PRIMS Full-text transcription (HTML)
Der Urſprung der künſtleriſchen Thätigkeit.
LeipzigVerlag von S. Hirzel1887.
Der Urſprung der künſtleriſchen Thätigkeit.
LeipzigVerlag von S. Hirzel1887.

Vorbemerkung.

Unter künſtleriſcher Thätigkeit iſt in den vorliegen¬ den Unterſuchungen immer nur die Thätigkeit des bilden¬ den Künſtlers gemeint. Da es nicht eine Kunſt im All¬ gemeinen, ſondern nur Künſte giebt, ſo kann die Frage nach dem Urſprung des künſtleriſchen Vermögens auch nur auf dem Sondergebiet einer beſtimmten Kunſt aufgeworfen werden. Ob ſich aus der Beantwortung, welche dieſe Frage hier für das Gebiet der bildenden Kunſt gefunden hat, ein Schluß ziehen läßt auf die Beantwortung, welche dieſelbe Frage auf den Gebieten anderer künſtleriſcher Thätigkeiten finden müßte, darauf iſt in dem Folgenden keine Rückſicht genommen worden.

[1]

1.

Diejenigen, welche es unternehmen, Weſen und Be¬ deutung der künſtleriſchen Thätigkeit darzulegen, pflegen von den Wirkungen auszugehen, welche durch die Kunſt¬ werke auf den geiſtigen Zuſtand oder das Empfindungs¬ leben der Menſchen hervorgebracht werden. Dieſer Aus¬ gangspunkt iſt offenbar falſch. Um unter den erfahrungs¬ mäßig ſehr verſchiedenartigen Wirkungen der Kunſt diejenige beſtimmen zu können, die dem Weſen der künſtleriſchen Thätigkeit gemäß iſt, müßte man dieſes Weſen zuvörderſt erkannt haben. Dies aber wird nur dann möglich ſein, wenn man, abgeſehen von allen Wirkungen, die von den Reſultaten der künſtleriſchen Thätigkeit ausgehen, die Ent¬ ſtehung dieſer Thätigkeit ſelbſt aus der menſchlichen Natur zu durchſchauen vermag. Gelingt es, den Punkt zu er¬ kennen, wo aus dem Reichthum geiſtig-körperlicher Mani¬ feſtationen, zu denen der menſchliche Organismus werde¬ luſtig emporſtrebt, diejenige Thätigkeit ſich abzuſondern beginnt, die wir in ihrer weiteren Entwickelung als die künſtleriſche bezeichnen, ſo iſt in der That der einzige Zu¬ gang gewonnen, der in die innere Welt jener ThätigkeitFiedler, Urſprung. 12einführt. Um zu dieſem Punkt zu gelangen, müſſen einige Bemerkungen allgemeiner Natur vorausgeſchickt werden.

Dieſe Bemerkungen werden ſich auf das Verhältniß zu beziehen haben, in dem der Menſch zu der ihn um¬ gebenden Welt ſteht. Denn es wird ſich zeigen, daß der¬ jenige, der, unbefriedigt von allen Erklärungen, die das Weſen des künſtleriſchen Schaffens gefunden hat, nach einer neuen Löſung des alten Problems ſucht, nur dann zum Ziel zu gelangen hoffen kann, wenn er auf das Verhält¬ niß des Menſchen zur Außenwelt zurückgeht und die ihm geläufige Auffaſſung desſelben einer erneuten Prüfung unterwirft.

Die Einſicht, daß die Dinge nicht durch ihr bloßes Daſein Gegenſtand der Wahrnehmung und in Folge deſſen irgend einer Art geiſtigen Beſitzes ſein können, ſondern daß der der Empfindung und Wahrnehmung fähige menſchliche Organismus nur Wirkungen empfängt, die er zu Beſitz¬ thümern des Bewußtſeins geſtaltet, dieſe Einſicht ſcheint dem Menſchen keineswegs immer in allen ihren Conſequenzen gegenwärtig zu ſein. Zwar iſt die einfache Gegenüber¬ ſtellung des wahrnehmenden, vorſtellenden, erkennenden In¬ dividuums und der Welt des Seienden eine Gegen¬ überſtellung, durch die der Standpunkt des naiven Bewußt¬ ſeins bezeichnet wird mit jener Einſicht aufgehoben; aber die große Umkehr, die in der Auffaſſung des Ver¬ hältniſſes, in welchem der Menſch zur Außenwelt ſteht, durch jene Einſicht gefordert wird, iſt ſo lange nicht voll¬ endet, als der Menſch die ſtillſchweigende Vorausſetzung3 nicht aufzugeben vermag, daß durch die geiſtigen Gebilde, die er in ſeinem Inneren wahrnimmt, ſeien es Wahr¬ nehmungen, Vorſtellungen, Begriffe, ein Seiendes bezeich¬ net wird, welches eben doch ein anderes als dieſe geiſtigen Gebilde, von dieſen unterſchieden ſei. Will man einen Schritt weiter thun, um aus jenem Zweierlei eines Wahr¬ nehmenden und eines Wahrgenommenen herauszukommen, ſo muß man zu einer weiteren, aus jener Einſicht ſich er¬ gebenden Conſequenz ſchreiten: ſofern wir von irgend einem Seienden keinerlei Kunde haben, als vermöge der Wirkungen, die wir empfangen, ſo kann es für uns auch keinerlei Sei¬ endes geben, welches durch irgend ein in uns bewirktes geiſtiges Gebilde bezeichnet würde, vielmehr kann alles Sein und alle Wirklichkeit aus keinem anderen Stoff und keinen anderen Beſtandtheilen beſtehen, als aus den geiſtigen Gebilden, in denen die Wirkungen ſich darſtellen, die wir empfangen. Wenn ſo die geſammte Wirklichkeit mit den in unſerem Bewußtſein erſcheinenden oder vielmehr unſer Bewußtſein bildenden Wirkungen, beziehentlich den Formen zuſammenfällt, zu denen ſich dieſe Wirkungen entwickeln, ſo iſt die Zwieſpältigkeit der Welt in der That zur Ein¬ heit geworden. Indeſſen, wenn wir auch die Nothwendig¬ keit dieſer Folgerungen nicht anfechten können, ſo bedarf es doch mancher Ueberlegungen, um in uns die lebendige Ueberzeugung hervorzubringen, daß all unſer Beſitz an Wirklichkeit nicht nur auf Vorgängen in uns beruht, ſon¬ dern auch mit den Formen identiſch iſt, in denen dieſe Vorgänge auftreten.

1 *4

Wir müſſen uns zunächſt vergegenwärtigen, wieſo der Menſch dazu gekommen iſt, die ihm auf dem naiven Stand¬ punkte ſo unerſchütterlich erſcheinende Ueberzeugung, nach der er in der Wirklichkeit dasjenige beſitze, wovon ſeine Wahrnehmungen abhängig ſeien, als einen Trug zu er¬ kennen und zu begreifen, daß es vielmehr die Wahrnehmung ſei, von der unſer geſammter Beſitz an Wirklichkeit that¬ ſächlich abhängt. Dieſe Erkenntniß, die ihrer Natur nach berufen iſt, die ſämmtlichen geiſtigen Beziehungen zu er¬ faſſen, in denen der Menſch zur Wirklichkeit ſteht, entſpringt zunächſt doch einem beſtimmten Bereich dieſer Beziehungen. Sie erzeugt ſich auf den Höhen des abſtracten Denkens. Das Sein iſt dem Menſchen längſt zu einem reichen und complicirten Syſtem von Begriffen geworden, bevor er zu dem Zweifel gelangt, ob er berechtigt ſei, dieſer Welt, die er denkt und ausſpricht, die er erforſcht und bis in ihre letzten Geheimniſſe zu durchſchauen trachtet, eine Exiſtenz zuzuſprechen, die er als unabhängig von ſeinem Erkennt¬ nißvermögen zu denken vermöchte. Darin, daß der Zweifel an einem abſoluten Sein der Dinge kein unmittelbar ge¬ gebener iſt, ſondern erſt als das Ergebniß eines ſehr ent¬ wickelten abſtracten Denkens auftritt, liegt der Grund da¬ für, daß die aus dieſem Zweifel entſpringende Erkenntniß einer gewiſſen Beſchränkung ſelbſt bei denjenigen Denkern unterworfen bleibt, welche ſie bis zu ihren äußerſten Fol¬ gerungen zu entwickeln ſcheinen. Alles Sein iſt ihnen ein zu Bezeichnendes; die Worte oder Zeichen, in denen ſich ihre geiſtigen Operationen vollziehen, repräſentiren ihnen5 das Seiende, und indem ſie das Sein, welches ſie denken und denkend erkennen, auf Grund jener Einſicht ſozuſagen auf ſeinen Wirklichkeitswerth zu prüfen ſuchen, ſind ſie der Ueberzeugung, daß es eben das Sein ſelbſt iſt, welches ſich ihnen auf Grund der Conſequenzen, die ſich mit un¬ umgänglicher Nothwendigkeit aus jener Einſicht ergeben, immer mehr in ſeiner wahren Geſtalt und in ſeinem wahren Werth enthüllt.

Da das Denken an die Sprache gebunden iſt und auch da nicht gleichſam körperlos auftritt, wo es ſich auf den letzten Höhen ſeiner Entwickelung des ſprachlichen Aus¬ drucks begiebt, ſondern auch da doch immer noch der Zeichen bedarf, um vor ſich gehen zu können, ſo ſteht und fällt die Frage, ob man berechtigt ſei, das denkende Erkennen als eine auf das Sein, die Wirklichkeit als ihr Object gerichtete Thätigkeit aufzufaſſen, mit der anderen Frage, ob die Sprache fähig ſei, ein Seiendes zu bezeichnen. Beſitzt der Menſch in der Sprache das Mittel, die Wirklichkeit in all ihrem Reichthum, all ihrer Mannichfaltigkeit bezeichnen, zum Ausdruck bringen zu können, ſo kann darüber kein Zweifel ſein, daß er durch das Denken zu einer Erkenntniß des Seienden gelangt oder wenigſtens zu gelangen ſtrebt. In der Beantwortung dieſer Frage unterſcheidet ſich derjenige, deſſen Geiſt von der Einſicht in die Relativität alles Exiſtirenden erleuchtet iſt, nicht von demjenigen, der noch in dem naiven Glauben an das abſolute Daſein der Ob¬ jekte ſeiner Erkenntniß verharrt. Beide ſtellen die Sprache dem Seienden gegenüber als das univerſale Mittel zur6 Bezeichnung, zum Ausdruck von allem und jedem, was auf das Prädicat des Seins Anſpruch machen kann. Indeſſen gilt es auch hier, einen trügeriſchen Schein zu zerſtören.

Man kennt die bedeutenden Fortſchritte, die in der Erkenntniß des Weſens der Sprache gemacht worden ſind, ſeitdem man in der Sprache eine Form der Ausdrucks¬ bewegung, eine Lautgeberde erkannt hat; aber ſo ſehr man dadurch in der Erklärung des Urſprungs und der Ent¬ wickelung der Sprache gefördert worden iſt, ſo hat man doch für das Verſtändniß des eigentlichen Werthes, der dem ſprachlichen Ausdruck innewohnt, aus jener Erkennt¬ niß nicht hinlänglichen Gewinn gezogen. Es liegt nahe, das Weſen einer Ausdrucksbewegung in dem Umſtande zu finden, daß dieſelbe äußerlich wahrnehmbar und einer fremden Intelligenz verſtändlich iſt; man ſetzt dabei ſtill¬ ſchweigend voraus, daß dasjenige, was dabei zum Aus¬ druck kommt, ſchon abgeſehen von dem Ausdruck und vor demſelben vorhanden ſei, und, ſo wie es vorhanden ſei, durch den Ausdruck zu einem Gegenſtande der Mittheilung gemacht werde. Das Wort vor allem verdankt die außer¬ ordentliche Werthſchätzung, deren Gegenſtand es iſt, der Annahme, daß in ihm alles dasjenige zum mittheilbaren Ausdruck gelangt, was in irgend einer Form zum Beſitz¬ ſtand unſerer geiſtigen Exiſtenz gehöre. In dieſer Auf¬ faſſung ſcheint ſich eine Nachwirkung jener alten Lehre geltend zu machen, nach der der Geiſt die Organe des Körpers in ſeinen Dienſt nehme; denn nur mit dieſer Lehre iſt die Annahme verträglich, daß der Geiſt einem7 Inhalt, den er ſeiner ſelbſtſtändigen und ausſchließlichen Thätigkeit verdanke, vermittelſt des körperlichen Apparates einen körperlich wahrnehmbaren Ausdruck zu verſchaffen vermöchte. Es iſt hier nicht der Ort, die hinlänglich be¬ kannten Gründe anzuführen, durch die ein beſonnenes Denken genöthigt worden iſt, dieſe Auffaſſung des Ver¬ hältniſſes zwiſchen Geiſt und Körper aufzugeben. Lehrt die reinere Auffaſſung dieſes Verhältniſſes, zu der man ſich erhoben hat, eine durchgängige Abhängigkeit geiſtiger Vorgänge von Vorgängen im körperlichen Organismus, ſo mag man zwar in der Ausdrucksbewegung einen Hin¬ weis auf einen inneren Zuſtand oder Vorgang erblicken; nur muß man ſich vor der Annahme hüten, daß dieſer innere Zuſtand oder Vorgang rein geiſtiger Natur ſein könne. Vielmehr ſtehen wir, wenn wir den inneren Vor¬ gang bedenken, der ſich in der ſogenannten Ausdrucksbe¬ wegung bis zur äußerlich wahrnehmbaren Manifeſtation entwickelt, vor einem Vorgang, der nicht erſt in dieſem letzten Stadium zu einem körperlichen wird, ſondern, wie alle Lebensvorgänge, von allem Anfang an in körperlichen Proceſſen abläuft. Der Sinn der Ausdrucksbewegung kann alſo nicht der ſein, daß ſich ein Inhalt geiſtiger Her¬ kunft in einer Bewegung körperlicher Organe ein Zeichen ſeines Daſeins, einen Ausdruck ſeiner Bedeutung verſchaffte, vielmehr können wir in der Ausdrucksbewegung nur eine Entwickelungsſtufe eines pſychophyſiſchen Proceſſes aner¬ kennen, und müſſen den Sinn derſelben ſo faſſen: gleich¬ wie der körperliche Vorgang, der mit der Erregung der8 ſenſibeln Nerven beginnt, in der äußerlichen, unmittelbar wahrnehmbar werdenden Bewegung zu einer vorher noch nicht erreichten Entwickelungsphaſe gelangt, ſo erfährt auch der ſeeliſche Vorgang, deſſen wir uns als der gleichſam inneren Seite jenes Lebensvorganges unmittelbar bewußt werden, in der Ausdrucksbewegung eine Entwickelung, die er eben nur in ihr erfahren kann.

Wir werden ſo, indem wir die leibliche Seite der ſogenannten ſeeliſchen Vorgänge anerkennen, zugleich dem geiſtigen Werthe gewiſſer körperlicher Vorgänge gerecht, in denen wir mehr ein Symbol des geiſtigen Lebens als eine Erſcheinung dieſes Lebens ſelbſt zu ſehen gewöhnt ſind. Denn wenn wir ſonſt den geiſtigen Werth der Ausdrucks¬ bewegungen in einer Bedeutung finden, die ihnen beige¬ legt werden müſſe, ſo erkennen wir nun, daß in ihnen und durch ſie ein vorher noch nicht vorhandenes geiſtiges Gebilde überhaupt erſt zur Entſtehung gelangt. Wie ſollte auch ein Vergleich möglich ſein, zwiſchen einem voraus¬ geſetzten, noch nicht in die Ausdrucksform eingegangenen pſychiſchen Gebilde einerſeits und dem Ausdruck anderer¬ ſeits? Und dann, bei der durchgängigen Abhängigkeit ſeeliſcher Vorgänge von leiblichen würde die Annahme, daß die Ausdrucksbewegung eben nur etwas ausdrücke, was ſchon vor ihrem Eintreten vorhanden ſei, zu dem Widerſinn führen, daß ein und derſelbe pſychiſche Vorgang an zwei verſchiedene phyſiſche Vorgänge gebunden ſei. Will man dieſen Widerſpruch vermeiden, ſo kann man dies nur dadurch, daß man entweder in jene alte Lehre zurück¬9 fällt, welche der Seele ein ſelbſtſtändiges Leben und eine den Leib bewegende Thätigkeit zuſchreibt, oder aber daß man in der Ausdrucksbewegung eben nicht den Ausdruck eines pſychiſchen Produktes, ſondern die Entwickelung eines pſychophyſiſchen Vorganges erblickt.

Auf Grund dieſer Ausführungen kommen wir nun in Betreff des Bedeutungswerthes, den wir dem in der Sprache vorliegenden Erzeugniß unſerer körperlich-geiſtigen Organi¬ ſation zuzuſchreiben berechtigt ſind, zu folgendem Reſultat: wollen wir daran feſthalten, daß der ſprachliche Ausdruck irgend ein Wirkliches, was abgeſehen von der ſprachlichen Form auf das Recht des Vorhandenſeins Anſpruch habe, zu bedeuten und ſomit zum Gegenſtand unſeres Denkens und Erkennens zu machen vermöge, ſo können wir das nur, wenn wir einestheils auf dem Standpunkte des naiven Realismus verharren, d. h. die Wirklichkeit als gegeben annehmen, ohne daran zu denken, daß wir ſie doch erſt wahrnehmen müſſen, damit ſie gegeben ſei, anderentheils Geiſt und Körper als ſelbſtſtändige in einem Subordina¬ tionsverhältniß zu einander ſtehende Beſtandtheile der menſchlichen Natur betrachten. Wenn wir aber Ernſt machen mit der Einſicht, daß wir ein Wirkliches immer nur als Reſultat eines Vorganges beſitzen können, deſſen Schauplatz wir ſelbſt als empfindende, wahrnehmende, vor¬ ſtellende, denkende Weſen ſind, und wenn wir zugleich auf Grund der Einſicht in den Parallelismus geiſtiger und körperlicher Vorgänge die Ueberzeugung gewonnen haben, daß ein geiſtiges Reſultat und ſein ſinnlich wahrnehmbarer10 Ausdruck nicht zweierlei ſein können, ſondern daß geiſtige Reſultate überhaupt nur in ſinnlichen Gebilden ſich zu beſtimmter Form zu entwickeln vermögen, ſo können wir die Sprache nur mehr als eine Form anſehen, in der ein Wirklichkeitsbeſitz für uns entſteht, nicht aber als das Mittel, durch welches wir eine Wirklichkeit, die nicht Sprache, die gleichſam außerhalb des Sprachgebietes vorhanden wäre, zu bezeichnen und in unſeren geiſtigen Beſitz zu bringen vermöchten. Iſt es nun ein ſehr ungenauer und dem that¬ ſächlichen Verhältniß nicht entſprechender Ausdruck, wenn man ſagt, daß der Menſch durch die Fähigkeit des Sprechens die Wirklichkeit zu bezeichnen vermöge, ſo iſt es ein ebenſo ungenauer Ausdruck, wenn man die in dem discurſiven Denken ſich vollziehende Erkenntniß eine Erkenntniß der Wirklichkeit nennt. So wenig die Sprache einer Wirk¬ lichkeit gegenüberſteht, ſo wenig ſteht auch die Erkenntniß einer Wirklichkeit gegenüber. Nicht die Wirklichkeit ſchlecht¬ hin iſt es, wie wir doch gern glauben möchten, die wir durch das in der Sprache ſich vollziehende Denken und Erkennen erfaſſen, ſondern immer nur die Wirklichkeit, ſo¬ fern ſie in der Form der Sprache überhaupt zu einem entwickelten Daſein gelangt iſt. In Anſehung der unend¬ lichen Fülle von Wirklichkeit, die wir vermittelſt der Sprache gleichſam vor das Bewußtſein zu rufen, durch das Denken dem Verſtand zuzuführen vermögen, bedarf es freilich noch mancher Erwägungen, um das ſelbſtverſtänd¬ lich erſcheinen zu laſſen, was zunächſt befremdlich, faſt paradox klingt.

11

Die Erkenntniß, daß alles außer uns auf ein in uns hinausläuft, daß von einem Sein zu reden nur ſoweit einen vernünftigen Sinn hat, als ein ſolches in unſerem Bewußtſein erſcheint, dieſe Erkenntniß zerſtört die Täuſchung, als ob wir uns einer vor uns, um uns liegen¬ den Welt mit den Organen unſeres Leibes und mit den Fähigkeiten unſerer Seele nur ſo geradehin zu bemächtigen brauchten, um ſie zu beſitzen; vielmehr werden wir inne, daß alle Wirklichkeit uns einzig und allein bekannt wird in den ſich in uns und durch uns vollziehenden Vorgängen, deren Anfänge wir in den Sinnesempfindungen voraus¬ ſetzen, deren Reſultate wir da erfaſſen, wo ſie ſich zu be¬ ſtimmten Formen entwickeln. Reißen wir uns nun los von der Annahme einer außer uns in ihrem geſammten Sein verharrenden Welt und richten wir unſeren Blick dahin, wo wir das Daſein der Wirklichkeit thatſächlich conſtatiren können, auf unſer eigenes Wirklichkeitsbewußt¬ ſein, ſo tritt an die Stelle jenes vorausgeſetzten, auf ſich und in ſich beruhenden Seins ein ganz anderes Bild. Der Blick in die innere Werkſtatt, in der die Beſtandtheile des Weltbildes erſt entſtehen müſſen, wenn ſie ein Sein für uns gewinnen ſollen, läßt uns nicht einen feſten Beſitz an fertigen Geſtalten gewahren, vielmehr enthüllt ſich ihm ein raſtloſes Werden und Vergehen, eine Unendlichkeit von Vorgängen, in denen die Elemente alles Seins in den mannichfaltigſten Arten auf den mannichfachſten Stufen ihrer Verarbeitung erſcheinen, ohne daß das flüchtige, ſich immer erneuernde Material jemals zu feſten, unveränder¬12 lichen Formen erſtarrte; es iſt ein Kommen und Gehen, ein Auftauchen und Verſchwinden, ein Sichbilden und Sich¬ auflöſen von Empfindungen, Gefühlen, Vorſtellungen, ein ununterbrochenes Spiel, nie einen Augenblick zu einem beharrenden Zuſtand gelangend, ſondern raſtlos ſich bildend, ſich umbildend. Wir brauchen den ewigen Fluß der Dinge nicht außer uns zu ſuchen, er iſt in uns; es iſt aber ein trüber, die Schwelle des Bewußtſeins kaum beſpülender Strom, der durch unſer Inneres zieht; in unbeſtimmten Umriſſen ſondern ſich Bildungen auf Bildungen, um im nächſten Augenblick in das Dunkel zurückzutauchen.

Hat man einmal im eigenen Inneren jenes immer werdende und immer vergehende Geſchehen erblickt, ſo wird man ſich auch unmittelbar bewußt ſein, daß dieſe eigent¬ liche, vorhandene Subſtanz der Welt ſich in ihrer eigenen Natur, in ihrer Fülle und in ihrem Reichthum nicht zur faßbaren Form emporbilden und in dieſer an das Tages¬ licht des erkennenden Bewußtſeins heraufbringen läßt; kein Ausdruck ſteht ihr zu Gebote, durch den ſie gleichſam in ihrer eigenen Sprache ſich ſelbſt erfaſſen und ſich mit¬ theilen könnte.

Der Menſch fühlt nun aber das Bedürfniß und iſt ſich der Fähigkeit bewußt, ſich jenem ahnungsvollen Zu¬ ſtand zu entziehen, in dem ein unendliches Sein ſich un¬ abläſſig an ihn herandrängt, um ihm doch unabläſſig wieder zu entfliehen. Indem aber als helfend und erlöſend das Wort in ſeinem Bewußtſein auftritt und mit ihm das große Werkzeug erſcheint, mittelſt deſſen erſt der ganze geordnete13 und gegliederte Aufbau der zum Lichte der Erkenntniß erhobenen Wirklichkeit möglich wird, ſollte er ſich darüber klar ſein, daß er in dem Wort nicht einen Ausdruck, ſon¬ dern ein Erzeugniß ſeines inneren Lebens beſitzt. Indem ſich die unendlichen Vorgänge pſychophyſiſcher Natur, die das Empfindungs - und Gefühlsleben, die Wahrnehmungs - und Vorſtellungswelt des Menſchen und ſomit ſein Wirk¬ lichkeitsbewußtſein bilden, zum ſprachlichen Ausdruck ent¬ wickeln, unterliegt der bisherige Inhalt ſeines Bewußtſeins einer Verwandlung; im Wort erhält ſein Bewußtſein einen neuen Inhalt. In demſelben Augenblicke, in welchem der Menſch ſich der Wirklichkeit, die ihm in jenen reichen aber flüchtigen unbeſtimmten und unvollendeten Bewußtſeins¬ zuſtänden gegeben iſt, in der ſprachlichen Form zu be¬ mächtigen meint, entſchwindet ihm das, was er erfaſſen möchte, und er ſieht ſich einer Wirklichkeit gegenüber, die eine ganz andere neue Form gewonnen hat. Nicht ein Ausdruck für ein Sein liegt in der Sprache vor, ſondern eine Form des Seins.

Wir ſind gewöhnt, mit Worten umzugehen, wir haben in den Worten das bereite Mittel, uns aus dem dunkeln und wogenden Elemente unſerer inneren Bewußtſeinsvor¬ gänge gleichſam auf feſtes Land zu retten. Zugleich wiſſen wir, daß alle unſere ſinnlich-ſeeliſchen Fähigkeiten, all unſer Fühlen, Empfinden, Wahrnehmen, Vorſtellen betheiligt iſt an der Bereitung des Wortes, der Sprache. Müſſen wir nicht ſagen, daß es das geſammte Sein, das Sein ſchlecht¬ hin iſt, welches in die Form der Sprache eingeht, welches14 in dieſer Form zu dem ſtolzen Bau der in dem ganzen Reichthum ihrer Erſcheinungen und in der unendlichen Complication ihrer Zuſammenhänge erkannten Welt ver¬ arbeitet wird? Aber wenn es auch das unmittelbare Wirk¬ lichkeitsbewußtſein iſt, welches ſich einer Verwandlung unterwirft, um in der ſprachlichen Form eine beſtimmte und faßbare Geſtalt zu gewinnen, ſo findet dieſe Ver¬ wandlung doch nicht ſo ſtatt, daß im Augenblick ihres Eintretens der geſammte zur Hervorbringung des Wortes erforderliche Bewußtſeinsinhalt in der neuen Form ohne Reſt aufginge und an ſeine Stelle die Bezeichnung träte. Die Entſtehung der Sprache gleicht nicht einem Kryſtalli¬ ſationsproceß, in dem die Stoffe zu einer beſtimmten Form zuſammentreten, um nur noch in dieſer Form fortzube¬ ſtehen; vielmehr gleicht das Wort der Blüthe, der Frucht einer Pflanze; dieſe entwickelt in der Blüthe, in der Frucht etwas aus ſich heraus, was ſie ſelbſt nicht mehr iſt, es tritt eine Metamorphoſe ein, aber ſie ſelbſt geht dabei nicht zu Grunde. Alle die unendlich complicirten Vor¬ gänge unſeres Gefühls - und Darſtellungslebens, aus denen das Wort als feſtes Gebilde hervortritt, bilden nach wie vor den uns unmittelbar gegebenen und doch in keine Form zu faſſenden Inhalt der Welt. Wenn wir ein Gefühl, eine Vorſtellung benennen, ſo kommt dies dem Gefühl als ſolchem, der Vorſtellung als ſolcher nicht zu gute. Feſt und beſtimmt am Wort iſt nur das Wort ſelbſt, und wenn wir die Aufmerkſamkeit unſeres Bewußtſeins dem ſoge¬ nannten Inhalt des Wortes zuwenden, ſo finden wir den¬15 ſelben nach der Benennung und trotz derſelben in jenem unbeſtändigen, ewig werdenden Zuſtande, der uns wohl geſtattet, ſeiner gewahr zu werden, und uns doch nicht die Möglichkeit giebt, ihn mit der Klarheit des Bewußtſeins zu ergreifen.

Im gewöhnlichen Leben, und nicht nur da, ſondern auch auf zahlreichen Gebieten höherer geiſtiger Thätigkeit, beruhigt man ſich dabei, daß gegenſtändlichen Bezeichnungen eben Gegenſtände in der Wirklichkeit entſprechen, und daß in Folge deſſen der Inhalt dieſer Worte ein an ſich be¬ ſtimmter ſei. Sobald man aber den Widerſinn einſieht, der darin liegt, etwas in der Außenwelt ſuchen zu wollen, was man nicht zunächſt in ſich ſelbſt gefunden hat, begreift man zugleich, daß der ſogenannte gegenſtändliche Inhalt eines Wortes in nichts anderem beſteht und beſtehen kann, als in den Empfindungs -, Wahrnehmungs -, Vorſtellungs¬ vorgängen, welche der verſchiedenartigen ſinnlichen Em¬ pfänglichkeit entſprechen, mit welcher wir ausgeſtattet ſind, ſowie in den Gefühlszuſtänden, welche unſer inneres Leben begleiten. Wir dürfen uns darüber nicht täuſchen, daß es ganz außerhalb des Vermögens der Sprache liegt, jene ſinnlichen Erſcheinungen, auf denen es beruht, daß wir uns einer Wirklichkeit bewußt werden, in ihrem eigenen Stoffe zu einem deutlichen und beſtimmten Bewußtſeins¬ inhalt zu erheben. Man braucht, um dies einzuſehen, nicht erſt die complicirten pſychiſchen Gebilde, wie Vorſtellungen, in Betracht zu ziehen; bei den einfachſten Beſtandtheilen des geiſtigen Lebens können wir uns darüber klar werden;16 z. B. eine Farbenempfindung hat als ſolche mit ihrer ſprach¬ lichen Bezeichnung nicht die geringſte Verwandtſchaft. Be¬ nenne ich eine Empfindung, ſo habe ich zweierlei in meinem Bewußtſein: die Bezeichnung als das feſte, geformte Ge¬ bilde, welche ſich dem Stoff des Denkens und Wiſſens einordnet, und die thatſächliche Empfindung ſelbſt, welche an und für ſich durch die Thatſache der Bezeichnung gar nicht berührt wird. Trotzdem die Empfindung vermittelſt der ſprachlichen Bezeichnung zu einem Gegenſtand der Er¬ kenntniß wird, ſo bleibt ſie doch ihrem eigentlichen Stoff nach das, was ſie vor aller ſprachlichen Bezeichnung war. Indem man begreift, daß es die Sprache iſt, welche das Denken ermöglicht und dadurch dem Menſchen zur geiſtigen Herrſchaft über das Vorhandene verhilft, während das thieriſche Bewußtſein an das wechſelnde Spiel flüchtiger, unklarer Empfindungen und Vorſtellungen hingegeben er¬ ſcheint, überſieht man leicht, daß auch im geiſtigen Leben des Menſchen trotz der theoretiſchen Entwickelung, die es erfährt, der Stoff aller Wirklichkeit in ſeinem form - und haltloſen Zuſtand verharrt, und in demſelben trotz aller Sprache und discurſiven Erkenntniß verharren würde, wenn dem Menſchen nicht außer der Sprache noch andere Mittel zu Gebote ſtünden, um zur geiſtigen Herrſchaft über die Welt des Seienden zu gelangen. So muß ſich ein auf¬ richtiges Nachdenken bekennen, daß der menſchliche Geiſt, um zu dem zu gelangen, was er Erkenntniß der Welt nennt, ſich erſt Worte, ſich Begriffe ſchaffen muß, daß er, wenn er die Welt des Seienden vor ſeinem erkennenden17 Geiſte aufbaut, nicht nur den Bau ausführt, ſondern auch das Baumaterial hervorbringt.

Häufig genug wiederholt es ſich, daß ein allzu kühner Gebrauch des Denkvermögens dazu verleitet, Worte als Werthe einzuführen, in denen gleichſam die Kennzeichen einer ſinnlichen Herkunft gänzlich verwiſcht erſcheinen. Her¬ vorragende Denker ſind der irrigen Meinung zum Opfer gefallen, daß ſie das, was ſo recht eigentlich Wirklichkeit zu nennen ſei, da erfaſſen könnten, wo ſie ſich auf den Wegen der Abſtraction am weiteſten von dem ſinnlichen Urſprung aller Wirklichkeit entfernt hatten. Ganze Ge¬ nerationen haben ſich auf ſolchen Bahnen mit fortreißen laſſen. Wenn nun dem menſchlichen Geiſt die Beſonnen¬ heit zurückkehrt, ſo durchſchaut er wohl die Leere und Will¬ kürlichkeit deſſen, was ihm für die höchſte Erkenntniß ge¬ golten hatte; aber gerade darum verfällt er leicht einem anderen Irrthum. Indem das Denken, anſtatt ſich über die Erfahrung zu erheben, ſeine ganze Kraft auf die Er¬ fahrung concentrirt, indem man alle Vorſicht anwendet, um ſich bei den auf immer vollſtändigere Erkenntniß ab¬ zielenden geiſtigen Operationen nicht einen Schritt von der ſinnlich erfahrbaren Wirklichkeit zu entfernen, indem man nichts als wirklich anerkennt, was man nicht der Erfahrung unmittelbar zu verdanken ſich bewußt iſt, lebt man der Ueberzeugung, daß man die ganze mögliche Erfahrung und ſomit den geſammten thatſächlichen Beſtand der Wirklichkeit, ſoweit er uns bekannt werden könne, in der Sprache des discurſiven Denkens zum Ausdruck zu bringen vermöge. Fiedler, Urſprung. 218Man zweifelt gar nicht daran, daß man ſich von Jenen, welche ihr Weltbild aus Worten zuſammenſetzen, dadurch unterſcheidet, daß man nicht Worte, ſondern Dinge, die Beſtandtheile der Wirklichkeit ſelbſt, zu dem großen Syſtem der Erkenntniß verarbeitet. Und doch ſollte ſchon die That¬ ſache, daß wir Dinge gar nicht unmittelbar zu erfaſſen vermögen, daß wir der Benennung, der Bezeichnung be¬ dürfen, um überhaupt erſt einen Zuſammenhang herſtellen zu können, der unſer Erkenntnißbedürfniß befriedigt, ſchon dieſe Thatſache ſollte uns davor bewahren, das Material unſerer erfahrungsmäßigen Erkenntniß mit der Wirklichkeit ſelbſt zu verwechſeln. Den Stoff für ihre Thätigkeit findet auch die beſonnenſte Forſchung nur auf demſelben Gebiete, auf dem auch die Willkür ihre luftigen Gebäude errichtet. Keine Erkenntniß, die exacte ſo wenig wie die ſpeculative, kann über ein anderes Wirklichkeitsmaterial verfügen, als über dasjenige, welches in der Entwickelungsform des Wortes beziehentlich des Zeichens vorliegt.

Nach alledem iſt der Sinn, den das Wunder der Sprache hat, nicht der, daß ſie ein Sein bedeutet, ſondern der, daß ſie ein Sein iſt. Und da das, was in der ſprachlichen Form zur Entſtehung gelangt, außerhalb dieſer Form überhaupt nicht vorhanden iſt, ſo kann die Sprache auch immer nur ſich ſelbſt bedeuten. Der Werth eines Wortes beruht nicht auf dem, was man für ſeinen In¬ halt auszugeben pflegt, auf den unſeren Sinnesgebieten angehörigen Vorgängen, aus denen es ſich entwickelt, und von denen es in größerer oder geringerer Lebendigkeit19 wohl auch aſſociativ begleitet wird, ſein Werth beruht vielmehr darauf, daß ſich das Wirklichkeitsbewußtſein, welches zunächſt nur aus jenen vagen Sinnesvorgängen beſtand, im Wort um ein neues Element, einen neuen Stoff bereichert, in dem überhaupt erſt die überraſchende Möglichkeit eines in ſich zuſammenhängenden und be¬ ſtimmten Wirklichkeitsaufbaues gegeben iſt. Man wird auf Grund dieſer Auffaſſung dem unberechenbaren Werthe der Sprache gerecht werden und doch die Grenzen nicht überſehen, die der ſich in und durch die Sprache voll¬ ziehenden Entwickelung des menſchlichen Geiſtes geſetzt ſind. Dieſe Grenzen liegen nicht da, wo man gemeiniglich die Grenzen der Erkenntniß zu conſtatiren pflegt, jenſeits des Gebietes einer möglichen Erkenntniß, vielmehr hat die Erkenntniß noch andere, näher liegende Grenzen, die ſo¬ zuſagen diesſeits einer möglichen Erkenntniß liegen; denn da ſie an die Form der Sprache oder der Zeichen gebunden iſt, kann es ihr niemals gelingen, ſich jenes geſammten reichen Werdens, als welches uns die Wirklichkeit zunächſt zum ahnungsvollen Bewußtſein kommt, zu bemächtigen, und es zu einem klaren und beſtimmten Sein zu entwickeln.

Mancherlei Betrachtungen ſind hier noch anzuſchließen. Wo man gewohnt war, einen Gewinn, eine Errungenſchaft zu ſehen, da erkennt man, daß dieſer Gewinn zugleich mit einem Verluſt verbunden iſt, daß dieſe Errungenſchaft zu¬ gleich einen Verzicht bedeutet. Wenn der Menſch ſein geiſtiges Leben überſchaut, wenn er ſieht, wie Empfindungen zu Wahrnehmungen zuſammentreten, Vorſtellungen ſich ge¬2 *20ſtalten, Begriffe ſich bilden, wie ſich an der Sprache der Begriffe ſein Denken entwickelt, wie dieſes Denken, um zu gewiſſen Zielen zu gelangen, auch noch das bunte Gewand der Sprache abwirft und ſich nur noch in Zeichen dar¬ ſtellt, ſo wird er ſich einer Entwickelung ſeiner geiſtigen Natur bewußt, die ihn weit hinaus hebt über alle ſeine Mitgeſchöpfe, und in der er die höhere geiſtige Beſtimmung anzuerkennen ſich berechtigt fühlt, zu der er inmitten anderer Geſchöpfe berufen iſt. Von dieſem ſtolzen Bewußtſein braucht er nun zwar nicht dadurch zurückgebracht zu wer¬ den, daß er die Reſultate ſeiner Denkthätigkeit als das betrachten lernt, was ſie in Wirklichkeit ſind, als Bildungen, die ſich aus dem flüſſigen Stoffe des geſammten ſinnlich¬ ſeeliſchen Lebens in feſter Geſtalt ausſondern und ein eigenes Reich des Seienden bilden; aber er ſieht doch ein, daß er den Werth ſeiner Denkthätigkeit überſchätzt hat, inſofern dieſelbe zwar einen beſtimmten gleichſam aus allen Ele¬ menten der ſinnlich gegebenen Wirklichkeit zubereiteten Stoff, keineswegs aber dieſe Wirklichkeit ſelbſt unter die Macht des Bewußtſeins giebt. Und infolgedeſſen begreift er, daß der neue, abgeleitete Inhalt, indem derſelbe mehr und mehr von ſeinem Bewußtſein Beſitz ergreift, jenen elementaren Bewußtſeinſinhalt verdrängt, und daß ſo der menſchliche Geiſt, indem er die Wirklichkeit mehr und mehr erfaßt, von dem Urſprung aller Wirklichkeit mehr und mehr ab¬ gedrängt wird.

Und ferner, wo man ein Mittel ſah, zur Macht und Freiheit zu gelangen, da ſieht man nun, daß unter der21 Macht ein Zwang, unter der Freiheit eine Beſchränkung verborgen iſt. Wohl fühlt ſich der Menſch wie unter einem Banne, wenn er den andringenden Eindrücken eine rege und allſeitige Empfänglichkeit entgegenbringt, wenn die Fluth des Seienden höher und höher um ihn, in ihm ſteigt. Zur geiſtigen Freiheit glaubt er nur gelangen zu können, wenn es ihm gelingt, die Eindrücke, denen er unterliegt, ſeinerſeits zu Objecten ſeiner geiſtigen Thätigkeit zu machen. In ſeiner Denkfähigkeit ſieht er die geiſtige Macht, der ſich nach und nach der geſammte Inhalt des Seienden unterwerfen muß, und durch ſie meint er die Freiheit zu erlangen, die das Bedürfniß ſeiner geiſtigen Exiſtenz iſt. Sobald er aber den Vorgang durchſchaut, der ſich im Denken vollzieht, wird ihm jene Macht und Freiheit doch nur ſehr bedingt erſcheinen; denn ſie beruht auf einem Zwang, der dem geiſtigen Drange in ſeinem Inneren an¬ gethan wird. Dieſer Zwang beſteht in der Nothwendig¬ keit, die Wärme des Gefühls, die Fülle und den Reich¬ thum des ahnenden Schauens, der ſich drängenden und ſich ablöſenden Vorſtellungen in das Wort, in den Begriff zu verwandeln, um Klarheit, Ordnung, Zuſammenhang da zu ſchaffen, wo zwar Wärme und Reichthum, aber Dunkel und Verwirrung war. So lebendig kann das Bewußtſein von der Verwandlung werden, welcher die unmittelbare Wirklichkeit ſich unterwerfen muß, um als Wort, als Be¬ griff ſich darſtellen zu können, daß die frühere Überſchätzung der dem menſchlichen Geiſt innewohnenden erkennenden Kraft ſich leicht in eine Mißachtung verwandelt. Meinte22 man erſt, in der Erkenntniß alles zu beſitzen, ſo meint man nun, durch ſie vielmehr alles zu verlieren. Die geiſtige Freiheit, zu der man ſich in der Erkenntniß zu entwickeln glaubte, erſcheint als eine geiſtige Beſchränkung, da man nicht im Stande iſt, das dunkle Sein, deſſen mannich¬ fache Werdeluſt man ahnend im eigenen Inneren gewahrt, anders zu einem klaren Sein zu entwickeln, als dadurch, daß man es ſelbſt aufgiebt und etwas anderes an ſeine Stelle ſetzt.

