PRIMS Full-text transcription (HTML)
[1]
Die Erbſchleicher.
Ein Luſtſpiel in fuͤnf Akten
Captes aſtutus vbique Teſtamenta ſenum; neu, ſi vafer vnus et alter Inſidiatorem praeroſo fugerit hamo, Aut ſpem deponas, aut artem illuſus omittas. (Horat. )
Leipzig,im Verlage der Dykiſchen Buchhandlung.1789.
[2]

Perſonen.

  • Gerhard, ein reicher Privatmann.
    • Sternberg, Advokat, Vetter
    • Wittwe Ungewitter, Muhme
    • Weinhold, Vetter
    • Juſtine, Haushaͤlterinn
    • Benedikt, Bedienter
    • des Herrn Gerhard.

  • Madam Anker, Lieutenantswittwe.
  • Thereſe, ihre Tochter.
  • Bieder, Landgeiſtlicher.
  • Piſtorius, Apotheker.
  • Die Handlung geht in einer anſehnlichen Landſtadt vor.

[3]

Etwas uͤber das Aeußerliche der Perſonen.

Gerhard.

Ein einfarbiger Schlafrock mit dem Guͤrtel, ei - ne weiße Federmuͤtze, mit einer bunten Schleife; ein weißes Halstuch mit langen Zipfeln; breite, ſteife Manſchetten; ein buntſeidenes Schnupftuch am Guͤrtel hangend; ſchwarze Podagriſtenſtiefeln, ein buntſeidener Handſchuh an der rechten Hand; eine Handkruͤcke; eigenſinnige Reinlichkeit im ganzen Anzuge; hypochondriſches Ausſehen; grau - ſchattirtes Haar und Augenbraunen; kraͤnkli - cher Ton und langſame Sprache, die ſich jedoch im Affekt verhaͤltnißmaͤßig abaͤndert; ceremonioͤ - ſes Weſen; wenig Geſticulation; viel Mienenſpiel.

Sternberg.

Ein Frack mit bunter Weſte und ſchwarzen oder farbigen Beinkleidern, einfach aber modiſch; ſchlichte Friſur; Hut und Stock; leb - hafter Ton; kurze Ausſprache; geſetztes Weſen.

Wittwe Ungewitter.

Schwarze Trauerklei - dung, nach modiſchem Schnitte; ein KopfzeugA 24Ueber die Perſonen.mit einer großen ſchwarzen Kappe, die das Ge - ſicht halb bedeckt; Halstuch, Faͤcher, Schuhe, Handſchuh, alles ſchwarz; Ueberbleibſel von Schoͤnheit; ſchmachtender Ton; affektirte Spra - che; zierliches Weſen; in den Scenen mit Wein - hold und im fuͤnften Akte, lebhaftes, etwas ver - trauliches Weſen, ſchneidender Ton, geſchwinde Sprache.

Weinhold.

Dunkler Oberrock, zugeknoͤpft; ungepuderte Peruͤcke, die ein hereingekaͤmmtes, natuͤrlich lockiges Haar nachahmt; runder Hut mit buntem Bande; Knotenſtock; ſchwarzer Bart und Augenbraunen. Dumpfer, ſchleichender Ton; feyerliche Sprache;[geheimnißvolles] Weſen; in den Scenen mit Wittwe Ungewitter und im fuͤnften Akt munteres, etwas plumpes Weſen, ſoldatiſcher Ton, nachlaͤßige Sprache; in der letzten Scene, Uniform, nett und knapp; jugendlichere Zuͤge; friſirt.

Juſtine.

Einfache, weiße Hauskleidung mit Schuͤrze und Halstuch. Nichts von Seide oder Flor; niedrige Dormeuſe, oder hereingekaͤmmtes Haar, mit einem Bande gebunden; Strumpf -5Ueber die Perſonen.handſchuhe; ſchalkhafter Ton; ſchnelle Sprache; geſchaͤftiges Weſen; in den Scenen mit Stern - berg und in der zweyten Haͤlfte des fuͤnften Akts, ſanfter Ton, natuͤrliche Sprache, edles Weſen.

Benedikt.

Abgetragene buͤrgerliche Kleidung, mit ſchwarzer Weſte; weißgepuderte, ſteife Fri - ſur; buntes Halstuch; pedantiſch in Ton, Spra - che und Weſen; als Notarius, ein gruͤner Rock mit goldener Treſſe, lang, weit und zugeknoͤpft, daß er ſeine vorige Kleidung verbirgt; ausge - ſtopfter Bauch; weißes Halstuch; altvaͤteriſche Haarbeutelperuͤcke; ein Pflaſter im Geſichte; ver - ſtellte Stimme und Ausſprache, das ihn unkennt - lich macht; Hut, Stock und kleiner Degen; al - lenfalls auch hinkend.

Mad. Anker.

Altmodiſcher Stoff nach mo - diſchem Schnitt; galantes aber geſchmackloſes Kopfzeug und Halstuch; große Bandſchleife vor der Bruſt; großer Faͤcher; goldne Uhr mit alt - modiſcher Kette; bunte Handſchuhe; ſtarke Zuͤge; maͤnnlicher Ton; ſchwer accentuirte Sprache; feyerliches Weſen.

A 36Ueber die Perſonen.
Thereſe.

Einfarbiger Leibrock ohne Schlep - pe; ſchwarze Schuͤrze; ſchwarzes Halstuch, ſchwar - zer Hut ohne Blumen und Federn; graue Hand - ſchuh; kleiner Faͤcher; in den Scenen mit der Mutter leiſer Ton, ſchuͤchternes, tanzſchulmaͤßi - ges Weſen; mit Gerhard, ohne die Mutter, kin - diſcher Ton, geſchwinde Sprache, taͤndelndes We - ſen; mit Sternberg und im vierten und fuͤnften Akte munterer Ton, geſchmeidige Sprache, anſtaͤn - dig lebhaftes Weſen.

Bieder.

Grauer Frack; ſchwarze Unterkleider; eigenes Haar, rundfriſirt; Hut und Stock; einfa - ches Weſen; ſanfter Ton; ausdrucksvolle Sprache, ohne Kanzelmanier.

Piſtorius.

Buntſcheckige buͤrgerliche Kleidung; kleine Schnallen; kleiner Degen; kleiner Hut; bunte Handſchuhe; Haarbeutelperuͤcke; ſchwarzſei - denes Halstuch; kupferig und wohlbeleibt; ſchreyen - der Ton; polternde, gemeine Sprache; unruhiges zudringliches Weſen.

[7]

Erſter Akt.

Gerhards Wohnzimmer, mit einer Mittelthuͤr und zwey Seitenthuͤren. Die Mittelthuͤr fuͤhrt ins Haus; die vordere Thuͤr rechter Hand, in ein Kabi - net, die hintere in Gerhards Schreibſtube. Altmo - diſche Moͤbeln. Vorne ein Krankenſtuhl mit Pol - ſtern und Kißen, vor demſelben ein kleiner Tiſch mit Arzneyglaͤſern, Toͤpfen, Loͤffeln, einem ſilbernen Be - cher, einer Klingel und einer Pergamentrolle. An der Wand ein Thermometer. Noch ein Tiſch, worauf einige Buͤcher und ein Strickzeug liegen.

Erſter Auftritt.

Benedikt. (allein.)
(Steht, und gafft den Thermometer an.)

Wenn ein Kraut fuͤr den Tod gewachſen waͤre, unſer Herr haͤtts lange. Worauf er nicht verfaͤllt, das ſetzen ihm die ſogenannten guten Freunde in den Kopf. Hm! wer dich erfun - den hat, mag wohl recht gelacht haben. AberA 48Die Erbſchleicher.wer dich unſerm Herrn geſchenkt die ſuper - kluge Frau Lieutenantinn da gegen uͤber die hat die Hoͤlle an mir verdient. Sonſt brummte er doch nur, wenn er fror. Jetzt friert er, wenn das Ding faͤllt. Und ſteigts ſo breit, als eine Nadelſpitze uͤber den rothen Strich da oben ſo will er den Schlag kriegen. Es thaͤte Noth, man kaͤme nicht mehr vom Ofenloche weg. Alle Tage neue Plage! und doch Jahr aus Jahr ein der alte Lohn!

Zweiter Auftritt.

Juſtine. Benedikt.
Juſtine
(ſieht linker Hand zur hintern Seitenthür herein)

Iſt Er hier, Benedikt?

Benedikt.

Guten Morgen, Mamſell Ju - ſtinchen!

Juſtine
(wie vorhin.)

Er ſoll gleich in die Apotheke gehn. Einen ſchoͤnen guten Morgen an den Herrn Gevatter Piſtorius, und der Herr baͤte um die bewußten Tropfen.

Benedikt
(faßt ſie bey der Hand.)

Ih, kom - men Sie doch ein bischen naͤher.

9Die Erbſchleicher.
Juſtine.

Ich habe keine Zeit.

Benedikt
(zieht ſie herein.)

Stehlen Sie ſie, wie ich.

Juſtine.

Man ſiehts an dem Tiſche, daß Er lieber faullenzt, als aufraͤumt. Iſt das Ord - nung?

(Geht vor, wiſcht ab, räumt auf, vertheilt die Sachen auf die Tiſche, u. ſ. w.)
Benedikt
(vertraulich.)

Mamſellchen!

Juſtine
(in voriger Beſchäftigung.)

Halt Er ſich nicht auf!

Benedikt.

Kann ich etwann zwey Wuͤrfe mit Einem Stein thun?

Juſtine.

Das heißt ſeinen ſchwachen Ma - gen in der Apotheke ſtaͤrken?

Benedikt.

Nein, das heißt einen Te - ſtamentsſchmidt beſtellen.

Juſtine.

O, die Luſt laßt euch vergehen.

Benedikt.

Euch? Wer ſind die Euch?

Juſtine.

Herr Sternberg und Er.

Benedikt
(betroffen.)

Was geht mich Herr Sternberg an?

Juſtine.

Geht, geht! Haltet eure Karten beſſer an euch! Ihr tretet ſo leiſe auf, daß man euch durchs ganze Haus trappen hoͤrt. Der Alte hat euch ſo gut weg, als ich.

A 510Die Erbſchleicher.
Benedikt.

Das iſt mir zu hoch.

Juſtine.

Ihr wollt ihn erben. Aber nehmt euch in Acht! Er fuͤhrt euch an. Und ich bin die Erſte, die euch auslacht.

Benedikt
(ſtutzt.)

So? Ja, Sie haben gut lachen. Wer ſo mit dem alten Herrn ſteht, als Sie!

Juſtine.

Das kann Jeder, der ſeine Schul - digkeit thut.

Benedikt
(ſpöttiſch.)

Schuldigkeit? Und etwas druͤber!

Juſtine
(ſtolz.)

Was ſchwatzt Er?

Benedikt.

Gehts bald los mit der Ma - dam? Darf man gratuliren?

Juſtine
(kalt.)

Fort in die Apotheke!

Benedikt
(im Gehen, vor ſich.)

Es muß nicht wahr ſeyn. Sonſt thaͤte ſie boͤſe.

(Bleibt ſtehen und ſeufzt.)

Mamſellchen!

Juſtine.

Nun?

Benedikt.

Was hab ich Ihnen denn zu Lei - de gethan?

Juſtine.

Warum?

Benedikt
(näher kommend.)

Anfangs waren wir ſo gute Freunde.

(Will ſie bey der Hand nehmen.)
Juſtine
(die Hand zurück ziehend.)

Gute Freun - de? Zuviel Ehre!

11Die Erbſchleicher
Benedikt.

Lieber Himmel! Ich beſcheide mich ja gern, daß Sie vornehmer ſind, als ich. Ihr Herr Papa war Pfarrer, meiner nur Schul - meiſter. Aber am Ende ſtammen wir doch Alle von Adam her, wenns

(klopft an die Taſchen)

hier hohl klingt.

Juſtine.

Pinſel!

Benedikt.

Ich kann freylich die Worte nicht ſo zierlich ſetzen, als Sie. Aber ein Pinſel bin ich darum auch nicht. Ich bin ein friſcher Witt - wer; und im Fall der Noth ſteh ich meinen Mann, wie ein Anderer.

Juſtine
(ſcherzhaft.)

Hier im Hauſe kennen wir nur die Arzneynoth, und in der laͤßt uns Herr Piſtorius nicht ſtecken.

Benedikt
(verdrüßlich.)

Mit Ihren Einfaͤllen ſchneiden Sie Einem immer das Wort ab. Aber es muß heraus. Wenn Herr Sternberg weil Sie doch ſelbſt davon angefangen haben wenn er Univerſalerbe wird, bekomm ich fuͤnf hundert Thaler, das iſt ſchon ſo gut, als richtig. Geringer kann er Sie fuͤrwahr nicht abfin - den. Das addirt, und mit einem Nebenver - dienſtchen multiplicirt ſollte ſich davon nicht leben laſſen?

(Schäkernd.)

Mir waͤre nicht12Die Erbſchleicher.bange, und wenn der erſte Hausrath dop - pelt und dreyfach kaͤme, hehehe!

Juſtine
(ernſthaft.)

Musje Benedikt! Wir haben zum letztenmal geſpaſt.

Dritter Auftritt.

Sternberg. Vorige.
Sternberg
(kömmt durch die Mittelthür; im Ein - treten.)

Guten Morgen, Kinder! So allein? ſo muͤßig?

Juſtine
(verneigt ſich.)
Benedikt.

Nichts weniger als muͤßig. Wir machen Projekte.

Juſtine.

Und vertaͤndeln die Zeit.

(Dreht ihn herum.)

Geh Er ſeiner Wege!

Sternberg.

Was waren es denn fuͤr Pro - jekte, Juſtinchen?

Benedikt
(wieder umkehrend.)

Wie man ſie in unſern Jahren macht, Herr Sternberg. Erſt zu erben, und hernach zu heirathen.

Juſtine.

Will Er ſich trollen, oder nicht! Soll ich Ihn beym Herrn verklagen?

Benedikt.

Nu nu! Nur gnaͤdig, Mamſell Haushofmeiſterinn!

(Thut, als ob er ginge.)
13Die Erbſchleicher.
Sternberg
(zu Juſtinen.)

Wie gehts dem Herrn Vetter?

Juſtine.

Sehr wohl, Herr Sternberg.

Benedikt
(wieder kommend.)

Glauben Sie ihr kein Wort! Sie iſt beſtochen.

(Ihm ins Ohr.)

Ge - ſtern war der Knochenmann wieder vor der Thuͤr.

Sternberg.

Du erſchreckſt mich.

Benedikt
(ſieht ihm ins Geſicht.)

Wie ſehn Sie denn aus, wenn Sie erſchrecken?

Juſtine
(ihn forttreibend.)

Marſch! Marſch!

Benedikt
(ſich weigernd.)

Nur noch ein Woͤrt - chen! Herr Sternberg, mit dem Anſtande zwingen wirs nicht. Wir muͤſſen ein Treiben anſtellen, oder das Wild geht uns aus dem Re - viere. Mamſell Juſtinchen prophezeiht uns nichts Gutes; und mir hat dieſe Nacht ſo naͤrriſch ge - traͤumt, ſo naͤrriſch!

Juſtine.

Kein Wunder! wenn Er traͤumt, wie Er wacht.

Sternberg.

Nun? laß doch hoͤren!

Benedikt
(zu Juſtinen.)

Darf ich?

Juſtine.

Herr Sternberg hat zu be - fehlen.

Benedikt.

Der alte Herr lag auf der Bahre. Und, wie die Heuſchrecken, kamen Schwadronen14Die Erbſchleicher.Vettern und Muhmen geflogen. Das war ein Spektakel! Sie theilten nicht; ſie pluͤnderten. Und ſtellen Sie ſich vor! ich war auch dabey. Und von Rechts wegen! Ich hatte mich an den Stammbaum mit angeklammert. Denn Ihr ſeeliger Herr Vetter ich meyne den aͤl - tern Bruder des Herrn Gerhard der ſich Sie habens wohl mehr gehoͤrt? der ſich, mit Reſpekt zu ſagen, todtpokulirt hat meine Mutter hatte die Ehre ſeine Koͤchinn zu ſeyn. Zum Ungluͤck ſtand der gute Herr mit Ei - nem Fuß im Himmel, als ich erſt mit Einem Auge in die Welt guckte und da fiel ſein ſchoͤ - nes Rittergut an unſern alten Brummbaͤr. Aber Leute, die ſich ſein noch, wie von geſtern her, er - innern, haben mich verſichert, meine Naſe ſaͤh aus, als waͤre ſie ihm aus dem Geſicht geſchnit - ten und darauf, und auf meine durſtige Le - ber, die ich auch mit ihm gemein haͤtte, koͤnnt ich provociren, wann ich wollte. Diener, Herr Vetter!

(Läuft ab, nach der Mittelthür.)
Sternberg
(droht ihm nach.)

Schaͤker, warte!

15Die Erbſchleicher.

Vierter Auftritt.

Sternberg. Juſtine.
Juſtine.

Der Narr glaubt uns alle zu uͤber - ſehen, und iſt ſeiner Sache ſo gewiß, daß er ſich eben foͤrmlich zu meinem Freyer aufgeworfen hat.

Sternberg.

Ueber die Dummdreiſtigkeit! Aber du haſt doch ---

Juſtine.

Die Sproͤde geſpielt? Ey freylich! Aber mehr nicht, als es der Abſtand von der Haushaͤlterinn zum Hausknecht, oder beſſer die Politik will. Denn das Spruͤchwort ſagt. Wer uns nichts nuͤtzt, kann uns ſchaden.

Sternberg.

Geſchwinde, Schweſter! Wie ſteht es drinnen?

Juſtine.

Die alte Leyer! Geſtoͤhnt, gehuſtet, kein Auge zugethan, und mit Leuteplagen fortge - fahren, wo er geſtern aufhoͤrte.

Sternberg.

Arme Juſtine!

Juſtine.

Aber wenn du ihn ſelbſt fragſt, hat er wie ein Ratz geſchlafen.

Sternberg.

Iſt er zu ſprechen?

(Will ab.)
Juſtine
(ihn haltend.)

Er verbittet alle Staats - viſiten.

16Die Erbſchleicher.
Sternberg.

Das Verbot kann mir nicht gelten.

Juſtine.

Eben dir.

Sternberg.

Wie?

Juſtine.

Ja, es iſt mein Ernſt.

Sternberg
(betreten.)

Juſtine!

Juſtine.

Du verdirbſt es taͤglich mehr bey ihm.

Sternberg.

Wodurch? Ums Himmelswil - len, wodurch? Richt ich mich nicht ganz nach ſeinem Winke? trag ich nicht alle ſeine Launen? Verſaͤum ich eine Gelegenheit, ihm meine Erge - benheit zu beweiſen?

Juſtine.

Man kann des Guten auch zu viel thun. Du kennſt ihn laͤnger, als ich und kennſt ihn ſo wenig. Glaubſt du, ich haͤtte mich ſo lange in ſeiner Gunſt erhalten, wenn er wuͤßte, wie nahe ich ihn angehe, und wenn ich ihm nicht alle Stunden zeigte, daß mir an ſeinem Dienſte ſo wenig liegt, als an einer Stelle in ſeinem Te - ſtamente.

Sternberg.

Du ſagſt ihm auch zuweilen Dinge

Juſtine.

Ein Mistrauiſcher verzeiht eher Grobheiten, als Schmeicheleyen.

Sternberg.
17Die Erbſchleicher.
Sternberg
(auffahrend.)

Der Henker hole ſein Mistrauen!

Juſtine.

Hat er nicht Bosheit genug erfah - ren? Haben nicht ſeine naͤchſten Verwandten mit ihm am undankbarſten gehandelt? Ein Schwager, der auf ſeinen Kredit Schulden machte; ein Vet - ter, der ihm mit der Schatulle durchging; ein Muͤhmchen, das ihn gar vergiften wollte; ein ---

Sternberg
(einfallend.)

Muß er darum un - gerecht gegen Andere ſeyn, die ihm nie Anlaß zum Misvergnuͤgen gaben?

Juſtine.

Bedaur ihn, lieber Bruder! Mir floͤßt er wahres Mitleid ein. Er hat ſechzig Jahre lang geſammelt und weiß nun nicht, fuͤr wen? Er fuͤhlt eine Leere und kann ſie nicht ausfuͤllen. Er moͤchte anfangen zu genieſ - ſen und hat weder Muth noch Kraͤfte. Er moͤchte uͤber ſein Vermoͤgen ſchalten und zit - tert, es in ſchlechte Haͤnde zu ſpielen. Bey die - ſem ewigen Streite mit ſich ſelbſt, von Vorboten des Todes heimgeſucht zu ſeyn, und beſeſſen vom Daͤmon der Hypochondrie! Ein Kruͤpel von See - le, und von Koͤrper ein Invalid! Giebts eine klaͤglichere Lage?

Sternberg.

Ach, wenn ich nicht verliebtB18Die Erbſchleicher.waͤre moͤchte der Geizhals meinethalben ſeine harten Thaler mit in den Sarg nehmen!

Juſtine.

Meinethalben auch wenn du nicht waͤrſt!

Sternberg
(lebhaft.)

Nein, ich kann es nicht laͤnger anſehen, daß du um meinetwillen dieneſt.

Juſtine.

Aber warte doch, bis ich mich be - klage! Meine Schwachheit fuͤr den Alten erleich - tert mir die Beſchwerden dieſes Verhaͤltniſſes. Und dann, Moritz

(ihm die Hand drückend)

auch Schweſterliebe uͤberwindet Alles.

Sternberg
(ſie umarmend.)

Beſte Schweſter! O, was ſeyd Ihr fuͤr trefliche Weſen, du und meine Thereſe! Es iſt, als ob Madam Anker gar nicht zu eurem Geſchlechte gehoͤrte. Woher koͤmmt es aber, Juſtine, daß die Muͤtter im - mer nur auf Geld ſehen?

Juſtine
(treuherzig.)

Andre Augenluſt hat ſie verlaſſen.

Sternberg.

Ich will ihr den Rath geben, ſich lieber ſelbſt zum Erben einſetzen zu laſſen.

Juſtine.

Wer weiß, was ſie vorhat?

Sternberg.

Spaß!

Juſtine.

Umſonſt iſt ſie nicht in die Nachbar -19Die Erbſchleicher.ſchaft gezogen. Umſonſt beſucht ſie uns nicht bey Wind und Wetter, bey Tag und Nacht. Um - ſonſt ſchickt ſie keine Leckerbißchen. Umſonſt hat ſie nicht fuͤr jeden Zufall ein Hausmittelchen in Bereitſchaft, und verſchreibt uns ſogar auf eigne Koſten jedes Marktſchreyer-arcanum, das die Hamburgiſchen Zeitungen, oder das Staatsri - ſtretto auspoſaunen.

Sternberg.

O, das geſchieht aus Liebe zu Thereſen. Das geſchieht Alles, um den Vetter unvermerkt unſern Wuͤnſchen geneigt zu machen.

Juſtine.

Aber weiß ich nicht aus deinem Munde, daß ſie ſich weiland, als Mamſell Han - nemann, Sterbensmuͤhe gab, ihn zu fangen?

Sternberg.

Sie ſchritt von boͤſen zu guten Worten, von Kareſſen zum Prozeſſe. Und doch ging der Galan durch die Lappen.

Juſtine.

Kann den Hageſtolzen nicht die Reue anwandeln? kann die gefrorne Liebe nicht wieder aufthauen?

Sternberg
(lachend.)

Und der verdorrte Stamm wieder gruͤnen und bluͤhen?

Juſtine.

Ohne Scherz, Bruder! warum werd ich ſeit einigen Tagen immer hinausgeſchickt, ſobald ſie ins Zimmer tritt? Warum ſchneidet ſie mirB 220Die Erbſchleicher.Geſichter, wenn ich bleibe? Warum fluͤſtert ſie ....? Still!

(Hört Gerharden huſten, und fährt in verändertem Tone fort.)

Ja, es iſt freylich kein Wetter zum Waſchen. Aber der Herr hats ſo befohlen; und unſer einem darf nicht gleich der Kopf ſchief ſtehen, wenn Wetter und Waͤſche ſich nicht reimen.

Fuͤnfter Auftritt.

Gerhard. Vorige.
Gerhard
(aus der hintern Seitenthür kommend.)

Nu, warum laͤßt man mich denn allein?

(Wird Sternbergen gewahr.)

Ah ſo! Die Jungfer hat an - genehme Geſellſchaft.

Sternberg
(ſich verbeugend.)

Guten Morgen, Herr Vetter!

Gerhard
(an die Mütze rührend.)

Gehorſamer Diener! Juſtine! Laß ſie mir einmal den Herrn Skrupel rufen? Weiß Sie, wo er wohnt?

Juſtine.

Der Notar, oder der Kuͤſter?

Gerhard.

Der Notarius.

Juſtine.

In der breiten Gaſſe.

Gerhard.

Nicht doch! Im großen Eckhau -21Die Erbſchleicher.ſe am Markte. Das Haus gehoͤrt ihm. Er war kaum eingezogen, als ich mit der damaligen Mamſell Hannemann bey ihm Gevatter ſtand.

Juſtine.

Der Notarius Skrupel iſt noch ledig.

Gerhard
(ungeduldig.)

Alles will Sie beſſer wiſſen. Immer und ewig widerſpricht ſie.

Sternberg.

Herr Vetter, der Skrupel, den Sie meynen, iſt ſchon zehn Jahre todt.

Gerhard
(erſtaunt.)

Nicht moͤglich? Ja, ich komme ſo ſelten unter Leute; ich bekuͤmmere mich ſo wenig um Stadtneuigkeiten; ich hoͤre und ſehe nichts.

Juſtine.

Herr Piſtorius iſt ja unſer taͤgli - cher Poſtreiter. Aber ſo etwas vergißt ſich leicht.

Gerhard
(empfindlich.)

Seit wann bin ich denn vergeßlich? Ich klage jetzt weit weniger uͤber meinen Kopf, als ſonſt.

(Zu Sternberg.)

Schon zehn Jahre todt! Ey ey! Der junge Mann!

Sternberg.

Er war doch ſchon hoch in die funfzig

Gerhard
(hitzig.)

Lieber gar ſechzig! Wir ha - ben in Einer Klaſſe geſeſſen.

B 322Die Erbſchleicher.
Sternberg
(fein.)

Das haͤtt ich nicht ge - dacht.

Gerhard.

Nu, er mochte auch wohl ein Paar Jahre aͤlter ſeyn, als ich.

Juſtine.

Alſo der lebendige Herr Skru - pel ſoll kommen?

Sternberg.

Er iſt auch Notarius, ein Sohn des Alten.

Gerhard.

Aber doch nicht mein Pathe? Dergleichen Leute machen ſonſt gleich Praͤtenſio - nen.

Sternberg.

Er heißt Kilian Ruprecht.

Gerhard.

Und mein Pathe heißt nach mir. Merke Sie ſichs, Juſtine! Daß ſie mir den Rechten beſtellen!

Juſtine
(im Abgehen, leiſe zu Sternberg.)

Was hat das zu bedeuten?

(Ab durch die Mittelthür.)

Sechster Auftritt.

Gerhard. Sternberg.
Sternberg.

Wollen Sie ſich nicht ſetzen, Herr Vetter?

(Rückt ihm den Seſſel näher.)
Gerhard.

O, inkommodir Er ſich nicht!

(Setzt ſich.)
23Die Erbſchleicher.
Sternberg.

Ich freue mich, Sie ſo heiter zu finden.

Gerhard.

Gehorſamer Diener! Setz Er ſich doch auch!

Sternberg
(ſetzt ſich neben ihm.)

Ich hoffe, Sie haben nun gewonnen.

Gerhard.

Ich hoffs auch.

Sternberg.

Aber wenn Sie ſich gleichwohl einem geſchickten Doktor vertrauten!

Gerhard.

Hab ich nicht den Herrn Gevatter Piſtorius!

Sternberg
(verächtlich.)

Ach, der Pillendre - her!

Gerhard
(hitzig.)

Pillendreher! Pillendreher! Das verbitt ich mir. Der Mann iſt geſchickt, wenn er gleich nicht promovirt hat. Er kennt meine Natur. Er iſt billig. Und eben, weil er bey gewiſſen Leuten nicht in Gnaden ſteht, will ich ihn behalten.

Sternberg.

Der Leibmedicus ich traf ihn geſtern am dritten Orte er erſchrack, als ich ihm ihren letzten Zufall und die Behandlungs - art des Herrn Piſtorius erzaͤhlte. Ihr armer Vetter! (rief er aus,) der Mann hat ihn mit der Hand todtgeſchlagen.

B 424Die Erbſchleicher.
Gerhard.

Mich todt geſchlagen? Und ich lebe noch!

Sternberg.

Ihre Natur hat Sie gerettet. Ziehen Sie wenigſtens den Leibarzt mit zu Rathe! Es iſt ein Mann von ausgebreiteter Erfahrung.

Gerhard.

Viel Koͤche verderben den Brey.

Sternberg.

Er hat mir von einer Kur er - zaͤhlt, die einen Pazienten Ihres Gleichen von Grund aus hergeſtellt hat.

Gerhard
(haſtig.)

Wie viel ſoll ſie koſten?

Sternberg.

Mit Inbegriff des Bades hoͤchſtens hundert Dukaten.

Gerhard.

Hundert Dukaten! Ja, die Herrn Leibaͤrzte haben immer nur die fuͤrſtliche Schatzkammer im Sinne. Gehorſamer Diener, Herr Leibmedicus! Hundert Dukaten!

Sternberg.

Aber, Herr Vetter! Was hilft Geld, ohne Geſundheit?

Gerhard.

Das Haus iſt der Reparatur nicht werth. Oder meynt Er, daß ich hundert Dukaten wegzuwerfen habe? Ich muß einen Nothpfennig zuruͤcklegen. Man weiß nicht, wie lange man lebt; und Hunger im Alter thut wehe. Ich habe jetzt an andere Dinge zu denken.

25Die Erbſchleicher.

Siebenter Auftritt.

Juſtine. Vorige.
Juſtine.

Nach dem rechten Herrn Skrupel iſt geſchickt, und Herr Piſtorius will die Tropfen ſelbſt bringen.

Gerhard

Hoͤr Er nur, Vetter! Er iſt mein naher Verwandter, und es iſt billig, daß ich Ihm mein Vorhaben zuerſt eroͤffne.

Juſtine.

Eine Eroͤffnung! Dabey bin ich wohl zu viel?

(Will ab.)
Gerhard
(mit Laune.)

Ob Sie uns zuhoͤrt, oder behorcht ?

Juſtine.

So hoͤr ich zu.

(Stellt ſich hinter Sternbergs Stuhl.)
Gerhard.

Ich bin leider weit und breit mit Leuten geſegnet, die mir die Ehre thun, mich Herr Vetter zu tituliren die mir jeden Bißen ins Maul zaͤhlen und nur darauf Staat machen, mir, ſobald ich kalt bin, das Bett unterm Leibe wegzuziehen.

Sternberg.

Sollt es ſo niedrige Seelen ge - hen?

Gerhard.

O, ich kenne die Hunde, ich kenneB 526Die Erbſchleicher.ſie. Aber ich will mich an ihnen raͤchen. Ich will ihnen einen Streich ſpielen, daß ſie vor Aerger berſten ſollen. Ich will mir Ruhe im Leben und im Tode ſchaffen. Mit Einem Wort, ich habe mir einen gewiſſen Jemand ins Herz geſchloſſen, den ich gluͤcklich machen will.

Sternberg.

Das iſt recht, Herr Vetter.

Juſtine.

Ja, das thaͤt ich an Ihrer Stelle auch. So ein Jemand iſt dankbar. Das Haͤufchen bleibt huͤbſch beyſammen. Der Name des Erblaſſers ruht darauf in immergruͤnem See - gen; und ein praͤchtiger Leichenſtein erzaͤhlt ſeine exemplariſche Menſchenliebe in hochtrabenden Wor - ten den Kindeskindern. Aber Verwandte ich will keiner Seele zu nahe geredet haben, Herr Sternberg Verwandte, je weitlaͤuftiger ſie mit uns befreundet ſind, um ſo mehr halten ſie unſern guten Willen fuͤr Schuldigkeit.

Gerhard.

Sehr wahr geſprochen.

Sternberg
(ſpöttiſch.)

Sehr verbunden fuͤr die Proteſtation.

Juſtine
(mit ſteigender Lebhaftigkeit.)

Kein groͤſ - ſerer Spaß, als die Eroͤffnung eines Teſtaments unter einer Legion ſolcher Anwarter. Ich bin einmal dabey geweſen. Da ſtanden ſie, die27Die Erbſchleicher.armen Suͤnder, ſtier und unbeweglich, und konn - ten vor Harren der Dinge kaum Athem holen, und ſchielten und durchbohrten einander mit den Augen. Nun kam der Donnerſchlag! nun ging das Ungluͤck los! Eine allgemeine Verwan - delung der Geſichter! Ein Gemurmel, wie bey ei - nem Auflauf! Dem ſchwoll der Kamm; Jener wurde zur Leiche; hier ſtampfte einer; dort biß ſich einer in die Lippen. Andere konnten ſich des Schluchzens nicht erwehren. Und gleich ver - ſcheuchten Dieben, zogen ſie endlich ab, mit ſpi - tzigem Kinn und einer Naſe ſo lang. Um die Komoͤdie mit anzuſehen, Herr Gerhard, kom - men Sie aus der andern Welt zuruͤck!

Gerhard.

Bin ich doch noch nicht dort! Ich lobe mir fruͤh geſattelt und ſpaͤt geritten. Mein Ausſehen truͤgt. Laßt mich nur erſt den Stock wegwerfen! Ich fuͤhr ihn ſo nur noch pro forma.

Juſtine
(ſchalkhaft.)

Ey, mit friſchgeputztem Barte und in der Stutzperuͤcke, ſehen Sie nicht kraͤnker aus, als ich.

Gerhard
(ſchmunzelnd.)

Im Ernſte, Juſtin - chen?

Juſtine.

Was die Augen unter dem ſchwar - zen Walde funkeln!

28Die Erbſchleicher.
Gerhard.

Schwaͤtzerinn!

(Zu Sternberg, halb - laut.)

Es iſt bey allen Fehlern kein uͤbles Maͤd - chen. Ich will ſie auch bedenken. Aber das Wichtigſte zuerſt!

(Laut, mit verändertem Ton.)

Er kennt meine Nachbarinn, die Frau Lieutenantinn Anker, wie ich hoͤre?

Sternberg

Ja, ich habe die Ehre.

Juſtine
(Sternbergen ins Ohr.)

Merkſt du was?

Gerhard.

Er beſucht ſie dann und wann.

Sternberg.

Ja dann und wann.

Gerhard.

Iſt eine brave Frau! nicht wahr?

Sternberg.

O, eine ſcharmante Frau.

Juſtine
(wie vorhin.)

Es iſt richtig.

Gerhard.

Und was ſagt Er denn von Ih - rer Tochter Thereſe?

Sternberg
(ziehend.)

Sie iſt ein ver - nuͤnftiges angenehmes Frauenzimmer.

Gerhard.

Nur angenehm? Allerliebſt, daͤcht ich, allerliebſt! Ich habe ſie zwar nie an - ders, als durchs Fenſter geſehen. Aber ihre Mutter hat mir ſo viel ruͤhmliches von ihr geſagt und wie ſie alle Eigenſchaften einer guten Hausfrau beſaͤße ---

Sternberg
(lebhaft einfallend.)

O, gewiß alle29Die Erbſchleicher.Eigenſchaften, das Gluͤck eines ehrlichen Mannes zu machen!

Gerhard
(fortfahrend.)

Und weil ſie meine aͤlteſte und beſte Freundinn iſt, ſo hab ich mich denn endlich nach Faſten und Gebet entſchloſſen mich chriſtlich mit ihr zu verloben.

