PRIMS Full-text transcription (HTML)
[I]
Die organiſche Chemie in ihrer Anwendung auf Phyſiologie und Pathologie.
[II]

Druck und Papier von Fr. Vieweg und Sohn in Braunſchweig.

[III]
Die organiſche Chemie in ihrer Anwendung auf Phyſiologie und Pathologie.
Braunſchweig,Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn. 1842.
[IV][V]

Meinem Freunde J. J. Berzelius als ein Zeichen inniger Zuneigung und aufrichtiger Hochachtung gewidmet.

[VI][VII]

Vorwort.

Durch die Uebertragung der Methoden, welche die Phy - ſiker ſeit Jahrhunderten in der Ermittelung der Urſachen der Naturerſcheinungen befolgen, auf die Chemie, durch Beach - tung von Maß und Gewicht, iſt von Lavoiſier der Grund - ſtein einer neuen Wiſſenſchaft gelegt worden, welche durch die Pflege ausgezeichneter Männer in außerordentlich kurzer Zeit einen hohen Grad von Vollendung erhalten hat.

Es war die Aufſuchung und das Feſthalten aller Bedin - gungen, die ſich zu einer Beobachtung vereinigen müſſen, es war die Erkenntniß der richtigeren Grundſätze zu Forſchun - gen, welche die Chemiker vor Irrthümern ſchützten und ſie auf einem ebenſo einfachen als ſicheren Wege zu Entdeckun - gen führten, welche in die früher dunkelſten und unbegreif - lichſten Naturerſcheinungen Licht und Klarheit brachten.

Die nützlichſten Anwendungen auf Künſte und Induſtrie und alle der Chemie verwandten Zweige des Wiſſens, er - gaben ſich aus den von ihnen erforſchten Geſetzen und dieſer Einfluß zeigte ſich nicht erſt, nachdem die Chemie den erreich - baren Grad von Vollendung erhalten hatte, ſondern er machte ſich mit jeder einzelnen neuen Erfahrung geltend.

VIIIVorwort.

Alle in den anderen Fächern bereits vorhandenen Erfah - rungen und Beobachtungen wirkten in ganz gleicher Weiſe fördernd, auf die Ausbildung und Entwicklung der Chemie zurück, ſo daß ſie eben ſo viel von der Metallurgie und In - duſtrie empfing, als ſie gegeben hatte; indem ſie zuſam - men an Reichthum zunahmen, bildeten ſie ſich mit und ne - ben einander aus.

Nach der allmäligen Vervollkommnung der Mineralchemie wandten ſich die Arbeiten der Chemiker einer andern Rich - tung zu; aus der Unterſuchung der Beſtandtheile der Pflan - zen und Thiere ſind neue und veränderte Anſichten hervor - gegangen; das vorliegende Werk iſt ein Verſuch zu ihrer Anwendung in der Phyſiologie und Pathologie.

In früheren Zeiten hat man, in vielen Fällen mit gro - ßem Erfolg, die aus der Bekanntſchaft mit den chemiſchen Erfahrungen erworbenen Anſichten auf die Zwecke der Heil - wiſſenſchaft anzuwenden verſucht; ja, die großen Aerzte, welche zu Ende des ſiebenzehnten Jahrhunderts lebten, wa - ren die ausſchließlichen Kenner und Begründer der Chemie; das phlogiſtiſche Syſtem der Chemie, mit allen ſeinen Unvollkom - menheiten, erſchien als die Morgenröthe eines neuen Tages, es war der Sieg der Philoſophie über die roheſte Experi - mentirkunſt.

Die neuere Chemie hat mit allen ihren Entdeckungen der Phyſiologie und Pathologie nur unbedeutende Dienſte gelei - ſtet, und Niemand kann ſich über die Urſache dieſer Theil - nahmloſigkeit täuſchen, wer in Erwägung zieht, daß alle inIXVorwort.dem Gebiete der anorganiſchen Chemie erworbenen Erfah - rungen, die Kenntniß des Verhaltens der einfachen Körper und ihrer in Laboratorien darſtellbaren Verbindungen mit dem lebendigen Thierkörper und dem Verhalten ſeiner Be - ſtandtheile in keine Art von Beziehung gebracht werden konnten.

Die Phyſiologie nahm keinen Theil an den Fortſchritten der Chemie, weil ſie lange Zeit hindurch, zu ihrer eigenen Förderung, nichts von dieſer Wiſſenſchaft zu empfangen hatte. Dieſer Zuſtand hat ſich ſeit fünfundzwanzig Jahren geändert; allein auch in der Phyſiologie ſind in dieſer Zeit neue Wege und Mittel zu Forſchungen in ihrem eigenen Gebiete ge - wonnen worden, und erſt mit der Erſchöpfung dieſer Quellen von Entdeckungen ließ ſich einer neuen Richtung in den Arbeiten der Phyſiologen entgegenſehen. Auch dieſe Zeit liegt uns nahe, und ein Weiterſchreiten auf dem einge - ſchlagenen Wege würde jetzt das Gebiet der Phyſiologie, aus dem ſich ſehr bald fühlbar machenden Mangel an fri - ſchen Anhaltspunkten zu Forſchungen, nur breiter, aber we - der tiefer noch gründlicher machen.

Niemand wird den Muth haben zu behaupten, daß die Ermittelung der Formen und der Bewegungserſcheinungen nicht nothwendig oder nützlich wäre, ſie muß im Gegentheil als durchaus unentbehrlich zur Erkenntniß der Lebensproceſſe angeſehen werden; allein ſie umfaßt nur eine einzige Klaſſe von Bedingungen zur Erkenntniß, und dieſe reichen für ſich allein nicht dazu hin.

XVorwort.

Die Erforſchung der Zwecke und Functionen der einzel - nen Organe und ihres gegenſeitigen Verbandes im Thier - körper, war in früherer Zeit der Hauptgegenſtand der phy - ſiologiſchen Unterſuchungen; er iſt in der neuern Zeit in den Hintergrund getreten. Die größte Maſſe aller neueren Ent - deckungen hat die vergleichende Anatomie weit mehr als die Phyſiologie bereichert.

Für die Erkennung der ungleichen Formen und Zuſtände im geſunden und kranken Organismus geben dieſe Arbeiten ohne Zweifel die werthvollſten Reſultate, allein für eine tie - fere Einſicht in das Weſen der vitalen Acte bieten ſie keine Aufſchlüſſe dar.

Durch die genaueſte, anatomiſche Kenntniß der Gebilde kann man zuletzt nicht erfahren, zu welchem Zwecke ſie die - nen, und mit der mikroſkopiſchen Unterſuchung der feinſten Verzweigungen der Gefäßnetze wird man nicht mehr von ih - ren Verrichtungen wiſſen, als man über den Geſichtsſinn durch das Zählen der Flächen auf dem Auge einer Stuben - fliege erfahren hat. Die ſchönſte und erhabenſte Aufgabe des menſchlichen Geiſtes, die Erforſchung der Geſetze des Lebens, kann nicht gelöſ’t, ſie kann nicht gedacht werden, ohne eine genaue Kenntniß der chemiſchen Kräfte, der Kräfte nämlich, die nicht in Entfernungen wirken, die in einer ähnlichen Weiſe zur Aeußerung gelangen, wie die letzten Urſachen, von welchen die Lebenserſcheinungen bedingt werden, die ſich überall thätig zeigen, wo ſich differente Materien berühren.

Die Pathologie verſucht noch heutzutage, wiewohl ganzXIVorwort.nach dem Muſter der phlogiſtiſchen Chemiker (der qualitati - ven Methode), Anwendung von chemiſchen Erfahrungen zur Beſeitigung von Krankheitszuſtänden zu machen, allein den Urſachen und dem Weſen der Krankheit iſt man mit allen dieſen zahlloſen Verſuchen um keinen Schritt näher ge - kommen.

Ohne beſtimmte Fragen zu ſtellen, hat man Blut, Harn und alle Beſtandtheile des geſunden und kranken Organis - mus mit Alkalien und Säuren und allen Arten von chemi - ſchen Reagentien in Berührung gebracht und aus der Kennt - niß der vorgegangenen Aenderungen Rückſchlüſſe auf ihr Verhalten im Körper gemacht.

Auf dieſem Wege konnte der Zufall vielleicht zu nützlichen Heilmitteln führen, allein eine rationelle Pathologie kann auf Reactionen nicht begründet, der lebendige Thierkörper kann nicht für ein chemiſches Laboratorium angeſehen werden.

Bei krankhaften Zuſtänden, in deſſen Folge das Blut eine dickflüſſige Beſchaffenheit erhält, kann dieſe nicht durch eine che - miſche Wirkung auf die in den Blutkanälen circulirende Flüſ - ſigkeit dauernd gehoben werden; die Abſcheidung von Sedi - menten im Harn läßt ſich vielleicht durch Alkalien verhin - dern, ohne daß damit nur entfernt die Krankheitsurſache be - ſeitigt ſein kann; und wenn man im Typhus unlösliche Am - moniakſalze in den Faeces und eine ähnliche Aenderung der Be - ſchaffenheit der Blutkörperchen beobachtet, ſo wie ſie durch Ammoniakflüſſigkeit künſtlich im Blute hervorgebracht werden kann, ſo darf deshalb das im Körper vorhandene AmmoniakXIIVorwort.nicht als die Urſache, ſondern ſtets nur als der Effect einer Urſache angeſehen werden.

So hat die Medizin, nach dem Vorbilde der ariſtoteliſchen Philoſophie, ſich Vorſtellungen geſchaffen über Ernährung und Blutbildung, man hat die Speiſen claſſificirt in nahrhafte und nichtnahrhafte; aber auf Beobachtungen geſtützt, denen die weſentlichſten Erforderniſſe zu richtigen Schlüſſen mangelten, konnten dieſe Theorien nicht als Ausdrücke der Wahrheit gelten.

In welcher Klarheit erſcheinen uns jetzt die Beziehungen der Speiſen zu den Zwecken, zu welchen ſie im Thierkörper dienen, ſeitdem die organiſche Chemie ihre quantitative Unter - ſuchungsmethode auf ihre Ermittelung in Anwendung brachte!

Wenn eine magere 4 Pfund wiegende Gans in 36 Ta - gen, während welchen ſie mit 24 Pfund Welſchkorn (Mays) gemäſtet worden iſt, 5 Pfund über ihr urſprüngliches Ge - wicht zunimmt und man Pfund reines Fett aus ihr ge - winnt, ſo kann dieſes Fett nicht fertig gebildet in der Nah - rung geweſen ſein, da dieſe noch nicht den tauſendſten Theil an Fett oder fettähnlichen Materien enthält. Und wenn eine gewiſſe Anzahl Bienen, deren Gewicht man genau kennt, mit reinem, wachsfreiem Honig gefüttert, für je 20 Theile verbrauchten Honigs einen Theil Wachs liefern, ohne daß ſich ſonſt in ihrem Geſundheitszuſtande oder in ihrem Ge - wichte etwas ändert, ſo kann man über die Erzeugung von Fett in dem Thierkörper aus Zucker nicht im Zweifel ſein.

Ganz ähnlich wie bei der Entſcheidung der Frage über die Fettbildung, verhält es ſich mit der Erforſchung des Ur -XIIIVorwort.ſprungs und der Veränderung der Secrete und anderer Er - ſcheinungen im Thierkörper. Von dem Augenblick, wo man anfängt die Antworten auf Fragen, mit Ernſt und Gewiſſen - haftigkeit zu ſuchen, wo man ſich die Mühe nimmt, durch Maß und Gewicht die Beobachtungen feſtzuhalten und in Glei - chungen auszudrücken, ergeben ſich die Antworten von ſelbſt.

Durch eine noch ſo große Anzahl von Beobachtungen, welche nur die eine Seite der Frage erläutern, wird man nie - mals im Stande ſein, das Weſen einer Naturerſcheinung in ſeiner ganzen Bedeutung zu erforſchen; ſie müſſen nothwen - dig, wenn ſie Nutzen ſchaffen ſollen, nach einem ganz be - ſtimmten Zweck und Ziel gerichtet ſein, ſie müſſen einen or - ganiſchen Zuſammenhang beſitzen.

Mit Recht ſchreiben die Phyſiker und Chemiker ihren Forſchungsmethoden den größten Theil des Erfolgs in ih - ren Arbeiten zu. Jede chemiſche oder phyſikaliſche Arbeit, welche einigermaßen den Stempel der Vollendung an ſich trägt, läßt ſich im Reſultate in wenigen Worten wiederge - ben. Allein dieſe wenigen Worte ſind unvergängliche Wahr - heiten, zu deren Auffindung zahlloſe Verſuche und Fragen erforderlich waren; die Arbeiten ſelbſt, die mühſamen Ver - ſuche und verwickelten Apparate fallen der Vergeſſenheit an - heim, ſobald die Wahrheit ermittelt iſt; es ſind die Leitern, die Schachte und Werkzeuge, welche nicht entbehrt werden konnten, um zu dem reichen Erzgang zu gelangen; es ſind die Stollen und Luftzüge, welche die Gruben von Waſſer und böſen Wettern frei hielten.

XIVVorwort.

Eine jede, auch die kleinſte chemiſche oder phyſikaliſche Arbeit, wenn ſie auf Beachtung Anſprüche macht, muß heut - zutage dieſen Character an ſich tragen; aus einer gewiſſen Anzahl von Beobachtungen muß ein Schluß, gleichgültig ob er viel oder wenig umfaßt, gezogen werden können.

Es kann nur in der Methode, nur in ihrer Unterſuchungs - weiſe liegen, daß ſeit einem halben Jahrhundert in Beziehung auf eine tiefere Einſicht in die Functionen der wichtigſten Organe, der Milz, der Leber und zahlreichen Drüſen, von den Phyſiologen ſo wenig neue feſtſtehende Wahrheiten ge - wonnen worden ſind, und ſicher wird die unvollkommene Be - kanntſchaft mit den Forſchungsmethoden der Chemie das Haupthinderniß bleiben, was den Fortſchritten der Phyſio - logie entgegenſteht, der Hauptvorwurf, den ſie nicht zu be - ſeitigen vermag.

Die Chemie ſtand der Phyſik vor Lavoiſier, Scheele und Prieſtley nicht näher, als heutzutage der Phyſio - logie; ſie iſt jetzt mit der Phyſik ſo innig verſchmol - zen, daß es ſchwer halten dürfte, zwiſchen beiden eine ſcharfe Grenzlinie zu ziehen; ganz daſſelbe Band vereinigt die Chemie mit der Phyſiologie, und in einem halben Jahrhundert wird man ihre Trennung für ebenſo unmöglich halten.

Unſere Fragen und Verſuche durchſchneiden in unzähli - gen krummen Linien die grade Linie, die zur Wahrheit führt, es ſind die Kreuzungspunkte, die uns die wahre Richtung erkennen laſſen; es liegt in der Unvollkommenheit des menſch - lichen Geiſtes, daß die krummen Linien gemacht werdenXVVorwort.müſſen. Die Chemiker und Phyſiker behalten ſtets ihr Ziel im Auge, dem einen gelingt es, ſtreckenweiſe den geraden Weg zu verfolgen, allein alle ſind auf die Umwege vorbe - reitet; des Erfolgs ihrer Anſtrengungen bei Beharrlichkeit und Ausdauer gewiß, wächſt die Begierde und ihr Muth mit den Schwierigkeiten.

Einzelne Beobachtungen ohne Zuſammenhang ſind auf einer Ebene zerſtreute Punkte, die uns nicht geſtatten, einen beſtimmten Weg zu wählen. In der Chemie hatte man Jahrhunderte lang nichts als dieſe Punkte, deren Zwiſchen - räume auszufüllen Mittel genug in Anwendung kamen; allein bleibende Entdeckungen, wahre Fortſchritte wurden erſt dann gemacht, als man ihre Verknüpfung nicht mehr der Phantaſie überließ.

Ich habe den Zweck gehabt, die Kreuzungspunkte der Phy - ſiologie und Chemie in dieſem Buche hervorzuheben und die Stellen anzudeuten, wo beide Wiſſenſchaften gegenſeitig in einander greifen. Es enthält eine Sammlung von Aufga - ben, ſo wie ſie gegenwärtig von der Chemie geſtellt werden, und eine Anzahl von Schlüſſen, die nach ihren Regeln aus den vorhandenen Erfahrungen ſich ergeben.

Dieſe Fragen und Aufgaben werden ihre Löſung erhal - ten, und kein Zweifel kann darüber ſein, daß wir alsdann eine neue Phyſiologie und eine rationelle Pathologie haben werden. Gewiß iſt unſer Senkblei nicht lang genug, um die Tiefe des Meeres zu meſſen, allein es verliert deshalb ſeinen Werth für uns nicht; wenn es uns vorläufig nur hilft, umXVIVorwort.die Klippen und Sandbänke zu vermeiden, ſo iſt dieſer Nutzen groß genug. In der Hand des Phyſiologen muß die orga - niſche Chemie zu einem geiſtigen Hilfsmittel werden, mit dem er im Stande ſein wird, die Urſachen von Erſcheinungen zu erforſchen, die das leibliche Auge nicht mehr erkennt; und wenn von den Reſultaten, die ich in dieſem Buche entwickelt oder angedeutet habe, nur ein Einziges eine nützliche Anwen - dung zuläßt, ſo halte ich den Zweck, für den es geſchrieben iſt, für vollkommen erreicht. Der Weg, der dazu geführt hat, wird andere Wege bahnen, und dies betrachte ich als den höchſten Gewinn.

Gießen, im April 1842.

Dr. Juſtus Liebig.

Erſter Theil. Der chemiſche Proceß der Reſpiration und Ernährung.

[1]

I.

In dem Thierei, in dem Samen einer Pflanze erkennen wir eine merkwürdige Thätigkeit, eine Urſache der Zunahme an Maſſe, des Erſatzes an verbrauchtem Stoff, eine Kraft in dem Zuſtande der Ruhe. Durch äußere Bedingungen, durch die Begattung, durch Gegenwart von Feuchtigkeit und Luft wird der Zuſtand des ſtatiſchen Gleichgewichtes dieſer Thätigkeit aufge - hoben; die in Bewegung übergehende Kraft äußert ſich in einer Reihe von Formbildungen, welche, wenn auch zuweilen durch grade Linien eingeſchloſſen, doch weit entfernt von geometri - ſchen Geſtalten ſind, ſo wie wir ſie beim kryſtalliſirenden Minerale beobachten. Dieſe Kraft heißt Lebenskraft.

Die Zunahme an Maſſe in einer Pflanze wird durch den Akt einer Zerſetzung bedingt, die in gewiſſen Pflanzenthei - len durch die Einwirkung des Lichts und der Wärme vor ſich geht.

Dieſer Zerſetzung unterliegen in dem Lebensproceß der Pflanze ausſchließlich nur anorganiſche Materien, und wenn man mit ausgezeichneten Mineralogen die Luft und gewiſſe andere Gaſe als Mineralien gelten läßt, ſo kann man ſa - gen, daß die vegetative Lebensthätigkeit die Verwandlung12Der chemiſche Proceß derdes Minerals in einen mit Leben begabten Organismus be - wirkt, das Mineral wird Theil eines Trägers der Lebens - kraft.

Die Zunahme an Maſſe in einer lebenden Pflanze ſetzt voraus, daß gewiſſe Beſtandtheile der Nahrung zu Beſtand - theilen des Pflanzenkörpers werden, und eine Vergleichung der chemiſchen Zuſammenſetzung von beiden, zeigt mit un - zweifelhafter Gewißheit, welche von den Beſtandtheilen der Nahrung ausgetreten, welche aſſimilirt worden ſind.

Die Beobachtungen der Pflanzenphyſiologen und die Un - terſuchungen der Chemiker, ſie haben gegenſeitig dazu ge - dient, um den Beweis zu führen, daß das Wachsthum und die Entwickelung der Pflanze abhängig ſind von einer Aus - ſcheidung von Sauerſtoff, der ſich von den Beſtandtheilen ihrer Nahrungsmittel trennt.

Im geraden Gegenſatz zu dem Pflanzenleben äußert ſich das Thierleben in einer nie aufhörenden Einſaugung und Verbindung des Sauerſtoffs der Luft mit gewiſſen Beſtand - theilen des Thierkörpers.

Während kein Theil eines organiſchen Weſens zur Nah - rung einer Pflanze dienen kann, wenn er nicht vorher, in Folge von Fäulniß und Verweſungsproceſſen, die Form ei - nes anorganiſchen Körpers angenommen hat, bedarf der thie - riſche Organismus zu ſeiner Erhaltung und Entwickelung höher organiſirter Atome. Die Nahrungsmittel aller Thiere ſind unter allen Umſtänden Theile von Organismen.

Durch ihre Fähigkeit, den Ort zu wechſeln, und im All -3Reſpiration und Ernährung.gemeinen durch die Sinne unterſcheidet ſich das Thier von der Pflanze.

Alle dieſe Thätigkeiten gehen von gewiſſen Werkzeugen aus, die in der Pflanze fehlen. Die vergleichende Anatomie zeigt, daß die Bewegungs - und Gefühlsäußerungen von ge - wiſſen Apparaten abhängig ſind, die mit einander in keinem andern Zuſammenhange ſtehen, als daß ſie ſich in einem ge - meinſchaftlichen Centrum vereinigen. Die Subſtanz des - ckenmarks, der Nerven, der Gehirnmaterie ſind in ihrer Zu - ſammenſetzung und ihrem chemiſchen Verhalten weſentlich von der Subſtanz der Zellen, Membranen, Muskeln und der Haut verſchieden.

Alles, was im Thierorganismus Bewegung genannt werden kann, geht von den Nervenapparaten aus. Die Be - wegungserſcheinungen in den Pflanzen, die Saftcirculation, die man in manchen Charen beobachtet hat, das Schließen der Blüthen und Blätter hängt von phyſikaliſchen und me - chaniſchen Urſachen ab. Eine Pflanze enthält keine Nerven. Wärme und Licht ſind die entfernteren Urſachen der Bewe - gungen in Pflanzen, in den Thieren erkennen wir in den Nervenapparaten eine Quelle von Kraft, die ſich in jedem Zeitmomente ihres Lebens wieder zu erneuern vermag.

Aehnlich wie die Aſſimilation der Nahrungsmittel in den Pflanzen, ihr ganzer Bildungsproceß, abhängig iſt von ge - wiſſen äußeren Urſachen, welche die Bewegungen vermitteln, iſt die Entwickelung des Thierorganismus bis zu einem ge - wiſſen Grade unabhängig von dieſen äußeren Urſachen, eben1*4Der chemiſche Proceß derweil er in ſich ſelbſt durch ein beſonderes Syſtem von Ap - paraten die zu dem Lebensproceß unentbehrliche Kraft der Bewegung erzeugt.

Der Bildungsproceß, die Aſſimilation, der Uebergang des in Bewegung befindlichen Stoffs in den Zuſtand der Ruhe geht bei Pflanzen und Thieren in einerlei Weiſe vor ſich, es iſt die nämliche Urſache, die in beiden die Zunahme an Maſſe bedingt, es iſt dies das eigentliche vegetative Leben, es äußert ſich ohne Bewußtſein.

In der Pflanze giebt ſich die vegetative Lebensthätigkeit unter Mitwirkung von äußeren Kräften, in Thieren durch Thätigkeiten kund, die ſich in ihrem Organismus erzeugen. Die Verdauung, der Blutumlauf, die Abſonderung der Säfte, ſie ſtehen jedenfalls unter der Herrſchaft des Nervenſyſtems, allein es iſt ein und dieſelbe Kraft, welche dem Keim, dem Blatt, der Wurzelfaſer die nämlichen wunderbaren Eigen - ſchaften giebt, welche die ſecernirende Haut, die Drüſe be - ſitzen, welche jedes Organ im Thier befähigt, ſeinen eigenen Funktionen vorzuſtehen; nur die Urſachen der Bewegungen ſind in beiden verſchieden.

Während wir in den niedrigſten Thierklaſſen die Apparate der Bewegung, wie im befruchteten Keim des Thierei’s, in dem ſie ſich zu allererſt entwickeln, nie vermiſſen, finden wir in höheren Thierklaſſen beſondere Apparate des Gefühls und Empfindens, des Bewußtſeins und des höheren geiſtigen Lebens.

Der Patholog zeigt uns, daß das eigentlich vegetative Leben keineswegs an das Vorhandenſein dieſer Apparate ge -5Reſpiration und Ernährung.knüpft iſt, daß der Nutritionsproceß in den Theilen des Kör - pers, wo diejenigen Nerven gelähmt ſind, welche das Gefühl oder die willkürlichen Bewegungen vermitteln, in der näm - lichen Form vor ſich geht, wie in anderen, in denen ſie ſich in normalem Zuſtande befinden, ſo wie auf der andern Seite die kräftigſte Energie des Willens auf die Zuſammen - ziehung des Herzens, auf die Bewegung der Eingeweide und die Secretionsproceſſe keinen Einfluß auszuüben vermag.

Die Erſcheinungen des höheren geiſtigen Lebens, ſie kön - nen auf dem gegenwärtigen Standpunkt der Wiſſenſchaft nicht auf ihre nächſten, viel weniger auf ihre letzten Urſa - chen zurückgeführt werden, wir wiſſen weiter nichts davon, als daß ſie vorhanden ſind; wir ſchreiben ſie einer immate - riellen Thätigkeit zu, und zwar inſofern ihre Aeußerungen an die Materie ſich gebunden finden, einer Kraft, welche durchaus verſchieden iſt und nichts gemein hat mit der Le - benskraft.

Dieſe eigenthümliche Kraft übt, wie nicht geleugnet wer - den kann, einen gewiſſen Einfluß auf die vegetative Lebens - thätigkeit aus, ähnlich wie dies von anderen immateriellen Potenzen, von Licht, Elektricität, Wärme und Magnetismus geſchieht, allein dieſer Einfluß iſt nicht bedingender Art, ſon - dern er äußert ſich nur als eine Beſchleunigung, Störung oder Verlangſamung der vegetativen Lebensproceſſe; auf eine ganz ähnliche Weiſe übt die vegetative Lebensthätigkeit rückwärts gewiſſe Wirkungen auf das bewußte geiſtige Leben aus.

Es ſind zwei Kräfte, die ſich neben einander in Aktion6Der chemiſche Proceß derbefinden, allein Bewußtſein und Geiſt, ſie fehlen im Thiere und der lebendigen Pflanze, ohne daß wir in dieſen etwas Anderes vermiſſen, als den Mangel einer beſondern Urſache der Steigerung oder Störung; abgeſehen davon, gehen alle vitalchemiſchen Proceſſe im Menſchen und Thiere auf einerlei Weiſe vor ſich.

Das unaufhörlich ſich erneuernde Streben, die Beziehun - gen der Pſyche zu dem animaliſchen Leben ermitteln zu wol - len, hat von jeher die Fortſchritte der Phyſiologie aufgehal - ten, es war ein beſtändiges Heraustreten aus dem Gebiete der Naturforſchung in das Reich der phantaſtiſchen Gebilde; denn die begeiſterten Phyſiologen, ſie waren weit davon ent - fernt, die Geſetze des rein thieriſchen Lebens zu kennen. Keiner von ihnen hatte eine klare Vorſtellung über den Ent - wickelungs - und Ernährungsproceß, keiner von der wahren Urſache des Todes. Sie erklärten die verborgenſten pſychiſchen Erſcheinungen und waren nicht im Stande zu ſagen, was Fie - ber iſt und in welcher Weiſe das Chinin bei ſeiner Heilung wirkt!

Um die Geſetze der Bewegungen im Thierkörper zu er - mitteln, war nur die eine Bedingung, die Kenntniß der Ap - parate erforſcht, welche die Bewegungen vermitteln, aber die Subſtanz der Organe, die Veränderungen, welche die Nah - rungsmittel im lebenden Körper erfahren, ihr Uebergang zu Beſtandtheilen der Organe und rückwärts wieder in lebloſe Verbindungen, der Antheil, den die Atmoſphäre an den Le - bensproceſſen nimmt, alle dieſe Grundlagen zu weiteren Schlüſſen waren noch nicht gegeben.

7Reſpiration und Ernährung.

Was hat die Pſyche, was hat[Bewußtſein] und Geiſt mit der Entwickelung des menſchlichen Fötus, mit der des - tus im Hühnerei zu ſchaffen? gewiß nicht mehr als ſie An - theil nimmt an der Entwickelung des Samens einer Pflanze! Suchen wir vor der Hand die nicht pſychiſchen Erſcheinun - gen auf ihre letzten Urſachen zurückzuführen, und hüten wir uns vor Schlüſſen, ehe wir eine Grundlage haben. Wir kennen genau den Mechanismus des Auges, allein weder die Anatomie, noch Chemie wird uns jemals Aufſchluß ge - ben, wie der Lichtſtrahl zum Bewußtſein gelangt. Die Na - turforſchung hat eine beſtimmte Grenze, die ſie nicht über - ſchreiten darf, ſie muß ſich ſtets daran erinnern, daß mit al - len Entdeckungen nicht in Erfahrung gebracht werden kann, was Licht, Elektricität und Magnetismus für Dinge ſind, eben weil der menſchliche Geiſt nur Vorſtellungen hat für Dinge, welche Materialität beſitzen. Wir können aber die Geſetze ihres Zuſtands der Ruhe und der Bewegung erfor - ſchen, eben weil ſie ſich in Erſcheinungen äußern. So kön - nen zweifellos die Geſetze des Lebens und Alles, was ſie ſtört, befördert oder ändert, erforſcht werden, ohne daß man jemals wiſſen wird, was das Leben iſt; ſo führte die Er - forſchung der Geſetze des Falles und der Bewegung der Himmelskörper auf eine vorher nie gedachte Vorſtellung über ihre Urſache. Dieſe Vorſtellung konnte in ihrer Klarheit nicht entſtehen ohne die Kenntniß der Erſcheinungen, aus denen ſie ſich entwickelte; an und für ſich iſt ja die Schwer - kraft, wie das Licht für einen Blindgebornen, ein bloßes Wort.

8Der chemiſche Proceß der

Die neue Wiſſenſchaft der Phyſiologie hat die Methode des Ariſtoteles verlaſſen, ſie erfindet keinen horror vacui, keine Quinta essentia mehr, um den gläubigen Zuhörern Aufſchlüſſe und Erklärungen von Erſcheinungen zu geben, deren eigentlicher Verband mit anderen, deren letzte Urſache nicht ermittelt iſt, zum Heil der Wiſſenſchaft, muß man hin - zuſetzen, und zum Segen für die Menſchheit.

Wenn wir feſthalten, daß alle Erſcheinungen in dem Organismus der Pflanzen und des Thieres einer ganz ei - genthümlichen Urſache zugeſchrieben werden müſſen, welche in ihren Aeußerungen durchaus verſchieden iſt von allen an - deren Urſachen, die Zuſtandsänderungen oder Bewegungen bedingen, wenn wir die Lebenskraft alſo gelten laſſen für eine für ſich beſtehende Kraft, ſo haben wir in den Erſchei - nungen des organiſchen Lebens, wie in allen anderen Er - ſcheinungen, welche Kräften zugeſchrieben werden müſſen, eine Statik (Zuſtand des Gleichgewichtes, bedingt durch einen Widerſtand) und eine Dynamik der Lebenskraft.

Alle Theile des Thierkörpers bilden ſich aus einer eigen - thümlichen, in ſeinem Organismus circulirenden Flüſſigkeit, in Folge einer, jeder Zelle, jedem Organe oder Theile eines Organs inwohnenden Thätigkeit. Die Phyſiologie lehrt, daß alle Beſtandtheile des Körpers urſprünglich Blut wa - ren, oder daß ſie wenigſtens den entſtehenden Organen durch dieſe Flüſſigkeit zugeführt worden ſind.

Die gewöhnlichſten Erfahrungen geben ferner zu erken - nen, daß in jedem Momente des Lebens in dem Thierorga -9Reſpiration und Ernährung.nismus ein fortdauernder, mehr oder minder beſchleunigter Stoffwechſel vor ſich geht, daß ein Theil der Gebilde ſich zu formloſen Stoffen umſetzt, daß ſie ihren Zuſtand des Le - bens verlieren und wieder erneuert werden müſſen. Die Phyſiologie hat entſcheidende Gründe genug für die Mei - nung, daß jede Bewegung, jede Kraftäußerung die Folge einer Umſetzung der Gebilde oder der Subſtanz derſelben iſt, daß jede Vorſtellung, jeder Affekt Veränderungen in der chemiſchen Beſchaffenheit der abgeſonderten Säfte zur Folge hat, daß jeder Gedanke, jede Empfindung von einer Aende - rung in der Zuſammenſetzung der Gehirnſubſtanz begleitet iſt.

Zur Unterhaltung der Lebenserſcheinungen im Thiere ge - hören gewiſſe Stoffe, Theile von Organismen, die man Nahrungsmittel nennt; in Folge einer Reihe von Ver - änderungen dienen ſie entweder zur Vermehrung ſeiner Maſſe (zur Ernährung), oder zum Erſatze an verbrauchtem Stoff (Reproduktion), oder ſie dienen zur Hervorbringung von Kraft.

II.

Wenn wir die Aufnahme von Nahrungsmitteln als die eine Bedingung des Lebens bezeichnen, ſo iſt die zweite eine fortdauernde Einſaugung von Sauerſtoff aus der atmoſphä - riſchen Luft.

Von dem Standpunkte des Naturforſchers aus zeigt ſich das Thierleben in einer Reihe von Erſcheinungen, deren Zu -10Der chemiſche Proceß derſammenhang und Wiederkehr vermittelt wird durch eine in dem Organismus vorgehende Veränderung, welche die Nah - rungsmittel und der eingeſaugte atmoſphäriſche Sauerſtoff unter der Mitwirkung der Lebenskraft erleiden.

Alle vitalen Thätigkeiten entſpringen aus der Wechſel - wirkung des Sauerſtoffs der Luft und der Beſtandtheile der Nahrungsmittel.

In der Ernährung und Reproduktion erkennen wir den Uebergang des Stoffs aus dem Zuſtande der Bewegung in den Zuſtand der Ruhe (des ſtatiſchen Gleichgewichts); durch den Einfluß des Nervenſyſtems gelangt dieſer Stoff in den Zuſtand der Bewegung. Die letzten Urſachen dieſer Zuſtände der Lebenskraft ſind die chemiſchen Kräfte.

Die Urſache des Zuſtandes der Ruhe iſt ein Widerſtand, welcher bedingt wird durch eine Kraft der Anziehung (Ver - bindung), welche zwiſchen den kleinſten Theilchen der Ma - terie wirkt und nur bei unmittelbarer Berührung, oder in unmeßbar kleinen Entfernungen ſich thätig zeigt.

Dieſe beſondere Art der Anziehung, man kann ihr na - türlich die verſchiedenſten Namen geben, der Chemiker nennt ſie aber Affinität.

Die Bedingung des Zuſtandes der Bewegung liegt in einer Reihe von Veränderungen, welche die Nahrungsmittel in dem Organismus erleiden, in Folge alſo von Zerſetzungs - proceſſen, welche die Nahrungsmittel an und für ſich, oder die daraus entſprungenen Gebilde, oder Beſtandtheile der Organe erleiden.

11Reſpiration und Ernährung.

Der Hauptcharacter des vegetativen Lebens iſt ein ſteter Uebergang des in Bewegung geſetzten Stoffs in den Zuſtand des ſtatiſchen Gleichgewichtes. So lange die Pflanze lebt, iſt kein Stillſtand in der Zunahme bemerklich, kein Theil eines Organs der Pflanze nimmt an Maſſe ab. Wenn eine Zer - ſetzung erfolgt, ſo iſt ſie eine Folge der Aſſimilation. Eine Pflanze erzeugt in ſich ſelbſt keine Kraft der Bewegung, kein Theil ihrer Gebilde verliert, durch eine in ihrem Organismus vorhandene Urſache, den Zuſtand des Lebens und geht in formloſe Verbindungen über, in ihr findet kein Verbrauch ſtatt. Der Verbrauch im Thier iſt eine Aenderung des Zu - ſtandes und der Zuſammenſetzung gewiſſer Beſtandtheile des Thierkörpers, er geht mithin vor ſich in Folge chemiſcher Actionen. Der Einfluß der Gifte, der Arzneimittel auf den lebenden thieriſchen Körper zeigt auf eine evidente Weiſe, daß der Act der chemiſchen Zerſetzung und Verbindung im Thier - körper, die ſich uns in der Form von Lebenserſcheinungen zu erkennen geben, daß ſie durch ähnlich wirkende chemiſche Kräfte geſteigert, durch entgegengeſetzt wirkende verlangſamt und aufgehoben werden können, daß wir auf jeden Theil eines Organs durch Stoffe, die eine beſtimmte chemiſche Action beſitzen, eine Wirkung auszuüben vermögen.

Aehnlich alſo wie in der geſchloſſenen galvaniſchen Säule durch gewiſſe Veränderungen, welche ein anorganiſcher Kör - per, ein Metall, bei ſeiner Berührung mit einer Säure, erlei - det, ein gewiſſes Etwas für unſere Sinne wahrnehmbar wird, was wir mit einem Strome electriſcher Materie bezeichnen,12Der chemiſche Proceß derentſtehen in Folge von Umſetzungen und Veränderungen von Materien, die früher Theile von Organismen waren, gewiſſe Bewegungs - und Thätigkeitsäußerungen, die wir Leben nennen.

Der electriſche Strom giebt ſich uns zu erkennen durch gewiſſe Erſcheinungen der Anziehung und Abſtoßung, welche andere, an und für ſich bewegungsloſe, Materien durch ihn empfangen, durch Erſcheinungen der Bildung und Zerſetzung chemiſcher Verbindungen, die ſich überall äußern, wo der Wi - derſtand die Bewegung nicht aufhebt.

Von dieſem Standpunkte allein und von keinem andern aus darf die Chemie die Lebenserſcheinungen ſtudiren. Wunder finden wir überall; die Bildung eines Kryſtalls, eines Octae - ders iſt nicht minder unbegreiflich, wie die Entſtehung eines Blatts oder einer Muskelfaſer, und die Entſtehung des Zin - nobers aus Queckſilber und Schwefel iſt ein ebenſo großes Räthſel, wie die Bildung eines Auges aus der Subſtanz des Blutes.

Aufnahme von Nahrungsmitteln und Sauerſtoff ſind die erſten Bedingungen des thieriſchen Lebens.

In jedem Zeittheilchen ſeines Lebens nimmt der Menſch durch die Organe der Reſpiration Sauerſtoff auf; nie iſt, ſo lange das Thier lebt, ein Stillſtand bemerklich.

Die Beobachtungen der Phyſiologen zeigen, daß der Kör - per eines erwachſenen Menſchen, nach 24 Stunden, bei hin - länglicher Nahrung, am Gewicht weder zu - noch abgenom - men hat, dennoch iſt die Menge von Sauerſtoff, die in dieſer13Reſpiration und Ernährung.Zeit in ſeinen Organismus aufgenommen wurde, höchſt be - trächtlich.

Nach Lavoiſier’s Verſuchen werden von einem erwach - ſenen Manne in einem Jahre 746 Pfd., nach Menzies 837 Pfd. Sauerſtoffgas aus der Atmoſphäre in ſeinen Kör - per aufgenommen, und dennoch finden wir ſein Gewicht zu Anfang und Ende des Jahres entweder ganz unverändert, der die Ab - und Zunahme bewegt ſich um wenige Pfunde 1).

Wo iſt, kann man fragen, dieſes enorme Gewicht an Sauerſtoff hingekommen, was ein Individuum im Verlaufe eines Jahres in ſich aufnimmt?

Dieſe Frage iſt mit befriedigender Sicherheit gelöſ’t; kein Theil des aufgenommenen Sauerſtoffs bleibt im Körper, ſondern er tritt in der Form einer Kohlenſtoff - oder einer Waſſerſtoffverbindung wieder aus.

Der Kohlenſtoff und Waſſerſtoff von gewiſſen Beſtand - theilen des Thierkörpers haben ſich mit dem durch die Haut und Lunge aufgenommenen Sauerſtoff verbunden, ſie ſind als Kohlenſäure und Waſſerdampf wieder ausgetreten.

Mit jedem Athemzuge, in jedem Lebensmomente trennen ſich von dem Thierorganismus gewiſſe Mengen ſeiner Be - ſtandtheile, nachdem ſie mit dem Sauerſtoff der atmoſphäri - ſchen Luft eine Verbindung in dem Körper ſelbſt eingegan - gen ſind.

Wenn wir, um einen Anhaltspunkt zu einer Rechnung zu haben, mit Lavoiſier und Seguin annehmen, daß der erwachſene Menſch täglich 65 Loth Sauerſtoff (46037 Cu -14Der chemiſche Proceß derbikzoll = 15661 Gran fr. Gew. ) in ſich aufnimmt, und wir ſeine Blutmaſſe zu 24 Pfund, bei einem Waſſergehalt von 80 pCt. annehmen, ſo ergiebt ſich aus der bekannten Zuſammenſetzung des Blutes, daß zu einer völligen Ver - wandlung des Kohlenſtoffs und Waſſerſtoffs im Blut, in Kohlenſäure und Waſſer 64103 Gran Sauerſtoff nöthig ſind, die in 4 Tagen und 5 Stunden in den Körper eines er - wachſenen Menſchen aufgenommen werden 2).

Gleichgültig ob der Sauerſtoff an die Beſtandtheile des Bluts tritt oder an andere kohlen - und waſſerſtoffreiche Ma - terien im Körper, es kann dem Schluſſe nichts entgegenge - ſetzt werden, daß dem menſchlichen Körper, welcher 65 Loth Sauerſtoff täglich einathmet, in 4 Tagen und 5 Stunden ſo viel an Kohlenſtoff und Waſſerſtoff in ſeinen Nahrungsmitteln wieder zugeführt werden muß, als nöthig wäre, 24 Pfund Blut mit dieſen Beſtandtheilen zu verſehen, vorausgeſetzt, daß das Gewicht des Körpers ſich nicht ändere, daß er ſeine normale Beſchaffenheit behaupten ſoll.

Dieſe Zufuhr geſchieht durch die Speiſen.

Aus der genauen Beſtimmung der Kohlenſtoffmenge, welche durch die Speiſen in den Körper aufgenommen werden, ſo wie durch die Ausmittelung derjenigen Quantität, welche durch die Faeces und den Urin unverbrannt, oder wenn man will, in einer andern Form, als in der Form einer Sauer - ſtoffverbindung, wieder austritt, ergiebt ſich, daß ein erwach - ſener Mann, im Zuſtande mäßiger Bewegung, täglich 27,8 Loth Kohlenſtoff verzehrt 3).

15Reſpiration und Ernährung.

Dieſe 27 8 / 10 Loth Kohlenſtoff entweichen aus Haut und Lunge in der Form von kohlenſaurem Gas.

Zur Verwandlung in kohlenſaures Gas bedürfen dieſe 27,8 Loth Kohlenſtoff 74 Loth Sauerſtoff.

Nach den analytiſchen Beſtimmungen von Bouſſingault (Annales de chim. et de phys. LXX. 1. S. 136) verzehrt ein Pferd in 24 Stunden 158¼ Loth Kohlenſtoff, eine milch - gebende Kuh 141½ Loth 4).

Die hier angeführten Kohlenſtoffmengen ſind als Kohlen - ſäure aus ihrem Körper getreten, das Pferd hat in 24 Stun - den für die Ueberführung des Kohlenſtoffs in Kohlenſäure 13 7 / 32 Pfd. und die Kuh 11⅔ Pfd. Sauerſtoff verbraucht.

Da kein Theil des aufgenommenen Sauerſtoffs in einer andern Form als in der einer Kohlenſtoff - oder Waſſerſtoff - verbindung wieder aus dem Körper tritt, da ferner bei nor - malem Geſundheitszuſtande der ausgetretene Kohlenſtoff und Waſſerſtoff wieder erſetzt wird durch Kohlenſtoff und Waſſer - ſtoff, den wir in den Speiſen zuführen, ſo iſt klar, daß die Menge von Nahrung, welche der thieriſche Organismus zu ſeiner Erhaltung bedarf, in geradem Verhältniß ſteht zu der Menge des aufgenommenen Sauerſtoffs.

Zwei Thiere, die in gleichen Zeiten ungleiche Mengen von Sauerſtoff durch Haut und Lunge in ſich aufnehmen, verzehren in einem ähnlichen Verhältniß ein ungleiches Ge - wicht von der nämlichen Speiſe.

In gleichen Zeiten iſt der Sauerſtoffverbrauch ausdrück - bar durch die Anzahl der Athemzüge; es iſt klar, daß bei16Der chemiſche Proceß dereinem und demſelben Thiere die Menge der zu genießen - den Nahrung wechſelt, je nach der Stärke und Anzahl der Athemzüge.

Ein Kind, deſſen Reſpirationswerkzeuge ſich in größerer Thätigkeit befinden, muß häufiger und verhältnißmäßig mehr Nahrung zu ſich nehmen, als ein Erwachſener, es kann den Hunger weniger leicht ertragen. Ein Vogel ſtirbt bei Man - gel an Nahrung den dritten Tag; eine Schlange, die in einer Stunde, unter einer Glasglocke athmend, kaum ſo viel Sauerſtoff verzehrt, daß die davon erzeugte Kohlenſäure wahr - nehmbar iſt, lebt drei Monate und länger ohne Nahrung.

Im Zuſtand der Ruhe beträgt die Anzahl der Athemzüge weniger als im Zuſtand der Bewegung und Arbeit. Die Menge der in beiden Zuſtänden nothwendigen Nahrung muß in dem nämlichen Verhältniß ſtehen.

Ein Ueberfluß von Nahrung und Mangel an eingeath - metem Sauerſtoff (an Bewegung), ſo wie ſtarke Bewe - gung (die zu einem größeren Maaß von Nahrung zwingt) und ſchwache Verdauungsorgane ſind unverträglich mit einander.

Die Menge des Sauerſtoffs, welche ein Thier durch die Lunge aufnimmt, iſt aber nicht allein abhängig von der An - zahl der Athemzüge, ſondern auch von der Temperatur und der Dichtigkeit der eingeathmeten Luft.

Die Bruſthöhle eines Thieres hat eine unveränderliche Größe, mit jedem Athemzuge tritt eine gewiſſe Menge Luft ein, die in Beziehung auf ihr Volumen als gleichbleibend17Reſpiration und Ernährung.angeſehen werden kann. Aber ihr Gewicht und damit das Gewicht des darin enthaltenen Sauerſtoffs bleibt ſich nicht gleich. In der Wärme dehnt ſich die Luft aus, in der Kälte zieht ſie ſich zuſammen. In einem gleichen Volum kalter und warmer Luft haben wir ein ungleiches Gewicht Sauer - ſtoff. Im Sommer enthält die atmoſphäriſche Luft Waſſer - gas, im Winter iſt ſie trocken; der Raum, den das Waſſer - gas in der warmen Luft einnimmt, wird im Winter durch Luft eingenommen, d. h. ſie enthält bei gleichem Volum im Winter mehr Sauerſtoff.

Im Sommer und Winter, am Pole und Aequator ath - men wir ein gleiches Luftvolumen ein. Die kalte Luft er - wärmt ſich beim Einathmen in der Luftröhre und den Lun - genzellen, und nimmt die Temperatur des Körpers an. Um ein gewiſſes Sauerſtoffvolumen in die Lunge zu bringen, iſt im Winter ein geringerer Kraftaufwand nöthig, als im Sommer; für denſelben Kraftverbrauch athmet man im Win - ter mehr Sauerſtoff ein.

Es iſt einleuchtend, daß wir bei einer gleichen Anzahl von Athemzügen an dem Ufer des Meeres eine größere Menge von Sauerſtoff verzehren, als auf Bergen; daß die Menge der austretenden Kohlenſäure, ſo wie das einge - ſaugte Sauerſtoffgas mit dem Barometerſtande ſich ändert.

Das aufgenommene Sauerſtoffgas tritt im Sommer und Winter in ähnlicher Weiſe verändert wieder aus, wir athmen in niederer Temperatur und höherem Luftdrucke mehr Kohlen - ſtoff aus wie in höherer, und wir müſſen in dem nämlichen218Der chemiſche Proceß derVerhältniß mehr oder weniger Kohlenſtoff in den Speiſen genießen, in Schweden mehr wie in Sicilien, in unſern Ge - genden im Winter ein ganzes Achtel mehr wie im Sommer.

Selbſt wenn wir dem Gewicht nach gleiche Quantitäten Speiſe in kalten und warmen Gegenden genießen, ſo hat eine unendliche Weisheit die Einrichtung getroffen, daß dieſe Spei - ſen höchſt ungleich in ihrem Kohlenſtoffgehalte ſind. Die Früchte, welche der Südländer genießt, enthalten im friſchen Zuſtande nicht über 12 pCt. Kohlenſtoff, während der Speck und Thran des Polarländers 66 bis 80 pCt. Kohlenſtoff enthalten.

Es iſt keine ſchwere Aufgabe, ſich in warmen Gegenden der Mäßigkeit zu befleißigen, oder lange Zeit den Hunger unter dem Aequator zu ertragen, allein Kälte und Hunger reiben in kurzer Zeit den Körper auf.

Die Wechſelwirkung der Beſtandtheile der Speiſen und des durch die Blutcirculation im Körper verbreiteten Sauer - ſtoffs iſt die Quelle der thieriſchen Wärme.

III.

Alle lebenden Weſen, deren Exiſtenz auf einer Einſau - gung von Sauerſtoff beruht, beſitzen eine von der Umgebung unabhängige Wärmequelle.

Dieſe Wahrheit bezieht ſich auf alle Thiere, ſie erſtreckt ſich auf den keimenden Samen, auf die Blüthe der Pflanze und auf die reifende Frucht.

Nur in den Theilen des Thieres, zu welchen arterielles19Reſpiration und Ernährung.Blut, und durch dieſes der in dem Athmungsproceß aufge - nommene Sauerſtoff gelangen kann, wird Wärme erzeugt. Haare, Wolle, Federn beſitzen keine eigenthümliche Temperatur.

Dieſe höhere Temperatur des Thierkörpers oder, wenn man will, Wärmeausſcheidung iſt überall und unter allen Umſtänden die Folge der Verbindung einer brennbaren Sub - ſtanz mit Sauerſtoff.

In welcher Form ſich auch der Kohlenſtoff mit Sauer - ſtoff verbinden mag, der Akt der Verbindung kann nicht vor ſich gehen, ohne von Entwicklung von Wärme begleitet zu ſeyn, gleichgültig, ob ſie langſam oder raſch erfolgt, ob ſie in höherer oder niederer Temperatur vor ſich geht, ſtets bleibt die freigewordene Wärmemenge eine unveränderliche Größe.

Der Kohlenſtoff der Speiſen, der ſich im Thierkörper in Kohlenſäure verwandelt, muß eben ſo viel Wärme entwickeln, als wenn er in der Luft oder im Sauerſtoff direct verbrannt worden wäre; der einzige Unterſchied iſt der, daß die erzeugte Wärmemenge ſich auf ungleiche Zeiten vertheilt; in reinem Sauerſtoffgas geht die Verbrennung ſchneller vor ſich, die Temperatur iſt höher, in der Luft langſamer, die Temperatur iſt niedriger, ſie hält aber länger an.

Es iſt klar, daß mit der Menge des in gleichen Zeiten durch den Athmungsproceß zugeführten Sauerſtoffs die An - zahl der freigewordenen Wärmegrade zu - oder abnehmen muß. Thiere, welche raſch und ſchnell athmen und demzufolge viel Sauerſtoff verzehren, beſitzen eine höhere Temperatur als2*20Der chemiſche Proceß derandere, die in derſelben Zeit, bei gleichem Volum des zu erwärmenden Körpers, weniger in ſich aufnehmen; ein Kind mehr (39°) als ein erwachſener Menſch (37,5°), ein Vogel mehr (40 41°) wie ein vierfüßiges Thier (37 38°), wie ein Fiſch oder Amphibium, deſſen Eigentemperatur ſich bis über das umgebende Medium erhebt 5). Alle Thiere ſind warmblütig, allein nur bei denen, welche durch Lungen athmen, iſt die Eigenwärme ganz unabhängig von der Tem - peratur der Umgebung.

Die zuverläſſigſten Beobachtungen beweiſen, daß in allen Klimaten, in der gemäßigten Zone ſowohl wie am Aequator oder an den Polen, die Temperatur des Menſchen, ſo wie die aller ſogenannten warmblütigen Thiere, niemals wechſelt; allein wie verſchieden ſind die Zuſtände, in denen ſie leben.

Der Thierkörper iſt ein erwärmter Körper, der ſich zu ſeiner Umgebung verhält wie alle warmen Körper; er empfängt Wärme, wenn die äußere Temperatur höher, er giebt Wärme ab, wenn ſie niedriger iſt, als ſeine eigene Temperatur.

Wir wiſſen, daß die Schnelligkeit der Abkühlung eines warmen Körpers wächſt mit der Differenz ſeiner eignen Tem - peratur und der des Mediums, worin er ſich befindet, d. h. je kälter die Umgebung iſt, in deſto kürzerer Zeit kühlt ſich der warme Körper ab.

Wie ungleich iſt aber der Wärmeverluſt, den ein Menſch in Palermo erleidet, wo die äußere Temperatur nahe gleich iſt der Temperatur des Körpers, und der eines Menſchen,21Reſpiration und Ernährung.der am Pole lebt, wo die Temperatur 40 50 Grade nie - driger iſt.

Trotzt dieſem ſo höchſt ungleichen Wärmeverluſt, zeigt die Erfahrung, daß das Blut des Polarländers keine nie - drigere Temperatur beſitzt, als das des Südländers, der in einer ſo verſchiedenen Umgebung lebt.

Dieſe Thatſache ihrer wahren Bedeutung nach anerkannt, beweiſ’t, daß die nach Außen hin abgegebene Wärme in dem Thierkörper mit großer Schnelligkeit erſetzt wird; im Winter erfolgt dieſe Erneuerung ſchneller wie im Sommer, am Pole raſcher wie am Aequator.

In verſchiedenen Klimaten wechſelt nun die Menge des durch die Reſpiration in den Körper tretenden Sauerſtoffs nach der Temperatur der äußern Luft; mit dem Wärmeverluſt durch Abkühlung ſteigt die Menge des eingeathmeten Sauer - ſtoffs; die zur Verbindung mit dieſem Sauerſtoff nöthige Menge Kohlenſtoff oder Waſſerſtoff, ſie muß in einem ähn - lichen Verhältniß zunehmen.

Es iſt klar, daß der Wärmeerſatz bewirkt wird durch die Wechſelwirkung der Beſtandtheile der Speiſen, die ſich mit dem eingeathmeten Sauerſtoff verbinden. Um einen trivialen aber deswegen nicht minder richtigen Vergleich anzuwenden, verhält ſich in dieſer Beziehung der Thierkörper, wie ein Ofen, den wir mit Brennmaterial verſehen. Gleichgültig, welche Formen die Speiſen nach und nach im Körper an - nehmen, welche Veränderungen ſie auch erleiden mögen, die letzte Veränderung, die ſie erfahren, iſt eine Verwandlung22Der chemiſche Proceß derihres Kohlenſtoffs in Kohlenſäure, ihres Waſſerſtoffs in Waſſer; der Stickſtoff und der unverbrannte Kohlenſtoff, ſie werden in dem Urin und den feſten Excrementen abgeſchieden. Um eine conſtante Temperatur im Ofen zu haben, müſſen wir, je nach der äußern Temperatur wechſelnd, eine ungleiche Menge von Brennmaterial einſchieben.

In Beziehung auf den Thierkörper ſind die Speiſen das Brennmaterial; bei gehörigem Sauerſtoffzutritt erhalten wir die durch ihre Oxydation freiwerdende Wärme. Im Winter, bei Bewegung in kalter Luft, wo die Menge des eingeath - meten Sauerſtoffs zunimmt, wächſt in dem nämlichen Ver - hältniß das Bedürfniß nach kohlen - und waſſerſtoffreichen Nahrungsmitteln, und in Befriedigung dieſes Bedürfniſſes er - halten wir den wirkſamſten Schutz gegen die grimmigſte Kälte. Ein Hungernder friert. Jedermann weiß, daß die Raubthiere der nördlichen Klimate an Gefräßigkeit weit den in ſüdlichen Gegenden voranſtehen.

In der kalten und temperirten Zone treibt uns die Luft, die ohne Aufhören den Körper zu verzehren ſtrebt, zur Ar - beit und Anſtrengung, um uns die Mittel zum Widerſtande gegen dieſe Einwirkung zu ſchaffen, während in heißen Kli - maten die Anforderungen zur Herbeiſchaffung an Speiſe bei weitem nicht ſo dringend ſind.

Unſere Kleider ſind nur Aequivalente für die Speiſen; je wärmer wir uns kleiden, deſto mehr vermindert ſich das Bedürfniß zu eſſen, eben weil der Wärmeverluſt, die Abküh - lung und damit der nöthige Erſatz durch Speiſen kleiner wird.

23Reſpiration und Ernährung.

Gingen wir nackt wie der Indianer, oder wären wir beim Jagen und Fiſchen denſelben Kältegraden ausgeſetzt wie der Samojede, ſo würden wir 10 Pfund Fiſch oder Fleiſch und noch obendrein ein Dutzend Talglichter bewältigen können, wie uns warmbekleidete Reiſende mit Verwunderung erzählt haben; wir würden dieſelbe Menge Branntwein oder Thran ohne Nachtheil genießen können, eben weil ihr Kohlenſtoff - und Waſſerſtoffgehalt dazu dient, um ein Gleichgewicht mit der äußeren Temperatur hervorzubringen.

Die Menge der zu genießenden Speiſen richtet ſich nach den vorhergehenden Auseinanderſetzungen, nach der Anzahl der Athemzüge, nach der Temperatur der Luft, die wir ein - athmen und nach dem Wärmequantum, was wir nach außen hin abgeben.

Keine iſolirte, entgegenſtehende Thatſache kann die Wahr - heit dieſes Naturgeſetzes ändern. Ohne der Geſundheit einen vorübergehenden oder bleibenden Nachtheil zuzufügen, kann der Neapolitaner nicht mehr Kohlenſtoff und Waſſerſtoff in den Speiſen zu ſich nehmen, als er ausathmet, und kein Nordländer kann mehr Kohlenſtoff und Waſſerſtoff ausath - men, als er in den Speiſen zu ſich genommen hat, wenn nicht im Zuſtand der Krankheit, oder wenn er hungert, Zu - ſtände, die wir näher beleuchten werden.

Der Engländer ſieht mit Bedauern ſeinen Appetit, der ihm einen häufig wiederkehrenden Genuß darbietet, in Ja - maica ſchwinden, und es gelingt ihm in der That, durch Cayennepfeffer und die kräftigſten Reizmittel die nämliche24Der chemiſche Proceß derMenge von Speiſen zu ſich zu nehmen wie in ſeiner Hei - math; allein der in den Körper übergegangene Kohlenſtoff dieſer Speiſen, er wird nicht verbraucht, die Temperatur der Luft iſt zu hoch und eine erſchlaffende Hitze erlaubt nicht die Anzahl der Athemzüge (durch Bewegung und Anſtrengung) zu ſteigern, den Verbrauch alſo mit dem, was er zu ſich ge - nommen, in Verhältniß zu ſetzen.

Im Gegenſatz hierzu ſendet England ſeine Patienten, deren kranken Verdauungsorganen die Fähigkeit abgeht oder vermindert iſt, die Speiſen in den Zuſtand zu verſetzen, in welchem ſie ſich zur Verbindung mit dem Sauerſtoff eignen, welche alſo weniger Widerſtand produziren, als das Klima, die Temperatur ihrer Heimath verlangt, nach ſüdlichen Ge - genden, wo die Menge des eingeathmeten Sauerſtoffs in ei - nem ſo großen Verhältniß ſich vermindert, und das Reſultat, eine Verbeſſerung des Geſundheitzuſtandes, iſt ſichtbar. Die kranken Verdauungsorgane haben Kraft genug, um die ge - ringere Menge von Speiſe in Verhältniß zu ſetzen mit dem verbrauchten Sauerſtoff; in dem kälteren Klima würden die Reſpirationsorgane ſelbſt zu dieſem Widerſtande dienen müſſen.

Im Sommer ſind bei uns die Leberkrankheiten (Kohlen - ſtoffkrankheiten), im Winter die Lungenkrankheiten (Sauer - ſtoffkrankheiten) vorherrſchend.

Die Abkühlung des Körpers, durch welche Urſache es auch ſei, bedingt eine größeres Maaß von Speiſe. Der bloße Aufenthalt in freier Luft, gleichgültig ob im Reiſe - wagen oder auf dem Verdecke von Schiffen, erhöht durch25Reſpiration und Ernährung.Strahlung und geſteigerte Verdunſtung den Wärmeverluſt, ſelbſt ohne vermehrte Bewegung; er zwingt uns mehr wie gewöhnlich zu eſſen. Daſſelbe muß für Perſonen gelten, welche gewohnt ſind große Quantitäten kaltes Waſſer zu trinken, welches auf 37° erwärmt wieder abgeht, es vermehrt den Appetit, und ſchwächliche Conſtitutionen müſſen durch an - haltende Bewegung den zum Erſatz der an das kalte Waſ - ſer abgegebenen Wärme nöthigen Sauerſtoff dem Körper hinzuführen. Starkes und anhaltendes Sprechen und Sin - gen, das Schreien der Kinder, feuchte Luft, alles dieſes übt einen beſtimmten nachweisbaren Einfluß auf die zu genießen - den Speiſen aus.

IV.

In dem Vorhergehenden iſt angenommen worden, daß vorzüglich der Kohlenſtoff und Waſſerſtoff zur Verbindung mit dem Sauerſtoff und zur Hervorbringung der animaliſchen Wärme dient; die einfachſten Beobachtungen zeigen in der That, daß der Waſſerſtoff der Speiſen eine nicht minder wichtige Rolle wie der Kohlenſtoff ſpielt.

Der ganze Reſpirationsproceß erſcheint in völliger Klar - heit, wenn wir den Zuſtand eines Menſchen oder Thieres, bei Enthaltung aller Speiſe, ins Auge faſſen. Die Athem - bewegungen bleiben ungeändert, es wird nach wie vor Sauer - ſtoff aus der Atmoſphäre aufgenommen und Kohlenſäure und Waſſerdampf ausgeathmet. Wir wiſſen mit unzweifelhafter26Der chemiſche Proceß derBeſtimmtheit, woher der Kohlenſtoff und Waſſerſtoff ſtammt, denn mit der Dauer des Hungers ſehen wir den Kohlenſtoff und Waſſerſtoff des Körpers ſich vermindern.

Die erſte Wirkung des Hungers iſt ein Verſchwinden des Fettes; dieſes Fett iſt weder in den ſparſamen Faeces, noch im Urin nachweisbar, ſein Kohlenſtoff und Waſſerſtoff ſind durch Haut und Lunge in der Form von Sauerſtoffverbin - dungen ausgetreten; es iſt klar, dieſe Beſtandtheile haben zur Reſpiration gedient.

Jeden Tag treten 65 Loth Sauerſtoff ein und nehmen beim Austreten einen Theil von dem Körper des Hungernden mit. (Currie ſah einen Kranken, der nicht ſchlingen konnte, während eines Monates über 100 Pfd. an ſeinem Gewichte verlieren, und ein fettes Schwein, was durch einen Berg - ſturz verſchüttet wurde, lebte 160 Tage ohne Nahrung, und hatte über 120 Pfd. am Gewichte verloren. (Martell in den Transactions of the Linnéan Soc. Vol. XI. p. 411.) Das Verhalten der Winterſchläfer, ſo wie die periodenweiſe Anſammlung von Fett bei andern Thieren, von Fett, was in andern Perioden ihres Lebens wieder verſchwindet, ohne eine Spur zu hinterlaſſen, alle dieſe wohlbekannten Thatſachen beweiſen, daß der Sauerſtoff in dem Reſpirationsproceß keine Auswahl unter den Stoffen trifft, die ſich zu einer Verbin - dung mit ihm eignen. Der Sauerſtoff verbindet ſich mit allem, was ihm dargeboten wird, und nur Mangel an Waſſer - ſtoff iſt der Grund, warum ſich überhaupt Kohlenſäure bil - det, eben weil bei der Temperatur des Körpers die Ver -27Reſpiration und Ernährung.wandtſchaft des Waſſerſtoffs zum Sauerſtoff bei weitem die des Kohlenſtoffs übertrifft.

Wir wiſſen in der That, daß die grasfreſſenden Thiere ein dem eingeathmeten Sauerſtoff gleiches Volum Kohlen - ſäure wieder ausathmen, während bei den Fleiſchfreſſern, der einzigen Thierklaſſe, welche Fett in ihrer Nahrung genießt, mehr Sauerſtoff aufgenommen wird, als dem ausgeathmeten Kohlenſäurevolum entſpricht; beſtimmte Verſuche haben dar - gethan, daß in manchen Fällen nur die Hälfte von dem Vo - lumen des Sauerſtoffs an Kohlenſäuregas ausgeathmet wird. Dieſe Beobachtungen ſind keiner Widerlegung fähig, ſie ſind überzeugender, als alle die künſtlich und willkürlich hervor - gerufenen Erſcheinungen, die man Verſuche nennt, Verſuche, welche, völlig entbehrlich, alles Gegengewichtes ermangeln, wenn die Gelegenheit zur Beobachtung in der Natur ſich darbietet und dieſe Gelegenheit verſtändig benutzt wird.

Bei Hungernden verſchwindet aber nicht allein das Fett, ſondern nach und nach alle der Löslichkeit fähigen, feſten Stoffe. In dem völlig abgezehrten Körper der Verhunger - ten ſind die Muskeln dünn und mürbe, der Contractibilität beraubt, alle Theile des Körpers, welche fähig waren, in den Zuſtand der Bewegung überzugehen, ſie haben dazu ge - dient, um den Reſt der Gebilde vor der alles zerſtörenden Wirkung der Atmoſphäre zu ſchützen; zuletzt nehmen die Be - ſtandtheile des Gehirns Antheil an dieſem Oxydationsproceß, es erfolgt Wahnſinn, Irrereden und der Tod, das heißt, aller Widerſtand hört völlig auf, es tritt der chemiſche Pro -28Der chemiſche Proceß derceß der Verweſung ein, alle Theile des Körpers verbinden ſich mit dem Sauerſtoff der Luft.

Die Zeit, in welcher ein Verhungernder ſtirbt, richtet ſich nach dem Zuſtand der Fettleibigkeit, nach dem Zuſtand der Bewegung (Anſtrengung und Arbeit), nach der Tempe - ratur der Luft, und iſt zuletzt abhängig von der Gegenwart oder Abweſenheit des Waſſers. Durch die Haut und Lunge verdunſtet eine gewiſſe Menge Waſſer, durch deren Austre - ten, als die Bedingung aller Vermittelung von Bewegun - gen, der Tod beſchleunigt wird. Es giebt Fälle, wo bei ungeſchmälertem Waſſergenuß der Tod erſt nach 20, in ei - nem Fall erſt nach 60 Tagen erfolgte.

In allen chroniſchen Krankheiten erfolgt der Tod durch die nämliche Urſache, durch die Einwirkung der Atmoſphäre. Wenn die Stoffe fehlen, welche in dem Organismus zur Unterhaltung des Reſpirationsproceſſes beſtimmt ſind, wenn die Organe des Kranken ihre Funktion verſagen, wenn ſie die Fähigkeit verlieren, zu ihrem eignen Schutz die genoſſe - nen Speiſen in den Zuſtand zu verſetzen, in dem ſich ihre Beſtandtheile mit dem Sauerſtoff der Luft zu verbinden ver - mögen, ſo wird ihre eigne Subſtanz, das Fett, das Gehirn, die Subſtanz der Muskeln und Nerven dazu verwendet*)In Beziehung auf den wahren Vorgang verweiſe ich auf die Be - trachtung des Stoffwechſels in dem Körper der Carnivoren (ſ. im Folgenden)..

Die eigentliche Urſache des Todes iſt in dieſen Fällen der Reſpirationsproceß, die Einwirkung der Atmoſphäre. 29Reſpiration und Ernährung.Mangel an Nahrung, an Fähigkeit, ſie zu Beſtandtheilen des Organismus zu machen, iſt Mangel an Widerſtand, es iſt die negative Urſache des Aufhörens der Lebensthätigkeit. Die Flamme geht aus, weil das Oel verzehrt iſt; es iſt der Sauerſtoff der Luft, der es verzehrt hat.

In manchen Krankheitszuſtänden erzeugen ſich Stoffe, die zur Aſſimilation nicht verwendbar ſind, durch bloße Enthal - tung von Speiſen werden ſie aus dem Körper entfernt, ſie verſchwinden, ohne eine Spur zu hinterlaſſen, indem ihre Beſtandtheile mit dem Sauerſtoff der Luft in Verbindung treten.

Von dem Augenblicke an, wo die Funktion der Haut oder Lunge eine Störung erleidet, erſcheinen kohlenſtoffrei - chere Stoffe im Urin, der ſeine gewöhnliche Farbe in braun umändert. Von der ganzen Oberfläche des menſchlichen Kör - pers wird Sauerſtoff aus der Luft aufgenommen, der ſich mit allen Materien verbindet, die ſeiner Action keinen Wi - derſtand entgegenſetzen; an allen Stellen des Körpers, wo der Zutritt des Sauerſtoffs gehemmt iſt, unter den Achſel - höhlen und an den Füßen z. B., bemerken wir eine Aus - ſcheidung von Stoffen, die ſich durch ihren Zuſtand oder durch den Geruch den Sinnen zu erkennen geben.

Die Reſpiration iſt das fallende Gewicht, die geſpannte Feder, welche das Uhrwerk in Bewegung erhält, die Athem - züge ſind die Pendelſchläge, die es reguliren. Wir kennen bei unſeren gewöhnlichen Uhren mit mathematiſcher Schärfe die Aenderungen, welche durch die Länge des Pendels oder durch äußere Temperaturen ausgeübt werden, auf ihren re -30Der chemiſche Proceß dergelmäßigen Gang; allein nur von Wenigen iſt in ſeiner Klar - heit der Einfluß erkannt, den Luft und Temperatur auf den Geſundheitszuſtand des menſchlichen Körpers ausüben, und doch iſt die Ausmittelung der Bedingungen, um ihn im normalen Zuſtand zu erhalten, nicht ſchwieriger, wie bei ei - ner gewöhnlichen Uhr.

V.

Der Mangel an einer richtigen Anſicht von Kraft und Wirkung und dem Zuſammenhang der Naturerſcheinungen hat die Chemiker dahin geführt, einen Theil der im Thier - organismus ſich erzeugenden Wärme den Wirkungen des Ner - venſyſtems zuzuſchreiben. Wenn man damit einen Stoff - wechſel als Bedingung der Nervenwirkungen ausſchließt, ſo will dies nichts anders ſagen, als das Vorhandenſein einer Bewegung, die Aeußerung einer Thätigkeit hervorgehen zu machen aus Nichts. Allein aus Nichts kann keine Kraft, keine Thätigkeit entſtehen.

Niemand wird ernſtlich den Antheil läugnen, welchen die Nervenapparate an dem Reſpirationsproceß nehmen, keine Art von Zuſtandsänderung kann im Thierkörper vor ſich ge - hen, ohne die Nerven, denn ſie ſind die Bedinger aller Be - wegungen. Durch ſie, durch ihre Mitwirkung produciren die Eingeweide die Stoffe, welche als Mittel zum Wider - ſtande gegen die Einwirkung des Sauerſtoffs zur Hervor - bringung der animaliſchen Wärme dienen, und mit dem Auf - hören ihrer Funktionen muß der ganze Akt der Sauerſtoff -31Reſpiration und Ernährung.aufnahme eine andere Form annehmen. Beim Durchſchnei - den des Gehirns von Hunden beim Pons varolii, bei Con - tuſionen gegen Scheitel und Hinterhaupt fährt das Thier eine Zeitlang zu athmen fort, oft raſcher und lebhafter, wie im geſunden Zuſtande, die Schnelligkeit des Blutumlaufs nimmt in der erſten Zeit eher zu als ab, allein das Thier erkaltet, wie wenn ein plötzlicher Tod eingetreten wäre, der dann auch unabwendbar erfolgt; ganz ähnliche Erfahrungen hat man bei Durchſchneidung des Rückenmarks, des Nervus vagus gemacht. Die Athembewegungen dauern eine Zeitlang fort, allein der Sauerſtoff findet die Stoffe auf ſeinem Wege nicht vor, mit denen er ſich im normalen Zuſtande verbun - den haben würde, weil ſie ihm von den gelähmten Unter - leibsorganen nicht geliefert werden können. Die ſonderbare Anſicht über die Erzeugung der thieriſchen Wärme durch die Nerven, ſie iſt, wie man leicht bemerkt, aus der Vorſtellung hervorgegangen, daß das eingeſaugte Sauerſtoffgas in dem Blute ſelbſt zu Kohlenſäure werde, in welchem Fall, in obi - gen Verſuchen, freilich die Temperatur des Körpers nicht abnehmen dürfte, allein es kann, wie ſpäter entwickelt wer - den ſoll, keinen größeren Irrthum geben.

