Druck und Papier von Leopold Sommer
Nach zweimal beendetem Curse der praktischen Geburtshilfe an der ersten Gebärklinik zu Wien mel - dete ich mich unterm 1. Juli 1844 beim Vorstande dieser Klinik, weiland Professor Dr. Klein, als Aspiranten für die einstens zu besetzende Stelle eines Assistenzarz - tes besagter Klinik, und wurde als solcher mittelst De - cret ddo. 27. Februar 1846 provisorisch angestellt. Am 1. Juli 1846 übernahm ich die Stelle eines Assistenten der ersten Gebärklinik definitiv, musste aber selbe am 20. October desselben Jahres wieder an meinen Vorgän - ger Dr. Breit abtreten, da Dr. Breit inzwischen eine zweijährige Dienstesverlängerung erhielt. Wir wollen im Verlaufe dieser Schrift diese vier Monate, nämlich: den Juli, August, September, October des Jahres 1846, zum besseren Verständnisse, meine erste Dienst - zeit nennen.
IVDie Dienstzeit eines Assistenten, bei welch’ immer Lehrkanzel, war in Wien auf zwei Jahre fixirt, bei allen übrigen Lehrkanzeln war es aber Sitte, nach Ablauf von zwei Jahren die Dienstzeit desselben Assi - stenten abermals für zwei Jahre zu verlängern, nur bei den geburtshilflichen Lehrkanzeln war diese Sitte nicht im Gebrauche, und die Assistenten wechselten regel - mässig alle zwei Jahre. Dr. Breit war der erste, dem eine solche Begünstigung zu Theil wurde.
Inzwischen wurde Dr. Breit zum Professor der Geburtshilfe an der Hochschule zu Tübingen ernannt, und ich übernahm zum zweiten Male definitiv die Stelle eines Assistenten den 20. März 1847, und fungirte als solcher durch zwei Jahre, nämlich bis zum 20. März 1849. Diese zwei Jahre wollen wir meine zweite Dienstzeit nennen.
Die Aufgabe dieser Schrift ist: dem Lehrer ge - schichtlich die Beobachtungen vorzuführen, welche ich an dieser Klinik in diesem Zeitraume gemacht, ihm zu zeigen, wie ich zum Zweifler an der bisherigen Lehre über die Entstehung und den Begriff des Kindbettfie - bers geworden, wie sich mir meine gegenwärtige Ueber - zeugung unwiderstehlich aufgedrungen, damit auch er zum Heile der Menschheit dieselbe Ueberzeugung daraus schöpfe.
VVermöge meines Naturels jeder Polemik abgeneigt, Beweis dessen ich auf so zahlreiche Angriffe nicht ge - antwortet, glaubte ich es der Zeit überlassen zu können, der Wahrheit eine Bahn zu brechen, allein meine Er - wartung ging in einem Zeitraume von 13 Jahren nicht in dem Grade in Erfüllung, wie es für das Wohl der Menschheit nöthig ist.
Das Unglück wollte noch, dass in den Schuljahren 1856 / 7 und 1857 / 8 auf meiner eigenen geburtshilflichen Klinik zu Pest die Wöchnerinnen in solcher Anzahl starben, dass meine Gegner diese Sterblichkeit als Be - weis gegen mich benützen könnten: es drängt zu zeigen, dass diese zwei Unglücksjahre gerade so viele traurige, unabsichtliche, directe Beweise für mich seien.
Zu dieser Abneigung gegen jede Polemik kömmt noch hinzu eine mir angeborne Abneigung gegen alles, was schreiben heisst.
Das Schicksal hat mich zum Vertreter der Wahr - heiten, welche in dieser Schrift niedergelegt sind, er - koren. Es ist meine unabweisbare Pflicht für dieselben einzustehen. Die Hoffnung, dass die Wichtigkeit und die Wahrheit der Sache jeden Kampf unnöthig mache, habe ich aufgegeben. Es kommen nicht mehr meine Neigungen, sondern das Leben derjenigen in Betracht, welche an dem Streite, ob ich oder meine Gegner RechtVI haben, keinen Antheil nehmen. Ich muss meinen Nei - gungen Zwang anthun, und nochmals vor die Oeffent - lichkeit treten, nachdem sich das Schweigen so schlecht bewährt, ungewarnt durch die vielen bitteren Stunden, die ich desshalb schon erduldet, die überstandenen habe ich verschmerzt, für die mir noch bevorstehenden finde ich Trost in dem Bewusstsein, nur in meiner Ueberzeu - gung Gegründetes aufgestellt zu haben.
Pest, den 30. August 1860.
Der Verfasser.
Die Geburtshilfe ist derjenige Zweig der Medicin, welcher die höchste Aufgabe derselben, nämlich Rettung des bedroh - ten menschlichen Lebens, in zahlreichen Fällen am augen - scheinlichsten löst. Unter vielen Fällen wollen wir nur die Querlage des reifen Kindes anführen. Mutter und Kind sind einem sicheren Tode verfallen, wenn die Geburt der Natur überlassen bleibt, während die rechtzeitig hilfeleistende Hand des Geburtshelfers durch beinahe schmerzlose, kaum einige Minuten in Anspruch nehmende Handgriffe beide rettet.
Diesen Vorzug der Geburtshilfe, mit welchem ich schon in den theoretischen Vorlesungen dieses Faches bekannt ge - macht wurde, fand ich zwar allerdings vollkommen bestätiget, als ich Gelegenheit hatte, im grossen Wiener Gebärhause die Geburtshilfe auch von ihrer praktischen Seite kennen zu ler - nen. Aber leider sah ich, dass die Anzahl von Fällen, in wel - chen der Geburtshelfer so segensreich wirken kann, ver - schwindend klein sei im Vergleiche mit der grossen Anzahl von Opfern, denen er nur eine erfolglose Hilfe bringen kann. Diese Schattenseite der Geburtshilfe ist das Kindbettfieber. Zehn, fünfzehn Wendungen sah ich im Jahre mit Rettung der Mutter und des Kindes vollführen, aber viele hundert von Wöchnerinnen sah ich erfolglos am Kindbettfieber behandeln,Semmelweis, Kindbettfieber. 12Aber nicht allein die Therapie fand ich erfolglos, auch die Aetiologie zeigte sich mir mangelhaft, indem ich das aetiolo - gische Moment für das Kindbettfieber, an welchem ich so viele hundert Wöchnerinnen erfolglos behandeln sah, in der bisher giltigen Aetiologie des Kindbettfiebers nicht finden konnte.
Das grosse Wiener Gratis-Gebärhaus ist in zwei Abthei - lungen getrennt, wovon die eine die erste heisst, die andere heisst die zweite. Durch eine allerhöchste Entschliessung vom 10. October 1840, Studien-Hofcommissionsdecret vom 17. Oc - tober 1840, Z. 65666, Regierungsverordnung vom 27. Octo - ber 1840, Z. 61015, wurden sämmtliche Schüler der ersten Abtheilung und sämmtliche Schülerinnen der zweiten Abthei - lung behufs des geburtshilflichen Unterrichtes zugewiesen. Vor dieser Zeit wurden Geburtshelfer und Hebammen an beiden Abtheilungen in gleicher Anzahl unterrichtet. Die Aufnahme der ankommenden Schwangern, Kreissenden und Wöchnerin - nen ist folgender Weise geregelt: Montag Nachmittags vier Uhr beginnt die Aufnahme auf der ersten Abtheilung und dauert bis Dinstag Nachmittags vier Uhr; Dinstag Nach - mittags vier Uhr beginnt die Aufnahme auf der zweiten Ab - theilung und dauert bis Mittwoch Nachmittags vier Uhr. Mittwoch Nachmittags vier Uhr geht die Aufnahme wieder auf die erste Abtheilung über und dauert bis Donnerstag Nachmittags vier Uhr. Donnerstag Nachmittags vier Uhr übernimmt wieder die zweite Abtheilung die Aufnahme und behält sie bis Freitag Nachmittags vier Uhr. Freitag Nach - mittags vier Uhr übergeht sie wieder an die erste Abtheilung und bleibt durch 48 Stunden bis Sonntag Nachmittags vier Uhr. Sonntag Nachmittags vier Uhr übergeht die Aufnahme auf die zweite Abtheilung und bleibt an derselben bis Mon - tag Nachmittags vier Uhr; es wechselt mithin die Aufnahme zwischen beiden Abtheilungen von 24 zu 24 Stunden; nur ein - mal in der Woche dauert die Aufnahme auf der ersten ge - burtshilflichen Klinik durch 48 Stunden, es hat mithin die erste Abtheilung wöchentlich vier Aufnahmstage, die zweite3 Abtheilung wöchentlich drei Aufnahmstage, mithin hat die erste Abtheilung jährlich 52 Aufnahmstage mehr.
Die Sterblichkeit war an der ersten Abtheilung, seit selbe ausschliesslich dem Unterrichte für Geburtshelfer bestimmt ist, bis Juni 1847 constant, im Jahre 1846 sogar um das Fünffache grösser, und innerhalb sechs Jahren durchschnitt - lich dreimal so gross als an der zweiten Abtheilung, an wel - cher nur Hebammen gebildet werden, wie nachfolgende Ta - belle zeigt.
Tabelle Nr. I.
Der Unterschied der Sterblichkeit an beiden Abtheilun - gen, so gross ihn auch diese Tabelle zeigt, war in der Wirk - lichkeit noch weit grösser, weil zuweilen aus Ursachen, die wir später erörtern werden, bei überhandnehmender Sterb - lichkeit sämmtliche erkrankte Wöchnerinnen aus der ersten Abtheilung in das allgemeine Krankenhaus transferirt wur - den, daselbst starben, und dann in die Ausweise des Kran - kenhauses, nicht aber in jene des Gebärhauses als verstorben eingetragen wurden. Die Rapporte der ersten Gebärabthei - lung zeigten daher dann, wann Transferirungen vorgenommen wurden, geringe Mortalitätspercente, weil nur diejenigen, welche wegen zu raschem Verlauf der Krankheit nicht transfe -1 *4rirt werden konnten, daselbst starben, während in Wirklich - keit eine grosse Anzahl von Wöchnerinnen unterlag. An der zweiten Abtheilung wurden Transferirungen in solcher Aus - dehnung nie vorgenommen, es wurden nur einzelne Wöchne - rinnen, welche sich wegen ihres Zustandes für die Uebrigen als zu gefährlich erwiesen, transferirt.
Dieses Plus der Sterblichkeit an der ersten Abtheilung im Vergleiche zur zweiten sind die vielen hundert Wöchne - rinnen, welche ich zum Theile selbst an Puerperal-Processen sterben sah, ohne für dieselben das aetiologische Moment in der bisher giltigen Aetiologie finden zu können.
Um dem Leser ebenfalls die Ueberzeugung beizubringen, dass dieses Plus der Sterblichkeit aus der bisher giltigen Aetiologie nicht erklärt werden könne, wollen wir nun die bisher giltigen aetiologischen Momente des Kindbettfiebers in ihrer Anwendung zur Erklärung dieses Plus der Sterblichkeit einer näheren Prüfung unterziehen.
Man zweifelte nicht und sprach es tausendmal aus, dass die furchtbaren Verheerungen, welche das Kindbettfieber an der ersten geburtshilflichen Abtheilung anrichtet, epidemi - schen Einflüssen zuzuschreiben seien. Man versteht unter epidemischen Einflüssen bisher noch nicht genau zu defini - rende atmosphärische, cosmische, tellurische Veränderungen, welche sich manchmal über ganze Länderstrecken ausbreiten, und bei durch das Puerperium dazu disponirten Individuen das Kindbettfieber hervorbringen. Wenn nun die atmosphärisch - cosmisch-tellurischen Verhältnisse der Stadt Wien derart be - schaffen sind, dass sie bei durch das Puerperium disponirten Individuen das Puerperalfieber hervorzubringen im Stande sind, wie kommt es denn, dass diese atmosphärisch-cosmisch - tellurischen Einflüsse durch eine so lange Reihe von Jahren vorzüglich die durch das Puerperium disponirten, auf der er - sten geburtshilflichen Klinik befindlichen Individuen dahin - raffte, während es die ebenfalls in Wien, im selben Hause eben - falls durch das Puerperium disponirten, auf der zweiten Abthei -5 lung befindlichen Individuen so auffallend verschonte. Mir scheint es keinem Zweifel zu unterliegen, dass, wenn die Ver - heerungen des Kindbettfiebers an der ersten geburtshilflichen Abtheilung epidemischen Einflüssen zuzuschreiben seien, sich dieselben an der zweiten geburtshilflichen Abtheilung mit ge - ringeren Schwankungen wiederholen müssten, widrigenfalls wird man zu der ungereimten Annahme gedrängt, dass die epidemischen Einflüsse 24stündige Remissionen und Exacer - bationen ihrer verderblichen Thätigkeit erleiden, und dass ge - rade die Remissionen durch eine Reihe von Jahren mit der Aufnahmszeit auf der zweiten geburtshilflichen Klinik zusam - menfallen, während die Exacerbationen durch eine Reihe von Jahren gerade zur Zeit als die Aufnahme auf der ersten Ab - theilung stattfindet, eintreten. Aber selbst dann, wenn man so etwas Ungereimtes gelten lassen würde, wäre der Unterschied der Sterblichkeit an beiden Abtheilungen durch epidemische Einflüsse nicht erklärt. Die epidemischen Einflüsse wirken während der Exacerbation auf die Individuen entweder vor ihrer Aufnahme ins Gebärhaus, oder sie wirken auf die Indi - viduen während ihres Aufenthaltes im Gebärhause. Wirken sie ausserhalb des Gebärhauses auf die Individuen, so sind gewiss sowohl diejenigen, welche auf der ersten geburtshilf - lichen Klinik aufgenommen werden, als diejenigen, welche sich auf der zweiten Klinik zur Aufnahme melden, der ver - derblichen Wirkung der epidemischen Einflüsse ausserhalb des Gebärhauses während der Exacerbation ausgesetzt gewe - sen, und dann könnte keine so grosse Verschiedenheit in den Mortalitätsverhältnissen zweier Abtheilungen sich vorfinden, welche beide schon von epidemischen Einflüssen betroffene In - dividuen aufnehmen; wirken aber die epidemischen Einflüsse auf die Individuen während des Aufenthaltes im Gebärhause, so könnte wieder kein Unterschied in der Grösse der Sterb - lichkeit sein, weil zwei Abtheilungen, welche so nahe an ein - ander liegen, dass sie ein gemeinschaftliches Vorzimmer ha - ben, nothwendiger Weise denselben atmosphärisch-cosmisch -6 tellurischen Einflüssen unterworfen sein müssen. Diese Be - trachtungen allein waren es, welche mir die unerschütter - liche Ueberzeugung aufdrängten, dass es keine epidemischen Einflüsse seien, welche die schreckenerregenden Verheerungen unter den Wöchnerinnen der ersten Gebärklinik hervorrufen.
Nachdem einmal diese unerschütterliche antiepidemische Ueberzeugung sich meiner bemächtiget hatte, fanden sich bald manche Gründe, welche mich in meiner Ueberzeugung immer mehr und mehr bestärkten. Wir wollen sie in Folgendem an - führen:
Wenn die atmosphärischen Einflüsse der Stadt Wien eine Kindbettfieber-Epidemie im Gebärhause hervorrufen, so müsste ja nothwendiger Weise — da die Bevölkerung der Stadt Wien denselben Einflüssen unterworfen ist — auch in der Stadt das Kindbettfieber unter den Wöchnerinnen epidemisch herrschen, in der Wirklichkeit aber beobachtete man während des stärk - sten Wüthens der Puerperalkrankheit im Gebärhause weder in Wien, noch auf dem Lande ein häufiges Erkranken der Wöchnerinnen.
Wenn die Cholera epidemisch herrscht, erkrankt ja be - kanntermassen nicht nur die Bevölkerung eines Spitals, son - dern auch die Bevölkerung selbst.
Eine sehr häufig, und zwar mit Erfolg geübte Massregel, um einer herrschenden Kindbettfieber-Epidemie Einhalt zu thun, ist das Schliessen der Gebärhäuser. Man schliesst die Gebärhäuser nicht in der Absicht, dass die Wöchnerinnen nicht im Gebärhause, sondern wo anders sterben sollen, son - dern man schliesst selbe in der Ueberzeugung: dass, wenn sie im Gebärhause gebären würden, würden sie den epidemischen Einflüssen unterliegen, wenn sie aber ausserhalb des Gebär - hauses entbinden, werden sie gesund bleiben. Dadurch ist aber der Beweis gegeben, dass man es mit keiner Epidemie zu thun hatte, d. h. mit keiner Krankheit, welche durch at - mosphärische Einflüsse bedingt ist, weil die atmosphärischen Einflüsse über die Grenzen des Gebärhauses hinaus, in wel -7 chem Winkel immer der Stadt die Kreissenden und Wöchne - rinnen treffen würden: dadurch ist der Beweis geliefert, dass das Endemien sind, d. h. Erkrankungen in Folge von Ursa - chen, welche in die Grenzen des Gebärhauses eingeengt sind.
Was würden die Vertheidiger der Epidemien sagen, wenn Jemand den Vorschlag machen würde, um der Cholera-Epi - demie Herr zu werden, sei es das Beste, die Choleraspitäler zu schliessen?
Das Puerperalfieber, welches in Folge einer traumatischen Einwirkung entsteht, z. B. nach forcirten Zangenoperationen, ist ganz in seinem Verlaufe und anatomischen Befunde das - selbe, wie es sich bei sogenannten Epidemien vorfindet. Kann auch eine andere epidemische Krankheit auf traumatischem Wege erzeugt werden?
Die Epidemien machen jahrelange Intermissionen, das Kindbettfieber herrschte aber an der ersten geburtshilflichen Klinik durch eine lange Reihe von Jahren mit geringen In - termissionen ununterbrochen fort. Herrscht die Cholera all - jährlich epidemisch?
Wenn die sogenannten Kindbettfieber-Epidemien wirklich durch atmosphärische Einflüsse bedingt wären, so könnten sie nicht in den entgegengesetzten Jahreszeiten und Klimaten vorkommen; in der Wirklichkeit aber werden zu allen Jah - reszeiten, in den verschiedensten Klimaten, unter allen Arten der Witterungsverhältnisse Kindbettfieber-Epidemien beob - achtet.
Wir wollen, um dem Leser durch Zahlen zu beweisen, dass die Jahreszeiten wirklich keinen Einfluss auf die Her - vorbringung des Kindbettfiebers haben, den durch die Ta - belle Nr. 1 repräsentirten Zeitraum abermals benützen, mit Hinzugabe der ersten fünf Monate des Jahres 1847. Es wird dadurch mittelst Zahlen bewiesen, dass jeder Monat im Jahre einen günstigen und jeder Monat im Jahre einen ungünstigen Gesundheitszustand der Wöchnerinnen an der ersten Klinik dargeboten hat. Nur der Monat December des Jahres 18418 konnte nicht benützt werden, weil mir die Notiz, wie viele Geburten sich in diesem Monate ereigneten, und wie viele Wöchnerinnen gestorben seien, verloren ging. Dieser Monat dürfte aber zu denjenigen gehören, in welchen viele Wöchne - rinnen gestorben sind, weil er sich zwischen zwei Monaten befindet, in welchen der Gesundheitszustand der Wöchnerin - nen ein schlechter war. November 1841 starben 53 Wöchne - rinnen von 235 Wöchnerinnen, also 22.55 %. Im Jänner 1842 starben 64 Wöchnerinnen von 307 Wöchnerinnen, mit - hin 20.84 %.
9Tabelle Nr. II.
Der Leser sieht, dass die epidemischen Einflüsse so mäch - tig sind, dass ihre verderbliche Thätigkeit durch keine Jah - reszeit gebändiget werden kann, sie wüthen in der strengen Kälte des Winters und in der drückenden Hitze des Sommers mit gleicher Heftigkeit; aber die epidemischen Einflüsse sind parteiisch, indem sie nicht über alle Gebärhäuser gleichmäs - sig ihre Geissel schwingen, sondern einzelne verschonen, um dafür in anderen um so erbarmungsloser zu wüthen, ja sie ge - hen in ihrer Parteilichkeit so weit, dass sie selbst verschiedene Abtheilungen einer und derselben Anstalt in verschiedenem Grade mit ihrer nicht ersehnten Thätigkeit heimsuchen.
Es ist Thatsache, dass Gebärhäuser, welche keine Un - terrichtsanstalten sind, oder welche blos dem Unterrichte für Hebammen gewidmet sind, mit wenigen Ausnahmen ein gün - stigeres Verhältniss im Vergleiche zu den Bildungsanstalten für den Geburtshelfer darbieten.
Tabelle I zeigt, wie verschieden sich die Mortalitätsver - hältnisse zweier Abtheilungen einer und derselben Anstalt verhielten; ein Gleiches fand in Strassburg auf zwei Abthei - lungen ein und derselben Anstalt statt.
Wir werden auf diese Umstände später noch ausführli - cher zu sprechen kommen.
Diese Gründe haben mich, wie schon gesagt, in meiner Ueberzeugung immer mehr und mehr bestärkt, dass die grosse Sterblichkeit an der ersten geburtshilflichen Klinik nicht durch epidemische Einflüsse bedingt sei, sondern dass es en - demische Schädlichkeiten seien, d. h. solche Schädlichkeiten, welche ihre Thätigkeit nur innerhalb der Grenzen der ersten Gebärklinik auf eine so entsetzliche Weise äussern.
Wenn wir aber die bisher giltigen endemischen Ursa - chen in ihrer Anwendung auf die Mortalitätsverhältnisse der beiden grossen Wiener-Gratis-Abtheilungen prüfen, so wird sich zeigen, dass entweder kein Unterschied in der Grösse der Sterblichkeit hätte sein können, oder wenn ja ein Unter - schied möglich war, hätte eine grössere Sterblichkeit an der11 zweiten geburtshilflichen Klinik herrschen müssen, wo doch in der Wirklichkeit eine geringere Sterblichkeit herrschte.
Wenn die Ueberfüllung die Ursache der Sterblichkeit an der ersten geburtshilflichen Klinik gewesen wäre, so hätte die Sterblichkeit an der zweiten geburtshilflichen Klinik noch grösser sein müssen, weil die zweite geburtshilfliche Klinik mehr überfüllt war als die erste. Der üble Ruf der ersten ge - burtshilflichen Klinik hat es gemacht, dass sich Alles zur Auf - nahme auf die zweite geburtshilfliche Abtheilung drängte, und dadurch ist es oft geschehen, dass die zweite geburtshilfliche Abtheilung die Aufnahme, wenn die gesetzliche Zeit heran - rückte, nicht übernehmen konnte, weil sie keine neuange - kommenen Individuen unterzubringen vermochte, oder wenn sie auch die Aufnahme übernahm, so musste sie selbe nach Verlauf von wenigen Stunden, vor Ablauf der gesetzlichen Zeit, wieder an die erste geburtshilfliche Abtheilung zurückgeben, weil am Gange eine so grosse Anzahl Individuen den Zeit - punkt der Uebergabe der Aufnahme von der ersten geburts - hilflichen Klinik an die zweite erwartete, dass nach Verlauf kurzer Zeit sämmtliche disponible Plätze besetzt waren. In - nerhalb fünf Jahren, welche ich an der ersten geburtshilfli - chen Klinik zugebracht habe, ist es aber auch nicht einmal geschehen, dass man gezwungen gewesen wäre, wegen Ueber - füllung die Aufnahme vor der gesetzlichen Zeit an die zweite geburtshilfliche Klinik abzugeben, obwohl an der ersten ge - burtshilflichen Klinik wöchentlich einmal durch 48 Stunden die Aufnahme ununterbrochen dauerte; und trotz dieser Ueber - füllung war die Sterblichkeit der zweiten geburtshilflichen Klinik auffallend geringer.
Die erste geburtshilfliche Klinik weist zwar alljährlich mehrere hundert Geburten mehr aus, als die zweite Abthei - lung, es war ihr aber, da sie wöchentlich einen Aufnahmstag mehr hatte, ein grösseres Locale zugewiesen, als der zweiten geburtshilflichen Klinik. Die zweite geburtshilfliche Klinik war demnach trotz der geringeren Anzahl der Geburten im12 Verhältnisse zu ihrer Fassungsfähigkeit mehr überfüllt. Be - weis dessen: konnte sie öfters die Aufnahme entweder gar nicht übernehmen, oder musste sie dieselbe vor der Zeit abge - ben, was sich an der ersten geburtshilflichen Klinik, wie schon gesagt, durch fünf Jahre, obwohl wöchentlich einmal durch 48 Stunden die Aufnahme ununterbrochen fortdauerte, nicht er - eignete; hätte die zweite Abtheilung die nöthigen Localitäten gehabt, um alle, die dort Aufnahme suchten, auch aufnehmen zu können, so hätte sie trotz dem, dass sie um 52 Aufnahms - tage jährlich gesetzlich weniger hatte, eine bei weitem grös - sere Anzahl Geburten ausgewiesen als die erste geburtshilf - liche Abtheilung.
Wenn wir aber von einem Vergleiche der ersten Abthei - lung zur zweiten in Bezug auf Ueberfüllung gänzlich abse - hen, und nur die verschiedenen Grade der Ueberfüllung, wie sie an der ersten Gebärklinik vorgekommen sind, je nachdem eine grössere oder geringere Anzahl von Wöchnerinnen in den verschiedenen Monaten verpflegt wurde, berücksichtigen, so zeigt sich, dass der günstigere oder ungünstigere Gesund - heitszustand der Wöchnerinnen nicht von einer grösseren oder geringeren Ueberfüllung der ersten Abtheilung abhing. Wir wollen wieder den durch die Tabelle I. repräsentirten Zeit - raum benützen, mit Hinzugabe der ersten fünf Monate des Jahres 1847, jedoch mit Ausschluss des Decembers vom Jahre 1841, weil uns über diesen Monat die Notate verloren gingen.
Innerhalb dieser 76 Monate verhielt sich die Anzahl der Verstorbenen zu der der Entbundenen wie folgt:
13Tabelle Nr. III.
Innerhalb dieser 76 Monate war die grösste Anzahl der verpflegten Wöchnerinnen während eines Monates 336, also die grösste Ueberfüllung im Jänner 1846, davon sind gestor - ben 45, mithin 13.39 %. In 13 Monaten innerhalb dieser 76 Monate war die absolute Sterblichkeit bei einer geringeren Anzahl Geburten, also bei einer geringeren Ueberfüllung eine grössere, wie Tabelle IV. zeigt.
Tabelle Nr. IV.
Wenn wir aber die relative Sterblichkeit berücksichti - gen, so war mit Herzuziehung der Tabelle IV. die relative Sterblichkeit bei einer geringeren Anzahl Geburten, also bei einer geringeren Ueberfüllung innerhalb 24 Monaten grösser, als bei der grössten Anzahl Geburten, also bei der grössten Ueberfüllung im Monate Jänner 1846, wie die Tabellen IV. und V. zeigen.
15Tabelle Nr. V.
Die grösste Ueberfüllung war im Jänner 1846 mit 336 Geburten, wo - von 45 starben, mithin 13.39 %.
Wenn wir aber nicht blos die absolute Sterblichkeit, son - dern gleichzeitig die Jahreszeit berücksichtigen, so zeigt sich, dass nur in den Monaten März und April bei der grössten Anzahl Wöchnerinnen, also bei der grössten Ueberfüllung auch die grösste absolute Sterblichkeit sich ereignete, wie Tabelle Nr. VI. zeigt:
Tabelle Nr. VI.
Wenn wir aber die relative Sterblichkeit und die Jahres - zeit berücksichtigen, so zeigt sich, dass bei der grössten An - zahl Wöchnerinnen, d. h. bei der grössten Ueberfüllung, nie gleichzeitig die grösste relative Sterblichkeit stattfand, wie Tabelle VII zeigt:
Tabelle Nr. VII.
Wenn wir aber die einzelnen Monate nach der Anzahl der in derselben vorkommenden Geburten, d. h. nach den Graden der vorhandenen Ueberfüllung, aneinanderreihen, so zeigt sich bei der allmäligen Abnahme der Geburten, d. h. der allmäligen Abnahme der Ueberfüllung, keine entsprechende Abnahme in der Sterblichkeit, wie Tabelle Nr. VIII. zeigt:
19Tabelle Nr. VIII.
Wenn wir aber die einzelnen Monate nach der absolu - ten Sterblichkeit aneinanderreihen, so zeigt sich keine dem entsprechende allmälige Abnahme der Geburten, also Ab - nahme der Ueberfüllung, wie Tabelle Nr. IX zeigt:
Tabelle Nr. IX.
Wenn wir aber die einzelnen Monate nach der relativen Sterblichkeit aneinanderreihen, so zeigt sich der allmäligen Abnahme der relativen Sterblichkeit keine allmälig entspre - chende Abnahme in der Anzahl der vorgekommenen Gebur - ten, oder keine allmälige Abnahme der Ueberfüllung, wie Tabelle X zeigt:
24Tabelle Nr. X.
Wenn wir aber alle 76 Monate nach der Anzahl der in denselben vorgekommenen Geburten, also nach dem Grade der Ueberfüllung aneinanderreihen, so zeigt sich dem ent - sprechend keine allmälige Abnahme der Sterblichkeit, wie Tabelle XI. zeigt:
Tabelle Nr. XI.
Wenn wir aber die einzelnen Monate nach der absoluten Sterblichkeit aneinanderreihen, so zeigt sich keine Verhält - nissmässige Abnahme in der Anzahl der Geburten, oder mit andern Worten keine entsprechende Abnahme im Grade der Ueberfüllung, wie Tabelle XII. zeigt:
Tabelle Nr. XII.
Wenn wir die einzelnen Monate nach der relativen Sterb - lichkeit aneinanderreihen, so zeigt sich dem entsprechend keine geringere Anzahl Geburten, oder mit anderen Worten keine geringere Ueberfüllung, wie Tabelle XIII. zeigt:
Tabelle Nr. XIII.
Man glaubte, dass ein Local, in welchem so viele tau - send Individuen schon geboren, das Wochenbett durchge - macht, vom Kindbettfieber befallen und gestorben sind, müsse nothwendiger Weise schon so verpestet sein, dass es nicht zu wundern ist, wenn in diesen Localitäten das Kindbettfieber überhandnehme. Wenn das der Fall wäre, so müsste wieder die grössere Sterblichkeit an der zweiten geburtshilflichen Klinik herrschen, weil in dem Locale der zweiten geburtshilf lichen Klinik schon zu Boer’s Zeiten heftige Puerperalfieber - Epidemien wütheten; zu einer Zeit, wo das Gebäude der ge - genwärtigen ersten geburtshilflichen Abtheilung nicht einmal noch gebaut war.
Man glaubte, dass der üble Ruf der Anstalt es mache, dass die Neuaufgenommenen nur mit Schrecken die Anstalt betreten, weil es ihnen bekannt sei, welch grosses Contingent an Todten die Anstalt jährlich liefere, und das mache, dass sie erkranken und sterben. Dass sie sich wirklich vor der er - sten Abtheilung fürchteten, davon konnte man sich leicht uberzeugen, da man manchmal herzzerreissende Scenen mit - ansehen musste, wenn Individuen knieend und die Hände rin -33 gend um ihre Wiederentlassung baten, welche auf die zweite Abtheilung zur Aufnahme gehen wollten, und wegen Un - kenntniss des Locals auf die erste Abtheilung geriethen, wel - ches ihnen die Anwesenheit vieler Männer klar machte. Wöch - nerinnen mit unzählbaren Pulsschlägen, meteoristisch aufge - triebenem Bauche, trockener Zunge, d. h. am Puerperalfieber schwer erkrankte, betheuerten wenige Stunden vor dem Tode, vollkommen gesund zu sein, um nur nicht ärztlich behandelt zu werden, weil sie wussten, dass ärztliche Behandlung der Vorläufer des Todes sei. Trotz dem konnte ich mich nicht überzeugen, dass die Furcht die Ursache der grösseren Sterb - lichkeit an der ersten Abtheilung sei, weil ich als Arzt nicht einsah, wie die Furcht, ein psychischer Zustand, solch mate - rielle Veränderungen hervorbringen könne, wie das Kindbett - fieber ist. Nebst dem musste ja nothwendiger Weise eine län - gere Zeit, eine grössere Sterblichkeit vorausgegangen sein, bevor es unter Leuten, denen die Gebärhausrapporte nicht zur Disposition stehen, bekannt wurde, dass an einer Abthei - lung mehr als an der andern sterben. Durch die Furcht wird der Beginn der Sterblichkeit nicht erklärt.
Selbst die religiösen Gebräuche sind einer Beschuldigung nicht entgangen. Die Capelle des Krankenhauses hatte eine derartige Lage, dass der von dort kommende, die Sterbesa - cramente spendende Priester in das Krankenzimmer der zwei - ten geburtshilflichen Klinik gelangen konnte, ohne die übri - gen Wöchnerinnenzimmer zu berühren, während er an der ersten geburtshilflichen Klinik fünf Zimmer passiren musste, weil das Krankenzimmer der ersten Abtheilung in der Rich - tung zur Capelle das sechste war. Die Priester pflegten im Ornate unter Glockengeläute eines vorausgehenden Kirchen - dieners, wie der katholische Ritus es mit sich bringt, sich zu den Kranken zu begeben, um sie mit den heiligen Sterbe - sacramenten zu versehen. Man trachtete zwar, dass diess durch 24 Stunden nur einmal geschehe, aber 24 Stunden sind für das Kindbettfieber eine sehr lange Zeit, und manche, dieSemmelweis, Kindbettfieber. 334während der Anwesenheit des Priesters noch ziemlich wohl war, und desshalb mit den heiligen Sterbesacramenten nicht versehen wurde, war nach Verlauf von einigen Stunden schon so übel, dass der Priester neuerdings geholt werden musste. Man kann sich denken, welchen Eindruck das öfters im Tage hörbare verhängnissvolle Glöckchen des Priesters auf die an - wesenden Wöchnerinnen hervorbrachte. Mir selbst war es unheimlich zu Muthe, wenn ich das Glöckchen an meiner Thüre vorübereilen hörte; ein Seufzer entwand sich meiner Brust für das Opfer, welches schon wieder einer unbekannten Ursache fällt. Dieses Glöckchen war eine peinliche Mahnung, dieser unbekannten Ursache nach allen Kräften nachzuspüren. Auch in diesem Unterschiede der Verhältnisse der beiden Ab - theilungen fand man die Erklärung der Mortalitätsverschie - denheit.
Ich appellirte während meiner ersten Dienstzeit an das Humanitätsgefühl der Diener Gottes und erreichte es ohne Anstand, dass die Priester künftighin auf einem Umwege, ohne Glockengeläute, ohne ein anderes Zimmer zu berühren, sich unmittelbar in das Krankenzimmer begaben, so dass ausser den Anwesenden des Krankenzimmers Niemand die Gegen - wart des Priesters inne wurde. Die Verhältnisse der beiden Abtheilungen waren dadurch in diesem Punkte zwar gleich gemacht, aber die Mortalitätsdifferenz blieb.
Man glaubte den Grund der grossen Sterblichkeit darin zu finden, dass es lauter ledige, der trostlosesten Bevölke - rung entnommene Mädchen seien, welche während ihrer Schwangerschaft durch schwere Arbeit ihr Brot verdienen, dem Elende und Noth preisgegeben und unter dem Einflusse deprimirender Gemüthsaffecte leben, vielleicht Abortivmittel gebraucht haben, etc. etc. Wenn das die Ursache wäre, so müsste die Sterblichkeit an der zweiten Abtheilung eben so gross sein, indem dort gleichartige Individuen aufgenommen werden.
Man hat den Unterschied der grösseren Sterblichkeit an35 der ersten geburtshilflichen Klinik darin gefunden, dass die Geburtshelfer roher untersuchen, als die Hebammenschüle - rinnen.
Gesetzt, es wäre dem wirklich so, wenn die Einführung, und zwar die noch so rohe Einführung des Zeigefingers in die durch die Schwangerschaft erweiterte und verlängerte Scheide, wenn die noch so rohe Berührung des durch die Scheide zu - gängigen Uterus-Abschnittes schon eine solche Schädlichkeit wäre, dass sie einen so furchtbaren Process als der Puerpe - ralprocess ist, hervorzurufen im Stande wäre, da müsste ja der Durchtritt des Kindeskörpers durch die Genitalien eine solche Schädlichkeit sein, dass es nicht zu begreifen wäre, warum nicht jede Geburt tödtlich ende.
Man hat in dem verletzten Schamgefühle der Individuen, welche auf der ersten geburtshilflichen Klinik in Gegenwart der Männer entbinden, die Ursache der grösseren Sterblich - keit gefunden. Derjenige, welcher mit den Verhältnissen des Wiener Gebärhauses vertraut ist, wird nicht zweifeln, dass die Individuen auf der ersten geburtshilflichen Abtheilung zwar von Furcht, aber nicht vom verletzten Schamgefühle geplagt sind; übrigens ist nicht einzusehen, wie das verletzte Scham - gefühl Exsudationsprozesse hervorzubringen im Stande ist.
Dass die medicinische Behandlung nicht Schuld daran war, dass an der ersten geburtshilflichen Klinik mehr Indivi - duen starben, geht daraus hervor, dass die medicinische Be - handlung an beiden Abtheilungen gleich war, und man hat ver - suchsweise von Zeit zu Zeit sämmtliche kranke Wöchnerinnen ins allgemeine Krankenhaus transferirt, wo sie aber dennoch den verschiedensten Behandlungen erlagen. Es war auch das Verhältniss auf den beiden Abtheilungen nicht derart, dass auf beiden Abtheilungen gleich viele erkrankten, und dann auf der ersten wenig genasen und viele starben, an der zweiten aber viele genasen und wenig starben: sondern es erkrankten auf der ersten Abtheilung mehr Wöchnerinnen und auf der zweiten weniger Wöchnerinnen. Die Genesungs -3 *36fälle unter den wirklich erkrankten Wöchnerinnen waren auf beiden Abtheilungen nicht verschieden.
Dass aber die geburtshilfliche Behandlung, vieles und rohes Operiren etc., nicht die Ursache der zahlreichen Er - krankungen an der ersten Abtheilung waren, ging daraus her - vor, dass bei der überwiegend grossen Anzahl der Erkrank - ten gar keine geburtshilfliche Operation vorgenommen wurde, an beiden Abtheilungen wird nach Boer’s Grundsätzen ge - handelt.
Es herrschte an der ersten geburtshilflichen Klinik die Sitte, dass die Neuentbundenen drei Stunden nach überstan - dener Geburt vom Geburtsbette aufstehen, und sich zu Fuss über einen zwar mit Glas geschlossenen, im Winter geheizten Gang auf das ihnen bestimmte Wochenbett begeben mussten, welches eine ziemliche Strecke betrug, wenn sie sich gerade in die vom Kreissezimmer entfernteren Wochenzimmer zu be - geben hatten; nur schwächliche oder kranke oder solche, bei welchen eine Operation gemacht wurde, wurden getragen.
Dass aber dieser Uebelstand nicht die grössere Sterblich - keit hervorgebracht, geht daraus hervor, dass dieser Uebel - stand auch an der zweiten geburtshilflichen Klinik geübt wurde, und zwar auf eine noch nachtheiligere Weise, weil die zweite geburtshilfliche Abtheilung durch das gemeinschaft - liche Vorzimmer, welches nie geheizt wurde, in zwei Theile getheilt wird, und daher alle Wöchnerinnen, welche jenseits des Vorzimmers ihr Wochenbett angewiesen erhielten, das - selbe passiren mussten.
An der ersten geburtshilflichen Klinik befand sich ein grosses Wochenzimmer im zweiten Stockwerke des Gebäudes; da man aber den Neuentbundenen nicht zumuthen konnte, auch dorthin zu Fuss zu gehen, so mussten die sieben - und achttägigen gesunden Wöchnerinnen, welcher übrigens ohne - dies der Tag des Verlassens des Bettes war, über eine mit einer Glaswand geschützte Treppe sich dorthin begeben. Dass dieses zweite Umlegen die grosse Sterblichkeit an der37 ersten geburtshilflichen Klinik nicht hervorgebracht hat, geht daraus hervor, dass überhaupt die Wöchnerinnen nach sieben und acht Tagen sehr selten erkrankten, wie auch daraus, dass sich die Sache auf der zweiten Abtheilung eben so verhielt.
Die schlechte Ventilation an der ersten geburtshilflichen Klinik, welche grösstentheils auch im Winter durch das Oeffnen der Fenster bewerkstelligt wurde, wurde auch zur Erklärung der grossen Sterblichkeit an der ersten geburtshilf - lichen Klinik zu Hilfe genommen, ohne zu bedenken, dass an der zweiten geburtshilflichen Klinik gerade so gelüftet wird.
Man beschuldigte die Wäsche deshalb, weil sie in der Waschanstalt des Pächters mit der Wäsche des Krankenhau - ses vermengt wurde, und übersah dabei, dass die zweite Kli - nik ebenfalls vermengte Wäsche benützte.
Die unvortheilhafte Lage, nämlich die Verbindung mit einem so grossen Krankenhause, wie das Wiener k. k. allge - meine Krankenhaus es ist, hatten ebenfalls beide Abtheilun - gen gemeinschaftlich, sie liegen ja so nahe an einander, dass sie ein gemeinschaftliches Vorzimmer haben, die Bauart ist ebenfalls auf beiden Abtheilungen gleich.
Die Nachtheile des ununterbrochenen Unterrichtes, des Communicirens des Krankenzimmers mit den Zimmern der Wöchnerinnen, der freie Verkehr der Wärterinnen der Kran - ken mit denen der Gesunden hatten beide Abtheilungen ge - meinschaftlich.
Weder die Verkühlung noch Diätfehler konnten zur Er - klärung des Unterschiedes der Sterblichkeit an beiden Ab - theilungen benützt werden, weil die Möglichkeit oder Unmög - lichkeit sich zu verkühlen an beiden Abtheilungen gleich war. Die Speisen wurden für beide Abtheilungen von einem und demselben Traiteur geliefert, die Diätnorm war an beiden Abtheilungen gleich.
Das sind die endemischen Ursachen, denen man die grössere Sterblichkeit unter den Wöchnerinnen im Gebärhause im Vergleich zu den Wöchnerinnen ausserhalb des Gebärhau -38 ses zuschreibt, und damit bin ich, die nöthigen Ausnahmen, von welchen wir später sprechen werden, abgerechnet, ein - verstanden: sie sind aber nicht geeignet, die grössere Sterb - lichkeit an der ersten geburtshilflichen Klinik im Vergleich zur zweiten zu erklären. Wir haben ja gezeigt, dass diese endemischen Schädlichkeiten auf beiden Abtheilungen entwe - der in gleichem Masse vorhanden waren, folglich hätte an bei - den Abtheilungen eine gleiche Sterblichkeit statthaben müs - sen, oder wenn diese endemischen Schädlichkeiten ungleich waren, so waren sie in höherem Masse an der zweiten Abthei - lung vorhanden, und in geringerem Masse auf der ersten Ab - theilung. Es hätte daher in Folge dieser Schädlichkeiten die grössere Sterblichkeit an der zweiten geburtshilflichen Kli - nik und die geringere an der ersten geburtshilflichen Klinik herrschen müssen; in der Wirklichkeit ereignete sich aber gerade das Entgegengesetzte, indem, wie Tabelle 1. annähe - rungsweise zeigt, die Sterblichkeit an der ersten geburtshilf - lichen Klinik, seit selbe ausschliesslich dem Unterrichte für Geburtshelfer gewidmet ist, constant bedeutend grösser war, als an der zweiten.
Nachdem weder die epidemischen noch die bisher gilti - gen endemischen Einflüsse das Plus der Sterblichkeit an der ersten geburtshilflichen Klinik erklären, wollen wir versu - chen, die übrigen Ursachen, wie sie als Kindbettfieber erzeu - gend angeführt werden, einer Prüfung zu unterziehen.
Neuere Forscher haben als die entfernteste Veranlassung zu den Puerperal-Processen schon die Conception beschuldigt, indem die Einwirkung des Sperma virile eine Reihe von Me - tamorphosen bedinge, und vielfache, noch zum Theile un - bekannte Veränderungen des Blutes hervorrufe. Ich glaube in keiner Täuschung befangen zu sein, wenn ich die Behaup - tung aufstelle, dass bei denjenigen, welche auf der zweiten geburtshilflichen Klinik geboren haben, auch eine Conception vorausging. Woher also die Differenz der Sterblichkeit an beiden Abtheilungen?
39Die Hyperinose, die Hydrämie, die Plethora, die durch den schwangeren Uterus veranlassten Störungen, Stauun - gen und Stockungen der Circulation, die Inopexie, der Geburtsact selbst, der durch die Entleerung des Uterus aufgehobene Druck, die lange Dauer der Geburt, die Ver - wundung der inneren Fläche des Uterus durch den Ge - burtsact, die mangelhaften Contractionen und die fehler - hafte Involution des Uterus im Wochenbette, die mangel - hafte und aufgehobene Se - und Excretion der Lochien, die Unterdrückung der Milchsecretion, todte Früchte, die In - dividualität der Wöchnerinnen sind Ursachen, so viel oder so wenig Einfluss man ihnen auch auf die Hervorbringung des Kindbettfiebers zuschreiben mag, müssen auf beiden Abthei - lungen entweder gleich schädlich oder unschädlich sein, und können nicht zur Erklärung einer so auffallenden Differenz in den Mortalitätsverhältnissen zweier Abtheilungen benützt werden.
Nebst dem, dass ich für das Plus der Sterblichkeit an der ersten geburtshilflichen Klinik keine Erklärung finden konnte, trugen sich an der ersten geburtshilflichen Klinik noch an - dere Dinge zu, für welche die Erklärung fehlte.
Alle Kreissenden, bei welchen die Eröffnungsperiode so zögernd verlief, dass sie 24, 48 Stunden und darüber dauerte, erkrankten beinahe ohne Ausnahme sämmtlich entweder schon während der Dauer der Geburt, oder in den ersten 24 und 36 Stunden nach der Geburt und starben am rasch verlaufenden Kindbettfieber. Ein eben so zögernder Verlauf der Eröffnungs - periode an der zweiten Klinik war ungefährlich.
Da ein so zögernder Verlauf der Eröffnungsperiode in der Regel nur bei Erstgebärenden vorkommt, so waren es in der Regel Erstgebärende, welche auf diese Weise zu Grunde gin - gen. Ich habe meine Schüler oft und oft aufmerksam gemacht, dass dieses blühende, junge, vor Gesundheit strotzende Mäd - chen, weil die Eröffnungsperiode bei ihr zögere, werde ent - weder schon während der Geburt, oder kurz nach der Geburt40 erkranken und am rasch verlaufenden Puerperalfieber sterben. Meine Prognose ging in Erfüllung; ich wusste zwar nicht, warum das geschieht, aber ich sah es oft geschehen; die Sache war um so unerklärlicher, weil sie sich, wie schon gesagt, unter ähnlichen Verhältnissen auf der zweiten Abtheilung nicht wiederholte.
Wir sprechen hier, nochmals sei es gesagt, von der Er - öffnungsperiode und nicht von der zögernd verlaufenden Aus - treibungsperiode, es kann daher das traumatische Moment nicht in Betracht kommen. Aber nicht allein diese Mütter, sondern auch deren Neugeborne sind sämmtlich am Puerperal - fieber, und zwar ohne Unterschied ob Knabe oder Mädchen, gestorben. Ich bin nicht der Einzige, welcher vom Puerperal - fieber bei Neugebornen spricht. Der anatomische Befund in den Leichen solcher Neugebornen war mit Ausschluss der Genitalsphäre identisch mit dem Befunde in den Leichen von an Puerperalfieber verstorbenen Wöchnerinnen. Die Producte in den Leichen der Wöchnerinnen als Producte des Puer - peralfiebers anzuerkennen, und die identischen Producte in den Leichen der Neugebornen nicht für das Product derselben Krankheit gelten zu lassen, hiesse die pathologische Anatomie umstossen.
Wenn es eine und dieselbe Krankheit ist, an welcher die Wöchnerinnen und deren Neugeborne starben, so muss für die Neugebornen dieselbe Aetiologie gelten, welche man für deren Mütter als giltig anerkennt. Da nun dieselbe Mortali - tätsverschiedenheit, welche wir unter den Wöchnerinnen der beiden Kliniken beobachteten, bei den Neugebornen sich wie - derholte, nämlich es starben an der ersten geburtshilflichen Abtheilung auch die Neugebornen in viel grösserer Anzahl als an der zweiten Abtheilung: so zeigt sich die bisher giltige Aetiologie des Kindbettfiebers in der Erklärung der Mortali - tätsdifferenz der Neugebornen am Kindbettfieber eben so man - gelhaft, als sie sich zur Erklärung der Mortalitätsdifferenz bei den Wöchnerinnen mangelhaft gezeigt hat. Die beifol -41 gende Tabelle zeigt die Differenz der Sterblichkeit unter den Neugebornen der beiden Abtheilungen.
Tabelle Nr. XIV.
Von den Neugebornen wurde eine grosse Anzahl wegen Tod oder Stillungsunvermögen der Mutter ins Findelhaus ge - sendet, vom Schicksale derselben werden wir später sprechen.
Das Erkranken der Neugebornen am Kindbettfieber kann man sich auf zweierlei Weise denken: entweder das Kind - bettfieber erzeugende Moment wirkt während des intra-uteri - nen Lebens der Frucht auf die Mutter, und durch die Mutter wird das Kindbettfieber dem Kinde mitgetheilt; oder das Kindbettfieber erzeugende Moment wirkt auf das Kind selbst nach der Geburt, und dabei kann die Mutter mitgetroffen oder verschont werden. Das Kind stirbt daher nicht an einem mit - getheilten Kindbettfieber, wie im ersten Falle, sondern an einem in ihm selbst entstandenen Kindbettfieber. Wird dem Kinde das Kindbettfieber von der Mutter während des intra - uterinen Lebens mitgetheilt, so ist die Mortalitätsdifferenz un - ter den Neugebornen der beiden Abtheilungen durch die bisher giltige Aetiologie des Kindbettfiebers nicht erklärt, weil sie zur Erklärung der Erkrankung der Mütter ungenügend ist. Wirkt aber das Kindbettfieber erzeugende Moment unabhängig von der Mutter nach der Geburt unmittelbar auf das Kind, so bleibt die Unmöglichkeit der Erklärung der Mortalitätsdiffe - renz unter den Neugebornen der beiden Abtheilungen aus der bisher giltigen Aetiologie des Kindbettfiebers dieselbe; weil die Schädlichkeiten an beiden Abtheilungen entweder gleich sind, folglich eine gleiche Sterblichkeit unter den Neugebor -42 nen der beiden Abtheilungen hätte herrschen müssen, oder wenn die Schädlichkeiten ungleich sind, so sind selbe in grösserem Masse an der zweiten geburtshilflichen Klinik vor - handen; es müsste daher die grössere Sterblichkeit an der zweiten geburtshilflichen Klinik herrschen, in der Wirklich - keit herrschte aber auch unter den Neugebornen die grössere Sterblichkeit an der ersten Gebärklinik.
Abgesehen davon, dass viele aetiologische Momente, welche bei der Mutter als Kindbettfieber erzeugend angeführt werden, bei den Neugebornen unmöglich Geltung haben können. Die Neugebornen haben sich wahrscheinlich vor der ersten geburtshilflichen Klinik nicht gefürchtet, weil ihnen der üble Ruf derselben unbekannt war, auch das verletzte Schamgefühl, dass sie in Gegenwart der Männer geboren wurden, dürfte bei den Neugebornen weniger geschadet ha - ben, etc. etc.
Man definirte das Kindbettfieber als eine den Wöchnerin - nen eigenthümlich und ausschliesslich zukommende Krank - heit, zu deren Entstehung zwei Dinge erfordert werden, näm - lich das Puerperium und ein Kindbettfieber erzeugendes Mo - ment, so zwar dass dieselbe Ursache auf im Wochenbette be - findliche Individuen einwirkend, das Kindbettfieber hervor - rufe, dieselbe Ursache aber andere, nicht im Puerperalzustande befindliche Individuen treffend, kein Puerperalfieber, sondern eine andere Krankheit erzeuge. Wir wollen durch Beispiele die Sache klarer machen. Man glaubte, dass die Wöchnerin - nen an der ersten geburtshilflichen Klinik, weil sie wussten, welch zahlreiches Contingent an Todten die Anstalt alljährlich liefere, aus Todesfurcht das Kindbettfieber bekommen, das disponirende Moment bei ihnen war das Wochenbett, und das Kindbettfieber erzeugende Moment war die Todesfurcht. Es ist anzunehmen, dass schon mancher Soldat in einer mörderi - schen Schlacht von Todesfurcht gequält wurde, allein Solda - ten bekommen aus Todesfurcht kein Kindbettfieber, sondern43 andere Zustände, weil bei ihnen das disponirende Moment, nämlich das Wochenbett, fehlt.
Das weibliche Schamgefühl wird nicht nur dadurch ver - letzt, dass sich die Individuen dem öffentlichen Unterrichte für Männer preisgeben müssen, wodurch selbe, weil sie durch das Puerperium dazu disponirt sind, das Kindbettfieber bekom - men. Das weibliche Schamgefühl wird noch auf andere viel - fältige Weise verletzt, wenn aber die so verletzten Jungfrauen überhaupt nicht im Puerperium befindliche Individuen sind, so bekommen selbe nicht das Kindbettfieber, weil das dispo - nirende Moment fehlt, sondern mannigfaltige andere Zu - stände, z. B. Ohnmachten, etc. etc. Verkühlung bringt bei einer Wöchnerin das Kindbettfieber hervor, bei einer Nicht - wöchnerin ein rheumatisches Fieber. Diätfehler bringen bei einer Wöchnerin das Kindbettfieber hervor, bei einer Nicht - wöchnerin aber ein gastrisches Fieber.
Da man sich aber überzeugte, dass das Kindbettfieber nicht blos im Puerperio, sondern schon während der Geburt, ja sogar während der Schwangerschaft beginne, so liess man das Puerperium fallen, und begnügte sich mit der eigenthüm - lichen Blutmischung der Schwangeren; wenn wir aber diese Definition auf das Kindbettfieber der Neugebornen anwenden, wo finden wir das disponirende Moment zu den Puerperalpro - zessen bei den Neugebornen? In dem Puerperalzustande ihrer Genitalien? Oder haben sie eine den Schwangern eigenthüm - liche Blutmischung? und zwar ohne Unterschied ob es Mäd - chen oder Knaben sind. Selbst der Begriff des Puerperalfie - bers zeigte sich durch das Factum, dass das Kindbettfieber auch bei Neugebornen vorkomme, als ein irriger.
Bei der grossen Ausbreitung der Stadt Wien ereignete es sich sehr oft, dass Kreissende auf dem Wege ins Gebär - haus, bevor sie das Gebärhaus erreichten, auf der Gasse, auf dem Glacis, unter den Thoren der Häuser, wo sie der Zufall eben hinbrachte, entbanden, und dann nach der Geburt mit44 dem Säugling in der Schürze oft bei der ungünstigsten Wit - terung ins Gebärhaus gehen mussten. Diese Geburten werden Gassengeburten genannt. Die Aufnahme in das Gebärhaus und die Uebernahme des Neugebornen im Findelhause ge - schieht gratis unter der Bedingung, dass sich die Kreissenden dem öffentlichen Unterrichte preisgeben, und die welche taug - lich sind, müssen im Findelhause Ammendienst thun. Nicht im Gebärhause geborene Kinder werden im Findelhause gra - tis nicht aufgenommen, weil deren Mütter dem Unterrichte nicht gedient haben. Damit aber diejenigen, welche in der Absicht, im Gebärhause zu entbinden, sich dorthin begeben, und auf dem Wege dahin dasselbe vor der Geburt nicht mehr erreichen können, nicht unschuldiger Weise dieser Vortheile verlustig werden, so lässt man die Gassengeburten als solche gelten, welche im Gebärhause vorsichgehen. Das hat aber zu dem Missbrauche geführt, dass die etwas wohlhabenderen Mädchen, um der Unannehmlichkeit des öffentlichen Unter - richtes zu entgehen, und um dennoch der Wohlthat der un - entgeltlichen Uebergabe des Kindes in das Findelhaus theil - haftig zu werden, in der Stadt bei den Hebammen entbinden, und sich dann mittelst Kutschen in das Gebärhaus bringen lassen, mit der Angabe, sie seien auf dem Wege von der Ge - burt überrascht worden. Wenn das Kind nicht getauft, und der Nabelschnurrest ganz frisch ist, so wird eine solche Ge - burt als Gassengeburt betrachtet und die Mutter wird aller Wohlthaten theilhaftig, deren sich alle diejenigen erfreuen, welche im Gebärhause geboren. Die Zahl der letzteren ist die höhere, und übersteigt monatlich an beiden Kliniken nicht selten die Zahl von 100.