Sternberg
(ſpringt vor Freude auf und faßt ihn bey der Hand.)

Mit Madam Anker?

Gerhard.

Mit ihrer Tochter Thereſe.

Sternberg
(wendet ſich ſchnell ſeitwärts, unterm Vorwande zu nieſen, und hält das Schnupftuch vor das Geſicht.)
Juſtine
(indem ſie ihm den Stuhl wegrückt, leiſe und ſchnell.)

Faſſe dich! billige! lobe! gratulire!

Gerhard.

Nu? ihr ſagt Beide kein Wort?

Sternberg
(ſich tief verbeugend, um ſeine Ver - wirrung zu verbergen.)

Verzeihung, Herr Vetter ich kann keine Worte finden Ihnen mei - nen Antheil meine Freude

Gerhard.

Gehorſamer Diener! gehorſamer Diener!

Juſtine
(lacht laut.)

Hahaha!

Gerhard.

Was lacht Sie?

Juſtine.

Ueber den Herrn Sternberg.

Sternberg.

Ueber mich?

30Die Erbſchleicher.
Juſtine.

Daß Sie ſo leichtglaͤubig ſind!

Sternberg. Gerhard.

Leichtglaͤubig?

Juſtine.

Merken Sie wirklich nicht, daß uns der Herr beide zum Beſten hat?

Gerhard
(zu Juſtinen.)

Wie ſo?

(Sternberg geht ihm auf die rechte Seite.)
Juſtine
(von neuem lachend.)

Herr Gerhard wird heirathen! Herr Gerhard!

Gerhard
(zu Sternberg, lachend.)

Sie glaubts nicht. O, das iſt poßierlich!

Sternberg
(gezwungen lachend.)

Zum Todla - chen!

Juſtine
(Gerharden auf die Schulter klopfend.)

Gehn Sie doch! Dazu ſind Sie viel zu klug.

Sternberg
(mit ſpöttiſchem Ernſt.)

Aber iſt es denn eine Thorheit, daß der Herr Vetter ſich eine liebenswuͤrdige Gefaͤhrtinn zugeſellen will, die ſeinem Hausweſen vorſtehe und ihn warte und pflege, wie ein Puthuͤhnchen?

Gerhard
(ſchmunzelnd und ihm die Hand drückend.)

Nicht wahr, Vetterchen?

Juſtine
(nützt dieſe Augenblicke, um Sternbergen hinter Gerhards Rücken Beyfall zuzuwinken.)
Sternberg.

Iſts eine Thorheit, daß er ſich31Die Erbſchleicher.einen Erben und Stammhalter aus ſeinem Blute wuͤnſcht?

Gerhard.

Nicht wahr, Vetterchen?

Sternberg.

Giebts ein unſchuldigeres Ver - gnuͤgen, als ſich von kleinen, niedlichen Puͤppchen liebkoſen und Papa! rufen zu laſſen? Und ſind Kinder nicht eine Gabe des Himmels? Hat man nicht Beyſpiele ?

Gerhard
(mit ſteigender Freude.)

Nicht wahr, Vetterchen?

(Steht auf und umarmt ihn.)

O, es freut mich, daß er die Sache ſo vernuͤnftig nimmt. Es ſoll ſein Schade nicht ſeyn. Ich will Ihn darum nicht vergeſſen. Nu, Juſtin - chen! Sie kann nur das Bett beſorgen.

Juſtine.

Das Paradebette?

Gerhard.

Grober Spaß!

Juſtine.

Warum ſpaßen Sie mit Ihrer Haus - haͤlterinn?

Gerhard
(ärgerlich.)

Ich ſpaße nicht. Die - ſen Abend iſt Verloͤbniß in acht Tagen Hoch - zeit. Und ſo ſplendid als moͤglich! Ich will nichts geſpart wiſſen. Was hier nicht zu haben iſt, muß verſchrieben werden.

Juſtine.

Verſchreiben Sie das Nothwendigſte!

(Dieß und das Folgende mit der ſchalkhafteſten Laune.)
32Die Erbſchleicher.
Gerhard.

Das iſt?

Juſtine.

Jugend und Geſundheit.

Gerhard
(aufgebracht.)

Juſtine! ich ich will mehr Reſpekt haben.

Juſtine.

O, ſo viel Sie befehlen.

Gerhard.

Wenn die Frau ins Haus koͤmmt, muß Sie ſich aͤndern, oder

Juſtine.

Aendern Sie ſich nur!

Gerhard
(ſchreyend.)

Unverſchaͤmte!

Juſtine.

Schonen Sie Ihre Lunge!

Gerhard
(ſtotternd.)

Wenn ich wenn ich mich aͤrgern duͤrfte ich wollte

Sternberg
(ihn beſänftigend.)

Herr Vetter!

Juſtine.

O, laſſen Sie ihn! Er darf ſich nicht aͤrgern.

Gerhard
(außer ſich vor Zorn.)

Geht mir aus den Augen!

Juſtine
(mit tiefem Knix.)

Je eher, je lieber!

Gerhard.

Macht Euer Buͤndel!

Juſtine.

Zahlen Sie mir meinen Ruͤckſtand!

Gerhard.

Und daß nichts mit eingepackt wird!

Juſtine.

Ich bin keine Liebhaberinn von An - tiquitaͤten.

(Zieht ſich in die Tiefe das Theaters.)
Achter33Die Erbſchleicher.

Achter Auftritt.

Benedikt. Vorige.
Benedikt.

Madam und Mamſell Anker wol - len aufwarten

Gerhard
(freudig und verlegen zugleich.)

Auf - warten? O, die groͤßte Ehre! Lieber Him - mel! ſo fruͤh? Das groͤßte Vergnuͤgen! Ich bin noch gar nicht in der Verfaſſung

Benedikt
(im Abgeben.)

Die Frau Lieutenan - tinn nimmts ſo genau nicht.

(Ab.)
Gerhard
(ruft.)

Juſtine!

Juſtine
(im Hintergrunde.)

Sie iſt fort.

Gerhard
(ängſtlich.)

Meine Stutzperuͤcke!

Sternberg
(läuft ins Kabinet.)
Juſtine.

Sie macht ihr Buͤndel.

Gerhard
(ungeduldig.)

Meine Stutzperuͤcke will ich haben

Sternberg
(aus dem Kabinette kommend, mit der Perücke in der Hand.)

Hier iſt ſie ſchon!

Gerhard
(erſchrocken, dreht ſich gegen die Mit - telthür.)

Madam Anker? Ums Himmelswillen!

Sternberg.

Nein, die Peruͤcke.

Gerhard.

Ach, der gute Vetter! Da! C34Die Erbſchleicher.befrey Er mich auch von dem Dinge!

(Giebt ihm den Stock, nimmt ihm die Perücke ab und ſetzt ſich.)

Na, Juſtine!

(Hält in der einen Hand die Mütze, in der andern die Perücke.)

Wollen Sie wohl die Gnade haben?

Sternberg
(ſetzt indeſſen den Stock bey Seite.)
Juſtine.

Sie haben mich ja in Gnaden entlaſſen.

Gerhard.

Naͤrrchen! Gieb mir die Hand!

Juſtine
(ſpöttiſch.)

O, das waͤre wider den Reſpekt. Mein Kammerdieneramt will ich zum letztenmale verwalten

(indem ſie ihm die Perücke aufſetzt)

Aber dann ſehen Sie ſich nach einem andern um!

Gerhard.

Sie ſoll hier bleiben, ſag ich. Ich will Sie meiner Braut vorſtellen.

Neunter Auftritt.

Madam Anker. Thereſe. Benedikt. Vorige.
Mad. Anker
(im Eintreten.)

Ihre Dienerinn, mein Herr Gerhard!

Gerhard.

Ah, gehorſamer Diener! gehorſa - mer Diener!

35Die Erbſchleicher.
Mad. Anker.

Sie haben mir erlaubt, Ih - nen meine Tochter vorzuſtellen.

Gerhard.

Große Ehre! Viel Vergnuͤgen!

Thereſe
(kömmt näher und verneigt ſich.)
Gerhard.

Gehorſamer Diener!

(Stumme Begrüßung unter den übrigen Perſo - nen. Madam Anker feyerlich; Sternberg kalt - höflich; Juſtine ihrem Stande gemäß; Thereſe ohne aufzublicken.)
Gerhard.

Stuͤhle!

(Juſtine und Benedikt ſetzen Stühle. Benedikt geht hierauf ab.)
Gerhard
(ſeinen Seſſel anbietend.)

Meine Frau Lieutenantinn

Mad. Anker.

O, ich bitte ergebenſt

(Nimmt den Stuhl daneben.)
Gerhard.

Ich ſoll Ihnen alſo ſtehend auf - warten?

Mad. Anker.

Und ich ſoll wieder nach Hau - ſe gehen?

Gerhard.

Wenn Sie mir ſo drohen

(Fängt nun an mit Thereſen zu komplimentiren.)

Aber die Mamſell Tochter

Mad. Anker.

Führen Sie das Maͤdchen nicht in Verſuchung! Setze dich, Thereſe!

(Alle ſetzen ſich; Thereſe neben ihre Mutter; Stern -C 236Die Erbſchleicher.berg neben Thereſen; Beide kehren ſich halb den Rücken zu, ſehen ſich aber zuweilen nach einan - der um. Madam Anker beobachtet Beide, wor - nach ſie ihr ſtummes Spiel einzurichten haben.)
Gerhard
(ſich ſetzend.)

Sie beſchaͤmen mich, Frau Lieutenantinn.

Mad Anker.

Ich habe ungern vernommen, daß Sie nicht wohl geruht haben.

Gerhard.

Wer? ich? Man kann nicht beſ - ſer ſchlafen.

(Mit einem zornigen Blick auf Juſtinen.)

Aber es giebt Leute, die mir lieber den ewigen Schlaf goͤnnten.

Mad. Anker.

Sie ſehen aus, wie die Mun - terkeit, wie das Leben.

Gerhard.

So ſchoͤne Geſellſchaft koͤnnte ei - nen Todten ermuntern.

Mad. Anker.

Mach ein Gegenkompliment, Thereſe!

Thereſe
(verbeugt ſich.)

Verzeihung, liebe Mama! Das Kompliment ging Sie an.

Gerhard.

O gehorſamer Diener! Beider - ſeits.

Thereſe
(verneigt ſich und ſetzt ſich wieder.)
Mad. Anker.

Herr Gerhard, ich habe mei - ne Tochter auf Ihre guͤtige Geſinnung vorbereitet, und wir ſchaͤtzen uns gluͤcklich

37Die Erbſchleicher.
Gerhard.

Gehorſamer Diener! Alles Gluͤck iſt auf meiner Seite.

Mad. Anker.

Blos und allein auf der un - ſrigen.

Gerhard.

O, gehorſamer Diener!

(Er greift dann und wann beym Komplimentiren, aus Gewohnheit und Verlegenheit an die Perücke, wie an ſeine Mütze, und verſchiebt ſie. Juſtine, die hinter ihm ſteht, rückt ſie jedesmal wieder zurechte.)

Alſo wollen Sie mich haben, mein ſchoͤnes Braͤutchen?

Mad. Anker
(mit ſtarkem Accent.)

Thereſe!

Thereſe
(verneigt ſich tief und ſetzt ſich tief.)
Gerhard
(halb aufſtehend.)

O, gehorſamer Diener!

(Zu Madam Anker.)

Sie ſagt weder ja noch nein.

Mad. Anker.

Sie macht meiner Erziehung Ehre. In ſolchen Faͤllen hat nur die Mutter zu reden.

Gerhard.

Ich darf mir alſo ſchmeicheln, daß die Mamſell Tochter

Mad. Anker.

Es iſt noch ein zartes Wachs, das jeden Druck annimmt. Sie wird ſich ganz nach Ihrem Wohlgefallen formen.

Gerhard.

O, gehorſamer Diener!

(ſcherzhaft.)

Wer haͤtte das vor achtzehn Jahren gedacht, Frau Mama?

C 338Die Erbſchleicher.
Mad. Anker
(gezwungen freundlich.)

Ja wohl, Herr Sohn.

Gerhard.

Ehen werden im Himmel ge - ſchloſſen.

Mad. Anker.

Was ſeyn ſoll, ſchickt ſich wohl.

Gerhard.

Wie artig, daß ich noch die Rin - gelchen von damals aufgehoben habe!

Mad Anker
(ſpöttiſch.)

Die moͤchten doch nicht mehr Mode genug ſeyn.

Gerhard.

Sobald der Herr Notarius Skru - pel koͤmmt, will ich ihm das Inſtrument an - geben.

Mad. Anker.

Und in Anſehung der Form, Herr Sohn ---?

Gerhard
(einfallend.)

Bleibts bey Ihrem Ra - the, Frau Mama. Sie haben Recht. Sie ſe - hen weiter, als ich. Des Menſchen Wille iſt veraͤnderlich. Ein Teſtament kann angefoch - ten werden. Aber Ehepakten ſtehen feſt.

Mad Anker.

Auch iſt ſchon das Wort Teſta - ment fuͤr eine Braut ſo niederſchlagend.

Gerhard.

Die Mamſell Braut wiſſen doch ſchon die Hauptpunkte? Mein ſaͤmmtlicher Nach - laß, ſowohl mobilia, als immobilia, mit Aus -39Die Erbſchleicher.nahme einiger geringen Legate, faͤllt Ihnen der - einſt zum Witthum heim.

Sternberg
(der indeſſen mit dem Hute geſpielt, und Thereſen Geſichter geſchnitten hat, leiſe zu ihr.)

Bis dahin haben Sie die lebende Mumie zum Manne.

Gerhard.

Wenn der Eheſeegen ausbleiben ſollte, verſteht ſich.

Sternberg
(wie vorhin)

O, die herzbrechende Klauſel.

Thereſe
(leiſe zu Sternberg.)

Sie toͤdten mich!

Sternberg
(etwas lauter.)

Falſche! Treu - loſe!

Mad. Anker
(die alles bemerkt, leiſe.)

Ruͤcke naͤher, Thereſe!

(Thereſe gehorcht.)
Gerhard
(zu Madam Anker.)

Was ſagt Er?

Mad Anker.

Er iſt ſo hoͤflich, ihr zu gra - tuliren.

(Feyerlich.)

Ich empfehle Ihnen mei - ne Tochter, Herr Advokat.

Sternberg
(ſpöttiſch.)

Unterthaͤniger Diener, Frau Lieutenantinn!

Mad. Anker.

Auch Jungfer Juſtinen em - pfehl ich ſie.

Juſtine.

Madam, mir befiehlt man nur.

Mad. Anker.

Das kleine Ding braucht, wieC 440Die Erbſchleicher.geſagt, noch Unterweiſung; und ich weiß, daß niemand verſtaͤndiger, niemand der Wirthſchaft kundiger, niemand belebter im Umgange iſt, als Jungfer Juſtine.

Juſtine.

Zu viel Lob iſt Spott.

Mad. Anker.

Und daß niemand den Ge - ſchmack des Herrn Gerhard beſſer zu treffen weiß.

Juſtine
(kurz.)

Niemand weniger.

Mad. Anker

Zu viel Beſcheidenheit iſt Stolz. Das unlaͤugbarſte Zeugniß Ihrer Ver - dienſte iſt ---

Juſtine
(ſchnell einfallend.)

Mein Abſchied.

Mad Anker.

Abſchied!

(Verwundert zu Ger - hard.)

Iſt das Scherz?

Gerhard.

Wie mans nimmt. Die Jung - fer iſt naſeweis, ich bin hitzig. Ein Wort gab das andere. Aber da ich ſehe, daß es ihr leid thut, mich zu verlaſſen ---

Juſtine
(fällt lachend ein.)

Sie zu verlaſſen? Nein fuͤrwahr nicht!

(Geht nach und nach zum Wei - nen über.)

Aber daß Sie ſich nicht begnuͤgen, mir die Thuͤr zu weiſen daß Sie mich fuͤr na - ſeweis ausſchreyen, und mir dadurch den Weg zu weitern Fortkommen verſperren das kraͤnkt mich

(Schluchzend)

Das iſt unchriſtlich, Herr Gerhard.

41Die Erbſchleicher.
Gerhard
(ungeduldig.)

Ich will Sie ja wie - der behalten.

Juſtine
(trotzig.)

Erſt widerrufen Sie Ihr naſeweis!

Gerhard
(nachgebend.)

Es fuhr mir ſo her - aus ja doch ich hab Unrecht.

Sternberg
(mit verſtellter Hitze. Aufſtehend.)

Nein, Herr Vetter! Juſtine hat Unrecht. Was hat ſie in Ihre Heirath zu reden?

Juſtine
(zänkiſch.)

Ich kann weder heucheln, noch ſchmeicheln.

Gerhard.

O, zankt Euch nicht!

Sternberg
(perſiflirend.)

Sie ſind kein Her - kules aber delikate Naturen dauern oft am laͤngſten; und alle Ihre Zufaͤlle ſind im Grunde aber nehmen Sie mirs nicht uͤbel! Ein - bildung.

Juſtine
(Sternbergs Ton nachahmend.)

Seine Koliken zum Exempel Einbildung! ſeine lah - me Seite Einbildung! ſeine Steckfluͤße Einbildung! ſeine ---

Gerhard
(ſteht ärgerlich auf und hält ihr den Mund zu.)

O, o, o!

(Madam Anker und Thereſe ſtehen auch auf.)
Sternberg
(fortfahrend.)

Sie ſind kein Ado -C 542Die Erbſchleicher.nis aber ſoll ein ehrbarer, dem ſchönen Ge - ſchlechte von jeher ergebener Junggeſelle keine Frau nehmen, weil er in ſechzigen ſteht?

Gerhard
(auffahrend.)

Steht! ſteht! Auf Johanni tret ich ſie erſt an.

Sternberg
(zu Juſtinen.)

Da hoͤrt Sies! Er tritt ſie erſt an. Iſt das ein Alter in den Au - gen eines Frauenzimmers von Erziehung? iſt das ein Gegenſtand des Spottes?

Mad. Anker
(ihres Verdrußes nicht mehr mäch - tig, zu Sternberg.)

Aber wie kann man daruͤber nur ein Wort verlieren? Die Haushaͤlterin - nen ſind ja privilegirt, ſich uͤber die Heira - then ihrer Herren luſtig zu machen.

Juſtine.

Madam ich fuͤhle den Stich, aber ich darf nicht antworten.

Gerhard
(der ſich indeſſen den Angſtſchweiß ab - getrocknet, und an einem Balſambüchschen gerochen hat, ſchleicht ſeitwärts und ruft.)

Juſtine!

Juſtine
(ihm nachgehend.)

Herr Gerhard!

Gerhard
(im Hintergrunde, auf einen Stuhl ge - ſtützt.)

Sieht Sie nicht, daß mir ſchlimm wird?

Juſtine.

Einbildung!

Gerhard
(immer ängſtlicher.)

Nein, nein! Das Stehen der Zwang die abwechſeln -43Die Erbſchleicher.den Gemuͤthsbewegungen.

(Hält ſich mir hypochon - driſcher Geberde den Kopf.)

Hab ich meinen Kopf noch?

Juſtine.

Feſt ſitzt er nicht mehr.

Gerhard
(ſchwerathmend.)

Was iſt denn fuͤr eine Kellerluft im Zimmer?

Juſtine.

Schoͤpfen Sie friſche!

Gerhard.

Wie ſchickt ſich das jetzt da ?

Juſtine.

Wollen Sie vor Hoͤflichkeit in Ohn - macht fallen?

(Während dieſes Seitengeſprächs geht das ſtum - me Spiel der Uebrigen fort. Sternberg ſagt Thereſen dann und wann ein Wort verliebten Verdruſſes ins Ohr. Thereſe richtet ſich nach den Blicken ihrer Mutter, um Sternbergen ent - weder den Rücken zuzudrehen, oder ihm mit ſchmachtenden Blicken und flehenden Geberden zu antworten. Madam Anker theilt ihre Auf - merkſamkeit[unter] beiden Partheyen.)
Mad. Anker
(um ſich aus dieſer Verlegenheit zu ziehen.)

Wir fallen Ihnen vielleicht zur Laſt, Herr Sohn?

Gerhard
(geht wieder vor.)

Ey, bewahre mich der Himmel, Frau Mama!

(Stotternd.)

Ich ich hatte nur ich fragte Juſtinen 44Die Erbſchleicher.aber es hat noch Zeit Die Poſt die Poſt geht ſpaͤt

Mad Anker.

Briefe zu ſchreiben? O laſſen Sie ſich durch uns nicht abhalten!

Gerhard
(mit zunehmender Verlegenheit.)

Nu, wenn die Frau Mama wenn Sies erlauben wollen

Mad. Anker.

Wir empfehlen uns erge - benſt

Gerhard.

Gehorſamer Diener! nein nicht doch Vetter Sternberg vertret Er meine Stelle! Ich habe gleich wieder die Ehre

Mad. Anker.

Ihre Dienerinn!

Gerhard
(im Abgehen.)

Juſtine!

(Leiſe.)

Mei - nen Stock!

Juſtine
(bringt ihm den Stock unter der Schürze.)
Gerhard
(leiſe.)

Komme Sie mir nach! Aber unter einem Vorwande mit einer Ma - nier

(Ab in die Schreibſtube.)
Juſtine
(ihm nachrufend.)

Befehlen Sie Licht?

(Geht ihm nach.)
45Die Erbſchleicher.

Zehnter Auftritt.

Sternberg. Madam Anker. Thereſe.
Sternberg
(ſingend, mit Karrikatur.)
Einem alten finſtern Wiedehopf
Stieg einſt die Lieb in den grauen Kopf.
Er wollt ein Schwaͤlbchen jung und fein,
Ein Schwaͤlbchen wollt er freyn.
(Mit boshafter Laune.)

Kennen Sie das Liedchen, Madam? Es hat mehr Strophen. Die alte Schwalbe koͤmmt auch darin vor. O, das iſt eine boͤſe, eigennuͤtzige, raͤnkevolle Mutter, ſo ei - ne leibhafte Komoͤdienmama Sie wiſſen ſchon!

Mad. Anker
(ſich in die Bruſt werfend.)

Herr Sternberg, reden Sie nicht ſo ungereimt!

Sternberg.

Ungereimt? O, fordern Sie mich nicht auf, es in Reime zu bringen! Sie ſehen, ich habe heute ſtarke Anlage zum Poeten.

Mad. Anker
(Thereſen bey der Hand nehmend.)

Komm, Thereſe! Wir wollen uns entfernen.

Sternberg
(tritt dazwiſchen.)

Ey! das wuͤrde der Herr Vetter ſehr uͤbel nehmen. Ich ſoll ja ſeine Stelle vertreten. Die Ehre moͤchte ſo bald nicht wiederkommen. Ich muß ſie nutzen. O,46Die Erbſchleicher.ich habe Ihnen noch ſo viel Schoͤnes zu ſagen

(faßt Madam Anker unſanft bey der Hand)

ſo viel Schoͤnes, daß Ihnen die Ohren gellen ſollen,

Thereſe. Mad. Anker.

Sternberg! Was wollen Sie von mir, mein Herr?

(Zieht zornig ihre Hand zurück.)
Sternberg
(mit edler Heftigkeit.)

Was ich will? Iſt das Rechtſchaffenheit? Iſt das Sitte unter Leuten von Gefuͤhl? Hab ich das an Ih - nen und Ihrer Tochter verdient?

Mad. Anker
(mit ſpöttiſcher Höflichkeit.)

Sehr verbunden fuͤr die guͤtige Intention! Aber mir liegt es ob, mein Kind zu verſorgen.

Sternberg
(ſpöttiſch.)

Eine ſchoͤne Ver - ſorgung!

Mad. Anker.

Fuͤr ein armes Maͤdchen ein Gluͤck uͤber alle Erwartung!

Sternberg
(mit ſchwärmeriſchem Ausdruck.)

Wenn Reichthum des ſchmachtenden Maͤdchens Sehn - ſucht ſtillte? Oder vielmehr, wenn die ferne Aus - ſicht, reich zu werden, Erſatz fuͤr die Aufopfe - rung ihres Lenzes waͤre, Erſatz fuͤr peinliche Skla - verey und hingetrauerte Tage?

Mad. Anker
(kalt.)

Laſſen Sie die roman -47Die Erbſchleicher.haften Ausdruͤcke weg. Meine Tochter verſteht ſie nicht einmal. Sie iſt kein Modedaͤmchen.

Sternberg
(mit Innigkeit.)

Aber ſie hat ein Herz, und das gehoͤrt mir.

Mad. Anker
(mit ſcheinheiliger Heftigkeit.)

Un - gluͤcklicher! Ich hoffte nicht, daß Sie die Un - ſchuld hinter dem Ruͤcken der Mutter verfuͤhrten?

Sternberg
(gelaßen.)

Unter Ihren Augen liebten wir uns.

Mad. Anker
(mit Ungeſtüm in Thereſen drin - gend.)

Thereſe! weißt du, was Liebe iſt? recht - fertige dich! oder ich erkenne dich nicht mehr fuͤr mein Kind.

Thereſe
(erſchrocken.)

Ich weiß von nichts, lie - be Mama.

Sternberg
(tritt dazwiſchen.)

Aber ich weiß, daß Sie mir Ihre Tochter verſprochen haben.

Mad. Anker.

Verſprochen? Das reden Sie, wie ein Advokat. Verſprochen? Ja! doch unter der Bedingung, daß Herr Gerhard Sie zum Univerſalerben ernennte. Iſt das ge - ſchehen?

Sternberg.

Es kann noch heute geſchehen.

Mad. Anker.

Ich liebe in Allem die Ge - wißheit. Durch Schaden wird man klug. 48Die Erbſchleicher.Mein ſeeliger Lieutenant hoffte auch, einen Vetter zu beerben. In dem Wahne heirathe - ten wir einander, und harrten und darbten, bis der Alte ohne Teſtament ſtarb. Die Ver - wandten fuhren zu. Die Erbſchaft ging in hun - dert Bischen, und von dreyßigtauſend Thalern Hofnung trugs ihm kaum ſo viel baar, die Equipage zu beſtreiten, mit der er nach Amerika ging.

Sternberg.

Aber mich naͤhrt mein Fleiß?

Mad Anker.

Wie lange? Und wenn der Herr Advokat die Augen zuthut, mag die Wittwe mit fuͤnf oder ſechs Kindern ---

Sternberg
(bitter lachend.)

O, Madam, wenn der Himmel einfaͤllt, ſind wir Alle be - graben.

Mad. Anker.

Ha, der Herr Advokat hat auch Witz!

Sternberg
(geht umher und trällert)
Mad. Anker
(die es bemerkt.)

Aber deſto we - niger Lebensart.

(Vor ſich)

Wo bleibt der Nota - rius? Ich will ihn ſelbſt aufſuchen Jeder Augenblick iſt koſtbar

(Mit einem Seitenblick auf Sternberg und Thereſen.)

Ob ich das Maͤdchen bey dem Narren laſſe?

(Laut.)

Thereſe, meinSchwie -49Die Erbſchleicher.gerſohn ſchreibt ewig Briefe. Sag ihm, daß ich ſeine Wuͤnſche zu befoͤrdern eile! Daß ich ohne Verzug wieder hier bin

(Halb im Gehen.)

Und dem deſperaten Koridon dort ſage, daß du gehorchen gelernt haſt, und daß nichts komiſcher iſt, als ein ſentimentaliſcher Advokat, hahaha!

(Lachend ab, durch die Mittelthür.)

Eilfter Auftritt.

Sternberg. Thereſe.
Sternberg
(ihr nachrufend.)

Teufliſches La - chen!

Thereſe
(ernſthaft.)

Sternberg! Es iſt mei - ne Mutter, und Sie begegneten ihr un - artig.

Sternberg.

O, reden Sie ihr nicht das Wort! Vertheidigen Sie ſich ſelbſt! Wie war es Ihnen moͤglich, mir dieſes Komplot bis zum letzten Augenblicke zu verheimlichen?

Thereſe.

Man hat ſich wohl gehuͤtet, mir ſelbſt es eher zu entdecken.

Sternberg.

Das glaub ein Anderer!

(Gehr zornig auf und ab.)
D50Die Erbſchleicher.
Thereſe.

Ich ſag Ihnen die Wahrheit. Glauben Sie, was Sie wollen. Ich ſtand heute ſo vergnuͤgt auf und ſo fruͤh, daß ich den Mond noch am Himmel fand, als ich, nach meiner Ge - wohnheit, ans Fenſter trat, um mich von der friſchen Morgenluft anwehen zu laſſen. Der Anblick war mir neu. Ich ſtand, und gaffte, und traͤumte, und vergaß mich bis ich im Hauſe ſchelten hoͤrte; ein Zeichen, daß ſich die Mama erhoben hatte. Sie hoͤren nicht?

Sternberg
(in Gedanken.)

O ja!

Thereſe.

Sie erſchien zu meinem Er - ſtaunen ſchon angekleidet und ihr guter Mor - gen war ſo gnaͤdig, als ob ſie ein heiliges Werk vorhaͤtte. Ich erzaͤhle den vier Waͤnden.

Sternberg.

Nein, nein!

Thereſe.

Nun wurde der Thee ſtumm, wie immer, hinein geſchluͤrft, und ich ſetzte mich ſchon zu meiner Arbeit, als mir die Mama befahl, mich zum Ausgehn fertig zu machen.

Sternberg
(wie vo[r]hin.)

Wie?

Thereſe.

Sehn Sie wohl, daß Sie taub ſind!

Sternberg.

Fahren Sie nur fort!

Thereſe.

Wo blieb ich ſtehen?

51Die Erbſchleicher.
Sternberg
(ganz zerſtreut)

Beym Monde.

Thereſe
(lächelnd.)

Da moͤgen Sie wohl her - um ſchwaͤrmen. Nein, ich ſtehe vor dem Spiegel, und befeſtige eben die letzte Nadel an meinem Hute, und werde die Mama hinter mir gewahr.

Sternberg
(wird aufmerkſam.)

Nun?

Thereſe:

Sie nickte mir mit kleinen Augen zu, und klopfte mich auf beide Backen.

Sternberg
(ungeduldig.)

Weiter!

Thereſe.

Ich erſchrack. Liebkoſungen gehen allemal bey ihr vor einem ſtraͤflichen Mandat her Was befehlen Sie, liebe Mama? fragte ich. Nichts, Thereſe. Biſt du meine gute Tochter? Ich kuͤßte ihr die Haͤnde. Meine gute, gehorſame Tochter? Und ſie hat fuͤr gehorchen und Gehorſam einen unnachahmlichen Accent. Ich ſtotterte: Von ganzem Herzen Weißt du auch, wohin ich dich fuͤhren will? Zum Herrn Gerhard.

Sternberg.

Weiter! Weiter!

Thereſe
(nähert ſich und legt ihre Hand auf ſeinen Arm.)

O Sternberg! Begreifen Sie, wie mir das Herze pochte, die Wange gluͤhte? Ach, es war die letzte gluͤckliche Minute meines Le -D 252Die Erbſchleicher.bens. Herr Gerhard, (fuhr ſie fort,) er hat um dich angehalten, und ich habe dich ihm ver - ſprochen.

Sternberg
(hält ihre auf ſeinem Arm ruhende Hand aͤngſtlich feſt.)

Thereſe! Und was antworte - ten Sie?

Thereſe.

Nichts. Ich bedeckte mein Geſicht mit beiden Haͤnden meine Knie zitterten ich ſank auf einen Stuhl. Die Mama ging mit ſtarken Schritten auf und ab. Thereſe! don - nerte ſie endlich. Die Nachricht hat dich uͤber - raſcht. Sey kein Kind! Herr Gerhard wartet.

Sternberg
(faßt ſie bey beiden Händen.)

Und Sie gingen? Und Sie warfen ſich ihr nicht zu Füſſen, um

Thereſe
(lächelnd.)

Um die Schwere der Hand zu fuͤhlen, die mich den Augenblick zuvor geſtreichelt hatte?

Sternberg
(läßt die Arme ſinken, fährt zurück.)

Was ſagen Sie?

Th[e]reſe
(zuckt die Achſeln.)

Meine Mutter iſt eine Soldatenfrau. Sie haͤlt Mannszucht. Ich bin der Ruthe noch nicht entwachſen.

Sternberg
(nachdem er einmal auf - und abgegan - gen, kalt.)

Alſo wollen Sie meinen Vetter heira - then?

53Die Erbſchleicher.
Thereſe
(lebhaft.)

O, das iſt eine andere Frage.

Sternberg
(ſpöttiſch.)

Wenn Sie ſich ſkla - viſch vor Ihrer Mutter fuͤrchten.

Thereſe.

Der Sklav, der gegen ſeinen Herrn nicht muchſt

(ſchnell)

ſpringt wohl vom Thurm, um ſich zu retten.

Sternberg
(freudig, mit offenen Armen.)

Sprin - gen Sie! ich fange Sie auf.

Thereſe
(ernſthaft.)

Wie, Sternberg! Wollten Sie ſich mit einem entlaufenen Maͤdchen beladen? Nein! zucken Sie nur die Achſel uͤber meine Vorurtheile

(edel)

nein! ein Geſchoͤpf, daß die erſten Pflichten der Natur ver - raͤth, kann unmoͤglich eine gute Frau werden.

Sternberg
(ihre Hand mit Feuer küſſend)

Vor - trefliches Maͤdchen! Aber die Gefahr, in der wir uns befinden ---

Thereſe
(ſchnell.)

Iſt noch zu uͤberſehen.

Sternberg.

Der Notar iſt auf dem Wege.

Thereſe
(ſcherzhaft.)

Der Pfarrer muß auch dabey ſeyn.

Sternberg
(empfindlich.)

Sie koͤnnen ſcher - zen?

Thereſe.

Warum nicht? Sind Sie nichtD 354Die Erbſchleicher.auch froh, wenn Sie das Mittel ſehen, einen boͤſen Prozeß zu gewinnen? Strenge Muͤtter machen liſtige Toͤchter. Vielleicht haͤtt ich mich beſſer zum Advokaten geſchickt, als Sie. Ich bin getroſt und Sie verzweifeln. Sie wiſſen keinen Rath und ich habe meine Rolle ſchon im Kopf.

Sternberg.

Im Ernſte?

The[r]eſe.

Ich will meinem Braͤutigam miß - fallen.

Sternberg
(verdrüßlich.)

Wie iſt das moͤg - lich?

Thereſe.

Die ganze Welt hat nicht Ihre Augen. Aber Juſtinens Schlauheit ſchreckt mich ab. Wird ſie uns nicht verrathen?

Sternberg
(lebhaft.)

O, fuͤr Juſtinen ſteh ich wie fuͤr mich ſelbſt.

Thereſe
(bedenklich.)

Sie betheuern mir das ſo lebhaft! Sie unterhalten mich ſo oft von ih - rem Lobe?

Sternberg.

Was weiter?

Thereſe.

Ein huͤbſches Maͤdchen! Die Gelegenheit, ſie taͤglich zu ſehen! Es beunruhigt mich.

Sternberg.

Ich koͤnnte Ihnen dieſe Un - ruhe durch ein einziges Wort benehmen.

55Die Erbſchleicher.
Thereſe.

Thun Sies!

Sternberg.

Juſtine iſt verſprochen.

Thereſe.

Das kam ſehr langſam. Stern - berg faſt haͤtt ich Luſt, meinem Braͤutigam zu gefallen.

(Hört kommen)

Da iſt er!

Zwoͤlfter Auftritt.

Juſtine. Nachher Gerhard. Vorige.
Juſtine
(halblaut.)

Nein, ich bins. Ich hielt es fuͤr rathſam, ihn anzumelden.

Gerhard
(im Eintreten.)