Und endlich, wo man das geiſtige Licht ſah, welches ſich über die Welt und den Zuſammenhang ihrer Er¬ ſcheinungen verbreitete, da ſieht man nun eher einen Schleier, welcher die wahre Natur des Seienden verhüllt. Während man durch das in dem ſprachlichen Ausdruck ſich dar¬ ſtellende Denken das geheimſte Weſen der Erſcheinungen offenbar zu machen glaubte, erkennt man nun, daß alles Denken und Erkennen einer großen, aus Worten und Be¬ griffszeichen gewobenen Decke gleicht, unter der das Leben der Wirklichkeit fortpulſirt, ohne ſich aus ſeinem dunkeln Zuſtande an das Tageslicht emporarbeiten zu können. Und wäre dem Einzelnen nur immer gegenwärtig, welch reiches, noch zu keinem Ausdruck entwickeltes Leben vorhanden ſein müſſe, damit nur überhaupt jene beſondere Art der Aus¬ drucksformen entſtehen könne, in der wir die Wirklichkeit denkend zu erfaſſen vermögen! Dies aber wird durch dieſe Formen ſelbſt erſchwert, verhindert. Der Einzelne gelangt ja nicht durch eigene entwickelnde, ſchaffende Thätigkeit in den Beſitz derſelben: er ſchafft die Welt nicht, die er durch23 das Denken erwirbt, er lernt ſie. Indem er aber von vornherein der Wirklichkeit als einer zu erlernenden gegen¬ übergeſtellt wird, entgeht es ihm, daß alles, was er zu lernen und zu lehren vermag, nicht die Wirklichkeit, ſon¬ dern nur eine Form der Wirklichkeit ſein kann.

[24]

2.

Die ſehr verbreitete Ueberſchätzung des theoretiſchen Wiſſens und Erkennens ſchlägt leicht bei denen in eine Unterſchätzung um, die es in ſeinem eigentlichen Weſen durchſchaut haben. In der That hat die Erkenntniß, daß aller theoretiſche Wirklichkeitsbeſitz ein Wortbeſitz iſt, etwas Entmuthigendes. Selbſt da, wo man mit dem Denken der Sinnlichkeit unmittelbar nahe iſt, wo man in demſelben Augenblick, in welchem ein concreter Beſtandtheil des Den¬ kens vor das Bewußtſein tritt, unwillkürlich den Uebergang zu einem ſinnlich Gegebenen macht, wo alſo das ſinnlich Gegebene recht eigentlich der Gegenſtand ſelbſt des Denkens zu ſein ſcheint; ſelbſt da ſieht man ſich durch die einfache Thatſache, daß man ſich denkend verhält, durch eine nicht auszufüllende Kluft von dem ſinnlichen Stoff der Er¬ fahrung getrennt. Das, was ſich den Sinnen in ſeiner eigenſten Naturgeſtalt offenbart, unterliegt, wie ſchon er¬ wähnt, durch die bloße Berührung des denkenden Geiſtes einer Verwandlung, und das, was man thatſächlich beſitzt, erinnert in nichts mehr an das, was man hat ergreifen wollen. Sind nicht diejenigen im Recht, die ſich allen Denkens und Wiſſens entſchlagen und die Wirklichkeit nur25 in den unmittelbaren Phänomenen ihres Wahrnehmungs - und Gefühlslebens erfaſſen zu können glauben?

Indeſſen während jener Ueberſchätzung der Erkennt¬ niß die irrthümliche Annahme zu Grunde lag, daß dem Menſchen eine Welt des Seins und Geſchehens als Außen¬ welt gegeben ſei, die er mit dem Licht ſeines erkennenden Geiſtes nur zu beleuchten, und, was er da ſah, nur aus¬ zuſprechen brauchte, ſo beruht die nunmehrige Unterſchätzung auf einer Annahme, die auch ihrerſeits der Prüfung be¬ darf. Indem der Menſch lernt, die Beſtandtheile der Wirklichkeit nicht mehr außer ſich, ſondern zunächſt im eigenen Bewußtſein zu ſuchen, wird er ſich ſagen, daß er die Wirklichkeit in ſeinen Sinnesvorſtellungen in viel un¬ verfälſchterer Geſtalt beſitzt, als in dem Syſtem von Worten und Begriffen, die, wenn ſie auch ein Product der ſinn¬ lichen Vorſtellungswelt ſind, doch keinerlei ſtoffliche Ver¬ wandtſchaft mehr mit derſelben haben. Wenn ich die Bezeich¬ nung irgend eines Gegenſtandes nehme, wie Tiſch, Baum, Berg, und meine Aufmerkſamkeit auf den zwiefachen In¬ halt richte, den ich in meinem Bewußtſein wahrnehme, auf die Wortvorſtellung auf der einen Seite, auf die ſinn¬ liche, gegenſtändliche Vorſtellung auf der anderen Seite, ſo kann mir jene wohl als das Minderwerthige erſcheinen, während ich den eigentlichen Wirklichkeitswerth dieſer bei¬ meſſen muß. Zudem beruht Möglichkeit und Werth des Wortes auf ſeiner Herkunft aus der ſinnlichen Vorſtellung, während die ſinnliche Vorſtellung ihren vollen Werth auch abgeſehen von jeder ſprachlichen Bezeichnung beſitzt.

26

Die Vorausſetzung für dieſe Anſchauung liegt darin, daß an Stelle des Glaubens an eine von aller Vorſtellung unabhängige Außenwelt der andere Glaube an eine gegebene Vorſtellungswelt getreten iſt. Dieſer Glaube beherrſcht in der That die allgemeine Denkweiſe. Bei ihm bleibt der¬ jenige ſtehen, der ſich aus dem Bann naiv-realiſtiſcher An¬ ſchauungsweiſe freigemacht hat. Zweifellos kann der ge¬ ſammte geiſtige Zuſtand und dieſes Wunder vollzieht ſich tagtäglich, heute wie immer keine größere Um¬ wandlung erfahren, als diejenige, welche ſich durch die Zerſtörung der realen Gewißheit der gegebenen Wirklich¬ keit vollzieht. Die Stellung des Menſchen innerhalb der Welt erſcheint damit gänzlich verändert. Seine anſcheinend paſſive Rolle hat ſich in Wahrheit als eine active enthüllt; wenn er ſich ſonſt beruhigt dem Bewußtſein überlaſſen konnte, daß er mit ſeinem Geiſte außerhalb der realen Welt, ihr gegenüber ſtehe, ſo muß er ſich nunmehr einge¬ ſtehen, daß er ſelbſt als ein empfindendes, denkendes Weſen zum Mindeſten eine Mitbedingung alles deſſen iſt, was ihm als Wirklichkeit erſcheint. Einestheils ſteigt er da¬ durch von ſeinem erhabenen, außerweltlichen Standpunkte herab, anderentheils erſcheint er in einer neuen, höheren Bedeutung. Es kann ihn mit Stolz erfüllen, daß ohne ihn dieſe ganze ungeheure Wirklichkeitserſcheinung nicht als vorhanden gedacht werden kann, und zugleich kann ihn eine Art Grauen überkommen, wenn er ſich lebhaft ver¬ gegenwärtigt, daß es ſein eigenes kleines Daſein iſt, auf welches das Daſein eines ſo Unermeßlichen geſtellt iſt. 27Bei alledem ſagt er ſich aber doch, daß die Welt in ihrem ſinnlichen Vorhandenſein nach wie vor für ihn dieſelbe iſt. Ob er durch ſeine ſinnliche Empfänglichkeit etwas zu er¬ halten meint, was gerade ſo, wie er es erhält, auch ab¬ geſehen von ſeiner ſinnlichen Empfänglichkeit als vorhanden gedacht werden könne, ob er begriffen hat, daß er von einem An-ſich-ſein der wahrgenommenen Dinge nicht reden kann, weil es doch immer nur ſeine eigenen Wahrnehmungen ſind, deren er ſich bewußt wird, ſo weiß er doch, daß er gleichſam nur die Thore der Sinne zu öffnen braucht, um der ſich mit voller ſinnlicher Gegenwart andrängenden Wirklichkeit gewiß zu werden. Mit ſeinem eigenen ſinn¬ lichen Daſein iſt ihm das ſinnliche Daſein der Dinge ge¬ geben; es iſt der Beſitz, der ihm mühelos zufällt, der un¬ erſchöpfliche Schatz, aus dem er mit ſeinen Sinnesorganen Erſcheinung auf Erſcheinung ſchöpft, der feſte nicht wan¬ kende Boden, auf dem ſich Alle zur Uebereinſtimmung ge¬ zwungen ſehen, die auf einen normalen Zuſtand ihres Organismus Anſpruch machen.

Der Menſch bedarf eines feſten Bodens unter ſich, eines Seienden, und wenn er daſſelbe nicht außer ſich finden kann, ſo ſucht er es in ſich. Schon die Art, in der der Satz von der Relativität des Seins formulirt zu werden pflegt, hat die Annahme zur Vorausſetzung, daß es ein Sein gebe, von dem man die Relativität ausſagen könne, und nirgend anders kann dieſes Sein gefunden werden, als in der ſinnlichen Vorſtellungswelt. Wenn unter dem zerſetzenden Einfluß ſkeptiſchen Sinnes alle28 Möglichkeit der Erkenntniß zweifelhaft wird, wenn kritiſches Nachdenken lehrt, daß das, was wir Wahrheit zu nennen berechtigt ſind, nirgends zu finden iſt, als in den jeweiligen Reſultaten, zu denen die geiſtige Thätigkeit des Menſchen, ſich immer erneuernd, ſich immer entwickelnd, bildend, zer¬ ſtörend und wieder bildend gelangt, ſo iſt der auf un¬ mittelbarer ſinnlicher Wahrnehmung beruhende Wirklich¬ keitsbeſitz, wenn er auch nach ſeinem bloßen Erſcheinungs¬ werthe anerkannt wird, der ſichere Halt innerhalb einer Welt des Seienden, welche ſich dem tieferen Nachdenken als ein mehr oder minder unſicherer Gedankenbeſitz dar¬ ſtellt. Hier erſcheint der Menſch in der That mehr em¬ pfangend als thätig; auch wenn er ſich darüber klar iſt, daß er die Vorſtellung einer gegenſtändlichen Welt mit allen ihren ſinnlichen Qualitäten der Function ſeiner Sinnes¬ werkzeuge verdankt, ſo empfängt er doch die Gewißheit dieſer ſinnlichen Wirklichkeit weniger als das Reſultat einer ſich in ihm und durch ihn vollziehenden Thätigkeit, als vielmehr als unmittelbar gegenwärtigen Eindruck, ſo¬ bald nur die ſinnliche Empfänglichkeit vorhanden iſt. Während jeder Schritt auf der Bahn des Wiſſens und Erkennens einen Aufwand von geiſtiger Energie erfordert, ſo fällt uns die Welt, ſoweit ſie ſinnlich wahrnehmbar iſt, gleichſam als Geſchenk zu, ſobald wir nur ins Leben ein¬ treten. Die Natur ſelbſt lehrt den Gebrauch der Sinne; das Denken bedarf der Unterweiſung. Was Wunder, daß wir auf feſtem Grund zu ſtehen meinen, ſolange wir den Boden ſinnlicher Wahrnehmung nicht verlaſſen? Zwar29 ſehen wir alle Möglichkeit einer Entwickelung des geiſtigen Lebens, einer Ausbildung der den Menſchen über ſeine Mitgeſchöpfe erhebenden Fähigkeiten an die Denkthätigkeit gebunden, aber wir können uns der Einſicht nicht ver¬ ſchließen, daß die Welt des Denkens in allen ihren Be¬ ſtandtheilen ein Erzeugniß menſchlicher Thätigkeit ſei, und durch keinerlei Autorität, die außerhalb dieſer Thätigkeit, über derſelben ſtände, gegen Irrthum, Zweifel und An¬ fechtung geſichert werden könne. In der Welt der Sinnes¬ wahrnehmungen dagegen, wenn auch ihre Möglichkeit an die Functionen der Sinnesorgane gebunden iſt, erſcheint doch ein Vorhandenes unmittelbar und ein für allemal gegeben. Die Welt, wie ſie ſich den Sinnen darſtellt, iſt die gegebene Welt aller Menſchen und aller Zeiten, ſie iſt das gemeinſame Erbtheil, welches uns allen zufällt, ohne daß wir uns darum zu bemühen brauchten; ſie iſt der feſte Grund und Boden, auf dem wir mit unſeren Mitgeſchöpfen ſtehen, von dem wir wiſſen, daß er derſelbe war für die vergangenen, daß er derſelbe ſein wird für die kommenden Geſchlechter; ſie iſt der Ausgangspunkt für den Erkenntniß ſuchenden Geiſt, und zugleich die letzte Inſtanz, auf die ſich dieſer zurückgewieſen ſieht, wenn er die Zuverläſſigkeit ſeiner Sätze gegen Zweifel und Anfechtung zu vertheidigen hat.

So hat die Welt des ſinnlichen Erſcheinens einen unbeſtrittenen Vorzug vor der Welt, die ſich aus geiſtigen Operationen aufbaut und in ihrem Sein an die Formen des Denkens gebunden iſt; ſie hat eine gewiſſe Würde, weil ihre Herkunft jenſeits der Sphäre alles menſchlichen30 Thuns und Denkens vorausgeſetzt werden zu müſſen ſcheint. Und dennoch iſt der Rang, den ſie in dem geſammten geiſtigen Sein des Menſchen einnimmt, nur ein unterge¬ ordneter. Ihr ganzes Verdienſt iſt ihr Vorhandenſein; ſie wahrnehmen iſt alles, was der Menſch zu thun hat, um ſich ihrer zu vergewiſſern. Wohl unterſcheiden ſich die Menſchen in Anſehung des Umfanges und der Klarheit ihres ſinnlich wahrgenommenen Wirklichkeitsbeſitzes; dieſe Unterſchiede beruhen aber doch nur auf Verſchiedenheiten in den niederen Regionen ſinnlich-geiſtiger Beanlagung; vielfach finden ſie auch in den zufälligen Verſchiedenheiten äußerer Umſtände ihre hinreichende Erklärung. Auch der reichſte und vollkommenſte Sinnesbeſitz läßt ſeinen Eigen¬ thümer nur auf einem ſehr niedrigen Standpunkt erſcheinen, ſo lange er nichts anderes bleibt, als Sinnesbeſitz. Die geiſtige Entwickelung des Menſchen beginnt erſt da, wo er aufhört, ſich bloß ſinnlich wahrnehmend zu verhalten, wo er anfängt, die ſinnlich wahrgenommene Wirklichkeit als ein gegebenes Material anzuſehen und gemäß den Forderungen ſeines Verſtandes zu bearbeiten, zu verwerthen, zu verwandeln.

Wie ſehr das Denken von dieſer Auffaſſung des Ver¬ hältniſſes zwiſchen Beſitz an Sinnenmaterial und geiſtiger Thätigkeit beherrſcht wird, zeigt ſich beſonders deutlich in den Unterſuchungen, die man über das ganze Gebiet der¬ jenigen pſychiſchen Vorgänge anſtellt, die in unmittelbarer Abhängigkeit von den Vorgängen in den Sinnesapparaten ſtehen. Ganz anders als die ältere Pſychologie behandelt31 die phyſiologiſche Pſychologie dieſe Probleme; die Einblicke, die man ihr in die Vorgänge verdankt, in denen das Wahrnehmungs - und Vorſtellungsleben auf den verſchiedenen Sinnesgebieten beſteht, ſind nicht hoch genug anzuſchlagen. Die Vorausſetzung aber iſt für die neue Methode keine andere, als ſie für die alte war. Die Vorſtellungen von den Dingen der Außenwelt ſind gegebene Größen; indem man ihre Entſtehung und Entwickelung auf dem Boden der ſinnlich-geiſtigen Natur des Menſchen zu verfolgen und aufzuhellen bemüht iſt, zweifelt man nicht daran, daß man in ihnen ein beſtimmtes in ſich abgeſchloſſenes Gebiet des inneren Lebens vor ſich habe. Man belehrt denjenigen, der in den Vorſtellungen gleichſam nur das geiſtige Spiegel¬ bild eines ſinnlich Vorhandenen ſieht, über die unendliche Complication pſychophyſiſcher Vorgänge, auf denen die Geſtaltung einer Vorſtellung beruht, aber man unterſcheidet ſich inſofern nicht von ihm, als man ſo gut wie er in der vorhandenen Vorſtellungswelt diejenige Form des Wirk¬ lichkeitsbewußtſeins ſieht, welche das gegebene unveränder¬ liche Material für die höheren geiſtigen Operationen bildet.

Es liegt hier ein Mißverſtändniß des wirklichen Sach¬ verhalts vor, welches nicht weniger verhängnißvoll iſt, als das Mißverſtändniß, welches der naiv-realiſtiſchen Meinung zu Grunde liegt. Und zudem iſt es ſchwerer, dieſes zweite Mißverſtändniß zu zerſtören, als jenes erſte. Es erſcheint ſo conſequent, an die Stelle der Dinge, die uns nur in unſeren Vorſtellungen bekannt werden können, eben die Vorſtellungen von den Dingen zu ſetzen, und das Object32 unſerer geiſtigen Operationen nicht mehr in der Wirklich¬ keit ſchlechthin, ſondern in der als Erſcheinung, Vorſtellung gegebenen Wirklichkeit zu erblicken. Man geräth da nur aus einem Dogmatismus in den anderen und bleibt zu¬ dem in dem ſonderbaren Irrthum befangen, daß man geiſtige Thätigkeit und Objecte einer geiſtigen Thätigkeit ſich als zweierlei Dinge gegenüberſtellen könne, während geiſtige Thätigkeit abgeſehen von einem ſogenannten Object, und ein ſogenanntes Object abgeſehen von einer geiſtigen Thätig¬ keit ganz unverſtändliche Worte ſind.

In der That ſtehen der Annahme, daß dem ewig veränderlichen geiſtigen Beſitz gegenüber das ſinnliche Phä¬ nomen der Welt eine gegebene Größe ſei, erhebliche Be¬ denken entgegen. Wenn wir ſagen, daß das Denken die Vorſtellungen beherrſcht, ſie als den ihm zu Gebote ſtehen¬ den, vorhandenen Stoff behandelt, ſie vor das Forum des Bewußtſeins citirt, um ſie zu ordnen und in unabläſſiger Arbeit in denjenigen Zuſammenhang zu bringen, in welchem ſie dem erkenntnißbedürftigen Geiſt Genüge zu thun geeignet ſind, ſo dürfen wir doch nicht vergeſſen, daß wir uns nur einer bildlichen Ausdrucksweiſe bedienen. Sobald wir näher zuſehen, müſſen wir uns eingeſtehen, daß das Bild eher geeignet iſt, den thatſächlichen Vorgang zu verhüllen, als denſelben anſchaulich zu machen. Denn ſobald wir verſuchen, das, was wir als ſich gegenüberſtehend betrachten, die Welt des Denkens und die Welt der ſinnlichen Vor¬ ſtellungen zu trennen und geſondert zu betrachten, ſo finden wir zwar auf der Seite des Denkens die beſtimmten Werthe33 der Begriffe, auf Seite der Vorſtellung aber keinerlei be¬ ſtimmten Werth, ſondern wechſelnde, gleichſam fließende Bewußtſeinszuſtände. Wir ſind ſo ſehr gewöhnt, uns in der Welt an dem Leitfaden des Denkens zurecht zu finden, daß wir die Hülfloſigkeit gar nicht ſehen, der wir preis¬ gegeben ſind, wenn wir es verſuchen, uns nicht denkend, ſondern nur vorſtellend zu verhalten. Selbſt wenn wir etwas ganz Beſtimmtes, Individuelles nehmen, ſei es eine Perſon oder ein Gegenſtand, was finden wir in unſerem Bewußtſein vor, wenn wir unſer Augenmerk auf das richten, was nun eigentlich den Inhalt, die ſinnliche Subſtanz deſſen bildet was wir durch das Wort zu bezeichnen meinen? In unendlich abgeſtuften Deutlichkeitsgraden wird derſelbe Gegenſtand immer als ein anderer in unſer vorſtellendes Bewußtſein treten, von der hellſten Gegenwärtigkeit bis zu nahezu verſchwindender Erinnerung. Ueber dieſes Leben der Vorſtellungen hat keinerlei Denken irgend eine Macht. Wenn ich ſage: der Baum iſt grün, ſo berührt dies die Unendlichkeit der Vorſtellungsmöglichkeiten, in denen ein grüner Baum in meinem Bewußtſein vorkommen kann, gar nicht. Und ſo iſt es durchgehends. Auch muß es einer irrigen Meinung über die inneren Vorgänge Vor¬ ſchub leiſten, wenn man dieſelben ſo vorführt, daß Em¬ pfindungen zu Wahrnehmungen zuſammentreten, Wahr¬ nehmungen zu Vorſtellungen ſich ſteigern, aus Vorſtellungen Begriffe ſich entwickeln. Man geht davon aus, daß die Entwickelung von Empfindung zu Wahrnehmung, von Wahrnehmung zu Vorſtellung, von Vorſtellung zu BegriffFiedler, Urſprung. 334diejenige ſei, die ſtattfinden müſſe, damit der Menſch zu einem klaren und umfaſſenden Wirklichkeitsbewußtſein ge¬ langen könne. Man ſetzt voraus, daß die vollſtändige ſinnliche Aneignung eines Dinges vorhanden ſein müſſe, damit die Gewißheit ſeines Seins in die Form des Be¬ griffs eingehen und ein Gegenſtand des Denkens werden könne. Aber abgeſehen davon, daß im Begriff etwas ganz anderes dem Bewußtſein zugeführt wird, als das ſinnliche Daſein der Dinge, muß auch jedes Bemühen, zur Voll¬ ſtändigkeit einer beſtimmten ſinnlichen Aneignung eines Gegenſtandes zu gelangen, anſtatt auf Bildung eines Be¬ griffs hinauslaufen zu müſſen, dieſelbe vielmehr ausſchließen; denn in demſelben Augenblick, in dem der Begriff von dem Bewußtſein Beſitz ergreift, erfährt jenes ſinnliche Bemühen eine Unterbrechung und vermag erſt dann wieder in ſeine Rechte einzutreten, wenn das begriffliche Denken aus dem thätigen Bewußtſein verſchwunden iſt.

Noch einer anderen irreführenden Anſchauung iſt hier zu gedenken. Man pflegt die Entwickelung des geiſtigen Lebens bei dem einzelnen Menſchen ſo aufzufaſſen, als ob ſie von ſinnlicher Gebundenheit zu geiſtiger Freiheit führe; man nimmt an, daß das ſinnlich Gegebene in einen geiſtigen Beſitz verwandelt werde. Nichts, ſcheint es, kann ſinn¬ licher, körperlicher ſein, als das Material der Welt, das uns als etwas Bekanntes umgiebt, zu dem wir ſelbſt mit unſerer ganzen Leiblichkeit gehören. Nichts kann geiſtiger, ſozuſagen ſubſtanzloſer erſcheinen, als der Begriff, durch den wir die Körperwelt gleichſam beherrſchen. Aber wir35 dürfen nicht vergeſſen, daß nichts Sinnlich-Körperliches anders gegeben ſein kann, als in Empfindung, Wahr¬ nehmung, Vorſtellung, Vorkommniſſen, die wir doch in unſere geiſtige Natur verlegen. Das, was als das Aller¬ körperlichſte ſich erweiſt, z. B. der Widerſtand der Materie, muß ein Geiſtiges ſein, wenn es überhaupt vorhanden ſein ſoll; und ebenſo muß auch jedes Geiſtige, ſei es ein Ge¬ fühltes, ein Vorgeſtelltes, ein Gedachtes, zugleich ein Körper¬ liches ſein, da es ſonſt nicht wahrnehmbar, mit anderen Worten, nicht vorhanden ſein könnte. Wenn wir verſuchen, das, was wir als unſeren vornehmſten geiſtigen Beſitz zu betrachten gewohnt ſind, den Begriff, als ein Reſultat, als ein Produkt aufzufaſſen, ſo finden wir, daß ſich hier keines¬ wegs ein Vorgang vollzieht, der von einem materiell, ſub¬ ſtanziell Gegebenen zu einem ganz Körperloſen, nur geiſtig Vorhandenen führte: im Gegentheil, der vorausgeſetzte Vorgang könnte uns eher umgekehrt erſcheinen; denn ſeinen Urſprung müſſen wir in jenen geheimnißvollen Regionen des geiſtigen Lebens ſuchen, in denen aus Em¬ pfindungszuſtänden zuerſt das Bewußtſein eines Seienden aufdämmert; am Ende ſehen wir das ſinnlich feſte Ge¬ bilde des Begriffszeichens, in welchem nicht der Träger des irgendwie geiſtig vorhandenen Begriffs, ſondern dieſer Begriff ſelbſt ins Daſein tritt. Wir irren ſehr, wenn wir dem Reiche des gegenſtändlich Vorhandenen ein Reich des Denkens gegenüberſtellen, dem wir eine rein geiſtige Beſchaffenheit zuſchreiben; vielmehr ſteht in dem Sprach¬ material, aus dem das Reich des Denkens beſteht, etwas3*36recht ſinnlich Beſtimmtes einer Welt von Bewußtſeinszu¬ ſtänden, Empfindungen, Wahrnehmungen, Vorſtellungen gegenüber, die uns noch eher die Täuſchung vorſpiegeln könnten, als ob in ihnen etwas ſogenannt rein Geiſtiges gegeben ſei.

Es iſt nicht zu leugnen, daß die Verführung ſehr nahe liegt, während wir uns in dem Element der Sprache, der Worte bewegen, die ſinnliche Thätigkeit, die dabei ſtatt¬ findet, zu überſehen. Gerade in der Sprache ſcheint der menſchliche Geiſt zu ſeiner eigenſten, freieſten, von aller ſinnlichen Bedingtheit losgelöſten Bethätigung zu ge¬ langen. Das was wir den Inhalt eines Wortes zu nennen pflegen, ſteht in ſeinem Umfange, ſeiner Weite ganz außer allem Verhältniß zu dem geringen ſinnlichen Volumen des Lautgebildes. Dieſes wird eng begrenzt, jener weit umfaſſend erſcheinen; wir werden meinen, daß ſich mit der ſinnlich ſo unſcheinbaren Thatſache eines Wortes etwas mit demſelben ganz incommenſurables Gei¬ ſtiges verbinde. Schon bei Bezeichnungen einfacher, nahe liegender Gegenſtände, als etwa Tiſch, Haus, Baum und dergleichen, muß dies auffallen; um wie viel mehr bei Worten, wie Sonne, Himmel, Welt, oder gar bei Aus¬ drücken wie Tugend, Unſterblichkeit, Unendlichkeit und an¬ deren ähnlichen. Muß es uns nicht ſo vorkommen, als ob wir gleichwie mit Taſten ſchlummernde Töne aus den Saiten eines Inſtrumentes, ſo mit den Sprachlauten un¬ endliche Reihen geiſtiger Bildungen aus dem leiblichen Organ erweckten? Es hat ja in der That etwas Geheim¬37 nißvoll-Wunderbares, wie in dem Augenblick, in welchem ein Wort, etwas an ſich ſo Unbedeutendes und Geringes, in das Bewußtſein tritt, wie dann ganz plötzlich, wie aus einem Banne erlöſt, Bilder auf Bilder ſich vor die Seele drängen, wie eine unendliche ſinnliche Mannichfaltigkeit, nahe und entfernte geiſtige Beziehungen, Erinnerungen und Ahnungen, dies alles in dem kleinen, unſcheinbaren Wort enthalten zu ſein und ſich von ihm aus über unſer Be¬ wußtſein zu ergießen ſcheint. Es iſt nur zu begreiflich, daß uns das Wort wie ein geiſtiger Herrſcher erſcheint über das ganze Reich deſſen, was überhaupt als Seiendes in unſer Bewußtſein treten kann.

Aber wir ſahen, daß der Werth der Sprache, als des Denkſtoffes, gar nicht darauf beruhen kann, daß wir in ihr eine Vertretung von Dingen oder von Vorſtellungen beſäßen; daß wir ſomit nicht Dinge oder Vorſtellungen, ſondern immer nur Worte denken. Wir überzeugten uns, daß wir uns einer ſehr uneigentlichen Ausdrucksweiſe be¬ dienen, wenn wir Denken und Erkennen als eine Thätig¬ keit bezeichnen, die in irgend einem Vorhandenen ihr Ob¬ ject hat; daß wir in allem Denken und Erkennen nur eine Form deſſen beſitzen, was wir als Sein zu bezeichnen berechtigt ſind. Damit ändert ſich das Verhältniß, in das wir Denken und Vorſtellungen zu einander zu bringen gewöhnt ſind. Es kann von keinem Verhältniß der Unter¬ ordnung mehr die Rede ſein. Wir müſſen uns durchaus von der Meinung frei machen, nach der für die Erfaſſung des Seins in unſerer ſinnlichen Wahrnehmungs - und Vor¬38 ſtellungsfähigkeit eine Art Vorſtufe gegeben ſei, während es dem Denken und der Erkenntniß vorbehalten bleibe, dieſes ſelbe Sein erſt nach ſeinem wahren Weſen zu einem geiſtigen Beſitz zu machen. Wenn wir nun gleichwohl ein Abhängigkeitsverhältniß zwiſchen Denken und Vorſtellen thatſächlich beobachten, wenn wir ſehen, wie ſich an Be¬ griffe, an Denkvorgänge, Vorſtellungsvorgänge anknüpfen, wie umgekehrt mit Vorſtellungen, mögen ſie auf unmittel¬ barer Wahrnehmung oder auf Reproduction beruhen, Worte, Begriffe, Denkoperationen in das Bewußtſein treten, ſo werden wir darin doch eben nichts anderes ſehen, als eine thatſächliche Zuſammengehörigkeit ſo verſchiedener Vorgänge oder Vorkommniſſe in unſerem Bewußtſein. Worauf dieſe Zuſammengehörigkeit beruht, dies zu unterſuchen, iſt hier nicht der Ort; jedenfalls aber müſſen wir dieſelbe nicht nur als eine pſychiſche, ſondern auch als eine phyſiſche Zuſammengehörigkeit auffaſſen und zwar nicht nur in dem Sinne, daß in Folge eines durchgehenden Parallelismus zwiſchen geiſtigen und leiblichen Vorgängen, da wo ein geiſtiger Zuſammenhang vorliege, auch auf einen Zu¬ ſammenhang leiblicher Natur geſchloſſen werden müſſe. Das Zugeſtändniß eines nothwendigen Parallelismus zwiſchen geiſtigen Vorgängen und Vorgängen im leiblichen Organ ſchließt nicht aus, daß man im Grunde doch nur an ein zeitweiliges, gezwungenes Zuſammenſein zweier in ihrem inneren Weſen getrennter unvereinbarer Elemente glaubt. Man ſpricht von dieſer Zuſammengehörigkeit unter der Vorausſetzung, daß körperliche und geiſtige Vorgänge ver¬39 ſchiedenen Sphären des Seins angehörten, von denen jede für ihren Theil eine geſonderte Betrachtung zuließe. Man giebt zu, daß jede Arbeit des Geiſtes ſich unſerer Wahr¬ nehmung zugleich als eine körperliche Leiſtung ankündigt, daß alles geiſtige Thun zugleich eine Bethätigung des leib¬ lichen Organismus ſei, daß die Reſultate des leiblich¬ geiſtigen Thuns, der Stoff, die Beſtandtheile des ſoge¬ nannten geiſtigen Lebens ſelbſt, durchaus nicht als bloße geiſtige Werthe, ſondern in ſinnlicher Form vorhanden ſeien. Wir mögen ja aus dem ungeheuren Bereiche des Seienden nehmen, was wir wollen, das Fernſte, wie das Nächſte, das Umfaſſendſte, wie das Beſchränkteſte, das Allgemeinſte, wie das Einzelnſte, immer wird es ſich heraus¬ ſtellen, nicht nur als ein unſerem Bewußtſein unmittelbar angehöriges Geiſtiges, ſondern zugleich als ein uns ebenſo unmittelbar angehöriges Sinnlich-Körperliches. Indeſſen ſieht man doch immer noch ein Zweierlei, wo im Grunde nur ein Einerlei vorhanden iſt. Man hat da nur erſt den halben Weg zurückgelegt, der von der Annahme einer dualiſtiſchen Sonderexiſtenz von Geiſt und Körper zu der Einſicht führt, daß eine Trennung dieſer beiden ſogenannten Beſtandtheile unſerer Natur, in denen wir den größten aller vorhandenen Gegenſätze anerkennen zu müſſen glauben, überhaupt für uns ganz unrealiſirbar iſt. Kein körper¬ licher Vorgang kann nur gleichſam der Träger ſein eines geiſtigen Werthes, der von ihm verſchieden wäre; es iſt immer nur ein und derſelbe Vorgang, ein körperlicher, weil es in der menſchlichen Natur keinen geiſtigen Vorgang40 geben kann, der nicht ein körperlicher wäre, und ein geiſtiger, weil es keinen körperlichen Vorgang geben kann, der für uns anders als in geiſtiger Form vor¬ handen ſein könnte. Alle Sinnlichkeit, Körperlichkeit, Leiblichkeit kann für uns nur in den mannichfachen Vor¬ gängen und Formen des Empfindens, Wahrnehmens, Vor¬ ſtellens, Denkens vorhanden ſein, während wir uns, und wenn wir auch nur den kleinſten Theil dieſes ſogenannten geiſtigen Lebens ſuchen und finden wollen, ganz ausſchlie߬ lich auf ein in ſinnlicher Form Vorhandenes angewieſen ſehen. In dem ganzen weiten Reiche des Geiſtigen ver¬ mögen wir ſchlechterdings nichts zu finden, was nicht körperlich-ſinnlicher Natur wäre; nichts, was wir Theile unſeres geiſtigen Beſitzes nennen, kann anders geboren werden, als in leiblicher Geſtalt. Es iſt ein trügeriſcher Schein, der uns vortäuſcht, es ſei überhaupt eine Trennung, auch nur eine gedachte Trennung zwiſchen Geiſtigem und Sinnlichem möglich. Das, was dem reinſten geiſtigen Gebiet anzugehören ſcheint, irgend eine von aller Möglich¬ keit ſinnlicher Wahrnehmung weit abliegende Abſtraction, etwas, was je nach dem philoſophiſchen Standpunkt den Einen das höchſte Sein, den Anderen gar kein Sein mehr darſtellt, ein Begriff, wie etwa Unendlichkeit, was iſt das anderes als das ſehr ſinnliche Gebilde eines Wortes? Und wenn wir das auch zugeben, aber einwenden, daß durch ſo ein Wort, wie durch eine Zauberformel ein Reich unabſehbaren geiſtigen Seins erſchloſſen wird, ſo brauchen wir nur genauer hinzuſehen, um uns zu überzeugen, daß41 alles, was über die engen ſinnlichen Schranken der Wort¬ form hinauszugehen, was dem Ausdruck die Tiefe des geiſtigen Inhalts, die Weite des geiſtigen Umfanges zu geben ſcheint, ſich doch immer wieder als ein Sinnliches, ſei es Wort, Bild, Gefühl erweiſen muß. Was auch immer ein Wort vor das Forum unſeres Bewußtſeins ruft, mögen es Begriffe, Vorſtellungen, Empfindungen, Gefühle ſein, was es auch ſein mag, es kann nicht anders in der ſo¬ genannten geiſtigen Sphäre des Begriffes auftreten, als indem es ſich als ſinnlicher Vorgang an die ſinnliche That¬ ſache des Wortes anſchließt. Jene ſogenannte geiſtige Sphäre des Wortes iſt thatſächlich nicht größer als ſeine ſinnliche Sphäre. Es iſt durchaus falſch, zu ſagen, daß wir uns mit der phyſiſchen Leiſtung, an die unſer pſychiſches Leben gebunden iſt, ein geiſtiges Reich erſchlöſſen, daß alle ſinnlichen Vorkommniſſe unſeres ſogenannten geiſtigen Lebens, wie Wort, Zeichen, Bild, Ton, Geberde nur Sym¬ bole eines Geiſtigen ſeien; es ſind das Reminiscenzen veralteter Anſchauungen. Jedes Vorkommniß bedeutet nur ſich ſelbſt, und der Schein, daß es eine Bedeutung beſitze, die von ihm verſchieden ſei und es überrage, beruht darauf, daß ſich auf dem Wege der Aſſociation andere Vorkomm¬ niſſe mit ihm verbinden, die ebenſowenig wie es ſelbſt einem vorgeblichen, in Wahrheit ganz undenkbaren geiſtigen Reiche angehören, und die auch nur wiederum ſich ſelbſt bedeuten können.

Haben wir eingeſehen, einestheils, daß unſer Bewußt¬ ſein nicht als ein Ort zu betrachten iſt, an welchem das42 Wirklichkeitsmaterial für das Denken nur ſo ſchlechthin zu finden wäre, ſo daß dieſes jedes Einzelne nur zu bezeichnen brauchte, um das geſammte in der Vorſtellung gegebene Sein in diejenige Form zu bringen, die ſeinen eigenen Geſetzen entſpräche; anderentheils daß die in unſerem Be¬ wußtſein auftretenden und mehr oder weniger die Denk¬ vorgänge begleitenden ſinnlichen Wahrnehmungs - und Vor¬ ſtellungsvorgänge ſo wenig eine rein geiſtige Exiſtenz haben können, wie das Denken ſelbſt: ſo vermögen wir das, was wir das ſinnliche Phänomen der Wirklichkeit nennen, un¬ befangener zu prüfen.

Wir ſehen, daß man verhältnißmäßig leicht zu der Einſicht in die Phänomenalität der ſinnlichen Wirklichkeit gelangt, und daß man ſich dabei beruhigt, an die Stelle einer an ſich vorhandenen Welt eine vorgeſtellte Wirklich¬ keit zu ſetzen. Man ſtreift damit aber keineswegs allen Trug ab, in dem man ſich ſozuſagen naturgemäß befindet. Gleichwie man ſich ſchwer von der Ueberzeugung losmacht, daß das Wort, der Begriff etwas vertrete, bedeute, was auch abgeſehen von Wort und Begriff vorhanden ſei, ſo bleibt im Grunde doch auch die Meinung beſtehen, daß alle Wahrnehmung und Vorſtellung doch nur Kunde, oft¬ mals mangelhafte und trügeriſche Kunde gebe von etwas, was unabhängig von allen Wahrnehmung und Vorſtellung exiſtire. Dieſes iſt ein Irrthum ſo gut wie jenes. Es giebt für uns kein ſinnliches Sein, welches nicht Wahr¬ nehmung und Vorſtellung wäre, und alles Verhältniß von Wahrnehmung und Vorſtellung zur Wirklichkeit iſt doch43 immer nur wieder ein Verhältniß von Wahrnehmung und Vorſtellung zu Wahrnehmung und Vorſtellung; darüber hinaus werden wir niemals gelangen können. Wir ſind alſo in Betreff der geſammten ſinnlichen Wirklichkeit auf das angewieſen, was wir als ſogenannten pſychiſchen Be¬ ſitz in unſerem wahrnehmenden beziehentlich vorſtellenden Bewußtſein finden. Wir können nun nicht annehmen, daß dieſer pſychiſche Beſitz nur ſo in der Luft ſchwebe und als etwas Immaterielles uns zu theil werde. Sowenig irgend eine Wahrnehmung oder Vorſtellung auf anderen als ſinn¬ lichen Wegen in unſer Bewußtſein gelangen kann, ebenſo¬ wenig kann ſie in anderer Form in unſerem Bewußtſein exiſtiren, als in der Form eines ſinnlichen Vorganges. Bedenken wir, daß das geſammte Wahrnehmungs - und Vorſtellungsleben in keiner anderen Weiſe vorhanden ſein kann, als in Vorgängen, denen unſer ſinnlicher Organis¬ mus unterworfen iſt, ſo werden wir leicht begreifen, daß unſere Vorſtellungen nicht als etwas fertig Vorhandenes, in unſer Bewußtſein Eintretendes und aus ihm wieder Verſchwindendes angeſehen werden können, ſondern als etwas Werdendes, Entſtehendes und Vergehendes. Wir hören nun auf, das Vorhandenſein der Vorſtellungen ſo auf Treu und Glauben hinzunehmen; wir ſehen ein, daß unſer ganzer Vorſtellungs - und ſomit Wirklichkeitsbeſitz ſich nicht weiter erſtreckt als über die Vorgänge, die im einzelnen Augenblick in uns, an uns ſtattfinden können; daß in jedem Augenblick die ganze Welt, die wir unſer nennen können, vergeht und in jedem Augenblick wiederum44 neu entſteht, daß wir mit Anderen nicht in derſelben Welt leben, ſondern daß jeder in einer anderen Welt lebt, ja daß für den Einzelnen die Welt eines Augenblicks nicht dieſelbe irgend eines anderen Augenblicks ſein kann.

War durch die Einſicht in den relativen Charakter alles Seins die Wirklichkeit, die uns ſo unabhängig gegen¬ überzuſtehen ſchien, aufgelöſt worden in eine Wirklichkeit, deren Sein nur durch unſere Vorſtellung möglich wurde, ſo erſcheint nun durch die Einſicht in die Unmöglichkeit der Exiſtenz von Vorſtellungen als vorhandener geiſtiger Beſtandtheile unſeres Bewußtſeins auch die Wirklichkeit als Vorſtellung aufgelöſt in ein unendlich mannichfaches und ewig wechſelndes Geſchehen, deſſen Schauplatz unſer ſinnlicher Organismus iſt. Hatten wir auf die Frage, wo nun eigentlich die Wirklichkeit ſei, antworten müſſen, in unſeren Vorſtellungen: ſo müſſen wir auf die weitere Frage, wo nun dieſe Vorſtellungen ſind, antworten: ſie ſind als dauernde Gebilde überhaupt nicht nachweisbar, ihr Sein beſteht in einem Entſtehen und Vergehen.