Ich habe bemerkt, dass nun gerade die Wöchnerinnen, welche eine Gassengeburt überstanden hatten, auffallend sel - tener erkrankten als diejenigen, welche im Gebärhause gebo - ren hatten, obwohl bei den Gassengeburten die Geburt offen - bar unter ungünstigeren Verhältnissen vorsichging, als bei denjenigen, welche bei uns auf dem Kreissebette geboren. 45Man wende nicht ein, dass ja die meisten unter Beistand einer Hebamme ebenfalls im Bette geboren haben, und dass unsere Wöchnerinnen drei Stunden nach der Geburt zu Fuss ihr Wo - chenbett aufsuchen mussten, denn das Zufussgehen über einen mit Glas geschützten, im Winter geheizten Gang ist gewiss weniger schädlich, als bei einer Hebamme entbinden, dort ebenfalls bald nach der Geburt aufstehen zu müssen, Gott weiss vom wie vielten Stockwerke sich zu Wagen bege - ben, unter allen Witterungsverhältnissen, über zum Theile schlechtes Pflaster ins Gebärhaus zu fahren, um dort wieder den ersten Stock zu ersteigen. Von denjenigen, die wirklich auf der Gasse geboren, gilt diess noch in einem höheren Grade.
Es schien mir logisch, dass die Wöchnerinnen, die eine sogenannte Gassengeburt überstanden hatten, wenn nicht häu - figer, doch wenigstens so häufig hätten erkranken müssen, als diejenigen, welche bei uns geboren. Wir haben früher unsere unerschütterliche Ueberzeugung dahin ausgesprochen, dass die Sterblichkeit an der ersten geburtshilflichen Klinik nicht durch epidemische Einflüsse bedingt sei, sondern dass es en - demische, jedoch noch unbekannte Schädlichkeiten seien, d. h. solche Schädlichkeiten, welche nur innerhalb der Grenzen der ersten Klinik ihre verderblichen Wirkungen äussern. Was hat nun die ausserhalb des Gebärhauses Entbundenen vor den verderblichen Wirkungen der an der ersten Klinik thätigen unbekannten endemischen Einflüsse geschützt?
Auf der zweiten geburtshilflichen Abtheilung war der Ge - sundheitszustand der Wöchnerinnen, welche eine Gassenge - burt überstanden hatten, eben so günstig wie auf der ersten Abtheilung, dort war es jedoch nicht auffallend, weil dort der Gesundheitszustand der Wöchnerinnen im Allgemeinen ein viel günstigerer war.
Hier wäre der Ort, durch eine Tabelle die geringeren Sterblichkeitspercente unter den Gassengeburten im Ver - gleiche zu den Geburten, welche auf der ersten Gebärklinik vorsichgingen, zu zeigen.
46So lange mir die Protokolle der ersten Gebärklinik zu Gebote standen, fühlte ich das Bedürfniss einer solchen Ta - belle nicht, weil dieses Factum von Niemanden geläugnet wurde, ich versäumte es, eine solche Tabelle anzufertigen. Später, als ich nicht mehr Assistent war, läugnete man dieses Factum, wie man auch einen bedeutenden Unterschied in der Sterblichkeit an der ersten und zweiten Gebärklinik läugnete, welcher Unterschied aber durch die Tabelle Nr. I. ein unläug - bares Factum wird. Professor Skoda stellte im Jahre 1848 im Professorencollegium der Wiener medicinischen Facultät den Antrag, das Professorencollegium möge eine Commission ernennen, welche unter andern Aufgaben auch die hätte, eine solche Tabelle anzufertigen.
Der Antrag wurde mit grosser Majorität angenommen, die Commission sogleich ernannt, allein in Folge eines Pro - testes des Professors der Geburtshilfe durfte auf höheren Be - fehl die Commission ihre Thätigkeit nicht beginnen.
Nebst den Wöchnerinnen, welche eine Gassengeburt überstanden, erkrankten auch die Wöchnerinnen, welche eine vorzeitige Geburt durchgemacht, auffallend seltener als dieje - nigen, welche rechtzeitig geboren. Die Wöchnerinnen, welche vorzeitig geboren, waren nicht nur denselben endemischen Schädlichkeiten der ersten Gebärklinik ausgesetzt, wie die Wöchnerinnen, welche rechtzeitig geboren, sondern einer Schädlichkeit mehr, nämlich derjenigen, welche die Geburt vorzeitig eingeleitet. Wie ist trotz dem ihr besserer Gesund - heitszustand zu erklären? Die Erklärung, dass, je vorzeitiger die Geburt eintrete, desto unentwickelter der Puerperalzu - stand sei, in Folge dessen die Disposition zu einer Puerperal - erkrankung geringer, ist durch die Beobachtung widerlegt, dass der Puerperalzustand zur Entstehung des Puerperalfie - bers gar nicht nöthig ist, da ja das Puerperalfieber schon während der Geburt, ja sogar während der Schwangerschaft beginnen, ja sogar tödten kann.
Der bessere Gesundheitszustand der Wöchnerinnen nach47 vorzeitigen Geburten an der zweiten Gebärklinik war im Ein - klange mit dem besseren Gesundheitszustande der Wöchne - rinnen nach rechtzeitigen Geburten an dieser Klinik.
Es erkrankten zwar die Wöchnerinnen auch zerstreut, d. h. eine Wöchnerin erkrankte, und mehrere ihrer Nachba - rinnen nach links und rechts blieben gesund, aber es ereig - nete sich sehr oft, dass ganze Reihen wie sie eben nebenein - ander im Wochenbett lagen, erkrankten, ohne dass auch nur eine zwischen ihnen gesund geblieben wäre. Die Betten sind in den Wochenzimmern an der Längenwand mit den entspre - chenden Zwischenräumen an einandergereiht. Die Zimmer haben je nach ihrer Lage eine nördliche und südliche oder öst - liche und westliche Längenwand. Wenn die Wöchnerinnen, welche sich in den Betten an der nördlichen Längenwand des Zimmers befanden, erkrankten, waren wir schon geneigt, der Verkühlung eine grosse Rolle bei Erkrankung dieser Wöch - nerinnen zuzuschreiben, aber siehe da, beim nächsten Belegt - werden des Zimmers mit Wöchnerinnen erkrankte die nach Süden gelegene Hälfte der Wöchnerinnen, eben so erkrankten manchmal die, welche an der östlichen, und manchmal die, welche an der westlichen Längenwand lagen, oft breiteten sich die Erkrankungen von einer Seite auf die andere aus, so dass keine Himmelsgegend ein besonderes Lob oder einen beson - deren Tadel verdiente.
Wie war diese Erscheinung zu erklären, nachdem sie sich auf der zweiten geburtshilflichen Klinik nicht wieder - holte, indem sie dort nur zerstreut erkrankten?
Dass das Kindbettfieber keine contagiöse Krankheit sei, und dass die Erkrankung nicht durch Contagium von Bett zu Bett fortgepflanzt wurde, wollen wir hier als unsere Ueber - zeugung aussprechen, die Beweise dafür werden wir später beibringen. Vorläufig genügt die Bemerkung, dass die zer - streut vorgekommenen Erkrankungen der Wöchnerinnen an der zweiten Gebärklinik, falls das Kindbettfieber eine conta - giöse Krankheit gewesen wäre, hingereicht haben würden,48 aus dem zerstreuten Erkranken der Wöchnerinnen ein reihen - weises Erkranken durch Fortpflanzung des Contagiums von Bett zu Bett zu machen.
Die Staatsgewalt ist dieser beunruhigenden Erscheinung der grossen Sterblichkeit an der ersten Gebärklinik in Ver - gleich zur zweiten gegenüber nicht gleichgiltig geblieben, sie hat wiederholt commissionelle Untersuchungen und Verhand - lungen eingeleitet, um die Ursache dieser Mortalitätsverschie - denheiten zu ermitteln, und um sich zu überzeugen, ob die wirklich erkrankten Wöchnerinnen nicht in grösserer Anzahl rettbar seien, als es an der ersten Gebärklinik der Fall war. Um das Letztere zu erreichen, wurden von Zeit zu Zeit sämmtliche erkrankte Wöchnerinnen in das allgemeine Kran - kenhaus transferirt, wo sie aber dennoch mit wenigen Aus - nahmen ebenfalls starben, obwohl sie von einem andern Arzte einer andern Behandlung unterworfen wurden, und sich selbe in einem anderen Zimmer, nicht blos unter Puerperalkran - ken etc. etc. befanden.
Von den exmittirten Commissionen wurde als Ursache der grösseren Sterblichkeit bald eine oder die andere oder mehrere der oben angeführten endemischen Ursachen beschuldigt, dem entsprechend wurden die nöthigen Massregeln getroffen, ohne dass es jedoch gelungen wäre, die Sterblichkeit in die Gren - zen einzuengen, innerhalb welcher die Sterblichkeit auch an der zweiten Gebärklinik vorgekommen ist.
Durch die Erfolglosigkeit der Massregeln wurde der Be - weis geliefert, dass die beschuldigten Ursachen der grossen Sterblichkeit an der ersten Gebärklinik nicht die Ursachen waren, welche in Wirklichkeit die grössere Sterblichkeit her - vorgebracht haben.
Gegen Ende des Jahres 1846 gewann bei einer commis - sionellen Verhandlung die Ansicht die Oberhand, dass die Er - krankungen der Wöchnerinnen durch Beleidigung der Ge - burtstheile, bei den zum Behufe des Unterrichts stattfinden - den Untersuchungen bedingt sind, weil aber solche Untersu -49 chungen beim Unterrichte der Hebammen gleichfalls vorge - nommen werden, so nahm man, um die häufigen Erkrankun - gen auf der Abtheilung der Aerzte begreiflich zu machen, kei - nen Anstand, die Studirenden und namentlich die Ausländer zu beschuldigen, dass sie bei den Untersuchungen roher zu Werke gehen als die Hebammen.
Auf diese Voraussetzung hin wurde die Zahl der Schüler von 42 auf 20 vermindert. Die Ausländer wurden fast ganz ausgeschlossen und die Untersuchung selbst auf das Minimum reducirt.
Die Sterblichkeit verminderte sich hierauf in den Mona - ten December 1846, Jänner, Februar, März 1847 auffallend, allein im April starben trotz der erwähnten Massregel 57, im Mai 36 Wöchnerinnen, daraus konnte die Grundlosigkeit der obigen Beschuldigung Jedermann einleuchten.
Wir wollen hier des besseren Verständnisses wegen die Rapporte des Jahres 1846 und die ersten fünf Monate des Jahres 1847 der ersten Abtheilung veröffentlichen.
Tabelle Nr. XV.
Wir werden auf diese im Monat December 1846, Jän - ner, Februar und März 1847 verminderte, April und Mai wieder gesteigerte Sterblichkeit später nochmals zurück - kommen.
Die Berichte der zur Ermittlung der Ursache der grossen Sterblichkeit an der ersten Gebärklinik exmittirten Commis - sionen litten sämmtlich an dem unbegreiflichen Widerspruche, dass sie die grosse Sterblichkeit an der ersten Gebärklinik eine Epidemie nannten, aber nicht, dem Begriffe einer Epi - demie entsprechend, die Unmöglichkeit einer Abhilfe erklär - ten, da es ja nicht in der Macht einer Commission liegt, die atmosphärischen, cosmischen, tellurischen Verhältnisse der Stadt Wien zu ändern. Was thut man denn, um die Dauer der Cholera-Epidemie abzukürzen und um ihre Wiederkehr zu verhindern? Sie beschuldigten eine oder mehrere der oben angeführten endemischen Ursachen, und nannten es dann nicht, wie es hätte geschehen sollen, eine Endemie, sondern eine Epidemie. Ueberhaupt die unglückliche Verwechslung des Begriffes einer Epidemie und einer Endemie ist die Schuld, dass man so lange die wahre Ursache des Kindbett - fiebers nicht gefunden.
Bei Aufstellung des Begriffes einer Puerperal-Epidemie und Endemie muss von der Zahl der erkrankten und verstor - benen Wöchnerinnen gänzlich abgesehen werden. Die Ur - sache, in Folge welcher die Erkrankungs - und Todesfälle ein - treten, bedingt den Begriff einer Epidemie oder Endemie. Ein epidemisches Puerperalfieber ist dasjenige, welches durch51 atmosphärische, cosmische, tellurische Einflüsse hervorge - bracht wird, und es gehört nicht zum Begriffe der Epidemie, ob eines oder hunderte von Individuen erkranken. Wird das Puerperalfieber durch eine endemische Ursache hervorge - bracht, d. h. durch eine Ursache hervorgebracht, deren Wirk - samkeit sich auf ein bestimmtes Locale beschränkt, so ist das ein endemisches Puerperalfieber, und es ist wieder gleichgil - tig, ob ein oder hunderte von Individuen erkranken. Das ist der Begriff einer Epidemie und Endemie. Die Commissionen berücksichtigen aber bei Benennung der Sterblichkeit nicht die Ursachen, welche das Puerperalfieber angeblich hervorge - bracht haben, sondern nur die Zahl, und weil viele Wöch - nerinnen erkrankten und starben, nannte man es eine Epi - demie.
Ueberzeugt, dass die grössere Sterblichkeit an der er - sten Gebärklinik durch eine endemische, aber noch unbe - kannte, von mir vergebens gesuchte Ursache herrühre, an dem Begriffe des Kindbettfiebers durch das Erkranken der Neugebornen am Kindbettefiber, ohne Unterschied ob Mäd - chen oder Knabe, irre geworden, durch das Beobachten von Erscheinungen, für welche ich keine Erklärung finden konnte, als da sind: das beinahe ausnahmslose Sterben in Folge ver - zögerter Eröffnungsperiode, das Nichterkranken der Gassen - und vorzeitigen Geburten im Widerspruche mit meiner Ueber - zeugung, dass die Verheerungen an der ersten Gebärklinik endemischen Ursachen zuzuschreiben seien, das reihenweise Erkranken der Wöchnerinnen an der ersten Gebärklinik, der günstige Gesundheitszustand an der zweiten Gebärklinik im Vergleich zur ersten, ohne dass ich die Ueberzeugung hätte hegen können, dass die an der zweiten Gebärklinik Bedien - steten geschickter oder sorgfältiger in Erfüllung ihrer Pflich - ten seien als wir; die Missachtung, welcher die an der ersten Gebärklinik Bediensteten deshalb bei den Hausleuten begeg - neten, brachte in mir eine jener unglücklichen Gemüthsstim - mungen hervor, welche das Leben nicht beneidenswerth ma -4 *52chen. Alles war in Frage gestellt, Alles war unerklärt, Alles war zweifelhaft, nur die grosse Anzahl der Todten war eine unzweifelhafte Wirklichkeit.
Der Leser kann sich einen Begriff von meiner Rathlosig - keit während meiner ersten Dienstzeit machen, wenn ich ihm erzähle, dass ich einem Ertrinkenden gleich, welcher sich an einem Strohhalme anklammert, die Rücklage, welche bei Ent - bindungen an der ersten Gebärklinik üblich war, abschaffte, und dafür die Seitenlage einführte, aus keinem anderen Grunde, als weil sie auf der zweiten Abtheilung üblich war; ich glaubte zwar nicht, dass die Rückenlage im Vergleiche zur Seitenlage so nachtheilig sei, dass man ihr das Plus der Sterblichkeit an der ersten Abtheilung zuschreiben müsse, allein an der zwei - ten Gebärklinik entbanden sie in der Seitenlage und der Ge - sundheitszustand der Wöchnerinnen war ein besserer, folglich sollen sie auch an der ersten Abtheilung in der Seitenlage ent - binden, damit ja nur Alles so geschehe wie auf der zweiten Abtheilung.
Den Winter 1846 / 7 benützte ich zur Erlernung der eng - lischen Sprache, um die Zeit, welche ich noch wegen Wie - derübernahme der Stelle eines Assistensarztes durch meinen Vorfahren, Dr. Breit, warten musste, grösstentheils im grossen Dubliner Gebärhause zubringen zu können; allein Dr. Breit wurde Ende Februar 1847 zum Professor der Ge - burtshilfe an der Hochschule zu Tübingen ernannt, ich unter - nahm daher, meinen Reiseplan ändernd, in Gesellschaft zweier Freunde am 2. März 1847 eine Reise nach Venedig, um an den Kunstschätzen Venedigs meinen Geist und mein Gemüth zu erheitern, welche durch die Erlebnisse im Gebärhause so übel afficirt wurden.
Am 20. März desselben Jahres wenige Stunden nach mei - ner Rückkehr nach Wien übernahm ich mit verjüngten Kräf - ten die Stelle eines Assistensarztes an der ersten Gebärklinik, aber bald überraschte mich die traurige Nachricht, dass Pro -53 fessor Kolletschka, von mir hochverehrt, inzwischen gestor - ben sei.
Die Krankheitsgeschichte ist folgende: Kolletschka, Professor der gerichtlichen Medicin, nahm häufig in gericht - licher Beziehung mit seinen Schülern Sectionsübungen vor; bei einer derartigen Uebung wurde er von einem Schüler mit dem Messer, welches zur Section benützt wurde, in einen Finger gestochen, in welchen? ist mir nicht mehr erinnerlich. Professor Kolletschka bekam hierauf Lymphangoitis, Phle - bitis an der entsprechenden oberen Extremität, und starb während meines Aufenthaltes in Venedig an beiderseitiger Pleuritis, Pericarditis, Peritonitis, Meningitis, und es bil - dete sich noch einige Tage vor dem Tode eine Metastase in einem Auge. Noch begeistert durch die Kunstschätze Vene - digs, durch die Nachricht des Todes Kolletschka’s noch mehr erregt, drängte sich in diesem aufgeregten Zustande meinem Geiste mit unwiderstehlicher Klarheit die Identität der Krankheit, an welcher Kolletschka gestorben, mit der - jenigen, an welcher ich so viele hundert Wöchnerinnen ster - ben sah, auf. Die Wöchnerinnen starben ja auch an Phlebi - tis, Lymphangoitis, Peritonitis, Pleuritis, Pericarditis, Me - ningitis, und es bilden sich auch bei Wöchnerinnen Me - tastasen.
Tag und Nacht verfolgte mich das Bild von Kol - letschka’s Krankheit, und mit immer grösserer Entschie - denheit musste ich die Identität der Krankheit, an welcher Kolletschka gestorben, mit derjenigen Krankheit, an wel - cher ich so viele Wöchnerinnen sterben sah, anerkennen.
Aus der Identität des Leichenbefundes in den Leichen der Neugebornen mit dem Leichenbefunde der am Kindbett - fieber verstorbenen Wöchnerinnen haben wir früher, und wie wir glauben, mit Recht geschlossen, dass auch die Neugebor - nen am Kindbettfieber, oder mit andern Worten, dass die Neu - gebornen an derselben Krankheit wie die Wöchnerinnen ge - storben seien. Da wir aber dieselben identischen Producte in54 dem Leichenbefunde bei Kolletschka antrafen wie bei den Wöchnerinnen, so ist der Schluss, dass Kolletschka an der - selben Krankheit gestorben, an welcher ich so viele hundert Wöchnerinnen sterben sah, ebenfalls ein berechtigter. Die veranlassende Ursache der Krankheit bei Professor Kol - letschka war bekannt, nämlich es wurde die Wunde, welche ihm mit dem Sectionsmesser beigebracht wurde, gleichzeitig mit Cadavertheilen verunreiniget. Nicht die Wunde, sondern das Verunreinigtwerden der Wunde durch Cadavertheile hat den Tod herbeigeführt. Kolletschka ist ja nicht der Erste, der auf diese Weise gestorben. Ich musste anerkennen: wenn die Voraussetzung, dass die Krankheit Kolletschka’s und die Krankheit, an welcher ich so viele Wöchnerinnen sterben sah, identisch seien, so müsse sie bei den Wöchnerinnen durch die - selbe erzeugende Ursache, durch welche erzeugende Ursache sie bei Kolletschka hervorgebracht wurde, erzeugt werden. Bei Kolletschka waren die erzeugende Ursache Cadaver - theile, welche ihm in’s Gefässsystem gebracht wurden. Ich musste mir die Frage aufwerfen: Werden denn den Indivi - duen, welche ich an einer identischen Krankheit sterben sah, auch Cadavertheile in das Gefässsystem eingebracht? Auf diese Frage musste ich mit Ja antworten.
Bei der anatomischen Richtung der Wiener medicini - schen Schule haben die Professoren, Assistenten und Schüler häufig Gelegenheit, mit Leichen in Berührung zu kommen. Dass nach der gewöhnlichen Art des Waschens der Hände mit Seife die an der Hand klebenden Cadavertheile nicht sämmtlich entfernt werden, beweist der cadaveröse Geruch, welchen die Hand für längere oder kürzere Zeit behält. Bei der Untersuchung der Schwangeren, Kreissenden und Wöch - nerinnen wird die mit Cadavertheilen verunreinigte Hand mit den Genitalien dieser Individuen in Berührung gebracht, da - durch werden die Genitalien dieser Individuen mit Cadaver - theilen in Berührung gebracht, dadurch die Möglichkeit der Re - sorption, und mittelst Resorption Einbringung von Cadaver -55 theilen in das Gefässsystem der Individuen bedingt und da - durch bei den Wöchnerinnen dieselbe Krankheit hervorgeru - fen, welche wir bei Kolletschka gesehen.
Wenn die Voraussetzung, dass die an der Hand kleben - den Cadavertheile bei den Wöchnerinnen dieselbe Krankheit hervorbringen, welche die am Messer klebenden Cadaver - theile bei Kolletschka hervorgebracht haben, richtig ist, so muss, wenn durch eine chemische Einwirkung die Cadaver - theile an der Hand vollkommen zerstört werden, und daher bei Untersuchungen von Schwangeren, Kreissenden und Wöch - nerinnen, deren Genitalien blos mit den Fingern und nicht gleichzeitig mit Cadavertheilen in Berührung gebracht wer - den, diese Krankheit verhindert werden können, in dem Masse, als sie durch Einwirkung von Cadavertheilen mittelst des untersuchenden Fingers bedingt war. Mir schien dies im Vorhinein um so wahrscheinlicher, als mir das Factum, dass zersetzte organische Stoffe mit lebenden Organismen in Be - rührung gebracht, in denselben einen Zersetzungsprocess her - vorrufen, bekannt war.
Um die an der Hand klebenden Cadavertheile zu zerstö - ren, benützte ich, ohne mich jedoch des Tages zu erinnern, beiläufig von Mitte Mai 1847 angefangen, die Chlorina li - quida, mit welcher ich und jeder Schüler vor der Untersu - chung seine Hände waschen musste. Nach einiger Zeit ver - liess ich die Chlorina liquida wegen ihres hohen Preises und ging zu dem bedeutend billigeren Chlorkalk über. Im Monate Mai 1847, in dessen zweiter Hälfte erst die Chlorwaschungen eingeführt wurden, starben noch 36 oder 12.24 Percent von 294 Wöchnerinnen; in den übrigen sieben Monaten des Jah - res 1847 verhielt sich das Mortalitätsverhältniss unter den an der ersten Gebärklinik verpflegten Wöchnerinnen wie folgt:56
Es starben mithin von den innerhalb sieben Monaten ver - pflegten 1841 Wöchnerinnen 56, 3.04. Im Jahre 1846, in welchem die Chlorwaschungen noch nicht im Gebrauche wa - ren, starben von 4010 an der ersten Gebärklinik verpflegten Wöchnerinnen 459, d. i. 11.4 Percent. An der zweiten Ab - theilung starben im Jahre 1846 von 3754 Wöchnerinnen 105, d. i. 2.7 Percent. Im Jahre 1847, wo gegen Mitte Mai die Chlorwaschungen eingeführt wurden, starben an der ersten Abtheilung von 3490 verpflegten Wöchnerinnen 176, d. i. 5.0 Percent. An der zweiten Abtheilung starben von 3306 Ent - bundenen 32, d. i. 0.9 Percent. Im Jahre 1848, wo das ganze Jahr hindurch die Chlorwaschungen emsig geübt wurden, star - ben von 3556 Wöchnerinnen 45, 1.27 Percent. An der zweiten Abtheilung starben im Jahre 1848 von 3219 Entbundenen 43, d. i. 1.33 Percent.
Die einzelnen Monate des Jahres 1848 verhielten sich an der ersten Abtheilung wie folgende Tabelle zeigt:
57Tabelle Nr. XVI.
Im Jahre 1848 kommen also zwei Monate vor, nämlich März und August, in welchen nicht eine einzige Wöchnerin gestorben.
Im Jahre 1849 ereigneten sich im Monat Jänner 403 Ge - burten, wovon 9 starben, d. i. 2.23 Percent. Im Monat Fe - bruar fanden 389 Geburten statt, davon starben 12, d. i. 3.08 Percent. Im Monat März ereigneten sich 406 Geburten, da - von starben 20, 4.9 Percent.
Vom 20. d. M. angefangen fungirte mein Nachfolger, Dr. Carl Braun, als Assistent.
Wir haben oben erwähnt, dass die zur Ermittlung der Ursache der grösseren Sterblichkeit an der ersten Gebärkli - nik im Vergleich zur zweiten exmittirten Commissionen bald eine oder die andere oder mehrere der oben angeführten ende - mischen Ursachen als diejenigen beschuldigten, welche die an der ersten Gebärklinik herrschende grössere Sterblichkeit her - vorbringen. Dem entsprechend wurden die geeigneten Mass - regeln ergriffen, ohne dass es dadurch gelungen wäre, die Sterblichkeit an der ersten Gebärklinik in die Grenzen einzu - engen, innerhalb welcher sie auch an der zweiten Gebärklinik58 vorgekommen ist. Aus dieser Erfolglosigkeit wurde der be - rechtigte Schluss gezogen, dass die von den Commissionen beschuldigten Ursachen nicht die Ursachen waren, welche in Wirklichkeit die grössere Sterblichkeit an der ersten Gebär - klinik hervorgebracht haben.
Ich habe vorausgesetzt, dass die an der untersuchenden Hand des Geburtshelfers klebenden Cadavertheile die Ursache der grösseren Sterblichkeit an der ersten Gebärklinik sei; ich habe diese Ursache durch die Einführung der Chlorwaschun - gen entfernt. Der Erfolg war, dass die Sterblichkeit an der ersten Gebärklinik in die Grenzen eingeengt wurde, inner - halb welcher sie auch an der zweiten vorgekommen ist, wie die oben angeführten Zahlen zeigen. Es ist also der Schluss, dass die an der Hand klebenden Cadavertheile in Wirklich - keit das Plus der Sterblichkeit an der ersten Gebärklinik her - vorgebracht haben, auch ein berechtigter.
Seit die Chlorwaschungen mit so auffallend günstigem Erfolge in Gebrauch gezogen wurden, wurde nicht die ge - ringste Veränderung in den Verhältnissen der ersten Gebär - klinik vorgenommen, welcher man einen Antheil an der Ver - minderung der Sterblichkeit zuschreiben könnte.
Das Unterrichtssystem bei den Hebammen ist so beschaf - fen, dass weder die Lehrenden noch die Lernenden so häufig Veranlassung haben, sich die Hände mit Cadavertheilen zu verunreinigen, als es bei dem Unterrichte der Aerzte der Fall ist, und daher die geringere Sterblichkeit an der zweiten Ge - bärklinik.
Die unbekannte endemische Ursache, welche an der er - sten Gebärklinik so entsetzliche Verheerungen anrichtete, war demnach in den an der Hand klebenden Cadavertheilen der Untersuchenden an der ersten Gebärklinik gefunden.
Um die an der Hand klebenden Cadavertheile zu zerstö - ren, musste jeder Untersuchende bei seinem Eintritte in das Kreissezimmer seine Hände in der Chlorkalklösung waschen,59 und da die Schüler auf dem Kreissezimmer keine Gelegenheit hatten, sich die Hände neuerdings mit Cadavertheilen zu ver - unreinigen, so hielt ich es für genügend, wenn sich die Schü - ler ihre Hände einmal in einer Chlorkalklösung wuschen. We - gen der grossen Anzahl der in einem Jahre an der ersten Ge - burtsklinik sich ereigneten Geburten trifft es sich sehr selten, dass nur eine Kreissende auf dem Kreissezimmer ist, es sind in der Regel mehrere gleichzeitig anwesend. Zum Behufe des Unterrichtes wurden alle Kreissenden der Reihe nach, wie sie eben nebeneinanderlagen, untersucht, und ich hielt es für ge - nügend, nach jeder Untersuchung die Hand mit Seifenwasser waschen zu lassen, bevor die nächste untersucht wurde; ich hielt das Waschen mit Chlorwasser zwischen je zwei Unter - suchungen für überflüssig, weil man ja auf dem Kreissezim - mer, nachdem die Hand einmal von den an derselben kleben - den Cadavertheilen gereinigt war, dieselbe nicht mehr mit Cadavertheilen verunreinigen kann.
Im Monat October 1847 wurde eine an verjauchendem Medullarkrebs des Uterus leidende Kreissende aufgenommen; es wurde ihr das Bett Nr. 1, bei welchem die Visite immer begonnen wurde, als Kreissebett angewiesen.
Nach der Untersuchung dieser Kreissenden haben wir Untersuchende uns unsere Hände blos mit Seife gewaschen; die Folge davon war, dass von 12 gleichzeitig mit ihr Entbun - denen 11 starben. Die Jauche des verjauchenden Medullar - krebses wurde durch das Seifenwasser nicht zerstört, durch die Untersuchungen wurde die Jauche auf die übrigen Kreis - senden übertragen, und so das Kindbettfieber vervielfältigt.
Also nicht blos die an der Hand klebenden Cadaver - theile, sondern Jauche, von lebenden Organismen herrührend, erzeugen das Kindbettfieber; es müssen daher die Hände des Untersuchenden nicht blos nach Beschäftigung mit Cadavern, sondern nach Untersuchungen von Individuen, bei welchen die Hand mit Jauche verunreinigt werden kann, ebenfalls in60 Chlorwasser gewaschen werden, bevor zur Untersuchung eines zweiten Individuums geschritten wird.
Diese, dieser traurigen Erfahrung entnommene Regel beobachteten wir in der Folge, und es wurde nicht mehr durch Uebertragung der Jauche von einem Individuum auf das an - dere mittelst des untersuchenden Fingers das Kindbettfieber verbreitet.
Der Träger der Cadaver - und Jauchetheile, durch welche das Kindbettfieber an der ersten geburtshilflichen Klinik her - vorgebracht wurde, war der untersuchende Finger.
Eine neue traurige Erfahrung überzeugte uns, dass der Träger der zersetzten organischen Stoffe, welche das Kind - bettfieber hervorbringen, auch die atmosphärische Luft sein könne; im Monate November desselben Jahres wurde ein In - dividuum mit verjauchender Caries des linken Kniegelenkes aufgenommen; in ihren Genitalien war dieses Individuum voll - kommen gesund; so dass der Finger, welcher sie untersuchte, für die übrigen Individuen ungefährlich blieb. Aber die jau - chigen Exhalationen des cariösen Kniegelenkes waren so be - deutend, dass die Luft des Wochenzimmers, in welchem die - ses Individuum das Wochenbett zugebracht, in hohem Grade von denselben geschwängert war, und dadurch wurde bei ihren Mitwöchnerinnen in dem Grade das Kindbettfieber her - vorgerufen, dass beinahe sämmtliche in den Zimmern befind - liche Wöchnerinnen starben. Die Rapporte der ersten Gebär - klinik weisen im Monate November 11 und im Monate De - cember 8 Todte aus, welche grösstentheils durch die jauchi - gen Exhalationen obbenannten Individuums hervorgebracht wurden.
Die mit Jauchetheilen geschwängerte atmosphärische Luft des Wochenzimmers drang durch die nach der Geburt klaf - fenden Genitalien in die Gebärmutterhöhle, dort wurden die Jauchetheile resorbirt, und dadurch das Kindbettfieber her - vorgerufen. In Zukunft wurde durch Absonderung solcher In - dividuen ein ähnliches Unglück verhütet.
61Das Gebärhaus zu Wien wurde eröffnet am 16. August 1784. Im vorigen Jahrhunderte und in den ersten Decennien des gegenwärtigen Jahrhunderts, wo die Medicin, sich in theo - retischer Speculation gefallend, der anatomischen Grundlage entbehrte, starben im Jahre 1822 von 3066 Aufgenommenen 26 Wöchnerinnen, d. i. 0.84 Percent-Antheile. Im Jahre 1841, wo die anatomische Richtung das Wesen der Wiener medici - nischen Schule bildete, starben von 3036 Aufgenommenen 237 Wöchnerinnen, d. i. 7.7 Percent-Antheile. Im Jahre 1843 starben von 3060 Aufgenommenen 274 Wöchnerinnen, d. i. 8.9 Percent-Antheile. Im Jahre 1827 starben von 3294 Auf - genommenen 55 Wöchnerinnen, d. i. 1.66 Percent-Antheile. Im Jahre 1842 starben von 3287 Aufgenommenen 518 Wöch - nerinnen, d. i. 15.8 Percent-Antheile.
Vom Jahre 1784 bis zum Jahre 1823 kommen 25 Jahre vor, in welchen auch nicht 1 Percent-Antheil von den im Ge - bärhause verpflegten Wöchnerinnen gestorben ist, wie Ta - belle Nr. XVII. zeigt.
62Tabelle Nr. XVII.
Standesausweis der k. k. Gebäranstalt vom 16. August 1784 angefangen.
Diese Tabelle ist ein unumstösslicher Beweis für meine Ansicht, dass das Kindbettfieber durch Uebertragung zersetz - ter thierisch-organischer Stoffe entstehe.
Zur Zeit als die Gelegenheit zur Uebertragung vermöge des Unterrichtssystems eine beschränkte war, war der Ge - sundheitszustand der im Gebärhause verpflegten Wöchnerin - nen ein günstiger.
Mit der Zeit als die Wiener medicinische Schule die ana - tomische Richtung annahm, begann der ungünstige Gesund - heitszustand der im Gebärhause verpflegten Wöchnerinnen. Als die Anzahl der Geburten und der Schüler und Schülerin - nen eine solche Höhe erreichte, dass es für einen Professor zu viel war, diese grosse Anzahl von Geburten zu übersehen und diese grosse Anzahl von Schülern und Schülerinnen zu unter - richten, wurde das Gebärhaus in zwei Abtheilungen getrennt, und einer jeden Abtheilung eine gleiche Anzahl Schüler und eine gleiche Anzahl Schülerinnen zugewiesen. Durch eine allerhöchste Entschliessung vom 10. October 1840 wurden sämmtliche Schüler behufs des geburtshilflichen Unterrichtes einer Abtheilung, welche man die erste nennt, zugewiesen, sämmtliche Schülerinnen wurden der anderen Abtheilung zu - getheilt, welche die zweite heisst.
In welchem Jahre die Trennung des Gebärhauses in zwei Abtheilungen geschah, bin ich nicht in der Lage angeben zu kön - nen. Die Tradition erzählt, und Collegen, welche an der zwei - ten Gebärklinik den geburtshilflichen Unterricht erhielten, zur Zeit als an der zweiten Gebärklinik noch Schüler aufge - nommen wurden, behaupten, dass zu der Zeit die Grösse der Sterblichkeit zwischen beiden Abtheilungen schwankte; der constant ungünstigere Gesundheitszustand der Wöchnerinnen der ersten Abtheilung datirt erst vom Jahre 1840, in welchem Jahre sämmtliche Schüler der ersten und sämmtliche Schüle - rinnen der zweiten Abtheilung zugewiesen wurden.
Nach dem Vorausgeschickten ist es überflüssig, eine Er - klärung dieser Erscheinung zu geben.
64Die Tabelle Nr. I. zeigt den Unterschied der Sterblich - keit unter den Wöchnerinnen der beiden Abtheilungen, seit die erste ausschliesslich dem Unterrichte für Geburtshelfer, und die zweite ausschliesslich dem Unterrichte für Hebammen gewidmet ist.
Hier wäre der Ort, eine ähnliche Tabelle zu veröffent - lichen über die Jahre, während welchen Schüler und Schüle - rinnen an beiden Abtheilungen in gleicher Anzahl vertheilt waren, um zu zeigen, dass während dieser Zeit die Sterb - lichkeit nicht constant grösser an der ersten Abtheilung war. Aber mir stehen die dazu nöthigen Daten nicht zu Gebote.
Die Rapporte der beiden Gebärabtheilungen wurden in drei Exemplaren angefertigt; ein Exemplar blieb in der An - stalt, ein Exemplar wurde der Spitaldirection zugesendet und ein Exemplar der Regierung. Diejenigen, welche diese Rap - porte in Verwahrung haben, würden sich ein Verdienst um die Wissenschaft erwerben, wenn sie selbe veröffentlichen würden.
Nur vom Jahre 1840, in welchem die Trennung der Schü - ler und Schülerinnen angeordnet wurde, und vom vorherge - henden Jahre besitze ich die Rapporte der beiden Abthei - lungen.
I. Abtheilung.
II. Abtheilung.
Die Schwankungen der Sterblichkeit, wie solche an jeder der beiden Abtheilungen vorgekommen sind, können auf die65 Beschäftigungen der an diesen Abtheilungen in Verwendung gewesenen Aerzte zurückgeführt werden.
An der Veröffentlichung dieser Daten bin ich dadurch ge - hindert, dass man zur Zeit, als ich diese Daten ermittelte, das für eine Denuntiation erklärte.
Professor Skoda hat der schon oben erwähnten Commis - sion des Wiener medicinischen Professorencollegiums unter anderen auch folgende Aufgabe gestellt: Es war eine Tabelle, auf der, soweit die Daten reichen, die Zahl der Entbundenen und Gestorbenen von Monat zu Monat anzugeben war, und ein Verzeichniss der Assistenten und Studirenden in der Rei - henfolge, in welcher dieselben an der Gebäranstalt gedient und practicirt haben, anzufertigen.
Indem Professor Rokitansky seit 1828 an der patholo - gisch-anatomischen Anstalt fungirt, so konnten theils aus sei - ner Erinnerung, theils aus den Sectionsprotokollen, so wie durch Einvernehmen anderer Aerzte, diejenigen Assistenten und Studirenden hervorgesucht werden, die sich mit Leichen - untersuchungen befasst haben, und es hätte sich ergeben, ob die Zahl der Erkrankungen in der Gebäranstalt mit der Ver - wendung der Assistenten und Studirenden in der Sectionskam - mer in Zusammenhang stand. Die Commission durfte, wie schon früher erwähnt, auf höheren Befehl ihre Aufgabe nicht lösen.
Consequent meiner Ueberzeugung muss ich hier das Be - kenntniss ablegen, dass nur Gott die Anzahl derjenigen kennt, welche wegen mir frühzeitig ins Grab gestiegen. Ich habe mich in einer Ausdehnung mit Leichen beschäftigt, wie nur wenige Geburtshelfer. Wenn ich dasselbe von einem andern Arzte sage, so beabsichtige ich blos eine Wahrheit zum Bewusst - sein zu bringen, welche, zum namenlosen Unglücke für das Menschengeschlecht, durch so viele Jahrhunderte nicht er - kannt wurde. So schmerzlich und erdrückend auch eine solche Erkenntniss ist, so liegt die Abhilfe doch nicht in der Ver - heimlichung, und soll dies Unglück nicht permanent bleiben,Semmelweis, Kindbettfieber. 566so muss diese Wahrheit zum Bewusstsein sämmtlicher Bethei - ligten gebracht werden.
Nachdem es sich gezeigt, dass das Plus der Sterblichkeit an der ersten Gebärklinik im Vergleich zur zweiten in den Cadaver - und Jauchetheilen zu suchen sei, mit welchen die Hände der Untersuchenden verunreinigt sind, konnte man sich die bisher unerklärlichen, an der ersten Gebärklinik vor - kommenden Erscheinungen ganz ungezwungen erklären. In den Morgenstunden hält täglich der Professor mit den Schü - lern, in den Nachmittagsstunden der Assistent mit den Schü - lern eine allgemeine Visite, bei welcher sämmtliche anwesen - den Kreissenden und Schwangeren zum Behufe des Unferrich - tes von den Schülern untersucht werden. Der Assistent muss vor der Morgenvisite des Professors sämmtliche Kreissenden untersuchen, um dem Professor Rapport abstatten zu können. In der Zwischenzeit unternimmt der Assistent, je nach Zeit und Bedürfniss, mit den Schülern die Untersuchungen; wenn daher eine Kreissende wegen zögerndem Verlauf der Eröff - nungsperiode ein oder mehrere Tage am Kreissezimmer zu - brachte, so wurde sie gewiss wiederholt mit von Cadaver - und Jauchetheilen verunreinigten Händen untersucht, und auf diese Weise bei ihr das Kindbettfieber hervorgebracht, und darum starben, wie wir oben schon erwähnten, diese Individuen bei - nahe ausnahmslos sämmtlich.
Nachdem in Folge der Chlorwaschungen nur mit reinen Händen untersucht wurde, hörte die Sterblichkeit bei jenen, welche eine zögernde Eröffnungsperiode darboten, auf, und der zögernde Verlauf der Eröffnungsperiode wurde so unge - fährlich, wie er es schon früher auf der zweiten Abthei - lung war.
Um das, was wir nun sagen wollen, verständlich zu ma - chen, wollen wir hier den Begriff des Kindbettfiebers, wie wir ihn uns construiren, theilweise anticipiren.
Das Erste ist die Resorption eines faulen, thierisch-orga - nischen Körpers; in Folge dieser Resorption tritt eine Blut -67 entmischung ein; für unseren gegenwärtigen Zweck ist mit diesem genug gesagt. Wir haben uns oben dahin ausgespro - chen, dass diejenigen, bei welchen die Eröffnungsperiode zö - gernd verlief, entweder schon während der Geburt oder un - mittelbar nach der Geburt an rasch verlaufendem Kindbettfie - ber erkrankten, d. h. mit andern Worten: die Resorption des thierisch-organisch faulen Körpers, die dadurch bedingte Blutentmischung bei der Mutter, tritt zu einer Zeit ein, wäh - rend welcher das Blut des Kindes mit dem Blute der Mutter durch die Placenta im organischen Verkehre ist; dadurch wird die Blutentmischung, an welcher die Mutter leidet, dem Kinde mitgetheilt. Als Folge davon sehen wir die Neugebornen, und zwar ohne Unterschied ob Knabe oder Mädchen, an der er - sten Gebärklinik an einer identischen Krankheit mit der Mut - ter, und zwar eben so zahlreich wie die Mutter, auf der ersten Gebärklinik und zahlreicher als die Neugebornen an der zwei - ten Gebärklinik sterben. Bei den Müttern entsteht das Kind - bettfieber, wie schon gesagt, dadurch, dass ein thierisch-orga - nisch fauler Stoff resorbirt wird, dadurch wird die Blut - entmischung bedingt; bei Neugebornen verhält sich die Sache etwas anders. Wenn das Kind noch ungeboren innerhalb der Genitalien von einem mit Cadavertheilen verunreinigten Fin - ger während der Untersuchung berührt wird, so resorbirt der berührte Theil des Kindes diesen thierisch-organisch faulen Stoff nicht, das Kindbettfieber entsteht demnach bei Neugebornen nicht dadurch, dass das Kind einen thierisch - organischen, faulen Stoff resorbirt, sondern das Kindbett - fieber bei Neugebornen entsteht dadurch, dass sein Blut mit dem in Folge von Resorption eines thierisch-organisch fau - len Stoffes schon zersetzten Blute der Mutter mittelst der Placenta in organischen Verkehr kommt.
Daher ist es zu erklären, dass es nie vorgekommen, dass das Kind am Kindbettfieber gestorben, und die Mutter gesund geblieben wäre, weil das Kindbettfieber im Neugebornen nie selbstständig durch Resorption entsteht. Das Neugeborne5 *68erkrankt immer nur am durch das Blut der Mutter ihm mit - getheilten Kindbettfieber; sie erkranken Beide, wenn das Kind mit der Mutter mittelst der Placenta noch im organischen Ver - kehre ist, und das Blut der Mutter schon in Folge der Re - sorption eines thierisch-organisch faulen Stoffes eine Zer - setzung erlitten hat. Die Mutter kann allein erkranken am Kindbettfieber, das Kind kann gesund bleiben, unter der Vor - aussetzung, wenn der organische Verkehr zwischen Mutter und Kind zu einer Zeit durch die Geburt unterbrochen wird, wo die Zersetzung des mütterlichen Blutes in Folge der Re - sorption eines thierisch-organisch faulen Stoffes noch nicht eingetreten ist.
In Folge der Chlorwaschungen wurde, wie gesagt, der an den Händen der Untersuchenden klebende Cadavertheil zerstört, und dadurch die Erkrankungen unter den Wöchne - rinnen in die Grenzen eingeengt, innerhalb welcher dieselben auch an der zweiten Gebärklinik vorgekommen. Dasselbe Ver - hältniss sahen wir durch die Chlorwaschungen bei den Neu - gebornen eintreten, indem sich auch die Sterblichkeit unter den Neugebornen verminderte. Die gesunden Mütter konnten den Neugebornen kein Kindbettfieber mittheilen.
Ohne Chlorwaschungen starben im Jahre 1846 an der er - sten Gebärklinik: 235 Kinder, 6 Percent von 3533 Kindern.
An der zweiten Klinik starben 86 Kinder, 2.5 Percent von 3398 Kindern.
Im Jahre 1847, wo die letzten sieben Monate Chlorwa - schungen geübt wurden, starben an der ersten Gebärklinik 167 Kinder, 5.02 Percent von 3322 Kindern.
An der zweiten Gebärklinik starben 90 Kinder, 2.8 Per - cent von 3139 Kindern.
Im Jahre 1848, wo das ganze Jahr Chlorwaschungen an - gewendet wurden, starben 147 Kinder an der ersten Gebär - klinik, 4.2 Percent von 3496 Kindern.
An der zweiten Klinik starben 100 Kinder, 3.2 Percent von 3089 Kindern.
69Diese Todesfälle unter den Neugebornen waren nicht durch Puerperalfieber bedingt.
Wenn die Mutter früher starb als das Kind, oder wenn die Mutter aus welcher Ursache immer ihr Kind nicht stillen konnte, wurde selbes in’s Findelhaus gesendet, und es ereig - neten sich zahlreiche Todesfälle unter den Säuglingen des Findelhauses am Kindbettfieber.
Nach Einführung der Chlorwaschungen hörte auch die Sterblichkeit der Säuglinge am Kindbettfieber im Findelhause auf. Doctor Bednar, damals prov. Primararzt des k. k. Fin - delhauses zu Wien, sagt in seinem Werke: » Die Krankhei - ten der Neugebornen und Säuglinge vom klinischen und pa - thologisch-anatomischen Standpunkte bearbeitet. « Wien 1850. Gerold. Seite 198: » Die Sepsis des Blutes bei Neugebornen ist jetzt eine grosse Seltenheit geworden, welches wir der fol - gereichen und der grössten Beachtung würdigen Entdeckung des Doctor Semmelweis, emeritirten Assistenten der ersten Wiener Gebärklinik, zu verdanken haben, welcher die Ur - sache und die Verhütung des früher mörderisch wüthenden Puerperalfiebers glücklich erforscht hatte. «
Das was wir Kindbettfieber bei Neugebornen nennen, um noch bis jetzt den gewöhnlichen Sprachgebrauch beizube - halten, nennt Dr. Bednar mit mehr Recht Sepsis des Blutes.
Nachdem wir das aetiologische Moment, des Plus der Sterblichkeit an der ersten Gebärklinik, im Verhältniss zur zweiten in den an den Händen der Untersuchenden klebenden Cadavertheilen gefunden haben, war die Erklärung, dass die Gassengeburten so auffallend selten erkrankten in Vergleich zu Individuen, welche bei uns geboren, leicht gegeben. Die Gassengeburten wurden eben deshalb, weil das Kind schon geboren war, in der Regel auch die Nachgeburt schon ausge - schieden, als kein Gegenstand des Unterrichtes, nicht mehr untersucht, es wurde ihnen ein Wochenbett angewiesen, wel - ches sie in der Regel gesund verliessen; es wurden daher ihre Genitalien mit keinem durch Cadavertheile verunreinigten70 Finger in Berührung gebracht, und daher entstand bei ihnen kein Kindbettfieber.
Auch die Wöchnerinnen, welche eine vorzeitige Geburt überstanden, erkrankten deshalb seltener, weil sie nicht un - tersucht wurden.
Die erste Indigation bei einer vorzeitigen Geburt ist, die Geburt wo möglich aufzuhalten. In Folge dieser Indigation wurden derartige Individuen nicht zum öffentlichen Unter - richte benützt, und daher auch deren Genitalien nicht mit zer - setzten organischen Stoffen in Berührung gebracht.
Auch das reihenweise Erkranken findet nun leichte Er - klärung. Vermöge der grossen Anzahl von Geburten, welche an der ersten Gebärklinik vor sich gingen, traf es sich sehr oft, dass viele Individuen gleichzeitig als Kreissende auf dem Kreissezimmer sich befanden, zweimal täglich, wenigstens während der Visite des Professors Morgens und während der Visite des Assistenten Nachmittags, wurden sämmtlich auf dem Kreissezimmer anwesende Kreissende der Reihe nach, wie sie eben neben einander in den Kreissebetten lagen, behufs des Unterrichts untersucht, wenn daher mit von Cadavertheilen verunreinigte Hände untersuchten, wurden die Genitalien vie - ler Individuen gleichzeitig mit Cadavertheilen in Berührung gebracht, dadurch wurde gleichzeitig bei vielen Individuen durch Resorption der Cadavertheile der Keim für das im Wo - chenbette entstehende Kindbettfieber gelegt. Die Wöchnerin - nen wurden in den Wochenzimmern der Reihe nach, wie sie auf dem Kreissezimmer geboren, placirt; es traf sich daher, da die gleichzeitig am Kreissezimmer Anwesenden so ziem - lich gleichzeitig entbanden, dass sie in derselben Reihenfolge in den Wochenbetten lagen, in welcher Reihenfolge sie auf dem Kreissebette lagen; auf dem Kreissebette wurde der Reihe nach durch die Untersuchung von mit Cadavertheilen verunreinigten Händen der Keim zum künftigen Puerperal - fieber gelegt, es musste daher das Kindbettfieber im Wochen - bette reihenweise ausbrechen.
71Nach der Einführung der Chlorwaschungen kam ein rei - henweises Erkranken der Wöchnerinnen nicht mehr vor.
Wir haben oben angeführt, dass gegen Ende des Jahres 1846 wegen Ueberhandnehmen des Kindbettfiebers an der er - sten Gebärklinik eine, ich weiss nicht die wie vielte, commis - sionelle Untersuchung eingeleitet wurde, um die Ursache die - ser Sterblichkeit zu ermitteln. Wir haben berichtet, dass die Commission die Ursache der Erkrankungen an der ersten Ge - bärklinik in den Beleidigungen der Genitalien fand, den dieselben ausgesetzt sind durch die Untersuchungen, welche behufs des Unterrichts vorgenommen werden. Da aber derar - tige Untersuchungen auch bei dem Unterrichte der Hebam - men stattfinden, so hat die Commission keinen Anstand ge - nommen zu erklären, dass die Schüler, vorzüglich die Aus - länder, bei den Untersuchungen roher zu Werke gehen. Auf diese Voraussetzung hin hat man die Zahl der Schüler von 42 auf 20 reducirt, die Ausländer fast ganz ausgeschlossen, indem unter den Schülern nur zwei Ausländer sein durften, und die Untersuchungen selbst auf das Minimum reducirt.
Die oben angeführte Tabelle Nr. XV. zeigt, wie gross die Sterblichkeit vor dieser Massregel war, wie sie sich in Folge dieser Massregel verminderte, wie aber die Sterblich - keit trotz dieser Massregel im Monate April und Mai wieder bedeutend zunahm.
Hier ist der Ort, für diese Erscheinungen eine Erklä - rung zu geben; bevor wir aber zur Erklärung übergehen, ist es nöthig, Einiges vorauszuschicken.
Vermöge meiner Verhältnisse als Aspirant für die Assi - stentenstelle an der ersten Gebärklinik, später als provisori - seher und endlich als wirklicher Assistent dieser Klinik war es mir nicht möglich, die für einen Geburtshelfer so nöthige Gynaecologie an der gynaecologischen Abtheilung des k. k. allgemeinen Krankenhauses zu studiren. Als Ersatz dafür pflegte ich vom Tage, als ich den Entschluss fasste, mein Le - ben vorzüglich der Geburtshilfe zu widmen, also vom Jahre 184472 bis zu meiner Uebersiedlung nach Pest 1850, vor der Morgen - visite des Professors im Gebärhause fast täglich sämmtliche weibliche Leichen in der Todtenkammer des k. k. allgemeinen Krankenhauses zum Behufe gynaecologischer Studien zu un - tersuchen. Die Güte des Professors Rokitansky, dessen Freundschaft ich mich rühmen konnte, und gegen welchen ich hier abermals meine Dankbarkeit erkläre, ertheilte mir die Erlaubniss, sämmtliche weibliche Leichen, welche nicht ohne - dem schon zur Section bestimmt waren, zu seciren, damit ich das Erlebniss meiner Untersuchung durch den Sections - befund controlliren könne.
Aus Gründen, die nicht hieher gehören, hat der Assi - stent der ersten Gebärklinik in den Monaten December 1846, Jänner, Februar, März 1847 die Todtenkammer nur sehr sel - ten besucht. Die einheimischen Studirenden, deren Zahl auf 18 beschränkt war, haben seinem Beispiele gefolgt, dadurch war die Gelegenheit zur Verunreinigung der Hände mit Ca - davertheilen bedeutend verringert. Durch das Reduciren der Untersuchungen auf das Minimum war die Gelegenheit, mit Cadavertheilen verunreinigte Hände mit den Genitalien der Individuen in Berührung zu bringen, ebenfalls verringert, dadurch ist die in den obgenannten Monaten eingetretene Ver - minderung der Sterblichkeit an der ersten Gebärklinik zu er - klären.
Am 20. März 1847 übernahm ich zum zweiten Male die Stelle eines wirklichen Assistenten der ersten Gebärklinik, machte früh Morgens meine gynaecologischen Studien in der Todtenkammer, ging dann auf das Kreissezimmer, um sämmt - liche auf dem Kreissezimmer befindliche Kreissende, wie es meine und meiner Vorfahren Pflicht war, zu untersuchen, da - mit ich dann dem die Morgenvisite haltenden Professor über jede einzelne Kreissende einen Bericht erstatten konnte. Da - durch habe ich meinen mit Cadavertheilen verunreinigten Fin - ger mit den Genitalien so vieler Kreissenden in Berührung gebracht, und die Folge war, dass im April von 312 Entbun -73 denen 57, also 18.26 Percent, gestorben. Im Mai sind von 294 Entbundenen 36 gestorben, also 12.24 Percent. Mitte Mai bei - läufig war es, ohne mich jedoch des Tages zu entsinnen, wo ich die Chlorwaschungen einführte. Es waren mithin nicht die Beleidigungen der Genitalien durch das rohere Untersuchen der Studirenden, eine an und für sich schon irrige Voraus - setzung, welche die grössere Sterblichkeit an der ersten Ge - bärklinik hervorgebracht, sondern das in Berührungbringen der Genitalien mit Cadavertheilen mittelst des untersuchenden Fingers war es, was die grössere Sterblichkeit an der ersten Gebärklinik hervorbrachte. Während der Monate April und Mai, wo wieder so viele gestorben waren, blieben die Verhält - nisse der ersten Gebärklinik dieselben wie im December 1846, Jännner, Februar, März 1847, und doch war die Sterblich - keit eine bedeutend grössere, weil mein mit Cadavertheilen verunreinigter Finger dazwischen kam.
