PRIMS Full-text transcription (HTML)
[figure]
[I]
Die Weber.
(Übertragung.)
[II][III]
GERHART HAUPTMANN.
Die Weber.
(Übertragung.) Schauſpiel aus den vierziger Jahren.
Berlin.S. Fiſcher, Verlag1892.
[IV][V]

Meinem Vater Robert Hauptmann widme ich dieſes Drama.

[VI][VII]

Wenn ich Dir, lieber Vater, dieſes Drama zu - ſchreibe, ſo geſchieht es aus Gefühlen heraus, die Du kennſt und die an dieſer Stelle zu zerlegen keine Nöthigung beſteht.

Deine Erzählung vom Großvater, der in jungen Jahren, ein armer Weber, wie die Geſchilderten hinter’m Webſtuhl geſeſſen, iſt der Keim meiner Dichtung geworden, die, ob ſie nun lebenskräftig, oder morſch im Jnnern ſein mag, doch das Beſte iſt, was ein armer Mann wie Hamlet iſt zu geben hat. Dein Gerhart.

[VIII]
[1]

Erſter Akt.

Die Weber. 1[2][3]

Perſonen des erſten Aktes.

  • Fabrikantengruppe:
  • Dreißiger, Parchend-Fabrikant.
    • Pfeifer, Expedient
    • Neumann, Caſſirer
    • Der Lehrling,
    • bei Dreißiger.

  • Webergruppe:
  • Bäcker.
  • Der alte Baumert.
  • Reimann.
  • Heiber.
  • Erſter Weber.
  • Erſte Weberfrau.
  • Ein alter Weber.
  • Ein Junge.
  • Eine Anzahl Weber und Weberfrauen.
1*[4][5]

Ein geräumiges, graugetünchtes Zimmer in Dreißigers Haus zu Peterswaldau. Der Raum, wo die Weber das fertige Ge - webe abzuliefern haben. Linker Hand ſind Fenſter ohne Gardinen, in der Hinterwand eine Glasthür, rechts eine eben - ſolche Glasthür, durch welche fortwährend Weber, Weberfrauen und Kinder ab - und zugehen. Längs der rechten Wand, die, wie die übrigen, größtentheils von Holzgeſtellen für Parchend verdeckt wird, zieht ſich eine Bank, auf der die angekommenen Weber ihre Waare ausgebreitet haben. Jn der Reihenfolge der Ankunft treten ſie vor und bieten ihre Waare zur Muſterung. Expedient Pfeifer ſteht hinter einem großen Tiſch, auf welchen die zu muſternde Waare vom Weber gelegt wird. Er bedient ſich bei der Schau eines Cirkels und einer Lupe. Jſt er zu Ende mit der Unterſuchung, ſo legt der Weber den Parchend auf die Wage, wo ein Comptoirlehrling ſein Gewicht prüft. Die abgenommene Waare ſchiebt derſelbe Lehrling in’s Repoſitorium. Den zu zahlenden Lohnbetrag ruft Expedient Pfeifer dem an einem kleinen Tiſchchen ſitzenden Kaſſirer Neumann jedesmal laut zu.

Es iſt ein ſchwüler Tag gegen Ende Mai. Die Uhr zeigt zwölf. Die meiſten der harrenden Webersleute gleichen Menſchen, die vor die Schranken des Gerichts geſtellt ſind, wo ſie in peinigender Geſpanntheit eine Entſcheidung über Tod und Leben zu erwarten haben. Hinwiederum haftet allen etwas Gedrücktes, dem Almoſenempfänger Eigenthümliches an, der, von Demüthigung zu Demüthigung ſchreitend, im Bewußt - ſein nur geduldet zu ſein, ſich ſo klein als möglich zu machen gewohnt iſt. Dazu kommt ein ſtarrer Zug reſultatloſen, bohrenden Grübelns in aller Mienen. Die Männer, einander ähnelnd, halb zwerghaft, halb ſchulmeiſterlich, ſind in der Mehr - zahl flachbrüſtige, hüſtelnde, ärmliche Menſchen mit ſchmutzig - blaſſer Geſichtsfarbe: Geſchöpfe des Webſtuhls, deren Kniee in Folge vielen Sitzens gekrümmt ſind; ihre Weiber zeigen weniger Typiſches auf den erſten Blick; ſie ſind aufgelöſt, gehetzt, ab - getrieben, während die Männer eine gewiſſe klägliche Gravität noch zur Schau tragen und zerlumpt, wo die Männer6 geflickt ſind. Die jungen Mädchen ſind mitunter nicht ohne Reiz; wächſerne Bläſſe, zarte Formen, große, hervorſtehende, melancholiſche Augen ſind ihnen dann eigen.

Caſſirer Neumann
(Geld aufzählend).

Bleibt ſech - zehn Silbergroſchen zwei Pfennig.

Erſte Weberfrau
(dreißigjährig, ſehr abgezehrt, ſtreicht das Geld ein mit zitternden Fingern).

Sind ſe bedankt.

Neumann
(als die Frau ſtehen bleibt).

Nu? ſtimmt’s etwa wieder nich?

Erſte Weberfrau
(bewegt, flehentlich).

A par Fenniche uf Vorſchuß hätt ich doch halt a ſo netig.

Neumann.

Jch hab a par hundert Thaler nötig. Wenn’s ufs Nötighaben ankäm !

(Schon mit Auszahlen an einen andern Weber beſchäftigt, kurz.)

Jber den Vor - ſchuß hat Herr Dreißiger ſelbſt zu beſtimmen.

Erſte Weberfrau.

Kend ich da vielleicht ama mit’n Herr Dreißiger ſelber redn?

Expedient Pfeifer
(ehemaliger Weber. Das Typiſche an ihm iſt unverkennbar; nur iſt er wohlgenährt, gepflegt, gekleidet, glatt raſirt, auch ein ſtarker Schnupfer. Er ruft barſch herüber).

Da hätte Herr Dreißiger weiß Gott viel zu thun, wenn er ſich um jede Kleenigkeit ſelber bekimmern ſollte. Dazu ſind wir da.

(Er zirkelt und unterſucht mit der Lupe.)

Schwerenotht! Das zieht.

(Er packt ſich einen dicken Shawl um den Hals.)

Machl de Thire zu, wer ’rein kommt.

Der Lehrling
(laut zu Pfeifer).

Das is, wie wenn man mit Klötzen redte.

Pfeifer.

Abgemacht ſela! Wage!

(Der Weber legt das Webe auf die Wage.)

Wenn Jhr ock Eure Sache beſſer verſtehn thät’t. Treppn hat’s wieder drinne ich ſeh gar nich hin. A guter Weber verſchiebt’s Auf - bäumen nich wer weeß wie lange.

Bäcker
(iſt gekommen. Ein junger, ausnahmsweiſe ſtarker Weber deſſen Gebahren ungezwungen, faſt frech iſt. Pfeifer, Neumann und der Lehr -7 ling werfen ſich bei ſeinem Eintritt Blicke des Einvernehmens zu).

Schwere Noth ja! Da ſoll eener wieder ſchwitzn wie a Laugenſack.

Erſter Weber
(halblaut).

’S ſticht gar ſehr nach Regen.

Der alte Baumert
(drängt ſich durch die Glasthür rechts. Hinter der Thür gewahrt man die Schulter an Schulter gedrängt, zuſammen - gepfercht wartenden Webersleute. Der Alte iſt nach vorn gehumpelt und hat ſein Pack in der Nähe des Bäcker auf die Bank gelegt. Er ſetzt ſich daneben und wiſcht ſich den Schweiß).

Hier is ’ne Ruh verdient.

Bäcker.

Ruhe is beſſer wie a Beemen Geld.

Der alte Baumert.

A Beemen Geld mechte ooch ſein. Gun Tag ooch Bäcker!

Bäcker.

Tag ooch Vater Baumert! Ma muß wieder lauern wer weeß wie lange!

Erſter Weber.

Das kommt nich druf an. A Weber wart’t an’n Stunde oder an’n Tag. A Weber is ock ’ne Sache.

Pfeifer.

Gebt Ruhe dahinten! Man verſteht ja ſei eignes Wort nich.

Bäcker
(leiſe).

A hat heute wieder ſein’n tälſchn Tag.

Pfeifer
(zu dem vor ihm ſtehenden Weber).

Wie oft hab ich’s Euch ſchonn geſagt: Beſſer putzen ſollt er. Was is denn das für ’ne Schlauderei? Hier ſind Klunkern drinne, ſo lang wie mei Finger, und Stroh und allerhand Dreck.

Weber Reimann.

’S mächt halt a neu Nopp - Zängl ſein.

Lehrling
(hat das Webe gewogen).

’S fehlt auch am Gewicht.

Pfeifer.

Eine Sorte Weber is hier ſo. Schade für jede Kette, die man ausgibt. O Jes’s, zu meiner Zeit! Mir hätt’s woll mei Meiſter angeſtrichen. Dazumal da war das noch a ander Ding um das8 Spinnweſen. Da mußte man noch ſei Geſchäfte ver - ſtehn. Heute da is das nich mehr nötig. Reimann zehn Silbergroſchen.

Weber Reimann.

E Fund wird doch gerechn’t uuf Abgang.

Pfeifer.

Jch hab keine Zeit. Abgemacht ſela. Was bringt Jhr?

Weber Heiber
(legt ſein Webe auf. Während Pfeifer unter - ſucht, tritt er an ihn und redet halblaut und eifrig in ihn hinein).

Se werden verzeihen, Herr Feifer, ich möchte Sie gittichſt gebet’n habn, ob Se vielleicht und Se wolltn ſo gnädig ſein und wolltn mir den Gefalln thun und lieſſen mir a Vorſchuß dasmal nich abrechn.

Pfeifer
(zirkelnd und guckend, höhnt).

Nu da! Das macht ſich ja etwan. Hier is woll d’r halbe Einſchuß wieder auf a Feifeln geblieb’n?

Weber Heiber
(in ſeiner Weiſe fortfahrend).

Jch wollts ja gerne uf de neue Woche gleiche machn. Vergangne Woche hatt ich blos zwee Howetage auf’n Dominium zu leiſtn. Dabei liegt Meine krank derheeme ....

Pfeifer
(das Stück an die Wage gebend).

Das is eben wieder ne richt’ge Schlauderarbeit.

(Schon wieder ein neues Webe in Augenſchein nehmend.)

So ein Salband, bald breit, bald ſchmal. Emal hat’s der Einſchuß zu - ſammen gerißn, wer weeß wie ſehr, dann hat’s wieder mal ’s Sperrrittl auseinandergezog’n. Und auf a Zoll kaum ſiebzig Faden Eintrag. Wo is denn der Jbriche? Wo bleibt da die Reellität? Das wär ſo was!

Weber Heiber
(unterdrückt Thränen, ſteht gedemüthigt und hilflos).
Bäcker
(halblaut zu Baumert).

Der Pakaſche mächt ma noch Garn drzune koofen.

Erſte Weberfrau
(welche nur wenig vom Caſſentiſch zurück - getreten war und ſich von Zeit zu Zeit mit ſtarren Augen hilfeſuchend um - geſehen hat, ohne von der Stelle zu gehen, faßt ſich ein Herz und wendet ſich von Neuem flehentlich an den Caſſirer).

Jch kann halt balde 9 ich weeß gar nich, wenn Se mir das Mal und geb’n mir keen’n Vorſchuß o Jeſis, Jeſis.

Pfeifer
(ruft herüber).

Das is a Gejeſere. Laßt blos a Herr Jeſus in Frieden. Jhr habt’s ja ſonſt nich ſo ängſtlich um a Herr Jeſus. Paßt lieber auf Euern Mann uf, das und man ſieht’n nich aller Augenblicke hinter’m Kretſchamfenſter ſitz’n. Wir kenn kein’n Vorſchuß geb’n. Wir miſſ’n Rechenſchaft ab - legen dahier. ’S is auch nich unſer Geld. Von uns wird’s nachher verlangt. Wer fleißig is und ſeine Sache verſteht und in der Furcht Gottes ſeine Arbeit verricht’t, der braucht iberhaupt nie kein’n Vorſchuß nich. Abgemacht Seefe.

Neumann.

Und wenn a Bielauer Weber ’s vierfache Lohn kriegt, da verfumfeit er’s vierfache und macht noch Schulden.

Erſte Weberfrau
(laut, gleichſam an das Gerechtigkeitsgefühl Aller apellirend).

Jch bin gewiß ni faul, aber ich kann ni mehr a ſo fort. Jch hab halt doch zwee Mal an Jbergang gehabt. Und was de mei Mann is, der is ooch bloßich halb; a war bei’m Zerlauer Schäfer, aber der hat’n doch au nich ken’n von ſein’n Schad’n helfn und da Zwing’n kann ma’s doch nich Mir arbeitn gewiß, was wir ufbringen. Jch hab ſchonn viele Woch’n keen’n Schlaf in a Augn gehabt, und ’s wird auch ſchonn wieder gehn, wenn ock ich und ich wer de Schwäche wieder a biſſel raus kriegn aus a Knochn. Aber Se miſſn halt ooch a eenziges Bißl a Einſehn hab’n.

(Jnſtändig, ſchmeichleriſch flehend.)

Sind S ock ſchonn gebetn und bewilligen mer das Mal a par Greſchl.

Pfeifer
(ohne ſich ſtören zu laſſen).

Fiedler elf Silber - groſchen.

Erſte Weberfrau.

Blos a par Greſchl, daß m’r zu Brote kommen. D’r Pauer borgt niſcht mehr. Ma hat a Häuffl Kinder

Neumann
(halblaut und mit komiſchem Ernſt zum Lehrling).
10

Die Leinweber haben alle Jahre ein Kind, alle walle, alle walle, puff, puff, puff.

Der Lehrling
(giebt ebenſo zurück).

Die Blitzkröte iſt ſechs Wochen blind

(ſummt die Melodie zu Ende)

alle walle, alle walle, puff, puff, puff.

Weber Reimann
(das Geld nicht anrührend, welches der Caſſirer ihm aufgezählt hat).

Mer hab’n doch jetzt immer drei - zehntehalb Beemen kriegt fer a Webe.

Pfeifer
(ruft herüber).

Wenn’s Euch nich paßt, Rei - mann, da braucht er blos ein Wort ſag’n. Weber hat’s genug. Vollens ſolche wie Jhr ſeid. Für ’n volles Gewichte giebt’s auch ’n vollen Lohn.

Weber Reimann.

Das hier was fehl’n ſollte, an’n Gewichte ....

Pfeifer.

Bringt ein fehlerfreies Stick Parchent, da wird auch am Lohn nichts fehl’n.

Weber Reimann.

Daſ’s hier und ſollte zu viel Placker drinne hab’n, das kann doch reen gar nich meeglich ſein.

Pfeifer
(im Unterſuchen).

Wer gut webt, der gut lebt.

Weber Heiber
(iſt in der Nähe Pfeifer’s geblieben um nochmals einen günſtigen Augenblick abzupaſſen. Ueber Pfeifer’s Wortſpiel hat er mitgelächelt, nun tritt er an ihn und redet ihm zu wie das erſte Mal).

Jch wollte ihn gittichſt gebeten hab’n, Herr Feifer, ob Se viel - leicht und Se wollt’n a ſo barmherzich ſein und rechtn mir a Fimfbeemer Vorſchuß das Mal nich ab. Meine liegt ſchon ſeit d’r Fasnacht krumm im Bette. Se kann mer keen’n Schlag Arbeit nicht verrichtn. Da muß ich a Spulmädel bezal’n. Deshalb

Pfeifer
(ſchnupft).

Heiber, ich hab nich blos Euch alleene abzufertign. Die Andern woll’n auch dran - kommen.

Weber Reimann.

So hab ich de Werfte kriegt a ſo hab ich ſe unfgebäumt und wieder runter ge - nommen. A beſſer Garn wie ich kriegt hab, kann ich nich zurickbringen.

11
Pfeifer.

Paßt’s euch nich, da braucht er euch blos keene Werfte mehr abzuholn. Wir habn ’r genug, die ſich’s Leder von a Fiſſen dernach ablaufn.

Neumann
(zu Reimann).

Wollt ihr das Geld nich nehmen?

Weber Reimann.

Jch kann mich durchaus a ſo nich zufriede geben.

Neumann
(ohne ſich weiter um Reimann zu bekümmern).

Heiber zehn Silbergroſchen. Geht ab fünf Silber - groſchen Vorſchuß. Bleiben fünf Silbergroſchen.

Weber Heiber
(tritt heran, ſieht das Geld an, ſteht, ſchüttelt den Kopf, als könnte er etwas garnicht glauben und ſtreicht das Geld langſam und umſtändlich ein).

O meins, meins!

(Seufzend.)

Nu, da da!

Der alte Baumert
(Heiber’n in’s Geſicht).

Ja, ja Franze! Da kann eens ſchon manchmal ’n Seufzrich thun.

Weber Heiber
(mühſam redend).

Sieh ock, ich hab a krank Mädel derheeme zu liegn. Da mecht a Fläſchl Medezin ſein.

Der alte Baumert.

Wo thut’s er’n fehlen?

Weber Heiber.

Nu ſieh ock, ’s war halt von kleen uf a vermickertes Dingl. Jch weeß garnich na, dir kann ich’s ja ſagn: ſe hat’s mit uf de Welt gebracht. A ſo ’ne Unreenichkeit iber und iber bricht ’r halt durch’s Geblitte.

Der alte Baumert.

Jberall hat’s was. Wo eemal’s Armutt is, da kommt ooch Unglicke iber Unglicke. Da is o kee Halt und keene Rettung.

Weber Heiber.

Was haſt d’nn da eingepackt in dem Tichl?

Der alte Baumert.

Mir ſein halt gar blank derheeme. Da hab ich halt unſer Hundl ſchlachtn laſſen. Viel is ni dran, a war o halb d’rhungert. ’S war a klee nettes Hundl. Selber abſtechen mocht ich ’n nich. Jch konnt mer eemal kee Herze nich faſſn.

12
Pfeifer
(hat Bäcker’s Webe unterſucht, ruft).

Bäcker, drei - zehntehalb Silbergroſchen.

Bäcker.

Das is a ſchäbiges Almoſen aber kee Lohn.

Pfeifer.

Wer abgefertigt is, hat’s Lokal zu verlaſſen. Wir kenn uns vorhero nich rihren.

Bäcker
(zu den Umſtehenden, ohne ſeine Stimme zu dämpfen).

Das is a ſchäbiges Trinkgeld, weiter niſcht. Da ſoll eens treten vom frihen Morgn bis in die ſinkende Nacht. Und wenn man achtz’n Tage iberm Stuhle gelegn hat, Abend ver Abend wie ausgewundn, halb drehnig vor Staub und Gluthitze, da hat man ſich glicklich drei - z’ntehalb Beemen erſchindt.

Pfeifer.

Hier wird nich gemault!

Bäcker.

Vo ihn laß ich mer’ſch Maul noch lange nich verbietn.

Pfeifer
(ſpringt mit dem Ausruf)

das mecht ich doch amal ſehn

(nach der Glasthür und ruft in’s Comptoir).

Herr Dreißicher, Herr Dreißicher, mechten ſie amal ſo freundlich ſein!

Dreißiger
(kommt. Junger Vierziger, fettleibig, aſtmatiſch. Mit ſtrenger Miene).

Was giebt’s denn, Pfeifer?

Pfeifer
(glupſch).

Bäcker will ſichs Maul nich verbieten laſſen.

Dreißiger
(giebt ſich Haltung, wirft den Kopf zurück, fixiert Bäcker mit zuckenden Naſenflügeln).

Ach ſo Bäcker!

(Zu Pfeiffer.)

Js das der ?

(Die Beamten nicken.)
Bäcker
(frech).

Ja, ja, Herr Dreißicher!

(Auf fich zeigend.)

Das is der

(auf Dreißiger zeigend)

und das is der.

Dreißiger
(indignirt).

Was erlaubt ſich denn der Menſch!?

Pfeifer.

Dem geht’s zu gutt! Der geht a ſo lange auf’s Eis tanzen, bis a’s amal verſehen hat.

Bäcker
(brutal).

O du Fennigmanndl, halt ock du deine Freſſe. Deine Mutter mag ſich woll ei a Neunmonden beim Beſenreit’n am Lucifer verſehn habn, das a ſo a Teiwel aus dir geworn is.

13
Dreißiger
(in ausbrechendem Jähzorn, brüllt).

Maul halten! auf der Stelle Maul halten, ſonſt

(er zittert, thut ein paar Schritte vorwärts).
Bäcker
(mit Entſchloſſenheit ihn erwartend).

Jch bin nich taub. Jch höhr noch gut.

Dreißiger
(überwindet ſich, fragt mit anſcheinend geſchäftsmäßiger Ruhe).

Js der Burſche nicht auch dabei geweſen?

Pfeifer.

Das is a Bielauer Weber. Die ſind iberall d’rbei, wo’s ’n Unfug zu machen gibt.

Dreißiger
(zitternd).

Jch ſag euch alſo: paſſirt mir das noch einmal und zieht mir noch einmal ſo eine Rotte Halbbetrunkener, ſo eine Bande von grünen Lümmeln am Hauſe vorüber wie geſtern Abend mit dieſem niederträchtigen Liede

Bäcker.

’s Bluttgericht meenen ſe woll?

Dreißiger.

Er wird ſchon wiſſen, welches ich meine. Jch ſag euch alſo: hör ich das noch einmal, dann laß ich mir einen von euch ’rausholen und auf Ehre, ich ſpaße nicht, den übergebe ich dem Staatsanwalt. Und wenn ich ’raus bekomme, wer dies elende Machwerk von einem Liede

Bäcker.

Das is a ſchee Lied, das!

Dreißiger.

Noch ein Wort und ich ſchicke zur Polizei augenblicklich. Jch fackle nicht lange. Mit euch Jungens wird man doch noch fertig werden. Jch bin doch ſchon mit ganz andren Leuten fertig geworden.

Bäcker.

Nu das will ich globn. A ſo a richtiger Fabrikante, der wird mit zwee-dreihundert Webern fertich, eh man ſich umſieht. Da läßt a och noch ni a par morſche Knochn ibrich. A ſo eener der hat vier Magn wie ne Kuh und a Gebiß wie a Wolf. Nee nee, da hat’s niſcht!

Dreißiger
(zu den Beamten).

Der Menſch bekommt keinen Schlag Arbeit mehr bei uns.

14
Bäcker.

O, ob ich am Webſtuhle derhungere, oder im Straßengrabn, das is mir egal.

Dreißiger.

’Raus, auf der Stelle raus!

Bäcker
(feſt).

Erſt will ich mei Lohn habn.

Dreißiger.

Was kriegt der Kerl, Neumann?

Neumann.

Zwölf Silbergroſchen fünf Pfennige.

Dreißiger
(nimmt überhaſtig dem Kaſſirer das Geld ab und wirft es auf den Zahltiſch, ſo daß einige Münzen auf die Diele rollen).

Da! hier! und nu raſch mir aus den Augen!

Bäcker.

Erſcht will ich mei Lohn habn.

Dreißiger.

Da liegt ſein Lohn; und wenn er nun nich macht, daß er ’raus kommt .... Es iſt grade zwölf .... Meine Färber machen grade Mittag ....

Bäcker.

Mei Lohn gehört in meine Hand. Hie her gehört mei Lohn.

(Er berührt mit den Fingern der rechten, die Handfläche der linken Hand.)
Dreißiger
(zum Lehrling).

Heben Sie’s auf, Tilgner.

Der Lehrling
(thut es, legt das Geld in Bäcker’s Hand).
Bäcker.

Das muß alls ſein’n richtchen Paß gehn.

(Er bringt, ohne ſich zu beeilen, in einen alten Beutel das Geld unter.)
Dreißiger.

Nu?

(Als Bäcker ſich noch immer nicht entfernt, ungeduldig.)

Soll ich nun nachhelfen?

(Unter den dichtgedrängten Webern iſt eine Bewegung entſtanden. Jemand ſtößt einen langen, tiefen Seufzer aus. Darauf geſchieht ein Fall. Alles Jntereſſe wendet ſich dem neuen Ereigniß zu.)
Dreißiger.

Was giebt’s denn da?

Verſchiedene Weber und Weberfrauen.

’Sis eener hingeſchlagn. ’Sis a klee hiprich Jungl. Js’s etwa de Kränkte oder was?!

Dreißiger.

Ja wie denn? Hingeſchlagen?

(Er geht näher.)
Alter Weber.

A liegt halt da.

(Es wird Platz gemacht. Man ſieht einen etwa achtjährigen Jungen wie todt an der Erde liegen.)
Dreißiger.

Kennt Jemand den Jungen?

Alter Weber.

Aus unſerm Dorfe is a nich.

Der alte Baumert.

Der ſieht ja bald aus, wie Heinrichen’s.

(Er betrachtet ihn genauer.)

Ja, ja! Das is Heinrichen’s Guſtavl.

15
Dreißiger.

Wo wohnen denn die Leute?

Der alte Baumert.

Nu, oben bei uns, in Kaſchbach, Herr Dreißicher. Er geht Muſicke machen, und am Tage da liegt a iberm Stuhle. Se han neun Kinder und’s zehnte is unterwegens.

Verſchiedene Weber und Weberfrauen.

Den Leutn geht’s gar ſehr kimmerlich. Den regnt’s in de Stube. Das Weib hat keene zwee Hemdl fer die neun Burſchen.

Der alte Baumert
(den Jungen anfaſſend).

Nu, Jungel, was hat’s denn mit Dir? Da wach ock uf!

Dreißiger.

Faßt mal mit an, wir wollen ihn mal aufheben. Ein Unverſtand ohne gleichen, ſo’n ſchwächliches Kind dieſen langen Weg machen zu laſſen. Bringen Sie mal etwas Waſſer, Pfeifer!

Weberfrau
(die ihn aufrichten hilft).

Mach ock ni etwa Dinge und ſtirb, Jungl!

Dreißiger.

Oder Cognac, Pfeifer, Cognac is beſſer.

Bäcker
(hat von Allen vergeſſen, beobachtend geſtanden. Nun, die eine Hand an der Thürklinke, ruft er laut und höhniſch herüber).

Gebt ’n ock was zu freſſen, da wird a ſchonn zu ſich kommen.

(Ab.)
Dreißiger.

Der Kerl nimmt kein gutes Ende. Nehmen Sie ihn unter’m Arm, Neumann. Langſam langſam ſo ſo wir wollen ihn in mein Zimmer bringen. Was wollen Sie denn?

Neumann.

Er hat was geſagt, Herr Dreißiger! Er bewegt die Lippen.

Dreißiger.

Was willſt Du denn, Jungel?

Der Junge
(haucht).

Mich h .. hungert!

Dreißiger
(wird bleich).

Man verſteht ihn nich.

Weberfrau.

Jch globe, a meinte

16
Dreißiger.

Wir werden ja ſehn. Nur ja nich aufhalten. Er kann ſich bei mir auf’s Sofa legen. Wir werden ja hören, was der Doctor ſagt.

(Dreißiger, Neumann und die Weberfrau führen den Jungen in’s Comptoir. Unter den Webern entſteht eine Bewegung, wie bei Schulkindern, wenn der Lehrer die Klaſſe verlaſſen hat. Man reckt und ſtreckt ſich, man flüſtert, tritt von einem Fuß auf den andern und in einigen Sekunden iſt das Reden laut und allgemein.)
Der alte Baumert.

Jch glob immer, Bäcker hat recht.

Mehrere Weber und Weberfrauen.