Aehnlich wie bei Durchſchneidung der pneumogaſtriſchen Nerven die Bewegung des Magens und die Secretion des Magenſaftes aufgehoben und damit dem Verdauungsproceß eine unmittelbare Gränze geſetzt wird, ändert die Lähmung der Bewegungsorgane des Unterleibs den Reſpirationspro - ceß; beide ſtehen in dem engſten Zuſammenhang mit einan -32Der chemiſche Proceß derder; eine jede Störung des Nervenſyſtems, der Verdauungs - nerven übt rückwärts einen wahrnehmbaren Einfluß auf den Reſpirationsproceß aus.

Man hat zuletzt die Beobachtung gemacht, daß durch die Contraction der Muskeln Wärme erzeugt wird, ähnlich wie in einem Stücke Kautſchuck, was man, raſch aus einander gezogen, ſich wieder contrahiren läßt. Man iſt ſo weit ge - gangen, einen Theil der thieriſchen Wärme den mechaniſchen Bewegungen im Körper zuzuſchreiben, als ob die Bewegun - gen ſelbſt entſtehen könnten, ohne einen gewiſſen Aufwand von Kraft, welche durch dieſe Bewegungen verzehrt wird. Durch was aber, kann man hier fragen, wird dieſe Kraft erzeugt?

Durch verbrennenden Kohlenſtoff, durch Auflöſung eines Metalls in einer Säure, durch die Vereinigung der beiden Elektricitäten, durch Einſaugung von Licht entſteht Wärme. Gleichermaßen entſteht Wärme, wenn wir zwei Stücke eines feſten Körpers mit einer gewiſſen Geſchwindigkeit auf einan - der reiben.

Durch eine Menge in ihren Aeußerungen höchſt ver - ſchiedener Urſachen können wir einerlei Effekt hervorbrin - gen. Wir haben in der Verbrennung und in der Elek - tricitätserzeugung einen Stoffwechſel, oder, wie in dem Licht und der Reibungswärme, die Verwandlung einer vorhande - nen Bewegung in eine neue, die auf eine andere Weiſe auf unſere Sinne wirkt. Wir haben ein Subſtrat, etwas Ge - gebenes, was die Form eines andern Subſtrates annimmt, in allen Fällen eine Kraft und eine Wirkung. Wir können33Reſpiration und Ernährung.durch Feuer unter einer Dampfmaſchine alle möglichen Ar - ten von Bewegungen, und durch ein gegebenes Maaß von Bewegung Feuer hervorbringen.

Ein Stück Zucker, das wir auf einem Reibeiſen reiben, erleidet an den Berührungsflächen des Eiſens die nämliche Veränderung, wie durch eine hohe Temperatur, und zwei Stücke Eis ſchmelzen an den Punkten, wo ſie ſich reibend berühren.

Man muß ſich nur erinnern, daß die ausgezeichnetſten Phyſiker die Erſcheinungen der Wärme nur als Bewegungs - erſcheinungen gelten laſſen, eben weil der Begriff der Er - zeugung einer Materie, wenn auch einer gewichtsloſen, ſchlechterdings nicht vereinbar iſt mit ihrer Entſtehung durch mechaniſche Urſachen, wie durch Reibung und Bewegung.

Alles zugegeben, was von elektriſchen und magnetiſchen Störungen in dem Thierkörper Antheil nehmen mag an den Funktionen ſeiner Organe, die letzte Urſache aller dieſer Thätigkeiten iſt ein Stoffwechſel, ausdrückbar durch einen in einer gewiſſen Zeit ſtattfindenden Uebergang der Beſtand - theile der Speiſen in Sauerſtoffverbindungen; diejenigen un - ter ihnen, welche dieſen allmähligen Verbrennungsproceß nicht erfahren, ſie werden unverbrannt oder unverbrennlich in der Form von Excrementen ausgeſtoßen.

Es iſt nun ſchlechterdings unmöglich, daß eine gegebene Menge Kohlenſtoff oder Waſſerſtoff, welche verſchiedene Formen ſie auch im Laufe der Verbrennung annehmen - gen, mehr Wärme hervorzubringen fähig iſt, als wie ſie334Der chemiſche Proceß derliefert, wenn ſie im Sauerſtoffgas oder in der Luft direkt verbrannt wird.

Wenn wir Feuer unter eine Dampfmaſchine machen und die erhaltene Kraft benutzen, um durch Reibung Wärme her - vorzubringen, ſo kann dieſe in keiner Weiſe jemals größer ſein, als die Wärme, die wir nöthig gehabt haben, um den Dampfkeſſel zu heizen, und wenn wir in einer galvaniſchen Säule den Strom zur Hervorbringung von Wärme benutzen, ſo iſt dieſe unter allen Umſtänden nicht größer, als wir ſie haben können durch die Verbrennung des Zinks, was ſich in der Säure auflöſ’t.

Die Contraction der Muskeln erzeugt Wärme, die hierzu nöthige Kraft äußert ſich durch die Organe der Bewegung, die ſie durch einen Stoffwechſel empfangen. Die letzte Ur - ſache der erzeugten Wärme kann natürlich nur dieſer Stoff - wechſel ſein.

Durch die Auflöſung eines Metalls in einer Säure ent - ſteht ein elektriſcher Strom; durch einen Draht geleitet, wird dieſer zu einem Magneten, durch den wir verſchiedene Effekte hervorzubringen vermögen. Die Urſache aller erzeugten Er - ſcheinungen iſt der Magnetismus, die Urſache der magneti - ſchen Wirkungen ſuchen wir in dem elektriſchen Strom, und die letzte Urſache des elektriſchen Stromes, wir finden ſie in einem Stoffwechſel, in einer chemiſchen Action.

Es giebt verſchiedene Urſachen der Krafterzeugung; eine geſpannte Feder, ein Luftſtrom, eine fallende Waſſermaſſe, Feuer, was unter einem Dampfkeſſel brennt, ein Metall, was ſich in einer35Reſpiration und Ernährung.Säure löſ’t, durch alle dieſe verſchiedenen Urſachen der Bewe - gung läßt ſich einerlei Effekt hervorbringen. In dem thieriſchen Körper erkennen wir aber als die letzte Urſache aller Kraft - erzeugung nur eine, und dieſe iſt die Wechſelwirkung, welche die Beſtandtheile der Speiſen und der Sauerſtoff der Luft auf einander ausüben. Die einzige bekannte und letzte Ur - ſache der Lebensthätigkeit im Thier ſowohl, wie in der Pflanze iſt ein chemiſcher Proceß; ſchließen wir ihn aus, ſo ſtellen ſich die Lebensäußerungen nicht ein, oder ſie hören auf, wahrnehmbar zu ſein; hindern wir die chemiſche Action, ſo nehmen die Lebenserſcheinungen andere Formen an.

Nach den Verſuchen von Despretz entwickelt 1 Loth Kohlenſtoff bei ſeiner Verbrennung ſo viel Wärme, daß da - mit 105 Loth Waſſer von auf 75° erwärmt werden können, im Ganzen alſo 105mal 75° = 7875° Wärme. Die 27,8 Loth Kohlenſtoff, welche ſich in dem Körper eines Soldaten in Kohlenſäure verwandeln, entwickeln mithin 27,8mal 7875° Wärme = 218825° Wärme. Mit dieſer Wärmemenge kann man 1 Loth Waſſer auf dieſe Temperatur erheben oder 68 $$\nicefrac{4}{10}$$ Pfd. Waſſer zum Sieden oder 185 Pfd. auf 37° erhitzen, oder 12 Pfd. Waſſer bei 37° in Dampf verwandeln.

Wenn wir nun annehmen, daß die Ausdünſtung durch Haut und Lunge in 24 Stunden 48 Unzen (3 Pfd.) betrage, ſo bleiben, die hierzu nöthige Wärmemenge abgezogen, 162093 Grad Wärme, welche durch Strahlung, durch Erwärmung der ausgeathmeten Luft, durch Faeces und Urin aus dem Körper treten.

3*36Der chemiſche Proceß der

Es iſt in dieſer Rechnung die durch den verbrennenden Waſſerſtoff, durch ſeinen Uebergang in Waſſer, erzeugte Wär - memenge nicht in Anſchlag gebracht. Wenn man ſich nun erinnert, daß die ſpecifiſche Wärme der Knochen, des Fet - tes, der Subſtanz der Organe weit geringer iſt, als die des Waſſers, daß ſie alſo, um auf 37° erwärmt zu werden, weit weniger Wärme bedürfen, als ein gleiches Gewicht Waſſer, ſo kann es keinem Zweifel unterliegen, daß, alle dieſe Verhältniſſe mit in Rechnung gezogen, die durch den Verbrennungsproceß erzeugte Wärme vollkommen hinreicht, um die conſtante Temperatur des Körpers und die Verdun - ſtung zu erklären.

VI.

Alle Verſuche der Phyſiker über die Sauerſtoffmenge, die ein Thier in einer gegebenen Zeit verzehrt, ſo wie die Schlüſſe, die man daraus auf die Entſtehung der animali - ſchen Wärme gezogen hat, ſind völlig bedeutungslos, denn dieſe Sauerſtoffmengen wechſeln, nach der Temperatur und der Dichtigkeit der Luft, nach dem Zuſtand der Bewegung, Arbeit und Anſtrengung, ſie ändern ſich nach der Menge und Qualität der genoſſenen Nahrung, mit der mehr oder weniger warmen Kleidung, nach der Zeit, in welcher die Speiſe verzehrt wurde. Die Gefangenen in dem Zuchthaus (Arbeitshaus) zu Ma - rienſchloß verzehren nicht über 21 Loth Kohlenſtoff, die in dem Arreſthaus zu Gießen, denen alle Bewegung mangelt,37Reſpiration und Ernährung.nicht über 17 Loth 6) und in einer mir bekannten Haushaltung verzehrten 9 Perſonen (4 Kinder, 5 Erwachſene) durchſchnitt - lich nicht über 19 Loth Kohlenſtoff*)In dieſer Haushaltung wurden im Monat verbraucht 151 Pfd. Schwarz - brod, 70 Pfd. Weißbrod, 132 Pfd. Fleiſch, 19 Pfd. Zucker, 15,9 Pfd. Butter, 57 Maaß Milch, der Kohlenſtoff der Gemüſe und Kartoffeln, des Wildprets, Geflügels und Weins für die Excremente angeſchlagen.. Annäherungsweiſe kann angenommen werden, daß die aufgenommenen Sauer - ſtoffmengen ſich wie dieſe Zahlen verhalten, allein durch Fleiſch, Wein und Fettgenuß ändern ſich dieſe Verhältniſſe in Folge des ausgetretenen Waſſerſtoffs dieſer Nahrungs - mittel, der in ſeiner Verwandlung in Waſſer bei gleichem Gewichte eine weit größere Wärmemenge hervorbringt.

Die Verſuche über die Beſtimmung der Wärmemenge, die ſich für einen gegebenen Sauerſtoffverbrauch aus einem Thier entwickelt, ſind nicht minder bedeutungslos. Man hat Thiere in geſchloſſenen, mit kaltem Waſſer umgebenen Räu - men athmen laſſen, die Wärmezunahme der Umgebung durch den Thermometer gemeſſen und die Menge des verſchwunde - nen Sauerſtoffgaſes, ſo wie die erzeugte Kohlenſäure durch die Analyſe der ein - und ausgetretenen Luft beſtimmt. In dieſen Verſuchen hat man gefunden, daß das Thier mehr Wärme verlor, als dem verzehrten Sauerſtoff entſprach, und zwar 1 / 10 mehr, und wenn man dem Thiere die Luftröhre zugebunden haben würde, ſo wäre das merkwürdige Ver - hältniß eingetreten, daß das umgebende Waſſer durch das erkaltende Thier Wärme empfangen hätte, ohne allen Ver -38Der chemiſche Proceß derbrauch von Sauerſtoff. Die Temperatur des Thiers war 38°, die des umgebenden Waſſers in den Verſuchen von Despretz 8,5°. Dieſe Verſuche beweiſen alſo, daß bei ei - ner großen Differenz der Temperatur des Körpers und der der Umgebung, beim Mangel aller Bewegung, mehr Wärme entweicht, als dem eingeathmeten Sauerſtoff entſpricht; in gleichen Zeiten bei freier ungehinderter Bewegung würde eine weit größere Menge Sauerſtoff aufgenommen worden ſein, ohne bemerkbare Erhöhung des Wärmeverluſtes. Dieſer Zuſtand tritt bei Menſchen und Thieren zu ge - wiſſen Jahreszeiten ein, und wir ſagen in dieſem Fall, daß wir frieren. Es iſt klar, daß, wenn wir einen Menſchen mit einem metalliſchen Kleide umgeben, der Wär - meverluſt, wenn wir ihm Hände und Füße binden, bei glei - chem Sauerſtoffverbrauch weit größer ſein wird, als wenn wir ihn in Pelz und Wolle ſtecken, ja wir finden ſogar, daß er in dem letztern Fall anfängt zu ſchwitzen, daß war - mes Waſſer quellenweiſe aus den feinen Schweißlöchern ſei - ner Haut tritt.

Wenn man hinzunimmt, daß ganz beſtimmte Beobach - tungen vorliegen, wo Thiere, die gebunden in einer unna - türlichen Stellung, z. B. auf dem Rücken liegend, athmeten, daß die Temperatur ihres Körpers durch den Thermometer meßbar abnimmt, ſo kann man wohl ſchwerlich über die Schlüſſe, die man aus dieſen Verſuchen gezogen hat, im Zweifel ſein.

Dieſe Schlüſſe haben für die Meinung, daß eine andere39Reſpiration und Ernährung.unbekannte Quelle der Wärme in dem thieriſchen Körper exiſtire, nicht den allergeringſten Werth.

VII.

Wenn wir die Erzeugung von Kraft, die Bewegungs - erſcheinungen mit Nervenleben, und den Widerſtand, den Zuſtand des ſtatiſchen Gleichgewichtes mit vegetativem Leben bezeichnen, ſo iſt klar, daß im jugendlichen Alter bei allen Thierklaſſen das letztere, nämlich das vegetative Leben, das Nervenleben überwiegt.

Der Uebergang des in Bewegung befindlichen Stoffs in den Zuſtand der Ruhe zeigt ſich in einer Zunahme an Maſſe, in einem Erſatz an verbrauchtem Stoffe; die Bewegung ſelbſt, die Krafterzeugung ſtellt ſich dar als ein Verbrauch an Stoff.

In dem jugendlichen Thiere iſt der Verbrauch kleiner, als die Zunahme, und dieſen Zuſtand eines intenſiveren ve - getativen Lebens behält das weibliche Thier bis zu einem gewiſſen Lebensalter unverändert bei, es erreicht nicht, wie beim männlichen Thiere, mit der Ausbildung aller Organe eine Gränze.

Das weibliche Thier iſt zu gewiſſen Perioden des Jahrs der Fortpflanzung fähig, durch äußere Bedingungen, Tem - peratur, Nahrung ꝛc. wird das vegetative Leben in ſeinem Organismus geſteigert, er producirt mehr als er verwendet; dieſe Fähigkeit zeigt ſich in der Fortpflanzung. Unabhängig von äußeren Bedingungen der Steigerung des vegetativen40Der chemiſche Proceß derLebens iſt das Weib des Menſchen, mit der Ausbildung al - ler ſeiner Organe, zu jeder Zeit der Fortpflanzung fähig, die Empfängniß iſt an keine Periode gebunden, und eine wun - derbare Weisheit hat in ſeinen Körper die Fähigkeit gelegt, bis zu einem beſtimmten Lebensalter alle Beſtandtheile ſeiner Organe in größerer Menge zu erzeugen, als ſie zur Repro - duktion der umgeſetzten Gebilde erforderlich ſind. Dieſes Erzeugniß enthält nachweisbar alle Elemente eines ihm glei - chen Weſens, es vermehrt ſich in jedem Lebensmomente und wird, bis es Verwendung findet, periodenweiſe aus dem Körper abgeſchieden. Mit der Befruchtung des Ei’s hört dieſe Abſcheidung auf, jeder Tropfen des mehrerzeugten Blu - tes formt ſich zu einem der Mutter ähnlichen Organismus.

Durch Bewegung und Anſtrengung wird die Menge des abgeſchiedenen Blutes geringer, und bei krankhafter Unter - drückung der Menſtruation zeigt ſich das vegetative Leben in einer geſteigerten Fettbildung. Wird das Gleichgewicht des vegetativen und Nervenlebens bei dem Manne geſtört, wird die Intenſität des letztern, wie bei den Caſtraten, verringert, ſo zeigt ſich das Uebergewicht des erſtern in einer gleichen Form, in einer Steigerung der Fettbildung.

VIII.

Wenn wir feſthalten, daß die Zunahme an Maſſe in dem thieriſchen Körper, daß die Ausbildung ſeiner Organe und ihrer Reproduktion aus dem Blute, d. h. aus den Be -41Reſpiration und Ernährung.ſtandtheilen des Blutes, geſchieht, ſo können nur diejenigen Materien Nahrungsmittel genannt werden, welche fähig ſind zu Blut zu werden. Die Unterſuchung der Stoffe, die ſich hierzu eignen, beſchränkt ſich hiernach auf die Ausmitte - lung der Zuſammenſetzung der Nahrungsmittel und ihrer Vergleichung mit der Zuſammenſetzung der Beſtandtheile des Blutes.

Zwei Materien ſind als Hauptbeſtandtheile des Blutes vorzüglich in Betracht zu ziehen. Die eine davon ſcheidet ſich augenblicklich aus dem Blute ab, ſobald es aus der Cir - culation genommen wird. Jedermann weiß, daß das Blut in dieſem Fall gerinnt, es trennt ſich in eine gelbliche Flüſ - ſigkeit, in Blutſerum, und eine gallertartige Maſſe, die ſich in weichen, zähen elaſtiſchen Fäden an einen Stab oder eine Ruthe anhängt, mit denen man das friſche Blut wäh - rend ſeines Gerinnens peitſcht oder ſchlägt. Dieſer Körper iſt das Fibrin, Blutfaſerſtoff, er iſt identiſch in ſeinen Ei - genſchaften mit der von allen anderen Materien befreiten Muskelfaſer.

Der zweite Hauptbeſtandtheil des Blutes iſt im Blut - ſerum enthalten, er ertheilt dieſer Flüſſigkeit alle Eigenſchaf - ten des weißen Theils des Hühnerei’s, indem er identiſch mit dieſem Beſtandtheil aller Eier iſt. Er gerinnt in der Hitze zu einer weißen elaſtiſchen Maſſe; dieſer gerinnende Beſtandtheil hat den Namen Albumin erhalten.

Fibrin und Albumin, die Hauptbeſtandtheile des Blutes, enthalten im Ganzen 7 chemiſche Elemente, unter welche42Der chemiſche Proceß dernamentlich Stickſtoff, Phosphor und Schwefel, ſo wie die Subſtanz der Knochen gehört. In dem Serum befinden ſich Kochſalz und Salze in Auflöſung, welche Kali, Natron als Baſen enthalten, ſie ſind mit Kohlenſäure, Phosphorſäure und Schwefelſäure verbunden. Die Blutkörperchen enthal - ten Fibrin und Albumin, ſowie einen rothen Farbſtoff, in welchem Eiſen einen nie fehlenden Beſtandtheil ausmacht. Außer dieſen enthält das Blut noch einige fette Körper in geringer Menge, die ſich von den gewöhnlichen Fetten durch verſchiedene Eigenſchaften unterſcheiden.

Die chemiſche Analyſe hat zu dem merkwürdigen[Reſul - tate] geführt, daß Fibrin und Albumin einerlei organiſche Ele - mente und zwar in dem nämlichen Gewichtsverhältniß enthalten, in der Art alſo, daß, wenn man zwei Analyſen, die eine von Fibrin, die andere von Albumin neben einander ſtellt, wir keinen größeren Unterſchied in der procentiſchen Zuſammen - ſetzung wahrnehmen, wie in zwei Analyſen von Fibrin, oder in zwei Analyſen von Albumin.

In beiden Blutbeſtandtheilen ſind offenbar, dies zeigt ihr verſchiedener Zuſtand, die Elemente auf verſchiedene Weiſe geordnet, allein ihrer Zuſammenſetzung nach ſind ſie identiſch.

Dieſer Schluß iſt neuerdings aufs Schönſte dadurch be - ſtätigt worden, daß es einem ausgezeichneten Phyſiologen (P. Denis) gelang, Fibrin in den Zuſtand von Albumin künſtlich überzuführen, ihm alſo die Löslichkeit und Gerinn - barkeit zu geben, die das Eiweiß charakteriſirt.

Neben der gleichen Zuſammenſetzung haben ſie noch die43Reſpiration und Ernährung.chemiſche Eigenſchaft mit einander gemein, daß ſie ſich beide in ſtarker Salzſäure zu einer intenſiv indigblauen Flüſſigkeit löſen, welche gegen alle Materien, die man damit zuſam - menbringt, ein ganz gleiches Verhalten zeigt.

Albumin und Fibrin können beide in dem Ernährungs - proceſſe zu Muskelfaſer werden, und Muskelfaſer kann rück - wärts wieder in Blut übergehen. Dieſer Uebergang iſt von den Phyſiologen längſt außer allen Zweifel geſtellt, und die Chemie hat alſo nur nachgewieſen, daß die Metamorphoſe rückwärts und vorwärts erfolgen kann, kraft einer einwir - kenden Thätigkeit, ohne Zuhülfenahme eines dritten Körpers oder ſeiner Beſtandtheile, ohne daß alſo ein fremdes Ele - ment aufgenommen zu werden oder ein in Verbindung vor - handenes auszutreten braucht.

Wenn wir nun die Zuſammenſetzung aller Gebilde mit der des Fibrins und Albumins im Blute vergleichen, ſo er - geben ſich folgende Beziehungen.

Alle Theile des Thierkörpers, die eine beſtimmte Form beſitzen, welche Beſtandtheile von Organen ſind, enthalten Stickſtoff. Kein Theil oder Beſtandtheil eines Organs, wel - ches Bewegung und Leben beſitzt, iſt frei von Stickſtoff, alle enthalten Kohlenſtoff und die Elemente des Waſſers, wie - wohl dieſe letzteren nie in dem Verhältniß, wie im Waſſer.

Die Hauptbeſtandtheile des Blutes enthalten nahe an 17 pCt. Stickſtoff, kein Theil eines Organs enthält weni - ger, wie ſiebzehn Procent Stickſtoff 7).

Die entſcheidendſten Verſuche und Beobachtungen haben44Der chemiſche Proceß derbewieſen, daß der thieriſche Organismus durchaus unfähig iſt, ein chemiſches Element, Kohlenſtoff oder Stickſtoff, aus anderen Materien, in denen dieſe Körper fehlen, hervorzu - bringen, und es iſt hiernach einleuchtend, daß alle Nahrungs - mittel, die zur Blutbildung oder zur Bildung von Zellen, Membranen, Haut, Haaren, Muskelfaſer dienen ſollen, eine gewiſſe Portion Stickſtoff enthalten müſſen, eben weil dieſer einen Beſtandtheil der genannten Organe ausmacht, dieſe aus anderen Elementen, die man ihnen darbietet, keinen Stickſtoff erzeugen können und weil kein Stickſtoff aus der Atmoſphäre in dem Lebensproceß verwendet wird.

Der thieriſche Körper enthält in der Nerven - und Ge - hirnſubſtanz eine große Menge Albumin und außer dieſem zwei eigenthümliche fette Säuren, die ſich von allen ande - ren Fetten durch einen Gehalt von Phosphor (- ſäure?) un - terſcheiden (Fremy). Eins dieſer Fette enthält Stickſtoff.

Waſſer und Fett machen zuletzt die ſtickſtofffreien Be - ſtandtheile des Thierkörpers aus, beide ſind formlos und nehmen nur in ſofern Antheil an dem Lebensproceß, als durch ſie die Lebensfunktionen vermittelt werden. Die nicht - organiſchen Beſtandtheile des Thierkörpers ſind Eiſen, Kalk, Bittererde, Kochſalz, ſowie die Alkalien.

IX.

Die Ernährung der Fleiſchfreſſer nimmt unter allen Thier - klaſſen die einfachſte Form an; ſie leben vom Blut und Fleiſch45Reſpiration und Ernährung.der gras - und körnerfreſſenden Thiere, allein dieſes Blut und Fleiſch iſt identiſch in allen ſeinen Eigenſchaften mit ih - rem eigenen Blut und Fleiſch, weder chemiſch, noch phyſio - logiſch iſt ein Unterſchied wahrnehmbar.

Die Nahrung der fleiſchfreſſenden Thiere iſt aus Blut entſtanden, ſie wird in ihrem Magen flüſſig und überführbar in andere Körpertheile, ſie wird in ihrem Leibe wieder zu Blut, und aus dieſem Blut erzeugen ſich alle Theile ihres Körpers wieder, die eine Veränderung oder Umſetzung er - litten haben.

Bis auf Klauen, Haare, Federn und Knochenerde iſt kein Beſtandtheil der Nahrung der Carnivoren unaſſimilirbar.

In chemiſchem Sinne kann man alſo ſagen, daß das fleiſchfreſſende Thier zur Erhaltung ſeiner Lebensproceſſe ſich ſelbſt verzehrt.

Dasjenige, was zu ſeiner Ernährung dient, iſt identiſch mit den Beſtandtheilen ſeiner Organe, welche erneuert wer - den ſollen.

Ganz anders ſtellt ſich dem Anſchein nach der Ernäh - rungsproceß der pflanzenfreſſenden Thiere dar; ihre Ver - dauungsorgane ſind minder einfach und ihre Nahrung beſteht aus Vegetabilien, die ihrer Hauptmaſſe nach nur ſehr wenig Stickſtoff enthalten.

Aus welchen Stoffen, kann man fragen, entſteht bei ih - nen das Blut, aus dem ſich ihre Organe entwickeln?

Dieſe Frage läßt ſich mit genügender Sicherheit beant - worten.

46Der chemiſche Proceß der

Die chemiſchen Unterſuchungen haben dargethan, daß alle Theile von Pflanzen, welche Thieren zur Nahrung dienen, gewiſſe Beſtandtheile enthalten, welche reich ſind an Stick - ſtoff, und die gewöhnlichſten Erfahrungen beweiſen, daß die Thiere zu ihrer Erhaltung und Ernährung der Quantität nach um ſo weniger von dieſen Pflanzentheilen bedürfen, je reicher ſie an dieſen ſtickſtoffhaltigen Stoffen ſind; ſie kön - nen nicht mit Materien ernährt werden, worin ſie fehlen.

In vorzüglicher Menge ſind dieſe Erzeugniſſe der Pflan - zen in den Samen der Getreidearten, der Erbſen, Linſen, Bohnen, in Wurzeln und in den Säften der ſogenannten Gemüspflanzen enthalten, ſie fehlen übrigens in keiner ein - zigen Pflanze, in keinem ihrer Theile.

Dieſe ſtickſtoffhaltigen Nahrungsſtoffe laſſen ſich im Gan - zen auf drei Materien zurückführen, die ihrer äußern Be - ſchaffenheit nach leicht von einander zu unterſcheiden ſind. Zwei davon ſind im Waſſer löslich, der dritte wird davon nicht aufgenommen.

Wenn man friſch ausgepreßte Pflanzenſäfte ſich ſelbſt überläßt, ſo tritt nach wenigen Minuten eine Scheidung ein, es ſondert ſich ein gelatinöſer Niederſchlag ab, gewöhn - lich von grüner Farbe, welcher, mit Flüſſigkeiten behandelt, die den Farbeſtoff löſen, eine grauweiße Materie hinterläßt. Dieſe Subſtanz iſt unter dem Namen grünes Satzmehl der Pflanzenſäfte den Pharmaceuten wohl bekannt. Dieß iſt der eine von den ſtickſtoffhaltigen Nahrungsmitteln der Thiere, er hat den Namen Pflanzenfibrin erhalten. Der47Reſpiration und Ernährung.Saft der Gräſer iſt vorzüglich reich an dieſem Beſtandtheil, er iſt in reichlichſter Menge in dem Weizenſamen, ſo wie überhaupt in den Samen der Cerealien enthalten, und kann aus dem Weizenmehl durch eine mechaniſche Operation ziem - lich rein erhalten werden. In dieſem Zuſtande heißt er Kleber, allein die klebenden Eigenſchaften gehören ihm nicht an, ſondern einer geringen Menge eines beigemiſchten frem - den Körpers, der in den Samen der übrigen Getreidearten fehlt.

Wie ſich aus der Art ſeiner Darſtellung ergiebt, iſt das Pflanzenfibrin im Waſſer nicht löslich, obwohl man nicht zweifeln kann, daß es in der lebenden Pflanze im Safte gelöſ’t vorhanden war, aus dem es ſich, ähnlich wie das Fibrin aus Blut, erſt ſpäter abſchied.

Der zweite ſtickſtoffhaltige Nahrungsſtoff iſt in dem Safte der Pflanzen gelöſ’t, er ſcheidet ſich daraus bei gewöhnlicher Temperatur nicht ab, wohl aber, wenn der Pflanzenſaft zum Sieden erhitzt wird.

Bringt man den ausgepreßten klaren Saft, am beſten von Gemüspflanzen, von Blumenkohl, Spargel, Kohlrüben, weißen Rüben u. ſ. w. zum Sieden, ſo entſteht darin ein Coagulum, welches in ſeiner äußern Beſchaffenheit und ſei - nen Eigenſchaften ſchlechterdings nicht zu unterſcheiden iſt von dem Körper, der ſich als Gerinnſel abſcheidet, wenn man mit Waſſer verdünntes Blutſerum oder Eiweiß der Siedhitze ausſetzt. Dies iſt das Pflanzenalbumin; in vorzüglicher Menge findet ſich dieſer Körper in gewiſſen Sa -48Der chemiſche Proceß dermen, in Nüſſen, Mandeln und anderen, in denen das Amy - lon der Getreideſamen ſich vertreten findet durch Oel oder Fett.

Der dritte ſtickſtoffhaltige Nahrungsſtoff, den die Pflan - zen produciren, das Pflanzencaſein, findet ſich haupt - ſächlich in den Samenlappen der Erbſen, Linſen und Boh - nen, er iſt wie das Pflanzenalbumin im Waſſer löslich, un - terſcheidet ſich aber von ihm dadurch, daß ſeine Auflöſung durch Hitze nicht coagulirt wird; beim Abdampfen und Er - hitzen zieht ſie an der Oberfläche eine Haut, und, mit Säu - ren verſetzt, entſteht darin ein Gerinnſel wie in der Thier - milch.

Dieſe drei Stoffe, Pflanzen-Fibrin, - Albumin und - Ca - ſein, ſind die eigentlichen ſtickſtoffhaltigen Nahrungsſtoffe der pflanzenfreſſenden Thiere, alle anderen in Pflanzen vorkom - menden ſtickſtoffhaltigen Materien werden entweder, wie die Stoffe in den Giftpflanzen und Medizinalpflanzen, von den Thieren nicht genoſſen, oder ſie ſind ihrer Nahrung in ſo außerordentlich kleinen Mengen beigemiſcht, daß ſie zur Ver - mehrung der Maſſe ihres Körpers nicht beizutragen ver - mögen.

Die chemiſche Unterſuchung der drei genannten Subſtan - zen hat zu dem intereſſanten Reſultate geführt, daß ſie ei - nerlei organiſche Elemente in dem nämlichen Gewichts-Ver - hältniſſe enthalten, und was noch weit merkwürdiger iſt, es hat ſich ergeben, daß ſie identiſch ſind in ihrer Zuſammen - ſetzung mit den Hauptbeſtandtheilen des Blutes, mit Fibrin49Reſpiration und Ernährung.und Albumin. Sie löſen ſich alle drei in concentrirter Salz - ſäure mit der nämlichen indigblauen Farbe auf, und auch in ihren phyſikaliſchen Eigenſchaften ſind Thierfibrin und Thier - albumin von Pflanzenfibrin und Pflanzenalbumin in keiner Weiſe verſchieden. Es verdient ganz beſonders hervorgeho - ben zu werden, daß hier unter einer gleichen Zuſammenſetzung nicht bloß eine ähnliche gemeint iſt, ſondern es iſt auch in Beziehung auf ihren Gehalt an Phosphor, Schwefel, Kno - chenerde und Alkalien kein Unterſchied wahrnehmbar 8).

In welcher bewundernswürdigen Einfachheit erſcheint nach dieſen Entdeckungen der Bildungsproceß im Thiere, die Ent - ſtehung ſeiner Organe, der Hauptträger der Lebensthätigkeit. Die Pflanzenſtoffe, welche in den Thieren zur Blutbildung verwendet werden, enthalten die Hauptbeſtandtheile des Blu - tes, Fibrin und Albumin, fertig gebildet allen ihren Ele - menten nach, alle Pflanzen enthalten noch überdies eine ge - wiſſe Menge Eiſen, was wir im Blutfarbeſtoff wiederfinden. Pflanzenfibrin und Thierfibrin, Pflanzenalbumin und Thier - albumin ſind kaum der Form nach verſchieden; wenn dieſe Stoffe in der Nahrung der Thiere fehlen, ſo hört die Er - nährung der Thiere auf, und wenn ſie darin gegeben wer - den, ſo empfängt das pflanzenfreſſende Thier die nämlichen Materien, auf welche die fleiſchfreſſenden zu ihrer Erhaltung beſchränkt ſind.

Die Pflanzen erzeugen in ihrem Organismus das Blut aller Thiere, denn in dem Blut und Fleiſch der pflanzen - freſſenden verzehren die fleiſchfreſſenden im eigentlichen Sinne450Der chemiſche Proceß dernur die Pflanzenſtoffe, von denen die erſteren ſich ernährt haben; Pflanzenfibrin und - Albumin nehmen in dem Magen des pflanzenfreſſenden Thiers genau die nämliche Form an, wie Thierfibrin und Thieralbumin in dem Magen der Car - nivoren.

Aus dem Vorhergehenden ergiebt ſich, daß die Entwicke - lung der Organe eines Thiers, ihre Vergrößerung und Zu - nahme an Maſſe an die Aufnahme gewiſſer Stoffe geknüpft iſt, die identiſch ſind mit den Hauptbeſtandtheilen ihres Blutes.

In dieſem Sinne kann man ſagen, daß der Thierorga - nismus ſein Blut nur der Form nach ſchafft, daß ihm die Fähigkeit mangelt, es aus anderen Stoffen zu erzeugen, die nicht identiſch ſind mit ſeinen Hauptbeſtandtheilen. Damit kann freilich nicht behauptet werden, daß ihm die Fähigkeit, andere Verbindungen zu erzeugen, abgehe, wir wiſſen im Gegentheil, daß ſein Organismus eine große Reihe von ſeinen Blutbeſtandtheilen in ihrer Zuſammenſetzung abweichender Verbindungen hervorbringt, aber den Anfangs - punkt der Reihe, ſeine Blutbeſtandtheile, dieſe kann er ſich nicht bilden.

Der Thierorganismus iſt eine höhere Pflanze, deren Ent - wickelung mit denjenigen Materien beginnt, mit deren Er - zeugung das Leben der gewöhnlichen Pflanze aufhört; ſo - bald dieſe Samen getragen hat, ſtirbt ſie ab, oder es hört damit eine Periode ihres Lebens auf.

In der unendlichen Reihe von Verbindungen, welche mit den Nahrungsſtoffen der Pflanzen, mit Kohlenſäure und Am -51Reſpiration und Ernährung.moniak und Waſſer anfängt, bis zu den zuſammengeſetzteſten Beſtandtheilen des Gehirns im Thierkörper finden wir keine Lücke, keine Unterbrechung. Der erſte Nahrungsſtoff des Thieres iſt das letzte Produkt der ſchaffenden Thätigkeit der Pflanze.

Die Subſtanz der Zellen und Membranen, der Nerven und des Gehirns erzeugt die Pflanze nicht.

Das Wunderbare in der ſchaffenden Thätigkeit der Pflanze verliert ſich, wenn man erwägt, daß die Erzeugung der Blutbeſtandtheile nicht auffallender erſcheinen kann, als wenn wir Ochſentalg und Hammelstalg (in den Kakaobohnen), oder Menſchenſchmalz (im Olivenöl), oder die Hauptbeſtandtheile der Kuhbutter (Palmbutter) auf Bäumen wachſend finden, daß wir das Pferdefett und den Fiſchthran in den ölreichen Samen entſtehen ſehen.

X.

So wenig man nun auch, wie ſich aus dem Vorherge - henden ergiebt, über die Art und Weiſe in Ungewißheit ſein kann, wie die Zunahme in der Maſſe der Organe eines Thieres vor ſich geht, ſo bleibt immer noch eine überaus wichtige Frage zu löſen, die Rolle nämlich auszumitteln, welche die ſtickſtofffreien Subſtanzen, Zucker, Amylon, Gummi, Pectin u. ſ. w. in dem thieriſchen Körper ſpielen.

Die größte aller Thierklaſſen kann ohne dieſe Materien nicht leben, ihre Nahrung muß eine gewiſſe Menge davon4*52Der chemiſche Proceß derenthalten, und wir ſehen ihrem Leben ein raſches Ziel geſetzt, wenn ſie in ihr fehlen.

Dieſe wichtige Frage erſtreckt ſich gleichfalls auf die Be - ſtandtheile der Nahrung des fleiſchfreſſenden Thieres in der frühſten Periode ſeines Lebens, denn auch dieſe Nahrung enthält gewiſſe Beſtandtheile, welche ſein Körper zu ſeiner Erhaltung im erwachſenen Zuſtande nicht bedarf.

In dem jugendlichen Körper der Fleiſchfreſſer geſchieht offenbar die Ernährung in einer ähnlichen Weiſe, wie in dem Körper der pflanzenfreſſenden Thiere; ſeine Entwicke - lung iſt an die Aufnahme einer Flüſſigkeit gebunden, welche der Leib der Mutter in der Form der Milch abſondert.

Die Milch enthält nur einen ſtickhoffhaltigen Beſtand - theil, den ſogenannten Käſeſtoff, Caſein; außer dieſem ſind ihre Hauptbeſtandtheile Butter (Fett) und Milchzucker.

Aus dem ſtickſtoffhaltigen Beſtandtheil der Milch muß das Blut des jungen Thieres, ſeine Muskelfaſer, Zellen und Nervenſubſtanz und ſeine Knochen, erzeugt worden ſein, denn Butter und Milchzucker enthalten keinen Stickſtoff.

Die Unterſuchung des Caſeins hat nun zu dem Reſul - tate geführt, was nach dem Vorhergehenden kaum mehr über - raſchen kann, daß auch dieſer Stoff identiſch iſt in ſeiner Zuſammenſetzung mit den Hauptbeſtandtheilen des Blutes, mit Fibrin und Albumin, ja was noch mehr iſt, die Ver - gleichung ſeiner Eigenſchaften mit denen des Pflanzencaſeins hat gezeigt, daß er mit dieſem auch identiſch iſt in allen ſeinen Eigenſchaften, in der Art alſo, daß gewiſſe Pflanzen53Reſpiration und Ernährung.wie die Erbſen, Bohnen, Linſen, den nämlichen Körper zu erzeugen vermögen, welcher aus dem Blute der Mutter ent - ſteht und zur Blutbildung in dem Körper des jungen Thie - res verwendet wird 9).

In dem Caſein, das ſich durch ſeine außerordentliche Löslichkeit und Nichtgerinnbarkeit in der Wärme von dem Fibrin und Albumin unterſcheidet, empfängt demnach das junge Thier, ſeinem Hauptbeſtandtheil nach, das Blut ſeiner Mutter; zu ſeinem Uebergang in Blut gehört kein dritter Stoff, und keiner der Beſtandtheile des Blutes ſeiner Mut - ter trennt ſich davon bei ihrem Uebergang in Caſein. In chemiſcher Verbindung enthält das Caſein der Milch eine weit größere Quantität von Knochenerde, als wie das Blut, und zwar in höchſt löslichem Zuſtande, überführbar alſo in alle Körpertheile. Auch in der frühſten Periode ihres Le - bens iſt die Entwickelung und Ausbildung der Träger der Lebensthätigkeit im jungen Thiere an die Aufnahme einer Materie gebunden, welche in Beziehung auf ſeine organiſchen Beſtandtheile identiſch iſt in ihrer Zuſammenſetzung mit den Hauptbeſtandtheilen ſeines Blutes.

Wozu dient nun aber das Fett der Butter, der Milch - zucker? Was iſt der Grund, warum ſie zu dem Leben der jungen Thiere unentbehrlich ſind?

Butter und Milchzucker enthalten keine fixen Baſen, kei - nen Kalk, kein Natron, kein Kali; der Milchzucker beſitzt eine den gewöhnlichen Zuckerarten, dem Amylon, dem Gummi ähnliche Zuſammenſetzung, ſie beſtehen aus Koh -54Der chemiſche Proceß derlenſtoff und den Elementen des Waſſers, und zwar genau in dem nämlichen Verhältniſſe, wie im Waſſer.

Durch dieſe ſtickſtofffreien Stoffe iſt alſo ihren ſtickſtoff - haltigen eine gewiſſe Menge von Kohlenſtoff, oder, wie in der Butter, von Kohlenſtoff und Waſſerſtoff zugeſetzt, ein Ueber - ſchuß von Elementen alſo, der zur Blutbildung ſchlechterdings nicht verwendet werden kann, eben weil ihre ſtickſtoffhaltigen Nahrungsmittel genau die Kohlenſtoffmengen ſchon enthalten, welche zur Bildung von Fibrin und Albumin nöthig ſind.

Man kann, wie aus den folgenden Betrachtungen ſich ergeben wird, kaum einen Zweifel hegen, daß dieſer Ueber - ſchuß an Kohlenſtoff allein, oder an Kohlen - und Waſſerſtoff zur Hervorbringung der animaliſchen Wärme, daß er zum Widerſtand gegen die äußere Einwirkung des Sauerſtoffs verwendet wird.

XI.

Betrachten wir zuförderſt, um zu einer klareren Einſicht in das Weſen des Ernährungsproceſſes in den beiden Thier - klaſſen zu gelangen, die Veränderungen, welche die Nahrung des fleiſchfreſſenden Thieres in ſeinem Organismus erfährt.

Wir geben einer erwachſenen Schlange eine Ziege, ein Kaninchen oder einen Vogel zu verzehren und finden, daß die Haare, Klauen, Federn, Knochen dieſer Thiere ſcheinbar unverändert ausgeworfen werden, denn ſie haben ihre Form und natürliche Beſchaffenheit behalten, ſie ſind zerbrechlich,55Reſpiration und Ernährung.weil ſie von allen nur den der Auflöſung fähigen Beſtand - theil (Leimſubſtanz) verloren haben. Eigentliche Faeces gehen von der Schlange ſo wenig, wie von den fleiſchfreſſenden Vögeln ab.

Das Fleiſch, das Fett, das Blut, die Gehirn - und Ner - venſubſtanz des verzehrten Thieres, alles übrige iſt, wenn die Schlange ihr urſprüngliches Gewicht wieder erhalten hat, verſchwunden.

Als das einzige Excrement finden wir eine Materie, welche durch die Harnwege ausgeleert wird; im trocknen Zuſtande iſt ſie blendend weiß wie Kreide, ſie iſt ſehr reich an Stick - ſtoff, und enthält nur kohlenſauren und phosphorſauren Kalk beigemiſcht.

Dieſes Excrement iſt harnſaures Ammoniak, eine chemi - ſche Verbindung, in welcher ſich der Stickſtoff zum Kohlenſtoff in dem nämlichen Verhältniß befindet, wie im ſauren kohlen - ſauren Ammoniak, ſie enthält auf 1 Aeq. Stickſtoff 2 Aeq. Kohlenſtoff.

Die Muskelfaſer, das Blut, die Membranen und Häute enthielten aber auf die nämliche Quantität Stickſtoff vier - mal ſo viel Kohlenſtoff, nämlich 8 Aequivalente, und wenn man hierzu den Kohlenſtoff des genoſſenen Fettes, der Ner - ven - und Gehirnſubſtanz hinzurechnet, ſo iſt klar, daß die Schlange auf 1 Aeq. Stickſtoff weit mehr als 8 Aeq. Koh - lenſtoff verzehrt hat.

Wenn wir nun annehmen, daß das harnſaure Ammoniak allen Stickſtoff des verzehrten Thieres enthält, ſo ſind offen -56Der chemiſche Proceß derbar im geringſten Falle 6 Aeq. Kohlenſtoff, die mit dieſem Stickſtoff verbunden waren, in einer andern Form ausgetre - ten, wie die übrigen zwei Atome, die wir im harnſauren Ammoniak wiederfinden.

Wir wiſſen nun mit zweifelloſer Gewißheit, daß dieſer Koh - lenſtoff aus Haut und Lunge ausgetreten iſt, und zwar konnte dies nur geſchehen in der Form einer Sauerſtoffverbindung.

Die Excremente eines Buſſards, der mit Rindfleiſch ge - füttert worden, aus der Kloake genommen, beſtanden der Unterſuchung nach (L. Gmelin u. Tiedemann) aus harn - ſaurem Ammoniak. Ebenſo ſind die Faeces bei Löwen und Tiegern ſparſam und trocken, ſie enthalten der Hauptſache nach Knochenerde und nur Spuren von kohlenſtoffhaltigen Materien, aber ihr Harn enthält kein harnſaures Ammoniak, ſondern Harnſtoff, eine Verbindung, welche Stickſtoff und Kohlenſtoff im Verhältniß wie im neutralen kohlenſauren Ammoniak enthält.

Angenommen, daß ihre Nahrung (Fleiſch ꝛc.) Stickſtoff und Kohlenſtoff in dem Verhältniß wie 1: 8 enthielt, ſo finden wir in dem Harn beide nur in dem Verhältniß wie 1: 1 wieder, ein kleineres Verhältniß von Kohlenſtoff alſo, wie bei den Schlangen, in denen der Reſpirationsakt bei weitem weniger thätig iſt.

Aller Kohlenſtoff und Waſſerſtoff, den die Nahrung dieſer Thiere mehr enthielt, als wir in ihren Excrementen wieder finden, ſie ſind, als Kohlenſäure und Waſſer, durch den Re - ſpirationsproceß verſchwunden.

57Reſpiration und Ernährung.

Hätten wir das verzehrte Thier in einem Ofen verbrannt, ſo würde die vorgegangene Veränderung nur der Form der Stickſtoffverbindungen nach eine andere geweſen ſein.

Den Stickſtoff würden wir als kohlenſaures Ammoniak, den übrigen Kohlenſtoff als Kohlenſäure, den übrigen Waſ - ſerſtoff als Waſſer wiederbekommen haben. Es würden die unverbrennlichen Theile als Aſche, die unverbrannten als Ruß übrig geblieben ſein. Die feſten Excremente ſind aber nichts anders als die im Thierkörper unverbrennlichen, oder unvollkommen verbrannten Theile der Nahrung.

In dem Vorhergehenden iſt angenommen worden, daß die Beſtandtheile der von dem Thiere genoſſenen Nahrungs - mittel in ſeinem Organismus, in Folge des durch Lunge und Haut aufgenommenen Sauerſtoffs, ihr Kohlenſtoff in Kohlenſäure, ihr Waſſerſtoff und ihr Stickſtoff in eine chemi - ſche Verbindung, welche die Elemente des kohlenſauren Am - moniaks enthält, übergehen.

Dieſe Vorausſetzung iſt nur der äußeren Erſcheinung nach wahr, in der That erlangt nach einer gewiſſen Zeit der Thierkörper ſein urſprüngliches Gewicht wieder, ſein Ge - halt an Kohlenſtoff und den andern Elementen hat in ſeinem Körper nicht zugenommen, es iſt genau ſo viel Kohlenſtoff, Stickſtoff, Waſſerſtoff ꝛc. wieder ausgetreten, als ihm davon in der Speiſe zugeführt wurde. Aber nichts kann gewiſſer ſein, als daß der ausgetretene Kohlenſtoff, Stickſtoff und Waſſerſtoff nicht von der Speiſe herrührt, wenn ſie auch, der Quantität nach, den dadurch zugeführten gleich waren.

58Der chemiſche Proceß der

Es wäre aller Vernunft entgegen, wenn man annehmen wollte, die Stillung des Hungers, das Bedürfniß nach Speiſe habe keinen andern Zweck, als die Erzeugung von Harnſtoff, Harnſäure, Kohlenſäure und den andern Excrementen, von Materien, die der Körper ausſtößt, in ſeiner Haushaltung alſo zu nichts verwendet.

Die Speiſen dienen in dem erwachſenen Thiere zum Er - ſatz an verbrauchtem Stoff, gewiſſe Theile der Organe ha - ben ihren Zuſtand des Lebens verloren, ſie ſind aus der Subſtanz der Organe ausgetreten, ſie haben ſich zu neuen und zwar formloſen Verbindungen umgeſetzt.

Die Speiſe des Fleiſchfreſſers wurde zur Blutbildung ver - wendet und aus dem neuerzeugten Blute haben ſich die um - geſetzten Organe wieder neu gebildet. Der Kohlenſtoff und Stickſtoff der Nahrung ſind zu Beſtandtheilen des Organis - mus geworden.

Eben ſo viel Kohlenſtoff und Stickſtoff als die Organe abgegeben haben, genau ſo viel iſt ihnen durch das Blut und in letzter Form durch die Speiſe wieder erſetzt worden.

Wo ſind denn aber, kann man fragen, die neuen Verbin - dungen hingekommen, welche durch die Umſetzung der Be - ſtandtheile der Organe, der Muskelfaſer, der Subſtanz der Membranen und Zellen, der Nerven - und Gehirnſubſtanz, entſtanden ſind?

Dieſe neuen Verbindungen, ſie konnten keinen Moment, inſofern ſie löslich waren, an dem Platze beharren, wo ſie entſtanden ſind, denn eine ſehr wohlbekannte Thätigkeit, die59Reſpiration und Ernährung.Blutcirculation nämlich, widerſetzt ſich dieſem Beharren.

Durch die Erweiterung des Herzens, in dem ſich zwei Syſteme von Kanälen vereinigen, welche ſich in ein unendlich feines Netzwerk von Röhrchen durch alle Theile des Thier - körpers hin verzweigen, entſteht abwechſelnd ein luftleerer Raum, in deſſen unmittelbarer Folge, durch den äußern atmoſphäriſchen Druck, alle Flüſſigkeiten, die in dieſes Röh - renſyſtem gelangen können, nach der einen Seite des Herzens hin mit großer Gewalt getrieben werden. Dieſe Bewegung wird bei der Zuſammenziehung des Herzens durch einen von dem Gewichte der Atmoſphäre unabhängigen Druck aufs kräftigſte unterſtützt.

Wir haben mit einem Worte in dem Herzen eine Druck - pumpe, durch welche arterielles Blut in alle Theile des Körpers getrieben wird, und eine Saugpumpe, durch welche alle Flüſſig - keiten, von welcher Beſchaffenheit ſie auch ſein mögen, ſobald ſie in das Röhrenſyſtem der Saugadern, die ſich mit den Venen vereinigen, gelangen können, nach dem Herzen hin geführt werden. Dieſe Aufſaugung, in Folge des im Herzen entſtan - denen luftleeren Raums, iſt ein rein mechaniſcher Act, der ſich, wie bemerkt, auf flüſſige Stoffe jeder Art, Salzauflöſun - gen, Gifte ꝛc. erſtreckt. Es iſt nun einleuchtend, daß durch das Einſtrömen des arteriellen Blutes in die Capillargefäße alle dort vorhandenen Flüſſigkeiten, ſagen wir die löslichen Verbindungen, die durch die Umſetzung der Gebilde entſtanden ſind, eine Bewegung nach dem Herzen hin empfangen müſſen.

Dieſe Materien können zur Neubildung der nämlichen60Der chemiſche Proceß derOrgane, aus denen ſie entſtanden ſind, nicht verwendet wer - den; ſie gelangen durch das Saug - und Lymphgefäßſyſtem in die Venen, wo ihre Anhäufung dem Ernährungsproceß eine ſehr raſche Grenze ſetzen würde, wenn ſich dieſer Anſamm - lung nicht zwei, ganz beſonders zu dieſem Zwecke eingerich - tete, Filtrirapparate widerſetzen würden.

Das venöſe Blut nimmt, ehe es zum Herzen gelangt, ſeinen Weg durch die Leber, das arterielle Blut geht durch die Nieren, welche alle für den Ernährungsproceß untaugli - chen Stoffe davon ſcheiden.

Die neuentſtandenen Verbindungen, welche den Stickſtoff der umgeſetzten Organe enthalten, ſammeln ſich in der Harnblaſe an und treten, indem ſie einer weiteren Verwen - dung durchaus unfähig ſind, aus dem Körper aus.

Alle anderen, welche den Kohlenſtoff der umgeſetzten Ge - bilde enthalten, ſammeln ſich in Geſtalt einer löslichen, mit Waſſer in allen Verhältniſſen miſchbaren Natronverbindung in der Gallenblaſe an, aus der ſie ſich im Duodenum mit dem Speiſebrei wieder miſchen. Alle Theile der Galle, die ihre Löslichkeit in dem Verdauungsproceß nicht verlieren, kehren während der Verdauung friſch genoſſener Nahrung im un - endlich fein zertheilten Zuſtande wieder in den Körper zurück. Das Natron der Galle, ſo wie alle durch ſchwache Säure nicht fällbaren, kohlenſtoffreichen Beſtandtheile (dieſe betragen 99 / 100 aller übrigen), behalten ihre Fähigkeit, durch die Saug - adern des Dünndarms und Dickdarms wieder reſorbirt zu werden, unverändert bei. Ja dieſe Fähigkeit iſt direct be -61Reſpiration und Ernährung.weisbar durch gallehaltige Klyſtiere, deren Gallegehalt mit der Flüſſigkeit im Maſtdarm verſchwindet.

Die ſtickſtoffhaltigen Verbindungen, welche in Folge der Umſetzung der Gebilde entſtanden, wir wiſſen genau, daß ſie, durch die Nieren von dem venöſen Blute geſchieden, als einer weiteren Veränderung durchaus unfähig, aus dem Körper treten, aber die kohlenſtoffreichen Produkte, ſie kehren in den Körper des fleiſchfreſſenden Thieres zurück.

Die Nahrung des fleiſchfreſſenden Thieres iſt identiſch mit den Hauptbeſtandtheilen ſeines Körpers; die Metamor - phoſen, welche ſeine Gebilde erfahren, ſie müſſen identiſch ſein mit den Veränderungen, welche in ihren Lebensakten ihre Nahrungsmittel erleiden.

Das verzehrte Fleiſch und Blut giebt ſeinen Kohlenſtoff zur Unterhaltung des Reſpirationsproceſſes her, ſeinen Stick - ſtoff erhalten wir als Harnſtoff oder Harnſäure wieder. Ehe aber dieſe letzte Veränderung erfolgt, wird das todte Fleiſch und Blut zu lebendigem Fleiſch und Blut, und es iſt im eigentlichen Sinne der Kohlenſtoff der durch Umſetzung der lebenden Gebilde entſtandenen Verbindungen, welcher zur Hervorbringung der thieriſchen Wärme dient.

Die Speiſe des Fleiſchfreſſers verwandelt ſich in Blut, das Blut iſt beſtimmt zur Reproduktion der Organe, durch die Blutcirculation wird ein Strom von Sauerſtoff allen Theilen des Körpers zugeführt. Die Träger dieſes Sauer - ſtoffs, die Blutkörperchen, welche nachweisbar keinen Antheil an dem Nutritionsproceſſe nehmen, geben ihn beim Durch -62Der chemiſche Proceß dergang durch die Capillargefäße wieder ab. Dieſer Sauerſtoff - ſtrom begegnet auf dieſem Wege den durch die Umſetzung der Gebilde entſtandenen Verbindungen, er verbindet ſich mit ihrem Kohlenſtoff zu Kohlenſäure, mit ihrem Waſſerſtoff zu Waſſer, und alles, was dieſen Oxydationsproceß nicht erlitten hat, kehrt in der Form von Galle wieder in den Körper zurück, wo ſie nach und nach völlig verſchwindet.

Bei den Fleiſchfreſſern enthält die Galle den Kohlenſtoff der umgeſetzten Gebilde, dieſer Kohlenſtoff verſchwindet in dem thieriſchen Körper, die Galle verſchwindet in dem Le - bensproceß, ihr Kohlenſtoff tritt als Kohlenſäure, ihr Waſ - ſerſtoff als Waſſer durch Haut und Lunge aus; es iſt klar, die Beſtandtheile der Galle dienen zur Reſpiration und zur Hervorbringung der animaliſchen Wärme. Alle Theile der Nahrung der Fleiſchfreſſer ſind fähig in Blut überzu - gehen, ihre Excremente enthalten nur anorganiſche Subſtanz (Knochenerde ꝛc. ), und was wir an organiſchen Stoffen dieſen beigemiſcht finden, ſind lediglich Excretionen, welche den Durchgang durch die Eingeweide vermitteln. Bei den fleiſch - freſſenden Thieren enthalten die Excremente keine Galle, kein Natron; keine Spur einer der Galle ähnlichen Subſtanz wird von Waſſer daraus aufgenommen, die Galle iſt aber in allen Verhältniſſen darin löslich und damit miſchbar.

Ueber den Urſprung der Beſtandtheile des Harns und der Galle können die Phyſiologen nicht im Zweifel ſein; wenn der Magen bei Enthaltung aller Speiſe ſich darmartig zu - ſammenzieht, kann ſich aus der Gallenblaſe, da ſie keine Be -63Reſpiration und Ernährung.wegung empfängt, keine Galle ergießen; in dem Körper der Verhungerten finden wir die Gallenblaſe ſtraff und voll. Wir beobachten Galle - und Harnſekretion bei den Winterſchläfern, wir wiſſen, daß der Harn der Thiere (Hunde), die während 18 bis 20 Tagen keine andere Nahrung als reinen Zucker bekamen, ebenſoviel an dem ſtickſtoffreichſten Produkt des Thierkörpers, ebenſoviel Harnſtoff enthielt, als im geſunden Zuſtande (Marchand, Erdm. J. XIV. p. 495.). Unter - ſchiede in der Menge des ſecernirten Harnſtoffs erklären ſich in dieſen und ähnlichen Verſuchen durch den Mangel oder die Geſtattung der natürlichen Bewegungen. Eine jede Be - wegung ſteigert den Umſatz der Gebilde, nach einem jeden Spaziergang vermehrt ſich beim Menſchen die Harnſekretion.

Der Harn der Säugethiere, Vögel, der Amphibien ent - hält Harnſäure oder Harnſtoff, der Koth der Weichthiere, der Inſecten, der Canthariden, des Seidenwurm-Schmetter - lings enthält harnſaures Ammoniak; die Beſtändigkeit des Vorkommens einer oder zweier Stickſtoff-Verbindungen in den Ausleerungen der Thiere, bei einer ſo großen Verſchie - denheit in der genoſſenen Nahrung, zeigt mit Beſtimmtheit an, daß ſie aus einer und derſelben Quelle entſpringen.

Ebenſowenig zweifelhaft kann man über die Rolle ſein, welche die Galle in dem Lebensproceß übernimmt. Wenn man ſich erinnert, daß eſſigſaures Kali, in der Form eines Klyſtiers oder als Fußbad genommen, den Harn im hohen Grade alkaliſch macht (Rehberger in Tiedemann’s Zeit - ſchrift für Phyſiologie II. 149.), daß die Umwandlung, welche64Der chemiſche Proceß derhier die Eſſigſäure erfährt, nicht ohne ein Hinzutreten von Sauerſtoff gedacht werden kann, ſo iſt klar, daß die löslichen Beſtandtheile der Galle, veränderlich im hohen Grade, ſo wie wir ſie kennen, welche durch die Eingeweide in den Orga - nismus wieder zurückkehren, da ſie zur Blutbildung nicht ver - wendet werden können, der Einwirkung des Sauerſtoffs in einer ganz ähnlichen Weiſe unterliegen müſſen. Die Galle iſt eine Natronverbindung, deren Beſtandtheile in dem Körper des fleiſchfreſſenden Thieres bis auf das Natron verſchwinden.

Nach der Anſicht vieler der ausgezeichnetſten Phyſiologen iſt die Galle zur Ausleerung beſtimmt, und nichts kann ge - wiſſer ſein, als daß eine an Stickſtoff ſo arme Materie in dem Nutritionsproceß keine Rolle übernimmt, allein die quan - titative Phyſiologie muß die Anſicht, daß ſie zu keinerlei Zwecken dient, daß ſie unfähig zu weiteren Veränderungen iſt, mit Entſchiedenheit zurückweiſen.

Kein Beſtandtheil eines Organs enthält Natron, nur in dem Blute (Serum), in dem Gehirnfett und in der Galle haben wir Natronverbindungen. Wenn die Natronverbin - dungen des Bluts in Muskelfaſer, in Membranen und Zellen übergehen, ſo muß ihr Natron in eine neue, in eine andere Verbindung treten; das in Muskelfaſer, in Membranen über - gehende Blut giebt ſein Natron an Verbindungen ab, welche durch die Umſetzung der Gebilde entſtanden ſind. Eine die - ſer neuen Natronverbindungen erhalten wir in der Galle wieder.

Wäre die Galle zur Ausleerung beſtimmt, ſo müßten65Reſpiration und Ernährung.wir ſie verändert oder unverändert, wir müßten das Natron in den feſten Excrementen wiederfinden. Aber bis auf ge - wiſſen Mengen von Kochſalz und ſchwefelſauren Salzen, welche Beſtandtheile aller thieriſchen Flüſſigkeiten ſind, finden wir in den feſten Excrementen nur Spuren von Natronverbin - dungen. Das Natron der Galle iſt aber jedenfalls aus den Eingeweiden in den Organismus wieder zurückgekehrt, und das nämliche muß von den organiſchen Stoffen gelten, die mit dieſem Natron verbunden bleiben.

Ein Menſch ſecernirt nach den Beobachtungen der Phy - ſiologen 17 24 Unzen Galle, ein großer Hund 36 Un - zen, ein Pferd 37 Pfd. Galle (Burdach’s Phyſiologie 5r Band S. 260.) Die feſten Excremente eines Menſchen wie - gen aber durchſchnittlich nicht über Unzen, die eines Pferdes 28½ Pfd. Bouſſingault ( Pfd. trockne Sub - ſtanz und 21 Pfd. Waſſer). Die letzteren geben mit Alkohol behandelt nur 1 / 76 ihres Gewichts lösliche Theile ab. Die - ſer ſechsundſiebzigſte Theil von dem Gewicht der feſten Ex - cremente des Pferdes müßte Galle ſein.

Den Waſſergehalt der Galle zu 90 pCt. angenommen, ſecernirt ein Pferd täglich 592 Unzen Galle, welche 59,2 Un - zen feſte Subſtanz enthalten, während aus 120 Unzen trock - ner Excremente ( Pfd.) nur 6 Unzen einer Subſtanz ausziehbar ſind, die man für Galle nehmen könnte. Aber das, was der Alkohol aus den Excrementen auflöſ’t, iſt keine Galle mehr, von dem Weingeiſt befreit bleibt ein weicher, ölartiger Rückſtand, welcher ſeine Löslichkeit im Waſſer gänz -566Der chemiſche Proceß derlich eingebüßt hat, er hinterläßt nach dem Verbrennen keine alkaliſche Aſche, kein Natron 10).

Während dem Verdauungsproceß iſt alſo das Natron der Galle und mit ihm alle Beſtandtheile derſelben, die ihre Lös - lichkeit nicht verloren haben, in den Organismus zurückge - kehrt; wir finden dieſes Natron in dem neugebildeten Blute wieder, wir finden es zuletzt in der Form von phosphorſau - rem, kohlenſaurem und hippurſaurem Natron im Urin. In 1000 Theilen feſter, friſcher Menſchenexcremente fand Berze - lius nur 9 Theile einer der Galle ähnlichen Subſtanz, fünf Unzen würden hiernach nur 21 Gran feſter Galle enthalten, entſprechend mit ihrem Waſſergehalte 200 Gr. Galle im na - türlichen Zuſtande; es werden aber beim Menſchen 9640 bis 11520 Gran Galle täglich ſecernirt, alſo 45 - bis 56mal mehr als man in den durch den Darmkanal ausgeleerten Stoffen nachzuweiſen vermag.

Welche Vorſtellung man nun auch hegen mag über die Richtigkeit der phyſiologiſchen Verſuche in Beziehung auf die Menge der in verſchiedenen Thierklaſſen ſecernirten Galle, ſo viel iſt vollkommen gewiß, daß auch das Maximum der - ſelben noch nicht den Kohlenſtoff enthält, den ein Menſch oder ein Pferd in 24 Stunden ausathmet. Mit allen ihren Gemeng - oder Beſtandtheilen an Fett ꝛc. enthalten 100 Theile feſter Galle nicht über 69 pCt. Kohlenſtoff; in 37 Pfd. Galle, die ein Pferd ſecernirt, ſind demnach nur 80 Loth Kohlenſtoff enthalten. Das Pferd athmet aber täglich nahe doppelt ſoviel Kohlenſtoff in der Form von Kohlenſäure aus. Ein67Reſpiration und Ernährung.ganz ähnliches Verhältniß findet bei dem Menſchen ſtatt.

Mit dem zur Neubildung und Reproduction beſtimm - ten Stoff wird durch die Blutcirculation allen Theilen des Körpers Sauerſtoff zugeführt. Welche Verbindung dieſer Sauerſtoff in dem Blut auch eingegangen ſein mag, es muß als gewiß angenommen werden, daß die - jenigen Beſtandtheile, welche zur Reproduktion verwendet werden, keine weſentliche Veränderung durch ihn erlitten haben, in der Muskelfaſer finden wir das Fibrin mit allen ſeinen Eigenſchaften, die es im venöſen Blute beſitzt, wie - der vor, das Albumin im Blut nimmt kein Sauerſtoffgas auf; der im Blute aufgenommene Sauerſtoff mag dazu ge - dient haben, um gewiſſe unbekannte Beſtandtheile des Blutes in Gaszuſtand zu verſetzen, aber die zur Ernährung und Reproduktion dienenden bekannten Hauptbeſtandtheile deſſel - ben, ſie können von der Natur nicht dazu beſtimmt ſein, um den Reſpirationsproceß zu unterhalten, keine ihre Eigenſchaften rechtfertigt eine ſolche Vorſtellung.

Ohne die Frage über den Antheil, den die Galle an den Lebensproceſſen nimmt, hier einer erſchöpfenden Erörterung zu unterwerfen, geht, wie bemerkt, aus der einfachen Ver - gleichung der aſſimilirbaren Beſtandtheile der Nahrung eines fleiſchfreſſenden Thieres mit den letzten Producten, in die ſie verwandelt wird, hervor, daß aller Kohlenſtoff derſelben, der ſich nicht im Harne befindet, in der Form von Koh - lenſäure ausgetreten iſt.

Dieſer Kohlenſtoff ſtammte aber von der Subſtanz der5*68Der chemiſche Proceß derumgeſetzten Gebilde und, dieſes feſtgeſetzt, löſ’t ſich die Frage über die Nothwendigkeit des Vorhandenſeins von kohlen - ſtoffreichen und ſtickſtoffloſen Materien in der Nahrung der jugendlichen Carnivoren und der pflanzenfreſſenden Thiere auf eine höchſt einfache Weiſe.

XII.

Es iſt eine unbeſtreitbare Thatſache, daß in einem er - wachſenen fleiſchfreſſenden Thiere, was an Gewicht von Tag zu Tag weder merklich zunimmt, noch abnimmt, Nah - rung, Umſetzung der Gebilde und Sauerſtoffverbrauch in ei - nem ganz beſtimmten Verhältniß zu einander ſtehen.

Der Kohlenſtoff der entwichenen Kohlenſäure, der des Harns, der Stickſtoff des Harns und der Waſſerſtoff, welcher als Ammoniak und Waſſer austritt, dieſe Elemente zuſam - mengenommen müſſen dem Gewicht nach vollkommen gleich ſein dem Kohlenſtoff, Waſſerſtoff und Stickſtoff der umge - ſetzten Gebilde, und, inſofern dieſe durch die Nahrung genau erſetzt worden ſind, dem Kohlenſtoff, Stickſtoff und Waſſer - ſtoff der Nahrung. Wäre dies nicht der Fall, ſo würde das Gewicht des Thieres ſich nicht gleich bleiben können.

Das Gewicht des ſich entwickelnden jungen fleiſchfreſſen - den Thieres bleibt ſich aber nicht gleich, es nimmt im Gegen - theile von Tag zu Tag um eine beſtimmbare Größe zu.

Dieſe Thatſache ſetzt voraus, daß der Aſſimilationsproceß in dem jugendlichen Thiere ſtärker, intenſiver iſt, als der69Reſpiration und Ernährung.Proceß der Umſetzung der vorhandenen Gebilde. Wären beide Thätigkeiten gleich, ſo könnte ihr Gewicht nicht zunehmen, wäre der Verbrauch größer, ſo müßte ſich ihr Gewicht ver - mindern.

Der Blutumlauf iſt in dem jungen Thiere aber nicht ſchwächer, er iſt im Gegentheil beſchleunigter, die Athembe - wegungen ſind raſcher, und bei gleichem Körper-Volum muß der Sauerſtoffverbrauch eher größer als kleiner ſein, wie bei er - wachſenen Thieren. Aber da die Umſetzung der Gebilde langſamer vor ſich geht, ſo würde es an denjenigen Materien fehlen, deren Kohlenſtoff und Waſſerſtoff ſich zur Verbindung mit dem Sauerſtoff eignet, denn es ſind ja bei den fleiſchfreſ - ſenden Thieren die neuen Verbindungen, die aus der Um - ſetzung der Organe entſtanden, welche die Natur zum Widerſtande gegen den einwirkenden Sauerſtoff und zur Hervorbringung der animaliſchen Wärme beſtimmt hat. Was alſo an dieſem Wi - derſtande fehlt, ſetzt eine bewunderungswürdige Weisheit dem jungen Thiere in ſeiner Nahrung zu.

Der Kohlenſtoff und Waſſerſtoff der Butter, der Kohlenſtoff des Milchzuckers, aus welchen kein Beſtandtheil zu Blut, zu Fibrin und Albumin werden kann, ſie ſind zur Unterhaltung des Reſpirationsproceſſes in einem Lebensalter beſtimmt, wo ein ſtärkerer Widerſtand ſich der Metamorphoſe der vorhande - nen Gebilde entgegenſetzt, der Erzeugung von Stoffen alſo, welche im erwachſenen Zuſtande in völlig zur Reſpiration aus - reichender Menge produzirt werden.

Das junge Thier empfängt ſeine Blutbeſtandtheile in dem70Der chemiſche Proceß derCaſein der Milch, eine Umſetzung der vorhandenen Gebilde geht vor ſich, denn Gallen - und Harnſekretion finden ſtatt, die Subſtanz der umgeſetzten Gebilde tritt in der Form von Harn und von Kohlenſäure und Waſſer aus ihrem Körper, allein die Butter und der Milchzucker der Milch ſind ebenfalls verſchwun - den, ſie laſſen ſich in den Faeces nicht nachweiſen.

Butter und Milchzucker ſind in der Form von Waſſer und Kohlenſäure ausgetreten und ihre Verwandlung, in Sauerſtoffver - bindungen beweiſt aufs klarſte, daß weit mehr Sauerſtoff auf - genommen wurde, als nöthig war, um mit dem Kohlenſtoff und Waſſerſtoff der umgeſetzten Gebilde Kohlenſäure und Waſſer zu bilden.