Nachdem die Chlorwaschungen durch längere Zeit ein so glückliches Resultat geliefert, wurde die Anzahl der Schüler wieder auf 42 vermehrt, man nahm bei der Aufnahme keine Rücksicht mehr, ob In - oder Ausländer. Die Untersuchungen wurden wieder in der Ausdehnung vorgenommen, wie es eben der Unterricht erforderte, und trotzdem hatte die erste Ge - bärklinik den traurigen Vorzug der grösseren Sterblichkeit in Vergleich zur zweiten Abtheilung verloren. Man wende nicht ein, dass ich ja auch im December 1846, Jänner, Februar, März 1847 als provisorischer Assistent fungirt, und die gy - naecologischen Studien in der Todtenkammer gemacht habe, und trotzdem ist die Sterblichkeit eine bedeutend geringere gewesen; die Erklärung liegt darin, dass ich als provisori - scher Assistent zwar das Recht hatte, alle Kreissenden zu untersuchen, aber nicht die Pflicht. Nach einem dreijähri - gen Aufenthalte in so einem grossen Gebärhause war es für mich natürlich nicht belehrend, eine jede Kreissende zu un - tersuchen; ich untersuchte nur die ungewöhnlichen Geburts - fälle, d. h. sehr selten. Sobald ich wirklicher Assistent wurde,74 musste ich vor der Morgenvisite jede untersuchen, um dem Professor berichten zu können; im Verlaufe der übrigen Zeit musste ich beinahe die sämmtlichen Kreissenden untersuchen, behufs des Unterrichtes der Schüler, und daher die grosse Sterblichkeit im Monat April und Mai im Jahre 1847.
Unter Inländern versteht man diejenigen Schüler, welche ihre Studien an einer österreichischen Hochschule gemacht, und unter Ausländern versteht man diejenigen, welche an einer nicht österreichischen Hochschule ihre Studien zurückgelegt haben, und zu ihrer ferneren Ausbildung die grossartigen An - stalten der Wiener Hochschule für längere oder kürzere Zeit besuchten. In Wien konnte man Aerzte aus allen Ländern der civilisirten Welt treffen. Der praktische geburtshilfliche Curs dauerte zwei Monate; der Andrang der Schüler in dieses grösste Gebärhaus der Welt war so gross, dass man unmög - lich alle sich Meldenden gleich aufnehmen konnte, ohne die Kreissenden zu sehr zu belästigen. Die sich Meldenden be - kamen eine Nummer und die Austretenden wurden nach der Reihenfolge der Meldungsnummer, ohne Rücksicht ob In - oder Ausländer, ersetzt. Jedem Schüler stand es frei, den ge - burtshilflichen praktischen Curs so oft mitzumachen, als er es für seine geburtshilfliche Ausbildung für nöthig hielt; damit aber durch das ununterbrochene Bleiben mehrerer Schüler während mehrerer Curse die Uebrigen an der Aufnahme nicht gehindert werden, mussten zwischen je zwei Cursen drei Mo - nate verstreichen. Die Commission beschuldigte die Auslän - der, dass sie gefährlicher seien, als die Inländer, weil sie roher untersuchen, und in Folge dieser Voraussetzung durften nur zwei Ausländer gleichzeitig den praktisch-geburtshilfli - chen Curs besuchen. Dass die Commission dadurch eine jeden Grundes entbehrende Beschuldigung gegen die Ausländer aus - sprach, wird Jedermann auch ohne meine Betheurung glau - ben, allein ich selbst hielt die Ausländer für gefährlicher als die Inländer, aber nicht deshalb, weil sie roher untersuchen. 75Der Grund der grösseren Gefährlichkeit der Ausländer in Ver - gleich zu den Inländern liegt in folgenden Verhältnissen.
Die Ausländer kommen nach Wien, um sich in ihrer schon an einer andern Hochschule erlangten medicinischen Ausbildung zu vervollkommnen. Sie besuchen die pathologi - schen und gerichtlichen Sectionen im allgemeinen Kranken - hause, sie nehmen Curse über pathologische Anatomie, über chirurgische, geburtshilfliche, oculistische Operationslehre am Cadaver, sie besuchen die medicinisch-chirurgischen Kran - kenabtheilungen etc., mit einem Worte, sie benutzen ihre Zeit so nützlich und lehrreich wie möglich, haben aber dadurch vielfältig Gelegenheit, sich ihre Hände mit faulen, thierisch - organischen Stoffen zu verunreinigen, und es ist daher nicht zu wundern, wenn die Ausländer, gleichzeitig im Gebärhause beschäftigt, für die dort befindlichen Individuen gefährlich werden. Die Inländer pflegen den praktisch-geburtshilflichen Curs nach abgelegten zwei strengen Prüfungen zur Erlangung des Grades eines Medicinae-Doctors zu besuchen. Das Gesetz gestattet als kürzesten Termin zur Vorbereitung für diese Prüfungen sechs Monate, die Inländer haben sich daher vor ihrer Aufnahme in’s Gebärhaus schon viel geplagt, sie be - trachten die Zeit des geburtshilflichen Curses mehr als Ruhe - zeit, sie beschäftigen sicht nicht, während sie auf dem prak - tischen Curse im Gebärhause sind, in dieser Ausdehnung mit andern Gegenständen, durch welche sie Gelegenheit hätten, sich die Hände zu verunreinigen, wie die Ausländer, und zwar beschäftigen sie sich während ihres Aufenthaltes im Gebär - hause um so weniger mit anderen Fächern der Medicin, als ihnen ja nach beendetem praktischen Curse der Geburtshilfe Gelegenheit geboten ist, sich in der Medicin so vollkommen auszubilden, wie es eben die Anstalten der Wiener Hoch - schule ermöglichen. Die Ausländer sind gezwungen, da ihr Aufenthalt in Wien in der Regel nur mehrere Monate dauert, sich gleichzeitig mit mehreren Fächern der Medicin zu be - schäftigen. Daraus kann man aber den Ausländern eben so76 wenig einen Vorwurf machen, als mir und allen denjenigen, welche die Gefährlichkeit der Untersuchung mit von Cadaver - theilen riechenden Händen nicht kennend, dadurch so zahl - reiche Todesfälle veranlassten.
Um meine Ansicht einer directen Prüfung zu unterzie - hen, hielt ich Versuche an Thieren nöthig, welche ich mit meinem Freunde Dr. Lautner, Assistenten bei Professor Rokitansky, mit Kaninchen anstellte.
Erster Versuch: Am 22. März d. J. wurde einem Weib - chen ¼ Stunde nachdem es geworfen hatte, ein mit missfär - bigem Exsudate nach Endometritis befeuchteter Pinsel in die Scheide und Uterushöhle eingeführt.
Das Thier befand sich darauf bis zum 24. April schein - bar ganz wohl. Am 24. April wurde es todt gefunden.
Section: Die gefaltete Schleimhaut der Hörner des Ute - rus mit flüssigem, schmutzig-grauröthlichen Exsudate überzo - gen, in der linken Brusthöhle etwas Flüssigkeit, der untere Lungenlappen mit einer membranös geronnenen, blassgelbli - chen Exsudatsschichte überzogen, sein Parenchym, so wie je - nes der hintern untern Dritttheile des obern Lungenlappens grau hepatisirt, der übrige Antheil dieser Lunge so wie die rechte Lunge lufthältig zinnoberroth. Das Herz in eine blass - gelbliche, zart villöse Exsudatschichte eingehüllt, und von einigen Tropfen flüssigen Exsudates umspült.
Zweiter Versuch: Am 12. April wurde ein Weibchen etwa 12 Stunden nach dem Wurfe von fünf Jungen wie im ersten Versuche behandelt. Weil das Thier des ersten Ver - suches sich noch ganz wohl zu befinden schien, so glaubte man beim zweiten Versuche den Pinsel mehrere Tage nach einan - der einführen zu sollen. Am 14. April äusserte das Thier beim Einführen des Pinsels Schmerz, der Uterus zog sich heftig zusammen und presste gelblichweisses, dickflüssiges Exsudat aus. Am 17. April zeigte sich das Thier bedeutend krank, am 22. trat Diarrhöe ein, und am 23. April fand man das Thier77 todt. Die Einführung des Pinsels geschah täglich einmal bis zum Tode.
Section: In der Bauchhöhle etwas membranös geronne - nes, einzelne Darmwindungen unter einander verklebendes Exsudat; auf der Vaginal - und Uterinalschleimhaut und in deren Gewebe ein gelbes, starres Exsudat, die Uterushörner mässig ausgedehnt, mit schmutzig-grauröthlichem Exsudate gefüllt, im Dickdarme mehrere Gruppen vereiternder Follikel, die Schleimhaut an linsengrossen Stellen theils vereitert, theils mit gelbem Exsudate infiltrirt, und jede dieser Stellen mit einem injicirten Gefässhofe umgeben. Die Lungen hellzinno - berroth; im linken oberen Lappen eine bohnengrosse, blutig infiltrirte, dichte Stelle mit einem Eiterpunkte in der Mitte.
Dritter Versuch: Am 15. April wurde einem Weib - chen etwa 10 Stunden nach dem Wurfe von vier Jungen der Pinsel zum ersten Male, und dann täglich einmal bis zum Tode, der am 21. April erfolgte, eingeführt. Am 17. äusserte das Thier beim Einführen des Pinsels Schmerz und presste eiteriges Exsudat aus dem Uterus. Am 20. kam Diarrhöe.
Section: In der Bauchhöhle eine mässige Menge flüssi - gen und membranartig geronnenen, einzelne Darmwindungen verklebenden Exsudats. Die Schleimhaut der Scheide und des Uterus mit einem gelben, innighaftenden Exsudate überklei - det und infiltrirt. Die Uterinalhörner im hohen Grade ausge - dehnt, mit grauröthlichem, schmutzigen Exsudate gefüllt. In der Leber mehrere, bis linsengrosse, mit eitrigem Exsudate infiltrirte Stellen, auf der Schleimhaut des Dickdarms, nahe dem Endstücke des Processus vermiformis, eine mehr als lin - sengrosse, von einem injicirten Gefässhofe umgebene, ulce - rirte, mit blassgelblichem Exsudate überkleidete Stelle.
Vierter Versuch: Am 24. Mai wurde einem starken Weibchen etwa eine Stunde nach dem Wurfe von fünf Jun - gen der Pinsel, welchen man diesmal in mit Wasser verdünn - tes Blut aus der Leiche eines vor 36 Stunden an Marasmus verstorbenen Mannes tauchte, eingeführt. Am 25. wurde der78 Pinsel vor der Einführung mit pleuritischem Exsudate benetzt; am 26. mit dem Peritonaeal-Exsudate eines Tuberculosen; ebenso am 27. Von da an wurde der Pinsel nicht mehr einge - führt. Das Thier blieb anscheinend völlig gesund, und warf am 24. Juni zum zweiten Male.
Fünfter Versuch: Am 2. Juni wurde einem Weibchen etwa 12 Stunden nach dem Wurfe der mit Peritonaeal-Exsu - dat, das schon beim vierten Versuche verwendet wurde, be - feuchtete Pinsel eingeführt. Am 3., 4., 5. Juni wurde die Ein - führung wiederholt, und von da an das Thier unberührt ge - lassen. Es blieb scheinbar gesund und warf am 28. Juni wie - der. Am 29. Juni wurde der Pinsel mit einem pleuritischen Exsudate befeuchtet, neuerdings eingeführt, eben so am 30. Das Thier blieb gesund und wurde am 17. Juli behufs eines andern Experimentes getödtet. Die Section zeigte keine auf Pyaemie hinweisende Veränderung.
Sechster Versuch: Am 10. Juni wurde einem Weib - chen einige Stunden nach dem Wurfe der mit eitrigem, pleu - ritischem Exsudate aus einer männlichen Leiche benetzte Pin - sel eingeführt.
Vom 11. bis 30. Juni wurde zur Befeuchtung des Pinsels das Peritonaeal-Exsudat eines am Typhus verstorbenen Man - nes verwendet. Das Thier blieb gesund und warf am 13. Juli zum zweiten Male.
An diesem Tage wurde der Pinsel neuerdings eingeführt, und von da an täglich bis zum 24. Juli. Das Thier magerte ab, bekam Diarrhöe und wurde am 30. Juli todt gefunden.
Section: Im Herzbeutel einige Tropfen flockigen Se - rums. In die Tricuspidalklappe eine erbsengrosse, in den Co - nus arteriosus hineingedrängte, und eine hanfkorngrosse, auf dem freien Rande des Klappenzipfels aufsitzende, mit dem Endocardium des Papillarmuskels innig zusammenhängende, schmutzig weisse, uneben höckerige Vegetation eingefilzt; die innere Fläche des rechten Ventrikels mit einzelnen, gelb - lichweissen, knötchenförmigen Gerinnungen besetzt. In der79 Bauchhöhle membranartig geronnenes und flüssiges Exsudat. In der Peripherie der Leber, und zwar nahe der unteren Fläche, eine erbsengrosse, mit starrem, gelblichem Exsudate infiltrirte Stelle. Der Uterus wie in Nr. 4 beschaffen, nur ist die Infiltration und Necrose noch beträchtlicher. Mehrere Ve - nen von beträchtlicher Dicke zwischen dem Uteruskörper und dem rechten Horn mit starrem, gelbem Exsudate vollgepfropft.
Siebenter Versuch: Am 16. Juni, einige Stunden nach dem Wurfe. Der Pinsel wurde mit dem Eiter aus einem Abscesse zwischen den Rippen, der sich in der Leiche eines an Cholera verstorbenen Irren vorfand, benetzt.
Die Einpinselung wurde bis zum 3. Juli täglich vorge - nommen. Das Thier blieb gesund und warf am 18. Juli zum zweiten Male.
Das Experiment wird nun in der Art modificirt, dass man sich nicht mehr eines Pinsels bedient, um eine mecha - nische Verletzung zu vermeiden. Die Flüssigkeit wird mittelst einer Tripperspritze mit einem drei Zoll langen Rohre in die Geschlechtstheile gebracht. Gleich nach dem Einspritzen presst das Thier die Flüssigkeit wieder aus. Die Einspritzung wird täglich einmal bis zum 24. Juli vorgenommen. Das Thier ma - gerte ab, und wurde am 29. Juli todt gefunden.
Section: In beiden Brusthöhlen etwas gelbes, dickflüs - siges Exsudat, in der Bauchhöhle an zwei Unzen zum Theile membranös geronnenes Exsudat, der Uterus normal, blass, kein Exsudat auf seiner Schleimhaut.
Achter Versuch: Am 24. Juni dasselbe Thier, wel - ches zum vierten Versuche benützt wurde. Die Einpinselung geschah täglich vom 24. Juni bis 8. Juli. Das Thier ma - gerte sehr stark ab, bekam Diarrhöe und wurde am 25. Juli todt gefunden.
Section: In der Bauchhöhle etwas gelbliches Exsudat; auf der hinteren Uteruswand eine dünne Schichte schmutzig - gelben, innig haftenden Exsudates, in den Hörnern desselben etwas flüssiges, schmutzig-grauröthliches Exsudat, an der80 Grenze zwischen Scheide und Uterus, der Einmündung der Urethra entsprechend, eine bohnengrosse, mit eitrigem Exsu - date infiltrirte, oberflächlich nekrosirte Stelle, das dadurch gebildete Geschwür mit zackigen, unterminirten Rändern, die Basis mit einer Schichte Exsudates überkleidet und die Sub - stanz der Vagina in der Länge eines Zolles liniendick mit Ex - sudat infiltrirt.
Neunter Versuch: Am 8. August, einige Stunden nach dem Wurfe wird Peritonaeal-Exsudat von einem Manne eingespritzt. Das Thier stosst das Eingespritzte gleich wieder aus. Die Einspritzung wird bis 15. täglich gemacht. Das Thier sieht am 13. krank aus und magert ab. Am 20. wird es todt gefunden.
Section: Etwas flockiges Exsudat in der Bauchhöhle; in der Peripherie der Leber zahlreiche, meist hanfgrosse, gelbe Entzündungsherde. Die Uterusschleimhaut an der hin - tern Wand im Umfange einer Linie excoriirt; die Substanz mit gelbem Exsudate bis an’s Peritonaeum infiltrirt, die Exco - riation liegt um 1 Zoll höher als bei Nr. 6 und 8. Das rechte Uterinalhorn in so hohem Grade mit Exsudat infiltrirt, dass es das doppelte Volumen erreichte, auf seiner Schleimhaut freies Exsudat, die Venen in beiden ligamentis latis mit Ex - sudat vollgepfropft.
Es ist kaum nöthig zu erwähnen, dass die in den Leichen der Kaninchen vorgefundenen Veränderungen dieselben sind, wie sie sich in menschlichen Leichen in Folge von Puerperal - krankheiten und im Allgemeinen in Folge von Pyaemie ein - stellen.
Nachdem das Ende meiner zweijährigen Dienstzeit her - annahte, bat ich, auch mir, wie meinem Vorfahrer Dr. Breit, meine Dienstzeit um zwei Jahre zu verlängern, und zwar glaubte ich darum um so mehr bitten zu müssen, als ich da - durch Gelegenheit gehabt hätte, meine Ansicht über die Ent - stehung des Kindbettfiebers, welche so zahlreichen Wider - spruch erregt, durch einen um zwei Jahre längeren Erfolg81 bekräftigen zu können, allein meiner Bitte wurde keine Folge gegeben zu einer Zeit, wo eben meinem an der zweiten Ab - theilung bediensteten Collegen diese Begünstigung zu Theil wurde.
Auch mein Nachfolger erhielt eine zweijährige Dienstes - verlängerung.
Nach meinem Austritte am 20. März 1849 aus der Stelle eines Assistenten petitionirte ich um eine Privat-Docentur über Geburtshilfe. Mein Gesuch blieb erfolglos.
Nachdem ich das zweitemal petitionirte, wurde ich nach achtmonatlichem Harren unterm 10. October 1850 zum Pri - vat-Docenten über theoretische Geburtshilfe mit Beschrän - kung der diesfälligen Demonstrationen und Uebungen auf’s Phantom, ernannt.
Eine so beschränkte Docentur konnte ich nicht benützen, weil das Gesetz zur Giltigkeit der Zeugnisse des Docenten einen eben so umfangreichen Unterricht von Seite des Pri - vat-Docenten fordert, als derjenige des Professors ist, dem Professor war es aber unbenommen, auch Demonstrationen und Uebungen am Cadaver vorzunehmen.
Ich übersiedelte daher noch im Monate October 1850 in meine Vaterstadt Pest.
Einen der ersten Abende in Pest brachte ich in Gesell - schaft einer grossen Anzahl Aerzte zu. Wegen meiner Anwe - senheit kam das Gespräch auf das Kindbettfieber, und es wurde der Einwurf gegen meine Ansicht über die Entstehung des Kindbettfiebers geltend gemacht, dass in der Gebärab - theilung des St. Rochus-Spitals zu Pest eben jetzt so wie all - jährig eine heftige Puerperalfieber-Epidemie herrsche, obwohl dort keine Schüler untersuchen, deren Hände mit zersetzten thierisch-organischen Stoffen verunreinigt wären, weil die Gebärabtheilung im St. Rochus Spitale keine Unterrichtsan - stalt sei.
Am folgenden Morgen verfügte ich mich, um mich selbst zu überzeugen, in dieses Gebärhaus und fand eineSemmelweis, Kindbettfieber. 682eben am Puerperalfieber verstorbene, noch nicht entfernte Wöchnerin, eine agonisirend und vier andere Wöchnerinnen waren schwer am Puerperalfieber erkrankt, die übrigen an - wesenden Individuen waren keine Wöchnerinnen, sondern an andern Krankheiten Leidende. Dadurch war zwar das Factum eines ungünstigen Gesundheitszustandes der Wöch - nerinnen constatirt, aber nicht im Widerspruche, sondern im bestätigenden Einklange mit meiner Ansicht über die Entste - hung des Kindbettfiebers, indem nähere Erkundigungen erga - ben, dass die geburtshilfliche Abtheilung keine selbstständige Abtheilung sei, sondern eine einer chirurgischen Abtheilung zugetheilte, der geburtshilfliche Primarius war daher zu - gleich chirurgischer Primarius und Gerichts-Anatom. Dazu kommt noch, dass wegen Mangel eines Prosectors die Sec - tionen von den betreffenden Abtheilungsärzten vorgenommen werden mussten.
Der Primarius pflegte zuerst auf der chirurgischen und dann auf der geburtshilflichen Abtheilung die Visite zu hal - ten; wenn daher an der geburtshilflichen Abtheilung des St. Rochus-Spitals keine Schüler untersuchten, deren Hände mit zersetzten thierisch-organischen Stoffen verunreinigt wa - ren, so untersuchten doch der Primarius und die ihm zuge - theilten Aerzte, nachdem sie sich früher während der Visite auf der chirurgischen Abtheilung die Hände mit zersetzten organischen Stoffen verunreinigt hatten.
Wir haben oben gezeigt, dass die grössere Sterblichkeit an der ersten geburtshilflichen Klinik im Vergleiche zur zwei - ten bedingt war durch die Cadavertheile, welche an den Händen der Untersuchenden klebten. Wir haben gezeigt, dass im Monate October 1847 Jauchetheile eines verjauchenden Medullarkrebses der Gebärmutter das Kindbettfieber hervor - gebracht haben. Wir haben gezeigt, dass im Monate Novem - ber 1847 ein Jauchetheile exhalirendes cariöses Knie das Kindbettfieber hervorgebracht habe.
An der Gebärabtheilung des St. Rochus-Spitales war das83 erzeugende Moment des Kindbettfiebers die verschiedenen zersetzten thierisch-organischen Stoffe, welche sich so reich - lich an einer chirurgischen Abtheilung vorfinden. Es dürfte nöthig sein, einige Worte über die Verhältnisse des Gebär - hauses im St. Rochus-Spital zu erwähnen.
Das St. Rochus-Spital ist ein der Commune Pest gehö - riges Krankenhaus mit einem Belegraume für 600 Kranke. Angestellt sind: drei medicinische und zwei chirurgische Pri - marien. Die geburtshilfliche Abtheilung war, wie schon ge - sagt, einem chirurgischen Primarius zugetheilt. So lange die geburtshilfliche Klinik der Pester medicinischen Facultät geöffnet ist, dürfen an der geburtshilflichen Abtheilung des St. Rochus-Spitals keine Kreissenden aufgenommen werden, um der Klinik nicht das Lehrmaterial zu entziehen, nur wäh - rend der grossen Ferien im Monate August und September, während welcher die geburtshilfliche Klinik der Pester me - dieinischen Facultät geschlossen ist, werden Kreissende im St. Rochus-Spitale aufgenommen, die übrigen zehn Monate des Jahres wurden die Localitäten des Gebärhauses als chi - rurgische Abtheilung benützt.
Während des Schuljahres wurden nur solche Individuen an der geburtshilflichen Abtheilung entbunden. welche im St. Rochus-Spitale, an den verschiedensten Krankheiten lei - dend, während der Behandlung von der Geburt überrascht wurden. Die Localitäten der geburtshilflichen Abtheilung be - finden sich im zweiten Stockwerke des Gebäudes, und beste - hen aus einem Kreisse - und zwei Wochenzimmern, deren sechs Fenster sämmtlich in den Leichenhof münden. Längst den ebenerdigen Gebäuden des Leichenhofes zieht sich eine breite Strasse hin, welche das Entweichen der schädlichen Exhalationen des Leichenhofes erleichtert.
Am 20. Mai 1851 übernahm ich die geburtshilfliche Ab - theilung des St. Rochus-Spitals als unbesoldeter Honorar-Pri - mararzt und fungirte als solcher durch sechs Jahre, bis Juni 1857, dadurch wurde der Verband mit der chirurgischen Ab -6 *84theilung gelöst und während des Schuljahres wurden die Lo - calitäten des Gebärhauses nicht mehr als chirurgische, son - dern als gynäcologische Abtheilung benützt. Dadurch wurde aber das aetiologische Moment des früher an dieser Abthei - lung herrschenden Kindbettfiebers entfernt, nämlich die zer - setzten thierisch-organischen Stoffe der chirurgischen Abthei - lung; in Folge dessen kam das Kindbettfieber nicht mehr in grösserer Ausdehnung vor.
Die Chlorwaschungen hatten wir für gewöhnlich nicht in Gebrauch gezogen, weil wir unsere Hände nicht von zersetz - ten thierisch-organischen Stoffen zu reinigen hatten.
Nur nach den wenigen Sectionen, welche wir zu machen hatten, benützten wir den Chlorkalk, um unsere Hände zu reinigen.
In den Ferialmonaten des Schuljahres 1850 / 1 ereigneten sich an der geburtshilflichen Abtheilung des St. Rochus-Spi - tals 121 Geburten.
es ereigneten sich mithin während dieses Zeitraumes 933 Ge - burten, davon sind gestorben 24, und zwar 8 am Kindbettfie - ber, also 0.85 Percent-Antheile, die übrigen 16 Wöchnerinnen starben an den verschiedensten Krankheiten, an welchen sie während der Schwangerschaft im St. Rochus-Spitale behan - delt, und bei eintretender Geburt in die Gebärabtheilung transferirt wurden.
Bei einer von den acht am Kindbettfieber verstorbenen Wöchnerinnen war das Kindbettfieber dadurch erzeugt, dass sie wegen Steisslage des Kindes von einem chirurgischen Se - cundarius untersucht wurde, nachdem er eben die Section eines an gangrenösen Unterschenkels verstorbenen Mannes ge - macht hatte. Es starben mithin in der Gebärabtheilung des85 St. Rochus-Spitales nicht 1 Percent Wöchnerinnen am Kind - bettfieber innerhalb sechs Jahre, in welcher Abtheilung frü - her das Kindbettfieber alljährig so zahlreiche Opfer forderte.
Unterm 18. Juli 1855 wurde ich zum Professor der theo - retischen und praktischen Geburtshilfe an der Hochschule zu Pest ernannt, und begann als solcher meine Thätigkeit an der geburtshilflichen Klinik im October desselben Jahres. Die geburtshilfliche Klinik befindet sich im zweiten Stocke des Facultätsgebäudes und besteht aus einem Kreisse - und vier Wochenzimmern.
Um den Leser mit den Verhältnissen dieser Klinik be - kannt zu machen, wird es zweckentsprechend sein, theilweise das Gesuch mitzutheilen, welches ich an die competenten Be - hörden richtete, um die Erlaubniss zu erlangen, diese höchst sanitätswidrigen und ungenügenden Localitäten verlassen zu dürfen.
In diesem Gesuche heisst es unter andern: » Dass die Lo - calitäten der geburtshilflichen Klinik höchst sanitätswidrig seien, geht aus folgenden Betrachtungen hervor.
» Laut den Allerhöchsten Verordnungen in Betreff der Organisirung der Krankenanstalten in Bezug auf Flächenin - halt des Belegraumes werden vier Quadratklafter für ein Wo - chenbett vorgeschrieben. Da die geburtshilfliche Klinik 26 Betten besitzt, so erfordert das, um den allerhöchsten Anfor - derungen zu entsprechen, 104 Quadratklafter, die geburts - hilfliche Klinik besitzt aber nur 41 Quadratklafter; dann fehlt noch der Raum, welcher für eine so grosse Anzahl von Schülern und Schülerinnen erfordert wird. Drei Zimmer sind so klein, dass sie kaum die Hälfte der Schüler und Schülerin - nen fassen können, dass aber auch in den zwei Zimmern, welche gerade so gross sind, dass sie sämmtliche Lernende fassen können, ohne gerade unbeweglich aneinander gedrängt zu sein, die Luft in denselben auf eine für die anwesenden Wöchnerinnen höchst nachtheilige Weise verdorben wird, leuchtet jedem Unbefangenen ein.
86» In den Fensterpfeilern zweier Zimmer befinden sich drei Schornsteine des chemischen Laboratoriums, wodurch die Temperatur dieser Zimmer, wenn an den entsprechenden Her - den gefeuert wird, sich zur unerträglichen Höhe steigert.
» Die Localitäten der geburtshilflichen Klinik sind so be - schränkt, dass kein Zimmer als Krankenzimmer reservirt werden kann; dadurch bleiben die Kranken zerstreut unter den Gesunden liegen, dadurch wird das Kindbettfieber, wel - ches zwar keine contagiöse Krankheit, jedoch unter gewissen Bedingungen eine, von einem Individuum auf das andere über - tragbare Krankheit ist, verbreitet.
» Die Umgebung der Localitäten der geburtshilflichen Klinik ist folgende: Zwei Fenster der Klinik münden in den nördlichen Lichthof und sechs Fenster in den west - lichen; der nördliche Lichthof ist zwei Klafter fünf Schuh breit, und von einer bis zur gleichen Höhe der Fenster des Gebärhauses reichenden Feuermauer des Nachbarhauses ein - geschlossen; in diesem Lichthofe befinden sich zu ebener Erde, im ersten und zweiten Stocke die Aborte des Gebäudes.
» Zu ebener Erde reiht sich an die Aborte die Kehricht - grube des Gebäudes. Diese verfaulende Masse verbreitet einen penetrirenden Gestank. Das Erdgeschoss des Gebäudes ist ein - genommen von den Localitäten der elementaren und patholo - gischen Anatomie; gerade unter den Fenstern des Gebärhau - ses befindet sich der Ausguss, wo alle flüssigen Abfälle der elementaren und pathologischen Anatomie ausgegossen werden. Das erste Stockwerk ist eingenommen von den Localitäten der Chemie; in dem Winkel, wo sich der nördliche und westliche Lichthof berühren, liegt die Todtenkammer der Kliniken; der westliche Lichthof ist eine Klafter breit, und von einer drei Klafter hohen Mauer eingeschlossen, jenseits welcher sich ein unbebauter Grund befindet. In diesem Hofe befindet sich zum Theile die Todtenkammer, ebenerdig wieder die Localitäten der elementaren und pathologischen Anatomie, im ersten Stocke die Localitäten der Chemie.
87» Es ist hier nicht der Ort, die Ansicht des ergebenst Ge - fertigten über die Entstehung des Kindbettfiebers zu ent - wickeln, es genügt zu bemerken, dass er die Ueberzeugung hegt, dass, keinen einzigen Fall von Kindbettfieber ausgenom - men, alle Fälle dieser Krankheit durch die Aufnahme eines zersetzten thierisch-organischen Stoffes entstehen.
» Ein löbliches Professorencollegium kann sich die bemit - leidenswerthe Lage des Professors der Geburtshilfe denken, wenn er mit einer solchen Ueberzeugung nur die Wahl hat, entweder die Fenster hermetisch zu schliessen, und so seine Wöchnerinnen in einer in einem ungenügenden Locale durch eine grosse Anzahl von Schülern und Schülerinnen verdorbe - nen Luft verkommen zu lassen, oder durch Oeffnen der Fenster der mit zersetzten organischen Stoffen geschwängerten Luft der beiden Lichthöfe den Zutritt zu den Wöchnerinnen zu ge - statten.
» So düster auch die Gegenwart der geburtshilflichen Kli - nik ist, so droht ihr, falls sie in denselben Localitäten ver - bleiben sollte, eine noch düsterere Zukunft.
» Auf dem jenseits des westlichen Lichthofes befindlichen leeren Grunde soll ein zwei Stock hohes Gebäude gebaut wer - den; dadurch wird nicht nur dem Lichte der Zutritt zu sechs Fenstern der geburtshilflichen Klinik vollkommen abgesperrt, sondern die Kindbettfieber bringenden Ausdünstungen des nur eine Klafter breiten Lichthofes würden, da ihnen das Entwei - chen über den leeren Grund unmöglich gemacht würde, in höchst gefährlicher Condensation durch das zwei Stock hohe Gebäude den Fenstern der geburtshilflichen Klinik zugeleitet werden.
» Ob aber die Wöchnerinnen an der Klinik des Gefertig - ten sich eines gesunden Zustandes erfreuen, oder ob sie vom Kindbettfieber dahingerafft werden, ist nicht blos wichtig für die in dieser Klinik Verpflegten: die Ergebnisse der Bemü - hungen des Gefertigten in Bezug auf den Gesundheitszustand88 der von ihm behandelten Wöchnerinnen haben Bedeutung für das ganze Menschengeschlecht.
» Die Thatsache, dass das Kindbettfieber im Gebärhause auffallend zahlreichere Todesfälle veranlasse, als ausserhalb des Gebärhauses, ist nicht allein den Aerzten bekannt, son - dern auch den Laien, und in officiellen Documenten werden die Gebärhäuser nicht allein von Aerzten, sondern auch von Verwaltungsbeamten » Mördergruben « genannt. Auf die That - sache, dass das Kindbettfieber im Gebärhause verderblicher wüthe, gestützt, ist die Frage wiederholt in Berathung gezo - gen worden, ob es für das menschliche Geschlecht nicht wohl - thätiger wäre, sämmtliche Gebärhäuser zu cassiren.
» Nur ein entsetzliches Dilemma rettete die Gebärhäuser vor Vernichtung.
» Wenn die Individuen im Gebärhause entbinden, so rich - tet das Kindbettfieber unter ihnen schreckenerregende Verhee - rungen an, und eine bedeutende Anzahl steigt frühzeitig in der Blüthe des Lebens ins Grab.
» Würden in Folge der Aufhebung sämmtlier Gebärhäuser die Geburten ausserhalb des Gebärhauses vorsichgehen, so würden die Entbundenen in grösserer Anzahl wohl gesund bleiben, aber nun beginnen die Sorgen um die eigene und die Verpflegung des Kindes, und nun entstehen in Folge der Noth die Verbrechen der Kindabtreibung, der Kindaussetzung und des Kindesmordes.
» Man hat daher die Gebärhäuser nur darum bestehen lassen, weil man der Ansicht war, dass es besser sei, die Kreissenden in Gebärhäusern den Gefahren des Kindbettfiebers auszusetzen, als ausserhalb des Gebärhauses den Gefahren der Noth, wo - durch eine so grosse Anzahlderselben den Gefängnissen verfällt.
» Der ergebenst Gefertigte hat die Ursache dieses verhee - renden Kindbettfiebers gefunden, und lehrt ihre Wirksamkeit unschädlich zu machen. Die Aufmerksamkeit aller Anhänger und Gegner dieser Lehre ist auf den Gesundheitszustand der von dem Gefertigten behandelten Wöchnerinnen gerichtet; die89 Anhänger müssen schwankend werden und die Gegner müs - sen sich in ihren Zweifeln bestärkt fühlen, wenn der Gesund - heitszustand der in der Klinik verpflegten Wöchnerinnen ein so ungünstiger ist, dadurch wird die Verbreitung der Lehre des Gefertigten verhindert und dadurch wird das Menschen - geschlecht durch längere Zeit noch von einer Seuche geplagt, als es der Fall wäre, wenn er den Erfolg auch an der geburts - hilflichen Klinik zu Pest für sich anführen könnte.
» Mit dieser Ansicht von der Sanitätswidrigkeit der Loca - litäten der geburtshilflichen Klinik steht Gefertigter nicht allein, das Professorencollegium theilte dieselbe Ansicht zu einer Zeit, als ich noch nicht die Ehre hatte, Mitglied dessel - ben zu sein, indem es sagte: In Folge Erlasses der hohen k. k. Statthaltereiabtheilung zu Ofen vom 10. September 1854, Z. 19,458, wurde Seitens des medicinischen Professorencolle - giums unterm 17. März 1855 der Antrag zur Abhilfe der Ge - brechen gestellt, welche dem gedeihlichen Emporkommen der Institute der medicinischen Facultät am meisten hemmend in den Weg treten.
» In diesem Vortrage heisst es unter andern: Der durch die Ueberfüllung der Krankensäle mit Patienten bedingten Luft - verderbniss wird noch in höchst bedauerlicher Weise dadurch Vorschub geleistet, dass die klinischen Anstalten sich in der unmittelbaren Nachbarschaft solcher Institute befinden, durch welche der Luftverderbniss geradezu Thür und Thor geöffnet wird. So z. B. befindet sich die geburtshilfliche Kli - nik im zweiten Stocke gerade über dem im ersten Stocke be - stehenden chemischen und im Erdgeschosse befindlichen ana - tomischen Institute, demnach müssen die in den beiden letzt - genannten Anstalten entwickelten schädlichen Luftarten in ihrem Entweichen nach oben die Fenster der Gebäranstalt be - streichen, wodurch geschieht, dass bei dem Oeffnen der Fen - ster und Thüren in obiger Anstalt statt der guten Luft die in den Instituten der beiden untern Stockwerke entwickelten un - gesunden Gasarten in die Räume der Gebäranstalt eingelassen90 werden. Hierin ist wohl die wichtigste Veranlassung des Aus - bruches des Puerperalfiebers zu suchen, wegen welchen die hiesige geburtshilfliche Klinik schon zu wiederholten Malen während des Schuljahres für einige Zeit gesperrt werden musste. Dass die etwaige Benützung der unter dieser Klinik befindlichen Räumlichkeiten zu Zwecken des zu creirenden Operateur-Institutes dem obigen Uebel nur noch ein um so grösserer Vorschub geleistet würde, bedarf wohl kaum einer weiteren Erörterung etc. etc. (Ist trotzdem geschehen.)
» Aber nicht blos der Gefertigte und das Professorencolle - gium theilt die Ansicht von der Sanitätswidrigkeit der Loca - litäten der geburtshilflichen Klinik, auch die allgemeine Mei - nung spricht sich im gleichen Sinne aus. Die allgemeine Mei - nung hat in einem Artikel der » Wiener medicinischen Wo - chenschrift « vom 18. Juli 1857 ihren Ausdruck gefunden. In diesem Artikel, welcher die Aufschrift führt: » Die medicini - sche Lehranstalt zu Pest Nro. V. « heisst es: ‚ Memento nasci.
‚ X.Y.Z. Grande misère nennt man im Boston-Spiele jene Partie, wo der Spieler trachten muss, durch rechtzeitiges Wegwerfen der guten Blätter und namentlich der Trümpfe sich so zu entblössen, dass es dem Gegner unmöglich wird, ihn zu einem Stiche zu zwingen. Ein solcher Sieg ist keines - wegs leicht. An diese Partie wurde ich bei einem Besuche der hiesigen geburtshilflichen Klinik gemahnt, wo es auch darauf abgesehen scheint, nicht mit der winzigsten guten Eigenschaft den Eindruck zu verwischen, den alle die zahlreichen Un - zweckmässigkeiten und Mängel des Institutes auf den unbe - fangenen Gast hervorrufen; grande misère auch darum, weil es wirklich nicht leicht wäre, ein zweites Exemplar dieser An - häufung von Uebelständen herzustellen. Ich mache mit der Besprechung dieser Klinik übrigens hauptsächlich aus dem Grunde den Anfang, weil ihrer bereits mehrmals in diesen Blättern erwähnt worden ist, was in dem Leser vielleicht den Gedanken geweckt hat, dass es mit dieser Klinik ein eigenes91 Bewandtniss haben müsse. Nun dieses Bewandtniss ist so eben ausgesprochen worden. Die Klinik befindet sich im zwei - ten Stockwerke, und zwar in dessen hinterst gelegenem Theile, so dass die Armen, von Wehen Ergriffenen nicht nur etwa einen weiten Weg aus dem oder jenem Stadttheile zurückle - gen müssen, sondern auch genöthigt sind, sich mühsam zwei Treppen und einen langen Corridor fortzuschleppen, woher es dann auch kommt, dass Treppengeburten nicht zu den Selten - heiten gehören. Diese unzweckmässige Entfernung der Klinik vom Eingangsthore des Hauses ist um so nachtheiliger bei einer Gebäranstalt, in welcher wegen Raumbeschränkung nur solche Frauen aufgenommen werden, bei welchen der Ge - burtsact bereits begonnen hat oder imminent ist, nicht aber wie in Wien in den letzten beiden Schwangerschaftsmonaten. Damit aber die Lage der Klinik im oben angedeuteten Sinne nichts zu wünschen übrig lasse, gehen die Fenster auf der einen Seite auf den Leichenhof hinaus, indess die anderen sich gerade über dem Secirsaal befinden. Auch damit nicht zufrie - den, hat man durch eine Wand des eigentlichen Krankenzim - mers drei, sage drei, gut ziehende Schornsteine des unter - halb der Klinik im ersten Stockwerke befindlichen chemischen Laboratoriums geführt, welche die Wand mitten im Sommer zu einem förmlichen grossen Ofen umgestalten. Wer’s nicht glaubt, halte die Hand hin; ich weiss gewiss, er thut’s nicht ein zweites Mal, und glaubt mir lieber in Zukunft auf’s Wort.
‚ Die Klinik besteht aus fünf Zimmern; davon drei mit einem Fenster, eines mit zwei, und endlich ein Eckzim - mer mit drei Fenstern. Von dem einfenstrigen ist eines so klein, dass es nur das Bett der Wärterin enthalten kann. Es bleiben somit eigentlich nur vier Räumchen für die Wöchne - rinnen. Das Kreissezimmer hat, wie bereits in einem früheren Briefe erwähnt, nur ein Fenster und drei Betten, daran stosst ein zweites mit einem Fenster. Man denke sich nun ein fleissig besuchtes Klinikum, besucht in diesem Semester von 93 Heb - ammen und 27 Medicinern oder Chirurgen, man denke sich92 ein Thermometer von 26° R. im Schatten — und wer eine ge - nug lebendige Phantasie hat, denke sich endlich unter solchen Umständen die Mühen des operirenden Professors, oder die zehnfache Qual der Operirten. Auch hier, wie bei der Camin - wand, war kürzlich jedem Optimisten reiche Gelegenheit zu einem eindringlichen Argumentum ad hominem geboten. Es lag wirklich ein bedauernswürdiges Geschöpf auf dem Quer - bette; Lehrer, Assistent und ein dichter Knäuel von Hebam - men und Studirenden umstanden dasselbe; bis in das dritte Zimmer hinein war Kopf an Kopf dicht gedrängt, und doch eigentlich nur um schreien zu hören, da vom Sehen keine Rede war, eine Hitze, die eher geeignet ist, Jemanden aus der Welt, als in dieselbe zu locken; dem Professor perlte der Schweiss von der Stirne, als die Wendung vollendet war, und eben im Begriffe, das erste Zangenblatt einzuführen, kommt er einer förmlichen Ohnmacht so nahe, dass er genöthigt ist, das sei - ner Hand entsinkende Instrument dem Assistenten zu überge - ben und sich schleunigst aus der irrespirabeln Luft der Kli - nik zu flüchten. Es ist wirklich zum Verwundern und spricht auf alle Fälle rühmend für die rationelle und sorgfältige Be - handlung der Wöchnerinnen, dass puerperale Erkrankungen in den letzten Jahren trotz alledem und alledem eher ab - als zu - genommen haben. Wo wollte man aber auch mit den Kran - ken hin, wenn dem nicht so wäre, denn da ausser den drei Kreissebetten im Ganzen nur noch 23 Betten vorhanden sind, nämlich im einfenstrigen drei, im zweifenstrigen mit dem künstlichen Tropenklima acht und im Eckzimmer zwölf. Wer sich etwa wieder einfallen liesse, nicht zu glauben, dass der Verlauf des Wochenbettes in Afrika ein günstigerer ist, den können wir auf gelindere Weise, nämlich mit einem einfachen Rechenexempel, davon überzeugen. Es werden nämlich im Zeitraume eines Schuljahres an 600 Geburten beobachtet, was nur dadurch möglich wird, dass die Wöchnerin mit dem Kinde am neunten Tage die Anstalt in der Regel verlässt; herrschte der Puerperalprocess hier in ähnlicher Art wie im Wiener93 Gebärhause, so könnte kaum die Zahl von 100 Geburten er - reicht werden.
‚ Dies wäre, wird man sagen, denn doch eine schöne Eigenschaft der Gebärklinik, und wir sind die Letzten, es zu läugnen; aber Grande misère bezieht sich immer nur auf die Unterrichtsmittel, und die liegen, wie man einsieht, im Ar - gen; denn was helfen 600 Geburten, wenn man kaum ein Du - tzend davon zu sehen bekommt! Bekanntlich geschehen diese zu guten zwei Drittheilen während der Nacht, gehen aber für den Unterricht in so fern verloren, als gar keine Räume zur Behausung der Studirenden oder Hebammen für die Nachtzeit vorhanden sind. Es haben somit nur die beiden In - spection haltenden Schüler Gelegenheit zum Lernen, und auch diese nur auf Kosten ihrer Gesundheit, wenn sie die Nacht - zeit im überfüllten Krankenzimmer zubringen wollen; bei Tage aber muss man, wie oben gezeigt wurde, schon ein paar Püffe aushalten können, wenn man sich in dem kleinen Raume durchdrängen will. Nichts aber ist gefährlicher für den Stu - direnden als die Idee, dass seine Mühe vergebens ist; hat sich diese einmal eingenistet im Kopfe, so tritt Gleichgiltigkeit, oder gar Widerwillen an die Stelle des anfänglichen Eifers, und selbst die geringe Gelegenheit wird missachtet, die sich dem Lernbegierigen hie und da darbieten mag.
‚ Nicht besser steht es um das Capitel der Vorlesungen. Da kein eigener Hörsaal für diese Klinik existirt, so gastirt der Professor der Geburtshilfe, wann und wo er eben Einlass findet, im Winter zu ebener Erde im acologischen Hörsaale, im Sommer im chirurgischen. Dass das Auditorium im Winter um sieben Uhr Früh, also meist bei Kerzenbeleuchtung nicht unmässig belebt ist, wäre eben kein grosses Unglück, da ja überhaupt die sogenannte theoretische Geburtshilfe im dritten Jahrgange der Medicin bekanntlich nichts taugt, und bald ganz einem vernünftigeren Lehrplane wird weichen müssen; dass aber die so wichtige praktische Geburtshilfe mit Demon - strationen am Phantome aus Mangel an dem obigen Wann und94 Wo auf dem Corridor zwischen Fenstern und Thüren, Trep - pen und Waschküchen, und zwar vor einem Zuhörerkreise von 120 Herren und Damen vorgetragen werden soll — das ist ein so schreiender Missbrauch, wie man ihn nur in einer ganz exceptionellen Anstalt gewahr werden kann. Ich frage kühn: hat man ein Recht gehabt, jenen Landchirurgen vor Kurzem zu verurtheilen, der eine Uterusruptur nicht erkannt, und ein Stück Darm ganz naiv abgebunden hat? Ist es ihm beim besten Willen während der Studienzeit möglich gewe - sen, genügende Kenntnisse dieses schwierigsten aller prakti - schen Fächer sich eigen zu machen? Oder ist es nicht viel - mehr zu verwundern, dass dergleichen traurige Quiproquo so selten vorkommen, dass nämlich trotz des Unterrichtes in der Geburtshilfe so viele Kinder lebendig geboren werden.
‚ Operationscurse sind ein unentbehrliches Hilfsmittel beim Unterrichte der Geburtshilfe, bringen den Anfänger in der Regel viel weiter an Muth und Uebung als ähnliche Curse in der Chirurgie; aber wie sieht es mit diesem Theile des Unter - richts in einer Lehranstalt aus, wo überhaupt Mangel an Lei - chen vorzukommen pflegt?
‚ Endlich fehlt jede kleinste Gelegenheit, gynaecologische Studien zu machen, ein Uebelstand, der wohl auch ander - wärts an geburtshilflichen Kliniken herrscht, wofür aber durch eigene gynaecologische Abtheilungen in demselben Hause Ersatz zu finden ist. Bis vor Kurzem, und zwar durch sechs volle Jahre hat der Professor der Geburtshilfe im Ro - chus-Spitale eine kleine Abtheilung für Frauenkrankheiten, und zwar unentgeltlich versehen; es war ihm dadurch Gele - genheit gegeben, einen und den andern fleissigen Studirenden in dieser wichtigen Materie einzuführen, und unberechenbar viel Gutes für Tausende damit zu stiften; — dieses hat nun gegen seinen Willen auch ein Ende. So tragische Fehler, wie das in die Taschestecken eines Stückes Darm, geschehen nicht alle Tage, aber alle Tage wird auf Vollblütigkeit eurirt, an - statt einen Polypen zu unterbinden; und alle Tage wird Rheum95 mit Aloe verschrieben, anstatt dass man von den vorhandenen Excoriationen Notiz nehme; und in der That wird der junge Arzt mit einer Unkenntniss der Frauenkrankheiten in die Praxis entlassen, die einem wahrhaft bange machen kann, für Erhaltung der schöneren Hälfte der Menschheit, die noch obendrein die grössere ist. ‘
In diesen Localitäten werden innerhalb zehn Monate bei 500 Wöchnerinnen verpflegt, und gleichzeitig 60 bis 70 Ge - burtshelfer und 180 bis 190 Hebammenschülerinnen unter - richtet. Der praktische geburtshilfliche Curs dauert für einen Geburtshelfer zwei Monate, für eine Hebammenschülerin fünf Monate, es ist mithin der Lehrer beständig mindestens von 100 Lernenden umgeben.
Im Schuljahre 1855 / 6 wurden 514 Wöchnerinnen ver - pflegt, davon sind gestorben 5, und zwar 2 am Kindbettfie - ber und 3 an andern Krankheiten, es starben mithin am Kind - bettfieber 0.19 Percent-Antheile.
Im Schuljahre 1856 / 7 wurden verpflegt: 558 Individuen, darunter waren 551 Wöchnerinnen und 7 gynaecologische Fälle; von den 558 Verpflegten sind gestorben 31, darunter 16 an Kindbettfieber und 15 an andern Krankheiten, es star - ben mithin am Kindbettfieber 2.90 Percent-Antheile.
Im Schuljahre 1857 / 8 wurden verpflegt 457 Individuen, darunter waren 449 Wöchnerinnen und 8 gynaecologische Fälle, davon sind gestorben 23, und zwar 18 am Kindbettfie - ber und 5 an anderen Krankheiten, es starben mithin am Kindbettfieber 4.05 Percent-Antheile.
Die im Schuljahre 1856 / 7 vorgekommene Sterblichkeit von 2.90 und im Schuljahre 1857 / 8 von 4.05 Percent-Antheile unter den Wöchnerinnen am Kindbettfieber veranlasste eine officielle Correspondenz, welche wir hier theilweise mitthei - len wollen, damit der Leser mit der veranlassenden Ursache dieser Sterblichkeit bekannt werde. Es heisst unter andern: » Es sind hieher im vertraulichen Wege Mittheilungen ge - macht worden, welche mehrfache Unzukömmlichkeiten und96 Uebelstände der geburtshilflichen Klinik der k. k. Universi - tät betreffen, dass z. B. durch die Sorglosigkeit der Oberheb - amme N. N. nicht nur das Bettzeug der Wöchnerinnen selten gewechselt, sondern sogar noch mit Blut besudeltes Bettzeug verstorbener Wöchnerinnen den neuzugekommenen unterbrei - tet wurde, in Folge dessen soll die Sterblichkeit zu Anfang des heurigen Jahres einen so hohen Grad erreicht haben, dass an einem Tage bis zu zehn Wöchnerinnen gestorben sind.
» Dieses Factum muss um so mehr auffallen, als im vori - gen Jahre bei einer weit geringeren Sterblichkeit dieser Um - stand sogleich vom Herrn Professor hieher zur Sprache ge - bracht, und um eine reichere Dotirung mit Bettwäsche ange - sucht wurde, welche auch sogleich in dem Masse bewilliget worden ist, dass ein Vorrath von mehreren hundert Leintü - chern über den Bedarf stets zur Verfügung steht. Auch wur - den die Nachschaffungen an Bettfournituren und Leibwäsche im ganzen Umfange, wie solche beantragt worden sind, wäh - rend der Ferien passirt, so zwar, dass die Höhe der Anschaf - fungskosten selbst dem hohen Ministerium für Cultus und Un - terricht nicht entging.
» Der Herr k. k. Professor scheinen daher auch die Ueber - zeugung mit den übrigen Personen, denen die Klinik zugän - gig, zu theilen, dass es nicht mehr an dem Mangel an Wä - sche, eben so wenig an der regelmässigen Ablieferung von Seite der Wäscherin fehlte, sondern dass die unaufmerksame und ungeregelte Handhabung des Wäschewechselns an den vermehrten Krankheiten und Todesfällen die Schuld trage. «
Hierauf erwiederte ich Folgendes: » Es ist allerdings auch meine Ueberzeugung, so wie die der übrigen Personen, denen die Klinik zugängig ist, dass die im Beginne des Schul - jahres 1857 / 8 zu beobachtende grössere Sterblichkeit an der hiesigen geburtshilflichen Klinik nicht mehr den Mangel an Wäsche, noch der unregelmässigen Ablieferung derselben von Seite der Wäscherin zuzuschreiben sei, sondern dass die un - aufmerksame und ungeregelte Handhabung des Wäschewech -97 selns an den vermehrten Krankheiten und Todesfällen die Schuld trage.
» Diese unaufmerksame und ungeregelte Handhabung des Wäschewechselns hat aber nicht die Oberhebamme, son - dern die Wärterin N. N. verschuldet, welche auch deshalb entlassen wurde.
» Im Schuljahre 1856 / 7 sind 31 Wöchnerinnen gestorben, darunter 16 am Kindbettfieber, wegen Mangel an Wäsche und unregelmässiger Ablieferung derselben von Seite der Wä - scherin.
» Im Schuljahre 1857 / 8 sind 24 Wöchnerinnen gestorben, darunter 18 am Kindbettfieber, wegen unaufmerksamen und ungeregelten Wäschewechsels.
» Es starben nie mehr als zwei Individuen an einem Tage; wenn es daher heisst, dass im Schuljahre 1856 / 7 eine weit geringere Sterblichkeit herrschte, und dass die Sterblichkeit zu Anfang des Schuljahres 1857 / 8 einen so hohen Grad er - reicht habe, dass an einem Tage bis zu zehn Wöchnerinnen gestorben seien, so stimmt dies nicht mit der Wahrheit.
» Mit Blut besudeltes Bettzeug verstorbener Wöchnerinnen wurde nie neuhinzugekommenen unterbreitet, es müssten denn darunter diejenigen Leintücher gemeint sein, die wir im Schul - jahre 1856 / 57 mit Blut und Lochialfluss besudelt vom Wäscher als reingewaschen zurückerhielten, und welche ich die Ehre hatte persönlich vorzuzeigen, mit der Anzeige, dass diese Leintücher an meiner Klinik das Kindbettfieber hervorgerufen haben.
» Vom ersten medicinischen Schriftsteller, von Hippo - krates, angefangen, bis auf die neueste Zeit war es die unan - gefochtene Ueberzeugung der Aerzte aller Zeiten, dass die furchtbaren Verheerungen, welche das Kindbettfieber unter den Wöchnerinnen anrichtete, epidemischen, d. h. atmosphä - rischen Einflüssen zuzuschreiben sei, d. h. Einflüssen, welche jeder Wirksamkeit des Arztes entzogen, ihre verheerenden Wirkungen ganz unbeirrt und unaufhaltsam äussern. Mir istSemmelweis, Kindbettfieber. 798es im Jahre 1847 im grossen Wiener Gebärhause gelungen, nachzuweisen, dass diese Ansicht eine falsche sei, und dass jeder einzelne Fall von Kindbettfieber durch Infection ent - stehe. In Folge der Massnahmen, welche ich meiner Ansicht entsprechend getroffen, habe ich in Wien durch 21 Monate, im St. Rochus-Spitale durch sechs Jahre, an der Klinik zu Pest durch ein Jahr keine Epidemie gehabt, an drei Anstal - ten, welche sonst regelmässig von furchtbaren Epidemien heimgesucht waren.
