſt ich habe noch Viele an mir, die mir geſtohlene Waaren bringen. Solche Leute machen ſich gar nichts dar¬ aus, ob ſie ſchon die größte Anleitung dazu geben, wenn ſie nur alle¬ zeit ſicher ſtehen bleiben. Aber Gott der Allmächtige ſoll mein Zeuge ſein, daß ich, ſo viel ich weiß, ſolche Leute nicht zu verſchonen ge¬ denke; denn von meinen jungen Jahren an bin ich in ſolche Häuſer verleitet worden und zum Stehlen angetrieben, daß mein Verſtand noch nicht ſo weit gereicht hätte, wenn man mich nicht dazu verleitet und angetrieben, und man mich nicht gleich in meiner blühenden Ju¬ gend in die verruchten Häuſer eingezogen hätte. Mein ganzer Lebens¬ lauf rührt davon her, bis in meinen Tod; ich kann nicht mit Ruhe abſterben, bis ich mein Herz vor der Obrigkeit von ſolchen Leuten ge¬ nugſam ausgeleert habe, damit doch das Böſe recht geſtraft wird. Man wird ſich verwundern, wie lang daß ſolche Leute mit den Räu¬ bern zu thun gehabt, und wie viel Erhenkte ihnen bekannt, und wie viele dermalen noch am Leben, mit denen ſie noch zu thun haben. Mit der Hilfe Gottes werde ich dieſelben ſo überzeugen, daß ſie ſich nicht mehr verantworten können.

Man wird dieſer Klage, welche auch auf der Nachtſeite der alten Geſellſchaft nach heutiger Weiſe geſprochen die Arbeit vom486 Capital unterdrückt zeigt, und aus welcher man die Verwünſchungen der Verfaſſer jener Räuberromane über ihre Verleger wiederklingen zu hören meint, ihre menſchliche Berechtigung um ſo weniger abſprechen, wenn man bedenkt, daß der Unglückliche aus ſeinem eigenen Beiſpiel ſich die Aufforderung entnehmen mußte, ſo manchen Andern, der auf Irrwegen wandelte, durch die Zerſtörung dieſer Diebsneſter vor ähn¬ lichem Verderben zu bewahren. Man wird zwar, ſeinen eigenen Wor¬ ten zufolge, nicht ganz unbedingt gelten laſſen, was er bei ſeinem Geſchichtſchreiber, dem Sohne des Oberamtmanns, über dieſe Angaben ſagt: Gott weiß, daß nicht der geringſte Groll darunter verborgen liegt, wenn ich jemand entdecke; ich habe im Gegentheil viele von meinen Freunden, manche, die aus ihren Betten aufgeſtanden ſind, um mich darin liegen zu laſſen, nur um das Böſe zu verhindern, ver¬ rathen; ich geſtehe es, daß mir dieſes ſelbſt ſehr wehe thut. Es kann kein Zweifel ſein, daß dieſe Stimmung vor und nach dem Schreiben aufrichtig war; unter dem Schreiben ſelbſt aber, haben wir geſehen, überkam ihn das Gefühl des leiblichen und geiſtigen Schadens, den ihm dieſe Leute gethan, und war ſtärker als er. Ohne Rückhalt wird man jedoch glauben, was er hinzuſetzt: Wenn ich gedenke, daß da¬ durch ihre Kinder abgehalten werden, den böſen Exempeln ihrer Eltern zu folgen, daß ſo viele Unſchuldige gerettet, daß manches Kind in Mutterleibe werde erhalten werden, ſo bin ich überzeugt, daß ich hieran Recht gethan habe. Um die Zeitbeſtimmung nicht mißzuverſtehen, wenn er klagt, daß er von ſeinen jungen Jahren an in ſolche Häuſer verleitet, in ſeiner blühenden Jugend in die verruchten Häuſer ein¬ gezogen worden ſei, muß man ſich ſagen, daß dieſe Jugend zu der Stunde, da er ſchrieb, noch blühte oder wenigſtens nach menſchlicher Berechnung hätte blühen ſollen: denn er feierte ſeinen einunddreißigſten Geburtstag in dem Gefängniß zu Vaihingen. Die eigentlichen Diebs¬ herbergen aber hat er nach ſeiner eigenen Angabe, wie ſogleich die folgende Stelle zeigen wird, erſt durch ſeine Verbindung mit der ſchwarzen Chriſtine kennen gelernt; und daß dieſe nicht früher als drei Jahre vor ſeiner Vaihinger Verhaftung augefangen hat, geht unwider¬ leglich aus den Acten hervor. Dieſe nicht einmal vollen drei Jahre müſſen ihm ſomit, als er die Klage niederſchrieb, in welcher er ſeine Jugend fern und längſt Vergangen ſah, wie eine Ewigkeit erſchienen487 ſein. Wohl mag ihm auch eine Erinnerung an jenen Kramet in Rech¬ berghauſen vorgeſchwebt haben, deſſen Bekanntſchaft für ihn jedoch nur eine Vorſtufe zu der Leiter in den Abgrund war. Auch hat er dieſen ſowohl, als den Hof, auf welchen er der ſchwarzen Chriſtine folgte, in ſeinen Enthüllungen genannt, ohne jedoch einen großen Verrath an der Freundſchaft zu begehen, denn der gute Freund arbeitete bereits ſeit zwei Jahren, wie aus dem Amtsbatt vom 28. Februar 1758 hervor¬ geht, puncto furti, receptationis et celationis facinorosorum mit angehängter Kugel im Zuchthauſe. Bei dieſem Anlaſſe muß noch her¬ vorgehoben werden, daß durch die Enthüllungen des Verbrechers kein eigentlicher Landsmann deſſelben betroffen worden iſt: denn die zuletzt Genannten gehörten ritterſchaftlichem Gebiete an. Aus ſeiner Heimath hat er Niemand verrathen, als die Genoſſin ſeines Unglücks von Anfang an, die blonde Chriſtine. Wenn hienach das damalige Herzogthum Wir¬ temberg, obgleich ſein Zuchthaus ſtets gefüllt war, doch im Vergleiche mit den umliegenden Herrſchaften und adeligen Beſitzungen als der ein¬ zige geſunde Kern von Süddeutſchland erſcheint, ſo kann man dies, da die Nachbarn mit ihm das Chriſtenthum gemein hatten, nur dem Vor¬ züge zuſchreiben, daß dieſer Bruchtheil des ſchwäbiſchen Volkes, wenn auch in ſehr verkümmerter Geſtalt, allein noch einen kleinen Reſt von Freiheit und Selbſtherrlichkeit beſaß.

Dermalen ſo ſchließt die merkwürdige Aufzeichnung ſoll nun die Obrigkeit betrachten, was ich in den kurzen etlichen Jahren ſchon an Aufenthalten gemeldet habe, und das wird unter den tauſend Aufenthalten kaum ein Theil ſein, was nämlich die, welche Zeit - und Taglebens ſchon mitlaufen, ſagen könnten, wenn ſie eine beſtändige Er¬ kenntniß ablegen wollten. Ich ſage an: wie es denn möglich ſei, Schelmen oder Diebe zu fangen, wenn man nicht ſolche Aufenthalte zuerſt ausrottet? Es gehet etwa ein Schreiben aus von den gnädigſten Herrſchaften ſo ſind ſolche Leute da und machen es den Räubern zu wiſſen, oder verber¬ gen ſie ſelbſt gar. Wie will man dieſelben dann bekommen? Es iſt keine Möglichkeit, wenn man ſolche Orte nicht verderbt; es entſpringt der ganze Urſprung von Stehlen und Rauben aus ſolchen Häuſern.

Nur um eine kleine Andeutung zu machen, wie mir's in denen Häuſern ſelbſt gepaſſiret iſt: als meine erſte Frau, die Chriſtina Müllerin, in Verhaft gekommen, und mich dieſe Chriſtina Schettingerin durch ihre488 liebliche Redensarten zu ſich gezogen und mir die Gelegenheiten und ſolche Aufenthalte gewieſen, die mir nicht bekannt waren, und wie ich nun von einem Haus in das andere gegangen, und zum Erſten kam, ſprach er:

Hat Chriſtina wieder geheirathet? Sie ſprach: ja!

Iſt er aber auch ein ſo guter Räuber wie Euer erſter? Sie antwortete: ja!

Hätte ſie geſagt: nein, ſo wär ich ſchon nicht wohl daran geweſen. Sie ſprach im Haus herum: er hat bald eine Sau geholet, bald ein Schaf, bald dies bald das.

