(Vortrag, gehalten auf der IX. Wanderversammlung des Verbandes deutscher Architekten - und Ingenieur-Vereine in Hamburg von Baurath Dr. James Hobrecht, Stadtbaurath in Berlin.)
Meine Herren!
Das Thema, welches mir für einen Vortrag seitens des Verbands - Vorstandes der deutschen Architekten - und Ingenieur-Vereine gestellt wurde, lautet:
„ Die modernen Aufgaben des groſsstädtischen Straſsen - baues mit Rücksicht auf die Unterbringung der Versorgungs - netze “.
Ich muſs vorab bemerken, daſs dieses Thema, so verlockend es auf den ersten Anblick zu sein scheint, und so sehr es einen Gegen - stand berührt, der die Verwaltungen aller groſsen Städte gewisser - maſsen in Athem erhält, doch recht wenig geeignet ist, die Hörer, und damit den Vortragenden selbst, befriedigen zu können; denn wenn es allgemein wohl als erwünscht bezeichnet werden darf, daſs aus der Besprechung eines so ungewöhnlich wichtigen Gegenstandes, von einer so hervorragenden Tribüne herab wie diejenige, auf welcher ich mich zur Zeit befinde, auch die Namhaftmachung eines Abhülfs - mittels gegen die allseits empfundenen Schwierigkeiten — gewisser - maſsen eines Specificums gegen die Krankheit, an welcher groſsstädtische Straſsen durch die Versorgungsnetze leiden — sich ergebe, so ist auf ein solches Ergebniſs im vorliegenden Falle nicht zu rechnen. Zunächst weil niemand imstande ist, Umfang und Maſs aller Ver - sorgungsnetze, welche beanspruchen möchten, sich in die Straſsen - körper einzubauen, zu bestimmen. Zahl und Art derselben wächst von Jahr zu Jahr; nur wer sich der irrthümlichen Auffassung hingiebt, die Ansprüche groſsstädtischer Bevölkerungen könnten überhaupt gesättigt werden, die Erfindung werde aufhören thätig zu sein, oder das Capital möchte erlahmen, nützlichen Erfindungen die Wege zur Ausführung zu bahnen, wird darüber anders zu denken vermögen.
Hatte man früher sich meistens nur mit der Sorge zu beschäf - tigen, Gas - und Wasserleitungen in den Straſsen unterzubringen, so gilt es jetzt schon, sich um einen angemessenen Platz für die Ent - wässerungsleitungen, die elektrischen Beleuchtungskabel, die verschiedensten Arten von Telegraphenkabeln, Telephonleitungen, Druckluft - oder Druckwasserleitungen usw. zu mühen; ein Ende ist in dieser Beziehung kaum abzusehen.
Ferner sind die Verhältnisse in Bezug auf Lage, Breite, Gefälle, Grundwasserstand, Bodenbeschaffenheit in den verschiedenen Städten so auſserordentlich verschieden, daſs auch hieran die Verkündigung eines allgemein gültigen Recepts gegen die erwähnten Erscheinungen scheitern muſs. Schon die Verschiedenheit in der Vermögenslageder Städte hat nothwendigerweise zur Folge, daſs Stadt-Umgestal - tungen, namentlich Straſsendurchbrüche und Straſsenverbreiterungen, welche sonst ein wirksamstes Heilmittel wären, hier thunlich, dort aber ganz unmöglich erscheinen. Die Aufstellung eines Normal - Querschnitts für Straſsen, der uns eine wohlabgemessene Anordnung der Leitungen nach ihrer Höhen - und Breitenlage zeigte, wäre in der That kaum mehr als ein Hirngespinnst, — etwa ebenso werthlos wie ein Normal-Grundriſs für alle Hochbauten.
Um der Frage nun aber doch näher zu treten, wird es nützlich sein, zunächst die Versorgungs-Netze, welche jetzt schon Straſsen - raum beanspruchen, zusammenzustellen. Als solche wären zu nennen: 1. Die Wasserleitung zur Versorgung der Wohnungen mit Wasser für alle Arten des häuslichen Bedarfs; 2. Druckwasserleitungen zur Verrichtung von Arbeiten; 3. Gasleitungen zur Beleuchtung der Straſsen und Häuser und zum Betrieb von Maschinen; 4. Entwässerungsleitungen zur Fortführung von Regen und Ab - wässern aus Straſsen und Häusern; 5. gesonderte Entwässerungs-Leitungen für gebrauchte Wässer, welche nicht verunreinigt sind, wie Kühlwässer, und für solche, welche, wie Condensationswässer, zu hoch temperirt sind, oder welche chemische Beimischungen haben, die, weil sie zerstörend auf Back - stein und Mörtel wirken, von der Aufnahme in die gewöhnlichen Entwässerungsleitungen ausgeschlossen werden müssen; 6. elektrische Beleuchtungsleitungen und zwar: a) entweder Kabel, oder b) Schienen, welche in Kästen (Monier-Kästen) oder Röhren untergebracht werden; 7. Telegraphenleitungen für verschiedene Zwecke, und danach gesonderte Systeme bildend, wie: a) für das Reich (auswärtiges Amt, Militär), b) für polizeiliche Zwecke, c) für Feuerlösch-Zwecke, d) für Zwecke der Post; 8. pneumatische Leitungen für Depeschen-Beförderung; 9. Telephonleitungen. Nachdem die weitere Ausbildung ober - irdischer Telephon-Netze vieler Orten sich als unmöglich heraus - gestellt hat, werden jetzt die Leitungen unterirdisch verlegt. Bei - spielsweise beansprucht die Telephon-Verwaltung in Berlin mehrfach354Centralblatt der Bauverwaltung. 30. August 1890. Raum für zwei eiserne Parallelleitungen nebeneinander von je 40 cm Durchmesser; 10. elektrische oder pneumatische Leitungen zum Betrieb öffent - licher Uhren; 11. Druckluft-Leitungen zum Betrieb von Maschinen für Klein - gewerbe, zum Betrieb von Maschinen für elektrische Beleuchtungen, zur Ventilation oder Kühlung von Räumen verschiedener Art; 12. Betriebskabelleitungen, meist in gemauerten Canälen für Kabelbahnen und elektrische Bahnen und unterhalb derselben usw. usw.
Dabei ist im einzelnen zu beachten, 1. daſs vielfach vorgenannte Versorgungen, wie namentlich die - jenigen mit Gas und Wasser, nicht einheitliche sind, sondern theils durch die Gemeinden, theils durch Actien-Gesellschaften, welche auf Grund von Concessionen oft ausgedehnte und lange dauernde Berechtigungen erworben haben, bewirkt werden, sodaſs dann oft mehrere sonst gleichwerthige Gas -, mehrere Wasser-Rohre in einer Straſse nebeneinanderliegen; 2. daſs infolge der zunehmenden Bevölkerung und des gesteigerten Verkehrs fast alle vorgenannten Leitungen in kürzerer oder längerer Frist eine Vermehrung oder Vergröſserung erfahren, d. h. also ver - mehrten Straſsenraum beanspruchen, während anderseits 3. der verfügbare Raum in den Straſsen, namentlich den Haupt - straſsen, durch Anlage von Straſsenbahnen aller Art an sich be - schränkt wird, und endlich in dem Verlangen, ein gutes, ja ein bestes Pflaster zu haben, der Straſsendamm seiner ganzen Breite nach eine feste Unterlage erhält; es ergiebt sich dann hieraus, daſs, theils absichtlich, theils gezwungen, nur die Bürgersteige zur Unterbringung der Versorgungs-Netze verfügbar bleiben; 4. daſs, da aus allen den vorgenannten Versorgungs-Netzen Haus - anschluſsleitungen in verschiedenster Höhenlage die Bürgersteige queren, der dort etwa noch für Längsleitungen verfügbare Raum, wenn nicht vernichtet, so doch auf ein Minimum eingeschränkt wird; 5. daſs die oben erwähnte Verlegenheit sich an den Straſsen - kreuzungen und Straſsenecken bis zur gröſstmöglichen Höhe steigert, da dort noch ein besonderer Raum für Wasser - oder Gas - Schieber, für Revisionsbrunnen der Canalisation, der Beleuchtungs -, Telephon - und Telegraphen-Kabel usw. vorhanden sein muſs.