» Die zwei Unglücksjahre, welche nun folgten, habe ich als unabsichtliche directe, obwohl traurige Beweise für die Richtigkeit meiner Ansicht über die Entdeckung des Kind - bettfiebers im » Orvosi Hétilap « veröffentlicht.
» Man hat meine Ansicht über die Entstehung des Kind - bettfiebers in Hinsicht ihrer wohlthätigen Folgen der Jen - ner’schen Kuhpocken-Impfung gleichgestellt. Ich fühle es lebhaft, wie unbescheiden es ist, dass ich so etwas von mir selbst sage, allein der Umstand, dass gerade meiner Klinik der Vorwurf grosser Sterblichkeit gemacht wird, zwingt mich dazu. Es dürfte daher die nach neunjährigem glänzenden Er - folge ohne mein Verschulden auftretende Sterblichkeit an der geburtshilflichen Klinik zu Pest in einem günstigeren Lichte erscheinen. «
Aus dieser officiellen Correspondenz ersieht der Leser, dass die Sterblichkeit unter den Wöchnerinnen in diesen zwei Jahren dadurch veranlasst war, dass zu den sonstigen sani - tätswidrigen Verhältnissen der Klinik noch unreine Bettwä - sche dazukam.
Die Wäschereinigung ist einem Pächter übergeben, wel - cher verpflichtet ist, wöchentlich nur einmal die unreine Wä - sche gegen reine auszutauschen; die Summe, welche für die Wäschereinigung bezahlt wurde, schien den entscheidenden Behörden zu hoch, und es wurde deshalb für das Schuljahr 1856 / 7 eine Minuendo-Licitation ausgeschrieben.
Man versteht unter einer Minuendo-Licitation diejenige,99 bei welcher nicht derjenige Pächter die Wäschereinigung er - hält, welcher Garantie bietet, dass er sie am besten, sondern derjenige, welcher sie am billigsten wäscht.
Dadurch wurde der Preis in dem Grade herabgedrückt, dass es unmöglich war, besonders im Winter, reine Wäsche zu liefern, durch Benützung solch schlecht gereinigter Bett - wäsche wurde das Kindbettfieber hervorgebracht. Nach er - statteter Anzeige wurde dem früheren Pächter um den frü - heren Preis wieder die Wäschereinigung zugetheilt, und in Folge dieser Massregel den häufigen Erkrankungen Einhalt gethan.
Im Schuljahre 1857 / 8 war es wieder unreine Bettwäsche, welche die grössere Sterblichkeit hervorbrachte, aber die un - reine Wäsche wurde nicht vom Pächter unrein geliefert, son - dern die Wärterin verabsäumte das regelmässige Wechseln der Bettwäsche, wodurch das Blut und der Lochialfluss eine solche Zersetzung einging, dass sie das Kindbettfieber her - vorbrachten.
Durch gründliche Reinigung der Bettgeräthe und Ent - lassung der Wärterin wurde der Sterblichkeit Einhalt gethan.
Wir haben oben gezeigt, dass die grössere Sterblichkeit an der ersten geburtshilflichen Klinik zu Wien im Vergleiche zur zweiten bedingt war durch die Cadavertheile, welche an den Händen der Untersuchenden klebten.
Wir haben oben gezeigt, dass im Monat October 1847 Jauchetheile eines verjauchenden Medullarkrebses der Gebär - mutter das Kindbettfieber hervorgebracht haben; wir haben gezeigt, dass im Monate November 1847 ein Jauchetheile exhalirendes cariöses Knie das Kindbettfieber hervorgebracht habe; wir haben gezeigt, dass in der Gebärabtheilung des St. Rochus-Spitals die verschiedenen zersetzten, thierisch - organischen Stoffe, welche sich so reichlich an einer chirur - gischen Abtheilung vorfinden, das Kindbettfieber hervorge - bracht haben.
Innerhalb zweier Jahre wurde das Kindbettfieber an der7 *100geburtshilflichen Klinik zu Pest hervorgebracht durch zer - setztes Blut und zersetzten Wochenfluss, mittelst welchem die Leintücher verunreinigt waren.
Der Träger der Cadavertheile, der Jauchetheile, des ver - jauchenden Medullarkrebses der Gebärmutter, der zersetzten organischen Stoffe der chirurgischen Abtheilung war der un - tersuchende Finger, der Träger der exhalirten Jauchetheile des cariösen Kniegelenkes war die atmosphärische Luft, der Träger des zersetzten Blutes und des zersetzten Lochialflus - ses, welche im Schuljahre 1856 / 7 und 1857 / 8 das Kindbett - fieber an der geburtshilflichen Klinik zu Pest hervorgebracht haben, waren die Leintücher und die atmosphärische Luft, weil die Wöchnerinnen, auf solchen Leintüchern liegend, ihre durch die Geburt verletzten Genitalien mit diesen zersetzten Stoffen in Berührung brachten, und weil die Exhalationen die - ser Leintücher mit der atmosphärischen Luft in die Genita - lien der Wöchnerinnen eindrangen.
Die Chlorwaschungen wurden innerhalb der drei Jahre, während welcher ich als Vorstand der geburtshilflichen Kli - nik fungire, sehr emsig gemacht, die trotzdem vorgekommene Sterblichkeit von 2.90 Percent-Antheile im Schuljahre 1856 / 7 und von 4.05 Percent-Antheile im Schuljahre 1857 / 8 spricht nicht gegen die Erspriesslichkeit der Chlorwaschungen, weil Chlorwaschungen nur die Hand als Träger der zersetzten thierisch-organischen Stoffe von denselben befreien können, auf den andern Träger der zersetzten thierisch-organischen Stoffe, nämlich auf die Leintücher, konnten die Chlorwaschungen der Hände keinen Einfluss üben.
Der Umstand, dass die Kinder der am Kindbettfieber er - krankten Mütter nicht gleichzeitig am Kindbettfieber erkrank - ten, diente als Beweis, dass die Infection nicht während der Geburt geschah, sondern im Wochenbette. Ich musste daher die Schüler von jeder Schuld freisprechen, und meine Unter - suchung einzig auf die Utensilien des Wochenbettes ausdehnen,101 und da fanden sich nun die obenerwähnten, mit zersetztem Blut und Lochialfluss verunreinigten Leintücher.
Wenn meine Ueberzeugung dahin geht, dass das Kind - bettfieber in der grossen Mehrzahl der Fälle durch Auf - nahme eines zersetzten thierisch-organischen Stoffes von aus - sen entstehe, und wenn den Wöchnerinnen mittelst Leintücher zersetzte Stoffe von aussen eingebracht werden, und in Folge dessen das Kindbettfieber wirklich entsteht, so sind diese Er - krankungsfälle directe Beweise für die Richtigkeit meiner Ansicht über die Entstehung des Kindbettfiebers.
Im Schuljahre 1857 / 8 wurden die äusseren Genitalien zweier am Kindbettfieber erkrankter Individuen gangränös. Da selbe wegen Raummangel unter den übrigen Wöchnerin - nen liegen bleiben mussten, so wurden ihnen, um sie so viel als möglich zu isoliren, von zwölf zu zwölf Stunden zwei Heb - ammen-Schülerinnen zur Pflege zugetheilt, mit dem Befehle, kein anderes Individuum zu berühren, trotzdem wurde eine so Zugetheilte ertappt, als sie sich eben anschickte, eine neu - angekommene Kreissende zu untersuchen.
Gestützt auf Erfahrungen, welche ich innerhalb 15 Jah - ren an drei verschiedenen Anstalten, welche sämmtlich vom Kindbettfieber in hohem Grade heimgesucht waren, gesam - melt habe, halte ich das Kindbettfieber, keinen einzigen Fall ausgenommen, für ein Resorbtionsfieber, bedingt durch die Resorbtion eines zersetzten thierisch-organischen Stoffes, die erste Folge der Resorbtion ist die Blutentmischung, Folgen der Blutentmischung sind die Exsudationen.
Der zersetzte thierisch-organische Stoff, welcher, resor - birt, das Kindbettfieber hervorruft, wird in der überwiegend grössten Mehrzahl der Fälle den Individuen von aussen beige - bracht, und das ist die Infection von aussen; das sind die Fälle, welche die Kindbettfieber-Epidemien darstellen, das sind die Fälle, welche verhütet werden können.
In seltenen Fällen wird der zersetzte thierisch-organische Stoff, welcher resorbirt das Kindbettfieber hervorruft, inner - halb der Grenzen des ergriffenen Organismus erzeugt, und das sind die Fälle von Selbstinfection, und diese Fälle können nicht alle verhütet werden.
Die Quelle, woher der zersetzte thierisch-organische Stoff genommen wird, welcher, von aussen den Individuen bei - gebracht, das Kindbettfieber erzeugt, ist die Leiche jeden Alters, jeden Geschlechtes, ohne Rücksicht auf die vorausge - gangene Krankheit, ohne Rücksicht ob es die Leiche einer Wöchnerin oder einer Nichtwöchnerin ist, nur der Grad der Fäulniss kommt bei der Leiche in Betracht.
103Es waren die heterogensten Leichen, mit welchen sich die an der ersten Gebärklinik Untersuchenden beschäftigten.
Die Quelle, woher der zersetzte thierisch-organische Stoff genommen wird, welcher, von aussen den Individuen bei - gebracht, das Kindbettfieber erzeugt, sind alle Kranken je - den Alters, jeden Geschlechtes, deren Krankheiten mit Er - zeugung eines zersetzten thierisch-organischen Stoffes einher - schreiten, ohne Rücksicht, ob das kranke Individuum am Kind - bettfieber leide oder nicht; nur der zersetzte thierisch-orga - nische Stoff als Product der Krankheit kommt in Betracht.
An der ersten Gebärklinik zu Wien wurde im October 1847 durch einen verjauchenden Medullarkrebs der Gebärmut - ter das Kindbettfieber hervorgebracht, im November 1847 durch die Exhalationen eines cariösen Kniegelenkes. In der Gebärabtheilung des St. Rochus-Spitals zu Pest waren es die heterogensten chirurgischen Krankheiten, deren jauchige Pro - ducte das Kindbettfieber hervorgebracht haben.
Die Quelle, woher der zersetzte thierisch-organische Stoff genommen wird, welcher von aussen den Individuen bei - gebracht, das Kindbettfieber erzeugt, sind alle physiologi - schen thierisch-organischen Gebilde, welche den vitalen Ge - setzen entzogen, einen gewissen Zersetzungsgrad eingegan - gen sind; nicht das was selbe darstellen, sondern der Grad der Fäulniss kommt in Betracht.
Im Schuljahre 1856 / 7 und 1857 / 8 war an der geburts - hilflichen Klinik der Pester medicinischen Facultät physiolo - gisches Blut und normaler Wochenfluss das aetiologische Mo - ment des Kindbettfiebers dadurch, dass selbe, längere Zeit an den Leintüchern klebend, eine Zersetzung eingingen.
Der Träger der zersetzten thierisch-organischen Stoffe ist der untersuchende Finger, die operirende Hand, Instru - mente, Bettwäsche, die atmosphärische Luft, Schwämme, die Hände der Hebammen und Wärterinnen, welche mit den de - comprimirten Excrementen schwer erkrankter Wöchnerinnen oder anderer Kranken und hierauf wieder mit Kreissenden104 und Neuentbundenen in Berührung kommen, Leibschüsseln, mit einem Worte Träger des zersetzten thierisch-organischen Stoffes ist alles das, was mit einem zersetzten thierisch-orga - nischen Stoffe verunreinigt ist, und mit den Genitalien der Individuen in Berührung kommt.
Die Stelle, wo der zersetzte thierisch-organische Stoff resorbirt wird, ist die innere Fläche des Uterus vom inneren Muttermunde angefangen nach aufwärts. Die innere Fläche des Uterus vom inneren Muttermunde angefangen nach auf - wärts ist in Folge der Schwangerschaft der Schleimhaut be - raubt und stellt so eine ungemein resorbtionsfähige Fläche dar.
Die übrigen Partien der Genitalien, welche von Schleim - haut ausgekleidet sind, resorbiren im unverletzten Zustande wegen der dicken Schichte des Epithelium nicht, durch Wundwerden kann jede Stelle der Genitalien zur Resorbtions - stelle werden.
Was die Zeit der Infection anbelangt, so geschieht selbe während der Schwangerschaft wegen dem Geschlossensein des inneren Muttermundes und wegen der dadurch bedingten Un - zugänglichkeit der resorbirenden innern Fläche des Uterus selten.
In Fällen, wo der innere Muttermund schon während der Schwangerschaft geöffnet ist, in Folge dessen die innere resor - birende Fläche des Uterus zugängig wird, kann die Infection von aussen schon während der Schwangerschaft entstehen; in der Schwangerschaft geschieht die Infection von aussen auch deshalb selten, weil trotz des offenen innern Muttermundes die Aufforderung mit dem untersuchenden Finger bis dorthin vor - zudringen eine seltenere ist. Ich habe es zwar verabsäumt, Notate zu sammeln, wie oft im Jahre an der ersten Gebär - klinik zu Wien das Kindbettfieber während der Schwanger - schaft entstand, ich glaube aber der Wahrheit nahe zu sein, wenn ich die Zahl 20 annehme. Durch das Kindbettfieber wurde die Schwangerschaft immer unterbrochen, eine Einzige105 starb während der Schwangerschaft am Kindbettfieber, sie wurde von mir mittelst des Kaiserschnittes post mortum zur Rettung des Kindes entbunden.
Die Zeit, innerhalb welcher am häufigsten die Infection geschieht, ist die Eröffnungsperiode, weil da nicht blos die innere Fläche des Uterus zugängig ist, sondern auch die Auf - forderung, mit dem untersuchenden Finger bis dahin vorzu - dringen, behufs der Ermittlung der Kindeslage, der Stellung des Kindes, die häufigste ist.
Beweis dessen sind in der Zeit vor den Chlorwaschungen diejenigen, bei welchen die Eröffnungsperiode zögernd verlief, beinahe ausnahmslos sämmtlich am Kindbettfieber gestorben.
In der Austreibungsperiode wird durch den vorrücken - den Kindestheil die innere Fläche des Uterus unzugängig ge - macht, in der Austreibungsperiode dürfte daher die Infection am seltensten geschehen.
In der Nachgeburtsperiode und im Wochenbette wird die innere Fläche des Uterus wieder zugängig, und in diesen Zeit - räumen ist es vorzüglich die in die Genitalien eindringende atmosphärische Luft, welche die Infection ermittelt, wenn selbe mit zersetzten thierisch-organischen Stoffen geschwän - gert ist.
Im November 1847 war die Luft eines Wochenzimmers der ersten Gebärklinik zu Wien mit den Exhalationen eines cariösen Kniegelenkes geschwängert, die so geschwängerte atmosphärische Luft drang in die klaffenden Genitalien der Wöchnerinnen und erzeugte das Kindbettfieber.
In der Nachgeburtsperiode und im Wochenbette kann die Infection auch dadurch vermittelt werden, dass die Wundflä - chen der durch den Durchtritt des Kindes verletzten Genita - lien mit Bettgeräthen in Berührung kommen, welche mit zer - setzten thierisch-organischen Stoffen verunreinigt sind.
Auf diese Weise ist in dem Schuljahre 1856 / 7 und 1857 / 8 an der geburtshilflichen Klinik zu Pest durch unreine Leintü - cher das Kindbettfieber entstanden.
106Der zersetzte thierisch-organische Stoff, welcher resor - birt das Kindbettfieber hervorbringt, wird in seltenen Fällen den Individuen nicht von aussen beigebracht, sondern er ent - steht innerhalb der Grenzen des betroffenen Individuums da - durch, dass organische Theile, welche im Wochenbette aus - geschieden werden sollen, vor ihrer Ausscheidung eine Zer - setzung eingehen, und dann, wenn resorbirt, das Kindbett - fieber durch Selbstinfection hervorrufen. Diese organischen Theile sind der Wochenfluss selbst, Decidua-Reste, Blutcoa - gula, welche in der Gebärmutterhöhle zurückgehalten wer - den etc. etc. Oder der zersetzte thierisch-organische Stoff ist Product eines pathologischen Processes, z. B. in Folge einer forcirten Zangenoperation werden in Folge der Quetschung Partien der Geschlechtstheile gangränös, die gangränösen Theile aber, wenn resorbirt, erzeugen das Kindbettfieber durch Selbstinfection.
Wenn wir das Kindbettfieber für ein Resorbtionsfieber erklären, welches bedingt ist durch die Aufnahme eines zer - setzten thierisch-organischen Stoffes, wo in Folge der Re - sorbtion eine Blutentmischung eintritt, und in Folge der Blut - entmischung die Exsudationen, so ist das Kindbettfieber keine der Wöchnerin eigenthümlich und ausschliesslich zukommende Krankheit, weil in Folge der Resorbtion eines zersetzten thie - risch-organischen Stoffes diese Krankheit in der Schwanger - schaft, während der Geburt entstehen kann; wir haben diese Krankheit als mitgetheilte bei den Neugebornen, und zwar ohne Unterschied ob Knabe oder Mädchen, gefunden. Diese Krankheit haben wir bei Kolletschka angetroffen, wir fin - den selbe in Folge von Resorbtion eines zersetzten thierisch - organischen Stoffes bei Anatomen, Chirurgen, bei Operirten an chirurgischen Abtheilungen etc.
Das Kindbettfieber ist demnach keine Krankheitsspecies, das Kindbettfieber ist eine Varietät der Pyaemie.
Mit dem Ausdrucke Pyaemie werden verschiedene Be - griffe verbunden, es ist deshalb nöthig zu erklären, was ich107 unter Pyaemie verstehe. Ich verstehe unter Pyaemie das durch den zersetzten thierisch-organischen Stoff entmischte Blut.
Eine Varietät der Pyaemie nenne ich das Kindbettfieber deshalb, weil bei der Pyaemie der Schwangern, Kreissenden und Wöchnerinnen Formen in der Genitalsphäre vorkommen, welche bei Nichtschwangeren, Nichtkreissenden, Nichtwöch - nerinnen nicht vorkommen; der Anatom, der Chirurg, wel - cher an Pyaemie stirbt, kann keine Endometritis bekom - men etc. etc.
Das Kindbettfieber ist keine contagiöse Krankheit. Un - ter einer contagiösen Krankheit versteht man diejenige, die das Contagium, durch welches es fortgepflanzt wird, selbst er - zeugt, und dieses Contagium bringt in einem anderen Indivi - duum nur wieder dieselbe Krankheit hervor. Blattern sind eine contagiöse Krankheit, weil Blattern das Contagium er - zeugen, durch welches in einem anderen Individuum wieder Blattern erzeugt werden. Blattern bringen bei einem anderen Individuum nur wieder Blattern und keine andere Krankheit hervor. Scharlach kann man z. B. von einem Blatternkranken nicht bekommen; so wie umgekehrt eine andere Krankheit nie Blattern hervorbringen kann; z. B. ein Scharlachkranker kann bei anderen Individuen keine Blattern hervorbringen.
Nicht so verhält sich die Sache beim Kindbettfieber; die - ses Fieber kann bei einer gesunden Wöchnerin hervorge - rufen werden durch Krankheiten, welche nicht Kindbettfieber sind; so sahen wir dieses Fieber an der ersten Gebärkli - nik zu Wien entstehen durch einen verjauchenden Medullar - krebs der Gebärmutter, eben so durch die Exhalationen eines cadaverösen Kniegelenkes; wir sahen das Kindbettfieber an der ersten Gebärklinik entstehen durch Cadavertheile, welche von den heterogensten Leichen herrührten. Wir sahen das Kindbettfieber in der Gebärabtheilung des St. Rochus-Spitals entstehen durch zersetzte Stoffe, welche von einer chirurgi - schen Abtheilung herrührten etc. etc.
Das Kindbettfieber kann aber von einer am Kindbettfie -108 ber erkrankten Wöchnerin auf eine gesunde nicht übertragen werden, wenn nicht ein zersetzter thierisch-organischer Stoff übertragen wird. Z. B.: Eine Wöchnerin ist an heftigem Puerperalfieber erkrankt; wenn das Puerperalfieber unter For - men verläuft, welche nicht mit Erzeugung eines zersetzten Stoffes nach aussen einherschreitet, so ist dieses Kindbettfie - ber auf eine gesunde Wöchnerin nicht übertragbar; wenn aber das Kindbettfieber unter Formen verläuft, welche mit Erzeu - gung eines zersetzten Stoffes nach aussen einherschreitet, so ist dieses Kindbettfieber auf eine gesunde Wöchnerin über - tragbar; z. B. eine Wöchnerin ist am Puerperalfieber erkrankt, es ist septische Endometritis, es sind verjauchende Metasta - sen vorhanden, von dieser Wöchnerin ist das Kindbettfieber auf gesunde übertragbar.
Daraus ist es zu erklären, warum der Streit, ob das Kind - bettfieber contagiös sei oder nicht, nie zur endgiltigen Ent - scheidung gebracht werden konnte, weil die Contagionisten Fälle anführen konnten, wo die Verpflanzung des Kindbettfie - bers von einer kranken Wöchnerin auf eine gesunde nicht geläugnet werden konnte. Und die Gegner der Contagiosität konnten eben so Fälle anführen, in denen die Verpflanzung des Kindbettfiebers unter Umständen nicht geschehen ist, wo es doch hätte geschehen müssen, falls das Kindbettfieber eine contagiöse Krankheit gewesen wäre.
Das Kindbettfieber ist keine contagiöse Krankheit, aber das Kindbettfieber ist eine von einer kranken Wöchnerin auf eine gesunde Wöchnerin übertragbare Krankheit durch Ver - mittlung eines zersetzten thierisch-organischen Stoffes.
Nach dem Tode ist jede Leiche einer Puerpera eine Quelle des zersetzten Stoffes, welcher das Kindbettfieber hervorruft, es kommt bei der Leiche einer Puerpera wie bei allen übrigen Leichen nur der Fäulnissgrad in Betracht.
Wenn wir die Behauptung aufstellen, dass in der über - wiegend grössten Mehrzahl der Fälle das Kindbettfieber durch eine Infection von aussen entstehe, und dass diese Fälle109 verhütet werden können, und dass nur in der Minderzahl der Fälle das Kindbettfieber durch unverhütbare Selbstinfection entstehe, so entsteht nun die Frage, wenn alle Todesfälle ab - gerechnet werden, welche im Wochenbette sich ereignen, aber nicht durch das Kindbettfieber bedingt waren, und wenn in Folge getroffener Massregeln alle Fälle von Infection von aus - sen verhütet werden, wie viele Wöchnerinnen werden dann noch immer in Folge von Selbstinfection sterben?
Auf diese Frage kann ich bis jetzt mit Zahlen deshalb nicht antworten, weil die drei Anstalten, in welchen ich meine Beobachtungen gemacht, nicht den Anforderungen entspre - chen, welche wir in der Prophylaxis des Kindbettfiebers an ein Gebärhaus stellen werden, soll es gelingen, sämmtliche Fälle von Infection von aussen zu verhüten. Oder mit andern Worten: die drei Gebärhäuser, in welchen ich meine Beob - achtungen gemacht, sind derart beschaffen, dass es nicht mög - lich war, immer alle Fälle von Infection von aussen zu ver - hüten.
Das Gesuch, welches ich früher theilweise mitgetheilt, hat den Zweck, mir zu einem neuen Gebärhause zu verhelfen, welches der Anforderung entspricht, die ich später in der Prophylaxis des Kindbettfiebers an ein Gebärhaus stellen werde, wenn es gelingen soll, sämmtliche Fälle von Infection von aussen zu verhüten.
Falls meinem Gesuche Folge gegeben wird, und ich durch eine längere Reihe von Jahren in einem derart beschaf - fenen Gebärhause werde Beobachtungen angestellt haben, wird es mir möglich sein, die Zahl der Fälle von unverhütba - rer Selbstinfection zu bestimmen. Sollte aber meinem Ge - suche keine Folge gegeben werden, und sollte ich in meinen gegenwärtigen Localitäten, welche jeder Sanitätsvorschrift Hohn sprechen, verbleiben müssen, so muss ich auf die Er - mittlung dieser Zahl verzichten, und es einem Collegen über - lassen, der, glücklicher als ich, ein Gebärhaus leitet, wel -110 ches den Anforderungen der Prophylaxis des Kindbettfiebers entspricht.
Für jetzt glaube ich als Massstab für die Zahl der vor - kommenden Fälle von unverhütbarer Selbstinfection die Rap - porte des Wiener Gebärhauses gelten zu lassen aus jener Zeit, in welcher die Medicin in Wien noch der anatomischen Grund - lage entbehrte.
Im vorigen Jahrhundert und in den ersten Decennien des gegenwärtigen Jahrhunderts kommen 25 Jahre vor, in wel - chen auch nicht eine Wöchnerin von 100 Wöchnerinnen starb. Siehe
Tabelle Nr. XVIII.
Aus diesen Rapporten ersieht der Leser, dass zur Zeit, als die Medicin in Wien noch der anatomischen Grundlage entbehrte, innerhalb zwei Jahren eine Wöchnerin von 400 Wöchnerinnen starb. Innerhalb zwei Jahren starb eine Wöch - nerin von 300 Wöchnerinnen. Innerhalb acht Jahren starb eine Wöchnerin von 200 Wöchnerinnen und innerhalb 13 Jahren starb nicht eine Wöchnerin von 100 Wöchnerinnen.
Gestützt auf diese Rapporte können wir daher die Frage, wie viele Wöchnerinnen werden immer in Folge unverhütba - rer Selbstinfection sterben? dahin beantworten, dass in Folge unverhütbarer Selbstinfection nicht eine Wöchnerin von 100 Wöchnerinnen stirbt.
Diese so geringe Sterblichkeit, welche die Rapporte des Wiener Gebärhauses ausweisen, ist vielleicht noch nicht die möglichst kleinste, weil möglicherweise von den verstorbenen Wöchnerinnen einzelne nicht am Kindbettfieber, sondern an einer andern Krankheit starben, und es konnten ja auch da - mals Fälle von Infection von aussen dadurch entstehen, dass durch das Personal des Gebärhauses die Jauche von einer kranken Wöchnerin auf gesunde übertragen wurde. Dass das wirklich geschehen ist, beweisen ebenfalls die Rapporte des Wiener Gebärhauses aus der Zeit, wo die Medicin in Wien noch der anatomischen Grundlage entbehrte, weil auch da - mals die Sterblichkeit bis auf vier von 100 stieg.
Das Wiener Gebärhaus wurde eröffnet 1784 innerhalb 39 Jahre, nämlich bis zum Jahre 1823, kommen 25 Jahre vor, innerhalb welchen auch nicht eine Wöchnerin von hundert ge - storben ist. Innerhalb sieben Jahren ist eine Wöchnerin von hundert gestorben, innerhalb fünf Jahren sind zwei von hun - dert gestorben, innerhalb eines Jahres, nämlich 1814, sind drei von hundert gestorben, und innerhalb eines Jahres, näm - lich 1819, sind vier von hundert gestorben.
Wenn wir die 25 Jahre, innerhalb welchen auch nicht eine Wöchnerin von hundert im Wiener Gebärhause gestor - ben ist, als Massstab für die Zahl der Fälle von Selbstinfec -112 tion annehmen, eingedenk der beiden oben angeführten Be - denken, dass auch diese Zahl möglicherweise noch Fälle von Infection von aussen in sich schliesse, und wenn wir diesen Massstab an die Resultate anlegen, welche wir durch unsere Massregeln zur Verhütung des Puerperalfiebers an drei ver - schiedenen Anstalten, welche sämmtlich vom Puerperalfieber in hohem Grade heimgesucht waren, erzielten; so zeigt sich, dass es nicht immer gelungen ist, die Zahl der Erkrankungen auf die Fälle von unverhütbarer Selbstinfection zu beschrän - ken, sondern dass zeitweise Fälle von Infection von aussen vorkommen.
In den letzten sieben Monaten des Jahres 1847 starben trotz der Chlorwaschungen von 1841 Wöchnerinnen 56, also 3.04 Percent-Antheile.
Im Jahre 1848, wo das ganze Jahr hindurch die Chlor - waschungen geübt wurden, starben von 3780 Wöchnerinnen 45, also 1.19 Percent-Antheile.
Im Jänner und Februar 1849 starben von 801 Wöchne - rinnen 21, also 2.62 Percent-Antheile.
Wenn wir aber die einzelnen Monate berücksichtigen, so ist es nur während sieben Monaten des Jahres 1848 gelungen, die Todesfälle auf die Fälle von Selbstinfection zu beschrän - ken, indem im März 1848 von 276 und im August 1848 von 261 Wöchnerinnen keine einzige starb, während fünf Mona - ten starb nicht eine Wöchnerin von hundert.
Die Ursache, dass es nicht immer gelungen ist, an der ersten Gebärklinik zu Wien die Todesfälle auf die Fälle von Selbstinfection zu beschränken, liegt darin, dass die erste Ge - bärklinik durchaus nicht so beschaffen ist, wie wir es in der Prophylaxis des Kindbettfiebers von einem Gebärhause ver -113 langen werden, soll es gelingen, die Todesfälle auf die unver - hütbaren Fälle von Selbstinfection zu beschränken. Nebstdem waren wir selbst in der ersten Zeit unserer neuen Ueberzeu - gungen noch so unbewandert, dass wir uns im Monate Octo - ber 1847 nach der Untersuchung eines verjauchenden Medul - larkrebses der Gebärmutter nicht in einer Chlorkalklösung wuschen. Wir waren in der ersten Zeit unserer neuen Ueber - zeugungen noch so unbewandert, dass wir im Monate Novem - ber 1847 die Wöchnerin mit einem verjauchenden cariösen Knie nicht von den übrigen Wöchnerinnen absonderten, da - durch haben wir zahlreiche Fälle von Infection von aussen veranlasst, wie wir dies am entsprechenden Orte erzählt.
Im St. Rochus-Spitale zu Pest haben wir innerhalb sechs Jahren von 933 Wöchnerinnen acht Wöchnerinnen am Kind - bettfieber verloren. Diese acht Todesfälle sind nicht blos Fälle von Selbstinfection; von einem Falle ist es constatirt, dass ihn ein chirurgischer Secundarius nach der Section eines verstor - benen Mannes veranlasste, und dass unter den sieben übrigen vielleicht auch noch ein oder der andere Fall von Infection von aussen sein könne, wird der Leser glaubwürdig finden, wenn ich ihm nochmals erinnere, dass sämmtliche sechs Fen - ster des Gebärhauses in den Leichenhof münden, und durch Luftströmungen in der Richtung zu den Fenstern des Gebär - hauses leicht in die Zimmer des Gebärhauses zersetzte Stoffe des Leichenhofes gelangen konnten, welche, in die Genitalien der Wöchnerinnen dringend, das Kindbettfieber hervorbrin - gen konnten.
An der geburtshilflichen Klinik zu Pest verlor ich im er - sten Jahre meiner Wirksamkeit von 514 Wöchnerinnen zwei am Kindbettfieber. Im zweiten Jahre von 551 Wöchnerinnen 16 am Kindbettfieber. Im dritten Jahre von 449 Wöchnerinnen 18 am Kindbettfieber. Die grössere Sterblichkeit der beiden Jahre waren Infectionsfälle von aussen, bedingt durch un - reine Leintücher.
Semmelweis, Kindbettfieber. 8Wir haben bei Bestimmung des Begriffes des Kindbett - fiebers unsere Ueberzeugung dahin ausgesprochen, dass jedes Kindbettfieber, keinen einzigen Fall von Kindbettfieber aus - genommen, durch die Resorbtion eines zersetzten thierisch - organischen Stoffes entstehe. Wir haben behauptet, dass die - ser zersetzte thierisch-organische Stoff, welcher resorbirt das Kindbettfieber hervorbringt, in der Mehrzahl der Fälle den Individuen von aussen beigebracht werde, und dass nur in der Minderzahl der Fälle der zersetzte thierisch-organische Stoff. welcher resorbirt das Kindbettfieber hervorbringt, innerhalb der Grenzen des ergriffenen Individuums entstehe.
Für uns ist daher nur dasjenige ein aetiologisches Mo - ment des Kindbettfiebers, welches einen zersetzten thierisch - organischen Stoff den Individuen von aussen beibringt; für uns ist daher nur dasjenige ein aetiologisches Moment des Kindbettfiebers, welches einen zersetzten thierisch-organi - schen Stoff in den Individuen entstehen macht.
Wir haben früher die bisher giltige Aetiologie des Kind - bettfiebers in ihrer Anwendung zur Erklärung des Plus der Sterblichkeit an der ersten Gebärklinik zu Wien im Ver - gleiche zur zweiten einer Prüfung unterzogen.
Hier ist der Ort, die bisher giltige Aetiologie des Kind - bettfiebers einer Prüfung zu unterziehen, in wie ferne selbe den Individuen einen zersetzten thierisch-organischen Stoff von aussen beibringt; hier ist der Ort, die bisher giltige Aetio -115 logie des Kindbettfiebers einer Prüfung zu unterziehen, in wie ferne selbe in den Individuen einen zersetzten thierisch-orga - nischen Stoff entstehen macht.
Wir werden von der bisher giltigen Aetiologie des Kind - bettfiebers nur dasjenige als aetiologisches Moment des Kind - bettfiebers gelten lassen, was den Individuen einen zersetzten thierisch-organischen Stoff von aussen beibringt; wir werden von der bisher giltigen Aetiologie des Kindbettfiebers nur das - jenige als aetiologisches Moment des Kindbettfiebers gelten lassen, welches in den Individuen ein zersetzter thierisch - organischer Stoff entstehen macht.
Alles dasjenige der bisher giltigen Aetiologie des Kind - bettfiebers, was weder den Individuen von aussen einen zer - setzten thierisch-organischen Stoff beibringt, noch einen zer - setzten thierisch-organischen Stoff in den Individuen erzeugt, alles dasjenige der bisher giltigen Aetiologie des Kindbettfie - bers werden wir nicht als aetiologisches Moment des Kind - bettfiebers anerkennen.
Es ist heute die verbreitetste Ueberzeugung der Aerzte, dass das Kindbettfieber in einer Blutentmischung bestehe, und dass die anatomischen Producte des Kindbettfiebers nur Aus - scheidungen des entmischten Blutes seien. Diese Ueberzeu - gung theile auch ich.
Als Ursachen, welche diese Blutentmischung veranlas - sen, werden epidemische, endemische Einflüsse, Gemüths - affecte, Diätfehler, Erkältung etc. etc. beschuldigt.
Meine Ueberzeugung ist, dass die Blutentmischung, kei - nen einzigen Fall ausgenommen, bedingt wird durch die Re - sorbtion eines zersetzten thierisch-organischen Stoffes, wel - cher den Individuen entweder von aussen beigebracht wird, Infectionsfälle von aussen, oder welcher in dem ergriffenen In - dividuum entstanden ist, Fälle von Selbstinfection. Mit dieser Ueberzeugung ausgerüstet, wollen wir nun zur Beurtheilung der bisher giltigen Aetiologie des Kindbettfiebers schreiten.
Wir werden nur das als aetiologisches Moment des Kind -8 *116bettfiebers gelten lassen, was den Individuen entweder einen zersetzten thierisch-organischen Stoff von aussen beibringt, oder was in dem Individuum einen zersetzten thierisch-orga - nischen Stoff entstehen macht, welcher, wenn resorbirt, die Blutentmischung bei den Individuen hervorruft.
Wir wollen mit den epidemischen Einflüssen beginnen, und sprechen unsere unerschütterliche Ueberzeugung dahin aus, dass es keine epidemischen Einflüsse gibt, welche das Kindbettfieber hervorzubringen im Stande wären, und dass es nie epidemische Ursachen des Kindbettfiebers gegeben hat, und dass die endlose Reihe der Epidemien, wie solche in der medicinischen Literatur aufgezählt werden, sämmtlich ver - hütbare Infectionsfälle von aussen waren, d. h. sämmtliche Er - krankungen dadurch entstanden, dass den Individuen ein zer - setzter thierisch-organischer Stoff von aussen eingebracht wurde.
Die Gründe, welche mir den Muth geben, einer so viele Jahrhunderte alten Ueberzeugung zu widersprechen, sind folgende:
Allen Gründen voran steht als unerschütterlicher Fels, auf welchem ich das Gebäude meiner Lehre über das Kind - bettfieber aufgebaut, das Factum, dass es mir durch meine Massregeln gelungen ist, vom Mai 1847 angefangen bis zum heutigen Tage, den 19. April 1859, also durch zwölf Jahre, an drei verschiedenen Anstalten, welche früher alljährlich von furchtbaren sogenannten Kindbettfieber-Epidemien heimge - sucht waren, das Kindbettfieber in dem Grade auf einzelne Fälle zu beschränken, dass selbst der hartnäckigste Verthei - diger des epidemischen Kindbettfiebers dies keine Epidemie nennen kann. Und wenn ja manchmal die Zahl der Todesfälle sich mehrte, so konnte nachgewiesen werden, dass die zahl - reicheren Todesfälle nicht durch epidemische, d. h. atmosphä - rische, cosmische, tellurische Einflüsse bedingt waren, son - dern immer war es ein zersetzter thierisch-organischer Stoff,117 welcher trotz meinen Massregeln den Individuen beigebracht wurde.
Ein durch atmosphärische, cosmisch-tellurische Einflüsse bedingtes Puerperalfieber ist unverhütbar, hinter diese Unver - hütbarkeit verschanzen sich die Epidemiker, um jeder Ver - antwortung wegen den Verheerungen des Kindbettfiebers überhoben zu sein. Und ich selbst bekenne meine Ohnmacht atmosphärisch-cosmisch-tellurischen Einflüssen gegenüber, ich weiss nicht, was zu thun, um die verderblichen Wirkungen der atmosphärisch-cosmisch-tellurischen Einflüsse von den Wöchnerinnen fern zu halten.
Wenn es mir dennoch gelungen ist, die für unverhütbar gehaltene Krankheit zu verhüten, so ist der Beweis geliefert, dass diese Krankheit nicht durch unverhütbare atmosphärisch - cosmisch-tellurische Einflüsse bedingt war, dadurch ist der Beweis geliefert, dass die Krankheit durch eine entfernbare Ursache bedingt war, und diese entfernbare Ursache ist ein zersetzter thierisch-organischer Stoff.
Für mich ist die grosse Sterblichkeit, auf welche die Epi - demiker deuten, um die Existenz der epidemischen Einflüsse zu beweisen, kein Beweis, dass es epidemische Einflüsse gibt, weil ich sage, nicht epidemische Einflüsse haben diese Sterb - lichkeit veranlasst, sondern zersetzte thierisch-organische Stoffe waren es, die ihr nicht von den Individuen fern hieltet, welche diese Sterblichkeit veranlassten; aber die kleine Sterb - lichkeit an den Anstalten, an welchen ich wirke, muss ein Beweis für die Epidemiker sein, dass es keine epidemischen Einflüsse gibt, weil ich den Epidemikern hier nochmals er - kläre, dass ich das Geheimniss nicht enträthselt habe, wie die epidemischen Einflüsse unschädlich zu machen seien, und dass ich die geringe Sterblichkeit, wie ich selbe eben durch zwölf Jahre an drei verschiedenen Anstalten, welche früher alljähr - lich von sogenannten Kindbettfieber-Epidemien heimgesucht waren, eben nur dadurch erzielte, dass mein Streben da - hin ging, zersetzte thierisch-organische Stoffe von den mei -118 ner Pflege anvertrauten Individuen fern zu halten, und nicht dadurch, dass es mir gelungen wäre, die epidemischen Ein - flüsse unschädlich zu machen.
Ich habe schon früher darauf hingedeutet, dass das Er - kranken und Sterben vieler Individuen, an derselben Krank - heit, in einer bestimmten Zeit nicht den Begriff der Epide - mie gibt; denn sonst wäre eine jede Schlacht eine Epidemie, in einer jeden Schlacht erkranken und sterben ja auch viele Individuen, an derselben Krankheit, in einer bestimmten Zeit. Den Begriff der Epidemie geben die Ursachen, welche, unab - hängig von der Zahl, das Kindbettfieber hervorgebracht ha - ben, und nur dasjenige Kindbettfieber wäre ein epidemisches, welches durch atmosphärisch-cosmisch-tellurische Einflüsse bedingt wird.
Nach Vorausschickung dieses wichtigsten aller Gründe, wollen wir nun den früher gewählten Massstab an die epide - mischen Einflüsse anlegen.
Dass durch epidemische Einflüsse der Individuen kein zer - setzter thierisch-organischer Stoff von aussen eingebracht wird, ist an und für sich klar und benöthigt keines Beweises.
Aber es ist denkbar, dass es atmosphärisch-cosmisch - tellurische Einflüsse gebe, welche machen, dass in einer be - stimmten Zeit in vielen Individuen ein zersetzter thierisch - organischer Stoff entstehe, welcher dann resorbirt durch Selbst - infection das Kindbettfieber hervorbringe und ein derart ent - standenes Kindbettfieber wäre allerdings ein epidemisches.
Dass dieses, was wir für denkbar halten, in der Wirk - lichkeit sich aber nicht zutrage, dafür sprechen folgende Gründe:
Wenn das Kindbettfieber durch epidemische Einflüsse erzeugt werden könnte, so müsse selbes, wie wir dies auch bei anderen epidemischen Krankeiten sahen, an eine be - stimmte Jahreszeit gebunden sein, weil es nicht denkbar ist, dass entgegengesetzte atmosphärische Einflüsse dieselbe Wir - kung haben sollten.
119Mit Tabelle Nr. II. (Seite 9) haben wir aber bewiesen, dass das Kindbettfieber an keine Jahreszeit gebunden ist, indem das Kindbettfieber in jedem Monate des Jahres in grosser und eben so in jedem Monate des Jahres in geringer Anzahl vor - kommt.
Wenn wir aber zu dem Zeitraume, welchen die Ta - belle Nr. II. repräsentirt, noch die 21 Monate hinzufügen, während welchen unter meiner Beaufsichtigung die Chlorwa - schungen an der ersten Gebärklinik zu Wien geübt wurden, nämlich vom Juni 1847 angefangen bis inclusive Februar 1849, so zeigen sich noch deutlicher die enormen Schwankungen in der Grösse der Sterblichkeit in jedem einzelnen Monate des Jahres, oder mit andern Worten: es zeigt sich noch deutlicher, dass die Sterblichkeit unabhängig war von den Jahreszeiten, wie Tabelle Nr. XIX. zeigt.
120Tabelle Nr. XIX.
Es ist die vorherrschende Ansicht, dass der Winter die - jenige Jahreszeit sei, welche vorzüglich den Ausbruch des Kindbettfiebers begünstige, und in der That, wenn wir die Tabellen Nr. IX. und X. (Seite 21 und 24) betrachten, so zeigt sich, dass in den Wintermonaten wirklich häufiger ein ungünstiger Gesundheitszustand unter den Wöchnerinnen herrschte und seltener ein günstiger, während in den Som - mermonaten häufiger ein günstiger und seltener ein ungünsti - ger Gesundheitszustand der Wöchnerinnen zu beobachten war.
Aber diese Erscheinung ist nicht durch atmosphärische Einflüsse des Winters zu erklären, denn sonst könnte ja das Kindbettfieber im Sommer nie in grösserer Ausdehnung vor - kommen.
Diese Erscheinung ist zu erklären durch die verschiedene Art der Beschäftigungen derjenigen, die das Gebärhaus be - suchen, welche Beschäftigungen durch die Jahreszeit be - dingt sind.
Nach den grossen Ferien in den Monaten August und September gehen die Schüler mit frischem Eifer an ihre Stu - dien, folglich auch an das Studium der Geburtshilfe, und in den Wintermonaten ist der Andrang der Schüler in das Ge - bärhaus so gross, dass der Einzelne oft Wochen ja Monate lang warten muss, bis die Reihe der Aufnahme ihn trifft, wäh - rend in den Sommermonaten oft die Hälfte, ja in den Ferial - monaten oft zwei Dritttheile der Plätze unbesetzt sind; in den Wintermonaten werden die pathologischen und gerichtli - chen Sectionen; die medicinischen und chirurgischen Abthei - lungen des k. k. allgemeinen Krankenhauses auch von den im Gebärhause Beschäftigten sehr fleissig besucht. Im Sommer lässt der Fleiss bedeutend nach; die reizenden Umgebungen Wiens üben eine grössere Anziehungskraft aus, als die stin - kende Todtenkammer oder die schwülen Räume des Kranken - hauses. Im Winter hält der Assistent der Geburtshilfe die praktischen Operationsübungen am Cadaver vor der um vier Uhr zu haltenden Nachmittagsvisite, weil Vormittag die Schü -122 ler anderweitig beschäftigt sind, und nach der Nachmittags - visite um fünf Uhr es schon zu finster ist. Im Sommer ist die Hitze vor der Nachmittagsvisite noch zu drückend, im Sommer werden die Operationsübungen am Cadaver in den Abend - stunden nach der Nachmittagsvisite gemacht. Ist es für die zu Untersuchenden gleichgiltig, ob die Schüler sich nach der Vi - site mit Cadavern beschäftigen oder ob selbe vom Cadaver her zur Visite kommen?
Das sind zum Theile die Einflüsse, welche durch die Jah - reszeit bedingt sind, nur in diesen Verhältnissen liegt die Ur - sache, warum im Winter häufiger ein ungünstiger und im Sommer häufiger ein günstiger Gesundheitszustand unter den Wöchnerinnen der ersten Gebärabtheilung zu beobachten war. Wenn es wirklich die atmosphärischen Einflüsse des Winters gewesen wären, welche den häufigen ungünstigen Gesundheitszustand der Wöchnerinnen im Winter hervorge - bracht haben, so erlaube ich mir die Frage, ob denn Wien durch 25 Jahre keinen Winter gehabt hat? indem im Wiener Gebärhause durch 25 Jahre keine Epidemie war, weil im Wiener Gebärhause durch 25 Jahre nicht eine Wöchnerin von hundert gestorben ist. Siehe Tabelle Nr. XVII. (Seite 62).
Haben sich die atmosphärischen Einflüsse der beiden Winter in Wien der Jahre 1847 / 8 und 1848 / 9 in Folge der Chlorwaschungen geändert? Weil wir in Folge der Chlorwa - schungen in diesen beiden Wintern keine Epidemie hatten.
Haben sich die atmosphärischen Einflüsse der vier Win - ter zu Pest geändert, in Folge der Chlorwaschungen, welche ich durch vier Winter an der Pester medicinischen Facultät beaufsichtige? Weil wir durch vier Winter kein epidemisches Kindbettfieber hatten. Die grössere Sterblichkeit zweier Win - ter war bedingt durch Leintücher, welche mit zersetztem Blute und zersetztem Lochialflusse verunreiniget waren.
Das Gebärhaus des St. Rochus-Spitals war nie im Win - ter Gebärhaus, sondern nur durch zwei Monate im Jahre, näm - lich in den Monaten August und September, und doch war es123 alljährlich in hohem Grade vom Kindbettfieber heimgesucht, so lange es ein Anhängsel einer chirurgischen Abtheilung war.
So wie das Kindbettfieber an eine gewisse Jahreszeit ge - bunden sein müsste, wenn es durch atmosphärische Einflüsse bedingt wäre, eben so könnte das Kindbettfieber nur in, diesen Jahreszeiten entsprechenden Klimaten vorkommen. In der Wirklichkeit kommt aber in allen Klimaten das Kindbettfie - ber in grosser Anzahl vor. Es gibt aber in allen Klimaten Ge - bärhäuser, in welchen das Kindbettfieber in grosser Ausdeh - nung nicht vorkommt. Dieses Vorkommen und Nichtvorkom - men des Kindbettfiebers in grosser Anzahl in den verschiede - nen, in allen Klimaten zerstreut liegenden Gebärhäusern kann demnach nicht durch atmosphärische Einflüsse erklärt werden, sondern nur durch den zersetzten thierisch-organischen Stoff.
In jenen Gebärhäusern, welche in allen Klimaten zer - streut liegen, in welchen den Individuen von aussen ein zer - setzter thierisch-organischer Stoff beigebracht wird, in jenen Gebärhäusern kommt das Kindbettfieber in grosser Anzahl vor, was dann fälschlich eine Epidemie genannt wird.
In jenen, in allen Klimaten zerstreut liegenden Gebärhäu - sern, in welchen den Individuen von aussen kein zersetzter thierisch-organischer Stoff beigebracht wird, in jenen kommt das Kindbettfieber in grosser Anzahl nicht vor, diese Gebär - häuser sind von Epidemien verschont.
Den günstigsten Gesundheitszustand der Wöchnerinnen weisen demnach diejenigen Gebärhäuser aus, welche, ohne Rücksicht des Klimas, in dem sich selbe befinden, keine Un - terrichtsanstalten sind; der Grund warum, ist einleuchtend.
Eine Ausnahme machen diejenigen Gebärhäuser, welche keine Unterrichtsanstalten sind, aber in welchen dennoch den Individuen von aussen zersetzte thierisch-organische Stoffe beigebracht werden.
Hierher gehört das St. Rochus-Spital zu Pest, dessen Primarius zugleich chirurgischer Primarius war und Gerichts - anatom, nebstdem mangelte damals noch ein Prosector. Die124 Sectionen mussten von den betreffenden Abtheilungsärzten ge - macht werden.
Hieher gehört das Zahlgebärhaus oder die Abtheilung für Geheimgebärende zu Wien. Dieses Gebärhaus ist nicht nur keine Unterrichtsanstalt, ja es ist, um seinem Zwecke zu entsprechen, für alle nicht da angestellten Aerzte hermetisch geschlossen. Man könnte daher glauben, in diesem Gebär - hause können keine Infectionsfälle von aussen vorkommen, in diesem Gebärhause dürften nur Selbstinfectionsfälle sich er - eignen, in diesem Gebärhause dürfte daher nicht eine Wöch - nerin von hundert sterben. Aber ein Blick auf die Mortalitäts - verhältnisse dieses Gebärhauses belehrt uns eines Andern, wie Tabelle Nr. XX. zeigt.
Tabelle Nr. XX.
Uebersicht der Mortalitätsverhältnisse der Zahlabtheilung des Wiener Gebärhauses.
Diese Tabelle zeigt die Sterblichkeit kleiner, als selbe in Wirklichkeit war, weil es häufig geschieht, dass Wöchnerin - nen wenige Stunden oder Tage nach der Entbindung im ge - sunden und zuweilen auch im kranken Zustande austreten, um in ihren Privatwohnungen oder im Krankenhause aufgenom - men zu werden. Diese Tabelle zeigt den Gesundheitszustand der Wöchnerinnen der Zahlabtheilung ungünstiger, als selbst125 an der früher mit Recht so verrufenen ersten Gebärklinik, während der Zeit, als ich die Chlorwaschungen leitete.
Dieses Räthsel wird für den Leser kein Räthsel mehr sein, wenn ich ihn mit den Verhältnissen werde bekannt ge - macht haben.
Vorstände dieser Abtheilung waren Mikschik und Chiari. Der Leser, welcher mit der medicinischen Literatur vertraut ist, wird wissen, was diese beiden Aerzte geleistet. Das konnten sie aber nur dadurch leisten, dass sie sich mit Gegenständen beschäftigten, durch welche sie sich ihre Hände mit zersetzten Stoffen verunreinigen mussten; beide Aerzte waren zugleich Vorstände der gynaecologischen Abtheilung des allgemeinen Krankenhauses; wie gefährlich aber eine gy - naecologische Abtheilung für ein Gebärhaus werden kann, das hat der verjauchende Medullarkrebs des Uterus bewiesen, welcher im Monate October 1847 an der ersten Gebärklinik Verwüstungen angerichtet.
Im allgemeinen Krankenhause zu Wien werden alljähr - lich 600 bis 800 gerichtliche Sectionen vorgenommen, denen der Sitte gemäss abwechselnd wöchentlich einer der beiden jüngsten Primarien als legaler Zeuge beiwohnen muss. Als Mikschik zum Primarius ernannt wurde, war er natürlich der jüngste, und nach Mikschik’s Abgang war wieder Chiari der jüngste, beide mussten daher jede zweite Woche den gerichtlichen Sectionen beiwohnen.
Ist der ungünstige Gesundheitszustand der Wöchnerin - nen der Zahlabtheilung noch ein Räthsel?
Gebärhäuser, welche zugleich Unterrichtsanstalten sind, zeigen einen ungünstigeren Gesundheitszustand der in densel - ben verpflegten Wöchnerinnen in Vergleich zu Gebärhäusern, welche keine Unterrichtsanstalten sind.
Und unter den Unterrichtsanstalten zeigen wieder dieje - nigen, welche ausschliesslich zum Unterrichte für Hebammen bestimmt sind, günstigere Mortalitätsverhältnisse als diejeni -126 gen Unterrichtsanstalten, welche ausschliesslich dem Unter - richte für Aerzte bestimmt sind.
Der Grund dieser Mortalitätsverschiedenheit der Unter - richtsanstalten liegt darin, dass das Unterrichtssystem für Hebammen derart beschaffen ist, dass die Hebammen nicht in dieser Ausdehnung sich mit Dingen beschäftigen müssen, welche ihnen die Hände mit zersetzten Stoffen verunreinigen würden, während das Unterrichtssystem für Aerzte derart be - schaffen ist, dass sie viel häufiger sich ihre Hände mit zersetz - ten Stoffen verunreinigen.
Eine Ausnahme macht die Maternité in Paris, welche zwar ausschliesslich dem Unterrichte für Hebammen bestimmt ist, und dennoch eine so grosse Sterblichkeit hat, wie Dubois’ Klinik zu Paris, welche dem Unterrichte für Aerzte bestimmt ist, und von deren Lage Dr. Arneth sagt: » Zu bedauern ist die grosse Nähe der Sectionskammer des Spitals. « Dass die Sterblichkeit in der Maternité eben so gross ist, wie in Du - bois’ Klinik, zeigt Tabelle Nr. XXI.
127Tabelle Nr. XXI.
Maternité in Paris.
Dubois’ Klinik.
Aber in der Maternité ist das Unterrichtssystem so be - schaffen, dass sich Hebammen dort so häufig wie anderswo nur die Aerzte ihre Hände mit zersetzten Stoffen verun - reinigen.
Mein Gewährsmann für diese Behauptung ist Johann Friedr. Osiander.
In einem Werke, welches den Titel führt: » Bemerkungen über die französische Geburtshilfe, nebst einer ausführli - chen Beschreibung der Maternité in Paris. Hannover, bei den Brüdern Hahn. 1813 « sagt Osiander in der Vorrede, dass er vom Mai 1809 bis dahin 1810 in Paris war, dass er so glücklich war, Baudelocque’s Freundschaft zu geniessen, und dass er durch dessen Verwendung Zutritt zur Maternité erhielt.
Vom Unterrichtssysteme, welches in der Maternité herrscht, gibt er folgende Beschreibung:
Seite 33 sagt Osiander Folgendes: » Den täglichen Vi - siten, die der Arzt in der Infirmerie der Wöchnerinnen macht, wohnt die Hebamme des Hauses und ein Theil der Hebam - men-Schülerinnen bei. Jede Schülerin bekommt eine Kranke zur besonderen Beobachtung, und sie wird angehalten, eine kurze Krankengeschichte, den Hergang der Geburt und die Verordnungen des Arztes aufzusetzen. Diese Krankenge - schichten werden » Bulletins cliniques « genannt, und Herr Professor Chaussier gibt sich viel Mühe, die Schülerinnen im Aufsetzen derselben zu unterrichten. Bei jeder Kranken geht er das Bulletin genau durch, indem er demselben ein Zu - trauen schenkt, dessen ich es selten würdig gefunden habe. Unter den Schülerinnen sind nämlich nur einzelne, welche Talent und Ernsthaftigkeit genug besitzen, um Krankheiten zu beobachten und Krankengeschichten aufzusetzen. Diese wenigen geben allen andern die Muster zu ihren Berichten, und ich habe daher oft gefunden, dass in mehreren Bulletins bei den verschiedensten Krankheiten dieselben Symptome mit denselben Worten angegeben waren. Ueberhaupt ist es auf -129 fallend genug, junge Mädchen zu sehen, die mit wichtiger Miene den Puls fühlen und Krankenbeobachtungen auf - schreiben. Sie ahmen aber darin ihre Lehrerin, die erste Hebamme nach, deren Ansehen, welches sie sich am Kran - kenbette zu geben weiss, noch dadurch erhöht wird, dass der Arzt immer ihrer Meinung ist. «
Seite 46 sagt Osiander: » Den Leichenöffnungen, die in einem von dem Gebärhause etwas entfernten Gartenhause vor - genommen werden, wohnen die Schülerinnen gewöhnlich bei. Ich habe da oft mit Erstaunen gesehen, welchen lebhaften Antheil einige junge Mädchen an dem Zerfleischen der Lei - chen nahmen, wie sie mit entblössten und blutigen Armen, grosse Messer in der Hand haltend, unter Zank und Gelächter, sich Becken herausschnitten, nachdem sie von dem Arzte die Erlaubniss erhalten hatten, dieselben für sich zu präpariren. «
Seite 51 sagt Osiander: » Unter den Beobachtungen bei den Leichenuntersuchungen, an die Baudelocque seine Zu - hörer erinnerte, ist besonders die Zerreissung eines Psoas - muskels in der Anstrengung zur Geburt wichtig.