Er hat uns ſehr viel Guts gethan, wenn Ihr nur auch ſo gut werdet. Das Eine ſprach: ich bin heut über Feld geweſen, ich habe da und dort was von Thierfleiſch geſehen; ich habe auch die Schäfer¬ pferche auf der Brache geſehen holet das Fleiſch oder holt ein Schaf, daß wir auch wieder Fleiſch eſſen dürfen! ferner: habt ihr nichts Geſtohlenes bei euch? Ich brauche was von Kleidern, mein Mann hat nichts und meine Kinder haben auch nichts; wir müſſen gekleidet ſein machet, daß ihr was zu ſtehlen bekommet, und ſchaffet uns was an! Ich bin nicht weit über Feld hinausgekommen, ſonſt wollte ich euch etwas auserſehen haben, wo ihr was erwiſchen könntet, aber bis ihr wieder kommet, will ich was auserſehen!

Und ſo ſind alle dieſe Aufenthalte. Eine manche Weibsperſon, die auf dem Lande gehet, hat ſchon bis Drei oder Vier am Galgen; ſie führet noch Einen aus einem Dorf heraus, der nur ein Liebhaber des ſchönen Frauenzimmers iſt; ſie bringt ihn an ſolche Oerter hin; er höret ſolche Reden; was dieſes Menſch nicht Böſes genug an ihm vollbringen könnte, das wird ihm da vollends eingepflanzt und er mit Gewalt zum Stehlen gereizet und gelocket.

Bei mir aber, da war ſchon ein kleines Fünklein zum Stehlen aufgegangen geweſen; aber bei einem ſolchen Menſchen, die Zeit - und Taglebens nichts anders gethan, und in ſolchen Häuſern, wo nichts als von Rauben und Stehlen geredet und täglich an Einem gepflanzt und geſchüret wird, da muß ein großes Feuer daraus werden, und nicht mehr nachlaſſen, bis er dem Henker unter die Hände fällt. Und ſo geht es mit einem Manchen. Das ſind die ärgſten Schelmen, die Aufenthalt geben, und ſie bleiben doch ehrliche Leute, haben auch den größten Nutzen und Genuß, und der Kleine wird gehenkt und die489 Großen läßt man laufen man fürchtet, ſie möchten ausgerottet werden. Wann man aber einem Vogel das Neſt nimmt, ſo kann er keine Junge mehr hegen oder ziehen.

29. Juli 1760.

Arreſtant in Vaihingen:

Joh. Friedr. Schwan.

Das gerichtliche Verfahren nahm unter dieſer Zeit beſtändig ſeinen Gang, ja es wurde ſehr beſchleunigt, da man in Stuttgart fürchtete, der Seelenzuſtand des Gefangenen möchte nicht für die Dauer halt¬ bar ſein. Nach geſchloſſener Unterſuchung trat jetzt eine andere Rechts¬ form ein, welche, in der Verfaſſung und im Tübinger Vertrage be¬ gründet, bei peinlichen oder ſehr ſchweren Fällen, deren ſich ein Lan¬ desangehöriger ſchuldig gemacht, angewendet wurde, und einen Schatten der alten ſelbſtherrlichen Volksgerichtsbarkeit enthielt. Der in Stadt und Amt allmächtige Beamte, nachdem er an die Regierung berichtet und von ihr die nöthigen Weiſungen erhalten, verwandelte ſich jetzt in einen beſcheidenen Ankläger, der bei der Stadtgemeinde, die er ſonſt regierte, als Fiscal im Namen des Staates oder vielmehr des Herzogs gegen ſeinen Inquiſiten Recht ſuchte. Als ſolcher mußte er den ge¬ wohnten Vorſitz in der oberſten Gemeindebehörde, dem Gerichtscollegium, abtreten, und mit der Gemeinde, an die jetzt der Gerichtsſtab vorüber¬ gehend zurückgekommen war, erhielt auch ihr urſprünglicher Vorſteher, der Bürgermeiſter, eben ſo vorübergehend ſeine alte Bedeutung wieder, indem er als Stabhalter den Vorſitz im Stadtgerichte übernahm. Dieſes lud nun die beiden ungleichen Parteien vor und beraumte ihnen die Tagfahrt an. Da jedoch die Dignität des Beamten durch dieſe Stellung etwas gefährdet erſcheinen mochte und er als Regent, Richter und oft auch Kellereibeamter des Bezirks, dazu als Haupt¬ vorſteher der Bezirksſtadt ſich mit Recht auf ſeine vielen Amtsgeſchäfte berufen konnte, ſo war es ihm geſtattet, ſein Klägeramt einem Rechts¬ anwalt aus der Zahl der beeidigten Hofgerichtsadvocaten zu übertragen. Dem gleichen verpflichteten und vorrechtlich befähigten Stande mußte auch der Vertheidiger oder vielmehr Defenſor angehören, den ſich der Angeklagte wählen durfte, oder der ihm, wenn er von dieſer Freiheit keinen Gebrauch machte, ex officio ernannt wurde. Am Rechtstage verſammelte ſich das peinliche Gericht im Gerichtsſaale des Rathhauſes. Ein in der Gerichtstafel befeſtigtes bloßes Schwert, das aufrecht mit490 der Spitze nach oben ſtand, verkündigte, daß hier der Stab und ſeine Gewalt ſich befinde. Oben an der Tafel ſaß der Stabhalter und neben ihm, in der Perſon des Stadtſchreibers, der Gerichtsactuarius, der das Protokoll führte, beide ſchwarz gekleidet. Die Gerichtsbeiſitzer (aus deren Zahl der Oberamtmann bei der Unterſuchung ſeine zwei Sca¬ binen genommen) ſaßen innerhalb der Schranken auf ihren Sitzen, alle in ſchwarzen Mänteln. Vor den Schranken rechts hatte der Ac¬ cuſator, links der Defenſor ſeinen Platz. In der Mitte, vor dem Ein¬ gang der Schranken, war eine ſchwarz angeſtrichene Schranne aufge¬ ſtellt. Der übrige Raum des Saales außerhalb der Schranken war den Zuſchauern und Zuhörern überlaſſen. Der Stabhalter befahl dem Gerichtsdiener, den Angeklagten aus dem Gefängniß vorzuführen, was ſofort unter guter polizeilicher Bedeckung geſchah. Während dieſes Ganges wurde auf dem Rathhauſe das Malefiz - oder Armeſünder¬ glöcklein geläutet. Bei ſeiner Ankunft im Gerichtsſaale wurde der An¬ geklagte in Feſſeln auf die ſchwarze Schranne geſetzt. Der Stabhalter eröffnete die Verhandlung des accuſatoriſchen Proceſſes mit einer kur¬ zen Rede und forderte dann den Fiscal auf, die Anklage ſammt dem Petitum vorzutragen. Dieſer verlas die Accuſationsſchrift mit der hin¬ ſichtlich der Straferkennung an das Gericht geſtellten Bitte. Dann wurde dem Defenſor das Wort ertheilt. Dieſer bat zuvörderſt das Gericht, den peinlich Beklagten ſeiner Feſſeln zu entlaſſen, damit er auf freiem Fuße vertheidigt werden könne. Der Stabhalter entſprach der Bitte und befahl dem Gerichtsdiener, dem Angeklagten die Feſſeln abzunehmen, was außerhalb des Saales geſchah. Dann wurde er wieder eingeführt und feſſelfrei auf ſeine ſchwarze Schranne geſetzt. Er befand ſich nun als Freier vor ſeinem eigentlichen Richter, aber alles dies nur ſcheinbar, denn der Angeklagte war mundtodt und ſein Urtheil wurde ihm nicht von dem Richter geſchöpft. Der Defenſor las ſeine Defenſionsſchrift ab, welche ebenfalls vorher, auf Grund der Anklage¬ ſchrift und etwaiger mit dem Gefangenen in Gegenwart zweier Sca¬ binen gehaltenen gütlichen Verhöre, ſchriftlich gefertigt worden war. Nach Verleſung derſelben gab der Accuſator ſeine mündliche Replik und der Defenſor duplicirte gleichfalls mündlich. Waren es, wie im vorliegenden Falle, mehrere Angeklagte, ſo traten auch mehrere De¬ fenſoren auf, um die Verhandlung noch ſchleppender zu machen. Nach491 beendigter Accuſation und Defenſion eröffnete der Stabhalter Namens des peinlichen Gerichts das ebenfalls im Voraus fertige Interlocuto¬ rium, daß der Richter ſich der Urtel Bedacht nehme und daß die ſämmtlichen Acten ad consulendum an die Juriſtenfacultät in Tübingen verſendet werden ſollen. Mit dieſem Zwiſchenbeſcheide war die ganze leere Förmlichkeit der öffentlichen Rechtsverhandlung geſchloſſen, und der oder die Angeklagten wurden aus dem Saal entlaſſen, außen wieder gefeſſelt und in das Gefängniß zurückgeführt. Nunmehr wurden die Unterſuchungsacten nebſt den vom Ankläger und Vertheidiger ge¬ wechſelten Schriften und dem ſtadtgerichtlichen Protokoll über den kur¬ zen mündlichen Reſt der Verhandlung an die Juriſtenfacultät in Tü¬ bingen zur Ertheilung eines rechtlichen Gutachtens eingeſandt. Dieſe war ſomit, da es in der Regel bei ihren Gutachten ſein Verbleiben hatte, der eigentliche Richter, der die peinlichen Proceſſe entſchied. Sie ſandte ihr Gutachten unter Wiederanſchluß der Acten an das Stadt¬ gericht zurück; aber auch jetzt waren dieſem immer noch die Hände gebunden, und es mußte das gutachtliche Erkenntniß nebſt den Acten der Regierung einſchicken, welche es, mit ihrer Anſicht, dem Herzog zur Beſtätigung oder begnadigenden Abänderung vorlegte. Wenn letz¬ tere eintrat oder der Spruch überhaupt nicht an das Leben ging, ſo hatte das peinliche Gericht mit dem Proceſſe nichts mehr zu thun, ſondern das Erkenntniß ging unmittelbar dem Oberamtmann zur Voll¬ ziehung zu. Erfolgte aber ein Todesurtheil, ſo wurde daſſelbe dem peinlichen Gerichte zugeſendet und zugleich vorläufig dem Verurtheilten im Gefängniß durch den Regierungsbeamten einige Tage vor der Execution bei feierlicher Verſammlung angekündigt. Zur Einführung in die chriſtliche Heilsordnung war ihm gleich im Beginne ſeiner Ge¬ fangenſchaft das zu dieſem Behufe von einem Stuttgarter Stiftsober¬ helfer verfertigte und laut allerhöchſter Vorſchrift vom 14. November 1753 durch den Buchbinder ſtark geleimte und dauerhaft gebundene Maleficantengebetbuch in die Hand gegeben worden. Am Tage der Hinrichtung wurde der zweite Rechtstag gehalten, bei welchem wieder die Gemeinde als Richter in ihr Amt eintrat. Die Mitglieder des peinlichen Gerichts erſchienen ſchwarz gekleidet mit Degen an der Seite im Gerichtsſaale, das Schwert war aufgepflanzt, der Verurtheilte wurde unter dem Läuten des Malefizglöckleins vorgeführt, der Stab¬492 halter, mit dem ganzen Gerichte ſich erhebend, trat vor und eröffnete ihm das Todesurtheil mit dem Beifügen, daß der Herzog die Be¬ ſtätigung ertheilt habe, brach den Stab mit den Worten: Gott ſei deiner armen Seele gnädig! und übergab ſodann den armen Sünder dem Regierungsbeamten, der die Vollſtreckung zu leiten hatte.

