PRIMS Full-text transcription (HTML)
Effi Brieſt
[figure]
Berlin WF. Fontane & Co. 1896
[1]

Erſtes Kapitel.

In Front des ſchon ſeit Kurfürſt Georg Wil¬ helm von der Familie von Brieſt bewohnten Herren¬ hauſes zu Hohen-Cremmen fiel heller Sonnenſchein auf die mittagsſtille Dorfſtraße, während nach der Park - und Gartenſeite hin ein rechtwinklig angebauter Seitenflügel einen breiten Schatten erſt auf einen weiß und grün quadrierten Flieſengang und dann über dieſen hinaus auf ein großes in ſeiner Mitte mit einer Sonnenuhr und an ſeinem Rande mit Canna indica und Rhabarberſtauden beſetztes Rondell warf. Einige zwanzig Schritte weiter, in Richtung und Lage genau dem Seitenflügel entſprechend, lief eine, ganz in kleinblättrigem Epheu ſtehende, nur an einer Stelle von einer kleinen weiß geſtrichenen Eiſen¬ thür unterbrochene Kirchhofsmauer, hinter der der Hohen-Cremmener Schindelturm mit ſeinem blitzenden, weil neuerdings erſt wieder vergoldeten Wetterhahn aufragte. Fronthaus, Seitenflügel und KirchhofsmauerTh. Fontane, Effi Brieſt. 12Effi Brieſtbildeten ein einen kleinen Ziergarten umſchließendes Hufeiſen, an deſſen offener Seite man eines Teiches mit Waſſerſteg und angeketteltem Boot und dicht daneben einer Schaukel gewahr wurde, deren horizon¬ tal gelegtes Brett zu Häupten und Füßen an je zwei Stricken hing die Pfoſten der Balkenlage ſchon etwas ſchief ſtehend. Zwiſchen Teich und Rondell aber und die Schaukel halb verſteckend ſtanden ein paar mächtige alte Platanen.

Auch die Front des Herrenhauſes eine mit Aloekübeln und ein paar Gartenſtühlen beſetzte Rampe gewährte bei bewölktem Himmel einen angenehmen und zugleich allerlei Zerſtreuung bietenden Aufent¬ halt; an Tagen aber, wo die Sonne niederbrannte, wurde die Gartenſeite ganz entſchieden bevorzugt, beſonders von Frau und Tochter des Hauſes, die denn auch heute wieder auf dem im vollen Schatten liegenden Flieſengange ſaßen, in ihrem Rücken ein paar offene, von wildem Wein umrankte Fenſter, neben ſich eine vorſpringende kleine Treppe, deren vier Steinſtufen vom Garten aus in das Hochparterre des Seitenflügels hinaufführten. Beide, Mutter und Tochter, waren fleißig bei der Arbeit, die der Her¬ ſtellung eines aus Einzelquadraten zuſammenzuſetzen¬ den Altarteppichs galt; ungezählte Wollſträhnen und Seidendocken lagen auf einem großen, runden Tiſch3Effi Brieſtbunt durcheinander, dazwiſchen, noch vom Lunch her, ein paar Deſſertteller und eine mit großen, ſchönen Stachelbeeren gefüllte Majolikaſchale. Raſch und ſicher ging die Wollnadel der Damen hin und her, aber während die Mutter kein Auge von der Arbeit ließ, legte die Tochter, die den Rufnamen Effi führte, von Zeit zu Zeit die Nadel nieder und erhob ſich, um unter allerlei kunſtgerechten Beugungen und Streckungen den ganzen Kurſus der Heil - und Zimmer¬ gymnaſtik durchzumachen. Es war erſichtlich, daß ſie ſich dieſen abſichtlich ein wenig ins Komiſche ge¬ zogenen Übungen mit ganz beſonderer Liebe hingab, und wenn ſie dann ſo daſtand und langſam die Arme hebend, die Handflächen hoch über dem Kopf zuſammenlegte, ſo ſah auch wohl die Mama von ihrer Handarbeit auf, aber immer nur flüchtig und verſtohlen, weil ſie nicht zeigen wollte, wie entzückend ſie ihr eigenes Kind finde, zu welcher Regung mütter¬ lichen Stolzes ſie vollberechtigt war. Effi trug ein blau und weiß geſtreiftes, halb kittelartiges Lein¬ wandkleid, dem erſt ein feſt zuſammengezogener, bronzefarbener Ledergürtel die Taille gab; der Hals war frei, und über Schulter und Nacken fiel ein breiter Matroſenkragen. In allem, was ſie that, paarte ſich Übermut und Grazie, während ihre lachenden braunen Augen eine große, natürliche Klug¬1*4Effi Brieſtheit und viel Lebensluſt und Herzensgüte verrieten. Man nannte ſie die Kleine , was ſie ſich nur ge¬ fallen laſſen mußte, weil die ſchöne, ſchlanke Mama noch um eine Hand breit höher war.

Eben hatte ſich Effi wieder erhoben, um ab¬ wechſelnd nach links und rechts ihre turneriſchen Drehungen zu machen, als die von ihrer Stickerei gerade wieder aufblickende Mama ihr zurief: Effi, eigentlich hätteſt Du doch wohl Kunſtreiterin werden müſſen. Immer am Trapez, immer Tochter der Luft. Ich glaube beinah, daß Du ſo was möchteſt.

Vielleicht, Mama. Aber wenn es ſo wäre, wer wäre ſchuld? Von wem hab 'ich es? Doch nur von Dir. Oder meinſt Du von Papa? Da mußt Du nun ſelber lachen. Und dann, warum ſteckſt Du mich in dieſen Hänger, in dieſen Jungens¬ kittel? Mitunter denk' ich, ich komme noch wieder in kurze Kleider. Und wenn ich die erſt wieder habe, dann knix 'ich auch wieder wie ein Backfiſch, und wenn dann die Rathenower herüber kommen, ſetze ich mich auf Oberſt Goetze's Schoß und reite hopp, hopp. Warum auch nicht? Dreiviertel iſt er Onkel und nur ein Viertel Kourmacher. Du biſt ſchuld. Warum kriege ich keine Staatskleider? Warum machſt Du keine Dame aus mir?

Möchteſt Du's?

5Effi Brieſt

Nein. Und dabei lief ſie auf die Mama zu und umarmte ſie ſtürmiſch und küßte ſie.

Nicht ſo wild, Effi, nicht ſo leidenſchaftlich. Ich beunruhige mich immer, wenn ich Dich ſo ſehe Und die Mama ſchien ernſtlich willens, in Äußerung ihrer Sorgen und Ängſte fortzufahren. Aber ſie kam nicht weit damit, weil in eben dieſem Augen¬ blicke drei junge Mädchen aus der kleinen, in der Kirchhofsmauer angebrachten Eiſenthür in den Garten eintraten und einen Kiesweg entlang auf das Rondell und die Sonnenuhr zuſchritten. Alle drei grüßten mit ihren Sonnenſchirmen zu Effi herüber und eilten dann auf Frau von Brieſt zu, um dieſer die Hand zu küſſen. Dieſe that raſch ein paar Fragen und lud dann die Mädchen ein, ihnen oder doch wenigſtens Effi auf eine halbe Stunde Geſellſchaft zu leiſten, ich habe ohnehin noch zu thun, und junges Volk iſt am liebſten unter ſich. Gehabt Euch wohl. Und dabei ſtieg ſie die vom Garten in den Seitenflügel führende Steintreppe hinauf.

Und da war nun die Jugend wirklich allein.

Zwei der jungen Mädchen kleine, rundliche Perſönchen, zu deren krauſem, rotblondem Haar ihre Sommerſproſſen und ihre gute Laune ganz vorzüglich paßten waren Töchter des auf Hanſa, Skandinavien und Fritz Reuter eingeſchworenen Kantors Jahnke,6Effi Brieſtder denn auch, unter Anlehnung an ſeinen mecklen¬ burgiſchen Landsmann und Lieblingsdichter und nach dem Vorbilde von Mining und Lining, ſeinen eigenen Zwillingen die Namen Bertha und Hertha gegeben hatte. Die dritte junge Dame war Hulda Niemeyer, Paſtor Niemeyer's einziges Kind; ſie war damen¬ hafter als die beiden anderen, dafür aber langweilig und eingebildet, eine lymphatiſche Blondine, mit etwas vorſpringenden, blöden Augen, die trotzdem beſtändig nach 'was zu ſuchen ſchienen, weshalb denn auch Klitzing von den Huſaren geſagt hatte: Sieht ſie nicht aus, als erwarte ſie jeden Augenblick den Engel Gabriel? Effi fand, daß der etwas kritiſche Klitzing nur zu ſehr recht habe, vermied es aber trotzdem, einen Unterſchied zwiſchen den drei Freundinnen zu machen. Am wenigſten war ihr in dieſem Augenblicke danach zu Sinn, und während ſie die Arme auf den Tiſch ſtemmte, ſagte ſie: Dieſe langweilige Stickerei. Gott ſei Dank, daß Ihr da ſeid.

Aber Deine Mama haben wir vertrieben, ſagte Hulda.

Nicht doch. Wie ſie Euch ſchon ſagte, ſie wäre doch gegangen; ſie erwartet nämlich Beſuch, einen alten Freund aus ihren Mädchentagen her, von dem ich Euch nachher erzählen muß, eine Liebes¬ geſchichte mit Held und Heldin, und zuletzt mit Ent¬7Effi Brieſtſagung. Ihr werdet Augen machen und Euch wundern. Übrigens habe ich Mamas alten Freund ſchon drüben in Schwantikow geſehen; er iſt Landrat, gute Figur und ſehr männlich.

Das iſt die Hauptſache, ſagte Hertha.

Freilich iſt das die Hauptſache, Weiber weib¬ lich, Männer männlich‘ das iſt, wie ihr wißt, einer von Papas Lieblingsſätzen. Und nun helft mir erſt Ordnung ſchaffen auf dem Tiſch hier, ſonſt gibt es wieder eine Strafpredigt.

Im Nu waren die Docken in den Korb gepackt, und als alle wieder ſaßen, ſagte Hulda: Nun aber Effi, nun iſt es Zeit, nun die Liebesgeſchichte mit Entſagung. Oder iſt es nicht ſo ſchlimm?

Eine Geſchichte mit Entſagung iſt nie ſchlimm. Aber ehe Hertha nicht von den Stachelbeeren ge¬ nommen, eh 'kann ich nicht anfangen ſie läßt ja kein Auge davon. Übrigens nimm ſo viel Du willſt, wir können ja hinterher neue pflücken; nur wirf die Schalen weit weg oder noch beſſer, lege ſie hier auf die Zeitungsbeilage, wir machen dann eine Tüte daraus und ſchaffen alles bei Seite. Mama kann es nicht leiden, wenn die Schluſen ſo überall umher liegen, und ſagt immer, man könne dabei ausgleiten und ein Bein brechen.

8Effi Brieſt

Glaub 'ich nicht. ſagte Hertha, während ſie den Stachelbeeren fleißig zuſprach.

Ich auch nicht, beſtätigte Effi. Denkt doch 'mal nach, ich falle jeden Tag wenigſtens zwei -, dreimal, und noch iſt mir nichts gebrochen. Was ein richtiges Bein iſt, das bricht nicht ſo leicht, meines gewiß nicht und Deines auch nicht, Hertha. Was meinſt Du, Hulda?

Man ſoll ſein Schickſal nicht verſuchen; Hoch¬ mut kommt vor dem Fall.

Immer Gouvernante; Du biſt doch die geborne alte Jungfer.

Und hoffe mich doch noch zu verheiraten. Und vielleicht eher als Du.

Meinetwegen. Denkſt Du, daß ich darauf warte? Das fehlte noch. Übrigens, ich kriege ſchon einen, und vielleicht bald. Da iſt mir nicht bange. Neulich erſt hat mir der kleine Ventivegni von drüben geſagt: Fräulein Effi, was gilt die Wette, wir ſind hier noch in dieſem Jahre zu Polterabend und Hochzeit.

Und was ſagteſt Du da?

Wohl möglich, ſagt 'ich, wohl möglich; Hulda iſt die älteſte und kann ſich jeden Tag verheiraten.

Aber er wollte davon nichts wiſſen und ſagte: Nein, bei einer anderen jungen Dame, die gerade ſo brünett9Effi Brieſtiſt, wie Fräulein Hulda blond iſt. Und dabei ſah er mich ganz ernſthaft an Aber ich komme vom Hundertſten aufs Tauſendſte und vergeſſe die Geſchichte.

Ja, Du brichſt immer wieder ab; am Ende willſt Du nicht.

O, ich will ſchon, aber freilich, ich breche immer wieder ab, weil es alles ein bißchen ſonderbar iſt, ja, beinah 'romantiſch.

Aber Du ſagteſt doch, er ſei Landrat.

Allerdings Landrat. Und er heißt Geert von Innſtetten, Baron von Innſtetten.

Alle drei lachten.

Warum lacht Ihr? ſagte Effi pikiert. Was ſoll das heißen?

Ach, Effi, wir wollen Dich ja nicht beleidigen, und auch den Baron nicht. Innſtetten ſagteſt Du? Und Geert? So heißt doch hier kein Menſch. Freilich, die adeligen Namen haben oft ſo 'was Komiſches.

Ja, meine Liebe, das haben ſie. Dafür ſind es eben Adelige. Die dürfen ſich das gönnen, und je weiter zurück, ich meine der Zeit nach, deſto mehr dürfen ſie ſich's gönnen. Aber davon verſteht Ihr nichts, was Ihr mir nicht übel nehmen dürft. Wir bleiben doch gute Freunde. Geert von Innſtetten10Effi Brieſtalſo und Baron. Er iſt gerade ſo alt wie Mama, auf den Tag.

Und wie alt iſt denn eigentlich Deine Mama?

Achtunddreißig.

Ein ſchönes Alter.

Iſt es auch, namentlich wenn man noch ſo ausſieht wie die Mama. Sie iſt doch eigentlich eine ſchöne Frau, findet Ihr nicht auch? Und wie ſie alles ſo weg hat, immer ſo ſicher und dabei ſo fein und nie unpaſſend wie Papa. Wenn ich ein junger Leutnant wäre, ſo würd 'ich mich in die Mama verlieben.

Aber Effi, wie kannſt Du nur ſo 'was ſagen, ſagte Hulda. Das iſt ja gegen das vierte Gebot.

Unſinn. Wie kann das gegen das vierte Ge¬ bot ſein? Ich glaube, Mama würde ſich freuen, wenn ſie wüßte, daß ich ſo was geſagt habe.

Kann ſchon ſein, unterbrach hierauf Hertha. Aber nun endlich die Geſchichte.

Nun, gieb Dich zufrieden, ich fange ſchon an Alſo Baron Innſtetten! Als er noch keine Zwanzig war, ſtand er drüben bei den Rathenowern und verkehrte viel auf den Gütern hier herum, und am liebſten war er in Schwantikow drüben bei meinem Großvater Belling. Natürlich war es nicht des Großvaters wegen, daß er ſo oft drüben war,11Effi Brieſtund wenn die Mama davon erzählt, ſo kann jeder leicht ſehen, um wen es eigentlich war. Und ich glaube, es war auch gegenſeitig.

Und wie kam es nachher?[]

Nun, es kam, wie's kommen mußte, wie's immer kommt. Er war ja noch viel zu jung, und als mein Papa ſich einfand, der ſchon Ritterſchaftsrat war und Hohen-Cremmen hatte, da war kein langes Beſinnen mehr, und ſie nahm ihn und wurde Frau von Brieſt Und das andere, was ſonſt noch kam, nun, das wißt Ihr das andere bin ich.

Ja, das andere biſt Du, Effi, ſagte Bertha. Gott ſei Dank; wir hätten Dich nicht, wenn es anders gekommen wäre. Und nun ſage, was that Innſtetten, was wurde aus ihm? Das Leben hat er ſich nicht genommen, ſonſt könntet Ihr ihn heute nicht erwarten.

Nein, das Leben hat er ſich nicht genommen. Aber ein bißchen war es doch ſo 'was.

Hat er einen Verſuch gemacht?

Auch das nicht. Aber er mochte doch nicht länger hier in der Nähe bleiben, und das ganze Soldatenleben überhaupt muß ihm damals wie ver¬ leidet geweſen ſein. Es war ja auch Friedenszeit. Kurz und gut, er nahm den Abſchied und fing an, Juriſterei zu ſtudieren, wie Papa ſagt, mit einem12Effi Brieſt wahren Biereifer ; nur als der ſiebziger Krieg kam, trat er wieder ein, aber bei den Perlebergern ſtatt bei ſeinem alten Regiment, und hat auch das Kreuz. Natürlich, denn er iſt ſehr ſchneidig. Und gleich nach dem Kriege ſaß er wieder bei ſeinen Akten, und es heißt, Bismarck halte große Stücke von ihm und auch der Kaiſer, und ſo kam es denn, daß er Landrat wurde, Landrat im Keſſiner Kreiſe.

Was iſt Keſſin? Ich kenne hier kein Keſſin.

Nein, hier in unſerer Gegend liegt es nicht; es liegt eine hübſche Strecke von hier fort, in Pommern, in Hinterpommern ſogar, was aber nichts ſagen will, weil es ein Badeort iſt (alles da herum iſt Bade¬ ort) und die Ferienreiſe, die Baron Innſtetten jetzt macht, iſt eigentlich eine Vetternreiſe, oder doch etwas Ähnliches. Er will hier alte Freundſchaft und Verwandtſchaft wiederſehn.

Hat er denn hier Verwandte?

Ja und nein, wie man's nehmen will. Inn¬ ſtetten's giebt es hier nicht, giebt es, glaub 'ich, über¬ haupt nicht mehr. Aber er hat hier entfernte Vettern von der Mutter Seite her, und vor allem hat er wohl Schwantikow und das Belling'ſche Haus wiederſehen wollen, an das ihn ſo viel Erinnerungen knüpfen. Da war er denn vorgeſtern drüben, und heute will er hier in Hohen-Cremmen ſein.

13Effi Brieſt

Und was ſagt Dein Vater dazu?

Gar nichts. Der iſt nicht ſo. Und dann kennt er ja doch die Mama. Er neckt ſie bloß.

In dieſem Augenblick ſchlug es Mittag, und ehe es noch ausgeſchlagen, erſchien Wilke, das alte Brieſt'ſche Haus - und Familienfaktotum, um an Fräulein Effi zu beſtellen: Die gnädige Frau ließe bitten, daß das gnädige Fräulein zu rechter Zeit auch Toilette mache; gleich nach Eins würde der Herr Baron wohl vorfahren. Und während Wilke dies noch vermeldete, begann er auch ſchon auf dem Arbeits¬ tiſch der Damen abzuräumen und griff dabei zu¬ nächſt nach dem Zeitungsblatt, auf dem die Stachel¬ beerſchalen lagen.

Nein, Wilke, nicht ſo; das mit den Schluſen, das iſt unſere Sache Hertha, Du mußt nun die Tüte machen und einen Stein hinein thun, daß alles beſſer verſinken kann. Und dann wollen wir in einem langen Trauerzug aufbrechen und die Tüte auf offener See begraben.

Wilke ſchmunzelte. Is doch ein Daus, unſer Fräulein, ſo etwa gingen ſeine Gedanken; Effi aber, während ſie die Tüte mitten auf die raſch zuſammen¬ geraffte Tiſchdecke legte, ſagte: Nun faſſen wir alle vier an, jeder an einem Zipfel und ſingen was Trauriges.

14Effi Brieſt

Ja, das ſagſt Du wohl, Effi. Aber was ſollen wir denn ſingen?

Irgend 'was; es iſt ganz gleich, es muß nur einen Reim auf u‘ haben; u‘ iſt immer Trauer¬ vokal. Alſo ſingen wir:

Flut, Flut
Mach 'alles wieder gut

und während Effi dieſe Litanei feierlich anſtimmte, ſetzten ſich alle vier auf den Steg hin in Bewegung, ſtiegen in das dort angekettelte Boot und ließen von dieſem aus die mit einem Kieſel beſchwerte Tüte langſam in den Teich niedergleiten.

Hertha, nun iſt Deine Schuld verſenkt, ſagte Effi, wobei mir übrigens einfällt, ſo vom Boot aus ſollen früher auch arme unglückliche Frauen ver¬ ſenkt worden ſein, natürlich wegen Untreue.

Aber doch nicht hier.

Nein, nicht hier, lachte Effi, hier kommt ſo 'was nicht vor. Aber in Konſtantinopel, und Du mußt ja, wie mir eben einfällt, auch davon wiſſen, ſo gut wie ich, Du biſt ja mit dabei geweſen, als uns Kandidat Holzapfel in der Geographieſtunde davon erzählte.

Ja, ſagte Hulda, der erzählte immer ſo was. Aber ſo 'was vergißt man doch wieder.

Ich nicht. Ich behalte ſo 'was.

[15]

Zweites Kapitel.

Sie ſprachen noch eine Weile ſo weiter, wobei ſie ſich ihrer gemeinſchaftlichen Schulſtunden und einer ganzen Reihe Holzapfel'ſcher Unpaſſendheiten mit Empörung und Behagen erinnerten. Ja, man konnte ſich nicht genug thun damit, bis Hulda mit einemmale ſagte: Nun aber iſt es höchſte Zeit, Effi; Du ſiehſt ja aus, ja, wie ſag 'ich nur, Du ſiehſt ja aus, wie wenn Du vom Kirſchenpflücken kämſt, alles zerknittert und zerknautſcht; das Leinen¬ zeug macht immer ſo viele Falten, und der große, weiße Klappkragen ja, wahrhaftig, jetzt hab' ich es, Du ſiehſt aus wie ein Schiffsjunge.

Midſhipman, wenn ich bitten darf. Etwas muß ich doch von meinem Adel haben. Übrigens Midſhipman oder Schiffsjunge, Papa hat mir erſt neulich wieder einen Maſtbaum verſprochen, hier dicht neben der Schaukel, mit Raaen und einer Strickleiter. Wahrhaftig, das ſollte mir gefallen, und den Wimpel16Effi Brieſtoben ſelbſt anzumachen, das ließ 'ich mir nicht nehmen. Und Du, Hulda, Du kämſt dann von der anderen Seite her herauf, und oben in der Luft wollten wir Hurra rufen und uns einen Kuß geben. Alle Wetter, das ſollte ſchmecken.

Alle Wetter …‘ wie das nun wieder klingt Du ſprichſt wirklich wie ein Midſhipman. Ich werde mich aber hüten, Dir nachzuklettern, ich bin nicht ſo waghalſig. Jahnke hat ganz recht, wenn er immer ſagt, Du hätteſt zu viel von dem Bellingſchen in Dir, von Deiner Mama her. Ich bin bloß ein Paſtorskind.

Ach, geh 'mir. Stille Waſſer ſind tief. Weißt Du noch, wie Du damals, als Vetter Brieſt als Kadett hier war, aber doch ſchon groß genug, wie Du damals auf dem Scheunendach entlang rutſchteſt. Und warum? Nun, ich will es nicht verraten. Aber kommt, wir wollen uns ſchaukeln, auf jeder Seite zwei; reißen wird es ja wohl nicht, oder wenn Ihr nicht Luſt habt, denn Ihr macht wieder lange Geſichter, dann wollen wir Anſchlag ſpielen. Eine Viertelſtunde hab' ich noch. Ich mag noch nicht hinein gehen, und alles bloß, um einem Landrat guten Tag zu ſagen, noch dazu einem Landrat aus Hinterpommern. Ältlich iſt er auch, er könnte ja beinah 'mein Vater ſein, und wenn er wirklich in17Effi Brieſteiner Seeſtadt wohnt, Keſſin ſoll ja ſo 'was ſein, nun, da muß ich ihm in dieſem Matroſenkoſtüm eigentlich am beſten gefallen und muß ihm beinah' wie eine große Aufmerkſamkeit vorkommen. Fürſten, wenn ſie wen empfangen, ſo viel weiß ich von meinem Papa her, legen auch immer die Uniform aus der Gegend des anderen an. Alſo nur nicht ängſtlich raſch, raſch, ich fliege aus und neben der Bank hier iſt frei.

Hulda wollte noch ein paar Einſchränkungen machen, aber Effi war ſchon den nächſten Kiesweg hinauf, links hin, rechts hin, bis ſie mit einemmale verſchwunden war. Effi, das gilt nicht; wo biſt Du? Wir ſpielen nicht Verſteck, wir ſpielen An¬ ſchlag, unter dieſen und ähnlichen Vorwürfen eilten die Freundinnen ihr nach, weit über das Rondell und die beiden ſeitwärts ſtehenden Platanen hinaus, bis die Verſchwundene mit einemmale aus ihrem Verſtecke hervorbrach und mühelos, weil ſie ſchon im Rücken ihrer Verfolger war, mit eins, zwei, drei den Freiplatz neben der Bank erreichte.

Wo warſt Du?

Hinter den Rhabarberſtauden; die haben ſo große Blätter, noch größer als ein Feigenblatt

Pfui

Nein, Pfui für Euch, weil Ihr verſpielt habt. Th. Fontane, Effi Brieſt. 218Effi BrieſtHulda, mit ihren großen Augen, ſah wieder nichts, immer ungeſchickt. Und dabei flog Effi von neuem über das Rondell hin, auf den Teich zu, vielleicht weil ſie vor hatte, ſich erſt hinter einer dort auf¬ wachſenden dichten Haſelnußhecke zu verſtecken, um dann, von dieſer aus, mit einem weiten Umweg um Kirchhof und Fronthaus, wieder bis an den Seiten¬ flügel und ſeinen Freiplatz zu kommen. Alles war gut berechnet; aber freilich, ehe ſie noch halb um den Teich herum war, hörte ſie ſchon vom Hauſe her ihren Namen rufen, und ſah, während ſie ſich umwandte, die Mama, die, von der Steintreppe her, mit ihrem Taſchentuche winkte. Noch einen Augen¬ blick, und Effi ſtand vor ihr.

Nun biſt Du doch noch in Deinem Kittel, und der Beſuch iſt da. Nie hältſt Du Zeit.

Ich halte ſchon Zeit, aber der Beſuch hat nicht Zeit gehalten. Es iſt noch nicht Eins; noch lange nicht, und ſich nach den Zwillingen hin um¬ wendend (Hulda war noch weiter zurück) rief ſie dieſen zu: Spielt nur weiter; ich bin gleich wieder da.

Schon im nächſten Augenblicke trat Effi mit der Mama in den großen Gartenſaal, der faſt den ganzen Raum des Seitenflügels füllte.

19Effi Brieſt

Mama, Du darfſt mich nicht ſchelten. Es iſt wirklich erſt halb. Warum kommt er ſo früh? Kavaliere kommen nicht zu ſpät, aber noch weniger zu früh.

Frau von Brieſt war in ſichtlicher Verlegenheit; Effi aber ſchmiegte ſich liebkoſend an ſie und ſagte: Verzeih ', ich will mich nun eilen; Du weißt, ich kann auch raſch ſein, und in fünf Minuten iſt Aſchenpuddel in eine Prinzeſſin verwandelt. So lange kann er warten oder mit dem Papa plaudern.

Und der Mama zunickend, wollte ſie leichten Fußes eine kleine eiſerne Stiege hinauf, die aus dem Saal in den Oberſtock hinauf führte. Frau von Brieſt aber, die unter Umſtänden auch unkonventionell ſein konnte, hielt plötzlich die ſchon forteilende Effi zurück, warf einen Blick auf das jugendlich reizende Geſchöpf, das, noch erhitzt von der Aufregung des Spiels, wie ein Bild friſcheſten Lebens vor ihr ſtand, und ſagte beinahe vertraulich: Es iſt am Ende das Beſte, Du bleibſt wie Du biſt. Ja, bleibe ſo. Du ſiehſt gerade ſehr gut aus. Und wenn es auch nicht wäre, Du ſiehſt ſo unvorbereitet aus, ſo gar nicht zurecht gemacht, und darauf kommt es in dieſem Augenblicke an. Ich muß Dir nämlich ſagen, meine ſüße Effi und ſie nahm ihres Kindes beide Hände ich muß Dir nämlich ſagen

2 *20Effi Brieſt

Aber Mama, was haſt Du nur? Mir wird ja ganz angſt und bange.

Ich muß dir nämlich ſagen, Effi, daß Baron Innſtetten eben um Deine Hand angehalten hat.

Um meine Hand angehalten? Und im Ernſt?

Es iſt keine Sache, um einen Scherz daraus zu machen. Du haſt ihn vorgeſtern geſehen, und ich glaube, er hat Dir auch gut gefallen. Er iſt freilich älter als Du, was alles in allem ein Glück iſt, dazu ein Mann von Charakter, von Stellung und guten Sitten, und wenn Du nicht, Nein‘ ſagſt, was ich mir von meiner klugen Effi kaum denken kann, ſo ſtehſt Du mit zwanzig Jahren da, wo andere mit vierzig ſtehen. Du wirſt Deine Mama weit überholen.

Effi ſchwieg und ſuchte nach einer Antwort. Aber ehe ſie dieſe finden konnte, hörte ſie ſchon des Vaters Stimme von dem angrenzenden, noch im Fronthauſe gelegenen Hinterzimmer her, und gleich danach überſchritt Ritterſchaftsrat von Brieſt, ein wohl konſervierter Fünfziger von ausgeſprochener Bon¬ hommie, die Gartenſalonſchwelle mit ihm Baron Innſtetten, ſchlank, brünett und von militäriſcher Haltung.

Effi, als ſie ſeiner anſichtig wurde, kam in ein nervöſes Zittern; aber nicht auf lange, denn im ſelben Augenblicke faſt, wo ſich Innſtetten unter21Effi Brieſtfreundlicher Verneigung ihr näherte, wurden an dem mittleren der weit offen ſtehenden und von wildem Wein halb überwachſenen Fenſter die rotblonden Köpfe der Zwillinge ſichtbar, und Hertha, die Aus¬ gelaſſenſte, rief in den Saal hinein: Effi, komm.

Dann duckte ſie ſich, und beide Schweſtern ſprangen von der Banklehne, darauf ſie geſtanden, wieder in den Garten hinab, und man hörte nur noch ihr leiſes Kichern und Lachen.

[22]

Drittes Kapitel.

Noch an demſelben Tage hatte ſich Baron Innſtetten mit Effi Brieſt verlobt. Der joviale Brautvater, der ſich nicht leicht in ſeiner Feierlich¬ keitsrolle zurecht fand, hatte bei dem Verlobungs¬ mahl, das folgte, das junge Paar leben laſſen, was auf Frau von Brieſt, die dabei der nun um kaum achtzehn Jahre zurückliegenden Zeit gedenken mochte, nicht ohne herzbeweglichen Eindruck geblieben war. Aber nicht auf lange; ſie hatte es nicht ſein können, nun war es ſtatt ihrer die Tochter alles in allem ebenſo gut oder vielleicht noch beſſer. Denn mit Brieſt ließ ſich leben, trotzdem er ein wenig proſaiſch war und dann und wann einen kleinen frivolen Zug hatte. Gegen Ende der Tafel, das Eis wurde ſchon herumgereicht, nahm der alte Ritter¬ ſchaftsrat noch einmal das Wort, um in einer zweiten Anſprache das allgemeine Familien-Du zu pro¬ ponieren. Er umarmte dabei Innſtetten und gab23Effi Brieſtihm einen Kuß auf die linke Backe. Hiermit war aber die Sache für ihn noch nicht abgeſchloſſen, viel¬ mehr fuhr er fort, außer dem Du zugleich intimere Namen und Titel für den Hausverkehr zu empfehlen, eine Art Gemütlichkeitsrangliſte aufzuſtellen, natürlich unter Wahrung berechtigter, weil wohlerworbener Eigentümlichkeiten. Für ſeine Frau, ſo hieß es, würde der Fortbeſtand von Mama (denn es gäbe auch junge Mamas) wohl das Beſte ſein, während er für ſeine Perſon, unter Verzicht auf den Ehren¬ titel Papa , das einfache Brieſt entſchieden bevor¬ zugen müſſe, ſchon weil es ſo hübſch kurz ſei. Und was nun die Kinder angehe bei welchem Wort er ſich, Aug 'in Auge mit dem nur etwa um ein Dutzend Jahre jüngeren Innſtetten, einen Ruck geben mußte nun, ſo ſei Effi eben Effi und Geert Geert. Geert, wenn er nicht irre, habe die Bedeu¬ tung von einem ſchlank aufgeſchoſſenen Stamm, und Effi ſei dann alſo der Epheu, der ſich darum zu ranken habe. Das Brautpaar ſah ſich bei dieſen Worten etwas verlegen an, Effi zugleich mit einem Ausdruck kindlicher Heiterkeit, Frau von Brieſt aber ſagte: Brieſt, ſprich was Du willſt und formuliere Deine Toaſte nach Gefallen, nur poetiſche Bilder, wenn ich Dich bitten darf, laß bei Seite, das liegt jenſeits Deiner Sphäre. Zurechtweiſende Worte,24Effi Brieſtdie bei Brieſt mehr Zuſtimmung als Ablehnung ge¬ funden hatten. Es iſt möglich, daß Du recht haſt, Luiſe.

Gleich nach Aufhebung der Tafel beurlaubte ſich Effi, um einen Beſuch drüben bei Paſtors zu machen. Unterwegs ſagte ſie ſich: Ich glaube, Hulda wird ſich ärgern. Nun bin ich ihr doch zu¬ vorgekommen ſie war immer zu eitel und ein¬ gebildet. Aber Effi traf es mit ihrer Erwartung nicht ganz; Hulda, durchaus Haltung bewahrend, benahm ſich ſehr gut und überließ die Bezeugung von Unmut und Ärger ihrer Mutter, der Frau Paſtorin, die denn auch ſehr ſonderbare Bemerkungen machte. Ja, ja, ſo geht es. Natürlich. Wenn's die Mutter nicht ſein konnte, muß es die Tochter ſein. Das kennt man. Alte Familien halten immer zuſammen, und wo 'was is, kommt' was dazu. Der alte Niemeyer kam in arge Verlegenheit über dieſe fortgeſetzten ſpitzen Redensarten ohne Bildung und Anſtand und beklagte 'mal wieder, eine Wirt¬ ſchafterin geheiratet zu haben.

Von Paſtors ging Effi natürlich auch zu Kantor Jahnkes; die Zwillinge hatten ſchon nach ihr aus¬ geſchaut und empfingen ſie im Vorgarten.

Nun, Effi, ſagte Hertha, während alle drei zwiſchen den rechts und links blühenden Studenten¬25Effi Brieſtblumen auf - und abſchritten, nun, Effi, wie iſt Dir eigentlich.

Wie mir iſt? O, ganz gut. Wir nennen uns auch ſchon Du und bei Vornamen. Er heißt nämlich Geert, was ich Euch, wie mir einfällt, auch ſchon geſagt habe.

Ja, das haſt Du. Mir iſt aber doch ſo bange dabei. Iſt es denn auch der Richtige?

Gewiß iſt es der Richtige. Das verſtehſt Du nicht, Hertha. Jeder iſt der Richtige. Natürlich muß er von Adel ſein und eine Stellung haben und gut ausſehen.

Gott, Effi, wie Du nur ſprichſt. Sonſt ſprachſt Du doch ganz anders.

Ja, ſonſt.

Und biſt auch ſchon ganz glücklich?

Wenn man zwei Stunden verlobt iſt, iſt man immer ganz glücklich. Wenigſtens denk 'ich es mir ſo.

Und iſt es Dir denn gar nicht, ja, wie ſag 'ich nur, ein bißchen genant?

Ja, ein bißchen genant iſt es mir, aber doch nicht ſehr. Und ich denke, ich werde darüber weg kommen.

Nach dieſem, im Pfarr - und Kantorhauſe ge¬ machten Beſuche, der keine halbe Stunde gedauert hatte, war Effi wieder nach drüben zurückgekehrt, wo26Effi Brieſtman auf der Gartenveranda eben den Kaffee nehmen wollte. Schwiegervater und Schwiegerſohn gingen auf dem Kieswege zwiſchen den zwei Platanen auf und ab. Brieſt ſprach von dem Schwierigen einer landrätlichen Stellung; ſie ſei ihm verſchiedentlich angetragen worden, aber er habe jedesmal gedankt. So nach meinem eigenen Willen ſchalten und walten zu können, iſt mir immer das Liebſte geweſen, jedenfalls lieber Pardon, Innſtetten als ſo die Blicke be¬ ſtändig nach oben richten zu müſſen. Man hat dann bloß immer Sinn und Merk für hohe und höchſte Vorgeſetzte. Das iſt nichts für mich. Hier leb 'ich ſo frei weg und freue mich über jedes grüne Blatt und über den wilden Wein, der da drüben in die Fenſter wächſt.

Er ſprach noch mehr dergleichen, allerhand Anti¬ beamtliches, und entſchuldigte ſich von Zeit zu Zeit mit einem kurzen, verſchiedentlich wiederkehrenden Pardon, Innſtetten. Dieſer nickte mechaniſch zu¬ ſtimmend, war aber eigentlich wenig bei der Sache, ſah vielmehr, wie gebannt, immer aufs neue nach dem drüben am Fenſter rankenden wilden Wein hin¬ über, von dem Brieſt eben geſprochen, und während er dem nachhing, war es ihm, als ſäh 'er wieder die rotblonden Mädchenköpfe zwiſchen den Weinranken und höre dabei den übermütigen Zuruf: Effi, komm'.

27Effi Brieſt

Er glaubte nicht an Zeichen und Ähnliches, im Gegenteil, wies alles Abergläubiſche weit zurück. Aber er konnte trotzdem von den zwei Worten nicht los, und während Brieſt immer weiter perorierte, war es ihm beſtändig, als wäre der kleine Hergang doch mehr als ein bloßer Zufall geweſen.

Innſtetten, der nur einen kurzen Urlaub ge¬ nommen, war ſchon am folgenden Tage wieder ab¬ gereiſt, nachdem er verſprochen hatte, jeden Tag ſchreiben zu wollen. Ja, das mußt Du, hatte Effi geſagt, ein Wort, das ihr von Herzen kam, da ſie ſeit Jahren nichts Schöneres kannte, als beiſpiels¬ weiſe den Empfang vieler Geburtstagsbriefe. Jeder mußte ihr zu dieſem Tage ſchreiben. In den Brief eingeſtreute Wendungen, etwa wie Gertrud und Klara ſenden Dir mit mir ihre herzlichſten Glück¬ wünſche , waren verpönt; Gertrud und Klara, wenn ſie Freundinnen ſein wollten, hatten dafür zu ſorgen, daß ein Brief mit ſelbſtändiger Marke daläge, wo¬ möglich denn ihr Geburtstag fiel noch in die Reiſezeit mit einer fremden, aus der Schweiz oder Karlsbad.

Innſtetten, wie verſprochen, ſchrieb wirklich jeden Tag; was aber den Empfang ſeiner Briefe ganz beſonders angenehm machte, war der Umſtand, daß28Effi Brieſter allwöchentlich nur einmal einen ganz kleinen Ant¬ wortbrief erwartete. Den erhielt er denn auch, voll reizend nichtigen und ihn jedesmal entzückenden In¬ halts. Was es von ernſteren Dingen zu beſprechen gab, das verhandelte Frau von Brieſt mit ihrem Schwiegerſohne: Feſtſetzungen wegen der Hochzeit, Ausſtattungs - und Wirtſchafts-Einrichtungsfragen. Innſtetten, ſchon an die drei Jahre im Amt, war in ſeinem Keſſiner Hauſe nicht glänzend, aber doch ſehr ſtandesgemäß eingerichtet, und es empfahl ſich, in der Korreſpondenz mit ihm, ein Bild von allem, was da war, zu gewinnen, um nichts Unnützes an¬ zuſchaffen. Schließlich, als Frau von Brieſt über all dieſe Dinge genugſam unterrichtet war, wurde ſeitens Mutter und Tochter eine Reiſe nach Berlin beſchloſſen, um, wie Brieſt ſich ausdrückte, den trousseau für Prinzeſſin Effi zuſammenzukaufen. Effi freute ſich ſehr auf den Aufenthalt in Berlin, um ſo mehr, als der Vater darein gewilligt hatte, im Hotel du Nord Wohnung zu nehmen. Was es koſte, könne ja von der Ausſtattung abgezogen werden; Innſtetten habe ohnehin alles. Effi ganz im Gegenſatze zu der ſolche Mesquinerien ein für allemal ſich verbittenden Mama hatte dem Vater, ohne jede Sorge darum, ob er's ſcherz - oder ernſthaft gemeint hatte, freudig zugeſtimmt und be¬29Effi Brieſtſchäftigte ſich in ihren Gedanken viel, viel mehr mit dem Eindruck, den ſie beide, Mutter und Tochter, bei ihrem Erſcheinen an der Table d'hôte machen würden, als mit Spinn und Mencke, Goſchenhofer und ähnlichen Firmen, die vorläufig notiert worden waren. Und dieſen ihren heiteren Phantaſien ent¬ ſprach denn auch ihre Haltung, als die große Ber¬ liner Woche nun wirklich da war. Vetter Brieſt vom Alexander-Regiment, ein ungemein ausgelaſſener, junger Leutnant, der die Fliegenden Blätter hielt und über die beſten Witze Buch führte, ſtellte ſich den Damen für jede dienſtfreie Stunde zur Ver¬ fügung, und ſo ſaßen ſie denn mit ihm bei Kranzler am Eckfenſter oder zu ſtatthafter Zeit auch wohl im Café Bauer und fuhren nachmittags in den Zoo¬ logiſchen Garten, um da die Giraffen zu ſehen, von denen Vetter Brieſt, der übrigens Dagobert hieß, mit Vorliebe behauptete: ſie ſähen aus wie adlige alte Jungfern. Jeder Tag verlief programmmäßig, und am dritten oder vierten Tage gingen ſie, wie vorgeſchrieben, in die Nationalgalerie, weil Vetter Dagobert ſeiner Kouſine die Inſel der Seligen zeigen wollte. Fräulein Kouſine ſtehe zwar auf dem Punkte, ſich zu verheiraten, es ſei aber doch vielleicht gut, die Inſel der Seligen‘ ſchon vorher kennen gelernt zu haben. Die Tante gab ihm einen30Effi BrieſtSchlag mit dem Fächer, begleitete dieſen Schlag aber mit einem ſo gnädigen Blick, daß er keine Veran¬ laſſung hatte, den Ton zu ändern. Es waren himm¬ liſche Tage für alle drei, nicht zum wenigſten für den Vetter, der ſo wundervoll zu chaperonnieren und kleine Differenzen immer raſch auszugleichen verſtand. An ſolchen Meinungsverſchiedenheiten zwiſchen Mutter und Tochter war nun, wie das ſo geht, all die Zeit über kein Mangel, aber ſie traten glücklicherweiſe nie bei den zu machenden Einkäufen hervor. Ob man von einer Sache ſechs oder drei Dutzend erſtand, Effi war mit allem gleichmäßig einverſtanden, und wenn dann auf dem Heimwege von dem Preiſe der eben eingekauften Gegenſtände geſprochen wurde, ſo verwechſelte ſie regelmäßig die Zahlen. Frau von Brieſt, ſonſt ſo kritiſch, auch ihrem eigenen geliebten Kinde gegenüber, nahm dies anſcheinend mangelnde Intereſſe nicht nur von der leichten Seite, ſondern erkannte ſogar einen Vorzug darin. Alle dieſe Dinge, ſo ſagte ſie ſich, be¬ deuten Effi nicht viel. Effi iſt anſpruchslos; ſie lebt in ihren Vorſtellungen und Träumen, und wenn die Prinzeſſin Friedrich Karl vorüberfährt und ſie von ihrem Wagen aus freundlich grüßt, ſo gilt ihr das mehr als eine ganze Truhe voll Weißzeug.

Das alles war auch richtig, aber doch nur halb. 31Effi BrieſtAn dem Beſitze mehr oder weniger alltäglicher Dinge lag Effi nicht viel, aber wenn ſie mit der Mama die Linden hinauf - und hinunterging und nach Muſterung der ſchönſten Schaufenſter in den De¬ muth'ſchen Laden eintrat, um für die gleich nach der Hochzeit geplante italieniſche Reiſe allerlei Ein¬ käufe zu machen, ſo zeigte ſich ihr wahrer Charakter. Nur das Eleganteſte gefiel ihr, und wenn ſie das Beſte nicht haben konnte, ſo verzichtete ſie auf das Zweitbeſte, weil ihr dies Zweite nun nichts mehr bedeutete. Ja, ſie konnte verzichten, darin hatte die Mama recht, und in dieſem Verzichtenkönnen lag etwas von Anſpruchsloſigkeit; wenn es aber aus¬ nahmsweiſe 'mal wirklich etwas zu beſitzen galt, ſo mußte dies immer' was ganz Apartes ſein. Und darin war ſie anſpruchsvoll.

[32]

Viertes Kapitel.

Vetter Dagobert war am Bahnhof, als die Damen ihre Rückreiſe nach Hohen-Cremmen an¬ traten. Es waren glückliche Tage geweſen, vor allem auch darin, daß man nicht unter unbequemer und beinahe unſtandesgemäßer Verwandtſchaft gelitten hatte. Für Tante Thereſe, ſo hatte Effi gleich nach der Ankunft geſagt, müſſen wir diesmal in¬ kognito bleiben. Es geht nicht, daß ſie hier ins Hotel kommt. Entweder Hotel du Nord oder Tante Thereſe; beides zuſammen paßt nicht . Die Mama hatte ſich ſchließlich einverſtanden damit erklärt, ja dem Lieblinge zur Beſiegelung des Einverſtändniſſes einen Kuß auf die Stirn gegeben.

Mit Vetter Dagobert war das natürlich etwas ganz anderes geweſen, der hatte nicht bloß den Gardepli, der hatte vor allem auch mit Hülfe jener eigentümlich guten Laune, wie ſie bei den Alexander¬ offizieren beinahe traditionell geworden, ſowohl Mutter33Effi Brieſtwie Tochter von Anfang an anzuregen und auf¬ zuheitern gewußt, und dieſe gute Stimmung dauerte bis zuletzt. Dagobert, ſo hieß es noch beim Ab¬ ſchied, Du kommſt alſo zu meinem Polterabend, und natürlich mit Cortege. Denn nach den Auf¬ führungen (aber kommt mir nicht mit Dienſtmann oder Mauſefallenhändler) iſt Ball. Und Du mußt bedenken, mein erſter großer Ball iſt vielleicht auch mein letzter. Unter ſechs Kameraden natürlich beſte Tänzer wird gar nicht angenommen. Und mit dem Frühzug könnt Ihr wieder zurück. Der Vetter verſprach alles, und ſo trennte man ſich.

Gegen Mittag trafen beide Damen an ihrer havelländiſchen Bahnſtation ein, mitten im Luch, und fuhren in einer halben Stunde nach Hohen-Cremmen hinüber. Brieſt war ſehr froh, Frau und Tochter wieder zu Hauſe zu haben, und ſtellte Fragen über Fragen, deren Beantwortung er meiſt nicht abwartete. Statt deſſen erging er ſich in Mitteilung deſſen, was er inzwiſchen erlebt. Ihr habt mir da vorhin von der Nationalgalerie geſprochen und von der, Inſel der Seligen‘ nun, wir haben hier, während Ihr fort wart, auch ſo 'was gehabt: unſer Inſpektor Pink und die Gärtnersfrau. Natürlich habe ich Pink entlaſſen müſſen, übrigens ungern. Es iſt ſehr fatal, daß ſolche Geſchichten faſt immer in die Ernte¬Th. Fontane, Effi Brieſt. 334Effi Brieſtzeit fallen. Und Pink war ſonſt ein ungewöhnlich tüchtiger Mann, hier leider am unrechten Fleck. Aber laſſen wir das; Wilke wird ſchon unruhig.

Bei Tiſche hörte Brieſt beſſer zu; das gute Einvernehmen mit dem Vetter, von dem ihm viel erzählt wurde, hatte ſeinen Beifall, weniger das Verhalten gegen Tante Thereſe. Man ſah aber deutlich, daß er inmitten ſeiner Mißbilligung ſich eigentlich darüber freute; denn ein kleiner Schaber¬ nack entſprach ganz ſeinem Geſchmack, und Tante Thereſe war wirklich eine lächerliche Figur. Er hob ſein Glas und ſtieß mit Frau und Tochter an. Auch als nach Tiſch einzelne der hübſcheſten Einkäufe vor ihm ausgepackt und ſeiner Beurteilung unter¬ breitet wurden, verriet er viel Intereſſe, das ſelbſt noch anhielt, oder wenigſtens nicht ganz hinſtarb, als er die Rechnung überflog. Etwas teuer, oder ſagen wir lieber ſehr teuer; indeſſen es thut nichts. Es hat alles ſo viel chic, ich möchte ſagen ſo viel Animierendes, daß ich deutlich fühle, wenn Du mir ſolchen Koffer und ſolche Reiſedecke zu Weihnachten ſchenkſt, ſo ſind wir zu Oſtern auch in Rom und machen nach achtzehn Jahren unſere Hochzeitsreiſe. Was meinſt Du, Luiſe? Wollen wir nachexerzieren? Spät kommt Ihr, doch Ihr kommt.

Frau von Brieſt machte eine Handbewegung,35Effi Brieſtwie wenn ſie ſagen wollte: unverbeſſerlich, und überließ ihn im übrigen ſeiner eigenen Beſchämung, die aber nicht groß war.

Ende Auguſt war da, der Hochzeitstag (3. Ok¬ tober) rückte näher, und ſowohl im Herrenhauſe wie in der Pfarre und Schule war man unausgeſetzt bei den Vorbereitungen zum Polterabend. Jahnke, getreu ſeiner Fritz Reuter-Paſſion, hatte ſich's als etwas beſonders Sinniges ausgedacht, Bertha und Hertha als Lining und Mining auftreten zu laſſen, natürlich plattdeutſch, während Hulda das Käthchen von Heilbronn in der Hollunderbaumſzene darſtellen ſollte, Leutnant Engelbrecht von den Huſaren als Wetter vom Strahl. Niemeyer, der ſich den Vater der Idee nennen durfte, hatte keinen Augenblick geſäumt, auch die verſchämte Nutzanwendung auf Innſtetten und Effi hinzuzudichten. Er ſelbſt war mit ſeiner Arbeit zufrieden und hörte, gleich nach der Leſeprobe, von allen Beteiligten viel Freund¬ liches darüber, freilich mit Ausnahme ſeines Patronats¬ herrn und alten Freundes Brieſt, der, als er die Miſchung von Kleiſt und Niemeyer mit angehört hatte, lebhaft proteſtierte, wenn auch keineswegs aus litterariſchen Gründen. Hoher Herr und immer wieder Hoher Herr was ſoll das? Das leitet3 *36Effi Brieſtin die Irre, das verſchiebt alles. Innſtetten, unbe¬ ſtritten, iſt ein famoſes Menſchenexemplar, Mann von Charakter und Schneid ', aber die Brieſt's verzeih' den Berolinismus, Luiſe die Brieſt's ſind ſchließlich auch nicht von ſchlechten Eltern. Wir ſind doch nun 'mal eine hiſtoriſche Familie, laß mich hinzufügen Gott ſei Dank, und die Innſtetten's ſind es nicht; die Innſtetten's ſind bloß alt, meinet¬ wegen Uradel, aber was heißt Uradel? Ich will nicht, daß eine Brieſt oder doch mindeſtens eine Polterabendfigur, in der jeder das Widerſpiel unſerer Effi erkennen muß ich will nicht, daß eine Brieſt mittelbar oder unmittelbar in einem fort von Hoher Herr ſpricht. Da müßte denn doch Innſtetten wenigſtens ein verkappter Hohenzoller ſein, es giebt ja dergleichen. Das iſt er aber nicht, und ſo kann ich nur wiederholen, es verſchiebt die Situation.

Und wirklich, Brieſt hielt mit beſonderer Zähig¬ keit eine ganze Zeit lang an dieſer Anſchauung feſt. Erſt nach der zweiten Probe, wo das Käthchen , ſchon halb im Koſtüm, ein ſehr eng anliegendes Sammetmieder trug, ließ er ſich der es auch ſonſt nicht an Huldigungen gegen Hulda fehlen ließ zu der Bemerkung hinreißen, das Käthchen liege ſehr gut da, welche Wendung einer Waffenſtreckung37Effi Brieſtziemlich gleich kam oder doch zu ſolcher hinüber leitete. Daß alle dieſe Dinge vor Effi geheim ge¬ halten wurden, braucht nicht erſt geſagt zu werden. Bei mehr Neugier auf Seiten dieſer Letzteren wäre das nun freilich ganz unmöglich geweſen, aber Effi hatte ſo wenig Verlangen, in die Vorbereitungen und ge¬ planten Überraſchungen einzudringen, daß ſie der Mama mit allem Nachdruck erklärte, ſie könne es abwarten , und wenn dieſe dann zweifelte, ſo ſchloß Effi mit der wiederholten Verſicherung: es wäre wirklich ſo; die Mama könne es glauben. Und warum auch nicht? Es ſei ja doch alles nur Theateraufführung und hübſcher und poetiſcher als Aſchenbrödel , das ſie noch am letzten Abend in Berlin geſehen hätte, hübſcher und poetiſcher könne es ja doch nicht ſein. Da hätte ſie wirklich ſelber mitſpielen mögen, wenn auch nur, um dem lächerlichen Penſionslehrer einen Kreideſtrich auf den Rücken zu machen. Und wie reizend im letzten Akt, Aſchenbrödel's Erwachen als Prinzeſſin‘ oder doch wenigſtens als Gräfin; wirklich, es war ganz wie ein Märchen. In dieſer Weiſe ſprach ſie oft, war meiſt ausgelaſſener als vordem und ärgerte ſich blos über das beſtändige Tuſcheln und Geheimthun der Freundinnen. Ich wollte, ſie hätten ſich weniger wichtig und wären mehr für mich da. Nachher bleiben ſie doch blos ſtecken, und38Effi Brieſtich muß mich um ſie ängſtigen und mich ſchämen, daß es meine Freundinnen ſind.

So gingen Effi's Spottreden, und es war ganz unverkennbar, daß ſie ſich um Polterabend und Hochzeit nicht allzu ſehr kümmerte. Frau von Brieſt hatte ſo ihre Gedanken darüber, aber zu Sorgen kam es nicht, weil ſich Effi, was doch ein gutes Zeichen war, ziemlich viel mit ihrer Zukunft beſchäftigte und ſich, phantaſiereich wie ſie war, Viertelſtunden lang in Schilderungen ihres Keſſiner Lebens erging, Schilderungen, in denen ſich nebenher und ſehr zur Erheiterung der Mama, eine merkwürdige Vorſtellung von Hinterpommern ausſprach oder vielleicht auch, mit kluger Berechnung, ausſprechen ſollte. Sie gefiel ſich nämlich darin, Keſſin als einen halb ſibiriſchen Ort aufzufaſſen, wo Eis und Schnee nie recht aufhörten.

Heute hat Goſchenhofer das Letzte geſchickt, ſagte Frau von Brieſt, als ſie wie gewöhnlich in Front des Seitenflügels mit Effi am Arbeitstiſche ſaß, auf dem die Leinen - und Wäſchevorräte be¬ ſtändig wuchſen, während der Zeitungen, die blos Platz wegnahmen, immer weniger wurden. Ich hoffe, Du haſt nun alles, Effi. Wenn Du aber noch kleine Wünſche hegſt, ſo mußt Du ſie jetzt aus¬ ſprechen, womöglich in dieſer Stunde noch. Papa39Effi Brieſthat den Raps vorteilhaft verkauft und iſt ungewöhnlich guter Laune.

Ungewöhnlich? Er iſt immer in guter Laune.

In ungewöhnlich guter Laune, wiederholte die Mama. Und die muß benutzt werden. Sprich alſo. Mehrmals, als wir noch in Berlin waren, war es mir, als ob Du doch nach dem einen oder anderen noch ein ganz beſonderes Verlangen gehabt hätteſt.

Ja, liebe Mama, was ſoll ich da ſagen. Ei¬ gentlich habe ich ja alles, was man braucht, ich meine, was man hier braucht. Aber da mir's nun 'mal beſtimmt iſt, ſo hoch nördlich zu kommen ich bemerke, daß ich nichts dagegen habe, im Gegenteil, ich freue mich darauf, auf die Nordlichter und auf den helleren Glanz der Sterne da mir's nun' mal ſo beſtimmt iſt, ſo hätte ich wohl gern einen Pelz gehabt.

Aber Effi, Kind, das iſt doch alles bloß leere Thorheit. Du kommſt ja nicht nach Petersburg oder nach Archangel.

Nein; aber ich bin doch auf dem Wege dahin

Gewiß, Kind. Auf dem Wege dahin biſt Du; aber was heißt das? Wenn Du von hier nach Nauen fährſt, biſt Du auch auf dem Wege nach40Effi BrieſtRußland. Im übrigen, wenn Du's wünſchſt, ſo ſollſt Du einen Pelz haben. Nur das laß mich im voraus ſagen, ich rate Dir davon ab. Ein Pelz iſt für ältere Perſonen, ſelbſt Deine alte Mama iſt noch zu jung dafür, und wenn Du mit Deinen ſiebzehn Jahren in Nerz oder Marder auftrittſt, ſo glauben die Keſſiner, es ſei eine Maskerade.

Das war am 2. September, daß ſie ſo ſprachen, ein Geſpräch, das ſich wohl fortgeſetzt hätte, wenn nicht gerade Sedantag geweſen wäre. So aber wurden ſie durch Trommel - und Pfeifenklang unter¬ brochen, und Effi, die ſchon vorher von dem be¬ abſichtigten Aufzuge gehört, aber es wieder vergeſſen hatte, ſtürzte mit einemmale von dem gemein¬ ſchaftlichen Arbeitstiſche fort und an Rondell und Teich vorüber auf einen kleinen, an die Kirchhofs¬ mauer angebauten Balkon zu, zu dem ſechs Stufen, nicht viel breiter als Leiterſproſſen, hinaufführten. Im Nu war ſie oben, und richtig, da kam auch ſchon die ganze Schuljugend heran, Jahnke gravitätiſch am rechten Flügel, während ein kleiner Tambour¬ major, weit voran, an der Spitze des Zuges mar¬ ſchierte, mit einem Geſichtsausdruck, als ob ihm ob¬ läge, die Schlacht bei Sedan noch einmal zu ſchlagen. 41Effi BrieſtEffi winkte mit dem Taſchentuch, und der Begrüßte verſäumte nicht, mit ſeinem blanken Kugelſtock zu ſalutieren.

Eine Woche ſpäter ſaßen Mutter und Tochter wieder am alten Fleck, auch wieder mit ihrer Arbeit beſchäftigt. Es war ein wunderſchöner Tag; der in einem zierlichen Beet um die Sonnenuhr herum¬ ſtehende Heliotrop blühte noch, und die leiſe Briſe, die ging, trug den Duft davon zu ihnen herüber.

Ach, wie wohl ich mich fühle, ſagte Effi, ſo wohl und ſo glücklich; ich kann mir den Himmel nicht ſchöner denken. Und am Ende, wer weiß, ob ſie im Himmel ſo wundervollen Heliotrop haben.

Aber Effi, ſo darfſt Du nicht ſprechen; das haſt Du von Deinem Vater, dem nichts heilig iſt, und der neulich ſogar ſagte: Niemeyer ſähe aus wie Lot. Unerhört. Und was ſoll es nur heißen? Erſtlich weiß er nicht, wie Lot ausgeſehen hat, und zweitens iſt es eine grenzenloſe Rückſichtsloſigkeit gegen Hulda. Ein Glück, daß Niemeyer nur die einzige Tochter hat, dadurch fällt es eigentlich in ſich zuſammen. In einem freilich hat er nur zu ſehr recht gehabt, in all' und jedem, was er über Lots Frau , unſere gute Frau Paſtorin, ſagte, die uns denn auch wirk¬ lich wieder mit ihrer Thorheit und Anmaßung den42Effi Brieſtganzen Sedantag ruinierte. Wobei mir übrigens einfällt, daß wir, als Jahnke mit der Schule vorbei kam, in unſerem Geſpräche unterbrochen wurden wenigſtens kann ich mir nicht denken, daß der Pelz, von dem Du damals ſprachſt, Dein einziger Wunſch geweſen ſein ſollte. Laß mich alſo wiſſen, Schatz, was Du noch weiter auf dem Herzen haſt? []

Nichts, Mama.

Wirklich nichts?

Nein, wirklich nichts; ganz im Ernſte Wenn es aber doch am Ende was ſein ſollte

Nun

So müßt 'es ein japaniſcher Bettſchirm ſein, ſchwarz und goldene Vögel darauf, alle mit einem langen Kranichſchnabel Und dann viel¬ leicht auch noch eine Ampel für unſer Schlafzimmer, mit rotem Schein.

Frau von Brieſt ſchwieg.

Nun ſiehſt Du, Mama, Du ſchweigſt und ſiehſt aus, als ob ich etwas beſonders Unpaſſendes geſagt hätte.

Nein, Effi, nichts Unpaſſendes. Und vor Deiner Mutter nun ſchon gewiß nicht. Denn ich kenne Dich ja. Du biſt eine phantaſtiſche kleine Perſon, malſt Dir mit Vorliebe Zukunftsbilder aus, und je farbenreicher ſie ſind, deſto ſchöner und begehr¬43Effi Brieſtlicher erſcheinen ſie Dir. Ich ſah das ſo recht, als wir die Reiſeſachen kauften. Und nun denkſt Du Dir's ganz wundervoll, einen Bettſchirm mit aller¬ hand fabelhaftem Getier zu haben, alles im Halb¬ licht einer roten Ampel. Es kommt Dir vor wie ein Märchen, und Du möchteſt eine Prinzeſſin ſein.

Effi nahm die Hand der Mama und küßte ſie. Ja, Mama, ſo bin ich.

Ja, ſo biſt Du. Ich weiß es wohl. Aber meine liebe Effi, wir müſſen vorſichtig im Leben ſein, und zumal wir Frauen. Und wenn Du nun nach Keſſin kommſt, einem kleinen Ort, wo nachts kaum eine Laterne brennt, ſo lacht man über dergleichen. Und wenn man bloß lachte. Die, die Dir unge¬ wogen ſind, und ſolche giebt es immer, ſprechen von ſchlechter Erziehung, und manche ſagen auch wohl noch Schlimmeres.

Alſo nichts Japaniſches und auch keine Ampel. Aber ich bekenne Dir, ich hatte es mir ſo ſchön und poetiſch gedacht, alles in einem roten Schimmer zu ſehen.

Frau von Brieſt war bewegt. Sie ſtand auf und küßte Effi. Du biſt ein Kind. Schön und poetiſch. Das ſind ſo Vorſtellungen. Die Wirklich¬ keit iſt anders, und oft iſt es gut, daß es ſtatt Licht[und] Schimmer ein Dunkel giebt.

Effi ſchien antworten zu wollen, aber in dieſem44Effi BrieſtAugenblicke kam Wilke und brachte Briefe. Der eine war aus Keſſin von Innſtetten. Ach, von Geert, ſagte Effi, und während ſie den Brief bei Seite ſteckte, fuhr ſie in ruhigem Tone fort: Aber das wirſt Du doch geſtatten, daß ich den Flügel ſchräg in die Stube ſtelle. Daran liegt mir mehr als an einem Kamin, den mir Geert verſprochen hat. Und das Bild von Dir, das ſtell 'ich dann auf eine Staffelei; ganz ohne Dich kann ich nicht ſein. Ach, wie werd' ich mich nach Euch ſehnen, vielleicht auf der Reiſe ſchon und dann in Keſſin ganz gewiß. Es ſoll ja keine Garniſon haben, nicht einmal einen Stabsarzt, und ein Glück, daß es wenigſtens ein Badeort iſt. Vetter Brieſt, und daran will ich mich aufrichten, deſſen Mutter und Schweſter immer nach Warnemünde gehen nun, ich ſehe doch wirklich nicht ein, warum der die lieben Verwandten nicht auch einmal nach Keſſin hin dirigieren ſollte. Dirigieren, das klingt ohnehin ſo nach Generalſtab, worauf er, glaub 'ich, ambiert. Und dann kommt er natürlich mit und wohnt bei uns. Übrigens haben die Keſ¬ ſiner, wie mir neulich erſt wer erzählt hat, ein ziem¬ lich großes Dampfſchiff, das zweimal die Woche nach Schweden hinüberfährt. Und auf dem Schiffe iſt dann Ball (ſie haben da natürlich auch Muſik) und er tanzt ſehr gut

45Effi Brieſt

Wer?

Nun, Dagobert.

Ich dachte, Du meinteſt Innſtetten. Aber jedenfalls iſt es an der Zeit, endlich zu wiſſen, was er ſchreibt Du haſt ja den Brief noch in der Taſche.

Richtig. Den hätt 'ich faſt vergeſſen. Und ſie öffnete den Brief und überflog ihn.

Nun, Effi, kein Wort? Du ſtrahlſt nicht und lachſt nicht einmal. Und er ſchreibt doch immer ſo heiter und unterhaltlich und gar nicht väterlich weiſe.

Das würd 'ich mir auch verbitten. Er hat ſein Alter, und ich habe meine Jugend. Und ich würde ihm mit den Fingern drohen und ihm ſagen:, Geert, überlege, was beſſer iſt‘.

Und dann würde er Dir antworten:, Was Du haſt, Effi, das iſt das Beſſere '. Denn er iſt nicht nur ein Mann der feinſten Formen, er iſt auch gerecht und verſtändig und weiß recht gut, was Jugend bedeutet. Er ſagt ſich das immer und ſtimmt ſich auf das Jugendliche hin, und wenn er in der Ehe ſo bleibt, ſo werdet ihr eine Muſterehe führen.

Ja, das glaube ich auch, Mama. Aber kannſt Du Dir vorſtellen, und ich ſchäme mich faſt, es zu ſagen, ich bin nicht ſo ſehr für das, was man eine Muſterehe nennt.

46Effi Brieſt

Das ſieht Dir ähnlich. Und nun ſage mir, wofür biſt Du denn eigentlich?

Ich bin nun, ich bin für gleich und gleich und natürlich auch für Zärtlichkeit und Liebe. Und wenn es Zärtlichkeit und Liebe nicht ſein können, weil Liebe, wie Papa ſagt, doch nur ein Papperla¬ papp iſt (was ich aber nicht glaube), nun, dann bin ich für Reichtum und ein vornehmes Haus, ein ganz vornehmes, wo Prinz Friedrich Karl zur Jagd kommt, auf Elchwild oder Auerhahn, oder wo der alte Kaiſer vorfährt, und für jede Dame, auch für die jungen, ein gnädiges Wort hat. Und wenn wir dann in Berlin ſind, dann bin ich für Hofball und und Galaoper, immer dicht neben der großen Mittel¬ loge.

Sagſt Du das ſo bloß aus Übermut und Laune?

Nein, Mama, das iſt mein völliger Ernſt. Liebe kommt zuerſt, aber gleich hinterher kommt Glanz und Ehre. und dann kommt Zerſtreuung ja, Zer¬ ſtreuung, immer 'was neues, immer' was, daß ich lachen oder weinen muß. Was ich nicht aushalten kann, iſt Langeweile.

Wie biſt Du da nur mit uns fertig geworden?

Ach, Mama, wie Du nur ſo 'was ſagen kannſt. Freilich, wenn im Winter die liebe Verwandtſchaft47Effi Brieſtvorgefahren kommt und ſechs Stunden bleibt oder wohl auch noch länger, und Tante Gundel und Tante Olga mich muſtern und mich naſeweis finden und Tante Gundel hat es mir auch 'mal geſagt ja, da macht ſich's mitunter nicht ſehr hübſch, das muß ich zugeben. Aber ſonſt bin ich hier immer glücklich geweſen, ſo glücklich

Und während ſie das ſagte, warf ſie ſich heftig weinend vor der Mama auf die Knie und küßte ihre beiden Hände!

Steh auf, Effi. Das ſind ſo Stimmungen, die über einen kommen, wenn man ſo jung iſt wie Du und vor der Hochzeit ſteht und vor dem Un¬ gewiſſen. Aber nun lies mir den Brief vor, wenn er nicht 'was ganz Beſonderes enthält oder vielleicht Geheimniſſe.

Geheimniſſe, lachte Effi und ſprang in plötzlich veränderter Stimmung wieder auf. Geheimniſſe! Ja, er nimmt immer einen Anlauf, aber das meiſte könnt 'ich auf dem Schulzenamt anſchlagen laſſen, da, wo immer die landrätlichen Verordnungen ſtehen. Nun, Geert iſt ja auch Landrat.

Lies, lies.

Liebe Effi So fängt es nämlich immer an, und manchmal nennt er mich auch ſeine, kleine Eva‘.

Lies, lies Du ſollſt ja leſen.

48Effi Brieſt

Alſo: Liebe Effi! Je näher wir unſrem Hochzeitstage kommen, je ſparſamer werden Deine Briefe. Wenn die Poſt kommt, ſuche ich immer zu¬ erſt nach Deiner Handſchrift, aber wie Du weißt (und ich hab 'es ja auch nicht anders gewollt) in der Regel vergeblich. Im Hauſe ſind jetzt die Hand¬ werker, die die Zimmer, freilich nur wenige, für Dein Kommen herrichten ſollen. Das beſte wird wohl erſt geſchehen, wenn wir auf der Reiſe ſind. Tapezierer Madelung, der alles liefert, iſt ein Original, von dem ich Dir mit nächſtem erzähle, vor allem aber, wie glücklich ich bin über Dich, über meine ſüße, kleine Effi. Mir brennt hier der Boden unter den Füßen, und dabei wird es in unſerer guten Stadt immer ſtiller und einſamer. Der letzte Bade¬ gaſt iſt geſtern abgereiſt; er badete zuletzt bei 9 Grad und die Badewärter waren immer froh, wenn er wieder heil heraus war. Denn ſie fürchteten einen Schlaganfall, was dann das Bad in Mißkredit bringt, als ob die Wellen hier ſchlimmer wären als wo anders. Ich juble, wenn ich denke, daß ich in vier Wochen ſchon mit Dir von der Piazzetta aus nach dem Lido fahre oder nach Murano hin, wo ſie Glas¬ perlen machen und ſchönen Schmuck. Und der ſchönſte ſei für Dich. Viele Grüße den Eltern und den zärtlichſten Kuß Dir von Deinem Geert.

49Effi Brieſt

Effi faltete den Brief wieder zuſammen, um ihn in das Kouvert zu ſtecken.

Das iſt ein ſehr hübſcher Brief, ſagte Frau von Brieſt, und daß er in allem das richtige Maß hält, das iſt ein Vorzug mehr.

Ja, das rechte Maß, das hält er.

Meine liebe Effi, laß mich eine Frage thun; wünſchteſt Du, daß der Brief nicht das richtige Maß hielte, wünſchteſt Du, daß er zärtlicher wäre, vielleicht überſchwenglich zärtlich?

Nein, nein, Mama. Wahr und wahrhaftig nicht, das wünſche ich nicht. Da iſt es doch beſſer ſo.

Da iſt es doch beſſer ſo. Wie das nun wieder klingt. Du biſt ſo ſonderbar. Und daß Du vorhin weinteſt. Haſt Du was auf Deinem Herzen? Noch iſt es Zeit. Liebſt Du Geert nicht?

Warum ſoll ich ihn nicht lieben? Ich liebe Hulda, und ich liebe Bertha, und ich liebe Hertha. Und ich liebe auch den alten Niemeyer. Und daß ich Euch liebe, davon ſpreche ich gar nicht erſt. Ich liebe alle, die's gut mit mir meinen und gütig gegen mich ſind und mich verwöhnen. Und Geert wird mich auch wohl verwöhnen. Natürlich auf ſeine Art. Er will mir ja ſchon Schmuck ſchenken in Venedig. Er hat keine Ahnung davon, daß ich mir nichts aus Schmuck mache. Ich klettre lieber und ich ſchaukleTh. Fontane, Effi Brieſt. 450Effi Brieſtmich lieber, und am liebſten immer in der Furcht, daß es irgendwo reißen oder brechen und ich nieder¬ ſtürzen könnte. Den Kopf wird es ja nicht gleich koſten.

Und liebſt Du vielleicht auch deinen Vetter Brieſt?

Ja, ſehr. Der erheitert mich immer.

Und hätteſt Du Vetter Brieſt heiraten mögen?

Heiraten? Um Gottes Willen nicht. Er iſt ja noch ein halber Junge. Geert iſt ein Mann, ein ſchöner Mann, ein Mann, mit dem ich Staat machen kann und aus dem was wird in der Welt. Wo denkſt Du hin, Mama.

Nun, das iſt recht, Effi, das freut mich. Aber Du haſt noch was auf der Seele.

Vielleicht.

Nun, ſprich.

Sieh ', Mama, daß er älter iſt als ich, das ſchadet nichts, das iſt vielleicht recht gut: er iſt ja doch nicht alt und iſt geſund und friſch und ſo ſoldatiſch und ſo ſchneidig. Und ich könnte beinah' ſagen, ich wäre ganz und gar für ihn, wenn er nur ja, wenn er nur ein bißchen anders wäre.

Wie denn, Effi?

Ja, wie. Nun, du darfſt mich nicht auslachen. Es iſt etwas, was ich erſt ganz vor kurzem auf¬51Effi Brieſtgehorcht habe, drüben im Paſtorhauſe. Wir ſprachen da von Innſtetten, und mit einemmale zog der alte Niemeyer ſeine Stirn in Falten, aber in Re¬ ſpekts - und Bewunderungsfalten, und ſagte:, Ja, der Baron! Das iſt ein Mann von Charakter, ein Mann von Prinzipien‘.

Das iſt er auch, Effi.

Gewiß. Und ich glaube, Niemeyer ſagte nach¬ her ſogar, er ſei auch ein Mann von Grundſätzen. Und das iſt, glaub 'ich, noch etwas mehr. Ach, und ich ich habe keine. Sieh', Mama, da liegt etwas, was mich quält und ängſtigt. Er iſt ſo lieb und gut gegen mich und ſo nachſichtig, aber ich fürchte mich vor ihm.

4 *
[52]

Fünftes Kapitel.

Die Hohen-Cremmer Feſttage lagen zurück; alles war abgereiſt, auch das junge Paar, noch am Abend des Hochzeitstages.

Der Polterabend hatte jeden zufrieden geſtellt, beſonders die Mitſpielenden, und Hulda war dabei das Entzücken aller jungen Offiziere geweſen, ſowohl der Rathenower Huſaren wie der etwas kritiſcher geſtimmten Kameraden vom Alexander-Regiment. Ja, alles war gut und glatt verlaufen, faſt über Erwarten. Nur Bertha und Hertha hatten ſo heftig geſchluchzt, daß Jahnke's plattdeutſche Verſe ſo gut wie verloren gegangen waren. Aber auch das hatte wenig ge¬ ſchadet. Einige feine Kenner waren ſogar der Meinung geweſen, das ſei das Wahre; Steckenbleiben und Schluchzen und Unverſtändlichkeit in dieſem Zeichen (und nun gar, wenn es ſo hübſche rotblonde Krausköpfe wären) werde immer am entſchiedenſten geſiegt. Eines ganz beſonderen Triumphes hatte53Effi Brieſtſich Vetter Brieſt in ſeiner ſelbſtgedichteten Rolle rühmen dürfen. Er war als Demuth'ſcher Kommis erſchienen, der in Erfahrung gebracht, die junge Braut habe vor, gleich nach der Hochzeit nach Italien zu reiſen, weshalb er einen Reiſekoffer abliefern wolle. Dieſer Koffer entpuppte ſich natürlich als eine Rieſenbonbonniere von Hövel. Bis um drei Uhr war getanzt worden, bei welcher Gelegenheit der ſich mehr und mehr in eine höchſte Champagner¬ ſtimmung hineinredende alte Brieſt allerlei Be¬ merkungen über den an manchen Höfen immer noch üblichen Fackeltanz und die merkwürdige Sitte des Strumpfband-Austanzens gemacht hatte, Bemerkungen, die nicht abſchließen wollten und ſich immer mehr ſteigernd, am Ende ſo weit gingen, daß ihnen durch¬ aus ein Riegel vorgeſchoben werden mußte. Nimm Dich zuſammen, Brieſt, war ihm in ziemlich ernſtem Tone von ſeiner Frau zugeflüſtert worden; Du ſtehſt hier nicht, um Zweideutigkeiten zu ſagen, ſondern um die Honneurs des Hauſes zu machen. Wir haben eben eine Hochzeit und nicht eine Jagdpartie. Worauf Brieſt geantwortet, er ſähe darin keinen ſo großen Unterſchied; übrigens ſei er glücklich.

Auch der Hochzeitstag ſelbſt war gut verlaufen. Niemeyer hatte vorzüglich geſprochen, und einer der alten Berliner Herren, der halb und halb zur Hof¬54Effi Brieſtgeſellſchaft gehörte, hatte ſich auf dem Rückwege von der Kirche zum Hochzeitshauſe dahin geäußert, es ſei doch merkwürdig, wie reich geſät in einem Staate, wie der unſrige, die Talente ſeien. Ich ſehe darin einen Triumph unſerer Schulen und vielleicht mehr noch unſerer Philoſophie. Wenn ich bedenke, dieſer Niemeyer, ein alter Dorfpaſtor, der anfangs ausſah wie ein Hoſpitalit ja, Freund, ſagen Sie ſelbſt hat er nicht geſprochen wie ein Hofprediger. Dieſer Takt und dieſe Kunſt der Antitheſe, ganz wie Kögel und an Gefühl ihm noch über. Kögel iſt zu kalt. Freilich ein Mann in ſeiner Stellung muß kalt ſein. Woran ſcheitert man denn im Leben überhaupt? Immer nur an der Wärme. Der noch unverheiratete, aber wohl eben deshalb zum viertenmale in einem Verhältnis ſtehende Würdenträger, an den ſich dieſe Worte gerichtet hatten, ſtimmte ſelbſtverſtändlich zu. Nur zu wahr, lieber Freund, ſagte er. Zu viel Wärme! ganz vorzüglich Übrigens muß ich Ihnen nachher eine Geſchichte erzählen.

Der Tag nach der Hochzeit war ein heller Oktobertag. Die Morgenſonne blinkte; trotzdem war es ſchon herbſtlich friſch, und Brieſt, der eben ge¬ meinſchaftlich mit ſeiner Frau das Frühſtück ge¬55Effi Brieſtnommen, erhob ſich von ſeinem Platz und ſtellte ſich, beide Hände auf dem Rücken, gegen das mehr und mehr verglimmende Kaminfeuer. Frau von Brieſt, eine Handarbeit in Händen, rückte gleichfalls näher an den Kamin und ſagte zu Wilke, der gerade eintrat, um den Frühſtückstiſch abzuräumen: Und nun, Wilke, wenn Sie drin im Saal, aber das geht vor, alles in Ordnung haben, dann ſorgen Sie, daß die Torten nach drüben kommen, die Nußtorte zu Paſtors und die Schüſſel mit kleinen Kuchen zu Jahnke's. Und nehmen Sie ſich mit den Gläſern in acht. Ich meine die dünn geſchliffenen.

Brieſt war ſchon bei der dritten Zigarette, ſah ſehr wohl aus und erklärte, nichts bekomme einem ſo gut wie eine Hochzeit, natürlich die eigene aus¬ genommen.

Ich weiß nicht, Brieſt, wie Du zu ſolcher Bemerkung kommſt. Mir war ganz neu, daß Du darunter gelitten haben willſt. Ich wüßte auch nicht warum.

Luiſe, Du biſt eine Spielverderberin. Aber ich nehme nichts übel, auch nicht einmal ſo 'was. Im übrigen, was wollen wir von uns ſprechen, die wir nicht einmal eine Hochzeitsreiſe gemacht haben. Dein Vater war dagegen. Aber Effi macht nun eine Hochzeitsreiſe. Beneidenswert. Mit dem Zehn¬56Effi BrieſtUhr-Zug ab. Sie müſſen jetzt ſchon bei Regensburg ſein, und ich nehme an, daß er ihr ſelbſtverſtänd¬ lich ohne auszuſteigen die Hauptkunſtſchätze der Walhalla herzählt. Innſtetten iſt ein vorzüglicher Kerl, aber er hat ſo 'was von einem Kunſtfex, und Effi, Gott, unſere arme Effi, iſt ein Naturkind. Ich fürchte, daß er ſie mit ſeinem Kunſtenthuſiasmus etwas quälen wird.

Jeder quält ſeine Frau. Und Kunſtenthuſias¬ mus iſt noch lange nicht das Schlimmſte.

Nein, gewiß nicht; jedenfalls wollen wir darüber nicht ſtreiten; es iſt ein weites Feld. Und dann ſind auch die Menſchen ſo verſchieden. Du, nun ja, Du hätteſt dazu getaugt. Überhaupt hätteſt Du beſſer zu Innſtetten gepaßt als Effi. Schade, nun iſt es zu ſpät.

Überaus galant, abgeſehen davon, daß es nicht paßt. Unter allen Umſtänden aber, was geweſen iſt, iſt geweſen. Jetzt iſt er mein Schwiegerſohn, und es kann zu nichts führen, immer auf Jugendlichkeiten zurückzuweiſen.

Ich habe Dich nur in eine animierte Stimmung bringen wollen.

Sehr gütig. Übrigens nicht nötig. Ich bin in animierter Stimmung.

Und auch in guter?

57Effi Brieſt

Ich kann es faſt ſagen. Aber Du darfſt ſie nicht verderben. Nun, was haſt Du noch? Ich ſehe, daß Du 'was auf dem Herzen haſt.

Gefiel Dir Effi? Gefiel Dir die ganze Ge¬ ſchichte? Sie war ſo ſonderbar, halb wie ein Kind, und dann wieder ſehr ſelbſtbewußt und durchaus nicht ſo beſcheiden, wie ſie's ſolchem Manne gegen¬ über ſein müßte. Das kann doch nur ſo zuſammen¬ hängen, daß ſie noch nicht recht weiß, was ſie an ihm hat. Oder iſt es einfach, daß ſie ihn nicht recht liebt? Das wäre ſchlimm. Denn bei all' ſeinen Vorzügen, er iſt nicht der Mann, ſich dieſe Liebe mit leichter Manier zu gewinnen.

Frau von Brieſt ſchwieg und zählte die Stiche auf dem Kanevas. Endlich ſagte ſie: Was Du da ſagſt, Brieſt, iſt das geſcheiteſte, was ich ſeit drei Tagen von Dir gehört habe, Deine Rede bei Tiſch mit eingerechnet. Ich habe auch ſo meine Bedenken gehabt. Aber ich glaube, wir können uns beruhigen.

Hat ſie Dir ihr Herz ausgeſchüttet?

So möcht 'ich es nicht nennen. Sie hat wohl das Bedürfnis zu ſprechen, aber ſie hat nicht das Bedürfnis, ſich ſo recht von Herzen auszuſprechen, und macht vieles in ſich ſelber ab; ſie iſt mitteilſam und verſchloſſen zugleich, beinah' verſteckt; überhaupt ein ganz eigenes Gemiſch.

58Effi Brieſt

Ich bin ganz Deiner Meinung. Aber wenn ſie Dir nichts geſagt hat, woher weißt Du's?

Ich ſagte nur, ſie habe mir nicht ihr Herz ausgeſchüttet. Solche Generalbeichte, ſo alles von der Seele herunter, das liegt nicht in ihr. Es fuhr alles ſo bloß ruckweis und plötzlich aus ihr heraus, und dann war es wieder vorüber. Aber gerade weil es ſo ungewollt und wie von ungefähr aus ihrer Seele kam, deshalb war es mir ſo wichtig.

Und wann war es denn und bei welcher Ge¬ legenheit?

Es werden jetzt gerade drei Wochen ſein, und wir ſaßen im Garten, mit allerhand Ausſtattungs¬ dingen, großen und kleinen, beſchäftigt, als Wilke einen Brief von Innſtetten brachte. Sie ſteckte ihn zu ſich, und ich mußte ſie eine Viertelſtunde ſpäter erſt erinnern, daß ſie ja einen Brief habe. Dann las ſie ihn, aber verzog kaum eine Miene. Ich be¬ kenne Dir, daß mir bang 'ums Herz dabei wurde, ſo bang', daß ich gern eine Gewißheit haben wollte, ſo viel, wie man in dieſen Dingen haben kann.

Sehr wahr, ſehr wahr.

Was meinſt Du damit?

Nun, ich meine nur Aber das iſt ja ganz gleich. Sprich nur weiter; ich bin ganz Ohr.

Ich fragte alſo rund heraus, wie's ſtünde,59Effi Brieſtund weil ich bei ihrem eigenen Charakter einen feierlichen Ton vermeiden und alles ſo leicht wie möglich, ja beinah 'ſcherzhaft nehmen wollte, ſo warf ich die Frage hin, ob ſie vielleicht den Vetter Brieſt, der ihr in Berlin ſehr ſtark den Hof gemacht hatte, ob ſie den vielleicht lieber heiraten würde

Und?

Da hätteſt Du ſie ſehen ſollen. Ihre nächſte Antwort war ein ſchnippiſches Lachen. Der Vetter ſei doch eigentlich nur ein großer Kadett in Leutnants¬ uniform. Und einen Kadetten könne ſie nicht einmal lieben, geſchweige heiraten. Und dann ſprach ſie von Innſtetten, der ihr mit einemmale der Träger aller männlichen Tugenden war.

Und wie erklärſt Du Dir das?

Ganz einfach. So geweckt und temperament¬ voll und beinahe leidenſchaftlich ſie iſt, oder viel¬ leicht auch weil ſie es iſt, ſie gehört nicht zu denen, die ſo recht eigentlich auf Liebe geſtellt ſind, wenigſtens nicht auf das, was den Namen ehrlich verdient. Sie redet zwar davon, ſogar mit Nachdruck und einem gewiſſen Überzeugungston, aber doch nur, weil ſie irgendwo geleſen hat, Liebe ſei nun 'mal das Höchſte, das Schönſte, das Herrlichſte. Vielleicht hat ſie's auch bloß von der ſentimentalen Perſon, der Hulda, gehört und ſpricht es ihr nach. 60Effi BrieſtAber ſie empfindet nicht viel dabei. Wohl möglich, daß es alles 'mal kommt, Gott verhüte es, aber noch iſt es nicht da.

Und was iſt da? Was hat ſie?

Sie hat nach meinem und auch nach ihrem eigenen Zeugnis zweierlei: Vergnügungsſucht und Ehrgeiz.

Nun, das kann paſſieren. Da bin ich beruhigt.

Ich nicht. Innſtetten iſt ein Carrieremacher vom Streber will ich nicht ſprechen, das iſt er auch nicht, dazu iſt er zu wirklich vornehm alſo Carrieremacher, und das wird Effi's Ehrgeiz be¬ friedigen.

Nun alſo. Das iſt doch gut.

Ja, das iſt gut! Aber es iſt erſt die Hälfte. Ihr Ehrgeiz wird befriedigt werden, aber ob auch ihr Hang nach Spiel und Abenteuer? Ich be¬ zweifle. Für die ſtündliche kleine Zerſtreuung und Anregung, für alles, was die Langeweile bekämpft, dieſe Todfeindin einer geiſtreichen kleinen Perſon, dafür wird Innſtetten ſehr ſchlecht ſorgen. Er wird ſie nicht in einer geiſtigen Öde laſſen, dazu iſt er zu klug und zu weltmänniſch, aber er wird ſie auch nicht ſonderlich amüſieren. Und was das Schlimmſte iſt, er wird ſich nicht einmal recht mit der Frage beſchäftigen, wie das wohl anzufangen ſei. Das61Effi Brieſtwird eine Weile ſo gehen, ohne viel Schaden anzu¬ richten, aber zuletzt wird ſie's merken, und dann wird es ſie beleidigen. Und dann weiß ich nicht, was geſchieht. Denn ſo weich und nachgiebig ſie iſt, ſie hat auch 'was Rabiates und läßt es auf alles ankommen.

In dieſem Augenblicke trat Wilke vom Saal her ein und meldete, daß er alles nachgezählt und alles vollzählig gefunden habe; nur von den feinen Wein¬ gläſern ſei eins zerbrochen, aber ſchon geſtern, als das Hoch ausgebracht wurde Fräulein Hulda habe mit Leutnant Nienkerken zu ſcharf angeſtoßen.

Verſteht ſich, von alter Zeit her immer im Schlaf, und unterm Holunderbaum iſt es natürlich nicht beſſer geworden. Eine alberne Perſon, und ich begreife Nienkerken nicht.

Ich begreife ihn vollkommen.

Er kann ſie doch nicht heiraten.

Nein.

Alſo zu was?

Ein weites Feld, Luiſe.

Dies war am Tage nach der Hochzeit. Drei Tage ſpäter kam eine kleine gekritzelte Karte aus München, die Namen alle nur mit zwei Buchſtaben angedeutet. Liebe Mama! Heute Vormittag die62Effi BrieſtPinakothek beſucht. Geert wollte auch noch nach dem andern hinüber, das ich hier nicht nenne, weil ich wegen der Rechtſchreibung in Zweifel bin, und fragen mag ich ihn nicht. Er iſt übrigens engelsgut gegen mich und erklärt mir alles. Überhaupt alles ſehr ſchön, aber anſtrengend. In Italien wird es wohl nachlaſſen und beſſer werden. Wir wohnen in den, Vier Jahreszeiten‘, was Geert veranlaßte, mir zu ſagen, draußen ſei Herbſt, aber er habe in mir den Frühling. Ich finde es ſehr ſinnig. Er iſt über¬ haupt ſehr aufmerkſam. Freilich ich muß es auch ſein, namentlich wenn er 'was ſagt oder erklärt. Er weiß übrigens alles ſo gut, daß er nicht einmal nachzuſchlagen braucht. Mit Entzücken ſpricht er von Euch, namentlich von Mama. Hulda findet er etwas zierig; aber der alte Niemeyer hat es ihm ganz an¬ gethan. Tauſend Grüße von Eurer ganz berauſchten, aber auch etwas müden Effi.

Solche Karten trafen nun täglich ein, aus Inns¬ bruck, aus Verona, aus Vicenza, aus Padua, eine jede fing an: Wir haben heute Vormittag die hieſige berühmte Galerie beſucht, oder, wenn es nicht die Galerie war, ſo war es eine Arena oder irgend eine Kirche Santa Maria mit einem Zunamen. Aus Padua kam, zugleich mit der Karte, noch ein wirklicher Brief. Geſtern waren wir in Vicenza. Vicenza63Effi Brieſtmuß man ſehn wegen des Palladio; Geert ſagte mir, daß in ihm alles Moderne wurzele. Natürlich nur in Bezug auf Baukunſt. Hier in Padua (wo wir heute früh ankamen) ſprach er im Hotelwagen etliche Male vor ſich hin:, Er liegt in Padua be¬ graben‘, und war überraſcht, als er von mir ver¬ nahm, daß ich dieſe Worte noch nie gehört hätte. Schließlich aber ſagte er, es ſei eigentlich ganz gut und ein Vorzug, daß ich nichts davon wüßte. Er iſt überhaupt ſehr gerecht. Und vor allem iſt er engelsgut gegen mich und gar nicht überheblich und auch gar nicht alt. Ich habe noch immer das Ziehen in den Füßen, und das Nachſchlagen und das lange Stehen vor den Bildern ſtrengt mich an. Aber es muß ja ſein. Ich freue mich ſehr auf Venedig. Da bleiben wir fünf Tage, ja, vielleicht eine ganze Woche. Geert hat mir ſchon von den Tauben auf dem Markus¬ platze vorgeſchwärmt, und daß man ſich da Tüten mit Erbſen kauft und dann die ſchönen Tiere damit füttert. Es ſoll Bilder geben, die das darſtellen, ſchöne blonde Mädchen,, ein Typus wie Hulda, ſagte er. Wobei mir denn auch die Jahnke'ſchen Mädchen einfallen. Ach, ich gäbe 'was drum, wenn ich mit ihnen auf unſerm Hof auf einer Wagen¬ deichſel ſitzen und unſere Tauben füttern könnte. Die Pfauentaube mit dem ſtarken Kropf dürft ihr64Effi Brieſtaber nicht ſchlachten, die will ich noch wiederſehen. Ach, es iſt ſo ſchön hier. Es ſoll ja auch das Schönſte ſein. Eure glückliche, aber etwas müde Effi.

Frau von Brieſt, als ſie den Brief vorgeleſen hatte, ſagte: Das arme Kind. Sie hat Sehnſucht.

Ja, ſagte Brieſt, ſie hat Sehnſucht. Dieſe verwünſchte Reiſerei

Warum ſagſt Du das jetzt? Du hätteſt es ja hindern können. Aber das iſt ſo Deine Art, hinter¬ her den Weiſen zu ſpielen. Wenn das Kind in den Brunnen gefallen iſt, decken die Ratsherren den Brunnen zu.

Ach, Luiſe, komme mir doch nicht mit ſolchen Geſchichten. Effi iſt unſer Kind, aber ſeit dem 3. Oktober iſt ſie Baronin Innſtetten. Und wenn ihr Mann, unſer Herr Schwiegerſohn, eine Hochzeits¬ reiſe machen und bei der Gelegenheit jede Galerie neu katalogiſieren will, ſo kann ich ihn daran nicht hindern. Das iſt eben das, was man ſich verhei¬ raten nennt.

Alſo jetzt giebſt Du das zu. Mir gegenüber haſt Du's immer beſtritten, immer beſtritten, daß die Frau in einer Zwangslage ſei.

Ja, Luiſe, das hab 'ich. Aber wozu das jetzt. Das iſt wirklich ein zu weites Feld.

[65]

Sechſtes Kapitel.

Mitte November ſie waren bis Capri und Sorrent gekommen lief Innſtettens Urlaub ab, und es entſprach ſeinem Charakter und ſeinen Ge¬ wohnheiten, genau Zeit und Stunde zu halten. Am 14. früh traf er denn auch mit dem Kurierzuge in Berlin ein, wo Vetter Brieſt ihn und die Kouſine begrüßte und vorſchlug, die zwei bis zum Abgange des Stettiner Zuges noch zur Verfügung bleibenden Stunden zum Beſuche des St. Privat-Panoramas zu benutzen und dieſem Panoramabeſuch ein kleines Gabelfrühſtück folgen zu laſſen. Beides wurde dank¬ bar acceptiert. Um Mittag war man wieder auf dem Bahnhof und nahm hier, nachdem, wie herkömmlich, die glücklicherweiſe nie ernſt gemeinte Aufforderung doch auch 'mal herüberzukommen, ebenſo von Effi wie von Innſtetten ausgeſprochen worden war, unter herzlichem Händeſchütteln Abſchied von ein¬ ander. Noch als der Zug ſich ſchon in BewegungTh. Fontane, Effi Brieſt. 566Effi Brieſtſetzte, grüßte Effi vom Koupee aus. Dann machte ſie ſich's bequem und ſchloß die Augen; nur von Zeit zu Zeit richtete ſie ſich wieder auf und reichte Innſtetten die Hand.