A ſagte ja o a ſo was. Das is hier niſcht Neues, das amal een’n d’r Hunger ſchmeißt. Na, iberhaupt, was de den Winter erſcht wern ſoll, wenn das hie und ’s geht a ſo fort mit der Lohnzwackerei. Und mit a Kartoffeln wird’s das Jahr gar ſchlecht. Hie wird’s au nich anderſcher, bis mer alle vollens uf’n Rickn liegn.

Der alte Baumert.

Am beſtn, ma macht’s, wie d’r Nentwich Weber, ma legt ſich a Schleefel um a Hals un knippt ſich am Webſtuhle uf. Da, nimm der ’ne Priſe, ich war in Neurode, da arbeit mei Schwager in d’r Fabricke, wo’s ’n machen, a Schnupp - taback. Der hat m’r a par Kerndl gegebn dahier. Was trägſt denn du in dem Tichl Schenes?

Alter Weber.

’Sis blos a bißl Perlgraupe. D’r Wagn vom Ullbrichmiller fuhr vor m’r her. Da war a Sack a biſſel ufgeſchlitzt. Das kommt mir gar ſehr zu paſſe, kanſt globn.

Der alte Baumert.

Zweiunzwanzich Mihlen ſein in Peterſchwalde, und fer unſereens fällt doch niſcht ab.

Alter Weber.

Ma muß ebens a Muth nich ſinkn laſſ’n, ’s kommt immer wieder was und hilft een a Stickl weiter.

Weber Heiber.

Ma muß ebens, wenn d’r Hunger kommt, zu a vierzehn Nothhelfern beten, und17 wenn ma dadervon etwa ni ſatt wird, da muß ma an Stein ins Maul nehmen und dran lutſchen. Gell, Baumert?

(Dreißiger, Pfeifer, ſowie der Caſſirer kommen zurück.)
Dreißiger.

Es war nichts von Bedeutung. Der Junge iſt ſchon wieder ganz munter.

(Erregt und puſtend umhergehend.)

Es bleibt aber immer eine Gewiſſen - loſigkeit. Das Kind iſt ja nur ſo’n Hälmchen zum umblaſen. Es iſt rein unbegreiflich, wie Menſchen wie Eltern ſo unvernünftig ſein können. Bürden ihm zwei Schock Parchend auf, gute anderthalb Meilen Wegs. Es is wirklich kaum zum glauben. Jch werde einfach müſſen die Einrichtung treffen, daß Kindern überhaupt die Waare nich mehr abgenommen wird.

(Er geht wiederum eine Weile ſtumm hin und her.)

Jedenfalls wünſche ich dringend, daß ſo etwas nicht mehr vorkommt. Auf wem bleibt’s denn ſchließlich ſitzen? Natürlich doch auf uns Fabrikanten. Wir ſind an allem ſchuld. Wenn ſo’n armes Kerlchen zur Winters - zeit im Schnee ſtecken bleibt und einſchläft, dann kommt ſo’n hergelaufener Scribent, und in zwei Tagen da haben wir die Schauergeſchichte in allen Zeitungen. Der Vater, die Eltern, die ſo’n Kind ſchicken .... i bewahre, wo werden die denn ſchuld ſein! Der Fabrikant muß ’ran, der Fabrikant is der Sünden - bock. Der Weber wird immer geſtreichelt, aber der Fabrikant wird immer geprügelt: das is ’n Menſch ohne Herz, ’n Stein, ’n gefährlicher Kerl, den jeder Preßhund in die Waden beißen darf. Der lebt herrlich und in Freuden und giebt den armen Webern Hungerlöhne. Daß ſo’n Mann auch Sorgen hat und ſchlafloſe Nächte, daß er ſein großes Riſiko läuft, wovon der Arbeiter ſich nichts träumen läßt, daß er manchmal vor lauter dividiren, addiren und multipli - ciren, berechnen und wieder berechnen nich weiß, wo ihm der Kopf ſteht, daß er hunderterlei bedenken undDie Weber. 218überlegen muß und immerfort ſo zu ſagen auf Tod und Leben kämpft und concurrirt, daß kein Tag ver - geht ohne Aerger und Verluſt: darüber ſchweigt des Sängers Höflichkeit. Und was hängt nicht alles am Fabrikanten, was ſaugt nich alles an ihm und will von ihm leben. Nee, nee! ihr ſolltet nur manchmal in meiner Haut ſtecken, ihr würd’s bald genug ſatt kriegen.

(Nach einiger Sammlung.)

Wie hat ſich dieſer Kerl, dieſer Burſche da, dieſer Bäcker hier aufgeführt! Nun wird er gehen und auspoſaunen, ich wäre wer weiß wie unbarmherzig. Jch ſetzte die Weber bei jeder Kleinigkeit mir nichts, dir nichts vor die Thür. Js das wahr? Bin ich ſo unbarmherzig?

Viele Stimmen.

Nee, Herr Dreißicher!

Dreißiger.

Na, das ſcheint mir doch auch ſo. Und dabei ziehen dieſe Lümmels umher und ſingen gemeine Lieder auf uns Fabrikanten, wollen von Hunger reden und haben ſo viel übrig, um den Fuſel quartweiſe conſumiren zu können. Sie ſollten mal die Naſe hübſch wo anders neinſtecken und ſehen, wie’s bei den Leinwandwebern ausſieht. Die können von Noth reden. Aber ihr hier, ihr Parchentweber, ihr ſteht noch ſo da, daß ihr nur Grund habt, Gott im Stillen zu danken. Und ich frage die alten fleißigen und tüchtigen Weber, die hier ſind: kann ein Arbeiter, der ſeine Sachen zuſammenhält, bei mir auskommen oder nicht?

Sehr viele Stimmen.

Ja, Herr Dreißicher!

Dreißiger.

Na, ſeht ihr! So’n Kerl, wie der Bäcker natürlich nicht. Aber, ich rathe euch, haltet dieſe Burſchen im Zaume; wird mir’s zu bunt, dann quittire ich. Dann löſe ich das Geſchäft auf, und dann könnt ihr ſeh’n, wo ihr bleibt. Dann könnt ihr ſeh’n, wo ihr Arbeit bekommt. Bei Ehren-Bäcker ſicherlich nicht.

Erſte Weberfrau
(hat ſich an Dreißiger herangemacht, putzt19 mit kriechender Demuth Staub von ſeinem Rock.)

Se habn ſich a brinkel angeſtrichen, gnädicher Herr Dreißicher.

Dreißiger.

Die Geſchäfte geh’n hundsmiſerabel, das wißt ihr ja ſelbſt. Jch ſetze zu, ſtatt daß ich ver - diene. Wenn ich trotzdem dafür ſorge, daß meine Weber immer Arbeit haben, ſo ſetze ich voraus, daß das anerkannt wird. Die Waare liegt mir da in tauſenden von Schocken, und ich weiß heut noch nicht, ob ich ſie jemals verkaufen werde. Nun hab ich gehört, daß ſehr viele Weber hierum ganz ohne Arbeit ſind und da na, Pfeifer mag euch das Weitre auseinanderſetzen. Die Sache iſt nämlich die: damit ihr den guten Willen ſeht ich kann natürlich keine Almoſen austheilen, dazu bin ich nicht reich genug, aber ich kann bis zu einem gewiſſen Grade den Arbeits - loſen Gelegenheit geben, wenigſtens ’ne Kleinigkeit zu verdienen. Daß ich dabei ein immenſes Riſiko habe, iſt ja meine Sache. Jch denke mir halt: wenn ſich ein Menſch täglich ’ne Quarkſchnitte erarbeiten kann, ſo iſt doch das immer beſſer, als wenn er überhaupt hungern muß. Hab ich nicht recht?

Viele Stimmen.

Ja, ja! Herr Dreißicher.

Dreißiger.

Jch bin alſo gern bereit, noch zweihundert Webern Beſchäftigung zu geben. Unter welchen Umſtänden, wird Pfeifer euch auseinander - ſetzen.

(Er will gehen.)
Erſte Weberfrau
(vertritt ihm den Weg, ſpricht überhaſtet, flehend und dringlich).

Gnädijer Herr Dreißicher, ich wollte Sie halt recht freindlich gebetn habn, wenn ſe viel - leicht ich hab halt zweimal an Jbergang gehabt.

Dreißiger
(eilig).

Sprecht mit Pfeifer, gute Frau, ich hab mich ſo ſchon verſpätet.

(Er läßt ſie ſtehen.)
Weber Reimann
(vertritt ihm ebenfalls den Weg. Jm Tone der Kränkung und Anklage).

Herr Dreißicher, ich muß mich wirklich beklagn. Herr Feifer hat mer Jch hab2*20doch fer mei Webe jetzt immer zwölftehalb Beemen kriegt

Dreißiger
(fällt ihm in die Rede).

Dort ſitzt der Ex - pedient. Dorthin wendet euch: das is die richtige Adreſſe.

Weber Heiber
(hält Dreißiger auf).

Gnädiger Herr Dreißicher,

(ſtotternd und mit wirrer Haſt)

ich wollte ſe viel - mals gittigſt gebeten han, ob mir vielleicht und a kennde mer ob mer d’r Herr Feifer vielleicht und a kennde a kennde.

Dreißiger.

Was wollt ihr denn?

Weber Heiber.

Da Vorſchuß, dann ich’s letzte mal, ich meine, da ich

Dreißiger.

Ja, ich verſtehe euch wirklich nicht.

Weber Heiber.

Jch war a brinkl ſehr ei Noth, weil

Dreißiger.

Pfeifers Sache, Pfeifers Sache. Jch kann wirklich nicht macht das mit Pfeifer aus.

(Er entweicht in’s Comptoir.)
(Die Bittenden ſehen ſich hülflos an. Einer nach dem andern tritt ſeufzend zurück.)
Pfeifer
(die Unterſuchung wieder aufnehmend).

Na, Annl, was bringſt Du?

Der alte Baumert.

Was ſoll’s denn da ſetzn ſer a Webe, Herr Feifer?

Pfeifer.

Für’s Webe zehn Silbergroſchen.

Der alte Baumert.

Nu das macht ſich!

(Bewegung unter den Webern, Flüſtern und Murren.)
Ende des erſten Aktes.
[21]

Zweiter Akt.

[22][23]

Perſonen des zweiten Aktes.

  • Der alte Baumert.
  • Mutter Baumert,

    ſeine Frau.

  • Auguſt,

    ihr Sohn.

    • Emma,
    • Bertha,
    • ihre Töchter.

  • Fritz,

    uneheliches Kind der Emma.

  • Der alte Anſorge,

    Häusler und Weber.

  • Frau Heinrich,

    Weberfrau

    .
  • Moritz Jäger,

    enlaſſener Soldat, ehemaliger Webergeſelle.

[24][25]
Das Stübchen des Häuslers Wilhelm Anſorge zu Kaſchbach, im Eulengebirge. Jn einem engen, von der ſehr ſchadhaften Diele bis zur ſchwarz verräucherten Balkendecke nicht ſechs Fuß hohen Raum, ſitzen: zwei junge Mädchen, Emma und Bertha Baumert an Webſtühlen, Mutter Baumert, eine contracte Alte, auf einem Schemel am Bett, vor ſich ein Spulrad, ihr Sohn Auguſt zwanzigjährig, idiotiſch, mit kleinem Rumpf und Kopf und langen, ſpinnenartigen Extremitäten auf einem Fußſchemel, ebenfalls ſpulend. Durch zwei kleine, zum Theil mit Papier verklebte und mit Stroh verſtopfte Fenſterlöcher der linken Wand dringt ſchwaches, roſafarbenes Licht des Abends. Es fällt auf das weißblonde, offene Haar der Mädchen, auf ihre un - bekleideten, mageren Schultern, ſowie dünne wächſerne Nacken, auf die Falten des groben Hemdes im Rücken, das, nebſt einem kurzen Röckchen aus härteſter Leinewand, ihre einzige Be - kleidung iſt. Der alten Frau leuchtet der warme Hauch voll über Geſicht, Hals und Bruſt: ein Geſicht, abgemagert zum Skelett, mit Falten und Runzeln in einer blutloſen Haut, mit verſunkenen Augen, die durch Wollſtaub, Rauch und Arbeit bei Licht entzündlich geröthet und wäſſrig ſind einen langen Kropfhals mit Falten und Sehnen, eine eingefallene, mit ver - ſchoſſenen Tüchern und Lappen verpackte Bruſt. Ein Theil der rechten Wand, mit Ofen und Ofenbank, Bettſtelle und mehreren grell getuſchten Heiligenbildern ſteht auch noch im Licht. Auf der Ofenſtange hängen Lumpen zum trocknen, hinter dem Ofen iſt altes, werthloſes Gerümpel angehäuft. Auf der Ofenbank ſtehen einige alte Töpfe und Kochgeräthe, Kartoffelſchalen ſind zum dörren auf Papier gelegt ꝛc. ꝛc. Von den Balken herab hängen Garnſträhne und Weifen. Körbchen mit Spulen ſtehen neben den Webſtühlen. Jn der Hinterwand iſt eine niedrige Thür ohne Schloß. Ein Bündel Weiden - ruthen iſt daneben an die Wand gelehnt. Mehrere ſchadhafte Viertelkörbe ſtehen dabei. Das Getöſe der Webſtühle, das26 rythmiſche Gewuchte der Lade, davon Erdboden und Wände erſchüttert werden, das Schlurren und Schnappen des hin und her geſchnellten Schiffchens erfüllen den Raum. Da hinein miſcht ſich das tiefe, gleichmäßig fortgeſetzte Getön der Spul - räder, das dem Summen großer Hummeln gleicht.
Mutter Baumert
(mit einer kläglichen, erſchöpften Stimme, als die Mädchen mit weben innehalten und ſich über die Gewebe beugen).

Mißt er ſchonn wieder knippn!?

Emma
(die ältere der Mädchen, zweiundzwanzigjährig. Jndem ſie gerißene Fäden knüpft).

Eine Art Garn is aber das au!

Bertha
(fünfzehnjährig).

Das is a ſo a bißel Zucht mit der Werfte.

Emma.

Wo a ock bleibt a ſo lange? A is doch fort ſchonn ſeit um a neune.

Mutter Baumert.

Nu eben’s, eben’s! wo mag a ock bleiben, ihr Mädel?

Bertha.

Aengſt euch beileibe ni, Mutter!

Mutter Baumert.

’Ne Angſt is das immer

Emma
(fährt fort zu weben).
Bertha.

Wart amal, Emma!

Emma.

Was is denn?

Bertha.

Mir war doch, ’s kam jemand.

Emma.

’S wird Anſorge ſein, der zu Hauſe kommt.

Fritz
(ein kleiner, barfüßiger, zerlumpter Junge von vier Jahren kommt herein geweint).

Mutter mich hungert.

Emma.

Wart, Fritzl, wart a bißel! Groß - vater kommt gleich. A bringt Brot mit und Kerndel.

Fritz.

Mich hungert a ſo, Mutterle!

Emma.

Jch ſag derſch ja. Bis ock nich einfältich. A wird ja gleich kommen. A bringt a ſcheenes Brotl mit und Kerndlkoffee. Wenn ock wird Feier - abend ſein, da nimmt Mutter de Kartuffelſchalen, die trägt ſe zum Pauer, und der gibbt er derfire a ſcheenes Neegl Puttermilch firſch Jungl.

27
Fritz.

Wo is er’n hin, Großvater?

Emma.

Beim Fabrikanten is a, abliefern, an Käte, Fritzl.

Fritz.

Beim Fabrikanten?

Emma.

Ja, ja, Fritzl! unten bei Dreißichern in Peterſchwalde.

Fritz.

Kriegt a da Brot?

Emma.

Ja, ja, a gibbt ’n ’s Geld, und da kann a ſich Brot kofen.

Fritz.

Gibbt der Großvatern viel Geld?

Emma
(heftig).

O hör uf, Junge, mit dem Ge - rede.

(Sie fährt fort zu weben, Bertha ebenfalls. Gleich darauf halten beide wieder inne.)
Bertha.

Geh, Auguſt, frag Anſorgen, ob a nich will anleuchta.

Auguſt
(entfernt ſich, Fritz mit ihm).
Mutter Baumert
(mit überhandnehmender, kindiſcher Angſt, faſt winſelnd).

Jhr Kinder, ihr Kinder! Wo der Mann bleibt?!

Bertha.

A wird halt amal zu Hauffen rein - gangen ſein.

Mutter Baumert
(weint).

Wenn a blos nich etwan in a Kretſcham gegangn wär.

Emma.

Ween ock nich, Mutter! a ſo eener is unſer Vater doch nich.

Mutter Baumert
(von einer Menge auf ſie einſtürzender Befürchtungen außer ſich gebracht).

Nu nu nu ſagt amal was ſoll nu bloß wern? Wenn a ’s nu wenn a nu zuhauſe kommt… Wenn a ’s nu verſauft nnd bringt niſcht ni zuhauſe? Keene Handvoll Salz is mehr im Hauſe, kee Stickl Gebäcke. ’S mecht an Schaufel Feurung ſein.

Bertha.

Laß ’s gutt ſein, Mutter! m’r habn Mondſchein. M’r gehn in a Puſch. M’r nehmen uns Auguſtn mite und holn a par Rittl.

28
Mutter Baumert.

Gelt, das Euch d’r Jäger und kriecht Euch zu packn!

Anſorge
(ein alter Weber mit hühnenhaftem Knochenbau, der ſich tief bücken muß, um in’s Zimmer zu gelangen, ſteckt Kopf und Oberkörper durch die Thür. Haupt und Barthaare ſind ihm ſtark verwildert).

Was ſoll denn ſein?

Bertha.

Se mechten Licht machen!

Anſorge
(gedämpft, wie in Gegenwart eines Kranken ſprechend).

’Sis ja noch lichte.

Mutter Baumert.

Nu laß Du uns och noch im Finſtern ſitzen.

Anſorge.

Jch muß mich halt och einrichten.

(Er zieht ſich zurück.)
Bertha.

Nu da ſiehſte’s, a ſo geizig is a.

Emma.

Da muß man nu ſitzen, bis ’n wird paſſen.

Frau Heinrich
(kommt. Eine dreißigjährige Frau, die ein Kind unter’m Herzen trägt. Aus ihrem abgemüdeten Geſicht ſpricht marternde Sorge und ängſtliche Spannung).

Gu’n Abend mitnander.

Mutter Baumert.

Nu, Heinrichen, was bringſt uns denn?

Frau Heinrich
(welche hinkt).

Jch hab mer an Scherb eingetreten.

Bertha.

Nu komm her, ſetz dich. Jch wer ſehn, das ich’n rauskriche.

(Frau Heinrich ſetzt ſich, Bertha kniet vor ihr nieder und macht ſich an ihrer Fußſohle zu ſchaffen.)
Mutter Baumert.

Wie geht’s d’n drheeme, Heinrichen?

Frau Heinrich
(verzweifelter Ausbruch).

’S geht heilich bald nimehr.

(Sie kämpft vergebens gegen einen Strom von Thränen. Nun weint ſie ſtumm.)
Mutter Baumert.

Fer unſer eens, Heinrichen, wärſch am beſten, d’r liebe Gott thät a Einſehn habn und nähm uns gar von d’r Welt.

Frau Heinrich
(ihrer nicht mehr mächtig, ſchreit weinend heraus).

Meine armen Kinderderhungern m’r!

(Sie ſchluchzt und winſelt.)

Jich wees mr keen’n Rat nimehr. Ma mag anſtelln,29 was ma will, ma mag rumlaufen bis man liegen bleibt. Jch bin mehr tot wie lebendig, und is doch und is kee anders werden. Neun hungriche Mäuler, die ſoll eens nu ſatt machen. Von was d’n ? Nächten Abend hatt ich a Stickel Brot, ’s langte noch nich amal fir die zwee Kleenſtn. Wem ſold ich’s d’n gebn, ? Alle ſchrien ſie in mich nein: Mutterle mir, Mutterle mir. Nee, nee! Und dadrbei kann ich jetzt noch laufen. Was ſoll erſcht wern, wenn ich zum Liegn komme. Die par Kartoffeln hat uns ’s Waſſer mitgenommen. Mir habn niſcht zu brechen und zu beißen.

Bertha
(hat die Scherbe entfernt und die Wunde gewaſchen).

M’r wolln a Fleckl drum bindn;

(zu Emma)

ſuch amol eens!

Mutter Baumert.

’S geht uns ni beſſer, Heinrichen.

Frau Heinrich.

Du haſt doch zum wenigſten noch deine Mädel. Du haſt ’n Mann, der de arbeiten kann, aber meiner der is m’r vergangne Woche wieder hingeſchlagn. Da hat’s ’n doch wieder geriſſen und geſchmiſſen, das ich vor Himmelsangſt ni wußte, was anfangen mit’n. Und wenn a ſo an Anfall gehabt hat, da liegt a m’r halt wieder acht Tage feſte im Bette.

Mutter Baumert.

Meiner is och niſcht nimehr werth. A fängt och an und klappt zuſammen. ’S liegt ’n uf d’r Bruſt und im Kreuze. Und abgebrannt ſind m’r ebenfalls och bis uf a Fennich. Wenn a heut ni und a bringt a par Greſchl mit, da weeß ich och ni, was weiter werdn ſoll.

Emma.

Kanſt’s globen, Heinrichn. Wir ſein a ſo weit. Vater hat mußt Ami’n mitnehmen. Wir miſſn ’n ſchlachtn laſſn, das m’r ock reen wieder amal was in a Magn kriegn.

Frau Heinrich.

Hätt’r nich an eenziche Handvoll Mehl ibrich?

30
Mutter Baumert.

O ni a ſo viel, Heinrichen, kee Kerndel Salz is mehr im Hauſe.

Frau Heinrich.

Nu da wees ich nich!

(Erhebt ſich, bleibt ſtehen, grübelt.)

Do wees ich wirklich nee! Da kann ich m’r eemal nich helfen.

(Jn Wuth und Angſt ſchreiend.)

Jch wär ja zufriede, wenn’s uf Schweinfutter langte! Aber mit leeren Händn darf ich eemal nich heemkommen. Das geht eemal nich. Da verzeih merſch Gott. Jch weeß mer da eemal keen’n andern Rath nimehr.

(Sie hinkt, links mit der Ferſe nur auftretend, ſchnell hinaus.)
Mutter Baumert
(ruft ihr warnend nach).

Heinrichen, Heinrichen! mach ni etwan ne Tummheit.

Bertha.

Die thut ſich kee leids an. Glob ock du das nich.

Emma.

A ſo machts doch die immer.

(Sie ſitzt wieder am Stuhl und webt einige Sekunden.)
Auguſt
(leuchtet mit dem brennenden Talglicht ſeinem Vater, dem alten Baumert, der ſich mit einem Garnpack hereinſchleppt, voran).
Mutter Baumert.

O jees’s, o jees’s Mann, wo bleibſt ock du a ſo lange!?

Der alte Baumert.

Na, beeß ock ni gleich. Laß mich ock erſcht a brinkl verblaſen. Sieh lieber dernach, wer de mitkommt.

Moritz Jäger
(kommt gebückt durch die Thür. Ein ſtrammer, mittelgroßer, rothbäckiger Reſerviſt, die Huſarenmütze ſchief auf dem Kopf, ganze Kleider und Schuhe auf dem Leibe, ein ſaubres Hemd ohne Kragen dazu. Ein - getreten nimmt er Stellung und ſalutirt militäriſch. Jn forſchem Ton).

Gu’n Abend, Muhme Baumert!

Mutter Baumert.

Nu da, nu da! biſt du wieder zuhauſe? Huſt du uns noch nich vergeſſen? Nu da ſetz dich ock. Komm her, ſetz dich.

Emma
(einen Holzſtuhl mit dem Rocke ſäubernd und Jägern hin - ſchiebend).

Gu’n Abend, Moritz! willſt amal wieder ſehn, wie’s bei armen Leuten ausſieht?

Jäger.

Nu ſag m’r ock, Emma! ich wollt’s ja ni globn. Du haſt ja a Jungl, das balde kann Soldate werden. Wo haſt d’r d’n den angeſchafft?

Bertha,
(die dem Vater die wenigen mitgebrachten Lebensmittel31 abnimmt, Fleiſch in eine Pfanne legt und in den Ofen ſchiebt, während Auguſt Feuer anmacht).

Du kennſt doch a Finger Weber?

Mutter Baumert.

M’r hatn ’n doch hier mit im Stibl. A wollt ſe ja nehmen, aber a war doch halt eemal ſchonn ganz marode uf de Bruſt. Jch ha doch das Mädel gewarnt genug. Konnt ſe woll hörn? Nu is a längſt tot und vergeſſen, und die kann ſehn, wie’s a Jungen durchbringt. Nu ſag m’r ock, Moritz, wie is denn dir’ſch gangen?

Der alte Baumert.

Nu bis ock ganz ſtille Mutter, fer den is Brot gewachſen; der lacht uns alle aus; der bringt Kleeder mite wie a Fürſcht und an ſilberne Cilinderuhre und oben druf noch zehn Thaler bar Geld.

Jäger
(großpraſchig hingepflanzt, im Geſicht ein prahleriſches Schwerenötherlächeln).

Jch kann nich klagen. Mir is’s ni ſchlecht gangen under a Soldaten.

Der alte Baumert.

A is Purſche geweſt bein Rittmeeſter. Hör ock, a redt wie de vornehmen Leute.

Jäger.

Das feine Sprechen hab ich mer a ſo angewehnt, das iich’s gar nimeh loo’n kann.

Mutter Baumert.

Nee, nee, nu ſag mir ock! a ſo a Niſchtegutts, wie das geweſt is, und kommt a ſo zu Gelde. Du warſcht doch nie nich fer was Geſcheuts zu gebrauchen; du konntſt doch kee Strähnl hintereinander abhaspeln. Ock immer fort, naus; Meeſekaſten ufſtelln und Rothkätlſprenkel, das war dir lieber. Nu, nich wahr?

Jäger.

’S is wahr, Muhme Baumert. Jch fing ni ock Kätl, ich fing o Schwalben.

Emma.

Dakonnten mir immerzu reden: Schwalben ſein giftich.

Jäger.

Das war mir egal. Wie euch d’n d’rgangen, Muhme Baumert?

Mutter Baumert.

O jee’s, gar gar ſchlimm in a letzten vier Jahrn. Sieh ock, ich ha halt’s32 Reißen. Sieh d’r bloß amal meine Finger an. Jch weß halt gar nich, hab ich an Fluß kricgt oder was? Jch bin d’r halt a ſo elende! Jch kann d’r kee Glied ni bewegen. ’S globts kee Menſch, was ich muß fer Schmerzen derleiden.

Der alte Baumert.

Mit der jetzt gar ſchlecht. Die machts nimehr lange.

Bertha.

Am Morgen zieh merſche an, am Abend zieh merſche aus. M’r miſſen ſe fittern wie a kleenes Kind.

Muttert Baumert
(fortwährend mit kläglicher, weinerlicher Stimme).

Jch muß mich bedien laſſen hinten und vorne. Jch bin mehr als krank. Jch bin ock ne Laſt. Was hab ich ſchon a lieben Herrgott gebeten, a ſoll mich doch bloßich abruffen, o Jees’s, o Jees’s, das is doch halt zu ſchlimm mit mir. Jch weeß doch gar nich de Leute kennten denken aber ich bin doch ’s Arbeiten gewehnt von Kindheet uf. Jch hab doch meine Sache immer konnt leiſten, und nu uf eemal

(ſie verſucht umſonſt ſich zu erheben)

’s geht und geht nimehr. Jch hab an guten Mann und gute Kinder hab ich, aber wenn ich das ſoll mit anſehn ! Wie ſehn die Mäd’l aus!? Kee Blutt haben ſe bald nimehr in ſich. An Farbe haben ſe wie de Leinticher. Das geht doch immer egal fort mit dem Schemeltreten, obs a ſo an Mäd’l dient oder nich. Was habn die fer a bißl Leben. ’S ganze Jahr kommen ſi nich vom Bänkl runter. Ni amal a par Klunkern haben ſe ſich der - ſchindt, das ſe ſich kennten d’rmite bedecken und kennten ſich amal vor a Leuten ſehn laſſen, oder an Schritt ei die Kirche machen und kennten ſich amal ne Erquickung holen. Ausſehn thun ſe wie de Galgengeſchlinke, junge Mädel von funfzehn und zwanzig.