Das Urtheil, das die Juriſtenfacultät gefunden und der Herzog beſtätigt hatte, verhängte über Friedrich Schwan die Todesſtrafe in der ſchwerſten Form, welche die Zeit kannte, und ohne alle Milderung. Chriſtine Schettinger wurde zum Strang verurtheilt. Die Magd, ein bitterarmes Geſchöpf auf der unterſten Stufe der geſellſchaftlichen Rangordnung, deſſen eigenmächtige Diebſtähle ſich auf zwei Hemden, einige Tiſchmeſſer und Zinnlöffel und eine Semmel beſchränkten, und das dem Richter auf die Frage nach Stand und Beſchäftigung geantwortet hatte: Schwefelhölzlen und Tragbäuſche machen, und bei Gott und guten Leuten mein Brod ehrlich ſuchen theilte das Schickſal der Frau. Den Knecht erreichte der Arm des Richters nicht: er war aus dem Vaihinger Gefängniß entflohen. Chriſtine Müller wurde für ihre Theilnahme an einigen Diebſtählen, noch mehr aber wegen ihrer Verbindung mit dem Erzböſewicht überhaupt, zur Ausſtellung am Hochgerichte und hierauf zu erſtehender vierjähriger Zuchthaus¬ ſtrafe verurtheilt. Das Verhältniß beider Weiber zu dem Hauptange¬ klagten wurde im Urtheil ausdrücklich als Unzucht bezeichnet. Ueber das Kind endlich, das Chriſtine Schettinger im Gefängniß geboren, wurde verfügt, daß daſſelbe bis zum zuchthausfähigen Alter von neun Jahren, das heißt, wie man es nicht anders deuten kann, bis zur Aufnahme unter die ſogenannten freiwilligen Armen, auf öffentliche Koſten untergebracht werden ſolle.

Schwan , ſagt ſein Geſchichtſchreiber über die Verkündigung im Gefängniß, hörte mit unveränderter Miene die ſchrecklichen Worte, keine Thräne entfloß ſeinen Augen, kein unwilliger Seufzer ſeinem Munde. Wenn ſie meine Beine in tauſend Stücke zerſtoßen, ſagte er, ſo können ſie mich doch nicht von meinem Heiland reißen. Allein dieſe Ermannung, fügte er hinzu, habe ihn die ganze Anſtrengung ſeiner Kräfte, den ganzen Schwung ſeiner Seele gekoſtet, und ſobald dieſe nachließen, ſei Furcht an die Stelle des Muthes getreten und er habe ſich einige Stunden hernach beklagt, daß ſein Tod doch immer493 ſehr hart ſei. Man wird ihm nicht zu nahe treten, wenn man ver¬ muthet, er habe von ſeiner ſo wirkſam ausgedrückten Reue wo nicht Begnadigung, doch wenigſtens Milderung der Todesart gehofft. Ob und was er über die Verurtheilung ſeiner Mitangeklagten bemerkte, iſt nicht aufgezeichnet; wenn er aber das Urtheil über die Magd in's Auge faßte, ſo konnte er ſich ſagen, daß er aus einer Zeit von hin¬ nen gehe, die des Chriſtenthums und Rechtsbewußtſeins, deſſen Mangel ſie an ihren armen Sündern beſtrafte, ſich ſelbſt nicht hoch berühmen durfte.

Indeſſen fuhr er mit unveränderter Geſinnung in ſeinen Denk¬ würdigkeiten fort, die er an jenem Tage noch nicht beendigt hatte. Bald auch, ſagt ſein Geſchichtſchreiber, habe er ſich ſelbſt wegen ſeiner Zaghaftigkeit beſtraft und ſeine vorige Stärke wieder erlangt, und den folgenden Tag habe er dem ihn gleich Morgens beſuchenden Geiſt¬ lichen zugerufen: Nur noch einen einzigen Tag bis zur Ewigkeit, und Gottlob zur frohen Ewigkeit! Lange habe ich nicht ſo ſanft ge¬ ſchlafen als in dieſer Nacht.

An dieſem Tage erfolgte zwiſchen ihm und der ſchwarzen Chriſtine ein Verſöhnungsauftritt, den ihr gemeinſchaftlicher Geſchichtſchreiber ſehr rührend nennt. Lange ſchon, erzählt er in ſeiner Geſchichte des Räubers, waren Schwan und ſein zweites Weib ſehr gegen einander erbittert, lange ſchon hatte die letztere ihn der Liebloſigkeit, der Lügen und der Verrätherei beſchuldigt, jetzt brannten ſie Beide vor Begierde, ſich zu verſöhnen und dann auf ewig von einander Abſchied zu nehmen. Es ward geſtattet und ſie wurden zuſammen¬ geführt. Voll innigſter Bewegung fielen ſie ſich nun in die Arme, gaben ſich dann die Hände mit gegenſeitigem Verſprechen, alle Mi߬ helligkeiten, die bisher unter ihnen entſtanden, wechſelsweiſe zu vergeſſen, und tröſteten ſich, daß ſie morgen in dem Ort der Seligkeit wieder zuſammen¬ kommen würden. So freudig ſich Schwan bezeugte, ſo verſicherte doch ſein Weib, daß ſie ihn an Freudigkeit im Sterben noch übertreffen wolle, und ſo ſchieden ſie, ſich Glück wünſchend zum Kampf und Sieg, vergnügt von einander.