Es war eine angenehme Fahrt, und pünktlich erreichte der Zug den Bahnhof Klein-Tantow, von dem aus eine Chauſſee nach dem noch zwei Meilen entfernten Keſſin hinüberführte. Bei Sommerzeit, namentlich während der Bademonate, benutzte man ſtatt der Chauſſee lieber den Waſſerweg und fuhr, auf einem alten Raddampfer, das Flüßchen Keſſine, dem Keſſin ſelbſt ſeinen Namen verdankte, hinunter; am 1. Oktober aber ſtellte der Phönix , von dem ſeit lange vergeblich gewünſcht wurde, daß er in einer paſſagierfreien Stunde ſich ſeines Namens entſinnen und verbrennen möge, regelmäßig ſeine Fahrten ein, weshalb denn auch Innſtetten bereits von Stettin aus an ſeinen Kutſcher Kruſe telegraphiert hatte: Fünf Uhr, Bahnhof Klein-Tantow. Bei gutem Wetter offener Wagen.

Und nun war gutes Wetter, und Kruſe hielt in offenem Gefährt am Bahnhof und begrüßte die Ankommenden mit dem vorſchriftsmäßigen Anſtand eines herrſchaftlichen Kutſchers.

Nun, Kruſe, alles in Ordnung?

Zu Befehl, Herr Landrat.

67Effi Brieſt

Dann, Effi, bitte, ſteig 'ein. Und während Effi dem nachkam, und einer von den Bahnhofsleuten einen kleinen Handkoffer vorn beim Kutſcher unter¬ brachte, gab Innſtetten Weiſung, den Reſt des Gepäcks mit dem Omnibus nachzuſchicken. Gleich danach nahm auch er ſeinen Platz, bat, ſich populär machend, einen der Umſtehenden um Feuer und rief Kruſe zu: Nun vorwärts, Kruſe. Und über die Schienen weg, die vielgleiſig an der Übergangsſtelle lagen, ging es in Schräglinie den Bahndamm hinunter und gleich danach an einem ſchon an der Chauſſee gelegenen Gaſthauſe vorüber, das den Namen Zum Fürſten Bismarck führte. Denn an eben dieſer Stelle gabelte der Weg und zweigte, wie rechts nach Keſſin, ſo links nach Varzin hin ab. Vor dem Gaſthofe ſtand ein mittel¬ großer breitſchultriger Mann in Pelz und Pelzmütze, welch letztere er, als der Herr Landrat vorüberfuhr, mit vieler Würde vom Haupte nahm. Wer war denn das? ſagte Effi, die durch alles, was ſie ſah, aufs höchſte intereſſiert und ſchon deshalb bei beſter Laune war. Er ſah ja aus wie ein Staroſt, wo¬ bei ich freilich bekennen muß, nie einen Staroſten geſehen zu haben.

Was auch nicht ſchadet, Effi. Du haſt es trotzdem ſehr gut getroffen. Er ſieht wirklich aus wie ein Staroſt und iſt auch ſo 'was. Er iſt näm¬5 *68Effi Brieſtlich ein halber Pole, heißt Golchowski, und wenn wir hier Wahl haben oder eine Jagd, dann iſt er oben auf. Eigentlich ein ganz unſicherer Paſſagier, dem ich nicht über den Weg traue, und der wohl viel auf dem Gewiſſen hat. Er ſpielt ſich aber auf den Loyalen hin aus und wenn die Varziner Herr¬ ſchaften hier vorüberkommen, möcht 'er ſich am liebſten vor den Wagen werfen. Ich weiß, daß er dem Fürſten auch widerlich iſt. Aber was hilft's? Wir dürfen es nicht mit ihm verderben, weil wir ihn brauchen. Er hat hier die ganze Gegend in der Taſche und verſteht die Wahlmache wie kein anderer, gilt auch für wohlhabend. Dabei leiht er auf Wucher, was ſonſt die Polen nicht thun; in der Regel das Gegenteil.

Er ſah aber gut aus.

Ja, gut ausſehen thut er. Gut ausſehen thun die meiſten hier. Ein hübſcher Schlag Menſchen. Aber das iſt auch das Beſte, was man von ihnen ſagen kann Eure märkiſchen Leute ſehen unſchein¬ barer aus und verdrießlicher, und in ihrer Haltung ſind ſie weniger reſpektvoll, eigentlich gar nicht, aber ihr Ja iſt Ja und Nein iſt Nein, und man kann ſich auf ſie verlaſſen. Hier iſt alles unſicher.

Warum ſagſt Du mir das? Ich muß nun doch hier mit ihnen leben.

69Effi Brieſt

Du nicht, Du wirſt nicht viel von ihnen hören und ſehen. Denn Stadt und Land hier ſind ſehr verſchieden, und Du wirſt nur unſere Städter kennen lernen, unſere guten Keſſiner.

Unſere guten Keſſiner. Iſt es Spott, oder ſind ſie wirklich ſo gut?

Daß ſie wirklich gut ſind, will ich nicht gerade behaupten, aber ſie ſind doch anders als die andern; ja, ſie haben gar keine Ähnlichkeit mit der Land¬ bevölkerung hier.

Und wie kommt das?

Weil es eben ganz andere Menſchen ſind, ihrer Abſtammung nach und ihren Beziehungen nach. Was Du hier landeinwärts findeſt, das ſind ſogenannte Kaſchuben, von denen Du vielleicht gehört haſt, ſlaviſche Leute, die hier ſchon tauſend Jahre ſitzen und wahrſcheinlich noch viel länger. Alles aber, was hier an der Küſte hin in den kleinen See - und Handelsſtädten wohnt, das ſind von weither Ein¬ gewanderte, die ſich um das kaſchubiſche Hinterland wenig kümmern, weil ſie wenig davon haben und auf etwas ganz anderes angewieſen ſind. Worauf ſie angewieſen ſind, das ſind die Gegenden, mit denen ſie Handel treiben und da ſie das mit aller Welt thun und mit aller Welt in Verbindung ſtehen, ſo findeſt Du zwiſchen ihnen auch Menſchen aus aller70Effi BrieſtWelt Ecken und Enden. Auch in unſerem guten Keſſin, trotzdem es eigentlich nur ein Neſt iſt.

Aber das iſt ja entzückend, Geert. Du ſprichſt immer von Neſt, und nun finde ich, wenn Du nicht übertrieben haſt, eine ganz neue Welt hier. Allerlei Exotiſches. Nicht wahr, ſo was Ähnliches meinteſt Du doch?

Er nickte.

Eine ganz neue Welt, ſag 'ich, vielleicht einen Neger oder einen Türken, oder vielleicht ſogar einen Chineſen.

Auch einen Chineſen. Wie gut Du raten kannſt. Es iſt möglich, daß wir wirklich noch einen haben, aber jedenfalls haben wir einen gehabt; jetzt iſt er tot und auf einem kleinen eingegitterten Stück Erde begraben, dicht neben dem Kirchhof. Wenn Du nicht furchtſam biſt, will ich Dir bei Gelegenheit 'mal ſein Grab zeigen; es liegt zwiſchen den Dünen, bloß Strandhafer drum' rum und dann und wann ein paar Immortellen, und immer hört man das Meer. Es iſt ſehr ſchön und ſehr ſchauerlich.

Ja, ſchauerlich, und ich möchte wohl mehr davon wiſſen. Aber doch lieber nicht, ich habe dann immer gleich Viſionen und Träume und möchte doch nicht, wenn ich dieſe Nacht hoffentlich gut ſchlafe, gleich einen Chineſen an mein Bett treten ſehen.

71Effi Brieſt

Das wird er auch nicht.

Das wird er auch nicht. Höre, das klingt ja ſonderbar, als ob es doch möglich wäre. Du willſt mir Keſſin intereſſant machen, aber Du gehſt darin ein bißchen weit. Und ſolche fremde Leute habt Ihr viele in Keſſin?

Sehr viele. Die ganze Stadt beſteht aus ſolchen Fremden, aus Menſchen, deren Eltern oder Großeltern noch ganz wo anders ſaßen.

Höchſt merkwürdig. Bitte, ſage mir mehr davon. Aber nicht wieder was Gruſeliges. Ein Chineſe, find 'ich, hat immer was Gruſeliges.

Ja, das hat er, lachte Geert. Aber der Reſt iſt, Gott ſei Dank, von ganz anderer Art, lauter manierliche Leute, vielleicht ein bißchen zu ſehr Kaufmann, ein bißchen zu ſehr auf ihren Vorteil bedacht, und mit Wechſeln von zweifelhaftem Wert immer bei der Hand. Ja, man muß ſich vorſehen mit ihnen. Aber ſonſt ganz gemütlich. Und damit Du ſiehſt, daß ich Dir nichts vorgemacht habe, will ich Dir nur ſo eine kleine Probe geben, ſo eine Art Regiſter oder Perſonenverzeichnis.

Ja, Geert, das thu '.

Da haben wir beiſpielsweiſe keine fünfzig Schritt von uns, und unſere Gärten ſtoßen ſogar zuſammen, den Maſchinen - und Baggermeiſter72Effi BrieſtMacpherſon, einen richtigen Schotten und Hoch¬ länder.

Und trägt ſich auch noch ſo?

Nein, Gott ſei Dank nicht, denn es iſt ein verhutzeltes Männchen, auf das weder ſein Clan noch Walter Scott beſonders ſtolz ſein würden. Und dann haben wir in demſelben Hauſe, wo dieſer Macpherſon wohnt, auch noch einen alten Wundarzt, Beza mit Namen, eigentlich bloß Barbier; der ſtammt aus Liſſabon, gerade daher, wo auch der berühmte General de Meza herſtammt, Meza, Beza, Du hörſt die Landesverwandtſchaft heraus. Und dann haben wir flußaufwärts am Bollwerk, das iſt nämlich der Quai, wo die Schiffe liegen einen Goldſchmied namens Stedingk, der aus einer alten ſchwediſchen Familie ſtammt; ja, ich glaube, es giebt ſogar Reichsgrafen, die ſo heißen, und des weiteren, und damit will ich dann vorläufig abſchließen, haben wir den guten alten Doktor Hannemann, der natür¬ lich ein Däne iſt und lange in Island war und ſogar ein kleines Buch geſchrieben hat über den letzten Ausbruch des Hekla oder Krabla.

Das iſt ja aber großartig, Geert. Das iſt ja wie ſechs Romane, damit kann man ja gar nicht fertig werden. Es klingt erſt ſpießbürgerlich und iſt doch hinterher ganz apart. Und dann müßt ihr ja73Effi Brieſtdoch auch Menſchen haben, ſchon weil es eine See¬ ſtadt iſt, die nicht bloß Chirurgen oder Barbiere ſind oder ſonſt dergleichen. Ihr müßt doch auch Kapitäne haben, irgend einen fliegenden Holländer oder

Da haſt Du ganz recht. Wir haben ſogar einen Kapitän, der war Seeräuber unter den Schwarz¬ flaggen.

Kenn 'ich nicht. Was ſind Schwarzflaggen?

Das ſind Leute weit dahinten in Tonkin und an der Südſee Seit er aber wieder unter Menſchen iſt, hat er auch wieder die beſten Formen und iſt ganz unterhaltlich.

Ich würde mich aber doch vor ihm fürchten.

Was Du nicht nötig haſt, zu keiner Zeit und auch dann nicht, wenn ich über Land bin oder zum Thee beim Fürſten, denn zu allem andern, was wir haben, haben wir ja Gott ſei Dank auch Rollo

Rollo?

Ja, Rollo. Du denkſt dabei, vorausgeſetzt, daß Du bei Niemeyer oder Jahnke von dergleichen gehört haſt, an den Normannenherzog, und unſerer hat auch ſo 'was. Es iſt aber bloß ein Neufund¬ länder, ein wunderſchönes Tier, das mich liebt und Dich auch lieben wird. Denn Rollo iſt ein Kenner. Und ſo lange Du den um Dich haſt, ſo lange biſt74Effi BrieſtDu ſicher und kann nichts an Dich heran, kein Lebendiger und kein Toter. Aber ſieh 'mal den Mond da drüben. Iſt es nicht ſchön?

Effi, die, ſtill in ſich verſunken, jedes Wort halb ängſtlich, halb begierig eingeſogen hatte, richtete ſich jetzt auf und ſah nach rechts hinüber, wo der Mond, unter weißem, aber raſch hinſchwindendem Gewölk, eben aufgegangen war. Kupferfarben ſtand die große Scheibe hinter einem Erlengehölz und warf ihr Licht auf eine breite Waſſerfläche, die die Keſſine hier bildete. Oder vielleicht war es auch ſchon ein Haff, an dem das Meer draußen ſeinen Anteil hatte.

Effi war wie benommen. Ja, Du haſt recht, Geert, wie ſchön; aber es hat zugleich ſo 'was Un¬ heimliches. In Italien habe ich nie ſolchen Eindruck gehabt, auch nicht als wir von Meſtre nach Venedig hinüberfuhren. Da war auch Waſſer und Sumpf und Mondſchein, und ich dachte, die Brücke würde brechen; aber es war nicht ſo geſpenſtig. Woran liegt es nur? Iſt es doch das Nördliche?

Innſtetten lachte. Wir ſind hier fünfzehn Meilen nördlicher als in Hohen-Cremmen und eh 'der erſte Eisbär kommt, mußt Du noch eine Weile warten. Ich glaube, Du biſt nervös von der langen Reiſe und dazu das St. Privat-Panorama und die Geſchichte von dem Chineſen.

75Effi Brieſt

Du haſt mir ja gar keine erzählt.

Nein, ich hab 'ihn nur eben genannt. Aber ein Chineſe iſt ſchon an und für ſich eine Geſchichte

Ja. lachte ſie.

Und jedenfalls haſt Du's bald überſtanden. Siehſt Du da vor Dir das kleine Haus mit dem Licht? Es iſt eine Schmiede. Da biegt der Weg. Und wenn wir die Biegung gemacht haben, dann ſiehſt Du ſchon den Turm von Keſſin oder richtiger beide

Hat es denn zwei?

Ja, Keſſin nimmt ſich auf. Es hat jetzt auch eine katholiſche Kirche.

Eine halbe Stunde ſpäter hielt der Wagen an der ganz am entgegengeſetzten Ende der Stadt ge¬ legenen landrätlichen Wohnung, einem einfachen, etwas altmodiſchen Fachwerkhauſe, das mit ſeiner Front auf die nach den Seebädern hinausführende Hauptſtraße, mit ſeinem Giebel aber auf ein zwiſchen der Stadt und den Dünen liegendes Wäldchen, das die Plantage hieß, hernieder blickte. Dies alt¬ modiſche Fachwerkhaus war übrigens nur Innſtettens Privatwohnung, nicht das eigentliche Landratsamt, welches letztere, ſchräg gegenüber, an der anderen Seite der Straße lag.

76Effi Brieſt

Kruſe hatte nicht nötig, durch einen dreimaligen Peitſchenknips die Ankunft zu vermelden; längſt hatte man von Thür und Fenſtern aus nach den Herr¬ ſchaften ausgeſchaut, und ehe noch der Wagen heran war, waren bereits alle Hausinſaſſen auf dem die ganze Breite des Bürgerſteiges einnehmenden Schwell¬ ſtein verſammelt, vorauf Rollo, der im ſelben Augen¬ blicke, wo der Wagen hielt, dieſen zu umkreiſen begann. Innſtetten war zunächſt ſeiner jungen Frau beim Ausſteigen behilflich und ging dann, dieſer den Arm reichend, unter freundlichem Gruß an der Dienerſchaft vorüber, die nun dem jungen Paare in den mit prächtigen alten Wandſchränken umſtandenen Hausflur folgte. Das Hausmädchen, eine hübſche, nicht mehr ganz jugendliche Perſon, der ihre ſtattliche Fülle faſt ebenſo gut kleidete, wie das zierliche Mützchen auf dem blonden Haar, war der gnädigen Frau beim Ablegen von Muff und Mantel behilflich und bückte ſich eben, um ihr auch die mit Pelz ge¬ fütterten Gummiſtiefel auszuziehen. Aber ehe ſie noch dazu kommen konnte, ſagte Inſtetten: Es wird das beſte ſein, ich ſtelle Dir gleich hier unſere ge¬ ſamte Hausgenoſſenſchaft vor, mit Ausnahme der Frau Kruſe, die ſich ich vermute ſie wieder bei ihrem unvermeidlichen ſchwarzen Huhn nicht gerne ſehen läßt. Alles lächelte. Aber laſſen wir Frau77Effi BrieſtKruſe Dies hier iſt mein alter Friedrich, der ſchon mit mir auf der Univerſität war Nicht wahr, Friedrich, gute Zeiten damals und dies hier iſt Johanna, märkiſche Landsmännin von Dir, wenn Du, was aus Paſewalker Gegend ſtammt, noch für voll gelten laſſen willſt, und dies iſt Chriſtel, der wir mittags und abends unſer leibliches Wohl anvertrauen, und die zu kochen verſteht, das kann ich Dir verſichern. Und dies hier iſt Rollo. Nun, Rollo, wie geht's?

Rollo ſchien nur auf dieſe ſpezielle Anſprache gewartet zu haben, denn im ſelben Augenblicke, wo er ſeinen Namen hörte, gab er einen Freudenblaff, richtete ſich auf und legte die Pfoten auf ſeines Herrn Schulter.

Schon gut, Rollo, ſchon gut. Aber ſieh da, das iſt die Frau; ich hab 'ihr von dir erzählt und ihr geſagt, daß du ein ſchönes Tier ſeieſt und ſie ſchützen würdeſt, Und nun ließ Rollo ab und ſetzte ſich vor Innſtetten nieder, zugleich neugierig zu der jungen Frau aufblickend. Und als dieſe ihm die Hand hinhielt, umſchmeichelte er ſie.

Effi hatte während dieſer Vorſtellungsſzene Zeit gefunden, ſich umzuſchauen. Sie war wie gebannt von allem, was ſie ſah und dabei geblendet von der Fülle von Licht. In der vorderen Flurhälfte brannten78Effi Brieſtvier, fünf Wandleuchter, die Leuchter ſelbſt ſehr primitiv, von bloßem Weißblech, was aber den Glanz und die Helle nur noch ſteigerte. Zwei mit roten Schleiern bedeckte Aſtrallampen, Hochzeitsgeſchenk von Niemeyer, ſtanden auf einem zwiſchen zwei Eichen¬ ſchränken angebrachten Klapptiſch, in Front davon das Theezeug, deſſen Lämpchen unter dem Keſſel ſchon angezündet war. Aber noch viel, viel anderes und zum Teil ſehr Sonderbares kam zu dem allen hinzu. Quer über den Flur fort liefen drei, die Flurdecke in ebenſo viele Felder teilende Balken; an dem vorderſten hing ein Schiff mit vollen Segeln, hohem Hinterdeck und Kanonenluken, während weiter¬ hin ein rieſiger Fiſch in der Luft zu ſchwimmen ſchien. Effi nahm ihren Schirm, den ſie noch in Händen hielt, und ſtieß leis an das Ungetüm an, ſo daß es ſich in eine langſam ſchaukelnde Be¬ wegung ſetzte.

Was iſt das, Geert? fragte ſie.

Das iſt ein Haifiſch.

Und ganz dahinten das, was ausſieht wie eine große Zigarre vor einem Tabaksladen?

Das iſt ein junges Krokodil. Aber das kannſt Du Dir alles morgen viel beſſer und genauer an¬ ſehen; jetzt komm und laß uns eine Taſſe Thee nehmen. Denn trotz aller Plaids und Decken wirſt79Effi BrieſtDu gefroren haben. Es war zuletzt empfindlich kalt.

Er bot nun Effi den Arm, und während ſich die beiden Mädchen zurückzogen und nur Friedrich und Rollo folgten, trat man, nach links hin, in des Hausherrn Wohn - und Arbeitszimmer ein. Effi war hier ähnlich überraſcht wie draußen im Flur; aber ehe ſie ſich darüber äußern konnte, ſchlug Innſtetten eine Portiere zurück, hinter der ein zweites, etwas größeres Zimmer, mit Blick auf Hof und Garten gelegen war. Das, Effi, iſt nun alſo Dein. Fried¬ rich und Johanna haben es, ſo gut es ging, nach meinen Anordnungen herrichten müſſen. Ich finde es ganz erträglich und würde mich freuen, wenn es Dir auch gefiele.

Sie nahm ihren Arm aus dem ſeinigen und hob ſich auf die Fußſpitzen, um ihm einen herzlichen Kuß zu geben.

Ich armes kleines Ding, wie Du mich ver¬ wöhnſt. Dieſer Flügel und dieſer Teppich, ich glaube gar, es iſt ein türkiſcher, und das Baſſin mit den Fiſchchen und dazu der Blumentiſch. Verwöhnung, wohin ich ſehe.

Ja, meine liebe Effi, das mußt Du Dir nun ſchon gefallen laſſen, dafür iſt man jung und hübſch und liebenswürdig, was die Keſſiner wohl auch ſchon80Effi Brieſterfahren haben werden, Gott weiß woher. Denn an dem Blumentiſch wenigſtens bin ich unſchuldig. Friedrich, wo kommt der Blumentiſch her?

Apotheker Gieshübler Es liegt auch eine Karte bei.

Ah, Gieshübler, Alonzo Gieshübler, ſagte Innſtetten und reichte lachend und in beinahe aus¬ gelaſſener Laune die Karte mit dem etwas fremdartig klingenden Vornamen zu Effi hinüber. Gieshübler, von dem hab 'ich Dir zu erzählen vergeſſen bei¬ läufig, er führt auch den Doktortitel, hat's aber nicht gern, wenn man ihn dabei nennt, das ärgere, ſo meint er, die richtigen Doktors bloß, und darin wird er wohl recht haben. Nun, ich denke, Du wirſt ihn kennen lernen und zwar bald; er iſt unſere beſte Nummer hier, Schöngeiſt und Original und vor allem Seele von Menſch, was doch immer die Haupt¬ ſache bleibt. Aber laſſen wir das alles und ſetzen uns und nehmen unſern Thee. Wo ſoll es ſein? Hier bei Dir oder drin bei mir? Denn eine weitere Wahl giebt es nicht. Eng und klein iſt meine Hütte.

Sie ſetzte ſich ohne Beſinnen auf ein kleines Eckſofa. Heute bleiben wir hier, heute biſt Du bei mir zu Gaſt. Oder lieber ſo: den Thee regel¬ mäßig bei mir, das Frühſtück bei Dir; dann kommt81Effi Brieſtjeder zu ſeinem Recht, und ich bin neugierig, wo mir's am beſten gefallen wird.

Das iſt eine Morgen - und Abendfrage.

Gewiß. Aber wie ſie ſich ſtellt, oder richtiger, wie wir uns dazu ſtellen, das iſt es eben.

Und ſie lachte und ſchmiegte ſich an ihn und wollte ihm die Hand küſſen.

Nein, Effi, um Himmels willen nicht, nicht ſo. Mir liegt nicht daran, die Reſpektsperſon zu ſein, das bin ich für die Keſſiner. Für Dich bin ich

Nun was?

Ach laß. Ich werde mich hüten, es zu ſagen.

Th. Fontane, Effi Brieſt. 6
[82]

Siebentes Kapitel.

Es war ſchon heller Tag, als Effi am andern Morgen erwachte. Sie hatte Mühe, ſich zurecht¬ zufinden. Wo war ſie? Richtig, in Keſſin, im Hauſe des Landrats von Innſtetten, und ſie war ſeine Frau, Baronin Innſtetten. Und ſich aufrichtend, ſah ſie ſich neugierig um; am Abend vorher war ſie zu müde geweſen, um alles, was ſie da halb fremdartig, halb altmodiſch umgab, genauer in Augen¬ ſchein zu nehmen. Zwei Säulen ſtützten den Decken¬ balken, und grüne Vorhänge ſchloſſen den alkoven¬ artigen Schlafraum, in welchem die Betten ſtanden, von dem Reſt des Zimmers ab; nur in der Mitte fehlte der Vorhang oder war zurückgeſchlagen, was ihr von ihrem Bette aus eine bequeme Orientierung geſtattete. Da, zwiſchen den zwei Fenſtern, ſtand der ſchmale, bis hoch hinauf reichende Trumeau, während rechts daneben, und ſchon an der Flurwand hin, der große ſchwarze Kachelofen aufragte, der noch83Effi Brieſt(ſo viel hatte ſie ſchon am Abend vorher bemerkt) nach alter Sitte von außen her geheizt wurde. Sie fühlte jetzt, wie ſeine Wärme herüberſtrömte. Wie ſchön es doch war, im eigenen Hauſe zu ſein; ſo viel Behagen hatte ſie während der ganzen Reiſe nicht empfunden, nicht einmal in Sorrent.

Aber wo war Innſtetten? Alles ſtill um ſie her, niemand da. Sie hörte nur den Ticktackſchlag einer kleinen Pendule und dann und wann einen dumpfen Ton im Ofen, woraus ſie ſchloß, daß vom Flur her ein paar neue Scheite nachgeſchoben würden. Allmählich entſann ſie ſich auch, daß Geert, am Abend vorher, von einer elektriſchen Klingel geſprochen hatte, nach der ſie denn auch nicht lange mehr zu ſuchen brauchte; dicht neben ihrem Kiſſen war der kleine weiße Elfenbeinknopf, auf den ſie nun leiſe drückte.

Gleich danach erſchien Johanna. Gnädige Frau haben befohlen.

Ach, Johanna, ich glaube, ich habe mich ver¬ ſchlafen. Es muß ſchon ſpät ſein.

Eben neun.

Und der Herr es wollt 'ihr nicht glücken, ſo ohne weiteres von ihrem Manne zu ſprechen der Herr, er muß ſehr leiſe gemacht haben; ich habe nichts gehört.

6 *84Effi Brieſt

Das hat er gewiß. Und gnäd'ge Frau werden feſt geſchlafen haben. Nach der langen Reiſe

Ja, das hab 'ich. Und der Herr, iſt er immer ſo früh auf?

Immer, gnäd'ge Frau. Darin iſt er ſtreng; er kann das lange Schlafen nicht leiden, und wenn er drüben in ſein Zimmer tritt, da muß der Ofen warm ſein, und der Kaffee darf auch nicht auf ſich warten laſſen.

Da hat er alſo ſchon gefrühſtückt?

O nicht doch, gnäd'ge Frau der gnäd'ge Herr

Effi fühlte, daß ſie die Frage nicht hätte thun und die Vermutung, Innſtetten könne nicht auf ſie gewartet haben, lieber nicht hätte ausſprechen ſollen. Es lag ihr denn auch daran, dieſen ihren Fehler ſo gut es ging wieder auszugleichen, und als ſie ſich erhoben und vor dem Trumeau Platz genommen hatte, nahm ſie das Geſpräch wieder auf und ſagte: Der Herr hat übrigens ganz recht. Immer früh auf, das war auch Regel in meiner Eltern Hauſe. Wo die Leute den Morgen verſchlafen, da giebt es den ganzen Tag keine Ordnung mehr. Aber der Herr wird es ſo ſtreng mit mir nicht nehmen; eine ganze Weile hab 'ich dieſe Nacht nicht ſchlafen können und habe mich ſogar ein wenig geängſtigt.

85Effi Brieſt

Was ich hören muß, gnäd'ge Frau! Was war es denn?

Es war über mir ein ganz ſonderbarer Ton, nicht laut, aber doch ſehr eindringlich. Erſt klang es, wie wenn lange Schleppenkleider über die Diele hinſchleiften, und in meiner Erregung war es mir ein paarmal, als ob ich kleine weiße Atlasſchuhe ſähe. Es war, als tanze man oben, aber ganz leiſe.

Johanna, während das Geſpräch ſo ging, ſah über die Schulter der jungen Frau fort in den hohen ſchmalen Spiegel hinein, um die Mienen Effis beſſer beobachten zu können. Dann ſagte ſie: Ja, das iſt oben im Saal. Früher hörten wir es in der Küche auch. Aber jetzt hören wir es nicht mehr; wir haben uns daran gewöhnt.

Iſt es denn etwas Beſonderes damit?

O Gott bewahre, nicht im geringſten. Eine Weile wußte man nicht recht, woher es käme, und der Herr Prediger machte ein verlegenes Geſicht, trotzdem Doktor Gieshübler immer nur darüber lachte. Nun aber wiſſen wir, daß es die Gardinen ſind. Der Saal iſt etwas multrig und ſtockig und deshalb ſtehen immer die Fenſter auf, wenn nicht gerade Sturm iſt. Und da iſt denn faſt immer ein ſtarker Zug oben und fegt die alten, weißen Gardinen, die außerdem viel zu lang ſind, über die Dielen hin86Effi Brieſtund her. Das klingt dann ſo wie ſeid'ne Kleider, oder auch wie Atlasſchuhe, wie die gnäd'ge Frau eben bemerkten.

Natürlich iſt es das. Aber ich begreife nur nicht, warum dann die Gardinen nicht abgenommen werden. Oder man könnte ſie ja kürzer machen. Es iſt ein ſo ſonderbares Geräuſch, das einem auf die Nerven fällt. Und nun, Johanna, bitte, geben Sie mir noch das kleine Tuch und tupfen Sie mir die Stirn. Oder nehmen Sie lieber den Rafraichiſſeur aus meiner Reiſetaſche Ach, das iſt ſchön und erfriſcht mich. Nun werde ich hinübergehen. Er iſt doch noch da, oder war er ſchon aus?

Der gnäd'ge Herr war ſchon aus, ich glaube drüben auf dem Amt. Aber ſeit einer Viertelſtunde iſt er zurück. Ich werde Friedrich ſagen, daß er das Frühſtück bringt.

Und damit verließ Johanna das Zimmer, während Effi noch einen Blick in den Spiegel that und dann über den Flur fort, der bei der Tages¬ beleuchtung viel von ſeinem Zauber vom Abend vor¬ her eingebüßt hatte, bei Geert eintrat.

Dieſer ſaß an ſeinem Schreibtiſch, einem etwas ſchwerfälligen Cylinderbureau, das er aber, als Erb¬ ſtück aus dem elterlichen Hauſe, nicht miſſen mochte. 87Effi BrieſtEffi ſtand hinter ihm und umarmte und küßte ihn, noch eh 'er ſich von ſeinem Platz erheben konnte.

Schon?

Schon, ſagſt Du. Natürlich um mich zu ver¬ ſpotten.

Innſtetten ſchüttelte den Kopf. Wie werd 'ich das? Effi fand aber ein Gefallen daran, ſich anzuklagen, und wollte von den Verſicherungen ihres Mannes, daß ſein ſchon ganz aufrichtig gemeint geweſen ſei, nichts hören. Du mußt noch von der Reiſe her wiſſen, daß ich morgens nie habe warten laſſen. Im Laufe des Tages, nun ja, da iſt es etwas anderes. Es iſt wahr, ich bin nicht ſehr pünktlich, aber ich bin keine Langſchläferin. Darin, denk' ich, haben mich die Eltern gut erzogen.

Darin? In allem, meine ſüße Effi.

Das ſagſt Du ſo, weil wir noch in den Flitter¬ wochen ſind, aber nein, wir ſind ja ſchon heraus. Ums Himmels willen, Geert, daran habe ich noch gar nicht gedacht, wir ſind ja ſchon über ſechs Wochen verheiratet, ſechs Wochen und einen Tag. Ja, das iſt etwas anderes; da nehme ich es nicht mehr als Schmeichelei, da nehme ich es als Wahrheit.

In dieſem Augenblicke trat Friedrich ein und brachte den Kaffee. Der Frühſtückſtiſch ſtand in Schräglinie vor einem kleinen rechtwinkligen Sofa,88Effi Brieſtdas gerade die eine Ecke des Wohnzimmers ausfüllte. Hier ſetzten ſich beide.

Der Kaffee iſt ja vorzüglich, ſagte Effi, während ſie zugleich das Zimmer und ſeine Ein¬ richtung muſterte. Das iſt noch Hotel-Kaffee oder wie der bei Bottegone, erinnerſt Du Dich noch, in Florenz, mit dem Blick auf den Dom. Davon muß ich der Mama ſchreiben, ſolchen Kaffee haben wir in Hohen-Cremmen nicht. Überhaupt, Geert, ich ſehe nun erſt, wie vornehm ich mich verheiratet habe. Bei uns konnte alles nur ſo gerade paſſieren.

Thorheit, Effi, ich habe nie eine beſſere Haus¬ führung geſehen als bei Euch.

Und dann, wie Du wohnſt. Als Papa ſich den neuen Gewehrſchrank angeſchafft und über ſeinem Schreibtiſch einen Büffelkopf und dicht darunter den alten Wrangel angebracht hatte (er war nämlich 'mal Adjutant bei dem Alten), da dacht' er Wunder, was er gethan; aber wenn ich mich hier umſehe, daneben iſt unſere ganze Hohen-Cremmener Herrlichkeit ja bloß dürftig und alltäglich. Ich weiß gar nicht, womit ich das alles vergleichen ſoll; ſchon geſtern abend, als ich nur ſo flüchtig darüber hinſah, kamen mir allerhand Gedanken.

Und welche, wenn ich fragen darf?

Ja, welche. Du darfſt aber nicht d'rüber lachen. 89Effi BrieſtIch habe 'mal ein Bilderbuch gehabt, wo ein per¬ ſiſcher oder indiſcher Fürſt (denn er trug einen Turban) mit untergeſchlagenen Beinen auf einem roten Seidenkiſſen ſaß, und in ſeinem Rücken war außerdem noch eine große rote Seidenrolle, die links und rechts ganz bauſchig zum Vorſchein kam, und die Wand hinter dem indiſchen Fürſten ſtarrte von Schwertern und Dolchen und Parderfellen und Schilden und langen türkiſchen Flinten. Und ſieh, ganz ſo ſieht es hier bei Dir aus, und wenn Du noch die Beine unterſchlägſt, iſt die Ähnlichkeit voll¬ kommen.

Effi, Du biſt ein entzückendes, liebes Geſchöpf. Du weißt gar nicht, wie ſehr ich's finde und wie gern ich Dir in jedem Augenblicke zeigen möchte, daß ich's finde.

Nun, dazu iſt ja noch vollauf Zeit; ich bin ja erſt ſiebzehn und habe noch nicht vor, zu ſterben.

Wenigſtens nicht vor mir. Freilich, wenn ich dann ſtürbe, nähme ich Dich am liebſten mit. Ich will Dich keinem andern laſſen; was meinſt Du dazu?

Das muß ich mir doch noch überlegen. Oder lieber, laſſen wir's überhaupt. Ich ſpreche nicht gern von Tod, ich bin für Leben. Und nun ſage mir, wie leben wir hier? Du haſt mir unterwegs allerlei Sonderbares von Stadt und Land erzählt,90Effi Brieſtaber wie wir ſelber hier leben werden, davon kein Wort. Daß hier alles anders iſt, als in Hohen - Cremmen und Schwantikow, das ſeh 'ich wohl, aber wir müſſen doch in dem guten Keſſin , wie Du's immer nennſt, auch etwas wie Umgang und Geſell¬ ſchaft haben können. Habt Ihr denn Leute von Familie in der Stadt?

Nein, meine liebe Effi; nach dieſer Seite hin gehſt Du großen Enttäuſchungen entgegen. In der Nähe haben wir ein paar Adlige, die Du kennen lernen wirſt, aber hier in der Stadt iſt gar nichts.

Gar nichts? das kann ich nicht glauben. Ihr ſeid doch bis zu dreitauſend Menſchen, und unter dreitauſend Menſchen muß es doch außer ſo kleinen Leuten wie Barbier Beza (ſo hieß er ja wohl) doch auch noch eine Elite geben, Honoratioren oder der¬ gleichen.

Innſtetten lachte. Ja, Honoratioren, die giebt es. Aber bei Lichte beſehen, iſt es nicht viel damit. Natürlich haben wir einen Prediger und einen Amts¬ richter und einen Rektor und einen Lootſenkommandeur, und von ſolchen beamteten Leuten findet ſich ſchließlich wohl ein ganzes Dutzend zuſammen, aber die meiſten davon: gute Menſchen und ſchlechte Muſikanten. Und was dann noch bleibt, das ſind bloß Konſuln.

Bloß Konſuln. Ich bitte Dich, Geert, wie91Effi Brieſtkannſt Du nur ſagen bloß Konſuln . Das iſt doch etwas ſehr Hohes und Großes, und ich möchte bei¬ nah 'ſagen Furchtbares. Konſuln, das ſind doch die mit dem Rutenbündel, draus, glaub' ich, ein Beil herausſah.

Nicht ganz, Effi. Die heißen Liktoren.

Richtig, die heißen Liktoren. Aber Konſuln iſt doch auch etwas ſehr Vornehmes und Hochgeſetz¬ liches. Brutus war doch ein Konſul.

Ja, Brutus war ein Konſul. Aber unſere ſind ihm nicht ſehr ähnlich und begnügen ſich damit, mit Zucker und Kaffee zu handeln oder eine Kiſte mit Apfelſinen aufzubrechen und verkaufen Dir dann das Stück pro zehn Pfennige.

Nicht möglich.

Sogar gewiß. Es ſind kleine, pfiffige Kauf¬ leute, die, wenn fremdländiſche Schiffe hier einlaufen und in irgend einer Geſchäftsfrage nicht recht aus noch ein wiſſen, die dann mit ihrem Rate zur Hand ſind, und wenn ſie dieſen Rat gegeben und irgend einem holländiſchen oder portugieſiſchen Schiff einen Dienſt geleiſtet haben, ſo werden ſie zuletzt zu be¬ glaubigten Vertretern ſolcher fremder Staaten, und gerade ſo viele Botſchafter und Geſandte, wie wir in Berlin haben, ſo viele Konſuln haben wir auch in Keſſin, und wenn irgend ein Feſttag iſt, und es92Effi Brieſtgiebt hier viel Feſttage, dann werden alle Wimpel gehißt, und haben wir gerad 'eine grelle Morgen¬ ſonne, ſo ſiehſt Du an ſolchem Tage ganz Europa von unſern Dächern flaggen und das Sternenbanner und den chineſiſchen Drachen dazu.

Du biſt in einer ſpöttiſchen Laune, Geert, und magſt auch wohl recht haben. Aber ich, für meine kleine Perſon, muß Dir geſtehen, daß ich dies alles entzückend finde, und daß unſere havelländiſchen Städte daneben verſchwinden. Wenn ſie da Kaiſers Ge¬ burtstag feiern, ſo flaggt es immer bloß ſchwarz und weiß und allenfalls ein bißchen rot dazwiſchen, aber das kann ſich doch nicht vergleichen mit der Welt von Flaggen, von der Du ſprichſt. Überhaupt, wie ich Dir ſchon ſagte, ich finde immer wieder und wieder, es hat alles ſo was Fremdländiſches hier, und ich habe noch nichts gehört und geſehen, was mich nicht in eine gewiſſe Verwunderung geſetzt hätte, gleich geſtern abend das merkwürdige Schiff draußen im Flur und dahinter der Haifiſch und das Krokodil und hier Dein eigenes Zimmer. Alles ſo orien¬ taliſch, und ich muß es wiederholen, alles wie bei einem indiſchen Fürſten

Meinetwegen. Ich gratuliere, Fürſtin

Und dann oben der Saal mit ſeinen langen Gardinen, die über die Diele hinfegen.

93Effi Brieſt

Aber was weißt Du denn von dem Saal, Effi?

Nichts, als was ich Dir eben geſagt habe. Wohl eine Stunde lang, als ich in der Nacht auf¬ wachte, war es mir, als ob ich Schuhe auf der Erde ſchleifen hörte, und als würde getanzt und faſt auch wie Muſik. Aber alles ganz leiſe. Und das hab 'ich dann heute früh an Johanna erzählt, bloß um mich zu entſchuldigen, daß ich hinterher ſo lange geſchlafen. Und da ſagte ſie mir, das ſei von den langen Gardinen oben im Saal. Ich denke, wir machen kurzen Prozeß damit und ſchneiden die Gar¬ dinen etwas ab oder ſchließen wenigſtens die Fenſter; es wird ohnehin bald ſtürmiſch genug werden. Mitte November iſt ja die Zeit.

Innſtetten ſah in einer kleinen Verlegenheit vor ſich hin und ſchien ſchwankend, ob er auf all das antworten ſolle. Schließlich entſchied er ſich für Schweigen. Du haſt ganz recht, Effi, wir wollen die langen Gardinen oben kürzer machen. Aber es eilt nicht damit, um ſo weniger, als es nicht ſicher iſt, ob es hilft. Es kann auch was anderes ſein, im Rauchfang, oder der Wurm im Holz oder ein Iltis. Wir haben nämlich hier Iltiſſe. Jedenfalls aber eh 'wir Änderungen vornehmen, mußt Du Dich in unſerem Hausweſen erſt umſehen, natürlich unter94Effi Brieſtmeiner Führung; in einer Viertelſtunde zwingen wir's. Und dann machſt Du Toilette, nur ein ganz klein wenig, denn eigentlich biſt Du ſo am reizendſten, Toilette für unſeren Freund Gieshübler; es iſt jetzt zehn vorüber, und ich müßte mich ſehr in ihm irren, wenn er nicht um elf oder doch ſpäteſtens um die Mittagsſtunde hier antreten und Dir ſeinen Reſpekt devoteſt zu Füßen legen ſollte. Das iſt nämlich die Sprache, d'rin er ſich ergeht. Übrigens, wie ich Dir ſchon ſagte, ein kapitaler Mann, der Dein Freund werden wird, wenn ich ihn und Dich recht kenne.

[95]

Achtes Kapitel.

Elf war es längſt vorüber; aber Gieshübler hatte ſich noch immer nicht ſehen laſſen. Ich kann nicht länger warten, hatte Geert geſagt, den der Dienſt abrief. Wenn Gieshübler noch erſcheint, ſo ſei möglichſt entgegenkommend, dann wird es vor¬ züglich gehen; er darf nicht verlegen werden; iſt er befangen, ſo kann er kein Wort finden oder ſagt die ſonderbarſten Dinge; weißt Du ihn aber in Zutrauen und gute Laune zu bringen, dann redet er wie ein Buch. Nun, Du wirſt es ſchon machen. Erwarte mich nicht vor drei; es giebt drüben allerlei zu thun. Und das mit dem Saal oben wollen wir noch über¬ legen; es wird aber wohl am beſten ſein, wir laſſen es beim Alten.

Damit ging Innſtetten und ließ ſeine junge Frau allein. Dieſe ſaß, etwas zurückgelehnt, in einem lauſchigen Winkel am Fenſter und ſtützte ſich, während ſie hinausſah, mit ihrem linken Arm auf ein kleines96Effi BrieſtSeitenbrett, das aus dem Cylinderbureau heraus¬ gezogen war. Die Straße war die Hauptverkehrs¬ ſtraße nach dem Strande hin, weshalb denn auch in Sommerzeit ein reges Leben hier herrſchte, jetzt aber, um Mitte November, war alles leer und ſtill, und nur ein paar arme Kinder, deren Eltern in etlichen ganz am äußerſten Rande der Plantage gelegenen Strohdachhäuſern wohnten, klappten in ihren Holzpantinen an dem Innſtetten'ſchen Hauſe vorüber. Effi empfand aber nichts von dieſer Ein¬ ſamkeit, denn ihre Phantaſie war noch immer bei den wunderlichen Dingen, die ſie, kurz vorher, während ihrer Umſchau haltenden Muſterung im Hauſe ge¬ ſehen hatte. Dieſe Muſterung hatte mit der Küche begonnen, deren Herd eine moderne Konſtruktion aufwies, während an der Decke hin, und zwar bis in die Mädchenſtube hinein, ein elektriſcher Draht lief, beides vor kurzem erſt hergerichtet. Effi war erfreut geweſen, als ihr Innſtetten davon erzählt hatte, dann aber waren ſie von der Küche wieder in den Flur zurück - und von dieſem in den Hof hinaus¬ getreten, der in ſeiner erſten Hälfte nicht viel mehr als ein, zwiſchen zwei Seitenflügeln hinlaufender ziemlich ſchmaler Gang war. In dieſen Flügeln war alles untergebracht, was ſonſt noch zu Haushalt und Wirtſchaftsführung gehörte, rechts Mädchenſtube,97Effi BrieſtBedientenſtube, Rollkammer, links eine zwiſchen Pferde¬ ſtall und Wagenremiſe gelegene, von der Familie Kruſe bewohnte Kutſcherwohnung. Über dieſer, in einem Verſchlage, waren die Hühner einlogiert und eine Dachklappe über dem Pferdeſtall bildete den Aus - und Einſchlupf für die Tauben. All dies hatte ſich Effi mit vielem Intereſſe angeſehen, aber dies Intereſſe ſah ſich doch weit überholt, als ſie, nach ihrer Rück¬ kehr vom Hof ins Vorderhaus, unter Innſtettens Führung die nach oben führende Treppe hinauf¬ geſtiegen war. Dieſe war ſchief, baufällig, dunkel; der Flur dagegen, auf den ſie mündete, wirkte beinah 'heiter, weil er viel Licht und einen guten land¬ ſchaftlichen Ausblick hatte: nach der einen Seite hin, über die Dächer des Stadtrandes und die Plantage fort, auf eine hoch auf einer Düne ſtehende hol¬ ländiſche Windmühle, nach der anderen Seite hin auf die Keſſine, die hier, unmittelbar vor ihrer Ein¬ mündung, ziemlich breit war und einen ſtattlichen Eindruck machte. Dieſem Eindruck konnte man ſich unmöglich entziehen, und Effi hatte denn auch nicht geſäumt, ihrer Freude lebhaften Ausdruck zu geben. Ja, ſehr ſchön, ſehr maleriſch, hatte Innſtetten, ohne weiter darauf einzugehen, geantwortet, und dann eine mit ihren Flügeln etwas ſchief hängende Doppelthür geöffnet, die nach rechts hin in den ſo¬Th. Fontane, Effi Brieſt. 798Effi Brieſtgenannten Saal führte. Dieſer lief durch die ganze Etage; Vorder - und Hinterfenſter ſtanden auf, und die mehr erwähnten langen Gardinen bewegten ſich in dem ſtarken Luftzuge hin und her. In der Mitte der einen Längswand ſprang ein Kamin vor mit einer großen Steinplatte, während an der Wand gegenüber ein paar blecherne Leuchter hingen, jeder mit zwei Lichtöffnungen, ganz ſo wie unten im Flur, aber alles ſtumpf und ungepflegt. Effi war einiger¬ maßen enttäuſcht, ſprach es auch aus und erklärte, ſtatt des öden und ärmlichen Saals, doch lieber die Zimmer an der gegenübergelegenen Flurſeite ſehen zu wollen. Da iſt nun eigentlich vollends nichts, hatte Innſtetten geantwortet, aber doch die Thüren geöffnet. Es befanden ſich hier vier einfenſtrige Zimmer, alle gelb getüncht, gerade wie der Saal, und ebenfalls ganz leer. Nur in einem ſtanden drei Binſenſtühle, die durchgeſeſſen waren, und an die Lehne des einen war ein kleines, nur einen halben Finger langes Bildchen geklebt, das einen Chineſen darſtellte, blauer Rock mit gelben Pluderhoſen und einen flachen Hut auf dem Kopf. Effi ſah es und ſagte: Was ſoll der Chineſe? Innſtetten ſelber ſchien von dem Bildchen überraſcht und verſicherte, daß er es nicht wiſſe. Das hat Chriſtel angeklebt oder Johanna. Spielerei. Du kannſt ſehen, es iſt99Effi Brieſtaus einer Fibel herausgeſchnitten. Effi fand es auch und war nur verwundert, daß Innſtetten alles ſo ernſthaft nahm, als ob es doch etwas ſei. Dann hatte ſie noch einmal einen Blick in den Saal gethan und ſich dabei dahin geäußert, wie es doch eigentlich ſchade ſei, daß das alles leer ſtehe. Wir haben unten ja nur drei Zimmer, und wenn uns wer beſucht, ſo wiſſen wir nicht aus, noch ein. Meinſt Du nicht, daß man aus dem Saal zwei hübſche Fremdenzimmer machen könnte. Das wäre ſo was für die Mama; nach hinten heraus könnte ſie ſchlafen und hätte den Blick auf den Fluß und die beiden Moolen, und vorn hätte ſie die Stadt und die hol¬ ländiſche Windmühle. In Hohen-Cremmen haben wir noch immer bloß eine Bockmühle. Nun ſage, was meinſt Du dazu? Nächſten Mai wird doch die Mama wohl kommen.

Innſtetten war mit allem einverſtanden geweſen und hatte nur zum Schluſſe geſagt: Alles ganz gut. Aber es iſt doch am Ende beſſer, wir logieren die Mama drüben ein, auf dem Landratsamt; die ganze erſte Etage ſteht da leer, gerade ſo wie hier, und ſie iſt da noch mehr für ſich.

Das war ſo das Reſultat des erſten Umgangs im Hauſe geweſen; dann hatte Effi drüben ihre Toilette7 *100Effi Brieſtgemacht, nicht ganz ſo ſchnell wie Innſtetten ange¬ nommen, und nun ſaß ſie in ihres Gatten Zimmer und beſchäftigte ſich in ihren Gedanken abwechſelnd mit dem kleinen Chineſen oben und mit Gieshübler, der noch immer nicht kam. Vor einer Viertelſtunde war freilich ein kleiner, ſchiefſchultriger und faſt ſchon ſo gut wie verwachſener Herr in einem kurzen eleganten Pelzrock und einem hohen ſehr glatt gebürſteten Cylinder an der andern Seite der Straße vorbeigegangen und hatte nach ihrem Fenſter hinübergeſehen. Aber das konnte Gieshübler wohl nicht geweſen ſein! Nein, dieſer ſchiefſchultrige Herr, der zugleich etwas ſo Diſtin¬ guiertes hatte, das mußte der Herr Gerichtspräſident geweſen ſein, und ſie entſann ſich auch wirklich, in einer Geſellſchaft bei Tante Thereſe, mal einen ſolchen geſehen zu haben, bis ihr mit einemmale einfiel, daß Keſſin bloß einen Amtsrichter habe.

Während ſie dieſen Betrachtungen noch nachhing, wurde der Gegenſtand derſelben, der augenſcheinlich erſt eine Morgen - oder vielleicht auch eine Ermuti¬ gungspromenade um die Plantage herum gemacht hatte, wieder ſichtbar, und eine Minute ſpäter erſchien Friedrich, um Apotheker Gieshübler anzumelden.

Ich laſſe ſehr bitten.

Der armen jungen Frau ſchlug das Herz, weil es das erſte Mal war, daß ſie ſich als Hausfrau101Effi Brieſtund noch dazu als erſte Frau der Stadt zu zeigen hatte.

Friedrich half Gieshübler den Pelzrock ablegen und öffnete dann wieder die Thür.

Effi reichte dem verlegen Eintretenden die Hand, die dieſer mit einem gewiſſen Ungeſtüm küßte. Die junge Frau ſchien ſofort einen großen Eindruck auf ihn gemacht zu haben.

Mein Mann hat mir bereits geſagt Aber ich empfange Sie hier in meines Mannes Zimmer, er iſt drüben auf dem Amt und kann jeden Augenblick zurück ſein Darf ich Sie bitten, bei mir eintreten zu wollen?

Gieshübler folgte der voranſchreitenden Effi ins Nebenzimmer, wo dieſe auf einen der Fauteuils wies, während ſie ſich ſelbſt ins Sofa ſetzte. Daß ich Ihnen ſagen könnte, welche Freude Sie mir geſtern durch die ſchönen Blumen und Ihre Karte gemacht haben. Ich hörte ſofort auf, mich hier als eine Fremde zu fühlen, und als ich dies Innſtetten aus¬ ſprach, ſagte er mir, wir würden überhaupt gute Freunde ſein.

Sagte er ſo? Der gute Herr Landrat. Ja der Herr Landrat und Sie, meine gnädigſte Frau, da ſind, das bitte ich ſagen zu dürfen, zwei liebe Menſchen zu einander gekommen. Denn wie Ihr102Effi BrieſtHerr Gemahl iſt, das weiß ich, und wie Sie ſind, meine gnädigſte Frau, das ſehe ich.

Wenn Sie nur nicht mit zu freundlichen Augen ſehen. Ich bin ſo ſehr jung. Und Jugend

Ach, meine gnädigſte Frau, ſagen Sie nichts gegen die Jugend. Die Jugend, auch in ihren Fehlern iſt ſie noch ſchön und liebenswürdig, und das Alter, auch in ſeinen Tugenden taugt es nicht viel. Perſönlich kann ich in dieſer Frage freilich nicht mitſprechen, vom Alter wohl, aber von der Jugend nicht, denn ich bin eigentlich nie jung ge¬ weſen. Perſonen meines Schlages ſind nie jung. Ich darf wohl ſagen, das iſt das traurigſte von der Sache. Man hat keinen rechten Mut, man hat kein Vertrauen zu ſich ſelbſt, man wagt kaum, eine Dame zum Tanz aufzufordern, weil man ihr eine Verlegen¬ heit erſparen will, und ſo gehen die Jahre hin, und man wird alt, und das Leben war arm und leer.

Effi gab ihm die Hand. Ach, Sie dürfen ſo was nicht ſagen. Wir Frauen ſind gar nicht ſo ſchlecht.

O, nein, gewiß nicht

Und wenn ich mir ſo zurückrufe, fuhr Effi fort, was ich alles erlebt habe viel iſt es nicht, denn ich bin wenig herausgekommen und habe faſt immer auf dem Lande gelebt aber wenn ich es103Effi Brieſtmir zurückrufe, ſo finde ich doch, daß wir immer das lieben, was liebenswert iſt. Und dann ſehe ich doch auch gleich, daß Sie anders ſind als andere, dafür haben wir Frauen ein ſcharfes Auge. Vielleicht iſt es auch der Name, der in Ihrem Falle mit wirkt. Das war immer eine Lieblingsbehauptung unſeres alten Paſtors Niemeyer; der Name, ſo liebte er zu ſagen, beſonders der Taufname, habe was geheimnis¬ voll Beſtimmendes, und Alonzo Gieshübler, ſo mein 'ich, ſchließt eine ganz neue Welt vor einem auf, ja, faſt möcht' ich ſagen dürfen, Alonzo iſt ein roman¬ tiſcher Name, ein Prezioſa-Name.

Gieshübler lächelte mit einem ganz ungemeinen Behagen und fand den Mut, ſeinen für ſeine Ver¬ hältniſſe viel zu hohen Cylinder, den er bis dahin in der Hand gedreht hatte, bei Seite zu ſtellen. Ja, meine gnädigſte Frau, da treffen Sie's.

O, ich verſtehe. Ich habe von den Konſuln gehört, deren Keſſin ſo viele haben ſoll, und in dem Hauſe des ſpaniſchen Konſuls hat Ihr Herr Vater mutmaßlich die Tochter eines ſeemänniſchen Capitanos kennen gelernt, wie ich annehme irgend eine ſchöne Andaluſierin. Andaluſierinnen ſind immer ſchön.

Ganz wie Sie vermuten, meine Gnädigſte. Und meine Mutter war wirklich eine ſchöne Frau, ſo ſchlecht es mir perſönlich zuſteht, die Beweisführung104Effi Brieſtzu übernehmen. Aber als Ihr Herr Gemahl vor drei Jahren hierher kam, lebte ſie noch und hatte noch ganz die Feueraugen. Er wird es mir be¬ ſtätigen. Ich perſönlich bin mehr ins Gieshübler'ſche geſchlagen, Leute von wenig Exterieur, aber ſonſt leidlich im Stande. Wir ſitzen hier ſchon in der vierten Generation, volle hundert Jahre, und wenn es einen Apothekeradel gäbe

So würden Sie ihn beanſpruchen dürfen. Und ich meinerſeits nehme ihn für bewieſen an und ſogar für bewieſen ohne jede Einſchränkung. Uns, aus den alten Familien, wird das am leichteſten, weil wir, ſo wenigſtens bin ich von meinem Vater und auch von meiner Mutter her erzogen, jede gute Geſinnung, ſie komme woher ſie wolle, mit Freudig¬ keit gelten laſſen. Ich bin eine geborene Brieſt und ſtamme von dem Brieſt ab, der, am Tage vor der Fehrbelliner Schlacht, den Überfall von Rathenow ausführte, wovon Sie vielleicht einmal gehört haben

O, gewiß, meine Gnädigſte, das iſt ja meine Spezialität.

Eine Brieſt alſo. Und mein Vater, da reichen keine hundertmale, daß er zu mir geſagt hat: Effi (ſo heiße ich nämlich) Effi, hier ſitzt es, bloß hier, und als Froben das Pferd tauſchte, da war er von105Effi BrieſtAdel, und als Luther ſagte, hier ſtehe ich, da war er erſt recht von Adel. Und ich denke, Herr Gies¬ hübler, Innſtetten hatte ganz recht, als er mir ver¬ ſicherte, wir würden gute Freundſchaft halten.

Gieshübler hätte nun am liebſten gleich eine Liebeserklärung gemacht und gebeten, daß er als Cid oder irgend ſonſt ein Campeador für ſie kämpfen und ſterben könne. Da dies alles aber nicht ging und ſein Herz es nicht mehr aushalten konnte, ſo ſtand er auf, ſuchte nach ſeinem Hut, den er auch glück¬ licherweiſe gleich fand, und zog ſich, nach wiederholtem Handkuß, raſch zurück, ohne weiter ein Wort geſagt zu haben.

[106]

Neuntes Kapitel.

So war Effi's erſter Tag in Keſſin geweſen. Innſtetten gab ihr noch eine halbe Woche Zeit, ſich einzurichten und die verſchiedenſten Briefe nach Hohen - Cremmen zu ſchreiben, an die Mama, an Hulda und die Zwillinge; dann aber hatten die Stadtbeſuche begonnen, die zum Teil (es regnete gerade ſo, daß man ſich dieſe Ungewöhnlichkeit ſchon geſtatten konnte), in einer geſchloſſenen Kutſche gemacht wurden. Als man damit fertig war, kam der Landadel an die Reihe. Das dauerte länger, da ſich, bei den meiſt großen Entfernungen, an jedem Tage nur eine Viſite machen ließ. Zuerſt war man bei den Borcke's in Rothenmoor, dann ging es nach Morgnitz, Dabergotz und Kroſchentin, wo man bei den Ahlemann's, den Jatzkow's und den Graſenabb's den pflichtſchuldigen Beſuch abſtattete. Noch ein paar andere folgten, unter denen auch der alte Baron v. Güldenklee auf Papenhagen war. Der Eindruck, den Effi empfing,107Effi Brieſtwar überall derſelbe: mittelmäßige Menſchen, von meiſt zweifelhafter Liebenswürdigkeit, die, während ſie vorgaben, über Bismarck und die Kronprinzeſſin zu ſprechen, eigentlich nur Effi's Toilette muſterten, die von einigen als zu prätentiös für eine ſo jugendliche Dame, von andern als zu wenig decent für eine Dame von geſellſchaftlicher Stellung befunden wurde. Man merke doch an allem die Berliner Schule: Sinn für Äußerliches und eine merkwürdige Verlegenheit und Unſicherheit bei Berührung großer Fragen. In Rothenmoor bei den Borcke's und dann auch bei den Familien in Morgnitz und Dabergotz war ſie für rationaliſtiſch angekränkelt , bei den Graſenabb's in Kroſchentin aber rundweg für eine Atheiſtin er¬ klärt worden. Allerdings hatte die alte Frau von Graſenabb, eine Süddeutſche (geborene Stiefel von Stiefelſtein), einen ſchwachen Verſuch gemacht, Effi wenigſtens für den Deismus zu retten; Sidonie v. Graſenabb aber, eine dreiundvierzigjährige alte Jungfer, war barſch dazwiſchengefahren: Ich ſage Dir, Mutter, einfach Atheiſtin, kein Zoll breit weniger, und dabei bleibt es, worauf die Alte, die ſich vor ihrer eigenen Tochter fürchtete, klüglich geſchwiegen hatte.

Die ganze Tournee hatte ſo ziemlich zwei Wochen gedauert, und es war am 2. Dezember, als man, zu ſchon ſpäter Stunde, von dem letzten dieſer Beſuche108Effi Brieſtnach Keſſin zurückkehrte. Dieſer letzte Beſuch hatte den Güldenklee’s auf Papenhagen gegolten, bei welcher Gelegenheit Innſtetten dem Schickſal nicht entgangen war, mit dem alten Güldenklee politiſieren zu müſſen. Ja, teuerſter Landrat, wenn ich ſo den Wechſel der Zeiten bedenke! Heute vor einem Menſchenalter oder ungefähr ſo lange, ja, da war auch ein zweiter Dezember und der gute Louis und Napoleons-Neffe wenn er ſo 'was war und nicht eigentlich ganz wo anders herſtammte, der kartätſchte damals auf die Pariſer Kanaille. Na, das mag ihm verziehen ſein, für ſo' was war er der rechte Mann, und ich halte zu dem Satze:, Jeder hat es geradeſo gut und ſo ſchlecht, wie er's verdient. Aber daß er nachher alle Schätzung verlor und anno 70 ſo mir nichts dir nichts auch mit uns anbinden wollte, ſehen Sie, Baron, das war, ja wie ſag 'ich, das war eine Inſolenz. Es iſt ihm aber auch heimgezahlt worden. Unſer Alter da oben läßt ſich nicht ſpotten, der ſteht zu uns.

Ja, ſagte Innſtetten, der klug genug war, auf ſolche Philiſtereien anſcheinend ernſthaft einzu¬ gehen: der Held und Eroberer von Saarbrücken wußte nicht, was er that. Aber Sie dürfen nicht zu ſtreng mit ihm perſönlich abrechnen. Wer iſt am Ende Herr in ſeinem Hauſe? Niemand. Ich richte mich auch ſchon darauf ein, die Zügel der Regierung109Effi Brieſtin andere Hände zu legen, und Louis Napoleon, nun, der war vollends ein Stück Wachs in den Händen ſeiner katholiſchen Frau, oder ſagen wir lieber, ſeiner jeſuitiſchen Frau.

Wachs in den Händen ſeiner Frau, die ihm dann eine Naſe drehte. Natürlich, Innſtetten, das war er. Aber damit wollen Sie dieſe Puppe doch nicht etwa retten? Er iſt und bleibt gerichtet. An und für ſich iſt es übrigens noch gar nicht 'mal erwieſen, und ſein Blick ſuchte bei dieſen Worten etwas ängſtlich nach dem Auge ſeiner Ehehälfte, ob nicht Frauenherrſchaft eigentlich als ein Vorzug gelten kann; nur freilich, die Frau muß danach ſein. Aber wer war dieſe Frau? Sie war überhaupt keine Frau, im günſtigſten Falle war ſie eine Dame, das ſagt alles; Dame hat beinah immer einen Bei¬ geſchmack. Dieſe Eugenie über deren Verhältnis zu dem jüdiſchen Bankier ich hier gern hingehe, denn ich haſſe Tugendhochmut hatte' was vom Café chantant, und wenn die Stadt, in der ſie lebte, das Babel war, ſo war ſie das Weib von Babel, Ich mag mich nicht deutlicher ausdrücken, denn ich weiß, und er verneigte ſich gegen Effi, was ich deutſchen Frauen ſchuldig bin. Um Vergebung, meine Gnädigſte, daß ich dieſe Dinge vor Ihren Ohren überhaupt berührt habe.

110Effi Brieſt

So war die Unterhaltung gegangen, nachdem man vorher von Wahl, Nobiling und Raps geſprochen hatte, und nun ſaßen Innſtetten und Effi wieder daheim und plauderten noch eine halbe Stunde. Die beiden Mädchen im Hauſe waren ſchon zu Bett, denn es war nah 'an Mitternacht.

Innſtetten, in kurzem Hausrock und Saffian¬ ſchuhen, ging auf und ab; Effi war noch in ihrer Geſellſchaftstoilette; Fächer und Handſchuhe lagen neben ihr.

Ja, ſagte Innſtetten, während er ſein Auf - und Abſchreiten im Zimmer unterbrach, dieſen Tag müßten wir nun wohl eigentlich feiern, und ich weiß nur noch nicht womit. Soll ich Dir einen Sieges¬ marſch vorſpielen oder den Haifiſch draußen in Be¬ wegung ſetzen oder Dich im Triumph über den Flur tragen? Etwas muß doch geſchehen, denn Du mußt wiſſen, das war nun heute die letzte Viſite.

Gott ſei Dank, war ſie's, ſagte Effi. Aber das Gefühl, daß wir nun Ruhe haben, iſt, denk 'ich, gerade Feier genug. Nur einen Kuß könnteſt Du mir geben. Aber daran denkſt Du nicht. Auf dem ganzen weiten Wege nicht gerührt, froſtig wie ein Schneemann. Und immer nur die Zigarre.

Laß, ich werde mich ſchon beſſern und will vorläufig nur wiſſen, wie ſtehſt Du zu dieſer ganzen111Effi BrieſtUmgangs - und Verkehrsfrage? Fühlſt Du Dich zu dem einen oder andern hingezogen? Haben die Borcke's die Graſenabb's geſchlagen, oder umgekehrt, oder hältſt Du's mit dem alten Güldenklee? Was er da über die Eugenie ſagte, machte doch einen ſehr edlen und reinen Eindruck.

Ei, ſieh, Herr von Innſtetten, auch mediſant! Ich lerne Sie von einer ganz neuen Seite kennen.

Und wenn's unſer Adel nicht thut, fuhr Innſtetten fort, ohne ſich ſtören zu laſſen wie ſtehſt Du zu den Keſſiner Stadthonoratioren? wie ſtehſt Du zur Reſſource? Daran hängt doch am Ende Leben und Sterben. Ich habe Dich da neulich mit unſerem reſerveleutnantlichen Amtsrichter ſprechen ſehen, einem zierlichen Männchen, mit dem ſich viel¬ leicht durchkommen ließe, wenn er nur endlich von der Vorſtellung los könnte, die Wiedereroberung von Le Bourget durch ſein Erſcheinen in der Flanke zu ſtande gebracht zu haben. Und ſeine Frau! ſie gilt als die beſte Boſtonſpielerin und hat auch die hübſcheſten Anlegemarken. Alſo nochmals, Effi, wie wird es werden in Keſſin? Wirſt Du Dich ein¬ leben? Wirſt Du populär werden und mir die Majorität ſichern, wenn ich in den Reichstag will? Oder biſt Du für Einſiedlertum, für Abſchluß von der Keſſiner Menſchheit, ſo Stadt wie Land?

112Effi Brieſt

Ich werde mich wohl für Einſiedlertum ent¬ ſchließen, wenn mich die Mohrenapotheke nicht her¬ ausreißt. Bei Sidonie werd 'ich dadurch freilich noch etwas tiefer ſinken, aber darauf muß ich es ankommen laſſen; dieſer Kampf muß eben gekämpft werden. Ich ſteh' und falle mit Gieshübler. Es klingt etwas komiſch, aber er iſt wirklich der einzige mit dem ſich ein Wort reden läßt, der einzige richtige Menſch hier.

Das iſt er, ſagte Innſtetten. Wie gut Du zu wählen verſtehſt.

Hätte ich ſonſt Dich? ſagte Effi und hing ſich an ſeinen Arm.

Das war am 2. Dezember. Eine Woche ſpäter war Bismarck in Varzin, und nun wußte Innſtetten, daß, bis Weihnachten und vielleicht noch drüber hin¬ aus, an ruhige Tage für ihn gar nicht mehr zu denken ſei. Der Fürſt hatte noch von Verſailles her eine Vorliebe für ihn und lud ihn, wenn Beſuch da war, häufig zu Tiſch, aber auch allein, denn der jugend¬ liche, durch Haltung und Klugheit gleich ausgezeichnete Landrat ſtand ebenſo in Gunſt bei der Fürſtin.

Zum 14. erfolgte die erſte Einladung. Es lag Schnee, weshalb Innſtetten die faſt zweiſtündige Fahrt bis an den Bahnhof, von wo noch eine Stunde113Effi BrieſtEiſenbahn war, im Schlitten zu machen vorhatte. Warte nicht auf mich, Effi. Vor Mitternacht kann ich nicht zurück ſein; wahrſcheinlich wird es zwei oder noch ſpäter. Ich ſtöre Dich aber nicht. Gehab Dich wohl und auf Wiederſehen morgen früh. Und damit ſtieg er ein, und die beiden iſabellfarbenen Graditzer jagten im Fluge durch die Stadt hin und dann landeinwärts auf den Bahnhof zu.

Das war die erſte lange Trennung, faſt auf zwölf Stunden. Arme Effi. Wie ſollte ſie den Abend verbringen? Früh zu Bett, das war gefährlich, dann wachte ſie auf und konnte nicht wieder ein¬ ſchlafen und horchte auf alles. Nein, erſt recht müde werden und dann ein feſter Schlaf, das war das Beſte. Sie ſchrieb einen Brief an die Mama und ging dann zu der Frau Kruſe, deren gemütskranker Zuſtand ſie hatte das ſchwarze Huhn oft bis in die Nacht hinein auf ihrem Schoß ihr Teilnahme einflößte. Die Freundlichkeit indeſſen, die ſich darin ausſprach, wurde von der in ihrer überheizten Stube ſitzenden und nur ſtill und ſtumm vor ſich hinbrüten¬ den Frau keinen Augenblick erwidert, weshalb Effi, als ſie wahrnahm, daß ihr Beſuch mehr als Störung wie als Freude empfunden wurde, wieder ging und nur noch fragte, ob die Kranke etwas haben wolle. Dieſe lehnte aber alles ab.

Th. Fontane, Effi Brieſt. 8114Effi Brieſt

Inzwiſchen war es Abend geworden, und die Lampe brannte ſchon. Effi ſtellte ſich ans Fenſter ihres Zimmers und ſah auf das Wäldchen hinaus, auf deſſen Zweigen der glitzernde Schnee lag. Sie war von dem Bilde ganz in Anſpruch genommen und kümmerte ſich nicht um das, was hinter ihr in dem Zimmer vorging. Als ſie ſich wieder umſah, be¬ merkte ſie, daß Friedrich ſtill und geräuſchlos ein Kou¬ vert gelegt und ein Kabarett auf den Sofatiſch geſtellt hatte. Ja ſo, Abendbrot Da werd 'ich mich nun wohl ſetzen müſſen. Aber es wollte nicht ſchmecken, und ſo ſtand ſie wieder auf und las den an die Mama geſchriebenen Brief noch einmal durch. Hatte ſie ſchon vorher ein Gefühl der Einſamkeit gehabt, ſo jetzt doppelt. Was hätte ſie darum gegeben, wenn die beiden Jahnke'ſchen Rotköpfe jetzt eingetreten wären oder ſelbſt Hulda. Die war freilich immer ſo ſentimental und beſchäftigte ſich meiſt nur mit ihren Triumphen, aber ſo zweifelhaft und anfechtbar dieſe Triumphe waren, ſie hätte ſich in dieſem Augen¬ blicke doch gern davon erzählen laſſen. Schließlich klappte ſie den Flügel auf, um zu ſpielen; aber es ging nicht. Nein, dabei werd' ich vollends melan¬ choliſch; lieber leſen. Und ſo ſuchte ſie nach einem Buche. Das erſte, was ihr zu Händen kam, war ein dickes, rotes Reiſehandbuch, alter Jahrgang, viel¬115Effi Brieſtleicht ſchon aus Innſtettens Leutnantstagen her. Ja, darin will ich leſen; es giebt nichts Beruhigen¬ deres als ſolche Bücher. Das Gefährliche ſind bloß immer die Karten; aber vor dieſem Augenpulver, das ich haſſe, werd 'ich mich ſchon hüten. Und ſo ſchlug ſie denn auf gut Glück auf, Seite 153. Nebenan hörte ſie das Ticktack der Uhr und draußen Rollo, der, ſeit es dunkel war, ſeinen Platz in der Remiſe aufgegeben und ſich, wie jeden Abend, ſo auch heute wieder, auf die große geflochtene Matte, die vor dem Schlafzimmer lag, ausgeſtreckt hatte. Das Bewußtſein ſeiner Nähe minderte das Gefühl ihrer Verlaſſenheit, ja, ſie kam faſt in Stimmung, und ſo begann ſie denn auch unverzüglich zu leſen. Auf der gerade vor ihr aufgeſchlagenen Seite war von der Eremitage , dem bekannten markgräflichen Luftſchloß in der Nähe von Bayreuth, die Rede; das lockte ſie, Bayreuth, Richard Wagner, und ſo las ſie denn: Unter den Bildern in der Eremitage nennen wir noch eins, das nicht durch ſeine Schön¬ heit, wohl aber durch ſein Alter und durch die Perſon, die es darſtellt, ein Intereſſe beanſprucht. Es iſt dies ein ſtark nachgedunkeltes Frauenporträt, kleiner Kopf, mit herben, etwas unheimlichen Geſichtszügen und einer Halskrauſe, die den Kopf zu tragen ſcheint. Einige meinen, es ſei eine alte Markgräfin aus dem8 *116Effi BrieſtEnde des fünfzehnten Jahrhunderts, andere ſind der Anſicht, es ſei die Gräfin von Orlamünde; darin aber ſind beide einig, daß es das Bildnis der Dame ſei, die ſeither in der Geſchichte der Hohenzollern unter dem Namen der weißen Frau‘ eine gewiſſe Berühmtheit erlangt hat.

Das hab 'ich gut getroffen, ſagte Effi, während ſie das Buch bei Seite ſchob; ich will mir die Nerven beruhigen, und das Erſte, was ich leſe, iſt die Geſchichte von der weißen Frau, vor der ich mich gefürchtet habe, ſo lang' ich denken kann. Aber da nun das Gruſeln 'mal da iſt, will ich doch auch zu Ende leſen.

Und ſie ſchlug wieder auf und las weiter: Eben dies alte Porträt (deſſen Original in der Hohenzollernſchen Familiengeſchichte ſolche Rolle ſpielt) ſpielt als Bild auch eine Rolle in der Spezial¬ geſchichte des Schloſſes Eremitage, was wohl damit zuſammenhängt, daß es an einer dem Fremden unſichtbaren Tapetentür hängt, hinter der ſich eine vom Souterrain her hinaufführende Treppe befindet. Es heißt, daß, als Napoleon hier übernachtete, die weiße Frau‘ aus dem Rahmen herausgetreten und auf ſein Bett zugeſchritten ſei. Der Kaiſer, entſetzt auffahrend, habe nach ſeinem Adjutanten gerufen und bis an ſein Lebensende mit Entrüſtung von dieſem maudit château geſprochen.

117Effi Brieſt

Ich muß es aufgeben, mich durch Lektüre be¬ ruhigen zu wollen, ſagte Effi. Leſe ich weiter, ſo komm ich gewiß noch nach einem Kellergewölbe, wo der Teufel auf einem Weinfaß davongeritten iſt. Es giebt, glaub 'ich, in Deutſchland viel dergleichen, und in einem Reiſehandbuch muß es ſich natürlich alles zuſammenfinden. Ich will alſo lieber wieder die Augen ſchließen und mir, ſo gut es geht, meinen Polter¬ abend vorſtellen: die Zwillinge, wie ſie vor Thränen nicht weiterkonnten, und dazu den Vetter Brieſt, der, als ſich alles verlegen anblickte, mit erſtaunlicher Würde behauptete, ſolche Thränen öffneten einem das Paradies. Er war wirklich charmant und immer ſo übermütig Und nun ich! Und gerade hier. Ach, ich tauge doch gar nicht für eine große Dame. Die Mama, ja, die hätte hierher gepaßt, die hätte, wie's einer Landrätin zukommt, den Ton angegeben, und Sidonie Graſenabb wäre ganz Huldigung gegen ſie geweſen und hätte ſich über ihren Glauben oder Unglauben nicht groß beunruhigt. Aber ich Ich bin ein Kind und werd' es auch wohl bleiben. Einmal hab 'ich gehört, das ſei ein Glück. Aber ich weiß doch nicht, ob das wahr iſt. Man muß doch immer dahin paſſen, wohin man nun' mal geſtellt iſt.

In dieſem Augenblicke kam Friedrich, um den Tiſch abzuräumen.

118Effi Brieſt

Wie ſpät iſt es, Friedrich?

Es geht auf neun, gnäd'ge Frau.

Nun, das läßt ſich hören. Schicken Sie mir Johanna.

Gnäd'ge Frau haben befohlen.

Ja, Johanna. Ich will zu Bett gehen. Es iſt eigentlich noch früh. Aber ich bin ſo allein. Bitte, thun Sie den Brief erſt ein, und wenn Sie wieder da ſind, nun, dann wird es wohl Zeit ſein. Und wenn auch nicht.

Effi nahm die Lampe und ging in ihr Schlaf¬ zimmer hinüber. Richtig, auf der Binſenmatte lag Rollo. Als er Effi kommen ſah, erhob er ſich, um den Platz frei zu geben, und ſtrich mit ſeinem Be¬ hang an ihrer Hand hin. Dann legte er ſich wieder nieder.

Johanna war inzwiſchen nach dem Landratsamt hinübergegangen, um da den Brief einzuſtecken. Sie hatte ſich drüben nicht ſonderlich beeilt, vielmehr vor¬ gezogen, mit der Frau Paaſchen, des Amtsdieners Frau, ein Geſpräch zu führen. Natürlich über die junge Frau.

Wie iſt ſie denn? fragte die Paaſchen.

Sehr jung iſt ſie.

Nun, das iſt kein Unglück, eher umgekehrt. 119Effi BrieſtDie Jungen, und das iſt eben das Gute, ſtehen immer bloß vorm Spiegel und zupfen und ſtecken ſich 'was vor und ſehen nicht viel und hören nicht viel und ſind noch nicht ſo, daß ſie draußen immer die Lichtſtümpfe zählen und einem nicht gönnen, daß man einen Kuß kriegt, bloß weil ſie ſelber keinen mehr kriegen.

Ja, ſagte Johanna, ſo war meine vorige Madam und ganz ohne Not. Aber davon hat unſere Gnäd'ge nichts.

Iſt er denn ſehr zärtlich?

O ſehr. Das können Sie doch wohl denken.

Aber daß er ſie ſo allein läßt

Ja, liebe Paaſchen, Sie dürfen nicht vergeſſen der Fürſt. Und dann, er iſt ja doch am Ende Landrat. Und vielleicht will er auch noch höher.

Gewiß, will er. Und er wird auch noch. Er hat ſo 'was. Paaſchen ſagt es auch immer, und der kennt ſeine Leute.

Während dieſes Ganges drüben nach dem Amt hinüber war wohl eine Viertelſtunde vergangen, und als Johanna wieder zurück war, ſaß Effi ſchon vor dem Trumeau und wartete.

Sie ſind lange geblieben, Johanna.

Ja, gnäd'ge Frau Gnäd'ge Frau wollen entſchuldigen Ich traf drüben die Frau Paaſchen,120Effi Brieſtund da hab 'ich mich ein wenig verweilt. Es iſt ſo ſtill hier. Man iſt immer froh, wenn man einen Menſchen trifft, mit dem man ein Wort ſprechen kann. Chriſtel iſt eine ſehr gute Perſon, aber ſie ſpricht nicht, und Friedrich iſt ſo duſig und auch ſo vorſichtig und will mit der Sprache nie recht heraus. Gewiß, man muß auch ſchweigen können, und die Paaſchen, die ſo neugierig und ſo ganz gewöhnlich iſt, iſt eigentlich gar nicht nach meinem Geſchmack; aber man hat es doch gern, wenn man' mal 'was hört und ſieht.

Effi ſeufzte. Ja, Johanna, das iſt auch das Beſte

Gnäd'ge Frau haben ſo ſchönes Haar, ſo lang und ſo ſeidenweich.

Ja, es iſt ſehr weich. Aber das iſt nicht gut, Johanna. Wie das Haar iſt, iſt der Charakter.

Gewiß, gnäd'ge Frau. Und ein weicher Charakter iſt doch beſſer als ein harter. Ich habe auch weiches Haar.

Ja, Johanna. Und Sie haben auch blondes. Das haben die Männer am liebſten.

Ach, das iſt doch ſehr verſchieden, gnäd'ge Frau. Manche ſind doch auch für das ſchwarze.

Freilich, lachte Effi, das habe ich auch ſchon gefunden. Es wird wohl an 'was ganz anderem121Effi Brieſtliegen. Aber die, die blond ſind, die haben auch immer einen weißen Teint, Sie auch, Johanna, und ich möchte mich wohl verwetten, daß Sie viel Nach¬ ſtellung haben. Ich bin noch ſehr jung, aber das weiß ich doch auch. Und dann habe ich eine Freundin, die war auch ſo blond, ganz flachsblond, noch blon¬ der als Sie, und war eine Predigerstochter

Ja, denn

Aber ich bitte Sie, Johanna, was meinen Sie mit ja denn. Das klingt ja ganz anzüglich und ſonderbar, und Sie werden doch nichts gegen Pre¬ digerstöchter haben Es war ein ſehr hübſches Mädchen, was ſelbſt unſere Offiziere wir hatten nämlich Offiziere, noch dazu rote Huſaren auch immer fanden, und verſtand ſich dabei ſehr gut auf Toilette, ſchwarzes Sammetmieder und eine Blume, Roſe oder auch Heliotrop, und wenn ſie nicht ſo vorſtehende große Augen gehabt hätte ach, die hätten Sie ſehen ſollen, Johanna, wenigſtens ſo groß (und Effi zog unter Lachen an ihrem rechten Augen¬ lid), ſo wäre ſie geradezu eine Schönheit geweſen. Sie hieß Hulda, Hulda Niemeyer, und wir waren nicht einmal ſo ganz intim; aber wenn ich ſie jetzt hier hätte, und ſie da ſäße, da in der kleinen Sofa¬ ecke, ſo wollte ich bis Mitternacht mit ihr plaudern oder noch länger. Ich habe ſolche Sehnſucht und 122Effi Brieſtund dabei zog ſie Johanna's Kopf dicht an ſich heran ich habe ſolche Angſt.

Ach, das giebt ſich, gnäd'ge Frau, die hatten wir alle.

Die hattet ihr alle? Was ſoll das heißen, Johanna?

Und wenn die gnäd'ge Frau wirklich ſolche Angſt haben, ſo kann ich mir ja ein Lager hier machen. Ich nehme die Strohmatte und kehre einen Stuhl um, daß ich eine Kopflehne habe, und dann ſchlafe ich hier bis morgen früh oder bis der gnäd'ge Herr wieder da iſt.

Er will mich nicht ſtören. Das hat er mir eigens verſprochen.

Oder ich ſetze mich bloß in die Sofaecke.

Ja, das ginge vielleicht. Aber nein, es geht auch nicht. Der Herr darf nicht wiſſen, daß ich mich ängſtige, das liebt er nicht. Er will immer, daß ich tapfer und entſchloſſen bin, ſo wie er. Und das kann ich nicht; ich war immer etwas anfällig Aber freilich, ich ſehe wohl ein, ich muß mich be¬ zwingen und ihm in ſolchen Stücken und überhaupt zu Willen ſein Und dann habe ich ja auch Rollo. Der liegt ja vor der Thürſchwelle.

Johanna nickte zu jedem Wort und zündete dann das Licht an, das auf Effi's Nachttiſch ſtand. 123Effi BrieſtDann nahm ſie die Lampe. Befehlen gnäd'ge Frau noch etwas?

Nein, Johanna. Die Läden ſind doch feſt¬ geſchloſſen?

Bloß angelegt, gnäd'ge Frau. Es iſt ſonſt ſo dunkel und ſo ſtickig.

Gut. gut.

Und nun entfernte ſich Johanna; Effi aber ging auf ihr Bett zu und wickelte ſich in ihre Decken.

Sie ließ das Licht brennen, weil ſie gewillt war, nicht gleich einzuſchlafen, vielmehr vorhatte, wie vorhin ihren Polterabend, ſo jetzt ihre Hochzeits¬ reiſe zu rekapitulieren und alles an ſich vorüber¬ ziehen zu laſſen. Aber es kam anders, wie ſie ge¬ dacht, und als ſie bis Verona war und nach dem Hauſe der Julia Capulet ſuchte, fielen ihr ſchon die Augen zu. Das Stümpfchen Licht in dem kleinen Silberleuchter brannte allmählich nieder, und nun flackerte es noch einmal auf und erloſch.

Effi ſchlief eine Weile ganz feſt. Aber mit einemmale fuhr ſie mit einem lauten Schrei aus ihrem Schlafe auf, ja, ſie hörte ſelber noch den Aufſchrei und auch wie Rollo draußen anſchlug; wau, wau klang es den Flur entlang, dumpf und ſelber beinah ängſtlich. Ihr war, als ob ihr das124Effi BrieſtHerz ſtillſtände; ſie konnte nicht rufen, und in dieſem Augenblicke huſchte 'was an ihr vorbei, und die nach dem Flur hinausführende Thür ſprang auf. Aber eben dieſer Moment höchſter Angſt war auch der ihrer Befreiung, denn, ſtatt etwas Schrecklichem, kam jetzt Rollo auf ſie zu, ſuchte mit ſeinem Kopf nach ihrer Hand und legte ſich, als er dieſe gefunden, auf den vor ihrem Bett ausgebreiteten Teppich nieder. Effi ſelber aber hatte mit der andern Hand dreimal auf den Knopf der Klingel gedrückt, und keine halbe Minute, ſo war Johanna da, barfüßig, den Rock über dem Arm und ein großes karriertes Tuch über Kopf und Schulter geſchlagen.

Gott ſei Dank, Johanna, daß Sie da ſind.

Was war denn, gnäd'ge Frau? Gnäd'ge Frau haben geträumt.

Ja, geträumt. Es muß ſo 'was geweſen ſein aber es war doch auch noch' was anderes.

Was denn, gnäd'ge Frau?

Ich ſchlief ganz feſt, und mit einemmale fuhr ich auf und ſchrie vielleicht, daß es ein Albdruck war Albdruck iſt in unſerer Familie, mein Papa hat es auch und ängſtigt uns damit, und nur die Mama ſagt immer, er ſolle ſich nicht ſo gehen laſſen; aber das iſt leicht geſagt ich fuhr alſo auf aus dem Schlaf und ſchrie, und als ich mich umſah, ſo125Effi Brieſtgut es eben ging in dem Dunkel, da ſtrich 'was an meinem Bett vorbei, gerade da, wo Sie jetzt ſtehen, Johanna, und dann war es weg. Und wenn ich mich recht frage, was es war

Nun was denn, gnäd'ge Frau?

Und wenn ich mich recht frage ich mag es nicht ſagen, Johanna aber ich glaube der Chineſe.

Der von oben? und Johanna verſuchte zu lachen, unſer kleiner Chineſe, den wir an die Stuhl¬ lehne geklebt haben, Chriſtel und ich. Ach, gnäd'ge Frau haben geträumt, und wenn Sie ſchon wach waren, ſo war es doch alles noch aus dem Traum.

Ich würd 'es glauben. Aber es war genau derſelbe Augenblick, wo Rollo draußen anſchlug, der muß es alſo auch geſehen haben, und dann flog die Thür auf, und das gute, treue Tier ſprang auf mich los, als ob es mich zu retten käme. Ach, meine liebe Johanna, es war entſetzlich. Und ich ſo allein, und ſo jung. Ach, wenn ich doch wen hier hätte, bei dem ich weinen könnte. Aber ſo weit von Hauſe Ach, von Hauſe

Der Herr kann jede Stunde kommen.

Nein, er ſoll nicht kommen; er ſoll mich ſo nicht ſehen. Er würde mich vielleicht auslachen, und das könnt 'ich ihm nie verzeihen. Denn es war ſo126Effi Brieſtfurchtbar, Johanna Sie müſſen nun bleiben Aber laſſen Sie Chriſtel ſchlafen und Friedrich auch. Es ſoll es keiner wiſſen.

Oder vielleicht kann ich auch die Frau Kruſe holen; die ſchläft doch nicht, die ſitzt die ganze Nacht da.

Nein, nein, die iſt ſelber ſo 'was. Das mit dem ſchwarzen Huhn, das iſt auch ſo' was; die darf nicht kommen. Nein, Johanna, Sie bleiben allein hier. Und wie gut, daß Sie die Läden nur an¬ gelegt. Stoßen Sie ſie auf, recht laut, daß ich einen Ton höre, einen menſchlichen Ton, ich muß es ſo nennen, wenn es auch ſonderbar klingt und dann machen Sie das Fenſter ein wenig auf, daß ich Luft und Licht habe.

Johanna that, wie ihr geheißen, und Effi fiel in ihre Kiſſen zurück und bald danach in einen lethargiſchen Schlaf.

[127]

Zehntes Kapitel.

Innſtetten war erſt ſechs Uhr früh von Varzin zurückgekommen und hatte ſich, Rollos Liebkoſungen abwehrend, ſo leiſe wie möglich in ſein Zimmer zurückgezogen. Er machte ſich's hier bequem und duldete nur, daß ihn Friedrich mit einer Reiſedecke zudeckte. Wecke mich um neun. Und um dieſe Stunde war er denn auch geweckt worden. Er ſtand raſch auf und ſagte: Bringe das Frühſtück.

Die gnädige Frau ſchläft noch.

Aber es iſt ja ſchon ſpät. Iſt etwas paſſiert?

Ich weiß es nicht; ich weiß nur, Johanna hat die Nacht über im Zimmer der gnädigen Frau ſchlafen müſſen.

Nun, dann ſchicke Johanna.

Dieſe kam denn auch. Sie hatte denſelben roſigen Teint wie immer, ſchien ſich alſo die Vorgänge der Nacht nicht ſonderlich zu Gemüte genommen zu haben.

128Effi Brieſt

Was iſt das mit der gnäd'gen Frau? Friedrich ſagt mir, es ſei 'was paſſiert und Sie hätten drüben geſchlafen.

Ja, Herr Baron. Gnäd'ge Frau klingelte drei¬ mal ganz raſch hinter einander, daß ich gleich dachte, es bedeutet 'was. Und ſo war es auch. Sie hat wohl geträumt oder vielleicht war es auch das andere.

Welches andere?

Ach, der gnäd'ge Herr wiſſen ja.

Ich weiß nichts. Jedenfalls muß ein Ende damit gemacht werden. Und wie fanden Sie die Frau?

Sie war wie außer ſich und hielt das Halsband von Rollo, der neben dem Bett der gnäd'gen Frau ſtand, feſt umklammert. Und das Tier ängſtigte ſich auch.

Und was hatte ſie geträumt oder, meinetwegen auch, was hatte ſie gehört oder geſehen? Was ſagte ſie?

Es ſei ſo hingeſchlichen, dicht an ihr vorbei.

Was? Wer?

Der von oben. Der aus dem Saal oder aus der kleinen Kammer.

Unſinn, ſag 'ich. Immer wieder das alberne Zeug; ich mag davon nicht mehr hören. Und dann blieben Sie bei der Frau?

129Effi Brieſt

Ja, gnäd'ger Herr. Ich machte mir ein Lager an der Erde dicht neben ihr. Und ich mußte ihre Hand halten, und dann ſchlief ſie ein.

Und ſie ſchläft noch?

Ganz feſt.

Das iſt mir ängſtlich, Johanna. Man kann ſich geſund ſchlafen, aber auch krank. Wir müſſen ſie wecken, natürlich vorſichtig, daß ſie nicht wieder erſchrickt. Und Friedrich ſoll das Frühſtück nicht bringen; ich will warten, bis die gnäd'ge Frau da iſt. Und machen Sie's geſchickt.

Eine halbe Stunde ſpäter kam Effi. Sie ſah reizend aus, ganz blaß, und ſtützte ſich auf Johanna. Als ſie aber Innſtetten's anſichtig wurde, ſtürzte ſie auf ihn zu und umarmte und küßte ihn. Und dabei liefen ihr die Thränen übers Geſicht. Ach, Geert, Gott ſei Dank, daß Du da biſt. Nun iſt alles wieder gut. Du darfſt nicht wieder fort, Du darfſt mich nicht wieder allein laſſen.

Meine liebe Effi ſtellen Sie hin, Friedrich, ich werde ſchon alles zurecht machen meine liebe Effi, ich laſſe Dich ja nicht allein aus Rückſichts¬ loſigkeit oder Laune, ſondern weil es ſo ſein muß; ich habe keine Wahl, ich bin ein Mann im Dienſt,Th. Fontane, Effi Brieſt. 9130Effi Brieſtich kann zum Fürſten oder auch zur Fürſtin nicht ſagen: Durchlaucht, ich kann nicht kommen, meine Frau iſt ſo allein, oder meine Frau fürchtet ſich. Wenn ich das ſagte, würden wir in einem ziemlich komiſchen Lichte daſtehen, ich gewiß, und Du auch. Aber nimm erſt eine Taſſe Kaffee.

Effi trank, was ſie ſichtlich belebte. Dann ergriff ſie wieder ihres Mannes Hand und ſagte: Du ſollſt recht haben; ich ſehe ein, das geht nicht. Und dann wollen wir ja auch höher hinauf. Ich ſage wir, denn ich bin eigentlich begieriger danach als Du

So ſind alle Frauen, lachte Innſtetten.

Alſo abgemacht; Du nimmſt die Einladungen an nach wie vor, und ich bleibe hier und warte auf meinen, hohen Herrn‘, wobei mir Hulda unterm Holunderbaum einfällt. Wie's ihr wohl gehen mag?

Damen, wie Hulda, geht es immer gut. Aber was wollteſt Du noch ſagen?