» Folgende Tabelle wurde von den vorgefallenen Gebur - ten gegeben: Seit dem 9. December 1797 bis zum 31. Mai 1809 sind 17,308 Frauen entbunden, diese haben gegeben 17,499 Kinder, 189 Frauen gebaren Zwillinge, also 1 von 91; nur zwei hatten Drillinge. 2000 Entbundene, zum wenigsten, sind schwer erkrankt, und 700 gestorben und secirt! «
Seite 242 sagt Osiander: » Die Unterleibsentzündung der Wöchnerinnen, das Uebel, welches gewöhnlich mit dem Namen Puerperalfieber bezeichnet wird, und welches in allen grossen und überfüllten Gebärhäusern einheimisch zu sein pflegt, kommt auch in dem Gebärhause zu Paris häufig vor.
» Die Krankheit wird besonders in den Wintermonaten häufig beobachtet, und ob sie gleich eigentlich immerfort herrscht, so erinnert man sich doch mit Schrecken an die bei - den Jahre (zwischen 1803 und 1808), wo sie endemisch wü - thete, und eine Menge von Wöchnerinnen dahinraffte. IchSemmelweis, Kindbettfieber. 9130habe zwar nirgends mit Bestimmtheit die Mortalität unter den Wöchnerinnen während dieser beiden Jahre erfahren können, und die vorsichtigen Verfasser der Abhandlung über die Ma - ternité (Mémoire sur l’hospice de la Maternité. Paris 1808. Die drei Verfasser dieser Schrift sind sämmtlich bei den Bu - reaux des Hospitals angestellt, und werden von der Admini - stration wegen bewiesener Vorsicht in den Angaben gelobt. ) sprechen nicht mit Bestimmtheit davon, es erhellt aber aus Allem, dass sie sehr gross gewesen sein muss; namentlich dar - aus, dass in den fünf angeführten Jahren (wegen der zwei Jahre, in welchen die Unterleibsentzündung herrschte) die Mortalität wie 1 zu 23 sich verhielt, da sie zu anderen Zeiten nur wie 1 zu 23 sich verhalten soll. Es starben in diesen fünf Jahren von 9645 Frauen 414 grösstentheils an Unterleibsentzündung. «
Seite 259 sagt Osiander: » Der Brand an den Geburts - theilen kam, so lange ich die Maternité besuchte, verschie - dene Male unter den Wöchnerinnen vor, gerade zu derselben Zeit, wo Unterleibsentzündungen besonders häufig waren. Für mich war diese Krankheit in der furchtbaren Gestalt, unter der sie sich äusserte, ganz neu; in der Maternité erregte sie aber kein besonderes Aufsehen, indem sie hier nicht zu den Seltenheiten gehört. «
Der Leser kann aus diesen Citaten die Ausdehnung ent - nehmen, in welcher die Hebammen in der Maternité sich ihre Hände mit zersetzten Stoffen verunreinigen.
So wie es nicht geschehen könnte, dass von mehreren in demselben Klima befindlichen Gebärhäusern einige vom soge - nannten epidemischen Kindbettfieber heimgesucht, und wieder andere von demselben verschont bleiben könnten, wenn das Kindbettfieber durch atmosphärisch-cosmisch-tellurische Ein - flüsse erzeugt werden könnte; noch viel weniger könnte es ge - schehen, dass sich atmosphärisch-cosmisch-tellurische Ein - flüsse an zwei Abtheilungen einer und derselben Anstalt durch eine lange Reihe von Jahren durch ihre Verheerungen in ver - schiedenem Grade kund geben sollten.
131Tabelle Nr. I. zeigt, dass die Wöchnerinnen der ersten Gebärklinik zu Wien durch sechs Jahre constant in dreimal grösserer Anzahl gestorben sind, als die Wöchnerinnen der zweiten Gebärklinik derselben Anstalt.
Diese Beobachtung war es, welche in mir die ersten Zweifel gegen die Lehre vom epidemischen Kindbettfieber erregte.
Dieselbe Ungleichheit der Sterblichkeit zweier Abthei - lungen einer und derselben Anstalt finden wir auch in Strass - burg. Dr. F. H. Arneth sagt in seinem Werke „ Ueber die Geburtshilfe und Gynaekologie in Frankreich, Grossbritan - nien und Irland, « Wien 1853, vom Strassburger-Gebärhause Folgendes: » Das Gebärhaus besteht aus zwei Abtheilungen; der Klinik für Aerzte (la Clinique) und der Abtheilung, auf welcher Hebammen gebildet werden (le service). Bis Ende 1845 bestanden die genannten beiden Abtheilungen unter zwei Vorständen neben einander, nur durch eine dünne Wand ge - trennt, wobei die Aufnahme so geregelt war, dass regelmäs - sig eine Schwangere in den Service, die andere in die Clini - que gebracht wurde, während zur Ferienzeit alle auf die Cli - nique kamen. Nun versieht nach Ehrmann’s Abgang Stoltz beide Anstalten.
» Es war nicht möglich ganz Genaues über die Sterblich - keit herauszubringen, doch kamen beide Professoren darin überein, dass auf der Klinik für Schüler constant mehr Ster - befälle vorgekommen seien. «
Um nähere Aufschlüsse über diese Stelle in Arneth’s Buch zu erhalten, wendete ich mich brieflich an Dr. Wieger und Professor Stoltz in Strassburg, und erhielt durch deren Bereitwilligkeit folgende Antworten. Dr. Wieger schreibt:
» Ihr werther Brief vom 15. vorigen Monates wäre weit früher beantwortet worden, hätte ich mir eher eine Disserta - tion von Gustav Levy » Relation de l’Épidémie de Fièvre Puer - pérale observé aux Cliniques d’accouchement de Strassbourg, pendant le I. Semester de l’année scolaire 1856 — 1857. 9 *132Strassbourg 1857 « verschaffen können, worin gerade diese Verhältnisse abgehandelt sind, über welche Sie Aufklärung wünschen. Ich schicke Ihnen mein Exemplar, weil ich kein anderes auftreiben kann. Dasselbe soll Ihnen via Buchhandel zukommen. Sie werden darin ersehen, dass, seit die zwei Abtheilungen in ihrem neuen Locale sind, die Krankheit sie beide heimgesucht hat.
» Was Arneth Ihnen mittheilte, ist richtig.
» Als die Hebammenschule unter Professor Ehrmann’s Leitung stand, war dort das Puerperalfieber so ziemlich un - bekannt. Seit Professor Stoltz beide Schulen übernommen (deren Säle für Schwangere und Kindbetterinnen im früheren Locale, im zweiten Stocke des grossen Krankenhauses, nur durch einen Saal, wo die Betten für die im Hause wohnenden Schülerinnen standen, getrennt waren), hauste die Krankheit in beiden Abtheilungen wie jetzt auch, wo sie in einem schö - nen, neugebauten Pavillon vereiniget sind.
» Strassburg, 19. Mai 1858. «
Professor Stoltz schreibt:
» Erlauben Sie, dass ich Ihnen in französischer Sprache auf Ihren Brief vom l. v. M. antworte, worin Sie von mir Auf - klärung über eine Stelle in Dr. Arneth’s Buch verlangen, in welcher er behauptet, dass an der zum Unterrichte der Heb - ammen dienenden Abtheilung der Strassburger Maternité die Epidemien des Puerperalfiebers selten sind, und die Sterb - lichkeit immer geringer als an der Klinik der medicinischen Facultät.
» Die Thatsache ist wahr (le fait est exact), aber ich schrieb den Unterschied in der Sterblichkeit immer dem Un - terschiede in den Salubritätsverhältnissen der beiden Abthei - lungen zu. Denn in der That sind die Säle der Gebärklinik an der medicinischen Facultät nieder, wenig geräumig und stets überladen, während die der Hebammen gut gelüftet und gut gelegen sind, und im Verhältnisse zu ihrer Grösse immer eine geringere Zahl von Betten besitzen. Sie werden denn auch133 reinlicher gehalten, und beherbergen im Verlaufe des Jahres weniger Schwangere und Kranke. Andererseits werden die schwierigsten Fälle immer der Facultätsklinik zugewiesen.
» Bis zum Jahre 1856 befanden sich beide Abtheilungen im allgemeinen Krankenhause. Voriges Jahr übersiedelten sie in ein eigenes, unter einem rechten Winkel aufgeführtes Ge - bäude mit der Front gegen Süden und Westen, und versehen mit Höfen und einem Garten. Die beiden Kliniken, diejenige der Facultät und die der Hebammen, sind von einander durch die Hörsäle und die Zimmer für die Instrumente getrennt. Die Schwangern nehmen die ebenerdigen Localitäten ein; endlich ist die Abtheilung für Hebammen wieder günstiger eingetheilt, als die der Facultät. Nichtsdestoweniger herrschte im Winter 1856 und 1857 hier so wie in München eine gleich - mässig tödtliche Epidemie an beiden Abtheilungen, und unge - achtet dass man an der Facultätsklinik die Desinfection der Hände durch Chlor anwendete.
» Sie sehen hieraus, verehrter Collega, dass unsere Beob - achtungen Ihrer Theorie über die Aetiologie des Puerperal - fiebers nicht günstig sind.
» Ich werde dem ohngeachtet Ihr Werk über diesen Ge - genstand mit dem grössten Interesse lesen und alle Ihre Ver - ordnungen mit der möglichsten Sorgfalt befolgen lassen.
» Es freut mich, mit Ihnen in einen wissenschaftlichen Verkehr getreten zu sein, und ich wäre glücklich, wenn es nicht bei diesem einmal bliebe.
» Strassburg, den 26. März 1858. «
Aus Arneth’s Buch und diesen beiden Briefen geht her - vor, dass in Strassburg eine Gebäranstalt in zwei Abtheilun - gen getrennt war, wovon die eine, so lange selbe ausschliess - lich dem Unterrichte für Hebammen bestimmt war, vom so - genannten epidemischen Kindbettfieber verschont blieb, ob - wohl selbe von der andern Abtheilung, welche dem Unter - richte für Aerzte bestimmt war, und welche vom sogenannten epidemischen Puerperalfieber heimgesucht wurde, nur durch134 ein Zimmer getrennt war. Nachdem aber beide Abtheilungen im Jahre 1845 unter einem Vorstande vereinigt wurden, zog das sogenannte epidemische Puerperalfieber auch in die frü - her verschonten Räume. Im Jahre 1856 übersiedelte das Ge - bärhaus in ein neues Gebäude, und auch im neuen Gebäude wurden beide Abtheilungen vom Kindbettfieber heimgesucht.
Widerspricht es nicht der gesunden Vernunft, das Kind - bettfieber der Abtheilung der Aerzte vor der Vereinigung bei - der Abtheilungen für ein epidemisches, d. h. ein durch atmos - phärisch-cosmisch-tellurische Einflüsse bedingtes zu halten?
Professor Stoltz selbst sucht die Ursache des Kindbett - fiebers an der Abtheilung für Aerzte, nicht in atmosphärischen Einflüssen, sondern in endemischen Schädlichkeiten, und zwar in dem Unterschiede der Salubritätsverhältnisse der beiden Abtheilungen, sowohl im alten, als nun wieder im neuen Ge - bärhause.
Dass aber diese günstigeren Verhältnisse es nicht waren, welche die Abtheilung für Hebammen vom Kindbettfieber be - schutzten, so lange diese Abtheilung ausschliesslich Hebam - menabtheilung war, geht daraus hervor, dass dieselben gün - stigen Verhältnisse nicht mehr im Stande waren, diese Räume vor dem Kindbettfieber zu bewahren, sobald selbe aufhörten, ausschliesslich Hebammenabtheilung zu sein.
Auch im neuen Gebäude hat die günstigere Eintheilung der Abtheilung für Hebammen selbe vor dem Kindbettfieber nicht schützen können.
Auch ich halte das Kindbettfieber, welches in Strassburg vor und nach der Vereinigung der beiden Abtheilungen zu beobachten war, für kein epidemisches, d. h. nicht durch at - mosphärische Einflüsse bedingtes, sondern für ein endemi - sches; aber die endemische Ursache waren die zersetzten Stoffe, welche an den Händen der Strassburger Schüler kleb - ten, welche vor der Verunreinigung der beiden Abtheilungen nur auf einer, nach der Vereinigung aber an beiden Abtheilun -135 gen ihre verderblichen Wirkungen im alten sowohl wie jetzt auch im neuen Gebäude äussern konnten.
Was die Erfolglosigkeit der Chlorwaschungen anbelangt, so wird deren Beurtheilung an einer andern Stelle dieser Schrift stattfinden.
Die Strassburger Hebammenschulen aus der Zeit vor der Vereinigung mit der Abtheilung für Aerzte und die Wiener zweite Gebärabtheilung aus der Zeit, seit selbe ausschliess - lich dem Unterrichte für Hebammen gewidmet ist, bis zur Einführung der Chlorwaschungen an der ersten Abtheilung im Mai 1847, sind Belege dafür, dass der Gesundheitszustand der Wöchnerinnen in solchen Unterrichtsanstalten, welche ausschliesslich dem Unterrichte für Hebammen gewidmet sind, günstiger ist, als der Gesundheitszustand der Wöchnerinnen in Unterrichtsanstalten für Aerzte. Siehe Tabelle Nr. I.
Dass die grosse Sterblichkeit in den Gebärhäusern nicht durch atmosphärische Einflüsse bedingt sei, sondern dass selbe durch einen zersetzten thierisch-organischen Stoff hervorge - bracht werde, geht auch daraus hervor, dass in den einzelnen Gebärhäusern nachgewiesen werden kann, dass das sogenannte epidemische Kindbettfieber erst dann in den einzelnen Gebär - häusern einheimisch wurde, als sich die Verhältnisse derselben derartig änderten, dass den Individuen, welche in den einzel - nen Gebärhäusern verpflegt wurden, mit einer gewissen Re - gelmässigkeit zersetzte Stoffe eingebracht wurden.
Osiander erzählt, dass man in der Maternité zu Paris mit Schrecken an zwei Jahre zwischen 1803 und 1808 denkt, wegen der ungeheuren Verheerungen, welche das Kindbett - fieber unter den Wöchnerinnen anrichtete, wir finden im Un - terrichtssysteme in der Maternité eine hinreichende Aetiologie dieses Kindbettfiebers.
In denselben Jahren von 1803 bis 1808 starb in Wien nicht eine Wöchnerin von hundert. In Wien wurde das so - genannte epidemische Kindbettfieber erst mit dem Jahre 1823136 einheimisch, das ist aber die Zeit, wo die Medicin in Wien die anatomische Richtung anzunehmen begann.
Professor Rokitansky fungirt seit 1828 an der patholo - gisch-anatomischen Anstalt. Von 1823 angefangen bis 1847, dem Jahre der Einführung der Chlorwaschungen, also durch 24 Jahre, war, ein Jahr ausgenommen, die Sterblichkeit im - mer über 2 Percent und stieg bis zu 12 Percent im Jahre, während von 1784 bis 1822, also innerhalb 39 Jahren die Sterblichkeit nur bis 4 Percent stieg, und innerhalb 25 Jah - ren nicht eine Wöchnerin von hundert starb. Siehe Ta - belle Nr. XVII.
Vom Kieler Gebärhause sagt weiland Michaelis in einem Briefe, welchen wir an einer andern Stelle ausführlich mit - theilen werden: » Sie wissen, dass das Puerperalfieber bei uns erst seit 1834 eingezogen ist. Dies ist aber auch ungefähr die Zeit, seitdem ich mich des Unterrichtes thätiger angenom - men habe, und namentlich das Douchiren der Candidaten re - gelmässiger eingeführt ist. Auch diese Sache lässt sich also in Zusammenhang bringen. «
In die Räumlichkeiten der Strassburger Hebammenschule zog das epidemische Kindbettfieber erst 1845 ein, in welchem Jahre die Vereinigung mit der Abtheilung der Aerzte erfolgte.
Während der Gesundheitszustand der Wöchnerinnen des St. Rochus-Spitals zu Pest seit dem Bestehen der geburtshilf - lichen Abtheilung stets ein ungünstiger war, weil die Gebär - abtheilung immer ein Anhängsel einer chirurgischen Abthei - lung war, war der Gesundheitszustand der Wöchnerinnen der medicinischen Facultät zu Pest bis in die vierziger Jahre stets ein günstiger, weil in Pest die Medicin erst in den vierziger Jahren die anatomische Richtung annahm.
Mein Vorfahrer, Hofrath Birly, einstens Boer’s Assistent, glaubte, der bessere Gesundheitszustand seiner Wöchnerinnen zu Pest, im Vergleiche mit dem schlechte - ren Gesundheitszustande der Wöchnerinnen zu Wien, rühre daher, dass er, Birly nämlich, einen ausgedehnteren Ge -137 brauch von Purganzen mache, denn das Kindbettfieber werde erzeugt durch die Unreinlichkeiten der ersten Wege; bei Eröffnung seiner Klinik nach den grossen Ferien im Oc - tober hielt er regelmässig alljährlich eine geharnischte Phi - lippika gegen Wien und behauptete, die grosse Sterblichkeit im Gebärhause zu Wien sei nur der Vernachlässigung der Purganzen zuzuschreiben.
Sobald aber die Medicin auch in Pest die anatomische Richtung annahm, hatten die Purganzen die prophylactische Macht verloren, und das Pester medicinische Professorencol - legium hat zu einer Zeit, wo ich noch nicht die Ehre hatte, ein Mitglied desselben zu sein, es officiell ausgesprochen, dass die geburtshilfliche Klinik zu Pest wegen Ueberhandnahme des Kindbettfiebers selbst während des Schuljahres wiederholt gesperrt werden musste.
Zahlen kann ich für diese Angaben nicht geben, weil die Protocolle während der Revolution verloren gingen. Der Um - stand, dass ich in der Stadt lebe, über welche ich das be - richte, ist Bürge genug für deren Richtigkeit.
Dass die grosse Sterblichkeit in den Gebärhäusern nicht durch atmosphärische Einflüsse bedingt ist, sondern durch einen zersetzten Stoff, welcher den Individuen von aussen re - gelmässig eingebracht wird, geht daraus hervor, dass, wenn sich die Verhältnisse eines Gebärhauses derart ändern, dass dieses Einbringen eines zersetzten Stoffes von aussen nicht mehr in dieser Ausdehnung geschehen kann, sich auch die Sterblichkeit mindert. Hieher gehört die zweite Gebärklinik, welche zur Zeit, als selbe Aerzten und Hebammen zum Un - terrichte diente, eine grössere Sterblichkeit hatte, als seit der Zeit ihrer ausschliesslichen Verwendung zum Unterrichte für Hebammen.
Wenn aber durch die veränderten Verhältnisse das Ein - bringen des zersetzten Stoffes von aussen gänzlich aufhörte, hörte auch das epidemische Kindbettfieber auf wiederzukeh - ren; hierher gehört das Gebärhaus zu St. Rochus in Pest,138 welches von der chirurgischen Abtheilung getrennt, meiner Leitung anvertraut wurde. Durch sechs Jahre hatte ich keine Epidemie ohne Chlorwaschungen.
Dass die grosse Sterblichkeit in den Gebärhäusern nicht durch atmosphärische Einflüsse bedingt ist, geht daraus her - vor, dass, wenn Massregeln getroffen werden, welche geeig - net sind, diese zersetzten Stoffe zu zerstören, dass in diesen Gebärhäusern das sogenannte epidemische Kindbettfieber nicht mehr vorkommt, wenn selbe auch früher durch eine lange Reihe von Jahren alljährlich davon heimgesucht waren. Hie - her gehören die erste Gebärklinik zu Wien und die geburts - hilfliche Klinik zu Pest. Von fremden hiehergehörigen Er - fahrungen werden wir später sprechen.
Das was wir über das Erscheinen und Verschwinden des sogenannten epidemischen Kindbettfiebers sagten, wollen wir hier, in so weit es sich auf das Wiener Gebärhaus bezieht, durch Zahlen beweisen.
Das Wiener Gebärhaus wurde, wie schon angegeben, am 16. August 1784 eröffnet. Siehe Tabelle Nr. XVII. Seite 62.
Als die Medicin in Wien noch der anatomischen Grund - lage entbehrte, ereigneten sich innerhalb 39 Jahren, also bis zum Jahre 1823, 71,395 Geburten, davon starben 897, also 1.25 Percent. Als die Medicin in Wien vom Jahre 1823 ange - fangen die anatomische Grundlage annahm, ereigneten sich bis zum Jahre 1833, in welchem Jahre die Trennung des Ge - bärhauses in zwei Abtheilungen stattfand, also innerhalb zehn Jahren, 28,429 Geburten, davon starben 1509, also 5.30 Per - cent. Siehe Tabelle Nr. XVII. Seite 62.
Im Jahre 1833 fand die Trennung des Gebärhauses in zwei Abtheilungen statt, und es wurden Schüler und Schüle - rinnen beiden Abtheilungen in gleicher Anzahl behufs des ge - burtshilflichen Unterrichtes zugewiesen. Am 10. October 1840 wurden durch eine allerhöchste Entschliessung sämmtliche Schüler der ersten Abtheilung und sämmtliche Schülerinnen139 der zweiten Abtheilung behufs des geburtshilflichen Unter - richtes zugetheilt.
Während der acht Jahre, nämlich vom Jahre 1833 bis zum Jahre 1841, während welchen Schüler und Schülerinnen an beiden Abtheilungen in gleicher Anzahl vertheilt waren, schwankte die Grösse der Sterblichkeit zwischen beiden Ab - theilungen, wie Tabelle Nr. XXII. zeigt.
Tabelle Nr. XXII.
Ich bedaure, dass ich so spät zur Kenntniss dieser Ta - belle gelangt bin, dass ich selbe nicht benützen konnte an der Stelle, wo ich derselben das erstemal bedurfte. Der Leser wolle daher von Zeile 11 angefangen die Seiten 63 und 64 noch - mals lesen.
Durch Zuweisung sämmtlicher Schüler der ersten Ab - theilung und sämmtlicher Schülerinnen der zweiten Abthei - lung steigerte sich die Sterblichkeit an der ersten Abtheilung und verminderte sich an der zweiten Abtheilung in dem Grade, dass bis zur Einführung der Chlorwaschungen, Mitte Mai 1847, die Sterblichkeit innerhalb dieser sechs Jahre an der ersten Abtheilung im Durchschnitte dreimal so gross war, als an der zweiten Abtheilung, wie Tabelle Nr. I. Seite 3 zeigt.
Nach Einführung der Chlorwaschungen Mitte Mai 1847 verhielten sich die Mortalitätsverhältnisse der beiden Abthei -140 lungen bis 1. Jänner 1859, also durch zwölf Jahre, wie Ta - belle Nr. XXIII. zeigt.
Tabelle Nr. XXIII.
Diese Tabelle zeigt, dass die Sterblichkeit nach Einfüh - rung der Chlorwaschungen, Mitte Mai 1847, an der ersten Ab - theilung um 6.35 Percent und an der zweiten Abtheilung um 0.32 Percent zwar gesunken sei. Aber die Sterblichkeit ist an der ersten Abtheilung um 2.30 Percent und an der zweiten Ab - theilung um 1.79 Percent grösser als im Jahre 1848, wo die Chlorwaschungen durch mich beaufsichtiget wurden; obwohl auch ich die kleinste mögliche Sterblichkeit nicht erzielt habe, aus Gründen, die ich an betreffender Stelle geschildert.
Die Beurtheilung dieser gesteigerten Sterblichkeit wird an der Stelle dieser Schrift folgen, an welcher wir uns über - haupt über die Erfolglosigkeit der Chlorwaschungen ausspre -141 chen werden, wie solche von anderen Geburtshelfern beob - achtet wurden.
Für den unparteiischen Leser genüge an dieser Stelle die Bemerkung, dass sämmtliche officiell an den beiden Abthei - lungen in diesem Zeitraume fungirenden Aerzte Gegner mei - ner Ansicht über die Entstehung des Kindbettfiebers waren und sind.
Mein Nachfolger in der Assistenz, Carl Braun, hat ge - gen meine Ansicht geschrieben. Carl Braun’s Nachfolger, sein Bruder Gustav, hat bewiesen, welche Ansicht über die Entstehung des Kindbettfiebers er hat, durch die 400 Todten im Jahre 1854. Eine Sterblichkeit, welche im Wiener Gebär - hause innerhalb 75 Jahren, die Sterblichkeit selbst beider Abtheilungen summirt, nur dreimal übertroffen wurde, näm - lich im Jahre 1842 mit 730, im Jahre 1843 mit 457 und im Jahre 1846 mit 567 Todten.
Wenn wir aber zu den 400 Todten der ersten Abthei - lung die 210 Todten der zweiten Abtheilung desselben Jah - res hinzufügen, so wird die Sterblichkeit des Jahres 1854 beider Abtheilungen mit 610 Todten innerhalb 75 Jahren im Wiener Gebärhause nur einmal übertroffen, und zwar im Jahre 1842, ohne Chlorwaschungen, mit 730 Todten.
Wenn wir aber die Sterblichkeit beider Abtheilungen sondern, so wird die Sterblichkeit der ersten Abtheilung mit 400 Todten im Jahre 1854 innerhalb 75 Jahren nur zweimal übertroffen, im Jahre 1842 mit 518 Todten und im Jahre 1846 mit 459 Todten.
Der deutlicheren Uebersicht des Gesundheitszustandes der im Wiener Gebärhause verpflegten Wöchnerinnen wegen wollen wir die Hauptzahlen nach den für das Wiener Gebär - haus wichtigsten Zeitabschnitten hier in einer Uebersichts - tabelle zusammenstellen.
142Tabelle Nr. XXIV.
Medicin in Wien ohne anatomische Grundlage.
Geburten 71,395, Todte 897, Mortalitäts-Percent 1.25
Medicin in Wien mit anatomischer Grundlage.
Geburten 28,429, Todte 1509, Mortalitäts-Percent 5.30.
Trennung des Gebärhauses in zwei Abtheilungen.
Vor Einführung der Chlorwaschungen.
Nach Einführung der Chlorwaschungen.
Summe der I. und II. Abtheilung.
Summe aller 75 Jahre.
Geburten 262,523, Todte 10,282, Mortalitäts-Percent 3.91
14339 Jahre Medicin in Wien ohne anatomische Grundlage.
Die Sterblichkeit war:
10 Jahre Medicin mit anatomischer Grundlage.
Die Sterblichkeit war:
Acht Jahre Trennung des Gebärhauses in zwei Abtheilun - gen, an beiden Abtheilungen Schüler und Schülerinnen in gleicher Anzahl vertheilt.
I. Abtheilung.
II. Abtheilung.
Sechs Jahre.
I. Abtheilung.
(Klinik für Aerzte.)
II. Abtheilung.
(Klinik für Hebammen.)
Zwölf Jahre nach Einführung der Chlorwaschungen.
Klinik für Aerzte.
Die Sterblichkeit war:
Klinik für Hebammen.
Die Sterblichkeit war:
Diese Tabelle muss jedem Unbefangenen die Ueberzeu - gung beibringen, dass die Sterblichkeit unter den Wöchne - rinnen des Wiener Gebärhauses innerhalb 75 Jahren nicht durch atmosphärische Einflüsse bedingt war, sondern dass es ein zersetzter thierisch-organischer Stoff war, welcher, je nachdem er häufiger oder seltener den Individuen von aussen eingebracht wurde, die Sterblichkeitsschwankungen hervor - brachte, wie selbe eben gegenwärtige Tabelle anschaulich macht. Und da die Gesetze der Natur in der ganzen Welt gleich sind, so thue ich, gestützt auf diese Tabelle, den Aus - spruch, dass es nie atmosphärisch-cosmisch-tellurische Ein - flüsse gegeben hat, welche im Stande gewesen wären, das Kindbettfieber hervorzubringen, und dass die endlose Reihe der Epidemien, wie solche in der medicinischen Literatur auf - gezählt wird, lauter verhütbare Infectionsfälle von aussen wa - ren, d. h. sämmtlich Erkrankungen dadurch entstanden, dass den Individuen ein zersetzter thierisch-organischer Stoff von aussen eingebracht wurde.
Dass die sogenannten Epidemien in den Gebärhäusern nicht durch atmosphärische Einflüsse, sondern durch einen zersetzten thierisch-organischen Stoff, welcher den Individuen von aussen beigebracht wurde, bedingt seien, beweiset der günstigere Gesundheitszustand der in englischen Gebärhäu - sern verpflegten Wöchnerinnen, und der günstigere Gesund - heitszustand der Wöchnerinnen in den Gebärhäusern derjeni - gen Länder, in welchen englische Ansichten vorherrschen, wie in Irland und Schottland, in Vergleich mit dem schlech - teren Gesundheitszustande der Wöchnerinnen in deutschen und französischen Gebärhäusern.
Es ist kein Grund vorhanden zu der Annahme, dass die atmosphärischen Einflüsse, welche in deutschen und französi - schen Gebärhäusern die Wöchnerinnen in so grosser Anzahl dahinraffen, nicht auch in England, Schottland und Irland sollten statthaben können.
Semmelweis, Kindbettfieber. 10146In dem Unterschiede der atmosphärischen Einflüsse ge - nannter Länder kann demnach der Unterschied in dem Ge - sundheitszustande der Wöchnerinnen nicht liegen. Aber die Ansichten englischer Aerzte über die Entstehung des Kind - bettfiebers sind wesentlich verschieden von der Ansicht, welche französische und deutsche Aerzte über denselben Gegenstand haben.
Die englischen Aerzte halten das Kindbettfieber für con - tagiös; in Frankreich und Deutschland war immer die An - sicht vorherrschend, dass das Kindbettfieber nicht contagiös sei. Dass das Kindbettfieber nicht contagiös sei, ist auch meine Ueberzeugung; ich habe meine Gründe schon ange - führt, und werde in dieser Schrift noch einmal Gelegenheit haben, auf denselben Gegenstand zurückzukommen.
Aber das Kindbettfieber ist von einer kranken Schwan - geren, Kreissenden oder Wöchnerin auf gesunde Schwan - gere, Kreissende und Wöchnerinnen durch Vermittlung eines zersetzten Stoffes, welchen die kranke Schwangere, Kreissende und Wöchnerin erzeugt, übertragbar; das Kindbettfieber ist demnach nicht von einer jeden kranken Schwangeren, Kreis - senden oder Wöchnerin auf gesunde übertragbar während des Lebens, sondern nur von denjenigen Kranken, welche einen zersetzten Stoff erzeugen. Nach dem Tode ist von einer jeden Puerpera-Leiche das Kindbettfieber übertragbar auf gesunde, wenn die Leiche den nöthigen Fäulnissgrad erreicht hat.
Die Engländer, von der Ansicht ausgehend, dass das Kindbettfieber contagiös sei, besuchen eine gesunde Schwan - gere, Kreissende oder Wöchnerin nicht, wenn sie früher eine kranke Schwangere, Kreissende oder Wöchnerin besucht hat - ten, ohne sich früher die Hände mit Chlor zu waschen, ohne die Kleider gewechselt zu haben, und wenn die Zahl der Er - krankungen zunimmt, unternehmen selbe Reisen oder geben für einige Zeit die Praxis ganz auf. Die englischen Aerzte gehen nach der Section einer Puerpera-Leiche zu keiner ge - sunden Schwangeren, Kreissenden oder Wöchnerin, ohne sich147 früher in Chlor gewaschen, ohne früher die Kleider gewech - selt zu haben.
Die englischen Aerzte thun in allen jenen Fällen, in wel - chen die kranke Schwangere, Kreissende oder Wöchnerin kei - nen zersetzten Stoff erzeugt, etwas Ueberflüssiges, aber in allen Fällen, in welchen die kranke Schwangere, Kreissende oder Wöchnerin einen zersetzten Stoff erzeugt, zerstören die englischen Aerzte in der Absicht, ein Contagium zu zerstören, den zersetzten Stoff, welcher, wenn er auf eine gesunde Schwangere, Kreissende oder Wöchnerin übertragen worden wäre, das Kindbettfieber hervorgebracht haben würde.
Nach der Section einer Puerpera-Leiche zerstören eng - lische Aerzte durch Chlorwaschungen, in der Absicht ein Con - tagium zu zerstören, den zersetzten Stoff, mit welchem die Puerpera-Leiche deren Hände verunreiniget hat.
Deutsche und französische Aerzte, in der Ueberzeugung, dass das Kindbettfieber nicht contagiös sei, und die Ueber - tragbarkeit mittelst zersetzter Stoffe nicht kennend, besuchen nach Sectionen von Puerperalleichen und nach Besuchen kran - ker Schwangerer, Kreissender und Wöchnerinnen, selbst wenn selbe einen zersetzten Stoff erzeugen, ohne sich früher mit Chlor gewaschen zu haben, gesunde Schwangere, Kreis - sende und Wöchnerinnen, und übertragen auf diese Weise den zersetzten Stoff auf gesunde Schwangere, Kreissende und Wöchnerinnen, welcher zersetzte Stoff, wenn resorbirt, das Kindbettfieber hervorbringt.
In englischen Gebärhäusern fallen daher alle Erkrankun - gen, welche in deutschen und französischen Gebärhäusern von Puerperalleichen oder von kranken Schwangeren, Gebärenden und Wöchnerinnen herrühren, weg, und daher der günstigere Gesundheitszustand der Wöchnerinnen in Gebärhäusern, in welchen man das Kindbettfieber für contagiös hält. Dass aber aus diesen Quellen der zersetzte Stoff für zahlreiche Erkran - kungen kommen kann, dafür lieferte Chiari einen belehren - den Aufsatz im Wochenblatte der » Zeitschrift der k. k. Gesell -10 *148schaft der Aerzte zu Wien «, erster Jahrgang, 19. Februar 1855, Nr. 8:
» Ich erlaube mir hier die Aufmerksamkeit auf einen Ge - genstand zu lenken, der, wenn auch vielfach besprochen, den - noch vieler Aufklärungen bedarf. Es ist dies die Entstehung und Vorbeugung der sogenannten Puerperal-Epidemien, ich sage sogenannten, da es constatirt ist, dass derlei Erkrankun - gen nicht etwa zahlreicher gleichzeitig über einen grossen Di - strict verbreitet vorkommen, sondern bekanntermassen meist nur an Entbindungsanstalten, und auch da nicht gleichmässig an den verschiedenen Abtheilungen derselben auftreten.
» Ich will hier nicht auf die verschiedenen Ansichten über die Entstehungsursache dieser wirklich furchtbaren Krankheit zurückkommen, erlaube mir aber nur einige Beobachtungen über die Veranlassung zu zahlreichen Erkrankungen von Wöchnerinnen zu geben, die ich während meiner Amtswirk - samkeit in Prag machte.
» Vom 23. bis 27. Jänner 1853 wurde bei einer Erstgebä - renden eine den eben bestimmten Zeitraum anhaltende Ver - zögerung der Geburt durch Verdickung des Muttermundes und nachträgliche Gangränescenz noch während der Geburt beobachtet. Nachdem vergebens Bäder, Einspritzungen, An - tiphlogose, Incisionen des knorpelharten und fingerdick gewul - steten Muttermundes angewendet worden waren, schritt man zur Verkleinerung des bereits durch den längeren Geburtsact abgestorbenen Kindes, um die Geburt nach viertägiger Dauer zu vollenden. Die Absonderung aus der Scheide war in den zwei letzten Tagen bräunlich, missfärbig, höchst übelriechend. Die Wöchnerin erkrankte an heftiger Endometritis septica und erlag den 1. Februar dieser Krankheit. Von dem Tage an, wo diese Gebärende auf dem Geburtszimmer war, er - krankten neun andere Gebärende, die mit ihr zugleich auf149 dem Gebärzimmer lagen, und mit Ausnahme einer einzigen starben sie alle. Von den letzten Tagen Jänners schleppten sich die häufigen Erkrankungen bis in den Monat Mai hin, worauf wieder bis October der günstigste Gesundheitszustand unter den Wöchnerinnen herrschte.
» Hieraus glaubte ich mit Bestimmtheit zu entnehmen, dass in diesem concreten falle die Ursache der häufigeren Er - krankungen von Uebertragung der gangränösen Stoffe von den kranken Gebärenden auf die gesunden Individuen her - rührte. Natürlich ist es, dass hierbei die möglichste Vorsicht beobachtet wurde, um nicht durch die Untersuchung die dele - teren Stoffe zu übertragen; trotzdem aber ist beim gleichzei - tigen Aufenthalte einer solchen kranken und mehrerer gesun - den Gebärenden in einer und derselben nicht zu geräumigen Localität durch allerlei Medien eine Uebertragung der delete - ren Stoffe anzunehmen. Sind aber mehrere Erkrankungen ein - getreten, so ist es begreiflich, dass auf dieselbe Weise an einer Anstalt, wo die Localitäten für die grosse Frequenz der Geburten kaum ausreichen, auch die Fortdauer dieser Krank - heit bedingt wird.
» Durch das bisher Gesagte will ich nicht etwa die Mei - nung aussprechen, als ob alle sogenannten Puerperal-Epide - mien auf diese Weise entstehen müssten, jedoch glaube ich dadurch auf einen Umstand aufmerksam zu machen, der oft an grösseren Entbindungsanstalten eintreten kann und wird.
» Als bestärkenden Beweis dieser meiner Ansicht hatte ich leider Gelegenheit eine zweite traurige Erfahrung zu ma - chen. Im October 1853 wurde wenige Tage vor meiner Rück - kehr nach Prag nach einer mehrwöchentlichen Ferialreise bei einer durch mehrere Tage kreissenden Frau wegen Becken - enge die Perforation nöthig. Diese Wöchnerin starb an Endo - metritis septica mit Verjauchung der Synchondrose. Von die - ser Zeit waren wieder zahlreiche bösartige Erkrankungsfälle eingetreten, die erst Mitte November wieder aufhörten. Von da an bis zu Ende meiner Amtsführung in Prag, nämlich bis150 Ende August des abgelaufenen Jahres, war ich so glücklich, an der dortigen Klinik nicht mehr diese fürchterliche Krank - heit zahlreicher zu beobachten.
» Durch diese zwei Beobachtungen wollte ich weiter nichts dargethan haben, als dass man bei grösserer Aufmerksamkeit im Stande ist, die Entstehungsweise der zahlreichen Erkran - kungen an den Gebäranstalten hin und wieder nachzuweisen.
» Uebrigens wurde auf diese Entstehungsweise schon von Semmelweis hingedeutet, und auch an der hiesigen Klinik für Hebammen wurde in diesem Herbste eine ähnliche Beob - achtung gemacht, wie mir mein Freund, Dr. Späth, vertrau - lich mittheilte.
» Ich halte es für eine Gewissenssache, diese Beobachtun - gen zu veröffentlichen, denn wenn ich auch nicht damit gesagt haben will, dass darin die einzige Entstehungsweise dieser Seuchen liegt, so kann doch die Beobachtung der dadurch entstandenen Rücksichten für die Eintheilung und Einrichtung der Gebäranstalten grosser praktischer Vortheil erlangt wer - den. In dieser Beziehung halte ich es für eine dringende Noth - wendigkeit, in grösseren Gebäranstalten mehrere Geburts - zimmer in Bereitschaft zu halten, um im oben eintretenden Falle die verzögerten Geburten von den gewöhnlichen zu iso - liren. Dass diese Isolirung auch bei Ertheilung des Unterrichts beobachtet werden muss, versteht sich von selbst.
» Von der oben ausgesprochenen Ansicht ausgehend, dass nämlich von der Uebertragung der faulenden deleteren Stoffe die Ausbreitung der Wochenkrankheiten an grösseren Gebär - anstalten abhängt, suchte ich auch nach Möglichkeit diese Ur - sache zu beseitigen, und traf deshalb an der unter meiner Lei - tung stehenden Anstalt folgende Vorkehrungsmassregeln:
» 1. Ich theilte den Unterricht derartig ein, dass die ein - zelnen Gebärenden niemals von mehr als fünf Schülern unter - sucht wurden, nachdem es einem jeden Zuhörer auferlegt wor - den war, mit Chlorkalklösung die Hände zu waschen.
151» 2. Damit die Candidaten nicht leicht von anatomischen Arbeiten zur Klinik kommen konnten, bestimmte ich für den Sommer und für den Winter die Morgenstunden von 7 bis 9 für die Abhaltung der Klinik.
» 3. Richtete ich mein Augenmerk auf sorgfältige Reini - gung der Wäsche, wobei auch bei der zweiten Epidemie die Einrichtung getroffen wurde, dass die vor die Genitalien zu legenden Compressen selbst ausser dem Hause gewaschen wurden.
» 4. Sehr leicht denkbar erschien es mir ferner, dass beim Waschen der Wöchnerinnen an den Geburtstheilen mit dem Schwamme, wenn z. B. die eine an Puerperalgeschwüren litt, dieser Zustand auch auf die anderen Wöchnerinnen übertra - gen werden kann. Deswegen traf ich die Einrichtung, zur Reinigung der Geburtstheile bei den Wöchnerinnen keine Schwämme mehr, sondern nur Spritzen zu gebrauchen, denn während erstere mit den Geburtstheilen leicht in Contact kom - men, ist dieses bei den letzteren nicht leicht möglich.
» 5. Suchte ich die schwerer Erkrankten aus der Gebär - anstalt zu entfernen, indem ich selbe ins Krankenhaus trans - ferirte. Diese Massregel war jedoch auch andererseits durch Mangel an Raum geboten. Dass es jedenfalls zweckmässig ist, in physischer und moralischer Beziehung die Anhäufung solcher Kranken in den Gebäranstalten zu verhindern, muss Jedermann einleuchten.
» 6. Aus der oben ausgesprochenen Ansicht geht nun fer - ner hervor, dass bei Eintritt zahlreicherer Erkrankungen an einer Gebäranstalt ein Wechsel der Localitäten, so wie der ganzen Fournitur eines Spitals ein vorzügliches Mittel ge - nannt werden muss, um die Ausbreitung der Krankheit zu hemmen.
» Daher schien es mir zweckmässig, bei Errichtung neuer derartiger Anstalten die Baulichkeit so einzurichten, dass z. B. hier in loco eine jede geburtshilfliche Klinik ein eige -152 nes Gebäude hätte, welches auch in Beziehung auf Wäsche von der andern Klinik gänzlich getrennt werden könnte.
» Indem ich bei Anwendung dieser Massregeln, so weit deren Ausführung in meiner Macht lag, Gelegenheit hatte zu beobachten, dass die häufigeren Puerperalkrankheiten nach ein bis zwei Monaten wieder aufhörten, so glaube ich selbe dringend anempfehlen zu können. «
Aus diesen Beobachtungen Chiari’s ersieht der Leser, wie zahlreiche Erkrankungen der zersetzte Stoff, welcher von einer kranken Gebärenden und Wöchnerin herrührt, erzeugen kann. Dass aber der zersetzte Stoff, welchen kranke Gebä - rende und Wöchnerinnen erzeugen, nicht die einzige Quelle der sogenannten Puerperal-Epidemie sei, geht aus dem her - vor, was wir Seite 102 und 103 von den Quellen sagten, aus welchen der zersetzte Stoff genommen wird, welcher alle bis - her beobachteten und vielleicht noch zu beobachtenden soge - nannten Puerperal-Epidemien hervorgebracht hat, oder viel - leicht noch hervorbringen wird.
Dass in den Gebärhäusern, in welchen man das Kind - bettfieber für contagiös hält, und in der Absicht, ein Conta - gium zu zerstören, durch Chlorwaschungen den zersetzten Stoff zerstört, welcher von kranken Schwangeren, Gebären - den, Wöchnerinnen oder Puerperalleichen genommen, sonst zahlreiche Erkrankungen hervorgerufen hätte, wirklich ein besserer Gesundheitszustand der Wöchnerinnen zu beobachten sei, geht aus einem Berichte hervor, welchen Prof. Dr. Levy aus Kopenhagen über die Gebärhäuser und den praktischen Unterricht in der Geburtshilfe in London und Dublin in der » Bibliothek for Laeger « veröffentlicht. Prof. G. A. Machae - lis in Kiel hat eine deutsche Uebersetzung dieses Berichtes in der » Neuen Zeitschrift für Geburtskunde «, Bd. 27, Hft. 3, Seite 392, veröffentlicht.
Ich kann mich nicht enthalten, die Vorrede des Ueber - setzers zu diesem Berichte wörtlich hier abdrucken zu lassen:
153» Bei einer Reise, die ich vor Kurzem vollendete, hatte ich Gelegenheit, mich von der Treue der Darstellung des vor - liegenden Berichtes zu überzeugen; eine Ueberzeugung, die auch jedem Leser schon aus dem Fleisse und der Gründlich - keit der Darstellung sich aufdrängen muss.
» Der Hauptgesichtspunkt bei der Untersuchung des Ver - fassers war die Erforschung der Verhältnisse, unter welchen das Puerperalfieber erscheint, und die Angabe der Mittel, welche man zu dessen Besiegung glücklich angewendet hat. Die englischen Anstalten bieten in diesem Punkte vor allen die wichtigsten Resultate dar, denn sie sind meistens von die - ser Pest der Gebärhäuser zeitweise arg heimgesucht worden, haben es aber in den letzten Decennien durch Gesundheits - massregeln glücklich dahin gebracht, dass die Sterblichkeit der Wöchnerinnen in allen Londoner und Dubliner Anstalten nur ein Percent eben übersteigt.
» Auf dem Continente sind wir von so glücklichen Resul - taten leider noch weit entfernt. Mit Ausnahme einiger kleine - rer bisher verschonter Anstalten wüthet die Krankheit, wie es scheint, mit dem Alter der Anstalten immer häufiger und verderblicher. Sie bedroht schon die Existenz der für das Ge - deihen der Wissenschaft und den praktischen Unterricht so nothwendigen Gebärhäuser. Leider ist dieser Fall bei der un - ter meiner Leitung stehenden Anstalt eingetreten, und es scheint, den Umständen nach, in Kopenhagen das Gleiche der Fall zu sein. An beiden Orten wird man zu einem Neubau seine Zuflucht nehmen müssen; und wenn die Regierung auch zu einem solchen dieses Mal noch die nöthigen Mittel be - willigt, so wird ein abermaliges Misslingen fast nothwendig die Aufhebung des Gebärhauses nach sich ziehen.
» Diese drohende Gefahr aber schwebt nicht allein über uns, sie wird seiner Zeit alle ähnlichen Anstalten erreichen, in denen die Herstellung eines besseren Gesundheitszustandes nicht gelingt.
» Mit fortschreitender Bildung und Humanität wird auch154 an Orten, wo bisher die öffentliche Stimme sich gleichgiltig gegen die furchtbare Aufopferung von Menschenleben ver - hielt, sich dieselbe einst mächtig erheben, und ist dann ihres Sieges völlig gewiss: man wird die Anstalten aufheben oder gesund machen müssen. Zum Heile und Ehre der Wissen - schaft aber ist es zu wünschen, dass man es zu diesem Zwange nicht kommen lasse; dass man früher Hand an’s Werk lege, ehe die Volkswuth alles zerstörend über den Haufen wirft.
» Dass von einer therapeutischen Behandlung der einzel - nen Krankheitsfälle die Tilgung dieser Pest nicht zu erwarten ist, brauche ich dem in der Sache Erfahrenen nicht zu bewei - sen. Vielmehr ist dieses nur durch durchgreifende, streng be - folgte Massregeln der Reinigung und Ventilation u. s. w. zu erlangen, scheint aber nach den Erfahrungen der Engländer auf diesem Wege auch sicher erreichbar zu sein.
» Wir müssen uns unseren Collegen in England für dieses Beispiel fruchtgekrönter Bemühungen, für diese uns gewährte Hoffnung einer besseren Zukunft zum Danke verpflichtet füh - len; wir können nichts Besseres thun, als uns auch durch den Augenschein über ihre trefflichen Einrichtungen zu belehren.
» Mit der grössten Zuvorkommenheit wurden mir die An - stalten gezeigt, und mit einem solchen Führer, wie Professor Levy’s Schrift, wird man es möglich finden, selbst in sehr kurzer Zeit durch den Augenschein zur vollständigen Kennt - niss der englischen Einrichtung zu gelangen.
» Im vorigen Jahre hat man in Wien die glückliche Ent - deckung gemacht, dass durch eine Reinigung der Hände mit Chlor vor dem Untersuchen die Krankheit in der Abtheilung des Gebärhauses, wo sie bisher fürchterlich wüthete, in auf - fallender Weise beschränkt wurde. In der Zeit der Anwen - dung dieses Mittels sank die Zahl der Todten auf fast 1 / 10 der sonst gewöhnlichen herab; ein äusserst glänzendes Resultat.
» Ohne Zweifel wird Dr. Semmelweis, dem wir diese Entdeckung verdanken, das Nähere hierüber nächstens ver - öffentlichen; und täuscht nicht Alles, so eröffnet sich durch155 Anwendung dieses Mittels neben den allgemeinen Desinfec - tionsmitteln eine glücklichere Zeit für unsere Gebärhäuser. Ich verdanke die Kenntniss der Wiener Erfahrungen der gü - tigen Mittheilung des Dr. Hermann Schwartz aus Holstein, dem ich hiefür meinen Dank öffentlich abzustatten nicht unter - lassen kann.
» Kiel, den 17. April 1848. «
Die Zahlenrapporte der Gebärhäuser in London sind nach Professor Dr. Levy’s Angaben folgende:
Tabelle Nr. XXV.
Tabelle über die Gebärenden und Verstorbenen in British-Lying in-Hospital in London von Errichtung des Hospitals im November 1749 bis zum 31. December 1846.
Tabelle Nr. XXVI.
Queen-Charlottes Lying-in-hospital.
Tabelle Nr. XXVII.
III. The city of London Lying-in-hospital.
Die letzten vier Jahre sind dem Werke Arneth’s*)Ueber Geburtshilfe und Gynaecologie in Frankreich, Grossbritannien und Irland. Wien 1853. ent - nommen. Vom Jahre 1848 sagt Arneth: » Ich bedaure, nicht160 im Stande zu sein, angeben zu können, wie die Sterblichkeit im Jahre 1848, das in diesem Gebärhause viele Opfer for - derte, in den anderen Anstalten Londons sich verhielt. «
Nebenbei sei jedoch bemerkt, dass Mrs. Widgen, die eben so kluge als erfahrene Hebamme der zu besprechenden Anstalt, eine im Hause gemachte Section als Ausgangspunkt der Seuche bezeichnete, ohne dass ich ihr eine solche Meinung in den Mund gelegt hätte.
Tabelle Nr. XXVIII.
IV. The general Lying-in-hospital.
Vom Gesundheitszustande der Wöchnerinnen dieses Ge - bärhauses sagt Professor Dr. Levy Folgendes:
» Die hieraus hervorgehende Veränderung im Gesund - heitszustande des Hospitals in den letzten 3½ Jahren ist zu merkwürdig, dass es nicht interessiren sollte, etwas näher die Anstrengungen und Versuche kennen zu lernen, die man vor - her zu diesem Zwecke gemacht hat, worüber in dem bekann - ten » Health of town’s commission’s first report, « Vol. 1, pag. 117 — 21, eine autentische Aufklärung enthalten ist. Man sieht hieraus, dass man bis 1838 sich mit den gewöhnlichen Palliativmitteln gegen Hospitalsepidemien (Endemie. Anm. d. Verf. ) begnügte. Indem man nun aber den Blick über das Hospitalsgebäude erweiterte, gewahrte man, dass in unmit - telbarer Nähe des Gebäudes, kaum 30 Fuss von der Mauer, sich offene Gräben von mehr als 1500 Fuss Ausdehnung vor - fanden, die den Ablauf des angrenzenden Armen - und stark bebauten Stadtquartiers aufnahmen. Der Inhalt der Gräben war stagnirend, und in Folge von anhaltender Gasentwicke - lung in beständiger Ebullition.
» Nach manchen Schwierigkeiten und Debatten mit der Wasserleitungscommission glückte es endlich dem Hospitals - vorstande im October 1838, gegen Beisteuer zu den bedeu - tenden Kosten eine 644 Fuss lange Strecke der Gräben ge - reiniget und überbaut zu erhalten, bei welcher Gelegenheit aber der Missgriff begangen wurde, dass man die ungeheure Menge des schwarzen stinkenden Schlammes, statt ihn fort - zuschaffen, über den anliegenden Grund ausbreitete, wodurch die Ausdünstungsfläche natürlich in der ersten Zeit sehr ver - grössert wurde. Als eine wahrscheinlich unmittelbare Wir - kung hiervon glaubt Dr. Rigby anführen zu können, dass innerhalb der ersten 24 Stunden nach dieser unverantwort - lichen Massregel sich zwei Fälle von Puerperalfieber im Ho - spitale zeigten, das in der letzten Zeit zuvor ganz frei von der Krankheit gewesen war. Diese Arbeit blieb indess ohne merk - bare Einwirkung auf den späteren Gesundheitszustand desSemmelweis, Kindbettfieber. 11162Hospitals, weshalb man, da die Hospitalsärzte bisher durch - weg über die mangelhafte Ventilation der Zimmer geklagt hatten, im Anfange des Jahres 1842 dem Dr. Reid seinen Wärme - und Ventilationsapparat anlegen liess.
» Wie früher schon erwähnt ist, zeigte sich die Wirkung desselben nicht sogleich, da das Kindbettfieber noch in den letzten Monaten 1842 und im Anfange 1843 mehrere Opfer forderte. Der Grund hiervon ist nach Dr. Rigby’s Ueber - zeugung allein in der übelwollenden Opposition zu suchen, welcher das neue Ventilationssystem bei dem ganzen weibli - chen Dienstpersonale der Anstalt begegnete, das nur mit der grössten Schwierigkeit und nicht immer davon abzuhalten war, durch unzeitiges Schliessen oder Oeffnen der Klappen alle Ventilation in den Zimmern zu hindern, weshalb er auch annimmt, dass erst nach Wechslung eines Theiles dieses Per - sonals und Annahme von einigen zuverlässigen Candidaten zur Ueberwachung aller Vorschriften, die in Hinsicht der Ventilation gegeben waren, die Wirkung des Apparates er - kannt werden konnte, und zwar in solchem Grade, dass er der verbesserten Ventilation allein die merkwürdige Verände - rung in dem Gesundheitszustande des Hospitals zuschreibt, die im Frühjahre 1843 eintrat.
» Unglücklicher Weise bleibt indess bei dieser Sache ein Zweifel übrig, da in derselben Zeit sich etwas ereignete, dem man von anderer Seite einen grossen Einfluss zuschrieb. Im Anfange von 1843 war nämlich Dr. Reid darauf aufmerksam geworden, dass hin und wieder sich eine übelriechende Flüs - sigkeit von dem Grunde des Kellergewölbes erhob, wo der Feuerherd der Zugschornsteine angebracht war; und nach Untersuchung des Wassers kam man zu der Ueberzeugung, dass es von der nahen Abzugsrinne kommen musste. Des - halb wurden alle Ablaufsrinnen des Hauses nachgesehen. Man fand nun eine Hauptrinne mit einigen Stücken Holz so fest verstopft, dass noch ein starker Verdacht herrscht, dass eher Bosheit als Zufall Schuld daran sein mag; auch den ganz163 naheliegenden Theil des Kellergrundes fand man von allerlei riechenden Unreinigkeiten überspült und getränkt, ohne dass es begreiflicher Weise möglich war zu bestimmen, wie lange dieser Zustand schon gedauert habe.