Aber die Wahrheit des Sprichworts, daß nicht Alles Gold iſt, was glänzt, bewährte ſich auch hier wieder an der Frage, ob Chriſtine ihm in ſeinen Himmel folgen würde, wie er mit ihr in die Hölle gegangen494 war. Denn in ſeiner Geſchichte einer Räuberin beſchreibt der Sohn des Oberamtmanns das Verhalten der Zigeunerin vollſtändig ſo: Schrecken und Wuth durchdrang ſie, da ſie ihr Todesurtheil anhörte; ſie ſtand eine Zeit lang ſtarr vor Entſetzen, dann brach ſie in die fürchterlichſten Flüche aus und wüthete ſo lange bis ſich ihre Kräfte gänzlich erſchöpft hatten. Man wird ohne Zweifel begierig ſein, wie das boshafte Weib nun, da ſie ihrer Laſter überwieſen war und nichts als gewiſſen Tod zu erwarten hatte, ſich betrug. Die katholiſchen ſowohl, als die lutheriſchen Geiſtlichen ſuchten, jeder auf ſeine Art, Reue über ihre Verbrechen ihr beizubringen und ſie auf beſſere Wege zu führen. Schwan ſelbſt gab ſich die äußerſte Mühe, und verſuchte bald durch die zärtlichſte Liebe, bald durch die heftigſten Drohungen ſie zu be¬ kehren; ſie blieb gänzlich ungerührt. Auf alle Ermahnungen ant¬ wortete ſie mit Vorwürfen, und verwünſchte ſich ſelbſt und alle Menſchen. Oft, wenn ihr der Geiſtliche vorhielt, daß ſie mit dieſen Geſinnungen gewiß zur Hölle verdammt würde, antwortete ſie, daß es ihr gleichgiltig ſei, in den Himmel oder in die Hölle zu kommen, ſie werde in beiden Kameraden finden. Oft freute ſie ſich ſogar darauf, einſt in der Hölle gequält zu werden, weil ſie ſich ſelbſt Hoffnung mache, daß auch ihre Richter mit ihr gequält würden. Als man ihr das Beiſpiel ihrer Magd vorhielt, die ſich ſehr aufrichtig bekehrt hätte, ſo ſpottete ſie darüber, und ſchrieb ihre Bekehrung ihrer Dummheit zu, und als man ihr auch Schwan's Beiſpiel vorſtellte, ſo antwortete ſie, daß Schwan das Leben beſſer genoſſen, als ſie, und alſo ſie ſich nicht mit ihm vergleichen laſſen könne. Nur ſie allein, fuhr ſie fort, ſei die unglücklichſte aller Menſchen, da ſie, noch ſo fähig die Freuden der Welt zu genießen, ihnen ſchon entriſſen werde. So verhielt ſie ſich mehrere Tage, aber auf einmal ſchien ihre ganze Seele verändert. Sie geſtand, daß ſie jene verzweiflungsvolle Sprache bloß angenom¬ men, weil ſie geglaubt, daß man ſie nicht in ihren Sünden dahin ſterben laſſen werde. Sie bekannte alle ihre Fehler, bezeugte die herzlichſte Reue, und verſprach Schwan in der Freudigkeit beim Tode zu übertreffen. Auffallend war es dabei, daß ſie ſich gegen die lutheriſchen Geiſtlichen viel aufmerkſamer als gegen die katholiſchen bezeugte, mit jenen viel williger und herzlicher betete, und dieſen ſogar drohte, bei den lutheriſchen das Nachtmahl zu nehmen. Kurz,495 auch dieſe ſchnelle Bekehrung ſollte bloß zum Mittel dienen, Mitleiden zu erwecken und ihr vielleicht das Leben zu retten. Aber auch dieſer Kunſtgriff half nichts, der Tag ihres Todes erſchien, und nun zeigte ſich bald, daß ihr letztes Betragen nur Verſtellung geweſen. Sie fiel in plötzliche Ohnmacht, und erholte ſich aus derſelben nur, um in Wuth gegen alle Menſchen, und ſelbſt gegen Schwan, der ihr Muth einzuſprechen ſuchte, auszubrechen. Dieſes ihr wahres Geſicht behielt die Unglückliche, ſtarr und wild, wie eine dem Volk der Ebene fremde Gebirgswelt, von nun an unverändert bis zum letzten Augenblicke bei.

Ihr glücklicherer Genoſſe, der ſein altes Kindesherz wieder gefunden hatte, um ſich in dieſen ſchweren Tagen daran aufzurichten, fühlte ſich durch das Verlieren der kaum wiedergefundenen Geliebten in ſeinem Glücke ſchmerzlich geſtört; allein ihm winkte nun der Pfad, den jeder Menſch für ſich allein antreten muß, und er klammerte ſich mit ganzer Kraft an den Stab, den er erwählt hatte, den ihm ſeine Kirche reichte. Er nahm das Abendmahl, von dem er einſt, wie ſeine Hei¬ mathsbehörde von ihm aufgezeichnet, geſagt hatte, es ſolle ihm das Herz abſtoßen, wenn er nicht Wort halte. Er war dabei auf's innigſte gerührt und erklärte überhaupt dieſen Vormittag, wie ſein Geſchicht¬ ſchreiber erzählt, für einen der glücklichſten ſeines Lebens. Ich kann nicht ausſprechen, ſo drückte er ſich ſelbſt hierüber aus, welch einen glücklichen Vormittag ich heute gehabt habe. Mein Herz wallete vor Liebe zu meinem Heilande. Zu dem komme ich morgen, ſchon morgen. Morgen um zwölf Uhr auf's längſte bin ich bei ihm. O, wenn es doch nur ſchon morgen wäre! Der Geiſtliche Krippendorff, der zugegen und durch dieſe Aeußerungen innigſt bewegt worden war, rief voll Freude aus: O Tod, wo iſt dein Stachel? Hölle, wo iſt dein Sieg? Gott ſei Dank, fiel Schwan ein, der mir den Sieg geben wird, und ſchon gegeben hat.

An dieſem chriſtlichen Heldenthum, das die Geſchichte in unſchul¬ digen Märtyrern wie in reuigen Verbrechern tauſendfach als unver¬ fälſchte Geſinnung aufgewieſen hat, ſoll Niemand mäkeln. Wohl aber hat jedes Heldenthum, nicht bloß für die gemeine Anſchauung, die es niedriggeſinnt in den Staub zu ziehen ſucht, ſondern auch für eine würdigere Betrachtung, die aber nicht anders als mit menſchlichem Maße meſſen mag, ſeine menſchliche Seite, und es kann der Menſchen¬496 würde des Bekehrten, den wir hier durch ſeine letzten Stunden be¬ gleiten, keinen Eintrag thun, wenn wir aus den Worten, die ſeinen Beichtvater beſeligten, doch auch den menſchlichen Seufzer heraushören, daß die ſcheußliche, auch ein frommes Herz mit den Krallen der Ver¬ zweiflung und der Hölle zerfleiſchende Marter, die in den erſten Früh¬ ſtunden beginnen ſollte, um die Zeit, wo glücklichere Menſchen ihrem Schöpfer danken und ſeine Gaben genießen, doch hoffentlich überſtanden ſein werde.

Man fühlt ſich unwillkürlich von ſeinem verwahrlosten, aber darum nicht minder lebendig grübelnden Verſtande die Frage vorgelegt, warum denn die Menſchen einem Mitmenſchen, der eine ſolche Höhe geiſtlicher Vollkommenheit erreicht hat, daß ſein Beichtvater darüber ein frommes Entzücken fühlt, in ſein Leben einbrechen? eben jetzt da er reif wäre, der ſo bedürftigen Menſchenwelt die ſchönſten Früchte zu bringen? Und wenn man aus dem Munde dieſes Beichtvaters antwortet, es ſtehe im Evangelium, daß wer das Schwert ziehe, durch das Schwert umkommen müſſe, ſo hört man ihn im Triumphe ſeiner Bibelfeſtigkeit entgegenhalten, das Evangelium ſpreche dies nicht als Vorſchrift aus, ſondern habe nur die jähzornigen Gemüther jener Zeit warnend darauf aufmerkſam machen wollen, daß dies die beſtehende jüdiſche Rechts - und Kirchenordnung ſei. Oder wenn der Geiſtliche erwiderte, es geſchehe, damit der bereuende Sünder in dieſem Leben nicht mehr rückfällig werde, ſondern drüben gleich zu noch höherer Vollkommenheit fortſchreiten könne, ſo muß es dem grübelnden Verſtande, den wir kennen und den das Evangelium nicht einſchläfern konnte, weil es vielmehr die Geiſter weckt, ſchwer geworden ſein, die Fol¬ gerung zu unterdrücken, daß man aus dem gleichen Grunde jeden Gerechten zeitig vom Leben zum Tode bringen müſſe, damit er nicht, als ein Menſch, aus dem Stande der Gerechtigkeit falle. Da jedoch über Aeußerungen oder Geſpräche dieſer Art ſich nichts angemerkt findet, ſo kann man auch ſchließen, er habe das Abſcheiden aus einem ſolchen Leben und einer ſolchen Zeit, nicht bloß im geiſtlichen, ſondern ſelbſt im weltlichen Sinne des Wortes, für einen ſo großen Gewinn gehalten, daß er über den weltlichen Preis deſſelben kein Wort verloren habe.