Die in dem Lebensproceß des jungen Thieres vor ſich ge - hende Veränderung und Umſetzung der Gebilde liefert demge - mäß, in einer gegebenen Zeit, weit weniger Kohlenſtoff und Waſſerſtoff in der zur Reſpiration geeigneten Form, als dem aufgenommenen Sauerſtoff entſpricht, die Subſtanz ihrer Or - gane würde einen raſcheren Stoffwechſel erfahren, ſie würde der Einwirkung des Sauerſtoffs unterliegen müſſen, wenn der fehlende Kohlenſtoff und Waſſerſtoff von einer andern Quelle nicht geliefert werden würde.

Die fortſchreitende Zunahme an Maſſe, die freie und unge - hinderte Entwickelung der Organe des jungen Thieres, ſie wird alſo durch die Gegenwart fremder Materien bedingt, die in dem Ernährungsproceß keine andere Rolle ſpielen, als daß ſie die neu ſich bildenden Organe vor der Einwirkung des Sauerſtoffs ſchützen, ihre Beſtandtheile ſind es, die ſich mit dem Sauerſtoff71Reſpiration und Ernährung.verbinden; ohne zu unterliegen, würden die Organe ſelbſt die - ſen Widerſtand nicht übernehmen können, d. h. eine Zunahme an Maſſe, bei gleichem Sauerſtoffverbrauch, würde ſchlechter - dings unmöglich ſeyn.

Ueber den Zweck, zu welchem die Natur der Nahrung der jungen Säugthiere ſtickſtofffreie Materien zugeſetzt hat, die ihr Organismus zur eigentlichen Ernährung, zu Blutbildung nicht verwenden kann, Materien, die zur Unterhaltung ihrer Lebens - funktionen in erwachſenem Zuſtande völlig entbehrlich ſind, kann man nach dem Vorhergehenden nicht zweifelhaft ſeyn. Bei den fleiſchfreſſenden Vögeln iſt der Mangel aller Bewegung offenbar ein Grund eines verminderten Stoffwechſels.

Der Ernährungsproceß der fleiſchfreſſenden Thiere ſtellt ſich mithin in zwei Formen dar, von denen wir die eine Form in den gras - und körnerfreſſenden Thieren wiederkehren ſehen.

XIII.

Bei dieſer Thierklaſſe beobachten wir, daß während ihrer ganzen Lebensdauer ihre Exiſtenz an die Aufnahme von Stoffen geknüpft iſt, welche eine dem Milchzucker gleiche oder ähnliche Zuſammenſetzung beſitzen. Allem was ſie genießen, iſt jeder - zeit eine gewiſſe Quantität von Amylon (Stärke), oder Gummi, oder Zucker beigemiſcht.

Die am meiſten verbreitete Subſtanz dieſer Klaſſe iſt das Amylon; es findet ſich in Wurzeln, Samen, in den Stengeln, in dem Holzkörper, abgelagert in der Form von rundlichen oder72Der chemiſche Proceß derovalen Körnchen, welche nur in der Größe, aber keineswegs in der chemiſchen Zuſammenſetzung 11) von einander abweichen. Wir finden in einer und derſelben Pflanze, in den Erbſen z. B., Stärkemehl von ungleicher Größe, in dem ausgepreßten Saft von Erbſenſtengeln haben die ſich abſetzenden Stärkekörnchen einen Durchmeſſer von 1 / 200 bis 1 / 150 Millimeter, während die Stärkekörnchen der Samenlappen drei - bis viermal größer ſind. Vor allen andern ſind die Stärkekörnchen der Pfeilwurzel und der Kartoffel ausgezeichnet durch ihre Größe, die des Reiſes und des Weitzens durch ihre Kleinheit.

Es iſt wohlbekannt, daß durch ſehr verſchiedene Einwir - kungen das Stärkemehl übergeführt werden kann in Zucker; dies geſchieht in dem Keimungsproceß (in dem Malzproceß), und namentlich durch die Einwirkung von Säuren. Die Ueberführung des Stärkemehls in Zucker wird, wie ſich durch die Analyſe darthun läßt, durch eine einfache Aufnahme der Beſtandtheile des Waſſers bewirkt 12).

Allen Kohlenſtoff der Stärke, wir bekommen ihn in dem Zucker wieder, es iſt keiner ihrer Beſtandtheile ausgetreten, und außer den Elementen des Waſſers iſt kein fremdes Element hinzugetreten.

In ſehr vielen, namentlich fleiſchigen Früchten, die im un - reifen Zuſtande ſauer und herbe, im reifen hingegen ſüß ſind, wie in den Aepfeln und Birnen, entſteht der Zucker aus dem Amylon, was dieſe Früchte enthalten.

Wenn man unreife Aepfel oder Birnen auf einem Reibeiſen in einen Brei verwandelt und dieſen auf einem feinen Sieb mit73Reſpiration und Ernährung.Waſſer auswäſcht, ſo ſetzt ſich aus der trüben ablaufenden Flüſſigkeit ein höchſt feines Stärkmehl ab, von dem man in den ſogenannten reifen Früchten keine Spur mehr wahrnimmt. Manche von dieſen Obſtſorten werden auf dem Baume ſüß (Sommer-Birnen, - Aepfel), andere hingegen erſt einige Zeit nachher, wenn ſie, vom Baume genommen, aufbewahrt werden. Dieſes ſogenannte Nachreifen, wie man dieſes Süßwerden nennt, iſt ein rein chemiſcher Proceß, der mit dem Pflanzenleben nichts zu thun hat. Mit dem Aufhören der Vegetation iſt die Frucht zur Fortpflanzung geeignet, d. h. der Kern iſt völlig reif, allein die fleiſchige Hülle unterliegt von dieſem Zeitpunkte an der Einwirkung der Atmoſphäre, ſie nimmt wie alle verweſenden Subſtanzen Sauerſtoff auf, und es trennt ſich von ihrer Subſtanz eine gewiſſe Menge kohlenſaures Gas.

Aehnlich nun wie die Stärke in faulendem Kleiſter oder durch verweſenden Kleber in Zucker übergeführt wird, verwandelt ſich das Amylon der genannten verweſenden Früchte in Traubenzucker, ſie werden in dem Verhältniß ſüßer, als ſie mehr Stärke enthielten.

Zwiſchen Amylon und Zucker findet nach dem Vorerwähn - ten ein ganz beſtimmter Zuſammenhang ſtatt; durch eine Menge chemiſcher Actionen, welche auf die Elemente des Amylons keine andere Wirkung äußern, als daß ſie die Richtung ihrer gegenſeitigen Anziehung ändern, ſind wir im Stande, das Amy - lon in Zucker und zwar in Traubenzucker überzuführen.

Der Milchzucker 13) verhält ſich in vielen Beziehungen ähnlich wie das Amylon, er iſt für ſich der weingeiſtigen Gährung nicht fähig, er erlangt aber die Eigenſchaft in Alkohol und Koh -74Der chemiſche Proceß derlenſäure zu zerfallen, wenn er mit einer gährenden Materie (dem faulenden Käſe in der Milch) bei Gegenwart von Waſſer einer höheren Temperatur ausgeſetzt wird. In dieſem Fall ver - wandelt er ſich zuerſt in Traubenzucker; die nämliche Verwandlung erfährt der Milchzucker, wenn er mit Säuren, mit Schwefelſäure z. B., bei gewöhnlicher Temperatur in Berührung gelaſſen wird.

Das Gummi hat eine dem Rohrzucker gleiche procentiſche Zuſammenſetzung 14), es unterſcheidet ſich von den Zuckerarten und dem Amylon, inſofern ihm die Fähigkeit abgeht, durch den Proceß der Fäulniß in Weingeiſt und Kohlenſäure zu zer - fallen; gährenden Subſtanzen zugeſetzt, erleidet es keine merk - liche Veränderung, woraus man mit einiger Wahrſcheinlichkeit ſchließen kann, daß ſeine Elemente in der Ordnung, in wel - cher ſie vereinigt ſind, mit einer ſtärkeren Kraft zuſammenge - halten ſind, wie die Elemente der verſchiedenen Zuckerarten.

Einen gewiſſen Zuſammenhang zeigt das Gummi übrigens mit dem Milchzucker, beide geben nämlich bei Behandlung mit Salpeterſäure einerlei Oxydationsproducte, nämlich Schleimſäure, die ſich unter denſelben Bedingungen aus den Zuckerarten nicht darſtellen läßt.

Wenn wir, um die Aehnlichkeit in der Zuſammenſetzung dieſer verſchiedenen Materien, welche in dem Ernährungsproceß der pflanzenfreſſenden Thiere eine ſo wichtige Rolle überneh - men, noch mehr hervortreten zu machen, 1 Aequivalent Kohlen - ſtoff mit C (= 75,8 Kohlenſtoff) und 1 Aequivalent Waſſer mit aqua (= 112,4) bezeichnen, ſo erhalten wir für die Zu - ſammenſetzung der genannten Subſtanzen folgende Ausdrücke:

75Reſpiration und Ernährung.
  • Amylon = 12 C + 10 aq.
  • Rohrzucker = 12 C + 10 aq. + aq.
  • Gummi = 12 C + 10 aq. + aq.
  • Milchzucker = 12 C + 10 aq. + 2 aq.
  • Traubenzucker = 12 C + 10 aq. + 4 aq.

Auf die nämliche Anzahl von Aequivalenten Kohlenſtoff ent - hält alſo das Amylon 10 Aeq. Waſſer, der Rohrzucker und das Gummi 11 Aequivalente, der Milchzucker 12 und der kry - ſtalliſirte Traubenzucker 14 Aequivalente Waſſer, oder der Be - ſtandtheile des Waſſers.

XIV.

In dieſen verſchiedenen Subſtanzen, welche in der Nahrung der pflanzenfreſſenden Thiere niemals fehlen, iſt alſo den ſtick - ſtoffhaltigen Beſtandtheilen derſelben, dem Pflanzen-Albumin, - Fibrin, - Caſein, woraus ſich ihr Blut bildet, im ſtrengſten Sinne nur eine gewiſſe Quantität Kohlenſtoff im Ueberſchuſſe zugeſetzt, der in ihrem Organismus zur Erzeugung von Fibrin und Albumin ſchlechterdings nicht verwendet werden kann, weil ihre ſtickſtoffhaltigen Nahrungsſtoffe den zur Blutbildung erfor - derlichen Kohlenſtoff ſchon enthalten und das Blut in dem Leibe der fleiſchfreſſenden Thiere erzeugt wird, ohne Mitwirkung dieſes Ueberſchuſſes von Kohlenſtoff.

Auf eine klare und überzeugende Weiſe ſtellt ſich der An - theil heraus, den dieſe ſtickſtofffreien Materien an dem Nutri -76Der chemiſche Proceß dertionsproceß der pflanzenfreſſenden Thiere nehmen, wenn wir die verhältnißmäßig ſo geringe Menge Kohlenſtoff in Betrach - tung ziehen, die ſie in ihren ſtickſtoffhaltigen Nahrungsmitteln genießen; ſie ſteht durchaus in keinem Verhältniß zu dem durch Lunge und Haut aufgenommenen und verbrauchten Sauerſtoff.

Ein Pferd kann z. B. in vollkommen gutem Zuſtande erhal - ten werden, wenn ihm täglich 15 Pfd. Heu und Pfd. Ha - fer zur Nahrung gegeben werden. Wenn wir uns nun den gan - zen Gehalt dieſer Nahrungsſtoffe an Stickſtoff, ſo wie ihn die Elementaranalyſe feſtgeſetzt hat (Heu 1,5 pCt., Hafer 2,2 pCt. ) 15) rückwärts in Blut, nämlich in Fibrin und Albumin, mit dem ganzen Waſſergehalt des Blutes (80 pCt. ) verwandelt denken, ſo empfängt das Pferd täglich nur 8 9 / 10 Loth Stickſtoff, welche etwas über 8 Pfd. Blut entſprechen. Mit dieſem Stickſtoff hat aber das Thier, von den andern Beſtandtheilen, welche damit verbunden waren, nur 28 9 / 10 Loth Kohlenſtoff empfangen. Nur 15 9 / 10 Loth von dieſen 28 9 / 10 Loth Kohlenſtoff konnten zur Reſpiration verwendet worden ſein, denn mit dem Stick - ſtoff, der durch den Harn ausgeleert wird, treten in der Form von Harnſtoff 6 Lothe und in der Form von Hippurſäure 7 weitere Lothe wieder aus.

Ohne weitere Rechnung anzuſtellen, wird Jedermann zuge - ben, daß das Luftvolum, was ein Pferd ein - und ausathmet, daß die Menge des von ihm verzehrten Sauerſtoffgaſes und in deſſen Folge die Menge des ausgetretenen Kohlenſtoffs, weit größer iſt, wie beim Reſpirationsproceß des Menſchen. Nun verbraucht aber ein erwachſener Menſch täglich nahe an 2877Reſpiration und Ernährung.Loth Kohlenſtoff, und die Beſtimmung von Bouſſingault, wonach ein Pferd täglich 158 Loth ausathmet, kann von der Wahrheit nicht ſehr entfernt ſein.

In den ſtickſtoffhaltigen Beſtandtheilen ſeiner Nahrung er - hält das Pferd mithin nur etwas mehr, wie den fünften Theil des Kohlenſtoffs, den ſein Organismus zur Unterhaltung des Reſpirationsproceſſes bedarf, und wir ſehen, daß die Weisheit des Schöpfers allen ſeinen Nahrungsmitteln ohne Ausnahme die übrigen Kohlenſtoff, welche in den ſtickſtoffhaltigen Be - ſtandtheilen fehlen, in mannigfaltigen Formen, als Amylon, Zucker u. ſ. w. zugeſetzt hat, welche das Thier, ohne der Ein - wirkung des Sauerſtoffs zu unterliegen, nicht entbehren kann.

Es iſt offenbar, daß in dem Organismus des pflanzenfreſ - ſenden Thieres, deſſen Nahrung eine verhältnißmäßig ſo kleine Menge ſeiner Blutbeſtandtheile enthält, der Akt der Umſetzung der vorhandenen Gebilde, daß demzufolge ihre Erneuerung, die Reproduktion derſelben, bei weitem minder raſch vor ſich geht, wie bei den fleiſchfreſſenden Thieren, denn wäre dies der Fall, ſo würde eine tauſendmal reichere Vegetation zu ihrer Er - nährung nicht hinreichen; Zucker, Gummi, Amylon würden keine Bedingungen zur Erhaltung ihres Lebens ſein, eben weil die kohlenſtoffhaltigen Produkte der Umſetzung ihrer Organe für den Reſpirationsproceß hinreichen würden.

Der fleiſcheſſende Menſch bedarf zu ſeiner Erhaltung und Ernährung eines ungeheuren Gebietes, weiter und ausgedehnter noch, wie der Löwe und Tiger, weil er, wenn die Gelegenheit ſich darbietet, tödtet, ohne zu genießen.

78Der chemiſche Proceß der

Eine Nation von Jägern auf einem begrenzten Flächenraum iſt der Vermehrung durchaus unfähig, der zum Athmen unent - behrliche Kohlenſtoff muß von den Thieren genommen werden, von denen auf der gegebenen Fläche nur eine beſchränkte An - zahl leben kann. Dieſe Thiere ſammeln von den Pflanzen die Beſtandtheile ihrer Organe und ihres Blutes, und liefern ſie den von der Jagd lebenden Indianern, die ſie unbegleitet von den ſtickſtofffreien Subſtanzen genießen, welche während der Le - bensdauer des Thieres ſeinen Reſpirationsproceß unterhielten; es iſt bei dem fleiſcheſſenden Menſchen der Kohlenſtoff des Fleiſches, welcher das Amylon, den Zucker erſetzen muß.

In fünfzehn Pfund Fleiſch iſt aber nicht mehr Kohlenſtoff enthalten, wie in 4 Pfund Amylon 16) und während der Indianer mit einem einzigen Thier und einem ihm gleichen Gewichte Amylon eine gewiſſe Anzahl von Tagen hindurch ſein Leben und ſeine Geſundheit würde erhalten können, muß er, um den für dieſe Zeit, für ſeine Reſpiration unentbehrlichen Kohlenſtoff zu erhalten, 5 Thiere verzehren.

Man ſieht leicht, in welchem engen Verbande die Vermeh - rung des Menſchengeſchlechtes mit dem Ackerbau ſteht. Der Anbau der Culturpflanzen hat zuletzt keinen andern Zweck, als die Hervorbringung eines Maximums der zur Aſſimilation und Reſpiration dienenden Stoffe, auf dem möglichſt kleinſten Raume. Die Getreide - und Gemüſepflanzen liefern uns in dem Amylon, dem Zucker, Gummi, nicht nur den Kohlenſtoff, der unſere Or - gane vor der Einwirkung des Sauerſtoffs ſchützt, und in dem Organismus die zum Leben unentbehrliche Wärme erzeugt, ſon -79Reſpiration und Ernährung.dern in dem Pflanzenfibrin, - Albumin und - Caſein noch über - dies unſer Blut, aus dem ſich die übrigen Beſtandtheile des Körpers entwickeln.

Der fleiſcheſſende Menſch athmet wie das fleiſchfreſſende Thier auf Koſten der Materien, die durch die Umſetzung ſeiner Organe entſtanden ſind, und ähnlich wie der Löwe, der Tiger, die Hyäne in den Kaſten unſerer Menagerien durch unaufhör - liche Bewegung den Umſatz ihrer Gebilde beſchleunigen müſſen, um den zur Reſpiration nöthigen Stoff zu erzeugen, muß ſich der Indianer, des nämlichen Zweckes wegen, den größten An - ſtrengungen und mühevollſten Beſchwerden unterziehen; er muß Kraft verbrauchen, lediglich um Stoff zum Athmen zu ſchaffen.

Die Cultur iſt die Oekonomie der Kraft; die Wiſſenſchaft lehrt uns die einfachſten Mittel erkennen, um mit dem gering - ſten Aufwand von Kraft den größten Effect zu erzielen, und mit gegebenen Mitteln ein Maximum von Kraft hervorzu - bringen. Eine jede unnütze Kraftäußerung, eine jede Kraft - verſchwendung in der Agricultur, in der Induſtrie und der Wiſſenſchaft, ſo wie im Staate, characteriſirt die Rohheit oder den Mangel an Cultur.

XV.

Die Vergleichung der Zuſammenſetzung des Urins der fleiſch - und pflanzenfreſſenden Thiere zeigt auf eine evidente Weiſe, daß der Act der Umſetzung der Gebilde in beiden in der Zeit und Form verſchieden iſt.

80Der chemiſche Proceß der

Der Harn der fleiſchfreſſenden Thiere iſt ſauer, wir ha - ben darin alkaliſche Baſen mit Harnſäure, mit Phosphorſäure und Schwefelſäure vereinigt. Wir wiſſen genau, aus wel - cher Quelle dieſe beiden Säuren ſtammen. Alle Gebilde, bis auf Zellen und Membranen, enthalten Phosphorſäure und Schwefel, der durch den Sauerſtoff des arteriellen Blutes in Schwefelſäure verwandelt wird. In den verſchiedenen Flüſ - ſigkeiten des Thierkörpers finden wir nur Spuren von phos - phorſauren oder ſchwefelſauren Salzen, aber in dem Harn finden wir beide in reichlicher Menge. Es iſt klar, ſie ſtam - men beide von dem Phosphor und Schwefel der Gebilde, die ſich umgeſetzt haben; ſie gelangen als lösliche Salze in das Blut und werden bei ihrem Durchgang durch die Nie - ren davon geſchieden.

Der Harn der grasfreſſenden Thiere iſt alkaliſch; er ent - hält kohlenſaures Alkali in überwiegender Menge und eine ſo geringe Menge von phosphorſaurem Alkali, daß ſie von den meiſten Beobachtern überſehen worden iſt.

Der Mangel, oder, wenn man will, die Abweſenheit der phosphorſauren Alkalien in dem Harn der grasfreſſenden Thiere zeigt offenbar, daß dieſe löslichen Salze zu beſtimm - ten Zwecken verwendet werden; denn wenn wir annehmen, ein Pferd verzehre eine dem Gehalte des Stickſtoffs (8 9 / 10 Loth) in ſeinen Nahrungsmitteln entſprechende Menge Pflan - zenfibrin oder - Albumin, und wenn wir den umgeſetzten Theil der Gebilde gleichſetzen dem neugebildeten, ſo iſt die Quantität der Phosphorſäure, die wir in dem Urin (in81Reſpiration und Ernährung.3 Pfund, dem täglichen Abgang nach Bouſſingault) finden müßten, nicht ſo klein, daß ſie nicht mit Leichtigkeit durch die Analyſe nachweisbar wäre (ſie betrüge nach dieſer Vorausſetzung nahe an 0,8 pCt. ), allein, wie bemerkt, die meiſten Beobachter haben keine Phosphorſäure darin auffin - den können.

Die Phosphorſäure, welche in Folge der Umſetzung der Gebilde in der Form von löslichem phosphorſauren Alkali erzeugt wird, kehrt offenbar bei dieſen Thieren in den Organismus zurück, der ſie zur Bildung der Gehirn - und Nervenſubſtanz nicht entbehren kann.

Bei den pflanzenfreſſenden Thieren, die eine verhältniß - mäßig ſo kleine Quantität von Phosphor oder phosphor - ſauren Salzen genießen, ſammelt der Organismus offenbar alle durch die Umſetzung der Gebilde erzeugten löslichen phosphorſauren Salze, und verwendet ſie zur Ausbildung der Knochen und der phosphorhaltigen Beſtandtheile des Gehirns; die Secretionsorgane ſcheiden ſie von dem Blute nicht ab. Die durch Stoffwechſel in Freiheit geſetzte Phos - phorſäure tritt nicht als phosphorſaures Natron aus; wir finden ſie in den feſten Excrementen in der Form von un - löslichen phosphorſauren Erden.

XVI.

Vergleichen wir die Fähigkeit der Zunahme an Maſſe, die Kraft der Aſſimilation in den gras - und fleiſchfreſſenden682Der chemiſche Proceß derThieren, ſo führen die gewöhnlichſten Beobachtungen auf einen großen Unterſchied.

Eine Spinne, welche mit dem größten Heißhunger das Blut der erſten Fliege ausſaugt, wird durch die zweite und dritte Fliege in ihrer Ruhe nicht geſtört; eine Katze frißt die erſte, vielleicht die zweite Maus, und wenn ſie auch die dritte tödtet, ſie wird von ihr nicht verzehrt. Ganz ähnliche Beobachtungen hat man an Löwen und Tigern gemacht; ſie verzehren ihre Beute erſt dann, wenn ſich in ihnen das Be - dürfniß des Hungers regt. Zur bloßen Erhaltung bedürfen die fleiſchfreſſenden Thiere an ſich einer geringeren Menge von Nahrung ſchon deshalb, weil ihre Haut keine Schweiß - poren hat, weil ſie alſo bei gleichem Volum weit weniger Wärme verlieren, als die Grasfreſſer, welche die verlorne Wärme durch die Nahrung erſetzen müſſen.

Wie ganz anders zeigt ſich die Stärke und Intenſität des vegetativen Lebens bei den pflanzenfreſſenden Thieren! Ein Schaf, eine Kuh auf der Weide, ſie freſſen mit geringer Un - terbrechung ſo lange die Sonne am Himmel ſteht. Ihr Or - ganismus beſitzt die Fähigkeit, alle Nahrung, die ſie mehr genießen, als ſie zur Reproduction bedürfen, in Beſtand - theile ihres Körpers zu verwandeln.

Alles Blut, was mehr erzeugt wird, als zum Erſatz an verbrauchtem Stoff erforderlich iſt, wird zur Zelle und Muskelfaſer; das pflanzenfreſſende Thier wird bei geſteiger - ter Nahrung fleiſchig oder feiſt, während das Fleiſch des fleiſchfreſſenden ungenießbar, zähe und ſehnenartig bleibt.

83Reſpiration und Ernährung.

Denken wir uns nur einen Hirſch, ein Reh oder einen Ha - ſen, welche ähnliche Nahrungsmittel genießen, wie das Rind - vieh oder Schaf, ſo iſt es evident, daß bei Ueberfluß an Nah - rung ihre Zunahme an Maſſe (ihr Feiſtwerden) abhängig iſt von der Menge des genoſſenen Pflanzenalbumins, - Fibrins oder - Caſeins. Bei einer freien ungehinderten Bewegung nehmen ſie Sauerſtoff genug auf, um den Kohlenſtoff des genoſſenen Gummi’s, des Amylons, des Zuckers und überhaupt aller lös - chen ſtickſtofffreien Nahrungsmittel verſchwinden zu machen.

Ganz anders ſtellt ſich dieſes Verhältniß bei unſeren Haus - thieren, wenn wir bei reichlicher Nahrung die Abkühlung und Exhalationsproceſſe hindern, wenn wir ſie in unſeren Ställen füttern, wo die freie Bewegung unterdrückt iſt.

Das Thier, welches den Stall nicht verläßt, frißt und ruht bloß, um zu verdauen, es nimmt in der Form von ſtickſtoff - haltigen Stoffen weit mehr Nahrung auf, als es zur Repro - duktion bedarf, und in gleicher Zeit mit dieſen genießt es weit mehr ſtickſtofffreie Subſtanzen, als zur Unterhaltung des Re - productionsproceſſes und zum Erſatz an verlorner Wärme - thig ſind. Mangel an Bewegung und Abkühlung iſt aber gleichbedeutend einem Mangel an Zufuhr von Sauerſtoff; es nimmt, da dieſe vermindert ſind, bei weitem weniger Sauer - ſtoff auf, als zur Verwandlung des in der ſtickſtofffreien Nah - rung genoſſenen Kohlenſtoffs in Kohlenſäure erforderlich iſt. Nur ein kleiner Theil dieſes Ueberſchuſſes von Kohlenſtoff tritt aus dem Körper bei Pferden und dem Rindvieh in der Form von Hippurſäure aus, alles übrige wird zur Erzeu -6*84Der chemiſche Proceß dergung einer Materie verwendet, die ſich nur in kleinen Quanti - täten als Beſtandtheil der Nerven und des Gehirns vorfindet.

Im normalen Zuſtand der Bewegung und Arbeit enthält der Urin des Rindviehs und Pferdes Benzoeſäure (mit 14 At. Kohlenſtoff), ſobald es ruhig im Stalle ſteht, hingegen Hip - purſäure (mit 18 At. Kohlenſtoff).

Das Fleiſch der wilden Thiere iſt fettlos, die Hausthiere dagegen bedecken ſich bei der Mäſtung mit Fett.

Laſſen wir das fette Thier in freier Luft ſich bewegen oder ſchwere Laſten ziehen, ſo verſchwindet wieder das Fett.

Es iſt offenbar, die Fettbildung im Thierkörper wird be - dingt durch ein Mißverhältniß in der Menge der genoſſenen Nahrungsmittel und des durch Lunge und Haut aufgenom - menen Sauerſtoffs.

Ein Schwein wird bei Mäſtung mit ſtickſtoffreichen Nah - rungsmitteln feiſt; bei Kartoffel - (Amylon -) Fütterung er - hält es wenig Fleiſch, aber eine Decke von Speck. Die Milch einer Kuh, welche bei Stall-Fütterung eine reichliche Menge Butter enthält, wird auf freier Weide an Käſeſtoff reicher und an Fett und Milchzucker in dem nämlichen Verhältniß ärmer. Durch Bier und amylonhaltige Nahrung wächſt der Buttergehalt der Frauenmilch; Fleiſchnahrung giebt weniger, aber an Käſeſtoff reichere Milch.

Wenn man erwägt, daß in der ganzen Thierklaſſe der Carnivoren, die außer dem verzehrten Fett kein ſtickſtofffreies Nahrungsmittel genießen, die Fettbildung im Körper höchſt unbedeutend iſt, daß ſie auch bei dieſen zunimmt (wie bei85Reſpiration und Ernährung.Katzen und Hunden), wenn ſie gemiſchte Nahrung genießen, daß wir bei den andern Hausthieren die Fettbildung ſteigern können und zwar nur durch ſtickſtofffreie Nahrungsmittel, ſo kann man kaum einen Zweifel hegen, daß die letzteren in einer ganz beſtimmten Beziehung ſtehen müſſen zur Fettbildung.

Dem natürlichen Gange der Naturforſchung gemäß er - ſchließen wir rückwärts aus den genoſſenen Nahrungsmitteln die entſtandenen Gebilde, aus den ſtickſtoffhaltigen Pflanzen - ſtoffen die ſtickſtoffhaltigen Beſtandtheile des Blutes, und es iſt dieſem Gange völlig angemeſſen, die Beziehungen der ſtickſtofffreien Nahrungsmittel zu den ſtickſtofffreien Beſtand - theilen des Thierkörpers feſtzuſtellen; ein enger Zuſammen - hang zwiſchen beiden kann nicht verkannt werden.

Vergleichen wir die Zuſammenſetzung des Milchzuckers, des Amylons und der andern Zuckerarten mit denen des Hammel - talges, Ochſentalges, Menſchenfettes, ſo finden wir, daß ſie einerlei Verhältniß Kohlenſtoff und Waſſerſtoff enthalten und lediglich in dem Gehalte an Sauerſtoff von einander abweichen.

Hammeltalg, Menſchenfett, Schweineſchmalz enthalten nach den Analyſen Chevreul’s 79 pCt. Kohlenſtoff auf 11,1 pCt., 11,4 pCt., 11,7 pCt. Waſſerſtoff 17).

Das Amylon enthält auf 44,91 Kohlenſtoff 6,11 Waſſerſtoff; der Zucker und das Gummi 42,58 6,37 18)

Nun iſt aber aus dem Folgenden einleuchtend, daß dieſe Zahlen, welche das relative Gewichtsverhältniß des Kohlen - ſtoffs und Waſſerſtoffs im Amylon, im Zucker und im Gummi ausdrücken, zu einander in dem nämlichen Verhältniß ſtehen,86Der chemiſche Proceß derwie der Kohlenſtoff und Waſſerſtoff in den verſchiedenen Fetten.

  • 44,91: 6,11 = 79: 10,99
  • 42,58: 6,37 = 79: 11,8.

Es iſt hieraus klar, daß durch ein einfaches Austreten von Sauerſtoff, Amylon, Zucker und Gummi übergehen kön - nen in Fett, oder, wenn man will, in einen Körper, welcher genau die Zuſammenſetzung des Fetts beſitzt. Nehmen wir in der That von der Formel des Amylon 9 Atome Sauer - ſtoff hinweg, ſo haben wir in 100 Theilen:

  • C12 .... 79,4
  • H20 .... 10,8
  • O .... 9,8.

Die nächſte empiriſche Formel des Fetts iſt C11 H20 O; ſie giebt in 100 Theilen:

  • C11 .... 78,9
  • H20 .... 11,6
  • O .... 9,5.

Nach dieſer Formel würden ſich von dem Amylon die Elemente von 1 Atom Kohlenſäure und 7 Atome Sauerſtoff getrennt haben.

Mit dieſen beiden Formeln ſtimmt aber ſehr nahe die von allen verſeifbaren fetten Körpern überein.

Nehmen wir von drei Atomen Milchzucker C36 H72 O36 die Elemente hinweg von 4 Atomen Waſſer und laſſen wir 31 Atome Sauerſtoff austreten, ſo haben wir C36 H64 O, eine Formel, welche ein genauer Ausdruck iſt für die Zu - ſammenſetzung des Cholſterins 19).

87Reſpiration und Ernährung.

Gleichgültig, welche Anſicht man auch über die Entſtehung der fetten Beſtandtheile des Thierkörpers haben mag, ſoviel iſt unläugbar gewiß, daß die Wurzeln und Kräuter, welche die Kuh verzehrt, keine Butter enthalten, daß in dem Heu und der Nahrung des Rindviehs kein Ochſentalg, in der Kartoffelſchlempe, welche die Schweine bekommen, kein Schwei - neſchmalz und in dem Futter der Gänſe und des Geflügels kein Gänſefett oder Kapaunenfett enthalten iſt. Die großen Maſſen von Fett in dem Körper dieſer Thiere erzeugt ihr Organismus, und aus dieſer Thatſache, ihrem wahren Werthe nach anerkannt, muß geſchloſſen werden, daß von den Beſtand - theilen der genoſſenen Nahrung eine gewiſſe Quantität Sauerſtoff in irgend einer Form austritt, denn ohne eine ſolche Ausſcheidung von Sauerſtoff kann kein Fett aus irgend einem Beſtandtheil der Nahrung gebildet werden.

Die chemiſche Analyſe giebt auf die beſtimmteſte Weiſe zu erkennen, daß in den Nahrungsmitteln, die ein Thier ver - zehrt, ſich eine gewiſſe Menge Kohlenſtoff und Sauerſtoff be - finden, die, in Aequivalenten ausgedrückt, folgende Reihe bilden.

  • Im Pflanzenfibrin, - Albumin, - Caſein
  • ſind enthalten auf 120 Aeq. Kohlenſtoff 36 Aeq. Sauerſtoff
  • Im Amylon » » » 120 » » 100 » »
  • Im Rohrzucker » » » 120 » » 110 » »
  • Im Traubenzucker » » » 120 » » 140 » »
  • Im Gummi » » » 120 » » 110 » »
  • Im Milchzucker » » » 120 » » 120 » »
88Der chemiſche Proceß der

Nun ſind aber in allen fetten Subſtanzen im Mittel auf 120 Aeq. Kohlenſtoff nur 10 Aeq. Sauerſtoff enthalten.

Da nun der Kohlenſtoff der fetten Beſtandtheile des Thier - körpers von den Nahrungsmitteln ſtammt, indem es keine andere Quelle giebt, die ihn liefern könnte, ſo iſt klar, in der Vorausſetzung, das Fett entſtehe aus Albumin, Fibrin oder Caſein, daß für je 120 Aeq. Kohlenſtoff, die ſich als Fett abgelagert haben, 26 Aeq. Sauerſtoff von den Beſtand - theilen dieſer Nahrungsmittel austreten müſſen, es iſt ferner klar, daß, wenn wir annehmen, das Fett entſtehe aus Amylon, 90 Aeq., aus Zucker 100 und aus Milchzucker 110 Aeq. Sauerſtoff abgeſchieden werden müſſen.

Es giebt alſo nur einen einzigen Weg, auf welchem die Fettbildung im Thierkörper möglich iſt, und dieſer iſt abſolut der nämliche, auf welchem die Fettbildung in den Pflanzen vor ſich geht, es iſt eine Scheidung und Trennung des Sauer - ſtoffs von den Beſtandtheilen der Nahrungsmittel.

Der Kohlenſtoff, den wir in den Samen und Früchten der Pflanzen in der Form von Oel und Fett abgelagert finden, er war früher ein Beſtandtheil der Atmoſphäre, er wurde als Kohlenſäure von der Pflanze aufgenommen. Sein Uebergang in Fett wurde unter Mitwirkung des Lichtes durch die vegetative Lebensthätigkeit bewirkt, der größte Theil des Sauerſtoffs dieſer Kohlenſäure kehrte als Sauerſtoffgas in die Luft zurück*)Ueber die Bildung des Wachſes aus Honig bei den Bienen ſiehe Anhang. 20).

89Reſpiration und Ernährung.

Im Gegenſatz zu dieſer Lebensäußerung in der Pflanze wiſſen wir, daß der Thierorganismus Sauerſtoff aus der Luft aufſaugt und daß dieſer Sauerſtoff in der Form einer Kohlenſtoff - oder Waſſerſtoffverbindung wieder austritt, wir wiſſen, daß durch den Akt der Bildung von Kohlenſäure und Waſſer die conſtante Temperatur des Körpers hervor - gebracht wird, daß ein Oxydationsproceß die einzige und Hauptquelle der animaliſchen Wärme iſt.

Mag das Fett in Folge einer Zerſetzung des Fibrins oder Albumins, der Hauptbeſtandtheile des Blutes gebildet werden, mag es aus Amylon, aus Zucker, aus Gummi oder Milchzucker entſtehen, das Reſultat der Zerſetzung muß be - gleitet ſeyn, von einer Ausſcheidung des Sauerſtoffs, von den Beſtandtheilen dieſer Nahrungsmittel, aber dieſer Sauerſtoff tritt nicht als Sauerſtoffgas aus dem Thierkörper aus, eben weil er in dem Organismus ſelbſt, Stoffe vorfindet, welche die Fähigkeit haben, eine Verbindung mit ihm einzugehen; er tritt in der nämlichen Form aus, wie der durch Lunge und Haut aus der Luft aufgenommene Sauerſtoff.

Man beobachtet leicht, in welchem merkwürdigen Zuſam - menhange die Fettbildung mit dem Reſpirationsproceß ſteht.

XVII.

Der abnorme Zuſtand, durch den Ablagerung von Fett in dem Thierkörper bewirkt wird, beruht, wie früher erwähnt worden, auf einem Mißverhältniß in der Menge des genoſſe -90Der chemiſche Proceß dernen Kohlenſtoffs und dem durch Haut und Lunge aufgenom - menen Sauerſtoff. Im normalen Zuſtande wird eben ſo viel Kohlenſtoff ausgeführt wie eingeführt, der Körper erhält kein Uebergewicht an kohlenſtoffreichen und ſtickſtoffloſen Be - ſtandtheilen.

Steigern wir die Zufuhr der kohlenſtoffreichen Nahrungs - mittel, ſo bleibt nur in dem Fall das normale Verhältniß, wenn durch Bewegung und Anſtrengung der Umſatz beför - dert, wenn in gleichem Grade die Zufuhr an Sauerſtoff ver - mehrt wird.

Jede Art von Fettbildung iſt ſtets die Folge eines Man - gels an Sauerſtoff, der zur Vergaſung des im Ueberſchuſſe zugeführten Kohlenſtoffs unbedingt erforderlich iſt. Dieſer als Fett ſich ablagernde Kohlenſtoff, er zeigt ſich bei dem Beduinen, bei dem Araber der Wüſte nicht, der mit Stolz ſeine muskelſtarken, magern, fettfreien, ſehnenartigen Glieder dem Reiſenden zeigt und in Liedern beſingt, er zeigt ſich aber bei der kärglichen Nahrung in den Kerkern und Gefängniſſen als Aufgedunſenheit, er zeigt ſich in dem Weibe des Orients und in den wohlbekannten Bedingungen des Mäſtens bei unſeren Hausthieren.

Die Erzeugung von Fett beruht auf einem Mangel an Sauerſtoff, allein in ihr, in der Fettbildung ſelbſt, öffnet ſich dem Organismus eine Quelle von Sauerſtoff, eine neue Ur - ſache der Wärmeerzeugung.

Der in Folge der Fettbildung freiwerdende Sauerſtoff, er tritt aus dem Körper als eine Kohlenſtoff - oder Waſſer -91Reſpiration und Ernährung.ſtoffverbindung aus, mag nun dieſer Kohlenſtoff oder Waſſer - ſtoff von der Subſtanz ſelbſt, die auch den Sauerſtoff zu - führte, oder mag er von einer andern Verbindung genommen worden ſein, es muß durch dieſe Kohlenſäure - oder Waſſer - bildung ebenſoviel Würme entwickelt werden, wie wenn wir eine gleiche Menge Kohlenſtoff oder Waſſerſtoff in der Luft oder im Sauerſtoffgas verbrannt hätten.

Wenn wir uns denken, daß ſich von 2 Aeq. Amylon 18 Aeq. Sauerſtoff trennen, daß ſich dieſe 18 Aeq. Sauer - ſtoff mit 9 Aeq. Kohlenſtoff aus der Galle, z. B. zu Koh - lenſäure, verbunden hätten, ſo iſt niemand zweifelhaft darüber, daß in dieſem Fall gerade ſo viel Wärme entwickelt werden muß, wie wenn wir dieſe 9 Atome Kohlenſtoff direct ver - brannt hätten. In dieſer Form wäre alſo die Wärmeent - wickelung in Folge der Fettbildung nicht beſtreitbar; ſie kann alſo nur für den Fall hypothetiſch ſein, wo ſich von einer und derſelben Subſtanz Kohlenſtoff und Sauerſtoff in den Verhältniſſen, wie in der Kohlenſäure, trennen.

Wenn wir z. B. vorausſetzen, daß ſich von 2 At. Amy - lon, C24 H40 O20 die Elemente von 9 At. Kohlenſäure ab - ſcheiden, ſo würden wir eine Verbindung übrig behalten, welche auf 15 At. Kohlenſtoff, 40 At. Waſſerſtoff und 2 At. Sauerſtoff enthält: C15H40O2 + C9 O18 = C24 H40 O20.

Oder wenn wir annehmen, daß Sauerſtoff aus Amylon in der Form von Kohlenſäure und Waſſer austritt, ſo wür - den wir bei Abſcheidung der Beſtandtheile von 6 At. Waſ -92Der chemiſche Proceß derſer und 6 At. Kohlenſäure die Verbindung C18 H28 O2 übrig behalten.

Dieſe Form der Ausſcheidung des Sauerſtoffs feſtgeſtellt, bleibt zu entſcheiden übrig, ob die austretende Kohlenſäure und das Waſſer in dem Amylon als ſolche enthalten waren oder nicht.

War die Kohlenſäure und das Waſſer fertig gebildet in dem Amylon, ſo konnte die Trennung vor ſich gehen, ohne von einer Wärmeentwickelung begleitet zu ſein, war hinge - gen der Kohlenſtoff und Waſſerſtoff in einer andern Form in dem Amylon (oder der Verbindung, aus der ſich das Fett gebildet haben mag) zugegen, ſo iſt klar, daß eine Aende - rung in der Anordnung der Atome vor ſich gegangen iſt, in deren Folge ſich die Atome des Kohlenſtoffs und Waſ - ſerſtoffs mit den Atomen des Sauerſtoffs zu Kohlenſäure und Waſſer vereinigt haben.

So weit nun chemiſche Forſchungen reichen, kann aus dem bekannten Verhalten des Amylons und der Zuckerarten kein anderer Schluß gezogen werden, als daß ſie keine fer - tig gebildete Kohlenſäure enthalten.

Wir kennen nun eine große Anzahl von Umſetzungspro - ceſſen ähnlicher Art, wo ſich die Elemente der Kohlenſäure und des Waſſers von gewiſſen vorhandenen Verbindungen trennen, und wir wiſſen mit Beſtimmtheit, daß alle dieſe Zerſetzungsweiſen begleitet ſind von einer Wärmeentwicke - lung, gerade ſo, wie wenn ſich Kohlenſtoff und Waſſerſtoff direct mit Sauerſtoff verbinden.

93Reſpiration und Ernährung.

Ein ſolches Austreten von Kohlenſäure haben wir in allen Gährungs - und Fäulnißproceſſen, ſie ſind ohne Aus - nahme begleitet von einer Entwickelung von Wärme.

In der Gährung einer zuckerhaltigen Flüſſigkeit tritt in Folge einer Umſetzung der Elemente des Zuckers eine ge - wiſſe Menge ſeines Kohlenſtoffs und Sauerſtoffs zu Kohlen - ſäure zuſammen, welche ſich gasförmig abſcheidet, und als Reſultat dieſer Zerſetzung haben wir eine ſauerſtoffarme, flüchtige, brennbare Flüſſigkeit, nämlich Alkohol.

Wenn wir zu zwei Atomen Zucker die Elemente treten laſſen von 12 At. Waſſer und von der erhaltenen Summe der Atome 24 Atome Sauerſtoff hinwegnehmen, ſo haben wir 6 At. Alkohol (C24 H48 O24 + H24 O12) O24 = C24 H72 O12 = 6 At. Alkohol.

Dieſe 24 At. Sauerſtoff reichen hin, um ein drittes Atom Zucker vollkommen zu verbrennen, ſeinen Kohlenſtoff in Kohlenſäure zu verwandeln, und wir erhalten durch dieſe Verbrennung die 12 At. Waſſer wieder, die wir hinzutreten ließen, gerade ſo, als ob ſie keine Rolle hierbei geſpielt hätten.

C12H24O12 + O24 = 12 CO2 + 12 H2 O.

Nach der gewöhnlichen Anſicht trennen ſich von 3 At. Zucker 12 Atome Kohlenſtoff in der Form von Kohlen - ſäure: wir bekommen 6 At. Alkohol, in beiden alſo dieſelben Produkte, wie wenn der eine Theil Zucker an den andern Theil Sauerſtoff abgegeben hätte und deſſen Beſtandtheile auf Koſten dieſes Sauerſtoffs verbrannt worden wären.

94Der chemiſche Proceß der

C36H72O36 = C24 H72 O12 + 12 CO2*)In Beziehung auf das Verſtändniß der Formeln ſiehe die Einlei - tung zum Anhang..

Man beobachtet leicht, daß die Spaltung eines Körpers in Kohlenſäure und eine an Sauerſtoff arme Verbindung völlig gleichbedeutend iſt in ihrem Reſultate einer Ausſchei - dung von Sauerſtoff und einer Verbrennung von einem Theile der Subſtanz auf Koſten dieſes Sauerſtoffs.

Es iſt wohlbekannt, daß ſich die Temperatur einer gäh - renden Flüſſigkeit erhöht, und wenn wir annehmen, daß ein Stückfaß Moſt = 600 Darmſtädter Maaß = 1200 Litres = 2400 Pfund, 16 pCt. Zucker, im Ganzen alſo 384 Pfund Zucker enthalte, ſo muß während der Gährung die - ſes Zuckers eine Wärmemenge frei werden, welche derjenigen gleich iſt, die ſich bei der Verbrennung von 51 Pfund Koh - lenſtoff entwickelt.

Dies iſt ausdrückbar durch eine Wärmequantität, wodurch jedes Pfund der Flüſſigkeit auf 165½ Grad erhoben wer - den kann, vorausgeſetzt, daß die Zerſetzung des Zuckers in einem unmeßbaren Zeittheilchen vor ſich ginge. Dies iſt bekanntlich nicht der Fall, die Gährung dauert 5 6 Tage und die 165½ Wärmegrade empfängt jedes Pfund Flüſſig - keit während eines Zeitraums von 120 Stunden. In der Stunde wird alſo eine Wärmemenge entwickelt, durch welche jedes Pfund Flüſſigkeit um 1 4 / 10 Grad an Temperatur zu - nimmt, eine Erhöhung, welche durch äußere Abkühlung im95Reſpiration und Ernährung.Keller, durch Verdunſtung von Waſſer und Alkohol beträcht - lich herabgeſtimmt wird.

XVIII.

Die Fettbildung, mit bekannten analogen Erſcheinungen der Trennung von Sauerſtoff verglichen, iſt demnach von einer Wärmeentwicklung begleitet; ſie erſetzt dem thieriſchen Körper eine gewiſſe Menge des zu den vitalen Proceſſen un - entbehrlichen, atmoſphäriſchen Sauerſtoffs, und zwar in allen denjenigen Fällen, wo der durch Haut und Lunge eingeath - mete Sauerſtoff nicht hinreicht, um den vorhandenen und dazu geeigneten Kohlenſtoff in Kohlenſäure zu verwandeln.

Dieſer Ueberſchuß von Kohlenſtoff, welcher in dem Kör - per zu einem Beſtandtheil der Organe nicht verwendet wer - den kann, lagert ſich in der Form von Talg oder Oel in Zellen ab.

In jedem Momente des Lebens eines Thieres tritt Fett - bildung ein, wo ein Mißverhältniß zwiſchen dem durch die Nahrung zugeführten Kohlenſtoff und dem eingeathmeten Sauerſtoff ſtatt hat; es trennt ſich Sauerſtoff in Folge einer Umſetzung von vorhandenen Verbindungen, und dieſer Sauer - ſtoff tritt als Kohlenſäure oder Waſſer aus dem Körper aus. Die hierbei entwickelte Wärme trägt dazu bei, um die con - ſtante Temperatur des Körpers zu erhalten. Ein jedes Pfund Kohlenſtoff, welches ſeinen Sauerſtoff, mit dem es96Der chemiſche Proceß derKohlenſäure bildet, von Materien erhielt, die in Fett über - gingen, muß ſo viel Wärme entwickeln, daß man damit 200 Pfunde Waſſer auf 39 Grade erheben kann.

In der Fettbildung ſchafft die Lebenskraft ſich ſelbſt ein Mittel, um dem Mangel an Sauerſtoff und an der zu den vitalen Proceſſen nöthigen Wärme zu begegnen.

Die Erfahrung zeigt, daß das Anbinden der Füße bei dem Geflügel und eine mittlere Temperatur ein Maximum von Fettbildung nach ſich zieht. Dieſe Thiere ſind in die - ſem Zuſtande einer Pflanze vergleichbar, die im eminenten Grade die Fähigkeit beſitzt, alle Nahrungsſtoffe in Theile ihrer ſelbſt zu verwandeln. Die im Ueberſchuß zugeführten Blutbeſtandtheile werden zu Fleiſch, zu Beſtandtheilen der Gebilde, Amylon und die ſtickſtofffreien Materien verwandeln ſich in Fett. Bei dem Fettwerden auf Koſten ſtickſtofffreier Nahrungsſtoffe nehmen nur gewiſſe Theile des Organismus an Volumen zu; ſo iſt die Leber einer gemäſteten Gans 4 5mal größer, wie die einer ungemäſteten, ohne daß man damit ſagen kann, daß die Subſtanz der Leber ſelbſt eine Zunahme erfahren hat. Während die Leber der ungemäſte - ten Gans feſt und elaſtiſch iſt, zeigt die der gemäſteten eine weiche ſchwammige Beſchaffenheit; der Unterſchied liegt ledig - lich in einer mehr oder minderen Erweiterung der Zellen, ausgefüllt durch Fett.

In einigen Krankheiten erleiden nachweisbar die amylon - reichen Stoffe diejenigen Veränderungen nicht, die ſie befähi - gen, den Reſpirationsproceß zu unterhalten oder in Fett97Reſpiration und Ernährung.überzugehen. In dem diabetes mellitus wird das Amylon nicht weiter als in Zucker verwandelt, der ohne eine Ver - wendung zu finden aus dem Körper entfernt wird.

Wir finden ferner in andern Krankheiten, bei Leber - entzündungen z. B., das Blut reich an Oel und Fett, und mit der Vorſtellung, daß unter gewiſſen Bedingun - gen gewiſſe Beſtandtheile der Galle in Fett metamorpho - ſirt werden, ſteht die Zuſammenſetzung der Galle nicht in Widerſpruch.

XIX.

Nach dem Vorgehenden laſſen ſich die Nahrungsmittel der Menſchen eintheilen in zwei Klaſſen: in ſtickſtoffhal - tige und in ſtickſtofffreie. Die erſteren beſitzen die - higkeit, in Blut überzugehen, den andern geht dieſe Eigen - ſchaft ab.

Aus den Nahrungsmitteln, welche ſich zur Blutbildung eignen, entſtehen die Beſtandtheile der Organe, die andern dienen im normalen Zuſtande der Geſundheit zur Unterhal - tung des Reſpirationsproceſſes. Die ſtickſtoffhaltigen bezeich - nen wir als plaſtiſche Nahrungsmittel, die ſtickſtoff - freien nennen wir Reſpirationsmittel.

798Der chemiſche Proceß der

Plaſtiſche Nahrungsmittel ſind:

  • Pflanzenfibrin
  • Pflanzenalbumin
  • Pflanzencaſein
  • Fleiſch und Blut der Thiere

Reſpirationsmittel ſind:

  • Fett
  • Amylon
  • Gummi
  • die Zuckerarten
  • Pectin
  • Baſſorin ꝛc.
  • Wein
  • Bier
  • Branntwein.

XX.

Als eine ganz allgemeine Thatſache, welcher bis jetzt keine einzige Erfahrung entgegenſteht, haben die Unterſuchun - gen ergeben, daß alle ſtickſtoffhaltigen Beſtandtheile der Pflanzen eine mit den Hauptbeſtandtheilen des Blutes gleiche Zuſammenſetzung beſitzen.

Kein ſtickſtoffhaltiger Körper, deſſen Zuſammenſetzung ab - weicht von der des Fibrins, Albumins und Caſeins, iſt ver - mögend, den Lebensproceß im Thiere zu unterhalten.

Der Thierorganismus beſitzt ohnſtreitig die Kraft, aus den Beſtandtheilen ſeines Blutes die Subſtanz ſeiner Mem - branen und Zellen, der Nerven und des Gehirns, die orga - niſchen Beſtandtheile der Rippen, Knorpel und Knochen zu erzeugen, allein ſein Blut muß ihm, bis auf die Form, fertig gebildet dargeboten werden, und wenn dies nicht ge -99Reſpiration und Ernährung.ſchieht, ſo iſt damit der Blutbildung und dem Leben eine Grenze geſetzt.

Von dieſem Geſichtspunkte aufgefaßt, iſt es leicht erklär - lich, woher es kommt, daß die leimgebenden Gebilde, die Gallerte der Knochen und Häute, zur Ernährung und zur Unterhaltung des Lebensproceſſes ſich nicht eignen, denn ihre Zuſammenſetzung iſt ungleich der des Fibrins und Al - bumins im Blute. Dies will natürlich nichts anders ſagen, als daß die Organe in dem Thierkörper, welche die Blut - bildung vermitteln, die Kraft nicht beſitzen, um eine Meta - morphoſe in der Anordnung der Elemente der Gallerte (leim - und chondringebenden Gebilde) zu bewirken. Die Leimgebilde, die Gallerte der Knochen, Membranen, Zellen und Häute erleiden in dem Thierkörper durch den Einfluß des Sauerſtoffs und der Feuchtigkeit eine fortdauernde Ver - änderung, ein Theil davon tritt aus und muß aus dem Blute wieder erneuert werden, aber dieſe Verwandlung und Wiederherſtellung iſt offenbar in ſehr enge Grenzen einge - ſchloſſen.

Während in dem Körper des Verhungernden und Kran - ken das Fett verſchwindet und die Muskelſubſtanz die Form von Blut wieder annimmt, ſehen wir die Sehnen und Mem - branen ihren Zuſtand behaupten, alle Glieder des Todten behalten ihren Zuſammenhang, den ſie dieſen Gebilden ver - danken.

Auf der andern Seite ſehen wir, daß von einem Kno - chen, den ein Hund verſchluckt hat, nur die Knochenerde7*100Der chemiſche Proceß derwieder abgeht, daß die Gallerte in ſeinem Körper völlig verſchwunden iſt; die nämliche Beobachtung machen wir an Menſchen, die als Nahrungsmittel verhältnißmäßig mehr Gallerte (in Fleiſchbrühe) als andere Stoffe genießen, daß ſie weder in dem Urin, noch in den Faeces austritt; ſie hat alſo offenbar eine Veränderung erlitten und in dem Körper zu gewiſſen Zwecken gedient.

Es iſt klar, daß ſie in einer andern Form aus dem Körper wieder austritt, als die iſt, in welcher ſie genoſſen worden iſt.

Für den Uebergang des Albumins in Blut, zu einem Beſtandtheil eines fibrinhaltigen Organs, läßt ſich in der gleichen Zuſammenſetzung beider kein Widerſpruch entneh - men. Wir finden im Gegentheile die Verwandlung eines löslichen und gelöſ’ten Stoffes in einen nichtlöslichen Trä - ger der Lebensthätigkeit begreiflich und in chemiſcher Bezie - hung erklärt, eben weil ſie in ihrer Zuſammenſetzung iden - tiſch ſind. So iſt denn die Meinung einer näheren Be - gründung nicht unwürdig, daß die in Auflöſung genoſſene Gallerte in dem Organismus wieder zur Zelle und zu Mem - branen, zu einem Beſtandtheil der Knochen wird; daß ſie dazu dienen kann, um die leimgebenden Gebilde, welche eine Veränderung erlitten haben, zu erneuern und ihre Maſſe zu vermehren.

Und wenn die Kraft zur Reproduction im ganzen Körper ſich mit dem Zuſtand der Geſundheit ändert, ſo muß, wenn auch die Fähigkeit der Blutbildung die nämliche bliebe, die101Reſpiration und Ernährung.organiſche Kraft, durch welche die Beſtandtheile des Bluts zu Membranen und Zellen werden, im Zuſtand der Krank - heit nothwendig abgenommen haben; die Intenſität der Le - benskraft, ihre Fähigkeit, Metamorphoſen überhaupt zu be - wirken, ſie nimmt im Kranken, in ſeinem Magen ſowohl, wie in allen Theilen ſeines Körpers ab. In dieſem Zuſtande zeigt die practiſche Medizin, daß die löslich gemachten leim - gebenden Gebilde einen ganz entſchiedenen Einfluß auf das Befinden des Körpers äußern; in einer Form dargeboten, in der ſie ſich zur Aſſimilation eignen, dienen ſie zur Erſpa - rung von Kraft, ähnlich ſo wie es für den Magen durch zweckmäßig zubereitete Speiſe geſchieht. Die Knochenbrü - chigkeit bei den grasfreſſenden Thieren iſt offenbar die Folge einer Schwäche in denjenigen Theilen des Organismus, welche beſtimmt ſind, die Metamorphoſen der Blutbeſtand - theile in Zellenſubſtanz zu bewirken, und wenn die Angaben von Aerzten, die ſich im Oriente aufgehalten haben, Ver - trauen verdienen, ſo haben die türkiſchen Weiber in der Reisnahrung und in den häufigen Klyſtieren von Fleiſch - brühe die Bedingungen vereinigt zur Zellen - und Fettbil - dung.

[102][103]

Zweiter Theil. Die Metamorphoſen der Gebilde.

[104][105]

I.

1. Die abſolute Gleichheit in der Zuſammenſetzung der Haupt - beſtandtheile des Bluts und der ſtickſtoffhaltigen Nahrungsmit - tel der Thiere wäre vor wenigen Jahren noch ein Argument geweſen, um das Reſultat der chemiſchen Analyſe zu leugnen, zu einer Zeit, wo man noch nicht die Erfahrung gemacht hatte, daß es eine Menge ſtickſtoffhaltiger und ſtickſtofffreier Körper giebt, die bei einer großen Verſchiedenheit in ihren phyſikaliſchen Eigenſchaften eine vollkommen gleiche procentiſche Zuſammen - ſetzung beſitzen, von denen manche ſogar die nämliche Anzahl von Atomen an Elementen enthalten.

2. Wir kennen z. B. in der Cyanurſäure einen ſtickſtoffhal - tigen Körper, welcher in ſchönen klaren Octaedern kryſtalliſirt, die ſich in Waſſer und Säuren mit Leichtigkeit löſen, in dem Cya - melid haben wir einen zweiten Körper, welcher in Waſſer und Säuren abſolut unlöslich, weiß, zuſammenhängend und undurchſichtig wie Porzellan oder locker wie Bittererde iſt, eine dritte Subſtanz kennen wir in dem Cyanſäurehydrat, welche flüchtiger wie ſtarke Eſſigſäure, auf der Haut Bla - ſen zieht und mit Waſſer nicht zuſammengebracht werden kann, ohne augenblicklich in neue Produkte zerlegt zu werden. 106Der chemiſche Proceß derDieſe drei Stoffe zeigen nicht allein in der Analyſe ein abſolut gleiches Gewichtsverhältniß an Elementen, ſondern ſie können auch der eine in den andern vorwärts und rückwärts verwan - delt werden und zwar in hermetiſch geſchloſſenen Gefäßen, ohne daß alſo an dieſer Verwandlung ein Stoff von Außen Antheil nimmt 21). Unter den ſtickſtofffreien Subſtanzen kennen wir in dem Aldehyd eine mit Waſſer miſchbare brennbare Flüſſigkeit, welche in der Wärme der Hand ſchon ſiedet, mit großer Begierde Sauerſtoff aus der Luft anzieht und ſich in Eſſigſäure verwandelt. Dieſer Aldehyd läßt ſich ſelbſt in zugeſchmolzenen Gefäßen nicht aufbewahren, ſchon nach Stunden oder Tagen ändert ſich ſeine Beſchaffenheit, ſeine Flüchtigkeit, ſeine Fähigkeit Sauerſtoff anzuziehen; es ſetzen ſich lange farbloſe, harte Nadeln darin ab, welche bei Siedhitze des Waſſers noch nicht flüchtig ſind, und die Flüſſigkeit, in welcher es geſchieht, iſt kein Aldehyd mehr, ſie ſiedet erſt bei 60°, miſcht ſich nicht mehr mit Waſſer und kryſtalliſirt in eis - ähnlichen Nadeln bei einem geringen Kältegrade. Nichtsdeſto - weniger hat die Analyſe dargethan, daß dieſe drei ſo verſchie - denen Subſtanzen identiſch in ihrer Zuſammenſetzung ſind 22).

3. Einer ähnlichen Dreiheit begegnen wir in dem Albumin, Fibrin und Caſein. Bis auf ihre phyſikaliſchen Eigenſchaften weichen ſie in ihrem Gehalte an organiſchen Elementen nicht von einander ab.

Wenn man Thieralbumin, - Fibrin und - Caſein in einer mäßig ſtarken Kalilauge löſ’t und dieſe Flüſſigkeit eine Zeit - lang einer höhern Temperatur ausſetzt, ſo werden dieſe Ma -107Umſetzung der Gebilde. terien zerlegt. Durch Zuſatz von Eſſigſäure ſcheidet ſich aus dieſen Auflöſungen ein gelatinöſer, halb durchſcheinender Nie - derſchlag ab, welcher einerlei Beſchaffenheit und Zuſammen - ſetzung zeigt, von welcher der genannten drei Thierſubſtanzen derſelbe auch dargeſtellt werden mag.

Mulder, dem wir die Entdeckung dieſes Körpers verdan - ken, fand durch genaue und ſorgfältig ausgeführte Analyſen, daß dieſe Subſtanz die nämlichen organiſchen Elemente, und zwar in demſelben relativen Verhältniſſe enthält, wie die Thier - ſtoffe, aus denen ſie erhalten worden war, in der Art alſo, daß, wenn man von Albumin, Fibrin und Caſein die Aſchen - beſtandtheile, den Schwefel und Phosphor, den ſie enthalten, abzieht, und den Reſt der Beſtandtheile auf 100 Theile be - rechnet, man zu den nämlichen Zahlenverhältniſſen, zu denen die Analyſe des durch Kali erhaltenen Zerſetzungsproduktes führt, gelangt 23).

Von dieſem Geſichtspunkte aus laſſen ſich die Hauptbe - ſtandtheile des Blutes und der ſtickſtoffhaltigen Nahrungsſtoffe der Thiermilch als Verbindungen von phosphorſauren und andern Salzen, von Phosphor und Schwefel, mit einem aus Stickſtoff, Kohlenſtoff, Waſſerſtoff und Sauerſtoff beſtehenden Körper betrachten, in welchem das relative Verhältniß dieſer Elemente nicht wechſelt, und dieſer Körper läßt ſich als An - fangs - und Ausgangspunkt der ganzen Reihe der übrigen Thier - gebilde anſehen, eben weil ſie alle aus dem Blute erzeugt werden.

Dieſe Betrachtungsweiſe veranlaßte Mulder, dem erwähn -108Der chemiſche Proceß derten Zerſetzungsprodukt den Namen Protein zu geben, von πρωτεύω » ich nehme den erſten Platz ein, « und das Blut, oder die Beſtandtheile des Blutes ſind hiernach Verbindungen dieſes Protein’s mit wechſelnden Mengen von andern nicht orga - niſchen Subſtanzen.

Mulder fand ferner, daß der in Waſſer unlösliche ſtickſtoff - haltige Beſtandtheil des Weizenmehls, das Pflanzenfibrin, durch Behandlung mit Kali daſſelbe Zerſetzungsprodukt, nämlich Protein, liefert, und es hat ſich zuletzt ergeben, daß Pflanzen - albumin und Pflanzencaſein ſich gegen Kali genau ſo verhalten, wie Thieralbumin und Thiercaſein.

4. Soweit als unſere Forſchungen reichen, kann man es demnach als ein Erfahrungsgeſetz betrachten, daß die Pflanzen in ihrem Organismus Proteinverbindungen erzeugen und daß ſich aus dieſen Proteinverbindungen die zahlreichen Gebilde und Be - ſtandtheile des Thierkörpers unter Mitwirkung des Sauerſtoffs der Luft und der Beſtandtheile des Waſſers durch die Lebens - kraft entwickeln*)Die Erfahrung von Tiedemann und L. Gmelin, welche Gänſe mit gekochtem Eiweiß nicht am Leben erhalten konnten, erklärt ſich leicht, wenn man erwägt, daß ein körnerfreſſendes Thier in der Subſtanz ſeiner umgeſetzten Organe, wenn ihm überdies Bewegung mangelt, nicht Kohlenſtoff genug zum Reſpirationsproceß vorfindet. Zwei Pfunde Eiweiß enthalten nur 7 Loth Kohlenſtoff, von denen in dem letzten Produkt des Stoffwechſels der vierte Theil und zwar in der Form von Harnſäure wieder abgeht..

Obwohl es nun nicht bewieſen werden kann, daß das Pro - tein fertig gebildet in dieſen ſtickſtoffhaltigen Pflanzenſtoffen und109Umſetzung der Gebilde. Thierſubſtanzen enthalten iſt, indem die Verſchiedenheit ihrer Eigenſchaften darauf hinzudeuten ſcheint, daß ihre Elemente nicht auf gleiche Weiſe mit einander vereinigt ſind, ſo gewährt dennoch, als Ausgangspunkt für die Entwickelung und Ver - gleichung ihrer Eigenſchaften, die Annahme der Präexiſtenz des Proteins viele Bequemlichkeit. Jedenfalls ordnen ſich die or - ganiſchen Elemente der genannten Subſtanzen auf einerlei Weiſe, wenn ſie bei einer höhern Temperatur mit kauſtiſchem Kali in Berührung gebracht werden.

Alle organiſchen ſtickſtoffhaltigen Beſtandtheile des Thierkör - pers, ſo verſchieden ſie auch in ihrer Zuſammenſetzung ſich darſtellen mögen, ſtammen vom Protein ab; ſie ſind daraus gebildet worden durch Aus - oder Hinzutreten der Beſtand - theile des Waſſers oder des Sauerſtoffs und durch Spal - tung in zwei oder mehrere neue Verbindungen.

5. Dieſer Satz muß als eine unleugbare Wahrheit angenom - men werden, wenn man ſich an die Entwickelung des jungen Thieres im Hühnerei erinnert. Nachweisbar enthält das Hüh - nerei außer dem Albumin keinen anderen ſtickſtoffhaltigen Be - ſtandtheil, das Albumin des Dotters iſt identiſch mit dem Albumin des Weißen im Ei 24); der Dotter enthält ein gelb ge - färbtes Fett, in dem ſich Cholſterin und Eiſen als Beſtand - theile nachweiſen laſſen. Wir ſehen nun, daß in der Bebrütung des Eies, wo bis auf den Sauerſtoff der Luft kein Nahrungs - ſtoff, keine Materie von Außen Antheil an dem Entwickelungs - proceß nehmen kann, daß ſich aus dem Albumin, Federn, Klauen Blutkörperchen, Fibrin, Membranen und Zellen, Arterien und110Der chemiſche Proceß derVenen erzeugen; an der Bildung der Gehirn - und Nerven - ſubſtanz mag das Fett des Ei’s einen gewiſſen Antheil genom - men haben, allein zur Erzeugung der ſtickſtoffhaltigen Träger der Lebensthätigkeit konnte ſein Kohlenſtoff nicht verwendet wer - den, eben weil das Albumin des Weißen und Dotters im Ei auf den gegebenen Stickſtoffgehalt die zur Hervorbringung der Gebilde nöthige Kohlenſtoffmenge ſchon enthält.

6. Der eigentliche Ausgangspunkt aller Gebilde im Thierkör - per iſt hiernach das Albumin; alle ſtickſtoffhaltigen Nahrungs - ſtoffe, gleichgültig, ob ſie von Thieren und Pflanzen ſtammen, verwandeln ſich, ehe ſie Theil an dem Nutritionsproceß nehmen, in Albumin.

Alle Nahrungsſtoffe, welche das Thier genießt, werden in ſeinem Magen löslich und überführbar in das Blut. An dieſem Löslichwerden nimmt außer dem Sauerſtoff der Luft nur eine Flüſſigkeit Antheil, welche von den Wänden des Magens abgeſondert wird.

Die entſcheidendſten Verſuche der Phyſiologen haben dar - gethan, daß der Verdauungsproceß unabhängig iſt von der Lebensthätigkeit, er geht vor ſich in Folge einer rein chemi - ſchen Aktion, ganz ähnlich den Zerſetzungs - oder Umſetzungs - proceſſen, die man mit Fäulniß, Gährung oder Verweſung bezeichnet.

7. In der einfachſten Form ausgedrückt iſt Gährung und Fäulniß der Vorgang der Umſetzung (neuen Lagerung) der Ele - mentartheile (Atome) einer Verbindung, zu einer oder zu mehreren neuen Gruppen (Verbindungen), welche bewirkt111Umſetzung der Gebilde. wird durch die Berührung mit andern Körpern, deren Ele - mentartheile ſich ſelbſt im Zuſtand der Umſetzung (Zerſetzung) befinden. Es iſt eine Uebertragung und Mittheilung eines Zuſtandes der Bewegung, welche die Atome eines ſich in Bewegung befindlichen Körpers in andern Materien her - vorzubringen vermögen, deren Elementartheile nur mit einer geringen Kraft zuſammengehalten ſind.

8. So enthält denn der klare Magenſaft eine im Zuſtand der Umſetzung befindliche Materie, durch deren Berührung mit den an und für ſich im Waſſer unlöslichen Beſtandtheilen der Speiſe, dieſe die Fähigkeit ſich zu löſen, in Folge einer neuen Gruppirung ihrer Elementartheile, empfangen. Wäh - rend der Verdauung enthält der abgeſonderte Magenſaft eine freie Mineralſäure, durch deren Gegenwart eine jede weitere Veränderung aufgehalten wird.

Daß die Löslichwerdung der Speiſen unabhängig von der Lebensthätigkeit der Verdauungsorgane iſt, haben die Phyſiolo - gen aufs klarſte durch eine Menge der ſchönſten Verſuche darge - than. Speiſen, in metallene durchlöcherte Röhren eingeſchloſſen, ſo daß ſie mit den Wänden des Magens nicht in Berührung kommen konnten, verſchwinden ebenſo leicht und ſchnell, ſie wer - den eben ſo gut verdaut, wie wenn dieſe Hülle nicht vorhanden geweſen wäre, und friſch aus dem Körper genommener Ma - genſaft, in dem man gekochtes Eiweiß, Muskelfleiſch bei der Temperatur des Thierkörpers eine Zeitlang erhält, bewirkt, daß ſie ihre feſte Beſchaffenheit verlieren; ſie löſen ſich in der Flüſſigkeit auf.

112Der chemiſche Proceß der

9. Die in dem Magenſaft vorhandene, im Zuſtand der Ver - änderung befindliche Materie iſt, wie man kaum bezweifeln kann, ein Produkt der Umſetzung des Magens ſelbſt. Keine mehr wie die Produkte, welche durch die fortſchreitende Zerſetzung der Leim - (Chondrin -?) gebenden Gebilde erzeugt werden, beſitzen in ſo hohem Grade die Fähigkeit, in andern Stoffen eine Umſe - tzung ihrer Beſtandtheile hervorzurufen. Wenn man die Mem - branen des Magens irgend eines Thieres (den Labmagen des Kalbes z. B.) durch anhaltendes Waſchen mit Waſſer reinigt, ſo zeigt er keine Art von Wirkung, wenn er mit Zucker, Milch und andern Subſtanzen zuſammengebracht wird; läßt man dieſelben Membranen eine Zeitlang an der Luft liegen, oder trocknet man ſie und bringt ſie mit Waſſer und den genann - ten Subſtanzen in Berührung, ſo verwandelt ſich der Zucker, je nach dem Zuſtand der Zerſetzung, in der ſich die Thierſub - ſtanz befindet, in Milchſäure oder in Schleim und Mannit oder in Alkohol und Kohlenſäure; die Milch wird davon au - genblicklich zum Gerinnen gebracht. Eine gewöhnliche Thier - blaſe behauptet in trocknem Zuſtande ihren Zuſtand und alle ihre Eigenſchaften unverändert, aber bei Gegenwart von Feuchtigkeit und Luft geht ſie einer Veränderung entgegen, ohne daß man dieſe durch beſondere äußere Zeichen wahr - nimmt; wird ſie in dieſem Zuſtande in eine Auflöſung von Milchzucker gelegt, ſo verwandelt ſich dieſer in kurzer Zeit in Milchſäure.