Bertha
(am Ofen).

Nu das raucht wieder a ſo a bißl!

Der alte Baumert.

Nu da ſieh ock den Rauch. Na da nimm amal an, kann woll hier Wandel werden? 33A ſtürzt heilig bald ein, d’r Owen. Mir miſſen’n ſtürzen laſſen, und a Ruß, den miſſen m’r ſchlucken. Mir huſten alle, eener mehr wie d’r andre. Was huſt’t, huſt’t, und wenn’s uns derwircht, und wenn gleich die Plautze mitegeht; da frägt uns ooch noch kee Menſch dernach.

Jäger.

Das is doch Anſorchens Sache, das muß a doch ausbeſſern.

Bertha.

Der uns woll anſehn. A mukſcht a ſo mehr wie genug.

Mutter Baumert.

Dem nehmen m’r a ſo ſchonn zu viel Platz weg.

Der alte Baumert.

Und wemmer erſcht uff - mucken, da fliegen mer naus. A hat bald a halb Jahr keene Mietzinſe ni beſehn.

Mutter Baumert.

A ſo a eelitzicher Mann, der kennte doch umgänglich ſein.

Der alte Baumert.

A hat au niſcht, Mutter, ’s geht ’n o beeſe genug, wenn a ooch keen’n Stat macht mit ſeiner Noth.

Mutter Baumert.

A hat doch ſei Haus.

Der alte Baumert.

Nee, Mutter, was redtſt’n. An dem Hauſe dahier, da is och noch nich a klee Split - terle ſeine.

Jäger
(hat ſich geſetzt und eine kurze Pſeife mit ſchönen Quaſten aus der einen, eine Quartflaſche Branntwein aus der andern Rocktaſche geholt).

Das kann auch hier bald nimehr a ſo weiter gehn. Jch hab mei Wunder geſehn, wie das hierum a ſo ausſieht under a Leuten. Da leben ja in a Städten de Hunde noch beſſer wie ihr.

Der alte Baumert
(eifrig).

Gelt, gelt ock? Du weeßt’s auch!? Und ſagt man a Wort, da heeßt’s bloß, ’s ſein ſchlechte Zeiten.

Anſorge
(kommt, ein irdenes Näpfchen mit Suppe in der einen, in der anderen Hand einen halbfertig geflochtenen Viertelkorb ).

Willkommen, Moritz! Bis du auch wieder da?

Jäger.

Scheen Dank, Vater Anſorge.

Die Weber. 334
Anſorge
(ſein Näpfchen in’s Röhr ſchiebend).

Nu ſag m’r ock an: du ſiehſt ja bald aus wie a Graf.

Der alte Baumert.

Zeich amal dei ſcheen Uhrla. A hat ’n neuen Anzug mit gebracht und zehn Thaler bar Geld.

Anſorge
(kopfſchüttelnd).

Nu jaja! Nu nee nee!

Emma
(die Kartoffelſchalen in ein Säckchen füllend).

Nu will ich ock gehn mit a Schal’n. Vielleicht wird’s langen uf a Neegl Abgelaſſene.

(Sie entfernt ſich.)
Jäger
(während alle mit Spannung und Hingebung auf ihn achten).

Na nu nehmt amal an: wie oft habt ihr m’r nich de Helle heiß gemacht. Dir wern ſe Moritz lehrn, hiß’s immer, wart ock, wenn de wirſcht zum Miltär kommen. Na nu ſeht erſch, mir is gar gutt gegangen. A halb Jahr da hat ich de Kneppe. Willich muß man ſein, das is ’s Haupt. Jch ha ’n Wachtmeiſter de Stieweln geputzt; ich ha ’n ’s Ferd geſtriegelt, Bier geholt. Jch war a ſo gefirre, wie a Wieslichen. Und uf ’n Poſten war ich: Schwerkanon ja, mei Zeug, das mußt ock immer a ſo finkeln. Jch war d’r erſchte im Stalle, d’r erſchte beim Appell, d’r erſchte im Sattel; und wenn’s zur Attake ging marſch marſch! heiliges Kanonrohr, Kreuzdonnerſchlag, Herrrdumeine - gitte!! Und aufgepaßt hab ich, wie a Schißhund. Jch docht halt immer: hier hilft’s niſcht, hier mußt de dran globen; und da rafft ich m’r halt a Kopp zuſammen, und da ging’s och; und da kam’s a ſo weit, das d’r Rittmeiſter und ſagte vor d’r ganzen Schwadron iber mich: Das is ein Huſar, wie a ſein muß.

(Stille. Er ſetzt die Pfeife in Brand.)
Anſorge
(kovfſchüttelnd).

Da haſt du a ſo a Glicke gehabt?! Nu jaja! nu nee nee!

(Er ſetzt ſich auf den Boden, die Weidenruthen neben ſich und flickt, ihn zwiſchen den Beinen haltend, an ſeinem Korbe weiter.)
Der alte Baumert.

Da wolln m’r hoffen, das de uns dei Glicke mitebringſt. Nu ſoll mer woll amal mit trinken?

35
Jäger.

Nu ganz natürlich, Vater Baumert, und wenn’s alle is, kommt mehr.

(Er ſchlägt ein Geldſtück auf den Tiſch.)
Anſorge
(mit blödem, grinſenden Erſtaunen).

O mei, mei, das giht ja hier zu… da kreeſcht a Braten, da ſteht a Quart Branntwein,

(er trinkt aus der Flaſche)

ſollſt leben, Moritz! Nu jaja! nu nee nee!

(Von jetzt an wandert die Schnapsflaſche.)
Der alte Baumert.

Kennten m’r nich zum wenigſten zu allen heilichen Zeiten a ſo a Stickl Gebratnes habn, ſtat’s das ma kee Fleiſch zu ſehn kriecht iber Jahr und Tag? A ſo muß ma warten, bis een wieder amal a ſo a Hundl zulauft, wie das hier vor vier Wochen: und das kommt ni ofte vor im Leben.

Anſorge.

Haßt Du Ami’n ſchlachten laſſen?

Der alte Baumert.

Ob a m’r vollens o noch derhungern that

Anſorge.

Nu jaja, nu nee nee.

Mutter Baumert.

Und war a ſo a nette, bethulich Hundl.

Jäger.

Seit ihr hierum immer noch a ſo happich uf Hundebraten.

Der alte Baumert.

O Jes’s, Jes’s, wenn m’r ock und hätta ’n genug

Mutter Baumert.

Nu da da, a ſu a Stickl Fleeſch is gar rathlich.

Der alte Baumert.

Haſt Du ken’n Geſchmak nimehr uf ſu was? Nu da bleib ock bei uns hier, Moritz, da werd a ſich baal wieder einfinden.

Anſorge
(ſchnüffelnd).

Nu jaja, nu nee nee, das is o noch ne Guttſchmecke das macht gar a lieblich Gerichl.

Der alte Baumert
(ſchnüffelnd).

D’r reene Zimmt, mecht man ſprechen.

Anſorge.

Nu ſag uns amal deine Meinung, Moritz. Duweißt doch, wie’s in d’r Welt drauſſen zugeht. Werd das nu hier amal anderſch werden mit uns Webern, oder wie?

3*36
Jäger.

Ma ſollts wirklich hoffen.

Anſorge.

Mir kenn d’r nich leben und nich ſterben hier oben. Uns geht’s loda böſe, kanſt’s globen. Eener wehrt ſich bis uf’s Blutt. Zuletzt muß man ſich drein geb’n. De Noth frißt een ’s Dach iberm Koppe und a Boden unter a Fiſſen. Friher, da man noch am Stuhle arbeiten konnte, da hat man ſich halb - wegens mit Kummer und Noth doch kunnt a ſo durch - ſchlagn. Heute kann ich m’r ſchon’n iber Jahr und Tag kee Stickl Arbeit mehr erobern. Mit der Korb - flechterei is och ock, das man ſei bißl Leben a ſo hinfriſten tutt. Jch flechte bis in de Nacht nein, und wenn ich in’s Bette falle, da hab ich an Beemen und ſechs Fenniche derſchindt. Du haſt doch Bildung, nu da ſag amal ſelber. Kann da woll a Auskommen ſein bei der Theurung. Drei Thaler muß ich hin - ſchmeißen uf Hausſteuer, een’n Thaler uf Grund - abgaben. Drei Thaler uf Hauszinſe, virzehn Thaler kann ich Verdienſt rechen, bleibn fer mich ſieben Thaler uf’s ganze Jahr. Da dervon ſoll ma ſich nu bekochen, beheizen, bekleiden, beſchuhn, ma ſoll ſich beſtricken und beflicken, a Quartier muß ma habn und was da noch alles kommt. Js s da a Wunder, wenn man de Zinſe ni zahln kann.

Der alte Baumert.

’S mißt amal eener hingehn nach Berlin, und mißt’s ’n Keeniche vorſtelln, wie’s uns a ſo geht.

Jäger.

Och nich a ſo viel nutzt das, Vater Baumert. ’S ſein er ſchonn genug in a Zeitungen druf zu ſprechen gekommen. Aber die Reichen, die drehn und die wenden an Sache a ſo die iberteifeln a beſten Chriſten.

Der alte Baumert
(kopfſchüttelnd.)

Das ſe in Berlin den Pli nich habn!

Anſorge.

Sag Du amal, Moritz, kann das woll meglich ſein? Js da gar kee Geſetze d’rfor? Wenn een’s37 nu und ſchindt ſich’s Baſt von a Händen und kann doch ſeine Zinſe ni ufbringen; kann m’r d’r Pauer mei Häusl da wegnehmen? ’Sis halt a Pauer, der will ſei Geld habn. Nu weeß ich gar nich, was de noch werdn ſoll? Wenn ich halt und ich muß aus dem Häusl nausgehn.

(Durch Thränen hervor würgend.)

Hier bin ich gebor’n, hier hat mei Vater am Web - ſtuhle geſeſſen, mehr wie virzig Jahr. Wie oft hat a zu Muttern geſagt: Mutter, wenn’s mit mir amal a Ende nimmt, das Häusl halt feſte. Das Häusl hab ich errobert meent a iber’ſche. Hie is jeder Nagl an durchwachte Nacht, a jeder Balken a Jahr trocken Brot. Da mißt ma doch denken

Jäger.

Die nehmen een’s Letzte, die ſein’s cumpabel.

Anſorge.

Nu, ja, ja! nu, nee, nee! kommt’s aber a ſo weit, da wär mirſch ſchonn lieber, ſe trügen mich naus, ſtats das ich uf meine alten Tage noch naus laufen müßte. Das bißl ſterben da! Mei Vater ſtarb o gerne genug. Ock ganz um de Letzte, da wolld’n a wing Angſt wern. Wie ich aber zu’n eis Bette kroch, da wurd a ooch wieder ſtille. Wenn ma’s a ſo bedenkt: Dazemal war ich a Jungl von dreizehn Jahrn. Müde war ich, und da ſchlief ich halt ein, bei dam kranken Manne, ich verſtand’s doch nich beſſer und da ich halt aufwachte war a ſchonn kalt.

Mutter Baumert
(nach einer Pauſe).

Greif amal in’s Röhr, Bertha, und reich Anſorgen de Suppe.

Bertha.

Dahier eßt, Vater Anſorge!

Anſorge
(unter Thränen eſſend).

Nu nee, nee nu jaja!

Der alte Baumert
(hat angefangen das Fleiſch aus der Pfanne zu eſſen).
Mutter Baumert.

Nu Vater, Vater, du wirſcht dich doch gedulden kenn’n. Laß ock Berthan vor richtich vorſchirrn.

38
Der alte Baumert
(kauend).

Vor zwee Jahren war ich’s letztemal zum Abendmale. Gleich dernach verkooft ich a Gottstiſchrock. Da dervon kooften m’r a Stickl Schweinernes. Seit dem da hab ich kee Fleeſch nimehr geſſen bis heut Abend.

Jäger.

Mir brauchen o erſcht kee Fleeſch, ver uns eſſen’s de Fabrikanten. Die waten im Fette rum bis hie her. Wer das ni gloobt, der brauch ock nunter gehn nach Bielau und nach Peterſchwalde. Da kann ma ſei Wunder ſehn: immer e Fabrikantenſchloß hintern andern. Jmmer e Palaſt hintern andern. Mit Spiegel - ſcheiben und Thürmeln und eiſernen Zäunen. Nee, nee, da ſpürt keener niſcht von ſchlechten Zeiten. Da langt’s uf Gebratnes und Gebacknes, uf Eklipaſchen und Kutſchen, uf Guvernanten und wer weeß was. Die ſticht d’r Haber a ſo ſehr! die wiſſen gar nich, was de ſchnell anſtelln vor Reechthum und Jbermuth.

Anſorge.

Jn a alten Zeiten da war das ganz a ander Ding. Da liſſen de Fabrikanten a Weber mitleben. Heute da bringen ſe alles alleene durch. Das kommt aber daher ſprech ich: d’r hohe Stand gloobt nimehr a kenn Herrgott und kenn Teiwel o nich. Da wiſſen ſe niſcht von Geboten und Strafen. Da ſtehln ſe uns halt a letzten Biſſen Brot und ſchwächen und untergraben uns das bißl Nahrung, wo ſe kenn’n. Von den Leuten kommt’s ganze Unglicke. Wenn unſere Fabrikanten und wärn gute Menſchen, da wärn ooch fer uns keene ſchlechten Zeiten ſein.

Jäger.

Da paßt amal uf, da wer ich euch amal was ſcheenes vorleſen.

(Er zieht einige Papierblättchen aus der Taſche.)

Komm, Auguſt, renn in de Schelzerei und hol noch a Quart. Nu Auguſt, Du lachſt ja ei en Biegen fort.

Mutter Baumert.

Jch weeß nich, was mit dem Jungen is, dem geht’s immer gut. Der lacht ſich39 de Hucke voll, mag’s kommen wie’s will. Na, feeder, feeder!

(Auguſt ab mit der leeren Schnapsflaſche.)

Gelt ock Alter, du weeßt, was gut ſchmeckt?

Der alte Baumert
(kauend, vom Eſſen und Trinken muthig erregt).

Moritz, du biſt unſer Mann. Du kannſt leſen und ſchreiben. Du weeßt’s, wie’s um de Weberei beſtellt is Du haſt a Herze fer de arme Weberbevölkerung. Du ſolltſt unſere Sache amal in de Hand nehmen dahier.

Jäger.

Wenn’s mehr ni is. Das ſollte mir ni drauf ankommen; dahier! den Fabrikantenräudeln, den wollt ich viel zu gerne amal a Liedl ufſpiel’n. Jch thät m’r niſcht draus machen. Jch bin a umgäng - licher Kerl, aber, wenn ich amal falſch wer und ich krieg’s mit der Wuth, da nehm ich Dreißichern in de eene, Dittrichen, in de andre Hand und ſchlag ſe mit a Keppen annander, das n’s Feuer aus a Augen ſpringt. Wenn mir und mer kennten’s ufbringen, das m’r zu - ſammen hielten, da kennt m’r a Fabrikanten amal an ſolchen Krach machen .... Do braucht m’r keen’n Keenich derzu und keene Regierung, da kennten m’r eenfach ſagen: mir wolln das und das, und a ſo und a ſo ni, und da wärſch bald aus een’n ganz andern Loche feifen dahier. Wenn die ock ſehn, das ma Kriin hat, da zieh’n ſe bald Leine. Die Betbrider kenn ich! das ſein gar feige Luder.

Mutter Baumert.

’S is wirklich bald wahr. Jch bin gewiß ni ſchlecht. Jch bin gewiß immer diejenigte geweſt, die geſagt hat, die reichen Leute miſſen ooch ſein. Aber wenn’s a ſo kommt ....

Jäger.

Vor mir kennte d’r Teiwel alle holn, der Raſſe vergönnt ich’s.

Bertha.

Wo is denn Vater?

(Der alte Baumert hat ſich ſtillſchweigend entfernt.)
Mutter Baumert.

Jch weeß nich, wo a mag hinſein.

Bertha.

Js etwan, das a das Fleeſcherne nimehr gewehnt is?!

40
Mutter Baumert
(außer ſich, weinend).

Nu da ſeht irſch, nu da ſeht irſch! Da bleibt’s ’n noch ni amal. Da wird a das ganze bißel ſcheenes Eſſen wieder von ſich geben.

Der alte Baumert
(kommt wieder, weinend vor Jngrimm).

Nee, nee! mit mir is bald gar alle. Mich habn ſe bald a ſo weit! Hat man ſich amal was gutes dergattert, da kann ma’s ni amal mehr bei ſich behaltn.

(Er ſitzt weinend nieder auf die Ofenbank.)
Jäger
(in plötzlicher Aufwallung, fanatiſch).

Und da derbei gibt’s Leute, Gerichtsſchulzen, garnich weit von hier, Schmärwampen, die de’s ganze Jahr niſcht weiter zu thun haben, wie uns ’n Herrgott im Himmel a Tag abſtehln. Die wolln behaupten, de Weber kennten gut und gerne auskommen, ſe wern bloß zu faul.

Anſorge.

Das ſein gar keene Menſche. Das ſein Unmenſche, ſein das.

Jäger.

Nu laß ock gut ſein, a hat ſei Fett. Jch und d’r rothe Bäcker mir habn’s ’n eingetränkt und bevor m’r abzogen zu guter letzte, ſangen m’r noch’s Bluttgerichte.

Anſorge.

O Jees’s, Jees’s, is das das Lied?

Jäger.

Ja, ja, hie hab ich’s.

Anſorge.

’S heeßt doch glob ich’s Dreißicher Lied oder wie.

Jäger.

Jch wer’ſch amal vorleſen.

Mutter Baumert.

Wer hat denn das Lied derfundn?

Jäger.

Das weeß kee Menſch nich. Nu hört amal druf.

(Er ließt, ſchülerhaft buchſtabirend, ſchlecht betonend aber mit unverkennbar ſtarkem Gefühl. Alles klingt heraus: Verzweiflung, Schmerz, Wuth, Haß, Rachedurſt.)
Hier im Ort iſt ein Gericht
Noch ſchlimmer als die Vehmen,
Wo man nicht erſt ein Urtheil ſpricht,
Das Leben ſchnell zu nehmen.
41
Hier wird der Menſch langſam gequält,
Hier iſt die Folterkammer,
Hier werden Seufzer viel gezählt
Als Zeugen von dem Jammer.
Der alte Baumert
(hat, von den Worten des Liedes gepackt und im Tiefſten aufgerüttelt, mehrmals nur mühſam der Verſuchung wider ſtanden, Jäger zu unterbrechen. Nun geht alles mit ihm durch: ſtammelnd, unter Lachen und Weinen zu ſeiner Frau).

Hier iſt die Folterkammer. Der das geſchrieben, Mutter, der ſagt die Wahrheet. Das kannſt Du bezeugen… wie heeßt’s? Hier werden Seufzer wie? hie wern ſe viel gezählt

Jäger.

Als Zeugen von dem Jammer.

Der alte Baumert.

Du weeßt’s, was mir a ſo ſeufzn een’n Tag um a andern, ob m’r ſtehn oder liegen.

Jäger,
(während Anſorge, ohne weiter zu arbeiten, in tiefer Er - ſchütterung zuſammengeſunken daſitzt, Mutter Baumert und Bertha fortwährend die Augen wiſchen, fährt fort zu leſen).
Die Herr’n Dreißiger die Henker ſind,
Die Diener ihre Schergen,
Davon ein Jeder tapfer ſchindt,
Anſtatt was zu verbergen.
Jhr Schurken all, ihr Satansbrut,
Der alte Baumert
(mit zitternder Wuth den Boden ſtampfend)

Ja, Satansbrut!!!

Jäger
(lieſt).
Jhr hölliſchen Dämone,
Jhr freßt der Armen Hab und Gut,
Und Fluch wird euch zum Lohne.
Anſorge.

Nu, jaja, das is auch an Fluch werth.

Der alte Baumert,
(die Fauſt ballend, drohend).

Jhr freßt der Armen Hab und Gut.

Jäger
(lieſt).
Hier hilft kein Bitten und kein Fleh’n,
Umſonſt iſt alles klagen.
Gefällt’s euch nicht, ſo könnt ihr gehn
Am Hungertuche nagen.
42
Der alte Baumert.

Wie ſteht’s? Umſonſt iſt alles klagen? Jedes Wort jedes Wort da is alls a ſo richtig, wie in d’r Bibel. Hier hilft kein Bitten und kein Fleh’n.

Anſorge.

Nu, jaja! nu, nee nee! da thutt ſchonn niſcht helfen.

Jäger
(lieſt).
Nun denke man ſich dieſe Noth
Und Elend dieſer Armen,
Zu Haus oft keinen Biſſen Brod,
Jſt das nicht zum Erbarmen!
Erbarmen, ha! ein ſchön Geſühl,
Euch Kannibalen fremde,
Ein jedes kennt ſchon euer Ziel,
’S iſt der Armen Haut und Hemde.
Der alte Baumert
(ſpringt auf, hingeriſſen zu deliranter Raſerei).

Haut und Hemde. Alls richtich, ’s is der Armuth Haut und Hemde. Hier ſteh ich, Robert Baumert, Webermeiſter von Kaſchbach. Wer kann vortreten und ſagn .... Jch bin ein braver Menſch ge - weſt mei Lebe lang, und nu ſeht mich an! Was hab ich davon? Wie ſeh ich aus? Was habn ſe aus mir ge - macht? Hier wird der Menſch langſam gequält.

(Er reckt ſeine Arme hin.)

Dahier, greift amal an, Haut und Knochen. Jhr Schurken all, ihr Satansbrut!!

(Er bricht weinend vor verzweifelten Jngrimm auf einen Stuhl zuſammen.)
Anſorge
(ſchleudert den Korb in die Ecke, erhebt ſich, am ganzen Leibe zitternd vor Wuth, ſtammelt hervor).

Und das muß anderſcher wern, ſprech ich, jetzt uf der Stelle. Mir leiden’s nimehr! Mir leiden’s nimehr, mag kommen, was will.

Ende des zweiten Aktes.
[43]

Dritter Akt.

[44][45]

Perſonen des dritten Aktes.

  • Bäcker.
  • Moritz Jäger.
  • Der alte Baumert.
  • Der alte Anſorge.
  • Welzel,

    Gaſtwirt.

  • Frau Welzel,

    ſeine Frau.

  • Anna Welzel,

    ſeine Tochter.

  • Ein Reiſender.
  • Wiegand,

    Tiſchler.

  • Hornig,

    Lumpenſammler.

  • Ein Bauer.
  • Ein Förſter.
  • Wittich,

    Schmied.

  • Kutſche,

    Gensdarm.

  • Eine Anzahl alter und junger Weber.
[46][47]
Die Schenkſtube im Mittelkretſcham zu Peterswaldau, ein großer Raum, deſſen Balkendecke durch einen hölzernen Mittel - pfeiler, um den ein Tiſch läuft, geſtützt iſt. Rechts von dem Pfeiler, ſo daß der Pfoſten nur verdeckt wird, liegt die Ein - gangsthür in der Hinterwand. Man ſieht durch ſie in den großen Hausraum, der Fäſſer und Brauergeräth enthält. Jm Jnnern, rechts von der Thür in der Ecke, befindet ſich das Schenkſims: eine hölzerne Scheidewand von Manns - höhe mit Fächern für Schankutenſilien, dahinter ein Wand - ſchrank, enthaltend Reihen von Schnapsflaſchen, zwiſchen Scheidewand und Likörſchrank ein kleiner Platz für den Schenkwirth. Vor dem Schenkſims ſteht ein mit bunter Decke gezierter Tiſch. Eine hübſche Lampe hängt darüber, mehrere Rohrſtühle ſtehen darum. Unweit davon an der rechten Wand führt eine Thür mit der Aufſchrift Wein - ſtube ins Honoratiorenſtübchen. Noch weiter vorn rechts tickt die alte Standuhr. Links von der Eingangsthür, an der Hinterwand ſteht ein Tiſch mit Flaſchen und Gläſern und weiterhin in der Ecke der große Kachelofen. Die linke Seitenwand hat drei kleine Fenſter, darunter hinlaufend eine Bank, davor je einen großen hölzernen Tiſch, die ſchmale Seite der Wand zugekehrt. An den Breitſeiten der Tiſche ſtehen Bänke mit Lehnen, an den inneren Schmalſeiten je ein einzelner Holzſtuhl. Das große Lokal iſt blau getüncht, mit Plakaten, bunten Bilderbogen und Oeldrucken behangen, darunter das Portrait Friedrich Wilhelms IV. Scholz Welzel, ein gutmütiges Koloß von über 50 Jahren, läßt hinter dem Schenkſims Bier aus einem Faſſe in ein Glas laufen. Frau Welzel plättet am Ofen. Sie iſt eine ſtattliche, ſauber gekleidete Frau von noch nicht 35 Jahren. Anna Welzel, eine 17 jährige, hübſche Perſon mit pracht - vollen, rothblonden Haaren ſitzt propper gekleidet und mit einer Stickarbeit beſchäftigt hinter dem gedeckten Tiſch. Einen Augen -48 blick blickt ſie von der Arbeit auf und lauſcht, denn aus der Ferne kommen Töne eines von Schulkindern geſungenen Grabchorals. Meiſter Wiegand, der Tiſchler, ſitzt an dem gleichen Tiſch in ſeiner Arbeitstracht hinter einem Glaſe bairiſchen Bieres. Er iſt ein Mann, dem man anmerkt, er weiß, worauf es in der Welt ankommt, wenn man ein Ziel erreichen will, nämlich auf Pfiffigkeit, Schnelligkeit und rückſichtsloſes Fortſchreiten. Ein Reiſender am Säulentiſch kaut mit Eifer an einem deutſchen Beafſteak. Er iſt mittelgroß, wohlgenährt, wohlauf - geſchwemmt, aufgelegt zur Heiterkeit, lebhaft und frech. Er trägt ſich modern, ſeine Reiſeeffekten, Taſche, Muſterkoffer, Schirm, Ueberzieher und Plüſchdecke liegen neben ihm auf Stühlen.
Welzel,
(dem Reiſenden ein Glas Bier zutragend, ſeitwärts zu Wiegand).

’S is ja heute d’r Teifel los in dem Peterſch - walde.

Wiegand
(mit einer ſcharfen trompetenden Stimme).

Nu ’s is halt doch Liefertag bei Dreißichern oben.

Frau Welzel.

’S ging aber doch ſonſte nich a ſo lebhaft zu.

Wiegand.

Nu ’s kennde vielleicht ſein, ’s wär wegen da Zweehundert neuen Webern, die a will noch annehmen jetzte.

Frau Welzel,
(immer plättend).

Ja, ja, das wird’s ſein. Will a zweehundert, da wern er woll ſechs - hundert kommen ſein. M’r habn ’r ja genug von der Sorte.

Wiegand.

O jes’s, jes’s, die langen zu. Und wenn’s den och ſchlecht geht, die ſterben ni aus. Die ſetzen mehr Kinder in de Welt, wie mer gebrauchen ken’n.

(Der Choral wird einen Augenblick ſtärker hörbar.)