Den Nachmittag, erzählt ſein Geſchichtſchreiber nach dem Auf¬ tritte zwiſchen ihm und dem Geiſtlichen weiter, verlor ſich zwar dieſe497 Freudigkeit ziemlich, weil ihn, wie er ſelbſt ſagte, die zu große Menge von geiſtlichen Zuſprüchen betrübt und zerſtreut hatte; doch kehrte ſie Abends wieder zurück. Endlich erſchien der letzte Tag. Morgens früh um fünf Uhr kam Krippendorf zu ihm, und traf ihn im Gebet an. Er ſah friſch und munter aus; dennoch hielt er, weil ſeine Seele nicht ſo hochgeſchwungen und furchtlos wie geſtern war, ſich ſelbſt für verſtockt, ein Gefühl, welches jedoch durch Hilfe des Gebets ſich bald wieder verlor. So erfuhr auch dieſer Geiſt, was jeder Geiſt in ſeinem Ringen nach Klarheit erfährt, daß die Seele den gewaltſam ergriffenen Beſitz nicht ungeſtört feſtzuhalten vermag, daß ihr die Stunden räuberiſch in das Gut einbrechen, das ſie ſchon ſicher geborgen zu haben glaubte. Denn die Seele des Menſchen rollt beweglich mit ſeiner großen Mutter dahin, die, wie uns die Himmelskundigen in ihrer Sprache gelehrt haben, in beſtändiger Revolution begriffen iſt. Sie faßt, im Gebiet des Geiſtes umherſpürend, einen Gedanken, eine Wahrheit, eine Er¬ kenntniß, die ihr plötzlich in blendendem Lichte auftaucht, und will in alle Welt hinein jubeln, jetzt ſei die Wurzel gefunden, die alles Verſchloſſene aufſprengen, alles Kranke heilen müſſe. Aber die Stun¬ den bringen und nehmen. Andere Erkenntniſſe, andere Wahrheiten oder Irrthümer drängen ſich in die Seele ein und verdunkeln das erſte Licht, und was die Seele feſtzuhalten glaubte, das wird ihr ſo blaß und farblos, daß ſie ſich ermattet, bangend, zweifelnd davon abwendet. Wieder erſcheint jene geiſtige Geſtalt vom Lichte der Er¬ leuchtung begleitet, ſie zeigt ſich der Seele von einer neuen Seite, und die Hoffnung, der Glaube an die Sicherheit des Beſitzes wächſt. Aber Licht und Schatten wechſeln, die Sehnſucht wird zur wilden Glut, die das reine Licht der wahrheitſuchenden Seele mit Qualm verdüſtert, und ſo zwiſchen Licht und Schatten, zwiſchen Glauben und Zweifel, zwiſchen Höhe und Tiefe dahinſchwebend, gelangt die Seele unter im¬ mer neuen Erleuchtungen zu der Ueberzeugung, daß das erſte Licht das richtige geweſen ſei, zur Gewißheit, daß die reine Wahrheit darin wohne. Aber die Ueberzeugung des Menſchen, beſonders wenn er ſie mit Heftigkeit ergriffen hat, wäre für ihn ſelbſt nicht echt, wenn er ſie ſeinen Brüdern vorenthielte; denn weit leichter als ſeine Herzens - oder Vorrathskammer thut er ihnen die Schatzkammer ſeines Wiſſens oder Glaubens auf. Aber ſeine Brüder haben daſſelbe erlebt, wie er,D. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 32498auch ihnen ſind Lichter aufgegangen, auch ſie ſind zu Gewißheiten und Ueberzeugungen gekommen. Dann gerathen die Geiſter an einander: der Mann des Wiſſens ſtößt den Glauben des Frommen zurück, und der Mann des Glaubens erſchrickt vor der Ueberzeugung des Denkers; ja, unter den Gläubigen ſelbſt, und bis in ihre engſten Kreiſe hinein, iſt Unterſchied und Zwieſpalt, weil Keiner die gemeinſame Wahrheit, zu der ſie ſich bekennen, ganz im Lichte des Andern ſchauen kann. Dieſer Kampf der Geiſter verwundet das Herz, das die ganze Welt in Frieden wiſſen möchte, aber das Herz kann den Menſchen nicht allein leiten, denn es würde ihn jeder herben Schule, die ihm nöthig iſt, entziehen. Der Kampf der Geiſter iſt gut, auch wenn er ſchmerzt: denn der Geiſt der Menſchheit, nicht ihrer bevorzugten Kinder nur, iſt zur Erkenntniß berufen, und die Arbeit der Geiſter wird der Welt eine Erkenntniß bringen, ſo hoch und tief, daß der ſtolzeſte Geiſt ſie nicht durchſtiegen, ſo reich, daß der manigfaltigſte Geiſt nicht an ihr erlahmen, ſo klar, daß der nüchternſte Verſtand ſie nicht antaſten, ſo einfach, daß die kindlichſte Seele ſie erfaſſen, und ſo rein, daß das fromme Herz in ihr ſeine Wohnſtätte finden kann. In der Schule dieſer Erkenntniß wird Friede und Kampf, Ruhe und Bewewegung vereinigt ſein. Darum meiden wir den Kampf der Geiſter nicht, wenn er auch die Lebenden durch Nacht und Wunden zu dieſem Ziele führt! Aber den Sterbenden wird kein guter oder weiſer Menſch durch die Menge ſeines Zuſpruches betrüben und zerſtreuen, weder der Denker den Gläubigen, noch der Fromme den, der nicht in der Form des Glaubens denkt: denn der Sterbende muß mit ſeinem Herzen Zwieſprache halten, deſſen Schläge ihn im Laufe der Stunden beſeligt und verwundet haben, bis der letzte die fliehende Zeit für ihn ſtille ſtehen heißt. Tragt ihn ſanft aus der Schlacht, fernab vom Staube und Gewühl der Kämpfenden, daß er am Rande des Hügels durch die Abendröthe der Gegenwart hinausſchaue in das Morgenroth der Zukunft, für die wir kämpfen. Für ihn verſtummt der Zank der Meinungen und der Vorwurf der Einſeitigkeit: er fällt ab von dem unvollkommenen Leben ſeiner Zeit und geht über zu dem großen Heere der Vollendeten, die im Frieden ruhen.

Am Tage vor dem letzten hatte der Sterbende ſein weltliches Vermächtniß für die Obrigkeit zu Ende geſchrieben. Kein Lohn, nicht einmal mehr der arme Troſt einer Linderung winkte ihm, als er es499 hinterließ, und hierin liegt die Bürgſchaft, daß ihn, wenn auch unter menſchlichen Schwächen, die reine Abſicht leitete, die Jugend künftiger Tage vor ſeinem Looſe zu bewahren. Seine Blätter enthalten nichts von ſeiner inneren Lebensführung, nichts von dem Gange ſeiner Seele durch die Stürme des Lebens, aus Tag in Nacht; denn dies war kein Gegenſtand für ſeine Obrigkeit. Wohl aber darf die Nachwelt, die ſich an der Geſchichte eines rohen Mannes aus dem Volke oft beſſer belehren könnte als an verwickelten Staats - und Fürſtengeſchich¬ ten, wohl darf ſie den Pfarrer ſeiner Heimath anklagen, daß er, dem die Pflege der Geiſter vertraut war, keine Chronik ſeiner Gemeinde, keine Aufzeichnung über den Lebensgang des Jünglings hinterlaſſen hat, der, nach dem Zeugniß befähigter Zeitgenoſſen, außerordentliche Gaben des Geiſtes und Herzens beſaß, keine Rechtfertigung der mit mehr als väterlicher Gewalt ausgerüſteten geiſtlichen und weltlichen Be¬ hörde, wie es kommen konnte, daß ein ſolcher Menſch aus dem Schoße der Geſellſchaft heraus ſo tief in Elend, Verbrechen, Schmach und jede Erniedrigung der Seele ſtürzte. Und doch hat jener Pfar¬ rer ſein ganzes Lebensſchickſal mit angeſehen und hat ihn lange über¬ lebt. Er fand nichts aufzuzeichnen nöthig als die karge, ſchauerliche Randbemerkung, die er auf einem Blatte des Taufbuches, wo der Name des am 4. Juni 1729 gebornen Kindes Friedrich Schwan nebſt den Namen ſeiner Eltern und Taufpathen eingetragen iſt, mit rother Dinte hinzugeſchrieben hat: Wurde den 30. Juli 1760 zu Vaihingen le¬ bendig auf das Rad gelegt. Gott ſei ſeiner armen Seele gnädig!