M. H. Nothstände aus vorgenannten Ursachen hat man wohl zuerst in der gröſsten der Groſsstädte, in London empfunden; dort begann man am frühesten mit der Ausführung der Versorgungs - Netze; dort hat man — wie es scheint, ohne Ahnung der späteren Entwicklung der Versorgungsleitungen und der Stadt — ziemlich unbeschränkt Concessionen an Actien-Unternehmungen zur Aus - führung der Versorgungs-Netze und zum Betriebe derselben ertheilt. Zudem sind die Straſsen dort meist eng und unregelmäſsig. So lieſs denn schon eine Zeichnung in einem Blaubuch des englischen Par - laments aus den fünfziger Jahren, welche das Bild einer abgedeckten Straſse gab, erkennen, daſs dieselbe ihrer ganzen Breite nach mit eisernen Röhren, ein Rohr unmittelbar neben dem anderen, belegt war. Die Röhren waren von sehr verschiedenem Durchmesser und gehörten verschiedenen Versorgungs-Gesellschaften an. So war es denn auch oft vorgekommen, daſs theils aus Unkenntniſs, theils viel - leicht in schlimmerer Absicht die eine Gesellschaft die Röhren einer anderen Gesellschaft zur Versorgung anliegender Grundstücke ange - bohrt hatte und fortgesetzt fremden, ihr nicht gehörigen Stoff, Wasser oder Gas, verkaufte. Aufs störendste wurden ferner die un - unterbrochenen Aufgrabungen und Pflasteraufbrüche bei Rohrver - legungen, Rohrveränderungen und Rohr-Ausbesserungen empfunden. Wie heute überall, erregten sie dort schon vor fast einem halben Jahrhundert das allgemeinste Aergerniſs. So lange sie unvermeidlich blieben, so lange war an eine Erfüllung der Hoffnung, eine definitive Straſsendecke herzustellen und sie zu erhalten, nicht zu denken; sie sind es, welche denn auch bald das Bestreben anfachten, Abhülfe - maſsregeln zu ergreifen.
Es liegt nahe, und es lag auch vor Jahrzehnten in London schon nahe, diese Abhülfemaſsregel darin zu suchen, daſs genügend ge - räumige Tunnel in den Straſsen unter dem Pflaster erbaut werden, in welchen sämtliche Leitungen ihren Platz finden. Wie man damals diese Tunnel, welche den Namen „ Subways “führen, in England als das Heilmittel ansah, welches alle Schmerzen stillen würde, so ist diese Ansicht auch bei uns heute vielfach vertreten, und der deutsche Techniker muſs es sich gefallen lassen, oft die vorwurfs - volle Frage zu hören: warum wird denn nicht endlich, wie in London oder Paris, mit der Untertunnelung aller Straſsen angefangen, um der nimmer endenden Buddelei — wie man in Berlin zu sagen be - liebt — einen Riegel vorzuschieben? Da also in der Subway-Anlage in Wirklichkeit oder in Einbildung die Lösung der Frage liegen soll, sehe ich mich genöthigt, gerade hierauf etwas näher einzugehen, und nachzuforschen, wieweit obige Behauptung für London und Paris zutrifft.
Im Jahre 1864 wurde in London eine Gesetzvorlage unter dem Namen „ Metropolitan Subways Bill “vor das Parlament gebracht. Zwei höchst umfangreiche Blaubücher, das eine aus dem Jahre 1864, das andere aus dem Jahre 1867, theilen uns in der bekannten Form von Fragen und Antworten auf 658 Folioseiten die endlosen Ver - handlungen mit, welche die von dem Parlament zur Voruntersuchung eingesetzten Commissionen mit den namhaftesten englischen In - genieuren und den Vertretern der betheiligten Gesellschaften auf - nahmen. Folgendes aus diesen Verhandlungen dürfte mittheilungs - werth sein. Zunächst wurde die Zahl der stattgehabten Straſsenauf - brüche festgestellt. Es ergab sich beispielsweise, daſs — abgesehen von anderen Stadttheilen — in dem Kirchspiel St. Martin in the fields das Straſsenpflaster im Jahre 1856 1256 mal, in den 7 Jahren von 1856 bis 1863 10377 mal von den verschiedenen Gas - und Wassergesellschaften aufgebrochen wurde; in dem Kirchspiel Mary - lebone haben in den Jahren 1859 bis 1863, also in 5 Jahren 44932 Aufgrabungen stattgefunden usw. Die Zahl der damals von dem Metropolitan Board of Works schon ausgeführten Subways war eine geringe, die Länge derselben eine unbedeutende. Zu verzeichnen sind in London nur ein Subway in Coventgarden, 450 Fuſs lang (Halbkreis, 6½′ Rad. ) und ein solcher in Southwark (6′ Rad. ) in Länge von 3400 Fuſs.
In Nottingham waren auſserdem einzelne Subways durch den Ingenieur Tarbotton ausgeführt, so in der Victoria Street in Länge von 430′ (10′ breit) in der Queen Street „ „ „ 100′ (8′ breit) und in der Lister Street „ „ „ 450′ (10′ breit).
Diese Subways hatten zum Theil einen befestigten Boden, zum Theil nicht, wie denn auch Röhren in die Fuſsböden der Subways gebettet wurden. Sie sind mit Seitengalerieen in etwa 3′ Breite für je zwei Häuser versehen. Diese Galerieen reichen bis zu den unter den Bürgersteigen belegenen Kellern. Die Subways sind mit Venti - lationsschächten in Entfernungen von je 25′ bis 100′ versehen. In diesen wenigen Subways lagerten Gas - und Wasserröhren von sehr geringem Durchmesser (6″), desgleichen Telegraphenleitungen.
Die Frage, welche nun bei den erwähnten Verhandlungen im Vordergrund steht, ist diejenige, ob die Gefahr der Gasexplosionen die Aufnahme von Gasröhren in die Subways gestatte oder nicht.
Namhafteste Ingenieure, wie Bazzalgette, Marrable, Carpmeal Isaacs, Hemans, Tarbotton aus Nottingham, R. Jones — welcher jedoch die Ventilationsschächte nicht weiter als 20′ von einander stellen will —, Bramwell, Easton und andere leugnen jede Gefahr, während Ingenieure, deren Ruf ebenfalls ein bedeutender ist, wie Simpson, Bateman, der Erbauer der Glasgower Wasserwerke, Hay - wood, Hawksley und eine groſse Zahl von den bei den Gaswerken beschäftigten Ingenieuren eine ernstliche Gefahr als mehr oder minder vorhanden behaupten. Dr. Letheby hält die Gefahr für vor - handen, Dr. Frankland bestreitet sie. Was die bei den Gaswerken und zum Theil auch bei den Wasserwerken beschäftigten Ingenieure anbetrifft, so ist zu bemerken, daſs diese überhaupt den Anlagen von Subways feindlich entgegenstehen, daſs aber hierbei, wie auch zu - gestanden wird, die Besorgniſs, daſs die Kosten für die Gesellschaften gewaltig anwachsen würden, mitbestimmend war.
Im einzelnen geht aus diesen Verhandlungen folgendes hervor.
Gasexplosionen sind, wenn auch nicht gerade in den wenigen Subways, in erschreckend groſser Zahl vorgekommen. Nur der Gas - ingenieur Innes erwähnt einer Explosion in einem kleinen Subway, eigentlich nur einer Unterführung, unter dem Ship-Hotel in Greenwich, welche der Gesellschaft 500 £ kostete; dabei wurde ein Mann ge - tödtet, ein anderer schwer, ein dritter leichter durch Brandwunden verletzt; er theilt mit, daſs das Gasrohr dann aus diesem Subway, der 8′ hoch, 7′ breit war, entfernt wurde.
Der französische Ingenieur Belgrand, der wie fast alle französi - schen Ingenieure sich gegen die Aufnahme der Gasröhren in die Subways ausspricht, erwähnt, daſs in der Galerie des Martyrs, einer alten Anlage, ein Gasrohr vorhanden gewesen sei, daſs dieses aber später aus Besorgniſs vor Explosionen fortgenommen sei; er erwähnt ferner der bekannten schweren Explosion an dem Pont d’Austerlitz. Doch muſs ich hierbei bemerken, daſs die englischen Ingenieure nach eigenen Untersuchungen das Zutreffende dieses Falls als eines Be - weises gegen die Subways entschieden bestreiten. Aber die Ab - neigung Belgrands gegen Gasleitungen in den Subways ist so groſs, daſs er sich die Worte eines seiner untergebenen Ingenieure aneignet: „ the day, upon which these pipes are placed in sewers, I shall not go into them, without having made my will previously “.
Die explosible Mischung des Gases wird, auch wohl nach der Beschaffenheit des Gases, verschieden angegeben gleich 1 Theil Gas zu 6 bis 8 Theilen Luft 1 „ „ „ 8 bis 9 „ „ 1 „ „ „ 6 bis 15 „ „ wobei die Mischung 1: 12 die gefährlichste sein soll. Von anderen355Nr. 35. Centralblatt der Bauverwaltung. werden die Mischungen von 1: 10 und 1: 8 bis 9 als die gefährlichsten bezeichnet. Die Mischung ist eine mechanische und entsprechend dem Mindergewicht des Gases auch eine leichtere als diejenige der atmosphärischen Luft. Eine Erstickungsgefahr liegt nach Frankland bei einer Mischung von 1: 14 bis 16, ja bei 1: 20 vor.