Ich wollte ſagen, ich bleibe hier und auch allein, wenn es ſein muß. Aber nicht in dieſem Hauſe. Laß uns die Wohnung wechſeln. Es giebt ſo hübſche Häuſer am Bollwerk, eins zwiſchen Konſul Martens und Konſul Grützmacher und eins am Markt, gerade gegenüber von Gieshübler; warum131Effi Brieſtkönnen wir da nicht wohnen? Warum gerade hier? Ich habe, wenn wir Freunde und Verwandte zum Beſuch hatten, oft gehört, daß in Berlin Familien ausziehen wegen Klavierſpiel oder wegen Schwaben oder wegen einer unfreundlichen Portiersfrau; wenn das um ſolcher Kleinigkeit willen geſchieht

Kleinigkeiten? das ſage nicht

Wenn das um ſolcher Dinge willen möglich iſt, ſo muß es doch auch hier möglich ſein, wo Du Landrat biſt und die Leute Dir zu Willen ſind und viele ſelbſt zu Dank verpflichtet. Gieshübler würde uns gewiß dabei behülflich ſein, wenn auch nur um meinetwegen, denn er wird Mitleid mit mir haben. Und nun ſage, Geert, wollen wir dies verwunſchene Haus aufgeben, dies Haus mit dem

Chineſen willſt Du ſagen. Du ſiehſt, Effi, man kann das furchtbare Wort ausſprechen, ohne daß er erſcheint. Was Du da geſehen haſt oder was da, wie Du meinſt, an Deinem Bette vorüberſchlich, das war der kleine Chineſe, den die Mädchen oben an die Stuhllehne geklebt haben; ich wette, daß er einen blauen Rock an hatte und einen ganz flachen Deckelhut mit einem blanken Knopf oben.

Sie nickte.

Nun ſiehſt Du, Traum, Sinnestäuſchung. 9 *132Effi BrieſtUnd dann wird Dir Johanna wohl geſtern Abend 'was erzählt haben, von der Hochzeit hier oben

Nein.

Deſto beſſer.

Kein Wort hat ſie mir erzählt. Aber ich ſehe doch aus dem allen, daß es hier etwas Sonderbares giebt. Und dann das Krokodil; es iſt alles ſo un¬ heimlich hier.

Den erſten Abend, als Du das Krokodil ſahſt, fandeſt Du's märchenhaft

Ja, damals

Und dann, Effi, kann ich hier nicht gut fort, auch wenn es möglich wäre, das Haus zu ver¬ kaufen oder einen Tauſch zu machen. Es iſt damit ganz wie mit einer Abſage nach Varzin hin. Ich kann hier in der Stadt die Leute nicht ſagen laſſen, Landrat Innſtetten verkauft ſein Haus, weil ſeine Frau den aufgeklebten kleinen Chineſen als Spuk an ihrem Bette geſehen hat. Dann bin ich verloren, Effi. Von ſolcher Lächerlichkeit kann man ſich nie wieder erholen.

Ja, Geert, biſt Du denn ſo ſicher, daß es ſo 'was nicht giebt?

Will ich nicht behaupten. Es iſt eine Sache, die man glauben und noch beſſer nicht glauben kann. Aber angenommen, es gäbe dergleichen, was ſchadet133Effi Brieſtes? Daß in der Luft Bacillen herumfliegen, von denen Du gehört haben wirſt, iſt viel ſchlimmer und gefährlicher als dieſe ganze Geiſtertummellage. Vor¬ ausgeſetzt, daß ſie ſich tummeln, daß ſo 'was wirk¬ lich exiſtiert. Und dann bin ich überraſcht, ſolcher Furcht und Abneigung gerade bei Dir zu begegnen, bei einer Brieſt. Das iſt ja, wie wenn Du aus einem kleinen Bürgerhauſe ſtammteſt. Spuk iſt ein Vorzug, wie Stammbaum und dergleichen, und ich kenne Familien, die ſich ebenſo gern ihr Wappen nehmen ließen als ihre weiße Frau‘, die natürlich auch eine ſchwarze ſein kann.

Effi ſchwieg.

Nun, Effi. Keine Antwort?

Was ſoll ich antworten? Ich habe Dir nach¬ gegeben und mich willig gezeigt, aber ich finde doch, daß Du Deinerſeits teilnahmsvoller ſein könnteſt. Wenn Du wüßteſt, wie mir gerade danach verlangt. Ich habe ſehr gelitten, wirklich ſehr, und als ich Dich ſah, da dacht 'ich, nun würd' ich frei werden von meiner Angſt. Aber Du ſagſt mir bloß, daß Du nicht Luſt hätteſt, Dich lächerlich zu machen, nicht vor dem Fürſten und auch nicht vor der Stadt. Das iſt ein geringer Troſt. Ich finde es wenig und um ſo weniger, als Du Dir ſchließlich auch noch widerſprichſt, und nicht bloß perſönlich an dieſe Dinge134Effi Brieſtzu glauben ſcheinſt, ſondern auch noch einen adligen Spukſtolz von mir forderſt. Nun, den hab 'ich nicht. Und wenn Du von Familien ſprichſt, denen ihr Spuk ſo viel wert ſei wie ihr Wappen, ſo iſt das Geſchmacksſache; mir gilt mein Wappen mehr. Gott ſei Dank haben wir Brieſt's keinen Spuk. Die Brieſt's waren immer ſehr gute Leute, und damit hängt es wohl zuſammen.

Der Streit hätte wohl noch angedauert und vielleicht zu einer erſten ernſtlichen Verſtimmung ge¬ führt, wenn Friedrich nicht eingetreten wäre, um der gnädigen Frau einen Brief zu überreichen. Von Herrn Gieshübler. Der Bote wartet auf Antwort.

Aller Unmut auf Effi's Antlitz war ſofort ver¬ ſchwunden; ſchon bloß Gieshübler's Namen zu hören, that Effi wohl, und ihr Wohlgefühl ſteigerte ſich, als ſie jetzt den Brief muſterte. Zunächſt war es gar kein Brief, ſondern ein Billet, die Adreſſe Frau Baronin von Innſtetten, geb. von Brieſt in wunder¬ voller Kanzleihandſchrift, und ſtatt des Siegels ein aufgeklebtes rundes Bildchen, eine Lyra, darin ein Stab ſteckte. Dieſer Stab konnte aber auch ein Pfeil ſein. Sie reichte das Billet ihrem Manne, der es ebenfalls bewunderte.

135Effi Brieſt

Nun lies aber.

Und nun löſte Effi die Oblate und las: Hoch¬ verehrteſte Frau, gnädigſte Frau Baronin! Geſtatten Sie mir, meinem reſpektvollſten Vormittagsgruß eine ganz gehorſamſte Bitte hinzufügen zu dürfen. Mit dem Mittagszuge wird eine vieljährige liebe Freundin von mir, eine Tochter unſerer guten Stadt Keſſin, Fräulein Marietta Trippelli, hier eintreffen und bis morgen früh unter uns weilen. Am 17. will ſie in Petersburg ſein, um daſelbſt bis Mitte Januar zu konzertieren. Fürſt Kotſchukoff öffnet ihr auch dies¬ mal wieder ſein gaſtliches Haus. In ihrer immer gleichen Güte gegen mich hat die Trippelli mir zugeſagt, den heutigen Abend bei mir zubringen und einige Lieder ganz nach meiner Wahl (denn ſie kennt keine Schwierigkeiten) vortragen zu wollen. Könnten ſich Frau Baronin dazu verſtehen, dieſem Muſikabende beizuwohnen? ſieben Uhr. Ihr Herr Gemahl, auf deſſen Erſcheinen ich mit Sicherheit rechne, wird meine gehorſamſte Bitte unterſtützen. Anweſend nur Paſtor Lindequiſt (der begleitet) und natürlich die verwitwete Frau Paſtorin Trippel. In vorzüglicher Ergebenheit A. Gieshübler.

Nun ſagte Innſtetten, ja oder nein?

Natürlich ja. Das wird mich herausreißen. Und dann kann ich doch meinem lieben Gieshübler136Effi Brieſtnicht gleich bei ſeiner erſten Einladung einen Korb geben.

Einverſtanden. Alſo Friedrich, ſagen Sie Mirambo, der doch wohl das Billet gebracht haben wird, wir würden die Ehre haben.

Friedrich ging. Als er fort war, fragte Effi: Wer iſt Mirambo?

Der echte Mirambo iſt Räuberhauptmann in Afrika Tanganika-See, wenn Deine Geographie ſo weit reicht unſerer aber iſt bloß Gieshübler's Kohlenproviſor und Faktotum und wird heute abend in Frack und baumwollenen Handſchuhen ſehr wahr¬ ſcheinlich aufwarten.

Es war ganz erſichtlich, daß der kleine Zwiſchen¬ fall auf Effi günſtig eingewirkt und ihr ein gut Teil ihrer Leichtlebigkeit zurückgegeben hatte, Inn¬ ſtetten aber wollte das Seine thun, dieſe Rekonvales¬ zenz zu ſteigern. Ich freue mich, daß Du ja ge¬ ſagt haſt und ſo raſch und ohne Beſinnen, und nun möcht 'ich Dir noch einen Vorſchlag machen, um Dich ganz wieder in Ordnung zu bringen. Ich ſehe wohl, es ſchleicht Dir noch von der Nacht her etwas nach, das zu meiner Effi nicht paßt, das durchaus wieder fort muß, und dazu giebt es nichts beſſeres als friſche Luft. Das Wetter iſt prachtvoll, friſch und milde zugleich, kaum daß ein Lüftchen geht;137Effi Brieſtwas meinſt Du, wenn wir eine Spazierfahrt machten, aber eine lange, nicht bloß ſo durch die Plantage hin, und natürlich im Schlitten und das Geläut auf und die weißen Schneedecken, und wenn wir dann um vier zurück ſind, dann ruhſt Du Dich aus, und um ſieben ſind wir bei Gieshübler und hören die Trippelli.

Effi nahm ſeine Hand. Wie gut Du biſt, Geert, und wie nachſichtig. Denn ich muß Dir ja kindiſch oder doch wenigſtens ſehr kindlich vorgekommen ſein; erſt das mit meiner Angſt und dann hinterher, daß ich Dir einen Hausverkauf, und was noch ſchlimmer iſt, das mit dem Fürſten anſinne. Du ſollſt ihm den Stuhl vor die Thür ſetzen es iſt zum Lachen. Denn ſchließlich iſt er doch der Mann, der über uns entſcheidet. Auch über mich. Du glaubſt gar nicht, wie ehrgeizig ich bin. Ich habe Dich eigentlich bloß aus Ehrgeiz geheiratet. Aber Du mußt nicht ſolch ernſtes Geſicht dabei machen. Ich liebe Dich ja wie heißt es doch, wenn man einen Zweig abbricht und die Blätter abreißt? Von Herzen, mit Schmerzen, über alle Maßen.

Und ſie lachte hell auf. Und nun ſage mir, fuhr ſie fort, als Innſtetten noch immer ſchwieg, wo ſoll es hingehen?

Ich habe mir gedacht, nach der Bahnſtation,138Effi Brieſtaber auf einem Umwege, und dann auf der Chauſſee zurück. Und auf der Station eſſen wir oder noch beſſer bei Golchowski, in dem Gaſthofe Zum Fürſten Bismarck , dran wir, wenn Du Dich vielleicht er¬ innerſt, am Tage unſerer Ankunft vorüber kamen. Solch Vorſprechen wirkt immer gut, und ich habe dann mit dem Staroſten von Effi's Gnaden ein Wahlgeſpräch, und wenn er auch perſönlich nicht viel taugt, ſeine Wirtſchaft hält er in Ordnung und ſeine Küche noch beſſer. Auf Eſſen und Trinken verſtehen ſich die Leute hier.

Es war gegen elf, daß ſie dies Geſpräch führten. Um zwölf hielt Kruſe mit dem Schlitten vor der Thür, und Effi ſtieg ein. Johanna wollte Fußſack und Pelze bringen, aber Effi hatte nach allem, was noch auf ihr lag, ſo ſehr das Bedürfnis nach friſcher Luft, daß ſie alles zurückwies und nur eine doppelte Decke nahm. Innſtetten aber ſagte zu Kruſe: Kruſe, wir wollen nun alſo nach dem Bahnhof, wo wir zwei beide heute früh ſchon 'mal waren. Die Leute werden ſich wundern, aber es ſchadet nichts. Ich denke, wir fahren hier an der Plantage lang und dann links auf den Kroſchentiner Kirchturm zu. Laſſen Sie die Pferde laufen. Um eins müſſen wir am Bahnhof ſein.

Und ſo ging die Fahrt. Über den weißen139Effi BrieſtDächern der Stadt ſtand der Rauch, denn die Luft¬ bewegung war gering. Auch Utpatel's Mühle drehte ſich nur langſam, und im Fluge fuhren ſie daran vorüber, dicht am Kirchhofe hin, deſſen Berberitzen¬ ſträucher über das Gitter hinauswuchſen und mit ihren Spitzen Effi ſtreiften, ſo daß der Schnee auf ihre Reiſedecke fiel. An der anderen Seite des Wegs war ein eingefriedeter Platz, nicht viel größer als ein Gartenbeet, und innerhalb nichts ſichtbar als eine junge Kiefer, die mitten daraus hervorragte.

Liegt da auch wer begraben? fragte Effi.

Ja. Der Chineſe.

Effi fuhr zuſammen; es war ihr wie ein Stich. Aber ſie hatte doch Kraft genug, ſich zu beherrſchen und fragte mit anſcheinender Ruhe: Unſerer?

Ja, unſerer. Auf dem Gemeindekirchhof war er natürlich nicht unterzubringen, und da hat denn Kapitän Thomſen, der ſo 'was wie ſein Freund war, dieſe Stelle gekauft und ihn hier begraben laſſen. Es iſt auch ein Stein da mit Inſchrift. Alles natürlich vor meiner Zeit. Aber es wird noch immer davon geſprochen.

Alſo es iſt doch 'was damit. Eine Geſchichte. Du ſagteſt ſchon heute früh ſo' was. Und es wird am Ende das beſte ſein, ich höre, was es iſt. So lang 'ich es nicht weiß, bin ich, trotz aller guten140Effi BrieſtVorſätze, doch immer ein Opfer meiner Vorſtellungen. Erzähle mir das Wirkliche. Die Wirklichkeit kann mich nicht ſo quälen wie meine Phantaſie.

Bravo, Effi. Ich wollte nicht davon ſprechen. Aber nun macht es ſich ſo von ſelbſt, und das iſt gut. Übrigens iſt es eigentlich gar nichts.

Mir gleich; gar nichts oder viel oder wenig. Fange nur an.

Ja, das iſt leicht geſagt. Der Anfang iſt immer das ſchwerſte, auch bei Geſchichten. Nun, ich denke, ich beginne mit Kapitän Thomſen.

Gut, gut.

Alſo Thomſen, den ich Dir ſchon genannt habe, war viele Jahre lang ein ſogenannter Chinafahrer, immer mit Reisfracht zwiſchen Shanghai und Singa¬ pore und mochte wohl ſchon ſechzig ſein, als er hier ankam. Ich weiß nicht, ob er hier geboren war oder ob er andere Beziehungen hier hatte. Kurz und gut, er war nun da und verkaufte ſein Schiff, einen alten Kaſten, draus er nicht viel heraus ſchlug und kaufte ſich ein Haus, dasſelbe, drin wir jetzt wohnen. Denn er war draußen in der Welt ein vermögender Mann geworden. Und von daher ſchreibt ſich auch das Krokodil und der Haifiſch und natürlich auch das Schiff Alſo Thomſen war nun da, ein ſehr adretter Mann (ſo wenigſtens hat141Effi Brieſtman mir geſagt) und wohl gelitten. Auch beim Bürgermeiſter Kirſtein, und vor allem bei dem da¬ maligen Paſtor in Keſſin, einem Berliner, der kurz vor Thomſen auch hierher gekommen war und viel Anfeindung hatte.

Glaub 'ich. Ich merke das auch; ſie ſind hier ſo ſtreng und ſelbſtgerecht. Ich glaube, das iſt pommerſch.

Ja und nein, je nachdem. Es giebt auch Gegenden, wo ſie gar nicht ſtreng ſind und wo's drunter und drüber geht Aber ſieh 'nur, Effi, da haben wir gerade den Kroſchentiner Kirchturm dicht vor uns. Wollen wir nicht den Bahnhof auf¬ geben und lieber bei der alten Frau von Graſenabb vorfahren? Sidonie, wenn ich recht berichtet bin, iſt nicht zu Hauſe. Wir könnten es alſo wagen

Ich bitte Dich, Geert, wo denkſt Du hin? Es iſt ja himmliſch, ſo hinzufliegen, und ich fühle ordentlich, wie mir ſo frei wird und wie alle Angſt von mir abfällt. Und nun ſoll ich das alles auf¬ geben, bloß um den alten Leuten eine Stippviſite zu machen und ihnen ſehr wahrſcheinlich eine Verlegen¬ heit zu ſchaffen. Um Gotteswillen nicht. Und dann will ich vor allem auch die Geſchichte hören. Alſo wir waren bei Kapitän Thomſen, den ich mir als142Effi Brieſteinen Dänen oder Engländer denke, ſehr ſauber, mit weißen Vatermördern und ganz weißer Wäſche

Ganz richtig. So ſoll er geweſen ſein. Und mit ihm war eine junge Perſon von etwa zwanzig, von der einige ſagen, ſie ſei ſeine Nichte geweſen, aber die meiſten ſagen ſeine Enkelin, was übrigens den Jahren nach kaum möglich. Und außer der Enkelin oder der Nichte war da auch noch ein Chineſe, derſelbe, der da zwiſchen den Dünen liegt und an deſſen Grab wir eben vorüber gekommen ſind.

Gut, gut.

Alſo dieſer Chineſe war Diener bei Thomſen, und Thomſen hielt ſo große Stücke auf ihn, daß er eigentlich mehr Freund als Diener war. Und das ging ſo Jahr und Tag. Da mit einemmal hieß es, Thomſens Enkelin, die, glaub 'ich, Nina hieß, ſolle ſich, nach des Alten Wunſche, verheiraten, auch mit einem Kapitän. Und richtig, ſo war es auch. Es gab eine große Hochzeit im Hauſe, der Berliner Paſtor that ſie zuſammen, und Müller Utpatel, der ein Konventikler war, und Gieshübler, dem man in der Stadt in kirchlichen Dingen auch nicht recht traute, waren geladen, und vor allem viele Kapitäne mit ihren Frauen und Töchtern. Und wie man ſich denken kann, es ging hoch her. Am Abend aber war Tanz, und die Braut tanzte mit jedem und zuletzt143Effi Brieſtauch mit dem Chineſen. Da mit einemmal hieß es, ſie ſei fort, die Braut nämlich. Und ſie war auch wirklich fort, irgend wohin, und niemand weiß, was da vorgefallen. Und nach vierzehn Tagen ſtarb der Chineſe; Thomſen kaufte die Stelle, die ich Dir gezeigt habe, und da wurd 'er begraben. Der Berliner Paſtor aber ſoll geſagt haben: Man hätte ihn auch ruhig auf dem chriſtlichen Kirchhof begraben können, denn der Chineſe ſei ein ſehr guter Menſch geweſen und gerade ſo gut wie die anderen. Wen er mit den anderen‘ eigentlich gemeint hat, ſagte mir Gies¬ hübler, das wiſſe man nicht recht.

Aber ich bin in dieſer Sache doch ganz und gar gegen den Paſtor; ſo 'was darf man nicht ausſprechen, weil es gewagt und unpaſſend iſt. Das würde ſelbſt Niemeyer nicht geſagt haben.

Und iſt auch dem armen Paſtor, der übrigens Trippel hieß, ſehr verdacht worden, ſo daß es eigentlich ein Glück war, daß er drüber hin ſtarb, ſonſt hätte er ſeine Stelle verloren. Denn die Stadt, trotzdem ſie ihn gewählt, war doch auch gegen ihn, gerade ſo wie Du, und das Konſiſtorium natürlich erſt recht.

Trippel ſagſt Du? Dann hängt er am Ende mit der Frau Paſtor Trippel zuſammen, die wir heute abend ſehen ſollen?

144Effi Brieſt

Natürlich hängt er mit der zuſammen. Er war ihr Mann und iſt der Vater von der Trippelli.

Effi lachte. Von der Trippelli! Nun ſehe ich erſt klar in allem. Daß ſie in Keſſin geboren, ſchrieb ja ſchon Gieshübler; aber ich dachte, ſie ſei die Tochter von einem italieniſchen Konſul. Wir haben ja ſo viele fremdländiſche Namen hier. Und nun iſt ſie gut deutſch und ſtammt von Trippel. Iſt ſie denn ſo vorzüglich, daß ſie wagen konnte, ſich ſo zu italieniſieren?

Dem Mutigen gehört die Welt. Übrigens iſt ſie ganz tüchtig. Sie war ein paar Jahr lang in Paris bei der berühmten Viardot, wo ſie auch den ruſſiſchen Fürſten kennen lernte, denn die ruſſiſchen Fürſten ſind ſehr aufgeklärt, über kleine Standes¬ vorurteile weg, und Kotſchukoff und Gieshübler den ſie übrigens Onkel‘ nennt, und man kann faſt von ihm ſagen, er ſei der geborne Onkel dieſe beiden ſind es recht eigentlich, die die kleine Marie Trippel zu dem gemacht haben, was ſie jetzt iſt. Gieshübler war es, durch den ſie nach Paris kam, und Kotſchukoff hat ſie dann Trippelli trans¬ poniert.

Ach, Geert, wie reizend iſt das alles und welch Alltagsleben habe ich doch in Hohen-Cremmen geführt! Nie was Apartes.

145Effi Brieſt

Innſtetten nahm ihre Hand und ſagte: So darfſt Du nicht ſprechen, Effi. Spuk, dazu kann man ſich ſtellen wie man will. Aber hüte Dich vor dem Aparten oder was man ſo das Aparte nennt. Was Dir ſo verlockend erſcheint und ich rechne auch ein Leben dahin, wie's die Trippelli führt das bezahlt man in der Regel mit ſeinem Glück. Ich weiß wohl, wie ſehr Du Dein Hohen-Cremmen liebſt und daran hängſt, aber Du ſpotteſt doch auch oft darüber und haſt keine Ahnung davon, was ſtille Tage, wie die Hohen-Cremmner, bedeuten.

Doch, doch, ſagte ſie. Ich weiß es wohl. Ich höre nur gern einmal von etwas anderem, und dann wandelt mich die Luſt an, mit dabei zu ſein. Aber Du haſt ganz recht. Und eigentlich hab 'ich doch eine Sehnſucht nach Ruh' und Frieden.

Innſtetten drohte ihr mit dem Finger. Meine einzig liebe Effi, das denkſt Du Dir nun auch wieder ſo aus. Immer Phantaſien, 'mal ſo,' mal ſo.

Th. Fontane, Effi Brieſt. 10
[146]

Elftes Kapitel.

Die Fahrt verlief ganz wie geplant. Um ein Uhr hielt der Schlitten unten am Bahndamm vor dem Gaſthauſe Zum Fürſten Bismarck , und Golchowski, glücklich, den Landrat bei ſich zu ſehen, war befliſſen, ein vorzügliches Dejeuner herzurichten. Als zuletzt das Deſſert und der Ungarwein aufge¬ tragen wurden, rief Innſtetten den von Zeit zu Zeit erſcheinenden und nach der Ordnung ſehenden Wirt heran und bat ihn, ſich mit an den Tiſch zu ſetzen und ihnen 'was zu erzählen. Dazu war Golchowski denn auch der rechte Mann; auf zwei Meilen in der Runde wurde kein Ei gelegt, von dem er nicht wußte. Das zeigte ſich auch heute wieder. Sidonie Graſenabb, Innſtetten hatte recht vermutet, war, wie vorige Weihnachten, ſo auch diesmal wieder auf vier Wochen zu Hofpredigers gereiſt; Frau von Palleske, ſo hieß es weiter, habe ihre Jungfer wegen einer fatalen Geſchichte Knall und Fall entlaſſen müſſen,147Effi Brieſtund mit dem alten Fraude ſteh 'es ſchlecht es werde zwar in Kurs geſetzt, er ſei bloß ausgeglitten, aber es ſei ein Schlaganfall geweſen, und der Sohn, der in Liſſa bei den Huſaren ſtehe, werde jede Stunde erwartet. Nach dieſem Geplänkel war man dann, zu Ernſthafterem übergehend, auf Varzin gekommen. Ja, ſagte Golchowski, wenn man ſich den Fürſten ſo als Papiermüller denkt! Es iſt doch alles ſehr merkwürdig; eigentlich kann er die Schreiberei nicht leiden, und das bedruckte Papier erſt recht nicht, und nun legt er doch ſelber eine Papiermühle an.

Schon recht, lieber Golchowski, ſagte Innſtetten, aber aus ſolchen Widerſprüchen kommt man im Leben nicht heraus. Und da hilft auch kein Fürſt und keine Größe.

Nein, nein, da hilft keine Größe.

Wahrſcheinlich, daß ſich dies Geſpräch über den Fürſten noch fortgeſetzt hätte, wenn nicht in eben dieſem Augenblicke die von der Bahn her herüber¬ klingende Signalglocke einen bald eintreffenden Zug angemeldet hätte. Innſtetten ſah nach der Uhr.

Welcher Zug iſt das, Golchowski?

Das iſt der Danziger Schnellzug; er hält hier nicht, aber ich gehe doch immer hinauf und zähle die Wagen, und mitunter ſteht auch einer am Fenſter, den ich kenne. Hier gleich hinter meinem10 *148Effi BrieſtHofe führt eine Treppe den Damm hinauf, Wärter¬ haus 417

O, das wollen wir uns zu Nutze machen, ſagte Effi. Ich ſehe ſo gern Züge

Dann iſt es die höchſte Zeit, gnäd'ge Frau.

Und ſo machten ſich denn alle drei auf den Weg und ſtellten ſich, als ſie oben waren, in einem neben dem Wärterhauſe gelegenen Gartenſtreifen auf, der jetzt freilich unter Schnee lag, aber doch eine frei geſchaufelte Stelle hatte. Der Bahnwärter ſtand ſchon da, die Fahne in der Hand. Und jetzt jagte der Zug über das Bahnhofsgeleiſe hin und im nächſten Augenblick an dem Häuschen und an dem Gartenſtreifen vorüber. Effi war ſo erregt, daß ſie nichts ſah und nur dem letzten Wagen, auf deſſen Höhe ein Bremſer ſaß, ganz wie benommen nach¬ blickte.

Sechs Uhr fünfzig iſt er in Berlin, ſagte Innſtetten, und noch eine Stunde ſpäter, ſo können ihn die Hohen-Cremmner, wenn der Wind ſo ſteht, in der Ferne vorbeiklappern hören. Möchteſt Du mit, Effi?

Sie ſagte nichts. Als er aber zu ihr hinüber¬ blickte, ſah er, daß eine Thräne in ihrem Auge ſtand.

149Effi Brieſt

Effi war, als der Zug vorbeijagte, von einer herzlichen Sehnſucht erfaßt worden. So gut es ihr ging, ſie fühlte ſich trotzdem wie in einer fremden Welt. Wenn ſie ſich eben noch an dem einen oder andern entzückt hatte, ſo kam ihr doch gleich nachher zum Bewußtſein, was ihr fehlte. Da drüben lag Varzin, und da nach der anderen Seite hin blitzte der Kroſchentiner Kirchturm auf, und weithin der Morge¬ nitzer, und da ſaßen die Graſenabb's und die Borcke's, nicht die Belling's und nicht die Brieſt's. Ja, die! Innſtetten hatte ganz recht gehabt mit dem raſchen Wechſel ihrer Stimmung, und ſie ſah jetzt wieder alles, was zurücklag, wie in einer Verklärung. Aber ſo gewiß ſie voll Sehnſucht dem Zuge nach¬ geſehen, ſie war doch andererſeits viel zu beweglichen Gemüts, um lange dabei zu verweilen und ſchon auf der Heimfahrt, als der rote Ball der nieder¬ gehenden Sonne ſeinen Schimmer über den Schnee ausgoß, fühlte ſie ſich wieder freier; alles erſchien ihr ſchön und friſch, und als ſie, nach Keſſin zurück¬ gekehrt, faſt mit dem Glockenſchlage ſieben in den Gieshüblerſchen Flur eintrat, war ihr nicht bloß behaglich, ſondern beinah übermütig zu Sinn, wozu die das Haus durchziehende Baldrian - und Veilchen¬ wurzel-Luft das ihrige beitragen mochte.

Pünktlich waren Innſtetten und Frau erſchienen,150Effi Brieſtaber trotz dieſer Pünktlichkeit immer noch hinter den anderen Geladenen zurückgeblieben; Paſtor Lindequiſt, die alte Frau Trippel und die Trippelli ſelbſt waren ſchon da. Gieshübler im blauen Frack mit matt¬ goldenen Knöpfen, dazu Pincenez an einem breiten ſchwarzen Bande, das wie ein Ordensband auf der blendendweißen Piquéweſte lag Gieshübler konnte ſeiner Erregung nur mit Mühe Herr werden. Darf ich die Herrſchaften mit einander bekannt machen; Baron und Baronin Innſtetten, Frau Paſtor Trippel, Fräulein Marietta Trippelli. Paſtor Lindequiſt, den alle kannten, ſtand lächelnd bei Seite.

Die Trippelli, Anfang der Dreißig, ſtark männlich und von ausgeſprochen humoriſtiſchem Typus, hatte bis zu dem Momente der Vorſtellung den Sofa - Ehrenplatz inne gehabt. Nach der Vorſtellung aber ſagte ſie, während ſie auf einen in der Nähe ſtehenden Stuhl mit hoher Lehne zuſchritt: Ich bitte Sie nunmehro, gnäd'ge Frau, die Bürden und Fährlich¬ keiten Ihres Amtes auf ſich nehmen zu wollen. Denn von, Fährlichkeiten‘ und ſie wies auf das Sofa wird ſich in dieſem Falle wohl ſprechen laſſen. Ich habe Gieshübler ſchon vor Jahr und Tag darauf aufmerkſam gemacht, aber leider ver¬ geblich; ſo gut er iſt, ſo eigenſinnig iſt er auch.

Aber Marietta

151Effi Brieſt

Dies Sofa nämlich, deſſen Geburt um wenig¬ ſtens fünfzig Jahre zurückliegt, iſt noch nach einem altmodiſchen Verſenkungsprinzip gebaut, und wer ſich ihm anvertraut, ohne vorher einen Kiſſenturm unter¬ geſchoben zu haben, ſinkt ins Bodenloſe, jedenfalls aber gerade tief genug, um die Kniee wie ein Monu¬ ment aufragen zu laſſen. All dies wurde ſeitens der Trippelli mit eben ſo viel Bonhommie wie Sicherheit hingeſprochen, in einem Tone, der aus¬ drücken ſollte:, Du biſt die Baronin Innſtetten, ich bin die Trippelli.

Gieshübler liebte ſeine Künſtlerfreundin en¬ thuſiaſtiſch und dachte hoch von ihren Talenten; aber all ſeine Begeiſterung konnte ihn doch nicht blind gegen die Thatſache machen, daß ihr von geſell¬ ſchaftlicher Feinheit nur ein beſcheidenes Maß zu teil geworden war. Und dieſe Feinheit war gerade das, was er perſönlich kultivierte. Liebe Marietta, nahm er das Wort, Sie haben eine ſo reizend heitere Behandlung ſolcher Fragen; aber was mein Sofa betrifft, ſo haben Sie wirklich unrecht, und jeder Sachverſtändige mag zwiſchen uns entſcheiden. Selbſt ein Mann wie Fürſt Kotſchukoff

Ach, ich bitte Sie, Gieshübler, laſſen Sie doch den. Immer Kotſchukoff. Sie werden mich bei der gnäd'gen Frau hier noch in den Verdacht bringen,152Effi Brieſtals ob ich bei dieſem Fürſten der übrigens nur zu den Kleineren zählt und nicht mehr als tauſend Seelen hat, das heißt hatte (früher wo die Rech¬ nung noch nach Seelen ging) als ob ich ſtolz wäre, ſeine tauſend und einſte Seele zu ſein. Nein, es liegt wirklich anders; immer frei weg , Sie kennen meine Deviſe, Gieshübler. Kotſchukoff iſt ein guter Kamerad und mein Freund, aber von Kunſt und ähnlichen Sachen verſteht er gar nichts, von Muſik gewiß nicht, wiewohl er Meſſen und Oratorien komponiert die meiſten ruſſiſchen Fürſten, wenn ſie Kunſt treiben, fallen ein bißchen nach der geiſt¬ lichen oder orthodoxen Seite hin , und zu den vielen Dingen, von denen er nichts verſteht, gehören auch unbedingt Einrichtungs - und Tapezierfragen. Er iſt gerade vornehm genug, um ſich alles als ſchön aufreden zu laſſen, was bunt ausſieht und viel Geld koſtet.

Innſtetten amüſierte ſich, und Paſtor Lindequiſt war in einem allerſichtlichſten Behagen. Die gute alte Trippel aber geriet über den ungenierten Ton ihrer Tochter aus einer Verlegenheit in die andere, während Gieshübler es für angezeigt hielt, eine ſo ſchwierig werdende Unterhaltung zu coupieren. Dazu waren etliche Geſangspiecen das beſte. Daß Marietta Lieder von anfechtbarem Inhalt wählen würde, war153Effi Brieſtnicht anzunehmen, und ſelbſt wenn dies ſein ſollte, ſo war ihre Vortragskunſt ſo groß, daß der Inhalt dadurch geadelt wurde. Liebe Marietta, nahm er alſo das Wort, ich habe unſer kleines Mahl zu acht Uhr beſtellt. Wir hätten alſo noch dreiviertel Stunden, wenn Sie nicht vielleicht vorziehen, während Tiſch ein heitres Lied zu ſingen oder vielleicht erſt, wenn wir von Tiſch aufgeſtanden ſind

Ich bitte Sie, Gieshübler! Sie, der Mann der Äſthetik. Es giebt nichts Unäſthetiſcheres, als einen Geſangsvortrag mit vollem Magen. Außer¬ dem und ich weiß, Sie ſind ein Mann der aus¬ geſuchten Küche, ja, Gourmand außerdem ſchmeckt es beſſer, wenn man die Sache hinter ſich hat. Erſt Kunſt und dann Nußeis, das iſt die richtige Reihen¬ folge.

Alſo ich darf Ihnen die Noten bringen, Marietta?

Noten bringen. Ja, was heißt das, Gies¬ hübler? Wie ich Sie kenne, werden Sie ganze Schränke voll Noten haben, und ich kann Ihnen doch nicht den ganzen Bock und Bote vorſpielen. Noten! Was für Noten, Gieshübler, darauf kommt es an. Und dann das es richtig liegt, Altſtimme

Nun ich werde ſchon bringen.

Und er machte ſich an einem Schranke zu154Effi Brieſtſchaffen, ein Fach nach dem andern herausziehend, während die Trippelli ihren Stuhl weiter links um den Tiſch herum ſchob, ſo daß ſie nun dicht neben Effi ſaß.

Ich bin neugierig, was er bringen wird, ſagte ſie. Effi geriet dabei in eine kleine Ver¬ legenheit.

Ich möchte annehmen, antwortete ſie be¬ fangen, etwas von Gluck, etwas ausgeſprochen Dramatiſches Überhaupt, mein gnädigſtes Fräu¬ lein, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, ich bin überraſcht, zu hören, daß Sie lediglich Konzert¬ ſängerin ſind. Ich dächte, daß Sie, wie wenige, für die Bühne berufen ſein müßten. Ihre Erſcheinung, Ihre Kraft, Ihr Organ ich habe noch ſo wenig derart kennen gelernt, immer nur auf kurzen Be¬ ſuchen in Berlin und dann war ich noch ein halbes Kind. Aber ich dächte Orpheus oder Chrim¬ hild oder die Veſtalin.

Die Trippelli wiegte den Kopf und ſah in Ab¬ gründe, kam aber zu keiner Entgegnung, weil eben jetzt Gieshübler wieder erſchien und ein halbes Dutzend Notenhefte vorlegte, die ſeine Freundin in raſcher Reihenfolge durch die Hand gleiten ließ., Erlkönig‘ ah, bah; Bächlein laß 'dein Rauſchen ſein …‘ Aber Gieshübler, ich bitte Sie, Sie ſind155Effi Brieſtein Murmeltier, Sie haben ſieben Jahre lang ge¬ ſchlafen Und hier Löwe'ſche Balladen; auch nicht gerade das Neueſte. Glocken von Speier‘ Ach dies ewige Bim Bam, das beinah 'einer Ku¬ liſſenreißerei gleich kommt, iſt geſchmacklos und ab¬ geſtanden. Aber hier Ritter Olaf‘ nun das geht.

Und ſie ſtand auf, und während der Paſtor begleitete, ſang ſie den Olaf mit großer Sicherheit und Bravour und erntete allgemeinen Beifall.

Es wurde dann noch ähnlich Romantiſches ge¬ funden, einiges aus dem fliegenden Holländer und aus Zampa, dann der Heideknabe, lauter Sachen, die ſie mit eben ſo viel Virtuoſität wie Seelenruhe vortrug, während Effi von Text und Kompoſition wie benommen war.

Als die Trippelli mit dem Heideknaben fertig war, ſagte ſie: Nun iſt es genug, eine Erklärung, die ſo beſtimmt von ihr abgegeben wurde, daß weder Gies¬ hübler noch ein anderer den Mut hatte, mit weiteren Bitten in ſie zu dringen. Am wenigſten Effi. Dieſe ſagte nur, als Gieshübler's Freundin wieder neben ihr ſaß: Daß ich Ihnen doch ſagen könnte, mein gnädigſtes Fräulein, wie dankbar ich Ihnen bin! Alles ſo ſchön, ſo ſicher, ſo gewandt. Aber eines, wenn Sie mir verzeihen, bewundere ich faſt noch mehr, das iſt die Ruhe, womit Sie dieſe Sachen156Effi Brieſtvorzutragen wiſſen. Ich bin ſo leicht Eindrücken hingegeben, und wenn ich die kleinſte Geſpenſter¬ geſchichte höre, ſo zittere ich und kann mich kaum wieder zurecht finden. Und Sie tragen das ſo mächtig und erſchütternd vor und ſind ſelbſt ganz heiter und guter Dinge.

Ja, meine gnädigſte Frau, das iſt in der Kunſt nicht anders. Und nun gar erſt auf dem Theater, vor dem ich übrigens glücklicher Weiſe bewahrt ge¬ blieben bin. Denn ſo gewiß ich mich perſönlich gegen ſeine Verſuchungen gefeit fühle es verdirbt den Ruf, alſo das beſte, was man hat. Im übrigen ſtumpft man ab, wie mir Kolleginnen hundertfach verſichert haben. Da wird vergiftet und erſtochen, und der toten Julia flüſtert Romeo einen Kalauer ins Ohr oder wohl auch eine Malice, oder er drückt ihr einen kleinen Liebesbrief in die Hand.

Es iſt mir unbegreiflich. Und um bei dem ſtehen zu bleiben, was ich Ihnen dieſen Abend ver¬ danke, beiſpielsweiſe bei dem Geſpenſtiſchen im Olaf, ich verſichere Ihnen, wenn ich einen ängſtlichen Traum habe, oder wenn ich glaube, über mir hörte ich ein leiſes Tanzen oder Muſizieren, während doch niemand da iſt, oder es ſchleicht wer an meinem Bette vorbei, ſo bin ich außer mir und kann es Tage lang nicht vergeſſen.

157Effi Brieſt

Ja, meine gnädigſte Frau, was Sie da ſchildern und beſchreiben, das iſt auch etwas anderes, das iſt ja wirklich oder kann wenigſtens etwas Wirkliches ſein. Ein Geſpenſt, das durch die Ballade geht, da graule ich mich gar nicht, aber ein Geſpenſt, das durch meine Stube geht, iſt mir, gerade ſo wie andern, ſehr unangenehm. Darin empfinden wir alſo ganz gleich.

Haben Sie denn dergleichen auch einmal erlebt?

Gewiß. Und noch dazu bei Kotſchukoff. Und ich habe mir auch ausbedungen, daß ich diesmal anders ſchlafe, vielleicht mit der engliſchen Gouver¬ nante zuſammen. Das iſt nämlich eine Quäkerin, und da iſt man ſicher.

Und Sie halten dergleichen für möglich?

Meine gnädigſte Frau, wenn man ſo alt iſt wie ich und viel 'rumgeſtoßen wurde und in Ru߬ land war und ſogar auch ein halbes Jahr in Ru¬ mänien, da hält man alles für möglich. Es giebt ſo viel ſchlechte Menſchen, und das andere findet ſich dann auch, das gehört dann ſo zu ſagen mit dazu.

Effi horchte auf.

Ich bin, fuhr die Trippelli fort, aus einer ſehr aufgeklärten Familie (bloß mit Mutter war es immer nicht ſo recht), und doch ſagte mir mein158Effi BrieſtVater, als das mit dem Pſychographen aufkam: Höre Marie, das iſt 'was. Und er hat recht gehabt, es iſt auch' was damit. Überhaupt, man iſt links und rechts umlauert, hinten und vorn. Sie werden das noch kennen lernen.

In dieſem Augenblicke trat Gieshübler heran und bot Effi den Arm, Innſtetten führte Marietta, dann folgte Paſtor Lindequiſt und die verwitwete Trippel. So ging man zu Tiſch.

[159]

Zwölftes Kapitel.

Es war ſpät, als man aufbrach. Schon bald nach Zehn hatte Effi zu Gieshübler geſagt: es ſei nun wohl Zeit; Fräulein Trippelli, die den Zug nicht verſäumen dürfe, müſſe ja ſchon um ſechs von Keſſin aufbrechen, die daneben ſtehende Trippelli aber, die dieſe Worte gehört, hatte mit der ihr eigenen ungenierten Beredſamkeit gegen ſolche zarte Rückſichtsnahme proteſtiert. Ach, meine gnädigſte Frau, Sie glauben, daß unſereins einen regelmäßigen Schlaf braucht, das trifft aber nicht zu; was wir regelmäßig brauchen, heißt Beifall und hohe Preiſe. Ja, lachen Sie nur. Außerdem, (ſo 'was lernt man,) kann ich auch im Coupé ſchlafen, in jeder Situation und ſogar auf der linken Seite und brauche nicht einmal das Kleid aufzumachen. Freilich bin ich auch nie eingepreßt; Bruſt und Lunge müſſen immer frei ſein, und vor allem das Herz. Ja, meine gnädigſte Frau, das iſt die Hauptſache. Und dann das Kapitel160Effi BrieſtSchlaf überhaupt, die Menge thut es nicht, was entſcheidet, iſt die Qualität; ein guter Nicker von fünf Minuten iſt beſſer als fünf Stunden unruhige 'Rumdreherei,' mal links, 'mal rechts. Übrigens ſchläft man in Rußland wundervoll, trotz des ſtarken Thees. Es muß die Luft machen oder das ſpäte Diner oder weil man ſo verwöhnt wird. Sorgen giebt es in Rußland nicht; darin im Geldpunkt ſind beide gleich iſt Rußland noch beſſer als Amerika.

Nach dieſer Erklärung der Trippelli hatte Effi von allen Mahnungen zum Aufbruch Abſtand ge¬ nommen, und ſo war Mitternacht herangekommen. Man trennte ſich heiter und herzlich und mit einer gewiſſen Vertraulichkeit.

Der Weg von der Mohrenapotheke bis zur landrätlichen Wohnung war ziemlich weit; er kürzte ſich aber dadurch, daß Paſtor Lindequiſt bat, Inn¬ ſtetten und Frau eine Strecke begleiten zu dürfen; ein Spaziergang unterm Sternenhimmel ſei das beſte, um über Gieshübler's Rheinwein hinweg¬ zukommen. Unterwegs wurde man natürlich nicht müde, die verſchiedenſten Trippelliana heranzuziehen; Effi begann mit dem, was ihr in Erinnerung ge¬ blieben, und gleich nach ihr kam der Paſtor an die Reihe. Dieſer, ein Ironikus, hatte die Trippelli,161Effi Brieſtwie nach vielem ſehr Weltlichen, ſo ſchließlich auch nach ihrer kirchlichen Richtung gefragt und dabei von ihr in Erfahrung gebracht, daß ſie nur eine Richtung kenne, die orthodoxe. Ihr Vater ſei frei¬ lich ein Rationaliſt geweſen, faſt ſchon ein Freigeiſt, weshalb er auch den Chineſen am liebſten auf dem Gemeindekirchhof gehabt hätte; ſie ihrerſeits ſei aber ganz entgegengeſetzter Anſicht, trotzdem ſie perſönlich des großen Vorzugs genieße, gar nichts zu glauben. Aber ſie ſei ſich in ihrem entſchiedenen Nichtglauben doch auch jeden Augenblick bewußt, daß das ein Spezialluxus ſei, den man ſich nur als Privatperſon geſtatten könne. Staatlich höre der Spaß auf, und wenn ihr das Kultusminiſterium oder gar ein Kon¬ ſiſtorialregiment unterſtünde, ſo würde ſie mit un¬ nachſichtiger Strenge vorgehen. Ich fühle ſo 'was von einem Torquemada in mir.

Innſtetten war ſehr erheitert und erzählte ſeiner¬ ſeits, daß er etwas ſo Heikles, wie das Dogmatiſche, gefliſſentlich vermieden, aber dafür das Moraliſche deſto mehr in den Vordergrund geſtellt habe. Haupt¬ thema ſei das Verführeriſche geweſen, das beſtändige Gefährdetſein, das in allem öffentlichen Auftreten liege, worauf die Trippelli leichthin und nur mit Betonung der zweiten Satzhälfte geantwortet habe: Ja, beſtändig gefährdet; am meiſten die Stimme.

Th. Fontane, Effi Brieſt. 11162Effi Brieſt

Unter ſolchem Geplauder war, ehe man ſich trennte, der Trippelli-Abend noch einmal an ihnen vorübergezogen und erſt drei Tage ſpäter hatte ſich Gieshübler's Freundin durch ein von Petersburg aus an Effi gerichtetes Telegramm noch einmal in Er¬ innerung gebracht. Es lautete: Madame la Ba¬ ronne d'Innstetten, née de Briest. Bien arrivée. Prince K. à la gare. Plus épris de moi que jamais. Mille fois merci de votre bon accueil. Compliments empressés à Monsieur le Baron. Marietta Trippelli.

Innſtetten war entzückt und gab dieſem Ent¬ zücken lebhafteren Ausdruck als Effi begreifen konnte.

Ich verſtehe Dich nicht, Geert.

Weil Du die Trippelli nicht verſtehſt. Mich entzückt die Echtheit; alles da, bis auf das Pünktchen überm i.

Du nimmſt alſo alles als eine Komödie.

Aber als was ſonſt? Alles berechnet für dort und für hier, für Kotſchukoff und für Gieshübler. Gieshübler wird wohl eine Stiftung machen, viel¬ leicht auch bloß ein Legat für die Trippelli.

Die muſikaliſche Soiree bei Gieshübler hatte Mitte Dezember ſtattgefunden, gleich danach begannen die Vorbereitungen für Weihnachten, und Effi, die ſonſt ſchwer über dieſe Tage hingekommen wäre,163Effi Brieſtſegnete es, daß ſie ſelber einen Hausſtand hatte, deſſen Anſprüche befriedigt werden mußten. Es galt nachſinnen, fragen, anſchaffen, und das alles ließ trübe Gedanken nicht aufkommen. Am Tage vor Heiligabend trafen Geſchenke von den Eltern aus Hohen-Cremmen ein, und mit in die Kiſte waren allerhand Kleinigkeiten aus dem Kantorhauſe gepackt: wunderſchöne Reinetten von einem Baum, den Effi und Jahnke vor mehreren Jahren gemeinſchaftlich okuliert hatten, und dazu braune Puls - und Knie¬ wärmer von Bertha und Hertha. Hulda ſchrieb nur wenige Zeilen, weil ſie, wie ſie ſich entſchuldigte, für X. noch eine Reiſedecke zu ſtricken habe. Was einfach nicht wahr iſt, ſagte Effi. Ich wette, X. exiſtiert gar nicht. Daß ſie nicht davon laſſen kann, ſich mit Anbetern zu umgeben, die nicht da ſind!

Und ſo kam Heiligabend heran.

Innſtetten ſelbſt baute auf für ſeine junge Frau, der Baum brannte und ein kleiner Engel ſchwebte oben in Lüften. Auch eine Krippe war da mit hübſchen Tranſparenten und Inſchriften, deren eine ſich, in leiſer Andeutung, auf ein dem Innſtetten'¬ ſchen Hauſe für nächſtes Jahr bevorſtehendes Er¬ eignis bezog. Effi las es und errötete. Dann ging ſie auf Innſtetten zu, um ihm zu danken, aber eh 'ſie dies konnte, flog, nach altpommerſchem Weihnachts¬11 *164Effi Brieſtbrauch, ein Julklapp in den Hausflur: eine große Kiſte, drin eine Welt von Dingen ſteckte. Zuletzt fand man die Hauptſache, ein zierliches, mit allerlei japaniſchen Bildchen überklebtes Morſellenkäſtchen, deſſen eigentlichem Inhalt auch noch ein Zettelchen beigegeben war. Es hieß da:

Drei Könige kamen zum Heiligenchriſt,
Mohrenkönig einer geweſen iſt;
Ein Mohrenapothekerlein
Erſcheinet heute mit Spezerein,
Doch ſtatt Weihrauch und Myrrhen, die nicht zur Stelle,
Bringt er Piſtazien - und Mandel-Morſelle.

Effi las es zwei -, dreimal und freute ſich dar¬ über. Die Huldigungen eines guten Menſchen haben doch etwas beſonders Wohlthuendes. Meinſt Du nicht auch, Geert?

Gewiß meine ich das. Es iſt eigentlich das einzige, was einem Freude macht oder wenigſtens Freude machen ſollte. Denn jeder ſteckt noch ſo nebenher in allerhand dummem Zeuge drinn. Ich auch. Aber freilich, man iſt wie man iſt.

Der erſte Feiertag war Kirchtag, am zweiten war man bei Borcke's draußen, alles zugegen, mit Ausnahme von Graſenabb's, die nicht kommen wollten, weil Sidonie nicht da ſei , was man als Ent¬ ſchuldigung allſeitig ziemlich ſonderbar fand. Einige165Effi Brieſttuſchelten ſogar: Umgekehrt; gerade deshalb hätten ſie kommen ſollen. Am Sylveſter war Reſſourcen¬ ball, auf dem Effi nicht fehlen durfte und auch nicht wollte, denn der Ball gab ihr Gelegenheit, endlich einmal die ganze Stadtflora beiſammen zu ſehen. Johanna hatte mit den Vorbereitungen zum Ball¬ ſtaate für ihre Gnäd'ge vollauf zu thun, Gieshübler, der, wie alles, ſo auch ein Treibhaus hatte, ſchickte Kamelien, und Innſtetten, ſo knapp bemeſſen die Zeit für ihn war, fuhr am Nachmittage noch über Land nach Papenhagen, wo drei Scheunen abgebrannt waren.

Es war ganz ſtill im Hauſe. Chriſtel, be¬ ſchäftigungslos, hatte ſich ſchläfrig eine Fußbank an den Herd gerückt, und Effi zog ſich in ihr Schlaf¬ zimmer zurück, wo ſie ſich, zwiſchen Spiegel und Sofa, an einen kleinen, eigens zu dieſem Zweck zu¬ recht gemachten Schreibtiſch ſetzte, um von hier aus an die Mama zu ſchreiben, der ſie für Weihnachts¬ brief und Weihnachtsgeſchenke bis dahin bloß in einer Karte gedankt, ſonſt aber ſeit Wochen keine Nachricht gegeben hatte.

Keſſin, 31. Dezember. Meine liebe Mama! Das wird nun wohl ein langer Schreibebrief werden, denn ich habe die Karte rechnet nicht lange nichts von mir hören laſſen. Als ich das letztemal166Effi Brieſtſchrieb, ſteckte ich noch in den Weihnachtsvorbereitungen, jetzt liegen die Weihnachtstage ſchon zurück. Inn¬ ſtetten und mein guter Freund Gieshübler hatten alles aufgeboten, mir den heiligen Abend ſo angenehm wie möglich zu machen, aber ich fühlte mich doch ein wenig einſam und bangte mich nach Euch. Über¬ haupt, ſo viel Urſache ich habe, zu danken und froh und glücklich zu ſein, ich kann ein Gefühl des Allein¬ ſeins nicht ganz los werden, und wenn ich mich früher, vielleicht mehr als nötig, über Hulda's ewige Gefühlsthräne moquiert habe, ſo werde ich jetzt da¬ für beſtraft und habe ſelber mit dieſer Thräne zu kämpfen. Denn Innſtetten darf es nicht ſehen. Ich bin aber ſicher, daß das alles beſſer werden wird, wenn unſer Hausſtand ſich mehr belebt, und das wird der Fall ſein, meine liebe Mama. Was ich neulich andeutete, das iſt nun Gewißheit, und Inn¬ ſtetten bezeugt mir täglich ſeine Freude darüber. Wie glücklich ich ſelber im Hinblick darauf bin, brauche ich nicht erſt zu verſichern, ſchon weil ich dann Leben und Zerſtreuung um mich her haben werde oder, wie Geert ſich ausdrückt, ein liebes Spielzeug . Mit dieſem Worte wird er wohl recht haben, aber er ſollte es lieber nicht gebrauchen, weil es mir immer einen kleinen Stich giebt und mich daran er¬ innert, wie jung ich bin, und daß ich noch halb in167Effi Brieſtdie Kinderſtube gehöre. Dieſe Vorſtellung verläßt mich nicht (Geert meint, es ſei krankhaft), und bringt es zu Wege, daß das, was mein höchſtes Glück ſein ſollte, doch faſt noch mehr eine beſtändige Verlegen¬ heit für mich iſt. Ja, meine liebe Mama, als die guten Flemming'ſchen Damen ſich neulich nach allem Möglichen erkundigten, war mir zu Mut, als ſtünd 'ich ſchlecht vorbereitet in einem Examen, und ich glaube auch, daß ich recht dumm geantwortet habe. Verdrießlich war ich auch. Denn manches, was wie Teilnahme ausſieht, iſt doch bloß Neugier und wirkt um ſo zudringlicher, als ich ja noch lange, bis in den Sommer hinein, auf das frohe Ereignis zu warten habe. Ich denke, die erſten Julitage. Dann mußt Du kommen oder noch beſſer, ſobald ich einigermaßen wieder bei Wege bin, komme ich, nehme hier Urlaub und mache mich auf nach Hohen - Cremmen. Ach, wie ich mich darauf freue und auf die havelländiſche Luft hier iſt es faſt immer rauh und kalt und dann jeden Tag eine Fahrt ins Luch, alles rot und gelb, und ich ſehe ſchon, wie das Kind die Hände danach ſtreckt, denn es wird doch wohl fühlen, daß es eigentlich da zu Hauſe iſt. Aber das ſchreibe ich nur Dir. Innſtetten darf nicht davon wiſſen, und auch Dir gegenüber muß ich mich wie entſchuldigen, daß ich mit dem Kinde168Effi Brieſtnach Hohen-Cremmen will und mich heute ſchon anmelde, ſtatt Dich, meine liebe Mama, dringend und herzlich nach Keſſin hin einzuladen, das ja doch jeden Sommer fünfzehnhundert Badegäſte hat und Schiffe mit allen möglichen Flaggen und ſogar ein Dünenhotel. Aber daß ich ſo wenig Gaſtlichkeit zeige, das macht nicht, daß ich ungaſtlich wäre, ſo ſehr bin ich nicht aus der Art geſchlagen, das macht einfach unſer landrätliches Haus, das, ſo viel Hübſches und Apartes es hat, doch eigentlich gar kein richtiges Haus iſt, ſondern nur eine Wohnung für zwei Menſchen, und auch das kaum, denn wir haben nicht einmal ein Eßzimmer, was doch genant iſt, wenn ein paar Perſonen zu Beſuch ſich ein¬ ſtellen. Wir haben freilich noch Räumlichkeiten im erſten Stock, einen großen Saal und vier kleine Zimmer, aber ſie haben alle etwas wenig Einladendes, und ich würde ſie Rumpelkammern nennen, wenn ſich etwas Gerümpel darin vorfände; ſie ſind aber ganz leer, ein paar Binſenſtühle abgerechnet, und machen, das Mindeſte zu ſagen, einen ſehr ſonder¬ baren Eindruck. Nun wirſt Du wohl meinen, das alles ſei ja leicht zu ändern. Aber es iſt nicht zu ändern; denn das Haus, das wir bewohnen, iſt iſt ein Spukhaus; da iſt es heraus. Ich beſchwöre Dich übrigens, mir auf dieſe meine Mitteilung nicht169Effi Brieſtzu antworten, denn ich zeige Innſtetten immer Eure Briefe, und er wäre außer ſich, wenn er erführe, daß ich Dir das geſchrieben. Ich hätte es auch nicht gethan und zwar um ſo weniger, als ich ſeit vielen Wochen in Ruhe geblieben bin und aufgehört habe, mich zu ängſtigen; aber Johanna ſagt mir, es käme immer 'mal wieder, namentlich wenn wer Neues im Hauſe erſchiene. Und ich kann Dich doch einer ſolchen Gefahr oder, wenn das zu viel geſagt iſt, einer ſolchen eigentümlichen und unbequemen Störung nicht ausſetzen! Mit der Sache ſelber will ich Dich heute nicht behelligen, jedenfalls nicht ausführlich. Es iſt eine Geſchichte von einem alten Kapitän, einem ſo¬ genannten Chinafahrer, und ſeiner Enkelin, die mit einem hieſigen jungen Kapitän eine kurze Zeit verlobt war und an ihrem Hochzeitstage plötzlich verſchwand. Das möchte hingeh'n. Aber was wichtiger iſt, ein junger Chineſe, den ihr Vater aus China mit zurückgebracht hatte und der erſt der Diener und dann der Freund des Alten war, der ſtarb kurze Zeit danach und iſt an einer einſamen Stelle neben dem Kirchhof begraben worden. Ich bin neulich da vor¬ über gefahren, wandte mich aber raſch ab und ſah nach der andern Seite, weil ich glaube, ich hätte ihn ſonſt auf dem Grabe ſitzen ſehen. Denn ach, meine liebe Mama, ich habe ihn einmal wirklich geſehen,170Effi Brieſtoder es iſt mir wenigſtens ſo vorgekommen, als ich feſt ſchlief und Innſtetten auf Beſuch beim Fürſten war. Es war ſchrecklich; ich möchte ſo 'was nicht wieder erleben. Und in ein ſolches Haus, ſo hübſch es ſonſt iſt (es iſt ſonderbarer Weiſe gemütlich und unheimlich zugleich), kann ich Dich doch nicht gut einladen. Und Innſtetten, trotzdem ich ihm ſchließlich in vielen Stücken zuſtimmte, hat ſich dabei, ſo viel möcht' ich ſagen dürfen, auch nicht ganz richtig be¬ nommen. Er verlangte von mir, ich ſolle das alles als alten Weiberunſinn anſehen und darüber lachen, aber mit einemmal ſchien er doch auch wieder ſelber daran zu glauben, und ſtellte mir zugleich die ſonderbare Zumutung, einen ſolchen Hausſpuk als etwas Vornehmes und Altadliges anzuſehen. Das kann ich aber nicht und will es auch nicht. Er iſt in dieſem Punkte, ſo gütig er ſonſt iſt, nicht gütig und nachſichtig genug gegen mich. Denn daß es etwas damit iſt, das weiß ich von Johanna und weiß es auch von unſerer Frau Kruſe. Das iſt nämlich unſere Kutſcherfrau, die mit einem ſchwarzen Huhn beſtändig in einer überheizten Stube ſitzt. Dies allein ſchon iſt ängſtlich genug. Und nun weißt Du, warum ich kommen will, wenn es erſt ſo weit iſt. Ach, wäre es nur erſt ſo weit. Es ſind ſo viele Gründe, warum ich es wünſche. Heute abend haben171Effi Brieſtwir Sylveſterball, und Gieshübler der einzig nette Menſch hier, trotzdem er eine hohe Schulter hat, oder eigentlich ſchon etwas mehr Gieshübler hat mir Kamelien geſchickt. Ich werde doch vielleicht tanzen. Unſer Arzt ſagt, es würde mir nichts ſchaden, im Gegenteil. Und Innſtetten, was mich faſt überraſchte, hat auch eingewilligt. Und nun grüße und küſſe Papa und all' die andern Lieben. Glückauf zum neuen Jahr. Deine Effi.

[172]

Dreizehntes Kapitel.

Der Sylveſterball hatte bis an den frühen Morgen gedauert, und Effi war ausgiebig bewundert worden, freilich nicht ganz ſo anſtandslos wie das Kamelienboukett, von dem man wußte, daß es aus dem Gieshübler'ſchen Treibhauſe kam. Im übrigen blieb auch nach dem Sylveſterball alles beim alten, kaum daß Verſuche geſellſchaftlicher Annäherung ge¬ macht worden wären, und ſo kam es denn, daß der Winter als recht lange dauernd empfunden wurde. Beſuche ſeitens der benachbarten Adelsfamilien fanden nur ſelten ſtatt, und dem pflichtſchuldigen Gegen¬ beſuche ging in einem halben Trauertone jedesmal die Bemerkung voraus: Ja, Geert, wenn es durch¬ aus ſein muß, aber ich vergehe vor Langerweile. Worte, denen Innſtetten nur immer zuſtimmte. Was an ſolchen Beſuchsnachmittagen über Familie, Kinder, auch Landwirtſchaft geſagt wurde, mochte gehen; wenn dann aber die kirchlichen Fragen an173Effi Brieſtdie Reihe kamen und die mitanweſenden Paſtoren wie kleine Päpſte behandelt wurden, oder ſich auch wohl ſelbſt als ſolche anſahen, dann riß Effi der Faden der Geduld, und ſie dachte mit Wehmut an Nie¬ meyer, der immer zurückhaltend und anſpruchslos war, trotzdem es bei jeder größeren Feierlichkeit hieß, er habe das Zeug, an den Dom berufen zu werden. Mit den Borcke's, den Flemming's, den Graſenabb's, ſo freundlich die Familien, von Sidonie Graſenabb abgeſehen, geſinnt waren es wollte mit allen nicht ſo recht gehen, und es hätte mit Freude, Zerſtreuung und auch nur leidlichem ſich behaglich-fühlen manchmal recht ſchlimm geſtanden, wenn Gieshübler nicht geweſen wäre. Der ſorgte für Effi, wie eine kleine Vorſehung, und ſie wußte es ihm auch Dank. Natürlich war er, neben allem anderen, auch ein eifriger und aufmerkſamer Zeitungs¬ leſer, ganz zu geſchweigen, daß er an der Spitze des Journalzirkels ſtand, und ſo verging denn faſt kein Tag, wo nicht Mirambo ein großes, weißes Kouvert gebracht hätte, mit allerhand Blättern und Zeitungen, in denen die betreffenden Stellen an¬ geſtrichen waren, meiſt eine kleine, feine Bleiſtiftlinie, mitunter aber auch dick mit Blauſtift und ein Aus¬ rufungs - oder Fragezeichen daneben. Und dabei ließ er es nicht bewenden; er ſchickte auch Feigen174Effi Brieſtund Datteln, Chokoladentafeln in Satineepapier und ein rotes Bändchen drum, und wenn etwas be¬ ſonders Schönes in ſeinem Treibhaus blühte, ſo brachte er es ſelbſt und hatte dann eine glückliche Plauderſtunde mit der ihm ſo ſympathiſchen jungen Frau, für die er alle ſchönen Liebesgefühle durch - und nebeneinander hatte, die des Vaters und Onkels, des Lehrers und Verehrers. Effi war gerührt von dem allen und ſchrieb öfters darüber nach Hohen - Cremmen, ſo daß die Mama ſie mit ihrer Liebe zum Alchymiſten zu necken begann; aber dieſe wohl¬ gemeinten Neckereien verfehlten ihren Zweck, ja be¬ rührten ſie beinahe ſchmerzlich, weil ihr, wenn auch un¬ klar, dabei zum Bewußtſein kam, was ihr in ihrer Ehe eigentlich fehlte: Huldigungen, Anregungen, kleine Aufmerkſamkeiten. Innſtetten war lieb und gut, aber ein Liebhaber war er nicht. Er hatte das Ge¬ fühl, Effi zu lieben, und das gute Gewiſſen, daß es ſo ſei, ließ ihn von beſonderen Anſtrengungen abſehen. Es war faſt zur Regel geworden, daß er ſich, wenn Friedrich die Lampe brachte, aus ſeiner Frau Zimmer in ſein eigenes zurückzog. Ich habe da noch eine verzwickte Geſchichte zu erledigen. Und damit ging er. Die Portiere blieb freilich zurückgeſchlagen, ſo daß Effi das Blättern in dem Aktenſtück oder das Kritzeln ſeiner Feder hören konnte, aber das war auch175Effi Brieſtalles. Rollo kam dann wohl und legte ſich vor ſie hin auf den Kaminteppich, als ob er ſagen wolle: Muß nur 'mal wieder nach Dir ſehen; ein anderer thut's doch nicht. Und dann beugte ſie ſich nieder und ſagte leiſe: Ja, Rollo, wir ſind allein. Um neun erſchien dann Innſtetten wieder zum Thee, meiſt die Zeitung in der Hand, ſprach vom Fürſten, der wieder viel Ärger habe, zumal über dieſen Eugen Richter, deſſen Haltung und Sprache ganz un¬ qualifizierbar ſeien, und ging dann die Ernennungen und Ordensverleihungen durch, von denen er die meiſten beanſtandete. Zuletzt ſprach er von den Wahlen, und daß es ein Glück ſei, einem Kreiſe vorzuſtehen, in dem es noch Reſpekt gäbe. War er damit durch, ſo bat er Effi, daß ſie' was ſpiele, aus Lohengrin oder aus der Walküre, denn er war ein Wagner-Schwärmer. Was ihn zu dieſem hinüber¬ geführt hatte, war ungewiß; einige ſagten ſeine Nerven, denn ſo nüchtern er ſchien, eigentlich war er nervös; andere ſchoben es auf Wagner's Stellung zur Juden¬ frage. Wahrſcheinlich hatten beide recht. Um zehn war Innſtetten dann abgeſpannt und erging ſich in ein paar wohlgemeinten, aber etwas müden Zärtlich¬ keiten, die ſich Effi gefallen ließ, ohne ſie recht zu erwidern.

176Effi Brieſt

So verging der Winter, der April kam, und in dem Garten hinter dem Hofe begann es zu grünen, worüber ſich Effi freute; ſie konnte gar nicht ab¬ warten, daß der Sommer komme mit ſeinen Spazier¬ gängen am Strand und ſeinen Badegäſten. Wenn ſie ſo zurückblickte, der Trippelli - Abend bei Gies¬ hübler und dann der Sylveſterball, ja, das ging, das war etwas Hübſches geweſen; aber die Monate, die dann gefolgt waren, die hatten doch viel zu wünſchen übrig gelaſſen, und vor allem waren ſie ſo monoton geweſen, daß ſie ſogar 'mal an die Mama geſchrieben hatte: Kannſt Du Dir denken, Mama, daß ich mich mit unſrem Spuk beinah' ausgeſöhnt habe? Natürlich die ſchreckliche Nacht, wo Geert drüben beim Fürſten war, die möcht 'ich nicht noch einmal durchmachen, nein, gewiß nicht; aber immer das Alleinſein und ſo gar nichts erleben, das hat doch auch ſein Schweres, und wenn ich dann in der Nacht aufwache, dann horche ich mitunter hinauf, ob ich nicht die Schuhe ſchleifen höre, und wenn alles ſtill bleibt, ſo bin ich faſt wie enttäuſcht und ſage mir: wenn es doch nur wiederkäme, nur nicht zu arg und nicht zu nah.

Das war im Februar, daß Effi ſo ſchrieb, und nun war beinahe Mai. Drüben in der Plantage belebte ſich's ſchon wieder, und man hörte die Finken177Effi Brieſtſchlagen. Und in derſelben Woche war es auch, daß die Störche kamen, und einer ſchwebte langſam über ihr Haus hin und ließ ſich dann auf einer Scheune nieder, die neben Utpatel's Mühle ſtand. Das war ſeine alte Raſtſtätte. Auch über dies Er¬ eignis berichtete Effi, die jetzt überhaupt häufiger nach Hohen-Cremmen ſchrieb, und es war in demſelben Briefe, daß es am Schluſſe hieß: Etwas, meine liebe Mama, hätte ich beinah 'vergeſſen: den neuen Land¬ wehrbezirkskommandeur, den wir nun ſchon beinah' vier Wochen hier haben. Ja, haben wir ihn wirklich? Das iſt die Frage, und eine Frage von Wichtigkeit dazu, ſo ſehr Du darüber lachen wirſt und auch lachen mußt, weil Du den geſellſchaftlichen Notſtand nicht kennſt, in dem wir uns nach wie vor befinden. Oder wenigſtens ich, die ich mich mit dem Adel hier nicht gut zurecht finden kann. Vielleicht meine Schuld. Aber das iſt gleich. Thatſache bleibt: Notſtand, und deshalb ſah ich, durch all' dieſe Winterwochen hin, dem neuen Bezirkskommandeur wie einem Troſt - und Rettungsbringer entgegen. Sein Vorgänger war ein Greuel, von ſchlechten Manieren und noch ſchlechteren Sitten, und zum Überfluß auch noch immer ſchlecht bei Kaſſe. Wir haben all' die Zeit über unter ihm gelitten, Innſtetten noch mehr als ich, und als wir Anfang April hörten, Major von Crampas ſei da,Th. Fontane, Effi Brieſt. 12178Effi Brieſtdas iſt nämlich der Name des neuen, da fielen wir uns in die Arme, als könne uns nun nichts Schlimmes mehr in dieſem lieben Keſſin paſſieren. Aber, wie ſchon kurz erwähnt, es ſcheint, trotzdem er da iſt, wieder nichts werden zu wollen. Crampas iſt ver¬ heiratet, zwei Kinder von zehn und acht Jahren, die Frau ein Jahr älter als er, alſo ſagen wir fünfundvierzig. Das würde nun an und für ſich nicht viel ſchaden, warum ſoll ich mich nicht mit einer mütterlichen Freundin wundervoll unterhalten können? Die Trippelli war auch nahe an Dreißig, und es ging ganz gut. Aber mit der Frau von Crampas, übrigens keine Geborne, kann es nichts werden. Sie iſt immer verſtimmt, beinahe melan¬ choliſch (ähnlich wie unſere Frau Kruſe, an die ſie mich überhaupt erinnert) und das alles aus Eifer¬ ſucht. Er, Crampas, ſoll nämlich ein Mann vieler Verhältniſſe ſein, ein Damenmann, etwas was mir immer lächerlich iſt und mir auch in dieſem Falle lächerlich ſein würde, wenn er nicht, um eben ſolcher Dinge willen, ein Duell mit einem Kameraden ge¬ habt hätte. Der linke Arm wurde ihm dicht unter der Schulter zerſchmettert, und man ſieht es ſofort, trotzdem die Operation, wie mir Innſtetten erzählt (ich glaube, ſie nennen es Reſektion, damals noch von Wilms ausgeführt), als ein Meiſterſtück der179Effi BrieſtKunſt gerühmt wurde. Beide, Herr und Frau von Crampas, waren vor vierzehn Tagen bei uns, um uns ihren Beſuch zu machen; es war eine ſehr peinliche Situation, denn Frau von Crampas be¬ obachtete ihren Mann ſo, daß er in eine halbe und ich in eine ganze Verlegenheit kam. Daß er ſelbſt ſehr anders ſein kann, ausgelaſſen und übermütig, davon überzeugte ich mich, als er vor drei Tagen mit Innſtetten allein war, und ich, von meinem Zimmer her, dem Gang ihrer Unterhaltung folgen konnte. Nachher ſprach auch ich ihn. Vollkommener Kavalier, ungewöhnlich gewandt. Innſtetten war während des Krieges in derſelben Brigade mit ihm, und ſie haben ſich im Norden von Paris bei Graf Gröben öfter geſehen. Ja, meine liebe Mama, das wäre nun alſo etwas geweſen, um in Keſſin neues Leben beginnen zu können; er, der Major, hat auch nicht die pommerſchen Vorurteile, trotzdem er in Schwediſch-Pommern zu Hauſe ſein ſoll. Aber die Frau! Ohne ſie geht es natürlich nicht, und mit ihr erſt recht nicht.

Effi hatte ganz recht gehabt, und es kam wirklich zu keiner weiteren Annäherung mit dem Crampas'ſchen Paare. Man ſah ſich 'mal bei der Borcke'ſchen Familie draußen, ein andermal ganz flüchtig auf dem Bahn¬12 *180Effi Brieſthof und wenige Tage ſpäter auf einer Boot - und Vergnügungsfahrt, die nach einem am Breitling gelegenen großen Buchen - und Eichenwalde, der der Schnatermann hieß, gemacht wurde; es kam aber über kurze Begrüßungen nicht hinaus, und Effi war froh, als Anfang Juni die Saiſon ſich ankündigte. Freilich fehlte es noch an Badegäſten, die vor Johanni überhaupt nur in Einzelexemplaren einzutreffen pflegten, aber ſchon die Vorbereitungen waren eine Zerſtreuung. In der Plantage wurden Karuſſell und Scheibenſtände hergerichtet, die Schiffersleute kalfater¬ ten und ſtrichen ihre Boote, jede kleine Wohnung erhielt neue Gardinen, und die Zimmer, die feucht lagen, alſo den Schwamm unter der Diele hatten, wurden ausgeſchwefelt und dann gelüftet.

Auch in Effi's eigener Wohnung, freilich um eines anderen Ankömmlings als der Badegäſte willen, war alles in einer gewiſſen Erregung; ſelbſt Frau Kruſe wollte mitthun, ſo gut es ging. Aber davor er¬ ſchrak Effi lebhaft und ſagte: Geert, daß nur die Frau Kruſe nichts anfaßt; da kann nichts werden, und ich ängſtige mich ſchon gerade genug. Innſtetten ver¬ ſprach auch alles, Kriſtel und Johanna hätten ja Zeit genug, und um ſeiner jungen Frau Gedanken überhaupt in eine andere Richtung zu bringen, ließ er das Thema der Vorbereitungen ganz fallen und181Effi Brieſtfragte ſtatt deſſen, ob ſie denn ſchon bemerkt habe, daß drüben ein Badegaſt eingezogen ſei, nicht gerade der erſte, aber doch einer der erſten.

Ein Herr?

Nein, eine Dame, die ſchon früher hier war, jedesmal in derſelben Wohnung. Und ſie kommt immer ſo früh, weil ſie's nicht leiden kann, wenn alles ſchon ſo voll iſt.

Das kann ich ihr nicht verdenken. Und wer iſt es denn?

Die verwitwete Regiſtrator Rode.

Sonderbar. Ich habe mir Regiſtratorwitwen immer arm gedacht.

Ja, lachte Innſtetten, das iſt die Regel. Aber hier haſt Du eine Ausnahme. Jedenfalls hat ſie mehr als ihre Witwenpenſion. Sie kommt immer mit viel Gepäck, unendlich viel mehr als ſie gebraucht, und ſcheint überhaupt eine ganz eigene Frau, wunderlich, kränklich und namentlich ſchwach auf den Füßen. Sie mißtraut ſich deshalb auch und hat immer eine ältliche Dienerin um ſich, die kräftig genug iſt, ſie zu ſchützen oder ſie zu tragen, wenn ihr 'was paſſiert. Diesmal hat ſie eine neue. Aber doch auch wieder eine ganz ramaſſierte Perſon, ähnlich wie die Trippelli, nur noch ſtärker.

O, die hab 'ich ſchon geſehen. Gute braune182Effi BrieſtAugen, die einen treu und zuverſichtlich anſehen. Aber ein klein bißchen dumm.

Richtig, das iſt ſie.

Das war Mitte Juni, daß Innſtetten und Effi dies Geſpräch hatten. Von da ab brachte jeder Tag Zuzug, und nach dem Bollwerk hin ſpazieren gehen, um daſelbſt die Ankunft des Dampfſchiffes abzuwarten, wurde, wie immer um dieſe Zeit, eine Art Tages¬ beſchäftigung für die Keſſiner. Effi freilich, weil Innſtetten ſie nicht begleiten konnte, mußte darauf ver¬ zichten, aber ſie hatte doch wenigſten die Freude, die nach dem Strand und dem Strandhotel hinaus¬ führende, ſonſt ſo menſchenleere Straße ſich beleben zu ſehen, und war denn auch, um immer wieder Zeuge davon zu ſein, viel mehr als ſonſt in ihrem Schlafzimmer, von deſſen Fenſtern aus ſich alles am beſten beobachten ließ. Johanna ſtand dann neben ihr und gab Antwort auf ziemlich alles, was ſie wiſſen wollte; denn da die meiſten alljährlich wieder¬ kehrende Gäſte waren, ſo konnte das Mädchen nicht bloß die Namen nennen, ſondern mitunter auch eine Geſchichte dazu geben.

Das alles war unterhaltlich und erheiternd für Effi. Grade am Johannistage aber traf es ſich,183Effi Brieſtdaß kurz vor elf Uhr Vormittags, wo ſonſt der Ver¬ kehr vom Dampfſchiff her am bunteſten vorüber¬ flutete, ſtatt der mit Ehepaaren, Kindern und Reiſe¬ koffern beſetzten Droſchken, aus der Mitte der Stadt her ein ſchwarz verhangener Wagen (dem ſich zwei Trauerkutſchen anſchloſſen) die zur Plantage führende Straße herunter kam und vor dem der landrätlichen Wohnung gegenüber gelegenen Hauſe hielt. Die verwitwete Frau Regiſtratur Rode war nämlich drei Tage vorher geſtorben, und nach Eintreffen der in aller Kürze benachrichtigten Berliner Verwandten, war ſeitens eben dieſer beſchloſſen worden, die Tote nicht nach Berlin hin überführen, ſondern auf dem Keſſiner Dünenkirchhof begraben zu wollen. Effi ſtand am Fenſter und ſah neugierig auf die ſonder¬ bar feierliche Szene, die ſich drüben abſpielte. Die zum Begräbnis von Berlin her Eingetroffenen waren zwei Neffen mit ihren Frauen, alle gegen Vierzig, etwas mehr oder weniger, und von beneidenswert geſunder Geſichtsfarbe. Die Neffen, in gut ſitzenden Fracks, konnten paſſieren, und die nüchterne Geſchäfts¬ mäßigkeit, die ſich in ihrem geſamten Thun aus¬ drückte, war im Grunde mehr kleidſam als ſtörend. Aber die beiden Frauen! Sie waren ganz erſichtlich bemüht, den Keſſinern zu zeigen, was eigentlich Trauer ſei, und trugen denn auch lange, bis an die184Effi BrieſtErde reichende ſchwarze Kreppſchleier, die zugleich ihr Geſicht verhüllten. Und nun wurde der Sarg, auf dem einige Kränze und ſogar ein Palmenwedel lagen, auf den Wagen geſtellt, und die beiden Ehepaare ſetzten ſich in die Kutſchen. In die erſte gemein¬ ſchaftlich mit dem einen der beiden leidtragenden Paare ſtieg auch Lindequiſt, hinter der zweiten Kutſche aber ging die Hauswirtin, und neben dieſer die ſtattliche Perſon, die die Verſtorbene zur Aus¬ hülfe mit nach Keſſin gebracht hatte. Letztere war ſehr aufgeregt und ſchien durchaus ehrlich darin, wenn dies Aufgeregtſein auch vielleicht nicht gerade Trauer war; der ſehr heftig ſchluchzenden Hauswirtin aber, einer Witwe, ſah man dagegen faſt allzu deutlich an, daß ſie ſich beſtändig die Möglichkeit eines Extrageſchenkes berechnete, trotzdem ſie in der bevorzugten und von anderen Wirtinnen auch ſehr beneideten Lage war, die für den ganzen Sommer vermietete Wohnung noch einmal vermieten zu können.

Effi, als der Zug ſich in Bewegung ſetzte, ging in ihren hinter dem Hofe gelegenen Garten, um hier, zwiſchen den Buchsbaumbeeten, den Eindruck des Lieb - und Lebloſen, den die ganze Scene drüben auf ſie gemacht hatte, wieder los zu werden. Als dies aber nicht glücken wollte, kam ihr die Luſt, ſtatt ihrer eintönigen Gartenpromenade lieber einen weiteren185Effi BrieſtSpaziergang zu machen, und zwar um ſo mehr, als ihr der Arzt geſagt hatte, viel Bewegung im Freien ſei das beſte, was ſie, bei dem, was ihr bevorſtände, thun könne. Johanna, die mit im Garten war, brachte ihr denn auch Umhang, Hut und Entoutcas, und mit einem freundlichen Guten Tag trat Effi aus dem Hauſe heraus und ging auf das Wäldchen zu, neben deſſen breitem chauſſierten Mittelweg ein ſchmalerer Fußſteig auf die Dünen und das am Strand gelegene Hotel zulief. Unter¬ wegs ſtanden Bänke, von denen ſie jede benutzte, denn das Gehen griff ſie an, und um ſo mehr, als inzwiſchen die heiße Mittagsſtunde herangekommen war. Aber wenn ſie ſaß und von ihrem bequemen Platz aus die Wagen und die Damen in Toilette beobachtete, die da hinausfuhren, ſo belebte ſie ſich wieder. Denn Heiteres ſehen, war ihr wie Lebens¬ luft. Als das Wäldchen aufhörte, kam freilich noch eine allerſchlimmſte Wegſtelle, Sand und wieder Sand und nirgends eine Spur von Schatten; aber glücklicherweiſe waren hier Bohlen und Bretter ge¬ legt, und ſo kam ſie, wenn auch erhitzt und müde, doch in guter Laune bei dem Strandhotel an. Drinnen im Saal wurde ſchon gegeſſen, aber hier draußen um ſie her war alles ſtill und leer, was ihr in dieſem Augenblicke denn auch das liebſte war. 186Effi BrieſtSie ließ ſich ein Glas Sherry und eine Flaſche Biliner Waſſer bringen und ſah auf das Meer hin¬ aus, das im hellen Sonnenlichte ſchimmerte, während es am Ufer in kleinen Wellen brandete. Da drüben liegt Bornholm und dahinter Wisby, wovon mir Jahnke vor Zeiten immer Wunderdinge vorſchwärmte. Wisby ging ihm faſt noch über Lübeck und Wullen¬ weber. Und hinter Wisby kommt Stockholm, wo das Stockholmer Blutbad war, und dann kommen die großen Ströme und dann das Nordkap, und dann die Mitternachtsſonne. Und im Augenblick erfaßte ſie eine Sehnſucht, das alles zu ſehen. Aber dann gedachte ſie wieder deſſen, was ihr ſo nahe bevorſtand, und ſie erſchrak faſt. Es iſt eine Sünde, daß ich ſo leichtſinnig bin und ſolche Gedanken habe und mich wegträume, während ich doch an das nächſte denken müßte. Vielleicht beſtraft es ſich auch noch, und alles ſtirbt hin, das Kind und ich. Und der Wagen und die zwei Kutſchen, die halten dann nicht drüben vor dem Hauſe, die halten dann bei uns Nein, nein, ich mag hier nicht ſterben, ich will hier nicht begraben ſein, ich will nach Hohen-Cremmen. Und Lindequiſt, ſo gut er iſt aber Niemeyer iſt mir lieber; er hat mich getauft und eingeſegnet und getraut, und Niemeyer ſoll mich auch begraben. Und dabei fiel eine Thräne auf ihre Hand. Dann187Effi Brieſtaber lachte ſie wieder. Ich lebe ja noch und bin erſt ſiebzehn, und Niemeyer iſt ſiebenundfünfzig.

In dem Eßſaal hörte ſie das Geklapper des Geſchirrs. Aber mit einemmale war es ihr, als ob die Stühle geſchoben würden; vielleicht ſtand man ſchon auf, und ſie wollte jede Begegnung vermeiden. So erhob ſie ſich auch ihrerſeits raſch wieder von ihrem Platz, um auf einem Umweg nach der Stadt zurückzukehren. Dieſer Umweg führte ſie dicht an dem Dünenkirchhof vorüber, und weil der Thorweg des Kirchhofs gerade offen ſtand, trat ſie ein. Alles blühte hier, Schmetterlinge flogen über die Gräber hin, und hoch in den Lüften ſtanden ein paar Möven. Es war ſo ſtill und ſchön, und ſie hätte hier gleich bei den erſten Gräbern verweilen mögen; aber weil die Sonne mit jedem Augenblick heißer niederbrannte, ging ſie höher hinauf, auf einen ſchattigen Gang zu, den Hängeweiden und etliche an den Gräbern ſtehende Trauereſchen bildeten. Als ſie bis an das Ende dieſes Ganges gekommen, ſah ſie zur Rechten einen friſch aufgeworfenen Sandhügel, mit vier, fünf Kränzen darauf, und dicht daneben eine ſchon außer¬ halb der Baumreihe ſtehende Bank, darauf die gute, robuſte Perſon ſaß, die, an der Seite der Haus¬ wirtin, dem Sarge der verwitweten Regiſtratorin als letzte Leidtragende gefolgt war. Effi erkannte ſie188Effi Brieſtſofort wieder und war in ihrem Herzen bewegt, die gute, treue Perſon, denn dafür mußte ſie ſie halten in ſengender Sonnenhitze hier vorzufinden. Seit dem Begräbnis waren wohl an zwei Stunden ver¬ gangen.

Es iſt eine heiße Stelle, die Sie ſich da aus¬ geſucht haben, ſagte Effi, viel zu heiß. Und wenn ein Unglück kommen ſoll, dann haben Sie den Sonnenſtich.

Das wär 'auch das beſte.

Wie das?

Dann wär 'ich aus der Welt.

Ich meine, das darf man nicht ſagen, auch wenn man unglücklich iſt oder wenn einem wer ge¬ ſtorben iſt, den man lieb hatte. Sie hatten ſie wohl ſehr lieb?

Ich? Die? I, Gott bewahre.

Sie ſind aber doch ſehr traurig. Das muß doch einen Grund haben.

Den hat es auch, gnädigſte Frau.

Kennen Sie mich?

Ja. Sie ſind die Frau Landrätin von drüben. Und ich habe mit der Alten immer von Ihnen ge¬ ſprochen. Zuletzt konnte ſie nicht mehr, weil ſie keine rechte Luft mehr hatte, denn es ſaß ihr hier und wird wohl Waſſer geweſen ſein; aber ſo lange189Effi Brieſtſie noch reden konnte, redete ſie immerzu. Es war 'ne richtige Berlin'ſche

Gute Frau?

Nein; wenn ich das ſagen wollte, müßt 'ich lügen. Da liegt ſie nun, und man ſoll von einem Toten nichts Schlimmes ſagen, und erſt recht nicht, wenn er ſo kaum ſeine Ruhe hat. Na, die wird ſie ja wohl haben! Aber ſie taugte nichts und war zänkiſch und geizig, und für mich hat ſie auch nicht geſorgt. Und die Verwandtſchaft, die da geſtern von Berlin gekommen gezankt haben ſie ſich bis in die ſinkende Nacht na, die taugt auch nichts, die taugt erſt recht nichts. Lauter ſchlechtes Volk, happig und gierig und hartherzig, und haben mir barſch und unfreundlich und mit allerlei Redens¬ arten meinen Lohn ausgezahlt, bloß weil ſie mußten und weil es bloß noch ſechs Tage ſind bis zum Vierteljahrserſten. Sonſt hätte ich nichts gekriegt, oder bloß halb oder bloß ein Viertel. Nichts aus freien Stücken. Und einen eingeriſſenen Fünfmark¬ ſchein haben ſie mir gegeben, daß ich nach Berlin zurückreiſen kann; na, es reicht ſo gerade für die vierte Klaſſe, und ich werde wohl auf meinem Koffer ſitzen müſſen. Aber ich will auch gar nicht; ich will hier ſitzen bleiben und warten, bis ich ſterbe Gott, ich dachte nun' mal Ruhe zu haben und hätte190Effi Brieſtauch ausgehalten bei der Alten. Und nun iſt es wieder nichts und ſoll mich wieder 'rumſtoßen laſſen. Und kattolſch bin ich auch noch. Ach, ich hab' es ſatt und läg 'am liebſten, wo die Alte liegt, und ſie könnte meinetwegen weiter leben Sie hätte gerne noch weiter gelebt; ſolche Menſchenſchikanierer, die nich' mal Luft haben, die leben immer am liebſten.

Rollo, der Effi begleitet hatte, hatte ſich mittler¬ weile vor die Perſon hingeſetzt, die Zunge weit heraus, und ſah ſie an. Als ſie jetzt ſchwieg, erhob er ſich, ging einen Schritt vor und legte ſeinen Kopf auf ihre Kniee.

Mit einemmale war die Perſon wie verwandelt. Gott, das bedeutet mir 'was. Da is ja' ne Kreatur, die mich leiden kann, die mich freundlich anſieht und ihren Kopf auf meine Kniee legt. Gott, das iſt lange her, daß ich ſo 'was gehabt habe. Nu, mein Alterchen, wie heißt du denn? Du biſt ja ein Prachtkerl.

Rollo, ſagte Effi.

Rollo; das iſt ſonderbar. Aber der Name thut nichts. Ich habe auch einen ſonderbaren Namen, das heißt Vornamen. Und einen andern hat unſer¬ eins ja nicht.

Wie heißen Sie denn?

Ich heiße Roswitha.

Ja, das iſt ſelten, das iſt ja

191Effi Brieſt

Ja, ganz recht, gnädige Frau, das iſt ein kattolſcher Name. Und das kommt auch noch dazu, daß ich eine Kattolſche bin. Aus'n Eichsfeld. Und das Kattolſche, das macht es einem immer noch ſchwerer und ſaurer. Viele wollen keine Kattolſche, weil ſie ſo viel in die Kirche rennen., Immer in die Beichte; und die Hauptſache ſagen ſie doch nich ' Gott, wie oft hab' ich das hören müſſen, erſt als ich in Giebichenſtein im Dienſt war und dann in Berlin. Ich bin aber eine ſchlechte Katholikin und bin ganz davon abgekommen, und vielleicht geht es mir deshalb ſo ſchlecht; ja, man darf nich von ſeinem Glauben laſſen und muß alles ordentlich mitmachen.

Roswitha, wiederholte Effi den Namen und ſetzte ſich zu ihr auf die Bank. Was haben Sie nun vor?

Ach, gnäd'ge Frau, was ſoll ich vor haben. Ich habe gar nichts vor. Wahr und wahrhaftig, ich möchte hier ſitzen bleiben und warten, bis ich tot umfalle. Das wär 'mir das liebſte. Und dann würden die Leute noch denken, ich hätte die Alte ſo geliebt wie ein treuer Hund, und hätte von ihrem Grabe nicht weg gewollt und wäre da geſtorben. Aber das iſt falſch, für ſolche Alte ſtirbt man nicht; ich will bloß ſterben, weil ich nicht leben kann.

192Effi Brieſt

Ich will Sie 'was fragen, Roswitha. Sind Sie, was man ſo, kinderlieb‘ nennt? Waren Sie ſchon' mal bei kleinen Kindern?

Gewiß, war ich. Das iſt ja mein beſtes und ſchönſtes. Solche alte Berlin'ſche Gott verzeih 'mir die Sünde, denn ſie iſt nun tot und ſteht vor Gottes Thron und kann mich da verklagen ſolche Alte, wie die da, ja, das iſt ſchrecklich, was man da alles thun muß, und ſteht einem hier vor Bruſt und Magen, aber ſolch' kleines, liebes Ding, ſolch 'Dingelchen wie' ne Puppe, das einen mit ſeinen Guckäugelchen anſieht, ja, das iſt 'was, da geht einem das Herz auf. Als ich in Halle war, da war ich Amme bei der Frau Salzdirektorin, und in Giebichen¬ ſtein, wo ich nachher hinkam, da hab' ich Zwillinge mit der Flaſche groß gezogen; ja, gnäd'ge Frau, das verſteh 'ich, da drin bin ich wie zu Hauſe.

Nun, wiſſen Sie was, Roswitha, Sie ſind eine gute, treue Perſon, das ſeh 'ich Ihnen an, ein bißchen gradezu, aber das ſchadet nichts, das ſind mitunter die beſten, und ich habe gleich ein Zu¬ trauen zu Ihnen gefaßt. Wollen Sie mit zu mir kommen? Mir iſt, als hätte Gott Sie mir geſchickt. Ich erwarte nun bald ein Kleines, Gott gebe mir ſeine Hülfe dazu, und wenn das Kind da iſt, dann muß es gepflegt und abgewartet werden und vielleicht193Effi Brieſtauch gepäppelt. Man kann das ja nicht wiſſen, wie¬ wohl ich es anders wünſche. Was meinen Sie, wollen Sie mit zu mir kommen? Ich kann mir nicht denken, daß ich mich in Ihnen irre.

Roswitha war aufgeſprungen und hatte die Hand der jungen Frau ergriffen und küßte ſie mit Ungeſtüm. Ach, es iſt doch ein Gott im Himmel, und wenn die Not am größten iſt, iſt die Hülfe am nächſten. Sie ſollen ſehn, gnäd'ge Frau, es geht; ich bin eine ordentliche Perſon und habe gute Zeugniſſe. Das können Sie ſehn, wenn ich Ihnen mein Buch bringe. Gleich den erſten Tag, als ich die gnäd'ge Frau ſah, da dacht 'ich: ja, wenn Du' mal ſolchen Dienſt hätteſt. Und nun ſoll ich ihn haben. O Du lieber Gott, o Du heil'ge Jungfrau Maria, wer mir das geſagt hätte, wie wir die Alte hier unter der Erde hatten, und die Verwandten machten, daß ſie wieder fortkamen und mich hier ſitzen ließen.

Ja, unverhofft kommt oft, Roswitha, und mitunter auch im Guten. Und nun wollen wir gehen. Rollo wird ſchon ungeduldig und läuft immer auf das Thor zu.

Roswitha war gleich bereit, trat aber noch einmal an das Grab, brummelte 'was vor ſich hin und machte ein Kreuz. Und dann gingen ſie den ſchattigen Gang hinunter und wieder auf das Kirchhofsthor zu.

Th. Fontane, Effi Brieſt. 13194Effi Brieſt

Drüben lag die eingegitterte Stelle, deren weißer Stein in der Nachmittagsſonne blinkte und blitzte. Effi konnte jetzt ruhiger hinſehen. Eine Weile noch führte der Weg zwiſchen Dünen hin, bis ſie, dicht vor Utpatel's Mühle, den Außenrand des Wäldchens erreichte. Da bog ſie links ein, und unter Be¬ nutzung einer ſchräg laufenden Allee, die die Reeper¬ bahn hieß, ging ſie mit Roswitha auf die land¬ rätliche Wohnung zu.

[195]

Vierzehntes Kapitel.