» Da die Entdeckung und Beseitigung dieser miasmati - schen Quelle der Zeit nach zusammenfällt mit der strengeren Anwendung des neuen Ventilationsapparates, so ist es natür - lich, dass die Meinungen abweichend und die Entscheidung zweifelhaft ist, welchem dieser Momente man den wesentlich - sten Antheil an dem später so günstigen Gesundheitszu - stande des Hospitals zuschreiben soll. Dr. Rigby hält, wie gesagt, auf die Ventilation, und sieht den andern Umstand als weniger bedeutend an, indem er jede Spur einer Keller - feuchtigkeit ausser der an der Seite des Gebäudes liegenden Wölbung abläugnet, wo die Entdeckung geschah, und dazu die Beschreibung des betreffenden Zustandes des Kellergrun - des für sehr übertrieben hält. Andere dagegen, welche die persönliche Behinderung des Ventilationssystemes in der er - sten Zeit nicht beachten, legen besonderes Gewicht auf dieses Argument gegen die Ventilation, dass dieselbe fast ein Jahr in Gebrauch gewesen wäre, ohne das epidemische (endemische, Anm. d. Verf.) Auftreten des Fiebers zu verhindern. Hierzu lässt sich noch hinzufügen, dass die andern früher genannten wohlgelegenen Londoner Anstalten, ohne ein künstliches Ven - tilationssystem und selbst bei minder günstigem Raumverhält - nisse im Laufe des Jahres einen im Ganzen sehr guten Ge - sundheitszustand bewahrt haben; aber übersehen darf es von anderer Seite nicht werden, dass, selbst wenn die nächste und schlimmste Krankheitsquelle gestopft ist, sich doch noch mehrere gleicher Art in der niedrigen und sumpfigen Umge - bung des Hospitals nachweisen lassen, wie die noch übrigen nicht fernliegenden übelriechenden Gräben, und dass demnach der Gesundheitszustand so sehr verändert wurde. Legte man doch den letztgenannten ungünstigen Verhältnissen für die Katastrophe von 1842 eine solche Bedeutung bei, dass der11 *164eben genannte Dr. Fergusson 1839 in seiner bekannten Schrift über Kindbettfieber (Pag. 104) sagt: » Hinsichtlich des General-Lying-in-Hospital ist dessen Ungesundheit sei - ner Lage fast unter der Fluthöhe zuzuschreiben, umgeben von einem Netze von offenen Gräben von 1500 Fuss Ausdehnung, die alle Unreinlichkeit vom Lambeth-District aufnehmen, und von denen einige nicht 30 Fuss von der Mauer des Gebäudes abliegen. «
Ob der Gesundheitszustand der Wöchnerinnen in diesem Gebärhause sich deshalb besserte, dass durch eine zweckmäs - sig angebrachte Ventilation die deleteren Stoffe, welche sich früher bei schlechter Ventilation entwickelten, sich nicht mehr entwickelten; oder ob sich der Gesundheitszustand deshalb besserte, weil durch Reinigung und Ueberbauung der Gräben keine deleteren Stoffe mehr dem Gebärhause zugeführt wur - den, ist für unseren gegenwärtigen Zweck ziemlich gleich - giltig; für uns ist es in beiden Fällen ein Beweis, dass die grössere Sterblichkeit auch in diesem Gebärhause nicht durch atmosphärisch - cosmisch - tellurische Einflüsse bedingt war, sondern dass die grössere Sterblichkeit bedingt war durch Einbringung deleterer Stoffe.
165Tabelle Nr. XXIX.
Gebärhäuser in Irland.
I. Dublin (Rotunda) Lying-in-Hospital.
Tabelle Nr. XXX.
Coomte Lying-in-hospital.
Western Lying-in-hospital.
Von diesem Gebärhause sagt Professor Dr. Levy Fol - gendes: » Nach einem viel kleineren Masse und vorzüglich für den praktischen Unterricht berechnet, wurde vor ungefähr 12 Jahren das seither sogenannte Western Lying-in-hospital errichtet in einem kleinen Privathause auf Arrau-Quai. Die Anstalt, der Dr. Churchill vorsteht, wird allein durch Wohlthätigkeit unterhalten, während die Studirenden für den Unterricht zahlen und theils (5 — 6) im Hause wohnen, theils (jetzt 7 — 8) ausser demselben. Die vier kleinen, ärmlich aus -168 gestatteten Räume, jeder zu vier Betten, nimmt die Anstalt jährlich ungefähr 120 Gebärende auf, aber verpflegt ausser - dem noch jährlich mit Hilfe der Studirenden ungefähr 600 Gebärende in ihren Wohnungen. Der Unterricht ist in ganz ähnlicher Weise organisirt wie im Coombe-Hospital, und die Gesundheitsresultate scheinen sehr günstig zu sein, da nach Churchill’s Berechnung von 3211 Gebärenden, die bis 1843 in und ausser der Anstalt von der Stiftung an verpflegt wur - den, nur 15 gestorben waren, also im Verhältnisse eine von 214 Wöchnerinnen oder 0.46 Percent; über das verschiedene Verhältniss in und ausser der Anstalt hatte man keine ge - trennte Angabe.
Die noch kleineren Anglesea - und Victoria-Stiftungen sind zu unbedeutend, um Anspruch auf weitere Aufmerksam - keit zu haben. «
Gebärhaus in Edinburg.
Von 1823 bis 1837 ereigneten sich in diesem Gebärhause 2890 Geburten, davon sind am Kindbettfieber gestorben 36, d. i. 1.24 Percent.
Wir haben dem Leser acht in drei Ländern zerstreute Gebärhäuser vorgeführt; in sieben davon übersteigt die Sterb - lichkeit eben nur 1 Percent, im achten war sie 3 Percent. Für diese grössere Sterblichkeit finden wir das aetiologische Moment nicht in atmosphärischen Einflüssen, sondern in den deleteren Stoffen der Abzugscanäle, welche dieses Gebärhaus umgaben.
Worin liegt der Grund, dass die atmosphärischen Ein - flüsse die Wöchnerinnen in den vereinigten drei Königreichen so auffallend verschonen, welche in deutschen und französi - schen Gebärhäusern die Wöchnerinnen in so grosser Anzahl dahinraffen?
Der Grund liegt darin, dass es keine atmosphärischen Einflüsse sind, denen die Wöchnerinnen in deutschen und französischen Gebärhäusern in so grosser Menge zum Opfer169 fallen; sondern dass es ein zersetzter thierisch-organischer Stoff ist, welcher den Individuen von aussen eingebracht wird, und die Sterblichkeit in den Gebärhäusern der drei Königreiche und in deutschen und französischen Gebärhäusern hervorbringt; nur wird, vermöge der Verhältnisse der deut - schen und französischen Gebärhäuser, den Individuen in den - selben viel häufiger ein zersetzter Stoff von aussen einge - bracht, und daher die grössere Sterblichkeit. In den drei Kö - nigreichen wird den Individuen von aussen viel seltener ein zersetzter Stoff eingebracht, und daher ist die Sterblichkeit viel geringer.
Die Engländer halten das Kindbettfieber für contagiös, gebrauchen Chlorwaschungen und zerstören dadurch den zer - setzten Stoff, welcher von kranken Schwangeren, Kreissen - den, Wöchnerinnen und Puerperalleichen hergenommen wird, und welcher in deutschen und französischen Gebärhäusern, wo er nicht zerstört wird, so zahlreiche Erkrankungen ver - anlasst, wie uns Chiari gezeigt.
In deutschen und französischen Gebärhäusern wird der zersetzte Stoff sehr häufig von Kranken und Leichen genom - men, welche dem Kindbettfieber fremd sind; deshalb, weil die deutschen und französischen Gebärhäuser in der Regel in Ver - bindung stehen mit grossen Krankenhäusern, daher die Schü - ler bald in der Todtenkammer, bald im Gebärhause, bald auf einer chirurgischen, bald auf einer medicinischen Abtheilung sich beschäftigen, und dadurch zum Träger der zersetzten Stoffe werden, welche im Gebärhause so viel Unglück stiften.
Die Gebärhäuser in den drei Königreichen sind sämmt - lich selbstständige Institute, und schon wegen der Entfernung von Krankenhäusern ist der Schüler gezwungen, sich nur mit Geburtshilfe zu beschäftigen.
Wenn man den günstigeren Gesundheitszustand der Lon - doner Gebärhäuser dem Umstande zuschreiben wollte, dass dort nie mehr als zwei Schüler unterrichtet werden, so erlaube ich mir die Bemerkung, dass ein Schüler denn doch kein170 atmosphärischer Einfluss ist, und dass das Kindbettfieber, welches die mit zersetztem Stoffe verunreinigten Hände der Schüler hervorbringen, demnach kein epidemisches Kindbett - fieber ist.
Dass es nicht gleichgiltig ist, ob viele oder wenige Schü - ler mit durch zersetzte Stoffe verunreinigten Händen unter - suchen, ist einleuchtend; aber es ist vollkommen gleichgiltig, ob viele oder wenige Schüler mit reinen Händen untersuchen. Dass es nicht auf die Zahl, sondern auf die Reinheit der unter - suchenden Hände ankomme, das beweiset das Dubliner Ge - bärhaus, von welchem Levy sagt: » ... sondern man hat eine practische Schule unterhalten, wo im Laufe der Zeit mehrere tausende junge Aerzte aus allen Theilen Englands practische Ausbildung in der Geburtshilfe gesucht haben; und man hat endlich der Welt den vollständigen Beweis ge - geben, dass es ein Aberglaube der Muthlosigkeit ist, wenn man mit Nichtachtung des Bedürfnisses des Unterrichtes und der Wissenschaft sagt: dass eine abschreckende Tödtlichkeit mit zu den unvermeidlichen Attributen grösserer Gebäranstal - ten gehört. «
Dass es nicht auf die Zahl, sondern auf die Reinheit der untersuchenden Hände ankomme, beweist die erste Gebär - klinik zu Wien, wo im Monate April 1847 ohne Chlorwa - schungen bei 20 Schülern von 312 Wöchnerinnen 57, d. i. 18.27 Percent, starben, während im Jahre 1848 mit Chlor - waschungen bei 42 Schülern von 3556 Wöchnerinnen 45, d. i. 1.27 Percent, starben.
Um dem Leser recht deutlich den Unterschied in den Mortalitätsverhältnissen zwischen Gebärhäusern, in welchen den Individuen selten, und jenen, in welchen denselben häufig ein zersetzter Stoff von aussen eingebracht wird, vor Augen zu führen, wollen wir die Zahlenrapporte von 66 Jah - ren des Dubliner und des Wiener Gebärhauses zusammenstel - len, weil wir von mehr gleichen Jahren die Rapporte nicht be - sitzen. Beide sind Unterrichtsanstalten für Aerzte.
171Tabelle Nr. XXXI.
Im Wiener Gebärhause war die Sterblichkeit:
Im Dubliner Gebärhause war die Sterblichkeit:
Dieselbe Mortalitätsdifferenz treffen wir bei einem Ver - gleiche des Dubliner Gebärhauses mit der Maternité in Paris, wie Tabelle Nr. XXXII. zeigt.
174Tabelle Nr. XXXII.
In der Maternité zu Paris war die Sterblichkeit:
Im Dubliner Gebärhause war die Sterblichkeit:
Dass die Sterblichkeit unter den Wöchnerinnen der Ma - ternité lange vor der Zeit, welche diese Tabelle repräsen - tirt, eine bedeutende war, geht aus Osiander’s früher citirtem Werke hervor. Seite 51 sagt er: » Seit dem 9. De - cember 1797 bis zum 31. Mai 1809 sind 17,308 Frauen ent - bunden. 2000 Entbundene zum wenigsten sind schwer er - krankt und 700 gestorben und secirt; es starben mithin 4.04 Percent-Antheile. «
Seite 242 sagt Osiander: » Die Unterleibsentzündung der Wöchnerinnen, das Uebel, welches gewöhnlich mit dem Namen Puerperalfieber bezeichnet wird, und welches in allen grossen und überfüllten Gebärhäusern einheimisch zu sein pflegt, kommt auch in dem Gebärhause von Paris häufig vor. Die Krankheit wird besonders in den Wintermonaten häufig beobachtet, und ob sie gleich eigentlich immerfort herrscht. so erinnert man sich doch mit Schrecken an die beiden Jahre (zwischen 1803 und 1808), wo sie endemisch wüthete und eine Menge von Wöchnerinnen dahinraffte. «
Ich habe zwar nirgends mit Bestimmtheit die Mortalität unter den Wöchnerinnen während dieser beiden Jahre erfah - ren können, und die vorsichtigen Verfasser der Abhandlung über die Maternité*)Memoire sur l’hospice de la Maternité, « Paris 1808. Die drei Ver - fasser dieser Schrift sind sämmtlich bei den Bureaux des Hospitals angestellt, und werden von der Administration wegen bewiesener Vorsicht in den Angaben gelobt. sprechen nicht mit Bestimmtheit davon, es erhellt aber aus Allem, dass sie sehr gross gewesen sein muss, namentlich daraus, dass in den fünf angeführten Jahren (we - gen der zwei Jahre, in welchen die Unterleibsentzündung herrschte) die Mortalität wie 1 zu 23 sich verhielt, da sie zu anderen Zeiten nur wie 1 zu 32 sich verhalten soll. Es star - ben in diesen fünf Jahren von 9645 Frauen 414 grösstentheils an Unterleibsentzündung; also 4.29 Percent-Antheile.
176Dieselbe Verschiedenheit in der Sterblichkeit finden wir bei einem Vergleiche des Dubliner Gebärhauses mit Dubois’ Klinik, wie Tabelle Nr. XXXIII. zeigt.
Tabelle Nr. XXXIII.
In Dubois’ Klinik war die Sterblichkeit:
Im Dubliner Gebärhause war die Sterblichkeit:
Wenn wir die Rapporte von den vier Londoner und den zwei Dubliner Gebärhäusern, von welchen wir selbe nach Jahren gesondert besitzen, summiren, so gibt das folgende177 höchst wichtige Tabelle. In 262 Jahren wurden in diesen sechs Gebärhäusern verpflegt: 219,133 Wöchnerinnen, davon sind gestorben 2855, also 1.30 Percent. Die Sterblichkeit ver - hielt sich wie Tabelle Nr. XXXIV. zeigt.
Tabelle Nr. XXXIV.
Dass die grosse Sterblichkeit in den Gebärhäusern nicht durch atmosphärische Einflüsse bedingt sei, beweiset auch der Umstand, dass in Städten, in welchen mehrere Gebärhäuser sich befinden, nicht in allen gleichzeitig sich ein ungünstiger Gesundheitszustand der Wöchnerinnen zeigt; was doch der Fall sein müsste, da mehrere Gebärhäuser einer und dersel - ben Stadt nicht gleichzeitig verschiedenen atmosphärischen Einflüssen unterworfen sein können.
Um dies dem Leser klar zu machen, wollen wir die fünf ungünstigsten Jahre der vier Londoner Gebärhäuser zusam - menstellen.
Tabelle Nr. XXXV.
1838.
1841.
1835.
1840.
1842.
Von Dubois’ Klinik und der Maternité zu Paris sagt Arneth, dass während seines Aufenthaltes zu Paris im Jahre 1850 die Klinik der vielen Erkrankungen wegen auf kurze Zeit geschlossen wurde, während in der sonst als ungesund übel berüchtigten Maternité keine Kranke zu finden war.
Dass selbst verschiedene Abtheilungen eines und dessel - ben Gebärhauses constant verschiedene Mortalitätsverhältnisse darbieten können, haben wir in Wien und Strassburg ge - sehen.
Dass die grosse Sterblichkeit in den Gebärhäusern nicht durch atmosphärische Einflüsse bedingt sei, beweiset der Um - stand, dass nicht gleichzeitig die Wöchnerinnen der Ortsbe - völkerung, in welchem sich das vom Kindbettfieber heimge - suchte Gebärhaus befindet, vom Kindbettfieber in ungewöhn -179 licher Anzahl befallen werden, obwohl nothwendigerweise das Gebärhaus und der Ort, in welchem sich das Gebärhaus befindet, gleichzeitig nur denselben und nicht verschiedenen atmosphärischen Einflüssen unterworfen sein können.
Dass aber wirklich zur Zeit, wo die Wöchnerinnen im Gebärhause vom Kindbettfieber decimirt werden, sich die Wöchnerinnen des betreffenden Ortes eines guten Gesund - heitszustandes erfreuen, beweiset ja die Massregel des Schlies - sens der Gebärhäuser. Nachdem das Gebärhaus geschlossen, hören ja die Geburten nicht auf, sie gehen nur nicht im Ge - bärhause, sondern zerstreut im betreffenden Orte vor sich; und doch bleiben die zerstreut im Orte Entbundenen gesund, welche dem atmosphärischen Einflusse im Gebärhause dessel - ben Ortes erlegen wären.
Allerdings sterben auch manchmal ausserhalb der Ge - bärhäuser die Wöchnerinnen in grösserer Anzahl, aber diese grössere Sterblichkeit ist nicht atmosphärischen Einflüssen zuzuschreiben, weil die grössere Sterblichkeit ausserhalb der Gebärhäuser nicht immer gleichzeitig mit einer grösseren Sterblichkeit in den Gebärhäusern stattfindet, und weil die Sterblichkeit in den Gebärhäusern oft eine Höhe erreicht, wie solche ausserhalb der Gebärhäuser nicht vorkommt, endlich weil eine Sterblichkeit ausserhalb der Gebärhäuser seltener beobachtet wird, als innerhalb derselben.
Das Kindbettfieber, welches ausserhalb der Gebärhäuser vorkommt, ist so wie dasjenige, welches in den Gebärhäu - sern wüthet, in allen Fällen, keinen einzigen Fall ausgenom - men, ein Resorbtionsfieber, bedingt durch die Resorbtion eines zersetzten thierisch-organischen Stoffes. Dieser zersetzte thierisch-organische Stoff entsteht in und ausserhalb der Ge - bärhäuser in seltenen Fällen in dem ergriffenen Individuum, und erzeugt das Kindbettfieber durch Selbstinfection. In der überwiegend grössten Mehrzahl der Fälle wird aber in und ausserhalb der Gebärhäuser der zersetzte thierisch-organische Stoff, welcher resorbirt das Kindbettfieber hervorbringt, den12 *180Individuen von aussen beigebracht, und das Kindbettfieber entsteht demnach in und ausserhalb der Gebärhäuser durch Selbstinfection von aussen.
Die Quelle des zersetzten Stoffes, welcher das Kindbett - fieber hervorbringt, ist die Leiche; in und ausserhalb der Ge - bärhäuser werden Sectionen gemacht von Aerzten, welche sich mit Geburtshilfe beschäftigen. Die Quelle des zersetzten Stoffes, welcher das Kindbettfieber hervorbringt, sind Kranke, deren Krankheiten einen zersetzten Stoff erzeugen; in und ausserhalb der Gebärhäuser werden Kranke, welche einen zer - setzten Stoff erzeugen, von Aerzten behandelt, welche sich mit Geburtshilfe beschäftigen. Innerhalb und ausserhalb der Gebärhäuser zersetzen sich bei nicht gehörig beobachteter Reinlichkeit die physiologisch-thierisch-organischen Producte, und werden so in und ausserhalb des Gebärhauses zu Quellen des zersetzten Stoffes, welcher das Kindbettfieber erzeugt.
Der Träger des zersetzten Stoffes, welcher aus diesen drei Quellen genommen wird, ist in und ausserhalb des Ge - bärhauses der untersuchende Finger, die operirende Hand. Spitalsärzte, welche sich im Spitale mit Leichen oder mit zer - setzten Producten der verschiedensten Krankheiten ihre Hände verunreiniget haben, untersuchen und operiren auch ausser - halb des Spitales. Privatärzte, welche sich durch Sectionen oder mit zersetzten Producten der verschiedenen Krankhei - ten ihre Hände verunreiniget haben, beschäftigen sich auch mit Geburtshilfe.
Hebammen werden sehr häufig bei Kranken, deren Krank - heiten zersetzte Stoffe erzeugen, zum Zwecke der Reinigung verwendet, z. B. bei verjauchendem Krebse der Gebärmutter zu Einspritzungen, und dadurch werden sie zu Trägern des zersetzten Stoffes, welcher ausserhalb des Gebärhauses das Kindbettfieber hervorbringt.
Die Träger des zersetzten Stoffes können in und ausser - halb des Gebärhauses sein: die Instrumente, Bettwäsche, die atmosphärische Luft u. s. w.; mit einem Worte: Träger181 des zersetzten Stoffes kann in und ausserhalb des Gebärhau - ses alles dasjenige sein, welches mit einem zersetzten Stoffe verunreiniget ist, und mit den Genitalien der Individuen in Berührung kommt.
Weil aber nicht immer gleichzeitig in und ausserhalb der Gebärhäuser eine grosse Anzahl Individuen inficirt wird, darum ist nicht immer gleichzeitig in und ausserhalb der Ge - bärhäuser eine grosse Sterblichkeit unter den Wöchnerinnen.
Weil Privatärzte seltener als Spitalsärzte Gelegenheit haben, sich ihre Hände mit zersetzten Stoffen zu verunreini - gen, deshalb kommt das Kindbettfieber ausserhalb des Ge - bärhauses seltener in grosser Anzahl vor. Und endlich, weil ein Privatarzt nie Gelegenheit hat, so viele Individuen in kur - zer Zeit zu untersuchen, wie der Arzt in einem grossen Ge - bärhause, deshalb kommt das Kindbettfieber ausserhalb des Gebärhauses nie in so abschreckender Anzahl vor, als in Ge - bärhäusern.
Der beschäftigtste Arzt dürfte nur einige geburtshilfliche Fälle täglich zu besorgen haben, während wir im Wiener Gebärhause oft 30 bis 40 Geburten innerhalb 24 Stunden beobachteten, es ist daher begreiflich, dass der mit zersetzten Stoffen verunreinigte Finger des Privatarztes das Kindbettfie - ber nicht in dieser Anzahl hervorbringen kann, als der Fin - ger des Arztes, welcher in einem grossen Gebärhause beschäf - tiget ist. Dazu kommt noch, dass ausserhalb des Gebärhau - ses die Individuen in der Regel nur von einem Arzte unter - sucht werden, während im Gebärhause die Individuen von mehreren, viele sogar von vielen untersucht werden, und ob - wohl ein verunreinigter Finger hinreicht, eine grosse Anzahl Erkrankungen hervorzubringen, so ist doch unter vielen un - tersuchenden Fingern leichter einer oder der andere unrein, als wenn blos ein Finger untersucht.
Eine höchst lehrreiche Zusammenstellung englischer Er - fahrungen über die Erzeugung des Kindbettfiebers ausserhalb182 des Gebärhauses durch Uebertragung zersetzter Stoffe hat Arneth in seinem Werke*)» Ueber Geburtshilfe und Gynaecologie in Frankreich, Grossbritan - nien und Irland. « Wien 1853, bei Wilhelm Braumüller. Seite 334 veröffentlicht.
» Das Puerperalfieber ist eine so furchtbare Krankheit, dass es uns im höchsten Grade interessiren muss, was die eng - lischen Aerzte über dasselbe im Allgemeinen, und besonders über den in gewisser Hinsicht räthselhaften Umstand dessel - ben — seine Aetiologie — denken, und wie sie ihre Kranken behandeln.
» Der vielerfahrene Roberton theilt die Frauen hinsicht - lich der Häufigkeit, in der sie zur Zeit, wo keine Epidemie vorhanden ist, von Puerperalkrankheiten befallen werden, in solche, die ihren Haushalt einzig und allein besorgen, und in jene, die bedient werden. Seinen Erfahrungen zufolge werden die ersteren viel seltener von Wochenbettkrankheiten heimge - sucht. In der gewerbefleissigen Stadt Hulme von beiläufig 40,000 Einwohnern ist die Zahl jener Personen, welche Diener hal - ten, ungemein klein, das Arbeiterweib, welches die bei wei - tem überwiegende Ziffer der weiblichen Bevölkerung aus - macht, ist gewohnt, um fünf Uhr Morgens aufzustehen, die älteren Kinder zur Arbeit zu schicken, und sollte sie ihren Gatten nicht selbst in die Fabrik begleiten, die Geschäfte ihres Haushaltes und die Pflege ihrer Kinder zu besorgen, die sie vom frühen Morgen bis tief in die Nacht keinen Augen - blick ruhen lassen. Treffen die Kinder Krankheiten, so ist begreiflicherweise ihre Mühe um so grösser: die ganze Zeit der Schwangerschaft hindurch, ja wenn die ersten Perioden der Geburt sich hinausziehen, auch während derselben, steht sie denselben Geschäften so lange vor, bis die heftiger wer - denden Geburtsschmerzen sie zum Einhalten zwingen. Und trotz dieser Entbehrungen zählt man in Hulme nach den ämt - lichen Erhebungen des Decenniums von 1839 — 1849 nur 1 von 196½ Todesfällen auf Rechnung des Kindbettfiebers. Vier183 andere kleine Städte der Nachbarschaft, deren Bewohner einer viel wohlhabenderen Classe angehören, hatten auf 84 Todes - fälle einen, der durch das Wochenbett bedingt war.
» Anders gestalten sich nun freilich die Verhältnisse zur Zeit einer Epidemie, wo die in kleinen Räumen mit zahlrei - chen anderen Bewohnern zusammengedrängte arme Wöchne - rin häufig erliegt, während die Wohlhabende, die ein weites Gemach bewohnt, auf Reinlichkeit und sorgsame Pflege rech - nen kann, viel grössere Hoffnung zur Genesung hat. Die un - günstigeren Verhältnisse von beiden früher genannten Classen der Gesellschaft vereinigen nach Roberton’s Meinung wahr - scheinlich die Weiber der Krämer und kleinen Handelsleute, welche auf der einen Seite in übelgebauten Wohnungen ihre Tage zubringen, und auf der anderen Seite trotz besserer Er - ziehung, Verweichlichung und Liebhabereien der höheren Classe nicht die Vortheile geniessen, die jenen ihre Wohlha - benheit gewährt.
» Eine grosse Reihe von Erfahrungen, die man in Eng - land gemacht hat, und von denen wir die bedeutendsten ken - nen lernen wollen, spricht dafür, dass nach Uebertragung von gangraenescirenden faulen Stoffen im Allgemeinen und von Leichentheilen insbesondere auf die Gebärende Puerperalfie - ber entstand. Grösstentheils hat man aber die Fälle, wie wir später hören werden, anders gedeutet.
» Unter den über den Gegenstand erschienenen Schriften und Aufsätzen machte in England nichts mehr Aufsehen, als ein Journalartikel von Robert Storrs, der auch in dem von mir schon wiederholt benützten Jahresberichte des Reichsregistra - tors abgedruckt ist. Storrs befragte schriftlich mehrere Col - legen seiner Umgebung um ihre Erfahrungen und Ansichten, und das Resultat dieser Umfrage war ungefähr Folgendes: Reedal in Sheffield behandelte einen jungen Mann, der an einer offenen Leistengeschwulst und einer bösartigen, rosen - artigen Entzündung des Hodensackes und der Hinterbacken litt, die täglich verbunden werden mussten und endlich einen184 tödtlichen Ausgang nahmen. Die Schwester des jungen Man - nes, die ihn pflegte, bekam gleichfalls Rothlauf im Gesichte und am Kopfe, zu dem sich Fieber mit typhösem Charakter gesellte, und die Arme binnen zwei Tagen wegraffte. Wäh - rend Reedal nun den Patienten behandelte, bekamen fünf Frauen, bei deren Entbindung er vom 26. October bis 3. No - vember 1843 zugegen war, das Puerperalfieber und starben. Zu den genannten Unglücklichen war er fast unmittelbar nach der Reinigung jener Wunden gegangen, während zwei Frauen, die gleichfalls während des Geburtsgeschäftes seine Hilfe in Anspruch genommen hatten, zu denen er aber erst einige Stunden nach jenem gefahrbringenden Krankenbesuche ge - gangen war, ohne bedeutendere Erkrankungen davonkamen. Nach dem Tode jener Frauen gab Reedal seine Besuche bei dem jungen Manne auf, weil er sich für den Verbreiter der Krankheit ansehen musste. Seitdem hatte er eben so wenig mehr einen Fall von Puerperalfieber in seiner Praxis, als ihm dergleichen vor der Behandlung jenes Erysipelas vorgekom - men waren.
» Herr Sleight in Hull berichtet, dass er einen Kranken am (gangraenescirenden?) Erysipelas behandelte, und wäh - rend seines Besuches bei demselben zu einem Geburtsfalle gerufen wurde, der sehr leicht und regelmässig verlief. Nichts - destoweniger wurde die Frau 20 Stunden darnach vom Puer - peralfieber ergriffen, und starb, nachdem die Krankheit nur 18 Stunden gedauert hatte.
» Hardey, gleichfalls in Hull wohnend, behandelte einen grossen Abscess in der Lendengegend, und beiläufig um die - selbe Zeit einen erysipelatösen Abscess einer Brust. Zur sel - ben Zeit starben viele Schafe, Tauben und Kühe nach der Geburt. Hardey behandelte in Monatsfrist 20 Geburtsfälle, sieben Frauen starben; alle diese Geburten hatten einen regel - mässigen Verlauf gehabt, auch war sonst keine Ursache des unglücklichen Ausganges aufzufinden; Niemand aus der Um - gebung der Unglücklichen wurde übrigens von einer ähn -185 lichen Krankheit befallen. Häufige Chlorinwaschungen und ein ganz neuer Anzug hoben endlich die Weiterverpflanzung der Krankheit auf. Einige jener Frauen, deren Wochenbett glücklich endete, wurden übrigens nur wenige Stunden nach solchen von ihm übernommen, die tödtlichen Ausgang nach sich zogen.
» Drei Aerzte von Hull trafen bei der Section eines Man - nes zusammen, der an Gangraen nach einer Operation von Hernia incarcerata gestorben war. Alle berührten die Lei - chentheile. Einer von ihnen wurde von dem Leichname weg zu einer Geburt gerufen. Diese und noch einige rasch auf ein - ander von ihm entbundene Frauen starben am Puerperalfie - ber. Nicht viel besser erging es seinen beiden Collegen, die in kürzester Frist nach jener Leichenbesichtigung Fälle von Kindbettfieber in ihrer Praxis beobachteten. — Der Zufall führte sie nach einiger Zeit wieder zusammen, sie klagten sich gegenseitig ihre Unglücksfälle, gaben ihre geburtshilfliche Praxis für einige Zeit auf, und hatten nach dem Wieder - antritte derselben keine Krankheitsfälle mehr zu beklagen.
» S. Allen in York verlor eine Reihe Patientinnen am Kindbettfieber — doch nur im ersten dieser Fälle war er im Stande, irgend eine Verbindung mit Erysipelas herauszufin - den. — Zwei Monate hindurch war in seiner Praxis kein Fall von Puerperalfieber mehr vorgekommen, als plötzlich wieder eine von seinem Assistenten gepflegte Frau von dieser Krank - heit befallen wurde; derselbe war damals mit einer Jacke be - kleidet gewesen, die er zuletzt zur Zeit der Nachtwache bei einer im Kindbettfieber weit vorgerückten Frau getragen hatte. Der Mann der obenerwähnten Frau wurde gleichfalls von Bauchfellentzündung befallen, die alle Merkmale des Puer - peralfiebers an sich trug und tödtlich endete. Uebrigens war dies, so viel Allen weiss, der einzige Fall von Uebertragung der Krankheit auf die Umgebung der Kranken, der sich in seiner Praxis ereignete.
186» So weit reichen die schriftlichen Antworten jener Colle - gen, die Storrs befragt hatte.
» Storrs führt nun in Folgen dem seine eigenen Erfahrun - gen an, die nach seiner Meinung durchgehends beweisen, dass die Krankheit contagiös sei, die nach ihrer überwiegen - den Mehrheit zeigen, dass ihr Ursprung in einem ammali - schen Gifte zu suchen sei, die nicht selten bösartige Krank - heiten bei Anderen hervorbrachten, und die alle die Frucht - losigkeit der ärztlichen Behandlung, und gerade deshalb die äusserste Nothwendigkeit von Vorbauungsmitteln nachweisen.
» Einige Monate darauf, als das Gift schon etwas er - schöpft war, legte Storrs’ Assistent an das Bein der Frau Richardson eine Binde an und entband am Tage darauf eine junge Frau, sie wurde von heftiger Bauch - fellentzündung befallen, man liess ihr zweimal zur Ader, — sie erholte sich. Bei ihr hatte die Krankheit einen mehr stenischen Charakter.
» Storrs hofft durch seinen Aufsatz, aus dem wir darum so reichliche Auszüge geliefert haben, weil er den an den englischen Ansichten über die Weiterverbreitung des Puer - peralfiebers Zweifelnden überall entgegengehalten wird, be - wiesen zu haben:
188» Besonders im Gefühle dieser letzten traurigen Erfahrung geht Storrs’ Bericht dahin, ähnliches Missgeschick zu ver - hüten, zu welchem Endzwecke er vorschlägt, dass Geburts - helfer nie in demselben Kleide Kreissende besuchen sollen, dessen sie sich bei ihren übrigen Patienten bedienen; diese Vorsicht bezieht sich zunächst auf das Oberkleid, das noth - wendiger Weise nach Storrs’ Ansicht am meisten zur Ueber - tragung der krankheitserzeugenden Stoffe beitragen muss. Sobald aber Rothlauf oder Typhus herrschen, so wäre dieselbe Vorsicht auch im Wochenbette zu befolgen.
» Nach was immer für einer Leichenöffnung, oder nach189 einer Operation an einem an Erysipel oder am Typhus er - krankten Individuum soll der Chirurg so sorgfältig als nur möglich seine Hände waschen und seinen Anzug gänzlich än - dern, bevor er zu irgend einer Geburt geht; hiebei muss man ja die Handschuhe nicht ausser Acht lassen, da ja Hände und Arme die das Gift zunächst übertragenden Theile des Kör - pers sind.
» Sobald aber unglücklicherweise die Krankheit in eines Arztes Praxis sich festgesetzt hat, so sollte er sich 2 — 3 Wochen gänzlich von seinem Wohnorte entfernen, vollends seine Kleidung ändern, die sorgfältigsten Waschungen vor - nehmen und jedweden Krankheitsfall vermeiden, der die Quelle thierischen Giftes sein könnte.
» Eine ähnliche Mittheilung, die Roberton macht, erregte ungemeines Aufsehen in England. Eine Hebamme, die im Kreise der von der Wohlthätigkeitsgesellschaft verpflegten Gebärenden und Wöchnerinnen eine sehr ausgebreitete Praxis hatte, hatte das Unglück, eine von ihr entbundene Frau am Puerperalfieber sterben zu sehen. In dem darauffolgenden Monate (December 1830) war sie in weit auseinander gelege - nen Stadttheilen bei 30 Geburten thätig, 16 von diesen Wöch - nerinnen wurden vom Puerperalfieber befallen und starben. Dieser Umstand war um so auffallender, als beiläufig 380 Ge - burtsfälle vorfielen, die von derselben Gesellschaft nur durch Hebammen besorgt wurden, und die, mit alleiniger Aus - nahme der früher erwähnten, ohne alle Störungen im Wo - chenbette vorübergingen. Die Aerzte der Anstalt drangen darauf, dass die Hebamme sich auf’s Land begebe, und ihre Praxis für einige Zeit aussetze; kurze Zeit nach diesem Be - schlusse zeigte sich das Puerperalfieber an vielen Punkten der Stadt und in der Praxis von anderen Hebammen und Aerzten. Bis Juni wüthete es in einer Ausdehnung und mit einer Hef - tigkeit, die in Manchester kaum je vorgekommen war.
» Roberton nimmt es nicht auf sich, zu erklären, auf welche Art die Uebertragung der Krankheit in dem Falle der190 Hebamme stattgefunden habe, will aber hierbei noch zweier Fälle erwähnen, die nach seiner Ansicht beweisen, dass die Krankheit unmittelbar von einer Kranken auf die andere übertragen wurde. Ein Arzt führte bei einem armen, am Puerperalfieber leidenden Weibe den Catheter ein, und wurde noch in derselben Nacht zu einer Frau gerufen, um ihr Bei - stand bei ihrer Geburt zu leisten. » Am Morgen des zweiten Tages darauf bekam die Frau Schüttelfrost und die übrigen Zeichen der beginnenden Krankheit. « — Ein anderer Arzt wurde während einer Leichenöffnung an einer am Kindbett - fieber Verstorbenen zu einer Geburt geholt — 48 Stunden darauf ergriff dieselbe Krankheit auch diese Frau.
» Churchill*)On the Diseases of Women by Fleetwood Churchill, 3. edit. Dublin 1850. berichtet uns, dass Campbell in Edinburg anfangs nicht an die Contagiösität der Krankheit geglaubt, später aber seine Ansicht geändert, und in einem Briefe an L. Lee die nachfolgenden Beispiele erzählt habe.
» Er secirte im October 1821 eine nach Abortus am Puer - peralfieber verstorbene Frau; er steckte hierauf die Ge - schlechtstheile in den Sack und nahm sie zu einer Vorlesung mit. An demselben Abende war er in denselben Kleidern bei der Geburt einer Frau zugegen, die bald darauf starb.
» Am nächsten Morgen hatte Churchill eine Zangenope - ration vorzunehmen, ohne dass er seine Kleidung geändert hätte. Ueberdies erkrankten in den nächsten Wochen noch viele der von ihm gepflegten Wöchnerinnen, drei derselben starben. — Im Juni 1823 half er mehreren seiner Schüler bei der Section einer Frau, die am Puerperalfieber gestorben war. In der von Allem entblössten ärmlichen Wohnung konnte er seine Hände nicht mit der nöthigen Sorgfalt waschen, und ging nach Hause. Daselbst angelangt, fand er die Nachricht, dass zwei Gebärende seine Hilfe begehrten; ohne weitere Wa - schungen vorzunehmen und ohne die Kleider zu wechseln, eilte er diese Frauen aufzusuchen, beide wurden von der191 Krankheit ergriffen und starben. Dergleichen Fälle liessen sich noch in viel bedeutenderer Anzahl anhäufen.
» Es wird aber schon aus dem Angeführten und nament - lich aus dem der Praxis des Dr. Campbell Entnommenen klar hervorgehen, dass die Engländer diese Uebertragungen nicht in dem Sinne nehmen, wie Semmelweis und Skoda sie ver - standen wissen wollen, nämlich nicht durch eine Uebertra - gung von putriden Stoffen auf die Geschlechtstheile der Frau, sondern durch die Uebertragung der Krankheit qua talis von einer Frau auf die andere.
» Dass dies die Auslegung sei, geht schon aus den ge - machten Mittheilungen hervor, wird aber besonders durch folgenden Ausspruch Churchill’s klar dargethan: ‚ Nach aufmerksamer Prüfung der Thatsachen kann ich nicht zwei - feln, dass die Krankheit durch Ansteckung und Berührung weiter verbreitet wird, d. h. dass sie von einer am Puerperal - fieber Leidenden einer andern Person mitgetheilt werden kann, die mit derselben in Berührung ist, oder in enger Nachbar - schaft sich befindet. ‘
» Die Entscheidung der Frage, welche von beiden Ausle - gungen als die richtige sich herausstellt, ist begreiflicherweise von grosser praktischer Bedeutung; denn wenn die in Eng - land gewöhnliche Ansicht der Dinge Geltung erlangt, so folgt daraus keineswegs das Verbot, sich mit Leichen von Personen zu beschäftigen, die an anderen als Puerperalkrankheiten ge - storben sind, während wir hinwieder keinen Anstand nehmen, von einer kranken Wöchnerin zur andern zu gehen, ohne Kleider gewechselt zu haben, wie man dies in England zu thun vorschreibt, weil man die Lehre von der Uebertragbar - keit der Krankheit so weit ausdehnt, dass man annimmt, ein gesunder Mensch (also auch der Arzt), der von einer am Wo - chenbette Erkrankten herkomme, könne dieselbe Krankheit, ohne dass Berührung stattgefunden habe, auf eine bis dahin gesunde Wöchnerin übertragen. Diese Fähigkeit der Uebertra - gung scheint nach der dort üblichen Annahme für längere Zeit192 möglich gedacht zu werden, weil nach den häufig von engli - schen Schriftstellern aufgestellten Anordnungen ein Arzt, der so unglücklich ist, in seiner Praxis mehrere puerperalkranke Frauen zu haben, längere Zeit hindurch aufhören soll, bei Ge - burten Beistand zu leisten, und ihm Wechsel seiner sämmtlichen Kleidungsstücke zur Pflicht gemacht wird. Als Beweis dafür wird besonders angeführt, dass so häufig einzelne Geburtshel - fer oder Hebammen viele Fälle von Puerperalfieber unter ihren Pflegebefohlenen zählen, während die übrigen Aerzte nichts von dergleichen Vorkommnissen zu erzählen haben. Man wird aber wohl zugeben müssen, dass dieser letztge - nannte Umstand sich viel ungezwungener erklären lässt, wenn man annimmt (was sich in den meisten der oben mitgetheilten Fälle nachweisen liess), dass diese Praktiker sich entweder mit Leichenöffnungen, oder was gleichviel gilt, mit anderen putrescirenden Stoffen, Eröffnung von Abscessen, Reinigen und Verbinden von Wunden, Reinigen oder Untersuchungen von Wöchnerinnen, Untersuchungen von Placenten u. dgl. beschäftigt haben*)Dr. A. Martin, der Director der Hebammenschule in München, hatte die Güte, mir mündlich mitzutheilen, dass in den ersten Jah - ren seiner Wirksamkeit das Puerperalfieber häufige Opfer forderte, ohne dass es möglich gewesen wäre, in der kleinen, gesund gelege - nen Anstalt die Veranlassung zu entdecken. Erst nach und nach wurde er davon benachrichtigt, dass die Hebammen die Placenten in den in der Anstalt gelegenen Abtritt warfen. Nach Abstellung die - ses Uebelstandes wurde der Gesundheitszustand der Anstalt ein blei - bend günstiger.. — Mehrere der obengenannten Aerzte haben durch die in England gang und gäbe gewordenen An - sichten ihre geburtshilfliche Praxis für einige Zeit aufgege - ben, nachdem sie das Unglück hatten, mehrere Frauen durch das Puerperalfieber zu verlieren. Der Umstand, dass sie so - gleich beim Wiederaufnehmen derselben nicht glücklicher waren, scheint — nach einer mehrere Wochen betragenden Frist — ausser Zweifel zu setzen, dass die von ihnen beschul -193 digte Ursache nicht mehr im Spiele sein konnte, und rüttelt stark an der Ueberzeugung, dass sie es früher war.)
(Es ist auch meine Ueberzeugung, dass die oben ange - führten Beschäftigungen der Aerzte das ursächliche Moment des nach diesen Beschäftigungen beobachteten Puerperalfie - bers gewesen sind; ich habe ja deshalb diese Daten hier an - geführt, um dem Leser zu zeigen, dass man sich auch ausser - halb des Gebärhauses mit Dingen beschäftiget, in deren Folge das Puerperalfieber auch ausserhalb des Gebärhauses ent - steht.
Aber ich ziehe aus diesen Daten andere Schlüsse, als die englischen Aerzte.
Ich halte das Kindbettfieber für keine contagiöse Krank - heit, weil dasselbe nicht von einem jeden am Kindbettfieber erkrankten Individuum auf ein gesundes übertragen werden kann, und weil ein gesundes Individuum das Kindbettfieber von Kranken her bekommen kann, welche selbst nicht am Kindbettfieber leiden.
Ein jeder Blatternkranke ist geeignet, bei einem gesun - den Individuum Blattern hervorzubringen, und ein gesundes Individuum kann Blattern nur von einem Blatternkranken be - kommen, von einem Gebärmutterkrebs her hat noch Niemand Blattern bekommen.
Nicht so verhält sich die Sache beim Kindbettfieber; wenn das Kindbettfieber unter Formen verlauft, welche keine zersetzten Stoffe erzeugen, so ist das Kindbettfieber von die - sen Individuen auf ein gesundes nicht übertragbar. Erzeugt aber das Kindbettfieber zersetzte Stoffe, wie z. B. bei Endo - metritis septica, so ist das Kindbettfieber auf gesunde aller - dings übertragbar. Nach dem Tode ist von jeder Puerperal - leiche das Kindbettfieber auf Gesunde übertragbar, bei der Leiche kommt nur der Fäulnissgrad in Betracht. Aber das Kindbettfieber kommt von Krankheiten, welche selbst nicht Kindbettfieber sind, gangraenöses Erysipel, Carcinoma uteri etc. bringen Kindbettfieber hervor.
Semmelweis, Kindbettfieber. 13194Eine jede Leiche, mag welche immer Krankheit den Tod veranlasst haben, ist geeignet, das Kindbettfieber hervorzu - bringen, wenn die Leiche den nöthigen Fäulnissgrad er - reicht hat.
Eine contagiöse Krankheit wird durch einen Stoff fort - gepflanzt, welchen nur die betreffende Krankheit erzeugt. Ca - ries hat noch nie ein Blatterncontagium hervorgebracht. Das Puerperalfieber wird durch einen Stoff fortgepflanzt, welcher das Product nicht des Kindbettfiebers allein, sondern auch das Product der heterogensten Krankheiten bildet.
Jede Leiche, mag welch immer Krankheit den Tod ver - anlasst haben, erzeugt den Stoff, welcher das Kindbettfieber hervorbringt.
Daraus folgt das Verbot des Beschäftigens mit Leichen und mit Kranken, deren Krankheiten einen zersetzten Stoff erzeugen, ohne Rücksicht auf den Puerperalzustand.
Für mich ist es eine unumstössliche Wahrheit, dass der Thierarzt, welcher zugleich Geburtshelfer wäre, durch die von kranken oder gefallenen Thieren hergenommenen zersetz - ten Stoffe bei einer Wöchnerin das Kindbettfieber hervorbrin - gen würde.
Das Kindbettfieber ist demnach keine contagiöse Krank - heit, aber es ist eine auf ein gesundes Individuum über - tragbare Krankheit vermittelst eines zersetzten Stoffes. Das Kindbettfieber steht zum Rothlauf und seinen Folgen in kei - ner andern Beziehung, wie zu jeder andern Krankheit, welche einen zersetzten Stoff erzeugt, das Kindbettfieber steht zum Rothlauf und seinen Folgen in derselben Beziehung, wie zu jeder faulen Leiche. Wenn die englischen Aerzte ausser dem Puerperalfieber selbst nur noch den Rothlauf und seine Fol - gen als Quellen des zersetzten Stoffes, welcher das Kindbett - fieber hervorbringt, anerkennen, so ziehen sie die Grenzen viel zu enge, wie ja schon die oben angeführten Daten be - weisen; es war ja nicht alles Rothlauf, woher der Stoff ge -195 nommen wurde für die oben aufgezählten Fälle von Kindbett - fieber.
Das Kindbettfieber ist demnach dieselbe Krankheit, wel - che bei Chirurgen, bei Anatomen, welche nach chirurgischen Operazionen entsteht, das Kindbettfieber ist demnach die - selbe Krankheit, wenn männlichen oder weiblichen Indivi - duen ein zersetzter Stoff in den Kreislauf gebracht wird.
Durch die Epidermis oder durch eine dicke Schichte des Epitheliums hindurch ist dieser zersetzte Stoff nicht resorbir - bar, bei Chirurgen, bei Anatomen muss eine Verletzung vor - ausgehen.
Kolletschka hat als tüchtiger pathologischer Anatom unzählige Male seine Hände mit zersetzten Stoffen verunrei - niget gehabt und blieb gesund, durch den Stich wurde die Resorbtion ermöglicht, wir wissen welche Krankheit die Folge davon war.
Die Resorbtionsstelle kann jeder Punkt des Körpers sein, welcher von Epidermis, von Epithelium entblösst wird.
Bei Schwangeren, Kreissenden, Wöchnerinnen haben wir eine Stelle des Körpers, welche keine Epidermis, welche kein Epithelium besitzt, und das ist die innere Fläche des Uterus; vom innern Muttermunde angefangen nach aufwärts, das ist die Resorbtionsstelle für den zersetzten Stoff, welcher das Kindbettfieber hervorbringt. Wurden durch die Geburt Verletzungen bedingt, so kann jede Stelle der Genitalien, ja jede Stelle des ganzen Körpers, welche wund ist, zur Re - sorbtionsstelle werden.
Wir haben früher erwähnt, dass die äusseren Genitalien zweier Wöchnerinnen im Schuljahre 1857 / 8 an der geburts - hilflichen Klinik zu Pest gangraenös wurden; eine dieser Wöchnerin zur Pflege zugetheilte Schülerin hatte eine kleine Hautabschürfung auf einem Finger, in Folge einer Verletzung mit einer Nadel, sie bekam Lymphangoitis mit Vereiterung der Oxilardrüsen und machte eine mehrere Monate dauernde schwere Krankheit durch.
13 *196Da nun die Individuen in den Gebärhäusern in der Re - gel ausserhalb der Genitalsphäre keine zur Resorbtion geeig - nete Stelle darbieten, so muss nothwendiger Weise der zer - setzte Stoff, welcher die Eigenschaft besitzt, das Kindbettfie - ber hervorzubringen, den Individuen in die Genitalien einge - bracht werden; da nun aber die Kleider des Geburtshelfers nicht in die Genitalien der Individuen eingebracht werden, so ist die Sitte der Engländer, die Kleider zu wechseln, um das Kindbettfieber nicht durch die Kleider zu verschleppen, eine zwar unschädliche, aber überflüssige Vorsicht. Ich und die Schüler haben im Jahre 1848 zu Wien unsere Kleider nach Beschäftigungen mit solchen Dingen, welche die Eigenschaft besitzen, das Kindbettfieber hervorzubringen, nicht gewech - selt, wir haben nur unsere Hände der Einwirkung des Chlors ausgesetzt, und haben im Jahre 1848 von 3556 Wöchnerinnen nur 45, d. i. l. 27 Percent am Kindbettfieber verloren.
In den oben angeführten Fällen, wo der Geburtshelfer, ohne die Kleider gewechselt zu haben, gesunde Kreissende besuchte, welche dann am Kindbettfieber gestorben sind, wa - ren gewiss nicht die Kleider, sondern seine Hände die Träger des zersetzten Stoffes, welche, weil sie nicht gewechselt wer - den konnten, desinficirt hätten werden sollen. Wenn durch die angeführten Beschäftigungen die Kleider mit zersetzten Stoffen verunreiniget wurden, so wurden es die Hände ge - wiss noch mehr, und mit diesen Händen wurde innerlich un - tersucht.
Damit das Kindbettfieber entstehe, ist es Conditio sine qua non, dass der zersetzte Stoff in die Genitalien einge - bracht werde, und mit von zersetzten Stoffen verunreinigten Händen können die Individuen in - und ausserhalb der Gebär - häuser allen möglichen medicinischen Untersuchungen, mit Ausnahme der Exploratio obstetricia interna unterworfen werden, ohne dadurch auch nur der geringsten Gefahr ausge - setzt zu sein.
Dass die Epidermis die Resorbtion des zersetzten Stoffes197 verhindere, beweist ja der Umstand, dass der Geburtshelfer, unbeschadet seiner Gesundheit, den zersetzten Stoff Stunden und Tage lang an seiner Hand herumträgt, welcher Stoff durch die innere Untersuchung mit der inneren Fläche des Uterus für Augenblicke in Berührung gebracht, resorbirt wird, und dadurch das Kindbettfieber hervorbringt.
Die Hände der Anatomen sind ja oft stundenlang in Be - rührung mit faulen Leichen und bleiben gesund, wird aber die Epidermis durch Verletzung entfernt, so entsteht die Krankheit, welche wir bei Kolletschka, welche wir bei der Schülerin gesehen.
Vermöge der Lage der Zimmer der ersten Gebärklinik wurde die allgemeine Visite zweimal täglich in folgender Ord - nung gehalten: zuerst war Visite auf dem Kreissezimmer, dann wurde die Hälfte der gesunden Wöchnerinnen besucht, dann wurde Visite in den Krankenzimmern gemacht, und nun wurde die Visite mit der Besichtigung der zweiten Hälfte der gesunden Wöchnerinnen geschlossen.
Wenn wir uns auch auf dem Krankenzimmer die Hände von Seite der kranken Wöchnerinnen verunreinigten, so fühl - ten wir den gesunden Wöchnerinnen der zweiten Hälfte, ohne uns früher in Chlor gewaschen zu haben, den Puls, wir be - fühlten äusserlich den Bauch, mit einem Worte, wir machten alle nöthigen medicinischen Untersuchungen, mit Ausnahme der Exploratio obstetricia interna, und wir haben dadurch das Kindbettfieber nicht vervielfältigt, denn wir verloren im Jahre 1848 von 3556 Wöchnerinnen nur 45, d. i. l. 27 Percent.
Das Kindbettfieber kann daher durch die äussere unver - letzte Oberfläche des Körpers nicht aufgenommen werden, es wird demnach nicht nach Art der Blattern dadurch fortge - pflanzt, dass die äussere Oberfläche eines gesunden Indivi - duums in den Dunstkreis eines kranken Individuums kömmt.
Wenn aber die Exhalationen kranker Individuen mit der atmosphärischen Luft in die Uterushöhle eindringen, dann entsteht allerdings das Kindbettfieber.
198Wir haben uns früher dahin ausgesprochen, dass der Ge - brauch der Engländer, nach dem Besuche einer kranken Wöchnerin die Kleider vor dem Besuche einer gesunden Wöchnerin zu wechseln, eine zwar unschädliche, aber über - flüssige Vorsicht sei, weil die Kleider, welche mit einem zer - setzten Stoffe verunreiniget sind, nicht dorthin kommen, wo die Resorbtion im normalen Zustande geschieht, nämlich in die Uterushöhle, die Kleider könnten nur dadurch das Kindbett - fieber hervorbringen, dass deren Exhalationen mit der atmo - sphärischen Luft in die Gebärmutterhöhle dringen; in dem Grade dürften aber die Kleider nicht leicht verunreinigt sein, um das besorgen zu müssen; wir haben in Wien nie die Klei - der gewechselt, und ich thue es auch jetzt nicht. Die Kleider könnten auch dadurch zur Entstehung des Kindbettfiebers Veranlassung geben, dass z. B. der Aermel des Rockes, wenn er mit zersetzten Stoffen verunreiniget ist, bei der inneren Untersuchung einer Wöchnerin mit den durch die Geburt ver - letzten Genitalien in Berührung kommt; ein Ereigniss, wel - ches gewiss nicht täglich geschieht.
In diesem Sinne können allerdings auch die Kleider schädlich werden, aber gewiss nicht in dem Sinne der Eng - länder, welche glauben, das Puerperal-Contagium könne, so wie das Blattern-Contagium, mit den Kleidern zu einer ge - sunden Wöchnerin getragen werden, welche es dann, wie das Blattern-Contagium, durch die äussere Oberfläche ihres Kör - pers in sich aufnimmt, und dadurch ebenfalls vom Kindbett - fieber befallen werden.
Im normalen Zustande ist nur die innere Fläche des Ute - rus das Atrium für das Puerperalfieber, durch Wundwerden kann jede Stelle des Körpers zum Atrium werden.
Wenn englische Aerzte das Unglück haben, mehrere Wöchnerinnen am Kindbettfieber zu verlieren, so begnügen sich selbe mit den Chlorwaschungen nicht, sondern sie setzen ihre geburtshilfliche Praxis für einige Wochen aus, oder un -199 ternehmen eine mehrwöchentliche Reise, um vom Puerperal - Contagium gänzlich gereinigt zu werden. Wir zerstören den zersetzten Stoff durch Chlorwaschungen und halten diese Des - infection für hinreichend.