Ach, nehmen Sies doch ja nicht uͤbel, meine Schoͤnen

(Setzt ſeinen Stock verſtohlen in die Ecke.)
Thereſe.

Es iſt nur noch Eine Schoͤne da, Papachen.

Gerhard
(näher kommend.)

Wo iſt denn die Frau Mama geblieben?

Sternberg
(ſpricht indeſſen heimlich mit Juſtinen.)
Thereſe.

Bin ich Ihnen nicht genug, Pa - pachen?

Gerhard.

Gehorſamer Diener!

Thereſe.

Ich wenigſtens

(mit einem Seiten[-]blick auf Sternberg)

vermiße Niemanden.

D 456Die Erbſchleicher.
Gerhard.

Gehorſamer Diener!

Thereſe
(ihm nachſpottend.)

Und immer: ge - horſamer Diener! Iſt das Kompliment keines Handkußes werth?

Gerhard
(entzückt.)

O, Juſtine, hoͤre Sie doch!

Thereſe.

Da, Papachen!

(Reicht die Rechte Gerharden, die Linke Sternbergen verſtohlen zum Küſſen.)
Juſtine.

Ich hoͤre und ſehe.

Thereſe
(ſtreichelt ihm das Kinn.)

Sie ſind doch nicht boͤſe, daß ich Sie Papachen nenne?

Gerhard.

O ganz und gar nicht, mein Schatz!

Thereſe.

Meine Mamſell hat mir geſagt, wenn ich einen alten Mann bekaͤme, muͤßt ich ihn: mon bon papa! rufen, auf deutſch: Pa - pachen!

Juſtine.

O, Herr Gerhard, hoͤren Sie doch!

Gerhard.

Der kleine Engel! Ich bin ganz erſtaunt

Thereſe.

Warum denn, Papachen?

Gerhard.

Sie ſchienen mir vorhin ſo ſtill ſo bloͤde ſo ---

Thereſe.

Simpel, wollen Sie ſagen. Ja,57Die Erbſchleicher.im Beyſeyn meiner Mama iſt mir die Zunge, wie gelaͤhmt. Denn des Dreinredens und Zu - rechtweiſens iſt kein Ende. Aber ſobald ſie den Ruͤcken wendet, geht das Uhrwerk los. Nicht wahr, Herr Sternberg?

Sternberg
(kann das Lachen nicht verbeißen.)
Thereſe.

Ich glaube, Sie lachen mich aus. Gehn Sie! Spoͤtter brauchen wir nicht. Apro - pos, Papachen! Meine Mama moͤchte gerne wiſ - ſen, mit wem Sie handeln.

Gerhard
(verwundert.)

Ich treibe weder Han - del noch Wandel.

Thereſe.

Aber wo ſoll ſie die Brautſachen ausnehmen?

Gerhard.

O, bey wem ſie will?

Thereſe.

Und ſo viel ich will?

Gerhard.

Warum das nicht, mein Schatz?

Thereſe
(zu Sternberg.)

Haben Sies ver - ſtanden, Herr Sternberg? Bringen Sie ihr die Antwort!

Sternberg.

Ich gehorche.

(Will ab.)
Thereſe
(ihm nachrufend.)

Ohne Abſchied? Die jungen Herren wiſſen jetzt gar nicht mehr, was Galanterie iſt. Wenn ich in Romanen leſe, wie ehrerbietig ſie ſonſt waren!

D 558Die Erbſchleicher.
S[t]ernberg
(ihr die Hand küſſend.)

Und wie ſittſam weiland das Frauenzimmer!

(Ab.)

Dreyzehnter Auftritt.

Juſtine. Gerhard. Thereſe.
Thereſe.

Sittſam? Sittſam? Das ſoll wohl auf mich gehen? Er ſiehts gewiß nicht gern, daß Sie mich heirathen?

Juſtine.

Das laͤßt ſich an den Fingern ab - zaͤhlen.

Thereſe.

Was kann ich dafuͤr? Aber beſ - ſer Neider, als Mitleider!

Gerhard
(der ſich indeſſen auf ſeinen Seſſel ſtützt.)

Nehmen Sie doch wieder Platz, meine Schoͤne!

Thereſe.

Ich bin den ganzen Tag auf den Beinen.

Juſtine.

Herr Gerhard auch, aber auf ſechſen.

Thereſe
(führt ihn raſch zum Seſſel.)

O, mit mir keine Komplimente! Comme ça, mon bon papa!

(Nöthigt ihn, ſich zu ſetzen.)
Gerhard
(indem er zu ſitzen kömmt.)

O, gehor - ſamer Diener!

59Die Erbſchleicher.
Thereſe.

Sagen Sie mir doch! Wie bald iſt die Hochzeit, Papachen?

(Tändelt verſchämt mit ihrer Schürze)
Gerhard.

Schmeichelhafte Ungeduld!

Juſtine.

Treuherzige Frage!

Gerhard.

In acht Tagen, mein Schaͤtz - chen?

Thereſe.

Warum denn nicht heute? Die Mama hat mir zwar verboten, das merken zu laſſen.

(Immer ſchneller.)

Aber iſt es denn eine Suͤnde, ſich zu freuen, daß man ſchoͤne Kleider bekoͤmmt, und die Freyheit, zu reden und zu thun, was man will? Seh Sie nur Jung - fer Juſtine! Geh ich nicht, wie eine alte Matro - ne? und ſo, wie ich gehe, muß ich leben einfoͤrmig und traurig.

Juſtine.

Armes Kind!

Thereſe.

Von der Naͤhnadel zum Strickzeug, vom Strickzeug in die Kuͤche! Abends mit den Huͤhnern zu Bette! und zur Belohnung alle hohe Feſte einen Kaffeebeſuch bey meiner Frau Pathe, oder ein Spaziergang in der Mittags - hitze.

Juſtine.

Armes Kind!

Thereſe.

Das Wort divertiſſement giebt60Die Erbſchleicher.mir immer einen Stich ans Herz. Wenn ich ei - nen Komoͤdienzettel ſehe, hab ich die Augen voll Waſſer; und wenn mich des Winters das Rollen der Kutſchen aus dem erſten Schlafe weckt, und meine Kammer vom Wiederſchein der Fackeln in lauter Feuer ſteht, ach da ſtell ich mir die Gluͤck - lichen vor, die zu Muſik und Tanz fahren und werfe mich ſeufzend in meinem Bettchen herum, und kann vor Sehnſucht und Grillen nicht wieder einſchlafen!

Juſtine.

Armes Kind!

Thereſe
(mit ſteigender Lebhaftigkeit.)

Aber nun will ich mich ſchadlos halten. Nun werd ich ei - ne reiche Frau! Nun ruͤhr ich keine Hand mehr an, als am Putztiſche, und ſorge fuͤr nichts, als fuͤr Zeitvertreib.

(Aeußerſt geſchwinde)

Fruͤhſtuͤcke, Diners, Aſſembleen, Soupees, Konzerte, Komoͤ - dien, Baͤlle, Schlittenfahrten, Landpartien, eins ſoll das andere jagen.

Juſtine.

Das iſt recht.

Thereſe.

Aber wir wollen uns nicht mit Ge - faͤlligkeit aͤngſtigen, Papachen. Sind Sie krank, ſo bleiben Sie zu Hauſe. Schlaͤfern Sie, ſo ge - hen Sie ſchlafen.

Juſtine.

Das iſt vernuͤnftig!

61Die Erbſchleicher.
Thereſe.

O, wir wollen leben wie die Kin - der! Wir wollen genießen und genießen laſſen. Man ſoll mir nicht nachſagen, ich naͤhme Sie nur um Sie zu erben.

Juſtine.

O! das iſt engliſch!

Gerhard
(hat ſich indeſſen mehrmalen die Schläfe und Stirn gerieben und geſtöhnt.)
Thereſe
(als ob ſie es eben bemerkte.)

Haben Sie Kopfweh, Papachen?

Gerhard.

Ach nein, mein Schatz.

Thereſe
(ſich umſehend, wird die Arzneygläſer u. ſ. w. gewahr.)

Hier ſiehts ja aus wie eine Apo - theke. Was macht das Zeug im Zimmer?

Juſtine.

Das iſt unſer Putzgeraͤthe.

Thereſe.

Fi donc! Ich kann keine Arzney riechen.

Juſtine.

Und wir koͤnnen nicht ohne ſie le - ben.

Thereſe
(ſich abermals umſehend.)

Iſt das Haus Ihr eigen, Papachen?

Gerhard.

Ja, mein Engel. Mein ſeeliger Urgroßvater hats gebaut. Gefaͤllts Ihnen?

Thereſe.

Etwas altvaͤteriſch, wie der Erbauer. Aber was mir nicht gefaͤllt, laſſen Sie aͤndern. Vor allen Dingen neue Moͤbeln!

(Geſchwinde.)
62Die Erbſchleicher.

Bergèren, Ottomanen, Chiſſonièren, Tru - meaux, Conſolen, Vaſen, Buͤſten, Basreliefs und Eſtampen. Wir nehmen das Modejournal zu Huͤlfe. Das iſt bald geſchehen. Wo iſt der Saal, Jungfer Juſtine?

Juſtine.

Der Kornboden, wollen Sie ſagen?

Thereſe.

Kein Saal im Hauſe! Aber wo ſoll ich denn den Hochzeitball geben?

Juſtine. Gerhard.

Den Hoch - zeitball?

(ſehen ſich einander bedenklich an.)
Thereſe.

Ja, meinen Freundinnen muß ich Wort halten. Es iſt ein gegenſeitiges Verſpre - chen unter zwoͤlf jungen Demoiſellen, die Eine Tanzſtunde beſuchen. Und mich trift die Ehre, den Anfang zu machen. Sie tanzen doch, Pa - pachen?

Gerhard.

Behuͤte der Himmel!

Thereſe
(immer muthwilliger.)

Aber wie kann man nicht tanzen?

Gerhard.

Ehemals war ich ein ſtarker Taͤn - zer.

Thereſe.

Ey was? Ein Braͤutigam ſpricht nicht von ehemals. Was er war, muß er noch ſeyn.

Juſtine.

Die Mamſell hat Recht. Sie muͤſ - ſen tanzen.

63Die Erbſchleicher.
Gerhard.

Ich hab in dreyßig Jahren nicht getanzt.

Thereſe.

Durch Uebung koͤmmt die Luſt wie - der. Probieren Sies!

Gerhard.

Ich bin ſo zum Schwindel ge - neigt

Thereſe.

Dickes Blut! Sie muͤſſen tanzen.

Gerhard.

Ich habe einen Krampf in der rechten Seite

Thereſe.

Mangel an Bewegung! Sie muͤſ - ſen tanzen. Angefaßt, Juſtinchen! Allons!

Juſtine und Thereſe
(faſſen Gerharden an, ſchwen - ken ſich mit ihm im Kreis herum und ſingen.)

Im May! Im May! Da iſt die ſchoͤnſte Zeit! Drum laßt uns alle froͤhlich ſeyn, Ihr lieben jungen Leut!

Gerhard
(ruft dazwiſchen.)

Gnade! Gna - de! Ich kann nicht mehr

(Verliert im Schwenken die Perücke.)

Vierzehnter Auftritt.

Sternberg. Vorige.
Sternberg
(der gelauſcht hat, läuft dazwiſchen.)

Ihr loſen Frauenzimmer, was macht ihr mit64Die Erbſchleicher.meinem Herrn Vetter?

(Befreyt ihn, führt ihn zum Seſſel, ſetzt ihm die Perücke auf.)
Thereſe
(ſich böſe ſtellend.)

Daß Sie auch juſt kommen muͤſſen!

Juſtine
(thut auch böſe.)

Freudenſtoͤrer!

Gerhard
([keuchend] im Seſſel.)

Ach, ich bin todt

Thereſe
(ſtreichelt Gerharden Geſicht und Hände.)

O, liebes Papachen, ſagen Sies nur der Mama nicht wieder! Wollen Sie? Sie ſpricht ohnehin, ich waͤre von der Tarantel geſtochen, weil ich Contretaͤnze bey meiner Arbeit ſinge und zwi - ſchen durch die große Achte um die Stuͤhle mache.

Sternberg.

Mamſell, ich melde Ihnen den Mann aller Maͤnner an.

Thereſe
(auf Gerhard zeigend.)

Hier iſt mein Mann!

Sternberg.

Jener iſt auch nicht zu verach - ten. Er iſt das Orakel der Mode, der Miniſter der Grazien, der Erbfeind manches Hausfrie - dens ---

Juſtine.

In ſchlichter Mutterſprache der Schneider.

Sternberg.

Er will Ihnen das Brautkleid anmeßen.

Thereſe
65Die Erbſchleicher.
Thereſe
(hüpfend.)

Das Brautkleid! Das Brautkleid! Auf Wiederſehen, Papachen! Der Schneider darf nicht warten. Putzen Sie ſich indeſſen. Sie ſehen aus, wie Knecht[Ru - precht].

Sternberg
(bietet ihr den Arm.)

Kann ich die Ehre haben, Mamſell?

Thereſe.

Sehr doch! Der junge Menſch bildet ſich. Bravo, Herr Vetter! Wenn Sie ſo fortfahren, mach ich Sie vielleicht zu meinem wie heißt das Ding, das einer huͤbſchen Frau uͤberall den Arm giebt?

Sternberg.

Cicisbeo.

Thereſe.

Richtig! Allons, Herr Cicisbeo!

(Nimmt ſeinen Arm und geht, kehrt aber wieder um.)

Eins verſprechen Sie mir noch, Papachen! Aber ohne Frage!

(Nimmt ſeine rechte Hand.)

Topp! Kutſch und Pferde! Meine Freun - dinnen fahren aus der Haut, wenn ich meine Vi - ſitenrunde in eigner Equipage mache.

(Eine Wei - berſtimme nachahmend.)

Chriſtian! Was haͤlt unten fuͤr eine Kutſche?

(Eine Mannsſtimme nachahmend.)

Madam Gerhard will aufwarten.

(Vorige Stimme.)

Madam Gerhard? In eigner Equipage? Die Naͤrrinn! Abgeſagt!

(Ihre eigne Stimme.)
E66Die Erbſchleicher.

Weiter! Fahr zu Kutſcher!

(Eilig mit Sternber - gen ab.)

Funfzehnter Auftritt.

Juſtine. Gerhard.
Juſtine.

Herr Gerhard, ein Widerruf iſt des andern werth. Ich bitte Ihnen meine Un - art eben ſo herzlich ab, als ich Ihnen gluͤck - wuͤnſche. Sie haben eine herrliche Wahl getrof - fen.

Gerhard
(kleinlaut.)

Ich bin zufrieden.

Juſtine.

Das munterſte Maͤdchen in der Stadt!

Gerhard.

Schlaͤfrig ſcheint ſie nicht.

Juſtine.

Die wird Ihnen Krampf und Fluß und Melancholie weglachen.

Gerhard
(vor ſich.)

Oder wegaͤrgern.

Juſtine
(mit ſteigender Lebhaftigkeit.)

Lob und Dank Ihrem guten Einfall! Nun leb ich auch mit auf. Nun liegt meine Koch - und Backkunſt nicht mehr brach. Nun krieg ich den Tag uͤber andere Geſichter zu ſehen, als den Tropf Benedikt und Ihren kupferigen Herrn Gevatter. Nun67Die Erbſchleicher.hoͤr ich beſſere Muſik des Abends, als mein Spinnrad, Ihr Geſchnarche und das Schnurren unſrer alten Katze. Nun heißts: Juſtine hier! Juſtine dort! Juſtine in allen Ecken! Heyſa!

(Hüpft und will ab)
Gerhard.

Wo willſt du hin?

Juſtine.

Huͤpfen will ich von Stube zu Kam - mer und von Treppe zu Treppe; Feuer und Bann ankuͤndigen unſerm wurmſtichigen Hausrathe Verwandelung der ganzen Barake; an Ihre Geldkaſten klopfen, und den Gefangenen zuru - fen: Freut euch! Eure Befreyerinn iſt nahe!

Gerhard.

Schwaͤrmſt du?

Juſtine.

Ohne Schwaͤrmerey. Ich will die Leute beſtellen, die unſer Kloſter zum Pallaſt der Freude umſchaffen ſollen.

(Will ab.)
Gerhard.

Bleib!

Juſtine.

Meine neue Herrſchaft hats befohlen.

Gerhard.

Die alte geht vor.

Juſtine.

Haben Sies nicht gehoͤrt?

Gerhard.

Man muß nicht alles hoͤren.

Juſtine
(ſingend.)
Nicht alles hoͤren, noch alles ſehen,
Iſt das Geheimniß gluͤcklicher Ehen.

Behalten Sie das Reimgebetchen.

E 268Die Erbſchleicher.
Gerhard.

Maͤdchen du biſt ausgelaſſen[.]

Juſtine.

Ihre Braut hat mich angeſteckt.

Gerhard
(ſich im Seſſel herum werfend.)

Ach, ich wollte

Juſtine.

Sie ſeufzen, daß Sie ſich in Staat werfen ſollen.

Gerhard.

Gemaͤchlichkeit iſt mein Staat.

Juſtine.

Aber zum Nachteſſen werden Sie doch

Gerhard
(ungeduldig einfallend.)

Ich eſſe ja nie zu Nacht.

Juſtine.

Iſt denn heute nicht Verloͤbniß?

Gerhard.

O, quaͤle Sie mich nicht! Die Ohren thun mir ohnehin ſchon ſo wehe

(Seinen Stock ſuchend.)

Gute Nacht!

Juſtine
(lachend.)

Am hellen Morgen?

Gerhard.

Ich hab Erholung noͤthig.

Juſtine.

Kaum aus dem Bette, und ſchon wieder hinein?

Gerhard.

Unterſtehe Sie ſich nicht, mich zu wecken, und wenn der juͤngſte Tag kaͤme!

(Ab in ſeine Schreibſtube.)
Juſtine
(ihm nachſehend.)

Geh nur, alter Son - derling, und ſchlaf den Braͤutigamsrauſch aus!

(Ab ins Kabinet.)
69Die Erbſchleicher.

Zweiter Akt.

Erſter Auftritt.

Juſtine, hernach Piſtorius.
Juſtine
(aus dem Kabinette kommend.)

Da kommt Piſtorius! Der ſoll ihn uns vollends zu Verſtande bringen helfen. Zu ſolchen Liebesdienſten ſind die Narren am beſten zu gebrauchen, weil ſie kein Blatt vors Maul nehmen.

Piſtorius
(durch die Mittelthür kommend.)

Gu - ten Morgen, guten Morgen, Jungfer Juſtinchen!

Juſtine.

Ey, Herr Piſtorius, Herr Piſto - rius! Ich habe auf Sie gewartet, wie die Schwalben auf den Sommer.

Piſtorius.

Excuſiren Sie! Der Herr Ge - vatter iſt immer mein erſter Gang. Aber zu - weilen bin ich, wie behext. Ich kann nicht vom Flecke. Eine Abhaltung uͤber die andere!

Juſtine.

Goldene Abhaltungen, Herr Piſtorius! Durch ſolche Hexereyen werden Sie ſteinreich.

E 370Die Erbſchleicher.
Piſtorius
(indem er Hut, Stock, und Degen und Handſchuhe ablegt, das eine hier, das andere dorthin.)

Du liebe Zeit! Zum Schelme muͤßt ich werden, wenn ich nicht nebenher die Poſt haͤtte! Kleiner Ort! und erbaͤrmliche Polizey! In ſo einem Neſte drey Apotheken! Ja, wie wir noch den Hofſtaat hier hatten, da gings flott, da war noch Nahrung unter den Leuten! Aber jetzt brauchen ſie Jahr aus Jahr ein die Hungerkur.

Juſtine.

Von der ſind Sie kein Patron.

Piſtorius
(den Arzneyvorrath viſitirend.)

Was macht der Herr Gevatter? nimmt er brav ein? Hm! Die Pulver ſollten geſtern Abend alle werden. An den Glaͤſern iſt auch nur genippt. Was heißt das? Da muß ich hinterdrein fe - gen. Friß Vogel oder ſtirb! heißts in der Mede - zin. Sonſt mag er ſeinen Pnevmatismus be - halten.

(Zieht ein Arzneyglas aus der Taſche.)

Hier iſt die neue Mixtur! Etwas chymiſches!

(In eine andere Taſche greifend.)

Da ſind auch friſche Pul - ver! Und hier ein Sälbchen, um ſich die Sei - te gelinde reiben zu laſſen. Ich wuͤßte wohl ein Paar heilskraͤftige Paͤtſchchen dazu.

(Will ihr die Hände ſtreicheln.)
Juſtine
(ſchlägt ihn auf die Finger.)

Neh - men Sie den ganzen Kram nur wieder mit!

71Die Erbſchleicher.
Piſtorius.

Wie?

Juſtine.

Wir koͤnnen keine Arzney mehr riechen.

Piſtorius.

Das haben Sie gewiß von Herrn Sternberg gehoͤrt? Der iſt auch ſo ein neumodiſcher Veraͤchter der Medezin. Alles was ich verordne, ta - delt er. Aber er wird mir ſobald nicht wiederkom - men. Ich hab ihn abgetrumpft. Herr Stern - berg, ſagt ich vorgeſtern zu ihm, der Schuſter muß bey ſeinem Leiſten bleiben, und der Advokat beym corporis Iuris hahaha!

Juſtine.

Im Ernſt, Herr Piſtorius. Wir ſind ſo wohl auf, als Sie.

Piſtorius.

Ha! Das Wohlſeyn kenn ich. Heute roth, morgen todt! Was giebts Neues in publecis?

Juſtine.

Wenn Sie nichts haben!

Piſtorius.

Dreyßig Febrezetanten hab ich.

Juſtine.

Dreyßig Kandidaten des Kirchhofs!

Piſtorius.

Ja, es iſt epitomia malina. Die Menſchen fallen um, wie Fliegen. Zum Gluͤck meiſtens gemeines Volk!

Juſtine.

Zum Ungluͤck, wuͤrd ich ſa - gen. Vornehme Tagediebe koͤnnen am erſten abkommen.

E 472Die Erbſchleicher.
Piſtorius.

Endlich zeigen ſich doch auch wie - der Blattern.

Juſtine.

O, ſchweigen Sie von Ihren Fa - talitaͤten!

Piſtorius.

Wie ſo? Verwundungen, Quet - ſchungen, Verrenkungen, Bruͤche, das ſind Fa - talitaͤten. Aber Blattern ſind eine Krank - heit. Krankheiten ſind nothwendige Uebel. Aber die Inucolation hat ein Broddieb unſrer Kunſt erfunden.

Juſtine.

Ich weiß eine luſtigere Neuig - keit.

Piſtorius.

Exemplo gratias, eine Heirath?

Juſtine.

Getroffen. Ein funkelnagelneuer Braͤutigam!

Piſtorius.

Kenn ich ihn?

(Faßt ſie wieder bey der Hand.)
Juſtine
(ſchlägt ihn wieder auf die Finger.)

Spre - chen Sie mit dem Maul. Es iſt Ihr Her - zensfreund.

Piſtorius
(kurz.)

Der Herr Gevatter Ger - hard?

Juſtine
(verwundert.)

Sie errathen ihn aufs erſtemal!

Piſtorius.

Das iſt etwas altes. Er thut nichts ohne mein Vorwiſſen.

73Die Erbſchleicher.
Juſtine.

Und Sie laſſen es geſchehen?

Piſtorius.

Ich habs ihm verordnet.

Juſtine.

Verordnet?

Piſtorius.

Zu ſeiner Leibes - und Seelenru - he. Wo ſoll denn das ſchoͤne Vermoͤgen bleiben?

Juſtine.

O, das wird ſeinen Mann ſchon finden.

Piſtorius.

Freylich wohl. Es giebt Liebha - ber genug, die gern bey ſeinem Leben zugriffen. Bey den Haaren ſollte man ſie aufhaͤngen, wie Koͤnig Abſalom, die Gaudiebe!

Juſtine.

Sie tragen eine Peruͤcke, nicht wahr?

Piſtorius.

Wenn er heirathet, hat die Jagd ein Ende; und der Mann koͤmmt in Ordnung, Laͤnger taugt die wilde Wirthſchaft nicht.

Juſtine.

Die wilde Wirthſchaft?

Piſtorius.

Er muß eine Frau haben.

Juſtine.

In ſeinen Jahren!

Piſtorius.

Hab ich doch die zweyte genom - men?

Juſtine.

Sie, und Er!

Piſtorius.

Er iſt Salve venia ein ſtarker hypercondriacus. Die gewoͤhnliche Maledie al - ter Junggeſellen. Als ich meine zweyte FrauE 574Die Erbſchleicher.nahm, dachten meine Herren Collegen, ich wuͤr - de kein Jahr mehr laufen. Aber bis dato hab ich in ſechs Jahren ſiebenmal taufen laſſen, und was abermals unterweges iſt

(Schlägt ſich auf den Mund)

St! ich ſoll nicht aus der Kammer plaudern.

Juſtine
(ſchalkhaft.)

Apropos! Was macht denn Ihr ſchoͤner Proviſor?

Piſtorius
(verdrüßlich.)

Ach, der Haſenfuß! Sie haben gewiß ſchon gehoͤrt, daß er ſich auf Micheli ſetzen will?

Juſtine.

Ey!

Piſtorius.

Er handelt um eine Apotheke in der Nachbarſchaft.

Juſtine.

Da verlieren Sie eine große Stuͤtze!

Piſtorius
(treuherzig.)

Ja, verlaſſen kann ich mich auf ihn, das iſt wahr. Um alles be - kuͤmmert er ſich; alles greift er mit an; er giebt ſich ſogar mit den Kindern ab[.]Und was die Apotheke betrift da ſucht er ſeines Gleichen. Die Arbeit geht ihm ſo fix von der Hand, daß er immer fertig iſt. Und manches Receptchen, das meinen Collegen zugedacht war, fliegt mir zu, wenn die Jungfern das nette Kerlchen in der75Die Erbſchleicher.Thuͤr ſtehen ſehen. Was meynen Sie, Juſtinchen? Soll ich einen Kuppelpelz ver - dienen?

Juſtine
(verdrüßlich.)

Davon laͤßt ſich ſprechen. Hier im Hauſe bleib ich keinen Tag laͤnger.

Piſtorius.

Warum?

Juſtine.

Man dient doch nicht gern zuruͤck.

Piſtorius
(zuverſichtlich.)

O, Sie ſollen in Stand und Wuͤrden bleiben. Ich bin gut fuͤr die junge Frau.

Juſtine
(verwundert.)

Sie?

Piſtorius.

Wie man fuͤr euch gut ſeyn kann. Es iſt ein ſtilles, ſittſames, eingezoge - nes Maͤdchen.

Juſtine.

Von außen.

Piſtorius
(mit Feuer.)

Und von innen. Sie hat ein Herz ſo weich, wie Roſenhonig. Aber Mutterwitz, Mutterwitz dabey. Sie iſt fein, wie Spiritus vinum. Und doch im Thun und Weſen, wie ein Lamm! So eine Frau, das iſt ein Julepp fuͤr einen Patienten, ein Laxetiv der Schmerzen, ein Vometiv der Grillen, kurz, ein wahres[univerſalum], wie die Goldtinktur.

Juſtine.

Sie reden ja von ihr, wie ein Verliebter!

76Die Erbſchleicher.
Piſtorius.

Der Meiſter ſoll zwar ſein Werk nicht loben. Aber meine Fiecke ---

Juſtine
(mit Gelächter einfallend.)

Ihre Fiecke? Sie galloppiren mit den Gedanken, wie mit der Zunge. Was wollen Sie mit Ihrer Fiecke?

Piſtorius.

O thun Sie nur nicht ſo ſchlau! Sie haben den Braten laͤngſt gerochen

(Sich auf den Bauch klopfend.)

Ich werde der Schwie - gerpapa vom Herrn Gevatter.

Juſtine
(ſpöttiſch.)

Sie? Will er vielleicht das Verſaͤumte wieder einbringen?

Piſtorius.

Was denn?

Juſtine.

Will er zwey Weiber auf einmal nehmen?

Piſtorius.

Zwey Weiber?

Juſtine.

Ihre Fiecke und Mamſell Anker?

Piſtorius
(betäubt und ſtotternd.)

Mamſell A - A-Ank-kanker?

(Vor ſich.)

Da bin ich ſchoͤn ge - prellt!

Juſtine
(vor ſich.)

Da hat auch einer die Rech - nung ohne den Wirth gemacht.

Piſtorius
(ſich erholend und in Hitze übergehend.)

Mamſell Anker! Die Tochter der großthueriſchen Frau Lieutenantinn ---?

Juſtine
(ſchnell einfallend.)

Richtig!

77Die Erbſchleicher.
Piſtorius.

Deren Mann in Amerika

Juſtine.

Richtig!

Piſtorius.

Deren Bruder weiland Hofme - dicus ---

Juſtine.

Richtig!

Piſtorius.

Titular! Titular! Fuͤr die Hof hunde.

Juſtine.

Eine beißige Kundſchaft!

Piſtorius.

Der Neidhard hat mich ſein gan - zes Leben gedruͤckt und gezwickt und gehudelt.

Juſtine.

Jetzt ruht er; ruhn Sie auch!

Piſtorius
(mit neuer Hitze.)

Ja, wenn der ruht, hat Beelzebub den Commandoſtab niedergelegt.

Juſtine.

Aber wir heirathen ja nicht den todten Onkel.

Piſtorius.

Der ganze Anhang iſt verdaͤchtig. Die Mutter war ehmals die Standarte aller ga - lanten Stadtmamſellen

Juſtine.

Und iſt jetzt die Krone ---

Piſtorius
(einfallend.)

Aller alten Betſchwe - ſtern. Der Apfel faͤllt nicht weit vom Stam - me. Und das Maͤdchen will der Herr Ge - vatter ---

(Sich ſelbſt mit Lebhaftigkeit unterbre - chend.)

Ah! nun faͤllt mirs ein! Es iſt ein Mißverſtaͤndniß. Man hat den alten Vetter mit78Die Erbſchleicher.dem Jungen verwechſelt. Herr Sternberg ſchleppt ſich ja ſchon Jahr und Tag mit ihr.

Juſtine.

Und Herr Gerhard hat ſich vor ei - ner Stunde mit ihr verlobt.

Piſtorius.

Der Mann iſt toll.

Juſtine.

Ach Herr Piſtorius, kuriren Sie ihn doch!

Piſtorius.

Laſſen Sie mich nur machen!

Juſtine.

Aber fein glimpflich und bedaͤcht - lich!

Piſtorius.

Das verſteht ſich pro ſe.

(Eilig.)

Wo iſt er?

Juſtine.

Er ruht ein wenig.

Piſtorius.

Ich muß ihn wecken.

(Will ab.)
Juſtine
(ihn haltend.)

Er hats ausdruͤcklich verboten.

Piſtorius
(ſchreyend.)

Sein Haus brennt! ſein Haus brennt! und er kann ſchlafen?

(Reißt ſich lös, läuft nach der Thür, und rennt Gerharden an, der eben eintritt.)
79Die Erbſchleicher.

Zweiter Auftritt.

Gerhard. Vorige.
Gerhard
(indem er angeſtoßen wird.)

Auweh! auweh!

Piſtorius
(ihn haltend.)

Excuſiren Sie! um Ein Haar waͤren Sie gefallen.

Gerhard
(athemlos.)

Ey, Herr Gevatter, Sie haben mir das Bruſtbein ---

Piſtorius.

Ich richt es wieder ein.

Gerhard.

Und erſt wecken Sie mich durch Ihr Geſchrey aus ---

Piſtorius
(einfallend.)

Haben Sie mich ge - hoͤrt? Nu, ſo ſind Sie nicht taub. Aber Sie phantaſiren? nicht wahr?

Gerhard.

Wie?

Piſtorius.

Ihre Hand!

(indem er ihm den Puls befühlt.)

Sie wollen heirathen?

Gerhard.

Zu dienen, Herr Gevatter.

Piſtorius.

Die Mamſell Anker?

Gerhard.

Zu dienen, Herr Gevatter.

Piſtorius
(läßt die Hand fahren.)

Sie ſind in - kurabel.

80Die Erbſchleicher.
Gerhard. Juſtine.

Herr Gevatter! Herr Piſtorius!

Gerhard.

Sie haben mir ja eine Frau an - gerathen

Juſtine.

Verordnet ſogar.

Piſtorius
(ſprudelnd.)

Den Teufel auch! Eine Krankenwaͤrterinn braucht er. Und dabey iſt meine Fiecke hergekommen. So ein Maͤd - chen finden Sie weder in Europa, noch in Deutſchland. Ich kann ſie brauchen, wie einen gelernten Proviſor. Keinem Hofrath gaͤb ich ſie. Aber Ihnen haͤtt ich ſie wohl gegoͤnnt.

Gerhard
(betreten.)

Herr Gevatter Da - von hoͤr ich das erſte Wort.

Piſtorius.

Legen Sie ſich nur aufs Laͤugnen! Immer ſchoͤner! Hab ich mich nicht zu Ihrem Freyersmann angeboten, he?

Gerhard.

Ja, aber

Piſtorius.

Und geſagt, daß ich Ihnen ſchon Ihr Theil ausgeſucht haͤtte, he?

Gerhard.

Ja, aber

Piſtorius.

Und daß mir das Maͤdchen ſo lieb waͤre, als meine leibliche Tochter?

Gerhard.

Ja, aber

Piſtorius.

Und haben Sie nicht eingeſchla - gen?

Gerhard.
81Die Erbſchleicher.
Gerhard.

Ein unverfaͤnglicher Scherz unter vier Augen!

Piſtorius.

Mit Heirathsſachen ſcherz ich nicht.

Gerhard.

Sie haͤtten ſich deutlicher erklaͤren ſollen.

Piſtorius
(höhniſch.)

Ihnen meine Fieke auf dem Kredenzteller praͤſentiren?

Gerhard.

Ich habe ja nicht einmal die Eh - re, ſie zu kennen.

Juſtine
(ſpöttiſch.)

Ich habe das Gluͤck.

Piſtorius.

Sie geht doch alle Tage hier vorbey.

Gerhard.

Ich ſchiele nicht mehr nach den huͤbſchen Maͤdchen.

Piſtorius.

Es iſt freylich kein Laͤrvchen, das in die Augen faͤllt.

Juſtine.

Mir iſt ſie erſtaunend aufge - fallen.

Piſtorius.

Aber honnett iſt ſie. Die Kin - derſchuhe hat ſie auch ausgezogen.

Juſtine.

Sie ſcheint ſehr geſetzt.

Piſtorius.

Vor jungen Leckern waͤren Sie bey ihr ſicher.

Juſtine.

Ja, darauf wollt ich ſchwoͤren. F82Die Erbſchleicher.Schade, daß ihr die Zunge nicht ſo geloͤſt iſt, als ihrem Herrn Papa!

Piſtorius.

Sie ſtoͤßt ein wenig an. Um ſo weniger plaudert ſie.

Juſtine.

Wie gehts denn jetzt mit ihrem Gehoͤre?

Piſtorius.

Alle Tage beſſer. Sie verſteht mich ſchon auf drey Schritte.

Juſtine.

Und Sie ſprechen ſo leiſe!

Gerhard.

Ja, es thut mir leid, Herr Ge - vatter, daß

Piſtorius.

Mir iſts recht lieb, daß ich ſie behalte.

Gerhard.

Wir haben einander nicht ver - ſtanden.

Piſtorius.

An meinem Verſtande liegt die Schuld nicht.

Gerhard.

Ich will ſehen, wie ich meinen Fehler wieder gut mache.

Piſtorius
(mit ſteigender Hitze.)