Die Volumen-Veränderung bei der Explosion von Gas ist eine erheblich geringere als bei Schieſspulver, nämlich 1: 5 gegen 1: 480 (nach Dr. Frankland).
Der wie es scheint unvermeidliche Gasverlust (leakage) in den Röhrennetzen der Gasanstalten wird allseitig zugegeben und auf 10 bis 25 pCt., dann auch auf 12½ pCt. angegeben. Das Gas entweicht vorzugsweise durch die Muffenverbindungen, aber — nach Simpson and Brothers — auch „ trough the substance of the iron “!
Es sind vorzugsweise die Temperatur-Unterschiede, welche bei eintretender Kälte die Röhren aus den Muffen ziehen und Gasverluste erzeugen. Nach Messungen von Walker sei aber der Temperatur - Unterschied in einem Subway erheblich geringer als auſserhalb; bei 50º F. äuſserem Tem -
peratur-Unterschied sei in einem Subway nur ein solcher von 17º fest - gestellt worden, während Hawksley behauptet, daſs die Temperatur in den Subways um 30º schwanke.
Boulnois theilt mit, daſs auf eine Rohrlänge von 9′ bei einem Tem - peratur-Unterschied von 30º ein Längenunter - schied von 1 / 50″ eintrete, während Barlow bei 10º Temperatur-Aenderung einen Längenunterschied von 4″ auf die englische Meile angiebt.
Von den Gegnern der Subways wird nun in Beziehung auf diese überhaupt, und nicht nur in Rücksicht auf Gasleitungen, besonders hervorgehoben: daſs keine natür - liche, allenfalls nur eine künstliche Ventilation imstande sei, die Ge - fahr der Explosion aus - zuschlieſsen, daſs die Ventilationsschächte durch Straſsenschmutz in den Gittern sich ver - stopfen würden; daſs Erstickungsgefahr vorliege, und daſs es nicht möglich sein würde, die Arbeiter in die Subways hineinzubringen, jedenfalls nur gegen erheblich erhöhte Löhne; daſs im Falle von Ohnmachten niemand wagen würde hinein - zugehen, um die Betroffenen zu retten, und daſs Erstickung und Tod die Folge sein würde; daſs die städtische Verwaltung ersatzpflichtig gemacht werden müſste, wenn sie die Gesellschaften zwänge, die Röhren in die Sub - ways zu legen; Mr. Innes sagt: „ if they are compelled to go into a dangerous position, they ought to be protected from the consequences of the position “; daſs nur bei künstlichem Licht gearbeitet werden könne; daſs baldigst kein Platz mehr in den Subways sein würde für weitere Versorgungsleitungen; daſs man keinen Platz habe für einen Arbeitsweg im Innern zum Transport der Röhren; daſs es schwer halten und störend sein würde, die Röhren durch Oeffnungen in den Gewölben in die Subways zu bringen; daſs bei einer Explosion auch andere Röhren in den Subways (Wasserleitung usw. ) zerstört werden und dadurch neue Gefahren entstehen würden; daſs die Muffen-Verbindungen durch die Erschütterungen der darübergehenden Wagen gelockert werden würden; daſs die Luft der Sewers und Gas durch die Seiten-Galerieen in die Kohlenkeller und durch diese in die Häuser dringen würde; daſs die Bleiröhren im Innern der Subways durch die Arbeiter anderer Gesellschaften gestohlen werden würden; daſs die Sewers Ueberschwemmungen der Subways herbeiführen würden;daſs im Falle eines Aufruhrs in den Subways Gasröhren vom Pöbel zerschlagen werden könnten, und daſs dann unabsehbare Ge - fahren eintreten würden; daſs bei Tage und bei Nacht in den Subways eine stete Aufsicht und Ueberwachung statthaben müſste; daſs endlich aus allen diesen Gründen die Anlage von Subways eine überaus theure werden würde, und daſs das Publicum die Kosten tragen müſste.
Hawksley sagt: „ we should only be too glad, to avail ourselves of these advantages, if the disadvantages were not ten times greater than the advantages; I mean ten times greater, not as regards simply the company, but as regards the public “.
Wenn ich von allen diesen Behauptungen das Gegentheil sagen wollte, so würde das etwa der Inhalt von dem sein, was die Freunde der Subways meinen. Sie betonen besonders, daſs die Rohre in den Subways in gutem Anstrich und guter Pflege gehalten werden können, und daſs demgemäſs das Verrosten derselben thunlichst verhütet wird.
Von besonderem In - teresse möchten noch einige Versuche sein, die Dr. Frankland bei dieser Gelegenheit über die Ge - fährlichkeit von Gas - leitungen in Subways angestellt hat. Im South - wark-Street-Subway bohrte er in das Gasrohr, etwa in der Mitte zwi - schen zwei Ventilations - schächten, ein Loch von 5 / 8″ Durchmesser. Das Gas entwich während 15 Minuten; nach je 5 Minuten wurde der Procentsatz des Gases unter dem Gewölbe und an den nächstgelegenen Ventilationsschächten gemessen; derselbe schwankte zwischen 1 und höchstenfalls 2½. Der Gasdruck im Rohr war 9 / 10″. Des weiteren wurde ein Loch von 1½ Zoll Durchmesser in das Gasrohr gebohrt. Das Gas strömte 15 Mi - nuten lang aus. In - folge stärkerer Venti - lation wurde nur 1,9 pCt. Gas in der Luftmischung gemessen; dann wurde das Gas ange - steckt, welches mit einer 4 — 5 Fuſs langen Flamme brannte. Endlich wurden zwei Oeffnungen von je 1½″ Durchmesser ge - macht und blieben 16 Minuten offen. Es wurde eine 3 procentige Mischung beobachtet; zu einer Explosion würde eine mindestens 6 procentige gehören. Frankland schlieſst daraus, daſs die Ventilation eine vollkommene sei, daſs in dem Maſse, in welchem die Gasaus - strömung stattfinde, der Zug sich vermehre, und daſs somit eine Ge - fahr als ausgeschlossen zu betrachten sei.
Nach einigen zunächst vergeblichen Anläufen kam nun ein Gesetz, the Metropolitan-Subways Act, 1868, zu Stande.
Das Gesetz beschränkt sich auf als solche bereits genehmigte Subways, welche der Board of Works ausführt. Nach diesem Gesetz werden die Gas -, Wasser - und Telegraphen-Gesellschaften gezwungen, die Rohre in diese Subways zu legen. 20 £ Strafe werden für jeden Fall, daſs das Pflaster später dort aufgebrochen wird, festgesetzt; wenn schon in die Straſsendämme verlegt gewesene Rohre in den Sub - ways placirt werden, so geschieht dies auf Kosten des Board, der letztere in Ventilation und baulichen Würden zu erhalten hat. Die einzelnen Leitungen in den Subways haben die betreffenden Gesell - schaften zu unterhalten unter Aufsicht eines Beamten des Board.
Ein späteres Gesetz, die London Subways Act 1869, sprach den Zwang zur Einlegung von Leitungen unter fast gleichen Bedingungen für einzelne weiter benannte Straſsen — Holborn Viaduct — und namentlich einzelne neue Straſsen aus.
Zur Zeit liegt dem Parlament zur Berathung ein Gesetz, The London Subways und Overhead wires Act 1890, vor. Danach soll der London-County-Council (eine neue Art Provincialbehörde an Stelle des Metropolitan Board of Works) berechtigt sein, nach eigenem Ermessen wo und wie er will fortan Subways zu bauen und zu unter - halten. Er erhält die Enteignungsbefugniſs; die Gesellschaften haben356Centralblatt der Bauverwaltung. 30. August 1890. auf Erfordern Auskunft zu geben und Zeichnung ihrer bestehenden Anlagen einzureichen; die Gesellschaften müssen mindestens 1 Monat vor Beginn von neuen Arbeiten
in den Straſsen den Consens des Council einholen. Wenn in der Straſse, in welcher eine Leitung gelegt werden soll, ein Subway ist, hat der Council das Recht, zu verlangen, daſs die - selbe in den Subway gelegt werde; dasselbe gilt, wenn auch noch kein Subway vorhanden, einen solchen aber dort in angemessener Zeit zu bauen be - schlossen ist. Der Council hat das Recht, zu verlangen, daſs, wenn er einen Subway baut, die Gesellschaften ihre Leitungen aus den Straſsen fortnehmen und in denselben legen; der Council hat das Recht, eine angemessene Abgabe für Benutzung des Sub - ways von den Gesellschaften zu verlangen; der Council kann ver - langen, daſs, wenn er einen neuen Subway baut, die Gesell - schaften gegen Entschädigung den Bau hindernde Leitungen fortnehmen müssen. Nach Er - laſs dieses Gesetzes ist es ver - boten, eine oberirdische Draht - leitung ohne besondere Geneh - migung des Councils auszuführen.