Es iſt gewiß nicht leicht, dieſe Conſequenz zuzugeben. Man mag ſich der Einſicht fügen, daß in uns ſelbſt eine der Bedingungen liegt, von denen das Vorhandenſein alles deſſen abhängt, was ſich als ſeiend darſtellt. Damit ſcheint an und für ſich der Charakter des Seins als eines dauern¬ den Zuſtandes nicht aufgehoben. Aber es muß dem ſo¬ genannten geſunden Menſchenverſtande doch nahezu abſurd vorkommen, angeſichts der uns umgebenden Wirklichkeit, von der wir ſelbſt nur ein ſo verſchwindender Theil ſind,45 die uns umgiebt und uns überdauert in ihrer materiellen Beſtändigkeit, in der ganzen Fülle ihrer Geſtaltungen, in dem ganzen Reichthum ihrer Erſcheinungsweiſen, von dieſer ſo unwiderleglich wirklichen Welt zu ſagen, ſie ſei nicht nur in der Möglichkeit des Seins an das Vorhandenſein unſeres Bewußtſeins gebunden, ſondern ihr geſammtes Sein beſtehe aus nichts anderem als aus den ewig wechſelnden, entſtehenden und vergehenden Formen, welche die ununter¬ brochene ſinnlich-geiſtige Thätigkeit unſeres Bewußtſeins aufweiſe. Indeſſen wer ſich auf den geſunden Menſchen¬ verſtand beruft, ſollte bedenken, daß die Sphäre deſſelben nicht die Wahrheit, ſondern das Compromiß iſt. Die Ge¬ wißheit der Wirklichkeit iſt keine auf Gründen ruhende Ueberzeugung, ſondern ein hergebrachter Glaube. Wenn man aufgehört hat, an die abſolute Realität der gegen¬ ſtändlichen Welt zu glauben, ſo glaubt man an das Vor¬ handenſein einer als Vorſtellung gegebenen Welt. Dieſer Glaube genügt ſo gut wie jener vollkommen zum praktiſchen Leben, und ſogar zu dem größten Theil der theoretiſchen Be¬ ſchäftigungen. Das ſkeptiſche Nachdenken muß aber dieſen Glauben ſo gut zerſtören wie jenen. Die verlorene Ge¬ wißheit muß auf andere Weiſe wieder gewonnen werden; denn es gilt, daß nur derjenige zu wahrer Gewißheit ge¬ langen kann, der auf dem Punkt geſtanden hat, wo ſich ihm alles Sein in Trug, alle Gewißheit in Zweifel auf¬ zulöſen ſchien.

Erſt wenn wir den Glauben an eine in Wirklichkeit oder als Vorſtellung gegebene Welt als einen Irrthum46 erkannt haben, erſcheint jede dogmatiſche Befangenheit, in der ſich das Bewußtſein in Betreff der ſogenannten Wirk¬ lichkeit zu befinden pflegt, geſchwunden. Wir ſehen ein, daß, wenn wir eine Sache taſten, dieſelbe doch nur darum auf Sein Anſpruch machen kann, weil ſich aus den Em¬ pfindungen des Widerſtandes die Vorſtellung eines feſten Körpers entwickelt; und wenn eine Sache als Erinnerung in uns auftaucht, ſo begreifen wir, daß dieſe Erinnerung ebenſogut eine Form des Seins dieſer Sache iſt, wie die allerkörperlichſte Gegenwart. Und ferner, ſo wenig wir, wenn wir eine Sache unmittelbar mit den Sinnen wahr¬ nehmen, auf den Gedanken kommen werden, daß hier ein doppeltes Sein vorliege, eins des Gegenſtandes, eins der Wahrnehmung, ebenſowenig wird es für uns, wenn wir eine Sache vorſtellen oder denken, noch einen Sinn haben, dieſem gedachten oder vorgeſtellten Sein das wirkliche Sein der Sache gegenüberzuſtellen. Denn wir werden uns darüber klar ſein, daß, da alles Sein nothwendigerweiſe ein wahrgenommenes, vorgeſtelltes, gedachtes iſt, wir aber nicht gleichzeitig zweierlei Zuſtände in unſerem Bewußtſein haben können, von dem Sein, welches die Form der un¬ mittelbaren Wahrnehmung hat, in dem Augenblick nicht mehr die Rede ſein kann, wo das Sein in der Form der Vorſtellung erſcheint; und ebenſo daß das Sein in der Form einer im Bewußtſein erſcheinenden Vorſtellung unter¬ geht, wenn an die, Stelle dieſer die unmittelbare Wahr¬ nehmung tritt.

An die Stelle des Seins tritt ſo ein beſtändiges47 Werden; in jedem Augenblicke ſtehen wir dem Nichts gegen¬ über, und in jedem Augenblick erzeugt ſich das, was wir als ſeiend, als wirklich bezeichnen dürfen. Wollen wir uns dieſe Einſicht, dieſe Ueberzeugung lebendig und gegen¬ wärtig erhalten, ſo bedürfen wir unzweifelhaft nicht ge¬ ringer Kraft und Selbſtſtändigkeit. Es iſt uns jeder feſte Halt genommen, den uns die Annahme einer gegebenen, ſei es von uns unabhängigen, ſei es von uns abhängigen Wirklichkeit bot, und wir ſehen uns mit unſerem ganzen Wirklichkeitsbewußtſein auf ein Geſchehen angewieſen, wel¬ ches ſich nicht außer uns, ſondern in uns, durch uns er¬ eignet.

Hieraus folgt dann auch, daß wir das Sein irgend eines Gegenſtandes und ſomit der geſammten Wirklichkeit nicht als an einen beſtimmten einheitlichen Entwickelungs¬ proceß in unſerem Bewußtſein gebunden erachten können, ſondern daß dieſes Sein thatſächlich ein mannichfaltiges iſt, und daß den verſchiedenen Stoffgebieten, in die es ge¬ mäß der Verſchiedenheit unſerer ſinnlichen Empfindungs¬ fähigkeit zerfällt, ſehr verſchiedene Arten des Wirklichkeits¬ bewußtſeins entſprechen. Wir mögen annehmen, daß die thatſächliche Mannichfaltigkeit der ſinnlichen Geſtaltung des Seins ein gemeinſames und an ſich gleichartiges Wirklich¬ keitsmaterial vorausſetze, an dem ſich die verſchiedenartige ſinnliche Thätigkeit vollziehe. Wir mögen dies annehmen; nachweiſen können wir es nicht. Denn da wir von keinem Sein wiſſen können, welches nicht in irgend einer Form in unſerem Bewußtſein exiſtirte, ſo müßten wir eine Form48 nachweiſen können, in der ſich jenes vorausgeſetzte, aller ſinnlichen Specialiſirung zu Grunde liegende, ſelbſt noch nicht ſpecialiſirte Sein darſtellte. Wir mögen noch ſo tief in die Gründe hinabzudringen ſuchen, aus denen ſich die Mannichfaltigkeit unſeres Wirklichkeitsbewußtſeins wie aus einem gemeinſamen Urſprung entwickelt was wir über¬ haupt noch wahrnehmen können, ſind ſchon ſpecialiſirte Formen und jenſeits derſelben liegt überhaupt nichts Wahr¬ nehmbares mehr, ſondern mit einer Verdunkelung des Be¬ wußtſeins das Ende aller Wahrnehmung. Von dem Sein eines Gegenſtandes in dem Sinne einer ſinnlichen Einheit¬ lichkeit und Geſammtheit könnte alſo offenbar nur für Organismen die Rede ſein, die auf einer ſehr tiefen Ent¬ wickelungsſtufe verharren: wo ſich die erſten Anfänge ſinn¬ licher Empfindung nachweiſen laſſen, da mag man voraus¬ ſetzen, daß das geſammte Sein eines Gegenſtandes an ein einziges Bewußtſeinsmaterial gebunden iſt. Schon wo zu der Empfindung des Widerſtandes die erſten Spuren der Lichtempfindung treten, fällt die Möglichkeit eines einheit¬ lichen Seins weg und es tritt eine Vervielfachung ein, die niemals wieder zu einer Einheit werden kann. Zu je höheren Formen ſich die Organismen entwickeln, deſto mehr differenzirt ſich die ſinnliche Empfindung und mit ihr das Bewußtſeinsmaterial, in welchem ſich das Sein darſtellt. Wir könnten meinen, eine einheitliche Zuſammen¬ faſſung des Seins müſſe wenigſtens dem Menſchen, als dem höchſt organiſirten Weſen möglich ſein, da er ſonſt Begriffe wie Wirklichkeit, Sein gar nicht würde bilden49 können. Aber mit dieſen Begriffen befindet man ſich be¬ reits auf dem ſehr ſpeciellen Gebiet, welches ſich in dem discurſiven Denken darſtellt, und ſehr weit entfernt von anderen Wirklichkeitsgebieten, zu deren Entwickelung das Denken unfähig iſt.

Löſt ſich nun das Sein der Dinge in eine ſtoffliche Mannichfaltigkeit auf, inſofern die Vorkommniſſe, die wir thatſächlich in unſerem Bewußtſein conſtatiren können, ſo¬ bald ein Seiendes in ihm auftritt, ſtofflich ſehr verſchieden ſind, ſich als taſtbar, hörbar, ſichtbar, denkbar u. ſ. w. kundgeben: ſo kommt dazu noch eine Mannichfaltigkeit der Entwickelungsſtadien, inſofern auf jedem einzelnen Stoff¬ gebiete dasjenige, was ſich uns als ſeiend darſtellt, in ungemein verſchiedenen Abſtufungen von Deutlichkeit und Lebendigkeit, Beſtimmtheit und Geſtaltung auftreten kann. Halten wir uns das immer gegenwärtig, ſo werden wir zu einem Poſitivismus gelangen, der ganz anderer Art iſt, als derjenige, deſſen ſich die moderne Denkweiſe rühmt. Denn da alles Vorhandene ſich uns als zurückgeführt ent¬ hüllt auf die Art der Vorgänge, die in uns, an uns, durch uns ſtattfinden, ſo werden wir vor allen anderen geiſtigen Operationen, denen wir irgend ein Vorhandenes unterwerfen, uns Rechenſchaft darüber geben, an welcherlei Vorgänge unſeres ſinnlich-geiſtigen Lebens ſein Daſein gebunden iſt.

Fiedler, Urſprung. 4
[50]

3.

Die Einſicht, daß ſich unſer geſammter ſinnlicher Wirk¬ lichkeitsbeſitz auf Wahrnehmungs - und Vorſtellungsvor¬ kommniſſe beſchränkt, die nicht einen gleichmäßig dauernden Zuſtand, ſondern ein Kommen und Gehen, ein Entſtehen und Verſchwinden, ein Werden und Vergehen darſtellen dieſe Einſicht führt uns dazu, in der Wirklichkeit nicht nur ein flüchtiges, ſondern auch ein vielfach unentwickeltes oder verkümmertes Gebilde zu erkennen. In Anſehung der wunderbaren, formen - und farbenreichen Welt, in der wir leben, die unſere Sinne bald auf das Kleine und Nahe feſtbannt, bald in die Ferne lockt, um ihnen das Größte zugänglich zu machen, die ſich bald in feſteſter ſtofflicher Gegenwart aufdrängt, bald in anſcheinend ſtoffloſeſter Er¬ ſcheinung ſich doch immer noch als ſinnlich vorhanden er¬ weiſt, in Anſehung dieſer Welt, die wir als etwas ſo un¬ begreiflich Kunſtreiches und Vollendetes erkennen, mag es uns ſchwer werden, dies zuzugeben. Aber wir ſind in Betreff des Zuſtandes unſeres ſogenannten ſinnlichen Wirk¬ lichkeitsbeſitzes nicht geringeren und nicht weniger ver¬51 borgenen Täuſchungen unterworfen, als die ſind, gegen die wir auf dem Gebiete unſerer ſogenannten geiſtigen Operationen beſtändig auf der Hut ſein müſſen.

Ueber manche Beſchränkungen, denen unſere ſinnliche Auffaſſungsfähigkeit unterliegt, täuſchen wir uns freilich nicht. Wir wiſſen recht gut, daß wir das, was ſich unſeren Sinnen zunächſt als ein zuſammengeſetztes und mannich¬ faltiges Ganzes darbietet, zerſtören müſſen, ſobald wir es näher zu ergreifen trachten. Nur ſo lange wir unſere Aufmerkſamkeit in einem gewiſſen Mittelſtadium der Stärke erhalten, vermögen wir einen combinirten Sinneseindruck von einigem Umfange als ein Ganzes aufzufaſſen. Suchen wir die Intenſität der ſinnlichen Wahrnehmung zu ſteigern, ſo ſehen wir uns gezwungen, von dem Ganzen auf ſeine Theile überzugehen, und je genauer wir wahrzunehmen ſuchen, deſto mehr ſcheint ſich der Umfang deſſen zuſammen¬ zuziehen, was wir noch wahrnehmen können. Auf der anderen Seite müſſen wir auch den qualitativ gemiſchten Sinneseindruck in ſeine Beſtandtheile auflöſen, um ihm näher zu kommen; jeder Verſuch, das, was ſich als ein ſinnlich Vielfaches in einer gewiſſen Entfernung zeigt, uns in ſeinem geſammten ſinnlichen Reichthum nahe und immer näher zu bringen, muß mißlingen. Indem wir die ſinn¬ liche Mannichfaltigkeit eines Eindrucks als ſolche zu er¬ faſſen und uns anzueignen ſuchen, vermögen wir doch nur eine einzelne Sinnesqualität zu ergreifen. Zu Gunſten dieſer einen treten die anderen zurück; ja ſie werden bis zu beinahe gänzlichem Verſchwinden aus der Wahrnehmung4*52vertrieben, je intenſiver wir uns den Eindruck der einen Sinnesqualität zu machen vermögen.

Dieſen beſchränkenden Bedingungen iſt das Vor¬ ſtellungsleben in ganz gleicher Weiſe unterworfen, ob es auf unmittelbarer Sinneswahrnehmung oder auf Repro¬ duktion von Vorſtellungen im Bewußtſein beruht. Man könnte meinen, daß dieſe Beſchränkungen auf der Be¬ ſchaffenheit der Sinnesorgane ſelbſt beruhten, wo deren Thätigkeit durch die unmittelbare Gegenwart der wahr¬ genommenen Gegenſtände gefordert werde; man könnte in Folge deſſen vorausſetzen, daß dieſe Schranken nicht vor¬ handen wären, wo das Bewußtſein anſcheinend der vollſten geiſtigen Freiheit genießt, wo es unabhängig von unmittel¬ barer Thätigkeit der Sinnesorgane, nicht beſtimmt durch das Vorhandenſein der Dinge ſelbſt, über einen ſcheinbar unbegrenzten Reichthum von Vorſtellungen verfügt. Auch hier aber kehrt der Zwang wieder, das unſer vorſtellendes Bewußtſein jeweilig Erfüllende ſeinem Umfang nach in demſelben Maße zu beſchränken, in dem es zur Lebendig¬ keit, Klarheit, Deutlichkeit geſteigert werden ſoll; auch hier vermögen wir nicht, alle ſinnlichen Seiten einer Vor¬ ſtellung gleichzeitig in den Vordergrund unſeres Bewußt¬ ſeins zu bringen; vielmehr ſehen wir einen Wettſtreit zwiſchen dieſen ſinnlichen Qualitäten eintreten, der bald von äußeren Umſtänden, bald auch von unſerem Willen abhängt. Dies kann ja auch nicht anders ſein; denn ob die Vorgänge, in denen unſer Vorſtellungsleben beſteht, angeregt werden durch äußere Reize oder durch innere,53 ſie ſelbſt bleiben doch immer denſelben Bedingungen unter¬ worfen.

Alle dieſe Thatſachen ſind uns, wie geſagt, hinläng¬ lich bekannt; ſie kommen uns auf Schritt und Tritt zum Bewußtſein; wir werden aus ihnen aber nicht den Schluß ziehen, daß ſie uns nur eine mangelhafte ſinnliche Kennt¬ niß der uns umgebenden Welt geſtatten. Wir wiſſen, daß uns das, was uns gleichzeitig zu thun verſagt iſt, nach einander mühelos gelingt, und daß wir ſo das Mittel be¬ ſitzen, durch welches wir zur Vollſtändigkeit der ſinnlichen Auffaſſung gelangen. Es ſind viel verborgenere und nicht ſo mühelos zu überwindende Schranken unſerer Natur, die wir im Sinn haben, wenn wir behaupten, der Menſch laſſe ſich, ihm ſelbſt unbewußt, an einem ſehr unvollkom¬ menen und unentwickelten Weltbild genügen.

Jene Vollſtändigkeit der ſinnlichen Auffaſſung, zu der wir gelangen zu können vermeinen, iſt im Grunde doch nur eine ſcheinbare; ſie iſt in Wahrheit nicht vorhanden; ſie ſtellt ſich nicht als ein beſtimmtes nachweisbares Ge¬ bilde dar; ſie iſt eine Annahme, eine Vorausſetzung, die wir in unſerem Bewußtſein nicht realiſiren können. Ver¬ gegenwärtigen wir uns unſeren eigenen Zuſtand, an den jene angebliche Vollſtändigkeit der ſinnlichen Auffaſſung auch nur eines einzelnen Gegenſtandes gebunden iſt, ſo ſehen wir uns einem Herumirren unſerer Sinne an dem Gegenſtand preisgegeben. Heften wir unſere Aufmerkſam¬ keit auf die einzelne Sinnesqualität, ſo endet unſer Be¬ mühen in Rathloſigkeit. Die ſinnliche Sicherheit und54 Beſtimmtheit kommt uns bei dem Verſuch der Iſolirung eines einzelnen Sinnes gar bald abhanden, und wir ſuchen Zuflucht bei den anderen Sinnen, um die volle Gewißheit des ſinnlichen Vorhandenſeins des wahrgenommenen oder vorgeſtellten Gegenſtandes wiederzugewinnen. Suchen wir dagegen unſere Aufmerkſamkeit auf die in einem Gegen¬ ſtand ſich darbietende ſinnliche Geſammtheit zu concentriren, ſo entſchwindet uns wiederum die Geſammtheit unter den Händen, und ohne es zu wollen, erfaſſen wir doch immer nur einen einzelnen Theil aus dem ſinnlichen Complex. Aus jener allmähligen ſinnlichen Kenntnißnahme, in der wir das einzige Mittel erblickten, zu einer Vollſtändigkeit der ſinnlichen Aneignung irgend eines Gegenſtandes zu gelangen, entwickelt ſich alſo keineswegs ein Beſitz in unſerem Bewußtſein, in dem ſich dieſe ſinnliche Vollſtän¬ digkeit darſtellte; vielmehr finden wir unſer Bewußtſein in Anſehung ſeines ſinnlichen Beſitzes in einem ziemlich hülf¬ loſen Zuſtande, inſofern es ſich genöthigt ſieht, wenn es nur überhaupt die ſinnliche Gewißheit nicht verlieren will, beſtändig von einem Sinnesgebiet zum anderen zu eilen, um dieſes alsbald wieder zu Gunſten des nächſten zu ver¬ laſſen. Da die verſchiedenen Sinnesgebiete immer zu gegenſeitiger Ablöſung bereit ſind, ſo unterliegen wir leicht der Täuſchung, als könne uns eine ſinnliche Vollſtändigkeit gegeben ſein. Sind wir aber einmal auf jenes Sachver¬ hältniß aufmerkſam geworden, ſo können wir uns der An¬ ſicht nicht verſchließen, daß das Daſein irgend eines ſinn¬ lich wahrnehmbaren oder vorſtellbaren Gegenſtandes nicht—55 an eine beſtimmte Form gebunden iſt, ſondern ſich in jener willkürlichen und beſtändig wechſelnden Concurrenz ſeiner verſchiedenen ſinnlichen Qualitäten erſchöpft.

Wie es nun aber um die Geſtaltung eines ſinnlich Vorhandenen nach den einzelnen Seiten ſeiner ſinnlichen Beſchaffenheit beſtellt iſt, das werden wir am beſten er¬ kennen, wenn wir eine beſtimmte Seite dieſer Beſchaffen¬ heit, die Sichtbarkeit, ins Auge faſſen. Wir kommen hier auf das eigentliche Thema der vorliegenden Unterſuchungen. Hatte es ſich in dem Vorhergehenden um das Eingeſtänd¬ niß gehandelt, daß wir in einer Täuſchung leben, ſolange wir meinen, ein Sinnlich-Wirkliches als ein Sinnlich - Vollſtändiges in irgend einem Gebilde unſeres Bewußtſeins beſitzen zu können: ſo handelt es ſich nun um den Nach¬ weis, daß auch ein ſichtbarer Gegenſtand eben dieſer ſeiner Sichtbarkeit nach uns als ein zu endgültiger Entwickelung gelangtes Geſichtsbild ſo ohne weiteres nicht angehören könne. Und daraus wird ſich, wie wir ſehen werden, die natürliche Folgerung ergeben, daß der Menſch eine Ent¬ wickelung ſeiner Geſichtsbilder zu höheren Graden des Vorhandenſeins nur einer Thätigkeit verdanken könne, durch welche ſichtbar nachweisbare Gebilde hervorgebracht werden, und daß dieſe Thätigkeit keine andere als die künſtleriſche ſei.

Zwar wiſſen wir, daß im gewöhnlichen Leben und bei vielen Beſchäftigungen, wo ſich die Aufmerkſamkeit auf das Ausſehen der Dinge nach dem Bedürfniß richtet, dieſes Geſichtsbild deshalb ein mangelhaftes, oberflächliches, un¬ entwickeltes bleibt, weil damit dem Bedürfniß vollſtändig56 genügt iſt. Auch räumen wir ein, daß Verſchiedenheiten der individuellen Anlage dem Einen die Erlangung eines genauen und lebendigen Geſichtsbildes leichter, dem Anderen ſchwerer erſcheinen laſſen. Immerhin nehmen wir von jedem normal Organiſirten an, daß es in ſeinem Belieben liege, ſich einen Gegenſtand nach ſeiner ſichtbaren Seite hin zum höchſten Grade anſchaulicher Deutlichkeit und Ge¬ wißheit zu bringen. Bei gewiſſen geiſtigen Thätigkeiten betrachten wir die Vollſtändigkeit und höchſte Genauigkeit der durch den Geſichtsſinn zu erlangenden anſchaulichen Kenntniß der Dinge als eine ſelbſtverſtändliche Voraus¬ ſetzung. Dies iſt bei beſtimmten Gattungen der künſtleri¬ ſchen Thätigkeit, auf beſtimmten Gebieten der wiſſenſchaft¬ lichen Forſchung der Fall. Und auch da, wo ſich die Aufmerkſamkeit nicht um einer Thätigkeit willen auf die ſichtbare Seite der Dinge richtet, ſondern nur etwa aus einem ſentimentalen Bedürfniß, wird ein Zweifel daran nicht zuläſſig erſcheinen, daß die Arbeit des Sehens an den Gegenſtänden vollſtändig geleiſtet ſei. Und wo es ſich nicht um direkte Wahrnehmung handelt, ſondern um Vor¬ ſtellungen, die vor unſer Bewußtſein treten, ſo wiſſen wir, daß uns bei jeder Unſicherheit, bei jeder Lücke die Zuflucht zur direkten Wahrnehmung offen ſteht, und daß hier jeder Zweifel gelöſt, jede Lücke ergänzt wird.

Indem wir ſo auf einem ganz ſicheren ſinnlichen Boden zu ſtehen meinen, unterliegen wir einer ziemlich complicirten Täuſchung, die daraus entſpringt, daß wir den ſinnlichen Beſitz, den uns das Sehen liefert, nicht aus57 den mannichfachen andersartigen Verbindungen zu löſen gewöhnt ſind, in denen er zu einem Elemente unſeres geiſtigen Lebens wird. Denn einestheils meinen wir, ihn zurückführen zu können auf ein Wirklichkeitsvorbild, welches ſein Daſein ganz anderen ſinnlich-ſeeliſchen Vorgängen ver¬ dankt, anderentheils glauben wir, ihn in unſerem Bewußt¬ ſein zu realiſiren, wenn wir ihn doch thatſächlich in einen Beſitz ganz anderer Natur verwandeln. Beides bedarf näherer Erörterung.

Einer ſehr gebräuchlichen Ausdrucksweiſe zufolge können wir das Vorhandenſein von etwas, was wir durch das Auge wahrnehmen, auch durch andere Sinne feſtſtellen; können wir das nicht, ſo erſcheint uns das, was uns das Auge zeigt, als eine trügeriſche Vorſpiegelung. Wir ſagen, daß wir das, was wir ſehen, auch taſten und in Folge deſſen wägen und meſſen, daß wir es vielleicht hören oder ſchmecken oder riechen können. Dieſe Ausdrucksweiſe iſt deshalb irreführend, weil man das, was man ſieht, jeden¬ falls durch die Thätigkeit keines anderen Sinnes wahr¬ nehmen kann, als durch die des Geſichtsſinnes. Man kann mit derſelben nur meinen, daß man alle dieſe Opera¬ tionen an einem vorausgeſetzten Gegenſtand vornimmt, welcher auch der Gegenſtand des Geſehenwerdens iſt. Denn es kann ja unmöglich das Sichtbare ſein, was anderweitig wahrgenommen wird; es würde ja eben nicht das Sicht¬ bare ſein, wenn außer dem Geſehenwerden noch etwas Anderes mit ihm geſchehen könnte. Sprechen wir aber von einem ſichtbaren Gegenſtande, der eben derjenige iſt,58 den wir auch anderweitig ſinnlich wahrnehmen, ſo nehmen wir ſtillſchweigend darauf keine Rückſicht, daß, wenn man die ſinnlich wahrnehmbaren Eigenſchaften abzieht, ein Gegen¬ ſtand als Träger derſelben nicht mehr übrig bleibt. Wir ſtehen alſo, wenn wir eine dem Gebiete des Geſichtsſinnes angehörige Wahrnehmung oder Vorſtellung auf eine Wirk¬ lichkeit zurückführen zu können meinen, vor folgendem Dilemma: entweder wir führen die Wahrnehmung oder Vorſtellung auf etwas zurück, was einem ganz anderen Sinnesgebiet angehört, als dem des Geſichtsſinnes, d. h. wir verdrängen das, was uns der Geſichtsſinn liefert, aus unſerem Bewußtſein und erſetzen es durch etwas, was wir einem ganz anderen Sinn verdanken; oder wir greifen ſo¬ zuſagen ins Leere, indem wir uns auf eine Wirklichkeit beziehen, die zwar für den Geſichtsſinn, aber doch abgeſehen von den Wahrnehmungen und Vorſtellungen des Geſichts¬ ſinnes vorhanden wäre; denn das Vorhandenſein eines Sichtbaren kann eben nur in ſeinem Geſehen - oder als geſehen Vorgeſtellt-werden beſtehen. Es kann ſich bei dem Sehen gar nicht darum handeln, das ſubjective Geſichts¬ bild einem objectiven, durch den Geſichtsſinn wahrnehm¬ baren Beſtand gleich zu machen. Wäre dies der Fall, ſo würde freilich jeder normal Organiſirte zu einer voll¬ ſtändigen, mit der Wirklichkeit übereinſtimmenden Geſichts¬ vorſtellung gelangen können, ja gelangen müſſen. Aber ſobald wir genauer prüfen, was wir eigentlich thun, wenn wir zwiſchen einem Richtigſehen und einem Falſchſehen unterſcheiden, wenn wir mit der größten Sicherheit darüber59 urtheilen, ob eine Geſichtswahrnehmung oder Vorſtellung mit der Wirklichkeit übereinſtimmt oder nicht, ſo gewahren wir, daß es eben nicht die ſichtbare Wirklichkeit iſt, an der wir prüfen, ob unſer Auge Recht hat oder im Irr¬ thum befangen iſt. Wenn uns das Auge die Exiſtenz von etwas vorſpiegelt, was nicht vorhanden iſt, ſo bezieht ſich dieſes Nichtvorhandenſein nicht auf das, was wir ſehen, denn das iſt eben vorhanden, ſondern auf das, was wir niemals ſehen können; mit der Geſichtswahrnehmung treffen gewiſſe andere ſinnliche Wahrnehmungen nicht zuſammen, deren Concurrenz wir zu fordern pflegen, um von Wirk¬ lichkeit reden zu können. Bemerken wir, daß unſer Auge uns über die Lage eines Gegenſtandes im Raume täuſcht, ſo können wir nicht meinen, daß unſer Auge den Gegen¬ ſtand an einem anderen Orte wahrnehme, als wo er ſicht¬ bar ſei; denn der Gegenſtand kann nur an dem Orte ſicht¬ bar ſein, wo er von dem Geſichtsſinn wahrgenommen wird; vielmehr können wir nur ſagen, daß das Auge den Gegenſtand an einem anderen Orte ſieht, als wo ihn z. B. der Taſtſinn fühlt.

Auch das Verhältniß der Form eines Gegenſtandes, ſofern dieſelbe von dem Auge wahrgenommen oder vor¬ geſtellt wird, zu der Form, die wir durch andere Mittel feſtſtellen können, unterliegt manchen Unklarheiten und Mißverſtändniſſen. Im gewöhnlichen Leben ſchwankt die Kenntniß, die wir von der Form eines Gegenſtandes haben, zwiſchen den Nachrichten, die uns der Geſichtsſinn, und denen, die uns der Taſtſinn über dieſe Form giebt. 60Je genauere Kenntniß wir aber haben wollen, deſto weniger ziehen wir den Geſichtsſinn zu Rathe, und deſto mehr ver¬ laſſen wir uns auf den Taſtſinn; und wenn wir im eigent¬ lichſten Sinne von der Form eines Gegenſtandes reden, ſo iſt überhaupt von einem Antheil des Geſichtsſinnes nicht mehr die Rede, vielmehr meinen wir die taſtbare, meßbare, berechenbare Form. Dieſe wird uns zum Ma߬ ſtab für die Richtigkeit des Sehens, und wir fragen uns, ob wir die Form ſo ſehen, wie ſie ſich in ihrer taſtbaren, greifbaren Wirklichkeit verhält; iſt dies der Fall, ſo ſind wir überzeugt, eine richtige und vollſtändige Geſichtsvor¬ ſtellung von der Form des Gegenſtandes zu haben. Nun beſteht zwiſchen dem Geſichtsſinn und dem Taſtſinn inſo¬ fern eine Beziehung, als aus den Daten, die jener liefert, auf die körperliche Form, und umgekehrt aus den Daten, die dieſer liefert, auf die ſichtbare Geſtalt geſchloſſen werden kann. Wenn man nun von dem, was das Auge zeigt, auf die Form ſchließt, die ſich dem Taſtſinn darbieten wird, und man findet dieſen Schluß beſtätigt, ſo bedient man ſich doch eines ſehr irreführenden Ausdrucks, indem man ſagt, daß man richtig geſehen habe; denn die Richtigkeit, auf die man hier den Werth legt, kann man eben nicht ſehen, ſondern nur durch den Taſtſinn wahrnehmen. Es beſteht gar keine Aehnlichkeit zwiſchen der Formvorſtellung, die in das Gebiet des Geſichtsſinnes, und derjenigen, die in das Gebiet des Taſtſinnes gehört; und ſo kann auch die eine nicht zum Vorbild oder Maßſtab der anderen dienen. So ſagt man ja auch, daß der Geſichtsſinn zur61 Auffaſſung von Formen, namentlich complicirter Art, kein geeignetes und hinreichendes Organ ſei, und unterſcheidet dabei nicht hinlänglich, daß die Form, die überhaupt eine ſichtbare Form iſt, nur dem Geſichtsſinn verdankt werden kann, daß aber die Form, deren Entſtehung auf anderen Sinneswahrnehmungen beruht, mit der ſichtbaren Form gar nichts zu thun hat. Es hat gar keinen Sinn, zu ſagen, das Auge vermöge der Form der Dinge nicht vollſtändig gerecht zu werden, während man dieſe Form mit der höchſten Genauigkeit meſſen und berechnen könne. Als ob es eine Form ſchlechthin gäbe, und als ob die verſchie¬ denen Sinnesorgane nur die mehr oder minder geeigneten Werkzeuge wären, ſich dieſe Form anzueignen. Was kann es der Form, die durch und für das Auge entſteht, nützen, wenn eine Form feſtgeſtellt wird, die gar nicht als eine ſichtbare in unſer wahrnehmendes und vorſtellendes Be¬ wußtſein treten kann?

Es iſt nicht überflüſſig, hier noch einiger Mißver¬ ſtändniſſe zu gedenken, denen man wohl begegnet. Man kann die Behauptung aufſtellen hören, für die Wiedergabe ſowohl der ſtereometriſchen als auch der auf eine Fläche projicirten Form eines Körpers ſei ein mechaniſches Ver¬ fahren wie in jenem Falle das der Abformung, in dieſem das der Photographie, das zuverläſſigſte Mittel. Nun iſt klar, daß, wenn ich einen Gegenſtand abforme, ich damit zwar einen zweiten taſtbaren und auch ſichtbaren Gegen¬ ſtand, keineswegs aber einen Ausdruck des Geſichtsbildes herſtelle, welches ich von dem Gegenſtand empfange. Ich62 habe nun eben zwei Gegenſtände, die in ihrer taſtbaren, meßbaren, berechenbaren Form übereinſtimmen mögen, von denen beiden ich aber die Form, wie ſie dem Auge er¬ ſcheint, eben nur dem Auge, nicht aber einer Abformung verdanken kann. Wer aber meint, daß die Photographie dieſes Geſichtsbild in der untrüglichſten Weiſe liefere, weil wohl das Auge, nicht aber eine Maſchine irren könne, der muß von der Vorausſetzung ausgehen, daß der Vorgang, durch den im menſchlichen Auge und Gehirn das Geſichts¬ bild entſteht, ganz dem gleiche, durch den im photographi¬ ſchen Apparat das photographiſche Product zu Stande kommt; eine Vorausſetzung, die im Ernſte Niemand machen kann. Im Grunde kann auf photographiſchem Wege doch nur etwas hergeſtellt werden, was eben keine Geſichtsvor¬ ſtellung iſt, ſondern wovon wir uns erſt eine Geſichtsvor¬ ſtellung bilden müſſen. Beſteht zwiſchen einem photo¬ graphiſchen und einem anderweitig hergeſtellten Gegenſtand, wie bei Schriften, Drucken, planimetriſchen Figuren, Zeich¬ nungen u. ſ. w. und den nach ihnen angefertigten Nach¬ bildungen eine Uebereinſtimmung in ihrer anderweitigen Beſchaffenheit, ſo werden Original und Nachbildung das¬ ſelbe Geſichtsbild liefern. Wo aber dieſe Uebereinſtimmung nicht vorhanden iſt, da wird die Photographie kein treues Abbild des Originals ſein, vielmehr wird eben das Original ganz anders ausſehen als das Nachbild.

Bei anderen in das Bereich der Sichtbarkeit gehörigen Qualitäten der Dinge, wie Farben, Unterſchieden von hell und dunkel, Glanz u. ſ. w. iſt ein mißverſtändliches Zu¬63 rückführen von dem, was nur geſehen werden kann, auf etwas, was nicht geſehen werden kann, weniger leicht mög¬ lich. Auch hier freilich meinen wir, auf einem ganz ſicheren Boden zu ſtehen, indem wir das Urtheil über die Richtig¬ keit oder Unrichtigkeit der ſubjectiven Sinneswahrnehmung in ein objectives Vorhandenſein deſſen zu verlegen pflegen, was wahrgenommen werden ſoll. Aber es kann doch wenigſtens darüber kein Zweifel obwalten, daß es nur ein Sichtbares ſein kann, an dem wir die Richtigkeit des Sehens prüfen, und da dieſes Sichtbare keine andere Exiſtenz beſitzt, als ſein Geſehen - und als geſehen Vorge¬ ſtellt-werden, ſo läuft jene Prüfung auf die Unterſuchung der Uebereinſtimmung oder Nichtübereinſtimmung nicht zwiſchen Wahrnehmung und Vorſtellung einerſeits, einem objectiv Vorhandenen andererſeits, ſondern zwiſchen den Wahrnehmungen und Vorſtellungen der verſchiedenen Indi¬ viduen hinaus. Wieweit eine ſolche Feſtſtellung der Ueber¬ einſtimmung oder Nichtübereinſtimmung möglich iſt, ge¬ hört nicht hierher.

Wenn wir einer Täuſchung unterliegen, indem wir für die Vollſtändigkeit und Richtigkeit unſerer Geſichts¬ wahrnehmungen oder Vorſtellungen als ſolcher einen Ma߬ ſtab an etwas zu haben meinen, was ſich als gar nicht durch den Geſichtsſinn wahrnehmbar oder vorſtellbar er¬ weiſt, ſo verfallen wir in eine ähnliche Täuſchung, indem wir Geſichtswahrnehmungen oder Vorſtellungen für das Geſammtleben unſeres Bewußtſeins in einer Form reali¬ ſiren, die aus ganz anderem Stoffe beſteht, als dem durch64 den Geſichtsſinn gelieferten. Bekanntlich unterſcheidet man in dem Proceß, von dem man annimmt, daß er ſtattfinden müſſe, damit eine Wahrnehmung oder Vorſtellung zu Stande kommen könne, das Stadium der Perception und das der Apperception. Der Eintritt des Bildes in den weiteren Kreis des wahrnehmenden Bewußtſeins ſchließt eine gewiſſe Undeutlichkeit nicht aus; das Bild befindet ſich gleichzeitig mit anderen in dieſem weiteren Umkreis; dadurch aber, daß das Bild appercipirt, d. h. in den Blickpunkt des Bewußtſeins, in das eigentliche Centrum der Aufmerkſamkeit gehoben wird, erlangt es ſeine volle Klarheit und Deutlichkeit. Damit erſcheint der Proceß des Wahrnehmens und Vorſtellens abgeſchloſſen. Wir beſitzen nun zwar etwas; aber es erſcheint uns als ein todter, werthloſer Beſitz, wenn wir es nicht als Anregung zu einem mannichfaltigen Gefühlsleben oder als Stoff des Denkens und Erkennens in unſerem ſeeliſchen und geiſtigen Daſein verwenden. Dieſe letzteren Vorgänge, in denen ſich unſer bewußtes Leben entwickelt, knüpfen ſich unzweifelhaft an die Wahrnehmungen beziehentlich Vor¬ ſtellungen an, ja wären ohne dieſelben gar nicht möglich, aber ſie wären auch wiederum nicht möglich, wenn nicht in ihnen ein Verlaſſen jener ſtattfände. Es iſt die Enge des Bewußtſeins ſelbſt, die es mit ſich bringt, daß durch diejenigen geiſtigen Operationen, die in das Bewußtſein treten, um aus einer Wahrnehmung oder Vorſtellung einen beſtimmten Werth für unſer Gefühlsleben oder für unſere Erkenntnißthätigkeit zu machen, die Wahrnehmung oder65 Vorſtellung ſelbſt aus dem Bewußtſein verdrängt wird. Indem wir uns darüber nicht Rechenſchaft zu geben pflegen, meinen wir, die uns als Thatſache unſerer Wahrnehmung und Vorſtellung gleichſam von ſelbſt zufallende Bedeutung des ſogenannten ſinnlichen Daſeins uns in einem höheren Sinne angeeignet zu haben, während wir doch von dieſem ſinnlichen Daſein im Augenblick ſeiner vorgeblichen höheren Aneignung in unſerem Bewußtſein nichts mehr vorzufinden vermögen.

Beides, ſowohl die Zurückführung einer ſinnlichen Qualität, wie derjenigen der Sichtbarkeit, auf ſinnliche Quali¬ täten, die nicht ſichtbar ſind, als auch der Uebergang von den Wahrnehmungen und Vorſtellungen des Geſichtsſinnes auf die Gebiete des Gefühlslebens und der Denkthätigkeit ſind uns vollkommen geläufige, für die Entwickelung unſeres Wirklichkeitsbewußtſeins nach vielen Richtungen hin auch durchaus unentbehrliche Vorgänge. Da ſie uns aber über die Beſchaffenheit unſerer Geſichtswahrnehmungen und Vor¬ ſtellungen in einer gewohnheitsmäßigen Täuſchung erhalten, ſo vermögen wir dieſe Täuſchung nur dadurch zu zerſtören, daß wir unſeren ſichtbaren Wirklichkeitsbeſitz aus jenen Verbindungen, die er beſtändig in unſerem Bewußtſein einzugehen verſucht, löſen. Erſt dann haben wir es wirk¬ lich und ausſchließlich mit einem ſichtbaren Sein zu thun. In Betreff der Welt, ſofern ſie ein Gegenſtand der Er¬ kenntniß iſt, machen wir ja tagtäglich die Erfahrung, daß die Sicherheit, mit der wir ſie zu beſitzen meinen, immer von neuem dadurch erſchüttert wird, daß das Mittel derFiedler, Urſprung. 566Erkenntniß, die Denkthätigkeit, zu erneuter Energie ſich ſteigert; das Leben der Erkenntniß beſteht in einem be¬ ſtändigen Suchen nach dem unerſchütterlichen Boden der Wahrheit; die endgültige Beruhigung bei irgend einem Erreichten würde ihr Tod ſein. Und auch den ſichtbaren Beſitz der Welt können wir auf keine andere Weiſe prüfen und uns immer von neuem erringen als durch das Sehen ſelbſt; kein anderes ſinnliches Mittel kann uns dazu ver¬ helfen, kein Taſten, kein Wägen, kein Meſſen, noch auch irgend ein Fühlen, Denken und Erkennen.