Nu kommt au noch das Begräbniß d’rzu. D’r Nentwich Weber is doch geſtorben.

Welzel.

Der hat lange genug gemacht. Der lief doch ſchonn iber Jahr und Tag ock bloß rum wie a Geſpenſte.

49
Wiegand.

Kannſt’s glooben, Welzel, a ſo a klee numpern Särgl, a ſo a rasnich klee, winzich Dingel, das hab ich doch noch kee mal ni zuſammengeleimt. Das war d’r a Leichel, das wog noch nich neunzig Fund.

Der Reiſende,
(kauend).

Jch verſtehe blos nich wo man hinblickt, in irgend ’ne Zeitung, da lieſt man die ſchauerlichſten Geſchichten von der Webernot, da kriegt man einen Begriff von der Sache, als wenn hier die Leute alle ſchon dreiviertel verhungert wären. Und wenn man dann ſo’n Begräbniß ſieht. Jch kam grade im Dorfe rein. Blechmuſik, Schullehrer, Schul - kinder, der Paſtor und ein Zopp Menſchen hinter - drein, Herrgott, als wenn der Kaiſer von China begraben würde. Ja, wenn die Leute das noch bezahlen können !

(Er trinkt Bier. Nachdem er das Glas wieder hingeſtellt, plötzlich mit frivoler Leichtigkeit.)

Nich wahr, Fräulein? Hab ich nich Recht?

Anna
(lächelt verlegen und ſtickt eifrig weiter).
Der Reiſende.

Gewiß ’n Paar Morgenſchuhe für ’n Herrn Papa.

Welzel.

O ich mag ſolche Dinger erſcht nich an a Fuß ziehn.

Der Reiſende.

Na, hör’n Sie mal an! Mein halbes Vermögen gäb ich, wenn die Pantoffeln für mich wär’n.

Frau Welzel.

Fer ſowas, da hat er eemal kee Verſtändnis nich.

Wiegand,
(nachdem er mehrmals gehüſtelt, mit dem Stuhle ge - rückt und einen Anlauf zum Reden genommen hat).

Der Herr haben ſich iber das Begräbnis wunderlich ausgedrückt. Nu ſagen ſie mal, junge Frau, das is doch ’n kleines Leichenbegängnis?

Der Reiſende.

Ja, da frag ich mich aber… Das muß doch barbariſch Geld koſten. Wo kriegen die Leute das Geld nu her?

Wiegand.

Se werden ergebenſt entſchuldigen,Die Weber. 450mein Herr, das is ſo’ne Unverſtändlichkeit unter der hieſigen armen Bevölkerungsklaſſe. Mit Erlaubnis zu ſagen, die machen ſich ſo’ne ibertriebliche Vor - ſtellichkeit von wegen der ſchuldigen Ehrfurcht und pflichtmäßigen Schuldigkeit gegen ſelig entſchlafene Hinterbliebene. Wenn das und ſind gar verſtorbene Eltern, da is das nu ſo ein Aberglaube, da wird von den nächſten Nachkommen und Erblaſſern das letzte zuſammengekratzt, und was die Kinder nich auf - treiben, das wird von den nächſten Magnaten ge - borgt. Und da kommen die Schulden bis iber die Ohren; Hochwürden der Paſtor wird verſchuldet, der Küſter und was da alles fer Leute herumſtehen. Und das Getränk und das Eſſen und dergleichen Notdurft. Nee, nee, ich lobe mir reſpective Kindlich - keit, aber nich, daß die Leidtragenden ihr ganzes Leben unter Verpflichtigungen davor gedrückt werden.

Der Reiſende.

Erlauben Sie mal, das müßte doch der Paſter den Leuten ausreden.

Wiegand.

Se werden ergebenſt entſchuldigen, mein Herr, ich muß hier befürworten, daß jede kleine Gemeinde ihr kirchliches Gotteshaus hat und ihren Seelenhirten Hochwürden erhalten muß. An ſo’nem großen Begräbnisfeſt, da hat die hohe Geiſtlichkeit ihre ſcheene Jbervorteilung. Deſto zahlreicher ſo eine Grablegung gehandhabt wird, je umfänglicher auch die Offertorien fließen. Wer die hieſigen arbeitenden Verhältniſſe kennt, der kann mit unmaßgeblicher Be - ſtimmtheit behaupten, die Herren Farrer dulden bloß widerſtreblich die ſtillen Begräbniſſe.

Hornig
(kommt, kleiner, obeiniger Alter, ein Ziehband um Schulter und Bruſt. Er iſt Lumpenſammler).

Scheen gun Tag och. An eefache mecht ich bitten. Na, junge Frau, habn ſe was Lumpiges? Jungfer Anna! Scheene Zopbändl, Hemdbändl, Strumpbändl hab ich im Wägl, ſcheene Stecknadeln, Haarnadeln, Häkel und Esel. Alles geb51 ich fer a par Lumpen.

(Jn verändertem Tone.)

Von den Lumpen da wird a ſcheen weiß Papierl gemacht, und da ſchreibt der liebe Schatz a hibſch Briefel druf.

Anna.

O, ich bedank mich, ich mag keen’n Schatz.

Frau Welzel,
(einen Bolzen einlegend).

A ſo is das Mädel. Vom Heirathen will ſe niſcht wiſſen.

Der Reiſende.
(ſpringt auf, ſcheinbar freudig überraſcht, tritt an den gedeckten Tiſch und ſtreckt Anna die Hand hinüber).

Das is ge - ſcheidt, Fräulein, machen Sie’s wie ich. Topp! Geben Sie mir den Patſch! Wir beide bleiben ledig.

Anna,
(puterroth, giebt ihm die Hand).

Nu Sie ſein doch ſchon verheirathet?!

Der Reiſende.

J Gott bewahre, ich thu bloß ſo. Sie denken wohl, weil ich den Ring trage?! Ach den habe ich bloß an den Finger geſteckt um meine beſtrickende Perſönlichkeit vor unlauteren An - griffen zu ſchützen. Vor Jhnen fürchte ich mich nicht.

(Er ſteckt den Ring in die Taſche.)

Sagen Sie mal im Ernſt, Fräulein, wollen Sie ſich niemals auch nur ſo’n ganz kleenes biſſel verheirathen?

Anna,
(kopfſchüttelnd).

O wärſch doch!

Frau Welzel.

Die bleibt Jhn ledich oder’ſch muß was ſehr Rares ſein.

Der Reiſende.

Nu warum auch nich? ’N reicher ſchleſiſcher Magnat hat die Kammerjungfer ſeiner Mutter geheirathet, und der reiche Fabrikant Dreiſſiger hat ja auch ’ne Scholzentochter genommen. Die is nich halb ſo hibſch wie Sie, Fräulein, und fährt jetzt fein in Equipage mit Livréediener. Warum d’n nich?

(Er geht umher ſich dehnend und die Beine vertretend.)

Eine Taſſe Kaffee wer ich trinken.

Anſorge und der alte Baumert
(kommen, jeder mit einem Pack, und ſetzen ſich ſtill und demütig zu Hornig an den vorderſten Tiſch links).
Welzel.

Willkommen! Vater Anſorge, ſieht man Dich wider amal.

4*52
Hornig.

Kommſt Du o noch amal aus Den’n verräucherten Geniſte gekrochen?

Anſorge,
(unbeholfen und ſichtlich verlegen).

Jch hab m’r wieder amal ne Werfte geholt.

Baumert.

A will fer zehn Behmen arbeiten.

Anſorge.

Jch hätt’s ni gemacht, aber mit der Korbflechterei hat’s auch a Ende genommen.

Wiegand.

’s is immer beſſer wie niſcht. A tut’s ja ock, daß d’r ne Beſchäftigung habt. Jch bin ſehr gut bekannt mit Dreißigern. Vor acht Tagen nahm ich ’n de Doppelfenſter raus. Da redten m’r driiber. A tut’s bloß aus Barmherzigkeet.

Anſorge.

Nu ja, ja nu nee, nee.

Welzel
(den Webern je einen Schnaps vorſetzend).

Hie wird ſein. Nu ſag amal, Anſorge. Wie lange haſt Du Dich ni mehr raſirn loſſen? Der Herr mechts gerne wiſſen.

Der Reiſende
(ruft herüber).

Ach, Herr Wirt, das hab ich doch nich geſagt. Der Herr Webermeiſter iſt mir nur aufgefallen durch ſein ehrwürdiges Aus - ſehen. Solche Hühnengeſtalten bekommt man nicht oft zu ſehn.

Anſorge
(kraut ſich verlegen den Kopf).

Nu ja, ja nu nee, nee.

Der Reiſende.

Solche urkräftige Naturmenſchen ſind heutzutage ſehr ſelten. Wir ſind von der Kultur ſo beleckt .... aber ich hab noch Freude an der Urwüchſigkeit. Buſchige Augenbrauen! So’n wilder Bart. ...

Hornig.

Nu ſehn’s ock, werter Herr, ich wer ihn amal was ſagn: bei da Leuten da langt’s halt ni uf a Balbier, und a Raſiermeſſer kenn ſe ſich ſchonn lange ni derſchwingen. Was wächſt, wächſt. Uf a äußern Menſchen kenn die niſcht nich verwenden.

Der Reiſende.

Aber ich bitte Sie, lieber Mann, wo wer ich denn ....

(Leiſe zum Wirt.)

Darf man dem Haarmenſchen ’n Glas Bier anbieten?

53
Welzel.

J beileibe, der nimmt niſcht. Der hat gar kom’ſche Mucken.

Der Reiſende.

Na, dann nich. Erlauben Sie, Fräulein?

(Er nimmt an dem gedeckten Tiſche Platz.)

Jch kann Sie verſichern, Jhr Haar ſticht mir ſchon, ſeit ich rein kam, derart in die Augen, dieſer matte Glanz, dieſe Weichheit, dieſe Fülle!

(Er küßt gleichſam entzückt ſeine Fingerſpitzen.)

Und dieſe Farbe .... wie reifer Weizen. Wenn Sie mit dem Haar nach Berlin kommen, Sie machen Furore. Parole d’honneur, mit dem Haar können Sie an den Hof gehen ....

(Zurückgelehnt das Haar betrachtend.)

Prachtvoll, einfach prachtvoll.

Wiegand.

Derwegen hat ſe ja auch eine ſcheene Benennung erfahren.

Der Reiſende.

Wie heißt ſie denn da?

Anna
(lacht immerfort in ſich hinein).

O. Hörn Se nich drauf!

Hornig.

Das is doch d’r Fuchs, ni wahr?

Welzel.

Nu heert aber uf! Macht m’r das Mädel ni noch vollens gar verdreht! Se habn ’r ſchonn Raupen genug in a Kopp geſetzt. Heute will ſe an Grawen, morgen ſoll’s ſchonn a Firſcht ſein.

Frau Welzel.

Mach Du das Mädel ni ſchlecht, Mann! Das is kee Verbrechen, wenn d’r Menſch will vorwärts kommen. A ſo wie Du freilich denkſt, a ſo denken ni alle. Das wär auch ni gutt, da käm Keener vom Flecke, da blieben ſe alle ſitzen. Wenn Dreißi - gers Großvater a ſo hätte gedacht, da wär a woll ſein a armer Weber geblieben. Jtzt ſein ſe ſteinreich. D’r alte Tromtra war o nich mehr wie a armer Weber, nu hat a zwelf Rittergiiter und is oben druf adlig geworn.

Wiegand.

Alles, was de Recht is, Welzel. Ei der Sache da is Deine Frau uf’m rechtlichen Wege. Das kann ich underfertigen. Hätt ich a54 ſo wie Du gedacht, wo wern ock itzt meine ſieben Geſellen?

Hornig.

Du weeßt druf zu laufen, das muß Dir dr Neid laſſen. Wenn d’r Weber noch uf zwee Been’n rumlauft, da machſt Du’n ſchonn a Sarg fertig.

Wiegand.

Wer de will mitkummen, muß ſich derzu halten.

Hornig.

Ja, ja, Du hälſt Dich o noch derzu. Du weeßt beſſer wie a Dokter, wenn d’r Tod um a Weberkindl kommt.

Wiegand
(kaum noch lächelnd, plötzlich wüthend).

Und Du weßt’s beſſer wie de Poll’zei, wo de Nipper ſitzen unter a Webern, und die de ſich jede Woche a hibſch Neegl Spul’n ibrig machen. Du kommſt nach Lumpen und nimmſt o a Feifl Schußgarn, wenn’s druf ankommt.

Hornig.

Und Dei Weizen bliht uf’m Kirchhowe. Je mehr das uf de Hobelſpähne ſchlafen gehn, um deſto beſſer fer Dich. Wenn Du die vielen Kinder - gräbl anſiehſt, da kloppſt Du dr uf a Bauch und ſagſt: ’S war heuer wieder a gudes Jahr; die kleen’n Kreppe ſein wieder gefalln, wie de Maikäwer von a Bäumen. Da kann ich m’r wieder a Quart zulegen de Woche.

Wiegand.

Derwegen, da wär ich noch lange kee Hehler.

Hornig.

Du machſt heechſtens amal an reichen Parchenfabrikanten an toppelte Rechnung, oder holſt a Paar ibrige Brätel von Dreißijerſch Bau, wenn d’r Mond amal grade ni ſcheint.

Wiegand
(ihm den Rücken wendend).

O, räd Du mit wem De willſt, ock mit mir nich.

(Plötzlich wieder.)

Lügen - hornich!!

Hornig.

Toten-Tiſchler!

Wiegand
(zu den Anweſenden).

A kann’s Vieh behexen.

55
Hornig.

Sieh Dich vor, ſag ich d’r bloß ſonſt mach ich amal mei Zeichen.

(Wiegand wird bleich.)
Frau Wetzel
(war hinausgegangen und ſetzt nun dem Reiſenden Kaffe vor).

Soll ich Jhn’n a Kaffee lieber in’s Stiebel tragen?

Der Reiſende.

J, was denken Sie!

(Mit einem ſchmachtenden Blick auf Anna.)

Hier will ich ſitzen, bis ich ſterbe.

Ein junger Förſter und ein Bauer
(der Letztere mit einer Peitſche kommen, Beide)

Gu’n Mittag!

(Sie bleiben am Schenkſims ſtehen.)
Der Bauer.

Zwee Jngwer mechten mir habn.

Welzel.

Willkommen mit n’ander!

(Er gießt das Verlangte ein; die Beiden ergreifen die Gläschen, ſtoßen damit an, trinken davon und ſtellen ſie auf das Schenkſims.)
Der Reiſende.

Nun, Herr Förſter, tüchtigen Marſch gemacht?

Der Förſter.

’S geht. Jch komme von Stein - ſeifferſchdorf.

(Erſter und zweiter alter Weber kommen und ſetzen ſich zu Anſorge, Baumert und Hornig.)
Der Reiſende.

Entſchuldigen Sie, ſind Sie Gräflich Hochheimſcher Förſter?

Der Förſter.

Gräflich Keil’ſch bin ich.

Der Reiſende.

Freilich, freilich, das wollt ich ja auch ſagen. Es is hier zu ſchlimm mit den vielen Grafen und Baronen und Freiherrlichen Gnaden. Man muß ’n Rieſengedächtnis habn. Zu was haben Sie denn die Axt, Herr Förſter?

Der Förſter.

Die hab ich Holzdieben weg - genommen.

Der alte Baumert.

Unſe Herrſchaft, die nimmt’s gar ſehr genau mit a par Scheiten Brennholz.

Der Reiſende.

Nu erlauben Sie, das geht doch ooch nich, wenn da jeder holen wollte

Der alte Baumert.

Mit Verlaub zu reden, hie is das wie iberall, mit a klein’n und a großen56 Dieben; hier ſein welche, die treiben Holzhandel im Großen und wer’n reich von geſtohlnen Holze. Wenn aber a armer Weber

Erſter alter Weber
(unterbricht Baumert).

Mir derfen kee Zweigl nehmen, aber de Herrſchaft, die greift uns deſto forſcher an, die zieht uns ’s Leder egelganz iber de Ohren runter. Da ſein zu entrichten Schutz - gelder, Spinngelder, Naturalleiſtungen, da muß ma umſonſte Gänge laufen und Howearbeit thun, ob ma will oder nich.

Anſorge.

’S is halt a ſo: was uns dr Fabrikante ibrich läßt, das holt uns d’r Edelman vollens aus dr Taſche.

Zweiter alter Weber
(hat am Nebentiſch Platz genommen).

Jch hab’s o ’n gnädijen Herrn ſelber geſagt. Se werdn gittigſt verzeihn, Herr Graf, meent ich ibern, das Jahr kann ich a ſo viel Howetage eemal ni leiſten. Jch ſtreits eemal nich! Denn warum? Se wern entſchuldijen mir hat’s Waſſer alles zu Schanden gemacht. Mei bißel Acker hat’s weg - geſchwemmt. Jch muß Tag und Nacht ſchaffen, wenn ich will leben. A ſo a Unwetter Jhr Leute, Jhr Leute! Jch ſtand ock immer und rang de Hände. Der ſcheene Boden, der kam ock immer a ſo über a Berg rundergewellt und in’s Häusl nein; und der ſcheene, teure Samen! O Jes’s, o jes’s, da hab ich ock immer a ſo in de Wolken nein geprillt und acht Tage lang hab ich geflennt, daß ich bald keene Straße ni mehr ſah Und dernach konnt ich mich mit achtzig ſchweren Radwern Boden über a Berg wieder nufquäln.

Der Bauer
(roh).

Jhr macht ja a ſchauderhaftiges Gelammetire dahier. Was de d’r Himmel ſchickt, das miſſ mir uns alle gefalln laßn. Und wenn’s euch ſonſt nich zum Beſten geht, wer is denn Schuld, wie Jhr ſelber? Wie’s Geſchäft gutt ging, was habt’r57 gemacht? Alls verſpielt und verſoffen habt’r. Hätt Jhr euch dazemal was derſpart, da wär jetzt a Nothpfennig da ſein, da braucht’r kee Garn und kee Holz ſtehln.

Erſter junger Weber.
(mit einigen Kameraden im Hauſe , ſpricht laut zur Thüre herein).

A Pauer bleibt a Pauer, und wenn a ſchläft bis um Neune.

Erſter alter Weber.

Das is jetzt a ſo: D’r Pauer und d’r Edelmann, die ziehn a een’n Strange. Will a Weber an Wohnung habn, da ſagt d’r Pauer, ich geb d’r a klee Lechl zum drinne Wohn, Du zahlſt m’r ſcheene Zinſe und hilfſt m’r mei Heu und mei Ge - treide reinbringen, und wenn de ni willſt, da ſieh, wo de bleibſt. Kommt eener zum Zweeten, der machts wie d’r erſchte.

Baumert
(grimmig).

Ma is wie a Griebſch, an dem alle rumfreſſen.

Der Bauer.
(aufgebracht).

O, Jhr verhungerten Luder, zu was wär’t Jhr zu gebrauchen? Kennt Jhr an Flug in a Acker dricken? Kennt Jhr woll ne gleiche Furche ziehn, oder ne Mandel Habergarben uf a Wagn reechen? Jhr ſeid ja zu niſcht nutze wie zum Faullenzen, und bei a Weibern liegen. Jhr wär’t Scheißkerle! Jhr kennt een was nitzen.

(Er hat indeß gezahlt und geht ab. Der Förſter folgt ihm lachend. Welzel, der Tiſchler und Frau Welzel lachen laut. Der Reiſende für ſich. Als das Gelächter verſtummt, tritt Stille ein.
Hornig.

A ſo a Pauer der is wie a Bremmerochſe Wenn ich ni wiſſte, was hie fir ne Noth is. Jn den Derfern hi nuff. Was hat man da alles zu ſehn kriicht. Zu viern und fünfen lagen ſe nackt uf en’n eenzichen Strohſack.

Der Reiſende
(in milde verweiſendem Tone).

Erlauben Sie mal, lieber Mann. Ueber die Not im Gebirge ſind doch die Anſichten recht verſchieden, wenn Sie leſen können

Hornig.

O, ich les alls vom Blatte runder, a ſo gutt wie Sie. Nee, nee, ich werſch wiſſen ich58 bin genug rumkommen bei da Leuten. Wenn man’s Kupſel Stick a vierzig Jahr uf’m Puckel gehabt hat, da wird ma woll was wiſſen zu guder letzt. Wie warſch denn mit Fullern? Die Kinder, die klaubten mit Nachbarſch Gänſen im Miſte rum. Geſtorben ſein de Leute nackend uf a Flieſen im Hauſe. Stinkende Schlichte habn ſe gefreſſen vor Himmels - angſt. Hingerafft hat ſe d’r Hunger zu hunderten und aberhunderten.

Der Reiſende.

Wenn Sie leſen können, müſſen Sie doch auch wiſſen, daß die Regierung genaue Nachforſchungen hat anſtelln laſſen, und daß

Hornig.

Das kennt man, das kennt man: Da kommt ſo a Herr von d’r Regierung, der alles ſchon beſſer weeß, wie wenn a’s geſehn hätte, der geht a ſo a bißl im Dorfe rum, wo de Bache ausfließt, und de ſcheenſten Häuſer ſein. De ſcheen’n blanken Schuhe, die will a ſich weiter ni beſchmutzen. Da denkt a halt, ’s wird woll ieberall a ſo ſcheen ausſehn und ſteigt in de Kutſche und fährt wieder heem. Und da ſchreibt a nach Berlin, ’s wär und wär eemal keene Not nich. Wenn a aber und hätte a biſſel Geduld gehabt und wär in da Derfern nuf geſtiegen, bis wo de Bache eintritt, und ieber de Bache nieber uf de kleene Seite, oder gar abſeit wo de kleen’n eenzelnen Klitſchen ſtehn, die alten Schaubenneſter an a Bergen, die de manchmal a ſo ſchwarz und hinfällig ſein, daß ſ’n ſ’Streichhelzl ni verlohnt um a ſo a Ding anzuſtecken, da wär a woll anderſch habn nach Berlin bericht’t. Zu mir hätten ſe ſolln kommen de Herrn von d’r Regierung, die’s nich haben globen wollen daß hier ne Noth wär. Jch hätt’n amal was ufgezeicht. Jch wollt’n amal de Augen ufkneppen in allen den Hungerneſtern hier nein.

(Man hört draußen das Weberlied ſingen.)
Welzel.

Da ſingen ſe ſchonn wieder das Teifelslied.

59
Wiegand.

Die ſtell’n ja ’s ganze Dorf uf a Kopp.

Frau Welzel.

S’is reen, als wenn was in d’r Luft läg.

(Jäger und Bäcker Arm in Arm, an der Spitze einer Schaar junger Weber - burſchen, betreten lärmend das Haus und von da die Wirtsſtube.)
Jäger.

Schwadron halt! Abgeſeſſen!

(Die An - gekommenen begeben ſich zu den verſcheidenen Tiſchen, an denen bereits Weber ſitzen, mit ihnen Geſpräche anknüpfend.)
Hornig,
(Bäcker zurufend).

Nu ſag ock blos, was geht denn vor, daß d’raſoei hellen Haufen beinander ſeid?

Bäcker
(bedeutſam).

Vielleichte wird amal was vor - gehn. Gelt ock, Moritz?!

Hornig.

Nu werſch doch! Macht ock ni Dinge.

Bäcker.

’Sis o ſchonn Blut gefloſſen. Willſt’s ſehn?

(Er ſtreift ſeinen Ärmel herauf und zeigt ihm blutende Jmpfſtellen am nackten Oberarm. Wie er, ſo thun auch viele der jungen Weber an den übrigen Tiſchen.)
Bäcker.

Beim Bader Schmidt warn mir, impfen laſſen.

Hornig.

Na nu wirds Tag. Da kan man ſich ni wundern, daß a ſo a Teeps is uf allen Gaſſen. Wenn ſolche Leubel im Dorfe rum ſchwuchtern. !

Jäger,
(ſich protzenhaft aufſpielend, mit lauter Stimme).

Gleich zwee Quart, Welzel! Jch zahl’s. Denkſt etwan, ich hab kee Puttputt? Nu harr ock ſachte! Wenn mir ſonſt wollten, da kennten mir Scheps trinken und Kaffee lappern, bis morgen frih, a ſo gutt wie a Reiſender.

(Gelächter unter den jungen Webern.)
Der Reiſende
(mit komiſchem Erſtaunen).

Meinen Sie mir oder meinen Sie mich?

(Der Wirt, die Wirtin und ihre Tochter, Tiſchler Wiegand und der Reiſende lachen.)
Jäger.

Jmmer den, der fragt.

Der Reiſende.

Erlauben Sie mal, junger Menſch, Jhr Geſchäft ſcheint recht gut zu gehn.

Jäger.

Jch kann ni klagn. Jch bin Konfektions - reiſender. Jch mach mit’n Fabrikanten Halbpart. Je mehr d’r Weber hungert, um deſto fetter ſpeis ich. Je gröſſer de Noth, deſto gröſſer mei Brot.

60
Bäcker.

Das haſte gutt gemacht, ſollſt leben, Moritz!

Welzel
(hat den Kornſchnaps gebracht. Auf dem Rückwege zum Schenkſims bleibt er ſtehn und wendet ſich langſam in all ſeinem Phlegma und ſeiner Maſſigkeit wieder den Webern zu. Mit eben ſoviel Ruhe als Nachdruck.)

Laſſt Jhr den Herrn zufrieden, der hat Euch niſcht nich gethan.

Stimmen junger Weber.

Mir thun ’n ja auch niſcht.

(Frau Welzel hat mit dem Reiſenden einige Worte gewechſelt. Sie nimmt die Taſſe mit dem Kaffeereſt, und bringt ſie in das Nebenſtübchen. Der Reiſende folgt ihr dahin unter dem Gelächter der Weber.)
Stimmen junger Weber
(ſingend).

Die Herren Dreißiger die Henker ſind, die Diener ihre Schergen ....

Welzel.

Pſcht, pſcht! Das Lied ſingt, wo er wollt. Ei mein Hauſe duld ich’s nich.

Erſter alter Weber.

A hat ganz Recht, laßt Jhr das Singen.

Bäcker
(ſchreit).

Aber bei Dreißigern miß mer noch amal vorbeiziehn. Der muß unſer Lied noch amal zu hörn kriegen.

Wiegand.

Treibt’s ock ni gar zu tolle, daß a ni etwa amal falſch verſteht!

(Gelächter und Hoho!!)
Der alte Wittig
(ein grauhaariger Schmied, ohne Mütze, in Schurzfell und Holzpantinen, ruſſig, wie er aus der Werkſtatt kommt, iſt ein - getreten und wartet am Schenkſims ſtehend auf ein Glas Brantwein).

Laß ock Du die geruhig a biſſel a Theater machen. Die Hunde, die de viel kläffen, beißen nich.

Stimmen alter Weber.

Wittig, Wittig!

Wittig.

Hie hengt a. Was gibbt’s denn?

Stimmen alter Weber.

Wittig is da. Wittig, Wittig. Komm her, Wittig, ſetz Dich zu uns. Komm her zu uns, Wittig.

Wittig.

Jch wer mich in Obacht nehmen und wer mich zu ſolchen Gothen ſetzen.

Jäger.

Komm, trink amal mit.

Wittig.

O behalt dir den’n Branntwein. Will ich trinken, zahl ich ’n ſelber.

(Er ſetzt ſich mit ſeinem Schnaps -61 glas zu Baumert und Anſorge. Dem letzteren auf den Bauch klopfend.)

Was haben die Weber fer eine Speiſ? Sauerkraut und Läuſefleiſch.

Der alte Baumert
(extatiſch).

Nu aber wie d’n da, wenn ſe nu, und ſein nimmehr zufriede dermit?