Mir scheint der wesentliche Inhalt dieser Gesetzvorlage — abgesehen von polizeilichen Ein - schränkungen bei oberirdischen Drahtleitungen, die sich bei uns von selbst verstehen — der zu sein, daſs der County Council fortan berechtigt sein soll, Sub - ways da zu bauen, wo er es für gut hält, und ohne daſs jedes - mal eine besondere Parlaments - acte hierfür erlassen wird.
Ich möchte nun noch in Bezug auf Paris hinzufügen, daſs dort nichts weniger vorhanden ist als, wie man vielfach glaubt, eineplanmäſsige Subway-Anlage, oder daſs die Versorgungsrohre in die „ Egouts “aufgenommen wären. Zunächst steht dem doch entgegen, daſs, wenn die Egouts auch in einzelnen Strecken ausreichend groſs sind, um manche Rohre aufnehmen zu können, dies doch bei der weitaus gröſsten Zahl von Canälen nicht der Fall ist. Gasleitungen in die Egouts auf - zunehmen, ist aus Besorgniſs vor Erstickungen und Explosionen verboten. Die Poppsche Druck - luftleitung ist in Egouts gelegt, — wie man mir sagte, zur Unzufriedenheit beider Theile. Wasserleitungsröhren liegen zum Theil in Egouts, zum gröſseren Theile im Erdreich. Die elektri - schen Beleuchtungskabel liegen unter dem Bürgersteig. M. E. sind, wenn Subways überhaupt erbaut werden, Seitengalerieen, welche die Hausleitungen auf - nehmen, eine nothwendige Folge, da sonst die Wandungen der Subways stets durchbrochen wer - den und die Straſsen dann für diese Querleitungen doch auf - gebrochen werden müſsten; die Egouts in Paris haben nun aber solche Seitengalerieen nicht oder nur zum kleinsten Theil. Daſs in den Egouts doch eigentlich nur der Raum, welcher bei Regenfluthen wasserfrei bleibt, zur Aufnahme von Leitungsröhren gebraucht wer - den kann und darf, muſs als selbst - verständlich vorausgesetzt werden.
Was in London und anderen englischen Städten mehr als in andern Ländern zur Erbauung von Subways, wo solche ausführ - bar wären, drängt, ist der Um - stand, daſs der Raum unter den Bürgersteigen zur Unterbringung von Versorgungsnetzen nicht zur Verfügung steht, da hier zu den einzelnen Gebäuden gehörige Kohlenkeller liegen.
(Fortsetzung folgt.)
Von Stadtbaurath Dr. J. Hobrecht in Berlin. (Fortsetzung).
M. H. Fasse ich nun das Vorgesagte zusammen, so ist es m. E. nicht angängig, grundsätzlich Subways, so empfehlenswerth sie unter besonderen Umständen und namentlich bei Neuanlage ein - zelner Straſsen sein mögen, als das Mittel anzusehen, wodurch das Einlegen der Versorgungsnetze in die Straſsendämme und Bürgersteige, und damit weiter das häufige Aufbrechen des Pflasters vermieden werden könnte; Gasröhren in die Subways zu legen ist, man sage was man wolle, nicht als vollständig gefahrlos zu be - zeichnen; die Canalisation wird nur unter seltenen Umständen mit den Subways verbunden werden können, in den meisten Fällen nicht, da ein Anschwellen des Wassers in den Canälen bis zum Scheitel, ja, bis zur Straſsenhöhe, sodaſs also die Canäle unter Druck stehen, als möglich und unter Umständen als unvermeidlich zuzugeben ist. Canäle, bei welchen derartiges nicht vorkommen kann, würden meist unrationell groſs gemacht werden müssen, und oft würde dann für sie allein die Straſsendammbreite nicht ausreichen; es ist kaum möglich, Subways so groſs anzulegen, daſs sie den zukünftigen, mög - lichen Ansprüchen genügen, namentlich dann nicht, wenn wirklich genügend Platz rund um ein jedes Rohr verbleibt, um es auswechseln zu können, um die Muffenverbindungen, den Anstrich, die Seiten - anschlüsse usw. bequem ausführen zu können; man denke nur an den Raum, den die unentbehrlichen Schieber in den groſsen Leitungen verlangen müssen. Die Kosten sind zweifelsohne gewaltige, denn, wie die ausgehängten Zeichnungen*)Die Zeichnungen folgen in der nächsten Nummer d. Bl. lehren, ist fast das ganze Straſsen - areal einer Stadt gewissermaſsen mit einem Untergeschoſs zu bebauen, stark genug, um jede Verkehrsbelastung tragen zu können.
Ob es vom Standpunkt der öffentlichen Gesundheitspflege aus, namentlich bei Epidemieen, als zulässig erachtet werden kann, das Innere aller Häuser einer Stadt und dessen Luft gewissermaſsen durch ein gemeinsames Kellergeschoſs in Verbindung zu setzen, lasse ich da - hingestellt; ich möchte eine solche Gefahr nicht unbedingt ableugnen.
Daſs endlich in vielen Städten — London kennt freilich derartiges kaum — der hohe Grundwasserstand und der Rückstau hoher Fluſs - wasserstände dem Bau ausreichend groſser und damit tiefer Subways auſserordentlich groſse Schwierigkeiten bereiten würde, ist leicht einzusehen. Gelingt es auch, diese Schwierigkeiten technisch zu über - winden, namentlich wenn keine Kosten gespart werden, so werden die Subways, soweit sie im Grundwasser stehen, doch immer feucht und dumpfig sein. Das Eisen der Leitungen wird dann wiederum vor - zugsweise gern rosten; nicht befestigter Boden der Subways zur Auf - nahme von Röhren ist natürlich ganz ausgeschlossen und, wie gesagt, in gleicher Weise die Hineinlegung der Canalisation in die Subways.
Ich bin der Ansicht, 1. daſs die Anlage von Kohlenkellern oder ähnlichen Bauten unter den Bürgersteigen, wie in London, eine Ungehörigkeit ist, 2. daſs der Bürgersteig zunächst der eigentlich richtige Platz zur Unterbringung der Versorgungsnetze ist und bleibt, 3. daſs es sich deshalb grundsätzlich empfiehlt, dort die Ver - sorgungsnetze, und zwar in das Erdreich, einzubetten, 4. daſs definitives Pflaster unter keinen Umständen früher ausge - führt werden sollte, bevor nicht die Versorgungsleitungen, und nament - lich die Canalisation, sich dort an ihrer richtigen Stelle befinden.
Es ist eine Frage, die sich aufdrängt und auch als unberechtigt nicht von der Hand gewiesen werden kann, ob es richtig ist, die Straſsendämme in ihrer ganzen Breite mit definitivem Pflaster zu versehen. Ist schon sicher die Hoffnung, die sich in der Bezeichnung „ definitiv “ausspricht, eine unrichtige — was in der Welt hätte über - haupt, und was nun gar in groſsstädtischen Anlagen einen dauernden Bestand? —, so bedarf es wirklich nur einiger Erfahrung, um mit Bestimmtheit vorauszusehen, daſs nach längerer oder kürzerer Frist die Ansprüche der Versorgungsnetze an diesem Definitivum wieder rütteln werden.
Man könnte nun meinen, daſs es richtig sein möchte, das defini - tive Pflaster, wenn auch nicht ganz aufzugeben, so doch auf den mitt - leren Theil der Straſsendämme zu beschränken, sodaſs zu beiden Seiten des Dammes ein nicht definitiv befestigter Streifen verbliebe, der, als Reserve für die Versorgungsnetze, leichter aufgebrochen und leichter wiederhergestellt werden könnte. Bei näherer Erwägungwird aber auch dieser Gedanke aufgegeben werden müssen. Lieſse er sich allenfalls bei Steinpflaster zur Ausführung bringen, so ist er doch ganz undurchführbar bei Asphalt, und diesem gehört mehr und mehr die Zukunft: Hunderten von Petitionen um Asphaltirung einer Straſse steht noch nicht eine einzige um Herstellung eines definitiven Steinpflasters gegenüber. Der wesentlichste Vortheil des Asphalts ist, wie bekannt, die Geräuschlosigkeit; auf diesen Vortheil müſste aber nicht allein Verzicht geleistet werden, wenn Seitenstreifen des Dammes mit Stein gepflastert werden, nein — es würde ein für die Gehörnerven geradezu unerträglicher Zustand geschaffen werden; viel leichter ist es, ein gleichmäſsiges Rollen der Wagen über Stein - pflaster zu hören, als den steten Wechsel von Stein auf Asphalt und umgekehrt. Wir mögen uns damit trösten, daſs auſser der Straſsenbefestigung auf sehr vielen anderen Gebieten — ich nenne nur die Eisenbahnen — das Definitivum sich entsetzlich schnell wieder als ein Provisorium entpuppt, aber ändern können wir diesen Zustand nicht.