Wenn wir es nun verſuchen, die Kraft unſeres Be¬ wußtſeins auf den Geſichtsſinn zu concentriren, wenn wir alle Energie aufwenden, um das, was wir ſehen, nicht zum Object eines anderen Sinnes zu machen, uns ſeiner namentlich nicht, was ja ſehr nahe liegt, als etwas Greif¬ baren zu verſichern, ihm keinerlei Einwirkung auf unſer Gefühlsleben zu geſtatten, noch auch endlich es zu benennen, und als Begriff zu faſſen: ſo werden wir zunächſt gewahr werden, daß uns dieſer Zuſtand keineswegs ein gewohnter und natürlicher iſt. Ja unter allen Erſcheinungen, die wir in dem Leben unſeres Geiſtes beobachten, unter allen Anſtrengungen, die wir dieſem zumuthen, findet dieſes ausſchließliche Beharren bei der dem Geſichtsſinn ſich dar¬ bietenden Erſcheinung der Dinge keinen Platz; wo es uns begegnen mag, da ſcheint es uns eher eine Hemmung, als eine Förderung des inneren Lebens zu bedeuten. So ſehr ſind wir gewohnt, den geſammten Wirklichkeitsſtoff, den uns das Auge liefert, anſtatt uns um ſeiner ſelbſt67 willen um ihn zu bemühen, anderen Gebieten unſeres ſeeliſchen und geiſtigen Lebens zuzuführen. Nur dann aber, wenn wir dieſer Gewohnheit zu widerſtehen vermögen, wenn wir die Thätigkeit des Geſichtsſinnes iſoliren, und mit ihr gleichſam den ganzen jeweiligen Raum unſeres Bewußtſeins ausfüllen, nur dann werden uns die Dinge dieſer Welt als ſichtbare Erſcheinungen im eigentlichen Sinne entgegentreten.

Wer es verſucht, ſich auf dieſen Standpunkt zu ver¬ ſetzen, der wird die Erfahrung machen, daß er um die ſcheinbare Sicherheit gekommen iſt, mit der er die ſichtbare Erſcheinung der Dinge zu beherrſchen meinte, während er ſie doch thatſächlich aufgab. An die Stelle jener Sicher¬ heit wird ein ſehr deutliches Gefühl der Unſicherheit treten.

Jetzt erſt wird ihm die eigenthümliche und ſelbſtſtändige Bedeutung des Sehens klar zu werden anfangen. Hatte ihm das Sehen nur gedient, um ihm Kunde zu geben von einem gegenſtändlichen Vorhandenſein, welches ſich auch anderweitig ſinnlich conſtatiren laſſe und ſo den unerſchütter¬ lichen Boden des ſinnlich Vorhandenen bilde, ſo beginnt er nun, zu begreifen, daß das Sehen überhaupt erſt gleich¬ ſam zu ſich ſelbſt kommen könne, wenn jede Beziehung auf eine in jenem Sinne wahrzunehmende Gegenſtändlich¬ keit aus ihm verſchwunden ſei. Er wird zum erſten Mal die Möglichkeit wahrnehmen, das Sehen um ſeiner ſelbſt willen zu treiben, und indem ſich dadurch eine ganz neue Bahn für die Entwickelung ſeines Wirklichkeitsbewußtſeins vor ihm aufthut, muß er zugleich ſeine Kräfte prüfen,5*68wie weit dieſelben ihn befähigen, auf dieſer Bahn vorzu¬ dringen. Es handelt ſich für ihn ja nicht mehr um das bloße Wahrnehmen eines ſichtbar Vorhandenen, ſondern um die Entwickelung und Bildung von Vorſtellungen, in denen ſich die Wirklichkeit allererſt darſtellt, ſofern ſie eine ſichtbare Wirklichkeit ſein kann. Er befindet ſich dem gegen¬ über, was er Wirklichkeit zu nennen gewohnt iſt, in einer ſehr veränderten Stellung; alles körperlich Feſte iſt ihm entzogen, da es eben nichts Sichtbares iſt, und der alleinige Stoff, in dem ſich ſein Wirklichkeitsbewußtſein geſtalten kann, ſind die Licht - und Farbenempfindungen, die er ſeinem Auge verdankt. Das ganze ungeheure Reich der ſichtbaren Welt enthüllt ſich ihm nun angewieſen in ſeinem Beſtand auf den zarteſten, gleichſam unkörperlichſten Stoff, in ſeinen Formen auf die Bildungen, zu denen der Ein¬ zelne jenen Stoff zuſammenwebt. Er begreift, daß, indem er ſieht oder Geſehenes vorſtellt, in dem Bereiche ſeines Geſichtsſinnes nichts anderes vorhanden iſt, als die ſich entwickelnde Geſichtsvorſtellung, und daß es, wenn er nichts ſieht oder nicht Geſehenes vorſtellt, keinen Sinn hat, von einer ſichtbaren Wirklichkeit als etwas Vorhandenem zu ſprechen. Wird ſo auf der einen Seite die ſichtbare Welt zu einem Gebilde, zu dem nichts, was wir ſonſt als ſtoff¬ lich beſtimmt, körperlich begrenzt zu betrachten gewohnt ſind, irgend etwas beiträgt, ſo ſehen wir auf der anderen Seite ein, daß es uns, um zur Beſtimmtheit und Klar¬ heit, zum Wiſſen deſſen, was wir ſehen, zu gelangen, gar nichts nützt, wenn wir von dem, was wir ſehen, auf etwas69 ſchließen, was nicht mehr dem Gebiet des Geſichtsſinnes angehört. Wenn wir etwas mit dem Geſichtsſinn wahr¬ nehmen und wiſſen, welche körperliche Form es hat, wie groß es iſt, aus was es beſteht, was es iſt, welche Wir¬ kungen von ihm ausgehen u. ſ. w., kurz was man nur von einem Gegenſtand wiſſen kann, ſo berechtigt uns das noch nicht zu der Meinung, daß wir wüßten, wie der Gegenſtand ausſieht. Ja wenn wir ſein Ausſehen be¬ ſchreiben und dadurch des Geſichtseindruckes uns ſo recht eigentlich bewußt zu werden meinen, unterliegen wir dennoch einer Täuſchung; denn in demſelben Augenblicke, in dem wir das Geſehene ausſprechen, iſt es nicht mehr ein Ge¬ ſehenes; in dem ſprachlichen Ausdruck führen wir etwas in das Bewußtſein ein, was nicht aus dem Stoff beſteht, der durch die Geſichtsempfindung geliefert wird, und daher, anſtatt der Entwickelung des Geſichtsbildes zu Gute zu kommen, dieſelbe vielmehr unmöglich macht. Auch gleicht dieſe Art, ſich von einem Geſichtseindruck Rechenſchaft zu geben, einem Nothbehelf; ſie ſtellt ſich da ein, wo das ſehende Bewußtſein unfähig iſt, ſich über ſich ſelbſt Rechen¬ ſchaft zu geben; wie wenig das Reſultat dem vorgeblichen Zweck entſpricht, kann Jeder erfahren, wenn er den Ver¬ ſuch macht, von einem ſprachlichen Ausdruck zu der ſinn¬ lichen Wirklichkeit des Geſichtsbildes zurückzukehren.

Iſt es alſo vergeblich, für das ſichtbare Bild der Dinge eine geſtaltende Macht von ſinnlichen Fähigkeiten zu erwarten, auf denen die Wahrnehmung anderweitiger ſinnlicher Beſchaffenheit beruht, iſt es ebenſo vergeblich,70 zu meinen, daß man durch das Wort zu einer Beherrſchung der Welt, ſofern ſie ſichtbar iſt, gelangen könne, ſo können wir erſt dadurch, daß wir verſuchen, uns mittelſt des Sehens ſelbſt über ein Geſehenes Rechenſchaft zu geben, zu einer Einſicht in den Zuſtand gelangen, in dem ſich unſer ſichtbares Weltbild befindet. Denn nur dieſer Ver¬ ſuch wird uns jene oben angedeuteten Schranken zum Be¬ wußtſein bringen, die der Entwickelung des Weltbildes nach ſeiner ſichtbaren Seite hin entgegenſtehen. Am deut¬ lichſten wird uns dies fühlbar, wenn unabhängig von un¬ mittelbarer ſinnlicher Wahrnehmung die Vorſtellung eines Geſehenen in unſer Bewußtſein tritt. Die größte An¬ ſtrengung, die wir zur Concentration unſerer vorſtellenden Kraft aufwenden, wird uns vielleicht dazu gelangen laſſen, unſer Bewußtſein, welches ſich auf einer beſtändigen ruhe¬ loſen Wanderſchaft durch alle Reiche des ſinnlich Wahr¬ nehmbaren befindet, auf das Gebiet des Sichtbaren feſt¬ zubannen; vielleicht werden wir es vermögen, uns dem Gaukelſpiel der Aſſociationen zu entziehen, das uns mit ſeiner ſcheinbar regelloſen Willkür beherrſcht, und ein ein¬ zelnes Sichtbares feſtzuhalten, welches unſerer Macht unter¬ than ſei. Wie unbeſtimmt, unvollſtändig, kümmerlich dann aber der Beſitz an Sichtbarkeit iſt, deſſen wir uns be¬ mächtigt haben, das kann Jeder an ſich erfahren, der in ſeinem Inneren dieſen Beſitz nun wirklich erſchauen will. Es iſt ein ungeheurer Irrthum, zu meinen, daß wir von der ſichtbaren Geſtalt der Dinge eine mir einigermaßen reiche, zuſammenhängende und entwickelte Vorſtellungswelt71 beſäßen; was wir als ſichtbar in unſerem ſehenden Be¬ wußtſein wahrnehmen, ſind unzuſammenhängende Bruch¬ ſtücke, flüchtige, vorübergehende Erſcheinungen, und wir ſtehen hülflos da, wenn das Bedürfniß in uns mächtig wird, uns ein zu Sehendes ſichtbar zu vergegenwärtigen. Wie aber, wenn uns in einzelnen Augenblicken der wachen oder traumhaften Hallucination, ja wenn uns bei unmittel¬ barer Wahrnehmung das ſichtbare Bild eines Gegenſtandes in unzweifelhafter Gegenwart und voller Deutlichkeit vor das ſchauende Bewußtſein tritt? Kann man da von einem unentwickelten vorſtellenden Bewußtſein, von Schranken reden, welche in der menſchlichen Natur ſelbſt der Ent¬ wickelung jenes ſchauenden Wirklichkeitsbewußtſeins ent¬ gegenſtehen? Und doch, wer es vermag, ſich ſelbſt mit dem, was er ſieht, zu iſoliren, nichts anderes in ſich auf¬ kommen zu laſſen, als das Phänomen des Sehens, ſich in das Schauen zu verſenken, wird der nicht vor dem, was ſich ſeinem Auge als Erſcheinung zeigt, gar bald wie vor einem ihm fremden, unnahbaren Räthſel ſtehen? Wird nicht, wenn ſein Bewußtſein nicht in eine gewiſſe Ver¬ dumpfung verfallen ſoll, die eine Herabſetzung aller Fähig¬ keiten, auch der des Sehens nach ſich zieht, das Verlangen in ihm rege werden, ſich dieſes fremde Gebild anzueignen, gleichſam erſt zu ſehen, wie es ausſieht, ſich mit ſeinen Augen Rechenſchaft über daſſelbe zu geben, es als etwas Geſehenes aus eigener erzeugender Kraft zu verwirklichen? Und wenn er ſich dann eingeſtehen muß, daß jenem Ver¬ langen keine Fähigkeit entſpricht, durch die er daſſelbe be¬72 friedigen könnte, daß er trotz allen Beſtrebens dem ſicht¬ baren Phänomen der Welt um keinen Schritt näher kommt, daß ihn daſſelbe ſo fremd anblickt wie von allem Anfang an, daß es verſchwindet, ſobald er den Verſuch macht, es zu ergreifen: ſo wird er nur zu ſehr der Schranken inne werden, in die er gebannt iſt, wenn er ſich der ſichtbaren Erſcheinung der Dinge ſehend bewußt werden will. Nun auch wird er begreifen, was es heißen kann, wenn geſagt wird, daß es ein unſicherer und unentwickelter Beſitz ſei, auf den der Menſch in Betreff ſeiner Vorſtellungen von ſichtbaren Erſcheinungen angewieſen bleibt.

Es liegt nahe, einen Vergleich anzuſtellen, worin bei irgend einem Gegenſtand, den wir ſowohl als einen ſicht¬ baren, als auch als einen benannten beſitzen, dieſer zwie¬ fache Beſitz beſteht. Hier erſcheint dieſer Beſitz als ein wenn nicht allgemein gültiges und endgültiges, ſo doch als ein beſtimmtes und beharrendes Gebilde, das Wort; ein Product unſerer eigenen Thätigkeit, deſſen Entſtehung darauf hinweiſt, daß Vorgänge in unſerem Inneren ſich bis zu äußeren Bewegungen entwickelt haben. Dort ver¬ mögen wir nichts anderes zu conſtatiren als Vorgänge, die in unſeren inneren Organen verlaufen, ohne ſich ſo weit zu entwickeln, daß ſie in eine äußere, ein beſtimmtes ſinnlich-wahrnehmbares Reſultat hervorbringende, der Sprachbildung analoge Thätigkeit überführen. Von dieſem Geſichtspunkt aus betrachtet iſt der Wirklichkeitsbeſitz, der in der ſprachlichen Form vorliegt, ein ſehr weit entwickel¬ ter, während der Beſitz an ſichtbarer Wirklichkeit auf einer73 verhältnißmäßig niedrigen Stufe der Entwickelung verharrt. Und wenn wir den Umſtand bedenken, daß die Vorgänge, an die eine ſinnliche Wahrnehmung wie das Sehen ge¬ bunden iſt, wenn auch von einem äußeren Reiz angeregt, doch in uns entſtehen und vergehen, ohne gleichſam die Oberfläche unſeres Körpers erreicht zu haben, ſo wird es begreiflich, daß wir, ſobald wir die ſichtbare Wirklichkeit in ihrem eigenen Weſen faſſen wollen, vergebens nach einem feſten, dem Worte gleichen Gefüge ſuchen, und nur ein loſes, immer entſtehendes und immer vergehendes, halt - und zuſammenhangsloſes Material ergreifen.

[74]

4.

Was wir, dem beſonderen Zwecke dieſer Unterſuchungen gemäß, in Betreff der Vorſtellungen, die dem Gebiete des Geſichtsſinnes angehören, näher ausgeführt haben, das gilt für alle Sinnesgebiete. Gerade das Daſein desjenigen, was in beſtimmter, gegebener Form uns gegenüberzuſtehen ſcheint, das ſinnlich Vorhandene, iſt an Vorgänge in un¬ ſerem Bewußtſein gebunden, die weit davon entfernt ſind, dieſes ſinnlich Vorhandene ſeiner ſinnlich wahrnehmbaren, vorſtellbaren Natur nach zu einigermaßen beſtimmten For¬ men und Geſtalten entwickelt darzuſtellen. Jeder Verſuch, uns irgend eines Dinges, welches wir als Bezeichnung, als Name beſitzen, nun auch ſeinem ſinnlich wahrnehm¬ baren Sein nach, als Sinnesobject in einer nachweisbar ſinnlich vorhandenen Form zu vergewiſſern, muß uns die Unfähigkeit zum Bewußtſein bringen, in der wir uns nach dieſer Richtung hin befinden. Es muß uns daher die Ueberlegung nahe treten, ob in den Fähigkeiten der menſch¬ lichen Natur überhaupt die Möglichkeit gegeben iſt, den ſinnlichen Beſitz aus dem mangelhaften Zuſtande, in dem er ſich im Allgemeinen befindet, zu beſtimmteren Daſeins¬ formen zu entwickeln.

75

Wir müſſen nun hier die verſchiedenen Sinnesgebiete trennen. Wie ſehr der Menſch darauf angewieſen iſt, den einzelnen Sinn zu iſoliren, um nur überhaupt zu einer in¬ tenſiveren Empfindung, zu einer deutlicheren Wahrnehmung zu gelangen, haben wir oben ſchon erwähnt. Es iſt aber kein Grund zu der Annahme vorhanden, daß auf allen Sinnesgebieten analoge Entwickelungsvorgänge möglich ſeien, und in der That zeigt die Erfahrung, daß dies nicht der Fall iſt.

Eine frühere Betrachtungsweiſe ſtellte die verſchiedenen Sinne als unter ſich weſentlich verſchieden und weſentlich gleichgeſtellt neben einander. Heutzutage unterſcheidet man zwiſchen niederen und höheren Sinnen und ſieht in dieſen ein höheres Entwickelungsſtadium jener. Indem man den Taſtſinn mit Gehör und Geſicht vergleicht, faßt man das Verhältniß ſo auf, als ob ein im Taſtſinn vor¬ handenes allgemeines ſinnliches Wahrnehmungs - und An¬ ſchauungsvermögen in jenen höheren Sinnen differenzirt und ſpecialiſirt auftrete. Man ermißt damit aber noch nicht die ganze Tragweite der Entwickelung, die dem ſinn¬ lichen Vermögen der menſchlichen Natur durch jene höheren oder Specialſinne zu theil werden kann. Wir vergleichen hier nur den Taſtſinn mit dem Geſichtsſinn. Im Allge¬ meinen wird freilich das Wirklichkeitsmaterial, welches dem Taſtſinn, und dasjenige, welches dem Geſichtsſinn ſein Daſein verdankt, auf gleicher Entwickelungsſtufe verharren; es ſind in beiden Fällen Vorgänge, die in unſer Bewußt¬ ſein treten, ohne zu einem beſtimmten geſtalteten Ausdruck76 ihrer ſelbſt zu kommen und in demſelben von uns feſtge¬ halten werden zu können. Der Unterſchied beſteht aber darin, daß auf dem Gebiet des Taſtſinns eine Möglichkeit zu einer weiteren Entwickelung des durch denſelben ge¬ gebenen Wirklichkeitsmateriales nicht vorhanden iſt, während ſich für das, was der Geſichtsſinn liefert, wie wir ſehen werden, die Ausſicht eröffnet, zu einer in dem ſinnlichen Stoff ſelbſt ſich darſtellenden Ausdrucksform zu gelangen. Der Taſtſinn liefert uns Empfindungen und Wahrneh¬ mungen, er verfügt aber über keinerlei Mittel, durch die in einem Product ein Seiendes als ein Taſtbares geſtaltet, eine Taſtvorſtellung als ſolche realiſirt werden könnte. Wenn wir von Widerſtand, von Härte, Weichheit, Glätte, Rauhheit u. ſ. w. ſprechen, wenn wir den Taſtorganen die Wahrnehmung von Formen verdanken, die wir mit eben, gebogen, kugelförmig u. ſ. w. bezeichnen, ſo meinen wir unzweifelhaft, in dieſen Bezeichnungen den Ausdruck von Vorſtellungen zu beſitzen, die ſich aus den Daten ge¬ bildet haben, die vom Taſtſinn geliefert werden. Was wir aber thatſächlich in dieſen Bezeichnungen beſitzen, ſind eben keine Taſtvorſtellungen, ſondern Sprachvorſtellungen. Gerade weil wir uns in der Unmöglichkeit befinden, aus den von dem Taſtſinn gelieferten Empfindungs - und Wahr¬ nehmungsmaterial etwas zu geſtalten, was, ſelbſt wiederum nur für den Taſtſinn vorhanden, eine Taſtvorſtellung ge¬ nannt werden könnte, gerade um dieſer Unmöglichkeit willen ſehen wir uns durch das Bedürfniß, uns aus dem Zu¬ ſtande bloßer Empfindungs - und Wahrnehmungsvorgänge77 zu erheben, genöthigt, das Gebiet des Taſtſinnes zu ver¬ laſſen und uns auf das Gebiet der Sprach - und Begriffs¬ bildung zu begeben. Es iſt klar, daß durch die Bildung von Begriffen, mit denen wir ein durch den Taſtſinn Wahrnehmbares bezeichnen, an den Zuſtänden, auf denen überhaupt unſere Wahrnehmung von Taſtbarem beruht, keine Veränderung ſtattfindet. Sobald wir uns von dem Vorurtheil frei machen, daß es eine Vorſtellung des Taſt¬ ſinnes ſei, welche ſich als Wort, als Begriff darſtelle, ſo werden wir inne werden, daß wir auf dem eigenen Gebiet des Taſtſinnes nach wie vor nichts anderes beſitzen, als was eben der Taſtſinn liefern kann, Empfindungen und Wahrnehmungen, aber keine Ausdrucksform, in der ſich das Vorhandenſein von geſtalteten Taſtvorſtellungen nachweiſen ließe. Nehmen wir irgend ein Wort, welches uns als Ausdruck von etwas dient, was uns gar nicht zum Be¬ wußtſein kommen könnte, wenn wir nicht die Fähigkeit der Taſtempfindung beſäßen, prüfen wir, was nun eigentlich in dem Worte, welches ja ſelbſt kein Gegenſtand des Taſt¬ ſinns ſein kann, an dem Gebiet des Taſtſinnes zugehörigem Stoff vorhanden iſt, ſo finden wir durchaus nichts anderes als ziemlich undeutliche und ſchwache Reminiscenzen an Taſtempfindungen und Taſtwahrnehmungen, die ſich mit dem Wort in wechſelnder und willkürlicher Weiſe aſſociiren. Wie weit man davon entfernt iſt, in der ſprachlichen Be¬ zeichnung eine Taſtvorſtellung realiſiren zu können, zeigt ſich darin, daß in ihr die unmittelbare ſinnliche Gewi߬ heit der Taſtbarkeit anſtatt geſteigert und entwickelt, abge¬78 chwächt und in unſerem Bewußtſein zurückgedrängt er¬ ſcheint.

Es iſt ſchon erwähnt, daß es ſich in der Regel mit dem Wirklichkeitsmaterial, welches der Geſichtsſinn liefert, nicht anders verhält. Auch hier erſcheint uns ein Gegen¬ ſtand, der in ſeiner ſprachlichen Form unſerem Bewußtſein angehört, ſeiner ſinnlichen Natur nach nicht als das vor¬ handene feſte Vorſtellungsgebilde, welches durch den ſprach¬ lichen Ausdruck ſeine Bezeichnung fände, ſondern in mehr oder minder unbeſtimmten und flüchtigen Empfindungs - und Wahrnehmungsvorgängen, die ſich neben mancherlei anderen in der Aſſociationsſphäre der ſprachlichen Wirk¬ lichkeit vorfinden. Der gewaltige Unterſchied aber, der zwiſchen dem Taſtſinn und dem Geſichtsſinn beſteht, der ungeheure Fortſchritt, den das ſinnliche Vermögen macht, indem es ſich von dem Taſtſinn zum Geſichtsſinn ent¬ wickelt, liegt darin, daß hier die Möglichkeit erſcheint, den ſinnlichen Wirklichkeitsſtoff zu einem Ausdruck ſeiner ſelbſt zu entwickeln. Es iſt, als ob das ſinnliche Vermögen, welches als Taſtſinn gleichſam noch in den Banden der Sprachloſigkeit befangen erſcheint, da, wo es in der höheren Entwickelungsform des Geſichtsſinns auftritt, die Fähigkeit erhalten habe, ſich ſelbſt auszuſprechen.

Wie aber iſt das möglich?

Wenn ein neuerer Sprachforſcher ſagt: Es iſt möglich, ohne Sprache zu ſehen, wahrzunehmen, die Dinge anzuſtarren, über ſie zu träumen; aber ohne Worte können ſelbſt ſo einfache Vorſtellungen wie weiß79 oder ſchwarz nicht einen Augenblick realiſirt werden : ſo findet in dieſen Worten eine ziemlich allgemein ver¬ breitete Einſicht mit einem ebenſo allgemein verbreiteten Irrthum ihren deutlichen Ausdruck. Man begreift wohl, daß der gewöhnliche Gebrauch des Geſichtsſinnes, wie er zu den praktiſchen Zwecken des Lebens, zu den theoretiſchen Zwecken des Erkennens geübt wird, zur Realiſirung von Geſichtsvorſtellungen nicht führen kann. Man täuſcht ſich aber darüber, daß es gar nicht in der Fähigkeit der Sprache liegt, hier aushelfend einzutreten; man überſieht, daß trotz aller Sprache, trotz aller Herrſchaft, welche das in dem ſprachlichen Material ſich entwickelnde Bewußtſein über die Wirklichkeit erlangt, daß trotz alledem das durch den Geſichtsſinn ſich entwickelnde Wirklichkeitsmaterial ganz in demſelben Zuſtande bleibt, als ob keine Sprache, kein be¬ griffliches Denken, kein erkennendes Bewußtſein vorhanden wäre. Es iſt klar, daß, wenn es überhaupt möglich ſein ſoll, die Exiſtenz einer ſichtbaren Gegenſtändlichkeit in Pro¬ dukten einer bewußten Thätigkeit zu realiſiren, dies eben nur durch eine Thätigkeit geſchehen kann, welche ſich un¬ mittelbar als eine Weiterentwickelung desjenigen ſinnlich thätigen Vorgangs darſtellt, dem nur überhaupt die That¬ ſache, daß eine Sichtbarkeit exiſtirt, verdankt wird. Und eine ſolche Thätigkeit findet ſich in der That unter den mannichfaltigen Lebensäußerungen, zu denen ſich die menſch¬ liche Natur entwickelt. Wenn wir an uns ſelbſt oder an Anderen Geberden wahrnehmen, die dem Auge ein Sicht¬ bares darzuſtellen ſuchen, wenn wir uns vergegenwärtigen,80 daß der Menſch zeichnend, malend, bildend in mehr oder minder vollkommener Weiſe etwas hervorbringt, was aus¬ ſchließlich für die Wahrnehmung durch den Geſichtsſinn beſtimmt iſt wie ſollen wir dieſe ſonderbare Thatſache deuten? Wohl pflegt man ſich damit abzufinden, daß man dieſe Thätigkeit auf gewiſſe dem Menſchen angeborene Triebe, wie Nachahmungstrieb oder Spieltrieb zurückführt; man überſieht aber dabei, daß man damit wohl eine Meinung darüber ausſpricht, aus welchen Gründen und zu welchen Zwecken eine vorhandene Fähigkeit zur An¬ wendung kommen könne, daß man aber keineswegs damit erklärt, wieſo es dem Menſchen möglich ſei, eine ſolche Thätigkeit überhaupt aus ſich heraus zu entwickeln. Es handelt ſich in der That nicht darum, wozu der Menſch die Fähigkeit anwendet, durch Geberden, durch die Mani¬ pulationen des Zeichnens und Bildens etwas nur um ſeiner Sichtbarkeit willen darzuſtellen. Das eigentliche Wunder, um das es ſich handelt, beſteht darin, daß der Menſch auf einem beſtimmten Gebiet ſeiner ſinnlichen Natur die Fähig¬ keit erlangt, in einem ſinnlichen Material ſelbſt zu einem Ausdruck zu gelangen.

Wie wenig man den eigentlich wichtigen Punkt trifft, indem man jene darſtellenden Thätigkeiten auf das Bedürf¬ niß zurückführt, einen Trieb zu befriedigen, erhellt, wenn man ſich fragt, warum denn derſelbe Trieb nicht auch auf anderen Sinnesgebieten ſich geltend macht. Man erkennt dann ſofort, daß das, was auf dem Gebiete des Geſichts¬ ſinnes möglich wird, auf einem Sinnesgebiete wie dem81 des Taſtens, nicht möglich iſt, und wird dann ganz natür¬ lich auf die Frage kommen, nicht, was jene Fähigkeiten für eine Bedeutung in Betreff eines durch ſie zu befrie¬ digenden allgemeinen Triebes beſitzen, ſondern, welchen Werth ſie für das Sinnesgebiet ſelbſt haben, auf dem ſie ſich zeigen. Man muß bedenken, daß man die Sinnes¬ qualität, die durch einen Sinn wie den Taſtſinn vermittelt worden iſt, von den Gegenſtänden nicht trennen kann, an denen ſie erſcheint; daß man hingegen durch den Geſichts¬ ſinn eine Art Wirklichkeitsmaterial erhält, welches man zum Gegenſtand einer ſelbſtſtändigen, von den anderen Sinnes¬ qualitäten, die in einem Gegenſtande zuſammentreffen, un¬ abhängigen Darſtellung machen kann. Vergegenwärtigen wir uns den einfachſten Gegenſtand, der ſowohl Object unſeres Taſtſinnes als auch unſeres Geſichtsſinnes iſt: wollten wir das, was wir die Taſtvorſtellung an dem Gegenſtand nennen, darſtellen, wie vermöchten wir dies anders zu thun, als indem wir den Gegenſtand ſelbſt wiederholten, um durch die Wiederholung dieſelben Taſt¬ vorſtellungen hervorzurufen, die wir dem urſprünglichen Gegenſtand verdankten? Wir gelangen dabei nicht um einen Schritt weiter: wir beſitzen gar kein Mittel, um uns einer Taſtvorſtellung unmittelbar zu bemächtigen; nur indirekt können wir ſie wieder hervorzurufen ſuchen, und das, was wir dadurch erreichen, kommt im beſten Falle dem gleich, was wir urſprünglich an taſtbarer Wirklichkeit in unſerem wahrnehmenden Bewußtſein beſaßen. Das, was ſich auf dem Gebiet des Taſtſinnes als unmöglich erweiſt,Fiedler, Urſprung. 682das erſcheint nun plötzlich auf dem Gebiet des Geſichts¬ ſinnes möglich. Von demſelben Gegenſtand, von dem wir ſeine Taſtbarkeit nicht trennen konnten, vermögen wir ſeine Sichtbarkeit als etwas Selbſtſtändiges gleichſam loszulöſen. Wir bedürfen keiner indirekten Mittel, um einen Gegen¬ ſtand als einen ſichtbaren unſerem Bewußtſein vorzuführen. Indem wir auch nur einen unbeholfenen Umriß ziehen, thun wir etwas für den Geſichtsſinn, was wir für den Taſtſinn nie zu thun vermögen; wir ſchaffen etwas, was uns die Sichtbarkeit des Gegenſtandes darſtellt, und indem wir dies thun, bringen wir etwas Neues, etwas Anderes hervor, als was vorher den Beſitz unſerer Geſichtsvor¬ ſtellung ausmachte. Dieſe einfache Thatſache muß uns zum Nachdenken darüber anregen, was denn dieſe Fähig¬ keit zur ſichtbaren Darſtellung eines Sichtbaren für die Entwickelung der Vorgänge, die auf dem Sinnesgebiet des Auges ſtattfinden, für eine Bedeutung habe. Jene Frage nach einem dem Menſchen angeborenen Bedürfniß, nach einem Trieb als dem Motiv, welches dieſe nun einmal als gegeben hingenommene Fähigkeit in Bewegung ſetze, muß uns ſehr untergeordnet und unwichtig erſcheinen, gegenüber der Frage, was denn überhaupt auf dem Ge¬ biet des Geſichtsſinnes vorgehe, indem ſich auf demſelben eine Thätigkeit entwickele, für die wir auf gewiſſen anderen Sinnesgebieten Analoges durchaus nicht wahrnehmen können. Wohl iſt ein Sinnesgebiet von dem anderen geſchieden durch die beſondere Art der Wirklichkeit, die es dem Bewußtſein zuführt; größer aber muß uns die Kluft erſcheinen, die83 ein Sinnesgebiet von dem anderen trennt, wenn wir den größeren oder geringeren Reichthum an Entwickelungs¬ formen bedenken, zu denen dasjenige Wirklichkeitsmaterial gelangen kann, welches dem einen oder dem anderen Sinn entſpringt; wenn wir es uns zum Bewußtſein bringen, was es heißen ſoll, daß auf dem einen Sinnesgebiet keinerlei Uebergang möglich iſt von den inneren Vorgängen des Empfindens, Wahrnehmens, Vorſtellens zu den äußeren Thätigkeiten ſinnlichen Darſtellens, Erfaſſens und Ge¬ ſtaltens, während auf dem anderen Sinnesgebiet dieſer Uebergang ſich beſtändig vollzieht und zur Entſtehung von ſehr complicirten und weitgehenden Vorgängen führen kann. Dies iſt der eigentliche Punkt, auf deſſen Deutung und Er¬ klärung es ankommt, nicht um uns darüber zu belehren, wozu jene darſtellenden Fähigkeiten verwendet werden können und ſollen, ſondern um uns nur überhaupt das Vorhandenſein jener Fähigkeiten nicht mehr als ein un¬ begreifliches Wunder erſcheinen zu laſſen.

Vermögen wir es, uns in den Zuſtand zu verſetzen, wo uns Wirklichkeit einzig und allein als etwas erſcheint, was geſehen werden kann, rufen wir gleichſam unſer Be¬ wußtſein von allen den Punkten zurück, an denen es in ununterbrochenem Wechſel thätig zu ſein Pflegt, und con¬ centriren wir ſeine ganze Kraft im Sehorgan, ſo befinden wir uns, ob wir uns nun unmittelbar wahrnehmend oder Wahrgenommenes reproducirend verhalten, einer Wirklich¬ keit von Dingen gegenüber, welche uns ihr buntes Spiel gleichſam nur von fern zeigen, ohne uns eine thätige An¬6*84näherung zu geſtatten. Es iſt ſchon erwähnt, daß jeder Verſuch, uns dieſer Wirklichkeit denkend, erkennend oder auch nur fühlend zu bemächtigen, die Sichtbarkeit der¬ ſelben ſofort vernichtet. Halten wir die Sichtbarkeit feſt, ſo ſehen wir bei der unmittelbaren Wahrnehmung unſer Bewußtſein in einen Zuſtand dumpfer Contemplation ver¬ fallen, bei dem erinnernden, Sichtbares reproducirenden Verhalten befinden wir uns vor einem Chaos von kommen¬ den und gehenden, auftauchenden und verſchwindenden Er¬ ſcheinungen, von Gebilden, die ſich zuſammenſchließen, um im nächſten Augenblick in Trümmer auseinanderzufallen, von Bruchſtücken, die wirr und regellos in ununter¬ brochenem, willkürlichem Wechſel ſich trennen und ſich ver¬ binden. Indem wir die Erfahrung machen, daß uns ein gleichſam nur aufnehmendes Verhalten unſeres Sinnes¬ organes, ein paſſives uns Hingeben an die Aſſociation der Geſichtsbilder immer tiefer in jene Dumpfheit und Ver¬ worrenheit verſtrickt, werden wir uns ganz unmittelbar bewußt, daß nur ein thätiges Verhalten zu einer weiteren Entwickelung unſerer Vorſtellungen von einer ſichtbaren Wirklichkeit führen kann. Es muß uns nun wie eine Er¬ löſung erſcheinen, wenn wir die Möglichkeit in uns ent¬ decken, auf dem Gebiete des Geſichtsſinnes etwas zu thun, was uns auf anderen Sinnesgebieten verſagt iſt: das, was das Auge dem Bewußtſein liefert, für das Auge zu reali¬ ſiren. Wir betreten damit ein Gebiet äußerer Thätigkeit, welches nunmehr nicht jenen inneren Vorgängen, in denen ſich das Leben des Geſichtsſinnes abſpielt, gegen¬85 übertritt, ſondern ſich unmittelbar an dieſe Vorgänge an¬ ſchließt, ſich als eine auf das Gebiet äußeren Thuns ver¬ legte Fortſetzung derſelben darſtellt. Indem wir durch irgend etwas, was der unmittelbaren Wahrnehmung des Auges oder dem vorſtellenden Bewußtſein erſcheint, auch nur zu einer Geberde veranlaßt werden, welche ein zu Sehendes andeuten ſoll, ſo iſt es einzig und allein der Geſichtsſinn, der ſich hier wirkſam erweiſt, der, wie er zunächſt die Empfindungen und Wahrnehmungen eines Sichtbaren liefert, nun auch den äußeren Mechanismus des menſchlichen Körpers in Bewegung ſetzt, um das, wozu ihm bis dahin nur innere Vorgänge zu Gebote ſtanden, dadurch zu einer neuen und weiteren Entwickelung zu bringen, daß er nun auch die Ausdrucksfähigkeit der menſchlichen Natur ſeinen Zwecken dienſtbar macht. Es iſt ein und derſelbe Vorgang, der, mit Empfindungen und Wahrnehmungen beginnend, ſich ſchließlich in Ausdrucks¬ bewegungen entfaltet, und man muß ſich durchaus von der Auffaſſung losmachen, als ob zwei verſchiedene Vor¬ gänge ſtatt hätten, der eine, der mit der Entwickelung von Geſichtsvorſtellungen ſchlöſſe, der andere, der mit dem Ver¬ ſuch, die innerlich vorhandenen Vorſtellungen äußerlich nach¬ zubilden, anfinge.

Es iſt nicht zu leugnen, daß jene verbreitete Auffaſſung, die in allen Bemühungen des Menſchen, Sichtbares äußer¬ lich darzuſtellen, nichts anderes erblickt, als relativ unvoll¬ kommene Verſuche, etwas nachzubilden, was in vollkommen¬ ſter Weiſe dem ſchauenden Bewußtſein mühelos zu theil86 wird, den Schein für ſich hat. Denn wie ließe ſich ein ſo unvollkommenes Gebilde, wie eine Geberde oder der ſtümperhafte Anfang einer bildlichen Darſtellung, mit der ſichtbaren Erſcheinung eines Dinges vergleichen, wie ſie ſich unſerem Auge oder auch nur unſerer Erinnerung dar¬ bietet? Muß hier nicht vielmehr von einem Rückſchritt, als von einem Fortſchritt geredet werden? Man verwickelt ſich dabei aber nicht weniger in einen Widerſpruch, als dies diejenigen thun, die die Sprache dem Denken gegenüber¬ ſtellen und annehmen, daß dieſes durch jene in mehr oder minder vollkommener Weiſe zum Ausdruck gelange; wollen ſie dieſes Denken nachweiſen, ſo vermögen ſie dies eben auch nur wieder durch die Sprache, und müſſen ſich davon überzeugen, daß von einer Uebereinſtimmung oder Nicht¬ übereinſtimmung zwiſchen Denken und Sprache als zwiſchen zwei von einander unabhängigen Dingen nicht die Rede ſein könne, daß vielmehr in der Sprache eine Entwickelungs¬ form des Denkens ſelbſt vorliege. Nicht anders verhält es ſich hier; auch hier handelt es ſich nicht um ein Vor¬ bild und ein Nachbild; denn wollte man um des Ver¬ gleiches willen das Vorbild nachweiſen, ſo fände man ſich auf die Mittel des ſogenannten Nachbildens angewieſen; dieſelben Mittel alſo, die angeblich einer Nachbildung dienen, müßten ſelbſt erſt dasjenige hervorbringen, was ſie doch nachzuahmen berufen ſein ſollen. Der geheime Sinn deſſen, was vorgeht, indem ſich das innere Geſchehen, welches unſer Bewußtſein von ſichtbaren Dingen bildet, gleichſam verbreitet auf die Ausdrucksorgane und etwas87 hervorbringt, was wiederum nur von dem Geſichtsſinn wahrgenommen werden kann, iſt ein ganz anderer, tieferer und weittragenderer, als der einer müßigen und unvoll¬ kommenen Nachahmung von etwas bereits Vorhandenem. Selbſt in der den Augenblick ihrer Entſtehung nicht über¬ lebenden Geberde, in den elementarſten Verſuchen einer bildneriſch darſtellenden Thätigkeit thut die Hand nicht etwas, was das Auge ſchon gethan hätte; es entſteht viel¬ mehr etwas Neues, und die Hand nimmt die Weiterent¬ wickelung deſſen, was das Auge thut, gerade an dem Punkte auf und führt ſie fort, wo das Auge ſelbſt am Ende ſeines Thuns angelangt iſt. Wären dem Menſchen jene Ausdrucks¬ mittel für das, was ihm durch den Geſichtsſinn als ein Sichtbares erſcheint, nicht gegeben, ſo würde er freilich nicht auf den Gedanken kommen können, daß an der Ent¬ wickelung der Vorſtellungen des Geſichtsſinnes noch andere Organe ſeines Körpers betheiligt ſein könnten, als das Auge. Indem er aber auch nur eine Linie zieht, ja indem er nur eine Geberde macht, die etwas darſtellen ſoll, was das Auge wahrgenommen hat, wird er, wenn er ſichs recht überlegt, einſehen, daß er damit für ſeine Geſichts¬ vorſtellung etwas thut, wozu das Auge, das ſpezielle Organ des Geſichtsſinns, aus eigener Kraft unvermögend iſt. Die Leiſtung der Hand mag ihm im Vergleich zu der wunder¬ baren Leiſtung des Auges mangelhaft erſcheinen; und doch, ſobald er bedenkt, daß das Auge das, was es im zarteſten, vergänglichſten Empfindungsſtoff jeden Augen¬ blick neu hervorzaubert, nicht zu einem realiſirten Beſitz88 des Bewußtſeins zu geſtalten vermag, ſo wird er ſelbſt in den unbeholfenſten Verſuchen bildlicher Darſtellung etwas anerkennen, was über die Wahrnehmung des Auges hinaus¬ geht. Wenn ihn das Auge all der Herrlichkeit gegenüber, in die es ihn mit einem Schlage verſetzt, doch ſchlie߬ lich im Stiche läßt, wenn er auf ein ſtumpfes Hin¬ ſtarren angewieſen bleibt, und das, was er durch das Auge empfängt, nur dadurch für die Entwickelung ſeines Be¬ wußtſeins nutzbar machen kann, daß er es in ein anderes Material, das der Sprache, umſetzt: ſo zeigt ihm die Fähigkeit, die er in ſich vorfindet, das, was er ſieht, zum Gegenſtand des bildenden Darſtellens zu machen, den Weg, auf welchem ſeinem durch die Thätigkeit des Auges er¬ weckten Bewußtſein eines ſichtbaren Seins eine fortſchreitende Entwickelung auf der eigenen Bahn möglich iſt. Auch wird er ſich deſſen ganz unmittelbar bewußt, daß in jenen anfänglichſten Aeußerungen der Darſtellung eines Sicht¬ baren ein Vorgang, der ſonſt auf beſtimmte Theile des menſchlichen Organismus beſchränkt bleibt, zum Behuf ſeiner eigenen Entfaltung in dieſem Organismus mehr und mehr um ſich greift, und ſchließlich zu einem äußerlich wahrnehmbaren Bewegungsvorgang wird; daß ein innerer Vorgang, um ſich an das Tageslicht hervor¬ drängen zu können, ſich zu einem äußerlichen Thun ent¬ wickeln muß. Irgend ein Nebengedanke von abbildender, nachahmender Thätigkeit wird in jenen urſprünglichſten Verſuchen, ein Sichtbares ſichtbar zur Darſtellung zu bringen, durchaus nicht vorhanden ſein. Dieſe Auffaſſung89 des Vorganges entſteht erſt, wenn es, wie bei den ent¬ wickelten Producten der bildneriſchen Thätigkeit, ſchwieriger wird, an einem complicirten Reſultat den Nachweis zu führen, daß es im Grunde auf demſelben Vorgang beruht, der in jenen erſten Anfängen ſichtbaren Darſtellens ſo offen zu Tage liegt. Man hilft ſich dann mit einem Worte wie Nachahmung, welches doch aufhört, einen vernünftigen Sinn zu haben, ſobald man dem Vorgange ernſtlich nach¬ denkt, der ſich vollziehen muß, damit jenes complicirte Reſultat entſtehen könne.