Keine Viertelſtunde, ſo war die Wohnung er¬ reicht. Als beide hier in den kühlen Flur traten, war Roswitha beim Anblick all des Sonderbaren, das da umher hing, wie befangen; Effi aber ließ ſie nicht zu weiteren Betrachtungen kommen und ſagte: Roswitha, nun gehen Sie da hinein. Das iſt das Zimmer, wo wir ſchlafen. Ich will erſt zu meinem Manne nach dem Landratsamt hinüber das große Haus da neben dem kleinen, in dem Sie gewohnt haben und will ihm ſagen, daß ich Sie zur Pflege haben möchte bei dem Kinde. Er wird wohl mit allem einverſtanden ſein, aber ich muß doch erſt ſeine Zuſtimmung haben. Und wenn ich die habe, dann müſſen wir ihn ausquartieren, und Sie ſchlafen mit mir in dem Alkoven. Ich denke, wir werden uns ſchon vertragen.

Innſtetten, als er erfuhr, um was ſich's handle, ſagte raſch und in guter Laune: Das haſt Du recht13 *196Effi Brieſtgemacht, Effi, und wenn ihr Geſindebuch nicht zu ſchlimme Sachen ſagt, ſo nehmen wir ſie auf ihr gutes Geſicht hin. Es iſt doch, Gott ſei Dank, ſelten, daß einen das täuſcht.

Effi war ſehr glücklich, ſo wenig Schwierigkeiten zu begegnen, und ſagte: Nun wird es gehen. Ich fürchte mich jetzt nicht mehr.

Um was, Effi?

Ach, Du weißt ja Aber Einbildungen ſind das ſchlimmſte, mitunter ſchlimmer als alles.

Roswitha zog in ſelbiger Stunde noch mit ihren paar Habſeligkeiten[in] das landrätliche Haus hinüber und richtete ſich in dem kleinen Alkoven ein. Als der Tag um war, ging ſie früh zu Bett und ſchlief, ermüdet wie ſie war, gleich ein.

Am andern Morgen erkundigte ſich Effi die ſeit einiger Zeit (denn es war gerade Vollmond) wieder in Ängſten lebte wie Roswitha geſchlafen und ob ſie nichts gehört habe?

Was? fragte dieſe.

O, nichts. Ich meine nur ſo; ſo 'was wie wenn ein Beſen fegt oder wie wenn einer über die Diele ſchlittert.

Roswitha lachte, was auf ihre junge Herrin einen beſonders guten Eindruck machte. Effi war197Effi Brieſtfeſt proteſtantiſch erzogen und würde ſehr erſchrocken geweſen ſein, wenn man an und in ihr 'was Ka¬ tholiſches entdeckt hätte; trotzdem glaubte ſie, daß der Katholizismus uns gegen ſolche Dinge wie da oben beſſer ſchütze; ja, dieſe Betrachtung hatte bei dem Plane, Roswitha ins Haus zu nehmen, ganz er¬ heblich mitgewirkt.

Man lebte ſich ſchnell ein, denn Effi hatte ganz den liebenswürdigen Zug der meiſten märkiſchen Landfräulein, ſich gern allerlei kleine Geſchichten er¬ zählen zu laſſen, und die verſtorbene Frau Regi¬ ſtratorin und ihr Geiz und ihre Neffen und deren Frauen boten einen unerſchöpflichen Stoff. Auch Johanna hörte dabei gerne zu.

Dieſe, wenn Effi bei den draſtiſchen Stellen oft laut lachte, lächelte freilich und verwunderte ſich im ſtillen, daß die gnädige Frau an all dem dummen Zeuge ſo viel Gefallen finde; dieſe Verwunderung aber, die mit einem ſtarken Überlegenheitsgefühle Hand in Hand ging, war doch auch wieder ein Glück und ſorgte dafür, daß keine Rangſtreitigkeiten auf¬ kommen konnten. Roswitha war einfach die komiſche Figur, und Neid gegen ſie zu hegen, wäre für Johanna nichts anderes geweſen, wie wenn ſie Rollo um ſeine Freundſchaftsſtellung beneidet hätte.

So verging eine Woche, plauderhaft und beinahe198Effi Brieſtgemütlich, weil Effi dem, was ihr perſönlich bevor¬ ſtand, ungeängſtigter als früher entgegen ſah. Auch glaubte ſie nicht, daß es ſo nahe ſei. Den neunten Tag aber war es mit dem Plaudern und den Gemütlich¬ keiten vorbei; da gab es ein Laufen und Rennen, Innſtetten ſelbſt kam ganz aus ſeiner gewohnten Reſerve heraus, und am Morgen des 3. Juli ſtand neben Effi's Bett eine Wiege. Doktor Hannemann patſchelte der jungen Frau die Hand und ſagte: Wir haben heute den Tag von Königgrätz; ſchade, daß es ein Mädchen iſt. Aber das andere kann ja nachkommen, und die Preußen haben viele Sieges¬ tage. Roswitha mochte wohl Ähnliches denken, freute ſich indeſſen vorläufig ganz uneingeſchränkt über das, was da war, und nannte das Kind ohne weiteres Lütt-Annie , was der jungen Mutter als ein Zeichen galt. Es müſſe doch wohl eine Ein¬ gebung geweſen ſein, daß Roswitha gerade auf dieſen Namen gekommen ſei. Selbſt Innſtetten wußte nichts dagegen zu ſagen, und ſo wurde ſchon von Klein-Annie geſprochen, lange bevor der Tauftag da war. Effi, die von Mitte Auguſt an bei den Eltern in Hohen-Cremmen ſein wollte, hätte die Taufe gern bis dahin verſchoben. Aber es ließ ſich nicht thun; Inn¬ ſtetten konnte nicht Urlaub nehmen, und ſo wurde denn der 15. Auguſt, trotzdem es der Napoleonstag199Effi Brieſtwar (was denn auch von ſeiten einiger Familien beanſtandet wurde), für dieſen Taufakt feſtgeſetzt, natürlich in der Kirche. Das ſich anſchließende Feſt¬ mahl, weil das landrätliche Haus keinen Saal hatte, fand in dem großen Reſſourcen-Hotel am Bollwerk ſtatt, und der geſamte Nachbaradel war geladen und auch erſchienen. Paſtor Lindequiſt ließ Mutter und Kind in einem liebenswürdigen und allſeitig be¬ wunderten Toaſte leben, bei welcher Gelegenheit Sidonie v. Graſenabb zu ihrem Nachbar, einem adligen Aſſeſſor von der ſtrengen Richtung, bemerkte: Ja, ſeine Kaſualreden, das geht. Aber ſeine Pre¬ digten kann er vor Gott und Menſchen nicht ver¬ antworten; er iſt ein Halber, einer von denen, die verworfen ſind, weil ſie lau ſind. Ich mag das Bibelwort hier nicht wörtlich zitieren. Gleich danach nahm auch der alte Herr v. Borcke das Wort, um Innſtetten leben zu laſſen. Meine Herrſchaften, es ſind ſchwere Zeiten, in denen wir leben, Auf¬ lehnung, Trotz, Indisziplin, wohin wir blicken. Aber ſo lange wir noch Männer haben, und ich darf hinzuſetzen, Frauen und Mütter (und hierbei verbeugte er ſich mit einer eleganten Handbewegung gegen Effi) ſo lange wir noch Männer haben wie Baron Innſtetten, den ich ſtolz bin meinen Freund nennen zu dürfen, ſo lange geht es noch,200Effi Brieſtſo lange hält unſer altes Preußen noch. Ja, meine Freunde, Pommern und Brandenburg, damit zwingen wir's und zertreten dem Drachen der Revolution das giftige Haupt. Feſt und treu, ſo ſiegen wir. Die Katholiken, unſere Brüder, die wir, auch wenn wir ſie bekämpfen, achten müſſen, haben den Felſen Petri, wir aber haben den Rocher de Bronze. Baron Inn¬ ſtetten, er lebe hoch! Innſtetten dankte ganz kurz, Effi ſagte zu dem neben ihr ſitzenden Major v. Crampas: Das mit dem Felſen Petri‘ ſei wahr¬ ſcheinlich eine Huldigung gegen Roswitha geweſen; ſie werde nachher an den alten Juſtizrat Gadebuſch herantreten und ihn fragen, ob er nicht ihrer Meinung ſei. Crampas nahm, dieſe Bemerkung unerklärlicher¬ weiſe für Ernſt und riet von einer Anfrage bei dem Juſtizrat ab, was Effi ungemein erheiterte. Ich habe Sie doch für einen beſſeren Seelenleſer gehalten.

Ach, meine Gnädigſte, bei ſchönen, jungen Frauen, die noch nicht achtzehn ſind, ſcheitert alle Leſekunſt.

Sie verderben ſich vollends, Major. Sie können mich eine Großmutter nennen, aber An¬ ſpielungen darauf, daß ich noch nicht achtzehn bin, das kann Ihnen nie verziehen werden.

Als man von Tiſch aufgeſtanden war, kam der201Effi BrieſtSpätnachmittags-Dampfer die Keſſine herunter und legte an der Landungsbrücke, gegenüber dem Hotel, an. Effi ſaß mit Crampas und Gieshübler beim Kaffee, alle Fenſter auf, und ſah dem Schauſpiel drüben zu. Morgen früh um neun führt mich das¬ ſelbe Schiff den Fluß hinauf, und zu Mittag bin ich in Berlin, und am Abend bin ich in Hohen - Cremmen, und Roswitha geht neben mir und hält das Kind auf dem Arme. Hoffentlich ſchreit es nicht. Ach, wie mir ſchon heute zu Mute iſt! Lieber Gies¬ hübler, ſind Sie auch 'mal ſo froh geweſen, Ihr elterliches Haus wiederzuſehen?

Ja, ich kenne das auch, gnädigſte Frau. Nur bloß ich brachte kein Anniechen mit, weil ich keins hatte.

Kommt noch, ſagte Crampas. Stoßen Sie an, Gieshübler; Sie ſind der einzige vernünftige Menſch hier.

Aber, Herr Major, wir haben ja bloß noch den Cognac.

Deſto beſſer.

[202]

Fünfzehntes Kapitel.

Mitte Auguſt war Effi abgereiſt, Ende Sep¬ tember war ſie wieder in Keſſin. Manchmal in den zwiſchenliegenden ſechs Wochen hatte ſie's zurück¬ verlangt; als ſie aber wieder da war und in den dunklen Flur eintrat, auf den nur von der Treppen¬ ſtiege her ein etwas fahles Licht fiel, wurde ihr mit einemmal wieder bang, und ſie ſagte leiſe: Solch fahles, gelbes Licht giebt es in Hohen-Cremmen gar nicht.

Ja, ein paarmal, während ihrer Hohen-Cremmer Tage, hatte ſie Sehnſucht nach dem verwunſchenen Hauſe gehabt, alles in allem aber war ihr doch das Leben daheim voller Glück und Zufriedenheit geweſen. Mit Hulda freilich, die's nicht verwinden konnte, noch immer auf Mann oder Bräutigam warten zu müſſen, hatte ſie ſich nicht recht ſtellen können, deſto beſſer dagegen mit den Zwillingen, und mehr als einmal, wenn ſie mit ihnen Ball203Effi Brieſtoder Krocket geſpielt hatte, war ihr's ganz aus dem Sinn gekommen, überhaupt verheiratet zu ſein. Das waren dann glückliche Viertelſtunden geweſen. Am liebſten aber hatte ſie wie früher auf dem durch die Luft fliegenden Schaukelbrett geſtanden, und in dem Gefühle:, jetzt ſtürz 'ich', etwas eigentümlich prickeln¬ des, einen Schauer ſüßer Gefahr empfunden. Sprang ſie dann ſchließlich von der Schaukel ab, ſo be¬ gleitete ſie die beiden Mädchen bis an die Bank vor dem Schulhauſe und erzählte, wenn ſie da ſaßen, dem alsbald hinzukommenden alten Jahnke von ihrem Leben in Keſſin, das halb hanſeatiſch und halb ſkandinaviſch und jedenfalls ſehr anders als in Schwantikow und Hohen-Cremmen ſei.

Das waren ſo die täglichen kleinen Zerſtreuungen, an die ſich gelegentlich auch Fahrten in das ſommer¬ liche Luch ſchloſſen, meiſt im Jagdwagen; allem voran aber ſtanden für Effi doch die Plaudereien, die ſie beinahe jeden Morgen mit der Mama hatte. Sie ſaßen dann oben in der luftigen, großen Stube, Roswitha wiegte das Kind und ſang in einem thüringiſchen Platt allerlei Wiegenlieder, die niemand recht verſtand, vielleicht ſie ſelber nicht; Effi und Frau von Brieſt aber rückten ans offene Fenſter und ſahen, während ſie ſprachen, auf den Park hin¬ unter, auf die Sonnenuhr oder auf die Libellen, die204Effi Brieſtbeinahe regungslos über dem Teich ſtanden, oder auch auf den Flieſengang, wo Herr von Brieſt neben dem Treppenvorbau ſaß und die Zeitungen las. Immer wenn er umſchlug, nahm er zuvor den Kneifer ab und grüßte zu Frau und Tochter hinauf. Kam dann das letzte Blatt an die Reihe, das in der Regel der Anzeiger für's Havelland war, ſo ging Effi hinunter, um ſich entweder zu ihm zu ſetzen oder um mit ihm durch Garten und Park zu ſchlendern. Einmal, bei ſolcher Gelegenheit, traten ſie, von dem Kieswege her, an ein kleines, zur Seite ſtehendes Denkmal heran, das ſchon Brieſt's Gro߬ vater zur Erinnerung an die Schlacht von Waterloo hatte aufrichten laſſen, eine verroſtete Pyramide mit einem gegoſſenen Blücher in Front und einem dito Wellington auf der Rückſeite.

Haſt Du nun ſolche Spaziergänge auch in Keſſin, ſagte Brieſt, und begleitet Dich Innſtetten auch und erzählt Dir allerlei?

Nein, Papa, ſolche Spaziergänge habe ich nicht. Das iſt ausgeſchloſſen, denn wir haben bloß einen kleinen Garten hinter dem Hauſe, der eigentlich kaum ein Garten iſt, bloß ein paar Buchsbaumrabatten und Gemüſebeete mit drei, vier Obſtbäumen drin. Innſtetten hat keinen Sinn dafür und denkt wohl auch nicht ſehr lange mehr in Keſſin zu bleiben.

205Effi Brieſt

Aber Kind, Du mußt doch Bewegung haben und friſche Luft, daran biſt Du doch gewöhnt.

Hab 'ich auch. Unſer Haus liegt an einem Wäldchen, das ſie die Plantage nennen. Und da geh' ich denn viel ſpazieren und Rollo mit mir.

Immer Rollo, lachte Brieſt. Wenn man's nicht anders wüßte, ſo ſollte man beinah 'glauben, Rollo ſei Dir mehr ans Herz gewachſen als Mann und Kind.

Ach, Papa, das wäre ja ſchrecklich, wenn's auch freilich ſo viel muß ich zugeben eine Zeit gegeben hat, wo's ohne Rollo gar nicht gegangen wäre. Das war damals nun, Du weißt ſchon Da hat er mich ſo gut wie gerettet oder ich habe mir's wenigſtens eingebildet, und ſeitdem iſt er mein guter Freund und mein ganz beſonderer Verlaß. Aber er iſt doch bloß ein Hund. Und erſt kommen doch natürlich die Menſchen.

Ja, das ſagt man immer, aber ich habe da doch ſo meine Zweifel. Das mit der Kreatur, da¬ mit hat's doch ſeine eigene Bewandtnis, und was da das Richtige iſt, darüber ſind die Akten noch nicht geſchloſſen. Glaube mir, Effi, das iſt auch ein weites Feld. Wenn ich mir ſo denke, da verunglückt einer auf dem Waſſer oder gar auf dem ſchülbrigen Eis, und ſolch ein Hund, ſagen wir ſo einer wie Dein206Effi BrieſtRollo, iſt dabei, ja, der ruht nicht eher, als bis er den Verunglückten wieder an Land hat. Und wenn der Verunglückte ſchon tot iſt, dann legt er ſich neben den Toten hin und blafft und winſelt ſo lange, bis wer kommt, und wenn keiner kommt, dann bleibt er bei dem Toten liegen bis er ſelber tot iſt. Und das thut ſolch 'Tier immer. Und nun nimm dagegen die Menſchheit! Gott, vergieb mir die Sünde, aber mitunter iſt mir's doch, als ob die Kreatur beſſer wäre als der Menſch.

Aber, Papa, wenn ich das Innſtetten wieder erzählte

Nein, das thu 'lieber nicht. Effi

Rollo würde mich ja natürlich retten, aber Innſtetten würde mich auch retten. Er iſt ja ein Mann von Ehre.

Das iſt er.

Und liebt mich.

Verſteht ſich, verſteht ſich. Und wo Liebe iſt, da iſt auch Gegenliebe. Das iſt nun 'mal ſo. Mich wundert nur, daß er nicht' mal Urlaub genommen hat und 'rübergeflitzt iſt. Wenn man eine ſo junge Frau hat

Effi errötete, weil ſie gerade ſo dachte. Sie mochte es aber nicht einräumen. Innſtetten iſt ſo gewiſſenhaft und will, glaub 'ich, gut angeſchrieben207Effi Brieſtſein, und hat ſo ſeine Pläne für die Zukunft; Keſſin iſt doch bloß eine Station. Und dann am Ende, ich lauf 'ihm ja nicht fort. Er hat mich ja. Wenn man zu zärtlich iſt und dazu der Unterſchied der Jahre da lächeln die Leute bloß.

Ja, daß thun ſie, Effi. Aber darauf muß man's ankommen laſſen. Übrigens ſage nichts dar¬ über, auch nicht zu Mama. Es iſt ſo ſchwer, was man thun und laſſen ſoll. Das iſt auch ein weites Feld.

Geſpräche, wie dieſe, waren während Effi's Be¬ ſuch im elterlichen Hauſe mehr als einmal geführt worden, hatten aber glücklicherweiſe nicht lange nach¬ gewirkt, und ebenſo war auch der etwas melancholiſche Eindruck raſch verflogen, den das erſte Wiederbetreten ihres Keſſiner Hauſes auf Effi gemacht hatte. Inn¬ ſtetten zeigte ſich voll kleiner Aufmerkſamkeiten, und als der Thee genommen und alle Stadt - und Liebes¬ geſchichten in heiterſter Stimmung durchgeſprochen waren, hing ſich Effi zärtlich an ſeinen Arm, um drüben ihre Plaudereien mit ihm fortzuſetzen und noch einige Anekdoten von der Trippelli zu hören, die neuerdings wieder mit Gieshübler in einer lebhaften Korreſpondenz geſtanden hatte, was immer gleichbe¬ deutend mit einer neuen Belaſtung ihres nie aus¬208Effi Brieſtgeglichenen Kontos war. Effi war bei dieſem Ge¬ ſpräch ſehr ausgelaſſen, fühlte ſich ganz als junge Frau und war froh, die nach der Geſindeſtube hin ausquartierte Roswitha auf unbeſtimmte Zeit los zu ſein.

Am anderen Morgen ſagte ſie: Das Wetter iſt ſchön und mild und ich hoffe, die Veranda nach der Plantage hinaus iſt noch in gutem Stande, und wir können uns ins Freie ſetzen und da das Früh¬ ſtück nehmen. In unſere Zimmer kommen wir ohne¬ hin noch früh genug, und der Keſſiner Winter iſt wirklich um vier Wochen zu lang.

Innſtetten war ſehr einverſtanden. Die Veranda, von der Effi geſprochen, und die vielleicht richtiger ein Zelt genannt worden wäre, war ſchon im Sommer hergerichtet worden, drei, vier Wochen vor Effi's Abreiſe nach Hohen-Cremmen, und beſtand aus einem großen gedielten Podium, vorn offen, mit einer mächtigen Marquiſe zu Häupten, während links und rechts breite Leinwandvorhänge waren, die ſich mit Hülfe von Ringen an einer Eiſenſtange hin und her ſchieben ließen. Es war ein reizender Platz, den ganzen Sommer über von allen Badegäſten, die hier vorüber mußten, bewundert.

Effi hatte ſich in einen Schaukelſtuhl gelehnt und ſagte, während ſie das Kaffeebrett von der Seite209Effi Brieſther ihrem Manne zuſchob: Geert, Du könnteſt heute den liebenswürdigen Wirt machen; ich für mein Teil find 'es ſo ſchön in dieſem Schaukelſtuhl, daß ich nicht aufſtehen mag. Alſo ſtrenge Dich an, und wenn Du Dich recht freuſt, mich wieder hier zu haben, ſo werd' ich mich auch zu revanchieren wiſſen. Und dabei zupfte ſie die weiße Damaſtdecke zurecht und legte ihre Hand darauf, die Innſtetten nahm und küßte.

Wie biſt Du nur eigentlich ohne mich fertig geworden?

Schlecht genug, Effi.

Das ſagſt Du ſo hin und machſt ein betrübtes Geſicht, und iſt doch eigentlich alles nicht wahr.

Aber Effi

Was ich Dir beweiſen will. Denn wenn Du ein bißchen Sehnſucht nach Deinem Kinde gehabt hätteſt von mir ſelber will ich nicht ſprechen, was iſt man am Ende ſolchem hohen Herrn, der ſo lange Jahre Junggeſelle war und es nicht eilig hatte

Nun?

Ja, Geert, wenn Du nur ein bißchen Sehn¬ ſucht gehabt hätteſt, ſo hätteſt Du mich nicht ſechs Wochen mutterwindallein in Hohen-Cremmen ſitzen laſſen wie eine Witwe, und nichts da als NiemeyerTh. Fontane, Effi Brieſt. 14210Effi Brieſtund Jahnke und 'mal die Schwantikower. Und von den Rathenowern iſt niemand gekommen, als ob ſie ſich vor mir gefürchtet hätten oder als ob ich zu alt geworden ſei.

Ach, Effi, wie Du nur ſprichſt. Weißt Du, daß Du eine kleine Kokette biſt?

Gott ſei Dank, daß Du das ſagſt. Das iſt für Euch das beſte, was man ſein kann. Und Du biſt nichts anderes als die anderen, wenn Du auch ſo feierlich und ehrſam thuſt. Ich weiß es recht gut, Geert Eigentlich biſt Du

Nun, was?

Nun, ich will es lieber nicht ſagen. Aber ich kenne Dich recht gut; Du biſt eigentlich, wie der Schwantikower Onkel 'mal ſagte, ein Zärtlichkeits¬ menſch und unterm Liebesſtern geboren, und Onkel Belling hatte ganz recht, als er das ſagte. Du willſt es bloß nicht zeigen und denkſt, es ſchickt ſich nicht und verdirbt einem die Karriere. Hab' ich's ge¬ troffen?

Innſtetten lachte. Ein bißchen getroffen haſt Du's. Weißt Du was, Effi, Du kommſt mir ganz anders vor. Bis Anniechen da war, warſt Du ein Kind. Aber mit einemmal

Nun?

Mit einemmal biſt Du wie vertauſcht. Aber211Effi Brieſtes ſteht Dir, Du gefällſt mir ſehr, Effi. Weißt Du was?

Nun?

Du haſt 'was Verführeriſches.

Ach, mein einziger Geert, das iſt ja herrlich, was Du da ſagſt; nun wird mir erſt recht wohl ums Herz Gieb mir noch eine halbe Taſſe Weißt Du denn, daß ich mir das immer gewünſcht habe. Wir müſſen verführeriſch ſein, ſonſt ſind wir gar nichts

Haſt Du das aus Dir?

Ich könnt 'es wohl auch aus mir haben. Aber ich hab' es von Niemeyer

Von Niemeyer! O du himmliſcher Vater, iſt das ein Paſtor. Nein, ſolche giebt es hier nicht. Aber wie kam denn der dazu? Das iſt ja, als ob es irgend ein Don Juan oder Herzensbrecher ge¬ ſprochen hätte.

Ja, wer weiß, lachte Effi Aber kommt da nicht Crampas? Und vom Strand her. Er wird doch nicht gebadet haben? Am 27. Sep¬ tember

Er macht öfter ſolche Sachen. Reine Renom¬ miſterei.

Derweilen war Crampas bis in nächſte Nähe gekommen und grüßte.

14 *212Effi Brieſt

Guten Morgen, rief Innſtetten ihm zu. Nur näher, nur näher.

Crampas trat heran. Er war in Zivil und küßte der in ihrem Schaukelſtuhl ſich weiter wiegenden Effi die Hand. Entſchuldigen Sie mich, Major, daß ich ſo ſchlecht die Honneurs des Hauſes mache; aber die Veranda iſt kein Haus und zehn Uhr früh iſt eigentlich gar keine Zeit. Da wird man formlos, oder wenn Sie wollen intim. Und nun ſetzen Sie ſich und geben Sie Rechenſchaft von Ihrem Thun. Denn an Ihrem Haar, ich wünſchte Ihnen, daß es mehr wäre, ſieht man deutlich, daß Sie gebadet haben.

Er nickte.

Unverantwortlich, ſagte Innſtetten, halb ernſt -, halb ſcherzhaft. Da haben Sie nun ſelber vor vier Wochen die Geſchichte mit dem Bankier Heinersdorf erlebt, der auch dachte, das Meer und der grandioſe Wellenſchlag würden ihn um ſeiner Million willen reſpektieren. Aber die Götter ſind eiferſüchtig unter¬ einander, und Neptun ſtellte ſich ohne weiteres gegen Pluto oder doch wenigſtens gegen Heinersdorf.

Crampas lachte. Ja, eine Million Mark! Lieber Innſtetten, wenn ich die hätte, da hätt 'ich es am Ende nicht gewagt; denn ſo ſchön das Wetter iſt, das Waſſer hatte nur neun Grad. Aber unſereins213Effi Brieſtmit ſeiner Million Unterbilanz, geſtatten Sie mir dieſe kleine Renommage, unſereins kann ſich ſo 'was ohne Furcht vor der Götter Eiferſucht erlauben. Und dann muß einen das Sprichwort tröſten:, Wer für den Strick geboren iſt, kann im Waſſer nicht umkommen‘.

Aber, Major, Sie werden ſich doch nicht etwas ſo Urproſaiſches, ich möchte beinah 'ſagen an den Hals reden wollen. Allerdings glauben manche, daß ich meine das, wovon Sie eben geſprochen haben daß ihn jeder mehr oder weniger verdiene. Trotzdem, Major für einen Major

Iſt es keine herkömmliche Todesart. Zu¬ gegeben, meine Gnädigſte. Nicht herkömmlich und in meinem Falle auch nicht einmal ſehr wahr¬ ſcheinlich alſo alles bloß Citat oder noch richtiger façon de parler. Und doch ſteckt etwas Aufrichtig¬ gemeintes dahinter, wenn ich da eben ſagte, die See werde mir nichts anhaben. Es ſteht mir nämlich feſt, daß ich einen richtigen und hoffentlich ehrlichen Soldatentod ſterben werde. Zunächſt bloß Zigeuner¬ prophezeiung, aber mit Reſonanz im eigenen Ge¬ wiſſen.

Innſtetten lachte. Das wird ſeine Schwierig¬ keiten haben, Crampas, wenn Sie nicht vorhaben, beim Großtürken oder unterm chineſiſchen Drachen214Effi BrieſtDienſte zu nehmen. Da ſchlägt man ſich jetzt herum. Hier iſt die Geſchichte, glauben Sie mir, auf dreißig Jahre vorbei, und wer ſeinen Soldatentod ſterben will

Der muß ſich erſt bei Bismarck einen Krieg beſtellen. Weiß ich alles, Innſtetten. Aber das iſt doch für Sie eine Kleinigkeit. Jetzt haben wir Ende September; in zehn Wochen ſpäteſtens iſt der Fürſt wieder in Varzin, und da er ein liking für Sie hat mit der volkstümlicheren Wendung will ich zurückhalten, um nicht direkt vor Ihren Piſtolenlauf zu kommen ſo werden Sie einem alten Kameraden von Vionville her doch wohl ein bißchen Krieg beſorgen können. Der Fürſt iſt auch nur ein Menſch, und Zureden hilft.

Effi hatte während dieſes Geſprächs einige Brotkügelchen gedreht, würfelte damit und legte ſie zu Figuren zuſammen, um ſo anzuzeigen, daß ihr ein Wechſel des Themas wünſchenswert wäre. Trotz¬ dem ſchien Innſtetten auf Crampas ſcherzhafte Be¬ merkungen antworten zu wollen, was denn Effi beſtimmte, lieber direkt einzugreifen. Ich ſehe nicht ein, Major, warum wir uns mit Ihrer Todesart beſchäftigen ſollen; das Leben iſt uns näher und zunächſt auch eine viel ernſtere Sache.

Crampas nickte.

115 [215]Effi Brieſt

Das iſt recht, daß Sie mir recht geben. Wie ſoll man hier leben? Das iſt vorläufig die Frage, das iſt wichtiger als alles andere. Gieshübler hat mir darüber geſchrieben, und wenn es nicht indiskret und eitel wäre, denn es ſteht noch allerlei nebenher darin, ſo zeigte ich Ihnen den Brief Innſtetten braucht ihn nicht zu leſen, der hat keinen Sinn für dergleichen beiläufig eine Handſchrift wie ge¬ ſtochen und Ausdrucksformen, als wäre unſer Freund ſtatt am Keſſiner Alten-Markt an einem altfranzö¬ ſiſchen Hofe erzogen. Und daß er verwachſen iſt und weiße Jabots trägt wie kein anderer Menſch mehr ich weiß nur nicht, wo er die Plätterin hernimmt das paßt alles ſo vorzüglich. Nun, alſo Gieshübler hat mir von Plänen für die Reſ¬ ſourcenabende geſchrieben und von einem Entrepreneur, Namens Crampas. Sehen Sie, Major, das gefällt mir beſſer als der Soldatentod oder gar der andere.

Mir perſönlich nicht minder. Und es muß ein Prachtwinter werden, wenn wir uns der Unter¬ ſtützung der gnädigen Frau verſichert halten dürfen. Die Trippelli kommt

Die Trippelli? Dann bin ich überflüſſig.

Mit nichten, gnädigſte Frau. Die Trippelli kann nicht von Sonntag bis wieder Sonntag ſingen, es wäre zu viel für ſie und für uns; Abwechslung216Effi Brieſtiſt des Lebens Reiz, eine Wahrheit, die freilich jede glückliche Ehe zu widerlegen ſcheint.

Wenn es glückliche Ehen giebt, die meinige ausgenommen und ſie reichte Innſtetten die Hand.

Abwechslung alſo, fuhr Crampas fort. Und dieſe für uns und unſere Reſſource zu gewinnen, deren Vizevorſtand zu ſein ich zur Zeit die Ehre habe, dazu braucht es aller bewährten Kräfte. Wenn wir uns zuſammenthun, ſo müſſen wir das ganze Neſt auf den Kopf ſtellen. Die Theaterſtücke ſind ſchon ausgeſucht: Krieg im Frieden, Monſieur Her¬ kules, Jugendliebe von Wilbrandt, vielleicht auch Euphroſine von Genſichen. Sie die Euphroſine, ich der alte Goethe. Sie ſollen ſtaunen, wie gut ich den Dichterfürſten tragiere wenn tragieren‘ das richtige Wort iſt.

Kein Zweifel. Hab 'ich doch inzwiſchen aus dem Briefe meines alchymiſtiſchen Geheimkorreſpon¬ denten erfahren, daß Sie, neben vielem anderen, ge¬ legentlich auch Dichter ſind. Anfangs habe ich mich gewundert

Denn Sie haben es mir nicht angeſehen.

Nein. Aber ſeit ich weiß, daß Sie bei neun Grad baden, bin ich anderen Sinnes geworden neun Grad Oſtſee, das geht über den kaſtaliſchen Quell

217Effi Brieſt

Deſſen Temperatur unbekannt iſt.

Nicht für mich; wenigſtens wird mich niemand widerlegen. Aber nun muß ich aufſtehen. Da kommt ja Roswitha mit Lütt-Annie.

Und ſie erhob ſich raſch und ging auf Roswitha zu, nahm ihr das Kind aus dem Arm und hielt es ſtolz und glücklich in die Höhe.

[218]

Sechzehntes Kapitel.

Die Tage waren ſchön und blieben es bis in den Oktober hinein. Eine Folge davon war, daß die halb zeltartige Veranda draußen zu ihrem Rechte kam, ſo ſehr, daß ſich wenigſtens die Vormittags¬ ſtunden regelmäßig darin abſpielten. Gegen elf kam dann wohl der Major, um ſich zunächſt nach dem Befinden der gnädigen Frau zu erkundigen und mit ihr ein wenig zu mediſieren, was er wundervoll ver¬ ſtand, danach aber mit Innſtetten einen Ausritt zu verabreden, oft landeinwärts, die Keſſine hinauf bis an den Breitling, noch häufiger auf die Molen zu. Effi, wenn die Herren fort waren, ſpielte mit dem Kind oder durchblätterte die von Gieshübler nach wie vor ihr zugeſchickten Zeitungen und Journale, ſchrieb auch wohl einen Brief an die Mama oder ſagte: Roswitha, wir wollen mit Annie ſpazieren fahren, und dann ſpannte ſich Roswitha vor den Korbwagen und fuhr, während Effi hinterherging, ein219Effi Brieſtpaar hundert Schritt in das Wäldchen hinein, auf eine Stelle zu, wo Kaſtanien ausgeſtreut lagen, die man nun auflas, um ſie dem Kinde als Spielzeug zu geben. In die Stadt kam Effi wenig; es war niemand recht da, mit dem ſie hätte plaudern können, nachdem ein Verſuch, mit der Frau von Crampas auf einen Umgangsfuß zu kommen, aufs neue geſcheitert war. Die Majorin war und blieb menſchenſcheu.

Das ging ſo wochenlang, bis Effi plötzlich den Wunſch äußerte, mit ausreiten zu dürfen; ſie habe nun 'mal die Paſſion und es ſei doch zu viel ver¬ langt, bloß um des Geredes der Keſſiner willen, auf etwas zu verzichten, das einem ſo viel wert ſei. Der Major fand die Sache kapital und Innſtetten, dem es augenſcheinlich weniger paßte ſo wenig, daß er immer wieder hervorhob, es werde ſich kein Damen¬ pferd finden laſſen Innſtetten mußte nachgeben, als Crampas verſicherte, das ſolle ſeine Sorge ſein . Und richtig, was man wünſchte, fand ſich auch, und Effi war ſelig, am Strande hinjagen zu können, jetzt wo Damenbad und Herrenbad keine ſcheiden¬ den Schreckensworte mehr waren. Meiſt war auch Rollo mit von der Partie, und weil es ſich ein paarmal ereignet hatte, daß man am Strande zu raſten oder auch eine Strecke Wegs zu Fuß zu220Effi Brieſtmachen wünſchte, ſo kam man überein, ſich von entſprechender Dienerſchaft begleiten zu laſſen, zu welchem Behufe des Majors Burſche, ein alter Trep¬ tower Ulan, der Knut hieß, und Innſtetten's Kutſcher Kruſe zu Reitknechten umgewandelt wurden, aller¬ dings ziemlich unvollkommen, indem ſie, zu Effi's Leidweſen, in eine Phantaſie-Livree geſteckt wurden, darin der eigentliche Beruf beider noch nachſpukte.

Mitte Oktober war ſchon heran, als man, ſo herausſtaffiert, zum erſtenmal in voller Kavalkade aufbrach, in Front Innſtetten und Crampas, Effi zwiſchen ihnen, dann Kruſe und Knut und zuletzt Rollo, der aber bald, weil ihm das Nachtrotten mi߬ fiel, allen vorauf war. Als man das jetzt öde Strandhotel paſſiert und bald danach, ſich rechts haltend, auf dem von einer mäßigen Brandung über¬ ſchäumten Strandwege den diesſeitigen Molendamm erreicht hatte, verſpürte man Luſt, abzuſteigen und einen Spaziergang bis an den Kopf der Mole zu machen. Effi war die erſte aus dem Sattel. Zwiſchen den beiden Steindämmen floß die Keſſine breit und ruhig dem Meere zu, das wie eine ſonnenbeſchienene Fläche, darauf nur hier und da eine leichte Welle träufelte, vor ihnen lag.

Effi war noch nie hier draußen geweſen, denn als ſie vorigen November in Keſſin eintraf, war221Effi Brieſtſchon Sturmzeit, und als der Sommer kam, war ſie nicht mehr im ſtande, weite Gänge zu machen. Sie war jetzt entzückt, fand alles groß und herrlich, er¬ ging ſich in kränkenden Vergleichen zwiſchen dem Luch und dem Meer und ergriff, ſo oft die Gelegen¬ heit dazu ſich bot, ein Stück angeſchwemmtes Holz, um es nach links hin in die See oder nach rechts hin in die Keſſine zu werfen. Rollo war immer glücklich, im Dienſte ſeiner Herrin ſich nachſtürzen zu können; mit einemmal aber wurde ſeine Auf¬ merkſamkeit nach einer ganz anderen Seite hin ab¬ gezogen, und ſich vorſichtig, ja beinahe ängſtlich vor¬ wärts ſchleichend, ſprang er plötzlich auf einen in Front ſichtbar werdenden Gegenſtand zu, freilich ver¬ geblich, denn im ſelben Augenblicke glitt von einem ſonnenbeſchienenen und mit grünem Tang überwachſenen Stein eine Robbe glatt und geräuſchlos in das nur etwa fünf Schritt entfernte Meer hinunter. Eine kurze Weile noch ſah man den Kopf, dann tauchte auch dieſer unter.

Alle waren erregt, und Crampas phantaſierte von Robbenjagd und daß man das nächſte Mal die Büchſe mitnehmen müſſe, denn die Dinger haben ein feſtes Fell.

Geht nicht, ſagte Innſtetten; Hafenpolizei.

Wenn ich ſo 'was höre, lachte der Major. 222Effi Brieſt Hafenpolizei! Die drei Behörden, die wir hier haben, werden doch wohl untereinander die Augen zudrücken können. Muß denn alles ſo furchtbar geſetzlich ſein? Alle Geſetzlichkeiten ſind langweilig.

Effi klatſchte in die Hände.

Ja, Crampas, Sie kleidet das, und Effi, wie Sie ſehen, klatſcht Ihnen Beifall. Natürlich; die Weiber ſchreien ſofort nach einem Schutzmann, aber von Geſetz wollen ſie nichts wiſſen.

Das iſt ſo Frauenrecht von alter Zeit her, und wir werden's nicht ändern, Innſtetten.

Nein, lachte dieſer, und ich will es auch nicht. Auf Mohrenwäſche laſſe ich mich nicht ein. Aber einer wie Sie, Crampas, der unter der Fahne der Disziplin groß geworden iſt und recht gut weiß, daß es ohne Zucht und Ordnung nicht geht, ein Mann wie Sie, der ſollte doch eigentlich ſo 'was nicht reden, auch nicht einmal im Spaß. Indeſſen, ich weiß ſchon, Sie haben einen himmliſchen Kehrmichnichtdran und denken, der Himmel wird nicht gleich einſtürzen. Nein, gleich nicht. Aber' mal kommt es.

Crampas wurde einen Augenblick verlegen, weil er glaubte, das alles ſei mit einer gewiſſen Abſicht geſprochen, was aber nicht der Fall war. Innſtetten hielt nur einen ſeiner kleinen moraliſchen Vorträge, zu denen er überhaupt hinneigte. Da lob 'ich mir223Effi BrieſtGieshübler, ſagte er einlenkend, immer Kavalier und dabei doch Grundſätze.

Der Major hatte ſich mittlerweile wieder zurecht¬ gefunden und ſagte in ſeinem alten Ton: Ja, Gieshübler; der beſte Kerl von der Welt und, wenn möglich, noch beſſere Grundſätze. Aber am Ende woher? warum? Weil er einen Verdruß hat. Wer gerade gewachſen iſt, iſt für Leichtſinn. Überhaupt ohne Leichtſinn iſt das ganze Leben keinen Schuß Pulver wert.

Nun hören Sie, Crampas, gerade ſoviel kommt mitunter dabei heraus. Und dabei ſah er auf des Majors linken, etwas verkürzten Arm.

Effi hatte von dieſem Geſpräche wenig gehört. Sie war dicht an die Stelle getreten, wo die Robbe gelegen, und Rollo ſtand neben ihr. Dann ſahen beide, von dem Stein weg, auf das Meer und warteten, ob die Seejungfrau‘ noch einmal ſichtbar werden würde.

Ende Oktober begann die Wahlkampagne, was Innſtetten hinderte, ſich ferner an den Ausflügen zu beteiligen, und auch Crampas und Effi hätten jetzt um der lieben Keſſiner willen wohl verzichten müſſen, wenn nicht Knut und Kruſe als eine Art Ehrengarde geweſen wären. So kam es, daß ſich die Spazierritte bis in den November hinein fortſetzten.

Ein Wetterumſchlag war freilich eingetreten, ein224Effi Brieſtandauernder Nordweſt trieb Wolkenmaſſen heran, und das Meer ſchäumte mächtig, aber Regen und Kälte fehlten noch, und ſo waren dieſe Ausflüge bei grauem Himmel und lärmender Brandung faſt noch ſchöner, als ſie vorher bei Sonnenſchein und ſtiller See geweſen waren. Rollo jagte vorauf, dann und wann von dem Giſcht überſpritzt, und der Schleier von Effi's Reithut flatterte im Winde. Dabei zu ſprechen, war faſt unmöglich; wenn man dann aber, vom Meere fort, in die ſchutzgebenden Dünen oder noch beſſer in den weiter zurückgelegenen Kiefernwald einlenkte, ſo wurd 'es ſtill, Effi's Schleier flatterte nicht mehr, und die Enge des Wegs zwang die beiden Reiter dicht nebeneinander. Das war dann die Zeit, wo man ſchon um der Knorren und Wurzeln willen im Schritt reitend die Geſpräche, die der Brandungslärm unterbrochen hatte, wieder aufnehmen konnte. Crampas, ein guter Cauſeur, erzählte dann Kriegs - und Regimentsgeſchichten, auch Anekdoten und kleine Charakterzüge von Innſtetten, der mit ſeinem Ernſt und ſeiner Zugeknöpftheit in den über¬ mütigen Kreis der Kameraden nie recht hineingepaßt habe, ſo daß er eigentlich immer mehr reſpektiert als geliebt worden ſei.

Das kann ich mir denken, ſagte Effi, ein Glück nur, daß der Reſpekt die Hauptſache iſt.

225Effi Brieſt

Ja, zu ſeiner Zeit. Aber er paßt doch nicht immer. Und zu dem allen kam noch ſeine myſtiſche Richtung, die mitunter Anſtoß gab, einmal weil Soldaten überhaupt nicht ſehr für derlei Dinge ſind, und dann weil wir die Vorſtellung unterhielten, viel¬ leicht mit Unrecht, daß er doch nicht ganz ſo dazu ſtände, wie er's uns einreden wollte.

Myſtiſche Richtung? ſagte Effi. Ja, Major, was verſtehen Sie darunter? Er kann doch keine Konventikel abgehalten und den Propheten geſpielt haben. Auch nicht einmal den aus der Oper ich habe ſeinen Namen vergeſſen.

Nein, ſo weit ging er nicht. Aber es iſt viel¬ leicht beſſer, davon abzubrechen. Ich möchte nicht hinter ſeinem Rücken etwas ſagen, was falſch aus¬ gelegt werden könnte. Zudem ſind es Dinge, die ſich ſehr gut auch in ſeiner Gegenwart verhandeln laſſen, Dinge, die nur, man mag wollen oder nicht, zu 'was Sonderbarem aufgebauſcht werden, wenn er nicht dabei iſt und nicht jeden Augenblick eingreifen und uns widerlegen oder meinetwegen auch auslachen kann.

Aber das iſt ja grauſam, Major. Wie können Sie meine Neugier ſo auf die Folter ſpannen. Erſt iſt es 'was und dann iſt es wieder nichts. Und Myſtik! Iſt er denn ein Geiſterſeher?

Th. Fontane, Effi Brieſt, 15226Effi Brieſt

Ein Geiſterſeher! Das will ich nicht gerade ſagen. Aber er hatte eine Vorliebe, uns Spukgeſchichten zu erzählen. Und wenn er uns dann in große Auf¬ regung verſetzt und manchen auch wohl geängſtigt hatte, dann war es mit einemmale wieder, als habe er ſich über alle die Leichtgläubigen bloß moquieren wollen. Und kurz und gut, einmal kam es, daß ich ihm auf den Kopf zuſagte:, Ach was, Innſtetten, das iſt ja alles bloß Komödie. Mich täuſchen Sie nicht. Sie treiben Ihr Spiel mit uns. Eigentlich glauben Sie's grad ſo wenig wie wir, aber Sie wollen ſich intereſſant machen und haben eine Vor¬ ſtellung davon, daß Ungewöhnlichkeiten nach oben hin beſſer empfehlen. In höheren Karrieren will man keine Alltagsmenſchen. Und da Sie ſo 'was vorhaben, ſo haben Sie ſich' was Apartes ausgeſucht und ſind bei der Gelegenheit auf den Spuk gefallen.

Effi ſagte kein Wort, was dem Major zu¬ letzt bedrücklich wurde. Sie ſchweigen, gnädigſte Frau.

Ja.

Darf ich fragen warum? Hab 'ich Anſtoß gegeben? Oder finden Sie's unritterlich, einen ab¬ weſenden Freund, ich muß das trotz aller Ver¬ wahrungen einräumen, ein klein wenig zu hecheln? Aber da thun Sie mir trotz alledem Unrecht. Das227Effi Brieſtalles ſoll ganz ungeniert ſeine Fortſetzung vor ſeinen Ohren haben, und ich will ihm dabei jedes Wort wiederholen, was ich jetzt eben geſagt habe.

Glaub 'es. Und nun brach Effi ihr Schweigen und erzählte, was ſie alles in ihrem Hauſe erlebt und wie ſonderbar ſich Innſtetten damals dazu geſtellt habe. Er ſagte nicht ja und nicht nein, und ich bin nicht klug aus ihm geworden.

Alſo ganz der Alte, lachte Crampas. So war er damals auch ſchon, als wir in Liancourt und dann ſpäter in Beauvais mit ihm in Quartier lagen. Er wohnte da in einem alten biſchöflichen Palaſt beiläufig, was Sie vielleicht intereſſieren wird, war es ein Biſchof von Beauvais, glücklicher¬ weiſe Cochon mit Namen, der die Jungfrau von Orleans zum Feuertod verurteilte und da verging denn kein Tag, das heißt keine Nacht, wo Innſtetten nicht Unglaubliches erlebt hatte. Freilich immer nur ſo halb. Es konnte auch nichts ſein. Und nach dieſem Prinzip arbeitet er noch, wie ich ſehe.

Gut, gut. Und nun ein ernſtes Wort, Crampas, auf das ich mir eine ernſte Antwort erbitte: wie er¬ klären Sie ſich dies alles?

Ja, meine gnädigſte Frau

Keine Ausweichungen, Major. Dies alles iſt ſehr wichtig für mich. Er iſt Ihr Freund und ich15 *228Effi Brieſtbin Ihre Freundin. Ich will wiſſen, wie hängt dies zuſammen? Was denkt er ſich dabei?

Ja, meine gnädigſte Frau, Gott ſieht ins Herz, aber ein Major vom Landwehrbezirks-Kommando, der ſieht in gar nichts. Wie ſoll ich ſolche pſycho¬ logiſchen Rätſel löſen? Ich bin ein einfacher Mann.

Ach, Crampas, reden Sie nicht ſo thöricht. Ich bin zu jung, um eine große Menſchenkennerin zu ſein; aber ich müßte noch vor der Einſegnung und beinah 'vor der Taufe ſtehen, um Sie für einen einfachen Mann zu halten. Sie ſind das Gegen¬ teil davon, Sie ſind gefährlich

Das Schmeichelhafteſte, was einem guten Vier¬ ziger, mit einem a. D. auf der Karte, geſagt werden kann. Und nun alſo, was ſich Innſtetten dabei denkt

Effi nickte.

Ja, wenn ich durchaus ſprechen ſoll, er denkt ſich dabei, daß ein Mann, wie Landrat Baron Inn¬ ſtetten, der jeden Tag Miniſterial-Direktor oder der¬ gleichen werden kann (denn glauben Sie mir, er iſt hoch hinaus), daß ein Mann wie Baron Innſtetten nicht in einem gewöhnlichen Hauſe wohnen kann, nicht in einer ſolchen Kate, wie die landrätliche Wohnung, ich bitte um Vergebung, gnädigſte Frau, doch eigentlich iſt. Da hilft er denn nach. Ein229Effi BrieſtSpukhaus iſt nie 'was Gewöhnliches Das iſt das Eine.

Das Eine? mein Gott, haben Sie noch etwas?

Ja.

Nun denn, ich bin ganz Ohr. Aber wenn es ſein kann, laſſen Sie's 'was Gutes ſein.

Deſſen bin ich nicht ganz ſicher. Es iſt etwas Heikles, beinah Gewagtes, und ganz beſonders vor Ihren Ohren, gnädigſte Frau.

Das macht mich nur um ſo neugieriger.

Gut denn. Alſo Innſtetten, meine gnädigſte Frau, hat außer ſeinem brennenden Verlangen, es koſte was es wolle, ja, wenn es ſein muß unter Heranziehung eines Spuks, ſeine Karriere zu machen, noch eine zweite Paſſion: er operiert nämlich immer erzieheriſch, iſt der geborene Pädagog, und hätte, links Baſedow und rechts Peſtalozzi (aber doch kirch¬ licher als beide) eigentlich nach Schnepfenthal oder Bunzlau hingepaßt.

Und will er mich auch erziehen? Erziehen durch Spuk?

Erziehen iſt vielleicht nicht das richtige Wort. Aber doch erziehen auf einem Umweg.

Ich verſtehe Sie nicht.

Eine junge Frau iſt eine junge Frau, und ein230Effi BrieſtLandrat iſt ein Landrat. Er kutſchiert oft im Kreiſe umher, und dann iſt das Haus allein und unbewohnt. Aber ſolch Spuk iſt wie ein Cherub mit dem Schwert

Ah, da ſind wir wieder aus dem Walde heraus, ſagte Effi. Und da iſt Utpatel's Mühle. Wir müſſen nur noch an dem Kirchhof vorüber.

Gleich danach paſſierten ſie den Hohlweg zwiſchen dem Kirchhof und der eingegitterten Stelle, und Effi ſah nach dem Stein und der Tanne hinüber, wo der Chineſe lag.

[231]

Siebzehntes Kapitel.

Es ſchlug zwei Uhr, als man zurück war. Crampas verabſchiedete ſich und ritt in die Stadt hinein, bis er vor ſeiner am Marktplatz gelegenen Wohnung hielt. Effi ihrerſeits kleidete ſich um und verſuchte zu ſchlafen; es wollte aber nicht glücken, denn ihre Verſtimmung war noch größer als ihre Müdigkeit. Daß Innſtetten ſich ſeinen Spuk parat hielt, um ein nicht ganz gewöhnliches Haus zu be¬ wohnen, das mochte hingehen, das ſtimmte zu ſeinem Hange, ſich von der großen Menge zu unterſcheiden; aber das andere, daß er den Spuk als Erziehungs¬ mittel brauchte, das war doch arg und beinahe be¬ leidigend. Und Erziehungsmittel , darüber war ſie ſich klar, ſagte nur die kleinere Hälfte; was Crampas gemeint hatte, war viel, viel mehr, war eine Art Angſtapparat aus Kalkül. Es fehlte jede Herzens¬ güte darin und grenzte ſchon faſt an Grauſamkeit. Das Blut ſtieg ihr zu Kopf, und ſie ballte ihre232Effi Brieſtkleine Hand und wollte Pläne ſchmieden; aber mit einemmale mußte ſie wieder lachen. Ich Kindskopf! Wer bürgt mir denn dafür, daß Crampas recht hat! Crampas iſt unterhaltlich, weil er mediſant iſt, aber er iſt unzuverläſſig und ein bloßer Haſelant, der ſchließlich Innſtetten nicht das Waſſer reicht.

In dieſem Augenblick fuhr Innſtetten vor, der heute früher zurück kam, als gewöhnlich. Effi ſprang auf, um ihn ſchon im Flur zu begrüßen, und war um ſo zärtlicher, je mehr ſie das Gefühl hatte, etwas gut machen zu müſſen. Aber ganz konnte ſie das, was Crampas geſagt hatte, doch nicht verwinden, und inmitten ihrer Zärtlichkeiten, und während ſie mit anſcheinendem Intereſſe zuhörte, klang es in ihr immer wieder: alſo Spuk aus Berechnung, Spuk, um dich in Ordnung zu halten.

Zuletzt indeſſen vergaß ſie's und ließ ſich un¬ befangen von ihm erzählen.

Inzwiſchen war Mitte November herangekommen, und der bis zum Sturm ſich ſteigernde Nordweſter ſtand anderthalb Tag lang ſo hart auf die Molen, daß die mehr und mehr zurückgeſtaute Keſſine das Bollwerk überſtieg und in die Straßen trat. Aber nachdem ſich's ausgetobt, legte ſich das Unwetter,233Effi Brieſtund es kamen noch ein paar ſonnige Spätherbſttage. Wer weiß, wie lange ſie dauern, ſagte Effi zu Crampas, und ſo beſchloß man, am nächſten Vor¬ mittage noch einmal auszureiten; auch Innſtetten, der einen freien Tag hatte, wollte mit. Es ſollte zunächſt wieder bis an die Mole gehen; da wollte man dann abſteigen, ein wenig am Strande prome¬ nieren und ſchließlich im Schutze der Dünen, wo's windſtill war, ein Frühſtück nehmen.

Um die feſtgeſetzte Stunde ritt Crampas vor dem landrätlichen Hauſe vor; Kruſe hielt ſchon das Pferd der gnädigen Frau, die ſich raſch in den Sattel hob und noch im Aufſteigen Innſtetten entſchuldigte, der nun doch verhindert ſei: letzte Nacht wieder großes Feuer in Morgenitz das dritte ſeit drei Wochen, alſo angelegt da habe er hingemußt, ſehr zu ſeinem Leidweſen, denn er habe ſich auf dieſen Ausritt, der wohl der letzte in dieſem Herbſte ſein werde, wirklich gefreut.

Crampas ſprach ſein Bedauern aus, vielleicht nur um 'was zu ſagen, vielleicht aber auch aufrichtig, denn ſo rückſichtslos er im Punkte chevaleresker Liebesabenteuer war, ſo ſehr war er auch wieder guter Kamerad. Natürlich, alles ganz oberflächlich. Einem Freunde helfen und fünf Minuten ſpäter ihn betrügen, waren Dinge, die ſich mit ſeinem Ehrbegriffe234Effi Brieſtſehr wohl vertrugen. Er that das eine und das andere mit unglaublicher Bonhommie.

Der Ritt ging wie gewöhnlich durch die Plan¬ tage hin. Rollo war wieder vorauf, dann kamen Crampas und Effi, dann Kruſe. Knut fehlte.

Wo haben Sie Knut gelaſſen?

Er hat einen Ziegenpeter.

Merkwürdig, lachte Effi. Eigentlich ſah er ſchon immer ſo aus.

Sehr richtig. Aber Sie ſollten ihn jetzt ſehen! Oder doch lieber nicht. Denn Ziegenpeter iſt an¬ ſteckend, ſchon bloß durch Anblick.

Glaub 'ich nicht.

Junge Frauen glauben vieles nicht.

Und dann glauben ſie wieder vieles, was ſie beſſer nicht glaubten.

An meine Adreſſe?

Nein.

Schade.

Wie dies Schade Sie kleidet. Ich glaube wirk¬ lich, Major, Sie hielten es für ganz in der Ordnung, wenn ich Ihnen eine Liebeserklärung machte.

So weit will ich nicht gehen. Aber ich möchte den ſehen, der ſich dergleichen nicht wünſchte. Ge¬ danken und Wünſche ſind zollfrei.

Das fragt ſich. Und dann iſt doch immer235Effi Brieſtnoch ein Unterſchied zwiſchen Gedanken und Wünſchen. Gedanken ſind in der Regel etwas, das noch im Hintergrunde liegt, Wünſche aber liegen meiſt ſchon auf der Lippe.

Nur nicht gerade dieſen Vergleich!

Ach, Crampas, Sie ſind Sie ſind

Ein Narr.

Nein. Auch darin übertreiben Sie wieder. Aber Sie ſind etwas anderes. In Hohen-Cremmen ſagten wir immer, und ich mit, das Eitelſte, was es gäbe, das ſei ein Huſarenfähnrich von achtzehn

Und jetzt?

Und jetzt ſag 'ich, das Eitelſte, was es giebt, iſt ein Landwehr-Bezirksmajor von zweiundvierzig.

Wobei die zwei Jahre, die Sie mir gnädigſt erlaſſen, alles wieder gut machen, küſſ 'die Hand.

Ja, küſſ 'die Hand. Das iſt ſo recht das Wort, das für Sie paßt. Das iſt wieneriſch. Und die Wiener, die hab' ich kennen gelernt, in Karlsbad, vor vier Jahren, wo ſie mir vierzehnjährigem Dinge den Hof machten. Was ich da alles gehört habe!

Gewiß nicht mehr als recht war.

Wenn das zuträfe, wäre das, was mir ſchmeicheln ſoll, ziemlich ungezogen Aber ſehen Sie da die Bojen, wie die ſchwimmen und tanzen. Die kleinen236Effi Brieſtroten Fahnen ſind eingezogen. Immer, wenn ich dieſen Sommer, die paarmal wo ich mich bis an den Strand hinauswagte, die roten Fahnen ſah, ſagt 'ich mir: da liegt Vineta, da muß es liegen, das ſind die Turmſpitzen

Das macht, weil Sie das Heine'ſche Gedicht kennen.

Welches?

Nun, das von Vineta.

Nein, das kenne ich nicht; ich kenne überhaupt nur wenig. Leider.

Und haben doch Gieshübler und den Journal¬ zirkel! Übrigens hat Heine dem Gedicht einen anderen Namen gegeben, ich glaube Seegeſpenſt oder ſo ähnlich. Aber Vineta hat er gemeint. Und er ſelber verzeihen Sie, wenn ich Ihnen ſo ohne weiteres den Inhalt hier wiedergebe der Dichter alſo, während er die Stelle paſſiert, liegt auf einem Schiffsdeck und ſieht hinunter, und ſieht da ſchmale, mittelalter¬ liche Straßen und trippelnde Frauen in Kapothüten, und alle haben ein Geſangbuch in Händen und wollen zur Kirche, und alle Glocken läuten. Und als er das hört, da faßt ihn eine Sehnſucht, auch mit in die Kirche zu gehen, wenn auch bloß um der Kapothüte willen, und vor Verlangen ſchreit er auf und will ſich hinunterſtürzen. Aber im ſelben Augen¬237Effi Brieſtblicke packt ihn der Kapitän am Bein und ruft ihm zu: Doktor, ſind Sie des Teufels?

Das iſt ja allerliebſt. Das möcht 'ich leſen. Iſt es lang.

Nein, es iſt eigentlich kurz, etwas länger als, Du haſt Diamanten und Perlen‘ oder, Deine weichen Lilienfinger‘ und er berührte leiſe ihre Hand. Aber lang oder kurz, welche Schilderungskraft, welche Anſchaulichkeit! Er iſt mein Lieblingsdichter, und ich kann ihn auswendig, ſo wenig ich mir ſonſt, trotz gelegentlich eigener Verſündigungen, aus der Dichterei mache. Bei Heine liegt es aber anders: Alles iſt Leben, und vor allem verſteht er ſich auf die Liebe, die doch die Hauptſache bleibt. Er iſt übrigens nicht einſeitig darin

Wie meinen Sie das?

Ich meine, er iſt nicht bloß für die Liebe

Nun, wenn er dieſe Einſeitigkeit auch hätte, das wäre am Ende noch nicht das ſchlimmſte. Wofür iſt er denn ſonſt noch?

Er iſt auch ſehr für das Romantiſche, was freilich gleich nach der Liebe kommt und nach Meinung einiger ſogar damit zuſammenfällt. Was ich aber nicht glaube. Denn in ſeinen ſpäteren Gedichten, die man denn auch die romantiſchen genannt hat, oder eigentlich hat er es ſelber gethan, in dieſen romantiſchen238Effi BrieſtDichtungen wird in einem fort hingerichtet, allerdings vielfach aus Liebe. Aber doch meiſt aus anderen gröberen Motiven, wohin ich in erſter Reihe die Politik, die faſt immer gröblich iſt, rechne. Karl Stuart zum Beiſpiel trägt in einer dieſer Romanzen ſeinen Kopf unterm Arm, und noch fataler iſt die Geſchichte vom Vitzliputzli

Von wem?

Vom Vitzliputzli. Vitzliputzli iſt nämlich ein mexikaniſcher Gott, und als die Mexikaner zwanzig oder dreißig Spanier gefangen genommen hatten, mußten dieſe zwanzig oder dreißig dem Vitzliputzli geopfert werden. Das war da nicht anders, Landesſitte, Kultus, und ging auch alles im Handumdrehen, Bauch auf, Herz 'raus

Nein, Crampas, ſo dürfen Sie nicht weiter ſprechen. Das iſt indecent und degoutant zugleich. Und das alles ſo ziemlich in demſelben Augenblicke, wo wir frühſtücken wollen.

Ich für meine Perſon ſehe mich dadurch un¬ beeinflußt und ſtelle meinen Appetit überhaupt nur in Abhängigkeit vom Menu.

Während dieſer Worte waren ſie, ganz wie's das Programm wollte, vom Strand her bis an eine ſchon halb im Schutze der Dünen aufgeſchlagene Bank, mit einem äußerſt primitiven Tiſch davor, ge¬239Effi Brieſtkommen, zwei Pfoſten mit einem Brett darüber. Kruſe, der vorauf geritten, hatte hier bereits ſerviert; Theebrötchen und Aufſchnitt von kaltem Braten, dazu Rotwein und neben der Flaſche zwei hübſche zierliche Trinkgläſer, klein und mit Goldrand, wie man ſie in Badeörtern kauft oder von Glashütten als Erinnerung mitbringt.

Und nun ſtieg man ab. Kruſe, der die Zügel ſeines eigenen Pferdes um eine Krüppelkiefer ge¬ ſchlungen hatte, ging mit den beiden anderen Pferden auf und ab, während ſich Crampas und Effi, die durch eine ſchmale Dünenöffnung einen freien Blick auf Strand und Mole hatten, vor dem gedeckten Tiſche niederließen.

Über das von den Sturmtagen her noch be¬ wegte Meer goß die ſchon halb winterliche November¬ ſonne ihr fahles Licht aus, und die Brandung ging hoch. Dann und wann kam ein Windzug und trieb den Schaum bis dicht an ſie heran. Strandhafer ſtand umher, und das helle Gelb der Immortellen hob ſich, trotz der Farbenverwandtſchaft, von dem gelben Sande, darauf ſie wuchſen, ſcharf ab. Effi machte die Wirtin. Es thut mir leid, Major, Ihnen dieſe Brötchen in einem Korbdeckel präſen¬ tieren zu müſſen

Ein Korbdeckel iſt kein Korb

240Effi Brieſt

Indeſſen Kruſe hat es ſo gewollt. Und da biſt Du ja auch, Rollo. Auf Dich iſt unſer Vorrat aber nicht eingerichtet. Was machen wir mit Rollo?

Ich denke, wir geben ihm alles; ich meiner¬ ſeits ſchon aus Dankbarkeit. Denn ſehen Sie, teuerſte Effi

Effi ſah ihn an.

Denn ſehen Sie, gnädigſte Frau, Rollo erinnert mich wieder an das, was ich Ihnen noch als Fortſetzung oder Seitenſtück zum Vitzliputzli er¬ zählen wollte, nur viel pikanter, weil Liebes¬ geſchichte. Haben Sie 'mal von einem gewiſſen Pedro dem Grauſamen gehört?

So dunkel.

Eine Art Blaubartskönig.

Das iſt gut. Von ſo einem hört man immer am liebſten, und ich weiß noch, daß wir von meiner Freundin Hulda Niemeyer, deren Namen Sie ja kennen, immer behaupteten: ſie wiſſe nichts von Ge¬ ſchichte, mit Ausnahme der ſechs Frauen von Hein¬ rich dem Achten, dieſem engliſchen Blaubart, wenn das Wort für ihn reicht. Und wirklich, dieſe ſechs kannte ſie auswendig. Und dabei hätten Sie hören ſollen, wie ſie die Namen ausſprach, namentlich den von der Mutter der Eliſabeth, ſo ſchrecklich ver¬241Effi Brieſtlegen, als wäre ſie nun an der Reihe Aber nun bitte, die Geſchichte von Don Pedro

Nun alſo, an Don Pedro's Hofe war ein ſchöner, ſchwarzer ſpaniſcher Ritter, der das Kreuz von Kalatrava was ungefähr ſo viel bedeutet, wie ſchwarzer Adler und pour le mérite zuſammen genommen auf ſeiner Bruſt trug. Dies Kreuz gehörte mit dazu, das mußten ſie immer tragen, und dieſer Kalatrava-Ritter, den die Königin natürlich heimlich liebte

Warum natürlich?

Weil wir in Spanien ſind.

Ach ſo.

Und dieſer Kalatrava-Ritter, ſag 'ich, hatte einen wunderſchönen Hund, einen Neufundländer, wiewohl es die noch gar nicht gab, denn es war grade hundert Jahre vor der Entdeckung von Amerika. Einen wunderſchönen Hund alſo, ſagen wir wie Rollo

Rollo ſchlug an, als er ſeinen Namen hörte, und wedelte mit dem Schweif.

Das ging ſo manchen Tag. Aber das mit der heimlichen Liebe, die wohl nicht ganz heimlich blieb, das wurde dem Könige doch zu viel, und weil er den ſchönen Kalatrava-Ritter überhaupt nicht recht leiden mochte, denn er war nicht bloß grau¬Th. Fontane, Effi Brieſt. 16242Effi Brieſtſam, er war auch ein Neidhammel, oder wenn das Wort für einen König und noch mehr für meine liebenswürdige Zuhörerin, Frau Effi, nicht recht paſſen ſollte, wenigſtens ein Neidling ſo beſchloß er, den Kalatrava-Ritter für die heimliche Liebe heimlich hinrichten zu laſſen.

Kann ich ihm nicht verdenken.

Ich weiß doch nicht, meine Gnädigſte. Hören Sie nur weiter. Etwas geht ſchon, aber es war zu viel, der König, find 'ich, ging um ein Erkleckliches zu weit. Er heuchelte nämlich, daß er dem Ritter wegen ſeiner Kriegs - und Heldenthaten ein Feſt ver¬ anſtalten wolle, und da gab es denn eine lange, lange Tafel, und alle Granden des Reichs ſaßen an dieſer Tafel, und in der Mitte ſaß der König, und ihm gegenüber war der Platz für den, dem dies alles galt, alſo für den Kalatrava-Ritter, für den an dieſem Tage zu Feiernden. Und weil Der, trotz¬ dem man ſchon eine ganze Weile ſeiner gewartet hatte, noch immer nicht kommen wollte, ſo mußte ſchließlich die Feſtlichkeit ohne ihn begonnen werden, und es blieb ein leerer Platz ein leerer Platz gerade gegenüber dem König.

Und nun?

Und nun denken Sie, meine gnädigſte Frau, wie der König, dieſer Pedro, ſich eben erheben will,243Effi Brieſtum gleißneriſch ſein Bedauern auszuſprechen, daß ſein lieber Gaſt‘ noch immer fehle, da hört man auf der Treppe draußen einen Aufſchrei der entſetzten Dienerſchaften, und ehe noch irgend wer weiß, was geſchehen iſt, jagt etwas an der langen Feſtestafel entlang, und nun ſpringt es auf den Stuhl und ſetzt ein abgeſchlagenes Haupt auf den leergebliebenen Platz, und über eben dieſes Haupt hinweg ſtarrt Rollo auf ſein Gegenüber, den König. Rollo hatte ſeinen Herrn auf ſeinem letzten Gange begleitet und im ſelben Augenblicke, wo das Beil fiel, hatte das treue Tier das fallende Haupt gepackt, und da war er nun, unſer Freund Rollo, an der langen Feſtes¬ tafel und verklagte den königlichen Mörder.

Effi war ganz ſtill geworden. Endlich ſagte ſie: Crampas, das iſt in ſeiner Art ſehr ſchön, und weil es ſehr ſchön iſt, will ich es Ihnen verzeihen. Aber Sie könnten doch Beſſ'res und zugleich mir Lieberes thun, wenn Sie mir andere Geſchichten er¬ zählten. Auch von Heine. Heine wird doch nicht bloß von Vitzliputzli und Don Pedro und Ihrem Rollo denn meiner hätte ſo 'was nicht gethan gedichtet haben. Komm, Rollo! Armes Tier, ich kann dich gar nicht mehr anſehen, ohne an den Kalatrava-Ritter zu denken, den die Königin heim¬ lich liebte Rufen Sie, bitte, Kruſe, daß er die16 *244Effi BrieſtSachen hier wieder in die Halfter ſteckt, und wenn wir zurückreiten, müſſen Sie mir 'was anderes er¬ zählen, ganz' was anderes.

Kruſe kam. Als er aber die Gläſer nehmen wollte, ſagte Crampas: Kruſe, das eine Glas, das da, das laſſen Sie ſtehen. Das werde ich ſelber nehmen.

Zu Befehl, Herr Major.

Effi, die dies mit angehört hatte, ſchüttelte den Kopf. Dann lachte ſie. Crampas, was fällt Ihnen nur eigentlich ein? Kruſe iſt dumm genug, über die Sache nicht weiter nachzudenken, und wenn er darüber nachdenkt, ſo findet er glücklicherweiſe nichts. Aber das berechtigt Sie doch nicht, dies Glas dies Dreißigpfennig-Glas aus der Joſefinenhütte

Daß Sie ſo ſpöttiſch den Preis nennen, läßt mich ſeinen Wert um ſo tiefer empfinden.

Immer derſelbe. Sie haben ſo viel von einem Humoriſten, aber doch von ganz ſonderbarer Art. Wenn ich Sie recht verſtehe, ſo haben Sie vor es iſt zum Lachen, und ich geniere mich faſt, es aus¬ zuſprechen ſo haben Sie vor, ſich vor der Zeit auf den König von Thule hin auszuſpielen.

Er nickte mit einem Anfluge von Schelmerei.

Nun denn, meinetwegen. Jeder trägt ſeine Kappe; Sie wiſſen, welche. Nur das muß ich Ihnen245Effi Brieſtdoch ſagen dürfen, die Rolle, die Sie mir dabei zu¬ diktieren, iſt mir zu wenig ſchmeichelhaft. Ich mag nicht als Reimwort auf Ihren König von Thule herumlaufen. Behalten Sie das Glas, aber bitte, ziehen Sie nicht Schlüſſe daraus, die mich kompro¬ mittieren. Ich werde Innſtetten davon erzählen.

Das werden Sie nicht thun, meine gnädigſte Frau.

Warum nicht?

Innſtetten iſt nicht der Mann, ſolche Dinge ſo zu ſehen, wie ſie geſehen ſein wollen.

Sie ſah ihn einen Augenblick ſcharf an. Dann aber ſchlug ſie verwirrt und faſt verlegen die Augen nieder.

[246]

Achtzehntes Kapitel.

Effi war unzufrieden mit ſich und freute ſich, daß es nunmehr feſtſtand, dieſe gemeinſchaftlichen Ausflüge für die ganze Winterdauer auf ſich be¬ ruhen zu laſſen. Überlegte ſie, was während all' dieſer Wochen und Tage geſprochen, berührt und angedeutet war, ſo fand ſie nichts, um deſſentwillen ſie ſich direkte Vorwürfe zu machen gehabt hätte. Crampas war ein kluger Mann, welterfahren, humo¬ riſtiſch, frei, frei auch im guten, und es wäre klein¬ lich und kümmerlich geweſen, wenn ſie ſich ihm gegenüber aufgeſteift und jeden Augenblick die Regeln ſtrengen Anſtandes befolgt hätte. Nein, ſie konnte ſich nicht tadeln, auf ſeinen Ton eingegangen zu ſein, und doch hatte ſie ganz leiſe das Gefühl einer überſtandenen Gefahr und beglückwünſchte ſich, daß das alles nun mutmaßlich hinter ihr läge. Denn an ein häufigeres Sichſehen en famille war nicht wohl zu denken, das war durch die Crampas'ſchen247Effi BrieſtHauszuſtände ſo gut wie ausgeſchloſſen, und Be¬ gegnungen bei den benachbarten adligen Familien, die freilich für den Winter in Sicht ſtanden, konnten immer nur ſehr vereinzelt und ſehr flüchtige ſein. Effi rechnete ſich dies alles mit wachſender Be¬ friedigung heraus und fand ſchließlich, daß ihr der Verzicht auf das, was ſie dem Verkehr mit dem Major verdankte, nicht allzu ſchwer ankommen würde. Dazu kam noch, daß Innſtetten ihr mitteilte, ſeine Fahrten nach Varzin würden in dieſem Jahre fort¬ fallen: der Fürſt gehe nach Friedrichsruh, das ihm immer lieber zu werden ſcheine; nach der einen Seite hin bedauere er das, nach der anderen ſei es ihm lieb er könne ſich nun ganz ſeinem Hauſe widmen, und wenn es ihr recht wäre, ſo wollten ſie die italieniſche Reiſe, an der Hand ſeiner Aufzeichnungen, noch einmal durchmachen. Eine ſolche Rekapitulation ſei eigentlich die Hauptſache, dadurch mache man ſich alles erſt dauernd zu eigen, und ſelbſt Dinge, die man nur flüchtig geſehen und von denen man kaum wiſſe, daß man ſie in ſeiner Seele beherberge, kämen einem durch ſolche nachträglichen Studien erſt voll zu Bewußtſein und Beſitz. Er führte das noch weiter aus und fügte hinzu, daß ihn Gieshübler, der den ganzen italieniſchen Stiefel bis Palermo kenne, gebeten habe, mit dabei ſein zu dürfen. Effi,248Effi Brieſtder ein ganz gewöhnlicher Plauderabend ohne den italieniſchen Stiefel (es ſollten ſogar Photographien herumgereicht werden) viel, viel lieber geweſen wäre, antwortete mit einer gewiſſen Gezwungenheit; Inn¬ ſtetten indeſſen, ganz erfüllt von ſeinem Plane, merkte nichts und fuhr fort: Natürlich iſt nicht bloß Gies¬ hübler zugegen, auch Roswitha und Annie müſſen dabei ſein, und wenn ich mir dann denke, daß wir den Canal grande hinauf fahren und hören dabei ganz in der Ferne die Gondoliere ſingen, während drei Schritte von uns Roswitha ſich über Annie beugt und Buhküken von Halberſtadt oder ſo 'was Ähnliches zum beſten giebt, ſo können das ſchöne Winterabende werden, und Du ſitzeſt dabei und ſtrickſt mir eine große Winterkappe. Was meinſt Du dazu, Effi?

Solche Abende wurden nicht bloß geplant, ſie nahmen auch ihren Anfang, und ſie würden ſich, aller Wahrſcheinlichkeit nach, über viele Wochen hin ausgedehnt haben, wenn nicht der unſchuldige harm¬ loſe Gieshübler, trotz größter Abgeneigtheit gegen zweideutiges Handeln, dennoch im Dienſte zweier Herren geſtanden hätte. Der eine, dem er diente, war Innſtetten, der andere war Crampas, und wenn er der Innſtetten'ſchen Aufforderung zu den italieni¬ ſchen Abenden, ſchon um Effi's willen, auch mit auf¬249Effi Brieſtrichtigſter Freude Folge leiſtete, ſo war die Freude, mit der er Crampas gehorchte, doch noch eine größere. Nach einem Crampas'ſchen Plane nämlich ſollte noch vor Weihnachten Ein Schritt vom Wege auf¬ geführt werden, und als man vor dem dritten italieniſchen Abend ſtand, nahm Gieshübler die Ge¬ legenheit wahr, mit Effi, die die Rolle der Ella ſpielen ſollte, darüber zu ſprechen.

Effi war wie elektriſiert; was wollten Padua, Vicenza daneben bedeuten! Effi war nicht für Auf¬ gewärmtheiten; Friſches war es, wonach ſie ſich ſehnte, Wechſel der Dinge. Aber als ob eine Stimme ihr zugerufen hätte: ſieh 'Dich vor! ſo fragte ſie doch, inmitten ihrer freudigen Erregung: Iſt es der Major, der den Plan aufgebracht hat?

Ja. Sie wiſſen, gnädigſte Frau, daß er ein¬ ſtimmig in das Vergnügungskomitee gewählt wurde. Wir dürfen uns endlich einen hübſchen Winter in der Reſſource verſprechen. Er iſt ja wie geſchaffen dazu.

Und wird er auch mitſpielen?

Nein, das hat er abgelehnt. Ich muß ſagen, leider. Denn er kann ja alles und würde den Arthur von Schmettwitz ganz vorzüglich geben. Er hat nur die Regie übernommen.

Deſto ſchlimmer.

250Effi Brieſt

Deſto ſchlimmer? wiederholte Gieshübler.

O, Sie dürfen das nicht ſo feierlich nehmen; das iſt nur ſo eine Redensart, die eigentlich das Gegenteil bedeutet. Auf der anderen Seite freilich, der Major hat ſo 'was Gewaltſames, er nimmt einem die Dinge gern über den Kopf fort. Und man muß dann ſpielen, wie er will, und nicht, wie man ſelber will.

Sie ſprach noch ſo weiter und verwickelte ſich immer mehr in Widerſprüche.

***

Der Schritt vom Wege kam wirklich zu ſtande, und gerade weil man nur noch gute vierzehn Tage hatte (die letzte Woche vor Weihnachten war aus¬ geſchloſſen), ſo ſtrengte ſich alles an, und es ging vorzüglich; dir Mitſpielenden, vor allem Effi, ernteten reichen Beifall. Crampas hatte ſich wirklich mit der Regie begnügt, und ſo ſtreng er gegen alle anderen war, ſo wenig hatte er auf den Proben in Effi's Spiel hineingeredet. Entweder waren ihm von ſeiten Gieshübler's Mitteilungen über das mit Effi gehabte Geſpräch gemacht worden, oder er hatte es auch aus ſich ſelber bemerkt, daß Effi befliſſen war, ſich von ihm zurückzuziehen. Und er war klug und Frauenkenner genug, um den natürlichen Entwicklungs¬ gang, den er nach ſeinen Erfahrungen nur zu gut kannte, nicht zu ſtören.

251Effi Brieſt

Am Theaterabend in der Reſſource trennte man ſich ſpät, und Mitternacht war vorüber, als Inn¬ ſtetten und Effi wieder zu Hauſe bei ſich eintrafen. Johanna war noch auf, um behülflich zu ſein, und Innſtetten, der auf ſeine junge Frau nicht wenig eitel war, erzählte Johanna, wie reizend die gnädige Frau ausgeſehen und wie gut ſie geſpielt habe. Schade, daß er nicht vorher daran gedacht, Kriſtel und ſie ſelber und auch die alte Unke, die Kruſe, hätten von der Muſikgalerie her ſehr gut zuſehen können; es ſeien viele da geweſen. Dann ging Johanna, und Effi, die müde war, legte ſich nieder. Innſtetten aber, der noch plaudern wollte, ſchob einen Stuhl heran und ſetzte ſich an das Bett ſeiner Frau, dieſe freundlich anſehend und ihre Hand in der ſeinen haltend.

Ja, Effi, das war ein hübſcher Abend. Ich habe mich amüſiert über das hübſche Stück. Und denke Dir, der Dichter iſt ein Kammergerichtsrat, eigentlich kaum zu glauben. Und noch dazu aus Königsberg. Aber worüber ich mich am meiſten ge¬ freut, das war doch meine entzückende kleine Frau, die allen die Köpfe verdreht hat.

Ach, Geert, ſprich nicht ſo. Ich bin ſchon gerade eitel genug.

Eitel genug, das wird wohl richtig ſein. Aber252Effi Brieſtdoch lange nicht ſo eitel wie die anderen. Und das iſt zu Deinen ſieben Schönheiten

Sieben Schönheiten haben alle.

Ich habe mich auch bloß verſprochen; Du kannſt die Zahl gut mit ſich ſelbſt multipli¬ zieren.

Wie galant Du biſt, Geert. Wenn ich Dich nicht kennte, könnt 'ich mich fürchten. Oder lauert wirklich' was dahinter?

Haſt Du ein ſchlechtes Gewiſſen? Selber hinter der Thür geſtanden?

Ach, Geert, ich ängſtige mich wirklich. Und ſie richtete ſich im Bett in die Höh 'und ſah ihn ſtarr an. Soll ich noch nach Johanna klingeln, daß ſie uns Thee bringt? Du haſt es ſo gern vor dem Schlafengehen.

Er küßte ihr die Hand. Nein, Effi. Nach Mitternacht kann auch der Kaiſer keine Taſſe Thee mehr verlangen, und Du weißt, ich mag die Leute nicht mehr in Anſpruch nehmen, als nötig. Nein, ich will nichts als Dich anſehen und mich freuen, daß ich Dich habe. So manchmal empfindet man's doch ſtärker, welchen Schatz man hat. Du könnteſt ja auch ſo ſein wie die arme Frau Crampas; das iſt eine ſchreckliche Frau, gegen keinen freundlich, und Dich hätte ſie vom Erdboden vertilgen mögen.

253Effi Brieſt

Ach, ich bitte Dich, Geert, das bildeſt Du Dir wieder ein. Die arme Frau! Mir iſt nichts auf¬ gefallen.

Weil Du für derlei keine Augen haſt. Aber es war ſo wie ich Dir ſage, und der arme Crampas war wie befangen dadurch und mied Dich immer und ſah Dich kaum an. Was doch ganz unnatürlich iſt; denn erſtens iſt er überhaupt ein Damenmann, und nun gar Damen wie Du, das iſt ſeine beſondere Paſſion. Und ich wette auch, daß es keiner beſſer weiß, als meine kleine Frau ſelber. Wenn ich daran denke, wie, Pardon, das Geſchnatter hin und her ging, wenn er morgens in die Veranda kam oder wenn wir am Strande ritten oder auf der Mole ſpazieren gingen. Es iſt, wie ich Dir ſage, er traute ſich heute nicht, er fürchtete ſich vor ſeiner Frau. Und ich kann es ihm nicht verdenken. Die Majorin iſt ſo etwas wie unſere Frau Kruſe, und wenn ich zwiſchen beiden wählen müßte, ich wüßte nicht wen.

Ich wüßt 'es ſchon; es iſt doch ein Unterſchied zwiſchen den beiden. Die arme Majorin iſt un¬ glücklich, die Kruſe iſt unheimlich.

Und da biſt Du doch mehr für das Unglück¬ liche?

Ganz entſchieden.

Nun höre, das iſt Geſchmackſache. Man merkt,254Effi Brieſtdaß Du noch nicht unglücklich warſt. Übrigens hat Crampas ein Talent, die arme Frau zu eskamo¬ tieren. Er erfindet immer etwas, ſie zu Hauſe zu laſſen.

Aber heute war ſie doch da.

Ja, heute. Da ging es nicht anders. Aber ich habe mit ihm eine Partie zu Oberförſter Ring verabredet, er, Gieshübler und der Paſtor, auf den dritten Feiertag, und da hätteſt Du ſehen ſollen, mit welcher Geſchicklichkeit er bewies, daß ſie, die Frau, zu Hauſe bleiben müſſe.

Sind es denn nur Herren?

O bewahre. Da würd 'ich mich auch bedanken. Du biſt mit dabei und noch zwei, drei andere Damen, die von den Gütern ungerechnet.

Aber dann iſt es doch auch häßlich von ihm, ich meine von Crampas, und ſo 'was beſtraft ſich immer.

Ja, 'mal kommt es. Aber ich glaube, unſer Freund hält zu denen, die ſich über das, was kommt, keine grauen Haare wachſen laſſen.

Hältſt Du ihn für ſchlecht?

Nein, für ſchlecht nicht. Beinah 'im Gegen¬ teil, jedenfalls hat er gute Seiten. Aber er iſt ſo'n halber Pole, kein rechter Verlaß, eigentlich in nichts, am wenigſten mit Frauen. Eine Spielernatur. Er255Effi Brieſtſpielt nicht am Spieltiſch, aber er hazardiert im Leben in einem fort, und man muß ihm auf die Finger ſehen.

Es iſt mir doch lieb, daß Du mir das ſagſt. Ich werde mich vorſehen mit ihm.

Das thu '. Aber nicht zu ſehr; dann hilft es nichts. Unbefangenheit iſt immer das beſte, und natürlich das allerbeſte iſt Charakter und Feſtigkeit und, wenn ich ſolch' ſteifleinenes Wort brauchen darf, eine reine Seele.

Sie ſah ihn groß an. Dann ſagte ſie: Ja, gewiß. Aber nun ſprich nicht mehr, und noch dazu lauter Dinge, die mich nicht recht froh machen können. Weißt Du, mir iſt, als hörte ich oben das Tanzen. Sonderbar, daß es immer wieder kommt. Ich dachte, Du hätteſt mit dem allen nur ſo geſpaßt.

Das will ich doch nicht ſagen, Effi. Aber ſo oder ſo, man muß nur in Ordnung ſein und ſich nicht zu fürchten brauchen.

Effi nickte und dachte mit einemmale wieder an die Worte, die ihr Crampas über ihren Mann als Erzieher geſagt hatte.

Der heilige Abend kam und verging ähnlich wie das Jahr vorher; aus Hohen-Cremmen kamen256Effi BrieſtGeſchenke und Briefe; Gieshübler war wieder mit einem Huldigungsvers zur Stelle, und Vetter Brieſt ſandte eine Karte: Schneelandſchaft mit Telegraphen¬ ſtangen, auf deren Draht geduckt ein Vögelchen ſaß. Auch für Annie war aufgebaut: ein Baum mit Lichtern, und das Kind griff mit ſeinen Händchen danach. Innſtetten, unbefangen und heiter, ſchien ſich ſeines häuslichen Glücks zu freuen und beſchäftigte ſich viel mit dem Kinde. Roswitha war erſtaunt, den gnädigen Herrn ſo zärtlich und zugleich ſo auf¬ geräumt zu ſehen. Auch Effi ſprach viel und lachte viel, es kam ihr aber nicht aus innerſter Seele. Sie fühlte ſich bedrückt und wußte nur nicht, wen ſie dafür verantwortlich machen ſollte, Innſtetten oder ſich ſelber. Von Crampas war kein Weihnachtsgruß eingetroffen; eigentlich war es ihr lieb, aber auch wieder nicht, ſeine Huldigungen erfüllten ſie mit einem gewiſſen Bangen, und ſeine Gleichgültigkeiten verſtimmten ſie; ſie ſah ein, es war nicht alles ſo, wie's ſein ſollte.

Du biſt ſo unruhig, ſagte Innſtetten nach einer Weile.

Ja. Alle Welt hat es ſo gut mit mir gemeint, am meiſten Du; das bedrückt mich, weil ich fühle, daß ich es nicht verdiene.

Damit darf man ſich nicht quälen, Effi. Zuletzt257Effi Brieſtiſt es doch ſo: was man empfängt, das hat man auch verdient.

Effi hörte ſcharf hin, und ihr ſchlechtes Gewiſſen ließ ſie ſich ſelber fragen, ob er das abſichtlich in ſo zweideutiger Form geſagt habe.

Spät gegen Abend kam Paſtor Lindequiſt, um zu gratulieren und noch wegen der Partie nach der Oberförſterrei Uvagla hin anzufragen, die natürlich eine Schlittenpartie werden müſſe. Crampas habe ihm einen Platz in ſeinem Schlitten angeboten, aber weder der Major noch ſein Burſche, der wie alles, auch das Kutſchieren übernehmen ſolle, kenne den Weg, und ſo würde es ſich vielleicht empfehlen, die Fahrt gemeinſchaftlich zu machen, wobei dann der landrätliche Schlitten die Tête zu nehmen und der Crampas'ſche zu folgen hätte. Wahrſcheinlich auch der Gieshübler'ſche. Denn mit der Wegkenntnis Mirambo's, dem ſich unerklärlicherweiſe Freund Alonzo, der doch ſonſt ſo vorſichtig, anvertrauen wolle, ſtehe es wahrſcheinlich noch ſchlechter als mit der des ſommerſproſſigen Treptower Ulanen. Inn¬ ſtetten, den dieſe kleinen Verlegenheiten erheiterten, war mit Lindequiſt's Vorſchlage durchaus einverſtanden und ordnete die Sache dahin, daß er pünktlich um zwei Uhr über den Marktplatz fahren und ohne alles Säumen die Führung des Zuges in die Hand nehmen werde.

Th. Fontane, Effi Brieſt. 17258Effi Brieſt

Nach dieſem Übereinkommen wurde denn auch verfahren, und als Innſtetten punkt zwei Uhr den Marktplatz paſſierte, grüßte Crampas zunächſt von ſeinem Schlitten aus zu Effi hinüber und ſchloß ſich dann dem Innſtetten'ſchen an. Der Paſtor ſaß neben ihm. Gieshübler's Schlitten, mit Gieshübler ſelbſt und Doktor Hannemann, folgte, jener in einem elegan¬ ten Büffelrock mit Marderbeſatz, dieſer in einem Bären¬ pelz, dem man anſah, daß er wenigſtens dreißig Dienſtjahre zählte. Hannemann war nämlich in ſeiner Jugend Schiffschirurgus auf einem Grönlandfahrer geweſen. Mirambo ſaß vorn, etwas aufgeregt wegen Unkenntnis im Kutſchieren, ganz wie Lindequiſt ver¬ mutet hatte.

Schon nach zwei Minuten war man an Utpatel's Mühle vorbei.

Zwiſchen Keſſin und Uvagla (wo, der Sage nach, ein Wendentempel geſtanden) lag ein nur etwa tauſend Schritt breiter, aber wohl anderthalb Meilen langer Waldſtreifen, der an ſeiner rechten Längsſeite das Meer, an ſeiner linken, bis weit an den Horizont hin, ein großes, überaus fruchtbares und gut an¬ gebautes Stück Land hatte. Hier, an der Binnen¬ ſeite, flogen jetzt die drei Schlitten hin, in einiger Entfernung ein paar alte Kutſchwagen vor ſich, in denen, aller Wahrſcheinlichkeit nach, andere nach der259Effi BrieſtOberförſterei hin eingeladene Gäſte ſaßen. Einer dieſer Wagen war an ſeinen altmodiſch hohen Rädern deutlich zu erkennen, es war der Papenhagen'ſche. Natürlich. Güldenklee galt als der beſte Redner des Kreiſes (noch beſſer als Borcke, ja ſelbſt beſſer als Graſenabb) und durfte bei Feſtlichkeiten nicht leicht fehlen.

Die Fahrt ging raſch auch die herrſchaft¬ lichen Kutſcher ſtrengten ſich an und wollten ſich nicht überholen laſſen ſo daß man ſchon um drei vor der Oberförſterei hielt. Ring, ein ſtatt¬ licher, militäriſch dreinſchauender Herr von Mitte fünfzig, der den erſten Feldzug in Schleswig noch unter Wrangel und Bonin mitgemacht und ſich bei Erſtürmung des Danewerks ausgezeichnet hatte, ſtand in der Thür und empfing ſeine Gäſte, die, nachdem ſie abgelegt und die Frau des Hauſes begrüßt hatten, zunächſt vor einem langgedeckten Kaffeetiſche Platz nahmen, auf dem kunſtvoll aufgeſchichtete Kuchen¬ pyramiden ſtanden. Die Oberförſterin, eine von Natur ſehr ängſtliche, zum mindeſten aber ſehr befangene Frau, zeigte ſich auch als Wirtin ſo, was den überaus eitlen Oberförſter, der für Sicherheit und Schneidigkeit war, ganz augenſcheinlich verdroß. Zum Glück kam ſein Unmut zu keinem Ausbruch, denn von dem, was ſeine Frau vermiſſen ließ, hatten ſeine17 *260Effi BrieſtTöchter deſto mehr, bildhübſche Backfiſche von vier¬ zehn und dreizehn, die ganz nach dem Vater ſchlugen. Beſonders die ältere, Cora, kokettierte ſofort mit Inn¬ ſtetten und Crampas, und beide gingen auch darauf ein. Effi ärgerte ſich darüber und ſchämte ſich dann wieder, daß ſie ſich geärgert habe. Sie ſaß neben Sidonie von Graſenabb und ſagte: Sonderbar, ſo bin ich auch geweſen, als ich vierzehn war.

Effi rechnete darauf, daß Sidonie dies beſtreiten oder doch wenigſtens Einſchränkungen machen würde. Statt deſſen ſagte dieſe: Das kann ich mir denken.

Und wie der Vater ſie verzieht, fuhr Effi halb verlegen, und nur, um doch 'was zu ſagen, fort.

Sidonie nickte. Da liegt es. Keine Zucht. Das iſt die Signatur unſerer Zeit.

Effi brach nun ab.

Der Kaffee war bald genommen, und man ſtand auf, um noch einen halbſtündigen Spaziergang in den umliegenden Wald zu machen, zunächſt auf ein Gehege zu, drin Wild eingezäunt war. Cora öffnete das Gatter, und kaum, daß ſie eingetreten, ſo kamen auch ſchon die Rehe auf ſie zu. Es war eigentlich reizend, ganz wie ein Märchen. Aber die Eitelkeit des jungen Dinges, das ſich bewußt war, ein lebendes Bild zu ſtellen, ließ doch einen reinen Eindruck nicht aufkommen, am wenigſten bei Effi. 261Effi Brieſt Nein, ſagte ſie zu ſich ſelber, ſo bin ich doch nicht geweſen. Vielleicht hat es mir auch an Zucht gefehlt, wie dieſe furchtbare Sidonie mir eben an¬ deutete, vielleicht auch anderes noch. Man war zu Haus zu gütig gegen mich, man liebte mich zu ſehr. Aber das darf ich doch wohl ſagen, ich habe mich nie geziert. Das war immer Hulda's Sache. Darum gefiel ſie mir auch nicht, als ich dieſen Sommer ſie wieder ſah.

Auf dem Rückwege vom Walde nach der Ober¬ förſtern begann es zu ſchneien. Crampas geſellte ſich zu Effi und ſprach ihr ſein Bedauern aus, daß er noch nicht Gelegenheit gehabt habe, ſie zu be¬ grüßen. Zugleich wies er auf die großen, ſchweren Schneeflocken, die fielen, und ſagte: Wenn das ſo weiter geht, ſo ſchneien wir hier ein.