Das war die Todesſtrafe, die ein chriſtlicher Staat unter dem Beiſtande einer chriſtlichen Kirche an einem Menſchenbilde, das ſie Gottes Ebenbild nannten, vollzog, indem er ſich für ſo arm an leib¬ lichen und geiſtigen Mitteln bekannte, daß er mit einem wenn auch noch ſo tief gefallenen Menſchen nichts Menſchlicheres, nichts Chriſt¬ licheres zu thun wußte als ihm das Leben zu rauben, und für ſo beſchränkt in Menſchenkenntnis daß er meinte, durch eine recht ausge¬ ſucht grauſame Strafe werde er Andere vom Wege des Verbrechens abſchrecken. Und doch hätte gerade dieſer ihn vor tauſend Andern be¬ lehren können, wie irrig eine ſolche Vorausſetzung iſt. Er war vor Andern mit Verſtand begabt, um ſich zu ſagen, wohin ſein Leben zu¬ letzt führen müſſe, und wenn er es je vergeſſen hätte, ſo ſagten es ihm500 ſeine ſchrecklichen Genoſſen, die ſich täglich auf den Gedanken an ein ſolches Ende einübten, verkleidet den Hinrichtungen beiwohnten, einan¬ der den Hergang bei denſelben beſchrieben und bei ihren Gelagen ſich gegenſeitig einen leichten Tod zutranken. Nicht einmal ſein Muth machte ihn zu einer Ausnahme, an der die Abſchreckung verloren war, denn ſein Geſchichtſchreiber ſagt ausdrücklich von ihm, bei aller natür¬ lichen Herzhaftigkeit habe er ſich durch dieſe abſchreckenden Gewohnheiten ſo erſchüttert gefühlt, daß er gänzlich unfähig geweſen ſei, dieſelben mitzumachen; und man kann überhaupt ſagen, daß auch die Feigheit nicht hinlänglich abſchreckend wirkt, denn die Gerichtsverhandlungen zei¬ gen feige Verbrecher genug. So hat alſo weder ſein Verſtand noch die Abſchreckung ſelbſt, die bei ihm nicht verloren war, ihn von dem finſtern Pfade abgeſchreckt, hat weder ſeine zwar rohe, aber zur Er¬ kenntniß von Gut und Böſe, von Wohl und Uebel völlig genügende Bildung, noch die vorſorgende Liebe der Geſellſchaft ihn vor dieſem fürchterlichen Ende bewahrt. Es gibt keine andere Milderung für ſeine Todesart, keine andere Beſchwichtigung für das empörte Gemüth, als ſich zu ſagen, daß das Jahrhundert ſeitdem ſeine Speichen bei¬ nahe völlig umgewälzt hat, daß jene Mittagsſtunde, um die er voll¬ endet zu haben hoffte, längſt vorüber iſt, daß jene arme, kranke Zeit ein beſſeres Jahrhundert, reicher an Geiſt und Herz und Erkenntniſſen, geboren hat. Ja, ſo Vieles wir an unſerer Zeit mit Recht verwerfen, wir können ihr das Zeugniß nicht verſagen, daß ein Menſch wie dieſer beſſer von ihr durch das Leben getragen worden wäre, daß er keinen Pfarrer, Amtmann und Vogt getroffen hätte, die ſeine blühende Ju¬ gend faſt gewaltſam unter die Räuber ſtießen, daß, wenn ihm auch der Lieblingswunſch ſeines jungen Herzens verſagt geblieben wäre, das Leben ihm Befriedigung für ſein Gemüth, für ſeinen Geiſt, für ſeine Fähigkeiten nicht ſo ganz verſagt haben würde, wie die dürre Wüſte, mit der ihn ſeine Zeit umgab. Wohl iſt noch eine ſchwere Arbeit zu vollbrin¬ gen, bis unſre Zeit aus dem dunklen Mutterſchoße jenes Jahrhunderts, worin ſie mit ihren Tugenden und Fehlern, mit ihren Wahrheiten und Irr¬ thümern wurzelt, losgerungen iſt, und darum kämpfen wir. Aber die Sonne, wie ſie von Oſten nach Weſten wandelt, ſieht das Volk in der Mitte zwiſchen Oſt und Weſt täglich mehr im ſtillen Ringen nach Licht und Recht begriffen, und ſie wird die Mühe ſeiner Geiſter nicht501 verloren finden, wenn ſie oft auch tief wie Grubenmänner in die Schachte unſrer Geſchichte, unſrer Sprache, unſrer Dichtung ſich zu verlieren ſcheinen, von wo dieſes Licht und Recht am reinſten zu holen und nach dem Maße des heutigen Tages zu vertheilen iſt. Denn jetzt gilt es ſich ſelbſt zu verſtehen in der allgemeinen Bewegung, die ſchon mit wachſendem Getöſe an die Pforten noch immer ſo vieler Schläfer pocht. Die Bewegung, die aus einem Theil des Weſtens kam, hat uns verwirren müſſen, denn ſie bot uns Eigenes mit Frem¬ dem gemiſcht. Die Bewegung, die ſich aus einem Theil des Oſtens ankündigt, wird uns aufklären helfen, denn man lernt ſich beſſer ſelbſt erkennen in einem Spiegel, der uns gar keine Aehnlichkeit zeigt, ſondern ein wildfremdes Geſicht. Dann wird der Kampf auch nicht mehr verwandte Geiſter trennen, nicht mehr durch das einzelne Men¬ ſchenherz ſelbſt hindurchgehen: die Scheidung zwiſchen dem Wahren und dem Falſchen, zwiſchen dem Guten und dem Böſen wird leichter ſein. Wer aus der allgemeinen Betrachtung, zu welcher jeder Tag ſo vielen Anlaß gibt, zu der hier erzählten Volksgeſchichte zurückkehrt und vielleicht einmal, zufällig das freundliche Filsthal hinaufwandernd, nach ihren Spuren fragt, der kann ſich die Mühe und den Staub der Acten erſparen, denn er findet in der Erzählung jeden Zug, der aufbe¬ wahrt geblieben iſt. Und dennoch möge er nicht eine buchſtäblich wahre Geſchichte in ihr ſuchen. Denn der geſchichtliche Buchſtabe iſt unwahr, ſo lange nicht der Geiſt ihn lebendig macht und in das ge¬ brochene rückſtrahlende Licht des Gleichniſſes ſtellt. Selbſt das alte Wirthshaus zur Sonne wird der Wanderer vergebens ſuchen, und da ein ſolches Haus mit ſtattlichem Giebel nicht ſo leicht aus der Reihe der Gegenſtände verſchwindet, ſo mag er vermuthen, daß er das Ebers¬ bach dieſer Volksgeſchichte anderswo zu ſuchen habe. Darin hat er auch gewiſſermaßen Recht: der Flecken, der eine begabte Jugendkraft nicht zu ihrer Entfaltung kommen ließ, erſtreckte ſich noch vor weit kürzerer Zeit als vor hundert Jahren über ganz Deutſchland und be¬ ſonders über den Süden deſſelben, und der Berg unſres alten Reiches mit ſeinem öden Gipfel wurde viel weiter im Umkreiſe geſehen als er zwiſchen der Rems und Fils in die Landſchaft ragt. Der Erzähler, der aus Erfahrung weiß, daß alte Häuſer nicht ſo ſchnell verſchwinden und daß alte Wahrzeichen von einer neuen Zeit nicht ſo leicht auszu¬502 rotten ſind, hat in einem freundlichen Gaſthauſe eines anſehnlichen Fleckens in jener Gegend, wo man die alte Sonne mit vielen Later¬ nen nicht finden würde, ein übriggebliebenes Wahrzeichen von ihr entdeckt. Aber er wird ſeinen Fund hier nicht verrathen; denn der Beobachter iſt nicht überall angenehm, und der Knabe, der nicht weit davon im Zimmer an einem Tiſche, worauf eine Ruthe lag, ſeine Aufgabe lernte, behauptete, das Rüthlein ſei nicht für ihn. Angelegenheiten eines einzelnen Hauſes, die das öffentliche Recht und Wohl nichts angehen, muß man beruhen laſſen. Der Be¬ ſitzer des Hauſes, der nicht Schwan heißt, ſondern einen andern guten Namen führt, ohne ſich jedoch des armen Friedrich Schwan zu ſchä¬ men, mag dem Wanderer von der alten Sonne ſelbſt erzählen ſo viel ihm beliebt. Daß der Schild des Hauſes geändert wurde, iſt ſchon lange her, wohl fünfzig Jahre, und fällt dem damaligen Beſitzer nicht einmal zur Laſt. Denke man ſich, er habe vielleicht einen Sohn ge¬ habt, den der Volkswitz man weiß wie die Leute ſind und wie ſie gar in früherer Zeit waren nach jenem berüchtigt gewordenen Namen den Sonnenwirthle hieß: bei dem beſten Bewußtſein des Sohnes und der Eltern konnte die Bezeichnung, wie ſie nun einmal für den Flecken klang, der keine Ehrenkrone darin zu ſehen gewohnt war, auf die Lange ſo unleidlich werden, daß man lieber den Namen des Hauſes änderte. Eine beſchränkte Umgebung hindert ja auch den Unbefangenſten, das Leben frei anzuſchauen und friſch hineinzugreifen. In kleinen Verhältniſſen iſt dies nicht ſo leicht zu ändern. Ein Volk aber ſoll ſeine Wahrzeichen nicht wegwerfen, und ein Wahrzeichen iſt ihm nicht bloß ſein Liebling, auf den es ſtolz iſt, ein Wahrzeichen iſt ihm auch der Verbrecher, deſſen es ſich ſchämt. Wir mögen ihn ver¬ wünſchen und verfluchen, wir mögen ihn aus der Geſellſchaft und aus dem Lande ſtoßen, wir mögen ihn in der Gruft des lebenslangen Kerkers begraben oder mit der Maſchine tödten, die uns ein wenig von der Bildung und noch mehr von der ſelbſtthätigeren Kraft unſrer Vorfahren unterſcheidet Eines können wir ihm nicht nehmen, Ein Gepräge können wir nicht an ihm vernichten. Wir müſſen bekennen:

Er war unſer.

Noch einmal den Vorhang auf und nun das letzte Bild.

503

39.

Rein und tiefblau, wie er nur in den Mittſommertagen iſt, wölbte ſich der Morgenhimmel über der alten winkeligen Stadt. Die Sonne brannte ſchon in den erſten Morgenſtunden und verkündigte einen heißen Tag. Auf dem Marktplatz vor dem Rathhauſe ſtand die Menge dicht gedrängt, in gedankenloſer Neugier ein trauriges Schauſpiel erwartend, das ihr Erſatz für die geiſtigen Bedürfniſſe bieten ſollte, die ſie durch die ſonntägliche Predigt und durch die ſpär¬ lichen bürgerlichen Vorkommniſſe nicht zureichend befriedigt fühlte. Sie konnte nicht nach ihrer Weiſe hin und herwogen, denn es waren ihrer zu Viele, die in feſtgekeilter Maſſe geduldig ausharren mußten und nach den Rathhausfenſtern emporſahen. Endlich glaubte man an den Fenſtern eine Bewegung wahrzunehmen und die Bewegung theilte ſich alsbald der Menge mit, die nach der Thüre des Rathhauſes drängte. Ein Bürger, der den Zuſchauern im Saale droben voraus¬ geeilt war, ſtürzte heraus. Es wird gleich angehen, antwortete er auf die Fragen der Vorderſten, die ihn beſtürmten: aber das iſt ein Menſch! Ihr hättet ihn ſehen ſollen, wie man ihm das Urtheil vor¬ geleſen hat. Alles hat gezittert, das ganze Gericht iſt erblaßt, nur er iſt allein ruhig und unerſchrocken dageſtanden, und wie's im Urtheil geheißen hat: der Erzböswicht! hat er mit lauter Stimme und lächelnd geſagt: Der bin ich geweſen.

Eine noch ſtärkere Bewegung kam unter die Menge, welche das Geräuſch der Kommenden aus dem Innern des Rathhauſes vernahm. Sie wich zurück, denn die Erſten, die herauskamen, waren Gerichts¬ diener, die ſie barſch und grob auf die Seite trieben. Auf dieſe folgte, von Wachen umgeben, gefeſſelt und gebunden, der arme Sünder, der aber nicht wie ein ſolcher ausſah. Sein Gang war ruhig, wie der eines Bürgers, der ſeinen Geſchäften nachgeht, ſeine Haltung aufrecht, aber nicht gezwungen, und nur die Bläſſe ſeines Angeſichts, und der504 eigenthümliche Glanz ſeiner Augen verrieth, daß etwas in ihm vorging, wovon die Menſchenmenge, die ihn neugierig betrachtete, nach ihrer Art kaum eine Ahnung haben mochte. Feſt und kühn blickte er in die Augen der Kopf an Kopf geſchichteten Menſchen, durch deren Reihen er den letzten düſtern Weg zur Freiheit gehen ſollte. Er blieb ſtehen, um ſeine Schickſalsgenoſſen zu erwarten.

Wiederum machte ſich ein Geräuſch von der innern Rathhaustreppe vernehmlich und die Blicke der Menſchen ließen von ihm ab, um über die neue Beute, die für die Schauluſt kommen ſollte, herzufallen. Es dauerte lange und die Ungeduld wuchs immer ſtärker an. Endlich drängte es ſich heraus, und zugleich gab ſich die Urſache zu erkennen, die das Schauſpiel ſo lange verzögert hatte. Es war die Zigeunerin, die um ihr Leben kämpfte. Obgleich ihre Hände gebunden waren, ſo ſtieß ſie doch die Schergen einmal über das andere zurück, ſuchte in das Rathhaus zurückzukommen, als ob dieſes ihr Schutz gewähren könnte, und noch unter der Thüre ſtemmte ſie ſich mit den Ellenbogen an den Pfoſten an. Sie wurde aber immer wieder ergriffen und endlich herausgebracht.

Chriſtine! rief Friedrich, dem bei dem jammerwürdigen Anblick das Herz blutete, obgleich er Anlaß genug hatte, jetzt nur noch an ſich ſelbſt zu denken: Chriſtine, klammere dich nicht ſo feſt an dieſe ſchnöde Welt! wende dein Herz dem Himmel zu, der dir allein noch helfen kann!

Sie fuhr zurück und ſah ihn mit einem Blicke an, für den es nur dann eine Vergleichung gäbe, wenn irgendwo in der Welt, wie im menſchlichen Herzen, wo die unmittelbarſten Gegenſätze neben einander wohnen, glühendes Eis zu finden wäre. Verräther! ſagte ſie, finde du dich mit deinem Himmel ab, wie du dich mit der Welt abgefunden haſt. Ich hab 'dich geliebt, und Alles für dich gethan, und das iſt nun mein Lohn! Wenn ich's nur gewiß wüßte, ob du in den Himmel oder in die Hölle kommſt! Sieh mich nicht ſo an mit deinen Augen ich wär' ſchwach genug, dir zu folgen, aber ich kann es nicht! Meine Mutter hat ſich im Gefängniß erhenkt aus Verzweiflung über das Schickſal, das du mir bereitet haſt, mir, der Mutter deines Kindes! Mein armes, armes Kind! Aber es wird mich nicht lang überleben, ich weiß, es hat den Tod in ſich, es wird dieſer dürren lutheriſchen505 Welt nicht in die Hände fallen. Schweig 'ſtill! ich kann nicht mit dir gehen. Die Unſrigen ſpeien deinen Namen an, jede ehrliche Seele zwiſchen dem Rhein und der Donau verflucht dich, dein Name wird der ſprichwörtliche Name eines Verräthers werden

Auf einen Wink des Oberamtmanns, der indeſſen aus dem Rath¬ hauſe getreten war, rißen ſie die Henker herum.

Sie wehrte ſich. Iſt denn kein Pardon da? rief ſie.

Der Oberamtmann gab keine Antwort. Nein! rief ein Henker.

Wer hat denn nun Recht? rief ſie. Der Eine ſagt ſo, der Andere anders. Ihr Auge bohrte in die Menge hinein, ob dort nicht be¬ freundete Hände bereit ſeien, ſie zu retten. Iſt denn kein katholiſcher Chriſt da? rief ſie unter das Volk. Wenn Einer da iſt, ſo gebe er mir doch ein Zeichen.