Muß man ſich nun auch ſagen, daß das, was die Hand zu thun vermag, indem ſie die Arbeit des Auges darſtellend, bildend aufnimmt, unendlich mühſam, unbe¬ holfen, ſtümperhaft erſcheint im Vergleich zu der müheloſen und doch ſo wunderbaren Thätigkeit des Auges, die in jedem Augenblick eine ganze Welt von Bildern vor das Bewußtſein zaubert, ſo muß man ſich doch zugleich ein¬ geſtehen, daß man mit dem ſchüchternſten kindlichſten Ver¬ ſuch bildlicher Darſtellung am Anfang einer Thätigkeit ſteht, durch die es ganz allein möglich iſt, aus den Wahr¬ nehmungsbildern des Auges Vorſtellungen in dem Sinne zu entwickeln, daß dieſelben zu realiſirten, in ſinnlich nach¬ weisbarer Form vorhandenen Beſtandtheilen des Bewußt¬ ſeins werden. Zugleich begreift man, daß man vor un¬ endlichen, nicht vor endlichen Proceſſen ſteht, wenn man ſich denjenigen Inhalt unſeres Geiſteslebens vergegenwär¬ tigt, welcher unmittelbar aus dem Vorhandenſein des Ge¬ ſichtsſinnes entſpringt; man erkennt, daß, ſo wie die An¬90 fänge alles Wahrnehmens und Vorſtellens von Sichtbarem aus dem Dunkel eines vor allem Bewußtſein liegenden Geiſteslebens auftauchen, ſo das Ende, der Abſchluß dieſer vorſtellenden Thätigkeit, ſich in den unabſehbaren Möglich¬ keiten der darſtellenden Thätigkeit verbirgt.

Indeſſen, wenn man ſich dieſen Conſequenzen auch nicht entziehen kann, ſo wird man doch leicht durch die Frage beirrt werden, wieſo durch eine mechaniſche Thätig¬ keit das ſolle geleiſtet werden können, wozu ſich ein rein geiſtiges Thun als unzulänglich erwieſen hat. Hier nun muß wieder und wieder daran erinnert werden, daß es auf einer groben Selbſttäuſchung beruht, wenn der Menſch meint, das geiſtige Thun und Daſein, was er in ſich wahrnimmt, mehr und mehr von der Gemeinſchaft eines leiblichen Geſchehens befreien zu können. Es iſt bereits erwähnt worden, daß die Entwickelung einer ſogenannten geiſtigen Thätigkeit, ſofern ſie auf einer Abwendung von jeder körperlichen Thätigkeit beruhen ſoll, gar nicht ſtatt¬ finden könne, daß vielmehr die Entwickelung eines geiſtigen Thuns immer zugleich die Entwickelung eines körperlichen Thuns ſein müſſe. Es iſt ein verhängnißvolles Mißver¬ ſtändniß, ein geiſtiges Geſchehen von einem körperlichen Ge¬ ſchehen getrennt zu denken, und das Verhältniß zwiſchen bei¬ den ſo aufzufaſſen, als ob es in der Macht jenes ſtände, dieſes in ſeinen Dienſt zunehmen, oder auch ſich ſeiner zu enthalten. Dann freilich wird man nicht begreifen können, wieſo ein Ge¬ ſchehen, welches ſich, wie jeder bildneriſche Vorgang, zunächſt als eine körperliche Manipulation darſtellt, als die Weiterent¬91 wickelung eines Geſchehens ſolle angeſehen werden, welches, wie alles Schauen und Vorſtellen, zunächſt als ein geiſtiger Vorgang auftritt. Erſt wenn man begriffen hat, daß jene körperliche Manipulation als die unmittelbare Weiterent¬ wickelung desjenigen leiblichen Geſchehens aufgefaßt werden kann, welches bei den Vorgängen des Schauens und Vor¬ ſtellens nachweisbar iſt, oder wenigſtens vorausgeſetzt werden muß, wird man zu der Einſicht gelangen, daß in dieſer Entwickelung des leiblichen Geſchehens auch eine Entwickelung des geiſtigen Geſchehens enthalten iſt. Nicht in der Emancipation ſogenannten geiſtigen Thuns von leiblichem kann irgend ein Fortſchritt vor ſich gehen, viel¬ mehr lediglich und ausſchließlich durch die Entwickelung ſinnlich-körperlicher Thätigkeit zu immer greifbarerem Vor¬ handenſein, zu immer ſteigender Beſtimmtheit und Deut¬ lichkeit. In der Sprache liegt dies für eine beſtimmte Bethätigungsart der menſchlichen Natur offen genug zu Tage; nicht anders aber kann es ſich verhalten, wo es ſich um die Entwickelung von Geſichtsvorſtellungen handelt; nicht gleichſam außerkörperlich kann dieſelbe vor ſich gehen, vielmehr kann ſie nur in der Entwickelung von körperlichen Bethätigungen enthalten ſein. Während wir meinten, daß jene mechaniſche Thätigkeit des Bildens von einem geiſtigen Proceß des Vorſtellens abhängig ſei, begreifen wir nun, daß jede Möglichkeit eines Fortſchrittes in der Entwickelung der Vorſtellungen abhängig iſt von jener mechaniſchen Thätigkeit.

[92]

5.

Erblickt man in der bildenden, darſtellenden Thätig¬ keit des Künſtlers nichts anderes als die Entwickelung des Sehproceſſes, ſo ſieht man für das Wirklichkeitsbewußtſein des Menſchen ein beſonderes eigenthümliches Gebiet er¬ öffnet. Hier aber muß vor allem einem landläufigen Irr¬ thum entgegengetreten werden. Durch die Pflege einer ſo¬ genannten anſchaulichen Beziehung zu den Dingen ſoll man, ſo hört man oft ſagen, in das Verhältniß eingeführt wer¬ den, in das ſich der Künſtler zur Natur ſetzt. Es iſt gewiß ein billiges Verlangen, daß der Menſch von ſeinen Augen einen ausgiebigen Gebrauch mache, umſomehr wo es gilt, die ſichtbare Seite der Dinge gegenüber einer gewohnheitsmäßigen allzugeringen Werthſchätzung zu Ehren zu bringen. Nur täuſcht man ſich über das, was man dadurch erreicht. Es tritt als Folge eines überhand¬ nehmenden Hindrängens nach Pflege der Geſichtswahr¬ nehmungen in der Regel von zwei Fällen einer ein: ent¬ weder iſt es die Betheiligung des Auges an dem geſammten in ſo mannichfachen Aeußerungsformen ſich darſtellenden Leben des Individuums, die eine Steigerung erfährt, oder93 die um ihrer ſelbſt willen geübte Thätigkeit des Auges gewinnt ſo an Intenſität, daß ſie alle übrigen Intereſſen, denen ſie ſonſt dienſtbar iſt, zurückdrängt und ſich wenig¬ ſtens vorübergehend unter allen jenen Möglichkeiten, nach denen die menſchliche Natur ſich ausleben kann, allein be¬ hauptet.

Was jenen erſten Fall anlangt, ſo kann unzweifelhaft das Maß der Betheiligung, welches dem Geſichtsſinn an allen den Thätigkeiten vergönnt wird, an denen er über¬ haupt theilhaben kann, ein ſehr verſchiedenes ſein; und es iſt keineswegs die mehr oder minder gute Beſchaffenheit des Sehorgans, durch welche jenes Maß beſtimmt wird. Es giebt genug Sehende, die nicht anders durch die Welt gehen, als ob ſie mit Blindheit geſchlagen wären, und gewiſſe Denkweiſen ſind nicht anders zu erklären, als daß ihre Urheber das Zeugniß der Augen nur in ſehr unvoll¬ kommener und nebenſächlicher Weiſe herangezogen haben. Daß in ſolchem Falle eine künſtleriſche Dispoſition nicht vorhanden iſt, kann nicht Wunder nehmen. Anders iſt es, wo die Forderung des Sinnenzeugniſſes auf den verſchie¬ denen Gebieten geiſtiger Thätigkeit eine ebenſo allgemeine wie ſtrenge iſt, wo der Einzelne von Jugend auf ange¬ leitet wird, ſich bei allem, was er denkend und erkennend ſich anzueignen ſtrebt, Rechenſchaft zu geben über die Zu¬ ſtimmung oder den Widerſpruch, der von dem Augenſchein ausgehen könnte. Hier ſollte man meinen, daß einem ſo geſchulten Geiſt der Zugang offen ſtehen müßte zu dem Verſtändniß einer Thätigkeit, welche, wie die bildende94 Kunſt, ſo ganz auf dem Gebrauch des Sehorgans beruht. Die Erfahrung ſpricht dagegen. Die geiſtige Richtung, die die Leiſtung der Sinne zu ſo hohem Anſehen gebracht hat, erweiſt ſich nutzlos, wo es ſich um das eigentliche Gebiet ſinnlicher Leiſtung, um die Kunſt, handelt. Gerade diejenige exacte wiſſenſchaftliche Beſchäftigung mit der Natur, die es ununterbrochen mit der ſichtbaren Seite der Dinge zu thun hat, pflegt den Einzelnen am unfähigſten zu machen, den beſonderen Werth der Beziehung einzuſehen, in der der Künſtler ſich zur Natur befindet. So auffallend dies ſcheinen mag, ſo iſt es im Grunde nur zu erklärlich. Die wiſſenſchaftliche Thätigkeit läuft nicht auf ein Sehen, ſondern auf ein Wiſſen hinaus; der Gewinn, der dadurch erzielt wird, daß dem Auge eine weſentliche Mitarbeit zugetheilt wird, kommt nicht dem Sehen, ſondern dem Wiſſen zu gute; das, was man auf Grund der Geſichts¬ wahrnehmung in ſeinen Beſitz bringt, iſt kein Geſehenes und zu Sehendes, ſondern ein Gewußtes und zu Wiſſendes. Nun ergiebt ſich aus dem früher Geſagten, daß man einer Täuſchung unterliegt, indem man meint, in dem auf dem Augenſchein beruhenden und durch den Augenſchein zu con¬ trolirenden Wiſſen die Dinge ihrer geſammten Sichtbarkeit nach mit zu beſitzen. So kommt es, daß das geiſtige Intereſſe von der einzigen Thätigkeit, durch die das von den Augen gelieferte Material zum Sichtbarkeitsbeſitz ent¬ wickelt und geſtaltet werden kann, um ſo mehr abgelenkt wird, in je umfaſſenderer Weiſe ſich das Auge an der Entwickelung und dem Aufbau der begrifflichen Welt be¬95 theiligt. Durch die in ſo vielen Zweigen des Wiſſens geſteigerte Beobachtung des ſichtbaren Thatbeſtandes wird eine große Sicherheit in der Kenntniß der äußeren Geſtalt der Dinge, und zugleich die Meinung erzeugt, man erhalte durch dieſe Sicherheit das Recht, über Vollkommenheit oder Unvollkommenheit der ſogenannten künſtleriſchen Wie¬ dergabe der Natur zu urtheilen. Und doch kann dieſe Kenntniß immer nur wieder einen Maßſtab für eine Kenntniß abgeben, vermag aber nicht einen Standpunkt der Beurtheilung für eine Leiſtung zu begründen, bei der es ſich gar nicht mehr um Kenntniß handelt. Das Kunſt¬ werk wird unwillkürlich mit demſelben wiſſenſchaftlichen Intereſſe betrachtet, wie das Naturding; man meint ihm gerecht werden zu können, wenn man das in ihm wieder zu finden ſucht, was man als ſichtbar in der Natur vor¬ handen benennen und conſtatiren kann, und begreift nicht, daß das Sehen im Sinne des Künſtlers erſt da aufängt, wo alle Möglichkeit des Benennens und Conſtatirens im wiſſenſchaftlichen Sinne aufhört.

Betrachten wir nun aber den anderen Fall, die Steigerung der Thätigkeit des Auges zu keinem außerhalb des eigentlichen Sehgebietes liegenden Zweck, vielmehr um ihrer ſelbſt willen, ſo müßte man meinen, daß hier ein unmittelbarer zur Kunſt führender Weg geebnet wäre. Auch hierin täuſcht man ſich. Je nach individueller An¬ lage entwickelt ſich dieſe anſchauliche Beziehung zu Natur und Leben bald zu einem mehr oder minder reichen Be¬ obachtungsverhältniß, verbunden mit einer geſteigerten Em¬96 pfänglichkeit für alle die Reize des Eigenthümlichen, An¬ muthigen, Schönen, die einem offenen Auge überall be¬ gegnen, bald zu einer ſentimentalen Annäherung an die Natur, die in Gefühlserlebniſſen und Stimmungen aus¬ läuft. Beides hat mit dem künſtleriſchen Intereſſe an der Natur noch nichts zu thun; keines von beiden führt über die Natur hinaus. Jenes oberflächliche, in der Beobachtung ſich erſchöpfende Bedürfniß thut ſich im Grunde an dem, was ihm Natur und Leben bietet, Genüge, und vermag der Kunſt gegenüber nicht über die kindiſche Freude an der Wiederholung deſſen hinauszukommen, was ihm ſchon bekannt iſt. Der Antheil, der an den Leiſtungen der Kunſt genommen wird, läßt ſich in ſehr weitem Umfange auf dieſes harmloſe Vergnügen zurückführen. Unſtreitig beruht die Fähigkeit, die Anſchauung zu einem ſentimentalen Er¬ lebniß werden zu laſſen, auf reicheren und tieferen Seiten der menſchlichen Natur. Hier trifft die Gewohnheit, ſich in das Anſchauen der Natur zu verſenken, zuſammen mit einer leichten Erregbarkeit des Gemüths und mit der hohen Gabe, die Schranke gleichſam niederzureißen, die den Einzelnen von allem trennt, was ein Gegenſtand ſeiner Wahrnehmung iſt. In beſonders geſteigerten Augen¬ blicken tritt ein Gefühl der Naturnähe ein, durch welches wir in die allerinnigſte Beziehung zu der ganzen Herrlich¬ keit der ſichtbaren Welt zu treten meinen. Mit einer wunderbaren Klarheit des Schauens vereinigt ſich das Ge¬ fühl, einem Unendlichen, Unergründlichen gegenüberzuſtehen, ſelbſt dieſem Unendlichen, Unergründlichen anzugehören.

97

Nicht mehr der Welt greifbarer Körperlichkeit ſcheinen wir uns gegenüber zu befinden; es iſt nicht die alltägliche Welt, der Schauplatz unſeres Lebens und Handelns, der Gegen¬ ſtand unſeres Wiſſens und Erkennens; und doch iſt es dieſelbe Welt, die wir kennen, aber nun gleichſam an einem Feſttag geſehen. Wir befinden uns in einem traum¬ haften Zuſtand, und die Thatſache der ſichtbaren Er¬ ſcheinung allein iſt es, die zu unſeren ſtaunenden Sinnen ſpricht. Wir vergeſſen uns ſelbſt, wir verſenken uns in den ſchauenden Zuſtand, und indem ſo das erſcheinende Daſein der Dinge mit immer größerer Macht uns ent¬ gegentritt, immer unmittelbarer ſich uns darbietet, unſer ganzes Sein erfüllt und ſchließlich in ſich aufzunehmen ſcheint, meinen wir, einer Offenbarung jedes Naturgeheim¬ niſſes beizuwohnen, im Vergleich zu der uns alle mühſam errungene Kenntniß als ein armſeliges Stückwerk erſcheinen muß, und die uns um ſo überzeugender dünkt, als ſie uns mühelos zu theil wird und keinen Beweis und keine Rechen¬ ſchaft fordert. Wer hätte nicht ſchon ſolche Augenblicke erlebt, in denen die Iſolirung der ſinnlichen Wahrnehmung mit einer beſonderen Reizbarkeit des Gefühls zuſammen¬ traf und jene Stimmung erzeugte, in der man ſich der Natur in viel umfaſſenderer und eindringlicherer Weiſe zu bemächtigen meinte, als dies je im praktiſchen oder theoreti¬ ſchen Sinne gelungen war? Wer ſolchen Anſchauungsge¬ nuſſes fähig iſt, der wird, wo er ihn der Natur nur unter beſonderen, ſeltenen Umſtänden verdanken kann, ſich dem Reiche der Kunſt zuwenden, und hier eine reiche, ſich mühe¬Fiedler, Urſprung. 798los beſtändig erneuernde Befriedigung finden; er wird den geheimen Sinn aller Kunſt darin zu erkennen meinen, daß ſie Geſtalten und Darſtellungen zu ſchaffen vermöge, die noch viel unmittelbarer zu dem Gemüth zu ſprechen, das¬ ſelbe in Aufregung zu verſetzen geeignet ſeien, als dies durch die Eindrücke der Natur und des Lebens gelingen könne; er wird überzeugt ſein, daß er den tiefſten Gehalt des Kunſtwerks gehoben habe, wenn er in der Betrachtung deſſelben einer jener gefühlsmächtigen Stimmungen theil¬ haftig geworden ſei. Indeſſen wenn er ſich auch von dem, der aus der Stumpfheit und Nüchternheit ſeiner geiſtigen Verfaſſung durch keinen Vorgang der Natur, durch kein Werk der Kunſt aufgerüttelt zu werden vermag, vortheil¬ haft dadurch unterſcheidet, daß ihm Kunſtwerke zu Erleb¬ niſſen zu werden vermögen, ſo ſind es darum doch noch keine künſtleriſchen Erlebniſſe, die er an ſich erfährt.

Es iſt eine eigenthümliche Erſcheinung, daß dieſelben Menſchen, die im Leben und in ihrem Fache einen durch¬ aus ſachlichen Ernſt beſitzen, alsbald in Sentimentalität verfallen, wenn ſie ſich der Kunſt nähern; ſie begreifen nicht, daß die künſtleriſche Thätigkeit auf einer Sachlichkeit und Klarheit beruht, die von ihren Gefühlsorgien eben¬ ſoweit entfernt iſt, wie von der Trockenheit und Nüchtern¬ heit derer, die der Kunſt mit denjenigen Hülfsmitteln bei¬ kommen zu können glauben, die ihnen eine wiſſenſchaftliche Disciplinirung an die Hand giebt. Mit Stimmungen läßt ſich nichts anfangen, wo es ſich um eine Thätigkeit handelt; je intenſiver jene werden, deſto mehr lähmen ſie das active99 Leben; man muß ſie wie einen Traum von ſich abſchütteln, um zur wachen Thätigkeit zurückkehren zu können. Hatte man gemeint, ſich in jenen Augenblicken erhöhter Ergriffen¬ heit die Natur in ihrer Fülle und Urſprünglichkeit zuge¬ eignet zu haben, ſo ſieht man nun wohl, daß es ſich ſtatt um ein Beſitzen, eher um ein Beſeſſenwerden gehandelt hat. Von einem künſtleriſchen Erlebniß kann da nur für den¬ jenigen die Rede ſein, der ſich eine irgendwie klare Vor¬ ſtellung von dem künſtleriſchen Vorgange nicht zu machen vermag. Denn das, was den Künſtler auszeichnet, iſt, daß er ſich nicht paſſiv der Natur hingiebt und ſich den Stimmungen überläßt, die ſich in ihm erzeugen, ſondern daß er activ das, was ſich ſeinen Augen darbietet, in ſeinen Beſitz zu bringen ſucht.

Pflege der anſchaulichen Beziehung zur Natur mit ihrem ganzen Gefolge von ſogenannten anſchaulichen Kennt¬ niſſen, von Bereicherung des Vorſtellungslebens, von Bil¬ dung des Geſchmacks und Erziehung zu äſthetiſchem Genuß, und was dergleichen Bildungsrequiſiten mehr ſind, ſteht im Grunde Jedermann, wenn auch mit gewiſſen Grad¬ unterſchieden, offen, noch ehe er auf die eigentlichen Wege der Kunſt einzugehen braucht. So paradox es klingen mag, ſo fängt die Kunſt doch erſt da an, wo die An¬ ſchauung aufhört. Nicht durch eine beſondere anſchauliche Begabung zeichnet ſich der Künſtler aus, nicht dadurch, daß er mehr oder intenſiver zu ſehen vermöchte, daß er in ſeinen Augen eine beſondere Gabe des Wählens, des Zuſammenfaſſens, des Umgeſtaltens, des Veredelns, des7*100Verklärens beſäße, ſo daß er in ſeinen Leiſtungen doch nur Errungenſchaften ſeines Sehens offenbare; er unter¬ ſcheidet ſich vielmehr dadurch, daß ihn die eigenthümliche Begabung ſeiner Natur in den Stand ſetzt, von der an¬ ſchaulichen Wahrnehmung unmittelbar zum anſchaulichen Ausdruck überzugehen; ſeine Beziehung zur Natur iſt keine Anſchauungsbeziehung, ſondern eine Ausdrucksbeziehung.

Hier liegt das eigentliche Wunder der Kunſt. Wir Alle können ſehen; wir können uns einbilden, daſſelbe in der Natur zu ſehen, was der Künſtler ſieht; wir können meinen, die künſtleriſche Leiſtung an dem meſſen zu können, was unſere Augen uns lehren; ſo lange wir das alles thun, fühlen wir uns im Grunde mit dem Künſtler auf einem und demſelben Boden. Wir dünken in der Haupt¬ ſache uns ihm gleich und faſſen ſeine äußere Thätigkeit mehr als die mechaniſche Darſtellung eines inneren Ge¬ ſchehens auf, von dem auch wir durch eigene innere Er¬ fahrung Kunde haben. Sobald wir aber auch nur den beſcheidenſten Verſuch machen, von einer Wahrnehmung des Auges zum bildneriſchen Ausdruck überzugehen, werden wir uns vor einem unüberwindlichen Hinderniß befinden, und erſt ſo werden wir in der uns verſagten Fähigkeit, den Vorgang der Wahrnehmung durch das Auge nach Seite des ſichtbaren Ausdrucks einer ſelbſtſtändigen Ent¬ wickelung zuzuführen, dasjenige erkennen, was den Künſtler von uns unterſcheidet und was wir aus keiner eigenen Erfahrung zu begreifen vermögen. Nur Gedankenloſigkeit kann die äußere Thätigkeit des Künſtlers lediglich als eine101 mehr oder minder erfolgreiche Darſtellung auffaſſen, und infolge deſſen das Hauptgewicht auf den Vorgang legen, der der Darſtellung voraufgeht. Wer ſich den thatſäch¬ lichen Vorgang zu vergegenwärtigen vermag, der ſtatt¬ finden muß, um von einem bloßen Vorſtellungsleben zu der ſogenannten darſtellenden Thätigkeit überzugehen, der wird inne werden, daß in dem geſammten künſtleriſchen Vorgang das, bloße Schauen und Vorſtellen nur einen Anfang, einen Ausgangspunkt bedeutet, während alle Ent¬ wickelung und Vollendung an die äußere bildende Thätig¬ keit gebunden iſt. Wenn wir es in beſonders geſteigerten Augenblicken des Wahrnehmens und Vorſtellens allenfalls bis zu einer unbeholfenen darſtellenden Geberde bringen, nehmen wir wahr, daß derſelbe Vorgang, der bei uns in der Geberde gleichſam verkümmert, durch den Künſtler ſich zu einer reichen Thätigkeit entwickelt, der gegenüber alles bloße Sehen und innere Vorſtellen ſehr geringfügig er¬ ſcheinen muß.

So erkennen wir das eigentlich Merkwürdige in der künſtleriſch begabten Natur darin, daß in ihr ein Vorgang, den wir in gewiſſen Ausdrucksbewegungen ganz allgemein bei allen Menſchen angedeutet finden, zu einer einſeitigen und das gewöhnliche Maß weit überſteigenden Entwickelung gelangt. Wenn wir in den Wahrnehmungen, die uns das Auge bietet, gleichſam ſtecken bleiben, mit unſerem anſchau¬ lichen Vorſtellungsvermögen gar bald zu Ende ſind und uns nach dieſer Richtung hin wie von einem undurchdring¬ lichen Dunkel gehemmt ſehen, fühlt der Künſtler die Fähig¬102 keit in ſich, jene allgemeinen und unbeſtimmten Vorgänge, auf die unſere geſammte Wahrnehmung einer ſichtbaren Welt hinausläuft, zu immer beſtimmteren und faßbareren Ausdrucksmitteln zu entwickeln. Wo wir mit allem guten Willen und mit der ganz auf das Sehen concentrirten Kraft unſeres Bewußtſeins doch hülflos daſtehen und keinen Schritt vorwärts zu kommen vermögen, da beginnt gerade das Leben des Künſtlers; mag er nach anderen Richtungen hin Hemmungen empfinden, wo uns das Fortſchreiten ver¬ gönnt iſt, hier fühlt er ſich frei und ungehindert. Er iſt in ſeinem Element, wenn er da, wo wir darauf angewieſen ſind, im Schauen zu verharren, den Ausgangspunkt nimmt zu einer in immer geſteigertem bildneriſchen Ausdruck ſich vollziehenden Thätigkeit. Alle die Manipulationen, von dem Einfachſten und Urſprünglichſten bis zu dem vielfach Zuſammengeſetzten, bergen keinen höheren Sinn in ſich, als den, das fortzuſetzen, was das Auge begonnen hat.

Freilich wenn man an der Trennung von geiſtigem und körperlichem Thun feſthält, wird man auch nicht über die Anſicht hinaus zu kommen vermögen, daß der Künſtler, indem er äußerlich thätig wird, nur etwas für Andere ſichtbar und bleibend darſtelle, was in ſeinem, an kein äußeres Thun gebundenen Vorſtellungsvermögen bereits Geſtalt gewonnen habe. Ja man wird weiter gehen und die Meinung hegen, daß der Künſtler, indem er ſich zur künſtleriſchen Thätigkeit anſchicke, aus der Noth eine Tugend mache, da ja doch kein äußeres Mittel die in ſeinem Geiſte wohnenden Geſtalten in ihrer Reinheit103 und Vollkommenheit wiederzugeben im Stande ſei. Dann freilich wird man von all den verhängnißvollen Irrthümern nicht loskommen, die ſich mit Nothwendigkeit ergeben, wenn man in dem ſichtbar Vorhandenen der Kunſt nur ein Sym¬ bol eines Geiſtigen ſieht, wenn man das dem Auge ſich thatſächlich Darbietende gering achtet gegenüber einem un¬ ſichtbaren Inhalt, der in die unvermeidlichen Beſchrän¬ kungen der Form herabgeſtiegen ſei. Um von dieſer ſonder¬ baren Umkehrung eines natürlichen Verhältniſſes ſich frei zu machen, muß man jene unberechtigte Scheidung zwiſchen geiſtigem und körperlichem Thun aufgeben, und nirgends vielleicht iſt die Nothwendigkeit, dies zu thun, einleuchten¬ der, als bei der Betrachtung der künſtleriſchen Thätigkeit. Hier iſt das Verhältniß anders als von dem gedachten oder geſprochenen zum geſchriebenen Wort, wo der Schein einer Trennung zwiſchen geiſtiger und körperlicher Leiſtung näher liegt. Bei dem diſcurſiven Denken vollzieht ſich der weitaus größte Theil der Arbeit im Inneren des Menſchen. Die körperliche Betheiligung iſt nicht augen¬ fällig, und wo ſie zu einer äußerlich wahrnehmbaren wird, wie bei dem Sprechen und Schreiben, ſcheint ſie thatſäch¬ lich nur das dienend auszuführen, was ihr von einer Fähigkeit des Denkens geboten wird, die gar nicht an ſo ſchwerfällige ſinnliche Vorgänge wie Sprechen und Schrei¬ ben gebunden iſt. Sehr anders verhält es ſich bei der künſtleriſchen Thätigkeit. Es giebt im Inneren des Men¬ ſchen gar keine Organe, die das ausführen könnten, was das Ziel des künſtleriſchen Strebens iſt; um auch nur an104 den Anfang des Weges zu kommen, der jenem Ziele zu¬ führt, muß der Künſtler zu einer äußeren Thätigkeit greifen, und an dieſe äußere körperliche Thätigkeit iſt alles ge¬ bunden, was er erreichen kann. Was iſt alles Schauen und Vorſtellen im Vergleich zu der Entwickelung, die dieſes Schauen und Vorſtellen in der bildneriſchen Thätigkeit findet? Wie ein Stammeln muß es uns erſcheinen im Ver¬ gleich zu der entwickelten Sprachfähigkeit. Gerade der Künſtler wird ſich bewußt ſein, daß die höhere Entwickelung ſeines geiſtig-künſtleriſchen Lebens erſt in dem Augenblicke beginnt, in dem ſein Vorſtellungsdrang die äußeren Organe ſeines Körpers in Bewegung ſetzt, in dem zur Thätigkeit des Auges und des Gehirns die Thätigkeit der Hand hin¬ zutritt. Dann erſt betritt er die Bahn, auf der er ſich aus Dunkelheit und Beſchränkung zu ſteigender Klarheit und Freiheit emporarbeitet. All ſeine Begabung, all ſeine Genialität entwickelt ſich erſt in dieſem äußerlich wahr¬ nehmbaren Thun, in dem ſich nicht die Darſtellung, ſon¬ dern die Entſtehung der künſtleriſchen Vorſtellungswelt vollzieht. Indem der Künſtler von allem Anfang an ſeine Thätigkeit nach außen zu verlegen genöthigt iſt, iſt dieſe Thätigkeit darum nicht weniger eine geiſtige, weil bei ihr mehr Theile des Körpers in Bewegung geſetzt werden, als nur etwa das Gehirn; und weil die künſtleriſche Thätig¬ keit eine geiſtige ſein will, muß ſie in ganz beſtimmten, faßbaren, ſinnlich nachweisbaren Leiſtungen beſtehen.

Lernen wir ſo die bildneriſche Thätigkeit des Künſtlers auffaſſen als eine Fortſetzung des Sehproceſſes, als eine105 Entwickelung deſſen, was in der Wahrnehmung des Auges ſeinen Anfang nimmt, zu beſtimmten Geſtaltungen, haben wir eingeſehen, daß das Auge aus eigener Kraft das von ihm begonnene Werk nicht vollenden kann, ſondern den ganzen Menſchen in eine beſtimmte Art der Thätigkeit verſetzen muß, damit das von ihm gelieferte Sinnenmaterial ſich zu geiſtigen Werthen formen könne; ſo werden wir auch der Einſicht zugänglich ſein, daß ſich in der künſt¬ leriſch bildenden Thätigkeit eine beſtimmte Art der Ent¬ wickelung bewußten Lebens darſtellt. Man treibt mit dem Wort Bewußtſein oft genug einen ſonderbaren Mißbrauch. Man ſetzt das Vorhandenſein einer Art von Normal-Be¬ wußtſein voraus, welches gleichſam das allgemeine helle Reich des Denkens und der Thätigkeit bilde; in dieſem Reich entwickelt ſich das praktiſche zielbewußte Handeln und die theoretiſche Welterkenntniß. Thätigkeiten, wie die des Künſtlers gehören nun freilich weder zu dem einen, noch zu dem anderen, und während die menſchliche Natur ihren großen praktiſchen und intellektuellen Zielen mit Be¬ wußtſein und Folgerichtigkeit zuſtrebt, ſcheint ſie da, wo ſie ſich der künſtleriſchen Thätigkeit hingiebt, jenes Tageslicht des Bewußtſeins verlaſſen zu müſſen, damit die geheimni߬ vollen Kräfte lebendig und wirkſam werden können, als deren Reſultat man das Kunſtwerk ſo gern betrachtet.

Indeſſen iſt Bewußtſein niemals als allgemeiner Zu¬ ſtand, ſondern immer nur als beſtimmte Thätigkeit vor¬ handen; es iſt in jedem einzelnen Menſchen ein beſtändig wechſelndes, ſowohl in Hinſicht auf den Grad, als auch106 auf die Art der Thätigkeit, in der es zur Entwickelung gelangt. Wer ſich zu vollſtändig bewußtem Denken erwacht glaubt, mag doch einem Anderen noch tief in den traum¬ haften Zuſtänden eines unentwickelten Bewußtſeins befangen erſcheinen, nur deshalb, weil das Denken dieſes Anderen ſich in einer regeren, weitergreifenden Bewegung befindet; ja der Einzelne kann, vorzüglich wenn er ſich in einem Zuſtand geſteigerter Lebens - und Denkthätigkeit befindet, leicht an ſich die Erfahrung machen, daß ihm jeder Fort¬ ſchritt der Thätigkeit wie ein Erwachen aus relativ ge¬ trübtem zu relativ hellerem Bewußtſein vorkommt. Und wenn die relative Klarheit des Bewußtſeins nicht ein ge¬ gebener dauernder Zuſtand iſt, in dem ſich der Menſch be¬ finden und gewiſſe Thätigkeiten verrichten könne, ſondern im Grunde nur ein anderer Ausdruck für die jeweilige Lebendigkeit der Denkthätigkeit, die der Menſch entwickelt, ſo iſt das Bewußtſein auch nicht etwas ſich ſelbſt Gleich¬ bleibendes, verſchiedenartige Thätigkeiten des Menſchen nur Begleitendes, vielmehr ſtellt es ſich in dieſen verſchieden¬ artigen Thätigkeiten ſelbſt als ein der verſchiedenartigſten Entwickelung fähiges dar. Es iſt ſehr ſonderbar, daß man deshalb, weil man das eigene Bewußtſein an eine andere als an die künſtleriſche Thätigkeit gebunden fand, in dieſer, die doch eine ſo planmäßige und überlegte iſt, das Walten eines ſo entwickelten Bewußtſeins, wie man es durch die eigene Thätigkeit erlangt hatte, nicht ſo recht anerkennen wollte. Freilich kann der Menſch immer nur eins auf einmal thun; je mehr ſich ſeine Thätigkeit nach107 einer Seite ſteigert, deſto mehr muß ſie nach jeder anderen Seite hin abnehmen: mit der Thätigkeit ſchwindet aber auch dasjenige Bewußtſein, welches ſich eben nur in dieſer Thätigkeit entwickeln kann. Wenn ſich der Künſtler in ſein Thun verſenkt, ſo hört er auf, dasjenige zu denken und zu thun, worin für Andere das bewußte Leben beſteht; ja je ernſthafter und bedeutender ſeine Leiſtung iſt, deſto mehr wird ſie ſich von allem entfernen, was als der weſentliche Inhalt bewußten Lebens gilt. Der Künſtler erſcheint dann denen, die ſeines Strebens und ſeiner Fähig¬ keit nicht theilhaftig ſind, wie abweſend und wie von Mächten geleitet, deren er ſich ſelbſt unbewußt iſt. Der Künſtler aber weiß ſehr genau, was er will und was er thut. Wenn er an ſeine Thätigkeit geht, ſo macht er keines¬ wegs einen gewaltſamen Sprung aus dem Bereiche be¬ wußter Thätigkeit in die Sphäre von Lebensäußerungen, die den Menſchen als ein Vernunft - und willenloſes Werk¬ zeug geheimnißvoller Eingebungen erſcheinen laſſen. Er entzieht ſich zwar dem Bewußtſein, welches ihn mit ſeinen Mitmenſchen ſo lange vereinigte, als er ſich an ihrer Denk - und Beſchäftigungsweiſe betheiligt hatte, aber er verſcheucht darum nicht die gegenwärtige Kraft ſeiner Intelligenz und ſeines Willens, um das Feld frei zu machen für jene Offenbarungen. Was er thut, iſt, daß er zur Ent¬ wickelung ſeines Bewußtſeins andere der menſchlichen Natur eigene Anlagen aufruft, und auch zu einem anderen Re¬ ſultat kommt, als Andere, denen ſeine Art der Thätigkeit fern liegt. Aber innerhalb ſeiner Thätigkeit erweiſt ſich108 daſſelbe, was die Regel bildet für alle ernſthafte männ¬ liche Thätigkeit: nur die Anfänge reichen hinab in jene durch keine Vernunft zu ergründenden, durch keinen Willen zu leitenden, von keinem Bewußtſein erhellten Regionen unſerer Natur; jeglicher Fortſchritt führt aus dieſen Dunkel¬ heiten heraus, und der Sinn der Arbeit, die der Menſch zu verrichten hat, iſt, daß er ſich mehr und mehr jenen Regionen entwinde, nicht daß er ſich in ihnen verliere.

Wenn der Künſtler Anderen in einer Art von traum¬ hafter Exiſtenz ſeine Thätigkeit zu vollbringen ſcheint, ſo liegt für ihn ſelbſt in dieſer Thätigkeit das eigentliche Er¬ wachen. Ihm kann die Helligkeit des Bewußtſeins, zu der er gelangt, indem er auf den Wegen der Anderen wandelt, nicht genügen; denn er ſieht Dunkelheiten um ſich, deren Vorhandenſein jenen entgeht. Er wird, wenn ihm die Wiſſenſchaft, ſtolz auf ihren Fortſchritt, ihr Reich zeigt und die Welt als eine erkannte oder wenigſtens durch ihre Mittel zu erkennende vor ihm ausbreitet, nicht ganz an der Genugthuung theilnehmen können, die der Forſcher empfindet. Denn wenn er ſich auch erleuchtet findet durch das, was jener ihm zeigt, ſo wird er ſich doch nicht davon zu überzeugen vermögen, daß es die Welt ſo ſchlechthin und ſo um und um ſei, die ſich ihm durch die Entwickelung des wiſſenſchaftlichen Bewußtſeins in immer zunehmender Klarheit und Verſtändlichkeit darbietet. Er wird ſich in ganz unwillkürlicher Auflehnung gegen den Anſpruch be¬ finden, den Jene erheben, und wird ſich im Stillen ſagen, daß alle Wiſſenſchaft im Grunde ein armſeliges Ding ſei,109 da ſie ſich einbilde, ein vollſtändiges und klares Weltbe¬ wußtſein zu entwickeln, während das, was in dieſem Be¬ wußtſein lebe, doch nur Worte und Gedanken, nicht aber die Dinge ſelbſt ſeien. Nun wird ihm das als ein traum¬ haftes, unentwickeltes Bewußtſein vorkommen, was das einzig wahrhaft erleuchtete zu ſein vorgiebt; er wird ſich ſagen müſſen, daß inmitten all der Helligkeit, die von der Erkenntniß verbreitet wird, die Dinge, ſofern ſie ſich uns als Vorſtellungen darbieten, ein ſchattenhaftes, unbeſtimmtes Daſein führen; daß das ſinnenfällige Daſein der Welt um ſo mehr aus dem Bewußtſein verdrängt wird, je mehr ſich dieſes mit den Erzeugniſſen der denkenden und erkennenden Thätigkeit anfüllt. Ans dieſem träumeriſchen Zuſtand, in dem er ſich befangen ſieht, auch wenn er ſonſt ſich noch ſo großer Klarheit und Helligkeit erfreut, zu erwachen, iſt das gebieteriſche Bedürfniß, das ihn beſeelt. Dazu findet er in ſich die Mittel, die allein zu dieſem Zwecke führen können. Indem er anfängt zu bilden, ſieht er ſein Be¬ wußtſein auf die Bahn einer Entwickelung gebracht, die ihm ſonſt verſchloſſen war; die Trennung ſcheint aufgehoben, in der er ſich von den Dingen befand, er beginnt, in ein waches Leben und Erleben der Welt einzutreten, die Trübungen, in die er ſein Bewußtſein gehüllt ſah, fangen an zu ſchwinden, das Schwanken der Erſcheinungen macht einem feſten Ergreifen, die Unbeſtimmtheit zunehmender Beſtimmtheit Platz.

Was der Künſtler im Fortſchritt ſeiner Arbeit erlebt, iſt, daß er in ſich ein Bewußtſein entſtehen und ſich ent¬110 wickeln ſieht, wie er es ſonſt nicht kennen lernen kann. Erſcheint ſeine Thätigkeit denjenigen, die ihrer nicht fähig ſind, als eine allſeits von der bewußten Lebensthätigkeit liegende, ſo geſtaltet ſie ſich für ihn als eine durchaus bewußte; ſie erweitert ſich, nimmt alle Kräfte des Indivi¬ duums in Anſpruch, verdrängt alle anderweitige Thätig¬ keit bis an die äußerſte Grenze des Bewußtſeins und wird ſelbſt zu dem bewußten Leben deſſen, der die Fähigkeit in ſich fühlt, ſich ihr hinzugeben. Und wo der Künſtler ſo vollſtändig aufgeht in dem, was er thut, wo er ſich ſelbſt, d. h. alles vergißt, was ſein Bewußtſein abgeſehen von ſeiner Thätigkeit beſchäftigen kann, wo er auch nicht mehr zu trennen weiß zwiſchen dem, was ihm als eine geiſtige Thätigkeit des Wahrnehmens, Vorſtellens, Erinnerns u. ſ. w., und dem, was ihm als eine mechaniſche Thätigkeit der äußeren Organe ſeines Körpers erſcheinen könnte, wo der Vorgang, der ſeinen Anfang von den Wahrnehmungen des Auges nahm, ſich allmählig des ganzen Menſchen be¬ mächtigt und ihn in Bewegung geſetzt hat: da erfährt der Künſtler in ſeiner Thätigkeit jene höchſten Steigerungen des Bewußtſeins, in denen er allererſt zum wahren Er¬ faſſen der ſichtbaren Erſcheinung erwacht zu ſein meint.