10. Friſcher Labmagen des Kalbes, mit ſchwacher Salzſäure in Berührung, ertheilt dieſer Flüſſigkeit nicht die geringſte113Umſetzung der Gebilde. Fähigkeit, gekochtes Fleiſch oder Eiweiß aufzulöſen; war aber der Labmagen vorher getrocknet worden, oder läßt man ihn eine Zeitlang im Waſſer liegen, ſo löſ’t mit Salzſäure ange - ſäuertes Waſſer eine Materie in höchſt geringer Menge daraus auf, deren Zuſtand der Zerſetzung ſich in der Auflöſung vollen - det; durch die Uebertragung des Aktes der Zerſetzung auf das coagulirte Eiweiß wird es an den Rändern zuerſt durchſcheinend, dann ſchleimig und löſ’t ſich zuletzt bis auf trübende fette Ge - mengtheile völlig auf. Sauerſtoff wird durch das arterielle Blut allen Theilen des Thierkörpers zugeführt, überall befin - det ſich Feuchtigkeit, in beiden finden wir die Hauptbedingungen aller Veränderungen im Thierkörper vereinigt.

Aehnlich alſo wie der im Keimungsproceß der Samen in einem Zuſtande der Umſetzung ſeiner Beſtandtheile be - findliche Körper, dem man den Namen Diaſtaſe gegeben hat, die Löslichwerdung des Amylons (ſeine Verwandlung in Zucker) bewirkt, veranlaßt ein Produkt der Metamorphoſe der Sub - ſtanz der Verdauungsorgane, indem ſich ſeine Zerſetzung im Magen vollendet, die Verflüſſigung aller der Löſung fähigen Beſtandtheile der Speiſen. In gewiſſen Krankheitszuſtänden erzeugen ſich aus den ſtickſtofffreien Beſtandtheilen der Spei - ſen, aus Amylon und Zucker, Milchſäure 25) und Schleim, die nämlichen Produkte, die wir durch Membranen, welche ſich im Zuſtande der Zerſetzung befinden, außerhalb des Magens hervorbringen können; allein im normalen Zuſtande der Ge - ſundheit wird im Magen keine Milchſäure gebildet.

11. Die Eigenſchaft vieler Reſpirationsmittel, des Amy -8114Der chemiſche Proceß derlons und der Zuckerarten, bei Berührung mit Thierſubſtan - zen, die ſich im Zuſtande der Zerſetzung befinden, in Milch - ſäure überzugehen, hat einen Grund bei den Phyſiologen abgegeben, um ihre Entſtehung während der Verdauung ohne weiteres anzunehmen, und ihre Fähigkeit, den phosphorſau - ren Kalk aufzulöſen, veranlaßte ſie, der Milchſäure die Rolle eines allgemeinen Auflöſungsmittels zuzuſchreiben. Allein es gelang weder Prout noch Braconnot, Milch - ſäure im Magenſafte nachzuweiſen, und ſelbſt Lehmann (ſ. ſein Lehrbuch der phyſiologiſchen Chemie 1. Bd. S. 285) erhielt aus dem Magenſaft einer Katze nur mikroſkopiſch erkennbare Kryſtalle, die er für milchſaures Zinkoxyd erklärt, obwohl ihr chemiſcher Charakter nicht ausgemittelt werden konnte.

Das Vorhandenſein von freier Salzſäure im Magen - ſafte, was Prout zuerſt beobachtete, iſt ſpäter von allen Chemikern, die ſich mit ſeiner Unterſuchung beſchäftigt haben, beſtätigt worden. Dieſe Salzſäure ſtammt offenbar von dem Kochſalz her, deſſen Natron bei dem Uebergang des Fibrins und Caſeins in Blut eine ganz beſtimmte Rolle über - nimmt.

In ihrem Vermögen, Knochenerde aufzulöſen, wird die Salzſäure von keiner organiſchen Säure übertroffen, und Eſſigſäure ſteht in dieſer Eigenſchaft der Milchſäure gleich. Von einer Nothwendigkeit der Gegenwart der Milchſäure während des Verdauungsproceſſes kann hiernach keine Rede ſein; mit Beſtimmtheit weiß man, daß ſie in dem künſtlichen115Umſetzung der Gebilde. Verdauungsproceß nicht erzeugt wird. Berzelius hat zwar milchſaure Salze im Blut und Fleiſch der Thiere ge - funden, allein damals war die außerordentliche Leichtigkeit und Schnelligkeit noch nicht bekannt, mit welcher dieſe Säure bei Gegenwart von Thierſtoffen aus einer Menge von Materien zu entſtehen vermag, welche die Elemente der Milchſäure enthalten.

In dem Magenſafte eines Hundes fand Braconnot, neben Salzſäure, nachweisbare Spuren eines Eiſenſalzes, was er anfänglich für einen zufälligen Beſtandtheil anſah, deſſen Gegenwart ſich aber in dem Magenſafte eines zweiten Hundes, den man mit der nöthigen Vorſicht gewonnen hatte, beſtätigte (Ann. d. chim. et d. phys. T. 59. S. 349). Dieſer Eiſengehalt iſt für die Blutbildung bedeutungsvoll.

12. An der Wirkung des Magenſaftes auf die Speiſen nimmt, außer Waſſer, kein anderes Element als der Sauerſtoff nachweisbaren Antheil. Dieſer Sauerſtoff wird aus der atmoſphäriſchen Luft dem Magen zugeführt. Während des Kauens der Speiſen wird im Munde, durch beſonders dazu beſtimmte Organe, eine Flüſſigkeit abgeſondert, welche die ausgezeichnete Fähigkeit, Luft ſchaumartig einzuſchließen, in weit höherem Grade noch wie Seifenwaſſer beſitzt. Dieſe Luft gelangt durch den Speichel mit den Speiſen in den Magen, wo ihr Sauerſtoff eine Verbindung eingeht; der Stickſtoff dieſer Luft wird durch Haut und Lunge ausgeath - met. Je länger die Verdauung dauert, je größeren Wider - ſtand die Speiſen der auflöſenden Aktion entgegenſetzen,8*116Der chemiſche Proceß derdeſto mehr Speichel, und mit ihm deſto mehr Luft gelangt in den Magen. Das Wiederkäuen bei gewiſſen grasfreſſenden Thieren hat offenbar noch den Zweck einer neuen und wieder - holten Hinzuführung von Sauerſtoff, denn eine vollkommnere mechaniſche Zertheilung verkürzt nur die Zeit, in welcher die Auflöſung vor ſich geht.

Aus der ungleichen Menge von Luft, welche bei ver - ſchiedenen Thierklaſſen bei dem Kauen der Speiſen mit dem Speichel in den Magen gelangt, erklären ſich die wohlbe - gründeten Beobachtungen der Phyſiologen, welche die That - ſache außer Zweifel geſtellt haben, daß die Thiere durch Haut und Lunge reines Stickgas ausathmen, eine Erfahrung, die um ſo wichtiger iſt, da ſie in ſich ſelbſt den entſcheidendſten Beweis trägt, daß der Stickſtoff der Luft in der thieriſchen Oekonomie keine Verwendung findet.

Das Austreten von Stickgas aus Haut und Lunge er - klärt ſich durch das Vermögen der Thiergewebe Gaſe aller Art durchzulaſſen, was ſich durch die einfachſten Verſuche darthun läßt. Eine Blaſe, die man, mit kohlenſaurem Gas, Stickgas oder Waſſerſtoffgas gefüllt, wohlverſchloſſen in die Luft hängt, verliert in 24 Stunden ihren ganzen Gehalt an dieſen Gaſen; durch eine Art von Austauſch ſind ſie nach Außen hin in die Atmoſphäre entwichen, ihren Platz finden wir von atmoſphäriſcher Luft eingenommen. Ein Darm, ein Magen oder eine Haut, die wir mit dieſen Gaſen füllen, verhält ſich ganz ähnlich wie die Blaſe; dieſes Durchlaſſen der Gaſe iſt eine phyſikaliſche Eigenſchaft, die allen thieriſchen117Umſetzung der Gebilde. Geweben angehört; wir beobachten ſie in dem lebenden Kör - per in gleichem Grade wie an den todten Subſtanzen.

Man weiß, daß bei Lungenverletzungen nicht ſelten ein eigenthümlicher Zuſtand entſteht, wo beim Athmen die atmo - ſphäriſche Luft von den Luftwegen aus in das angränzende Zellgewebe eindringt. Dieſe Luft wird durch die Reſpira - tionsbewegungen von der Wundſtelle aus in dem Zellgewebe immer weiter fortgetrieben und bildet ſo den unter dem Namen Emphyſem bekannten Krankheitszuſtand. Sobald das fernere Eindringen der atmoſphäriſchen Luft in das Zellge - webe frühzeitig genug verhindert wird, verliert ſich dieſer Zuſtand allmälig von ſelbſt wieder, der Sauerſtoff dieſer Luft iſt, wie man nicht zweifeln kann, in Verbindung getreten, das Stickſtoffgas iſt durch Haut und Lunge ausgeathmet worden.

Es iſt ferner bekannt, daß bei vielen grasfreſſenden Thie - ren, wenn ſie ſich im Genuße friſcher ſaftiger Pflanzen die Verdauungswerkzeuge überladen haben, dieſe Stoffe in dem Magen ſelbſt der nämlichen Zerſetzung unterliegen, die ſie au - ßerhalb des Körpers in gleicher Temperatur erfahren; ſie gehen in Gährung und Fäulniß über, wobei ſich eine ſo große Menge kohlenſaures und entzündliches Gas entwickelt, daß dieſe Or - gane auf eine ungewöhnliche Weiſe (zuweilen bis zum Zer - ſprengen) aufgetrieben werden. Nach der Einrichtung ihres Magens oder ihrer Mägen, können dieſe Gaſe durch den Schlund nicht entweichen, man ſieht aber nach einigen Stunden ſchon den aufgetriebenen Leib kleiner werden, und nach 24 Stunden iſt von allem Gaſe keine Spur mehr vorhanden 26).

118Der chemiſche Proceß der

Erinnert man ſich zuletzt an die tödtlichen Zufälle, die in Weinländern ſo häufig durch den Genuß von ſogenanntem federweißen Wein veranlaßt werden, ſo kann man nicht den geringſten Zweifel hegen, daß Gaſe jeder Art, im Waſ - ſer lösliche oder unlösliche, das Vermögen beſitzen, die thie - riſchen Gewebe zu durchdringen, ähnlich wie Waſſer von un - geleimtem Papier durchgelaſſen wird. Der federweiße Wein iſt in Gährung begriffener Wein, welche durch die Tempera - tur des Magens geſteigert wird; das entwickelte kohlenſaure Gas dringt durch die Wände des Magens, des Zwerchfelles, durch alle Häute in die Lungenzellen, und verdrängt aus die - ſen die atmoſpäriſche Luft. Der Menſch ſtirbt mit allen Zei - chen der Erſtickung in einem irreſpirablen Gaſe, und der ſicherſte Beweis für ihr Vorhandenſein in der Lunge iſt un - ſtreitig der Umſtand, daß das Einathmen von Ammoniakgas als das beſte Gegenmittel gegen dieſen Krankheitszuſtand anerkannt iſt.

Die Kohlenſäure der mouſſirenden Weine, welche in den Magen gelangt, die Kohlenſäure, die man im Waſſer, was damit geſättigt iſt, in der Form eines Klyſtiers zu ſich nimmt, ſie treten durch Haut und Lunge wieder aus, und in glei - chem Grade muß dies von dem Stickgas gelten, was durch den Speichel in den Magen gelangt.

Gewiß mag ein Theil dieſer Gaſe durch das Saug - und Lymphgefäßſyſtem in das venöſe Blut und von da in die Lunge gelangen, wo ſie abdunſten, allein ihrem directen Ein - dringen in die Bruſthöhle und Lunge ſteht in den Membranen119Umſetzung der Gebilde. ſelbſt, nicht das geringſte Hinderniß im Wege. Es iſt in der That ſchwer zu glauben, daß die Saug - und Lymphge - gefäße ein beſonderes Beſtreben haben, Luft, Stickgas, Waſ - ſerſtoffgas ꝛc. aufzuſaugen und dem Blute zuzuführen, da die Eingeweide, der Magen, alle Räume, die nicht mit feſten oder flüſſigen Stoffen ausgefüllt ſind, Gaſe enthalten, die nur bei einer gewiſſen Volumsvergrößerung ihren Platz ver - laſſen, die alſo nicht aufgeſaugt werden. Von dem Stickgas im beſondern, mit dem ſich das Blut bei ſeinem Durchgange durch die Lunge, wie eine jede andere Flüſſigkeit ſättigt, d. h. von dem es ſo viel aufnimmt, als ſeinem Auflöſungsvermö - gen entſpricht, muß angenommen werden, daß es nicht durch den Kreislauf des Blutes, ſondern auf einem directeren Wege wieder aus dem Magen tritt. Durch die Athembewegungen werden alle Gaſe, welche die leeren Räume ausfüllen, nach der Bruſthöhle hingetrieben, indem durch die Bewegung des Zwergfelles und die Erweiterung der Bruſthöhle ein luft - verdünnter Raum entſteht, in deſſen Folge, durch den atmo - ſphäriſchen Luftdruck, Luft von allen Seiten her in die Lun - gen eingetrieben wird; es findet freilich das Maximum der Ausgleichung durch die Luftröhre ſtatt, aber auch von Innen her müſſen alle Gaſe eine Bewegung nach der Bruſthöhle und Lunge hin empfangen. Bei den Vögeln und Schild - kröten iſt dieſes Verhältniß umgekehrt. Wenn wir annehmen, daß ein Menſch in einer Minute nur Kubikzoll Luft mit dem Speichel ſeinem Magen zuführt, ſo macht dies in 18 Stun - den 135 Kubikzoll aus, wenn wir den fünften Theil davon120Der chemiſche Proceß derals Sauerſtoff abrechnen, ſo bleiben immer noch 108 Kubik - zoll Stickgas, welche den Raum von drei Pfund (heſſiſche) Waſſer einnehmen. So wenig oder ſo viel die verſchluckte Stickſtoffmenge nun auch betragen mag, gewiß iſt, daß dieſes Gas durch den Mund, Naſe oder Haut wieder austritt, und wenn wir die große Menge Stickgas in Betrachtung ziehen, welche von Magendie in den Eingeweiden Hingerichteter nach - gewieſen worden iſt, ſo wie die Abweſenheit von allem Sauer - ſtoffgas in den nämlichen Organen 27), ſo muß angenommen werden, daß auch in Folge der Reſorbtion durch die Haut Luft, d. h. Stickgas, eintritt, welches durch die Lunge wieder ausgeathmet wird.

Bei dem Athmen der Thiere in Gaſen, die keinen Stick - ſtoff enthalten, wird mehr Stickgas ausgeathmet, eben weil ſich in dieſem Falle das Stickgas im Körper gegen den Raum außerhalb verhält, wie wenn dieſer Raum luftleer wäre. (S. Graham über die Diffuſion der Gaſe.)

Die Unterſchiede in der Menge des ausgeathmeten Stick - gaſes von verſchiedenen Thierklaſſen erklären ſich hiernach leicht; die Herbivoren verſchlucken mit dem Speichel mehr Luft wie die Carnivoren; ſie athmen mehr Stickgas aus, beim Faſten weniger wie nach friſch genoſſener Nah - rung.

13. Aehnlich wie die aus dem Leibe genommene Muskel - faſer den Zuſtand der Zerſetzung und Umſetzung, in welchem ſich ihre Beſtandtheile befinden, dem[Waſſerſtoffhyperoxyde] überträgt, wirkt ein durch den organiſchen Proceß, in Folge121Umſetzung der Gebilde. der Umſetzung der Beſtandtheile des Magens und der Ver - dauungsorgane, entſtehendes Product, indem ſich ſeine Me - tamorphoſe im Magen vollendet, auf die Beſtandtheile der genoſſenen Speiſen. Die unlöslichen erhalten die Fähigkeit ſich zu löſen, ſie werden verdaut.

Es iſt gewiß bemerkenswerth, daß gekochtes Eiweiß oder Fibrin, wenn ſie durch gewiſſe Flüſſigkeiten, durch organi - ſche Säuren oder ſchwache alkaliſche Laugen, löslich ge - macht werden, daß alle ihre übrigen Eigenſchaften bis auf die Form (den Cohäſionszuſtand) nicht die geringſte Aende - rung erfahren, ihre Elementartheile ordnen ſich ſicher auf eine andere Art, allein ſie theilen ſich nicht in zwei oder mehre Gruppen, in zwei oder mehre neue Verbindungen, ſondern ſie bleiben zuſammen vereinigt.

Ganz daſſelbe findet in dem Verdauungsproceſſe ſtatt; im geſunden Zuſtande erleiden die Speiſen nur eine Aufhe - bung ihres Cohäſionszuſtandes.

Das größte Hinderniß, was ſich der klaren Auffaſſung des Verdauungsproceſſes, der in dem Vorhergehenden zu den chemi - ſchen Metamorphoſen gerechnet worden iſt, die man Gährung und Fäulniß nennt, entgegenſtellt, beruht auf der unwillkührli - chen Erinnerung und in der Feſthaltung der Erſcheinungen, welche die Gährung des Zuckers und der Thierſubſtanzen (Fäulniß) begleiten, allein es giebt zahlloſe Fälle, wo eine Umſetzung der Beſtandtheile einer Verbindung vor ſich geht, ohne die geringſte Gasentwickelung, und es ſind hauptſäch - lich dieſe, welche man ins Auge zu faſſen hat, wenn man122Der chemiſche Proceß derden chemiſchen Begriff der Verdauung frei von Irrthum in ſich aufnehmen will.

Alle Materien, welche die Erſcheinungen der Gährung und Fäulniß in Flüſſigkeiten aufzuheben vermögen, ſtören, in den verdauenden Magen gebracht, die Verdauung. Die Wirkung der brenzlichen, empyreumatiſchen Stoffe von Caffee, Tabacksdampf, Kreoſot, Queckſilbermittel u. ſ. w. verdienen in dieſer Beziehung für Dietätik eine beſondere Beachtung.

Durch die Gleichheit in der Zuſammenſetzung der Be - ſtandtheile des Bluts mit den ſtickſtoffhaltigen, vegetabiliſchen Nahrungsſtoffen haben wir, gewiß auf eine ſehr unerwartete Weiſe, erfahren, warum faulendes Blut, Eiweiß, Fleiſch, Käſe in Zuckerwaſſer die nämliche Veränderung hervorbrin - gen, wie Hefe, warum Zucker damit in Berührung je nach dem Zuſtande der Zerſetzung, in welchem ſich die faulenden Materien befinden, bald in Alkohol und Kohlenſäure, bald in Milchſäure und Schleim ſich zerlegt. Die Urſache liegt einfach darin, daß die Materie, welche man Hefe (Ferment) genannt hat, im Zuſtande der Zerſetzung begriffenes Pflan - zenalbumin, - Fibrin oder - Caſein iſt, Subſtanzen, welche identiſch ſind mit den Beſtandtheilen des Fleiſches oder des Blutes. Die Fäulniß der genannten Thierſubſtanzen iſt in ihrem Vorgang identiſch mit dem Proceß der Metamorphoſe der ihnen identiſchen Pflanzenſtoffe, es iſt ein Zerfallen in minder complexe neue Verbindungen. Und wenn man die Umſetzung der Beſtandtheile des Thierkörpers (den Verbrauch an Stoff vom Thiere) als einen chemiſchen Proceß betrach -123Umſetzung der Gebilde. tet, welcher unter dem Einfluſſe der Lebensthätigkeit vor ſich geht, ſo iſt die Fäulniß derſelben außerhalb des Thier - körpers ein Zerfallen in einfachere Verbindungen, an welchen die Lebenskraft keinen Antheil nimmt. Die Action iſt in beiden Fällen die nämliche, nur die Producte ſind verſchie - den. Die practiſche Medicin hat über die Wirkung empy - reumatiſcher Stoffe (Holzeſſig und anderer) auf bösartige Wunden und Geſchwüre die ſchönſten und intereſſanteſten Beobachtungen gemacht. In dieſen Krankheitserſcheinungen gehen zwei Actionen neben einander vor ſich, eine Metamor - phoſe, welche unter dem Einfluß der Lebensthätigkeit ſich zu vollenden ſtrebt, und eine zweite, welche unabhängig von ihr iſt. Die letztere iſt ein chemiſcher Proceß, welcher durch empyreumatiſche Subſtanzen gänzlich unterdrückt und aufge - hoben wird; es iſt der reine Gegenſatz von der ſchädlichen Einwirkung, welche faulendes Blut, auf friſche Wunden ge - legt, in dem Organismus hervorbringt.

II.

14. Den nächſten Ausdruck für die Zuſammenſetzung des Proteins oder die relativen Verhältniſſe der organiſchen Beſtandtheile des Bluts, ſo wie ſie durch die Analyſe feſt - geſtellt worden ſind, giebt die Formel C43 H72 N12 O14*)Ueber die Verwandlung dieſer und der folgenden Formeln in Pro - cente ſiehe Anhang.. Al -124Der chemiſche Proceß derbumin, Fibrin, Caſein enthalten Protein; das Caſein enthält Schwefel, keinen Phosphor; Albumin und Fibrin enthalten beide Subſtanzen in chemiſcher Verbindung, das erſtere mehr Schwefel als wie das Fibrin. In welcher Form der Phos - phor in dieſen Materien vorhanden iſt, kann direct nicht entſchieden werden, aber man hat beſtimmte Beweiſe dafür, daß der Schwefel nicht im oxydirten Zuſtande darin enthal - ten ſein kann. Alle dieſe Materien geben nämlich mit einer mäßig ſtarken Kalilauge erhitzt den Schwefel ab, den man in der Flüſſigkeit als Schwefelkalium wiederfindet; mit einer Säure verſetzt entwickelt er ſich daraus als Schwefelwaſſer - ſtoff. Löſ’t man reines Fibrin oder gewöhnliches Eiweiß in ſchwacher Kalilauge auf, ſetzt eſſigſaures Bleioxyd mit der Vorſicht hinzu, daß alles Bleioxyd in der alkaliſchen Lauge gelöſ’t bleibt, und erhitzt nun zum Sieden, ſo wird die Flüſſigkeit ſchwarz wie Dinte und es ſchlägt ſich Schwe - felblei als feines Pulver nieder.

Es iſt außerordentlich wahrſcheinlich, daß durch die Ein - wirkung des Alkali’s der Schwefel als Schwefelwaſſerſtoff, der Phosphor als Phosphorſäure hinweggenommen wird. Da nun in dieſem Falle Schwefel und Phosphor auf der einen Seite, Waſſerſtoff und Sauerſtoff auf der andern aus - treten, ſo ſollte man denken, daß Fibrin und Albumin mit ihrem Schwefel und Phosphor mehr Waſſerſtoff und Sauer - ſtoff in der Analyſe geben müßten, als das Protein. Allein dies läßt ſich thatſächlich durch die Analyſe nicht darthun. Man hat z. B. in dem Fibrin 0,36 pCt. Schwefel gefun -125Umſetzung der Gebilde. den. Angenommen nun, der Schwefel trete mit Waſſerſtoff aus, ſo würde das Protein 0,0225 pCt. Waſſerſtoff weni - ger enthalten, wie das Fibrin, anſtatt den mittleren Gehalt von 7,062 pCt. Waſſerſtoff würde man im Protein alſo 7,04 pCt. bekommen müſſen. In einer ähnlichen Weiſe würde durch das Austreten vom Sauerſtoff mit dem Phos - phor der Sauerſtoffgehalt des Fibrins von 22,715 pCt. oder 22,00 auf 22,5 oder 21,8 pCt. in dem Protein zurück - geführt werden. Die Fehlergrenzen unſerer Analyſen ſind aber im Durchſchnitt größer als ein Zehntel Procent in der Waſſerſtoffbeſtimmung, und über 4 / 10 pCt. in der Sauerſtoff - beſtimmung; in den angegebenen Fällen würde der Unterſchied in dem Waſſerſtoffgehalte nur 1 / 48 pCt. betragen.

Wenn man zuletzt bedenkt, daß das Austreten von Sauer - ſtoff und Waſſerſtoff mit dem Phosphor und Schwefel ein Hinzutreten der Beſtandtheile des Waſſers nicht ausſchließt, wenn wir annehmen, daß mit den organiſchen Beſtandtheilen des Albumins und Fibrins eine gewiſſe Menge Waſſer in Verbindung tritt, um Protein zu bilden, ſo hört alle Wahr - ſcheinlichkeit völlig auf, durch die chemiſche Analyſe darüber zu einer beſtimmten Anſicht zu gelangen.

Man hat von der Bildung des Schwefelkaliums rück - wärts Schlüſſe auf das Vorhandenſein von nicht oxydirtem Phosphor in dem Fibrin und Albumin gezogen, indem man annahm, daß der Sauerſtoff des Kalis dazu gedient habe, um mit dem Phosphor Phosphorſäure zu bilden; allein das Caſein, in welchem kein Phosphor zugegen iſt, verhält ſich126Der chemiſche Proceß dergegen Kali ganz den anderen gleich; es entſteht nämlich Schwefelkalium, deſſen Bildung ohne ein Austreten von Schwefelwaſſerſtoff nicht erklärbar iſt. Beim bloßen Kochen von Fleiſch, bei der Bereitung von Fleiſchbrühe, entwickelt ſich, wie Chevreul gefunden hat, Schwefelwaſſerſtoff.

Zuletzt ſind die Schwefelmengen im Fibrin und Albumin auf dieſelbe Phosphormenge nicht gleich, woraus man keinen andern Schluß ziehen kann, als daß die Bildung des Schwe - felkaliums zu dieſem Phosphorgehalt in keiner Beziehung ſteht; es bildet ſich Schwefelkalium aus Caſein, in welchem man keinen freien (als Säure ungebundenen?) Phosphor vorausſetzt und ebenſo aus Albumin, was nur halb ſo viel Phosphor enthält wie das Fibrin.

Eine jede Bemühung, die wahre Anzahl der Atome des Fibrins und Albumins in einer rationellen Formel feſtzuſetzen, in welcher Schwefel und Phosphor zu ganzen Atomzah - len aufgenommen ſind, wird immer unfruchtbar bleiben, weil uns ſchlechterdings alle Mittel fehlen, um mit abſoluter Ge - nauigkeit die ſo äußerſt geringen Mengen von Schwefel und Phosphor in den Thierſubſtanzen beſtimmen zu können, und eine Abweichung, welche kleiner iſt als die gewöhn - lichen Grenzen der Beobachtungsfehler, um 10 und mehr Atome, die Anzahl der Atome des Kohlenſtoffs, Waſſerſtoffs und Sauerſtoffs in der Formel ändert.

Man muß ſich in dieſer Hinſicht über das, was die chemiſche Analyſe zu leiſten vermögend iſt, keiner Täuſchung hingeben, mit Gewißheit wiſſen wir, daß die Zahlenver -127Umſetzung der Gebilde.hältniſſe der Analyſen vom Fibrin und Albumin nicht von einander abweichen, und wir erſchließen hieraus die gleiche Zuſammenſetzung. Dieſer Schluß verliert von ſeiner Wahr - heit nichts, obwohl wir die Anzahl der Atome ihrer Ele - mente nicht kennen, welche zu dem zuſammengeſetzten Atome ſich vereinigt haben.

15. Eine Formel für Protein iſt für uns nichts weiter wie der genaueſte und nächſte Ausdruck der Analyſe, einer Er - fahrung, über die wir alle Zweifel als beſeitigt betrachten. Dies allein hat vorläufig Werth für uns.

Wenn wir uns nun denken, daß aus dem Albumin und Fibrin im Blute alle andern Gebilde entſprungen ſind, ſo iſt vollkommen ſicher, daß dies nur auf zwei Weiſen ge - ſchehen kann. Es ſind nämlich entweder gewiſſe Elemente hinzu -, oder es ſind von ihren Beſtandtheilen gewiſſe Mengen ausgetreten.

Suchen wir nun z. B. für die Zellen und leimgebenden Gebilde, Sehnen, Haare, Horn und die übrigen, einen analytiſchen Ausdruck auf, in welchem die Anzahl der Atome des Kohlenſtoffs als eine unveränderliche Größe feſtgeſetzt wird, ſo giebt ſich auf den erſten Blick zu erkennen, in welcher Art und Weiſe ſich das Verhältniß der andern Ele - mente geändert hat; dies umfaßt aber alles, was die Phy - ſiologie bedarf, um Einſicht in das Weſen des Bildungs - und Ernährungsproceſſes im Thierkörper zu erlangen.

16. Aus den Unterſuchungen von Mulder und Sche - rer 28) ergeben ſich folgende empiriſche Formeln:

128Der chemiſche Proceß der

Beſtandtheile der organiſchen Gebilde.

  • Albumin ....... C48 N12 H72 O14 + P + S

    *)Die hier als P und S angeführten Phosphor - und Schwefelmengen

  • Fibrin ........ C48 N12 H72 O14 + P + 2 S
  • Caſein ......... C48 N12 H72 O14 + S
  • Leimgebilde, Sehnen C48 N15 H82 O18
  • Chondrin ꝛc. ..... C48 N12 H80 O20
  • Arterienhaut ..... C48 N12 H76 O16
  • Haare, Horn .... C48 N14 H78 O15.

Die Vergleichung dieſer Formeln zeigt, daß bei dem Uebergang des Proteins in Chondrin (Subſtanz der Rippen - knorpeln) die Beſtandtheile von Waſſer und Sauerſtoff, bei der Bildung der ſeröſen Membranen, Zellen und Sehnen außer dieſen Elementen noch Stickſtoff hinzugetreten iſt.

Bezeichnen wir die Formel des Proteins C48 N12 H72 O14 mit Pr, ſo ſind Stickſtoff, Waſſerſtoff und Sauerſtoff, in der Form von bekannten Verbindungen geordnet, bei der Bil - dung der Leimſubſtanzen, Haare, Horn, Arterienhaut hinzu - getreten.

129Umſetzung der Gebilde.

17. Aus dieſer Ueberſicht geht hervor, daß alle Gebilde des Thierkörpers auf eine gleiche Anzahl von Kohlenſtoff atomen mehr Sauerſtoff enthalten als die Beſtandtheile des Bluts; bei ihrer Entſtehung iſt ohne Zweifel Sauerſtoff aus der Atmoſphäre oder durch die Elemente des Waſſers zu den Beſtandtheilen des Proteins hinzugetreten; wir finden in den Haaren und Membranen mehr Stickſtoff und Waſſer - ſtoff, und zwar beide im Verhältniß wie im Ammoniak.

Die Chemiker ſind bekanntlich heute noch nicht einig über die Art und Weiſe, wie die Beſtandtheile des ſchwefelſauren Kali’s geordnet ſind, es wäre deshalb dem Chemismus zu viel eingeräumt, wenn man die Arterienhaut für ein Hydrat, das Chondrin für das Oxyd des Proteinhydrats, wenn wir Haare und Membranen für Oxyde des Proteins in Verbin - dung mit Ammoniak anſehen wollten.

Dieſe Formeln drücken mit Beſtimmtheit die Verſchieden - heit in der Zuſammenſetzung der Hauptbeſtandtheile der Thiere aus, ſie zeigen, daß auf einen gleichen Kohlenſtoffge - halt das relative Verhältniß ihrer Elemente abweicht, wie - viel der eine Stoff mehr Sauerſtoff oder Stickſtoff enthält wie der andere.

18. Es kann daraus gefolgert werden, wie ſie aus den Beſtandtheilen des Bluts entſtehen; aber die Erklärung ihrer Entſtehung nimmt zwei Formen an, von denen zu entſchei - den iſt, welche der Wahrheit am nächſten kommt.

*)drücken nicht Atomgewichte aus, ſondern bezeichnen nur die relativen durch die Analyſe gefundenen Verhältniſſe.

9130Der chemiſche Proceß der

Auf einen gleichen Kohlenſtoffgehalt enthalten die Membra - nen und die leimgebenden Gebilde mehr Stickſtoff, Sauerſtoff und Waſſerſtoff wie das Protein; es iſt denkbar, daß ſie aus Albumin entſtanden ſind durch Hinzutreten von Sauerſtoff, der Beſtandtheile des Waſſers und des Ammoniaks und durch Austreten von Phosphor und Schwefel; jedenfalls iſt ihre Zuſammenſetzung von der der Hauptbeſtandtheile des Bluts durchaus verſchieden.

Das Verhalten der Leimgebilde gegen ätzende Alkalien zeigt mit Beſtimmtheit, daß ſie kein Protein mehr enthalten, auf keine Weiſe kann Protein daraus erhalten werden, alle durch die Einwirkung des Alkali’s erzeugten Producte wei - chen von den Producten, welche die Protein-Verbindungen unter den nämlichen Bedingungen liefern, durchaus ab; mag fertig gebildetes Protein in dem Fibrin, Caſein und Albu - min enthalten ſein oder nicht, gewiß iſt, daß ſich ihre Ele - mente durch die Einwirkung des Alkali’s zu Protein ordnen; dieſe Fähigkeit geht den Elementen der Leimſubſtanz ab.

Zur zweiten Form der Bildung der Leimſubſtanz und zwar zur wahrſcheinlicheren gelangt man, wenn ſeine Bil - dung abhängig gedacht wird von einem Austreten von Koh - lenſtoff.

Angenommen, der Stickſtoffgehalt des Proteins bleibe in der Leimſubſtanz, ſo würde die Zuſammenſetzung der letztern (auf 12 At. Stickſtoff berechnet) durch die Formel C38 N12 H64 O14 ausgedrückt werden müſſen. Dieſe Formel ſtimmt am näch - ſten mit der Analyſe von Scherer, wiewohl ſie kein ge -131Umſetzung der Gebilde.nauer Ausdruck dafür iſt. Eine den Analyſen entſprechendere Formel iſt C32 H54 N10 O12 oder, nach Mulder’s Analyſe berechnet, die Formel C54 H84 N18 O20*)Die Formel, welche Mulder angenommen hat, C52 H80 N16 O20 giebt in der berechneten procentiſchen Zuſammenſetzung zu wenig Stickſtoff..

Nach der erſten Formel wäre Kohlenſtoff und Waſſer - ſtoff, nach den beiden andern wäre ein gewiſſes Verhältniß aller Elemente ausgetreten.

19. Als das für uns wichtigſte Reſultat in der Betrachtung der Zuſammenſetzung der Leimſubſtanz muß als eine unleug - bare Wahrheit angenommen werden, daß ſie, obwohl aus Protein-Verbindungen entſtanden, aus der Reihe der Protein - Verbindungen herausgetreten iſt. Ihr chemiſches Verhalten und ihre Zuſammenſetzung rechtfertigt dieſen Schluß.

Keine Beobachtung ſteht dem Erfahrungsgeſetz entgegen, wonach die Natur ausſchließlich nur Protein-Verbindungen zur Blutbildung beſtimmt. In den Vegetabilien exiſtirt kein der Leimſubſtanz ähnlicher Körper, ſie iſt keine Protein - Verbindung, ſie enthält keinen Phosphor, keinen Schwefel, ſie enthält mehr Stickſtoff oder weniger Kohlenſtoff wie das Protein. Durch die Lebensthätigkeit der zur Blutbil - dung beſtimmten Organe nehmen die Protein-Verbindungen eine neue Form an, aber in ihrer Zuſammenſetzung erleiden ſie keine Veränderung; dieſe Organe beſitzen, ſoweit unſere Erfahrungen reichen, das Vermögen nicht, Protein-Verbin - dungen kraft einer einwirkenden Thätigkeit zu erzeugen9*132Der chemiſche Proceß deraus Stoffen, die kein Protein enthalten. Thiere mit Leim - ſubſtanz, mit dem ſtickſtoffreichſten Beſtandtheil der Nahrung der Carnivoren ausſchließlich ernährt, ſtarben den Hungers - tod; die Leimſubſtanzen ſind unfähig zu Blut zu werden.

Aber es unterliegt keinem Zweifel, ſie wird aus den Beſtandtheilen des Bluts erzeugt und kaum läßt ſich die Vorſtellung zurückweiſen, daß das Fibrin des venöſen Bluts, indem es zu arteriöſem Fibrin wird, ſich auf der erſten Stufe der Umbildung zur Leimſubſtanz befindet. Mit eini - ger Wahrſcheinlichkeit kann man kaum den Membranen und Sehnen die Fähigkeit zuſchreiben, ſich ſelbſt aus Stoffen zu bilden, die ihnen durch das Blut zugeführt werden; wie könnte in der That ein Stoff zur Zelle werden, kraft einer einwirkenden Thätigkeit, welche noch keinen Träger hat; eine ſchon beſtehende Zelle mag die Fähigkeit beſitzen, ſich zu erhalten oder zu vervielfältigen, allein zu beidem gehören Stoffe, welche identiſch in ihrer Zuſammenſetzung mit der Subſtanz der Zellen ſind. Dieſe Stoffe werden in dem Organismus erzeugt, und keiner kann ſich mehr zu ihrer Bildung eignen als die Zellen und Membranen ſelbſt, die in dem Magen des Thiers in dem Proceß der Verdauung löslich geworden ſind, oder welche der Menſch im löslichen Zuſtande genießt.

20. Ich gebe in dem Folgenden einen Verſuch zur analyti - ſchen Entwicklung der in dem thieriſchen Körper vorgehenden Haupt-Metamorphoſen, und zwar, um allen und jeden Miß - verſtändniſſen vorzubeugen, mit der ausdrücklichen Verwah -133Umſetzung der Gebilde.rung gegen alle Schlüſſe und Folgerungen, die man jetzt oder zu irgend einer Zeit gegen die Anſichten daraus ziehen könnte, welche ich in dem Vorhergehenden, mit dem ſie in keinerlei Verbindung ſtehen, entwickelt habe. Die Reſultate, zu denen ich gelangt bin, befremden mich nicht minder und flößten mir die nämlichen Zweifel ein, die ſie in Andern erwecken werden, allein ſie ſind keine Schö - pfungen der Phantaſie, und ich gebe ſie, weil ich die Ueber - zeugung hege, daß der Weg, der zu ihrer Ermittelung ge - führt hat, der einzige iſt, auf welchem wir hoffen können, Einſicht in die organiſchen Proceſſe zu erlangen.

Alle die zahlloſen qualitativen Unterſuchungen thieriſcher Subſtanzen ſind abſolut werthlos für die Phyſiologie ſo - wohl, wie für die Chemie, ſo lange ihnen nicht ein ganz beſtimmter Zweck, eine deutlich ausgedrückte Frage unterlegt wird.

Wenn wir in einem Satze, den wir entziffern wollen, die Buchſtaben auseinander nehmen und in eine Reihe ſtel - len, ſo ſind wir dem Sinne um keinen Schritt näher ge - kommen. Um ein Räthſel zu löſen, müſſen wir völlig klar über die Aufgabe ſein. Es giebt freilich viele Wege, um die höchſte Kuppe eines Berges zu erklimmen, allein nur die - jenigen haben Hoffnung, dem Ziele ſich zu nähern, welche die Spitze im Auge behalten. Mit aller Arbeit und An - ſtrengung in einem Sumpfe erreicht man nichts weiter, als daß man ſich immer mehr mit Schlamm und Koth beladet, das Höherſteigen wird durch ſelbſtgeſchaffene Schwierigkeiten134Der chemiſche Proceß derimmer mühevoller und auch die größte Kraft muß zuletzt unter dieſem Unrath erliegen.

21. Wenn es wahr iſt, daß aus dem Blute oder den Beſtandtheilen des Bluts alle Theile des Thierkörpers entwi - ckelt und gebildet werden, daß die vorhandenen Organe in jedem Zeitmomente des Lebens ſich durch den Einfluß des zuge - führten Sauerſtoffs in neue Verbindungen umſetzen, ſo müſ - ſen die Secrete des Thierkörpers nothwendig die Producte der umgeſetzten Gebilde enthalten.

22. Wenn der Schluß ferner wahr iſt, daß der Harn die ſtickſtoffhaltigen und die Galle die kohlenſtoffreichen Pro - ducte aller Gebilde enthält, die in dem Lebensproceß ſich in anorganiſche Verbindungen umgeſetzt haben, ſo iſt klar, daß die Beſtandtheile der Galle und des Harns zuſammengenom - men gleich ſein müſſen, in ihrem relativen Verhältniſſe, der Zuſammenſetzung des Bluts.

23. Aus dem Blute ſind die Organe entſtanden, die Or - gane enthalten die Beſtandtheile des Bluts; ſie haben ſich in neue Verbindungen umgeſetzt, zu dieſen neuen Verbindungen iſt außer Sauerſtoff und Waſſer kein anderer Körper hinzu - gekommen, das relative Verhältniß ihres Kohlenſtoffs und Stickſtoffs muß gleich ſein dem relativen Verhältniß des Kohlenſtoffs und Stickſtoffs im Blute.

Wenn wir alſo von der Zuſammenſetzung des Bluts die Beſtandtheile des Harns abziehen, ſo müſſen wir, den hinzu - gekommenen Sauerſtoff und das Waſſer abgerechnet, die Zu - ſammenſetzung der Galle bekommen.

135Umſetzung der Gebilde.

Oder wenn wir von den Beſtandtheilen des Bluts ab - ziehen die Beſtandtheile der Galle, ſo müſſen wir harnſau - res Ammoniak oder Harnſtoff und Kohlenſäure übrig behalten.

Man wird es vielleicht bemerkenswerth finden, daß dieſe Betrachtungsweiſe auf die wahre Formel der Galle, oder richtiger, auf den empiriſchen Ausdruck für ihre Zuſammen - ſetzung geführt hat, auf den Schlüſſel zur Erklärung ihrer Metamorphoſen durch Säuren und Alkalien, den man bis jetzt ohne Erfolg zu ſuchen bemüht war.

24. Wenn man friſches Blut über eine 60° heiße Silber - platte fließen läßt, ſo trocknet es zu einem rothen firnißarti - gen Ueberzug ein, der ſich leicht pulveriſiren läßt; anfänglich in gelinder Wärme, zuletzt bei 100°, trocknet friſches fett - freies Muskelfleiſch zu einer braunen pulveriſirbaren Maſſe ein.

Die Analyſen von Playfair und Boeckmann 29) führen als den nächſten Ausdruck der erhaltenen Gewichts - verhältniſſe ihrer Elemente für das Muskelfleiſch (Fibrin, Albumin, Zellen und Nerven) und für das Blut zu einer und derſelben empiriſchen Formel, ſie iſt: C48 N12 H78 O15 (empiriſche Formel des Bluts).

25. Der Hauptbeſtandtheil der Galle iſt nach den Unterſu - chungen von Demarçay eine den Seifen ähnliche Verbin - dung von Natron mit einer eigenthümlichen Materie, welche den Namen Choleinſäure erhalten hat; ſie wird in Verbin - dung mit Bleioxyd gefällt, wenn man eine durch Alkohol von allen darin unlöslichen Stoffen befreite Galle, mit eſſig - ſaurem Bleioxyd vermiſcht.

136Der chemiſche Proceß der

Dieſe Choleinſäure wird durch Salzſäure zerlegt in Taurin, Salmiak und in eine neue ſtickſtofffreie Säure, in Choloidinſäure.

Durch Kochen mit ätzendem Kali zerfällt ſie in Kohlen - ſäure, Ammoniak und in Cholinſäure (verſchieden von Gmelin’s Cholſäure).

Es iſt nun klar, daß die wahre Formel der Cholein - ſäure den analytiſchen Ausdruck für dieſe Zerſetzungsweiſen in ſich ſchließen, daß ſie erlauben muß, die Zuſammenſetzung der entſtandenen Producte in eine ganz beſtimmte und ein - fache Beziehung zu der Zuſammenſetzung der Choleinſäure zu bringen. Dieſer Ausdruck verliert an ſeiner Wahrheit nichts, wenn ſich auch ergeben ſollte, daß die Choleinſäure und Choloidinſäure, wie aus den Unterſuchungen von Ber - zelius hervorzugehen ſcheint, Gemenge von mehreren ver - ſchiedenartigen Verbindungen ſind, die relative Anzahl der Atome kann hierdurch in keiner Weiſe geändert werden.

26. Zur Entwickelung der Metamorphoſen, welche die Cho - leinſäure durch Säuren und Alkalien erleidet, kann als em - piriſcher Ausdruck ihrer Zuſammenſetzung nur die folgende Formel angenommen werden: Formel der Choleinſäure: C76 H132 N4 O2230).

Ich wiederhole es, dieſe Formel kann der Ausdruck ſein für die Zuſammenſetzung von zwei oder mehreren Verbindun - gen, gleichgültig, wie viel es auch ſein mögen, ſie enthält die relative Anzahl aller ihrer Elemente zuſammengenommen.

Nehmen wir von den Elementen der Choleinſäure die137Umſetzung der Gebilde.durch Einwirkung der Salzſäure entſtehenden Producte, Am - moniak und Taurin, hinweg, ſo gelangen wir zur empiri - ſchen Formel der Choloidinſäure.

Formel der Choleinſäure ..........C76 H132 N4 O22
ab
1 At. Taurin C4 H14 N2 O10 C4 H20 N4 O10
1 Aeq. Ammoniak H[6]N2
Bleibt die Formel der CholoidinſäureC72 H112 O12 31).

27. Werden ferner von den Elementen der Choleinſäure die Beſtandtheile von Harnſtoff und 2 At. Waſſer (2 At. Koh - lenſäure und 2 Aeq. Ammoniak) hinweggenommen, ſo haben wir die Formel und Zuſammenſetzung der Cholinſäure.

Formel der Choleinſäure ........C76 H132 N4 O22
ab
2 At. Kohlenſäure C2 O4 C2 H12 N4 O4
2 Aeq. Ammoniak N4 H12
Formel der CholinſäureC74 H120 O18 32).

Wenn man die ſo große Uebereinſtimmung der Zahlenreſul - tate der Analyſen 30) 31) 32) mit den obigen Formeln ins Auge faßt, ſo wird man kaum zweifeln können, daß die aufgefun - dene Formel der Choleinſäure ſo nahe, wie man bei Analy - ſen dieſer Art Subſtanzen nur erwarten kann, die relative Anzahl der Atome ihrer Elemente ausdrückt, gleichgültig, in wieviel verſchiedenen Formen ſie auch darin vereinigt ſein mögen.

138Der chemiſche Proceß der

28. Addiren wir nun die Hälfte der Zahlen, welche die relativen Verhältniſſe der Elemente der Choleinſäure ausdrü - cken, zu den Beſtandtheilen des Harns der Schlangen, zu den Elementen des neutralen harnſauren Ammoniaks, ſo erhalten wir:

Formel der Choleinſäure ........ C38 H66 N2 O11 hierzu

    • 1 Aeq. Harnſäure C10 H8 N8 O6
    • 1 » Ammoniak H6 N2
    = C10 H14 N10 O6
  • in Summa C48 H80 N12 O17.

29. Dieſe Formel drückt aber aus die Zuſammenſetzung des Bluts, zu welchem die Elemente von 1 At. Waſſer und 1 At. Sauerſtoff getreten ſind.

Formel des Bluts ..... C48 H78 N12 O15. hierzu

    • 1 At. Waſſer H2 O
    • 1 » Sauerſtoff O
    H2 O2
  • in Summa C48 H80 N12 O17.

30. Wenn wir ferner zu den Elementen des Proteins die Elemente treten laſſen von 3 At. Waſſer, ſo haben wir, bis auf 2 At. Waſſerſtoff, genau die Elemente der Choleinſäure und des harnſauren Ammoniaks.

  • 1 At. Protein C48 H72 N12 O14
  • 3 » Waſſer H6 O3
  • C48 H78 N12 O17.
139Umſetzung der Gebilde.

31. Betrachten wir alſo die Choleinſäure und das harnſaure Ammoniak als die Producte der Umſetzung der Muskelfaſer, indem es keine andern Gebilde im Thierkörper giebt, welche Protein enthalten (Albumin geht in Gebilde über, ohne daß man ſagen kann, daß es im Lebensproceß direct eine Umſe - tzung in Harnſäure und Choleinſäure erfährt), ſo haben wir darin mit Zuziehung der Beſtandtheile des Waſſers alle zu der Metamorphoſe nöthigen Elemente; bis auf den Schwe - fel und Phosphor, die ſich beide oxydirt haben mögen, iſt kein anderes Element ausgetreten.

Dieſe Art der Metamorphoſe bezieht ſich auf die Umſe - tzung in den niedrigen Thierklaſſen der Amphibien und viel - leicht der Würmer und Inſecten. In den höhern Thier - klaſſen verſchwindet in dem Harn die Harnſäure, an ihrer Stelle finden wir Harnſtoff.

Das Verſchwinden der Harnſäure und die Erzeugung von Harnſtoff ſteht offenbar in ſehr enger Beziehung zu dem durch den Reſpirationsproceß aufgenommenen Sauer - ſtoff und zu der Menge von Waſſer, welche verſchiedene Thiere in einer gegebenen Zeit genießen.

Wenn wir der Harnſäure Sauerſtoff zuführen, ſo zerlegt ſie ſich, wie man weiß, zuerſt in Alloxan 33) und Harnſtoff, eine neue Quantität Sauerſtoff dem Alloxan zugeführt, macht, daß es entweder in Oxalſäure und Harnſtoff, Oxalur - ſäure und Parabanſäure 34) oder in Kohlenſäure und Harn - ſtoff zerfällt.

32. Wir finden in den ſogenannten Maulbeerſteinen oxal -140Der chemiſche Proceß derſauren Kalk, in den andern Harnſteinen harnſaures Ammoniak und zwar ſtets bei Perſonen, in denen durch Mangel an Bewegung und Anſtrengung, oder durch andere Urſachen die Sauerſtoff - zuführung gemindert iſt. Nie finden ſich Harnſteine, welche Harnſäure oder Oxalſäure enthalten, bei Schwindſüchtigen (ſiehe S. 24); und es iſt eine gewöhnliche Erfahrung in Frankreich bei Perſonen, welche an Steinbeſchwerden leiden, ſobald ſie ſich auf das Land begeben, wo ſie ſich mehr Be - wegung machen, daß die in der Blaſe während ihres Auf - enthaltes in der Stadt ſich abſetzenden harnſauren Verbin - dungen (durch die vergrößerte Sauerſtoffaufnahme) in oxalſaure Salze (in Maulbeerſteine) übergehen; bei noch mehr Sauerſtoff würde ſich wie bei geſunden Menſchen nur das letzte Oxydationsprodukt des Kohlenſtoffs, nämlich nur Kohlenſäure, haben bilden können.

Die falſche Interpretation der unleugbaren Beobachtungen, daß durch die Nieren alle von dem Organismus nicht ver - wendbaren Subſtanzen verändert oder unverändert abgeſchie - den und in dem Harn ausgeleert werden, hat die praktiſche Medizin zu der Anſicht geführt, daß die Nahrung und nament - lich ſtickſtoffhaltige Nahrungsſtoffe einen directen Einfluß haben können auf die Erzeugung der Harnſteine. Es giebt keine Gründe, dieſe Meinung zu ſtützen, es giebt unzählige, die ſie wider - legen. Möglich iſt es, daß in den Speiſen eine Menge durch die Kochkunſt umgewandelter Stoffe genoſſen werden, welche, als für Blutbildung nicht mehr tauglich, durch den Reſpirationsproceß mehr oder weniger verändert, aus dem141Umſetzung der Gebilde.Harn ausgeſtoßen werden, allein Braten und Kochen ändern in keiner Weiſe die Zuſammenſetzung der Fleiſch - ſpeiſen 35).

Das gekochte und gebratene Fleiſch wird zu Blut, die Harnſäure und der Harnſtoff ſtammen von den umgeſetzten Gebilden. Die Menge dieſer Produkte ſteigt mit der Schnel - ligkeit der Umſetzung in der gegebenen Zeit, ſie ſteht in keiner Beziehung zu der in dem nämlichen Zeitraume ge - noſſenen Nahrung. Bei einem Hungernden, welcher ſich einer ſtarken und anhaltenden Bewegung hingeben muß, wird mehr Harnſtoff ſecernirt, als bei dem wohlgenährteſten Men - ſchen im Zuſtande der Ruhe; in Fiebern bei raſcher Abma - gerung iſt der Harn harnſtoffreicher als im Zuſtande der Geſundheit (Prout).

33. Aehnlich alſo wie die in dem Urin des ruhenden Pfer - des vorhandene Hippurſäure in benzoeſaures Ammoniak und Kohlenſäure verwandelt wird, ſobald es ſich in Arbeit und Bewegung befindet, verſchwindet die Harnſäure in dem Harn des Menſchen, der durch Haut und Lunge eine zur Oxyda - tion der Produkte der umgeſetzten Gebilde hinreichende Menge Sauerſtoff in ſich aufnimmt; der Genuß von Wein und Fett, die in dem Organismus nur inſofern ſich weiter verändern als ſie Sauerſtoff aufnehmen, hat einen entſchie - denen Einfluß auf die Bildung von Harnſäure. Nach dem Genuß von fetten Speiſen iſt der Harn trübe und ſetzt beim Erkalten kleine Kryſtalle von Harnſäure ab (Prout). Das - ſelbe beobachtet man nach dem Genuß von Weinen (nie bei142Der chemiſche Proceß derRheinweinen), in denen das zur Löslicherhaltung der Harn - ſäure nothwendige Alkali fehlt.

Bei Thieren, welche größere Mengen Waſſer genießen, wodurch die ſchwerlösliche Harnſäure in Auflöſung erhalten wird, ſo daß der eingeathmete Sauerſtoff darauf wirken kann, finden wir im Harn keine Harnſäure, ſondern Harn - ſtoff. Bei Vögeln iſt als Secretionsproduct die Harnſäure vorherrſchend.

Wenn wir zu 1 Atom Harnſäure 6 Atome Sauerſtoff und 4 Atome Waſſer hinzutreten laſſen, ſo zerlegt ſie ſich in Harnſtoff und Kohlenſäure

  • 1 At. Harnſäure C10 N8 H8 O6 = 2 At. Harnſtoff C4 N8 H16 O4
    • 4 » Waſſer
    • 6 » Sauerſtoff
    H8 O10
    6 » Kohlenſäure C6 O12
  • C10 N8 H16 O16 C10 N8 H16 O16

34. Der Harn der Gras freſſenden Thiere enthält keine Harnſäure, wohl aber Ammoniak, Harnſtoff und Hippurſäure, oder Benzoeſäure. Bei einem Hinzutreten von 9 Atomen Sauerſtoff zu der empiriſchen Formel ihres Blutes, fünf mal genommen, haben wir darin die Elemente von 6 Atomen Hippurſäure, 9 At. Harnſtoff, 3 At. Choleinſäure, 3 At. Waſſer und 3 At. Ammoniak; oder wenn wir uns denken, daß während der Metamorphoſe dieſes Blutes 45 Atome Sauerſtoff hinzutreten, ſo haben wir 6 At. Benzoeſäure, 13½ At. Harnſtoff, 3 At. Choleinſäure, 15 At. Kohlen - ſäure und 12 At. Waſſer.

143Umſetzung der Gebilde.
  • 5 (C48 N12 H78 O15 + 9 O = C240 N60 H390 O84 =
  • =
    • 6 At. Hippurſäure 6 (C18 N2 H16 O5) = C108 N12 H96 O30
    • 9 » Harnſtoff 9 (C2 N4 H8 O2) = C18 N36 H72 O18
    • = 3 » Choleinſäure 3 (C38 N2 H66 O11) = C114 N6 H198 O33
    • 3 » Ammoniak 3 (N2 H6) = N6 H18
    • 3 » Waſſer 3 (H2 O) = H6 O3
  • C240 N60 H390 O84

oder

  • 5 (C48 N12 H78 O15) + O45 = C240 N60 H390 O120 =
  • =
    • 6 At. Benzoeſäure 6 (C14 H10 O3) = C84 H60 O18
    • 27 / 2 » Harnſtoff 27 (C N2 H4 O) = C27 N54 H108 O27
    • 3 » Choleinſäure 3 (C38 N2 H66 O11) = C114 N6 H198 O33
    • 15 » Kohlenſäure 15 (C O2) = C15 O30
    • 12 » Waſſer 12 (H2 O) = H24 O12
  • Summa C240 N60 H390 O120

35. Verfolgen wir zuletzt die Metamorphoſe der Gebilde in dem Foetus der Kuh und betrachten wir das im Blute der Mutter zugeführte Protein als den Stoff, welcher eine Umſetzung erleidet oder erlitten hat, ſo ergiebt ſich, daß 2 At. Protein ohne Hinzutreten von Sauerſtoff oder einer fremden Subſtanz die Elemente enthalten von 3 At. Al - lantoin, 4 At. Waſſer und 1 At Choloidinſäure, (Kinds - pech, Meconium??).

  • 2 At. Protein = 2 (C48 N12 H72 O14) + 2 At. Waſſer = C96 N24 H148 O30 =
  • =
    • 3 At. Allantoin 3 (C8 N8 H12 O6) = C24 N24 H36 O18
    • 1 » Choloidinſäure C72 H112 O12
  • C96 N24 H148 O30
144Der chemiſche Proceß der

36. Die Elemente von drei Atomen Allantoin, die in obiger Formel aufgeführt ſind, entſprechen aber genau der Anzahl der Elemente von 2 At. Harnſäure, 2 At. Harnſtoff und 2 Atomen Waſſer.

  • 3 At. Allantoin = C24 N24 H36 O18 =
    • 2 At. Harnſäure C20 N16 H16 O12
    • 2 » Harnſtoff C4 N8 H16 O4
    • 2 » Waſſer H4 O2
  • C24 N24 H36 O18

Die Beziehungen des Allantoins, in dem Harn des Foetus der Kuh, zu den ſtickſtoffhaltigen Beſtandtheilen des Harns bei athmenden Thieren ſind, wie aus der Nebeneinanderſtellung beider Formeln hervorgeht, unverkennbar. In dem Allantoin befinden ſich die Elemente der Harnſäure und des Harnſtoffs, das heißt der ſtickſtoffhaltigen Umſetzungsproducte der Pro - teinverbindungen.

37. Wenn wir ferner zu der Formel des Proteins, dreimal genommen, hinzutreten laſſen die Elemente von 4 Atomen Waſſer und von der ganzen Anzahl aller Beſtandtheile die Hälfte der Elemente der Choloidinſäure hinwegnehmen, ſo bleibt eine Formel, welche außerordentlich nahe die Zuſam - menſetzung des Leims ausdrückt.

  • 3 (C48 N12 H72 O14) + 4 H2 O = C144 N36 H224 O46 =
  • ab ½ At. Choloidinſäure = C36 H56 O6
  • bleibt = C108 N36 H168 O40
  • oder 4 (C27 N9 H42 O10) 36).
145Umſetzung der Gebilde.

38. Nehmen wir von dieſer Formel des Leims die Beſtand - theile von 2 At. Protein hinweg, ſo bleiben uns die Ele - mente des Harnſtoffs, der Harnſäure und des Waſſers, oder 3 At. Allantoin und 3 At. Waſſer.

  • Formel des Leims nach Mulder C108 H168 N36 O40
  • ab 2 Protein C96 H144 N24 O28
  • bleiben C12 H24 N12 O12 =
  • 1 At. Harnſäure C10 H8 N8 O6
  • 1 » Harnſtoff C2 H8 N4 O2 = 3 At. Allantoin C12 H18 N12 O9
  • 4 » Waſſer H8 O4 3 = Waſſer H5 O3
  • C12 H24 N12 O12 C12 H24 N12 O12

39. Abgeſehen von dem größeren Stickſtoffgehalt, in wel - chem dieſe Zahlenverhältniſſe von Mulder’s und Scherer’s Analyſen abweichen, geht aus der gegebenen Auseinander - ſetzung hervor, daß, wenn wir zu den Elementen von 2 At. Protein hinzutreten laſſen die Beſtandtheile der ſtickſtoffhal - tigen Umſetzungsproducte von einem dritten Atom Protein, von Harnſtoff, Harnſäure und Waſſer, oder wenn wir von drei Atomen Protein hinwegnehmen die Beſtandtheile eines ſtickſtofffreien Körpers, den wir als Zerſetzungsproduct der Choleinſäure ebenfalls erhalten können, daß wir in beiden Fällen eine der Zuſammenſetzung der Leimſubſtanz nahe kommende Formel erhalten. Man darf dieſen Formeln, wie ich wiederholt in Erinnerung bringe, keinen höheren Werth beilegen als ſie verdienen; ſie ſollen zu weiter nichts als10146Der chemiſche Proceß derzu Anknüpfungspunkten dienen, um zu richtigeren Vorſtel - lungen über das Entſtehen und Zerfallen der Subſtanzen zu gelangen, woraus die thieriſchen Gebilde beſtehen. Es ſind die erſten Verſuche zur Auffindung des Weges, den wir ein - zuſchlagen haben, um das vorgeſteckte Ziel zu erreichen, und dieſes Ziel, nach dem wir ſtreben, es kann und muß er - reichbar ſein.

Die Erfahrungen von Allen, die ſich mit der Erfor - ſchung der Naturerſcheinungen beſchäftigt haben, kommen zu - letzt darin überein, daß dieſe durch weit einfachere Mittel und Urſachen bedingt und hervorgebracht werden, als man ſich gedacht hat oder als wir uns denken, und gerade ihre Ein - fachheit müſſen wir als das größte Wunder betrachten.

Die Leimſubſtanz entſteht aus Blut, aus Proteinver - bindungen, ſie kann durch Hinzutreten von Ammoniak und Sauerſtoff oder von Waſſer, Harnſtoff und Harnſäure zu den Elementen des Proteins, oder durch Austreten einer ſtick - ſtofffreien Materie gebildet worden ſein. Die Löſung aller dieſer Aufgaben wird minder ſchwierig, wenn die Fragen zur Beantwortung reif und klar geſtellt ſind. Eine jede Verneinung derſelben iſt der Anfangspunkt einer neuen Frage, deren Ermittelung zuletzt die nothwendige Folge der erſten Frageſtellung iſt.

40. In dem Vorhergehenden iſt außer der Choleinſäure keiner der andern Beſtandtheile der Galle in Rechnung gezogen worden, und zwar deswegen, weil man nur bei dieſer Säure mit Beſtimmtheit weiß, daß ſie Stickſtoff enthält. Wenn147Umſetzung der Gebilde.nun vorausgeſetzt wird, daß ihr Stickſtoffgehalt von den Gebilden herrührt, die ſich umgeſetzt haben, ſo iſt es nicht unwahrſcheinlich, daß der Kohlenſtoff und die übrigen Be - ſtandtheile, die wir damit vereinigt finden, aus der näm - lichen Quelle entſprungen ſind.

Bei den fleiſchfreſſenden Thieren iſt es nicht dem gering - ſten Zweifel unterworfen, daß die Beſtandtheile ihres Harns und ihrer Galle Produkte der Umſetzung von Proteinver - bindungen ſind, denn außer Fett genießen ſie nur Stoffe, welche Protein enthalten oder welche aus Protein entſtan - den ſind; ihre Nahrung iſt identiſch mit ihrem Blute, und es iſt vollkommen gleichgültig, welche von beiden als Aus - gangspunkt der chemiſchen Entwickelung ihrer Metamor - phoſen gewählt werden.

Für den Proceß der Ernährung kann es keinen größern Widerſpruch geben, als wenn vorausgeſetzt wird, daß der Stickſtoff der Nahrungsmittel fähig wäre, in den Harn als Harnſtoff überzugehen, ohne vorher zu einem Beſtandtheil der Gebilde geworden zu ſein, denn Albumin, der einzige Beſtandtheil des Bluts, der ſeinem Gewichte nach in Be - tracht kommen kann, kann bei ſeinem Durchgange durch die Leber nicht die geringſte Veränderung erlitten haben, da wir es in allen Theilen des Körpers von gleicher Beſchaffenheit und Eigenſchaften wieder finden. Dieſe Organe können zu einer Metamorphoſe, zu einer Veränderung oder Zerſetzung des Stoffes nicht geeignet ſein, aus dem ſich alle übrigen entwickeln.

10*148Der chemiſche Proceß der

41. Aus dem Verhalten des Chylus und der Lymphe geht mit Zuverläſſigkeit hervor, daß die löslichen Beſtandtheile der Speiſen oder des Chymus die Form von Albumin er - halten. Das gekochte Eiweiß, der gekochte oder geronnene Faſerſtoff, welche in dem Magen wieder löslich geworden, ihre Gerinnbarkeit an der Luft oder durch die Hitze aber verloren hatten, erhalten dieſe Eigenſchaften nach und nach wieder. In den Chylusgefäßen iſt die ſaure Reaction des Chymus bereits in die ſchwach alkaliſche des Blutes über - gegangen, nach ſeinem Durchgange durch die Drüſen des Meſenteriums, in dem Ductus thoracicus angelangt, enthält er in der Hitze gerinnendes Albumin und ſcheidet, ſich ſelbſt überlaſſen, Fibrin ab. Alle Proteinverbindungen, welche beim Durchgange des Chymus durch die Eingeweide auf - geſaugt wurden, werden zu Albumin, welches, wie die Er - fahrung beim Bebrüten des Hühnerei’s ergiebt, bis auf den Eiſengehalt, der von andern Seiten her geliefert wird, die Grundbeſtandtheile aller übrigen Organe enthält.

Die Frage, was beim Menſchen aus den im Ueberſchuß zugeführten Proteinverbindungen wird, welche Verwandlung die überreichliche ſtickſtoffhaltige Speiſe erfährt, hat die practiſche Medicin längſt entſchieden. Die Blutgefäße zeigen ſich mit Blut, die übrigen mit Säften überfüllt, und wenn die Zufuhr an Speiſen fortdauert und das Blut oder die Säfte, die ſich zur Blutbildung eignen, keine Verwendung finden, wenn die löslichen Materien von den dazu beſtimm - ten Organen nicht aufgenommen werden, ſo entwickeln149Umſetzung der Gebilde.ſich in den Eingeweiden, wie bei Fäulnißproceſſen, Gaſe mannigfaltiger Art, die feſten Ausleerungen nehmen in Farbe, Geruch u. ſ. w. eine veränderte Beſchaffenheit an, und wenn die Säfte in dem Saug - und Lymphgefäßſyſtem eine ähnliche Umſetzung erfahren, ſo iſt dies ſogleich in der Blutmiſchung ſichtbar, und durch dieſes nimmt alsdann der Ernährungsproceß andere Formen an.

42. Keine von allen dieſen Erſcheinungen dürfte ſich zei - gen, wenn Nieren und Leber fähig wären, eine Zerſetzung der löslich gewordenen, im Ueberſchuß zugeführten, Proteinver - bindungen in Harnſtoff, Harnſäure und Galle zu bewirken. Durch alle Beobachtungen, die man hinſichtlich des Ein - fluſſes der ſtickſtoffhaltigen Nahrung auf die Beſtandtheile des Harns gemacht hat, iſt dieſe Vorausſetzung nicht im ent - fernteſten bewieſen, denn dieſer Einfluß iſt einer andern und weit einfacheren Interpretation fähig, wenn man mit der Nahrung die Lebensweiſe und Gewohnheiten der Perſonen in Betracht zieht, welche zu Gegenſtänden der Beobachtung gedient haben. Harngries und Harnſteine finden ſich bei Perſonen, welche ſehr wenig animaliſche Koſt genießen. Nie ſind bis jetzt Harnſäure-haltige Concretionen bei Fleiſch-freſ - ſenden Säugethieren, welche im freien, wilden Zuſtande leben, beobachtet worden*)Das Vorkommen des harnſauren Ammoniaks in dem Harnſtein von ei - nem Hunde, der von Laſſaigne unterſucht wurde, muß bezweifelt werden, wenn er ihn nicht eigenhändig aus der Blaſe des Hundes genommen hat., und bei Nationen, welche keine andere Nahrung als Fleiſchſpeiſen genießen, ſind Ablagerun -150Der chemiſche Proceß dergen von Harnſäure-haltigen Concretionen an den Gliedern oder in der Harnblaſe völlig unbekannt.

43. Was in Beziehung auf den Urſprung der Galle, oder richtiger vielleicht, der Choleinſäure bei den Fleiſch-freſſenden Thieren als eine unleugbare Wahrheit angeſehen werden muß, kann in keiner Weiſe für alle Beſtandtheile der Galle gelten, welche von der Leber der Gras - und Körner-freſſen - den Thiere ſecernirt werden, denn es iſt bei der ſo großen Menge Galle, die von der Leber eines Ochſen ſecernirt wird, ſchlechterdings unmöglich anzunehmen, daß aller Koh - lenſtoff derſelben von der Subſtanz der umgeſetzten Gebilde ſtammt.

Nehmen wir an, daß die 59 Unzen trockner Galle (von 37 Pfunden ſecernirter Galle) den nämlichen Stickſtoffgehalt enthielten, wie die Choleinſäure (3,86 p. c.), ſo würden wir darin nahe an Loth Stickſtoff haben, und wenn dieſer Stickſtoff von der Subſtanz der umgeſetzten Gebilde ſtammt, ſo könnte ſich im höchſten Fall, wenn aller Kohlen - ſtoff derſelben in die Galle übergehen würde, nur eine dem Gewicht von 143 / 10 Loth Kohlenſtoff entſprechende Menge Galle bilden, dies iſt aber weit unter derjenigen Quantität, welche den Beobachtungen nach, ſecernirt wird.

44. Es müſſen nothwendiger Weiſe, außer den Protein - Verbindungen, noch Materien anderer Art, an der Bildung der Galle in dem Organismus des Gras - und Körner-freſſen - den Thieres Antheil nehmen, und dieſe können nur die ſtick - ſtofffreien Nahrungsmittel ſein.

151Umſetzung der Gebilde.

45. Der Gallenzucker Gmelin’s (Picromel, Bilin nach Berzelius), welchen Berzelius als den Hauptbe - ſtandtheil der Galle betrachtet, während ihn Demarçay im Weſentlichen für Choleinſäure hält, brennt an der Luft erhitzt wie Harz, liefert ammoniakaliſche Produkte und giebt, mit Säuren behandelt, Taurin und die Zerſetzungsproducte der Choleinſäure, mit Alkalien liefert er Ammoniak und Cholinſäure. Jedenfalls enthält dieſe Subſtanz Stickſtoff als Beſtandtheil, ein weit kleineres Verhältniß von Sauerſtoff wie Amylon oder Zucker und eine größere Menge wie die fetten Säuren. Wenn wir in der Metamorphoſe des Gallenzuckers oder der Choleinſäure durch ätzende Al - kalien den Stickſtoff austreten machen, ſo erhalten wir eine kryſtalliſirte, den fetten Säuren außerordentlich ähn - liche Säure (Cholinſäure), fähig mit den Baſen Salze zu bilden, welche die Haupteigenſchaften mit den Seifen gemein haben. Ja wir können ſogar dieſe Hauptbeſtandtheile der Galle als Verbindungen von fetten Säuren mit organiſchen Oxyden betrachten, ähnlich den gewöhnlichen Fetten, und nur in ſofern von ihnen verſchieden, als ſich kein Glyceryl - oxyd darin befindet. Die Choleinſäure z. B. läßt ſich be - trachten als eine Verbindung von Choloidinſäure mit den Elementen des Allantoins und des Waſſers.

oder von Cholinſäure, Harnſtoff und Waſſer:

152Der chemiſche Proceß der

46. Wenn nun in der That, woran man kaum zweifeln kann, die Beſtandtheile der ſtickſtofffreien Nahrungsmittel an der Bildung der Galle in dem Körper der Gras-freſſenden Thiere Antheil nehmen, ſo ſteht dieſer Anſicht, in der Zu - ſammenſetzung der Hauptbeſtandtheile der Galle, nach dem gegenwärtigen Zuſtande unſerer Kenntniſſe, kein Hinderniß entgegen.

Wenn das Amylon hierbei die Hauptrolle übernimmt, ſo kann dies in keiner andern Weiſe geſchehen, als daß ſich, ganz ähnlich wie bei ſeinem Uebergang in Fett, von ſeinen Elementen eine gewiſſe Quantität Sauerſtoff trennt, denn es enthält auf die gleiche Anzahl an Kohlenſtoffatomen (auf 72 At.) fünfmal ſo viel Sauerſtoff wie die Choloidinſäure.