Ich möchte hier nicht unerwähnt lassen, daſs es eine auch erfüll - bare Aufgabe ist, die Bürgersteig-Befestigung so einzurichten, daſs sie für Luft, Gas und Wasser eine nicht undurchdringliche Decke bildet; Undichtigkeiten der Leitungen müssen sich erkennbar machen können; dem aus den Röhren entweichenden Gas und Wasser darf nicht als einziger Weg der in die Gebäude belassen werden, in denen sie un - absehbaren Schaden anrichten können.
M. H. Wenn nun aber in der Erbauung von Subways nur ausnahms - weise ein Mittel erblickt werden kann, den vorhandenen und stetig wachsenden Uebelständen der Straſsenaufbrüche zu begegnen, wenn ferner die Aufnahme der Leitungen in die Bürgersteige ihre Grenze hat, so müssen wir versuchen, in einer anderen, wenn auch weniger entschiedenen, weniger imponirenden Weise der Sache beizukommen; auf den Glanz eines kühnen chirurgischen Schnittes müssen wir dann freilich Verzicht leisten.
Um die groſsen Städte herum, auſserhalb des Weichbildes der - selben sehen wir fast ausnahmslos Vorstädte, theils ältere An - siedelungen, die ursprünglich weit von der Stadt entfernt waren, jetzt in ihrer unmittelbaren Nähe dank dem Vordringen der letzteren liegen, theils neuere, meist aus groſsstädtischer Initiative entstandene Bildungen. Unter den verschiedenen und zahlreichen Gründen, denen diese Vorstädte ihr Entstehen oder ihre Entwicklung verdanken, steht obenan, daſs eine Reihe von Verordnungen, nament - lich baupolizeilicher Natur, welche die Groſsstadt treffen, dort kaum Gültigkeit haben, und daſs gewinnbringender Speculation dort die Thüren offen stehen. Oft führen sich solche Unternehmungen als Villen-Colonieen ein, die, je nachdem, entweder dem Begüterten den Genuſs reiner Luft und nervenstärkender Ruhe, oder dem Armen die Wohlthat einer kleinen billigen Wohnung, auch wohl gar eines kleinen eigenen Besitzes gegen ratenweise Abzahlung gewährleisten wollen. Ist aber diese Lockspeise verzehrt, so ändern sich die Ver - hältnisse: kann nur irgendwie auf Miether gerechnet werden, so entstehen auch dort die üblichen mehrstöckigen Casernen, mit Brand - mauern aneinandergelehnt, mit den kleinen Höfen und der nichts weniger als nervenstärkenden Hauspolizei. Dann ist der Weg höchster Ausnutzung des Grund und Bodens als Baustelle betreten, und die Speculation gelangt in ihr bestimmtes, wenn auch noch mehr oder minder günstiges Fahrwasser.
Die Ansprüche an Post, Telegraphie, Telephonie, an Eisenbahnen, Pferdebahnen usw. für solche Vorstädte wachsen üppig empor; Entrüstungs-Versammlungen über schlechte Behandlung mit dem Hinweis darauf, daſs zwar die Einwohnerzahl eine solche Anlage wohl noch nicht rechtfertige, aber die Anlage eine Einwohnerzahl schaffen werde, welche dann die Anlage rentabel mache, lösen sich mit Petitionen dringlichster Art ab. Den lautesten Rednern winkt der Kranz der Gemeindevertretung.
So entstehen für die Groſsstadt die Uebelstände, daſs sich Vor - städte um sie lagern, die, was Richtung, Breite oder Gefälle der dortigen Straſsenzüge anbetrifft, oft ohne jede Rücksicht auf etwaige Bedürfnisse der ersteren angelegt sind, und daſs dabei in der Regel die Gemeindevertretungen in diesen Vorstädten zu nichts weniger als zu einem billigen Entgegenkommen geneigt sind.
Erwägt man nun, daſs es gerade die vorstädtischen Gebiete sind376Centralblatt der Bauverwaltung. 6. September 1890. welche zumeist Stämme von Versorgungsleitungen aufzunehmen haben, und daſs bei der Autonomie der Vorstädte jede Anlage einer Leitung dortselbst eine Ablehnung oder eine Genehmigung unter den erschwer - endsten Bedingungen zu erfahren hat, so wird man zugeben müssen, daſs hier ganz besonders eine Quelle jener Beklemmungen liegt, unter denen der vorwärts drängende Organismus der groſsen Städte leidet.
Ich habe gesagt, daſs die Vorstädte die Stämme der Leitungs - netze mehr und mehr aufzunehmen haben. Lassen Sie mich dies erläutern. Unter den Leitungen nehmen den ersten Platz die Zu - leitungen von Gas und Wasser und die Ableitungen der Abwässer ein. Die Gasanstalten mit ihren riesigen Fabricationsgebäuden und zahlreichen Gasbehältern, ihren Kohlenplätzen, ihrer unerläſslichen Zugänglichkeit von Wasserwegen oder Eisenbahnen finden innerhalb des Weichbildes räumlich den Platz nicht mehr, um ein erweiterungs - fähiges Werk anlegen zu können; sie müssen hinaus in die Vorstädte. Von dort aus gehen dann 1 m und über 1 m groſse Leitungen in reich - licher Zahl in die Groſsstadt hinein. Aehnlich ist es mit den Wasser - werken, bei denen der Gesichtspunkt der Gewinnung reinen Wassers, wie solches sich wohl nie innerhalb des Weichbildes groſser Städte findet, zur Hinauslegung der Centralstelle nöthigt; auch hier sind es die im Durchmesser gröſsten Leitungen, welche die Vorstädte kreuzen.
Die Stammleitungen der Canalisation, die „ Extension Sewers “, wie sie die Engländer nennen, nehmen eine umgekehrte Richtung an, aber auch sie können vorstädtischem Gebiet, vorstädtischen Straſsen nicht aus dem Wege gehen, wenn sie, wie üblich und meist noth - wendig, dem Gefälle des Flusses folgen, der die Groſsstadt durch - flieſst. Sind es Rieselgüter, welche die Abwässer aufzunehmen haben, so müssen auch hier die Stämme der Druckrohrleitungen die Vorstädte auf ihrem Wege nach den dahinter gelegenen Rieselfeldern kreuzen. Wie oft kommt es dann vor, daſs bei der Wahl der Tracen nicht die im technischen Sinne rationellsten, sondern solche gewählt werden, welche sich schlieſslich im Kampf mit den Vorstädten und ihren Inter - essen als die allein durchführbaren erweisen. Und der daraus ent - springende Nachtheil schwillt oft ins ungebührliche an, wenn die Einmündungspunkte der groſsen Stammleitungen an dem Weichbilde nicht auf Straſsenzüge treffen, die für ihre Aufnahme geeignet sind.
Ich will die Vorstädte und ihre Verwaltungen nicht einer be - sonderen Fiscalität anklagen; diese Eigenschaft ist so verbreitet, daſs sich keine Verwaltung, nicht die der groſsen Städte, nicht die anderer Communalverbände, auch nicht diejenige des Staates, davon freisprechen kann. Genommen wird von andern überall das, was genommen werden kann, was sich bei der Nothlage des anderen erreichen läſst. Die Eisenbahnen vor allem haben ihre financielle Prosperität im Auge und legen sich mit ihren breiten und hohen Dämmen oder ihren Einschnitten unbekümmert um zahllose Interessen, namentlich diejenigen des späteren Verkehrs — preuſs. Gesetz vom 3. Nov. 1838 — und um diejenigen der Versorgungs-Systeme durch und um die Groſsstädte.
Alles dieses weist uns darauf hin, daſs hier ein Zustand vorliegt, der im Interesse der groſsstädtischen Versorgungsnetze einer Abhülfe bedarf. Und hier helfend einzugreifen ist Sache des Staates, Sache der Gesetzgebung.