Es iſt klar, daß ſich dieſer Auffaſſung zu Folge die Stellung der künſtleriſchen Thätigkeit innerhalb des geiſtigen Lebens unter einem anderen Geſichtspunkt zeigt, als unter dem man ſie gewöhnlich zu betrachten pflegt. Solange man die Erkenntniß der Welt ausſchließlich an das wiſſen¬ ſchaftliche Denken gebunden erachtet, ſieht man ſich in die111 Nothwendigkeit verſetzt, die künſtleriſche Thätigkeit der wiſſenſchaftlichen gegenüberzuſtellen und ihr eine beſondere Bedeutung zu erfinden, damit ſie neben jener vornehmſten und im Grunde als allein wichtig betrachteten Aufgabe des menſchlichen Geiſtes doch einiger Daſeinsberechtigung ſich erfreuen könne. Nun aber ſehen wir den Künſtler neben den Forſcher treten. In beiden iſt derſelbe Trieb mächtig, der den Menſchen beherrſcht, ſobald ſich ein höheres Leben in ihm entwickelt; der Trieb, die Welt, in der er ſich findet, ſich anzueignen, das enge, kümmerliche, ver¬ worrene Bewußtſein des Seins, auf das er ſich zunächſt beſchränkt ſieht, thätig zur Klarheit und zum Reichthum zu entwickeln. Erkennen wir, daß das Denken ſeinen An¬ ſpruch, dieſe Aufgabe in ihrem ganzen Umfange löſen zu können, nicht aufrecht erhalten kann, ſo eröffnet ſich uns zugleich die Einſicht, daß dem Menſchen noch andere Fähig¬ keiten verliehen ſind, durch die er in Regionen der Wirk¬ lichkeit vorzudringen vermag, die der an die Formen des Denkens gebundenen Erkenntniß von allem Anfang an unzugänglich bleiben müſſen. Wir brauchen nicht nach einer Aufgabe zu ſuchen, die im Gegenſatz zu der ernſten Aufgabe des Erkennens der Kunſt geſtellt wäre; vielmehr brauchen wir nur unbefangenen Auges zu ſehen, was der Künſtler thatſächlich thut, um zu begreifen, daß er eine Seite der Welt faßt, die nur durch ſeine Mittel zu faſſen iſt, und zu einem Bewußtſein der Wirklichkeit gelangt, das durch kein Denken jemals erreicht werden kann.

So wenig ſich das Denken beruhigen kann, ehe es112 das Wirklichkeitsmaterial, welches ſich ihm als zugänglich erweiſt, in eine beſtimmte Form gebracht hat, ſo wenig wird auch die bildneriſche Thätigkeit an einem Ende ihrer jeweiligen Arbeit angekommen zu ſein wähnen dürfen, be¬ vor ſie Werthe von ganz beſtimmter Form hervorgebracht hat. Das Bewußtſein, welches ſich in einem bildneriſchen Vorgange entwickelt, unterſcheidet ſich dadurch von dem gemeinen Bewußtſein, daß der Vorſtellungsſtoff, aus dem es beſteht, in poſitive an feſtſtehende Eigenſchaften gebun¬ dene Geſtaltungen eingegangen iſt. Welcher Art dieſe Eigen¬ ſchaften ſein werden, kann erſt an einem ſpäteren Orte an¬ gedeutet werden. Hier ſei nur noch einiges erwähnt, was ſich im Allgemeinen auf die durch den Künſtler ſich voll¬ ziehende Entwickelung des Wirklichkeitsbewußtſeins bezieht.

Hinge, wie es zunächſt wohl ſcheinen mag, der Er¬ werb eines in Vorſtellungen des Geſichtsſinnes ſich ent¬ wickelnden Wirklichkeitsbewußtſeins nur von dem Gebrauch der Augen und einer willkürlichen Concentration der Auf¬ merkſamkeit ab, ſo wäre es weſentlich Sache des Wollens, das Bewußtſein eines anſchaulichen Weltbildes hervorzu¬ rufen. Aber wir haben geſehen, wie weit wir damit kommen. Wenn uns die Welt als ein Object der Er¬ kenntniß zunächſt als ein wirres Chaos unverſtandener Vorgänge erſcheint, ſo ſtehen doch Jedem die Mittel der Erkenntniß zu Gebote, und es ſcheint von ihm abzuhängen, wie weit er von denſelben Gebrauch machen wolle. Für die Entwickelung des vorſtellenden Bewußtſeins ſind den Menſchen analoge Mittel nicht ſo allgemein verliehen. 113Indem wir ſehen, wie jeder Schritt vorwärts eine ſich immer mehr und mehr complicirende Thätigkeit erfordert, müſſen wir uns wie gelähmt vorkommen. Wir mögen wohl einſehen, daß das Auge nicht nur dazu da iſt, um uns die Bilder von außer uns vorhandenen Dingen vor¬ zuführen, ſondern daß mit dem Akte der Geſichtswahr¬ nehmung etwas in uns zur Entſtehung kommt, was einer ſelbſtſtändigen Entwickelung durch uns fähig iſt; wollen wir aber die fliehende Erſcheinung halten, die formloſe geſtalten, ſo verſagt uns die Kraft, und kein Organ unſeres Körpers gehorcht uns. Wenn wir uns dies recht überlegen, ſo muß es uns wie ein Wunder vorkommen, daß die Fähig¬ keit, mit den Augen wahrzunehmen und Wahrgenommenes vorzuſtellen, eine Fähigkeit, die auch uns innewohnt, die aber bei uns nicht weiter führt, als uns ein Sichtbares gleichſam nur zu zeigen, ohne es uns zu eigen zu geben, daß dieſe Fähigkeit in einzelnen Individuen zu einer Entwickelung gelangt, die da, wo für uns nur vorüber¬ eilende, ſchwankende Eindrücke vorhanden ſind, zur Ent¬ ſtehung beſtimmter und dauernder Gebilde führt. Wir begreifen nun wohl, daß, wo es ſich um die in der bild¬ neriſchen Thätigkeit ſich vollziehende Entwickelung des künſt¬ leriſchen Bewußtſeins handelt, keinerlei Wollen maßgebend ſein kann, ſondern immer nur ein Können. Es iſt nicht unwichtig, dies zu betonen, da nur zu oft eine äußerliche und unzulängliche Auffaſſung künſtleriſche Thätigkeit will¬ kürlich fördern und hervorrufen zu können meint; es entſteht dann ein zugleich armſeliges und anſpruchsvolles Surrogat,Fiedler, Urſprung. 8114während das echte Leben der Kunſt ausſchließlich davon abhängt, daß die menſchliche Natur ſich in einzelnen In¬ dividuen nach Seite jener ſich an das innere Erlebniß der Geſichtswahrnehmung anſchließenden äußeren Fähigkeiten und Fertigkeiten über das gewöhnliche Maß entwickelt zeigt.

Wenn wir davon reden, daß wir uns der ſichtbaren Welt bewußt werden, ſo denken wir dabei an ein Bewußt¬ ſein, welches ſowohl in allen normal organiſirten Menſchen entſtehen, als auch das ganze Reich des Sichtbaren zu ſeinem Inhalt haben könne. Es braucht hier nicht wieder¬ holt zu werden, daß wir uns von dem, was wir das Reich des Sichtbaren nennen, deshalb einen ungenügenden Begriff machen, weil wir dabei nur an das denken, was wir durch den Gebrauch der Augen erwerben, und uns dann über das, was wir ſehen oder als geſehen vorſtellen in jeder möglichen Weiſe Rechenſchaft zu geben ſuchen, nur nicht in derjenigen, durch die wir allein zur ſehenden Gewißheit über Geſehenes kommen können. Wir haben uns überzeugt, daß wir mit dem Ausdruck Reich des Sichtbaren einen ſehr anderen Sinn verbinden müſſen. Iſt die Möglichkeit, ſich daſſelbe mehr und mehr zum Bewußtſein zu bringen, abhängig von Fähigkeiten, die weit über den Gebrauch der Augen hinausgehen, und mit denen die Natur verhältnißmäßig doch nur Wenige und auch dieſe nur ſelten in ſehr reichlichem Maße ausſtattet; ſo kann von einem Bewußtſein der Sichtbarkeit weder in dem Sinn die Rede ſein, daß es Allen gleichmäßig zugänglich ſei, noch auch in dem, daß ihm alles zugänglich ſei. Denn115 gleichwie die Fähigkeit, in immer vordringender Thätigkeit ſich zu immer helleren Zuſtänden des Sichtbares erleben¬ den Bewußtſeins emporzuarbeiten, an eine Naturanlage gebunden iſt, die kein Gemeingut, ſondern ein Vorrecht Einzelner iſt; ſo kann auch die Thätigkeit, in der ſich jenes Bewußtſein entwickelt, immer nur Einzelnes erfaſſen; und Vieles von dem ungeheuren Material an Sichtbarem, was unſere Augen unaufhörlich an uns heranbringen, wird ſich ihr überhaupt nicht unterwerfen laſſen.

Wer ſich nur ſehend verhält, der mag wohl meinen, die ſichtbare Welt als ein ungeheures Ganzes voller Reich¬ thum und Mannichfaltigkeit zu beſitzen; die Müheloſigkeit, mit der ihm die unerſchöpfliche Menge der Geſichtsein¬ drücke zu Theil wird, die Schnelligkeit, mit der ſich die Vorſtellungen in ſeinem Inneren ablöſen und in ununter¬ brochenem Wechſel, in nie abnehmender Fülle durch ſein Bewußtſein ziehen, dies alles giebt ihm die Gewißheit, inmitten einer großen ſichtbaren Welt zu ſtehen, die ihn umgiebt, auch wenn er ſie ſich nicht als ein Ganzes in einem und demſelben Augenblicke vergegenwärtigen kann, deren er gewiß iſt, auch wenn er vielleicht in ſeinem ganzen Leben nur eines kleinen Theiles derſelben anſichtig wird. Dieſe große, reiche, unermeßliche Welt der ſicht¬ baren Erſcheinungen verſinkt in dem Augenblicke, wo die künſtleriſche Kraft ſich ihrer ernſthaft zu bemächtigen ſucht. Schon der erſte Verſuch, aus dem dämmernden Zuſtande des ſich der Sichtbarkeit im allgemeinen Be¬ wußtwerdens herauszutreten und zu einiger Deutlichkeit8 *116des Sehens zu gelangen, zieht den Umkreis des zu Sehen¬ den zuſammen. Die künſtleriſche Thätigkeit kann ſich nur darſtellen als eine Fortſetzung jener Concentration des Bewußtſeins, welche der erſte nothwendige Schritt war, um auf den Weg zu gelangen, der aus der Breite ſinn¬ licher Auffaſſung, die immer mit Undeutlichkeit verbunden iſt, zu der Deutlichkeit führt, die nur in der Enge erreicht werden kann. Der Künſtler ſieht ſich vor die Unmöglich¬ keit geſtellt, ſeine Thätigkeit an jenem ſcheinbaren Ganzen zu erproben, und der Uebergang von dem bloßen Sehen und Vorſtellen des Geſehenen zu dem Ausdruck des Sicht¬ baren kann ſich nur im beſtimmten Falle vollziehen. Jeder Thätige, Handelnde wird die Erfahrung machen; er muß am beſtimmten Punkte einſetzen, damit ſeine Kräfte ſich überhaupt entfalten können.

Nun mag man dies wohl zugeben, zugleich aber der Anſicht ſein, daß aus der am Einzelnen ſich vollziehenden künſtleriſchen Thätigkeit allmählig wieder ein neues, auf höherer Entwickelungsſtufe ſtehendes Geſammtbild hervor¬ gehen müſſe; daß in der Geſammtheit der Kunſtwerke ein mehr und mehr der Vollſtändigkeit und der Vollendung zuſtrebendes entwickeltes Wirklichkeitsbewußtſein, inſofern ein ſolches auf der Geſichtswahrnehmung beruhe, zur Darſtellung komme. Es liegt einer ſolchen Meinung die Anſchauung zu Grunde, daß das Vorhandenſein eines zu höheren Stufen der Entwickelung gelangten Sichtbarkeits¬ bewußtſeins ſchon an das Vorhandenſein der Kunſtwerke gebunden ſei, wo dann freilich in dem zunehmenden Schatz117 an Kunſtwerken der Menſchheit mühelos ein immer um¬ faſſenderes entwickeltes Weltbild zu Theil werden würde. Aber nicht an das Vorhandenſein der Kunſtwerke iſt jenes geſteigerte Wirklichkeitsbewußtſein gebunden, ſondern an die Thätigkeit, in der ſich die Entſtehung deſſen vollzieht, was wir ein Kunſtwerk nennen. Die Kunſtwerke ſind an und für ſich ein todter Beſitz; ſie nützen dadurch, daß ſie als ein kleiner Zuwachs zu dem ſichtbar Vorhandenen hin¬ zukommen, der Entwickelung des Bewußtſeins gar nichts. Sie bleiben ein Gegenſtand bloßer Geſichtswahrnehmungen wie alles Andere. Wenn wir aber jenen todten Beſitz in der Weiſe zu beleben ſuchen, in der einzig und allein er ſich beleben läßt, nicht durch irgend eine äſthetiſche Em¬ pfindung oder eine tiefſinnige Reflexion, ſondern dadurch, daß wir es verſuchen, uns in den lebendigen Vor¬ gang des künſtleriſchen Hervorbringens zu verſetzen, ſo werden wir die Erfahrung machen, daß wir auf alles Bewußtſein eines Umfaſſenden und Allgemeinen verzichten müſſen, um auch nur annäherungsweiſe einen jener Augen¬ blicke geſteigerten Bewußtſeins an uns ſelbſt erleben zu können, wie ſie der Künſtler vor der ſichtbaren Erſcheinung erlebt, wenn er ſchaffend thätig iſt.

Ueberdies giebt es Gebiete des Sichtbaren, ſo das ſehr Große, das ſehr Kleine, das ſehr Ferne, das ſehr Bewegte, die durch keine künſtleriſche Thätigkeit zu mehr erhoben werden können, als was ſie ſind, Gebiete ſinn¬ licher Wahrnehmung, auf denen begriffliche Realiſirungen im ausgedehnteſten Maße ſtattfinden, während anſchau¬118 liche Realiſirungen nicht oder nur in ſehr unvollkommener Weiſe möglich ſind. Es giebt andere Gebiete des Sicht¬ baren, wie das ſehr Einfache, das ſehr Unſcheinbare, das ſehr Ungewöhnliche, auf denen anſchauliche Realiſirungen zwar möglich ſind und auch ſtattfinden, auf denen aber der Künſtler der Anregung zur Thätigkeit doch nur auf die Gefahr hin nachgeben kann, ſelbſt für ſehr einfachen oder abſonderlichen Geiſtes gehalten zu werden. So iſt es nicht der Beruf derjenigen Fähigkeit, mit der wir in der künſtleriſchen Anlage die menſchliche Natur ausgeſtattet ſehen, das geſammte Reich ſichtbarer Erſcheinung allmählig auf die Bahn anſchaulicher Entwickelung zu bringen. Ein ſehr großer Theil des Sichtbaren bleibt als Sichtbares ein für allemal auf untergeordnete Bewußtſeinszuſtände angewieſen und gelangt zu höherer Exiſtenz nur im Begriff. Ein verhältnißmäßig geringer Theil wird ab und zu von der künſtleriſchen Thätigkeit ergriffen und erhebt ſich in den Be¬ wußtſeinszuſtänden, die in dieſer Thätigkeit zur Entwickelung gelangen, zu mehr oder minder höherem Daſein.

Noch eine Ueberlegung drängt ſich hier auf, wo von der Entwickelung die Rede iſt, die das Bewußtſein einer ſichtbaren Welt in der bildenden Thätigkeit des Künſtlers erfährt. Wir pflegen in Anſehung deſſen, was ſich unſeren Augen dar¬ bietet, von einer Unendlichkeit zu reden. Unwillkürlich er¬ zeugt ſich uns der Gedanke, einem Unendlichen uns gegen¬ über zu befinden, wenn wir uns ſchauend in die Betrachtung der Welt verſenken, wenn wir im Nahen und Fernen, im Kleinen und Großen immer weiter vordringen, wenn wir119 die Erfahrung machen, daß über das anſcheinend Kleinſte, das anſcheinend Fernſte hinaus unſerer Geſichtswahr¬ nehmung ein noch Kleineres, ein noch Ferneres zugäng¬ lich wird. Mit ahnenden Schauern ſtehen wir vor dem Anblick dieſer Welten, hinter denen ſich immer fernere und fernere Welten zu verbergen ſcheinen, um vielleicht dereinſt einem helleren und vordringenderen Blick ſich zu enthüllen. Aber dieſe Unendlichkeit iſt eine gedachte; ſie iſt thatſächlich nicht für das Auge vorhanden, ſondern für den denkenden Verſtand. Für das Auge giebt es ſtreng genommen keine Unendlichkeit; vielmehr ſieht es ſich immer nur einer Endlichkeit gegenüber. Die Welt iſt für daſſelbe vollſtändig zu Ende, wo es an die jeweiligen Grenzen ſeiner Tragweite gelangt iſt. So lange wir uns nur ſehend verhalten, kann uns die Welt nur endlich, niemals unendlich erſcheinen. Und dennoch giebt es eine Unendlich¬ keit, die nichts mit dem Gebiet des Denkens zu thun hat, die ſich lediglich als eine Unendlichkeit der ſichtbaren Welt offenbart. Vor dieſer Unendlichkeit ſteht nur der Künſtler und wer ihm zu folgen vermag. Sie eröffnet ſich nur da, wo in der Wahrnehmung des Auges jenes Streben ſeinen Urſprung nimmt, die empfangenen Vorſtellungen zu immer höherer Klarheit und Beſtimmtheit emporzubilden. Hier iſt das Reich des Sichtbaren in der That ein unendliches, weil es ſich in einer Thätigkeit darſtellt, für die es nur ein immer ſich erneuendes Streben, nicht aber eine zu löſende Aufgabe, ein zu erreichendes Ziel giebt.

[120]

6.

Mit Recht bekennen wir, daß erſt mit unſerem eigenen Daſein das gegeben iſt, was wir als vorhanden anzu¬ ſprechen vermögen. Es iſt aber damit, wie wir geſehen haben, noch wenig geſagt. Im bloßen Daſein des Men¬ ſchen mit ſeinen ſinnlich-geiſtigen Anlagen liegt noch keine Bürgſchaft für das Vorhandenſein einer Welt, die nun dem Menſchen ſchlechthin, allen Menſchen gemeinſam an¬ gehört. Im Daſein des Menſchen liegt die Bürgſchaft nur für die Möglichkeit der Entſtehung deſſen, was wir, da wir es in den Formen beſitzen, die wir ſelbſt gebildet haben, das Vorhandene nennen. Eine Realiſirung dieſer Möglichkeit kann aber nur in einer Thätigkeit ſtattfinden, die der Menſch entwickelt. Nicht dem Menſchen, ſondern durch den Menſchen offenbart ſich alles, was wir meinen können, wenn wir von Natur, Seiendem, Wirklichkeit, Welt reden.

Wir haben erwähnt, daß dem Menſchen kein Mittel zu Gebote ſteht, durch das er den geſammten Wirklichkeits¬ gehalt eines Dinges in einen gemeinſamen Ausdruck zu faſſen vermöchte, daß er vielmehr darauf angewieſen iſt, auf verſchiedenen Wegen zur thätigen Entwickelung eines121 Wirklichkeitsbeſitzes vorzudringen, und daß er auf jedem dieſer Wege wiederum zu unendlich verſchiedenen Ent¬ wicklungsgraden gelangt. Wir haben ferner erwähnt, daß alle dieſe Wege unendlich ſind, und, ſtatt, wenn auch von verſchiedenen Ausgangspunkten, doch einem gemeinſamen Ziele, d. h. einem vollſtändigen Wirklichkeitsbeſitz zuzu¬ führen, ſich vielmehr immer weiter von einander entfernen, und daß daher, um jeden bildlichen Ausdruck bei Seite zu laſſen, jeder Wirklichkeitsbeſitz, in je beſtimmteren und vollendeteren Formen er ſich darſtellt, um ſo einſeitiger ſein muß. Die Hervorbringung und Darſtellung eines ſolchen Wirklichkeitsbeſitzes haben wir als den eigentlichen Sinn der künſtleriſchen Thätigkeit bezeichnet. Inwiefern aber durch dieſe Thätigkeit in beſonderer Art und Weiſe an jener Wirklichkeitsrealiſirung gearbeitet wird, das kann hier bis ins Einzelne nicht verfolgt werden; um ſo weniger, als dabei eine Menge Fragen auftauchen würden, die ſich nur aus der unmittelbaren künſtleriſchen Erfahrung heraus beantworten laſſen. Wohl aber kann einiges Allgemeine über dieſe Thätigkeit und über die eigenthümliche Art der Wirklichkeit geſagt werden, die durch ſie entſteht.

Vor allem iſt es das Verhältniß, in dem die Kunſt zur Natur ſteht, worüber man Klarheit zu erlangen ſuchen muß. Daß Kunſt etwas Anderes ſei, als Natur, bedarf keines Beweiſes. Die Verſuche aber, Natur und Kunſt ſich als verſchiedene Welten gegenüber zu ſtellen, pflegen darauf hinauszugehen, die Kunſt gleichſam von der Natur abzudrängen, dasjenige ausfindig zu machen, was der122 Künſtler zur Natur hinzuthun müſſe, um ſie in Kunſt umzuwandeln. Es iſt dabei der Geſichtspunkt maßgebend, daß die Thätigkeit des Künſtlers zwecklos und überflüſſig ſei, ſofern ſie der bloßen Sichtbarkeit ihrer Leiſtungen nicht einen Empfindungs - oder Bedeutungswerth beizulegen wiſſe. Ein geſunder, wenn auch unreifer Sinn hat ſich noch immer gegen die Herrſchaft ſolcher Anſchauungen aufge¬ lehnt; und um der Gefahr zu begegnen, die künſtleriſche Thätigkeit nach ganz entlegenen Zielen ſich verirren zu ſehen, hält man ihr vor, daß ihr kein höheres Ziel geſteckt ſei, als die Natur. Geſund muß dieſe Anſchauung genannt werden, weil ſie der künſtleriſchen Thätigkeit keinen anderen Zweck unterlegt, als den, das im bildneriſchen Ausdruck zu realiſiren, was die Natur Sichtbares dar¬ bietet; ſie iſt aber zugleich unreif, inſofern ſie überſieht, daß die künſtleriſchen Gebilde in Folge ihrer Entſtehung durch eine unüberbrückbare Kluft von dem getrennt ſein müſſen, was wir im gewöhnlichen Sinne ſichtbare Natur nennen. Dieſe ſichtbare Natur iſt ja thatſächlich nichts Anderes als jenes ungeheure und bunte Gewirr von Wahr¬ nehmungen und Vorſtellungen, die, auftauchend und ver¬ ſchwindend bald an unſerem äußeren, bald an unſerem inneren Auge vorüberziehen, die ſich uns in unzweifelhafter Thatſächlichkeit aufdrängen und doch ſpurlos verſchwunden ſind, ſobald wir meinen, ſie uns in der Wärme der Em¬ pfindung oder in der Klarheit begrifflicher Erkenntniß an¬ geeignet zu haben. Sie iſt jenes gewaltige Reich des Lichtes, in dem die unendliche Reihe der Dinge in unend¬123 lichen Combinationen ſich unſerem Auge darbietet, das wir mühelos und in aller Vollſtändigkeit und Vollkommenheit zu beſitzen meinen, und das ſich uns doch bei dem be¬ ſcheidenſten Verſuche der Prüfung in ſeiner ganzen Un¬ ſicherheit, Unbeſtimmtheit und Haltloſigkeit enthüllt. Dieſe Sichtbarkeit gleicht einem Geſchenk, welches uns ohne unſer Zuthun zufällt. Freilich beruht ſchon die kümmerlichſte Wahrnehmung des Geſichtsſinns auf einem ſehr compli¬ cirten Geſchehen; aber dieſes Geſchehen vollzieht ſich im Inneren des Menſchen, iſt äußerlich nicht wahrnehmbar und eine Thätigkeit kommt uns dabei nicht zum Bewußtſein. Aus dieſem allgemeinen, ſich bei allen mit den Organen des Geſichtsſinnes ausgeſtatteten Menſchen in mehr oder minder gleichmäßiger Weiſe wiederholenden Geſchehen ent¬ wickelt und erhebt ſich nun aber bei jenen Einzelnen und Wenigen eine äußerlich wahrnehmbare und zum ſichtbaren Ausdruck führende Thätigkeit. Es iſt klar, daß die Natur als eine Welt ſichtbarer Erſcheinungen, deren Geſtaltung auf der bloßen Thätigkeit der Augen und den an dieſe ſich anſchließenden inneren Wahrnehmungs - und Vorſtel¬ lungsvorgängen beruht, für diejenigen eine andere werden muß, die mit dem Talent des künſtleriſchen Ausdrucks begabt noch ganz andere Fähigkeiten und Thätigkeiten in den Dienſt jener Naturgeſtaltung zu ſtellen vermögen. Hier offenbart ſich das ganze Geheimniß des nothwendigen Unterſchiedes, der zwiſchen dem Reiche der Sichtbarkeit, das wir Natur nennen, und den Sichtbarkeitsgeſtaltungen herrſcht, die uns in der künſtleriſchen Thätigkeit vor Augen124 treten. Dieſer nothwendige Unterſchied reſultirt allein daraus, daß, wo ſonſt der Menſch mit ſeiner Beziehung zur ſichtbaren Natur zu Ende iſt, der Künſtler ſich in ſeiner Thätigkeit zu dieſer ſelben Natur um ihrer Sicht¬ barkeit willen in eine neue Beziehung zu ſetzen vermag. Es iſt ebenſo unnöthig, etwas zu erfinden, was zur Natur hinzukommen müſſe, um ſie zur Kunſt umzubilden, als es unmöglich iſt, daß die Kunſt etwas hervorbringt, was der Natur im gewöhnlichen Sinne des Wortes gleichkommt. Wo eins von beiden verlangt wird, da kann man mit Sicherheit annehmen, daß aus der Noth eine Tugend ge¬ macht wird; die Unfähigkeit, in höhere Regionen wahrer Kunſt zu gelangen, wird verdeckt durch eine eigens gebil¬ dete Lehrmeinung, in der das als das höchſte Ziel der Kunſt bezeichnet wird, was die jeweilige ſogenannte Kunſt¬ übung leiſtet. Von echter Kunſt wird man nichts anderes verlangen dürfen, als Natur, aber freilich nicht das kümmer¬ liche Naturbild, was uns Allen zu Gebote ſteht, ſondern das entwickelte Naturbild, zu deſſen Entſtehung es jener Thätigkeit bedarf, die ſich beim Künſtler an die bloßen Wahrnehmungs - und Vorſtellungsvorgänge des Geſichts¬ ſinnes anſchließt. Das, wodurch ſichtbare Natur zur Kunſt wird, ohne daß ſie doch aufhörte, Natur zu ſein, iſt die Entwickelung, die ſich für ihre Sichtbarkeit in der Thätig¬ keit des Künſtlers vollzieht. Kunſt iſt nicht Natur; denn ſie bedeutet eine Erhebung, eine Befreiung aus den Zu¬ ſtänden, an die gemeiniglich das Bewußtſein einer ſicht¬ baren Welt gebunden iſt; und doch iſt ſie Natur: denn ſie125 iſt nichts anderes als der Vorgang, in dem die ſichtbare Erſcheinung der Natur gebannt und zu immer klarerer und unverhüllterer Offenbarung ihrer ſelbſt gezwungen wird.

Es kann ſehr gewagt erſcheinen, die Anſprüche, deren Erfüllung von der künſtleriſchen Thätigkeit gefordert wird, als ungerechtfertigt abzuweiſen und dafür etwas als die Aufgabe der Kunſt zu bezeichnen, was vielleicht manchem gar nicht von beſonderer Wichtigkeit zu ſein ſcheinen mag. Aber wenn man ſich fragt, um welches Erfolges willen eine Thätigkeit ausgeübt wird, ſo muß man in Rückſicht ziehen, welcherlei Erfolge nicht ausſchließlich dieſer Thätig¬ keit angehören, was hingegen ganz allein durch dieſelbe erreicht werden kann. Man kann, wenn auch in etwas unbeſtimmter Weiſe, faſt alle die Forderungen, die an jede Kunſtübung geſtellt zu werden pflegen, unter zwei Rubriken bringen: man fordert Empfindungswerthe von der Kunſt und Bedeutungswerthe. Nun kann nicht geleugnet werden, daß durch die Kunſt Empfindungswerthe ſowohl als Bedeutungswerthe eigenthümlicher Art geſchaffen werden. Aber wenn die Kunſt auch unſer Empfinden in beſonderer Weiſe anzuregen, unſer Denken in beſonderer Weiſe zu beſchäftigen vermag, ſo lernen wir doch Empfinden und Denken nicht erſt durch die Kunſt kennen; vielmehr giebt es auf dem weiten Gebiete des Vorhandenen nichts, was nicht als ein Empfindungswerth oder als ein Bedeutungs¬ werth ſich geltend machen könnte. Verwerthen wir alſo die Erzeugniſſe künſtleriſcher Thätigkeit für unſer Empfinden oder unſer Denken, ſo thun wir etwas, was wir, wie mit126 allem und jedem, ſo auch ſchon mit den bloßen Wahr¬ nehmungen und Vorſtellungen des Geſichtsſinnes thun können; es bedarf dazu nicht ſo complicirter Thätigkeiten, wie diejenigen ſind, aus denen künſtleriſche Leiſtungen her¬ vorgehen. Wohl aber bedarf es dieſer Thätigkeiten, wenn es ſich um Herſtellung des reinen Ausdrucks der Sicht¬ barkeit einer Erſcheinung handelt. Daß dieſer Ausdruck keiner geiſtigen Thätigkeit verdankt werden kann, der wir im Intereſſe des Empfindens und Denkens die ſichtbare Natur unterwerfen, iſt ſelbſtverſtändlich; denn Empfinden und Denken vernichtet, wie wir geſehen haben, die Sicht¬ barkeit der Erſcheinung und ſetzt eine andere Form des Seins an ihre Stelle. In der bloßen Wahrnehmung und Vorſtellung des Geſichtsſinns liegt aber noch keinerlei Mittel, um etwas zu gewinnen, was die Sichtbarkeit eines Dinges im ſelbſtſtändigen Ausdruck darſtellte. Und zwar iſt es Zweierlei, was uns hindert, die Sichtbarkeit der Dinge ſelbſtſtändig zu erfaſſen, ſo lange ſie uns nur in unſeren Wahrnehmungen und Vorſtellungen nahe tritt. Einmal ſtellen ſich die ſichtbaren Dinge, die ſich unſerem Auge zeigen, die Geſichtsvorſtellungen, die in unſerem Inneren erſcheinen, nicht ſo dar, als ob ſie rein um ihrer Sichtbarkeit willen vorhanden wären. Das Auge kann nichts thun, als uns Gegenſtände zeigen, in denen die Sichtbarkeit doch nur eine Seite ihrer complicirten ſinn¬ lichen Beſchaffenheit iſt, und die zugleich ein mannichfaltiges Intereſſe, ſei es unſeres Fühlens und Wollens, ſei es unſeres Wiſſens und Erkennens, in Anſpruch nehmen. Und127 die Bilder, die Erinnerung und Einbildungskraft uns vor¬ führen, gehören ebenſowenig dem reinen Element der Sicht¬ barkeit an; ſie ſtehen mitten in dem wechſelvollen Spiel all der unzähligen Elemente unſeres geiſtigen Lebens, die, in geheimnißvollem Zuſammenhang unter einander ver¬ bunden, ſich gegenſeitig an die Oberfläche des Bewußtſeins rufen. Es iſt, als ob die Sichtbarkeit der Dinge, ſolange ſie ſich zu keiner höheren Daſeinsform entwickelt, als ihr in den Wahrnehmungen des Auges, in den inneren Ge¬ bilden unſerer Vorſtellungskraft zukommt, nicht die Macht beſäße, ſich ſo ſehr des menſchlichen Bewußtſeins zu be¬ mächtigen, daß ſie nicht in jedem Augenblicke verdrängt werden könnte und irgend einem anderweitigen ſinnlich¬ geiſtigen Vorgang den Platz räumen müßte. So werden wir durch die Erlebniſſe des Geſichtsſinnes zunächſt nicht in ein ausſchließliches Reich der Sichtbarkeit eingeführt, vielmehr müſſen wir den Antheil an der Sichtbarkeit der Dinge theilen mit allen den Anſprüchen, deren Befriedigung nun einmal die Vielſeitigkeit und Verſatilität der menſch¬ lichen Natur fordert. Und dann: auch wenn es uns vorübergehend gelingt, das Intereſſe des Sehens, des Sichtbar-Vorſtellens zur ausſchließlichen Herrſchaft in uns zu bringen, die ſichtbare Erſcheinung der Dinge gleichſam loszulöſen von allem, was die Dinge ſonſt ſind und be¬ deuten, ſie als etwas uns zum Bewußtſein zu bringen, dem ein ſelbſtſtändiges Daſein zukäme, ſo gelangen wir dadurch, wie ſchon oben bemerkt, nur in einen traumhaften Zuſtand; dadurch, daß ſich uns gleichſam die ganze Sub¬128 ſtanz des realen Daſeins auf den flüchtigen Stoff der Wahrnehmungen und Vorſtellungen eines einzelnen Sinnes reducirt, verlieren wir den Boden der realen Welt unter den Füßen; dadurch, daß wir ſelbſt an einer Wirklichkeits¬ geſtaltung mit keinem größeren Theil unſeres Organismus betheiligt ſind, als erforderlich iſt, um jene Wahrneh¬ mungen und Vorſtellungen entſtehen zu laſſen, kommen wir uns in unſerem eigenen Daſein herabgeſetzt und gleich¬ ſam darauf beſchränkt vor, der Schauplatz zu ſein, auf dem geſpenſterhafte Bilder ſichtbarer Dinge entſtehen und vergehen, in bunter wechſelvoller Menge ihr phantaſtiſch¬ willkürliches Spiel treiben.

Die Thatſache, daß der Künſtler zu einer mechaniſchen Thätigkeit greift, ſich der mühevollen Bearbeitung eines Stoffes unterzieht, um ein Sichtbares herzuſtellen, läßt ſich nur erklären, wenn man eben bedenkt, wie unſelbſt¬ ſtändig und befangen die Sichtbarkeit der Natur bleibt, ſo lange ſie ſich nur in Wahrnehmungen oder in einem inneren Vorſtellungsverlauf darſtellt. Zunächſt kann ſich nur in der Thätigkeit das Intereſſe an der Sichtbarkeit eines Dinges ſo iſoliren, daß die Vorſtellung eines Gegen¬ ſtandes, an dem die Sichtbarkeit erſcheint, gänzlich ſchwindet und dieſe letztere zu einer ſelbſtſtändigen Form des Seins wird. Der Künſtler wird an ſich die Erfahrung machen. Je mehr und mehr er ſich nicht mehr bloß mit dem Auge oder mit der Einbildungskraft, ſondern mit ſeiner ganzen Perſon, mit der Empfindungsfähigkeit ſeines ganzen Kör¬ pers, mit der Thätigkeit ſeiner Hände in den Vorgang129 verſtrickt fühlt, der mit der Wahrnehmung des Geſichts¬ ſinnes beginnt und mit der äußerlich ſichtbaren Darſtellung endet, deſto mehr ſcheidet er aus allen den Beziehungen zu den Dingen aus, die vorher Macht über ihn hatten. Erſt dadurch, daß er nicht mehr bloß als wahrnehmendes, vorſtellendes, ſondern als thätiges, äußerlich thätiges Weſen an der Sichtbarkeit der Dinge betheiligt iſt, wird ihm dieſe voll gegenwärtig, und je mehr ſie ihn mit ihrer lebendigen Gegenwart erfüllt, deſto mehr wird alles von ihm hinwegtreten, was ſich ſonſt bei der Betrachtung der Dinge in den Vordergrund ſeines Bewußtſeins drängte und die Sichtbarkeit verdunkelte. Nur in ſeiner Thätig¬ keit wird der Künſtler das Bewußtſein gewinnen, daß ihm eine Seite der Welt anvertraut iſt, damit er ſie zum ſelbſt¬ ſtändigen und geſtalteten Daſein bringe. Und ferner wird es auch nur vermittelſt der künſtleriſchen Thätigkeit ge¬ lingen, jener Flucht der Vorſtellungen, der wir anheim¬ gegeben ſind, ſo lange wir uns nur ſehend oder Sehbares in unſerem Inneren reproducirend verhalten, Einhalt zu gebieten und uns der einzelnen Erſcheinung in einem klaren und beſtimmten Erzeugniß zu bemächtigen. Es kann wie ein Verzicht, wie eine Beſchränkung erſcheinen, wenn wir den Künſtler mit einem Einzelnen, Begrenzten beſchäftigt ſehen, wo wir nur die Augen aufzuſchlagen, nur unſeren Vorſtellungen den Lauf zu laſſen brauchen, um mühelos ein ungeheures Reich der Sichtbarkeit zu gewinnen. Aber wenn wir es uns nahe bringen können, daß die Sichtbarkeit der Dinge, ſo lange ſie nichts weiterFiedler, Urſprung. 9130iſt, als äußere Wahrnehmung oder Vorſtellung unſeres inneren Sinnes, jedem Eingehen in eine ſelbſtſtändige Geſtaltung, in der ſie uns angehören könnte, widerſtrebt, daß ſie die Thätigkeit der Künſtlers fordert, um ſich aus der Verworrenheit und Flüchtigkeit ihres Daſeins herauszuarbeiten, daß dieſe Thätigkeit nur im Einzelnen möglich iſt, ſo werden wir in jener anſcheinenden Beſchränkung vielmehr eine Befreiung erkennen. Was die Sichtbarkeit der Dinge nicht ſein kann, ſo lange ſie noch der Natur anhaftet, ſo lange ſie nur an etwas erſcheint, was ſich uns gerade dadurch als Natur zeigt, daß es ein Gegenſtand der mannichfaltigſten ſinnlichen Wahrnehmung iſt, ſo lange ſie verflochten bleibt in das Gewirre der un¬ aufhörlich wechſelnden ſinnlich-geiſtigen Vorgänge, in denen ſich uns das Vorhandene darſtellt, das wird ſie durch die Thätigkeit des Künſtlers. Nur in dieſer Thätigkeit ringt ſich das, was an einem ſichtbaren Dinge deſſen Sicht¬ barkeit iſt, von dem Dinge los und tritt nun als freies ſelbſtſtändiges Gebilde auf. Damit dies aber möglich ſei, bedarf es eines Stoffes, der ſelbſt wiederum ſichtbar iſt, und durch deſſen Bearbeitung es möglich wird, jene Sicht¬ barkeitsgebilde thatſächlich herzuſtellen.

Wenn wir den Künſtler einestheils mit der Natur, anderentheils mit einem Material beſchäftigt ſehen, um ein Drittes hervorzubringen, was weder Natur im ge¬ wöhnlichen Sinne, noch bloßes Material iſt, ſo iſt der Sinn ſeines Thuns ein doppelter. Auf der einen Seite wird die Natur inſofern ihres Weſens entkleidet, als in131 dem entſtehenden Dritten von alledem, was wir an der Natur wahrnehmen und was uns dieſelbe zur Natur macht, nichts anderes mehr vorhanden iſt, als das, was dem Auffaſſungsgebiete des Geſichtsſinnes angehört; auf der anderen Seite wird das Material dadurch zu einem geläufigen Ausdrucksmittel der Sichtbarkeit gemacht, daß in ſeiner Verwendung und Bearbeitung alle ſeine ſtoff¬ lichen Eigenſchaften nur inſoweit Berückſichtigung finden, als ſich an ihnen die Veränderung, Geſtaltung, allmählige Entwickelung eines Geſichtsbildes vollziehen läßt. Die Natur erfährt in dieſem Vorgange eine Umwandlung, inſofern mehr und mehr alles aus ihr verſchwindet, was in ihrer gegenſtändlichen Erſcheinung auf einem Zuſammen¬ treffen wechſelnder und in beſtändiger Veränderung be¬ findlicher Eindrücke verſchiedenſter Art beruht; der Stoff wird gleichſam zur Verleugnung ſeiner ſelbſt gezwungen, inſofern er nur dem Zwecke dienſtbar gemacht wird, ein ſo ſtoffloſes Gebilde wie die dem Geſichtsſinn ſich dar¬ ſtellende Geſtalt der Dinge an ſich zum Ausdruck zu bringen. Das, was an der Natur erreicht werden muß, um ſie zum künſtleriſchen Bild zu machen, kann nur ver¬ mittelſt der Thätigkeit am Stoffe erreicht werden; das, was am Stoffe geſchehen muß, um aus ihm ein Kunſt¬ werk zu machen, kann nur durch die Natur erreicht wer¬ den, zu deren Ausdruck der Stoff fügſam gemacht wird. Nur dadurch, daß in der künſtleriſchen Thätigkeit Beides einer von einem beſtimmten Streben beherrſchten formen¬ den Behandlung unterliegt, kann jene Welt der Kunſt ent¬9*132ſtehen, in der ſich die Sichtbarkeit der Dinge in der Ge¬ ſtalt reiner Formgebilde verwirklicht.