Ohne ein Austreten von Sauerſtoff, von den Elementen des Amylon’s, iſt hiernach ſein Uebergang in Galle nicht denk - bar und, dies vorausgeſetzt, iſt die chemiſche Entwickelung ſeiner Verwandlung in eine zwiſchen ſeiner eignen und der Zu - ſammenſetzung der fetten Säuren ſtehenden Verbindung keiner - lei Schwierigkeit unterworfen.

47. Um dieſe Auseinanderſetzung nicht zu einem müſſigen Spiele mit Formeln zu machen und um den Hauptzweck nicht aus den Augen zu verlieren, führt alſo die Betrachtung des quantitativen Verhältniſſes der in dem Körper der Gras - freſſenden Thiere abgeſonderten Galle zu folgenden Schlüſſen:

Die Hauptbeſtandtheile der Galle der Gras-freſſenden153Umſetzung der Gebilde.Thiere enthalten Stickſtoff; dieſer Stickſtoff ſtammt von Pro - tein-Verbindungen.

Sie enthält eine größere Menge Kohlenſtoff als der genoſſenen ſtickſtoffhaltigen Nahrung, oder der Subſtanz ihrer Gebilde entſpricht, die in ihrem Lebensproceſſe eine Verän - derung erlitten haben.

Ein Theil dieſes Kohlenſtoffs muß demnach von den ſtickſtofffreien Nahrungsmitteln geliefert werden und, um in einen ſtickſtoffhaltigen Beſtandtheil der Galle überzugehen, müſſen ſich nothwendig eine gewiſſe Anzahl ihrer Elemente verbunden haben mit einem ſtickſtoffhaltigen Körper, der aus einer Proteinverbindung entſtanden iſt.

Für dieſen Schluß iſt es ganz gleichgültig, ob man an - nimmt, daß die Protein-Verbindung von der Nahrung oder den Gebilden ſtammt.

48. Es iſt neuerlichſt von Ure angegeben worden, daß Benzoeſäure innerlich gegeben, in dem Harn als Hippur - ſäure wieder erſcheint.

Wenn ſich dieſe Beobachtung beſtätigen ſollte*)Die Analyſe der aus dem Harn beim Zuſatz von Salzſäure ſich abſcheidenden Kryſtalle iſt nicht gemacht worden. Ure’s Angabe, daß in Salpeterſäure aufgelöſ’te Hippurſäure beim Zuſatz von Ammoniak ſich röthet, iſt übrigens falſch, ſie beweiſ’t, daß die von ihm erhaltenen Kry - ſtalle Harnſäure enthielten., ſo er - langt ſie eine große phyſiologiſche Bedeutung, weil ſie offen - bar beweiſen würde, daß der Akt der Umſetzung der Gebilde im Thierkörper, durch gewiſſe, in den Speiſen genoſſene Mate -154Der chemiſche Proceß derrien, eine andere Form in Beziehung auf die neugebildeten Verbindungen annimmt, denn die Hippurſäure enthält die Elemente des milchſauren Harnſtoffs, in deſſen Zuſammen - ſetzung die Elemente der Benzoeſäure eingetreten ſind.

  • 1 At. Harnſtoff C2 N4 H3 O2
  • 1 » Milchſäure C6 H8 O4 = 2 At. kryſt. Hippurſäure.
  • 2 » Benzoeſäure C28 H20 O5 = 2 (C18 N2 H18 O6)
  • C35 N4 H36 O12.

49. Wenn wir uns den Akt der Umſetzung der Gebilde in dem Körper der Gras-freſſenden Thiere, auf eine ähnliche Weiſe denken, wie bei den Fleiſch-freſſenden, ſo wird ihr Blut, in den letzten Produkten der Umſetzung, von allen Organen zuſammengenommen, Choleinſäure, Harnſäure und Ammoniak (S. 138) liefern müſſen, und wenn wir der Harn - ſäure eine ähnliche Wirkung zuſchreiben wie der Benzoe - ſäure in Ure’s Beobachtung, daß nämlich durch ihre Ge - genwart die weitere Umſetzung eine andere Form an - nimmt, inſofern ihre Elemente in die neuentſtehenden Pro - dukte mit aufgenommen werden, ſo ergiebt ſich z. B., daß 2 At. Protein, zu welchen die Elemente von 3 At. Harn - ſäure und zwei Atome Sauerſtoff treten, zur Bildung von Hippurſäure und Harnſtoff Veranlaſſung geben können.

  • 2 At. Protein 2 (C43 N12 H72 O14) = C96 N24 H144 O28
  • 3 » Harnſäure 3 (C10 N8 H8 O6) = C30 N24 H24 O18
  • 2 » Sauerſtoff O2
  • in Summa C126 N48 H168 O48 =
155Umſetzung der Gebilde.
  • =
    • 6 At. Hippurſäure 6 (C18 N2 H16 O5) = C108 N12 H96 O30
    • 9 » Harnſtoff 9 (C2 N4 H8 O2) = C18 N36 H72 O18
  • C126 N48 H168 O48.

50. Wenn wir zuletzt feſthalten, daß bei den Gras-freſſenden Thieren, die ſtickſtofffreien Nahrungsmittel (Amylon u. ſ. w.) eine beſtimmte Rolle in der Bildung der Galle ſpielen müſſen, daß zu ihren Elementen ein ſtickſtoffhaltiger Körper noth - wendig treten muß, um die ſtickſtoffhaltigen Beſtandtheile der Galle hervorzubringen, ſo ergiebt ſich als das bemerkens - wertheſte Reſultat dieſer Combinationen, daß die Elemente des Amylons und die der Hippurſäure, gleich ſind, den Ele - menten der Choleinſäure, plus einer gewiſſen Menge Koh - lenſäure.

  • 2 At. Hippurſäure 2 (C18 N2 H15 O5) = C36 N4 H32 O10
  • 5 » Amylon 5 (C12 H20 O10) = C60 H100 O50
  • 2 » Sauerſtoff O2
  • C96 N4 H132 O62
  • =
    • 2 At. Choleinſäure C76 N4 H132 O22
    • 20 » Kohlenſäure C20 O40
  • C96 N4 H132 O62

51. Da nun die Hippurſäure neben Harnſtoff aus den Proteinverbindungen entſtehen kann, wenn in die Zuſammen - ſetzung derſelben die Elemente der Harnſäure aufgenommen werden (S. 154), da ferner Harnſäure, Ammoniak und Cholein - ſäure (S. 138) die Elemente des Proteins in einer nahe gleichen Anzahl von Elementen enthalten, ſo iſt klar, daß, wenn156Der chemiſche Proceß derbeim Hinzutritt von Sauerſtoff und den Elementen des Waſſers, von 5 At. Protein die Beſtandtheile der Cholein - ſäure und Ammoniak austreten, wir die Elemente der Hip - purſäure und des Harnſtoffs übrig behalten, und wenn ferner bei dieſem Austreten und der weiter vorgehenden Umſetzung die Elemente von Amylon ſich gegenwärtig befinden und in die neu entſtehenden Verbindungen eintreten, ſo erhalten wir eine neue Menge Choleinſäure, ſowie eine gewiſſe Quan - tität gasförmige Kohlenſäure.

Dies will alſo ſagen, daß, wenn die Elemente von Protein und Amylon ſich bei Gegenwart von Sauerſtoff und Waſſer neben und mit einander umſetzen, wir als Produkte dieſer Umſetzung Harnſtoff, Choleinſäure, Ammoniak und Koh - lenſäure und außer dieſen kein anderes Produkt erhalten.

Die Elemente von

  • 5 At. Protein 9 At. Choleinſäure.
  • 15 » Amylon 9 » Harnſtoff.
  • 12 » Waſſer 60 » Kohlenſäure.
  • 5 » Sauerſtoff 6 » Ammoniak.

Es ſind nemlich:

  • 5 At. Protein = 5 (C48 N12 H72 O14) = C240 N60 H360 O70
  • 15 » Amylon = 15 (C12 H20 O10) = C180 H300 O150
  • 12 » Waſſer = 12 (H2 O) = H24 O12
  • 5 » Sauerſtoff = 5 (O) = O5
  • in Summa = C420 N60 H684 O237.
157Umſetzung der Gebilde.
  • =
    • 9 At. Choleinſäure = 9 (C38 N2 H66 O11) = C342 N18 H594 O99
    • 9 » Harnſtoff = 9 (C2 N4 H8 O2) = C18 N36 H72 O18
    • 60 » Kohlenſäure = 60 (C O2) = C60 O120
    • 6 » Ammoniak = 6 (N H3) = N6 H18
  • in Summa = C420 N60 H584 O237

Die Umſetzung der in dem Thierkörper vorhandenen Protein-Verbindungen wird bewirkt durch den im arteriellen Blut zugeführten Sauerſtoff, und wenn die Beſtandtheile des in dem Magen des Thieres löslich gewordenen und in allen Theilen des Körpers verbreiteten Amylons in die neu ent - ſtandenen Verbindungen mit aufgenommen werden, ſo er - halten wir die Hauptbeſtandtheile der Se - und Excretionen des Thierkörpers; Kohlenſäure als Excretion der Lunge, Harnſtoff und kohlenſaures Ammoniak als Excretion der Nieren, Choleinſäure als Secret der Leber.

Der Anſicht, daß ein Theil des Kohlenſtoffs der ſtickſtoff - freien Nahrungsmittel in die Galle übergehen kann, ſteht mithin in der chemiſchen Zuſammenſetzung der Stoffe, welche denkbarer Weiſe an dem Stoffwechſel im Thier Antheil neh - men können, kein Hinderniß entgegen.

52. Das Fett verſchwindet in dem Thierkörper bei gehö - riger Zufuhr von Sauerſtoff, beim Mangel an Sauerſtoff kann die Choleinſäure übergehen in Hippurſäure, Lithofellin - ſäure und Waſſer. Die Lithofellinſäure 37) iſt bekanntlich der Hauptbeſtandtheil der in gewiſſen Gras-freſſenden Thieren vorkommenden Bezoare.

158Der chemiſche Proceß der
    • 2 At. Choleinſäure C76 N4 H132 O22
    • 10 » Sauerſtoff O10
    • 2 At. Hippurſäure C36 N4 H32 O10
    • 1 » Lithofellinſäure C40 H72 O8
    • 14 » Waſſer H28 O14
  • C76 N4 H132 O32 C76 N4 H132 O32

53. Zur Erzeugung von Galle im Thierkörper gehört unter allen Umſtänden eine gewiſſe Quantität Natron, ohne die Gegenwart einer Natronverbindung kann ſich keine Galle bilden. Bei Abweſenheit von Natron kann ſich durch Um - ſetzung der Proteingebilde nur Fett und Harnſtoff bilden. Denken wir uns das Fett nach der empiriſchen Formel C11 H20 O zuſammengeſetzt, ſo haben wir beim Hinzutreten von Waſſer und Sauerſtoff zu den Elementen des Proteins die Beſtandtheile des Fettes, der Kohlenſäure und des Harnſtoffs.

  • Protein. Waſſer. Sauerſtoff.
  • 2 (C48 N12 H72 O14) + 12 H2 O + 14 O = C96 N24 H168 O54 =
  • =
    • 6 At. Harnſtoff .. = C12 N24 H48 O12
    • Fett ......... = C66 H120 O6
    • 18 Kohlenſäure .. = C18 O36
  • C96 N24 H168 O54.

Die Zuſammenſetzung aller Fette liegt zwiſchen den em - piriſchen Formeln C11 H20 O oder C12 H20 O. Gehen wir von der letzteren aus, ſo geben die Elemente von Protein (2 Pr.) beim Hinzutreten von 2 At. Sauerſtoff und 12 At. Waſſer, 6 At. Harnſtoff, Fett (C72 H120 O6) und 12 At. Kohlenſäure.

159Umſetzung der Gebilde.

Bemerkenswerth in Beziehung auf die Bildung des Fet - tes bleibt es immer, daß die Abweſenheit des Kochſalzes (eine Natrium-Verbindung, welche dem Organismus das Natron liefert) die Fettbildung begünſtigt, daß das Mäſten eines Thieres unmöglich gemacht wird, wenn wir ſeiner Nahrung einen Ueberfluß von Kochſalz, wiewohl weniger als nöthig wäre, um Purgiren zu bewirken, zuſetzen.

54. Als eine Art von Ueberblick über die Metamorphoſen der ſtickſtoffhaltigen Secrete des Thierkörpers, iſt es hier ganz an ſeinem Orte, die Aufmerkſamkeit darauf hinzulen - ken, daß die ſtickſtoffhaltigen Producte der Metamorphoſe der Galle, identiſch ſind mit den Beſtandtheilen des Harns, mit welchen die Elemente des Waſſers in Verbindung getreten ſind.

  • 1 At. Harnſäure C10 N8 H8 O6
  • 1 » Harnſtoff C2 N4 H8 O2 = 3 At. Taurin C12 N6 H42 O30
  • 22 » Waſſer H44 O22 3 » Ammoniak N6 H18
  • C12 N12 H60 O30 C12 N12 H60 O30.
  • 1 At. Allantoin C4 N4 H6 O3 = 1 At. Taurin C4 N2 H14 O10
  • 7 » Waſſer H14 O7 1 Aeq. Ammoniak N2 H6
  • C4 N4 H20 O10 C4 N4 H20 O10.

55. Für die Metamorphoſen der Harnſäure und der ſtickſtoffhaltigen Umſetzungsproducte der Galle, iſt es nicht minder bedeutungsvoll, daß beim Hinzutreten von Sauerſtoff und Waſſer zu den Beſtandtheilen der Harnſäure, Taurin und Harnſtoff, oder Taurin, Kohlenſäure und Ammoniak ent - ſtehen kann.

160Der chemiſche Proceß der
  • 1 At. Harnſäure C10N8H8 O62 At. Taurin C8 N4 H28 O20
  • 14 » Waſſer H28O14 = 1 » Harnſtoff C2 N4 H8 O2
  • 2 » Sauerſtoff O2 C10N8H36O22
  • C10N8H36O22 = 2 At. Taurin C8N4H28O20
  • Hierzu 2 At. Waſſer H4O2 2 » Kohlenſäure C2 O4
  • C10N8H40O24 2 » Ammoniak N4H12
  • C10N8H40O24

56. Alloxan plus einer gewiſſen Menge Waſſer, iſt in ſei - ner Zuſammenſetzung gleich der des Taurin, das letztere ent - hält zuletzt die Elemente des ſauren oxalſauren Ammoniaks.

  • Taurin.
    • 1 At. Alloran
      *)Es wäre von großem Intereſſe, die Wirkung des Alloxaus auf den menſchlichen Körper zu unterſuchen; zwei bis drei Drachmen im kryſtalliſirten Zuſtande Kaninchen gegeben, gaben keine ſchädlichen Wirkungen zu erkennen. Beim Menſchen ſchien eine ſtarke Doſis nur auf die Urin - ſecretion von Einfluß zu ſein. Bei gewiſſen Krankheiten der Leber dürfte das Alloxan eins der wichtigſten Arzneimittel abgeben.
      *) C8N4H8 O10
    • 10 » Waſſer H20O10
    = 2 (C4N2H14O10)
  • 1 At. Taurin C4N2H14O10 =
    • 2 At. Oxalſäure C4 O5
    • 1 » Ammoniak N2H5
    • 4 » Waſſer H8 O4
  • C4N2H14O10

57. Die Vergleichung des Kohlenſtoffgehaltes der in dem Körper eines Gras-freſſenden Thieres ſecernirten Galle, mit der Kohlenſtoffmenge ſeiner Gebilde oder ſeiner ſtickſtoff - haltigen Nahrungsmittel, welche in Folge des Stoffwechſels in Galle übergehen können, führt, wie ſich aus dem Vorher - gehenden ergiebt, auf einen großen Unterſchied.

161Umſetzung der Gebilde.

Die Kohlenſtoffmenge der ſecernirten Galle beträgt im geringſten Falle mehr wie das 5fache, von dem was durch den Stoffwechſel ihrer Gebilde oder die ſtickſtoffhaltigen Be - ſtandtheile ihrer Nahrung der Leber zugeführt werden kann, und der Schluß, daß an der Bildung der Galle bei dieſen Thieren, die ſtickſtofffreien Beſtandtheile ihrer Nahrung einen ganz beſtimmten Antheil nehmen, darf als wohlbegründet angeſehen werden, denn es giebt keine Erfahrung oder Beob - achtung, die ſeiner Richtigkeit entgegenſtände.

58. Es iſt in dem Obigen der analytiſche Beweis nieder - gelegt, daß aus allen Beſtandtheilen des Harns, aus Hip - purſäure, Harnſäure und Allantoin, die ſtickſtoffhaltigen Pro - ducte der Umſetzung der Galle, nämlich Ammoniak und Taurin entſtehen können, und wenn wir uns daran erinnern, daß durch ein bloßes Austreten von Sauerſtoff und Waſſer, aus den Beſtandtheilen des Amylon, Choloidinſäure gebildet wer - den kann,

  • 6 At. Amylon = 6 (C12H20O10) = C72H120O60
  • hiervon ab
    • 44 At. Sauerſtoff
    • 4 » Waſſer
    H8 O48
  • bleibt Choloidinſäure = C72H112O12

daß zuletzt die Choloidinſäure, das Ammoniak und Taurin die Elemente der Choleinſäure in ſich ſchließen,

11162Der chemiſche Proceß der
  • 1 At. Choloidinſäure C72 H112O12
  • 1 » Taurin C4 N2H14 O10
  • 2 » Ammoniak N2H6
  • Choleinſäure = C76N4H132O22

ſo wird durch die Kenntniß dieſer Thatſachen, ein jeder Widerſpruch gegen die Möglichkeit dieſer Vorgänge entfernt.

59. Die chemiſche Analyſe ſowohl wie die Beobachtung des lebenden Thierkörpers unterſtützen ſich alle gegenſeitig; ſie führen beide zu dem Schluſſe, daß eine gewiſſe Quantität des Kohlenſtoffs der ſtickſtofffreien Nahrungsſtoffe (Reſpi - rationsſtoffe) von der Leber in der Form von Galle ſecernirt wird, daß ferner die ſtickſtoffhaltigen Producte der Umſetzung der Gebilde der Gras-freſſenden Thiere nicht direct und un - mittelbar wie bei den Fleiſchfreſſern zu den Nieren gelan - gen, ſondern daß ſie vor ihrem Austreten durch die Harn - blaſe, in gewiſſen anderen Proceſſen, und namentlich in der Bildung der Galle eine Rolle übernehmen.

Mit den Elementen der ſtickſtofffreien Nahrungsſtoffe werden ſie der Leber zugeführt, ſie kehren in der Form von Galle wieder in den Körper zurück und werden erſt zuletzt, wenn ſie zur Bildung des allgemeinſten Reſpirationsmittels gedient haben, durch die Nieren aus dem Körper entfernt.

60. Wenn wir den Harn ſich ſelbſt überlaſſen, ſo verwan - delt ſich der darin enthaltene Harnſtoff in kohlenſaures Am - moniak; ſeine Elemente ſind genau in dem Verhältniß zu - gegen, daß mit dem Hinzutreten der Elemente des Waſſers163Umſetzung der Gebilde.aller Kohlenſtoff in Kohlenſäure, aller Waſſerſtoff in Am - moniak übergehen kann.

  • 1 At. Harnſtoff C2N4H8O2 = 2 At. Kohlenſäure C2 O4
  • 2 » Waſſer H4O2 2 Aeq. Ammoniak N4H12

61. Wären wir im Stande, aus Harnſäure oder Allantoin geradezu Taurin und Ammoniak darzuſtellen, ſo möchte dies wohl als ein weiterer Beweis für den Antheil angeſehen werden dürfen, welcher dieſen Materien an der Bildung der Galle zugeſchrieben worden iſt, allein es darf nicht als Ein - wurf betrachtet werden, wenn dieſe Verwandlung mit den Mitteln, die uns zu Gebote ſtehen, nicht bewirkt werden kann. Ein ſolcher Einwurf verliert ſeine Bedeutung, wenn man berückſichtigt, daß das Vorhandenſein von Taurin und Ammoniak in der Galle ſchlechterdings nicht vorausgeſetzt werden kann, ja daß es ſogar nicht einmal wahrſcheinlich iſt, daß ſie in der Form, wie wir ſie als Zerſetzungspro - ducte der Galle bekommen, wirkliche Beſtandtheile davon ausmachen.

Durch die Einwirkung der Salzſäure auf Galle zwingen wir gewiſſermaßen ihre Elemente in ſolchen Formen zu - ſammenzutreten, welche durch den nämlichen einwirkenden Körper keiner weiteren Veränderung mehr fähig ſind, und wenn wir uns anſtatt der Salzſäure des Kali’s bedienen, ſo erhalten wir die nämlichen Elemente, wiewohl in einer andern und ganz verſchiedenen Weiſe geordnet. Wäre Taurin als ſolches in der Galle vorhanden, ſo müßte man durch11*164Der chemiſche Proceß derAlkalien die nämlichen Producte erhalten, wie durch Säuren. Alles dies iſt gegen die Erfahrung.

Wenn wir alſo auch im Stande wären, das Allantoin oder Harnſäure und Harnſtoff, in Taurin und Ammoniak überzuführen, ſo würden wir an Einſicht in den wahren Vorgang nicht reicher ſein, eben weil die Präexiſtenz von Ammoniak und Taurin in der Galle bezweifelt werden muß, und weil wir keinen Grund haben zu glauben, daß Harn - ſtoff als Harnſtoff, Allantoin als Allantoin zur Bildung der Galle vom Organismus verwendet wird; wir können darthun, daß ihre Elemente zu dieſem Zwecke dienen, allein es iſt uns gänzlich unbekannt, in welcher Weiſe dieſe Ele - mente eingetreten ſind, welchen chemiſchen Charakter die ſtickſtoffhaltige Verbindung beſitzt, die ſich mit den Elementen des Amylons zu Galle oder vielmehr zu Choleinſäure ver - einigt.

62. Choleinſäure kann entſtehen aus den Elementen des Amylons, der Harnſäure und des Harnſtoffs, oder des Al - lantoins, oder der Harnſäure, oder des Alloxan’s, oder der Oxalſäure und des Ammoniaks, oder der Hippurſäure; dieſe verſchiedenen Formen von Stickſtoffverbindungen zeigen an und für ſich ſchon, daß ſich alle ſtickſtoffhaltigen Pro - ducte des Stoffwechſels im Thierkörper zur Bildung von Galle eignen, ohne daß wir damit wiſſen, in welcher Weiſe ſie dazu verwendet werden.

Wir können durch Behandlung mit kauſtiſchen Alkalien das Allantoin zerlegen in Oxalſäure und Ammoniak; die165Umſetzung der Gebilde.nämlichen Producte erhalten wir aus dem Oxamid, ohne daß wir aus der Gleichheit derſelben einen Schluß rückwärts auf ihre Identität, auf eine gleiche Conſtitution dieſer Ver - bindungen machen können. So geſtatten uns denn die Pro - ducte, die wir aus Choleinſäure durch die Einwirkung von Säuren erhalten, in keiner Weiſe einen Schluß über die Art und Weiſe, wie ihre Elemente ſich darin geordnet befinden.

63. Wenn die Aufgabe der organiſchen Chemie in der Un - terſuchung der Veränderungen beſteht, welche die Nahrungs - mittel im Thierkörper erfahren, ſo hat ſie darzuthun, welche Elemente hinzu -, welche ausgetreten ſind, um die Verwand - lung einer gegebenen Verbindung in eine zweite und dritte zu bewirken oder überhaupt möglich zu machen, allein ſyn - thetiſche Beweiſe können von ihr nicht erwartet werden, weil alle Vorgänge im Organismus unter dem Einfluß einer immateriellen Thätigkeit ſtehen, über welche der Chemiker nicht nach Willkühr verfügen kann.

Die Beobachtung der Erſcheinungen, welche die Meta - morphoſen der Nahrungsmittel im Organismus begleiten, die Ermittelung des Antheils, den die Atmoſphäre oder die Beſtandtheile des Waſſers an dieſen Veränderungen nehmen, führen von ſelbſt auf die Bedingungen, welche ſich zur Ent - ſtehung eines Secretes oder eines Theiles oder Beſtand - theiles eines Organs vereinigen müſſen.

64. Das Vorhandenſein von freier Salzſäure im Magen, ſowie der Natrongehalt des Blutes ſetzen die Nothwendig -166Der chemiſche Proceß derkeit des Kochſalzes für den organiſchen Proceß außer allen Zweifel, allein die Quantität von Natron, welche verſchie - dene Thierklaſſen zur Unterhaltung der vitalen Proceſſe be - dürfen, iſt außerordentlich ungleich.

Wenn wir uns denken, daß eine gegebene Menge Blut als Natronverbindung betrachtet, in dem Körper eines Fleiſch - freſſenden Thieres in Folge des Stoffwechſels in eine neue Natronverbindung, in Galle nämlich, übergeht, ſo muß vorausgeſetzt werden, daß im normalen Zuſtande der Ge - ſundheit der Natrongehalt des Blutes vollkommen hinreicht, um mit den entſtandenen Producten der Umſetzung Galle zu bilden. Das zu den vitalen Proceſſen verbrauchte oder über - flüſſige Natron wird, durch die Nieren von dem Blute ge - ſchieden, in der Form eines Salzes austreten müſſen.

Wenn es nun wahr iſt, daß in dem Körper eines Gras - freſſenden Thieres eine weit größere Menge Galle gebildet wird, als der Quantität des erzeugten oder umgeſetzten Blu - tes entſpricht, daß der größte Theil ihrer Galle von gewiſ - ſen Beſtandtheilen ihrer Nahrung ſtammt, ſo kann das Na - tron des zu Gebilden gewordenen (aſſimilirten, umgeſetzten) Blutes bei weitem nicht hinreichen, um den zur Bildung von Galle täglich nöthigen Bedarf an Natron zu liefern. Das Na - tron der Galle der Gras-freſſenden Thiere muß demzufolge direct von den Nahrungsmitteln geliefert werden; ihr Orga - nismus muß die Fähigkeit haben, alle in den Speiſen vor - handenen und von dem Organismus zerlegbaren Natronver - bindungen unmittelbar zur Bildung von Galle zu verwen -167Umſetzung der Gebilde.den. Alles Natron im Thierkörper ſtammt, wie ſich von ſelbſt verſteht, von den Speiſen, allein die Speiſe des Fleiſch-freſſenden Thieres enthält im Maximo nur die zur Blutbildung erforderliche Menge Natron; in den meiſten Fällen kann man bei dieſer Thierklaſſe vorausſetzen, daß nur eine der Menge des zur Blutbildung verwendeten Natrons entſprechende Quantität durch ihren Harn wieder austritt.

Wenn ſie eine zur Blutbildung hinreichende Quantität Natron zu ſich nehmen, ſo wird eine dieſer gleiche Menge durch den Harn ausgeleert, genießen ſie weniger, ſo behält ihr Organismus einen Theil des zur Ausleerung beſtimmten Natronſalzes zurück.

Ueber alle dieſe Verhältniſſe giebt die Zuſammenſetzung des Harns der verſchiedenen Thierklaſſen die unzweideutig - ſten Belege.

65. Als letztes Product der Veränderung aller Natron - verbindungen im Thierkörper erhalten wir im Harn, das Natron in der Form eines Salzes, den Stickſtoff als Am - moniak oder Harnſtoff.

Das Natron in dem Harn der Fleiſch-freſſenden Thiere finden wir an Schwefelſäure und Phosphorſäure gebunden, nie fehlt neben dieſen Natronſalzen eine gewiſſe Menge eines Ammoniakſalzes, Salmiak oder phosphorſaures Am - moniak. Es kann keinen entſcheidenderen Beweis für die Meinung abgeben, daß das Natron ihrer Galle oder ihrer umgeſetzten Blutbeſtandtheile bei weitem nicht hinreicht, um die austretenden Säuren zu neutraliſiren, als wie die Ge -168Der chemiſche Proceß dergenwart dieſer Ammoniakſalze im Harn; dieſer Harn reagirt ſauer.

Im graden Gegenſatz hierzu finden wir in dem Harn der Gras-freſſenden Thiere eine überwiegende Menge von Natron und zwar nicht an Schwefelſäure oder Phosphor - ſäure gebunden, ſondern an Kohlenſäure, Benzoeſäure oder Hippurſäure.

66. Dieſe wohlbegründeten Erfahrungen beweiſen, daß die Gras-freſſenden Thiere eine weit größere Menge Natron genießen als zur Neubildung ihres täglichen Bedarfes an Blut erforderlich iſt. In ihrer Nahrung finden wir alle Bedingungen vereinigt zur Erzeugung einer zweiten Natron - verbindung, welche zum Reſpirationsmittel beſtimmt iſt, und nur eine geringe Erfahrung in dem Weſen der mit ſo großer Weisheit geordneten Natureinrichtungen dürfte den Natrongehalt der Speiſe und des Harns der Gras-freſſen - den Thiere für zufällig erklären.

Es kann kein Zufall ſein, daß das Leben, die Entwicke - lung einer Pflanze abhängig iſt von der Gegenwart der Al - kalien, die ſie dem Boden entzieht; dieſe Pflanze dient zur Nahrung einer großen Thierklaſſe, deren vitale Proceſſe aufs engſte an die Gegenwart dieſer Alkalien geknüpft iſt. Wir finden dieſe Alkalien in der Galle, ihre Gegenwart im Thier - körper iſt die unerläßliche Bedingung zur Erzeugung des erſten Nahrungsſtoffs des jungen Thieres, ohne eine reich - liche Menge Kali kann die Bildung der Milch nicht gedacht werden.

169Umſetzung der Gebilde.

67. Alle Beobachtungen führen, wie ſich aus dem Vor - hergehenden ergiebt, zu der Anſicht, daß gewiſſe ſtickſtofffreie Beſtandtheile der Nahrung der Gras-freſſenden Thiere (Amylon, Zucker, Gummi ꝛc. ) die Form einer Natronver - bindung erhalten, welche in ihrem Körper zu den nämlichen Zwecken dient, wozu, wie wir mit Beſtimmtheit wiſſen, die Galle (das kohlenſtoffreichſte Product der Umſetzung ihrer Gebilde) in dem Körper des Fleiſch-freſſenden Thieres ver - wendet wird. Sie dienen zur Unterhaltung gewiſſer vitalen Proceſſe, und werden zuletzt zur Hervorbringung der ani - maliſchen Wärme, zum Widerſtand gegen die Einwirkung der Atmoſphäre verbraucht; bei den Fleiſchfreſſern iſt der raſche Umſatz ihrer Gebilde eine Bedingung ihres Beſtehens, eben weil erſt in Folge des Stoffwechſels die Materien ge - bildet werden müſſen, welche zur Verbindung mit dem Sauer - ſtoff der Luft beſtimmt ſind; in dieſem Sinne kann man ſagen, daß die ſtickſtofffreien Nahrungsmittel den Stoff - wechſel hindern, daß ſie ihn verlangſamen und eine ebenſo raſche Beſchleunigung wie bei den Fleiſchfreſſern jedenfalls unnöthig machen.

68. Mit dieſer Fähigkeit der ſtickſtofffreien Nahrungsſtoffe, als Reſpirationsmaterie zu dienen, ſteht die verhältnißmäßig ſo geringe Menge von ſtickſtoffhaltiger Nahrung, die ſie zur Unterhaltung ihrer Lebensfunctionen bedürfen, in dem engſten Zuſammenhang, und es dürfte vielleicht ſich heraus - ſtellen, daß die Nothwendigkeit zuſammengeſetzterer Verdauungs - organe in dem Körper der Pflanzen-freſſenden Thiere weit170Der chemiſche Proceß dermehr durch die Schwierigkeit bedingt iſt, gewiſſe ſtickſtoff - freie Nahrungsmittel (Gummi? ſtärkemehlartige Faſer?) löslich und geſchickt zu machen, an den vitalen Proceſſen Antheil zu nehmen, als die Ueberführung und Verwandlung des Pflanzen-Fibrins, - Albumins und - Caſeins in Blut zu bewirken, denn für dieſen Zweck finden wir die minder zu - ſammengeſetzten Apparate der Carnivoren vollkommen aus - reichend.

69. Wenn in dem Körper des Menſchen, der an gemiſchte Nahrung gewöhnt iſt, das Amylon eine ähnliche Rolle über - nimmt, wie in dem Körper der Gras - und Körner-freſſen - den Thiere, wenn alſo vorausgeſetzt wird, daß ihre Ele - mente an der Bildung ihrer Galle einen ebenſo beſtimmten Antheil nehmen, ſo folgt hieraus von ſelbſt, daß ein Theil der ſtickſtoffhaltigen Producte der Umſetzung ihrer Organe, ehe ſie durch die Harnblaſe austreten, von der Leber aus, in der Form von Galle, in den Kreislauf zurückkehren und erſt als letztes Product des Reſpirationsproceſſes durch die Nie - ren von dem Blute geſchieden werden.

70. Beim Mangel an ſtickſtofffreien Subſtanzen in der Nahrung des Menſchen wird dieſe Form der Gallenbildung nicht ſtattfinden können, die Secrete müſſen in dieſem Fall eine andere Beſchaffenheit beſitzen, und das Erſcheinen von Harn - ſäure im Harn in gewiſſen Krankheiten, die Ablagerung von Harnſäure in den Gliedern und in der Harnblaſe, ſowie der Einfluß, den ein Ueberfluß von Fleiſchnahrung, der als gleichbedeutend angeſehen werden muß einem Mangel an171Umſetzung der Gebilde.Amylon, auf die Abſonderung der Harnſäure bei gewiſſen Individuen ausübt, dürfte hierin ſeine Erklärung finden. Fehlt es an Amylon, an Zucker ꝛc., ſo wird ein Theil der durch den Stoffwechſel gebildeten oder ſich bildenden Stick - ſtoffverbindungen entweder an dem Orte beharren, wo ſie erzeugt worden ſind, ſie werden nicht von der Leber aus als Reſpirationsmittel in den Organismus zurückkehren, und durch die Einwirkung des Sauerſtoffs die letzten Verände - rungen erfahren, die ſie überhaupt zu erleiden fähig ſind, ſondern von den Nieren in irgend einer andern Form abge - ſchieden werden müſſen.

71. In dem Vorhergehenden iſt der Beweis zu führen verſucht worden, daß die ſtickſtofffreien Nahrungsmittel einen ganz beſtimmten Einfluß auf die Natur und Beſchaffenheit der Secrete des Thierkörpers ausüben; ob dies direct ge - ſchieht, ob ihre Elemente nämlich unmittelbar an dem Acte der Umſetzung der Gebilde Antheil nehmen, oder indirect, möchte durch ſorgfältige und umſichtige Verſuche und Beob - achtungen entſchieden werden können. Möglich iſt es, daß die ſtickſtofffreien Nahrungsmittel, in irgend einer Weiſe ver - ändert, von den Eingeweiden aus gradezu der Leber zuge - führt werden, daß ſie in dieſem Organ, wo ſie mit den Producten der umgeſetzten Gebilde zuſammentreten, die Ver - wandlung in Galle erfahren und dann erſt ihren Kreislauf im Körper vollenden.

Dieſe Meinung gewinnt an Wahrſcheinlichkeit, wenn man in Betracht zieht, daß in dem arteriellen Blute bis172Der chemiſche Proceß derjetzt noch niemals weder eine Spur Amylon noch Zucker aufgefunden worden iſt, ſelbſt nicht bei Thieren, die man ausſchließlich mit dieſen Materien zu ernähren verſuchte. Dieſen Materien kann man demnach, da ſie in dem arteriel - len Blute fehlen, keinen Antheil an dem Ernährungsproceſſe zuſchreiben, und das Erſcheinen von Zucker im Harne Dia - betiſcher, von Zucker, welcher, nach allen Beobachtungen, von der Nahrung ſtammt, ſowie die völlige Abweſenheit dieſes Zuckers in dem Blute der an dieſer Krankheit Leidenden, beweiſ’t offenbar, daß Amylon und Zucker als ſolche in die Blutcirculation nicht aufgenommen werden.

72. Ueber die Anweſenheit gewiſſer Beſtandtheile der Galle im Blute des geſunden Menſchen findet man in den Schrif - ten der Phyſiologen viele Belege, wiewohl ſie quantitativ ſchwerlich beſtimmbar darin iſt; denken wir uns in der That, daß in einer Minute zehn Pfund Blut (120 Unzen) durch die Leber gehen und von dieſem Blute 2 Tropfen Galle (zu drei Gran den Tropfen) abgeſondert würden, ſo macht dies 1 / 9600 von dem Gewichte der Blutmaſſe aus, ein Gehalt, der durch die Analyſe nicht mehr feſtgeſtellt werden kann.

73. Der größte Theil der Galle entſteht nach dem Vor - hergehenden in dem Körper der Gras - und Körner-freſſenden Thiere, ſowie in dem des Menſchen, der an gemiſchte Nah - rung gewöhnt iſt, aus den Beſtandtheilen ſeiner ſtickſtoff - freien Nahrungsmittel; ihre Bildung kann aber nicht gedacht werden, ohne ein Hinzutreten eines ſtickſtoffhaltigen Körpers, denn die Galle iſt eine Stickſtoffverbindung. Alle bis173Umſetzung der Gebilde.jetzt unterſuchten Gallen geben bei der trocknen Deſtillation Ammoniak und ſtickſtoffhaltige Producte; aus der Ochſengalle hat man Taurin und Ammoniak dargeſtellt; der Beweis, daß dieſe beiden Producte aus allen anderen Gallen darſtellbar ſind, iſt nur deshalb nicht geführt worden, weil es ſchwer hält, ſich von anderen Thieren hinlängliche Mengen von Galle zu verſchaffen.

Mag nun die ſtickſtoffhaltige Verbindung, die ſich mit den Beſtandtheilen des Amylons zu Galle vereinigt, von den Speiſen oder von der Subſtanz der umgeſetzten Gebilde ſtammen, der Schluß, daß die Gegenwart derſelben als eine Bedingung der Gallenſecretion anzuſehen iſt, kann nicht in Zweifel gezogen werden.

Da nun die Gras - und Körner-freſſenden Thiere in ihren Nahrungsmitteln nur ſolche ſtickſtoffhaltige Materien genießen, welche identiſch ſind mit ihren Blutbeſtandtheilen, ſo ſtammt der ſtickſtoffhaltige Beſtandtheil, den wir in der Galle finden, jedenfalls von einer Proteinverbindung ab, er iſt entweder durch eine Veränderung entſtanden, welche die Proteinverbindungen der Speiſe erlitten haben, oder er iſt aus dem Blute oder aus der Subſtanz der Gebilde in Folge des Stoffwechſels erzeugt worden.

74. Wenn nun der Schluß wahr iſt, daß ſtickſtoffhaltige Verbindungen, gleichgültig, ob ſie von der Subſtanz des Blutes oder den ſtickſtoffhaltigen Nahrungsmitteln ſtammen, an der Bildung der Secrete und namentlich an der Bildung der Galle einen beſtimmten Antheil zu nehmen vermögen, ſo iſt174Der chemiſche Proceß derklar, daß der Organismus die Fähigkeit beſitzen muß, fremde Materien, welche weder Theile, noch Beſtandtheile der Trä - ger der Lebensthätigkeit ausmachen, zu gewiſſen vitalen Zwe - cken dienen zu machen; alle ſtickſtoffhaltigen, der Auflöſung fähigen Subſtanzen ohne Unterſchied dem Blute oder den Verdauungsorganen zugeführt, wenn ſie ſich durch ihre Zu - ſammenſetzung zu dieſen Zwecken eignen, werden von dem Organismus in ähnlicher Weiſe dazu verwendet werden müſ - ſen, wie die ſtickſtoffhaltigen Producte, die ſich durch den Stoffwechſel gebildet haben.

Wir kennen eine Menge Materien, welche auf den Akt der Umſetzung der Gebilde, ſowie auf den Ernährungspro - ceß einen ganz beſtimmten Einfluß ausüben, ohne daß ihre Elemente an den vor ſich gehenden Veränderungen Antheil nehmen, es ſind dies lauter ſolche Subſtanzen, deren Theile ſich in einem gewiſſen Zuſtand der Zerſetzung befinden, der ſich allen Theilen des Organismus überträgt, welche fähig ſind, eine ähnliche Umſetzung zu erfahren.

75. Die Arzneiſtoffe und Gifte umfaſſen eine zweite au - ßerordentlich zahlreiche Klaſſe von Verbindungen, welche die Fähigkeit haben, durch ihre Elemente direct oder indirect Antheil an den Secretionsproceſſen oder dem Stoffwechſel zu nehmen. Sie laſſen ſich in drei große Klaſſen eintheilen, von denen die eine (wozu die metalliſchen Gifte gerechnet werden müſſen) eine chemiſche Verbindung mit gewiſſen Theilen oder Beſtandtheilen des animaliſchen Körpers ein - geht, welche durch die Lebensthätigkeit nicht aufgehoben175Umſetzung der Gebilde.wird. Die zweite Klaſſe (ätheriſche Oele, Camphor, empy - reumatiſche Materien, Antiſeptica ꝛc. ) beſitzt die Eigenſchaft, den Zuſtand der Umſetzung ihrer Elementartheile, welchen ge - wiſſe ſehr zuſammengeſetzte, organiſche Atome zu erleiden vermögen (Umſetzungsproceſſe, die man, wenn ſie außerhalb des Thierkörpers vor ſich gehen, gewöhnlich mit Gährung und Fäulniß bezeichnet) zu hindern oder zu verlangſamen.

Die dritte Klaſſe von Arzneiſtoffen nimmt durch ihre Elemente an den im Thierkörper vor ſich gehenden Verän - derungen einen directen Antheil; dem Organismus zugeführt, ſteigern und erhöhen ſie die vitale Thätigkeit einzelner oder mehrerer Organe, ſie bringen im geſunden Körper Krank - heitserſcheinungen hervor; alle üben ſchon in verhältnißmä - ßig ſehr kleinen Gaben eine bemerkbare Wirkung aus, viele wirken in größeren Maſſen als Gifte. Von keinem dieſer Körper läßt ſich behaupten, daß er in dem Ernährungspro - ceſſe eine entſchiedene Rolle ſpiele, daß er von dem Orga - nismus zur Blutbildung verwendet werden könne, theils, weil ihre Zuſammenſetzung von der der Blutbeſtandtheile abweicht, theils, weil die Maſſe, in der ſie die Wirkung äu - ßern, gegen die Blutmaſſe verſchwindend klein iſt.

In die Blutcirculation aufgenommen, ändern ſie, wie man gewöhnlich ſagt, die Qualität des Bluts, und um durch den Magen in die Blutgefäße mit ihrer ganzen Wirkſamkeit überzugehen, muß vorausgeſetzt werden, daß ſie durch die organiſche Thätigkeit, welche dieſes Organ beſitzt, keine Ver - änderung in ihrer Zuſammenſetzung erfahren, ſie werden im176Der chemiſche Proceß derunlöslichen Zuſtande darin löslich gemacht (verdaut), aber nicht zerſtört, denn in letzterem Fall würden ſie keine Wir - kung ausüben können.

76. Das Blut beſitzt im normalen Zuſtande der Geſundheit zwei Qualitäten, welche mit einander in engem Zuſammen - hange ſtehen, obwohl eine von der andern als ganz unab - hängig gedacht werden kann.

In den Blutkörperchen enthält das Blut die Träger des zur Neubildung gewiſſer Theile des Thierkörpers, ſowie zur Hervorbringung der animaliſchen Wärme dienenden Sauer - ſtoffs; durch die Fähigkeit dieſer Blutkörperchen, den in der Lunge aufgenommenen Sauerſtoff wieder abzugeben, ohne daß ſie damit ihren Character verlieren, bedingen ſie im All - gemeinen den Stoffwechſel.

Die zweite Qualität des Blutes, ſeine Fähigkeit, zu Be - ſtandtheilen von Organen zu werden, ſich für die Zunahme an Maſſe und Neubildung der Organe, ſowie zum Erſatz von verbrauchtem Stoff zu eignen, verdankt es vorzugsweiſe dem in Auflöſung vorhandenen Fibrin und Albumin. Dieſe beiden Hauptbeſtandtheile, welche zur Nutrition und Repro - duction dienen, ſättigen ſich bei ihrem Durchgang durch die Lunge mit Sauerſtoff, ſie nehmen jedenfalls ſoviel davon aus der Atmoſphäre auf, daß ſie die Fähigkeit völlig verlie - ren, den anderen Materien, die ſich im Blute befinden, Sauer - ſtoff zu entziehen.

Mit Beſtimmtheit wiſſen wir, daß die Blutkörperchen des venöſen Blutes in der Lunge, bei ihrer Berührung mit177Umſetzung der Gebilde.der Atmoſphäre, ihre Farbe ändern, daß dieſer Farbenwechſel begleitet iſt von einer Abſorbtion von Sauerſtoff; alle Beſtand - theile des Blutes, welche die Fähigkeit überhaupt beſitzen, ſich mit Sauerſtoff zu verbinden, nehmen in der Lunge Sauerſtoff auf und ſättigen ſich damit. Neben dieſen anderen Materien behal - ten die Blutkörperchen ihre hochrothe Farbe bis in die feinſten Verzweigungen der Arterien, erſt bei ihrem Durchgange durch die Capillargefäße beobachten wir, daß ſie dieſelbe wechſeln und die dunkelrothe Farbe annehmen, welche die Blutkörperchen des venöſen Blutes characteriſirt. Aus dieſen Thatſachen muß gefolgert werden, daß den Beſtandtheilen des arteriellen Blutes die Fähigkeit völlig abgeht, den Sauerſtoff der im arteriel - len Blute circulirenden Blutkörperchen, welchen ſie aus der Luft aufgenommen haben, zu entziehen, und aus der in den Capillargefäßen ſtattfindenden Farbenveränderung läßt ſich kein anderer Schluß ziehen, als daß ſie (die Blutkörperchen des arteriellen Blutes) während dieſem Durchgang, in den Zuſtand zurückkehren, den ſie im venöſen Blut beſitzen, daß ſie alſo den in der Lunge aufgenommenen Sauerſtoff abge - geben und damit das Vermögen wieder erlangt haben, ſich mit Sauerſtoff aufs Neue zu verbinden.

78. Wir finden demnach in dem arteriellen Blut Albumin, was ſich, wie alle anderen Beſtandtheile, bei ſeinem Durch - gange durch die Lunge mit Sauerſtoff geſättigt hat, und Sauerſtoffgas, was jedem Körpertheilchen durch die Blut - körperchen in chemiſcher Verbindung zugeführt wird. So weit unſere Beobachtungen (bei der Bebrütung des Ei’s) reichen,12178Der chemiſche Proceß dervereinigen ſich darin die Bedingungen zur Erzeugung aller Gebilde; der zur Neubildung oder in dem Proceß der Re - production nicht verbrauchte Sauerſtoff vereinigt ſich mit der Subſtanz der belebten Körpertheilchen, er bedingt, indem er in ihre Elemente aufgenommen wird, den Act der Umſe - tzung, den wir mit Stoffwechſel bezeichnet haben.

79. Es iſt klar, daß alle in den Capillargefäßen vorhande - nen oder abgeſchiedenen oder durch Endosmoſe oder Imbibition zugeführten Stoffe, welcher Art ſie auch ſein mögen, wenn ihnen die Fähigkeit nicht völlig abgeht, ſich mit Sauerſtoff zu vereinigen, daß ſie, bei Berührung mit den Trägern des Sauerſtoffs, ſich ähnlich verhalten müſſen, wie die lebendi - gen Körpertheilchen ſelbſt, ſie werden, oder ihre Elemente werden mit dieſem Sauerſtoff in Verbindung treten, es wird in dieſem Fall entweder kein Stoffwechſel ſtattfinden, oder er wird ſich in einer andern Form, in der Bildung von Producten anderer Art, zu erkennen geben.

80. Der Begriff einer Aenderung der beiden in dem Vor - hergehenden berührten Qualitäten des Blutes durch einen in dem Blute enthaltenen oder aufgenommenen fremden Stoff (Arzneiſtoff) ſetzt demnach zweierlei Wirkungsweiſen voraus.

Angenommen, daß der Arzneiſtoff keine, der Lebensthä - tigkeit eine Grenze ſetzende, chemiſche Verbindung mit den Beſtandtheilen des Blutes einzugehen vermag, daß er ferner ſich nicht im Zuſtande einer Umſetzung befindet, die ſich auf die Beſtandtheile des Blutes oder der Organe fortpflanzen und übertragen kann, daß ihm die Fähigkeit abgeht, durch179Umſetzung der Gebilde.ſeinen Contact mit den lebenden Körpertheilchen ihren Stoff - wechſel, die Umſetzung ihrer Elemente, zu hindern, ſo bleibt für dieſe Art von Stoffen, um ihre Wirkungsweiſe erklär - lich zu finden, nichts anders übrig, als anzunehmen, daß ihre Elemente an der Erzeugung gewiſſer Beſtandtheile des lebenden Thierkörpers oder an der Bildung gewiſſer Secrete Antheil nehmen.

81. Inſoweit der vitale Act der Secretion mit dem Chemis - mus in Beziehung ſteht, iſt er in dem Vorhergehenden einer Unterſuchung unterworfen worden; bei den Fleiſch-freſſenden Thieren haben wir Grund zu glauben, daß ohne Hinzutre - ten eines fremden Stoffes von Außen, die Galle und die Beſtandtheile des Harns an dem Orte gebildet werden, wo der Stoffwechſel vor ſich geht; bei den anderen Thierclaſſen hingegen kann angenommen werden, daß in dem Secretions - organ ſelbſt, aus gewiſſen zugeführten Stoffen (bei den Gras - freſſenden Thieren aus den Beſtandtheilen des Amylons und einem ſtickſtoffhaltigen Product der umgeſetzten Organe) die Erzeugung der Secrete vermittelt wird. Dieſe Vorſtellung ſchließt die Meinung übrigens nicht aus, daß bei den Fleiſch - freſſenden Thieren die Producte der umgeſetzten Organe, eine Spaltung in Galle, Harnſäure oder Harnſtoff, erſt in den Secretionsorganen erleiden, oder daß die Beſtandtheile der ſtickſtofffreien Nahrungsſtoffe, direct den Körpertheilen zugeführt, wo Stoffwechſel ſtattfindet, mit den Elementen der umgeſetzten Gebilde zu den Beſtandtheilen des Harns und der Galle zuſammentreten.

12*180Der chemiſche Proceß der

82. Wenn nun vorausgeſetzt wird, daß gewiſſe Arzneimittel zu Beſtandtheilen von Secreten werden können, ſo kann dies nur auf zweierlei Weiſe geſchehen; entweder gelangen ſie in die Blutcirculation und nehmen an dem Stoffwechſel directen Antheil, inſofern ihre Elemente in die Zuſammenſetzung der neuen Producte eintreten, oder ſie werden den Secretions - organen zugeführt, wo ſie auf die Bildung oder auf die Beſchaffenheit des Secretes einen Einfluß durch Hinzutreten ihrer Elemente äußern.

In beiden Fällen müſſen ſie in dem Organismus ihren chemiſchen Character verlieren, und wir wiſſen mit genügen - der Sicherheit, daß dieſe Claſſe von Arzneiſtoffen ſpurlos im Körper verſchwindet. Schreibt man ihnen in der That eine Wirkung zu, ſo können ſie durch den Magen ihre Eigen - thümlichkeit nicht verlieren, ſie können durch den Verdauungs - proceß nicht zerſtört worden ſein; ihr Verſchwinden ſetzt alſo voraus, daß ſie zu gewiſſen Zwecken verwendet worden ſind, was ohne Aenderung ihrer Zuſammenſetzung nicht denkbar iſt.

83. So wenig man nun auch, bis auf die Galle, mit der Zuſammenſetzung der übrigen Secrete bekannt ſein mag, mit Beſtimmtheit weiß man, daß alle Secrete Stickſtoff in che - miſcher Verbindung enthalten; ſie gehen in ſtinkende Fäul - niß über und liefern entweder in dieſem Zerſetzungsproceß oder bei der trocknen Deſtillation ammoniakhaltige Producte; ſelbſt der Speichel, mit Kalihydrat zuſammengebracht, ent - wickelt reichlich Ammoniak.

84. Durch ihre Zuſammenſetzung theilen ſich die Arznei -181Umſetzung der Gebilde.mittel in zwei Klaſſen, in ſtickſtoffhaltige und in ſtickſtofffreie. Vor allen ausgezeichnet durch ihre mediziniſchen Wirkungen auf den Organismus ſind die ſtickſtoffhaltigen Pflanzenſtoffe, de - ren Zuſammenſetzung von den eigentlichen, ſtickſtoffhaltigen Nahrungsſtoffen, welche der Organismus der Pflanze eben - falls erzeugt, abweicht.

Die Arzneiwirkungen dieſer Materien ſind außerordent - lich verſchieden; von der mildeſten Form der Wirkung der Aloe bis zum furchtbarſten Gifte, dem Strychnin, beobach - ten wir Unterſchiede der mannigfaltigſten Art.

Bis auf drei Verbindungen, bringen alle dieſe Materien im geſunden Organismus Krankheitszuſtände hervor und wirken in gewiſſen Gaben giftig, die meiſten beſitzen den chemiſchen Character der Baſen.

Kein ſtickſtofffreies Arzneimittel übt in gleichen Gaben eine giftige Wirkung aus*)Dieſe Betrachtung oder Vergleichung hat zu einer neuen und ge - naueren Unterſuchung des Picrotoxins geführt und Herr Francis hat einen bis jetzt überſehenen Stickſtoffgehalt darin unzweifelhaft darge - than und ſeine Menge beſtimmt..

85. Die arzneiliche oder giftige Wirkung der ſtickſtoffhalti - gen Pflanzenſtoffe ſteht mit ihrer Zuſammenſetzung in einer beſtimmten Beziehung, ſie kann nicht unabhängig von ihrem Stickſtoffgehalte gedacht werden, allein ſie ſteht keineswegs in directem Zuſammenhang mit dieſem Stickſtoffgehalte.

Das Solanin 38), das Picrotoxin 39), welche die geringſte Stickſtoffmenge enthalten, ſind ſtarke Gifte, Chinin 40) enthält182Der chemiſche Proceß dermehr Stickſtoff wie Morphin 41); Caffein 42) und Theobromin 43), die ſtickſtoffreichſten Pflanzenſtoffe, die man kennt, ſind nicht giftig.

86. Ein ſtickſtoffhaltiger Körper, der durch ſeine Elemente auf die Bildung oder die Qualität eines Secretes eine Wir - kung äußert, muß in Beziehung auf ſeinen chemiſchen Cha - racter die Rolle übernehmen können, welche die ſtickſtoff - haltigen Producte des Thierkörpers in der Bildung der Galle ſpielen, die Rolle alſo eines Productes des Le - bensproceſſes. Ein ſtickſtofffreies Arzneimittel, inſofern ſeine Wirkung ſich in den Secreten äußert, muß in dem Thier - körper dieſelbe Rolle ſpielen können, die wir den ſtickſtoff - freien Nahrungsſtoffen zugeſchrieben haben.

Wenn wir uns alſo denken, daß die Elemente der Hip - pur - oder Harnſäure von den Trägern der Lebensthätigkeit ſtammen, daß ſie als Producte ihrer Umſetzung den Charac - ter des Lebens, aber keineswegs die Fähigkeit verlieren, Ver - änderungen durch den eingeathmeten Sauerſtoff oder durch die Einwirkung der Secretionsapparate zu erleiden, ſo läßt ſich kaum ein Zweifel hegen, daß Stickſtoffverbindungen ähn - licher Art, Producte des Lebensproceſſes der Pflanzen, in den Thierkörper gebracht, wenn ſie ſich zu gleichen Zwecken eignen, ganz auf die nämliche Weiſe von dem Thierorganis - mus verwendet werden können, wie die ſtickſtoffhaltigen Pro - ducte der Metamorphoſen der Thiergebilde ſelbſt; und wenn Hippur - oder Harnſäure oder eins ihrer Elemente Antheil z. B. zu nehmen vermögen an der Bildung und Erzeugung183Umſetzung der Gebilde.von Galle, ſo muß anderen ſtickſtoffhaltigen Subſtanzen ein ähnliches Vermögen zugeſchrieben werden.

Unerforſchlich wird es immer bleiben, wie die Menſchen auf den Genuß eines heißen Aufguſſes von Blättern gewiſ - ſer Stauden oder der Abkochung geröſteter Samen gekom - men ſind; es muß eine Urſache geben, welche erklärt, wie er ganzen Nationen zu einem Lebensbedürfniß geworden iſt. Noch weit merkwürdiger iſt es gewiß, daß die wohlthätigen Wirkungen auf die Geſundheit, in beiden Pflanzenſtoffen, ei - ner und derſelben Materie zugeſchrieben werden müſſen, deren Vorhandenſein in zwei Pflanzen, welche verſchiedenen Pflanzenfamilien und Welttheilen angehören, die kühnſte Phantaſie nicht vorausſetzen konnte.

Nicht minder bemerkenswerth iſt es gewiß, daß der Fleiſch-eſſende Indianer in dem Tabacksrauchen ein Mittel entdeckte, welches den Umſatz ſeiner Gebilde verlangſamt und damit den Hunger erträglicher macht, daß er dem Ge - nuſſe des Branntweins nicht zu widerſtehen vermag, der in ſeinem Körper als Reſpirationsmittel dient und die Func - tion ſeiner umgeſetzten Gebilde übernimmt. Thee und Caffee treffen wir urſprünglich bei Nationen an, welche vor - zugsweiſe vegetabiliſche Nahrung genießen.

87. Ohne auf die mediciniſchen Wirkungen des Caffeins und Theins einzugehen, wird man es jedenfalls, ſelbſt wenn man ſich darin gefallen ſollte, ihren Einfluß auf den Secretionsproceß zu leugnen, höchſt auffallend finden, daß Caffein und Thein, durch ein Hinzutreten von Waſſer und184Der chemiſche Proceß derSauerſtoff in Taurin, in den der Galle eigenthümlichen ſtickſtoffhaltigen Beſtandtheil übergehen können.

  • 1 At. Caffein, Thein C8N4H10O2
  • 9 » Waſſer H18O9
  • 9 » Sauerſtoff O9
  • 2 » Taurin 2 (C4N2H14O10)

Eine ganz ähnliche Beziehung beobachten wir in dem Hauptbeſtandtheil der Spargeln, dem Althäin oder Asparagin; beim Hinzutreten von Sauerſtoff und Waſſer bekommen wir ebenfalls die Elemente des Taurin’s.

  • 1 At. Asparagin C8N4H16O6
  • 6 » Waſſer H12O6
  • 8 » Sauerſtoff O8
  • 2 » Taurin 2 (C4N2H14O10)

Beim Hinzutreten der Elemente des Waſſers und einer gewiſſen Menge Sauerſtoff zu den Elementen des Theobro - mins, des Hauptbeſtandtheils der Cacaobohnen, haben wir Harnſtoff und Taurin oder Harnſäure, Taurin und Waſſer.

  • 1 At. Theobromin C18N12H20O4 4 At. Taurin C16N8 H56O40
  • 22 » Waſſer H44O22 = 1 » Harnſtoff C2 N4 H8 O2
  • 16 » Sauerſtoff O16
  • C18N12H64O42 C18N12H54O42

oder:

  • 1 At. Theobromin C18N12H20O4 4 At. Taurin C16N8H56O40
  • 24 » Waſſer H48O24 = 2 » Kohlenſäure C2 O4
  • 16 » Sauerſtoff O16 2 » Ammoniak N4H12
  • C18N12H68O44 C18N12H68O44
185Umſetzung der Gebilde.

oder:

  • 1 At. Theobromin C18N12H20O4 2 At. Taurin C8 N4H28O20
  • 8 » Waſſer H16O8 = 1 » Harnſäure C10N8H8 O6
  • 14 » Sauerſtoff O14
  • C18N12H36O26 C18N12H36O26

88. Um die Wirkung des Caffeins, Asparagins ꝛc. auf den Organismus erklärlich zu finden, muß man ſich erinnern, daß der Hauptbeſtandtheil der Galle nur 3,8 pCt. Stick - ſtoff enthält, von dem nur die Hälfte dem Taurin angehört (1,9 pCt.).

Die Galle enthält im natürlichen Zuſtande 80 Theile Waſ - ſer und 10 Theile feſte Subſtanz. Nehmen wir nun an, dieſe 10 Theile ſeien Choleinſäure mit 3,87 pCt. Stickſtoff, ſo enthalten 100 Gewichtstheile Galle im natürlichen Zuſtande in der Form von Taurin 0,171 Gewichtstheile Stickſtoff. Dieſe Quantität Stickſtoff iſt aber in 0,6 Caffein enthalten oder 28 / 10 Gran Caffein können in der Form von Taurin, einer Unze Galle den Stickſtoff liefern, und wenn ein Theeaufguß auch nur den zehnten Theil eines Grans Thein enthält, ſo kann, wenn es überhaupt zur Gallenbildung beiträgt, ſeine Wirkung nicht gleich Null geſetzt werden. Man wird eben ſo wenig leugnen können, daß bei einem Ueber - fluß von ſtickſtofffreien Nahrungsmitteln und bei Mangel an Bewegung, welche den Umſatz der Gebilde bedingt und die zur Gallenbildung nöthige Stickſtoffverbindung liefert, daß in dieſem Zuſtande der Genuß von Stoffen der Geſund - heit zuträglich ſein mag, welche die Rolle der zur Reſpira -186Der chemiſche Proceß dertionsmaterie unentbehrlichen Stickſtoffverbindung, die der Kör - per erzeugt, zu übernehmen vermögen. In chemiſcher Bezie - hung und dies allein ſoll mit Obigem dargethan werden, eig - nen ſich Thein, Caffein, Theobromin, Asparagin mehr, wie alle anderen ſtickſtoffhaltigen Pflanzenſtoffe, ihrer Zuſammen - ſetzung nach, zu dieſer Verwendungsweiſe. Ihre Wirkungen ſind für die gewöhnlichen Zuſtände nicht in die Augen fallend, wiewohl unleugbar vorhanden.

89. Was die Wirkung der andern ſtickſtoffhaltigen Pflanzen - ſtoffe betrifft, des Chinins, der Beſtandtheile des Opiums ꝛc. ꝛc., die ſich nicht in den Secretionsproceſſen, ſondern in anderen Erſcheinungen äußert, ſo ſind die Phyſiologen und Patholo - gen nicht zweifelhaft, daß ſie vorzugsweiſe auf die Nerven und das Gehirn gerichtet iſt; ſie iſt, wie man gewöhnlich ſagt, dynamiſcher Art, was ausdrücken will, daß ſie die Bewe - gungserſcheinungen des Thierlebens entweder beſchleunigt oder verlangſamt, oder in irgend einer Form ändert. Beachtet man nun, daß die Wirkung materiellen, mit der Hand greifbaren und wägbaren Stoffen angehört, daß ſie in dem Organis - mus verſchwinden, daß eine doppelte Portion ſtärker wirkt, wie eine einfache, daß nach einiger Zeit eine neue Doſis gegeben werden muß, wenn man die Wirkung zum zweiten - mal hervorbringen will, ſo läßt dies Verhalten, in chemi - ſcher Beziehung, nur eine einzige Form von Erklärung, die Vorſtellung nämlich zu, daß ſie durch ihre Elemente Theil an der Bildung oder Umſetzung der Gehirn - und Nerven - ſubſtanz nehmen.

187Umſetzung der Gebilde.

So ſonderbar nun auch der Gedanke auf den erſten Blick zu ſein ſcheint, daß die Beſtandtheile des Opiums, oder der Chinarinde, die Elemente des Codeins, Morphins, Chinins ꝛc. in Beſtandtheile der Gehirn - und Nervenſub - ſtanz, zu Trägern der Thätigkeit übergehen, von denen aus die Bewegungen der Organe im Thierkörper vermittelt wer - den, daß ſie zu einem Beſtandtheil der Subſtanz werden, mit deren Hinwegnahme der Sitz des geiſtigen Lebens, des Gefühls und des Bewußtſeins vernichtet wird, ſo bleibt nicht minder gewiß, daß alle dieſe Fähigkeiten und Thätigkeiten auf’s engſte mit der Exiſtenz und einer gewiſſen Beſchaffen - heit der Gehirn -, Rückenmark - und Nervenſubſtanz im Zu - ſammenhange ſtehen, in der Art, daß alle Aeußerungen des Lebens dieſer Stoffe, die in der Erſcheinung ſich als Be - wegung, Empfindung, Gefühl zu erkennen geben, eine an - dere Form annehmen, ſo wie ihre Zuſammenſetzung ſich ändert. Die Gehirn - und Nervenſubſtanz erzeugte der Or - ganismus des Thieres aus Materien, die ihm von den Pflanzen geliefert wurden; es ſind die Beſtandtheile ihrer Nahrung, welche in Folge einer Reihe von Veränderungen die Eigenſchaften und die Beſchaffenheit annehmen, die wir an ihnen kennen.

90. Wenn nun als eine unbeſtreitbare Wahrheit angeſehen werden muß, daß aus den Beſtandtheilen des Pflanzen - Fibrins, - Caſeins, - Albumins allein, oder mit Zuhülfenahme der Beſtandtheile der ſtickſtofffreien Nahrungsmittel, oder des daraus gebildeten Fettes die Gehirn - und Nervenſubſtanz er -188Der chemiſche Proceß derzeugt wird, ſo hat die Meinung nichts Abſurdes, daß an - dere Beſtandtheile der Vegetabilien, die in ihrer Zuſammen - ſetzung zwiſchen beiden (den Fetten nämlich und den Pro - teinverbindungen) ſtehen, daß dieſe in dem Organismus zu gleichem Zwecke verwendet werden können.

91. Nach Fremy’s Unterſuchung iſt der Hauptbeſtand - theil des Gehirnfettes die Natronverbindung von einer eigen - thümlichen Säure, der Cerebrinſäure, welche in 100 Th. enthält:

  • Kohlenſtoff ......... 66,7
  • Waſſerſtoff ......... 10,6
  • Stickſtoff ......... 2,3
  • Phosphor ......... 0,9
  • Sauerſtoff ......... 19,5

Wie man leicht bemerkt, weicht die Zuſammenſetzung der Cerebrinſäure von der der fetten Körper und der ſtick - ſtoffhaltigen Beſtandtheile des Blutes gänzlich ab; die Fette ſind frei von Stickſtoff, die Proteinverbindungen enthalten nahe an 17 pCt. Stickſtoff. Bis auf den Phosphor (ſäure?) - gehalt kann die Zuſammenſetzung der Gehirnſubſtanz am nächſten nur mit der Zuſammenſetzung der Choleinſäure verglichen werden, obwohl beide mit einander nicht verwechſelt werden können.

92. Die Gehirn - und Nervenſubſtanz ſind jedenfalls auf eine ähnliche Weiſe entſtanden wie die Galle, entweder durch Austreten einer ſtickſtoffreichen Materie aus den Beſtand - theilen des Blutes, oder durch Zuſammentreten eines ſtick -189Umſetzung der Gebilde.ſtoffhaltigen Productes des Lebensproceſſes mit einem ſtick - ſtofffreien (einem fetten!) Körper. Alles was in dem Vor - hergehenden über die verſchiedene Art und Weiſe der Ent - ſtehung der Galle geſagt worden iſt, alle Schlüſſe, zu de - nen wir über die Mitwirkung ſtickſtoffhaltiger oder ſtickſtoff - freier Nahrungsſtoffe gelangt ſind, laſſen ſich mit gleichem Rechte oder mit gleicher Wahrſcheinlichkeit auf die Bildung und Erzeugung der Gehirn - und Nervenſubſtanz anwenden.

Man darf nicht aus den Augen verlieren, daß, wie man auch die vitalen Vorgänge betrachten mag, die Ent - ſtehung der Gehirnſubſtanz aus Blut eine Aenderung in der Zuſammenſetzung und den Qualitäten der Blutbeſtand - theile vorausſetzt; dieſe Aenderung findet eben ſo gewiß ſtatt, als die Exiſtenz der Gehirnſubſtanz nicht geleugnet werden kann. In dieſem Sinne muß angenommen werden, daß aus einer Proteinverbindung ein erſtes, zweites, drittes ꝛc. Product hervorgeht, ehe eine gewiſſe Anzahl ihrer Elemente zu Beſtandtheilen der Gehirnſubſtanz werden können, und es muß als vollkommen gewiß angeſehen werden, daß ein Pro - duct des Lebensproceſſes einer Pflanze, dem Blute zugeführt, die Rolle der erſten, zweiten, dritten Producte der Verän - derung der Proteinverbindung übernehmen wird, wenn ihre Zuſammenſetzung ſich zu dieſem Zwecke eignet. Es kann in der That nicht als zufällig angeſehen werden, daß die Zuſam - menſetzung der wirkſamſten Arzneiſtoffe, der organiſchen Baſen, mit keinem Beſtandtheil des Thierkörpers außer mit der Gehirnſubſtanz in Beziehung gebracht werden kann; alle ent -190Der chemiſche Proceß derhalten eine gewiſſe Menge Stickſtoff; ſie ſtehen, in Beziehung auf ihre Elemente, in der Mitte zwiſchen den Proteinver - bindungen und den Fetten.

93. Im Gegenſatz zu ihrem chemiſchen Charakter finden wir in der Gehirnſubſtanz die Eigenſchaft einer Säure; ſie ent - hält eine weit größere Menge von Sauerſtoff wie die or - ganiſchen Baſen. Wir beobachten, daß Chinin und Cinchonin, Morphin und Codein, Strychnin und Brucin, die ſich in ihrer Zuſammenſetzung ſo nahe ſtehen, wenn nicht eine gleiche Wirkung äußern, doch darin ſich näher ſtehen, als den anderen, welche größere Unterſchiede in ihrer Zuſam - menſetzung zeigen. Wir finden, daß mit ihrem Sauerſtoff - gehalte (wie beim Narcotin) ihre energiſche Wirkung ab - nimmt, daß im ſtrengſten Sinne keine durch die andere voll - kommen erſetzt werden kann. Es giebt aber keinen entſchei - denderen Beweis für die Art und Weiſe ihrer Wirkung, als das letztere Verhalten, ſie muß in der engſten Beziehung zu ihrer Zuſammenſetzung ſtehen. Wenn dieſe Stoffe in der That eine Rolle in Beziehung auf die Bildung oder Aenderung der Qualitäten der Gehirn - und Nervenſubſtanz ausüben, ſo erklären ſich ihre Wirkungen auf den geſunden ſo wie auf den kranken Organismus auf eine überraſchend einfache Weiſe, und wenn man nicht verſucht iſt zu leugnen, daß der Hauptbeſtandtheil der Fleiſchbrühe in dem Körper des Men - ſchen oder der organiſche Beſtandtheil der Knochen in dem Leibe eines Hundes, obwohl ſie zur Blutbildung ſchlechter - dings nicht geeignet ſind, daß alſo Stickſtoffverbindungen,191Umſetzung der Gebilde.welche den Proteinverbindungen durchaus unähnlich ſind, eine ihrer Zuſammenſetzung entſprechende Verwendung finden, ſo werden wir daraus ſchließen dürfen, daß ein anderes, dem Protein ebenfalls unähnliches, aber einem Beſtandtheil des Thierkörpers ähnliches Product des Pflanzenlebens in dem Organismus des Thieres eine ähnliche Verwendung findet, wie das Product, welches durch die vitale Thätig - keit ſeiner Organe urſprünglich ebenfalls aus einer Pflanzen - ſubſtanz erzeugt worden iſt.

Die Zeit iſt noch nicht lange vorübergegangen, wo man über die Urſache der verſchiedenartigen Wirkungen des Opiums nicht die allergeringſte Vorſtellung hatte, wo die Wirkung der Chinarinde in ein unbegreifliches Dunkel gehüllt ſchien. Jetzt, wo man weiß, daß ſie kriſtalliſirbaren, chemiſchen Ver - bindungen angehört, welche in ihrer Zuſammenſetzung ebenſo verſchieden ſind, wie ſie in ihrer Wirkung auf den Organis - mus von einander abweichen, jetzt alſo, wo man die Stoffe kennt, denen die arzneiliche oder giftige Wirkung zukommt, kann nur der Unverſtand ihren Antheil an dem Lebenspro - ceß für unerforſchbar halten; ſie deshalb, wie Manche ge - than haben, für unerforſchbar erklären, weil ſie in kleinen Gaben wirken, iſt eben ſo ungereimt, wie wenn man die Schärfe eines Raſirmeſſers beurtheilen wollte nach ſeinem Gewichte.