Wittig
(mit gemachtem Staunen den Weber dumm anglotzend).

Nu, nu, nu, ſag mer ock, Heinerle, biſt Du’s?

(Unbändig herauslachend.)

Jhr Leute, Jhr Leute, ich lach mich tot. Der ale Baumert will Rebellion machen. Nu wer’n merſch habn: Jtzt fangen de Schneider o an, dann wer’n de Bälämmel rebelliſch, dann de Mäuſe und Ratten. O du meine Gitte, das werd a Tanz werden.

(Er will ſich ausſchütten vor Lachen.)
Der alte Baumert.

Nu ſieh ock, Wittig, ich bin no immer derſelbigte wie frieher. Jch ſag o itzt noch, wenn’s im Guten ging, wärſch beſſer.

Wittig.

Dreck! werds gehn, aber nich im Guden. Wo wer a ſo was im Guden gangen? Js etwa ei Frankreich im Guden gangen? Hat etwa d’r Robſpiir a Reichen de Patſchel geſtreechelt? Da hiß bloß: Allee ſchaff fort. Jmmer nuff uff de Giljotine. Das muß gehn, allong ſangfang. De gebratnen Gänſe kommen een ni ins Maul geflogn.

Der alte Baumert.

Wenn ich ock und hätte hallwäge mein Auskommen

Erſter alter Weber.

Uns ſteht halt’s Waſſer bis hierum, Wittig.

Zweiter alter Weber.

Ma mag bald gar ni mehr heem gehn. Ob ma nu ſchachtert oder ma legt ſich ſchlafen, ma hungert uf beede Arten.

Erſter alter Weber.

D’rheeme verliert man vollens ganz a Verſtand.

Der alte Anſorge.

Mir is jetzt ſchonn eegal, ’s kommt a ſo, oder a ſo.

Stimmen alter Weber
(mit ſteigender Erregung).

Nir - gend hat ma Ruh. O ken’n Geiſt nich zur Arbeit hat62 man. Oben bei uns in Steenkunzendorf ſitzt eener ſchonn a ganzen Tag an d’r Bache und wäſcht ſich, nackt wie ’n Gott gemacht hat. Dem hat’s gar a Kopp verwirrt.

Dritter alter Weber
(erhebt ſich, vom Geiſte getrieben und fängt an mit Zungen zu reden, den Finger drohend erhoben).

Es iſt ein Gericht in der Luft! Geſellet euch nicht zu den Reichen und Vornehmen! Es iſt ein Gericht in Luft! Der Herr Zebaot

(Einige lachen. Er wird auf den Sitz niedergedrückt.)
Welzel.

Der derf ock a eenzichtes Gläsl trinken, da wirrt’s n gleich aus’n Koppe.

Dritter alter Weber
(fährt wieder auf).

Doch ha! ſie glauben an keinen Gott, noch weder Höll noch Himmel. Religion iſt nur ihr Spott

Erſter alter Weber.

Laß gutt ſein, laß!

Bäcker.

Laß Du da Mann ſei Geſetzel beten. Das kann ſich manch eens zu Herzen nehmen.

Viele Stimmen
(tumultuariſch).

Laßt n reden! Laßt n!

Dritter alter Weber
(mit gehobener Stimme).

Daher die Hölle die Seele weit aufgeſperrt und den Rachen aufgethan, ohne alle Maaße, daß hinunterfahren alle die, ſo die Sache der Armen beugen und Gewalt üben im Recht der Elenden, ſpricht der Herr.

(Tumult.)
Dritter alter Weber,
(plötzlich ſchülerhaft declamirend).

Und doch wie wunderlich geht’s,

Wenn man es recht will betrachten,

Wenn man des Leinewebers Arbeit will verachten!

Bäcker.

Mir ſein aber Parchenweber.

(Gelächter.)
Hornig.

A Leinwebern gehts noch viel elender. Die ſchleichen ock bloſſich noch wie de Geſpenſter zwiſcher a Bergen rum. Jhr dahier habt doch noch Kriin zum Uffmucken.

63
Wittig.

Denkſt Du etwan hie is ſchon ’s Schlimmſte vorüber? Das bißl Forſche, was die noch im Leibe habn, das werd ’n d’r Fabrikante ſchon och vollens austreiben.

Bäcker.

A hat ja geſagt: De Weber werden noch fer ne Quargſchnitte arbeiten.

(Tumult.)
Verſchiedene alte und junge Weber.

Wer hat das geſagt?

Bäcker.

Das hat Dreiſſiger iber Weber geſagt.

Ein junger Weber.

Das Aas ſollt man ärſchlich ufknippen.

Jäger.

Hör a mal uf mich, Wittig, Du haſt immer a ſo viel derzählt von d’r franzeſchen Re - volution. Du haſt immer ’s Maul a ſo voll ge - nommen. Nu kennde vielleicht bald Gelegenheit wer’n, daß eener und kennde zeigen, wie’s mid’n beſchaffen is: ob a a Großmaul is oder a Ehrenmann.

Wittig.
(jähzornig aufbrauſend).

Sag noch e Wort Junge! Haſt Du gehört Kugeln pfeiffen? Haſt Du uf Vorpoſten geſtanden ei Feindesland?

Jäger.

Nu, bis ock ni falſch. Mir ſein ja Kamraden. Jch hab’s ja ni ſchlimm gemeent.

Wittig.

Uf die Kamradſchaft plamp ich. Du Laps, ufgeblaſener!

Gendarm Kutſche
(kommt).
Mehrere Stimmen.

Pſcht, pſcht, Polzei!

(Es wird eine unverhältnißmäßig lange Zeit geziſcht, bis völlige Ruhe ein - getreten iſt.)
Kutſche
(unter tiefem Schweigen aller übrigen ſeinen Platz an der Mittelſäule einnehmeud).

An kleen’n Korn mecht ich bitten.

(Wiederum völlige Ruhe.)
Wittig.

Nu, Kutſche ſollſt woll amal zum Rechten ſehn hier bei uns?

Kutſche
(ohne auf Wittig zu hören).

Gun Tak o, Meiſter Wiegand.

64
Wiegand
(noch immer in der Ecke vor dem Schenkſims).

Scheen Dank, Kutſche.

Kutſche.

Wie gehts Geſchäft?

Wiegand.

Dank fer de Nachfrage.

Bäcker.

D’r Verwalter hat Angſt, m’r kennten uns a Magen verderben, von dem vielen Lohn, das m’r kriegen.

(Gelächter.)
Jäger.

Gell ock, Welzel, mir habn alle Schweinernes gegeſſen und Fetttunke und Klößl und Sauerkraut, und itzt trink mer erſcht noch Schlampanjerwein.

(Gelächter.)
Welzel.

Hinten rum ſcheint de Sonne.

Kutſche.

Und wenn Jhr und hätt gleich Schlampanjer und Gebratnes, derwegen werd Jhr noch lange ni zufrieden ſein. Jch hab o keen’n Schlampanjer, und ’s muß halt auch gehn.

Bäcker
(mit Bezug auf Kutſches Naſe).

Der begißt ſeine kohlrote Gurke mit Brantwein und Schepsbier. Da dervon wird ſe ooch reif.

(Gelächter.)
Wittig.

A ſo a Schandarm hat a ſchweres Leben: eemal muß a an verhungerten Betteljungen ins Loch ſtecken, dann muß a wieder amal a hibſch Webermädel verfihrn, dann muß a ſich wieder amal ſternhagelsmäßig bekreeſchen und’s Weib durchprigeln, das ſe vor Himmelangſt zu a Nachbarn gelaufen kommt; und a ſo uf’n Ferde rumſchappern, in a Federn liegen bis um neune, das is gar kee leichte Ding dahie!

Kutſche.

Schwatz Du immerzu. Du wirſcht dich ſchonn noch bei Zeiten um a Hals räden. Ma weeß ja längſt, was Du fer a Briderle biſt. Dei ufrihreriſch Maulwerk das is längſt bekannt bis nuff zum Land - rath. Jch kenn een’n, der bringt iber Jahr und Tag Weib und Kind eis Armenhaus mit Saufen und Kretſchamhocken und ſich ſelber in’s Gefängnis, der65 wird uufhetzen und uufhetzen, bis ’s wird a Ende mit Schrecken nehmen.

Wittig
(lacht bitter heraus).

Wer weeß ooch, was kommt?! Uf de letzte kannſte gar Recht haben.

(Jähzornig hervorbrechend.)

Kommt’s aber a ſo weit, dann weeß ich ooch, wem ich’s zu verdanken hab, wer mich verklatſcht hat bei a Fabrikanten und uf d’r Herrſchaft, und ver - ſchändt und verleumdt, daß ich keen’n Schlag Arbeit mehr beſeh, wer mir de Pauern hat uf a Hals gehetzt und de Miller, daß ich de ganze Woche kee Pferd zum beſchlagen kriege, oder an Reefen um a Rad zu machen. Jch weeß, wer das is. Jch hab die infame Karnalje emal vom Ferde gezogen, weil ſe an kleen’n tummen Jungen wägen a par unreifen Birnen mit’n Ochſen - ziemer hat durchgewalkt. Und ich ſag Dir, Du kennſt mich, bringſt Du mich in’s Gefängniß, da mach Du ooch gleich Dei Teſtament. Hör ich ock was von weiter Ferne läuten, da nehm ich, was ich kriege, ’s is nu a Hufeiſen oder Hammer, ne Radſpeiche oder a Waſſer - eimer, und da ſuch ich Dich uf, und wenn ich Dich ſoll aus’n Bette holen, von Deinem Menſche weg, ich reiß Dich raus und ſchlag D’r a Schädel ein, ſo wahr wie ich Wittich heeße.

(Er iſt aufgeſprungen und will auf Kutſche losgehen.)
Alte und junge Weber
(ihn zurückhaltend).

Wittich, Wittich, bleib bei Verſchtande.

Kutſche
(hat ſich unwillkürlich erhoben, ſein Geſicht iſt blaß. Wäh - rend des Folgenden retirirt er. Je näher der Thür, deſto muthiger wird er Die letzten Worte ſpricht er ſchon auf der Thürſchwelle, um im nächſten Augen - blick zu verſchwinden).

Was willſt Du von mir? Mit Dir hab ich niſcht nich zu ſchaffen. Jch hab mit a hiichten Webern zu reden. Dir hab ich niſcht nich gethan. Du gehſt mich niſcht an. Euch Webern aber ſoll ich’s ausrichten: D’r Herr Polzeiverwalter läßt Euch ver - bieten das Lied zu ſingen das Dreißigerlied, oder wie ſich’s genennt. Und wenn das Geſinge uf dr Gaſſe ni gleich ufheert, da wird a d’rfire ſorgen, daß ihrDie Weber. 566im Stockhauſe mehr Zeit und Ruhe kriegt. Da kennt ’r dann ſingen bei Waſſer und Brot, a ſo lange, wie d’r luſtig ſeid.

(Ab.)
Wittig
(ſchreit ihm nach).

Garniſcht hat a uns zu verbieten, und wenn mir prilln, daß de Fenſter ſchwirrn, und wenn ma uns hört bis in Reechenbach, und wenn mir ſingen, daß allen Fabrikanten de Häuſer iber’m Koppe zuſammenſtirzen und allen Verwaltern de Helme uf’m Schädel tanzen. Das geht niemanden niſcht an.

Bäcker
(iſt inzwiſchen aufgeſtanden, hat pantomimiſch das Zeichen zum Singen gegeben und beginnt nun ſelbſt mit allen gemeinſchaftlich).
Hier im Ort iſt ein Gericht,
Viel ſchlimmer als die Vehmen,
Wo man nicht mehr ein Urtheil ſpricht,
Das Leben ſchnell zu nehmen.
(Der Wirth ſucht zu beruhigen, wird aber nicht gehört. Wiegand hält ſich die Ohren zu und läuft fort. Die Weber erheben ſich und ziehen unter dem Geſang der folgenden Verſe Wittig und Becker nach, die durch Winke ꝛc. das Zeichen zum allgemeinen Aufbruch gegeben haben.)
Hier wird der Menſch langſam gequält,
Hier iſt die Folterkammer,
Hier werden Seufzer viel gezählt,
Als Zeugen von dem Jammer.
(Der größte Theil der Weber ſingt den folgenden Vers ſchon auf der Straße, nur einige junge Burſchen noch im Jnnern der Stube, während ſie zahlen. Am Schluß der nächſten Strophe iſt das Zimmer leer bis auf Welzel, ſeine Frau, ſeine Tochter, Hornig und den alten Baumert.)
Jhr Schurken all, ihr Satansbrut!
Jhr hölliſchen Cujone!
Jhr freßt der Armen Hab und Gut,
Und Fluch wird euch zum Lohne.
Welzel
(räumt mit Gleichmut Gläſer zuſammen).

Die ſein ja heute gar tälſch.

Der alte Baumert
(iſt im Begriff zu gehen).
Hornig.

Nu ſag blos, Baumert, was is denn im Gange?

Der alte Baumert.

Zu Dreißigern gehn wolln ſe halt, ſehn das a ’was zulegt zum Lohne, dahier.

67
Welzel.

Machſt Du ooch noch mit bei ſolchen Tollheeten?!

Der alte Baumert.

Nu ſieh ock, Welzel, an mir liegts nich. A Junges kann manchmal und a Altes muß.

(Ein wenig verlegen ab.)
Hornig
(erhebt ſich).

Das ſollt mich doch wundern, wenn’s hie ni amal böſe käm.

Welzel.

Das die alten Krepper o vollens a Ver - ſtand verliern!?

Hornig.

A jeder Menſch hat halt ne Sehnſucht!

Ende des dritten Aktes.
5*[68][69]

Vierter Akt.

[70][71]

Perſonen des vierten Aktes.

  • Bäcker.
  • Moritz Jäger.
  • Der alte Baumert.
  • Der alte Anſorge.
  • Dreißiger.
  • Pfeifer.
  • Wittich.
  • Kutſche.
  • Frau Dreißiger.
  • Kittelhaus, Paſtor.
  • Frau Kittelhaus.
  • Weinhold,

    Kandidat der Theologie, Hauslehrer bei Dreißiger.

  • Heide,

    Polizeiverwalter.

  • Junge und alte Weber und Weberfrauen.
[72][73]
Peterswaldau. Privatzimmer des Parchent-Fabrikanten Dreißiger. Ein im froſtigen Geſchmack der erſten Hälfte unſeres Jahrhunderts luxuriös ausgeſtatteter Raum. Die Decke, der Ofen, die Thüren ſind weiß; die Tapete gradlinig klein - gcblümt und von einem kalten, bleigrauen Ton. Dazu kommen rothüberzogene Polſtermöbel aus Mahagoniholz, reich geziert und geſchnitzt, Schränke und Stühle von gleichem Material und wie folgt vertheilt: Rechts, zwiſchen zwei Fenſtern mit kirſchrothen Damaſtgardinen ſteht der Schreibſekretär, ein Schrank, deſſen vordere Wand ſich herabklappen läßt, ihm gerade gegenüber das Sofa, unweit davon ein eiſerner Geld - ſchrank, vor dem Sofa der Tiſch, Seſſel und Stühle, an der Hinterwand ein Gewehrſchrank. Dieſe, ſowie die anderen Wände ſind durch ſchlechte Bilder in Goldrahmen theilweiſe verdeckt. Ueber dem Sofa hängt ein Spiegel mit ſtark vergoldetem Roccoccorahmen, Eine einfache Thür links führt in den Flur, eine offene Flügelthür der Hinterwand in einen mit dem gleichen ungemüthlichen Prunk überladenen Salon. Jm Salon bemerkt man zwei Damen, Frau Dreißiger und Frau Paſtor Kittelhaus damit beſchäftigt, Bilder zu beſehen, ferner den Paſtor Kittelhaus im Geſpräch mit dem Kandidaten und Hauslehrer Weinhold.)
Kittelhaus
(ein kleines, freundliches Männchen tritt gemüthlich plaudernd und rauchend mit dem ebenfalls rauchenden Kandidaten in das Vorderzimmer; dort ſieht er ſich um und ſchüttelt, da er Niemand bemerkt, ver - wundert den Kopf).

Es iſt ja durchaus nicht zu verwundern, Herr Kandidat: Sie ſind jung. Jn Jhrem Alter hatten wir Alten ich will nicht ſagen dieſelben Anſichten, aber doch ähnliche. Aehnliche jedenfalls. Und es iſt ja auch was ſchönes um die Jugend um alle die ſchönen Jdeale, Herr Kandidat. Leider74 nur ſind ſie flüchtig, flüchtig wie Aprilſonnenſchein. Kommen Sie erſt in meine Jahre. Wenn man erſt mal dreißig Jahre, das Jahr zweiundfünfzigmal ohne die Feiertage von der Kanzel herunter den Leuten ſein Wort geſagt hat, dann iſt man noth - wendigerweiſe ruhiger geworden. Denken Sie an mich, wenn es mit Jhnen ſo weit ſein wird, Herr Kandidat.

Weinhold
(neunzehnjährig, bleich, mager, hochaufgeſchoſſen mit ſchlichtem langen Blondhaar. Er iſt ſehr unruhig und nervös in ſeinen Be - wegungen).

Bei aller Ehrerbietung, Herr Paſtor Jch weiß doch nicht Es exiſtirt doch eine große Ver - ſchiedenheit in den Naturen.

Kittelhaus.

Lieber Herr Kandidat, Sie mögen ein noch ſo unruhiger Geiſt ſein

(im Tone eines Verweiſes)

und das ſind Sie Sie mögen noch ſo heftig und ungeberdig gegen die beſtehenden Verhältniſſe angehen. Das legt ſich alles. Ja, ja, ich gebe ja zu, wir haben ja Amtsbrüder, die in ziemlich vorgeſchrittenem Alter noch recht jugendliche Streiche machen. Der eine predigt gegen die Branntweinpeſt und gründet Mäßigkeitsvereine, der andere verfaßt Aufrufe, die ſich unleugbar recht ergreifend leſen. Aber was erreicht er damit? Die Noth unter den Webern wird, wo ſie vorhanden iſt, nicht gemildert. Der ſociale Frieden dagegen wird untergraben; nein, nein, da möchte man wirklich faſt ſagen: Schuſter bleib bei Deinem Leiſten, Seelſorger, werde kein Wanſtſorger. Predige dein reines Gotteswort, und im übrigen laß Den ſorgen, der den Vögeln ihr Bett und ihr Futter bereitet hat und die Lilie auf dem Felde nicht läßt verderben. Nun aber möcht ich doch wirklich wiſſen, wo unſer liebeswürdiger Wirth ſo plötzlich hingekommen iſt.

Frau Dreißiger
(kommt von der Paſtorin gefolgt nach vorn. Sie iſt eine dreißigjährige, hübſche Frau von einem kernigen und robuſten Schlage. Ein gewiſſes Mißverhältniß zwiſchen ihrer Art zu reden, oder ſich zu75 bewegen und ihrer vornehm reichen Toilette iſt auffällig).

Se haben ganz recht, Herr Paſter. Wilhelm macht’s immer ſo. Wenn’n was einfällt, da rennt er fort und läßt mich ſitzen. Da hab ich ſchon ſo drüber geredt, aber da mag man ſagen, was man will.

Kittelhaus.

Liebe, gnädige Frau, dafür iſt er Geſchäftsmann.

Weinhold.

Wenn ich nicht irre, iſt unten etwas vorgefallen.

Dreißiger.
(kommt. Echauffirt aufgeregt).

Nun, Roſa, iſt der Kaffee ſervirt?

Frau Dreißiger
(ſchmollt).

Ach, daß Du ooch immer fortlaufen mußt.

Dreißiger
(leichthin).

Ach was weißt Du!

Kittelhaus.

Um Vergebung! Haben Sie Aerger gehabt, Herr Dreißiger?

Dreißiger.

Den habe ich alle Tage, die Gott der Herr werden läßt, lieber Herr Paſtor. Daran bin ich gewöhnt. Nun Roſa?! Du ſorgſt wohl dafür.

Frau Dreißiger
(geht mißlaunig und zieht mehrmals heftig an dem breiten, geſtickten Klingelzug).
Dreißiger.

Jetzt eben,

(nach einigen Umgängen.)

Herr Candidat, hätte ich Jhnen gewünſcht, dabei zu ſein. Da hätten Sie was erleben können. Uebrigens Kommen Sie, fangen wir unſern Whiſt an.

Kittelhaus.

Ja, ja, ja und nochmals ja! Schütteln Sie des Tages Staub und Laſt von den Schultern und gehören Sie uns.

Dreißiger
(iſt an’s Fenſter getreten, ſchiebt eine Gardine beiſeit und blickt hinaus. Unwillkürlich).

Bande!!! komm doch mal her, Roſa!

(Sie kommt.)

Sag doch mal: Dieſer lange, rothhaarige Menſch dort!

Kittelhaus.

Das iſt der ſogenannte rothe Bäcker.

Dreißiger.

Nu ſag mal, iſt das vielleicht der - ſelbe, der Dich vor zwei Tagen inſultirt hat? Du76 weißt ja, was Du mir erzählteſt, als Dir Johann in den Wagen half.

Frau Dreißiger
(macht einen ſchiefen Mund, gedehnt).

Jch wös nich mehr.

Dreißiger.

Aber ſo laß doch jetzt das be - leidigt thun. Jch muß das nämlich wiſſen. Jch habe die Frechheiten nun nachgerade ſatt. Wenn es der iſt, ſo zieh ich ihn nämlich zur Verantwortung.

(Man hört das Weberlied ſingen.)

Nun hören Sie blos, hören Sie blos!

Kittelhaus
(überaus entrüſtet.)

Will denn dieſer Unfug wirklich immer noch kein Ende nehmen? Nun muß ich aber wirklich auch ſagen: es iſt Zeit, daß die Polizei einſchreitet. Geſtatten Sie mir doch mal!

(Er tritt ans Fenſter.)

Nun ſehen Sie an, Herr Weinhold! Das ſind nun nicht blos junge Leute, da laufen auch alte, geſetzte Weber in Maſſe mit. Menſchen, die ich lange Jahre für höchſt ehrenwerth und gottesfürchtig gehalten habe. Sie laufen mit. Sie nehmen theil an dieſem uner - hörten Unfug. Sie treten Gottes Geſetz mit Füßen. Wollen Sie dieſe Leute vielleicht nun noch in Schutz nehmen?

Weinhold.

Gewiß nicht Herr Paſtor. Das heißt, Herr Paſtor cum grano salis. Es ſind eben hungrige, unwiſſende Menſchen. Sie geben halt ihre Unzufriedenheit kund, wie ſie’s verſtehen. Jch erwarte gar nicht, daß ſolche Leute…

Fr. Kittelhaus
(klein, mager, verblüht, gleicht mehr einer alten Jungfer als einer Frau.)

Herr Weinhold, Herr Weinhold! aber ich bitte Sie!

Dreißiger.

Herr Candidat, ich bedaure ſehr .. Jch habe Sie nicht in mein Haus genommen, damit Sie mir Vorleſungen über Humanität halten. Jch muß Sie erſuchen, ſich auf die Erziehung meiner Knaben zu beſchränken, im Uebrigen aber meine An -77 gelegenheiten mir zu überlaßen, mir ganz allein! Verſtehen Sie mich?

Weinhold
(ſteht einen Augenblick ſtarr und todtenblaß, und verbeugt ſich dann mit einem fremden Lächeln. Leiſe.)

Gewiß, gewiß, ich habe Sie verſtanden. Jch ſah es kommen; es ent - ſpricht meinen Wünſchen.

(Ab.)
Dreißiger.
(brutal).

Dann aber doch möglichſt bald, wir brauchen das Zimmer.

Frau Dreißiger.

Aber Wilhelm, Wilhelm!

Dreißiger.

Biſt Du wohl bei Sinnen? Du willſt einen Menſchen in Schutz nehmen, der ſolche Pöbeleien und Schurkereien wie dieſes Schmählied da vertheidigt.

Frau Dreißiger.

Aber Männdel, Männdel, er hat’s ja garnicht

Dreißiger.

Herr Paſtor, hat er’s vertheidigt? Oder hat er’s nicht vertheidigt?

Kittelhaus.

Herr Dreiſſiger, man muß es ſeiner Jugend zugute halten.

Fr. Kittelhaus.

Jch weiß nicht, der junge Menſch iſt aus einer ſo guten und achtbaren Familie. Vierzig Jahr war ſein Vater als Beamter thätig und hat ſich nie auch nur das geringſte zu ſchulden kommen laſſen. Die Mutter war ſo überglücklich, daß er hier ein ſo ſchönes Unterkommen gefunden hatte. Und nun nun weiß er ſich das ſo wenig wahrzunehmen.

Pfeifer
(reißt die Flurthür auf, ſchreit herein).

Herr Dreiſſicher, Herr Dreiſſicher! ſe habn ’n feſte. Se mechten kommen. Se haben een’n gefangen.

Dreißiger
(haſtig).

Jſt Jemand zur Polizei gelaufen?

Pfeifer.

D’r Herr Verwalter kommt ſchonn die Treppe ruff.

Dreißiger
(in der Thür).

Ergebener Diener, Herr Verwalter! Es freut mich, daß Sie gekommen ſind.

78
Kittelhaus
(macht den Damen pantomimiſch begreiflich, daß es beſſer ſei, ſich zurückzuziehen. Er, ſeine Frau und Frau Dreiſſiger ver - ſchwinden in den Salon).
Dreißiger
(im höchſten Grade aufgebracht, zu dem inzwiſchen einge - tretenen Polizeiverwalter)

Herr Verwalter, ich habe nun endlich einen der Hauptſänger von meinen Färbereiarbeitern feſt - nehmen laſſen. Jch konnte das nicht mehr weiter mit anſehen. Die Frechheit geht einfach in’s Grenzenloſe. Es iſt empörend. Jch habe Gäſte und dieſe Schufte er - dreiſten ſich ſie inſultiren meine Frau, wenn ſie ſich zeigt, meine Knaben ſind ihres Lebens nicht ſicher. Jch riskire, daß ſie meine Gäſte mit Püffen traktiren. Jch gebe Jhnen die Verſicherung, wenn es in einem ge - ordneten Gemeinweſen ungeſtraft möglich ſein ſollte, unbeſcholtene Leute, wie ich und meine Familie, fort - geſetzt öffentlich zu beſchimpfen ja dann dann müßte ich bedauern, andere Begriffe von Recht und Geſittung zu haben.

Polizeiverwalter
(etwa fünfzigjähriger Mann, mittelgroß, corpulent, vollblütig. Er trägt Cavalleriuniform mit Schleppſäbel und Sporen).

Gewiß nicht Nein gewiß nicht, Herr Dreißiger! Verfügen Sie über mich. Beruhigen Sie ſich nur, ich ſtehe ganz zu Jhrer Verfügung. Es iſt ganz in der Ordnung Es iſt mir ſogar ſehr lieb, daß Sie einen der Hauptſchreier haben feſtnehmen laſſen. Es iſt mir ſehr recht, daß die Sache nun endlich mal zum klappen kommt. Es ſind ſo’n paar Friedens - ſtörer hier, die ich ſchon lange auf der Pike habe.

Dreißiger.

So’n paar grüne Burſchen, ganz recht, arbeitsſcheues Geſindel, faule Lümmels, die ein Luderleben führen, Tag für Tag in den Schenken rumhocken, bis der letzte Pfennig durch die Gurgel gejagt iſt. Aber nun bin ich ent - ſchloſſen, ich werde dieſen berufsmäßigen Schand - mäulern das Handwerk legen, gründlich. Es iſt im allgemeinen Jntereſſe, nicht nur im eigenen Jntereſſe.