Und hier gelangen wir zu einem von der gewöhn¬ lichen Auffaſſung abweichenden Begriff der künſtleriſchen Form. Wenn man von künſtleriſcher Form ſpricht, ſo pflegt man davon auszugehen, daß die ſichtbare Natur, die man als Grundlage aller künſtleriſchen Thätigkeit be¬ trachtet, ihrer ſichtbaren Form nach beſtimmt ſei, daß aber der Künſtler den Beruf habe, die natürlich gegebene Form nach beſtimmten Geſichtspunkten zu einer anderen, der natürlichen mit ſelbſtſtändigem Recht gegenüberſtehenden Form umzubilden. Offenbar kann man in gewiſſem Sinne ſchon da, wo die Sichtbarkeit noch auf die Vor¬ gänge in den Organen der Wahrnehmung und Vorſtellung beſchränkt iſt, von einer ſichtbaren Form reden; denn ſonſt könnte uns überhaupt nichts als ſichtbar erſcheinen. Aber wir haben geſehen, daß dieſe ſichtbare Form befangen iſt in der Verworrenheit, die eben in jenen unentwickelten Gebieten des Bewußtſeins herrſcht, daß ſie unbeſtimmt iſt, inſofern das Bewußtſein, ſo lange es an bloße Wahr¬ nehmungen und Vorſtellungen gebunden iſt, über keinerlei Mittel verfügt, durch welche jene Form zu beſtimmen wäre. Der künſtleriſche Vorgang ſtellt, wie es jeder geiſtige Vorgang thut oder wenigſtens thun ſollte, einen Fortſchritt dar von der Verworrenheit zur Klarheit, von der Unbeſtimmtheit des innerlichen Vorganges zu der Be¬ ſtimmtheit des äußeren Ausdrucks. Wenn es nur durch die künſtleriſche Thätigkeit möglich iſt, die Form, in der133 uns die ſichtbare Natur erſcheint, aus der Verworrenheit zu reißen und zum klaren Ausdruck zu geſtalten, ſo folgt daraus, daß die Form, die aus der künſtleriſchen Thätig¬ keit hervorgehen ſoll, die künſtleriſche Form, nicht auf einer Entfernung von der Natur beruhen darf, ſondern auf möglichſter Annäherung an die Natur beruhen muß. Die Einſicht, daß dem menſchlichen Geiſt das reine und klare Gebiet der ſichtbaren Form der Dinge verſchloſſen bleibt, ſo lange ſich ſeine Auffaſſung des Sichtbaren nur in unmittelbaren oder reproducirten und aſſociirten Wahr¬ nehmungen vollzieht, führt zu der anderen Einſicht, daß es der küntlerichen Thätigkeit bedarf, um der ſichtbaren Form der Natur nur überhaupt nahe kommen zu können. Nicht anders iſt es ja auf anderen Gebieten geiſtigen Er¬ faſſens und Erkennens. Nur dem zum äußeren Ausdruck, zur Form entwickelten geiſtigen Vorgang iſt es gegeben, das innerſte Weſen der Natur zu ergreifen. Künſtleriſche Form und natürliche Form ſtehen ſich alſo in keinem anderen Sinne gegenüber, als in dem, daß erſt in der künſtleriſchen Form die natürliche Form erkannt zu werden vermag.

Als geſund und echt wird ſich nun die künſtleriſche Thätigkeit nur dann erweiſen, wenn ſich alle Handlungen, die der Künſtler vornimmt, zurückführen laſſen auf den einen Urſprung, die Wahrnehmung durch den Geſichtsſinn, wenn der geſammte künſtleriſche Vorgang nichts anderes iſt, als ein nicht mehr bloß durch die Augen, ſondern durch den ganzen handelnden Menſchen vollzogenes Sehen. Und134 es iſt klar, daß die Gebilde, die ſich ſo aus dem thätig gewordenen Sehvorgang entwickeln, ſo unendlich verſchieden ſie ſich darſtellen mögen, beſtimmten gleichmäßigen For¬ derungen genügen müſſen, welche das Bewußtſein an die Sichtbarkeit ſtellt. Es kann ſich nicht darum handeln, der künſtleriſchen Thätigkeit von vornherein Geſetze vorzu¬ ſchreiben, die von ihr befolgt werden müßten, ſofern ſie den Anſpruch erheben wolle, wirkliche und nicht nur ſchein¬ bare Kunſtwerke hervorzubringen. Aber wo immer die künſtleriſche Thätigkeit ſich treu bleibt, da wird ſie nicht eher ruhen können, als bis ihre Gebilde in eine Form eingegangen ſind, die thatſächlich eine geſetzmäßige iſt. Und da dieſe Gebilde nur um ihrer Sichtbarkeit willen hervor¬ gebracht werden, ſo kann ſich auch jene Geſetzmäßigkeit nur in denjenigen ihrer Eigenſchaften offenbaren, durch die ſie ſich dem Geſichtsſinn darſtellen. Alle Forderungen, die von anderen Standpunkten aus, mögen dieſelben ſein, welche ſie wollen, an ſeine Thätigkeit geſtellt werden, muß der Künſtler rückſichtslos zurückweiſen, ſofern ſie ihn in ſeinem eigenſten Streben hemmen und beeinträchtigen. Mag man es als eine Beſchränkung auffaſſen, wenn der Kunſt nur jene eine Aufgabe zugewieſen und ſie eines Abfalls von ſich ſelbſt beſchuldigt wird, ſofern ſie ſich Forderungen und Geſetzen unterwirft, die im Intereſſe der Erfüllung anderer Aufgaben formulirt werden; wahrhaft beſchränkt iſt die künſtleriſche Thätigkeit doch nur durch alle die ihrem Weſen fremden Anſprüche, denen ſie ſich ausgeſetzt ſieht. Und was geſchieht? Die geringe, ſchwache135 künſtleriſche Anlage wird verwirrt, geſchädigt, vernichtet, oder ſie macht ſich den herrſchenden Irrthum über das Weſen der Kunſt zu Nutze, um die thatſächliche Schwäche durch einen falſchen Schein von Größe zu verdecken; das kräftige, unmittelbare Talent hingegen wird jeden Zwang durchbrechen und ſeine ſelbſtſtändigen Thaten an die Stelle fremder Forderungen ſetzen.

Nur wenn wir uns von der Voreingenommenheit frei¬ machen, als ob die Kunſt der Erfüllung von Aufgaben zu dienen habe, die anderen Gebieten des Lebens entnommen ſind, werden wir ihrem inneren Leben zu folgen vermögen; erſt dann wird ſie uns aus allen Beſchränkungen gleich¬ ſam in die Freiheit der Natur entlaſſen ſcheinen. Nicht als ein nothwendiges Glied in einem ihr fremden Zu¬ ſammenhange vielfacher Lebenszwecke werden wir ſie mehr betrachten, ſondern wie eine Erſcheinung, die überall her¬ vortreten muß, wo menſchliche Zuſtände ſich entwickeln. Und für die Nothwendigkeit dieſes Auftretens werden wir keinen anderen Grund beibringen, als den, daß es immer Menſchen geben wird, die in der Wahrnehmung durch das Auge, die ihnen mit einem Schlag die ſichtbare Welt zu enthüllen ſcheint, doch nur einen Hinweis, einen Zugang erblicken, zu einem Reiche der Sichtbarkeit, in welches nicht mehr das Auge, ſondern nur die Sichtbares geſtaltende Thätigkeit vordringen kann. Wir mögen unſeren Blick wenden, wohin wir wollen, auf die urſprünglichſten Zu¬ ſtände menſchlich-geſellſchaftlichen Daſeins, in die dunkelſten Zeiten der Geſchichte, nach den entlegenſten Culturgebieten,136 überall werden wir künſtleriſches Bemühen erwachen und erblühen ſehen; bald nur kümmerlich und beſcheiden ſich hervorwagend, bald geſund und kräftig ſich entfaltend, bald wuchernd und verwildernd. Und wenn oft lange Zeit hindurch der unzulänglichen Begabung nur die äußeren Gebiete jenes Reiches des ſichtbaren Seins zugänglich bleiben; ſo ſtaunen wir mit Recht, wenn wir bei einzelnen Völkern und während eng begrenzter Zeiträume wahr¬ nehmen, daß ſich plötzlich jenes Reich vor der ungewöhn¬ lichen Kraft bis in ſeine innerſten Räume aufthut und uns einen herrlichen Reichthum vollendeter Gebilde offenbart.

Das unendlich verſchiedene Maß an jeweilig vor¬ handener künſtleriſcher Kraft iſt es auch allein, welches den Gang der Kunſt beſtimmt. Wohl bilden ſich unter all den Erzeugniſſen, die bei aller Verſchiedenheit ihrer Erſcheinung und ihres Entwickelungsgrades doch einem gleichartigen Bedürfniß und einer gleichartigen Begabung entſpringen, über zeitliche Abſtände und räumliche Tren¬ nungen hinweg mancherlei Abhängigkeitsverhältniſſe. Durch die thatſächlichen Anregungen, die das Spätere von dem Früheren empfängt, verbunden mit dem Neuen, was das Spätere vor dem Früheren voraus hat, wird die Annahme begünſtigt, daß die künſtleriſche Leiſtungsfähigkeit der Men¬ ſchen ſich in einem großen Entwickelungsgange von dem Niederen zum Höheren, von dem Unvollkommenen zum Vollkommneren bewege. Und doch iſt die Macht, die der geſchichtliche Zuſammenhang auf das künſtleriſche Thun ausübt, unendlich geringfügig im Vergleich zu der Macht,137 die die Natur über dasſelbe ausübt, indem ſie den Men¬ ſchen mit mehr oder weniger geſtaltender Begabung aus¬ ſtattet. Wir können den Künſtler auf die Höhe einer Jahr¬ hunderte, Jahrtauſende langen Entwickelung ſtellen, er wird dadurch nicht den geringſten Zuwachs an jener Kraft er¬ halten, durch die allein irgend eine künſtleriſche Aufgabe gelöſt werden kann. Mit dieſer Kraft ſteht der Künſtler, welchem Volke, welcher Zeit er angehören mag, der Natur doch immer wieder unmittelbar gegenüber, und hat ſich zu bethätigen, als ob er der Erſte und auch der Letzte wäre, der der Natur das Geheimniß ihrer ſichtbaren Er¬ ſcheinung abverlangte.

Und damit hängt es endlich auch zuſammen, daß die künſtleriſche Arbeit immer eine fragmentariſche bleiben muß. Sie ſtellt ſich dar als ein immer und überall ſich wiederholender, zu den verſchiedenſten Graden des Ge¬ lingens führender Verſuch, in das Gebiet des ſichtbaren Seins vorzudringen und es in geſtalteter Form dem Be¬ wußtſein anzueignen. Es kann aber nur zu Mißverſtänd¬ niſſen führen, wenn man in ihr eine fortſchreitende Be¬ wegung nach einem Ziele ſucht, zu deſſen Erreichung alle künſtleriſchen Leiſtungen nur als Vorſtufen zu betrachten ſeien. Die Aufgabe der Kunſt, wenn man von einer ſolchen reden will, bleibt immer dieſelbe, im Ganzen un¬ gelöſte und unlösbare, und muß immer dieſelbe bleiben, ſo lange es Menſchen giebt.

Aus der Bedeutung, die der künſtleriſchen Thätigkeit den obigen Ausführungen nach zukommt, ergeben ſich nun138 auch mancherlei Folgerungen für die Art und Weiſe, in der ein jener Bedeutung entſprechendes Verhältniß zu vor¬ handenen Kunſtwerken gewonnen werden kann. Wenn ſich der künſtleriſche Vorgang ſo von allen übrigen Thätigkeiten des Menſchen ablöſen könnte, daß er ganz ausſchließlich zum Ausdruck ſeiner ſelbſt würde, ſo könnte ein Verkennen oder ein Mißverſtehen deſſelben nicht ſtattfinden. Dem iſt aber zweierlei hinderlich. Einmal unterliegt die Kunſt¬ übung dem Schickſal alles Menſchlichen: neben ihrer reinen Erſcheinung tritt ſie in allerhand Trübungen und Ver¬ fälſchungen auf. Es iſt ſo leicht, ſich ihr äußeres Ge¬ bahren anzueignen; iſt aber das künſtleriſche Thun nicht beherrſcht und durchdrungen von jenem ausſchließlichen Streben nach thätig-geſtaltender Entwickelung der Geſichts¬ vorſtellungen, ſo iſt es eben nur ein ſcheinbares, äußer¬ liches, und wird den allerverſchiedenſten Liebhabereien, Intereſſen, Abſichten dienſtbar. Und dann, ſelbſt wo die künſtleriſche Leiſtung rein und unverfälſcht auftritt, da bleibt es doch immer unmöglich, zu verhindern, daß ſie den Menſchen um anderer Intereſſen willen wichtig er¬ ſcheine, als um des einzigen, welches für ihre Hervor¬ bringung maßgebend war. Denn das, was der Künſtler thut, vollzieht ſich nicht außerhalb der Wirklichkeit, ſondern als eine Modifikation dieſer Wirklichkeit. Der Künſtler ſucht dieſer Wirklichkeit denjenigen Ausdruck zu geben, der ſeinem Streben nach Klarheit und Verſtändniß entſpricht; aber wer dem Sinn dieſes Ausdrucks kein Verſtändniß entgegenbringt, der wird an dem weſentlichen Inhalt des139 Kunſtwerkes theilnahmlos vorübergehen und in ihm nur das wiederfinden, was ihn auch ſonſt an der Wirklichkeit Antheil nehmen läßt. Und überdies iſt es ja nur natür¬ lich, daß Jedem die Kunſt um derjenigen Eigenſchaften willen vorhanden zu ſein ſcheint, die ſeiner Empfänglichkeit, ſeinem Verſtändniß zugänglich ſind. Denn es iſt leichter, eine Leiſtung an dem eigenen geiſtigen Zuſtand zu meſſen, als ſich dem Zuſtande, in dem man zu verweilen gewohnt war, entreißen und in Gebiete emporführen zu laſſen, zu denen man aus eigener Kraft nicht gelangen konnte.

Es iſt hier nicht der Ort, im Einzelnen auszuführen, wie in Folge dieſer Umſtände auf dem Gebiete des Kunſt¬ verſtändniſſes die außerordentlichſte Verwirrung entſtanden iſt. Im Allgemeinen iſt es einestheils das Empfindungs¬ leben, anderentheils die denkende und auf ein Wiſſen ab¬ zielende Thätigkeit des Geiſtes, zu denen man vorhandene Kunſtwerke in Beziehung ſetzt, um ſie ſich anzueignen. Wenn in den breiten Bildungsſchichten dieſe Verſuche, künſtleriſche Leiſtungen ſich nahe zu bringen, in anſpruchs¬ loſer Vermiſchung erſcheinen, ſo treten ſie in den Kreiſen derer, die, über ſo naive Standpunkte erhaben, bis in das innerſte Geheimniß der Kunſt vorgedrungen zu ſein glauben, getrennt auf und kleiden ſich in das vornehme Gewand philoſophiſcher Prinzipien und wiſſenſchaftlicher Methoden. Im Grunde aber kommt man auch hier über ein theils ſentimentales, theils gelehrtes Verhältniß zur Kunſt nicht hinaus. Je größer aber die Macht iſt, die thatſächlich durch dieſe ſcheinbaren Arten des Kunſtverſtändniſſes über140 den geiſtigen Zuſtand der Menſchen ausgeübt wird, deſto entſchiedener muß man auf den Irrthum hinweiſen, der in der Meinung liegt, das, was auf künſtleriſchem Wege entſtanden ſei, könne in anderer als künſtleriſcher Weiſe begriffen werden. In dem Umſtande, daß der Künſtler ſeine Aufgabe nicht erfüllen kann, ohne Werke hervorzu¬ bringen, die, wie alles Vorhandene, zu Empfindungs¬ werthen und zu Gegenſtänden des Intereſſes für den denkenden Geiſt werden können, liegt keinerlei Grund da¬ für, daß man dieſe Werke ihrem Weſen nach verſtanden habe, wenn man ihnen nach dieſen Seiten hin gerecht ge¬ worden ſei. Wohl aber liegt in dem Umſtände, daß der Künſtler in ſeiner Leiſtung ein ganz anderes Intereſſe an der Welt bethätigt, als das des Empfindens und des Denkens, ein ſehr entſcheidender Grund dafür, daß es weder dem Empfinden noch dem Denken jemals gelingen kann, den künſtleriſchen Schatz zu heben, der in dem Kunſt¬ werk verborgen iſt. Ja derjenige, der den Kunſtwerken gegenüber ſich von dem Intereſſe des Empfindens und Denkens nicht frei zu machen verſteht, der iſt noch nicht einmal an den Punkt gelangt, von dem der Künſtler ſeinen Ausgang nimmt, und er kann keinen Zugang zu der eigent¬ lichen Welt gewinnen, von der das künſtleriſche Bewußt¬ ſein erfüllt iſt.

Wird aber der Kunſt gegenüber Alles verworfen, was einem anderen Intereſſe als dem des Sehens entſpringt, ſo ſcheint thatſächlich kein anderes Organ des Kunſtver¬ ſtändniſſes übrig zu bleiben, als das ſehende Auge. Und141 es fehlt ja auch nicht an Solchen, die immer und immer wieder darauf zurückkommen, man dürfe in der Kunſt nichts anderes ſuchen, als was die Natur dem Auge offen¬ bare. Sie haben das Verdienſt, die Schatten zu zerſtreuen, durch die alle jene ſentimentalen, gelehrten, philoſophiſchen Bemühungen das reine Bild der Kunſt verdunkeln. Während aber die ſichtbare Natur ihr Daſein dem ſehenden Auge ver¬ dankt, verdankt die Kunſt ihr Daſein eben nicht mehr nur dem Auge, und darum iſt es auch mit dem bloßen Sehen der Kunſt gegenüber nicht gethan. Wenn Jenen zufolge alles Urtheil über Kunſtwerke, alles Verſtändniß derſelben auf einem Vergleich zwiſchen dem beruht, was man in dem Kunſtwerke, und dem, was man in der Natur ſieht, und wenn dem Kunſtwerk ein um ſo höherer Rang an¬ gewieſen wird, je größer ſeine Uebereinſtimmung mit dem Naturbilde iſt; ſo ſteht dem entgegen, daß der Künſtler, indem er ſich ſehend der Natur entgegenſtellt, nur am An¬ fang einer Thätigkeit ſteht, aus der etwas hervorgeht, was das Auge, ſo lange es auf ſich ſelbſt angewieſen bleibt, an der Natur nicht leiſten kann, und daß daher ein Ver¬ gleich zwiſchen Natur und Kunſt immer weniger möglich iſt, je weiter der künſtleriſche Proceß fortſchreitet und ſich entwickelt.

Nur dadurch, daß man den Thätigkeitsvorgang erlebt, in dem ſich Natur zum Kunſtgebilde geſtaltet, vermag man dem Künſtler auf ſein eigenes Gebiet zu folgen, ihn in ſeiner eigenen Sprache zu verſtehen. Was nützt alles Sehen, wenn man ſich nicht, unbefriedigt von allem Sehen,142 ergriffen fühlt von jenem Drange, das Sehen zur Thätig¬ keit zu entwickeln, und in immer ſich ſteigerndem Ausdruck Natur als ein Sichtbares ſich anzueignen? Dann aber iſt es doch der Künſtler allein, der den Künſtler begreifen kann; dann ſprechen die Künſtler eine Sprache, die Nie¬ mand verſtehen kann außer ihnen, weil nur ſie die Fähig¬ keit beſitzen, ſie zu ſprechen! Dann iſt die Kunſt, an der mehr als an etwas anderem alle Menſchen ihr Recht geltend machen, eine Geheimſchrift, zu der nur Wenige den Schlüſſel haben, während die Anderen ſich mehr oder weniger kindlich an ihr vergnügen, ohne den wahren Sinn zu ahnen, der in ihr verborgen liegt! Und freilich muß man von vornherein darauf verzichten, daß Kunſt etwas Allgemeinverſtändliches ſein könne. Dieſes Gebiet menſch¬ licher Leiſtungen, welches ſo offen vor Aller Blicken zu liegen ſcheint, iſt thatſächlich einem großen Theil der Menſchen vollſtändig verſchloſſen. Denn wo ſich in der Zuſammenſetzung der individuellen Natur das Bedürfniß nicht vorfindet, das Wirklichkeitsbewußtſein, ſofern es auf den Wahrnehmungen des Geſichtsſinnes beruht, zu höheren Formen zu entwickeln, da fehlt jede Möglichkeit, der künſt¬ leriſchen Thätigkeit auf ihren Wegen zu folgen. Und wo die Natur verſagt, da kann kein Bemühen, keine Belehrung helfen. Ja wo es zu einem Gegenſtand der Bemühung, der Belehrung gemacht wird, den Einzelnen in eine Be¬ ziehung zur Kunſt zu ſetzen, während die natürliche Be¬ dingung zur Entſtehung eines ſolchen Verhältniſſes nicht gegeben iſt, da gewinnen begreiflicherweiſe alle die Ver¬143 ſuche Spielraum, der Kunſt von Standpunkten aus gerecht zu werden, um die es dem Künſtler gar nicht zu thun iſt.

Iſt aber jedes Verſtändniß der künſtleriſchen Thätig¬ keit von vornherein Vielen verſchloſſen, ſo iſt das höchſte erſchöpfende Verſtändniß eines Kunſtwerkes dem vorbe¬ halten, der das Kunſtwerk hervorbringt. Der Künſtler ſo gut wie Jeder, in dem ſich das geiſtige Leben nach einer beſtimmten Richtung hin über das gewöhnliche Maß ent¬ wickelt zeigt, eilt den Anderen voraus, und wird ſomit immer nur allein da anlangen können, bis wohin es ihm überhaupt zu kommen vergönnt iſt. Welcher Künſtler, auch wenn er Theilnahme, Beifall, Bewunderung findet, hat das Bewußtſein, ganz verſtanden zu werden? Bleibt nicht das, was er da erreicht hat, wo ſeine Fähigkeiten ſich zur höchſten Thätigkeit entwickelten, ſein ausſchlie߬ liches Geheimniß? Fühlt er nicht, daß er da, alle anderen Menſchen gleichſam im Dunkel hinter ſich laſſend, zu einer Höhe künſtleriſcher Erkenntniß emporgeſtiegen iſt, deren eben nur er in ſeiner Thätigkeit theilhaftig werden kann? Alles Verſtändniß, was ihm zu Theil wird, kann immer nur darauf beruhen, daß Andere ſich einigermaßen in die beſondere Entwickelung ſeines Bewußtſeins einzuleben ver¬ mögen, die ſich in ſeiner Thätigkeit vollzieht. Es wird immer nur ein annäherndes bleiben, weil jener Entwicke¬ lungsproceß ſelbſt ſich eben nur durch das eine Individuum bis zu der erreichten Höhe vollziehen konnte.

Sind es nun die Künſtler, die vor allen Anderen dieſes annähernden Verſtändniſſes für die künſtleriſchen144 Leiſtungen Anderer fähig ſind, weil ſie wenigſtens aus eigenem Erlebniß den bildneriſchen Vorgang kennen, in dem das Streben nach Entwickelung des Bewußtſeins von einer ſichtbaren Welt Befriedigung ſucht, ſo iſt doch jene natürliche Anlage, die in ihrer Steigerung ſich als künſt¬ leriſche Thätigkeit darſtellt, ſchon in geringerem Grade bei Vielen vorhanden, und dieſe ſind es, die in ſich ſelbſt den natürlichen und unmittelbaren Zugang zu der Welt der Kunſt finden. Was bei dem Künſtler als entwickelte Fähigkeit auftritt, das zeigt ſich hier als ein Bedürfniß, dem doch aus eigener Kraft nicht genügt werden kann. Während ſo Viele gar nicht ahnen, daß es auf dem Gebiete des Geſichtsſinnes mehr giebt, als das bloße Sehen und Geſehenes Vorſtellen zu beſtimmten, dem Gebiete des Ge¬ ſichtsſinnes nicht mehr angehörigen Zwecken, gewinnt hier die bloße Thatſache, daß das Bewußtſein eines ſichtbaren Seins gegeben iſt, einen beſonderen ſelbſtſtändigen Werth. Mit dem vorherrſchenden Intereſſe, welches der Sichtbar¬ keit als ſolcher gewidmet wird, verbindet ſich die Einſicht in den unentwickelten, verworrenen Zuſtand, der dieſer Sichtbarkeit anhaftet, verbindet ſich das Bedürfniß, die Wahrnehmungen des Auges für das Auge in einer Ge¬ ſtaltung ſich verwirklichen zu ſehen. Nur wer von Natur ſo geartet iſt, vermag das innerlich mit zu erleben, um was der Künſtler unabläſſig bemüht iſt. Er wird ſich den Werken der Kunſt gegenüber nicht mehr bloß ſehend verhalten, in dem Sinne, wie man ſich ſichtbaren Dingen gegenüber überhaupt ſehend verhält, vielmehr wird er ſich145 ergriffen fühlen von der Vorſtellung der Thätigkeit, aus der jene Werke hervorgegangen ſind. Indem er ſich dieſe Thätigkeit zu vergegenwärtigen, ihr zu folgen ſucht, wird er unwillkürlich hinweggeführt aus allen den Gebieten des Fühlens und Denkens, in denen er ſonſt der Wirklichkeit gegenüber verharrt, mehr und mehr löſt ſich die Verwirrung, in der für ſein Bewußtſein die Sichtbarkeit der Dinge verſtrickt war; er ſieht ſich thatſächlich in die reine Welt der Kunſt erhoben, in der ſich die Erſcheinungen der Dinge ſeinem verſtehenden Auge zur Beſtimmtheit, zur Ordnung, zur Geſetzmäßigkeit gezwungen darbieten. Hier, aber auch nur hier, wird die Kunſt zur Offenbarung; ſie zeigt das wirklich gethan, wohin das Bedürfniß des Geiſtes drängt, in ihr findet eine immer lebendige Frage, die von dem Geſichtsſinn an die ſichtbare Welt geſtellt wird, immer erneute Beantwortung.

Auf Grund einer ſolchen Beziehung zur Kunſt wird es möglich, auf dem weiten Gebiete der Production, auf dem, wie auf allen Gebieten menſchlichen Strebens, neben der Stärke die Schwäche, neben dem Gelingen die Ver¬ irrung, neben dem Ernſt der Trug liegt, diejenige Orien¬ tirung zu gewinnen, die dem Weſen der Kunſt entſpricht. Unter welchem noch ſo fremdartigen Gewand, in welchen noch ſo ſeltſamen Verbindungen irgend ein echtes Zeugniß künſtleriſchen Strebens den verwandten Geiſt trifft, da erfolgt ein unmittelbares Erkennen. Alle die tauſendfäl¬ tigen Verſchiedenheiten, die Zeit und Ort der Entſtehung, Zugehörigkeit zu den mannichfaltigſten Stoffgebieten mitFiedler, Urſprung. 10146ſich bringen, verſinken, und wir fühlen uns dem, was uns aus zeitlicher und räumlicher Ferne zukommt, nicht frem¬ der, als dem, was wir neben uns entſtehen ſehen. Durch alle zeitlichen und räumlichen Bedingungen hindurch ſehen wir den Künſtler im Grunde doch immer der Natur un¬ mittelbar gegenüberſtehen, und wie wir die Natur als ein beſtändig Gegenwärtiges aufzufaſſen gewohnt ſind, ſo blicken wir in das ganze Reich der Kunſt mit keinem anderen Intereſſe, als daß ſich uns in ihm in unvergänglicher Gegenwart ein entwickeltes und erhöhtes Bewußtſein der ſichtbaren Welt offenbart.

Nur ſo auch kann bei dem Einzelnen von einer künſt¬ leriſchen Cultur die Rede ſein. Denn dieſe beſteht nicht darin, daß wir uns gewöhnen, unter den Dingen, mit denen wir unſer Daſein ausſtatten, dem äußerlichen Schein der Kunſt einen hinreichenden Platz einzuräumen; ſie be¬ ſteht vielmehr darin, daß wir an der künſtleriſchen Pro¬ duction den dunklen und verworrenen Drang der eigenen Natur zum klaren Schauen entwickeln und uns in das beſondere Weltbewußtſein hineinleben, welches in den Werken der Künſtler zum Daſein gelangt. Haben wir einmal das eigene künſtleriſche Bedürfniß an der Betrach¬ tung vergangener, an dem Miterleben gegenwärtiger Kunſt¬ thätigkeit entzündet, ſo fühlen wir unſer geiſtiges Leben von dem Zuge einer neuen Entwickelung ergriffen. Wir ſtellen uns mit dem Künſtler der Natur unmittelbar gegen¬ über und laſſen uns leiten von der Kraft, die den ſicht¬ baren Stoff der Erſcheinungen, der auch vor unſerem Be¬147 wußtſein ſich darſtellt, zu zuſammenhängenden und im höchſten Grade wahrhaftigen Beſtandtheilen des ſichtbar Seienden verarbeitet; und wenn wir von dem Streben, uns immer mehr und mehr in den Reichthum und die Mannichfaltigkeit der Kunſt hineinzuleben, eine Erhebung erwarten, ſo kann es keine andere ſein, als die Erhebung aus dem Zuſtande geiſtiger Unſicherheit und Veworrenheit zu der Höhe geiſtiger Klarheit und Beherrſchung des Seien¬ den, die das Ziel jedes ernſthaften Strebens ſein muß.

10 *
[148]

7.

Es erübrigt, hier noch einige Bemerkungen anzufügen einestheils über das Verhältniß, in welchem jene künſt¬ leriſche Thätigkeit in dem oben entwickelten Sinne des Wortes zu der thatſächlichen Kunſtübung ſteht, in der ſich ja keineswegs immer jener Sinn lebendig erweiſt, anderen¬ theils über die Bedeutung, welche die Kunſt, ſofern ſie in jenem Sinne verſtanden wird, für die geiſtige Verfaſſung des Menſchen gewinnt. Indeſſen muß hier zuvörderſt einem Mißverſtändniß begegnet werden.

Auf Grund der obigen Ausführungen könnte man ſich zu dem Schluß berechtigt glauben, daß jeder, ſei es ausübenden, ſei es betrachtenden Beſchäftigung mit der Kunſt, ſofern ihr nicht jener ausſchließliche Sinn inne¬ wohne, die Daſeinsberechtigung beſtritten werden müſſe. Stellt man ſich nun vor, wie ſich ein allenthalben er¬ wachſendes, mit jeder Generation ſich erneuerndes Bedürf¬ niß des Bildens und Schaffens mit den verſchiedenſten Zwecken verbindet, nach den verſchiedenſten Richtungen ſich auslebt, wie mannichfaltig und fruchtbar auf der anderen Seite die Bedeutung iſt, welche die Beſchäftigung mit der149 Kunſt für die Menſchen gewinnt, ſo wird man mit Recht denjenigen der Ueberhebung zeihen, der einer ſo reichen Welt des thatſächlich Vorhandenen von einem einſeitig formulirten Standpunkt aus richtend und regulirend gegen¬ über tritt. Hier ſoll nun ausdrücklich betont werden, daß ein ſo anmaßliches Gebahren den vorliegenden theoretiſchen Ueberlegungen ganz fern liegt. Der alte erbitterte Kampf, den der Thätige gegen Theorie und Kritik führt, erneuert ſich ja auch nur deshalb immer wieder, weil die Einſicht der Verſuchung nicht widerſtehen kann, ſich in eine Macht verwandeln zu wollen, der ſich Leben und Thätigkeit zu unterwerfen habe. Die Einſicht macht ſich damit eines groben Irrthums ſchuldig. Mag die Thätigkeit, die Leiſtung ſein, welche ſie wolle, das Recht zum Daſein, und zwar ſo zu ſein wie ſie iſt, wohnt ihr aus Gründen inne, die gar nicht vor das Forum theoretiſcher Ueber¬ legung gehören. Nur im Schaffen wird das Schaffen eine ebenbürtige Macht anerkennen, die zu beſiegen oder der zu unterliegen ihr beſtimmt iſt. Die Einſicht hat es aber immer nur wieder mit Einſicht zu thun und wird ſich ſelbſt untreu, wenn ſie ſich zu verwerthen ſtrebt, um praktiſche Herrſchaft über etwas zu gewinnen, um deſſen Erkenntniß es ihr ausſchließlich zu thun ſein kann. Wem es Ernſt iſt mit dem Begreifen der Erſcheinungen des menſchlichen Lebens, der wird ſo wenig auf den Gedanken kommen, Einfluß auf dieſelben zu gewinnen, als es dem¬ jenigen, der die Vorgänge der Natur zu erkennen ſtrebt, in den Sinn kommen kann, den Lauf der Natur ändern150 zu wollen. Auch liegen ja alle Erfolge, die das Denken erringen kann, auf ſeinem eigenen Gebiet; die Bemühungen, die es macht, um eine Herrſchaft auszuüben, wo ihm keine Machtbefugniß gegeben iſt, bleiben im Grunde erfolglos. Vergleicht man, welche Wege die Production geht, und welche Wege ihr von jeher alle diejenigen vorzuſchreiben unternommen haben, die über der Production zu ſtehen meinen, weil ſie dieſelbe zum Gegenſtand ihres Nachdenkens machen, ſo erſcheint der thatſächliche Einfluß der Theorie ſo außerordentlich geringfügig, die Entwickelung der Pro¬ duction ſo ſelbſtſtändig, zumeiſt den Vorſchriften derer, die das Ziel aller künſtleriſchen Thätigkeit im Voraus zu kennen vorgeben, ſo zuwiderlaufend, daß es zu verwundern iſt, wie ein ſo vergebliches Bemühen nicht ein für allemal aufgegeben worden iſt. Hier alſo ſoll keineswegs der An¬ ſpruch formulirt werden, daß die Welt beſſer thäte, das bunte Kleid abzuſtreifen, mit dem eine von ſo verſchieden¬ artigen Tendenzen bewegte Kunſtübung, eine von ſo ver¬ ſchiedenartigen Bedürfniſſen eingegebene Kunſtbetrachtung ſie ſchmückt. Wenn verſucht worden iſt, inmitten des ver¬ wirrenden Reichthums, zu dem das bildneriſche Thun ſich beſtändig entfaltet, des eigentlichen Urphänomens künſt¬ leriſcher Thätigkeit habhaft zu werden, ſo kann daraus keine andere Conſequenz gezogen werden, als daß man zu der zweiten Einſicht fortſchreitet, inwieweit alles das, was ſich in das äußere Gewand der Kunſt kleidet, ſich auf jenen reinen Urſprung des künſtleriſchen Strebens zurück¬ führen läßt, inwieweit es hingegen in außerkünſtleriſchen151 Beſtrebungen ſein zweideutiges Herkommen hat. Und an¬ dererſeits kann es in Betreff der vielſeitigen Beziehungen, die ſich zwiſchen den künſtleriſchen Leiſtungen und den be¬ trachtenden Menſchen herſtellen, nicht der Sinn der vor¬ ausgehenden Erörterungen ſein, daß es überhaupt nur eine einzige Beziehung zur Kunſt geben dürfe; wohl aber wird ſich an die Einſicht, auf welche Weiſe allein dem Kunſtwerk ſein eigenſter Inhalt abgewonnen werden könne, die Ueberlegung anſchließen, welche Bedeutung dann der Entſtehung und dem Vorhandenſein von Kunſtwerken für den Menſchen beizulegen ſei.

Wie auch immer die Aufgabe formulirt werden mag, die der Künſtler zu erfüllen habe, ſo iſt es doch eine Ver¬ einigung von Anſchaulichem und Nichtanſchaulichem in einem gemeinſamen Ausdruck, die von ihm gefordert zu werden pflegt. So groß die Gegenſätze ſein mögen, durch welche die Anſichten über Kunſt von den Höhen philoſophiſcher Ueberlegung bis hinab in die breiten Schichten naiven Ge¬ nuſſes getrennt ſind, immer iſt es ein Zweierlei, deſſen Vereinigung durch den Künſtler im Kunſtwerk voraus¬ geſetzt wird. Mag es mehr die denkende oder mehr die fühlende Natur des Menſchen ſein, in der der Urſprung für den weſentlichen Inhalt künſtleriſchen Schaffens geſucht wird, immer bleibt dem Künſtler der unmittelbare Aus¬ druck verſagt, und er ſieht ſich darauf angewieſen, das, was als der eigentlich bedeutungsvolle Inhalt ſeines Thuns ausgegeben wird, mittelbar an etwas zum Ausdruck zu bringen, was ſich zunächſt weder der denkenden, noch der152 fühlenden Natur des Menſchen, ſondern nur ſeinem Seh¬ vermögen darſtellt. In Folge deſſen ſieht man davon ab, daß der Künſtler im eigentlichen Sinne des Wortes doch nichts anderes zum anſchaulichen Ausdruck bringen kann als eben Anſchauliches, und ſchreibt ihm gleichſam eine Sprache, ein Ausdrucksmittel zu, dem das eigenthümliche Vermögen zuſtehe, Nichtanſchauliches und Anſchauliches in einem einheitlichen, untrennbaren Gebilde zu vereinigen. Es ſoll hier nicht von der Täuſchung die Rede ſein, die der Annahme einer ſolchen Möglichkeit zu Grunde liegt; die Folge dieſer Auffaſſung, in ſo vielen Modificationen ſie ſich auch darſtellen mag, iſt aber immer, daß als die Aufgabe der Kunſt die Verſchmelzung von Sichtbarem und Nichtſichtbarem angeſehen wird, und daß man den Werth der künſtleriſchen Leiſtung abhängig macht von dem Grade, in dem es gelungen ſei, Form und Inhalt in eine neue Einheit zu verwandeln, die dann weder nur Form, noch nur Inhalt ſein ſoll.

Ueberlegen wir, was wir im Vorhergehenden verſucht haben, als innerſten Sinn künſtleriſcher Thätigkeit darzu¬ ſtellen, ſo leuchtet ein, daß wir zu einem ganz entgegen¬ geſetzten Ergebniß kommen müſſen. Das Streben des Künſtlers geht nicht auf einen Ausdruck, in dem verſchieden¬ artige Intereſſen des Empfindens und Denkens ſich zu einer Einheit verbinden; dieſe Einheit beſteht in Wahrheit nicht; es kann dann nur von einem Product die Rede ſein, von welchem, nicht anders als von einem Naturproduct, die mannichfaltigſten Anregungen ausgehen. Gerade aus153 dieſer Concurrenz der Intereſſen, der der Menſch in der Regel unterworfen bleibt, ſahen wir den Künſtler ſich retten. Freilich müſſen wir auch im höchſten Kunſtwerk einen Empfindungsgehalt und einen dem anſchaulich Gebotenen zu entnehmenden nicht anſchaulichen Inhalt thatſächlich an¬ erkennen; aber wir deuten dieſe höchſten Leiſtungen künſt¬ leriſcher Kraft nicht ſo, daß es in ihnen am vollendetſten gelungen ſei, in bildneriſchen Hervorbringungen, die zunächſt nur dem Auge geleiſtet erſcheinen, Anregungen für die Empfindung zu geben, im anſchaulichen Ausdruck einen mannichfaltigen Inhalt zu vergegenwärtigen, der den ver¬ ſchiedenſten Gebieten des Bewußtſeins angehört, kurz in dem dem Auge ſich darſtellenden Gebilde möglichſt vielen dem ganzen Bereich des Empfindens und Denkens ange¬ hörigen Forderungen Genüge zu thun. Im Gegentheil vermögen wir die erreichte künſtleriſche Höhe nur darin zu finden, daß das Intereſſe an der Entwickelung der im bildneriſchen Proceß ſich realiſirenden reinen Geſichtsvor¬ ſtellung das Intereſſe an einer Ausgeſtaltung des bild¬ neriſchen Erzeugniſſes nach anderen Geſichtspunkten über¬ wachſen hat. Nur dadurch kann der Künſtler von der Unverfälſchtheit und Stärke ſeiner Begabung Zeugniß ab¬ legen, daß er die Rückſichten auf allerlei Gehalt und In¬ halt, die ſeine bildende Thätigkeit beeinfluſſen könnten, zurückdrängt und ſich ganz allein von dem Streben nach Entwickelung des Geſichtsbildes beſtimmen läßt. Und wenn man ſonſt im Kunſtwerk dem, was ſich ausſchließlich dem Geſichtsſinne darbietet, eine untergeordnete Rolle zuzutheilen154 pflegt im Verhältniß zu dem Empfindungs - und Gedanken¬ gehalt, als deſſen Träger das ſichtbare Gebilde betrachtet wird, ſo müſſen wir dieſes Verhältniß umkehren und alle Wichtigkeit, die einem Kunſtwerk als ſolchem zugeſchrieben werden kann, in ſeine Sichtbarkeit verlegen.

Die vorurtheilsfreie Betrachtung derjenigen Werke, in denen die glänzendſten Bethätigungen künſtleriſcher Be¬ gabung vorliegen, kann dies nur beſtätigen. Freilich wer¬ den dieſelben Kunſtwerke von jeder Theorie, die über die Aufgaben der Kunſt formulirt wird, als Beweismaterial beanſprucht und benutzt; dies iſt aber nur dadurch mög¬ lich, daß man nicht darnach fragt, welches Intereſſe für den Künſtler maßgebend war, als er ſein Werk gerade ſo bildete, wie es thatſächlich vorliegt, ſondern den Werth des Werkes aus demjenigen Intereſſe ableitet, mit dem man ſelbſt demſelben entgegentritt. Dem unbefangenen Blick kann es gar nicht verborgen bleiben, daß gerade die höchſten künſtleriſchen Leiſtungen ſich dadurch kennzeichnen, daß bei ihrer Hervorbringung das Streben, in der bil¬ denden Entwickelung der Geſichtsvorſtellung immer weiter vorzudringen, jegliche Rückſicht auf Werthe anderer Art weit hinter ſich gelaſſen hat. Wo wir den Künſtler von der Leidenſchaft ergriffen ſehen, die der Natur von dem Auge unmittelbar entnommene Geſtalt bildend zu immer gegenwärtigerem Vorhandenſein zu bringen, da nehmen wir zugleich wahr, daß für ihn dasjenige allen Werth ver¬ liert, was an dem Kunſtwerk nur mittelbar und nicht durch dasſelbe unmittelbar ſichtbar zum Ausdruck kommen kann.