Wir hatten in Wien im Monat April 1847 57 Wöch - nerinnen von 312, also 18.27 Percent am Kindbettfieber ver - loren, im Mai 1847 36 Wöchnerinnen von 294, also 12.24 Per - cent; wir haben Mitte Mai die Chlorwaschungen eingeführt, mit welchem Erfolge ist dem Leser bekannt, ohne unsere oder der Schüler Verwendung im Gebärhause unterbrochen zu haben.
Ich glaube hiemit den Unterschied zwischen meiner An - sicht vom Kindbettfieber und der Ansicht englischer Aerzte, und über die Weiterverbreitung der Krankheit hinreichend deutlich gegeben zu haben.
Um Wiederholungen zu vermeiden, habe ich zur Erörte - rung dieser Gegenstände diese Stelle der Schrift gewählt, ob - wohl hier von andern Dingen die Rede ist.
Wenn es früher räthselhaft war, wie eine epidemische Krankheit auch auf traumatischem Wege hervorgebracht wer - den könne, so ist es jetzt, nachdem wir wissen, dass das Puerperalfieber durch Resorbtion eines zersetzten Stoffes ent - stehe, kein Räthsel mehr.
In Folge einer schweren Zangenoperation werden durch Quetschung Stellen der Genitalien necrotisch, diese necroti - schen Theile, wenn resorbirt, erzeugen das Kindbettfieber durch Selbstinfection.
Dass die grosse Sterblichkeit der Wöchnerinnen am Kindbettfieber nicht durch atmosphärische Einflüsse, sondern durch Einbringung eines zersetzten Stoffes von aussen bedingt sei, beweiset die geographische Verbreitung des Kindbettfie - bers. Litzmann*)Das Kindbettfieber in necrologischer, geschichtlicher und therapeuti - scher Beziehung von Dr. C. F. Carl Litzmann. Halle 1844. sagte Seite 129 von der geographischen200 Verbreitung des Kindbettfiebers Folgendes: » Die meisten der uns bekannten Epidemien sind auf das mittlere Europa be - schränkt. Die Notizen über aussereuropäische Epidemien sind sehr dürftig; es gehören dahin die Bemerkungen über das Kindbettfieber in Philadelphia von Hodge, und in Jerusalem von Scholz. Im Allgemeinen scheinen die kälteren und feuch - teren Länder vorzugsweise heimgesucht, z. B. England, das noch mehr als Frankreich dieser Plage unterworfen ist, eben so die Städte, die an den Ufern grosser Flüsse liegen, z. B. Wien. Dagegen erkranken z. B. in Sicilien, nach Brydone’s Berichten, die Frauen sehr selten nach der Entbindung; Sa - vary sagt in seinen Briefen über Egypten, die Milchkrank - heiten seien dort gänzlich unbekannt, und Dr. Salles ver - sichert, während seines dreijährigen Aufenthaltes in Südame - rika daselbst kein Puerperalfieber gesehen zu haben. Doch sind diese Angaben zu unvollständig, um Schlüsse darauf zu bauen. Wahrscheinlich ist das Kindbettfieber über die ganze Erde verbreitet, und sein mehr oder minder häufiges Vorkom - men weniger von dem Klima, als von dem Vorhandensein oder Fehlen grösserer Städte, und namentlich grösserer Entbin - dungsanstalten abhängig. «
Durchdrungen von der Ueberzeugung, dass das Kind - bettfieber durch die Resorbtion eines zersetzten Stoffes ent - stehe, interpretire ich diese Aeusserungen Litzmann’s über die geographische Verbreitung des Kindbettfiebers folgender - weise: » Gewiss kömmt das Kindbettfieber über die ganze Erde verbreitet in seltenen Fällen in Folge von Selbstinfection vor. Gewiss kömmt das Kindbettfieber in einzelnen Fällen über die ganze Erde verbreitet in Folge von Infection von aussen dadurch vor, dass es über die ganze Erde verbreitet Kranke gibt, deren Krankheiten einen zersetzten Stoff erzeu - gen, und weil es über die ganze Erde verbreitet Medicinal - Individuen männlichen und weiblichen Geschlechtes gibt, welche sich mit solchen Kranken und mit Schwangern, Kreis - senden und Wöchnerinnen beschäftigen.
201Gewiss würde das Kindbettfieber in grosser Anzahl über die ganze Erde verbreitet vorkommen, wenn über die ganze Erde verbreitet den Individuen in grosser Anzahl ein zersetz - ter Stoff von aussen eingebracht würde. Das geschieht aber nur im mittleren Europa. Im mittleren Europa ist Veranlas - sung zur Beschäftigung mit zersetzten Stoffen, im mittleren Europa ist Gelegenheit in den Gebärhäusern vielen Individuen gleichzeitig den zersetzten Stoff einzubringen. Das Kindbett - fieber ist vorzüglich an grössere Städte deshalb gebunden, weil die grossen Gebärhäuser sich in grossen Städten befinden, dass die Städte selbst es nicht sind, welche das Kindbettfieber hervorbriugen, beweiset ja der Umstand, dass man das Kind - bettfieber in den Gebärhäusern dadurch unterdrücken kann, dass man nach Schliessung der Gebärhäuser die Individuen in der Stadt entbinden lässt.
Dass die Puerperal-Epidemien in Wien nicht deshalb ent - standen sind, weil Wien an den Ufern eines grossen Flusses liegt, geht daraus hervor, dass den furchtbaren Wiener Puer - peral-Epidemien 25 Jahre vorausgegangen sind, in welchen nicht eine Wöchnerin von hundert im Gebärhause starb; ob - wohl während dieser 25 Jahre Wien an den Ufern desselben grossen Flusses lag; durch die Einführung der Chlorwaschun - gen ist die Donau nicht ausgetrocknet worden; aber die Epi - demien haben aufgehört. Wenn die Donau die Epidemien in Wien hervorgebracht hätte, wo liegt denn der Grund, dass die Donau das nur in Wien thut und nicht in allen Orten, die an seinen Ufern liegen vom Ursprunge bis zur Mündung?
Wenn in Sicilien, in Egypten, in Südamerika das Kind - bettfieber nicht vorkommt, so kommt es gewiss nicht deshalb nicht vor, weil in Sicilien, in Egypten, in Südamerika Was - sermangel herrscht, sondern deshalb, weil in Sicilien, in Egypten, in Südamerika die Anatomie in ihren Zweigen, und die anatomische Richtung der Medicin noch nicht die Triumphe gefeiert, welche den Stolz der Wiener Schule und das Un - glück des Wiener Gebärhauses bilden.
202Die veröffentlichten Rapporte der englischen Gebärhäu - ser weisen eine durchschnittliche Sterblichkeit von 1 Percent aus; die französischen eine von 4 Percent; es ist mithin un - richtig, wenn Litzmann sagt, dass England mehr als Frank - reich der Plage des Kindbettfiebers unterworfen sei.
Dass das Kindbettfieber nicht durch atmosphärische Ein - flüsse, sondern durch die Aufnahme eines zersetzten Stoffes entstehe, beweist die Geschichte des Kindbettfiebers. Litz - mann sagt in seiner Geschichte des Kindbettfiebers, in wel - cher alle Puerperal-Epidemien bis zum Jahre 1841 aufgezählt werden, Folgendes: » Soweit die vorliegenden historischen Documente ein Urtheil gestatten, ist das Kindbettfieber erst eine Krankheit der neueren Zeit. Die von Hippocrates mitge - theilten Krankheitsfälle, die man gewöhnlich als solche in Anspruch nimmt, gehören nicht dahin. Es sind nur Beispiele der damals herrschenden biliösen Fieber, die sich bei den Wöchnerinnen nicht anders verhielten, als bei Nichtwöchne - rinnen und Männern, und von Hippocrates selbst nirgends als besondere und eigenthümliche Krankheiten bezeichnet wer - den. Schmerzen im rechten Hypochondrium, galliger Durch - fall und galliges Erbrechen, Kopfschmerz mit Delirium oder Sopor, Fieber mit mehr oder minder häufigen unregelmässi - gen Frostanfällen bilden bei Allen die hervorstehenden Symp - tome; kaum dass bei den Wöchnerinnen die Störung in den Wochensecretionen einen Unterschied begründet; denn nur bei dreien finden wir eine Unterdrückung der Lochien, und bei zweien derselben Schmerzen in der Uteringegend erwähnt. Die wiederholten Fröste, von denen einige der Kranken be - fallen wurden, haben in der neuesten Zeit Helm bestimmt, in der geschilderten Krankheit eine Metrophlebitis zu er - blicken.
(Allein es ist mindestens zweifelhaft, ob man aus diesem einzelnen Symptome mit solcher Sicherheit auf Phlebitis schlies - sen darf, wenn die Diagnose nicht durch andere Zeichen un - terstützt wird, und namentlich der Bestätigung durch die203 Section ermangelt. Auf Metrophlebitis kann es hier um so weniger bezogen werden, als es, abgesehen von den ganz feh - lenden, oder höchst unbedeutenden Erscheinungen eines Ute - rinleidens, auch bei Männern beobachtet wurde. (Epid. lib. III. sect. II. aeger nr. 5, sect. III. aeger nr. 3.) Sollen die Fröste daher von einer Venenentzündung abhängig ge - macht werden, so könnten wir nach den vorhandenen Er - scheinungen den Sitz derselben hier nirgends anders, als im Gefässsysteme der Leber suchen. (Hippocrates, Epidem. lib. I. sect. III. aegra nr. 4, 5, 11, lib. III. sect. II. aegra nr. 10, 11, 12, sect. III. aegra nr. 2, 14.)
(Den ersten, wiewohl noch undeutlichen Spuren des Kind - bettfiebers begegnen wir in der zweiten Hälfte des 17. Jahr - hunderts im Hôtel-Dieu zu Paris. Peu erzählt, dass in dem gedachten Hospitale die Sterblichkeit unter den Neuentbun - denen sehr gross gewesen sei, und zwar zu gewissen Zeiten und in gewissen Jahresabschnitten mehr, als in andern. Be - sonders verheerend zeigte sich das Jahr 1664. Vesou, der Arzt des Hospitals, schrieb den Grund dieser auffallenden Sterblichkeit dem Umstande zu, dass die Wochenzimmer ge - rade über dem Saale der Verwundeten lagen. Die Sterblich - keit der Wöchnerinnen stand im geraden Verhältnisse mit der Zahl der Verwundeten. Durch feuchte, warme sowohl als kalte Witterung wurde sie gesteigert, bei trockener änderte sie sich. Mit der Verlegung der Wöchnerinnen in den unteren Stock erlosch die Krankheit. Die Beschreibung derselben ist höchst mangelhaft, es wird nur gesagt, dass die Kranken bis zu ihrem Ende an Blutungen gelitten hätten, und dass man bei der Section die Leichen voller Abscesse gefunden habe. «
Noch genauere Aufschlüsse über das Hôtel-Dieu und die Ursache des daselbst herrschenden Kindbettfiebers gibt uns Osiander in seiner oben citirten Schrift. Seite 243 sagt er: » In dem merkwürdigen Berichte, welchen Tenon im Jahre 1788 von den Hospitälern in Paris der Regierung abstat -204 tete*)Mémoire sur les hospitaux de Paris., liest man Seite 241 u. f., dass die Unterleibsentzün - dung, » la fièvre puerperale «, wie der Verfasser die Krankheit immer nennt, seit dem Jahre 1774 alle Winter unter den Wöchnerinnen des Hôtel-Dieu gewüthet habe, und dass zu manchen Zeiten von 12 Wöchnerinnen 7 von dieser furchtba - ren Krankheit befallen worden seien. Um dies nicht auffal - lend zu finden, muss man wissen, in welchem bedauerungs - würdigen Zustande die Wöchnerinnen und die Schwangeren sich damals im Hôtel-Dieu befanden. In niedrigen und schma - len Sälen der oberen Etage, die mit Betten überfüllt waren, eingeschlossen, traf es sich nicht selten, dass drei Wöchne - rinnen in einem vier Fuss breiten Bette neben einander zu lie - gen kamen, denn im Jahre 1786 lagen in 67 nicht übermäs - sig breiten Betten 175 Schwangere und Neuentbundene und 16 Aufwärterinnen. Ueberdies befanden sich die Säle der Wöchnerinnen über anderen Krankensälen des Hôtel-Dieu, und wenn auch die Verwundeten damals schon nicht mehr wie ehemals**)Schon im Jahre 1664 leitete ein Arzt des Hôtel-Dieu Namens Lamoiquou, die Häufigkeit und Gefahr des Kindbettfiebers in die - sem Hospital von der Lage der Wochensäle über denen der Ver - wundeten her; und Peu und Desault machten die Bemerkung, dass, seitdem die Verwundeten von da verlegt seien, die Krankheit weniger häufig vorkomme. unter den Sälen der Wöchnerinnen lagen, so darf man doch annehmen, dass schon die Nähe der grossen Kran - kensäle zur Verderbniss der Luft und zur Erzeugung gefähr - licher Miasmen in den Sälen der Wöchnerinnen beigetragen habe etc. etc. «
Also die erste Kindbettfieber - Epidemie, die man als solche anerkennt, ist nicht durch atmosphärische Einflüsse, sondern so wie ich es lehre, entstanden, und wenn sich auch kein Historiograph gefunden, der uns die Geheimnisse der übrigen unzähligen Puerperalepidemien enthüllt, so liefert doch die Geschichte des Kindbettfiebers, wenige Epidemien205 ausgenommen, die Sectionsbefunde der betreffenden Epide - mien, und dadurch die Quelle, aus welcher die Epidemien ihre Existenz gefristet. Ich habe nachgewiesen, aus welchen Ver - hältnissen die Epidemien des Wiener Gebärhauses, das Ge - bärhauses zu St. Rochus und der geburtshilflichen Klinik in Pest entsprungen sind. Durch diese Schrift aufmerksam ge - macht, dürften die Geheimnisse der Epidemien so mancher Gebärhäuser enthüllt werden.
Die Geschichte der Puerperalfieber-Epidemien des Wie - ner Gebärhauses liefert den Beweis, dass die Häufigkeit und Bösartigkeit der Epidemien im geraden Verhältnisse stand mit der Entwicklung und Ausbildung der anatomischen Rich - tung der Medicin.
Boer trat im Jahre 1789 sein Lehramt an, und erhielt im Jahre 1822 einen Nachfolger in Prof. Klein, nachdem Boer, der Reformator der Geburtshilfe, der Verfasser der natürli - chen Geburtshilfe, entmuthigt durch die damals für enorm ge - haltene Sterblichkeit, sein Lehramt frühzeitig verlassen; und doch hatte Boer 21 Jahre nicht eine Wöchnerin von 100 ver - loren. 6 Jahre war die Sterblichkeit 1 von 100, 4 Jahre 2 von 100, 1 Jahr 3 und 1 Jahr 4 von 100.
In welch schreckenerregender Weise hat sich nach dieser Zeit selbst während der 12 Jahre nach Einführung der Chlor - waschungen in Folge der anatomischen Richtung der Medicin die Sterblichkeit gesteigert! Von 1822 angefangen bis inclu - sive 1858 war die Sterblichkeit 1 Jahr 0 Percent, 3 Jahre 1 Percent, 6 Jahre 2 Percent, 4 Jahre 3 Percent, 6 Jahre 4 Percent, 4 Jahre 5 Percent, 3 Jahre 6 Percent, 4 Jahre 7 Percent, 5 Jahre 8 Percent, 1 Jahr 12 Percent.
Die Geschichte der Puerperal-Epidemien zeigt, dass die Epidemien vorzüglich an Gebärhäuser gebunden sind; wenn demnach in Gebärhäusern, welche sich in grosser Entfernung von einander befinden, gleichzeitig das Kindbettfieber herrscht, z. B. in Paris und Wien, so ist das nicht dadurch zu erklä - ren, dass die atmosphärisch-cosmisch-tellurischen Einflüsse206 von Paris bis Wien reichen, sondern dadurch, dass die Indi - viduen im Pariser und Wiener Gebärhause gleichzeitig inficirt werden. Wenn es wirklich atmosphärische Einflüsse wären, welche von Paris bis Wien reichen, so würden ja nicht blos die Wöchnerinnen des Pariser und Wiener Gebärhauses er - kranken, sondern die Wöchnerinnen der zwischen Paris und Wien wohnenden Bevölkerung müssten das gleiche Schicksal theilen; dem widerspricht aber die Erfahrung, welche lehrt, dass selbst die Wöchnerinnen der Stadt sich eines guten Ge - sundheitszustandes erfreuen, in dessen Gebärhaus die Wöch - nerinnen dem Kindbettfieber in grosser Anzahl zum Opfer fallen.
Für unsern Zweck ist es vollkommen gleichgiltig, ob die bei Hippocrates angeführten Fälle Kindbettfieber waren oder nicht. Bei Hippocrates handelt es sich um wenige Fälle, und diese wenigen Fälle konnten durch Selbstinfection entstanden sein; oder wenn es Fälle von Infection von aussen waren, so hat es ja auch zu Hippocrates’ Zeiten Kranke gegeben, deren Krankheiten einen zersetzten Stoff erzeugten, und es hat auch zu Hippocrates’ Zeiten Medicinal-Individuen männli - chen und weiblichen Geschlechtes gegeben, welche sich mit derartigen Kranken und gleichzeitig mit Schwangeren, Kreis - senden und Wöchnerinnen beschäftigten, wodurch die Infec - tion von aussen geschehen konnte. Uebrigens sagt Boer*)Dr. Lucas Johann Boer: » Abhandlungen und Versuche zur Be - gründung einer neuen, einfachen und naturgemässen Geburtshilfe. « Wien 1810. im zweiten Bande Seite 3 von Hippocrates Folgendes: » Man be - wundert mit einer Art von Erstaunen und Verehrung, wenn man Puerperalfieber behandelt, die daran Verstorbenen öffnet, und den Gang der Krankheiten und das im Cadaver Aufgefun - dene mit dem zusammenhält, was Hippocrates vor mehr als 2000 Jahren so treulich und treffend davon angeführt hat.
» Wäre jedem Jahrhunderte anstatt so vieler Systemge -207 lehrten nur ein solcher beobachtender Arzt geworden, wie viel würde die Menschheit und die Animalität überhaupt da - bei gewonnen haben.
» Das » Buch von den Krankheiten der Weiber « enthält vom 60. bis fast zum Paragraph 90 eine historische Beschrei - bung nach allen jenen Formen, unter welchen meistens Puer - peralfieber in sporadischen Fällen vorzukommen pflegt; und im » Buche von herrschenden Volkskrankheiten « sind einige Beobachtungen darüber, wie es epidemisch vorkömmt, so ge - nau und meisterhaft aufgezeichnet, wie sie es nicht richtiger sein könnten, wären sie erst gestern am Krankenbette und Oeffnungstische aufgenommen worden etc. etc. «
Meine aus dem Erfolge der Chlorwaschungen geschöpfte Ueberzeugung, dass es nie ein durch atmosphärische Einflüsse bedingtes Kindbettfieber gegeben, dass folgerecht die endlose Reihe der Puerperal-Epidemien, wie solche in der medici - nischen Literatur aufgezählt wird, lauter verhütbare Infec - tionsfälle von aussen waren, wurde durch die Lectüre der Ge - schichte des Kindbettfiebers vollkommen bestätiget.
Wir wollen nun alle Gründe in Kürze recapituliren, welche mir die Ueberzeugung aufgedrungen haben, dass es keine atmosphärisch-cosmisch-tellurischen Einflüsse gebe, welche geeignet wären, das Kindbettfieber hervorzubringen, und dass es deren nie gegeben. Wir wollen in Kürze die Gründe recapituliren, welche mir die Ueberzeugung aufge - drungen haben, dass die grosse Sterblichkeit, welche man epidemischen Einflüssen zuschrieb, bedingt sei und war durch die Aufnahme eines zersetzten Stoffes in den Kreislauf der Individuen, und dass, die Fälle von Selbstinfection ausgenom - men, dieser zersetzte Stoff den Individuen von aussen einge - bracht werde. Dass demnach die endlose Reihe der sogenann - ten Epidemien, wie solche in der medicinischen Literatur an - geführt werden, lauter verhütbare Infectionsfälle von aussen waren.
Der wichtigste Grund ist, dass es mir an drei Anstalten208 gelungen ist, durch Zerstörung des beschuldigten zersetzten Stoffes das Kindbettfieber auf eine im Vergleiche mit früher geringe Zahl zu beschränken, welches offenbar nicht gelun - gen wäre, würde das Kindbettfieber durch atmosphärische Einflüsse bedingt gewesen sein.
Wenn es mit dem Begriffe des atmosphärischen Kind - bettfiebers nicht recht im Einklange war, dass das Kind - bettfieber in grosser Anzahl zu jeder Jahreszeit vorgekom - men ist, und auch zu jeder Jahreszeit wieder nicht; dass es in grosser Anzahl in jedem Klima vorgekommen und nicht vorgekommen; so ist, sobald man weiss, dass das Kind - bettfieber durch Infection von aussen entstehe, die Sache sehr klar.
In jeder Jahreszeit, in jedem Klima können die Indivi - duen von aussen inficirt werden und auch nicht.
Wenn es durch atmosphärische Einflüsse nicht zu erklä - ren ist, warum Gebärhäuser durch eine lange Reihe von Jah - ren vom sogenannten epidemischen Kindbettfieber verschont sind, während sie später durch eine lange Reihe von Jahren alljährlich vom sogenannten epidemischen Kindbettfieber heim - gesucht werden: so ist die Erklärung nicht schwierig, sobald man weiss, dass zur Zeit des günstigen Gesundheitszustandes den Bewohnern des Gebärhauses selten zersetzte Stoffe von aussen eingebracht wurden, während sich später die Verhält - nisse derart änderten, dass die Einbringung des zersetzten Stoffes ungewöhnlich häufig geschehen. Wenn es durch atmo - sphärische Einflüsse nicht zu erklären ist, wie es denn komme, dass ein Gebärhaus, welches durch lange Jahre alljährlich regelmässig vom sogenannten epidemischen Kindbettfieber heimgesucht war, nun wieder jahrelang von demselben ver - schont bleibt, so ist die Sache sehr klar, nachdem man weiss, dass sich die Verhältnisse des Gebärhauses derart ändern kön - nen, dass den Individuen nur selten, während früher häufig ein zersetzter Stoff eingebracht wurde; diese Verhältnisse kön - nen sich dadurch ändern, dass seltener die Hände der Unter -209 suchenden verunreiniget werden, oder dass die untersuchen - den Hände gereiniget werden.
Wenn durch atmosphärische Einflüsse der differente Ge - sundheitszustand zweier Abtheilungen einer und derselben Anstalt nicht erklärt werden kann, so ist der differente Ge - sundheitszustand sehr begreiflich, wenn man weiss, dass an einer Abtheilung selten, während auf der andern häufig den Individuen ein zersetzter Stoff von aussen eingebracht wird.
Wenn es durch atmosphärische Einflüsse nicht erklärt werden kann, wie es denn komme, dass die Wöchnerinnen in der Stadt gesund sind, während die Wöchnerinnen im Ge - bärhause derselben Stadt vom epidemischen Kindbettfieber dahingerafft werden, und wie es denn komme, dass man die zu Entbindenden dadurch rettet, dass man durch Schliessen des Gebärhauses sie zwingt, in der Stadt zu entbinden, des - sen Gebärhaus in Folge atmosphärischer Einflüsse einen schlechten Gesundheitszustand darbot; so ist alles wohl er - klärt, wenn man weiss, dass vermöge der Verhältnisse in der Stadt seltener, in den Gebärhäusern viel häufiger den Indivi - duen ein zersetzter Stoff von aussen beigebracht wird. Wenn es durch atmosphärische Einflüsse nicht erklärt werden kann, wie es denn komme, dass mehrere Gebärhäuser einer und derselben Stadt einen differenten Gesundheitszustand gleich - zeitig haben können, so ist die Sache sehr klar, da man nun weiss, dass das Kindbettfieber durch Einbringung zersetzter Stoffe entstehe; in den verschiedenen Gebärhäusern einer und derselben Stadt wird den Individuen in verschiedener Aus - dehnung der zersetzte Stoff von aussen eingebracht.
Wir haben gesehen, dass an der ersten Gebärklinik zu Wien die Sterblichkeit durch sechs Jahre dreimal so gross war, als an der zweiten Gebärklinik, obwohl beide Abthei - lungen nur durch ein gemeinschaftliches Vorzimmer getrennt waren. In Strassburg waren zwei Abtheilungen durch ein Zimmer getrennt, welches die Betten der Hebammen-Schüle -Semmelweis, Kindbettfieber. 14210rinnen enthielt, und beide hatten ebenfalls eine auffallende differente Sterblichkeit.
In der Maternité wüthete das Kindbettfieber schon Ende des vorigen Jahrhundertes, in Wien begann es erst mit dem Jahre 1823, in Dublin war innerhalb 98 Jahren nur in zwei Jahren die Sterblichkeit drei Percent; in sieben Gebärhäu - sern in England, Irland und Schottland war die Sterblichkeit durchschnittlich nur ein Percent.
Wie kann die Lehre des epidemischen Kindbettfiebers, in welcher es heisst, dass die atmosphärischen Einflüsse, welche das Kindbettfieber hervorbringen, sich über ganze Länderstrecken verbreiten, ja über den ganzen Continent, so zwar, dass, über den ganzen Continent verbreitet, in Folge atmosphärischer Einflüsse gleichzeitig das Kindbettfieber herrsche, wie kann diese Lehre mit den angeführten Daten über das Vorkommen des Kindbettfiebers in Einklang ge - bracht werden?
Was hat die atmosphärischen Einflüsse, welche schon Ende des verflossenen Jahrhunderts in Paris unter den Wöch - nerinnen der Maternité wütheten, bis zum Jahre 1823 verhin - dert, sich bis nach Wien zu erstrecken, welches Hinderniss wurde mit dem Jahre 1823 von den atmosphärischen Einflüs - sen überwunden, da selbes sich von da ab noch fürchterlicher in Wien zeigte als in Paris? Wie kommt es, dass die atmo - sphärischen Einflüsse, welche endlich sich bis Wien erstrecken konnten, dass diese atmosphärischen Einflüsse England, Schott - land und Irland schon so abgeschwächt erreichten, dass es ihnen nicht möglich war, dort ihre volle Energie wie zu Paris und Wien zu entwickeln?
Welches Bewandtniss hat es mit dem gemeinschaftlichen Vorzimmer der beiden Wiener Kliniken, welches die zweite Abtheilung vor Einflüssen, die sich über Länderstrecken aus - breiten, mit solchem Erfolge beschützte?
Worin liegt der Grund, dass das Zimmer zu Strassburg, welches die Betten der Schülerinnen enthielt, dasselbe leistete?
211Wie kann man Individuen vor Einflüssen, die sich über ganze Länderstrecken ausbreiten, durch Schliessen der Ge - bärhäuser schützen?
Sobald man weiss, dass das Kindbettfieber durch Ein - bringung eines zersetzten Stoffes von aussen entstehe, ist die Erklärung leicht gegeben. In der Maternité zu Paris wurden schon Ende des vorigen Jahrhunderts vermöge des Unter - richtssystems der Individuen zersetzte Stoffe eingeführt, in Wien begann es mit dem Jahre 1823, von da ab wurden gleich - zeitig in Wien und Paris den Individuen zersetzte Stoffe ein - gebracht, in England, Schottland und Irland geschah dies aus Gründen, welche wir oben sehr weitläufig auseinanderge - setzt haben, nie in dieser Ausdehnung und daher der bessere Gesundheitszustand. Die für eine Abtheilung schützende Kraft des Wiener Vorzimmers und des Strassburger Zimmers mit den Betten der Schülerinnen bestand darin, dass an einer Seite dieser Zimmer den Individuen häufig, an der andern aber seltener ein zersetzter Stoff von aussen eingebracht wurde. Durch das Schliessen der Gebärhäuser werden die Individuen dadurch gerettet, dass ihnen, wenn selbe ausserhalb des Ge - bärhauses entbinden, seltener zersetzte Stoffe eingebracht werden, als es der Fall gewesen wäre, falls sie im Gebärhause geboren hätten.
Nicht atmosphärische Einflüsse sind es, welche, über ganze Länderstrecken verbreitet, das Kindbettfieber hervor - bringen, sondern über ganze Länderstrecken verbreitet wer - den den Individuen von aussen zersetzte Stoffe eingebracht, und deshalb kommt über ganze Länderstrecken verbreitet das Kindbettfieber vor.
Zur Ehre der Geburtshelfer will ich glauben, dass noch nie einer diese weltbekannten Daten mit der Lehre vom epi - demischen Kindbettfieber in Einklang zu bringen versuchte, denn ich kann nicht glauben, dass Jemand, dem es mit der Wahrheit ernst ist, länger an die Lehre des epidemischen Kindbettfiebers glauben kann, als bis zu dem Augenblicke, in14 *212welchem ihm die Disharmonie der Lehre mit den Daten, klar wird. Derjenige, der trotz dieser Daten noch an das epidemi - sche Kindbettfieber zu glauben vorgibt, der hat nicht den Muth, die Wahrheit zu gestehen, weil er fühlt, dass mit der Anerkennung dieser Wahrheit das Bekenntniss einer grossen Schuld abgelegt wird. Nachdem nun einmal der Thatbestand nicht geändert werden kann, so wird durch Verläugnung der Wahrheit die Schuld noch vergrössert. Derjenige, welcher trotz dieser Daten noch an das epidemische Kindbettfieber wirklich glaubt, der hat keine Ueberzeugung, der hat keine Begriffe, der trägt nur eingelernte Worte in seinem Gedächtnisse herum.
Die Lehre des epidemischen Kindbettfiebers erklärt das Unbekannte wieder mit etwas Unbekanntem. Es starben Viele, man wusste nicht warum, man erklärte es wieder mit unbe - kannten atmosphärischen Einflüssen, man konnte keine be - stimmten atmosphärischen Einflüsse angeben, weil das Kind - bettfieber zu jeder Jahreszeit und in jedem Klima vorkommt und nicht vorkommt.
Das sind meine Gründe, ich wünsche es im Interesse der Menschheit, dass alle Betheiligten aus denselben die Ueber - zeugung schöpfen mögen, welche ich daraus geschöpft.
Die Gründe, welche von meinen Gegnern zur Begrün - dung der atmosphärischen Einflüsse angeführt wurden, und welche hiermit ihre Widerlegung noch nicht gefunden, werden, um Wiederholungen zu vermeiden, ihre Würdigung finden bei Beurtheilung dieser Gegner.
Die Ueberfüllung der Gebärhäuser ist nur bedingungs - weise ein endemisches Moment des Kindbettfiebers, indem in einem überfüllten Gebärhause es schwieriger ist, den nöthigen Grad von Reinlichkeit zu erhalten; indem in einem überfüllten Gebärhause es schwieriger ist, diejenigen In - dividuen, welche für andere gefährlich sind, vollkommen zu isoliren; dadurch kann die Ueberfüllung Veranlassung geben zur Erzeugung eines zersetzten Stoffes, dadurch kann die Ueberfüllung Veranlassung werden zur Uebertragung des zer - setzten Stoffes auf andere Individuen. Aber wenn trotz der Ueberfüllung der nöthige Grad der Reinlichkeit beobachtet wird, so dass sich kein zersetzter Stoff erzeugen kann, wenn trotz der Ueberfüllung die gefährlichen Individuen von den übrigen hinreichend isolirt werden, oder wenn gerade zur Zeit der Ueberfüllung keine gefährlichen Individuen sich im überfüllten Gebärhause befinden, und dadurch die Uebertra - gung zersetzter Stoffe auf gesunde Individuen verhütet wird; unter solchen Voraussetzungen ist es für die im Gebärhause Verpflegten vollkommen gleichgiltig, ob das Gebärhaus über - füllt ist oder nicht.
Wir haben schon früher mittelst zehn Tabellen (4 — 13) bewiesen, dass der günstigere oder ungünstigere Gesund - heitszustand der an der ersten Gebärklinik zu Wien verpfleg - ten Wöchnerinnen nicht im geraden Verhältnisse zur Ueber - füllung der Klinik stand, wenn wir nun zu dem Zeitraume, welchen wir bei diesen zehn Tabellen benützten, noch die214 21 Monate, während welcher die Chlorwaschungen unter mei - ner Leitung daselbst gemacht wurden, hinzufügen, so zeigt es sich noch entschiedener, dass der günstigere oder ungün - stigere Gesundheitszustand der Wöchnerinnen der ersten Ge - bärklinik nicht vom Grade der Ueberfüllung abhing, indem bei überfülltem Gebärhause der Gesundheitszustand der Wöch - nerinnen ein günstiger und ein ungünstiger war, und indem bei nicht überfülltem Gebärhause der Gesundheitszustand der Wöchnerinnen ebenfalls ein günstiger und ein ungünstiger war.
Bei überfülltem Gebärhause kann mit reinen Händen un - tersucht werden, und der Gesundheitszustand der Wöchnerin - nen wird trotz der Ueberfüllung ein günstiger sein. Bei über - fülltem Gebärhause kann mit verunreinigten Händen unter - sucht werden, und was unreine Hände verschuldet, glaubt man der Ueberfüllung zuschreiben zu müssen. Bei nicht über - fülltem Gebärhause kann mit reinen Händen untersucht wer - den, und der Gesundheitszustand wird ein günstiger sein, und der Nichtüberfüllung schreibt man ein Verdienst zu, welches ihr nicht gebührt; und bei nichtüberfülltem Gebärhause kann mit unreinen Händen untersucht werden, und der Gesund - heitszustand wird bei nichtüberfülltem Gebärhause ein schlech - ter sein.
In der nun folgenden Tabelle werden wir die Monate vom 1. Jänner 1841 angefangen bis exclusive 1. März 1849, also 97 Monate, benützen, da der December des Jahres 1841 fehlt.
Im Jahre 1848 starb im Monate März von 276 und im Monate August von 261 Wöchnerinnen keine.
Die fünf ungünstigsten Monate innerhalb dieser 97 wa - ren solche, in welchen weniger Wöchnerinnen verpflegt wur - den, als in den zwei günstigsten innerhalb dieser 97 Monate.
215Tabelle Nr. XXXVI.
Innerhalb dieser 97 Monate war ein Monat die Anzahl der Wöchnerinnen dieselbe und 62 Monate eine geringere. Die Sterblichkeit verhielt sich bei geringerer Ueberfüllung wie Tabelle Nr. XXXVII. zeigt.
Tabelle Nr. XXXVII.
Wenn wir aber nicht blos den Grad der Ueberfüllung, sondern gleichzeitig die Jahreszeit berücksichtigen, so zeigt sich, dass auch in derselben Jahreszeit, bei gleicher oder ge - ringerer Ueberfüllung, eine auffallend grössere Sterblichkeit vorgekommen sei, wie Tabelle Nr. XXXVIII. zeigt.
Tabelle Nr. XXXVIII.
Die grösste Ueberfüllung innerhalb dieser 97 Monate war im Jänner 1849 mit 403 Wöchnerinnen, davon sind ge - storben 9 Wöchnerinnen, also 2.23 Percent.
In 67 Monaten innerhalb der 97, war die absolute Sterb - lichkeit grösser bei einer geringeren Anzahl von Wöchnerin - nen, also bei einer gringeren Ueberfüllung, als bei der grössten Anzahl von Wöchnerinnen, also bei der grössten Ueberfüllung im Jänner 1849, wie Tabelle Nr. XXXIX. zeigt.
Tabelle Nr. XXXIX.
Wenn wir aber die relative Sterblichkeit berücksichti - gen, so war, mit Herzuziehung der früheren Tabelle, die rela - tive Sterblichkeit in 77 Monaten innerhalb 97 bei einer gerin - geren Anzahl von Wöchnerinnen, also bei einer geringeren Ueberfüllung grösser, als bei der grössten Anzahl Wöchne - rinnen, also bei der grössten Ueberfüllung im Monate Jänner 1849, wie Tabelle Nr. XL. zeigt.
Tabelle Nr. XL.
Während ohne Chlorwaschungen innerhalb 76 Monaten die relative Sterblichkeit in 24 Monaten bei einer geringeren Ueberfüllung grösser war, als bei der grössten Ueberfüllung im Monat Jänner 1846 (Tabelle Nr. IV. und V. Seite 14) und in 51 Monaten bei einer geringeren Ueberfüllung auch eine geringere Sterblichkeit herrschte, wurde durch Einführung der Chlorwaschungen die Ueberfüllung zu einer noch unbe - deutenderen Rolle herabgedrückt, indem innerhalb 97 Mona - ten in 77 davon die relative Sterblichkeit bei einer geringeren Ueberfüllung grösser war, als bei der grössten Ueberfüllung im Jänner 1849, und nur in 19 Monaten bei einer geringeren Ueberfüllung auch eine geringere relative Sterblichkeit zu beobachten war.
Die 19 Monate, in welchen eine geringere relative Sterb - lichkeit bei einer geringeren Ueberfüllung zu beobachten war, sind folgende. Siehe Tabelle Nr. XLI.
Tabelle Nr. XLI.
Wenn wir aber nicht blos den Grad der Ueberfüllung, sondern zugleich die Jahreszeit berücksichtigen, so zeigt sich, dass mit Ausnahme der beiden Monate März und April, in den übrigen zehn Monaten des Jahres die grösste absolute Sterblichkeit nicht gleichzeitig mit der grössten Ueberfüllung stattfand, wie Tabelle Nr. XLII. zeigt.
Tabelle Nr. XLII.
Wenn wir aber die Ueberfüllung und die Jahreszeit be - rücksichtigen, so zeigt sich, dass die grösste relative Sterb - lichkeit sich nie ereignete zur Zeit der grössten Ueberfüllung; es zeigt sich, dass in sechs Monaten die kleinste relative Sterblichkeit sich gerade zur Zeit der grössten Ueberfüllung zutrug, wie Tabelle Nr. XLII. zeigt.
224Tabelle Nr. XLIII.
Wenn wir die gleichnamigen Monate nach dem Grade der vorgekommenen Ueberfüllung an einander reihen, so zeigt sich, der allmäligen Abnahme der Ueberfüllung entsprechend, keine allmälige Abnahme in der Sterblichkeit, wie Tabelle Nr. XLIII. zeigt.
Tabelle Nr. XLIII.
Wenn wir nach der absoluten Sterblichkeit die gleich - namigen Monate aneinanderreihen, so zeigt sich, der allmäli - gen Abnahme der absoluten Sterblichkeit entsprechend, keine entsprechende allmälige Abnahme in dem Grade der Ueber - füllung, wie Tabelle Nr. XLIV. zeigt.
Tabelle Nr. XLIV.
Wenn wir die einzelnen Monate derselben Jahreszeit nach der vorgekommenen relativen Sterblichkeit aneinander - reihen, so zeigt sich, der allmäligen Abnahme der relativen Sterblichkeit entsprechend, keine entsprechende Abnahme im Grade der Ueberfüllung, wie Tabelle Nr. XLV. zeigt.
Tabelle Nr. XLV.
Wenn wir alle 97 Monate nach der Anzahl der vorge - kommenen Geburten, also nach dem Grade der Ueberfüllung, aneinanderreihen, so zeigt sich, der allmäligen Abnahme der Ueberfüllung entsprechend, keine allmälige Abnahme der Sterblichkeit, wie Tabelle Nr. XLVI. zeigt.
Tabelle Nr. XLVI.
Wenn wir alle 97 Monate nach der absoluten Sterblich - keit aneinanderreihen, so zeigt sich, der allmäligen Abnahme der absoluten Sterblichkeit entsprechend, keine allmälige Ab - nahme in der Anzahl der Geburten, oder mit andern Worten, es zeigt sich keine entsprechende allmälige Abnahme in dem Grade der Ueberfüllung, wie Tabelle Nr. XLVII. zeigt.
Tabelle Nr. XLVII.
Wenn wir die 97 Monate nach der relativen Sterblich - keit aneinanderreihen, so zeigt sich, der Abnahme der relati - ven Sterblichkeit entsprechend, keine entsprechende Abnahme in der Anzahl der Geburten oder keine entsprechende Ab - nahme im Grade der Ueberfüllung, wie Tabelle Nr. XLVIII. zeigt.
Tabelle Nr. XLVIII.
Wenn wir die Jahresrapporte der 26 Jahre des Beste - hens der ersten Gebärklinik, nämlich vom Jahre 1833 bis inclusive 1858, in Bezug auf Ueberfüllung prüfen, so zeigt sich, dass in 13 Jahren die absolute Sterblichkeit bei einer geringeren Ueberfüllung grösser war, als bei der grössten Ueberfüllung im Jahre 1852 mit 4471 Geburten. wie Tabelle Nr. XLIX. zeigt.
Tabelle Nr. XLIX.
Wenn wir aber die relative Sterblichkeit berücksichti - gen, so war dieselbe innerhalb 16 Jahren grösser bei einer geringeren Ueberfüllung, als bei der grössten Ueberfüllung im Jahre 1852, wie Tabelle Nr. XLIX. und L. zeigt.
16 *244Tabelle Nr. L.
In neun Jahren war bei einer geringeren Ueberfüllung auch eine geringere Sterblichkeit, aber das Jahr 1838 aus - genommen, fallen die übrigen acht Jahre in die Zeit nach Einführung der Chlorwaschungen, wie Tabelle Nr. LI. zeigt.
Tabelle Nr. LI.
Wenn wir die einzelnen Jahre je nach dem Grade der vorgekommenen Ueberfüllung aneinanderreihen, so zeigt sich, der Abnahme der Ueberfüllung entsprechend, keine allmälige Abnahme der Sterblichkeit, wie Tabelle Nr. LII. zeigt.
Tabelle Nr. LII.
Wenn wir die einzelnen Jahre nach der absoluten Sterb - lichkeit aneinanderreihen, so zeigt sich, der Abnahme der absoluten Sterblichkeit entsprechend, keine Abnahme im Grade der Ueberfüllung, wie Tabelle Nr. LIII. zeigt.
Tabelle Nr. LIII.
Wenn wir die einzelnen Jahre nach der relativen Sterb - lichkeit aneinanderreihen, so zeigt sich keine der Abnahme der relativen Sterblichkeit entsprechende Abnahme der Ueber - füllung, wie Tabelle Nr. LIV. zeigt.
Tabelle Nr. LIV.
An der zweiten Gebärklinik ereignete sich die grösste Ueberfüllung während der 26 Jahre ihres Bestehens im Jahre 1858. Es wurden in diesem Jahre verpflegt 4179 Wöchnerin - nen, davon starben 60, also 1.43 Percent, in 20 Jahren war die absolute Sterblichkeit grösser bei einer geringeren Ueber - füllung, wie Tabelle Nr. LV. zeigt.
Tabelle Nr. LV.
Wenn wir aber die relative Sterblichkeit berücksichti - gen, so war dieselbe in 23 Jahren bei einer geringeren Ueber - füllung grösser als bei der grössten Ueberfüllung im Jahre 1858, wie Tabelle Nr. LV. und LVI. zeigt.
Tabelle Nr. LVI.
Nur in zwei Jahren war bei einer geringeren Ueberfül - lung auch eine geringere Sterblichkeit, als bei der grössten Ueberfüllung im Jahre 1858, und zwar:
Wenn wir die einzelnen Jahre je nach dem vorgekom - menen Grade der Ueberfüllung der zweiten Gebärklinik an - einanderreihen, so zeigt sich keine der Abnahme der Ueber - füllung entsprechende Abnahme der Sterblichkeit, wie Ta - belle Nr. LVII. zeigt.
Tabelle Nr. LVII.
Wenn wir die einzelnen Jahre der zweiten Gebärklinik nach der absoluten Sterblichkeit aneinanderreihen, so zeigt sich keine der Abnahme der absoluten Sterblichkeit entspre - chende Abnahme im Grade der Ueberfüllung, wie Tabelle Nr. LVIII. zeigt.
Tabelle Nr. LVIII.
Auch der allmälig abnehmenden relativen Sterblichkeit entspricht keine allmälige Abnahme in der Ueberfüllung, wie Tabelle Nr. LIX. zeigt.
250Tabelle Nr. LIX.
Die grösste Ueberfüllung des Wiener Gebärhauses, als Ganzes genommen, ereignete sich innerhalb der 75 Jahre ihres Bestehens im Jahre 1858. Verpflegt wurden in diesem Jahre 8382 Wöchnerinnen, davon sind gestorben 146 = 1.74 Per - cent, also in 28 Jahren war die absolute Sterblichkeit bei einer geringeren Ueberfüllung eine grössere, wie Tabelle Nr. LX. zeigt.
Tabelle Nr. LX.
Wenn wir aber die relative Sterblichkeit berücksichti - gen, so war dieselbe in 43 Jahren bei einer geringeren Ueber - füllung grösser als bei der grössten Ueberfüllung im Jahre 1858, wie Tabelle Nr. LX. und LXI. zeigt.
Tabelle Nr. LXI.
Wenn wir die 75 Jahre des Bestehens des Wiener Ge - bärhauses ungetrennt in zwei Abtheilungen nach dem Grade der Ueberfüllung aneinanderreihen, so zeigt sich keine Ueber - einstimmung zwischen Ueberfüllung und Sterblichkeit, wie Tabelle Nr. LXII. zeigt.
Tabelle Nr. LXII.
Wenn wir die 75 Jahre des Wiener Gebärhauses nach der absoluten Sterblichkeit aneinanderreihen, so zeigt sich kein Zusammenhang zwischen Ueberfüllung und absoluter Sterblichkeit, wie Tabelle Nr. LXIII. zeigt.
Tabelle Nr. LXIII.
Wenn wir die einzelnen Jahre nach der relativen Sterb - lichkeit aneinanderreihen, so zeigt sich keine Uebereinstim - mung zwischen Ueberfüllung und relativer Sterblichkeit, wie Tabelle Nr. LXIV. zeigt.
Tabelle Nr. LXIV.
Als wir die bisher giltige Aetiologie des Kindbettfiebers in ihrer Anwendung zur Erklärung des Plus der Sterblichkeit an der ersten Gebärklinik im Vergleiche zur zweiten einer Prüfung unterzogen, haben wir das Puerperal-Miasma nicht erwähnt, weil an der ersten Gebärklinik nie das Puerperal - Miasma zur Erklärung der Sterblichkeit zu Hilfe genommen wurde. Hier, wo ich mir die Aufgabe gestellt, die bisher gil - tige Aetiologie ohne Rücksicht auf die erste Gebärklinik einer Beurtheilung zu unterwerfen, ist es nöthig, meine Ansicht über das Puerperal-Miasma auszusprechen.
Wenn in einem Zimmer mehrere oder viele gesunde Wöchnerinnen mit ihren Säuglingen sich befinden, so wird die atmosphärische Luft des Wochenzimmers mit den Exha - lationen der vermehrten Hautthätigkeit, der Milchsecretion, des Lochialflusses etc. etc. vermengt, und wenn diese Exhala - tionen nicht durch Ventilation rechtzeitig aus dem Wochen - zimmer entfernt werden, gehen selbe einen Zersetzungspro - cess ein; die nun so eine Zersetzung eingegangenen Exhala - tionen bringen, wenn selbe mit der atmosphärischen Luft des Wochenzimmers in die Genitalien der Wöchnerinnen eindrin - gen, das Kindbettfieber hervor.
Wenn in einem Zimmer eine oder mehrere kranke Wöch - nerinnen unter gesunden Wöchnerinnen sich befinden, und wenn die Krankheiten, ob Puerperalfieber oder eine andere Krankheit, zersetzte Stoffe exhaliren, so werden diese exhalir - ten zersetzten Stoffe, wenn selbe mit der atmosphärischen Luft des Wochenzimmers in die Genitalien der gesunden Wöchnerinnen eindringen, bei denselben das Kindbettfieber erzeugen.
259Wenn man das unter Puerperal-Miasma versteht, so bin ich damit einverstanden. Alles darüber hinaus unter Puerperal - Miasma Verstandene existirt nicht.
Um die Zersetzung der oben angeführten physiologischen Exhalationen zu verhüten, genügt die Ventilation durch Oeffnen der Fenster.
Um die Erkrankung der gesunden Wöchnerinnen durch die Exhalationen zersetzter Stoffe kranker Wöchnerinnen zu verhüten, müssen die kranken von den gesunden Wöchnerin - nen gesondert werden.
Wir haben zahlreiche Tabellen construirt zum Beweise, dass der Gesundheitszustand der Wöchnerinnen unabhängig sei vom Grade der Ueberfüllung eines Gebärhauses, diese Tabellen sind ebenso viele Beweise gegen die Ansicht über die Entstehung des Puerperal-Miasmas, welche glaubt, dass die Entstehung des Puerperal-Miasmas in einem nothwendigen ursächlichen Zusammenhange mit der Anzahl der vorhandenen Wöchnerinnen stehe.
Als Beweis, dass es kein Puerperal-Miasma gebe, welches sich nothwendigerweise beim Vorhandensein einer gewissen An - zahl von Wöchnerinnen entwickeln müsse, diene noch der Umstand, dass es mir gelungen ist, die Sterblichkeit an der ersten Gebärklinik auffallend zu beschränken, ohne dass Vor - kehrungen getroffen worden wären, geeignet das Puerperal - Miasma der Wochenzimmer zu zerstören. Die Prophylaxis des Kindbettfiebers waren Chlorwaschungen der Hände, welche im Kreissezimmer geübt wurden.
Da das Puerperalfieber kein Contagium, und ein Miasma nur im oben angedeuteten Sinne erzeugt, und da das Puerperal - fieber durch die äussere unverletzte Oberfläche nicht aufge - nommen werden kann; so folgt daraus, dass das Puerperal - fieber nicht geeignet ist, die Localitäten eines Gebärhauses so zu inficiren, dass den gesund aufgenommenen Individuen schon durch die Localitäten das Kindbettfieber eingeimpft werden würde.
17 *260Es dürfte wenige Räume geben, in welchen mehr Wöchnerinnen gestorben sind, als im Krankenzimmer der ersten Gebärklinik, und doch wurde dieses Zimmer, nachdem in Folge der Chlorwaschungen von Zeit zu Zeit das Kranken - zimmer überflüssig wurde, als Wochenzimmer benützt, ohne dass der Stubenboden wäre aufgerissen worden, ohne dass die Wände wären abgekratzt worden, nur die Betten wurden ge - wechselt, und doch blieben die in diesem Zimmer Verpflegten gesund.
Eine Localität könnte nur dann das Kindbettfieber her - vorbringen, wenn selbe in dem Grade mit zersetzten Stoffen verunreinigt wäre, dass die Exhalationen der zersetzten Stoffe mit der atmosphärischen Luft vermengt in die Genitalien der Individuen dringen würden; ein in dem Grade verunreinigtes Gebärhauslocal dürfte aber nicht vorkommen. Zu solchen Localitäten gehören die Sectionssäle.
Die Furcht ist kein ätiologischer Moment des Kindbett - fiebers, weil die Furcht den Individuen weder von aussen einen zersetzten Stoff einbringt, noch in Folge der Furcht ein zer - setzter Stoff in den Individuen entsteht. Wir haben schon frü - her erwähnt, dass die Furcht den Beginn der Sterblichkeit an der ersten Gebärklinik nicht erklärt, weil ja die Furcht die Folge der schon herrschenden Sterblichkeit war; ebenso wenig waren wir in der Lage den Individuen vor ihrer Aufnahme die Furcht zu benehmen, zur Zeit, als der Gesundheitszustand der ersten Gebärklinik sich besserte. Sie kamen mit dersel - ben Furcht, und doch kam das Kindbettfieber nicht so zahl - reich vor. Wenn die Furcht ein ätiologischer Moment des Kindbettfiebers wäre, so müsste ja das Kindbettfieber ausser - halb der Gebärhäuser ebenso zahlreich vorkommen, wie in - nerhalb der Gebärhäuser; denn von Furcht sind ja nicht blos diejenigen, welche im Gebärhause gebären, sondern auch die - jenigen, welche ausserhalb des Gebärhauses entbinden, geplagt.
Jeder beschäftigte Geburtshelfer macht täglich die Er - fahrung, dass nicht blos Erst -, sondern auch Oftgeschwängerte261 die ganze Schwangerschaft hindurch von dem Gedanken ge - quält werden, dass sie diesmal die Geburt nicht überstehen werden, dass sie diesmal die Geburt mit ihrem Leben bezah - len werden. In beinahe allen Lehrbüchern der Geburtshilfe ist zu lesen, dass die Todesfurcht vorzüglich gegen Ende der Schwangerschaft den Schwangeren das Leben verbittert, und doch haben viele Gelegenheit sich zehn -, zwölfmal vor dem Tode zu fürchten, weil die zehn -, zwölfmalige Todesfurcht bei ihnen kein tödtliches Puerperalfieber hervorgebracht hat.
Dadurch, dass die im Gebärhause Gebärenden lauter ledige, der trostlosesten Bevölkerung entnommene Mädchen seien, welche während der Schwangerschaft durch schwere Arbeit ihr Brot verdienen, dem Elende und der Noth preisgege - ben, unter dem Einflusse deprimirender Gemüthsaffecte, über - haupt ein liederliches, unmoralisches Leben führen, wird den Individuen weder ein zersetzter Stoff von Aussen eingebracht, noch entsteht in Folge dessen ein zersetzter Stoff innerhalb dieser Individuen, diese Umstände sind demnach keine ätiolo - gischen Momente des Kindbettfiebers.
Abgesehen davon, dass diese Schilderung gewiss nicht auf Alle, welche in Gebärhäusern entbinden, seine Anwendung findet, müsste ja, wenn diese Umstände das Kindbettfieber hervorbringen würden, die Sterblichkeit ausserhalb des Ge - bärhauses ebenso gross sein, als innerhalb der Gebärhäuser, da ja nicht alle, welche ausserhalb des Gebärhauses entbinden, züchtige glückliche Frauen sind, welche im Wohlleben ihre Tage hinbringen.
Das verletzte Schamgefühl der Individuen, welche im Ge - bärhause in Gegenwart der Männer entbinden, ist kein ätiolo - gischer Moment des Kindbettfiebers, weil durch das verletzte Schamgefühl weder von Aussen den Individuen ein zersetzter Stoff eingebracht wird, noch entsteht in Folge des verletzten Schamgefühls ein zersetzter Stoff in den Individuen.
Wahrlich, es zeugt von der Gedankenlosigkeit, mit wel - cher die Aetiologie des Kindbettfiebers behandelt wurde,262 wenn man den Individuen, welche früher als so verworfen ge - schildert wurden, nun wieder eine Zartheit des Schamgefühls zugesprochen findet, wie es in den hohen und höchsten Kreisen nicht vorkömmt, die Geburten gehen in den hohen und höch - sten Kreisen in Gegenwart von Aerzten vor sich, und doch sterben die Entbundenen dieser Kreise nicht in dieser Anzahl an Kindbettfieber in Folge des verletzten Schamgefühls, wie die so verworfen geschilderte Bevölkerung der Gebärhäuser. Die überwiegend grösste Mehrzahl der Geburten geht unter dem Beistande, den eine Hebamme vermöge des gegenwärtigen Unterrichtssystems leisten kann, glücklich für Mutter und Kind vorüber, nur in seltenen Fällen ist eine Hilfe nöthig, welche nur der Geburtshelfer leisten kann.
Es ist in vielen Ländern Sitte, den Geburtshelfer nur zu diesen seltenen Fällen zu rufen. Da aber die Hilfe, welche nur der Geburtshelfer leisten kann, in der Regel innerhalb kurzer Zeit geleistet werden muss, soll der Erfolg ein glücklicher sein, sogeschiehtes häufig, dass der Geburtshelfer, wenn er erst dann gerufen wird, wenn die Gefahr schon vorhanden ist, zu spät kömmt und desshalb nicht mehr das leisten kann, was er geleistet hätte, wäre er rechtzeitig bei der Gebärenden an wesend gewesen.
Auf diese Erfahrung stützt sich das Bestreben der Geburts - helfer, das hilfsbedürftige Publicum dahin aufzuklären, zu jeder Geburt den Geburtshelfer rufen zu lassen, damit er, falls eine Gefahr eintrete, rechtzeitig die Hilfe leisten könne.