79
Polizeiverwalter.

Unbedingt! ganz unbedingt, Herr Dreißiger. Das kann Jhnen kein Menſch ver - denken. Und ſo viel in meinen Kräften ſteht

Dreißiger.

Mit dem Kanſchu müßte man hin - einfahren in das Lumpengeſindel.

Polizeiverwalter.

Ganz recht, ganz recht. Es muß ein Exempel ſtatuirt werden.

Gensdarm Kutſche
(kommt und nimmt Stellung. Man hört, da die Flurthür offen iſt, das Geräuſch von ſchweren Füßen, welche die Treppe heraufpoltern).

Herr Verwalter, ich melde gehorſamſt: m’r habn einen Menſchen feſtgenommen.

Dreißiger.

Wollen Sie den Menſchen ſehen, Herr Polizeiverwalter?

Polizeiverwalter.

Ganz gewiß, ganz gewiß. Wir wollen ihn zuallererſt mal aus nächſter Nähe be - trachten. Thun Sie mir den Gefallen, Herr Dreißiger, und bleiben Sie ganz ruhig. Jch verſchaffe Jhnen Genugthuung, oder ich will nicht Heide heißen.

Dreißiger.

Damit kann ich mich nicht zu - frieden geben, der Menſch kommt unweigerlich vor den Staatsanwalt.

Jäger
(wird von fünf Färbearbeitern herein geführt, die an Geſicht, Händen und Kleidern mit Farbe befleckt, direct von der Arbeit herkommen. Der Gefangene hat die Mütze ſchief ſitzen, trägt eine freche Heiterkeit zur Schau und befindet ſich in Folge des vorherigen Brantweingenuſſes in gehobenem Zuſtand).

O ihr älenden Kerle! Arbeiter wollt ’r ſein? Kamraden wollt ’r ſein? Eh ich das machte eh ich mich vergreifen thät a mein’n Genoßen, da thät ich denken, de Hand mißt m’r verfauln dahier!

(Auf einen Wink des Verwalters hin veranlaßt Kutſche, daß die Färber ihre Hände von dem Opfer nehmen. Jäger ſteht nun frei und frech da, während um ihn alle Thüren verſtellt werden.)
Polizeiverwalter
(ſchreit Jägern an).

Mütze ab, Flegel!

(Jäger nimmt ſie ab, aber ſehr langſam, ohne ſein ironiſches Lächelu aufzugeben.)

Wie heißt Du?

Jäger.

Hab ich mit Dir ſchonn die Schweine gehitt?

(Unter dem Eindruck der Worte entſteht eine Bewegung unter den Anweſenden.)
Dreißiger.

Das iſt ſtark.

80
Polizeiverwalter
(wechſelt die Farbe, will aufbrauſen kämpft den Zorn nieder).

Das übrige wird ſich finden. Wie Du heißt frage ich Dich?

(Als keine Antwort erfolgt, raſend.)

Kerl ſprich, oder ich laſſe Dir fünfundzwanzig überreißen.

Jäger
(mit vollkommener Heiterkeit und ohne auch nur durch ein Wimperzucken auf die wüthende Einrede zu reagiren, über die Köpfe des An - weſenden hinweg zu einem hübſchen Dienſtmädchen, welches, im Begriff den Kaffee zu ſerviren, durch den unerwarteten Anblick betroffen, mit offenem Munde ſtehen geblieben iſt.)

Nu ſag m’r ock, Plättbrettl-Emilie, biſt Du jetzt bei der Geſellſchaft. Na da ſieh ock, das de hier nausfindſt. Hie kann amal dr Wind gehn, und der bläſt alles weg iber Nacht.

(Das Mädchen ſtarrt Jäger an, wird, als ſie begreift, daß die Rede ihr gilt, roth vor Scham, ſchlägt ſich die Hände vor die Augen und läuft hinaus, das Geſchirr zurücklaſſend, wie es gerade ſteht und liegt. Wiederum entſteht eine Bewegung unter den Anweſenden.)
Polizeiverwalter
(nahezu faſſungslos zu Dreißiger).

So alt, wie ich bin eine ſolche unerhörte Frechheit iſt mir doch

Jäger
(ſpuckt aus).
Dreißiger.

Kerl, Du biſt in keinem Viehſtall, verſtanden?!

Polizeiverwalter.

Nun bin ich am Ende mit meiner Geduld. Zum letzten Mal: wie heißt Du?

Kittelhaus,
(der während der letzten Scene hinter der ein wenig geöffneten Salonthür hervorgeblickt und gehorcht hat, kommt nun, durch die Geſchehniſſe hingeriſſen, um, bebend vor Erregung, zu interveniren).

Er heißt Jäger, Herr Verwalter. Moritz nicht? Moritz Jäger.

(Zu Jäger.)

Nu ſag blos, Jäger, kennſt Du mich nich mehr?

Jäger
(ernſt).

Sie ſein Paſter Kittelhaus.

Kittelhaus.

Ja, Dein Seelſorger, Jäger! Derſelbe, der Dich als kleines Wickelkind in die Gemeinſchaft der Heiligen aufgenommen hat. Der - ſelbe, aus deſſen Händen Du zum erſten Mal den Leib des Herrn empfangen haſt. Erinnerſt Du Dich noch? Da hab ich mich nun gemüht und gemüht81 und Dir das Wort Gottes an’s Herz gelegt. Jſt das nun die Dankbarkeit?

Jäger
(finſter, wie ein geduckter Schuljunge).

Jch hab ja cen’n Thaler Geld uufgelegt.

Kittelhaus.

Geld, Geld Glaubſt Du viel - leicht, daß das ſchnöde, erbärmliche Geld Behalt Dir Dein Geld das iſt mir viel lieber. Was das für ein Unſinn iſt. Sei brav, ſei ein Chriſt! Denk an das, was Du gelobt haſt. Halt Gottes Gebote, ſei gut und ſei fromm. Geld, Geld…

Jäger.

Jch bin Quäker, Herr Paſter, ich glob an niſcht mehr.

Kittelhaus.

Was, Quäker, ach rede doch nicht! Mach, daß Du Dich beſſerſt, und laß unverdaute Worte aus dem Spiel! Das ſind fromme Leute, nicht Heiden wie Du. Quäker! was Quäker!

Polizeiverwalter.

Mit Erlaubniß, Herr Paſtor

(Er tritt zwiſchen ihn und Jäger.)

Kutſche! binden Sie ihm die Hände!

(Wüſtes Gebrüll von draußen: Jäger! Jäger, ſull rauskumma! )
Dreißiger,
(gelinde erſchrocken, wie die übrigen Anweſenden, iſt unwillkürlich an’s Fenſter getreten).

Was heißt denn das nun wieder?

Polizeiverwalter.

O, das verſteh ich: das heißt, daß ſie den Lumpen wieder raus haben wollen. Den Gefallen werden wir ihnen nun aber mal nicht thun. Verſtanden, Kutſche? Er kommt in’s Stock - haus.

Kutſche
(mit dem Strick in der Hand zögernd).

Mit Reſpect zu vermelden, Herr Verwalter, mir werden woll unſere Noth haben. Es is eine ganz verfluchte Hetze Menſchen. De richt’ge Schwefelbande, Herr Ver - walter. Da is der Bäcker, da is der Schmied

Kittelhaus.

Mit gütiger Erlaubniß, um nicht noch mehr böſes Blut zu machen, würde es nicht angemeſſener ſein, Herr Verwalter, wir verſuchtenDie Weber. 682es friedlich? Vielleicht verpflichtet ſich der Jäger gutwillig mitzugehen oder ſo

Polizeiverwalter.

Wo denken Sie hin!! Meine Verantwortung! Auf ſo etwas kann ich mich unmöglich einlaſſen. Vorwärts Kutſche! nich lange gefakelt.

Jäger
(die Hände zuſammenlegend und lachend hinhaltend).

Jmmer feſte, feſte, a ſo feſt, wiet’er kennt. ’Sis ja doch nich uf lange.

(Er wird gebunden von Kutſche mit Hülfe der Kameraden).
Polizeiverwalter.

Nu vorwärts, marſch!

(Zu Dreißiger.)

Wenn Sie Sorge haben, dann laſſen Sie ſechs Mann von den Färbern mitgehen. Die können ihn in die Mitte nehmen. Jch reite voran, Kutſche folgt. Wer ſich entgegenſtellt wird nieder - gehauen.

(Geſchrei von unten: Kikeriki i!! Wau, wau, wau .)
Polizeiverwalter
(nach dem Fenſter drohend).

Ca - naillen! ich werde euch bekikerikien und bewauwauen. Marſch, vorwärts!

(Er ſchreitet voran hinaus mit gezogenem Säbel, die andern folgen mit Jäger.)
Jäger
(ſchreit im Abgehen).

Und wenn ſich de gnädge Frau Dreißichern o noch a ſo ſtolz macht, die is deshalb ni mehr, wie unſer eens. Die hat mein Vater viel hundertmal fer drei Fennige Schnaps vorgeſetzt. Schwadron links ſchwenkt, marſch, ma rſch!

(Ab mit Gelächter.)
Dreißiger
(nach einer Pauſe ſcheinbar gelaſſen).

Wie denken Sie, Herr Paſter? Wollen wir nun nicht unſern Whiſt machen? Jch denke der Sache ſteht nun nichts mehr im Wege.

(Er zündet ſich eine Cigarre an, dabei lacht er mehr - mals kurz, ſo bald ſie brennt, laut heraus.)

Nu fang ich an, die Geſchichte komiſch zu finden. Dieſer Kerl!

(Jn einem nervöſen Lachausbruch.)

Es iſt aber auch unbeſchreiblich lächerlich. Erſt der Krakel bei Tiſch mit dem Candi - daten. Fünf Minuten darauf empfiehlt er ſich. Fort über alle Berge, dann dieſe Geſchichte. Und nun ſpielen wir unſern Whiſt weiter.

83
Kittelhaus.

Ja aber

(Gebrüll von unten.)

Ja aber .. Wiſſen Sie: die Leute machen einen ſo ſchrecklichen Standal.

Dreißiger.

Ziehen wir uns einfach in das andere Zimmer zurück. Da ſind wir ganz ungeſtört.

Kittelhaus
(unter Kopfſchütteln).

Wenn ich nur wüßte, was in dieſe Menſchen gefahren iſt. Jch muß dem Candidaten darin recht geben, wenigſtens war ich bis vor Kurzem auch der Anſicht, die Webers - leute wären ein demüthiger, geduldiger und lenkſamer Menſchenſchlag. Geht es Jhnen nicht auch ſo, Herr Dreißiger?

Dreißiger.

Freilich waren ſie geduldig und lenkſam, freilich waren es früher geſittete und ordent - liche Leute. So lange nämlich die Humanitätsdusler ihre Hand aus dem Spiele ließen. Da iſt ja den Leuten lange genug klar gemacht worden, in welchem entſetzlichen Elend ſie drin ſtecken. Bedenken Sie doch, all die Vereine und Comités zur Abhilfe der Webernoth. Schließlich glaubt es der Weber, und nun hat er den Vogel. Nun komme einer her und rücke ihnen den Kopf wieder zurecht. Jetzt iſt er im Zuge. Jetzt murrt er ohne Aufhören. Jetzt paßt ihm das nicht und jens nicht. Jetzt möchte alles gemalt und gebraten ſein.

(Plötzlich ein vielſtimmiges aufſchwellendes Hurrahgebrüll.)
Kittelhaus.

So haben ſie denn mit all ihrer Humanität nichts weiter zuwege gebracht, als daß aus Lämmern über Nacht buchſtäblich Wölfe geworden ſind.

Dreißiger.

Ach was! bei kühlem Verſtande, Herr Paſter, kann man der Sache vielleicht ſogar noch ’ne gute Seite abgewinnen. Solche Vorkommniſſe werden vielleicht in den leitenden Kreiſen nicht unbemerkt bleiben. Möglicherweiſe kommt man dort doch mal zu der Ueberzeugung, daß es ſo nicht mehr lange6*84weiter gehen kann, daß etwas geſchehen muß, wenn unſre heimiſche Jnduſtrie nicht völlig zugrunde gehen ſoll.

Kittelhaus.

Ja, woran liegt aber dieſer enorme Rückgang, ſagen Sie blos?

Dreißiger.

Das Ausland hat ſich gegen uns durch Zölle verbarrikadirt. Dort ſind uns die beſten Märkte abgeſchnitten und im Jnland müſſen wir eben - falls auf Tod und Leben concurriren, denn wir ſind preisgegeben, völlig preisgegeben.

Pfeifer
(kommt athemlos und blaß hereingewankt).

Herr Dreißicher, Herr Dreißicher!

Dreißiger
(bereits in der Salonthür, im Begriff zu gehen, wendet ſich geärgert).

Nu, Pfeifer, was giebt’s ſchon wieder?

Pfeifer.

Nee nee nu laßt mich zufriede!

Dreißiger.

Was is denn nu los?

Kittelhaus.

Sie machen ein ja Angſt, reden Sie doch.

Pfeifer
(immer noch nicht bei ſich).

Na, da laßt mich zufriede! nee ſo was! nee ſo was aber och! Die Obrigkeit .... na, den wird’s gutt gehn.

Dreißiger.

Jn’s Teufels Namen, was is Jhnen denn ſo in die Glieder geſchlagen. Hat Jemand den Hals gebrochen?

Pfeifer
(faſt weinend, vor Angſt ſchreit heraus).

Se habn a Jäger Moritz befreit, a Verwalter gepriegelt und fort - gejagt, a Schandarm gepriegelt und fortgejagt. Ohne Helm a Säbel zerbrochen nee, nee!

Dreißiger.

Pfeifer, Sie ſind wohl überge - ſchnappt.

Kittelhaus.

Das wäre ja Revolution.

Pfeifer
(auf einem Stuhl ſitzend, am ganzen Leibe zitternd, wimmernd).

Herr Dreißicher, ’s wird ernſt! Herr Dreißicher, ’s wird ernſt!

85
Dreißiger.

Na, dann kann mir aber die ganze Polizei

Pfeiffer.

Herr Dreißicher, ’s wird ernſt!

Dreißiger.

Ach, halten Sie’s Maul, Pfeiffer! Zum Donnerwetter!

Frau Dreißiger
(mit der Paſtorin aus dem Salon).

Ach, das iſt aber wirklich empörend, Wilhem. Der ganze ſchöne Abend wird uns verdorben. Nu haſt Du’s, nu will de Frau Paſtern am liebſten zu Hauſe gehn.

Kittelhaus.

Liebe, gnädige Frau Dreißiger, es iſt doch vielleicht heute wirklich das beſte…

Frau Dreißiger.

Aber Wilhem, Du ſollteſt doch auch mal gründlich dazwiſchen fahren.

Dreißiger.

Geh Du doch und ſags ’n! Geh Du doch! Geh Du doch!

(Vor dem Paſtor ſtillſtehend, unver - mittelt.)

Bin ich denn ein Tyrann? Bin ich denn ein Menſchenſchinder?

Kutſcher Johann
(kommt).

Gnädge Frau, ich hab de Pferde d’rweile angeſchirrt. A Jorgel und’s Carlchen hat d’r Herr Candedate ſchon in a Wagen geſetzt. Kommt’s gar ſchlimm, da fahr m’r los.

Frau Dreißiger.

Ja, was ſoll denn ſchlimm kommen?

Johann.

Nu ich weeß halt au ni. Jch meen halt aſo! ’s wern halt immer mehr Leute. Se habn halt doch a Verwalter mit ſammſt ’n Schandarme fortgejagt.

Pfeifer.

’S wird ernſt, Herr Dreißiger! ’s wird ernſt!

Frau Dreißiger
(mit ſteigender Angſt).

Ja, was ſoll denn werden? Was wollen die Leute? Se könn uns doch nich iberfallen, Johann?

Johann.

Frau Madame, ’s ſein rüde Hunde drunter.

Pfeifer.

’S wird Ernſt, bitt’rer Ernſt.

86
Dreißiger.

Maul halten, Eſel! Sind die Thüren verrammelt.

Kittelhaus.

Thun Sie mir den Gefallen Thun Sie mir den Gefallen Jch habe einen Ent - ſchluß gefaßt Thun Sie mir den Gefallen

(Zu Johann.)

Was verlangen denn die Leute?

Johann
(verlegen).

Mehr Lohn wolln ſe halt haben, die tummen Luder.

Kittelhaus.

Gut, ſchön! Jch werde hinaus - gehen und meine Pflicht thun. Jch werde mit den Leuten mal ernſtlich reden.

Johann.

Herr Paſter, Herr Paſter! das laſſen ſe ock unterwegens. Hie is jedes Wort umſonſte.

Kittelhaus.

Lieber Herr Dreißiger, noch ein Wörtchen. Jch möchte Sie bitten: ſtellen Sie Leute hinter die Thür, und laſſen Sie ſogleich hinter mir abſchließen.

Frau Kittelhaus.

Ach, willſt Du das wirklich, Joſeph?

Kittelhaus.

Jch will es. Jch will es. Jch weiß, was ich thue. Hab keine Sorge, der Herr wird mich ſchützen.

Frau Kittelhaus
(drückt ihm die Hand, tritt zurück und wiſcht ſich Thränen aus den Augen).
Kittelhaus
(indeß von unten herauf ununterbrochen das dumpfe Geräuſch einer großen, verſammelten Menſchenmenge heraufdringt).

Jch werde mich ſtellen Jch werde mich ſtellen, als ob ich ruhig nach Hauſe ginge. Jch will doch ſehen, ob mein geiſtliches Amt ob ich nicht mehr ſo viel Reſpekt genieße bei dieſen Leuten Jch will doch ſehen

(Er nimmt Hut und Stock).

Vorwärts alſo, in Gottes Namen.

(Ab, begleitet von Dreißiger, Pfeifer und Johann.)
Frau Kittelhaus.

Liebe Frau Dreißiger,

(ſie bricht in Thränen aus und umhalſt ſie)

wenn ihm nur nicht ein Unglück zuſtößt!

Frau Dreißiger
(wie abweſend).

Jch weeß garnich,87 Frau Paſtern, mir is a ſo Jch weeß garnich, wie mir zu muthe is. So was kann doch reen garnich menſchenmeeglich ſein. Wenn das a ſo is das is ja grade, als wie wenn’s Reichthum a Verbrechen wär. Sehn’s ock, wenn mir das hätte Jemand geſagt, ich weeß garnich, Frau Paſtern, am ende wär ich lieber in mein kleenlichen Verhältniſſen drinne geblieben.

Frau Kittelhaus.

Liebe Frau Dreißiger, es giebt in allen Verhältniſſen Enttäuſchungen und Aerger genug.

Frau Dreißiger.

Nu freilich, nu freilich, das denk ich mir doch och eben. Und das mir mehr haben, als andere Leute nu Jes’s, mir haben’s doch och nich geſtohlen. ’S is doch Heller fer Fennig uf rechtlichem Wege erworben. So was kann doch reen garnich meeglich ſein, daß die Leute iber een her - fallen. Js denn mein Mann ſchuld, wenn’s Geſchäfte ſchlecht geht?

(Von unten herauf dringt tumultuariſches Gebrüll. Während die beiden Frauen noch bleich und erſchrocken einander anblicken, ſtürzt Drei - ßiger herein.)
Dreißiger.

Roſa, wirf Dir ’was über und ſpring in den Wagen, ich komme gleich nach!

(Er ſtürzt nach dem Geldſchrank, ſchließt ihn auf und entnimmt ihm verſchiedene Werthſachen.)
Johann
(kommt).

Alles bereit. Aber nu ſchnell, eh’s Hinterthor noch beſetzt is.

Frau Dreißiger
(in paniſchem Schrecken den Kutſcher umhalſend).

Johann, liebſter, beſter Johann! Rett uns, aller aller allerbeſter Johann! Rette meine Jungen, ach, ach

Dreißiger.

Sei doch vernünftig! Laß doch den Johann los.

Johann.

Madam, Madam! Sein ’s ock ganz geruhig. Unſe Rappen ſein gutt imſtande, die holt keener ein, wer de ni beiſeite geht, wird ibergefahrn.

(Ab.)
Frau Kittelhaus
(in rathloſer Angſt).

Aber mein Mann? Aber aber mein Mann? Aber, Herr Dreißiger, mein Mann?

88
Dreißiger.

Fran Paſter, Frau Paſter, er is ja geſund. Beruhigen Sie ſich doch nur, er is ja geſund.

Frau Kittelhaus.

Es iſt ihm ’was Schlimmes zugeſtoßen. Sie ſagen’s blos nich, Sie ſagen’s blos nich.

Dreißiger.

O laſſen Sie’s gut ſein, die werden’s bereun. Jch weiß ganz genau, weſſen Hände dabei waren. Eine ſo namenloſe, ſchamloſe Frechheit bleibt nich ungerochen. Eine Gemeinde, die ihren Seel - ſorger mißhandelt, pfui Teufel! Tolle Hunde, nichts weiter, toll gewordene Beſtien, die man dem - gemäß behandeln wird.

(Zu Frau Dreißiger, die wie betäubt daſteht.)

Nu ſo geh doch und rühr Dich!

(Man hört ſchlagen gegen die Hausthür.)

Hörſt Du denn nich, das Geſindel iſt wahnſinnig geworden.

(Man hört Klimpern von zerbrechenden Scheiben, die im Parterre eingeworfen werden.)

Das Geſindel hat den Sonnenkoller. Da bleibt nichts übrig, wir müſſen machen, daß wir fortkommen.

(Man hört vereint rufen: Expedient Feifer ſull rauskumma! Expedient Feifer ſull rauskommen! )
Frau Dreißiger.

Feifer, Feifer, ſie wollen Feifer raushaben.

Pfeifer
(ſtürzt herein).

Herr Dreißicher, am Hinter - thor ſtehn o ſchonn Leute. De Hausthir hält keene drei Minuten mehr. D’r Wittigſchmied haut mit an Ferdeeimer drauf nei wie a Unſinniger.

(Von unten Ge - brüll lauter und deutlicher: Expedient Feifer ſoll raus - kommen! Expedient Feifer ſoll rauskommen! )
Fr. Dreißiger
(rennt davon, wie gejagt; ihr nach Frau Kittel - haus. Beide ab).
Pfeifer
(horcht auf, wechſelt die Farbe, verſteht den Ruf und iſt im nächſten Moment von wahnſinniger Angſt erfaßt. Das folgende weint, wimmert, bettelt, winſelt er in raſender Schnelligkeit durcheinander. Dabei überhäuft er Dreißiger mit kindiſchen Liebkoſungen, ſtreichelt ihm Wangen und Arme, küßt ſeine Hände und umklammert ihn ſchließlich, wie ein Ertrinkender, ihn dadurch hemmend und feſſelnd und nicht von ihm loslaſſend).

Ach liebſter, ſcheenſter, allergnädigſter Herr Dreißicher, laſſen ſe mich nich zuricke, ich hab ihn immer treu ge -89 dient; ich hab och de Leute immer gutt behandelt. Mehr Lohn, wie feſtgeſetzt war, konnt ich’n doch nich geben. Verlaſſen Se mich nich, ſe machen mich kalt. Wenn ſe mich finden, ſchlagen ſe mich todt. Ach Gott im Himmel, ach Gott im Himmel! Meine Frau, meine Kinder

Dreißiger
(indem er abgeht, vergeblich bemüht, ſich von Pfeifer loszumachen).

Laſſen Sie mich doch wenigſtens los, Menſch! Das wird ſich ja finden; das wird ſich ja alles finden.

(Ab mit Pfeifer.)
(Einige Secunden bleibt der Raum leer. Jm Salon zerklirren Fenſter. Ein ſtarker Krach durchſchallt das Haus: hierauf brauſendes Hurrah! danach Stille. Einige Secunden vergehen, dannn hört man leiſes und vorſichtiges Trappen die Stufen zum erſten Stock empor, dazu nüchterne und ſchüchterne Ausrufe: links! oben nuff! pſcht! langſam! langſam! ſchipp ock nich! hilf ſchirjen! praatz, hab ich a Ding! macht fort ihr Würgebänder! mir gehn zur Hochzeit! geh Du nei! o geh Du! Es erſcheinen nun junge Weber und Webermädchen in der Flurthür, die nicht wagen einzutreten, und eines das andere hereinzuſtoßen ſuchen. Nach einigen Secunden iſt die Schüchternheit überwunden, und die ärmlichen, mageren, theils kränklichen, zerlumpten oder geflickten Geſtalten vertheilen ſich in Dreißigers Zimmer und im Salon, alles zunächſt neugierig und ſcheu betrachtend, dann betaſtend. Mädchen verſuchen die Sofas, es bilden ſich Gruppen, die ihr Bild im Spiegel bewundern. Es ſteigen einzelne auf Stühle, um die Bilder zu be - trachten und herabzunehmen, und inzwiſchen ſtrömen immer neue Jammergeſtalten vom Flur herein.)
Erſter alter Weber
(kommt).

Nee, nee, da laßt mich aber doch zufriede! Unten da fangen ſe gar ſchonn an und richten an Sache zugrunde. Nu die Tollheet! Da is doch kee Sinn und kee Verſtand o nich drinne. Ums Ende wird das noch gar ſehr a beeſe Ding. Wer hie an hellen Kopp behält, der macht ni mit. Jch wer mich in Obacht nehmen und wer mich an ſolchen Unthaten betheiligen.

(Jäger, Bäcker, Wittig mit einem hölzernen Eimer, Baumert und eine Anzahl junger und alter Weber kommen, wie auf der Jagd nach etwas herein - geſtürmt, mit heiſeren Stimmen durcheinander rufend.)
Jäger.

Wo is a hin?

Bäcker.

Wo is der Menſchenſchinder?

Baumert.

Könn mir Gras freſſen, friß du Sägeſpäne.

90
Wittig.

Wenn m’rn kriegen, knippen mer’n uf.

Erſter junger Weber.

Mir nehmen’n bei a Been’n und ſchmeißen’n zum Fenſter naus, uff de Steene, das a bald fer immer liegen bleibt.

Zweiter junger Weber
(kommt).

A is fort iber alle Berge.

Alle.

Wer denn?

Zweiter junger Weber.

Dreißicher.

Bäcker.

Feifer o?

Stimmen.

Sucht Feifern! ſucht Feifern!

Baumert.

Such, ſuch Feiferla, s is a Weberſch - mann auszuhungern.

(Gelächter.)
Jäger.

Wenn merſch o ni kriegen, das Dreißicher - viehch , arm ſoll a wer’n.

Baumert.

Arm ſoll a wer’n, wie ne Kirchen - maus. Arm ſoll a wer’n:

(Alle ſtürmen in der Abſicht zu demoliren auf die Salonthüre zu.)
Bäcker
(der voran eilt, macht eine Wendung und hält die Anderen auf.)

Halt, hört uf mich! Sei mer hier fertig, da fang m’r erſcht recht an. Von hier aus geh m’er nach Bielau niber, zu Dittrichen, der de di mechanſchen Webſtihle hat. Das ganze Elend kommt von a Fabriken.

Der alte Anſorge
(kommt vom Flur herein. Nach - dem er einige Schritte gemacht, bleibt er ſtehen, ſieht ſich ungläubig um, ſchüttelt den Kopf, ſchlägt ſich vor die Stirn und ſagt).

Wer bin ich? D’r Weber Anton Anſorge. Js a verruckt geworn, Anſorge? ’S is wahr, mit mir dreht ſich’s um’s Kreisel rum wie ne Bremſe. Was macht a hier? Was a luſtig is, wird a woll machen. Wo is a hier, Anſorge?

(Er ſchlägt ſich wiederholt vor den Kopf.)