155

Sind wir einmal zu der Erkenntniß gelangt, daß das Maßgebende für die ſichtbaren Werke bildender Thätigkeit nicht in einem Zuſammentreffen von empfindbaren und denkbaren, aber nicht ſichtbaren Werthen, ſondern aus¬ ſchließlich in dem ſichtbar Erreichten liegt, ſo kann unſer Urtheil über künſtleriſche Leiſtungen nicht mehr dadurch getrübt werden, daß es bald durch dieſen, bald durch jenen Werth beſtimmt wird, den unſer Empfinden und unſer Denken in ihnen wahrnimmt. Die ungeheure Welt der Kunſt liegt klar vor unſeren Augen. Was wir unmittel¬ bar durch den Geſichtsſinn auf dieſem reichen, in unend¬ licher Mannichfaltigkeit der Geſtaltungen ſich darſtellenden Gebiete wahrnehmen, das, wiſſen wir, iſt die ganz eigene Arbeit der beſonderen künſtleriſchen Anlage, die dem Men¬ ſchen innewohnt; was wir nur mittelbar als der Empfin¬ dung oder der Reflexion zu gute kommend aus dieſer Welt von Gebilden uns aneignen, das, wiſſen wir, ſind Neben¬ werthe, die zwar durch die künſtleriſche Arbeit mit ins Leben gerufen werden, ohne jedoch als beſtimmende Mächte da angeſehen werden zu können, wo die bildneriſche Arbeit unverfälſcht auftritt. Und nun gewinnen wir all dem gegenüber, was unter dem großen Namen der Kunſt zu¬ ſammengefaßt wird, einen eigenthümlich beſtimmten Stand¬ punkt. Es iſt ein reiches, mannichfaltiges Bild, glänzend und von vielfacher Bedeutſamkeit, welches an uns vorüber¬ zieht, wenn wir uns in den Schatz der Denkmäler ver¬ tiefen. Was wir darin zu erkennen vermögen, wird aber nicht das Bild einer Entwickelung ſein, in der ſich das156 Einzelne in einem großen, einheitlichen Zuſammenhange darſtellt; vielmehr iſt es das Schickſal, dem eine einfache und klare Thätigkeit der menſchlichen Natur in den Ver¬ wirrungen des Lebens thatſächlich verfällt, worüber uns die unbefangene Betrachtung der dem Auge ſich darbieten¬ den Leiſtungen belehrt. Gleichgültig wird uns jene Ge¬ ſchichte der Kunſt werden, die alles in ſich aufnimmt, was ſich in das äußere Gewand der Kunſt kleidet, und für die alles bedeutend iſt, was von irgend einem Standpunkt aus von den vorhandenen Kunſtwerken ausgeſagt werden kann; nichts anderes wird ſich uns in der Betrachtung jenes weiten Schaffensgebietes enthüllen, als die nie ruhende Bethätigung der beſonderen Beziehung, in die der Menſch durch die künſtleriſche Begabung zur ſichtbaren Welt ge¬ ſetzt wird.

Sondert ſich ſo vor unſerem Auge aus der bunten verwirrenden Menge künſtleriſchen Thuns, von der ſich das Leben jeder Zeit, jedes Volkes begleitet zeigt, der echte künſtleriſche Gehalt, der jenem Thun innewohnt, ſo müſſen wir uns zunächſt eingeſtehen, daß ſich oft genug unter einem anſpruchsvollen und glänzenden Schein künſt¬ leriſchen Hervorbringens ein recht kümmerlicher Gehalt verbirgt. Freilich iſt in jeder Kunſtübung, auch wenn ſie noch ſo ſtümperhaft, noch ſo willkürlich nach entlegenen Zielen abgelenkt erſcheint, eine Aeußerung urſprünglichen künſtleriſchen Könnens und Wollens verborgen, und anderer¬ ſeits ſehen wir in Zeiten allgemeiner Verirrung auch große und ſelbſtſtändige Begabungen auftreten; in ihnen ſcheint157 die Kunſt gleichſam wieder zu ſich ſelbſt gekommen zu ſein; aber ſie führen ein vereinzeltes und oft verborgenes Daſein; die Entwickelung wird ihnen verkümmert durch das an¬ ſpruchsvolle Auftreten einer Kunſtübung, die ihre eigene Schwäche durch falſchen Glanz zu verdecken ſucht. Ab und zu aber im Leben der Völker erfährt jene beſondere Fähigkeit eine erſtaunliche Steigerung; ein Intereſſe, welches ſonſt nur eine untergeordnete Rolle ſpielt, zuweilen nahezu ganz hinter anderen Intereſſen zurücktritt, erſcheint plötzlich im Vordergrund des Lebens; leidenſchaftlich drängt es den menſchlichen Geiſt, die Grenzen ſeines Daſeins nach dieſer einen Richtung hin zu erweitern; zahlreiche Begabungen treten in den Dienſt der einen Arbeit; es iſt ein Wetteifer, um auf tauſend Pfaden, die alle in der gleichen Richtung laufen, vorwärts zu kommen; es iſt, als ob der Menſch vornehmlich um ſeines Sehens, die Welt vornehmlich um ihrer Sichtbarkeit willen vorhanden wäre. In ſolchen Zeiten iſt es, wo wir die ſeltene geniale Kraft, der es zu allen Zeiten vorbehalten iſt, eine ausnahmsweiſe Ent¬ wickelung des Bewußtſeins zu vollziehen, dies gerade nach dieſer einen Richtung hin vollbringen ſehen; es entſtehen jene Werke, in denen die Sichtbarkeit des Seienden in ſo vollendetem, überzeugendem Ausdruck gegenwärtig wird, daß ſie uns wie mit der Macht der Offenbarung ent¬ gegentritt.

In dieſen ſogenannten guten Zeiten der Kunſt iſt nun jenes Streben nach bildneriſcher Entwickelung einer Sichtbarkeit ſo mächtig, die Begabung, dieſem Streben158 Genüge zu thun, ſo ſtark und ſo weit verbreitet, daß ſich das ganze Gebiet der Kunſtübung davon beherrſcht zeigt. Nicht nur da, wo der künſtleriſche Genius, frei von ge¬ botener Unterordnung unter einen vorgeſchriebenen Zweck, ungehindert ſeine eigenſte Bahn verfolgen kann, nein, bis in die Sphären hinab, wo ein praktiſches Bedürfniß alles Recht an die Geſtaltung eines geforderten Gegenſtandes in Anſpruch zu nehmen ſcheint, zeigt ſich jene Macht. Wo nur immer das Auge einen Antheil hat an dem, was durch menſchliche Arbeit hervorgebracht wird, da macht ſich das Bemühen geltend, eine Form zu finden, die nur aus den Forderungen des Auges entſtanden zu ſein ſcheint. Es iſt nicht das Streben, im anſchaulichen Gebilde Nichtanſchauliches, wie Beſtimmung, Zweck des Gegenſtandes, zum Ausdruck zu bringen, noch viel weniger das Bedürfniß, ein Symbol zu ſchaffen, in dem der reflectirende Geiſt die Anregungen vereinigt findet, das vorliegende Werk als im Mittelpunkt mannichfaltiger Be¬ ziehungen ſtehend aufzufaſſen, auch nicht der Wunſch, durch das, was dem Auge geboten wird, einen unmittel¬ baren Reiz auf die Empfindung auszuüben; es iſt viel¬ mehr das Intereſſe des Auges, welches allein die formende Hand leitet. Dem Naturobject gegenüber, welches wir hinnehmen müſſen, ſo wie es uns entgegentritt, dem Product menſchlicher Thätigkeit gegenüber, für welches bald dieſe bald jene Rückſicht maßgebend erſcheint, handelt es ſich hier darum, daß etwas hervorgebracht wird, was nur um ſeiner Sichtbarkeit willen vorhanden zu ſein ſcheint. 159Das Geheimniß ſogenannter Stiliſirung beſteht darin, daß uns auch der gewöhnlichſte Gegenſtand des täglichen Lebens als eine zum beſtimmten Gebilde entwickelte Geſichtsvor¬ ſtellung gegenwärtig zu werden vermag.

So wenden ſich die Erzeugniſſe jener bevorzugten Zeiten der Kunſt, von den Werken an, die nur um der künſtleriſchen Bethätigung willen vorhanden ſind, bis hinab in die weiten Gebiete aller der Gegenſtände, die dem täg¬ lichen Leben und dem Gebrauche dienen, vornehmlich an das Auge, nicht aber, um durch den Geſichtsſinn auf die Gefühls - und Ideenwelt zu wirken, ſondern in dem Sinne, daß eine weitverbreitete Begabung, was ſie berührt, aus der Verworrenheit, in der alles beharrt, ſolange es der Concurrenz der Sinne, der Herrſchaft der Gefühle, der Verſtrickung geiſtiger Beziehungen unterworfen bleibt, er¬ löſt und in den unmittelbaren Ausdruckswerth eines ſicht¬ baren Seins verwandelt. In nichts anderem beſteht der Zauber, der auf den Werken ſolcher Zeiten ruht, und der dieſelben für das kundige Auge wie verklärt erſcheinen läßt.

Wenn aber ſchon in jenen Zeiten großer und weit¬ verbreiteter Begabung keineswegs überall jenes Streben ſo rein und mächtig auftritt, daß es zu einem vollendeten Gelingen führt, ſo kommt, ſobald jene Begabung ſchwindet, vielfache Verwirrung zur Herrſchaft. Damals war die geſammte künſtleriſche Thätigkeit, welchen Bedürfniſſen ſie auch ſonſt noch genügen mochte, von dem einen Bedürfniß durchdrungen, dem alle anderen Rückſichten geopfert wur¬ den, das Sein auf ſeine Sichtbarkeit zu reduciren und160 eine Ausdrucksform zu finden, die zunächſt nur Exiſtenz für den Geſichtsſinn habe. Dieſes Bedürfniß hatte die geſammte künſtleriſche Production bei aller ihrer ſonſtigen Verſchiedenartigkeit zuſammengehalten und hatte ſie als einem großen Geſetz gehorchend ſich darſtellen laſſen. Dieſes Band nun lockert ſich gar bald. Jenes die geſammte Kunſt¬ arbeit beherrſchende und nach einem Ziel hindrängende Princip kommt abhanden, und an ſeiner Stelle erhalten untergeordnete Rückſichten die Herrſchaft über die bild¬ neriſche Geſtaltung. Auch in jenen ſeltenen Zeiten ſehen wir auf dem Gebiete der Kunſt eine unerſchöpflich reiche Phantaſie ſich entfalten; wir nehmen wahr, wie dem Be¬ dürfniß nach Schmuck, nach Verſchönerung der dem Auge ſich darbietenden Seite des Lebens in immer neuer Weiſe ge¬ nügt wird; wir bewundern, in welcher Ausdehnung und mit welchem Erfolge die bildneriſchen Ausdrucksmittel geſchickt gemacht werden, Vorgänge, die das Intereſſe der Zeit in Anſpruch nehmen, darzuſtellen, Ideen, von denen die Zeit bewegt iſt, aufzunehmen. Dieſe Beſtrebungen ſind es, in denen man häufig genug den weſentlichen Inhalt jener großen künſtleriſchen Epochen ſehen zu müſſen glaubt, und von deren Förderung man ſich die Erhaltung oder die Wiederherbeiführung künſtleriſcher Leiſtungsfähigkeit ver¬ ſpricht. Ihnen fällt die Führung unwillkürlich zu, wenn jene höchſte Kraft erlahmt, der alle Phantaſie, alles Schön¬ heits - und Darſtellungsbedürfniß unterthan war. Unter ihrer Herrſchaft tritt unaufhaltſam der Verfall der Kunſt ein. Willkürlich wuchert die Production bald nach der161 einen, bald nach der anderen Seite, ſobald ſie in allen ihren Aeußerungen nicht mehr jenem oberſten Princip ge¬ horcht. Die Erfahrung lehrt dies deutlich genug. Sowohl in den Jahrhunderten, die der großen Zeit griechiſcher Kunſt folgen, als auch in denen, die ſich an die moderne Blütheperiode der Kunſt anſchließen, Jahrhunderten, denen auch unſere eigene Zeit angehört, nehmen wir kaum einen Nachlaß in der künſtleriſchen Thätigkeit wahr, ſoweit dieſe von den treibenden Mächten der Einbildungskraft, des Ver¬ langens nach Schmuck des Daſeins, des Darſtellungsbe¬ dürfniſſes abhängt. Und doch hat in beiden Fällen der Niedergang der Kunſt raſche und unaufhaltſame Fort¬ ſchritte gemacht. Nun ſteht die geſtaltende Hand nicht mehr ausſchließlich im Dienſte des zum Ausdruck ſich ent¬ wickelnden Sehproceſſes; vielmehr iſt es ebenſoſehr die Luſt an decorativer Verwerthung der künſtleriſchen Mittel, die maßgebend wird für die ſchaffende Thätigkeit, wie der Hang, alles und jedes zum Gegenſtand bildlicher Dar¬ ſtellung zu machen; allerhand Nebenwerthe treten an die Stelle der eigentlich künſtleriſchen Ausdruckswerthe.

Wohl ſehen wir das Beiſpiel großer Zeiten oft lange nachwirken. Die gewaltige Entwickelung, die unter den bildenden Händen zahlreicher bedeutender Künſtler das Vorſtellungsleben, es auf dem Geſichtsſinn beruht, erfährt, ſtellt ſich in Formen dar, die nachgeahmt und verwendet werden können; es iſt wie eine reiche Erbſchaft, die den nachfolgenden Zeiten zufällt. Die Herrſchaft, die dieſe Formen über die bildneriſche Thätigkeit der Folge¬Fiedler, Urſprung. 11162zeiten ausüben, begründet eine Tradition, durch die ſchein¬ bar eine gewiſſe Höhe der Kunſt erhalten wird. Indeſſen macht es ſich nur zu bald geltend, daß jene Formen nur übernommen, nicht innerlich erlebt und ſelbſtſtändig ent¬ wickelt ſind. Da ihre Verwendung nicht auf einer inneren Nothwendigkeit, ſondern darauf beruht, daß ſie als erlern¬ bar bequem zur Hand ſind, ſo ſchwächt ſich ihre Macht allmählig ab; der Zuſammenhang, in dem ſie urſprünglich ſtanden, lockert ſich, und unter der Willkür unkünſtleriſcher Tendenzen geht mehr und mehr ihre Reinheit verloren. Die Geſchichte ſo vieler künſtleriſcher Formen iſt nur ſo zu verſtehen. Nichts anderes iſt ſie als eine allmählige Degeneration. Und je mehr auch jene Scheinherrſchaft, welche eine große Tradition über die künſtleriſche Thätig¬ keit ausübt, verloren geht, deſto verworrener wird das Bild, was dieſe bietet. Welche ſonderbaren Mächte ſehen wir da zur Herrſchaft gelangen! Ob es die niederen Bedürfniſſe nach Abwechslung, Reiz, Unterhaltung ſind, denen durch die Mittel der Kunſt Befriedigung geboten werden ſoll; ob es die idealen Beſtrebungen ſind, die ſich das Recht zuſchreiben, auch die Kunſt in ihren Dienſt zu zwingen: der Erfolg wird immer der gleiche ſein. Was ſich unſeren Augen darbietet, ſobald wir uns von jenen großen Zeiten weg und der Kunſtübung anderer Jahrhunderte zuwenden, iſt ein Bild zunehmender Verwirrung, in dem uns mehr oder minder entſtellte Bruchſtücke aus den Errungenſchaften jener ſeltenen Epochen daran mahnen, daß die Kunſt über¬ haupt ein eigenes Geſetz beſitzt, dem ſie zu gehorchen hat.

163

Was nun die Bedeutung anlangt, die der Entſtehung und dem Vorhandenſein künſtleriſcher Hervorbringungen für den geiſtigen Zuſtand der Menſchen im allgemeinen zugeſchrieben werden muß, ſofern die Auffaſſung und das Verſtändniß der Kunſt demjenigen Inhalt entſpricht, den wir für die Production ſelbſt als allein maßgebend be¬ zeichnet haben: ſo iſt auf eins ſchon im Vorhergehenden hingewieſen worden, auf die Klarheit, die derjenige auf dem weiten und anſcheinend ſo verworrenen Gebiete der künſtleriſchen Thätigkeit gewinnt, der ſein Auge einmal jenem erſten und letzten Geheimniß der Kunſt geöffnet hat. Alles das, was man wohl ſonſt zu ergründen ſucht, wenn man das Verſtändniß eines Kunſtwerkes zu erweitern und zu vertiefen beſtrebt iſt, die formalen Eigenthümlichkeiten, von denen beſtimmte unmittelbare Wirkungen auf die Em¬ pfindung ausgehen, die Beziehungen, in denen das Werk dem Gegenſtande der Darſtellung nach zu mannichfachen Gebieten des Lebens ſteht, die Bedeutung, die es gewinnt, wenn man in ihm ein Reſultat geſchichtlicher Mächte und zugleich ſelbſt eine Macht erblickt, von der geſchichtliche Wirkungen auf die Geſammtheit des Culturlebens aus¬ gehen, alles das wird ihm das wahre Weſen des Kunſt¬ werks weniger zu offenbaren, als vielmehr zu verhüllen ſcheinen. Denn er wird einſehen, daß durch die beſtändige Vermehrung der Geſichtspunkte, von denen aus die Be¬ trachtung der Kunſtwerke unternommen wird, der eine Ge¬ ſichtspunkt nur verdunkelt werden kann, von dem aus allein ein Eindringen in die künſtleriſche Qualität möglich iſt. 11 *164Daß dem Kunſtwerk ein Werth für unſer Empfinden inne¬ wohnt, daß in ihm eine Bedeutung zum Ausdruck gelangt, die wir nur auf dem Wege des Denkens uns aneignen können, ſei es, daß uns ein Vorgang dargeſtellt, ſei es, daß uns ein Symbol gegeben wird, daß dieſe Bedeutung wiederum weiter wirkt auf die Geſammtheit unſeres den¬ kenden Lebens, dies alles wird ihm nicht viel wichtiger erſcheinen als der Umſtand, daß der Künſtler, indem er durch und für den Geſichtsſinn arbeitet, an einen ſinnlich gegebenen Stoff gebunden iſt, der nicht nur für den Ge¬ ſichtsſinn, ſondern auch noch für andere Sinnesgebiete vorhanden iſt. So gut er bei der Betrachtung des Kunſt¬ werks davon abſehen muß, daß das, was ſich ſeinen Augen darbietet, zugleich ein taſtbarer Gegenſtand iſt, ſo gut muß er auch davon abſehen, daß der Künſtler bei ſeiner Ge¬ ſtaltung noch in anderem Sinne an einen Stoff gebunden iſt, der nicht nur für das Auge, ſondern für das geſammte Fühlen und Denken vorhanden iſt. Nur wenn ihm das gelingt, wird er durch alle die Hüllen, die zufolge jener doppelten ſtofflichen Gebundenheit das Kunſtwerk umgeben, bis zu dem innerſten Kern des künſtleriſchen Schaffens hindurchdringen. Hatte jener gewaltige bald mehr gelehrte, bald mehr philoſophiſche Apparat, mit dem er der Kunſt ſich gegenüber zu ſtellen angeleitet worden war, ſeinen Blick nur getrübt, ſo liegt es nun klar und offen vor ihm, was der beharrende Sinn in allen den nach Zeit und Ort ſo tauſendfach abwechslungsreichen Geſtaltungen iſt; in allen Metamorphoſen erkennt er ihn, und nur ihn wieder;165 er verfolgt ihn in ſeinen ſchwächſten und verborgenſten Spuren ſo gut wie da, wo er aus vollendeten Leiſtungen mächtig zu ihm ſpricht. Nun erſt erſcheint ihm die Kunſt als ein eigenthümliches, in ſich abgeſchloſſenes Gebiet menſchlicher Thätigkeit; nicht mehr im Zuſammenhange mit allen Seiten des geiſtigen Lebens ſtellt ſie ſich ihm dar, ſondern dieſem Zuſammenhange entwunden als eine von den urſprünglichen, ein Reich für ſich bildenden Bethäti¬ gungen der menſchlichen Natur.

Aber es iſt noch eine andere, viel werthvollere Klar¬ heit, die demjenigen zu Theil wird, der die Kunſt ihrem wahren Weſen nach zu verſtehen trachtet. Zwar kann man ſich im allgemeinen ſchwer von der Anſicht losmachen, daß nur derjenige eines vollen und tiefen Erfaſſens des Kunſtwerks fähig ſei, der mit allen Seiten ſeiner empfin¬ denden Natur, mit allen Intereſſen ſeines denkenden Geiſtes der formalen Beſchaffenheit und der inhaltlichen Bedeutung deſſelben gerecht zu werden ſuche. Es wird dadurch ein Eindruck, ein Erlebniß erzielt, wie es allerdings nur dem Kunſtwerk verdankt werden kann, da ſich nur in ihm die Möglichkeiten zu ſo verſchiedenartigen und weittragenden Wirkungen vereinigt finden. Auch iſt der Erfolg eines ſo allſeitigen Eingehens auf ein vorliegendes Werk ein ganz eigenthümlicher und mit nichts anderem vergleichbarer. Wer ihn an ſich erleben will, der iſolirt ſich mit dem Kunſtwerke, ſchließt ſich ſo viel als möglich von allem ab, was abgeſehen von demſelben auf ihn wirken könnte; er verſenkt ſich in daſſelbe in dem Sinne, daß alles, was166 in ihm vorgeht, ſeinen Urſprung in der Betrachtung des Werkes hat. Aus dem dauernden Anblick desſelben ent¬ wickelt ſich eine ganze Welt in ihm; alle Forderungen, die die Fähigkeiten ſeiner Natur ſtellen, finden hier ihre zeit¬ weilige Befriedigung. Von dem Werke geht, ſich immer er¬ neuernd, das Wohlbehagen aus, welches aus dem Reiz des unmittelbaren Anblicks entſpringt; aus der nächſten Deutung, die der denkende Geiſt dem Dargeſtellten giebt, entfalten ſich Beziehungen auf Beziehungen, und die urſprünglich begrenzte Bedeutung erſcheint ins Unendliche erweitert. Das Be¬ dürfniß, die Tiefe des Gefühls, die Kraft der Leidenſchaft dem zu leihen, was vor das Bewußtſein tritt, vereinigt wie in einem homogenen Elemente alle die Anregungen, die von dem Kunſtwerke ausgehen, und indem die Wirkung des Geſehenen auf das Gemüthsleben ſich ſteigert, ſcheint erſt der ganze unbegrenzte Gehalt, der aus dem Werke dem menſchlichen Bewußtſein zufließt, ſeine wahre Bedeu¬ tung und ſeinen maßgebenden Werth für den Menſchen zu erhalten. Es iſt ein extenſives und intenſives Sich¬ aneignen, welches einer unbegrenzten Steigerung fähig er¬ ſcheint, und wodurch allein es möglich wird, daß ein in ſo engen Grenzen eingeſchloſſenes Ding, wie das Kunſt¬ werk thatſächlich iſt, ſeine Macht über die ganze innere Welt des Menſchen ausdehnen kann. Die höchſten Bei¬ ſpiele ſolcher Wirkungen wird man immer auf dem Gebiete der religiöſen Kunſt finden. Hier vereinigt ſich mit der ſinnlichen Macht, die das ſichtbar uns Entgegentretende ausübt, diejenige geiſtige Macht, der keine andere an Tiefe167 der Wirkung gleichkommt. Das religiöſe Intereſſe, einmal erregt, verbreitet ſich nicht nur über das intellectuelle Leben des Menſchen, es greift an die Herzen, dringt in alle Kräfte des Gemüths, bewegt alle Leidenſchaften. Es iſt bezeichnend, daß ſchon eine ſehr rohe Kunſt, ſobald ſie mit der eindringlichen Sprache, die nur dem bildlichen Ausdruck zu Gebote ſteht, dem Menſchen jenes Gebiet nahebringt, auf dem ſeine wichtigſten Güter, ſeine ſicher¬ ſten Beſitzthümer, ſeine letzten Hoffnungen liegen, einer tiefgehenden Wirkung ſicher iſt. Und dazu tritt in den höheren Regionen der Kunſt der ganze Zauber der Schön¬ heit und Phantaſie, der ſich über die Welt religiöſer Vor¬ ſtellungen ausbreitet, die ganze Gewalt ſinnenfälliger Ge¬ ſtaltung, die uns, wo wir nur unbeſtimmt ahnend und glaubend uns zu verhalten wagten, eine Welt beſtimmteſter, unauslöſchlich ſich uns einprägender Bilder bietet. Es iſt nicht zu verwundern, daß Viele der Anſicht ſind, die Kunſt vermöge nur in Verbindung mit der Religion ihre höchſte Beſtimmung zu erreichen, ſo wie ja auch ihre Anfänge von der Nothwendigkeit jener Verbindung Zeugniß ab¬ legten.

So mächtig und bedeutungsvoll nun aber auch die Wirkungen ſein mögen, die von der Kunſt in dieſem Sinne ausgehen, und von denen die Wirkungen der religiöſen Kunſt das recht eigentlich vorbildliche Beiſpiel ſind, ſo darf man doch nicht verkennen, daß dieſe Wirkungen ſehr zu¬ ſammengeſetzter und unklarer Natur ſind. Ueber der Ge¬ walt der Erregung verſäumt man leicht die Prüfung,168 welcher Art dieſe Erregung iſt. Betrachten wir den Zu¬ ſtand genauer, in dem wir uns ſelbſt befinden, ſofern wir uns mit der Lebendigkeit unſerer Empfindung, mit der Reichhaltigkeit unſerer geiſtigen Intereſſen, mit allen Fähig¬ keiten unſeres Gefühllebens rückhaltlos den Anregungen überlaſſen, die von einem Kunſtwerk ausgehen, ſo werden wir finden, daß wir recht willenlos einem ununterbrochenen Wechſel verſchiedenartiger innerer Zuſtände anheimgegeben ſind. Bald bleibt das unſeren Augen ſich darbietende Bild mit ſeinen unmittelbaren Wirkungen auf die Empfindung im Vordergrunde des Bewußtſeins, bald wird dieſer un¬ mittelbare Eindruck verdrängt, und es gewinnen die geiſtigen Anregungen die Oberhand, die uns von dem, was wir ſehen, hinweg in allerhand Gebiete des Wiſſens und Den¬ kens führen, bald drängen ſich die geheimen Mächte des Gemüths hervor, und indem ſich uns im Bilde unmittel¬ bar vergegenwärtigt, was uns rühren und ergreifen kann, ſind wir doppelt erregt und erſchüttert. Wenn wir dies alles, was in raſchem Wechſel in uns vorgeht und uns nach allen Seiten unſeres Weſens in Anſpruch nimmt, auf den einen Mittelpunkt, das Kunſtwerk beziehen, mag es uns wohl ſcheinen, als ob wir eines einheitlichen Ge¬ ſammteindruckes theilhaft würden; bei näherer Prüfung aber werden wir der Täuſchung inne und geſtehen uns den verworrenen und verſchwommenen Zuſtand ein, in den wir verſetzt worden waren. Und ferner werden wir uns nicht verhehlen können, daß die Befriedigung, die Erhebung, die wir der Kunſt in jenem Sinne verdanken, im Grunde169 doch auf eine Art Selbſtgenuß hinausläuft. Es iſt ein Zuſtand paſſiver Empfänglichkeit, dem wir uns hingeben, und je reicher ſich in uns bei der Betrachtung eines Kunſt¬ werks jenes Durcheinanderwogen von Vorgängen des Em¬ pfindens, des Denkens, des Fühlens entwickelt, deſto mehr geht die aktive Energie unſeres Geiſtes in einem allge¬ meinen Wohlbehagen unter. Hierin liegt der Grund, daß, ſo hoch auch die Kunſt in der Meinung der Menſchen ſtehen mag, doch immer ein beſtimmter Gegenſatz zwiſchen ihr und jenen ernſthaften Thätigkeiten feſtgehalten wird, von denen nicht ſo ſehr ein Genuß, als vielmehr eine geiſtige Förderung erwartet wird. Auch braucht es nicht ein Zeichen von Uncultur zu ſein, es kann vielmehr von Kraft und Ernſt des Geiſtes Zeugniß ablegen, wenn der Einzelne ſich von der Kunſt abwendet, ſobald ihm die wahre Natur des inneren Zuſtandes klar geworden iſt, in dem ſich diejenigen befinden, die ſich in der hergebrachten Weiſe ihren Wirkungen überlaſſen. Ja gewiſſe der neueſten Zeit angehörende Bewegungen, die entweder die Kunſt überhaupt von dem Programm der bevorſtehenden geiſtigen Entwickelung ſtreichen möchten oder von ihr die Mitarbeit, an den ernſten Aufgaben wiſſenſchaftlicher Forſchung ver¬ langen, verdienen den Vorwurf geiſtiger Rohheit weniger deshalb, weil ſie ſich gegen die Rolle auflehnen, die die Kunſt im geiſtigen Leben zu ſpielen pflegt, als vielmehr deshalb, weil ſie aus einem Mißverſtändniß über die Be¬ deutung entſpringen, die der Kunſt auf Grund der Ein¬ ſicht in ihr innerſtes Weſen gebührt.

170

Die Wirkungen, welche der Menſch von der Kunſt empfängt, ſobald er ſein Verſtändniß ihrem innerſten und doch nächſtliegenden Sinne öffnet, iſt in der That eine jener oben geſchilderten ganz entgegengeſetzte. Aus allem Vorhergehenden geht hervor, daß es nur dann gelingen kann, die Kunſt in ihrer eigenen Sprache zu verſtehen, wenn man dem Kunſtwerk gegenüber vermag, nicht nur ſich aus dem Gewirr concurrirender Sinneswahrnehmungen zu erheben, ſondern auch allen Ideenverbindungen zu ent¬ ſagen, zu denen ſich der reflectirende Geiſt geneigt zeigt, auf den Genuß zu verzichten, den die Ausbeutung eines Eindrucks durch das Gefühl gewährt. An die Stelle jenes verworrenen Zuſtandes, in den wir die Menſchen im allgemeinen durch die Kunſt verſenkt ſahen, tritt nun ein einfaches und klares Bewußtſein; wir ſehen uns durch die Kunſt nicht mehr in jene unentwickelten und nicht ent¬ wickelungsfähigen Zuſtände entrückt, in denen wir willen¬ los dem Wechſel der verſchiedenartigſten Eindrücke, Ge¬ danken, Gefühle hingegeben erſcheinen, vielmehr fühlen wir uns in die Sphäre einer beſtimmten zu immer zu¬ nehmender Klarheit fortſchreitenden Thätigkeit erhoben. Wir ſehen ein, daß uns der Künſtler nicht hineinführt in eine Mannichfaltigkeit der Beziehungen zu den Dingen, die als ſolche ſich nicht zur Klarheit und Beſtimmtheit entwickeln kann, ſondern daß er uns im Gegentheil her¬ ausführt aus dieſer Mannichfaltigkeit und in ſeiner Thätig¬ keit nichts anderes darſtellt als die Entwickelung jener einen Beziehung, auf Grund deren ſich die Vorſtellung171 einer Welt ſichtbarer Dinge in uns bildet. Es iſt klar, daß damit die Bedeutung der Kunſt eine ganz andere für uns wird; an die Stelle des vielſeitigen Intereſſes, welches wir an ihren Schöpfungen nahmen, tritt ein einſeitiges; anſtatt aber unſer Bewußtſein zu verwirren und zu ver¬ dunkeln, und uns ſchließlich zu einem paſſiven Zuſtande des Genießens herabzudrücken, erhebt ſie ſich zu einer productiven Macht in uns und lehrt uns in einer be¬ ſtimmten Weiſe das Seiende zur Klarheit und Gewißheit entwickeln.

Bedenken wir nun, daß, wenn der Kunſt eine Be¬ deutung für den geiſtigen Zuſtand der Menſchen im all¬ gemeinen zugeſchrieben wird, dieſe Bedeutung doch in dem Sinne verſtanden zu werden pflegt, daß ſie in der Ge¬ ſammtheit geiſtigen und ſeeliſchen Lebens zur Geltung komme: ſo ſcheint der Kunſt überhaupt alle und jede Be¬ deutung abgeſprochen zu werden, ſofern wir ihre eigent¬ liche fachgemäße Wirkung darin erblicken, daß ſie den Menſchen dem Zuſammenhange ſeiner vielfältigen Inter¬ eſſen entreißt und ihm das Daſein in einer durchaus ein¬ ſeitigen Weiſe zum Bewußtſein bringt. Die Frage wird uns nahe treten, welchen Werth der Menſch einer Thätig¬ keit beilegen könne, durch welche die Sichtbarkeit der Dinge jene bildneriſche Entwickelung findet.

Es iſt klar, daß der vielfache Einfluß, der von der Kunſt auf das Geſammtleben der Menſchen thatſächlich ausgeht, und in welchem Beſtimmung, Werth und Be¬ deutung der Kunſt zu erkennen, ganz ſelbſtverſtändlich er¬172 ſcheint, vernichtet werden müßte, wenn es gelänge, die Menſchen ausſchließlich für jene reinſte und höchſte Wirkung der Kunſt empfänglich zu machen. Kann man ſich auf der einen Seite dieſer Conſequenz nicht ent¬ ziehen, und will man doch auf der anderen Seite das Vorhandenſein einer allgemeinen Bedeutung der Kunſt nicht dadurch ganz in Frage ſtellen, daß man in den¬ jenigen Bedeutungen, die ihr in dem Geſammtleben des Menſchen beigelegt zu werden pflegen, doch nur Folgen eines mangelhaften oder falſchen Verſtändniſſes anerkennen muß: ſo ſcheint es unumgänglich, daß man nunmehr nach demjenigen allgemeinen Werth ſuche, welchen die Kunſt auf Grund des ungetrübten Verſtändniſſes ihres innerſten Weſens zu erlangen beſtimmt ſei. Es ſcheint dies der nothwendige Abſchluß jeder Unterſuchung über die Be¬ deutung des künſtleriſchen Schaffens ſein zu müſſen. Und doch ſoll und kann hier dieſe ſchließliche Nutzanwendung nicht gezogen werden. Im Gegentheil gelangen wir hier am Ende unſerer Unterſuchungen zu der Einſicht, daß wir uns gerade deshalb, weil wir in uns die Trübungen zu ver¬ ſcheuchen geſucht haben, durch die uns der geheime Sinn der künſtleriſchen Thätigkeit verhüllt blieb, nun auch von dem Vorurtheil frei machen müſſen, als ob wir den Werth dieſer Thätigkeit in Wirkungen zu ſuchen hätten, die ganz anderen Gebieten des Daſeins zu gute kämen. Wir laſſen es dahin geſtellt, wie weit man berechtigt iſt, den Werth des geſammten Lebens abhängig zu machen von jenen idealen Mächten, in denen man die Bürgſchaft einer173 ſtetig fortſchreitenden Entwickelung zu haben ſcheint, dem Vorwärtsſtreben des erkennenden Geiſtes, dem Bildungs¬ bedürfniß der ſittlichen Anlage, der Sehnſucht der äſthe¬ tiſchen Empfänglichkeit: der Künſtler das haben wir geſehen erreicht ſeine höchſten Ziele nicht dadurch, daß er ſeine Kraft dieſen Mächten unterthan macht, ſondern dadurch, daß er ihnen widerſteht und im Siege über ſie ſich auf ſeinem eigenen Gebiete behauptet. Und ſo müſſen wir auch die volle Conſequenz anerkennen, daß, ſofern die Kunſt im höchſten Sinne das iſt, als was wir ſie darge¬ ſtellt haben, an ihrem Daſein keiner von den Beſtandtheilen des geiſtigen, ſittlichen, äſthetiſchen Lebens, an die man den Fortſchritt, die Veredlung, die Vervollkommnung der menſchlichen Natur gebunden erachtet, irgend ein Intereſſe haben kann. Erſt wenn wir zu dieſer Unbefangenheit der Kunſt gegenüber gelangt ſind, können wir ihr etwas ver¬ danken, was freilich etwas ganz anderes iſt, als die För¬ derung unſerer wiſſenden, wollenden, äſthetiſch empfindenden Natur. Wir folgen dem Künſtler, wo dieſer ſich erhebt aus dem großen Getriebe der Beſtrebungen, die jedes Thun nur als Mittel zu einem Zweck, jedes Daſein nur als Vorbereitung auf ein zu erwartendes Daſein erſcheinen laſſen; nicht als Wirkung auf einem entlegenen Lebens¬ gebiete, noch auch von einer ungewiſſen Zukunft werden wir das erwarten, was uns die Kunſt ſein kann; was ſie uns leiſtet, das leiſtet ſie ausſchließlich in ſich und in jedem Augenblicke voll und ganz. Indem ſie uns empor¬ führt zu dem Grade der Vergegenwärtigung des Seins,174 welcher ſich in ihr verwirklicht, befreit ſie unſeren Geiſt unwillkürlich von allen den bedingenden Rückſichten, unter denen ſich uns das Bild des Lebens darſtellt, und erzeugt in uns eine Klarheit des Wirklichkeitsbewußtſeins, in der nichts anderes mehr lebt als die an keine Zeit gebundene, keinem Zuſammenhange des Geſchehens unterworfene Ge¬ wißheit des Seins.

Es mag dies denen nur als eine geringe aus der Kunſt gewonnene Ausbeute erſcheinen, die das menſchliche Leben unter dem Geſichtspunkt einer Geſammtarbeit be¬ trachten, in der ſich das einzelne individuelle Streben nur als Glied in der großen Verkettung einer nach dem Geſetz von Urſache und Wirkung ſich vollziehenden Entwickelung darſtelle. Dieſe Anſicht wird jeder Erſcheinung nur einen relativen Werth beilegen und ſich damit tröſten, daß der unabſehbare Fortſchritt ſchließlich doch zu abſoluten Werthen führen werde. Soviel auch dieſe Anſchauungsweiſe zum Verſtändniß menſchlicher Vorgänge beitragen mag, ſo ver¬ mag ſie allein doch nicht, den Erſcheinungen des Lebens gerecht zu werden; es tritt ihr eine andere Auffaſſung gegenüber, die ſich zwar der Thatſache nicht verſchließt, daß in dem Leben des menſchlichen Geſchlechts jener große Zuſammenhang zu erkennen ſei, in dem jedes Einzelne nur als Mitwirkendes auftrete, der es aber doch nicht entgeht, daß es ganz unmöglich iſt, die Erſcheinungen ihrem ganzen Umfange und ihrem vollen Weſen nach in jenen Zuſammen¬ hang einzuordnen. Kunſtwerke mögen mit manchen ihrer Seiten und Eigenſchaften mitten in jener ununterbrochenen175 Bewegung ſtehen, in der man ein unabläſſiges Fortſchreiten der Menſchen nach intellectueller, ſittlicher, äſthetiſcher Voll¬ kommenheit vorausſetzen zu dürfen meint; nicht das iſt aber ihr ganzes und auch nicht ihr eigenſtes Verdienſt; vielmehr enthalten ſie etwas, was ſich nicht in jenen Zu¬ ſammenhang unterbringen, nicht aus ihm erklären läßt. Wenn der Künſtler, alles Streben nach jenen gemeinſamen Zielen menſchlicher Entwickelung hinter ſich laſſend, in ſeiner bildneriſchen Thätigkeit zu jener Verlebendigung des Bewußtſeins gelangt, die ſich im Kunſtwerk offenbart, ſo iſt das etwas, was keinerlei Bedeutung für den Gang jener Entwickelung beſitzt und worin doch der menſchliche Geiſt ſeine höchſten Augenblicke erlebt. Richten wir unſer Augenmerk auf dieſen Inhalt menſchlicher Thätigkeit, ſo wird uns das Leben im allgemeinen nicht mehr nur unter dem Bilde einer Geſammtarbeit erſcheinen, im Verhältniß zu der die Leiſtung des Einzelnen nur als ein kleiner Beitrag erſcheint; vielmehr erkennen wir, wie ſich der menſchliche Geiſt da, wo er ſeine höchſte Leiſtungsfähigkeit erreicht, aus den Niederungen des Strebens nach gemein¬ ſamen Zielen erhebt und etwas hervorbringt, was nicht mehr bloß einen relativen Werth aus ſeiner Bedeutung für ein Allgemeines abzuleiten hat, ſondern deſſen abſoluter Werth darin beſteht, daß in ihm das menſchliche Bewußt¬ ſein zu den höchſten Graden ſeiner Entwickelungsfähigkeit gelangt iſt. Müſſen wir ſo darauf verzichten, aus dem Inhalt der Kunſt, wie er ſich uns dargeſtellt hat, einen Werth für jene gemeinſamen Angelegenheiten der Menſch¬176 heit herausdeuten zu können, ſo begrüßen wir dafür in ihr eine von den Thätigkeiten, in denen ſich der menſch¬ liche Geiſt von dem Banne der Mitarbeit befreit und ſich ſeiner immer gleichen reinen Aufgabe bewußt wird.

Leipzig. Druck von Grimme & Trömel.

Leipzig. Druck von Grimme & Trömel.

About this transcription

TextDer Ursprung der künstlerischen Thätigkeit
Author Conrad Fiedler
Extent193 images; 38333 tokens; 5170 types; 282104 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationDer Ursprung der künstlerischen Thätigkeit Conrad Fiedler. . [2] Bl., 176 S. HirzelLeipzig1887.

Identification

Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz SBB-PK, Nu 587http://stabikat.de/DB=1/SET=12/TTL=1/CMD?ACT=SRCHA&IKT=1016&SRT=YOP&TRM=609310410

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationFachtext; Kunst; Wissenschaft; Kunstgeschichte; core; ready; ocr

Editorial statement

Editorial principles

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.

Publication information

Publisher
  • dta@bbaw.de
  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-10T09:32:15Z
Identifiers
Availability

Distributed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial 3.0 Unported License.

Holding LibraryStaatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
ShelfmarkSBB-PK, Nu 587
Bibliographic Record Catalogue link
Terms of use Images served by Deutsches Textarchiv. Access to digitized documents is granted strictly for non-commercial, educational, research, and private purposes only. Please contact the holding library for reproduction requests and other copy-specific information.