Das wäre nicht das Schlimmſte. Mit dem Eingeſchneitwerden verbinde ich von langer Zeit her eine freundliche Vorſtellung, eine Vorſtellung von Schutz und Beiſtand.

Das iſt mir neu, meine gnädigſte Frau.

Ja, fuhr Effi fort und verſuchte zu lachen, mit den Vorſtellungen iſt es ein eigen Ding, man macht ſie ſich nicht bloß nach dem, was man perſönlich erfahren hat, auch nach dem, was man irgendwo gehört oder ganz zufällig weiß. Sie ſind ſo beleſen,262Effi BrieſtMajor, aber mit einem Gedichte freilich keinem Heine'ſchen, keinem Seegeſpenſt‘ und keinem, Vitzli¬ putzli‘ bin ich Ihnen, wie mir ſcheint, doch voraus. Dies Gedicht heißt die Gottesmauer‘, und ich hab 'es bei unſerm Hohen-Cremmner Paſtor vor vielen, vielen Jahren, als ich noch ganz klein war, aus¬ wendig gelernt.

Gottesmauer, wiederholte Crampas. Ein hübſcher Titel, und wie verhält es ſich damit?

Eine kleine Geſchichte, nur ganz kurz. Da war irgendwo Krieg, ein Winterfeldzug, und eine alte Witwe, die ſich vor dem Feinde mächtig fürchtete, betete zu Gott, er möge doch, eine Mauer um ſie bauen‘, um ſie vor dem Landesfeinde zu ſchützen. Und da ließ Gott das Haus einſchneien, und der Feind zog daran vorüber.

Crampas war ſichtlich betroffen und wechſelte das Geſpräch.

Als es dunkelte, waren alle wieder in der Ober¬ förſterei zurück.

[263]

Neunzehntes Kapitel.

Gleich nach ſieben ging man zu Tiſch, und alles freute ſich, daß der Weihnachtsbaum, eine mit zahlloſen Silberkugeln bedeckte Tanne, noch einmal angeſteckt wurde. Crampas, der das Ring'ſche Haus noch nicht kannte, war helle Bewunderung. Der Damaſt, die Weinkühler, das reiche Silbergeſchirr, alles wirkte herrſchaftlich, weit über oberförſterliche Durchſchnittsverhältniſſe hinaus, was darin ſeinen Grund hatte, daß Ring's Frau, ſo ſcheu und ver¬ legen ſie war, aus einem reichen Danziger Korn¬ händlerhauſe ſtammte. Von da her rührten auch die meiſten der rings umher hängenden Bilder: der Kornhändler und ſeine Frau, der Marienburger Remter und eine gute Kopie nach dem berühmten Memling'ſchen Altarbilde in der Danziger Marien¬ kirche. Kloſter Oliva war zweimal da, einmal in Öl und einmal in Kork geſchnitzt. Außerdem befand ſich über dem Büffet ein ſehr nachgedunkeltes Porträt264Effi Brieſtdes alten Nettelbeck, das noch aus dem beſcheidenen Mobiliar des erſt vor anderthalb Jahren verſtorbenen Ring'ſchen Amtsvorgängers herrührte. Niemand hatte damals, bei der wie gewöhnlich ſtattfindenden Auktion, das Bild des Alten haben wollen, bis Inn¬ ſtetten, der ſich über dieſe Mißachtung ärgerte, dar¬ auf geboten hatte. Da hatte ſich denn auch Ring patriotiſch beſonnen, und der alte Colbergverteidiger war der Oberförſterei verblieben.

Das Nettelbeck-Bild ließ ziemlich viel zu wünſchen übrig; ſonſt aber verriet alles, wie ſchon angedeutet, eine beinahe an Glanz ſtreifende Wohlhabenheit, und dem entſprach denn auch das Mahl, das auf¬ getragen wurde. Jeder hatte mehr oder weniger ſeine Freude daran, mit Ausnahme Sidoniens. Dieſe ſaß zwiſchen Innſtetten und Lindequiſt und ſagte, als ſie Cora's anſichtig wurde: Da iſt ja wieder dies unausſtehliche Balg, dieſe Cora. Sehen Sie nur, Innſtetten, wie ſie die kleinen Weingläſer prä¬ ſentiert, ein wahres Kunſtſtück, ſie könnte jeden Augenblick Kellnerin werden. Ganz unerträglich. Und dazu die Blicke von Ihrem Freunde Crampas! Das iſt ſo die rechte Saat! Ich frage Sie, was ſoll dabei herauskommen?

Innſtetten, der ihr eigentlich zuſtimmte, fand trotzdem den Ton, in dem das alles geſagt wurde,265Effi Brieſtſo verletzend herbe, daß er ſpöttiſch bemerkte: Ja, meine Gnädigſte, was dabei herauskommen ſoll? Ich weiß es auch nicht worauf ſich Sidonie von ihm ab - und ihrem Nachbar zur Linken zu¬ wandte: Sagen Sie, Paſtor, iſt dieſe vierzehnjährige Kokette ſchon im Unterricht bei Ihnen?

Ja, mein gnädigſtes Fräulein.

Dann müſſen Sie mir die Bemerkung ver¬ zeihen, daß Sie ſie nicht in die richtige Schule ge¬ nommen haben. Ich weiß wohl, es hält das heutzutage ſehr ſchwer, aber ich weiß auch, daß die, denen die Fürſorge für junge Seelen obliegt, es vielfach an dem rechten Ernſte fehlen laſſen. Es bleibt dabei, die Hauptſchuld tragen die Eltern und Erzieher.

Lindequiſt, denſelben Ton anſchlagend wie Inn¬ ſtetten, antwortete, daß das alles ſehr richtig, der Geiſt der Zeit aber zu mächtig ſei.

Geiſt der Zeit! ſagte Sidonie. Kommen Sie mir nicht damit. Das kann ich nicht hören, das iſt der Ausdruck höchſter Schwäche, Bankrutt¬ erklärung. Ich kenne das; nie ſcharf zufaſſen wollen, immer dem Unbequemen aus dem Wege gehen. Denn Pflicht iſt unbequem. Und ſo wird nur allzu leicht vergeſſen, daß das uns anvertraute Gut auch 'mal von uns zurückgefordert wird. Eingreifen, lieber Paſtor, Zucht. Das Fleiſch iſt ſchwach, gewiß; aber

266Effi Brieſt

In dieſem Augenblicke kam ein engliſches Roaſt¬ beef, von dem Sidonie ziemlich ausgiebig nahm, ohne Lindequiſt's Lächeln dabei zu bemerken. Und weil ſie's nicht bemerkte, ſo durfte es auch nicht Wunder nehmen, daß ſie mit vieler Unbefangenheit fortfuhr: Es kann übrigens alles, was Sie hier ſehen, nicht wohl anders ſein; alles iſt ſchief und verfahren von Anfang an. Ring, Ring wenn ich nicht irre, hat es drüben in Schweden oder da herum 'mal einen Sagenkönig dieſes Namens gegeben. Nun ſehen Sie, benimmt er ſich nicht, als ob er von dem abſtamme, und ſeine Mutter, die ich noch gekannt habe, war eine Plättfrau in Cöslin.

Ich kann darin nichts ſchlimmes finden.

Schlimmes finden? Ich auch nicht. Und jedenfalls giebt es ſchlimmeres. Aber ſo viel muß ich doch von Ihnen, als einem geweihten Diener der Kirche, gewärtigen dürfen, daß Sie die geſellſchaft¬ lichen Ordnungen gelten laſſen. Ein Oberförſter iſt ein bißchen mehr als ein Förſter, und ein Förſter hat nicht ſolche Weinkühler und ſolch 'Silberzeug; das alles iſt ungehörig und zieht dann ſolche Kinder groß, wie dies Fräulein Cora.

Sidonie, jedesmal bereit, irgend 'was Schreck¬ liches zu prophezeien, wenn ſie, vom Geiſt über¬ kommen, die Schalen ihres Zornes ausſchüttete, würde267Effi Brieſtſich auch heute bis zum Kaſſandrablick in die Zukunft geſteigert haben, wenn nicht in eben dieſem Augen¬ blicke die dampfende Punſchbowle womit die Weihnachtsréunions bei Ring immer abſchloſſen auf der Tafel erſchienen wäre, dazu Krausgebackenes, das, geſchickt über einander getürmt, noch weit über die vor einigen Stunden aufgetragene Kaffeekuchen¬ pyramide hinauswuchs. Und nun trat auch Ring ſelbſt, der ſich bis dahin etwas zurückgehalten hatte, mit einer gewiſſen ſtrahlenden Feierlichkeit in Aktion und begann die vor ihm ſtehenden Gläſer, große geſchliffene Römer, in virtuoſem Bogenſturz zu füllen, ein Einſchenkekunſtſtück, das die ſtets ſchlagfertige Frau von Padden, die heute leider fehlte, 'mal als, Ring'ſche Füllung en cascade bezeichnet hatte. Rotgolden wölbte ſich dabei der Strahl, und kein Tropfen durfte verloren gehen. So war es auch heute wieder. Zuletzt aber, als jeder, was ihm zu¬ kam, in Händen hielt auch Cora, die ſich mittler¬ weile mit ihrem rotblonden Wellenhaar auf Onkel Crampas' Schoß geſetzt hatte erhob ſich der alte Papenhagner, um, wie herkömmlich bei Feſtlichkeiten derart, einen Toaſt auf ſeinen lieben Oberförſter auszubringen. Es gäbe viele Ringe, ſo etwa begann er, Jahresringe, Gardinenringe, Trauringe, und was nun gar denn auch davon dürfe ſich am Ende268Effi Brieſtwohl ſprechen laſſen die Verlobungsringe angehe, ſo ſei glücklicherweiſe die Gewähr gegeben, daß einer davon in kürzeſter Friſt in dieſem Hauſe ſichtbar werden und den Ringfinger (und zwar hier in einem doppelten Sinne den Ringfinger) eines kleinen hübſchen Pätſchelchens zieren werde

Unerhört, raunte Sidonie dem Paſtor zu.

Ja, meine Freunde, fuhr Güldenklee mit ge¬ hobener Stimme fort, viele Ringe giebt es, und es giebt ſogar eine Geſchichte, die wir alle kennen, die die Geſchichte von den, drei Ringen‘ heißt, eine Judengeſchichte, die, wie der ganze liberale Krims¬ krams, nichts wie Verwirrung und Unheil geſtiftet hat und noch ſtiftet. Gott beſſere es. Und nun laſſen Sie mich ſchließen, um Ihre Geduld und Nachſicht nicht über Gebühr in Anſpruch zu nehmen. Ich bin nicht für dieſe drei Ringe, meine Lieben, ich bin vielmehr für einen Ring, für einen Ring, der ſo recht ein Ring iſt wie er ſein ſoll, ein Ring, der alles Gute, was wir in unſrem altpommerſchen Keſſiner Kreiſe haben, alles, was noch mit Gott für König und Vaterland einſteht und es ſind ihrer noch einige (lauter Jubel) an dieſem ſeinem gaſt¬ lichen Tiſch vereinigt ſieht. Für dieſen Ring bin ich. Er lebe hoch!

Alles ſtimmte ein und umdrängte Ring, der,269Effi Brieſtſo lange das dauerte, das Amt des Einſchenkens en cascade an den ihm gegenüber ſitzenden Crampas abtreten mußte; der Hauslehrer aber ſtürzte von ſeinem Platz am unteren Ende der Tafel an das Klavier und ſchlug die erſten Takte des Preußenliedes an, worauf alles ſtehend und feierlich einfiel: Ich bin ein Preuße will ein Preuße ſein.

Es iſt doch etwas Schönes, ſagte gleich nach der erſten Strophe der alte Borcke zu Innſtetten, ſo 'was hat man in anderen Ländern nicht.

Nein, antwortete Innſtetten, der von ſolchem Patriotismus nicht viel hielt, in anderen Ländern hat man 'was anderes.

Man ſang alle Strophen durch, dann hieß es, die Wagen ſeien vorgefahren, und gleich darnach erhob ſich alles, um die Pferde nicht warten zu laſſen. Denn dieſe Rückſicht auf die Pferde ging auch im Kreiſe Keſſin allem anderen vor. Im Haus¬ flur ſtanden zwei hübſche Mägde, Ring hielt auf dergleichen, um den Herrſchaften beim Anziehen ihrer Pelze behülflich zu ſein. Alles war heiter angeregt, einige mehr als das, und das Einſteigen in die ver¬ ſchiedenen Gefährte ſchien ſich ſchnell und ohne Störung vollziehen zu ſollen, als es mit einemmal hieß, der Gieshübler'ſche Schlitten ſei nicht da. Gieshübler ſelbſt war viel zu artig, um gleich Unruhe zu zeigen270Effi Brieſtoder gar Lärm zu machen; endlich aber, weil doch wer das Wort nehmen mußte, fragte Crampas, was es denn eigentlich ſei?

Mirambo kann nicht fahren, ſagte der Hofe¬ knecht; das linke Pferd hat ihn beim Anſpannen vor das Schienbein geſchlagen. Er liegt im Stall und ſchreit.

Nun wurde natürlich nach Dr. Hannemann gerufen, der denn auch hinausging und nach fünf Minuten mit echter Chirurgenruhe verſicherte: Ja, Mirambo müſſe zurückbleiben; es ſei vorläufig in der Sache nichts zu machen, als ſtill liegen und kühlen. Übrigens von Bedenklichem keine Rede. Das war nun einigermaßen ein Troſt, aber ſchaffte doch die Verlegenheit, wie der Gieshübler'ſche Schlitten zurück¬ zufahren ſei, nicht aus der Welt, bis Innſtetten er¬ klärte, daß er für Mirambo einzutreten und das Zwiegeſtirn von Doktor und Apotheker perſönlich glücklich heimzuſteuern gedenke. Lachend und unter ziemlich angeheiterten Scherzen gegen den verbind¬ lichſten aller Landräte, der ſich, um hülfreich zu ſein, ſogar von ſeiner jungen Frau trennen wolle, wurde dem Vorſchlage zugeſtimmt, und Innſtetten, mit Gieshübler und dem Doktor im Fond, nahm jetzt wieder die Tête. Crampas und Lindequiſt folgten unmittelbar. Und als gleich danach auch Kruſe mit271Effi Brieſtdem landrätlichen Schlitten vorfuhr, trat Sidonie lächelnd an Effi heran und bat dieſe, da ja nun ein Platz frei ſei, mit ihr fahren zu dürfen. In unſerer Kutſche iſt es immer ſo ſtickig; mein Vater liebt das. Und außerdem, ich möchte ſo gerne mit Ihnen plaudern. Aber nur bis Quappendorf. Wo der Morgnitzer Weg abzweigt, ſteig 'ich aus und muß dann wieder in unſern unbequemen Kaſten. Und Papa raucht auch noch.

Effi war wenig erfreut über dieſe Begleitung und hätte die Fahrt lieber allein gemacht; aber ihr blieb keine Wahl, und ſo ſtieg denn das Fräulein ein, und kaum daß beide Damen ihre Plätze genommen hatten, ſo gab Kruſe den Pferden auch ſchon einen Peitſchenknips und von der oberförſterlichen Rampe her, von der man einen prächtigen Ausblick auf das Meer hatte, ging es, die ziemlich ſteile Düne hinunter, auf den Strandweg zu, der, eine Meile lang, in beinahe gerader Linie bis an das Keſſiner Strand¬ hotel, und von dort aus, rechts einbiegend, durch die Plantage hin, in die Stadt führte. Der Schneefall hatte ſchon ſeit ein paar Stunden aufgehört, die Luft war friſch, und auf das weite dunkelnde Meer fiel der matte Schein der Mondſichel. Kruſe fuhr hart am Waſſer hin, mitunter den Schaum der Brandung durchſchneidend, und Effi, die etwas fröſtelte, wickelte272Effi Brieſtſich feſter in ihren Mantel und ſchwieg noch immer und mit Abſicht. Sie wußte recht gut, daß das mit der ſtickigen Kutſche bloß Vorwand geweſen und daß ſich Sidonie nur zu ihr geſetzt hatte, um ihr etwas Unangenehmes zu ſagen. Und das kam immer noch früh genug. Zudem war ſie wirklich müde, vielleicht von dem Spaziergang im Walde, vielleicht auch von dem oberförſterlichen Punſch, dem ſie, auf Zureden der neben ihr ſitzenden Frau v. Flemming, tapfer zugeſprochen hatte. Sie that denn auch, als ob ſie ſchliefe, ſchloß die Augen und neigte den Kopf immer mehr nach links.

Sie ſollten ſich nicht ſo ſehr nach links beugen, meine gnädigſte Frau. Fährt der Schlitten auf einen Stein, ſo fliegen Sie hinaus. Ihr Schlitten hat ohnehin kein Schutzleder und, wie ich ſehe, auch nicht einmal die Haken dazu.

Ich kann die Schutzleder nicht leiden; ſie haben ſo 'was Proſaiſches. Und dann, wenn ich hinaus flöge, mir wär' es recht, am liebſten gleich in die Brandung. Freilich ein etwas kaltes Bad, aber was thut's Übrigens hören Sie nichts?

Nein.

Hören Sie nicht etwas wie Muſik?

Orgel?

Nein, nicht Orgel. Da würd 'ich denken, es ſei273Effi Brieſtdas Meer. Aber es iſt etwas anderes, ein unendlich feiner Ton, faſt wie menſchliche Stimme

Das ſind Sinnestäuſchungen, ſagte Sidonie, die jetzt den richtigen Einſetzemoment gekommen glaubte. Sie ſind nervenkrank. Sie hören Stimmen. Gebe Gott, daß Sie auch die richtige Stimme hören.

Ich höre nun, gewiß, es iſt Thorheit, ich weiß, ſonſt würd 'ich mir einbilden, ich hätte die Meerfrauen ſingen hören Aber, ich bitte Sie, was iſt das? Es blitzt ja bis hoch in den Himmel hinauf. Das muß ein Nordlicht ſein.

Ja, ſagte Sidonie. Gnädigſte Frau thun ja, als ob es ein Weltwunder wäre. Das iſt es nicht. Und wenn es dergleichen wäre, wir haben uns vor Naturkultus zu hüten. Übrigens ein wahres Glück, daß wir außer Gefahr ſind, unſern Freund Oberförſter, dieſen eitelſten aller Sterblichen, über dies Nordlicht ſprechen zu hören. Ich wette, daß er ſich einbilden würde, das thue ihm der Himmel zu Gefallen, um ſein Feſt noch feſtlicher zu machen. Er iſt ein Narr. Güldenklee konnte beſſeres thun, als ihn feiern. Und dabei ſpielt er ſich auf den Kirchlichen aus und hat auch neulich eine Altardecke geſchenkt. Vielleicht, daß Cora daran mitgeſtickt hat. Dieſe Unechten ſind ſchuld an allem, denn ihre Weltlichkeit liegt immer oben auf und wird DenenTh Fontane, Effi Brieſt. 18274Effi Brieſtmit angerechnet, die's ernſt mit dem Heil ihrer Seele meinen.

Es iſt ſo ſchwer, ins Herz zu ſehen!

Ja. Das iſt es. Aber bei manchem iſt es auch ganz leicht. Und dabei ſah ſie die junge Frau mit beinahe ungezogener Eindringlichkeit an.

Effi ſchwieg und wandte ſich ungeduldig zur Seite.

Bei manchem, ſag 'ich, iſt es ganz leicht, wiederholte Sidonie, die ihren Zweck erreicht hatte und deshalb ruhig lächelnd fortfuhr: und zu dieſen leichten Rätſeln gehört unſer Oberförſter. Wer ſeine Kinder ſo erzieht, den beklag' ich, aber das eine gute hat es, es liegt bei ihm alles klar da. Und wie bei ihm ſelbſt, ſo bei den Töchtern. Cora geht nach Amerika und wird Millionärin oder Methodiſten¬ predigerin; in jedem Fall iſt ſie verloren. Ich habe noch keine Vierzehnjährige geſehen

In dieſem Augenblicke hielt der Schlitten, und als ſich beide Damen umſahen, um in Erfahrung zu bringen, was es denn eigentlich ſei, bemerkten ſie, daß rechts von ihnen, in etwa dreißig Schritt Ab¬ ſtand, auch die beiden anderen Schlitten hielten am weiteſten nach rechts der von Innſtetten geführte, näher heran der Crampas'ſche.

Was iſt? fragte Effi.

275Effi Brieſt

Kruſe wandte ſich halb herum und ſagte: Der Schloon, gnäd'ge Frau.

Der Schloon? Was iſt das? Ich ſehe nichts.

Kruſe wiegte den Kopf hin und her, wie wenn er ausdrücken wollte, daß die Frage leichter geſtellt als beantwortet ſei. Worin er auch recht hatte. Denn was der Schloon ſei, das war nicht ſo mit drei Worten zu ſagen. Kruſe fand aber in ſeiner Verlegenheit alsbald Hülfe bei dem gnädigen Fräulein, das hier mit allem Beſcheid wußte und natürlich auch mit dem Schloon.

Ja, meine gnädigſte Frau, ſagte Sidonie, da ſteht es ſchlimm. Für mich hat es nicht viel auf ſich, ich komme bequem durch; denn wenn erſt die Wagen heran ſind, die haben hohe Räder, und unſere Pferde ſind außerdem daran gewöhnt. Aber mit ſolchem Schlitten iſt es 'was anderes; die ver¬ ſinken im Schloon, und Sie werden wohl oder übel einen Umweg machen müſſen.

Verſinken! Ich bitte Sie, mein gnädigſtes Fräulein, ich ſehe noch immer nicht klar. Iſt denn der Schloon ein Abgrund oder irgend 'was, drin man mit Mann und Maus zu Grunde gehen muß? Ich kann mir ſo' was hier zu Lande gar nicht denken.

Und doch iſt es ſo 'was, nur freilich im kleinen;18 *276Effi Brieſtdieſer Schloon iſt eigentlich bloß ein kümmerliches Rinnſal, das hier rechts vom Gothener See her herunter kommt und ſich durch die Dünen ſchleicht. Und im Sommer trocknet es mitunter ganz aus, und Sie fahren dann ruhig drüber hin und wiſſen es nicht einmal.

Und im Winter?

Ja, im Winter, da iſt es 'was anderes; nicht immer, aber doch oft. Da wird es dann eine Soog.

Mein Gott, was ſind das nur alles für Namen und Wörter!

Da wird es ein Soog, und am ſtärkſten immer dann, wenn der Wind nach dem Lande hin ſteht. Dann drückt der Wind das Meerwaſſer in das kleine Rinnſal hinein, aber nicht ſo, daß man es ſehen kann. Und das iſt das ſchlimmſte von der Sache, darin ſteckt die eigentliche Gefahr. Alles geht nämlich unterirdiſch vor ſich, und der ganze Strand¬ ſand iſt dann bis tief hinunter mit Waſſer durchſetzt und gefüllt. Und wenn man dann über ſolche Sand¬ ſtelle weg will, die keine mehr iſt, dann ſinkt man ein, als ob es ein Sumpf oder ein Moor wäre.

Das kenn 'ich, ſagte Effi lebhaft. Das iſt wie in unſrem Luch, und inmitten all' ihrer Ängſt¬ lichkeit wurde ihr mit einemmale ganz wehmütig¬ freudig zu Sinn.

277Effi Brieſt

Während das Geſpräch noch ſo ging und ſich fortſetzte, war Crampas aus ſeinem Schlitten aus¬ geſtiegen und auf den am äußerſten Flügel haltenden Gieshübler'ſchen zugeſchritten, um hier mit Innſtetten zu verabreden, was nun wohl eigentlich zu thun ſei. Knut, ſo vermeldete er, wolle die Durchfahrt riskieren, aber Knut ſei dumm und verſtehe nichts von der Sache; nur ſolche, die hier zu Hauſe ſeien, müßten die Entſcheidung treffen. Innſtetten ſehr zu Crampas 'Überraſchung war auch fürs Riskieren , es müſſe durchaus noch' mal verſucht werden er wiſſe ſchon, die Geſchichte wiederhole ſich jedesmal: die Leute hier hätten einen Aberglauben und vorweg eine Furcht, während es doch eigentlich wenig zu bedeuten habe. Nicht Knut, der wiſſe nicht Beſcheid, wohl aber Kruſe ſolle noch einmal einen Anlauf nehmen und Crampas derweilen bei den Damen ein¬ ſteigen (ein kleiner Rückſitz ſei ja noch da), um bei der Hand zu ſein, wenn der Schlitten umkippe. Das ſei doch ſchließlich das ſchlimmſte, was geſchehen könne.

Mit dieſer Innſtetten'ſchen Botſchaft erſchien jetzt Crampas bei den beiden Damen und nahm, als er lachend ſeinen Auftrag ausgeführt hatte, ganz nach empfangener Ordre den kleinen Sitzplatz ein, der eigentlich nichts als eine mit Tuch überzogene Leiſte war, und rief Kruſe zu: Nun, vorwärts, Kruſe.

278Effi Brieſt

Dieſer hatte denn auch die Pferde bereits um hundert Schritte zurück gezoppt und hoffte, ſcharf anfahrend, den Schlitten glücklich durchbringen zu können; im ſelben Augenblick aber, wo die Pferde den Schloon auch nur berührten, ſanken ſie bis über die Knöchel in den Sand ein, ſo daß ſie nur mit Mühe nach rückwärts wieder heraus konnten.

Es geht nicht, ſagte Crampas, und Kruſe nickte.

Während ſich dies abſpielte, waren endlich auch die Kutſchen heran gekommen, die Graſenabb'ſche vorauf, und als Sidonie, nach kurzem Dank gegen Effi, ſich verabſchiedet und dem ſeine türkiſche Pfeife rauchenden Vater gegenüber ihren Rückplatz ein¬ genommen hatte, ging es mit dem Wagen ohne weiteres auf den Schloon zu; die Pferde ſanken tief ein, aber die Räder ließen alle Gefahr leicht überwinden, und ehe eine halbe Minute vorüber war, trabten auch ſchon die Graſenabb's drüben weiter. Die andern Kutſchen folgten. Effi ſah ihnen nicht ohne Neid nach. Indeſſen nicht lange, denn auch für die Schlitten¬ fahrer war in der zwiſchenliegenden Zeit Rat geſchafft worden, und zwar einfach dadurch, daß ſich Innſtetten entſchloſſen hatte, ſtatt aller weiteren Forcierung, das friedlichere Mittel eines Umwegs zu wählen. Alſo genau das, was Sidonie gleich anfangs in Sicht279Effi Brieſtgeſtellt hatte. Vom rechten Flügel her klang des Landrats beſtimmte Weiſung herüber, vorläufig dies¬ ſeits zu bleiben und ihm durch die Dünen hin bis an eine weiter hinauf gelegene Bohlenbrücke zu folgen. Als beide Kutſcher, Knut und Kruſe, ſo verſtändigt waren, trat der Major, der, um Sidonie zu helfen, gleichzeitig mit dieſer ausgeſtiegen war, wieder an Effi heran und ſagte: Ich kann Sie nicht allein laſſen, gnäd'ge Frau.

Effi war einen Augenblick unſchlüſſig, rückte dann aber raſch von der einen Seite nach der anderen hinüber, und Crampas nahm links neben ihr Platz.

All' dies hätte vielleicht mißdeutet werden können, Crampas ſelbſt aber war zu ſehr Frauenkenner, um es ſich bloß in Eitelkeit zurechtzulegen. Er ſah deut¬ lich, daß Effi nur that, was, nach Lage der Sache, das einzig Richtige war. Es war unmöglich für ſie, ſich ſeine Gegenwart zu verbitten. Und ſo ging es denn im Fluge den beiden anderen Schlitten nach, immer dicht an dem Waſſerlaufe hin, an deſſen anderem Ufer dunkle Waldmaſſen aufragten. Effi ſah hinüber und nahm an, daß ſchließlich an dem landeinwärts gelegenen Außenrande des Waldes hin die Weiterfahrt gehen würde, genau alſo den Weg entlang, auf dem man in früher Nachmittagsſtunde gekommen war. Innſtetten aber hatte ſich inzwiſchen280Effi Brieſteinen andern Plan gemacht, und im ſelben Augen¬ blicke, wo ſein Schlitten die Bohlenbrücke paſſierte, bog er, ſtatt den Außenweg zu wählen, in einen ſchmaleren Weg ein, der mitten durch die dichte Waldmaſſe hindurch führte. Effi ſchrak zuſammen. Bis dahin waren Luft und Licht um ſie her geweſen, aber jetzt war es damit vorbei, und die dunklen Kronen wölbten ſich über ihr. Ein Zittern überkam ſie, und ſie ſchob die Finger feſt in einander, um ſich einen Halt zu geben. Gedanken und Bilder jagten ſich und eines dieſer Bilder war das Mütterchen in dem Gedichte, das die Gottesmauer hieß, und wie das Mütterchen, ſo betete auch ſie jetzt, daß Gott eine Mauer um ſie her bauen möge. Zwei, drei Male kam es auch über ihre Lippen, aber mit einem¬ mal fühlte ſie, daß es tote Worte waren. Sie fürchtete ſich und war doch zugleich wie in einem Zauberbann und wollte auch nicht heraus.

Effi, klang es jetzt leis an ihr Ohr, und ſie hörte, daß ſeine Stimme zitterte. Dann nahm er ihre Hand und löſte die Finger, die ſie noch immer geſchloſſen hielt, und überdeckte ſie mit heißen Küſſen. Es war ihr, als wandle ſie eine Ohnmacht an.

Als ſie die Augen wieder öffnete, war man aus dem Walde heraus, und in geringer Entfernung vor ſich hörte ſie das Geläut der vorauf eilenden281Effi BrieſtSchlitten. Immer vernehmlicher klang es, und als man, dicht vor Utpatel's Mühle, von den Dünen her in die Stadt einbog, lagen rechts die kleinen Häuſer mit ihren Schneedächern neben ihnen.

Effi blickte ſich um, und im nächſten Augenblicke hielt der Schlitten vor dem landrätlichen Hauſe.

[282]

Zwanzigſtes Kapitel.

Innſtetten, der Effi, als er ſie aus dem Schlitten hob, ſcharf beobachtet, aber doch ein Sprechen über die ſonderbare Fahrt zu zweien vermieden hatte, war am anderen Morgen früh auf und ſuchte ſeiner Verſtimmung, die noch nachwirkte, ſo gut es ging Herr zu werden.

Du haſt gut geſchlafen? ſagte er, als Effi zum Frühſtück kam.

Ja.

Wohl Dir. Ich kann dasſelbe von mir nicht ſagen. Ich träumte, daß Du mit dem Schlitten im Schloon verunglückt ſeiſt, und Crampas mühte ſich, Dich zu retten; ich muß es ſo nennen, aber er ver¬ ſank mit Dir.

Du[ſprichſt] das alles ſo ſonderbar, Geert. Es verbirgt ſich ein Vorwurf dahinter, und ich ahne weshalb.

Sehr merkwürdig.

283Effi Brieſt

Du biſt nicht einverſtanden damit, daß Crampas kam und uns ſeine Hülfe anbot.

Uns?

Ja, uns. Sidonien und mir. Du mußt durch¬ aus vergeſſen haben, daß der Major in Deinem Auf¬ trage kam. Und als er mir erſt gegenüber ſaß, bei¬ läufig jämmerlich genug auf der elenden ſchmalen Leiſte, ſollte ich ihn da ausweiſen, als die Graſenabb's kamen und mit einemmale die Fahrt weiter ging? Ich hätte mich lächerlich gemacht, und dagegen biſt Du doch ſo empfindlich. Erinnere Dich, daß wir unter Deiner Zu¬ ſtimmung viele Male gemeinſchaftlich ſpazieren geritten ſind, und nun ſollte ich nicht gemeinſchaftlich mit ihm fahren? Es iſt falſch, ſo hieß es bei uns zu Haus, einem Edelmanne Mißtrauen zu zeigen.

Einem Edelmanne, ſagte Innſtetten mit Be¬ tonung.

Iſt er keiner? Du haſt ihn ſelbſt einen Kavalier genannt, ſogar einen perfekten Kavalier.

Ja, fuhr Innſtetten fort, und ſeine Stimme wurde freundlicher, trotzdem ein leiſer Spott noch darin nachklang. Kavalier, das iſt er, und ein perfekter Kavalier, das iſt er nun ſchon ganz gewiß. Aber Edelmann! Meine liebe Effi, ein Edelmann ſieht anders aus. Haſt Du ſchon etwas Edles an ihm bemerkt? Ich nicht.

284Effi Brieſt

Effi ſah vor ſich hin und ſchwieg.

Es ſcheint, wir ſind gleicher Meinung. Im übrigen, wie Du ſchon ſagteſt, ich bin ſelber ſchuld; von einem faux pas mag ich nicht ſprechen, das iſt in dieſem Zuſammenhange kein gutes Wort. Alſo ſelber ſchuld, und es ſoll nicht wieder vorkommen, ſo weit ich's hindern kann. Aber auch Du, wenn ich Dir raten darf, ſei auf Deiner Hut. Er iſt ein Mann der Rückſichtsloſigkeiten und hat ſo ſeine An¬ ſichten über junge Frauen. Ich kenne ihn von früher.

Ich werde mir Deine Worte geſagt ſein laſſen. Nur ſo viel, ich glaube, Du verkennſt ihn.

Ich verkenne ihn nicht.

Oder mich, ſagte ſie mit einer Kraftanſtrengung und verſuchte ſeinem Blicke zu begegnen.

Auch Dich nicht, meine liebe Effi. Du biſt eine reizende kleine Frau, aber Feſtigkeit iſt nicht eben Deine Spezialität.

Er erhob ſich, um zu gehen. Als er bis an die Thür gegangen war, trat Friedrich ein, um ein Gieshübler'ſches Billet abzugeben, das natürlich an die gnädige Frau gerichtet war.

Effi nahm es. Eine Geheimkorreſpondenz mit Gieshübler, ſagte ſie; Stoff zu neuer Eiferſucht für meinen geſtrengen Herrn. Oder nicht?

Nein, nicht ganz, meine liebe Effi. Ich be¬285Effi Brieſtgehe die Thorheit, zwiſchen Crampas und Gieshübler einen Unterſchied zu machen. Sie ſind ſo zu ſagen nicht von gleichem Karat; nach Karat berechnet man nämlich den reinen Goldeswert, unter Umſtänden auch der Menſchen. Mir perſönlich, um auch das noch zu ſagen, iſt Gieshübler's weißes Jabot, trotz¬ dem kein Menſch mehr Jabots trägt, erheblich lieber als Crampas 'rotblonder Sappeurbart. Aber ich bezweifle, daß dies weiblicher Geſchmack iſt.

Du hältſt uns für ſchwächer, als wir ſind.

Eine Tröſtung von praktiſch außerordentlicher Geringfügigkeit. Aber laſſen wir das. Lies lieber.

Und Effi las: Darf ich mich nach der gnäd'gen Frau Befinden erkundigen? Ich weiß nur, daß Sie dem Schloon glücklich entronnen ſind: aber es blieb auch durch den Wald hin immer noch Fährlichkeit genug. Eben kommt Dr. Hannemann von Uvagla zurück und beruhigt mich über Mirambo; geſtern habe er die Sache für bedenklicher angeſehen, als er uns habe ſagen wollen, heute nicht mehr. Es war eine reizende Fahrt. In drei Tagen feiern wir Sylveſter. Auf eine Feſtlichkeit, wie die vor¬ jährige, müſſen wir verzichten; aber einen Ball haben wir natürlich, und Sie erſcheinen zu ſehen, würde die Tanzwelt beglücken und nicht am wenigſten Ihren reſpektvollſt ergebenen Alonzo G.

286Effi Brieſt

Effi lachte. Nun, was ſagſt Du?

Nach wie vor nur das eine, daß ich Dich lieber mit Gieshübler als mit Crampas ſehe.

Weil Du den Crampas zu ſchwer und den Gieshübler zu leicht nimmſt.

Innſtetten drohte ihr ſcherzhaft mit dem Finger.

Drei Tage ſpäter war Sylveſter. Effi erſchien in einer reizenden Balltoilette, einem Geſchenk, das ihr der Weihnachtstiſch gebracht hatte; ſie tanzte aber nicht, ſondern nahm ihren Platz bei den alten Damen, für die, ganz in der Nähe der Muſikempore, die Fauteuils geſtellt waren. Von den adligen Familien, mit denen Innſtetten's vorzugsweiſe verkehrten, war niemand da, weil kurz vorher ein kleines Zerwürfnis mit dem ſtädtiſchen Reſſourcenvorſtand, der, nament¬ lich ſeitens des alten Güldenklee, 'mal wieder de¬ ſtruktiver Tendenzen beſchuldigt worden war, ſtatt¬ gefunden hatte; drei, vier andere adlige Familien aber, die nicht Mitglieder der Reſſource, ſondern immer nur geladene Gäſte waren und deren Güter an der anderen Seite der Keſſine lagen, waren aus zum Teil weiter Entfernung über das Flußeis ge¬ kommen und freuten ſich, an dem Feſte teilnehmen zu können. Effi ſaß zwiſchen der alten Ritterſchafts¬287Effi Brieſträtin von Padden und einer etwas jüngeren Frau von Titzewitz. Die Ritterſchaftsrätin, eine vorzügliche alte Dame, war in allen Stücken ein Original und ſuchte das, was die Natur, beſonders durch ſtarke Backenknochenbildung, nach der wendiſch-heidniſchen Seite hin für ſie gethan hatte, durch chriſtlich - germaniſche Glaubensſtrenge wieder in Ausgleich zu bringen. In dieſer Strenge ging ſie ſo weit, daß ſelbſt Sidonie von Graſenabb eine Art esprit fort neben ihr war, wogegen ſie freilich vielleicht weil ſich die Radegaſter und die Swantowiter Linie des Hauſes in ihr vereinigten über jenen alten Padden¬ humor verfügte, der, von langer Zeit her, wie ein Segen auf der Familie ruhte, und jeden, der mit derſelben in Berührung kam, auch wenn es Gegner in Politik und Kirche waren, herzlich erfreute.

Nun, Kind, ſagte die Ritterſchaftsrätin, wie geht es Ihnen denn eigentlich?

Gut, gnädigſte Frau; ich habe einen ſehr aus¬ gezeichneten Mann.

Weiß ich. Aber das hilft nicht immer. Ich hatte auch einen ausgezeichneten Mann. Wie ſteht es hier? Keine Anfechtungen?

Effi erſchrak und war zugleich wie gerührt. Es lag etwas ungemein Erquickliches in dem freien und natürlichen Ton, in dem die alte Dame ſprach,288Effi Brieſtund daß es eine ſo fromme Frau war, das machte die Sache nur noch erquicklicher.

Ach, gnädigſte Frau

Da kommt es ſchon. Ich kenne das. Immer daſſelbe. Darin ändern die Zeiten nichts. Und vielleicht iſt es auch recht gut ſo. Denn worauf es ankommt, meine liebe junge Frau, das iſt das Kämpfen. Man muß immer ringen mit dem natürlichen Menſchen. Und wenn man ſich dann ſo unter hat und beinah 'ſchreien möchte, weil's weh thut, dann jubeln die lieben Engel!

Ach, gnädigſte Frau. Es iſt oft recht ſchwer.

Freilich iſt es ſchwer. Aber je ſchwerer, deſto beſſer. Darüber müſſen Sie ſich freuen. Das mit dem Fleiſch, das bleibt, und ich habe Enkel und Enkelinnen, da ſeh 'ich es jeden Tag. Aber im Glauben ſich unterkriegen, meine liebe Frau, darauf kommt es an, das iſt das Wahre. Das hat uns unſer alter Martin Luther zur Erkenntnis gebracht, der Gottesmann. Kennen Sie ſeine Tiſchreden?

Nein, gnädigſte Frau.

Die werde ich Ihnen ſchicken.

In dieſem Augenblicke trat Major Crampas an Effi heran und bat, ſich nach ihrem Befinden er¬ kundigen zu dürfen. Effi war wie mit Blut über¬ goſſen, aber ehe ſie noch antworten konnte, ſagte289Effi BrieſtCrampas: Darf ich Sie bitten gnädigſte Frau, mich den Damen vorſtellen zu wollen?

Effi nannte nun Crampas 'Namen, der ſeiner¬ ſeits ſchon vorher vollkommen orientiert war und in leichtem Geplauder alle Paddens und Titzewitze, von denen er je gehört hatte, Revue paſſieren ließ. Zugleich entſchuldigte er ſich, den Herrſchaften jenſeits der Keſſine noch immer nicht ſeinen Beſuch gemacht und ſeine Frau vorgeſtellt zu haben; aber es ſei ſonderbar, welche trennende Macht das Waſſer habe. Es ſei dasſelbe wie mit dem Canal La Manche

Wie? fragte die alte Titzewitz.

Crampas ſeinerſeits hielt es für unangebracht, Aufklärungen zu geben, die doch zu nichts geführt haben würden, und fuhr fort: Auf zwanzig Deutſche, die nach Frankreich gehen, kommt noch nicht einer, der nach England geht. Das macht das Waſſer; ich wiederhole, das Waſſer hat eine ſcheidende Kraft.

Frau von Padden, die darin mit feinem Inſtinkt etwas Anzügliches witterte, wollte für das Waſſer eintreten, Crampas aber ſprach mit immer wachſendem Redefluß weiter und lenkte die Aufmerkſamkeit der Damen auf ein ſchönes Fräulein von Stojentin, das ohne Zweifel die Ballkönigin ſei, wobei ſein Blick übrigens Effi bewundernd ſtreifte. Dann empfahl er ſich raſch unter Verbeugung gegen alle drei.

Th. Fontane, Effi Brieſt. 19290Effi Brieſt

Schöner Mann, ſagte die Padden. Verkehrt er in Ihrem Hauſe?

Flüchtig.

Wirklich, wiederholte die Padden, ein ſchöner Mann. Ein bißchen zu ſicher. Und Hochmut kommt vor dem Fall Aber ſehen Sie nur, da tritt er wirklich mit der Grete Stojentin an. Eigentlich iſt er doch zu alt; wenigſtens Mitte vierzig.

Er wird vierundvierzig.

Ei, ei, Sie ſcheinen ihn ja gut zu kennen.

Es kam Effi ſehr zu paß, daß das neue Jahr, gleich in ſeinem Anfang, allerlei Aufregungen brachte. Seit Sylveſternacht ging ein ſcharfer Nordoſt, der ſich in den nächſten Tagen faſt bis zum Sturm ſteigerte, und am dritten Januar nachmittags hieß es, daß ein Schiff draußen mit der Einfahrt nicht zuſtande gekommen und hundert Schritt vor der Mole geſcheitert ſei; es ſei ein engliſches, von Sunderland her, und ſo weit ſich erkennen laſſe, ſieben Mann an Bord; die Lotſen könnten beim Ausfahren, trotz aller Anſtrengung, nicht um die Mole herum, und vom Strande aus ein Boot abzulaſſen, daran ſei nun vollends nicht zu denken, die Brandung ſei viel zu ſtark. Das klang traurig genug. Aber Johanna, die die Nachricht brachte, hatte doch auch Troſt bei291Effi Brieſtder Hand: Konſul Eſchrich, mit dem Rettungsapparat und der Raketenbatterie, ſei ſchon unterwegs, und es würde gewiß glücken; die Entfernung ſei nicht voll ſo weit wie Anno 75, wo's doch auch gegangen, und ſie hätten damals ſogar den Pudel mit gerettet, und es wäre ordentlich rührend geweſen, wie ſich das Tier gefreut und die Kapitänsfrau und das liebe, kleine Kind, nicht viel größer als Anniechen, immer wieder mit ſeiner roten Zunge geleckt habe.

Geert, da muß ich mit hinaus, das muß ich ſehen, hatte Effi ſofort erklärt, und beide waren aufgebrochen, um nicht zu ſpät zu kommen, und hatten denn auch den rechten Moment abgepaßt; denn im Augenblick, als ſie, von der Plantage her, den Strand erreichten, fiel der erſte Schuß, und ſie ſahen ganz deutlich, wie die Rakete mit dem Fangſeil unter dem Sturmgewölk hinflog und über das Schiff weg jenſeits niederfiel. Alle Hände regten ſich ſofort an Bord, und nun holten ſie, mit Hülfe der kleinen Leine, das dickere Tau ſamt dem Korb heran, und nicht lange, ſo kam der Korb in einer Art Kreislauf wieder zurück, und einer der Matroſen, ein ſchlanker, bildhübſcher Menſch mit einer wachsleinenen Kappe, war geborgen an Land und wurde neugierig aus¬ gefragt, während der Korb aufs neue ſeinen Weg machte, zunächſt den Zweiten und dann den Dritten19 *292Effi Brieſtheranzuholen und ſo fort. Alle wurden gerettet, und Effi hätte ſich, als ſie nach einer halben Stunde mit ihrem Manne wieder heim ging, in die Dünen werfen und ſich ausweinen mögen. Ein ſchönes Gefühl hatte wieder Platz in ihrem Herzen gefunden, und es beglückte ſie unendlich, daß es ſo war.

Das war am dritten geweſen. Schon am fünften kam ihr eine neue Aufregung, freilich ganz anderer Art. Innſtetten hatte Gieshübler, der natürlich auch Stadtrat und Magiſtratsmitglied war, beim Herauskommen aus dem Rathauſe getroffen und im Geſpräche mit ihm erfahren, daß ſeitens des Kriegsminiſteriums angefragt worden ſei, wie ſich die Stadtbehörden eventuell zur Garniſonsfrage zu ſtellen gedächten? Bei nötigem Entgegenkommen, alſo bei Bereitwilligkeit zu Stall - und Kaſernen¬ bauten, könnten ihnen zwei Schwadronen Huſaren zugeſagt werden. Nun, Effi, was ſagſt Du dazu? Effi war wie benommen. All' das unſchuldige Glück ihrer Kinderjahre ſtand mit einemmal wieder vor ihrer Seele, und im Augenblick war es ihr, als ob rote Huſaren denn es waren auch rote wie daheim in Hohen-Cremmen ſo recht eigentlich die Hüter von Paradies und Unſchuld ſeien. Und dabei ſchwieg ſie noch immer.

Du ſagſt ja nichts, Effi.

293Effi Brieſt

Ja, ſonderbar, Geert. Aber es beglückt mich ſo, daß ich vor Freude nichts ſagen kann. Wird es denn auch ſein? Werden ſie denn auch kommen?

Damit hat's freilich noch gute Wege, ja, Gies¬ hübler meinte ſogar, die Väter der Stadt, ſeine Kollegen, verdienten es gar nicht. Statt einfach über die Ehre, und wenn nicht über die Ehre, ſo doch wenigſtens über den Vorteil einig und glücklich zu ſein, wären ſie mit allerlei Wenns‘ und, Abers‘ gekommen und hätten geknauſert wegen der neuen Bauten; ja, Pfefferküchler Michelſen habe ſogar geſagt, es verderbe die Sitten der Stadt, und wer eine Tochter habe, der möge ſich vorſehen und Gitter¬ fenſter anſchaffen.

Es iſt nicht zu glauben. Ich habe nie manierlichere Leute geſehen als unſere Huſaren; wirklich, Geert. Nun, Du weißt es ja ſelbſt. Und nun will dieſer Michelſen alles vergittern. Hat er denn Töchter?

Gewiß; ſogar drei. Aber ſie ſind ſämtlich hors concours.

Effi lachte ſo herzlich, wie ſie ſeit lange nicht mehr gelacht hatte. Doch es war von keiner Dauer, und als Innſtetten ging und ſie allein ließ, ſetzte ſie ſich an die Wiege des Kindes, und ihre Thränen fielen auf die Kiſſen. Es brach wieder über ſie294Effi Brieſtherein, und ſie fühlte, daß ſie wie eine Gefangene ſei und nicht mehr heraus könne.

Sie litt ſchwer darunter und wollte ſich befreien. Aber wiewohl ſie ſtarker Empfindungen fähig war, ſo war ſie doch keine ſtarke Natur; ihr fehlte die Nachhaltigkeit, und alle guten Anwandlungen gingen wieder vorüber. So trieb ſie denn weiter, heute, weil ſie's nicht ändern konnte, morgen, weil ſie's nicht ändern wollte. Das Verbotene, das Geheimnis¬ volle hatte ſeine Macht über ſie.

So kam es, daß ſie ſich, von Natur frei und offen, in ein verſtecktes Komödienſpiel mehr und mehr hinein lebte. Mitunter erſchrack ſie, wie leicht es ihr wurde. Nur in einem blieb ſie ſich gleich: ſie ſah alles klar und beſchönigte nichts. Einmal trat ſie ſpät abends vor den Spiegel in ihrer Schlafſtube; die Lichter und Schatten flogen hin und her, und Rollo ſchlug draußen an, und im ſelben Augenblicke war es ihr, als ſähe ihr wer über die Schulter. Aber ſie beſann ſich raſch. Ich weiß ſchon, was es iſt; es war nicht der, und ſie wies mit dem Finger nach dem Spukzimmer oben. Es war 'was anderes mein Gewiſſen Effi, Du biſt verloren.

Es ging aber doch weiter ſo, die Kugel war im Rollen, und was an einem Tage geſchah, machte das Thun des andern zur Notwendigkeit.

295Effi Brieſt

Um die Mitte des Monats kamen Einladungen aufs Land. Über die dabei inne zu haltende Reihen¬ folge hatten ſich die vier Familien, mit denen Inn¬ ſtettens vorzugsweiſe verkehrten, geeinigt: die Borcke's ſollten beginnen, die Flemming's und Graſenabb's folgten, die Güldenklee's ſchloſſen ab. Immer eine Woche dazwiſchen. Alle vier Einladungen kamen am ſelben Tage; ſie ſollten erſichtlich den Eindruck des Ordentlichen und Wohlerwogenen machen, auch wohl den einer beſonderen freundſchaftlichen Zuſammen¬ gehörigkeit.

Ich werde nicht dabei ſein, Geert, und Du mußt mich der Kur halber, in der ich nun ſeit Wochen ſtehe, von vornherein entſchuldigen.

Innſtetten lachte. Kur. Ich ſoll es auf die Kur ſchieben. Das iſt das Vorgebliche; das Eigent¬ liche heißt: Du willſt nicht.

Nein, es iſt doch mehr Ehrlichkeit dabei als Du zugeben willſt. Du haſt ſelbſt gewollt, daß ich den Doktor zu Rate ziehe. Das hab 'ich gethan, und nun muß ich doch ſeinem Rate folgen. Der gute Doktor, er hält mich für bleichſüchtig, ſonderbar genug, und Du weißt, daß ich jeden Tag von dem Eiſenwaſſer trinke. Wenn Du Dir ein Borcke'ſches Diner dazu vorſtellſt, vielleicht mit Preßkopf und Aal in Aſpic, ſo mußt Du den Eindruck haben, es296Effi Brieſtwäre mein Tod. Und ſo wirſt Du Dich doch zu Deiner Effi nicht ſtellen wollen. Freilich mitunter iſt es mir

Ich bitte Dich, Effi

Übrigens freu 'ich mich, und das iſt das einzige Gute dabei, Dich jedesmal, wenn Du fährſt, eine Strecke Wegs begleiten zu können, bis an die Mühle gewiß oder bis an den Kirchhof oder auch bis an die Waldecke, da, wo der Morgnitzer Quer¬ weg einmündet. Und dann ſteig' ich ab und ſchlendere wieder zurück. In den Dünen iſt es immer am ſchönſten.

Innſtetten war einverſtanden, und als drei Tage ſpäter der Wagen vorfuhr, ſtieg Effi mit auf und gab ihrem Manne das Geleit bis an die Waldecke. Hier laß halten, Geert. Du fährſt nun links weiter, ich gehe rechts bis an den Strand und durch die Plantage zurück. Es iſt etwas weit, aber doch nicht zu weit. Doktor Hannemann ſagt mir jeden Tag, Bewegung ſei alles, Bewegung und friſche Luft. Und ich glaube beinah ', daß er recht hat. Empfiehl mich all' den Herrſchaften; nur bei Sidonie kannſt Du ſchweigen.

Die Fahrten, auf denen Effi ihren Gatten bis an die Waldecke begleitete, wiederholten ſich all¬ wöchentlich; aber auch in der zwiſchenliegenden Zeit297Effi Brieſthielt Effi darauf, daß ſie der ärztlichen Verordnung ſtreng nachkam. Es verging kein Tag, wo ſie nicht ihren vorgeſchriebenen Spaziergang gemacht hätte, meiſt nachmittags, wenn ſich Innſtetten in ſeine Zeitungen zu vertiefen begann. Das Wetter war ſchön, eine milde, friſche Luft, der Himmel bedeckt. Sie ging in der Regel allein und ſagte zu Roswitha: Roswitha, ich gehe nun alſo die Chauſſee hinunter und dann rechts an den Platz mit dem Karuſſell; da will ich auf Dich warten, da hole mich ab. Und dann gehen wir durch die Birkenallee oder durch die Reeperbahn wieder zurück. Aber komme nur, wenn Annie ſchläft. Und wenn ſie nicht ſchläft, ſo ſchicke Johanna. Oder laß es lieber ganz; es iſt nicht nötig, ich finde mich ſchon zurecht.

Den erſten Tag, als es ſo verabredet war, trafen ſie ſich auch wirklich. Effi ſaß auf einer an einem langen Holzſchuppen ſich hinziehenden Bank und ſah nach einem niedrigen Fachwerkhauſe hinüber, gelb mit ſchwarz geſtrichenen Balken, einer Wirtſchaft für kleine Bürger, die hier ihr Glas Bier tranken oder Solo ſpielten. Es dunkelte noch kaum, die Fenſter aber waren ſchon hell, und ihr Lichtſchimmer fiel auf die Schneemaſſen und etliche zur Seite ſtehende Bäume. Sieh ', Roswitha, wie ſchön das ausſieht.

298Effi Brieſt

Ein paar Tage wiederholte ſich das. Meiſt aber, wenn Roswitha bei dem Karuſſell und dem Holzſchuppen ankam, war niemand da, und wenn ſie dann zurückkam und in den Hausflur eintrat, kam ihr Effi ſchon entgegen und ſagte: Wo Du nur bleibſt, Roswitha, ich bin ſchon lange wieder hier.

In dieſer Art ging es durch Wochen hin. Das mit den Huſaren hatte ſich wegen der Schwierigkeiten, die die Bürgerſchaft machte, ſo gut wie zerſchlagen; aber da die Verhandlungen noch nicht geradezu ab¬ geſchloſſen waren und neuerdings durch eine andere Behörde, das Generalkommando, gingen, ſo war Crampas nach Stettin berufen worden, wo man ſeine Meinung in dieſer Angelegenheit hören wollte. Von dort ſchrieb er den zweiten Tag an Innſtetten: Pardon, Innſtetten, daß ich mich auf franzöſiſch empfohlen. Es kam alles ſo ſchnell. Ich werde übrigens die Sache hinauszuſpinnen ſuchen, denn man iſt froh, einmal draußen zu ſein. Empfehlen Sie mich der gnädigen Frau, meiner liebenswürdigen Gönnerin.

Er las es Effi vor. Dieſe blieb ruhig. Endlich ſagte ſie: Es iſt recht gut ſo.

Wie meinſt Du das?

Daß er fort iſt. Er ſagt eigentlich immer299Effi Brieſtdasſelbe. Wenn er wieder da iſt, wird er wenigſtens vorübergehend 'was Neues zu ſagen haben.

Innſtetten's Blick flog ſcharf über ſie hin. Aber er ſah nichts, und ſein Verdacht beruhigte ſich wieder. Ich will auch fort, ſagte er nach einer Weile, ſogar nach Berlin; vielleicht kann ich dann, wie Crampas, auch mal 'was Neues mitbringen. Meine liebe Effi will immer gern' was Neues hören; ſie langweilt ſich in unſerm guten Keſſin. Ich werde gegen acht Tage fort ſein, vielleicht noch einen Tag länger. Und ängſtige Dich nicht es wird ja wohl nicht wiederkommen Du weißt ſchon, das da oben Und wenn doch, Du haſt ja Rollo und Roswitha.

Effi lächelte vor ſich hin, und es miſchte ſich etwas von Wehmut mit ein. Sie mußte des Tages gedenken, wo Crampas ihr zum erſtenmal geſagt hatte, daß er mit dem Spuk und ihrer Furcht eine Komödie ſpiele. Der große Erzieher! Aber hatte er nicht recht? War die Komödie nicht am Platz? Und allerhand Widerſtreitendes, Gutes und Böſes, ging ihr durch den Kopf.

Den dritten Tag reiſte Innſtetten ab.

Über das, was er in Berlin vorhabe, hatte er nichts geſagt.

[300]

Einundzwanzigſtes Kapitel.

Innſtetten war erſt vier Tage fort, als Crampas von Stettin wieder eintraf und die Nachricht brachte, man hätte höheren Orts die Abſicht, zwei Schwadronen nach Keſſin zu legen, endgültig fallen laſſen; es gäbe ſo viele kleine Städte, die ſich um eine Kavallerie - Garniſon, und nun gar um Blücher'ſche Huſaren, bewürben, daß man gewohnt ſei, bei ſolchem Aner¬ bieten einem herzlichen Entgegenkommen, aber nicht einem zögernden zu begegnen. Als Crampas dies mitteilte, machte der Magiſtrat ein ziemlich verlegenes Geſicht; nur Gieshübler, weil er der Philiſterei ſeiner Kollegen eine Niederlage gönnte, triumphierte. Seitens der kleinen Leute griff, beim Bekanntwerden der Nach¬ richt, eine gewiſſe Verſtimmung Platz, ja ſelbſt einige Konſuls mit Töchtern waren momentan unzufrieden; im Ganzen aber kam man raſch über die Sache hin, vielleicht weil die nebenherlaufende Frage, was Inn¬ ſtetten in Berlin vorhabe, die Keſſiner Bevölkerung301Effi Brieſtoder doch wenigſtens die Honoratiorenſchaft der Stadt mehr intereſſierte. Dieſe wollte den überaus wohl¬ gelittenen Landrat nicht gern verlieren, und doch gingen darüber ganz ausſchweifende Gerüchte, die von Gieshübler, wenn er nicht ihr Erfinder war, wenigſtens genährt und weiter verbreitet wurden. Unter anderem hieß es, Innſtetten würde als Führer einer Geſandtſchaft nach Marokko gehn und zwar mit Geſchenken, unter denen nicht bloß die herkömm¬ liche Vaſe mit Sansſouci und dem neuen Palais, ſondern vor allem auch eine große Eismaſchine ſei. Das letztere erſchien, mit Rückſicht auf die marokkani¬ ſchen Temperaturverhältniſſe, ſo wahrſcheinlich, daß das Ganze geglaubt wurde.

Effi hörte auch davon. Die Tage, wo ſie ſich darüber erheitert hätte, lagen noch nicht allzu weit zurück; aber in der Seelenſtimmung, in der ſie ſich ſeit Schluß des Jahres befand, war ſie nicht mehr fähig, unbefangen und ausgelaſſen über derlei Dinge zu lachen. Ihre Geſichtszüge hatten einen ganz anderen Ausdruck angenommen und das halb rührend, halb ſchelmiſch Kindliche, was ſie noch als Frau gehabt hatte, war hin. Die Spaziergänge nach dem Strand und der Plantage, die ſie, während Crampas in Stettin war, aufgegeben hatte, nahm ſie nach ſeiner Rückkehr wieder auf und ließ ſich auch durch un¬302Effi Brieſtgünſtige Witterung nicht davon abhalten. Es wurde wie früher beſtimmt, daß ihr Roswitha bis an den Ausgang der Reeperbahn oder bis in die Nähe des Kirchhofs entgegenkommen ſolle, ſie verfehlten ſich aber noch häufiger als früher. Ich könnte Dich ſchelten, Roswitha, daß Du mich nie findeſt. Aber es hat nichts auf ſich; ich ängſtige mich nicht mehr, auch nicht einmal am Kirchhof, und im Walde bin ich noch keiner Menſchenſeele begegnet.

Es war am Tage vor Innſtetten's Rückkehr von Berlin, daß Effi das ſagte. Roswitha machte nicht viel davon und beſchäftigte ſich lieber damit, Guir¬ landen über den Thüren anzubringen; auch der Haifiſch bekam einen Fichtenzweig und ſah noch merkwürdiger aus als gewöhnlich. Effi ſagte: Das iſt recht, Roswitha; er wird ſich freuen über all' das Grün, wenn er morgen wieder da iſt. Ob ich heute wohl noch gehe? Doktor Hannemann beſteht darauf und meint in einem fort, ich nähme es nicht ernſt genug, ſonſt müßte ich beſſer ausſeh'n; ich habe aber keine rechte Luſt heut, es nieſelt und der Himmel iſt ſo grau.

Ich werde der gnäd'gen Frau den Regen¬ mantel bringen.

Das thu '! Aber komme heute nicht nach, wir treffen uns ja doch nicht, und ſie lachte. Wirklich,303Effi BrieſtDu biſt gar nicht findig, Roswitha. Und ich mag nicht, daß Du Dich erkälteſt und alles um nichts.

Roswitha blieb denn auch zu Haus, und weil Annie ſchlief, ging ſie zu Kruſe's, um mit der Frau zu plaudern. Liebe Frau Kruſe, ſagte ſie, Sie wollten mir ja das mit dem Chineſen noch erzählen. Geſtern kam die Johanna dazwiſchen, die thut immer ſo vornehm, für die iſt ſo 'was nicht. Ich glaube aber doch, daß es' was geweſen iſt, ich meine mit dem Chineſen und mit Thomſen's Nichte, wenn es nicht ſeine Enkelin war.

Die Kruſe nickte.

Entweder, fuhr Roswitha fort, war es eine unglückliche Liebe (die Kruſe nickte wieder), oder es kann auch eine glückliche geweſen ſein und der Chineſe konnte es bloß nicht aushalten, daß es alles mit einemmal ſo wieder vorbei ſein ſollte. Denn die Chineſen ſind doch auch Menſchen, und es wird wohl alles ebenſo mit ihnen ſein, wie mit uns.

Alles, verſicherte die Kruſe und wollte dies eben durch ihre Geſchichte beſtätigen, als ihr Mann eintrat und ſagte: Mutter, Du könnteſt mir die Flaſche mit dem Lederlack geben; ich muß doch das Sielenzeug blank haben, wenn der Herr morgen wieder da iſt; der ſieht alles und wenn er auch nichts ſagt, ſo merkt man doch, daß er's geſehn hat.

304Effi Brieſt

Ich bring 'es Ihnen' raus, Kruſe, ſagte Ros¬ witha. Ihre Frau will mir bloß noch 'was er¬ zählen; aber es is gleich aus, und dann komm' ich und bring 'es.

Roswitha, die Flaſche mit dem Lack in der Hand, kam denn auch ein paar Minuten danach auf den Hof hinaus und ſtellte ſich neben das Sielen¬ zeug, das Kruſe eben über den Gartenzaun gelegt hatte. Gott, ſagte er, während er ihr die Flaſche aus der Hand nahm, viel hilft es ja nicht, es nieſelt in einem weg, und die Blänke vergeht doch wieder. Aber ich denke, alles muß ſeine Ordnung haben.

Das muß es. Und dann, Kruſe, es iſt ja doch auch ein richtiger Lack, das kann ich gleich ſehn, und was ein richtiger Lack iſt, der klebt nicht lange, der muß gleich trocknen. Und wenn es dann morgen nebelt oder naß fällt, dann ſchadet es nich 'mehr. Aber das muß ich doch ſagen, das mit dem Chineſen is eine merkwürdige Geſchichte.

Kruſe lachte. Unſinn is es, Roswitha. Und meine Frau, ſtatt aufs Richtige zu ſehen, erzählt immer ſo 'was, un' wenn ich ein reines Hemd an¬ ziehen will, fehlt ein Knopp. Un 'ſo is es nu' ſchon ſo lange wir hier ſind. Sie hat immer bloß ſolche Geſchichten in ihrem Kopp und dazu das ſchwarze305Effi BrieſtHuhn. Un 'das ſchwarze Huhn legt nich' 'mal Eier. Un' am Ende wovon ſoll es auch Eier legen? Es kommt ja nich '' raus und von's bloße Kikeriki kann doch ſo 'was nich' kommen. Das is von keinem Huhn nich 'zu verlangen.

Hören Sie, Kruſe, das werde ich Ihrer Frau wieder erzählen. Ich habe Sie immer für einen anſtändigen Menſchen gehalten, und nun ſagen Sie ſo 'was wie das da von Kikeriki. Die Mannsleute ſind doch immer noch ſchlimmer als man denkt. Un' eigentlich müßt 'ich nu' gleich den Pinſel hier nehmen und Ihnen einen ſchwarzen Schnurrbart anmalen.

Nu 'von Ihnen, Roswitha, kann man ſich das ſchon gefallen laſſen, und Kruſe, der meiſt den Würdigen ſpielte, ſchien in einen mehr und mehr ſchäkrigen Ton übergehen zu wollen, als er plötzlich der gnädigen Frau anſichtig wurde, die heute von der anderen Seite der Plantage herkam und in eben dieſem Augenblicke den Gartenzaun paſſierte.

Guten Tag, Roswitha, Du biſt ja ſo aus¬ gelaſſen. Was macht denn Annie?

Sie ſchläft, gnäd'ge Frau.

Aber Roswitha, als ſie das ſagte, war doch rot geworden und ging, raſch abbrechend, auf das Haus zu, um der gnädigen Frau beim Umkleiden behülflich zu ſein. Denn ob Johanna da war, das war dieTh. Fontane, Effi Brieſt. 20306Effi BrieſtFrage. Die ſteckte jetzt viel auf dem Amt‘ drüben, weil es zu Haus weniger zu thun gab und Friedrich und Chriſtel waren ihr zu langweilig und wußten nie 'was.

Annie ſchlief noch. Effi beugte ſich über die Wiege, ließ ſich dann Hut und Regenmantel ab¬ nehmen und ſetzte ſich auf das kleine Sofa in ihrer Schlafſtube. Das feuchte Haar ſtrich ſie langſam zurück, legte die Füße auf einen niedrigen Stuhl, den Roswitha heran geſchoben, und ſagte, während ſie ſichtlich das Ruhebehagen nach einem ziemlich langen Spaziergange genoß: Ich muß Dich darauf aufmerkſam machen, Roswitha, daß Kruſe ver¬ heiratet iſt.

Ich weiß, gnäd'ge Frau.

Ja, was weiß man nicht alles und handelt doch, als ob man es nicht wüßte. Das kann nie 'was werden.

Es ſoll ja auch nichts werden, gnäd'ge Frau

Denn wenn Du denkſt, ſie ſei krank, da machſt Du die Rechnung ohne den Wirt. Die Kranken leben am längſten. Und dann hat ſie das ſchwarze Huhn. Vor dem hüte Dich, das weiß alles und plaudert alles aus. Ich weiß nicht, ich habe einen Schauder davor. Und ich wette, daß das alles da oben mit dem Huhn zuſammenhängt.

307Effi Brieſt

Ach, das glaub 'ich nicht. Aber ſchrecklich iſt es doch. Und Kruſe, der immer gegen ſeine Frau iſt, kann es mir nicht ausreden.

Was ſagte der?

Er ſagte, es ſeien bloß Mäuſe.

Nun, Mäuſe, das iſt auch gerade ſchlimm genug. Ich kann keine Mäuſe leiden. Aber ich ſah ja deutlich, wie Du mit dem Kruſe ſchwatzteſt und vertraulich thateſt, und ich glaube ſogar, Du wollteſt ihm einen Schnurrbart anmalen. Das iſt doch ſchon ſehr viel. Und nachher ſitzeſt Du da. Du biſt ja noch eine ſchmucke Perſon und haſt ſo 'was. Aber ſieh' Dich vor, ſo viel kann ich Dir bloß ſagen. Wie war es denn eigentlich das erſte Mal mit Dir? Iſt es ſo, daß Du mir's erzählen kannſt?

Ach, ich kann ſchon. Aber ſchrecklich war es. Und weil es ſo ſchrecklich war, d'rum können gnäd'ge Frau auch ganz ruhig ſein, von wegen dem Kruſe. Wem es ſo gegangen iſt wie mir, der hat genug davon und paßt auf. Mitunter träume ich noch davon, und dann bin ich den andern Tag wie zer¬ ſchlagen. Solche grauſame Angſt

Effi hatte ſich aufgerichtet und ſtützte den Kopf auf ihren Arm. Nun erzähle. Wie kann es denn geweſen ſein? Es iſt ja mit Euch, das weiß ich noch von Hauſe her, immer dieſelbe Geſchichte

20 *308Effi Brieſt

Ja, zuerſt is es wohl immer daſſelbe, und ich will mir auch nicht einbilden, daß es mit mir 'was Beſonderes war, ganz und gar nicht. Aber wie ſie's mir dann auf den Kopf zuſagten und ich mit einem¬ male ſagen mußte: ja, es iſt ſo,' ja, das war ſchrecklich. Die Mutter, na, das ging noch, aber der Vater, der die Dorfſchmiede hatte, der war ſtreng und wütend, und als er's hörte, da kam er mit einer Stange auf mich los, die er eben aus dem Feuer genommen hatte, und wollte mich umbringen. Und ich ſchrie laut auf und lief auf den Boden und verſteckte mich, und da lag ich und zitterte und kam erſt wieder nach unten, als ſie mich riefen und ſagten, ich ſolle nur kommen. Und dann hatte ich noch eine jüngere Schweſter, die wies immer auf mich hin und ſagte, Pfui‘. Und dann, wie das Kind kommen ſollte, ging ich in eine Scheune nebenan, weil ich mir's bei uns nicht getraute. Da fanden mich fremde Leute halb tot und trugen mich ins Haus und in mein Bett. Und den dritten Tag nahmen ſie mir das Kind fort, und als ich nachher fragte, wo es ſei, da hieß es, es ſei gut aufgehoben. Ach, gnädigſte Frau, die heil'ge Mutter Gottes bewahre Sie vor ſolchem Elend.

Effi fuhr auf und ſah Roswitha mit großen Augen an. Aber ſie war doch mehr erſchrocken als309Effi Brieſtempört. Was Du nur ſprichſt! Ich bin ja doch eine verheiratete Frau. So 'was darfſt Du nicht ſagen, das iſt ungehörig, das paßt ſich nicht.

Ach, gnädigſte Frau

Erzähle mir lieber, was aus Dir wurde. Das Kind hatten ſie Dir genommen. So weit warſt Du

Und dann, nach ein paar Tagen, da kam wer aus Erfurt, der fuhr bei dem Schulzen vor und fragte,, ob da nicht eine Amme ſei‘. Da ſagte der Schulze, ja. Gott lohne es ihm, und der fremde Herr nahm mich gleich mit, und von da an hab 'ich beſſ're Tage gehabt; ſelbſt bei der Regiſtratorin war es doch immer noch zum Aushalten, und zuletzt bin ich zu Ihnen gekommen, gnädige Frau. Und das war das beſte, das allerbeſte. Und als ſie das ſagte, trat ſie an das Sofa heran und küßte Effi die Hand.

Roswitha, Du mußt mir nicht immer die Hand küſſen, ich mag das nicht. Und nimm Dich nur in acht mit dem Kruſe. Du biſt doch ſonſt eine ſo gute und verſtändige Perſon Mit einem Ehe¬ manne das thut nie gut.

Ach, gnäd'ge Frau, Gott und ſeine Heiligen führen uns wunderbar, und das Unglück, das uns trifft, das hat doch auch ſein Glück. Und wen es nicht beſſert, dem is nich 'zu helfen Ich kann eigentlich die Mannsleute gut leiden

310Effi Brieſt

Siehſt Du, Roswitha, ſiehſt Du.

Aber wenn es 'mal wieder ſo über mich käme, mit dem Kruſe, das is ja nichts, und ich könnte nicht mehr anders, da lief ich gleich ins Waſſer. Es war zu ſchrecklich. Alles. Und was nur aus dem armen Wurm geworden is? Ich glaube nicht, daß es noch lebt; ſie haben es umkommen laſſen, aber ich bin doch ſchuld. Und ſie warf ſich vor Annie's Wiege nieder und wiegte das Kind hin und her und ſang in einem fort ihr, Buhküken von Halberſtadt'.

Laß, ſagte Effi. Singe nicht mehr; ich habe Kopfweh. Aber bringe mir die Zeitungen. Oder hat Gieshübler vielleicht die Journale geſchickt?

Das hat er. Und die Modezeitung lag oben auf. Da haben wir drin geblättert, ich und Johanna eh 'ſie' rüber ging. Johanna ärgert ſich immer, daß ſie ſo 'was nicht haben kann. Soll ich die Modezeitung bringen?

Ja, die bringe und bring 'auch die Lampe.

Roswitha ging, und Effi, als ſie allein war, ſagte: Womit man ſich nicht alles hilft? Eine hübſche Dame mit einem Muff und eine mit einem Halbſchleier; Modepuppen. Aber es iſt das beſte, mich auf andre Gedanken zu bringen.

311Effi Brieſt

Im Laufe des andern Vormittags kam ein Telegramm von Innſtetten, worin er mitteilte, daß er erſt mit dem zweiten Zuge kommen, alſo nicht vor Abend in Keſſin eintreffen werde. Der Tag verging in ewiger Unruhe; glücklicherweiſe kam Gies¬ hübler im Laufe des Nachmittags und half über eine Stunde weg. Endlich um ſieben Uhr fuhr der Wagen vor, Effi trat hinaus, und man begrüßte ſich. Innſtetten war in einer ihm ſonſt fremden Erregung, und ſo kam es, daß er die Verlegenheit nicht ſah, die ſich in Effi's Herzlichkeit miſchte. Drinnen im Flur brannten die Lampen und Lichter und das Theezeug, das Friedrich ſchon auf einen der zwiſchen den Schränken ſtehenden Tiſche geſtellt hatte, reflektierte den Lichterglanz.

Das ſieht ja ganz ſo aus wie damals, als wir hier ankamen. Weißt Du noch, Effi?

Sie nickte.

Nur der Haifiſch mit ſeinem Fichtenzweig ver¬ hält ſich heute ruhiger, und auch Rollo ſpielt den Zurückhaltenden und legt mir nicht mehr die Pfoten auf die Schulter. Was iſt das mit Dir, Rollo?

Rollo ſtrich an ſeinem Herrn vorbei und wedelte.

Der iſt nicht recht zufrieden, entweder mit mir nicht oder mit andern. Nun, ich will annehmen, mit mir. Jedenfalls laß uns eintreten. Und er312Effi Brieſttrat in ſein Zimmer und bat Effi, während er ſich aufs Sofa niederließ, neben ihm Platz zu nehmen. Es war ſo hübſch in Berlin, über Erwarten; aber in all' meiner Freude habe ich mich immer zurück¬ geſehnt. Und wie gut Du ausſiehſt! Ein bißchen blaß und auch ein bißchen verändert, aber es kleidet Dich.

Effi wurde rot.

Und nun wirſt Du auch noch rot. Aber es iſt, wie ich Dir ſage. Du hatteſt ſo 'was von einem verwöhnten Kind, mit einemmal ſiehſt Du aus wie eine Frau.

Das hör 'ich gern, Geert, aber ich glaube, Du ſagſt es nur ſo.

Nein, nein, Du kannſt es Dir gut ſchreiben, wenn es etwas Gutes iſt

Ich dächte doch.

Und nun rate, von wem ich Dir Grüße bringe.

Das iſt nicht ſchwer, Geert. Außerdem, wir Frauen, zu denen ich mich, ſeitdem Du wieder da biſt, ja rechnen darf (und ſie reichte ihm die Hand und lachte), wir Frauen wir raten leicht. Wir ſind nicht ſo ſchwerfällig wie Ihr.

Nun von wem?

Nun natürlich von Vetter Brieſt. Er iſt ja der Einzige, den ich in Berlin kenne, die Tanten abgerechnet, die Du nicht aufgeſucht haben wirſt und313Effi Brieſtdie viel zu neidiſch ſind, um mich grüßen zu laſſen. Haſt Du nicht auch gefunden, alle alten Tanten ſind neidiſch.

Ja, Effi, das iſt wahr. Und daß Du das ſagſt, das iſt ganz meine alte Effi wieder. Denn Du mußt wiſſen, die alte Effi, die noch ausſah, wie ein Kind, nun, die war auch nach meinem Geſchmack. Grad 'ſo wie die jetzige gnäd'ge Frau.

Meinſt Du? Und wenn Du Dich zwiſchen beiden entſcheiden ſollteſt

Das iſt eine Doktorfrage, darauf laſſe ich mich nicht ein. Aber da bringt Friedrich den Thee. Wie hat's mich nach dieſer Stunde verlangt! Und hab 'es auch ausgeſprochen, ſogar zu Deinem Vetter Brieſt, als wir bei Dreſſel ſaßen und in Champagner Dein Wohl tranken Die Ohren müſſen Dir geklungen haben Und weißt Du, was Dein Vetter dabei ſagte?

Gewiß etwas Albernes. Darin iſt er groß

Das iſt der ſchwärzeſte Undank, den ich all' mein Lebtag erlebt habe., Laſſen wir Effi leben, ſagte er,, meine ſchöne Couſine Wiſſen Sie, Innſtetten, daß ich Sie am liebſten fordern und tot¬ ſchießen möchte? Denn Effi iſt ein Engel, und Sie haben mich um dieſen Engel gebracht '. Und dabei ſah er ſo ernſt und wehmütig aus, daß man's bei¬ nah hätte glauben können.

314Effi Brieſt

O, dieſe Stimmung kenn 'ich an ihm. Bei der wievielten wart Ihr?

Ich hab 'es nicht mehr gegenwärtig, und viel¬ leicht hätte ich es auch damals nicht mehr ſagen können. Aber das glaub' ich, daß es ihm ganz ernſt war. Und vielleicht wäre es auch das Richtige geweſen. Glaubſt Du nicht, daß Du mit ihm hätteſt leben können?

Leben können? Das iſt wenig, Geert. Aber beinah möchte ich ſagen, ich hätte auch nicht einmal mit ihm leben können.

Warum nicht? Er iſt wirklich ein liebens¬ würdiger und netter Menſch und auch ganz geſcheidt.

Ja, das iſt er

Aber

Aber er iſt dalbrig. Und das iſt keine Eigen¬ ſchaft, die wir Frauen lieben, auch nicht einmal dann, wenn wir noch halbe Kinder ſind, wohin Du mich immer gerechnet haſt und vielleicht, trotz meiner Fortſchritte, auch jetzt noch rechneſt. Das Dalbrige, das iſt nicht unſre Sache. Männer müſſen Männer ſein.

Gut, daß Du das ſagſt. Alle Teufel, da muß man ſich ja zuſammennehmen. Und ich kann von Glück ſagen, daß ich von ſo 'was, das wie Zuſammen¬ nehmen ausſieht, oder wenigſtens ein Zuſammen¬315Effi Brieſtnehmen in Zukunft fordert, ſo gut wie direkt her¬ komme Sage, wie denkſt Du Dir ein Miniſterium?

Ein Miniſterium? Nun, das kann zweierlei ſein. Es können Menſchen ſein, kluge, vornehme Herren, die den Staat regieren, und es kann auch bloß ein Haus ſein, ein Palazzo, ein Palazzo Strozzi oder Pitti oder, wenn die nicht paſſen, irgend ein andrer. Du ſiehſt, ich habe meine italieniſche Reiſe nicht umſonſt gemacht.

Und könnteſt Du Dich entſchließen, in ſolchem Palazzo zu wohnen? Ich meine in ſolchem Mini¬ ſterium?

Um Gotteswillen, Geert, ſie haben Dich doch nicht zum Miniſter gemacht? Gieshübler ſagte ſo 'was. Und der Fürſt kann alles. Gott, der hat es am Ende durchgeſetzt, und ich bin erſt achtzehn.

Innſtetten lachte. Nein, Effi, nicht Miniſter, ſo weit ſind wir noch nicht. Aber vielleicht kommen noch allerhand Gaben in mir heraus, und dann iſt es nicht unmöglich.

Alſo jetzt noch nicht, noch nicht Miniſter?

Nein. Und wir werden, die Wahrheit zu ſagen, auch nicht einmal in einem Miniſterium wohnen, aber ich werde täglich ins Miniſterium gehen, wie ich jetzt in unſer Landratsamt gehe, und werde dem Miniſter Vortrag halten und mit ihm reiſen, wenn er die316Effi BrieſtProvinzialbehörden inſpiziert. Und Du wirſt eine Miniſterialrätin ſein und in Berlin leben, und in einem halben Jahre wirſt Du kaum noch wiſſen, daß Du hier in Keſſin geweſen biſt und nichts gehabt haſt, als Gieshübler und die Dünen und die Plantage.

Effi ſagte kein Wort, und nur ihre Augen wurden immer größer; um ihre Mundwinkel war ein nervöſes Zucken, und ihr ganzer zarter Körper zitterte. Mit einemmale aber glitt ſie von ihrem Sitze vor Innſtetten nieder, umklammerte ſeine Knie und ſagte in einem Tone, wie wenn ſie betete: Gott ſei Dank!

Innſtetten verfärbte ſich. Was war das? Etwas, was ſeit Wochen flüchtig, aber doch immer ſich erneuernd über ihn kam, war wieder da und ſprach ſo deutlich aus ſeinem Auge, daß Effi davor erſchrak. Sie hatte ſich durch ein ſchönes Gefühl, das nicht viel 'was andres als ein Bekenntnis ihrer Schuld war, hin¬ reißen laſſen und dabei mehr geſagt, als ſie ſagen durfte. Sie mußte das wieder ausgleichen, mußte' was finden, irgend einen Ausweg, es koſte, was es wolle.

Steh 'auf, Effi. Was haſt Du?

Effi erhob ſich raſch. Aber ſie nahm ihren Platz auf dem Sofa nicht wieder ein, ſondern ſchob einen Stuhl mit hoher Lehne heran, augenſcheinlich,317Effi Brieſtweil ſie nicht Kraft genug fühlte, ſich ohne Stütze zu halten.

Was haſt Du? wiederholte Innſtetten. Ich dachte, Du hätteſt hier glückliche Tage verlebt. Und nun rufſt Du Gott ſei Dank , als ob Dir hier alles nur ein Schrecknis geweſen wäre. War ich der ein Schrecknis? Oder war es 'was andres? Sprich.

Daß Du noch fragen kannſt, Geert, ſagte ſie, während ſie mit einer äußerſten Anſtrengung das Zittern ihrer Stimme zu bezwingen ſuchte. Glück¬ liche Tage! Ja, gewiß, glückliche Tage, aber doch auch andre. Nie bin ich die Angſt hier ganz los ge¬ worden, nie. Noch keine vierzehn Tage, daß es mir wieder über die Schulter ſah, daſſelbe Geſicht, der¬ ſelbe fahle Teint. Und dieſe letzten Nächte, wo Du fort warſt, war es auch wieder da, nicht das Ge¬ ſicht, aber es ſchlurrte wieder, und Rollo ſchlug wieder an, und Roswitha, die's auch gehört, kam an mein Bett und ſetzte ſich zu mir, und erſt, als es ſchon dämmerte, ſchliefen wir wieder ein. Es iſt ein Spukhaus, und ich hab 'es auch glauben ſollen, das mit dem Spuk, denn Du biſt ein Erzieher. Ja, Geert, das biſt Du. Aber laß es ſein, wie's will, ſo viel weiß ich, ich habe mich ein ganzes Jahr lang und länger in dieſem Hauſe gefürchtet, und wenn ich von hier fortkomme, ſo wird es,318Effi Brieſtdenk 'ich, von mir abfallen, und ich werde wieder frei ſein.

Innſtetten hatte kein Auge von ihr gelaſſen und war jedem Worte gefolgt. Was ſollte das heißen: Du biſt ein Erzieher? und dann das andre, was vorausging: und ich hab 'es auch glauben ſollen, das mit dem Spuk. Was war das alles? Wo kam das her? Und er fühlte ſeinen leiſen Argwohn ſich wieder regen und feſter einniſten. Aber er hatte lange genug gelebt, um zu wiſſen, daß alle Zeichen trügen und daß wir in unſrer Eifer¬ ſucht, trotz ihrer hundert Augen, oft noch mehr in die Irre gehen, als in der Blindheit unſres Ver¬ trauens. Es konnte ja ſo ſein, wie ſie ſagte. Und wenn es ſo war, warum ſollte ſie nicht ausrufen: Gott ſei Dank!

Und ſo, raſch alle Möglichkeiten ins Auge faſſend, wurde er ſeines Argwohns wieder Herr und reichte ihr die Hand über den Tiſch hin: Verzeih 'mir, Effi, aber ich war ſo ſehr überraſcht von dem allen. Freilich wohl meine Schuld. Ich bin immer zu ſehr mit mir beſchäftigt geweſen. Wir Männer ſind alle Egoiſten. Aber das ſoll nun anders werden. Ein Gutes hat Berlin gewiß: Spukhäuſer giebt es da nicht. Wo ſollen die auch herkommen? Und nun laß uns hinüber gehen, daß ich Annie ſehe;319Effi BrieſtRoswitha verklagt mich ſonſt als einen unzärtlichen Vater.

Effi war unter dieſen Worten allmählich ruhiger geworden und das Gefühl, aus einer ſelbſtgeſchaffenen Gefahr ſich glücklich befreit zu haben, gab ihr ihre Spannkraft und gute Haltung wieder zurück.

[320]

Zweiundzwanzigſtes Kapitel.

Am andern Morgen nahmen beide gemein¬ ſchaftlich ihr etwas verſpätetes Frühſtück. Innſtetten hatte ſeine Mißſtimmung und Schlimmeres über¬ wunden, und Effi lebte ſo ganz dem Gefühl ihrer Befreiung, daß ſie nicht bloß die Fähigkeit einer ge¬ wiſſen erkünſtelten guten Laune, ſondern faſt auch ihre frühere Unbefangenheit wieder gewonnen hatte. Sie war noch in Keſſin, und doch war ihr ſchon zu Mute, als läge es weit hinter ihr.

Ich habe mir's überlegt, Effi, ſagte Inn¬ ſtetten, Du haſt nicht ſo ganz unrecht mit allem, was Du gegen unſer Haus hier geſagt haſt. Für Kapitän Thomſen war es gerade gut genug, aber nicht für eine junge verwöhnte Frau; alles alt¬ modiſch, kein Platz. Da ſollſt Du's in Berlin beſſer haben, auch einen Saal, aber einen andern als hier, und auf Flur und Treppe hohe bunte Glasfenſter, Kaiſer Wilhelm mit Szepter und Krone oder auch321Effi Brieſtwas Kirchliches, heilige Eliſabeth oder Jungfrau Maria. Sagen wir Jungfrau Maria, das ſind wir Roswitha ſchuldig.

Effi lachte. So ſoll es ſein. Aber wer ſucht uns eine Wohnung? Ich kann doch nicht Vetter Brieſt auf die Suche ſchicken. Oder gar die Tanten! Die finden alles gut genug.

Ja, das Wohnungſuchen. Das macht einem keiner zu Dank. Ich denke, da mußt Du ſelber hin.

Und wann meinſt Du?

Mitte März.

O, das iſt viel zu ſpät, Geert, dann iſt ja alles fort. Die guten Wohnungen werden ſchwerlich auf uns warten!

Iſt ſchon recht. Aber ich bin erſt ſeit geſtern wieder hier und kann doch nicht ſagen, reiſe morgen‘. Das würde mich ſchlecht kleiden und paßte mir auch wenig; ich bin froh, daß ich Dich wieder habe.

Nein, ſagte ſie, während ſie das Kaffeegeſchirr, um eine aufſteigende Verlegenheit zu verbergen, ziem¬ lich geräuſchvoll zuſammenrückte, nein, ſo ſoll's auch nicht ſein, nicht heut und nicht morgen, aber doch in den nächſten Tagen. Und wenn ich etwas finde, ſo bin ich raſch wieder zurück. Aber noch eins, Ros¬ witha und Annie müſſen mit. Am ſchönſten wär 'es, Du auch. Aber ich ſehe ein, das geht nichtTh. Fontane, Effi Brieſt. 21322Effi BrieſtUnd ich denke, die Trennung ſoll nicht lange dauern. Ich weiß auch ſchon, wo ich miete

Nun?

Das bleibt mein Geheimnis. Ich will auch ein Geheimnis haben. Damit will ich Dich dann überraſchen.

In dieſem Augenblick trat Friedrich ein, um die Poſtſachen abzugeben. Das meiſte war Dienſt¬ liches und Zeitungen. Ah, da iſt auch ein Brief für Dich, ſagte Innſtetten. Und wenn ich nicht irre, die Handſchrift der Mama.

Effi nahm den Brief. Ja, von der Mama. Aber das iſt ja nicht der Frieſacker Poſtſtempel; ſieh nur, das heißt ja deutlich Berlin.

Freilich, lachte Innſtetten Du thuſt, als ob es ein Wunder wäre. Die Mama wird in Berlin ſein und hat ihrem Liebling von ihrem Hotel aus einen Brief geſchrieben.

Ja, ſagte Effi, ſo wird es ſein. Aber ich ängſtige mich doch beinah und kann keinen rechten Troſt darin finden, daß Hulda Niemeyer immer ſagte: wenn man ſich ängſtigt, iſt es beſſer, als wenn man hofft. Was meinſt Du dazu?

Für eine Paſtorstochter nicht ganz auf der Höhe. Aber nun lies den Brief. Hier iſt ein Papiermeſſer.

323Effi Brieſt

Effi ſchnitt das Kouvert auf und las: Meine liebe Effi. Seit 24 Stunden bin ich hier in Berlin; Konſultationen bei Schweigger. Als er mich ſieht, beglückwünſcht er mich, und als ich erſtaunt ihn frage, wozu, erfahr 'ich, daß Miniſterialdirektor Wüllersdorf eben bei ihm geweſen und ihm erzählt habe: Innſtetten ſei ins Miniſterium berufen. Ich bin ein wenig ärgerlich, daß man dergleichen von einem Dritten erfahren muß. Aber in meinem Stolz und meiner Freude ſei Euch verziehen. Ich habe es übrigens immer gewußt (ſchon als I. noch bei den Rathenowern war), daß etwas aus ihm werden würde. Nun kommt es Dir zu gute. Natürlich müßt Ihr eine Wohnung haben und eine andere Einrichtung. Wenn Du, meine liebe Effi, glaubſt, meines Rates dabei bedürfen zu können, ſo komme, ſo raſch es Dir Deine Zeit erlaubt. Ich bleibe acht Tage hier in Kur, und wenn es nicht anſchlägt, vielleicht noch etwas länger; Schweigger drückt ſich unbeſtimmt darüber aus. Ich habe eine Privat¬ wohnung in der Schadowſtraße genommen; neben dem meinigen ſind noch Zimmer frei. Was es mit meinem Auge iſt, darüber mündlich; vorläufig be¬ ſchäftigt mich nur Eure Zukunft. Brieſt wird un¬ endlich glücklich ſein, er thut immer ſo gleichgültig gegen dergleichen, eigentlich hängt er aber mehr21 *324Effi Brieſtdaran als ich. Grüße Innſtetten, küſſe Annie, die Du vielleicht mitbringſt. Wie immer Deine Dich zärtlich liebende Mutter Luiſe von B.

Effi legte den Brief aus der Hand und ſagte nichts. Was ſie zu thun habe, das ſtand bei ihr feſt; aber ſie wollte es nicht ſelber ausſprechen, Inn¬ ſtetten ſollte damit kommen, und dann wollte ſie zögernd ja ſagen.

Innſtetten ging auch wirklich in die Falle. Nun, Effi, Du bleibſt ſo ruhig.

Ach, Geert, es hat alles ſo ſeine zwei Seiten. Auf der einen Seite beglückt es mich, die Mama wiederzuſehen und vielleicht ſogar ſchon in wenig Tagen. Aber es ſpricht auch ſo vieles dagegen.

Was?

Die Mama, wie Du weißt, iſt ſehr beſtimmt und kennt nur ihren eignen Willen. Dem Papa gegenüber hat ſie alles durchſetzen können. Aber ich möchte gern eine Wohnung haben, die nach meinem Geſchmack iſt, und eine neue Einrichtung, die mir gefällt.

Innſtetten lachte. Und das iſt alles?

Nun, es wäre grade genug. Aber es iſt nicht alles. Und nun nahm ſie ſich zuſammen und ſah ihn an und ſagte: Und dann, Geert, ich möchte nicht gleich wieder von Dir fort.

325Effi Brieſt

Schelm, das ſagſt Du ſo, weil Du meine Schwäche kennſt. Aber wir ſind alle ſo eitel, und ich will es glauben. Ich will es glauben und doch zugleich auch den Heroiſchen ſpielen, den Entſagenden. Reiſe, ſobald Du's für nötig hältſt und vor Deinem Herzen verantworten kannſt.

So darfſt Du nicht ſprechen, Geert. Was heißt das, vor meinem Herzen verantworten‘. Damit ſchiebſt Du mir, halb gewaltſam, eine Zärtlichkeitsrolle zu, und ich muß Dir dann aus reiner Koketterie ſagen:, Ach, Geert, dann reiſe ich nie. Oder doch ſo etwas Ähnliches.

Innſtetten drohte ihr mit dem Finger. Effi, Du biſt mir zu fein. Ich dachte immer, Du wärſt ein Kind, und ſehe nun, daß Du das Maß haſt wie alle andern. Aber laſſen wir das, oder wie Dein Papa immer ſagte:, das iſt ein zu weites Feld‘. Sage lieber, wann willſt Du fort?

Heute haben wir Dienstag. Sagen wir alſo Freitag Mittag mit dem Schiff. Dann bin ich am Abend in Berlin.

Abgemacht. Und wann zurück?

Nun ſagen wir Montag Abend. Das ſind dann drei Tage.

Geht nicht. Das iſt zu früh. In drei Tagen kannſt Du's nicht zwingen. Und ſo raſch läßt Dich die Mama auch nicht fort.

326Effi Brieſt

Alſo auf Diskretion.

Gut.

Und damit erhob ſich Innſtetten, um nach dem Landratsamte hinüber zu gehen.