Niemand gab ein Zeichen. Sie ſank halb zuſammen und die braune Farbe ihres Geſichts wurde immer gelber. Noch einmal raffte ſie ſich empor, um mit der Wuth einer Tigerin, die ihre Freiheit und ihr Leben nicht freiwillig hergibt, eine Kraftanſtrengung zu machen.

Fort! befahl der Oberamtmann, während man ihm ſein Pferd vorführte, hinter welchem die ſtädtiſchen Richter in ihren ſchwarzen Mänteln, vom Zwange ihrer Amtswürde befreit, geſchwind vorüber¬ ſchlüpften, um auf dem Hauptſchauplatze vor der Stadt noch zu rech¬ ter Zeit den ihnen vorbehaltenen Standort einzunehmen.

Die Henker griffen kräftig zu und eröffneten den Zug mit ihr. Sie warf noch einen Blick auf ihren Todesgefährten und wurde mehr geſchleppt und getragen als davongeführt.

Bitterer Kelch, geh 'vorüber! ſagte er, in den Boden ſtarrend.

Frieder! rief eine ſanfte Stimme neben ihm.

Er blickte auf und ſah die blonde Chriſtine, die den Zug beſchließen ſollte.

Die ganze Liebe ſeiner Jugend wallte in ſeinem Herzen auf. Meine Chriſtine! rief er: haſt du mir auch gewiß verziehen?

Von ganzem Herzen und von ganzer Seel ', antwortete ſie, und ich hoff gewiß, daß wir einmal in einer ſchöneren Welt wieder zu¬ ſammenkommen, wo uns nichts mehr trennen wird. Sag' mir auch noch einmal, daß du mir verzeihſt.

Soll ich dir verzeihen, daß du mich lieb gehabt haſt? Was hab ' 32 *506ich dir denn außer Kleinigkeiten zu verzeihen? Die ſind alle längſt vergeben.

Kannſt noch etwas von der Welt n?

Von unſern Kindern?

Ja. Die beiden Jüngſten nimmt die Magdalene, die deinem Vater Haus gehalten hat, in ihren neuen Ehſtand mit. Sie heirathet den Müller, weißſt, den Georg. Sie haben ja Beide früher ein Aug 'auf einander gehabt, aber es hat nicht ſein mögen, und Keinem von Beiden iſt's gut gangen in der Eh'. Jetzt ſind ſie Beide frei. Den Friederle haben ſie auch nehmen wollen, aber dein Vater gibt ihn nicht her. Er ſagt, er ſei ſo einſam in ſeinem Alter, und es ſei ſo ein aufgeweckter Bub '. Und du?

Wenn ich's überleb ', ſo ſoll ich deinem Vater Haus halten, und wenn's der alt' Mann nimmer ſo lang macht, ſo will mich die Mag¬ dalene auch zu ſich nehmen.

Nun ſterb 'ich gern! rief er, nun weiß ich doch dich und die Kinder verſorgt. Sag' meinem Vater oder thu 'ihm's zu wiſſen, ich laſſ' ihn viel tauſendmal grüßen und um Gotteswillen bitten, er ſolle dem Buben doch ſtreng ſein. Auch den Georg und die Magdalene laſſ 'ich grüßen, aber ſie ſollen darüber wachen, daß der Großvater nicht zu viel in den Buben hineinſieht. Siehſt du die vielen Ebers¬ bacher, Chriſtine? unterbrach er ſich. Sie ſind heut herbeigeſtrömt, wie damals zu unſerer Proclamation.

Und auch ich, auch ich ſoll zuſehen! rief ſie. Sie ſchlug die freige¬ laſſenen Hände vor das Geſicht und begann krampfhaft zu ſchluchzen.

Brich mir das Herz nicht vor der Zeit! gebot er ihr. Sei ſtark, Chriſtine, und denke daran, daß die Trübſal zeitlich und die Freude ewig iſt.

Sie nahm die Hände von dem Geſicht und machte eine Bewegung, ihm um den Hals zu fallen. Die Stadtknechte traten dazwiſchen.

Friedrich ſuchte das Auge des Oberamtmanns, der ſich an dem Zeuge ſeines Pferdes zu ſchaffen machte, um die flüchtige Zeitſpanne dieſer letzten Unterredung zu verlängern. Der Oberamtmann verſtand den Blick: Gebt einander die Hände, ſagte er, und wendete die Augen, in welchen verrätheriſche Thränen blinkten, nach einer andern Seite.

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Und nun vorwärts in Gottes Namen! rief Friedrich, als es ge¬ ſchehen war.

Auch er ſollte den Weg nicht gehend zurücklegen, denn für ihn als einen Hauptverbrecher ſtand die Schleife bereit. Er legte ſich und der Henker band ihn an. Nun, der iſt barmherzig, ſagte er. Er hätte mich härter binden können er erſpart mir doch einige Schmerzen. Selig ſind die Barmherzigen.

Der Zug ſetzte ſich in Bewegung über den Marktplatz. Das Opfer des Verbrechens und des Geſetzes blickte mit ſeinen hellen Au¬ gen in die Menge, welche der Zug durchſchnitt, und lächelte da und dort einem bekannten Geſichte zu. Dann erhob er die Augen und blickte ſtill in den blauen Himmel hinein, bis die zuſammentretenden Häuſer und die mit Menſchen beſetzten Fenſter der ſchmalen Straße, in welche der Zug einlenkte, ihn daran verhinderten. Ein menſchliches Geſchrei oder vielmehr ein Geheul ſchlug an ſein Ohr. Er wußte, was es bedeutete, und ſein Auge ward düſter. Als er die Stelle er¬ reichte, von wo der Ton zu vernehmen geweſen war, blickte er an einem Hauſe empor, wo die Leute mit einem in das Tragkiſſen ge¬ hüllten Kinde am Fenſter ſtanden. Es war ſein Kind, das hier unter¬ gebracht war, und der Schrei von vorhin war der letzte Schrei des Mutterherzens geweſen, das der verkümmernden kleinen Menſchenpflanze jetzt entriſſen werden ſollte. Er blickte mit inniger Rührung zu dem Kinde empor, rief ihm tauſend Liebkoſungen zu und ſegnete es.

Die Fahrt ging langſam weiter durch die endlos lange Straße, die er in vergeblichem Jagen durchritten hatte, und immer durch Maſſen von Menſchen hindurch, die ſich zu beiden Seiten drängten oder aus den Fenſtern ſahen. Endlich, wie nach Verfluß einer Ewigkeit, war das Thor erreicht, wo er gefangen genommen worden war. Er lächelte, da er es ſah, und pries es gegen ſeine Begleiter als den glücklichſten Ort, den er in ſeinem Le¬ ben betreten, da hier ſeine Rettung aus Nacht und Grauſen begonnen habe.

Der Zug ging durch das Thor und jetzt ſah man die außerhalb im Freien wogenden Menſchen, eine zahlloſe Menge, wie wenn das ganze Herzogthum verſammelt wäre, um eine Landesangelegenheit von höchſtem Gewichte zu berathen und berathen zu ſehen.

Vor dem Thore ſtand ein alter Mann, auf ſeinen Krücken leh¬ nend. Die Thränen floßen ihm in den Stoppelbart, und er ſah508 dem Verurtheilten, der eben gegen ihn herankam, in das Geſicht. Auch dieſer erblickte ihn jetzt und winkte freundlich mit den Augen. Er hatte ſeinen Invaliden erkannt, von dem er ſich wohl ſagen konnte, daß er nicht aus bloßer Neugierde den weiten und für ſeinen gebrech¬ lichen Körper auch im Fahren beſchwerlichen Weg hieher gekommen ſei.

O wo 'naus, Frieder, wo' naus? rief der Alte traurig.

Dem Himmel zu! antwortete er mit der hellen Commandoſtimme, die bei ſo manchem Einbruch erſchollen war.

About this transcription

TextDer Sonnenwirth
Author Hermann Kurz
Extent527 images; 180720 tokens; 21082 types; 1177680 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

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EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

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Bibliographic informationDer Sonnenwirth Schwäbische Volksgeschichte aus dem vorigen Jahrhundert Hermann Kurz. . VII, 508 S. MeidingerFrankfurt (Main)1855. Deutsche Bibliothek. Sammlung auserlesener Original-Romane 4.

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Zentral- und Landesbibliothek Berlin Berlin ZLB, C 43 813

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Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Roman; Belletristik; Roman; core; ready; ocr

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