Jch bin ni geſcheut! Jch ſteh fer niſcht. Jch bin ni recht richtig. Geht weg, geht weg! Geht weg, Jhr Rebeller! Kopp weg, Beene weg, Hände weg. Nimmſt du m’r mei Häusl, nehm ich d’r dei Häusl. Jmmer druff!

(Mit Geheul ab in den Salon. Die Anweſenden folgen ihm mit Gejohl und Gelächter.)
Ende des vierten Aktes.
[91]

Fünfter Akt.

[92][93]

Perſonen des fünften Aktes.

  • Bäcker.
  • Moritz Jäger.
  • Der alte Baumert.
  • Wittich.
  • Hornig.
  • Der alte Hilſe,

    Weber.

  • Seine Frau.
  • Gottlieb,

    ſein Sohn.

  • Luiſe,

    deſſen Frau.

  • Schmidt,

    Chirurgus.

  • Junge und alte Weber und Weberfrauen.
[94][95]
Langen-Bielau. Das Weberſtübchen des alten Hilſe. Links ein Fenſterchen, davor ein Webſtuhl, rechts ein Bett, dicht daran gerückt ein Tiſch. Jm Winkel rechts der Ofen mit Bank. Um den Tiſch, auf Ritſche, Bettkante und Holzſchemel ſitzend: der alte Hilſe, ſeine ebenfalls alte, blinde und faſt taube Frau, ſein Sohn Gottlieb und deſſen Frau Luiſe, bei der Morgenandacht. Ein Spulrad mit Garnwinde ſteht zwiſchen Tiſch und Webſtuhl. Auf den gebräunten Deckbalken iſt aller - hand altes Spinn -, Spul - und Webegeräth untergebracht. Lange Garnſträhne hängen herunter. Vielerlei Praſt liegt überall im Zinmer umher. Der ſehr enge, niedrige und flache Raum hat eine Thür nach dem Hauſe in der Hinter - wand. Dieſer Thür gegenüber im Hauſe ſteht eine andere Thür offen, die den Einblick gewährt in ein zweites, dem erſten ähnliches Weberſtübchen. Das Haus iſt mit Steinen gepflaſtert, hat ſchadhaften Putz und eine baufällige Holztreppe hinauf zur Dachwohnung. Ein Waſchfaß auf einem Schemel iſt theilweiſe ſichtbar; ärmlichſte Wäſcheſtücke, Hausrath armer Leute ſteht und liegt durcheinander. Das Licht fällt von der linken Seite in alle drei Räumlichkeiten.
Der alte Hilſe
(ein bärtiger, ſtarkknochiger, aber nun von Alter, Arbeit, Krankheit und Strapazen gebeugter und verfallener Mann. Veteran, einarmig. Er iſt ſpitznafig von fahler Geſichtsfarbe, zittrig, ſcheinbar nur Haut, Knochen und Sehne und hat die tiefliegenden, charakteriſtiſchen, gleichſam wunden Weberaugen. Nachdem er ſich mit Sohn und Schwiegertochter erhoben, betet er:)

Du lieber Herrgott, mir kenn Dir gar nich genug Dank bezeigen, das Du uns auch dieſe Nacht in deiner Gnade und Güte und haſt Dich unſer erbarmt. Das mir auch dieſe Nacht nich han keen’n Schaden genommen. Herr Deine Güte reicht ſo weit , und mir ſein arme,96 beeſe ſindhafte Menſchenkinder, ni wert, daß dei Fuß uns zertritt, a ſo ſindhaftich und ganz verderbt ſein mir. Aber Du lieber Vater willſt uns anſehn und annehmen um Deines teuren Sohnes unſers Herrn und Heilands Jeſus Chriſtus willen. Jeſu Blut und Gerechtig - keit, das is mein Schmuck und Ehrenkleid. Und wenn auch mir, und mer wern manchmal kleenmütich under Deiner Zuchtrute wenn, und der Owen d’r Läutrung und brennt gar zu rasnich heiß da rech’s uns ni zu hoch an, vergieb uns unſre Schuld. Gieb uns Geduld, himmliſcher Vater, daß mir nach dieſem Leeden und wern theilhaftig Deiner ewigen Selichkeet, amen.

Mutter Hilſe
(welche vorgebeugt mit Anſtrengung gelauſcht hat, weinend).

Nee, Vaterle, Du machſt a zu a ſcheenes Gebete machſt Du immer.

(Luiſe begiebt ſich an’s Waſchfaß, Gottlieb in’s gegenüberliegende Zimmer.)
Der alte Hilſe.

Wo is denn’s Madel?

Luiſe.

Niber nach Peterſchwalde zu Dreißichern. Se hat wieder a par Strähne verſpult nächt’n Abend.

Der alte Hilſe
(ſehr laut ſprechend).

Na, Mutter, nu wär ich D’r’ſch Rädla bringen.

Mutter Hilſe.

Nu brings, brings, Aaler.

Der alte Hilſe
(das Spulrad vor ſie hinſtellend).

Sieh ock, ich wollt D’r’ſch ja zu gerne abnehmen…

Mutter Hilſe.

Nee .. nee .. was thät ock ich anfangen mit der vielen Zeit!?

Der alte Hilſe.

Jch wer D’r de Finger a biſſel abwiſchen, das nich ernt’s Garn und wird fettig herſcht de

(Er wiſcht ihr mit einem Lappen die Hände ab.)
Luiſe
(vom Waſchfaß).

Wo hätt mir ock Fettes gegeſſen!?

Der alte Hilſe.

Hab’n mer kee Fett, eſſ mir’ſch Brot trocken hab’n mer kee Brot, eſſ mer Kartoffeln hab’n mer keene Kartoffeln ooch nich, da eſſ mer rockne Kleie.

97
Luiſe
(bazich).

Und habn mer kee Schwarzmehl, da machen mer’ſch wie Wenglerſch unten, da ſehn m’r dernach, wo d’r Schinder a verreckt Ferd hat ver - ſcharrt das graben m’r aus, und da leben mer a mal a par Wochen von Luder : a ſo mach mer’ſch! nich wahr?

Gottlieb
(aus dem Hinterzimmer).

Was Geier haſt Du fer a Geſchwatze!?

Der alte Hilſe.

Du ſolltſt Dich mehr vorſehn mit gottloſen Reden!

(Er begiebt ſich an den Webſtuhl, ruft).

Wolltſt m’r ni helfen, Gottlieb ’s ſein ock a par Fädel z’um durchziehn.

Luiſe
(vom Waſchfaß aus).

Gotlieb, ſollſt Vatern zureechen.

(Gottlieb kommt. Der Alte und ſein Sohn beginnen nun die mühſame Arbeit des Kammſtechen : Fäden der Werfte werden durch die Augen der Kämme oder Schäfte am Webſtuhl gezogen. Kaum haben ſie begonnen, ſo erſcheint im Hauſe Hornig.
Hornig
(in der Stubenthür).

Viel Glick zum Handwerk!

Der alte Hilſe und Sohn.

Scheen Dank, Hornig! Nu ſag amal, wenn ſchläfſt Du d’n eegntlich? Bei Tage gehſt uf a Handel, in dr Nacht ſtehſt de uf Wache.

Hornig.

Jch hab doch garken’n Schlafnimehr! ?

Luiſe.

Willkommen, Hornig!

Der alte Hilſe.

Na was bringſt Du Gudes?

Hornig.

Scheene Neuigkeeten, Meeſter. De Peterſchwalder habn amal ’n Teiwel riskirt und haben a Fabrikant Dreißiger mit ſamſt der ganzen Familie zum Loche naus gejagt.

Anna
(mit Spuren von Erregung).

Hornig lügt wieder amal in a hellen Morgen nein.

Hornich.

Dasmal nich junge Frau! dasmal nich. Scheene Kinderſchirzl hätt ich im Wagen. Nee nee ich ſag reene Warheet. Se haben ’n heilig fort - gejagt. Geſtern Abend is a nach Reechenbach kommen. Na Gott zu Dir! Da han’ſ’n doch ni erſcht amal wolln behaltn, aus Furcht vor a Webern, da hat a doch plutze wieder fortgemußt uf Schweinitz nein

Die Weber. 798
Der alte Hilſe
(Er nimmt Fäden der Werfte vorſichtig auf und bringt ſie in die Nähe des Kammes, durch deſſen eines Auge der Sohn von der anderen Seite mit einem Drahthäkchen greift, um die Fäden hindurchzuziehen.)

Nu haſt aber Zeit, das de unfhörſcht, Hornig!

Hornig.

Jch will ni mit heilen Knochen von d’r Stelle gehn. Nee, nee, das weeß ja bald jedes Kind.

Der alte Hilſe.

Nu ſag amal, bin ich nu verwirrt, oder biſt Du verwirrt.

Hornig.

Nu das heeßt. Was ich Dir erzählt, hab, das is a ſo wahr, wie Amen in d’r Kirche; ich wollte ja niſcht ſagen, wenn ich und ich hätte nich d’rbei geſtanden, aber a ſo hab ichs doch geſehn. Mit eegnen Augen, wie ich Dich hier ſehn thu, Gottlieb. Gedemolirt haben ſe’n Fabrikanten ſei Haus, unten vom Keller uf bis oben ruff unter de Dachreiter. Aus a Dachfenſtern haben ſe’s Porzlan geſchmiſſen immer iberſch Dach nunter. Wie viel hundert Schock Parchend liegen blos in d’r Bache?! ’S Waſſer kann nimehr fort, kannſt’s glooben, ’s kam immer iber a Rand riber gewellt, ’s ſah orntlich ſchwefelblau aus von dem vielen Jndigo, den ſe haben aus a Fenſtern geſchüt’t. Die himmel - blauen Staubwolken, die kamen blos immer a ſo gepul - wert. Nee, nee, dort haben ſe ſchonn fürchterlich geäſchert. Ni ock etwa im Wohnhauſe. Jn d’r Färberei uf a Speichern ! ’S Treppengeländer zerſchlagen, de Dielen ufgeriſſen Spiegel zertrimmert Sofa, Seſſel, alles zerriſſen und zerſchliſſen, zerſchnitten und zer - ſchmiſſen zertreten und zerhackt nee verpucht! kannſt’s glooben, ſchlimmer wie im Kriege.

Der alte Hilſe.

Und das ſollten hieſige Weber geweſt ſein!?

(Er ſchüttelt langſam und ungläubig den Kopf. An der Thür haben ſich neugierige Hausbewohner geſammelt).
Hornig.

Nu, was denn ſonſte? Jch kennte ja alle mit Namen genen’n. Jch fihrt a Landrath durch’s Haus. Da hab ich ja mit vielen geredt. Se warn a ſo umgänglich, wie ſonſte. Se machten ihre Sache a ſo ſachte weg, aber ſe machten’s grindlich. D’r Land -99 rath redte mit vielen. Da warn ſe a ſo dehmütig wie ſonſte. Aber abhaltn ließen ſe ſich nich. Die ſcheenſten Möbelſticke, die wurden zerhackt, ganz wie fürſch Lohn.

Der alte Hilſe.

A Landrath hättſt Du durchs Haus geführt?

Hornig.

Nu, ich wer mich doch ni fürchten. Jch bin doch bekannt bei den Leuten, wie a beeſe Greſchel. Jch hab doch mit keen’n niſcht. Jch ſteh doch mit allen gut. A ſo gewiß, wie ich Hornig heeße, ſo wahr bin ich durchgegangen. Und ihr kennt’s dreiſte glooben : mir is orntlich weech worn hie rum und’n Landrath, dem ſah ich’s woll ooch an ’s ging ’n nahe genug. Denn warum? Ma hörte ooch noch nich amal a eenzichtes Wort, a ſo ſchweigſam ging’s her. Orntlich feierlich wurd een zu Mutte, wie die armen Hungerleider und nahmen amal ihre Rache dahier.

Luiſe
(mit ausbrechender, zitternder Erregung. Zugleich die Augen mit der Schürze reibend).

A ſo is ganz recht, a ſo muß kommen!

Stimmen der Hausbewohner.

Hier gäbs o Menſchenſchinder genug. Da drüben wohnt glei eener. Der hat vier Pferde und ſechs Kutſch - wagen im Stalle und läßt ſeine Weber d’rfüre hungern.

Der alte Hilſe
(immer noch ungläubig.)

Wie ſollte das a ſo rauskommen ſein, dort driben?

Hornig.

Wer weeß’nu!? Wer weeß ooch!? Eener ſpricht ſo, d’r andre ſo.

Der alte Hilſe.

Was ſprechen ſe denn?

Hornig.

Na, Gott zu Dir, Dreißiger ſollte geſagt habn: de Weber kennten ja Gras freſſen, wenn ſe hungern täten. Jch weeß nu weiter nich.

(Bewegung auch unter den Hausbewohnern, die es einer dem andern unter Zeichen der Entrüſtung weiter erzählen.)
Der alte Hilſe.

Nu hör amal, Hornig. Du7*100kennſt mir meinswegn ſagen: Vater Hilſe, morgen mußt Du ſterben. Das kann ſchonn meeglich ſein, würd ich ſprechen warum denn ni? Du kenntſt mir ſagen: Vater Hilſe, morgen beſucht Dich d’r Keenich von Preußen aber das Weber, Menſchen wie ich und mei Sohn und ſollten ſolche Sachen haben vor - gehabt. Nimmermehr! Nie und nimmer wer ich das glooben.

Mielchen
(ſiebenjähriges, hübſches Mädchen, mit langen, offenen Flachshaaren, ein Körbchen am Arm, kommt hereingeſprungen. Der Mutter einen ſilbernen Eßlöffel entgegenhaltend).

Mutterle, Mutterle! ſieh ock, was ich hab! Du ſollſt mer a Kleedl d’rfor koofen.

Luiſe.

Was kommſt ’n Du a ſo gejähdert, Mädel?

(Mit geſteigerter Aufregung und Spannung.)

Was bringſt ’n da wieder geſchleppt, ſag emal. Du biſt ja ganz hinter a Oden gekommen. Und de Feifel ſein noch im Körbel. Was ſoll denn das heeßen, Mädel?

Der alte Hilſe.

Mädel, wo haſt Du den Löffel her?

Luiſe.

Kann ſein, ſe hat’n gefunden.

Hornig.

Seine zwee, drei Thaler is der gut werth.

Der alte Hilſe
(außer ſich).

Naus, Mädel! naus! Glei machſt das d naus kommſt. Wirſcht Du glei folgen, oder ſoll ich a Prügel nehmen?! Und den Leffel trägſt hin, wo d’n her haſt. Naus! Willſt Du uns alle mitſammen zu Dieben machen, ? Dare, Dir wer ich’s mauſen austreiben

(er ſucht etwas zum hauen).
Mielchen
(ſich an der Mutter Röcke klammernd, weint).

Groß - vaterle, hau mich nich mer haben’s doch ge gefunden. De Spul Spul Kinder haben alle welche.

Luiſe
(zwiſchen Angſt und Spannung hervor ſtoßend).

Nu da ſiehſt’s doch, gefunden hat ſi’s. Wo haſt’s denn ge - funden?

101
Mielchen
(ſchluchzend).

Jn Peterſch walde haben merſch ge funden, vor Dreißigerſch Hauſe.

Der alte Hilſe.

Nu da hätt m’r ja de Be - ſcheerung. Nu mach aber lang, ſonſter wer ich d’r auf a Trabb helfen.

Mutter Hilſe.

Was geht denn vor?

Hornig.

Jtz will ich dr was ſagn, Vater Hilſe. Laß Gottlieben a Rock anziehn, a Löffel nehmen und auf’s Amt tragen.

Der alte Hilſe.

Gottlieb, zieh d’r a Rock an!

Gottlieb
(ſchon im Anziehen begriffen, eifrig).

Und da wer ich uf de Kanzlei gehn und ſprechen: ſe ſollten’s nich übel nehmen, a ſo a Kind hätte halt doch no nich a ſo’s Verſtändniß dervon. Und da brächt ich da Löffel. Hier uf zu flern Mädel!

(Das weinende Kind wird von der Mutter in’s Hinterzimmer gebracht, deſſen Thür fie ſchließt. Sie ſelbſt kommt zurück.)
Hornig.

Seine drei Thaler kann der gutt werth haben.

Gottlieb.

Gieb ock a Tichl, Luiſe, daß a nich zu Schaden kommt. Nee nee, a ſo, a ſo a teuer Dingel

(er hat Thränen in den Augen, während er den Löffel einwickelt.)
Luiſe.

Wenn mir a hätt’n, kennt mer viele Wochen leben.

Der alte Hilſe.

Mach, mach, feder Dich! Feder Dich a ſo ſehr, wie de kannſt! Das wär a ſo was! Das fehlt mir noch grade. Mach, das mir den Satansleffel vom Halſe kriegen.

(Gottlieb ab mit dem Löffel.)
Hornig.

Na nu wer ich ooch ſehn, das ich weiter komme.

(Er geht, unterhält ſich im Haus noch einige Sekunden, dann ab.)
Chirurgus Schmidt
(ein queckſilbriges, kugliches Männchen mit weinrothem, pfiffigem Geſicht kommt in’s Haus).

Gu’n morgen, Leute! Na, das ſind m’r ſcheene Geſchichten. Kommt mir nur!

(Mit dem Finger drohend.)

Jhr habt’s dick hinter’n Ohren.

(Jn der Stubenthür, ohne herein zu kommen.)

Gu’n morgen, Vater102 Hilſe!

(Zu einer Frau im Hauſe .)

Nu Mutterle, wie ſteht’s midn Reißen? Beſſer, wie? Na ſäht ihr woll. Vater Hilſe, ich muß doch och mal ſchaun, wie’s bei Euch ausſieht. Was Teuwel, is denn dem Mutterle?

Luiſe.

Herr Docter, de Lichtadern ſein er vertrocknt, ſe ſieht gar gar niſcht mehr.

Chirurgus Schmidt.

Das macht der Staub und das Weben bei Licht. Na ſagt amal, kennt ihr Euch dariber ’n Verſch machen? Ganz Peterſchwaldau is ja auf’n Beinen hierriber. Jch ſetz mich heut frieh in meinen Wagen, denke niſcht ibels, nicht mit einer Faſer. Höre da förmlich Wunderdinge. Was in drei Teiwels Namen iſt denn in die Menſchen gefahren, Hilſe? Wüthen da wie ’n Rudel Welfe. Machen Revolution, Rebellion; werden renitent, plündern und marodiren Mielchen! wo is denn Mielchen?

(Mielchen, noch roth vom Weinen, wird von der Mutter herein geſchoben.)

Da, Mielchen, greif mal in meine Rockſchöße.

(Mielchen thut es.)

Die Fefferniſſe ſind Deine. Na, na; nich alle auf einmal. Schwernotsmädel! Erſt ſingen! Fuchs du haſt die na? Fuchs du haſt die Gans Wart nur Du, was Du gemacht haſt: Du haſt ja die Sperlinge uf’n Pfarrzaune Stengel - ſcheißer genannt. Die haben’s angezeigt bei’m Herr Kanter. Na nu ſag blos ein Menſch. An finfzehn - hundert Menſchen ſind auf der Achſe.

(Fernes Glockenläuten.)

Hört mal: in Reichenbach leuten ſie Sturm. Finf - zehnhundert Menſchen. Der reine Weltuntergang. Unheimlich!

Der alte Hilſe.

Da kommen ſi wirklich hierriber nach Bielau?

Chirurgus Schmidt.

Nu freilich, freilich, ich bin ja durchgefahren. Mitten durch a ganzen Schwarm. Am liebſten wär ich abgeſtiegen und hätte glei jed’m a Pulwerle gegeben. Da trottelt eener hinter’m andern her, wie’s graue Elend und verführen ein Geſinge, daß103 een förmlich a Magen umwendt, daß een richtig zu wirgen anfängt. Mei Friedrich uf’m Bocke, der hat genatſcht wie a alt Weib. Mir mußten uns glei d’rhinter her ’n tichtichen Bittern koofen. Jch mechte kee Fabrikante ſein, und wenn ich gleich uf Gummi - rädern fahr’n kennte.

(Fernes Singen.)

Horcht mal! Wi - wenn man mit a Knecheln ’n alten, zerſprungenen Bunzeltopp bearbeit. Kinder, das dauert nich fünf Minuten, da haben mer ſe hier. Adje Leute. Macht keene Tummheiten. Militär kommt gleich dahinter her. Bleibt bei Verſtande. Die Peterswaldauer habm a Verſtand verloren.

(Nahes Glockenläuten.)

Himmel nu fangen unſere Glocken auch noch an, da müſſen ja die Leute vollens ganz verrikt werd’n.

(Ab in den Oberſtock.)
Gottlieb
(kommt wieder. Noch im Hauſe mit fliegendem Athem).

Jch hab ſe geſehn, ich hab ſe geſehn.

(Zu einer Frau im Hauſe .)

Se ſein da, Muhme, ſe ſein da!

(Jn der Thür.)

Se ſein da, Vater, ſe ſein da! Se haben Bohnen - ſtangen und Stichliche und Hacken. Se ſtehn ſchonn bei’m oberſchten Dittriche und machen Randal. Se kriegen gloob ich Geld ausgezahlt. O jes’s, was wird ock noch werden dahier? Jch ſeh nich hin. A ſo viel Leute, nee a ſo viel Leute! Wenn die erſcht, und nehmen an Anlauf o verpucht, o verpucht! da ſein unſere Fabrikanten o beeſe dran.

Der alte Hilſe.

Was biſt de denn ſo gelaufen. Du wirſcht a ſo lange jächen, biſte wirſcht wieder amal dei altes Leiden haben, biſte wirſcht wieder amal unf’n Ricken liegen und um dich ſchlagen.

Gottlieb
(halb und halb freudig erregt).

Nu ich mußte doch laufen, ſonſte hätten die mich ja feſte gehalten. Se prillten ja ſchonn alle: ich ſollte de Hand auch hinrecken. Pate Baumert war ooch dr’bei. Der meent iber mich, hol d’r ock ooch an Finfbehmer, du biſt o a armer Hungerleider. A ſagte gar: ſag du’s dein’n Vater. Jch ſollt’s ihn ſagen, Vater, ſe ſollten kommen und ſollten104 mit helfen a Fabrikanten de Schinderei heemzahlen.

(Mit Leidenſchaft.)

’s kämen jetzt andre Zeiten, meent a. Jetzt thät a ganz andre Ding werden mit uns Webern. M’r ſollten alle kommen und’s mithelfen durchſetzen. Mir wollten alle jetzt o unſer Halbfindl Fleeſch zum Sonn - tage haben, und an allen heiligen Tagen amal an Blutt - wurſcht und Kraut. Das thät jetzt alles a ganz andre Geſichte kriegen, meent er über mich.

Der alte Hilſe
(mit unterdrückter Entrüſtung).

Und das will dei Pate ſein?! Und heeßt dich a an ſolchen ſträflichen Werke mit theelnehmen?! Laß du dich nich in ſolche Sachen ein, Gottlieb. Da hat d’r Teifel ſeine Hand im Spiele. Das is Satansarbeit, was die machen.

Luiſe
(übermannt von leidenſchaftlicher Aufregung, heftig).

Ja, ja, Gottlieb, kaffer du dich hinter a Owen in de Helle, nimm d’r an Kochleffel in de Hand und ne Schiſſel voll Puttermilch uf de Kniee, zieh d’r a Reckel an und ſprich Gebetel, ſo biſt’n Vater recht. Und das will a Mann ſein?

(Lachen der Leute im Hauſe .)
Der alte Hilſe
(bebend mit unterdrückter Wuth).

Und du willſt ne richtige Frau ſein, ? Da wer ich dirſch amal orntlich ſagen. Du willſt ne Mutter ſein und haſt ſo a meſchantes Maulwerk dahier. Du willſt dein’n Mädel Lehren geben und hetzt dein’n Mann uf zu Verbrechen und Ruchloſichkeiten?!

Luiſe
(maßlos).

Mit euren bigotten Räden .... dadervon da is mir o noch nich amal a Kind ſatt geworn. Derwegen han ſe gelegen, alle viere in Unflat und Lumpen. Da wurd ooch noch nich amal a eenzichtes Winderle trocken. Jch will ne Mutter ſein, daß d’s weeßt! und deswegen, daß d’s weeßt, winſch ich a Fabrikanten de Hölle und de Peſt in a Rachen ’nein. Jch bin ebens ne Mutter. Erhält ma woll ſo a Wirmel?! Jch hab mehr geflennt wie Oden geholt,105 von dem Augenblicke an, wo a ſo a Hiperle uf de Welt kam, bis d’r Tot und erbarmte ſich drüber. Jhr habt euch an Teiwel geſcheert. Jhr habt gebet’t und geſungen, und ich hab m’r de Fiſſe bluttich gelaufen nach een’n eenzichten Neegl Puttermilch. Wie viel hundert Nächte hab ich mir a Kopp zerklaubt, wie ich ock und ich kennte ſo a Kindel ock a eenzich mal um a Kirchhoof rumpaſchen. Was hat ſo a Kindel verbrochen, ? und muß ſo a elendigliches Ende nehmen und drieben bei Dittrichen, da wern ſe in Wein gebadt und mit Milch gewaſchen. Nee, nee! wenn’s hie losgeht ni zehn Pferde ſolln mich zuricke halten. Und das ſag ich: ſtirmen ſe Dittrichens Gebäude ich bin de Erſchte und Gnade jeden der mich will abhalten. Jch habs ſatt, a ſo viel ſteht feſte.

Der alte Hilſe.

Du biſt gar verfallen, dir is ni zu helfen.

Luiſe
(in Raſerei).

Euch is nich zu helfen. Lappärſche ſeid ihr. Haderlumpe aber keene Manne. Gattſchliche zum anſpucken. Weechquarggeſichter, die vor Kinder - klappern reißaus nehmen. Kerle, die dreimal ſcheen dank ſagen fer ne Tracht Prügel. Euch haben ſe de Adern ſo leer gemacht, das ihr ni amal mehr kennt rot anlaufen im Geſichte. An Peitſche ſollt ma nehmen und euch a Kriin einbläun in eure faulen Knochen.

(Schnell ab.)
(Verlegenheitspauſe.)
Mutter Hilſe.

Was is denn mit Liesl’n, Vater?

Der alte Hilſe.

Niſchte, Mutterle. Was ſoll denn ſein?!

Mutter Hilſe.

Sag amal, Vater, macht mirſch blos a ſo was vor, oder läuten de Glocken?

Der alte Hilſe.

Se wern een’n begraben, Mutter.

Mutter Hilſe.

Und mit mir wills halt immer106 noch kee Ende nehmen. Warum ſterb ich ock gar nich, Mann?

(Pauſe.)
Der alte Hilſe
(läßt die Arbeit liegen, richtet ſich auf, mit Feierlichkeit).

Gottlieb! Dei Weib hat uns ſolche Sachen geſagt. Gottlieb, ſieh amal her!

(Er entblößt ſeine Bruſt.)

Dahier ſaß Ding, a ſo groß wie a Finger - hutt. Und wo ich men’n Arm hab gelaſſen, das weiß d’r Keenich. De Mäuſe haben mer’n nich abgefreſſen.

(Er geht hin und her.)