Die Tage bis zur Abreiſe vergingen wie im Fluge. Roswitha war ſehr glücklich. Ach, gnädigſte Frau, Keſſin, nun ja , aber Berlin iſt es nicht. Und die Pferdebahn. Und wenn es dann ſo klingelt und man nicht weiß, ob man links oder rechts ſoll, und mitunter iſt mir ſchon geweſen, als ginge alles grad über mich weg. Nein, ſo was iſt hier nicht. Ich glaube, manchen Tag ſehen wir keine ſechs Menſchen. Und immer bloß die Dünen und draußen die See. Und das rauſcht und rauſcht, aber weiter iſt es auch nichts.

Ja, Roswitha, Du haſt recht. Es rauſcht und rauſcht immer, aber es iſt kein richtiges Leben. Und dann kommen einem allerhand dumme Gedanken. Das kannſt Du doch nicht beſtreiten, das mit dem Kruſe war nicht in der Richtigkeit.

Ach, gnädigſte Frau

Nun, ich will nicht weiter nachforſchen. Du wirſt es natürlich nicht zugeben. Und nimm nur nicht zu wenig Sachen mit. Deine Sachen kannſt Du eigentlich ganz mitnehmen und Annie's auch.

327Effi Brieſt

Ich denke, wir kommen noch 'mal wieder.

Ja, ich. Der Herr wünſcht es. Aber Ihr könnt vielleicht da bleiben, bei meiner Mutter. Sorge nur, daß ſie Anniechen nicht zu ſehr verwöhnt. Gegen mich war ſie mitunter ſtreng, aber ein Enkel¬ kind

Und dann iſt Anniechen ja auch ſo zum An¬ beißen. Da muß ja jeder zärtlich ſein.

Das war am Donnerstag, am Tage vor der Abreiſe. Innſtetten war über Land gefahren und wurde erſt gegen Abend zurückerwartet. Am Nach¬ mittag ging Effi in die Stadt, bis auf den Markt¬ platz, und trat hier in die Apotheke und bat um eine Flaſche Sal volatile. Man weiß nie, mit wem man reiſt, ſagte ſie zu dem alten Gehülfen, mit dem ſie auf dem Plauderfuße ſtand und der ſie anſchwärmte wie Gieshübler ſelbſt.

Iſt der Herr Doktor zu Hauſe? fragte ſie weiter, als ſie das Fläſchchen eingeſteckt hatte.

Gewiß, gnädigſte Frau; er iſt hier nebenan und lieſt die Zeitungen.

Ich werde ihn doch nicht ſtören?

O, nie.

Und Effi trat ein. Es war eine kleine, hohe Stube, mit Regalen rings herum, auf denen allerlei Kolben und Retorten ſtanden; nur an der einen328Effi BrieſtWand befanden ſich alphabetiſch geordnete, vorn mit einem Eiſenringe verſehene Käſten, in denen die Rezepte lagen.

Gieshübler war beglückt und verlegen. Welche Ehre. Hier unter meinen Retorten. Darf ich die gnädige Frau auffordern, einen Augenblick Platz zu nehmen?

Gewiß, lieber Gieshübler. Aber auch wirklich nur einen Augenblick. Ich will Ihnen Adieu ſagen.

Aber meine gnädigſte Frau, Sie kommen ja doch wieder. Ich habe gehört, nur auf drei, vier Tage

Ja, lieber Freund, ich ſoll wiederkommen, und es iſt ſogar verabredet, daß ich ſpäteſtens in einer Woche wieder in Keſſin bin. Aber ich könnte doch auch nicht wiederkommen. Muß ich Ihnen ſagen, welche tauſend Möglichkeiten es giebt Ich ſehe, Sie wollen mir ſagen, daß ich noch zu jung ſei , auch Junge können ſterben. Und dann ſo vieles andere noch. Und da will ich doch lieber Abſchied nehmen von Ihnen, als wär 'es für immer.

Aber meine gnädigſte Frau

Als wär 'es für immer. Und ich will Ihnen danken, lieber Gieshübler. Denn Sie waren das beſte hier; natürlich, weil Sie der Beſte waren. Und wenn ich hundert Jahr alt würde, ſo werde329Effi Brieſtich Sie nicht vergeſſen. Ich habe mich hier mit¬ unter einſam gefühlt, und mitunter war mir ſo ſchwer ums Herz, ſchwerer als Sie wiſſen können; ich habe es nicht immer richtig eingerichtet; aber wenn ich Sie geſehen habe, vom erſten Tage an, dann habe ich mich immer wohler gefühlt und auch beſſer.

Aber meine gnädigſte Frau.

Und dafür wollte ich Ihnen danken. Ich habe mir eben ein Fläſchchen mit Sal volatile gekauft; im Coupé ſind mitunter ſo merkwürdige Menſchen und wollen einem nicht 'mal erlauben, daß man ein Fenſter aufmacht; und wenn mir dann vielleicht denn es ſteigt einem ja ordentlich zu Kopf, ich meine das Salz die Augen übergehen, dann will ich an Sie denken. Adieu, lieber Freund, und grüßen Sie Ihre Freundin, die Trippelli. Ich habe in den letzten Wochen öfter an ſie gedacht und an Fürſt Kotſchukoff. Ein eigentümliches Verhältnis bleibt es doch. Aber ich kann mich hineinfinden Und laſſen Sie einmal von ſich hören. Oder ich werde ſchreiben.

Damit ging Effi. Gieshübler begleitete ſie bis auf den Platz hinaus. Er war wie benommen, ſo ſehr, daß er über manches Rätſelhafte, was ſie ge¬ ſprochen, ganz hinwegſah.

330Effi Brieſt

Effi ging wieder nach Haus. Bringen Sie mir die Lampe, Johanna, ſagte ſie, aber in mein Schlafzimmer. Und dann eine Taſſe Thee. Ich hab 'es ſo kalt und kann nicht warten, bis der Herr wieder da iſt.

Beides kam. Effi ſaß ſchon an ihrem kleinen Schreibtiſch, einen Briefbogen vor ſich, die Feder in der Hand. Bitte, Johanna, den Thee auf den Tiſch da.

Als Johanna das Zimmer wieder verlaſſen hatte, ſchloß Effi ſich ein, ſah einen Augenblick in den Spiegel und ſetzte ſich dann wieder. Und nun ſchrieb ſie: Ich reiſe morgen mit dem Schiff, und dies ſind Abſchiedszeilen. Innſtetten erwartet mich in wenig Tagen zurück, aber ich komme nicht wieder Warum ich nicht wiederkomme, Sie wiſſen es Es wäre das beſte geweſen, ich hätte dies Stück Erde nie geſehen. Ich beſchwöre Sie, dies nicht als einen Vorwurf zu faſſen; alle Schuld iſt bei mir. Blick 'ich auf Ihr Haus , Ihr Thun mag entſchuldbar ſein, nicht das meine. Meine Schuld iſt ſehr ſchwer. Aber vielleicht kann ich noch heraus. Daß wir hier abberufen wurden, iſt mir wie ein Zeichen, daß ich noch zu Gnaden angenommen werden kann. Vergeſſen Sie das Geſchehene, ver¬ geſſen Sie mich. Ihre Effi.

331Effi Brieſt

Sie überflog die Zeilen noch einmal, am fremdeſten war ihr das Sie ; aber auch das mußte ſein; es ſollte ausdrücken, daß keine Brücke mehr da ſei. Und nun ſchob ſie die Zeilen in ein Kouvert und ging auf ein Haus zu, zwiſchen dem Kirchhof und der Waldecke. Ein dünner Rauch ſtieg aus dem halb eingefallenen Schornſtein. Da gab ſie die Zeilen ab.

Als ſie wieder zurück war, war Innſtetten ſchon da, und ſie ſetzte ſich zu ihm und erzählte ihm von Gieshübler und dem Sal volatile.

Innſtetten lachte. Wo haſt Du nur Dein Latein her, Effi?

Das Schiff, ein leichtes Segelſchiff (die Dampf¬ boote gingen nur Sommers), fuhr um zwölf. Schon eine Viertelſtunde vorher waren Effi und Innſtetten an Bord; auch Roswitha und Annie.

Das Gepäck war größer, als es für einen, auf ſo wenig Tage geplanten Ausflug geboten erſchien. Innſtetten ſprach mit dem Kapitän; Effi, in einem Regenmantel und hellgrauen Reiſehut, ſtand auf dem Hinterdeck, nahe am Steuer, und muſterte von hier aus das Bollwerk und die hübſche Häuſerreihe, die dem Zuge des Bollwerks folgte. Gerade der Landungs¬ brücke gegenüber lag Hoppenſack's Hotel, ein drei332Effi BrieſtStock hohes Gebäude, von deſſen Giebeldach eine gelbe Flagge, mit Kreuz und Krone darin, ſchlaff in der ſtillen, etwas nebeligen Luft hernieder hing. Effi ſah eine Weile nach der Flagge hinauf, ließ dann aber ihr Auge wieder abwärts gleiten und verweilte zuletzt auf einer Anzahl von Perſonen, die neugierig am Bollwerk umher ſtanden. In dieſem Augenblicke wurde geläutet. Effi war ganz eigen zu Mut, das Schiff ſetzte ſich langſam in Bewegung, und als ſie die Landungsbrücke noch einmal muſterte, ſah ſie, daß Crampas in vorderſter Reihe ſtand. Sie erſchrak bei ſeinem Anblick und freute ſich doch auch. Er ſeinerſeits, in ſeiner ganzen Haltung verändert, war ſichtlich bewegt und grüßte ernſt zu ihr hinüber, ein Gruß, den ſie ebenſo, aber doch zugleich in großer Freundlichkeit, erwiderte; dabei lag etwas Bittendes in ihrem Auge. Dann ging ſie raſch auf die Kajüte zu, wo ſich Roswitha mit Annie ſchon eingerichtet hatte. Hier, in dem etwas ſtickigen Raume blieb ſie, bis man aus dem Fluß in die weite Bucht des Breitling eingefahren war; da kam Inn¬ ſtetten und rief ſie nach oben, daß ſie ſich an dem herrlichen Anblick erfreue, den die Landſchaft gerade an dieſer Stelle bot. Sie ging dann auch hinauf. Über dem Waſſerſpiegel hingen graue Wolken, und nur dann und wann ſchoß ein halb umſchleierter333Effi BrieſtSonnenblick aus dem Gewölk hervor. Effi gedachte des Tages, wo ſie, vor jetzt gerade Fünfvierteljahren, im offenen Wagen am Ufer eben dieſes Breitlings hin entlang gefahren war. Eine kurze Spanne Zeit, und das Leben oft ſo ſtill und einſam. Und doch, was war alles ſeitdem geſchehen!

So fuhr man die Waſſerſtraße hinauf und war um zwei an der Station oder doch ganz in Nähe derſelben. Als man gleich danach das Gaſthaus des Fürſten Bismarck‘ paſſierte, ſtand auch Golchowski wieder in der Thür und verſäumte nicht, den Herrn Landrat und die gnädige Frau bis an die Stufen der Böſchung zu geleiten. Oben war der Zug noch nicht angemeldet, und Effi und Innſtetten ſchritten auf dem Bahnſteig auf und ab. Ihr Geſpräch drehte ſich um die Wohnungsfrage; man war einig über den Stadtteil, und daß es zwiſchen dem Tiergarten und dem Zoologiſchen Garten ſein müſſe. Ich will den Finkenſchlag hören und die Papageien auch, ſagte Innſtetten, und Effi ſtimmte ihm zu.

Nun aber hörte man das Signal und der Zug lief ein; der Bahnhofsinſpektor war voller Entgegen¬ kommen, und Effi erhielt ein Coupé für ſich.

Noch ein Händedruck, ein Wehen mit dem Tuch, und der Zug ſetzte ſich wieder in Bewegung.

[334]

Dreiundzwanzigſtes Kapitel.

Auf dem Friedrichſtraßen-Bahnhofe war ein Gedränge; aber trotzdem, Effi hatte ſchon vom Coupé aus die Mama erkannt und neben ihr den Vetter Brieſt. Die Freude des Wiederſehens war groß, das Warten in der Gepäckhalle ſtellte die Geduld auf keine allzu harte Probe, und nach wenig mehr als fünf Minuten rollte die Droſchke neben dem Pferde¬ bahngeleiſe hin, in die Dorotheenſtraße hinein und auf die Schadowſtraße zu, an deren nächſtgelegener Ecke ſich die Penſion‘ befand. Roswitha war ent¬ zückt und freute ſich über Annie, die die Händchen nach den Lichtern ausſtreckte.

Nun war man da. Effi erhielt ihre zwei Zimmer, die nicht, wie erwartet, neben denen der Frau von Brieſt, aber doch auf demſelben Korridor lagen, und als alles ſeinen Platz und Stand hatte, und Annie in einem Bettchen mit Gitter glücklich untergebracht war, erſchien Effi wieder im Zimmer335Effi Brieſtder Mama, einem kleinen Salon mit Kamin, drin ein ſchwaches Feuer brannte; denn es war mildes, bei¬ nah warmes Wetter. Auf dem runden Tiſche mit grüner Schirmlampe waren drei Kouverts gelegt, und auf einem Nebentiſchchen ſtand das Theezeug.

Du wohnſt ja reizend, Mama, ſagte Effi, während ſie dem Sofa gegenüber Platz nahm, aber nur um ſich gleich danach an dem Theetiſch zu ſchaffen zu machen. Darf ich wieder die Rolle des Theefräuleins übernehmen?

Gewiß, meine liebe Effi. Aber nur für Dago¬ bert und Dich ſelbſt. Ich meinerſeits muß verzichten, was mir beinah ſchwer fällt.

Ich verſteh ', Deiner Augen halber. Aber nun ſage mir, Mama, was iſt es damit? In der Droſchke, die noch dazu ſo klapperte, haben wir immer nur von Innſtetten und unſerer großen Karriere geſprochen, viel zu viel, und das geht nicht ſo weiter; glaube mir, Deine Augen ſind mir wichtiger, und in einem finde ich ſie, Gott ſei Dank, ganz unver¬ ändert, Du ſiehſt mich immer noch ſo freundlich an wie früher. Und ſie eilte auf die Mama zu und küßte ihr die Hand.

Effi, Du biſt ſo ſtürmiſch. Ganz die alte.

Ach nein, Mama. Nicht die alte. Ich wollte, es wäre ſo. Man ändert ſich in der Ehe.

336Effi Brieſt

Vetter Brieſt lachte. Couſine, ich merke nicht viel davon; Du biſt noch hübſcher geworden, das iſt alles. Und mit dem Stürmiſchen wird es wohl auch noch nicht vorbei ſein.

Ganz der Vetter, verſicherte die Mama; Effi ſelbſt aber wollte davon nichts hören und ſagte: Dagobert, Du biſt alles, nur kein Menſchenkenner. Es iſt ſonderbar. Ihr Offiziere ſeid keine guten Menſchenkenner, die jungen gewiß nicht. Ihr guckt Euch immer nur ſelber an oder Eure Rekruten, und die von der Kavallerie haben auch noch ihre Pferde. Die wiſſen nun vollends nichts.

Aber Couſine, wo haſt Du denn dieſe ganze Weisheit her? Du kennſt ja keine Offiziere. Keſſin, ſo habe ich geleſen, hat ja auf die ihm zugedachten Huſaren verzichtet, ein Fall, der übrigens einzig in der Weltgeſchichte daſteht. Und willſt Du von alten Zeiten ſprechen? Du warſt ja noch ein halbes Kind, als die Rathenower zu Euch herüberkamen.

Ich könnte Dir erwidern, daß Kinder am beſten beobachten. Aber ich mag nicht, das ſind ja alles bloß Allotria. Ich will wiſſen, wie's mit Mama's Augen ſteht.

Frau von Brieſt erzählte nun, daß es der Augenarzt für Blutandrang nach dem Gehirn aus¬ gegeben habe. Daher käme das Flimmern. Es337Effi Brieſtmüſſe mit Diät gezwungen werden; Bier, Kaffee, Thee alles geſtrichen und gelegentlich eine lokale Blutentziehung, dann würde es bald beſſer werden. Er ſprach ſo von vierzehn Tagen. Aber ich kenne die Doktorangaben; vierzehn Tage heißt ſechs Wochen, und ich werde noch hier ſein, wenn Innſtetten kommt und Ihr in Eure neue Wohnung einzieht. Ich will auch nicht leugnen, daß das das beſte von der Sache iſt und mich über die mutmaßlich lange Kurdauer ſchon vorweg tröſtet. Sucht Euch nur recht 'was Hübſches. Ich habe mir Landgrafen - oder Keith¬ ſtraße gedacht, elegant und doch nicht allzu teuer. Denn Ihr werdet Euch einſchränken müſſen. Inn¬ ſtetten's Stellung iſt ſehr ehrenvoll, aber ſie wirft nicht allzuviel ab. Und Brieſt klagt auch. Die Preiſe gehen herunter, und er erzählt mir jeden Tag, wenn nicht Schutzzölle kämen, ſo müſſ' er mit einem Bettelſack von Hohen-Cremmen abziehen. Du weißt, er übertreibt gern. Aber nun lange zu, Dagobert, und wenn es ſein kann, erzähle uns 'was Hübſches. Krankheitsberichte ſind immer langweilig, und die liebſten Menſchen hören bloß zu, weil es nicht anders geht. Effi wird wohl auch gern eine Geſchichte hören, etwas aus den Fliegenden Blättern oder aus dem Kladderadatſch. Er ſoll aber nicht mehr ſo gut ſein.

Th. Fontane, Effi Brieſt. 22338Effi Brieſt

O, er iſt noch ebenſo gut wie früher. Sie haben immer noch Strudelwitz und Prudelwitz, und da macht es ſich von ſelber.

Mein Liebling iſt Karlchen Mießnick und Wippchen von Bernau.

Ja, das ſind die beſten. Aber Wippchen, der übrigens Pardon, ſchöne Couſine keine Kladderadatſchfigur iſt, Wippchen hat gegenwärtig nichts zu thun, es iſt ja kein Krieg mehr. Leider. Unſereins möchte doch auch 'mal an die Reihe kommen und hier dieſe ſchreckliche Leere, und er ſtrich vom Knopfloch nach der Achſel hinüber, endlich los werden.

Ach, das ſind ja bloß Eitelkeiten. Erzähle lieber. Was iſt denn jetzt dran?

Ja, Couſine, das iſt ein eigen Ding. Das iſt nicht für jedermann. Jetzt haben wir nämlich die Bibelwitze.

Die Bibelwitze? Was ſoll das heißen? Bibel und Witze gehören nicht zuſammen.

Eben deshalb ſagte ich, es ſei nicht für jeder¬ mann. Aber ob zuläſſig oder nicht, ſie ſtehen jetzt hoch im Preiſe. Modeſache, wie Kibitzeier.

Nun, wenn es nicht zu toll iſt, ſo gieb uns eine Probe. Geht es?

Gewiß geht es. Und ich möchte ſogar hinzu¬ ſetzen dürfen, Du triffſt es beſonders gut. Was jetzt nämlich kurſiert, iſt etwas hervorragend Feines,339Effi Brieſtweil es als Kombination auftritt und in die einfache Bibelſtelle noch das dativiſch Wrangel'ſche mit ein¬ miſcht. Die Frageſtellung alle dieſe Witze treten nämlich in Frageform auf iſt übrigens in vor¬ liegendem Falle von großer Simplizität und lautet:, Wer war der erſte Kutſcher?‘ Und nun rate.

Nun vielleicht Apollo.

Sehr gut. Du biſt doch ein Daus, Effi. Ich wäre nicht darauf gekommen. Aber trotzdem, Du triffſt damit nicht ins Schwarze.

Nun, wer war es denn?

Der erſte Kutſcher war, Leid‘. Denn ſchon im Buche Hiob heißt es:, Leid ſoll mir nicht wider¬ fahren, oder auch, wieder fahren‘ in zwei Wörtern und mit einem e.

Effi wiederholte kopfſchüttelnd den Satz, auch die Zubemerkung, konnte ſich aber trotz aller Mühe nicht d'rin zurechtfinden; ſie gehörte ganz aus¬ geſprochen zu den Bevorzugten, die für derlei Dinge durchaus kein Organ haben, und ſo kam denn Vetter Brieſt in die nicht beneidenswerte Situation, immer erneut erſt auf den Gleichklang und dann auch wieder auf den Unterſchied von widerfahren‘ und wieder fahren‘ hinweiſen zu müſſen.

Ach, nun verſteh 'ich. Und Du mußt mir verzeihen, daß es ſo lange gedauert. Aber es iſt wirklich zu dumm.

22*340Effi Brieſt

Ja, dumm iſt es, ſagte Dagobert kleinlaut.

Dumm und unpaſſend und kann einem Berlin ordentlich verleiden. Da geht man nun aus Keſſin fort, um wieder unter Menſchen zu ſein, und das Erſte, was man hört, iſt ein Bibelwitz. Auch Mama ſchweigt, und das ſagt genug. Ich will Dir aber doch den Rückzug erleichtern

Das thu ', Couſine.

den Rückzug erleichtern und es ganz ernſthaft als ein gutes Zeichen nehmen, daß mir, als erſtes hier, von meinem Vetter Dagobert geſagt wurde:, Leid ſoll mir nicht widerfahren‘. Sonderbar, Vetter, ſo ſchwach die Sache als Witz iſt, ich bin Dir doch dankbar dafür.

Dagobert, kaum aus der Schlinge heraus, ver¬ ſuchte über Effi's Feierlichkeit zu ſpötteln, ließ aber ab davon, als er ſah, daß es ſie verdroß.

Bald nach zehn Uhr brach er auf und verſprach am anderen Tage wiederzukommen, um nach den Befehlen zu fragen.

Und gleich, nachdem er gegangen, zog ſich auch Effi in ihre Zimmer zurück.

Am andern Tage war das ſchönſte Wetter, und Mutter und Tochter brachen früh auf, zunächſt nach der Augenklinik, wo Effi im Vorzimmer verblieb341Effi Brieſtund ſich mit dem Durchblättern eines Albums be¬ ſchäftigte. Dann ging es nach dem Tiergarten und bis in die Nähe des Zoologiſchen‘, um dort herum nach einer Wohnung zu ſuchen. Es traf ſich auch wirklich ſo, daß man in der Keithſtraße, worauf ſich ihre Wünſche von Anfang an gerichtet hatten, etwas durchaus Paſſendes ausfindig machte, nur daß es ein Neubau war, feucht und noch unfertig. Es wird nicht gehen, liebe Effi, ſagte Frau von Brieſt, ſchon einfach Geſundheitsrückſichten werden es ver¬ bieten. Und dann ein Geheimrat iſt kein Trocken¬ wohner.

Effi, ſo ſehr ihr die Wohnung gefiel, war umſo einverſtandener mit dieſem Bedenken, als ihr an einer raſchen Erledigung überhaupt nicht lag, ganz im Gegenteil:, Zeit gewonnen, alles gewonnen‘, und ſo war ihr denn ein Hinausſchieben der ganzen An¬ gelegenheit eigentlich das liebſte, was ihr begegnen konnte. Wir wollen dieſe Wohnung aber doch im Auge behalten, Mama, ſie liegt ſo ſchön und iſt im Weſentlichen das, was ich mir gewünſcht habe. Dann fuhren beide Damen in die Stadt zurück, aßen im Reſtaurant, das man ihnen empfohlen, und waren am Abend in der Oper, wozu der Arzt unter der Bedingung, daß Frau von Brieſt mehr hören als ſehen wolle, die Erlaubnis gegeben hatte.

342Effi Brieſt

Die nächſten Tage nahmen einen ähnlichen Ver¬ lauf; man war aufrichtig erfreut, ſich wieder zu haben und nach ſo langer Zeit wieder ausgiebig mit einander plaudern zu können. Effi, die ſich nicht bloß auf Zuhören und Erzählen, ſondern, wenn ihr am wohlſten war, auch auf Mediſieren ganz vor¬ züglich verſtand, geriet mehr als einmal in ihren alten Übermut, und die Mama ſchrieb nach Hauſe, wie glücklich ſie ſei, das Kind‘ wieder ſo heiter und lachluſtig zu finden; es wiederhole ſich ihnen allen die ſchöne Zeit von vor faſt zwei Jahren, wo man die Ausſtattung beſorgt habe. Auch Vetter Brieſt ſei ganz der Alte. Das war nun auch wirklich der Fall, nur mit dem Unterſchiede, daß er ſich ſeltener ſehen ließ, als vordem, und auf die Frage nach dem Warum‘ anſcheinend ernſthaft verſicherte: Du biſt mir zu gefährlich, Couſine. Das gab dann jedes¬ mal ein Lachen bei Mutter und Tochter, und Effi ſagte: Dagobert, Du biſt freilich noch ſehr jung, aber zu ſolcher Form des Courmachens doch nicht mehr jung genug.

So waren ſchon beinah vierzehn Tage vergangen. Innſtetten ſchrieb immer dringlicher und wurde ziem¬ lich ſpitz, faſt auch gegen die Schwiegermama, ſo daß Effi einſah, ein weiteres Hinausſchieben ſei nicht mehr gut möglich, und es müſſe nun wirklich gemietet343Effi Brieſtwerden. Aber was dann? Bis zum Umzuge nach Berlin waren immer noch drei Wochen, und Inn¬ ſtetten drang auf raſche Rückkehr. Es gab alſo nur ein Mittel: ſie mußte wieder eine Komödie ſpielen, mußte krank werden.

Das kam ihr aus mehr als einem Grunde nicht leicht an; aber es mußte ſein, und als ihr das feſt¬ ſtand, ſtand ihr auch feſt, wie die Rolle, bis in die kleinſten Einzelheiten hinein, geſpielt werden müſſe.

Mama, Innſtetten, wie Du ſiehſt, wird über mein Ausbleiben empfindlich. Ich denke, wir geben alſo nach und mieten heute noch. Und morgen reiſe ich. Ach, es wird mir ſo ſchwer, mich von Dir zu trennen.

Frau von Brieſt war einverſtanden. Und welche Wohnung wirſt Du wählen?

Natürlich die erſte, die in der Keithſtraße, die mir von Anfang an ſo gut gefiel und Dir auch. Sie wird wohl noch nicht ganz ausgetrocknet ſein, aber es iſt ja das Sommerhalbjahr, was einiger¬ maßen ein Troſt iſt. Und wird es mit der Feuchtig¬ keit zu arg und kommt ein bißchen Rheumatismus, ſo hab 'ich ja ſchließlich immer noch Hohen-Cremmen.

Kind, beruf 'es nicht; ein Rheumatismus iſt mitunter da, man weiß nicht wie.

Dieſe Worte der Mama kamen Effi ſehr zu paß. 344Effi BrieſtSie mietete denſelben Vormittag noch und ſchrieb eine Karte an Innſtetten, daß ſie den nächſten Tag zurückwolle. Gleich danach wurden auch wirklich die Koffer gepackt und alle Vorbereitungen getroffen. Als dann aber der andere Morgen da war, ließ Effi die Mama an ihr Bett rufen und ſagte: Mama, ich kann nicht reiſen. Ich habe ein ſolches Reißen und Ziehen, es ſchmerzt mich über den ganzen Rücken hin, und ich glaube beinah, es iſt ein Rheumatismus. Ich hätte nicht gedacht, daß das ſo ſchmerzhaft ſei.

Siehſt Du, was ich Dir geſagt habe; man ſoll den Teufel nicht an die Wand malen. Geſtern haſt Du noch leichtſinnig darüber geſprochen, und heute iſt es ſchon da. Wenn ich Schweigger ſehe, werde ich ihn fragen, was Du thun ſollſt.

Nein, nicht Schweigger. Der iſt ja ein Spezialiſt. Das geht nicht und er könnt 'es am Ende übelnehmen, in ſo was anderem zu Rate gezogen zu werden. Ich denke, das beſte iſt, wir warten es ab. Es kann ja auch vorübergehen. Ich werde den ganzen Tag über von Thee und Sodawaſſer leben, und wenn ich dann transpiriere, komm' ich vielleicht d'rüber hin.

Frau von Brieſt drückte ihre Zuſtimmung aus, beſtand aber darauf, daß ſie ſich gut verpflege. Daß man nichts genießen müſſe, wie das früher Mode war, das ſei ganz falſch und ſchwäche bloß; in dieſem345Effi BrieſtPunkte ſtehe ſie ganz zu der jungen Schule: tüchtig eſſen.

Effi ſog ſich nicht wenig Troſt aus dieſen An¬ ſchauungen, ſchrieb ein Telegramm an Innſtetten, worin ſie von dem leidigen Zwiſchenfall und einer ärgerlichen, aber doch nur momentanen Behinderung ſprach, und ſagte dann zu Roswitha: Roswitha, Du mußt mir nun auch Bücher beſorgen; es wird nicht ſchwer halten, ich will alte, ganz alte.

Gewiß, gnäd'ge Frau. Die Leihbibliothek iſt ja gleich hier nebenan. Was ſoll ich beſorgen?

Ich will es aufſchreiben, allerlei zur Auswahl, denn mitunter haben ſie nicht das eine, was man grade haben will. Roswitha brachte Bleiſtift und Papier, und Effi ſchrieb auf: Walter Scott, Ivanhoe oder Quentin Durward; Cooper, Der Spion; Dickens, David Copperfield; Willibald Alexis, Die Hoſen des Herrn von Bredow.

Roswitha las den Zettel durch und ſchnitt in der anderen Stube die letzte Zeile fort; ſie genierte ſich ihret - und ihrer Frau wegen, den Zettel in ſeiner urſprünglichen Geſtalt abzugeben.

Ohne beſondere Vorkommniſſe verging der Tag. Am andern Morgen war es nicht beſſer und am dritten auch nicht.

Effi, das geht ſo nicht länger. Wenn ſo 'was346Effi Brieſteinreißt, dann wird man's nicht wieder los; wovor die Doktoren am meiſten warnen und mit Recht, das ſind ſolche Verſchleppungen.

Effi ſeufzte. Ja, Mama, aber wen ſollen wir nehmen? Nur keinen jungen; ich weiß nicht, aber es würde mich genieren.

Ein junger Doktor iſt immer genant, und wenn er es nicht iſt, deſto ſchlimmer. Aber Du kannſt Dich beruhigen; ich komme mit einem ganz alten, der mich ſchon behandelt hat, als ich noch in der Hecker'ſchen Penſion war, alſo vor etlichen zwanzig Jahren. Und damals war er nah an Fünfzig und hatte ſchönes graues Haar, ganz kraus. Er war ein Damenmann, aber in den richtigen Grenzen. Ärzte, die das vergeſſen, gehen unter, und es kann auch nicht anders ſein; unſere Frauen, wenigſtens die aus der Geſellſchaft, haben immer noch einen guten Fond.

Meinſt Du? ich freue mich immer, ſo 'was Gutes zu hören. Denn mitunter hört man doch auch andres. Und ſchwer mag es wohl oft ſein. Und wie heißt denn der alte Geheimrat? Ich nehme an, daß es ein Geheimrat iſt.

Geheimrat Rummſchüttel.

Effi lachte herzlich. Rummſchüttel! Und als Arzt für jemanden, der ſich nicht rühren kann.

347Effi Brieſt

Effi, Du ſprichſt ſo ſonderbar. Große Schmerzen kannſt Du nicht haben.

Nein, in dieſem Augenblicke nicht; es wechſelt beſtändig.

Am andern Morgen erſchien Geheimrat Rumm¬ ſchüttel. Frau von Brieſt empfing ihn, und als er Effi ſah, war ſein erſtes Wort: Ganz die Mama.

Dieſe wollte den Vergleich ablehnen und meinte, zwanzig Jahre und drüber ſeien doch eine lange Zeit; Rummſchüttel blieb aber bei ſeiner Behauptung, zugleich verſichernd: nicht jeder Kopf präge ſich ihm ein, aber wenn er überhaupt erſt einen Eindruck empfangen habe, ſo bleibe der auch für immer. Und nun, meine gnädigſte Frau von Innſtetten, wo fehlt es, wo ſollen wir helfen?

Ach, Herr Geheimrat, ich komme in Verlegen¬ heit, Ihnen auszudrücken, was es iſt. Es wechſelt beſtändig. In dieſem Augenblick iſt es wie weg¬ geflogen. Anfangs habe ich an Rheumatiſches ge¬ dacht, aber ich möchte beinah glauben, es ſei eine Neuralgie, Schmerzen den Rücken entlang, und dann kann ich mich nicht aufrichten. Mein Papa leidet an Neuralgie, da hab 'ich es früher beobachten können. Vielleicht ein Erbſtück von ihm.

Sehr wahrſcheinlich, ſagte Rummſchüttel, der348Effi Brieſtden Puls gefühlt und die Patientin leicht, aber doch ſcharf beobachtet hatte. Sehr wahrſcheinlich, meine gnädigſte Frau. Was er aber ſtill zu ſich ſelber ſagte, das lautete: Schulkrank und mit Virtuoſität geſpielt; Evastochter comme il faut. Er ließ jedoch nichts davon merken, ſondern ſagte mit allem wünſchens¬ werten Ernſt: Ruhe und Wärme ſind das beſte, was ich anraten kann. Eine Medizin, übrigens nichts Schlimmes, wird das weitere thun.

Und er erhob ſich, um das Rezept aufzuſchreiben: Aqua Amygdalarum amararum eine halbe Unze, Syrupus florum Aurantii zwei Unzen. Hiervon, meine gnädigſte Frau, bitte ich Sie, alle zwei Stunden einen halben Theelöffel voll nehmen zu wollen. Es wird Ihre Nerven beruhigen. Und worauf ich noch dringen möchte: keine geiſtigen Anſtrengungen, keine Beſuche, keine Lektüre. Dabei wies er auf das neben ihr liegende Buch.

Es iſt Scott.

O, dagegen iſt nichts einzuwenden. Das beſte ſind Reiſebeſchreibungen. Ich ſpreche morgen wieder vor.

Effi hatte ſich wundervoll gehalten, ihre Rolle gut durchgeſpielt. Als ſie wieder allein war die Mama begleitete den Geheimrat , ſchoß ihr trotzdem das Blut zu Kopf; ſie hatte recht gut be¬349Effi Brieſtmerkt, daß er ihrer Komödie mit einer Komödie be¬ gegnet war. Er war offenbar ein überaus lebens¬ gewandter Herr, der alles recht gut ſah, aber nicht alles ſehen wollte, vielleicht weil er wußte, daß der¬ gleichen auch 'mal zu reſpektieren ſein könne. Denn gab es nicht zu reſpektierende Komödien, war nicht die, die ſie ſelber ſpielte, eine ſolche?

Bald danach kam die Mama zurück, und Mutter und Tochter ergingen ſich in Lobeserhebungen über den feinen alten Herrn, der trotz ſeiner beinah Siebzig noch etwas Jugendliches habe. Schicke nur gleich Roswitha nach der Apotheke Du ſollſt aber nur alle drei Stunden nehmen, hat er mir draußen noch eigens geſagt. So war er ſchon damals, er verſchrieb nicht oft und nicht viel; aber immer Energiſches, und es half auch gleich.

Rummſchüttel kam den zweiten Tag und dann jeden dritten, weil er ſah, welche Verlegenheit ſein Kommen der jungen Frau bereitete. Dies nahm ihn für ſie ein, und ſein Urteil ſtand ihm nach dem dritten Beſuche feſt: Hier liegt etwas vor, was die Frau zwingt, ſo zu handeln, wie ſie handelt. Über ſolche Dinge den Empfindlichen zu ſpielen, lag längſt hinter ihm.

Als Rummſchüttel ſeinen vierten Beſuch machte,350Effi Brieſtfand er Effi auf, in einem Schaukelſtuhl ſitzend, ein Buch in der Hand, Annie neben ihr.

Ah, meine gnädigſte Frau! Hocherfreut. Ich ſchiebe es nicht auf die Arznei; das ſchöne Wetter, die hellen, friſchen Märztage, da fällt die Krankheit ab. Ich beglückwünſche Sie. Und die Frau Mama?

Sie iſt ausgegangen, Herr Geheimrat, in die Keithſtraße, wo wir gemietet haben. Ich erwarte nun innerhalb weniger Tage meinen Mann, den ich mich, wenn in unſerer Wohnung erſt alles in Ordnung ſein wird, herzlich freue, Ihnen vorſtellen zu können. Denn ich darf doch wohl hoffen, daß Sie auch in Zukunft ſich meiner annehmen werden.

Er verbeugte ſich.

Die neue Wohnung, fuhr ſie fort, ein Neu¬ bau, macht mir freilich Sorge. Glauben Sie, Herr Geheimrat, daß die feuchten Wände

Nicht im geringſten, meine gnädigſte Frau. Laſſen Sie drei, vier Tage lang tüchtig heizen und immer Thüren und Fenſter auf, da können Sie's wagen, auf meine Verantwortung. Und mit Ihrer Neuralgie, das war nicht von ſolcher Bedeutung. Aber ich freue mich Ihrer Vorſicht, die mir Gelegen¬ heit gegeben hat, eine alte Bekanntſchaft zu erneuern und eine neue zu machen.

Er wiederholte ſeine Verbeugung, ſah noch Annie351Effi Brieſtfreundlich in die Augen und verabſchiedete ſich unter Empfehlungen an die Mama.

Kaum daß er fort war, ſo ſetzte ſich Effi an den Schreibtiſch und ſchrieb: Lieber Innſtetten! Eben war Rummſchüttel hier und hat mich aus der Kur entlaſſen. Ich könnte nun reiſen, morgen etwa; aber heut 'iſt ſchon der 24., und am 28. willſt Du hier eintreffen. Angegriffen bin ich ohnehin noch. Ich denke, Du wirſt einverſtanden ſein, wenn ich die Reiſe ganz aufgebe. Die Sachen ſind ja ohnehin ſchon unterwegs, und wir würden, wenn ich käme, in Hoppenſack's Hotel wie Fremde leben müſſen. Auch der Koſtenpunkt iſt in Betracht zu ziehen, die Ausgaben werden ſich ohnehin häufen; unter anderem iſt Rummſchüttel zu honorieren, wenn er uns auch als Arzt verbleibt. Übrigens ein ſehr liebenswürdiger alter Herr. Er gilt ärztlich nicht für erſten Ranges, Damendoktor‘ ſagen ſeine Gegner und Neider. Aber dies Wort umſchließt doch auch ein Lob; es kann eben nicht jeder mit uns umgehen. Daß ich von den Keſſinern nicht perſönlich Abſchied nehme, hat nicht viel auf ſich. Bei Gieshübler war ich. Die Frau Majorin hat ſich immer ablehnend gegen mich verhalten, ablehnend bis zur Unart; bleibt nur noch der Paſtor und Dr. Hannemann und Crampas. Empfiehl mich letzterem. An die Familien auf dem352Effi BrieſtLande ſchicke ich Karten; Güldenklee's, wie Du mir ſchreibſt, ſind in Italien (was ſie da wollen, weiß ich nicht), und ſo bleiben nur die drei andern. Entſchuldige mich, ſo gut es geht. Du biſt ja der Mann der Formen und weißt das richtige Wort zu treffen. An Frau von Padden, die mir am Sylveſter¬ abend ſo außerordentlich gut gefiel, ſchreibe ich viel¬ leicht ſelber noch und ſpreche ihr mein Bedauern aus. Laß mich in einem Telegramm wiſſen, ob Du mit allem einverſtanden biſt. Wie immer Deine Effi.

Effi brachte ſelber den Brief zur Poſt, als ob ſie dadurch die Antwort beſchleunigen könne, und am nächſten Vormittage traf denn auch das erbetene Telegramm von Innſtetten ein: Einverſtanden mit allem. Ihr Herz jubelte, ſie eilte hinunter und auf den nächſten Droſchkenſtand zu. Keithſtraße 1 c. Und erſt die Linden und dann die Tiergartenſtraße hinunter flog die Droſchke, und nun hielt ſie vor der neuen Wohnung.

Oben ſtanden die den Tag vorher eingetroffenen Sachen noch bunt durcheinander, aber es ſtörte ſie nicht, und als ſie auf den breiten aufgemauerten Balkon hinaustrat, lag jenſeits der Kanalbrücke der Tiergarten vor ihr, deſſen Bäume ſchon überall einen grünen Schimmer zeigten. Darüber aber ein klarer blauer Himmel und eine lachende Sonne.

353Effi Brieſt

Sie zitterte vor Erregung und atmete hoch auf. Dann trat ſie, vom Balkon her, wieder über die Thürſchwelle zurück, erhob den Blick und faltete die Hände.

Nun, mit Gott, ein neues Leben! Es ſoll anders werden.

Th. Fontane, Effi Brieſt. 23
[354]

Vierundzwanzigſtes Kapitel.

Drei Tage danach, ziemlich ſpät, um die neunte Stunde, traf Innſtetten in Berlin ein. Alles war am Bahnhof, Effi, die Mama, der Vetter; der Empfang war herzlich, am herzlichſten von ſeiten Effi's, und man hatte bereits eine Welt von Dingen durchgeſprochen, als der Wagen, den man genommen, vor der neuen Wohnung in der Keithſtraße hielt. Ach, da haſt Du gut gewählt, Effi, ſagte Innſtetten, als er in das Veſtibul eintrat, kein Haifiſch, kein Krokodil und hoffentlich auch kein Spuk.

Nein, Geert, damit iſt es nun vorbei. Nun bricht eine andere Zeit an, und ich fürchte mich nicht mehr und will auch beſſer ſein als früher und Dir mehr zu Willen leben. Alles das flüſterte ſie ihm zu, während ſie die teppichbedeckte Treppe bis in den zweiten Stock hinanſtiegen. Der Vetter führte die Mama.

355Effi Brieſt

Oben fehlte noch manches, aber für einen wohn¬ lichen Eindruck war doch geſorgt, und Innſtetten ſprach ſeine Freude darüber aus. Effi, Du biſt doch ein kleines Genie, aber dieſe lehnte das Lob ab und zeigte auf die Mama, die habe das eigentliche Ver¬ dienſt. Hier muß es ſtehen, ſo hab 'es unerbittlich geheißen, und immer habe ſie's getroffen, wodurch natürlich viel Zeit geſpart und die gute Laune nie geſtört worden ſei. Zuletzt kam auch Roswitha, um den Herrn zu begrüßen, bei welcher Gelegenheit ſie ſagte: Fräulein Annie ließe ſich für heute ent¬ ſchuldigen ein kleiner Witz, auf den ſie ſtolz war und mit dem ſie auch ihren Zweck vollkommen er¬ reichte.

Und nun nahmen ſie Platz um den ſchon ge¬ deckten Tiſch, und als Innſtetten ſich ein Glas Wein eingeſchenkt und auf glückliche Tage mit allen an¬ geſtoßen hatte, nahm er Effi's Hand und ſagte: Aber Effi, nun erzähle mir, was war das mit Deiner Krankheit?

Ach, laſſen wir doch das, nicht der Rede wert; ein bißchen ſchmerzhaft und eine rechte Störung, weil es einen Strich durch unſere Pläne machte. Aber mehr war es nicht, und nun iſt es vorbei. Rummſchüttel hat ſich bewährt, ein feiner, liebens¬ würdiger, alter Herr, wie ich Dir, glaub 'ich, ſchon23 *356Effi Brieſtſchrieb. In ſeiner Wiſſenſchaft ſoll er nicht gerade glänzen, aber Mama ſagt, das ſei ein Vorzug. Und ſie wird wohl recht haben wie in allen Stücken. Unſer guter Dr. Hannemann war auch kein Licht und traf es doch immer. Und nun ſage, was macht Gieshübler und die anderen alle?

Ja, wer ſind die anderen alle? Crampas läßt ſich der gnäd'gen Frau empfehlen

Ah, ſehr artig.

Und der Paſtor will Dir desgleichen empfohlen ſein; nur die Herrſchaften auf dem Lande waren ziemlich nüchtern und ſchienen auch mich für Deinen Abſchied ohne Abſchied verantwortlich machen zu wollen. Unſere Freundin Sidonie war ſogar ſpitz, und nur die gute Frau von Padden, zu der ich eigens vorgeſtern noch hinüberfuhr, freute ſich aufrichtig über Deinen Gruß und Deine Liebeserklärung an ſie. Du ſeiſt eine reizende Frau, ſagte ſie, aber ich ſollte Dich gut hüten. Und als ich ihr erwiderte: Du fändeſt ſchon, daß ich mehr ein Erzieher‘ als ein Ehemann ſei, ſagte ſie halblaut und beinahe wie abweſend: Ein junges Lämmchen weiß wie Schnee. Und dann brach ſie ab.

Vetter Brieſt lachte. Ein junges Lämmchen weiß wie Schnee …‘ Da hörſt Du's, Couſine. Und er wollte ſie zu necken fortfahren, gab es aber auf, als er ſah, daß ſie ſich verfärbte.

357Effi Brieſt

Das Geſpräch, das meiſt zurückliegende Verhält¬ niſſe berührte, ſpann ſich noch eine Weile weiter, und Effi erfuhr zuletzt aus dieſem und jenem, was Innſtetten mitteilte, daß ſich von dem ganzen Keſſiner Hausſtande nur Johanna bereit erklärt habe, die Überſiedelung nach Berlin mitzumachen. Sie ſei natürlich noch zurückgeblieben, werde aber in zwei, drei Tagen mit dem Reſt der Sachen eintreffen; er ſei froh über ihren Entſchluß, denn ſie ſei immer die brauchbarſte geweſen und von einem ausgeſprochenen großſtädtiſchen Chic. Vielleicht ein bißchen zu ſehr. Kriſtel und Friedrich hätten ſich beide für zu alt erklärt, und mit Kruſe zu verhandeln, habe ſich von vorn herein verboten. Was ſoll uns ein Kutſcher hier? ſchloß Innſtetten, Pferd und Wagen, das ſind tempi passati, mit dieſem Luxus iſt es in Berlin vorbei. Nicht einmal das ſchwarze Huhn hätten wir unterbringen können. Oder unterſchätz 'ich die Wohnung?

Effi ſchüttelte den Kopf, und als eine kleine Pauſe eintrat, erhob ſich die Mama; es ſei bald elf, und ſie habe noch einen weiten Weg, übrigens ſolle ſie niemand begleiten, der Droſchkenſtand ſei ja nah ein Anſinnen, das Vetter Brieſt natürlich ab¬ lehnte. Bald darauf trennte man ſich, nachdem noch Rendez-vous für den andern Vormittag verabredet war.

358Effi Brieſt

Effi war ziemlich früh auf und hatte die Luft war beinahe ſommerlich warm den Kaffee¬ tiſch bis nahe an die geöffnete Balkonthür rücken laſſen, und als Innſtetten nun auch erſchien, trat ſie mit ihm auf den Balkon hinaus und ſagte: Nun, was ſagſt Du? Du wollteſt den Finkenſchlag aus dem Tiergarten hören und die Papageien aus dem Zoologiſchen. Ich weiß nicht, ob beide Dir den Ge¬ fallen thun werden, aber möglich iſt es. Hörſt Du wohl? Das kam von drüben, drüben aus dem kleinen Park. Es iſt nicht der eigentliche Tiergarten, aber doch beinah '.

Innſtetten war entzückt und von einer Dankbar¬ keit, als ob Effi ihm das alles perſönlich heran¬ gezaubert habe. Dann ſetzten ſie ſich, und nun kam auch Annie. Roswitha verlangte, daß Innſtetten eine große Veränderung an dem Kinde finden ſolle, was er denn auch ſchließlich that. Und dann plauderten ſie weiter, abwechſelnd über die Keſſiner und die in Berlin zu machenden Viſiten, und ganz zuletzt auch über eine Sommerreiſe. Mitten im Geſpräch aber mußten ſie abbrechen, um rechtzeitig beim Rendez-vous erſcheinen zu können.

Man traf ſich, wie verabredet, bei Helms, gegenüber dem roten Schloß, beſuchte verſchiedene359Effi BrieſtLäden, bei Hiller und war bei guter Zeit wieder zu Haus. Es war ein gelungenes Beiſammenſein geweſen, Innſtetten herzlich froh, das großſtädtiſche Leben wieder mitmachen und auf ſich wirken laſſen zu können. Tags darauf, am 1. April, begab er ſich in das Kanzlerpalais, um ſich einzuſchreiben (eine perſönliche Gratulation unterließ er aus Rückſicht), und ging dann aufs Miniſterium, um ſich da zu melden. Er wurde auch angenommen, trotzdem es ein geſchäftlich und geſellſchaftlich ſehr unruhiger Tag war, ja, ſah ſich ſeitens ſeines Chefs durch be¬ ſonders entgegenkommende Liebenswürdigkeit aus¬ gezeichnet. Er wiſſe, was er an ihm habe und ſei ſicher, ihr Einvernehmen nie geſtört zu ſehen.

Auch im Hauſe geſtaltete ſich alles zum guten. Ein aufrichtiges Bedauern war es für Effi, die Mama, nachdem dieſe, wie gleich anfänglich vermutet, faſt ſechs Wochen lang in Kur geweſen, nach Hohen - Cremmen zurückkehren zu ſehen, ein Bedauern, das nur dadurch einigermaßen gemildert wurde, daß ſich Johanna denſelben Tag noch in Berlin einſtellte. Das war immerhin 'was, und wenn die hübſche Blondine dem Herzen Effi's auch nicht ganz ſo nahe ſtand wie die ganz ſelbſtſuchtsloſe und unendlich gut¬ mütige Roswitha, ſo war ſie doch gleichmäßig an¬ geſehen, ebenſo bei Innſtetten wie bei ihrer jungen360Effi BrieſtHerrin, weil ſie ſehr geſchickt und brauchbar und der Männerwelt gegenüber von einer ausgeſprochenen und ſelbſtbewußten Reſerviertheit war. Einem Keſſiner on dit zufolge ließen ſich die Wurzeln ihrer Exiſtenz auf eine längſt penſionierte Größe der Garniſon Paſewalk zurückführen, woraus man ſich auch ihre vornehme Geſinnung, ihr ſchönes blondes Haar und die beſondere Plaſtik ihrer Geſamterſcheinung erklären wollte. Johanna ſelbſt teilte die Freude, die man allerſeits über ihr Eintreffen empfand, und war durchaus einverſtanden damit, als Hausmädchen und Jungfer, ganz wie früher, den Dienſt bei Effi zu übernehmen, während Roswitha, die der Kriſtel in beinahe Jahresfriſt ihre Kochkünſte ſo ziemlich ab¬ gelernt hatte, dem Küchendepartement vorſtehen ſollte. Annie's Abwartung und Pflege fiel Effi ſelber zu, worüber Roswitha freilich lachte. Denn ſie kannte die jungen Frauen.

Innſtetten lebte ganz ſeinem Dienſt und ſeinem Haus. Er war glücklicher als vordem in Keſſin, weil ihm nicht entging, daß Effi ſich unbefangener und heiterer gab. Und das konnte ſie, weil ſie ſich freier fühlte. Wohl blickte das Vergangene noch in ihr Leben hinein, aber es ängſtigte ſie nicht mehr, oder doch um vieles ſeltener und vorübergehender, und alles, was davon noch in ihr nachzitterte, gab361Effi Brieſtihrer Haltung einen eigenen Reiz. In jeglichem, was ſie that, lag etwas Wehmütiges wie eine Abbitte, und es hätte ſie glücklich gemacht, dies alles noch deutlicher zeigen zu können. Aber das verbot ſich freilich.

Das geſellſchaftliche Leben der großen Stadt war, als ſie während der erſten Aprilwochen ihre Beſuche machten, noch nicht vorüber, wohl aber im Erlöſchen, und ſo kam es für ſie zu keiner rechten Teil¬ nahme mehr daran. In der zweiten Hälfte des Mai ſtarb es dann ganz hin, und mehr noch als vorher war man glücklich, ſich in der Mittagsſtunde, wenn Inn¬ ſtetten von ſeinem Miniſterium kam, im Tiergarten treffen oder nachmittags einen Spaziergang nach dem Charlottenburger Schloßgarten machen zu können. Effi ſah ſich, wenn ſie die lange Front zwiſchen dem Schloß und den Orangeriebäumen auf und ab ſchritt, immer wieder die maſſenhaft dortſtehenden römiſchen Kaiſer an, fand eine merkwürdige Ähnlichkeit zwiſchen Nero und Titus, ſammelte Tannenäpfel, die von den Trauertannen gefallen waren, und ging dann, Arm in Arm mit ihrem Manne, bis auf das nach der Spree hin einſam gelegene Belvedere zu.

Da drin ſoll es auch einmal geſpukt haben, ſagte ſie.

Nein, bloß Geiſtererſcheinungen.

362Effi Brieſt

Das iſt daſſelbe.

Ja, zuweilen, ſagte Innſtetten. Aber eigentlich iſt doch ein Unterſchied. Geiſtererſcheinungen werden immer gemacht wenigſtens ſoll es hier in dem Belvedere‘ ſo geweſen ſein, wie mir Vetter Brieſt erſt geſtern noch erzählte Spuk aber wird nie gemacht, Spuk iſt natürlich.

Alſo glaubſt Du doch dran?

Gewiß glaub 'ich dran. Es giebt ſo' was. Nur an das, was wir in Keſſin davon hatten, glaub 'ich nicht recht. Hat Dir denn Johanna ſchon ihren Chineſen gezeigt?

Welchen?

Nun, unſern. Sie hat ihn, eh 'ſie unſer altes Haus verließ, oben von der Stuhllehne abgelöſt und ihn ins Portemonnaie gelegt. Als ich mir neulich ein Markſtück bei ihr wechſelte, hab' ich ihn geſehen. Und ſie hat es mir auch verlegen beſtätigt.

Ach, Geert, das hätteſt Du mir nicht ſagen ſollen. Nun iſt doch wieder ſo 'was in unſerm Hauſe.

Sag 'ihr, daß ſie ihn verbrennt.

Nein, das mag ich auch nicht, und das hilft auch nichts. Aber ich will Roswitha bitten

Um was? Ah, ich verſtehe ſchon, ich ahne, was Du vorhaſt. Die ſoll ein Heiligenbild kaufen363Effi Brieſtund es dann auch ins Portemonnaie thun. Iſt es ſo 'was?

Effi nickte.

Nun, thu 'was Du willſt. Aber ſag' es niemandem.

Effi meinte dann ſchließlich, es lieber doch laſſen zu wollen, und unter allerhand kleinem Geplauder, in welchem die Reiſepläne für den Sommer mehr und mehr Platz gewannen, fuhren ſie bis an den großen Stern zurück und gingen dann durch die Korſo-Allee und die breite Friedrich-Wilhelmsſtraße auf ihre Wohnung zu.

Sie hatten vor, ſchon Ende Juli Urlaub zu nehmen und ins bayeriſche Gebirge zu gehen, wo gerade in dieſem Jahre wieder die Oberammergauer Spiele ſtattfanden. Es ließ ſich aber nicht thun; Geheimrat von Wüllersdorf, den Innſtetten ſchon von früher her kannte und der jetzt ſein Spezialkollege war, erkrankte plötzlich, und Innſtetten mußte bleiben und ihn vertreten. Erſt Mitte Auguſt war alles wieder beglichen und damit die Reiſemöglichkeit ge¬ geben; es war aber nun zu ſpät geworden, um noch nach Oberammergau zu gehen, und ſo entſchied man ſich für einen Aufenthalt auf Rügen. Zunächſt natürlich Stralſund, mit Schill, den Du kennſt, und364Effi Brieſtmit Scheele, den Du nicht kennſt und der den Sauer¬ ſtoff entdeckte, was man aber nicht zu wiſſen braucht. Und dann von Stralſund nach Bergen und dem Rugard, von wo man, wie mir Wüllersdorf ſagte, die ganze Inſel überſehen kann, und dann zwiſchen dem Großen und Kleinen Jaſmunder Bodden hin, bis nach Saßnitz. Denn nach Rügen reiſen heißt nach Saßnitz reiſen. Binz ginge vielleicht auch noch, aber da ſind ich muß Wüllersdorf noch einmal zitieren ſo viele kleine Steinchen und Muſchel¬ ſchalen am Strande, und wir wollen doch baden.

Effi war einverſtanden mit allem, was von ſeiten Innſtetten's geplant wurde, vor allem auch damit, daß der ganze Hausſtand auf vier Wochen aufgelöſt werden und Roswitha mit Annie nach Hohen-Cremmen, Johanna aber zu ihrem etwas jüngeren Halbbruder reiſen ſollte, der bei Paſewalk eine Schneidemühle hatte. So war alles gut unter¬ gebracht. Mit Beginn der nächſten Woche brach man denn auch wirklich auf, und am ſelben Abende noch war man in Saßnitz. Über dem Gaſthauſe ſtand Hotel Fahrenheit . Die Preiſe hoffentlich nach Réaumur, ſetzte Innſtetten, als er den Namen las, hinzu, und in beſter Laune machten beide noch einen Abendſpaziergang an dem Klippenſtrande hin und ſahen von einem Felſenvorſprung aus auf die365Effi Brieſtſtille, vom Mondſchein überzitterte Bucht. Effi war entzückt. Ach, Geert, das iſt ja Capri, das iſt ja Sorrent. Ja, hier bleiben wir. Aber natürlich nicht im Hotel; die Kellner ſind mir zu vornehm, und man geniert ſich, um eine Flaſche Sodawaſſer zu bitten

Ja, lauter Attachés. Es wird ſich aber wohl eine Privatwohnung finden laſſen.

Denk 'ich auch. Und wir wollen gleich morgen danach ausſehen.

Schön wie der Abend war der Morgen, und man nahm das Frühſtück im Freien. Innſtetten empfing etliche Briefe, die ſchnell erledigt werden mußten, und ſo beſchloß Effi, die für ſie frei ge¬ wordene Stunde ſofort zur Wohnungsſuche zu be¬ nutzen. Sie ging erſt an einer eingepferchten Wieſe, dann an Häuſergruppen und Haferfeldern vorüber und bog zuletzt in einen Weg ein, der ſchluchtartig auf das Meer zulief. Da, wo dieſer Schluchtenweg den Strand traf, ſtand ein von hohen Buchen über¬ ſchattetes Gaſthaus, nicht ſo vornehm wie das Fahren¬ heit'ſche, mehr ein bloßes Reſtaurant, in dem, der frühen Stunde halber, noch alles leer war. Effi nahm an einem Ausſichtspunkte Platz, und kaum daß ſie von dem Sherry, den ſie beſtellt, genippt hatte, ſo trat auch ſchon der Wirt an ſie heran, um halb366Effi Brieſtaus Neugier und halb aus Artigkeit ein Geſpräch mit ihr anzuknüpfen.

Es gefällt uns ſehr gut hier, ſagte ſie, meinem Manne und mir; welch 'prächtiger Blick über die Bucht, und wir ſind nur in Sorge wegen einer Wohnung.

Ja, gnädigſte Frau, das wird ſchwer halten

Es iſt aber ſchon ſpät im Jahr

Trotzdem. Hier in Saßnitz iſt ſicherlich nichts zu finden, dafür möcht 'ich mich verbürgen; aber weiterhin am Strand, wo das nächſte Dorf anfängt, Sie können die Dächer von hier aus blinken ſehen, da möcht' es vielleicht ſein.

Und wie heißt das Dorf?

Crampas.

Effi glaubte, nicht recht gehört zu haben. Crampas, wiederholte ſie mit Anſtrengung. Ich habe den Namen als Ortsnamen nie gehört Und ſonſt nichts in der Nähe?

Nein, gnädigſte Frau. Hier herum nichts. Aber höher hinauf, nach Norden zu, da kommen noch wieder Dörfer, und in dem Gaſthauſe, das dicht neben Stubbenkammer liegt, wird man Ihnen gewiß Auskunft geben können. Es werden dort von ſolchen, die gerne noch vermieten wollen, immer Adreſſen abgegeben.

367Effi Brieſt

Effi war froh, das Geſpräch allein geführt zu haben, und als ſie bald danach ihrem Manne Bericht erſtattet und nur den Namen des an Saßnitz an¬ grenzenden Dorfes verſchwiegen hatte, ſagte dieſer: Nun, wenn es hier herum nichts giebt, ſo wird es das beſte ſein, wir nehmen einen Wagen (wodurch man ſich beiläufig einem Hotel immer empfiehlt) und überſiedeln ohne weiteres da höher hinauf, nach Stubbenkammer hin. Irgend 'was Idylliſches mit einer Geisblattlaube wird ſich da wohl finden laſſen, und finden wir nichts, ſo bleibt uns immer noch das Hotel ſelbſt. Eins iſt ſchließlich wie das andere.

Effi war einverſtanden, und gegen Mittag ſchon erreichten ſie das neben Stubbenkammer gelegene Gaſthaus, von dem Innſtetten eben geſprochen, und beſtellten daſelbſt einen Imbiß. Aber erſt nach einer halben Stunde; wir haben vor, zunächſt noch einen Spaziergang zu machen und uns den Hertha¬ ſee anzuſehen. Ein Führer iſt doch wohl da?

Dies wurde bejaht, und ein Mann von mittleren Jahren trat alsbald an unſere Reiſenden heran. Er ſah ſo wichtig und feierlich aus, als ob er min¬ deſtens ein Adjunkt bei dem alten Herthadienſt ge¬ weſen wäre.

Der von hohen Bäumen umſtandene See lag ganz in der Nähe, Binſen ſäumten ihn ein, und368Effi Brieſtauf der ſtillen, ſchwarzen Waſſerfläche ſchwammen zahlreiche Mummeln.

Es ſieht wirklich nach ſo 'was aus. ſagte Effi. nach Herthadienſt .

Ja, gnäd'ge Frau Deſſen ſind auch noch die Steine Zeugen.

Welche Steine?

Die Opferſteine.

Und während ſich das Geſpräch in dieſer Weiſe fortſetzte, traten alle drei vom See her an eine ſenkrecht abgeſtochene Kies - und Lehmwand heran, an die ſich etliche glatt polierte Steine lehnten, alle mit einer flachen Höhlung und etlichen nach unten laufenden Rinnen.

Und was bezwecken die?

Daß es beſſer abliefe, gnäd'ge Frau.

Laß uns gehen, ſagte Effi, und den Arm ihres Mannes nehmend, ging ſie mit ihm wieder auf das Gaſthaus zurück, wo nun, an einer Stelle mit weitem Ausblick auf das Meer, das vorher be¬ ſtellte Frühſtück aufgetragen wurde. Die Bucht lag im Sonnenlichte vor ihnen, einzelne Segelboote glitten darüber hin, und um die benachbarten Klippen haſchten ſich die Möven. Es war ſehr ſchön, auch Effi fand es, aber wenn ſie dann über die glitzernde Fläche hinwegſah, bemerkte ſie, nach Süden zu, wieder die hell aufleuchtenden Dächer des lang¬369Effi Brieſtgeſtreckten Dorfes, deſſen Name ſie heute früh ſo ſehr erſchreckt hatte.

Innſtetten, wenn auch ohne Wiſſen und Ahnung deſſen, was in ihr vorging, ſah doch deutlich, daß es ihr an aller Luſt und Freude gebrach. Es thut mir leid, Effi, daß Du der Sache hier nicht recht froh wirſt. Du kannſt den Herthaſee nicht vergeſſen und noch weniger die Steine.

Sie nickte. Es iſt ſo wie Du ſagſt. Und ich muß Dir bekennen, ich habe nichts in meinem Leben geſehen, was mich ſo traurig geſtimmt hätte. Wir wollen das Wohnungsſuchen ganz aufgeben; ich kann hier nicht bleiben.

Und geſtern war es Dir noch der Golf von Neapel und alles mögliche Schöne.

Ja, geſtern.

Und heute? Heute keine Spur mehr von Sorrent?

Eine Spur noch, aber auch nur eine Spur; es iſt Sorrent, als ob es ſterben wollte.

Gut dann, Effi, ſagte Innſtetten und reichte ihr die Hand. Ich will Dich mit Rügen nicht quälen, und ſo geben wir's denn auf. Abgemacht. Es iſt nicht nötig, daß wir uns an Stubbenkammer anklammern oder an Saßnitz oder da weiter hinunter. Aber wohin?

Ich denke, wir bleiben noch einen Tag undTh. Fontane, Effi Brieſt. 24370Effi Brieſtwarten das Dampfſchiff ab, das, wenn ich nicht irre, morgen von Stettin kommt und nach Kopenhagen hinüberfährt. Da ſoll es ja ſo vergnüglich ſein, und ich kann Dir gar nicht ſagen, wie ſehr ich mich nach etwas Vergnüglichem ſehne. Hier iſt mir, als ob ich in meinem ganzen Leben nicht mehr lachen könnte und überhaupt nie gelacht hätte, und Du weißt doch, wie gern ich lache.

Innſtetten zeigte ſich voll Teilnahme mit ihrem Zuſtand, und das um ſo lieber, als er ihr in vielem recht gab. Es war wirklich alles ſchwermütig, ſo ſchön es war.

Und ſo warteten ſie denn das Stettiner Schiff ab und trafen am dritten Tage in aller Frühe in Kopenhagen ein, wo ſie auf Kongens Nytorv Wohnung nahmen. Zwei Stunden ſpäter waren ſie ſchon im Thorwaldſen-Muſeum, und Effi ſagte: Ja, Geert, das iſt ſchön, und ich bin glücklich, daß wir uns hierher auf den Weg gemacht haben. Bald danach gingen ſie zu Tiſch und machten an der Table d'hote die Bekanntſchaft einer ihnen gegenüber ſitzenden jütländiſchen Familie, deren bildſchöne Tochter, Thora von Penz, ebenſo Innſtetten's, wie Effi's beinah bewundernde Aufmerkſamkeit ſofort in Anſpruch nahm. Effi konnte ſich nicht ſatt ſehen an den großen, blauen Augen und dem flachsblonden371Effi BrieſtHaar, und als man ſich nach anderthalb Stunden von Tiſch erhob, wurde ſeitens der Penz'ſchen Familie die leider, denſelben Tag noch, Kopenhagen wieder verlaſſen mußte die Hoffnung ausgeſprochen, das junge preußiſche Paar mit nächſtem in Schloß Aggerhuus (eine halbe Meile vom Limfjord) begrüßen zu dürfen, eine Einladung, die von den Innſtetten's auch ohne langes Zögern angenommen wurde. So vergingen die Stunden im Hotel. Aber damit war es nicht genug des Guten an dieſem denkwürdigen Tage, von dem Effi denn auch verſicherte, daß er im Kalender rot angeſtrichen werden müſſe. Der Abend brachte, das Maß des Glücks voll zu machen, eine Vorſtellung im Tivoli-Theater: eine italieniſche Panto¬ mime, Arlequin und Colombine. Effi war wie be¬ rauſcht von den kleinen Schelmereien, und als ſie ſpät am Abend nach ihrem Hotel zurückkehrten, ſagte ſie: Weißt Du, Geert, nun fühl 'ich doch, daß ich allmählich wieder zu mir komme. Von der ſchönen Thora will ich gar nicht erſt ſprechen; aber wenn ich bedenke, heute Vormittag Thorwaldſen und heute Abend dieſe Colombine

Die Dir im Grunde doch noch lieber war als Thorwaldſen

Offen geſtanden, ja. Ich habe nun 'mal den Sinn für dergleichen. Unſer gutes Keſſin war ein24 *372Effi BrieſtUnglück für mich. Alles fiel mir da auf die Nerven. Rügen beinah auch. Ich denke, wir bleiben noch ein paar Tage hier in Kopenhagen, natürlich mit Ausflug nach Fredericksborg und Helſingör, und dann nach Jütland hinüber; ich freue mich aufrichtig, die ſchöne Thora wiederzuſehen, und wenn ich ein Mann wäre, ſo verliebte ich mich in ſie.

Innſtetten lachte. Du weißt noch nicht, was ich thue.

Wär 'mir ſchon recht. Dann giebt es einen Wettſtreit, und Du ſollſt ſehen, dann hab' ich auch noch meine Kräfte.

Das brauchſt Du mir nicht erſt zu verſichern.

So verlief denn auch die Reiſe. Drüben in Jütland fuhren ſie den Limfjord hinauf, bis Schloß Aggerhuus, wo ſie drei Tage bei der Penz'ſchen Familie verblieben, und kehrten dann mit vielen Stationen und kürzeren und längeren Aufenthalten in Viborg, Flensburg, Kiel, über Hamburg (das ihnen ungemein gefiel) in die Heimat zurück nicht direkt nach Berlin in die Keithſtraße, wohl aber vorher nach Hohen-Cremmen, wo man ſich nun einer wohl¬ verdienten Ruhe hingeben wollte. Für Innſtetten bedeutete das nur wenige Tage, da ſein Urlaub ab¬373Effi Brieſtgelaufen war, Effi blieb aber noch eine Woche länger und ſprach es aus, erſt zum dritten Oktober, ihrem Hochzeitstage, wieder zu Haus eintreffen zu wollen.

Annie war in der Landluft prächtig gediehen, und was Roswitha geplant hatte, daß ſie der Mama in Stiefelchen entgegen laufen ſollte, das gelang auch vollkommen. Brieſt gab ſich als zärtlicher Gro߬ vater, warnte vor zu viel Liebe, noch mehr vor zu viel Strenge, und war in allem der alte. Eigent¬ lich aber galt all' ſeine Zärtlichkeit doch nur Effi, mit der er ſich in ſeinem Gemüt immer beſchäftigte, zumeiſt auch, wenn er mit ſeiner Frau allein war.

Wie findeſt Du Effi?

Lieb und gut wie immer. Wir können Gott nicht genug danken, eine ſo liebenswürdige Tochter zu haben. Und wie dankbar ſie für alles iſt und immer ſo glücklich, wieder unter unſerm Dach zu ſein.

Ja, ſagte Brieſt, ſie hat von dieſer Tugend mehr als mir lieb iſt. Eigentlich iſt es, als wäre dies hier immer noch ihre Heimſtätte. Sie hat doch den Mann und das Kind, und der Mann iſt ein Juwel und das Kind iſt ein Engel, aber dabei thut ſie als wäre Hohen-Cremmen immer noch die Hauptſache für ſie, und Mann und Kind kämen gegen uns beide nicht an. Sie iſt eine prächtige Tochter, aber ſie iſt es mir zu ſehr. Es ängſtigt374Effi Brieſtmich ein bißchen. Und iſt auch ungerecht gegen Innſtetten. Wie ſteht es denn eigentlich damit?

Ja, Brieſt, was meinſt Du?

Nun, ich meine, was ich meine, und Du weißt auch was. Iſt ſie glücklich? Oder iſt da doch irgend 'was im Wege? Von Anfang an war mir's ſo, als ob ſie ihn mehr ſchätze als liebe. Und das iſt in meinen Augen ein ſchlimm Ding. Liebe hält auch nicht immer vor, aber Schätzung gewiß nicht. Eigent¬ lich ärgern ſich die Weiber, wenn ſie wen ſchätzen müſſen; erſt ärgern ſie ſich, und dann langweilen ſie ſich, und zuletzt lachen ſie.

Haſt Du ſo 'was an Dir ſelber erfahren?

Das will ich nicht ſagen. Dazu ſtand ich nicht hoch genug in der Schätzung. Aber ſchrauben wir uns nicht weiter, Luiſe. Sage, wie ſteht es?

Ja, Brieſt, Du kommſt immer auf dieſe Dinge zurück. Da reicht ja kein dutzendmal, daß wir dar¬ über geſprochen und unſere Meinungen ausgetauſcht haben, und immer biſt Du wieder da mit Deinem Alles-wiſſen-wollen und fragſt dabei ſo ſchrecklich naiv, als ob ich in alle Tiefen ſähe. Was haſt Du nur für Vorſtellungen von einer jungen Frau und ganz ſpeziell von Deiner Tochter? Glaubſt Du, daß das alles ſo plan da liegt? Oder daß ich ein Orakel bin (ich kann mich nicht gleich auf den Namen der Perſon375Effi Brieſtbeſinnen) oder daß ich die Wahrheit ſofort klipp und klar in den Händen halte, wenn mir Effi ihr Herz aus¬ geſchüttet hat? Oder was man wenigſtens ſo nennt. Denn was heißt ausſchütten? Das Eigentliche bleibt doch zurück. Sie wird ſich hüten, mich in ihre Geheimniſſe einzuweihen. Außerdem, ich weiß nicht, von wem ſie's hat, ſie iſt ja, ſie iſt eine ſehr ſchlaue kleine Perſon, und dieſe Schlauheit an ihr iſt um ſo gefährlicher, weil ſie ſo ſehr liebens¬ würdig iſt.

Alſo das giebſt Du doch zu liebenswürdig. Und auch gut?

Auch gut. Das heißt voll Herzensgüte. Wie's ſonſt ſteht, da bin ich mir doch nicht ſicher; ich glaube, ſie hat einen Zug, den lieben Gott einen guten Mann ſein zu laſſen und ſich zu tröſten, er werde wohl nicht allzu ſtreng mit ihr ſein.

Meinſt Du?

Ja, das mein 'ich. Übrigens glaube ich, daß ſich vieles gebeſſert hat. Ihr Charakter iſt wie er iſt, aber die Verhältniſſe liegen ſeit ihrer Überſiedlung um vieles günſtiger, und ſie leben ſich mehr und mehr in einander ein. Sie hat mir ſo' was geſagt, und was mir wichtiger iſt, ich hab 'es auch beſtätigt gefunden, mit Augen geſehen.

Nun, was ſagte ſie?

376Effi Brieſt

Sie ſagte: Mama, es geht jetzt beſſer. Inn¬ ſtetten war immer ein vortrefflicher Mann, ſo einer, wie's nicht viele giebt, aber ich konnte nicht recht an ihn heran, er hatte ſo 'was Fremdes. Und fremd war er auch in ſeiner Zärtlichkeit. Ja, dann am meiſten; es hat Zeiten gegeben, wo ich mich davor fürchtete.

Kenn 'ich, kenn' ich.

Was ſoll das heißen, Brieſt? Soll ich mich gefürchtet haben oder willſt Du Dich gefürchtet haben? Ich finde beides gleich lächerlich

Du wollteſt von Effi erzählen.

Nun alſo, ſie geſtand mir, daß dies Gefühl des Fremden ſie verlaſſen habe, was ſie ſehr glücklich mache. Keſſin ſei nicht der rechte Platz für ſie geweſen, das ſpukige Haus und die Menſchen da, die einen zu fromm, die andern zu platt, aber ſeit ihrer Überſiedlung nach Berlin fühle ſie ſich ganz an ihrem Platz. Er ſei der beſte Menſch, etwas zu alt für ſie und zu gut für ſie, aber ſie ſei nun über den Berg. Sie brauchte dieſen Ausdruck, der mir allerdings auffiel.

Wie ſo? Er iſt nicht ganz auf der Höhe, ich meine der Ausdruck. Aber

Es ſteckt etwas dahinter. Und ſie hat mir das auch andeuten wollen.

377Effi Brieſt

Meinſt Du?

Ja, Brieſt; Du glaubſt immer, ſie könne kein Waſſer trüben. Aber darin irrſt Du. Sie läßt ſich gern treiben, und wenn die Welle gut iſt, dann iſt ſie auch ſelber gut. Kampf und Widerſtand ſind nicht ihre Sache.

Roswitha kam mit Annie, und ſo brach das Geſpräch ab.

Dies Geſpräch führten Brieſt und Frau an dem¬ ſelben Tage, wo Innſtetten von Hohen-Cremmen nach Berlin hin abgereiſt war, Effi auf wenigſtens noch eine Woche zurücklaſſend. Er wußte, daß es nichts Schöneres für ſie gab, als ſo ſorglos in einer weichen Stimmung hinträumen zu können, immer freundliche Worte zu hören und die Verſicherung, wie liebenswürdig ſie ſei. Ja, das war das, was ihr vor allem wohl that, und ſie genoß es auch diesmal wieder in vollen Zügen und aufs dankbarſte, trotzdem jede Zerſtreuung fehlte; Beſuch kam ſelten, weil es ſeit ihrer Verheiratung, wenigſtens für die junge Welt, an dem rechten Anziehungspunkte gebrach, und ſelbſt die Pfarre und die Schule waren nicht mehr das, was ſie noch vor Jahr und Tag geweſen waren. Zumal im Schulhauſe ſtand alles halb leer. Die Zwillinge hatten ſich im Frühjahr an zwei378Effi BrieſtLehrer in der Nähe von Genthin verheiratet, große Doppelhochzeit mit Feſtbericht im Anzeiger fürs Havelland , und Hulda war in Frieſack zur Pflege einer alten Erbtante, die ſich übrigens, wie gewöhnlich in ſolchen Fällen, um ſehr viel langlebiger erwies, als Niemeyers angenommen hatten. Hulda ſchrieb aber trotzdem immer zufriedene Briefe, nicht weil ſie wirklich zufrieden war (im Gegenteil), ſondern weil ſie den Verdacht nicht aufkommen laſſen wollte, daß es einem ſo ausgezeichneten Weſen anders als ſehr gut ergehen könne. Niemeyer, ein ſchwacher Vater, zeigte die Briefe mit Stolz und Freude, während der ebenfalls ganz in ſeinen Töchtern lebende Jahnke ſich herausgerechnet hatte, daß beide junge Frauen am ſelben Tage, und zwar am Weihnachtsheiligabend, ihre Niederkunft halten würden. Effi lachte herzlich und drückte dem Großvater in spe zunächſt den Wunſch aus, bei beiden Enkeln zu Gevatter geladen zu werden, ließ dann aber die Familienthemata fallen und erzählte von Kjöbenhavn und Helſingör, vom Limfjord und Schloß Aggerhuus, und vor allem von Thora von Penz, die, wie ſie nur ſagen könne, typiſch ſkandinaviſch geweſen ſei, blauäugig, flachſen und immer in einer roten Plüſchtaille, wobei ſich Jahnke verklärte und einmal über das andere ſagte: Ja, ſo ſind ſie; rein germaniſch, viel deutſcher als die Deutſchen.

379Effi Brieſt

An ihrem Hochzeitstage, dem dritten Oktober, wollte Effi wieder in Berlin ſein. Nun war es der Abend vorher, und unter dem Vorgeben, daß ſie packen und alles zur Rückreiſe vorbereiten wolle, hatte ſie ſich ſchon verhältnismäßig früh auf ihr Zimmer zurückgezogen. Eigentlich lag ihr aber nur daran, allein zu ſein; ſo gern ſie plauderte, ſo hatte ſie doch auch Stunden, wo ſie ſich nach Ruhe ſehnte.

Die von ihr im Oberſtock bewohnten Zimmer lagen nach dem Garten hinaus; in dem kleineren ſchlief Roswitha und Annie, die Thür nur angelehnt, in dem größeren, das ſie ſelber inne hatte, ging ſie auf und ab; die unteren Fenſterflügel waren geöffnet, und die kleinen weißen Gardinen bauſchten ſich in dem Zuge, der ging, und fielen dann langſam über die Stuhllehne, bis ein neuer Zugwind kam und ſie wieder frei machte. Dabei war es ſo hell, daß man die Unterſchriften unter den über dem Sofa hängenden und in ſchmale Goldleiſten eingerahmten Bildern deutlich leſen konnte: Der Sturm auf Düppel, Schanze V , und daneben: König Wilhelm und Graf Bismarck auf der Höhe von Lipa . Effi ſchüttelte den Kopf und lächelte. Wenn ich wieder hier bin, bitt 'ich mir andere Bilder aus; ich kann ſo' was Kriegeriſches nicht leiden. Und nun ſchloß ſie das eine Fenſter und ſetzte ſich an das andere,380Effi Brieſtdeſſen Flügel ſie offen ließ. Wie that ihr das alles ſo wohl. Neben dem Kirchturm ſtand der Mond und warf ſein Licht auch auf den Raſenplatz mit der Sonnenuhr und den Heliotropbeeten. Alles ſchimmerte ſilbern, und neben den Schattenſtreifen lagen weiße Lichtſtreifen, ſo weiß, als läge Leinwand auf der Bleiche. Weiterhin aber ſtanden die hohen Rhabarberſtauden wieder, die Blätter herbſtlich gelb, und ſie mußte des Tages gedenken, nun erſt wenig über zwei Jahre, wo ſie hier mit Hulda und den Jahnke'ſchen Mädchen geſpielt hatte. Und dann war ſie, als der Beſuch kam, die kleine Steintreppe neben der Bank hinaufgeſtiegen, und eine Stunde ſpäter war ſie Braut.

Sie erhob ſich und ging auf die Thür zu und horchte; Roswitha ſchlief ſchon und Annie auch.

Und mit einemmale, während ſie das Kind ſo vor ſich hatte, traten ungerufen allerlei Bilder aus den Keſſiner Tagen wieder vor ihre Seele: das land¬ rätliche Haus mit ſeinem Giebel und die Veranda mit dem Blick auf die Plantage, und ſie ſaß im Schaukelſtuhl und wiegte ſich; und nun trat Crampas an ſie heran, um ſie zu begrüßen, und dann kam Roswitha mit dem Kinde, und ſie nahm es und hob es hoch in die Höhe und küßte es.

Das war der erſte Tag; da fing es an. Und381Effi Brieſtwährend ſie dem nachhing, verließ ſie das Zimmer, drin die beiden ſchliefen, und ſetzte ſich wieder an das offene Fenſter und ſah in die ſtille Nacht hinaus.

Ich kann es nicht los werden, ſagte ſie. Und was das ſchlimmſte iſt und mich ganz irre macht an mir ſelbſt

In dieſem Augenblicke ſetzte die Turmuhr drüben ein, und Effi zählte die Schläge.

Zehn Und morgen um dieſe Stunde bin ich in Berlin. Und wir ſprechen davon, daß unſer Hochzeitstag ſei, und er ſagt mir Liebes und Freund¬ liches und vielleicht Zärtliches. Und ich ſitze dabei und höre es und habe die Schuld auf meiner Seele.

Und ſie ſtützte den Kopf auf ihre Hand und ſtarrte vor ſich hin und ſchwieg.

Und habe die Schuld auf meiner Seele, wiederholte ſie. Ja, da hab 'ich ſie. Aber laſtet ſie auch auf meiner Seele? Nein. Und das iſt es, warum ich vor mir ſelbſt erſchrecke. Was da laſtet, das iſt etwas ganz anderes Angſt, Todes¬ angſt und die ewige Furcht: es kommt doch am Ende noch an den Tag. Und dann außer der Angſt Scham. Ich ſchäme mich. Aber wie ich nicht die rechte Reue habe, ſo hab' ich auch nicht die rechte Scham. Ich ſchäme mich bloß von wegen dem ewigen Lug und Trug; immer war es mein Stolz, daß ich382Effi Brieſtnicht lügen könne und auch nicht zu lügen brauche, lügen iſt ſo gemein, und nun habe ich doch immer lügen müſſen, vor ihm und vor aller Welt, im großen und im kleinen, und Rummſchüttel hat es gemerkt und hat die Achſeln gezuckt, und wer weiß was er von mir denkt, jedenfalls nicht das beſte. Ja, Angſt quält mich und dazu Scham über mein Lügenſpiel. Aber Scham über meine Schuld, die hab 'ich nicht oder doch nicht ſo recht oder doch nicht genug, und das bringt mich um, daß ich ſie nicht habe. Wenn alle Weiber ſo ſind, dann iſt es ſchrecklich, und wenn ſie nicht ſo ſind, wie ich hoffe, dann ſteht es ſchlecht um mich, dann iſt etwas nicht in Ordnung in meiner Seele, dann fehlt mir das richtige Gefühl. Und das hat mir der alte Niemeyer in ſeinen guten Tagen noch, als ich noch ein halbes Kind war,' mal geſagt: auf ein richtiges Gefühl, darauf käme es an, und wenn man das habe, dann könne einem das ſchlimmſte nicht paſſieren, und wenn man es nicht habe, dann ſei man in einer ewigen Gefahr, und das, was man den Teufel nenne, das habe dann eine ſichere Macht über uns. Um Gottes Barmherzigkeit willen, ſteht es ſo mit mir.

Und ſie legte den Kopf in ihre Arme und weinte bitterlich.

Als ſie ſich wieder aufrichtete, war ſie ruhiger383Effi Brieſtgeworden und ſah wieder in den Garten hinaus. Alles war ſo ſtill, und ein leiſer, feiner Ton, wie wenn es regnete, traf von den Platanen her ihr Ohr.

So verging eine Weile. Herüber von der Dorf¬ ſtraße klang ein Geplärr: der alte Nachtwächter Kulicke rief die Stunden ab, und als er zuletzt ſchwieg, vernahm ſie von fernher, aber immer näher kommend, das Raſſeln des Zuges, der, auf eine halbe Meile Entfernung, an Hohen-Cremmen vorüber fuhr. Dann wurde der Lärm wieder ſchwächer, endlich erſtarb er ganz, und nur der Mondſchein lag noch auf dem Grasplatz, und nur auf die Platanen rauſchte es nach wie vor wie leiſer Regen nieder.

Aber es war nur die Nachtluft, die ging.

[384]

Fünfundzwanzigſtes Kapitel.

Am andern Abend war Effi wieder in Berlin, und Innſtetten empfing ſie am Bahnhof, mit ihm Rollo, der, als ſie plaudernd durch den Tiergarten hinfuhren, nebenher trabte.

Ich dachte ſchon, Du würdeſt nicht Wort halten.

Aber Geert, ich werde doch Wort halten, das iſt doch das erſte.

Sage das nicht. Immer Wort halten, iſt ſehr viel. Und mitunter kann man auch nicht. Denke doch zurück. Ich erwartete Dich damals in Keſſin, als Du die Wohnung mieteteſt, und wer nicht kam, war Effi.

Ja, das war 'was anderes.

Sie mochte nicht ſagen ich war krank, und Innſtetten hörte drüber hin. Er hatte ſeinen Kopf auch voll anderer Dinge, die ſich auf ſein Amt und ſeine geſellſchaftliche Stellung bezogen. Eigentlich, Effi, fängt unſer Berliner Leben nun erſt an. Als385Effi Brieſtwir im April hier einzogen, damals ging es mit der Saiſon auf die Neige, kaum noch daß wir unſere Beſuche machen konnten, und Wüllersdorf, der einzige, dem wir näher ſtanden nun, der iſt leider Jung¬ geſelle. Von Juni an ſchläft dann alles ein, und die heruntergelaſſenen Rouleaux verkünden einem ſchon auf hundert Schritt, Alles ausgeflogen‘; ob wahr oder nicht, macht keinen Unterſchied Ja, was blieb da noch? Mal mit Vetter Brieſt ſprechen, 'mal bei Hiller eſſen, das iſt kein richtiges Berliner Leben. Aber nun ſoll es anders werden. Ich habe mir die Namen aller Räte notiert, die noch mobil genug ſind, um ein Haus zu machen. Und wir wollen es auch, wollen auch ein Haus machen, und wenn der Winter dann da iſt, dann ſoll es im ganzen Miniſterium heißen:, Ja, die liebenswürdigſte Frau, die wir jetzt haben, das iſt doch die Frau von Innſtetten‘.

Ach, Geert, ich kenne Dich ja gar nicht wieder, Du ſprichſt ja wie ein Courmacher.

Es iſt unſer Hochzeitstag, und da mußt Du mir ſchon 'was zu gute halten.

Innſtetten war ernſthaft gewillt, auf das ſtille Leben, das er in ſeiner landrätlichen Stellung ge¬ führt, ein geſellſchaftlich angeregteres folgen zu laſſen,Th. Fontane, Effi Brieſt. 25386Effi Brieſtum ſeinet - und noch mehr um Effi's willen; es ließ ſich aber anfangs nur ſchwach und vereinzelt damit an, die rechte Zeit war noch nicht gekommen, und das beſte, was man zunächſt von dem neuen Leben hatte, war genau ſo wie während des zurückliegenden Halbjahres, ein Leben im Hauſe. Wüllersdorf kam oft, auch Vetter Brieſt, und waren die da, ſo ſchickte man zu Gizicki's hinauf, einem jungen Ehepaare, das über ihnen wohnte. Gizicki ſelbſt war Land¬ gerichtsrat, ſeine kluge, aufgeweckte Frau ein Fräu¬ lein von Schmettau. Mitunter wurde muſiziert, kurze Zeit ſogar ein Whiſt verſucht; man gab es aber wieder auf, weil man fand, daß eine Plauderei gemütlicher wäre. Gizicki's hatten bis vor kurzem in einer kleinen oberſchleſiſchen Stadt gelebt, und Wüllersdorf war ſogar, freilich vor einer Reihe von Jahren ſchon, in den verſchiedenſten kleinen Neſtern der Provinz Poſen geweſen, weshalb er denn auch den bekannten Spottvers:

Schrimm
Iſt ſchlimm,
Rogaſen
Zum Raſen,
Aber weh 'dir nach Samter
Verdammter

mit ebenſo viel Emphaſe wie Vorliebe zu zitieren pflegte. Niemand erheiterte ſich dabei mehr als Effi,387Effi Brieſtwas dann meiſtens Veranlaſſung wurde, kleinſtädtiſche Geſchichten in Hülle und Fülle folgen zu laſſen. Auch Keſſin mit Gieshübler und der Trippelli, mit Oberförſter Ring und Sidonie Graſenabb kam dann wohl an die Reihe, wobei ſich Innſtetten, wenn er guter Laune war, nicht leicht genug thun konnte. Ja, ſo hieß es dann wohl, unſer gutes Keſſin! Das muß ich zugeben, es war eigentlich reich an Figuren, obenan Crampas, Major Crampas, ganz Beau und halber Barbaroſſa, den meine Frau, ich weiß nicht, ſoll ich ſagen unbegreiflicher oder be¬ greiflicher Weiſe, ſtark in Affektion genommen hatte Sagen wir begreiflicher Weiſe, warf Wüllers¬ dorf ein, denn ich nehme an, daß er Reſſourcen¬ vorſtand war und Komödie ſpielte, Liebhaber oder Bonvivants. Und vielleicht noch mehr, vielleicht war er auch ein Tenor. Innſtetten beſtätigte das eine wie das andere, und Effi ſuchte lachend darauf ein¬ zugehen, aber es gelang ihr nur mit Anſtrengung, und wenn dann die Gäſte gingen und Innſtetten ſich in ſein Zimmer zurückzog, um noch einen Stoß Akten abzuarbeiten, ſo fühlte ſie ſich immer aufs neue von den alten Vorſtellungen gequält, und es war ihr zu Sinn, als ob ihr ein Schatten nachginge.

Solche Beängſtigungen blieben ihr auch. Aber ſie kamen doch ſeltener und ſchwächer, was bei der25 *388Effi BrieſtArt, wie ſich ihr Leben geſtaltete, nicht Wunder nehmen konnte. Die Liebe, mit der ihr nicht nur Innſtetten, ſondern auch fernerſtehende Perſonen be¬ gegneten, und nicht zum wenigſten die beinah zärt¬ liche Freundſchaft, die die Miniſterin, eine ſelbſt noch junge Frau, für ſie an den Tag legte all' das ließ die Sorgen und Ängſte zurückliegender Tage ſich wenigſtens mindern, und als ein zweites Jahr ins Land gegangen war und die Kaiſerin, bei Ge¬ legenheit einer neuen Stiftung, die Frau Geheim¬ rätin mit ausgewählt und in die Zahl der Ehren¬ damen eingereiht, der alte Kaiſer Wilhelm aber auf dem Hofball gnädige, huldvolle Worte an die ſchöne, junge Frau, von der er ſchon gehört habe , gerichtet hatte, da fiel es allmählich von ihr ab. Es war einmal geweſen, aber weit, weit weg, wie auf einem andern Stern, und alles löſte ſich wie ein Nebelbild und wurde Traum.

Die Hohen-Cremmener kamen dann und wann auf Beſuch und freuten ſich des Glücks der Kinder, Annie wuchs heran ſchön wie die Großmutter, ſagte der alte Brieſt und wenn es an dem klaren Himmel eine Wolke gab, ſo war es die, daß es, wie man nun beinahe annehmen mußte, bei Klein-Annie ſein Bewenden haben werde; Haus Innſtetten (denn es gab nicht einmal Namensvettern) ſtand alſo389Effi Brieſtmutmaßlich auf dem Ausſterbeetat. Brieſt, der den Fortbeſtand anderer Familien obenhin behandelte, weil er eigentlich nur an die Brieſt's glaubte, ſcherzte mitunter darüber und ſagte: Ja, Innſtetten, wenn das ſo weiter geht, ſo wird Annie ſeiner Zeit wohl einen Bankier heiraten (hoffentlich einen chriſtlichen, wenn's deren dann noch giebt) und mit Rückſicht auf das alte freiherrliche Geſchlecht der Innſtetten wird dann Seine Majeſtät Annie's Haute finance - Kinder unter dem Namen von der Innſtetten‘ im Gothaiſchen Kalender, oder was weniger wichtig iſt, in der preußiſchen Geſchichte fortleben laſſen Ausführungen, die von Innſtetten ſelbſt immer mit einer kleinen Verlegenheit, von Frau von Brieſt mit Achſelzucken, von Effi dagegen mit Heiterkeit auf¬ genommen wurden. Denn ſo adelsſtolz ſie war, ſo war ſie's doch nur für ihre Perſon, und ein eleganter und welterfahrener und vor allem ſehr, ſehr reicher Bankierſchwiegerſohn wäre durchaus nicht gegen ihre Wünſche geweſen.

Ja, Effi nahm die Erbfolgefrage leicht, wie junge, reizende Frauen das thun; als aber eine lange, lange Zeit ſie waren ſchon im ſiebenten Jahre in ihrer neuen Stellung vergangen war, wurde der alte Rummſchüttel, der auf dem Gebiete der Gynäkologie nicht ganz ohne Ruf war, durch390Effi BrieſtFrau von Brieſt doch ſchließlich zu Rate gezogen. Er verordnete Schwalbach. Weil aber Effi ſeit letztem Winter auch an katarrhaliſchen Affektionen litt und ein paarmal ſogar auf Lunge hin behorcht worden war, ſo hieß es abſchließend: Alſo zunächſt Schwalbach, meine Gnädigſte, ſagen wir drei Wochen und dann ebenſo lange Ems. Bei der Emſer Kur kann aber der Geheimrat zugegen ſein. Bedeutet mithin alles in allem drei Wochen Trennung. Mehr kann ich für Sie nicht thun, lieber Innſtetten.

Damit war man denn auch einverſtanden, und zwar ſollte Effi, dahin ging ein weiterer Beſchluß, die Reiſe mit einer Geheimrätin Zwicker zuſammen machen, wie Brieſt ſagte zum Schutze dieſer letzteren, worin er nicht ganz unrecht hatte, da die Zwicker, trotz guter vierzig, eines Schutzes erheblich be¬ dürftiger war als Effi. Innſtetten, der wieder viel mit Vertretung zu thun hatte, beklagte, daß er, von Schwalbach gar nicht zu reden, wahrſcheinlich auch auf gemeinſchaftliche Tage in Ems werde verzichten müſſen. Im übrigen wurde der 24. Juni (Johannis¬ tag) als Abreiſetag feſtgeſetzt, und Roswitha half der gnädigen Frau beim Packen und Aufſchreiben der Wäſche. Effi hatte noch immer die alte Liebe für ſie, war doch Roswitha die einzige, mit der ſie von all' dem Zurückliegenden, von Keſſin und391Effi BrieſtCrampas, von dem Chineſen und Kapitän Thomſen's Nichte frei und unbefangen reden konnte.