Wenn aber das verletzte Schamgefühl ein ätiologisches Moment des Kindbettfiebers wäre, so hiesse das nichts anders, als, um Einzelne vor Gefahren zu schützen, Alle den Gefahren des Kindbettfiebers auszusetzen.
Die männliche Geburtshilfe müsste verboten werden, wenn das verletzte Schamgefühl ein ätiologischer Moment des Kindbettfiebers wäre.
Die Conception, die Schwangerschaft, die Hyperinose, die Hydroämie, die Plethora, die Individualität, Diätfehler, Erkäl -263 tung sind keine ätiologischen Momente des Kindbettfiebers, weil durch alle diese Umstände weder den Individuen von Aussen ein zersetzter Stoff eingebracht wird, noch entsteht in Folge dieser Umstände ein zersetzter Stoff in den Individuen.
Wenn diese Umstände ätiologische Momente des Kind - bettfiebers wären, so könnte die geographische Verbreitung des Kindbettfiebers nicht auf das mittlere Europa beschränkt sein, und die Geschichte des Kindbettfiebers könnte nicht das Kindbettfieber als eine Krankheit der neueren Zeit docu - mentiren.
Aetiologische Momente des Kindbettfiebers sind alle jene Momente, welche den Individuen entweder einen zersetzten thierisch-organischen Stoff von Aussen einbringen, oder welche in den Individuen einen solchen Stoff entstehen machen.
Die Momente, welche den Individuen von Aussen einen zersetzten Stoff beibringen, und das Kindbettfieber daher durch Infection von Aussen erzeugen, sind folgende:
Dass die Vorstände der Gebärhäuser und deren Hilfsärzte zur eigenen und zur Belehrung ihrer Schüler sich mit Dingen beachäftigen, welche ihre Hände mit zersetzten Stoffen verun - reinigen; wenn der Vorstand einer chirurgischen Abtheilung zugleich einer geburtshilflichen Abtheilung vorsteht; wenn eine gynaecolgische und geburtshilfliche Abtheilung unter einem Vorstande vereinigt sind; dass die Schüler der prak - tischen Geburtshilfe den pathologischen und gerichtlichen Sectionen so wie den Sectionen der im Gebärhause Verstor - benen beiwohnen; dass sie chirurgische und medicinische Abtheilungen besuchen; dass sie Operationscurse an der Leiche aus der Chirurgie, Oculistik nehmen; dass sie mikroskopische Curse mitmachen, in welchen verschiedene zersetzte Stoffe untersucht werden; dass sie den Cursen über pathologische Anatomie beiwohnen; dass ihnen der fungirende Assistent Un - terricht ertheilt in geburtshilflichen Operationen am Cadaver; dass Assistenten und Schüler Sectionen machen; dass Vorstände der Gebärhäuser und deren Hilfsärzte Kranke behandeln, deren264 Krankheiten zersetzte Stoffe erzeugen; dass kranke Kreissende mit den gesunden in einem gemeinschaftlichen Kreisszimmer entbinden; dass kranke Wöchnerinnen mit gesunden in einem gemeinschaftlichen Wochenzimmer verpflegt werden; dass von denselben Individuen, z. B. den Instituts-Madamen bei kranken Wöchnerinnen Einspritzungen gemacht werden, von welchen auch eine grosse Anzahl gesunder untersucht wird; dass viele Gegenstände, als da sind: Schwämme, Instrumente, Leib - schüsseln etc. bei Gesunden und Kranken verwendet werden; dass die Wäsche und Bettgeräthe nicht immer den nöthigen Grad der Reinlichkeit darbieten; dass die Luft in Räumlich - keiten des Gebärhauses mit zersetzten Stoffen geschwängert sein kann, entweder dadurch, dass die Exhalationen der Wöch - nerinnen nicht durch Ventilation abgeführt werden, oder dass den Räumlichkeiten des Gebärhauses zersetzte Stoffe zuge - führt werden aus dem Krankenhause, aus der naheliegenden Todtenkammer, aus den Abzugscanälen; ausserhalb des Ge - bärhauses wird durch dieselben Momente das Kindbettfieber hervorgebracht, indem auch ausserhalb der Gebärhäuser die Medicinal-Individuen männlichen und weiblichen Geschlechtes sich mitzersetzten Stoffen ihre Hände verunreinigen; auch ausser - halb der Gebärhäuser wird nicht immer die nöthige Reinlichkeit derjenigen Gegenstände beobachtet, welche dem Gebrauche der Individuen dienen etc. etc. Das sind die ätiologischen Momente, denen wir noch viele hinzufügen könnten, wenn es nicht über - flüssig wäre, da ja aus dem Gesagten es sich von selbst ergibt, dass hieher Alles gehöre, was den Individuen einen zersetzten Stoff von Aussen einbringt; welche die Verheerungen unter den Wöchnerinnen hervorrufen, welche Verheerungen fälschlich atmosphärischen Einflüssen zugeschrieben wurden.
Was die ätiologischen Momente des Kindbettfiebers an - belangt, welche in den Individuen einen zersetzten Stoff ent - stehen machen, und daher das Kindbettfieber durch Selbst - infection erzeugen, so sind es folgende:
Zersetzung des normalen Lochialflusses in Folge längerer,265 durch welche Ursache immer bedingte Zurückhaltung, Zurück - bleiben der Placenta, oder Placenta und Eihautreste, Zurück - bleibung von Blutgerinnungen in der Gebärmutterhöhle nach Blutungen, Quetschungen der Genitalien in Folge verzögerter Austreibungsperiode, oder in Folge von Operationen necrosi - rende Mittelfleischrisse.
Ob es ausser diesen Ursachen der Selbstinfection noch mehrere andere gebe, das muss erst eine länger fortgesetzte Beobachtung lehren, bis jetzt waren meine Beobachtungen in dieser Hinsicht dadurch getrübt, dass die drei Abtheilungen, an welchen ich meine Beobachtungen gemacht, solche waren, an welchen es nicht möglich war, alle Infectionsfälle von Aussen zu verhüten. Die Zahl der Ursachen der Selbstinfectionen dürfte jedenfalls gering sein, da in Wien im Jahre 1797 von 2012 und im Jahre 1798 von 2046 Wöchnerinnen nur jährlich je 5 Wöchnerinnen, also 1 von 400 starben.
Da die alleinige Ursache des Kindbettfiebers, nämlich ein zersetzter thierisch-organischer Stoff, den Individuen entweder von Aussen eingebracht wird, oder da dieser Stoff auch in den Individuen entstehen kann, so besteht die Aufgabe der Prophy - laxis des Kindbettfiebers darin, die Einbringung zersetzter Stoffe von Aussen zu verhüten, die Entstehung zersetzter Stoffe in den Individuen hintanzuhalten, und endlich die wirklich entstandenen zersetzten Stoffe so schnell wie möglich aus dem Organismus zu entfernen, um wo möglich deren Resorption, und dadurch den Ausbruch des Kindbettfiebers zu verhüten.
Der Träger, mittelst welchem am häufigsten ein zersetzter Stoff den Individuen von Aussen eingebracht wird, ist der untersuchende Finger.
Da es bei einer grossen Anzahl von Schülern sicherer ist, den Finger nicht zu verunreinigen, als den verunreinigten wieder zu reinigen, so wende ich mich an sämmtliche Regie - rungen mit der Bitte um die Erlassung eines Gesetzes, welches jedem im Gebärhause Beschäftigten für die Dauer seiner Beschäftigung im Gebärhause verbietet, sich mit Dingen zu beschäftigen, welche geeignet sind, seine Hände mit zersetzten Stoffen zu verunreinigen.
Die unabweisbare Nothwendigkeit eines solchen Gesetzes machte mir die Erfahrung klar, dass es mir trotz aller Energie nicht gelungen ist, an der I. Gebärklinik zu Wien die Fälle von Kindbettfieber auf die Fälle von Selbstinfection zu beschränken.
267Wenn man bedenkt. dass der Semester für praktische Geburtshilfe nicht für alle Schüler am selben Tage beginnt, wo dann alle gleichzeitig mit ihren Pflichten bekannt gemacht werden können, sondern dass in die praktische Geburtshilfe täglich Schüler ein - und austreten, und da man nicht täglich dasselbe sagen kann, es leicht vorkommen mag, dass mancher erst nach vielen Tagen gewarnt wird; wenn man bedenkt, dass die 42 Schüler der I. Gebärklinik den grössten Theil des Tages in der Todtenkammer bei den pathologischen und gerichtlichen Sectionen, auf den Abtheilungen des Kranken - hauses, in den verschiedensten Operations - und andern Cursen verbringen, wodurch die Hand nicht nur mit zersetzten Stoffen verunreinigt, sondern förmlich getränkt wird, und wenn es nicht unwahrscheinlich ist, dass manche dieser so mit zer - setzten Stoffen getränkte Hände nicht lange genug der Wir - kung des Chlorkalkes ausgesetzt werden, um völlig desinficirt zu werden; wenn man alle diese Umstände bedenkt, so muss es begreiflich sein, dass an der I. Gebärklinik immer noch Fälle von Infection von Aussen vorgekommen sind.
Diesem Uebelstande kann nur das oben angedeutete Gesetz abhelfen. Aber dieses Gesetz hätte noch andere heil - same Folgen. Ich werde später Gelegenheit haben, sehr zahl - reiche Professoren der Geburtshilfe anzuführen, welche gegen meine Lehre geschrieben, folglich auch ihren Schülern gegen - über gegen meine Lehre gesprochen haben. Ein Thor, der nun glaubt, dass die so irrebelehrten Schüler sich so gewissenhaft desinficiren werden, als es nöthig ist. Und wenn dann der Tod reiche Beute hält, so wird die Erfolglosigkeit der Chlor - waschungen als Beweis des epidemischen Ursprunges des Kindbettfiebers benützt.
Diesem verderblichen Gebahren, wodurch nicht nur in den Gebärhäusern so viele Menschenleben frühzeitig zerstört werden, sondern wodurch noch Generationen irregeleiteter Aerzte ins praktische Leben hinausgeschickt werden, deren Infectionsfälle dann wieder als Beweise des epidemischen268 Kindbettfiebers auch ausserhalb der Gebärhäuser benützt werden; diesem verderblichen Gebahren kann nur durch ein solches Gesetz ein Ende gemacht werden, auf welches wir früher hingedeutet haben. Wenn in Folge dieses Gesetzes die Schüler in den Gebärhäusern reine Hände haben werden, dann wird auch der feurigste Vortrag für die epidemischen Einflüsse keine Epidemie hervorzubringen im Stande sein; während ohne dieses Gesetz bei mit zersetzten Stoffen verun - reinigten Händen, durch solche Vorträge die Vorsicht des Schülers eingeschläfert, und dadurch das Kindbettfieber ver - vielfältigt wird. Wir beschwören daher sämmtliche Regierungen um die Erlassung eines solchen Gesetzes, damit nicht ferner - hin das gebärende Geschlecht mehr als decimirt werde, damit nicht fernerhin schon der noch ungebornen Frucht der Todes - keim eingeimpft werde, und zwar gerade von denjenigen, welche zu deren Erhaltung berufen sind.
Ein solches Gesetz ist der anderweitigen medicinischen Ausbildung nicht hinderlich, weil der praktischen Geburts - hilfe nur eine verhältnissmässig kurze Zeit gewidmet wird. Ein solches Gesetz würde aber den praktisch-geburtshilflichen Unterricht dadurch wesentlich fördern, da es dann nicht mehr so wie jetzt geschehen würde, dass die belehrendsten Fälle sich ereignen, während die Schüler anderweitig beschäftigt sind.
Es ist überall Sitte, dem praktisch-geburtshilflichen Un - terrichte einen theoretischen vorauszuschicken. Mit diesem theoretischen Unterrichte müssten die Operationsübungen an Leichen verbunden sein, den Sectionen der im Gebärhause Verstorbenen müssten die Schulen der theoretischen Vorle - sungen beigezogen werden, damit die Schüler schon vor ihrer Aufnahme in das Gebärhaus mit der pathologischen Anatomie des Kindbettfiebers, mit den geburtshilflichen Operationen an der Leiche vertraut werden, um solche Beschäftigungen während ihres Aufenthaltes im Gebärhause entbehren zu können.
Durch ein solches Gesetz wird zwar die ergiebigste, aber es werden nicht alle Quellen gestopft, aus welchen der die269 Hand verunreinigende zersetzte Stoff genommen wird, weil ja im Gebärhause selbst durch Selbstinfection das Kindbettfieber entstehen kann, welches unter der Form einer Endometritis septica verlaufend, den die Hand verunreinigenden Stoff liefert, es werden ja auch Kreissende aufgenommen, welche an, einen zersetzten Stoff erzeugenden Krankheiten leiden.
Die Nothwendigkeit, die Hand zu desinficiren, wird daher immer bleiben, und um dieses Ziel vollkommen zu erreichen, ist es nöthig, die Hand, bevor ein zersetzter Stoff berührt wird, gut zu beöhlen, damit der zersetzte Stoff nicht in die Poren der Hand eindringen könne; nach einer solchen Beschäf - tigung muss die Hand mit Seife gewaschen, und dann der Einwirkung eines chemischen Agens ausgesetzt werden, welches geeignet ist, den nicht entfernten zersetzten Stoff zu zerstören; wir bedienen uns des Chlorkalkes, und waschen uns so lange, bis die Hand schlüpfrig wird.
Eine so behandelte Hand ist vollkommen desinficirt. Träger der zersetzten Stoffe ist übrigens nicht blos der unter - suchende Finger, sondern alle Gegenstände, welche mit zer - setzten Stoffen verunreinigt sind, und mit den Genitalien der Individuen in Berührung kommen; diese Gegenstände müssen daher vor ihrer Inberührungbringung mit den Genitalien desinficirt, oder ausser Verwendung gesetzt werden, hieher gehören Instrumente, Bettwäsche, Schwämme, Leibschüs - seln etc. etc.
Da der Träger der zersetzten Stoffe auch die atmos - phärische Luft sein kann, so sind die Gebärhäuser an Orten zu erbauen, wo ihnen von Aussen durch die atmosphärische Luft keine zersetzten Stoffe zugeführt werden können. Gebär - häuser sollen daher nicht Bestandtheile grosser Kranken - häuser sein, und damit die atmosphärische Luft in den Räumen des Gebärhauses nicht zum Träger des zersetzten Stoffes werde, müssen die Exhalationen der Individuen vor ihrer Zersetzung aus den Räumen des Gebärhauses durch Ventilation entfernt werden. Nebstdem ist es ein Erforderniss der Pro -270 phylaxis des Kindbettfiebers, dass jedes Gebärhaus mehrere abgesonderte Räume besitze, um in denselben diejenigen Individuen, welche zersetzte Stoffe exhaliren, oder deren Krank - heiten zersetzte Stoffe erzeugen, vollkommen von den gesunden gesondert verpflegen zu können. Unter der Voraussetzung der Absonderung kranker Individuen ist das Zellensystem kein Erforderniss der Prophylaxis des Kindbettfiebers, und es ist vollkommen gleichgiltig, wie viele gesunde Wöchnerinnen in einem Zimmer verpflegt werden, wenn die Zahl der Wöchne - rinnen nur im richtigen Verhältnisse zur Grösse des Zimmers steht. Wir haben an der I. Geburtsklinik 32 Wöchnerinnen gleichzeitig in einem Zimmer verpflegt.
Eben so ist es kein Erforderniss der Prophylaxis des Kindbettfiebers, mehrere kleine statt eines grossen Gebärhauses zu errichten. Es ist allerdings wahr, dass die absolute Sterb - lichkeit in einem kleinen Gebärhause nicht so gross sein kann als in einem grossen Gebärhause, z. B. Kiwisch berichtet, dass an der geburtshilflichen Klinik zu Würzburg von 102 in einem Jahre verpflegten Wöchnerinnen 27 gestorben seien. Das ungünstigste Jahr für das Wiener Gebärhaus war wäh - rend der 75 Jahre seines Bestehens das Jahr 1842; es starben nämlich, das Gebärhaus als Ganzes genommen, von 6024 Wöchnerinnen 730, oder wenn wir blos die I. Abtheilung berücksichtigen, so starben an der I. Abtheilung im Jahre 1824 von 3287 Wöchnerinnen 518 Wöchnerinnen. Welch ein unge - heurer Unterschied in der absoluten Sterblichkeit zwischen dem kleinen Würzburger und dem grossen Wiener Gebär - hause! und doch war die relative Sterblichkeit im kleinen Würzburger Gebärhause bedeutend grösser, als im grössten Gebärhause der Welt während seines ungünstigsten Jahres, denn in Würzburg starben 26.47, in Wien aber, das Gebär - haus als Ganzes genommen, 12.11; die I. Abtheilung aber allein genommen 15.75 Percent-Antheile Wöchnerinnen, und es ist die Erklärung, warum in kleinen Gebärhäusern die relative Sterblichkeit grösser ist als in grossen Gebärhäusern, leicht271 gegeben. In kleinen Gebärhäusern ist das Lehrmaterial karg zugemessen, es wird daher ein jeder Fall benützt, und wenn nun mit unreinen Händen untersucht wird, werden von weni - gen verpflegten Individuen viele inficirt; in Wien ist das Lehrmaterial in solchem Ueberfluss vorhanden, dass hunderte und hunderte von Individuen nicht zum Unterrichte verwendet, also nicht inficirt werden, und diese nicht zum Unterrichte verwendeten Individuen verbessern die relative Sterblichkeit.
Was die Prophylaxis der Selbstinfectionsfälle anbelangt, so muss, damit kein zersetzter Stoff in den Individuen ent - stehe, die Austreibungsperiode, wenn selbe so zögernd ver - läuft, dass Quetschungen der Genitalien zu besorgen stehen, rechtzeitig mittelst der entsprechenden Operation beendet werden; die Operation selbst muss so schonend wie möglich gemacht werden, damit in Folge der Operation nicht das entstehe, was man mit der Operation verhüten wollte; aus diesem Grunde sind z. B. bei Zangenoperationen, die Rotatio - nen und die Pendelbewegungen verwerflich, wegen der Quetschungen, welche nothwendigerweise durch diese Bewe - gungen den Genifalien zugefügt werden.
Die Placenta, Placenta - und Eihautreste müssen vor ihrem Uebergange in Fäulniss aus dem Organismus entfernt werden, mehrere Stunden nach gestillten Gebärmutterblutungen müssen Injectionen gemacht werden, um die etwa zurückgebliebenen Blutcoagula zu entfernen, denn zurückgehalten gehen selbe in Fäulniss über, und liefern dadurch den Stoff für die Selbst - infection; man verhüte Mittelfleischrisse, weil dadurch nicht nur eine resorbirende Fläche, sondern zugleich der zu resorbirende Stoff geschaffen wird. Ist aber wirklich ein zersetzter Stoff in den Individuen entstanden, so muss derselbe durch Reinlich - keit und Injectionen aus den Individuen entfernt werden, um wo möglich dessen Resorption zu verhüten.
In wie weit dieselben Verhältnisse auch ausserhalb der Gebärhäuser vorkommen, muss natürlich auch ausserhalb der Gebärhäuser dieselbe Prophylaxis beobachtet werden, und272 damit die Prophylaxis des Kindbettfiebers auch ausserhalb der Gebärhäuser beobachtet werde, muss in den Eid, in die Amts - instruction der Medicinal-Individuen männlichen und weib - lichen Geschlechtes bei Gelegenheit ihrer Diplomirung auch das aufgenommen werden, dass sie schwören, alles das auf das gewissenhafteste zu befolgen, was die Prophylaxis des Kind - bettfiebers vorschreibt.
Wer diese Prophylaxis beobachtet, wird die Freude erleben, nicht von Zeit zu Zeit eine jede dritte oder eine jede vierte Wöchnerin am Kindbettfieber zu verlieren, sondern vielleicht erst eine von vierhundert, gewiss aber nicht eine von hundert.
Wenn wir mit gegenwärtiger Schrift keinen anderen Zweck verfolgen würden, als den, unsere Lehre unerschütter - lich zu begründen, und den traurigen Irrthum der Lehre vom epidemischen Kindbettfieber recht klar zu machen, wenn wir nur diesen Zweck verfolgen würden, so könnten wir füglich diese Schrift hier schliessen, denn wir haben nichts mehr unserer Lehre hinzuzufügen, um selbe unerschütterlicher zu machen, so wie wir nichts mehr zu sagen haben, um die Un - haltbarkeit der Lehre vom epidemischen Kindbettfieber noch klarer zu machen.
Das allein kann aber der Zweck der gegenwärtigen Schrift nicht sein, denn meine Lehre ist nicht dazu da, fest begründet in Bibliotheken unter Staub zu vermodern, sondern seine Mission ist: im praktischen Leben segensreich zu wirken. Meine Lehre ist dazu da, um von den Lehrern der Medicin verbreitet zu werden, damit das Medicinal-Personale bis hinab zum letzten Dorfchirurgen, bis zur letzten Dorfhebamme dar - nach handle, meine Lehre ist dazu da, um den Schrecken aus den Gebärhäusern zu verbannen, und um dem Gatten die Gattin, dem Kinde die Mutter zu erhalten.
Der Geburtstag meiner Lehre fällt in die zweite Hälfte Mai des Jahres 1847. Wenn wir uns nun nach zwölf Jahren die Frage stellen, hat diese Lehre seine Mission erfüllt, so lautet die Antwort sehr betrübend. Es ist zwar wahr, dass meine Lehre so weitläufig wie dieses Mal noch nicht erörtert wurde, aber das Wesen der Lehre ist veröffentlicht worden,Semmelweis, Kindbettfieber. 18274nämlich: es ist eine bekannte Thatsache, dass Verletzungen bei Sectionen Pyaemie nach sich ziehen können, und da der Leichenbefund bei an Pyaemie Verstorbenen identisch ist mit dem Leichenbefunde von am Kindbettfieber Verstorbenen, so ist das Kindbettfieber dieselbe Krankheit; wenn es dieselbe Krankheit ist, so muss sie dieselbe Ursache haben, dieselbe Ursache ist unzweifelheft am häufigsten an den Händen der Aerzte vorfindig; wenn nun noch durch die Entfernung dieser Ursache die Wirkung auch verschwindet, so ist die Sache keinem Zweifel mehr unterworfen.
So weit war die Sache von Anbeginn veröffentlicht, und man sollte im Vorhinein glauben, dass für Männer der Wissen - schaft, deren Lebenszweck Rettung von Menschenleben ist, solche Andeutungen genügen werden, um zu ernstem Nach - denken aufzufordern, besonders wo es sich um eine Krankheit handelt, von welcher Alle einstimmig nur mit Entsetzen sprechen; man sollte glauben, dass bei der Klarheit der Sache selbe einstimmig für wahr erklärt, und darnach gehandelt werde.
Die Erfahrung hat uns anders gelehrt; die überaus grösste Anzahl von medicinischen Hörsälen wiederhallt noch immer von Vorträgen über epidemisches Kindbettfieber, und von Philippiken gegen meine Lehre, dadurch werden fort und fort Generationen neuer Infectoren ins praktische Leben gesendet, und es ist nicht abzusehen, wann der letzte Dorf - chirurg und die letzte Dorfhebamme das letzte Mal inficiren werden.
Die medicinische Literatur der letzten zwölf Jahre strotzt noch immer von Berichten über beobachtete Puerperal - Epidemien, und in Wien, an der Geburtsstätte meiner Lehre, sind im Jahre 1854 wieder 400 Wöchnerinnen dem Kindbett - fieber erlegen; in den erschienenen medicinischen Werken wird entweder meine Lehre ignorirt oder angegriffen, die medicinische Facultät zu Würzburg hat eine im Jahre 1859 erschienene Monographie über die Pathologie des Kindbett -275 fiebers, in welcher meine Lehre verworfen wird, mit einem Preise gekrönt, und wir werden Gelegenheit haben, Vorstände von Gebärhäusern anzuführen, welche meine Lehre mit Erfolg beobachten, und dieselbe dennoch bekämpfen, den Erfolg anderen Umständen zuschreibend. Die Indignation über die Grösse dieses Scandals hat in meine widerstrebende Hand die Feder gedrückt. Ich würde glauben ein Verbrechen zu bege - hen, wenn ich noch länger schweigend der Zeit und der un - befangenen Prüfung die praktische Verbreitung meiner Lehre überlassen würde.
Wenn wir uns um die Ursachen umsehen, welche es machen, dass Männer der Wissenschaft sich so hartnäckig der Wahr - heit widersetzen, dass Männer, deren Lebenszweck ist, Menschenleben zu retten, so hartnäckig einer Lehre anhängen, welche ihre Pflegebefohlenen zum Tode verurtheilt, und dieje - nige, welche selbe zu retten lehrt, angreifen, so werden wir deren sehr viele finden; wir wollen alle jene Ursachen, welche das von uns erbetene Gesetz in ihren Wirkungen paralysirt nicht einmal erwähnen, weil deren Aufzählung ohne dieses Gesetz gewiss keine Besserung erzielen, im Gegentheil nur Leidenschaften erregen würde, mit diesem Gesetze werden die Folgen dieser Ursachen schwinden, auch ohne selbe auf - gezählt zu haben.
Zwei Ursachen sind aber, welche der praktischen Ver - breitung meiner Lehre hinderlich sind, die wir nennen wollen, weil wir in der Lage sind, dagegen etwas zu thun.
Die eine ist die für reine Wahrheitsliebe zeugende Ge - wohnheit meiner Gegner, in ihren Angriffen sich immer nur wieder auf Gegner zu berufen, ja Carl Braun geht in der Verläugnung der Wahrheit so weit, dass er in seinem Lehr - buche der Geburtshilfe, Seite 921, sagt: » In Deutschland, Frankreich und England wurde diese Hypothese der cadave - rösen Infection bis auf die neueste Zeit fast einstimmig ver - worfen! «
Nicht alle sind mit der Literatur in ihrem ganzen Umfange18 *276vertraut; wird ein weniger mit der Literatur Vertrauter durch solche Aeusserungen aufgefordert, über die Sache nachzu - denken, und dieselbe zu befolgen? Gewiss nicht.
Wir wollen daher, obwohl uns das Sprichwort » propria laus sordet « wohl bekannt ist, dennoch hier alles zusammen - stellen, was zu Gunsten meiner Lehre gesagt wurde, um die Folgen der Verschwiegenheit meiner Gegner zu paralysiren. Wir lassen uns den Vorwurf des Eigenlobes gerne gefallen, überzeugt, dass wir dadurch viele zum ernsten unparteiischen Nachdenken anregen und bekehren werden. Die zweite Ursache, welche der praktischen Anwendung meiner Lehre hinderlich ist, sind die vielen Einwendungen, die man dagegen erhoben hat, und ich gestehe, dass es mir begreiflich ist, dass vielen diese Einwendungen imponiren, und es gehört wirklich die Begeisterung für die Sache dazu, wie ich sie besitze, und das Vertrautsein mit der Sache, wie ich es bin, um immer zu merken, wo der Irrthum steckt, der sich als Wahrheit reprä - sentirt; sowie wir alles das, was zu unseren Gunsten gesagt wurde, hier zusammenstellen werden, mit noch grösserer Ge - wissenhaftigkeit werden wir alles anführen, was gegen uns gesagt wurde, wir werden aber die Antwort nicht schuldig bleiben, obwohl wir wissen, dass wir dadurch das Odium so zahlreicher Fachgenossen auf uns laden. Wir werden uns trösten mit dem Bewusstsein, dass unsere Erwiederung nicht Zweck, sondern nur ein nicht zu umgehendes Mittel ist, um Gott weiss wie viele Aerzte der Wahrheit zuzuführen, welche zum Nachtheile der Menschheit durch die Sirenenklänge meiner Gegner im Irrthum erhalten werden.
Wir wollen nun das Lob, welches wir geerntet, und den Tadel, den wir davongetragen, so weit thunlich in chronolo - gischer Ordnung aufzählen.
Die erste Veröffentlichung unternahm die Redaction der Zeitschrift der k. k. Gesellschaft der Aerzte zu Wien,*)Zeitschrift der k. k. Gesellschaft der Aerzte zu Wien, 1848. 4. Jahr - gang, II. Band, Seite 242, und 5. Jahrgang, I. Band, Seite 64.277 Redacteur Dr. Ferdinand Hebra, mit folgenden zwei Auf - sätzen:
Höchst wichtige Erfahrungen über die Aetiologie der in Gebäranstalten epidemischen Kindbettfieber.
Die Redaction dieser Zeitschrift fühlt sich verpflichtet, die folgenden, von Hrn. Dr. Semmelweis, Assistenten an der ersten geburtshilflichen Klinik des hiesigen k. k. allgemeinen Krankenhauses, gemachten Beobachtungen in Hinsicht der, beinahe in allen Gebäranstalten herrschenden Puerperalfieber hiermit dem ärztlichen Publicum mitzutheilen.
Herr Dr. Semmelweis, der sich bereits über fünf Jahre im hiesigen k. k. Krankenhause befindet, sowohl am Secir - tische als auch am Krankenbette in den verschiedenen Zweigen der Heilkunde sich gründlich unterrichtete, und endlich wäh - rend der letzten zwei Jahre seine specielle Thätigkeit dem Fache der Geburtshilfe zuwendete, machte es sich zur Auf - gabe, nach der Ursache zu forschen, welche dem so verhee - renden, epidemisch verlaufenden Puerperalprocesse zu Grunde liege. Auf diesem Gebiete wurde nun nichts ungeprüft gelassen, und Alles, was nur irgend einen schädlichen Einfluss hätte ausüben können, wurde sorgfältig entfernt.
Durch den täglichen Besuch der hiesigen pathologisch - anatomischen Anstalt hatte nun Dr. Semmelweis den schäd - lichen Einfluss kennen gelernt, welcher durch jauchige und faulige Flüssigkeiten auf selbst unverletzte Körpertheile der mit Leichensectionen sich beschäftigenden Individuen aus - geübt wird. Diese Beobachtung erweckte in ihm den Gedan - ken, dass vielleicht in Gebäranstalten von den Geburtshelfern selbst den Schwangeren und Kreissenden der furchtbare Puerperalprocess eingeimpft werde, und dass er in den meisten Fällen nichts anderes, als eine Leicheninfection sei.
Um diese Ansicht zu erproben, wurde auf dem Kreiss - zimmer der ersten geburtshilflichen Klinik die Anordnung getroffen, dass Jeder, der eine Schwangere untersuchen wollte, zuvor seine Hände in einer wässerigen Chlorkalk-Lösung278 (Chloratis calcis unc. 1, Aqua fontana lib. duas) waschen musste. Der Erfolg war ein überraschend günstiger; denn während in den Monaten April und Mai, wo diese Massregel noch nicht gehandhabt wurde, auf 100 Geburten noch über 18 Todte kamen, verhielt sich in den folgenden Monateu bis inclusive 26. November die Anzahl der Todten zu den Ge - burten wie 47 zu 1547, d. h. es starben von 100 2.45.
Durch diese Thatsache wäre vielleicht auch das Problem gelöst, warum in Hebammen-Schulen ein so günstiges Morta - litäts-Verhältniss im Vergleiche zu den Bildungsanstalten für Geburtshelfer herrscht, mit Ausnahme der Maternité in Paris, wo — wie bekannt — die Sectionen von Hebammen vorge - nommen werden.
Drei besondere Erfahrungen dürften vielleicht diese so eben ausgesprochene Ueberzeugung noch weiter bestätigen, ja sogar den Umfang derselben noch erweitern. Dr. Semmel - weis glaubt nämlich nachweisen zu können, dass:
Also auch die Uebertragung jauchiger Exsudate aus lebenden Organismen kann die veranlassende Ursache zum Puerperalprocesse abgeben.
Indem wir diese Erfahrungen der Oeffentlichkeit über - geben, stellen wir an die Vorsteher sämmtlicher Gebäran - stalten, von denen schon einige durch Herrn Dr. Semmelweis selbst mit diesen höchst wichtigen Beobachtungen bekannt279 gemacht wurden, das Ansuchen, das Ihrige zur Bestätigung oder Widerlegung derselben beizutragen! «
Der zweite Aufsatz lautet:
Fortsetzung der Erfahrungen über die Aetiologie der in Gebäranstalten epidemischen Puerperalfieber.
» Im Decemberhefte 1847 dieses Journals wurde von Seite der Redaction desselben die höchst wichtige Erfahrung veröffentlicht, die Herr Dr. Semmelweis, Assistent an der ersten geburtshilflichen Klinik, in Hinsicht auf die Aetiologie des in Gebärhäusern vorkommenden epidemischen Puerperal - fiebers gemacht hat.
Diese Erfahrung besteht nämlich (wie es den Lesern unserer Zeitschrift noch erinnerlich sein wird) darin, dass Wöchnerinnen hauptsächlich dann erkranken, wenn sie von Aerzten, die ihre Hände durch Untersuchungen an Leichen verunreinigt, und selbe nur auf gewöhnliche Weise gewaschen hatten, untersucht (touchirt) wurden; während entweder keine oder nur geringe Erkrankungsfälle stattfanden, wenn der Untersuchende seine Hände früher in einer wässerigen Chlor - kalk-Lösung gewaschen hatte.
Diese so höchst wichtige, der Jenner’schen Kuhpocken - impfung würdig an die Seite zu stellende Entdeckung, hat nicht nur seither im hiesigen Gebärhause ihre vollständige Bestätigung erhalten,*)Indem im Monate December 1847 auf 273 Geburten 8, im Jänner 1848 auf 283 Geburten 10, im Monate Februar auf 291 Geburten 2 Todesfälle kamen, und im Monate März keine Wöchnerin starb, sowie sich auch gegenwärtig keine einzige Puerperalkranke im Gebärhause befindet. Während der zehn Monate, wo das Waschen mit Chlorkalk vor jeder Untersuchung vorgenommen wird, sind demnach von 2670 Entbundenen blos 67 gestorben, eine Zahl, die früher öfters in einem Monate überstiegen wurde. sondern es haben sich auch aus dem fernen Auslande beifällige Stimmen erhoben, welche die Richtigkeit der Semmelweis’schen Theorie beglaubigen. Ein - gelangte Briefe, und zwar aus Kiel von Michaelis, und aus280 Amsterdam von Tilanus sind es, welchen ich diese bestäti - genden Mittheilungen entnehme.
Um jedoch dieser Entdeckung ihre volle Giltigkeit zu gewinnen, werden hiermit alle Vorsteher geburtshilflicher Anstalten freundlichst ersucht, Versuche anzustellen, und die bestätigenden oder widerlegenden Resultate an die Redaction dieser Zeitschrift einzusenden! «
Dr. Carl Haller, damals Primararzt und provisorischer Directions-Adjunct, sagt in seinem » Aerztlichen Bericht über das k. k. allgemeine Krankenhaus in Wien und die damit verbundenen Anstalten: die k. k. Gebär -, Irren - und Findel - anstalt im Solarjahr 1848 «,*)Zeitschrift der k. k. Gesellschaft der Aerzte zu Wien. 5. Jahrgang, 2. Band, Seite 536. nachdem er die Rapporte der beiden Abtheilungen gegeben, Folgendes: » Das Sterblichkeits - verhältniss auf den beiden grossen Gratisabtheilungen der Gebäranstalt ist fast ein gleiches, und muss in jeder Beziehung ein befriedigendes genannt werden.
Seit Jahren bestand jedoch eine bedenkliche Verschie - denheit. Die unter Leitung des Professors Klein befindliche I. Gebärklinik, welcher ausschliesslich alle männlichen Schüler zugewiesen sind, hatte eine auffallend grosse Sterblichkeit gegen Professors Bartsch Schule, an der sämmtliche Hebam - men den Unterricht erhalten.
Die Gründe dieser höchst beunruhigenden Erscheinung konnten nie mit Sicherheit ermittelt werden. Das grosse Ver - dienst ihrer Entdeckung gebührt dem emeritirten Assistenten der I. Gebärklinik, Dr. Semmelweis. Von der Vermuthung geleitet, dass die zahlreichen Erkrankungen und Todesfälle unter den Wöchnerinnen der I. Gebärklinik vielleicht zum grossen Theile in einer Einbringung von Leichengift durch das Touchiren der gleichzeitig in der Sectionskammer beschäf - tigten Studierenden und Geburtsärzte bedingt sein könnte,281 und dieses durch die bisher übliche Reinigung mit Seifen - wasser nicht mit vollkommener Sicherheit hintangehalten wurde, liess er im Mai d. J. 1847 mit Zustimmung Professor Klein’s jeden die Gebäranstalt betretenden Arzt und Schüler vor jeder ersten Untersuchung einer Gebärenden oder Wöch - nerin die Hände sorgfältig mit Chlorkalk-Lösung reinigen, und diese Reinigung nach jeder Untersuchung einer nur im geringsten Grade kranken Wöchnerin wiederholen. Die con - sequente Durchführung dieser Massregel hatte schon in den ersten Monaten überraschende Erfolge.
Die Zahl der Todesfälle verminderte sich bereits im Jahre 1847 bei fast gleicher Anzahl der Geburten um 283, und sank von 11.4 % auf 5.04 %; im Verlauf vom Jahre 1848 aber, wo diese Reinigung durch alle Monate beharrlich und methodisch fortgesetzt wurde, stellte sich das Sterblichkeits - Verhältniss dem auf der II. Gebärklinik gleich, ja zufällig noch um 0.1 % günstiger.
Seit der verminderten Erkrankung und Sterblichkeit der Mütter ist auch für die Lebenserhaltung der Neugebornen entsprechender gesorgt worden, und auch hier nahm die Sterblichkeit in merkbarem Grade ab*)Die Sterblichkeit der Neugebornen verminderte sich, weil selbe von ihren Müttern die Blutentmischung nicht mehr mitgetheilt er - hielten..
Die überzeugenden Beweise für die Richtigkeit dieser Schlussfolge kann der Leser aus einem vergleichenden Blicke der nachfolgenden Tabelle schöpfen, in welcher die Geburts - und Todesfälle der drei Abtheilungen des Gebärhauses in den letzten zehn Jahren neben einander gestellt sind, und über - dies bemerkt werden muss, dass die Sterblichkeit nur eine approximativ richtige ist, indem bei überhandnehmenden Puerperal-Epidemien an der I. Gebärklinik aus Sanitäts - und Humanitäts-Rücksichten eine nicht unbedeutende Anzahl erkrankter Wöchnerinnen aus dem Gebärhause auf einzelne282 Abtheilungen des Krankenhauses transferirt wurden, und als dort verstorben aus der Rechnung entfielen. «
Nun folgt die Tabelle, welche in dieser Schrift unter Nr. 1, Seite 3 sich befindet. Haller sagt ferner: » Und was dem unbefangenen Prüfer dieser Zahlen unabweisbar sich aufdrängt, das haben directe Versuche an Thieren (Einspri - tzungen von Eiter und Jauche in die Scheide von eben ent - bundenen Kaninchen), welche von den Doctoren Semmelweis und Lautner vor Kurzem angestellt wurden, und nach vollem Abschlusse veröffentlicht werden sollen, ausser allem Zweifel gestellt.
Die Bedeutung dieser Erfahrung für die Gebäranstalten, für die Spitäler überhaupt, insbesondere die chirurgischen Krankensäle, ist eine so unermessliche, dass sie der ernstesten Beachtung aller Männer der Wissenschaft würdig erscheint, und der gerechten Anerkennung der hohen Staatsverwaltung gewiss sein darf! «
Obwohl die Redaction der Zeitschrift der Gesellschaft der Aerzte am Schlusse beider Artikel eine Aufforderung an die Vorstände der Gebärhäuser richtete, das Ihrige zur Be - stätigung oder Widerlegung beizutragen, so hielt ich es doch nicht für überflüssig, die Vorstände vieler Gebärhäuser auch brieflich zu verständigen, und habe daher entweder selbst, oder durch Freunde vielen Vorständen von Gebärhäusern geschrieben oder schreiben lassen. Mehrere dieser Briefe sind nicht beantwortet worden, die erste Antwort kam, und zwar unglaublich schnell, wie man sagt, mit umgehender Post aus Edinburg von Simpson. Dr. Arneth, mein Freund und College an der II. Abtheilung, hat, der englischen Sprache mehr mächtig als ich, Simpson geschrieben, und ich bedaure, diesen Brief hier nicht mittheilen zu können, weil er nach Arneth’s mündlicher Versicherung, im Verlaufe der vielen Jahre, die seither verflossen sind, verloren gegangen ist. Dieser Brief war mit Schmähungen angefüllt; Simpson sagte, dass er auch283 ohne den Brief gewusst hat, in welch beklagenswerthem Zu - stande die Geburtshilfe sich in Deutschland und namentlich in Wien befinde; er wisse gewiss, dass die Ursache der grossen Sterblichkeit nur in der grenzenlosen Verwahrlosung liege, der die Wöchnerinnen ausgesetzt seien; so werden z. B. gesunde Wöchnerinnen in Betten gelegt, wo eben eine andere gestorben, ohne dass auch nur das Bettzeug gewechselt würde.
Unser Brief beweist auch, dass uns die englische geburts - hilfliche Literatur ganz unbekannt sei, denn wenn wir die englische Literatur kennen würden, würden wir wissen, dass die Engländer das Kindbettfieber längst für eine contagiose Krankheit halten, und zu deren Verhütung Chlorwaschungen anwenden.
Durch diesen Brief fühlten wir uns nicht veranlasst, die Correspondenz mit Prof. Simpson fortzusetzen; unsere Leser verweisen wir aber auf Seite 193 dieser Schrift, wo wir weit - läufig die wesentlichen Unterschiede zwischen der Ansicht englischer Aerzte und meiner, auseinandersetzten.
Dass Simpson nur in Folge einer Uebereilung meine Ansicht über die Entstehung des Kindbettfiebers mit der Ansicht englischer Aerzte für identisch halten konnte, geht aus einer Correspondenz hervor, welche ich mit Med. Doctor F. H. C. Routh in London führte.
Dr. Routh besuchte als Schüler die I. Gebärklinik zu Wien während meiner Assistenz, und das was er gesehen, überzeugte ihn von der Richtigkeit meiner Lehre. Er reiste mit dem Vorsatze in sein Vaterland zurück, meine Lehre dort zu verbreiten, und ich erhielt den ersten Brief dd. 23. Jän - ner 1849 London, folgenden Inhaltes:
» Comitiis in ultimis septimanis Novembris (1848) convo - catis, illic discursus, in quo tuam inventionem enunciavi, reddens tibi, ut voluit justitia, maximam gloriam, praelectus fuit. Enim vero possum dicere, totum discursum optime ex - ceptum fuisse, et multi inter socios doctissimos attestaverunt284 argumentum convincens fuisse. Inter hos praecipue Webster, Copeland et Murphy, viri et doctores clarissimi, optime locuti sunt. In Lancetto Novembris 1848 possis omnia de hac con - troversia contingentia legere.
Credisne novos casus, qui in hospitio ex tempore mei abitus admissi sunt, opinionem tuam confirmant?
Febris ne puerperalis rarior est quam antea? Si morbus sic periculosus in cubilibus obstetriciis non adsit ut ante, certe effectus magni momenti denuo firmatus. In Praga quoque, ubi febris puerperalis tum frequenter obvenire solebat, eisdem causis consecuta fuit ingenerari! *)In den Versammlungen englischer Aerzte, die in den letzten Wochen Novembers (1848) stattgefunden haben, habe ich einen Vortrag gehalten, in welchem ich deine Entdeckung verkündete, Dir, wie es die Gerechtigkeit verlangt, den grössten Ruhm bereitend. Ich kann sagen, dass mein Vortrag gut aufgenommen wurde, und dass viele der gelehrtesten Mitglieder bezeugten, dass die Gründe über - zeugend seien. Unter diesen vorzüglich Webster, Copeland und Murphy; diese Männer und berühmten Aerzte haben das Beste gesprochen. Im Novemberhefte des Lancetto ist alles über diese Verhandlung zu lesen. Glaubst Du, dass die Fälle, welche nach meinem Abgange vor - gekommen sind, auch deine Meinung bestätigen? Ist das Kindbett - fieber seltener als früher? Wenn diese gefährliche Krankheit in den geburtshilflichen Zimmern nicht mehr so ist wie früher, so ist dieser bedeutungsvolle Erfolg bestätigend. Auch in Prag, wo das Kindbettfieber so häufig vor - kommt, ist es denselben erzeugenden Ursachen zuzuschreiben.
Dorset-Square, London, 21. Mai 1849.
» Meas annotationes de tua inventione in libellulo pu - blicavi. «**)Meine Aufzeichnungen über deine Entdeckung habe ich in einem Büchelchen veröffentlicht: On the causes of the Endemic Puerperal Fever of Vienna. By C. H. F. Routh M. D. London, 1849. Separat - Abdruck aus den » Medico-Chirurgical Transactions « Vol. XXXII.
285Dorset-Square, London, 3. December 1849.
» Jam inventionis tuae fama ac veritas in existimatione publica accrescit, et inter omnes medicorum societates quam res est maxime utilis, percipiunt et agnoscunt, nec vero etiam temere, nam magna est veritas, et praevalebit. «*)Der Ruf und die Wahrheit deiner Entdeckung verbreitet sich immer mehr in der allgemeinen Meinung, und alle Gesellschaften der Aerzte sehen es ein und erkennen es an, wie nützlich dieselbe ist, und das geschieht nicht unbesonnen, denn gross ist die Wahrheit, und sie wird überwiegend werden.
Murphy, Professor der Geburtshilfe früher zu Dublin, jetzt zu London, hat » In the Dublin Quarterly Journal of Medical Science « August 1857, einen längeren Artikel ver - öffentlicht, in welchem er den oben erwähnten Vortrag Routh’s bespricht, und sich den in diesem Vortrage ausgesprochenen Ansichten anschliesst. **)Separat-Abdruck: » What is Puerperal Fever? « A question proposed to the epidemiologicol Society. London. By Edward William Murphy A. M. M. D. Dublin, 1857.
Selbst Simpson***)Edinb. Monthly Journal, November 1850. hat die Ansicht, dass das Kindbett - fieber eine contagiose Krankheit sei, aufgegeben.
Er hält jetzt das Kindbettfieber identisch mit dem chirur - gischen Fieber, und sagt: » Beim Kindbettfieber und beim chirurgischen Fieber ist das Fieber nicht die Ursache der begleitenden Entzündungen, noch sind die Entzündungen die Ursache des begleitenden Fiebers, sondern das Fieber sowohl als die Entzündungen sind die Folgen einer gemeinschaftlichen Ursache, nämlich des ursprünglichen Blutverderbnisses. Was aber das Blut verderbe, dies genügend zu beantworten, bleibt der späteren Zeit einer mehr ausgebildeten pathologischen Anatomie, Histologie und Chemie vorbehalten. «
Nun, diese Aufgabe ist schon gelöst, denn das was die Blutverderbniss als gemeinschaftliche Ursache des begleitenden Fiebers und der begleitenden Entzündungen beim Kindbett -286 fieber und beim chirurgischen Fieber hervorbringt, das ist ein resorbirter zersetzter thierisch-organischer Stoff.
Die zweite Antwort kam vom Professor Michaelis aus Kiel.
Dr. Schwarz, Michaelis Schüler, war Ende d. J. 1847 auf dem praktisch-geburtshilflichen Curse an der I. Gebär - klinik, und schrieb an Michaelis die in Wien gemachten Beobachtungen, worauf als Antwort folgender Brief einlief:
Herrn Dr. Herm. Schwarz in Wien.
» Ihr Brief vom 21. December 1847 hat mein höchstes Interesse erregt. Ich war wieder in der grössten Noth. Unsere Anstalt war in Folge des Puerperalfiebers vom 1. Juli bis 1. November geschlossen. Die drei zuerst wieder Aufgenom - menen erkrankten, eine starb und zwei wurden nur eben gerettet. Wir wollten also die Anstalt schon wieder schliessen. Indessen besserte sich der Gesundheitszustand wieder; zwei neu Erkrankte wurden leicht geheilt, nur eine starb noch im Februar. Seitdem sind alle gesund. Ihre Mittheilungen gaben mir zuerst wieder einigen Muth; der Beweis der Wirksam - keit der Chlorwaschungen, so weit er in Wien geführt ist, ist schon aus der grossen Anzahl von Bedeutung. Ich führte sie sogleich in der Anstalt ein, und Niemand, Candidaten noch Hebammen, dürfen seitdem untersuchen, ohne dass sie sich mit Chlor gewaschen haben. Auch gebraucht es schon eine Hebamme in der Stadt, die mehrere Frauen entband, die später am Puerperalfieber litten.
Nach Kopenhagen habe ich Abschrift Ihres Briefes ge - schickt. Aus eigener Erfahrung, die so gering ist, dem grossen Wiener Experiment gegenüber sprechen zu wollen, würde anmassend sein.
Dennoch kann ich nicht unterlassen, Ihnen einiges mit - zutheilen, dessen Zusammenhang man in kleinerer Weise gerade leichter übersehen kann.
287Seit vorigen Sommer, wo meine Cousine am Puerperal - fieber starb, die ich nach der Geburt untersuchte, zu einer Zeit, wo ich Puerperalkranke (nun folgt ein nicht zu lesendes langes Wort) secirt hatte, war ich überzeugt von der Ueber - tragung. Es fiel mir dann noch ein, dass schon einige Monate früher eine Frau in der Stadt, zu der mich Dr. Freund ge - rufen, ebenfalls am Puerperalfieber gestorben war. Ich verwei - gerte daher meinen Beistand bei der Geburt vier Wochen lang. Eine Gebärende, der ich helfen sollte, musste deshalb einen andern Arzt rufen; es war Prolapsus funiculi umbilicalis; er reponirte; der Arzt secirte viel, anatomisirte täglich; die Ent - bundene erkrankte am Puerperalfieber, wurde gerettet, aber hat eine Exudatmassa am Uterus. Die Hebamme, welche hier Bei - stand leistete, hat wenigstens noch zwei, vielleicht drei Fälle von Puerperalfieber in der Stadt gehabt. So viel von der Fortpflanzung des Fiebers.
Was die Sicherung durch Chlorwaschungen, die ich als sehr kräftig empfehlen kann, da die Hände den Geruch tage - lang, ungeachtet wiederholten Waschens, bewahren, was bei Chlorwasser nicht der Fall ist. Seit Einführung dieser Wa - schungen ist mir bei keiner von mir oder meinen Eleven Entbundenen auch der gelindeste Grad des Fiebers wieder vorgekommen, jenen einen Fall im Februar ausgenommen, bei dem indess, wie ich vermuthe, ein schlecht gereinigter Catheder gebraucht wurde, und der isolirt blieb. Nach dem schlimmen Anfange aber im November erwartete ich die bösar - tigste Epidemie. Uebrigens beschränkt sich meine Erfahrung auf etwa 30 Fälle, da wir nur wenig Schwangere aufnehmen. Ich danke Ihnen für Ihre Mittheilung deshalb vom ganzen Herzen; sie hat vielleicht schon unsere Anstalt vom Unter - gange gerettet; und ein neues Hospital zu erwerben in diesen Zeiten, wäre vielleicht unmöglich gewesen. Ich bitte Sie, mich dem Dr. Semmelweis zu empfehlen, und auch in diesem Sinne zu danken, er hat vielleicht einen grossen Fund gethan.
Sie wissen, dass das Puerperalfieber bei uns eigentlich288 erst seit 1834 eingezogen ist. Dies ist aber auch ungefähr die Zeit, seitdem ich mich des Unterrichtes thätiger angenommen habe, und namentlich das Touchiren der Candidaten regel - mässiger eingeführt ist. Auch diese Sache lässt sich also in Zusammenhang bringen. «
Kiel, den 18. März 1848.
Im Kieler Gebärhause hat sich also unsere Ansicht über die Entstehung des Kindbettfiebers glänzend bewährt; man mache nicht die Kleinheit der Anstalt geltend, denn wenn das Kieler Gebärhaus gross genug war, um wegen Puerperal - Epidemie gesperrt werden zu müssen, so ist es auch gross genug, um beim Ausbleiben der Epidemie als Beweis gelten zu können.
Als später wieder ein Schüler Michaelis nach Wien kam, und wir uns bei selbem um Michaelis erkundigten, erfuhren wir zu unserem Entsetzen, dass Michaelis zu den Todten zähle. Die Erfahrungen, die er gemacht, bestätigten ihn immer mehr in der Ueberzeugung, dass er den Tod seiner Cousine, von welcher er in seinem Briefe spricht, verschuldet, deshalb in tiefe Melancholie versunken, liess er sich bei Hamburg von einem dahinbrausenden Train zermalmen. Ich habe hier deshalb das unglückliche Ende Michaelis erzählt, um seiner Gewissenhaftigkeit hier ein Monument zu setzen. Wir werden leider Gelegenheit haben, dem Leser Geburtshelfer vorzu - führen, denen man etwas von der Gewissenhaftigkeit wünschen möchte, was Michaelis davon zu viel hatte.
Friede seiner Asche!
Nachdem ich den Entschluss gefasst, nochmals vor die Oeffentlichkeit zu treten, hielt ich es für zweckmässig, mich brieflich bei Michaelis Nachfolger, bei Prof. Litzmann anzu - fragen, was er an der Anstalt beobachtet, an welcher Michaelis bestätigende Erfahrungen gemacht. Als Antwort erhielt ich folgendes Schreiben:
289Kiel, den 25. September 1858.
Von einer Reise zurückgekehrt, finde ich Ihren Brief vor, und beeile mich, denselben noch in der Kürze zu beant - worten. Während der zehn Jahre, dass ich Vorsteher der hie - sigen Gebäranstalt bin, habe ich nach Kräften jede Gelegen - heit zu einer Infection der Wöchnerinnen durch Leichengift zu vermeiden gesucht, mich nebst meinem Assistenten von jeder unmittelbaren Betheiligung bei Sectionen fern gehalten, und die Studierenden die bekannten Vorsichtsmassregeln beobachten lassen. Ich bin in der That bezüglich des Pueperal - fiebers glücklicher gewesen als mein Vorgänger und habe wenige Opfer zu beklagen gehabt.
Den Hauptgrund dieses günstigen Verhältnisses suche ich jedoch in der Vorsicht, mit der ich jede Ueberfüllung der Anstalt mit Wöchnerinnen zu verhüten bemüht gewesen bin. Die Anstalt zählt acht oder eigentlich nur sieben Einzel - zimmer für Wöchnerinnen. Der Regel nach hat jede Wöch - nerin die ersten 5 — 7 Tage ihr Zimmer für sich, welches ihr auch als Geburtszimmer gedient hat, erst in der zweiten Woche des Puerperismus werden zwei Wöchnerinnen in ein Zimmer gelegt. Die Erfahrung hat gezeigt, dass, wenn die Zahl der Wöchnerinnen eine Zeit lang sich über zehn erhob, so dass schon in den ersten Tagen des Wochenbettes zwei Wöchne - rinnen zusammengelegt werden mussten, und die benützten Zimmer ohne ausreichende Lüftung sofort wieder belegt wurden, sofort das Kindbettfieber sich zeigte. Ich habe daher die Aufnahme so weit zu beschränken gesucht, dass nament - lich in den Wintermonaten die Zahl der Wöchnerinnen nicht auf längere Zeit über zehn stieg, habe im Nothfalle die Gebärenden in Privatlocalitäten, die ich in der Nähe der Anstalt gemiethet hatte, verlegt, und dort ihr Wochenbett abhalten lassen, und bin zu letzterer Massregel immer dann geschritten, wenn Fälle von Kindbettfieber in der Anstalt auftraten. Diese Vorsicht hatte Michaelis nicht beobachtet, die Zahl der jährlich vorkommenden Geburten betrug unterSemmelweis, Kindbettfieber. 19290seiner Direction 160 — 190, während ich sie nie über 150 habe steigen lassen. Freilich bin ich ungeachtet aller Vorsicht nicht von kleineren Epi - oder Endemien verschont geblieben, und habe auch zweimal zu einer zeitweisen Schliessung der Anstalt flüchten müssen. Die zur Zeit solcher Endemien in Privatlocalitäten verlegten Gebärenden blieben mit Ausnahme eines Falles<