Nicht die Eingemeindung einzelner Vorstädte, die nach jahrelangen Verhandlungen, in denen die beiderseitigen Ansprüche aus der Ver - gangenheit, die für die Gegenwart nur einen verschwindenden, für die Zukunft gar keinen Werth haben, aufgerechnet werden, zu Stande kommt, sondern die Schaffung neuer administrativer Verbände, aus - gedehnt auf das ganze Gebiet, soweit sich die vitalen Interessen der Groſsstädte erstrecken, das ist der Weg, der zum Ziele führen kann. Interessen, die wahrhaft gemeinschaftliche sind, dürfen nicht in ihrer gegenwärtigen Trennung und getrennten Vertretung erhalten bleiben; sie dürfen nicht, wie in der Fabel der Magen und die Glieder, sich gegenseitig bekämpfen und hindern, sondern müssen sich verschmelzen und fördern. Dazu bedarf es einer Corporation, einer corpo - rativen Einigung, welche sich, wenn nicht anders, so doch durch eine Majorität zu einer That reif macht.
Wenn auch nicht in den alten Stadttheilen mit ihren gegebenen und ohne gewaltigen Kostenaufwand kaum abänderungsfähigen Ver - hältnissen, so kann doch in allen neu anzulegenden Straſsen den Gemeinden durch Gesetz die Befugniſs verliehen werden, der Stadt - entwicklung nur eine solche Bahn zu geben, daſs die Interessen der Gemeinde, soweit sie die Versorgungsnetze betreffen, gewahrt werden.
Für das Königreich Preuſsen ist ein solches Gesetz unter dem2. Juli 1875 erlassen. Dasselbe ermöglicht den Gemeinden die An - legung und Veränderung von Straſsen und Plätzen nach dem Bedürf - nisse der näheren Zukunft durch Aufstellung von Bebauungs-Plänen. Ist dies geschehen, so tritt damit von selbst die Beschränkung des Grund-Eigenthümers, über die Fluchtlinien hinaus zu bauen, ein; Orts - statute sind zulässig, nach denen örtlich bestimmt werden kann, was unter einer für den Anbau fertig gestellten Straſse zu verstehen sei, und nur an solchen Straſsen dürfen Wohngebäude mit Ausgang errichtet werden; eine Entschädigung kann für eine Beschränkung der Baufrei - heit dann nicht gefordert werden; desgleichen können die Kosten der Neuanlegung einer Straſse von den angrenzenden Eigenthümern bei Er - richtung neuer Gebäude an dieser Straſse wieder eingezogen werden.
Ich halte mich für verpflichtet, auf dieses Gesetz umsomehr hin - zuweisen, als in einzelnen zum deutschen Reich gehörigen Bundes - staaten ein gleiches oder ähnliches Gesetz fehlt und auch innerhalb Preuſsens vielfach von diesem Gesetz, damit also von der Befugniſs, die Herrschaft bei Neuanlage von Straſsen auszuüben, auch im Interesse der zweckmäſsigen Unterbringung der Versorgungs-Leitungen seitens der Gemeinden nicht der Gebrauch gemacht wird, den es verdient.
Es bedarf kaum der Erwähnung, daſs in der Aufstellung von Bebauungsplänen ein Mittel gegeben ist, wenigstens die Nöthe, welche dort in der Zukunft die Unterbringung der Versorgungsnetze bereiten kann, zu beseitigen oder zu mildern. Je seltener bei Aufstellung solcher Pläne an die Versorgungsnetze gedacht worden ist und meistens noch wird, um so nothwendiger wird dies für die Zukunft sein. Die Anordnung mächtiger Diagonal - oder Radial-Straſsen, die für alle Leitungen von innen heraus oder von auſsen herein den kürzesten Weg bieten, ist dabei vor allem geboten. Für diese können die Abmessungen kaum groſs genug genommen werden, denn sie bieten die passende Gelegenheit, um auch die Bauten zur Bewältigung des groſsstädtischen Verkehrs — Hochbahnen, Stadtbahnen, Trambahnen — dort anzulegen.
Je mehr — und namentlich in Groſsstädten — es Gebrauch wird, die Straſsendämme in definitiver Weise zu befestigen, je mehr zu Unterlagen der Befestigungsdecken starke Betonschichten verwendet werden, umsomehr auch wird es Regel werden, die Leitungen in die Bürgersteige zu verlegen; auch die dadurch bedingte Abkürzung der Hausanschluſsleitungen drängt darauf hin.
Es ergiebt sich hieraus die Nothwendigkeit, in der Straſsenein - theilung den Bürgersteigen eine möglichst groſse Breite zu geben, ja, wenn die Straſsenbreite im ganzen nicht über ein gewisses Maſs hinaus ausgedehnt werden kann, diese Bürgersteigbreite auf Kosten der Straſsendammbreite zu ermöglichen. Sichert man sich hierdurch dort für die Ansprüche der Zukunft einen möglichst geräumigen Platz, so verleiht man auch den Straſsen überhaupt ein gefälligeres Ansehen. Endlich verdient der Fuſsgängerverkehr in Groſsstädten eine Berücksichtigung, die oft nicht genügend anerkannt wird, während umgekehrt dem Wagenverkehr Opfer gebracht werden, die er theils nicht braucht, theils nicht verdient. Auf eines freilich muſs der Wagenverkehr in der Regel in groſsen Städten verzichten, nämlich auf schnelles Fahren und, damit in Verbindung, auf Vorbeifahren. Ein groſser Theil der Wagen, alle Lastwagen, fahren so wie so nur Schritt; soll nun dem leichteren Personenfuhrwerk die Möglichkeit gegeben werden, auſser der Reihe sich zu bewegen und vorbeizueilen, so beansprucht dies eine Verbreiterung des Straſsendammes, deren Kosten und Schwierigkeiten ganz auſser Verhältniſs zu der dadurch erreichten Annehmlichkeit stehen. Es ist gewiſs sehr schön, daſs in Groſsstädten dem eleganteren Wagenverkehr, der ohne ein gewisses Tempo nicht zu denken ist, einzelne luxuriöser gestaltete Wege offen gehalten und bereitet werden, daſs aber die groſse Menge der Verkehrs - straſsen hierauf Rücksicht zu nehmen habe, ist unrichtig. Dem Noth - wendigen muſs das Angenehme nachstehen. Bewegen sich die Fuhrwerke in gleichmäſsigem Schritt, in gleichmäſsiger langer Reihe, so ist es — man denke nur an den Strand, an die City-Straſsen in London — kaum glaublich, welch eine Fülle von Lasten, welch eine Wagenzahl ordnungsmäſsig und ununterbrochen in Bewegung erhalten wird. Nicht unerwähnt mag hierbei auch bleiben, daſs für den Fuſsgänger - verkehr, wenn er zur Benutzung des Straſsendammes genöthigt ist, nichts so gefährlich wird, als gerade ein breiter Straſsendamm, der ein ungeordnetes Fahren in verschiedener Geschwindigkeit ermöglicht. Die Sicherung des Fuſsgängerverkehrs ist es, welcher neben der leich - teren Unterbringung der Versorgungsnetze verhältniſsmäſsig schmälere Fahrdämme und breitere Bürgersteige dienen.
(Schluſs folgt.)
(Schluſs.)
Vor allem ist es eine Aufgabe der Groſsstädte, nicht länger zu dulden, daſs Versorgungsnetze irgend welcher Art, welche man ja geradezu als Lebensnerven bezeichnen kann, in Besitz und Ver - waltung concessionirter Privat-Gesellschaften bleiben, oder daſs neue Concessionen der Art ertheilt werden. Eine Concession, ein Vertrag gewährt Rechte. Nun ist nie -
mand, auch der gewandteste Rechtsverständige nicht, dem die Ausfertigung der Concession anvertraut wird, imstande, bei dem Wachsthum der Groſsstädte, dem Auftreten neuer Bedürf - nisse, der regen Erfindung be - züglich der technischen Form, in der den Bedürfnissen ge - nügt wird, anzugeben, welche tief einschneidende Bedeutung solche verliehenen Rechte in der Zukunft haben können, wie sehr sie hindern und hemmen können, welche Opfer gebracht werden müssen, um sie ge - gebenenfalls abzulösen. Die Ver - waltungen der Groſsstädte üben Hoheitsrechte aus, und sie dürfen auf Straſsen und Plä - tzen, also auf öffent -
lichem Grund und Boden, diese Rechte mit keinem Privaten theilen. Daſs dieser im Streitfalle nur seine Privatrechte wahrnimmt, ist na - türlich und von seinem Standpunkt auch gerechtfertigt; daſs aber dann die öffentlichen Inter - essen darunter leiden, ist selbstverständlich, und zuerst diejenigen, welche bei der Ver - theilung, Gröſsenbe - messung, Trace, Hö - henlage usw. der Ver - sorgungs-Leitungen auftauchen.
Wenn es sich darum handelt, eine Stadt mit Leitungen zu versehen, um ir - gend eine Art der Versorgung, z. B. mit Gas, Wasser, Druck - luft usw. eintreten zu lassen, so ist es üblich, den sogenann - ten Maximalconsum für die ganze Stadt festzustellen.