Sage, Roswitha, Du biſt doch eigentlich katho¬ liſch. Gehſt Du denn nie zur Beichte?

Nein.

Warum nicht?

Ich bin früher gegangen. Aber das richtige hab 'ich doch nicht geſagt.

Das iſt ſehr unrecht. Dann freilich kann es nicht helfen.

Ach, gnädigſte Frau, bei mir im Dorfe machten es alle ſo. Und welche waren, die kicherten bloß.

Haſt Du denn nie empfunden, daß es ein Glück iſt, wenn man etwas auf der Seele hat, daß es 'runter kann?

Nein, gnädigſte Frau. Angſt habe ich wohl gehabt, als mein Vater damals mit dem glühenden Eiſen auf mich los kam; ja, das war eine große Furcht, aber weiter war es nichts.

Nicht vor Gott?

Nicht ſo recht, gnädigſte Frau. Wenn man ſich vor ſeinem Vater ſo fürchtet, wie ich mich ge¬ fürchtet habe, dann fürchtet man ſich nicht ſo ſehr vor Gott. Ich habe bloß immer gedacht, der liebe Gott ſei gut und werde mir armem Wurm ſchon helfen.

392Effi Brieſt

Effi lächelte und brach ab und fand es auch natürlich, daß die arme Roswitha ſo ſprach, wie ſie ſprach. Sie ſagte aber doch: Weißt Du, Roswitha, wenn ich wiederkomme, müſſen wir doch noch 'mal ernſtlich drüber reden. Es war doch eigentlich eine große Sünde.

Das mit dem Kinde, und daß es verhungert iſt? Ja, gnädigſte Frau, das war es. Aber ich war es ja nicht, das waren ja die anderen Und dann iſt es auch ſchon ſo ſehr lange her.

[393]

Sechsundzwanzigſtes Kapitel.

Effi war nun ſchon in die fünfte Woche fort und ſchrieb glückliche, beinahe übermütige Briefe, namentlich ſeit ihrem Eintreffen in Ems, wo man doch unter Menſchen ſei, das heißt unter Männern, von denen ſich in Schwalbach nur ausnahmsweiſe was gezeigt habe. Geheimrätin Zwicker, ihre Reiſegefährtin, habe freilich die Frage nach dem Kurgemäßen dieſer Zuthat aufgeworfen und ſich aufs entſchiedenſte da¬ gegen ausgeſprochen, alles natürlich mit einem Geſichtsausdrucke, der ſo ziemlich das Gegenteil verſichert habe; die Zwicker ſei reizend, etwas frei, wahrſcheinlich ſogar mit einer Vergangenheit, aber höchſt amüſant, und man könne viel, ſehr viel von ihr lernen; nie habe ſie ſich, trotz ihrer fünfund¬ zwanzig, ſo als Kind gefühlt, wie nach der Bekannt¬ ſchaft mit dieſer Dame. Dabei ſei ſie ſo beleſen, auch in fremder Litteratur, und als ſie, Effi, beiſpiels¬ weiſe neulich von Nana geſprochen und dabei gefragt394Effi Brieſthabe, ob es denn wirklich ſo ſchrecklich ſei, habe die Zwicker geantwortet: Ach, meine liebe Baronin, was heißt ſchrecklich? Da giebt es noch ganz anderes? Sie ſchien mich auch, ſo ſchloß Effi ihren Brief, mit dieſem, anderen‘ bekannt machen zu wollen. Ich habe es aber abgelehnt, weil ich weiß, daß Du die Unſitte unſerer Zeit aus dieſem und ähnlichem herleiteſt, und wohl mit Recht. Leicht iſt es mir aber nicht geworden. Dazu kommt noch ', daß Ems in einem Keſſel liegt. Wir leiden hier außer¬ ordentlich unter der Hitze.

Innſtetten hatte dieſen letzten Brief mit geteilten Empfindungen geleſen, etwas erheitert, aber doch auch ein wenig mißmutig. Die Zwicker war keine Frau für Effi, der nun 'mal ein Zug innewohnte, ſich nach links hin treiben zu laſſen; er gab es aber auf, irgend was in dieſem Sinne zu ſchreiben, einmal weil er ſie nicht verſtimmen wollte, mehr noch, weil er ſich ſagte, daß es doch nichts helfen würde. Dabei ſah er der Rückkehr ſeiner Frau mit Sehnſucht ent¬ gegen und beklagte des Dienſtes nicht bloß immer gleichgeſtellte , ſondern jetzt, wo jeder Miniſterialrat fort war oder fort wollte, leider auch auf Doppel¬ ſtunden geſtellte Uhr.

Ja, Innſtetten ſehnte ſich nach Unterbrechung von Arbeit und Einſamkeit, und verwandte Gefühle395Effi Brieſthegte man draußen in der Küche, wo Annie, wenn die Schulſtunden hinter ihr lagen, ihre Zeit am liebſten verbrachte, was inſoweit ganz natürlich war, als Roswitha und Johanna nicht nur das kleine Fräulein in gleichem Maße liebten, ſondern auch unter einander nach wie vor auf dem beſten Fuße ſtanden. Dieſe Freundſchaft der beiden Mädchen war ein Lieblingsgeſpräch zwiſchen den verſchiedenen Freunden des Hauſes, und Landgerichtsrat Gizicki ſagte dann wohl zu Wüllersdorf: Ich ſehe darin nur eine neue Beſtätigung des alten Weisheitsſatzes:, Laßt fette Leute um mich ſein‘; Cäſar war eben ein Menſchenkenner und wußte, daß Dinge, wie Be¬ haglichkeit und Umgänglichkeit, eigentlich nur beim Embonpoint ſind. Von einem ſolchen ließ ſich denn nun bei beiden Mädchen auch wirklich ſprechen, nur mit dem Unterſchiede, daß das in dieſem Falle nicht gut zu umgehende Fremdwort bei Roswitha ſchon ſtark eine Beſchönigung, bei Johanna dagegen einfach die zutreffende Bezeichnung war. Dieſe letztere durfte man nämlich nicht eigentlich korpulent nennen, ſie war nur prall und drall und ſah jederzeit mit einer eigenen, ihr übrigens durchaus kleidenden Siegermiene gradlinig und blauäugig über ihre Normalbüſte fort. Von Haltung und Anſtand getragen, lebte ſie ganz in dem Hochgefühl, die Dienerin eines guten Hauſes396Effi Brieſtzu ſein, wobei ſie das Überlegenheitsbewußtſein über die halb bäueriſch gebliebene Roswitha in einem ſo hohen Maße hatte, daß ſie, was gelegentlich vorkam, die momentan bevorzugte Stellung dieſer nur be¬ lächelte. Dieſe Bevorzugung, nun ja, wenn's dann 'mal ſo ſein ſollte, war eine kleine liebens¬ würdige Sonderbarkeit der gnädigen Frau, die man der guten alten Roswitha mit ihrer ewigen Geſchichte von dem Vater mit der glühenden Eiſenſtange ſchon gönnen konnte. Wenn man ſich beſſer hält, ſo kann dergleichen nicht vorkommen. Das alles dachte ſie, ſprach's aber nicht aus. Es war eben ein freund¬ liches Miteinanderleben. Was aber wohl ganz beſonders für Frieden und gutes Einvernehmen ſorgte, das war der Umſtand, daß man ſich, nach einem ſtillen Übereinkommen, in die Behandlung und faſt auch Erziehung Annie's geteilt hatte. Roswitha hatte das poetiſche Departement, die Märchen - und Geſchichtenerzählung, Johanna da¬ gegen das des Anſtands, eine Teilung, die hüben und drüben ſo feſt gewurzelt ſtand, daß Kompetenz¬ konflikte kaum vorkamen, wobei der Charakter Annie's, die eine ganz entſchiedene Neigung hatte, das vor¬ nehme Fräulein zu betonen, allerdings mithalf, eine Rolle, bei der ſie keine beſſere Lehrerin als Johanna haben konnte.

397Effi Brieſt

Noch einmal alſo: Beide Mädchen waren gleich¬ wertig in Annie's Augen. In dieſen Tagen aber, wo man ſich auf die Rückkehr Effi's vorbereitete, war Roswitha der Rivalin 'mal wieder um einen Pas voraus, weil ihr, und zwar als etwas ihr Zu¬ ſtändiges, die ganze Begrüßungsangelegenheit zu¬ gefallen war. Dieſe Begrüßung zerfiel in zwei Hauptteile: Guirlande mit Kranz und dann, ab¬ ſchließend, Gedichtvortrag. Kranz und Guirlande, nachdem man über W. oder E. J. eine zeitlang geſchwankt, hatte zuletzt keine ſonder¬ lichen Schwierigkeiten gemacht ( W. , in Vergi߬ meinnicht geflochten, war bevorzugt worden), aber deſto größere Verlegenheit ſchien die Gedichtfrage heraufbeſchwören zu ſollen und wäre vielleicht ganz unbeglichen geblieben, wenn Roswitha nicht den Mut gehabt hätte, den von einer Gerichts¬ ſitzung heimkehrenden Landgerichtsrat auf der zweiten Treppe zu ſtellen und ihm mit einem auf einen Vers gerichteten Anſinnen mutig entgegenzu¬ treten. Gizicki, ein ſehr gütiger Herr, hatte ſofort alles verſprochen, und noch am ſelben Spätnachmittage war ſeitens ſeiner Köchin der gewünſchte Vers und zwar folgenden Inhalts abgegeben worden:

398Effi Brieſt
Mama, wir erwarten Dich lange ſchon,
Durch Wochen und Tage und Stunden,
Nun grüßen wir Dich von Flur und Balkon
Und haben Kränze gewunden.
Nun lacht Papa voll Freudigkeit,
Denn die gattin - und mutterloſe Zeit
Iſt endlich von ihm genommen,
Und Roswitha lacht und Johanna dazu,
Und Annie ſpringt aus ihrem Schuh
Und ruft: willkommen, willkommen.

Es verſteht ſich von ſelbſt, daß die Strophe noch an demſelben Abend auswendig gelernt, aber doch nebenher auch auf ihre Schönheit, beziehungsweiſe Nicht-Schönheit kritiſch geprüft worden war. Das Be¬ tonen von Gattin und Mutter, ſo hatte ſich Johanna geäußert, erſcheine zunächſt freilich nur in der Ordnung; aber es läge doch auch etwas darin, was Anſtoß erregen könne, und ſie perſönlich würde ſich als Gattin und Mutter dadurch verletzt fühlen. Annie, durch dieſe Bemerkung einigermaßen geängſtigt, ver¬ ſprach, das Gedicht am andern Tage der Klaſſen¬ lehrerin vorlegen zu wollen und kam mit dem Bemerken zurück: Das Fräulein ſei mit, Gattin und Mutter‘ durchaus einverſtanden, aber deſto mehr gegen, Ros¬ witha und Johanna‘ geweſen, worauf Roswitha erklärt hatte: Das Fräulein ſei eine dumme Gans; das käme davon, wenn man zuviel gelernt habe.

399Effi Brieſt

Es war an einem Mittwoch, daß die Mädchen und Annie das vorſtehende Geſpräch geführt und den Streit um die bemängelte Zeile beigelegt hatten. Am andern Morgen ein erwarteter Brief Effi's hatte noch den mutmaßlich erſt in den Schluß der nächſten Woche fallenden Ankunftstag feſtzuſtellen ging Innſtetten auf das Miniſterium. Jetzt war Mittag heran, die Schule aus, und als Annie, ihre Mappe auf dem Rücken, eben vom Kanal her auf die Keithſtraße zuſchritt, traf ſie Roswitha vor ihrer Wohnung.

Nun laß ſehen, ſagte Annie, wer am eheſten von uns die Treppe heraufkommt. Roswitha wollte von dieſem Wettlauf nichts wiſſen, aber Annie jagte voran, geriet, oben angekommen, ins Stolpern und fiel dabei ſo unglücklich, daß ſie mit der Stirn auf den dicht an der Treppe befindlichen Abkratzer aufſchlug und ſtark blutete. Roswitha, mühevoll nachkeuchend, riß jetzt die Klingel, und als Johanna das etwas verängſtigte Kind hineingetragen hatte, beratſchlagte man, was nun wohl zu machen ſei. Wir wollen nach dem Doktor ſchicken, wir wollen nach dem gnädigen Herrn ſchicken des Portiers Lene muß ja jetzt auch aus der Schule wieder da ſein. Es wurde aber alles wieder verworfen, weil es zu lange dauere, man müſſe gleich 'was thun, und ſo packte400Effi Brieſtman denn das Kind aufs Sofa und begann, mit kaltem Waſſer zu kühlen. Alles ging auch gut, ſo daß man ſich zu beruhigen begann. Und nun wollen wir ſie verbinden, ſagte ſchließlich Roswitha. Da muß ja noch die lange Binde ſein, die die gnädige Frau letzten Winter zuſchnitt, als ſie ſich auf dem Eiſe den Fuß verknickt hatte Freilich, freilich, ſagte Johanna, bloß wo die Binde hernehmen? Richtig, da fällt mir ein, die liegt im Nähtiſch. Er wird wohl zu ſein, aber das Schloß iſt Spielerei; holen Sie nur das Stemmeiſen, Roswitha, wir wollen den Deckel aufbrechen. Und nun wuchteten ſie auch wirklich den Deckel ab und begannen, in den Fächern umherzukramen, oben und unten, die zuſammengerollte Binde jedoch wollte ſich nicht finden laſſen. Ich weiß aber doch, daß ich ſie geſehn habe, ſagte Roswitha, und während ſie halb ärgerlich immer weiter ſuchte, flog alles, was ihr dabei zu Händen kam, auf das breite Fenſterbrett: Nähzeug, Nadelkiſſen, Rollen mit Zwirn und Seide, kleine vertrocknete Veilchenſträußchen, Karten, Billets, zuletzt ein kleines[Konvolut] von Briefen, das unter dem dritten Einſatz gelegen hatte, ganz unten, mit einem roten Seidenfaden umwickelt. Aber die Binde hatte man noch immer nicht.

In dieſem Augenblicke trat Innſtetten ein.

Gott, ſagte Roswitha und ſtellte ſich erſchreckt401Effi Brieſtneben das Kind. Es iſt nichts, gnädiger Herr; Annie iſt auf das Kratzeiſen gefallen Gott, was wird die gnädige Frau ſagen. Und doch iſt es ein Glück, daß ſie nicht mit dabei war.

Innſtetten hatte mittlerweile die vorläufig auf¬ gelegte Kompreſſe fortgenommen und ſah, daß es ein tiefer Riß, ſonſt aber ungefährlich war. Es iſt nicht ſchlimm, ſagte er; trotzdem, Roswitha, wir müſſen ſehen, daß Rummſchüttel kommt. Lene kann ja gehen, die wird jetzt Zeit haben. Aber was in aller Welt iſt denn das da mit dem Nähtiſch?

Und nun erzählte Roswitha, wie ſie nach der gerollten Binde geſucht hätten; aber ſie woll 'es nun aufgeben und lieber eine neue Leinwand ſchneiden.

Innſtetten war einverſtanden und ſetzte ſich, als bald danach beide Mädchen das Zimmer verlaſſen hatten, zu dem Kinde. Du biſt ſo wild, Annie, das haſt Du von der Mama. Immer wie ein Wirbel¬ wind. Aber dabei kommt nichts heraus oder höchſtens ſo 'was. Und er wies auf die Wunde und gab ihr einen Kuß. Du haſt aber nicht geweint, das iſt brav, und darum will ich Dir die Wildheit ver¬ zeihen . Ich denke, der Doktor wird in einer Stunde hier ſein; thu' nur alles, was er ſagt, und wenn er Dich verbunden hat, ſo zerre nicht und rücke und drücke nicht dran, dann heilt es ſchnell, undTh. Fontane, Effi Brieſt. 26402Effi Brieſtwenn die Mama dann kommt, dann iſt alles wieder in Ordnung oder doch beinah '. Ein Glück iſt es aber doch, daß es noch bis nächſte Woche dauert, Ende nächſter Woche, ſo ſchreibt ſie mir; eben habe ich einen Brief von ihr bekommen; ſie läßt Dich grüßen und freut ſich, Dich wiederzuſehen.

Du könnteſt mir den Brief eigentlich vorleſen, Papa.

Das will ich gern.

Aber eh 'er dazu kam, kam Johanna, um zu ſagen, daß das Eſſen aufgetragen ſei. Annie, trotz ihrer Wunde, ſtand mit auf, und Vater und Tochter ſetzten ſich zu Tiſch.

[403]

Siebenundzwanzigſtes Kapitel.

Innſtetten und Annie ſaßen ſich eine Weile ſtumm gegenüber; endlich als ihm die Stille peinlich wurde, that er ein paar Fragen über die Schul¬ vorſteherin und welche Lehrerin ſie eigentlich am liebſten habe. Annie antwortete auch, aber ohne rechte Luſt, weil ſie fühlte, daß Innſtetten wenig bei der Sache war. Es wurde erſt beſſer, als Johanna, nach dem zweiten Gericht, ihrem Anniechen zuflüſterte, es gäbe noch 'was. Und wirklich, die gute Ros¬ witha, die dem Liebling an dieſem Unglückstage' was ſchuldig zu ſein glaubte, hatte noch ein übriges ge¬ than und ſich zu einer Omelette mit Apfelſchnitten aufgeſchwungen.

Annie wurde bei dieſem Anblicke denn auch etwas redſeliger, und ebenſo zeigte ſich Innſtetten's Stimmung gebeſſert, als es gleich danach klingelte und Geheimrat Rummſchüttel eintrat. Ganz zufällig. Er ſprach nur vor, ohne jede Ahnung, daß man nach ihm geſchickt und um ſeinen Beſuch gebeten26 *404Effi Brieſthabe. Mit den aufgelegten Kompreſſen war er zu¬ frieden. Laſſen Sie noch etwas Bleiwaſſer holen und Annie morgen zu Hauſe bleiben. Überhaupt Ruhe. Dann frug er noch nach der gnädigen Frau und wie die Nachrichten aus Ems ſeien; er werde den andern Tag wieder kommen und nachſehen.

Als man von Tiſch aufgeſtanden und in das nebenan gelegene Zimmer dasſelbe, wo man mit ſo viel Eifer und doch vergebens nach dem Verband¬ ſtück geſucht hatte , eingetreten war, wurde Annie wieder auf das Sofa gebettet. Johanna kam und ſetzte ſich zu dem Kinde, während Innſtetten die zahl¬ loſen Dinge, die bunt durcheinander gewürfelt noch auf dem Fenſterbrett umherlagen, wieder in den Nähtiſch einzuräumen begann. Dann und wann wußte er ſich nicht recht Rat und mußte fragen.

Wo haben die Briefe gelegen, Johanna?

Ganz zu unterſt, ſagte dieſe hier in dieſem Fach.

Und während ſo Frage und Antwort ging, be¬ trachtete Innſtetten etwas aufmerkſamer als vorher das kleine, mit einem roten Faden zuſammen¬ gebundene Paket, das mehr aus einer Anzahl zuſammen¬ gelegter Zettel, als aus Briefen zu beſtehen ſchien. Er fuhr, als wäre es ein Spiel Karten, mit dem Daumen und Zeigefinger an der Seite des Päckchens405Effi Brieſthin und einige Zeilen, eigentlich nur vereinzelte Worte, flogen dabei an ſeinem Auge vorüber. Von deut¬ lichem Erkennen konnte keine Rede ſein, aber es kam ihm doch ſo vor, als habe er die Schriftzüge ſchon irgendwo geſehen. Ob er nachſehen ſolle?

Johanna, Sie könnten uns den Kaffee bringen. Annie trinkt auch eine halbe Taſſe. Der Doktor hat's nicht verboten, und was nicht verboten iſt, iſt erlaubt.

Als er das ſagte, wand er den roten Faden ab und ließ, während Johanna das Zimmer verließ, den ganzen Inhalt des Päckchens raſch durch die Finger gleiten. Nur zwei, drei Briefe waren adreſſiert: An Frau Landrat von Innſtetten. Er erkannte jetzt auch die Handſchrift; es war die des Majors. Innſtetten wußte nichts von einer Korreſpondenz zwiſchen Crampas und Effi, und in ſeinem Kopfe begann ſich alles zu drehen. Er ſteckte das Paket zu ſich und ging in ſein Zimmer zurück. Etliche Minuten ſpäter und Johanna, zum Zeichen, daß der Kaffee da ſei, klopfte leis an die Thür. Innſtetten antwortete auch, aber dabei blieb es; ſonſt alles ſtill. Erſt nach einer Viertelſtunde hörte man wieder ſein Auf - und Abſchreiten auf dem Teppich. Was nur Papa hat? ſagte Johanna zu Annie. Der Doktor hat ihm doch geſagt, es ſei nichts.

406Effi Brieſt

Das Auf - und Abſchreiten nebenan wollte kein Ende nehmen. Endlich erſchien Innſtetten wieder im Nebenzimmer und ſagte: Johanna, achten Sie auf Annie und daß ſie ruhig auf dem Sofa bleibt. Ich will eine Stunde gehen oder vielleicht zwei.

Dann ſah er das Kind aufmerkſam an und entfernte ſich.

Haſt Du geſehen, Johanna, wie Papa ausſah?

Ja, Annie. Er muß einen großen Ärger ge¬ habt haben. Er war ganz blaß. So hab ich ihn noch nie geſehen.

Es vergingen Stunden. Die Sonne war ſchon unter, und nur ein roter Widerſchein lag noch über den Dächern drüben, als Innſtetten wieder zurück kam. Er gab Annie die Hand, fragte wie's ihr gehe und ordnete dann an, daß ihm Johanna die Lampe in ſein Zimmer bringe. Die Lampe kam auch. In dem grünen Schirm befanden ſich halb durch¬ ſichtige Ovale mit Photographieen, allerlei Bildniſſe ſeiner Frau, die noch in Keſſin, damals als man den Wichert'ſchen Schritt vom Wege aufgeführt hatte, für die verſchiedenen Mitſpielenden angefertigt waren. Innſtetten drehte den Schirm langſam von links nach rechts und muſterte jedes einzelne Bildnis. Dann ließ er davon ab, öffnete, weil er es ſchwül fand, die Balkonthür und nahm ſchließlich das Brief¬407Effi Brieſtpaket wieder zur Hand. Es ſchien, daß er, gleich beim erſten Durchſehen, ein paar davon ausgewählt und obenauf gelegt hatte. Dieſe las er jetzt noch einmal mit halblauter Stimme.

Sei heute nachmittag wieder in den Dünen, hinter der Mühle. Bei der alten Adermann können wir uns ruhig ſprechen, das Haus iſt abgelegen genug. Du mußt Dich nicht um alles ſo bangen. Wir haben auch ein Recht. Und wenn Du Dir das eindringlich ſagſt, wird, denk ich, alle Furcht von Dir abfallen. Das Leben wäre nicht des Lebens wert, wenn das alles gelten ſollte, was zufällig gilt. Alles beſte liegt jenſeits davon. Lerne Dich daran freuen.

Fort, ſo ſchreibſt Du, Flucht. Unmöglich. Ich kann meine Frau nicht im Stich laſſen, zu allem andern auch noch in Not. Es geht nicht, und wir müſſen es leicht nehmen, ſonſt ſind wir arm und verloren. Leichtſinn iſt das beſte, was wir haben. Alles iſt Schickſal. Es hat ſo ſein ſollen. Und möchteſt Du, daß es anders wäre, daß wir uns nie geſehen hätten?

Dann kam der dritte Brief.

Sei heute noch einmal an der alten Stelle. Wie ſollen meine Tage hier verlaufen ohne Dich! In dieſem öden Neſt. Ich bin außer mir, und nur darin haſt Du recht: es iſt die Rettung, und wir408Effi Brieſtmüſſen ſchließlich doch die Hand ſegnen, die dieſe Trennung über uns verhängt.

Innſtetten hatte die Briefe kaum wieder beiſeite geſchoben, als draußen die Klingel ging. Gleich danach meldete Johanna: Geheimrat Wüllersdorf.

Wüllersdorf trat ein und ſah auf den erſten Blick, daß etwas vorgefallen ſein müſſe.

Pardon, Wüllersdorf, empfing ihn Innſtetten, daß ich Sie gebeten habe, noch gleich heute bei mir vorzuſprechen. Ich ſtöre niemand gern in ſeiner Abendruhe, am wenigſten einen geplagten Miniſterial¬ rat. Es ging aber nicht anders. Ich bitte Sie, machen Sie ſich's bequem. Und hier eine Cigarre.

Wüllersdorf ſetzte ſich. Innſtetten ging wieder auf und ab und wäre bei der ihn verzehrenden Un¬ ruhe gern in Bewegung geblieben, ſah aber, daß das nicht gehe. So nahm er denn auch ſeinerſeits eine Cigarre, ſetzte ſich Wüllersdorf gegenüber und ver¬ ſuchte ruhig zu ſein.

Es iſt, begann er, um zweier Dinge willen, daß ich Sie habe bitten laſſen: erſt um eine Forderung zu überbringen und zweitens um hinterher, in der Sache ſelbſt, mein Sekundant zu ſein; das eine iſt nicht angenehm und das andere noch weniger. Und nun Ihre Antwort.

Sie wiſſen, Innſtetten, Sie haben über mich409Effi Brieſtzu verfügen. Aber eh 'ich die Sache kenne, verzeihen Sie mir die naive Vorfrage: muß es ſein? Wir ſind doch über die Jahre weg, Sie, um die Piſtole in die Hand zu nehmen, und ich, um dabei mit¬ zumachen. Indeſſen mißverſtehen Sie mich nicht, alles dies ſoll kein nein ſein. Wie könnte ich Ihnen etwas abſchlagen. Aber nun ſagen Sie, was iſt es?

Es handelt ſich um einen Galan meiner Frau, der zugleich mein Freund war oder doch beinah.

Wüllersdorf ſah Innſtetten an. Innſtetten, das iſt nicht möglich.

Es iſt mehr als möglich, es iſt gewiß. Leſen Sie.

Wüllersdorf flog drüber hin. Die ſind an Ihre Frau gerichtet?

Ja. Ich fand ſie heut in ihrem Nähtiſch.

Und wer hat ſie geſchrieben?

Major Crampas.

Alſo Dinge, die ſich abgeſpielt, als Sie noch in Keſſin waren?

Innſtetten nickte.

Liegt alſo ſechs Jahre zurück oder noch ein halb Jahr länger.

Ja.

Wüllersdorf ſchwieg. Nach einer Weile ſagte Innſtetten: Es ſieht faſt ſo aus, Wüllersdorf, als410Effi Brieſtob die ſechs oder ſieben Jahre einen Eindruck auf Sie machten. Es giebt eine Verjährungstheorie, natürlich, aber ich weiß doch nicht, ob wir hier einen Fall haben, dieſe Theorie gelten zu laſſen.

Ich weiß es auch nicht, ſagte Wüllersdorf. Und ich bekenne Ihnen offen, um dieſe Frage ſcheint ſich hier alles zu drehen.

Innſtetten ſah ihn groß an. Sie ſagen das in vollem Ernſt?

In vollem Ernſt. Es iſt keine Sache, ſich in jeu d'esprit oder in dialektiſchen Spitzfindigkeiten zu verſuchen.

Ich bin neugierig, wie Sie das meinen. Sagen Sie mir offen, wie ſtehen Sie dazu?

Innſtetten, Ihre Lage iſt furchtbar, und Ihr Lebensglück iſt hin. Aber wenn Sie den Liebhaber totſchießen, iſt Ihr Lebensglück ſo zu ſagen doppelt hin, und zu dem Schmerz über empfangenes Leid kommt noch der Schmerz über gethanes Leid. Alles dreht ſich um die Frage, müſſen Sie's durchaus thun? Fühlen Sie ſich ſo verletzt, beleidigt, empört, daß einer weg muß, er oder Sie? Steht es ſo?

Ich weiß es nicht.

Sie müſſen es wiſſen.

Innſtetten war aufgeſprungen, trat ans Fenſter und tippte voll nervöſer Erregung an die Scheiben. 411Effi BrieſtDann wandte er ſich raſch wieder, ging auf Wüllers¬ dorf zu und ſagte: Nein, ſo ſteht es nicht.

Wie ſteht es dann?

Es ſteht ſo, daß ich unendlich unglücklich bin; ich bin gekränkt, ſchändlich hintergangen, aber trotz¬ dem, ich bin ohne jedes Gefühl von Haß oder gar von Durſt nach Rache. Und wenn ich mich frage, warum nicht? ſo kann ich zunächſt nichts anderes finden, als die Jahre. Man ſpricht immer von un¬ ſühnbarer Schuld; vor Gott iſt es gewiß falſch, aber vor den Menſchen auch. Ich hatte nie geglaubt, daß die Zeit, rein als Zeit, ſo wirken könne. Und dann als zweites: ich liebe meine Frau, ja, ſeltſam zu ſagen, ich liebe ſie noch, und ſo furchtbar ich alles finde, was geſchehen, ich bin ſo ſehr im Bann ihrer Liebenswürdigkeit, eines ihr eignen heiteren Charmes, daß ich mich, mir ſelbſt zum Trotz, in meinem letzten Herzenswinkel zum Verzeihen geneigt fühle.

Wüllersdorf nickte. Kann ganz folgen, Inn¬ ſtetten, würde mir vielleicht ebenſo gehen. Aber wenn Sie ſo zu der Sache ſtehen und mir ſagen: Ich liebe dieſe Frau ſo ſehr, daß ich ihr alles verzeihen kann, und wenn wir dann das andere hinzunehmen, daß alles weit, weit zurückliegt, wie ein Geſchehnis auf einem andern Stern, ja, wenn es ſo liegt, Inn¬ ſtetten, ſo frage ich, wozu die ganze Geſchichte?

412Effi Brieſt

Weil es trotzdem ſein muß. Ich habe mir's hin und her überlegt. Man iſt nicht bloß ein ein¬ zelner Menſch, man gehört einem Ganzen an, und auf das Ganze haben wir beſtändig Rückſicht zu nehmen, wir ſind durchaus abhängig von ihm. Ging 'es, in Einſamkeit zu leben, ſo könnt' ich es gehen laſſen; ich trüge dann die mir aufgepackte Laſt, das rechte Glück wäre hin, aber es müſſen ſo viele leben ohne dies rechte Glück , und ich würde es auch müſſen und auch können. Man braucht nicht glücklich zu ſein, am allerwenigſten hat man einen Anſpruch darauf, und den, der einem das Glück ge¬ nommen hat, den braucht man nicht notwendig aus der Welt zu ſchaffen. Man kann ihn, wenn man weltabgewandt weiter exiſtieren will, auch laufen laſſen. Aber im Zuſammenleben mit den Menſchen hat ſich ein Etwas ausgebildet, das nun 'mal da iſt und nach deſſen Paragraphen wir uns gewöhnt haben, alles zu beurteilen, die andern und uns ſelbſt. Und dagegen zu verſtoßen, geht nicht; die Geſellſchaft ver¬ achtet uns, und zuletzt thun wir es ſelbſt und können es nicht aushalten und jagen uns die Kugel durch den Kopf. Verzeihen Sie, daß ich Ihnen ſolche Vorleſung halte, die ſchließlich doch nur ſagt, was ſich jeder ſelber hundertmal geſagt hat. Aber freilich, wer kann' was neues ſagen! Alſo noch einmal,413Effi Brieſtnichts von Haß oder dergleichen, und um eines Glückes willen, das mir genommen wurde, mag ich nicht Blut an den Händen haben; aber jenes, wenn Sie wollen, uns tyranniſierende Geſellſchafts-Etwas, das fragt nicht nach Charme und nicht nach Liebe und nicht nach Verjährung. Ich habe keine Wahl. Ich muß.

Ich weiß doch nicht, Innſtetten

Innſtetten lächelte. Sie ſollen ſelbſt entſcheiden, Wüllersdorf. Es iſt jetzt zehn Uhr. Vor ſechs Stunden, dieſe Konzeſſion will ich Ihnen vorweg machen, hatt 'ich das Spiel noch in der Hand, konnt' ich noch das eine und noch das andere, da war noch ein Ausweg. Jetzt nicht mehr, jetzt ſtecke ich in einer Sackgaſſe. Wenn Sie wollen, ſo bin ich ſelber ſchuld daran; ich hätte mich beſſer beherrſchen und bewachen, alles in mir verbergen, alles im eignen Herzen aus¬ kämpfen ſollen. Aber es kam mir zu plötzlich, zu ſtark, und ſo kann ich mir kaum einen Vorwurf machen, meine Nerven nicht geſchickter in Ordnung gehalten zu haben. Ich ging zu Ihnen und ſchrieb Ihnen einen Zettel, und damit war das Spiel aus meiner Hand. Von dem Augenblicke an hatte mein Unglück und, was ſchwerer wiegt, der Fleck auf meiner Ehre einen halben Mitwiſſer, und nach den erſten Worten, die wir hier gewechſelt, hat es einen414Effi Brieſtganzen. Und weil dieſer Mitwiſſer da iſt, kann ich nicht mehr zurück.

Ich weiß doch nicht, wiederholte Wüllersdorf. Ich mag nicht gerne zu der alten abgeſtandenen Phraſe greifen, aber doch läßt ſich's nicht beſſer ſagen: Innſtetten, es ruht alles in mir wie in einem Grabe.

Ja, Wüllersdorf, ſo heißt es immer. Aber es giebt keine Verſchwiegenheit. Und wenn Sie's wahr machen und gegen andere die Verſchwiegenheit ſelber ſind, ſo wiſſen Sie es, und es rettet mich nicht vor Ihnen, daß Sie mir eben Ihre Zuſtimmung aus¬ gedrückt und mir ſogar geſagt haben: ich kann Ihnen in allem folgen. Ich bin, und dabei bleibt es, von dieſem Augenblicke an ein Gegenſtand Ihrer Teil¬ nahme (ſchon nicht etwas ſehr Angenehmes), und jedes Wort, das Sie mich mit meiner Frau wechſeln hören, unterliegt Ihrer Kontrolle, Sie mögen wollen oder nicht, und wenn meine Frau von Treue ſpricht oder, wie Frauen thun, über eine andere zu Gericht ſitzt, ſo weiß ich nicht, wo ich mit meinen Blicken hin ſoll. Und ereignet ſich's gar, daß ich in irgend einer ganz alltäglichen Beleidigungsſache zum guten rede,, weil ja der dolus fehle‘ oder ſo 'was Ähn¬ liches, ſo geht ein Lächeln über Ihr Geſicht, oder es zuckt wenigſtens darin, und in Ihrer Seele klingt415Effi Brieſtes:, der gute Innſtetten, er hat doch eine wahre Paſſion, alle Beleidigungen auf ihren Beleidigungs¬ gehalt chemiſch zu unterſuchen, und das richtige Quantum Stickſtoff findet er nie. Er iſt noch nie an einer Sache erſtickt ' Habe ich recht, Wüllers¬ dorf, oder nicht?

Wüllersdorf war aufgeſtanden. Ich finde es furchtbar, daß Sie recht haben, aber Sie haben recht. Ich quäle Sie nicht länger mit meinem, muß es ſein‘. Die Welt iſt einmal wie ſie iſt, und die Dinge verlaufen nicht wie wir wollen, ſondern wie die andern wollen. Das mit dem, Gottesgericht‘, wie manche hochtrabend verſichern, iſt freilich ein Unſinn, nichts davon, umgekehrt, unſer Ehrenkultus iſt ein Götzendienſt, aber wir müſſen uns ihm unter¬ werfen, ſo lange der Götze gilt.

Innſtetten nickte.

Sie blieben noch eine Viertelſtunde miteinander, und es wurde feſtgeſtellt, Wüllersdorf ſolle noch den¬ ſelben Abend abreiſen. Ein Nachtzug ging um zwölf.

Dann trennten ſie ſich mit einem kurzen: Auf Wiederſehen in Keſſin.

[416]

Achtundzwanzigſtes Kapitel.

Am andern Abend, wie verabredet, reiſte Inn¬ ſtetten. Er benutzte denſelben Zug, den am Tage vorher Wüllersdorf benutzt hatte und war bald nach fünf Uhr früh auf der Bahnſtation, von wo der Weg nach Keſſin links abzweigte. Wie immer, ſo lange die Saiſon dauerte, ging auch heute, gleich nach Eintreffen des Zuges das mehrerwähnte Dampf¬ ſchiff, deſſen erſtes Läuten Innſtetten ſchon hörte, als er die letzten Stufen der vom Bahndamm hinab¬ führenden Treppe erreicht hatte. Der Weg bis zur Anlegeſtelle war keine drei Minuten; er ſchritt darauf zu und begrüßte den Kapitän, der etwas verlegen war, alſo im Laufe des geſtrigen Tages von der ganzen Sache ſchon gehört haben mußte, und nahm dann ſeinen Platz in der Nähe des Steuers. Gleich danach löſte ſich das Schiff vom Brückenſteg los; das Wetter war herrlich, helle Morgenſonne, nur wenig Paſſagiere an Bord. Inn¬417Effi Brieſtſtetten gedachte des Tages, als er, mit Effi von der Hochzeitsreiſe zurückkehrend, hier am Ufer der Keſſine hin in offenem Wagen gefahren war, ein grauer Novembertag damals, aber er ſelber froh im Herzen; nun hatte ſich's verkehrt: das Licht lag draußen, und der Novembertag war in ihm. Viele, viele Male war er dann des Weges hier gekommen, und der Frieden, der ſich über die Felder breitete, das Zuchtvieh in den Koppeln, das aufhorchte, wenn er vorüberfuhr, die Leute bei der Arbeit, die Frucht¬ barkeit der Äcker, das alles hatte ſeinem Sinne wohlgethan, und jetzt, in hartem Gegenſatz dazu, war er froh, als etwas Gewölk heranzog und den lachenden blauen Himmel leiſe zu trüben begann. So fuhren ſie den Fluß hinab, und bald, nachdem ſie die prächtige Waſſerfläche des Breitling paſſiert, kam der Keſſiner Kirchturm in Sicht und gleich danach auch das Bollwerk und die lange Häuſerreihe mit Schiffen und Booten davor. Und nun waren ſie heran. Innſtetten verabſchiedete ſich von dem Kapitän und ſchritt auf den Steg zu, den man, bequemeren Ausſteigens halber, herangerollt hatte. Wüllersdorf war ſchon da. Beide begrüßten ſich, ohne zunächſt ein Wort zu ſprechen, und gingen dann, quer über den Damm, auf den Hoppenſack'ſchen Gaſthof zu, wo ſie unter einem Zeltdach Platz nahmen.

Th. Fontane, Effi Brieſt. 27418Effi Brieſt

Ich habe mich geſtern früh hier einquartiert, ſagte Wüllersdorf, der nicht gleich mit den Sachlich¬ keiten beginnen wollte. Wenn man bedenkt, daß Keſſin ein Neſt iſt, iſt es erſtaunlich, ein ſo gutes Hotel hier zu finden. Ich bezweifle nicht, daß mein Freund, der Oberkellner, drei Sprachen ſpricht; ſeinem Scheitel und ſeiner ausgeſchnittnen Weſte nach können wir dreiſt auf vier rechnen Jean, bitte, wollen Sie uns Kaffee und Cognac bringen.

Innſtetten begriff vollkommen, warum Wüllers¬ dorf dieſen Ton anſchlug, war auch damit einverſtanden, konnte aber ſeiner Unruhe nicht ganz Herr werden und zog unwillkürlich die Uhr.

Wir haben Zeit, ſagte Wüllersdorf. Noch anderthalb Stunden oder doch beinah. Ich habe den Wagen auf beſtellt; wir fahren nicht länger als zehn Minuten.

Und wo?

Crampas ſchlug erſt ein Waldeck vor, gleich hinter dem Kirchhof. Aber dann unterbrach er ſich und ſagte:, Nein, da nicht. Und dann haben wir uns über eine Stelle zwiſchen den Dünen geeinigt. Hart am Strand; die vorderſte Düne hat einen Einſchnitt, und man ſieht aufs Meer.

Innſtetten lächelte. Crampas ſcheint ſich einen419Effi BrieſtSchönheitspunkt ausgeſucht zu haben. Er hatte immer die Allüren dazu. Wie benahm er ſich?

Wundervoll.

Übermütig? frivol?

Nicht das eine und nicht das andere. Ich be¬ kenne Ihnen offen, Innſtetten, daß es mich erſchütterte. Als ich Ihren Namen nannte, wurde er totenblaß und rang nach Faſſung, und um ſeine Mundwinkel ſah ich ein Zittern. Aber all' das dauerte nur einen Augenblick, dann hatte er ſich wieder gefaßt, und von da ab war alles an ihm wehmütige Reſignation. Es iſt mir ganz ſicher, er hat das Gefühl, aus der Sache nicht heil herauszukommen, und will auch nicht. Wenn ich ihn richtig beurteile, er lebt gern und iſt zugleich gleichgültig gegen das Leben. Er nimmt alles mit und weiß doch, daß es nicht viel damit iſt.

Wer wird ihm ſekundieren? Oder ſag 'ich lieber, wen wird er mitbringen?

Das war, als er ſich wieder gefunden hatte, ſeine Hauptſorge. Er nannte zwei, drei Adlige aus der Nähe, ließ ſie dann aber wieder fallen, ſie ſeien zu alt und zu fromm, er werde nach Treptow hin telegraphieren an ſeinen Freund Buddenbrook. Und der iſt auch gekommen, famoſer Mann, ſchneidig und doch zugleich wie ein Kind. Er konnte ſich nicht27 *420Effi Brieſtberuhigen und ging in größter Erregung auf und ab. Aber als ich ihm alles geſagt hatte, ſagte er gerade ſo wie wir: Sie haben recht, es muß ſein!‘

Der Kaffee kam. Man nahm eine Cigarre, und Wüllersdorf war wieder darauf aus, das Geſpräch auf mehr gleichgültige Dinge zu lenken.

Ich wundere mich, daß keiner von den Keſſinern ſich einfindet, Sie zu begrüßen. Ich weiß doch, daß Sie ſehr beliebt geweſen ſind. Und nun gar Ihr Freund Gieshübler

Innſtetten lächelte. Da verkennen Sie die Leute hier an der Küſte; halb ſind es Philiſter und halb Pfiffici, nicht ſehr nach meinem Geſchmack; aber eine Tugend haben ſie, ſie ſind alle ſehr manierlich. Und nun gar mein alter Gieshübler. Natürlich weiß jeder, um was ſich's handelt, aber eben deshalb hütet man ſich, den Neugierigen zu ſpielen.

In dieſem Augenblicke wurde von links her ein zurückgeſchlagener Chaiſewagen ſichtbar, der, weil es noch vor der beſtimmten Zeit war, langſam herankam.

Iſt das unſer? fragte Innſtetten.

Mutmaßlich.

Und gleich danach hielt der Wagen vor dem Hotel, und Innſtetten und Wüllersdorf erhoben ſich.

Wüllersdorf trat an den Kutſcher heran und ſagte: Nach der Mole.

421Effi Brieſt

Die Mole lag nach der entgegengeſetzten Strand¬ ſeite, rechts ſtatt links, und die falſche Weiſung wurde nur gegeben, um etwaigen Zwiſchenfällen, die doch immerhin möglich waren, vorzubeugen. Im übrigen, ob man ſich nun weiter draußen nach rechts oder links zu halten vor hatte, durch die Plantage mußte man jedenfalls, und ſo führte denn der Weg un¬ vermeidlich an Innſtettens alter Wohnung vorüber. Das Haus lag noch ſtiller da als früher; ziemlich vernachläſſigt ſah's in den Parterreräumen aus; wie mocht es erſt da oben ſein! Und das Gefühl des Unheimlichen, das Innſtetten an Effi ſo oft bekämpft oder auch wohl belächelt hatte, jetzt überkam es ihn ſelbſt, und er war froh, als ſie dran vorüber waren.

Da hab 'ich gewohnt, ſagte er zu Wüllersdorf.

Es ſieht ſonderbar aus, etwas öd 'und ver¬ laſſen.

Mag auch wohl. In der Stadt galt es als ein Spukhaus, und wie's heute da liegt, kann ich den Leuten nicht unrecht geben.

Was war es denn damit?

Ach, dummes Zeug: alter Schiffskapitän mit Enkelin oder Nichte, die eines ſchönen Tages ver¬ ſchwand, und dann ein Chineſe, der vielleicht ein Liebhaber war, und auf dem Flur ein kleiner Haifiſch422Effi Brieſtund ein Krokodil, beides an Strippen und immer in Bewegung. Wundervoll zu erzählen, aber nicht jetzt. Es ſpukt einem doch allerhand anderes im Kopf.

Sie vergeſſen, es kann auch alles glatt ab¬ laufen.

Darf nicht. Und vorhin, Wüllersdorf, als Sie von Crampas ſprachen, ſprachen Sie ſelber anders davon.

Bald danach hatte man die Plantage paſſiert, und der Kutſcher wollte jetzt rechts einbiegen auf die Mole zu. Fahren Sie lieber links. Das mit der Mole kann nachher kommen.

Und der Kutſcher bog links in eine breite Fahr¬ ſtraße ein, die hinter dem Herrenbade grad auf den Wald zulief. Als ſie bis auf dreihundert Schritt an dieſen heran waren, ließ Wüllersdorf den Wagen halten, und beide gingen nun, immer durch mahlenden Sand hin, eine ziemlich breite Fahrſtraße hinunter, die die hier dreifache Dünenreihe ſenkrecht durchſchnitt. Überall zur Seite ſtanden dichte Büſchel von Strand¬ hafer, um dieſen herum aber Immortellen und ein paar blutrote Nelken. Innſtetten bückte ſich und ſteckte ſich eine der Nelken ins Knopfloch. Die Immortellen nachher.

So gingen ſie fünf Minuten. Als ſie bis an423Effi Brieſtdie ziemlich tiefe Senkung gekommen waren, die zwiſchen den beiden vorderſten Dünenreihen hinlief, ſahen ſie, nach links hin, ſchon die Gegenpartei: Crampas und Buddenbrook und mit ihnen den guten Dr. Hannemann, der ſeinen Hut in der Hand hielt, ſo daß das weiße Haar im Winde flatterte.

Innſtetten und Wüllersdorf gingen die Sand¬ ſchlucht hinauf, Buddenbrook kam ihnen entgegen. Man begrüßte ſich, worauf beide Sekundanten bei¬ ſeite traten, um noch ein kurzes ſachliches Geſpräch zu führen. Es lief darauf hinaus, daß man a tempo avancieren und auf zehn Schritt Diſtance feuern ſolle. Dann kehrte Buddenbrook an ſeinen Platz zurück; alles erledigte ſich raſch; und die Schüſſe fielen. Crampas ſtürzte.

Innſtetten, einige Schritt zurücktretend, wandte ſich ab von der Szene. Wüllersdorf aber war auf Buddenbrook zugeſchritten, und beide warteten jetzt auf den Ausſpruch des Doktors, der die Achſeln zuckte. Zugleich deutete Crampas durch eine Hand¬ bewegung an, daß er etwas ſagen wollte. Wüllersdorf beugte ſich zu ihm nieder, nickte zuſtimmend zu den paar Worten, die kaum hörbar von des Sterbenden Lippen kamen, und ging dann auf Innſtetten zu.

424Effi Brieſt

Crampas will Sie noch ſprechen, Innſtetten. Sie müſſen ihm zu Willen ſein. Er hat keine drei Minuten Leben mehr.

Innſtetten trat an Crampas heran.

Wollen Sie das waren ſeine letzten Worte.

Noch ein ſchmerzlicher und doch beinah freund¬ licher Schimmer in ſeinem Antlitz, und dann war es vorbei.

[425]

Neunundzwanzigſtes Kapitel.

Am Abend desſelben Tages traf Innſtetten wieder in Berlin ein. Er war mit dem Wagen, den er innerhalb der Dünen an dem Querwege zurück¬ gelaſſen hatte, direkt nach der Bahnſtation gefahren, ohne Keſſin noch einmal zu berühren, dabei den beiden Sekundanten die Meldung an die Behörden überlaſſend. Unterwegs (er war allein im Coupé) hing er, alles noch 'mal überdenkend, dem Geſchehenen nach; es waren dieſelben Gedanken wie zwei Tage zuvor, nur daß ſie jetzt den umgekehrten Gang gingen und mit der Überzeugtheit von ſeinem Recht und ſeiner Pflicht anfingen, um mit Zweifeln daran auf¬ zuhören. Schuld, wenn ſie überhaupt' was iſt, iſt nicht an Ort und Stunde gebunden und kann nicht hinfällig werden von heute auf morgen. Schuld verlangt Sühne; das hat einen Sinn. Aber Ver¬ jährung iſt etwas Halbes, etwas Schwächliches, zum mindeſten 'was Proſaiſches. Und er richtete ſich426Effi Brieſtan dieſer Vorſtellung auf und wiederholte ſich's, daß es gekommen ſei, wie's habe kommen müſſen. Aber im ſelben Augenblicke, wo dies für ihn feſtſtand, warf er's auch wieder um. Es muß eine Ver¬ jährung geben, Verjährung iſt das einzig Vernünftige; ob es nebenher auch noch proſaiſch iſt, iſt gleichgültig; das Vernünftige iſt meiſt proſaiſch. Ich bin jetzt fünfundvierzig. Wenn ich die Briefe fünfundzwanzig Jahre ſpäter gefunden hätte, ſo war ich ſiebzig. Dann hätte Wüllersdorf geſagt:, Innſtetten, ſeien Sie kein Narr. Und wenn es Wüllersdorf nicht geſagt hätte, ſo hätt 'es Buddenbrook geſagt, und wenn auch der nicht, ſo ich ſelbſt. Dies iſt mir klar. Treibt man etwas auf die Spitze, ſo übertreibt man und hat die Lächerlichkeit. Kein Zweifel. Aber wo fängt es an? Wo liegt die Grenze? Zehn Jahre verlangen noch ein Duell, und da heißt es Ehre, und nach elf Jahren oder vielleicht ſchon bei zehnundeinhalb heißt es Unſinn. Die Grenze, die Grenze. Wo iſt ſie? War ſie da? War ſie ſchon überſchritten? Wenn ich mir ſeinen letzten Blick vergegenwärtige, reſigniert und in ſeinem Elend doch noch ein Lächeln, ſo hieß der Blick:, Innſtetten, Prinzipienreiterei Sie konnten es mir erſparen und ſich ſelber auch. Und er hatte vielleicht recht. Mir klingt ſo' was in der Seele. Ja, wenn ich voll tödlichem Haß geweſen427Effi Brieſtwäre, wenn mir hier ein tiefes Rachegefühl geſeſſen hätte Rache iſt nichts Schönes, aber 'was Menſchliches und hat ein natürlich menſchliches Recht. So aber war alles einer Vorſtellung, einem Begriff zu Liebe, war eine gemachte Geſchichte, halbe Komödie. Und dieſe Komödie muß ich nun fortſetzen und muß Effi wegſchicken und ſie ruinieren, und mich mit Ich mußte die Briefe verbrennen, und die Welt durfte nie davon erfahren. Und wenn ſie dann kam, ahnungslos, ſo mußt' ich ihr ſagen:, Da iſt Dein Platz, und mußte mich innerlich von ihr ſcheiden. Nicht vor der Welt. Es giebt ſo viele Leben, die keine ſind, und ſo viele Ehen, die keine ſind dann war das Glück hin, aber ich hätte das Auge mit ſeinem Frageblicke und mit ſeiner ſtummen leiſen An¬ klage nicht vor mir.

Kurz vor zehn hielt Innſtetten vor ſeiner Wohnung. Er ſtieg die Treppen hinauf und zog die Glocke; Johanna kam und öffnete.

Wie ſteht es mit Annie?

Gut, gnäd'ger Herr. Sie ſchläft noch nicht Wenn der gnäd'ge Herr

Nein, nein, das regt ſie bloß auf. Ich ſehe ſie lieber morgen früh. Bringen Sie mir ein Glas Thee, Johanna. Wer war hier?

428Effi Brieſt

Nur der Doktor.

Und nun war Innſtetten wieder allein. Er ging auf und ab, wie er's zu thun liebte. Sie wiſſen ſchon alles; Roswitha iſt dumm, aber Johanna iſt eine kluge Perſon. Und wenn ſie's nicht mit Beſtimmtheit wiſſen, ſo haben ſie ſich's zurecht gelegt und wiſſen es doch. Es iſt merkwürdig, was alles zum Zeichen wird und Geſchichten ausplaudert, als wäre jeder mit dabei geweſen.

Johanna brachte den Thee. Innſtetten trank. Er war nach der Überanſtrengung todmüde und ſchlief ein.

Innſtetten war zu guter Zeit auf. Er ſah Annie, ſprach ein paar Worte mit ihr, lobte ſie, daß ſie eine gute Kranke ſei und ging dann aufs Miniſterium, um ſeinem Chef von allem Vorgefallenen Meldung zu machen. Der Miniſter war ſehr gnädig. Ja, Inn¬ ſtetten, wohl dem, der aus allem, was das Leben uns bringen kann, heil heraus kommt; Sie hat's getroffen. Er fand alles, was geſchehen, in der Ordnung und überließ Innſtetten das weitere.

Erſt ſpät nachmittags war Innſtetten wieder in ſeiner Wohnung, in der er ein paar Zeilen von Wüllersdorf vorfand. Heute früh wieder eingetroffen. Eine Welt von Dingen erlebt; Schmerzliches, Rührendes,429Effi BrieſtGieshübler an der Spitze. Der liebenswürdigſte Pucklige, den ich je geſehen. Von Ihnen ſprach er nicht allzu viel, aber die Frau, die Frau! Er konnte ſich nicht beruhigen, und zuletzt brach der kleine Mann in Thränen aus. Was alles vorkommt. Es wäre zu wünſchen, daß es mehr Gieshübler gäbe. Es giebt aber mehr andere. Und dann die Szene im Hauſe des Majors furchtbar. Kein Wort davon. Man hat wieder 'mal gelernt: aufpaſſen. Ich ſehe Sie morgen. Ihr W.

Innſtetten war ganz erſchüttert, als er geleſen. Er ſetzte ſich und ſchrieb ſeinerſeits ein paar Briefe. Als er damit zu Ende war, klingelte er: Johanna, die Briefe in den Kaſten.

Johanna nahm die Briefe und wollte gehen.

Und dann, Johanna, noch eins: die Frau kommt nicht wieder. Sie werden von anderen er¬ fahren, warum nicht. Annie darf nichts wiſſen, wenigſtens jetzt nicht. Das arme Kind. Sie müſſen es ihr allmählich beibringen, daß ſie keine Mutter mehr hat. Ich kann es nicht. Aber machen Sie's geſcheidt. Und daß Roswitha nicht alles verdirbt.

Johanna ſtand einen Augenblick ganz wie be¬ nommen da. Dann ging ſie auf Innſtetten zu und küßte ihm die Hand.

Als ſie wieder draußen in der Küche war, war430Effi Brieſtſie von Stolz und Überlegenheit ganz erfüllt, ja bei¬ nahe von Glück. Der gnädige Herr hatte ihr nicht nur alles geſagt, ſondern am Schluſſe auch noch hinzugeſetzt und daß Roswitha nicht alles verdirbt . Das war die Hauptſache, und ohne daß es ihr an gutem Herzen und ſelbſt an Teilnahme mit der Frau gefehlt hätte, beſchäftigte ſie doch, über jedes andere hinaus, der Triumph einer gewiſſen Intimitätsſtellung zum gnädigen Herrn.

Unter gewöhnlichen Umſtänden wäre ihr denn auch die Herauskehrung und Geltendmachung dieſes Triumphes ein Leichtes geweſen, aber heute traf ſich's ſo wenig günſtig für ſie, daß ihre Rivalin, ohne Vertrauensperſon geweſen zu ſein, ſich doch als die Eingeweihtere zeigen ſollte. Der Portier unten hatte nämlich, ſo ziemlich um dieſelbe Zeit, wo dies ſpielte, Roswitha in ſeine kleine Stube hineingerufen und ihr gleich beim Eintreten ein Zeitungsblatt zum Leſen zugeſchoben. Da, Roswitha, das iſt 'was für Sie; Sie können es mir nachher wieder' runter bringen. Es iſt bloß das Fremdenblatt: aber Lene iſt ſchon hin und holt das Kleine Journal. Da wird wohl ſchon mehr drin ſtehen; die wiſſen immer alles. Hören Sie, Roswitha, wer ſo 'was gedacht hätte.

Roswitha, ſonſt nicht allzu neugierig, hatte ſich doch nach dieſer Anſprache ſo raſch wie möglich die431Effi BrieſtHintertreppe hinaufbegeben und war mit dem Leſen gerade fertig, als Johanna dazu kam.

Dieſe legte die Briefe, die ihr Innſtetten eben gegeben, auf den Tiſch, überflog die Adreſſen oder that wenigſtens ſo (denn ſie wußte längſt, an wen ſie gerichtet waren) und ſagte mit gut erkünſtelter Ruhe: Einer iſt nach Hohen-Cremmen.

Das kann ich mir denken, ſagte Roswitha.

Johanna war nicht wenig erſtaunt über dieſe Bemerkung. Der Herr ſchreibt ſonſt nie nach Hohen-Cremmen.

Ja, ſonſt. Aber jetzt Denken Sie ſich, das hat mir eben der Portier unten gegeben.

Johanna nahm das Blatt und las nun halblaut eine mit einem dicken Tintenſtrich markierte Stelle: Wie wir kurz vor Redaktionsſchluß von gut unter¬ richteter Seite her vernehmen, hat geſtern früh in dem Badeorte Keſſin, in Hinterpommern, ein Duell zwiſchen dem Miniſterialrat v. J. (Keithſtraße) und dem Major von Crampas ſtattgefunden. Major von Crampas fiel. Es heißt, daß Beziehungen zwiſchen ihm und der Rätin, einer ſchönen und noch ſehr jungen Frau, beſtanden haben ſollen.

Was ſolche Blätter auch alles ſchreiben, ſagte Johanna, die verſtimmt war, ihre Neuigkeit überholt zu ſehen. Ja, ſagte Roswitha. Und das leſen432Effi Brieſtnun die Menſchen und verſchimpfieren mir meine liebe, arme Frau. Und der arme Major. Nun iſt er tot.

Ja, Roswitha, was denken Sie ſich eigentlich. Soll er nicht tot ſein? Oder ſoll lieber unſer gnädiger Herr tot ſein?

Nein, Johanna, unſer gnäd'ger Herr, der ſoll auch leben, alles ſoll leben. Ich bin nicht für tot¬ ſchießen und kann nicht 'mal das Knallen hören. Aber bedenken Sie doch, Johanna, das iſt ja nun ſchon eine halbe Ewigkeit her, und die Briefe, die mir gleich ſo ſonderbar ausſahen, weil ſie die rote Strippe hatten und drei - oder viermal umwickelt und dann eingeknotet und keine Schleife die ſahen ja ſchon ganz gelb aus, ſo lange iſt es her. Wir ſind ja nun ſchon über ſechs Jahre hier, und wie kann man wegen ſolcher alten Geſchichten

Ach, Roswitha, Sie reden, wie Sie's verſtehen. Und bei Lichte beſehen, ſind Sie ſchuld. Von den Briefen kommt es her. Warum kamen Sie mit dem Stemmeiſen und brachen den Nähtiſch auf, was man nie darf; man darf kein Schloß aufbrechen, was ein anderer zugeſchloſſen hat.

Aber, Johanna, das iſt doch wirklich zu ſchlecht von Ihnen, mir ſo 'was auf den Kopf zuzuſagen, und Sie wiſſen doch, daß Sie ſchuld ſind und daß433Effi BrieſtSie wie närriſch in die Küche ſtürzten und mir ſagten, der Nähtiſch müſſe aufgemacht werden, da wäre die Bandage drin, und da bin ich mit dem Stemmeiſen gekommen, und nun ſoll ich ſchuld ſein. Nein, ich ſage

Nun, ich will es nicht geſagt haben, Roswitha. Nur Sie ſollen mir nicht kommen und ſagen: der arme Major. Was heißt der arme Major! Der ganze arme Major taugte nichts; wer ſolchen rot¬ blonden Schnurrbart hat und immer wribbelt, der taugt nie 'was und richtet bloß Schaden an. Und wenn man immer in vornehmen Häuſern gedient hat aber das haben Sie nicht, Roswitha, das fehlt Ihnen eben dann weiß man auch, was ſich paßt und ſchickt und was Ehre iſt, und weiß auch, daß, wenn ſo' was vorkommt, dann geht es nicht anders, und dann kommt das, was man eine Forderung nennt, und dann wird einer totgeſchoſſen.

Ach, das weiß ich auch; ich bin nicht ſo dumm, wie Sie mich immer machen wollen. Aber wenn es ſo lange her iſt

Ja, Roswitha, mit Ihrem ewigen, ſo lange her '; daran ſieht man ja eben, daß Sie nichts davon verſtehen. Sie erzählen immer die alte Geſchichte von Ihrem Vater mit dem glühenden Eiſen und wie er damit auf Sie losgekommen, und jedesmal, wennTh. Fontane, Effi Brieſt. 28434Effi Brieſtich einen glühenden Bolzen einthue, muß ich auch wirklich immer an Ihren Vater denken, und ſehe immer, wie er Sie wegen des Kindes, das ja nun tot iſt, tot machen will. Ja, Roswitha, davon ſprechen Sie in einem fort, und es fehlt bloß noch, daß Sie Anniechen auch die Geſchichte erzählen, und wenn Anniechen eingeſegnet wird, dann wird ſie's auch gewiß erfahren, und vielleicht denſelben Tag noch; und das ärgert mich, daß Sie das alles erlebt haben, und Ihr Vater war doch bloß ein Dorfſchmied und hat Pferde beſchlagen oder einen Radreifen gelegt, und nun kommen Sie und verlangen von unſerm gnäd'gen Herrn, daß er ſich das alles ruhig gefallen läßt, bloß weil es ſo lange her iſt. Was heißt lange her? Sechs Jahre iſt nicht lange her. Und unſre gnäd'ge Frau die aber nicht wiederkommt, der gnäd'ge Herr hat es mir eben geſagt unſre gnäd'ge Frau wird erſt ſechſundzwanzig, und im Auguſt iſt ihr Geburtstag, und da kommen Sie mir, mit lange her '. Und wenn ſie ſechsunddreißig wäre, ich ſage Ihnen, bei ſechsunddreißig muß man erſt recht auf¬ paſſen, und wenn der gnäd'ge Herr nichts gethan hätte, dann hätten ihn die vornehmen Leute, ge¬ ſchnitten‘. Aber das Wort kennen Sie gar nicht, Roswitha, davon wiſſen Sie nichts.

Nein, davon weiß ich nichts, will auch nicht;435Effi Brieſtaber das weiß ich, Johanna, daß Sie in den gnäd'gen Herrn verliebt ſind.

Johanna ſchlug eine krampfhafte Lache auf.

Ja, lachen Sie nur. Ich ſeh 'es ſchon lange. Sie haben ſo' was. Und ein Glück, daß unſer gnäd'ger Herr keine Augen dafür hat Die arme Frau, die arme Frau.

Johanna lag daran, Frieden zu ſchließen. Laſſen Sie's gut ſein, Roswitha. Sie haben wieder Ihren Koller; aber ich weiß ſchon, den haben alle vom Lande.

Kann ſchon ſein.

Ich will jetzt nur die Briefe forttragen und unten ſehen, ob der Portier vielleicht ſchon die andere Zeitung hat. Ich habe doch recht verſtanden, daß er Lene danach geſchickt hat? Und es muß auch mehr darin ſtehen; das hier iſt ja ſo gut wie gar nichts.

28 *
[436]

Dreißigſtes Kapitel.

Effi und die Geheimrätin Zwicker waren ſeit faſt drei Wochen in Ems und bewohnten daſelbſt das Erdgeſchoß einer reizenden kleinen Villa. In ihrem zwiſchen ihren zwei Wohnzimmern gelegenen gemeinſchaftlichen Salon mit Blick auf den Garten ſtand ein Polyſanderflügel, auf dem Effi dann und wann eine Sonate, die Zwicker dann und wann einen Walzer ſpielte; ſie war ganz unmuſikaliſch und beſchränkte ſich im weſentlichen darauf, für Niemann als Tannhäuſer zu ſchwärmen.

Es war ein herrlicher Morgen; in dem kleinen Garten zwitſcherten die Vögel, und aus dem an¬ grenzenden Hauſe, drin ſich ein, Lokal befand, hörte man, trotz der frühen Stunde, bereits das Zuſammen¬ ſchlagen der Billardbälle. Beide Damen hatten ihr Frühſtück nicht im Salon ſelbſt, ſondern auf einem ein paar Fuß hoch aufgemauerten und mit Kies be¬ ſtreuten Vorplatz eingenommen, von dem aus drei437Effi BrieſtStufen nach dem Garten hinunter führten; die Marquiſe, ihnen zu Häupten, war aufgezogen, um den Genuß der friſchen Luft in nichts zu beſchränken, und ſowohl Effi wie die Geheimrätin waren ziemlich emſig bei ihrer Handarbeit. Nur dann und wann wurden ein paar Worte gewechſelt.

Ich begreife nicht, ſagte Effi, daß ich ſchon ſeit vier Tagen keinen Brief habe; er ſchreibt ſonſt täglich. Ob Annie krank iſt? Oder er ſelbſt?

Die Zwicker lächelte: Sie werden erfahren, liebe Freundin, daß er geſund iſt, ganz geſund.

Effi fühlte ſich durch den Ton, in dem dies geſagt wurde, wenig angenehm berührt und ſchien antworten zu wollen, aber in eben dieſem Augen¬ blicke trat das aus der Umgegend von Bonn ſtammende Hausmädchen, das ſich von Jugend an daran ge¬ wöhnt hatte, die mannigfachſten Erſcheinungen des Lebens an Bonner Studenten und Bonner Huſaren zu meſſen, vom Salon her auf den Vorplatz hinaus, um hier den Frühſtückstiſch abzuräumen. Sie hieß Afra.

Afra, ſagte Effi, es muß doch ſchon neun ſein; war der Poſtbote noch nicht da?

Nein, noch nicht, gnäd'ge Frau.

Woran liegt es?

Natürlich an dem Poſtboten; er iſt aus dem438Effi BrieſtSiegen'ſchen und hat keinen Schneid. Ich hab's ihm auch ſchon geſagt, das ſei die, reine Lodderei‘. Und wie ihm das Haar ſitzt; ich glaube, er weiß gar nicht, was ein Scheitel iſt.

Afra, Sie ſind 'mal wieder zu ſtreng. Denken Sie doch: Poſtbote, und ſo Tag aus Tag ein bei der ewigen Hitze

Iſt ſchon recht, gnäd'ge Frau. Aber es giebt doch andere, die zwingen's; wo's drin ſteckt, da geht es auch. Und während ſie noch ſo ſprach, nahm ſie das Tablett geſchickt auf ihre fünf Fingerſpitzen und ſtieg die Stufen hinunter, um durch den Garten hin den näheren Weg in die Küche zu nehmen.

Eine hübſche Perſon, ſagte die Zwicker. Und ſo quick und kaſch, und ich möchte faſt ſagen von einer natürlichen Anmut. Wiſſen Sie, liebe Baronin, daß mich dieſe Afra übrigens ein wundervoller Name, und es ſoll ſogar eine heilige Afra gegeben haben, aber ich glaube nicht, daß unſere davon ab¬ ſtammt

Und nun, liebe Geheimrätin, vertiefen Sie ſich wieder in Ihr Nebenthema, das diesmal Afra heißt, und vergeſſen darüber ganz, was Sie eigentlich ſagen wollten

Doch nicht, liebe Freundin, oder ich finde mich wenigſtens wieder zurück. Ich wollte ſagen, daß439Effi Brieſtmich dieſe Afra ganz ungemein an die ſtattliche Perſon erinnert, die ich in Ihrem Hauſe

Ja, Sie haben recht. Es iſt eine Ähnlichkeit da. Nur unſer Berliner Hausmädchen iſt doch er¬ heblich hübſcher und namentlich ihr Haar viel ſchöner und voller. Ich habe ſo ſchönes flachſenes Haar, wie unſere Johanna hat, überhaupt noch nicht ge¬ ſehen. Ein bißchen davon ſieht man ja wohl, aber ſolche Fülle

Die Zwicker lächelte. Das iſt wirklich ſelten, daß man eine junge Frau mit ſolcher Begeiſterung von dem flachſenen Haar ihres Hausmädchens ſprechen hört. Und nun auch noch von der Fülle! Wiſſen Sie, daß ich das rührend finde. Denn eigentlich iſt man doch bei der Wahl der Mädchen in einer be¬ ſtändigen Verlegenheit. Hübſch ſollen ſie ſein, weil es jeden Beſucher, wenigſtens die Männer, ſtört, eine lange Stakete mit grieſem Teint und ſchwarzen Rändern in der Thüröffnung erſcheinen zu ſehen, und ein wahres Glück, daß die Korridore meiſtens ſo dunkel ſind. Aber nimmt man wieder zu viel Rückſicht auf ſolche Hausrepräſentation und den ſo¬ genannten erſten Eindruck und ſchenkt man wohl gar noch einer ſolchen hübſchen Perſon eine weiße Tändelſchürze nach der andern, ſo hat man eigentlich keine ruhige Stunde mehr und fragt ſich, wenn man440Effi Brieſtnicht zu eitel iſt und nicht zu viel Vertrauen zu ſich ſelber hat, ob da nicht Remedur geſchaffen werden müſſe. Remedur war nämlich ein Lieblingswort von Zwicker, womit er mich oft gelangweilt hat; aber freilich, alle Geheimräte haben ſolche Lieblings¬ worte.

Effi hörte mit ſehr geteilten Empfindungen zu. Wenn die Geheimrätin nur ein bißchen anders ge¬ weſen wäre, ſo hätte dies alles reizend ſein können, aber da ſie nun 'mal war wie ſie war, ſo fühlte ſich Effi wenig angenehm von dem berührt, was ſie ſonſt vielleicht einfach erheitert hätte.

Das iſt ſchon recht, liebe Freundin, was Sie da von den Geheimräten ſagen. Innſtetten hat ſich auch dergleichen angewöhnt, lacht aber immer, wenn ich ihn darauf hin anſehe und entſchuldigt ſich hinter¬ her wegen der Aktenausdrücke. Ihr Herr Gemahl war freilich ſchon länger im Dienſt und überhaupt wohl älter

Um ein geringes, ſagte die Geheimrätin ſpitz und ablehnend.

Und alles in allem kann ich mich in Be¬ fürchtungen, wie Sie ſie ausſprechen, nicht recht zu¬ rechtfinden. Das, was man gute Sitte nennt, iſt doch immer noch eine Macht

Meinen Sie?

441Effi Brieſt

Und ich kann mir namentlich nicht denken, daß es gerade Ihnen, liebe Freundin, beſchieden ge¬ weſen ſein ſollte, ſolche Sorgen und Befürchtungen durchzumachen. Sie haben, Verzeihung, daß ich dieſen Punkt hier ſo offen berühre, gerade das, was die Männer einen Charme‘ nennen, Sie ſind heiter, feſſelnd, anregend und, wenn es nicht indiskret iſt, ſo möcht 'ich, angeſichts dieſer Ihrer Vorzüge, wohl fragen dürfen, ſtützt ſich das, was Sie da ſagen, auf allerlei Schmerzliches, das Sie perſönlich erlebt haben?

Schmerzliches? ſagte die Zwicker. Ach, meine liebe, gnädigſte Frau, Schmerzliches, das iſt ein zu großes Wort, auch dann noch, wenn man vielleicht wirklich manches erlebt hat. Schmerzlich iſt einfach zu viel, viel zu viel. Und dann hat man doch ſchließlich auch ſeine Hülfsmittel und Gegenkräfte. Sie dürfen dergleichen nicht zu tragiſch nehmen.

Ich kann mir keine rechte Vorſtellung von dem machen, was Sie anzudeuten belieben. Nicht, als ob ich nicht wüßte, was Sünde ſei, das weiß ich auch; aber es iſt doch ein Unterſchied, ob man ſo hineingerät in allerlei ſchlechte Gedanken oder ob einem derlei Dinge zur halben oder auch wohl zur ganzen Lebensgewohnheit werden. Und nun gar im eigenen Hauſe

442Effi Brieſt

Davon will ich nicht ſprechen, das will ich nicht ſo direkt geſagt haben, obwohl ich, offen ge¬ ſtanden, auch nach dieſer Seite hin voller Mißtrauen bin, oder, wie ich jetzt ſagen muß, war; denn es liegt ja alles zurück. Aber da giebt es Außengebiete. Haben Sie von Landpartien gehört?

Gewiß. Und ich wollte wohl, Innſtetten hätte mehr Sinn dafür

Überlegen Sie ſich das, liebe Freundin. Zwicker ſaß immer in Saatwinkel. Ich kann Ihnen nur ſagen, wenn ich das Wort höre, giebt es mir noch jetzt einen Stich ins Herz. Überhaupt dieſe Ver¬ gnügungsörter in der Umgegend unſeres lieben, alten Berlin! Denn ich liebe Berlin trotz alledem. Aber ſchon die bloßen Namen der dabei in Frage kommen¬ den Ortſchaften umſchließen eine Welt von Angſt und Sorge. Sie lächeln. Und doch, ſagen Sie ſelbſt, liebe Freundin, was können Sie von einer großen Stadt und ihren Sittlichkeitszuſtänden erwarten, wenn Sie beinah 'unmittelbar vor den Thoren derſelben (denn zwiſchen Charlottenburg und Berlin iſt kein rechter Unterſchied mehr), auf kaum tauſend Schritte zuſammengedrängt, einem Pichelsberg, einem Pichels¬ dorf und einem Pichelswerder begegnen. Dreimal Pichel iſt zu viel. Sie können die ganze Welt ab¬ ſuchen, das finden Sie nicht wieder.

443Effi Brieſt

Effi nickte.

Und das alles, fuhr die Zwicker fort, ge¬ ſchieht am grünen Holze der Havelſeite. Das alles liegt nach Weſten zu, da haben Sie Kultur und höhere Geſittung. Aber nun gehen Sie, meine Gnädigſte, nach der andern Seite hin, die Spree hinauf. Ich ſpreche nicht von Treptow und Stralau, das ſind Bagatellen, Harmloſigkeiten, aber wenn Sie die Spezialkarte zur Hand nehmen wollen, da be¬ gegnen Sie neben mindeſtens ſonderbaren Namen wie Kiekebuſch, wie Wuhlheide Sie hätten hören ſollen, wie Zwicker das Wort ausſprach Namen von geradezu brutalem Charakter, mit denen ich Ihr Ohr nicht verletzen will. Aber natürlich ſind das gerade die Plätze, die bevorzugt werden. Ich haſſe dieſe Landpartieen, die ſich das Volksgemüt als eine Kremſerpartie mit Ich bin ein Preuße‘ vorſtellt, in Wahrheit aber ſchlummern hier die Keime einer ſozialen Revolution. Wenn ich ſage ſoziale Revolution, ſo meine ich natürlich moraliſche Revolution, alles andere iſt bereits wieder überholt, und ſchon Zwicker ſagte mir noch in ſeinen letzten Tagen: Glaube mir, Sophie, Saturn frißt ſeine Kinder. Und Zwicker, welche Mängel und Gebrechen er haben mochte, das bin ich ihm ſchuldig, er war ein philoſophiſcher Kopf und hatte ein natürliches Gefühl für hiſtoriſche444Effi BrieſtEntwickelung Aber ich ſehe, meine liebe Frau von Innſtetten, ſo artig ſie ſonſt iſt, hört nur noch mit halbem Ohr zu; natürlich, der Poſtbote hat ſich drüben blicken laſſen, und da fliegt denn das Herz hinüber und nimmt die Liebesworte vorweg aus dem Briefe heraus Nun, Böſelager, was bringen Sie?

Der Angeredete war mittlerweile bis an den Tiſch herangetreten und packte aus: mehrere Zeitungen, zwei Friſeuranzeigen und zuletzt auch einen großen eingeſchriebenen Brief an Frau Baronin von Inn¬ ſtetten, geb. von Brieſt.

Die Empfängerin unterſchrieb, und nun ging der Poſtbote wieder. Die Zwicker aber überflog die Friſeuranzeigen und lachte über die Preisermäßigung von Shampooing.

Effi hörte nicht hin; ſie drehte den ihrerſeits empfangenen Brief zwiſchen den Fingern und hatte eine ihr unerklärliche Scheu, ihn zu öffnen. Ein¬ geſchrieben und mit zwei großen Siegeln geſiegelt und ein dickes Couvert. Was bedeutete das? Poſt¬ ſtempel: Hohen-Cremmen , und die Adreſſe von der Handſchrift der Mutter. Von Innſtetten, es war der fünfte Tag, keine Zeile.

Sie nahm eine Stickſchere mit Perlmuttergriff und ſchnitt die Längsſeite des Briefes langſam auf. Und nun harrte ihrer eine neue Überraſchung. Der445Effi BrieſtBriefbogen, ja das waren eng geſchriebene Zeilen von der Mama, darin eingelegt aber waren Geld¬ ſcheine mit einem breiten Papierſtreifen drum herum, auf dem mit Rotſtift, und zwar von des Vaters Hand, der Betrag der eingelegten Summe verzeichnet war. Sie ſchob das Konvolut zurück und begann zu leſen, während ſie ſich in den Schaukelſtuhl zurück¬ lehnte. Aber ſie kam nicht weit, die Zeilen entfielen ihr, und aus ihrem Geſicht war alles Blut fort. Dann bückte ſie ſich und nahm den Brief wieder auf.

Was iſt Ihnen, liebe Freundin? Schlechte Nachrichten?

Effi nickte, gab aber weiter keine Antwort und bat nur, ihr ein Glas Waſſer reichen zu wollen. Als ſie getrunken, ſagte ſie: Es wird vorüber gehen, liebe Geheimrätin, aber ich möchte mich doch einen Augenblick zurückziehen Wenn Sie mir Afra ſchicken könnten.

Und nun erhob ſie ſich und trat in den Salon zurück, wo ſie ſichtlich froh war, einen Halt gewinnen und ſich an dem Polyſanderflügel entlang fühlen zu können. So kam ſie bis an ihr nach rechts hin ge¬ legenes Zimmer, und als ſie hier, tappend und ſuchend, die Thür geöffnet und das Bett an der Wand gegen¬ über erreicht hatte, brach ſie ohnmächtig zuſammen.

[446]

Einunddreißigſtes Kapitel.

Minuten vergingen. Als Effi ſich wieder erholt hatte, ſetzte ſie ſich auf einen am Fenſter ſtehenden Stuhl und ſah auf die ſtille Straße hinaus. Wenn da doch Lärm und Streit geweſen wäre; aber nur der Sonnenſchein lag auf dem chauſſierten Wege und dazwiſchen die Schatten, die das Gitter und die Bäume warfen. Das Gefühl des Alleinſeins in der Welt überkam ſie mit ſeiner ganzen Schwere. Vor einer Stunde noch eine glückliche Frau, Liebling aller, die ſie kannten, und nun ausgeſtoßen. Sie hatte nur erſt den Anfang des Briefes geleſen, aber genug, um ihre Lage klar vor Augen zu haben. Wohin? Sie hatte keine Antwort darauf, und doch war ſie voll tiefer Sehnſucht, aus dem herauszukommen, was ſie hier umgab, alſo fort von dieſer Geheimrätin, der das alles bloß ein intereſſanter Fall war, und deren Teilnahme, wenn etwas davon exiſtierte, ſicher an das Maß ihrer Neugier nicht heran reichte.

447Effi Brieſt

Wohin?

Auf dem Tiſche vor ihr lag der Brief; aber ihr fehlte der Mut, weiter zu leſen. Endlich ſagte ſie: Wovor bange ich mich noch? Was kann noch geſagt werden, das ich mir nicht ſchon ſelber ſagte? Der, um den all' dies kam, iſt tot, eine Rückkehr in mein Haus giebt es nicht, in ein paar Wochen wird die Scheidung ausgeſprochen ſein, und das Kind wird man dem Vater laſſen. Natürlich. Ich bin ſchuldig, und eine Schuldige kann ihr Kind nicht erziehen. Und wovon auch? Mich ſelbſt werde ich wohl durchbringen. Ich will ſehen, was die Mama darüber ſchreibt, wie ſie ſich mein Leben denkt.

Und unter dieſen Worten nahm ſie den Brief wieder, um auch den Schluß zu leſen.

Und nun Deine Zukunft, meine liebe Effi. Du wirſt Dich auf Dich ſelbſt ſtellen müſſen, und darfſt dabei, ſo weit äußere Mittel mitſprechen, unſerer Unterſtützung ſicher ſein. Du wirſt am beſten in Berlin leben (in einer großen Stadt verthut ſich dergleichen am beſten) und wirſt da zu den vielen gehören, die ſich um freie Luft und lichte Sonne gebracht haben. Du wirſt einſam leben, und wenn Du das nicht willſt, wahrſcheinlich aus Deiner Sphäre herabſteigen müſſen. Die Welt, in der Du gelebt haſt, wird Dir verſchloſſen ſein. Und was das448Effi BrieſtTraurigſte für uns und für Dich iſt (auch für Dich, wie wir Dich zu kennen vermeinen) auch das elterliche Haus wird Dir verſchloſſen ſein; wir können Dir keinen ſtillen Platz in Hohen-Cremmen anbieten, keine Zuflucht in unſerem Hauſe, denn es hieße das, dies Haus von aller Welt abſchließen, und das zu thun, ſind wir entſchieden nicht geneigt. Nicht weil wir zu ſehr an der Welt hingen und ein Abſchied¬ nehmen von dem, was ſich, Geſellſchaft‘ nennt, uns als etwas unbedingt Unerträgliches erſchiene; nein, nicht deshalb, ſondern einfach weil wir Farbe bekennen, und vor aller Welt, ich kann Dir das Wort nicht erſparen, unſere Verurteilung Deines Thuns, des Thuns unſeres einzigen und von uns ſo ſehr geliebten Kindes ausſprechen wollen

Effi konnte nicht weiter leſen; ihre Augen füllten ſich mit Thränen, und nachdem ſie vergeblich dagegen angekämpft hatte, brach ſie zuletzt in ein heftiges Schluchzen und Weinen aus, darin ſich ihr Herz erleichterte.

Nach einer halben Stunde klopfte es, und auf Effi's Herein erſchien die Geheimrätin.

Darf ich eintreten?

Gewiß, liebe Geheimrätin, ſagte Effi, die jetzt, leicht zugedeckt und die Hände gefaltet, auf dem449Effi BrieſtSofa lag. Ich bin erſchöpft und habe mich hier eingerichtet, ſo gut es ging. Darf ich Sie bitten, ſich einen Stuhl zu nehmen.

Die Geheimrätin ſetzte ſich ſo, daß der Tiſch, mit einer Blumenſchale darauf, zwiſchen ihr und Effi war. Effi zeigte keine Spur von Verlegenheit und änderte nichts in ihrer Haltung, nicht einmal die gefalteten Hände. Mit einemmale war es ihr vollkommen gleichgültig, was die Frau dachte; nur fort wollte ſie.

Sie haben eine traurige Nachricht empfangen, liebe, gnädigſte Frau

Mehr als traurig, ſagte Effi. Jedenfalls traurig genug, um unſerem Beiſammenſein ein raſches Ende zu machen. Ich muß noch heute fort.

Ich möchte nicht zudringlich erſcheinen, aber iſt es etwas mit Annie?

Nein, nicht mit Annie. Die Nachrichten kamen überhaupt nicht aus Berlin, es waren Zeilen meiner Mama. Sie hat Sorgen um mich, und es liegt mir daran, ſie zu zerſtreuen, oder wenn ich das nicht kann, wenigſtens an Ort und Stelle zu ſein.

Mir nur zu begreiflich, ſo ſehr ich es beklage, dieſe letzten Emſer Tage nun ohne Sie verbringen zu ſollen. Darf ich Ihnen meine Dienſte zur Ver¬ fügung ſtellen?

Th. Fontane, Effi Brieſt. 29450Effi Brieſt

Ehe Effi darauf antworten konnte, trat Afra ein und meldete, daß man ſich eben zum Lunch verſammle. Die Herrſchaften ſeien alle ſehr in Aufregung: der Kaiſer käme wahrſcheinlich auf drei Wochen, und am Schluß ſeien große Manöver, und die Bonner Huſaren kämen auch.

Die Zwicker überſchlug ſofort, ob es ſich verlohnen würde, bis dahin zu bleiben, kam zu einem entſchiedenen Ja und ging dann, um Effi's Ausbleiben beim Lunch zu entſchuldigen.

Als gleich danach auch Afra gehen wollte, ſagte Effi: Und dann, Afra, wenn Sie frei ſind, kommen Sie wohl noch eine Viertelſtunde zu mir, um mir beim Packen behülflich zu ſein. Ich will heute noch mit dem Sieben-Uhr-Zuge fort.

Heute noch? Ach, gnädigſte Frau, das iſt doch aber ſchade. Nun fangen ja die ſchönen Tage erſt an.

Effi lächelte.

Die Zwicker, die noch allerlei zu hören hoffte, hatte ſich nur mit Mühe beſtimmen laſſen, der Frau Baronin beim Abſchiede nicht das Geleit zu geben. Auf einem Bahnhofe, ſo hatte Effi verſichert, ſei man immer ſo zerſtreut und nur mit ſeinem Platz und ſeinem Gepäck beſchäftigt; gerade Perſonen, die451Effi Brieſtman lieb habe, von denen nähme man gern vorher Abſchied. Die Zwicker beſtätigte das, trotzdem ſie das Vorgeſchützte darin ſehr wohl herausfühlte; ſie hatte hinter allen Thüren geſtanden und wußte gleich, was echt und unecht war.

Afra begleitete Effi zum Bahnhof und ließ ſich feſt verſprechen, daß die Frau Baronin im nächſten Sommer wiederkommen wolle; wer 'mal in Ems geweſen, der komme immer wieder. Ems ſei das ſchönſte, außer Bonn.

Die Zwicker hatte ſich mittlerweile zum Brief¬ ſchreiben niedergeſetzt, nicht an dem etwas wackligen Rokokoſekretär im Salon, ſondern draußen auf der Veranda, an demſelben Tiſch, an dem ſie kaum zehn Stunden zuvor mit Effi das Frühſtück genommen hatte.

Sie freute ſich auf den Brief, der einer be¬ freundeten, zur Zeit in Reichenhall weilenden Berliner Dame zu gute kommen ſollte. Beider Seelen hatten ſich längſt gefunden und gipfelten in einer der ganzen Männerwelt geltenden ſtarken Skepſis; ſie fanden die Männer durchweg weit zurückbleibend hinter dem, was billigerweiſe gefordert werden könne, die ſo¬ genannten forſchen am meiſten. Die, die vor Verlegenheit nicht wiſſen, wo ſie hinſehen ſollen, ſind, nach einem kurzen Vorſtudium, immer noch die beſten,29 *452Effi Brieſtaber die eigentlichen Don Juans erweiſen ſich jedes¬ mal als eine Enttäuſchung. Wo ſoll es am Ende auch herkommen. Das waren ſo Weisheitsſätze, die zwiſchen den zwei Freundinnen ausgetauſcht wurden.

Die Zwicker war ſchon auf dem zweiten Bogen und fuhr in ihrem mehr als dankbaren Thema, das natürlich Effi hieß, eben wie folgt fort: Alles in allem war ſie ſehr zu leiden, artig, anſcheinend offen, ohne jeden Adelsdünkel (oder doch groß in der Kunſt, ihn zu verbergen) und immer intereſſiert, wenn man ihr etwas Intereſſantes erzählte, wovon ich, wie ich Dir nicht zu verſichern brauche, den ausgiebigſten Gebrauch machte. Nochmals alſo, reizende junge Frau, fünfundzwanzig oder nicht viel mehr. Und doch hab 'ich dem Frieden nie getraut und traue ihm auch in dieſem Augenblicke noch nicht, ja, jetzt vielleicht am wenigſten. Die Geſchichte heute mit dem Briefe da ſteckt eine wirkliche Geſchichte da¬ hinter. Deſſen bin ich ſo gut wie ſicher. Es wäre das erſte Mal, daß ich mich in ſolcher Sache geirrt hätte. Daß ſie mit Vorliebe von den Berliner Mode¬ predigern ſprach und das Maß der Gottſeligkeit jedes einzelnen feſtſtellte, das, und der gelegentliche Gretchen¬ blick, der jedesmal verſicherte, kein Wäſſerchen trüben zu können alle dieſe Dinge haben mich in meinem Glauben Aber da kommt eben unſere Afra, von453Effi Brieſtder ich Dir, glaub 'ich, ſchon ſchrieb, eine hübſche Perſon, und packt mir ein Zeitungsblatt auf den Tiſch, das ihr, wie ſie ſagt, unſere Frau Wirtin für mich gegeben habe; die blau angeſtrichene Stelle. Nun verzeih', wenn ich dieſe Stelle erſt leſe

Nachſchrift. Das Zeitungsblatt war intereſſant genug und kam wie gerufen. Ich ſchneide die blau angeſtrichene Stelle heraus und lege ſie dieſen Zeilen bei. Du ſiehſt daraus, daß ich mich nicht geirrt habe. Wer mag nur der Crampas ſein? Es iſt unglaublich erſt ſelber Zettel und Briefe ſchreiben und dann auch noch die des anderen aufbewahren! Wozu giebt es Öfen und Kamine? So lange wenigſtens wie dieſer Duellunſinn noch exiſtiert, darf dergleichen nicht vorkommen; einem kommenden Ge¬ ſchlechte kann dieſe Briefſchreibepaſſion (weil dann gefahrlos geworden) vielleicht freigegeben werden. Aber ſo weit ſind wir noch lange nicht. Übrigens bin ich voll Mitleid mit der jungen Baronin und finde, eitel wie man nun 'mal iſt, meinen einzigen Troſt darin, mich in der Sache ſelbſt nicht getäuſcht zu haben. Und der Fall lag nicht ſo ganz gewöhn¬ lich. Ein ſchwächerer Diagnoſtiker hätte ſich doch vielleicht hinters Licht führen laſſen. Wie immer Deine Sophie.

[454]

Zweiunddreißigſtes Kapitel.

Drei Jahre waren vergangen, und Effi be¬ wohnte ſeit faſt eben ſo langer Zeit eine kleine Wohnung in der Königgrätzerſtraße, zwiſchen As¬ kaniſchem Platz und Halleſchem Thor: ein Vorder - und Hinterzimmer, und hinter dieſem die Küche mit Mädchengelaß, alles ſo durchſchnittsmäßig und all¬ täglich wie nur möglich. Und doch war es eine apart hübſche Wohnung, die jedem, der ſie ſah, an¬ genehm auffiel, am meiſten vielleicht dem alten Ge¬ heimrat Rummſchüttel, der, dann und wann vor¬ ſprechend, der armen jungen Frau nicht bloß die nun weit zurückliegende Rheumatismus - und Neuralgie - Komödie, ſondern auch alles, was ſeitdem ſonſt noch vorgekommen war, längſt verziehen hatte, wenn es für ihn der Verzeihung überhaupt bedurfte. Denn Rummſchüttel kannte noch ganz anderes. Er war jetzt ausgangs ſiebzig, aber wenn Effi, die ſeit einiger Zeit ziemlich viel kränkelte, ihn brieflich um ſeinen Beſuch bat, ſo war er am anderen Vormittag auch455Effi Brieſtda und wollte von Entſchuldigungen, daß es ſo hoch ſei, nichts wiſſen. Nur keine Entſchuldigungen, meine liebe, gnädigſte Frau; denn erſtens iſt es mein Metier, und zweitens bin ich glücklich und beinahe ſtolz, die drei Treppen ſo gut noch ſteigen zu können. Wenn ich nicht fürchten müßte, Sie zu beläſtigen denn ich komme doch ſchließlich als Arzt und nicht als Naturfreund und Landſchaftsſchwärmer , ſo käme ich wohl noch öfter, bloß um Sie zu ſehen und mich hier etliche Minuten an Ihr Hinterfenſter zu ſetzen. Ich glaube, Sie würdigen den Ausblick nicht genug.

O doch, doch, ſagte Effi; Rummſchüttel aber ließ ſich nicht ſtören und fuhr fort: Bitte, meine gnädigſte Frau, treten Sie hier heran, nur einen Augenblick, oder erlauben Sie mir, daß ich Sie bis an das Fenſter führe. Wieder ganz herrlich heute. Sehen Sie doch nur die verſchiedenen Bahndämme, drei, nein vier, und wie es beſtändig darauf hin und her gleitet und nun verſchwindet der Zug da wieder hinter einer Baumgruppe. Wirklich herrlich. Und wie die Sonne den weißen Rauch durchleuchtet! Wäre der Matthäi¬ kirchhof nicht unmittelbar dahinter, ſo wäre es ideal.

Ich ſehe gern Kirchhöfe.

Ja, Sie dürfen das ſagen. Aber unſerein! Unſer¬ einem kommt unabweislich immer die Frage, könnten hier nicht vielleicht einige weniger liegen? Im übrigen,456Effi Brieſtmeine gnädigſte Frau, bin ich mit Ihnen zufrieden und beklage nur, daß Sie von Ems nichts wiſſen wollen; Ems, bei Ihren katarrhaliſchen Affektionen, würde Wunder

Effi ſchwieg.

Ems würde Wunder thun. Aber da Sie's nicht mögen (und ich finde mich darin zurecht), ſo trinken Sie den Brunnen hier. In drei Minuten ſind Sie im Prinz Albrecht'ſchen Garten, und wenn auch die Muſik und die Toiletten und all' die Zerſtreuungen einer regelrechten Brunnenpromenade fehlen, der Brunnen ſelbſt iſt doch die Hauptſache.