Geben Sie ſich keine Muͤhe! Es iſt nicht das erſtemal, daß ich anlaufe. Undank iſt der Welt Lohn. Ich habe mehr Schuhe um Ihrentwillen zerrißen, als ich Kreutzer von Ihnen profetirt habe. Fuͤrs halbe Geld hab ich Ihnen die Medezin gelaſſen, und83Die Erbſchleicher.keine Null pro Studeo et laborem angeſetzt. Seit Jahr und Tag haben Sie nicht einmal ein Lausdeum geſehen.

Gerhard.

Ich habe Sie oft genug erin - nert.

Piſtorius
(bitter lachend.)

Ha! Der alte Nart dacht immer: Willſts ſtehen laſſen! Es bleibt beyſammen. Deine Fieke kriegts doch einmal! und druͤckte ſich, und machte Complimente.

Juſtine.

Ein andermal ſeyn Sie nicht ſo hoͤflich!

Piſtorius.

O, ſchenken will ichs ihm auch nicht. Noch heute ſollen Sie den Extrakt haben.

Gerhard. Juſtine.

Sehr wohl, Herr Gevatter. Wir bezahlen immer baar.

Piſtorius.

Und damit ſind wir geſchiedene Leute.

Gerhard. Juſtine.

Wie? Ey!

Piſtorius.

Von mir bekommen Sie keine Drachme mehr.

Gerhard. Juſtine.

Herr Gevatter! Herr Piſtorius!

Piſtorius.

Ihre Schwelle betret ich nicht wieder.

F 284Die Erbſchleicher.
Juſtine. Gerhard.

Herr Piſtorius! Herr Gevatter!

Piſtorius.

Keine Feder ſetz ich mehr fuͤr Sie an.

Gerhard.

Das koͤnnten Sie an mir thun?

Piſtorius.

Wie man gegen mich iſt, bin ich wieder.

Gerhard.

Alte Freunde!

Piſtorius.

Sie werden neue genug be - kommen.

Gerhard.

Gevatterleute!

Piſtorius.

Und wenn wir reciprocis waͤren!

Juſtine.

Ihr beſter Kunde!

Piſtorius.

Meine Offizin wird ohne ihn beſtehn.

Gerhard.

Ein Patient, der ſein Heil und Troſt auf Sie ſetzt!

Piſtorius.

Und wenn ich Sie aus dem Sarge holen koͤnnte!

Gerhard
(wirft ſich ärgerlich in den Seſſel.)
Juſtine.

Wo bleibt die Menſchenliebe?

Piſtorius.

Gewißen geht vor. Ich will nicht meine Schande an ihm dokteriren. Ich habe weder bey Hippokratus noch bey Hallern Collegiis gehoͤrt, aber auch als ein purus, bru -85Die Erbſchleicher.tus, praxicus bin ich im Stande, ihm die Na - tivetaͤt zu ſtellen.

Juſtine
(thut erſchrocken.)

Herr Piſtorius!

Piſtorius
(indem er ſeine Sachen zuſammen ſucht.)

Vor Liebe bekoͤmmt er die Schwindſucht

Juſtine.

Herr Piſtorius!

Piſtorius.

Vor Unmaͤßigkeit die Waſſer - ſucht

Juſtine.

Herr Piſtorius!

Piſtorius.

Vor Schalleſie die ſchwarze Gelb - ſucht

Juſtine.

Herr Piſtorius!

Piſtorius.

Vor Reu und Leid den Eras - mus. In vier Wochen iſt er weg. Amen.

(Schnell ab.)
Juſtine
(ihm nachrufend.)

Herr Piſtorius!

Dritter Auftritt.

Gerhard. Juſtine.
Gerhard
(im Seſſel, kläglich.)

Juſtine! meine Alterationstropfen! Ich habe mich geaͤrgert.

Juſtine
(giebt ihm Arzney ein.)

Armer Herr Gerhard! Verwuͤnſchter Herr Piſtorius!

F 386Die Erbſchleicher.
Gerhard
(nimmt ein.)

Es iſt ein grober Pa - tron, der Herr Gevatter. Zu trinken!

Juſtine
(reicht ihm einen ſilbernen Becher.)

So grob, als er breit iſt.

(Rückt ihm den kleinen Tiſch näher.)
Gerhard
(nachdem er getrunken.)

Aber bey dem allen bin ich uͤbel daran.

Juſtine.

Sie ſind vielmehr ein großes Uebel los.

Gerhard.

Ich muß mit dem Bader Ve - kanntſchaft machen, der zwey Stunden von hier wohnt.

Juſtine.

Sie werden doch unſre Doktorzunft nicht ſo beſchimpfen.

Gerhard.

Der Mann ſoll erſtaunende Ku - ren thun.

Juſtine
(ſpöttiſch)

Ja, er raͤuchert mit Kraͤu - tern, die in der Walpurgisnacht geſammelt ſind, beſpricht das Fieber, und vergraͤbt die Gicht.

Gerhard.

O, die Sympathie hat ihr Gu - tes. Aber heute zu Tage ſterben die Leute lieber methodiſch.

Juſtine.

Fort muͤſſen wir doch. Und ich denke in meiner Einfalt, wer einmal weg iſt, ſehnt ſich nicht wieder zuruͤck.

87Die Erbſchleicher.
Gerhard.

Wir wollen von etwas andern reden.

Juſtine
(ſetzt ſich an einen andern Tiſch, ſtrickt und lieſt zugleich.)
Gerhard.

Mein Kapitalienbuch!

Juſtine
(indem ſie ſucht, vor ſich.)

Das iſt im - mer ſein Troͤſter bey Todesgedanken!

(findet und bringts ihm.)
Gerhard
(indem er die Brille aufſetzt.)

Den wie vielſten haben wir?

Juſtine.

Den zwanzigſten.

(Setzt ſich wieder, wie vorhin.)
Gerhard
(blättert darin, und lieſt und ſpricht vor ſich.)

Fuͤnftauſend Reichsthaler in Louisd’ors beym Herrn Hofgerichtsrath Wieſer Ein ganzer Mann! grundgelehrt! leutſelig! und religioͤs! auf den Tag traͤgt er die Intereſſen ab! Zehntauſend dito beym Herrn Rittmeiſter von Spacheim Du wirſt auch bald ausgebeutelt haben. Meinethalben! Ich bin gedeckt. Zwoͤlf - hundert in Laubthalern beym Kaufmann Der Mann iſt gut; aber die Frau die Frau! Fuͤnftauſend dito bey Sr. Excellenz, dem Herrn Reichsgrafen Daß’s Gott erbarm! Schaffen Sie Geld Ihr Excellenz! Acht Gro -F 488Die Erbſchleicher.ſchen will ich aus Armuth ſchenken, wenn ich hier ohne Prozeß wegkomme. Fuͤnſhundert

(Zu Juſtinen.)

Aha! Ihr Klient! Vergeſſe Sie mir nicht an ihn zu ſchreiben!

Juſtine
(im Leſen.)

An wen?

Gerhard.

An den Pfarrer in Dings in Raſtdorf. In vierzehn Tagen iſt ſeine Ver - ſchreibung[f]aͤllig; und wenn man die Zehendmaͤn - ner nicht bey Zeiten mahnt, ſo machen ſie Quere - len.

Juſtine.

Verlaſſen Sie ſich auf ſein ehrli - ches Geſicht!

Gerhard
(das Buch weglegend.)

Auf Ihre Vorbitte hab ichs ihm geliehen. Wenn er nicht Wort haͤlt, weiſ ich ihr die boͤſe Schuld an Legats Statt an.

Juſtine.

Die Anweiſung waͤre mir das ſi - cherſte Legat.

(Lieſt fort.)
Gerhard
(gähnend.)

Das ewige Geleſe! Kann Sie mir nicht etwas erzaͤhlen?

Juſtine.

Neuigkeiten weiß ich nicht. Und zu Mährchen bin ich noch nicht alt genug. Ich will Ihnen vorleſen.

Gerhard.

Wenn nur die Buͤcher nicht den Kopf angriffen! Und vollends Euer kauderwel -89Die Erbſchleicher.ſches neues Deutſch! Sie lieſt ſich oft heiſer, eh ich weiß, ob es meine Mutterſprache iſt. Der Vetter wird Ihr noch mit dem Zeug den Kopf verruͤcken.

Juſtine.

Ach, Herr Sternberg thut mit ſei - nen Buͤchern gar rar. Wenn Benedikt nicht waͤre ---

Gerhard
(eifrig einfallend.)

Benedikt? Laͤßt ſich der Hanns Lips auch einfallen zu leſen? Hat er nichts zu thun? Giebts kein Holz zu ſpalten? Iſt der Garten umgegraben?

Vierter Auftritt.

Benedikt. Vorige.
Benedikt.

Der Herr Notarius Kilian Ru - precht iſt da.

Gerhard.

Was will er?

Benedikt.

Er fragt, was er ſoll?

Gerhard
(ſich beſinnend.)

Es iſt wahr ich hatte ich wollte Aber heute iſt es mir un - moͤglich Ich laſſe mich entſchuldigen

Juſtine.

Sag Er ihm nur, er waͤre der Unrechte.

(Lieſt fort.)
F 590Die Erbſchleicher.
Benedikt.

Sehr wohl.

(Er will ab.)
Gerhard
(ruft.)

Benedikt!

Benedikt.

Herr Gerhard!

Gerhard.

Biſt du ein Freund vom Leſen.

Benedikt.

O, ja! Leſen iſt ein galanter Zeitvertreib.

Gerhard.

Juſtine hat geſtern einen Sack Linſen gekauft. Lies dich ſatt!

Benedikt
(betreten.)

Herr Gerhard

Gerhard.

Auf Johanni kannſt du abziehen. Einen Staatslakeyen brauch ich nicht.

Benedikt
(vor ſich.)

Hum! wer hat mir denn das eingebrockt?

Fuͤnfter Auftritt.

Gerhard. Juſtine.
Gerhard.

Was hat ſie denn fuͤr eine Skar - teke?

Juſtine
(als ob ſie vor ſich läſe.)

Warte! ich will dir einen Text aus dem Kopfe leſen.

Gerhard.

Hoͤrt Sie nicht?

Juſtine.

Was beliebt?

Gerhard.

Ich frage nach Ihrem Buche.

91Die Erbſchleicher.
Juſtine.

Eine Kronik.

Gerhard.

Kroniken mag ich leiden. Sie kann laut leſen.

Juſtine.

Vom Anfang?

Gerhard.

Lieber gegen das Ende, daß wir bald durchkommen.

Juſtine
(thut, als ob ſie läſe.)

Den 16ten wurde in der St. Juͤrgen Kirche ein ſeltſames Brautpaar kopulirt. Der Braͤutigam war acht - zehn Jahr alt, und ſeine ſchoͤne Braut acht - zig.

Gerhard.

Der Narr! ſo ein altes Muͤtter - chen!

Juſtine.

Den 24ſten trug ſich in einer be - nachbarten großen Stadt folgende tragiſche Ge - ſchichte zu ---

Gerhard.

Nun?

(Nimmt den Becher und will trinken, ſetzt aber vor ſteigender Aufmerkſamkeit jedes - mal wieder ab.)
Juſtine.

Eine junge Frau, deren Ehgemahl vierzig Jahr aͤlter war, als ſie, hatte einen Lieb - haber, und weil ihnen der eiferſuͤchtige alte Mann die Zeit zu lang machte, ſo verabredeten ſie ſich, denſelben aus dem Wege zu raͤumen. Nachdem ſie ihm nun einigemal Gift beygebracht hatten,92Die Erbſchleicher.das aber nicht bey ihm geblieben war, ſo faßten ſie endlich den ſchrecklichen Anſchlag, ihm des Nachts, als er im tiefſten Schlafe lag, mit einer Holzaxt ---

Gerhard
(läßt vor Schrecken den Becher fal - len.)
Juſtine
(wirft das Buch auf die Erde und thut über Gerharden erſchrocken.)

Herr Gerhard! was machen Sie?

Gerhard
(ſchwach.)

Mein fataler Schwin - del! Salz!

Juſtine
(hält ihm ein Riechgläschen unter die Naſe.)

Ich will Ihnen auch gewiß nicht wieder vorleſen. Immer werden Sie unpaß oder ſchlaͤfrig.

Gerhard.

Sie muß Geduld mit mir haben. Es kann nicht ewig waͤhren.

Juſtine.

Pfuy! Wenn Ihre Braut ſolche Reden hoͤrte was wuͤrde ſie denken?

Gerhard.

Was ich von den ihrigen ge - dacht habe.

Sechster Auftritt.

Sternberg. Vorige.
Sternberg.

Ihr Diener, Herr Vetter!

93Die Erbſchleicher.
Gerhard.

Endlich! Ich dachte, er bliebe gar aus.

Sternberg.

Verzeihen Sie! Ich kenne Ih - re Ordnungsliebe, und habe nur auf die Rech - nungen gewartet, um meinen Bericht damit be - legen zu koͤnnen.

Gerhard.

Was fuͤr Rechnungen?

Sternberg.

Von den Brautgeſchenken.

Gerhard.

Wie?

Sternberg
(zieht Papiere aus der Taſche.)

No. 1. vom Kaufmann, betraͤgt 246 Rthlr. 16 Gr. No. 2. vom Juwelier, 197 Rthlr. No. 3. von der Modehaͤndlerinn 182 Rthlr. 7 Gr. 3 Pf. Be - lieben Sie!

(Reicht ihm die Papiere hin.)
Gerhard
(ihn ſtarr anſehend.)

Was ſoll ich damit?

Juſtine.

Den Beutel ziehen.

Gerhard.

Ich habe nichts ausgenommen.

Juſtine.

Ihre Braut hat Ihnen die Muͤhe erſpart.

Gerhard.

Sie gebe ſich auch die Muͤhe zu zahlen.

Sternberg.

Das Spaͤßchen machen Sie mit ihr ſelbſt aus! Hier liegen die Contos.

(Legt ſie auf den Tiſch.)

Ich ernpfehle mich.

(Will ab.)
94Die Erbſchleicher.
Gerhard.

Schon wieder fort?

Sternberg.

Es wartet ein Klient auf mich.

Gerhard
(empfindlich.)

Leerer Vorwand! Im - mer muß ich nachſtehen.

Sternberg.

Wir haben einen Termin ab - zuwarten.

Gerhard.

Ich will Ihm die Koſten ver - guͤten.

Sternberg
(ceremoniös.)

O, ſobald der Herr Vetter etwas zu befehlen haben

Gerhard.

Gehorſamer Diener! Nur zu bitten. Trag Er die ſchoͤnen Nechnungen ſtehendes Fußes wieder, wohin ſie gehoͤren, und ſag Er, ich ließe mich bedanken ---

Sternberg.

Bedanken? Bey wem? wo - fuͤr?

Gerhard.

Fuͤr die Ehre das Gluͤck das gute Zutrauen Mit Einem Worte, kleid Ers ſo weitſchweifig und zierlich und verbluͤmt ein, als eine Supplik!

Sternberg.

Ich verſtehe keine Sylbe, Herr Vetter.

Gerhard
(aufſtehend, hitzig.)

Verſteht Er kein Deutſch? Er ſoll mir von dem Maͤdchen helfen.

Sternberg.

Von Ihrer Braut?

95Die Erbſchleicher.
Gerhard.

Ja! hat Er ein Bret[t]vor der Stirne?

Sternberg
(die Achſeln zuckend.)

Herr Vetter ich bin Ihr bereitwilligſter Diener. Aber mit ſo kitzlichen Auftraͤgen verſchonen Sie mich!

Gerhard
([är]gerlich.)

Das ſah ich vorher. Wenn man Euch Advokaten nicht die Hand ver - ſilbert, ſo ---

(Greift in die Taſche.)

Wie viel verlangt Er fuͤr ſeine Muͤhe? praenumerando, wenns nicht anders iſt.

Sternberg

Meine Muͤhe koͤmmt nicht in Anſchlag. Aber meine Augen ſind mir un - ſchaͤzbar. Und ob ich ſie behielte, wenn Mam - ſell Anker ---

Gerhard.

Ach, die laͤßt ſie ihm. Sie iſt froh von einem alten Kerl loszukommen.

Juſtine.

Aber die Herrlichkeiten alle wieder herauszugeben!

Sternberg.

Juſtine trift das Fleckchen.

Gerhard.

Wie viel betraͤgt das Ganze?

Sternberg.

Summa Summarum etwann 625 Thaler und etliche Groſchen.

Gerhard.

Unerhoͤrt!

(Nach einer Pauſe.)

Was iſt zu thun? Und ſollt ichs vom Juden bor - gen! Sie mag den Plunder behalten.

96Die Erbſchleicher.
Sternberg
(der indeſſen mit Juſtinen heimlich ge - ſprochen hat.)

Das geht nicht.

Gerhard
(mit Verwunderung.)

Geht nicht?

Sternberg.

Die Geſchenke fallen dem Ehe - gerichte heim.

Gerhard
(ungeduldig.)

Wie koͤmmt denn das Ehegericht mit ins Spiel?

Sternberg.

Wird die Schwiegermutter die Aufſagung des Handels ſo gelaſſen hinnehmen? Eine Prozeßkraͤmerinn, wie Madam Anker! Ich daͤchte, Sie haͤtten es erfahren, Herr Vetter.

Gerhard
(verdrüßlich.)

Ach, die alte vergeſſe - ne Geſchichte!

Sternberg.

Das Gedaͤchtniß der Weiber iſt eiſern, wenn ſich Gelegenheit zur Rache zeigt.

Gerhard
(hitzig.)

Auch gut! Ich ſetze Haus und Hof daran.

Juſtine
(zieht Gerharden bey Seite, halblaut.)

Aber, Herr Gerhard iſt denn kein Mittel zur Guͤte?

Gerhard
(ſpöttiſch.)

Weiß Sie eines?

Juſtine.

Wenn Herr Sternberg in Ihre Verbindlichkeiten traͤte?

Gerhard
(ſie mit den Augen meſſend.)

Legt Sie mir da einen Fallſtrick?

Juſtine.
97Die Erbſchleicher.
Juſtine.

Was denken Sie?

Gerhard.

Ich denke, daß Sie ſelbſt ein Au - ge auf ihn hat.

Juſtine.

Ich? nein, ſo hoch trag ich die Naſe nicht.

Gerhard.

Es wird ſich zeigen.

(Sich ſchnell zu Sternbergen wendend.)

Vetter, will Er mir ei - nen rechten Freundſchaftsdienſt leiſten?

Sternberg
(lebhaft.)

Wenn ich kann!

Gerhard
(ihm vertraulich auf die Schulter klopfend.)

Nehm Er das Maͤdchen ſelbſt!

Sternberg.

Der Antrag iſt ſehr reizend. Aber wie oft hab ich nicht von Ihnen ſelbſt ge - hoͤrt, daß man bey dem heutigen Luxus die Thorheit zu heirathen nie zu ſpaͤt begehen kann!

Gerhard.

Nein, nein! Wer jung freyt, zieht ſeine Kinder groß.

Sternberg.

Sie wiſſen nicht, was Kinder koſten! Und Mamſell Anker und ich befinden uns leider in gleichem Falle. Null zu Null bleibt Null.

Gerhard
(ungeduldig.)

Will denn jetzt Alles nur nach Geld heirathen? Eine fette Praxis iſt die beſte Goldgrube. Er hat Brod genug fuͤr eine Frau.

G98Die Erbſchleicher.
Sternberg.

Brod allenfalls. Aber um ihr Flor und Band zu ſchaffen, koͤnnt ich mich zu Tode praktiziren.

Gerhard.

Er muß ihr den Hoffarthsteufel austreiben. Aber geſetzt auch, daß Er ja Zuſchuß braucht wofuͤr bin ich denn in der Welt, he?

Sternberg
(mit angenommenen Stolz.)

Herr Vetter ich bin ein naͤrriſcher Kautz ich kann unmoͤglich von fremder Gnade leben.

Gerhard
(aufgebracht.)

Bin ich Ihm fremd, he?

Sternberg.

Und wenn ich das Ungluͤck haͤt - te, Sie zu uͤberleben, waͤr ich nicht ſchlim - mer daran, als zuvor?

Gerhard
(haſtig.)

Wenn ich Ihn zum Er - ben einſetze?

Sternberg
(mit kurzer Verbeugung, kalt.)

Das muß ich depreziren.

Gerhard.

Depreziren? Das klingt poſſier - lich.

Sternberg
(mit verſtelltem Eifer.)

Ich bin Ih - nen keinen Grad naͤher, als viele Andere. Ei - nem Advokaten liegt Alles an einem unbeſcholte - nen Namen. Ich mag fuͤr keinen Erbſchleicher paſſiren.

99Die Erbſchleicher
Gerhard
(immer hitziger.)

Un[d]ich will mir nichts vorſchreiben laſſen. Mein Vermoͤgen iſt mein und Er ſolls haben!

Sternberg
(die Achſeln zuckend.)

Lieber Herr Vetter ---

Gerhard
(einfallend.)

Kein Wort mehr! oder ich vermachs d[er]K[i]rche.

Juſtine
(ſpöttiſch.)

O, ſchoͤn! Um ſich nach - ſagen zu laſſen, Sie haͤtten alte Suͤnden ab - zubuͤßen?

Sternberg
(ernſthaft.)

Nein, lieber zum Be - ſten des Publikums, als in die todte Hand. Wir haben noch Mangel an gemeinnuͤtzigen An - ſtalten. Stiften Sie ein Findelhaus!

Gerhard
(heſtig.)

Ich, den Ausſchweifun - gen Thuͤr und Angel oͤffnen? Ich, fremder Leute Baſterte ernaͤhren? Nein, ich habe mir nichts[vorzuwerfen]. Ich habe in meiner Jugend nicht gefreybeutet und gehauſt und geſauſt, wie Andere.

Juſtine
(indem ſie ſich an ihn ſchmiegt.)

Oder um das beſte aller guten Werke zu thun ſtatten Sie arme Maͤdchen aus!

Gerhard
(ſchnell.[)]

Die moͤgen ſich das Freyen vergehen laſſen! Haͤtten meine ſieben Schweſtern die Kautel befolgt, ſoG 2100Die Erbſchleicher.wuͤrd ich jetzt nicht von Hungerleidern uͤber - laufen.

Sternberg
(mit edler Hitze.)

Herr Vetter, hal - ten Sie mich auf, um Beleidigungen zu hoͤren?

Gerhard.

Er iſt auch verdammt empfind - lich. Das unſchuldigſte Wort zieht Er gleich auf ſich! Nein, das Zeugniß muß ich Ihm und ſeiner Mutter Felicitas geben: Ihr ſeyd nie dar - auf ausgegangen, mich zu nutzen. Sie war uͤberhaupt von ihren Schweſtern verſchieden, wie Tag und Nacht.

(Sich nach und nach ereifernd.)

Aber daß ſie mich erſt ihren Eheprozeß mit ſchweren Koſten bis zur Scheidung bringen ließ, und dann doch wieder dem Schuft vom Manne nachlief, der’s ihr endlich ---

Sternberg
(bittend.)

Herr Vetter

(Drückt Juſtinen verſtohlen die Hand; ſie trocknet ſich die Augen.)
Gerhard
(fortfahrend.)

Endlich noch mit Noth und Spott gelohnt hat nein, das kann ich ihr auch unter der Erde nicht vergeben.

Sternberg.

Sie haben mir ſo oft verſpro - chen, dieſe Saite nicht mehr zu beruͤhren.

Gerhard
(gutmüthig.)

Ja doch, ja. Warum muß man Ihm aber auch ſein Gluͤck aufnoͤthigen?

Sternberg.

Wohlan, Ihr Wille iſt der101Die Erbſchleicher.meinige. Aber wird mir Madam Anker glauben?

Gerhard.

Ich wills Ihm ſchriftlich geben. Komm Er mit auf meine Schreibſtube!

(Will ab.)
Sternberg
(zurückweichend.)

Ach, Herr Vet - ter

Gerhard.

Was giebts noch?

Sternberg.

Es koͤmmt mir ſo ſauer an als ob ich in die Bataille gehen ſollte.

Gerhard
(im Gehen.)

Bah! nur ein kleiner Scharmuͤtzel mit der Frau Mama. Und ein gu - ter Advokat fuͤr den will Er doch paſſiren? der muß Amts halber ein Maul am Kopfe ha - ben wie eine Batterie.

(Beyde ab.)

Siebenter Auftritt.

Juſtine, allein.
(Tief aufathmend.)

Sind wir wirklich ſo weit? Aber ehe wir Schwarz auf Weiß haben, wag ichs nicht mich zu freuen. Es hat mir ſo oft getraͤumt, daß ich einen Schaz faͤnde, und wenn ich die Hand ausſtreckte, ihn zu heben weg war der Schaz!

G 3102Die Erbſchleicher.

Achter Auftritt.

Benedikt. Juſtine.
Benedikt.

Mamſellchen, ich hab etwas fuͤr Sie.

(Zeigt einen Brief.)
Juſtine
(ſchnell.)

Aus Raſtdorf?

Benedikt.

Vom Herrn Ehren Bieder.

Juſtine
(reißt ihm den Brief weg)

Geb Er her, geſchwinde!

(Erbricht ihn und läßt den Um - ſchlag fallen.)
Benedikt
(vor ſich.)

Hu! Die Freude!

(Indem er den Umſchlag aufhebt und beguckt.)

Mit dem Brief - Commerſch iſts nicht richtig.

Juſtine
(bemerkt ſeine Pantomime.)

Was hat Er mir genommen?

Benedikt.

Den leeren Umſchlag.

Juſtine
(reißt ihm auch den Umſchlag weg, und fährt fort zu leſen.)
Benedikt.

Aber ſagen Sie mir doch, ob der Herr glaubt, daß er einen Taglöhner an mir hat? Ich kann alle Tage wieder Copiſt werden. Und ohne das bewußte Plaͤnchen, muͤßte mich der Henker plagen, wenn ich Sie hoͤrt und ſieht nicht! Ja, ja, die Schwarzroͤcke ſchoͤpfen immer das Fett von der Suppe.

(Ab.)
103Die Erbſchleicher.

Neunter Auftritt.

Juſtine, allein.
(Lieſt laut.)

Theuerſtes Juſtinchen! Ihr letzter Brief hat mich betruͤbt. Bey aller Ihrer Freundſchaft ſeh ich des Ausweichens und Aufſchie - bens kein Ende; und meine Umſtaͤnde machen es mir doch taͤglich mehr zur Pflicht, auf eine ent - ſcheidende Antwort zu dringen[.]Ich brauch eine Gehuͤlfinn fuͤr mein Hausweſen; meine Specu - lationen gelingen hie und da, aber ich komme doch zuruͤck. Eine Mutter fuͤr meine Kinder! ſo viel Muͤhe ich mir auch mit ihnen gebe, fangen ſie an zu verwildern. Klein, ſehr klein iſt frey - rich das Gluͤck, das ich Ihnen anzubieten habe; aber grenzenlos die Liebe und Dankbarkeit

Ihres Bieder.

(Küßt den Namen.)

Gute, treue Seele! Ich will ihm ohne Verzug antworten. Aber was? Kann ich ihm Entſcheidung geben, wo noch nichts entſchieden iſt? Ach, die Liebe iſt ein Kind; ein gutes Woͤrtchen und ſie ſchweigt wieder; und die Zeit geht hin.

(Ab ins Kabinet.)
G 4104Die Erbſchleicher.

Dritter Akt.

Erſter Auftritt.

Benedikt. Weinhold. Hernach Juſtine.
Benedikt
(rufend.)

Mamſell Juſtinchen! Mamſell Juſtinchen!

Juſtine
(innerhalb.)

Was giebts?

Benedikt.

Kommen Sie geſchwinde! Ein fremder Herr

Juſtine
(herauskommend.)

Mein Herr

(verneigt ſich. Benedikt geht ab.)

Zweiter Auftritt.

Weinhold. Juſtine.
Weinhold.

Man hat mir geſagt, Mam - ſell, Sie waͤren die Regentinn dieſes Hauſes.

Juſtine.

Regentinn uͤber Huͤner und Gaͤnſe und wen hab ich die Ehre zu ſehn?

105Die Erbſchleicher.
Weinhold.

Profeſſor Waſſermann heiß ich, und komme den Herrn Gerhard zu ſprechen.

Juſtine.

Herr Gerhard iſt eben in einem kleinen Geſchaͤfte begriffen. Wenn Sie ſich ein wenig gedulden koͤnnen

Weinhold.

Ich wuͤnſchte, ſein Geſchaͤfte waͤre nicht klein.

Juſtine.

Wie ſo, Herr Profeſſor?

Weinhold.

Um ſo laͤnger koͤnnt ich dann das Gluͤck genießen, mich mit ſeiner liebenswuͤr - digen Freundinn zu unterhalten.

Juſtine.

Ungemein galant! Ohnezweifel Profeſſor der ſchoͤnen Wiſſenſchaften?

Weinhold.

Ich bekenne mich zu keiner Wiſ - ſenſchaft. Ich habe den Schulſtaub der Fakultaͤ - ten von meinen Schuhen abgeſchuͤttelt, mich in die lichten Regionen myſtiſcher Weisheit aufge - ſchwungen, und dort die Tochter des Himmels umarmt.

Juſtine.

Und dieſe himmliſche Liebſchaft laͤßt Ihnen noch Augen fuͤr uns arme Erdentoͤchter?

Weinhold.

Die myſtiſche Weisheit, holdes Maͤdchen, verfeinert die Sinne, ohne ſie zu toͤd - ten; ſie giebt nur der Tendenz unſres Empfin - dungsvermoͤgens eine geiſtigere Richtung, undG 5106Die Erbſchleicher.ſtimmt die Saiten der Monade bey der leiſeſten Beruͤhrung zu exſtatiſchem Einklange.

Juſtine.

O, Herr Profeſſor, ſteigen Sie wieder von Ihrer Lichtſphaͤre zum niedrigen Dunſt - kreis meiner Einfalt herunter, oder ich verſtehe Sie kein Wort.

Weinhold.

Sie ſollen Sie werden mich verſtehen lernen, reizende Pſyche. Ich leſe in Ihren Augen die praͤſtabilirte Harmonie unſrer Geiſter, ich leſe darin Ihre Empfaͤnglichkeit fuͤr die Myſterien, in die ich Sie einweihen will. O, weibliche Schuͤlerinnen ſind mir immer die willkommenſten. Erſt dieſe Nacht habe ich eine Proſelytinn gemacht.

Juſtine
(vor ſich.)

Hat der Menſch getrun - ken, oder ?

Weinhold.

Denken Sie ſich die Goͤttinn der Jugend in Geſtalt einer Wittwe, die ſich die Kriegsraͤthinn Windſtill nennt, und mit der mich mein gutes Geſtirn auf der vorletzten Station zu - ſammen brachte! Denken Sie ſich die brennende Atmoſphaͤre einer beweglichen Huͤtte ſonſt Di - ligence genannt) in der zwey gleichgeſchaffne Weſen den Aushauch ihrer Empfindungen wonnig - lich einathmen! das Zauberlicht des ſympatheti -107Die Erbſchleicher.ſchen Mondes rund umher auf der ſchlummernden Natur verbreitet! die ſanfte Nervenerſchuͤtterung der leicht fortrollenden Räder! Unwiderſtehlich neigten ſich unſre Liebescentra gegen einander Die Augen ſchwammen die Beſinnung verlor ſich in Allentzuͤcken und kathegoriſch ſchwebte der ewige Theilungstraktat unſrer Seelen auf un - ſern Lippen

(hat ſich ſo dicht an ſie gedrängt und ſo nahe hingebeugt, daß er ſie eben küſſen will.)
Juſtine
(ſchreyend.)

Herr Profeſſor!

(Stößt ihn zurück, daß er auf einen Seſſel taumelt.)

Erlau - ben Sie, daß ich ſehe, wo Herr Gerhard bleibt.

(Schnell ab nach Gerhards Schreibſtube.)

Dritter Auftritt.

Weinhold (allein.)
(Im Seſſel.)

Ein herrliches Maͤdchen! und eben ſo pfiffig, als huͤbſch! Daß ich das Ding nicht eher gewußt habe! Daß ich nicht allein auf den Fiſchfang ausgegangen bin! Des alten Vetters Goldfiſche, und dieß Weißfiſchchen beyher das waͤr ein Zug! Der koͤnnt einem braven Soldaten auf die Beine helfen!

(Springt108Die Erbſchleicher.auf.)

Muß mich auch der Satan zur Muhme Ungewitter fuͤhren! Ey was? Ich wend ihr um; ich ſchicke ſie mit guter Art wieder heim. Und dann, Juſtinchen, wollen wir Beide ſchon

(Hört kommen)

St!

Vierter Auftritt.

Gerhard. Juſtine. Weinhold.
Gerhard
(im Eintreten.)

Sie darf uns aber nicht allein laſſen.

Juſtine.

Bedenken Sie, daß ich eine Waͤſche im Hauſe habe!

(Will ab.)
Gerhard
(ruſt.)

Juſtine!

Juſtine.

Herr Gerhard!

Gerhard
(leiſe.)

Benedikt ſoll bey der Hand bleiben. Man weiß nicht, was der Menſch im Schilde fuͤhrt.

Juſtine.

Myſtiſche Weisheit.

(Ab.)
109Die Erbſchleicher.

Fuͤnfter Auftritt.

Gerhard. Weinhold.
Weinhold
(der indeſſen Gerharden von weitem be - trachtet, nähert ſich ihm.)

Ich erſtaune. Sie ſind Herr Gerhard, Sie?

Gerhard
(zurück weichend.)

So viel ich weiß.

Weinhold.

Aber man hat Sie mir als ei - nen Sechziger beſchrieben, und Sie haben noch nicht vierzig uͤberſchritten.

Gerhard.

Doch.

Weinhold.

Ey, Sie haben ein gluͤckliches Lineamentenkonzert, eine eiſerne Natur, ein uner - ſchoͤpfliches Temperament. Sie koͤnnen Methuſa - lems Ziel erreichen.

Gerhard
(heitert ſich auf und geht vor.)

Ach, die Gerharde werden nicht alt[.]Mein Vater ſtarb in ſeinen beſten Jahren. Die boͤſen zwey ſieben!

Weinhold.

Aber er hatte eine Frau?

Gerhard.

Wenn ich ſein Sohn bin!

Weinhold.

Und Sie ſind noch ledig?

Gerhard.

Vielleicht waͤr ich gluͤcklicher, wenn ich mich veraͤndert haͤtte.

110Die Erbſchleicher.
Weinhold.

Ihre Schweſter Meluſine hat tauſendmal das Gegentheil bereut.

Gerhard
(auffahrend.)

Meluſine? Der ge - ſchah Recht. Manntollheit wars von ihr, mit einem Kerl, wie der Pflegſchreiber Weinhold ---

Weinhold
(ihm ſanft auf die Achſel klopfend.)

Sachte, ſachte! Es war mein Herr Papa.

Gerhard
(erſtaunt.)

Was? iſt Er der Junge, mit dem ſie vier Monate nach der Hochzeit ---

Weinhold
(trocken einfallend.)

Ja, Herr Vet - ter! Das fruͤhreife Genie bin ich.

Gerhard.

Aber Juſtine nannte mir ja einen ganz andern Namen.

Weinhold.

Mein Reiſename, um die Neu - gierigen irre zu fuͤhren.

Gerhard.

Und Profeſſor iſt Er?

Weinhold.

Mein Reiſetitel; um der Thor - ſchreiber willen, die niemals glauben wollen, daß man nichts iſt.

Gerhard
(den Kopf ſchüttelnd.)

Sonderbar! Wie iſt ſein Vorname?

Weinhold.

Emmerich Sylveſter.

Gerhard.

Alt?

Weinhold.

Vier und zwanzig.

Gerhard.

Was ſagt denn mein Stammbaum?

111Die Erbſchleicher.
(Entfaltet eine Pergamentrolle, ſe[tz]t die Brille auf, und ſucht mit dem Finger.)

Richtig! Da ſteht Er! Em - merich Sylveſter, natus anno Chriſti 1764.