Es wird die Einwohnerzahl und die jährliche procentualische Steigerung derselben in der Vergangenheit ermittelt; daraus wird berechnet, daſs nach einer Reihe von Jahren, für welche man noch, weitgegriffen, die Leistungsfähigkeit des Werkes ausreichend haben will, die Einwohnerzahl eine solche oder eine solche sein werde.
Diese Zahl, mit einem Maximal-Consum auf den Kopf und Tag multiplicirt, ergiebt die Stoffmenge, auf welche sich das Versorgungs - werk einzurichten hat. Dann wird in ähnlicher Weise die Ausdeh - nung des Leitungsnetzes bestimmt, indem auf Grund der Erfahrungen, die die Vergangenheit an die Hand giebt, die räumliche Vergröſse -rung der Stadt — wiederum weit gegriffen und für eine längere Reihe von Jahren — in Betracht gezogen wird.
Wenn es sich wirklich um Groſsstädte handelt, kann dieses Ver - fahren nicht als das richtige bezeichnet werden. Es wird zunächst wohl zugegeben werden können, daſs es für Werke derart beziehent - lich ihrer Gröſse technisch eine Grenze giebt, über die hinaus financiell ein Vortheil aus einer Vergröſserung nicht mehr erwächst, insofern sich dabei die Kosten für eine ge - lieferte Stoff-Einheit nicht weiter vermindern, sondern die gleichen bleiben. Eine solche Grenze liegt in der Stärke der ein - zelnen Maschinen, die über ein gewisses Maſs hinaus gehen zu lassen unwirthschaftlich sein würde, in dem Durchmesser der eisernen Hauptleitungen, in der bereits erreichten vollkommenen Ausnutzung der Bedienungs - und Aufsichtskräfte, der Bau - lichkeiten und der verfügbaren Baustelle.
Wenn also, wie es bei Groſsstädten in der Regel der Fall sein wird, der Ge - samtconsum erheb - lich noch die Lei - stungsfähigkeit einer einzelnen solchen be - grenzten Station über - steigt, so wird es schon zulässig, ja in vielen Fällen auch wirthschaftlich rich - tig sein, die Versor - gung von einer Stelle aus aufzugeben und mehrere einzelne Stationen anzulegen.
Aber es ist für mich hier nicht Auf - gabe, die Theilung aus wirthschaft - lichen Gründen zu empfehlen. Ich habe hier nur nachweisen wollen, daſs eine Theilung, die aus andern Gründen ge - fordert werden muſs, keinesweges aus wirthschaftlichen Gründen unausführ - bar erscheint. Diese Gründe bestehen aber darin, daſs die Lei - stungsfähigkeit eines Werkes, welches ein räumlich bestimmt abgegrenztes Gebiet versorgen soll, nicht aus höchst unsicheren Wahrscheinlichkeitszahlen ermittelt, nicht für einen mehr oder minder langen, schlieſslich doch willkürlich gegriffenen Zeitraum festgestellt zu werden braucht, sondern daſs sie — wenigstens der Hauptsache nach — aus einem stabilen Maximalconsum ermittelt werden kann, und daſs die Leitungen, angemessen in dem räumlich fest begrenzten Bezirk ver - theilt und danach berechnet, im wesentlichen einer Vermehrung oder Vergröſserung auch in der Zukunft nicht bedürfen werden.
Ich will hier Beispiele anführen: Es giebt wohl keine Stadt,387Nr. 37. Centralblatt der Bauverwaltung. welche nicht sich genöthigt gesehen hätte, mindestens in den Boden - falten, welche nach dem Flusse zu sich öffnen, Entwässerungs - leitungen zu bauen. Sicher und nachweislich hat man dabei die Leitung nicht am letzten Hause begonnen, sondern in Erwartung weiterer städtischer Ausdehnung der Leitung anfänglich gröſsere Maſse gegeben, um sie nach oben hin fortsetzen zu können. Was hat diese Aufmerksamkeit genützt? Wir sehen jetzt, daſs auch die weitgehendste Fürsorge in dieser Beziehung längst durch die Ent - wicklung überholt ist. Nicht allein, daſs die Verlängerung der Leitungen, schlieſslich in kleinster zulässiger Abmessung, weit über das rechnerisch bestimmte Maſs hinaus vor sich gegangen, — nein, man hat auf einmal wieder ein gröſseres Profil oberhalb an das kleinere unterhalb angeschlossen und sogar die Sohle der oben angeflickten Leitung, da die alte mit Gefälle sich der Oberfläche zu sehr näherte, plötzlich beliebig
tiefer gelegt. Na - türlich war es nur eine Täuschung, davon einen Erfolg zu erwarten, aber geschehen ist es im Drange der Noth in zahlreichen Fällen.
Als im Jahr 1860 eine preuſsische Tech - niker-Commission die Entwässerungs - anlagen des Auslan - des studirte und ihren Reisebericht nebst einem generellen Ent - wässerungsplane für Berlin veröffentlichte, glaubte sie das äuſserste gethan zu haben, wenn sie für Berlin eine gröſste Einwohnerzahl von 775 000 in Ansatz brachte. Es heiſst in jenem Bericht: „ Diese Zunahme der Bevölkerung um bei - nahe 59 pCt. dürfte so reichlich gerechnet sein, daſs eine baldige Ueberschreitung der - selben nicht leicht anzunehmen ist. “ Wenn wir aber nun sehen, welch ein schwerer Irrthum in jener Annahme lag, wenn wir wissen, daſs in noch nicht 30 Jahren jene Annahme um weitere 50 pCt. hinter der Wirklichkeit zurückgeblieben ist, so mache ich doch daraus niemandem einen Vorwurf; ich müſste mir ihn vor allem selbst machen, da ich seiner Zeit an jener Arbeit betheiligt war. Wären aber die Röhren und Canäle nach dem damaligen Entwurf, welcher die ganze Stadt in ein System zusammenfaſste, gelegt worden, sie hätten, zum gröſseren Theil wenigstens, seitdem schon herausge - nommen und durch gröſsere ersetzt werden müssen.
Wird nun nach dem von mir empfohlenen und bei der jetzigen Entwässerung Berlins zur Ausführung gebrachten Verfahren die ganze Stadt räumlich in einzelne Systeme zerlegt, so ist jede spätere unvorhergesehene und nicht vorherzusehende peripherische Ver - gröſserung des einzelnen Versorgungsgebiets ausgeschlossen; aus - geschlossen ist auch, wenigstens im wesentlichen, eine Vermehrung oder Vergröſserung der Stoffmenge, auf welche sich das einzelne Werk einzurichten hat. Wie schon gesagt, ist diese Stoffmenge ein Product, dessen beide Factoren erstens die Bevölkerungszahl und zweitens die Beanspruchung auf den Kopf und Tag an das Werk sind. Ist das System räumlich begrenzt, so fällt jede Unsicherheit bezüglich des ersten Factors ganz und gar fort; man kann mit Be - stimmtheit sagen, daſs die Bevölkerungsdichtigkeit über ein gewisses Maſs hinaus, welches dann allerdings überall zu Grunde zu legen ist, nicht steigt. Ja, die Erfahrung hat gelehrt, daſs die Dichtigkeit der Bevölkerung in einer Groſsstadt abzunehmen pflegt, sobald ein gewisser, hoher Grad groſsstädtischer Entwicklung erreicht ist oder überschritten wird.
Weniger sicher ist freilich die Bestimmung des zweiten Factors, aber auch hier liegen Erfahrungen genug vor, wie diejenige über den Maximalconsum an Wasser auf den Kopf und Tag, über den Gas - verbrauch auf den Kopf und Tag, über die abzuleitende Regenmengefür die Flächeneinheit in der Secunde usw., welche, unter Hinzu - rechnung eines gewissen Sicherheits-Coefficienten, es möglich machen, für die Versorgungsnetze eine Gröſse zu ermitteln, die dauernd ge - nügt, und welche daher ein Herausnehmen und Verändern der Leitungen unnöthig macht.
Unerläſslich erscheint in Groſsstädten endlich, daſs die Verwal - tung der verschiedenen Versorgungswerke, wenigstens so weit als es sich um die Versorgungsnetze handelt, technisch in einer Hand ruhe.