94. Es wäre völlig zwecklos, dieſen Schlüſſen eine größere Ausdehnung zu geben, ſie verdienen, ſo hypothe - tiſch ſie ſich auch darſtellen mögen, nur in ſo fern Beachtung,192Der chemiſche Proceß derals ſie den Weg andeuten, den die Chemie verfolgt, oder den ſie nicht verlaſſen darf, wenn ſie in der That der Phyſiologie und Pathologie Dienſte leiſten ſoll. Die Com - binationen des Chemikers beziehen ſich ſtets auf den Stoff - wechſel vorwärts und rückwärts, auf den Uebergang der Nah - rung in die mannigfaltigen Gebilde und Secrete und ihrer Um - ſetzung in lebloſe Verbindungen; ſeine Unterſuchungen ſollen zeigen, was im Körper vor ſich gegangen iſt, und was vor ſich gehen kann. Sonderbarer Weiſe ſehen wir die Arznei - wirkungen alle abhängig von gewiſſen Stoffen, die ſich in ihrer Zuſammenſetzung nicht ähnlich ſind, und wenn durch die Hinzuführung eines Stoffes gewiſſe abnormale Zuſtände zu normalen werden, ſo wird man die Anſicht nicht zurück - weiſen können, daß dieſe Erſcheinung in einer Aenderung der Zuſammenſetzung der Beſtandtheile des kranken Orga - nismus beruht, an welcher die Elemente des Arzneimittels einen beſtimmten Antheil haben, einen ähnlichen Antheil, wie der iſt, den die Beſtandtheile der Pflanzen an der Bildung des Fettes und der Membranen, des Speichels, der ſpermatiſchen Ma - terie ꝛc. genommen haben; ihr Kohlenſtoff, ihr Waſſerſtoff, Stickſtoff, oder was ſonſt zu ihrer Zuſammenſetzung ge - hört, ſie ſtammen ja von dem Organismus der Pflanze ab; die Wirkungen des Chinins, des Morphins, der vegetabi - liſchen Gifte ſind zuletzt keine Hypotheſen.

95. Aehnlich alſo wie man in gewiſſem Sinne von Caffein, Thein, Asparagin, ſo wie von den ſtickſtofffreien Nahrungs - ſtoffen ſagen kann, daß ſie Nahrungsſtoffe für die Leber ſind,193Umſetzung der Gebilde.indem ſie die Elemente enthalten, durch deren Gegen - wart dieſes Organ befähigt wird, ſeinen Functionen vor - zuſtehen, laſſen ſich die ſtickſtoffhaltigen, durch ihre Wir - kung auf das Gehirn und die Subſtanz der Bewegungsap - parate ſo merkwürdigen Arzneiſtoffe als Nahrungsſtoffe für die unbekannten Organe betrachten, welche zur Metamor - phoſe der Blutbeſtandtheile in Gehirn - und Nervenſubſtanz beſtimmt ſind, Organe, die in dem Thierkörper nicht fehlen können, und wenn im Zuſtande der Krankheit ein abnormaler Proceß der Bildung oder Umſetzung der Beſtandtheile der Nerven - und Gehirnſubſtanz ſich eingeſtellt hat, wenn in den dazu beſtimmten Organen die Fähigkeit vermindert iſt, aus den Blutbeſtandtheilen Nerven - und Gehirnſubſtanz zu erzeugen, oder einer abnormalen Umſetzung Widerſtand zu leiſten, ſo ſteht der Anſicht in chemiſcher Beziehung kein Hinderniß ent - gegen, daß Materien von einer der Gehirn - und Nerven - ſubſtanz ähnlichen Zuſammenſetzung, die ſich für die Bildung derſelben eignen, ſtatt der aus dem Blute erzeugten zum Widerſtand oder zur Herſtellung des normalen Zuſtandes ver - wendet werden können. Beide ſind Producte des Lebenspro - ceſſes; die Blutbeſtandtheile ſowohl, wie die Körper, welche wir Arzneimittel nennen, ſtammen von den Pflanzen, nur in ihrer Form zeigen ſie Verſchiedenheiten.

96. Einige Phyſiologen und Chemiker haben die Eigen - thümlichkeit der Cerebrinſäure, welche ihrem Kohlenſtoff - und Waſſerſtoffgehalte und ihren phyſikaliſchen Eigenſchaften nach einer ſtickſtoffhaltigen fetten Säure gleicht, in Zweifel ge -13194Der chemiſche Proceß derzogen; ein ſtickſtoffhaltiges Fett, was einen ſauren Charak - ter beſitzt, iſt aber in der That keine Anomalie. Die Hip - purſäure iſt in manchen ihrer Eigenſchaften den fetten Säu - ren ſehr ähnlich, ſie iſt aber durch ihren Stickſtoffgehalt weſentlich davon unterſchieden; die organiſchen Beſtandtheile der Galle, ſie gleichen in ihren phyſikaliſchen Eigenſchaften den ſauren Harzen und ſind ebenfalls ſtickſtoffhaltig; die organiſchen Baſen ſtehen in ihren phyſikaliſchen Eigenſchaften zwiſchen den fetten Körpern und den Harzen, alle ſind ſtickſtoffhaltig; eine ſtickſtoffhaltige fette Säure iſt eben ſo wenig unwahrſchein - lich, wie die Exiſtenz eines ſtickſtoffhaltigen Harzes, was die Eigenſchaften einer Salzbaſe beſitzt.

97. Ein genaues Studium möchte wahrſcheinlich in der Subſtanz des Gehirns, des Rückenmarks und der Nerven Ver - ſchiedenheiten darthun. Nach den Beobachtungen von Va - lentin ändert ſich die Beſchaffenheit der Gehirn - und Ner - venſubſtanz von dem Tode an, mit großer Schnelligkeit, und ganz beſondere Sorgfalt müßte auf die Sonderung fremder, der Mark - und Gehirnſubſtanz nicht angehörender Materien zu verwenden ſein. So groß nun auch die Schwierigkeiten ſich darſtellen mögen, ſo ſcheint die Unterſuchung dennoch ausführbar. Vorläufig wiſſen wir, daß gegen einen großen Kohlenſtoff - und Waſſerſtoffgehalt in der Gehirnſubſtanz alle Erfahrungen ſprechen; die Abweſenheit von Stickſtoff als Beſtandtheil der Nerven - und Gehirnſubſtanz erſcheint jeden - falls unwahrſcheinlich. Sie darf ferner nicht zu den Fetten gerechnet werden, denn wir finden ſie mit Natron vereinigt;195Umſetzung der Gebilde.alle Fette ſind aber Glycerylverbindungen. Was den Phos - phorgehalt der Gehirnſubſtanz betrifft, ſo haben wir über den Zuſtand, in welchem der Phosphor darin enthalten iſt, nur Vermuthungen. Walchner beobachtete vor Kurzem, daß ſich aus einem Brunnentroge in Carlsruhe, auf deſſen Boden Fiſche faulten, ſelbſtentzündliches Phosphorwaſſerſtoff - gas in Blaſen entwickelte, und auch in der Fäulniß der Gehirnſubſtanz ſind phosphorreiche Gaſe beobachtet worden*)Das Muſeum zu Genf übergab eine große Portion Weingeiſt, der zur Aufbewahrung von Thieren (Fiſchen) gedient hatte, an Herrn Leroyer, Apotheker, der ſeine Reinigung übernahm. Er deſtillirte den - ſelben über ein Gemenge von Chlorcalcium mit gebranntem Kalk und dampfte den Rückſtand an der Luft über Feuer ab. Sobald die Maſſe eine gewiſſe Conſiſtenz und eine höhere Temperatur angenom - men hatte, entwickelte ſich eine außerordentliche Menge entzündliches Phosphorwaſſerſtoffgas (Dumas V. 267.).

13*[196][197]

Dritter Theil. Die Bewegungserſcheinungen im Thierorganismus.

[198][199]

I.

Die zahlloſen Bilder, welche ſich der menſchliche Geiſt über die Natur und das Weſen der eigenthümlichen Urſache ge - ſchaffen hat, welche als der letzte Grund der Erſcheinungen angeſehen werden muß, die das Thier - und Pflanzenleben characteriſiren, mit einem neuen zu vermehren, dürfte nicht der Beachtung werth gehalten werden, wenn ſich nicht aus den Vorſtellungen über dieſe Urſache, welche im Eingang zum erſten Theil dieſer Schrift entwickelt worden ſind, ge - wiſſe Begriffe als nothwendige Folgerungen ergäben, deren nähere Erörterung in dem Folgenden verſucht werden ſoll.

Von vorne herein muß zugegeben werden, daß alle dieſe Folgerungen ihre Bedeutung verlieren, wenn der Beweis geführt werden kann, daß die Urſache der Lebensthätigkeit mit anderen bekannten Urſachen, welche Bewegung oder Form - und Beſchaffenheitsänderungen der Materie bewirken, in ih - ren Aeußerungen nichts gemein hat.

Eine Vergleichung ihrer Eigenthümlichkeiten mit der Wirkungsweiſe dieſer anderen Urſachen, kann übrigens ſchon deshalb keinen Nachtheil bringen, weil die Natur und das Weſen einer Naturerſcheinung nicht durch Abſtraction, ſon -200Die Bewegungserſcheinungendern nur durch vergleichende Beobachtungen erkennbar ſind.

Wenn die Lebenserſcheinungen nämlich als Aeußerungen einer eigenthümlichen Kraft angeſehen werden, ſo müſſen die Wirkungen dieſer Kraft an gewiſſe erforſchbare Geſetze ge - bunden ſein, die mit den allgemeinſten Geſetzen des Wider - ſtandes und der Bewegung im Einklange ſind, welche die Weltkörper und Weltkörperſyſteme in ihren Bahnen erhalten, wodurch Form - und Beſchaffenheitsänderungen in den Kör - pern bedingt werden, ganz abgeſehen von dem Stoff, wel - cher als Träger der Lebenskraft ſich darſtellt, oder der Form, in der ſich die Lebenskraft äußert.

Die Lebenskraft giebt ſich in einem belebten Körpertheil als eine Urſache der Zunahme an Maſſe, ſowie des Wider - ſtandes gegen äußere Thätigkeiten zu erkennen, welche die Form, Beſchaffenheit und Zuſammenſetzung der Elementar - theilchen ihres Trägers zu ändern ſtreben.

Als eine Kraft der Bewegung, Form - und Beſchaffen - heitsänderung der Materie zeigt ſie ſich durch Störung und Aufhebung des Zuſtandes der Ruhe, in dem ſich die chemi - ſchen Kräfte befinden, durch welche die Beſtandtheile der ih - ren Trägern zugeführten Verbindungen, die wir als Nah - rungsſtoffe kennen, zuſammengehalten werden.

Die Lebenskraft bewirkt eine Zerſetzung dieſer Nahrungs - ſtoffe, ſie hebt die Kraft der Anziehung auf, die zwiſchen ihren kleinſten Theilchen unausgeſetzt thätig iſt, ſie ändert die Richtung der chemiſchen Kräfte in der Art, daß die Ele - mente der Nahrungsſtoffe ſich in einer andern Weiſe ordnen,201im Thierorganismus.daß ſie zu neuen, den Trägern der Lebenskraft gleichen oder unähnlichen Verbindungen zuſammentreten; ſie ändert die Richtung und Stärke der Cohäſionskraft, ſie hebt den Cohä - ſionszuſtand der Nahrungsmittel auf und zwingt die neuen Verbindungen, zu Formen zuſammenzutreten, welche keine Aehnlichkeit mit den Formen haben, welche durch die frei (ohne Widerſtand) wirkende Cohäſionskraft gebildet werden.

Die Lebenskraft äußert ſich als eine Kraft der Anzie - hung, inſofern die durch die Form - und Beſchaffenheitsände - rung des Nahrungsſtoffes neu gebildete Verbindung, bei gleicher Zuſammenſetzung mit ihrem Träger, zu einem Be - ſtandtheil dieſes Trägers wird.

Die dem Träger der Lebenskraft unähnlichen, neuerzeugten Verbindungen treten aus dem Körpertheile aus, ſie erlei - den in der Form gewiſſer Secretionen, anderen Körperthei - len zugeführt, bei ihrer Berührung damit, eine Reihe ähn - licher Veränderungen.

Als Widerſtand giebt ſich die Lebenskraft in belebten Körpertheilen zu erkennen, inſofern durch ſie, durch ihr Vor - handenſein in ihren Trägern, die Elemente derſelben das Vermögen erlangen, Störungen und Aenderungen in ihrer Form und Zuſammenſetzung durch äußere Thätigkeiten zu widerſtehen, eine Fähigkeit, die ſie für ſich als chemiſche Verbindungen nicht beſitzen.

Wie bei anderen Kräften umfaßt der Begriff einer un - gleichen Intenſität der Lebenskraft in einem belebten Körper - theil nicht nur die ungleiche Fähigkeit der Zunahme an202Die BewegungserſcheinungenMaſſe und der Ueberwindung von (chemiſchen) Widerſtän - den, ſondern man bezeichnet damit auch gradezu die Ver - ſchiedenheit in der Größe des Widerſtandes ſelbſt, den die Theile oder Beſtandtheile eines belebten Körpertheils einer Aenderung in der Form und Zuſammenſetzung durch neue äußere einwirkende Urſachen entgegenſetzen; ganz ähnlich wie die Stärke der Cohäſionskraft oder der Affinität in gradem Verhältniß ſteht zu dem Widerſtande, den dieſe Kräfte einer äußern mechaniſchen oder chemiſchen Urſache entgegenſetzen, welche die Theile einer Verbindung von ein - ander zu trennen ſtrebt.

Die Aeußerungen der Lebenskraft ſind abhängig von ei - ner gewiſſen Form ihrer Träger und einer beſtimmten Zu - ſammenſetzung der Subſtanz des lebendigen Körpertheils.

Die Fähigkeit der Zunahme an Maſſe in einem belebten Körpertheil wird bedingt durch die unmittelbare Berührung mit Stoffen, die ſich zu einer Zerſetzung eignen, oder deren Elementartheile zu Beſtandtheilen des Trägers der Lebens - thätigkeit übergehen können.

Die Aeußerung der Zunahme ſetzt voraus, daß die ein - wirkende Lebenskraft mächtiger iſt, als der Widerſtand, den die chemiſche Kraft einer Zerſetzung oder Umſetzung der Ele - mentartheile der Nahrungsſtoffe ihr entgegenſetzt.

Die Aeußerungen der Lebenskraft ſind abhängig von ei - ner gewiſſen Temperatur; weder in einer Pflanze, noch in einem Thiere zeigen ſich Lebenserſcheinungen, wenn die Tem - peratur in gewiſſen Verhältniſſen abnimmt.

203im Thierorganismus.

Die Lebenserſcheinungen eines belebten Organismus neh - men an Stärke und Intenſität durch Wärmeentziehung ab, wenn die Temperatur, welche er beſitzt, nicht durch andere Urſachen wieder erneuert wird.

Entziehung von Nahrungsſtoff ſetzt allen Lebensäußerun - gen eine beſtimmte Grenze.

Der Contact der belebten Körpertheile mit Nahrungs - ſtoff wird in dem Thierorganismus bedingt durch eine me - chaniſche Kraft, welche in ihm ſelbſt erzeugt wird und ge - wiſſen Organen die Fähigkeit giebt, Ortsveränderungen zu bewirken, eine mechaniſche Bewegung hervorzubringen, me - chaniſche Widerſtände aufzuheben.

Man kann einem ruhenden Körper eine gewiſſe Bewe - gung ertheilen durch eine Menge in ihren Aeußerungen höchſt verſchiedener Kräfte; wir ſetzen ein Uhrwerk in Be - wegung durch ein fallendes Gewicht (durch die Schwere), durch eine geſpannte Feder (durch Elaſticität). Wir bringen jede Art von Bewegungen hervor durch die elektriſche oder magnetiſche Kraft, ſowie durch die chemiſchen Kräfte, ohne daß wir im Stande ſind zu ſagen, wenn wir die Aeußerung dieſer Thätigkeiten nur in ihrer Erſcheinung ins Auge faſ - ſen, durch welche von dieſen verſchiedenen Urſachen des Ortswechſels der ruhende Körper die Bewegung oder Ge - ſchwindigkeit empfangen hat.

In dem Organismus des Thieres kennen wir nur eine Quelle der bewegenden Kraft, und dieſe Quelle iſt die näm - liche Urſache, welche die Zunahme belebter Körpertheile an204Die BewegungserſcheinungenMaſſe bedingt, welche ihnen das Vermögen giebt, äußeren Actionen Widerſtand zu leiſten, es iſt die Lebenskraft.

Um zu einer klaren Einſicht dieſer in ihrer Form ſo verſchiedenen Aeußerungen der Lebenskraft zu gelangen, muß man ſich erinnern, daß eine jede Kraft ſich in einer Materie durch zwei für die Beobachtung durchaus verſchiedene Zu - ſtände der Thätigkeit zu erkennen giebt.

Die in den Theilchen eines Steins vorhandene Kraft der Schwere ertheilt ihnen ein unausgeſetztes Streben, ſich nach dem Mittelpunkte der Erde hinzubewegen.

Für die Wahrnehmung verſchwindet dieſe Thätigkeit, wenn der Stein z. B. auf einem Tiſche liegt, deſſen Theile der Aeußerung ſeiner Schwere einen Widerſtand entgegenſe - tzen. Die auf ihn wirkende Kraft iſt ſtets vorhanden, ſie äußert ſich als Druck auf die Unterlage, allein er bleibt auf ſeinem Platze, er beſitzt keine Bewegung. Mit Gewicht bezeichnen wir die Aeußerung ſeiner Schwere im Zuſtande der Ruhe.

Was den Stein am Fallen hindert, iſt ein Widerſtand, welcher bewirkt wird durch eine Kraft der Anziehung, mit welcher die Theilchen des Holzes zuſammenhängen; eine Waſſermaſſe würde ihn am Fallen nicht gehindert haben.

Wenn die Kraft, welche die Theilchen des Steins nach dem Mittelpunkte der Erde hintreibt, größer wäre als die Kraft, womit die Holztheilchen zuſammenhängen, ſo würde die Cohäſionskraft überwunden werden, ſie würde den Stein am Fallen nicht hindern können.

205im Thierorganismus.

Nehmen wir den Tiſch und damit die Kraft hinweg, welche die Aeußerung der Schwere aufgehoben hatte, ſo zeigt ſich die letztere als die Urſache der Ortsveränderung des Steins, er kommt in Bewegung, d. h. er fällt: Wider - ſtand iſt ſtets eine Kraft.

Je nachdem wir ihn kürzere oder längere Zeit fallen laſſen, erlangt er Fähigkeiten, die er im ruhenden Zuſtande nicht beſaß, er erhält nämlich das Vermögen, ſchwächere oder ſtärkere Widerſtände (Kräfte) aufzuheben, oder ruhenden Körpern Bewegung mitzutheilen.

Von einer gewiſſen Höhe herabfallend macht er einen bleibenden Eindruck an dem Orte, den er berührt, von einer noch größern Höhe (längere Zeit) fallend, macht er ein Loch in die Tiſchplatte; ſeine eigene Bewegung theilt ſich einer gewiſſen Anzahl Holztheilchen mit, die nun mit dem Steine ſelbſt fallen. Keine dieſer Eigenſchaften beſaß der ruhende Stein.

Die erlangte Geſchwindigkeit iſt ſtets die Wirkung der bewegenden Kraft. Sie iſt unter ſonſt gleichen Umſtänden dem Druck proportional.

Ein frei fallender Körper gewinnt nach einer Sekunde eine Geſchwindigkeit von 30 Fuß. Derſelbe Körper auf dem Monde fallend, würde in einer Sekunde nur eine Ge - ſchwindigkeit von 30 / 3600 = 0,1 Zoll gewinnen, weil dort die Intenſität der Schwere (der Druck, welcher auf den Körper wirkt, die bewegende Kraft) 3600 mal kleiner iſt.

Wenn der Druck gleichförmig fortwirkt, ſo ſteht die Ge -206Die Bewegungserſcheinungenſchwindigkeit genau im Verhältniß zum Druck, dergeſtalt, daß z. B. der 3600mal langſamer fallende Körper nach 3600 Se - kunden dieſelbe Geſchwindigkeit annimmt, wie der andere nach einer Sekunde.

Die Wirkung iſt folglich nicht der bewegenden Kraft allein, noch der Zeit allein, ſondern dem Druck, multiplicirt mit der Zeit = Kraftmoment, proportional.

In zwei gleichen Körpermaſſen bezeichnet die Geſchwin - digkeit das Kraftmoment. Unter dem Einfluß deſſelben Drucks bewegt ſich aber ein Körper um ſo langſamer, je größer ſeine Maſſe; die doppelte Maſſe braucht, um in gleicher Zeit eine gleiche Geſchwindigkeit zu erlangen, einen doppelten Druck, oder ſie muß unter dem einfachen Drucke eine doppelt ſo lange Zeit in Bewegung bleiben.

Um einen Ausdruck für die ganze eingetretene Wirkung zu haben, muß man daher, die Maſſe mit ihrer Geſchwindig - keit multipliciren.

Dieſes Product heißt Bewegungsgröße.

Die Größe der Bewegung eines Körpers muß in allen Fällen dem Kraftmoment genau entſprechen.

Größe der Bewegung und Kraftmoment wird auch ſchlecht - weg mit Kraft bezeichnet, weil man ſich vorſtellt, daß ein kleiner Druck, der z. B. 10 Sekunden gewirkt hat, ebenſoviel werth iſt, als ein zehnmal größerer Druck, der nur eine Sekunde thätig war.

Bewegungsmoment heißt in der Mechanik die Wir - kung einer Kraft ohne Rückſicht auf die Zeit (Geſchwindig -207im Thierorganismus.keit), in welcher ſie zur Aeußerung kam. Wenn ein Mann z. B. dreißig Pfunde 100 Fuß hoch hebt, ein zweiter dreißig Pfund auf 200 Fuß Höhe, ſo hat der zweite doppelt ſo viel Kraft wie der erſte verwendet; ein dritter welcher 60 Pfund auf 50 Fuß Höhe gehoben hat, verbraucht dazu nicht mehr Kraft wie der erſte, um 30 Pfund 100 Fuß hoch zu heben. Die Bewegungsmomente des erſten (30 × 100) und des dritten (60 × 50) ſind ſich gleich, das Bewegungsmoment des zweiten (30 × 200) iſt doppelt ſo groß.

Kraftmomente und Bewegungsmomente ſind demnach in der Mechanik Ausdrücke oder Maßſtäbe für Kraftwirkungen, die ſich auf eine in gegebener Zeit erlangte Geſchwindigkeit oder auf einen gegebenen Raum beziehen; in dieſem Sinne laſſen ſie ſich auf die Wirkungen aller anderen Urſachen der Bewegung, Form - und Beſchaffenheitsverände - rung übertragen, wie groß oder wie klein auch der Raum oder die Zeit ſein mag, in der ſich ihre Wirkung für die Sinne offenbart.

Eine jede Kraft äußert ſich demnach in der Materie als Widerſtand gegen äußere Urſachen der Orts - (Form - und Beſchaffenheits -) Veränderung; als Bewegung-erzeugende Kraft zeigt ſie ſich, wenn ihr keine Widerſtände entgegenſte - hen oder in der Ueberwindung von Widerſtänden.

Eine und dieſelbe Kraft wirkt Bewegung mittheilend und Bewegungen vernichtend; in dem einen Falle, wenn ihrer Thätigkeitsäußerung keine Widerſtände entgegenſte - hen; in dem andern, wenn ſie ſelbſt die Aeußerung einer208Die Bewegungserſcheinungenandern Urſache der Bewegung (Form - und Beſchaffenheits - Aenderung) aufhebt. Gleichgewicht (oder Ruhe) heißt der Zuſtand der Thätigkeit, wo ein Kraft - oder Bewegungs - moment, durch ein entgegengeſetztes Kraft - oder Bewe - gungsmoment aufgehoben iſt.

Beide Thätigkeitsäußerungen beobachten wir an der Kraft, welche den belebten Körpertheilen ihre eigenthümlichen Eigenſchaften giebt.

Durch Aufhebung der zwiſchen den Beſtandtheilen der Nahrungsſtoffe wirkenden chemiſchen Kräfte (der Cohäſion und Affinität), durch Aenderung der Lage oder des Ortes, in welchem ſich ihre Elementartheilchen befinden, giebt ſich die Lebenskraft als bewegende Kraft zu erkennen; ſie äußert ſich als Bewegung erzeugende Kraft durch Ueberwindung der chemiſchen Anziehung der Beſtandtheile der Nahrungs - ſtoffe und als die Urſache, die ſie zwingt, ſich in einer neuen Ordnung mit einander zu vereinigen.

Es iſt klar, daß einem belebten Körpertheil, welcher alſo die Fähigkeit beſitzt, Widerſtände aufzuheben und den Elementar - theilchen der Nahrungsſtoffe eine Bewegung mitzutheilen durch die in ihm frei ſich äußernde Lebenskraft, ein Bewegungsmoment zukommen muß, was ja nichts anderes iſt, als das Maß der eingetretenen Bewegung, Form - und Beſchaffenheits-Aenderung.

Wir wiſſen, daß dieſes Bewegungsmoment der Lebens - kraft in einem belebten Körpertheil verwendbar iſt, um ruhen - den Materien Bewegung zu ertheilen (Zerſetzung zu be - wirken, Widerſtände aufzuheben), und wenn die Lebenskraft209im Thierorganismus.in ihren Aeußerungen ſich ähnlich verhält wie andere Kräfte, ſo muß dieſes Bewegungsmoment mitgetheilt oder fortgepflanzt werden können durch Materien, die in ſich ſelbſt durch eine entgegenwirkende Thätigkeit ſeine freie Aeußerung nicht aufheben.

Die durch irgend eine Urſache gewonnene Bewegung eines Stoffes oder einer Materie kann in ſich ſelbſt nicht vernichtet werden, ſie kann zwar für die Wahrnehmung verſchwinden, allein auch aufgehoben durch Widerſtände (durch entgegengeſetzte Kraftwirkungen) wird ihr Effect nicht vernichtet. Der fallende Stein übt durch ſeine im Fallen gewonnene Bewegungsgröße, auf dem Tiſche an - gelangt, eine Wirkung aus; der hervorgebrachte Eindruck auf das Holz, die Geſchwindigkeit, welche von der ſeinigen ſich auf die Holztheile überträgt, iſt ſein Effect.

Uebertragen wir die Begriffe von Bewegung, Gleichgewicht und Widerſtand auf die chemiſchen Kräfte, die in ihrer Wir - kungsweiſe der Lebenskraft unendlich näher ſtehen, als die Schwere, ſo wiſſen wir mit der größten Beſtimmtheit, daß ſie nur bei unmittelbarer Berührung ſich thätig zeigen; wir wiſſen, daß die ungleiche Fähigkeit chemiſcher Verbindungen, Widerſtand gegen äußere Störungen zu leiſten, gegen die Einwirkung der Wärme, der elektriſchen Kraft, die ihre Theil - chen zu trennen ſtreben, ſo wie ihr Vermögen Widerſtände in anderen Verbindungen aufzuheben (Zerſetzung zu bewirken), daß mit einem Worte die in einer Verbindung thätige Kraft, abhängig iſt von einer gewiſſen Ordnung, in welcher ſich ihre Elementartheilchen berühren.

14210Die Bewegungserſcheinungen

Die nämlichen Elemente in einer andern Ordnung mit einander vereinigt, äußern mit anderen Verbindungen in Be - rührung eine höchſt ungleiche Fähigkeit Widerſtand zu leiſten oder Widerſtände aufzuheben, in der einen Form iſt die zur Aeußerung gelangte Kraft verwendbar (der Körper iſt activ, eine Säure z. B.), in der andern nicht (er iſt indifferent), in einer dritten Form iſt ſein Kraftmoment der erſten ent - gegengeſetzt (er iſt activ, aber eine Baſis).

Aendern wir die Ordnung der Elemente, ſo ſind wir im Stande, die Beſtandtheile einer Verbindung durch einen andern activen Körper zu trennen, die, in einer andern Form vereinigt, ſeiner Action einen unüberwindlichen Widerſtand entgegenſetzten.

Aehnlich wie zwei gleiche unelaſtiſche Maſſen von gleicher Geſchwindigkeit, die aus entgegengeſetzter Richtung getrieben, mit einander in Berührung kommend, zur Ruhe gelangen, ähnlich alſo wie zwei gleiche aber entgegengeſetzte Bewegungsmomente ſich gegenſeitig aufheben, kann das Kraftmoment einer chemiſchen Verbindung, durch ein gleiches aber entgegengeſetztes Kraft - moment einer zweiten Verbindung ganz oder zum Theil auf - gehoben, allein es kann nicht vernichtet werden, ſo lange die Ordnung nicht geſtört wird, durch welche die in ihnen wohnende Kraft zur Aeußerung gelangt iſt.

Die chemiſche Kraft der Schwefelſäure iſt im Gyps eben ſo ungeſchwächt vorhanden, als im Vitriolöl, aber für die Wahrnehmung iſt ſie verſchwunden; nehmen wir die Urſache hinweg, die ihre Aeußerung auf andere Materien aufhob,211im Thierorganismus.ſo zeigt ſie ſich in ihrem Träger mit ihrer ganzen Stärke.

So kann die Cohäſionskraft eines feſten Körpers durch eine chemiſche Kraft (in der Auflöſung), durch Wärme (beim Schmelzen), für die Beobachtung völlig verſchwinden, ohne daß ſie nur entfernt geſchwächt oder vernichtet wäre. Ent - fernen wir die ihr entgegenwirkende Kraftäußerung (den Widerſtand), ſo zeigt ſie ſich in der Kryſtalliſation unver - ändert.

Durch die elektriſche Kraft, durch die Wärme, ſind wir im Stande, der chemiſchen Kraft in ihren Aeußerungen die mannigfaltigſten Richtungen zu geben; wir ſtellen damit die Ordnung feſt, in welcher ſich die Elementartheilchen ver - einigen ſollen. Nehmen wir die Urſache hinweg (Wärme, elektriſche Kraft), die ihrer ſchwächeren Anziehung nach der einen Richtung hin das Uebergewicht gab, ſo wird die ſtär - kere Anziehung nach einer andern Richtung hin ſich unaus - geſetzt thätig zeigen, und wenn dieſe ſtärkere Anziehung das Beharrungsvermögen der Elementartheilchen über - winden kann, ſo werden ſich die Elementartheile in einer neuen Form mit einander vereinigen, das iſt, es wird eine neue Verbindung von veränderten Eigenſchaften gebildet werden müſſen.

In Verbindungen dieſer Art, in welchen alſo die freie Aeußerung der chemiſchen Kraft, durch andere Kräfte ge - hindert wurde, kann ein Stoß, eine mechaniſche Reibung, die Berührung mit einer Materie, deren Elementartheile ſich im Zuſtande der Bewegung (Umſetzung, Zerſetzung) be -14*212Die Bewegungserſcheinungenfinden, irgend eine Urſache von Außen, deren Thätigkeit ſich der ſtärkeren Anziehung der Elementartheilchen nach einer andern Richtung hinzufügt, hinreichen, um dieſer ſtärkeren Anziehung das Uebergewicht zu geben, das Beharrungs - vermögen zu überwinden, ihre Form und Beſchaffenheit, welche ſie der Mitwirkung fremder Urſachen verdanken, zu ändern, ein Zerfallen der Verbindung in eine oder meh - rere neue Körper von veränderten Eigenſchaften zu be - wirken.

Umſetzungen, oder wenn man will, Bewegungserſchei - nungen, können in Verbindungen dieſer Claſſe, bewirkt werden durch die in einer andern chemiſchen Verbindung frei und verwendbar wirkende chemiſche Kraft, und zwar ohne daß ihre Aeußerung durch Widerſtände erſchöpft oder aufgehoben wird. So wird das Gleichgewicht in der Anziehung der Elemente des Rohrzuckers, durch Berührung mit einer ſehr kleinen Menge Schwefelſäure aufgehoben; er verwandelt ſich in Traubenzucker; ganz ähnlich ſehen wir die Elemente des Amylons ſich mit den Elementen des Waſſers zu einer neuen Form ordnen, ohne daß die Schwefelſäure, welche gedient hatte, um dieſe Umſetzung zu bewirken, ihren chemiſchen Charakter verliert, ſie bleibt in Bezug auf andere Ma - terien, auf die ſie eine Wirkung äußert, ebenſo activ als wie vorher, grade ſo, als wenn ſie keine Art von Wirkung auf das Amylon ausgeübt hätte.

Ganz verſchieden von der Aeußerung der ſogenannten mechaniſchen Kräfte haben wir in den chemiſchen Kräften213im Thierorganismus.Urſachen von Bewegungserſcheinungen, von Form - und Be - ſchaffenheitsänderungen, ohne wahrnehmbare Erſchöpfung der Kraft, wodurch ſie hervorgerufen werden, erkannt; allein der Grund der fortdauernden Thätigkeitsäußerung bleibt ſtets derſelbe, es iſt der Mangel einer entgegengeſetzten Thätig - keit (eines Widerſtandes), der ſie aufzuheben oder ins Gleich - gewicht zu ſetzen fähig iſt.

Aehnlich wie die Aeußerungen der chemiſchen Kräfte (das Kraftmoment einer chemiſchen Verbindung) abhängig erſcheinen von einer beſtimmten Ordnung, in der ſich ihre Elementar - theilchen berühren, zeigt die Erfahrung, daß die Lebenser - ſcheinungen unzertrennlich von der Materie ſind, daß die Aeußerungen der Lebenskraft in einem belebten Körpertheil bedingt werden durch eine gewiſſe Form des Trägers und durch eine gewiſſe Ordnungsweiſe ſeiner Elementartheilchen; heben wir die Form oder Zuſammenſetzung des Organs auf, ſo verſchwinden alle Lebensäußerungen.

Nichts hindert uns, die Lebenskraft als eine beſondere Eigenſchaft zu betrachten, die gewiſſen Materien zukommt, und wahrnehmbar wird, wenn ihre Elementartheilchen zu einer gewiſſen Form zuſammengetreten ſind.

Dieſe Vorſtellung nimmt den Lebenserſcheinungen nichts von ihrer wunderbaren Eigenthümlichkeit, man kann ſie als einen Anhaltspunkt betrachten, von dem aus ſich eine Un - terſuchung derſelben, ſowie die Erforſchung ihrer Geſetze anknüpfen läßt, ganz ſo wie man die Eigenſchaften und Ge - ſetze der Bewegungen des Lichts, als abhängig von einer214Die BewegungserſcheinungenLichtmaterie, oder einem Aether betrachtet, der mit den er - forſchten Geſetzen nichts weiter zu thun hat.

In dieſer Form gedacht, vereinigt die Lebenskraft in ihren Aeußerungen alle Eigenthümlichkeiten der chemiſchen Kräfte und der nicht minder wunderbaren Urſache, die wir als den letzten Grund der elektriſchen Erſcheinungen anſehen.

Die Lebenskraft äußert ſich nicht wie die Schwerkraft oder magnetiſche Kraft in unendlichen Entfernungen, ſondern ſie iſt, wie die chemiſchen Kräfte, nur bei unmittelbarer Berührung thätig, ſie wird durch einen Complex materieller Theile wahrnehmbar.

Ein belebter Körpertheil erhält nach obiger Vorausſetzung die Fähigkeit, Widerſtand zu leiſten und Widerſtände aufzuheben, durch das Zuſammentreten ſeiner Elementartheilchen in einer gewiſſen Form und er muß, ſo lange dieſe Form und Ord - nung durch entgegengeſetzte Kräfte nicht aufgehoben wird, ſeine Kraft unausgeſetzt zu behaupten vermögen.

Wenn durch den Act der Thätigkeitsäußerung eines be - lebten Körpertheils die Elemente der Nahrungsſtoffe in der ihm gleichen Form und Beſchaffenheit zuſammengetreten ſind, ſo erlangen ſie eine ihm gleiche Fähigkeit; es gelangt durch dieſes Zuſammentreten die in ihnen wohnende Lebens - kraft zur freien Aeußerung, ſie wird in gleicher Weiſe ver - wendbar.

Wenn man ſich nun erinnert, daß alle Nahrungsſtoffe belebter Organismen Verbindungen zweier oder mehrerer Elemente ſind, welche durch chemiſche Kräfte zuſammengehal -215im Thierorganismus.ten werden, wenn man erwägt, daß in dem Act der Thätig - keitsäußerung eines belebten Körpertheils die Elemente der Nahrungsſtoffe in einer andern Ordnung zuſammentreten, ſo iſt völlig gewiß, daß das Kraft - oder Bewegungsmoment der Lebenskraft ſtärker war, als die zwiſchen den Elementen der Nahrung ſich äußernde chemiſche Anziehung*)Die Hände eines Mannes, welcher mit einem Seile 30 Pfund 100 Fuß hoch hebt, legen einen Weg von 100 Fuß zurück, während ſeine Muskelthätigkeit einem Widerſtand (Druck) von 30 Pfunden das Gleich - gewicht hält. Wäre die von dem Manne anwendbare Kraft nicht größer, als um dem Druck von dreißig Pfunden das Gleichgewicht zu halten, ſo würde er nicht vermögend ſein, das Gewicht zu der an - gegebenen Höhe zu heben..

Die chemiſche Kraft, welche die Beſtandtheile zuſammen - hielt, wirkte gleich einem Widerſtande, welcher überwunden wurde durch die active Lebenskraft.

Wären beide gleich geweſen, ſo würde keine Art von wahrnehmbarer Wirkung eingetreten ſein; bei überwiegen - der chemiſcher Action würde der belebte Körpertheil eine Veränderung erlitten haben.

Wenn wir uns nun denken, daß eine gewiſſe Quantität von Lebenskraft dazu verwendet werden mußte, um ſich mit der chemiſchen Kraft ins Gleichgewicht zu ſetzen, ſo bleibt immer noch ein Ueberſchuß von Kraft, durch welchen die Zerſetzung bewirkt wurde; in dieſem Ueberſchuß beſteht das Kraftmoment des belebten Körpertheils, durch den die Zer - ſetzung bewerkſtelligt wurde; er erhält durch ihn ein dauern - des Vermögen, weitere Zerſetzungen zu bewirken und ſeinen216Die BewegungserſcheinungenZuſtand, ſeine Form und Beſchaffenheit gegen äußere Actio - nen zu behaupten.

Wir können uns denken, daß dieſer Ueberſchuß hinweg - genommen und in einer andern Weiſe verwendet werden kann; das Beſtehen des belebten Körpertheils würde dadurch nicht gefährdet werden, eben weil in dieſem Falle ein Ruhe - und Gleichgewichtszuſtand eintreten würde; allein mit der Hinwegnahme dieſes Ueberſchuſſes würde er ſeine Fähigkeit der Zunahme an Maſſe, ſein Vermögen weitere Zerſetzun - gen zu bewirken, äußeren Urſachen von Störungen zu wi - derſtehen, verlieren. Wenn ihm in dieſem Gleichgewichtszu - ſtande Sauerſtoff (eine chemiſche Action) zugeführt werden würde, ſo würde deſſen Streben, ſich mit einem Elemente des belebten Körpertheils zu vereinigen, kein Hinderniß ent - gegenſtehen, eben weil ihm das Vermögen, Widerſtand zu leiſten, durch anderweitige Verwendung von Lebenskraft ge - nommen worden iſt. Je nach der Menge des zugeführten Sauerſtoffs würde eine entſprechende Menge des belebten Körpertheils ſeinen Zuſtand des Lebens verlieren und die Form einer chemiſchen Verbindung erhalten von einer dem belebten Stoff unähnlichen Zuſammenſetzung, es würde mit einem Worte ein Wechſel in den Eigenſchaften der belebten Verbindung, ein Stoffwechſel entſtehen.

Wenn wir erwägen, daß die Fähigkeit der Zunahme an Maſſe in der Pflanze beinahe keine Grenze hat, daß hundert Weidenzweige, von einem Baume genommen, zu hundert Bäumen werden, ſo kann man kaum einen Zweifel hegen,217im Thierorganismus.daß mit dem Zuſammentreten der Elemente des Nahrungs - ſtoffs zu einem Beſtandtheil der Pflanze, zu dem vorhande - nen Kraftmoment, in dem neugebildeten Pflanzentheile ein neues Kraftmoment hinzukommt, in der Art, daß mit der Zunahme an Maſſe die Summe von Lebenskraft wächſt.

Je nach der Quantität verwendbarer Lebenskraft ändern ſich die Producte, die durch ihre Thätigkeit aus dem zuge - führten Nahrungsſtoff gebildet werden. Die Beſtandtheile der Knospe, der Wurzelfaſer, des Blattes, der Blüthe und Frucht ſind höchſt verſchieden; die chemiſche Kraft, wodurch ihre Elemente zuſammen gehalten werden, iſt ſehr ungleich.

Von den ſtickſtofffreien Beſtandtheilen der Pflanzen kann man behaupten, daß kein Theil des Kraftmomentes verwen - det wird, um ihre Form und Beſchaffenheit zu behaupten, ſobald ihre Elemente einmal in der Ordnung zuſammenge - treten ſind, in der ſie zu Trägern der Lebenskraft werden.

Ganz verſchieden verhalten ſich die ſtickſtoffhaltigen Pflan - zenſtoffe, denn ſie gehen, wie man gewöhnlich ſagt, von der Pflanze getrennt, von ſelbſt in Gährung und Fäulniß über. Die Urſache dieſer Zerſetzung oder Umſetzung ihrer Ele - mente iſt die chemiſche Action, welche der Sauerſtoff auf ei - nen ihrer Beſtandtheile ausübt. Wir wiſſen nun, daß, ſo lange die Pflanze Lebenserſcheinungen zeigt, Sauerſtoffgas von ihrer Oberfläche abgeſchieden wird, daß dieſer Sauer - ſtoff ohne alle Wirkung iſt auf die Beſtandtheile der leben - digen Pflanze, zu denen er ſonſt die größte Anziehung be - ſitzt, und es iſt klar, daß eine gewiſſe Quantität Lebenskraft218Die Bewegungserſcheinungenverwendet werden muß, theils um die Elemente der com - plexen ſtickſtoffhaltigen Beſtandtheile, in der Form, Beſchaf - fenheit und Ordnung zu erhalten, die ihnen zukommt, theils als Widerſtand gegen die unaufhörliche Einwirkung des Sauerſtoffs der Luft auf ihre Elemente, ſo wie des Sauer - ſtoffs, der in ihrem Organismus durch den Lebensproceß abgeſchieden wird.

Mit der Zunahme an dieſen veränderlichen Beſtandthei - len, in der Blüthe z. B. und in der Frucht, wächſt die Summe von chemiſcher Kraft, deren freie Aeußerung durch ein entſprechendes Maß von Lebenskraft im Gleichgewicht gehalten, als Widerſtand verbraucht wird.

Die Pflanze nimmt ſo lange an Maſſe zu, bis ſich die in ihr wohnende Lebenskraft mit allen äußeren Urſachen, die ihrer Aeußerung entgegenwirken, ins Gleichgewicht ge - ſetzt hat, eine jede neue Urſache von Störung, die ſich den vorhandenen hinzufügt (Temperaturwechſel ꝛc. ), nimmt ihr jetzt die Fähigkeit, Widerſtand zu leiſten, ſie ſtirbt ab.

In den perennirenden Pflanzen (den Holzpflanzen z. B.) iſt die Maſſe der veränderlichen Beſtandtheile (der ſtickſtoff - haltigen), verglichen mit den ſtickſtofffreien, ſo klein, daß von der ganzen Summe von Kraft, als Widerſtand, nur ein verſchwindendes Moment verbraucht wird; bei den jähri - gen Pflanzen iſt dieſes Verhältniß umgekehrt.

In allen Perioden des Lebens einer Pflanze wird die vorhandene active (durch Widerſtände nicht aufgehobene) Le - benskraft nur zu einer Form von Lebensäußerung verwen -219im Thierorganismus.det, zur Zunahme an Maſſe nämlich, zur Ueberwindung von Widerſtänden; kein Theil der Kraft wird zu anderen Zwecken verbraucht.

In dem Organismus des Thieres zeigt ſich die Lebens - kraft, wie in der Pflanze in der Fähigkeit der Zunahme an Maſſe, als die Urſache des Widerſtandes gegen äußere Ein - wirkungen, allein die Zunahme ſo wie der Widerſtand ſind in gewiſſe Grenzen eingeſchloſſen.

Wir beobachten nämlich, daß der Uebergang der Nah - rungsſtoffe in Blut, die Berührung des Blutes mit den belebten Körpertheilen bedingt wird von einer mechaniſchen Kraft, deren Aeußerung von beſonderen Organen ausgeht und vermittelt wird durch ein beſonderes Syſtem von Appa - raten, denen die Fähigkeit zukommt, die empfangene Bewe - gung fortzupflanzen und zu verbreiten; von einem zweiten Syſteme ähnlicher Apparate finden wir das Vermögen des Thieres abhängig, den Ort zu wechſeln und durch ſeine Glieder mechaniſche Effecte hervorzubringen. Dieſe Apparate, ſo wie die von ihnen ausgehenden Bewegungserſcheinungen, fehlen in der Pflanze.

Um ſich ein klares Bild über den Urſprung und die Quelle der mechaniſchen Bewegungen im Thierkörper zu verſchaffen, dürfte es eine Erleichterung ſein, ſich an die Wirkungsweiſe anderer Kräfte zu erinnern, welche der Le - benskraft in ihren Aeußerungen am nächſten ſtehen.

Wenn wir eine Anzahl Zink - und Kupferplatten in ei - ner gewiſſen Weiſe geordnet mit einer Säure in Berührung220Die Bewegungserſcheinungenbringen, ſo tritt, wenn man die beiden äußerſten Punkte des Apparates mit einem Metalldraht in Verbindung ſetzt, eine chemiſche Action an den Zinkplatten ein, und der Draht er - hält in Folge dieſer Action die merkwürdigſten und wun - derbarſten Eigenſchaften.

Dieſer Draht zeigt ſich nämlich als der Träger einer Kraft, welche durch ihn mit außerordentlicher Schnelligkeit nach allen Richtungen hingeleitet und fortgepflanzt werden kann; er iſt der Leiter oder Fortpflanzer einer ununterbro - chenen Reihe von Thätigkeits-Aeußerungen.

Eine ſolche Fortpflanzung von Bewegung iſt nicht denk - bar, wenn in dem Drahte eine Urſache des Widerſtandes zu überwinden wäre, jeder Widerſtand würde einen Theil der bewegenden Kraft zur ruhenden machen.

Wird der Draht in der Mitte zerſchnitten, ſein Zuſam - menhang unterbrochen, ſo hört damit die Fortpflanzung der Kraft auf, und wir ſehen, daß in dieſem Falle die Action der Säure auf das Zink augenblicklich aufhört.

Stellen wir die Verbindung wieder her, ſo tritt die ver - ſchwundene Action mit ihrer ganzen Energie wieder ein.

Wir können durch die in dem Drahte vorhandene Thä - tigkeit eine Menge der verſchiedenartigſten Effecte bewirken, Widerſtände aller Art überwältigen, Laſten heben, Schiffe in Bewegung ſetzen, und, was noch weit merkwürdiger iſt, dieſer Draht verhält ſich wie eine hohle Röhre, in welcher ein Strom von chemiſcher Kraft frei und ohne Hinderniß circulirt.

221im Thierorganismus.

Die Eigenſchaften, die wir als feſtgekettet an gewiſſe Materien mit dem Ausdruck der ſtärkſten und energiſchſten Verwandtſchaft bezeichnen, wir finden ſie, dem Anſchein nach, frei und ungebunden an dieſem Drahte wieder, wir können ſie, von ihm aus, auf andere Materien übertragen und ih - nen damit eine Affinität (die Fähigkeit, Verbindungen ein - zugehen) ertheilen, die ihnen für ſich nicht zukommt; je nach der Quantität der Kraft, die in dem Drahte circulirt, kön - nen wir damit Verbindungen zerlegen, deren Elemente die mächtigſte Verwandtſchaft zu einander haben, und an allen dieſen Thätigkeitsäußerungen nimmt die Subſtanz des Drah - tes nicht den geringſten Antheil, er iſt nur der Leiter der Kraft.

An dieſem Drahte beobachten wir noch überdies Erſchei - nungen der Anziehung und Abſtoßung, die wir dem aufge - hobenen Gleichgewichtszuſtande der elektriſchen und magne - tiſchen Kraft zuſchreiben müſſen, und es ſtellen ſich bei der Wiederherſtellung des Gleichgewichts des geſtörten elektri - ſchen Zuſtandes, Licht und Wärme, als ihre nie fehlenden Be - gleiter ein.

Alle dieſe merkwürdigen Erſcheinungen werden hervorge - rufen durch die chemiſche Action, welche Säure und Zink auf einander ausüben, ſie ſind begleitet von einer Form - und Beſchaffenheitsänderung, welche beide erleiden.

Die Säure verliert ihren chemiſchen Character, das Zink geht eine Verbindung mit ihr ein. Die in dem Metall - drahte hervorgerufenen Thätigkeitsäußerungen, ſie ſind eine222Die Bewegungserſcheinungenunmittelbare Folge des Wechſels in ihren Eigenſchaften.

Ein Theilchen Säure nach dem andern verliert ſeine, ihm zukommenden, chemiſchen Eigenſchaften und wir ſehen, daß in eben dieſem Grade der Draht eine chemiſche, mecha - niſche, galvaniſche oder magnetiſche Kraft, oder wie man ſie nennen will, empfängt; je nach der Anzahl von Theilchen der Säure, welche in einer und derſelben Zeit dieſe Verän - derung erfahren (je nach der Oberfläche des Zinks), em - pfängt der Draht eine größere oder geringere Quantität von dieſen Kräften.

Die Fortdauer des Stromes von Kraft hängt ab von der Fortdauer der chemiſchen Action, die Fortdauer der che - miſchen Action iſt aufs engſte geknüpft, an die Ableitung der Kraft.

Hindern wir die Fortpflanzung der Kraft, ſo behält die Säure ihren chemiſchen Character; wird ſie zur Ueberwin - dung von chemiſchen oder mechaniſchen Widerſtänden ver - braucht, zur Zerſetzung chemiſcher Verbindungen oder zur mechaniſchen Bewegung, ſo dauert die chemiſche Action fort, das heißt, ein Theilchen Säure nach dem andern wechſelt ſeine Eigenſchaften.

Wir haben in dem Vorhergehenden dieſe merkwürdigen Erſcheinungen in einer Form aufgefaßt, welche unabhängig von den Erklärungen der Schule iſt. Iſt die in dem Drahte circulirende Kraft, die elektriſche Kraft? iſt es Affinität? pflanzt ſie ſich in dem Leiter wie eine in Bewegung geſetzte Flüſſigkeit, oder als eine Reihe von Bewegungsmomenten,223im Thierorganismus.wie der Schall, das Licht, von einem Theilchen des Leiters zu dem andern fort? Alles dieſes weiß man nicht, und wird es nie ermitteln. Auf die Wahrheit der Erſcheinungen haben alle Vorſtellungen, die man ihnen als Erklärungen unterlegt, nicht den geringſten Einfluß, denn ſie beziehen ſich lediglich auf die Form, in welcher ſie ſich äußern.

Nur darüber iſt man nicht im Zweifel, daß nämlich alle Effecte, welche durch den Draht hervorgebracht werden kön - nen, bedingt werden von dem Wechſel in den Eigenſchaften des Zinks und der Säure, denn der Ausdruck » chemiſche Action « bezeichnet ja nicht mehr und nicht weniger, als den Act ihrer Veränderung; daß ſie abhängig ſind, von dem Vor - handenſein eines Leiters, einer Subſtanz, welche die eintre - tende Thätigkeitsäußerung, das Kraftmoment, fortpflanzt nach allen Richtungen hin, wo es durch Widerſtände nicht aufgehoben wird, daß es alſo in ein Bewegungsmoment übergeht, mit dem man mechaniſche Bewegungen hervorbrin - gen kann, was, auf andere Körper übertragen, dieſen alle Eigenſchaften giebt, deren letzte Urſache die chemiſche Kraft ſelbſt iſt; ſie erhalten das Vermögen, Zerſetzungen und Ver - bindungen zu bewirken, was ihnen, ohne Zufuhr an Kraft, durch den Leiter, völlig abgehen würde.

Wenn wir dieſe wohlbekannten Erfahrungen als Mittel benutzen, um, durch ſie geführt, die letzte Urſache der mecha - niſchen Effecte im Thierorganismus zu erforſchen, ſo giebt die Beobachtung zu erkennen, daß die Bewegung des Blu - tes und der Säfte von ganz beſtimmten Organen ausgeht,224Die Bewegungserſcheinungenwelche, wie das Herz und die Eingeweide, die bewegende Kraft nicht in ſich ſelbſt erzeugen, ſondern von anderen Sei - ten her empfangen.

Wir kennen mit zweifelloſer Gewißheit in den Nerven die Leiter und Verbreiter mechaniſcher Effecte, wir wiſſen, daß durch ſie die Bewegung nach allen Seiten hin fortgepflanzt wird. Für jede Bewegung kennen wir einen beſondern Ner - ven, einen beſondern Leiter, mit deſſen Leitungsvermögen, mit deſſen Unterbrechung ſich die Fortpflanzung verändert oder eine Grenze findet.

Durch die Nerven empfangen alle Theile des Thierkör - pers, die Glieder, die zu ihren Functionen, zum Ortswech - ſel, zur Hervorbringung mechaniſcher Effecte unentbehrliche Kraft der Bewegung, wo die Nerven fehlen, vermiſſen wir Bewegung; die an einem Orte im Ueberfluß erzeugte Kraft wird den anderen durch die Nerven zugeleitet, was das eine Organ in ſich ſelbſt an Kraft nicht zu erzeugen vermag, wird ihm von anderen Seiten zugeführt, was ihm an Lebenskraft fehlt, um Widerſtand zu leiſten gegen äußere Urſachen von Störungen, um Widerſtände aufzuheben, empfängt es als Ueberſchuß von einem andern Organe, welches ihn für ſich ſelbſt nicht zu verwenden vermag.

Wir beobachten ferner, daß die willkührlichen und un - willkührlichen Bewegungen, daß alle mechaniſchen Effecte im Thierorganismus begleitet, daß ſie abhängig ſind von einer eigenthümlichen Form - und Beſchaffenheitsänderung in der Subſtanz gewiſſer belebter Körpertheile, deren Zu - oder Ab -225im Thierorganismus.nahme im engſten Zuſammenhange ſteht mit dem Maß von Bewegung oder mit der Quantität von Kraft, welche durch die Bewegungen verzehrt worden iſt.

Als eine unmittelbare Folge der zur Aeußerung gelang - ten, mechaniſchen Kraft ſehen wir, daß ein Theil der Mus - kelſubſtanz ihre vitalen Eigenſchaften, ihren Character des Le - bens verliert, daß ſie aus dem belebten Körpertheile austritt, daß dieſer Theil ſeine Fähigkeit der Zunahme an Maſſe, ſein Vermögen Widerſtand zu leiſten, einbüßt; wir finden, daß dieſer Wechſel in den Eigenſchaften begleitet iſt von der Aufnahme eines fremden Elementes, des Sauerſtoffs, in die Zuſammenſetzung der belebten Muskelſubſtanz (ähnlich wie die Säure ihren chemiſchen Character durch Aufnahme von Zink verlor), und alle Erfahrungen beweiſen, daß dieſer Uebergang der belebten Muskelſubſtanz, in Verbindungen ohne alle Lebensäußerungen, beſchleunigt oder verlangſamt wird, je nach der Quantität der verbrauchten Kraft zur Bewegung; ja daß ſie ſich gegenſeitig proportional ſind, daß ein raſcher Uebergang der Muskelſubſtanz, ſagen wir, ein raſcher Stoff - wechſel, eine größere Quantität von mechaniſcher Kraft und ein größeres Maß von mechaniſcher Bewegung (verbrauchter, mechaniſcher Kraft) einen raſcheren Stoffwechſel gegenſeitig bedingen.

Aus dieſem ganz beſtimmten Zuſammenhange des Stoff - wechſels im Thierkörper mit der durch mechaniſche Bewe - gungen verzehrten Kraft kann kein anderer Schluß gezogen werden, als daß die in gewiſſen, belebten Körpertheilen active15226Die Bewegungserſcheinungenoder verwendbare Lebenskraft die Urſache iſt der mechani - ſchen Effecte des Thierkörpers.

Die bewegende Kraft ſtammt zweifellos von belebten Körpertheilen, ſie beſaßen ein Kraft - oder Bewegungsmoment, was ſie in eben dem Grade verloren, als andere ein Kraft - oder Bewegungsmoment empfangen haben; ſie verlieren ihre Fähigkeit der Zunahme an Maſſe, ihr Vermögen, Wider - ſtand gegen äußere Urſachen von Störungen zu leiſten; es iſt klar, die letzte Urſache, die Lebenskraft, von denen ſie dieſe Eigenſchaften erhielten, ſie hat zur Hervorbringung der mechaniſchen Kraft gedient, ſie iſt als Bewegung ver - zehrt worden.

Wie ließe ſich in der That einſehen, daß ein belebter Körpertheil den Zuſtand des Lebens verliert, daß er unfä - hig wird, der Einwirkung des im arteriellen Blute ihm zu - geführten Sauerſtoffs zu widerſtehen, daß er das Vermögen einbüßt, chemiſche Widerſtände aufzuheben, wenn das Kraft - moment der Lebenskraft, was ihm alle dieſe Eigenſchaften gab, nicht zu anderen Zwecken verwendet worden wäre!

Durch das Vermögen der Leiter (der Nerven), das Kraft - moment eines belebten Körpertheils, den Effect, den die in ihm thätige Lebenskraft auf alle ſeine Umgebungen äußert, fortzupflanzen nach anderen Orten hin, wo die Kraft (d. h. ihr Bewegungsmoment) ohne alle Widerſtände verzehrt wird (ohne Bewegung tritt kein Stoffwechſel ein, iſt die Bewe - gung eingetreten, ſo ſteht ihr kein Widerſtand entgegen), wird offenbar in dem belebten Körpertheil ein Gleichgewichts -227im Thierorganismus.zuſtand zwiſchen den chemiſchen Kräften und der noch in ihm wohnenden Lebenskraft herbeigeführt, der ohne dieſen Verbrauch an Lebenskraft zur mechaniſchen Bewegung nicht eingetreten wäre.

Eine jede dem Organismus fremde Urſache, welche auf die Form, Beſchaffenheit und Zuſammenſetzung des Organs eine Wirkung auszuüben vermag, findet jetzt keinen Wider - ſtand mehr. Ohne die Ableitung der Kraft und ihre Ver - wendung zu anderen Zwecken, ohne das Hinzutreten von Sauerſtoff würde das Organ ſeinen Zuſtand, aber ohne alle Lebensäußerung behauptet haben, erſt durch die chemiſche Action des Sauerſtoffs findet der Stoffwechſel, d. h. das Austreten in der Form einer unbelebten Verbindung ſtatt.

Stoffwechſel, mechaniſche Kraftäußerung und Sauerſtoffauf - nahme, ſtehen in dem Thierkörper in ſo enger Beziehung zu ein - ander, daß man die Quantität von Bewegung, die Menge des umgeſetzten, belebten Stoffes, in einerlei Verhältniß ſetzen kann mit einer gewiſſen Menge, des, von dem Thiere, in einer gegebenen Zeit aufgenommenen und verbrauchten Sauerſtoffs. Für ein beſtimmtes Maß von Bewegung, für eine Proportion als mechaniſche Kraft verbrauchter Lebenskraft, gelangt ein Aequivalent von chemiſcher Kraft zur Aeußerung, d. h. es wird ein Aequivalent Sauerſtoff zum Beſtandtheil des Or - gans, was die Lebenskraft verlor, und ein ihm gleiches Ver - hältniß von der Materie dieſes Organs tritt aus dem Kör - pertheil, in der Form einer Sauerſtoffverbindung aus.

Alle Theile des Thierkörpers, welche die Natur zum15*228Die BewegungserſcheinungenStoffwechſel (zur Hervorbringung von mechaniſcher Kraft) beſtimmt hat, ſind nach allen Richtungen hin von den fein - ſten Kanälen durchzogen, in denen unausgeſetzt ein Strom von Sauerſtoff in der Form von arteriellem Blut circulirt, der zum Austreten ihrer Beſtandtheile (zur Störung des Gleichgewichtes) unumgänglich nöthig iſt.

So lange die Lebenskraft dieſer Körpertheile nicht zu anderen Zwecken verbraucht und abgeleitet wird, äußert der Sauerſtoff des arteriellen Blutes nicht die geringſte Wir - kung auf ihre Subſtanz und ſtets wird nur eine der Ablei - tung entſprechende (den hervorgebrachten mechaniſchen Effecten correſpondirende) Menge davon aufgenommen.

Der Sauerſtoff der Atmoſphäre iſt die von außen her wirkende Urſache des Verbrauchs an Stoff im Thierkörper, er wirkt wie eine Kraft, welche die Aeußerung der Lebens - kraft in jedem Zeitmomente ſtört und aufzuheben ſtrebt; als chemiſche Action wird aber ſeine Einwirkung, die von ihm ausgehende Störung, im Gleichgewicht gehalten durch die in dem belebten Körpertheile frei wirkende Lebenskraft, oder ſie wird vernichtet durch eine der ſeinigen entgegengeſetzte, chemiſche Thätigkeit, deren Aeußerung immer als abhängig angeſehen werden muß von der Lebenskraft.

Nach chemiſchen Begriffen heißt die chemiſche Action des Sauerſtoffs vernichten, ihm Stoffe darbieten, Theile von Materien, die ſich mit ihm zu verbinden vermögen.

Die Action des Sauerſtoffs (Affinität) wird entweder durch die Beſtandtheile des Organs (nach Ableitung der229im Thierorganismus.Lebenskraft), die ſich mit ihm zu verbinden vermögen, aus - geglichen, oder das Organ ſetzt ihr (der Action des Sauer - ſtoffs) die Producte von anderen Organen, oder gewiſſe Stoffe entgegen, welche aus den Beſtandtheilen der Nah - rung, in Folge der vitalen Thätigkeit gewiſſer Apparate entſtanden ſind.

Nur das Muskularſyſtem producirt in dieſem Sinne, in ſich ſelbſt, einen Widerſtand gegen die chemiſche Action des Sauer - ſtoffs und gleicht ſie vollſtändig aus.

Die Subſtanz der Zellen, Membranen und Häute, deren kleinſte Theilchen ſich nicht im unmittelbaren Contact mit arteriellem Blut (mit Sauerſtoff) befinden, iſt nicht zum Stoffwechſel beſtimmt. Welche Art von Veränderungen ſie auch im Lebensproceſſe erleiden mag, ſie treffen unter allen Umſtänden nur ihre Oberfläche.

Die Leimgebilde, Schleimhäute, Sehnen ꝛc. ſind nicht zur Hervorbringung von mechaniſcher Kraft beſtimmt, ſie enthalten in ihrer Subſtanz keine Leiter der mechaniſchen Effecte. Das Muskularſyſtem iſt mit zahlloſen Nerven durch - webt. Die Subſtanz des Uterus iſt von der übrigen Mus - kelſubſtanz chemiſch, in keiner Weiſe verſchieden, allein ſie iſt nicht zum Stoffwechſel, zur Krafterzeugung beſtimmt, ſie enthält keine Ableiter der bewegenden Kraft.

Den Membranen, Schleimhäuten und Zellen geht das Vermögen, ſich bei Gegenwart von Feuchtigkeit mit Sauer - ſtoff zu verbinden, keineswegs ab, wir wiſſen, daß ſie im feuchten Zuſtande mit Sauerſtoff nicht in Berührung230Die Bewegungserſcheinungengebracht werden können, ohne eine fortſchreitende Verände - rung zu erfahren. Die eine Oberfläche der Eingeweide, die Lungenzellen, ſind aber unausgeſetzt in Berührung mit Sauer - ſtoff; es iſt klar, daß ſie eine eben ſo raſche Umſetzung, Veränderung durch ſeine chemiſche Action erfahren müßten, wenn in dem Organismus ſelbſt, nicht eine Quelle von Widerſtand exiſtirte, der die Einwirkung des Sauerſtoffs völlig vernichtete. Unter dieſem Widerſtande laſſen ſich alle Materien zuſammenfaſſen, welche die Fähigkeit haben oder unter dem Einfluß der Lebenskraft erhalten, ſich mit Sauer - ſtoff zu verbinden und in ihrem Vermögen ſeine chemi - ſche Action auszugleichen, die Subſtanz der Leimgebilde übertreffen.

Alle Beſtandtheile des Thierkörpers, welche in ſich ſelbſt durch die Lebenskraft, der Einwirkung des Sauerſtoffs nicht zu widerſtehen vermögen, müſſen ſich zu dieſem Zwecke weit mehr eignen, wie die unter dem Einfluß der Lebenskraft, wenn auch nur durch die Nerven, ſtehenden Gebilde; die Bedeutung der Galle für die Subſtanz der Eingeweide, der Lungenzellen, ſo wie die des Fettes, Schleimes und der Secre - tionen überhaupt, kann nach dieſer Betrachtung nicht ver - kannt werden.

Wenn die Membranen durch ihre eigne Subſtanz Wider - ſtand gegen die Einwirkung des Sauerſtoffs produciren müſſen, wenn es alſo an den Stoffen fehlt, welche die Na - tur zu ihrem Schutze beſtimmt hat, ſo werden ſie, da ihre Erneuerung in enge Grenzen eingeſchloſſen iſt, der chemi -231im Thierorganismus.ſchen Action unterliegen müſſen. Eingeweide und Lunge wer - den immer gleichzeitig abnormale Veränderungen erfahren.

In dem Stoffwechſel ſelbſt, in der Umſetzung der be - lebten Subſtanz des Muskularſyſtems, erhalten dieſe Organe den zu ihrem Beſtehen unentbehrlichen Widerſtand gegen die Einwirkung des Sauerſtoffs; je nach ſeiner Beſchleunigung nimmt die Quantität der ſecernirten Galle zu, die Menge des vorhandenen Fettes nimmt in gradem Verhältniß ab.

Zur Unterhaltung der unwillkürlichen Bewegungen im Thierkörper wird in jedem Zeitmomente ſeines Lebens eine gewiſſe Quantität Lebenskraft verbraucht und es findet des - halb ein unaufhörlicher Stoffwechſel ſtatt, allein die Menge der Subſtanz, welche in Folge der verbrauchten Kraft ihren Zuſtand des Lebens, ihre Fähigkeit der Zunahme an Maſſe verliert, iſt in enge Grenzen eingeſchloſſen; ſie ſteht in gra - dem Verhältniß zu der, zu dieſen Bewegungen, nöthigen Kraft.

Wenn wir uns nun auch denken können, daß die belebte Muskelſubſtanz bei hinreichender Zufuhr an Nahrung ihre Fähigkeit der Zunahme in keinem Zeitmomente verliert, daß ſich dieſe Form der Lebens-Aeußerung unausgeſetzt gel - tend macht, ſo kann dies keineswegs für diejenigen Kör - pertheile angenommen werden, deren frei wirkende Lebens - kraft zur mechaniſchen Bewegung verbraucht worden iſt. Der Verbrauch an Stoff durch Bewegung und Anſtrengung iſt bei je zwei Individuen höchſt verſchieden.

Wenn man nun erwägt, daß die unmerklichſte Bewegung eines Fingers und der Glieder Kraft verbraucht, daß, in232Die BewegungserſcheinungenFolge der verzehrten mechaniſchen Kraft, ein correſpondiren - der Theil der Muskeln an Volumen abnimmt, ſo iſt klar, daß ein Gleichgewicht im Erſatz und Verbrauch an Stoff (an belebten Körpertheilen) nur dann ſich herſtel - len kann, wenn der ausgetretene Körpertheil in dem nämli - chen Augenblicke, wo er ſeinen Zuſtand des Lebens ver - liert, wieder an einer andern Stelle erneuert wird.

Die Fähigkeit der Zunahme an Maſſe iſt abhängig von dem, einem jeden Körpertheile zukommenden Kraftmomente, ſie muß ſich unausgeſetzt äußern können, ſo lange (bei hin - länglicher Zufuhr von Nahrungsſtoff) er dieſes Kraftmoment nicht verliert (durch Verwendung z. B. zur mechaniſchen Be - wegung).

Unter allen Umſtänden iſt die Zunahme ſelbſt an die Zeit gebunden, d. h. ſie kann für eine begrenzte Zeit nicht unbe - grenzt ſein.

In dem nämlichen Augenblick, in welchem ein belebter Körpertheil ſeinen Zuſtand des Lebens verliert und aus dem Organ in der Form einer unbelebten Verbindung austritt, kann dieſer Theil nicht zunehmen, ſeine Maſſe, ſeine Volu - men nehmen ja ab.

Durch die fortdauernde Verwendung der Kraftmomente belebter Körpertheile zu mechaniſchen Effecten, wird demnach ein fortdauerndes Austreten von Maſſe bedingt, und erſt von dem Augenblicke an, wo die Urſache des Verbrauchs nicht mehr wirkt, kann ſich die Fähigkeit der Zunahme wieder äußern.

233im Thierorganismus.

Da nun verſchiedene Individuen in 24 Stunden, je nach der zur Hervorbringung willkürlicher, mechaniſcher Effecte verwen - deten Kraft, eine ungleiche Menge von ihren belebten Körper - theilen verbrauchen, ſo muß für ein jedes, wenn die Bewe - gungserſcheinungen nicht ihre Grenze finden ſollen, ein Zu - ſtand eintreten, in welchem alle willkürlichen Bewegungen völlig unterdrückt ſind, wo alſo für dieſe kein Verbrauch ſtattfindet. Dieſer Zuſtand heißt Schlaf.

Auf die Fähigkeit der Zunahme an Maſſe eines Körpertheils, dem ſein Kraftmoment nicht genommen worden iſt, kann der Verbrauch deſſelben zu mechaniſchen Effecten in einem andern Körpertheil, nicht den geringſten Einfluß äußern (der eine kann an Maſſe zunehmen, während der andere abnimmt, ohne daß ſich beide Actionen ſtören), der Verbrauch in dem einen kann den Erſatz in dem andern nicht vermindern und nicht ſteigern.

Da nun der Verbrauch an mechaniſcher Kraft zu den un - willkürlichen Bewegungen im Schlafe fortdauert, ſo iſt klar, daß auch ein Verbrauch an Stoff im Schlafe fortdauert, und es muß, wenn das urſprüngliche Gleichgewicht wieder eintre - ten ſoll, vorausgeſetzt werden, daß während des Schlafes eine eben ſo große Quantität von Kraft (in der Form belebter Körpertheile) ſich wieder ſammelt, als in der vorherge - gangenen Zeit des Wachens zu den willkürlichen und unwill - kürlichen mechaniſchen Effecten verwendet worden iſt.

Wird das Gleichgewicht in Erſatz und Verbrauch von Stoff im mindeſten geſtört, ſo giebt ſich dies ſogleich in234Die Bewegungserſcheinungeneinem Unterſchied von verwendbarer Kraft zu mechaniſchen Effecten zu erkennen.

Es iſt ferner klar, daß wenn ein Mißverhältniß in der Leitungsfähigkeit der Nerven der willkürlichen und unwill - kürlichen Bewegungen ſtattfindet, ſo wird nach dem Grade, in welchem die einen oder die anderen dies Bewegungsmo - ment, was ſie durch Stoffwechſel empfangen haben, fort - zupflanzen vermögen, der Unterſchied in den Bewegungser - ſcheinungen ſelbſt bemerklich ſein. Mit der Zunahme der Blutbewegung und der Bewegung der Eingeweide wird die Hervorbringung mechaniſcher Effecte durch die Glieder in gradem Verhältniß abnehmen müſſen (wie bei den ſogenann - ten Freſſern), und wenn in einer gegebenen Zeit für mecha - niſche Bewegung (durch Anſtrengung, Laufen, Tanzen ꝛc. ) mehr Lebenskraft verbraucht wird, als für die willkürlichen und unwillkürlichen Bewegungen überhaupt verwendbar iſt (als ſich in der gegebenen Zeit an Stoff umſetzen kann), ſo wird zur Ausgleichung der für die willkürlichen Bewe - gungen mehrverbrauchten mechaniſchen Kraft ein Theil der Kraft, die zu den unwillkürlichen Bewegungen nöthig iſt, verwendet werden müſſen. Die Bewegung des Herzens, der Eingeweide muß verlangſamt werden oder ſie hört gänz - lich auf.