Weinhold.

Ihr Stammbaum ſieht ja aus, wie ein Kirchhof. Iſt die Familie ſo zuſammen - geſtorben?

Gerhard
(bedeutend.)

Fuͤr mich.

Weinhold.

Wie?

Gerhard.

Wen ich kenne, dem ſetz ich ein Kreuz.

Weinhold.

So ſetzen Sie mir auch eins!

Gerhard.

Warum Ihm?

Weinhold.

Weil wir uns nun kennen.

Gerhard.

O, das iſt nicht die Meynung.

Weinhold.

Jeder Menſch hat ſeine Spra - che, und mir fehlt die Muße, die Ihrige zu ſtudieren.

Gerhard
(kalthöflich.)

Will Er ſchon wieder fort?

Weinhold.

Ich bin auf der Reiſe.

Gerhard.

Ah! einen Reiſenden darf man nicht aufhalten.

Weinhold
(vor ſich.)

Nun bin ich abgefertigt.

Gerhard
(vor ſich.)

Nun wirds aufs Viati - kum losgehen.

112Die Erbſchleicher.
Weinhold
(vor ſich.)

Ich muß noch einmal anruͤcken.

Gerhard
(vor ſich.)

Er beſinnt ſich, wie ers vorbringen ſoll.

Weinhold
(laut.)

Ich hab einen Umweg von zehn Meilen gemacht, um den Herrn Vetter zu beſuchen.

Gerhard
(kurz.)

Gehorſamer Diener! Das war der Muͤhe nicht werth.

Weinhold.

Man reiſt wohl noch weiter um ein Kameel zu ſehen.

Gerhard.

Mir koͤnnen die Affen und Baͤren in die Stube kommen; ich ſehe mich nicht um.

(Wendet ihm den Rücken zu.)
Weinhold
(legt ihm die Hand auf die Schulter, mit ſchwärmeriſcher Herzlichkeit.)

Und doch fuͤhl ich einen unnennbaren Hang zu Ihnen! Und doch komm ich an Ihrem hundertſten Geburtstag wieder!

(Wendet ſich ſchnell und geht.)
Gerhard
(vor ſich.)

Ein beſonderer Geſelle!

(Ihm nachrufend.)

Wart Er doch!

Weinhold
(an der Thür.)

An Ihrem hundert - ſten Geburtstag ein mehreres!

Gerhard
(geht ihm nach, faßt ihn beym Knopfe.)

Ernſthaft! Ernſthaft! Wer iſt Er eigentlich ſeines Handwerks?

Weinhold
113Die Erbſchleicher.
Weinhold
(trocken.)

Ich fuͤhre Baͤren und Affen!

Gerhard.

[Nein], Er muß meinen Jahren ein wenig Unfreundlichkeit zu Gute halten. Er muß meine unſchuldige Neugierde befriedigen.

Weinhold.

Koͤnnen Sie ſchweigen?

Gerhard.

Wie ein Freymaͤurer, ob ich gleich ferne von der Sekte bin.

Weinhold
(führt ihn geheimnißvoll wieder vor.)

Ich bin ein Sohn des Lichts ich bin der Her - metiſchen einer.

Gerhard
(verächtlich.)

Ein Goldmacher et - wann, der andrer Leute Gold in ſeinen Beutel hext?

Weinhold.

Gott verzeih Ihnen den Ver - dacht!

(Mit zunehmender Begeiſterung in Miene und Geberden, aber mit dumpfer, leiſer Stimme.)

Ich la - borire nicht ich wirke. Mein Ziel iſt koͤſtli - cher, als alle Metalle und Edelſteine der Welt. Mein Studium iſt die Vervollkommung der menſchlichen Natur, die Wiederbringung ihrer verlorenen Urkraft, die Ausdehnung und Befeſti - gung ihrer Dauer.

Gerhard
(tief ſeufzend.)

Ach, du liebe Zeit! Er wirds auch nicht weiter bringen, als Andere.

H114Die Erbſchleicher.
Weinhold.

Haben Sie nie vom beruͤhmten Saint-Germain gehoͤrt, den es, nach einer Pil - grimſchaft von fuͤnf Jahrhunderten, geluͤſtete, ei - nen andern Planeten zu bereiſen?

Gerhard
(ihn anſtaunend.)

Was? Ein Menſch im neuen Teſtamente, der fuͤnf hundert Jahre gelebt hat?

Weinhold.

Und gebluͤht, wie eine Roſe. Ich war ſo gluͤcklich, ihn von Angeſicht zu ſe - hen. Er druͤckte mich an ſeinen Buſen, ſchloß mir die Tiefen ſeiner Kenntniſſe auf ließ mir dem unwuͤrdigſten ſeiner Juͤnger mir ſein Menſchen begluͤckendes Arcanum.

Gerhard
(äußerſt geſpannt.)

Und dieſes Ar - canum?

Weinhold
(legt den Finger auf den Mund.)

So fragt man Kinder aus.

Gerhard.

O, laß Er doch ein Wort mit ſich reden, Vetter! Aber vor allen Dingen ſetz Er ſich! Ich bekomme den Krampf vor Erſtau - nen und Ungeduld.

(Setzt ſich in ſeinen Seſſel; Wein - hold neben ihm.)

Vielleicht koͤnnen wir einen Tauſch treffen. Ich hab auch bewaͤhrte Specifica.

Weinhold
(verächtlich.)

Von Zahnaͤrzten oder alten Bademuͤttern?

(Lauter und ſchnell.)

Mein115Die Erbſchleicher.Arcanum iſt auf dieſem ſublunariſchen Himmels - koͤrper das Einzige. Es reinigt die animaliſche Maſſe von allen zur Zerſtoͤrung qualificirten Theil - chen, elektriſirt das ſtockende Blut, diſtillirt den verſchleimten Nervenſaft, pumpt die mephitiſche Luft aus den Lungen, und traͤnkt die aͤlternden Lebensgeiſter mit dem Nektar ewiger Jugend.

Gerhard
(verſteinert.)

Das iſt unbegreiflich.

Weinhold.

Die Sprache aller Profanen! Mir Erleuchteten iſt die Untruͤglichkeit dieſes Pro - zeſſes ſo tief eingepraͤgt, daß, wenn Sie mir ver - ſprechen, mir in eben der Sekunde drey mal drey und einen Drittel Tropfen von dieſer Eſſenz

(ein kleines Arzneyglas hervorziehend)

einzu - floͤßen, ſo erlaub ich Ihnen

(zieht unvermerkt ein großes Meſſer aus der andern Taſche)

mir mit dieſem Meſſer die Kehle ---

Gerhard
(erſchrocken, hält ihm mit einer Hand den Arm, mit der andern ſte[mm]t er ſeinen Krückenſtock entgegen und ruft.)

Juſtine! Benedikt!

Weinhold
(gelaßen.)

Was iſt Ihnen?

(Steckt das Meſſer wieder ein.)
H 2116Die Erbſchleicher.

Sechster Auftritt.

Benedikt. Vorige.
Benedikt
(eilig.)

Herr Gerhard!

Gerhard
(ſich faſſend.)

Es iſt gut.

(Winkt ihm zu gehen.)
Benedikt
(vor ſich.)

Der Herr hat heute ſei - nen Raps.

(Ab.)

Siebenter Auftritt.

Gerhard. Weinhold.
Weinhold
(aufſtehend.)

Laſſen Sie ſich nicht ſtoͤren! Ich muß fort.

Gerhard
(ihn beym Rocke haltend.)

Unmaßgeb - lich wie viel koſtet denn das Glaͤschen?

Weinhold.

Ich bin kein Empiricus. Ich nehme kein Geld.

Gerhard.

Aber umſonſt kann ich doch nicht verlangen ---

Weinhold
(ſetzt das Gläschen auf den Tiſch.)

Es ſteht zu Dienſten. Aber Ihnen wirds nicht helfen.

117Die Erbſchleicher.
Gerhard.

Wie?

Weinhold.

Kanns nicht helfen.

Gerhard.

Warum nicht?

Weinhold.

Mein Mittel ſetzt Glauben vor - aus. Und Sie ſcheinen ein moderner Freygeiſt zu ſeyn.

Gerhard
(aufſtehend.)

Gott bewahre! ich laſ - ſe mir weder Teufel noch Hoͤlle nehmen.

Weinhold.

Und dann haͤng ich damit zu - ſammen, wie die Kette mit der elektriſchen Ma - ſchine. Mein Auge, mein Athem, mein Ge - fuͤhl muß ſich dem Patienten mittheilen. Ich muß ---

Gerhard
(dringend einfallend.)

Ach, allerlieb - ſter Herr Vetter! wenn Sie ſichs doch in meinem Hauſe gefallen ließen!

Weinhold.

Ein Potentat des Orients ruft mich von hinnen.

Gerhard.

Und ein alter Blutsfreund bittet Sie zu bleiben.

(Mit Nachdruck.)

Ich will er - kenntlich ſeyn.

Weinhold.

Zeitliche Vortheile ſind in mei - nen Augen Seifenblaſen. Ich bliebe, wenn ich duͤrfte.

Gerhard.

O, uͤberlegen Sie doch nur

H 3118Die Erbſchleicher.
Weinhold.

Ich thue nichts ohne den Geiſt meines Meiſters.

Gerhard.

Wie?

Weinhold
(in Verzückung.)

Still!

Gerhard
(zitternd.)

Was?

Weinhold.

Keinen Laut!

Gerhard
(vor ſich.)

O weh!

(Will davon ſchleichen.)
Weinhold
(ergreift ihn.)

Ich will den Geiſt fragen

Gerhard
(ängſtlich.)

In meinem Beyſeyn?

Weinhold.

In einer Stunde bring ich Ih - nen Antwort. Ich bitt um Ihren Namen.

Gerhard.

Euſebius Gerhard.

Weinhold.

Zeichnen Sie mir ihn auf!

Gerhard.

Wozu?

Weinhold.

Aber auf ein jungfraͤuliches Blatt, auf ein Blatt, das noch kein Kiel ent - weiht hat. An heiligen Kerzen opfr ichs dem Geiſte, und ſchlucke die Aſche.

119Die Erbſchleicher.

Achter Auftritt.

Juſtine. Vorige.
Juſtine
(eilig eintretend.)

Beſuch uͤber Be - ſuch! Eine ---

Gerhard
(ihr entgegen.)

Ach, Juſtine! wel - che Freude! Das iſt mein Herr Vetter Weinhold, ein Mann ---

Weinhold
(zieht ihn bey Seite.)

Silentium!

Juſtine
(vor ſich.)

Ein Herr Vetter!

(Laut.)

Herr Gerhard eine fremde, ſchwarze, ſchwarze Madam, die ſich Niemanden entdecken will, als Ihnen ---

Gerhard
(einfallend.)

Eine Bettelprinzeſſinn ohne Zweifel? Ich habe keine Zeit. Ich bin nicht zu Hauſe.

Juſtine.

Sie laͤßt ſich nicht abweiſen.

Gerhard.

Sie mag warten.

Juſtine.

Sie ſcheint Eile zu haben.

(Ab.)
H 4120Die Erbſchleicher.

Neunter Auftritt.

Gerhard. Weinhold.
Gerhard.

Kommen Sie Vetterchen! Auf meiner Schreibſtube will ich Ihnen das Ver - langte ausfertigen.

(Schlingt den Arm um ihn, im Abgehen.)

O, mein lieber, beſter, Unvergleichli - cher ---

Weinhold
(mit Eifer, einfallend.)

Keine Kom - plimente! Oder Sie jagen mich zum Hauſe hinaus!

(Beide ab, Gerhard voran.)

Zehnter Auftritt.

Wittwe Ungewitter, Juſtine, kommen durch die Mittelthuͤr.
W. Ungew.
(im Eintreten.)

Juſtine heißen Sie? Ein ſchoͤner Name. Ein Name, den der Namenkenner, Shandy, gewiß unter die gluͤck - lichſten gezaͤhlt haͤtte.

Juſtine.

Madam ſcheinen eben ſo beleſen zu ſeyn, als ich unwiſſend bin.

121Die Erbſchleicher.
W. Ungew.

Leſen ja Leſen iſt mei - ne Schoosſuͤnde. Ach, es war die einzige Schwachheit, die mir der beſte der Gatten vor - zuwerfen hatte. Auf nichts war er eiferſuͤchtig, der Ewigbeweinte, auf nichts, als auf meine Buͤcher.

Juſtine.

Ihr Schmerz und Ihre Kleidung ſagen mir, daß Ihr Verluſt noch neu iſt.

W. Ungew.

Bald kuͤhlt der Schnee zum achtenmal ſein Grab.

Juſtine.

Und noch im Wittwenſchleyer?

W. Ungew.

Duͤrft ich im Sterbekleide ge - hen!

Juſtine.

Ein fuͤrchterlicher Wunſch! Aber Sie werden ſich ſchon wieder bekraͤnzen.

W. Ungew.

In Elyſium.

Juſtine.

Unverhoft koͤmmt oft.

W. Ungew.

Sie beurtheilen mich nach un - ſerm Geſchlechte. Aber wiſſen Sie, Kind, daß mir nichts mehr von ihm uͤbrig iſt, als die Tracht! Ich habe mich umgeſchaffen.

Juſtine.

Doch nicht zur Maͤnnerfeindinn?

W. Ungew.

Ja und nein!

Juſtine.

Das iſt mir zu ſpitzfindig.

W. Ungew.

Sie wuͤrden es begreifen, Kind,H 5122Die Erbſchleicher.wenn Sie wuͤßten, welch ein Unterſchied zwiſchen Mann und Mann iſt; wenn Sie eine der Rie - ſenſeelen kennten, an die ſich die unſrige an - ſchmiegt, wie der Epheu an die Ulme.

Juſtine.

Mir hat meine Großmutter die Leh - re gegeben: ſchmiege dich weder an Rieſen, noch an Zwerge!

W. Ungew.

O, Kind, laſſen Sie die ſinn - lichen Nebenbegriffe weg! Ich ſpreche von Maͤn - nern, die ganz Geiſt ſind, von Maͤnnern, wie mir das Schickſal einen zum Begleiter ---

Juſtine
(haſtig einfallend.)

Sind Sie vielleicht die Frau Kriegsraͤthinn Windſtill?

W. Ungew.
(verwundert.)

Wie, Kind? Wo - her haben Sie dieſen Namen?

Juſtine
(ſich umſehend.)

Herr Gerhard koͤmmt.

Eilfter Auftritt.

Gerhard. Vorige.
W. Ungew.
eilt ihm mit offenen Armen entge - gen.)

Bin ich vor meinem Ende noch ſo gluͤcklich, liebſter, theuerſter Herr Vetter

(lehnt ſich in der Umarmung auf ſeine Schulter.)
123Die Erbſchleicher.
Juſtine. Gerhard.
(vor ſich.)

Was iſt das? Wer ſind Sie?

(Aengſtlich)

Ei - nen Stuhl! ſie erdruͤckt mich

Juſtine
(führt ſie zum Stuhl.)

Arme Madam!

W. Ungew.
(in den Stuhl ſinkend.)

Ich er - liege der Freude ach, meine Nerven! meine elenden Nerven!

Juſtine.

Daruͤber klagen jetzt alle ſchoͤne Weiber.

W. Ungew.

Schmeichle mir nicht, Kind! Sie war die Zeit, wo ich die ſchoͤne Lukre - zia hieß der Herr Vetter werden ſich deſſen noch erinnern Sie haben mich ſo groß ge - kannt Ihrer Schweſter Abigail ſchoͤnes Lu - kerchen jetzt die troſtloſe Wittwe Ungewitter.

Gerhard.

Iſts moͤglich? Sind Sie ---

W. Ungew.
(ſpringt haſtig auf.)

O, Himmel! Sie ſtehen, und ich

Gerhard
(erſchrocken.)

Behalten Sie Platz, Frau Muhme! Ich ſitze ſchon.

(Setzt ſich in ſeinen Seſſel.)
Juſtine
(vor ſich.)

Ein Vetter! eine Muh - me! ſo aus den Wolken gefallen!

Gerhard.

Aber wie kommen Sie denn ſo unvermuthet auf den Einfall

124Die Erbſchleicher.
W. Ungew.

Unvermuthet? Von jeher war es mein heißeſter Wunſch. In mehr als hundert Briefen bat ich um Erlaubniß

(Argwöhniſch.)

Sollten der Herr Vetter nicht Einen erhalten haben?

Gerhard.

Kann wohl ſeyn. Ich leſe keine Briefe mehr.

W. Ungew.

Vielleicht Augenſchwaͤche?

Gerhard.

Nein, ich brauche Gottlob! keine Brille. Aber die Wahrheit zu ſagen, des Bit - tens und Bettelns von meinen Verwandten war kein Ende.

W. Ungew.

Gute Menſchen werden gemiß - braucht. Nein, bey mir wars heilig beſchloſſen: lieber mich und meine dreyzehn Kinder in die Ar - me der oͤffentlichen Milde geworfen, als dem Herrn Vetter zur Laſt gefallen. Der Himmel hat geholfen! ſie ſind alle verſorgt.

Gerhard
(auflebend.)

Ey, das freut mich. Und auf was Art?

W. Ungew.

Neune nahm er wieder zu ſich. Die drey aͤlteren haben ſich dem Wehrſtande ge - widmet; und auch das geborne Vaterwais - chen, mein Spaͤtling Benjamin, iſt ſchon der Hel - den-Pflanzſchule einverleibt; aber zart gebaut,125Die Erbſchleicher.wie ſeine Mutter verſucht ers vor der Hand mit der Trommel.

Juſtine.

Sie ſind eine gluͤckliche Mutter!

W. Ungew.

O, mein Kind, ich bitte um einen Trunk Waſſer.

Juſtine.

Befehlen Sie Kaffee, Madam?

W. Ungew.

Da muͤßten Sie mich be - graben.

Juſtine.

Schokolade? Gluͤhwein?

W. Ungew.

Nichts auf der Welt, als Waſſer.

Gerhard.

Waſſer in nuͤchternen Ma - gen! Es iſt gleich Mittag. Sie werden doch einen Loͤffel Suppe bey mir annehmen? Haus - mannskoſt!

W. Ungew.

Wenn der Herr Vetter befeh - len aber ich waͤre untroͤſtlich, Ihnen eine Ueberlaſt ---

Gerhard.

Gehorſamer Diener!

W. Ungew.
(zu Juſtinen.)

In dem Falle, Kind, mag mein Durſt ſich gedulden. Thun Sie um meiner Exiſtenz willen keinen Schritt!

Juſtine.

Ich will nur die Exiſtenz der Sup - pe beſchleunigen.

(Ab.)
126Die Erbſchleicher.

Zwoͤlfter Auftritt.

Gerhard. Wittwe Ungewitter.
W. Ungew.

Eine treue Haushaͤlterinn iſt ein rarer Vogel. Die meiſten denken nur auf ihren eignen kuͤnftigen Haushalt. Wo haben der Herr Vetter dieſes Kleinod gefunden?

Gerhard.

Vetter Sternberg hat ſie mir empfohlen.

W. Ungew.

Vetter Sternberg? O, ich kenne ihn ob ich ihn gleich nicht kenne. Er ſorgt fuͤr den Herrn Vetter, wie ein Sohn.

Gerhard.

Ja, dienſtfertig iſt er.

W. Ungew.

Er lebt mit Ihnen. Uns An - dern iſt dieſes Gluͤck verſagt. Aber fern oder na - he liebt und ehrt die ganze Familie den Herrn Vetter, als ihr Oberhaupt und ihren Stolz.

Gerhard.

Gehorſamer Diener!

W. Ungew.

Urtheilen Sie alſo von der toͤdtlichen Beſtuͤrzung, die unlaͤngſt gewiſſe Briefe ---

Gerhard
(einfallend.)

Man hat Ihnen ge - wiß meinen letzten Zufall gemeldet?

W. Ungew.
(dringend.)

Was fuͤr einen Zufall?

127Die Erbſchleicher.
Gerhard
(kalt.)

Es iſt eben ſo gut, wenn Sie’s nicht wiſſen.

W. Ungew.

Leider iſt Ihre Geſundheit fuͤr die Familie ein Staatsgeheimniß. Der unge - nannte Correſpondent hat es nur mit Ihrem ſitt - lichen Verhalten zu thun.

Gerhard
(heftig)

Wie? Was? Wer hat ſich um mein Thun und Laſſen zu bekuͤmmern? Was hat er ausgeſprengt, der Spion, der Luͤg - ner?

W. Ungew.

O, Herr Vetter! aͤrgern m[]ſ - ſen Sie ſich nicht. Vor Verlaͤumdung iſt nie - mand ſicher.

Gerhard.

Aber ſo ſagen Sie doch!

W. Ungew.

Herr Vetter, wie koͤnnen Sie mir zumuthen

Gerhard
(immer hitziger.)

Heraus damit! Ich wills wiſſen.

W. Ungew.
(ſteht auf.)

Mit Erlaubniß! Ich ſpuͤre eine Zugluft, die Ihnen

(Viſitirt alle Thüren, und ſetzt ſich wieder, indem ſie vor ſich ſagt.)

Jetzt ſind wir ſicher.

(Laut.)

Wohlan, Ihr Be - fehl uͤberwiegt meinen Abſcheu.

(Rückt näher.)

Das erſte Laſter, das man Ihnen aufbuͤrdet ---

Gerhard.

Laſter?

128Die Erbſchleicher.
W. Ungew.

Nennen Sie’s Schwachheit boͤſe Gewohnheit! Zur Zeit des Fauſtrechts wars eine Rittertugend der Trunk.

Gerhard.

Der Trunk?

(Holt eine Flaſche Tiſane.)

Da! koſten Sie, was ich trinke.

W. Ungew.
(mit Ekel.)

O, ich glaube dem Geruche

(Nimmt ihm die Flaſche ab und ſetzt ſie wieder auf den Tiſch.)

Ich bin uͤberzeugt, daß Sie eben ſo wenig ſpielen.

(Obgleich Wittwe Ungewitter, ſeit dem Viſiti - ren der Thüren, in Ton und Miene mehr Dreiſtigkeit und Munterkeit zeigt, ſo vergißt ſie doch nicht, ſich fleißig umzuſehen, und rückt Gerharden immer unvermerkt näher.)
Gerhard.

Spielen? Und ich kenne we - der Karten noch Wuͤrfel.

W. Ungew.

Und eher wollt ich mich uͤber - reden, daß der Satan den Tempel beſucht, als daß Sie ſich in oͤffentlichen Haͤuſern her - um treiben.

Gerhard.

In oͤffentlichen Haͤuſern? Und ich ſitze innen, wie ein Kautz. Fragen Sie Ju - ſtinen, wie ich lebe!

W. Ungew.
(heuchleriſch.)

Ach, die arme Juſtine!

Gerhard.
129Die Erbſchleicher.
Gerhard.

Warum?

W. Ungew.

Auch ihr laͤßt man keinen Schatten Ehre.

Gerhard.

Was kann man Juſtinen

W. Ungew.

Man wirft ſie unter die nie - drigſte Klaſſe von ihres Gleichen.

Gerhard.

Wie?

W. Ungew.
(ihm ins Ohr, aber laut genug.)

Kinder ließe ſie heimlich erziehen von Ih - nen.

Gerhard.

Von mir? Kinder von mir? O, das uͤberſteigt allen Glauben.

W. Ungew.

Uns Verwandten haͤtte ſie aus Ihrem Herzen verdraͤngt.

Gerhard.

Und ſie iſt die Fuͤrſprecherinn der ganzen Familie!

W. Ungew.

Hundert ſtuͤnde gegen Eins zu wetten, Sie wuͤrden jene Ausſchoͤßlinge dem ed - len Stamme der Gerharde einimpfen ---

Gerhard.

Einimpfen? Das verſteh ich gar nicht.

W. Ungew.

Sie wuͤrden ſich Ihre Ihre Juſtine antrauen laſſen in articulo mortis.

Gerhard.

Wie war das?

W. Ungew.

Ein juriſtiſcher Ausdruck; ſollJ130Die Erbſchleicher.glaub ich, ſo viel heißen, als: auf dem Todbette. Der Briefſteller muß ein Studierter ſeyn.

Gerhard.

O, ich errathe den Pasquillan - ten, ich kenn ihn. Morgen des Tags belang ich ihn Injuriarum. Her mit dem Briefe!

W. Ungew.

Hoͤren Sie erſt Alles!

Gerhard.

Noch mehr?

W. Ungew.
(mit ſteigender Geſchwindigkeit.)

Bey dieſem aͤrgerlichen Wandel, bey dieſer taͤglich zu - nehmenden Verfinſterung Ihres Verſtandes, blei - be der Ehre und Wohlfahrt der Familie nichts uͤbrig wie denn auch alles ſchon gehoͤrigen Orts eingeleitet ſey als den Herrn Vetter fuͤr einen Verſchwender, fuͤr einen Bloͤdſinnigen zu erklaͤren ---

Gerhard
(mit zunehmender Bangigkeit.)

Mich?

W. Ungew.

Ihnen einen geſchickten und erfahrnen Advokaten zum Curator bonorum zu beſtellen ---

Gerhard.

Mir einen Curator?

W. Ungew.

Sie ſelbſt aber, zur Verhuͤ - tung verdruͤßlicher Folgen, in ſichere Ver - wahrung bringen zu laſſen.

Gerhard
(außer ſich, ſpringt auf.)

Mich? 131Die Erbſchleicher.mich? Ach, ich armer Mann! ich ungluͤcklicher Mann! Wie komm ich der Verſchwoͤrung zuvor? Ich will zum Praͤſidenten, ich will ihm einen Fußfall thun, ich will ---

W Ungew.
(ſteht auch auf.)

Ums Himmels - willen kein Aufſehen! gehn Sie ſo behutſam, als moͤglich, zu Werke! Wer ſolche Entwuͤrfe ſpinnen konnte, wagt das Aeußerſte, ſie durchzuſetzen.

Gerhard.

Das iſt kein andrer Menſch, als Sternberg!

W. Ungew.
(heuchleriſch.)

Wie? eben der Sternberg, deſſen Dienſteifer Sie vor einem Au - genblick ruͤhmten? Herr Vetter! iſt es auch nicht alte Empfindlichkeit, die Ihnen dieſen Ver - dacht eingiebt? Ich weiß, daß ſein Vater wei - land ſich auf die boshafteſte Art an Ihnen ver - gangen hat. Aber der Sohn unmoͤglich! Man pflegt zu ſagen: Narren und Verliebte tuͤcken Niemanden. Und Vetter Sternberg ſoll verliebt ſeyn.

Gerhard.

Verliebt?

W. Ungew.
(ſchnell.)

Er heirathet ja.

Gerhard
(vor ſich.)

Die Plaudertaſche Juſti - ne!

(Laut.)

Ja, es iſt ſo etwas im Werke ein neuer Beweis ſeiner intereſſirten Abſichten[.]

J 2132Die Erbſchleicher.
W. Ungew.

Man hat mich des Gegentheils verſichert. Sein Maͤdchen waͤre die Tochter ei - ner armen Lieutenantswittwe, Namens Anker?

Gerhard
(ungeduldig.)

Ach, Sie wiſſen die Sache weder halb noch ganz es haͤngt ſo wunderlich zuſammen! Ich ſelbſt ich hat - te mich mit der Naͤrrinn eingelaſſen ich wuß - te nicht von ihr loszukommen ich trug ſie ihm an ich warf ein Wort von Vermaͤchtniß hin und ſo ließ er ſich erbitten, ſie mir ab - zunehmen.

W. Ungew.
(mit Hohngelächter.)

Abzunehmen? Ließ ſich erbitten? Hahaha! Er iſt ſchon Jahr und Tag mit ihr verſprochen.

Gerhard
(verſteinert.)

Was?

W. Ungew.

Und mit Ihnen wollt er ſie verkuppeln, um Wittwe und Erbſchaft zugleich zu ſchmauſen.

Gerhard
(ſinkt auf den Stuhl.)

Ach, das iſt zuviel. Das halt ich nicht aus.

W. Ungew.
(ihn unterſtützend.)

Herr Vetter! Was iſt Ihnen?

Gerhard.

Laſſen Sie mich!

(Stützt ſich auf den Tiſch, und bedeckt ſein Geſicht.)
133Die Erbſchleicher.

Dreyzehnter Auftritt.

Sternberg. Madam Anker. Thereſe. Vorige.
Sternberg
(im Eintreten, freudig.)

Hier bin ich, Herr Vetter, und meine Braut, meine Schwiegermutter, wir kommen alle, Ihnen ---

Thereſe
(im Eintreten.)

Iſts wahr, Papachen, daß Sie mich verſchenkt haben?

Mad Anker
(im Eintreten.)

Ey, Herr Papa, was ſind Sie fuͤr ein Flattergeiſt!

W. Ungew.
(zieht ſich auf Gerhards rechte Hand. Stumme Begrüßung zwiſchen ihr und den Eintretenden.)
Sternberg
(nähert ſich Gerharden und ſtutzt über ſeine Stellung.)

Herr Vetter!

Mad. Anker und Thereſe
(gleichfalls erſtaunt.)

Was iſt das?

Sternberg.

Sind Sie unpaß, Herr Vet - ter? oder die Ankunft und Kleidung dieſer frem - den Dame, hat ſie irgend eine Trauerpoſt zu be - deuten?

Gerhard
(wild auffahrend.)

Falſcher, undank - barer, niedertraͤchtiger Boͤſewicht!

Sternberg
(erſchrocken.)

Herr Vetter!

Mad. Anker und Thereſe
(erſchrocken.)

Herr Gerhard!

J 3134Die Erbſchleicher.
Gerhard
(zur Wittwe Ungewitter.)

Sehn Sie die Verwirrung?

W. -Ungew.
(zuckt die Achſeln, und ſcheint, ihn beſänftigen zu wollen.)
Mad. Anker
(näher tretend.)

Herr Gerhard, Hier ſcheint ein Mißverſtaͤndniß zu herrſchen. Haben Sie nicht ---

Gerhard

O ſchweigen Sie Madam! Sie gehoͤren auch zum Komplot.

Mad. Anker. Thereſe. Sternberg.

Komplot?

Mad Anker.

Haben Sie nicht meine Toch - ter Ihrem Vetter abgetreten?

Gerhard
(ſpöttiſch.)

O, ſie ſteht zu Befehl.

Mad. Anker.

Mit dem Verſprechen, ihn zum Univerſalerben ---

Gerhard.

Ja, ich will ihn beuniverſalerben.

Mad. Anker
(ein Papier hervorziehend.)

Wol - len Sie Ihre Hand ablaͤugnen?

Gerhard
(immer heftiger.)

Wollen Sie auf Lug und Trug pochen?

Mad. Anker
(mit verbißner Hitze.)

Herr Ger - hard, es iſt unter meiner Wuͤrde, mich zu zan - ken.

(Mit einem Seitenblick auf Wittwe Ungewitter)
135Die Erbſchleicher.

Noch weniger mag ich fremden Leuten ein Schau - ſpiel geben. Wenn Sie von dieſer neuen Verab - redung nichts wiſſen wollen, gut, ſo bleibt es bey Ihrer vorigen Verbindlichkeit. Sie haben ſich mit meiner Tochter verlobt, und Sie muͤſſen ſie nehmen.

Gerhard
(bitter lachend.)

Wie ich Sie ge - nommen habe?

Mad. Anker.

O, ruͤhren Sie Ihre Schan - de nicht ſelbſt wieder auf!

Gerhard.

Es war der kluͤgſte Streich mei - nes Lebens.

Mad. Anker
(mit ſteigender Heftigkeit.)

Sie ſind ein Mann ohne Treu und Glauben!

Gerhard.

Ich vergelte nur Gleiches mit Gleichem.

Mad. Anker.

Ein Schwaͤchling, eben ſo ſtumpf von Verſtand, als von Sinnen.

Gerhard.

Gehorſamer Diener!

Sternberg. Thereſe.

Erbittern Sie ihn nicht, Ma - dam! Laſſen Sie uns gehen, liebe Mama!

Mad. Anker.

Man ſollte Sie gaͤngeln, wie ein Kind.

J 4136Die Erbſchleicher.
Gerhard.

Gehorſamer Diener!

Mad. Anker.

Man ſollte Ihnen einen Vor - mund ſetzen?

Gerhard
(bitter lachend.)

Warum nicht lieber einſperren?

Sternberg. Thereſe.

Madam

Liebe Mama, ich fuͤrchte fuͤr Ihre Geſundheit ---

Mad. Anker.

Die ſetzt man immer bey Euch Maͤdchen zu!

Sternberg.

Laſſen Sie mich verſuchen, ihn zu beſaͤnftigen!

Mad. Anker.

O, ſanfte Mittel gehören nicht hieher. Gottlob! Wir haben noch Juſtitz. Komm, Thereſe!

(Spöttiſch.)

Weine nur! Und Sie, Herr Sternberg ich ahnde mehr, als ich ſagen mag Betreten Sie mein Haus nicht wieder!

(Reißt Thereſen mit ſich fort, und geht ab.)
Thereſe
(ſchmachtend, im Abgehen.)

Sternberg!

Sternberg
(beſtürzt, will ihnen nach, kehrt wie - der um, nähert ſich Gerharden.)

Herr Vetter! ich gebe mich ſchuldig. Es iſt die erſte Abweichung von meinen Grundſaͤtzen es iſt der erſte Be - trug, deſſen ich mich jemals aber der Gedan -137Die Erbſchleicher.ke, Thereſen zu verlieren Ihr ausdruͤcklicher Befehl

(mit Heftigkeit)

O, ſo wahr ich dieſe Kniee umfaße ſo wahr ich dieſe Haͤnde ---

Gerhard
(macht ſich los, ſpringt auf und verſteckt ſich hinter Wittwe Ungewitter.)

Muhme Ungewitter! Der Menſch will mich umbringen.

W. Ungew.
(tritt mit ausgebreiteten Armen vor.)

Vetter Sternberg, ſchonen Sie ſeiner grauen Haare! Eher vergreifen Sie ſich an mir!

Gerhard
(ſchleicht durch die hintere Seitenthür ab.)

Vierzehnter Auftritt.

Wittwe Ungewitter. Sternberg.
(Sternberg geht haſtig auf und ab und mißt Witt - we Ungewitter mit den Augen; ſie ſieht ihn ſtarr an.)
Sternberg.

Madam Ungewitter ſind Sie?

W. Ungew.

Ja, Herr Sternberg.

Sternberg.

Doch wohl nicht die empfindſa - me Madam Ungewitter, die ihrem Manne eilf Monate nach ſeinem Tode ein lebendiges Monu - ment der Treue ſetzte?

J 5138Die Erbſchleicher.
W. Ungew.

Was wollen Sie damit ſagen, mein Herr? Wiſſen Sie nicht, daß die Verzweif - lung einer zaͤrtlichen Wittwe die Ordnung der Na - tur umkehrt?

Sternberg.

Ich weiß, Madam, daß allzu - zaͤrtliche Frauenzimmer in mehr Stuͤcken uͤber Ordnung und Sitte hinaus ſind.

W. Ungew.

Sie haben eine unverſchaͤmte Manier, Bekanntſchaft zu machen.

Sternberg.

Beſſer unverſchaͤmt, als tuͤckiſch! Ihre Manier iſt hinterm Ruͤcken zuſammen zu hetzen.

W. Ungew.
(ſpöttiſch.)

Nehmen Sie Pulver ein! Sie haben das Fieber

(Will ab.)
Sternberg
(ſie haltend, mit Heſtigkeit.)

Mit ſchalem Witze kommen Sie nicht los. Sie ſollen wiſſen, daß man Sie kennt, daß man Ihre Ab - ſichten erraͤth, daß man die Waffen der Rache in Haͤnden hat. Verlaͤumden und kabaliren Sie ſich muͤde! Aber noch haben Sie ihn nicht geerbt.