Effi war einverſtanden, und Rummſchüttel nahm Hut und Stock. Aber er trat noch einmal an das Fenſter heran. Ich höre von einer Terraſſierung des Kreuzbergs ſprechen, Gott ſegne die Stadt¬ verwaltung, und wenn dann erſt die kahle Stelle da hinten mehr in Grün ſtehen wird Eine reizende Wohnung. Ich könnte Sie faſt beneiden Und was ich ſchon längſt einmal ſagen wollte, meine gnädige Frau, Sie ſchreiben mir immer einen ſo liebenswürdigen Brief. Nun, wer freute ſich deſſen nicht? Aber es iſt doch jedesmal eine Mühe Schicken Sie mir doch einfach Roswitha.

Effi dankte ihm, und ſo ſchieden ſie.

457Effi Brieſt

Schicken Sie mir doch einfach Roswitha hatte Rummſchüttel geſagt. Ja, war denn Roswitha bei Effi? war ſie denn ſtatt in der Keith - in der Königgrätzerſtraße? Gewiß war ſie's und zwar ſehr lange ſchon, gerade ſo lange, wie Effi ſelbſt in der Königgrätzerſtraße wohnte. Schon drei Tage vor dieſem Einzug hatte ſich Roswitha bei ihrer lieben gnädigen Frau ſehen laſſen, und das war ein großer Tag für beide geweſen, ſo ſehr, daß dieſes Tages hier noch nachträglich gedacht werden muß.

Effi hatte damals, als der elterliche Abſagebrief aus Hohen-Cremmen kam und ſie mit dem Abend¬ zuge von Ems nach Berlin zurückreiſte, nicht gleich eine ſelbſtändige Wohnung genommen, ſondern es mit einem Unterkommen in einem Penſionate ver¬ ſucht. Es war ihr damit auch leidlich geglückt. Die beiden Damen, die dem Penſionate vorſtanden, waren gebildet und voll Rückſicht und hatten es längſt ver¬ lernt, neugierig zu ſein. Es kam da ſo vieles zu¬ ſammen, daß ein Eindringenwollen in die Geheim¬ niſſe jedes einzelnen viel zu umſtändlich geweſen wäre. Dergleichen hinderte nur den Geſchäftsgang. Effi, die die mit den Augen angeſtellten Kreuzverhöre der Zwicker noch in Erinnerung hatte, fühlte ſich denn auch von dieſer Zurückhaltung der Penſions¬ damen ſehr angenehm berührt, als aber vierzehn458Effi BrieſtTage vorüber waren, empfand ſie doch deutlich, daß die hier herrſchende Geſamtatmoſphäre, die phyſiſche wie die moraliſche, nicht wohl ertragbar für ſie ſei. Bei Tiſch waren ſie zumeiſt zu ſieben, und zwar außer Effi und der einen Penſionsvorſteherin (die andere leitete draußen das Wirtſchaftliche) zwei die Hochſchule beſuchende Engländerinnen, eine adelige Dame aus Sachſen, eine ſehr hübſche galiziſche Jüdin, von der niemand wußte, was ſie eigentlich vorhatte, und eine Kantorstochter aus Polzin in Pommern, die Malerin werden wollte. Das war eine ſchlimme Zuſammenſetzung, und die gegenſeitigen Überheblich¬ keiten, bei denen die Engländerinnen merkwürdiger¬ weiſe nicht abſolut obenan ſtanden, ſondern mit der vom höchſten Malergefühl erfüllten Polzinerin um die Palme rangen, waren unerquicklich; dennoch wäre Effi, die ſich paſſiv verhielt, über den Druck, den dieſe geiſtige Atmoſphäre übte, hinweggekommen, wenn nicht, rein phyſiſch und äußerlich, die ſich hinzu¬ geſellende Penſionsluft geweſen wäre. Woraus ſich dieſe eigentlich zuſammenſetzte, war vielleicht überhaupt unerforſchlich, aber daß ſie der ſehr empfindlichen Effi den Atem raubte, war nur zu gewiß, und ſo ſah ſie ſich, aus dieſem äußerlichen Grunde, ſehr bald ſchon zur Aus - und Umſchau nach einer anderen Wohnung gezwungen, die ſie denn auch in verhältnis¬459Effi Brieſtmäßiger Nähe fand. Es war dies die vorgeſchilderte Wohnung in der Königgrätzerſtraße. Sie ſollte die¬ ſelbe zu Beginn des Herbſtvierteljahrs beziehen, hatte das Nötige dazu beſchafft und zählte während der letzten Septembertage die Stunden bis zur Erlöſung aus dem Penſionat.

An einem dieſer letzten Tage ſie hatte ſich eine Viertelſtunde zuvor aus dem Eßzimmer zurück¬ gezogen und gedachte ſich eben auf einem mit einem großblumigen Wollſtoff überzogenen Seegras-Sofa auszuruhen , wurde leiſe an ihre Thür geklopft.

Herein.

Das eine Hausmädchen, eine kränklich ausſehende Perſon von Mitte Dreißig, die, durch beſtändigen Aufenthalt auf dem Korridor des Penſionats, den hier lagernden Dunſtkreis überall hin in ihren Falten mitſchleppte, trat ein und ſagte: Die gnädige Frau möchte entſchuldigen, aber es wolle ſie jemand ſprechen.

Wer?

Eine Frau.

Und hat ſie ihren Namen genannt?

Ja. Roswitha.

Und ſiehe da, kaum daß Effi dieſen Namen ge¬ hört hatte, ſo ſchüttelte ſie den Halbſchlaf von ſich ab und ſprang auf und lief auf den Korridor hinaus,460Effi Brieſtum Roswitha bei beiden Händen zu faſſen und in ihr Zimmer zu ziehen.

Roswitha. Du. Iſt das eine Freude. Was bringſt Du? Natürlich 'was Gutes. Ein ſo gutes altes Geſicht kann nur' was Gutes bringen. Ach, wie glücklich ich bin, ich könnte Dir einen Kuß geben; ich hätte nicht gedacht, daß ich noch ſolche Freude haben könnte. Mein gutes altes Herz, wie geht es Dir denn? Weißt Du noch, wie's damals war, als der Chineſe ſpukte? Das waren glückliche Zeiten. Ich habe damals gedacht, es wären unglückliche, weil ich das Harte des Lebens noch nicht kannte. Seitdem habe ich es kennen gelernt. Ach, Spuk iſt lange nicht das ſchlimmſte! Komm, meine gute Roswitha, komm, ſetze Dich hier zu mir und erzähle mir Ach, ich habe ſolche Sehnſucht. Was macht Annie?

Roswitha konnte kaum reden und ſah ſich in dem ſonderbaren Zimmer um, deſſen grau und ver¬ ſtaubt ausſehende Wände in ſchmale Goldleiſten ge¬ faßt waren. Endlich aber fand ſie ſich und ſagte, daß der gnädige Herr nun wieder aus Glatz zurück ſei; der alte Kaiſer habe geſagt, ſechs Wochen in ſolchem Falle ſei gerade genug, und auf den Tag, wo der gnädige Herr wieder da ſein würde, darauf habe ſie bloß gewartet, wegen Annie, die doch eine461Effi BrieſtAufſicht haben müſſe. Denn Johanna ſei wohl eine ſehr propre Perſon, aber ſie ſei doch noch zu hübſch und beſchäftige ſich noch zu viel mit ſich ſelbſt und denke vielleicht Gott weiß was alles. Aber nun, wo der gnädige Herr wieder aufpaſſen und in allem nach dem Rechten ſehen könne, da habe ſie ſich's doch anthun wollen und 'mal ſehen, wie's der gnädigen Frau gehe

Das iſt recht, Roswitha

.. Und habe 'mal ſehen wollen, ob der gnädigen Frau was fehle und ob ſie ſie vielleicht brauche, dann wolle ſie gleich hier bleiben und beiſpringen und alles machen und dafür ſorgen, daß es der gnädigen Frau wieder gut ginge.

Effi hatte ſich in die Sofaecke zurückgelehnt und die Augen geſchloſſen. Aber mit eins richtete ſie ſich auf und ſagte: Ja, Roswitha, was Du da ſagſt, das iſt ein Gedanke; das iſt 'was. Denn Du mußt wiſſen, ich bleibe hier nicht in dieſer Penſion, ich habe da weiterhin eine Wohnung gemietet und auch Einrichtung beſorgt und in drei Tagen will ich da einziehen. Und wenn ich da mit Dir ankäme und zu Dir ſagen könnte:, Nein, Roswitha, da nicht, der Schrank muß dahin und der Spiegel da‘, ja, das wäre' was, das ſollte mir ſchon gefallen. Und wenn wir dann müde von all' der Plackerei462Effi Brieſtwären, dann ſagte ich: Nun, Roswitha, gehe da hinüber und hole uns eine Karaffe Spatenbräu, denn wenn man gearbeitet hat, dann will man doch auch trinken, und wenn Du kannſt, ſo bring 'uns auch etwas Gutes aus dem Habsburger Hof mit, Du kannſt ja das Geſchirr nachher wieder herüber bringen, ' ja, Roswitha, wenn ich mir das denke, da wird mir ordentlich leichter ums Herz. Aber ich muß Dich doch fragen, haſt Du Dir auch alles überlegt? Von Annie will ich nicht ſprechen, an der Du doch hängſt, ſie iſt ja faſt wie Dein eigen Kind, aber trotzdem, für Annie wird ſchon ge¬ ſorgt werden, und die Johanna hängt ja auch an ihr. Alſo davon nichts. Aber bedenke, wie ſich alles verändert hat, wenn Du wieder zu mir willſt. Ich bin nicht mehr wie damals; ich habe jetzt eine ganz kleine Wohnung genommen, und der Portier wird ſich wohl nicht ſehr um Dich und um mich bemühen. Und wir werden eine ſehr kleine Wirtſchaft haben, immer das, was wir ſonſt unſer Donnerstag-Eſſen nannten, weil da rein gemacht wurde. Weißt Du noch? Und weißt Du noch, wie der gute Gieshübler 'mal dazu kam und ſich zu uns ſetzen mußte, und wie er dann ſagte: So' was Delikates habe er noch nie gegeſſen. ' Du wirſt Dich noch erinnern, er war immer ſo ſchrecklich artig, denn eigentlich war er463Effi Brieſtdoch der einzige Menſch in der Stadt, der von Eſſen 'was verſtand. Die andern fanden alles ſchön.

Roswitha freute ſich über jedes Wort und ſah ſchon alles in beſtem Gange, bis Effi wieder ſagte: Haſt Du Dir das alles überlegt? Denn Du biſt doch ich muß das ſagen, wiewohl es meine eigne Wirtſchaft war , Du biſt doch nun durch viele Jahre hin verwöhnt, und es kam nie darauf an, wir hatten es nicht nötig, ſparſam zu ſein; aber jetzt muß ich ſparſam ſein, denn ich bin arm und habe nur, was man mir giebt, Du weißt von Hohen-Cremmen her. Meine Eltern ſind ſehr gut gegen mich, ſo weit ſie's können, aber ſie ſind nicht reich. Und nun ſage, was meinſt Du?

Daß ich nächſten Sonnabend mit meinem Koffer anziehe, nicht am Abend, ſondern gleich am Morgen, und daß ich da bin, wenn das Einrichten losgeht. Denn ich kann doch ganz anders zufaſſen, wie die gnädige Frau.

Sage das nicht, Roswitha. Ich kann es auch. Wenn man muß, kann man alles.

Und dann, gnädige Frau, Sie brauchen ſich wegen meiner nicht zu fürchten, als ob ich 'mal denken könnte:, für Roswitha iſt das nicht gut ge¬ nug. Für Roswitha iſt alles gut, was ſie mit der gnädigen Frau teilen muß, und am liebſten, wenn464Effi Brieſtes 'was Trauriges iſt. Ja, darauf freue ich mich ſchon ordentlich. Dann ſollen Sie' mal ſehen, das verſtehe ich. Und wenn ich es nicht verſtünde, dann wollte ich es ſchon lernen. Denn, gnädige Frau, das hab 'ich nicht vergeſſen, als ich da auf dem Kirchhof ſaß, mutterwindallein und bei mir dachte, nun wäre es doch wohl das beſte, ich läge da gleich mit in der Reihe. Wer kam da? Wer hat mich da bei Leben erhalten? Ach, ich habe ſo viel durchzumachen gehabt. Als mein Vater damals mit der glühenden Stange auf mich los kam

Ich weiß ſchon, Roswitha

Ja, das war ſchlimm genug. Aber als ich da auf dem Kirchhof ſaß, ſo ganz arm und verlaſſen, das war doch noch ſchlimmer. Und da kam die gnädige Frau. Und ich will nicht ſelig werden, wenn ich das vergeſſe.

Und dabei ſtand ſie auf und ging aufs Fenſter zu. Sehen Sie, gnädige Frau, den müſſen Sie doch auch noch ſehen.

Und nun trat auch Effi heran.

Drüben, auf der anderen Seite der Straße, ſaß Rollo und ſah nach den Fenſtern der Penſion hinauf.

Wenige Tage danach bezog Effi, von Roswitha465Effi Brieſtunterſtützt, ihre Wohnung in der Königgrätzerſtraße, darin es ihr von Anfang an gefiel. Umgang fehlte freilich, aber ſie hatte während ihrer Penſionstage von dem Verkehr mit Menſchen ſo wenig Erfreuliches gehabt, daß ihr das Alleinſein nicht ſchwer fiel, wenigſtens anfänglich nicht. Mit Roswitha ließ ſich allerdings kein äſthetiſches Geſpräch führen, auch nicht 'mal ſprechen über das, was in der Zeitung ſtand, aber wenn es einfach menſchliche Dinge be¬ traf und Effi mit einem, ach Roswitha, mich ängſtigt es wieder …‘ ihren Satz begann, dann wußte die treue Seele jedesmal gut zu antworten und hatte immer Troſt und meiſt auch Rat.

Bis Weihnachten ging es vorzüglich; aber der Heiligabend verlief ſchon recht traurig, und als das neue Jahr herankam, begann Effi ganz ſchwermütig zu werden. Es war nicht kalt, nur grau und regneriſch, und wenn die Tage kurz waren, ſo waren die Abende deſto länger. Was thun? Sie las, ſie ſtickte, ſie legte Patience, ſie ſpielte Chopin, aber dieſe Nocturnes waren auch nicht angethan, viel Licht in ihr Leben zu tragen, und wenn Roswitha mit dem Theebrett kam und außer dem Theezeug auch noch zwei Tellerchen mit einem Ei und einem in kleine Scheiben geſchnittenen Wiener Schnitzel auf den Tiſch ſetzte, ſagte Effi, während ſie das PianinoTh. Fontane, Effi Brieſt. 30466Effi Brieſtſchloß: Rücke heran, Roswitha. Leiſte mir Ge¬ ſellſchaft.

Roswitha kam denn auch. Ich weiß ſchon, die gnädige Frau haben wieder zu viel geſpielt; dann ſehen Sie immer ſo aus und haben rote Flecke. Der Geheimrat hat es doch verboten.

Ach, Roswitha, der Geheimrat hat leicht ver¬ bieten, und Du haſt es auch leicht, all' das nachzu¬ ſprechen. Aber was ſoll ich denn machen? Ich kann doch nicht den ganzen Tag am Fenſter ſitzen und nach der Chriſtuskirche hinüberſehen. Sonntags, beim Abendgottesdienſt, wenn die Fenſter erleuchtet ſind, ſehe ich ja immer hinüber; aber es hilft mir auch nichts, mir wird dann immer noch ſchwerer ums Herz.

Ja, gnädige Frau, dann ſollten Sie 'mal hineingehen. Einmal waren Sie ja ſchon drüben.

O ſchon öfters. Aber ich habe nicht viel da¬ von gehabt. Er predigt ganz gut und iſt ein ſehr kluger Mann, und ich wäre froh, wenn ich das Hundertſte davon wüßte. Aber es iſt doch alles bloß, wie wenn ich ein Buch leſe; und wenn er dann ſo laut ſpricht und herumficht und ſeine ſchwarzen Locken ſchüttelt, dann bin ich aus meiner Andacht heraus.

Heraus?

Effi lachte. Du meinſt, ich war noch gar nicht467Effi Brieſtdrin. Und es wird wohl ſo ſein. Aber an wem liegt das? Das liegt doch nicht an mir. Er ſpricht immer ſo viel vom alten Teſtament. Und wenn es auch ganz gut iſt, es erbaut mich nicht. Überhaupt all' das Zuhören; es iſt nicht das rechte. Sieh ', ich müßte ſo viel zu thun haben, daß ich nicht ein noch aus wüßte. Das wäre' was für mich. Da giebt es ſo Vereine, wo junge Mädchen die Wirt¬ ſchaft lernen oder Nähſchulen oder Kindergärtnerinnen. Haſt Du nie davon gehört?

Ja, ich habe 'mal davon gehört. Anniechen ſollte' mal in einen Kindergarten.

Nun ſiehſt Du, Du weißt es beſſer als ich. Und in ſolchen Verein, wo man ſich nützlich machen kann, da möchte ich eintreten. Aber daran iſt gar nicht zu denken; die Damen nehmen mich nicht an und können es auch nicht. Und das iſt das ſchreck¬ lichſte, daß einem die Welt ſo zu iſt und daß es ſich einem ſogar verbietet, bei Gutem mit dabei zu ſein. Ich kann nicht 'mal armen Kindern eine Nachhülfe¬ ſtunde geben

Das wäre auch nichts für Sie, gnädige Frau; die Kinder haben immer ſo fettige Stiefel an, und wenn es naſſes Wetter iſt, das iſt dann ſolch 'Dunſt und Schmook, das halten die gnädige Frau gar nicht aus.

30 *468Effi Brieſt

Effi lächelte. Du wirſt wohl recht haben, Roswitha; aber es iſt ſchlimm, daß Du recht haſt, und ich ſehe daran, daß ich noch zu viel von dem alten Menſchen in mir habe und daß es mir noch zu gut geht.

Davon wollte aber Roswitha nichts wiſſen. Wer ſo gut iſt, wie gnädige Frau, dem kann es gar nicht zu gut gehen. Und Sie müſſen nur nicht immer ſo 'was Trauriges ſpielen, und mitunter denke ich mir, es wird alles noch wieder gut und es wird ſich ſchon' was finden.

Und es fand ſich auch 'was. Effi, trotz der Kantorstochter aus Polzin, deren Künſtlerdünkel ihr immer noch als etwas Schreckliches vorſchwebte, wollte Malerin werden, und wiewohl ſie ſelber dar¬ über lachte, weil ſie ſich bewußt war, über eine unterſte Stufe des Dilettantismus nie hinauskommen zu können, ſo griff ſie doch mit Paſſion danach, weil ſie nun eine Beſchäftigung hatte, noch dazu eine, die, weil ſtill und geräuſchlos, ganz nach ihrem Herzen war. Sie meldete ſich denn auch bei einem ganz alten Malerprofeſſor, der in der märkiſchen Ariſto¬ kratie ſehr bewandert und zugleich ſo fromm war, daß ihm Effi von Anfang an ans Herz gewachſen erſchien. Hier, ſo gingen wohl ſeine Gedanken, war eine Seele zu retten, und ſo kam er ihr, als ob ſie469Effi Brieſtſeine Tochter geweſen wäre, mit einer ganz beſonderen Liebenswürdigkeit entgegen. Effi war ſehr glücklich darüber, und der Tag ihrer erſten Malſtunde be¬ zeichnete für ſie einen Wendepunkt zum Guten. Ihr armes Leben war nun nicht ſo arm mehr, und Roswitha triumphierte, daß ſie recht gehabt und ſich nun doch etwas gefunden habe.

Das ging ſo Jahr und Tag und darüber hinaus. Aber daß ſie nun wieder eine Berührung mit den Menſchen hatte, wie ſie's beglückte, ſo ließ es auch wieder den Wunſch in ihr entſtehen, daß dieſe Be¬ rührungen ſich erneuern und mehren möchten. Sehn¬ ſucht nach Hohen-Cremmen erfaßte ſie mitunter mit einer wahren Leidenſchaft, und noch leidenſchaftlicher ſehnte ſie ſich danach, Annie wiederzuſehen. Es war doch ihr Kind, und wenn ſie dem nachhing und ſich dabei gleichzeitig der Trippelli erinnerte, die 'mal geſagt hatte:, die Welt ſei ſo klein und in Mittel¬ afrika könne man ſicher ſein, plötzlich einem alten Bekannten zu begegnen, ſo war ſie mit Recht ver¬ wundert, Annie noch nie getroffen zu haben. Aber auch das ſollte ſich eines Tages ändern. Sie kam aus der Malſtunde, dicht am Zoologiſchen Garten, und ſtieg, nahe dem Halteplatz, in einen die lange Kurfürſtenſtraße paſſierenden Pferdebahnwagen ein. Es war ſehr heiß, und die herabgelaſſenen Vorhänge,470Effi Brieſtdie bei dem ſtarken Luftzuge, der ging, hin und her bauſchten, thaten ihr wohl. Sie lehnte ſich in die dem Vorderperron zugekehrte Ecke und muſterte eben mehrere in eine Glasſcheibe eingebrannte Sofas, blau mit Quaſten und Puſcheln daran, als ſie der Wagen war gerade in einem langſamen Fahren drei Schulkinder aufſpringen ſah, die Mappen auf dem Rücken, mit kleinen ſpitzen Hüten, zwei blond und ausgelaſſen, die dritte dunkel und ernſt. Es war Annie. Effi fuhr heftig zuſammen, und eine Begegnung mit dem Kinde zu haben, wonach ſie ſich doch ſo lange geſehnt, erfüllte ſie jetzt mit einer wahren Todesangſt. Was thun? Raſch entſchloſſen öffnete ſie die Thür zu dem Vorderperron, auf dem niemand ſtand, als der Kutſcher, und bat dieſen, ſie bei der nächſten Halteſtelle vorn abſteigen zu laſſen. Is verboten, Fräulein, ſagte der Kutſcher; ſie gab ihm aber ein Geldſtück und ſah ihn ſo bittend an, daß der gutmütige Menſch anderen Sinnes wurde und vor ſich hin ſagte: Sind ſoll es eigentlich nich; aber es wird ja woll 'mal gehn. Und als der Wagen hielt, nahm er das Gitter aus, und Effi ſprang ab.

Noch in großer Erregung kam Effi nach Hauſe.

Denke Dir, Roswitha, ich habe Annie geſehen. Und nun erzählte ſie von der Begegnung in dem471Effi BrieſtPferdebahnwagen. Roswitha war unzufrieden, daß Mutter und Tochter keine Wiederſehensſzene gefeiert hatten und ließ ſich nur ungern überzeugen, daß das, in Gegenwart ſo vieler Menſchen, nicht wohl angegangen ſei. Dann mußte Effi erzählen, wie Annie ausgeſehen habe, und als ſie das mit mütter¬ lichem Stolze gethan, ſagte Roswitha: Ja, ſie iſt ſo halb und halb. Das Hübſche und, wenn ich es ſagen darf, das Sonderbare, das hat ſie von der Mama; aber das Ernſte, das iſt ganz der Papa. Und wenn ich mir ſo alles überlege, iſt ſie doch wohl mehr wie der gnädige Herr.

Gott ſei Dank! ſagte Effi.

Na, gnäd'ge Frau, das iſt nu doch auch noch die Frage. Und da wird ja wohl mancher ſein, der mehr für die Mama iſt.

Glaubſt Du, Roswitha? Ich glaube es nicht.

Na, na, ich laſſe mir nichts vormachen, und ich glaube, die gnädige Frau weiß auch ganz gut, wie's eigentlich iſt und was die Männer am liebſten haben.

Ach, ſprich nicht davon, Roswitha.

Damit brach das Geſpräch ab und wurde auch nicht wieder aufgenommen. Aber Effi, wenn ſie's auch vermied, grade über Annie mit Roswitha zu ſprechen, konnte die Begegnung in ihrem Herzen doch472Effi Brieſtnicht verwinden und litt unter der Vorſtellung, vor ihrem eigenen Kinde geflohen zu ſein. Es quälte ſie bis zur Beſchämung, und das Verlangen nach einer Begegnung mit Annie ſteigerte ſich bis zum Krankhaften. An Innſtetten ſchreiben und ihn darum bitten, das war nicht möglich. Ihrer Schuld war ſie ſich wohl bewußt, ja, ſie nährte das Gefühl davon mit einer halb leidenſchaftlichen Gefliſſentlichkeit; aber inmitten ihres Schuldbewußtſeins fühlte ſie ſich andererſeits auch von einer gewiſſen Auflehnung gegen Innſtetten erfüllt. Sie ſagte ſich: er hatte recht und noch einmal und noch einmal, und zuletzt hatte er doch unrecht. Alles Geſchehene lag ſo weit zurück, ein neues Leben hatte begonnen, er hätte es können verbluten laſſen, ſtatt deſſen verblutete der arme Crampas.

Nein, an Innſtetten ſchreiben, das ging nicht; aber Annie wollte ſie ſehen und ſprechen und an ihr Herz drücken, und nachdem ſie's tagelang überlegt hatte, ſtand ihr feſt, wie's am beſten zu machen ſei.

Gleich am andern Vormittage kleidete ſie ſich ſorgfältig in ein decentes Schwarz und ging auf die Linden zu, ſich hier bei der Miniſterin melden zu laſſen. Sie ſchickte ihre Karte hinein, auf der nur ſtand: Effi von Innſtetten geb. von Brieſt. Alles andere war fortgelaſſen, auch die Baronin. 473Effi Brieſt Excellenz laſſen bitten, und Effi folgte dem Diener bis in ein Vorzimmer, wo ſie ſich niederließ und trotz der Erregung, in der ſie ſich befand, den Bilder¬ ſchmuck an den Wänden muſterte. Da war zunächſt Guido Reni's Aurora, gegenüber aber hingen engliſche Kupferſtiche, Stiche nach Benjamin Weſt, in der bekannten Aquatinta-Manier von viel Licht und Schatten. Eines der Bilder war König Lear im Unwetter auf der Heide.

Effi hatte ihre Muſterung kaum beendet, als die Thür des angrenzenden Zimmers ſich öffnete und eine große ſchlanke Dame von einem ſofort für ſie einnehmenden Ausdruck auf die Bittſtellerin zutrat und ihr die Hand reichte. Meine liebe, gnädigſte Frau, ſagte ſie, welche Freude für mich, Sie wieder¬ zuſehen

Und während ſie das ſagte, ſchritt ſie auf das Sofa zu und zog Effi, während ſie ſelber Platz nahm, zu ſich nieder.

Effi war bewegt durch die ſich in allem ausſprechende Herzensgüte. Keine Spur von Über¬ heblichkeit oder Vorwurf, nur menſchlich ſchöne Teil¬ nahme. Womit kann ich Ihnen dienen? nahm die Miniſterin noch einmal das Wort.

Um Effi's Mund zuckte es. Endlich ſagte ſie: Was mich herführt, iſt eine Bitte, deren Erfüllung474Effi BrieſtExzellenz vielleicht möglich machen. Ich habe eine zehnjährige Tochter, die ich ſeit drei Jahren nicht geſehen habe und gern wiederſehen möchte.

Die Miniſterin nahm Effi's Hand und ſah ſie freundlich an.

Wenn ich ſage, in drei Jahren nicht geſehen, ſo iſt das nicht ganz richtig. Vor drei Tagen habe ich ſie wiedergeſehen. Und nun ſchilderte Effi mit großer Lebendigkeit die Begegnung, die ſie mit Annie gehabt hatte. Vor meinem eigenen Kinde auf der Flucht. Ich weiß wohl, man liegt, wie man ſich bettet, und ich will nichts ändern in meinem Leben. Wie es iſt, ſo iſt es recht; ich habe es nicht anders gewollt. Aber das mit dem Kinde, das iſt doch zu hart, und ſo habe ich denn den Wunſch, es dann und wann ſehen zu dürfen, nicht heimlich und verſtohlen, ſondern mit Wiſſen und Zuſtimmung aller Beteiligten.

Unter Wiſſen und Zuſtimmung aller Beteiligten, wiederholte die Miniſterin Effi's Worte. Das heißt alſo unter Zuſtimmung Ihres Herrn Gemahls. Ich ſehe, daß ſeine Erziehung dahin geht, das Kind von der Mutter fernzuhalten, ein Verfahren, über das ich mir kein Urteil erlaube. Vielleicht, daß er recht hat; verzeihen Sie mir dieſe Bemerkung, gnädige Frau.

Effi nickte.

475Effi Brieſt

Sie finden ſich ſelbſt in der Haltung Ihres Herrn Gemahls zurecht und verlangen nur, daß einem natürlichen Gefühle, wohl dem ſchönſten unſerer Gefühle (wenigſtens wir Frauen werden uns darin finden), ſein Recht werde. Treff 'ich es darin?

In allem.

Und ſo ſoll ich denn die Erlaubnis zu ge¬ legentlichen Begegnungen erwirken, in Ihrem Hauſe, wo Sie verſuchen können, ſich das Herz Ihres Kindes zurückzuerobern.

Effi drückte noch einmal ihre Zuſtimmung aus, während die Miniſterin fortfuhr: Ich werde alſo thun, meine gnädigſte Frau, was ich thun kann. Aber wir werden es nicht eben leicht haben. Ihr Herr Gemahl, verzeihen Sie, daß ich ihn nach wie vor ſo nenne, iſt ein Mann, der nicht nach Stim¬ mungen und Laune, ſondern nach Grundſätzen handelt und dieſe fallen zu laſſen oder auch nur momentan aufzugeben, wird ihm hart ankommen. Läg 'es nicht ſo, ſo wäre ſeine Handlungs - und Erziehungs¬ weiſe längſt eine andere geweſen. Das, was hart für Ihr Herz iſt, hält er für richtig.

So meinen Exzellenz vielleicht, es wäre beſſer, meine Bitte zurückzunehmen?

Doch nicht. Ich wollte nur das Thun Ihres Herrn Gemahls erklären, um nicht zu ſagen recht¬476Effi Brieſtfertigen, und wollte zugleich die Schwierigkeiten an¬ deuten, auf die wir, aller Wahrſcheinlichkeit nach, ſtoßen werden. Aber ich denke, wir zwingen es trotz¬ dem. Denn wir Frauen, wenn wir's klug einleiten, und den Bogen nicht überſpannen, wiſſen mancherlei durchzuſetzen. Zudem gehört Ihr Herr Gemahl zu meinen beſonderen Verehrern, und er wird mir eine Bitte, die ich an ihn richte, nicht wohl abſchlagen. Wir haben morgen einen kleinen Zirkel, auf dem ich ihn ſehe, und übermorgen früh haben Sie ein paar Zeilen von mir, die Ihnen ſagen werden, ob ich's klug, das heißt glücklich eingeleitet oder nicht. Ich denke, wir ſiegen in der Sache, und Sie werden Ihr Kind wiederſehen und ſich ſeiner freuen. Es ſoll ein ſehr ſchönes Mädchen ſein. Nicht zu ver¬ wundern.

[477]

Dreiunddreißigſtes Kapitel.

Am zweitfolgenden Tage trafen, wie verſprochen, einige Zeilen ein, und Effi las: Es freut mich, liebe gnädige Frau, Ihnen gute Nachricht geben zu können. Alles ging nach Wunſch; Ihr Herr Gemahl iſt zu ſehr Mann von Welt, um einer Dame eine von ihr vorgetragene Bitte abſchlagen zu können; zugleich aber auch das darf ich Ihnen nicht verſchweigen, ich ſah deutlich, daß ſein ja nicht dem entſprach, was er für klug und recht hält. Aber kritteln wir nicht, wo wir uns freuen ſollen. Ihre Annie, ſo haben wir es verabredet, wird über Mittag kommen, und ein guter Stern ſtehe über Ihrem Wiederſehen.

Es war mit der zweiten Poſt, daß Effi dieſe Zeilen empfing, und bis zu Annie's Erſcheinen waren mutmaßlich keine zwei Stunden mehr. Eine kurze Zeit, aber immer noch zu lang, und Effi ſchritt in Unruhe durch beide Zimmer und dann wieder in die478Effi BrieſtKüche, wo ſie mit Roswitha von allem Möglichen ſprach, von dem Epheu drüben an der Chriſtuskirche, nächſtes Jahr würden die Fenſter wohl ganz zu¬ gewachſen ſein, von dem Portier, der den Gashahn wieder ſo ſchlecht zugeſchraubt habe (ſie würden doch noch nächſtens in die Luft fliegen), und daß ſie das Petroleum doch lieber wieder aus der großen Lampen¬ handlung Unter den Linden als aus der Anhaltſtraße holen ſolle, von allem Möglichen ſprach ſie, nur von Annie nicht, weil ſie die Furcht nicht aufkommen laſſen wollte, die trotz der Zeilen der Miniſterin, oder vielleicht auch um dieſer Zeilen willen, in ihr lebte.

Nun war Mittag. Endlich wurde geklingelt, ſchüchtern, und Roswitha ging, um durch das Guck¬ loch zu ſehen. Richtig, es war Annie. Roswitha gab dem Kinde einen Kuß, ſprach aber ſonſt kein Wort, und ganz leiſe, wie wenn ein Kranker im Hauſe wäre, führte ſie das Kind vom Korridor her erſt in die Hinterſtube und dann bis an die nach vorn führende Thür.

Da geh 'hinein, Annie. Und unter dieſen Worten, ſie wollte nicht ſtören, ließ ſie das Kind allein und ging wieder auf die Küche zu.

Effi ſtand am andern Ende des Zimmers, den Rücken gegen den Spiegelpfeiler, als das Kind ein¬479Effi Brieſttrat. Annie! Aber Annie blieb an der mir an¬ gelehnten Thür ſtehen, halb verlegen, aber halb auch mit Vorbedacht, und ſo eilte denn Effi auf das Kind zu, hob es in die Höhe und küßte es.

Annie, mein ſüßes Kind, wie freue ich mich. Komm ', erzähle mir, und dabei nahm ſie Annie bei der Hand und ging auf das Sofa zu, um ſich da zu ſetzen. Annie ſtand aufrecht und griff, während ſie die Mutter immer noch ſcheu anſah, mit der Linken nach dem Zipfel der herabhängenden Tiſch¬ decke. Weißt Du wohl, Annie, daß ich Dich einmal geſehen habe.

Ja, mir war es auch ſo.

Und nun erzähle mir recht viel. Wie groß Du geworden biſt! Und das iſt die Narbe da; Roswitha hat mir davon erzählt. Du warſt immer ſo wild und ausgelaſſen beim Spielen. Das haſt Du von Deiner Mama, die war auch ſo. Und in der Schule? ich denke mir, Du biſt immer die Erſte, Du ſiehſt mir ſo aus, als müßteſt Du eine Muſter¬ ſchülerin ſein und immer die beſten Zenſuren nach Hauſe bringen. Ich habe auch gehört, daß Dich das Fräulein von Wedelſtädt ſo gelobt haben ſoll. Das iſt recht; ich war auch ſo ehrgeizig, aber ich hatte nicht ſolche gute Schule. Mythologie war immer mein beſtes. Worin biſt Du denn am beſten?

480Effi Brieſt

Ich weiß es nicht.

O, Du wirſt es ſchon wiſſen. Das weiß man. Worin haſt Du denn die beſte Zenſur?

In der Religion.

Nun, ſiehſt Du, da weiß ich es doch. Ja, das iſt ſehr ſchön; ich war nicht ſo gut darin, aber es wird wohl auch an dem Unterricht gelegen haben. Wir hatten bloß einen Kandidaten.

Wir hatten auch einen Kandidaten.

Und der iſt fort?

Annie nickte.

Warum iſt er fort?

Ich weiß es nicht. Wir haben nun wieder den Prediger.

Den Ihr alle ſehr liebt.

Ja; zwei aus der erſten Klaſſe wollen auch übertreten.

Ah, ich verſtehe; das iſt ſchön. Und was macht Johanna?

Johanna hat mich bis vor das Haus be¬ gleitet

Und warum haſt Du ſie nicht mit herauf¬ gebracht?

Sie ſagte, ſie wolle lieber unten bleiben und an der Kirche drüben warten.

Und da ſollſt Du ſie wohl abholen?

481Effi Brieſt

Ja.

Nun, ſie wird da hoffentlich nicht ungeduldig werden. Es iſt ein kleiner Vorgarten da und die Fenſter ſind ſchon halb von Epheu überwachſen, als ob es eine alte Kirche wäre.

Ich möchte ſie aber doch nicht gerne warten laſſen.

Ach, ich ſehe, Du biſt ſehr rückſichtsvoll, und darüber werde ich mich wohl freuen müſſen. Man muß es nur richtig einteilen Und nun ſage mir noch, was macht Rollo?

Rollo iſt ſehr gut. Aber Papa ſagt, er würde ſo faul; er liegt immer in der Sonne.

Das glaub 'ich. So war er ſchon, als Du noch ganz klein warſt Und nun ſage mir, Annie, denn heute haben wir uns ja bloß ſo' mal wiedergeſehen, wirſt Du mich öfter be¬ ſuchen?

O gewiß, wenn ich darf.

Wir können dann in dem Prinz Albrecht'ſchen Garten ſpazieren gehen.

O gewiß, wenn ich darf.

Oder wir gehen zu Schilling und eſſen Eis, Ananas - oder Vanilleneis; das ich immer am liebſten.

O gewiß, wenn ich darf.

Th. Fontane, Effi Brieſt. 31482Effi Brieſt

Und bei dieſem dritten wenn ich darf war das Maß voll; Effi ſprang auf, und ein Blick, in dem es wie Empörung aufflammte, traf das Kind. Ich glaube, es iſt die höchſte Zeit, Annie; Johanna wird ſonſt ungeduldig. Und ſie zog die Klingel. Roswitha, die ſchon im Nebenzimmer war, trat gleich ein. Roswitha, gieb Annie das Geleit bis drüben zur Kirche. Johanna wartet da. Hoffentlich hat ſie ſich nicht erkältet. Es ſollte mir leid thun. Grüße Johanna.

Und nun gingen beide.

Kaum aber, daß Roswitha draußen die Thür ins Schloß gezogen hatte, ſo riß Effi, weil ſie zu erſticken drohte, ihr Kleid auf und verfiel in ein krampfhaftes Lachen. So alſo ſieht ein Wiederſehen aus, und dabei ſtürzte ſie nach vorn, öffnete die Fenſterflügel und ſuchte nach etwas, das ihr beiſtehe. Und ſie fand auch 'was in der Not ihres Herzens. Da neben dem Fenſter war ein Bücherbrett, ein paar Bände von Schiller und Körner darauf, und auf den Gedichtbüchern, die alle gleiche Höhe hatten, lag eine Bibel und ein Geſangbuch. Sie griff danach, weil ſie' was haben mußte, vor dem ſie knieen und beten konnte, und legte Bibel und Geſangbuch auf den Tiſchrand, gerade da, wo Annie geſtanden hatte, und mit einem heftigen Ruck warf ſie ſich davor483Effi Brieſtnieder und ſprach halblaut vor ſich hin: O Du Gott im Himmel, vergieb mir, was ich gethan; ich war ein Kind Aber nein, nein, ich war kein Kind, ich war alt genug, um zu wiſſen, was ich that. Ich hab es auch gewußt, und ich will meine Schuld nicht kleiner machen, aber das iſt zuviel. Denn das hier, mit dem Kind, das biſt nicht Du, Gott, der mich ſtrafen will, das iſt er, bloß er! Ich habe geglaubt, daß er ein edles Herz habe, und habe mich immer klein neben ihm gefühlt; aber jetzt weiß ich, daß er es iſt, er iſt klein. Und weil er klein iſt, iſt er grauſam. Alles, was klein iſt, iſt grauſam. Das hat er dem Kinde beigebracht, ein Schulmeiſter war er immer, Crampas hat ihn ſo genannt, ſpöttiſch damals, aber er hat recht gehabt., O gewiß, wenn ich darf. Du brauchſt nicht zu dürfen; ich will Euch nicht mehr, ich haſſ 'Euch, auch mein eigen Kind. Was zu viel iſt, iſt zu viel. Ein Streber war er, weiter nichts. Ehre, Ehre, Ehre und dann hat er den armen Kerl totgeſchoſſen, den ich nicht einmal liebte und den ich vergeſſen hatte, weil ich ihn nicht liebte. Dummheit war alles, und nun Blut und Mord, Und ich ſchuld. Und nun ſchickt er mir das Kind, weil er einer Miniſterin nichts abſchlagen kann, und ehe er das Kind ſchickt, richtet er's ab wie einen Papagei und bringt ihm31 *484Effi Brieſtdie Phraſe bei, wenn ich darf '. Mich ekelt, was ich gethan; aber was mich noch mehr ekelt, das iſt Eure Tugend. Weg mit Euch. Ich muß leben, aber ewig wird es ja wohl nicht dauern.

Als Roswitha wiederkam, lag Effi am Boden, das Geſicht abgewandt, wie leblos.

[485]

Vierunddreißigſtes Kapitel.

Rummſchüttel, als er gerufen wurde, fand Effi's Zuſtand nicht unbedenklich. Das Hektiſche, das er ſeit Jahr und Tag an ihr beobachtete, trat ihm aus¬ geſprochener als früher entgegen, und, was ſchlimmer war, auch die erſten Zeichen eines Nervenleidens waren da. Seine ruhig freundliche Weiſe aber, der er einen Beiſatz von Laune zu geben wußte, that Effi wohl, und ſie war ruhig, ſo lange Rummſchüttel um ſie war. Als er ſchließlich ging, begleitete Ros¬ witha den alten Herrn bis in den Vorflur und ſagte: Gott, Herr Geheimrat, mir iſt ſo bange; wenn es nu 'mal wiederkommt, und es kann doch; Gott, da hab' ich ja keine ruhige Stunde mehr. Es war aber doch auch zuviel, das mit dem Kind. Die arme gnädige Frau. Und noch ſo jung, wo manche erſt anfangen.

Laſſen Sie nur, Roswitha. Kann noch alles wieder werden. Aber fort muß ſie. Wir wollen ſchon ſehen. Andere Luft, andere Menſchen.

486Effi Brieſt

Den zweiten Tag danach traf ein Brief in Hohen-Cremmen ein, der lautete: Gnädigſte Frau! Meine alten freundſchaftlichen Beziehungen zu den Häuſern Brieſt und Belling, und nicht zum wenigſten die herzliche Liebe, die ich zu Ihrer Frau Tochter hege, werden dieſe Zeilen rechtfertigen. Es geht ſo nicht weiter. Ihre Frau Tochter, wenn nicht etwas geſchieht, das ſie der Einſamkeit und dem Schmerzlichen ihres nun ſeit Jahren geführten Lebens entreißt, wird ſchnell hinſiechen. Eine Dispoſition zu Phtiſis war immer da, weshalb ich ſchon vor Jahren Ems verordnete; zu dieſem alten Übel hat ſich nun ein neues geſellt: ihre Nerven zehren ſich auf. Dem Einhalt zu thun, iſt ein Luftwechſel nötig. Aber wohin? Es würde nicht ſchwer ſein, in den ſchleſiſchen Bädern eine Auswahl zu treffen, Salz¬ brunn gut, und Reinerz, wegen der Nervenkomplikation, noch beſſer. Aber es darf nur Hohen-Cremmen ſein. Denn, meine gnädigſte Frau, was Ihrer Frau Tochter Geneſung bringen kann, iſt nicht Luft allein; ſie ſiecht hin, weil ſie nichts hat als Roswitha. Diener¬ treue iſt ſchön, aber Elternliebe iſt beſſer. Verzeihen Sie einem alten Manne dies Sicheinmiſchen in Dinge, die jenſeits ſeines ärztlichen Berufes liegen. Und doch auch wieder nicht, denn es iſt ſchließlich auch der Arzt, der hier ſpricht und ſeiner Pflicht nach,487Effi Brieſtverzeihen Sie dies Wort, Forderungen ſtellt Ich habe ſo viel vom Leben geſehen aber nichts mehr in dieſem Sinne. Mit der Bitte, mich Ihrem Herrn Gemahl empfehlen zu wollen, in vorzüglicher Ergebenheit Dr. Rummſchüttel.

Frau von Brieſt hatte den Brief ihrem Manne vorgeleſen; beide ſaßen auf dem ſchattigen Steinflieſen¬ gange, den Gartenſaal im Rücken, das Rondell mit der Sonnenuhr vor ſich. Der um die Fenſter ſich rankende wilde Wein bewegte ſich leis in dem Luft¬ zuge, der ging, und über dem Waſſer ſtanden ein paar Libellen im hellen Sonnenſchein.

Brieſt ſchwieg und trommelte mit dem Finger auf dem Theebrett.

Bitte, trommle nicht; ſprich lieber.

Ach, Luiſe, was ſoll ich ſagen. Daß ich trommle, ſagt gerade genug. Du weißt ſeit Jahr und Tag, wie ich darüber denke. Damals als Inn¬ ſtetten's Brief kam, ein Blitz aus heiterem Himmel, damals war ich Deiner Meinung. Aber das iſt nun ſchon wieder eine halbe Ewigkeit her; ſoll ich hier bis an mein Lebensende den Großinquiſitor ſpielen? Ich kann Dir ſagen, ich hab 'es ſeit lange ſatt

Mache mir keine Vorwürfe, Brieſt; ich liebe ſie ſo wie Du, vielleicht noch mehr; jeder hat ſeine488Effi BrieſtArt. Aber man lebt doch nicht bloß in der Welt, um ſchwach und zärtlich zu ſein und alles mit Nach¬ ſicht zu behandeln, was gegen Geſetz und Gebot iſt und was die Menſchen verurteilen und, vorläufig wenigſtens, auch noch mit Recht verurteilen.

Ach was. Eins geht vor.

Natürlich, eins geht vor; aber was iſt das eine?

Liebe der Eltern zu ihren Kindern. Und wenn man gar bloß eines hat

Dann iſt es vorbei mit Katechismus und Moral und mit dem Anſpruch der, Geſellſchaft‘.

Ach, Luiſe, komme mir mit Katechismus ſo viel Du willſt; aber komme mir nicht mit, Geſellſchaft '.

Es iſt ſehr ſchwer, ſich ohne Geſellſchaft zu behelfen.

Ohne Kind auch. Und dann glaube mir, Luiſe, die, Geſellſchaft ', wenn ſie nur will, kann auch ein Auge zudrücken. Und ich ſtehe ſo zu der Sache: kommen die Rathenower, ſo iſt es gut, und kommen ſie nicht, ſo iſt es auch gut. Ich werde ganz einfach telegraphieren:, Effi komm. Biſt Du einverſtanden?

Sie ſtand auf und gab ihm einen Kuß auf die Stirn. Natürlich bin ich's. Du ſollteſt mir nur keinen Vorwurf machen. Ein leichter Schritt iſt es nicht. Und unſer Leben wird von Stund an ein anderes.

Ich kann's aushalten. Der Raps ſteht gut,489Effi Brieſtund im Herbſt kann ich einen Haſen hetzen. Und der Rotwein ſchmeckt mir noch. Und wenn ich das Kind erſt wieder im Hauſe habe, dann ſchmeckt er mir noch beſſer Und nun will ich das Telegramm ſchicken.

Effi war nun ſchon über ein halbes Jahr in Hohen-Cremmen; ſie bewohnte die beiden Zimmer im erſten Stock, die ſie ſchon früher, wenn ſie zu Beſuch da war, bewohnt hatte; das größere war für ſie perſönlich hergerichtet, nebenan ſchlief Roswitha. Was Rummſchüttel von dieſem Aufenthalt und all' dem andern Guten erwartet hatte, das hatte ſich auch erfüllt, ſo weit ſich's erfüllen konnte. Das Hüſteln ließ nach, der herbe Zug, der das ſo gütige Geſicht um ein gut Teil ſeines Liebreizes gebracht hatte, ſchwand wieder hin, und es kamen Tage, wo ſie wieder lachen konnte. Von Keſſin und allem, was da zurück lag, wurde wenig geſprochen, mit alleiniger Ausnahme von Frau von Padden und natürlich von Gieshübler, für den der alte Brieſt eine lebhafte Vorliebe hatte. Dieſer Alonzo, dieſer Precioſa - Spanier, der einen Mirambo beherbergt und eine Trippelli großzieht, ja, das muß ein Genie ſein, das laß ich mir nicht ausreden. Und dann mußte ſich Effi bequemen, ihm den ganzen Gieshübler, mit490Effi Brieſtdem Hut in der Hand und ſeinen endloſen Artigkeits¬ verbeugungen vorzuſpielen, was ſie, bei dem ihr eigenen Nachahmungstalent, ſehr gut konnte, trotzdem aber ungern that, weil ſie's allemal als ein Unrecht gegen den guten und lieben Menſchen empfand. Von Innſtetten und Annie war nie die Rede, wiewohl feſtſtand, daß Annie Erbtochter ſei, und Hohen - Cremmen ihr zufallen würde.

Ja, Effi lebte wieder auf, und die Mama, die, nach Frauenart, nicht ganz abgeneigt war, die ganze Sache, ſo ſchmerzlich ſie blieb, als einen intereſſanten Fall anzuſehen, wetteiferte mit ihrem Manne in Liebes - und Aufmerkſamkeitsbezeugungen.

Solchen guten Winter haben wir lange nicht gehabt, ſagte Brieſt. Und dann erhob ſich Effi von ihrem Platz und ſtreichelte ihm das ſpärliche Haar aus der Stirn. Aber ſo ſchön das alles war, auf Effi's Geſundheit hin angeſehen, war es doch alles nur Schein, in Wahrheit ging die Krankheit weiter und zehrte ſtill das Leben auf. Wenn Effi die wieder, wie damals an ihrem Verlobungstage mit Innſtetten, ein blau und weißgeſtreiftes Kittelkleid mit einem loſen Gürtel trug raſch und elaſtiſch auf die Eltern zutrat, um ihnen einen guten Morgen zu bieten, ſo ſahen ſich dieſe freudig verwundert an, freudig verwundert, aber doch auch wehmütig, weil491Effi Brieſtihnen nicht entgehen konnte, daß es nicht die helle Jugend, ſondern eine Verklärtheit war, was der ſchlanken Erſcheinung und den leuchtenden Augen dieſen eigentümlichen Ausdruck gab. Alle, die ſchärfer zuſahen, ſahen dies, nur Effi ſelbſt ſah es nicht und lebte ganz dem Glücksgefühle, wieder an dieſer für ſie ſo freundlich friedreichen Stelle zu ſein, in Ver¬ ſöhnung mit denen, die ſie immer geliebt hatte und von denen ſie immer geliebt worden war, auch in den Jahren ihres Elends und ihrer Verbannung.

Sie beſchäftigte ſich mit allerlei Wirtſchaftlichem und ſorgte für Ausſchmückung und kleine Verbeſſerungen im Haushalt. Ihr Sinn für das Schöne ließ ſie darin immer das Richtige treffen. Leſen aber und vor allem die Beſchäftigung mit den Künſten hatte ſie ganz aufgegeben. Ich habe davon ſo viel gehabt, daß ich froh bin, die Hände in den Schoß legen zu können. Es erinnerte ſie auch wohl zu ſehr an ihre traurigen Tage. Sie bildete ſtatt deſſen die Kunſt aus, ſtill und entzückt auf die Natur zu blicken, und wenn das Laub von den Platanen fiel, wenn die Sonnenſtrahlen auf dem Eis des kleinen Teiches blitzten oder die erſten Krokus aus dem noch halb winterlichen Rondell aufblühten, das that ihr wohl, und auf all das konnte ſie ſtundenlang blicken und dabei vergeſſen, was ihr das Leben492Effi Brieſtverſagt, oder richtiger wohl, um was ſie ſich ſelbſt gebracht hatte.

Beſuch blieb nicht ganz aus, nicht alle ſtellten ſich gegen ſie; ihren Hauptverkehr aber hatte ſie doch in Schulhaus und Pfarre.

Daß im Schulhaus die Töchter ausgeflogen waren, ſchadete nicht viel, es würde nicht mehr ſo recht gegangen ſein; aber zu Jahnke ſelbſt der nicht bloß ganz Schwediſch-Pommern, ſondern auch die Keſſiner Gegend als ſkandinaviſches Vorland anſah und beſtändig darauf bezügliche Fragen ſtellte , zu dieſem alten Freunde ſtand ſie beſſer denn je. Ja, Jahnke, wir hatten ein Dampfſchiff, und wie ich Ihnen, glaub 'ich, ſchon einmal ſchrieb oder vielleicht auch ſchon' mal erzählt habe, beinahe wär 'ich wirklich' rüber nach Wisby gekommen. Denken Sie ſich, beinahe nach Wisby. Es iſt komiſch, aber ich kann eigentlich von vielem in meinem Leben ſagen beinah‘.

Schade, ſchade, ſagte Jahnke.

Ja, freilich ſchade. Aber auf Rügen bin ich wirklich umhergefahren. Und das wäre ſo 'was für Sie geweſen, Jahnke. Denken Sie ſich, Arkona mit einem großen Wenden-Lagerplatz, der noch ſichtbar ſein ſoll; denn ich bin nicht hingekommen; aber nicht allzu weit davon iſt der Hertha-See mit weißen und493Effi Brieſtgelben Mummeln. Ich habe da viel an Ihre Hertha denken müſſen

Nun, ja, ja, Hertha Aber Sie wollten von dem Hertha-See ſprechen

Ja, das wollt 'ich Und denken Sie ſich, Jahnke, dicht an dem See ſtanden zwei große Opfer¬ ſteine, blank und noch die Rinnen drin, in denen vordem das Blut ablief. Ich habe von der Zeit an einen Widerwillen gegen die Wenden.

Ach, gnäd'ge Frau verzeihen. Aber das waren ja keine Wenden. Das mit den Opferſteinen und mit dem Hertha-See, das war ja ſchon wieder viel, viel früher, ganz vor Christum natum; reine Germanen, von denen wir alle abſtammen

Verſteht ſich, lachte Effi, von denen wir alle abſtammen, die Jahnke's gewiß und vielleicht auch die Brieſt's.

Und dann ließ ſie Rügen und den Hertha-See fallen und fragte nach ſeinen Enkeln und welche ihm lieber wären die von Bertha oder die von Hertha.

Ja, Effi ſtand gut zu Jahnke. Aber trotz ſeiner intimen Stellung zu Hertha-See, Skandinavien und Wisby, war er doch nur ein einfacher Mann, und ſo konnte es nicht wohl ausbleiben, daß der verein¬ ſamten jungen Frau die Plaudereien mit Niemeyer um vieles lieber waren. Im Herbſt, ſo lange ſich494Effi Brieſtim Parke promenieren ließ, hatte ſie denn auch die Hülle und Fülle davon; mit dem Eintreten des Winters aber kam eine mehrmonatliche Unterbrechung, weil ſie das Predigerhaus ſelbſt nicht gern betrat; Frau Paſtor Niemeyer war immer eine ſehr un¬ angenehme Frau geweſen und ſchlug jetzt vollends hohe Töne an, trotzdem ſie, nach Anſicht der Ge¬ meinde, ſelber nicht ganz einwandsfrei war.

Das ging ſo den ganzen Winter durch, ſehr zu Effi's Leidweſen. Als dann aber, Anfang April, die Sträucher einen grünen Rand zeigten und die Park¬ wege raſch abtrockneten, da wurden auch die Spazier¬ gänge wieder aufgenommen.

Einmal gingen ſie auch wieder ſo. Von fern her hörte man den Kuckuck, und Effi zählte, wie vielemale er rief. Sie hatte ſich an Niemeyer's Arm gehängt und ſagte: Ja, da ruft der Kuckuck. Ich mag ihn nicht befragen. Sagen Sie, Freund, was halten Sie vom Leben?

Ach, liebe Effi, mit ſolchen Doktorfragen darfſt Du mir nicht kommen. Da mußt Du Dich an einen Philoſophen wenden oder ein Ausſchreiben an eine Fakultät machen. Was ich vom Leben halte? Viel und wenig. Mitunter iſt es recht viel und mitunter iſt es recht wenig.

Das iſt recht, Freund, das gefällt mir; mehr495Effi Brieſtbrauch 'ich nicht zu wiſſen. Und als ſie das ſo ſagte, waren ſie bis an die Schaukel gekommen. Sie ſprang hinauf, mit einer Behendigkeit wie in ihren jüngſten Mädchentagen, und ehe ſich noch der Alte, der ihr zuſah, von ſeinem halben Schreck erholen konnte, huckte ſie ſchon zwiſchen den zwei Stricken nieder und ſetzte das Schaukelbrett durch ein geſchicktes Auf - und Niederſchnellen ihres Körpers in Bewegung. Ein paar Sekunden noch, und ſie flog durch die Luft, und bloß mit einer Hand ſich haltend, riß ſie mit der andern ein kleines Seidentuch von Bruſt und Hals und ſchwenkte es wie in Glück und Über¬ mut. Dann ließ ſie die Schaukel wieder langſam gehen und ſprang herab und nahm wieder Niemeyer's Arm.

Effi, Du biſt doch noch immer wie Du früher warſt.

Nein. Ich wollte, es wäre ſo. Aber es liegt ganz zurück, und ich hab 'es nur noch einmal ver¬ ſuchen wollen. Ach, wie ſchön es war, und wie mir die Luft wohlthat; mir war, als flög' ich in den Himmel. Ob ich wohl hineinkomme? Sagen Sie mir's, Freund, Sie müſſen es wiſſen. Bitte, bitte

Niemeyer nahm ihren Kopf in ſeine zwei alten Hände und gab ihr einen Kuß auf die Stirn und ſagte: Ja, Effi, Du wirſt.

[496]

Fünfunddreißigſtes Kapitel.

Effi war den ganzen Tag draußen im Park, weil ſie das Luftbedürfnis hatte: der alte Frieſacker Dr. Wieſike war auch einverſtanden damit, gab ihr aber in dieſem Stücke doch zuviel Freiheit, zu thun, was ſie wolle, ſo daß ſie ſich während der kalten Tage im Mai heftig erkältete: ſie wurde fiebrig, huſtete viel, und der Doktor, der ſonſt jeden dritten Tag herüber kam, kam jetzt täglich und war in Ver¬ legenheit, wie er der Sache beikommen ſolle, denn die Schlaf - und Huſtenmittel, nach denen Effi verlangte, konnten ihr des Fiebers halber nicht gegeben werden.

Doktor, ſagte der alte Brieſt, was wird aus der Geſchichte? Sie kennen ſie ja von klein auf, haben ſie geholt. Mir gefällt das alles nicht; ſie nimmt ſichtlich ab, und die roten Flecke und der Glanz in den Augen, wenn ſie mich mit einemmale ſo fragend anſieht. Was meinen Sie? Was wird? Muß ſie ſterben?

497Effi Brieſt

Wieſike wiegte den Kopf langſam hin und her. Das will ich nicht ſagen, Herr von Brieſt. Daß ſie ſo fiebert, gefällt mir nicht. Aber wir werden es ſchon wieder 'runter kriegen, dann muß ſie nach der Schweiz oder nach Mentone. Reine Luft und freundliche Eindrücke, die das Alte vergeſſen machen

Lethe, Lethe.

Ja, Lethe, lächelte Wieſike. Schade, daß uns die alten Schweden, die Griechen, bloß das Wort hinterlaſſen haben und nicht zugleich auch die Quelle ſelbſt

Oder wenigſtens das Rezept dazu; Wäſſer werden ja jetzt nachgemacht. Alle Wetter, Wieſike, das wär 'ein Geſchäft, wenn wir hier ſo ein Sanatorium anlegen könnten: Frieſack als Ver¬ geſſenheitsquelle. Nun, vorläufig wollen wir's mit der Riviera verſuchen. Mentone iſt ja wohl Riviera? Die Kornpreiſe ſind zwar in dieſem Augenblicke wieder ſchlecht, aber was ſein muß, muß ſein. Ich werde mit meiner Frau darüber ſprechen.

Das that er denn auch und fand ſofort ſeiner Frau Zuſtimmung, deren in letzter Zeit wohl unter dem Eindruck zurückgezogenen Lebens ſtark erwachte Luſt, auch mal den Süden zu ſehen, ſeinem Vorſchlage zu Hülfe kam. Aber Effi ſelbſt wollte nichts davon wiſſen. Wie gut Ihr gegen mich ſeid. Th. Fontane, Effi Brieſt. 32498Effi BrieſtUnd ich bin egoiſtiſch genug, ich würde das Opfer auch annehmen, wenn ich mir etwas davon verſpräche. Mir ſteht es aber feſt, daß es mir bloß ſchaden würde.

Das redeſt Du Dir ein, Effi.

Nein. Ich bin ſo reizbar geworden; alles ärgert mich. Nicht hier bei Euch. Ihr verwöhnt mich und räumt mir alles aus dem Wege. Aber auf einer Reiſe, da geht das nicht, da läßt ſich das Unangenehme nicht ſo bei Seite thun; mit dem Schaffner fängt es an, und mit dem Kellner hört es auf. Wenn ich mir die ſuffiſanten Geſichter bloß vorſtelle, ſo wird mir ſchon ganz heiß. Nein, nein, laßt mich hier. Ich mag nicht mehr weg von Hohen-Cremmen, hier iſt meine Stelle. Der Heliotrop unten auf dem Rondell, um die Sonnenuhr herum, iſt mir lieber als Mentone.

Nach dieſem Geſpräch ließ man den Plan wieder fallen, und Wieſike, ſo viel er ſich von Italien verſprochen hatte, ſagte: Das müſſen wir reſpektieren, denn das ſind keine Launen; ſolche Kranken haben ein ſehr feines Gefühl und wiſſen, mit merkwürdiger Sicherheit, was ihnen hilft und was nicht. Und was Frau Effi da geſagt hat von Schaffner und Kellner, das iſt doch auch eigentlich ganz richtig, und es giebt keine Luft, die ſo viel Heilkraft hätte, den Hotelärger (wenn man ſich überhaupt darüber499Effi Brieſtärgert) zu balanzieren. Alſo laſſen wir ſie hier; wenn es nicht das beſte iſt, ſo iſt es gewiß nicht das ſchlechteſte.

Das beſtätigte ſich denn auch. Effi erholte ſich, nahm um ein Geringes wieder zu (der alte Brieſt gehörte zu den Wiegefanatikern) und verlor ein gut Teil ihrer Reizbarkeit. Dabei war aber ihr Luft¬ bedürfnis in einem beſtändigen Wachſen, und zumal wenn Weſtwind ging und graues Gewölk am Himmel zog, verbrachte ſie viele Stunden im Freien. An ſolchen Tagen ging ſie wohl auch auf die Felder hinaus und ins Luch, oft eine halbe Meile weit, und ſetzte ſich, wenn ſie müde geworden, auf einen Hürdenzaun und ſah, in Träume verloren, auf die Ranunkeln und roten Ampferſtauden, die ſich im Winde bewegten.

Du gehſt immer ſo allein, ſagte Frau von Brieſt. Unter unſeren Leuten biſt Du ſicher; aber es ſchleicht auch ſo viel fremdes Geſindel umher.

Das machte doch einen Eindruck auf Effi, die an Gefahr nie gedacht hatte, und als ſie mit Roswitha allein war, ſagte ſie: Dich kann ich nicht gut mitnehmen, Roswitha; Du biſt zu dick und nicht mehr feſt auf den Füßen.

Nu, gnäd'ge Frau, ſo ſchlimm iſt es doch noch nicht. Ich könnte ja doch noch heiraten.

32 *500Effi Brieſt

Natürlich, lachte Effi. Das kann man immer noch. Aber weißt Du, Roswitha, wenn ich einen Hund hätte, der mich begleitete. Papas Jagdhund hat gar kein Attachement für mich, Jagdhunde ſind ſo dumm, und er rührt ſich immer erſt, wenn der Jäger oder der Gärtner die Flinte vom Riegel nimmt. Ich muß jetzt oft an Rollo denken.

Ja, ſagte Roswitha, ſo 'was wie Rollo haben ſie hier gar nicht. Aber damit will ich nichts gegen hier‘ geſagt haben. Hohen-Cremmen iſt ſehr gut.

Es war drei, vier Tage nach dieſem Geſpräche zwiſchen Effi und Roswitha, daß Innſtetten um eine Stunde früher in ſein Arbeitszimmer trat als ge¬ wöhnlich. Die Morgenſonne, die ſehr hell ſchien, hatte ihn geweckt, und weil er fühlen mochte, daß er nicht wieder einſchlafen würde, war er aufgeſtanden, um ſich an eine Arbeit zu machen, die ſchon ſeit ge¬ raumer Zeit der Erledigung harrte.

Nun war es eine Viertelſtunde nach acht, und er klingelte. Johanna brachte das Frühſtückstablett, auf dem, neben der Kreuzzeitung und der Nord¬ deutſchen Allgemeinen, auch noch zwei Briefe lagen. Er überflog die Adreſſen und erkannte an der Hand¬ ſchrift, daß der eine vom Miniſter war. Aber der501Effi Brieſtandere? Der Poſtſtempel war nicht deutlich zu leſen, und das Sr. Wohlgeboren Herrn Baron von Innſtetten bezeugte eine glückliche Unvertrautheit mit den landesüblichen Titulaturen. Dem entſprachen auch die Schriftzüge von ſehr primitivem Charakter. Aber die Wohnungsangabe war wieder merkwürdig genau: W. Keithſtraße 1c, zwei Treppen hoch.

Innſtetten war Beamter genug, um den Brief von Exzellenz‘ zuerſt zu erbrechen. Mein lieber Innſtetten! Ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, daß Seine Majeſtät Ihre Ernennung zu unterzeichnen geruht haben und gratuliere Ihnen auf¬ richtig dazu. Innſtetten war erfreut über die liebens¬ würdigen Zeilen des Miniſters, faſt mehr als über die Ernennung ſelbſt. Denn was das Höherhinauf¬ klimmen auf der Leiter anging, ſo war er ſeit dem Morgen in Keſſin, wo Crampas mit einem Blick, den er immer vor Augen hatte, Abſchied von ihm genommen, etwas kritiſch gegen derlei Dinge geworden. Er maß ſeitdem mit anderem Maße, ſah alles anders an. Auszeichnung, was war es am Ende? Mehr als einmal hatte er, während der ihm immer freud¬ loſer dahin fließenden Tage, einer halb vergeſſenen Miniſterialanekdote aus den Zeiten des älteren Laden¬ berg her, gedenken müſſen, der, als er nach langem Warten den roten Adlerorden empfing, ihn wütend502Effi Brieſtund mit dem Ausrufe beiſeite warf: Da liege, bis du ſchwarz wirſt. Wahrſcheinlich war er dann hinterher auch ſchwarz geworden, aber um viele Tage zu ſpät und ſicherlich ohne rechte Befriedigung für den Empfänger. Alles, was uns Freude machen ſoll, iſt an Zeit und Umſtände gebunden, und was uns heute noch beglückt, iſt morgen wertlos. Inn¬ ſtetten empfand das tief, und ſo gewiß ihm an Ehren und Gunſtbezeugungen von oberſter Stelle her lag, wenigſtens gelegen hatte, ſo gewiß ſtand ihm jetzt feſt, es käme bei dem glänzenden Schein der Dinge nicht viel heraus, und das, was man das Glück‘ nenne, wenn's überhaupt exiſtiere, ſei 'was anderes als dieſer Schein. Das Glück, wenn mir recht iſt, liegt in zweierlei: darin, daß man ganz da ſteht, wo man hin gehört (aber welcher Beamte kann das von ſich ſagen), und zum zweiten und beſten in einem behaglichen Abwickeln des ganz Alltäglichen, alſo darin, daß man ausgeſchlafen hat und daß einen die neuen Stiefel nicht drücken. Wenn einem die 720 Minuten eines zwölfſtündigen Tages ohne be¬ ſonderen Ärger vergehen, ſo läßt ſich von einem glücklichen Tage ſprechen. In einer Stimmung, die derlei ſchmerzlichen Betrachtungen nachhing, war Innſtetten auch heute wieder. Er nahm nun den zweiten Brief. Als er ihn geleſen, fuhr er über503Effi Brieſtſeine Stirn und empfand ſchmerzlich, daß es ein Glück gebe, daß er es gehabt, aber daß er es nicht mehr habe und nicht mehr haben könne.

Johanna trat ein und meldete: Geheimrat Wüllersdorf.

Dieſer ſtand ſchon auf der Thürſchwelle. Gratu¬ liere, Innſtetten.

Ihnen glaub 'ich's; die anderen werden ſich ärgern. Im übrigen

Im übrigen. Sie werden doch in dieſem Augenblicke nicht kritteln wollen.

Nein. Die Gnade Seiner Majeſtät beſchämt mich, und die wohlwollende Geſinnung des Miniſters, dem ich das alles verdanke, faſt noch mehr.

Aber

Aber ich habe mich zu freuen verlernt. Wenn ich es einem anderen als Ihnen ſagte, ſo würde ſolche Rede für redensartlich gelten. Sie aber, Sie finden ſich darin zurecht. Sehen Sie ſich hier um; wie leer und öde iſt das alles. Wenn die Johanna eintritt, ein ſogenanntes Juwel, ſo wird mir angſt und bange. Dieſes Sich-in-Szene-ſetzen (und Inn¬ ſtetten ahmte Johanna's Haltung nach), dieſe halb komiſche Büſtenplaſtik, die wie mit einem Spezial¬ anſpruch auftritt, ich weiß nicht, ob an die Menſch¬ heit oder an mich ich finde das alles ſo triſt504Effi Brieſtund elend, und es wäre zum Totſchießen, wenn es nicht ſo lächerlich wäre.

Lieber Innſtetten, in dieſer Stimmung wollen Sie Miniſterialdirektor werden?

Ah, bah. Kann es anders ſein? Leſen Sie; dieſe Zeilen habe ich eben bekommen.

Wüllersdorf nahm den zweiten Brief mit dem unleſerlichen Poſtſtempel, amüſierte ſich über das, Wohlgeboren‘ und trat dann ans Fenſter, um be¬ quemer leſen zu können.

Gnäd'ger Herr! Sie werden ſich wohl am Ende wundern, daß ich Ihnen ſchreibe, aber es iſt wegen Rollo. Anniechen hat uns ſchon voriges Jahr geſagt: Rollo wäre jetzt ſo faul; aber das thut hier nichts, er kann hier ſo faul ſein wie er will, je fauler je beſſer. Und die gnäd'ge Frau möchte es doch ſo gern. Sie ſagt immer, wenn ſie ins Luch oder über Feld geht:, Ich fürchte mich eigentlich, Roswitha, weil ich da ſo allein bin; aber wer ſoll mich begleiten? Rollo, ja, das ginge; der iſt mir auch nicht gram. Das iſt der Vorteil, daß ſich die Tiere nicht ſo drum kümmern. Das ſind die Worte der gnäd'gen Frau, und weiter will ich nichts ſagen, und den gnäd'gen Herrn bloß noch bitten, mein Annie¬ chen zu grüßen. Und auch die Johanna. Von Ihrer treu ergebenſten Dienerin Roswitha Gellenhagen.

505Effi Brieſt

Ja, ſagte Wüllersdorf, als er das Papier wieder zuſammenfaltete, die iſt uns über.

Finde ich auch.

Und das iſt auch der Grund, daß Ihnen alles andere ſo fraglich erſcheint.

Sie treffen's. Es geht mir ſchon lange durch den Kopf, und dieſe ſchlichten Worte mit ihrer ge¬ wollten oder vielleicht auch nicht gewollten Anklage haben mich wieder vollends aus dem Häuschen ge¬ bracht. Es quält mich ſeit Jahr und Tag ſchon, und ich möchte aus dieſer ganzen Geſchichte heraus; nichts gefällt mir mehr; je mehr man mich aus¬ zeichnet, je mehr fühle ich, daß dies alles nichts iſt. Mein Leben iſt verpfuſcht, und ſo hab 'ich mir im Stillen ausgedacht, ich müßte mit all' den Strebungen und Eitelkeiten überhaupt nichts mehr zu thun haben, und mein Schulmeiſtertum, was ja wohl mein Eigentlichſtes iſt, als ein höherer Sittendirektor verwenden können. Es hat ja dergleichen gegeben. Ich müßte alſo, wenn's ginge, ſolche ſchrecklich be¬ rühmte Figur werden, wie beiſpielsweiſe der Doktor Wichern im Rauhen Hauſe zu Hamburg geweſen iſt, dieſer Mirakelmenſch, der alle Verbrecher mit ſeinem Blick und ſeiner Frömmigkeit bändigte

Hm, dagegen iſt nichts zu ſagen; das würde gehen.

506Effi Brieſt

Nein, es geht auch nicht. Auch das nicht 'mal. Mir iſt eben alles verſchloſſen. Wie ſoll ich einen Totſchläger an ſeiner Seele packen? Dazu muß man ſelber intakt ſein. Und wenn man's nicht mehr iſt und ſelber ſo' was an den Fingerſpitzen hat, dann muß man wenigſtens vor ſeinen zu bekehrenden Confratres den wahnſinnigen Büßer ſpielen und eine Rieſenzerknirſchung zum beſten geben können.

Wüllersdorf nickte.

Nun ſehen Sie, Sie nicken. Aber das alles kann ich nicht mehr. Den Mann im Büßer¬ hemd bring 'ich nicht mehr heraus, und den Derwiſch oder Fakir, der unter Selbſtanklagen ſich zu Tode tanzt, erſt recht nicht. Und da hab' ich mir denn, weil das alles nicht geht, als ein beſtes heraus¬ geklügelt: weg von hier, weg und hin unter lauter pechſchwarze Kerle, die von Kultur und Ehre nichts wiſſen. Dieſe Glücklichen! Denn gerade das, dieſer ganze Krimskrams iſt doch an allem ſchuld. Aus Paſſion, was am Ende gehen möchte, thut man der¬ gleichen nicht. Alſo bloßen Vorſtellungen zuliebe Vorſtellungen! Und da klappt denn einer zu¬ ſammen, und man klappt ſelber nach. Bloß noch ſchlimmer.

Ach was, Innſtetten, das ſind Launen, Ein¬ fälle. Quer durch Afrika, was ſoll das heißen? 507Effi BrieſtDas iſt für 'nen Leutnant, der Schulden hat. Aber ein Mann wie Sie! Wollen Sie mit einem roten Fez einem Palawer präſidieren oder mit einem Schwiegerſohn von König Mteſa Blutfreundſchaft ſchließen? Oder wollen Sie ſich in einem Tropen¬ helm, mit ſechs Löchern oben, am Kongo entlang taſten, bis Sie bei Kamerun oder da herum wieder heraus kommen? Unmöglich!

Unmöglich? Warum? Und wenn unmög¬ lich, was dann?

Einfach hier bleiben und Reſignation üben. Wer iſt denn unbedrückt? Wer ſagte nicht jeden Tag:, eigentlich eine ſehr fragwürdige Geſchichte. Sie wiſſen, ich habe auch mein Päckchen zu tragen, nicht gerade das Ihrige, aber nicht viel leichter. Es iſt Thorheit mit dem im Urwald-Umherkriechen oder in einem Termitenhügel nächtigen; wer's mag, der mag es, aber für unſerein iſt es nichts. In der Breſche ſtehen und aushalten, bis man fällt, das iſt das beſte. Vorher aber im kleinen und kleinſten ſo viel herausſchlagen wie möglich, und ein Auge dafür haben, wenn die Veilchen blühen oder das Luiſen¬ denkmal in Blumen ſteht oder die kleinen Mädchen mit hohen Schnürſtiefeln über die Korde ſpringen. Oder auch wohl nach Potsdam fahren und in die Friedenskirche gehen, wo Kaiſer Friedrich liegt, und508Effi Brieſtwo ſie jetzt eben anfangen, ihm ein Grabhaus zu bauen. Und wenn Sie da ſtehen, dann überlegen Sie ſich das Leben von dem, und wenn Sie dann nicht beruhigt ſind, dann iſt Ihnen freilich nicht zu helfen.

Gut, gut. Aber das Jahr iſt lang, und jeder einzelne Tag und dann der Abend.

Mit dem iſt immer noch am eheſten fertig zu werden. Da haben wir, Sardanapal‘ oder, Coppelia‘ mit der del Era, und wenn es damit aus iſt, dann haben wir Siechen. Nicht zu verachten. Drei Seidel beruhigen jedesmal. Es giebt immer noch viele, ſehr viele, die zu der ganzen Sache nicht anders ſtehen wie wir, und einer, dem auch viel verquer gegangen war, ſagte mir 'mal: Glauben Sie mir, Wüllersdorf, es geht überhaupt nicht ohne, Hülfs¬ konſtruktionen‘. Der das ſagte, war ein Baumeiſter und mußt' es alſo wiſſen. Und er hatte recht mit ſeinem Satz. Es vergeht kein Tag, der mich nicht an die Hülfskonſtruktionen‘ gemahnte.

Wüllersdorf, als er ſich ſo expektoriert, nahm Hut und Stock. Innſtetten aber, der ſich bei dieſen Worten ſeines Freundes ſeiner eigenen voraufge¬ gangenen Betrachtungen über das, kleine Glück‘ er¬ innert haben mochte, nickte halb zuſtimmend und lächelte vor ſich hin.

509Effi Brieſt

Und wohin gehen Sie nun, Wüllersdorf? Es iſt noch zu früh für das Miniſterium.

Ich ſchenk 'es mir heute ganz. Erſt noch eine Stunde Spaziergang am Kanal hin bis an die Charlottenburger Schleuſe und dann wieder zurück. Und dann ein kleines Vorſprechen bei Huth, Pots¬ damerſtraße, die kleine Holztreppe vorſichtig hinauf. Unten iſt ein Blumenladen.

Und das freut Sie? Das genügt Ihnen?

Das will ich nicht gerade ſagen. Aber es hilft ein bißchen. Ich finde da verſchiedene Stamm¬ gäſte, Frühſchoppler, deren Namen ich klüglich ver¬ ſchweige. Der eine erzählt dann vom Herzog von Ratibor, der andere vom Fürſtbiſchof Kopp und der dritte wohl gar von Bismarck. Ein bißchen fällt immer ab. Dreiviertel ſtimmt nicht, aber wenn es nur witzig iſt, krittelt man nicht lange dran herum und hört dankbar zu.

Und damit ging er.

[510]

Sechsunddreißigſtes Kapitel.

Der Mai war ſchön, der Juni noch ſchöner, und Effi, nachdem ein erſtes ſchmerzliches Gefühl, das Rollo's Eintreffen in ihr geweckt hatte, glücklich überwunden war, war voll Freude, das treue Tier wieder um ſich zu haben. Roswitha wurde belobt, und der alte Brieſt erging ſich, ſeiner Frau gegen¬ über, in Worten der Anerkennung für Innſtetten, der ein Kavalier ſei, nicht kleinlich, und immer das Herz auf dem rechten Fleck gehabt habe. Schade, daß die dumme Geſchichte dazwiſchen fahren mußte. Eigentlich war es doch ein Muſterpaar. Der Ein¬ zige, der bei dem Wiederſehen ruhig blieb, war Rollo ſelbſt, weil er entweder kein Organ für Zeitmaß hatte oder die Trennung als eine Unordnung anſah, die nun einfach wieder behoben ſei. Daß er alt geworden, wirkte wohl auch mit dabei. Mit ſeinen Zärtlich¬ keiten blieb er ſparſam, wie er beim Wiederſehen ſparſam mit ſeinen Freudenbezeugungen geweſen war,511Effi Brieſtaber in ſeiner Treue war er womöglich noch ge¬ wachſen. Er wich ſeiner Herrin nicht von der Seite. Den Jagdhund behandelte er wohlwollend, aber doch als ein Weſen auf niederer Stufe. Nachts lag er vor Effi's Thür auf der Binſenmatte, morgens, wenn das Frühſtück im Freien genommen wurde, neben der Sonnenuhr, immer ruhig, immer ſchläfrig, und nur wenn ſich Effi vom Frühſtückstiſch erhob und auf den Flur zuſchritt und hier erſt den Strohhut und dann den Sonnenſchirm vom Ständer nahm, kam ihm ſeine Jugend wieder, und ohne ſich darum zu kümmern, ob ſeine Kraft auf eine große oder kleine Probe geſtellt werden würde, jagte er die Dorfſtraße hinauf und wieder herunter und beruhigte ſich erſt, wenn ſie zwiſchen den erſten Feldern waren. Effi, der freie Luft noch mehr galt, als landſchaftliche Schönheit, vermied die kleinen Waldpartieen und hielt meiſt die große, zunächſt von uralten Rüſtern und dann, wo die Chauſſee begann, von Pappeln beſetzte große Straße, die nach der Bahnhofsſtation führte, wohl eine Stunde Wegs. An allem freute ſie ſich, atmete beglückt den Duft ein, der von den Raps - und Kleefeldern herüber kam, oder folgte dem Auf¬ ſteigen der Lerchen und zählte die Ziehbrunnen und Tröge, daran das Vieh zur Tränke ging. Dabei klang ein leiſes Läuten zu ihr herüber. Und dann512Effi Brieſtwar ihr zu Sinn, als müſſe ſie die Augen ſchließen und in einem ſüßen Vergeſſen hinübergehen. In Nähe der Station, hart an der Chauſſee, lag eine Chauſſeewalze. Das war ihr täglicher Raſteplatz, von dem aus ſie das Treiben auf dem Bahndamm verfolgen konnte; Züge kamen und gingen, und mitunter ſah ſie zwei Rauchfahnen, die ſich einen Augenblick wie deckten und dann nach links und rechts hin wieder auseinandergingen, bis ſie hinter Dorf und Wäldchen verſchwanden. Rollo ſaß dann neben ihr, an ihrem Frühſtück teilnehmend, und wenn er den letzten Biſſen aufgefangen hatte, fuhr er, wohl um ſich dankbar zu bezeigen, irgend eine Ackerfurche wie ein Raſender hinauf und hielt nur inne, wenn ein paar beim Brüten geſtörte Rebhühner dicht neben ihm aus einer Nachbarfurche aufflogen.

Wie ſchön dieſer Sommer! Daß ich noch ſo glücklich ſein könnte, liebe Mama, vor einem Jahre hätte ich's nicht gedacht, das ſagte Effi jeden Tag, wenn ſie mit der Mama um den Teich ſchritt oder einen Frühapfel vom Zweig brach und tapfer einbiß. Denn ſie hatte die ſchönſten Zähne. Frau von Brieſt ſtreichelte ihr dann die Hand und ſagte: Werde nur erſt wieder geſund, Effi, ganz geſund;513Effi Brieſtdas Glück findet ſich dann; nicht das alte, aber ein neues. Es giebt Gott ſei Dank viele Arten von Glück. Und Du ſollſt ſehen, wir werden ſchon etwas finden für Dich.

Ihr ſeid ſo gut. Und eigentlich hab 'ich doch auch Euer Leben geändert und Euch vor der Zeit zu alten Leuten gemacht.

Ach, meine liebe Effi, davon ſprich nicht. Als es kam, da dacht 'ich ebenſo. Jetzt weiß ich, daß unſere Stille beſſer iſt als der Lärm und das laute Getriebe von vordem. Und wenn Du ſo fortfährſt, können wir noch reiſen. Als Wieſike Mentone vor¬ ſchlug, da warſt Du krank und reizbar und hatteſt, weil Du krank warſt, ganz recht mit dem, was Du von den Schaffnern und Kellnern ſagteſt; aber wenn Du wieder feſtere Nerven haſt, dann geht es, dann ärgert man ſich nicht mehr, dann lacht man über die großen Allüren und das gekräuſelte Haar. Und dann das blaue Meer und weiße Segel und die Felſen ganz mit rotem Kaktus überwachſen, ich habe es noch nicht geſehen, aber ich denke es mir ſo. Und ich möchte es wohl kennen lernen.

So verging der Sommer, und die Sternſchnuppen¬ nächte lagen ſchon zurück. Effi hatte während dieſer Nächte bis über Mitternacht hinaus am Fenſter ge¬ ſeſſen und ſich nicht müde ſehen können. Ich warTh. Fontane, Effi Brieſt. 33514Effi Brieſtimmer eine ſchwache Chriſtin; aber ob wir doch vielleicht von da oben ſtammen und, wenn es hier vorbei iſt, in unſere himmliſche Heimat zurückkehren, zu den Sternen oben oder noch drüber hinaus! Ich weiß es nicht, ich will es auch nicht wiſſen, ich habe nur die Sehnſucht.

Arme Effi, Du hatteſt zu den Himmelwundern zu lange hinaufgeſehen und darüber nachgedacht, und das Ende war, daß die Nachtluft und die Nebel, die vom Teich her aufſtiegen, ſie wieder aufs Kranken¬ bett warfen, und als Wieſike gerufen wurde und ſie geſehen hatte, nahm er Brieſt beiſeite und ſagte: Wird nichts mehr; machen Sie ſich auf ein baldiges Ende gefaßt.

Er hatte nur zu wahr geſprochen, und wenige Tage danach, es war noch nicht ſpät und die zehnte Stunde noch nicht heran, da kam Roswitha nach unten und ſagte zu Frau von Brieſt: Gnädigſte Frau, mit der gnädigen Frau oben iſt es ſchlimm; ſie ſpricht immer ſo ſtill vor ſich hin, und mitunter iſt es, als ob ſie bete, ſie will es aber nicht wahr haben, und ich weiß nicht, mir iſt, als ob es jede Stunde vorbei ſein könnte.

Will ſie mich ſprechen?

Sie hat es nicht geſagt. Aber ich glaube, ſie möchte es. Sie wiſſen ja, wie ſie iſt; ſie will Sie515Effi Brieſtnicht ſtören und ängſtlich machen. Aber es wäre doch wohl gut.

Es iſt gut, Roswitha, ſagte Frau von Brieſt, ich werde kommen.

Und ehe die Uhr noch einſetzte, ſtieg Frau von Brieſt die Treppe hinauf und trat bei Effi ein. Das Fenſter ſtand auf, und ſie lag auf einer Chaiſelongue, die neben dem Fenſter ſtand.

Frau von Brieſt ſchob einen kleinen ſchwarzen Stuhl mit drei goldenen Stäbchen in der Ebenholz¬ lehne heran, nahm Effi's Hand und ſagte:

Wie geht es Dir, Effi? Roswitha ſagt, Du ſeieſt ſo fiebrig.

Ach, Roswitha nimmt alles ſo ängſtlich. Ich ſah ihr an, ſie glaubt, ich ſterbe. Nun, ich weiß nicht. Aber ſie denkt, es ſoll es jeder ſo ängſtlich nehmen wie ſie ſelbſt.

Biſt Du ſo ruhig über Sterben, liebe Effi?

Ganz ruhig, Mama.

Täuſchſt Du Dich darin nicht? Alles hängt am Leben und die Jugend erſt recht. Und Du biſt noch ſo jung, liebe Effi.

Effi ſchwieg eine Weile. Dann ſagte ſie: Du weißt, ich habe nicht viel geleſen, und Innſtetten wunderte ſich oft darüber, und es war ihm nicht recht.

Es war das erſte Mal, daß ſie Innſtetten's33 *516Effi BrieſtNamen nannte, was einen großen Eindruck auf die Mama machte und dieſer klar zeigte, daß es zu Ende ſei.

Aber ich glaube, nahm Frau von Brieſt das Wort, Du wollteſt mir 'was erzählen.

Ja, das wollte ich, weil Du davon ſprachſt, ich ſei noch ſo jung. Freilich bin ich noch jung. Aber das ſchadet nichts. Es war noch in glücklichen Tagen, da las mir Innſtetten abends vor; er hatte ſehr gute Bücher, und in einem hieß es: es ſei wer von einer fröhlichen Tafel abgerufen worden, und am anderen Tage habe der Abgerufene gefragt, wie's denn nachher geweſen ſei. Da habe man ihm ge¬ antwortet:, Ach, es war noch allerlei; aber eigentlich haben Sie nichts verſäumt. Sieh ', Mama, dieſe Worte haben ſich mir eingeprägt es hat nicht viel zu bedeuten, wenn man von der Tafel etwas früher abgerufen wird.

Frau von Brieſt ſchwieg. Effi aber ſchob ſich etwas höher hinauf und ſagte dann: Und da ich nun 'mal von alten Zeiten und auch von Innſtetten geſprochen habe, muß ich Dir doch noch etwas ſagen, liebe Mama.

Du regſt Dich auf, Effi.

Nein, nein; etwas von der Seele herunter ſprechen, das regt mich nicht auf, das macht ſtill. 517Effi BrieſtUnd da wollt 'ich Dir denn ſagen: ich ſterbe mit Gott und Menſchen verſöhnt, auch verſöhnt mit ihm.

Warſt Du denn in Deiner Seele in ſo großer Bitterkeit mit ihm? Eigentlich, verzeihe mir, meine liebe Effi, daß ich das jetzt noch ſage, eigentlich haſt Du doch Euer Leid heraufbeſchworen.

Effi nickte. Ja, Mama. Und traurig, daß es ſo iſt. Aber als dann all' das Schreckliche kam, und zuletzt das mit Annie, Du weißt ſchon, da hab 'ich doch, wenn ich das lächerliche Wort gebrauchen darf, den Spieß umgekehrt und habe mich ganz ernſt¬ haft in den Gedanken hinein gelebt, er ſei ſchuld, weil er nüchtern und berechnend geweſen ſei und zuletzt auch noch grauſam. Und da ſind Verwünſchungen gegen ihn über meine Lippen gekommen.

Und das bedrückt Dich jetzt?

Ja. Und es liegt mir daran, daß er erfährt, wie mir hier in meinen Krankheitstagen, die doch faſt meine ſchönſten geweſen ſind, wie mir hier klar geworden, daß er in allem recht gehandelt. In der Geſchichte mit dem armen Crampas ja, was ſollt 'er am Ende anders thun? Und dann, womit er mich am tiefſten verletzte, daß er mein eigen Kind in einer Art Abwehr gegen mich erzogen hat, ſo hart es mir ankommt und ſo weh' es mir thut, er hat auch darin recht gehabt. Laß ihn das wiſſen, daß518Effi Brieſtich in dieſer Überzeugung geſtorben bin. Es wird ihn tröſten, aufrichten, vielleicht verſöhnen. Denn er hatte viel Gutes in ſeiner Natur und war ſo edel, wie jemand ſein kann, der ohne rechte Liebe iſt.

Frau von Brieſt ſah, daß Effi erſchöpft war und zu ſchlafen ſchien oder[ſchlafen] wollte. Sie erhob ſich leiſe von ihrem Platz und ging. Indeſſen kaum, daß ſie fort war, erhob ſich auch Effi und ſetzte ſich an das offene Fenſter, um noch einmal die kühle Nachtluft einzuſaugen. Die Sterne flimmerten, und im Parke regte ſich kein Blatt. Aber je länger ſie hinaus horchte, je deutlicher hörte ſie wieder, daß es wie ein feines Rieſeln auf die Platanen niederfiel. Ein Gefühl der Befreiung überkam ſie. Ruhe, Ruhe.

Es war einen Monat ſpäter, und der September ging auf die Neige. Das Wetter war ſchön, aber das Laub im Parke zeigte ſchon viel Rot und Gelb, und ſeit den Äquinoktien, die drei Sturmtage gebracht hatten, lagen die Blätter überall hin ausgeſtreut. Auf dem Rondell hatte ſich eine kleine Veränderung vollzogen, die Sonnenuhr war fort, und an der Stelle, wo ſie geſtanden hatte, lag ſeit geſtern eine weiße Marmorplatte, darauf ſtand nichts als Effi Brieſt und darunter ein Kreuz. Das war Effi's519Effi Brieſtletzte Bitte geweſen: Ich möchte auf meinem Stein meinen alten Namen wieder haben; ich habe dem andern keine Ehre gemacht. Und es war ihr verſprochen worden.

Ja, geſtern war die Marmorplatte gekommen und aufgelegt worden, und angeſichts der Stelle ſaßen nun wieder Brieſt und Frau und ſahen darauf hin und auf den Heliotrop, den man geſchont, und der den Stein jetzt einrahmte. Rollo lag daneben, den Kopf in die Pfoten geſteckt.

Wilke, deſſen Gamaſchen immer weiter wurden, brachte das Frühſtück, und die Poſt, und der alte Brieſt ſagte: Wilke, beſtelle den kleinen Wagen. Ich will mit der Frau über Land fahren.

Frau von Brieſt hatte mittlerweile den Kaffee eingeſchenkt und ſah nach dem Rondell und ſeinem Blumenbeete. Sieh ', Brieſt, Rollo liegt wieder vor dem Stein. Es iſt ihm doch noch tiefer gegangen als uns. Er frißt auch nicht mehr.

Ja, Luiſe, die Kreatur. Das iſt ja, was ich immer ſage. Es iſt nicht ſo viel mit uns, wie wir glauben. Da reden wir immer von Inſtinkt. Am Ende iſt es doch das beſte.

Sprich nicht ſo. Wenn Du ſo philoſophierſt nimm es mir nicht übel, Brieſt, dazu reicht es bei Dir nicht aus. Du haſt Deinen guten520Effi BrieſtVerſtand, aber Du kannſt doch nicht an ſolche Fragen

Eigentlich nicht.

Und wenn denn ſchon überhaupt Fragen geſtellt werden ſollen, da giebt es ganz andere, Brieſt, und ich kann Dir ſagen, es vergeht kein Tag, ſeit das arme Kind da liegt, wo mir ſolche Fragen nicht gekommen wären

Welche Fragen?

Ob wir nicht doch vielleicht ſchuld ſind?

Unſinn, Luiſe. Wie meinſt Du das?

Ob wir ſie nicht anders in Zucht hätten nehmen müſſen. Gerade wir. Denn Niemeyer iſt doch eigentlich eine Null, weil er alles in Zweifel läßt. Und dann, Brieſt, ſo leid es mir thut Deine beſtändigen Zweideutigkeiten und zuletzt, womit ich mich ſelbſt anklage, denn ich will nicht ſchuldlos ausgehen in dieſer Sache, ob ſie nicht doch vielleicht zu jung war?

Rollo, der bei dieſen Worten aufwachte, ſchüttelte den Kopf langſam hin und her, und Brieſt ſagte ruhig: Ach, Luiſe, laß das iſt ein zu weites Feld.

Druck von Oskar Bonde in Altenburg.

About this transcription

TextEffi Briest
Author Theodor Fontane
Extent532 images; 95878 tokens; 12014 types; 631667 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationEffi Briest Roman Theodor Fontane. . 2 Bl., 520 S. FontaneBerlin1896.

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Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz SBB-PK, 505445 Rhttp://stabikat.de/DB=1/SET=12/TTL=1/CMD?ACT=SRCHA&IKT=1016&SRT=YOP&TRM=876213794

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Roman; Belletristik; Roman; core; ready; ocr

Editorial statement

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ShelfmarkSBB-PK, 505445 R
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