Von dem ungleichen Grade der Leitungsfähigkeit der Nerven müſſen die Zuſtände abgeleitet werden, die man mit Lähmung, Ohnmacht, Krampf bezeichnet. Die Läh - mung der Nerven der willkürlichen Bewegung kann für235im Thierorganismus.ſich keine Abmagerung nach ſich ziehen; häufig wiederkehrende epileptiſche Anfälle (Verbrauch von Lebenskraft zu mechani - ſchen Effecten) ſind ſtets von einer außerordentlich raſchen Abmagerung begleitet.

Es muß die höchſte Bewunderung erwecken, wenn man erwägt, mit welcher unendlichen Weisheit der Schöpfer die Mittel vertheilt hat, die das Thier, die Pflanze, zu ſeinen Functionen, zu ſeinen ihm eigenthümlichen Lebensäußerungen befähigen.

Die ganze Richtung, die ganze Stärke der Lebenskraft behält der belebte Pflanzentheil durch die Abweſenheit aller Leiter der Kraft. Durch ſie wird das Blatt befähigt, die ſtärkſten chemiſchen Anziehungen zu überwinden, die Kohlen - ſäure zu zerlegen und ſich die Beſtandtheile ihrer Nahrungs - ſtoffe anzueignen.

Nur in der Blüthe der Pflanze findet ein dem Stoff - wechſel im Thierkörper ähnlicher Proceß ſtatt, es zeigen ſich Bewegungserſcheinungen, allein die mechaniſchen Effecte pflan - zen ſich nicht fort aus Mangel an Leitern der Kraft.

Die nämliche Lebenskraft, die wir in der Pflanze als eine beinahe unbegrenzte Fähigkeit der Zunahme an Maſſe kennen, verwandelt ſich in dem Thierkörper in bewegende Kraft (in einen Strom von Lebenskraft), und eine wunder - bare und weiſe Oekonomie beſtimmt zur Ernährung des Thieres nur ſolche Stoffe, die eine mit den Organen der Krafterzeugung (dem Muskularſyſtem) identiſche Zuſammen - ſetzung beſitzen. Der Aufwand von Kraft, den ihre belebten236Die BewegungserſcheinungenTheile bedürfen, um aus dem Blute ſich ſelbſt wiederzuer - zeugen, der Widerſtand der chemiſchen Kraft, welcher in den Beſtandtheilen der ſtickſtoffhaltigen Nahrungsſtoffe durch die Lebensthätigkeit der Organe überwunden werden muß, welche beſtimmt ſind, ſie zu Beſtandtheilen des Blutes zu machen, iſt für nichts zu achten gegen die Kraft und Energie, mit welcher die Beſtandtheile der Kohlenſäure zuſammenhängen. Eine gewiſſe Quantität Kraft könnte nicht in bewegende Kraft übergehen, wenn ſie zur Ueberwindung der chemiſchen Kräfte verwendet werden müßte; das Bewegungsmoment der Lebenskraft wird durch alle Widerſtände verringert. Der Uebergang der Beſtandtheile des Blutes in Muskelfaſer (in ein Organ der Krafterzeugung) iſt nur eine Formände - rung, beide ſind gleich zuſammengeſetzt; das Blut iſt flüſſig, die Muskelfaſer iſt feſtes Blut; man kann ſich denken, daß er vor ſich geht ohne allen Verbrauch von Lebenskraft, denn bei dem Uebergang eines flüſſigen Körpers in einen feſten bedarf es keiner Kraftäußerung, ſondern nur der Beſeitigung von Hinderniſſen (Wärme z. B.), die ſich der Kraft, welche der Zuſtand bedingt (der Cohäſionskraft), in ihren Aeuße - rungen entgegenſetzen.

In welcher Form, auf welche Weiſe die Lebenskraft die mechaniſchen Effecte im Thierkörper bewirkt, iſt gänzlich un - bekannt und wird durch Verſuche ſo wenig ermittelt werden können, wie der Zuſammenhang der chemiſchen Action mit den Bewegungserſcheinungen, die wir mit der galvaniſchen Säule hervorzubringen vermögen; alle Erklärungen, die man237im Thierorganismus.zu geben verſucht hat, ſind immer nur Bilder der Er - ſcheinung, es ſind mehr oder weniger genaue Beſchreibun - gen und Vergleichungen bekannter Erſcheinungen mit dieſen unbekannten; es geht uns in dieſer Beziehung wie dem Un - kundigen, dem das Aufundniederſteigen eines eiſernen Stem - pels in einem Gefäße, worin das Auge nichts Sichtbares erkennen kann, und ſein Zuſammenhang mit dem Drehen und Bewegen von Tauſenden von Rädern, die ſich in einer ge - wiſſen Entfernung von dem Stempel befinden, unbegreiflich erſcheint.

Wir wiſſen nicht, wie ein an ſich unſichtbares, unwägba - res Etwas, die Wärme, gewiſſen Materien die Fähigkeit er - theilt, den ungeheuerſten Druck auf ihre Umgebungen zu äußern, wie überhaupt dieſes Etwas hervorgebracht wird, wenn wir Holz oder Kohlen verbrennen.

So iſt es denn auch mit der Lebenskraft und den Er - ſcheinungen, welche belebte Körper darbieten; ihre Urſache iſt nicht chemiſche Kraft, nicht Elektricität, nicht Magnetis - mus, es iſt eine Kraft, welche die allgemeinſten Eigenſchaf - ten aller Urſachen der Bewegung, Form - und Beſchaffen - heitsänderung der Materie beſitzt, und eine eigenthümliche Kraft, weil ihr Aeußerungen zukommen, welche keine der anderen Kräfte an ſich trägt.

238Die Bewegungserſcheinungen

II.

In der belebten Pflanze überwiegt die Intenſität der Le - benskraft bei weitem die chemiſche Action des Sauerſtoffs.

Wir wiſſen mit der größten Beſtimmtheit, daß der Sauer - ſtoff durch den Einfluß der Lebenskraft von Elementen ab - geſchieden wird, zu denen er die ſtärkſte Affinität beſitzt; daß er in Gasform austritt, ohne die geringſte Einwirkung auf die Beſtandtheile der Säfte auszuüben.

Wie groß muß in der That der Widerſtand erſcheinen, den die Lebenskraft dem terpentinöl - oder gerbſäurehalti - gen Blatte verleiht, wenn wir die Verwandtſchaft in Be - tracht ziehen, welche der Sauerſtoff zu dieſen Beſtandtheilen beſitzt!

Dieſe Intenſität der Wirkung oder des Widerſtandes er - hält das belebte Blatt durch das Sonnenlicht, deſſen Ein - fluß in chemiſchen Actionen mit der eines hohen Wärme - grades (einer ſchwachen Glühhitze) vergleichbar iſt und ver - glichen wird.

In der Nacht zeigt ſich in der lebendigen Pflanze ein entgegengeſetzter Proceß, wir ſehen, daß ſich die Beſtand - theile der Blätter und grünen Theile mit dem Sauerſtoff der Luft verbinden, eine Fähigkeit, die ihnen im Lichte ab - ging.

Man kann hieraus keinen andern Schluß ziehen, als daß die Intenſität der Lebenskraft mit der Abnahme des Lichts239im Thierorganismus.ſich vermindert, daß mit der kommenden Nacht ein Gleich - gewichtszuſtand eintritt und bei völliger Abweſenheit des Lichts alle Theile der Pflanze, die während des Tages die Fähigkeit beſaßen, den Sauerſtoff aus chemiſchen Verbin - dungen auszuſcheiden oder ſeiner Einwirkung Widerſtand zu leiſten, dieſe Fähigkeit völlig verlieren.

Eine ganz ähnliche Erſcheinung beobachten wir bei den Thieren.

Nur in gewiſſen Temperaturen zeigt der belebte Thierkör - per die ihm zukommenden Lebensäußerungen. Einem be - ſtimmten Kältegrade ausgeſetzt, hören ſie völlig auf.

Eine Entziehung von Wärme muß deshalb völlig gleich - bedeutend angeſehen werden, einer Verminderung der Lebens - thätigkeit; der Widerſtand, den die Lebenskraft belebten Kör - pertheilen gegen äußere Urſachen von Störungen verleiht, muß in gewiſſen Temperaturen in dem nämlichen Verhältniß abnehmen, wie die Fähigkeit ihrer Elementartheile zunimmt, ſich mit dem Sauerſtoff der Luft zu verbinden.

Durch die Verbindung des Sauerſtoffs mit den Beſtand - theilen der Gebilde, die ſich umgeſetzt haben, wird bei den fleiſchfreſſenden Thieren die zur Aeußerung der Lebensthätig - keit nöthige Temperatur erzeugt. Bei den grasfreſſenden Thieren wird eine gewiſſe Menge Wärme durch die Be - ſtandtheile ihrer ſtickſtofffreien Nahrungsmittel entwickelt, welche die Fähigkeit haben, eine Verbindung mit dem Sauer - ſtoff einzugehen.

Es iſt klar, daß die Temperatur eines Thierkörpers ſich240Die Bewegungserſcheinungennicht ändern kann, wenn die Menge des eingeathmeten Sauer - ſtoffs mit dem Wärmeverluſt durch äußere Abkühlung in gradem Verhältniß zunimmt.

Zwei Individuen von gleichem Gewichte, welche unglei - chen Kältegraden ausgeſetzt ſind, verlieren in einer gegebenen Zeit, nach Außen hin, eine ungleiche Menge Wärme. Die Erfahrung lehrt, daß ſie, wenn die ihnen eigenthümliche Temperatur und ihr urſprüngliches Gewicht ſich nicht än - dern ſoll, einer ungleichen Menge Speiſe bedürfen; in der niedrigern Temperatur mehr Speiſe wie in der höhern.

Das Gleichbleiben des Gewichts bei ungleicher Quanti - tät genoſſener Nahrung ſetzt, wie ſich von ſelbſt verſteht, voraus, daß in derſelben Zeit eine der Temperatur propor - tionale Menge Sauerſtoff aufgenommen worden iſt, in der niedern Temperatur mehr wie in der höhern.

Wir finden, daß das Gewicht beider Individuen nach 24 Stunden gleich iſt dem urſprünglichen Gewichte; an - genommen, daß die Nahrung zu Blut wird, daß das Blut zur Ernährung gedient hat, ſo iſt klar, daß mit der Wiederkehr des urſprünglichen Gewichtes ein den Be - ſtandtheilen der Speiſe gleiches Gewicht von den Beſtand - theilen des Körpers ſeinen Zuſtand des Lebens verloren und mit dem Sauerſtoff verbunden wieder ausgetreten iſt.

Das eine Individuum, was bei dem höhern Kältegrade mehr Speiſe zu ſich nahm, hat auch mehr Sauerſtoff aufge - nommen, es iſt eine größere Menge ſeiner Körpertheile mit dieſem Sauerſtoff ausgetreten und in Folge der Verbindung241im Thierorganismus.des Sauerſtoffs mit den umgeſetzten Beſtandtheilen iſt ein größeres Maß von Wärme frei geworden, wodurch die entführte Wärme wieder erſetzt und die ſeinem Organismus zukommende Temperatur erhalten wurde.

Durch die Wärmeentziehung muß demnach, bei hinrei - chender Nahrung und ungehindertem Sauerſtoffzutritt, der Stoffwechſel beſchleunigt werden und mit der, in einer gege - benen Zeit beſchleunigten Umſetzung der belebten Körpertheile muß gleichzeitig ein größeres Maß von Lebenskraft zu me - chaniſchen Effecten verwendbar geworden ſein.

Mit der äußern Abkühlung verſtärken ſich die Athembe - wegungen, mit der niedern Temperatur wird ein größeres Gewicht Sauerſtoff dem Blute zugeführt, der Verbrauch an Stoff nimmt zu und wenn der Erſatz mit dieſem Verbrauch nicht im Gleichgewicht (durch Zufuhr an Speiſe) erhalten wird, ſo nimmt die Temperatur des Körpers allmählig ab.

In einer gegebenen Zeit kann aber keine unbegrenzte Menge Sauerſtoff in den Körper aufgenommen, es kann nur eine gewiſſe Quantität des belebten Stoffs ſeinen Zu - ſtand des Lebens verlieren, es kann nur ein begrenztes Maß von Lebenskraft als mechaniſche Kraft zur Aeußerung gelan - gen. Nur in dem Falle wird alſo die Temperatur des Thier - körpers ſich nicht ändern, wenn Abkühlung, Krafterzeugung und Sauerſtoffaufnahme ſich einander im Gleichgewichte hal - ten. Nimmt die Wärmeentziehung über einen beſtimmten Punkt hinaus zu, ſo nehmen die Lebenserſcheinungen in dem nämlichen Verhältniſſe ab, denn die Temperatur nimmt ab,16242Die Bewegungserſcheinungenwelche als eine ſich gleichbleibende Bedingung, zu ihrer Aeußerung angeſehen werden muß.

Die Erfahrung zeigt nun, daß bei der Abnahme der Tem - peratur des Körpers, das Vermögen der Glieder, mechaniſche Effecte hervorzubringen (die zu den willkürlichen Bewegun - gen nöthige Kraft) ebenfalls abnimmt, es tritt der Zuſtand ein, den man Schlaf nennt, zuletzt hören alle unwillkürlichen Bewegungen (des Herzens, der Eingeweide) auf, es tritt ein Scheintod ein.

Es iſt klar, daß die Urſache der Krafterzeugung, der Stoffwechſel nämlich, deshalb abnimmt, weil mit der Ent - ziehung von Wärme, ähnlich wie durch Abnahme des Lich - tes bei der Pflanze, die Intenſität der Lebenskraft ſich ver - mindert; es iſt klar, daß das Kraftmoment eines belebten Körpertheils abhängig iſt von der ihm zukommenden Tem - peratur, ganz ähnlich, wie der Effect eines fallenden Kör - pers in einer beſtimmten Beziehung ſteht zu gewiſſen an - dern Bedingungen, die man Maſſe nennt oder Geſchwindigkeit.

Nimmt die Temperatur ab, ſo nimmt die Lebensthätig - keit ab; mit dem Steigen der Temperatur muß das Kraft - moment belebter Körpertheile in ſeiner ganzen Intenſität wieder hergeſtellt werden.

Krafterzeugung zu mechaniſchen Effecten und Tempera - tur müſſen deshalb, in einer ganz beſtimmten Beziehung ſte - hen, zu der Menge des in einer gegebenen Zeit von dem Thierkörper aufnehmbaren Sauerſtoffs.

Die Menge von Sauerſtoff, welche ein Wallfiſch und243im Thierorganismus.ein Fuhrmannspferd in einer gleichen Zeit einzuathmen ver - mögen, iſt ſehr ungleich. Die Temperatur, ſowie die Menge des Sauerſtoffs, iſt bei dem Pferde weit größer.

Die mechaniſche Kraft, welche ein harpunirter Wallfiſch entwickelt, deſſen Körper von dem umgebenden Medium getragen wird, ſo wie die Kraft eines Fuhrmannspferdes, was ſeinen eigenen Körper und eine ſchwere Laſt 8 10 Stunden lang fortzubewegen hat, muß mit dem von beiden verzehrten Sauerſtoff in einerlei Verhältniß ſtehen. Wenn man die Zeit beachtet, in welcher die Kraft zur Aeußerung gelangt, ſo iſt ſie offenbar bei dem Pferde weit größer.

Beim Beſteigen hoher Berge, wo durch das Einathmen einer ſehr verdünnten Luft, in gleichen Zeiten, weit weniger Sauerſtoff dem Blute zugeführt wird, wie in Thälern oder an dem Ufer des Meeres, nimmt der Stoffwechſel in dem nämlichen Verhältniß und damit die zu mechaniſchen Effecten verwendbare Kraft, ab; Neigung zum Schlaf, Man - gel an Kraft für die willkürlichen Bewegungen ſtellt ſich meiſtens ein; nach zwanzig oder dreißig Schritten zwingt die Ermüdung zu neuer Anſammlung von Kraft durch Ruhe (Einſaugung von Sauerſtoff, ohne Verbrauch an Kraft für willkürliche Bewegungen).

Durch die Aufnahme von Sauerſtoff in die Subſtanz belebter Körpertheile verlieren ſie ihren Zuſtand des Lebens und treten als formloſe Verbindungen aus, allein nicht aller eingeathmete Sauerſtoff wird zu dieſer Umſetzung verwen - det; der größte Theil dient zur Vergaſung, zur Entfernung16*244Die Bewegungserſcheinungenaller dem Organismus nicht mehr angehörenden Stoffe, und wie erwähnt, wird in Folge der Verbindung ihrer Elemente mit dieſem Sauerſtoff, die dem Organismus zukommende Temperatur erzeugt.

Wärmeerzeugung und Stoffwechſel ſtehen in enger Be - ziehung zu einander, allein obwohl im Thierkörper Wärme hervorgebracht werden kann ohne allen Stoffwechſel, ſo kann der letztere dennoch nicht unabhängig von der Mitwirkung des Sauerſtoffs gedacht werden.

Nach allen bis jetzt gemachten Beobachtungen enthält nach dem Genuß von geiſtigen Getränken, weder die ausge - athmete Luft, noch der Schweiß, noch der Urin, Spuren von Alkohol, und es kann keinem Zweifel unterliegen, daß ſeine Beſtandtheile ſich im Thierkörper mit Sauerſtoff verbinden, daß ſein Kohlenſtoff und Waſſerſtoff als Kohlenſäure und Waſſer wieder austreten.

Der Sauerſtoff, welcher dieſe Verwandlung bewirkt, muß nothwendig von dem arteriellen Blute genommen wor - den ſein, denn wir kennen keinen andern Weg als die Blut - circulation, auf welchem Sauerſtoff in das Innere des Kör - pers gelangen kann.

Vermöge ſeiner Flüchtigkeit und der Leichtigkeit, womit der Alkoholdampf von den Membranen und thieriſchen Ge - weben durchgelaſſen wird, kann er ſich überall nach allen Orten im Körper hin verbreiten.

Wäre die Fähigkeit der Beſtandtheile des Alkohols, ſich mit Sauerſtoff zu vereinigen, nicht größer, als die der245im Thierorganismus.Verbindungen, welche durch den Stoffwechſel gebildet wer - den, oder als die der Subſtanz der belebten Körper - theile iſt, ſo würden ſie (die Beſtandtheile des Alkohols) ſich mit Sauerſtoff nicht verbinden können.

Es iſt deßhalb einleuchtend, daß durch den Genuß von Alkohol, dem Stoffwechſel in gewiſſen Körpertheilen, eine raſche Grenze geſetzt werden muß. Der Sauerſtoff des ar - teriellen Blutes, der ſich ohne die Gegenwart des Alkohols mit belebtem Stoff verbunden haben würde, tritt jetzt an die Beſtandtheile des Alkohols, ein Theil des arteriellen Blutes wird zu venöſem Blut, ohne daß die Muskelſubſtanz an dieſer Umwandlung Antheil nimmt.

Wir beobachten nun, daß die Wärmeentwickelung im Or - ganismus nach dem Genuß von Wein eher zu -. als abnimmt, ohne daß damit ein entſprechendes größeres Maß von me - chaniſcher Kraft zur Aeußerung gelangt.

Eine mäßige Quantität Wein bedingt bei Frauen und Kindern, welche an Weingenuß nicht gewöhnt ſind, ganz im Gegentheil eine Abnahme der zu den willkürlichen Be - wegungen nöthigen Kraft; Müdigkeit, Abgeſchlagenheit der Glieder, Neigung zum Schlaf geben offenbar zu erkennen, daß die zu mechaniſchen Effecten verwendbare Kraft, dies will ſagen, daß der Stoffwechſel abgenommen hat.

Gewiß kann an dieſen Symptomen eine Verminderung der Leitungsfähigkeit der willkürlichen Bewegungsnerven einen gewiſſen Antheil haben, allein dies muß auf die Summe von verwendbarer Kraft ohne allen Einfluß ſein.

246Die Bewegungserſcheinungen

Was die Leiter der willkürlichen Bewegungen an Kraft - effecten nicht fortzupflanzen vermögen, wird von den Leitern der unwillkürlichen Bewegungen aufgenommen und dem Her - zen, den Eingeweiden zugeführt werden müſſen. Die Blut - bewegung wird in dieſem Fall, auf Koſten der zu willkür - lichen Bewegungen durch die Glieder verwendbaren Kraft beſchleunigt erſcheinen, ohne daß aber, wie bemerkt, durch den Oxydationsproceß des Alkohols ein größers Maaß von mechaniſcher Kraft erzeugt worden iſt.

Wir beobachten zuletzt bei den Winterſchläfern, daß wäh - rend ihres Winterſchlafs die Fähigkeit der Zunahme an Maſſe (eine der Hauptäußerungen der Lebenskraft), durch den Aus - ſchluß aller Speiſe, völlig unterdrückt iſt; bei manchen tritt in Folge der niedern Temperatur und der hierdurch herab - geſtimmten Lebensthätigkeit ein Scheintod ein, bei anderen dauern die unwillkürlichen Bewegungen fort; das Thier be - hält eine von der Umgebung unabhängige Temperatur. Die Athembewegungen dauern fort, nach wie vor wird Sauer - ſtoff als der Bedinger der Wärme - und Krafterzeugung auf - genommen; wir finden vor dem Winterſchlaf alle Theile ih - res Körpers, die in ſich ſelbſt keinen Widerſtand gegen die Einwirkung des Sauerſtoffs zu produciren vermögen, welche wie die Eingeweide und Membranen nicht zum Stoffwechſel beſtimmt ſind, mit Fett bedeckt, mit einer Materie umgeben, welche dieſen Widerſtand übernimmt.

Wenn wir uns nun denken, daß der während des Win - terſchlafs aufgenommene Sauerſtoff nicht in die Zuſammen -247im Thierorganismus.ſetzung der belebten Körpertheile, ſondern mit den Beſtand - theilen des Fettes in Verbindung tritt, ſo wird der belebte Körpertheil, obwohl ein gewiſſes Bewegungsmoment zu der Unterhaltung des Blutumlaufs verwendet worden iſt, nicht austreten.

Mit der höhern Temperatur wächſt in gleichem Grade die Fähigkeit der Zunahme an Maſſe, die Blutbewegung nimmt mit der Sauerſtoffaufnahme zu. Manche dieſer Thiere magern während dem Winterſchlafe, andere erſt mit dem Erwachen aus dem Winterſchlafe ab.

Bei den Winterſchläfern wird die in den belebten Kör - pertheilen thätige Kraft ausſchließlich nur zur Unterhaltung der unwillkürlichen Bewegungen verbraucht, alle Kraft - verwendung zu willkürlichen Bewegungen iſt völlig unter - drückt.

Im Gegenſatz zu dieſen Erſcheinungen wiſſen wir, daß bei Uebermaß von Bewegung und Anſtrengung, die in den belebten Körpertheilen thätige Kraft ausſchließlich und vollſtän - dig zur Hervorbringung willkürlicher mechaniſcher Effecte verzehrt werden kann, in der Art, daß für die unwillkür - lichen Bewegungen keine Kraft mehr zu verwenden übrig bleibt. Ein Hirſch kann zu Tode gehetzt werden, aber dies kann nicht geſchehen ohne Umſetzung aller belebten Theile ſeines Muskularſyſtems, ſein Fleiſch iſt nicht genießbar; der Zuſtand der Umſetzung, in den es durch einen enormen Kraft - und Sauerſtoffverbrauch übergegangen iſt, ſetzt ſich mit dem Auf - hören aller Bewegungserſcheinungen fort; in ſeinen belebten248Die BewegungserſcheinungenKörpertheilen iſt aller Widerſtand der Lebenskraft gegen äu - ßere Urſachen und Störungen völlig aufgehoben.

So eng mit einander verknüpft nun auch die Bedingun - gen der Wärme - und Krafterzeugung zu mechaniſchen Effe - cten ſich der Beobachtung darſtellen mögen, ſo kann die Wär - meentwicklung für ſich allein in keiner Weiſe als die Ur - ſache der mechaniſchen Effecte angeſehen werden.

Alle Erfahrungen beweiſen, daß es im Organismus nur eine Quelle von mechaniſcher Kraft giebt und dieſe Quelle iſt der Uebergang belebter Körpertheile in lebloſe Verbin - dungen.

Von dieſer Wahrheit ausgehend, welche unabhängig iſt von jeder Theorie, läßt ſich das animaliſche Leben als be - dingt durch die Wechſelwirkung entgegengeſetzter Kräfte be - trachten, von denen die einen als Urſachen der Zu - nahme (des Erſatzes an Stoff), die andern als Urſa - chen der Abnahme (des Verbrauchs an Stoff) angeſehen werden müſſen.

Die Zunahme an Maſſe wird in belebten Körpertheilen bewirkt durch die Lebenskraft; ihre Aeußerung iſt abhän - gig von der Wärme (von einer gewiſſen einem jeden Or - ganismus eigenthümlichen Temperatur).

Die Urſache des Verbrauchs iſt die chemiſche Action des Sauerſtoffs, ihre Aeußerung iſt abhängig von einer Entziehung von Wärme, ſo wie von der Verwendung der Lebenskraft zu mechaniſchen Effecten.

Der Act des Verbrauchs heißt Stoffwechſel,249im Thierorganismus.er tritt ein in Folge der Aufnahme von Sauer - ſtoff in die Subſtanz belebter Körpertheile; dieſe Aufnahme von Sauerſtoff findet nur dann ſtatt, wenn der Widerſtand, welchen die Lebenskraft belebter Körpertheile der chemiſchen Action des Sauerſtoffs entgegenſetzt, kleiner iſt als dieſe chemiſche Action ſelbſt, und dieſer ſchwächere Wi - derſtand wird bedingt durch Entziehung von Wärme oder durch Verwendung der in den Kör - pertheilen thätigen Kraft zu mechaniſchen Be - wegungen.

In Folge der Verbindung des im arteriellen Blute zu - geführten Sauerſtoffs mit allen Beſtandtheilen des Thierkör - pers, die ſeiner chemiſchen Action keinen Widerſtand entge - genſetzen, wird die zur Aeußerung der Lebensthätigkeit - thige Temperatur erzeugt.

Aus den Beziehungen des Sauerſtoffverbrauches zu dem Stoffwechſel und zur Wärmeentwickelung im Thierkörper ergeben ſich die folgenden allgemeinen Regeln.

Für jedes Verhältniß Sauerſtoff, was in dem Körper in Verbindung tritt, muß eine entſprechende Menge Wärme er - zeugt werden.

Die Summe der zu mechaniſchen Effecten verwendbaren Kraft muß gleich ſein der Summe von Lebenskraft aller zum Stoffwechſel geeigneten Gebilde.

Wenn in gleichen Zeiten eine ungleiche Menge von Sauer - ſtoff verzehrt worden iſt, ſo zeigt ſich dies in einem unglei -250Die Bewegungserſcheinungenchen Maß von freigewordener Wärme und mechaniſcher Kraft.

Ein ungleiches Maß von verbrauchter mechaniſcher Kraft oder von Wärme bedingt die Aufnahme einer entſprechenden Menge Sauerſtoff.

Zum Uebergang belebter Körpertheile in lebloſe Verbin - dungen, ſowie zur Verbindung des Sauerſtoffs mit den Be - ſtandtheilen des Thierkörpers, welche Verwandtſchaft zu ihm haben, gehört Zeit.

In einer gegebenen Zeit kann nur ein begrenztes Maß von mechaniſchen Effecten zur Aeußerung gelangen, es kann nur eine begrenzte Menge von Wärme in Freiheit geſetzt werden.

Was in den mechaniſchen Effecten an Geſchwindigkeit verbraucht wird, geht an Zeit ab, d. h. je raſcher die her - vorgebrachten Bewegungen ſind, deſto ſchneller wird die Kraft erſchöpft.

Die Summe der im Thierkörper in einer gegebenen Zeit erzeugten mechaniſchen Kraft iſt gleich der Summe der in der nämlichen Zeit zur Hervorbringung der willkürlichen und unwillkürlichen Bewegungen nöthigen Kraft, d. h. alle Kraft, welche das Herz, die Eingeweide ꝛc. zu ihren Be - wegungen bedürfen, geht für die willkürlichen Bewegungen verloren.

Die Menge der zur Herſtellung des Gleichgewichts zwi - ſchen Verbrauch und Erſatz nöthigen, ſtickſtoffhaltigen Speiſe ſteht im graden Verhältniß zu der Menge der umgeſetzten Gebilde.

251im Thierorganismus.

Die Menge des belebten Stoffs, welcher in dem Thier - körper ſeinen Zuſtand des Lebens verliert, ſteht bei gleichen Temperaturen in geradem Verhältniß zu den in der gegebe - nen Zeit hervorgebrachten mechaniſchen Effecten.

Die Quantität der in einer gegebenen Zeit umgeſetzten Gebilde iſt meßbar durch den Stickſtoffgehalt des Harns.

Die Summe der bei gleichen Temperaturen in zwei In - dividuen hervorgebrachten mechaniſchen Effecte iſt proportio - nal dem Stickſtoffgehalt ihres Harns, gleichgültig ob die mechaniſche Kraft zu den willkürlichen oder unwillkürlichen Bewegungen verwendet, ob ſie durch die Glieder, oder das Herz und die Eingeweide verzehrt worden iſt.

Der Zuſtand des Thierkörpers, den man mit Geſund - heit bezeichnet, umfaßt den Begriff eines Gleichgewichts zwiſchen allen Urſachen des Verbrauchs und den Urſachen des Erſatzes, und das Thierleben giebt ſich hiernach zu er - kennen als die Wechſelwirkung beider Urſachen, es zeigt ſich als eine ſich wiederholende Aufhebung und Wiederherſtellung des Gleichgewichtszuſtandes.

Der Maſſe nach iſt in den verſchiedenen Lebensaltern der Erſatz und Verbrauch an Stoff ungleich, allein im Zuſtand der Geſundheit muß die verwendbare Lebenskraft ſtets als eine der Summe der belebten Körpertheile entſprechende, un - veränderliche Größe angeſehen werden.

Die Zunahme an Maſſe ſteht in jedem Lebensalter in einem ganz beſtimmten Verhältniß zu der als bewegende Kraft verbrauchten Lebenskraft.

252Die Bewegungserſcheinungen

Die Lebenskraft, welche zu mechaniſchen Effecten verwen - det wird, geht von der Summe an Kraft ab, welche zur Zunahme verwendbar iſt.

Die thätige Kraft, welche in dem Thierkörper zur Ueber - windung von Widerſtänden, ſagen wir zu Bildungsef - fecten (zur Zunahme an Maſſe), verwendet wird, iſt gleichzei - tig nicht zur Hervorbringung mechaniſcher Effecte verwendbar.

Hieraus folgt von ſelbſt, daß wenn der Maſſe nach, wie in dem Kindesalter, der Erſatz (die Zunahme an Maſſe) größer iſt, als der Verbrauch, daß die hervorgebrachten me - chaniſchen Effecte in demſelben Verhältniß kleiner geweſen ſein müſſen.

Mit der Steigerung der mechaniſchen Effecte vermin - dert ſich in dem nämlichen Verhältniß die Fähigkeit der Zu - nahme oder des Erſatzes an belebten Körpertheilen.

Ein vollkommnes Gleichgewicht in dem Verbrauch der Lebenskraft zu Bildungseffecten und mechaniſchen Effecten fin - det demnach nur in dem erwachſenen Zuſtande ſtatt; es zeigt ſich unverkennbar an dem vollkommnen Erſatz von verbrauch - tem Stoff. Im Greiſenalter wird mehr verbraucht, im Kindesalter wird mehr erſetzt als verbraucht.

Die zu mechaniſchen Effecten von einem erwachſenen Manne verwendbare Kraft wird in der Mechanik zu einem Fünftel ſeines eigenen Gewichts angenommen, was er acht Stunden lang mit einer Geſchwindigkeit von 5 Fuß in zwei Secunden fortbewegen kann.

Nehmen wir das Gewicht eines Mannes zu 150 Pfund253im Thierorganismus.an, ſo iſt ſeine Kraft gleich einem Gewicht von 30 Pfun - den, die er 72000 Fuß weit trägt. Für jede Secunde iſt ſein Kraftmoment 30 × 2,5 = 75 und für die ganze Tageszeit ſein Bewegungsmoment 30 × 72000 = 216000.

Durch die Wiederherſtellung ſeines Körpergewichts ſam - melt der Mann nun eine Summe von Kraft wieder an, die ihm den zweiten Tag geſtattet, ohne Erſchöpfung eine gleiche Anzahl von mechaniſchen Effecten hervorzubringen.

Dieſer Erſatz an Kraft geſchieht in einem ſie - benſtündigen Schlaf.

In den Fabriken von gewalztem Eiſen kommt es häufig vor, daß für den gewöhnlichen Gang der Maſchine ihr Druck nicht ſtark genug iſt, um eine Eiſenſtange von einer gewiſſen Dicke durch die Cylinder der Walze durchgehen zu machen. Man hilft ſich in dieſem Fall, indem man die ganze Kraft des Dampfs auf das Schwungrad wirken läßt und alsdann erſt, wenn dieſes eine große Geſchwindigkeit erlangt hat, die Eiſenſtange unter die Walze bringt, wo ſie dann (während das Schwungrad ſeine Geſchwindigkeit ver - liert) mit großer Leichtigkeit zu einer Tafel zuſammengepreßt wird. Was das Schwungrad an Geſchwindigkeit zunahm, gewann die Walze an Kraft; durch dieſes Verfahren iſt of - fenbar in der Geſchwindigkeit Kraft angeſammelt worden; allein in dieſem Sinne häuft ſich im lebendigen Organismus keine Kraft an.

Die Wiederherſtellung der Kraft geſchieht im Thierkör -254Die Bewegungserſcheinungenper durch die Neubildung der ausgetretenen, zur Krafterzeu - gung beſtimmten Körpertheile, durch die Verwendung der thätigen Lebenskraft zu Bildungseffecten und mit der Wiederherſtellung der ausgetretenen Körpertheile, erhält der Organismus eine der verwendeten, gleiche Kraft zurück.

Es iſt einleuchtend, daß die während des Schlafs in Bildungseffecten ſich äußernde Lebenskraft, gleich ſein muß, der ganzen Summe der im wachenden Zuſtande zu allen me - chaniſchen Effecten zuſammengenommenen verwendeten bewe - genden Kraft, plus einer gewiſſen Quantität von Kraft, welche zur Unterhaltung der im Schlafe fortdauernden, unwillkür - lichen Bewegungen erforderlich war.

Von Tag zu Tag erhält der arbeitende Mann bei hin - länglicher Nahrung durch ſieben Stunden Schlaf dieſe ganze Summe von Kraft zurück, und abgeſehen von der zu den unwillkürlichen Bewegungen nöthigen Kraft, die in allen Individuen gleich iſt, kann man annehmen, daß die zur Ar - beit verwendbare, mechaniſche Kraft in gradem Verhältniß ſteht zu der Anzahl von Stunden Schlaf.

Der Mann ſchläft 7 und wacht 17 Stunden; bei Wie - derherſtellung des Gleichgewichtes nach 24 Stunden ſind demnach die in 17 Stunden geäußerten mechaniſchen Effecte gleich den in 7 Schlafſtunden verwendeten Bildungseffecten.

Wenn ein Greis nur Stunden ſchläft und alles übrige gleich wie bei dem Manne geſetzt wird, ſo würde er jeden - falls nur die Hälfte der mechaniſchen Effecte hervorzubringen vermögen, wie der Mann von gleichem Gewicht, er würde255im Thierorganismus.nur 15 Pfund die nämliche Strecke weit tragen können.

Der Säugling ſchläft 20 Stunden und wacht 4 Stun - den; die in ihm thätige Kraft, welche zu Bildungseffecten verwendet wird, verhält ſich zu der, welche zu mechaniſchen Effecten (zur Bewegung der Glieder) verwendet wird, wie 20: 4; aber ſeine Glieder beſitzen kein Kraftmoment, denn er kann ſeinen eigenen Körper noch nicht tragen. Nehmen wir an, der Greis und Säugling verbrauche zu mechaniſchen Effecten eine dem Verhältniß, der von dem Manne verwend - baren, entſprechende Menge Kraft, ſo ſtehen die mechani - ſchen Effecte im Verhältniß zu der Anzahl der Stunden des Wachens, die Bildungseffecte im Verhältniß zu der Anzahl der Stunden Schlaf, und wir haben:

Bei dem Manne findet zwiſchen Verbrauch und Erſatz ein vollkommnes Gleichgewicht ſtatt, beim Säugling und Greis weichen Erſatz und Verbrauch von einander ab. Setzen wir den Kraftverbrauch in den ſiebzehn Stunden des Wachens gleich dem Kraftverbrauch zur Wiederherſtellung des Gleich - gewichts im Schlaf = 100 = 17 Wacheſtunden = 7 Schlafſtunden, ſo ergeben ſich folgende Verhältniſſe.

256Die Bewegungserſcheinungen

Die mechaniſchen Effecte verhalten ſich zu den Bildungs - effecten

  • beim Mann = 100: 100
  • beim Säugling = 25: 250
  • beim Greis = 125: 50

oder die Zunahme zur Abnahme

  • beim Erwachſenen = 100: 100
  • beim Säugling = 100: 10
  • beim Greis = 100: 250

Es iſt hiernach klar, daß wenn der Greis eine den Schlafſtunden des Mannes proportionale Arbeit verrichtet, ſo wird der Verbrauch größer ſein wie der Erſatz, d. h. ſein Körper wird raſch abnehmen, im Fall er 15 Pfund, mit einer Geſchwindigkeit von Fuß in der Sekunde 72000 Fuß weit trägt, aber 6 Pfund Laſt wird er dieſe Strecke weit fortbewegen können.

Beim Kinde verhält ſich die Zunahme zur Abnahme wie 10: 1 und wenn wir den Verbrauch an mechaniſchen Effecten bei ihm alſo um das zehnfache ſteigern, ſo wird erſt dann ein Gleichgewicht an Erſatz und Verbrauch eintreten; das Kind wird in dieſem Fall freilich nicht an Maſſe zunehmen, allein es wird daran auch nicht abnehmen.

Wenn bei dem Erwachſenen der Kraftverbrauch zu me - chaniſchen Effecten in 24 Stunden, über die in 7 Schlafſtun - den erſetzbare Quantität geſteigert wird, ſo muß, wenn das Gleichgewicht ſich wiederherſtellen ſoll, in den folgenden 24257im Thierorganismus.Stunden, in dem nämlichen Verhältniß, weniger Kraft zu me - chaniſchen Effecten verwendet werden, im entgegengeſetzten Fall nimmt die Maſſe des Körpers ab und es tritt mehr oder weniger ſchnell der Zuſtand ein, welcher das Greiſen - alter characteriſirt.

Mit jeder Stunde Schlaf mehrt ſich beim Greiſe die Summe der verwendbaren Krafteffecte, oder nähert ſich dem Gleichgewichtsverhältniß an Erſatz und Verbrauch wie beim erwachſenen Menſchen.

Es iſt ferner klar, daß wenn ein Theil der Kraft, welche zu mechaniſchen Bewegungen ohne Störung des Gleichge - wichtes verwendbar iſt, zur Bewegung der Glieder, Hebung von Laſten, Arbeit ꝛc. nicht verzehrt wird, ſo wird ſie durch die unwillkürlichen Bewegungen verwendbar ſein. Wenn die Bewegung des Herzens und der Säfte, der Eingeweide (der Blutumlauf und die Verdauung) ſich in dem nämlichen Verhältniß beſchleunigt findet, wie zu mechaniſchen Effecten durch die Glieder weniger Kraft verbraucht wird, ſo wird das Gewicht des Körpers in 24 Stunden weder zu - noch abnehmen; der Körper nimmt an Maſſe alſo nur dann zu, wenn die in den Schlafſtunden geſammelte und zu me - chaniſchen Effecten verwendbare Kraft weder für die willkür - lichen, noch unwillkürlichen Bewegungen verzehrt wird.

Die angeführten approximativen Zahlenwerthe für den Kraftverbrauch im Organismus des Menſchen beziehen ſich, wie ausdrücklich hervorgehoben worden, nur auf eine gege - bene, unveränderliche Temperatur; in ungleicher Temperatur17258Die Bewegungserſcheinungenund bei Mangel an Nahrung müſſen ſich alle dieſe Verhält - niſſe ändern.

Wenn wir einen Körpertheil mit Eis und Schnee um - geben, während die übrigen in ihrer gewöhnlichen Beſchaf - fenheit bleiben, ſo tritt mehr oder weniger ſchnell in Folge der Entziehung von Wärme, ein raſcherer Stoffwechſel an der abgekühlten Stelle ein.

Der Widerſtand der belebten Körpertheile gegen die Ein - wirkung des Sauerſtoffs an der abgekühlten Stelle iſt klei - ner, als an allen übrigen Orten, was im Reſultate ganz gleich iſt einer Erhöhung des Widerſtandes an dieſen andern Orten.

Das Kraftmoment der Lebenskraft an den nicht abgekühl - ten Stellen wird nach wie vor zur mechaniſchen Bewegung verbraucht, allein die ganze Wirkung des eingeathmeten Sauer - ſtoffs wendet ſich der abgekühlten Stelle zu.

Denken wir uns einen Cylinder von Eiſen, in den wir Dampf unter einem gewiſſen Drucke einſtrömen laſſen, ſo wird, wenn die Kraft, mit welcher die Theile des Eiſens zu - ſammenhängen, gleich iſt der Kraft, welche ſie zu tren - nen ſtrebt, ein Gleichgewichtszuſtand eintreten, d. h. die ganze Wirkung des Dampfes wird durch den Widerſtand aufgeho - ben. Wenn aber eine der Wände des Cylinders beweglich iſt, ein Stempel z. B., dem Druck des Dampfes alſo einen geringeren Widerſtand entgegenſetzt, als die anderen Wände, ſo wird der ganze Druck in der Bewegung dieſer einen Wand, in der Hebung des Stempels, verzehrt. Wenn wir nicht259im Thierorganismus.neuen Dampf (neue Kraft) hinzuſtrömen laſſen, ſo wird ſich bald ein Gleichgewichtszuſtand einſtellen. Einen gewiſſen Druck hält die Wand aus ohne ſich zu bewegen, durch einen größe - ren Druck wird der Stempel gehoben; wenn dieſer Ueber - ſchuß von Kraft verzehrt iſt durch die Bewegung, ſo wird er nicht weiter gehoben werden; wenn immer neuer Dampf hinzuſtrömt, ſo wird ſeine Bewegung fortdauern.

An der abgekühlten Stelle ſetzen die belebten Körpertheile der chemiſchen Action des Sauerſtoffs ein kleineres Hinderniß entgegen; ſeine Fähigkeit, mit ihren Beſtandtheilen eine Ver - bindung einzugehen, iſt an dieſem Orte erhöht; einmal aus - getreten hört aller Widerſtand völlig auf, und in Folge der Verbindung des Sauerſtoffs mit den Beſtandtheilen der um - geſetzten Gebilde wird ein größeres Maß von Wärme frei.

Für eine gegebene Quantität Sauerſtoff bleibt ſich die erzeugte Wärmemenge völlig gleich; an der abgekühlten Stelle nimmt der Stoffwechſel und damit die Wärmeentwicklung zu, an den anderen nimmt der Stoffwechſel (die Wärme - entwicklung) ab. Hat aber die abgekühlte Stelle, durch die Verbindung des Sauerſtoffs mit den ausgetretenen Körper - theilen, ihre urſprüngliche Temperatur wiedererhalten, ſo nimmt damit der Widerſtand ihrer belebten Körpertheile ge - gen den nachſtrömenden Sauerſtoff wieder zu, an allen übri - gen Orten iſt aber nun der Widerſtand kleiner geworden, d. h. es tritt nun auch an dieſen ein raſcherer Stoffwechſel, eine Erhöhung der Temperatur ein, und mit dieſer wird, wenn die Urſache des Stoffwechſels fortdauert, ein größe -17*260Die Bewegungserſcheinungenres Maß von Lebenskraft zu mechaniſchen Effekten verwendbar.

Denken wir uns nun, daß der ganzen Oberfläche des Körpers Wärme entzogen wird, ſo wird die ganze Wirkung des Sauerſtoffs der Haut zugelenkt werden, in kurzer Zeit muß der Stoffwechſel im ganzen Körper zunehmen; das Fett, ſo wie alle Beſtandtheile des Thierkörpers, welche die Fähig - keit haben, mit dem in größerer Quantität zugeführten Sauer - ſtoff ſich zu verbinden, werden in der Form von Sauerſtoff - verbindungen aus dem Körper treten.

Theorie der Krankheit.

Ein jeder Stoff oder Materie, eine jede chemiſche oder mechaniſche Thätigkeit, welche die Wiederherſtellung des Gleich - gewichtes in den Aeußerungen der Urſachen des Verbrauches und Erſatzes in der Art ändert oder ſtört, daß ſich ihre Wirkung den Urſachen des Verbrauches hinzufügt, heißt Krankheits-Urſache; es entſteht Krankheit, wenn die Summe von Lebenskraft, welche alle Urſachen von Störun - gen aufzuheben ſtrebt (wenn alſo der Widerſtand der Lebens - kraft), kleiner iſt, als die einwirkende, ſtörende Thätigkeit.

Tod heißt der Zuſtand, wo aller Widerſtand der Lebens - kraft völlig aufhört; ſo lange dieſer Zuſtand nicht eintritt,261im Thierorganismus.äußern die belebten Körpertheile ſtets noch einen Widerſtand.

In der Beobachtung zeigt ſich die Wirkung einer Krank - heitsurſache in dem geſtörten Verhältniſſe zwiſchen dem, ei - nem jeden Lebensalter zukommenden, Verbrauch und Erſatz. In der Heilkunde heißt Krankheit jeder abnorme Zuſtand des Erſatzes oder Verbrauchs, in allen Körpertheilen oder in ei - nem einzelnen Körpertheil.

Es iſt klar, daß eine und dieſelbe Krankheitsurſache auf den Organismus, je nach dem Lebensalter, eine höchſt ungleiche Wirkung äußern muß, daß ein gewiſſes Maß von Störung, welche Krankheit in dem erwachſenen Zuſtande bewirkt, ohne Einfluß auf die Lebensäußerungen im Kindes - oder Greiſen - alter ſein kann. Eine Krankheitsurſache kann im Greiſen - alter, wenn ſie ſich der Wirkung der Urſache des Verbrauchs hinzufügt, den Tod bewirken (allen Widerſtand der Lebens - kraft vernichten), während ſie im reifen Lebensalter nur ein Mißverhältniß im Verbrauch und Erſatz (Krankheit), und im Kindesalter nur ein Gleichgewichtsverhältniß zwiſchen Ver - brauch und Erſatz, das iſt, den abſtracten Zuſtand von Ge - ſundheit, hervorbringt.

Eine Krankheitsurſache, welche die Urſache des Erſatzes verſtärkt, entweder direct, oder inſofern die Urſache des Ver - brauchs in ihrer Wirkung dadurch geſchwächt wird, hebt den relativ normalen Geſundheitszuſtand im Kindesalter und im reifen Alter auf, und ſetzt im Greiſenalter Verbrauch und Erſatz in’s Gleichgewicht.

Ein Kind erträgt, leicht gekleidet, Abkühlung durch hohe262Die BewegungserſcheinungenKältegrade ohne Störung ſeiner Geſundheit, ſeine zu mecha - niſchen Effekten verwendbare Kraft, ſo wie ſeine Temperatur nehmen mit dem durch Abkühlung ſich einſtellenden Stoff - wechſel zu, während ein hoher Wärmegrad, welcher den Stoff - wechſel hindert, einen krankhaften Zuſtand nach ſich zieht.

Wir ſehen im Gegenſatze hierzu in den Hoſpitälern und in den wohlthätigen Anſtalten (in Brüſſel ꝛc. ), in welchen alte Leute ihre letzten Lebenstage zubringen, daß, wenn die Temperatur des Schlafraums (im Winter) zwei bis drei Grade unter die erwartete Temperatur fällt, daß durch dieſe ſchwache Abkühlung der Tod von den älteſten und an ſich ſchwächſten Greiſen und Greiſinnen herbeigeführt wird; man findet ſie in ihren Betten ruhig liegend ohne die geringſten Symptome von Krankheit oder anderen erkennbaren Urſachen des Todes.

Mangel an Widerſtand eines belebten Körpertheils gegen die Urſachen des Verbrauchs iſt, wie ſich von ſelbſt verſteht, Mangel an Widerſtand gegen die Einwirkung des atmo - ſphäriſchen Sauerſtoffs.

Wenn nun durch irgend eine Urſache der Störung in einem belebten Körpertheil dieſer Widerſtand abnimmt, ſo nimmt in gleichem Grade der Stoffwechſel zu.

Da nun die Bewegungserſcheinungen in dem Thierkörper abhängig ſind von dem Stoffwechſel, ſo folgt mit der Steigerung des Stoffwechſels in irgend einem Körpertheil, von ſelbſt, eine Beſchleunigung aller Bewegungen; je nach der Fortpflanzungsfähigkeit der Nerven vertheilt ſich die ver -263im Thierorganismus.wendbare Kraft auf die Leiter der unwillkürlichen Bewe - gungen allein oder auf alle zuſammengenommen.

Wird demnach in Folge einer krankhaften Umſetzung der belebten Körpertheile ein größeres Maß von Kraft erzeugt, als zur Hervorbringung der normalen Bewegung erforderlich iſt, ſo zeigt ſich dies in einer Beſchleunigung aller oder einzelner, unwillkürlichen Bewegungen, ſo wie in einer höhe - ren Temperatur des kranken Körpertheils.

Dieſer Zuſtand heißt Fieber.

Bei einem Uebermaß von Krafterzeugung durch Stoff - wechſel überträgt ſich die Kraft (da ſie nur durch Bewegung verzehrt werden kann), auf die Apparate der willkürlichen Bewegung.

Dieſer Zuſtand heißt Fieberparoxysmus.

In Folge der durch den Fieberzuſtand beſchleunigten Blutbewegung wird in einer gegebenen Zeit dem kranken Ort ſowohl, wie allen anderen Orten, ein größeres Maß arterielles Blut und damit Sauerſtoff hinzugeführt, und wenn die thätige Kraft an den geſunden Orten in ihrer Aeußerung ſich gleich bleibt, ſo muß die ganze Wirkung des mehr hinzugeführten Sauerſtoffs ſich auf den kranken Ort allein erſtrecken.

Je nachdem ein einzelnes Organ oder ein Syſtem von Organen, krank iſt, erſtreckt ſich der Stoffwechſel auf einen einzelnen Ort, oder auf das ganze ergriffene Syſtem.

Entſtehen an den kranken Orten in Folge des Stoff - wechſels aus den Beſtandtheilen des Gebildes oder Blutes264Die Bewegungserſcheinungenneue Producte, welche die nächſtliegenden Theile zu ihren eigenen vitalen Function nicht verwenden können, ſind ihre Umgebungen unfähig, ſie anderen Orten, wo ſie eine Verän - derung erfahren können, zuzuführen, ſo erleiden ſie an dem Orte ſelbſt, wo ſie ſich gebildet haben, einen der Verwe - ſung, Fäulniß oder Gährung ähnlichen Umſetzungsproceß.

In gewiſſen Fällen beſeitigt die Heilkunde dieſe Krank - heitszuſtände, indem ſie in der Nähe des kranken, oder an irgend einem andern paſſenden Ort, einen künſtlichen Krank - heitszuſtand (Blaſenpflaſter, Senfpflaſter, Haarſeil ꝛc. ) her - vorbringt, indem ſie an dieſen Orten den Widerſtand der Lebensthätigkeit durch künſtliche Störungen vermindert; es ge - lingt dem Arzte, den urſprünglichen Krankheitszuſtand zu he - ben, wenn die hervorgebrachte Störung (der verringerte Wi - derſtand) die zu beſiegende Krankheitsſtörung überwiegt.

Der raſchere Stoffwechſel und die höhere Temperatur an dem kranken Orte zeigt, daß der Widerſtand der Lebens - thätigkeit an dem kranken Orte gegen den Sauerſtoff ſchwä - cher iſt, wie im geſunden Zuſtande, aber erſt mit dem Tode hört er völlig auf. Durch die künſtliche Verminderung des Widerſtandes an einem andern Körpertheil wird der Wi - derſtand des urſprünglich kranken Theils zwar direct nicht verſtärkt, allein die chemiſche Action (die Urſache des Stoff - wechſels) nimmt an dem kranken Körpertheil ab, indem ſie einem andern Orte zugelenkt wird, wo es der Kunſt des Arztes gelungen iſt, einen noch geringern Widerſtand gegen Stoffwechſel (gegen die Einwirkung des Sauerſtoffs) hervor -265im Thierorganismus.zubringen. Es tritt eine vollkommne Hebung der urſprünglichen Krankheit ein, wenn Widerſtand und Einwirkung an dem kranken Körpertheil ins Gleichgewicht gebracht ſind. Es erfolgt Ge - ſundheit, Wiederherſtellung des kranken Körpertheils in ſeinem urſprünglichen Zuſtande, wenn es gelingt, die ſtörende Action des Sauerſtoffs durch irgend ein Mittel ſo weit zu ſchwächen, daß ſie kleiner wird, als der Widerſtand der un - ausgeſetzt vorhandenen, wiewohl verminderten Lebensthätig - keit; denn dies iſt die Bedingung der Zunahme an Maſſe im lebendigen Organismus überhaupt.

In Fällen anderer Art, wo die äußeren künſtlichen Stö - rungen ohne Wirkung ſind, ſchlägt der praktiſche Arzt, um den Widerſtand der Lebensthätigkeit zu erhöhen, andere in - directe Wege ein, auf welche die vollendetſte Theorie, weder ſcharfſichtiger noch richtiger, hätte führen können; er ver - mindert nämlich durch Blutentziehung die Anzahl der Trä - ger des Sauerſtoffs und damit die Bedingung des Stoff - wechſels; er ſchließt in der Speiſe alle Stoffe aus, welche die Fähigkeit beſitzen, zu Blut zu werden; er giebt ausſchließ - lich oder vorzugsweiſe nur ſtickſtofffreie Nahrung, welche den Reſpirationsproceß unterhält, ſo wie Obſt und Theile von Vegetabilien, welche die zu den Secreten nöthigen Alkalien enthalten.

Gelingt es ihm, die Einwirkung des Sauerſtoffs im Blute auf den kranken Körpertheil ſo weit zu vermindern, daß die Lebensthätigkeit des letztern, ſein Widerſtand, die chemiſche Action nur etwas überwiegt, und geſchieht dies, ohne den266Die BewegungserſcheinungenFunctionen der anderen Organe eine Grenze zu ſetzen, ſo iſt die Wiederherſtellung gewiß.

Zu der in dieſen Fällen mit Geſchick und Beobachtungs - gabe angewendeten Heilmethode fügt ſich, man kann ſagen zur Hülfe des kranken Körpertheils, die Lebenskraft der übri - gen, nicht ergriffenen Theile hinzu, denn durch Blutentziehung, durch Ausſchluß der zur Blutbildung nöthigen Speiſe, nimmt ja auch auf ſie die äußere Urſache der Störung ab, welche ihre eigne Lebenskraft im Gleichgewicht erhielt; ihre eigne Thätigkeit erhält ein Uebergewicht; der Stoffwechſel nimmt zwar im ganzen Körper ab, und damit die Bewegungs - erſcheinungen, allein die Summe aller Widerſtände zuſam - mengenommen nimmt zu in dem Grade, wie der auf ſie in dem Blute einwirkende Sauerſtoff ſich vermindert. In dem Gefühl von Hunger gelangt gewiſſermaßen dieſer Wider - ſtand zum Bewußtſein, und die überwiegende Lebensthätig - keit zeigt ſich bei vielen Verhungernden in einer abnormalen Zunahme oder einer abnormalen Umſetzung gewiſſer Theile von Organen. Mitleidenſchaft heißt eine Uebertragung des geringern Widerſtandes der Lebensthätigkeit von einem kranken Körpertheil nicht gerade auf die zunächſtliegenden, ſondern auf andere Organe, wenn die Functionen beider ſich gegenſeitig bedingen. Wenn die Verrichtungen des kranken Organs mit denen eines andern in Verbindung ſtehen, wenn das eine z. B. die Materien nicht mehr producirt, welche zur vitalen Function des andern gehören, ſo überträgt ſich auf dieſe, wiewohl nur ſcheinbar, der Krankheitszuſtand.

267im Thierorganismus.

Ueber die Natur und das Weſen der Lebenskraft kann man ſich wohl keiner ſelbſtgeſchaffenen Täuſchung hingeben, wenn man beachtet, daß ſie ſich in allen ihren Aeußerungen ganz ähnlich wie andere Naturkräfte verhält, daß ſie ohne Bewußtſein, völlig willenlos, einem Blaſenpflaſter unterge - ordnet iſt.

Die Nerven, welche die willkürlichen und unwillkürlichen Bewegungen im Thierkörper vermitteln, ſind, nach dem Vor - hergehenden, nicht die Erzeuger, ſondern nur die Leiter der Lebenskraft; ſie pflanzen die Bewegung fort und verhalten ſich gegen andere Urſachen von Bewegungen, welche in ih - ren Aeußerungen der Lebenskraft ähnlich ſind, gegen einen elektriſchen Strom z. B. auf eine völlig gleiche Weiſe, ſie geſtatten ihm den Durchgang und bieten als Leiter der Elek - tricität alle Erſcheinungen dar, welche ihnen als Leitern der Lebenskraft zukommen. Niemandem wird es wohl, nach dem gegenwärtigen Zuſtande unſerer Kenntniſſe, in den Sinn kommen, als die Urſache der Bewegungserſcheinungen in dem Thierkörper die Elektricität anzuſehen, allein die medicini - ſchen Wirkungen der Elektricität, ſo wie die eines Magne - ten, der in Berührung mit dem Körper die Entſtehung ei - nes elektriſchen Stromes vermittelt, können nicht geleugnet werden. Denn zu der vorhandenen Kraft der Bewegung und Störung addirt ſich in dem elektriſchen Strome eine neue Urſache von Bewegung, Form - und Beſchaffenheitsän - derung, deren Wirkungen nicht gleich Null geſetzt werden dürfen.

268Die Bewegungserſcheinungen

Auf eine höchſt rationelle Weiſe wendet die praktiſche Medicin in manchen Krankheiten die Kälte als Mittel an, um den Stoffwechſel auf eine ungewöhnliche Weiſe zu ſteigern und zu beſchleunigen. Dies geſchieht namentlich bei gewiſſen krankhaften Zuſtänden der Subſtanz des Centrums der Bewegungsapparate, wenn eine glühende Hitze und ein raſcher Strom von Blut nach dem Kopfe, eine abnormale Umſetzung des Gehirns erkennen laſſen. Wenn dieſer Zuſtand über eine gewiſſe Zeit hindurch dauert, ſo giebt die Erfah - rung zu erkennen, daß alle Bewegungen im Thierkörper auf - hören; wenn ſich der Stoffwechſel auf das Gehirn vorzugs - weiſe beſchränkt, ſo nimmt der Stoffwechſel, die Krafterzeu - gung, in allen anderen Theilen ab; durch Umgebung dieſes Körpertheils mit Eis wird die Temperatur herabgeſtimmt, allein die Urſache der Wärmeentwicklung dauert fort; der Widerſtand der Lebensthätigkeit wird vermindert, die Um - ſetzung, die Entſcheidung über den Ausgang der Krankheit, wird auf eine kürzere Zeitdauer beſchränkt. Man darf nicht vergeſſen, daß das Eis ſchmilzt und Wärme aus dem kran - ken Körpertheil aufnimmt, daß mit der Entfernung des Ei - ſes, vor dem Verlauf der Umſetzung, die höhere Temperatur wieder ſich einſtellt, daß man durch Umgebung mit Eis weit mehr Wärme entzieht, als durch Umhüllung mit einem ſchlechten Wärmeleiter; es iſt offenbar in der gleichen Zeit eine größere Menge Wärme frei geworden, was nur durch geſteigerte Zufuhr von Sauerſtoff, der eine raſchere Um - ſetzung bedingen mußte, möglich iſt.

269im Thierorganismus.

Ein nicht ganz unpaſſendes Bild für die Vorgänge im Thierkörper geben die ſich ſelbſt regulirenden Dampfmaſchi - nen ab, an denen zur Hervorbringung einer gleichförmigen Bewegung der menſchliche Geiſt den bewundernswürdigſten Scharfſinn bethätigt hat.

Jedermann weiß, daß in dem Rohre, was den Dampf zu dem Cylinder führt, in welchem ein Stempel in die Höhe gehoben werden ſoll, ein durchbrochener Hahn angebracht iſt, durch deſſen Oeffnung aller Dampf ſeinen Weg nehmen muß; durch eine mit dem Schwungrad in Verbindung ſte - hende Vorrichtung öffnet ſich dieſer Hahn, wenn das Rad langſamer, es ſchließt ſich mehr oder weniger, wenn es ge - ſchwinder geht, als zur gleichförmigen Bewegung erforderlich iſt. Mit dem Oeffnen des Hahns ſtrömt mehr Dampf zu (mehr Kraft), die Bewegung der Maſchine wird beſchleu - nigt; mit dem Schließen des Hahns wird der hinzuſtrömende Dampf mehr oder weniger abgeſchloſſen, die Kraft, welche auf den Stempel wirkt, nimmt ab, die Spannung des Dam - pfes im Keſſel nimmt zu; ſie wird zu einer ſpätern Ver - wendung aufgeſpart. Die Spannung des Dampfes, die Kraft, wenn man will, wird hervorgebracht durch Stoff - wechſel, durch Verbrennung von Kohlen unter dem Heerde der Maſchine. Die Kraft ſteigt (die Menge des entwickel - ten Dampfes und ſeine Spannung nehmen zu) mit der Tem - peratur des Heerdes, welche abhängig iſt von Zufuhr an Kohlen und Luft. Es finden ſich an dieſen Maſchinen an - dere Vorrichtungen, welche beide zu reguliren beſtimmt ſind. 270Die BewegungserſcheinungenSteigt die Spannung des Dampfes im Keſſel, ſo ſchließen ſich die Luftzüge, die Verbrennung wird verlangſamt, die Zufuhr an Kraft (an Dampf) vermindert; geht die Maſchine langſa - mer, ſo ſtrömt ihr mehr Dampf zu, die Luftzüge öffnen ſich und die Urſache der Wärmeentwicklung (Krafterzeugung) nimmt zu, eine letzte Vorrichtung wirft dem Heerde ohne Unterlaß Kohlen zu.

Wenn wir nun an irgend einer Stelle des Dampfkeſſels die Temperatur erniedrigen, ſo nimmt ſeine Spannung ab; dies giebt ſich ſogleich an den Regulatoren der Kraft zu erken - nen, die nun ganz die Functionen verrichten, wie wenn wir eine gewiſſe Quantität Dampf (Kraft) aus dem Keſſel hät - ten heraustreten laſſen; der Dampfregulator, die Luftzüge öffnen ſich, die Maſchine wirft ſich ſelbſt eine größere Menge Kohlen zu.

Ganz ähnlich wie in dieſen Maſchinen, verhält es ſich im Thierkörper hinſichtlich der Wärme und Krafterzeugung. Mit der Abnahme der äußern Temperatur verſtärken ſich die Athembewegungen, es wird Sauerſtoff häufiger und in ver - dichteterem Zuſtande zugeführt, der Stoffwechſel erhöht ſich, es muß mehr Nahrungsſtoff zugeführt werden, wenn die Temperatur nicht wechſeln ſoll.

Es bedarf wohl keiner Erinnerung, daß ein geſpannter Dampf in dem Thierkörper, ſo wenig wie ein elektriſcher, Strom, als die Urſache der Krafterzeugung angeſehen wer - den kann.

Aus der in dem Obigen entwickelten Theorie der Krank -271im Thierorganismus.heit ergiebt ſich von ſelbſt, daß ein ausgebildeter Krankheits - zuſtand in einem Körpertheil durch die chemiſche Action eines Arzneimittels nicht zum Verſchwinden gebracht werden kann.

Einem abnormalen Umſetzungsproceß kann durch Arznei - mittel eine Grenze geſetzt werden; er kann beſchleunigt oder verlangſamt werden, allein damit iſt der Normal - (Geſund - heits -) Zuſtand nicht zurückgekehrt.

Die Kunſt des Arztes beſteht in der Kenntniß der Mit - tel, die ihm geſtatten, einen Einfluß auf den Verlauf der Krankheit auszuüben, und in der Beſeitigung und Entfer - nung aller ſtörenden Urſachen, deren Wirkung ſich der Wir - kung der Krankheitsurſache hinzufügt.

Eine jede Theorie bringt nur durch die richtige Anwen - dung ihrer Principien einen wirklichen Nutzen. Eine und dieſelbe Heilmethode kann dem einen Individuum die Ge - ſundheit wiedergeben, während ſie, auf ein anderes ange - wandt, den ſichern Tod nach ſich zieht. So hat in gewiſſen, entzündlichen Krankheiten, bei muskelreichen Perſonen, die antiphlogiſtiſche Behandlung ihren entſchiedenen Werth, während Blutentziehung bei anderen von nachtheiligen Fol - gen begleitet iſt. Das belebende Blut bleibt immer die wichtigſte Bedingung zur Wiederherſtellung eines aufgehobe - nen Gleichgewichts-Zuſtandes, welche ſtets an den Gewinn von Zeit geknüpft iſt; es muß als die letzte und wichtigſte Urſache eines dauernden, vitalen Widerſtandes der kranken ſowohl, wie der nicht ergriffenen Körpertheile angeſehen und im Auge behalten werden.

272Die Bewegungserſcheinungen

Es iſt ferner klar, daß in allen Krankheiten, wo das Fieber die Bildung von Anſteckungsſtoffen und Exenthemen begleitet, zwei Krankheitszuſtände ſich neben einander vollen - den, und daß das Blut (Fieber) als der Träger des Stoffs (Sauerſtoffs), ohne deſſen Mitwirkung die krankhaften Erzeug - niſſe nicht unſchädlich gemacht, zerſtört und aus dem Körper ent - fernt werden können, reaktionell als Heilmittel auftritt, durch deſſen Mitwirkung zuletzt eine Ausgleichung bewirkt wird.

Theorie der Reſpiration.

Bei dem Durchgang des venöſen Blutes durch die Lunge ändern die Blutkörperchen ihre Farbe, mit dieſem Farbewech - ſel beobachten wir, daß Sauerſtoff aus der Luft aufgenom - men, daß für jedes Volumen Sauerſtoff in den meiſten Fäl - len, ein ihm gleiches Volumen Kohlenſäure abgeſchieden wird.

Die Blutkörperchen enthalten eine Eiſenverbindung, kein anderer Beſtandtheil der lebendigen Körpertheile enthält Eiſen.

Welche Art von Veränderung auch die übrigen Beſtand - theile des Blutes in der Lunge erleiden mögen, gewiß iſt, daß die Blutkörperchen des venöſen Blutes einen Farbewech - ſel erfahren, welcher abhängig iſt von der Einwirkung des Sauerſtoffs.

273im Thierorganismus.

Wir ſehen nun, daß die Blutkörperchen des arteriel - len Blutes in den weiten Kanälen ihre Farbe bewahren, daß ſie ſie erſt bei dem Durchgange durch die Capillargefäße verlieren. Alle Beſtandtheile des venöſen Blutes, welche die Fähigkeit hatten ſich mit Sauerſtoff zu verbinden, nehmen in der Lunge einen entſprechenden Theil davon auf; Verſuche mit Serum zeigen, daß es mit reinem Sauerſtoff in Be - rührung deſſen Volumen nicht merklich ändert. Venöſes Blut mit Sauerſtoff in Berührung röthet ſich unter Abſorption des Sauerſtoffs; es wird hierbei eine entſprechende Menge Kohlenſäure gebildet.

Es iſt klar, der Farbewechſel der Blutkörperchen hängt von der Verbindung von irgend einem ihrer Beſtandtheile mit dem Sauerſtoff ab, und mit dieſer Sauerſtoffaufnahme tritt eine gewiſſe Quantität Kohlenſäure aus.

Von dem Serum ſcheidet ſich dieſe Kohlenſäure nicht ab, denn es beſitzt nicht die Fähigkeit, bei Berührung mit Sauer - ſtoff Kohlenſäure abzugeben; das Blut von den Blutkörper - chen getrennt (das Serum) abſorbirt ſein halbes bis gleiches Volumen Kohlenſäure (ſiehe den Artikel Blut in dem Hand - wörterbuche der Chemie von Poggendorff, Wöhler und Liebig, Seite 877), es iſt bei gewöhnlicher Temperatur nicht mit Kohlenſäure geſättigt.

Das arterielle Blut geht, von dem Thiere genommen, unausgeſetzt einer Veränderung entgegen, ſeine hochrothe Farbe wird ſchwarzroth; das hochrothe Blut, was ſeine Farbe den Blutkörperchen verdankt, wird ſchwarzroth durch18274Die BewegungserſcheinungenKohlenſäure; dieſe Farbeänderung trifft die Blutkörperchen; es abſorbirt eine Menge Gaſe, welche ſich in der Blutflüſ - ſigkeit (ohne Blutkörperchen) nicht löſen; es iſt klar, die Blutkörperchen haben das Vermögen, ſich mit Gaſen zu verbinden.

Die Blutkörperchen ändern ihre Farbe in verſchiedenen Gaſen; dieſer Wechſel kann von zwei Urſachen, einer Ver - bindung oder einer Zerſetzung herrühren.

Durch Schwefelwaſſerſtoff werden ſie ſchwarzgrün und zuletzt ſchwarz, die urſprüngliche rothe Farbe kann durch Contact mit Sauerſtoffgas nicht wieder hervorgebracht wer - den; es iſt offenbar hier eine Zerſetzung vor ſich gegangen.

Die durch Kohlenſäure ſchwarzroth gewordenen Blutkör - perchen werden beim Contact mit Sauerſtoff unter Abſchei - dung von Kohlenſäure wieder hochroth, ähnlich verhalten ſie ſich gegen Stickoxydulgas; es iſt klar, daß ſie keine Zerſe - tzung erfahren hatten; ſie beſitzen alſo die Fähigkeit, eine Verbindung mit Gaſen einzugehen, ihre Verbindung mit Kohlenſäure wird durch Sauerſtoff wieder aufge - hoben; ſich ſelbſt überlaſſen, wird außerhalb des Thierkör - pers die Sauerſtoffverbindung wieder ſchwarzroth, ohne durch Sauerſtoff wieder hochroth zu werden.

Die Blutkörperchen enthalten eine Eiſenverbindung.

Aus dem nie fehlenden Eiſengehalt des rothen Blutes muß geſchloſſen werden, daß er unbedingt für das animali - ſche Leben nothwendig ſei, und ſeitdem die Phyſiologie be - wieſen hat, daß die Blutkörperchen an dem Ernährungspro -275im Thierorganismus.ceſſe keinen Antheil nehmen, kann es keinem Zweifel unter - liegen, daß ſie in dem Reſpirationsproceß eine Rolle über - nehmen.

Die Eiſenverbindung in den Blutkörperchen verhält ſich wie eine Sauerſtoffverbindung, denn durch Schwefelwaſſer - ſtoff wird ſie ganz auf dieſelbe Weiſe zerlegt, wie die Eiſen - oxyde oder die ihnen ähnlichen Eiſenverbindungen. Durch verdünnte Mineralſäuren läßt ſich aus friſchem oder getrockne - tem Blutroth Eiſenoxyd, bei gewöhnlicher Temperatur ausziehen.