(Ab, nach der Straße.)
139Die Erbſchleicher.

Funfzehnter Auftritt.

Wittwe Ungewitter, allein.
(Ihm ſpöttiſch nachſehend.)

Das klang, wie Drohung. Armer Schaͤcher! Wer ſicher zuſchlagen will, muß nicht lange ausholen. Waffen der Rache!

(Triumphirend.)

Ja, wenn dir die Beute aus den Zaͤhnen geriſſen iſt dann raͤche dich! Dann prozeßir und ſchikanire dich muͤde! Vielleicht ſind wir großmuͤthig genug, dir ein Gnadengeſchenk auszuwerfen.

(Hört kommen, und ſammelt ſich wieder.)

Sechszehnter Auftritt.

Juſtine. Wittwe Ungewitter.
Juſtine
(durch die Mittelthür kommend.)

Ma - dam, die Suppe erwartet Ihren Befehl

W. Ungew.

Ach, Kind! Hunger und Durſt ſind mir vergangen. Zu was fuͤr einem Auftritte mußt ich kommen! Der arme Vetter Stern - berg!

140Die Erbſchleicher.
Juſtine
(ſich fr[em]d ſtellend.)

Wie ſo, Madam?

W. Ungew.

Haben Sie den Larm nicht ge - hoͤrt? Ein Wortwechſel! ein Streit! Ohne mich, vielleicht Mißhandlungen!

Juſtine.

Ich bekuͤmmere mich nur um meine Kuͤche. Ueberdieß ſind meine Ohren ſchon abge - haͤrtet. O, es geht bey uns nicht ſo ſtill zu, als Sie denken. Krieg und Friede, Bewillkommen und Fortjagen wechſeln oft von einer Stunde zur andern.

W. Ungew.

Was ſagen Sie? Ach unterm Monde geht doch nichts uͤber Einigkeit!

Siebenzehnter Auftritt.

Weinhold. Vorige.
Weinhold
(im Eintreten.)

Was ſeh ich, mei - ne liebenswuͤrdige Reiſegefaͤhrtinn!

W. Ungew.
(faſt zu gleicher Zeit.)

Ih, mein unvergleichlicher Begleiter! Wo kommen Sie denn hieher?

Weinhold.

Ich bin hier zu Hauſe. Aber Sie?

W. Ungew.

Ach Sie haben mich ausge - fragt, hochgelahrter Herr Profeſſor.

141Die Erbſchleicher.
Weinhold.

Oder Sie wollten mich hier uͤberraſchen, hochzuverehrende Frau Kriegsraͤthinn?

Juſtine
(tritt zwiſchen Beide.)

Verzeihung! Sie ſind Beide unrecht.

W. Ungew. Weinhold.

Der Herr Profeſſor Waſſer - mann?

Die Frau Kriegsraͤthinn Wind - ſtill?

Juſtine
(zu Weinhold, indem ſie ſich verneigt.)

Ihre Frau Muhme Ungewitter!

(Eben ſo zur Witt - we Ungewitter.)

Ihr Herr Vetter Weinhold.

W. Ungew.

Weinhold!

Weinhold.

Ungewitter!

W. Ungew.
(mit übertriebener Freude.)

Find ich in Ihnen den großen Mann, deſſen ausgebrei - teter Ruf ---

Weinhold
(gleichfalls mit Uebertreibung.)

Iſt die geiſtreiche Frau, deren entzuͤckende Unterhal - tung mich ---

W. Ungew.

Ich bin meinem Incognito un - endlich verbunden, daß ---

Weinhold.

Ich verdanks meinem Genius zwiefach, daß er ---

(Keines von Beiden darf das Andere ausreden laſſen.)
142Die Erbſchleicher.
Juſtine.

Setzen Sie die ruͤhrende Erkennung bey der Suppe fort! kommen Sie!

W. Ungew.

Ach, Kind, ohne Finetten ſchmeckt mir kein Biſſen.

Juſtine.

Wo iſt ſie zu finden?

W. Ungew.

Im Poſthauſe.

Juſtine.

Ihre Jungfer? oder

W. Ungew.

Mein Loͤwenhuͤndchen. Eine wahre Schoͤnheit des Hundegeſchlechts.

Juſtine.

Gleich ſoll ſie im Triumph gebracht werden.

(Ab.)

Achtzehnter Auftritt.

Weinhold, Wittwe Ungewitter,
(treten einander näher und lachen leiſe.)
Weinhold.

Das geht vortreflich!

W. Ungew.

Herrlich gehts!

Weinhold.

Ich habe mit myſtiſchem Bombaſt und tiefgelehrten Kunſtwoͤrtern um mich geworfen, wie ein zweyter Caglioſtro.

W. Ungew.

Und ich habe die Anekdoten, die uns Freund Piſtorius geliefert hat, mit Aus - legungen und Zuſaͤtzen ausſtaffirt, trotz der Graͤ - finn de la Motte.

143Die Erbſchleicher.
Weinhold.

Fuͤr ſo leichtglaͤubig haͤtt ich den Vetter doch nicht gehalten. Er hat ſich mir mit Haut und Haar uͤberliefert.

W. Ungew.

Hab ichs Ihnen nicht vorher - geſagt? Ein Alter, der ſich vor dem Tode fuͤrchtet, glaubt zuletzt an Hexen und Zigeuner.

Weinhold.

Der Vetter iſt unſer! Aber die Leute, die um ihn ſind ---

W. Ungew.

Sind nur Marionetten. Ich kenne ſchon das ganze Theater. Mir entgeht nichts. Ich hab Argus Augen.

Weinhold.

Juſtinens zwey Augen haben mehr Feuer, als hundert.

W. Ungew.

So muͤſſen Sie ſich vor ihr huͤten, Vetter, denn Ihr Herz iſt brennbar, wie Stroh.

Weinhold.

Huͤten Sie ſich nur vor Vetter Sternbergen!

W. Ungew.
(liebäugelnd.)

O, der darf Sie nicht beunruhigen.

Weinhold.

Nach des Apothekers Beſchrei - bung verſteht er ſich aufs Praktikenmachen.

W. Ungew.

Ich dachte, Sie ſpielten auf ſein Aeußerliches an. Das Praktikenma - chen hab ich ihm ſchon gelegt.

144Die Erbſchleicher.
Weinhold.

Muhme Ungewitter, Sie tref - fen, wie der Blitz.

W. Ungew.
(triumphirend.)

Morgen ſtehen wir im Teſtamente!

Weinhold.

Ich wuͤnſchte, wir ſaͤßen mit der Erbſchaft hinter unſerm Ofen.

W. Ungew.

O, ich packe ſchon im Geiſte die vollgeſtopften Kiſten aus. Der Alte iſt ja ſo fertig, als ein ausgebranntes Docht.

(Bläſt.)

Buh! gehts aus.

Weinhold.

Da wollen wir reiten und jagen!

W. Ungew.

Und jauchzen und ſpringen und hochleben!

Weinhold.

Aber vor allen Dingen kauf ich mir eine Compagnie.

W. Ungew.

Und ich jedem von meinen Jungen eine Fahne.

Weinhold.

Muhme Lukrezia, bis dieſe Fahne weht, giebts noch Berge zu uͤberſteigen.

W. Ungew.

Vetter Emmerich, es ſind nur Maulwurfshuͤgel, wie in Junker Hanßens Duo - dezpark. Ein guter Springer ſetzt druͤber weg.

Weinhold.

So viel ſag ich Ihnen: Gehts ſchief, ſo krieg ich alle hier im Hauſe beym Kopf, und kuͤße ſie, und bitte um Pardon.

W. Ungew.
145Die Erbſchleicher.
W. Ungew.

Das waͤre klein! Ich kuͤſſe die ganze Familie, wenns gut geht.

Weinhold.

Das waͤre groß!

W. Ungew.

Seyd keine Narren, ſag ich. Was wollt ihr? Hageſtolzenerbſchaft iſt ein Freyſchießen. Der beſte Schuͤtze wird Koͤnig.

Weinhold.

Muhme Lukrezia, Sie ſind ---

W. Ungew.
(hält ihm den Mund zu.)

Gleich und Gleich geſellt ſich gern. Kommen Sie nur!

(Gehen Arm in Arm ab.)
K146Die Erbſchleicher.

Vierter Akt.

Erſter Auftritt.

Juſtine. Sternberg.
Juſtine
(im Eintreten.)

Nur herein, Bruder! Wir haben keinen Ueberfall zu fuͤrchten. Sie ſitzen noch, wie angezaubert, bey Tiſche.

Sternberg.

Warum noͤthigſt du mich wie - der in dieſes Haus? Ich habe hier nichts mehr zu ſchaffen.

Juſtine.

Und nie warſt du in dieſem Hauſe unentbehrlicher, als eben jetzt. Ich will dir Ge - legenheit machen, den Vetter ohne Zeugen zu ſprechen, und dann

Sternberg.

Mit welcher Stirne koͤnnt ich ihm nach jenem Auftritte begegnen? Er hat mich zu ſchnoͤde behandelt.

Juſtine.

Aber es wird dir nur ein Wort koſten, eine Verlaͤumdung niederzuſchlagen, deren Urheber und Abſicht ſo hell am Tage liegen. Um147Die Erbſchleicher.ſich in ſein Herz einzuniſten, mußten ſie freylich damit anfangen, dich heraus zu beißen.

Sternberg.

Laß ſie mir auch Vergehungen angedichtet haben, von denen ich nichts weiß! Ge - nug, daß mich mein Herz Einer Unredlichkeit ge - gen ihn anklagt. Das Uebrige bedarf keiner Un - terſuchung.

Juſtine.

Strenger Moraliſt!

Sternberg
(hitzig.)

O, ich will mich nicht mehr von Weibern lenken laſſen. Sie machen ſich gar zu gern ihre eigene Moral.

Juſtine.

Die deinige ſchmeckt auch zu ſehr nach dem Katheder. Zu was fuͤr einem un - verantwortlichen Schritte haben ſie dich denn ver - leitet, die boͤſen Weiber?

Sternberg.

Sprich ſelbſt! war ich ein Haar beſſer, als die Korſaren, die den Vetter jetzt um - ringt halten? Ging ich weniger auf Raub aus, als ſie?

Juſtine.

Schaͤme dich der Vergleichung!

Sternberg.

Der ganze Unterſchied iſt der, daß Wittwe Ungewitter und ihr Spießgeſelle ſich plumper bey der Sache benehmen. Aber vielleicht gelangen ſie um ſo eher zu ihrem Zwecke.

Juſtine.

Das verhuͤte der Himmel!

K 2148Die Erbſchleicher.
Sternberg.

Sie hat ſonſt Gluͤck bey ihren Streichen, die Frau Muhme. Es iſt eben das Weib, das ihren Mann durch Untreue und Un - frieden unter die Erde brachte, um ſein Vermoͤ - gen mit einem Abentheurer zu verſchleudern.

Juſtine.

Denkt doch! die ſchoͤne Lukrezia! Und der Abentheurer ---?

Sternberg
(einfallend.)

Zog aus, als das Geldchen alle war. Ich denke, Weinhold wirds nicht beſſer machen.

Juſtine.

Das mag er. Aber wetten wollt ich, daß der ganze Gaunerplan von ihr allein herruͤhrt.

Sternberg
(ſpöttiſch.)

Ihr habt immer mehr Partheylichkeit fuͤr unſer Geſchlecht.

Juſtine.

Es gehoͤrt nur unpartheyiſcher Be - obachtungsgeiſt dazu, um ihm weniger Erfahren - heit in Raͤnken zuzutrauen, als ihr.

Sternberg.

Studentenkniffe koͤnnen ihm nicht fremd ſeyn. Er iſt von zwey Univerſitaͤten relegirt worden. Was er jetzt treibt, weiß ich nicht.

Juſtine.

Er ſchwaͤrmt, und quackſalbert.

Sternberg.

Ha? ſo eine Art Monddoktor, Wunderthaͤter, etcetera? Nicht uͤbel ausge -149Die Erbſchleicher.dacht! Kluͤgere Koͤpfe, als der Vetter, ſchwoͤren auf dergleichen Fratzen, und laſſen ſich prellen!

Juſtine.

Bruder, wenn du ihm nicht den Staar ſtechen willſt, ſo thu ichs. Ich ſag ihm, was ich von dem Volke weiß.

Sternberg.

Nein, Schweſter, ich bitte dich ich verbiete dirs ſogar. Wenn ihm die Au - gen nicht von ſelbſt aufgehen, iſt er nicht werth, in beſſere Haͤnde zu fallen.

Juſtine.

Und wenn er ſtirbt, eh er zur Er - kenntniß koͤmmt?

Sternberg.

Dann hat die Komoͤdie ein En - de. Aber du warteſt den Ausgang nicht ab. Du ziehſt noch heute zu deinem Bruder.

Juſtine
(ihn bedenklich anblickend.)

Moritz! Biſt du’s, der mir dieſen Rath giebt? Sieh mir in die Augen!

(Schalkhaſt.)

Du haſt dich mit Thereſen entzweyt.

Sternberg
(verdrüßlich.)

Nein!

Juſtine.

Aber doch gezankt?

Sternberg.

Nein!

(Kalt.)

Ich habe ſie ſeitdem gar nicht geſprochen.

Juſtine.

Noch ſchlimmer! Wie iſt das ge - kommen?

Sternberg
(kömmt nach und nach in Hitze.)

DasK 3150Die Erbſchleicher.wird ſie beſſer wiſſen, als ich. Dreymal ging ich unter ihrem Fenſter vorbey. Sie that nicht, als ob ſie mich bemerkte. Dreymal war ich auf ih - rer Treppe, und gab das Zeichen, worauf ſie ſonſt ſo ſchnell und froͤhlich aus dem Zimmer ſchluͤpf - te. Und ſie kam nicht.

Juſtine.

Weil ihre Mutter es ihr verboten hatte.

Sternberg
(bitter.)

O, wenn ſie mich lieb - te eine thoͤrichte Mutter verdient keinen Gehorſam!

Juſtine.

Jetzt begreif ich deine Laune. Dem mißvergnuͤgten Liebhaber iſt die ganze Welt gleich - guͤltig. Ich muß dich aufheitern. Du ſprachſt von Komoͤdie. Laß uns eine ſpielen!

(Legt ihren Arm auf ſeine Schulter.)
Sternberg
(unwillig.)

Ach!

Juſtine.

Runzele die Stirne, wie du willſt. Es iſt eine herrliche Poſſe.

(Den Arm in die Seite ſtemmend.)

Hier ſteht der Autor! Der Titel iſt: Wer zuletzt lacht, lacht am beſten.

Sternberg.

Hoͤr auf!

Juſtine.

Aber mit dem Rollenlernen wollen wir uns den Kopf nicht zerbrechen. Wir extem - poriren. Du biſt der Notarius.

151Die Erbſchleicher.
Sternberg.

Schweſter, wenn du einen Narren brauchſt, nimm Benedikten.

Juſtine.

Der Einfall iſt gut. Benedikt ſchickt ſich beſſer zum Notarius, als du. Er hat beym alten Skrupel geſchrieben, hat noch einige Floskeln im Kopfe, kann vielleicht ---

Sternberg
(ungeduldig einfallend.)

Adieu, Ju - ſtine!

(Will ab.)
Juſtine
(ihn haltend.)

O, lieber, beſter Mo - ritz! nur noch einen Augenblick! ich gebe dir auch

(ihn küſſend)

eins, zwey, drey, vier Maͤul - chen.

Zweyter Auftritt.

Thereſe. Vorige.
Thereſe
(die bey Eröffnung der Thür das Letzte geſehen und gehört hat.)

Sechs waren’s.

(Schlägt die Thür wieder zu, und verſchwindet.)
Juſtine.

Wer war das?

(Läuft hinaus.)
K 4152Die Erbſchleicher.

Dritter Auftritt.

Sternberg allein.
(Verlegen.)

Thereſens Stimme! ſie hat uns behorcht wie wird das ablaufen? was ſoll ich ihr ſagen?

Vierter Auftritt.

Juſtine. Thereſe. Sternberg.
Juſtine
(Thereſen herein ziehend.)

Sie muͤſſen, Mamſell zur Strafe muͤſſen Sie herein.

Thereſe
(ſich ſträubend)

Laſſen Sie mich los, ich bitte!

Juſtine.

Sie kommen, wie gerufen.

Thereſe
(ſpöttiſch.)

Das ſeh ich.

Juſtine.

Herr Sternberg fing Grillen, daß mir angſt und wehe bey ihm wurde. Um ihn zu zerſtreuen, wollt ich Ihre Perſon vorſtellen.

Thereſe
(immer empfindlicher.)

Ich danke Ih - nen fuͤr die gute Meynung. Sie glauben alſo, daß ich mit Herrn Sternberg auf dem Fuße ſtehe.

153Die Erbſchleicher.
Juſtine
(ſich fremd ſtellend.)

Auf welchem?

Thereſe.

Und Sie, Herr Sternberg, beſtaͤrk - ten Jungfer Juſtinen in dieſem Glauben?

Sternberg
(betreten.)

Thereſe!

Thereſe.

Wenn Sie auch unedel genug ſind, zwey Maͤdchen auf einmal zu betruͤgen, ſo ſollten Sie ſich doch wenigſtens ſchaͤmen, die eine auf Ko - ſten der andern zu beluſtigen.

Juſtine
(zu Thereſen.)

Koͤnnen Sie auf ſeine Schweſter eiferſuͤchtig ſeyn?

Thereſe.

Seine Schweſter? wer?

Juſtine
(will ſie umarmen.)

Ich!

Thereſe
(ſich zurückziehend.)

Hm! eine abge - droſchene Erfindung!

Sternberg.

Ich kann Ihren Unglauben nicht tadeln. Ich habe gefehlt, daß ich Ihnen dieſen Umſtand bis jetzt verſchwiegen habe. Aber ---

Thereſe
(aufgebracht.)

Womit koͤnnen Sie’s entſchuldigen?

Sternberg.

Ich wollte Ihrem Herzchen die Buͤrde eines Geheimniſſes erſparen.

Thereſe.

Sehn Sie mich fuͤr ein Kind an?

Sternberg.

Ich fuͤrchtete ---

Thereſe.

Nein! es iſt und bleibt unverzeih - lich.

K 5154Die Erbſchleicher.
Juſtine.

Sie haben Recht. Verzeihen Sie ihm unter acht Tagen nicht! Seinem Maͤdchen nicht einmal Familienſachen zu vertrauen. Und mancher Mann macht ſeine Frau zum Reichs - und Staatsarchive Aber mich nehmen Sie doch zur Schweſter an?

Thereſe.

Mein Herz ſagt: ja!

Juſtine
(ſie ſchnell umarmend.)

Und das meini - ge flog Ihnen ſchon dieſen Morgen entgegen.

Sternberg
(will indeſſen Thereſens Hand küſſen.)
Juſtine
(ihn ſchalkhaft zurück ſtoßend.)

Will Er gehen, mit ſeiner Advokatenpolitik!

Sternberg
(bittend.)

Schweſter!

Juſtine
(indem ſie ſeine Linke und Thereſens rechte Hand unvermerkt einander nähert.)

Ich heiße Juſtine und halte auf Gerechtigkeit. Und Sie ſollen ſe - hen, daß ich Ihnen immer gegen den Menſchen beyſtehen werde, wenn er ---

Sternberg
(haſcht Thereſens Hand und küßt ſie.)
Juſtine
(tritt auf die Seite.)

Sie ergeben ſich? Nun ſcheid ich davon.

Thereſe.

Boͤſes Maͤdchen!

Juſtine.

Ja, die Eiferſuͤchtigen ſind immer die Schwaͤchſten.

Thereſe.

Und die Witzigen ?

155Die Erbſchleicher.
Juſtine
(einfallend.)

Genug geneckt! Welcher gute Geiſt fuͤhrt Sie her, Thereſe!

Thereſe.

Ein Geiſt, der gern auf Abwege fuͤhrt. Ich ſah ihn herein gehen, ich ſchloß von meiner Unruhe auf die ſeinige, und ich kom - me ---

Sternberg
(feurig.)

Tauſend Dank, liebſte Thereſe!

(Indem er ſie umarmen will, hört er Ger - hards Stimme und fährt zurück.)
Gerhard
(hinter dem Theater.)

Juſtine!

Juſtine
(halblaut.)

Geſchwinde durch dieſes Kabinet.

(Sternberg und Thereſe eilig ins Kabinet.)

Fuͤnfter Auftritt.

Gerhard. Juſtine.
Gerhard
(aus der Mittelthür; munter und geſchäf - tig.)

Kann Sie nicht antworten, wenn ich rufe?

Juſtine
(die Kabinetsthür zumachend.)

Ich hielt Sie fuͤr Benedikten.

Gerhard.

Wo hat ſie die Ohren? Sind die Gaſtzimmer in Bereitſchaft?

Juſtine
(kurz.)

Ja, Herr Gerhard.

Gerhard.

Sie hat doch die ſchoͤnſten Vor - rathsbetten ausgeſucht?

156Die Erbſchleicher.
Juſtine.

Ja, Herr Gerhard.

Gerhard.

Und die Waſchtiſche mit Silber - geſchirr aufgeputzt?

Juſtine.

Ja, Herr Gerhard.

Gerhard.

Iſt das Gewoͤlbe auch wieder mit dem großen Anwurfe verwahrt?

Juſtine.

Ja, Herr Gerhard.

Gerhard.

Vor allen Dingen ſchaͤrfe Sie Be - nedikten ein, ſich kuͤnftig nicht zehenmal aus Ein - ſchenken erinnern zu laſſen, wie dieſen Mittag, ſondern auf den Wink aufzupaßen, und die Leut - chen zu bedienen, wie Fuͤrſten.

Juſtine.

Sehr wohl, Herr Gerhard.

Gerhard.

Aber gehe Sie ihm auch mit gu - tem Exempel vor! Sie muß ſich nach der kleinſten Kleinigkeit erkundigen. Um welche Stunde ſie das Fruͤhſtuͤck befehlen? Was fuͤr eine Sorte Ta - bak der Herr Vetter vorzieht? Ob die Frau Muh - me vielleicht eines Bettwaͤrmers gewohnt iſt? Oder einer Magenſtaͤrkung zum Schlaftrunke, wie die ſeelige Schweſter Abigail? Auch in An - ſehung des Kuͤchenzettels Doch daruͤber muß ich den Herrn Vetter eigends zu Rathe ziehen.

Juſtine
(verdrüßlich.)

Haben Sie noch etwas zu befehlen?

157Die Erbſchleicher
Gerhard.

Was ſitzt Ihr im Kragen?

Juſtine.

Mir? warum?

Gerhard.

Sie macht ein Geſicht, als ob Ihr ein Schuldmann mit den Intereſſen ausbliebe.

Juſtine.

Ich bin froh, wenn mich niemand mahnt.

Gerhard.

Geſteh Sie’s nur! Die Gaͤſte ſind Ihr ungelegen.

Juſtine.

Hoͤchſtgleichguͤltig.

Gerhard
(aufgebracht.)

Sie iſt ein Klotz.

Juſtine.

Kann wohl ſeyn.

Gerhard.

Wenn Sie die Liebe fuͤr mich im Herzen haͤtte, die Sie oft zur unrechten Zeit auf der Zunge traͤgt, ſo wuͤrde Sie ſich freuen, daß mir der Himmel ſo gute Geſellſchaft zuſchickt.

Juſtine.

Ich dachte, Sie verlangten weder gute noch boͤſe.

Gerhard.

Alles mit Unterſchied. Ich frage nichts nach Spuͤrhunden, die bey Leuten meines Gleichen alle Ecken und Winkel nach einem Le - gatchen durchſchnuppern. Aber meine naͤchſten Verwandten! meine Schweſterkinder! Sie weiß nicht, was ich an den Leutchen habe.

Juſtine.

Ich werd’s erfahren.

Gerhard.

Gottlob, daß ich ihrer end. 158Die Erbſchleicher.lich ein Paar antreffe, die mir Ehre ma - chen.

Juſtine.

Die Ehre wird Ihnen theuer zu ſtehen kommen.

Gerhard.

So ein Mann, wie der Vetter, iſt mir noch gar nicht aufgeſtoßen.

Juſtine.

Jeder neue Vetter iſt Ihr Ab - gott.

Gerhard.

Und die Frau Muhme es iſt eine allerliebſte Frau. Sanft zum Zerſchmel - zen! Und dabey ſo tugendreich und ehrbar, und ſo redſelig! ſie ſpricht, wie ein Buch.

Juſtine.

Das ſind die Rechten! Ich habs mit ſo einer Schoͤnrednerinn verſucht. Ihre Worte tanzten immer in den Wolken; aber deſto tiefer krochen ihre Handlungen an der Erde.

Gerhard
(ärgerlich.)

Es iſt Zeit den uͤbrig - gebliebenen Wein aufzuheben.

Juſtine.

Da werd ich nicht ſchwer zu tragen haben. Aber ich verſtehe den Wink. O, bald will ich Ihren neuen Guͤnſtlingen voͤllig freyes Feld laſſen. Um indeſſen mein Gewiſſen ein fuͤr allemal zu erleichtern

(Tritt ihm näher, langſam, mit übereinander geſchlagenen Armen.)

Die Leute ſind an eben dem Tage, mit eben der Poſt,159Die Erbſchleicher.in eben der Abſicht angekommen und wollen einander nicht gekannt haben?

(Klopft ihm auf die Schultet.)

Wahren Sie Ihre Schatulle, Herr Gerhard! Es ſind Betruͤger!

(Ab.)

Sechster Auftritt.

Gerhard
allein.

Betruͤger? Sie haben ja Beide ihren Taufſchein bey ſich! [Betruͤger]. Die Weiber uͤbertreiben alles. Aber ein kluger Mann verachtet auch den Rath eines jungen Maͤd - chens nicht. Ich will bald dahinter kommen ich will ihnen Fallen, Schlingen legen, de - ren ſie ſich nicht vermuthen ſollen

(Horcht.)

Still! ſie ſinds! In dem Kabinetchen hab ich ſchon manche Entdeckung gemacht

(Schleicht auf den Zähen ins Kabinet.)

Vielleicht viel - leicht

Siebenter Auftritt.

Wittwe Ungewitter. Weinhold.
W. Ungew.
([in]dem ſie die Thür öffnet, halblaut.)

Sehn Sie ihn ſchleichen?

160Die Erbſchleicher.
Weinhold
(halblaut.)

Er will uns behorchen.

(Sie gehen vorwärts, indem ſie ſich einander winken.)
W Ungew.
(laut.)

Die Guͤte des Herrn Vetters druͤckt mich zu Boden. Jungfer Juſti - ne hat mir ein Zimmer angewieſen, ſo geraͤumig, als die Arche Noaͤh. Der Bettumhang von gel - bem Brocat, brennend, wie Gold ---

Weinhold
(einfallend.)

Der meinige von ge - wirkten Tapeten, mit Figuren in halber Lebens - groͤße! Und das Bett aufgethuͤrmt, wie ein Fu - der Heu!

W. Ungew.

Auf dem Waſchtiſche eine ſil - berne Gießkanne, wie die Kruͤge auf der Hochzeit zu Kanaan! ſilberne Leuchter, wie ---

Weinhold
(einfallend.)

Im Salomoniſchen Tempel! und ein Becken, wie das eherne Meer!

(Beide haben Mühe das Lachen zu verbeißen.)
W. Ungew.

Warum ehrt, warum beſchaͤmt mich der Herr Vetter ſo? In ſeinem Hauſe haͤtt ich mit einem Dachſtuͤbchen vorlieb ge - nommen.

Weinhold.

Was ſollen mir ſybaritiſche Pol - ſter? Ein Philoſoph, wie ich, gehoͤrt auf die Streue.

W. Ungew.
161Die Erbſchleicher.
W. Ungew.

Der Mann ſoll karg ſeyn? Und ſeine Gaſtfreyheit geht bis zur Verſchwen - dung.

Weinhold.

Mißtrauiſch? und ſein Herz ent - faltet ſich der Freundſchaft, wie die Roſe der Sonne.

W. Ungew.

Muͤrriſch? Und hat Einfaͤlle, wie Doktor Luthers Tiſchreden.

Weinhold.

Eigenſinnig? Und dehnt ſich, und bequemt ſich, wie ein Handſchuh.

W. Ungew.

Wer mit ihm nicht auskom - men kann, den muß man aus der menſchlichen Geſellſchaft ausſtoßen.

Weinhold.

Und wer ihm etwas in den Weg legt, der hats mit mir zu thun.

Achter Auftritt.

Gerhard. Vorige.
Gerhard
(aus dem Kabinette kommend, freundlich.)

Schon aufgeſtanden, meine Lieben? Ihr dauert mich. Ihr ſeyd nicht ſatt geworden.

W. Ungew.

Spotten Sie nur, Herr Vet - ter! Ich erroͤthe vor mir ſelbſt. Mein ſeit achtL162Die Erbſchleicher.Tagen verſchloßener Magen glich heute einem Faß ohne Boden.

Weinhold.

Aber Sie, Herr Vetter, leben von der Luft.

Gerhard.

Leider. Wenn ich eſſe, treibt mirs den Leib auf, wie ---

W. Ungew.
(jedesmal mit Nachdruck einfallend.)

Wie ein Luſtballon. So geht mirs juſt auch.

Gerhard.

Das Blut ſteigt mir zu Kopfe

W. Ungew.

Wie eine Fontaͤne, mir auch!

Gerhard.

Es flimmert mir vor den Au - gen ---

W. Ungew.

Wie Raketen und Schwaͤrmer, mir auch!

Gerhard.

Leg ich mich hierauf zu Bette ---

W. Ungew.

So erdroſſelt michs.

Gerhard.

Ich ſehe nichts, als Unholde und Teufelslarven ---

W. Ungew.

Und die Pulſe ſchlagen mir, wie Drathammer.

Gerhard.

Arme Frau Muhme. Sie koͤn - nen die Familie nicht verlaͤugnen.

W. Ungew.

Ach, beſier Herr Vetter, mit Ihnen troͤſt ich mich gern.

Weinhold.

Spasmatiſche Irregularitaͤten! 163Die Erbſchleicher.Der Menſch muß eſſen. Dieſe Pflicht waͤchſt mit den Jahren. Denn jemehr ſich die Federn und Triebraͤder einer Maſchine abnutzen, um ſo fleißiger muß man ſie ſchmieren. Aber alles koͤmmt auf die Wahl der Nahrung an. Sie ſol - len mir noch ein ganzer Lecker werden, Herr Vet - ter. Sie ſollen nichts denken und traͤumen, als

(Schnell.)

Rebhuͤner, Faſanen, Truͤffeln, Lachs, Auſtern, Hanauer Paſteten, ungariſchen Wein, Champagner, Ananas ---

Gerhard
(einfallend.)

Ey, Herr Vetter! Das iſt eine Diaͤt fuͤr Koͤnige.

Weinhold.

Unſer einer lebt ſo gern, als ein Koͤnig.

Gerhard.

Aber mein buͤrgerlicher Beutel wuͤrde die Schwindſucht kriegen.

Weinhold.

Wollen Sie ſparen? fuͤr wen? Fuͤr lachende Erben.

Gerhard.

Wollt ihr bey meiner Baare lachen?

W. Ungew.

Ach, Herr Vetter, ehe es mit Ihnen dahin koͤmmt, wo werd ich armes Gerip - pe ſeyn?

Weinhold
(zu Gerharden.)

Und ich ſage, ehe wir Beide uns zu der Reife entſchließen,L 2164Die Erbſchleicher.kommen die Bahren vielleicht aus der Mo - de.

Gerhard.

Ach, wenn das der Himmel wollte! Aber auf alle Faͤlle, lieben Leutchen, muß ich mit Euch Abrechnung halten.

W. Ungew. Weinhold.
(verwundert.)

Abrechnung?

Gerhard.

Wie kann ich Eure Liebe, Eure Sorgfalt wieder gut machen, als daß ich Euch mein Bißchen Armuth ---

Weinhold
(halb unwillig.)

Herr Vetter!

W. Ungew.

Sie kraͤnken uns unausſprech - lich.

Gerhard.

Noch vor Abend will ich mein Teſtament ---

W. Ungew.

Ums Himmelswillen, werfen Sie keinen Zankapfel unter die Familie!

Gerhard.

Ich habe keine Familie.

W. Ungew.

Ein Teſtament! Streit und Prozeſſe ohne Ende!

Gerhard.

Ich wills ſchon verklauſuliren.

W. Ungew.

Je mehr Klauſeln, je mehr Sporteln fuͤr die Advokaten!

Weinhold.

Ich begreife nicht, wie es noch Narren giebt, die ein Teſtament machen; ſie165Die Erbſchleicher.ſehen ja, wie’s zugeht. Kaiſer und Koͤnige muͤſ - ſen ſich’s gefallen laſſen, daß die Schikane mit ihrem letzten Willen ſpielt.

Gerhard.

Da laͤßt ſich ein Riegel vorſchie - ben. Ihr nehmt den Praß bey meinem Leben.

Weinhold.

Ich meines Orts leiſte auf dieſe Großmuth Verzicht. Wenden Sie Alles meiner guten Muhme zu!

W. Ungew.

Ich bin der goldnen Mittel - maͤßigkeit gewohnt. Machen Sie nur meinen wuͤrdigen Vetter gluͤcklich!

Gerhard.

Ihr ſeyd ja Phoͤnixe von Unei - gennuͤtzigkeit.

(Geht auf die andere Seite, vor ſich.)

Juſtine hat Recht. Sie blaſen in Ein Horn.

Weinhold
(leiſe.)

Muhme, er merkt Unrath.

W. Ungew.
(leiſe.)

Wollen wir uns zanken?

Weinhold
(leiſe.)

Recht gern.

W. Ungew.
(leiſe.)

Aber was werfen wir uns aus dem Stegreife vor?

Weinhold
(leiſe.)

Wahrheiten. Stoff genug!

Gerhard
(ſie von weitem beobachtend.)

Aha! ſie ſchmieden etwas unter ſich.

(Näher tretend, laut.)

Was habt ihr denn fuͤr Geheimniſſe?

Weinhold
(ſpöttiſch.)

Die Frau Muhme hat die liebe Gewohnheit, ins Ohr zu fluͤſtern.

L 3166Die Erbſchleicher.
W Ungew.
(empfindlich.)

Gleich macht er mirs zur Gewohnheit. So uͤbereilt ſchließen die Herren Gelehrten.

Gerhard.

Ey, fangt einander nicht die Wor - te auf! Ich war in dreyßig Jahren nicht ſo vergnuͤgt, als heute Friſch, ihr Leutchen! Wer weiß eine Schnacke? Wer bringt ein Hiſtoͤrchen aufs Tapet? Ich will lachen.

W. Ungew.

O, um zu lachen, beleuchten Sie nur die Figur des Vetters Weinhold!

Weinhold.

Laſſen Sie ſich nur vom Witze der Muhme Ungewitter kitzeln!

Gerhard.

Nicht ſo ſpitzig, ich bitt euch! Aus Scherz wird oft Ernſt.

W. Ungew.

Fuͤr mich ſeyn Sie außer Sor - gen! Ich weiß in den Schranken zu bleiben! Im Hauſe meines Wohlthaͤters habe ich fuͤr Alles Re - ſpekt bis zum Schoshunde.

Weinhold.

So denk ich auch, Frau Muh - me. Die kleinen Kneffer ſind immer die falſche - ſten.

W. Ungew.

O, ich fuͤrchte mich ſonſt vor keinem Cerberus.

Weinhold.

Puh! Das heißt man Katzen - courage!

167Die Erbſchleicher.
Gerhard.

Halt! halt! Das war zu ſtark!