Darf ich also noch einmal die Maſsnahmen kurz aufführen, die nach meinem Ermessen, abgesehen von dem oben über die Einbettung der Versorgungsnetze in die Bürgersteige bereits Gesagten, geeignet sind der Noth der Groſsstädte auf diesem Gebiet zu steuern, so sind dies folgende: 1. Subways, wo deren Erbauung möglich ist, und wo sie nach den gegebenen Ver - hältnissen eine durch - greifende Ordnung und Unterbringung der Leitungen dau - ernd in Aussicht stellen. 2. Herstellung eines administra - tiven Verbandes der Groſsstädte und ihrer Vororte. 3. Erlaſs eines die Feststellung der Bebauungs - pläne und die Aus - führung neuer Straſsen regeln - den Gesetzes nach Art des in Preu - ſsen gültigen Ge - setzes vom 2. Juli 1875, wo solches noch nicht vorhanden, und Erlaſs der nach die - sem Gesetz zulässigen Ortsstatute, wo dies noch nicht geschehen. 4. Eintheilung neuer Straſsen der - art, daſs mehr als bisher den Bürger - steigen eine gröſsere Breite, nöthigen - falls auf Kosten der Straſsendämme, ge - geben wird; auch selbst bei schon vorhandenen Straſsen wird es sich sehr empfehlen, zu prüfen, ob eine Anordnung in dem angedeuteten Sinne nicht vom Verkehrs-Standpunkt zulässig und vom Standpunkt der Versorgungsnetze aus sehr wünschenswerth ist. 5. Nichtertheilung weiterer Concessionen an Privat-Unter - nehmer (Actien-Gesellschaften) zur Ausführung und financiellen Ausbeutung von Versorgungsnetzen irgend welcher Art; wo solche Concessionen aber bestehen, Ablösung derselben. 6. Theilung jeder Versorgungsanlage einer Stadt in be - stimmte räumlich abgetrennte Einzelsysteme. 7. Stellung der verschiedenen Versorgungswerke der Groſsstadt unter eine und dieselbe technische Leitung.
Und nun, m. H., nur noch wenige Worte. Es ist eine billige Weisheit, vor erkannten Schädlichkeiten zu warnen, aber in Vor - aussicht die nachtheiligen Einflüsse zu erkennen, welche die Begleiter von Zuständen sind, die wir erstreben, von Genüssen, die wir begehren, ist verdienstlich. Der Geschichtschreiber weiſs heute davon zu erzählen, wie der römische Caesarismus den Schwerpunkt der Reichsverwaltung den Freigelassenen und den Prätorianern zuschob und damit den Zer - fall einer Weltherrschaft bedingte; daſs aber eine hochmüthige, stets erobernde Republik zu einem Caesar führen muſste, sagten zur richtigen Zeit nur wenige, und diesen wenigen wurde es nicht geglaubt.
Es ist jetzt, wie niemand leugnen wird, eine Art Sport ge - worden, Groſsstädte mit einander in Vergleich zu stellen und derjenigen den Preis zuzuerkennen, welche es im Wachsthum, in der Einwohnerzahl, in öffentlich Einrichtungen am weitesten gebracht hat. Unentgeltliche Schulen, Feriencolonieen, Stadtmissionen, Fach - schulen, Volksbäder, Asyle, Bürger-Rettungshäuser und ähnliches in hunderterlei Gestalt erfüllt die Seele der dabei Thätigen mit Selbst - zufriedenheit und tugendlichem Muth; es ist ein Retten des Geistes, des Körpers, der unsterblichen Seele unserer armen oder verkommenen388Centralblatt der Bauverwaltung. 13. September 1890. Mitmenschen, das unsere Brust schwellt, das unsern philantropischen Charakter stählt.
„ Berlin wird Weltstadt “rief man begeistert vor Jahren aus; „ Berlin ist Weltstadt “flüstern jetzt dort schon Tausende.
Ich meine, ein solches Wachsthum hat auch seine Kehrseite!
Ein geistvoller Kritiker der Nationalzeitung schlieſst seinen Be - richt über das eben stattgehabte Schützenfest in Berlin mit den Worten: „ So bietet der Schützenplatz für Fremde wie für Einheimische unend - lich viel des Sehenswerthen. Kurz zuvor aber, ehe man dort ankommt, sieht man zur linken Hand ein Kornfeld, das recht schön steht, und zur rechten einen Acker mit Kartoffeln, die eben blühen. Berliner, die dergleichen noch nie gesehen haben — und wie groſs mag ihre Zahl sein! — seien darauf aufmerksam gemacht; diese beiden Eigen - thümlichkeiten lohnen allein schon eine Fahrt nach Pankow! “
Es wird leider ein solches Urtheil nicht wohl bestritten werden können. Einfachheit, Naturnähe, ungekünstelte Verhältnisse schwinden aus den Groſsstädten; Gemachtheit in der Lebensführung und Lebens - weise nehmen zu, eine einheitliche Betriebs-Organisation im Wohnen, Miethen, in der Bedienung, im Bezug der Lebensmittel, in der Art der Vergnügungen und Genüsse entwickelt sich und bezwingt immer gebieterischer alles individuelle Leben. Licht in mancherlei Gestalt, Wasser, Luft, Unterhaltung, gleiches Zeitmaſs, fehlerlos bis auf den Bruchtheil von Secunden, Paket-Vertheilung und Arbeits - kraft vermitteln jetzt schon Central-Versorgungen in gröſseren Städten durch Leitungen. Die Versendung von Nahrungsmitteln auſser dem Wasser scheint technisch wenigstens keine unüberwind - lichen Schwierigkeiten zu haben. Ist erst die Sitte des warmen Bades eine allgemeine geworden — wer hindert, das erwärmte Badewasser jeder Familie in die Badestube durch Druckröhren zu fördern? Ja, daſs die winterliche Heizung einer ganzen Stadt — wie jetzt ganzer Häuser — mehr oder minder centralisirt werden kann, unterliegt keinem Zweifel usw. Solche Centralversorgungen liefern das Be - gehrte unzweifelhaft billiger als es durch die Einzelbereitung ge - schieht, und sie sind darum, für sich genommen, nützlich. Wenn es nun gar einmal dahin käme, daſs das Dienstbotenverhältniſs als einemoderne Sclaverei angesehen wird — was gar nicht so fern liegt —, und daſs die Hausarbeit der Dienstboten als geradezu unsittlich be - zeichnet wird, wie es die Nähmaschinenverkäufer thun, wenn sie von der Handarbeit des Nähens und des Strickens reden, so ist weiterer und weitester Entwicklung, wie angedeutet, Thor und Thür geöffnet. Man darf sich dann vielleicht vorstellen, daſs der wesentlichste Bestandtheil einer menschlichen Wohnung eine Wand mit Hähnen ist, die geöffnet, mit Knöpfen, die gedrückt werden. Groſses und Gewaltiges ist es zweifelsohne, was solchergestalt geschaffen werden kann — aber ich meine, es kommt nicht darauf an und ist nicht unser Lebenszweck, daſs wir Groſses und Gewaltiges schaffen; sondern daſs wir, wenn möglich, selbst groſs und gewaltig seien, und dieses Ziel erreicht der Weg, der die Eigenart schafft und erhält, der davor bewahrt, in heerdenhafte Allgemeinheit zu versinken, der uns mehr unserem eigenen geistigen und wirthschaftlichen Ge - staltungstrieb überläſst. Dann möchten wir leichtlich unsere Auf - gabe als Mensch vollkommener erfüllen als die, denen der geistige und physische Bedarf durch centrale Versorgungsleitungen zugeführt wird.
Und so sei gesagt, daſs wir das Wachsthum groſser Städte — Weltstädte —, wenn wir es auch nicht hindern dürfen und ganz sicher auch nicht können, doch nicht als ein Ziel ansehen sollten, dem wir durchaus zustreben müſsten. Die wachsende Schwierigkeit bei Unterbringung der Versorgungsnetze ist doch nur eine der vielen Sorgen, welche das riesenhafte Anwachsen der Groſsstädte ehrlichen Verwaltungen bereiten wird und schon bereitet.
Nehmen aber die Groſsstädte auch ferner intensiv und extensiv noch in ihrem Wachsthum zu, dann wird der Tag kommen, wo den ge - bieterischen Forderungen der Versorgungsnetze gegenüber auſser den Bürgersteigen die Straſsendämme für die Versorgungsnetze Preis ge - geben werden müssen, und dann hat das Definitivum der Straſsendamm - Befestigung ein Ende! Aber ehe dieser Augenblick eintritt, wird sich gewiſs schon herausgestellt haben, daſs Subways, wo solche ausgeführt sind, trotz weitgegriffenster Bemessung, den wachsenden Ansprüchen nicht mehr zu genügen vermögen. Und dieses möchte ich dann für das Bedenklichere halten.
Hobrecht.
CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe
Die modernen Aufgaben des großstädtischen Straßenbaues mit Rücksicht auf die Unterbringung der Versorgungsnetze.
Vortrag, gehalten auf der IX. Wanderversammlung des Verbandes deutscher Architekten- und Ingenieur-Vereine in Hamburg. James Hobrecht. . 9 S. Ernst & KornBerlin1890. Centralblatt der Bauverwaltung 10 (36-37) pp. Sp. 353-356, 375-376, 386-388.
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