Das Verhalten der Eiſenverbindungen giebt vielleicht Aufſchluß über die Rolle, welche das Eiſen in dem Reſpira - tionsproceſſe ſpielt; kein einziges Metall kann in Beziehung auf merkwürdige Eigenſchaften mit den Eiſenverbindungen verglichen werden.

Die Eiſenoxydulverbindungen beſitzen das Vermögen an - deren Sauerſtoffverbindungen Sauerſtoff zu entziehen; die Ei - ſenoxydverbindungen geben Sauerſtoff unter anderen Bedin - gungen mit der allergrößten Leichtigkeit wieder ab.

Eiſenoxydhydrat in Berührung mit ſchwefelfreien organi - ſchen Materien verwandelt ſich in kohlenſaures Eiſenoxydul.

Kohlenſaures Eiſenoxydul in Berührung mit Waſſer und Sauerſtoff wird zerſetzt, alle Kohlenſäure, die es enthält, entweicht; durch Aufnahme von Sauerſtoff verwandelt es ſich in Eiſenoxydhydrat, was durch reducirende Materien wieder zurückführbar iſt in eine Eiſenoxydulverbindung.

Aber nicht bloß die Sauerſtoffverbindungen des Eiſens, ſondern auch die Cyanverbindungen zeigen ein ähnliches Ver -18*276Die Bewegungserſcheinungenhalten. In dem Berlinerblau haben wir Eiſen in Verbin - dung mit allen organiſchen Beſtandtheilen des Thierkörpers: Waſſerſtoff und Sauerſtoff (Waſſer), Kohlenſtoff und Stick - ſtoff (Cyan).

Dem Lichte ausgeſetzt, entweicht Cyan, es wird weiß, im Dunkeln zieht es Sauerſtoff an und wird wieder blau.

Alle dieſe Beobachtungen zuſammengenommen führen zu der Meinung, daß die Blutkörperchen des arteriellen Blutes eine mit Sauerſtoff geſättigte Eiſenverbindung enthalten, welche im lebendigen Blute beim Durchgang durch die Ca - pillargefäße ihren Sauerſtoff verliert; daſſelbe geſchieht, wenn das Blut vom Körper genommen ſich zu zerſetzen anfängt (zu faulen beginnt); die an Sauerſtoff reiche Verbindung geht alſo durch Sauerſtoffabgabe (Reduction) in eine ſauer - ſtoffarme Verbindung über. Eins der Oxydationsproducte, welches hierbei gebildet wird, iſt Kohlenſäure. Die Eiſenver - bindung des venöſen Bluts beſitzt die Fähigkeit, ſich mit Kohlen - ſäure zu verbinden; es iſt klar, daß die Blutkörperchen des arteriellen Blutes, wenn ſie nach Abgabe von einem Theile ihres Sauerſtoffs Kohlenſäure vorfinden, ſich mit dieſer Kohlenſäure verbinden werden.

In der Lunge angelangt werden ſie den verlornen Sauer - ſtoff wieder aufnehmen, für jedes Volumen Sauerſtoff wird eine entſprechende Menge Kohlenſäure wieder austreten, ſie werden in ihren urſprünglichen Zuſtand wieder zurückkehren, d. h. das Vermögen wieder erhalten, Sauerſtoff abzugeben.

Für jedes Volum Sauerſtoff, was die Blutkörperchen277im Thierorganismus.abzugeben vermögen, wird (da die Kohlenſäure ihr gleiches Volum Sauerſtoff ohne Condenſation enthält) nicht mehr und nicht weniger als ein Volumen kohlenſaures Gas ge - bildet werden können; für jedes Volumen Sauerſtoff, was ſie aufzunehmen fähig ſind, kann nicht mehr Kohlenſäure abgeſchieden werden, als überhaupt aus dieſem Volum Sauer - ſtoff erzeugbar iſt.

Wenn ein kohlenſaures Eiſenoxydul durch Aufnahme von Sauerſtoff in Eiſenoxyd übergeht, ſo werden für jedes Volum Sauerſtoff, was zum Uebergang in Eiſenoxyd gehört, vier Volumina Kohlenſäure abgeſchieden.

Für ein Volumen Sauerſtoff kann ſich aber nur ein Vo - lumen Kohlenſäure bilden, es kann alſo auch nicht mehr ab - geſchieden werden; die ihres Sauerſtoffs beraubte Verbin - dung muß aber die Fähigkeit haben, noch Kohlenſäure auf - zunehmen, und wir ſehen in der That, daß das Blut in kei - nem Zuſtande des Lebens mit Kohlenſäure geſättigt iſt, daß es zu der Kohlenſäure, die es ſchon enthält, noch eine Menge Kohlenſäure aufzunehmen vermag, ohne daß damit die Fun - ction der Blutkörperchen geſtört erſcheint. (Nach dem Trin - ken von mouſſirenden Weinen, Bier, Mineralwaſſer muß nothwendig mehr Kohlenſäure ausgeathmet werden.) In allen Fällen, wo der Sauerſtoff der Blutkörperchen nicht zur Bildung von Kohlenſäure gedient hat, wird ſtets nur eine der erzeugten Kohlenſäure entſprechende Menge ausgeathmet werden können; bei Genuß von Fett und Wein jedenfalls weniger, wie nach dem Genuß von Champagner.

278Die Bewegungserſcheinungen

Nach der ſo eben entwickelten Vorſtellung geben die Blutkörperchen des arteriellen Blutes, bei ihrem Durchgang durch die Capillargefäße, Sauerſtoff an gewiſſe Beſtand - theile des Thierkörpers ab. Ein kleiner Theil dieſes Sauer - ſtoffs dient zur Hervorbringung des Stoffwechſels und be - dingt das Austreten belebter Körpertheile, ſo wie die Bil - dung und Erzeugung der Secrete, der größte Theil dieſes Sauerſtoffs wird zur Verwandlung der, den belebten Kör - pertheilen nicht mehr angehörenden Subſtanzen, in Sauer - ſtoffverbindungen verwendet.

Auf ihrem Wege nach dem Herzen hin, verbinden ſich die Blutkörperchen, welche ihren Sauerſtoff abgegeben haben, mit Kohlenſäuregas zu venöſen Blut, in der Lunge ange - langt, findet ein Austauſch ſtatt.

Die organiſche Eiſenverbindung des venöſen Blutes nimmt in der Lunge und der Luft den verlornen Sauerſtoff wieder auf, und in Folge dieſer Sauerſtoffaufnahme ſcheidet ſich alle damit verbundene Kohlenſäure wieder ab.

Alle in dem venöſen Blute vorhandenen Materien, welche Verwandtſchaft zum Sauerſtoff beſitzen, verwandeln ſich in der Lunge, ähnlich wie die Blutkörperchen, in höhere Sauer - ſtoffverbindungen, es entſteht eine gewiſſe Quantität Kohlen - ſäure, von der ſtets ein Theil in der Blutflüſſigkeit gelöſ’t bleibt.

Die Quantität der gelöſ’ten (oder der an Natron ge - bundenen) Kohlenſäure muß in beiden Blutarten, da ſie ei - nerlei Temperatur beſitzen, gleich ſein, allein das arterielle279im Thierorganismus.Blut muß, ſich ſelbſt überlaſſen, nach kurzer Zeit eine grö - ßere Menge Kohlenſäure enthalten, wie das venöſe, weil der aufgenommene Sauerſtoff zur Bildung von Kohlenſäure verwendet wird.

In dem Organismus des Thieres finden mithin zwei Oxydationsproceſſe ſtatt, der eine in der Lunge, der andere in den Capillargefäßen. Durch den erſtern wird, trotz der ſtarken Abkühlung und geſteigerten Verdunſtung, die con - ſtante Temperatur der Lunge, durch den andern die conſtante Temperatur in den übrigen Körpertheilen hervorgebracht.

Ein Menſch, welcher täglich 27,8 Loth Kohlenſtoff in der Form von Kohlenſäure ausathmet, verzehrt in 24 Stun - den 74 Loth Sauerſtoff (64 Loth = 1 Kilogramm), welche den Raum von 807 Litres = 51648 heſſiſche Kubikzoll (64 = 1 Litre) einnehmen.

Rechnet man auf die Minute 18 Athemzüge, ſo haben wir in 24 Stunden 25920 Athemzüge und bei jedem Athem - zug werden demnach 〈…〉 Kubikzoll Sauerſtoff in das Blut aufgenommen.

In einer Minute treten 18 × 1,99 = 35,8 Kubikzoll Sauerſtoff zu den Beſtandtheilen des Blutes, welche bei gewöhnlicher Temperatur etwas weniger wie 12 Gran (802,8 Milligramm) wiegen.

Nehmen wir nun an, daß in einer Minute 10 Pfund Blut (5 Kilogramm) (Müller, Phyſiologie Bd I. S. 345) durch die Lunge gehen und dieſe den Raum von 320 Ku -280Die Bewegungserſcheinungenbikzoll einnehmen, ſo verbindet ſich 1 Kubikzoll Sauerſtoff ſehr nahe mit 9 Kubikzoll Blut.

Nach den Unterſuchungen von Denis, Richardſon, Naſſe (Handwörterbuch der Phyſiologie Bd. I. S. 138) enthalten 10000 Blut 8 Theile Eiſenoxyd. 76800 Gran (10 Pfd.) Blut enthalten demnach 61,54 Gran Eiſenoxyd im arteriellen oder 55,14 Eiſenoxydul im venöſen Blut.

Nehmen wir nun an, das Eiſen in den Blutkörperchen des venöſen Blutes ſei als Eiſenoxydul, das im arteriellen Blut als Eiſenoxyd enthalten, ſo nehmen 55,14 Gran Ei - ſenoxydul bei ihrem Durchgang durch die Lunge in einer Minute 6,40 Gran Sauerſtoff auf; da nun in dieſer Zeit im Ganzen von 10 Pfund Blut 12 Gran Sauerſtoff auf - genommen werden, ſo treten von dieſen 12 Gran, 5,6 Gran an die anderen Beſtandtheile des Blutes.

55,14 Gran Eiſenoxydul verbinden ſich nun mit 34,8 Gran Kohlenſäure, welche den Raum von 73 Kubikzoll ein - nehmen. Es iſt deshalb klar, daß die in dem Blute vor - handene Menge Eiſen, als Eiſenoxydul gedacht, hinreicht, um den Träger der doppelten Menge Kohlenſäure abzuge - ben, welche überhaupt auf Koſten alles in der Lunge aufge - nommenen Sauerſtoffs erzeugbar iſt.

Die eben entwickelte Hypotheſe ſtützt ſich auf die bekann - ten Beobachtungen und zwar erklärt ſie den Reſpirations - proceß, ſoweit er von den Blutkörperchen abhängig iſt, voll - kommen, ſie ſchließt die Meinung nicht aus, daß auch auf anderen Wegen Kohlenſäure in die Lunge gelangen, daß gewiſſe281im Thierorganismus.andere Beſtandtheile des Bluts zur Bildung von Kohlenſäure in der Lunge Veranlaſſung geben können; allein alles dies ſteht in keiner Beziehung zu dem vitalen Proceß, durch wel - chen in allen Theilchen des Körpers die zu ſeinem Beſtehen nöthige Wärme erzeugt wird. Dies allein kann aber vor - läufig nur als ein würdiger Gegenſtand der Unterſuchung betrachtet werden; warum dunkelrothes Blut durch Salpeter, Kochſalz ꝛc. hellroth wird, iſt eine nicht unintereſſante Frage, die aber mit dem Athmungsproceß in keinem Zuſammenhange ſteht.

Die furchtbare Wirkung des Schwefelwaſſerſtoffs, der Blauſäure, welche beim Einathmen in wenigen Secunden allen Bewegungserſcheinungen im Thierkörper eine Grenze ſetzen, erklären ſich aus den bekannten Veränderungen, welche alle Eiſenverbindungen bei Gegenwart von Alkalien, die im Blute nicht fehlen, durch dieſe Stoffe erleiden, auf eine un - gezwungene Weiſe.

Denken wir uns, daß die Blutkörperchen ihre - higkeit verlieren, Sauerſtoff aufzunehmen, dieſen Sauer - ſtoff wieder abzugeben und die gebildete Kohlenſäure fort - zuführen, ſo wird ein ſolcher hypothetiſcher Krankheits - zuſtand augenblicklich an der Temperatur und den Bewe - gungserſcheinungen im Thierkörper erkennbar ſein. Es wird nämlich kein Stoffwechſel ſtattfinden, ohne daß damit die Bewegungen ſelbſt eine unmittelbare Grenze finden.

Die Leiter der Kraft werden den Eingeweiden, dem Her - zen, nach wie vor, die zu ihren Functionen nöthige Kraft282Die Bewegungserſcheinungen im Thierorganismus.zuführen, ſie werden ſie von dem Muskularſyſtem erhalten, ohne aber daß aus dieſen ein Beſtandtheil austritt; Galle - und Harnſecretion können nicht ſtattfinden; die Temperatur des Körpers muß abnehmen.

Dem Ernährungsproceß wird durch dieſen Zuſtand eine Grenze geſetzt und in kürzerer oder längerer Zeit muß der Tod eintreten, ohne, was hier das Wichtigſte iſt, von Fie - bererſcheinungen begleitet zu ſein.

Dieſes Beiſpiel ſoll dazu dienen, um Veranlaſſung zu einer Unterſuchung des Bluts in Krankheitszuſtänden ähn - licher Art, zu geben, denn es kann nicht dem geringſten Zweifel unterliegen, daß die Rolle, welche den Blutkörper - chen zugeſchrieben worden iſt, als vollkommen ausgemittelt und aufgeklärt betrachtet werden kann, wenn ſich in ſolchen Zuſtänden eine Abweichung in der Form, Beſchaffenheit und dem Verhalten der Blutkörperchen ergiebt, die durch geeig - nete Reagentien erkennbar ſein muß.

Wenn die Kraft, welche die Lebenserſcheinungen bedingt, als eine Eigenſchaft gewiſſer Materien angeſehen wird, ſo führt dieſe Vorſtellung von ſelbſt auf eine neue und ſchär - fere Betrachtungsweiſe gewiſſer räthſelhafter Erſcheinungen, welche die nämlichen Subſtanzen in Zuſtänden darbieten, wo ſie keine Beſtandtheile belebter Organismen mehr ausmachen.

[283]

Analytiſche Belege zu dem chemiſchen Proceß der Reſpiration und Ernährung ſo wie zu dem chemiſchen Proceß der Umſetzung der Gebilde.

Die Noten correſpondiren mit den in den Abſchnitten im Texte aufgeführten Nummern. Alle mit * bezeichneten Zahlenreſultate der Analyſen ſind in dem chemiſchen Laboratorium in Gießen ausgeführt.

[284][285]

Anhang.

Seite 1. Einleitung zu den Analyſen. Erklärung der Formeln.

Die frühere Darſtellung der Verſchiedenheit in der Zu - ſammenſetzung der Stoffe, die Angabe des Gehaltes in ih - ren Beſtandtheilen nach Procenten, iſt von den Chemikern längſt verlaſſen, weil ſie keine Einſicht in die Beziehungen geſtattet, welche zwiſchen zwei und mehr Verbindungen ſtatt - finden. Um hiervon einige Beiſpiele zu geben, ſoll die Zu - ſammenſetzung der Eſſigſäure und des Aldehyds, des Bitter - mandelöls und der Benzoeſäure hier erwähnt werden.

Aldehyd verwandelt ſich nun in Eſſigſäure, Bitterman - delöl in Benzoeſäure durch Aufnahme von Sauerſtoff, ohne daß ſich an ihren Elementen ſonſt irgend etwas ändert. In den bloßen Zahlenverhältniſſen läßt ſich dieſe Beziehung nicht erkennen, drücken wir aber die Zuſammenſetzung beider in einer Formel aus, ſo fällt der Zuſammenhang zwiſchen die -286Analytiſche Belege.ſen Materien auch demjenigen in die Augen, welcher von der Chemie nichts weiß, als daß der Buchſtabe C ein Aequiva - lent Kohlenſtoff, H 1 Aeq. Waſſerſtoff, N 1 Aeq. Stickſtoff und O 1 Aeq. Sauerſtoff bedeutet.

Dieſe Formeln ſind genaue Ausdrücke der Analyſen, die, man kann es ſich ſo denken, ſich auf eine unveränderliche Kohlenſtoffquantität beziehen; ſie zeigen, daß Eſſigſäure und Aldehyd, Benzoeſäure und Bittermandelöl nur in dem Sauer - ſtoffgehalt von einander abweichen, daß ſie von den übrigen Elementen einerlei Verhältniſſe enthalten. Das Verſtändniß der folgenden Formeln iſt nicht minder einfach.

Die erſte Formel iſt eine ſogenannte empiriſche Formel, in der man wohl das relative Verhältniß der Elemente ge - nau kennt, aber nicht die Ordnung, in welcher ſie zuſam - mengetreten ſind. Die zweite Formel drückt aus, daß 6 At. Cyan oder 6 At. Stickſtoff und 6 At. Kohlenſtoff zu ei - nem zuſammengeſetzten Atom ſich vereinigt haben, das mit 3 At. Sauerſtoff und 3 At. Waſſer Cyanurſäurehydrat ge - bildet hat; die letzte drückt aus die Art und Weiſe der Ord - nung der Atome in dem Cyanſäurehydrat, dreimal genom -287Analytiſche Belege.men; dieſelbe Anzahl von Elementen, wie in der Cyanur - ſäure iſt zu 3 Atomen Cyanſäurehydrat zuſammengetreten. Wie man verfährt, um die procentiſche Zuſammenſetzung ei - nes Körpers in einer Formel auszudrücken, gehört nicht hier - her; es ſoll nur erwähnt werden, wie man verfahren muß, um aus einer jeden Formel rückwärts die procentiſche Zu - ſammenſetzung zu finden. Für dieſen Zweck muß man be - achten, daß der Buchſtabe C in einer chemiſchen Formel ein Gewicht von 76,437 Kohlenſtoff (nach den neueſten Beſtim - mungen 75,8 oder 75, eine Abweichung, welche auf die angeführten Formeln, da ſie alle nach der Zahl 76,437 be - rechnet ſind, ohne den geringſten Einfluß iſt) bedeutet, der Buchſtabe H ein Gewicht von 6,239 Waſſerſtoff, der Buch - ſtabe N = 88,52 Stickſtoff, und zuletzt der Buchſtabe O, ein Gewicht von 100 Sauerſtoff.

Die Formel des Proteins C48 N12 H72 O14 drückt alſo aus:

  • 48 mal 76,437 = 3668,88 Kohlenſtoff
  • 12 » 88,52 = 1062,24 Stickſtoff
  • 72 » 6,239 = 449,26 Waſſerſtoff
  • 14 » 100,00 = 1400,00 Sauerſtoff
  • in Summa das Gewicht von 6580,38 Protein.
  • in 100 Theilen
  • In 6580,38 Theilen Protein ſind enthalten 3668,88 Kohlenſtoff 55,742
  • In 6580,38 » » » » 1062,24 Stickſtoff 16,143
  • In 6580,38 » » » » 449,26 Waſſerſtoff 6,827
  • In 6580,38 » » » » 1400,00 Sauerſtoff 21,288
  • 100,000
288Analytiſche Belege.

Note 1. Seite 13. Sauerſtoffverbrauch des erwachſenen Mannes.

(Aus L. Gmelins Handbuch der theor. Chemie.)

Note 2. Seite 14. Zuſammenſetzung des Bluts: (Siehe Note 29.)

  • in 100 Theilen in 4,8 Pfd. = 36864 Gran
  • Kohlenſtoff 51,96 19154,5
  • Waſſerſtoff 7,25 2672,7
  • Stickſtoff 15,07 5555,4
  • Sauerſtoff 21,30 7852,0
  • Aſche .. 4,42 1629,4
  • 100,000 36864,0
  • Gran Gran
  • 19154,5 Kohlenſtoff bildet mit 50539,5 Sauerſtoff Kohlenſäure
  • 2672,7 Waſſerſtoff » » 21415,8 » Waſſer
  • Summa = 71955,3 Sauerſtoff
  • Hiervon ab vorhandener Sauerſtoff = 7852,0
  • bleiben 64103,3 Gran

Sauerſtoff, welche zur vollſtändigen Verbrennung von 4,8 Pfd. Blut erforderlich ſind.

289Analytiſche Belege.

In obiger Rechnung iſt angenommen worden, daß 24 Pfd. Blut 4,8 Pfd. trocknen Rückſtand (80 pCt. ) hinterlaſſen.

Note 3. Seite 14.

Beſtimmung der Menge des ausgeathmeten Kohlenſtoffs.

  • Faeces:
  • 2,356 trockene Faeces hinterließen 0,320 Aſche (13,58 pCt.).
  • 0,352 Faeces gaben 0,576 Kohlenſäure und 0,218 Waſſer.
  • Linſen:
  • 0,566 bei 100° getrocknete Linſen gaben 0,910 Kohlenſäure und 0,336 Waſſer.
  • Erbſen:
  • 1,060 hinterließen 0,037 Aſche
  • 0,416 gaben 0,642 Kohlenſäure und 0,241 Waſſer.
  • Kartoffeln:
  • 0,443 trockene Kartoffeln gaben 0,704 Kohlenſäure und 0,248 Waſſer.
  • Schwarzbrod:
  • 0,302 trocknes Schwarzbrod gaben 0,496 Kohlenſäure und 0,175 Waſſer
  • 0,241 » » » 0,393 » 0,142 »
19290Analytiſche Belege.

Berechnung des von einem erwachſenen Menſchen ausgeathmeten Kohlenſtoffs.

Fleiſch. Das fettloſe Muskelfleiſch, zu 74 Waſſer und 26 pCt. feſter Subſtanz angenommen, enthält in 100 Thei - len 13,6 Kohlenſtoff. Das gewöhnliche Fleiſch enthält Mus - kelfleiſch, Zellgewebe und Fett. Die beiden letzteren machen im Durchſchnitt 1 / 7 vom Gewicht des im Fleiſchladen erkauf - ten Fleiſches aus. Die Anzahl der verzehrten Lothe (64 Loth = 1 Kilogramm) beträgt 8896, welche beſtehen aus:

  • 7625 Loth fettloſes Muskelfleiſch enthalten Kohlenſtoff 1037 Loth
  • 1271 » Zellgewebe mit Fett » » 898 »
  • in Summe Kohlenſtoff 1935 Loth
291Analytiſche Belege.

Mit den Knochen enthält das gekaufte Fleiſch 29 pCt. feſte Subſtanz, und 278 Pfd. Fleiſch 28 Pfd. trockne Kno - chen, ſie ſind nicht in Rechnung genommen, obwohl ſie beim Kochen 8 10 pCt. Leimſubſtanz verlieren, welche mit als Nahrung genoſſen wird.

Fett. Es ſind verzehrt worden 112 Loth Fett, welche zu 80 pCt. Kohlenſtoff in Summa 89,6 Loth Kohlenſtoff enthalten.

Kohlenſtoffgehalt der verzehrten Linſen, Bohnen und Erbſen.

Es ſind verzehrt worden 107 Loth Linſen, 436 Loth Bohnen und 371 Loth Erbſen, im Ganzen 914 Loth; bei einem Gehalte von 37 pCt. Kohlenſtoff ſind verzehrt worden 338,2 Loth Kohlenſtoff.

Kartoffeln. 100 Theile friſche Kartoffeln enthalten 12,2 Kohlenſtoff; in den verzehrten 31752 Loth ſind ent - halten 3873,7 Kohlenſtoff.

Brod. 855 Mann eſſen täglich 855 × 64 Loth, dazu noch 36 Pfd. Suppenbrod macht zuſammen 55872 Loth. 100 Loth friſches Brod enthalten durchſchnittlich 30,15 Loth Kohlenſtoff, es ſind mithin im Brod verzehrt worden 17543 Loth Kohlenſtoff.

19*292Analytiſche Belege.

Im Ganzen ſind verzehrt worden:

  • im Fleiſch ........ 1935 Loth Kohlenſtoff
  • Fett .......... 89,6 » »
  • Bohnen, Erbſen, Linſen .... 338,2 » »
  • Kartoffeln ........ 3873,7 » »
  • Brod .......... 17543,0 » »
  • von 855 Mann ...... 23779,5 Loth Kohlenſtoff
  • von 1 Mann ....... 27,8 Loth Kohlenſtoff

Die Faeces eines Soldaten wiegen 11 Loth ( Unze); ſie enthalten mit ihrem ganzen Waſſergehalt 11 pCt. Koh - lenſtoff; für 86 Kreuzer Gemüſe, Weißkraut, Kohlrabi, Gelbe - rüben ꝛc. erhält man durchſchnittlich 172 Pfd.; 25 Maas Sauerkraut wiegen 100 Pfd. Für 48½ Kreuzer Zwiebeln, Lauch, Sellerie erhält man auf dem Markte durchſchnittlich 24¼ Pfd. Dem Gewicht nach haben 855 Mann Soldaten verzehrt:

  • an grünem Gemüſe .... 5604 Loth
  • an Sauerkraut ..... 3200 »
  • an Zwiebeln ꝛc ...... 776 »
  • 9580 Loth
  • ein Mann täglich. 11,2 Loth

Der Kohlenſtoffgehalt des verzehrten Gemüſes iſt gleich dem Kohlenſtoffgehalt der Faeces angenommen. Wurſt, Branntwein, Bier, überhaupt was im Wirthshaus verzehrt worden, nicht gerechnet.

293Analytiſche Belege.

Die Zahlen, welche den vorhergehenden Berechnungen zu Grunde gelegt wurden, ſind durchſchnittlich dem Verbrauch von 855 Mann caſernirter Soldaten entnommen, deren Spei - ſen (Brod, Kartoffeln, Fleiſch, Linſen, Erbſen, Bohnen ꝛc. ) während eines Monats bis auf Pfeffer, Salz und Butter, mit der größten Genauigkeit gewogen und jedes einzelne der Elementaranalyſe unterworfen worden war (ſiehe Tabelle). Eine Ausnahme hiervon machten drei Gardiſten, welche außer dem vorſchriftsmäßigen Brodquantum (2 Pfd. täglich) in je - der Löhnungsperiode ½ Laib = Pfd. mehr bekamen und ein Tambour, der ½ Laib übrig behielt. Nach einem an - nähernden Ueberſchlage des Feldwebels verzehrt jeder Soldat täglich durchſchnittlich 6 Loth Wurſt, Loth Butter, ½ Schoppen (¼ Litr.) Bier und 1 / 10 Schoppen Branntwein, deren Kohlenſtoffgehalt mehr als das Doppelte beträgt, von dem Kohlenſtoffgehalt der Faeces und des Urins zuſammen - genommen. Die Faeces betragen bei einem Soldaten durch - ſchnittlich 11 Loth, ſie enthalten 75 pCt. Waſſer und der trockne Rückſtand 45,24 pCt. Kohlenſtoff und 13,15 pCt. Aſche. 100 Theile friſche Faeces enthalten hiernach 11,31 Kohlenſtoff, ſehr nahe ſo viel als ein gleiches Gewicht friſches Fleiſch. In obiger Rechnung iſt der Kohlenſtoff der Faeces und der des Urins gleichgeſetzt worden dem Kohlen - ſtoffgehalt der friſchen Gemüſe und der anderen Speiſen, welche im Wirthshauſe verzehrt wurden.

294Analytiſche Belege.

Großherzogl.

Ueberſicht der im Monate November 1840 für die

295Analytiſche Belege.

Leib-Compagnie.

Menage obiger Compagnie verbrauchten Victualien.

296Analytiſche Belege.

Note 4. Seite 15.

Nahrungsmittel eines Pferdes, in 24 Stunden verzehrt.

Producte eines Pferdes in 24 Stunden*)Ann. de Chim. et de phys. T. LXX. p. 136..

297Analytiſche Belege.

Nahrungsmittel einer Kuh, in 24 Stunden verzehrt.

Producte einer Kuh in 24 Stunden*)Ann. de Chim. et de phys. T. LXX. p. 136.

298Analytiſche Belege.

Note 5. Seite 20. Temperatur und Bewegung des Bluts.

Die Wärme des Menſchen beträgt in den inneren Thei - len, welche zunächſt zugänglich ſind, wie Mund, Maſtdarm 29,20 29,60° R. = 36,50 37° C. Die Wärme des Blutes (Magendie) 30,5 31° R. = 38,1 38,7° C. Als mittlere Temperatur iſt p. 20. 37,5° C. angenommen.

299Analytiſche Belege.

Note 6. Seite 37.

Die Gefangenen in dem Arreſthaus in Gießen erhalten täglich Pfd. Brod (48 Loth), welche 14½ Loth Koh - lenſtoff enthalten. Sie erhalten ferner 1 Pfd. Suppe und in je zwei Tagen 1 Pfd. Kartoffeln.

  • Pfund Brod enthalten 14,5 Loth Kohlenſtoff
  • 1 » Suppe » 1,5 » »
  • ½ » Kartoffeln » 2,00 » »
  • 17,00 Loth Kohlenſtoff

Note 7. Seite 43. Zuſammenſetzung des Blut-Fibrins und - Albumins ).

Die weiteren Analyſen des Thier-Albumins und Fibrins ſiehe in der Note 28 S. 319, ſo wie auch die Analyſen der Organe oder ihrer Theile.

†)Annal. der Chemie u. Pharm. Bd. XXVIII. S. 74 u. Bd. XL. S. 33 u. 36.
†)
300Analytiſche Belege.

Note 8. Seite 49. Zuſammenſetzung des Pflanzen-Fibrins, - Albu - mins, - Caſeins und - Leims.

Pflanzenfibrin

Pflanzenalbumin )

†)Ann. der Chem. u. Pharm. Bd. XL. S. 66. u. Bd. XXXIX. S. 291.
†)301Analytiſche Belege.

Pflanzencaſein )

†)Ann. der Chem. u. Pharm. Bd. XXXIX. S. 291 und Bd. XL. S. 8 u. 67.
†)

Pflanzenleim

302Analytiſche Belege.

Note 9. Seite 53. Zuſammenſetzung des Thier-Caſeins.

  • Mulder ††)
  • Kohlenſtoff ..... 54,96
  • Waſſerſtoff ..... 7,15
  • Stickſtoff ...... 15,80
  • Sauerſtoff ..... 21,73
  • Schwefel ...... 0,36
††)Die Analyſe des Pflanzencaſeins ſiehe in der vorhergehenden Note.
††)

Note 10. Seite 66. Gehalt der feſten Excremente an in Alkohol löslichen Beſtandtheilen (Will *).

18,3 Grm. bei 100° getrocknete Pferdexcremente verloren durch Behandlung mit Alkohol 0,995 am Gewichte, der trockne Rückſtand beſaß die Beſchaffenheit von ausgekochten Sägeſpänen.

14,98 Grm. trockner Kuhexcremente verloren durch die nämliche Behandlung 0,625 Grm.

303Analytiſche Belege.

Note 11. S. 72. Zuſammenſetzung des Amylons ).

†)Die in den Analyſen von Strecker und Ortigoſa verwendete Stärke wurde in dem Laboratorium zu Gießen aus den Samen, Knol - len und Früchten dargeſtellt.
†)
304Analytiſche Belege.

Note 12. Seite 72. Zuſammenſetzung des Trauben - (Stärke -) zuckers.

Note 13. Seite 73. Zuſammenſetzung des Milchzuckers.

Note 14. Seite 74. Zuſammenſetzung des Gummis.

305Analytiſche Belege.

Note 15. Seite 76

Analyſe des Hafers nach Bouſſingault ).

  • 100 Theile Hafer enthalten trockne Subſtanz 84,9
  • Waſſer 17,1
  • 100,0
  • 100 Theile trockner Hafer = 117,7 lufttrocknem enthalten:
  • Kohlenſtoff ..... 50,7
  • Waſſerſtoff ..... 6,4
  • Sauerſtoff ..... 36,7
  • Stickſtoff ..... 2,2
  • Aſche ....... 4,0
  • 100,0
  • 17,7 Waſſer
  • lufttrockner Hafer 117,7 in 100 Theilen 1,867 Stickſtoff.
†)Ann. de Chim. et de Phys. T. LXXI. p. 130.
†)

Analyſe des Heu’s ).

  • 100 Theile Heu enthalten lufttrocken 86 trockne Subſtanz
  • 14 Waſſer
  • 100
  • 100 Th. bei 100° getrocknetes Heu = 116,2 lufttrocknes Heu enthalten:
  • Kohlenſtoff ... 45,8
  • Waſſerſtoff ... 5,0
  • Sauerſtoff ... 38,7
  • Stickſtoff ... 1,5
  • Aſche ..... 9,0
  • 100,0
  • Hierzu .... 16,2 Waſſer
  • 116,2 lufttrocknes Heu.
20306Analytiſche Belege.
  • 100,0 lufttrocknes Heu enthalten 1,29 Stickſtoff
  • 480 Loth Heu lufttrocken = 15 Pfund enthalten 6,19 Loth Stickſtoff
  • 144 » Hafer » = » » 2,68 » »
  • Zuſammen .. 8,87 Loth Stickſtoff.
†)Ann. de Chim. et de Phys. T. LXXI. p. 129.
†)

Note 16. Seite 78. Kohlenſtoffgehalt des Fleiſches und Amylons.

  • 100 Loth Amylon enthalten 44 Loth Kohlenſtoff, 128 Loth (4 Pfund) enthalten 56,32 Loth Kohlenſtoff.
  • 100 Loth friſches Fleiſch enthalten 13,6 Loth Kohlenſtoff (ſiehe Note 3)
  • 480 » » » (15 Pfund) mithin 55,28 Loth.

Note 17. Seite 85.

Note 18. Seite 85.

Die Zuſammenſetzung des Gummis und der Stärke ſiehe Note 14 u. 11.

307Analytiſche Belege.

Note 19. Seite 86. Zuſammenſetzung des Cholſterins.

Note 20. Seite 88. Die Entſtehung des Wachſes aus Zucker†)Aus Ferdinand Wilhelm Gundlach’s Naturgeſchichte der Bienen, S. 15. ff. Caſſel 1842 bei Bohne. Wir kennen keinen ſchöneren und überzeugenderen Beweis der Fettbildung aus Zucker, als den folgenden, aus der Beobachtung entnommenen, Proceß der Wachs - bildung bei den Bienen..

Sobald die Bienen ihren Magen oder die ſogenannte Honigblaſe mit Honig angefüllt haben, und dieſen nicht ab - legen können, geht derſelbe in Menge nach und nach in den Darmkanal, wird hier verdauet, der größte Theil davon als Excremente ausgeſchieden und der andere in die Säfte der Bienen übergeführt. Durch dieſen großen Zufluß von Säften bildet ſich ein Fett, welches auf den vorn erwähn - ten acht Fleckchen, die ſich an den untern 4 Schuppen der Bauchringel befinden, als eine flüſſige Maſſe hervorquillt und bald als Wachsblättchen erhärtet; während, wenn die20*308Analytiſche Belege.Biene den Honig ablegen kann, nur ſo viel in den Darm - kanal übergeht, als zur Ernährung derſelben nöthig iſt. Die Honigblaſe der Bienen braucht kaum 40 Stunden mit Honig angefüllt zu ſein, um auf den 8 Fleckchen, 8 Wachs - blättchen vollkommen zur Reife zu bringen, ſo daß dieſe ab - fallen. Ich machte den Verſuch und gab Bienen, die ich am Ende des Monats September mit ihrer Königin in ein Käſt - chen ſetzte, ſtatt Honig aufgelöſ’ten Candiszucker. Es bilde - ten ſich auch davon Wachsblättchen; aber ſie wollten nicht recht abſpringen, ſondern die weiter ausquellende Maſſe blieb an den oberen Wachsblättchen bei den meiſten Bienen hängen, ſo daß die Blättchen ſo dick wurden, als es ſonſt viere zu - ſammen ſind. Die Schuppen der Bienen wurden dadurch ganz in die Höhe gehoben, und die Blättchen ragten hervor. Beim Nachſehen fand ich, daß dieſe dicken Blättchen, welche unter der Lupe mehrere Lamellen zeigten, nach dem Kopfe der Biene hin von oben nach unten, und nach der Schwanz - ſpitze hin von unten nach oben eine ſchiefe Fläche hatten. Es war alſo das ſich zuerſt gebildete Blättchen durch das nächſtfolgende, und weil da, wo die Schuppen an der Fu - genhaut feſtſitzen, kein Raum für 2 Blättchen vorhanden iſt, etwas abgeſchoben worden, und ſo war es denn auch mit dem dritten Blättchen gegangen, wodurch die ſchiefen Flä - chen an den Seiten der Blättchen nach vorn und hinten ent - ſtanden waren. Ich habe hieraus recht deutlich erſehen, daß die Wachsblättchen durch die nächſtfolgend ſich bildenden Blätt - chen abgeſchoben werden. Der Zuckerſaft war von den Bie -309Analytiſche Belege.nen auch in Wachs zerſetzt worden; allein es ſcheint doch, daß die Bildung irgend eine Unvollkommenheit erlitten hatte, indem die reifen Wachsblättchen ſich nicht ablöſ’ten, ſondern an den nächſtfolgenden hängen blieben. Zum Wachsaus - ſchwitzen bedürfen die Bienen keines Blumenſtaubes, ſondern nur Honig. Ich habe ſchon im October Bienen in ein lee - res Käſtchen gebracht und ihnen Honig untergeſetzt, und ſie bauten bald Waben, obſchon das Wetter ſo war, daß ſie gar nicht fliegen konnten. Ich kann deßhalb gar nicht glau - ben, daß der Blumenſtaub eine Nahrung für die Bienen ab - gebe, ſondern ich glaube, daß ſie ihn nur verſchlucken, um mit Honig und Waſſer vermiſcht, den Nahrungsſaft für die Maden daraus zu bereiten. Die Bienen verhungern auch oft noch im April, wenn ihr Honigvorrath aufgezehrt iſt, und ſie Blumenſtaub in Menge, aber keinen Honig eintra - gen können. Sie reißen in der Noth die Nymphen aus den Zellen und zernagen dieſe, um durch den ſüßen Saft, den ſie in dieſen finden, ſich das Leben zu friſten. Werden ſie aber in dieſer Lage nicht gefüttert, oder tritt nicht alsbald Nahrung auf dem Felde ein, ſo ſterben ſie in wenigen Ta - gen. Wäre nun aber der Blumenſtaub eine wirkliche Nah - rung für die Bienen, ſo müßten ſie doch wohl von dieſem, mit Waſſer vermiſcht, ſich ihr Leben friſten können.

Die Bienen bauen nie Waben, wenn ſie nicht eine - nigin haben, oder nicht mit Brut verſehen ſind, aus wel - cher ſie ſich eine Königin erziehen können. Sperrt man aber Bienen ohne Königin in ein Käſtchen und füttert ſie mit310Analytiſche Belege.Honig, ſo ſieht man, daß ſie nach 48 Stunden Wachsblätt - chen auf den Schuppen haben, und daß deren auch ſchon einige abgefallen ſind. Das Wabenbauen iſt alſo etwas Will - kürliches und an gewiſſe Bedingungen geknüpft; das Wachs - ausſchwitzen aber etwas Unwillkürliches.

Man ſollte glauben, daß eine große Menge dieſer Wachs - blättchen verloren gingen, da ſie ja den Bienen eben ſo gut außer dem Stocke als in demſelben abfallen könnten; allein der Schöpfer hat weiſe dafür geſorgt, daß ſolche nicht ver - loren gehen. Stellt man den Bienen, welche im Bauen be - griffen ſind, Honig in einem flachen Gefäße unter und be - deckt dieſen, damit die Bienen nicht in den Honig einſinken, mit einem durchlöcherten Papier, ſo ſieht man am andern Morgen, daß der Honig aufgetragen iſt, und daß auf dem Papier eine große Menge Wachsblättchen liegen. Man ſollte wohl glauben, daß die Bienen, welche den Honig aufgetra - gen haben, dieſe Blättchen hätten fallen laſſen; allein es iſt nicht ſo. Legt man über das Honiggefäß zwei dünne Stäb - chen und auf dieſe ein Brett, welches das Gefäß von allen Seiten überragt, ſo alſo, daß die Bienen unter dem Brette durchkriechen und den Honig holen können, aber nichts von oben aus dem Stocke auf den Honig fallen kann, ſo findet man am andern Morgen den Honig aufgetragen, aber keine Wachsblättchen auf dem Papier liegen; wohl aber liegen deren auf dem das Gefäß überragenden Brettchen. Die Bie - nen, welche den Honig holen, laſſen alſo keine Blättchen fallen, ſondern es thun dieſes nur die Bienen, welche oben311Analytiſche Belege.im Stocke hängen. Wiederholte Verſuche dieſer Art haben mich überzeugt, daß die Bienen, ſobald ihre Wachsblättchen zum Abfallen reif ſind, ſich in den Stock zurückziehen und der Ruhe pflegen, eben ſo wie die Raupen es thun, wenn ſie ſich häuten wollen. Bei einem Schwarme, der ſtark baut, ſieht man Tauſende von Bienen, welche ganz unthätig oben im Stocke hängen; es ſind dies lauter Bienen, deren Wachs - blättchen zum Abfallen reif ſind; haben ſie ſich abgelöſet, ſo erwacht wieder die Thätigkeit der Biene, und ihre Stelle wird nun von einer andern zu gleichem Zwecke eingenommen.

Seite 28. derſelben Schrift. Um zu ermitteln, wie viel Ho - nig die Bienen zur Erzeugung des Wachſes nöthig haben, und wie oft, bei einem im Bauen begriffenen Schwarme, die Wachsblättchen ihre Reife erhalten und abfallen, machte ich folgenden, wie ich glaube, nicht unintereſſanten Verſuch.

Am 29ſten Auguſt d. J., zu einer Zeit, wo hier kein Ho - nig mehr für die Bienen auf dem Felde zu finden war, trieb ich einen kleinen Bienenſtock ab, that die Bienen in einen kleinen, aus Holz angefertigten, Bienenkaſten, ſuchte aber vorher die Königin aus und ſperrte dieſe in eine mit Draht - gitter verſehene Büchſe, welche ich in das Stopfenloch des Bienenkaſtens einfügte, damit keine Brut in die Zellen kom - men konnte, und ſtellte ſodann, um die Bienen genau beob - achten zu können, dieſes Stöckchen in ein Fenſter auf mei - nen Boden. Des Nachmittags um 6 Uhr gab ich den Bie - nen 12 Loth aus zugeſpundeten Zellen ausgelaufenen Honig, der alſo ganz die Conſiſtenz des fertigen Honigs hatte. Die -312Analytiſche Belege.ſer war am andern Morgen von den Bienen aufgeleckt. Am 30ſten Auguſt des Abends gab ich den Bienen wieder 12 Loth, der am andern Morgen ebenfalls aufgeleckt war; es lagen aber auch ſchon einige Wachsblättchen auf dem durch - löcherten Papiere, womit ich den Honig bedeckt hatte. Am 31ſten Auguſt und 1ſten September erhielten die Bienen des Abends 20 Loth und am 3ten September des Abends 14 Loth; in Summa alſo 1 Pfund 26 Loth Honig, der aus Zellen, welche die Bienen ſchon zugeſpundet hatten, kalt aus - gelaufen war. Am 5ten September betäubte ich die Bienen, indem ich ſie durch Boviſt herabfallen ließ. Ich zählte ſolche, und fand 2765 Bienen; ſie wogen 20 Loth. Nun wog ich das Käſtchen, deſſen darin befindliche Waben ſehr mit Honig angefüllt, jedoch die Zellen noch nicht bedeckelt waren, be - merkte mir das Gewicht und ließ nun von einem ſtarken Stocke den Honig auftragen, was in ein Paar Stunden ge - ſchehen war. Ich wog jetzt das Käſtchen wieder und fand, daß es 24 Loth leichter geworden war; folglich hatten die Bienen 24 Loth Honig von dem ihnen gegebenen 1 Pfund 26 Loth noch im Stocke gehabt. Nun brach ich die kleinen Waben aus und fand, daß ſie Loth wogen. Ich ließ die Bienen in einem andern Käſtchen erwachen, welches mit leeren Waben verſehen war, und fütterte ſie mit ganz ähn - lichem Honig. In den erſten paar Tagen verloren ſie täg - lich über 2 Loth an Gewicht, nachher aber jeden Tag 1 Loth, was daher kam, daß der Darmkanal der Bienen in Folge der Verdauung des vielen Honigs voll von Excrementen313Analytiſche Belege.war, denn 1170 Bienen wiegen im Herbſte, wenn ſie noch nicht lange eingeſeſſen haben, 8 Loth; mithin müßten 2765 Bienen etwa 18 Loth wiegen. Sie wogen aber 20 Loth und hatten deßhalb 2 Loth Excremente bei ſich, denn ihre Honigblaſen waren leer. Des Nachts verminderte ſich das Gewicht des Stöckchens gar nicht, weil der wenige Honig, den die Bienen im Stöckchen hatten, und weil derſelbe ſchon die nöthige Conſiſtenz erlangt hatte, keinen merkbaren Ver - luſt des Gewichts durch das Verdunſten erlitt und die Bie - nen keine Excremente von ſich geben konnten; daher geſchah die Verminderung des Gewichts nur jedesmal von des Mor - gens bis zum Abend. Hatten nun die Bienen in den 7 Ta - gen 7 Loth Honig zur Ernährung ihres Körpers bedurft, ſo hatten ſie zur Bildung von Loth Wachs 27 Loth Ho - nig verbraucht, und mithin ſind zur Bildung eines Pfundes Wachſes an 20 Pfund Honig nöthig. Daher kommt es auch, daß die ſtärkſten Schwärme bei der ergiebigſten Honigerndte, wo andere Stöcke, die nicht zu bauen brauchen, oft in einem Tage 3 4 Pfunde zunehmen, faſt gar nicht ſchwerer wer - den, obſchon ihre Thätigkeit ohne Grenzen iſt; es wird al - les Gewonnene zu Wachs verwendet. Es iſt dieſes ein Wink für die Bienenhalter, den Wachsbau einzuſchränken. Cnauf empfahl dieſes ſchon, obgleich ihm das eigentliche Verhältniß unbekannt war. Von einem Loth Wachs können die Bienen ſo viel Zellen bauen, daß ſie darin 1 Pfund Ho - nig aufbewahren können.

100 Wachsblättchen wiegen 0,024 Gramm, folglich ge -314Analytiſche Belege.hen auf ein Kilogramm 4,166,666 Wachsblättchen, 50 Ki - logramm ſind gleich 106 Pfund Cöllniſch Gewicht, 1 Pfund gleich 32 Loth. Es gehen daher auf Loth 81,367 Wachsblättchen. Dieſe waren von 2765 Bienen in 6 Ta - gen ausgeſchwitzt worden; es kommen daher auf jede Biene in 24 Stunden 5 Blättchen, und mithin bedarf die Biene zur Bildung ihrer 8 Blättchen etwa 38 Stunden; was auch mit meinen Beobachtungen ſehr genau übereinſtimmt. Die ausgeſchwitzten Wachsblättchen ſind vollkommen ſo weiß, als gut gebleichtes Wachs. Auch die Waben ſind anfänglich ganz weiß, ſie werden aber durch den Honig und beſonders durch den Blumenſtaub gelb gefärbt. Sowie es anfängt kalt zu werden, ziehen ſich die Bienen in dem Stocke unter dem Honig zuſammen und zehren nun von ihrem Vorrathe.

S. 54. Viele glauben, die Bienen hätten einen Winterſchlaf; allein dieſes iſt ganz falſch. Die Bienen ſind den ganzen Winter über munter; es bleibt immer warm in ihrem Stocke, durch die Wärme, welche ſie ſelbſt entwickeln. Je mehr Bie - nen in einem Stocke ſind, deſto mehr Wärme wird entwickelt, und deßhalb können ſtarke Stöcke der heftigſten Kälte trotzen. Ich hatte den Fall, daß ich vergeſſen hatte, einem Stocke, welchem ich im Juli zur Verminderung der Hitze ein durch - löchertes Blech auf das ſehr weite Stopfenloch geheftet hatte, dieſes im Herbſte abzunehmen; und obſchon der Winter un - gemein heftig war, und die Kälte mehrere Tage über 18° betrug, kam dieſer Stock doch ſehr gut durch den Winter; ich hatte aber im Herbſte zu dieſem Stocke das Volk von315Analytiſche Belege.2 anderen Stöcken gethan! Wird die Kälte ſehr heftig, ſo fan - gen die Bienen an zu brauſen; dadurch wird der Reſpira - tionsproceß erhöht, und die Wärmeentwicklung vermehrt. Sperrt man im Sommer Bienen ohne Königin in einen Glaskaſten, ſo werden dieſe unruhig und fangen an zu brau - ſen; dadurch entwickelt ſich eine ſolche Hitze, daß die Glas - ſcheiben ganz heiß werden. Oeffnet man in dieſem Falle nicht das Flugloch, oder ſucht den Bienen mehr Luft zu verſchaffen, und durch Waſſer die Glasſcheiben abzukühlen, ſo erſticken die Bienen bald.

Zuſammenſetzung des Bienenwachſes.

216Analytiſche Belege.

Note 21. S. 106. Zuſammenſetzung der Cyanurſäure, des Cyamelids und des Cyanſäurehydrats, nach den Analyſen von Wöhler und Liebig ) *

†)Poggend. Annal. Bd. XX. S. 375 u. ſ. f.
†)

Note 22. Seite 106. Zuſammenſetzung des Aldehyds, Metaldehyds, Elaldehyds ).

†)Ann. der Pharm. Bd XIV. S. 142 u. Bd. XXVII. S. 319.
†)

Note 23. Seite 107. Zuſammenſetzung des Proteins

317Analytiſche Belege.

Note 24. Seite 109. Zuſammenſetzung des Albumins aus dem Dotter und Weißen des Ei’s ).

†)Annal. der Chem. u. Pharm. Bd. XL. S. 36 u. 67.
†)
318Analytiſche Belege.

Note 25. S. 113 Zuſammenſetzung der Milchſäure.

  • C6H10O5
  • Kohlenſtoff ..... 44,90
  • Waſſerſtoff ..... 6,11
  • Sauerſtoff ..... 48,99

Note 26. Seite 117. Gas aus dem Unterleib von Kühen, nach dem Genuß von zu vielem Klee durch Punctur erhalten:

Note 27. Seite 120. Magendie fand in dem Magen und den Eingeweiden Hingerichteter:

bei einem Individuum a) welches eine Stunde, b) bei einem zweiten Indivi - duum, welches 2 Stunden und c) bei einem dritten Individuum, welches 4 Stunden vor der Hinrichtung eine leichte Mahlzeit zu ſich genommen hatte, in 100 Volum-Theilen befanden ſich:

319Analytiſche Belege.

Note 28. S. 127.

Zuſammenſetzung des Thieralbumins.

320Analytiſche Belege.

Zuſammenſetzung des Thierfibrins.

Ueber die Zuſammenſetzung des Thier-Caſeins vergl. Note 9.

321Analytiſche Belege.

Zuſammenſetzung der leimgebenden Gewebe.

Zuſammenſetzung der Chondrin-gebenden Gewebe.

21322Analytiſche Belege.

Zuſammenſetzung der mittleren Arterienhaut.

Zuſammenſetzung der Horngebilde.

323Analytiſche Belege.

Hiermit ſtimmt nahe die Zuſammenſetzung der die innere Schale des Hühnerei’s auskleidenden Haut;

Zuſammenſetzung der Federn.

Zuſammenſetzung des Augenſchwarzes.

21*324Analytiſche Belege.

Note 29. S. 135.

Nach den Analyſen von Playfair und Boeckmann* gaben

  • 0,452 trocknes Muskelfleiſch 0,836 Kohlenſäure
  • 0,407 » » 0,279 Waſſer
  • 0,242 » » 0,450 Kohlenſäure u. 0,164 Waſſer
  • 0,191 » » 0,360 » 0,130 »
  • Blut
  • 0,305 Subſtanz gaben 0,575 Kohlenſäure u. 0,202 Waſſer
  • 0,214 » » 0,402 » 0,138 »
  • 1,471 Blut hinterließen 0,065 Aſche.

Zieht man den Aſchengehalt ab, ſo iſt die Zuſammenſetzung des orga - niſchen Theils des

325Analytiſche Belege.

Dieſer Zuſammenſetzung entſpricht die Formel:

  • C48 ..... 54,62
  • H78 ..... 7,24
  • N12 ..... 15,81
  • O15 ..... 22,33

Note 30. S. 137. Zuſammenſetzung der Choleinſäure ).

†)Annal. der Pharm. Bd. XXVII. S. 284 u. 293.
†)

Note 31. S. 137. Zuſammenſetzung des Taurins und der Choloidinſäure.

Taurin ).

†)Annal. der Pharm. Bd. XXVII. S. 287 u. 292.
†)
326Analytiſche Belege.

Choloidinſäure ).

†)Ebendaſ. S. 289 u. S. 293.
†)

Ich habe zu den Unterſuchungen von Demarçay Folgen - des zu bemerken:

Der Stoff, den ich als Choleinſäure bezeichnet habe, iſt die Galle ſelbſt, getrennt von den anorganiſchen Beſtand - theilen (Salze u. ſ. w.), die ſie enthält; durch Bleieſſig, bei Gegenwart von Ammoniak, treten alle ihre organiſchen Be - ſtandtheile an Bleioxyd, indem ſie ſich damit zu einem un - löslichen, harzartigen Niederſchlage verbinden; der mit dem Bleioxyd verbundene Körper enthält allen Kohlenſtoff und Stickſtoff der Galle. Was ich mit Choloidinſäure bezeichnet habe, iſt die Subſtanz, welche man erhält, wenn die durch Alkohol von den darin unlöslichen Stoffen befreite Galle mit einem Uebermaße von Salzſäure im Sieden erhalten wird. Dieſe Subſtanz enthält allen Kohlenſtoff und Waſſer - ſtoff der Galle, bis auf diejenige Mengen dieſer Elemente, welche in der Form von Taurin und Ammoniak ausgetreten ſind. Die Cholinſäure enthält die Beſtandtheile der Galle, von denen ſich die Elemente des kohlenſauren Ammoniaks getrennt haben.

327Analytiſche Belege.

Dieſe drei Stoffe enthalten alſo die Producte der Me - tamorphoſe der ganzen Galle, ihre Formeln drücken die An - zahl der Elemente ihrer Beſtandtheile aus. Keiner davon iſt in der Form, in der wir ihn gewinnen, fertig gebildet in der Galle enthalten; ihre Elemente ſind in einer andern Weiſe mit einander verbunden wie in der Galle, allein die Art, wie ſie geordnet ſind, hat auf die Feſtſetzung ihres re - lativen Verhältniſſes durch die Analyſe nicht den geringſten Einfluß. In der Formel ſelbſt liegt demnach keine Hypo - theſe, ſie iſt ein reiner Ausdruck der Analyſe. Aus wieviel verſchiedenen Subſtanzen die Choleinſäure, Choloidinſäure u. ſ. w. auch beſtehen mag, die relative Anzahl ihrer Ele - mente zuſammengenommen wird durch die aufgefundene For - mel ausgedrückt.

Die Unterſuchung der Producte, welche aus der Galle durch die Einwirkung der Luft und chemiſcher Agentien her - vorgebracht werden, können für pathologiſche Zuſtände von Wichtigkeit werden, allein bis auf das allgemeine Verhalten der Galle iſt die Kenntniß dieſer Producte dem Phyſiologen völlig unnütz, es iſt eine Laſt, die ihm das Voranſchreiten erſchwert. Von keinem einzigen der 38 oder 40 Stoffe, in die man die Galle zerlegt hat, läßt ſich mit Gewißheit be - haupten, daß er fertig gebildet darin enthalten iſt, von den meiſten weiß man mit Beſtimmtheit, daß ſie Erzeugniſſe der Materien ſind, die man darauf einwirken ließ.

Die Galle enthält Natron, allein ſie iſt eine Natronver - bindung der merkwürdigſten Art; wenn wir ihre in Alkohol328Analytiſche Belege.löslichen organiſchen Beſtandtheile an Bleioxyd binden und das Bleioxyd wieder davon ſcheiden, ſo haben wir einen Körper (Choleinſäure), der mit Natron zuſammengebracht eine der Galle dem Geſchmacke nach ähnliche Verbindung wieder bil - det, allein es iſt keine Galle mehr; die Galle kann mit Pflanzen - ſäuren, ja mit verdünnten Mineralſäuren, vermiſcht werden, ohne Trübung, ohne einen Niederſchlag zu bilden, während die ebenerwähnte Verbindung der Choleinſäure durch die ſchwäch - ſten Säuren zerſetzt und alle Choleinſäure wieder abgeſchie - den wird. Die Galle iſt demnach keineswegs als cholein - ſaures Natron zu betrachten. In welchem Zuſtande, kann man weiter fragen, iſt das Cholſterin, die Margarin - und Talgſäure, die man darin nachweiſ’t, in der Galle enthalten? Das Cholſterin iſt in Waſſer nicht löslich, mit Alkalien nicht verſeifbar, die Verbindungen der genannten, fetten Säuren mit Alkalien, wären ſie wirklich als Seifen in der Galle enthalten, ſie müßten durch Säuren mit der größten Leich - tigkeit abgeſchieden werden. Allein es erfolgt durch verdünnte Säuren keine Abſcheidung von Margarin - oder Talgſäure.

Es iſt möglich, daß in neuen und wiederholten Unter - ſuchungen Abweichungen in der procentiſchen Zuſammenſe - tzung, von der in den analytiſchen Entwicklungen gegebenen ſich herausſtellen werden, allein auf die Formel ſelbſt kann dies nur von geringem Einfluß ſein; wenn das relative Ver - hältniß des Kohlenſtoffs zum Stickſtoff ſich nicht ändert, ſo werden ſich dieſe Abweichungen auf den Sauerſtoff und Waſ - ſerſtoffgehalt beſchränken; man wird alsdann für die Ausein -329Analytiſche Belege.anderſetzungen in Formeln annehmen müſſen, daß mehr Waſ - ſer oder mehr Sauerſtoff, oder weniger Waſſer und weniger Sauerſtoff an der Metamorphoſe der Gebilde Antheil neh - men, allein die Wahrheit der Entwicklungen ſelbſt wird hierdurch nicht gefährdet.

Note 32. Seite 137. Zuſammenſetzung der Cholinſäure )

†)Ebendaſelbſt Bd. XXVII. S. 295.
†)

Note 33. S. 139. Zuſammenſetzung der Hauptbeſtandtheile des Harns der Menſchen und Thiere.

Harnſäure.

330Analytiſche Belege.

Alloxan ). Product der Oxydation der Harnſäure.

†)Annal. der Pharm. Bd. XXVI. S. 260.
†)

Harnſtoff.

Kryſtalliſirte Hippurſäure.

331Analytiſche Belege.

Allantoin )

†)Ann. der Pharm. Bd. XXVI. S. 215.
†)

Harnoxyd )

†)Annal. der Pharm. Bd. XXVI. S. 344.
†)

Cyſticoxyd )

†)Annal. der Pharm. Bd. XXVII. S. 200.
†)

Das Cyſtic-Oxyd iſt durch ſeinen Schwefelgehalt ganz beſonders ausgezeichnet vor allen anderen in der Harnblaſe vorkommenden Concretionen. Es läßt ſich mit Beſtimmtheit332Analytiſche Belege.darthun, daß der Schwefel in dieſem Körper weder im oxy - dirten Zuſtande noch in der Form einer Cyanverbindung ent - halten iſt, und in dieſer Beziehung iſt die Bemerkung viel - leicht nicht ohne Intereſſe, daß 4 Atome Cyſtic-Oxyd die Elemente von Harnſäure, Benzoeſäure, Schwefelwaſſerſtoff und Waſſer enthalten, lauter Subſtanzen, deren Erzeugbar - keit im Thierorganismus keinem Zweifel unterliegt.

  • 1 At. Harnſäure .... C10N8H8 O6
  • 1 » Benzoeſäure .... C14 H10O3
  • 8 » Schwefelwaſſerſtoff .. H16 S8
  • 7 » Waſſer ...... H14O7
  • 1 At. Cyſticoxyd = C24N8H48O16S8 = 4 (C6N2H12O4S2)

Ein vortreffliches Mittel, um bei Harnſteinen die Gegen - wart des Cyſticoxyds darzuthun iſt folgendes:

Man löſ’t den fraglichen Harnſtein in ſtarker Kalilauge auf und ſetzt einige Tropfen eſſigſaures Bleioxyd hinzu, nicht mehr als Bleioxyd in Auflöſung erhalten werden kann. Beim Kochen dieſer Miſchung entſteht ein ſchwarzer Nieder - ſchlag von Schwefelblei, der ihr das Anſehen von Dinte giebt. Es entwickelt ſich hierbei eine reichliche Menge Am - moniak; die alkaliſche Flüſſigkeit enthält unter anderen Pro - ducten Oxalſäure.

333Analytiſche Belege.

Note 34. Seite 139. Zuſammenſetzung der Oxalſäure, Oxalurſäure und der Parabanſäure

Oxalſäure.

Oxalurſäure ).

†)Annal. der Pharm. Bd. XXVI. S. 289.
†)

Parabanſäure ).

†)Ebendaſelbſt S. 286.
†)
334Analytiſche Belege.

Note 35. S 141. Zuſammenſetzung des gebratenen Fleiſch’s.

  • (1) 0,307 Subſtanz gaben 0,584 Kohlenſäure und 0,206 Waſſerſtoff
  • (2) 0,255 » » 0,485 » » 0,181 »
  • (3) 0,179 » » 0,340 » » 0,125 »

Note 36. S. 144.

Die Formel C27H42N9O10 giebt nämlich in 100 Theilen:

  • C27 ..... 50,07
  • H42 ..... 6,35
  • N9 ..... 19,32
  • O10 ..... 24,26

Die Zuſammenſetzung des Leims ſ. Note 28.

Note 37. S. 158. Zuſammenſetzung der Lithofellinſäure )

†)Annal. der Chem. u. Pharm. Bd. XXXIX. S. 242. Bd. XLI. S. 154.
†)
335Analytiſche Belege.

Note 38. Seite 181. Zuſammenſetzung des Solanins aus Kartoffel - keimen ).

  • Blanchet *
  • Kohlenſtoff .... 62,11
  • Waſſerſtoff .... 8,92
  • Stickſtoff .... 1,64
  • Sauerſtoff .... 27,33
†)Annal. der Pharm. Bd V. S. 150.
†)

Note 39. Seite 181. Zuſammenſetzung des Picrotoxins ).

  • Francis *
  • Kohlenſtoff .... 60,26
  • Waſſerſtoff .... 5,70
  • Stickſtoff .... 1,30
  • Sauerſtoff .... 32,74
†)In einer andern Analyſe erhielt Francis 0,75 pCt. Stickſtoff. Das zu den Analyſen verwandte Picrotoxin war theilweiſe aus der Fabrik des Herrn Merck in Darmſtadt, theils von Herrn Francis darge - ſtellt; es war vollkommen weiß und ſchön kryſtalliſirt. Regnault fand bekanntlich keinen Stickſtoff in dem Picrotoxin.
†)

Note 40. Seite 181. Zuſammenſetzung des Chinins.

336Analytiſche Belege.

Note 41. Seite 182. Zuſammenſetzung des Morphins ).

†)Annal. der Pharm. Bd. XXVI. S. 23.
†)

Note 42. Seite 182 Zuſammenſetzung des Caffeins, Theins und Guaranins ).

†)Annal. d. Pharm. Bd. I. S. 17, Bd. XXV. S. 63 u. Bd. XXVI. S. 95.
†)

Note 43. Seite 182.

Zuſammenſetzung des Theobromins ).

†)Annal. der Chem. u. Pharm. Bd. XLI. S. 125
†)
337Analytiſche Belege.

Zuſammenſetzung des Aſparagins ).

†)Annal. der Pharm. Bd. VII. S. 146.
†)
22338Ueber Verwandlung der

Ueber Verwandlung der Benzoeſäure in Hippurſäure*)Zu den Beweiſen, welche Ure für die Umwandlung der Benzoeſäure in Hippurſäure im menſchlichen Körper angegeben hat, ſind durch Herrn Keller einige ganz entſcheidende gekommen, die ich ihrer phyſiologiſchen Wichtigkeit wegen dieſem Buche beigebe. Die Ver - ſuche des Herrn Keller ſind in dem Laboratorium des Herrn Prof. Wöhler in Göttingen angeſtellt worden; ſie ſetzen die Thatſache außer allen Zweifel, daß ein in der Nahrung genoſſener ſtickſtofffreier Körper an dem Act der Umſetzung der thieriſchen Gebilde und an der Bildung eines Secretes durch ſeine Beſtandtheile Antheil neh - men kann. Dieſe Thatſache verbreitet auf die Wirkung der meiſten Arzneimittel ein unzweideutiges Licht, und wenn ſich der Einfluß des Caffeins auf die Bildung des Harnſtoffs oder der Harnſäure in einer ähnlichen Weiſe nachweiſen läßt, ſo iſt damit der Schlüſſel zu der Wirkung des Chinins und der anderen organiſchen Baſen ge - geben. J. L..

Von Wilhelm Keller aus Grosheim. (Aus den Annalen der Chemie und Pharmacie.)

Schon in der früheren Ausgabe von Berzelius Lehr - buch der Chemie (1831 Bd. IV. S. 376) hatte Herr Pro - feſſor Wöhler die Vermuthung ausgeſprochen, daß die Benzoeſäure bei der Verdauung wahrſcheinlich in Hippur -339Benzoeſäure in Hippurſäure.ſäure umgewandelt werde. Dieſe Vermuthung gründete ſich auf einen Verſuch, den derſelbe über den Uebergang der Benzoeſäure in den Harn angeſtellt hatte. Er fand in dem Harne eines Hundes, der mit dem Futter ½ Drachme Ben - zoeſäure gefreſſen hatte, eine in nadelförmigen Prismen kry - ſtalliſirende Säure, die im Allgemeinen die Eigenſchaften der Benzoeſäure hatte und die er auch für ſolche hielt (Tiede - mann’s Zeitſchrift für Phyſiologie Bd. I. S. 142). In - deſſen waren dieſe Kryſtalle offenbar Hippurſäure, wie aus der Angabe, daß ſie wie Salpeter ausgeſehen und bei der Sublimation Kohle hinterlaſſen hätten, deutlich hervorgeht. Allein die Hippurſäure war damals noch nicht entdeckt und es iſt bekannt, daß ſie bis 1829, wo ſie zuerſt von Liebig unterſchieden wurde, allgemein mit der Benzoeſäure verwech - ſelt worden iſt.

Die neuerlich publicirte Angabe von Ure*)Pharmac. Centralblatt No. 46, aus Prov. med. and. surg. Journ. 1841., daß er in dem Harne eines Patienten, der Benzoeſäure eingenommen hatte, wirklich Hippurſäure gefunden habe, brachte dieſes in phyſiologiſcher Hinſicht ſo wichtige Verhalten wieder in Er - innerung und gab zu den folgenden Verſuchen Veranlaſſung, die ich auf den Vorſchlag des Herrn Profeſſors Wöhler an mir ſelbſt angeſtellt habe. Seine Vermuthung iſt dadurch unzweideutig beſtätigt worden.

Ich nahm Abends vor dem Schlafengehen mit Zucker - ſyrup 2 Gramme (ungefähr 32 Gran) reine Benzoeſäure. 340Ueber Verwandlung derIn der Nacht gerieth ich in Schweiß, was wohl eine Wir - kung dieſer Säure ſein mochte, da ich ſonſt nur ſehr ſchwer in ſtärkere Transpiration komme. Eine andere Wirkung konnte ich nicht wahrnehmen, ſelbſt als ich auch an den fol - genden Tagen dieſelbe Doſis dreimal täglich zu mir nahm, wo auch nicht einmal der Schweiß wieder eintrat.

Der am Morgen gelaſſene Harn reagirte ungewöhnlich ſtark ſauer und zwar ſelbſt noch, nachdem er abgedampft worden war und 12 Stunden lang geſtanden hatte. Er ſetzte dabei nur das gewöhnliche Sediment von Erdſalzen ab. Als er aber mit Salzſäure vermiſcht und ſtehen gelaſſen wurde, bildeten ſich darin lange, prismatiſche, braungefärbte Kry - ſtalle in großer Menge, die ſchon dem Anſehen nach nicht für Benzoeſäure zu halten waren. Ein anderer Theil, der durch Abdampfen bis zur Syrupsdicke concentrirt war, ver - wandelte ſich beim Vermiſchen mit Salzſäure in ein Magma von Kryſtallblättchen. Dieſe ſo erhaltene kryſtalliniſche Sub - ſtanz wurde ausgepreßt, in ſiedendem Waſſer gelöſ’t, mit Thierkohle behandelt und umkryſtalliſirt. Sie wurde dadurch in farbloſen, zolllangen Prismen erhalten.

Dieſe Kryſtalle waren reine Hippurſäure. Beim Er - hitzen ſchmolzen ſie leicht, bei etwas ſtärkerer Hitze verkohlte ſich die Maſſe unter Entwicklung eines Geruchs nach Bitter - mandelöl und unter Sublimation von Benzoeſäure. Um jeden Zweifel zu beſeitigen, beſtimmte ich ihren Kohlenſtoff - gehalt, 0,3 Grm. gaben 60,4 pCt. Kohlenſtoff. Nach der Formel C18 H16 N2 O5 + aq. enthält die kryſtalliſirte Hip -341Benzoeſäure in Hippurſäure.purſäure 60,67 pCt. Kohlenſtoff, die kryſtalliſirte Benzoe - ſäure dagegen enthält 69,10 pCt. Kohlenſtoff.

So lange ich das Einnehmen der Benzoeſäure fortſetzte, konnte ich aus dem Harne mit Leichtigkeit und in Menge Hippurſäure darſtellen, und da die Benzoeſäure ſo ohne al - len Nachtheil für die Geſundheit zu ſein ſcheint, ſo wäre es leicht, ſich auf dieſe Weiſe größere Mengen von Hippur - ſäure zu verſchaffen. Man könnte ſich dazu eine Perſon halten, die Wochen lang dieſe Fabrication fortſetzen müßte.

Es war wichtig, den Harn, welcher Hippurſäure enthielt, auf ſeine beiden normalen Hauptbeſtandtheile, den Harnſtoff und die Harnſäure, zu unterſuchen. Sie waren beide darin enthalten, und, dem Anſchein nach, in keiner andern Quan - tität, als im normalen Harn.

Als der durch Abdampfen concentrirte Harn, aus dem durch Salzſäure die Hippurſäure geſchieden war, mit Sal - peterſäure vermiſcht wurde, ſetzte er eine große Menge ſal - peterſauren Harnſtoff ab. Schon vorher hatte er ein pulveriges Sediment fallen laſſen, deſſen Auflöſung in Sal - peterſäure bei dem Abdampfen auf Porzellan die bekannte, purpurrothe Reaction der Harnſäure gab. Dieſe Beobach - tung widerſpricht der Angabe von Ure, und es iſt daher wohl etwas zu voreilig, wenn er die Benzoeſäure als Mit - tel gegen die aus Harnſäure beſtehenden Gicht - und Harn-Con - cretionen empfiehlt; er ſcheint ſich vorzuſtellen, daß die Harn - ſäure zur Umwandlung der Benzoeſäure in Hippurſäure ver - wendet werde. Da er ſeine Beobachtung an dem Harn ei -342Ueber Verwandlung der Benzoeſäure in Hippurſäure.ner Arthritiſchen machte, ſo iſt anzunehmen, daß dieſer Harn auch ohne den innern Gebrauch der Benzoeſäure keine Harn - ſäure enthalten haben würde. Uebrigens iſt es klar, daß die Hippurſäure, da ſie ſich erſt nach Zuſatz einer Säure abſcheidet, an eine Baſis gebunden, im Harne ent - halten iſt.

Druckfehler.

  • Seite 61 Zeite 5 v. o. anſtatt venoͤſem ſetze arteriellem.
  • 65 12 v. o. anſtatt Pferd leſe man Ochſe.

About this transcription

TextDie organische Chemie in ihrer Anwendung auf Physiologie und Pathologie
Author Justus von Liebig
Extent371 images; 64230 tokens; 7536 types; 475018 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationDie organische Chemie in ihrer Anwendung auf Physiologie und Pathologie Justus von Liebig. . XVI, [2], 342 S. ViewegBraunschweig1842.

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ClassificationFachtext; Chemie; Wissenschaft; Chemie; core; ready; china

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