(Weinhold und Wittwe Ungewitter gehn heftig auf und nieder.)
W. Ungew.
(begegnet Weinholden in der Tiefe des Theaters, leiſe.)

Bravo!

Weinhold
(in der Tiefe des Theaters mit Wittwe Ungewitter zuſammentreffend. Leiſe.)

Selbſt Bravo!

Gerhard
(ſich böſe ſtellend.)

Dergleichen Auf - tritte verbitt ich mir.

W. Ungew.
(Gerharden auf die Seite ziehend.)

Er ſcheint noch wenig in gute Geſellſchaft gekom - men zu ſeyn.

Weinhold
(ihn auf die andere Seite ziehend.)

Man muß ſie anlaufen laſſen, um Ruhe zu ha - ben.

W Ungew.
(wie vorhin.)

Er meynt, der Phi - loſophenmantel deckt Alles zu. Aber es geht ihm, wie dem Thier in der Fabel. Unter der Loͤwen - haut gucken die langen Ohren hervor.

Gerhard
(mit Schadenfreude.)

Ich ſehs.

Weinhold
(wie vorhin.)

Vor lauter Schoͤn - geiſterey, ſchwatzt ſie mit unter ohne Menſchen - verſtand Und ehe ſie eine Satyre verſchluckte, verduͤrbe ſie’s lieber mit ihrem Buſenfreunde.

Gerhard.

Das hoͤr ich.

L 4168Die Erbſchleicher.
(Sie drängen ſich Beide an Gerharden und ſpre - chen ihm zu gleicher Zeit in die Ohren.)
W. Ungew.

Er ſcheint ein Pedant

Weinhold.

Sie ſcheint eine Romanennaͤr - rinn

Gerhard
(zur Wittwe Ungewitter.)

Ich glaub Ihnen.

(Zu Weinhold.)

Ich weiß Alles.

(Zu Bey - den)

Aber ich mag das Sticheln nicht leiden. Ihr ſeyd Verwandte, Ihr ſeyd Hausgenoſſen, Ihr ſeyd mir Beide gleich lieb. Ich will Frie - den unter Euch ſtiften, ja, das will ich.

W. Ungew.
(ſpöttiſch)

Hm!

Weinhold.
(verächtlich.)

O!

Gerhard.

Was brummt Ihr? Wollt Ihr euch die Haͤnde geben, oder nicht?

W. Ungew.

Unverſoͤhnlich bin ich eben nicht, aber ---

Weinhold.

Ich fange niemals an, aber ---

(Beyde reichen ſich mit abgewand - tem Geſichte die Hand.)
Gerhard
(gutmüthig.)

Kein Wort mehr! Umarmt mich! Umarmt Euch! Und wer den Andern wieder hohnneckt ---

W. Ungew.

Ihnen zu Liebe

Weinhold.

Ihnen zu beweiſen

(Sie umarmen ſich alle drey.)
169Die Erbſchleicher.
Gerhard
(ſcherzhaft.)

Daß es ja keine fremde Seele erfaͤhrt! Lieber wollen wir uns ſelbſt aus - lachen, als uns auslachen laſſen.

(Lachen alle drey.)

Neunter Auftritt.

Juſtine. Vorige.
Juſtine
(zu Wittwe Ungewitter und Weinholden.)

Der Poſtknecht bringt Ihr Gepaͤcke gefahren. Befehlen Sie, daß ichs in Empfang nehme?

W. Ungew.

Erlauben Sie, Kind! Ich will ſelbſt ---

Gerhard.

O, Frau Muhme! Dafuͤr iſt Juſtine da.

W. Ungew.

Sehr guͤtig! Aber ich geſtehe Ihnen meinen kleinen Eigenſinn. Ich habe gern uͤberall die Augen ſelbſt.

(Zu Weinholden leiſe.)

Ich habe dem Kerl einen Gulden verſprochen, wenn er keicht, als ob er den Berg Atlas ſchleppte.

Weinhold
(laut, als antwortete er ihr darauf.)

Bemuͤhen Sie ſich nicht, Frau Muhme! Meine Sachen erfodern im Abladen eine gewiſſe Behut - ſamkeit, die Niemand kennt, als ich.

W. Ungew.
(zu Gerhard.)

Verzeihung, HerrL 5170Die Erbſchleicher.Vetter, daß wir Sie um ſo geringfuͤgiger Ge - ſchaͤfte willen ---

Gerhard
(einfallend.)

Das lob ich. Ordnung erhaͤlt die Welt; und Ihr ſeyd ja hier zu Hauſe.

(Weinhold und Wittwe Ungewitter ab, Juſtine will folgen.)
Gerhard
(ruft.)

Juſtine!

Zehnter Auftritt.

Gerhard. Juſtine.
Gerhard.

Obligirt fuͤr Ihre wohlgemeynte Warnung! Sie iſt nicht auf die Erde gefallen. Ich habe die Leutchen ausgeholt ---

Juſtine
(ſchnell.)

Nun? und ?

Gerhard.

Engel ſinds freylich nicht.

Juſtine
(freudig.)

Nicht wahr, ſie ſtecken un - ter Einer Decke?

Gerhard.

Ganz das Gegentheil. Die war - me Reiſekameradſchaft iſt im Begriff; unter der Ehre der Verwandtſchaft zu erkalten. Sie fan - gen an, ſich zu neiden. Es fehlte nicht ſo viel, ſo haͤtten ſie ſich gezankt.

Juſtine.

O, Ballens ſpielen ſie mit Haß171Die Erbſchleicher.und Liebe. Ein Taſchenſpielerkniff, um die Auf - merkſamkeit der Zuſchauer zu taͤuſchen!

Gerhard.

Nein, nein! Ich kenne ſie jetzt durch und durch. Die Wahrheit zu ſagen, ſeh ich unter Hausgenoſſen lieber Mißverſtaͤndniß, als zu enge Vertraulichkeit. Ein Schwert haͤlt dann das Andere in der Scheide. Wenn Sie nicht Sternbergs Hehlerinn geweſen waͤre, haͤtt ich den Betruͤger eher entlarvt.

Juſtine
(eifrig.)

Herr Gerhard! Wenn Stern - berg ein Betruͤger iſt, ſo ---

Gerhard
(einfallend.)

Sie will ihn noch ver - theidigen? Das iſt luſtig. Und er hat Alles ein - geſtanden!

Juſtine.

Was ſagt man nicht in der Beſtuͤr - zung? Je unſchuldiger der Angeklagte iſt, um ſo ſchlechter weiß er ſich oft zu verantworten.

Gerhard.

O, ich will kein Halsgericht uͤber ihn halten. Es iſt vorbey. Ich laß ihn laufen. Aber um ihm allen Muth zu neuen Linksmache - reyen zu benehmen will ich den Leutchen all mein Hab und Gut verſchreiben.

Juſtine
(erſchrocken.)

Herr Gerhard!

Gerhard.

Verſchreiben, nicht verma - chen. Vor ſeinen Augen! unumſtoͤßlich! noch heute!

172Die Erbſchleicher.
Juſtine
(dringend.)

Herr Gerhard!

Gerhard
(immer lebhafter.)

Bey meiner Thuͤr heißt es: ganz offen, oder ganz zu!

Juſtine
(faßt ihn bey der Hand.)

Ich bitte Sie um Alles, was Ihnen lieb und theuer iſt, ich bitte Sie mit Thraͤnen ---

Gerhard
(betreten.)

Juſtine! Wie kommt Sie mir vor? Was will Sie? Was hat Sie? Fünfhundert Thaler hab ich Ihr zugedacht, und die ſoll Sie behalten.

Juſtine
(mit ſteigender Innigkeit.)

Ach, Herr Gerhard nicht meinetwegen! Ich bin des Mangels gewohnt, bin gewohnt zu dienen. Um Ihres eigenen Wohls, um Ihrer Ruhe willen! Sie werden es bereuen. Sie werden die Stun - de ---

Gerhard.

O, ich mag das Gepinſel nicht.

Juſtine
(ſich faſſend.)

Ich wollte ja gerne la - chen ich beſinne mich wohl, wie ſchadenfroh Sie ſonſt lachten, wenn Sie von uͤbel angewand - ten Vermaͤchtniſſen hoͤrten aber dazu hab ich Sie zu lieb es geht mir zu nahe ---

Gerhard
(ungeduldig.)

Durchaus nichts. Es ſoll Sie aber nichts angehen ---

Juſtine.

Wie oft haben Sie nicht zu mir173Die Erbſchleicher.geſagt: Juſtine, wenn du merkſt, daß ich mit meinem Teſtamente umgehe, zupfe mich beym Ermel! hilf mir meine Leute auslernen! hilf mir ſie aufs Eis fuͤhren!

Gerhard.

Man kann nicht mehr thun, als ich gethan habe.

Juſtine.

Und was haben Sie denn ge - than?

Gerhard
(beſchämt und verlegen.)

Ich bin ſo weit gegangen ſie zu behorchen.

Juſtine.

O, die Fuͤchſe koͤnnen den Jaͤger auch wohl gewittert haben.

(Pauſe.)

Darf ich Ihnen einen andern Vorſchlag thun? Stellen Sie ſich todt!

Gerhard
(als ob ers nicht begriffe.)

Was?

Juſtine.

Stellen Sie ſich todt!

Gerhard
(ſtutzt.)

Todt? Wie? Voͤllig todt? So was man todt nennt!

Juſtine.

Ja, mich daͤucht, wir werden im Tode manches ſehen und hoͤren, was wir lebend nicht ahndeten.

Gerhard
(ſich ſchüttelnd.)

Je ſpaͤter, je lie - ber!

Juſtine.

Aber verſtehen Sie mich doch recht! Es iſt ja nur vom Stellen die[Rede].

174Die Erbſchleicher.
Gerhard.

Mit dem Tode iſt nicht gut ſpaſ - ſen. Er kann ſein Spiel haben.

Juſtine.

Umgekehrt! Todtgeſagt werden, be - deutet langes Leben.

Gerhard
(zweifelhaft.)

Meynt Sie?

Juſtine.

Meine Großmutter hats an ſich ſelbſt erfahren.

Gerhard
(geſpannt.)

Zum Exempel? Auf was Art?

Juſtine.

Ein andermal will ichs Ihnen er - zaͤhlen.

Gerhard
(ſich beſinnend.)

M! M! Sie meynt alſo ?

Juſtine
(immer lebhafter.)

Probieren Sie’s auf mein Wort! Gehn Sie hier ins Kabinet! Stre - cken Sie ſich ſanft auf dem Ruhebette aus! Hal - ten Sie den Athem an ſich! Das iſts Alles.

(Ihm die Hände küſſend.)

Nun! bitte, bitte!

Gerhard
(halb entſchloſſen.)

Aber, Juſtine wenn ich nun auch ich ſetze den Fall was weiter?

Juſtine.

Ich bringe unſrer Einquartirung die frohe Nachricht, daß Sie zum Teſtamente zu - ſchicken wollen.

Gerhard.

Und dann?

175Die Erbſchleicher.
Juſtine.

Dann komm ich unter irgend ei - nem Vorwande wieder und ſehe und finde aber erſchrecken Sie nicht, wenn die Waͤnde von meinem Gebruͤlle zittern!

Gerhard.

Probiren will ichs allenfalls

Juſtine
(ihn vor Freude umarmend.)

Wollen Sie?

Gerhard.

Um Ihres Quaͤlens los zu wer - den.

(Sich viſitirend.)

Ich habe doch alle meine Schluͤſſel bey mir?

Juſtine.

Bis auf den zum Silbergewoͤlbe!

(Reicht ihm einen Schlüſſel.)
Gerhard
(ſteckt ihn ein und geht nach dem Ka - binet.)

Aber merke Sie ſich die Abrede wohl! nur ein Paar Minuten!

Juſtine
(ihn führend.)

Ach, es wird Ihnen ſo wohl gefallen ---

Gerhard
(an der Thür.)

Nur ein Paar Mi - nuten! denn denn

Juſtine.

So wohl als dem Kaiſer, hieß er nicht Karl der Fuͤnfte? der ſich gar zum Spaß begraben ließ ---

Gerhard
(wollte eben hinein gehen, guckt wie - der heraus.)

Begraben? Bey lebendigem Lei - be? Wie war das?

176Die Erbſchleicher.
Juſtine
(ſchnell, im Abgehen.)

Ja, mit Sang und Klang und Leichenpredigt, und allem Gugkuk

(Die letzten Worte hinter dem Thea - ter.)
Gerhard
(vollends hinein gehend.)

Zum Spaß? Gott ſteh mir bey! Ueber den Spaß!

(Die letzten Worte im Kabinette.)
Fuͤnfter177Die Erbſchleicher.

Fuͤnfter Akt.

Erſter Auftritt.

Juſtine
allein. Kömmt durch die Mittelthür, und geht eilig nach dem Kabinet.)

Alles geht nach Wunſch. Wenn nur Be - nedikt keinen Budel macht!

(Bleibt an der offe - nen Thür ſtehen, klopft in die Hände.)

Schoͤn! Tref - lich! O, Sie ſind ein allerliebſter Mann. Den rechten Arm beſſer ausgeſtreckt! Die Muͤtze tiefer ins Geſicht! So! Angenehme Ru - he!

(Wirft ihm einen Kuß zu.)

Aber ums Him - mels willen nicht gehuſtet! Erſticken Sie lieber!

(Rückt den Seſſel in die Mitte des Theaters.)

Ich will mir’s bequem machen ich will recht mit Anmuth in Ohnmacht liegen

(Klingelt und ruft.)

Huͤlfe! Huͤlfe! Benedikt! Madam Ungewitter! Herr Weinhold! Huͤlfe!

(Sinkt nachläßig in den Seſſel.)
M178Die Erbſchleicher.

Zweyter Auftritt

Benedikt. Juſtine.
Benedikt
(ſieht zur Thür herein.)

Soll ich kommen?

Juſtine
(halblaut.)

Wie kann Er noch fra - gen?

Benedikt
(mit kaltem Geſchrey.)

Heda! Wer ruft? Hat ſich ein Ungluͤck ---

Juſtine.

Thu Er doch mehr erſchrocken!

Benedikt.

Stille nur! Ich weiß ſchon, wie mans machen muß. Es ſind ja kaum ſechs Mo - nate, daß ich meine alte Haͤlfte transportirt habe.

Juſtine.

Ins Kabinet! Die Thuͤr offen gelaſſen!

Benedikt
(indem er hinein geht.)

Fuͤr Waſſer in die Augen iſt auch geſorgt.

(Zeigt ihr eine Zwiebel.)
179Die Erbſchleicher.

Dritter Auftritt.

Wittwe Ungewitter. Weinhold. Juſtine.
W. Ungew.

Was giebts?

(vor der Thür.)
1
Weinhold.

Was iſt vorgefallen?

(Stürzen herein, erblicken Juſtinen, eilen, und ſchütteln ſie, und rufen:)

Juſtine! Juſtinchen! he!

Juſtine
(mit geſchloſſenen Augen und gebrochener Stimme.)

Todt! todt! mauſetodt!

W[.]Ungew.

Sie kann ja noch reden.

Weinhold.

Wo fehlts Ihr denn?

Juſtine
(wie vorhin.)

Herr Ger Ger - hard

W. Ungew.

Der Herr Vetter! Wie? wo?

Weinhold.

Das waͤre der Teufel!

Vierter Auftritt.

Benedikt. Vorige.
Benedikt
(das Schnupftuch vor den Augen, zit - ternd und ſchluchzend.)

Da da! ſehn Sie zu, ob Sie ihn aufſchreyen koͤnnen!

M 2180Die Erbſchleicher.
W. Ungew. und Weinhold
(indem ſie ins Ka - binet ſtürzen.)

Herr Vetter! Herr Gerhard!

Fuͤnfter Auftritt.

Benedikt. Juſtine.
Benedikt
(halblaut.)

Nu? hab ichs recht ge - macht?

Juſtine.

Ja, zu Schelmereyen iſt Er zu gebrauchen.

Benedikt.

Ein feines Loͤbchen!

W. Ungew.
(im Kabinet.)

Allerbeſter Herr Vetter! Hoͤren Sie mich doch!

Weinhold
(im Kabinet.)

Er iſt und bleibt todt.

Juſtine
(zu Benedikt, leiſe.)

Fort! fort! Sie kommen wieder.

(Benedikt ab.)

Sechster Auftritt.

Wittwe Ungewitter. Weinhold. Juſtine.
W. Ungew.
(mit verſchobenem Kopfzeuge und wilder Geberde.)

Es iſt aus es iſt vorbey ich bin verloren!

181Die Erbſchleicher.
Weinhold
(ſpäter kommend und ſingend.)

Valet hat er gegeben, Der argen boͤſen Welt.

W. Ungew.
(heftig.)

Sie koͤnnen ſpotten?

Weinhold.

Ihm iſt wohl und uns beſſer.

W. Ungew.

Sie ſprechen, wie ein Heide wie die Hottentotten, die den alten Leuten die Kehle abſchneiden. Ich wollte ich weiß nicht was? ſchuldig ſeyn, wenn er nur noch eine Stunde gelebt haͤtte.

Juſtine
(noch im Seſſel, mit ſchwacher Stimme.)

Soll ich nach dem Herrn Gevatter Piſtorius ſchi - cken? Es iſt ſein Doktor.

W. Ungew.

Ach, es iſt nur ein vergebli - cher Gang, den ſich der Menſch bezahlen laͤßt. Der Gulden kann geſpart werden.

Weinhold.

Lieber nach dem Feldſcheer, zum Seciren!

Juſtine
(ſpringt auf.)

Warum nicht gar?

Weinhold.

Um gewiß zu ſeyn, daß er nicht wieder aufwacht.

Juſtine
(mit Uebertreibung.)

Nein, ich laſſe meinen lieben armen Herrn nicht herum martern.

W. Ungew.

Ans Aufwachen iſt nicht zu denken. Er hat keinen Funken Waͤrme mehr.

M 3182Die Erbſchleicher.
Weinhold.

Ihre Prophezeihung, Muhme!

(Bläſt)

Buh! gehts aus!

Juſtine
(weinerlich.)

Die Freude uͤber Ihre Ankunft hat ihm den Reſt gegeben. Ach, wie er dieſen Mittag einigemale laut lachte, wie er Sie zum Trinken noͤthigte, wie er Ihnen das Quartier anbot, wie er endlich gar vom Teſta - mente anfing, da uͤberliefs mich eiskalt. Ach, ſagt ich zu Benedikten, das ſind Zeichen vor ſei - nem Ende!

W. Ungew.
(zu Juſtinen.)

Wie uͤberfiels ihn aber? Erzaͤhle Sie doch! War Sie zugegen?

Juſtine
(mit zunehmenden Schluchzen.)

Ach, ich zittere noch, wie Eſpenlaub! Ich komme herun - ter ich find ihn nicht ich rufe ich oͤffne das Kabinet da liegt er! Schlum - mern Sie, Herr Gerhard? Keine Ant - wort. Ich trete naͤher ich ſeh ihm ins Geſicht Ich ergreife ſeine Hand Er ſchlug die Augen auf Mu Mu Muhme! fing er an zu ſtammeln Er hielt mich fuͤr Sie Krak! brach ihm das Herz Kaum hatt ich Zeit, das Fenſter aufzureiſſen, um die arme Seele hinaus zu laſſen.

W. Ungew.
(in Verzweiflung.)

Ohne ein Te - ſtament zu machen!

183Die Erbſchleicher.
Weinhold.

So erben wir ab inteſtato.

W. Ungew.

Einen Bettel!

Weinhold.

Aber zehn Jahre fruͤher.

W. Ungew.

Wenns hoch koͤmmt, die Rei - ſekoſten.

Weinhold.

Ein armer Teufel nimmt alles mit an.

Juſtine
(gegen das Kabinet, indem ſie unvermerkt die Thür zumacht.)

Ach, du guter, kreuzbraver, goldner Herr! mußt du ſo fruͤh aus der Welt gehen?

Weinhold.

Er hat lange genug zuſammen geſcharrt.

W. Ungew.

Und gewuchert und gegeitzt. Seinen Verwandten zum Trotz gelebt, und zum Poſſen geſtorben! Aber du ſollſt deine Abſicht nicht erreichen, heimtuͤckiſcher Alter!

(Zu Juſtinen.)

Jungfer Schließerinn, wo ſind die Schluͤſſel?

Juſtine.

Zur leeren Speiſekammer? Hier! Die uͤbrigen fuͤhrt der Herr bey ſich.

W. Ungew.

Ungluͤcklich!

(Halblaut.)

Vet - ter Emmerich! viſitiren Sie ihn doch!

Weinhold.

Ich will Ihnen nicht vor - greifen.

M 4184Die Erbſchleicher.
W. Ungew.
(ſpöttiſch.)

Fuͤrchten Sie ſich, ei - nen Todten anzuruͤhren?

Weinhold.

Auf der Wahlſtatt wuͤrd ich mich nicht bedenken.

W. Ungew.

Wir muͤſſen doch das Geld zum Begraͤbniß abzaͤhlen

Weinhold.

Meinethalben mag er unbegra - ben liegen bleiben.

(Zieht Pfeiffe und Tabaksbeutel aus der Taſche, ſtopft, ſchlägt Feuer auf, und fängt an zu rauchen.)
W. Ungew.

Juſtine! Liebe, beſte Juſtine! was fangen wir an?

Juſtine.

Wir laſſen verſiegeln.

W. Ungew.
(wirſt ſich in den Seſſel.)

Und ſe - hen das ſchoͤne Vermoͤgen in hundert Bißen zer - ſtuͤckeln! Uns wars zugedacht. Unſer waͤrs in einer Stunde geworden.

(Aufſpringend.)

Schon die dritte Erbſchaft, die mir fehl - ſchlaͤgt! Ich bin auch ſo deſperat Wenn ich eine geladene Piſtole haͤtte, ich koͤnnte !

(Schlägt ſich mit geballter Hand an die Stirne.)
Weinhold.

Ich will Ihnen eine holen.

Juſtine.

Ach, Madam, wenn eine ſo geiſt - reiche Dame, wenn eine Gelehrte, wie Sie, ſol - che Reden fuͤhrt was bleibt mir einfaͤltigem185Die Erbſchleicher.Maͤdchen uͤbrig? Ins Waſſer zu ſpringen. Sechs Jahre Strapatze bey Tag und Nacht! mit einem Spottgeld abgeſpeiſt, und immer aufs Le - gatchen vertroͤſtet! und nun ſo kahl und bloß ab - gezogen, als ich ins Haus gekommen bin!

(Man hört im Hauſe klopfen.)
W. Ungew.
(die im finſtern Nachdenken auf und ab gegangen iſt.)

Was bedeutet das?

Weinhold.

Der Alte ſpuͤckt.

Juſtine.

Es will Jemand ins Haus.

W. Ungew.

Abgewieſen! geſchwinde!

(Juſtine ab.)

Siebenter Auftritt.

Wittwe Ungewitter. Weinhold.
W. Ungew.

Jetzt ſind wir allein, Vetter Emmerich.

Weinhold
(rauchend.)

Jetzt ſtehen die Ochſen am[Berge], Muhme Lukrezia.

W. Ungew.

O, keine Wachſtuben-Spaͤß - chen!

Weinhold.

Ich muß ſie wieder lernen. Machen Sie Elegien, wenn Sie wollen!

M 5186Die Erbſchleicher.
W. Ungew.

Ach, lieber Schatz! Wir wer - den magere Bißen ſchlucken.

Weinhold.

Lieber Schatz, ich kann die fet - ten nicht vertragen.

W. Ungew.

Wir werden eine kleine Hoch - zeit ausrichten.

Weinhold.

Gar keine.

W. Ungew.
(kläglich.)

Wie, mein Engel?

Weinhold
(ihren Ton parodirend.)

Ja, mein Engel.

W. Ungew.
(heftig.)

Ich ſollte um Mann und Erbſchaft zugleich kommen?

Weinhold
(lebhaft.)

Und ich, ſtatt der Erb - ſchaft, zu einer Frau?

W. Ungew.
(bemerkt, daß er raucht.)

Aber iſt es Ihnen moͤglich, jetzt zu rauchen?

Weinhold.

Ich verrauche die Grillen.

W. Ungew.
(reißt ihm die[Pfeiffe] weg.)

Ich glaube, Sie haben mich zum Beſten, Herr.

Weinhold.

Richt doch! Der Zufall iſts, der uns Beide zu narren beliebt.

187Die Erbſchleicher.

Achter Auftritt.

Juſtine. Vorige.
Juſtine
(im Eintreten.)

Sprechen Sie nicht ſo laut! Der Notarius iſt im Hauſe.

W. Ungew. Weinhold.

Der Notarius?

Juſtine.

Er koͤmmt des Teſtaments wegen.

W. Ungew.
(in Verzweiflung.)

Ach, das Te - ſtament!

Juſtine.

Er beſteht darauf, den Herrn zu ſprechen. Ich hab ihn ins Viſitenzimmer ge - fuͤhrt.

W Ungew.

Sie hat ihm doch nicht die Wahrheit geſagt?

Juſtine.

Der Herr waͤre ſehr uͤbel.

W. Ungew.

Ohne Beſinnung? ohne Spra - che?

Juſtine.

Nein, ſo ſchlimm nicht.

W. Ungew.
(kläglich.)

Vetter Emmerich!

Weinhold
(kläglich.)

Muhme Lukrezia!

W. Ungew.

Ach!

Weinhold
(mit Karrikatur.)

Ach!

W. Ungew.

Wollen Sie mich ſterben ſehen, mein Schatz?

188Die Erbſchleicher.
Weinhold.

Ich will Ihnen die Standrede halten, mein Engel.

W. Ungew.
(heftig.)

Herr, ſchaffen Sie mir ein Teſtament!

Weinhold.

Wenn eines wegzuſchaffen waͤre?

W. Ungew.

Wohlan! Ich will Kopf fuͤr euch alle haben.

Weinhold.

Weiberliſt behielt von jeher den Preis.

W. Ungew.

Ich hab eine Eingebung ---

Weinhold. Juſtine.

Nun?

W. Ungew.

Kommt naͤher! Juſtine! Kann Sie blind, taub und ſtumm ſeyn?

Juſtine.

Blind und taub? Immerhin Aber ſtumm? das iſt der Knoten.

W Ungew.

Hundert Louisdors ſind auch nicht leicht zu verdienen.

Juſtine.

O, um den Preis ſind manchem Maͤdchen alle Sinne feil.

W. Ungew.
(zu Weinhold.)

Allons, Herr Caglioſtro! Zeigen Sie Ihre Kunſt! Koͤnnen Sie Geiſter citiren?

Weinhold.

Dem Alten haͤtt ich wohl einen blauen Dunſt vorgemacht.

189Die Erbſchleicher.
W. Ungew.

Ich kanns.

(Spricht mit Ju - ſtinen heimlich.)
Weinhold.

Sie ſehen auch aus, wie die Hexe zu Endor.

Juſtine.

Sogleich.

(Ab in Gerhards Schreib - ſtube.)
W. Ungew.
(hüpfend und in die Hände klopfend.)

Vetter Emmerich, der Zufall ſoll doch nach unſrer Pfeiffe tanzen!

Weinhold.

Muhme Lukrezia, mir wird bange, Ihr tanzt ins Irrhaus.

Juſtine
(kömmt wieder und bringt Schlafrock, Nachtmütze, Halstuch, Puderſchachtel, und einige Kißen.)

Hier iſt Alles!

Weinhold
(verwundert.)

Wer will ſich mas - kiren?

W. Ungew.
(ihm den Schlafrock vorhaltend.)

Sie ſelbſt, Herr Vetter.

Weinhold.

Was ?

W. Ungew.

Ohne Widerrede! kriechen Sie hinein! Setzen Sie ſich!

(Stößt ihn auf den Seſſel, legt ihm das Halstuch um.)
Weinhold.

Nun ?

Juſtine.

Die Muͤtze uͤber die Ohren!

(Setzt ſie ihm auf.)
190Die Erbſchleicher.
W. Ungew.

Hieher ein Kißen!

(Stopft ihm eines unter den Kopf.)
Juſtine.

Und hieher eines!

(Wirſt ihm ein Kißen ins Geſicht.)
Weinhold
(drohend.)

Maͤdchen!

W. Ungew.

Den Pferdefuß verſteckt!

(Breitet ihm ein Kißen über die Füße.)
Juſtine.

Und die rothen Backen uͤbertuͤncht!

(Pudert ihm das Geſicht ein.)
Weinhold
(ſprudelnd)

Ich erſticke

Juſtine.

Hat nichts zu ſagen.

W. Ungew.
(ihn betrachtend.)

Unvergleich - lich! Der Alte, wie er leibt und lebt!

Juſtine.

Zum Erſchrecken aͤhnlich!

W. Ungew.
(mit Karrikatur.)

Schatten des Geitzdrachen Gerhard! ich beſchwoͤre dich! Steig herauf, und umſchwebe dieſen Seſſel!

Weinhold.

Weiber, was habt ihr mit mir vor?

W. Ungew.
(geht in die Fenſterkoulißen.)

Alle Vorhaͤnge herunter!

(Zu Juſtinen.)

Der Notarius ſoll kommen. Der Herr Vetter will teſtiren.

Juſtine.
(ab.)
191Die Erbſchleicher.

Neunter Auftritt.

Wittwe Ungewitter. Weinhold.
Weinhold.

Frau Muhme, das geht auf eine Spitzbuͤberey los.

W. Ungew.

Nichts, als die Ergaͤnzung ei - ner elenden Formalitaͤt. Sie ſind des alten Vet - ters Sprachrohr. Sie hallen nach, was Sie aus ſeinem Munde auſſingen.

Weinhold.

Aber unterſchreiben thu ich nicht.

W. Ungew.

Warum nicht?

Weinhold.

Ich muͤßte mich vor meinem Seitengewehre ſchaͤmen.

W. Ungew.

Gut! Wir fuͤhren dem Todten die Hand.

Weinhold.

Und wenn uns die Juſtitz auf die Finger klopft?

W. Ungew.

Morgen ſind wir ihr aus den Augen.

Weinhold.

Sie hat lange Arme

W. Ungew.

Wir haben noch laͤngere Beine.

Weinhold.

Ich glaube, der Schlafrock ſteckt an ich bekomme Herzklopfen

192Die Erbſchleicher.
W. Ungew.

Deſto beſſer!

Weinhold.

Es wird mir gruͤn und gelb vor den Augen

W. Ungew.

Deſto natuͤrlicher!

(Nimmt ei - nen Stuhl und ſetzt ſich Weinholden zur Rechten.)

Zehnter Auftritt.

Juſtine. Benedikt, als Notar. Vorige.
(Gerhard kann in dieſem und den folgenden Auf - tritten von Zeit zu Zeit an der Kabinetsthüre lauſchen; ſo oft ihn aber Juſtine gewahr wird, winkt ſie ihm, hinter der Wittwe Ungewitter Rücken, ſich zurück zu ziehen.)
Juſtine
(mit Schreibzeug und zwey Lichtern, geht voran.)

Sprechen Sie ein wenig laut, Herr No - tarius. Sein Gehoͤr hat gelitten.

(Setzt den Tiſch und Stuhl zurechte.)
Benedikt
(näher kommend, thut erſchrocken. Zu Juſtinen.)

Ey! wie haben ſich Herr Gerhard ver - aͤndert!

Juſtine
(weinerlich.)

Das geht ſehr natuͤrlich zu.

(Sie tritt neben Weinholds Seſſel, zur Linken.)
Benedikt
(mit ſtarker Stimme.)

Ganz gehor - ſamſter Diener, mein Herr Gerhard!

Weinhold
193Die Erbſchleicher.
Weinhold
(Gerhards Stimme nachahmend.)

Ge - horſamer Diener!

Benedikt.

Sie haben befohlen

Weinhold.

Wie?

Benedikt
(noch ſtärker.)

Sie wollen Ihr Haus beſtellen?

Weinhold
(hält ſich die Ohren.)

Sachte, ſach - te! Ich will nicht ich muß ich moͤchte raſend werden

Benedikt.

Laſſen Sie darum nicht gleich die Ohren hangen! Ein Teſtament iſt nicht immer das Zeichen zum Abmarſch. Je aͤlter der Fuchs, je zaͤher das Leben. Ich hab der Faͤlle mehr er - lebt.

Weinhold.

Gehorſamer Diener! Ja, wir ſind alle wurmſtichige Nuͤſſe.

Benedikt
(zu Juſtinen.)

Der gute Herr! Er ſchwatzt ganz uͤbern Berg.

W. Ungew.

Sprechen Sie ja nicht zu viel, lieber Herr Vetter!

Juſtine
(leiſe.)

Stoͤhnen Sie mit unter!

Weinhold
(mit Karrikatur.)

Auweh! Auweh!

W. Ungew.

Armer Herr Vetter!

(Halblaut zu Juſtinen, auf Benedikten zeigend.)

Das Contre - bandegeſicht hab ich ſchon irgendwo geſehen.

N194Die Erbſchleicher.
Juſtine.

Doch nicht am Pranger?

Benedikt
(der indeſſen ſich in Poſitur zu ſchreiben geſetzt hat.)

Was belieben Sie fuͤr einen Eingang?

Weinhold.

Ich geh immer gerade zu.

Benedikt.

Erlauben Sie! Die Taxe iſt ver - ſchieden, je nachdem er poetiſch, moraliſch, oder theologiſch iſt.

W. Ungew.
(bittend.)

Herr Notarins, wenn Sie den Eingang hinter her machten!

Benedikt.

Hinterher? Das iſt zwar gegen den Styli curias indeſſen Alſo zur Sa - che! Belieben Sie zu diktiren!

Weinhold
(diktirt.)

Ich Unterzeichneter

(Zur Wittwe Ungewitter.)

Wie heiß ich?

Juſtine.

Er weiß ſeinen Namen nicht mehr!

Benedikt
(bedenklich.)

Erlauben Sie! Der Umſtand iſt ---

W. Ungew.
(einfallend.)

Ein Familienfehler. Er begegnet mir zuwellen auch.

(Weinholden ins Ohr.)

Euſebius Gerhard.

Weinhold
(laut.)

Euſebius Gerhard.

Benedikt
(ſchreibend.)

Will und verordne alſo hiermit zuvoͤrderſt Jetzt koͤmmt der Punkt der Beerdigung.

Weinhold.

Den uͤberhuͤpfen wir.

195Die Erbſchleicher.
Benedikt. W. Ungew.

Erlauben Sie, die Jura Stola - Ja, Herr Vetter! Verlaſſen Sie ſich auf uns! Wir wer - den den letzten Pfennig an - wenden, Ihnen die letzte Eh - re ---

Weinhold
(einfallend.)

Nichts von Ehre! Auf gut Kaiſerlich! Einen Sack und ein Loch!

Juſtine.

Er ſtirbt, wie er gelebt hat.

Benedikt
(ſchreibend.)

Zuvoͤrderſt, daß es mit meiner irrdiſchen Huͤlle, ohne Ehre, und der - geſtalt ---

Eilfter Auftritt.

Piſtorius. Vorige.
(Dieſer Auftritt erfodert ein vorzüglich raſches und zuſammenhängendes Spiel.)
Piſtorius
(indem er die Thür öffnet.)

Diener, Diener, Herr Gevatter!

Juſtine. W. Ungew.

Himmel! Herr Piſtorius!

( Laufen ihm entgegen.)
Piſtorius
(ſtutzt.)

Ih! was geht denn hier vor?

N 2196Die Erbſchleicher.
Juſtine. W. Ungew.

Es darf kein Menſch herein.

(Treten ihm in den Weg.)
Piſtorius
(Wittwe Ungewitter erkennend.)

Ih, meine Frau Kriegsraͤthinn ---

W. Ungew.

Herr Gerhard iſt nicht zu ſpre - chen.

Piſtorius.

Wo kommen Sie denn hieher?

W. Ungew.

Ein andermal will ich ant - worten.