Dei Weib an die dachte noch gar kee Menſch, da hab ich ſchonn mei Blutt quartweiſe ferſch Vaterland verſpritzt. Und deshalb mag ſe plärrn, ſo viel wie ſe Luſt hat. Das ſoll mir recht ſein. Das is mir Schißkojenne. Ferchten? Jch und mich ferchten? Vor was denn ferchten, ſag m’r a eenzigtes mal. Vor da Par Soldaten, die de vielleicht und kommen hinter a Rebellern her? O Jekerle! wärſch doch! Das wär halb ſchlimm. Nee, nee, wenn ich ſchonn a biſſel morſch bin uf a Rick grat. Wenn’s druf ankommt, hab ich Knochen wie Elfenbeen. Da nehm ich’s ſchonn noch uf mit a par lumpigten Bajonettern. Na und wenn’s gar ſchlimm käm!? O viel zu gerne, viel zu gerne thät ich Feirabend machen. Zum Sterben ließ ich mich gewiß ni lange bitten. Lieber heut wie morgen. Nee, nee. Und’s wär o gar! denn was verläßt eens denn? Den alten Marterkaſten wird ma doch ni etwa beweinen? Das Häuffel Himmelsangſt und Schinderei da, das ma Leben nennt, das ließ man gerne genug im Stiche Aber dann, Gottlieb! dann kommt was und wenn ma ſich das auch noch veſcherzt dernachert is’s erſcht ganz alle.

Gottlieb.

Wer weeß, was kommt, wenn eens tot is? Geſehn hats keener.

Der alte Hilſe.

Jch ſag dirſch, Gottlieb! zweifle nich an dem Eenzigten, was mir armen Menſchen haben. 107Fer was hätt ich denn hier geſeſſen und Schemmel getreten uf Mord vierzig und mehr Jahr? und hätte ruhig zugeſehn, wie der dort drüben in Hoffart und Schwelgerei lebt und Gold macht aus mein’n Hunger und Kummer. Fer was denn? Weil ich ne Hoffnung hab. Jch hab was in aller der Noth.

(Durch’s Fenſter weiſend.)

Du haſt hier deine Parte ich driben in jener Welt: das hab ich gedacht. Und ich laß mich viertheeln ich hab ne Gewißheet. Es iſt uns verheißen. Gericht wird gehalten: aber nich mir ſein Richter, ſondern: mein is die Racha, ſpricht der Herr, unſer Gott.

Eine Stimme
(durchs Fenſter).

Weber raus!

Der alte Hiſe.

Vor mir macht was dr luſtig ſeid.

(Er ſteigt in den Webſtuhl.)

Mich werd’r woll miſſen drinne laſſen.

Gottlieb
(nach kurzem Kampf).

Jch wer gehn und wer arbeiten. Mag kommen, was will.

(Ab. Man hört das Weberlied, vielhundertſtimmig und in nächſter Nähe geſungen: es klingt wie ein dumpfes monotones Wehklagen.)
Stimmen der Hausbewohner
(im Hauſe .)

O jemerſch, jemerſch, nu kommen ſe aber wie de Ameiſen. Wo ſein ock die vielen Weber her? Schipp ock nich, ich will ooch was ſehn. Nu ſieh ock die lange Latte, die de vorne weg geht. Ach! ach! nu kommen ſe knippeldicke!

Hornig
(tritt unter die Leute im Hauſe ).

Gellt, das is amal a ſo a Teater? So was ſieht man nich alle Tage. Jhr ſollt’t ock ruf kommen zum oberſchten Dittriche. Da haben ſe ſchonn wieder a Ding gemacht, das an Art hat. Der hat kee Haus nimehr, keene Fabricke nimehr keen Weinkeller nimehr, kee garniſchte mehr. Die Flaſchen, die ſaufen ſe aus da nehmen ſe ſich gar nich erſcht amal Zeit de Froppen rauszureißen. Eens, zwee, drei, ſein de Hälſe runter. Ob ſe ſich ’s Maul ufſchneiden mit a Scherben oder nich. Manche108 laufen rum und bluten wie de Schweine. Nu wern ſe den hieſigen Dittrich ooch noch hochnehmen.

(Der Maſſengeſang iſt verſtummt).
Stimmen der Hausbewohner.

Die ſehn doch reen gar nich a ſo beeſe aus.

Hornig.

Nu laßt’s gutt ſein! wart’s ock ab! jetzt nehmen ſ’n de Gelegenheet erſchte richtig in Augenſchein. Sieh ock, wie ſe den Palaſt von allen Seiten uf’s Korn nehmen. Seht ock den kleenen dicken Mann a hat ’n Pferdeeimer mite. Das is a Schmied von Peterſchwalde, a gar a ſehr gefirre Männdl. Der haut die dickſten Thüren ein, wie Schaumprezeln das kennt ’r glooben. Wenn der amal an Fabrikanten in de Mache kriegt der hat aber verſpielt, dahier!

Stimmen der Hausbewohner.

Praaz haſt a Ding! Da flog a Stein in’s Fenſter! Nu kriegt’s d’r alte Dittrich mit d’r Angſt. A hängt an Tafel raus. An Tafel hängt a raus? Was ſtehts denn druff? Kannſt du ni leſen? Was ſollte ock aus mir wern, wenn ich ni leſen kennte. Na, lies amal! Jhr ſollt alle befrie digt werden, Jhr ſollt alle befrie - digt werden.

Hornig.

Das konnt a underwegens laſſen. Helfen thutt’s ooch nich a ſo viel. Die Briider haben eegne Mucken. Hier is uf de Fabrike abgeſehn. De mechanſchen Stihle, die wolln ſe doch aus d’r Welt ſchaffen. Die ſein’s doch halt eemal, die a Hand - weber zu Grunde richten: das ſieht doch a Blinder. Nee, nee! die Chriſten ſein heut eemal im Zuge. Die bringt kee Landrath und kee Verwalter zu Verſtande und keene Tafel ſchonn lange nich. Wer die hat ſehn wirtſchaften der weeß, was ’s ge - ſchlagen hat.

Stimmen der Hausbewohner.

Jhr Leute,109 ihr Leute a ſo ne Menſchheet! Was wolln denn die?

(haſtig.)

Die kommen ja iber die Bricke riber!?

(ängſtlich.)

Die kommen woll uf de kleene Seite?

(in höchſter Ueberraſchung und Angſt.)

Die kommen zu uns, die kommen zu uns. Se holn de Weber aus a Häuſern raus.

(Alle flüchten, das Haus iſt leer. Ein Schwarm aufſtändiſcher beſchmutzt, beſtaubt, mit von Schnaps und Anſtrengung gerötheten Geſichtern, wüſt, über - nächtigt, abgeriſſen, dringt mit dem Ruf: Waber raus! in’s Haus und zerſtreut ſich von da in die einzelnen Zimmer. Jn’s Zimmer des alten Hilſe kommt Bäcker und einige junge Weber mit Knütteln und Stangen bewaffnet. Als ſie den alten Hilſe erkennen, ſtutzen ſie, leicht abgekühlt.)
Bäcker.

Vater Hilſe, hört uf mit der Exterei. Laßt ihr das Bänkl dricken, wer Luſt hat. Jhr braucht Euch keen’n Schaden nichmehr antreten. Dafor wird geſorgt wern.

Erſter junger Weber.

Jhr ſollt och ken’n Tag nich mehr hungrich ſchlafen gehn.

Zweiter junger Weber.

D’r Weber ſoll wieder a Dach iber a Kopp und a Hemde uf a Leib kriegen.

Der alte Hilſe.

Wo bringt euch d’r Teiwel her mit Stangen und Aexten.

Bäcker.

Die ſchlag mer inzwee uf Dittrichens Puckel.

Zweiter junger Weber.

Die mach m’r glühend und ſtoppen ſe a Fabrikanten in a Rachen. Das ſe auch amal merken, wie Hunger brennt.

Dritter junger Weber.

Kommt mit, Vater Hilſe! mir geben kee Pardon.

Zweiter junger Weber.

Mit uns hat o keener Erbarmen gehabt. Weder Gott noch Menſch. Jetzt ſchaffen mir uns ſelber Recht.

Der alte Baumert
(kommt herein, ſchon etwas unſicher auf den Füßen, einen geſchlachteten Hahn unter’m Arm. Er breitet die Arme aus).

Brii derle mir ſein alle Briider! Kommt an mei Herze, Briider!

(Gelächter.)
Der alte Hilſe.

A ſo ſiehſt du aus, Willem!?

110
Der alte Baumert.

Guſtav, Du!? Guſtav, armer Hungerleider, komm an mei Herze.

(Gerührt.)
Der alte Hilſe
(brummt).

Laß mich zufriede.

Der alte Baumert.

Guſtav, a ſo is’s. Glick muß d’r Menſch habn. Guſtav, ſchmeiß amal a Auge uf mich. Wie ſeh ich aus? Glick muß d’r Menſch haben! Seh ich nich aus wie a Graf?

(Sich auf den Bauch ſchlagend.)

Rat amal, was in dem Bauche ſteckt? A Edelmansfreſſen ſteckt in dem Bauche. Glick muß d’r Menſch haben, da kriegt a Schlampancher und Haſengebratnes. Jch wer Euch was ſagen: mir haben halt an Fehler gemacht: Zulangen miß mer.

Alle
(durcheinander).

Zulangen miß mer, hurrah!

Der alte Baumert.

Und wem ma de erſchten gutten Biſſen verdrickt hat, da ſpiirt ma’s woll balde in d’r Natur. H uchjeſus, da kriegt man ne Forſche, a ſo ſtark wie a Bremmer. Da treibt’s een de Stärke aus a Gliedmaßen ock a ſo raus, das man gar nimehr ſieht, wo man hinhaut. Verflugaſich die Luſt aber ooch!

Jäger
(in der Thür, bewaffnet mit einem alten Kavallerieſäbel).

Mir habn a par famoſte Attacken gemacht.

Bäcker.

Mir haben die Sache ſchon ſehr gutt begriffen. Eens, zwee, drei, ſind mer drinne in a Häuſern. Da gehts aber o ſchonn wie helles Feuer. Daß ock a ſo praſſelt und zittert. Daß de Funken ſpritzen, wie ei d’r Feuereſſe.

Erſter junger Weber.

Mir ſollten gar amal a klee Feuerle machen.

Zweiter junger Weber.

Mir ziehn nach Reechen - bach und zinden a Reichen de Häuſer iberm Koppe an.

Jäger.

Das wär den a Geſtrichnes. Da kriegten ſe erſcht gar viel Feuerkaſſe.

(Gelächter.)
Bäcker.

Von hier ziehn mer na Freiburg zu Tromtra’n

111
Jäger.

M’r ſollten amal de Beamten hoch nehmen. Jch hab’s geleſen, von a Birokratern kommt alles Unglicke.

Zweiter junger Weber.

Mir ziehn balde nach Breslau. Mir kriegen ja immer mehr Zulauf.

Der alte Baumert
(zu Hilſe).

Nu trink amal, Guſtav!

Der alte Hilſe.

Jch trink nie keen’n Schnaps.

Der alte Baumert.

Das war in d’r alten Welt, heut ſind mir in eener andern Welt, Guſtav!

Erſter junger Weber.

Alle Tage is nich Kirms.

(Gelächter.)
Der alte Hilſe
(ungeduldig).

Jhr Höllenbrände, was wollt Jhr bei mir.

Der alte Baumert
(ein wenig verſchüchtert, überfreundlich).

Nu ſieh ock, ich wollt d’r a Hähndl bringen. Sollſt Muttern dervon an Suppe kochen.

Der alte Hilſe
(betroffen, halb freundlich).

O, geh und ſags Muttern.

Mutter Hilſe
(hat, die Hand am Ohr, mit Anſtrengung hin - gehorcht, nun wehrt ſie mit den Händen ab).

Laſſt mich zufriede. Jch mag keene Hühndlſuppe.

Der alte Hilſe.

Haſt recht, Mutter. Jch ooch nich. A ſo eene ſchonn gar nich. Und Dir, Baumert! Dir will ich a Wort ſagn. Wenn de Alten ſchwatzen wie de kleen’n Kinder, da ſteht d’r Teiwel uf’m Koppe vor Freeden. Und das ihr’ſch wißt! Das ihr’ſch alle wißt: Jch und Jhr, mir haben niſcht nich gemeen. Mit mein’n Willen ſeit’r nich hier. Jhr habt hier nach Recht und Gerechtichkeet niſcht nich zu ſuchen!

Stimme.

Wer nich mit uns is, der is wider uns.

Jäger
(brutal drohend).

Du biſt gar ſehr ſchief ge - wickelt. Hör amal, Aaler, mir ſind keene Diebe.

Stimme.

Mir haben Hunger, weiter niſcht.

Erſter junger Weber.

Mir wolln leben und112 weiter niſcht. Und deshalb haben mer a Strick durchgeſchnitten an dem mer hingen.

Jäger.

Und das war ganz recht!

(Dem Alten die Fauſt vor’s Geſicht haltend.)

Sag Du noch ee Wort. Da ſetzt’s a Ding ’nein mitten in’s Zifferblatt.

Bäcker.

Gebt Ruhe, gebt Ruhe, laß Du den alten Mann. Vater Hilſe: a ſo denken mir eemal: eher tot, wie a ſo a Leben noch eemal anfangen.

Der alte Hilſe.

Hab ich’s nich gelebt ſechzig und mehr Jahr?

Bäcker.

Das is eegal, anderſcher muß doch werden.

Der alte Hilſe.

Am Nimmermehrſchtage.

Bäcker.

Was mir nich guttwillig kriegen, das nehmen mir mit Gewalt.

Der alte Hilſe.

Mit Gewalt?

(Lacht.)

Nu da laßt Euch bald begraben dahier. Se werns Euch be - weiſen, wo de Gewalt ſteckt. Nu wart ock, Pirſchl!

Jäger.

Etwa wegen a Soldaten? Mir ſein auch Soldaten geweſt. Mit a par Companieen wern mir ſchonn fertig werden.

Der alte Hilſe.

Mid’n Maule, da gloob ich’s. Und wenn ooch: Zweee jagt’r naus, zehne kommen wieder rein.

Stimmen
(durch’s Fenſter).

Militär kommt. Seht Euch vor!

(Allgemeines, plötzliches Verſtummen. Man hört einen Moment ſchwach Quer - pfeifen und Trommeln. Jn die Stille hinein ein kurzer, unwillkürlicher Ruf:

O verpucht! Jch mach lang!

(Allgemeines Gelächter.)
Bäcker.

Wer redt hier von ausreißen? Wer is das geweſt?

Jäger.

Wer tutt ſich hier firchten, vor a par lumpichten Pickelhauben? Jch wer Euch kommandiren. Jch bin beim Commis geweſt. Jch kenne den Schwindel.

Der alte Hilſe.

Mit was wollt’ern ſchiſſen? Woll mit a Priegeln, ?

113
Erſter junger Weber.

Den alten Kropp laßt zufriede, a is ni recht richtig im Oberſtibel.

Zweiter junger Weber.

A biſſel ibertrabt is a ſchonn.

Gottlieb
(iſt unbemerkt unter die Aufſtändiſchen getreten, packt den Sprecher).

Sollſt Du an alten Manne ſo vlämſch kommen?

Erſter junger Weber.

Laß mich zufriede, ich hab niſcht geſagt beeſes.

Der alte Hilſe
(ſich ins Mittel legend).

O laß Du a labern. Vergreif Dich nich, Gottlieb. A wird balde genug einſehn, wer de heute verwirrt is, ich oder er.

Bäcker.

Gehſt mit uns, Gottlieb?

Der alte Hilſe.

Das wird a woll bleiben laſſen.

Luiſe
(kommt in’s Haus, ruft herein).

O halt Euch ni uf erſcht. Mit ſolchen Gebetbichl-Hengſten verliert erſcht keene Zeit. Kommt uf a Platz! Uf a Platz ſollt’r kommen. Pate Baumert kommt a ſo ſchnell wie er kennt. Dr Major ſpricht mit a Leuten vom Ferde runter. Se ſollten heem gehn. Wenn ihr ni ſchnell kommt, haben mer verſpielt.

Jäger
(im Abgehen).

Du haſt’n ſcheen’n tapfern Mann.

Luiſe.

Wo hätt ich an Mann? Jch hab gar keen’n Mann!

(Jm Hauſe ſingen einige.)
’S war amal a kleener Mann
Hee, juchhee!
Der wollt a groß Weibl han
Hee didel didel dim dim dim heiraſſaſſa!
Der alte Wittig
(iſt, einen Pferdeeimer in der Fauſt, vom Oberſtock gekommen, will hinaus, bleibt im Hauſe einen Augenblick ſtehen.)

Druf! wer de kee Hundsfott ſein will, Hurrah!

(Er ſtürmt hinaus. Eine Gruppe, darunter Luiſe und Jäger folgen ihm mit Hurrah .)
Bäcker.

Lebt gſund, Vater Hilſe, mir ſprechen uns wieder.

(Will ab.)
Der alte Hilſe.

Das gloob ich woll ſchwerlich. Fünf Jahr leb ich nimehr. Und eher kommſte ni wieder raus.

Die Weber. 8114
Bäcker
(verwundert ſtehen bleibend).

Wo denn her, Vater Hilſe?

Der alte Hilſe.

Aus ’n Zuchthauſe, woher denn ſonſte?

Bäcker
(wild herauslachend).

Das wär mir ſchonn lange recht. Da kriegt ma wenigſtens ſatt Brot, Vater Hilſe!

(Ab.)
Der alte Baumert
(war in ſtumpfſinniges Grübeln, auf einem Schemel hockend, verfallen; nun ſteht er auf).

’S is wahr, Guſtav, an kleene Schleuder hab ich. Aber derwegen bin ich noch klar genug im Kopfe dahier. Du haſt deine Meenung von der Sache, ich hab meine. Jch ſag: Bäcker hat recht, nimmt’s a Ende in Ketten und Stricken: Jm Zuchthauſe is immer noch beſſer wie drheeme. Da is ma verſorgt; da braucht ma nich darben. Jch wollte ja gerne nich mitmacha. Aber ſieh ock, Guſtav; d’r Menſch muß doch a eenziges Mal an Augenblick Luft kriegen.

(Langſam nach der Thür.)

Leb geſund, Guſtav. Sollte was vorfalln, ſprich a Gebetl fer mich mit, herſcht!

(Ab.) (Von den Aufſtändiſchen iſt nun keiner mehr auf dem Schauplatz. Das Haus füllt ſich allmälig wieder mit neugierigen Bewohnern. Der alte Hilſe knüpft an der Werfte herum. Gottlieb hat eine Art hinterm Ofen hervor geholt und prüft bewußtlos die Schneide. Beide, der Alte und Gottlieb, ſtumm bewegt. Von draußen dringt das Summen und Brauſen einer großen Menſchenmenge.)
Mutter Hilſe.

Nu ſag ock, Mann de Dielen zittern ja a ſo ſehr was geht denn vor. Was ſoll denn hier werdn?

(Pauſe.)
Der alte Hilſe.

Gottlieb!

Gottlieb.

Was ſoll ich denn?

Der alte Hilſe.

Laß du die Axt liegen.

Gottlieb.

Wer ſoll denn Holz kleene machen?

(Er lehnt die Axt an den Ofen.)
(Pauſe.)
Mutter Hilſe.

Gottlieb, hör du uf das, was dr Vater ſagt.

115
Stimme
(vor dem Fenſter ſingend).
Kleener Mann blei ock d’rheem
Hee, juchhee!
Mach Schiſſel und Teller reen
Hei didel didel, dim dim dim.
(Vorüber.)
Gottlieb
(ſpringt auf, gegen das Fenſter mit geballter Fauſt)

Aas, mach mich ni wilde!

(Es kracht eine Salve.)
Mutter Hilſe
(iſt zuſammengeſchrocken).

O, Jeſus Chriſtus, nu donnert’s woll wieder!?

Der alte Hilſe
(mit unwillkürlich gefalteten Händen).

Nu, lieber Herrgott im Himmel! ſchitze die armen Weber, ſchitz meine armen Briider!

(Es entſteht eine kurze Stille.)
Der alte Hilſe
(für ſich hin, erſchüttert).

Jetzt fließt Blut.

Gottlieb Hilſe
(iſt im Moment, wo die Salve kracht, auf - geſprungen und hält die Axt mit feſtem Griff in der Hand, verfärbt, kaum ſeiner mächtig, vor tiefer, innerer Aufregung).

Na, ſoll man ſich ernt jetzt o noch kuſchen?

Ein Webermädchen
(vom Haus aus in’s Zimmer rufend).

Vater Hilſe, Vater Hilſe, geh vom Fenſter weg. Bei uns oben ins Oberſtübl is ’ne Kugel durch’s Fenſter geflogen.

(Berſchwind )
Mielchen
(ſteckt den lachenden Kopf zum Fenſter hinein).

Groß - vaterle, Großvaterle, ſe haben mit a Flinten geſchoßen. A pare ſind hingefalln, eener der dreht ſich ſo um’s Kringl rum, immer um’s Rädl rum, eener der that ſo zappeln wie a Sperling, dem man a Kopp weg - reißt. Ach, ach und a ſo viel Blut kam getreetſcht !

(Sie verſchwindet.)
Eine Weberfrau.

A par habn ſe kalt gemacht.

Ein alter Weber
(im Hauſe ).

Paßt ock uf, nu nehmen ſie’s Militär hoch.

Ein zweiter Weber
(faſſungslos).

Nee, nu ſeht bloß, de Weiber, ſeht bloß de Weiber! wern ſe ni de Recke hoch heben! wern ſe ni’s Militär anſpucken.

8*116
Eine Weberfrau
(ruft herein).

Gottlieb, ſieh dir amal dei Weib an, die hat mehr Kriin wie Du, die ſpringt vor a Bajonettern rum, wie wenn ſe zur Muſicke tanzen thät.

(Vier Männer tragen einen Verwundeten durch’s Haus. Stille. Man hört deutlich eine Stimme ſagen)

’S is d’r Ulbrichs Weber.

Die Stimme
(nach wenigen Secunden abermals).

’S wird woll Feierabend ſein mit’n, a hat ne Prellkugel in’s Ohr gekriegt.

(Man hört die Männer eine Holztreppe hinauf gehen. Draußen plötzlich).

Hurrah, Hurrah!

Stimmen im Hauſe.

Wo habens’n de Steene her? Nu, zieht aber Leine! Vom Chauſſeebau. Nu hattjee Soldaten. Nu regnet’s Flaſterſteene.

(Draußen Angſtgekreiſch und Gebrüll ſich fortpflanzend bis in den Hausflur. Mit einem Angſtruf wird die Hausthür zugeſchlagen.
Stimmen im Hauſe .

Se laden wieder . Se wern glei wieder ’ne Salve gebn . Vater Hilſe, geht weg vom Fenſter .

Gottlieb Hilſe
(rennt nach der Axt).

Was, was, was! Sein mir tolle Hunde!? Soll’n mir Pulver und Blei freſſen, ſtat’s Brot?

(Mit der Axt in der Hand einen Moment lang zögernd, zum Alten.)

Soll mir mei Weib der - ſchoßen werd’n? Das ſoll nich geſchehn!

(Jm Fortſtürmen.)

Ufgepaßt, jetzt komm ich!

(Ab.)
Der alte Hilſe.

Gottlieb, Gottlieb!

Mutter Hilſe.

Wo is denn Gottlieb?

Der alte Hilſe.

Bei’m Teiwel is a.

Stimme vom Hauſe .

Geht vom Fenſter weg, Vater Hilſe!

Der alte Hilſe.

Jch nich! Und wenn ihr alle vollens drehnig werd!

(Zu Mutter Hilſe mit wachſender Exſtaſe.)

Hi hat mich mei himmliſcher Vater hergeſetzt. Gell Mutter? Hi bleiben mer ſitzen und thun, was mer ſchuldig ſein, und wenn d’r ganze Schnee verbrennt.

(Er fängt an zu weben.)
(Eine Salve kracht. Zu Tode getroffen richtet ſich der alte Hilſe hoch auf und plumpt vornüber auf den Webſtuhl. Zugleich erſchallt verſtärktes Hurrah-Rufen. Mit Hurrah ſtürmen die Leute, welche bisher im Hausfiur geſtanden, ebenfalls117 hinaus. Die alte Frau ſagt mehrmals fragend)

Vater, Vater, was is denn mit Dir?

(Das ununterbrochene Hurrah-Rufen entfernt ſich mehr und mehr. Plötzlich und haſtig kommt Mielchen ins Zimmer gerannt.)
Milchen.

Großvaterle, Großvaterle, ſe treiben de Soldaten zum Dorfe naus, ſe haben Dittrichen’s Haus geſtirmt, ſe machen’s a ſo, als wie driben bei Dreißigern. Großvaterle!?

(Das-Kind erſchnickt, wird auf - merkſam, ſteckt den Finger in den Mund und tritt vorſichtig dem Todten näher.)

Großvaterle!?

Mutter Hilſe.

Nu mach ock, Mann, und ſprich a Wort, ’s kann een’n ja orntlich Angſt werd’n.

Schluß.
Das Weberlied wird geſungen nach der Melodie: Es liegt ein Schloß in Oeſterreich .

Druck von R. Boll, Berlin NW.

[118][119]

Geſammt-Perſonenverzeichnitz.

  • Dreißiger,

    Parchend - Fabrikant.

  • Frau Dreißiger
    • Pfeifer,

      Expedient

    • Neumann,

      Caſſirer

    • Der Lehrling
    • bei Dreißiger.

  • Weinhold,

    Hauslehrer bei Dreißiger’s Söhnen.

  • Paſtor Kittelhaus.
  • Frau Paſtor Kittelhaus.
  • Heide,

    Polizeiverwalter.

  • Kutſche,

    Gensdarm.

  • Welzel,

    Gaſtwirth.

  • Frau Welzel.
  • Anna Welzel.
  • Wiegand,

    Tiſchler.

  • Ein Reiſender.
  • Ein Bauer.
  • Ein Förſter.
  • Schmidt,

    Chirurgus.

  • Hornig,

    Lumpenſammler.

  • Der alte Wittich,Schmiedemeiſter.
  • Weber.
  • Bäcker.
  • Moritz Jäger.
  • Der alte Baumert.
  • Mutter Baumert.
    • Bertha
    • Emma
    • Baumert.

  • Fritz.

    Emma’s Sohn (vier Jahre alt).

  • Auguſt Baumert.
  • Der alte Anſorge.
  • Frau Heinrich.
  • Der alte Hilſe.
  • Frau Hilſe.
  • Gottlieb Hilſe.
  • Luiſe,

    Gottlieb’s Frau.

  • Mielchen,

    Tochter. (4 Jahre alt.)

  • Eine große Menge junger und alter Weber und Weber - frauen.

Die Vorgänge dieſer Dichtung geſchehen in den vierziger Jahren in Kaſchbach im Eulengebirge, ſowie in Peterswaldau und Langenbielau am Fuße des Eulengebirges.

About this transcription

TextDie Weber
Author Gerhart Hauptmann
Extent136 images; 26410 tokens; 6186 types; 172276 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationDie Weber (Übertragung.) Schauspiel aus den vierziger Jahren Gerhart Hauptmann. . 117 S. FischerBerlin1892. (Die Weber sind zu Beginn auf schlesisch erschienen (De Waber), und im gleichen Jahr in einer dem Hochdeutsch angenäherten Fassung publiziert worden. Bei der vorliegenden Ausgabe handelt es sich um die erste hochdeutsche Fassung.)

Identification

Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz SBB-PK, 208591http://stabikat.de/DB=1/SET=12/TTL=1/CMD?ACT=SRCHA&IKT=1016&SRT=YOP&TRM=028681525

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Drama; Belletristik; Drama; core; ready; china

Editorial statement

Editorial principles

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

Publication information

Publisher
  • dta@bbaw.de
  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-09T17:31:21Z
Identifiers
Availability

Distributed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial 3.0 Unported License.

Holding LibraryStaatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
ShelfmarkSBB-PK, 208591
Bibliographic Record Catalogue link
Terms of use Images served by Deutsches Textarchiv. Access to digitized documents is granted strictly for non-commercial, educational, research, and private purposes only. Please contact the holding library for reproduction requests and other copy-specific information.