Piſtorius.

Aber was giebts denn eigentlich?

Juſtine
(ungeduldig.)

Sehn Sie nicht die An - ſtalten?

Piſtorius.

Zum Teſtamente? iſt der Herr Gevatter ſchlimmer geworden?

Juſtine.

Wer hat Schuld, als Sie und Ihre Fieke?

Piſtorius

Ey behuͤte! Herr Gevatter, was muß ich hoͤren?

Weinhold
(in ſeinem eignen Ton.)

Gehn Sie zum Teufel!

Piſtorius.

O, Ihnen ſitzt der Tod noch nicht auf der Zunge.

(Bey jeder Rede verſucht er vorwärts zu gehen, und wird von Wittwe Ungewitter und Juſti - nen zurück getrieben.)
W. Ungew. Juſtine.

Aber ſo gehn Sie doch!

197Die Erbſchleicher.
Piſtorius.

Ich komme nur

Juſtine.

Der Rechnung wegen? geben Sie her!

Piſtorius.

Excuſiren Sie! Ich komme zu depriciren.

W. Ungew.

In agone fragt man auch nach Komplimenten.

Piſtorius.

Jeder Menſch hat ſein tempora - mentum, und bey mir praenominirt die co - leram.

W Ungew. Juſtine.

Die Kollerader.

Piſtorius.

Aber ein guter Chriſt, Herr Ge - vatter ---

W. Ungew. Juſtine.

Laͤßt den andern in Ruhe ſter - ben.

Piſtorius.

Gedenken Sie der geiſtlichen Verwandtſchaft!

W Ungew. Juſtine.

Ja doch!

( Sie treiben ihn immer näher an die Thür.)
Piſtorius.

Stiften Sie ein Andenken in die Piſtoriuſſiſche Apotheke!

Juſtine.

Ja doch!

Piſtorius.

Ihr Pathe ſoll auch auf den Pfar - rer ſtudiren.

N 3198Die Erbſchleicher.
W. Ungew. Juſtine.

Ja doch, ja doch, ja doch!

( Trei - ben ihn vollends zur Thür hinaus und halten die Thür zu.)
Piſtorius
(ruft noch von außen.)

Gluͤckliche Nei - ſe, Herr Gevatter!

Juſtine
(ruft durch die Thür.)

Baldige Nach - folge, Herr Piſtorius!

W. Ungew.

Zugeriegelt, Juſtine!

Zwoͤlfter Auftritt.

Wittwe Ungewitter. Weinhold. Juſtine. Benedikt.
W. Ungew.

Und Sie, Herr Notarius, fahren Sie friſch fort!

Benedikt
(der indeſſen geſchrieben und ſich vor Piſtorius ſoviel möglich verſteckt hat, lieſt:)

Hiernaͤchſt ſetze ich ein und ernenne zu meinen Univerſalerben Iſts gefaͤllig?

Weinhold.

Meine liebe Muhme, Lukrezia Ungewitter ---

W Ungew.
(laut ſchluchzend.)

Ach! ach!

Weinhold.

Gebohrne

W. Ungew.
(ihm ins Ohr.)

Kapphahn

Weinhold.

Schnapphahn ---

199Die Erbſchleicher.
W. Ungew.
(laut.)

Kapphahn Ach, Herr Vetter

(ihm die Hand küſſend)

ich bins nicht werth ich werde Sie nicht lange uͤber ---

Weinhold
(hält ihr den Mund zu.)

Stille! Ferner ---

Benedikt
(der mit Schreiben inne gehalten hat.)

Erlauben Sie! Kapp? oder Schnapp?

Weinhold.

Kapphahn! Ferner meinen lieben Vetter Emmerich Sylveſter Weinhold, und zwar unter der Bedingung

Benedikt
(ſchreibend.)

Bedingung

Weinhold.

Daß dieſe Beide einander ehe - lichen, als auf welchen Fall

Benedikt
(ſchreibend.)

Fall

Weinhold.

Ich dem vorgedachten Wein - hold noch uͤberdieß zehn tauſend Reichsthaler

W. Ungew.
(einfallend.)

Herr Better, was wollen Sie?

Weinhold.

Zehn tauſend Reichsthaler vor - aus vermache

W. Ungew.

Allerbeſter Herr Vetter! Der Menſch weiß nicht mit Geld umzugehen. Er ſpielt. Er trinkt. Sie bereiten mir eine un - gluͤckliche Ehe.

Weinhold.

Soll ich die Ehe weglaſſen?

N 4200Die Erbſchleicher.
W. Ungew.

Nein, nein! Ich unterwerfe mich ganz Ihrem ---

Benedikt.

Vorausvermache.

Weinhold.

Ferner vermach und legir ich meiner Haushaͤlterinn und Waͤrterinn ---

Juſtine
(einfallend.)

Juſtine Klarbach kuͤßt Ih - nen die Haͤnde ---

Weinhold.

Juſtinen Klarbach. Einhun - dert Stuͤck vollwichtige Louisd’ors

Benedikt.

Louisd’ors. Ferner?

W. Ungew.
(ungeduldig, auſſtehend.)

Soll er ſich die Seele aus dem Leibe legiren?

Benedikt.

Nichts ad pios uſos?

W. Ungew.

Er iſt kein Pietiſt. Quaͤlen Sie ihn nicht!

(Schlingt ihren Arm um Weinhold und lehnt ihr Geſicht an ſein Kopfkiſſen.)
Benedikt.

Belieben Sie demnach zu vollzie - hen!

(Steht auf und überreicht ihm Papier und Feder.)

Dreyzehnter Auftritt.

Gerhard. Vorige.
Gerhard
(erſcheint an der offnen Kabinetsthür.)
Juſtine
(wird ihn gewahr und ſchreyt.)

Ein Ge -201Die Erbſchleicher.ſpenſt!

(Sinkt auf die Knie und verbirgt ihr Geſicht in Weinholds Schlafrock)
W. Ungew.
(fährt auf.)

Wa --- Was?

(wird ihn gleichfalls gewahr und ſchreyt.)

Der todte Vetter!

(Taumelt zurück und ſinkt auf den Stuhl, den ſie verlaſſen hat.)
Benedikt
(läßt Papier und Feder fallen.)

Der Teſtator in duplum.

(Verkriecht ſich hinter Wein - holds Seſſel.)
Weinhold
(unerſchrocken, beugt ſich vor, hält die Hand vor die Augen.)

Mein Conterfey oder ich ſelbſt?

(Dieſer ganze Theaterſtreich geht gleichſam in Ei - nem Tempo vor ſich.)
Gerhard
(tritt näher, mit ſtarker Stimme.)

Be - nedikt!

Juſtine
(ſich halb aufrichtend.)

Sind Sie’s leib - haftig?

Benedikt
(der indeſſen Rock, Perücke, Bauch und Augenpflaſter abgeworfen hat.)

Herr Gerhard!

Weinhold
(erſtaunt.)

Noch eine Verkleidung?

Gerhard
(zu Benedikt.)

Die Gerichtsdiener!

Benedikt.

Sehr wohl.

(Will ab.)
Weinhold
(ſpringt auf und zieht ihn beym Rock - zipfel zurück.)

Sehr uͤbel!

(Zu Gerhard.)

Will -N 5202Die Erbſchleicher.kommen, Herr Vetter! Sind Sie auferſtanden? Sehen Sie die Wirkung meiner Eſſenz?

Gerhard.

Unverſchaͤmter!

Weinhold.

Da ſpielen wir Komoͤdie. Seh ich nicht natuͤrlich aus, wie Sie?

Gerhard
(zu Benedikt.)

Die Gerichtsdiener will ich haben.

Weinhold.

Wozu das?

(Indem er ſeine Ver - kleidung abwirft.)

Von den Herren ſteht kein Wort im Stuͤcke. Der Knoten wird nicht zerhauen. Er loͤſt ſich von ſelbſt. Alles kehrt in den vori - gen Stand zuruͤck; der alte Vetter zu ſeinem Mammon; der junge zum Regimente; die Frau Muhme zur Spinnradsmuſe und der Vor - hang faͤllt.

(Will ab.)
Gerhard
(ruft.)

Haltet ihn auf, den ---

Weinhold
(ſchnell umkehrend.)

Nicht geſchimpft! Ich bin Fahnjunker, und darfs nicht auf mir ſitzen laſſen. Seyn Sie billig! Laſſen Sie mich bey Nacht und Nebel abziehen ich bin beſtraft genug ich ſchaͤme mich, wie ein begoſſener Budel

Juſtine.

Herr Gerhard! Dieſer treuherzige Ton Ich wollte wetten, daß er noch ein Neu - ling iſt.

203Die Erbſchleicher.
Weinhold.

Ein Neuling eben nicht. Tolle Streiche hab ich genug gemacht; aber hole mich Dieſer und Jener! Keinen ſchlechten. Liefen alle Betruͤger bey dem Probeſtuͤckchen an, wie ich; ihre Kuͤnſte wuͤrden bald unter die Ver - lorenen gehoͤren.

(Ab.)

Vierzehnter Auftritt.

Gerhard. Wittwe Ungewitter. Juſtine. Benedikt.
Juſtine
(geht zu Wittwe Ungewitter und faßt ſie an.)

Nun, Madam Ungewitter? Iſt der Schreck voruͤber? wollen Sie zur Ader laſſen?

W. Ungew.
(die indeſſen, wie in einer Ohnmacht gelegen, aber durch Blicke und Mienen von Zeit zu Zeit den folgenden Ausbruch von Leidenſchaft vorbereitet hat, ſtößt ſie zurück und ſpringt auf.)

Elender Spott! Sie hat uns uͤberliſtet. Aber die Strafe wird nicht ausbleiben. Erleben will ichs, daß auch Ihre Schliche an den Tag kommen, daß die nie - dertraͤchtigen Gefaͤlligkeiten, zu denen Sie ſich jetzt herablaͤßt ---

Gerhard
(geht wütend auf ſie los.)

Sie unter - ſteht ſich noch zu drohen?

204Die Erbſchleicher.
W. Ungew.
(tritt ſtolz zurück.)

Soll ich krie - chen? Vor dem Manne kriechen, der keine Em - pfindung kennt, als Habſucht, und keine Selig - keit, als Geld? der Streit an ſeinen Verwand - ten ſucht, um ſich von Verbindlichkeiten loszuſa - gen, und ihnen Schwachheiten ablauert, um ſie zu verſtoßen!

(Verzweiflung in Ton und Blick.)

Ich ſchrie um Brod fuͤr meine Kinder, und er hoͤrte nicht! Ich kam, und heuchelte, und ver - laͤumdete und fand Eingang! Es war Un - recht von mir aber Noth kennt kein Geſetz, und Hartherzigkeit fodert zu Betrug auf.

(mit wilder Begeiſterung ſich ihm nähernd, indeſſen Gerhard ſich zitternd zurück zieht, und in den Seſſel ſinkt.)

Grauſamer Mann! Vielleicht ſchlaͤgt ſie dir dieſe Nacht noch, die Stunde des Abſchiedes. Waͤlze dich dann auf deinen Schaͤtzen, und fleh um Gna - de! Verpfaͤnde Hab und Gut dem Himmel, um Aufſchub von ihm zu erhandeln! Suche Troſt auf den eiskalten Geſichtern deiner Augendiener! und ſieh, wie ſie dich verſchmachten laſſen, um das Loos uͤber deinen Raub zu werfen, und ſtirb in Ver - zweiflung!

(Ab)
205Die Erbſchleicher.

Funfzehnter Auftritt.

Gerhard. Juſtine. Benedikt.
(Gerhard liegt betäubt im Seſſel; Juſtine, geſtützt auf die Lehne deſſelben, verbirgt ihr Geſicht; Benedikt ſteht verwundert von ferne.)
Juſtine
(nach einer Pauſe, leiſe.)

Benedikt! Such Er meinen Bruder auf ---

Benedikt.

Wen, Mamſellchen?

Juſtine.

Herrn Sternberg, wollt ich ſagen erzaͤhl Er ihm, was Er geſehen und gehoͤrt hat ſag Er ihm ---

Benedikt.

Da werd ich heute nicht fer - tig ---

Juſtine
(fortfahrend.)

Daß ich ſeines Beyſtan - des bedarf daß ich ihn und Madam Anker und Thereſen daß ich ſie alle bitte, zu kom - men und fuͤhr Er ſie ins Kabinet!

Benedikt.

Aber was krieg ich denn fuͤr mei - ne Muͤhe?

Juſtine
(ungeduldig.)

O, geh Er!

Benedikt
(indem er die Kleidungsſtücke verdrüßlich zuſammen rafft.)

Ein andermal ſpiel ich auch nicht wieder mit.

(Ab.)
206Die Erbſchleicher.

Sechszehnter Auftritt.

Gerhard. Juſtine.
Gerhard
(ſich erholend, mit erſtickter Stimme.)

Mir das? Mir, der ich wiſſentlich kein Kind be - truͤbe! Ich, hartherzig? Haben Sie’s nicht an mich gebracht, ſie und ihres Gleichen? Zu lange ſchon ließ ich mich von den Blutigeln ausſaugen An meinem eigenen Leibe darbt ichs ab, um einſt der undankbaren Brut ein Denkmahl meines Nahmens zu laſſen und jetzt! und ſo!

(fährt auf.)

Das verdamm - te Geld! Es iſt ein Fluch des Himmels. Es iſt die Quelle alles Unheils, aller Laſter unter der Sonne.

(Knirſchend.)

Ich wills vergraben. Ich will mich in ein Hoſpital kaufen. Ich will meine ---

Juſtine
(in Thränen, ihm die Hand auf die Schul - ter legend.)

Armer Herr Gerhard!

Gerhard
(ſie von ſich ſtoßend.)

Weg! Ich mag Euer Mitleid nicht.

Juſtine
(ſanft.)

Ich bin Juſtine.

Gerhard.

Ihr ſeyd alle falſch. Ihr ſteht mir alle nach dem Leben. Auf allen Ge -207Die Erbſchleicher.ſichtern leſ ich nichts, als den Wunſch: geh ins Grab!

Juſtine.

Faſſen Sie ſich!

Gerhard
(außer ſich.)

Warum nahm ich nicht ein Weib in meiner Jugend? Oder warum war ich nicht gewiſſenlos, wie Andere? O, daß irgend ein Ungluͤcklicher mir das Leben zu danken haͤtte! Als Sohn wollt ich ihn umarmen, und wenn die verworfenſte Dirne ſeine Mutter waͤre! und wenn ich ihn von der Galeere loͤſen muͤßte!

(Sinkt erſchöpft zurück.)
Juſtine
(mit ſteigender Wärme und Rührung.)

Lieber, beſter Herr! Laſſen Sie ſich die Schmaͤ - hungen eines aufgebrachten Weibes nicht zu tief verwunden! Die Verzweiflung ſprach aus ihr. Geben Sie mildern Eindruͤcken Raum! Oeffnen Sie Ihr Herz dem Redlichen! Gießen Sie Wohlthaten uͤber den aus, der ſie verdient! Ge - nießen Sie ſo Ihrer Guͤter! Dankbarkeit iſt noch nicht ausgeſtorben. Die Gluͤcklichen, die es durch Sie geworden ſind, werden Ihnen die Buͤrde des Alters tragen helfen, werden Ih - rer wankenden Geſundheit mit unermuͤdeter Sorgfalt pflegen, und mit treuen Haͤnden einſt ihr muͤdes Haupt ſtuͤtzen, wann Sie208Die Erbſchleicher.im Bewußtſeyn guter Handlungen einſchlum - mern.

Gerhard.

Ach, daß ich ſchon tief tief unten laͤge!

Siebenzehnter Auftritt.

Bieder. Vorige.
Bieder
(im Eintreten.)

Ergebenſter Diener, lieber Herr Gerhard!

Juſtine
(eilt ihm entgegen.)

Herr Bieder!

Bieder.

Der Ihrige, Mamſell Juſtinchen!

Juſtine.

Seyn Sie uns tauſendmal willkom - men!

(Reicht ihm die Hand.)
Bieder
(ihr die Hand drückend, lächelnd.)

Weil ich Geld bringe?

(Zu Gerharden, der ihn grüßt, ohne aufzuſtehen.)

Sie nehmens doch nicht uͤbel, daß ich vor der Zeit komme? Es war mir juſt ſo viel von Fruͤchten und Wolle eingegangen, und ein guter Wirth laͤßt baar Geld nicht gern muͤßig liegen. Auf dem Lande vollends! Darf ichs aufzaͤhlen?

Gerhard.

Einen Stuhl! Nehmen Sie Platz, Herr Pfarrer!

Bieder
209Die Erbſchleicher.
Bieder
(nimmt Juſtinen den Stuhl ab, ſetzt ſich an den Tiſch und zählt Geld auf.)

Ihr Geld gedeiht. Ich werde mehr anklopfen. Die arm〈…〉〈…〉 Land - wirthe, denen ich damit unter die Arme gegriffen habe, ſind nicht weniger gluͤcklich geweſen, als ich. Das unſichtbare Gute, das unſer Einer ſtiften kann, iſt ſo mißlich, daß ich mich gern an das Sichtbare halte. Ich fuͤhre meine Bauern vor allen Dingen zur Arbeit an. Dem nuͤtzli - chen Weltbuͤrger, denk ich, wird der Himmel das Buͤrgerrecht auch nicht verſagen. Belie - ben Sie nachzuzaͤhlen!

Gerhard.

Ich will Ihre Verſchreibung ſu - chen.

Achtzehnter Auftritt.

Bieder. Juſtine.
Bieder
(aufſtehend.)

Herr Gerhard koͤmmt mir ganz verſtoͤrt vor Und Sie, Juſtinchen, ha - ben rothe Augen!

Juſtine

Es iſt nichts ein haͤuslicher Verdruß.

O210Die Erbſchleicher.
Bieder.

Familienſachen?

Juſtine.

Ihnen kann ichs wohl ver - trauen ---

Bieder.

Ich wills nicht wiſſen, durchaus nicht. Wir haben von Dingen zu reden, die mich naͤher angehen. Ich komme die Antwort auf meinen Brief zu holen.

Juſtine

Angefangen iſt ſie aber, lieber Bieder! Ich kann den alten Vetter nicht verlaſ - ſen.

Bieder.

Mein ſeeliges Weib verließ Aeltern und Großaͤltern, um mir zu folgen.

Juſtine.

Zweifeln Sie nicht an meinem Herzen! Aber Sie kennen ſeine Lage thun Sie ſelbſt den Ausſpruch!

Bieder.

Ich bin die Gegenparthey. Waͤr ich ein Fremder, ich wuͤrde ſagen, daß Herr Ger - hard reich genug iſt, um ſich Wartung und Pfle - ge zu verſchaffen.

Juſtine.

Was ſind alle Dienſtleiſtungen von Miethlingen gegen die Treue einer Verwandten, die ihn liebt?

Bieder.

Hat er nicht Ihren Bruder?

Juſtine.

Mein armer Bruder! Er ſteht211Die Erbſchleicher.im Begriff Alles zu verlieren! Laſſen Sie ihm wenigſtens ſeine Schweſter!

Bieder
(bedenklich.)

Juſtinchen!

Juſtine.

Sie argwoͤhnen doch nicht ?

Bieder.

Ich argwoͤhne nichts. Ich finde den Lauf der Dinge ganz natuͤrlich. Als wir uns kennen lernten, waren unſere Ausſichten ein - ander gleich. Die Ihrigen haben ſich ſeitdem veraͤndert. Es waͤre Unbilligkeit von mir, auf die Erfuͤllung eines Verſprechens zu dringen, das Sie unter ſo verſchiedenen Umſtaͤnden thaten. Und von Ihnen waͤr es vielleicht Thorheit, ſich in die Einſiedeley eines Landprieſters einzuſperren, da Sie einſt in der großen Welt glaͤnzen koͤnnen.

Juſtine
(betreten.)

Verſteh ich Sie recht?

Bieder.

Was Sie, edles Maͤdchen, mir ſeyn koͤnnten werd ich nie wieder finden. Sie wuͤrden meine Huͤtte zum Paradieſe machen. Aber ich muß dem Himmel vertrauen, und Erge - bung und Vergeſſenheit lernen.

Juſtine
(innig gerührt.)

Nein, Bieder, wenn Sie ſo denken

(Lebhaft.)

Hier bin ich, und folge Ihnen wann und wohin Sie wollen.

(Reicht ihm die Hand.)
O 2212Die Erbſchleicher.
Bieder
(ihre Hand an ſein Herz drückend.)

Vor - trefliches Maͤdchen! Darf ichs glauben?

Juſtine.

Bitten Sie den Vetter um meine Entlaſſung!

Neunzehnter Auftritt.

Benedikt. Vorige.
Benedikt
(im Eintreten vor ſich.)

Da iſt er ja gar ſelbſt!

(Halblaut.)

Mamſellchen!

Juſtine
(nähert ſich ihm.)

Nun?

Benedikt.

Sie wollen alle kommen.

Juſtine.

Es iſt gut.

(Gebt wieder zu Biedern und ſpricht heimlich mit ihm)
Benedikt.

Richtig! Der Schwarze holt ſie!

(Ab.)

Zwanzigſter Auftritt.

Gerhard. Bieder. Juſtine.
Gerhard.

Hier iſt Ihre Verſchreibung!

Bieder
(auf den Tiſch zeigend.)

Und hier meine213Die Erbſchleicher.Schuld mit dem beſten Danke. Aber Herr Ger - hard was werden Sie von meiner Unbeſchei - denheit denken? ich habe ein neues Anliegen auf dem Herzen ---

Gerhard.

Das Kapitaͤlchen noch laͤnger zu behalten?

Bieder.

Wenn es weiter nichts waͤre?

Gerhard.

Brauchen Sie mehr? Laſſen Sie hoͤren, was fuͤr Sicherheit ---

Bieder
(lebhaft.)

O ſicher ſoll der Schatz, den ich von Ihnen begehre, ſicher und wohl ſoll er bey mir aufgehoben ſeyn, ob ich Ihnen gleich keinen Buͤrgen ſtellen kann, als mein Herz

(Sich ſchnell zu Juſtinen wendend.)

Hier! hier! die - ſes holde, vortrefliche Geſchoͤpf! Wir lieben uns, und bitten um Ihre Einwilligung.

Gerhard.

Juſtine!

Bieder.

Ich habe keine Ueberredung ge - braucht. Ich habe meiner Freundinn nichts vorgeſpiegelt, nichts verhehlt. Die Bedenklich - keiten gegen dieſen Schritt, die Ihnen vielleicht jetzt im Sinne ſchweben ich habe ſie ihr ſelbſt vorgeſtellt. Sie will die Gehuͤlfinn meiner Sor - gen werden, ſie will die kleinen Freuden, die dasO 3214Die Erbſchleicher.Schickſal hie und da auf meine Laufbahn geſtreut hat, mit mir theilen.

Gerhard
(gerührt zu Juſtinen.)

Und mich ver - laſſen?

Juſtine.

Herr Gerhard

Gerhard.

Genug!

(Zu Bieder.)

Sie rauben einem alten kranken Mann ſeine letzte Stuͤtze aber ich will ich darf kein Hin - derniß Eures Gluͤckes werden. Fuͤr deine Ausſtattung haſt du nicht zu ſorgen zieh hin!

Bieder.

Tauſend Dank, guͤtiger Mann!

Juſtine.

Gott lohn es Ihnen, als unſerm beſten Freunde!

Gerhard
(in Thränen.)

O, wenn ich Euer Freund bin wenn Ihr wuͤßtet, wie mir vor dieſer Trennung grauet ich habe niemanden mehr, auf den ich mein Vertrauen ſetzen koͤnnte meine Kraͤfte nehmen taͤglich ab Gott weiß, was aus mir werden wird Laßt mich mit Euch ziehen! Nehmt mich auf in Eure Frey - ſtatt!

Bieder.

Herr Gerhard, das iſt wohl nur hypochondriſche Laune.

Gerhard.

Der heiſſeſte Wunſch meines Her - zens!

215Die Erbſchleicher.
Bieder.

Kaum kann ichs glauben.

Gerhard.

Wenn ich Sie mit Thraͤnen darum bitte?

Bieder.

Unſere Luft iſt geſund, die Gegend reizend. Zur Fruͤhlingskur ſteht Ihnen mein Haͤuschen zu Dienſten.

Gerhard.

Bis dahin leb ich nicht.

Bieder.

Nicht ſo kleinmuͤthig!

Gerhard.

Sie koͤnnen mir den Muth wieder geben.

Bieder.

Sie wiſſen nicht, was Sie verlan - gen. Unſre Stuben ſind nicht groͤßer, als Vo - gelbauer; die Treppe eine Huͤnerleiter; das Dach koͤnnen Sie mit der Hand erreichen.

Gerhard.

Aber unter dieſem Dache wohnt der Friede!

Bieder.

Und Genuͤgſamkeit, die mit weni - gem vorlieb nimmt. Jahr aus Jahr ein, nicht mehr als Eine Schuͤſſel.

Gerhard.

Aber mit Eintracht und Freude gewuͤrzt! Lieben Leutchen! Ich will euch kei - ne Ueberlaſt machen. Ich will mir alles gefal - len laſſen. Und mein Koſtgeld mein Koſtgeld iſt mein ganzes Vermoͤgen.

O 4216Die Erbſchleicher.
Bieder.

Nein, Herr! Dieſer Artikel wirft den ganzen Vertrag uͤber den Haufen.

Gerhard.

Wollen Sie mir verbieten, was die Dankbarkeit von mir fodert? Es iſt nichts, als eine verjaͤhrte Schuld; nichts, als ein gerin - ger Lohn fuͤr Juſtinens unendliche Treue.

Juſtine
(gerührt.)

Herr Gerhard!

Gerhard
(legt die rechte Hand auf Juſtinens Schulter, faßt mit der andern ihre linke Hand.)

Eine Fremde liebte mich, da alle die Meinigen mich verfolgten. Eine Fremde war die Einzige, die mich nie betrog.

Juſtine
(in Thränen.)

Ach, wenn Sie wuͤß - ten, wie ſehr mich dieſes Zeugniß demuͤthigt!

Gerhard.

Beſcheidenheit iſt die Krone weib - licher Tugend.

Juſtine
(knieend.)

Niemand betrog Sie ſo ſehr, als ich!

(Lehnt ihr Geſicht an ihn.)
Gerhard
(ſtutzt.)

Juſtine! Du? waͤr es moͤglich?

(Von der vorigen Empfindung über - raſcht.)

Doch ich mags nicht wiſſen Du haſt dich ſelbſt bevortheilt Steh auf! Ich verzei - he dir ich nehme dich zur Tochter an.

(Umarmt ſie.)
217Die Erbſchleicher.
Juſtine
(an ſeinem Hals.)

Großmuͤthiger beſter Vater! Nein ich verdiene dieſe Guͤte nicht bey Gott! nicht.

Gerhard.

O, laß mir meinen Irrthum! Schlage meinem Herzen keine neue Wunde! Nimm an, was ich dir ſo gern gebe!

(Mit ängſtlicher Heftigkeit.)

Nimm, ehe es mich ge - reut!

Juſtine
(mit Feuer.)

Aber mein Bruder muß ſie mit mir theilen, dieſe Verzeihung, dieſe uͤber - ſchwengliche Guͤte! mein Bruder muß Ihr Sohn werden!

Gerhard
(erſtaunt.)

Dein Bruder? wer iſt das?

Juſtine.

Wollen Sie ihn ſehen?

Gerhard.

Iſt er hier?

Juſtine
(eilt nach dem Kabinet)

Komm her - vor, Moritz!

O 5218Die Erbſchleicher.

Ein und zwanzigſter Auftritt.

Sternberg. Vorige.
Gerhard
(verſteinert.)

Sternberg!

Juſtine.

Ich bin ſeine Schweſter.

Gerhard.

Das juͤngſte Kind meiner Schwe - ſter Felicitas? Die ungluͤckliche Frucht ihrer thoͤ - richten Ausſoͤhnung?

Sternberg.

Und die unſchuldige Erbinn des Haßes, den Sie ihrem Vater geſchworen hat - ten!

Gerhard.

Taͤuſcht ihr mich auch nicht?

Juſtine.

Ausgeſchloſſen durch meine Geburt von allen Anſpruͤchen auf Ihre Zaͤrtlichkeit, blieb mir kein Weg, als Sie durch Liſt zu gewinnen. Aber der Himmel, der mich hoͤrt, wiſſe nichts von mir, wenn niedriger Eigennutz die Triebfeder war!

Gerhard
(fällt Juſtinen um den Hals.)

Juſti - ne! Ha! nun erkenn ich ihn, den Zug am Munde, der es mir immer unmoͤglich machte, auf dich zu zuͤrnen.

(Gen Himmel, indem er219Die Erbſchleicher.Juſtinen im Arm hält.)

Schweſter Felicitas? Wir ſind verſoͤhnt! Ich ſeegne deine Aſche.

Juſtine.

Und verzeihen ihren Kindern?

Gerhard
(mit einem mißtrauiſchen Blick auf Sternberg.)

Wenn ſonſt nichts dahinter ſteckt?

Zwey und zwanzigſter Auftritt.

Thereſe. Vorige.
Thereſe
(die an der offenen Kabinetsthüre gelauſcht hatte, tritt ſchnell hervor.)

Leider ſteckt noch etwas dahinter etwas, deſſen Verantwortung ganz allein auf mich faͤllt. Aus Liebe zu mir, wußte Sternberg Sie dahin zu bringen, daß Sie mich ihm abtraten. Aus Liebe zu ihm, hinterging ich meine Mutter durch verſtellten Gehorſam, und Sie durch Verlaͤugnung meines Charak - ters. Ja, Herr Gerhard, ich bin Gottlob! die eitle Naͤrrinn nicht, die ich ſpielte.

Gerhard.

Aber ich war ein Thor, daß ich mir einbildete, die Liebe eines jungen huͤbſchen Maͤdchens ließe ſich erkaufen. Ich danke Ihnen, daß Sie mir die Augen geoͤffnet haben.

220Die Erbſchleicher.

Drey und zwanzigſter Auftritt.

Madam Anker. Vorige.
Mad. Anker
(ſchnell aus dem Kabinette kommend.)

Sie ſind nachgiebiger, als ich.

Gerhard.

Ey, Frau Lieutenantinn! auch Sie hier?

Mad. Anker.

Sie hoͤren wenigſtens zu mei - ner Rechtfertigung daß man mich eben ſo gut bey der Naſe ---

Gerhard.

Ich habe verziehen. Folgen Sie meinem Beyſpiele! Es war doch auch nicht recht, daß Sie Ihr Kind ---

Mad. Anker
(einfallend.)

Weils ſo abgelau - fen iſt, muß ich wohl. Da, Herr Stern - berg! nehmen Sie ſie hin! Ein Muttertoͤchter - chen bekommen Sie nicht an ihr. Aber das ſag ich Ihnen vorher ihren Kopf laͤßt ſie ſich nicht nehmen.

Gerhard.

Ey, wer wollte auch einer Frau den Kopf abreißen?

221Die Erbſchleicher.
Juſtine. Sternberg. Thereſe. Bieder.

Liebſter, beſter Vater!

(Umringen und umarmen ihn.)
Gerhard.

Nennt mich nie anders? Ich gluͤcklicher Mann! Grau wurd ich, ohne die Vaterfreuden zu ſchmecken und nun vier Kin - der auf einmal! Der Himmel ſeegn euch, meine Kinder!

Lezter Auftritt.

Weinhold, in Uniform. Vorige.
Weinhold
(der an der Mittelthür gelauſcht hat, in komiſch-feyerlichem Ton.)

Und bewahr euch vor Vettern und Muhmen!

Juſtine
(ihm entgegen.)

Sieh da! Vetter Weinhold!

Weinhold.

In ſeiner wahren Geſtalt. Aber ſeit wann ſind Sie meine Muhme?

Juſtine
(ſich verneigend.)

Seit dem ich Juſtine Sternberg heiße.

Weinhold.

Am Ende iſt niemand hier im Hauſe, der er war!

222Die Erbſchleicher.
Gerhard
(zu Weinhold.)

Er hat noch die Stir - ne, ſich unter uns ſehen zu laſſen?

Weinhold
(bleibt in der Mitte des Theaters ſte - hen.)

Ich habe nur ein Wort mit Vetter Stern - berg zu ſprechen.

Sternberg
(zu ihm gehend.)

Mit mir?

Weinhold.

Hier iſt ein Blanket, das Herr Gerhard heute einem Charlatan ausgeſtellt hat

(Entfaltet das Papier.)

Unterzeichnet! Beſie - gelt! Blanket ohne Fehl und Tadel! Ein Ande - rer haͤtte ſich daraus einen Wechſel auf ihn fabri - zirt Ich ſtell es Ihnen zu.

Sternberg
(zu Gerhard.)

Liebſter Vater, die - ſer Zug des jungen Mannes verzeihn Sie auch ihm!

Weinhold
(zu Gerhard.)

Hoͤren Sie’s, Herr Vetter? Pardon!

Gerhard.

Dort liegen hundert Louisd’ors. Streich Er ſie ein!

Weinhold
(mit ausſchweifender Freude.)

Ein - ſtreichen! Wer? ich?

(Geht zum Tiſche.)

O, ihr allerliebſten Dinger! ſeyd ihr mein?

(Indem er ſie in ſeinen Hut einſtreicht.)

So reich bin ich in mei - nem Leben nicht geweſen. Jetzt kann ich alle223Die Erbſchleicher.meine Schulden bezahlen. Jetzt will ich auch ge - wiß ein braver Kerl werden. Sie ſollen von mir hoͤren.

(Umarmt Gerharden und die Uebrigen.)

Dank Ihnen, großmuͤthiger Vetter! und Ihnen! und Ihnen! und Ihnen! und Ihnen!

(Zu Madam Anker.)

Ey, Mama, Sie muͤſſen mich auch kuͤſ - ſen. Muhme Ungewitter aͤrgert ſich zu Tode. Pardon erhalten! und hundert Louisd’ors! und Alle gekuͤßt!

Juſtine.

Nein, Muhme Ungewitter ſoll ſich nicht aͤrgern. Sie ſoll einſchen, daß ſie uns ver - kannt hat. Sie ſoll ihre Verwuͤnſchung zuruͤck nehmen. Kuͤndigen Sie ihr in meinem Namen ein Jahrgeld von hundert Thalern an!

Sternberg.

Und von mir eben ſo viel, wenn ſie ſich beſſert.

Weinhold.

Das iſt brav. Da verdienen Sie Gottes Lohn; wo nicht an ihr, doch an ih - ren armen Jungen. Ich wills ausrichten wills ihr lieber gleich auf ein Jahr vorſchießen.

(An ſeine Taſche ſchlagend.)

Hundert Louis - d’ors! Ach! wie gluͤcklich macht eine Hand voll Geld!

(Eilig ab.)
224Die Erbſchleicher.
Gerhard.

Der Thor! Ich hatte Geld in Saͤcken, und war ungluͤcklich.

Bieder.

Das iſt eine Wahrheit, die nur die Reichen predigen ſollten. Im Munde eines armen Dorfpfarrers geht ſie verloren. Geld macht nicht gluͤcklich. Aber weiſer Ge - brauch des Geldes aber Wohlthaͤtigkeit macht gluͤcklich.

Ende.

About this transcription

TextDie Erbschleicher
Author Friedrich Wilhelm Gotter
Extent233 images; 28615 tokens; 6279 types; 205604 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationDie Erbschleicher Ein Lustspiel in fünf Akten Friedrich Wilhelm Gotter. . 224 S. DykLeipzig1789.

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Zentral- und Landesbibliothek Berlin Berlin ZLB, ¤ C 13 033

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Drama; Belletristik; Drama; core; ready; china

Editorial statement

Editorial principles

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

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  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
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